Forensische Linguistik
Eine Einführung
0914
2011
978-3-8233-7654-5
978-3-8233-6654-6
Gunter Narr Verlag
Eilika Fobbe
Die Forensische Linguistik ist ein Teilgebiet der angewandten Linguistik. Ihre Aufgabe ist es, sprachliche Daten zu analysieren, die Gegenstand einer juristischen Betrachtung sind. Forensische Linguistik befasst sich daher mit der Analyse von mündlichen (Sprechererkennung) und schriftlichen Texten (Autorenerkennung), die Gegenstand einer polizeilichen Ermittlung oder eines gerichtlichen Verfahrens sind, mit Äußerungsdelikten (z.B. Beleidigung), mit Plagiatsvorwürfen und mit Bedeutungs- und Verständlichkeitsnachweisen von streitigen Begriffen oder Äußerungen z.B. im Zusammenhang mit Markenrecht, Produkthaftung oder Vertragsrecht. Die Analyse anonymer Texte, die in den Philologien eine lange Tradition hat, wurde seit den 1950er Jahren in ihrem Potenzial als kriminalistische Hilfswissenschaft erkannt, in der Bundesrepublik trat die forensische Textanalyse erstmals im Zusammenhang mit den Bekennerschreiben der RAF und der Oetker-Entführung ins allgemeine Bewusstsein.
Das vorliegende Studienbuch führt anhand authentischer Texte und exemplarischer Analysen in das Arbeitsfeld und in die wichtigsten Analysemethoden ein. Alle Kapitel sind mit konkreten Fällen illustriert, Aufgaben in den einzelnen Kapiteln ermöglichen eine unmittelbare Anwendung.
<?page no="0"?> Eilika Fobbe Forensische Linguistik Eine Einführung <?page no="3"?> Eilika Fobbe Forensische Linguistik Eine Einführung <?page no="4"?> Dr. Eilika Fobbe ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für deutsche Philologie der Ernst- Moritz-Arndt-Universität Greifswald und leitet Schulungen für die Sachbearbeiter für forensische Linguistik am Bundeskriminalamt. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr-studienbuecher.de E-Mail: info@narr.de Printed in the EU ISSN 0941-8105 ISBN 978-3-8233-6654-6 <?page no="5"?> Inhaltsverzeichnis Vorwort............................................................................................................ 11 Teil I: Grundlagen 1 Gegenstandsbereich und Aufgaben der forensischen Linguistik .... 15 1.1 Definition ................................................................................................................. 15 1.2. Forschungfelder ...................................................................................................... 16 1.2.1 Außenwahrnehmung ............................................................................................. 19 1.2.2 Publikationen .......................................................................................................... 20 1.3 Relevanz linguistischer Expertise.......................................................................... 21 1.4 Arbeitsfelder forensischer Linguistik ................................................................... 22 1.4.1 Äußerungsbedeutung ............................................................................................. 22 Aufgabe Künstlerische Freiheit ............................................................................ 24 1.4.2 Wortbedeutung ....................................................................................................... 25 Aufgabe Die Bedeutung von Fenster ................................................................... 28 Aufgabe Der gleiche und derselbe ......................................................................... 28 1.4.3 Ähnlichkeit und Markenrecht............................................................................... 28 Aufgabe Sharelook gegen sherlock ....................................................................... 30 Aufgabe iPod gegen eiPott .................................................................................... 31 1.4.4 Beleidigung .............................................................................................................. 31 Aufgabe Der Dummschwätzer............................................................................. 35 1.4.5 Warnhinweise auf Produkten ............................................................................... 35 Aufgabe Gesüßte Kindertees ................................................................................ 37 1.4.6 Autorschaftsnachweis und Autorschaftsanalyse ................................................ 38 2 Text, Autor und Leser ........................................................................ 41 2.1 Definition des Autors ............................................................................................. 41 2.1.1 Formen der Autorschaft......................................................................................... 41 2.1.2 Drei Fälle im Zusammenhang mit § 129a StGB ................................................. 44 Aufgabe Zwei Bekennerschreiben ....................................................................... 46 2.1.3 Aspekte der auktorialen Inszenierung ................................................................. 47 Aufgabe „Polen spielen nicht“.............................................................................. 51 2.1.4 Anonymität.............................................................................................................. 52 2.1.5 Plagiat ....................................................................................................................... 52 Aufgabe Studentisches Plagiat.............................................................................. 54 2.2 Der Text und sein Leser ......................................................................................... 55 2.2.1 Methodenwahl......................................................................................................... 56 2.2.2 Hypothesenbildung ................................................................................................ 57 Aufgabe Erpressung und Plagiatsvorwurf .......................................................... 60 2.2.3 Wahrscheinlichkeitsaussagen................................................................................ 61 Aufgabe non liquet ................................................................................................ 62 <?page no="6"?> Inhalt 6 2.2.4 Formen der Interpretation..................................................................................... 62 Teil II: Aspekte der Analyse 3 Textsorte ............................................................................................. 67 3.1 Textbegriff................................................................................................................ 67 Aufgabe Original und Abschrift .......................................................................... 70 3.2 Texttypen und Textsorten ..................................................................................... 71 3.3 Textsorte Erpresserbrief .......................................................................................... 72 3.3.1 Textsortenspezifische Formulierungsmuster...................................................... 77 Aufgabe Einbruch- und Brandschutztest ........................................................... 80 Aufgabe Textelemente des Briefs ......................................................................... 81 3.3.2 Höflichkeit ............................................................................................................... 81 Aufgabe Firmenertragssicherung ........................................................................ 83 3.3.3 Die kommunikativ-pragmatische Beschreibung nach Brinker ........................ 84 3.3.3.1 Der situative Kontext.............................................................................................. 84 3.3.3.2 Der soziale Kontext................................................................................................. 84 3.3.3.3 Die Textfunktion..................................................................................................... 88 3.3.3.4 Textthemen und thematische Muster .................................................................. 90 3.3.4 Ein Analysebeispiel ................................................................................................. 92 3.3.5 Aufgaben .................................................................................................................. 94 Aufgabe Grundform und erweiterte Grundform .............................................. 94 Aufgabe Schwierige Nachbarn ............................................................................. 95 Aufgabe Erpressung eines Geschäftsmannes ..................................................... 95 Aufgabe Brief in einem Fall von Kindesentführung ......................................... 97 Aufgabe Ernste letzte Warnung ........................................................................... 97 3.3.6 Das Konzept der Illokutionshierarchien nach Motsch...................................... 98 3.4 Textsorte Abschiedsbrief.......................................................................................100 Aufgabe Abschiedsbrief ......................................................................................105 4 Stil ..................................................................................................... 107 4.1 Was ist Stil? ............................................................................................................107 4.2 Formen der Stilanalyse .........................................................................................108 4.2.1 Der Fall Timothy John Evans ..............................................................................110 4.2.2 Der CUSUM-Test .................................................................................................115 4.3 Kritik.......................................................................................................................117 4.4 Das Stilkonzept: Stil als Wahl..............................................................................118 4.5 Stilmerkmale..........................................................................................................120 4.5.1 Die Eigenschaften der Stilmerkmale ..................................................................120 4.5.2 Die Validität der Merkmale .................................................................................122 <?page no="7"?> Inhalt 7 4.5.3 Merkmalsbündel ...................................................................................................126 4.6 Anleitung zur qualitativen Stilanalyse................................................................131 4.7 Ein Analysebeispiel ...............................................................................................133 4.8 Aufgaben ................................................................................................................140 Aufgabe 200 Mark................................................................................................140 Aufgabe Anonyme Anzeige ................................................................................140 Aufgabe Verleumdungen....................................................................................141 Aufgabe Firmenertragssicherung ......................................................................141 Aufgabe Der Brühne-Mord ................................................................................142 5 Fehler................................................................................................. 143 5.1 Sprachliche Normen.............................................................................................143 5.2 Fehlerdefinition.....................................................................................................147 5.3 Fehlertypisierungen ..............................................................................................148 5.4 Fehlerursachen ......................................................................................................149 5.5 Fehlerbeschreibung...............................................................................................152 5.5.1 Sprachliche Ebenen...............................................................................................152 5.5.2 Erscheinungsbild...................................................................................................155 5.5.3 Probleme der Klassifizierung ..............................................................................156 Aufgabe Die Lindbergh-Entführung .................................................................158 5.6 Fehlerbewertung ...................................................................................................159 5.6.1 Aussagekraft ..........................................................................................................159 Aufgabe Schreibkompetenz ................................................................................162 5.6.2 Fehlerschwere ........................................................................................................163 5.7 Die Sprachprofilanalyse .......................................................................................167 Aufgabe Der Leibhaber .......................................................................................172 5.8 Fingierte Fehler .....................................................................................................172 5.9 Ein Analysebeispiel ...............................................................................................176 Aufgabe Nur ein Fersuch ....................................................................................181 Aufgabe Das ‚Weinachtsgeschenk‘ ....................................................................182 6 Inhalt ................................................................................................. 185 6.1 Lüge.........................................................................................................................186 6.1.1 Kriterien der Lüge.................................................................................................186 6.1.2 Lügen aus psychologischer Sicht.........................................................................188 6.1.3 Lügen aus pragmatischer Sicht............................................................................190 6.1.4 Begleiterscheinungen des Lügens .......................................................................192 6.1.5 Objektive und subjektive Lügensignale .............................................................193 6.2 Glaubwürdigkeit ...................................................................................................195 6.2.1 Die merkmalsorientierte Inhaltsanalyse (CBCA).............................................196 <?page no="8"?> Inhalt 8 6.2.2 Verbale Merkmale im Rahmen der CBCA........................................................199 Aufgabe Die Narkose...........................................................................................200 6.2.3 Exkurs: Der suizidale Stil .....................................................................................200 Aufgabe Ein Abschiedsbrief ...............................................................................202 6.3 Der linguistische Ansatz ......................................................................................203 6.3.1 Der Sachverhalt als Narration .............................................................................204 6.3.1.1 Textstruktur..........................................................................................................207 6.3.1.2 Detailreichtum......................................................................................................208 Aufgabe Der Zimmerbrand ................................................................................209 Aufgabe „You’re not telling me the story“........................................................210 6.3.2 Wortwahl ...............................................................................................................210 6.3.3 Referenz..................................................................................................................211 6.3.4 Deiktika ..................................................................................................................213 6.3.5 Wiederaufnahmen und die Maxime der Quantität..........................................215 6.3.6 Negation .................................................................................................................217 Aufgabe Der Zettel...............................................................................................218 6.3.7 Heckenausdrücke, Relativierungen und nicht-faktive Verben.......................218 6.3.8 Aufgaben ................................................................................................................222 Aufgabe Selbstbezichtigung................................................................................222 Aufgabe Zeugenaussage ......................................................................................223 6.4 Sequenzanalyse......................................................................................................224 Aufgabe Sequenzanalytische Übung .................................................................228 Teil III: Präsentation 7 Linguistische Sachkunde vor Gericht .............................................. 233 7.1 Die Arbeit als Sachverständiger ..........................................................................233 7.2 Prozessrechtliche Rahmenbedingungen............................................................234 7.2.1 Die Rolle der eigenen Sachkunde .......................................................................235 7.2.2 Der gutachterliche Auftrag und seine Ausführung ..........................................237 7.2.2.1 Aufbau eines Gutachtens .....................................................................................238 7.2.2.2 Die Vermittlung der Sachkunde an das Gericht...............................................240 7.2.3 Die freie Beweiswürdigung ..................................................................................241 7.3 Aufgaben ................................................................................................................242 Aufgabe Begutachten oder nicht? ......................................................................242 Aufgabe Was tun Linguisten? ............................................................................242 Aufgabe Herkunft eines anonymen Sprechers.................................................243 7.4 Ein Ausblick auf das amerikanische Prozessrecht............................................244 7.4.1 Die Beweisaufnahme ............................................................................................244 7.4.2 Zulassung von expert testimony ..........................................................................245 7.4.3 Linguistik und der Daubert standard.................................................................248 <?page no="9"?> Inhalt 9 8 Anhang .............................................................................................. 251 Selbstbezichtigung im Fall Lydia Schürmann (Aufgabe unter 6.3.8) .............251 Zeugenaussage (Aufgabe unter 6.3.8).................................................................252 Erpresserischer Menschenraub (Aufgabe unter 3.3.5).....................................252 9 Abkürzungsverzeichnis .................................................................... 255 10 Literatur ............................................................................................ 257 10.1 Primärquellen ........................................................................................................257 10.2 Sekundärquellen....................................................................................................257 11 Register.............................................................................................. 27 9 <?page no="11"?> Das vorliegende Buch ist aus einer mehrjährigen Lehrtätigkeit zum Bereich der forensischen Linguistik an der Universität Göttingen entstanden und richtet sich an Studierende und Lehrende der germanistischen Linguistik, die zur forensischen Linguistik eine deutschsprachige Einführung suchen. Der Schwerpunkt dieses Buches liegt auf der linguistischen Analyse geschriebener Texte. Diese Auswahl reflektiert die Wahrnehmung dessen, was forensische Linguistik in der Bundesrepublik vorrangig tut, und was - soweit das Tätigkeitsfeld bekannt ist - auch von ihr erwartet wird: Das Bundeskriminalamt hat seit einigen Jahrzehnten in einem seiner kriminaltechnischen Institute den Bereich der Autorenerkennung fest etabliert. Es bedeutet nicht, dass sich die Arbeit eines forensischen Linguisten oder einer forensischen Linguistin in dem hier abgesteckten Forschungsbereich erschöpfen würde, im Gegenteil, eine zunehmende Ausdifferenzierung dieses Teils der angewandten Linguistik ist international seit geraumer Zeit zu beobachten. Mit ihren jeweiligen Schwerpunkten und Fragestellungen orientiert sich die Linguistik dabei auch an den Bedürfnissen und Erfordernissen des jeweiligen Rechtssystems, in dessen Kontext ihre Forschung stattfindet. Mit ihrem Buch Autorenerkennung hat Christa Dern (2009) eine aktuelle Einführung in die forensische Textanalyse vorgelegt, die sich vorrangig an Kriminalisten und an Fachfremde der Linguistik richtet. Mit der Zielgruppe der Linguistinnen und Linguisten versucht das vorliegende Buch damit eine Lücke zu schließen, die für den deutschsprachigen Raum seit längerem besteht. Zum einen führt es ausführlich in die wichtigsten Aspekte der forensischen Textanalyse ein sowie in die grundlegenden methodischen und nicht zuletzt ethischen Fragestellungen, die sich durch diese spezielle Form der praktischen Anwendung ergeben. Zum anderen will es die Leser und Leserinnen durch die den Kapiteln angegliederten Übungsabschnitte in die Lage versetzen, das erworbene Wissen an authentischem Material auch konkret anzuwenden und dabei das eigene Vorgehen kritisch zu überprüfen. Ich danke an dieser Stelle allen Kollegen und Freunden, die mich in der Arbeit an dieser Einführung unterstützt und mir mit Vorschlägen, konstruktiver Kritik und Ermunterung zur Seite gestanden haben. Mein besonderer Dank gilt dabei den Kolleginnen Sabine Schall und Sabine Ehrhardt vom KT 54.2 des Bundeskriminalamtes, die mich so großzügig mit aktuellen Texten versorgt haben. <?page no="12"?> Vorwort 12 Ich möchte mich auch bei Susanne Fischer und Karin Burger vom Narr erlag für ihre gute und geduldige Betreuung bedanken und bei Katharina Wöhl für die Unterstützung bei den abschließenden Korrekturarbeiten. Forensische Linguistik ist und bleibt nicht nur für mich ein spannendes Thema. Es sollte mich freuen, wenn die Arbeit mit diesem Buch bei den Leserinnen und Lesern das Interesse an diesem recht spezifischen Bereich angewandter Wissenschaft wecken und vielleicht auch zu eigener Forschung anregen würde. Greifswald, im Sommer 2011 Eilika Fobbe V <?page no="13"?> <?page no="15"?> Das Arbeitsfeld der forensischen Linguistik liegt im Schnittbereich von Sprache und Recht. Der Terminus forensisch leitet sich ab von dem lat. forēnsis ‚auf dem Markt‘, was - im Gegensatz zu domesticus (in der Bedeutung ‚privat‘) - auch ‚öffentlich‘ bedeutet. Da zu römischer Zeit die Gerichtsverfahren auf dem Markt stattfanden, hat sich daraus die übertragene Bedeutung ‚gerichtlich‘ entwickelt. Für Linguisten wie Juristen ist die Verbindung des Sprachlichen mit seinen rechtlichen Implikationen von je her ein interessanter Forschungsgegenstand, denn Recht geschieht dadurch, dass Recht größtenteils ‚gesprochen‘ wird. Das Interesse an interdisziplinärer Forschung ist u.a. an Monographien abzulesen, die Titel wie Law and Language (Olsen et al. 2008), Sprache und Recht (Rathert 2006, Haß-Zumkehr 2002), Sprachkultur als Rechtskultur (Grewendorf 1992) oder Die Sprache des Rechts (Lerch 2004/ 2005) tragen. Vier Bereiche bestimmen dabei das linguistische Interesse (vgl. Stickel 2002: 2f.): 1. die Rechtssprache an sich, u.a. ihre historische Bedeutung für die Entwicklung einer deutschen Standardsprache und ihre Entwicklung zu einer Fachsprache, 2. die pragmalinguistischen Aspekte der Rechtssprache und der Rechtssprechung, denn rechtliches Handeln vollzieht sich in der sprachlichen Interaktion und in der juristischen Textarbeit und ist u.a. ein durch Texte normiertes sprachliches Handeln, 3. die Tatsache, dass regelmäßig über Äußerungen, über Texte oder sprachliches Verhalten vor Gericht gestritten wird und dass deren juristische Interpretation zur Grundlage von gerichtlichen Entscheidungen wird und 4. die Tatsache, dass auch der Linguist ein dem Recht unterworfener juristischer Laie ist, der von den Auswirkungen der Rechtsprechung wie seine Mitbürger betroffen ist. In einer weiten Definition schließt der Forschungsbereich der forensischen Linguistik alles Sprachliche im Bereich des Rechts ein, das es linguistisch zu untersuchen gilt. Das linguistische Interesse richtet sich dabei nicht nur auf sprachliche Probleme im Rahmen polizeilicher oder gerichtlicher Behandlung sondern auch auf die Sprache als Instrument der Justiz. In diesem letzteren Bereich berührt sich forensische Linguistik mit der Rechtslinguistik, die sich vornehmlich der Gesetzessprache, der Fachsprache <?page no="16"?> 1 Gegenstandsbereich und Aufgaben der forensischen Linguistik 16 des Rechts und der Sprache bzw. der Kommunikation in Institutionen des Rechts widmet. Fest gegeneinander abgegrenzt sind beide Teildisziplinen nicht. In einer engen Definition - als forensische Hilfswissenschaft - beschränkt sich forensische Linguistik auf den Aspekt, der eingangs unter 3. genannt wurde, also auf die sprachlichen Produkte, die für Ermittlungen oder für zivil- oder strafrechtliche Verfahren relevant sind und ggf. einen Beweiswert besitzen. Kniffka (ebd.) kommt für das Fach zu folgender Definition: Forensische Linguistik ist ein Teilbereich der Linguistik, der die linguistische Analyse solcher sprachlicher Daten (einschließlich ihrer Präsentation vor Gericht) umfasst, die Gegenstand juristischer Betrachtung sind. Mit den unterschiedlich weiten oder engen Definitionen des Faches korrelieren die Gliederungsvorschläge der Arbeitsfelder forensischer Linguistik. Stoll (1999) z.B. gliedert sie in die Sprache juristischer Texte, sprachliche Phänomene als Gegenstand juristischer Betrachtung und linguistische Gutachten zu Autor- oder Täterschaft. Eine andere Kategorisierung bietet Schall (2004) unter Rückgriff auf Grewendorf (1992): Sie differenziert forensische Linguistik nach Sprache der Gesetze, Sprache vor Gericht und Sprache des Täters. Die Kategorie Sprache vor Gericht erlaubt eine zweifache Interpretation des Begriffs ‚Sprache‘, der sich einerseits als Sprachsystem und andererseits als Sprachgebrauch bzw. als Sprachverwendung verstehen lässt, so dass hierunter auch das kommunikative Verhalten im Gerichtssaal fällt. Der Bereich Sprache des Täters impliziert ein strafrechtliches Verfahren oder eine polizeiliche Ermittlung und ist gegenüber Sprache vor Gericht vergleichsweise eng definiert. Er spiegelt zugleich den Arbeitsbereich der Autoren- und der Sprechererkennung am BKA wider; privatrechtliche sprachbasierte Streitfälle sind in dieser Systematik dem Bereich Sprache vor Gericht zuzurechnen bzw. der Stoll’schen Kategorie sprachliche Phänomene als Gegenstand juristischer Betrachtung. Einem recht engen Konzept, das forensische Linguistik auf die Analyse der Sprache des Täters beschränkt, folgt auch die umfassende Bibliographie zu Recht und Sprache von Bungarten/ Engberg (2003), wenn sie Forensische Linguistik unter dem Stichwort Strafrecht einordnet. Forschungsfragen zu den Bereichen sprachliches Verhalten im Gerichtssaal und Sprache der Gesetze werden als linguistische Fragestellungen im engeren Sinne davon getrennt behandelt und nach Semiotik, Phonologie, Grammatik, Semantik und Pragmatik sowie Stilistik und Rhetorik differenziert. Der juristischen Untergliederung der Arbeitsbereiche nach straf- und zivlirechtlichen Gegenständen folgt auch Kniffka (2007: 29) mit seiner Einteilung: Er trennt nach Autorschaftsanalyse und ‚sprachlichen‘ Straftatbeständen wie Beleidigung einerseits und zivilrechtlich zu regelnden sprachlich begründeten Streitfällen andererseits. <?page no="17"?> 1.2. Forschungfelder 17 Eine vergleichbare Differenzierung nach Rechtslinguistik und forensischer Linguistik besteht für den angloamerikanischen Raum nicht. Mit dem Terminus forensic linguistics werden Themenfelder beider Bereiche belegt. Einen guten Überblick über die aktuellen Forschungsschwerpunkte der angloamerikanischen forensischen Linguistik, bietet die Bibliographie der International Association of Forensic Linguistics. 1 Von den drei von Levi (1982) bestimmten großen Themenbereichen dominieren das Kommunikationsverhalten im Gerichtssaal (und bei den ermittelnden Behörden) und die sprachlichen Phänomene als Gegenstand juristischer Betrachtung. Der Bereich der legal language bzw. der written language of the law spielt vorrangig im Zusammenhang mit der Frage nach ihrer Verständlichkeit für den Laien (ein zentrales Forschungsfeld der Rechtslinguistik) eine Rolle. Die Aufstellung umfasst 20 Kategorien mit entsprechenden Subklassen. Die erste Kategorie discourse (general) mit ihren Bedeutungen ‚Rede‘ und ‚Diskurs‘ dient als Sammelbecken für gesprächsanalytische, varietätenlinguistische, stilistische und semantisch-pragmatische Fragen zum gesprochenen und geschriebenen Wort im juristischen Kontext. Courtroom discourse widmet sich der Kommunikation im Gerichtssaal, die geprägt ist durch klar definierte Rollen der Beteiligten in einer vorbestimmten Handlungssituation, die nach einem festgeschriebenen Muster abläuft. Dabei interessieren sowohl die institutionalisierten und ritualisierten Abfolgen, denen diese Gespräche gehorchen, wie auch die Art, in der juristischen Experten mit ihresgleichen (dem Ankläger und den Anwälten der Parteien) und mit den Laien (dem Kläger, Beklagten, Angeklagten oder Zeugen) sprechen. Ferner ist Gegenstand der linguistischen Analyse, mit welchen rhetorischen Mitteln die Beteiligten arbeiten und wie sie bestimmte Inhalte versprachlichen. Ein relevantes Thema ist z.B. die Art und Weise, wie vor Gericht die Bedeutungen bestimmter Begriffe ausgehandelt oder Begriffe gezielt semantisch besetzt werden und wie sich darüber die Machtpositionen der agierenden Parteien konstituieren. Die Analyse der Kommunikation erstreckt sich auch auf die Struktur und Wirkung bestimmter Befragungsstrategien. Ob man Zeugen ihre ‚Geschichte‘ erzählen lässt oder ob man sie durch ein engmaschiges Frage-Antwort-Raster lenkt, hat z.B. Einfluss auf die Glaubwürdigkeit und das Ansehen des Zeugen. Die Kategorie readability/ comprehensibility deckt den großen Bereich der Verständlichkeitsforschung ab und erstreckt sich sowohl auf Verträge, Warnhinweise und Beipackzettel wie auch auf Gesetzestexte und Texte, deren genauer Wortlaut rechtlich relevant ist. Dazu zählen z.B. die sog. Miranda Rights, die in den USA einem Tatverdächtigen vor seiner Befragung verlesen werden müssen, oder die Anweisungen an die Jury durch den Richter. Die Verständlichkeitsforschung zur letzteren der beiden Textsorten spielt in der angloamerikanischen forensischen Linguistik insofern eine Rolle, als die amerikanische und englische Rechtsordnung Prozesse mit einer Jury aus juristischen Laien vorsehen. Daher ist es von essenzieller Bedeutung, dass die Jury den Argumentationen der agierenden Experten folgen kann und die Anweisun- Abrufbar unter: http: / / www.iafl.bham.ac.uk/ bib/ biblio.php. <?page no="18"?> 1 Gegenstandsbereich und Aufgaben der forensischen Linguistik 18 gen, die ihnen der Richter gibt, auch versteht. 2 So haben Untersuchungen z.B. gezeigt, dass ein nachweislicher Zusammenhang zwischen dem Missverstehen der Instruktionen in Strafprozessen und der Bereitschaft, sich für die Todesstrafe auszusprechen, besteht (Wiener/ Pritchard/ Weston 1995). Die linguistische Begutachtung zur Autor- oder Täterschaft firmiert im angloamerikanischen Sprachraum unter der Kategorie authorship attribution und erstreckt sich auf mündliche wie schriftliche Texte. Die forensische Phonetik (forensic phonetics) untersucht die gesprochene Sprache und ist neben der Sprecheridentifizierung oder -kategorisierung auch für die Deutung unverständlicher Äußerungen zuständig. Eng mit der Analyse mündlicher Äußerungen bzw. ganzer Gespräche ist auch die Problematik sog. wörtlicher Aufzeichnungen sowie der Umgang mit Transkripten in der Verhandlung verbunden (transcription). Die Textlinguistik (written discourse analysis) bearbeitet Schriftstücke, deren Genese zweifelhaft sein kann. Ihr Anwendungsbereich schließt schriftliche Zeugenaussagen, Plagiate, Abschiedsbriefe, zweifelhafte Testamente und Geständnisse ebenso ein wie die klassischen Droh-, Bekenner- und Erpresserschreiben. Des Weiteren ist der Bereich der language variation zu nennen. Im Zentrum dieses Forschungsfeldes stehen Fragen, welche sich mit der Sprachkompetenz der Beteiligten auseinandersetzen und mit den Konsequenzen, die die kommunikativen Fähigkeiten der Beteiligten für den Prozessverlauf haben. Außerdem wird hinterfragt, wie mit sprachlicher Benachteiligung umzugehen ist und wie mit interkulturell bedingter Fehlkommunikation, wenn die Parteien aus unterschiedlichen Kulturkreisen stammen. Weitere Fragestellungen erstrecken sich auf interpreting (Dolmetschen) und sight translation (die mündliche Übersetzung geschriebener Texte) sowie auf die Übersetzung von Texten im eigentlichen Sinn. Relevant sind hier die Anforderungen an den Dolmetscher und die Analyse seines konkreten Handelns bei der Vernehmung, am Tatort oder im Prozess. Die Problematik einer schlechten Dolmetschertätigkeit, ihre Wirkung bzw. ihr Einfluss auf die Beteiligten des Verfahrens nehmen dabei breiten Raum ein. Die Befragung von Kindern mit ihren speziellen Herausforderungen stellt einen weiteren, eigenen Punkt dar, der zwar primär in den Forschungsbereich der forensischen Psychologie fällt, aber auch für die Linguistik interessant ist. Unter den Punkt expert evidence fallen die Diskussion über die Notwendigkeit linguistischer Expertise, die Bedingungen ihrer Zulassung vor Gericht, die Akzeptanz durch die Jury oder den Richter sowie die Experten-Laien-Kommunikation zwischen dem Sachverständigen und den anderen Prozessbeteiligten. Weitere Kategorien, die an die Linguistik angrenzende Bereiche betreffen, sind statistische Methoden (forensic statistics), die Handschriftenanalyse (handwriting), technische und korpuslinguistische Fragen (technology) und wissenschaftsgeschichtliche Aspekte (historical aspects). Der Richter darf keinesfalls Stellung zum Sachverhalt nehmen. Falsche Instruktionen an die Jury sind häufigster Beschwerdegrund (Hay 2008: 272, Rn 727). <?page no="19"?> 1.2. Forschungfelder 19 ! Was forensische Linguistik in einem Land ausmacht, ist nur zu einem Teil dadurch geprägt, was die Linguistik grundsätzlich zu Fragen des Rechts beitragen kann. Wichtiger ist, welches Selbstverständnis die Linguistik als juridische oder kriminologische Hilfswissenschaft hat, und noch stärker ist ihr Tätigkeitsfeld dadurch bestimmt, welche Aufgaben ihr die Justiz zuweist. Dabei spielt eine entscheidende Rolle, ob und in welchem Umfang (forensische) Linguistik als angewandte Wissenschaft im öffentlichen Bewusstsein präsent ist und wie die Prozessordnungen die Hinzuziehung fachlicher Expertise grundsätzlich regeln. Einfluss auf die konkrete Ausgestaltung möglicher Forschungsfelder haben darüber hinaus die sprachlichen Fragen, die das eigene Rechtssystem und der konkrete gerichtliche Alltag aufwerfen, und das Vorhanden- oder Nichtvorhandensein interdisziplinärer Forschung mit den sozialwissenschaftlichen Nachbardisziplinen. Nicht zuletzt aus diesen Gründen sind die Forschungsfelder, die der forensischen Linguistik in den Vereinigten Staaten, in England und in Australien zugerechnet werden, im Vergleich zu den deutschen Forschungsschwerpunkten tendenziell umfassender und auch thematisch anders gewichtet. Dies bedeutet nicht, dass es keine deutsche Forschung zu den genannten Themenbereichen gäbe - ihre Vertreter verstehen sich nur nicht zwingend als forensische Linguisten, sondern rechnen sich der Rechtslinguistik zu. Von der (geringen) Wahrnehmung des Faches als Teildisziplin der angewandten Sprachwissenschaft allein auf das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein linguistischer Gutachtertätigkeit schließen zu wollen, ist sicher verfehlt. Wissenschaftliche Expertise zu sprachlichen Fragen wurde und wird von Philologen und Sprachwissenschaftlern seit Jahrzehnten gegeben, 3 sie ist aber als solche fachwissenschaftlich kaum je in einem größeren Rahmen diskutiert worden, sondern blieb gewissermaßen Privatsache der Betroffenen. Für die Mehrheit der älteren linguistischen Publikationen ist es daher auch bezeichnend, dass ihre Verfasser die Erfahrungen mit der eigenen Gutachtertätigkeit zum Anlass nahmen, einen Beitrag zum Thema zu veröffentlichen, so dass es oft bei Falldarstellungen blieb. Auch deshalb liegt in der Bundesrepublik der derzeitige Schwerpunkt explizit forensisch-linguistischer Forschung vorrangig auf den sprachlichen Problemen oder Fragestellungen, die Gegenstand von Verfahren sind, und hier verstärkt auf der Analyse inkriminierter Texte bzw. auf Fragen des Autorschaftsnachweises, ohne dass sich forensische Linguistik darin erschöpfen würde. Vor allem Kniffka hat die Orientierung am Einzelfall stets als Defizit des Faches empfunden und in zahlreichen Publikationen auf eine stärkere theoretische und me- 3 Frühe Beispiele sind die innerhalb der Philologie sehr skeptisch aufgenommenen Schallanalysen von Eduard Sievers in den 1920er Jahren, vgl. Ganz (1979), die aber offenbar erfolgreich bei der Täterermittlung eingesetzt wurden, oder die Gutachtertätigkeit von Günter Kandler, Leiter der in den 1950er Jahren eingerichtete Zentralstelle für Terminologieforschung und praktische Sprachfragen. Werner Betz hat sich 1964 mit dem linguistischen Beweiswert einer Aussage des Kronzeugen im Brühne-Mord befasst. <?page no="20"?> 1 Gegenstandsbereich und Aufgaben der forensischen Linguistik 20 thodische Fundierung des Faches gedrängt. In jüngerer Zeit ist eine Loslösung von der Kasuistik zu beobachten, oft im Zusammenhang mit textlinguistischen Fragen zu Register und Textsortenspezifik inkriminierter Schreiben. Die Entwicklung zu einem eigenständigen Teilfach der Linguistik ist also längst nicht abgeschlossen sondern nach wie vor im Gange. Der Terminus forensische Linguistik wurde zunächst in seiner englischen Form als forensic linguistics geprägt. Er ist Jan Svartvik zu verdanken, der einen englischen Serienmörderfall untersuchte und seiner Publikation aus dem Jahr 1968 den Untertitel a case for forensic linguistics gab. Die Linguistik in ihrer noch ungewohnten Funktion als kriminologische Hilfswissenschaft trat erstmals im Zusammenhang mit der sog. Helanderaffären 1952 in Schweden in ein breiteres öffentliches Bewusstsein, in der dem Bischof des Stiftes Strängnäs, Dick Helander, vorgeworfen wurde, im Vorfeld seiner Wahl eine Briefserie an das Wahlkollegium verschickt zu haben, in der seine Mitbewerber beleidigt und diffamiert wurden. Der Philologe Ture Johannisson von der Universität Göteborg unterzog damals die betreffenden Briefe einer stilistischen Analyse und kam zu dem Schluss, dass Helander Verfasser der Briefe sei. 4 In England zog linguistische Expertise die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit dadurch auf sich, dass zu Beginn der 1990er Jahre eine Reihe von Prozessen stattfand, in denen die Authentizität von Vernehmungsprotokollen und von Aussagen der Verdächtigen angezweifelt wurde. Auch wurden in der Nachfolge Svartviks andere Fälle, in denen die Todesstrafe verhängt worden war, wieder aufgerollt und die Protokolle einer linguistischen Analyse unterzogen, im Fall Derek Bentleys mit dem Ergebnis, dass der Verurteilte postum freigesprochen wurde (vgl. Olsson 2004). In der Bundesrepublik hatte die Anwendung linguistischer Expertise eine erste größere Publikumswirkung 1980 im Prozess gegen Dieter Zlof, der den Industriellensohn Richard Oetker im Winter 1976 entführt hatte. Für das BKA wurde sie bereits in den 1970er Jahren für die Analysen der Briefe der Roten Armee Fraktion interessant, aus denen man sich Hinweise auf die Täter und im Fall der Entführung Hanns Martin Schleyers Hinweise auf den Aufenthaltsort des Entführten erhoffte. " Angestoßen durch spektakuläre Fälle setzt eine erkennbare Publikationstätigkeit in der Bundesrepublik seit den 1980er Jahren ein. Programmatisch bleibt der Aufsatz von Kniffka (1981) zu den Aufgaben des linguistischen Sachverständigen bei Gericht. Deutschsprachige Publikationen zum Thema liegen bis heute fast ausschließlich in Aufsatzform vor; vielfach sind sie in Tagungsbänden erschienen. 5 Wichtig ist nach wie vor der Sammelband Texte zu Theorie und Praxis forensischer Linguistik hrsg. von Kniffka (1990), der zum Ziel hatte, bisherige Forschungsergebnisse zusammenzutra- 4 Jüngere DNA-Untersuchungen haben diese Einschätzung indirekt relativiert, da sich Helanders DNA nicht auf den Briefen, sondern nur auf einigen der Umschläge gefunden hat. 5 Zwei Symposien zum Thema initiierte das BKA (1988, 2000). <?page no="21"?> 1.3 Relevanz linguistischer Expertise 21 gen, das Erfahrungswissen aus der gutachterlichen Tätigkeit zusammenzuführen und das Fach einem größeren Publikum bekannt zu machen sowie der Sammelband Rechtskultur als Sprachkultur, hrsg. von Grewendorf (1992), der rechtslinguistische Themen stärker berücksichtigt. Eine Dissertation zu Droh- und Erpresserschreiben ist 1996 von Artmann vorgelegt worden. In dem einführenden Sammelband Angewandte Linguistik (2004), hrsg. von Knapp, findet sich die forensische Linguistik mit einem eigenen Kapitel. 2009 ist eine Monographie zum Autorschaftsnachweis von Christa Dern unter dem Titel Autorenerkennung erschienen, die sich primär an Kriminalisten wendet. Die Aufgaben forensischer Linguistik und die Entwicklung des Faches in Deutschland hat Kniffka in seiner Monographie Working in Language and Law: A German Perspective (2007) für eine englischsprachige Leserschaft aufbereitet. Für den englischsprachigen Raum liegen aktuelle Einführungen in die forensische Linguistik von McMenamin (2002), Gibbons (2003), Olsson (2004), Gibbons/ Turell (2008) und Coulthard/ Johnson ( 2 2010) vor. Die letztgenannten Autoren haben 2010 auch ein Handbuch unter dem Titel The Routledge handbook of forensic linguistics herausgegeben. Eine Einführung in die gutachterliche Tätigkeit des Linguisten im amerikanischen (Zivil-)Prozess bietet Shuy (2006). # $ % & '() Wenn linguistische Fragestellungen von Juristen erörtert werden, bietet dies eine ganze Reihe von Anknüpfungspunkten zwischen Rechtswissenschaft und Linguistik, legt aber auch die dem innewohnende Problematik offen. Die eigentliche Aufgabe des Juristen ist es, Sachverhalte auf ihre rechtliche Relevanz hin zu prüfen. Der Sachverhalt an sich, soweit er vom Richter nicht auf der Basis seiner Erfahrung selbst angemessen beurteilt werden kann, ist von einem Sachverständigen zu analysieren. Während diese Kompetenz bei technischen oder medizinischen Fragen anderen zuerkannt wird, ist dies bei sprachlichen Fragen häufig nicht der Fall. Dies liegt nicht an einer etwaigen Vermessenheit des Gerichts, sondern daran, dass wir alle uns als Sprecher unserer Sprache darin kompetent fühlen, Aussagen über sie zu machen. So sind es gerade solche Fragen, bei denen die juristische Prüfung Hand in Hand mit einer sprachlichen Analyse geht, die auch bei Richtern von einem laienhaften Sprachverständnis getragen ist. Die Problematik wird nicht dadurch beseitigt, dass das Gericht dabei Punkte berücksichtigt, die auch ein Linguist bei seinen Entscheidungen als relevant einstufen würde. Sie besteht in der Unwissenschaftlichkeit der Grundlage, auf der die Entscheidungen getroffen werden. Linguistischer Sachverstand ist folglich immer dann gefragt, „wenn es bei der Rechtsprechung nicht um die sprachliche Beschreibung von Handlungen, sondern um die Beschreibung sprachlicher Handlungen geht, wenn es nicht auf die Verwendung, sondern auf die Beschreibung sprachlichen Wissens ankommt“ (Bierwisch 1992: 57). <?page no="22"?> 1 Gegenstandsbereich und Aufgaben der forensischen Linguistik 22 Sprachliches Wissen in diesem Sinne ist das Wissen der Sprachteilnehmer über die Funktionsweisen von Sprache. Seine Beschreibung geschieht unter Rückgriff auf linguistisches Fachwissen, was seinerseits vermittelt werden muss, und zwar so, dass es durch das Gericht und die anderen Beteiligten nachvollzogen werden kann. Diese Form des Wissenstransfers ist einerseits einfach, weil Sprache für jeden einen eigenen Anknüpfungspunkt bietet, andererseits ist sie schwierig und erfordert Fingerspitzengefühl, weil sich jeder Sprecher bereits mehr oder weniger feststehende eigene Urteile und Meinungen über Sprache gebildet hat. Diese gilt es explizit zu machen und auch in ihrer Laienhaftigkeit zu erläutern, um dann ggf. die juristisch gebrauchten linguistischen Termini oder Kategorien wie z.B. den ‚allgemeinen Sprachgebrauch‘ linguistisch zu (re-)definieren. Um dieses erfolgreich zu leisten, ist es umso wichtiger, dass die Legitimation forensischer Linguistik nicht aus der Praxis allein erfolgt, sondern über ihre Fähigkeit, das Instrumentarium linguistischer Theorien so zu operationalisieren, dass es auch in der forensischen Praxis anwendungsfähig ist (Grewendorf 1992: 12). * * + Forensische Linguistik hat es grundsätzlich mit Texten, also Mengen bzw. Komplexen gesprochener oder geschriebener Äußerungen zu tun, die in bestimmte Zusammenhänge eingebettet sind und in Form von Wörtern, Sätzen oder Texten realisiert werden. Die professionelle (linguistische) Analyse klärt das Verständnis der betreffenden Äußerung, indem sie auf semantische und pragmatische Analyseverfahren zurückgreift und diese ggf. durch Formanalysen (Syntax, Morphologie, Phonologie) ergänzt. Diese Rekonstruktion des Verständnisses bleibt für Laien wie für Linguisten ein schwieriges Unterfangen, da nicht alles versprachlicht ist, was das Verständnis einer Äußerung herstellt. Stetter (1990) schildert dazu einen Versicherungsfall, in dem er eine solche Rekonstruktion des Verständnisses vornahm, damit über eine streitige Pensionsberechtigung entschieden werden konnte. Aus der betreffenden Pensionsordnung hatte der Kläger für sich eine Pensionsberechtigung abgeleitet, die Beklagte hatte ihm diese zuvor verweigert. Diese Pensionsordnung vom 31.12.1968 sah in § 1 vor, dass nur Mitarbeiter pensionsberechtigt seien, die mindestens 30 Jahre alt und 10 Jahre durchgängig für den Arbeitgeber tätig gewesen waren. In § 2 war festgelegt, „dass diese Bestimmungen nicht für Angestellte gelten, die nach der Vollendung des 40. Lebensjahres beim Haftpflichtverband eintreten.“ Aus dieser präsentisch formulierten Regelung zog der Kläger, der älter als vierzig Jahre und später in den Haftpflichtverband eingetreten war, den Schluss, dass er sehr wohl pensionsberechtigt sei. In der Lesart des Haftpflichtverbandes hingegen galt das präsentisch formulierte „eintreten“ in § 2 als rückwirkend wie als zukünftig, man ging <?page no="23"?> 1.4 Arbeitsfelder forensischer Linguistik 23 also davon aus, dass diese Regelung grundsätzlich alle ausschloss, die bei ihrem Eintritt älter als 40 Jahre waren und sein würden. Der Haftpflichtverband hatte durch die Formulierung der Regelungen unter § 2 eine datumsunabhängige Gültigkeit erreichen wollen. Da aber alle Paragraphen der Pensionsordnung unter das Datum vom 31.12.1968 fielen, hatte die Lesart des Haftpflichtverbandes sprachstrukturell keine Berechtigung, denn das Präsens kann in Kombination mit einer Zeitangabe (dem Datum), die relativ zur Sprechzeit in der Vergangenheit liegt, nicht verwendet werden. Möglich war hier nur eine Lesart, nämlich die des Klägers, die besagte, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt unbefristet die Regelung unter § 2 gelten sollte. Um eine andere Gültigkeit sprachlich zu fixieren, hätte der Haftpflichtverband andere sprachliche Mittel wählen müssen. Wie ein komplexer sprachlicher Ausdruck verstanden wird, hängt folglich von der Bedeutung der Elemente ab, die er enthält, und von dem Kontextwissen, das aktiviert werden muss, um den Ausdruck ‚richtig‘ zu verstehen. Kontextwissen kann das eigene Weltwissen sein, das situative Wissen oder das kontextuelle Wissen, welches die Informationen umfasst, die der Text als solcher bietet. Betrachtet man Äußerungen nun isoliert, ohne die betreffende Kontextinformation, erscheinen sie häufig mehrdeutig. Die Rekonstruktion des Verständnisses kann dann u.U. keine Entscheidung für eine bestimmte Lesart herbeiführen, da die Ambiguität mangels Information nicht aufgelöst werden kann. Diese Mehrdeutigkeit kann lexikalischer oder syntaktischer Natur sein, bei letzterer spricht man auch von struktureller Ambiguität. Strukturelle Ambiguität kann syntaktisch unterschiedlich erzeugt werden, so z.B. durch Pronominalisierungen, durch Attributkonstruktionen oder durch Negationen. Strittig ist dann, wie weit oder eng der Skopus des Wortes ist, also der Bereich innerhalb des Satzes oder des Satzgefüges, auf den sich die betreffende Wortform bezieht. Ein typisches Beispiel ist die Koordination attribuierter und nichtattribuierter Konstituenten. Potentiell ambig ist die Phrase alte Bücher und Karten sind kostspielig (Klein 1992: 295), da sich das Attribut auf beide Nomen gleichermaßen oder nur auf Bücher beziehen kann. Struktureller Ambiguität ist auch das Nebeneinander einer distributiven und einer nicht-distributiven Lesart von Sätzen wie jeden Abend flog ein Reiher über das Schloss zu verdanken, bei der es sich entweder um einen einzigen (nicht-distributiv) oder um verschiedene Reiher (distributiv) handeln kann. Wie durch die Beschreibung der möglichen Bedeutungen des Satzes schon deutlich geworden ist, kann eine vorliegende strukturelle Ambiguität durch Paraphrasen sichtbar gemacht und durch die Analyse dessen, was die strukturelle Ambiguität hervorgebracht hat, erklärt werden. Nun kann es vorkommen, dass in einem Text eine strukturelle Ambiguität besteht, die von den Vertragsparteien nicht wahrgenommen wird, weil jede Partei unter Rückgriff auf ‚ihre‘ Kontextinformation nur eine Lesart aktiviert und sich einer anderen gar nicht bewusst ist. Das oben genannte Beispiel der alten Bücher und Karten ist harmlos, steht aber für eine Form struktureller Ambiguität, die nicht zugunsten einer Lesart aufgelöst werden kann, wenn nicht mehr Informationen gegeben werden. <?page no="24"?> 1 Gegenstandsbereich und Aufgaben der forensischen Linguistik 24 Diese Form der Attribuierung ist auch Bestandteil der Aufforderung an die Jury im US-amerikanischen Rechtssystem. Für Straftaten, für die die Todesstrafe verhängt werden kann, gibt es zwei Prozesse. Im ersten Prozess muss die Jury über die Schuldfrage befinden, im zweiten darüber, ob die Todesstrafe angemessen ist. Dazu weist der Richter die Jury an, wie diese bei ihrer Urteilsfindung zu verfahren habe, nämlich: you must not be swayed by mere sentiment, conjecture, sympathy, passion, prejudice, public opinion or public feeling. In dem Fall Brown v. California aus dem Jahr 1987, in dem der Angeklagte Brown zum Tode verurteilt wurde, klagte Brown vor der Berufungsinstanz, weil er sich mit dieser Formulierung um sein verbrieftes Recht gebracht sah, an das Mitleid der Jury zu appellieren. Entscheidend war in diesem Satz das Adjektiv mere, das sich sowohl auf sentiment allein wie auf alle nachfolgenden Substantive beziehen kann. Der Fall ging bis zum Supreme Court, der zwar ebenfalls geteilter Meinung war, aber in einer 5: 4-Entscheidung schließlich das Todesurteil bestätigte. Je nachdem, welche Lesart die Richter favorisierten, sahen sie die Entscheidung für die Todesstrafe als gerechtfertigt an oder nicht. Die Richter, die in der Formulierung keine Verletzung der Rechte des Verurteilten sahen, meinten, dass mere einer Reihe von Aufzählungen voranginge, die nicht ausschlössen, dass sich die Jury, neben anderen Kriterien, auch von Sympathie in ihrem Urteil leiten lasse. Die Richter, die sich für Brown aussprachen, argumentierten, es könne nicht sein, dass man die Jury auffordere, sich zwar nicht durch bloßes Vorurteil (mere prejudice), aber doch durch Vorurteil leiten zu lassen, so dass nur eine Attribuierung des ersten Substantivs, nämlich sentiment infrage käme. Solan resümiert, dass ein linguistisches Gutachten in diesem Fall hätte zeigen können, dass die Formulierung grundsätzlich ambig ist, so dass eine Konsequenz daraus hätte sein müssen, die Entscheidung für die Todesstrafe nicht zu bestätigen bzw. von dieser abzusehen (Solan 1990). Solan (1990), Stetter (1990), Klein (1992). ,- Der deutsche Unternehmer Helmut Horten sah sich von Passagen in einem Gedicht beleidigt, das ihn namentlich nannte, worauf er die betreffenden Passagen auf sich und seine Person bezog. Sinngemäß beschrieb das Gedicht in dem betreffenden Absatz in einer langen Aufzählung unterschiedliche Ängste, die den Protagonisten langsam von innen heraus vergifteten. Eine der Zeilen lautete: Die Angst vor Konkurrenz, vor seinesgleichen, vorm Schuft. Der Kläger sah sich an dieser Stelle durch den Gebrauch von seinesgleichen mit dem nachfolgenden Schuft gleichgesetzt und klagte auf Unterlassung. Ein linguistisches Gutachten zeigte, dass die Anklage fälschlicherweise davon ausging, dass bei vor seinesgleichen, vorm Schuft mit vorm Schuft eine Apposition vorliege, die explizierende Funktion habe. 1. Die Apposition ist eine Sonderform des Attributs. Was sind die Kennzeichen einer Apposition? Schlagen Sie in einer Grammatik nach. <?page no="25"?> 1.4 Arbeitsfelder forensischer Linguistik 25 2. Wie müsste die Stelle heißen, wenn ausdrücklich eine Apposition von Schuft zu seinesgleichen konstruiert werden sollte? Klein (1992). * . Neben der Analyse von Äußerungsbedeutungen bzw. dem Verständnis eines Textes als Ganzem muss regelmäßig die lexikalische Bedeutung eines einzelnen Wortes geklärt werden, über das die Parteien uneins sind. Kniffka (1981) hat am Beispiel des Lexems Konkubine dargestellt, wie die Bedeutung eines Wortes ermittelt werden kann. Er zeigt, dass durch die Befragung schon einer relativ kleinen Gruppe von Sprechern des Deutschen ziemlich genau herausgearbeitet werden kann, in welchen Kontext ein Ausdruck eingebettet ist, welche Denotation er hat und welche Konnotationen er aufweist. In seinem Fall ließ er die Sprecher Synonyme nennen, fragte sie danach, wo ihnen das Wort begegnet sei und legte ihnen Äußerungen vor, die das Wort enthielten und die die Sprecher auf ihre Akzeptabilität hin bewerten sollten. Das Vorgehen Kniffkas zeigt damit auch, dass der alleinige Griff zum Wörterbuch nicht immer die aktuelle Bandbreite der Bedeutungen, eine mögliche innere Hierarchie der Bedeutungsaspekte oder den Bekanntheitsgrad eines Wortes bestimmen kann. 6 Zur Klärung der Bedeutung eines Ausdrucks verweisen Gerichte auf den ‚allgemeinen Sprachgebrauch‘, der von den Gerichten durchaus unterschiedlich ermittelt wird. Entweder greifen sie auf ihre eigene muttersprachliche Kompetenz zurück, auf Wörterbücher oder auf anderweitig bereits festgelegte Definitionen des strittigen Begriffs, aber auch auf Umfragegutachten, wie sie oben skizziert sind. Diese Vorgehensweisen hat Ritter (1990) an einer ganzen Reihe von Fällen aus der Vergangenheit nachvollzogen und gezeigt, dass nicht jede dieser Methoden zur Ermittlung des allgemeinen Sprachgebrauchs für jeden Fall gleichermaßen geeignet ist. So kam z.B. der BGH in einem Urteil aus dem Jahr 1960 zu der Auffassung, dass sich die Bedeutung von Fenster primär darüber definiere, dass es den Lichtdurchlass erlaube, so dass auch eine Wand aus Glasbausteinen als solches zu gelten habe. Der BGH stützte sich dabei u.a. auf die Definition von Fenster in der ersten Ausgabe des Grimmschen Wörterbuchs, die damals schon über 100 Jahre alt war, ihrerseits auf weit ältere Quellen zurückgreift und damit einen Sprachgebrauch dokumentiert, der nicht notwendigerweise mit dem Gebrauch im 20. Jahrhundert übereinstimmen muss. Methodisch bietet sich für die Ermittlung dominierender Bedeutungsaspekte eines Lexems die Adaption der Prototypentheorie auf die lexikalische Semantik an. Über die Prototypentheorie lässt sich bestimmen, was als typischer Referent einer Wortbedeutung aufgefasst wird. Kern der Prototypentheorie ist das Konzept der Familien- So hat jüngst eine Wiederholung der Tests durch die Vfn., die Kniffka mit Studierenden in den 1970er Jahren durchgeführt hat, ergeben, dass das Wort Konkubine einem Viertel der befragten Studierenden nicht mehr bekannt war. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein. <?page no="26"?> 1 Gegenstandsbereich und Aufgaben der forensischen Linguistik 26 ähnlichkeit. Die Vertreter einer Familie gelten als ähnlich, da sie bestimmte Merkmale miteinander teilen, allerdings jeweils unterschiedliche. Während z.B. Vater und Sohn die Form der Ohren teilen, hat die Tochter Ohren und Mund von der Mutter, die Kinder wiederum teilen die Augenpartie, die nicht von den Eltern kommt. Die Prototypentheorie berücksichtigt damit, das nicht einzelne Merkmale bestimmen, ob ein Referent unter ein Wortkonzept fällt, sondern eine Kombination mehrerer Merkmalen in Relation zu den Merkmalen anderer Referenten. Diese Kombinationen können - wie bei den Mitgliedern einer Familie - in der Zusammensetzung variieren. Dadurch ergeben sich typische und weniger typische Vertreter einer Kategorie. Menschen können im Allgemeinen sehr gut bewerten, ob ein Exemplar ein guter Vertreter einer Kategorie ist. So gelten Rotkehlchen als gute, Pinguine als schlechte Vertreter der Kategorie Vogel, denn ein typisches Merkmal von Vögeln ist es, dass sie fliegen können und erkennbare Federn besitzen, aber nicht notwendigerweise, dass sie schwimmen können. Andererseits haben auch Pinguine flügelförmige Gliedmaßen und legen Eier. Für den Wortbegriff Fenster wäre im oben genannten Zusammenhang zu klären, inwieweit die Luft- und Lichtdurchlässigkeit und das Vorhandensein eines bestimmten Typs von Glasscheiben sich als Merkmale überhaupt voneinander trennen lassen bzw. wie Sprecher des Deutschen die Typenhaftigkeit solcher Exemplare bewerten, bei denen eines oder mehrere dieser Merkmale fehlen. 7 Ein anderes Beispiel für die weitreichende Relevanz einer einzelnen Wortbedeutung ist das Adjektiv gleich in der sog. Neutralitätsanordnung des § 116 AFG (heute § 146 SGB III). Der Fall, in dem die lexikalische Bedeutung von gleich rechtlich relevant wurde, soll im Folgenden vorgestellt werden. In mehreren Verfahren, die die Recht- oder Unrechtmäßigkeit der Anwendung der Neutralitätsanordnung im Zusammenhang mit dem Streik der IG Metall im Jahr 1984 feststellen sollten, war es auch um die Bedeutung dieses Wortes gegangen und um die Frage, ob gleich zu verstehen sei als ‚identisch‘ oder nur als ‚sehr ähnlich‘. Aufschlussreich an diesem Fall ist, dass die spätere Fassung des § 116 AFG die vom Normgeber favorisierte Lesart von gleich durch die Attribuierung von annähernd präzisierte. Der Fall hatte folgende Vorgeschichte: In einem mehrwöchigen Streik in metallverarbeitenden Betrieben in Nordwürttemberg-Nordbaden und Hessen im Jahr 1984 versuchte die IG Metall, flächendeckend die 35-Stundenwoche durchzusetzen. Von diesem Streik waren auch metallverarbeitende Betriebe außerhalb der genannten Tarifbezirke betroffen. Deren Arbeitnehmer streikten zwar nicht, aber es fehlten ihnen als Zuliefer- oder Abnehmerbetriebe streikbedingt Materialien und Waren, und es kam zu einem unvermeidlichen Produktionsausfall. Entsprechend dem Wortlaut des damaligen § 116 Arbeitsförderungsgesetz erhielten solche mittelbar betroffenen Arbeitnehmer Arbeitslosen- oder Kurz- Ein aktuelleres Beispiel für die Anwendung der Prototypentheorie bietet Solan (2004). Er wendet sie auf das Konzept der Lüge an und versucht auf dieser Basis die Frage zu beantworten, ob der damalige Präsident der USA, Bill Clinton, in seinen Aussagen, die er im Zusammenhang mit seinem impeachment-Verfahren vor Gericht gemacht hatte und die seine Beziehung zu Monika Lewinsky betrafen, gelogen hat. <?page no="27"?> 1.4 Arbeitsfelder forensischer Linguistik 27 arbeitergeld. Allerdings ermächtigte der § 116 die Bundesanstalt für Arbeit zugleich, situationsbezogene Anordnungen zu erlassen. Dem war die Bundesanstalt für Arbeit bereits 1973 gefolgt, indem sie die sog. Neutralitätsanordnung zu § 116 AFG erließ. Diese Anordnung sah vor, dass mittelbar betroffene Arbeitnehmer keine Lohnersatzleistungen erhielten, „(1) wenn dieser Arbeitskampf auf die Änderung von Arbeitsbedingungen eines Tarifvertrages gerichtet ist und der Betrieb, in dem der Arbeitslose zuletzt beschäftigt war, zwar nicht dem räumlichen, aber dem fachlichen Geltungsbereich des in Frage kommenden Tarifvertrages zuzuordnen [ist], und (2) wenn die Gewerkschaften für den Tarifvertragsbereich des arbeitslosen, nichtbeteiligten Arbeitnehmers nach Art und Umfang gleiche Forderungen wie für die am Arbeitskampf beteiligten Arbeitnehmer erhoben haben und mit dem Arbeitskampf nach Art und Umfang gleiche Arbeitsbedingungen durchgesetzt werden sollen.“ 8 Der damalige Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Heinrich Franke, erließ nun unter Berufung auf die Neutralitätsanordnung während des Streiks einen Schnellerlass an alle Arbeitsämter, in dem er diesen untersagte, an eben diese Arbeitnehmer Kurzarbeitergeld zu zahlen. Dieser Erlass wurde von den zuständigen Landessozialgerichten später als unzulässig bewertet, aber er brachte die Gewerkschaften während des Streiks in strategische und finanzielle Bedrängnis. Franke hatte Abschnitt 2 der Anordnung so interpretiert, dass die Forderung nach einer 35-Stundenwoche den Arbeitskampf so dominiere, dass andere Forderungen dahinter zurückträten, so dass damit auch bei den mittelbar Betroffenen im Sinne der Neutralitätsanordnung nach Art und Umfang gleiche Forderungen erhoben und durchgesetzt werden sollten. 9 Gegen diesen Erlass ging die IG Metall vor, denn die Forderungen der einzelnen Tarifbezirke unterschieden sich. Die Lohnforderungen schwankten zwischen 3,5% und 3,8% mehr Lohn, es gab unterschiedliche Forderungen in Bezug auf die Höchstgrenzen der Arbeitszeit, der Mehrarbeit und die Form ihrer Abgeltung. Von einigen Tarifbezirken wurde zusätzlich eine Neuregelung der Mehrarbeitszuschläge gefordert, von einem anderen eine Angleichung des Kündigungsschutzes. 10 Der Fall wurde vom Landessozialgericht Hessen wieder an das Sozialgericht Frankfurt zurückverwiesen. Hier klärte ein hinzugezogener Linguist die Bedeutung des Lexems gleich und bestätigte damit die Lesart der IG Metall. 11 Eisenberg (1987), Ritter (1990), Solan (2004), Fehmel (2010). 8 http: / / www.vkl.de/ tarif_gegengewicht.shtml#seite5. Hervorhebung durch die Vfn. Fehmel (2010: 152), siehe auch http: / / www.bpb.de <23.12.2010>. Hessisches Sozialgericht, 10. Senat, Beschluss vom 22.06.1984. AZ: L 10 Ar 813/ 84 (A), L 10 Ar 814/ 84 (A), L 10 Ar 815/ 84 (A), http: / / www.lareda.hessenrecht.hessen.de <27.12.2010>. Vgl. Südmeyer (1986: 2). <?page no="28"?> 1 Gegenstandsbereich und Aufgaben der forensischen Linguistik 28 / % Die typische Darstellung prototypischer Bedeutungen zeigt konzentrisch angeordnete Kreise, in deren Mittelpunkt das typische Exemplar mit seinen Merkmalen steht. In den angrenzenden Kreisen sind die Exemplare angeordnet, die nicht alle Eigenschaften des Kerns aufweisen, sondern nur einige davon, in Kombination mit anderen. Je weniger typische Merkmale ein Exemplar aufweist, desto weiter entfernt befindet es sich vom Zentrum, also in einem der äußeren Kreise. 1. Versuchen Sie die Prototypik von Fenster zu erfassen. Überlegen Sie, welche Fenstertypen unterschiedlicher Gebäude Sie kennen und was diese auszeichnet. Benennen Sie die Merkmale und tragen Sie die einzelnen Fenstertypen dann in ein entsprechendes Schema ein. Vergleichen Sie Ihre Ergebnisse. 2. Sind Wände mit Glasbausteinen prototypische Fenster? 3. Welche Merkmale teilen Fenster von Computer-Anwenderprogrammen mit ‚realen‘ Fenstern, welche nicht? Dem Streik der IG Metall folgte eine Novellierung des § 116 AFG durch die damalige Bundesregierung. Der neue Gesetzesentwurf integrierte die strittige Neutralitätsanordnung und enthielt statt der Formulierung „nach Art und Umfang gleiche Hauptforderungen“ nun den Wortlaut „eine Forderung [...], die einer Hauptforderung des Arbeitskampfes nach Art und Umfang annähernd gleich ist, ohne mit ihr übereinstimmen zu müssen“. Damit ermöglichte er eine sehr viel offenere Auslegung (Fehmel 2010: 148, Anm. 50). 1. Klären Sie die Etymologie und die Bedeutung von gleich unter Rückgriff auf Wörterbücher des Deutschen. 2. Von sprachpflegerischer Seite wird auf den Unterschied von das gleiche und dasselbe verwiesen. Was sagen die Wörterbücher zu einem solchen Unterschied? Ermitteln Sie exemplarisch den aktuellen Sprachgebrauch durch eine kleine Umfrage zur Bedeutung beider Wörter. 3. Welcher Bedeutung von gleich folgte das Landessozialgericht Hessen und wie begründete es diese Entscheidung? Lesen Sie dazu den Langtext des Beschlusses. 12 * # + 0 Ein weiteres Feld der Anwendung linguistischen Wissens ist das Markenrecht. Das Gesetz schützt eingetragene Marken und kann den Eintrag in die Markenrolle verweigern oder löschen, wenn der Verdacht des unlauteren Wettbewerbs besteht, insbesondere dann, wenn die Gefahr einer Verwechslung von Markennamen gegeben ist. Vgl. Fußnote 6. <?page no="29"?> 1.4 Arbeitsfelder forensischer Linguistik 29 Für den Inhaber einer Marke ist diese wirtschaftlich von hohem Wert, denn durch ihren Wiedererkennungseffekt bei den Kunden, die mit ihr eine bestimmte Qualität verknüpfen, kann eine Firma ihre Kunden binden und sich dadurch gegenüber Konkurrenten auf dem Markt behaupten. Marken definieren sich dabei über ihre Unterscheidungskraft, und diese Unterscheidungskraft kann durch die Verwechslungen mit ähnlichen Markennamen gefährdet sein. Daher ist jede Firma daran interessiert, dass sich kein anderer Mitbewerber durch den Gebrauch ähnlicher Marken einen Wettbewerbsvorteil verschafft, indem er den Kunden suggeriert, die Produkte der ähnlich klingenden Marke seien an Qualität und Ausstattung mit der seines Konkurrenten identisch. Rechtlich relevant ist in diesem Kontext die Verwechslungsgefahr. Wenn sie gegeben ist, hat der Inhaber der älteren Marke das Recht, die jüngere, ähnliche Marke löschen zu lassen. Die Verwechslungsgefahr definiert sich sowohl über die Ähnlichkeit der angebotenen Dienstleistungen oder Waren der beiden Marken, wie auch über eine mögliche sprachliche Ähnlichkeit. Sprachliche Ähnlichkeit hat also Relevanz für das Markenrecht und bei der Klärung dessen, was sprachliche Ähnlichkeit ist, beziehen sich die Gesetzeskommentare kontinuierlich auf sprachliche Kategorien und Phänomene. Während es Aufgabe des Gerichts bzw. der Rechtsprechung ist, die Verwechslungsgefahr juristisch zu bewerten, wäre es Aufgabe der Linguistik, sie angemessen zu beschreiben. Die juristischen Praxiskommentare nennen drei Bereiche möglicher Verwechslung, die sich linguistisch wie folgt beschreiben lassen: die Gefahr klanglicher Verwechslung (basierend auf phonetisch-phonologischer Ähnlichkeit) die Gefahr bildlich-schriftbildlicher Verwechslung (basierend auf graphemischer Ähnlichkeit) die Gefahr sinngemäßer Verwechslung (basierend auf morphologisch-semantischer Ähnlichkeit) Dabei verwendet die Rechtsprechung zur Klärung einer möglichen klanglichen Verwechslungsgefahr linguistische Kriterien wie Betonung und Silbenstruktur, Graphem- Phonembeziehungen und Graphem- und Lautabfolgen. Die Aussagen der Gerichte stimmen häufig nicht mit Erkenntnissen von Graphemik und Phonologie überein und können die Argumente der Richter nicht bestätigen. Schon Grewendorf (1992: 21) hält fest, dass „intuitive Kategorien wie Markantheit oder Farblosigkeit als Kriterien für phonetische Distinktheit keine ausreichende Grundlage bereitstellen“. Damit ist die Gefahr uneinheitlicher Rechtsprechung durchaus gegeben, wenn es um die Bewertung einer potentiellen Verwechselbarkeit geht. Die Notwendigkeit und den Sinn linguistischer Expertise in diesem Kontext macht Parádi (2005) exemplarisch am Fall dipa/ dib deutlich. Der Streit um dipa/ dib ging vom Berufungsgericht bis zum BGH. Die Instanzen waren uneins, ob und aufgrund welcher lautlichen Eigenschaften eine Verwechslungsgefahr gegeben sei. Das Berufungsgericht argumentierte mit der Vokallänge in <?page no="30"?> 1 Gegenstandsbereich und Aufgaben der forensischen Linguistik 30 beiden Zeichenfolgen und nahm an, dass das <i> in <dib> lang gesprochen würde, was aber den Phonem-Graphem-Korrespondenzregeln des Deutschen nicht entspricht. Vielmehr wird <dib> in dieser Schreibung kurz gesprochen, da kein graphemisches Längungszeichen wie <h> oder <e> nach dem <i> gesetzt ist. Weiter war das Berufungsgericht der Ansicht, dass <b> und <p> weit entfernte Buchstaben seien, was zeigte, dass es sich der phonetischen Realisation von Plosiven im Auslaut und damit ihrer phonetischen Nähe nicht bewusst war. Die Stimmlosigkeit stimmhafter Plosive im Auslaut hebt die Unterscheidbarkeit von / b/ und / p/ auf, da / b/ in dieser Position durch das positionsbedingte Allophon [p] realisiert wird. Berücksichtigt man, dass beide Firmen unter diesen Marken schalldämmende Materialien vertreiben (Parádi 2005: 398), kann eine Verwechslungsgefahr durchaus gegeben sein. Aber auch wenn eine potentielle lautliche Ähnlichkeit eines Produktnamens gegeben ist, kann eine Verwechslungsgefahr wenig wahrscheinlich sein, nämlich dann, wenn sich die Markennamen auf Produkte völlig unterschiedlicher Branchen beziehen, die Hersteller nicht in der jeweils anderen Branche tätig sind und die Produkte unterschiedliche Vertriebswege haben. Ein bekanntes Beispiel aus der amerikanischen Rechtsprechung ist der Prozess von Mead Data Central, Inc., dem Hersteller eines Anwenderprogramms für Rechtsanwälte namens Lexis, gegen Toyota Motor Sales. Mead Data Central argumentierte seinerzeit, dass aufgrund der Artikulation von [i] als [u], die in einigen Varietäten des amerikanischen Englisch vorkommt, sein Programm Lexis mit der Automarke Lexus verwechselt werden könne, und wollte den Gebrauch des Produktnamens Lexus unterbinden. Die Richter verwiesen zunächst auf die unterschiedlichen Branchen und Vertriebswege beider Produkte, die eine Verwechslung weitgehend ausschlössen. Ferner argumentierten sie, dass das Englische grundsätzlich die Phoneme / i/ und / u/ unterscheide, selbst wenn die regionale Aussprache diesen Unterschied im Einzelfall verwischen könne. Damit könne Lexus Wörtern wie Nexxus und Lexis Wörtern wie Nexxis zugeordnet werden. Bestätigt würde diese Sicht nicht zuletzt dadurch, dass die Produkte Nexxus und Nexis seit fast zehn Jahren friedlich koexistierten, ohne dass es zu Verwechslungen gekommen sei. Die Inhaberin der Marke sharelook beschwerte sich in Bezug auf die Marke sherlock vor dem Bundespatentgericht. 13 Das Deutsche Patent- und Markenamt hatte zuvor die Löschung der angegriffenen Marke sherlock für den Bereich „Sammeln und Liefern von Nachrichten; Veröffentlichung und Herausgabe von elektronisch wiedergebbaren Text-, Grafik-, Bild- und Toninformationen, die über Datennetze abrufbar sind“ vollzogen, in dem beide Firmen Dienstleistungen anboten. Hier sah das Patentamt eine Verwechslungsgefahr gegeben. Die Firma sharelook wollte in einer Beschwerde vor dem Bundespatentgericht erwirken, dass für die Marke sherlock weitere Abrufbar unter http: / / www.bundespatentgericht.de, Az: 27 W (pat) 1/ 10, Beschluss vom 29.06. 2010. <?page no="31"?> 1.4 Arbeitsfelder forensischer Linguistik 31 Bereiche gelöscht würden, hatte damit aber keinen Erfolg. Die Parteien argumentierten mit der lautlichen und der schriftbildlichen Ähnlichkeit bzw. Unähnlichkeit. Das Gericht resümierte die Begründung des Patentamts wie folgt: „Klanglich unterschieden sich die Marken lediglich bei dem Vokal ‚o‘ in der letzten Silbe, der in der Widerspruchsmarke doppelt vorhanden sei und damit wie ein ‚u‘ ausgesprochen werde.“ (Beschluss, S. 6). Die Inhaberin der Marke sherlock negierte eine etwaige Ähnlichkeit mit dem Argument „dass die Widerspruchsmarke [sharelook] vier Vokale habe, die angegriffene Marke [sherlock] hingegen nur zwei“ (Beschluss, S. 8). 1. Transkribieren Sie beide Warennamen phonetisch. Berücksichtigen Sie dabei, dass Sprecher Phoneme anderer Sprachen (hier des Englischen) an das eigene Phonemsystem angleichen. Untersuchen Sie die Silbenstruktur und beschreiben Sie die Graphem-Phonem-Korrespondenzen. 2. Erläutern Sie dann unter Rückgriff auf linguistische Termini, was die oben zitierten Aussagen vermutlich meinen, und formulieren Sie sie anschließend in linguistisch korrekte Aussagen um. 3. Ergibt sich Ihrer Meinung nach eine Verwechslungsgefahr? Im August 2010 erwirkte die Firma Apple eine einstweilige Verfügung gegen die Firma koziol, die unter dem Namen eiPott einen Eierbecher anbietet, der an die Form eines Handys erinnert. Apple argumentierte mit vorliegender Warenidentität, da der Name iPod auch für den Bereich Geräte und Behälter für Haushalt und Küche geschützt ist. Das OLG schreibt in seiner Begründung: „Angesichts durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der älteren Marke iPod, Warenidentität und klanglicher Identität zwischen den sich gegenüber stehenden Zeichen führt nach Auffassung des Senats kein Weg daran vorbei, hier eine markenrechtliche Verwechslungsgefahr zu bejahen.“ 14 Beschreiben Sie linguistisch, worin die „klangliche Identität“ besteht. Solan (1998), Stoll (1999), Sergo Bürge (2002), Parádi (2005). * * / Eine andere Fragestellung, mit der sich ein Linguist gelegentlich konfrontiert sieht, ist die Frage, ob in einem konkreten Fall eine Beleidigung (Verbalinjurie) vorliegt oder nicht. Es gibt eine Reihe von Straftatbeständen, die sprachlicher Natur sind und die das StGB in den §§ 185ff. behandelt. Anders als die Verleumdung und die üble Nachrede ist die Beleidigung vom Gesetzgeber her nicht definiert, sondern es ist - aus gutem Grund - nur ihr Strafmaß angegeben. Die Auslegungen des Begriffs in den Gesetzeskommentaren zeigen aber, dass unter Beleidigung im allgemeinen eine Kränkung der Person in ihrer persönlichen Ehre zu verstehen ist, mit der eine Abwertung ver- Hanseatisches OLG, Geschäftszeichen: 5 W 84/ 10, Entscheidung vom 09.08.2010. <?page no="32"?> 1 Gegenstandsbereich und Aufgaben der forensischen Linguistik 32 bunden ist, die zur Folge hat, dass die Person in ihrem öffentlichen Umgang benachteiligt ist. Wie diese Kränkung bzw. Ehrverletzung erfolgt, unterscheidet sich von Fall zu Fall. Ebenso kann die Frage, ob in dem konkreten Fall tatsächlich eine Beleidigung vorliegt, nur durch die Analyse des situativen Kontextes, in dem die Äußerung erfolgte, beantwortet werden. Dabei kann es durchaus geschehen, dass Schimpfwörter aufgrund der Äußerungssituation keine beleidigende Wirkung entfalten und dass konnotativ neutrale Wörter durch ihre konkrete Verwendung zum Schimpfwort werden (z.B. die Titulierung eines Piloten als ‚Busfahrer‘). Eine Beleidigung wird zumeist durch eine sprachliche Äußerung wie ein Schimpfwort (Idiot, Weichei) oder durch die Herstellung eines Vergleichs (dumm wie Brot) erfolgen, die auf die minderen geistigen, körperlichen oder charakterlichen Eigenschaften des Benannten abzielen. 15 Sie kann nach § 185 StGB als tätliche Beleidigung auch durch ein bestimmtes Verhalten (z.B. Gesten wie ‚Vogel zeigen‘) erfolgen. Dies schließt auch das Unterlassen von Verhaltensweisen ein, die als Zeichen konventionalisierter Höflichkeit gelten und, wenn sie unterbleiben, als Kränkung empfunden werden, wie z.B. die Weigerung, jemanden die Hand zu geben, jemanden mit Herr oder Frau anzusprechen, zu siezen oder zu grüßen. Sprechakttheoretisch ist das Zustandekommen (das Gelingen) einer sprachlichen Beleidigung (ihre Perlokution) davon abhängig, dass Sprecher wie Adressat darin übereinstimmen, dass die Absicht zu beleidigen (die Illokution) vorliegt. Fehlt entweder beim Sprecher die Absicht zu beleidigen oder tritt die Wirkung des Beleidigtseins beim Adressaten nicht ein, gibt es auch keine Beleidigung. Auch muss, so sieht es die Rechtsprechung, der gewählte Ausdruck ‚objektiv‘ etwas enthalten, das die beleidigende Wirkung hervorrufen kann, allein ein beleidigender Tonfall reiche dazu nicht aus. Für die Linguistik sind diejenigen Fälle interessant, in denen es zu klären gilt, ob mit einer bestimmten Äußerung überhaupt eine Beleidigung vorliegt und sich die klagende Partei also zu Recht oder zu Unrecht beleidigt fühlt. Aufgabe des Linguisten wäre es dann, herauszuarbeiten, ob die Äußerung eine herabsetzende (Teil-)Bedeutung enthält bzw. im Kontext potentiell entwickelt, denn nur dann kann der Beleidigte behaupten, beleidigt worden zu sein. Wie komplex sich die linguistische Arbeit dabei u.U. gestalten kann, soll das folgende Beispiel illustrieren. Anfang der 1990er Jahre kam es in der Bundesrepublik zu mehreren Prozessen wegen Beleidigung, die auf der Äußerung „Soldaten sind Mörder“ basierten. In mehreren Fällen hatten Angehörige der Bundeswehr geklagt, und die Vorinstanzen hatten ihnen Recht gegeben. Die Anträge auf Revision der Beklagten waren von den Oberlandesgerichten abgewiesen worden, und so gingen die Fälle schließlich vor das Bundesverfassungsgericht, das 1994 und nochmals 1995 zusammenfassend Stellung nahm. 15 Als Formalbeleidigung § 192 StGB gelten Äußerungen, deren Inhalt zwar wahr ist, die aber durch das, was sie beschreiben, und durch die Art der Beschreibung und den Kontext, in dem sie geschehen, für den Betroffenen ehrverletztend sind (z.B. für den Bräutigam die wahrheitsgemäße Schilderung des Jungesellenabschieds durch einen Gast vor der Hochzeitsgesellschaft). <?page no="33"?> 1.4 Arbeitsfelder forensischer Linguistik 33 Im Kern ging es um die Frage, ob eine solche Äußerung noch vom § 5 GG Abs. 1.1 gedeckt sei, dem Recht auf freie Meinungsäußerung. 16 Das BVerfG kritisierte insbesondere, dass die Vorinstanzen es versäumt hatten, Lesarten, die zugunsten der Angeklagten sprachen, ausreichend zu würdigen. Es ging also um eine angemessene Interpretation der Äußerung „Soldaten sind Mörder“ und damit um eine durchaus komplexe linguistische Fragestellung. Streitig war nämlich, inwieweit eine Beleidigung der klagenden Bundeswehrsoldaten vorliege, ob mit Mörder ein Mörder im strafrechtlichen Sinne gemeint sei, wie sich die Aussage im Kontext anderer antimilitaristischer Aufkleber interpretieren lasse und wie mit einem Zitat umzugehen sei. In seinen Überlegungen berücksichtigte das BVerfG vier Punkte, die sich linguistisch auf folgende Aspekte beziehen (vgl. Burkhardt 1996): 1. das lexikalisch-semantische Problem („Mörder“), 2. das referentielle Problem („Soldaten“), 3. das semiotische Problem (die Zeichenumgebung), 4. das extensionale Problem (den Zitatcharakter) Das BVerfG kam zu der Auffassung, dass die Bedeutung von Mörder von den Gerichten im Sinne des Strafrechts aufgefasst worden war, ohne zu berücksichtigen, dass es möglicherweise eine alltagssprachliche, davon abweichende Bedeutung geben könne. Diese alltagssprachliche Bedeutung definiert Mord als das bewusste, als ungerechtfertigt empfundene Töten von Menschen, z.T. auch von Tieren. Ein Mörder ist dann die Person, die dieses ausführt. Niedere Beweggründe und die Art der Ausführung (Heimtücke, Grausamkeit), die strafrechtlich den Mord vom Totschlag abgrenzen, spielen hier keine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle. Zugleich wies das BVerfG darauf hin, dass eine Wortbildung *Töter nicht existiere und Mörder an ihre Stelle trete (was auch sprachhistorisch korrekt ist, denn dt. Mord ist zu lat. mors, mortis zu stellen und bedeutet ursprünglich ‚Tod‘). Soldaten seien also dieser Definition nach keine kaltblütigen, grausamen Killer, sondern Menschen, die im Rahmen ihres militärischen Auftrags auch die Aufgabe hätten, bewusst andere Menschen zu töten. Der zweite wichtige Punkt, den das BVerfG erörterte, war die Verwendung des Wortes Soldaten. Grundsätzlich können Soldaten kollektiv und die Bundeswehr als Institution beleidigt werden (Maurach/ Schroeder/ Maiwald 2009: 265, Rn 16); streitig war hier, ob eine Kollektivbeleidigung überhaupt zustande gekommen war. Das Gericht kam zu der Auffassung, dass die Bundeswehr zwar eine Teilmenge der Soldaten darstelle, und in diesem Sinne auch mitgemeint sei, dass es aber nicht zulässig sei, aus der Teilmengenzugehörigkeit von Bundeswehrsoldaten zu Soldaten auf die Bundeswehr als gemeinten Referenten zu schließen. Durch die unbestimmte Referenz auf Soldaten sei eben nicht zu klären, ob mit Soldaten die Gesamtheit aller Soldaten ge- 16 BVerfGE 93, 266 - ‚Soldaten sind Mörder‘. Zum Verhältnis von Meinungsfreiheit und Ehrenschutz bei Kollektivurteilen über Soldaten. Beschluss des Ersten Senats vom 10. Oktober 1995, 1 BvR 1476, 1980/ 91 und 102, 221/ 92. <?page no="34"?> 1 Gegenstandsbereich und Aufgaben der forensischen Linguistik 34 meint sei, die auch die Soldaten der Bundeswehr mit einschließe, oder doch nur eine - wenn auch unüberschaubar große - Teilmenge von Soldaten. Ein weiteres, der Natur nach semiotisches Problem ergab sich aus der weiteren Zeichenumgebung. In einem der Prozesse bezog sich der Strafantrag wegen Beleidigung auf einen Aufkleber, auf dem der Ausspruch „Soldaten sind Mörder. Kurt Tucholsky“ zu lesen war. Dieser Aufkleber befand sich am Heck eines Autos, direkt neben zwei anderen Aufklebern. Der eine zeigte das Bild eines fallenden Soldaten, der im Tod die Waffe fallen lässt. 17 Darunter stand der Schriftzug „WHY? “. Der andere Aufkleber trug die Aufschrift „Schwerter zu Pflugscharen“. Anders als die Gerichte der Vorinstanzen kam das BVerfG zu der Auffassung, dass dieser Kontext die allgemein antimilitaristische Deutung von „Soldaten sind Mörder“ eher unterstütze als infrage stelle. Schließlich widmete sich das BVerfG noch der Frage, wer die Referenten eines Zitats seien, was also in die Extension von „Soldaten“ falle. Nehme man das Zitat als Zitat, als das es durch die Unterschrift „Kurt Tucholsky“ ausgewiesen sei, könne sich „Soldaten“ schon rein zeitlich nicht auf die Bundeswehr beziehen. Nehme man es als ein Autoritätszitat, das jemand heranzieht, um seine eigene Meinung auszudrücken ohne sie selbst explizit zu äußern, bleibe auch hier die Referentenmenge unüberschaubar groß, da sich „Soldaten“ dann auf jedweden Soldaten erstrecke, der seit der Zeit, seit der der Aufkleber an dem Autoheck klebte, in Kampfhandlungen verwickelt war. Durch diese unüberschaubar große Menge entfällt auch die Möglichkeit der Kollektivbeleidigung. 18 Abschließend bleibt mit Burkhardt (1996) zu fragen: Wie hätten die Urteile der Vorinstanzen möglicherweise ausgesehen, wenn nicht erst das BVerfG, sondern ein Linguist die durchaus komplexen sprachlichen Probleme dieser Äußerung hätte deutlich machen können? Auch wenn das Gericht den Ausführungen nicht gefolgt wäre, hätten diese das Gericht für die Komplexität der hier vorliegenden sprachlichen Fragen sensibilisieren können. Kniffka (1981, 1990a), Klein (1992), Burkhardt (1996), Heringer (2002), Meier (2007), aus juristischer Sicht zum o.g. Urteil ausführlich Heimbach (2004). Es handelte sich um das Bild falling soldier von Robert Capa. Capa machte das Photo am 5. September 1936 im spanischen Bürgerkrieg. Burkhardt gibt hier kritisch zu bedenken, dass die eigentliche Funktion der Zitatverwendung im Urteil des BVerfG nicht ausreichend bedacht wurde. Immerhin sei das Zitat nicht wie im Original mit Ignaz Wrobel (einem Pseudonym Tucholskys) unterzeichnet, sondern mit Tucholskys Namen selbst. Daher sei davon auszugehen, „dass dem Aufkleberverwender das Provokationspotential des [...] Zitats durchaus bewußt war“ (1996: 153). Weiter merkt er an, dass derjenige, der dieses Zitat in dieser Form zum Aufrütteln verwende, gezielt Mehrdeutigkeiten und daraus entstehende Kränkungen in Kauf nehme und zugleich nicht den Mut besitze, selbst seine Meinung zu äußern. Das BVerfG hat dazu festgestellt, dass eine so geführte Auseinandersetzung die politische Streitkultur nicht hebe und befördere. Burckhardt resümiert, dass sich der Aufkleberverwender ganz bewusst hinter der Autorität des Zitatgebers verstecke, um juristisch unangreifbar zu sein (ebd.). Bei diesem Vorgehen handele es sich im Übrigen um eine durchaus verbreitete Strategie, die auch in den Bundestagsdebatten üblich ist, eben um dem Vorwurf der Beleidigung bzw. einem Ordnungsruf zu entgehen (1996: 142). <?page no="35"?> 1.4 Arbeitsfelder forensischer Linguistik 35 ! ! 1 & In einer Ratssitzung der Stadt Dortmund hielt Ratsmitglied B. im Jahr 2008 eine Rede zur kommunalen Integrationspolitik und erwähnte in diesem Zusammenhang, dass er selbst auf ein Gymnasium in einem bestimmten Stadtteil gegangen sei. Darauf erfolgte durch das Ratsmitglied M. ein Zwischenruf, den B. später sinngemäß als „Der B. war auf einer Schule - das kann ich nicht glauben! “ wiedergab. Auf diesen Zwischenruf reagierte B., indem er M. als „Dummschwätzer“ titulierte. Für diesen Ausdruck wurde B. vom Amtsgericht Dortmund wegen Beleidigung verurteilt. 19 1. Analysieren Sie die Wortbildung Dummschwätzer formal und inhaltlich. Worin besteht die Konnotation von schwätz- ? 2. Bewerten Sie den Ausdruck in dem geschilderten Kontext. Was spricht für, was gegen einen beleidigenden Charakter des Ausdrucks? * 2 . " Wer nach deutschem Recht das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist gemäß § 823 BGB schadensersatzpflichtig. Diese Verletzung kann nicht zuletzt durch fehlerhafte Produkte eines Herstellers erfolgen. Fehlerhaft ist ein Produkt dann, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die von ihm erwartet werden kann. Diese Erwartungshaltung kann u.a. durch die Darbietung des Produkts ‚enttäuscht‘ werden. Darbietung ist dabei die Präsentation des Produkts im weitesten Sinne, also seine Aufmachung, das Bewerben des Produkts sowie die beigelegten Betriebsbzw. Bedienungsanleitungen. Ein Fehler, dessen Ursache eine fehlerhafte Darbietung ist, ist dann ein Instruktionsfehler. Der Hersteller ist daher gehalten, den Benutzer in den Betriebsbzw. Bedienungsanleitungen umfassend über den angemessenen Gebrauch des Produkts und alle mit dem Produkt verbundenen Risiken und Gefahren zu informieren. Diese Informationen sollen sicherstellen, dass die Benutzer das Produkt nur so verwenden, wie es vom Hersteller vorgesehen ist, dass sie wissen, wie man es pflegt oder wartet, und dass sie die Gefahren kennen, die sich aus einem nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch ergeben. Betriebs- oder Gebrauchsanleitungen müssen daher klar formulierte und inhaltlich vollständige Angaben über das Produkt (und evtl. davon ausgehende Gefahren) enthalten. Fehlen relevante Hinweise oder sind diese nicht verständlich formuliert, so gelten sie als Produktfehler und der Hersteller kann haftbar gemacht werden. Im Gegenzug gilt eine verständlich formulierte und lückenlose Produktinformation vor Gericht als sog. Entlastungsbeweis für den Hersteller. Interessant aus linguistischer Sicht ist die Frage nach der Vollständigkeit und der Verständlichkeit der gemachten Angaben. Tiersma (2004) führt an Beispielen des USamerikanischen Haftungsrechts vor, welche Aspekte der Verständlichkeit oder Vollständigkeit dabei betroffen sein können. Anhand vergleichbarer deutscher bzw. öster- Vgl. BVerfG, Beschluss v. 05.12.2008, 1 BvR 1318/ 07. <?page no="36"?> 1 Gegenstandsbereich und Aufgaben der forensischen Linguistik 36 reichischer Fälle soll im Folgenden ein kurzer Einblick in mögliche Fragestellungen gegeben werden. Tiersma erörtert die Frage nach der Verständlichkeit vor dem Hintergrund der Grice’schen Konversationsmaximen. Eine Warnung muss, wenn sie ihren Zweck erfüllen soll, knapp und präzise sein. Ein zu indirekter Stil kann bewirken, dass die Illokution der Warnung für den Rezipienten nicht mehr erkennbar ist und nur als Empfehlung, der man Folge leisten kann oder nicht, gedeutet wird. Ein entsprechender Fall wurde vor dem OGH (dem Obersten Gerichtshof Österreichs) verhandelt. Es ging um einen Tischler, der sich ein Fertighaus aus Holz gebaut hatte und die Holzbalken mit einer Holzschutzimprägnierung behandelt hatte, um sie vor der Witterung zu schützen. Diese Lasur erbrachte nicht die erhoffte Wirkung, sondern schon nach einem Jahr zeigte das Holz deutlich Witterungserscheinungen. Obwohl der Hausbesitzer es später erneut mit der Lasur behandelte, entwickelte es Bläue- und Schimmelpilzbefall, so dass ein Totalschaden des Hauses drohte. Das Produkt, so der OGH, war in mehrerer Hinsicht fehlerhaft. Zum einen war es, anders als angegeben, offensichtlich nicht für den Außenanstrich geeignet, zum anderen wies die Gebrauchsanweisung darauf hin, „dass tragende und aussteifende Hölzer gegebenenfalls gemäß DIN 68800 zum Beispiel mit A*-Borsalz-Holzschutz-Imprägnierung Nr. 111 nach Vorschrift zu behandeln sind und biozide Holzschutzwirkstoffe zum Beispiel gegen Bläue nicht enthalten sind und daher zu prüfen ist, ob ein vorbeugender Holzschutz notwendig ist“ (6 Ob 162/ 05z). 20 Dieser Hinweis war nach Auffassung der Vorinstanzen zu vage formuliert, um die grundsätzliche Notwendigkeit der Vorlasur mit einem entsprechenden Mittel deutlich machen zu können. Indirekter Stil, so Tiersma (2004: 62), ist aber nicht das alleinige Problem. Auch eine Gebrauchsanweisung, die auf Gefahren hinweist, kann dennoch unverständlich sein: Wenn nämlich vom Hersteller Präsuppositionen gemacht werden, die der Rezipient nachvollziehen muss, um zu verstehen, dass das Produkt gefährlich sein kann. Exemplarisch sei dafür der Fall einer Frau zitiert, die sich durch eine explodierende Rohrreinigerflasche, in die zuvor Wasser gelangt war, an Hals, Oberkörper und Armen schwer verletzte. Das betreffende Gericht führte aus: „Zwar enthält der Flaschenaufdruck eine Warnung vor der stark ätzenden Wirkung, fordert das Tragen von Handschuhen und einer Schutzbrille bei der Arbeit und gebietet, keinesfalls Wasser hineinzugießen. Es fehlt aber ein Hinweis, daß, wenn Wasser hineingelangt und die Flasche sodann verschlossen wird, diese explodieren kann“ (OLG Oldenburg, Urteil vom 24.05.1996 - 6 U 31/ 96). Das Gericht verweist damit indirekt auf die hier vom Hersteller gemachte Präsupposition. Die Herstellerfirma setzt voraus, dass der Benutzer weiß, dass Wasser und Rohrreiniger chemisch stark miteinander reagieren und diese Reaktion mit der Erzeugung von Druck verbunden ist, wodurch die Aufforderung, kein Wasser hinzuzufügen, erst ihren Sinn erhält. 20 Hervorhebung durch die Vfn. <?page no="37"?> 1.4 Arbeitsfelder forensischer Linguistik 37 Problematisch ist auch das Nebeneinander von Informationen, die sich eigentlich widersprechen. Der Rezipient wird im Sinne der Grice’schen Maxime der Relation versuchen, beide miteinander in Einklang zu bringen. So wird er z.B. annehmen, dass ein Produkt, das safe-guard-Sicherheitsglas heißt, nur in Ausnahmefällen zerbricht, auch wenn die Gebrauchsanweisung den relativierenden Hinweis enthält, dass das Glas bei Druckeinwirkung zerbrechen kann (vgl. Tiersma 2004). Auch Piktogramme oder Symbole, von denen sich der Hersteller erhofft, dass sie möglichst eindeutig vor Gefahren warnen, sind nicht immer unmittelbar verständlich. Symbole, Symbolfarben und Piktogramme sind kulturell verankert und werden zusammen mit einer Kultur gelernt. Sie können nur dann entsprechend gelesen werden, wenn man mit der jeweiligen Kultur vertraut ist. Für die Vermittlung komplexerer Informationen sind sie grundsätzlich ungeeignet. In diesem Zusammenhang wurde einem Leiterhersteller die Gebrauchsanweisung aus Piktogrammen zum Verhängnis, da die Piktogramme weder darauf hinwiesen noch in der Form gelesen werden konnten, dass die Leiter zusammenbrechen würde, wenn die Verbindungsleinen (aus Perlon) nicht gestrafft wären. Allenfalls konnte der Betrachter der Piktogramme zu dem Schluss kommen, dass die Leiter dann weniger standfest sei. Ein Benutzer der Leiter war schwer gestürzt, weil die nicht gestrafften Verbindungsleinen rissen und die Leiter unter ihm zusammenbrach. Das Gericht sah eine Verletzung der Hinweispflicht als gegeben an. 21 Kullmann (2003), Tiersma (2004), Kullmann (2005), Molitoris/ Klindt (2008). - , Immer wieder gab es in der jüngeren Vergangenheit Prozesse wegen gesüßter Kindertees, die Kinder aus Trinkflaschen nuckelten. Da die Kinder diese Tees in dieser Weise oft über längere Zeiträume (mehrere Monate) konsumierten, machten der Zucker bzw. die auch in sog. ungezuckerten Tees enthaltenen Kohlehydrate das Kindergebiss kariös und die Kinder verloren ihre Milchzähne. 22 Die Eltern verklagten die Herstellerfirmen daraufhin auf Schadensersatz, weil sie über die Folgen des Teekonsums weder ausreichend informiert noch vor ihnen gewarnt worden waren. Klein (1981) zählt den Sprechakt des W ARNEN s zu den Repräsentativa, denn der Sprecher teilt dem Hörer mit, dass ein Sachverhalt unter bestimmten Bedingungen wahr sein wird. W ARNEN kann sich auf dem Hörer bekannte Informationen stützen, sich aber auch auf Informationen beziehen, über die der Hörer nicht verfügt und die ihm durch die Warnung mitgeteilt werden. Erst durch die Warnung wird er in die Lage versetzt, zu handeln. W ARNEN erstreckt sich dabei sowohl auf Stadien des Handelns wie auf Stadien des Nicht-Handelns des Hörers, mit jeweils negativen Konsequenzen für den Hörer. W ARNEN kann, muss aber nicht mit einer expliziten Aufforderung OGH vom 05.12.2002, 2Ob249/ 02k. 22 Diese Tees werden ohne Zugabe von Saccharosen, aber auf Maltodextrinbasis hergestellt. <?page no="38"?> 1 Gegenstandsbereich und Aufgaben der forensischen Linguistik 38 verbunden sein, etwas zu tun oder nicht zu tun, so dass die Handlungsaufforderung ggf. vom Hörer abgeleitet werden muss. 1. Beschreiben Sie den folgenden Hinweis eines Kinderteeherstellers sprechakttheoretisch. Sind die Bedingungen einer Warnung erfüllt? Bitte beachten Sie: Überlassen Sie die Flasche Ihrem Kind nicht als „Dauer-Beruhigungsschnuller“. Häufiger oder dauernder Kontakt der Zähne mit der Flüssigkeit kann Karies verursachen. Allgemein gilt: Nach der abendlichen Zahnpflege grundsätzlich nichts Süßes essen oder trinken. Sobald Ihr Kind groß genug ist, lassen Sie es aus der Tasse oder einem Becher trinken, um Zahnschäden zu vermeiden. 23 2. Der folgende Hinweis eines anderen Herstellers reichte dem OLG Frankfurt am Main als Warnung nicht aus. Welches Vorwissen benötigt ein Verbraucher, um diesen Satz als Warnung zu verstehen? Beschreiben Sie die Präsuppositionen, die mit den beiden Sätzen einhergehen, möglichst genau. Lassen Sie Ihr Kind seinen Durst immer zügig löschen und halten Sie das Fläschchen selbst. 24 * 3 4 Ein weiterer Bereich linguistischer Arbeit ist die Klärung der Autorschaft in zweifelhaften Fällen. Sie wird vergleichsweise häufig angefordert und bildet einen Kernbereich forensisch-linguistischer Arbeit. Daher steht sie auch im Fokus dieser Einführung. In vielen Fällen wird forensische Linguistik auch verkürzt als identisch mit einem Autorschaftsnachweis (oft in Strafprozessen) begriffen (Kniffka 2007: 267). Dieses Bild kommt dadurch zustande, dass Juristen wie Linguisten häufig nur mit dieser sehr speziellen Art linguistischer Expertise in Kontakt kommen. Grundsätzlich unterscheidet sich die Analyse eines inkriminierten Textes in Herangehensweise und Methodik von derjenigen eines anderen beliebigen Textes nicht. Jede textlinguistische und stilistische Analyse eines Kommunikats erfordert die Analyse der Textstruktur, des Stils, der möglicherweise enthaltenen Fehler und der Textsortenspezifik. Allerdings unterscheiden sich die Fragen, die an einen inkriminierten und an einen ‚unschuldigen‘ Text gestellt werden. Zwei grundlegende Fragestellungen zeichnen die forensisch-linguistische Arbeit aus: Die eine betrifft die ‚Verständlichkeit‘, sei es auf Wort-, Satz- oder Textebene. Was bedeutet ein Wort an sich, was in einem bestimmten Kontext? Ist ein Wort oder ein Satz in nur einer bestimmten Bedeutung zu verstehen? Ist eine Bedeutung potentiell beleidigend? Ist sie aktuell? Kann diese oder jene Äußerung als Warnung oder Anweisung verstanden werden oder nicht? Was sagt uns der Text? Für die linguistische http: / / www.ris.bka.gv.at/ jus, RS0071554 <29.12.2010>. OLG Frankfurt am Main, 23. Zivilsenat Urteil vom 15.10.2003, Az: 23 U 3/ 97. Sie zeigen im Übrigen, dass sich der Hersteller der Gefahren des Produkts für die kindlichen Zähne durchaus bewusst war, wie es auch das OLG erkannte. <?page no="39"?> 1.4 Arbeitsfelder forensischer Linguistik 39 Arbeit mit diesen Fragestellungen wurde oben bereits eine Reihe von Beispielen gegeben, aber vergleichbare Fragen stellen sich auch im Zusammenhang mit der Autorschaftsanalyse. Die andere betrifft die Autorschaft eines Textes: Wer hat den Text geschrieben? Welche Schreiberfahrung hat der Autor vermutlich? Ist er Muttersprachler des Deutschen? Wie ist sein Bildungsstand? Hat der Verdächtige den Text geschrieben oder ist er als Verfasser auszuschließen? Ist der Text tatsächlich von einer Person geschrieben worden oder waren andere an der Erstellung beteiligt? Wo liegt der Fokus der Mitteilung (und der gedankliche Fokus des Autors)? Sagt der Text mehr, als der Autor sagen will? Ist der Inhalt konsistent und schlüssig? Diesen Fragestellungen sind die folgenden Kapitel gewidmet. All diese Fragen und ihre Teilfragen haben eine direkte rechtliche Relevanz. Auch darin unterscheidet sich die Analyse eines forensischen Textes von der eines literarischen Textes oder eines Gebrauchstextes. Seine Analyse ist keine akademische Fingerübung, deren Ergebnis im Grunde keine ernstlichen Konsequenzen hat, sondern die Schlussfolgerungen aus der Analyse ziehen regelmäßig sehr konkrete und mitunter schwerwiegende Folgen für den Emittenten nach sich. Umso wichtiger ist es, mit den methodischen Voraussetzungen einer Analyse und mit ihren theoretischen Grundlagen vertraut zu sein und das eigene wissenschaftliche Tun kontinuierlich zu überprüfen und zu hinterfragen. <?page no="41"?> ( 5 Ein inkriminierter Text ist ein Text, der Gegenstand oder Bestandteil eines zivil- oder strafrechtlichen Verfahrens ist und zu dem im Vorfeld des letzteren auch durch die Polizei oder die Staatsanwaltschaft ermittelt worden ist. In den meisten Fällen, in denen Texte eine solche rechtliche Bedeutung besitzen oder durch die Umstände entwickeln, steht der Autor fest. Strittig ist dann nicht die Autorschaft, sondern der Inhalt des betreffenden Textes. Anders liegt der Fall bei Texten, die selbst Teil einer strafbaren Handlung (Urkundenfälschung, Erpressung, Beleidigung, Nötigung, Bedrohung, Betrug) sind. In solchen Fällen wird der Autor anonym bleiben. Der Inhalt des Textes ist zumeist klar, aber die Verfasserschaft ist zweifelhaft oder unbekannt. Ziel der Analyse ist es dann, Informationen über den Autor zu erhalten. Grundlage der Analyse ist die Hypothese, dass es möglich ist, Hinweise auf den Autor aus den Texten mithilfe bestimmter (in unserem Fall linguistischer) Analyseverfahren herauszuarbeiten. Die praktische Erfahrung zeigt, dass dies bei Vergleichsgutachten in der Mehrzahl der Fälle auch gelingt. Manchmal kann es jedoch sein, dass ein Text so beschaffen ist, dass die an ihn angelegten Instrumentarien nichts herausarbeiten, was den Autor in irgendeiner Form individualisieren könnte, sei es nur, weil der Text zu kurz ist oder weil er ganz einfach stilistisch unauffällig ist. Der Begriff Autor (oder Emittent) verweist in seinem Gebrauch auf den empirischen Autor, also auf das Individuum, das Urheber des Textes im Sinne einer gesetzlich definierten Urheberschaft ist: Der Autor ist die Person, die den Text verfasst hat. Er gilt des Weiteren als Selektionsinstanz, die auswählt und entscheidet, was der Text enthält. Ihm obliegt damit die sprachliche „Gestaltungsmacht“ (Winko 2002: 348f.). Kennzeichnend für den empirischen Autor ist es auch, „in einem nicht-intentionalen Akt bedeutungstragende Strukturen“ zu generieren (ebd.). Während die Interpretation eines Textes in Hinblick auf den empirischen Autor in der Literaturwissenschaft nur eine von mehreren Herangehensweisen ist, ist sie in der Analyse inkriminierter Texte häufig das erklärte Ziel, dem sich die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Darstellung einschließlich der Selbstdarstellung des Autors unterordnen lässt. ! Für unterschiedliche Textsorten gibt es typische Schreiber- und Autorenkonstellationen. Dabei ist zwischen der singulären Autorschaft und der multiplen (kollektiven) Autorschaft zu unterscheiden. Idealerweise fertigt eine Person den Text an, die dann auch mit dem Täter identisch ist. Es kann aber auch sein, dass zwei oder mehr Indivi- <?page no="42"?> 2 Text, Autor und Leser 42 duen an einer Straftat beteiligt sind und eine Person aus ihrer Mitte beauftragen, den Text zu verfassen. Dabei kann auf die Form des Textes unterschiedlich Einfluss genommen werden. Normalerweise denken wir bei dem Autor eines Textes an ein Individuum, das hinter dem Text steht und ihn verfasst hat. Für diese singuläre Verfasserschaft wird darüber hinaus auch gerne eine Identität zwischen Schreiber und empirischem Autor angenommen, obwohl das Schreiben nach Diktat ein nach wie vor übliches Verfahren ist, um Texte verschriftlichen zu lassen. Institutionen oder Behörden arbeiten häufig mit Textbausteinen, die ihre Benutzer je nach Bedarf um individuelle Formulierungen oder Einträge ergänzen. In vielen Fällen durchlaufen Texte mehrere Gremien und ebenso viele Korrekturstadien, bis sie schließlich als neue Dienstanweisungen oder Studienordnungen publiziert oder als neuer Internetauftritt ins Netz gestellt werden. Multiple (oder kollektive) Autorschaft ist in vielen Kommunikationsbereichen des öffentlichen Raums üblich, weil sie strukturell sinnvoll und effizient ist. Sie ist unproblematisch, wenn der Einzelne keinen urheberrechtlichen Anspruch am Text hat. Zum Problem wird sie, wenn von der individuellen Autorschaft Reputation oder Karriere abhängen. Ein Beispiel sind die Diskussionen um die Zitierweise von Texten mit mehreren Autoren im Zusammenhang mit dem (journal) impact factor, ein anderes sind Fälle, in denen Autoren fremde Texte plagiieren. Der Emittent des Textes ist Autor des Textes, da er die Gestaltungsmacht über den Text hat und auswählt, was, wie, an welcher Stelle und in welcher Form Teil des Textes wird. Dies gilt auch dann, wenn mehrere Personen an einer Textproduktion beteiligt sind, die dann Mitautoren genannt werden. Kniffka skizziert den Mitautor wie folgt: „Jemanden, der nur einen ‚vorliegenden‘ Text redigiert oder stilistisch überarbeitet und ausdrucksbezogen umformuliert, würde ich nicht als Mitautor bezeichnen. Nur wer inhaltliche Veränderungen bewirkt, neue Informationen und Ideen einbringt, ist für mich ein Mitautor“ (1990b: 452). Wenn daher ein Emittent in seinen Text Texte anderer Autoren übernimmt, ohne sie zu kennzeichnen, macht er sich unterschiedlicher Formen des Plagiats schuldig, aber der plagiierte Autor ist niemals Mitautor des neuen Textes. Dies würde schließlich in der Konsequenz bedeuten, dass ein Autor für das verantwortlich ist, was später andere mit seinem Text machen. Dass diese Feststellung nicht trivial ist, zeigen Fälle wie unter 2.1.2.1 beschrieben. Ebenfalls nicht Mitautor, sondern Kompilator (oder Herausgeber) ist aus diesen Gründen eine Person zu nennen, die Texte anderer Autoren zusammenstellt, denn sie tritt in den Texten sprachlich nicht in Erscheinung. Zwischen der multiplen Autorschaft im Sinne eines Gruppenelaborats und der singulären Autorschaft, bei der Schreiber und empirischer Autor identisch sind, gibt es viele Abstufungen, wie und in welchem Umfang unterschiedliche Personen an der Produktion eines Textes beteiligt sein können. Neben dem Diktat ist es auch denkbar, <?page no="43"?> 2.1 Definition des Autors 43 dass ein bereits verfasster Text nochmals in Reinschrift übertragen wird und der Schreiber bei diesem Übertragungsprozess seinerseits Änderungen oder Korrekturen einfügt. Fehler, die aus einer Diktiersituation heraus entstehen, lassen sich durchaus als solche rekonstruieren, wenn z.B. Namen falsch geschrieben sind, deren Schreibung im Kontext der Tat bekannt sein dürfte. Ist nur eine einzelne Abschrift vorhanden, lassen sich Fehler meistens nur dann erkennen, wenn auch das Original vorliegt. 1 Ein Beispiel einer Abschrift, die zugleich die Vorlage verändert, findet sich in der Aufgabe zu Kapitel 3.1. Eine sehr detaillierte Taxonomie der möglichen Schreiber-Autor-Konstellationen für inkriminierte Texte bietet Kniffka (2007: 159-162), die zugleich auch als Anregung dienen soll, ungewöhnliche Alternativen der Textproduktion durch mehrere Personen im konkreten Fall zu bedenken. Für die Mehrheit publizierter Texte ist die Konstellation typisch, dass es einen Autor sowie einen Lektor oder einen Redakteur gibt, der die Texte liest, korrigiert und Vorschläge zu ihrer Überarbeitung gibt. Diese Eingriffe können unterschiedlich weit reichen, und die Grenzen zwischen formalen Korrekturen und inhaltlichen Verbesserungsvorschlägen sind fließend. Wenn auch der Autor damit nicht das Eigentum am Text aufgibt, ist z.B. bei einem Journalisten der eigene Stil unter Umständen durch den Stil des Chefredakteurs modifiziert worden. Bei der Beteiligung mehrerer Personen an der Textproduktion ist es weiterhin denkbar, dass zwar eine Person schreibt, aber im Produktionsprozess selbst alle Beteiligten Formulierungen vorschlagen, die dann einzeln verhandelt werden. Ergänzend kann hinzukommen, dass es bestimmte Formulierungen gibt, die die Gruppe für ihren Sprachgebrauch vereinnahmt hat und kontinuierlich verwendet, nicht zuletzt, um die Autorschaft der Gruppe und damit das Recht am Text sprachlich deutlich zu machen. Als Mitglied der Gruppe bedient sich dann auch der Einzelne dieses „soziolektischen Konglomerats von Ausdrucksweisen der Gruppe“ (Engel in Brückner 1992: 242). Multiple Autorschaft und Übernahme des Gruppenjargons erfüllen im Kontext von Straftaten auch eine Schutzfunktion, denn sie führen über den Weg der Textproduktion zur Anonymisierung des Einzelnen, der sich zwar sprachlich äußert, dessen Konturen sich aber in der Gruppe auflösen. In diesem Sinne ist auch der postulierte Autor (vgl. Kapitel 2.1.2) ein Gruppenkonstrukt; von ihm führt kein Weg zu einem realen, individuellen Verfasser innerhalb der Gruppe. 2 Dementsprechend wenig Erfolg konnte Förster auch bei seinen Bemühungen verzeichnen, für bestimmte Bekennerschreiben der RAF einen individuellen Duktus herauszuarbeiten, der auf einen empirischen Autor verwiesen hätte (Förster 1989). Schall (2004) weist darauf hin, dass allenfalls zwischen Schreiber- und Autorenmerkmalen unterschieden werden kann, so dass unter günstigen Umständen der Schreiber identifiziert werden kann. Als Schreibermerkmale gelten die Interpunktion, die äußere Textgliederung und die Orthographie, als 1 Anders liegt der Fall, wenn mehrere Abschriften unterschiedlicher Personen vorliegen. Vgl. auch Unterholzner (2007: 48f.). Unterholzner unterscheidet jedoch nicht ausreichend zwischen Schreibermerkmalen und Merkmalen eines oder mehrerer empirischer Autoren. <?page no="44"?> 2 Text, Autor und Leser 44 Autorenmerkmale die inhaltliche Textstruktur und die sprachliche Ausformulierung mit Lexik und Grammatik. Eine weitere Spielart einer solchen kollektiven Textproduktion liegt vor, wenn sich mehrere Autoren die Herstellung des Textes teilen, indem jeder einen Abschnitt formuliert. In diesem Fall kann es möglich sein, über Stilbrüche, einen thematischen Wechsel oder lokal begrenzte Schreibvarianten Textabschnitte unterschiedlicher Provenienz voneinander abzugrenzen. Auch hier können Schreiber und Autor identisch sein, müssen es aber nicht. Eine weitere Variante ist es, dass das Endprodukt aus eigenen Anteilen der aktuellen Textproduzenten, aus Abschriften, aus wörtlichen und sinngemäßen Zitaten und aus Zusammenfassungen anderer Texte bestehen kann. Für einen Text, der so komponiert ist, erübrigt sich die Frage nach seinem empirischen Autor. Dementsprechend sind Bekennerschreiben und Positionspapiere als potentielle Gruppenelaborate für eine Autorschaftsbestimmung grundsätzlich ungeeignet, 3 denn der Rekurs auf Positionspapiere ist Teil des Gruppendiskurses (politischer) Gruppen und dient primär ihrer Selbstversicherung; jeder Text, den sich die Gruppe auf diesem Weg aneignet, erlaubt damit Korrekturen und Ergänzungen und wird zum Produkt multipler Autorschaft. Der Text wird Eigentum der Gruppe, ohne dass die Gruppe oder eines ihrer Mitglieder ihn dafür ursprünglich verfasst haben muss. Bekennerschreiben nehmen diesen Rekurs zum Teil auf und machen ihn öffentlich. Wann immer ein inkriminierter Text zu analysieren ist, sollten daher seine Produktionsbedingungen im Vorfeld geklärt werden. Entsprechendes gilt natürlich für Vergleichsmaterial. Wenn dies nicht möglich ist, muss auch der Möglichkeit Rechnung getragen werden, dass die Frage nach dem empirischen Autor methodisch verfehlt sein kann. 1 ! 6 ! ! ! 7 8 9 / * In mehreren Fällen haben sich aus den Möglichkeiten der vielschichtigen Produktionsbedingungen von veröffentlichten Texten für die Betroffenen konkrete strafrechtliche Konsequenzen ergeben, die z.T. auch in der Fachliteratur thematisiert wurden. Die Schwere des Vorwurfs - Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung - machte hier die Bedeutung einer adäquaten linguistischen Begutachtung der fraglichen Texte besonders deutlich. Die Fälle, von denen Grewendorf (1990) und Brückner (1992) berichten, wie auch der unten geschilderte Fall aus dem Jahr 2007, betref- Zu einer vergleichbaren Einschätzung kommt auch der BGH in seinem Beschluss vom 11.03.2010 StB 16/ 09, der in einem Verweis auf den bereits früher gefassten Beschluss vom 20.12.2007 StB 12, 13 und 47/ 07 festhält, „dass bei Analysen von Bekennerschreiben vorgefundene Übereinstimmungen in thematischer, stilistischer und textgestalterischer Hinsicht regelmäßig Indizien mit einem allenfalls äußerst geringen Beweiswert sind“ (S. 14, Rn 23). Der BGH stützt sich dabei auf die Ausführungen in einem diesbezüglichen Behördengutachten des BKA vom 02.07.2001 (Hervorhebung durch die Vfn.). 4 Der Paragraph stellt die Bildung terroristischer Vereinigungen unter Strafe. <?page no="45"?> 2.1 Definition des Autors 45 fen den Vorwurf einer Straftat nach § 129a StGB Abs. 3, im konkreten Fall: für eine terroristische Vereinigung Bekennerschreiben verfasst, mithin sie unterstützt zu haben. Grewendorf erörtert einen Fall, in dem als Vergleichsmaterial Zeitschriftenartikel des Angeklagten hinzugezogen wurden, die in unterschiedlichen Zeitschriften erschienen waren und für die die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden konnte, dass sie redaktionell überarbeitet worden waren. Brückner referiert einen Prozess, in dem dem Angeklagten die Autorschaft an Bekennerschreiben der Revolutionären Zellen zur Last gelegt wurde. Zwei dieser Bekennerschreiben, so stellte das Gericht im Laufe der Verhandlung fest, waren zum Teil Abschriften von Zeitungsartikeln aus der taz aus dem Jahr 1985 und aus der Frankfurter Rundschau von 1986. Die beiden anderen bestanden aus Auszügen aus einer Monographie von Joachim Radkau (1983) und aus Zusammenfassungen von zwei Zeitschriftenartikeln zur Geschichte der Atomindustrie in der Bundesrepublik, die sich eng am Wortlaut der Originale orientierten. Dass der Angeklagte diese Artikel, die acht Jahre zuvor veröffentlicht worden waren, seinerzeit geschrieben hatte, schied als Möglichkeit aus. Auch für die verbleibenden Abschnitte der fraglichen Texte konnte weder die Autorschaft des Angeklagten nachgewiesen noch konnte ausgeschlossen werden, dass auch sie bei der Herstellung des Bekennerschreibens bereits in schriftlicher Form vorgelegen hatten und nur in den Text integriert worden waren. Ebenfalls wegen des Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nahm im Jahr 2007 die Bundesanwaltschaft den Berliner Soziologen Andrej H. fest, dem sie vorwarf, Bekennerschreiben der militanten gruppe (mg) verfasst zu haben. Ihren Verdacht begründete die Bundesanwaltschaft zum einen damit, dass Andrej H. sich mit Mitgliedern der militanten gruppe getroffen hatte, zum anderen wurde vorgebracht, er bringe die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen mit, um die intellektuell anspruchsvollen Bekennerschreiben der mg zu verfassen. Die Bundesanwaltschaft argumentierte weiter, dass Andrej H.s wissenschaftliche Arbeiten sich mit Themen beschäftigten, die auch Themen der mg seien. Bei diesem Vorwurf stützte sich die Bundesanwaltschaft auf die Tatsache, dass in den Bekennerschreiben der mg „Phrasen und Schlagwörter“ zu finden gewesen seien, die auch H. in seinen Publikationen verwendet habe und die sich nicht durch thematische Übereinstimmungen erklären ließen. Bei einem dieser Schlagwörter handelte es sich um den in der Stadtsoziologie seit den 1990er Jahren etablierten Fachterminus der gentrification. 5 Damit stand die Autorschaft Andrej H.s für die Bundesanwaltschaft fest. 6 Das Problem liegt auf der Hand: Kein Sprecher einer Sprechergemeinschaft gebraucht einen bestimmten Ausdruck exklusiv, so dass der Ausdruck seinerseits nie eindeutig auf ein Individuum verweisen kann (vgl. Kapitel 4). Gegen die Argumenta- Der Begriff Gentrifizierung (gentrification) beschreibt im Rahmen der Stadtforschung die ökonomische und soziale Veränderung von Stadtteilen durch den Zuzug besserverdienender Mieter und Eigentümer, durch die die bisherigen Bewohner zunehmend verdrängt werden. Das BKA hatte schon im April 2007 in einem Gutachten dazu vermerkt, dass der Abgleich der Texte des Wissenschaftlers mit den Texten der mg keine Hinweise auf Tatzusammenhänge ergeben habe. <?page no="46"?> 2 Text, Autor und Leser 46 tion der Bundesanwaltschaft protestierte eine Reihe von Wissenschaftlern in einem offenen Brief, da sie mit derartigen Argumentationsmustern kritische Forschung unter Generalverdacht gestellt sah. Der Haftbefehl wurde am 22.08.2007 vom BGH mit der Begründung aufgehoben, dass von den Ermittlungsbehörden kein dringender Verdacht der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung gegen Andrej H. habe begründet werden können, sondern nur ein Anfangsverdacht, der einen Verbleib in der Untersuchungshaft nicht rechtfertigen könne. 7 6 / Seit den 1980er Jahren gab es in der BRD eine locker organisierte linksextreme Gruppe mit Nähe zur Roten Armee Fraktion, die unter dem Namen Revolutionäre Zellen (RZ) auftrat. Die folgenden zwei Schreiben sind Bekennerschreiben dieser Gruppe, die u.a. auch Sabotageakte im Zusammenhang mit dem Bau der Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in Wackersdorf verübte. Im Rahmen eines Verfahrens wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 129a StGB) im Jahr 1987 wurde dem damaligen Angeklagten Andreas S. durch ein linguistisches Gutachten „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ die Autorschaft an diesen beiden Bekennerschreiben nachgewiesen (vgl. Brückner 1992: 233ff.). 1. Analysieren Sie die beiden Textausschnitte auf Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten im lexikalischen und im syntaktischen Bereich hin. Halten Sie Ihre Ergebnisse in einer Tabelle fest. 2. Der Gutachter nahm seinerzeit einen identischen Verfasser für beide Texte an. Was spricht Ihrer Meinung nach dafür, was dagegen? Berücksichtigen Sie die Produktionsbedingungen von Bekennerschreiben. ! " #$$$$% & " ' ' ( ) $* < = >> " ? ) = ' # O & # ! Q # " X' ) = $ ? Y# & [ \* X# ( & ( # " X' O ) ! \ Q X' ' > & ' \ ! X' ] ' & ) > " ^ X' \ X' >> \ _ X' X'" \ " X' ^ X' X' ' ` j # % ' X' ' ? q? ? ? { | " ' ` ! = & " > X' X' ' > \j # $ & ! < $} & " " # \ ' > >> ~ " ? Y&" ' " & # Q > \ ` j # ) _ QX# & X' ! X' \ & > _ = ` $$$$* = & & $$$$ Pressemitteilung 154/ 2007 des BGH. Die Argumente hinsichtlich der angeblichen Autorschaft H.s waren hier zweitrangig, siehe aber die Beschlüsse vom 01.03.2010 StB 16/ 09, und vom 20.12.2007 StB 12, 13 und 47/ 07. <?page no="47"?> 2.1 Definition des Autors 47 O X' > ? ) ' ? ) ' & X' \ # \ "<' " \ > O' # ' q? ? ? {? Text 1 ? ? \ ! # ) X# > ~ \ ! X'^ _ > = ^ " ? | ' & " = %) & X' ? # * & # ! ) ? | X' < > ) $ > # \ " X' # \ \ " " X' \ # & O & X' # ! > $
)$* " \ >> # = X' ! X' " " X# ? q? ? ? { X' " X' = Q& % # %) " # X' $ $` q? ? ? { X' & " \ " " X' > # ' " \ " X' X' ? q? ? ? { * =
` j # X' * Q ! `' = # X'(\ % ' >Q & & \ ` > \ >> X' X'\ " ' ^# X' =^
*%|$% * > X' ~ ) ) X# > > ` # = & & % ' " ! < X' OY$ ? q? ? ? { Text 2 Brückner (1992). Zu Bekennerschreiben allgemein Unterholzner (2007). # ) & In der Literaturwissenschaft ist es eine Grundvoraussetzung, bei der Interpretation von narrativen Texten zwischen zwei Instanzen zu unterscheiden: dem empirischen Autor auf der einen Seite und dem Erzähler auf der anderen. Angesichts der Tatsache, „dass nicht immer sämtliche Absichten des realen Autors im Text realisiert werden und Texte auch vom realen Autor nicht intendierte Bedeutungen erhalten können“ (Hoffmann/ Langer 2007: 134) wird häufig eine weitere Instanz angenommen, die weder dem Erzähler noch dem realen Autor zuzurechnen ist. Diese Instanz ist als sog. impliziter Autor von Booth eingeführt worden. Als impliziter Autor wird das auktoriale Selbstbild des Emittenten ebenso wie das Konstrukt des Autors, d.h. seiner Intentionen und seiner Merkmale, durch den Rezipienten bezeichnet (Hoffmann/ Langer 2007: 135). Daher ist auch der Begriff des postulierten Autors für den des impliziten Autors vorgeschlagen worden (ebd.). Begriff und Konzept sowie die konkrete Einbin- Der Text ist im Original in Versalien gehalten. Interpunktionsfehler sowie fehlende Abstände ebenfalls im Original. Fehler im Original. <?page no="48"?> 2 Text, Autor und Leser 48 dung in die Textinterpretation sind in der Literaturwissenschaft nach wie vor umstritten. Natürlich sind inkriminierte Texte nicht mit literarischen Texten gleichzusetzen und an sie angelegte literaturwissenschaftliche Interpretationen daher auch wenig zweckmäßig. Gleichwohl stellen einige von ihnen Formen alltäglichen Erzählens dar, andere enthalten narrative Elemente oder Passagen, für deren Analyse sich Aspekte der Erzähltheorie fruchtbar machen lassen. Dies gilt insbesondere für die Beschreibung der Erzähloberfläche (Fludernik 2008) mittels pragmatischer und grammatischer Kategorien (vgl. Kapitel 6) - ein Bereich, in dem Literaturwissenschaft und Linguistik eng miteinander verzahnt sind. Andere, erzähltheoretisch grundlegende Differenzierungen wie z.B. die o.g. Differenzierung zwischen Erzähler und Autor oder die Differenzierung nach dem Erzähltypus reduzieren sich in ihrer Komplexität oder erübrigen sich ganz, weil es sich nicht um literarische Texte handelt. Narrative Passagen in Erpresserbriefen oder in Zeugenaussagen entsprechen regelmäßig einer sog. Selbsterzählung, in der das Wir oder das Ich, welches spricht, die Hauptrolle einnimmt und von Dingen berichtet, die es getan hat oder tun wird. Erzähler(figur) und Autor fallen hier zusammen. Diese Ich-Erzähler sind nicht fiktional und verweisen auf den empirischen Autor, sie sind aber dennoch nicht einfach mit ihm gleichzusetzen. Die Frage, die sich bei der Analyse eines Erpresser- oder auch eines Abschiedsbriefes stellt, ist daher nicht die nach dem Erzähler und seiner Trennung vom Autor, sondern die nach der Authentizität dessen, was das Ich dem Leser mitteilt. Gefragt wird stattdessen nach dem Verhältnis von empirischem Autor zu postuliertem Autor bzw. danach, wie sich der empirische Autor im Text inszeniert und welches Bild sich von ihm vor dem inneren Auge des Lesers entwickelt. 10 Für die Analyse inkriminierter Schreiben wie Erpresser- oder Bekennerschreiben eignet sich daher das o.g. Konzept des postulierten Autors als auktoriales wie leserseitiges Konstrukt insofern, als es für solche Texte gerade konstitutiv ist, dass der empirische Autor eventuelle Rückschlüsse auf sich vermeiden, der Leser über den Textinhalt und seine Ausgestaltung aber gerade Zugriff auf den empirischen Autor erhalten will. Die Informationen, die der Rezipient erhält, sollen in erster Linie das Bild des postulierten Autors formen und ihn als Sprecher einer Gruppe, als überlegen und als skrupellos darstellen (Schall 2008: 325). Typisches Merkmal eines postulierten Autors sind daher Unterschriften wie „ital. Mafia“, „der Erbarmungslose“ oder „die Gerechten“, welche nicht auf den empirischen Autor verweisen. Die Namenswahl dieser Pseudonyme nimmt in vielen Fällen einen Aspekt der im Text bereits gegebenen Darstellung des postulierten Autors auf und ist entweder als weitere Drohgebärde zu lesen, als Hinweis auf den moralischen oder politischen Beweggrund, als weitere Anonymisierung, als Individualisierung oder als Hinweis auf einen bestimmten Bildungshintergrund (vgl. Körner 2007: 338). Die empirischen Autoren folgen damit der Auffassung, Wohl kann im Sinne der Sequenzanalyse die Art, wie der empirische Autor bzw. der Täter sich darstellt, auf ein ihm eigenes Persönlichkeitsmerkmal verweisen und für die Erstellung eines Täterprofils genutzt werden (vgl. Dern 2009, Würstl 2004). <?page no="49"?> 2.1 Definition des Autors 49 dass Namen etwas über ihre Träger aussagen und dass Nachbenennungen etwas von dem Charakter oder den Leistungen ihrer ursprünglichen Träger auf den jetzigen Namensträger vererben. Inwieweit die Namenswahl einen Blick auf den empirischen Autor (oder seine Psyche) freigibt, was also einen Täter bewegt, mit „flip flop“ oder „Dr. Best“ zu unterschreiben, muss an dieser Stelle offen bleiben. Die vom empirischen Autor jenseits des Namens gegebenen Informationen sollen des Weiteren die Schreib- und Sprachkompetenz des postulierten Autors deutlich machen. Eine unreflektierte Zuschreibung der im Text gegebenen Informationen an den empirischen Autor greift daher zwangsläufig zu kurz, auch wenn es vorkommt, dass der empirische Autor seine Schreibkompetenz oder seine Erfahrungen mit der Textproduktion nicht verbirgt, möglicherweise, weil sie ihm als wenig individualisierend erscheinen. Vor diesem Hintergrund ist es das übergeordnete Ziel der forensischen Textanalyse wie der Sequenzanalyse (vgl. Kapitel 6.4), die Konsistenz der Inszenierung zu prüfen. Bei der Gestaltung der thematischen Muster, bei stilistischen Brüchen, wenig plausiblen Fehlerkonstellationen oder Lesarten von Textsequenzen, die nicht zur Situation passen wollen, ist davon auszugehen, dass sich der empirische Autor offenbart, weil er an diesen Stellen nicht-intentional handelt. Drohungen wie „werden wir auf alle Flugzeuge mit nuklearen Raketen schießen“ (Körner 2007: 322) oder Lösegeldforderungen in Höhe von 500 Milliarden Mark (Dern 2009) kreieren beim Rezipienten jeweils einen postulierten Autor mit diffusen Vorstellungen über das technisch Machbare bzw. über bestimmte monetäre Größenordnungen, so dass sich die Frage stellt, ob der empirische Autor diese Vorstellungen teilt. Dass den Inkonsistenzen eine besondere Aussagekraft zukommt, ergibt sich daraus, dass die Inszenierung des postulierten Autors in diesem Kontext immer Teil einer Tarnhandlung ist. Dazu ein Textbeispiel: = > ^X' X' X' " " * > X' & ? X' & & ' X' ' ! X' & " % X' X' & ? ' X' X' QX# = X' > X'Q " X' $ X' # [ X' ^ ' & ? q? ? ? { X' < > `
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" * " & ' = X' ? " > & ' "Q X'Q ' ' O^ #" X' X' ? ) ' " ~ X' = ? X Y`O$ = = " X' & < X' = & | X' & > X' = ^> X' " ' " ' = < & X' [ ^ = & " ? " " X' < & > " ( X' q? ? ? { ` ? | O< #^ # | X'\ ' # X' X' * # ' & ? ~ ' " * # ? ` ? <?page no="50"?> 2 Text, Autor und Leser 50 Der postulierte Autor konstruiert sich diesem (leicht gekürzten) Text über das Ich des Textes, durch das eine Geisel spricht, die als Sprachrohr der Entführer dient. Zugleich benutzt sie den Brief, um etwas über die Entführer mitzuteilen, das nicht mitgeteilt werden sollte. Der Leser wird zunächst eine Identität von Erzähler und Emittent annehmen, und zugleich wird das Bild des angeblichen Emittenten, des postulierten Autors, dadurch geformt, wie der empirische Autor den Erzähler auftreten lässt. Der postulierte Autor ist demnach ein Ausländer, der in der Lage ist, fachsprachliches Vokabular aus dem Bereich der Schusswaffen und der Ballistik aus einer Fremdsprache ins Deutsche zu übertragen. Dies impliziert neben fachsprachlichen Kenntnissen in beiden Sprachen auch eine Sachkenntnis, ohne die die Übersetzung nicht geleistet werden kann. Ihm wird darüber hinaus so viel Freiheit gegeben, dass er einen Brief schreiben kann, ohne dass dieser gegengelesen werden könnte. Die Gelegenheit zur (versteckten) Mitteilung seines Aufenthaltsortes, die sich dadurch bieten würde, lässt er verstreichen. Der empirische Autor lässt den Erzähler nur von einer zweiten Geisel sprechen, welches ganz im Sinne der Täter die Drohkulisse verstärkt. Auch der Verweis des Erzählers auf „den negsten bericht“ weckt beim Leser den Eindruck, dass der postulierte Autor die Gruppe möglicherweise über die auf Deutsch verfassten Nachrichten informiert. Damit ist er für die Gruppe essentiell wichtig, da diese weder ihre Forderungen ohne ihn formulieren kann, noch über mögliche Reaktionen des Erpressten informiert wäre, denn der postulierte Autor teilt uns mit, dass „die Täter [...] kein Deutsch“ sprechen. Der empirische Autor kreiert Ambivalenzen des postulierten Autors im Verhalten gegenüber den Tätern, so dass sich der Eindruck von Komplizenhaftigkeit des postulierten Autors mit den Tätern ergibt - ein Eindruck, der vom empirischen Autor wahrscheinlich nicht intendiert war. Da es (nur) der postulierte Autor ist, der vom Leser konstruiert wird, muss sich nun beim Leser ein weiterer Schritt anschließen, in dem versucht wird, über den postulierten Autor Informationen über den empirischen Autor zu gewinnen. So können weder Erzähler noch postulierter Autor eine Sachkenntnis haben, die nicht auch der Produzent des Textes besitzt. Daher kann man davon ausgehen, dass der empirische Autor Kenntnisse über Ballistik und Schusswaffen hat. Des Weiteren verweist der Erzähler auf Mängel in seiner Fremdsprachenkompetenz, die der empirische Autor bei der Textproduktion durch eine Reihe von Rechtschreibfehlern markiert, um so dem postulierten Autor mangelhafte Sprachkenntnisse zu bescheinigen. Hier würden eine Stil- und eine Fehleranalyse zeigen, dass der empirische Autor Muttersprachler des Deutschen ist. Auch zeigt der Gebrauch textueller Verknüpfungsmittel wie weiterhin, textstrukturierender Elemente wie in vorfeld, 1. und PS. sowie die Verschriftlichung der mündlichen Wiedergabe von typographisch gekennzeichneten Zitaten als Zitat und Zietatende, dass der postulierte Autor in der Textproduktion routiniert ist und damit auch der empirische Autor, der hinter das Wissen seines alter ego nicht zurück kann. Durch die zeitliche Situierung des Textes und durch die Verwendung von Deiktika und anderen Formen der Referenz kann ein empirischer Autor absichtlich oder unabsichtlich auf sich oder eine andere reale Person Bezug nehmen, z.B. indem er für die Lösegeldzahlung eine private (! ) Kontonummer oder die Telefonnummer des eigenen <?page no="51"?> 2.1 Definition des Autors 51 Geschäftsanschlusses angibt (vgl. Körner 2007, Kniffka 2000). Erfahrungsgemäß verweisen Ortsangaben auf eine regionale ‚Verortung‘ des Emittenten, da sich dieser im Falle eines Anschlags oder einer Geldübergabe (auch in Form einer Schnitzeljagd, vgl. Dern 2009) zum Zweck der eigenen Absicherung lieber auf vertrautem Terrain bewegt. Auf diesem Wege lässt sich die auktoriale Selbstinszenierung des empirischen Autors schrittweise dekonstruieren, und ihre Bestandteile lassen sich daraufhin prüfen, ob es sich bei ihnen um potentielle Eigenschaften des empirischen Autors handeln kann. In Fällen wie dem obigen Beispiel lassen sich gewisse Angaben als eher unwahrscheinlich identifizieren, in anderen Fällen muss man davon ausgehen, dass das Konstrukt die Eigenschaften, die angekündigte Vorgehensweise oder die postulierten Handlungsoptionen des empirischen Autors direkt wiedergibt. Die (auktoriale) Selbstdarstellung gehört als fakultative Zusatzfunktion auch zu den Charakteristika der Textsorte Erpresserschreiben. Dern (2009) deutet in ihrer Einführung an, dass sich gerade bei der Analyse der Zusatzfunktionen Möglichkeiten ergeben, über den Schwerpunkt, den der Emittent hier inhaltlich und quantitativ setzt, unter Umständen Rückschlüsse auf seine Ernsthaftigkeit zu ziehen (vgl. Kapitel 3). Inwieweit der weitgehende Verzicht auf eine Tarnung über das Mittel des postulierten Autors etwas über die Persönlichkeit bzw. das Selbstbild des Erpressers aussagt und z.B. auf seine Skrupellosigkeit verweist, ist linguistisch nicht abschließend zu beantworten, sondern nur kriminalpsychologisch. : " ) ; 1. Fassen Sie die Handlungsaufforderung an das Opfer und die Handlungsankündigung der Täter in eigene Worte. 2. Beschreiben Sie anschließend das Bild, das der empirische Autor Ihrer Meinung nach von sich entwerfen will. Wie sehen Sie ihn? Nennen Sie die entsprechenden Textstellen und machen Sie Ihre Überlegungen explizit. )% )%| _% _ YY%O |% } O ~\ | _%
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`} )%| Y *) _O <?page no="52"?> 2 Text, Autor und Leser 52 * 4! 1 Anonymisierung kann durch eine multiple Autorschaft hergestellt werden, die schon im Entstehungsprozess ein „homogenes, konsistentes anonymes Textoriginal“ (Bungarten 1996: 185) erstellt. Sie kann aber auch nachträglich durch den Emittenten oder eine andere Person herbeigeführt worden sein, indem der Text redigiert und personenbezogene Merkmale oder entsprechende Hinweise getilgt wurden. In den meisten Fällen wird sie durch den Verzicht auf einen Verweis auf den empirischen Autor hergestellt, einfach dadurch, dass das Schreiben weder einen Absender trägt noch unterzeichnet ist. Diese Form der Anonymisierung des empirischen Autors ist damit eine weitere Spielart der auktorialen Inszenierung, denn auch die Nicht-Präsentation ist eine Form der Selbstdarstellung. Artmann (1996) hat festgestellt, dass sie für Erpresserschreiben - und in noch stärkerem Maße für Drohbriefe- ein konstitutives Merkmal bildet . Während die von ihm ausgewerteten Erpresserschreiben in 8,6% der Fälle einen Absender tragen und in 46% der Fälle durch eine Unterschrift einen postulierten Autor explizit werden lassen, haben die Emittenten von Drohbriefen nur in 3,2% der Fälle einen Absender und in 17,5% eine fingierte Unterschrift gesetzt. Artmann betrachtet dies als eine direkte Folge davon, dass die Schreiber von Drohbriefen keine Kontaktaufnahme mit dem Opfer beabsichtigen, so dass auch kein Hinweis auf eine (fiktive) Organisation oder dgl. erfolgen muss, die später als Ansprechpartner dienen soll (1996: 36). In zwei Erpresserschreiben seines Korpus (1996: 27) nehmen die Emittenten auf die fehlende Unterschrift metasprachlich Bezug und werben um Verständnis für die Anonymisierung ihrer Person. Dies ist neben dem Hinweis auf Textmusterwissen der Emittenten ein Hinweis darauf, dass die anonyme Autorschaft letztlich ein Autorschaftsmodell ist, das von der Textsorte gefordert wird. Eine weitere Variante der Anonymisierung liegt schließlich vor, wenn durch den fingierten Absender eine Zuweisung an eine andere, existierende Person erfolgt. Von Fälschung wäre zu sprechen, wenn der Text nicht nur den Namen des angeblichen Emittenten nennt, sondern auch den Duktus der anderen Person kopiert. Zweck eines solchen Vorgehens kann die Befürchtung des Emittenten sein, der anonyme Text selbst könnte als zu wenig aussagekräftig eingeschätzt werden (vgl. Fetscher 2006: 316). Ist ein Mord als Selbstmord inszeniert, gewinnt ein Abschiedsbrief an Aussagekraft, wenn er mit dem Namen des Opfers unterschrieben ist. Im Fall einer Erpressung stärkt die Zuweisung z.B. an eine Terrorgruppe zugleich die Drohkraft (oder in der Terminologie Burkhardts (2000) die Erpressungswucht) des Briefes. 2 " Eine besondere Beziehung zwischen Text und Autor beschreibt das Plagiat. In Zeiten der rechnergestützten Auswertung durch Prüfprogramme und der Verfügbarkeit unbegrenzter Textmengen durch das world wide web ist es leichter geworden, Plagiate als solche zu erkennen, aber es ist auch einfacher geworden, sie zu produzieren. Im Falle eines Plagiats schreibt der Emittent nicht seinen Text einer anderen Person zu, <?page no="53"?> 2.1 Definition des Autors 53 sondern postuliert die Autorschaft eines fremden Textes für sich selbst. Der Vorwurf des Plagiats und sein Nachweis können zivilrechtliche wie strafrechtliche Folgen und - wie uns ein aktueller Fall im Frühjahr 2011 gezeigt hat - auch verwaltungsrechtliche (in besagtem Fall hochschulrechtliche) Konsequenzen haben. Um ein Plagiat nachzuweisen, greift man zunächst auf die Tatsache zurück, dass sich keine zwei Texte, die entweder zu unterschiedlichen Zeiten von einer Person oder jeweils von unterschiedlichen Personen geschrieben worden sind, aufs Wort entsprechen. Ein Text, der mit einem anderen Text identisch ist, ist daher eine Abschrift. 11 Kognitionspsychologisch lässt sich begründen, dass auch ein und derselbe Emittent nicht in der Lage ist, zu unterschiedlichen Zeitpunkten identische Aussagen zu machen bzw. identische Texte zu schreiben. Dies liegt unter anderem daran, dass wir uns primär an den Inhalt einer Äußerung erinnern, nicht aber an ihre Form, und uns einen bestimmten Wortlaut nur in sehr begrenztem Umfang merken können. Diese Tatsache lässt sich zum einen nutzen, um die Authentizität von Aussagen zu prüfen, wie Coulthard dies verschiedentlich getan hat (1992, 2004, 2010), zum anderen, um Fremd- und Selbstplagiate nachzuweisen. Bei dem Versuch, ein Plagiat aufzudecken, ist die Suche nach strings, also nach übereinstimmenden Phrasen oder Teilsätzen mithilfe von Suchmaschinen oder entsprechenden Programmen eine erste Möglichkeit, um nicht markierte Übernahmen zu identifizieren. Viele Plagiate bestehen jedoch häufig nicht aus 1: 1-Übernahmen, sondern der Plagiator übernimmt in seinen eigenen Text Versatzstücke aus der Vorlage, oft solche Passagen, die auch inhaltlich entscheidend sind. Dabei kann entweder das Vokabular oder die Argumentationsstruktur (und damit die Satzstruktur) übernommen werden. Auch wenn Teile des Vokabulars durch Synonyme ersetzt werden, werden Funktionswörter wie Konjunktionen häufig beibehalten. Ein hoher Anteil gemeinsam geteilten Vokabulars ist daher zu erwarten. 12 Zu bedenken ist, dass Übereinstimmungen in der Wortwahl auch dadurch entstehen können, dass die Betreffenden über dasselbe Thema reden, ohne dass sie voneinander abgeschrieben haben. Johnson (1997) hat jedoch festgestellt, dass der Anteil gemeinsam geteilten Vokabulars bei Plagiaten prozentual stets höher liegt als bei zwei Texten derselben Thematik und dass Plagiate größere Ähnlichkeiten in der typetoken-Relation mit dem Original zeigen. Woolls (2003) hat diese Erkenntnis dahingehend präzisiert, dass in diesem Zusammenhang eine quantitative Auswertung der übereinstimmenden Wörter besonders aussagekräftig ist, die in den beiden Texten jeweils nur einmal vorkommen, der sog. hapax legomena. Die Wahrscheinlichkeit, so resümiert Coulthard (2004), dass zwei Personen unabhängig voneinander dieselben Diese Erkenntnis nutzt auch die Handschriftenanalyse. Wenn zwei Unterschriften identisch sind, spricht die Handschriftenanalyse von absoluter oder annähernder Deckungsgleichheit, die, wenn beide Unterschriften authentisch sind, nicht vorkommt. Kommt sie vor, handelt es sich bei einem der beiden Schriftzüge um eine Kopie (vgl. Hecker/ Steinke 1990). Eine ausführliche inhaltliche Beschreibung der vergleichenden Analyse eines Plagiats mit dem Original, die sich auf textstrukturelle, quantitative und framesemantische Aspekte stützt, bietet Olsson (2009: 22-34). <?page no="54"?> 2 Text, Autor und Leser 54 Wörter für einen Text wählen und diese dann genau einmal verwenden, ist so gering, dass sie vernachlässigenswert ist. 9 " Textausschnitt 1 ist das Original, Textausschnitt 2 eine plagiierte Fassung. 1. Vergleichen Sie die beiden Textausschnitte. Welche Stellen des Plagiats sind als Paraphrasen des Originalwortlauts zu werten? 2. Ermitteln Sie für jeden Text die Zahl der Lexeme (types), die in beiden Texten vorkommn, sowie die Anzahl ihrer Wortformen (tokens). Johnson (1997) hat für die von ihr untersuchten Plagiate mit einer Länge von 500 Wörtern einen Anteil von 49,3% gemeinsam geteilten Vokabulars ausgemacht. Wie sieht es hier aus? 3. Hapax legomena gelten lt. Coulthard (2004) als nicht substantiell für das Thema eines Textes (da sie nur einmal verwendet werden), sie sind aber umso aussagekräftiger in Hinblick auf die Abhängigkeit zweier Texte voneinander. Wie viele dieser hapax legomena kommen in den Texten vor und wie viele von ihnen teilen beide? 4. Suchen Sie formale Belege dafür, dass es sich nicht bei Text 2 um das Original handelt, sondern bei Text 1. 5. Greifen Sie auf die Texte 16 und 19 in Kapitel 2.1.2.1 zurück, die ja nicht unter Plagiatsverdacht standen. Führen Sie auch hier eine Auszählung nach types und tokens sowie hapax legomena durch und prüfen Sie auch hier, wie viele identische hapax legomena in beiden Texten erscheinen. Vergleichen und erörtern Sie die Ergebnisse beider Textpaare. * * X' ! X'# X' * Q' = ~ X' < < X' " X' >> | ! X'# # X' [ < ! X' & ' & ? | ! X'# # ' [ " X#\ X' % ' = ` & \ ~ X' > \ ~ & ) X' > " ' ' | X' & >> \ & ' & ? q? ? ? { X' ' ! X' \ & ' ~
# ' & | X' && | X' ) X' > ! X' \ ! X' " X' ~ ' } >' & \ " > >> X'# & ~ X' > > q? ? ? { " & X' ! X'# # ? > ! X'# X' [ \ & \ ! X' ! ! = & "Q " q? ? ? { = & ><' \ " % X' > ' & & = [ X' ~ X' > ? | * ! X'# # ># < " X'\ " > & # " X' ! X' ~ X' X' ! X'# X' <?page no="55"?> 2.2 Der Text und sein Leser 55 * Q' ? X' " \ Q [Q X' ? _? * X#\ \ ? ? & ? S. 9 und 26 (151 Wörter) 13 Text 1: Original ~
# & & X' ) X' > ! X' & " \ ! X' " X' ~ ' } > ' & ? [ X' X' } \ X' ) X' > & > ? | O ^ X' & ` & # < X' ? | ? ' ' " X' ! X' ~ X' X' ! X'# # & X' " ? " & X' X' ? ' ' ! X' X' > \ X' O' ! X'# # & > \ X' & $ X' ~ X' $ # & ><' # ? & " % X' > ' & & = [ X' ~ X' > ? ! X'# # " X' > ~ X' > $
> ? & X' # > " ! X'# # = ~ X' < X' [ < ! X' & ' & " [ " X#\ X' % ' = ` & ~ X' > \ ~ & ) X' > > & ' & ? X' " \ Q [Q X' ? _? * X#\ \ ? ? (154 Wörter) Text 2: Plagiat Johnson (1997), Woolls (2003), Coulthard (2004), Olsson (2004). ( Ebenso wie der Text als inkriminierter Text durch den Kontext bereits mit einer Bewertung belegt ist, nähert sich der Leser dem Text mit einem Vorverständnis und bestimmten Vorannahmen, ohne die ein erstes Verstehen des Textes nicht möglich ist. Vorannahmen und Vorverständnis sind nichts anderes als Hypothesen, die der Leser bereits hat oder die sich im Laufe seiner Textlektüre einstellen. Dabei kann es sich um Annahmen über den empirischen Autor handeln wie z.B. seine Sprachkompetenz oder seinen Bildungsgrad. Hypothesen entstehen aufgrund von Beobachtun- Das Original ist unter http: / / www.schule-bw.de/ unterricht/ faecher/ deutsch/ unterrichtseinheiten/ epoch2/ aufklaerung/ gottschedsprachkritik.pdf zu finden <16.10.2010>. Die Fehler in der Vorlage und im Plagiat sind jeweils in den Originalen enthalten. Das Plagiat wurde als Seminararbeit eingereicht. Die Vfn. ‚stolperte‘ bei deren Lektüre im Übrigen über den Ausdruck Geistesleben. <?page no="56"?> 2 Text, Autor und Leser 56 gen, ohne dass ein „rationaler Weg von den gemachten Beobachtungen [zu ihnen] führt. Erst wenn eine Hypothese aufgestellt wurde, stellt sich die Frage nach ihrer Überprüfbarkeit ein“ (Stegmüller 1989: 401). Wenn solche Vorannahmen unreflektiert bleiben, kann dies dazu führen, dass der Text nicht oder falsch verstanden wird, weil sich der Leser nicht dessen bewusst wird, dass er mit der Vorannahme eine Hypothese aufgestellt hat, die es zu überprüfen gilt. So könnte der Leser fälschlicherweise vom Inhalt des Textes direkt auf Motivationen des empirischen Autors schließen, ohne dass diese unbedingt gegeben sein müssen. Offensichtlich wird die fehlende Reflexion der eigenen Vorannahmen, wenn sich diese bei der Textlektüre nicht uneingeschränkt bestätigen und es zu Irritationen beim Leser kommt. Für einen erfolgreichen Verstehensprozess ist es daher nötig, die Andersartigkeit des Textes wahrzunehmen und zu akzeptieren und sich während der Lektüre im Prozess der Verständnissicherung die eigenen Vorannahmen bzw. Hypothesen immer wieder bewusst zu machen, zu prüfen und sie sukzessive durch passendere zu ersetzen, um sich mit diesen wiederum dem Text zu nähern. Wenn jeder Text bereits mit bestimmten Vorannahmen gelesen wird, um ihn zu verstehen, ist klar, dass die Ebenen der Beschreibung, der Analyse und der Interpretation des Textes kaum voneinander zu trennen sind (Hermerén 2008: 252), denn auch die Beschreibung kann nur dann sinnhaft sein, wenn das, was beschrieben wird, zuvor mit der Hilfe von Vorannahmen verstanden wurde. Gleiches gilt für die Überprüfung der Hypothesen mit bestimmten Analyseverfahren bzw. durch die Ergebnisse, die die Analyseverfahren hervorbringen. Auch hier kann nur analysiert werden, was gesehen und als bedeutsam eingeschätzt wird, und das gewählte Analyseverfahren bestimmt seinerseits den Aspekt, unter dem die Interpretation des Textes erfolgt. Die oft fehlende Trennschärfe der Ebenen von Beschreibung, Analyse und Auslegung des Textes ist daher dann ein Problem, wenn die Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Ebenen nicht reflektiert werden. In diesem Sinne versteht sich auch die bereits erwähnte Methode der Sequenzanalyse (vgl. Kapitel 6.4) als ein Verfahren, das genau diese Verbindungen sichtbar macht, indem sie den Verstehensprozess von ihren Anwendern schrittweise ausformulieren lässt. 0 Angenommen, ein Text enthält Fehler und unsere zentrale Vorannahme lautet, dass diese Fehler bedeutsam sind, basierend auf den Hypothesen, dass Fehler Mängel der individuellen Schreibkompetenz spiegeln und bestimmte Fehlertypen in dieser Hinsicht aussagekräftiger sind als andere. Um diese Hypothesen überprüfen zu können, müssen wir den Text analysieren. Die Analyse der Fehler geschieht nun nach einer Methode, mit der Fehler erhoben, beschrieben und bewertet werden. Die Methode ist das Testverfahren, das letztlich dazu führen sollte, die zentrale Hypothese zu verwerfen oder zu bestätigen. Damit die Methode dem Zweck dienlich ist, sollte man sich im Vorfeld darüber Gedanken machen, was die Methode leisten kann und welche Fragestellung nötig ist, um auf der Basis der Analyse eine Antwort geben zu können. Im <?page no="57"?> 2.2 Der Text und sein Leser 57 vorliegenden Fall würde dies heißen, dass die Methode Fehler erheben und bestimmten Typen zuordnen kann, so dass im besten Fall die Typen von Fehlern, die als aussagekräftig eingestuft werden, in großer Zahl vorliegen. Es ist klar, dass die Annahme von der Aussagekraft bestimmter Fehlertypen ihrerseits auf Erkenntnissen ruht, die aber an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden sollen (vgl. dazu Kapitel 5). Wenn wir uns also entschließen, ein bestimmtes Analyseverfahren auf einen Text anzuwenden, versuchen wir die Überprüfung unserer Vorannahmen explizit zu vollziehen, um zu einem besseren Verständnis des Textes zu gelangen. Auch hier kann die Überprüfung der modifizierten Hypothese zu Ergebnissen führen, die uns zwingen, die Hypothese erneut zu verwerfen. Eine grundsätzlich offene Haltung gegenüber der Haltbarkeit unserer Hypothesen bewahrt uns auch davor, die Ergebnisse der Analyse (fälschlicherweise) so zu interpretieren, dass sie unsere Hypothese nicht infrage stellen. <4) Die von den Rezipienten eines Textes aufgestellten Hypothesen drücken sich im Allgemeinen in einer Frage an den Text aus. Anhand typischer Fragestellungen, wie sie bei den Vergleichen inkriminierter Texte vorkommen, soll im Folgenden der Umgang mit der jeweiligen Hypothese im Prozess der Textinterpretation erläutert werden. Gesetzt den Fall, es gibt ein Tatschreiben und einen Verdächtigen, von dem Vergleichsmaterial vorliegt. Eine typische zu beantwortende Frage wäre nun, ob der Verdächtige das Tatschreiben verfasst haben kann oder nicht, was mithilfe des Vergleichsmaterials bewiesen werden sollte. Dabei ist zu beachten, dass der Verdächtige, nennen wir ihn A, nicht allein deshalb schon Autor des Tatschreibens X ist, weil er verdächtig ist und weil es Vergleichsmaterial von ihm gibt. Wir suchen also aus einer Gruppe möglicher Autoren nach dem Autor des Textes, von diesen möglichen Autoren ist uns mit dem Verdächtigen eine Person bekannt. Es gibt also Texte, deren Autor (A) feststeht (das Vergleichsmaterial), und es gibt Texte, deren Autor (B) nicht feststeht (das Tatschreiben). Die Hypothese, die wir dabei aufstellen, könnte nun lauten, dass Autor A mit Autor B identisch ist, dass also A die Texte von B geschrieben hat. Sie könnte aber auch vom Gegenteil ausgehen, nämlich, dass Autor A und Autor B nicht identisch sind. Diejenige Hypothese, für die wir uns entscheiden, ist die sog. Nullhypothese. Die jeweils andere Hypothese ist dann die sog. Alternativhypothese. Ziel unserer Analyse ist es, Ergebnisse zu erzielen, deren Auswertung uns ermöglicht, unsere aufgestellte Hypothese zu verwerfen. Dies bedeutet aber noch nicht, dass damit die zweite Hypothese zutrifft. Wir müssen uns also genau vergegenwärtigen, mit welcher Fragestellung wir an den zu analysierenden Text herangehen, und eruieren, ob wir eine entsprechende Antwort überhaupt linguistisch belegen können. Da Testverfahren (und als solche dienen hier die Analyseverfahren der forensischen Textanalyse) aus testtheoretischen Gründen niemals eine Hypothese in ihrer Richtigkeit bestätigen, sondern immer nur falsifizieren können, muss die Nullhypothese <?page no="58"?> 2 Text, Autor und Leser 58 entsprechend formuliert werden. Die Nullhypothese ist die These, die wir versuchen zu falsifizieren. Für die Formulierung der Nullhypothese im oben genannten Fall mit den Autoren A und B gibt es zwei Möglichkeiten. Sie könnte entweder lauten: der Verdächtige A hat das Tatschreiben verfasst, oder: der Verdächtige A hat das Tatschreiben nicht verfasst. Im ersten Fall hieße die linguistische Aufgabenstellung, nach Sprachgebrauchsformen zu suchen, die den fraglichen Text vom Vergleichsmaterial unterscheiden, um ggf. zu der Einschätzung zu kommen, dass der Verdächtige nicht als Verfasser infrage kommt, weil es erkennbare Unterschiede gibt. Damit wäre die Nullhypothese zurückgewiesen. Die Alternativhypothese zu dieser Nullhypothese würde lauten, A hat den Text nicht verfasst, und dieser Hypothese würde man dann unter Zurückweisung der Nullhypothese zustimmen. Im zweiten Fall, wenn die Nullhypothese lauten würde, der Verdächtige A hat das Tatschreiben nicht verfasst, würde man nach Sprachgebrauchsformen in Vergleichsmaterial und Tatschreiben suchen, die übereinstimmen und es wahrscheinlich machen, dass der Verdächtige der Verfasser der beiden Texte ist. Auch so würde man die Nullhypothese zurückweisen. Die dazu passende Alternativhypothese würde lauten, A hat das Tatschreiben verfasst. Dieser Alternativhypothese wäre dann zuzustimmen. Welche Nullhypothese gewählt bzw. wie sie formuliert wird, hängt von den Gegebenheiten des Falls ab. Die Formulierung der Nullhypothese als der Verdächtige A hat das Schreiben nicht verfasst ist sinnvoll, wenn die Authentizität eines Textes, dessen Autor bekannt ist, nachgewiesen werden soll. Ein Beispiel, in dem diese Formulierung als Nullhypothese diente, ist ein Textvergleich, den Dern (2003b) in einem Fall von Verdacht auf sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB) durchführte. Dabei sollte der Brief einer Schülerin, die in einer Liebesbeziehung zu einem Lehrer stand, dahingehend bewertet werden, ob er tatsächlich von der Schülerin stammen könnte. Als Vergleichsmaterial lagen weitere Briefe der Schülerin vor. Fehler- und Stilanalyse kamen zu dem Ergebnis, dass die Hypothese, das Mädchen habe den Brief nicht verfasst, zurückgewiesen werden konnte und der Alternativhypothese zuzustimmen war. Mit dieser Variante der Nullhypothese kann auch eine Fälschung bestätigt oder zurückgewiesen werden. Kämper (1996) berichtet von einem Fall, in dem die Erben eines Fabrikanten, der durch den Krieg sein Eigentum verloren hatte, behaupteten, der Verstorbene habe seinerzeit auch ein Aktienpaket besessen, für das sie nun Ausgleichsansprüche erhoben. Die Erben legten später einen Brief des Vaters vor, in dem von dem fraglichen Aktienpaket die Rede war, in der Hoffnung, dadurch dessen Existenz belegen zu können. Die Frage nach der Echtheit des Briefes stand folglich im Raum, und Kämper unterzog den Brief einer mehrschrittigen Textanalyse. Zunächst suchte Kämper nach Unterschieden im Sprachgebrauch zwischen dem strittigen Brief und Vergleichsmaterial des Verstorbenen; sie ging also von der Hypothese aus: der Verstorbene hat den Text verfasst. Es fanden sich deutliche Abweichungen. Anschließend suchte sie nach Gemeinsamkeiten mit dem angeblichen Brief des Vaters im Vergleichsmaterial der Person, die verdächtig war, den Brief geschrieben zu <?page no="59"?> 2.2 Der Text und sein Leser 59 haben. Hier suchte sie nach Übereinstimmungen und ging dabei von der Hypothese aus: die verdächtige Person hat den Brief nicht verfasst. Der Brief zeigte diese insbesondere im Bereich der Partikelverwendung und bei den textsortenspezifischen Schluss- und Grußformeln, die zudem im Vergleichsmaterial des Verstorbenen nicht vorkamen. Eine Fälschung des Briefes durch die verdächtige Person war daher „mit sehr hoher, mindestens aber mit hoher Wahrscheinlichkeit“ anzunehmen (1996: 565). Kämper kritisiert in diesem Zusammenhang ein zuvor angefertigtes Gutachten, dessen Vorgehen zwei methodische Fehler aufwies. Auch dieser Gutachter hatte die Aufgabe, zu prüfen, ob der Brief vom Verstorbenen stammte oder ob er eine Fälschung war, die die besagte verdächtige Person produziert hatte. Heuristisch, so Kämper (ebd.), begeht der Gutachter den Fehler, die Perspektive des Fälschers einzunehmen, indem er nach Übereinstimmungen in den Briefen sucht. Dadurch gewinnt er allenfalls Erkenntnisse darüber, was der Fälscher erfolgreich übernommen hat, nicht aber darüber, was dem Fälscher bei der Kopie des Stils nicht gelungen ist. Die Fälschung aufdecken kann er auf diesem Wege nicht. Methodologisch hat der Gutachter außerdem nicht berücksichtigt, dass der (Alternativ-)Hypothese der Verfasseridentität von Verstorbenem und Briefschreiber nicht durch den Nachweis von Übereinstimmungen zugestimmt werden kann, sondern nur durch den Nachweis fehlender Unterschiede, durch den die Nullhypothese von der unterschiedlichen Autorschaft zuvor hätte zurückgewiesen werden können. Wie die Beispiele deutlich gemacht haben, sind die beiden unterschiedlichen Formulierungen der Nullhypothese nicht Varianten ein und desselben Verfahrens, sondern sie besitzen unterschiedlich weitreichende Implikationen. Wird im ersten Fall durch die Alternativhypothese die Verfasserschaft von A negiert, so identifiziert sie im zweiten Fall A positiv als Autor. Unberücksichtigt bleibt, dass auch eine andere Person als A den Text geschrieben haben kann, nämlich C, dessen Stil dem von A sehr ähnlich ist. Die Konsequenzen, die sich aus der zweiten Formulierung ergeben, sind für die Betroffenen ungleich viel härter als im ersten Fall. Daher sei an dieser Stelle (im Vorgriff auf Kapitel 4) auf die Eigenschaften sprachlichen Stils und des Individualstils im Besonderen verwiesen: Eine eindeutige Identifizierung eines Autors rein über sprachliche Merkmale ist nicht möglich, sondern wir können nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sagen, dass A der Autor des fraglichen Textes ist. Dementsprechend kann der Sachverständige der Alternativhypothese auch nur im Rahmen einer Wahrscheinlichkeitsaussage zustimmen. Die Zurückweisung der Nullhypothese ist umso unproblematischer, je mehr Merkmale die Textanalyse hervorbringt, die entweder die Unterschiede oder Übereinstimmungen so deutlich erscheinen lassen, dass sie für verschiedene Betrachter des Textes als markant gelten können. Nun kann es aber geschehen, dass sich nicht genügend aussagekräftige Merkmale finden lassen, so dass die Nullhypothese nicht zurückgewiesen werden kann. Dies ist aber nicht gleichzusetzen mit der Annahme der Nullhypothese, da nur die Alternativhypothese, nicht aber die Nullhypothese angenommen werden kann. <?page no="60"?> 2 Text, Autor und Leser 60 Liegt ein solcher Fall vor, können sich Fehler erster Art und Fehler zweiter Art ergeben. Ein Fehler erster Art (ein α-Fehler) besteht darin, die Nullhypothese, dass A den Text nicht verfasst hat, zurückzuweisen, obwohl die Nullhypothese wahr ist, denn A hat den Text tatsächlich nicht geschrieben, wie sich später z.B. aus einer verdeckten Videoaufzeichnung ergibt. Es kann nämlich durchaus sein, dass sich der fragliche Text vom Textaufbau oder vom Stil her von den Texten des Autors A nicht unterscheidet, so dass es naheliegend erscheint, die Nullhypothese zurückzuweisen und der Alternativhypothese (A hat den Text verfasst) zuzustimmen. Das Ergebnis sagt allerdings zunächst nur aus, dass die Annahme, dass A den strittigen Text nicht verfasst hat, nicht zurückgewiesen werden kann. Die Problematik liegt auf der Hand: Selbst wenn also die Texte, deren Autor bekannt ist, sich z.B. durch linguistisch feststellbare Übereinstimmungen als einander zugehörig definieren lassen, so ist über die Anwendbarkeit dieser Kriterien auf den anonymen Text noch nichts gesagt. Dies gilt in umso stärkerem Maße, wenn es nur einige wenige Merkmale sind, die die Texte eines Autors miteinander in gleicher Weise teilen. Je mehr Übereinstimmungen sich zeigen, umso aussagekräftiger ist das Analyseergebnis. Ein Merkmal allein kann deshalb nichts zur Textidentifizierung beitragen, weil wir nicht wissen, ob sich die Texte (Tatschreiben und Vergleichsmaterial) darüber einander zuordnen lassen. Ein Fehler zweiter Art (ein sog. β-Fehler) besteht darin, die Nullhypothese nicht zurückzuweisen, obwohl die Alternativhypothese (A hat den Text verfasst) gilt. Für eine Textanalyse bedeutet das, dass der Verdächtige tatsächlich Autor des Textes ist, dies aber nicht ausreichend nachgewiesen werden konnte. Problematisch, und davor hat schon Fucks (1968: 97) gewarnt, wäre nun, wenn aufgrund dieser Fehler unzulässige Schlüsse gezogen würden. Im Fall des Oetker-Prozesses zu Beginn der 1980er Jahre unterlief den Statistikern unter den Gutachtern ein α-Fehler, indem sie den fehlenden signifikanten Unterschied zwischen Vergleichstexten und Tatschreiben kurzerhand im Sinne einer Täteridentität interpretierten. 14 Sie wiesen die Nullhypothese zurück und stimmten der Alternativhypothese zu. Auch hier galt nur, dass die Nullhypothese, die lautete: Der Angeklagte Zlof hat die Texte nicht verfasst, nicht hatte zurückgewiesen werden können. ' ) " % Überlegen Sie für die folgenden zwei Fälle, welches Textmaterial Sie wie und mit welcher Fragestellung analysieren würden. Formulieren Sie jeweils geeignete Null- und Alternativhypothesen. Fall 1 Ein Ehepaar erhält zeitversetzt zwei Schreiben. Das erste wendet sich an die Ehefrau und verlangt eine sechsstellige Summe Geld. Der Verfasser gibt sich als der Untergebene der Person aus, die das Geld benötigt. Er gibt an, den Ehemann vor dem Hass seines Chefs bewahren zu wollen, um so die Ehefrau zur Zahlung des Geldes zu bewe- Vgl. Engel (1989: 96). Vergleichbares bei Grant/ Baker (2001). <?page no="61"?> 2.2 Der Text und sein Leser 61 gen. Sein Chef sei damit einverstanden. Später erhält der Ehemann einen Brief, in dem er mit wüsten Beschimpfungen zur Zahlung einer größeren Geldsumme aufgefordert wird. Der Verfasser dieses Briefes ist eben dieser Chef. Das Ehepaar und die Polizei vermuten, dass hinter beiden Briefen dieselbe Person steckt. 15 Fall 2 Im Jahr 2004 tritt Lew Perdue, Autor der Bücher Daughter of God und The Da Vinci Legacy, an einen forensischen Linguisten heran, mit der Bitte nachzuweisen, dass Dan Browns Da Vinci Code ein Plagiat sei und sich in weiten Teilen auf Perdues Bücher stütze. Olsson (2009). # . Da der Untersuchungsgegenstand Sprache nur indirekt materialisiert ist und nicht physikalischen Gesetzen sondern sozialen Normen, Regeln und Bewertungen unterliegt, erlauben die Ergebnisse, die wir mit den entsprechenden Analyseverfahren erzielen, keine absoluten Aussagen über den Untersuchungsgegenstand. Möglich sind nur relative Aussagen, die in einem bestimmten Maß wahrscheinlich sind. Eine Wahrscheinlichkeitsaussage gibt an, mit welchem Wahrscheinlichkeitsgrad die Hypothese, die wir vor der Analyse aufgestellt haben, zurückgewiesen werden kann. Mit statistischen Messverfahren, die auf einer quantitativen Auswertung eines Textkorpus aufbauen, erzielen wir zwar Ergebnisse, die sich in Zahlen angeben lassen, aber auch diese Werte sind signifikant oder nicht signifikant nur im Rahmen einer Wahrscheinlichkeitsaussage. Da qualitative Analysen mit statistisch nicht gestützten Wahrscheinlichkeitsaussagen arbeiten, muss fallbezogen begründet werden, weshalb man sich für einen bestimmten Grad der Wahrscheinlichkeit ausspricht. Für Wahrscheinlichkeitsgrade gibt es mehrere Skalen. Die sog. verbalen Wahrscheinlichkeitsgrade gliedern sich wie folgt (Dern 2009: 76, Kniffka 2000: 197): 1. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit 2. mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit 3. mit hoher Wahrscheinlichkeit 4. wahrscheinlich 5. non liquet (kann nicht entschieden werden). Das BKA hat den Punkt 3. dieser Skala ersetzt durch eine weitere Untergliederung in mit überwiegender Wahrscheinlichkeit und in mit leicht überwiegender Wahrscheinlichkeit. Die oberste Kategorie der Skala sollte nicht gewählt werden, da diesen Grad der Wahrscheinlichkeit nur Aussagen erreichen, die sich auf naturwissenschaftliche und nicht auf empirische Verfahren der Sozial- und Geisteswissenschaften stützen. 15 Einer der Briefe wird in Kapitel 3.3.3.2 besprochen. <?page no="62"?> 2 Text, Autor und Leser 62 Auch ist die hier ausgedrückte Skalierung nicht linear, d.h. die angenommenen Abstände zwischen den einzelnen Graden sind nicht gleich, sondern nehmen mit zunehmender Wahrscheinlichkeit ab (Kniffka 2000: 197). Eine Objektivierbarkeit der Grade ist nicht möglich, da die Zurückweisung einer Hypothese z.B. mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit und nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit stets vom untersuchten Text abhängt. Zur Handhabung der Wahrscheinlichkeitsgrade führt Kniffka aus, dass er, wenn eine theoretische Alternative auf der Hand liegt, den niedrigeren der beiden infrage kommenden Wahrscheinlichkeitsgrade wählt (2000: 195). Dern (2009: 76) merkt mit Recht an, dass die Zuweisung von Prozentzahlen zu den einzelnen Wahrscheinlichkeitsgraden, die von Prozessbeteiligten gerne erbeten würde, nicht seriös ist und nur die landläufige Vorstellung bedient, Zahlenwerte bedeuteten schon an sich eine größere Objektivität. = Welche Textproduktionsbedingungen und welche Texteigenschaften eines inkriminierten Textes können bei der Frage nach einer zu bestimmenden Autorschaft zu einem non liquet führen? Kniffka (1990b). * ! ) Der inkriminierte Text unterliegt einer Interpretation, die je nach Ziel und Zweck sehr unterschiedlich beschaffen sein kann. Dieser Prozess der Interpretation lässt sich nach Hermerén (2008: 254) in mehrere Variablen zerlegen und wie folgt beschreiben: X interpretiert Y als Z für U um zu V. Dabei ist X der Autor der Interpretation, Y der Gegenstand, Z der Aspekt, U der Adressat und V der Zweck der Interpretation. Je nachdem, wie diese Variablen ausgefüllt werden, ergeben sich zahlreiche unterschiedliche Formen der Interpretation, die sorgfältig voneinander getrennt werden sollten. Füllen wir z.B. die Leerstelle X mit einem ermittelnden Beamten, Y mit einem anonymen Erpresserschreiben, interpretieren Z als ‚Übersetzung‘, also als gleichbedeutend mit der Erpressungshandlung, wobei Y für die Kollegen (U) interpretiert wird, um eine Entscheidung (V) herbeizuführen, so ist der Text die Grundlage für das weitere strategische Vorgehen in einer Ermittlung. Ein Linguist hingegen in der Rolle eines Sachverständigen oder eines Beraters in einer Ermittlungsgruppe kann den Text als ‚Erklärung‘ interpretieren, wenn er die Fehler des Textes als Anzeichen für die Schreibkompetenz des Emittenten deutet. Ein forensischer Psychologe wiederum kann einen Text ebenfalls als ‚Erklärung‘, aber z.B. für die Glaubwürdigkeit der Aussage interpretieren. Auch für eine linguistische Textanalyse ist demnach zu berücksichtigen, zu welchem Zweck (V) die Analyse angefer- <?page no="63"?> 2.2 Der Text und sein Leser 63 tigt werden soll, wer der Adressat (U) ist, und unter welchem Aspekt der Text untersucht werden soll. Der Aspekt lässt sich seinerseits aus der Frage, die an den Text gestellt wird bzw. über die ihr zugrunde liegende Hypothese ableiten. Für eine linguistische Interpretation des inkriminierten Textes kann die Frage des Gerichts, des Staatsanwalts oder der polizeilichen Ermittlungsgruppe nicht direkt übernommen werden, sondern muss in eine linguistische Fragestellung umgewandelt werden (Kniffka 2000, 2007, vgl. auch Kapitel 7). 16 In Bezug auf die o.g. Interpretationstypen bedeutet dies entweder, eine Interpretationsform des Textes als Ganzes oder die Füllung ihrer Variablen auszutauschen, denn der Autor der Interpretation, der Aspekt, der Adressat und der Zweck der Interpretation ändern sich. Im Rahmen der linguistischen Analyse des Textes sind Autor und Adressat Linguisten bzw. sie fallen zunächst in der Person des Autors zusammen. Auch der Zweck und der Aspekt der Interpretation sind fachwissenschaftlicher Natur. Konkret bedeutet dies, dass z.B. die Frage Handelt es sich bei dem Schreiber um einen Muttersprachler oder um einen Nicht-Muttersprachler des Deutschen? zunächst in eine linguistische Fragestellung umgewandelt werden muss, die z.B. lauten könnte Gibt es Sprachgebrauchsformen in diesem Text, die auf eine nicht-muttersprachliche Kompetenz hindeuten? Dieser Schritt ist wichtig, denn er gewährleistet, dass die Linguistik nur linguistische Problemstellungen bearbeitet und nur auf linguistische Fragestellungen antwortet. Darin eingeschlossen ist auch die Auffächerung nach präsupponierten Teilfragen, die in der nicht-linguistischen Ausgangsfrage (oft der Beweisfrage des Gerichts) angelegt, aber nicht explizit formuliert sind. Hat die Analyse zu einem Ergebnis geführt, so ist die linguistische Antwort auf die Fragestellung anschließend wieder in eine allgemein verständliche umzuformulieren, die die Wortwahl der Ausgangsfrage wieder aufnehmen sollte. Denn die Frage des Gerichts oder der ermittelnden Behörde an den Text bezieht sich auf eine rechtlich relevante Konstellation, so dass die Antwort auch so formuliert sein muss, dass sie rechtlich verwertbar ist (vgl. Kniffka 2007: 9). Im Fall einer Briefanalyse, die unter der Annahme stand, es könne sich bei dem Verfasser um einen Ausländer handeln, hat Kniffka (2000: 186) einige der Teilfragen wie folgt systematisiert: (a) Handelt es sich um einen Muttersprachler des Deutschen, (b) einen Nicht-Muttersprachler des Deutschen, dessen Muttersprache eine slawische Sprache ist, oder (c) um einen Nicht-Muttersprachler des Deutschen, dessen Muttersprache Ungarisch ist? Diese Fragestellungen betreffen alle den Aspekt, unter dem anschließend die Interpretation des Textes erfolgt, nämlich seine Symptomatik in Hinblick auf eine bestimmte Muttersprache. Die Kriterien, nach denen der Text daraufhin untersucht wurde, unterscheiden sich z.B. darin, wie Orthographiefehler, insbesondere Umlautfehler und ihre typographische Gestaltung zu bewerten sind. Während die Typographie der Umlaute unter dem Aspekt des möglicherweise sla- Kniffka (2007: 10ff.) bietet eine Auswahl typischer Problemstellungen im Zusammenhang mit der Autorschaftsanalyse und skizziert das jeweilige methodische Vorgehen und die linguistischen Fragestellungen, die sich aus der Frage des Gerichts oder der Parteien an das inkriminierte Textmaterial ergeben. <?page no="64"?> 2 Text, Autor und Leser 64 wischsprachigen Emittenten keine besondere Rolle spielt, ist sie für die Bestimmung eines ungarischen Emittenten durchaus relevant, da das Ungarische Umlaute besitzt und zudem zwischen dem sog. Doppelakut (der die Vokallänge kennzeichnet) und Punkten bei Umlauten unterscheidet. Argumentativ können also die Befunde auf der Ebene der Orthographie deren Interpretation als Symptom für die sprachliche Herkunft des Emittenten unterschiedlich gut stützen. Schließlich stellt sich die Frage danach, ob es korrekte und inkorrekte Interpretationen geben kann. In Hinblick auf die Interpretation eines Textes als Symptom ist eine derartige Bewertung nur graduell möglich. Im Zusammenhang mit einer linguistischen Analyse aber, die z.B. die Bedeutung eines Ausdrucks oder einer Textpassage herausarbeitet, kann die Übereinstimmung mit grammatischen Regeln, den Regeln der Wortstellung, kann die empirische Stützung von Kollokationen und von Konnotationen dazu führen, dass eine Lesart der strittigen Äußerung als die korrekte und eine andere als die abwegige bewertet werden kann (vgl. Klein 1992). Zu bedenken ist jedoch immer, dass die Argumente, die die Korrektheit einer bestimmten Interpretation in den Augen des Autors der Interpretation jeweils stützen, vom Adressaten der Interpretation anders gewertet werden können, da dieser selbst eine andere Interpretation des Textes vollzieht, so dass sich Überschneidungen und dadurch Unsicherheiten gegenüber der Tragfähigkeit der Argumente ergeben können. Dieser Problematik und ihren praktischen Konsequenzen ist Kapitel 7 gewidmet. <?page no="65"?> ) 4 <?page no="67"?> # ( Die forensische Textanalyse inkriminierter Schreiben dient in der Regel dazu, entweder etwas über den möglichen Autor auszusagen oder durch einen Textvergleich zu bestätigen oder auszuschließen, dass ein Text von einem bestimmten Verfasser stammt. Diese Aussagen sind aus den Ergebnissen der Textanalyse abgeleitet. Aussagen über den Verfasser eines Textes, von dem kein weiteres Material vorliegt, bestehen in einer kategorialen Beschreibung des Autors, die die Punkte Muttersprache, (regionale) Herkunft, Bildung, Schreibkompetenz (d.h. Erfahrungen in der Textproduktion), Ausbildung bzw. Tätigkeit umfasst. Mit den Mitteln der Textsortenanalyse und der Stilanalyse lassen sich primär Erkenntnisse über die Schreibkompetenz und den Bildungsgrad, evtl. auch über die Tätigkeit des Emittenten gewinnen. Die Analyse der textthematischen Strukturierung kann dabei ggf. auf Aspekte hinweisen, die besonders im kognitiven Fokus des Emittenten stehen. Fehler- und Stilanalyse dienen dazu, die muttersprachliche oder nicht-muttersprachliche Kompetenz herauszuarbeiten und im Falle muttersprachlicher Schreiber ggf. auch über regionalsprachliche oder dialektale Varianten die Herkunft des Emittenten zu bestimmen. Auch kann hier z.B. die Verwendung von Sonderwortschätzen auf ein Hobby oder eine berufliche Tätigkeit hindeuten. Ziel einer solchen kategorialen Beschreibung eines anonymen Emittenten ist es, den Kreis der potentiell Verdächtigen einzuschränken. Angaben zum Alter lassen sich auch nach einer neuen kleineren Studie von Bertram (2010) nur allgemein machen und hinsichtlich der Zuordnung zu einem Geschlecht lehrt uns nur die Erfahrung, dass Erpresser zu einem ganz überwiegenden Teil Männer sind. 1 Sprachstrukturell lässt sich dies nicht nachweisen. # ( Nach der Definition von de Beaugrande/ Dressler (1981) handelt es sich bei einem Text um eine kommunikative Einheit von Wörtern, die die folgenden Merkmale aufweist: Kohäsion, Kohärenz, Intentionalität, Akzeptabilität, Informativität, Situationalität und Intertextualität. Die Mittel, die Kohäsion herstellen, sind lexikalischer und grammatischer Natur, und dienen der Verknüpfung und Wiederaufnahme sprachlicher Einheiten an der Textoberfläche. Von zentraler Bedeutung sind neben Konnektoren die Möglichkeiten der Referenz, entweder durch Proformen, lexikalische Substitutionen oder Ellipsen, 1 Dies schließt nicht aus, dass im konkreten Fall aufgrund von Archaismen, Modewörtern, Metaphern oder von Phraseologismen, die für den Ausdruck von Höflichkeit gewählt werden, durchaus Rückschlüsse auf ein mögliches Alter erfolgen können. <?page no="68"?> 3 Textsorte 68 deren Füllung dem Rezipienten überlassen bleibt. Die Kohäsionsmittel unterstützen dabei die Etablierung von Kohärenz. Ein kohärenter Text besitzt einen Sinnzusammenhang, ein Thema, das sich an Schlüsselwörtern erkennen lässt und sich durch Isotopien konstituiert und das in weitere Teil- und Unterthemen untergliedert ist. Unterschiedlich bewertet wird, inwieweit Kohärenz eine Eigenschaft des Textes selbst ist, oder ob Kohärenz erst durch den Leser/ Hörer erzeugt wird. Das Kriterium der Intentionalität beschreibt zum einen, dass jeder Textproduzent sein Produkt als Text intendiert, zum anderen, dass mit dem Text etwas erreicht werden soll (vgl. de Beaugrande/ Dressler 1981). Aus der Sicht des Rezipienten kann die Intention des Emittenten nur aus dem Verstehen und der Deutung des Textes heraus ‚rekonstruiert‘ werden. Eine Intention wird dann dem Produzenten unterstellt (Gansel/ Jürgens 2009: 27). Die Intentionalität kann auch als die Funktion des Textes beschrieben werden. Dass der Text seine Funktion erfüllen kann, hängt seinerseits davon ab, dass er (vom Rezipienten) akzeptiert wird. Funktionalität umfasst daher nach Brinker (2010) sowohl Intentionalität als auch Akzeptabilität. Informativität bedeutet, dass Texte stets einen Informationswert besitzen, und Situationalität, dass sie immer in einen bestimmten Kontext eingebettet sind. Die vollständige Bedeutung des Textes und seine Relevanz (in Bezug auf seine Funktion und seinen Informationswert) erschließen sich erst in Kenntnis dieses Kontextes. Schließlich stehen Texte kontextuell in Abhängigkeit zu anderen Textexemplaren oder anderen Textsorten. Dies wird durch das Kriterium der Intertextualität beschrieben. Ein Text wird immer auch als Exemplar einer Textsorte aufgefasst, und zeichnet sich damit durch Sortenhaftigkeit aus. Das Textsortentypische eines Textsortenexemplars kann unterschiedlich deutlich ausgeprägt sein, und die Vertrautheit einer Person mit der Produktion oder Rezeption bestimmter Textsorten, kann ebenfalls unterschiedlich sein. So kann auch Verwirrung hinsichtlich der Textsortenzugehörigkeit entstehen, wenn z.B. die Textfunktion nicht zweifelsfrei feststellbar ist, wie im Fall eines Richters, der sich erst beim BKA versichern wollte, ob er in einem anonymen Brief, den er erhalten hatte, überhaupt bedroht wurde oder nicht. 2 Texte lassen sich nach textexternen und textinternen Kriterien beschreiben. Textextern wäre zunächst die äußere Erscheinungsform des Textes, nämlich „dass jeder Text einen Autor/ Rezipienten hat und ein Medium braucht. Unfraglich ist ferner, dass prototypische Texte ‚sprachliche Objekte‘ sind und dass solche in schriftlicher Form [...] und mit größerem Umfang [...] die typischen Texte sind“ (Adamzik 2004: 48). Textextern sind auch der Zweck des Textes im Kommunikationsprozess sowie der Bezug zu anderen Texten. Textintern sind Kohärenz und Kohäsion, wobei Kohärenz u.a. von Brinker als das umfassendere Konzept bewertet wird, da sie die grammatische als auch die thematische Kohärenz umfasst und damit Kohäsion einschließt (Brinker 2010: 19). Die meisten Textdefinitionen der Textlinguistik erstrecken sich auf monologische, vorwiegend schriftlich produzierte Texte; eine weiter angelegte Textdefiniti- 2 DIE ZEIT Leben 2000/ 49. <?page no="69"?> 3.1 Textbegriff 69 on schließt auch dialogische, mündliche Texte ein, deren Analyse durch die Gesprächslinguistik erfolgt. Die Schriftlichkeit der Form setzt voraus, dass der Text auch äußerlich strukturiert wird. Wie harmonisch dabei die Flächenaufteilung des Mediums gestaltet ist, lässt auch auf die Routiniertheit des Autors im Verfassen von Texten schließen. Eng mit dem Textbegriff ist auch die Problematik von Abschrift und Original verbunden. In vielen Fällen wird für die linguistische Begutachtung eine Abschrift des fraglichen Textes gefertigt, die dem Gericht und den Prozessbeteiligten (einschließlich dem Sachverständigen) vorgelegt wird. Handelt es sich um aufgezeichnete Gespräche, die Beweismittel in einem Verfahren sind, wird später oft die Transkription zum Gegenstand der Verhandlung und nicht mehr die Tonaufnahme. Diese Relativierung der Bedeutung des zwar technisch konservierten, doch gesprochenen Wortes zugunsten des schriftlichen Transkripts resultiert aus einem Textverständnis, das sich auf schriftliche kommunikative Einheiten konzentriert, die als prototypisch für Texte wahrgenommen werden. Dies hat häufig auch zur Folge, dass z.B. die Transkription mit dem gesprochenen Original gleichgesetzt wird, nicht zuletzt in der fälschlichen Annahme, die Transkription bilde das Gespräch eins zu eins ab. Die Tragweite dieser Problematik hat Shuy (1997) eindrucksvoll dargestellt. Wer einmal eine Transkription eines Gesprächs vorgenommen hat, weiß, dass das, was den Weg ins Transkript findet, direkt von der Methode, der Erfahrung, der Sorgfalt und der Konzentrationsfähigkeit des Transkribenten abhängt. Der jeweilige Textbegriff kann auch bei schriftlichen Texten dazu führen, dass gestalterische und strukturierende Merkmale unberücksichtigt bleiben, da sie als nicht zum Text gehörig gewertet werden. Selbst wenn der Text fehlerfrei abgeschrieben wurde, kann der Textbegriff des Abschreibers dazu führen, dass der Text verändert wird. Man vergleiche dazu die folgenden beiden Texte (der linke repräsentiert die Abschrift, der rechte das Original). 3 = ] # ' ' ] && & X' $ ] = ] X' X' ] = ] # ' ' ] && & X' ] = ] X' X' ] Da wahrscheinlich nur wenigen Lesern die Sprache der Texte bekannt ist, eignen sie sich gut dafür, um die formalen Eigenschaften eines Textes zu zeigen, deren Wahr- 3 Der Text aus dem Jahr 1980 wurde bei einer Mordermittlung im Raum Salzgitter am damaligen Tatort gefunden. <?page no="70"?> 3 Textsorte 70 nehmung bei der Rezeption des Textes sonst leicht vom Prozess des Textverstehens überlagert wird. Vergleicht man die Texte, so fällt in der Abschrift links z.B. die Trennung des Wortes chiroosey auf. Diese Trennung ist ein bewusster Eingriff ins Original, der den Text strenggenommen schon verfälscht. Sie ist das Ergebnis der Einteilung des Blattes durch den Abschreiber, die für das Wort chiroosey keinen Raum mehr am Zeilenrand gelassen hat. Sie ist natürlich nicht in dem Willen geschehen, das Original zu verändern, sondern belegt nur, dass der Abschreiber einer auf die Bereiche Kohäsion und Kohärenz verengten Textauffassung gefolgt ist. Ein Blick auf das ‚Original‘ rechts zeigt auch, dass der Text rein formal strukturierter wirkt als der Text links. Auffällig ist auch die Rechtsversetzung des letzten Wortes. Man könnte nun die Hypothese aufstellen, dass dies der Textsorte geschuldet ist, und überlegen, welche Textsorten eine vergleichbare funktionsbedingte Strukturierung aufweisen (z.B. Listen oder Gedichte). Dass sich die Anordnung der Wörter tatsächlich funktional erklärt, da sie dem sprechsprachlichen Duktus des Rezitierens folgt, bestätigte schließlich der helfende Hinweis eines Linguisten: Bei dem unbekannten Text handelt es sich um den Anfang des Kaddisch, eines hebräisch-aramäischen Gebets. 4 > Vergleichen Sie die folgenden beiden Texte aus Kniffka (1994c). Der erste Text repräsentiert die Abschrift, der zweite das Original. Stellen Sie die Unterschiede fest. Entscheiden Sie dann, welche dieser Unterschiede das Resultat eines zugrunde gelegten Textbegriffes sind. Bestimmen Sie diesen Textbegriff. ! & ' ' _ \ " " # | ' ? ' ~ # \ Q X' <X' > \ X' X' \ = ' = ` < = X' ' X' >
= * Q & & X# " \ Q& = $ = X' & ' ? Text 1 4 Der Text zeichnet sich durch korrekte grammatische Formen, aber eine uneinheitliche Schreibung aus, die auf unterschiedliche Transkriptionstraditionen verweist. Einige Abweichungen von der Norm zeigen, dass der Schreiber des Hebräischen mächtig ist und den Text nicht nur kopiert hat, ohne den Sinn zu verstehen (W. P. Schmid an KOW Schare, Polizei Salzgitter 1981). <?page no="71"?> 3.2 Texttypen und Textsorten 71 * \ ! & ` < ' ' _ \ " " # | ' ? ' ~ # \ Q X' <X' > X' X' \ = ' = ` < _ ! $ X'<> >Q' = X' ' X' >
* Q & & X# " \ Q& = $ = X' & ' ? Text 2 Kniffka (1994c). # ( 4) ( Textsorten inkriminierter Schreiben lassen sich im Rahmen einer Typologie beschreiben, die Textsorten zu Texttypen oder -klassen zusammenfasst und diese einem bestimmten Kommunikationsbereich zuordnet. Innerhalb dieses Bereichs gibt es Texte, die dem Bereich der Illegalität angehören und strafbare Handlungen begleiten oder selbst solche darstellen. In der Typologisierung von Busch (2006), die sich an Heinemann/ Heinemann (2002) orientiert, gehören Erpresserschreiben, Verleumdungsschreiben oder Bekennerschreiben zum Texttyp des Tatschreibens. Charakteristisch ist für sie, dass sie „schriftlich realisiert“ sind, „ein Instrument zur Begehung einer Straftat“ darstellen, dass sie „nicht öffentlich zugänglich“ und in den meisten Fällen „anonym“ sind (2006: 7f.). Bedingt durch ihren situativen Kontext und ihre Funktion weisen diese Textsorten jeweils typische Merkmale auf. Auch innerhalb der Textsorten gibt es strukturelle Varianten, z.B. beim Erpresserbrief die Möglichkeit von Erst- und Folgeschreiben (und in diesem Sinne Briefserien). Der Brief bzw. die Briefserie stellt dann das konkrete Textexemplar der Textsorte dar und besitzt durch die jeweilige Ausgestaltung eine „falltypische Identität“ (ebd.). Mit einer solchen Klassifikation wird es möglich, Einzeltexte zu klassifizieren, sie also einer Textsorte zuzuordnen (vgl. Adamzik 2004: 71). Wichtig ist, dass ein solches System der Klassifizierung nicht vernachlässigt, was die Sprachteilnehmer bereits über Textsorten wissen, und dass es insbesondere ihre Die mit X gekennzeichneten Stellen sind getilgte personenbezogene Angaben. <?page no="72"?> 3 Textsorte 72 textsortenspezifischen Differenzierungen, die sog. Ethnokategorien, berücksichtigt. Dieses Wissen, so Adamzik, ist nicht vorwissenschaftlich, sondern Teil des Bewusstseins in der Alltags- oder Standardwelt. Die Standardwelt bestimmt die Wahrnehmung von Textsorten und deren Aufgaben in der zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Kommunikation (Gansel/ Jürgens 2009: 55). Daher verfügen wir über detailgenaues Wissen darüber, was das Entscheidende einer Textsorte ausmacht, und machen dies auch sprachlich kenntlich, indem wir z.B. einen Brief entweder als Liebesbrief oder als Geschäftsbrief bezeichnen, je nach der Funktion, die er hat, oder nach dem Kontext, in den er eingebettet ist. Zur Standardwelt gehört im Wissen der Sprachteilnehmer auch eine kriminelle Sphäre, in der Straftaten verübt werden, die bestimmte Abläufe besitzen und von bestimmten Kommunikationsformen und entsprechenden Kommunikaten begleitet sind. In diesem Sinne ist der Erpresserbrief eine Option, die dem Täter die von der Erpressungshandlung geforderte Kontaktaufnahme mit dem Opfer ‚erleichtert‘. Als Textsorte ist er insofern konventionalisiert, als die Sprachteilnehmer im Rahmen von Erpressungen derartige Briefe erwarten, so wie sie bei Anschlägen mit Bekennerschreiben oder Videobotschaften und bei Selbstmorden mit Abschiedsbriefen rechnen. # # ( Während in der angloamerikanischen Forschung der Aspekt der Textsorte im Zusammenhang mit Tatschreiben eine eher marginale Rolle spielt, bemüht sich die deutsche Forschung seit geraumer Zeit um eine Definition der Textsorte Erpresserbrief. Daher steht diese Textsorte auch im Fokus dieses Kapitels. Die textlinguistische Herangehensweise in diesem Kapitel stützt sich vornehmlich auf den funktionalen Ansatz Brinkers, der sich mehrfach mit der Feinanalyse entsprechender Textsortenexemplare auseinandergesetzt hat (1989, 2000, 2002). Hinter dem textlinguistischen Herangehen steht zum einen die Auffassung, dass Erpresserbriefe aufgrund einer Reihe textueller Merkmale eine eigenständige Textsorte darstellen, zum anderen das Bestreben, über die Definition der textsortenspezifischen Elemente eher beurteilen zu können, ob Struktur, Formulierung und Textthemen eines Briefes textsortentypisch oder Zeichen individueller Ausgestaltung sind. Textsortentypische und handlungstypische Formulierungen sind nur von relativer Aussagekraft, da sie überindividuell in vergleichbarer Form auftreten bzw. gleichsam eine Vorgabe der Textsorte an den Produzenten sind. So kann keine Polizei in genau dieser Formulierung kaum als individuelle sprechsprachliche Verkürzung interpretiert werden, sondern muss als Standardfloskel gesehen werden, oft in der Funktion einer Art Schlussformel. Je genauer also Aussagen zu den Ausgestaltungsmöglichkeiten einer Textsorte Erpresserbrief getroffen werden können, umso dezidierter kann man Abweichungen als solche bestimmen. Die textlinguistische Auseinandersetzung mit der Textsorte Erpresserbrief soll sich jedoch nicht in der Analyse der syntaktischen Oberflächenphänomene erschöpfen, sondern auch die Textstrategie eines Emittenten ermitteln, d.h., wie dieser einen Text thematisch gliedert und welche Textthemen er <?page no="73"?> 3.3 Textsorte Erpresserbrief 73 realisiert. Brinker (2000) begründet die Relevanz der gewählten textthematischen Muster und ihrer Ausgestaltung damit, dass es sich dabei um eine Selektionsstrategie auf einer tieferen Ebene handele, die enger mit der Persönlichkeit des Einzelnen verbunden sei als die Realisierung texttypischer Formulierungsmuster. Die Routiniertheit, mit der jemand mit den sprachlichen Textbausteinen einer Textsorte umgeht, zeigt, wie stilsicher er ist, und verrät uns etwas über seine Erfahrungen in der Textproduktion und seinen Bildungsstand. Über die Analyse der Textstrategie lassen sich möglicherweise Routinen des Emittenten herausarbeiten, die etwas zu einem (psychologischen) Täterprofil beitragen können, denn sie zeigen, wie der Täter kognitiv mit dem Thema der Erpressung umgeht, wenn er es in Worte fassen und strukturieren muss. Aufgrund der wichtigen Rolle der Textsorte plädiert Brinker dafür, bei einer forensischen Analyse stets von der Textsorte auszugehen, da „die sprachliche Gestaltung eines Textes (seine grammatische Struktur) primär als Trägerstruktur für seine kommunikative Funktion und seine Thematik“ dient (Brinker 1989: 14). Mit dieser Priorisierung wendet sich Brinker gegen quantitative Analyseverfahren, die die Textsorte nicht berücksichtigen. Er skizziert folgende Analyseschritte (1989: 14f.): 1. Beschreibung der kontextuellen Merkmale (Kommunikationsform/ Handlungsbereich), insbesondere in Hinblick auf die geltenden Interaktionsbedingungen, vgl. die Abschnitte situativer Kontext und sozialer Kontext. Eine Reflexion der Konsequenzen (Erwartungen), die sich daraus für die Textkonstitution ergeben, soll sich anschließen. 2. Analyse der Textfunktion nach Funktionstyp (z.B. Drohung, Erpressung, Forderung, Anschuldigung, Tatbekennung usw.) und der Anordnung der Teilfunktionen (Funktionshierarchien). Des weiteren Analyse der sprachlichen und nicht-sprachlichen Mittel, die diese Funktion ausdrücken (z.B. explizit performative Formeln und äquivalente Satzmuster, Modi, bestimmte Adverbien und Partikeln sowie Einstellungsbekundungen, graphische bzw. drucktechnische Textgestaltung, Abbildungen usw.). 3. Analyse der Textthematik nach Haupt- und Teilthemen sowie des thematischen Musters (deskriptiv, narrativ, explikativ, argumentativ), der Art der Themenbehandlung (sachbetont, meinungsbetont, wertend) und der Themenhierarchie. Analyse der logisch-semantischen Relationen, die die Themen verknüpfen, und Analyse der die Thematik ausdrückenden sprachlichen Mittel (Untersuchung der ‚Schlüsselwörter‘). Brinker formuliert einige Ziele, die daraus abgeleitet werden können. So sieht er in Schritt 2 eine Voraussetzung dafür, ggf. mögliche Diskrepanzen zwischen Textfunktion und ‚wahrer‘ Intention des Emittenten feststellen zu können. Schritt 3 ermöglicht nach Brinker, „das explizit und implizit ausgedrückte Wissen systematisch zu erheben und mit entsprechenden außersprachlichen Sachverhalten zu vergleichen“ (1989: 15). Auch hier können sich unter Umständen im Vergleich Diskrepanzen offenbaren, die Indizien für die Echtheit oder Unechtheit eines Textes sein können. Er sieht also hier die Möglichkeit, durch die Analyse der thematischen Struktur auf die Authentizität des Textes zu schließen. <?page no="74"?> 3 Textsorte 74 Es ist strittig, ob eine Textsorte Erpresserbrief als eigenständige Textsorte anzusetzen und wie ihre Ausprägung zu beschreiben ist. Dern (2009) bemängelt in diesem Zusammenhang die unkritische Anwendung des Textsortenbegriffs, wie ihn z.B. Brinker definiert, auf die Textsorte Erpresserbrief. Brinker (2010: 125) definiert Textsorten über die Konventionalität ihrer Muster und deren historische Dimension, ihre normierende Wirkung, die Tatsache, dass sie Teil des Alltagswissens der Sprachteilnehmer sind, und über ihre Funktion, das Miteinander in der Gesellschaft zu erleichtern. Zugleich betont Brinker, dass es stark und weniger stark normierte Textsorten gibt, und dass es für letztere „durchaus unterschiedliche Möglichkeiten der Ausführung, vor allem in struktureller Hinsicht [gibt]“ (ebd.). Derns Kritik richtet sich vor allem gegen das Kriterium des konventionellen Musters. Ein solches gebe es so für Erpresserbriefe nicht, so dass die Annahme eines ‚idealen‘ Erpresserbriefs verfehlt sei (2009: 155). Sie zieht daraus den Schluss, dass in diesem Sinne nicht von einer eigenständigen Textsorte Erpresserbrief sondern allenfalls von einem „erpresserischen Geschäftsbrief“ ausgegangen werden könne (2009: 151f.). Diese Bezeichnung würde der Tatsache Rechnung tragen, dass nur der Geschäftsbrief konventionalisierte Formulierungsmuster besitzt und damit eine Textsorte repräsentiert. Aber „[n]icht alle sprachlichen Handlungen können normentheoretisch hergeleitet werden, und: sprachliche Handlungen beruhen nicht allein auf Normen (resp. auf ‚Regelbefolgung‘). Dem Konventionalitätstheorem ist vielmehr ein Innovations-/ Kreativitätstheorem an die Seite zu stellen“ (Gloy 1987: 123), so wie es die Variationsbreite der Emittenten belegt. Der Begriff des konventionellen Musters kann daher auf mehrere Arten gelesen werden. „Als Routinen für Kommunikationsprozesse tragen Textmuster prozeduralen Charakter, und sie sind konventionalisiert“ (Gansel/ Jürgens 2009: 93). Sie haben Orientierungscharakter und gründen sich auf die Erfahrungen der Sprachteilnehmer. Wie stark sie erwartet werden und wie festgelegt ihr Erscheinungsbild ist, entscheidet sich über die Art der Norm, die mit diesen Mustern einhergeht. Sie kann präskriptiv oder deskriptiv sein. Ob eine präskriptive Norm für eine Textsorte existiert und wie stark sie ist, hängt davon ab, welche Bedeutung der Textsorte im täglichen Miteinander zukommt und damit auch ihrer Norm zugeschrieben wird. Nicht umsonst besteht für den geschäftlichen Schriftverkehr eine DIN-Norm, und wer grob gegen sie verstößt, wird z.B. als Geschäftspartner nicht ernst genommen und auf diesem Wege sanktioniert. Weil für Erpresserschreiben keine konventionell gültigen Muster im Sinne präskriptiver Muster existieren, „[sieht sich] der Täter, der [...] häufig Ersttäter ist, [...] auf sich selbst und seine sprachlichen Fähigkeiten zurückgeworfen und kann sich im besten Fall an literarischen oder fiktiven Vorbildern aus den Medien orientieren“ (Dern 2009: 151). Diese zeigen, was möglich ist, ohne damit bereits verbindlich zu sein. Muster entstehen durch Variation und durch Reproduktion bei wiederholtem Einsatz (Gansel/ Jürgens 2009: 92), wobei mit Reproduktion nicht allein diejenige durch ein Individuum gemeint sein muss, sondern die durch die Gemeinschaft der <?page no="75"?> 3.3 Textsorte Erpresserbrief 75 Sprachteilnehmer. Daher existiert auch ein Textmusterwissen, 6 und es gibt auch für Erpresserbriefe erwartbare und durchaus übliche Muster, die aber in ihrer konkreten sprachlichen und stilistischen Ausgestaltung eine große Variationsbreite aufweisen. Ihr Vorhandensein ermöglicht es zudem erst, einen Erpresserbrief als solchen zu erkennen (W. Heinemann 2000: 24). Brinker stellt dazu fest: „Textsorten stellen also komplexe Konstitutionsmuster dar, in denen die allgemeinen Prinzipien der Textkonstitution jeweils eine spezifische (typische) Ausprägung finden“ (2002: 45). Dass es bei der Umsetzung des Textmusterwissens gelegentlich zu Textexemplaren von Erpresserbriefen kommt, die auf den Leser diffus wirken, liegt m.E. eher daran, dass im konkreten Fall der Handlungsablauf einer Erpressung vom Emittenten nicht ausreichend durchdacht ist bzw. der Fokus des Emittenten stark auf einen bestimmten Teilaspekt gerichtet ist (vgl. dazu den Text von der Garda Romania unter 3.3.5). Zu überdenken wäre, in welchem Umfang der Begriff des konventionell geltenden Musters im Sinne einer präskriptiven Norm auf Texte, die selbst Straftaten vollziehen oder diese Straftaten begleiten, anwendbar ist. Die Einhaltung von Normen basiert auf sozialen Zwängen und Einsichten, die in dieser Form für Erpresserbriefe nicht gegeben sind; im Gegenteil, eine solche Norm könnte bewirken, dass über die Akzeptanz bestimmter Formulierungsmuster auch indirekt die damit verbundene Handlung akzeptiert würde. 7 Viele Erpresser wählen Vertextungsformen des Geschäftsbriefs und des behördlichen Briefs, um möglicherweise genau das zu erreichen. Daher ist es sinnvoller, den Begriff des konventionellen Musters als usuelles (oder auch typisches) Muster zu lesen, das noch keine präskriptive Norm ausdrückt. Unabhängig davon kann für Textsorten der Grad der Normiertheit ihrer Muster bestimmt werden. Die wenig normierte Textsorte Erpresserbrief stünde dann am äußeren Ende einer Skala, die von sehr stark normiert bis kaum normiert reicht. Brinker selbst verweist darauf, dass es normierte und weniger normierte Textsorten gibt, und geht davon aus, dass Erpresserbriefe eine eigene Textsorte darstellen (2000, 2002), die sich mit einer kommunikativ-pragmatischen Analyse von Kontext, Funktion und textthematischen Mustern gut fassen lässt: „[D]ie Zuordnung konkreter Texte zu einer Textsorte [...] ist primär auf der kommunikativ-pragmatischen und der thematischen Ebene vorzunehmen“ (Brinker 2002: 45). Analog zu Mahnbrief und Bittbrief, die Brinker ebenfalls als eigene Textsorten ansetzt (2010: 128, 130), definiert sich der Erpresserbrief über die in ihm ausgedrückte dominierende Sprachhandlung. Auch beim Mahn- und Bittbrief ist die stilistische Ausgestaltung bzw. die Wahl der konventionalisierten Formulierungsmuster nicht von vornherein festgelegt, sondern durch den situativen und sozialen Kontext bestimmt. Da nun für den Akt der Erpressung bereits gilt, dass er einen weitreichenden Normverstoß darstellt, mit dem der Täter für sich die sozialen Normen außer Kraft setzt, ist 6 Es ist unzweifelhaft vorhanden, da im Experiment der Aufforderung, einen Erpresserbrief zu schreiben, von den Probanden Folge geleistet werden kann. 7 Entsprechend könnte man dann auch gute und schlechte Erpresserbriefe schreiben. <?page no="76"?> 3 Textsorte 76 der Täter auch so weit ungebunden in der Wahl der Formulierungsmuster, wie sie nicht die Botschaft seines Briefes beeinträchtigen. Dennoch folgen die Briefschreiber durchaus Konventionen, wie z.B. den Regeln der Höflichkeit, wenn sie das Opfer in den meisten Fällen mit Sie ansprechen. Welches sprachliche Vorbild der Erpresser wählt, um seine Erpressung zu formulieren, hängt damit zusammen, wie er den Akt der Erpressung für sich selbst umdefiniert, ob in ein Geschäft, einen Kredit, eine Ausgleichszahlung, eine Wiedergutmachung oder in eine Spende. Die charakteristischen Stilschwankungen sowie die Fehlerhaftigkeit vieler Briefe deuten dann darauf hin, dass (im Raum der Illegalität) die normierende Wirkung des gewählten Textmusters auf das sprachliche Verhalten des Emittenten offenbar eingeschränkt ist und sich der Emittent nicht veranlasst oder genötigt sieht, ihr durchgängig nachzugeben. Dies mag damit zusammenhängen, dass auch sprachliche Normen immer wertebezogen sind (Hundt 2009: 118). Natürlich können Stilschwankungen auch Symptom einer lückenhaften stilistischen Kompetenz sein. Wenn im Weiteren von der Existenz einer Textsorte Erpresserbrief ausgegangen wird, so stützt sich diese Annahme auf eine handlungsorientierte Definition der Textsorte und auf die in Erpresserschreiben usuellen Sprachhandlungen, die sich speziell aus der Struktur und den Sachzwängen der Erpressung ergeben. Das, was darüber hinaus an normierten Textmustern in Erpresserbriefen vorhanden ist, ist selbst nicht der Erpressungshandlung geschuldet, sondern der Kommunikationsform Brief und den daraus abgeleiteten Textsorten Geschäftsbrief, behördlicher Brief oder Privatbrief. Daher korrespondiert auch die Bezeichnung ‚erpresserischer Geschäftsbrief‘ nicht unbedingt mit dem Alltagswissen der Sprachteilnehmer, die ein Textexemplar wie in der Aufgabe in Kapitel 3.3.2 primär als Erpressung identifizieren, die im Gewand eines Geschäftsbriefs daherkommt. In diesem Zusammenhang ist Derns Feststellung aufzugreifen, dass Erpressungenweniger durch einen Einzeltext als durch eine Briefserie realisiert werden, weil die handlungstypischen Formulierungsmuster häufig nicht alle in einem Text vorkommen, sondern, da sie der Phänomenologie der Erpressung folgen, erst nach und nach umgesetzt werden (2009: 160f.). Einem Brief, in dem die Forderung und die Sanktionen formuliert werden, folgt ein Brief mit den Übergabemodalitäten. Ein Erstschreiben ohne Folgeschreiben bildet damit die Erpressung nur unvollständig ab, entweder weil der Emittent von weiteren Schritten abgesehen und die Erpressung abgebrochen hat oder weil er später zu einem anderen Medium bzw. einer anderen Kommunikationsform gewechselt hat. Textlinguistisch ließe sich dieser Zusammenhang mit dem Konzept der Reihe beschreiben, das die Verbindung medial gleicher oder unterschiedlicher Kommunikate erfasst (vgl. Wichter 2005a, 2005b). 8 8 Eine kuriose Variante einer Erpressung liegt bei einem Fall aus dem Jahr 2007 vor. Das Opfer wird aufgefordert, eine andere Person zu entführen und von der Ehefrau damit 8 Millionen Euro zu erpressen, anderenfalls „werden wird deiner Mutter ein Loch in den Schedel blasen“. Auch wie das Opfer bei seiner Erpressung vorzugehen habe, wird ihm mitgeteilt, und ein vorgefertigtes Erpresserschreiben liegt dem Schreiben ebenfalls bei. Nach zwei Monaten beschwe- <?page no="77"?> 3.3 Textsorte Erpresserbrief 77 # # ( ) & ! ! Für viele Textsorten bestehen Formulierungsmuster, die als Bestandteil des Textmusterstils den Rahmen für die Textformulierung vorgeben, die der Verfasser eines Textes als komplexe Formulierungsmuster im Moment der Textproduktion aktiviert und deren Umsetzung automatisiert erfolgt (Stein/ Baldauf 2000: 383). Diese Formulierungsmuster sind textsortentypisch und unterliegen eher nicht dem bewussten Zugang, so dass Abweichungen von diesen Mustern insbesondere bei Wiederholung als potentiell aussagekräftig eingestuft werden können. Konkret kann sich dies in einer Stilunsicherheit oder in Formulierungsfehlern niederschlagen. Die Bewertung einer sprachlichen Form als Formulierungsfehler oder als Ergebnis einer Stilunsicherheit setzt voraus, dass es eine Vergleichsgrundlage gibt. Formulierungsfehler haben Stein/ Baldauf (2000) an Phraseologismen bzw. brieftypischen Formeln in Erpresserschreiben untersucht. Viele der belegten Phraseologismen werden nicht nach der schriftsprachlichen Standardform realisiert, sondern sie zeigen in irgendeiner Form Abweichungen, z.B. durch die Setzung eines Artikels, wie in schwören wir die Rache an einer Stelle, an der keiner vorgesehen ist, oder die Wahl einer anderen Präposition, wie in haben sie einen Mord im Gewissen (Stein/ Baldauf 2000). Inwieweit diese Abweichungen eine Aussagekraft hinsichtlich der sprachlichen Kompetenz des Verfassers haben oder eine individualisierende Kraft entfalten, hängt davon ab, als wie fest die Standardform grundsätzlich zu bewerten ist. Neben der Standardform können regionale Varianten üblich und in Gebrauch sein. Die Wahl eines anderen Elements, z.B. eines Verbs oder eines Substantivs wie in wir haben euch im Auge statt wir behalten euch im Auge/ haben euch im Blick kann u.U. auch anzeigen, dass dieser Teil des Phraseologismus möglicherweise weniger fest ist, so dass lexikalische Varianten möglich sind (vgl. Stein/ Baldauf 2000). Der Eindruck der Stilunsicherheit kann sich auf Textabschnitte oder den ganzen Text beziehen, wenn die realisierten Formulierungen dem durch sie offensichtlich angestrebten Stil nicht ganz gerecht werden. Neben abweichend formulierten Phraseologismen kann dieser Eindruck durch Formulierungsmuster erweckt werden, die feste Bestandteile eines Briefes realisieren, wie z.B. die Anrede oder die Grußformel. Die Unsicherheiten können Formulierungsmuster für bestimmte Teilthemen des Textes betreffen, bei denen die Schreiber Anleihen bei anderen Textsorten vornehmen: Mehrere Auswertungen kleinerer Teilkorpora von Erpresserschreiben, z.B. Artmann (1996), Stein/ Baldauf (2000), Dern (2003c) und Hansen (2009), haben gezeigt, dass Erpresserschreiben in diesen Punkten in charakteristischer Form sowohl mit dem Geschäftsbrief bzw. dem behördlichen Brief als auch mit dem Privatbrief übereinstimmen. Das Schwanken zwischen den Textsorten bzw. das Verweben unterschiedlicher Textmuster ist daher als ein konstitutives Merkmal der Textsorte Erpresserbrief zu bewerten. Hansen (2009) ordnet dementsprechend den Erpresserbrief als mustervariren sich die Täter beim Opfer, dass es noch immer nicht die betreffende Person entführt bzw. das Geld organisiert habe. <?page no="78"?> 3 Textsorte 78 ierenden Text ein. Das Abgleiten ins Umgangssprachliche ist also nicht per se ein individualisierendes Merkmal, sondern Teil des Formulierungsrahmens, den einerseits die Textsorte vorgibt und der andererseits von der Handlungstypik der Erpressung getragen wird. In vielen Fällen dienen Geschäfts- und Behördenbrief folglich nur als grobe Orientierung. Viel häufiger sind Abweichungen und Unterschiede festzustellen. Die Teilauswertung des BKA-Korpus durch Stein/ Baldauf hat gezeigt, dass die Einzeltexte sprachlich und textuell überaus heterogen sind (2000: 389). Die Autoren stellen auch fest, dass sich bei aller Einschränkung in der Gesamtheit doch Formulierungsmuster feststellen lassen, die als brieftypisch und insbesondere als typisch für einen Geschäftsbrief gelten können und sich erkennbar an den Regelungen nach DIN 5008 bzw. DIN 676 orientieren. Zu bedenken ist dabei, dass viele (auch versierte) Schreiber die Details der (aktuellen) DIN-Norm nicht wirklich kennen, sondern eher mit einer eigenen Vorstellung von dieser Norm arbeiten und auf ihr Wissen über Textmusterformulierungen zurückgreifen, wie sie es durch ihren Umgang mit offiziellen Schreiben erworben haben. Diese Formulierungsmuster beziehen sich auf die konstituierenden Textbausteine eines Briefs, die aus Kalenderdatum mit Ortsangabe, Anrede, Textkörper, Schlussformel (Grußformel), Unterschrift und fakultativ einem Fußtext bestehen, der als Postskriptum erscheint. Beim Geschäftsbrief kommt die Betreffzeile hinzu. Wenn die entsprechenden Elemente in einem Brief vorhanden sind, neigt die Mehrheit der Schreiber eher zu konventionellen Formulierungen wie z.B. Sehr geehrte Damen und Herren, Herr Oberbürgermeister bzw. mit freundlichen Grüßen, viele Grüße. In einigen Fällen werden sie durch andere Elemente ersetzt, z.B. eine Parole (Tod allen Ungläubigen). Neben Schlussformel, Text und formaler Anrede erstrecken sich die Abweichungen auch auf die Elemente Unterschrift, Adressfeld und Absender, die erfahrungsgemäß fiktive Daten enthalten. Abweichungen im Zusammenhang mit der Unterschrift stellen auch die nicht handschriftlichen Namen dar, die in offiziellen Schreiben den Namen des Unterzeichners wiederholen und unter dem jeweiligen handschriftlichen Namenszug stehen. Stattdessen findet man in Erpresserschreiben gelegentlich auktoriale Selbstinszenierungen als Einzelperson (der Erbarmungslose) oder auch als Gruppe (Todeskommando of Bagdad). Wie schwierig es für einige Autoren zu sein scheint, die Vorgaben der Textsorte zu ignorieren, zeigen Äußerungen, in denen die Verfasser indirekt auf ihr Textmusterwissen verweisen, wie z.B. mit der Formulierung Sicher werden Sie verstehen, dass wir dieses Schreiben nicht unterzeichnen. Andererseits ist es eine Eigenheit behördlicher Schreiben, dass der Verfasser nicht namentlich in Erscheinung treten muss, sondern als Individuum hinter die Behörde zurücktritt, in deren Auftrag er handelt. Der Verzicht auf den Namenszug in einem Erpresserschreiben dient natürlich dazu, sich der Identifizierung zu entziehen, er kann aber auch widerspiegeln, dass der Emittent sich an Textexemplaren behördlicher Schreiben orientiert, die ‚maschinell erstellt und ohne Unterschrift gültig‘ sind. So steht unter einem dem Opfer per E-Mail zugestell- <?page no="79"?> 3.3 Textsorte Erpresserbrief 79 ten Erpresserschreiben aus dem Jahr 2006: Diese Email ist auch ohne Unterschrift rechtskräftig. Strategien für den Umgang mit der Textsorte reflektieren auch die sog. Deklarationen, in denen die Textsorte explizit genannt ist und die die Funktion der Betreffzeile übernehmen: Erpresserbrief! oder Dies ist ein Drohbrief. In der Mehrzahl der Fälle fehlen den Erpresserschreiben jedoch wichtige Elemente: In ca. 56% der Briefe fehlt die Anrede, in 83% der Fälle die Grußformel, möglicherweise, weil sie direkt der Unterschrift vorangeht und diese aus Gründen der Anonymität weggelassen wird. Dadurch, so Stein/ Baldauf (2000: 391), erübrige sich auch eine überleitende Schlussformel wie z.B. auf gute Zusammenarbeit. Da typische Formulierungen des Geschäftsbriefs bestimmte Formen der Höflichkeit einschließen, treten diese in Erpresserschreiben ebenfalls auf. Sie werden vor allem gewählt, weil sie Teil der Textformulierungsmuster des Vorbildes sind, und weniger, weil dem Erpresser etwas am Opfer läge. Beispiele aus dem lexikalischen Bereich sind Formulierungen wie räumen wir Ihnen die Möglichkeit ein für eine Handlungsaufforderung, die, wenn ihr nicht gefolgt wird, zu Sanktionen führt, oder bitten wir Sie um einen Solidaritätszuschlag für die Forderung einer Geldsumme. Textsortenspezifisch ist des Weiteren der regelmäßige Gebrauch von Modalverben wie in möchten wir sie nachdrücklich bitten, die z.T. in der Kombination mit dem Konjunktiv auftreten und dann die eigentlichen Illokutionen der Äußerungen abmildern. Ein typisches syntaktisches Formulierungsmuster ist der uneingeleitete Konditionalsatz mit sollte im Konjunktiv II in Spitzenstellung, der gegenüber der eingeleiteten Variante mit wenn deutlich bevorzugt wird. Stein/ Baldauf erklären diese Wahl unter Verweis auf den Duden damit, dass sollen anders als wenn nicht bei unerfüllbaren Bedingungen gesetzt wird, sondern bei Fällen, die im Rahmen des Möglichen liegen. Damit, so die beiden Autoren weiter, verstärke sich der Eindruck des Machbaren, dass also die Forderung durchaus erfüllt werden könne. Wenn sie nicht erfüllt wird, liege dies in der Verantwortung des Opfers und beruhe nicht auf der Unredlichkeit der Forderung (2000: 394). Im Bereich der Wortbildung ist der Wortbildungstyp der Nominalisierung, insbesondere auf -ung, ein stilbildendes Merkmal der Verwaltungssprache (Hansen 2009). Anhand eines Vergleichs eines BKA-Teilkorpus mit einem Verwaltungssprachenkorpus zeigt Hansen, dass auch in den Erpresserschreiben dieser Typ der Nominalisierung überwiegt. Damit bestätigt sich indirekt die Vorbildfunktion behördlicher Schreiben für Erpresserschreiben auch im Bereich der Wortbildung. Die sprachlichen Ähnlichkeiten, die der Erpresserbrief im Vergleich mit einem Geschäftsbrief aufweist, lassen sich darüber hinaus durch die Charakteristika der Erpressungshandlung erklären. Die Wahl fällt auf die Textmusterformulierungen des Geschäftsbriefs, weil er die Wahrnehmung des Inhalts als offiziell, ernst zu nehmend und verbindlich suggeriert. Des Weiteren setzt ein geschäftliches oder amtliches Schreiben, das nicht nur informiert, sondern mit einer Fristsetzung zu einer Handlung auffordert, voraus, dass es eine Grundlage für die Aufforderung gibt, sei sie vertraglicher oder gesetzlicher Natur, die den Rezipienten bindet und zur Mitarbeit ver- <?page no="80"?> 3 Textsorte 80 pflichtet. Der Rezipient ist also z.B. gezwungen, den Anschluss seines Grundstücks an die Kanalisation hinzunehmen oder die Rechnung nach Erhalt der Ware zu begleichen. Kommt er dieser Aufforderung nicht nach, hat er mit Sanktionen zu rechnen. Die Tatsache, dass Folgeschreiben bei Erpresserbriefen häufig ins Umgangssprachliche und Emotionale abgleiten, wenn das Opfer sich nicht wie ein Geschäftspartner oder gesetzestreuer Bürger verhält, zeigt jedoch, dass die Übernahme des Stils von Geschäfts- und Behördenschreiben ein Behelfsmittel des Erpressers ist und bleiben muss. Sie ist Ausdruck des Versuchs, die Illokutionsstruktur derartiger Briefe zu instrumentalisieren, um einer illegalen Forderung den Anstrich des Legalen zu geben und die Legitimation der Forderung erst zu konstruieren. ' ? / & An welcher Textsorte orientiert sich der folgende Brief? Welche textsortentypischen Gestaltungs- und Formulierungsmuster enthält er? 9 & X'$ * X' ! ~ &_ ? _~ `} Y OO? [[? $ - ' ? / & ' ' | _ \ <X' ) X' [ " X' & ' \ # & & X'$ * X' X'>Q' ? ' } \ ' " X' ` " ' = Y ? * X ? ? < ( >Q ) # \ * & X' \ ' # \
( & < > X' % X' > ? ? ' & ' & = O X' O \ " > ~ & X' \ # \ j \ X' ( X' \ & >
\ \ Y\ 9 Alle Briefe des BKA-Korpus sind anonymisiert. Die statt der personenbezogenen Angaben gebrauchten Abkürzungen sind im Abkürzungsverzeichnis aufgeführt. <?page no="81"?> 3.3 Textsorte Erpresserbrief 81 ' ? | O X' & \ O X' > = # X' ! ! $
& & > ? ) ' & = O \ X' ' % X' ' \ "<' X' ' X' = O > ? ) ' & = O X' ' % X' ' \ & X' ' X' # ? [ > X' ~ Q ( ! / Welches Textelement eines Briefs bilden die folgenden Phrasen jeweils ab (Beispiele aus Stein/ Baldauf 2000)? 1. Daß wir auf eine Unterschrift verzichten, dürfte sich von selbst verstehen, Unhöflichkeit ist es nicht 2. Erstmal einen wunderschönen guten Morgen 3. Zahlungsanweisung 4. Ende! ! ! 5. das Team 6. auf gute Zusammenarbeit # # <@ Anders als man es erwarten möchte, ist ein überwiegender Teil von Erpresserschreiben höflich formuliert. Dern (2003c) hat dieses Phänomen ausführlich beschrieben und herausgearbeitet, dass es einerseits dadurch zu erklären ist, dass Höflichkeit Teil der geschäftlichen Briefkommunikation und damit auch des Textmusters des Geschäfts- oder Behördenbriefes ist. Andererseits wird die Höflichkeit durch den sozialen und kommunikativen Konflikt, der mit der Erpressungshandlung einhergeht, selbst hervorgebracht. Die sprachliche und inhaltliche Uminterpretation der Erpressung in ein Geschäft bringen es mit sich, dass in dem so geschaffenen kommunikativen Rahmen auf eine vulgäre Ausdrucksweise verzichtet wird. Die Wahl höflicher Formulierungsmuster ist daher eine Orientierung an der höflichen Normalform, die ein grundsätzlicher Bestandteil der Briefkommunikation und damit konventionalisiert und ritualisiert ist. Höflichkeit dient dazu, in der Kommunikation sog. face-threatening acts (FTAs) nach Möglichkeit zu vermeiden und das Gesicht der Gesprächspartner zu wahren. Facethreatening acts können das sog. positive wie auch das sog. negative Gesicht eines Gesprächspartners verletzen. Bedrohungen des positiven Gesichts betreffen das Selbstbild des Gegenübers und bestehen aus Verletzungen der Wertschätzung und der Ver- <?page no="82"?> 3 Textsorte 82 weigerung von Anerkennung, z.B. durch Kritik. Bedrohungen des negativen Gesichts zielen auf das Selbstbestimungsrecht des Gegenübers und sind Handlungen, die den eigenen oder fremden Freiraum und die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen einschränken, z.B. durch Zudringlichkeit oder Verbote. Beide Partner können potentiell das eigene wie das Gesicht des Gegenübers gefährden, und höfliches Handeln versucht dem vorzubeugen. Wenn z.B. einer der Gesprächspartner das eigene positive Gesicht durch Selbstkritik beschädigt, wird das Gegenüber diese Gefährdung z.B. durch Bagatellisierung dieser Kritik abmildern. Erpressungen, so Dern, sind starke und bewusst ausgeführte Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht des Opfers, die eigentlich keiner Reparaturstrategien durch sprachliche Höflichkeit bedürfen. Dennoch finden sich Formulierungen, die die direktive und die kommissive Illokution in sprachlich abgemilderter Form vermitteln, indem die Verfasser z.B. Handlungsaufforderungen als Bitten formulieren ( itte betrachten Sie das folgende Schreiben nicht als Scherz) oder die Handlungsankündigung mit einem Ausdruck des Bedauerns oder der Entschuldigung verbinden (Wir sind leider gezwungen zwei verschiedene Mittel einzusetzen oder Tut uns wirklich leid! ). Dern sieht in diesen Reparaturstrategien deshalb auch einen Ausdruck von Beziehungsarbeit des Täters, die helfen soll, das Gesicht von Täter und Opfer zu wahren (Dern 2003: 138), da sich Erpresser zwar „über die Regeln der Gesellschaft hinweg[setzen],“ die ‚Ordnungsstrukturen sozialer Interaktion‘ (Held 1989, S. 408) scheinen schwerer zu überwinden zu sein“ (Dern 2003: 128). Die Entscheidung, sich gegenüber dem meist unbekannten Opfer höflich zu verhalten, rührt aus der Verinnerlichung einer sozialen Norm her, die dazu dient, das Konfliktpotential im Miteinander der Menschen zu entschärfen. Bublitz versteht Höflichkeit explizit als ein „rationales, sozial angemessenes Verhalten“, weil es kommunikativen Erfolg verspricht (2009: 275). Folglich gilt die Fähigkeit des Individuums, sich in unterschiedlichen Situationen gleichermaßen höflich zu verhalten und höflich zu bleiben, auch als ein Gradmesser seiner sozialen Kompetenz. Höfliche Täter versuchen, Höflichkeit in diesem Sinne auch als impliziten Hinweis auf die eigene Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit zu nutzen. Ein Täter, der ein höfliches Erstschreiben verfasst, vertraut aber auch darauf, dass Höflichkeit im Kontext der Erpressung dazu beiträgt, die Kontingenz, d.h. die Unbestimmtheit des Ausgangs einer Interaktion, zu neutralisieren und rituell zu steuern. Er setzt voraus, dass das Gegenüber sich dabei den Regeln höflichkeitsgelenkter Interaktion eher unterwirft. Je mehr auf Seiten des Adressaten mit Widerstand zu rechnen ist oder damit, dass das Ziel der Kommunikation nicht erreicht werden könnte, desto mehr wird Wert auf die sprachliche Form gelegt. Höflichkeit hat in diesem Zusammenhang nicht nur eine soziale, sondern auch eine persuasive Funktion. Legt man die Kosten-Nutzen-Skala von Leech (1999) an, so dient im Kontext einer Erpressung höfliches Verhalten weniger der Beziehungsarbeit denn dem Durchsetzen unhöflicher Intentionen, die den Eigennutz maximieren und den Fremdnutzen (des Opfers) minimieren. <?page no="83"?> 3.3 Textsorte Erpresserbrief 83 So schwer es ist, auf Höflichkeit nicht zu reagieren, so sind die Regeln der Höflichkeit dennoch nur gültig, wenn sich beide Seiten darauf einlassen. Höflichkeit läuft ins Leere, wenn sich einer der Kommunikationspartner, z.B. das Opfer, ihr verweigert. Auch ein Zuviel an Höflichkeit ist kontraproduktiv, da jenseits der ‚Beziehungsarbeit‘ die Drohkulisse sprachlich aufrechterhalten werden muss. Höflicher Stil ist dadurch gekennzeichnet, dass er indirekte Sprechakte bevorzugt und die entsprechenden sprachlichen Indikatoren für Indirektheit wie Konjunktiv, Modalpartikeln, Modalverben, agensabgewandte Formulierungen oder Passivstrukturen aufweist. Eine zu indirekte und relativierende Ausdrucksweise kann auch die Wirkung der Drohung und die Eindeutigkeit der Forderung beeinträchtigen. Aus dieser kommunikativ anspruchsvollen Situation entsteht für viele Erpresser ein kommunikatives Dilemma, das sie durch die charakteristische Stilmischung von umgangssprachlich-distanzlosem und höflich-distanziertem Stil aufzulösen suchen. ! Analysieren Sie den folgenden Brief danach, welche textsortentypischen Gestaltungs- und Formulierungsmuster, die sich an Geschäftsbriefen orientieren, er enthält. Bestimmen Sie auch Strukturen, die Höflichkeit ausdrücken, und erklären Sie, worin genau die Höflichkeit besteht. Berücksichtigen Sie dabei die Kriterien für das positive wie das negative Gesicht der Kommunikationspartner. _ $! ^ X' `} Y X' ' ' _ \ " " ' \ * \ ^ X' '
X' ' ' & " ? ' = & \ \ >> X'# ' ' \ Q & ? | ' \ X' ! X' ? ) ' \ } \ " * >Q ? ~ # < " & \ ? ? X' = ' ' & " ? ' ' & X' > \ & <?page no="84"?> 3 Textsorte 84 [ " X' & Q X' \ = ? ? q{\ >
# > ' & >Q $ ? X' > ? ? ? ? '< = = &\ ` # ' ' = }< ! ? ? ? X' X' \ X' " ! X' [ = ? ) "Q > \ " ^ > & ' "Q > > > X' & ? X' = ' \ " X' & X' X' " ? # # # ! ! %? ) ! / / Die kommunikativ-pragmatische Beschreibung eines Textes legt ihren Schwerpunkt auf die Analyse des Kontextes, in den der Text eingebettet ist bzw. den er konstituiert. Sie erfolgt gemäß Brinker (2010) nach den Kriterien des situativen Kontextes, des sozialen Kontextes und der Textfunktion. ? ? ? | =
Unter dem Begriff des situativen Kontextes wird alles gefasst, was die Umstände der Übermittlung betrifft. Den situativen Kontext kann man mit Busch (2006) dahingehend untergliedern, dass zwischen den konkreten Situierungsangaben (Ort, Zeit, Ausführungsbedingungen der Erpressung) und den weiteren Kontextfaktoren sowie den Umständen der Übermittlung unterschieden wird. Zu den Umständen der Übermittlung zählt auch der Übermittlungsweg (per Post, per Boten, per E-Mail, per Anruf, per Fax). Nach Ermert (1979) kommen die Produktions- und Rezeptionsbedingungen des Schreibens hinzu, wie sie in Kapitel 2 vorgestellt worden sind. Hier wäre zu prüfen, welche Form der Autorschaft vorliegt bzw. ob Adressat, Leser und Bearbeiter auf der Rezipientenseite und Verfasser, Schreiber und Absender auf der Emittentenseite jeweils identisch sind oder nicht. ? ? ? |
Unter den sozialen Kontext fallen die Fragen nach dem Handlungsbereich, nach dem Partnerbezug und nach dem Handlungszusammenhang. Den Handlungsbereich unterscheidet man nach den Kategorien privat, halb-offiziell und volloffiziell, je nach dem, ob die Kommunikationspartner privat oder öffentlich handeln. Zum sozialen Kontext zählt auch die Frage nach der Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern, also danach, ob sie sich kennen oder nicht. Der Erpresserbrief ist nach Brin- <?page no="85"?> 3.3 Textsorte Erpresserbrief 85 ker (2000) dem privaten Handlungsbereich zuzuordnen. Erpresserbriefe kopieren zwar häufig Elemente des Geschäftsbriefs, die Distanz schaffend und offiziell wirken, dennoch lehnt Brinker aufgrund des illegalen Charakters der Erpressung die Einordnung in den öffentlichen Handlungsbereich ab. Jenseits davon, so Busch (2006), zeichnet sich öffentliches Handeln auch dadurch aus, dass die Identitäten der handelnden Person bekannt sind und ihr Verhalten von vielen wahrgenommen werden kann. Dies jedoch wird durch die Anonymität des Erpressers verhindert. Auch soll das Opfer durch die Androhung von Sanktionen oder die stereotype Aufforderung zum Wohlverhalten durch Formulierungen wie keine Polizei gerade davon abgehalten werden, die Erpressung öffentlich zu machen . Einen Hinweis sowohl auf die Beziehungen der Kommunikationspartner als auch auf den Handlungszusammenhang, in den der Text zu stellen ist, bieten die Selbstdarstellung des Emittenten und die Erläuterungen seiner Beweggründe. In der überwiegenden Zahl der Fälle sind diese knapp gehalten. Aber auch der gegenteilige Fall ist dokumentiert: In einer Reihe von Briefen aus BKA-Korpus sind diese Beziehungen zum Teil sehr persönlich und ausführlich geschildert (inwieweit sie auktoriale Selbstinszenierungen sind oder auf den empirischen Autor tatsächlich zutreffen, muss dabei zunächst offenbleiben). Exemplarisch seien zwei Briefe vorgestellt. Der erste Brief zeichnet sich dadurch aus, dass er zum ganz überwiegenden Teil aus den Vorstellungen der in das Geschehen verwickelten Personen und der Selbstdarstellung des Emittenten besteht, hinter die die eigentliche erpresserische Handlungsankündigung und die Geldforderung zurücktreten. Der Brief beginnt mit einer Selbstpräsentation des Emittenten, die in eine Form von Selbstdarstellung übergeht, welche die Ernsthaftigkeit des Emittenten und seine Glaubhaftigkeit unterstreichen soll: X' &
"? X' & | X' ||%( X' " & >Q
~*? X' X' [ X' ^ ? Es folgt, immer noch als Teil der Vorstellung, eine Beschreibung der Beziehung zwischen dem Mann des Opfers und dem Chef des Emittenten: ' [ ' Y $' > X' # ' X' ! ^ X'( ~ X'<> # ! X' ? [ Y $' > ' ' [ ? Eine weitere Beschreibung des Order-Chefs, die Rückschlüsse auf dessen Empathie und Familiensinn erlaubt und letztlich an das Mitgefühl des Opfers appelliert, schließt sich an, und im Folgesatz legt der Emittent seine Beweggründe dar, d.h., er präsentiert sich als moralisch verantwortliche Person. Schließlich wird nochmals der Charakter des Chefs beschrieben. <?page no="86"?> 3 Textsorte 86 # # # $[ # Y! ' & ?
? ? [ Y $' > " ~ ' & = ' [ ? X' X' & " X' " X' ' & * > ? [ Y $' > " Y
& # ? |[? ' X'? Die Selbstdarstellung im zweiten Beispiel hingegen appelliert nicht an die Gefühle des Opfers. Sie dient dazu, die Glaubwürdigkeit durch die Auflistung der strukturellen Eigenschaften der Gruppe zu stärken: ) [ < X' ' \ \ X' ' ? ) ? ) = >Q Q& " ) >> \ O ! ! ' ? Die Entschlossenheit wird durch den Verweis auf den eigenen psychischen Zustand ausgedrückt: ) ) } \ > Q' ` < \ > O * $ ! & # | X' ? ? ? ? ( Q & # X' ' X' X'" ' Q& X' ? Der Partnerbezug wird auch danach definiert, ob die Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern symmetrisch oder asymmetrisch ist. Im Falle einer Erpressung ist sie strukturell asymmetrisch, denn durch seine Handlungsankündigung, die meist auf das Leben des Opfers oder das anderer Personen zielt, und durch die damit verbundene Geldforderung konstruiert der Erpresser ein Machtgefälle. Dennoch bleibt dieses Gefälle fragil, denn spätestens zur Geldübergabe muss der Erpresser aus der Anonymität heraustreten und bietet dann eine Angriffsfläche für die Ermittlungsbehörden. Auch früher schon kann ein Kontrollverlust auf der Seite des Erpressers stattfinden. Eine relativ harmlose Form des Kontrollverlustes dokumentiert ein Folgeschreiben im folgenden Fall: 10 Der Täter will Geld für Akten einfordern, die in seinem Besitz sind. Für die Kontaktaufnahme hatte er ein Handy und die dazugehörige Handynummer verlangt. In dem Folgeschreiben muss er zugeben, dass er die Nummer vergessen hat und nun darauf angewiesen ist, dass das Opfer ihm diese nochmals nennt. Zugleich versucht er, die Drohkulisse sprachlich aufrechtzuerhalten: #" ? _ & X' _ ? ? % > [ | & _ ? O $ # O ? [ > & ? !
O
$ O ? 10 Zwei weitere Briefe aus dieser Briefserie finden sich in Kapitel 5. <?page no="87"?> 3.3 Textsorte Erpresserbrief 87 Der Kontrollverlust des Täters, den Dern (2009: 101-103) beschreibt und der sich in der Textformulierung Tobias ist erkrankt. Arzt holen unmöglich! niederschlägt, ist dagegen das Ergebnis eines düsteren Verlaufs in einem Fall von erpresserischem Menschenraub: Hier ist das Opfer zum Zeitpunkt der Erpressung schon tot und der Täter hat damit sein Faustpfand verloren. Dialogizität ist ein grundlegendes Merkmal der Kommunikationsform Brief, denn wer einen Brief schreibt, schreibt ihn im Allgemeinen in Erwartung einer Antwort. Für Erpresserbriefe ist hingegen typisch, dass sie keine verbale Antwort, sondern eine reaktive Handlung einfordern. Daher gelten Erpresserschreiben als monologisch, da kein Dialog mit dem Adressaten hergestellt werden soll. Im Bereich des Handlungszusammenhangs wird weiter danach unterschieden, ob es sich um einen monologischen Brief handelt, der singulär ist oder vorwärtsverweisend, rückwärtsverweisend oder bidirektional zu verstehen ist. Eine Auswertung des BKA-Korpus (Busch 2006) hat ergeben, dass viele Erpresserschreiben monologisch und singulär sind. Auch andere Arten inkriminierter Texte wie z.B. Abschiedsbriefe von Selbstmordopfern sind monologisch und singulär. Allerdings antizipieren sie mögliche Reaktionen und Fragen des Rezipienten, indem sie z.B. zu einem bestimmten Verhalten auffordern oder die Modalitäten der Geldübergabe erläutern. In den Fällen, in denen zu einer schriftlichen Reaktion aufgefordert wird, kann man u.U. auch von vorwärtsverweisenden Briefen sprechen. Häufig genug fertigen Erpresser auch zwei Briefe (ein Erstschreiben und ein Folgeschreiben) an, dann ist das Folgeschreiben rückwärtsverweisend auf das Erstschreiben. Eine kleinere Gruppe von Schreibern verfasst ganze Briefserien, wie z.B. Herbert der Säger. Herbert droht zunächst damit, Bahnstrecken zu zerstören, um seine Geldforderung durchzusetzen und setzt dies dann im weiteren Verlauf der Erpressung um. In seinen Folgebriefen bezieht er sich auf die Inhalte vorangegangener Briefe und die darin formulierten Forderungen und Drohungen. Zu einer detaillierteren Analyse dieser Briefserie vgl. Dern (2009). Von einer Art eingeschränkter Dialogizität könnte man in den Fällen sprechen, in denen der Erpresser z.B. auf die Anzeige in einer Zeitung, die er selbst gefordert hat, reagiert und Bezug nimmt. Ein ähnlich gelagertes Beispiel ist der in Kapitel 2.3.1 bereits vorgestellte Brief des Autobahnschützen, der Mitte der 1990er Jahre von einer Autobahnbrücke aus wahllos auf LKW und PKW zielte. Hier schreibt der Emittent offensichtlich an eine Zeitung, um das Bild, das diese von ihm zeichnet, in seinem Sinn zu korrigieren, und tritt damit kurzzeitig in einen Dialog mit der Zeitung ein: * > ' * X' = & ? ! QX# X' = * QX# > > ' q? ? ? { ? ' X' X' QX# = X' > X'Q " X' X' # [ X' ^ ' & ? 11 Fehler im Original. <?page no="88"?> 3 Textsorte 88 ? ? ? | O > # Wie bereits erwähnt, zeichnen sich Texte durch das Merkmal der Funktionalität aus, d.h., ihnen lässt sich eine Textfunktion zuordnen. Brinker definiert für Texte sog. Grundfunktionen, die sich aus der „Art des kommunikativen Kontakts“ (2010: 97) ergeben. Auf einen Text übertragen, beschreibt die Grundfunktion die Intention des Textemittenten (vgl. Heinemann 2000: 534). Für die Grundfunktionen modifiziert Brinker die Illokutionstypen der Searle’schen Sprechakttheorie und ergänzt sie um eine Informationsfunktion und eine Kontaktfunktion (2010: 98). Die Grundfunktion von Erpresserbriefen ist appellativ. Sie leitet sich ab aus der zentralen (komplexen) Sprachhandlung des Briefes, der Erpressung des Rezipienten. Im Fall des E RPRESSENS enthält die zentrale Sprachhandlung zwei Teilhandlungen. Auch diese Teilhandlungen werden auf der Basis der betreffenden Searle’schen Sprechakte für den Text definiert bzw. auf den Text übertragen. Artmann (1996) hat dabei zwischen den komplexen Sprechakten des E RPRESSENS und D ROHENS unterschieden und daher auch zwischen den Textsorten Erpresserbrief und Drohbrief. Klein (1981) differenziert beide Sprechakte danach, dass D ROHEN sowohl vom Sprecher initiiert als auch eine Reaktion auf das Gegenüber sein kann, also entweder reaktiv oder initiativ ist, E RPRESSEN aber immer initiativ erfolgt. Wird reaktiv gedroht, verlangt der Emittent häufig eine Unterlassung, bei einem initiativen Drohen wie der Erpressung wird meist zum Handeln aufgefordert. Klein wie Artmann gehen davon aus, dass es Übergänge vom D ROHEN zum E R- PRESSEN gibt. Klein stellt fest, dass eine Drohung in dem Maß stärker die Gestalt einer Erpressung annimmt, in dem die Abhängigkeit des Rezipienten vom Emittenten zunimmt und die negativen Folgen der angekündigten Sanktion für den Angesprochenen steigen. Erpressen konstituiert sich nach Klein (1981: 234) durch „besonders schwerwiegende“ Sanktionen. „Typisch sind strukturelle Gewalt, direkte Gewalt gegenüber dem Hörer oder Dritten oder Eigentum des Hörers, Entzug von Vergünstigungen sowie das Veröffentlichen von schädlichen Informationen des Adressaten“ (ebd.) und die damit verbundene Geldforderung. 12 Charakteristisch ist für eine Erpressung auch, dass die Beteiligung des Opfers an der Handlung notwendig ist, dass aber anders als beim Aushandeln das Opfer keinen Entscheidungsspielraum hat und seiner Entscheidung immer eine negative Präferenz zugrundeliegt (Klein 1981: 233). Aufgrund der Ähnlichkeiten von D ROHEN und E RPRESSEN gehen Brinker und Klein mit Bezug auf Apeltauer (1977) davon aus, dass die Sprachhandlung des E R- PRESSENS aus der des D ROHENS abgeleitet werden kann. Beide Sprachhandlungen setzen sich aus zwei Teilakten zusammen, einem direktiven und einem kommissiven. Brinker nennt den kommissiven Teil auch den obligativen, weil er in einer Selbstverpflichtung des Sprechers besteht, eine Handlung zu vollziehen, falls seiner Aufforderung nicht Folge geleistet wird. Übertragen auf die Textsorte Erpresserbrief zeigen sich diese beiden Teilakte in einer Verbindung zweier Funktionstypen: Primär ist die Aufforderung - z.B. Geld zu zahlen. Diese Funktion ist die Hauptfunktion des Erpresser- 12 Nötigung im rechtlichen Sinne gilt hier auf der Basis einer alltagssprachlichen Definition (in Anlehnung an Brinker) ebenfalls als Erpressung. <?page no="89"?> 3.3 Textsorte Erpresserbrief 89 briefes. Wie beim Sprechakt des E RPRESSENS ist mit dieser Aufforderung untrennbar die Handlungsankündigung verbunden, die die kommissive Funktion übernimmt und in dem Versprechen besteht, etwas zu tun oder nicht zu tun. Brinker ordnet diese Handlungsankündigung zwar als ableitbar aus der textuellen Grundfunktion ein, aber zugleich als obligatorisch, da mit ihr erst die Erpressung konstituiert wird. Die Handlungsankündigung ist daher eine obligatorische Zusatzfunktion. Aus der Beschreibung des E RPRESSENS als eine Sonderform des D ROHENS leitet Brinker für beide dieselbe Grundform ab, die in einem Konditionalgefüge besteht: „Wenn Du A (nicht) tust, dann tue ich B“. Ein Brief, der in diesem Sinne kaum noch Erpresserbrief zu nennen ist, wurde oben unter 3.3.3.3 im Zusammenhang mit der Selbstpräsentation des Emittenten vorgestellt. Hier wird zwar die Geldforderung formuliert mein Order-Chef will das Geld haben von ihre Mann, aber die obligatorische Zusatzfunktion, d.i. die Handlungsankündigung, ist nicht ausformuliert. Sie kann nur aus dem Satz mein Order-Chef hasst ihre Mann abgeleitet werden als psychische Verfassung, die den Order-Chef möglicherweise auch zu Mitteln der Gewalt greifen lässt. Artmann (1996) zeigt die Unterschiede, die er zwischen Droh- und Erpresserbrief ansetzt, zum größten Teil an ihrer sprachlichen bzw. stilistischen Realisation sowie an den Inhalten von Forderungen und Sanktionen. Er stellt fest, dass in den Briefen, die er als Drohbriefe charakterisiert, eine vulgäre Ausdrucksweise überwiegt, dass hier überwiegend die Du-Anrede gebraucht wird, dass das Privatleben des Opfers im Fokus steht und dass noch weniger als bei Erpresserschreiben auf textsortenspezifische Elemente geachtet wird. Außerdem variieren die Drohbriefe inhaltlich sehr viel stärker als die Erpresserbriefe. Artmann konstatiert schließlich, dass den Opfern von Drohbriefen zwar in allen Fällen mit Angriffen gegen ihr Leben oder das ihrer Angehörigen gedroht wird, dass aber die Handlungsaufforderung in annähernd zwei Dritteln der Briefe durch Inferenz erschlossen werden muss oder z.T. gar nicht thematisiert ist (1996: 116, 188). Dies legt nahe, dass die Handlungsankündigung in Drohbriefen als die primäre Sprachhandlung zu bewerten ist und die Handlungsaufforderung als sekundär. Übergänge von einer Drohung zu einer Erpressung ließen sich dann jenseits der Art der Sanktion und der Art der Handlungsaufforderung danach beschreiben, wie dominant die sprachlichen Teilhandlungen jeweils sind. Die Verknüpfung der beiden Teilhandlungen erfolgt bei D ROHEN und E RPRESSEN unterschiedlich, und anders als die Erpressung kann die Drohung auf die Handlungsaufforderung offenbar verzichten. Es würde sich dann in Anlehnung an Brinker um eine fakultative Grundfunktion handeln, die auch nicht explizit ausformuliert werden muss. 13 13 Eine Korpusanalyse könnte klären, inwieweit sich für Droh- und Erpresserschreiben charakteristische Versionen des Konditionalgefüges der Grundform feststellen lassen, also z.B. als Tue A, sonst tue ich B für Erpressungen oder für Drohungen Ich tue B, (wenn Du (nicht) A tust). Vergleichbares erwägt Dern (2009: 152). <?page no="90"?> 3 Textsorte 90 Das folgende Beispiel zeigt die Merkmale eines Drohbriefs: Es handelt sich um die Reaktion auf eine bereits erfolgte Handlung (eine reaktive Drohung) und impliziert eine Unterlassungsaufforderung (vgl. Klein 1981). Das Opfer wird geduzt und mit vulgären Ausdrücken und Beschimpfungen überzogen. Die Drohung bzw. Handlungsankündigung seitens der Emittenten besteht eigentlich nur darin, den betreffenden Richter nicht zu vergessen. Die Feststellung, dass er an den Galgen gehört, ist nur eine Behauptung, aus der eine weitere Handlungsankündigung allenfalls abgeleitet werden kann. Die Aufforderung zur Unterlassung muss hier aus der Tatsache erschlossen werden, dass der Richter zuvor einen Neonazi verurteilt hatte, der offenbar zum Bekanntenkreis der Emittenten gehört. | X' | X# '^ ~ ? ) " | X' [ X'" X' = ? | X' > | = ! % ?
! > X' ? X' ` " ~ ! ? ? ? ? O ' ' X' [ Erpresserbriefe enthalten bestimmte Themen, die nach Brinker Träger von Textfunktionen sind. Anders als Motsch, der davon ausgeht, dass Textstrukturen Handlungsstrukturen darstellen, nimmt Brinker an, dass Textstrukturen vornehmlich thematische Strukturen sind und dass sich die Textfunktion über thematische Teilthemen entfaltet. Bezogen auf den Erpresserbrief hat Brinker mehrfach (2000, 2002, 2010) dargelegt, dass sich neben der Grundfunktion und der obligatorischen Zusatzfunktion auch fakultative Zusatzfunktionen finden, die sich aus der Handlungsaufforderung an den Adressaten und der Handlungsankündigung durch den Emittenten ableiten lassen. Dern (2009) hat diese noch um weitere Funktionen ergänzt. Sie erscheinen als bestimmte Teilthemen in sog. thematischen Mustern. Die Übergabemodalitäten gelten dabei bei Brinker auch als fakultative Zusatzfunktion, da sie aus der Handlungsaufforderung abgeleitet sind; sie sind aber für den Ablauf der Erpressung obligatorisch, da ohne sie die Erpressung nicht erfolgreich durchgeführt werden kann. Insofern nehmen sie eine gesonderte Stellung ein und Brinker zählt sie dementsprechend zur Grundform. Die im Folgenden aufgeführten Funktionen bzw. Teilthemen nach Dern und Brinker sind hingegen rein fakultativ, da ihr Vorhandensein oder ihre Abwesenheit keine Auswirkungen auf die Erpressungshandlung als solche hat: die Zuschreibung der Verantwortung (sollte die Geldübergabe an dem Tag scheitern, wird es keinen zweiten Termin geben und Sie werden die Verantwortung über eine Anzahl von Toten und schwerverletzten Menschen tragen müssen) die Aufforderung zum Wohlverhalten (halten Sie die Polizei aus der Sache heraus) Brief an einen brandenburgischen Richter, damals (1998) tätig am Amtsgericht Schwedt. <?page no="91"?> 3.3 Textsorte Erpresserbrief 91 die Rechtfertigung und Plausibilisierung der Handlung (die Grupe will Tausende von landsmännern vor den Hungertot retten) die Zusicherung der Einmaligkeit der Erpressung (dann haben Sie unser Ehrenwort, dass das eine einmalige Action war) die Versicherung der Ernsthaftigkeit (ich meine es ernst) die Begründung der Nichtausführung einer angedrohten Handlung (ich geb euch noch eine chance) die Selbstdarstellung des Emittenten (ich bin ein grosser „Fan“ von Ihre XXX- Produkte) Auf der Basis der Auswertung einiger Textexemplare aus dem Korpus des BKA hat Brinker (2000, 2002) für die thematische Ausgestaltung von Erpresserschreiben eine sog. Grundform und eine erweiterte Grundform definiert, die in unterschiedlichem Umfang obligatorische wie fakultative Funktionen aufweisen und diese auch unterschiedlich thematisch entfalten. In der Grundform beginnt der Text mit der Aufforderung, dann folgt die Handlungsankündigung. Anschließend wird die Aufforderung nochmals aufgenommen und u.U. thematisch entfaltet. Eine Variante dieser Grundform ist gegeben, wenn die Reihenfolge variiert wird und die Handlungsankündigung vor der Handlungsaufforderung steht. Daneben gibt es die erweiterte Grundform, die alle Zusatzfunktionen aufweist und diese auch thematisch entfaltet. Des Weiteren kann danach unterschieden werden, ob die fakultativen Komponenten sprachlich direkt oder indirekt realisiert werden, ob sie explizit thematisch entfaltet werden oder ob sie implizit bleiben und der Rezipient die jeweilige Funktion ableiten muss. Diese Typisierung sowie die von Brinker eruierten fakultativen Zusatzfunktionen sieht Dern (2009: 153) mit Recht kritisch, denn beides basiert auf der Analyse weniger Einzeltexte und ist daher nur von relativer Aussagekraft. Brinkers wenige Beispiele zeigen schon, wie vielgestaltig die einzelnen Funktionen miteinander verknüpft sind, dass sie aus unterschiedlichen Zusatzfunktionen abgeleitet sein können und dass ähnliche thematische Muster im Einzelfall unterschiedliche Funktionen übernehmen. Er selbst ordnet von acht untersuchten Texten zwei der Grundform, einen der Variante der Grundform, zwei der erweiterten Grundform, einen einer Variante der erweiterten Grundform und zwei den sog. abweichenden Realisierungen zu (2000: 41f.). Aus der Selbstdarstellung des Emittenten lässt sich z.B. die Zusatzfunktion der Ernsthaftigkeit thematisch ableiten: Wenn sich Täter als aidskrank im fortgeschrittenen Stadium bezeichnen, signalisieren sie indirekt, dass sie nichts mehr zu verlieren haben. Die Versicherung der Ernsthaftigkeit kann aber auch thematisch durch die Wiederaufnahme der Handlungsankündigung oder durch die Präzisierung dieser Handlung erfolgen. Aus der Funktion der Handlungsaufforderung im Zuge der thematischen Ausgestaltung der Übergabemodalitäten kann sich die Aufforderung zum Wohlverhalten, wie z.B. keine Polizei, ergeben. Die Zusatzfunktion der Zuschreibung der Verantwortung ergibt sich aus der Relation von Handlungsaufforderung zu Handlungsankündigung. Da die Handlungsankündigung meist eine Sanktion ankün- <?page no="92"?> 3 Textsorte 92 digt, die nur dann erfolgt, wenn der Adressat der Aufforderung nicht nachkommt, kann die Zuschreibung der Verantwortung aus der Handlungsaufforderung abgeleitet werden. Wird angekündigt, dass in den Filialen ein Chaos entstehen wird, lässt sich das als indirekte Zuschreibung der Verantwortung verstehen. Es herrscht Konsens darüber, dass die thematische Strukturierung des Briefes sowohl individuelle Züge des Emittenten offenbaren wie auch Hinweise auf seine Persönlichkeit oder seine Planungssicherheit geben kann. Brinker unternimmt den Versuch einer textthematischen Gliederung seiner Schreiben und weist darauf hin, dass ein wichtiger Punkt die diskontinuierliche Entfaltung der einzelnen Themen sein kann oder auch die Vermischung der unterschiedlichen Formen der thematischen Entfaltung, z.B. der Wechsel zwischen einer narrativen und einer deskriptiven Form. Dern (2009: 168) hat für die fakultative Zusatzfunktion der Selbstdarstellung des Emittenten feststellen können, dass sich diese vor allem in Einzelschreiben findet, denen kein weiteres Schreiben folgte. Begleitet werden die Selbstdarstellungen dieser Emittenten tendenziell von der Funktion der Rechtfertigung der Tat und von der Zusicherung der Einmaligkeit der Erpressung. Dern schließt daraus, dass sich solche Täter offenbar ihrer Handlungen und der Verantwortung, die sie damit übernehmen, stärker bewusst sind. Ihnen gegenüber stehen nach Dern Briefe, denen diese Zusatzfunktionen fehlen, die aber zur Hälfte solchen Fällen angehören, in denen der Emittent die Geldübergabe herbeiführte und versuchte, das Geld tatsächlich an sich zu bringen. # # * ' 4 ) Die folgende Produkterpressung stammt vom Beginn der 1990er Jahre. Der Brief ist handschriftlich verfasst und in Artmann (1996) abgedruckt. 15 [Q ' # (\ [ \ X' ?
# $ X' ? ! # \ ! # \ ! # _ ! ? ' & " = $ X' } & ? > ( ! ? ( ) " [ |[ \ \ \ \ X' ~ & & X' # > > ? & ' ? } & # " % & % > # $ ) > ? ' = < & # " O X' ' > _ ! ? > X' ' | ~ " " & | ? ? ? X' & > > ' ' ? O X' ) > ` " # ` ! \ = ? = " ' ' &
#< > | ~ 15 Bei Namen, die hier und in folgenden Briefen mit * versehen sind, handelt es sich um fiktive Namen, die nur zur besseren Lesbarkeit des Briefes von der Vfn. eingefügt sind. <?page no="93"?> 3.3 Textsorte Erpresserbrief 93 Der Text weist die Besonderheit auf, dass hier keine Handlungsankündigung vorliegt, sondern mitgeteilt wird, dass die kritische Handlung bereits erfolgt ist. 16 Diese wird zu Beginn des zweiten Absatzes beschrieben, gefolgt von der Aufforderung an die Lebensmittelkette, vier Millionen Mark zu zahlen. Die Handlungsaufforderung entfaltet sich weiter durch die Beschreibung der Übergabemodalitäten. Im Beispieltext sind es die Passagen: 50, 100, 200, 500, 1000der schneie neues Geld aber gebraucht keine forlaufenden Nummern und Ihr Einverständnis bekundet weisses Tuch oder Fahne Infostand X-Str. Sofort nach erhalt! Das Geld wollen wir bis Donnerstag d. 3.9.03 11oo morgens gut sichtbar auf dem Infostand stehen sehen. In Tennistasche Weitere Infos Folgen. Neben diesen obligatorischen Funktionen enthält der Text weitere fakultative Zusatzfunktionen. Im Beispieltext lässt sich die Versicherung, dass in den Filialen ein Chaos entstehen wird und das mit Garantie, als indirekte Zuschreibung der Verantwortung verstehen. Diese ist aber nicht explizit thematisiert, sondern muss vom Rezipienten daraus abgeleitet werden, dass die Vergiftung der Lebensmittel zu gefährlichen Konsequenzen führt. Die Versicherung der Ernsthaftigkeit äußert sich zum einen in der Aufforderung, die eigentliche Erpressung unbedingt ernst zu nehmen, zum anderen in der weiteren Ankündigung, unter Rückgriff auf Massenmedien die Lebensmittelkette in den Ruin zu treiben. Auch dieses kann als weitere Zuschreibung der Verantwortung aufgefasst, aber auch als Ankündigung einer Sanktion interpretiert werden, da es der Aufforderung unbedingt ernstnehmen unmittelbar folgt. Ein möglicher konditionaler Bezug (wenn Sie diesen Brief nicht ernstnehmen, dann treiben wir die Lebensmittelkette in den Ruin) wird hier nur durch die Reihenfolge der Sätze hergestellt und bleibt daher vergleichsweise vage. Die Selbstdarstellung der Emittenten besteht darin, sich namentlich und im Fall von Müller mit der Berufsbezeichnung vorzustellen und sich als aidskrank zu präsentieren. Damit schaffen die Emittenten Redundanzen, die sich nur dadurch erklären lassen, dass diese Informationen indirekt die Funktion der Ernsthaftigkeit realisieren. Durch das Fachwissen eines der Emittenten soll im Nachhinein die Plausibilität der durchgeführten Handlung hergestellt, durch das Stadium der Erkrankung die Skrupellosigkeit betont werden. Auch die Aufforderung zum Wohlverhalten ist sprachlich realisiert. Hier lautet die entsprechende Passage: PS Sollten wir merken das Polizei im Spiel ist, vergessen Sie das ganze. Auffällig an dem Brief ist die wiederholte Wiederaufnahme der fakultativen Funktion der Versicherung der Ernsthaftigkeit. Dieses Textexemplar bestätigt Derns Beobachtung, dass Briefe mit einer Selbstdarstellung auch die Verantwortung für die Tat auf das Opfer oder Dritte verlagern (2009: 168). Die Versicherung der Ernsthaftigkeit und die Zuschreibung der Verantwortung werden darüber hinaus diskontinuierlich realisiert. Die Versicherung der Ernsthaftigkeit leitet den Text ein, sie unterbricht gemeinsam mit der Zuschreibung der Verantwortung die Beschreibung der Übergabemodalitäten in ziemlich abrupter Form und schließt - wieder in Kombination mit der Zuschreibung der Verantwortung - den Text ab. Offenbar liegt der gedankliche Fokus 16 Dies ist durchaus typisch für den Ablauf von Produkterpressungen. <?page no="94"?> 3 Textsorte 94 der Emittenten darauf, ihrer Forderung sprachlich den Nachdruck zu verleihen, den sie mit der angeblich bereits vollzogenen Tat möglicherweise nicht meinen hergestellt zu haben. Angesichts der wenig plausiblen Behauptung ist dies nur folgerichtig und es liegt im Bereich des Möglichen, dass bislang noch gar keine Lebensmittel manipuliert wurden. # # 2 ! ! Bestimmen Sie die Textfunktionen in den folgenden Briefen 17 . Wie sind sie thematisch ausgestaltet? Handelt es sich um die Grundform oder um die erweiterte Grundform eines Erpresserbriefs? 17 In diesem Brief befindet sich im Original zwischen Mitteldeutschland und vor dem Gebäude noch eine Orts- und Straßenangabe. Uhrzeit und Datum folgen nach „am“. <?page no="95"?> 3.3 Textsorte Erpresserbrief 95 9 A Lesen Sie den folgenden Briefausschnitt. Nennen Sie das Thema des Briefes und diesbezügliche Schlüsselwörter. Welcher Textsorte würden Sie diesen Brief unter Rückgriff auf Ihr Alltagswissen zuordnen? Analysieren Sie die Kohäsionsmittel und bestimmen Sie die Nebenthemen des Hauptthemas. _ ' X' ^X' q? ? ? { ) [ # X' # " ' X' X' " ^ X' '
& & & # & X' |[ & # % X' & ' ? | # X' & " ' # j X' ' = & ? ) X' [ X' = X' ' X' & < & X'" " " ' X' _ X' ? > X'' X' " ~? ? [? j ! & [ & ' Q &" ' & ! ^ X' & ' & ? | [Q X' X' ) ' # X# " X' ' # X'\ ! > X X' ! & >Q X' ' > q? ? ? { Q & = # ' ) 1 ! Analysieren Sie den folgenden Text dahingehend, welche Textfunktionen durch welche thematischen Muster realisiert sind und wie der Emittent die Themen entfaltet (indirekt oder direkt, kontinuierlich oder diskontinuierlich, narrativ, deskriptiv, explikativ oder argumentativ). Wie beeinflusst dies die Wahrnehmung des postulierten Autors durch den Leser? <?page no="96"?> 3 Textsorte 96 ' ' _ X' ' & & j '^ = ? & } # & ? X' X' # >Q = " X'? # > ' % < [^& * ! \ QX# & # \ # [^ X'# ' & ' * & >Q ' & X' & " X' ) = " ? | * & ! \ #^ [< [^& ! # # # > > > ' # ` ! \ X'" & ? " " ! ! = & ~ > >> " '] "? ' \ " = X' " X' [^& & \ & ' & X' # QX# X' X# \ [^& _ & = > X' ' X' } # ! [^& ? ` > & ' ? [ # ' ! ' " X' >> ' & ? & = X' # \$$ |[ ? ( = = <' ? ) " '
' & # = & ( `> ' \ & " > & X' ' ' ? ) ' & Y X' ' & > \ " ' X'^ > \ ' # # _ ? % X' X' " = * ] >Q X' ' & X' " ? ) X' ' = ' > & ' $ Y & &
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# ~ ' ' " X'? X' \ & > ' & ' # & # ># & # X' ? * X' X' = X' Y & \ = Y & X'
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' X' ' `> ' ~ QX# X' = \ # ># & > # X' # & ? ~ ~ % <?page no="97"?> 3.3 Textsorte Erpresserbrief 97 / ! % , - Beschreiben Sie die Makrostruktur des folgenden Briefes: Welche formalen Elemente sind vorhanden, welche fehlen? Wie ist der Text strukturiert? Führen Sie anschließend eine Analyse der Textfunktionen und ihrer thematischen Muster durch. Unter Rückgriff auf die Kapitel 4 und 5 können Sie später den Brief einer Stil- und Fehleranalyse unterziehen. Versuchen Sie dann eine erste kategoriale Beschreibung des Emittenten. 18 " & " & " & ' = ? ' X' > ? # ! \ # ! \ # X# \ # ! \ # > X' \ # X' ? " & & X' ? " X' # # < & & # ? ' ? ! Q ! X# \ " Q ! X# \ X' > # \ X' X# X# ! X# ? # # > " ! Q> ? ? > " " " ? # # \ # ! ' & . Der folgende Brief entstammt einer Briefserie, in der ein katholischer Pfarrer und eine Ärztin bezichtigt werden, eine Affäre miteinander zu haben. 1. Worin bestehen hier Ernsthaftigkeitsversicherung, Zuschreibung der Verantwortung und Rechtfertigung der Vorgehensweise? Werden diese Themen direkt oder indirekt entfaltet? 2. Welche Charakteristika, die Artmann für Drohbriefe genannt hat, finden Sie, welche nicht? Handelt es sich Ihrer Meinung nach ‚noch‘ um einen Drohbrief oder ‚schon‘ um eine Erpressung (im Alltagsverständnis)? 18 Mehr über diesen Entführungsfall im Anhang. <?page no="98"?> 3 Textsorte 98 # # 3 , & ) 0 Im Zusammenhang mit dem Rückgriff der Emittenten auf Formulierungsmuster behördlicher Briefe wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Emittenten die Illokutionsstruktur dieser Briefe für ihre Zwecke instrumentalisieren, um ihrer illegitimen Forderung den Anstrich des Legalen zu geben. Diese Deutung des Vorgehens der Emittenten greift auf den textlinguistischen Ansatz Motschs (Motsch/ Pasch 1987; Motsch 1996, 2000) zurück, welcher an dieser Stelle kurz vorgestellt werden soll. Motsch sieht Texte als Resultate sprachlicher Handlungspläne. Sprachliche Handlungen stellen dabei einen Sonderfall von Handlungen im Allgemeinen dar. Wie alle Handlungen erfolgen sie mit einer bestimmten Intention unter bestimmten Bedingungen, die idealerweise beim oder durch den Adressaten zu den Konsequenzen führt, die sich der Sprecher wünscht. Sprachliche Handlungen setzen dabei illokutionäre Handlungen voraus, die ihrerseits durch Typen von Äußerungen mit bestimmten illokutiven Funktionen realisiert werden. Für einen Text heißt das, dass er eine bestimmte Intention hat, die von den Illokutionen des Textes bzw. von seiner Illokutionsstruktur gestützt wird. Motsch unterscheidet zwei grundlegende Kommunikationsintentionen, das G LAU - BEN und das W OLLEN . G LAUBEN wird durch repräsentative illokutive Handlungen realisiert, W OLLEN durch direktive, expressive oder deklarative Äußerungen, denen der Aufforderungscharakter gemeinsam ist. Bezogen auf Erpresserbriefe ist die Kommunikationsintention H: W OLLEN (p), d.h., der Sprecher will beim Hörer (H) ein bestimmtes Verhalten herbeiführen. Diese Intention wird nun durch die Illokutionen der einzelnen Sätze gestützt. Eine dominante Illokution in einem Erpresserschreiben wäre - vergleichbar mit der Auffassung Brinkers - die Handlungsaufforderung, die <?page no="99"?> 3.3 Textsorte Erpresserbrief 99 gestützt wird durch eine weitere illokutive Handlung, die den Erfolg der dominanten Handlung sichern soll. Diese wäre dann die Handlungsankündigung nach Brinker. Nach Motsch/ Pasch kann der Sprecher mit seinem Kommunikationsversuch nur erfolgreich sein, wenn der Hörer die „konstitutiven Bedingungen des Typs der illokutiven Handlung für gegeben hält“ (1987: 73), wenn er also die Handlungsaufforderung als berechtigt akzeptiert. Dazu muss der Sprecher in einer sozialen Position sein, die es ihm erlaubt, Befehle oder Weisungen zu erteilen. Erst wenn die konstitutiven Bedingungen als akzeptiert gelten, gelten auch die daraus erwachsenden sozialen Konsequenzen als durch den Hörer anerkannt (Motsch/ Pasch 1987: 29). Wenn aber beim Hörer Zweifel an der Berechtigung des Sprechers bestehen, besteht damit auch die Gefahr, dass der Sprecher mit seinem Kommunikationsversuch erfolglos sein könnte. Um dies zu vermeiden, greift der Sprecher zu stützenden (subsidiären) illokutiven Handlungen. Im Falle der Erpressung versucht er, die entsprechende Position, die ihn zu Anweisungen befugt, durch seine Handlungsankündigung herbeizuführen. Er teilt dem Hörer z.B. mit, dass er Lebensmittel vergiften wird. Diese illokutiven Handlungen stützen die Berechtigung, die sprachliche Handlung zu vollziehen, und zielen darauf ab, den Hörer dahingehend zu beeinflussen, dass er die Aufforderung als berechtigt akzeptiert. Thematisch werden mit den stützenden illokutiven Handlungen Faktoren, die negativ auf die Entscheidung des Hörers einwirken könnten, vorweggenommen und zu entkräften gesucht. Aus dieser Sicht sind die texthematischen Muster, über die sich nach Brinker die fakultativen Zusatzfunktionen realisieren, subsidiäre illokutive Handlungen. Ähnlich wie sich auch die fakultativen Funktionen textthematisch auseinander entfalten können, können subsidiäre Handlungen ihrerseits zueinander in Abhängigkeit stehen bzw. einander stützen, so dass sich Illokutionshierarchien bilden. Die subsidiären Handlungen lassen sich nicht nur danach beschreiben, ob sie selbst stützen oder ihrerseits gestützt werden, sondern auch danach differenzieren, in welcher Weise sie die dominante Handlung stützen: Entweder stützen sie das Verstehen, die Akzeptanz oder die Ausführung der eingeforderten Hörerhandlung (Gansel/ Jürgens 2009: 84). Fehlendes Verstehen, fehlende Akzeptanz und fehlende Handlungsfähigkeit stellen grundsätzliche Hindernisse für das Gelingen des Kommunikationsversuchs des Sprechers dar. Insofern beziehen sich subsidiäre illokutive Handlungen auf die Erfolgsbedingungen der jeweils dominanten illokutiven Handlung. Subsidiäre Handlungen, die auf das Verstehen abzielen, erläutern die Handlung. Handlungen, die die Akzeptanz einer dominanten Handlung erwirken sollen, begründen die Handlung. Beziehen sie sich auf die Fähigkeit des Hörers, die Handlung zu erfüllen, versehen sie den Hörer mit weiteren Informationen, wie z.B. im Falle der Übergabemodalitäten, die eine subsidiäre Handlung zur Handlungsaufforderung darstellen, dem Erpresser Geld zu geben. Indem er dem Hörer mitteilt, wann und wo die Geldübergabe stattzufinden hat, versetzt der Sprecher diesen erst in die Lage, die Forderung zu erfüllen. Motsch/ Pasch weisen auch darauf hin, dass „subsidiäre illokutive Handlungen [...] stets Feststellungen über Sachverhalte zu sein [scheinen]. Falls sie in der Form eines Imperativsatzes oder eines Fragesatzes auftreten, [...] so liegt <?page no="100"?> 3 Textsorte 100 eine übertragene Äußerungsbedeutung vor (z.B. bei rhetorischen Fragen, Begründungen)“ (1987: 75). Am folgenden Text soll exemplarisch illustriert werden, wo eine solche Analyse ansetzen könnte (die Ziffern wurden eingefügt, Fehler im Original): " > O ' X' & q { > ' } } > q { " O X' ? # > " q { X' Q > ` > ? q { " " ? X' ' Q #^ ? q { ~ ' ) q { & X' > q { Satz 1 stellt die Zahlungsaufforderung an den Geschäftsmann dar. Diese Aufforderung wird von Satz 2 durch die geschaffene Bedingung gestützt und soll die Akzeptanz der Handlung stützen. Der Emittent nimmt damit vorweg, dass der Rezipient des Schreibens an der Berechtigung der Forderung Zweifel haben könnte. Teilsatz 3 ist auf Satz 1 bezogen und ausführungsstützend, da der Hörer nun weiß, wie er das Geld transportieren soll. Satz 4 enthält eine weitere Aufforderung, die sich auf das Wohlverhalten des Opfers bezieht und die durch Satz 5 gestützt wird. Die Erklärung, warum eine Zeitspanne von 30 Minuten gefordert wird, zielt auf die Stützung der Akzeptanz auch dieser Aufforderung in zweierlei Hinsicht: Zwar teilen die Täter mit, dass ihr Einfluss auf das Opfer nach 30 Minuten endet, dies setzt aber voraus, dass das Opfer bis dahin der Kontrolle der Täter unterlegen hat. Damit verbalisieren die Täter zwei indirekte Ziele: Beruhigung und Angst des Opfers, die jeweils zum gewünschten Wohlverhalten des Opfers beitragen. Satz 6 und Teilsatz 7 sind ebenfalls subsidiäre Handlungen, die das Verständnis einer im Vorfeld erfolgten, nicht-verbalen Handlung sichern sollen, indem sie Art und Funktion des Gestanks erläutern. Der hier skizzierte Ansatz Motschs bietet durch die Analyse der subsidiären Handlungen Einsichten in die Strategien des Emittenten, den Erfolg des Kommunikationsversuchs zu sichern. Unter Umständen lässt er damit auch Rückschlüsse auf seine Einstellung gegenüber der Tat zu. Die Ausführungen zu inkriminierten Schreiben im Rahmen dieser Einführung haben sich bislang auf die Textsorte Erpresserbrief und deren Analyse nach Brinker beschränkt. Die Analyse anderer forensischer Textsorten steht noch aus. Die Textsorten Geständnis und Zeugenaussage als Formen der Bezichtigung sind indirekt Gegenstand des Kapitels 6, in dem es um die Eigenschaften narrativer Texte geht. Im vorliegenden Kapitel soll unter dem Aspekt der Textsortenspezifik exemplarisch noch eine weitere Textsorte vorgestellt werden: der Abschiedsbrief. # * ( In der Bundesrepublik nehmen sich jährlich ca. 10.000 Menschen das Leben. In knapp einem Drittel dieser Fälle findet sich ein Abschiedsbrief des Opfers. Äußerlich <?page no="101"?> 3.4 Textsorte Abschiedsbrief 101 zeichnen sich solche Briefe dadurch aus, dass sie eher auf Notizblöcken, Kalenderblättern oder z.T. bedruckten Zetteln als auf Briefpapier geschrieben sind. Sie sind darüber hinaus sehr kurz und liegen im Wortumfang meist unter 300 Wörtern. In einer Auswertung von 204 Briefen durch die Gerichtsmedizin der RWTH Aachen nahmen sie in mehr als 50% der Fälle nicht mehr als eine DIN-A-5-Seite ein. Abschiedsbriefe sind überwiegend handgeschrieben und weisen eine hohe orthographische Fehlerhaftigkeit auf. Syntaktisch ist ihr sprachliches Niveau messbar vermindert. 19 Psychologisch ist Suizidalität ein gut beforschtes Phänomen. Abschiedsbriefe von erfolgreichen und gescheiterten Suizidanten sind immer wieder Bestandteil der Forschung, da man sich Einsichten in den mentalen Zustand des Betreffenden und die Beweggründe für den Selbstmord erhofft. Die meisten dieser Studien arbeiten mit dem Verfahren der Inhaltsanalyse. Leenaars (1988) hat aus unterschiedlichen Theorien zur Suizidalität acht sog. Cluster herausgearbeitet, die das Phänomen des Suizids beschreiben und die jeweils eine Reihe von Unterspezifikationen besitzen. Sie lassen sich danach unterscheiden, ob sie intrapersonelle oder interpersonelle Elemente umfassen (Leenaars et al. 1994: 100f.). Intrapersonelle Elemente sind 1. der unerträgliche psychische Schmerz, 2. die kognitive Einengung (durch überwältigende Gefühle, die die Logik und die Wahrnehmung beeinträchtigen), 3. der indirekte Ausdruck, der die innere Ambivalenz ausdrückt, 4. die Unfähigkeit zur Anpassung an das Leben, das als ausschließlich negativ empfunden wird, und 5. das Ego, das den Wunsch zu sterben und zugleich die Unfähigkeit zu Bindungen ausdrückt. Den interpersonellen Aspekt beschreiben 6. die zwischenmenschlichen Beziehungen (in denen Bedürfnisse nicht erfüllt wurden), 7. die Zurückweisung - Aggression und 8. die Identifikation - Auswegsuche. Da der interpersonelle Aspekt ein konstituierendes Element des Phänomens Suizid ist, erklärt sich so auch, weshalb Suizidanten regelmäßig Abschiedsbriefe schreiben. Inhaltsanalysen von simulierten wie echten Abschiedsbriefen zeigen, dass sich die genannten thematischen Kategorien tatsächlich in den Briefen finden. Allerdings sagt die Anwesenheit derartiger Textthemen eher etwas darüber aus, wie sich die Gesellschaft (die Suizidanten eingeschlossen) den Inhalt von Abschiedsbriefen vorstellt, als dass sie ein direktes Spiegelbild des suizidalen Zustandes des Emittenten wären und 19 Vgl. Altmann/ Schwibbe (1989: 87-89). Freundlicher Hinweis von K-H. Best. <?page no="102"?> 3 Textsorte 102 ihre konkrete Ausgestaltung die individuellen Beweggründe für den Selbstmord offenlegen würde. Der Wert von Abschiedsbriefen bei einer unklaren Todesursache oder bei Zweifeln an einem tatsächlichen Selbstmord ist daher von jeher sehr unterschiedlich bewertet worden. Sein Aussagewert ist, gemessen an anderen Möglichkeiten, im Rahmen der Ermittlung Informationen über eine mögliche Suizidalität des Opfers zu erhalten, eher gering. Auch hat sich nicht bestätigt, dass sich die Beweggründe derer, die einen Brief hinterlassen, von den Gründen der Nicht-Schreiber unterscheiden würden. Es gelte wohl noch immer der Schluss, dass Abschiedsbriefschreiber „einfach bessere Kommunikatoren seien“ (Leenaars et al. 1994: 99). Dennoch wird in Studien, die sich mit dem Inhalt von Abschiedsbriefen befassen, immer wieder bedauert, dass „diese Mitteilungen überwiegend durch eine gewisse Banalität geprägt sind“ (Ammon 1994: 170), dass sie langweilig und voller Allgemeinplätze seien und eher nicht den Königsweg zu einem besseren Verständnis suizidaler Phänomene darstellten (Shneidman 1993: 94). Die Unzufriedenheit, die aus diesen Äußerungen spricht, hat ihren Ursprung darin, dass die eigentliche, kommunikative Funktion der Abschiedsbriefe dabei übersehen wird: „Seeking motives for suicide in notes ignores the fact that notes are acts of communication, and therefore salient to the relationships of suicidal individuals, rather than simply reflecting the state of the so-called ‘suicidal mind.’ “(Sanger/ McCarthy Veach 2008: 354f.) Traditionell liegt der Schwerpunkt der Analyse von Abschiedsbriefen auf der Analyse ihres Inhalts, nach theoretisch a priori definierten Kategorien, wie z.B. den o.g. nach Leenaars. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Autoren ihre wahren Motive offenbaren. Die Sprache selbst gilt dabei nur als Medium dieser Motive - eine Auffassung, die andere Funktionen von Sprache und sprachlichem Handeln nicht ausreichend berücksichtigt. Eine textlinguistische Untersuchung könnte auf die Erkenntnisse psychologischer Studien zurückgreifen, diese mit einer textfunktionalen Analyse verbinden und damit der kommunikativen Funktion des Briefes besser gerecht werden. Textlinguistisch gesehen sind Abschiedsschreiben private Briefe, deren primäre Funktion die Kontaktfunktion ist. Sie dienen dazu, die zwischenmenschliche Beziehung zum Adressaten (wieder) herzustellen oder aufrecht zu erhalten, ungeachtet der Tatsache, dass diese Beziehung durch die Tat endgültig beendet wird (Sanger/ McCarthy Veach 2008: 356). McClelland/ Reicher/ Booth (2000: 227) ist daher darin zuzustimmen, dass Abschiedsbriefe eher etwas darüber aussagen, wie die Beziehung des Schreibers zum Adressaten ist, als dass sie etwas über sein Innenleben verraten. Die Kontaktfunktion zeigt sich an explizit performativen Formeln mit Verben wie danken, sich entschuldigen, bitten, verfluchen etc. wie z.B. im folgenden Text aus Ammon (1994: 166). <?page no="103"?> 3.4 Textsorte Abschiedsbrief 103 } & _ & | # >Q " | \ ' & ' & ? X' # X' ' ? | ' > ' > X' & ' & \ X' ' & X' ' & \ " ' X' X' # ' & ? X' ' >> \ ' " Q& ' ? | X' X' ^X' & & & " & = ' Thematisch entfaltet sich die Kontaktfunktion von Abschiedsbriefen über die Thematisierung unterschiedlicher Aspekte der Beziehung zu anderen bzw. zum Adressaten, z.B. in Form positiver Formulierungen (hab Dank, Ich liebe Dich), negativer Formulierungen (Ich kann es einfach nicht überwinden, von Anja so verachtet zu werden), als Bitte um Verzeihung oder Schuldzuweisung (bitte verzeiht mir, ich bin ein Versager), als die Sorge um andere (ich hoffe, ihr werdet alles überstehen), die Anerkenntnis, dass eine Beziehung zu Ende ist, oder in der Form von Erklärungen (Nachdem du mich jetzt wie einen alten Schuh auf die Seite stellst und mich mit Bernhard verlässt, hält mich nichts mehr) 20 , vgl. Sanger/ McCarthy Veach (2008). Mehrere Studien haben belegt, dass wider Erwarten die positiven Formulierungen überwiegen (Jones/ Bennell 2007). Ein Bezug auf die (gestörte) Kommunikation mit dem Adressaten sollte nach Ansicht Olssons (2004) dennoch erkennbar sein: Der Emittent sollte ansprechen, was zuvor nur indirekt oder gar nicht gesagt werden konnte, wie z.B. ich habe keinen Menschen dem ich mich anvertrauen kann. Die Kontaktfunktion bei Abschiedsbriefen ist von der geplanten Selbsttötung bestimmt bzw. der Kontakt zum Adressaten wird aus diesem Anlass erst gesucht. Hauptthema des Briefes ist der geplante Selbstmord. Nach Olsson (2004) sollte ein Abschiedsbrief daher eine eindeutige Aussage enthalten, die sich auf den Akt der Selbsttötung und/ oder auf den Abschiedsbrief selbst bezieht (Monika, wenn Du diesen Brief bekommst, bin ich schon tot). Die Aussage sollte einfach formuliert, direkt und thematisch, also das Thema einer Thema-Rhema-Struktur sein. Dies bedeutet nicht, dass die Aussage selbst explizit die Tötungsabsicht nennen muss, im Gegenteil, die diesbezüglichen Formulierungen zeichnen sich durch euphemistische und indirekte Wortwahl aus oder sind elliptisch. 20 Beispiele aus Ammon (1994) und Döhner/ Bojanovsky (1987). <?page no="104"?> 3 Textsorte 104 Zu bedenken ist, dass Selbstmord einen Verstoß gegen eine sehr starke Norm darstellt, der darüber hinaus auch als Zeichen gelesen werden kann, dass andere es versäumt haben, sich ausreichend um den Suizidanten zu kümmern. Insofern lassen sich die Abschiedsbriefe primär als Versuch verstehen, die dadurch entstandene Schuld zu mildern, indem die Emittenten Gründe anführen, die nicht so sehr ihren wahren Gründen entsprechen als vielmehr denen, die die Gesellschaft akzeptiert, um diesen illegitimen Akt zu legitimieren (McClelland/ Reicher/ Booth 2000: 228). Dieser Reichweite der Legitimationsfunktion ihres Briefes werden sich die Emittenten in den seltensten Fällen bewusst sein. Die Auswertung von Ammon (1994) hat ergeben, dass in nur zwei Fällen von 204 Briefen die sozial sehr problematische Tötungsabsicht explizit formuliert wurde. Inhaltlich ließen sich die Briefe in fünf Gruppen unterteilen, die unterschiedliche thematische Schwerpunkte setzen. Dabei überwog die Zahl der Briefe deutlich, in denen um Verzeihung, Verständnis und Entschuldigung gebeten wurde und einige testamentarische Anweisungen gegeben wurden. Dies bestätigen auch die Ergebnisse von McClelland/ Reicher/ Booth (2000). Die Kontaktfunktion der Abschiedsbriefe wird regelmäßig ergänzt durch Formulierungen mit deklarativer Funktion, die durch das sprachliche Einführen von Fakten eine neue Realität schaffen. In Abschiedsbriefen entfalten sie sich als thematische Muster, die die Form der Bestattung betreffen, die Regelung der Finanzen und des Eigentums, die Verständigung von Autoritäten, die Bitte, sich um Hinterbliebene zu kümmern, oder auch die Regelung banaler Dinge, wie z.B. das Abbestellen der Zeitung, vgl. auch Ammon (1994: 168): | % X # = # > * = & ' % X = >Q X' & * X' \ j ! & ? Ein Abschiedsbrief stellt eine letzte Form der Kommunikation mit einer kommunikativen Absicht dar, die über die Tat selbst hinausreicht. Der Emittent verwendet viel Energie darauf, den potentiellen Rezipienten zu Handlungen zu veranlassen, die er selbst nicht mehr ausführen kann. Während der Textproduktion befindet sich der Suizidant in einem mentalen Zustand, der bestimmte Eigenschaften, wie z.B. die kognitive Verengung aufweist. Da die Psychologie davon ausgeht, dass sich derartige innere Zustände einer Person in ihrer Sprachverwendung niederschlagen (Jones/ Bennell 2007), ist bei suizidalen Briefschreibern zu erwarten, dass sich ihre Formulierungsmuster von denen nicht-suizidaler Briefschreiber unterscheiden. Jones/ Bennell nennen als Beispiel die Beobachtung mehrerer Studien, dass (gefälschte) Abschiedsbriefe nicht-suizidaler Schreiber durch die vermehrte Wahl kognitiver Verben Prozesse des Problemlösens dokumentieren, wohingegen der Schreiber eines echten Briefes die Lösung bereits in der geplanten Tat gefunden hat und daher sein Brief derartige Ansätze in geringerem Umfang oder gar nicht aufweist. <?page no="105"?> 3.4 Textsorte Abschiedsbrief 105 Eng verbunden mit dieser Erwartung eines unterschiedlichen Sprachgebrauchs sind die Fragen danach, wie glaubwürdig ein Abschiedsbrief ist oder ob man echte von gefälschten Abschiedsbriefen unterscheiden kann (vgl. dazu Kapitel 6.2.2). Kommen z.B. Zweifel daran auf, dass das Opfer sich tatsächlich selbst das Leben genommen hat, kann eine Briefanalyse, die die Authentizität des Briefs belegt, durchaus hilfreich sein. Auch für die präventive Arbeit mit selbstmordgefährdeten Personen ist dieses Wissen von großem Wert. Nach wie vor ist aber die unterscheidende Kraft derartiger sprachlicher Merkmale strittig. Die grundsätzliche Problematik der Unterscheidbarkeit von Stil über bestimmte sprachliche Merkmale, wie sie auch in psychologischen Studien z.T. unkritisch vorausgesetzt wird, ist Gegenstand von Kapitel 4. McClelland/ Reicher/ Booth (2000) konnten feststellen, dass das Mildern der Schuld ein zentrales Thema von Abschiedsbriefen ist und, dass, um es zu erreichen, von den Selbstmordopfern unterschiedlich argumentiert wird. 1. Wie geht der Emittent des Briefes 21 unten damit um? Sucht er die Schuld bei sich, bei anderen oder versucht er mögliche Rezipienten von Schuld freizusprechen? Welche Gründe bietet er an? 2. Welche intra- und interpersonellen Elemente der Suizidalität nach Leenaars (1988) spiegelt der Brief? \ " # \ & X' ' & Q X' = ? | # & X' ? X' " > X' X' ' " \ " & } & \ | # ? X' " X' = QX# \ " X' = & X' _ # " X' X' > ? X' ' X' X' & X' } & \ & " ' X' ? j \ X' ' & j " ?
! > ' X' \ X' " > X' X' ' " " ' \ " j # X' X' ' ? ? 21 Aus Ammon (1994: 168). <?page no="107"?> * 9 Die Stilanalyse eines inkriminierten Schreibens ist neben der Fehleranalyse (Kapitel 5) der Kern einer forensischen Textanalyse. Anders als die Literaturwissenschaft definiert die forensische Textanalyse dabei Stil nicht als eine Abweichung von der Norm; sie arbeitet nicht mit einem deviatorischen Stilbegriff. Die Abweichung von einer oder mehreren Normen zu beschreiben, fällt vorrangig in den Bereich der Fehleranalyse. Daher ist die Fehleranalyse auch nicht Teil der Stilanalyse. 1 McMenamin (1993: 153) ebenso wie Spillner (1990a: 476, 2010: 1755) haben darauf hingewiesen, dass Fehler Abweichungen sind, die keinen Stil darstellen, und dass es Stil gibt, der sich nicht als Abweichung präsentiert. Natürlich können augenfällige Abweichungen in einem Text, wenn sie auch in Vergleichsschreiben zu finden sind, einen entsprechenden Indizienwert erlangen. Problematisch am deviatorischen Stilbegriff als Grundlage für eine forensische Textanalyse ist eher, dass er den Blick auf den Text unnötig verengt, da unter diesem Aspekt nur nach Abweichungen gesucht würde. Schließlich ist der Bereich, in dem man von Abweichung und nicht von Fehler spricht, ein Spannungsfeld, das sich darüber konstituiert, wie allgemein oder spezifisch die jeweilige Norm ist, die als Maßstab angelegt wird. Je allgemeiner die Norm formuliert ist, desto häufiger wird eine sprachliche Wahl als Abweichung und nicht als Fehler bewertet, vgl. Spillner (1974: 39f.), McMenamin (1993: 144). * . 9 B Stil ist etwas, das sich im Gebrauch der Sprache durch den Einzelnen entfaltet und das der Rezipient in der Lage ist, wahrzunehmen. Um Stil wahrnehmen zu können, muss dieser Stil distinkt sein; Distinktheit ihrerseits ist dann gegeben, wenn der Rezipient auf den Stil reagiert. Spillner (1990a: 476) geht daher von einem kommunikativen Stilbegriff aus, der nicht nur die Produktions-, sondern auch die Rezeptionsbedingungen von Stil berücksichtigt, denn die Reaktion auf bestimmte sprachliche (stilistische) Merkmale ist direkt abhängig von den Erwartungen des Lesers an den Text. Die Erwartungshaltung des Lesers ist seine aktuelle Erwartungsnorm, an der sich der Text misst. Eine Kontrollgruppe von Lesern kann dabei für einen Text stilistische Stimuli (Sanders 1989: 289) benennen, so dass sich aus deren Zusammenführung die Reichweite der Norm ableiten lässt. Stilbildend für einen Text kann daher gerade sein, dass er die Erwartungen des Lesers erfüllt. Stil ist immer nur eine Folge der bewussten wie unbewussten sprachlichen Entscheidungen des Emittenten und damit eine „virtuelle Eigenschaft von Texten“, die stets vom Rezipienten „rekonstruiert“ werden muss (Sandig 2006: 53). Welche Wir- 1 Anders Breuer (2010: 1740). <?page no="108"?> 4 Stil 108 kungen der Autor beim Rezipienten erzielt, ob sein Stil erfasst wird oder nicht, ob dieser wie beabsichtigt oder auch anders wahrgenommen wird - dies bleibt bis zu einem gewissen Grad unvorhersehbar, denn weder ist sich der Autor all seiner sprachlichen Entscheidungen bewusst, noch kennt er Erfahrung, Erwartung und Haltung des Rezipienten, mit denen dieser dem Text begegnet. Entsprechend resümieren Grant und Baker (2001) in ihrer Replik auf Chaski (2001) auch, dass es nach wie vor bei einer Annäherung an das Phänomen des individuellen Stils bleibe, denn es bestehe eine Lücke zwischen der Ebene der Beschreibung des Stils und seiner Erfassung, die wir nicht überbrücken können. Während die quantitative Stilistik im Grunde davon ausgeht, dass Stil rezipientenunabhängig erfassbar ist, wird eine kommunikative Stilauffassung eher zu dem Schluss kommen, dass diese Lücke zwischen Beschreibung und Erfassung nicht Teil eines zu überwindenden Problems, sondern elementares Charakteristikum des Phänomens Stil ist. Vor diesem Hintergrund sind Stilistik und Stilanalyse als fortwährender Versuch zu verstehen, die grundsätzlich subjektive Erfahrung der Stilwahrnehmung zu objektivieren: die quantitative Stilanalyse, indem sie rechnergestützt die Fähigkeit bestimmter Stilmerkmale zur Diskriminanz an Textkorpora (ab)prüft, die kommunikativpragmatische Stilanalyse dadurch, dass sie die Bedingungen der Stilrezeption detailliert beschreibt. Im Zusammenhang mit einer anonymen Autorschaftsbestimmung kann die Einschätzung des Einzelnen nur dann Bestand haben, wenn sie die Rezeptionsbedingungen explizit macht und sich auf Merkmale stützt, deren Bedeutung für die Stilwirkung des Textes auch von anderen nachvollzogen werden kann. * ! 9 4 Es sind also zwei Formen der Stilanalyse zu unterscheiden: die qualitative und die quantitative Stilanalyse. Beide Verfahren untersuchen die sog. Stilmerkmale eines Textes. Diese Merkmale sind salient (auffallend), sie sind identifizierbar und in der Regel quantifizierbar. Für jede Analyse werden zunächst Stilmerkmale bestimmt, auf die hin der Text analysiert werden soll. Die Auswahl der Elemente selbst ist immer qualitativ, sie stellt eine subjektive Vorentscheidung dar, auf deren Basis eine weitere, ggf. quantitative Auswertung erst erfolgen kann. Im Unterschied zu einer quantitativen Analyse erhalten nun aber Merkmale in einer qualitativen Analyse ihre Signifikanz nicht nach der Häufigkeit ihres Vorkommens oder nach Auffälligkeiten der aus ihnen statistisch ermittelten Werte, sondern nach dem Grad der Markantheit, den sie besitzen. Wer aber bestimmt, was markant und aussagekräftig ist? Dieser Grad lässt sich nur zum Teil quantitativ herleiten, z.B. auf der Basis paralleler Erhebungen zu einem bestimmten sprachlichen Phänomen. Die Entscheidung, was in einem Text aussagekräftig ist oder nicht, ist also die Entscheidung dessen, der den Text analysiert, und basiert auf seiner linguistischen Erfahrung und seiner Stilkompetenz. Dies heißt nicht, dass die Auswahl willkürlich wäre, sondern dass für jeden Text individuell begründet werden muss, weshalb dieses oder jenes Element als aussagekräftig für die Analyse einzustufen ist. Die Begründung kann <?page no="109"?> 4.2 Formen der Stilanalyse 109 dabei ganz unterschiedlich lauten. Was in dem einen Text aussagekräftig ist, kann es in einem anderen Text eines anderen Verfassers schon nicht mehr sein. Bei einer qualitativen Analyse muss ein Element, z.B. ein Lexem, ggf. nur einmal vorkommen, hat aber aus bestimmten Gründen eine gewisse Aussagekraft, bspw. dass ein Schreiber von faschieren und nicht von kleinhacken spricht. Des Weiteren unterscheidet sich die qualitative von der quantitativen Stilanalyse dadurch, dass sie sich nicht nur auf Oberflächenphänomene konzentriert, sondern in Anlehnung an die pragmatische Stilistik die realisierten sprachlichen Strukturen auch in Hinblick auf ihre kommunikativ-pragmatische Funktion prüft. Dies schließt eine Untersuchung der Art und Weise, wie der Inhalt des Textes in Abhängigkeit von der Textsorte und vom eigenen Anliegen realisiert wird, mit ein. Dahinter steht die Annahme, dass sich ein Individualstil am ehesten in der Kombination der Oberflächenmerkmale mit dem argumentativen Vorgehen des Emittenten erkennen lässt, also daran, wie der Einzelne sein Anliegen formal wie inhaltlich im Detail umsetzt. Brinker (1989) hat in diesem Zusammenhang mehrfach die Vermutung geäußert, dass die Struktur der thematischen Entfaltung eng mit der Persönlichkeit des Einzelnen verknüpft sei und sich daher auch einer Manipulation von außen weitgehend entziehe. Die quantitative Stilanalyse stützt sich auf statistische Verfahren. Voraussetzung ist eine ausreichend große Datenmenge. Außerhalb des forensischen Kontextes hat die quantitative Stilanalyse oder auch Stilometrie im Bereich der Autorschaftsbestimmung (im Rahmen der Literaturwissenschaft) Entscheidendes beitragen können. 2 Dabei sind Umfang und Homogenität der ausgewerteten Textmengen der wichtigste Faktor für valide Ergebnisse. Zum einen sollte die zu analysierende Datenmenge einen Mindestumfang haben, der 1000 Wörter nicht unterschreiten sollte 3 und zum anderen sollten Tat- und Vergleichsmaterial möglichst identischen Textsorten angehören. Einige quantitative Messverfahren, wie z.B. das der lexical richness, verlangen darüber hinaus, dass ein Tat- und ein Vergleichstext dieselbe Länge haben, da ihre Werte direkt von der Textlänge abhängen und nur bei gleicher Textlänge vergleichbar sind. Diese Anforderungen an die Texte sind im forensischen Kontext selten erfüllt. In Fällen mit inkriminierten Texten liegt Material meist in unterschiedlichem Umfang vor und besteht aus Texten unterschiedlicher Textsorten. Oft bestehen die Tatschreiben aus weniger als 100 Wörtern, so dass sich die Analyseverfahren der Statistik nicht anwenden lassen. Werden sie dennoch verwendet, ist damit zu rechnen, dass die Ergebnisse verzerrt sind. Olsson (2004) hat dies am Vergleich von Textausschnitten zweier englischer Autoren gezeigt. Für jeden Autor wählte er einige Textausschnitte aus, die jeweils 400 Wörter umfassten und ermittelte für die Satzlänge das statistische Mittel. Die Werte für die unterschiedlichen Texte eines Autors zeigten keine besondere Ähnlichkeit und 2 Vgl. dazu den Überblick von Holmes für den angelsächsischen Raum (1998); siehe auch Wickmann (1981). 3 Olsson nennt diesen Wert als Richtschnur. Es hängt vom zu untersuchenden Merkmal ab, ob evtl. auch eine kleinere Menge genügt. <?page no="110"?> 4 Stil 110 unterschieden sich voneinander ebenso wie von den Texten des anderen Autors. Olsson erweiterte nun die Textausschnitte etwas und zeigte, dass sich bei nun 1000 Wörtern die Satzlängenwerte der Texte eines Autors erkennbar einander annäherten bzw. sich von denen der Texte des anderen Autors stärker unterschieden, d.h., die Länge des ausgewerteten Textes hatte eine direkte Auswirkung auf die ermittelten Werte. Daher gelten aktuelle Bemühungen forensischer Stilometrie u.a. der Suche nach quantifizierbaren Merkmalen, die auch in kurzen Texten ihre Verlässlichkeit behalten. Unabhängig von der Methode, nach der die sprachlichen Daten erhoben worden sind, ob also qualitativ oder quantitativ, bedürfen sie stets einer Auswertung durch einen Linguisten. Die Ergebnisse der Auswertung sind dabei umso aussagekräftiger, je deutlicher beide Auswertungen zu vergleichbaren Interpretationen und ähnlichen Schlussfolgerungen kommen (Tuldava 2005: 370). Dies gilt insbesondere für den forensischen Kontext. * ! 4 C '% Das folgende Beispiel ist einer der seltenen Fälle, in denen eine quantitative Auswertung den zunächst nur qualitativ gestützten Zweifel an der Authentizität eines inkriminierten Textes im Nachhinein bestätigen konnte. Es handelt sich um den Fall des Timothy John Evans, der des Mordes an seiner Frau Beryl und seiner Tochter Geraldine angeklagt war und später zum Tode durch den Strang verurteilt wurde. Timothy John Evans war ein einfacher, kaum durchschnittlich intelligenter Arbeiter, der nur seinen Namen schreiben und ein paar Wörter lesen konnte. Er machte auf sich aufmerksam, weil er am Nachmittag des 30.11.1949 auf der Polizeiwache in Merthyr Tydfill in Wales erschien, und angab, er wolle sich stellen, er habe seine Frau beseitigt („I want to give myself up, I have disposed of my wife“). Während des Prozesses beteuerte Evans immer wieder, unschuldig zu sein, obwohl eines der Vernehmungsprotokolle sein Geständnis enthielt. Der Aussagewert dieses Protokolls war schon vor Gericht strittig, änderte aber nichts am Urteil. Später stellte sich heraus, dass sein Vermieter Reginald Christie Evans’ Frau und Kind ermordet und Evans geschickt so manipuliert hatte, dass dieser dabei half, die Leiche der Ehefrau zu verstecken, und sich zugleich die Schuld an ihrem Tod gab. Bei der Durchsuchung des Hauses stießen die Ermittler auf weitere Frauenleichen, die Christie vergraben hatte. Der Fall ging als einer der größten Serienmörderfälle in die Geschichte Englands ein. 4 Evans’ Unschuldsbeteuerungen und das Geständnis Christies waren der Anlass für John Svartvik, 1967 posthum eine quantitative Analyse der fraglichen Polizeiprotokolle vorzunehmen. 5 Die Ergebnisse der Analyse zeigten, dass das entscheidende Protokoll weniger die Aussage des Angeklagten wiedergab, sondern eher deren Interpretation durch den vernehmenden Beamten. Dies stützte im Nachhinein Evans’ Aussage vor Gericht und trug dazu bei, dass der Verurteilte postum freigesprochen wurde. 4 Der Fall wurde 1971 als 10, Rillington Place mit Richard Attenborough und John Hurt in den Hauptrollen verfilmt. 5 Jan Svartvik (1968): The Evans Statements. <?page no="111"?> 4.2 Formen der Stilanalyse 111 Spektakuläre Fälle, in denen durch eine linguistische Text- und Stilanalyse eine Rehabilitierung eines Verurteilten erreicht werden konnte, sind mehrfach aus England bekannt und reichen bis in die 1990er Jahre, als Video- oder Tonbandaufzeichnungen der Vernehmungen obligatorisch wurden. Bis dahin wurden die Niederschriften der vernehmenden Beamten häufig als direkte Wiedergaben der Zeugenaussagen behandelt, ohne dass das Zustandekommen dieser Texte ausreichend gewürdigt worden wäre. Coulthard hat mehrfach (1992, 2010) die spezielle Konstruktion von Vernehmungsprotokollen behandelt und nachgewiesen, dass sie nicht so sehr den Inhalt der Vernehmung dokumentieren, sondern vielmehr das Wissen der Gesprächsteilnehmer für ein noch unwissendes Publikum (den sog. overhearer) in einem späteren Prozess aufbereiten. Problematisch war die Form der Protokollführung auch im Fall Evans, was letztlich Zweifel an der Authentizität des Wortlauts aufkommen ließ. So verfuhren die Protokollanten z.B. mit der Wiedergabe von Zeitangaben und von kontrahierten Formen wie he’d für he would unterschiedlich. Während alle Protokolle dialektale Formen wie she never said no more und I done my work belegten und auch Wiederholungen und umgangssprachliche Wendungen, die für Mündlichkeit charakteristisch sind, wies eines der Protokolle (NH 2) zusätzlich stilistisch gehobene Wendungen auf wie I took her down to the flat below the same night whilst the old man was in the hospital oder he handed me the money which I counted in his presence (Svartvik 1968: 22, 24), obwohl Evans nachweislich nur dialektal gefärbten Substandard sprach. Der Fall Evans ist insofern von Bedeutung, als es hier durch den stilistischen Vergleich und die statistische Auswertung von sehr begrenztem Material gelang, Inkonsistenzen in der Sprachverwendung nachzuweisen. Dies betraf neben der Wortwahl auch die Form der verwendeten Nebensätze. Sie wichen genau in den Abschnitten von der an anderen Stellen dokumentierten Verwendungsweise ab, in denen Evans laut Protokoll zugab, seine Frau und seine Tochter umgebracht zu haben, und sein Vorgehen beschrieb. Es lagen insgesamt vier Protokolle vor, die in zwei Polizeistationen angefertigt worden waren: MT 1 und 2 in Merthyr Tydfill (MT) in Wales und NH 1 und 2 im Londoner Polizeirevier von Notting Hill (NH). Für die Textanalyse waren die zwei ausführlicheren Protokolle von Bedeutung: MT 2 und NH 2. MT 2 enthielt 1782 Wörter und NH 2 1936. Während Evans in MT 2 nur erklärte, er habe den Leichnam seiner Frau beseitigen wollen, enthielt NH 2 im Mittelteil die Schilderung der Morde. Aufgrund dieses qualitativen Unterschieds wurden MT 2 und NH 2 schon für den Prozess nach inhaltlichen Kriterien in die Teile (a), (b) und (c) gegliedert und NH 2 in Teil (b) nochmals in die Abschnitte ii, iii und iv; (a) wurde als Abschnitt i, (c) als Abschnitt v gezählt. Dazu erklärte Evans wiederholt, dass Teile von NH 2 (b) nicht wahr seien. Hingegen war MT 2 das Protokoll, das Evans als wahr deklarierte, so dass MT 2 als positives Gegenstück zu NH 2 gelten kann. Svartvik ging nun folgendermaßen vor: Er definierte Sätze bzw. die Satzgrenzen zunächst nach rein orthographischen Kriterien und zählte anschließend die Sätze für jeden der drei Teile von MT 2 und NH 2 aus: Für NH 2 entfielen 44 Sätze auf Teil (a), <?page no="112"?> 4 Stil 112 47 auf Teil (b) und 18 auf Teil (c). Anschließend ermittelte er für jeden der Sätze die Anzahl der (Neben-)sätze mit finiten Verbformen (finite verb clauses). Danach bestimmte er diese finite verb clauses formal und funktional nach sechs Satztypen: 1. freie unmarkierte Sätze (Typ A), 2. nebengeordnete Sätze mit frei verschiebbarem Relator 6 wie then (Typ B1 und B2 je nach Stellung des Relators), 3. nebengeordnete Sätze mit nicht verschiebbarem Relator wie so, but (Typ C), 4. Sätze mit elidiertem Subjekt (Typ D), 5. durch stellungsfeste Konjunktionen untergeordnete Sätze (Typ E) und 6. Relativsätze (Typ F). Die absoluten Häufigkeiten jedes Satztyps für jeden Textabschnitt für NH 2 stellte er anschließend in einer Kontingenztabelle (1968: 31) zusammen (vgl. Tabelle 1). O ( O &( O X( * | ]! Tab. 1: Satztypen in NH 2 Teil (b) von NH 2 unterschied sich von den anderen Abschnitten durch das häufige Vorkommen des Satztyps B mit frei verschiebbarem Adverb bzw. Relator: Diese Satzstruktur kam insgesamt in Teil (b) 25-mal vor, davon 21-mal als Typ B2 mit der Abfolge Subjekt-Adverbiale (I then). In den übrigen Abschnitten war Typ B2 nur jeweils einmal belegt, trotz vergleichbaren Wortumfangs. Auch in einem zweiten Punkt unterschied sich Teil (b) von den anderen Abschnitten. Es überwog als Satztyp der Typ D mit elidiertem Subjekt, was eine enge Satzverknüpfung voraussetzt - das Subjekt muss bereits genannt sein - und für Mündlichkeit in 6 Darunter sind Adverbien wie then zu verstehen, die im Englischen sowohl vor als auch nach dem Subjekt stehen können sowie koordinierende Konjunktionen (but). <?page no="113"?> 4.2 Formen der Stilanalyse 113 einer unvorbereiteten Sprechsituation eher ungewöhnlich ist. Während die Abschnitte (a) und (c) von NH 2 hinsichtlich der Verteilung der Satztypen Übereinstimmungen mit MT 2 aufwiesen, stand (b) allein. Nicht nur überwog mit D ein sonst seltener Satztyp, sondern als dritthäufigster Satztyp trat B2 auf, der sonst an letzter oder vorletzter Stelle stand. Die Alleinstellung von NH 2 (b) wurde durch die Abwesenheit sonst üblicher Satztypen noch deutlicher, vgl. Svartvik (1968: 36). Um nun diesen Eindruck auch statistisch zu stützen, wandte Svartvik den χ 2 -Test, eines der wichtigsten und bekanntesten statistischen Testverfahren, an. Mit dem χ 2 - Test kann man u.a. prüfen, ob „sich die (bedingten) Verteilungen der abhängigen Variable in verschiedenen Untergruppen, die durch die unabhängige Variable gebildet werden, signifikant voneinander unterscheiden“ (Behnke/ Behnke 2006: 363), im vorliegenden Fall also, ob sich das Vorkommen der Satztypen in den drei Abschnitten (a), (b) und (c) signifikant voneinander unterscheidet. Svartvik ermittelte zu diesem Zweck für alle drei Textabschnitte die erwartbare Häufigkeit, mit der ein bestimmter Satztyp vorkommen würde, wenn (a), (b) und (c) aus einer Grundgesamtheit stammten, also aus einem einzigen Abschnitt. Um die erwartbare Häufigkeit zu errechnen, wurde die Gesamtsumme der Satztypen in Relation zum Umfang der einzelnen Abschnitte gesetzt. Dieser Wert wurde für alle Satztypen ermittelt und ist hier in einer sog. Indifferenztabelle (Tabelle 2) festgehalten. > = & X O ( O &( O X( \ \ \ * \ \ \ \ \ \ | \ \ \ \ \ \ ]! \ \ \ Tab. 2: Verteilung der rechnerisch zu erwartenden Zahl von Satztypen in NH 2 Von den insgesamt 298 finiten Sätzen fanden sich 198 in Abschnitt (a). Davon gehörten 102 (42,95% von 298) zum Satztyp A. Übertragen auf die tatsächlich belegten Sätze hätte dieser Prozentanteil für den Typ A in Teil (a) nicht 53 von 102 Teilsätzen er- <?page no="114"?> 4 Stil 114 geben, sondern nur 43,81. Anschließend wurde vom tatsächlichen Wert für jedes Feld aus Tabelle 1 der errechnete Wert aus Tabelle 2 abgezogen, das Ganze zum Quadrat genommen und durch den erwarteten Wert geteilt. Für das Vorkommen von Typ A für den Teil (a) wurde also von 53 43,81 substrahiert, diese Differenz zum Quadrat genommen und dann wiederum durch 43,81 geteilt, mit dem Ergebnis von 1,93. Die so für alle 18 Felder ermittelten Werte wurden addiert und ergaben einen Wert von 52,23. Dies ist die sog. Prüfgröße des Chi-Quadrat-Tests. Um zu ermitteln, wie (un-)wahrscheinlich die zu testende Annahme ist, nutzt man den Umstand, dass die Prüfgröße unter bestimmten, recht allgemeinen Bedingungen annähernd einer bestimmten Wahrscheinlichkeitsverteilung, der sog. χ 2 -Verteilung, gehorcht. Die Werte und Eigenschaften dieser Verteilung sind tabelliert und können nachgeschlagen werden. Aus einer solchen Tabelle kann man leicht ermitteln, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Prüfgröße einen Wert von 52,53 oder höher aufweist, p < 0,0000005 beträgt. Die Abweichungen sind daher hochsignifikant und damit mit hoher Sicherheit nicht zufälliger Natur. Beim tabellarischen Nachschlagen dieser Wahrscheinlichkeit muss jeweils noch die Anzahl der sog. Freiheitsgrade (degrees of freedom, df) berücksichtigt werden, da es für jede beliebige Zahl von Freiheitsgraden eine eigene χ 2 -Verteilung gibt. Bei den Freiheitsgraden handelt es sich, vereinfacht gesagt, um die Anzahl der Werte, die geprüft werden sollen. Im vorliegenden Fall ergibt sich die Zahl der Freiheitsgrade aus der um 1 reduzierten Anzahl der Spalten (also 2) multipliziert mit der ebenfalls um 1 reduzierten Anzahl der Zeilen (also 5). 7 Für den Vergleichstext, das Protokoll MT 2, das ebenfalls mit sechs Variablen (den Satztypen) und drei Konstanten (den Textabschnitten) 10 Freiheitsgrade hat, ergab sich ein Chi-Quadrat-Wert von 8,9, der auf eine Wahrscheinlichkeit von p > 0,05 verweist und damit nicht signifikant ist. Eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 0,05 heißt mehr als 5%. Dies bedeutet, dass bei einer Wahrscheinlichkeit von p > 0,05 in mehr als 5% der Fälle die festgestellten Abweichungen auf Zufall beruhen und nicht systematischer Natur sind. Dieser Wert gilt im Allgemeinen als zu hoch. Im Fall von NH 2 war die Wahrscheinlichkeit, dass die Abweichungen zufällig sind, p < 0,0000005, und das bedeutet, dass es mit einer weit über 99% liegenden Wahrscheinlichkeit für ihr Vorhandensein einen anderen Grund gab. Svartvik prüfte schließlich noch, inwieweit sich das Alleinstellungsmerkmal von NH 2 noch differenzierter zeigen würde, wenn er Evans’ Aussage folgen und die besonders strittigen Abschnitte ii und iv in Teil (b) kombinieren und den Abschnitten i, iii und v gegenüberstellen würde (1968: 37). Tatsächlich zeigte sich auch hier hinsichtlich der Satztypenverteilung ein statistisch signifikantes Ergebnis. Hintergrund dieser Analyse waren das Geständnis Christies und die wiederholte Aussage Evans’, die Abschnitte ii und iv von NH 2 (b) seien nicht wahr, er sei nur auf- 7 Man lässt gewissermaßen gedanklich eine Tabellenzeile und eine Tabellenspalte weg. Der mathematische Grund kann hier nur angedeutet werden; er hat damit zu tun, dass man, wenn die Spalten- und Zeilensummen schon bekannt sind, alle Felder einer Spalte oder Zeile aus den Zahlen der übrigen Felder ermitteln kann. <?page no="115"?> 4.2 Formen der Stilanalyse 115 geregt gewesen und habe nicht gewusst, was er gesagt habe (Svartvik 1968: 46). So stützte die Aussage Evans’ die Ergebnisse von Svartvik und umgekehrt. Zugleich zeigt die Analyse, dass sich eine qualitative Unterteilung des Textes, die den Inhalt gliederte, in ihrer Aussagekraft auch quantitativ bestätigte, da sich die Schilderung des Mordes auch syntaktisch von den anderen Abschnitten unterschied. Eine solche Analyse, hätte sie zum Zeitpunkt des Prozesses vorgelegen, hätte zwar nicht Evans’Unschuld beweisen, aber den Aussagewert von Protokoll NH 2 deutlich relativieren können, auf das sich die Verurteilung später maßgeblich stützte. * DE9E0? Die seriöse und positive Außenwirkung der Anwendung statistischer Verfahren im Rahmen auch der forensischen Autorschaftsbestimmung wurden durch eine Methode stark beschädigt, die als sog. CUSUM-Test in England wie Australien in den 1990er Jahren im Rahmen der Autorschaftsbestimmung aufkam und sowohl mit einen problematischem Stilbegriff und mit nicht-validen Kriterien wie auch mit einer Hypothese arbeitete, die statistisch nicht gestützt werden konnte. Nicht ohne Grund spricht Holmes vom CUSUM-Test als dem dunklen Zeitalter der Stilometrie (1998: 114). CUSUM oder auch QSUM, ist eine Kontraktion aus cumulative sum und bezeichnet ein statistisches Verfahren. Kumulative Summen werden vorrangig bei der Überwachung industrieller Produktionprozesse eingesetzt, wurden aber seit den 1970er Jahren auch auf Texte angewendet. Graphisch wird das Ergebnis in einer Verlaufskurve, dem cusum chart, dargestellt. 8 Zu Beginn der 1990er Jahre machte A.Q. Morton mit einem CUSUM-basierten Testverfahren in einer Reihe aufsehenerregender Prozesse Furore, da er CUSUM zur Autorenbestimmung im forensischen Kontext benutzte und mehrfach nachwies, dass die Aussagen von Zeugen und Angeklagten durch Dritte, z.B. die Polizei, verändert worden waren. Im Zuge dieser Prozesse fand die Methode weithin Zustimmung unter Juristen in Großbritannien und Australien. Morton geht davon aus, dass Stil eine unbewusste Wahl ist, die bei jedem Sprecher ein Leben lang konstant bleibt und weder vom Medium noch von der Textsorte beeinflusst wird. Für eine Autorschaftsanalyse reiche nach Morton daher die Auswertung einiger sprachlicher Merkmale aus und auch ein sehr kurzer Text. Eines dieser Merkmale ist die Anzahl der Wörter pro Satz, die mit einem Vokal beginnen, ein anderes die Zahl der Wörter pro Satz, die aus zwei oder drei Buchstaben bestehen. Für jedes Merkmal wird der Mittelwert aus der Gesamtzahl der Sätze des betreffenden 8 Man verfährt dabei etwa wie folgt: Gegeben seien aus einer Messreihe die Werte 2, 6, 8, 4. Für diese Datenreihe wird der Mittelwert ermittelt, hier 5. Dann wird für jeden Einzelwert die Abweichung vom Mittelwert bestimmt. Ein Wert von 2, der von diesem Mittelwert 5 abweicht, würde also um -3 abweichen, ein Wert von 6 um +1, ein Wert von 8 um +3 usw. Anschließend wird eine Kurve erstellt. Für der Kurvenverlauf werden die Abweichungen der Werte vom Mittelwert (-3, 1, 3, -1) addiert. Die Kurve würde von -3 (der Abweichung des ersten Werts gegenüber dem Mittelwert) zu -2 verlaufen, da zu -3 die Abweichung des zweiten Werts (+1) addiert würde. Von -2 verliefe die Kurve zu +1, da 3 addiert wurde. Die Summe dieser Abweichungen ist die sog. kumulative Summe. Der Kurvenverlauf bildet die Differenzen der einzelnen Werte zum Mittelwert ab. <?page no="116"?> 4 Stil 116 Textes ermittelt und anschließend eine CUSUM-Verlaufskurve angefertigt. Mortons Methode basiert nun auf der Hypothese, dass die CUSUM-Verlaufskurven verschiedener stilistischer Merkmale eines Autors miteinander korrelieren. So würde die Anzahl der vokalisch anlautenden Wörter in einem Satz vom für den Text ermittelten Mittelwert genauso abweichen, wie die Länge des betreffenden Satzes gegenüber der durchschnittlichen Satzlänge des Textes. Die Kurvenverläufe sollten einander ähneln, anderenfalls wäre nach Morton davon auszugehen, dass die Stelle im Text, an der sich Abweichungen zeigen, manipuliert wurde bzw. von einem anderen Autor stammt. Zu solchen weitreichenden Schlussfolgerungen kommt Morton natürlich nur aufgrund seines Sprach- und Stilkonzepts, das eine eindeutige Unterscheidbarkeit verschiedener Sprachbenutzer annimmt und Unveränderlichkeit für die Sprache des Einzelnen postuliert. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass sich rasch ernsthafte Bedenken gegenüber der Methode erhoben, insbesondere wurde als besorgniserregend empfunden, mit welcher Leichtfertigkeit die Methode von vielen Richtern und Anwälten akzeptiert wurde. Die Kritik an der Methode mündete in eine Auseinandersetzung, die als die QSUM-Kontroverse bekannt geworden ist. Folgestudien kritisierten u.a., dass Morton die intrapersonelle Variation nicht berücksichtigt habe, und dass das Verfahren nicht ausreichend die Autoren eines Textes multipler Autorschaft voneinander trennen könne. Die Ergebnisse einer Reihe statistischer Arbeiten, die die Methode mit unterschiedlichen Verfahren überprüften, konnten sie nicht stützen. So versuchte z.B. Canter (1992) durch die Anwendung des Spearman’schen Rangkorrelationskoeffizienten zu prüfen, ob das Verhältnis der Werte unterschiedlicher Merkmale zueinander bei einem Autor tatsächlich konstant war, ob also die Korrelation einen einheitlichen Wert hatte. Unter den von Morton gegebenen Voraussetzungen hätte sich eine deutliche Übereinstimmung ergeben müssen (die sich als statistischer Wert zwischen 0,9 und 1,0 hätte ausdrücken müssen). Canter erstellte dazu aus einem Textkorpus CU- SUM-Diagramme, unter denen auch von Morton erstellte Diagramme waren und kam zu einem ernüchternden Ergebnis: Obwohl die ausgewerteten Texte alle von einem Autor stammten, zeigten ihre Ergebnisse Werte, die unter 0,9 lagen, und die damit nicht als reliabel galten. In einem zweiten Schritt manipulierte Canter Texte bekannter Autoren, so dass sich Diskrepanzen bei den Korrelationen der Verlaufskurven hätten ergeben müssen; dies aber war nur in 35% der Fälle der Fall. Die multiple Autorschaft war für diese Texte in zwei von drei Fällen nicht nachweisbar, d.h. die intrapersonelle Korrelation der Werte, die Morton für Satzlänge und Worthäufigkeit voraussetzte, war nicht gegeben. Außerdem zeigte sich, dass die Darstellung der Skalen in den Diagrammen selbst die Interpretation der Daten beeinflusste: Verlaufskurven einzelner Merkmale auf gestreckten Skalen wurden von Morton als Abweichungen gedeutet, Verlaufskurven derselben Merkmale auf gestauchten Skalen als Übereinstimmungen (Matthews 1993). <?page no="117"?> 4.3 Kritik 117 * # , Die Möglichkeit der statistischen Auswertung von Texten im Rahmen von Stiluntersuchungen sind auch in Deutschland von der forensischen Linguistik unterschiedlich aufgenommen worden. Die ersten Fälle forensischer Stilanalyse, die für die Bundesrepublik belegt sind, orientieren sich (noch) an einem eher literaturwissenschaftlich geprägten Stilbegriff, der sich auf lexikalische und grammatische Merkmale konzentriert und nach Abweichungen von einer (vorausgesetzten) stilistischen Norm sucht. Ein frühes Beispiel für dieses Vorgehen sind die Textanalysen Försters, der Bekennerschreiben des ‚Kommandos Siegfried Hausner‘ im Entführungsfall Hanns Martin Schleyer im Jahr 1977 auswertete. Die Fortschritte, die man in der Literaturwissenschaft in Fällen strittiger Autorschaft durch die statistische Auswertung von Stilmerkmalen erzielen konnte, und die Möglichkeiten der rechnergestützten Auswertung auch langer Texte (und damit ganzer Werke) haben auch in den Reihen der ermittelnden Behörden dazu geführt, die Möglichkeiten dieses Verfahrens für die Auswertung inkriminierter Texte zunächst zu überschätzen. So hoffte man, Unterstützung bei der Autorschaftszuordnung von Texten zu erhalten, bei denen eine traditionelle stilistische Analyse keine brauchbaren Ergebnisse gebracht hatte, wie bei den erwähnten Bekennerschreiben der RAF. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. In Kapitel 2 wurde ein Fall referiert, in dem die Gutachter der ermittelnden Behörde meinten, durch die quantitative Auswertung mehrerer inkriminierter Texte den Autor einer Reihe von Bekennerschreiben der Revolutionären Zellen (RZ) gefunden zu haben. Später stellte sich heraus, dass die Schreiben zu einem guten Teil Textcollagen aus verschiedenen Zeitschriftenartikeln waren. Derartige Fehlschläge haben Skeptiker in ihrer Annahme bestätigt, dass die forensische Linguistik keine ernstzunehmende Wissenschaft sei. Sie haben aber auch unter den Linguisten diejenigen in ihren Vorbehalten bestärkt, die quantitativen Methoden generell kritisch gegenüberstanden. Hinzu kam, dass die wenigsten Statistiker linguistische Kenntnisse besaßen, so dass Fehlschlüsse aus den Ergebnissen gezogen wurden (vgl. Brückner 1992, Engel 1989, 1993, Corney 2003). Aber auch Linguisten kamen zu unzulässigen Schlussfolgerungen aus quantitativ ausgewertetem Datenmaterial. So ging z.B. Drommel davon aus, man könne die Verfasserschaft eines Textes dadurch feststellen, dass man mittels Ausschlussverfahren aus dem Vergleichskorpus all die Texte eliminiere, die die Merkmale des fraglichen Textes nicht besäßen, so dass dann nur der Text übrigbliebe, dessen Verfasser eben der Verfasser auch des fraglichen Textes sei (1987a: 508). Vieles an der Kritik von stilanalytischen Verfahren verwechselt den Ansatz an sich mit grundsätzlichen methodischen Fehlern, so dass es zu einer verkürzten Kritik an der quantitativen bzw. der qualitativen Auswertung kommt. Aber nicht das Verfahren ist falsch, sondern es sind die Prämissen, unter denen es angewendet wird. Das Verfahren selbst kann nur zweckmäßig oder weniger zweckmäßig sein, wenn man es unter dem Aspekt des Erkenntnisgewinns über eine potentielle Autorschaft sieht. <?page no="118"?> 4 Stil 118 Die Zweckmäßigkeit der Anwendung statistischer Messverfahren kann dabei einfach bestimmt werden, denn sie ist abhängig von der Datenmenge, so dass sich für sehr kurze Texte oft nur eine qualitative Analyse anbietet. Bei anderen Formen der Stilanalyse muss die Eignung jeweils abgewogen werden, abhängig davon, ob die Methode mit einem tragfähigen oder einem weniger tragfähigen Stilkonzept arbeitet und die Aussagekraft der Merkmale angemessen berücksichtigt. Daher ist eine Kritik wie von Tiersma/ Solan (2004), die qualitative Analysen an sich als eklektisch etikettiert und ihnen vorwirft, sie seien nicht objektivierbar, verfehlt, ebenso wie der Vorwurf gegenüber der quantitativen Analyse, von der es heißt, sie müsse die Validität ihrer Merkmale erst noch nachweisen. * * 9 & ) F 9 . Sowohl die quantitative wie die qualitative Analyse benötigen ein Stilkonzept, auf dessen Basis sie die stilbildenden Merkmale eines Textes bestimmen und mit dem sie den Merkmalen eine bestimmte Eigenschaft zuweisen, z.B. die, einen Autor von einem anderen unterscheiden zu können. Grundsätzlich arbeitet die forensische Stilanalyse mit einem weiten Stilbegriff. Stil erstreckt sich damit auf alle sprachlichen Elemente des Textes und nicht nur auf die klassischen Stilfiguren. Jedes dieser Elemente kann daher potentiell eine stilistische Wirkung entfalten, je nach Verwendung im Rahmen des jeweiligen Kontextes. Zugleich geht auch die forensische Stilanalyse davon aus, dass Stil eine gerichtete, eine gestaltende Art des Sprachgebrauchs ist, die sich die Tatsache zunutze macht, dass Sprache auf jeder Ebene obligatorische, variable und optionale Elemente besitzt, aus denen der Emittent wählen kann. Da jeder Mensch einen anderen Ausschnitt der Sprache beherrscht, etwas anderes sagen will, eine andere Stilkompetenz hat und anders wählt, kommt es zu unterschiedlichen Selektionen aus dem, was die Sprache bereitstellt. Dabei bedeutet Wahl nicht eine unbegrenzte Wahlfreiheit, sondern neben den strukturellen Möglichkeiten der Sprache sind es auch die persönlichen Voraussetzungen des Schreibers, die die Auswahl begrenzen (Sanders 1989: 286). Darüber hinaus erscheint jeder Text als konkrete Realisation einer Textsorte. Der Stil des Kommunikats wird daher primär von seiner Textsorte bestimmt, dem sich die individuellen Auswahlmöglichkeiten nachordnen, denn durch die Textsorte wird der Rahmen vorgegeben, in dem bestimmte Elemente obligatorisch und andere fakultativ sind (vgl. Kapitel 3). So gibt beispielsweise ein Brief andere textstrukturelle und sprachliche Elemente vor als eine Erzählung, und je nach Situation, in der der Brief geschrieben wird, können diese ihrerseits variieren. Stil ist also beeinflusst durch die Situationsgebundenheit des Textes, durch innersprachliche wie außersprachliche Faktoren. Der Einfluss der Textsorte wird nach wie vor unterschiedlich eingeschätzt, so dass Baayen/ Tweedie et al. (2000) eine Studie durchgeführt haben, um diesen Einfluss zu prüfen. Dazu wurde ein Korpus erstellt, das 72 Texte verschiedener Textsorten von insgesamt 8 Schreibern enthielt. Baayen/ Tweedie et al. werteten die Texte quantitativ nach üblichen Stilmerkmalen aus und stellten fest, dass sich statistisch gesehen die Texte gleicher Textsortenzugehörigkeit <?page no="119"?> 4.4 Das Stilkonzept: Stil als Wahl 119 (z.B. Märchen oder Essay) deutlich ähnlicher waren als die Texte ein und desselben Schreibers. Der Einfluss, den die Textsorte und das sie kennzeichnende Register auf die Auswahlmöglichkeiten potentiell stilbildender Merkmale haben, ist also nicht zu unterschätzen. Im Zusammenhang mit der Auffassung von Stil als Wahl wird der Begriff der Wahl unterschiedlich definiert: Stil wird einerseits als eine bewusste, intendierte Wahl angesehen, andererseits als unbewusst, aber symptomatisch und daher von außen sichtbar. Unbewusst bedeutet, dass der Schreiber die automatisierte Umsetzung von Gewohnheiten (habits) vollzieht, die er im Laufe seiner Schreibbiographie entwickelt. Auf diesem Wege kann sich auch eine zunächst intendierte und bewusste Wahl eines Ausdrucks zunehmend habitualisieren, so dass sie schließlich zur Gewohnheit wird. Diese Gewohnheiten gelten als regelhaft, als konstant und als schwer zu manipulieren. Obwohl es Positionen gibt, die Stil als das Ergebnis ausschließlich bewusster oder ausschließlich unbewusster Entscheidungen auffassen, sind eher beide Formen als wirksam anzunehmen. Dafür spricht, dass jeder Stil kopierbar ist und es dafür sogar die literarische Kunstform der Pastiche gibt: Der Rezipient macht sich stilistische Elemente eines literarischen Vorbildes zu eigen, das diese nicht notwendigerweise selbst als solche erkennt, und setzt sie dann bewusst als stilbildendes Merkmal in den eigenen Texten ein. Bewusste wie unbewusste Selektionen erstrecken sich auf individuelle und von der Textsorte vorgegebene Bereiche gleichermaßen. Dies beinhaltet auch davon abhängige Entscheidungen, die sog. Koselektionen, wie z.B. die Wahl der Funktionswörter (Synsemantika) oder die Satzstruktur (Coulthard 2004: 431f.). Während die Wortwahl durchaus gesteuert werden kann, sind Präpositionen, Artikel, Konjunktionen und Partikeln eine direkte Folge der Wortwahl und damit einer bewussten Steuerung weit weniger zugänglich (vgl. Kämper 1996). Andere Bereiche der Sprache, die kaum bewusst zu beeinflussen sind, sind Wortlängen, Wortarten, Satzlängen, Formen der Konversion und die Interpunktion. Das Konzept von Stil als Wahl hat in der Vergangenheit auch die Frage aufgeworfen, ob eine einmal getroffene Wahl feststeht, oder, was wahrscheinlicher ist, ob sie sich nicht im Laufe der Zeit verändert, da Stil außersprachlichen wie innersprachlichen Einflüssen unterworfen ist. Bestes Beispiel sind Autoren, bei denen sich Früh- und Spätwerk stilistisch deutlich voneinander unterscheiden. Für die forensische Stilanalyse hat dies unmittelbare Konsequenzen. Da z.B. die Studie von Forsyth (1999) belegt hat, dass Stil sich schon innerhalb der relativ kurzen Zeit von zehn Jahren deutlich verändern kann, sollte das Vergleichsmaterial, das als Kontrolltext dienen soll, vom Verdächtigen zeitnah verfasst, also nicht älter als ein oder zwei Jahre, sein (Corney 2003: 21). <?page no="120"?> 4 Stil 120 * 2 9 ! ! Traditionell stehen bei der Stilanalyse lexikalische Merkmale im Vordergrund, die im Laufe der Zeit zunehmend durch Stilmerkmale auf der syntaktischen Ebene ergänzt worden sind. Zu den lexikalischen Kriterien zählen die Analysen von Auto- und Synsemantika, das Vorhandensein von indigenen und fremden Wörtern, die Analyse von Schlüsselwörtern, von emotional gefärbten Wörtern oder Archaismen. Darüber hinaus werden Wörter hinsichtlich ihrer Frequenz ausgewertet, entweder danach, wie häufig jedes einzelne Wort vorkommt, oder danach, welche Wörter insgesamt einmal, zweimal oder dreimal etc. belegt sind. Ein sehr prominentes Stilmerkmal auf der lexikalischen Ebene ist die sog. lexical richness, die sich aus der type-token-Relation (TTR) relativ zur Länge des Textes ableiten lässt. In einem Textvergleich kann man nicht nur die TTR vergleichen, sondern auch danach Ausschau halten, in welcher Form sich die Gebrauchsfrequenzen derjenigen Wörter decken, die in beiden Texten vorkommen, und daraus die Nähe oder Ferne der Texte zueinander ableiten. In diesem Zusammenhang sei auf Kapitel 2 verwiesen: Eine in diesem Sinne zu große Nähe der Texte, z.B. in der Frequenz der gemeinsamen Wörter, die in jedem der Texte nur einmal vorkommen, deutet auf ein Plagiat hin. Syntaktische Kriterien umfassen Satzart, Satzlänge und Satzkomplexität, wobei diese deutlich von der Textsorte beeinflusst sind. Unter diesen Kriterien blickt die Satzlänge auf eine lange Tradition zurück; sie ist ein syntaktisches Merkmal, das seit den Anfängen der quantitativen Stilanalyse Teil des stilanalytischen Inventars ist. Die genannten syntaktischen Kriterien werden häufig kombiniert mit der Auswertung der Funktionswörter, da diese die syntaktischen Relationen herstellen. Beispiele für semantische Merkmale sind die Analyse des Wortschatzes nach kognitiven Aspekten, z.B. bezogen auf die Verbbedeutungen, indem man den Text nach dem Vorkommen von Bewegungsverben, Zustandsverben oder deskriptiven Konstruktionen auswertet. 9 Ein Modell, das mit solchen psycholinguistischen Kriterien arbeitet, wird in Kapitel 6 vorgestellt. Nach Aussage seiner Vertreter eignet es sich dazu, die Glaubwürdigkeit, die der Rezipient einer Erzählung zuspricht, aus der Frequenz bestimmter Verben abzuleiten, die in der Erzählung vorkommen. * 2 ' 9 ! ! Die Definition von Stil als Wahl zwischen möglichen sprachlichen Ausdrucksformen legt - bei aller Einschränkung durch die Vorgaben des Genres bzw. der Textsorte - nahe, dass jeder Stil individuell gefärbt ist und sich jedes Individuum sprachlich so ausdrückt, dass es sich potenziell von allen anderen Sprechern unterscheidet. Entsprechend lang ist in der Literaturwissenschaft die Tradition der Stilbeschreibung und der Stilevaluation. Den Stilmerkmalen wird demnach die Fähigkeit zugeschrieben, den Individualstil eines Autors zu charakterisieren. 9 Für eine ausführlichere Darstellung der einzelnen Kriterien siehe Tuldava (2005). <?page no="121"?> 4.5 Stilmerkmale 121 Individuell wird Stil dann, wenn ein charakteristischer und konsistenter Gebrauch der Sprache bei einer Person zu beobachten ist, wenn also Varianten typisch gebraucht werden. Dementsprechend ist es das Ziel der Autorschaftsbestimmung, das, was als Register von der Textsorte vorgegeben ist, möglichst genau von individuellen Entscheidungen des Verfassers zu trennen. Wie groß oder wie ausgeprägt dieser Bereich individueller Prägung ist, ist allerdings strittig. Für bestimmte Autoren konnte bezüglich bestimmter Stilmerkmale eine individuelle Konstanz ermittelt werden. 10 Bei anderen hat sich der Wert eines individuellen Stilmerkmals im Laufe des Lebens verschoben, ein Zeichen dafür, dass der personelle Stil nicht konstant ist, sondern sich im Laufe des Lebens entwickelt. Diese Erkenntnis kann Autorschaftsuntersuchungen, die sich um die chronologische Einordnung eines Textes bemühen, helfen (vgl. Kämper 1996); Autorschaftsbestimmungen, die einen strittigen Text einem Autor zuordnen wollen, kann sie vor deutliche Probleme stellen. Während die eigentliche Stilanalyse zunächst nur das Ziel hat, den Stil eines Autors möglichst exakt zu beschreiben, arbeitet die Autorschaftsanalyse mit der Hypothese, dass das, was für einen Autor stilbildend ist, diesen Autor auch von anderen Autoren unterscheiden kann: Sie etabliert über den Aspekt des Individualisierenden das Diskriminante, und die Stilmerkmale dienen hier der Abgrenzung von Individuen. In der Literaturwissenschaft sind genug Versuche bezeugt, Stilanalysen in dieser Form fruchtbar zu machen. Der nach wie vor andauernde Streit um die wahre Autorschaft der Stücke, die gemeinhin Shakespeare zugeschrieben werden, ist dabei nur ein besonders bekanntes Beispiel. Ein Beispiel aus der deutschen Literaturgeschichte sind die Nachtwachen, die 1804 unter dem Pseudonym Bonaventura erschienen. Die Autorschaft dieses Buches wurde im Laufe des 19. Jhs. mehr oder weniger schlüssig einer ganzen Reihe prominenter Autoren zugeschrieben, bis sich in den 70er Jahren des 20. Jhs. Jost Schillemeit erneut des Themas annahm und auf der Basis sprachlicher wie außersprachlicher Kriterien den Braunschweiger Theaterdirektor Ernst August Friedrich Klingemann als ihren Verfasser identifizierte. Schillemeit zeigte thematische Übereinstimmungen zwischen den Nachtwachen, anderen Veröffentlichungen Klingemanns und seiner Theaterarbeit. Ein handschriftlicher Vermerk Klingemanns, der in den 1980er Jahren in einem Archiv in Amsterdam aufgefunden wurde, bestätigte schließlich diese These. 11 Hier zeigt sich auch der Unterschied zum forensischen Autorschaftsnachweis. Literaturwissenschaftliche Autorschaftszuweisungen beschränken sich selten auf sprachliche Merkmale allein, oft spielt die Stilanalyse eine nachrangige Rolle, und biographische und kulturhistorische Aspekte geben den Ausschlag. 10 Z.B. die Verteilung des Wortes upon in den Federalist Papers, vgl. Mosteller/ Wallace (1964). 11 Vgl. Haag (1987). <?page no="122"?> 4 Stil 122 * 2 1 0 ! Diskriminanz und Individualisierung sind zwei Eigenschaften, die Stilmerkmale nicht an sich besitzen, sondern die ihnen auf der Basis eines Stilkonzepts erst zugeschrieben werden. Ob diese Zuschreibung gerechtfertigt ist, steht und fällt damit, wie gut sie theoretisch begründet werden kann. Anders gesagt, die theoretische Begründung sichert die Validität der Merkmale in Hinblick auf eine bestimmte Auffassung von Stil und dessen Nachweisbarkeit. Die Merkmale sind also nicht mit Kriterien gleichzusetzen, denn Kriterien sind Merkmale, die ihre Validität schon bewiesen haben. Für die forensische Textanalyse mit ihren u.U. weitreichenden Konsequenzen ist es unabdingbar, dass der Status der Validität der Stilmerkmale reflektiert wird. Daher sollen die Formen der Validität und die Probleme, die sich aus mangelnder oder geringer Validität ergeben können, in Anlehnung an Grant/ Baker (2001) ausführlicher behandelt und anhand zweier etablierter Stilmerkmale (der Wort- und der Satzlänge) dargestellt werden. Wenn wir im Rahmen einer Stilanalyse z.B. ein Merkmal wie die Satzlänge anwenden, indem wir die Länge der Sätze bei den Texten zweier Autoren auszählen, jeweils einen Mittelwert bilden und dann diese Werte miteinander vergleichen, dann muss das Merkmal ‚Satzlänge‘ reliabel und valide sein. Reliabilität bedeutet, dass die Messung eines bestimmten Wertes, wenn sie unter gleichen Bedingungen wiederholt wird, vergleichbare Ergebnisse bringt. 12 Validität wiederum bedeutet, dass ein Verfahren tatsächlich das misst, von dem wir annehmen, dass es gemessen wird. In diesem Sinne müsste das Merkmal der Satzlänge grundsätzlich dazu geeignet sein, eine Abgrenzung des einen Autors von einem anderen zu ermöglichen. Für die Stilanalyse im forensischen Kontext sind vier Aspekte der Validität von Bedeutung, die Oberflächenvalidität (face validity), die Inhaltsvalidität (content validity), die Konstruktvalidität (construct validity) und die kriterienbezogene Validität (criterion-related validity). Oberflächenvalidität beschreibt keine statistische Validität, sondern unseren persönlichen Eindruck, dass z.B. der Vergleich der Satzlänge ein geeignetes Verfahren sei, um Stil bzw. stilistische Unterschiede zweier Autoren feststellen zu können. Inhaltsvalidität würde die Oberflächenvalidität statistisch stützen. Die Eignung eines bestimmten Kriteriums für die Erfassung von Stil müsste von einer Reihe von Experten bestätigt werden, so, wie es z.B. erfolgreiche Autorschaftszuweisungen in der Geschichte der Stilometrie zeigen. Die dritte Form der Validität ist die Konstruktvalididät. Sie benennt den Aspekt, dass das gewählte Verfahren geeignet sein muss, um das Konstrukt, das hinter dem Messverfahren steht, durch die Messungen adäquat abzubilden. Stil bzw. Individualstil selbst ist ein solches Konstrukt. Wir gehen davon aus, dass es so etwas wie Stil gibt und dass Stil die individuelle Sprachverwendung eines 12 Für unseren Fall würde dies einfach heißen, dass sich Fehler ergeben, wenn Satz- und Wortdefinition nicht eindeutig sind, wenn sich die Person, die die Wörter zählt, verzählt oder wenn der ausgezählte Text nicht derselbe ist. Fehlerquellen stellen bei naturwissenschaftlichen Versuchen z.B. veränderte physikalische Bedingungen oder Messfehler der Geräte dar, aus denen sich dann Abweichungen ergeben können. <?page no="123"?> 4.5 Stilmerkmale 123 Menschen in bestimmten Situationen darstellt. Ein Testverfahren, das valide in Hinblick auf das Konstrukt eines Individualstils ist, sollte Unterschiede bei verschiedenen Autoren und Ähnlichkeiten bei einem Autor abbilden. Eine Operationalisierung dieses Verfahrens durch das Messen bestimmter syntaktischer Merkmale würde daher eine Erklärung benötigen, die deutlich macht, weshalb z.B. die Satzlänge zwischen zwei Individuen systematisch stärker schwankt als innerhalb der Texte, die ein und dasselbe Individuum produziert. Konstruktvalidität bezieht sich also auf die Zulässigkeit, über den Weg des operationalisierten Verfahrens Aussagen über das Konstrukt zu machen, also z.B. aufgrund der Satzlänge in einem Text Aussagen bezüglich der Autorschaft treffen zu können. Die Tatsache allein, dass die Satzlänge auf etwas rekurriert, das ein wahrnehmbares Strukturmerkmal von Sprache ist, dass Satzlänge statistisch messbar ist und Sprachteilnehmer eine Vorstellung davon haben, was Satzlänge bedeutet, macht aus diesem Kriterium noch kein valides Kriterium für eine Autorschaftsbestimmung. Entscheidend ist, ob das Merkmal zur Abgrenzung geeignet ist (Grant/ Baker 2001: 75). Die kriterienbezogene Validität bezieht sich darauf, dass die Kriterien zur Stilanalyse etwas bestimmen können sollten, das aus einem anderen Kontext sicher bekannt ist oder durch andere Messverfahren bereits belegt ist. Für die Stilanalyse würde dies heißen, dass valide Merkmale in ihrer Gesamtheit (oder auch einzeln) einen Text einem Autor zuordnen sollten, von dem bekannt ist, dass er diesen Text geschrieben hat. Ein Beispiel für eine vergleichsweise hohe kriterienbezogene Validität sind die statistischen Auswertungen der Federalist Papers durch Mosteller und Wallace in den 1960er Jahren. Die Federalist Papers erschienen in den Jahren 1787 und 1788 und verteidigten die amerikanische Verfassung, die 1788 ratifiziert werden sollte. Bei zwölf der 85 Artikel war die Verfasserschaft strittig. Durch den Vergleich der Anteile der Funktionswörter ordneten Mosteller und Wallace sie James Madison zu und bestätigten damit eine allgemeine Auffassung in der historischen Forschung (Holmes 1998: 113). Jüngere Forschungen bestätigten mit anderen Verfahren diese Zuweisung, und mittlerweile sind die Federalist Papers zu einer Art Lackmustest der quantitativen Stilanalyse avanciert (vgl. Tweedie 2005). Kommen wir nochmals auf die durchschnittliche Wort- und die Satzlänge als exemplarische Merkmale zurück. Angenommen wird zunächst, dass ihr arithmetischer Mittelwert aus jedem Text eines Autors ermittelt werden kann und er bei allen Texten desselben Autors stabil ist. Ein unbekannter Text Q, der entweder von Autor A oder Autor B geschrieben ist, sollte durch dieses Merkmal damit einem der beiden Autoren zugeordnet werden können. Eine frühe Arbeit, die mit dem Kriterium der Wortlänge arbeitet, ist die Studie Mendenhalls aus dem 19. Jh., in der Mendenhall auf der Basis der Wortlänge die umstrittene Autorschaft einiger Shakespeare’scher Dramen klären wollte. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Wortlänge eines Autors ein individuelles Merkmal ist, insofern als jeder Autor sich darin selbst sehr ähnelt und die Abweichung zweier Autoren voneinander immer größer ist als die Variation eines Autors innerhalb seines Werks. Damit hätte er ein leicht identifizierbares Merkmal gefunden, das auch noch konstant ist und damit valide in Hinblick auf den Nachweis eines Indi- <?page no="124"?> 4 Stil 124 vidualstils. Allerdings stellte Mendenhall in seiner Forschung zu Shakespeare später auch fest, dass die Wortlänge direkt davon abhängt, ob ein Gedicht oder ein Prosatext vorliegt. Sie schwankt also auch bei einem Autor. Dieser Grad der intralingualen Variation eines Autors muss daher bei einem Textvergleich bekannt sein, sonst kann auch ein großes Textkorpus nicht helfen, den Wert eines Merkmals zweifelsfrei zu bestimmen. Dann kann aber auch über die Zugehörigkeit von Text Q zu Autor A oder B nichts gesagt werden. Auch für die forensische Stilanalyse heißt dies, dass bei einem genresensiblen Merkmal nur Textexemplare identischer Textsorten verglichen werden dürfen. Erschwerend kommt nun hinzu, dass sich zwar für jeden Autor ein arithmetisches Mittel für die durchschnittliche Satz- und Wortlänge ermitteln lässt, aber dies heißt nicht, dass nicht auch andere Autoren diesen Wert teilen. Misst man nämlich die Satz- oder Wortlänge nun bei einer Reihe anderer Autoren, so ist zu erwarten, dass sie gemäß der Normalverteilung variiert. 13 Für das Merkmal der Satzlänge würde das heißen, dass einige wenige Autoren viele sehr lange Sätze produzieren, andere viele sehr kurze. Die Mehrheit der Autoren gruppiert sich um die Mitte, da sie das Merkmal in gleichem Umfang aufweisen, also Sätze unterschiedlicher Länge in vergleichbarer Menge produzieren. Wir müssen also damit rechnen, dass zum einen die Satzlänge als Folge des Genres schwankt und zum anderen bei zwei Autoren auch sehr ähnliche Satzlängen vorliegen können. Fucks (1968) hat statistische Auswertungen an umfangreichen Textkorpora von Thomas Mann und Johann Wolfgang von Goethe durchgeführt, Grimm (1991) an Werken von Heinrich Mann und Thomas Mann. Fucks kam zu dem Ergebnis, dass sich Thomas Mann nicht ausreichend gegenüber Goethe abgrenzen lässt und Manns eigenes Werk in zwei überschneidungsfreie Untergruppen zerfällt (vgl. Braun 1989: 158). Auch Grimm (1991) zog ein vergleichbares Fazit: Die Auswertungen der Werke der Gebrüder Mann ergaben nicht nur bezüglich der Satzlänge, sondern bezogen auf eine ganze Reihe von sprachlichen Merkmalen, dass Heinrich Mann seinem Bruder oft ähnlicher ist als Thomas Mann sich selbst. 14 Grimm musste feststellen, dass auch eine Sammlung von Stilmerkmalen nicht ausreichend diskriminant war. Daraus hat er vorschnell abgeleitet, dass es „so etwas wie einen nachweisbaren Individualstil nicht gibt“ (1991: 275). Fucks hatte in diesem Zusammenhang nur negiert, dass es ein sprachliches Gegenstück zu einem kriminologischen Fingerabdruck gebe (Wolf 1989: 788). Die Ergebnisse dieser beiden Studien besagen zunächst nur, dass ein gewähltes Merkmal oder auch ein Merkmalsbündel offensichtlich nicht dazu geeignet ist, die Texte bestimmter Autoren voneinander abzugrenzen. Der Grund liegt nicht darin, dass die Merkmale generell ungeeignet wären, sondern dass sich die Autoren in Hin- 13 Sie ist zu erwarten, weil die Satzlänge nicht von einem, sondern von mehreren Faktoren abhängt, die zusammenwirken. 14 Vgl. auch die Erläuterungen von Olsson (2004: 62f.), der zu ähnlichen Ergebnissen beim Vergleich von Malthus und Smith kommt. <?page no="125"?> 4.5 Stilmerkmale 125 blick auf die gewählten Merkmale einfach sehr ähnlich sind (wie es auch Mosteller/ Wallace beim Gebrauch bestimmter Präpositionen für Hamilton und Madison feststellen mussten). Bei anderen Autoren kann das Merkmal der Satzlänge durchaus ein guter Diskriminator sein. Problematisch ist also nicht die Anwendung der Merkmale selbst, sondern die Prämisse, mit der sie verwendet werden. Ihre Gleichsetzung mit Kriterien, die Individuen grundsätzlich aufgrund ihres Stils voneinander trennen können, wird dabei vorausgesetzt, ist aber nicht ausreichend begründet. In dieser Weise interpretiert z.B. Lipold das Ergebnis der Forschungen Mendenhalls, wenn er der Wortlängenverteilung „unabhängig von grammatischen und textualen Strukturen“ Validität in der Autorschaftsbestimmung zubilligt (1999: 247). Auch für die Wortlänge hat sich nämlich nicht nur ihre Sensibilität gegenüber dem Genre gezeigt, sondern auch, dass der individuelle Wert der Wortlänge sich im Laufe des Lebens verändern kann. Daher ist es eher das Vermächtnis Mendenhalls, gezeigt zu haben, dass die Wortlänge ein ineffektives Merkmal der Autorschaftsbestimmung ist, so Holmes (1998: 112). Wenn folglich keine eindeutige Unterscheidung durch ein Merkmal möglich ist, heißt dies im Umkehrschluss, dass dann auch keine eindeutige Zuordnung zweier Texte zu ein und demselben Autor erfolgen kann. Die nicht erst jüngst erhobene Forderung nach einem Katalog empirisch gestützter individualtypischer Stilmerkmale (vgl. Braun 1989, aber auch Chaski 2001), so verständlich sie ist, ist eine Reaktion auf die mangelnde Validität einzelner Merkmale und bezieht sich auf das Kriterium der Diskriminanz. Die Forderung nach Diskriminanz im Sinne eindeutiger Unterscheidbarkeit ist nicht erfüllbar, wenn sie dem Ziel dienen soll, Autoren unter Anlegung dieser Merkmale immer eindeutig als Urheber eines Textes zu identifizieren. Natürlich gibt es Stilmerkmale, die in der Literatur immer wieder Bestandteil von Stilanalysen sind, die ihre Reliabilität in bestimmten Kontexten bewiesen haben und die eine ausgeprägte Inhaltsvalidität besitzen. Immer wieder hat sich jedoch gezeigt, dass ihnen das generalisierende Element fehlt, dass sie also nicht auf andere Texte übertragen werden können unter der Prämisse, sie seien automatisch distinkt. Wenn man ein Stilkonzept voraussetzt, das davon ausgeht, dass identische Stilmerkmale alle Menschen voneinander unterscheiden können, haben diese Merkmale eine entsprechend niedrige Konstruktvalidität. Für die Stilanalyse im forensischen Kontext heißt dies, dass man zwar auf ein Set allgemein üblicher Stilmerkmale zurückgreift, dass aber ihre diskriminante Funktion immer neu nachgewiesen werden muss. Dies ist ein direktes Resultat der Eigenschaften von Sprache: Auf der Ebene der langue handelt es sich um eine endliche Menge von Elementen mit einer endlichen Menge von Regeln, die auf der Ebene der parole zu einer nicht-endlichen Menge von Kombinationen führen. Stil ist dabei etwas, was sich aus der Wiederholung sprachlicher Merkmale ergibt, so dass die Wiederholung ein strukturbildendes Element darstellt. Den individuellen Stil einer Person zu erfassen, ist damit im Grunde ein Problem der Mustererkennung (vgl. Tweedie 2005: 392). Ob dieses Muster erkannt wird, hängt von der Stilerfahrung des betreffenden Rezipienten ab; und Grant/ Baker weisen in diesem Zusammenhang <?page no="126"?> 4 Stil 126 auf die Unterstützung durch künstliche neuronale Netze hin, die Kombinationen von Merkmalen auf ihr Erscheinen abprüfen können, die dem Leser allein schon aufgrund der Vielzahl an denkbaren Kombinationsmöglichkeiten entgehen. Ein übliches Verfahren quantitativer Stilanalysen ist in diesem Zusammenhang die Hauptkomponentenanalyse oder principal component analysis (PCA). Die Hauptkomponentenanalyse komprimiert die Informationen aus einer für den Einzelnen nicht überschaubaren Menge von Stilmerkmalen, indem sie durch die Kombination ausgewählter Merkmale neue Merkmale bildet, die sog. Hauptkomponenten. Während das Verfahren der multiplen Korrelation aus einer Menge von vorgegebenen Merkmalen diejenigen tilgt, die nachweislich (statistisch) kaum stilbildend sind, und mit den verbleibenden Merkmalen arbeitet, handelt es sich bei den Hauptkomponenten um neue Merkmale, z.B. die Kombination aus vokalinitiierendem Wort mit der Wortlänge und der Wortklassenzugehörigkeit usw.: Die Hauptkomponenten können aus sehr vielen Variablen rechnerisch zusammengesetzt und entsprechend komplex sein. Ein Vorteil ist, dass sich die Ergebnisse der Hauptkomponentenanalyse leicht graphisch darstellen lassen, wenn man nur zwei oder drei Hauptkomponenten verwendet − jeder Text ist dann ein Punkt im zwei- oder dreidimensionalen Raum. Die Texte eines Autors bzw. ihre Werte sollten sich demgemäß räumlich in ein und demselben Bereich ansiedeln, die Werte der Texte eines anderen Autors sollten außerhalb davon angesiedelt sein. * 2 # 0 ! - Die Hauptkomponentenanalyse setzt statistisch um, was auch die qualitative Stilanalyse mehrheitlich postuliert: Kein Einzelmerkmal, auch wenn es sich wiederholt, kann genügend Aussagekraft entwickeln, wenn es um Schlussfolgerungen hinsichtlich einer Autorschaft geht, sondern nur Merkmalskombinationen können die Wahrscheinlichkeit einer Autorschaft in unterschiedlich hohem Grade begründen (Brandt 1989: 41, Spillner 1989: 123f., McMenamin 1993: 157), und nur diese können distinkt sein. Ein Text kann durch ein Merkmalsbündel geprägt sein oder auch mehrere Bündel enthalten, die gemeinsam sog. Muster bilden. Merkmalsbündel sind „kookkurierende Merkmale“ (Sandig 2006: 55), die derselben Funktion dienen und darüber ihre stilistische Wirkung entfalten. Sie können, müssen aber nicht einer gemeinsamen sprachlichen Beschreibungsebene angehören. So entfaltet sich bspw. die Wirkung von Vagheit im Analysebeispiel unter 4.7 auf der Ebene der Syntax durch elliptische und agenslose Sätze wie auch auf der pragmatischen Ebene durch die verschiedentlich implizit ausgedrückten Illokutionen, durch sprachliche Mittel also, die sich jeweils dazu eignen, Indirektheit auszudrücken. Die Merkmalsbündel oder sets of style markers und ihre Zusammensetzungen sind von Text zu Text unterschiedlich. Ihre Merkmale sind nicht gleichwertig, sondern einige sind, was die Stilwirkung betrifft, für ein Bündel zentral, während andere am Rande stehen. So sind z.B. die Entscheidungen für bestimmte Lexeme oder syntaktische Konstruktionen als periphere Merkmale eine direkte Folge der zentralen Merkmale und zugleich das Ergebnis einer unbewussten Wahl. Die Bündel sind daher mehr als eine bloße Addition von Einzelmerkmalen, denn diese „interagieren“ (San- <?page no="127"?> 4.5 Stilmerkmale 127 dig 2006: 67), und ihre Wirkung ergibt sich durch die Relationen, in denen die Merkmale zueinander stehen. Daher ist Stil, so McMenamin, auch mehr als die Summe seiner Teile (1993: 157). Als Konsequenz der Gewichtung der Stilmerkmale kann die Stilwirkung eines Textes recht unterschiedlich sein, je nachdem wie deutlich die Stilmerkmale selbst und ihre Relationen untereinander vom Rezipienten wahrgenommen werden, wie hoch also seine Stilkompetenz ist (vgl. Sandig 2006: 63, 67). Eine Vorgehensweise, den Charakter eines Merkmalsbündels offenzulegen, besteht darin, von einem salienten Merkmal auszugehen, dessen Funktion zu bestimmen, über die die Relation zu anderen sprachlichen Mitteln hergestellt werden kann, um anschließend nach weiteren sprachlichen Möglichkeiten, die diese Funktion ausdrücken können, zu suchen (vgl. Sandig 2006: 62). Die unterschiedliche Bewertung der (potentiellen) Aussagekraft einzelner Merkmale ist die Folge des jeweils zugrunde gelegten Stilbegriffs, ohne dass dies immer ausreichend explizit gemacht würde. Gut dokumentiert ist diese Problematik im Fall der Oetkerentführung, da die Diskussion um die Möglichkeiten und Grenzen der Stilanalyse durch die am Prozess als Sachverständige beteiligten Linguisten und Literaturwissenschaftler später in der Literatur fortgeführt wurde. Richard Oetker wurde im Dezember 1976 von Unbekannten entführt, in eine Kiste gesperrt und einige Tage später schwer verletzt gegen ein Lösegeld von 21 Mio. DM wieder freigelassen. Zentral für die Ermittlungen wurde ein Telefonmitschnitt, über den der spätere Angeklagte Dieter Zlof durch seine Exfreundin identifiziert wurde. Für den Prozess zur Jahreswende 1979/ 80 wurden die vier Tatschreiben, die der Entführer angefertigt hatte, von den Sachverständigen mit Material des Verdächtigen verglichen, um eine mögliche Autorschaft Zlofs zu klären. 15 Das Gericht hatte entschieden, statistische Auswertungen der fraglichen Texte nicht in der Urteilsbegründung zu berücksichtigen, sondern zog die Ergebnisse der qualitativen Stilanalyse heran, die die Gutachter angefertigt hatten (vgl. Billner 1989). Die Sachverständigen zeigten einen identischen Ansatz, indem sie die Tatschreiben auf markante Stilmerkmale hin analysierten und anschließend nach diesen Merkmalen im Vergleichsmaterial, das aus einigen geschäftlichen Briefen des Verdächtigen bestand, suchten. Obgleich sich Übereinstimmungen fanden, ergaben sich deutliche Unterschiede bei der Bewertung der Aussagekraft der aufgefundenen Merkmale. Übereinstimmend wurden z.B. die Abkürzung von „oder dergleichen/ und dergleichen“ als odgl., udgl. sowie als oder drgl. und und dergl. benannt, dabei war jedoch unter den Gutachtern strittig, inwiefern die Schwankungen als individuell gewertet werden konnten, oder ob nicht generell eine gewisse Unsicherheit unter deutschen Schreibern herrschen würde. Auch deuteten nicht alle Sachverständigen die Einzelmerkmale in ihrer Kombinatorik und lehnten eine solche „Gesamtschau“ (Billner 15 Die Einzelheiten der Entführung, der spätere Prozess und der öffentliche Auftritt des Täters in einer Talkshow in den 1990er Jahren sind gut dokumentiert in der Monographie von Rüdiger Jungbluth (2004) und in dem halb-dokumentarischen Spielfilmzweiteiler unter dem Titel Der Tanz mit dem Teufel, der 2001 von SAT.1 ausgestrahlt wurde. <?page no="128"?> 4 Stil 128 1989: 107) ab. Dies stellte das Gericht vor das Problem, die z.T. widersprüchlichen Auffassungen der Experten letztlich auf der Basis eines eigenen Stilbegriffs gegeneinander abzuwägen (vgl. zu dieser Problematik auch Kapitel 7). In den Fokus der späteren Diskussion unter den Sachverständigen rückte das Adjektiv befindlich, das sich mehrfach in den Briefen des Erpressers wie in denen des Angeklagten fand, und das als auffällig eingestuft wurde. Auf einem Symposium des BKAs im Jahr 1988 referierten die Gutachter Engel und Jöns nochmals ihre Bewertungen der Briefe Zlofs. Dabei kam Jöns zu einer neuen Bewertung. Im Gutachten zum Prozess hatte Jöns befindlich nicht als diskriminant bewertet (so Wolf 2002: 314). In einer späteren Publikation sprach er dem Wort dann „Indizienwert für eine Verfasseridentität zu“ (Jöns 1982: 284), auf dem Symposium wurde dieser Indizienwert etwas relativiert zu „eine[r] deutlich konstatierbare[n] Besonderheit des Sprachgebrauchs [...], die als individualisierendes Merkmal festgehalten werden kann“ (Jöns 1989: 275). Die beiden anderen Gutachter Engel (1993: 60) und Wolf (1989: 785-787, 2002: 314) nahmen später Jöns’ Bewertung nochmals auf, ohne ihre Kritik an der Reichweite der Bewertung einerseits wie an der schwankenden Einschätzung andererseits zu verhehlen. Die Diskussion um den Gebrauch eines einzelnen Lexems macht die praktischen Probleme der Stilanalyse deutlich. Auch wenn man die einzelnen Stilmerkmale zu Merkmalsbündeln zusammenfasst, die die stilistische Wirkung der Texte (z.B. als ‚papieren‘, als ‚amtsdeutsch‘) formen, muss über die Aussagekraft der Einzelmerkmale entschieden werden: Wie individuell bzw. diskriminant ist der Gebrauch von befindlich? Ist er im Zentrum eines Bündels stilistischer Merkmale anzusiedeln oder eher an der Peripherie, da sich sein Gebrauch aus anderen stilistischen Entscheidungen erst ergibt? Aufschlussreich an dieser Diskussion ist neben der unterschiedlichen Behandlung der Einzelmerkmale, dass sie die unterschiedlichen Stilkonzepte der Gutachter deutlich werden lässt und damit auch ihre unterschiedlich optimistische Einstellung gegenüber der Nachweisbarkeit eines Individualstils. Einig sind sich die Beteiligten, dass befindlich eine auffällige Wortwahl darstellt, die etwas über die Kommunikationsstrategien des Schreibers aussagt. Jöns bewertet befindlich als einen papierenen, amtsdeutschen Ausdruck, der, obwohl es seiner Meinung nach geeignetere Alternativen gibt, sowohl in den Tatwie in den Vergleichsschreiben bewusst gewählt wird. Die belegten Verwendungsweisen von befindlich bewertet Jöns als „normal“, „gespreizt“, „deplaziert“ oder „stilistisch schlecht“ (1982: 283). Derartige Bewertungen verweisen auf einen normativen, deviatorischen Stilbegriff. In Anlehnung an Johannisson sieht Jöns in den Abweichungen von einer Norm das eigentliche individualisierende Moment (vgl. 1982: 282), so dass sich aus der Beurteilung der Verwendungsweisen als „abweichend“ gerade ihre Aussagekraft ergibt. Sehr viel zurückhaltender, wenn nicht pessimistisch, äußert sich Wolf dazu. Er legt dar, dass für den Verfasser die Freiheit der Wahl zwischen Verbal- und Nominalstil, die Jöns an anderer Stelle behauptet, nicht gegeben ist, wenn er bestimmte kommunikative Ziele verfolgt, und stellt auch die Einordnung von befindlich als eindeutig ‚pa- <?page no="129"?> 4.5 Stilmerkmale 129 pieren‘ durch Zitate Marcel Reich-Ranickis und Heimito v. Doderers infrage. Auch Engel konstatiert, dass „man den Eindruck [hat], dass befindlich zu den Lieblingswörtern des Schreibers gehört“, dies allein sage aber noch nichts über die Aussagekraft hinsichtlich einer Täteridentität aus. Er skizziert die möglichen Funktionen von befindlich in bestimmten Kommunikationssituationen und kommt zu dem Schluss, dass das Wort gerade in dem Kontext, in dem es Jöns als „gespreizt“ bewertet, aufgrund seiner relativen Abstraktheit geeigneter sei als konkrete Partizipien wie liegend oder stehend und damit entsprechend unauffällig (vgl. Engel 1993: 60). Die Kritik beider richtet sich letztlich gegen die Tragfähigkeit des deviatorischen Stilbegriffs für die forensische Begutachtung, der es im vorliegenden Fall erlaubt, aus der Bewertung eines Gebrauchs als abweichend direkt einen Indizienwert für eine Täteridentität abzuleiten. Tatsächlich gestaltet sich die Beurteilung, inwieweit der Gebrauch eines sprachlichen Mittels angemessen ist, komplizierter, wie auch die anderen Beispiele von Wolf und Engel zeigen. Vor dem Hintergrund der Determinante situativer Kontext ist auch die empirische Absicherung von Gebrauchshäufigkeiten bestimmter Merkmale, wie sie Chaski (2001) fordert, nur begrenzt aussagefähig. Hier muss man unterscheiden zwischen orthographischen Fehlern und der sonstigen Sprachverwendung. Für den Bereich der Rechtschreibfehler wurde von unterschiedlicher Seite angemerkt, dass, um Aussagen über die Signifikanz von Fehlertypen im forensischen Kontext machen zu können, diese im außerforensischen Kontext auf ihre Aussagekraft hin geprüft worden sein müssen (vgl. Kapitel 5). Auf den Sprachgebrauch lässt sich dies nur eingeschränkt übertragen. Braun (1989) wählt dazu als illustrierendes Beispiel die höchst problematische Aussage eines Gutachters, der betreffende Autor habe die Konjunktion da häufiger gebraucht als weil. Auch wenn man die Problematik der Textsortenstilistik hier beiseite lässt, wäre es nötig, einen Vergleichswert aus einem Vergleichskorpus zu haben, der etwas über die generelle Verteilung von da und weil aussagt. Selbst wenn man daraus einen Mittelwert hätte, über oder unter dem der Schreiber des Tatschreibens liegt, wäre für eine Zuweisung an einen Text noch nichts gewonnen, da bzw. weil wir gewöhnlich nicht wissen, wo im Kontinuum sich Schreiber und Verdächtiger bewegen. Es bleibt unklar, ob eine Abweichung vom Mittelwert die Schreiber überhaupt unterscheidet. Diese Vorgehensweise birgt im Übrigen die Gefahr, dass verkürzt von einem da-Typ gesprochen wird (Kniffka 1994a: 119), so, als handele es sich bei dem Gebrauch der Konjunktion um eine sprachliche Marotte, nach der sich die Sprecher des Deutschen in Gruppen einteilen ließen. Etwas anders hinsichtlich der Häufigkeit als mögliches Merkmal ist sicher der Gebrauch bestimmter Lexeme als Bestandteil von Sonder- oder Fachsprachen einzuschätzen ebenso wie der Gebrauch von Archaismen oder Okkasionalismen, so sie denn in einem Text vorzufinden sind. Wenn also im Weiteren von individualtypischen Merkmalen oder Kennzeichen die Rede ist, bedeutet dies nicht, dass durch deren Bestimmung eine Person einwandfrei als Schreiber identifiziert werden könnte (wie der im angelsächsischen Raum übliche Terminus der author identification suggeriert). Aussagen zu einer Autorschaft <?page no="130"?> 4 Stil 130 können immer nur Wahrscheinlichkeitsaussagen sein. Dies liegt am Untersuchungsgegenstand selbst. Sprache ist, anders als der Fingerabdruck, kein indexikalisches Zeichen(system), sondern ein symbolisches. Weder verweist ihre Verwendung auf einen individuellen Zeichenbenutzer, noch ist sie in ihrer Verwendung auf einen Zeichenbenutzer beschränkt. Hinzu kommt, dass aufgrund der Symbolhaftigheit des Zeichensystems der Zeichenbenutzer mit dem sprachlichen Zeichen auf eine Klasse von Referenten (Objekten) und nicht auf einen individuellen Referenten verweist. Aus diesem Grund funktioniert Sprache auch als Kommunikationsmittel in beliebigen Situationen mit einer begrenzten Zahl von Zeichen. Aufgrund des symbolischen Charakters der sprachlichen Zeichen bleibt schließlich auch die Beziehung zwischen dem sprachlichen Zeichen, dem Referenten und dem individuellen Zeichenbenutzer mittelbarer Natur. Schon Fucks verweist darauf, dass die Struktur der sprachlichen Äußerung des Einzelnen all das, was einen biologischen Fingerabdruck ausmacht, nicht besitzt: die Unveränderlichkeit, die eindeutige Diskriminanz und die leichte Identifizierbarkeit (vgl. 1968: 97f.). Daher sei es auch verfehlt, von einem sprachlichen, einem philologischen oder einem linguistischen Fingerabdruck zu sprechen. Die fallgebundene Validität der Merkmale ist nicht nur ein Kennzeichen der Stilanalyse, wie der Blick in die Nachbarwissenschaften zeigt: Die sog. kriterienbasierte Inhaltsanalyse oder criteria based content analysis (CBCA), die die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen prüft, sieht sich einem vergleichbaren Problem gegenüber. Nicht alle ihrer sog. Realkennzeichen, die sich in Tests als reliabel herausgestellt haben und die die Glaubwürdigkeit einer Aussage prüfen sollen, sind Kriterien im strengen Sinne: Die Anwesenheit bestimmter Realkennzeichen in einer Aussage spricht für ihre Glaubwürdigkeit, aber bedeutet nicht, dass im Umkehrschluss aus ihrem Fehlen darauf geschlossen werden dürfte, dass der Inhalt nicht wahr wäre. Übertragen auf die Stilanalyse kann ein Unterschied z.B. in der Satzlänge durchaus auf unterschiedliche Verfasser verweisen, ein fehlender Unterschied in der Satzlänge ist aber kein Hinweis auf eine Autorenidentität. Dennoch ist die CBCA ein etabliertes methodisches Verfahren für die forensischpsychologische Begutachtung und ist vom BGH 1999 verpflichtend eingeführt worden. Hermanutz/ Litzcke (2009) halten fest, dass inzwischen für eine ganze Reihe von Kennzeichen eine theoretische Fundierung erreicht worden sei. Dies heißt auch für die Stilanalyse, dass sie ein wertvolles Werkzeug im Rahmen der Autorschaftsbestimmung ist und bleibt sowie Ermittlungen und Verfahren bei sorgfältiger Anwendung unter Umständen entscheidend voranbringen kann. Wir sind also gehalten, nach Mitteln zur theoretischen Fundierung der Merkmale zu suchen und uns bei der Durchführung einer Stilanalyse stets zu vergegenwärtigen, welche theoretischen Implikationen unser Vorgehen hat bzw. was es leisten und was es nicht leisten kann. <?page no="131"?> 4.6 Anleitung zur qualitativen Stilanalyse 131 * 3 & = % 9 4 Nachdem wir anhand des Beispiels von Timothy John Evans gesehen haben, wie die statistisch-quantitative Auswertung eines syntaktischen Merkmals im konkreten Fall aussehen kann, folgt nun für einen ersten Einstieg in die Stilanalyse ein Vorschlag zur konkreten Vorgehensweise, den Püschel (1995) formuliert hat. Wie eingangs gesagt, handelt es sich bei dem Phänomen des Stils um etwas, das vom Rezipienten entweder wahrgenommen wird oder nicht. Daher ist auch die Frage gestellt worden, ob es eine Methodik der Stilanalyse gibt bzw. überhaupt geben kann. Für ein solches Verfahren spricht, dass jeder Leser durch seine Leseerfahrung ein Gespür für Stil entwickeln kann, was nichts anderes heißt, als dass die Wahrnehmung von Stil grundsätzlich erlernbar ist. Püschel wendet sich aufgrund der Vielgestaltigkeit von Stil gegen eine festgelegte Abfolge von Analyseschritten, formuliert aber einige Merksätze, mit deren Hilfe sich der Leser in einem Text orientieren kann und die mögliche, unbewusst angewandte Rezeptionsstrategien für den Leser explizit machen. Sie lauten: „(1) Gehe davon aus, dass zwischen dem Geäußerten und dem, was gemeint sein bzw. verstanden werden kann, prinzipiell Asymmetrie besteht. Einem Text lässt sich erheblich mehr an Sinn zuschreiben, als der bloße Wortlaut erwarten lässt. Rechne deshalb damit, dass du immer etwas verstehen kannst, das nicht ausdrücklich gesagt wurde, vielleicht sogar verschwiegen werden sollte. […]. (2) Nenne, um die Asymmetrie aufzulösen, stillschweigende Voraussetzungen und Implikationen ausdrücklich. Dies kann wie folgt geschehen: Löse komprimierte Ausdrücke, zum Beispiel Nominalgruppen oder Wortbildungen, in Sätze mit Verben auf. Verwandele Passivkonstruktionen in Aktivkonstruktionen. Ersetze unpersönliche Konstruktionen durch persönliche. Verändere die Abfolge der Satzglieder. Ersetze wertende Ausdrücke durch neutralere und formuliere die Wertung explizit. Sage bei vagen Quantifizierungen, welche Mengen gemeint sein können. Sage bei vager Referenz, welche Referenzobjekte gemeint sein können. Ergänze bei Argumentationen fehlende Zwischenschritte. [...] (3) Gehe davon aus, dass wir eine sprachliche Handlung nach mehreren Mustern zugleich machen. Orientiere dich dabei an den drei Aufgabenfeldern des sprachlichen Handelns mit den konstitutiven Mustern einer Textsorte, den Organisationsmustern, die die Strukturierung und Gliederung, die Themenbehandlung. die Verständnissicherung und die Aufmerksamkeitslenkung betreffen, <?page no="132"?> 4 Stil 132 den Kontakt- und Beziehungsmustern, die der Etablierung, Aufrechterhaltung und Ausgestaltung der kommunikativen Beziehung dienen. [...] (4) Achte darauf, wie FORTGEFÜHRT wird: Ob Muster WIEDERHOLT , VARIIERT , GE- MISCHT , VERSCHOBEN , GEWECHSELT werden oder ob von Mustern ABGEWICHEN wird. [...] (5) Achte auf die Reihenfolge der Teile im Satz (Satzgliedstellung), aber auch im Text (Sequenzierung von Mustern), die personale Deixis, Verallgemeinerungen und (fehlende) Quantifizierungen, Vagheit der Referenz, Deagentivierung und Subjektschub 16 , die Wortwahl, Bilder, auffällige Ausdrucksweisen, Partikeln, den Gebrauch von Kohärenzmitteln“ (1995: 309-319). Diese grundsätzlich offene Liste bedeutet nicht, dass man auf alles achten muss oder soll. Wichtiger ist es, sich das Ziel der Analyse im Sinne der Hypothesenbildung kontinuierlich vor Augen zu halten und damit auch die subjektive Erfahrung von Stil, die es für andere nachvollziehbar zu machen gilt. Die abschließende Anweisung Püschels, dass man sich auch mit dem Hintergrund des Textes (also mit den Handlungsbeteiligten, ihren Rollen, dem Kommunikationszusammenhang und dem Hintergrund des Schreibens) vertraut machen sollte (1995: 320), zu befolgen, ist im forensischen Kontext nicht immer möglich. Auch gehen die Meinungen darüber auseinander, ob der Sachverständige umfassendes Wissen über den Fall haben sollte, oder ob er bewusst darauf verzichten sollte, um dem zu begutachtenden Text unvoreingenommen gegenüberzutreten. Unstreitig ist, dass der Sachverständige den Auftrag zur Gutachtenerstellung mit einer Fragestellung erhält, die sich aus dem bisherigen Stand der Ermittlungen oder des Verfahrens ergibt und die damit auch Hinweise auf mögliche Autoren enthält oder enthalten kann. 17 Die Aspekte der Textfunktionen, der Themenentfaltungen und der thematischen Handlungsmuster, die Püschel in Merksatz (3) 16 Subjektschub beschreibt das Verfahren, an die Subjektsposition von Handlungsverben ein Element zu schieben, das als Agens semantisch nicht vorgesehen ist, so dass für das eigentliche Agens syntaktisch keine Position mehr frei ist, z.B. das Gesetz erlaubt ..., die Universität ist bemüht ... Der Verfasser des Textes bewirkt damit eine deutliche Deagentivierung der beschriebenen Handlung (von Polenz 1988: 187). 17 Vgl. Coulthard (2004: 432) und Kniffka (2000), der eine sehr detaillierte Fragestellung beantworten sollte. <?page no="133"?> 4.7 Ein Analysebeispiel 133 nennt, wurden in Kapitel 3 ausführlich behandelt, so dass hier nur einige wenige Anmerkungen dazu gemacht werden. * G ' 4 ) Der folgende Brief 18 ist der zweite in einer längeren Serie von Schreiben, die sich über fast zwei Jahre hinzieht, und in der eine männliche Person regelmäßig um Schweigegeld erpresst wird. Der Erpresser und das Opfer kennen sich offensichtlich, da die Geldübergabe in späteren Briefen über den Briefkasten des Erpressers erfolgt, wobei das Opfer als Erkennungszeichen zu klingeln hat. Der Täter hält in späteren Schreiben dem Opfer vor, es habe eine gemeinsame Bekannte vergewaltigt und deren Tochter sexuell berührt. Die Drohkulisse bleibt vage. >< " " [ # ? ? ? & O ? " X' & | ? ? [ # X' & $ # ? ) " " ? X' # & | = & \ & ? X' " X' X' " ' \ | | & X' " ? ? ' | [ #? | X' O ? _ | X' "Q | X' [ " X' # ? < " X' X' | ' [ # ? ? | <X' ~ ? ? ' ? ? ' ? ' ? ? ' O ' | X' ` X' " \ X' X' " ? Für das konkrete Vorgehen empfiehlt es sich, von dem fraglichen Text mehrere Kopien zu machen, und einzelne Stilmerkmale zunächst gesondert zu untersuchen. Beginnen wir mit Püschels Hinweis (2) in Kombination mit (5): Komprimierte Konstruktionen: Der Text enthält keine komprimierten Konstruktionen, allerdings zwei Wortbildungen: gerichtlich (2x) und polizeilich. Bei beiden Formen handelt es sich um relationale Adjektive, die einen Bezug von Gericht und Polizei zu einem Objekt herstellen. Ein gerichtliches Verfahren kann als Verfahren verstanden werden, welches das Gericht durchführt, ebenso wie polizeiliche Ermittlungen solche sind, die die Poli- 18 Die Datumsangaben sind fiktiv. <?page no="134"?> 4 Stil 134 zei durchführt. Der Satzbau ist einfach, es liegen 15 bzw. 16 kurze bis mittellange Sätze vor, von denen vier als Nebensätze auftreten. Mehrfach sind die Sätze elliptisch. Der Brief enthält mehrere agensabgewandte Konstruktionen. Der Satz Werden meine worte war könnte agensorientiert lauten: ‚Mache ich meine Worte wahr‘. Ebenso sind unpersönlich konstruiert fällig waren wieder die 150 Mark, es sind 17 Tage rom, Da sind schon 17 Tage rom. Den Sätzen Also am 31.08.04 9 oo Uhr Dienstag 200 Mark, Dienstag 9 oo Uhr 200 Mark der 31.08.04, Alle 14 Tage, sonst Polizeiliche wege, und gerichtliche wege fehlen Agens (bzw. Subjekt) und Prädikat, so dass sie weder eine Handlung explizit formulieren noch auf Emittent oder Rezipient verweisen könnten. Die Abfolge der Satzglieder lässt erkennen, dass der Emittent den Aspekt der zeitlichen Relation betont, vgl.: fällig waren ... die 150 Mark anstatt ‚die 150 Mark waren ... fällig‘. Eine alternative Satzgliedstellung zu es sind bereits 17 Tage rom wäre: ‚17 Tage sind bereits rum‘. Ähnlich konstruiert ist wenn ich bis Dienstag morgen 9 oo den 31.08.04 die 200 Mark nicht bekomme. Alternativ wären denkbar: ‚Wenn ich nicht bis Dienstag ... die 200 Mark bekomme / wenn ich die 200 Mark nicht bis Dienstag ... bekomme oder wenn ich die 200 Mark bis Dienstag nicht ... / wenn ich bis Dienstag ... nicht die 200 Mark bekomme.‘ Die Negation wird dabei so weit nach rechts gerückt, dass sie schließlich nur das Prädikat (bekomme) verneint und Subjekt und Temporaladverbiale außerhalb ihres Skopus stehen. Diese Wortstellung hat noch einen zusätzlichen Effekt: Eine Konstituentennegation der Temporalangabe wie in ‚wenn ich nicht bis Dienstag ... die 200 Mark bekomme‘ würde primär die Fristsetzung, nicht aber das Prädikat negieren. Der Anspruch auf das Geld, den der Sprecher geltend macht, bliebe davon unberührt. Die Prädikatsnegation hat aber zur Folge, dass eben dieser Anspruch, etwas zu bekommen, vom Emittenten sprachlich infrage gestellt wird. Drei weitere Sätze sind belegt, in denen die Temporalangabe nach vorne gerückt ist: Also am 31.08.04 9 oo Uhr Dienstag 200 Mark. Da sind schon 17 Tage rom. länger warte ich nicht statt ‚ich warte nicht länger‘. Der erste Satz beginnt mit der Betonung der Fälligkeit anstatt mit einem Verweis auf den Termin oder das Geld, indem der Emittent das Prädikativum in die Spitzenstellung rückt. Im folgenden Satz muss der Emittent ein Platzhalter-es setzen, um auch hier die Zeitrelation (bereits) dem Subjekt voranstellen zu können. Auch im dritten Satz steht die Adverbialbestimmung wieder vor dem Subjekt/ Objekt, und der darauf folgende Satz ist zu dem vorangegangenen es sind bereits 17 Tage rom parallel konstruiert, wobei das da eine lokaldeiktische Funktion hat, die aber temporal interpretiert werden kann. Auch der letzte Satz beginnt mit einer iterativen adverbialen Bestimmung, allerdings ist aufgrund der fehlenden Interpunktion nicht zweifelsfrei zu bestimmen, ob es sich um einen eigenen, elliptischen Imperativsatz handelt oder um einen Teil des Satzes halte dich daran. Vage Referenten haben die Phrasen meine worte, meine gerichtlichen wege, das Nomen bescheid in bescheid weißt, polizeiliche wege, gerichtliche wege und mit Freunden. Meine worte sind hier zu interpretieren als ‚das, was ich dir vorher angekündigt habe‘, wobei unklar bleibt, welche Drohung dahinter steht. Auch gerichtliche wege bedeutet <?page no="135"?> 4.7 Ein Analysebeispiel 135 zunächst nur, dass der Emittent ankündigt, dass er etwas in Bezug auf das Gericht oder die Polizei durchführen wird, unklar bleibt, was genau er tun will. Die Vagheit wird verstärkt durch das fehlende Prädikat im letzten Satz, in dem nur noch von Polizeiliche wege die Rede ist. Beide Formulierungen sind stilistisch etwas höher anzusiedeln als die vorangestellten Handlungsaufforderungen wenn ich ... nicht bekomme bzw. Halte dich daran. Unter Rückgriff auf den Hinweis (5) von Püschel ist hier auffällig, dass der Emittent an dieser Stelle für seine Drohung eine Metapher wählt, anstatt eine anschauliche Handlung wie ‚ich zeige Dich an‘ zu formulieren, und dass er als Bild die ‚zu gehenden Wege‘ wählt, deren Ziel nicht genannt ist: Das Bild legt den Fokus auf die Fortbewegung an sich. Ähnlichkeiten bestehen gegenüber dem Ausdruck auf gerichtlichem Wege, der gerichtliche Weg, man geht den gerichtlichen Weg. Die Wahl des Possessivums mein zeigt dabei an, dass es sich um individuelle Wege handelt, denn einen allgemeinverbindlichen und daher als bekannt vorauszusetzenden Weg könnte man sprachlich als ich gehe den gerichtlichen Weg einführen. Ob das meine gerichtlichen wege als potentielle Allmachtsphantasie interpretiert werden kann, in der sich der Emittent seine eigenen Gesetze schreibt, muss dahingestellt bleiben. Vage Referenz findet sich auch in Bezug auf das gestellte Ultimatum: So bleibt bei länger der Zeitbezug offen, da nicht ersichtlich ist, ob es der Dienstag ist, an dem das Geld abgeliefert werden soll, oder der Mittwoch, an dem das Opfer den Täter „kennenlernen“ wird. Der Ausdruck mit Freunden schließlich legt zwar nahe, dass es sich um die Freunde des Emittenten handelt, aber sicher ist es nicht, denn es sind nicht ‚seine Freunde. Auch liegt hier eine vage Quantifizierung vor, es können zwei oder mehr Freunde sein. Ebenso vage ist die (phrasenhafte) Wendung du wirst micht kennenlernen, die zu deuten ist als ‚du wirst erfahren, was ich wirklich kann bzw. ‚welche für dich negativen Handlungen ich ausführen werde‘. Der Wechsel ins Futur verweist auf eine mögliche, nicht mehr in der Gegenwart verankerte Vorstellung. Dem gegenüber stehen das präsentisch formulierte Und Ich komme bei Dir vorbei und die Versicherung länger warte ich nicht, obwohl auch diese Ereignisse in der Zukunft liegen. Beide Ankündigungen wirken dadurch realisierbar und konkret. Der Brief hat zwei Teilthemen: die Zahlungstermine und die Konsequenzen, die bei der Nicht-Einhaltung drohen. Es fällt ein Unterschied im Grad der Konkretisierung auf: Während die Termine exakt genannt sind, bleiben die angedrohten Konsequenzen allgemein. Die fünf angekündigten Varianten sind werden meine worte war, Ich komme bei Dir vorbei, aber mit Freunden, ich werde meine gerichtlichen wege gehen sowie würst Du micht kennenlernen und sonst Polizeiliche wege, und gerichtliche wege. An keiner Stelle kündigt der Emittent konkrete Sanktionen an. Die Gewichtung des Inhalts zeigt sich auch an der Differenzierung und am Umfang des verwendeten Wortschatzes: Zum Themenbereich Zeitrelation gehören fällig, am Freitag, Dienstag (3x), Mittwoch, bis, Uhr[zeit] (8x), DATUM (8x), 17 Tage (2x), morgen, wieder, bereits, rom sein (2x), schon, länger, warten, nächste, alle 14 Tage. Zum Themenbereich Wohlverhalten gehören: sich daran halten (2x). Zum Thema Geldforderung gehören: 150 Mark, 200 Mark (3x), Geld, nicht bekommen. Zum Thema Sanktionen: mit <?page no="136"?> 4 Stil 136 Freunden vorbeikommen, kennenlernen, Polizeiliche wege, gerichtliche wege gehen (2x), worte werden war, bescheid wissen. Die Sprachhandlungen des Textes, auf die Püschel unter (3) verweist, erscheinen wie folgt: Zu Beginn stellt der Verfasser durch Nennung des Namens den Kontakt zum Opfer her, er ADRESSIERT es. Dann INFORMIERT er über den verstrichenen Fälligkeitstermin und über die Zeit, die seither vergangen ist. Er FORDERT AUF , das Geld bis zu einem bestimmten Termin zu zahlen und KÜNDIGT Konsequenzen AN , wenn dies nicht geschieht. Er INFORMIERT darüber, dass er informiert (damiet du bescheid weißt). Die primäre Illokution dieses INFORMIERENS ist hier das DROHEN . Sie wird vom Rezipienten als solche erfasst, da er die an sich redundante Information, dass informiert wird, unter der Annahme, dass das Kooperationsprinzip gilt, so interpretiert, dass sie einen anderen Sinn erhält. Im zweiten Absatz INFORMIERT der Verfasser ein zweites Mal über den Termin und über die Zeit, die seitdem verstrichen ist. Er FORDERT zum Wohlverhalten AUF und KÜNDIGT Konsequenzen AN . Er INFORMIERT über sein zukünftiges Verhalten. Im dritten Absatz INFORMIERT er ein drittes Mal über den Termin und INFORMIERT über die Folgetermine. Im vierten Abschnitt INFORMIERT er über die Zeitspanne zwischen den Zahlungsterminen. Er FORDERT zum Wohlverhalten AUF und KÜNDIGT Sanktionen AN . Wie bereits erwähnt, lassen sich die Illokutionen einiger dieser Sprachhandlungen in primäre und sekundäre Illokutionen unterteilen: Das INFORMIEREN kann primär als AUFFORDERN interpretiert werden, insbesondere in Bezug auf die Nennung des Termins, die als Zahlungsaufforderung zu lesen ist. Da dies im 2., 4. und 5. Absatz auftritt, sich also wiederholt, handelt es sich hier um ein Muster der Ausgestaltung. Die komplexe Sprachhandlung des eigentlichen Erpressens liegt einmal vor: wenn ich ... die 200 Mark nicht bekomme. Werden meine worte war, die der Androhung von Konsequenzen zweimal: Halte dich daran sonst würst Du micht [...] kennenlernen. Halte dich dran, sonst polizeiliche wege. In allen drei Fällen werden AUFFORDERN (direktiv) und ANKÜNDIGEN (kommissiv) in unterschiedlichem Grade explizit gemacht: Im ersten Fall ist die Handlungsaufforderung indirekt aus dem Verb bekommen abzuleiten, denn es muss jemanden geben, der dem Emittenten das Geld übergibt, damit der Zustand des Bekommens eintritt. Die Handlungsankündigung ist ebenfalls implizit und aus dem werden meine worte war abzuleiten: Der Emittent löst demnach sein Versprechen ein, das wahrscheinlich in einer nicht näher benannten Handlung besteht. Im zweiten Fall ist die Aufforderung explizit, aber die Handlungsankündigung bleibt auch hier implizit: sonst würst du micht kennenlernen ist ebenfalls aus einer nicht näher benannten Handlung des Emittenten abzuleiten. Im dritten Fall markiert nur noch das Adverb sonst, dass das, was folgt, als Handlungsankündigung zu lesen ist. Der Eindruck, den der Leser erhält, ist der einer vagen Drohung, die zum einen dadurch vage bleibt, dass die hier vollzogenen Sprechakte zum Teil indirekt realisiert sind oder abgeleitet werden müssen, und zum anderen dadurch, dass es sich bei den Verben nicht um konkrete Handlungsverben handelt, sondern um Verben, die Zu- <?page no="137"?> 4.7 Ein Analysebeispiel 137 standsänderungen beschreiben: Meine worte werden war hebt ab auf die Herstellung einer Wirklichkeit, die korrekt versprachlicht ist, in der also Worte ‚wahr‘ sind, und nicht auf die Veränderung der Wirklichkeit selbst, auch wenn das eine aus dem anderen abgeleitet werden kann. Kennenlernen seinerseits betrifft die Veränderung eines kognitiven Zustandes, und vorbeikommen und gehen sind reine Bewegungsverben. Werfen wir schließlich noch einen Blick auf die Personalpronomina bzw. die personale Deixis. Während im ersten Teil des Briefes Emittent und Rezipient thematisiert werden, fehlt der Bezug auf den Emittenten im zweiten Teil ganz, er tritt sprachlich nicht mehr in Erscheinung, weder durch Pronomina noch durch Prädikate. Dieser sehr elliptisch geprägte zweite Teil trägt seinerseits zur Vagheit bei. Hier sei auf Püschels ersten Merksatz verwiesen, in dem er uns daran erinnert, dass eine grundsätzliche Asymmetrie besteht, durch die wir vieles Ungesagte aus dem Text herauslesen. Durch die Analyse der sprachlichen Struktur ist deutlich geworden, wie genau der Eindruck einer eher diffusen Drohung entsteht, der sich beim Lesen des Textes einstellt. Gehen wir über zur Themenentfaltung und -orientierung unter (3): Schon bei erstem Lesen ist die mehrfache Wiederholung des nächsten Zahltermins auffällig. Hinzu kommt, dass der Emittent bei jeder neuen Nennung des Termins auf die Nichteinhaltung indirekt Bezug nimmt, weil er stets Konsequenzen androht. Damit versucht der Emittent die Terminsetzung an sich für den Aufbau der Drohkulisse zu instrumentalisieren. Andererseits lässt sich dieses Vorgehen des Emittenten auch so verstehen, dass er offenbar gedanklich vorwegnimmt, dass seine Erpressung erfolglos sein könnte. Thema des Briefes ist offensichtlich nicht so sehr die Erpressung des Geldes als vielmehr der Versuch, die regelmäßigen Geldzahlungen einzufordern bzw. sicherzustellen. Dies zeigt auch die Wortstellung im bereits erwähnten länger warte ich nicht sowie im ersten Satz fällig waren wieder, die länger und fällig zum (markierten) Rhema machen. Der Emittent verweist zweimal auf die Frist, die zwischen Zahltag und dem zweiten Schreiben vergangen ist und die überschritten wurde, er wiederholt den nächsten Termin dreimal, erstellt dann eine Liste der kommenden Zahlungstermine und erklärt dann noch den Zahlungsturnus. Diese unterschiedlichen Perspektivierungen des Sachverhalts dienen der Verständnissicherung. In diesem Zusammenhang ist m.E. das also im zweiten Absatz markant, da es sowohl als eigene oder rezipientenorientierte Vergewisserung aufgefasst werden kann, aber auch als eine im Geiste vollzogene Einigung mit dem Opfer im Sinne von ‚du zahlst also ( = wie verabredet) am Dienstag‘. Er kreist gedanklich viel stärker um die Zahlungsfristen als um die Geldbeträge. Auf den Termin mit Datum, Wochentag und Uhrzeit referiert er kontinuierlich in der Vollform und nimmt ihn nicht durch Proformen wieder auf im Sinne von wenn das Geld dann nicht da ist, ... Anders beim fälligen Geldbetrag: Erst sind es 150 DM, dann 200 DM, auf die er dann mit das nächste Geld referiert. In der Realisationsform der Textthemen (vgl. Punkt 4) zeigt der Brief zwei Muster, nämlich das der Wiederholung und das der Addition. Sowohl die Termine werden <?page no="138"?> 4 Stil 138 variierend wiederholt als auch die Konsequenzen: Die wege werden in drei der fünf Ankündigungen wiederholt und die Androhung von Konsequenzen im ersten Absatz wird sukzessive thematisch entfaltet, indem Variationen ergänzt werden, die jeweils durch und angefügt sind. Oberflächenstrukturell erscheint dies in Form eines Parallelismus Und Ich komme bei dir vorbei, aber mit Freunden. Und ich werde meine gerichtlichen wege gehen, damit du bescheid weißt, einer Stilfigur der Wiederholung. Auch im letzten Satz werden den Polizeilichen wegen die gerichtliche wege hinzugefügt. Die Wiederholung realisiert sich darüber hinaus als versetzte thematische Wiederaufnahme: Zu Beginn des ersten Absatzes wird der Termin genannt, es folgen Sanktionsankündigungen. Im zweiten Absatz wird zum einen der Termin wieder aufgenommen, und zum anderen wird nochmal auf die verstrichene Frist hingewiesen. Es folgt die Aufforderung zum Wohlverhalten, dann erneut der Termin. Die Wortwahl der Aufforderung zum Wohlverhalten wird wieder aufgenommen im letzten Absatz durch das halt dich dran, sonst ... Dabei bezieht sich das Wohlverhalten auf die Einhaltung der vorgegebenen Termine und z.B. nicht wie sonst vielfach belegt, darauf, keine Polizei einzuschalten oder niemandem etwas zu sagen. Der Briefschreiber springt zwischen den Teilthemen immer wieder hin und her. Dies kann heißen, dass er selbst gedanklich mit keinem der Themen vollständig abgeschlossen hat, es kann aber auch bedeuten, dass er in der Wiederholung ein adäquates Mittel sieht, seiner Forderung den nötigen Nachdruck zu verleihen. Dafür spricht auch die additive Ausgestaltung möglicher Konsequenzen für das Opfer. Er könnte der Ansicht sein, dass seine Drohung, je mehr Möglichkeiten der Sanktionierung er nennt, umso ernster genommen wird. Da die stilistische Wirkung einer sprachlichen Struktur sich jedoch erst im Leser entfaltet, ist nicht gewährleistet, dass sie auch im Sinne des Autors interpretiert wird. Sie könnte auch als Unstrukturiertheit oder Redundanz interpretiert werden, mit dem Ergebnis, dass der Rezipient die Drohung als wenig glaubwürdig einschätzt. Aufgrund ebendieser Ambivalenz von intendierter und tatsächlicher Wirkung kann (und darf) eine Stilanalyse auch keine Antwort auf die Frage geben, wie ernst der Emittent es meint. Das Beziehungsmuster zwischen Opfer und Täter ist nicht eindeutig. Die beiden kennen sich, denn das Opfer wird mit seinem Vornamen angesprochen und geduzt. Auch weiß der Täter, wo es wohnt, und der Erpresste weiß seinerseits, um wen es sich bei dem Täter handelt, da er ihm - wie aus späteren Briefen hervorgeht - das Geld in seinen Briefkasten hinterlegen muss. In Bezug auf die sprachliche Realisation der Beziehung ist auffällig, dass das Opfer zwar mit dem Vornamen angesprochen, aber zum Zahlen nicht direkt aufgefordert wird. Die Perspektive orientiert sich hier am Emittenten (wenn ich [...] die 200 Mark nicht bekomme, werden meine worte war.). In der Androhung von Konsequenzen wechselt die Perspektive (Ich komme bei Dir vorbei, Ich werde meine wege gehen, würst Du micht kennenlernen, damiet Du bescheid weißt). Ausschließlich die Aufforderung zum Wohlverhalten halte Dich daran ist rein auf den Rezipienten bezogen. Insgesamt überwiegt die Emittentenorientierung: Sieben Formen des Personalpronomens ich und des Possessivums mein stehen fünf Formen für du gegenüber. Grundsätzlich ist das Verhältnis zwischen Opfer und Täter <?page no="139"?> 4.7 Ein Analysebeispiel 139 in einer Erpressung immer asymmetrisch, weil der Täter etwas vom Opfer fordert, das das Opfer nicht ablehnen kann. Interessant ist daher in diesem Zusammenhang die Wahl des adversativen aber im Satz Ich komme vorbei, aber mit Freunden, das dem Vorbeikommen erst die nötige Drohkraft verleihen soll, die - so ist aus der Wahl des aber zu schließen - ein Besuch allein nicht entfaltet. Inwieweit der Emittent damit dem Opfer unfreiwillig signalisiert, dass er sich ihm unterlegen fühlt, wäre zu bedenken. Es könnte einer der Aspekte sein, von denen Püschel sagt, dass wir sie wahrnehmen, obwohl sie „möglicherweise verschwiegen werden sollte[n]“ (1995: 309). An einigen Punkten haben sich aus der Analyse der sprachlichen Verwendung, die der Verfasser zeigt, Interpretationsansätze ergeben, die über den sprachlichen Bereich hinausgehen. Diese sind als Fingerzeige zu verstehen. Eine Stilanalyse soll neben möglichen Mustern sprachlicher Verwendung in Kombination mit der Fehleranalyse vorrangig offenlegen, ob der Emittent ein Muttersprachler ist, in welcher Region er sprachlich sozialisiert wurde bzw. aufgewachsen ist, wie schreiberfahren er ist, welches Bildungsniveau er wahrscheinlich hat und wie stilsicher er in der Gestaltung ist - ein Aspekt, der auch auf das Bildungsniveau schließen lässt. Der Gebrauch bestimmter sprachlicher Formen kann im besten Fall auch ein Hinweis auf ein relatives Alter des Emittenten sein, das Auftreten von Fachlexik oder der Lexik einer Sondersprache der Hinweis auf ein Hobby oder einen Beruf. Der vorliegende Brief zeigt in Bezug auf die letzten Punkte keinen bzw. nur einen Hinweis ex negativo. Aus der mehrfach verwendeten Kombination von gerichtlich, polizeilich und wege scheint m.E. eher die Unkenntnis oder Unerfahrenheit im Umgang mit den betreffenden Institutionen zu sprechen. Dieses und auch die Drohung, mit Freunden vorbeizukommen, deuten auf einen eher jüngeren Schreiber hin. Die Schreiberfahrung des Emittenten ist allenfalls als durchschnittlich einzuschätzen, eine schreibende Tätigkeit wird er wahrscheinlich nicht ausüben. Diese Einschätzung stützt sich auf den wiederholten Gebrauch der Konjunktion und für die thematische Entfaltung, die mehrfach belegten Ellipsen sowie die textthematischen Wiederholungen. Durchgängig richtig schreibt der Emittent das Anredepronomen Du. Trotz der Interpunktionsfehler, die punktuell zu einer Verletzung der inhaltlichen Struktur führen, zeigt der Text formale Strukturierungen durch die Absätze und die Liste mit den Zahlungsterminen, die einheitlich gestaltet ist. Sprachlich ist von einem deutschen Muttersprachler auszugehen. Die auftretenden Fehler zeigen neben Verschreibern (micht) die Unkenntnis des etymologischen Prinzips bei war werden und falsche Phonem-Graphem-Beziehungen, die auf regionale Aussprachevarianten hindeuten, vgl. würst (Lippenrundung) und rom (Öffnung des Mundraums). <?page no="140"?> 4 Stil 140 * H II 0 Der vorliegende Brief ist ein weiterer aus der o.g. Briefserie. Analysieren Sie ihn stilistisch und erläutern Sie anschließend, weshalb es wahrscheinlich ist, dass dieser Brief vom selben Emittenten stammt. ? ? ' [ # >< ? _ | X' ? " | & X' ? [ # ? ? " ? `Q # X' ' ? X' " ? 4! & Wie bereits erwähnt, enthalten viele Briefe stilistische Brüche und Auffälligkeiten, die darauf hindeuten, dass der Autor die angestrebte Stilebene nicht erreicht bzw. eine förmliche und stilistisch gehobene Ausdrucksweise nicht durchhalten kann. 1. Analysieren Sie im vorliegenden Brief vor allem die stilistischen Abweichungen und Brüche. Welche Kontaminationen können Sie feststellen, welche Satzstrukturen wurden angestrebt und nicht zu Ende gebracht? 2. Wie schätzen Sie die Schreib- und Stilerfahrung der Schreiberin ein? <?page no="141"?> 4.8 Aufgaben 141 ! Die folgenden zwei Briefe gehören zu einer umfangreichen anonymen Briefserie, in der ein Pfarrer und eine Ärztin beschuldigt wurden, miteinander ein Verhältnis zu haben. Ein weiterer Brief findet sich in Kapitel 3.3.6. Welche inhaltlichen Gemeinsamkeiten können Sie entdecken? Führen Sie dann eine stilistische Analyse durch. ' & ! < _ & > X' X' ~ X' >> # ' [ *< ' " X' > ! <X' `> X' ' * > - # # ! X' Q& >Q' " X' ' ' > < X' = '< ' & ^ ' = " '^ " " " X' ' Text 1 ' ' > \ ' & > X' X' # ¡ # # > &" ' # ' ! > # X' X' # ! QX# X' & = ^ X' X # & " " > ! ' X' X' X# " & & = & " " " < > & ' & > X' X' & ><' < X' X' >Q < # X' ( X' X' ' > # ! > = &" ' ' ! X' X' & X' X' # ' # ' " ' & X' " " > " X' > & > ! > X' X' X' X' Y " X' X' " & Q ! > >Q & ¡ ? X' >Q Y >> & = > Y Y ' Y Text 2 ! Analysieren Sie den Brief in Aufgabe 3.3.3 stilistisch unter Zuhilfenahme der Merksätze Püschels. Bestimmen Sie, welche sprachlichen Formen durch die Textsorte Geschäftsbrief vorgegeben bzw. konstituierend für diese Textsorte sind. <?page no="142"?> 4 Stil 142 / - ? 0 Lesen Sie den kurzen Artikel von Betz (1964) zum Brühne-Mord. Hintergrundinformationen finden Sie u.a. in den Onlinearchiven des S PIEGEL und der F RANKFURTER A LLGEMEINEN Z EITUNG . Fassen Sie kurz zusammen, welche Rolle die Aussage des Kronzeugen im Prozess spielte. Bewerten Sie anschließend die Ausführungen Betz’ aus der Sicht der forensischen Stilistik. Betz (1964), Cherubim (1982). <?page no="143"?> 2 Die Fehleranalyse ist ein weiterer wichtiger Bestandteil der forensischen Textanalyse. Während die Stilanalyse die Auffälligkeiten und Unauffälligkeiten eines Textes stilistisch analysiert, bestimmt die Fehleranalyse explizit, was unter den Auffälligkeiten als richtig (also als eine durch eine Norm gedeckte Variante) und was als falsch angesehen werden muss. Im Zusammenhang mit der Analyse eines Textes interessieren vor allem sprachliche Fehler, Fehler also, die von einer Person im Prozess der Textproduktion aus unterschiedlichen Gründen produziert werden. Davon zu unterscheiden sind Sprachfehler, die sich auf eine fehlerhafte Artikulation der Sprache beziehen, und die für die forensische Phonetik interessant sind. Ebenfalls von den erstgenannten Fehlern zu trennen sind Fehler, die aufgrund einer Dyslexie entstehen. Sie haben ein typisches Erscheinungsbild. 1 Traditionell gilt ein Fehler als Verstoß gegen eine Norm. Die Fehleranalyse basiert daher auf dem Anlegen einer Norm an den Text. Die so aufgefundenen Fehler werden anschließend danach interpretiert, ob sie dem Standard oder dem Non-Standard zuzuweisen sind, einer bestimmten dialektalen oder regionalen Varietät, einem mündlichen oder schriftlichen Register oder dem Einfluss einer Fremdsprache. In einem dritten Schritt ist nach der Motivation der Fehler bzw. nach ihrer Ursache zu fragen, die in der Situation der Textproduktion liegen kann, in der (mangelnden) Schreiberfahrung, im erreichten Sprachstand (wenn es sich um lernersprachliche Fehler handelt) oder auch in der kommunikativen Absicht des Schreibers. Die Bewertung eines sprachlichen Ausdrucks als Fehler setzt voraus, dass es a) eine richtige Alternative und b) ein Kriterium gibt, nach dem die Entscheidung ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ getroffen werden kann (Ramge 2010: 3). Dies ist nicht immer möglich. Gelegentlich muss offen bleiben, welche Form die richtige ist, da es mehrere gleichberechtigte Alternativen gibt. Ebenso können mehrere sprachliche Normen miteinander interferieren, so dass nicht genau bestimmt werden kann, ob die vorgefundene Abweichung tatsächlich ein Fehler ist. 2 9) A ! Sprachliche Normen bestimmen das Sprachverhalten der Angehörigen einer sozialen Gemeinschaft, indem sie einerseits als Orientierungshilfen für eigenes Sprachverhalten dienen und andererseits die Erwartungen an das sprachliche Verhalten anderer prägen und bestimmen. Aus der Beobachtung fremden Sprachverhaltens, das als vorbildhaft eingeordnet wird, abstrahiert der Einzelne bestimmte Verhaltensregeln, die er 1 Siehe dazu den Sammelband von Thomé (2004). <?page no="144"?> 5 Fehler 144 oder sie dann an sich und an andere anlegt, d.h. er entwirft normative Praktiken (Bartsch 1987). Sprachliche Normen müssen daher nicht explizit ausformuliert werden, sondern „existieren genau dann, wenn sie von den Mitgliedern einer sozialen Gemeinschaft als handlungsleitend akzeptiert werden [...]. Ihre Befolgung wird durch sozialen Zwang gesichert“ (Dittmar/ Schmidt-Regener 2001: 523), und ein Verstoß gegen sie kann sanktioniert werden. Daher sind Sprachnormen Teil der sozialen Normen einer Gemeinschaft. Sie sind Produkte von Standardisierungsprozessen, d.h. es gibt in jeder Varietät unterschiedliche und z.T. konkurrierende Normen. Bartsch (1987) unterscheidet bei den normativen Praktiken nach der Korrektheit der sprachlichen Mittel und des Sprachgebrauchs. Die Korrektheit des Sprachgebrauchs bezieht sich auf die semantisch-pragmatische Kohärenz von Texten und die ihnen zugrunde liegenden Grice’schen Konversationsmaximen. Die Korrektheit der sprachlichen Mittel umfasst die lautlichen wie die orthographischen Normen sowie die Normen der syntaktischen Korrektheit und der lexikalischen Korrektheit. Die Korrektheit der sprachlichen Mittel wird darüber hinaus danach aufgegliedert, in welcher Varietät welche Formulierung als normkonform gilt, ob es sich um eine schriftsprachliche oder umgangssprachliche Norm handelt oder um die Norm einer Sondersprache. Nicht gleichzusetzen mit der Norm ist die Regel. Regeln beschreiben die aktuale Sprachverwendung und geben an, welche der Möglichkeiten, die das Sprachsystem bereitstellt, realisiert werden. Diese Regeln werden in der Kommunikation erlernt. In Hinblick auf die Norm bedeutet die Anwendung dieser Regeln durch den Sprecher, dass er nicht nur grammatisch korrekte, sondern damit zugleich normkonforme Äußerungen realisiert, weil Sprecher wie Hörer in Anwendung der Norm grammatische Korrektheit erwarten. Normen sind daher im Sinne Bartschs soziale Korrelate von Regeln. Für unterschiedliche Varietäten gelten nicht nur unterschiedliche Normen, sondern für deren Diasysteme auch unterschiedliche Regeln, deren Anwendung - bezogen auf die jeweilige Varietät - grammatisch korrekte Äußerungen hervorbringt. So basieren syntaktische Konstruktionen wie z.B. die Verbzweitstellung mit weil (er kommt nicht, weil er hat zu tun), Adverbialklammern (da hab ich nichts von) oder die sog. rheinische Verlaufsform (sie ist am Schreiben) auf korrekten Regelanwendungen, die zwar Bestandteil des gesprochenen Non-Standards sind, 2 nicht aber des (geschriebenen) Standards. Wird eine solche Konstruktion in einem Text realisiert, kann, unter Anlegung der standardsprachlichen Norm, auf zwei Ebenen über ihre Adäquatheit entschieden werden. Auf der Ebene der Sprachsystematik würde sie gegen die syntaktische Korrektheit verstoßen, auf der Ebene des Sprachgebrauchs wäre über ihre Angemessenheit im vorliegenden Kontext zu urteilen. Im allgemeinen sind angemessene Äußerungen normkonforme Äußerungen (Hundt 2009: 121). Eine auf Kommunikation hin angelegte sprachliche Äußerung kann nicht außerhalb einer sprachlichen Norm existieren, und so zeigt der Emittent durch die Wahl eines 2 Zu weiteren sprachlichen Erscheinungsformen dieser Art siehe Dovalil (2003). <?page no="145"?> 5.1 Sprachliche Normen 145 Registers zum einen, dass er sich grundsätzlich an einer Norm orientiert, zum anderen, um welche es sich dabei handelt. Die Bewertung eines Textes beginnt damit, explizit zu machen, welche Norm das Normsubjekt an sich selbst und welche Norm der Gutachter seinerseits an den Text anlegt. Die für den Emittenten geltende Norm zu eruieren, um so Fehler als Normverstöße bestimmen zu können, stellt eine grundsätzliche Schwierigkeit dar, weil das geltende Register nicht immer zweifelsfrei herausgearbeitet werden kann. Gerade bei mustervariierenden Textsorten können unterschiedliche Normen miteinander konkurrieren. Zu berücksichtigen ist, dass es sich bei der angelegten Norm um ein Konstrukt handelt, in dem der Rezipient mit seinen eigenen Erfahrungen als Mitglied der Sprechergemeinschaft dem Emittenten eine Normorientierung unterstellt, die wiederum von seinen Erwartungshaltungen an die eigene und an die sprachliche Korrektheit anderer geprägt ist. Dass der Rezipient seine Einschätzungen dabei mit anderen teilt, ändert nichts an der Konstrukthaftigkeit. Diese intersubjektive, aber eben nicht objektive Gültigkeit der angelegten Sprachnormen muss als Teil der Annäherung an den zu analysierenden Text reflektiert werden, denn schließlich ist es eines der Ziele der forensischen Textanalyse, Aussagen über die Schreibkompetenz und den Bildungsgrad des Emittenten zu erhalten. Es muss deutlich sein, dass damit auch immer über seine soziale und intellektuelle Kompetenz geurteilt wird, dass aber diese Beurteilung nicht aus einer individuellen Attitüde des Gutachters heraus geschieht, sondern direkt auf der Befolgung oder Nichtbefolgung der betreffenden Sprachnormen durch den Emittenten basiert (vgl. Gloy 1980, Dittmar/ Schmidt-Regener 2001: 522) und sich aus der Sanktionsfähigkeit von Normverstößen ergibt. Dass wir über die Schreibkompetenz auf die Sozialkompetenz und den Intellekt des Gegenübers schließen (ob berechtigt oder nicht), spiegelt sich auch darin, dass wir uns zuweilen schwer tun, Orthographiefehler bei denjenigen einer mangelnden Schreibkompetenz zuzuschreiben, die wir als entsprechend gebildet einschätzen (vgl. Kniffka 1996). Die Norm, die ein Rezipient an ein (inkriminiertes) Schreiben anlegt, ist zunächst seine eigene. Diese muss - bezogen auf die Orthographie - nicht mit der kodifizierten Norm des amtlichen Regelwerks identisch sein, ebenso wenig wie sich die Vorstellungen des Rezipienten von grammatischer Korrektheit mit den Angaben z.B. der DU- DEN Grammatik decken müssen, auch wenn er selbst sie in seiner Rolle als Modellschreiber oder Sprachexperte möglicherweise so einschätzt. Folglich wird er auch nur die Fehler wahrnehmen, die sich mit seinen eigenen Vorstellungen von Korrektheit nicht decken; andere wird er u.U. nicht erkennen, da er die betreffenden Regeln nicht zur Gänze beherrscht. Auch kann es sein, dass er sich im Irrtum über die Korrektheit bestimmter Schreibungen befindet und etwas als falsch deklariert, das gemäß den amtlichen Regeln richtig ist. Dass diese amtlichen Regeln (früher auch Dudennorm genannt) als Richtschnur anzulegen ein Problem grundsätzlicher Art ist, hat Kniffka bereits an anderer Stelle (1996: 59) behandelt. Er fragt danach, inwieweit diese Norm für Schreiben, die nicht-amtlicher Natur sind, tatsächlich Gültigkeit beanspruchen kann, und weist darauf hin, dass die Regeln für Randbereiche der Rechtschreibung <?page no="146"?> 5 Fehler 146 wie Bindestrichsetzung oder Zusammen- und Getrenntschreibung den wenigsten (auch unter den versierten) Schreibern vollständig bekannt sein dürften und Verstöße gegen sie dementsprechend auch nicht sanktioniert werden. Nicht zuletzt um diese Problematik zu umgehen, beschreitet das Bundeskriminalamt hier seit Jahren einen pragmatischen Weg. Die im BKA eingehenden Texte werden an der DUDEN-(Rechtschreib)-Norm gemessen, wobei hier grob unterschieden wird zwischen den Regeln vor und den Regeln nach der Rechtschreibreform, gut erkennbar daran, ob ein Schreiber die Konjunktion dass mit <ß> oder mit <ss> schreibt. Schreibungen wie <weiß> können nicht als Indiz gelten, allenfalls Fehlschreibungen wie <weiss>, die Unklarheit bei der Anwendung der neuen Regeln anzeigen. Die Ansetzung der DUDEN-Rechtschreibung für alle dem BKA vorliegenden Schreiben ist zwar aus Sicht der Norm ein Konstrukt, schafft aber eine Vergleichbarkeit der Texte innerhalb des BKA-Korpus, die von konkreter und hoher Relevanz für die Mitarbeiter dort ist. Die erkenntnistheoretisch und methodisch problematische Frage, ob man eine Norm an eine Person anlegen sollte, die sich dieser Norm möglicherweise nicht bewusst ist (Gloy 1987: 122), wird hier beiseite gelassen. Die für den Emittenten geltende Norm ergibt sich aus der Wahl der Register. Der Terminus des Registers wird von Dittmar in Anlehnung an Halliday über die Aspekte des Gesprächsthemas, der Gesprächsmodalitäten und des Gesprächsstils beschrieben: „Register aktiviert eine semantische Konfiguration in einer gegebenen sozialen Situation in Abhängigkeit von einer spezifisch kommunikativen Aufgabe, der Beziehungsqualität zwischen den Interaktanten (Rollenbeziehungen erster und zweiter Ordnung) und der Diskursmodalitäten (Austauschstruktur, kulturelles und Gattungswissen)“ (Dittmar/ Schmidt- Regener 2001: 528). Die sprachlichen Äußerungen sind also direkt vom „Wissen, Zweck und der Perspektive der sprachlichen Tätigkeit“ abhängig, sowie davon, in welcher persönlichen Beziehung Emittent und Adressat zueinander stehen und welche „affektiven Zustände“ die Kommunikationssituation begleiten (ebd.). Für Erpresserschreiben ist im Zusammenhang mit der Textsortenproblematik schon deutlich geworden, dass diese Textsorte bei mehreren anderen Textsorten Anleihen macht. Vielfach werden Textsorten auch als durch das Register determiniert beschrieben (Spillner 1987: 282). Dementsprechend kann das gewählte Register des Emittenten Besonderheiten aufweisen, die sich nicht zuletzt aus den o.g. Determinanten ergeben, so dass zu überlegen ist, ob nicht die Konstellation der Determinanten ein eigenes Register ‚Erpressung‘ hervorbringt, das über den Aspekt der „affektiven Zustände“ regelmäßig die zu beobachtende äußerste Höflichkeit ebenso wie umgangssprachliche Elemente, das Beleidigen oder das Duzen des meist fremden Gesprächspartners erzeugt. Diese Elemente wären also nicht Zeichen einer Wahl eines falschen Registers, sondern selbst Bestandteil des Registers. Empirische Auswertungen des BKA-Korpus zur Häufigkeit bestimmter Abweichungen in Erpresserschreiben (z.B. von Artmann, Stein/ Baldauf, Baldauf), z.B. gegenüber der Textsorte Geschäftsbrief, stützen diese Annahme. <?page no="147"?> 5.2 Fehlerdefinition 147 2 Fehler, ihre Analyse und auch ihre Korrektur spielen im Spracherwerb eine wichtige Rolle, und die fremdsprachendidaktische Perspektive hat die Erklärung und Definition von Fehlern deutlich geprägt. Grundsätzlich lassen sich die Fehlerdefinitionen der Fremdsprachendidaktik auch auf Fehler muttersprachlicher Sprecher/ Schreiber anwenden, wenn auch bestimmte Fehlerquellen wegfallen und die Fehlerursachen zu modifizieren sind. In der forensischen Textanalyse bewegen wir uns im Spannungsfeld zwischen dem muttersprachlichen Fehler, dem lernersprachlichen Fehler und dem fingierten Fehler eines Muttersprachlers. Die Erfahrung hat gezeigt, dass inkriminierte Schreiben eher selten von Nicht-Muttersprachlern angefertigt werden und dass häufig Fehler, die auf einen Nicht-Muttersprachler hindeuten könnten, tatsächlich von Muttersprachlern stammen. Um jedoch derartige Fehler als fingiert bestimmen zu können, ist es notwendig, Fehler zunächst aus der lernersprachlichen Perspektive zu beschreiben, um anschließend zu prüfen, ob sie Kriterien lernersprachlicher Fehler erfüllen. Sowohl beim Erstspracherwerb wie beim Zweitspracherwerb hat der Lernende das Ziel, einen Sprachstand zu erreichen, der der für ihn relevanten sprachlichen Norm entspricht. Für Kinder ist dies zunächst die Norm der Varietät, welche die Eltern sprechen, und für Fremdsprachenlerner (im gesteuerten Fremdspracherwerb) die standardsprachliche Norm der Zielsprache, wie sie im Unterricht vermittelt wird. Im Laufe der Zeit kommen durch Freunde, Schule und Beruf für den Einzelnen weitere Gruppen hinzu, deren Sprachverhalten als normsetzend akzeptiert wird. Übliche Kriterien, nach denen sich Fehler bestimmen, sind sprachliche Korrektheit, Verständlichkeit und Angemessenheit (Kleppin 2010: 1062). Sprachliche Korrektheit im Sinne Bartschs umfasst die Korrektheit eines Satzes auf lexikalischer, syntaktischer und phonetisch-phonologischer Ebene. Als primäres Kriterium, das einen Ausdruck als sprachlich korrekt bestimmt, setzt James (1998) dessen Grammatizität (Grammatikalität) oder (in der Terminologie Bartschs) syntaktische Korrektheit an. Ein nicht grammatischer Satz verstößt gegen die Regeln des Sprachsystems. Ein Regelverstoß produziert zunächst eine Abweichung; inwieweit diese als Fehler zu bewerten ist, entscheidet sich danach, ob mit dem Regelverstoß zugleich ein Normverstoß gegeben ist. Ein Verstoß gegen die syntaktische Korrektheit impliziert zwar im Allgemeinen einen Normverstoß, er muss aber nicht dazu führen, dass die Äußerung tatsächlich als Normverstoß gewertet wird. Entscheidend ist vielmehr, ob die Äußerung akzeptabel ist bzw. als angemessen bewertet wird. Akzeptabilität ist eine Entscheidung der Beteiligten. Der Sprecher versucht, Akzeptabilität durch den Akt der Äußerung zu etablieren, und der Hörer entscheidet, ob er dem folgt. Diese Entscheidung des Hörers, so Hundt (2009: 125f.), ist das Ergebnis eines gestuften Prüfprozesses, bei dem der Hörer auf sein tacit knowledge in Bezug auf die Äußerung zurückgreift. Der Prozess wird in Gang gesetzt, wenn der Rezipient die Äußerung in <?page no="148"?> 5 Fehler 148 irgendeiner Form als markiert auffasst und an ihr Anstoß nimmt. Der Rezipient prüft daraufhin, was die Ursachen für die Markiertheit der Äußerung sein könnten und wie er diese Ursachen bewertet. Auf dieser Basis entscheidet er dann, ob er die Abweichung akzeptiert oder sie ablehnt. Dies kann auch für ungrammatische Äußerungen bewirken, dass eine Konstruktion, obwohl sie vom Rezipienten als ungrammatisch identifiziert wird, dennoch seine Akzeptabilitätsprüfung passiert. Das Anlegen des Kriteriums der Akzeptabilität kann damit auch bewirken, dass eine standardsprachlich grammatisch korrekte Äußerung in einer bestimmten Situation eben nicht korrekt ist, weil die Situation nach einer anderen Form der Äußerung verlangt. 3 Akzeptabilität ist also der Prüfstein für die Fehlerhaftigkeit einer Äußerung. Im Kontext des fremdsprachigen Fehlers kommt mit Verständlichkeit ein weiteres Kriterium hinzu (vgl. Kleppin 2010), das zugleich ein Gradmesser für eine mögliche Akzeptabilität ist: Je verständlicher eine Äußerung ist, desto eher wird sie in der Kommunikationssituation akzeptiert, auch wenn sie ggf. Fehler enthält. Bezogen auf die Fehlerbewertung ist Verständlichkeit eher ein Kriterium für die Schwere eines Fehlers denn ein Kriterium für einen Fehler als solchen (vgl. Kapitel 5.6). 2 # 4) Unabhängig von den o.g. Kriterien zur Definition eines Fehlers hat Corder (1967) Fehler in zwei große Gruppen geteilt, die er mistakes und errors nennt. Diese Unterscheidung basiert direkt auf dem Kenntnisstand des Lerners. Mistakes werden unwillkürlich produziert und können vom Sprecher oder Schreiber potentiell korrigiert werden. Errors sind Fehler, die aus falschen Regelannahmen oder der Unkenntnis einer Regel resultieren. Parallel dazu wird auch nach Kompetenz- und Performanzfehlern unterschieden. Performanzfehler werden dann auf der Ebene der mistakes, Kompetenzfehler auf der Ebene der errors angesetzt. Grundsätzlich ist jeder Fehler, den man beobachtet, ein Fehler auf der Ebene der Performanz, und ein Kompetenzfehler muss folglich aus einem Performanzfehler erschlossen werden. Ob ein Schreiber eine Regel nicht beherrscht, kann im günstigsten Fall aus der Art seiner Performanzfehler abgeleitet werden, ist aber immer indirekt erschlossen. Auch wenn ein Fehler mehrfach auftritt, kann es sich immer noch um einen Versprecher oder Verschreiber handeln; es muss kein error im Sinne eines Kompetenzfehlers sein. Auch kommt es vor, dass Kompetenzfehler nicht an der Oberfläche sichtbar werden. Ähnlich wie die Einteilung nach errors und mistakes ist die Entscheidung, ob etwas ein Kompetenz- oder Performanzfehler ist, direkt davon abhängig, dass man den Wissensstand des Lerners kennt. Da sich diese Fehlerklassifikation an den Fehlern von nicht-muttersprachlichen Lernern orientiert, ist bei der Übertragung auf Muttersprachler die Frage gestellt wor- 3 Glück/ Sauer geben für diesen Fall folgendes Beispiel: Auf einen nächtlichen Telefonanruf reagiert der Angerufene mit der Frage „Wegen dieses Mistes rufst du mich mitten in der Nacht an? “ (1997: 52). <?page no="149"?> 5.4 Fehlerursachen 149 den, ob diese überhaupt Fehler im Sinne von errors machen können, da sie eben über muttersprachliche Kompetenz verfügen. Zieht man das Kriterium der potentiellen Korrigierbarkeit eines Fehlers heran und die Tatsache, dass lernersprachliche wie muttersprachliche Äußerung an einer sprachlichen Norm gemessen werden, handelt es sich im Grunde nur um einen quantitativen Unterschied. Verstöße gegen die Grammatizität eines Ausdrucks werden bei Muttersprachlern seltener sein, Verstöße gegen die Akzeptabilität, insbesondere gegen die Angemessenheit einer Äußerung in einem bestimmten Kontext, begegnen auch bei Muttersprachlern regelmäßig. Auch Muttersprachler können in diesem Sinne einen Fehler (error) machen, wenn ihnen nicht klar ist, worin der Fehler besteht, den sie gemacht haben, und sie auch nach dezidierten Hinweisen nicht in der Lage sind, ihn zu korrigieren. Dies würde heißen, dass sie die Norm, die an sie angelegt wird, nicht vollständig kennen. Der Unterschied zum Fremdsprachler ist, dass der Muttersprachler die Orientierung an einer Norm signalisieren kann, ohne die entsprechende Norm vollständig zu beherrschen. Der Nicht-Muttersprachler strebt zwar dasselbe an, aber seine Vorstellungen bezüglich der Ausgestaltung der geltenden Norm sind ungleich vager, und seine sprachlichen Mittel sind beschränkt. Die Unterscheidung zwischen den Fehlern von Nicht-Muttersprachlern und Muttersprachlern ist also nicht so sehr eine absolute als vielmehr eine graduelle. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass, je mehr ein Schreiber oder Sprecher an sprachlicher Kompetenz besitzt, desto strikter die Norm ist, die an seine Äußerungen angelegt wird. In der Konsequenz wird der einzelne Fehler bei fortgeschrittenen Nicht-Muttersprachlern sehr viel deutlicher wahrgenommen als der Umfang der Fehler bei Lernern mit einer niedrigen fremdsprachlichen Kompetenz. Ähnliches gilt für muttersprachliche Schreiber, die sich um einen elaborierten Stil bemühen, aber z.B. durch umgangssprachliche Wendungen zeigen, dass sie den Grad der sprachlichen Korrektheit, der mit der von ihnen angestrebten Norm verbunden ist, nicht erreichen. 2 * Die Erklärung von Fehlern war zeitweilig stark von der Hypothese bestimmt, die für den Erwerb der Fremdsprache jeweils herangezogen wurde. Dies hieß z.B., dass im Rahmen der Kontrastivitätshypothese als Fehlerursache der interlinguale Transfer (Übertragungen aus der Muttersprache) dominierte, wohingegen der intralinguale Transfer (Übertragungen innerhalb der Fremdsprache) die Fehlererklärung im Rahmen der Identitätshypothese bestimmte. Bis zur Formulierung der Interlanguage-Hypothese durch Larry Selinker galten Fehler als sichtbares Zeichen von Defiziten im Erwerbsprozess und weniger als Fenster zur Lernersprache eines Individuums. Diese Interlanguage oder auch Interimssprache ist die individuelle, dynamische Sprachform zu einem bestimmten Zeitpunkt zwischen dem Beginn des Erwerbs und dem Erreichen der Norm der Zielsprache. Ihre konkrete Ausprägung basiert auf interlingualem Transfer, auf intralingualem Transfer in Form von Übergeneralisierungen bereits er- <?page no="150"?> 5 Fehler 150 worbener Regeln, auf Transfer aus der Lernumgebung, auf eigenen Regelkonstruktionen und dem Rückgriff auf Elementarstrukturen und sprachliche Fertigteile. Fehler als Teil der Interlanguage machen häufig die Strategien sichtbar, die der Lerner anwendet. Als Erwerbs- oder Lernstrategien bezeichnet man die Strategien, die der Lerner wählt, um die Interlanguage zu bilden und auszubauen. Mit ihrer Hilfe überprüft er die Richtigkeit seiner Hypothesen über die Gestalt der Zielsprache und korrigiert sie ggf. Mit Kommunikationsbzw. Produktionsstrategien (Bausch/ Kasper 1979) steuert der Lerner seine konkrete sprachliche Äußerung. Diese lassen sich in Reduktionsstrategien und Kompensationsstrategien unterteilen. Reduktionsstrategien reduzieren die Äußerung entweder formal (z.B. syntaktisch durch das Weglassen des Artikels) oder funktional. Die funktionale Reduktion erstreckt sich auf das Thema, den Inhalt und den Emittenten gleichermaßen. Der Lerner kann ein sprachlich zu anspruchsvolles Thema vermeiden und er kann einen inhaltlich komplexen Sachverhalt reduzieren. Reduktionen können sich auch darin zeigen, dass er sich nicht ausreichend als Person präsentiert oder darin, dass er zwischenmenschliche Aspekte in der Äußerung nicht adäquat zum Ausdruck bringen kann (z.B. gegenüber dem Vorgesetzten eine andere Meinung sprachlich angemessen zu äußern). Die Anwendung der Reduktionsstrategie kann auch dazu führen, dass der Sprecher von seiner Äußerungsabsicht ganz absieht. Unter den Kompensations- oder Behelfsstrategien finden sich verschiedene Ausprägungen des Transfers, daneben kann der Lerner unbekannte Ausdrücke paraphrasieren oder neu prägen. Auf der Metaebene kann er ggf. direkt um den richtigen Ausdruck bitten. Monokausale Erklärungen von Fehlern durch sprachstrukturelle Bedingungen sind mittlerweile multikausalen Erklärungen gewichen, die die Lehr- und Lernbedingungen, die persönliche Disposition und die Muttersprache des Lerners bei der Erforschung von Fehlerursachen gleichermaßen mit einbeziehen (vgl. Kleppin 2010). Hinsichtlich der sprachlichen Bedingungen herrscht Einigkeit darüber, dass bereits gelernte Sprachen das System und die Ausgestaltung der Interlanguage nachweislich beeinflussen. Von Interesse ist insbesondere, was den Transfer aus einer anderen Sprache konkret begünstigt oder verhindert. So hat sich z.B. gezeigt, dass gerade Ähnlichkeiten zwischen zwei Sprachen Fehlerquellen bieten. Die sog. falschen Freunde zwischen zwei Sprachen sind ein bekanntes Beispiel für Probleme mit strukturellen oder lexikalischen Ähnlichkeiten. Zu bedenken ist auch, dass bei Unterschieden zwischen zwei Sprachen zusätzlich danach differenziert werden muss, ob die Strukturen eines Bereichs in L2, verglichen mit L1, einfacher oder komplexer sind. Schließlich muss das Sprachsystem an der betreffenden Stelle Variation erlauben und damit die Möglichkeit einer Abweichung erst bieten. Ähnlich wie die Identitätshypothese geht auch die Interlanguage-Hypothese davon aus, dass es jenseits der individuellen Ausgestaltung einer Lernersprache bestimmte Erwerbssequenzen gibt, die nicht beliebig, sondern in Abhängigkeit voneinander ablaufen. So kann es geschehen, dass durchaus einfache Strukturen vom Lerner nicht realisiert werden, weil sie mit dem Erwerb anderer Sequenzen verbunden sind, die er <?page no="151"?> 5.4 Fehlerursachen 151 noch nicht beherrscht. Die Negation durch kein im Deutschen ist morphologisch gesehen keine besonders schwierige Struktur, aber es handelt sich um eine Sequenz innerhalb des Erwerbs der Negation, die erst relativ spät kommt. Dennoch wird sie in vielen Lehrbüchern zu Deutsch als Fremdsprache in den ersten Kapiteln gemeinsam mit dem unbestimmten Artikel eingeführt. Fehler bei der Realisation sind daher zu erwarten, denn die Lerner negieren zu Beginn des Erwerbs des Deutschen Sätze und einzelne Konstituenten mit nicht. Die Erwerbssequenzen können nicht mit der Progression im Unterricht gleichgesetzt werden, sondern nach Pienemann (1998) nimmt der Lerner neue Strukturen zwar wahr, stellt sie aber zurück, bis er bereit ist, sie zu verarbeiten. Der Erwerb bestimmter Strukturen verläuft nicht linear, sondern in Stufen bzw. in Stadien. Die Interlanguage-Hypothese nimmt dabei an, dass der Erwerb von L2 wie der Erstspracherwerb in Phasen abläuft, geht aber davon aus, dass diese Phasen in L2 kürzer oder weniger intensiv ablaufen, je nachdem, welche Voraussetzungen L1 bietet. Kennt der Lerner aus L1 z.B. das Phänomen der Inversion, wird das nicht-inversive Stadium in L2 vergleichsweise kurz sein - aber es wird da sein, wie das Beispiel der falschen Satzstellung bei deutschen Schwedischlernern zeigt. Die Lerner bildeten einfache Aussagesätze zunächst mit doppelter Vorfeldbesetzung, nämlich als *idag jag spelar tennis anstelle eines idag spelar jag tennis, das dem deutschen heute spiele ich Tennis vollkommen entspricht. Sobald in diesem Fall den (erwachsenen) Lernern gesagt wurde, dass die schwedische Wortstellung hier mit der deutschen identisch sei, machten deutlich weniger von ihnen diesen Fehler. Diese Lerner beendeten damit die nichtinversive Phase für den einfachen schwedischen Aussagesatz. Welche Rolle spielt nun die fremdsprachendidaktische Fehlerlinguistik für die forensische Linguistik? Sie wird da interessant, wo Fehler auftreten, die man als nichtmuttersprachlich einschätzt, denn sie bietet Fehlertypologien und Deutungsmuster, mit denen sich sprachliche Abweichungen als Repräsentationen psycholinguistischer Prozesse beschreiben lassen. Um bewerten zu können, ob die Fehler möglicherweise Fehler eines Nicht-Muttersprachlers des Deutschen sind, müssten sie im Sinne der Interlanguage-Hypothese zeigen, was der Verfasser an deutschen Strukturen bereits beherrscht bzw. nicht beherrscht, und dieses sollte einer inneren Systematik folgen. Korrekte oder inkorrekte Bildungen auf den verschiedenen sprachlichen Ebenen des Deutschen könnten dann Ausdruck bzw. Ergebnis der zugrundeliegenden lernersprachlichen Hypothesen über die Struktur des Deutschen sein. Folgt man außerdem der Annahme, dass der Spracherwerb in Stufen erfolgt, so kann das für eine Bewertung eines fehlerbehafteten Textes heißen, dass bestimmte Konstruktionen nicht nebeneinander auftreten sollten, weil der Abschluss der einen Erwerbssequenz die Voraussetzung für die Präsenz der anderen ist. Im folgenden kurzen Textabschnitt signalisiert der deutschsprachige Emittent, der sich hier als Nicht-Muttersprachler präsentieren will, zunächst, dass er weder die Verbalflexion im Präsens noch die Negationsform im Deutschen beherrscht. Im zweiten Satz realisiert er hingegen einen Nebensatz mit komplexem Prädikat und postverbaler Negation des finiten Prädikatsteils (könnt nicht traun) korrekt und verwendet <?page no="152"?> 5 Fehler 152 darüber hinaus den idiomatischen Ausdruck sich auf die Straße trauen. Damit wird die im ersten Satz vorgegebene geringe Sprachkompetenz unglaubhaft. X' X' ! #^ ' X' & ' > ?
( Bei der Erklärung eines Fehlers als Ergebnis einer bestimmten Lernerstrategie bleibt zu berücksichtigen, dass Fehlerursache wie Lernerstrategie grundsätzlich aus der konkreten Äußerung des Emittenten abgeleitet sind. Derartige Erklärungen bleiben damit hypothetischer Natur, auch wenn sie im konkreten Fall mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit als Ursache für einen bestimmten Fehler anzunehmen sind und dies auch auf der Basis des vorliegenden Materials begründet werden kann. 2 2 Regelwie Normverstöße lassen sich auf unterschiedlichen sprachlichen Ebenen positionieren. Sie reichen von Verstößen gegen die Orthographie über die Grammatik bis hin zu lexikalischen Abweichungen (z.B. in Bezug auf ‚falsche‘ Kollokationen, abweichende Konnotationen oder Katachresen). Auf der Ebene des Textes können Normverstöße im Bereich der Kohärenz oder des Textaufbaus vorliegen. Normen bezüglich der Sprachhandlungen können durch die fehlerhafte Modalisierung von Äußerungen, den abweichenden Gebrauch von Deiktika oder die fehlende Distanzsteuerung zwischen den Gesprächspartnern gegeben sein. 2 2 9) ' Um Fehler zu beschreiben, bedient man sich sog. Fehlertaxonomien, die ein- oder mehrdimensional sein können. Die folgende (ursprünglich für die Zwecke des DaF- Unterrichts von U. Engel entworfene) Taxonomie wurde von Bickes/ Kresic speziell für eine forensische Textanalyse entwickelt und soll hier in modifizierter Form vorgestellt werden. Sie ist bewusst eindimensional gehalten, indem sie nur die Ebene identifiziert, auf der der Fehler vorliegt. 4 Fehler, die Verstöße gegen die äußere und innere Struktur der Textsorte darstellen, wurden in dieser Taxonomie nicht berücksichtigt. Unter den orthographischen Fehlern unter 1. sind orthographische Fehler im engeren Sinne zu verstehen. Fehler, die sich auch als morphologische oder grammatische Fehler interpretieren lassen, bspw. eine Schreibung von <m> als <n> im Kontext einer Kasusendung, werden nur nachrangig als orthographische Fehler interpretiert. 4 Der Punkt Interpunktion wurde hinzugefügt, einige Unterkategorien wurden zusammengefasst und Kategorien, die zugleich eine Fehlerinterpretation und eine Fehlerbeschreibung darstellen, gestrichen. <?page no="153"?> Fehlerbeschreibung 153 In diesem Sinne erlaubt die Art der Performanz der Orthographie ggf. eine Deutung als Kompetenzfehler auf der Ebene der Morphosyntax. 1. Orthographische Fehler 1.1 Phonem-Graphem-Korrespondenzen 1.1.1 Vokale 1.1.2 Konsonanten 1.2 Groß- und Kleinschreibung 1.3 Zusammen- und Getrenntschreibung 1.4 Fremdwortschreibung 1.5 Verwendung von Graphemen eines anderen Alphabets 1.6 Interpunktion 2. Lexikalische Fehler 2.1 Lexemwahl 2.2 Kollokationen / nichtidiomatische Wendungen 2.3 Phraseologismen 2.4 Verwendung fremdsprachlicher Wörter Lexikalische Fehler (unter 2.) heben auf den Bereich der lexikalischen Korrektheit ab, also auf die Realisierung üblicher Kollokationen und semantisch verträglicher Relationen (James 1998: 105) bzw. deren Verletzungen, wie im folgenden Brief. Hier findet sich ein Fehler in Form einer Kontamination von das deutet darauf hin mit das ist ein Hinweis darauf (2.2), auch liegt eine falsche Wortwahl von Verlobte für Geliebte vor (2.1), wie es sich aus dem weiteren Inhalt des Briefes ergibt. | > _ " & X' ' q? ? ? { & >>< ?
( Grammatische Fehler (unter 3.) sind nach Wortbildung, Flexion und Syntax unterschieden. So ist zunächst danach zu fragen, welche grammatische Kategorie betroffen ist, z.B. die Wortart. Handelt es sich um einen Flexionsfehler (3.1.1.1), ist zu prüfen, welche weitere Kategorie davon betroffen ist, z.B. Numerus. Bewegt man sich auf der Ebene der Phrase (3.2) wie in dem Beispiel das hat was mit Bank zu tun, so kann der Fehler unter (3.2.5) als Fehler in der Realisierung der Präpositionalphrase mit Bank beschrieben werden, die grammatisch gesehen nicht vollständig ist, da der hier obligatorisch zu setzende Artikel fehlt. 3. Grammatische Fehler 3.1 Morphologie und Wortbildung 3.1.1 Nomen 3.1.1.1 Flexion 5. 5 <?page no="154"?> 5 Fehler 154 3.1.1.2 Wortbildung 3.1.2 Determinativ 3.1.2.1 Flexion 3.1.2.2 Wortbildung 3.1.3 Adjektiv 3.1.3.1 Flexion 3.1.3.2 Wortbildung 3.1.4 Pronomen 3.1.4.1 Flexion 3.1.4.2 Wortbildung 3.1.5 Verb 3.1.5.1 Flexion 3.1.5.1.1 Person, Numerus 3.1.5.1.2 Tempus 3.1.5.1.3 Modus 3.1.5.1.4 Genus verbi (Aktiv/ Passiv) 3.1.5.2 Wortbildung 3.1.6 Präpositionen 3.1.7 Subjunktoren und subjunktive Elemente (zu-Infinitiv) 3.1.8 Konjunktoren 3.1.9 Adverb 3.1.9.1 Komparation 3.1.9.2 Wortbildung 3.1.10 Partikeln 3.2 Syntax 3.2.1 Nominalphrasen 3.2.2 Adjektivphrasen 3.2.3 Pronominalphrasen 3.2.4 Verbalphrasen 3.2.4.1 Rektion / Valenz 3.2.5 Präpositionalphrasen 3.2.6 Unterordnung 3.2.6.1 Relativsätze 3.2.6.2 Subjunktorsätze 3.2.6.3 Infinitivsätze 3.2.6.4 Abhängige Hauptsätze 3.2.6.5 Weiterführende Relativsätze 3.2.7 Nebenordnung 3.2.7.1 von Wortteilen 3.2.7.2 von Wörtern 3.2.7.3 von Satzgliedern 3.2.7.4 von Sätzen 3.2.8 Adverbphrasen <?page no="155"?> Fehlerbeschreibung 155 3.2.9 Negation (z.B. doppelte Negation) 3.2.10 Wortstellung (Stellungsprobleme) Auf der syntaktischen Ebene sind es das Kriterium der Vollständigkeit im Sinne einer grammatischen Korrektheit einer Phrase und das Kriterium der Wortstellung innerhalb der Phrase, die an eine abweichende Form angelegt werden. Für subjungierte oder konjungierte Sätze ist das Kriterium die syntaktisch korrekte Einbettung in den übergeordneten oder beigeordneten Satz bzw. die Anbindung an das Bezugswort. Der Punkt 3.2.10 bezieht sich auf die Wortstellung einzelner Satzglieder im Satzgefüge bzw. auf die Position von Gliedsätzen. Es ist ein Kennzeichen der Arbeit mit solchen Taxonomien, dass Fehler häufig mehreren Ebenen zugeordnet werden können, denn die sprachlichen Ebenen, nach denen hier schematisch unterschieden wird, liegen in einer Äußerung nicht getrennt vor. Ein syntaktischer Fehler wie die Wahl des falschen Kasus für ein Objekt kann nur unter Rückgriff auf die Morphologie als solcher bestimmt werden. Meistens präsentieren sich Taxonomien mehrdimensional und klassifizieren Fehler gleichermaßen nach ihrem Erscheinungsbild wie auch nach ihrer Ursache. Für die forensische Textanalyse sollte die Interpretation der Fehler getrennt von ihrer Beschreibung behandelt werden, da die Lernerbiographie des Emittenten nicht bekannt ist und unter dieser Bedingung Fehlerursachen nur partiell rekonstruiert werden können. 2 2 ' Neben der Beschreibung der sprachlichen Ebene, auf der ein Fehler angesiedelt ist, gibt es fünf Kategorien, nach denen sich sein Erscheinungsbild beschreiben lässt (vgl. Corder 1973, James 1998). Es gibt Auslassungen (omissions), Hinzufügungen (overinclusions oder double markings), Selektionsfehler (misselections), Anordnungsfehler (misorderings, z.B. eine falsche Wortstellung) und Kontaminationen (blends). Das Erscheinungsbild des Fehlers an der Oberfläche ist das Ergebnis eines zugrunde liegenden Prozesses, der seinerseits eine bestimmte Ursache hat, die als Fehlerursache oder Lernerbzw. Kommunikationsstrategie beschrieben werden kann. Das Erscheinungsbild des Fehlers in dem o.g. Beispiel mit Bank lässt sich als Auslassung oder omission beschreiben, die möglicherweise auf einem Transfer aus der Muttersprache beruht. Eine Konstruktion wie er ist gemarschiert ist eine Hinzufügung oder overinclusion, die ein Zirkumfix mit dem Verbstamm {/ marschier-/ } kombiniert. Diese overinclusion kann dann als Resultat einer Strategie beschrieben werden, z.B. als ein Fall 5. 5 <?page no="156"?> 5 Fehler 156 von analogischer Anwendung einer Regel, auch bekannt als (Über)generalisierung. Ein Beispiel einer falschen Selektion (als falsche Morphemwahl) wäre die Wahl des {/ -en/ } als Partizip-II-Form für {/ -t/ } in er ist marschieren. Kontaminationen oder blends schließlich sind Überlagerungen entweder von syntaktischen Strukturen oder von Strukturen der Wortbildung, die auch als Hybridbildungen (wie z.B. in zumindestens) bekannt sind. Während für Fremdsprachenlerner durch Rücksprache eruiert werden kann, welche Struktur eigentlich realisiert werden sollte, ist dies bei Muttersprachlern oft nicht zu entscheiden: Beide Strukturen stehen im mentalen Lexikon des Schreibers offenbar gleichberechtigt nebeneinander, und blends zeigen dann, dass der Schreiber im Moment des Schreibens nicht in der Lage war, kognitiv eine Entscheidung für eine der beiden Strukturen herbeizuführen (James 1998: 111f.). 2 2 # " ! , & Eine Vielzahl der Fehler eines geschriebenen Textes sind Fehler, die gegen kodifizierte Rechtschreibregeln verstoßen. Die Orthographie des Deutschen besteht nicht allein in einer möglichst eindeutigen Phonem-Graphemzuordnung, sondern ihre Regeln sind zum einen historisch gewachsen und konservieren dadurch ältere (z.B. mittelhochdeutsche) Lautungen und zum anderen transportieren diese Regeln auch lexikalisches und grammatisches Wissen. Homophone Morpheme werden durch Schreibvarianten kenntlich gemacht ebenso wie die grammatischen Kategorien Artikel (das), Konjunktion (dass) und Substantiv. Morphologisches Wissen wird u.a. mit der Regel transportiert, die Auslautverhärtung graphemisch nicht zu realisieren, und durch die Großschreibung von Sie als Anredepronomen wird pragmatisches Wissen ausgedrückt. Bei der Bewertung orthographischer Verstöße in einem Text muss deshalb zwischen dem unterschieden werden, was an der orthographischen Oberfläche angesiedelt ist, und dem, was diese orthographische Abweichung hervorgebracht hat. Ein orthographischer Fehler kann zeigen, dass die Graphem-Phonem-Zuordnung nicht bekannt ist oder dass eine orthographische Regel durch die analogische Anwendung bekannter Schreibungen auf andere übergeneralisiert wurde. Eine Fehlschreibung kann aber auch eine falsche Kasuswahl oder generell falsche Flexion reflektieren. Im konkreten Fall kann die Grenze zwischen einem orthographischen Fehler, der sich mit der phonematischen Ebene berührt, und einem Fehler, der auf die Ebene der Morphosyntax verweist, nicht immer trennscharf gezogen werden. Die Entscheidung liegt hier beim Betrachter (vgl. auch Kniffka 2007: 177f.). Das folgende Beispiel aus einer anonymen Schutzgelderpressung soll dies illustrieren: ~ O _ \
Y%~ OY ! = = ! # # % X'
? q? ? ? { Y%~ OY & # |[ > j ! # # # X' > = ? ? ? ? ? ? ?
X' = $ ? ! # # > O >> " ~ & ? q? ? ? { | Y%~ OY <?page no="157"?> Fehlerbeschreibung 157 Rechtschreibfehler im engsten Sinn sind im unterstrichenen Satz nur die fehlenden Grapheme <r> und <e> in registrien für registrieren (vorausgesetzt, der Schreiber wollte registrieren schreiben). Komplexer ist die Bewertung von unsre. Wenn wir annehmen, dass es sich um die apokopierte, im gesprochenen Deutsch übliche Form uns’re handelt (so auch Bickes/ Kresic 2002: 124), dann liegt der Fehler in der fehlenden Beachtung der schriftsprachlichen Norm. Fehlt jedoch ein <e>, das ursprünglich gesetzt werden sollte, handelt es sich um einen Verschreiber, und die schriftsprachlich korrekte Form <unsere> ist nur versehentlich nicht realisiert worden. Die Form unsre kommt in zwei Fällen vor, in der Phrase unsre Kontor und als unsre Agent. In beiden Fällen folgt eine Verbform, die als Infinitiv oder als 3. Person Plural aufgefasst werden kann. Dadurch lässt sich keine eindeutige Entscheidung darüber treffen, ob die Phrasen im Plural oder Singular stehen. Im Falle des Singulars würden dann die Verbformen registrien, telefonieren und sagen durchgängig Kongruenzfehler zeigen. Handelte es sich aber um den Plural von Agenten, läge ein morphologischer Fehler vor, weil die Pluralmarkierung am Wortstamm fehlt bzw. ein Nullallomorph angesetzt wurde. Dann aber wären sowohl die pronominale Form unsre, wie auch registrien, telefonieren und sagen unter Verwendung des Flexivs {/ -en/ } für {1.Pers.Pl.} richtig gebildet. Bickes/ Kresic favorisieren die Deutung als Singular und dementsprechend die verbalen Flexionsformen als infinitivische Behelfsformen. Ausschlaggebend ist hier der Einbezug möglicher Fehlerursachen: Da es im Russischen eine Form kontora (fem.) mit der standardsprachlichen Bedeutung ‚Büro‘ gibt, lässt sich unsre als fem.sg. deuten. Auf der Basis dieser Entscheidung interpretieren die Autoren analog unsre Agent als Singular (2000: 124). Da der vorliegende Brief inhaltlich wie lexikalisch auf einen russischsprachigen Verfasser deutet, lassen sich auch grammatische Fehler darauf prüfen, ob sie als Interferenzen mit dem Russischen erklärt werden können. Für die Fehleranalyse heißt dies, dass nicht der einzelne Fehler Aussagekraft besitzt, sondern Gruppen von Fehlern, die in ihrem Zusammenhang interpretiert werden müssen. Bei der Analyse eines Briefes eines Nicht-Muttersprachlers stellen nicht zuletzt die ermittelnden Behörden oft die konkrete Frage danach, welcher Nationalität der potentielle Verfasser angehört bzw. welches seine Muttersprache ist. Unbestritten ist, dass das Vorkommen bestimmter Fehler in der Fremdsprache von der Muttersprache des Lerners beeinflusst wird und die Struktur der Lernersprache in ihrem Aufbau von der Muttersprache bestimmt wird (Böttger 2008: 39). So gelten z.B. bestimmte Fehler typischerweise als Fehler russischer Deutschlerner, da sie bei diesen gehäuft vorkommen und sich als Transfer aus der Muttersprache erklären lassen. Im Umkehrschluss heißt dies jedoch nicht, dass aufgrund des Vorkommens eines bestimmten Fehlerclusters auf die Muttersprache Russisch geschlossen werden kann, sondern es kann nur auf eine Sprache geschlossen werden, die diese oder jene Merkmale hat, wie sie auch die russische Sprache aufweist. Dementsprechend hängt es von der Information, wie sie zusätzlich oder im Brief selbst gegeben wird, ab, ob darüber hinausgehende Aussagen zur Muttersprache des 5. 5 <?page no="158"?> 5 Fehler 158 Emittenten getroffen werden können. Mit dem grammatischen Fehlerprofil eines anonymen Briefes, der keine weiteren (lexikalischen) Anhaltspunkte enthält, lässt sich die potentielle Muttersprache des Emittenten allenfalls in ihren typologisch-strukturellen Merkmalen umreißen. Kniffka (2001) erörtert ausführlich die Verfahrensweisen, mit denen er die infrage kommenden Muttersprachen des Emittenten in einem Fall anonymer Erpressung eingrenzte. Er greift dazu einen Fall auf, in dem ein Emittent in einem Erpresserschreiben vorgab, für eine Gruppe von Bosniern zu sprechen. Der Brief war in Ungarn aufgegeben worden und nannte als Kontakt die Telefonnummer eines in Deutschland lebenden gebürtigen Ungarn, der ein Maklerbüro hatte. Die von Kniffka erarbeitete Fehleranalyse des inkriminierten Textes zeigte z.T. heterogene Fehlerkonstellationen auf allen sprachlichen Ebenen. Die festgestellten Fehler wurden anschließend vor dem Hintergrund eines potentiellen Transfers aus L1 bewertet. Dieses schloss Sprecher des Russischen, Serbischen und Kroatischen eher aus, da sich eine Reihe von Fehlern nicht als Transferenzen aus diesen Sprachen, wohl aber als positiver wie negativer Transfer aus dem Ungarischen erklären ließ - die Analyse schloss demnach das Ungarische als Ursache der Fehler nicht aus (vgl. auch Kapitel 2.2.4). ? ' - Die folgende Aufgabe schließt an die Frage nach der Muttersprache des Emittenten an. Bei dem Text handelt es sich um die erste Lösegeldforderung im Fall Lindbergh aus dem Jahr 1932. Damals wurde der zweijährige Sohn des Fliegers Charles Lindbergh und seiner Frau Anna entführt und später ermordet. Der Entführer forderte $ 50,000, die das Ehepaar über einen Mittelsmann auch zahlte. Nach der Geldübergabe wurde ihnen mitgeteilt, dass sich der Junge in der Obhut zweier Personen auf einem Boot befände, eine Nachricht, die sich als falsch herausstellte. Kurze Zeit später wurden die sterblichen Überreste des Kindes in der Nähe des Lindbergh’schen Anwesens gefunden. Die Ermittlungen führten zu dem Verdächtigen Bruno Hauptmann, der später für diese Tat zum Tode verurteilt wurde. 5 Bruno Hauptmann stammte aus Kamenz in Sachsen und war 1923 in die USA gekommen. Welche Rechtschreibfehler lassen sich als Interferenzen mit dem Deutschen interpretieren und welche phonematischen, grammatischen oder orthographischen Eigenheiten des Deutschen spiegeln sie? Ordnen Sie die Fehler entsprechend nach Gruppen. Berücksichtigen Sie auch folgende Schreibungen aus anderen Briefen des Kidnappers: impossibly für impossible, simble, supway, to handel, boad für boat, trapp für trap. 5 Unter http: / / law2.umkc.edu/ faculty/ projects/ ftrials/ hauptmann/ hauptmann.htm ist der Fall umfassend präsentiert. <?page no="159"?> 5.6 Fehlerbewertung 159 | _ = ] " ' & & & ? > $ ] " " > ] " = ' [ ]? ) " ] > # ] ! & X > >] ' ! ' X' X ? X > ' ? 2 3 2 3 Wie bereits erwähnt, ist für die Bewertung einer fehlerhaften sprachliche Form als error, mistake oder slip der konkrete Wissensstand des Emittenten (Muttersprachler wie Nicht-Muttersprachler) entscheidend. Da die forensische Textanalyse größtenteils mit anonymen Texten arbeitet, stützt sich die Kategorisierung der Fehler zwangsläufig auf Hypothesen, die aus dem sprachlichen Befund abgeleitet sind. Obwohl die meisten inkriminierten Schreiben deutlich fehlerbehaftet sind, sind diese Fehler nicht unbedingt aussagekräftig: Die Gleichung viele Fehler = geringe Schreibkompetenz greift oft zu kurz. Auch sollte nicht von der Schreibkompetenz direkt auf die Sprachkompetenz geschlossen werden. Dass der Schreiber im Umgang mit dem Medium und seinen Anforderungen an die Form und die sprachliche Gestaltung ungeübt ist, bedeutet nicht, dass er sich in Situationen der mündlichen Kommunikation nicht angemessen ausdrücken könnte. Allerdings ist die Vermittlung von Schreibkompetenz Teil des Bildungsauftrags der Schulen, weil sie eine grundlegende Voraussetzung für den Zugang zu qualifizierten Tätigkeiten darstellt. Daher kann eine mangelnde Schreibkompetenz zweierlei bedeuten: Sie kann einen niedrigeren Bildungsabschluss der Person signalisieren, ebenso wie sie darauf hinweisen kann, dass die betreffende Person wenig Schreiberfahrung hat und folglich nicht in einem schreibenden Beruf tätig ist, wie der Hauswart im folgenden Textauszug: 6 * # X' < X' '
' > _ >\ ` [^& [ < ? * X' j X' & _ " ? Aber auch wenn die Schreibkompetenz nachweislich vorhanden ist, können Rechtschreibfehler gehäuft auftreten, wie im folgenden Textauszug. Dieser Text ist Teil eines offiziellen Anschreibens, das keine Abweichungen in der strukturellen Gestaltung zeigt, wohl aber Fehler in Interpunktion und Großschreibung. 6 Quelle: Dieter Cherubim. <?page no="160"?> 5 Fehler 160 _ & > X' ) ' & '& ! Q> ? & = ' ' & X' Q *Q ?
( Der Emittent zeigt eine muttersprachliche Kompetenz und geht als Mitarbeiter einer Hausverwaltung regelmäßig mit Texten um (ggf. auch nur mit Textvorlagen), er beherrscht die der Situation angemessenen Formulierungen und zeigt doch Mängel in der Orthographie. Wie sind solche Fehler zu bewerten bzw. wie aussagekräftig sind sie? Mit dem Problem der Aussagekraft von Fehlern im forensischen Kontext haben sich Baldauf (1999) und Kniffka (1996) unabhängig voneinander beschäftigt. Grundsätzlich ist ein Fehler um so aussagekräftiger, je eindeutiger er als error klassifiziert werden kann, der durch seine Erscheinungsform den Blick auf mögliche Ursachen freigibt. 7 Baldauf verweist jedoch darauf, dass ein Teil der Fehler auf den Stress zurückgeht, unter dem derartige Schreiben verfasst werden; es wären also lapses im Sinne Corders. Einen Hinweis auf den Status eines Fehlers als Verschreiber gibt ein Schreiber, wenn er das betreffende Wort an einer Stelle falsch und an einer anderen Stelle richtig schreibt. Dieser Annahme liegt die Erkenntnis zugrunde, dass wir Normen verinnerlichen und dass auch in Bezug auf Schreibnormen die richtigen Schreibungen im Laufe zunehmender Schreib- und Leseerfahrung von uns internalisiert werden. Als Folge davon erfolgt die richtige Schreibung eines Wortes weitgehend automatisiert, so dass im Falle zweier Varianten die richtige im Allgemeinen als diejenige zu werten ist, die die wahre Kompetenz des Schreibers widerspiegelt. Dennoch müssen auch errors nicht unmittelbare Aussagekraft für die Schreibkompetenz des Emittenten haben, da es Fehler gibt, die auch versierten Schreibern regelmäßig unterlaufen. Sie sind, so Kniffka, zwar Fehler im Sinne einer mangelnden Regelkompetenz, aber so weit verbreitet, dass sie keine Distinktion zulassen. Es handelt sich dabei um Fehlschreibungen wie die Verwechslung von das/ dass (wie im Textbeispiel oben) oder die Kleinschreibung des Anredepronomens Sie sowie Fehlschreibungen aufgrund gegeneinander wirkender orthographischer Prinzipien. Baldauf stellt in diesem Zusammenhang fest, dass derartige Fehler als Bestandteil von Erpresserschreiben nur dann aussagekräftig wären, wenn nachgewiesen würde, dass sie außerhalb dieser Textsorte nicht oder in sehr viel geringerem Maße vorkämen. Die Auswertung der Fehler des BKA-Korpus hat jedoch ergeben, dass sich die Verteilung der Rechtschreibfehler auf diejenigen Bereiche der deutschen Orthographie konzentriert, die für alle Schreiber potentielle Fehlerquellen darstellen (Baldauf 1999: 104f.). So betreffen die Fehlschreibungen zu 41% die Phonem-Graphem-Beziehungen und zu 38% die Großschreibung. Im Bereich der Phonem-Graphem-Korres- 7 So kann die Fehlschreibung von blagat für Plakat auf sprechsprachlichen - dialektalen - Einfluss hindeuten, z.B. auf die Dialekte Sächsisch, Bairisch und Kölsch, die Plosive lenisieren. Darüber hinaus zeigt die Schreibung die fehlende Kenntnis der standardsprachlichen Schreibung an (Dern 2003). <?page no="161"?> 5.6 Fehlerbewertung 161 pondenzen verteilen sich die Fehlschreibungen zu 29% auf die Verteilung von <ss> und <ß>, zu 18% betreffen sie die falsche Realisation der Geminate und zu 10% Dehnungsfehler. Diese Dehnungsfehler betreffen mehrheitlich die Dehnung durch <ie> und durch <h> und zu 1% die durch Doppelvokal (Baldauf 1999: 105). Die Schreibprinzipien der Dehnung und Schärfung (einschließlich der Schreibung der <S>-Allographe) als Realisationen des Silbengelenks 8 und die Großschreibung sind Schreibprinzipien, die in der Schule nicht systematisch, sondern nur am Einzelwort gelehrt werden. Dehnung und Schärfung sind von der Silbenstruktur des Wortes abhängig bzw. vom Vorkommen mehrsilbiger Formen im Flexionsparadigma. Die Großschreibung kann nur dann korrekt realisiert werden, wenn die grammatische Funktion des Wortes im Satzzusammenhang bekannt ist. Da sich in der Erwerbsphase der Orthographie neben den richtigen Schreibungen auch falsche Schreibungen als Fossilisierungen dauerhaft im Gedächtnis des Lerners verankern können, ist davon auszugehen, dass auch der erwachsene Schreiber die Formen falsch realisiert, die er als Kind schon nicht richtig erworben hat (vgl. Baldauf 1999: 96f.). Aber auch hier ist es schwierig zu entscheiden, ob tatsächlich ein Kompetenzfehler vorliegt in dem Sinne, dass die betreffende Rechtschreibregel nicht bekannt ist. Die Regel kann durchaus bekannt sein, wird aber einfach von dem Schreiber nicht angewendet oder schlichtweg vernachlässigt. Dann handelt es sich um einen mistake. Ein verlässlicher Hinweis auf die Anerkennung einer Norm sowie auf den Status den Fehlers sind Selbstkorrekturen. Allerdings weist Kniffka (1996: 60) darauf hin, dass derartige Korrekturen in Erpresserschreiben selten zu finden sind. Fehlervorkommen müssen also nicht zwingend bedeuten, dass der Schreiber die Fehler nicht hätte korrigieren können. Sie können auch bedeuten, dass die Präsentation der eigenen Schreibkompetenz (durch eine Korrektur) eine nachrangige oder möglicherweise ganz zu vernachlässigende Funktion der gewählten schriftlichen Form ist, auch wenn im Allgemeinen das Beherrschen der Orthographie als Prestigefaktor gilt (Kniffka 1996: 58, 60). Die Produktion sowie die Korrektur von Abweichungen unterscheidet sich bei jedem Schreiber je nach der Situation, in der er schreibt, und nach der Funktion des angefertigten Schreibens, so dass sich ein Kontinuum individueller Abweichungen ergibt, in dem sich ein Schreiber bewegt. So lange nur ein Schreiben eines Emittenten vorliegt, ist schwer zu ermitteln, wo in diesem Kontinuum er sich befindet. Je mehr Texte unterschiedlicher Textsorten und -funktionen von einem Autor vorliegen, desto besser kann man die Fehlerhaftigkeit des inkriminierten Schreibens bewerten, da sich dann ggf. so etwas wie ein Basiswert an orthographischen Abweichungen eines Individuums ermitteln lässt. 8 Unter Silbengelenk versteht man den Konsonanten, der zwei Silben miteinander verbindet, wie z.B. in [himel]. Das [m] verbindet [him] mit [mel] und wird daher in der Schreibung verdoppelt. Liegt eine mehrsilbige Form vor, wird die Doppelschreibung auch in einsilbigen Formen des Paradigmas erhalten, z.B. fällen - er fällt. <?page no="162"?> 5 Fehler 162 Die Rekonstruktion der Sprecher- oder Schreiberabsicht, wie sie für die Bewertung eines Fehlers im Fremdsprachenunterricht sinnvoll ist, ist im Zusammenhang mit einer forensischen Textanalyse wohl nur in Ausnahmefällen möglich. Daher muss nach anderen Möglichkeiten gesucht werden, um sich über den Status einer Abweichung mehr Klarheit zu verschaffen. Eine Möglichkeit, die im Fremdsprachenunterricht sowie im Erstspracherwerb angewendet wird, ist der Rückgriff auf sprachsystematische Implikationen, die besagen, dass bestimmte strukturelle Muster für ihre Realisation andere Muster voraussetzen: So sind zum Beispiel der Erwerb des Passivs und der Erwerb der Stellung des Verbs im Nebensatz anderen Erwerbssequenzen nachgeordnet. Ebenso folgt der Erwerb der deutschen Wortfolge im einfachen Satz einem bestimmten Muster. Allerdings ist es offensichtlich, dass solche Erwerbssequenzen nur als Prüfstein für die Kompetenz von Nicht-Muttersprachlern des Deutschen dienen können, nicht aber für Muttersprachler. Bei Letzteren wäre eher - sofern entsprechendes Vokabular vorkommt - die korrekte Verwendung bestimmter Sonderwortschätze zu prüfen. Das Auftreten von Malapropismen (falscher Gebrauch von Fremdwörtern) kann hier Indizienwert bekommen, wenn der Schreiber eine Situation kreiert, in der er fachliche Kompetenz ausdrücken will. Fachliche Kompetenz ist mit dem Beherrschen der betreffenden Fachsprache verbunden, und der korrekte Gebrauch von Fremd- und Fachwörtern signalisiert umgekehrt entsprechendes Fachwissen. Fehlschreibungen, die in einem solchen Kontext auftreten und dann nicht korrigiert werden, lassen sich im Idealfall als errors im Sinne tatsächlicher mangelnder Sprachkompetenz deuten, so wie im folgenden Text, der schon in Kapitel 3.3.4 vorgestellt wurde: [Q ' # (\ [ \ X' ?
# X' ? q¢{ ' & " = X' } & ? > ( ! ? ( Die Betreffenden geben an, mit dem Erpresser Müller einen Chemiker in ihren Reihen zu haben und behaupten, Lebensmittel mit dem HIV-Virus infiziert zu haben. Die Fehlschreibung von infiziert als infisziert hat hier direkten Einfluss auf die negative Bewertung der fachlichen Kompetenz über den Weg der sprachlichen Kompetenz. 9 ! ) & Führen Sie eine Analyse der orthographischen Fehler des folgenden Briefes durch. Beantworten Sie dann die Fragen 1.-3.: <?page no="163"?> 5.6 Fehlerbewertung 163 & \ [ £ £ X' ? * & # ` > ' } > " & & X' " " > " ' " ' & | & ' & * & & ? ! " ) } > ? & | ! ¤ # > # # " & > ? * ! # > & ? & [ " * > & # Y# & & # > ? & # > $ ' ' ) X' > # > & ' ? ) [ " " # ? | %< & ) 1. Welche der orthographischen Fehler zeigen Schreibungen nach der Lautung oder nach dem Höreindruck? 2. Welche Schreibungen könnten auf den Dialekt des Schreibers verweisen? Welche Dialekte kämen infrage? 3. Wie bewerten Sie die Schreibkompetenz des Schreibers? 2 3 Die Bewertung von Fehlern hinsichtlich ihrer Aussagekraft zur Kompetenz des Emittenten ist eng verknüpft mit der Bewertung des Fehlers als schwer oder leicht. Die Schwere eines Fehlers kann über mehrere Kriterien bestimmt werden, die miteinander in Beziehung stehen. Zentral ist die Differenzierung eines Fehlers nach dem Grad, in dem er die Verständlichkeit einer Äußerung beeinträchtigt, und nach dem Grad der Irritation, die er hervorruft. Eine weitere Einteilung, die auf Burt und Kiparsky (1974: 73) zurückgeht, ist die Differenzierung nach global und local errors. Ein Fehler, der die Verständlichkeit nur unwesentlich beeinflusst, ist ein lokaler Fehler, ein Feh- <?page no="164"?> 5 Fehler 164 ler, der zu Missverständnissen oder zur Unverständlichkeit der Äußerung führt, gilt als globaler Fehler. Der Umfang, in dem die Verständlichkeit beeinträchtigt ist, beeinflusst auch den Grad der Irritation, so dass lokale Fehler weniger irritierend wirken als globale Fehler und daher auch als weniger schwer zu beurteilen sind. Je nach ihrem Skopus innerhalb des Satzes können grammatische wie lexikalische Fehler globaler wie lokaler Natur sein (vgl. Blex 2001). Mehrere Studien haben bestätigt, dass grammatische Fehler die Verständlichkeit einer Äußerung weniger stark beeinflussen als lexikalische Fehler. Wenn grammatische Fehler als schwer eingeschätzt wurden, so traten sie in Kombination mit lexikalischen Fehlern auf. Entscheidend für die Verständlichkeit einer Äußerung ist es, dass das richtige Lexem im entsprechenden Kontext platziert wird. In Studien, die sich mit der Schwere und dem Irritationsgrad von grammatischen Fehlern beschäftigten, standen die Verbmorphologie und der Tempusgebrauch in flektierenden Sprachen wie dem Deutschen, Französischen und Englischen an erster Stelle. Aufgrund der zentralen Rolle des Prädikats im Satz ist dies nicht verwunderlich, denn Missverständnisse darüber, wann etwas mit welchen Beteiligten und in welcher Abhängigkeit von anderen Ereignissen geschehen ist, können zum Zusammenbruch der Kommunikation führen. Als wie schwer Fehler in der Verbmorphologie eingeschätzt wurden, hing darüber hinaus auch mit dem Fehlertyp zusammen. In Fällen, in denen es sich um einen Selektionsfehler handelte, hingen Verständlichkeit und Grad der Irritation davon ab, ob das richtige (Flexions)-Element durch eine markierte oder unmarkierte Form ersetzt wurde. Eine Form wie *schwimmte für schwamm ist daher weniger irritierend als eine Form wie *sug für sagte. Ein anderes Kriterium für die Schwere eines Fehlers ist die Frequenz, mit der er auftritt. Dabei wird unterschieden zwischen dem wiederholten Vorkommen (der Produktionsfrequenz) ein und desselben Fehlers und dem Vorkommen unterschiedlicher Fehler (der Fehlerdichte) relativ zu einer bestimmten Anzahl von Wörtern. Beide Kriterien sind quantitative Kriterien, die auch immer von der Länge eines Textes abhängen: Bis zu einem gewissen Textumfang steigt die Anzahl der Fehler pro 100 Wörter, während sie sich bei längeren Texten dann wieder reduziert. Bei einer rein quantitativen Auswertung der Fehler bleibt es fraglich, ob ein Lerner, der sechsmal denselben Fehler begeht, z.B. den erweiterten Infinitiv nicht mit zu bildet (z.B. *ich versuche laufen), schwerere Fehler begeht als ein anderer Lerner, der die Formen dreimal mit zu und dreimal ohne zu bildet. Hier greift das Kriterium der Konsistenz: Ein Fehler wiegt weniger schwer, je konsistenter er gemacht wird, da dadurch deutlich wird, dass der Lerner auf der Grundlage einer bestimmten (wenn auch falschen) Hypothese agiert. Schließlich muss bei der Bewertung eines Fehlers als leicht oder schwer auch berücksichtigt werden, wie hoch- oder niedrigfrequent die betreffende Form in der Zielsprache ist. Handelt es sich z.B. um eine selten gebrauchte Konjunktiv-II-Form, so sind Fehler wie er schwörte (statt schwüre) sicher auch bei Muttersprachlern verzeihlich. Ein weiteres Kriterium zur Bestimmung der Fehlerschwere ist die Sichtbarkeit des Fehlers oder mit James (1998: 218) seine noticeability (oder Wahrnehmbarkeit). Dabei <?page no="165"?> 5.6 Fehlerbewertung 165 ist ein hochfrequenter Fehler ein besonders sichtbarer Fehler, was allerdings nicht bedeutet, dass er dadurch automatisch zu einem schweren Fehler würde. Die Fehlerdichte ist insofern ein gutes Instrument der Bewertung der Fehlerschwere, als sie auch mit der Verständlichkeit der fehlerbehafteten Äußerung korreliert. Ein Fehler, der immer wieder vorkommt, entgeht zunehmend der Aufmerksamkeit des Lesers, und ein Gewöhnungseffekt stellt sich ein; kommen jedoch in einem Text kontinuierlich neue Fehler vor, so ist der Leser gezwungen, bei jedem neuen Fehler seine Annahmen über die Struktur des Satzes und die Aussage des Textes neu zu formulieren bzw. zu modifizieren. Die beiden folgende Auszüge aus anonymen Briefen sind zwar nicht unverständlich, aber die vom Emittenten angestrebte Form lässt sich aufgrund der Fehlerdichte nicht (mehr) rekonstruieren. | > _ " & X' ' ? >> X' $ & ) ' X' X' = #
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( Das Beispiel enthält mit der Wahl von Verlobte für Geliebte einen lexikalischen Fehler. Wie schwer dieser Fehler ist, entscheidet sich durch den Kontext: Im weiteren Verlauf des Textes wird durch das Lexem Affäre deutlich, dass es sich bei der Verlobten nicht um eine solche handeln kann. Die Irritation, die der Erpresser durch seine Schilderung beim Leser auslöst (Warum sollte die Tatsache, dass das Opfer verlobt ist, es erpressbar machen? ) und die über die nächsten zwei Zeilen aufrecht erhalten wird, kann schließlich aufgelöst werden. Die mehrfach fehlenden Verben haben und sein bzw. das fehlende Verb im Sinne von denken, meinen im letzten Satz irritieren den Leser im Vergleich dazu eher wenig. Etwas anders verhält es sich mit dem folgenden Brief. Es handelt sich um die Form wächlen, die nicht zweifelsfrei gedeutet werden kann: Der Fehler ist aus zweierlei Gründen als schwer einzustufen. Einmal sind durch den Kontext zwei Interpretationen möglich, die sich nicht zugunsten einer Wortbedeutung auflösen lassen. Wächlen kann im Sinne von ‚aufmerksam sein‘, ‚aufpassen‘ interpretiert werden wie auch als verschriebene Form von ‚wählen‘. Letztere Bedeutung ließe sich auch auf den ersten Abschnitt anwenden, wenn nicht die eindeutige Interpunktion (auf der Kopie des Originals endet die Zeile mit einem Punkt) 9 dagegen spräche. Dann würde der Täter nach eigener Aussage zwischen Skalpell und Schusswaffe wählen. 10 9 Eine endgültige Aussage lässt sich nur bei Vorlage des Originals machen. 10 Der Text ist sorgfältig in einer sauberen Druckschrift geschrieben, was einen zweifachen spontanen Verschreiber unwahrscheinlich macht. Da die Satzzeichen differenziert verwendet werden, ist davon auszugehen, dass der Punkt tatsächlich das Satzende markiert. Dazu im Gegensatz steht der indifferente Gebrauch des Punktes in der Mitteilung des Hauswarts unter 5.6. <?page no="166"?> 5 Fehler 166
~ \ ? = <X' [ X'\ " \ X' "<X' ? # ! ? [ ? X' > X' ? X' ? )<X' & % # ¡ # ' ~ & Der zweite Grund betrifft die Funktion der mit wächlen gebildeten Sätze innerhalb der Textstruktur. Da wächlen im ersten Teil im Zusammenhang mit den Übergabemodalitäten bzw. mit der Aufforderung zum Wohlverhalten des Opfers genannt wird, hat es zentrale Bedeutung für den Inhalt. Wächlen steht am Übergang zwischen den Modalitäten und der Versicherung der Ernsthaftigkeit des Täters. Da die Form nicht korrigiert werden kann, hinterlässt sie eine semantische Lücke im Textverständnis: Das Opfer versteht nicht, was der Täter tun wird. Im zweiten Abschnitt des Textes geschieht Ähnliches: Hier bleibt das Opfer darüber im Ungewissen, was es seinerseits tun oder lassen soll. Mit der Bewertung eines Fehlers als schwer oder weniger schwer sind die sog. Fehlerhierarchien eng verbunden. Fehlerhierarchien ordnen bestimmte Fehlertypen auf einer Skala an, deren Endpunkte die Kriterien ‚schwer‘ und ‚leicht‘ sind. Eine Reihe von Untersuchungen hat sich mit der Frage befasst, ob es Unterschiede in den durch verschiedene Personen aufgestellten Fehlerhierarchien gibt und inwieweit diese Unterschiede davon abhängen, ob die bewertenden Personen Muttersprachler, Nicht- Muttersprachler, Lehrer oder keine Lehrer sind. Bezogen auf die Fehlerschwere hat sich gezeigt, dass muttersprachliche Lehrer insgesamt nachsichtiger mit Fehlern umgehen als ihre nicht-muttersprachlichen Kollegen. In der Studie von McCretton/ Rider (1993) zeigte die Gruppe der Lehrer Übereinstimmungen in der Fehlerhierarchisierung. McCretton/ Rider befragten muttersprachliche wie nicht-muttersprachliche Lehrer zur Fehlerhierarchie und kamen für das Englische zu einer Anordnung, bei der Fehler in der Kongruenz am schwersten, lexikalische Fehler am wenigsten schwer wogen. Die Befragung einer Gruppe, in der keine Lehrer waren, brachte eine gänzlich andere Bewertung der Fehlerschwere hervor: Die muttersprachlichen Probanden bewerteten lexikalische Fehler und orthographische Fehler als schwer, wohingegen die korrekte Wahl der Präpositionen als leichter Fehler galt. Insgesamt bewerteten die Lehrer eher lokale Fehler als schwer, die Muttersprachler, die keine Lehrer waren, eher globale Fehler, die die Verständlichkeit der Äußerung in ihrer Gesamtheit gefährdeten. McCretton/ Rider kommen zu dem <?page no="167"?> 5.7 Die Sprachprofilanalyse 167 Schluss, dass die Unterschiede in der Fehlerhierarchie nicht zwingend dem Fehler an sich geschuldet sind, sondern bei den Lehrern eine Folge der Inhalte des Ausbildungscurriculums sind und bei den ‚Laien‘ deren eigenen Schulerfahrungen reflektieren; speziell für die Bewertung von Orthographiefehlern ist dies anzunehmen. Da in der schulischen Ausbildung Rechtschreibfehler entsprechend sanktioniert werden, bewerten muttersprachliche Sprecher (in Verinnerlichung dieser Norm) diese später selbst auch als schwer. Die Studie von Politzer (1978), die muttersprachliche Probanden speziell zu Fehlern von Deutschlernern befragte, kam zu der folgenden Fehlerhierarchie: 1. Lexik, 2. Verbmorphologie, 3. Wortfolge, 4. Genus. 5. Phonologie und schließlich 6. Kasusmarkierung. Die Ergebnisse von McCretton/ Rider bestätigen die wichtige Rolle der Lexik. Die weiteren Unterschiede in der Hierarchie sind aller Wahrscheinlichkeit nach der einzelsprachlichen Struktur geschuldet: Das Deutsche besitzt eine ausgeprägtere Verbmorphologie und kennzeichnet die Person in fünf der sechs Fälle des Paradigmas auch durch die Flexion, wohingegen das Englische dies nur für die 3. Sg. realisiert. Entsprechend wichtig ist die korrekte Pronomenwahl für das Englische. Diese Einschätzungen von muttersprachlichen Laien zur Fehlerschwere sind für die forensische Linguistik insofern aufschlussreich, als sie uns Hinweise darauf geben können, nach welchen Kriterien ein Muttersprachler, der sich entscheidet, Fehler zu fingieren, diese möglicherweise produziert. 2 G 9) ) 4 Ein Teil der im BKA eingehenden Erpresserschreiben zeigt Fehler, die grundlegende grammatische Strukturen des Deutschen betreffen und damit den Eindruck erwecken, es handele sich bei dem mutmaßlichen Schreiber um einen Nicht-Muttersprachler des Deutschen mit geringer Sprachkompetenz im Deutschen. Um herauszufinden, wie niedrig oder wie hoch die jeweilige Sprachkompetenz im Deutschen ist, bietet sich das Verfahren der Sprachstandsmessung an. Sprachstandsmessungen dienen dazu, kindliche oder erwachsene Lerner in Bezug auf ihre Fertigkeiten in der Zweitsprache einzustufen, um sie entsprechend fördern zu können. Eine verlässliche Methode der Sprachstandsmessung ist der C-Test, der über einen Lückentext, den der Lerner komplettiert, dessen Sprachstand erfassen kann. Der C-Test setzt allerdings eine schriftsprachliche Kompetenz der Probanden voraus. Ein anderes Verfahren, das mit gesprochenen Texten auskommt, ist die Profilanalyse nach Clahsen/ Meisel/ Pienemann (1983) und Clahsen (1986), die auf der Basis von Gesprächen oder schriftlichen Äußerungen die Sprachfertigkeiten in der freien Textproduktion bewertet. Die Ergebnisse der Sprachprofilanalyse zeigen deutliche Übereinstimmungen mit denen des C- Tests, so dass die mittels Profilanalyse ermittelten Sprachstandseinschätzungen für das Deutsche als sehr zuverlässig einzustufen sind (Grießhaber 2006: 6). Grundlage für die Profilanalyse ist die empirisch belegte Annahme, dass der Fremdspracherwerb bei Kindern wie bei Erwachsenen in Phasen oder Sequenzen erfolgt und <?page no="168"?> 5 Fehler 168 dass die Abfolge dieser Sequenzen nicht grundlegend verändert werden kann. Die Profilanalyse legt ihr Augenmerk primär auf den Erwerb der Syntax des Deutschen, weil sie davon ausgeht, dass syntaktische Strukturen ein in sich geschlossener Bereich sprachlicher Strukturen sind, der relativ unabhängig von anderen Einflüssen gelernt wird. Kern der untersuchten syntaktischen Strukturen ist die Stellung verbaler Elemente im Satz und die Verbindung von Objekt und Prädikat (bzw. Verb und Objekt), die als grundlegende Einheit wahrgenommen wird. Die Erwerbssequenzen zeichnen sich neben der festgelegten Abfolge 11 dadurch aus, dass sie zunehmend komplexere Strukturen behandeln und dass der Erwerb einer komplexeren Struktur die Beherrschung der vorangehenden, weniger komplexen Strukturen voraussetzt. Begründet wird dies damit, dass der Erwerb komplexerer Strukturen mehr Verarbeitungskapazität im Gehirn erfordert (Pienemann 1998). Da diese im Bereich der Sprachverarbeitung begrenzt ist, müssen die weniger komplexen Strukturen bereits soweit gelernt worden sein, dass sie automatisiert wiedergegeben werden können und damit auch weniger Denkleistung erfordern. Die Erwerbsreihenfolgen der Syntax des Deutschen lassen sich in vier große Stufen gliedern, die unterschiedlich ausdifferenziert werden. Die Untersuchung von Clahsen (1986) erkennt vier Phasen, deren erste sich dadurch auszeichnet, dass keine der für das Deutsche typischen Regeln wie Klammerbildung, Inversion oder Verbletztstellung realisiert ist. In dieser Phase 1 findet sich die Abfolge S-V bzw. S-V-O neben subjektlosen und verblosen Sätzen bzw. Satzfragmenten. Grießhaber (2005) setzt für Sätze, die nicht S-V-(O) folgen, eine Phase 0 an, für die verblose Sätze charakteristisch sind, wohingegen die mehrheitliche Verankerung mit einem finiten Verb für ihn Kennzeichen der Phase 1 ist. Phase 2 nach Clahsen zeichnet sich durch die Separierung der finiten und infiniten Bestandteile des Verbs aus („Partikelshift“) oder anders ausgedrückt durch die Bildung der Hauptsatzklammer (Hilfs- oder Modalverb und Vollverb), der Lexikalklammer bei Partikelverben und der Kopulaklammer (bei Prädikativen). Grießhaber weist hier darauf hin, dass die Einschätzung, wann diese Separierung vorliegt, unterschiedlich erfolgt: Während Clahsen dafür die Trennung durch mindestens ein Element fordert, geht Grießhaber auch bei der Kontaktstellung beider Elemente von Separierung aus; Formen wie Der Bus muß stoppen gelten als Beleg für Partikelshift (2005: 13). In der Phase 3 nach Clahsen erfolgt die Inversion von Subjekt und Verb sowie die Positionierung eines Adverbs zwischen dem finiten Verb und dem Objekt. Die Inversion des Subjekts kann nicht nur nach Adverbphrasen geschehen, sondern auch nach Objekten und Nebensätzen in Spitzenstellung, und sie betrifft auch die Stellung des Subjekts in Entscheidungs- und in Ergänzungsfragen. Kennzeichen dieser Phase ist es, 11 Verschiedene Studien haben gezeigt, dass sich im Detail die Abfolge bestimmter Strukturen in Abhängigkeit von der Muttersprache ändern kann. So sind in der Studie von Diehl (2000), die französische Deutschlerner untersuchte, die Phasen ‚Inversion‘ und ‚Verbletztstellung‘ vertauscht. Ähnliches ließ sich bei italophonen Sprechern feststellen, vgl. Ballestracci (2010). Dies ändert jedoch nichts an der Gültigkeit der Erwerbssequenzen an sich, vgl. auch Grieshaber (2005: 8). <?page no="169"?> 5.7 Die Sprachprofilanalyse 169 dass hier die Einheit von Verb und Objekt bzw. von Handlung und Objekt der Handlung aufgebrochen wird. Die Voranstellung der Adverbphrase an die erste Position im Satz ohne gleichzeitige Inversion wie in dann das Geld muss da sein gibt Clahsen als eigenes Stadium auf und bewertet sie als Teil der Phase 2. Diese Spitzenstellung ermöglicht die Betonung einzelner, kommunikativ wichtiger Konstituenten, die in der Regel adverbiale Bestimmungen sind, ohne dabei die Standardabfolge S-V-O anzutasten. Sie ist daher vor der Phase 3 anzusetzen. Die letzte Phase bei Grießhaber und Clahsen ist die Phase 4 mit der Verbletztstellung im Nebensatz, einer weiterführenden Variante der Inversion. Eine ähnliche Aufschlüsselung der Erwerbsphasen, die auch die Voranstellung von ADV in Stufe 3 berücksichtigt, findet sich in der Darstellung von Apeltauer (2005). Seine Einteilung sieht statt der vorgestellten vier Phasen sechs Phasen vor. In die Stufen 5 und 6 fallen dabei die Merkmale der Phase 4 nach Clahsen. Apeltauer hat Erwerbsphasen auch für weitere grammatische Kategorien spezifiziert: 9 9 &! " & ) A , " " ! ' > = &$ ' = < $ \ ? O? > ' > ` ! ( ` ! } # # = | > $$ Y( ` $ \ X' X' '
! $ \ [ = & \ & & $ " \ X'$ > X'= ' # # X' > ! ! = = X' > ! ! |$ \ )$ \ < $ > \ $ X' > & $ < \ ~ & X' & \ & [ $ = & \ = " Q& $ " $ | ' = & | & $ ( *\ Y* " # # \ " X' X' # $ # <?page no="170"?> 5 Fehler 170 | $ & & } # $ # (
j $ < & \ ` < $ \ [ = & > =\ $ X' = & \ = & & # & X' # X' # " X' ! = & \ " $ | = \ & $ $
] & \ ' # # = ` > # X' \ $ X' = \ ` < \ & \ & X'"<X' = < # = # " X' & # & | >> ~ ~ = " & & & & * ' $ X' ` < Tab.1: Erwerbsphasen nach Apeltauer Grießhaber (2005) erweitert diese rein syntaktische Analyse um eine Analyse des Wortschatzes, den er in Anlehnung an Ehlich (1986) in den Wortschatz des Symbolfeldes, des Zeigefeldes und des operationalen Feldes aufgliedert, so dass für jede der Erwerbssequenzen der Syntax zumindest indirekt über den output der Lerner auch weitere sprachliche Kenntnisse eruiert werden können, die zeigen, welche sprachlichen Handlungen ein Lerner mit einem gewissen Sprachstand in der Syntax potentiell ausüben kann. Grießhaber geht davon aus, dass jeder Erwerb einer grammatischen Struktur lexikonbasiert stattfindet, denn erst, wenn ein entsprechender Wortschatz vorhanden ist, können grammatische Strukturen realisiert werden; so befinden sich unter den erworbenen Verben auch Modalverben, die dann eine andere syntaktische Verwendung vom Lerner fordern. Er kommt zu dem Schluss, dass sich die Anteile des Vokabulars der unterschiedlichen Felder im Zuge der Erwerbssequenzen verschieben und mit einer Zunahme der deiktischen und der operativen Wörter zu rechnen ist. Eindeutig am Ende der Skala der syntaktischen Erwerbssequenzen steht auf der Seite des Wortschatzes der Anteil von Wörtern, die einen sog. Relevanzpunkt des Berichteten nach Hoffmann (1984) festlegen können, nämlich Partikeln bzw. Modalwörter, die eine (emotionale) Sprechereinstellung zum Erzählten zeigen. Auf der Ebene 1 der syntaktischen Erwerbssequenzen überwiegen im Bereich des Wortschatzes die Wiederaufnahmen von Nomen <?page no="171"?> 5.7 Die Sprachprofilanalyse 171 als Teilen des Symbolfeldes, die als Ersatz für noch nicht erworbene Anaphern dienen. Bei der Bewertung der Sprachkompetenz eines Schreibers im forensischen Kontext ist der geringe Datenumfang zu berücksichtigen. Zwei Drittel der Erpresserschreiben enthalten weniger als 200 Wörter, nur wenige sind länger als eine Seite. Dies heißt, dass nur ein sehr kleiner Ausschnitt der sprachlichen Strukturen umgesetzt wird, die der Schreiber beherrscht. Es muss also davon ausgegangen werden, dass der Schreiber potentiell mehr kann. Für die Beantwortung der Frage, ob der Sprecher eine Struktur beherrscht, setzen Grießhaber und Clahsen keine Mindestanzahl von Äußerungen voraus. Andere gehen davon aus, dass eine bestimmte Anzahl von Äußerungen nötig ist, um zu zeigen, dass eine bestimmte sprachliche Struktur verfestigt wurde und vom Lerner beherrscht wird. 12 Grießhaber und Clahsen setzen daher bei der Bewertung, ob eine Struktur erworben wurde, von oben nach unten an. Da der Erwerb der höchsten Stufe den der niedrigeren voraussetzt, kann so der Sprachstand des Lerners ermittelt werden. Dabei können benachbarte Stufen nebeneinander auftreten. Für die Bewertung heißt dies, dass ein Lerner, wenn er die Struktur einer bestimmten Erwerbsstufe (auch in geringem Umfang) zeigt, die Stufe darunter erreicht hat, d.h. wenn die Inversion realisiert wird, können die Klammerbildung und die Standardabfolge von SVO als erworben gelten. Als erworben gelten also nur die vorangegangenen Sequenzen einer Erwerbsabfolge. Im Folgenden soll an einem kurzen Text exemplarisch gezeigt werden, was der Schreiber an sprachlichen Mitteln beherrscht, und geprüft werden, inwiefern er damit einen bestimmten Sprachstand erreicht hat. Ob die präsentierte Schreibkompetenz dann glaubwürdig ist, wäre in einem anschließenden Schritt zu bewerten. Wichtig ist, dass mit dem Instrumentarium der Sprachprofilanalyse ein diagnostisches Verfahren angewendet wird, das valide und reliabel ist, so dass die Analyse des präsentierten Sprachstandes nicht allein auf der persönlichen Einschätzung des Gutachters basiert und damit auch durch andere nachprüfbar ist. q? ? ? { & ? > ` #! \ = # ' ` ! # & ? ? ' ~ X' ? ) ~ " X' \ " > ' ? X' ' & \ $ X' ? _ # > ? ` >\ X' ' j X' ? X' ' >> " = ' ? q? ? ? {
( Bezogen auf die Syntax beherrscht der Autor die Standardabfolge im Satz ebenso wie die Voranstellung der Adverbphrase, außerdem setzt er die Klammerbildung aus Modal- und Vollverb bzw. aus Hilfs- und Vollverb mehrfach korrekt um (muss ... da sein, wird ... erfahren). Er hat also Phase 3 nach Clahsen bzw. Phase 4 nach Apeltauer erreicht. Die Inversion des Subjekts bei Besetzung des Vorfeldes findet sich nur in ei- 12 Vgl. Meerholz-Härle/ Tschirner (2001). <?page no="172"?> 5 Fehler 172 nem Fall (von linke seite steht ein papierkorb). In den drei anderen Fällen realisiert der Schreiber sie nicht, vgl. am 1.2.05 um 22.00 Uhr das Geld muss..., also du muss entscheiden statt also musst du entscheiden, dann deine Frau wird alles erfahren statt dann wird deine Frau alles erfahren. Sie kann damit nicht als erworben gelten. Damit stimmt zusammen, dass die Verbletztstellung in dem Nebensatz wenn das Geld wird nich da sein nicht durchgeführt worden ist, denn es handelt sich um eine syntaktische Struktur, die nach der Inversion erworben wird. Da es sich bei dem Gliedsatz des letzten Satzes um einen uneingeleiteten Nebensatz handelt (ich hoffe, wir verstehen uns), der anders als der mit wenn eingeleitete Nebensatz keine Inversion verlangt, ist er korrekt gebildet, denn seine Syntax entspricht dem Sprachstand des Lerners. Hinsichtlich der verbalen Morphosyntax beherrscht der Autor die Flexion irregulärer Verben (e/ i-Wechsel), die Struktur reflexiver Verben (verstehen uns), den Imperativ sowie Futur I. Auch hier zeigt der Lerner ein höheres Erwerbsstadium. Die nominalen Kategorien Kasus und Numerus sind realisiert, wenn auch nicht immer korrekt. Der Artikel (dem Parkplatz, ein Papierkorb) ist z.T. gesetzt. Er fehlt bei Zukunft und linke seite. Die Determinative sind nach unterschiedlichen Genera differenziert (dem Parkplatz, das Geld, deine Frau). Der Lerner verwendet ein 3-Kasus- System; auch wenn die Genitivflexion nicht bekannt zu sein scheint, ist der Genitiv strukturell zu erkennen (Zukunft deinen Familie, jeden deinen schrit). Auch morphosyntaktisch entspricht diese Realisierung grammatischer Kategorien dem Stadium 4 Apeltauers. Die einmal realisierte postverbale Negation stützt diese Einschätzung. Versuchen Sie sich nun selbst an folgendem Text. 1. Ermitteln Sie den Sprachstand des Schreibers. 2. Welche lexikalischen Besonderheiten fallen Ihnen auf? 3. Was spricht Ihrer Meinung nach für einen Fremdsprachenlerner als Verfasser? X' # X'? X' " = = ? X' " \ > ' } &' & X'? X' ' X' ~ & = ~ = ! ? X' X' Q& X' > X' X'" Q& ? ~ \ % & 'Q X' ~ ' ' ? X' 'Q X' X' \ " ~ > ` #! " & \ ` ! # & ? ? X# " ? | # X' = X'
( 2 H Fehler werden unabsichtlich produziert, und wann immer ein Fehler absichtlich gesetzt wird, handelt es sich nach James um eine Abweichung. Hinsichtlich der Unterscheidung von errors und mistakes in Bezug auf die Korrigierbarkeit handelt es sich bei fingierten Fehlern von Muttersprachlern um willentliche Verschreiber. Sie sind sofort korrigierbar, und ihre Fehlerhaftigkeit ist dem Schreiber voll bewusst. Natür- <?page no="173"?> 5.8 Fingierte Fehler 173 lich hat diese Unterteilung dort ihre Grenzen, wo nicht geklärt werden kann, ob sich der Autor tatsächlich willentlich verschrieben hat. Die Entscheidung, Fehler zu fingieren, ist Teil einer Tarnhandlung, die darauf abzielt, die eigene Identität zu verschleiern und das Opfer und andere potentielle Leser auf eine falsche Fährte zu führen. Mit dem Text gibt der Erpresser über das Vehikel der Sprache etwas von sich preis, das im besten Fall Indizienwert haben kann. Die Entscheidung, Fehler zu fingieren, hat daher zwei Dimensionen. Zum einen entsteht sie aus der Beschränktheit der Mittel, denn der Täter besitzt nur den Text als Mittel der Täuschung, so dass die Täuschung versprachlicht werden muss. Zum anderen bedient die Fehlerhaftigkeit der Sprache eine stereotype Vorstellung von Fremdheit. Fremd ist, wer nicht der eigenen Sprechergemeinschaft angehört, die - so wird dabei geschlussfolgert - zugleich einer ethnischen Gruppe entspricht. Wer also in seinem sprachlichen Verhalten und in seinem äußeren Erscheinungsbild den Erwartungen an das Bild vom Deutschen nicht entspricht, gilt als Ausländer. Indem der Täter seine Sprache mit Fehlern versieht, lenkt er von der eigenen muttersprachlichen Kompetenz ab und kreiert den Eindruck eines Nicht-Muttersprachlers, der typischerweise auch kein deutscher Staatsbürger ist: Der Emittent verweist durch die Sprache selbst auf eine ausländische Identität. Dadurch lenkt er die Aufmerksamkeit auf einen gänzlich anderen Personenkreis. Diese so etablierte Identität ist nun aber keine spezifische, die auf den Angehörigen eines anderen Landes verweisen soll, sondern sie ist eine sog. ‚leere‘ Identität, deren einzige Funktion es ist, von der eigenen deutschen Identität abzulenken (vgl. Fobbe 2006). Nur selten wird auf eine konkrete Nationalität Bezug genommen, und dann oft mit Stereotypen. Dementsprechend haben auch die Fehler nur die Funktion, Fehlerhaftigkeit als generelles Zeichen mangelnder Sprachkompetenz zu signalisieren. Sie sollen eine Lernersprache nur simulieren. Diese Funktion der Fehler bestimmt auch die Kriterien, nach denen die Fehler dann produziert werden. Ein Kriterium kann es bspw. sein, weniger eine ausländische Sprachkompetenz denn eine ausländische Sprechweise zu markieren. Sie wird typischerweise über die Fehlschreibung von Infinitiven als Formen ohne <n> wie in du sage ausgedrückt. Um durch die Fehlerhaftigkeit an sich eine ausländische Identität zu suggerieren, müssen die Fehler deutlich sichtbar sein, und wie bereits erwähnt, ist eine hohe Fehlerfrequenz ein guter Garant dafür, dass dies gelingt. Diese Bestrebung kann dazu führen, dass unbeabsichtigt Fehlercluster entstehen, also deutliche Häufungen von Fehlern an bestimmten Stellen des Textes. Zugleich müssen Häufigkeit und Dichte, mit der die Fehler vorkommen, auch in irgendeiner Form plausibel sein. Daher wird häufig ein niedriges Stadium fremdsprachlicher Kompetenz simuliert, denn nur wer am Beginn des Fremdspracherwerbs steht, macht viele und elementare Fehler. Im Zusammenhang mit der Bewertung der Fehlerschwere wurde bereits darauf hingewiesen, dass ein Fehler als umso schwerer eingeschätzt wird, je irritierender er ist. Fehler sind dort besonders irritierend, wo eine bestimmte Form mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dies betrifft die Schlüsselwörter eines Textes, die die Kohärenz des Inhalts gewährleisten, sowie Wörter, die hochfrequent sind. Für die <?page no="174"?> 5 Fehler 174 Sichtbarkeit fingierter Fehler heißt dies, dass Fehler im Grundwortschatz das Potential besitzen, entsprechend auffällig zu sein. Da die bewusste Herstellung fehlerhafter Texte eine kognitive Anstrengung bedeutet, nicht zuletzt, weil der Schreiber gegen verinnerlichte korrekte Formen ‚anschreiben‘ muss, sollten die Fehler schließlich leicht zu produzieren sein und kein zusätzliches Nachdenken erfordern. Daher betreffen sie die sprachlichen Ebenen, die dem Bewusstsein leichter zugänglich sind, nämlich Orthographie und Lexik. Das unten aufgeführte Textbeispiel ist dafür ebenso ein Beispiel, wie dafür, dass es den Fehlern an Konsistenz mangelt. Den kognitiv leicht zu produzierenden Rechtschreibfehlern steht eine automatisiert realisierte, korrekte Syntax gegenüber. Damit stimmt zusammen, dass derartige Fehler in den Augen muttersprachlicher Laien tendenziell als schwer eingestuft werden. Für das Deutsche kommt die Bedeutung der Verbmorphologie hinzu. Alle drei Ebenen entfalten sich an der Oberfläche des deutschen Satzes, so dass sie dem Ziel einer einfachen und wirkungsvollen Fehlerproduktion dienen. Die kognitive Anstrengung, die das Produzieren von Fehlern bedeutet, liefert zugleich einen Ansatz, die Fehler als echt oder fingiert zu bewerten, die sog. Konsistenz der Fehler. Konsistenz der Fehler bedeutet, dass Fehler in ihrer Gesamtheit als schlüssig erscheinen, indem sie z.B. ein bestimmtes Stadium des Spracherwerbs (des Morphologieerwerbs z.B.) reflektieren oder die Kenntnis eines Schreibprinzips offenbaren. Konsistenz bedeutet des Weiteren, dass möglichst keine korrekten Formen neben falschen Formen auftreten sollten. Obwohl damit nicht ausgeschlossen ist, dass der Emittent ein Lerner ist, der noch unschlüssig in Bezug auf eine bestimmten Formenbildung ist, geht man davon aus, dass eine überwiegend richtig realisierte Form auf eine entsprechende Sprachkompetenz verweist. Dies gilt insbesondere für die Rechtschreibung. Konsistenz bedeutet schließlich mit Bungarten (1996) auch, dass Fehler auf alle sprachlichen Ebenen gleichmäßig verteilt sein sollten, da Lexik-, Morphologie- und Syntaxerwerb im Spracherwerb einander direkt bedingen (vgl. Grieshaber 2005). Diese Bedingungen muss ein Muttersprachler, der den Eindruck einer Lernersprache erzielen will, bei der Fehlerproduktion parallel berücksichtigen. Unabhängig davon, dass er dazu profunde linguistische Kenntnisse benötigt, ist dies ein Unterfangen, das kognitiv schlechterdings nicht zu bewältigen ist. 13 Erschwerend kommt für den Emittenten hinzu, dass er als Muttersprachler keinerlei Erfahrung in der bewussten Fehlerproduktion hat, so dass er hier auf unbekanntem Terrain agiert. Nur in einem Kontext machen Muttersprachler überhaupt willentlich Fehler in ihrer Sprache, nämlich dann, wenn sie mit einem Nicht-Muttersprachler mit einer geringen Sprachkompetenz kommunizieren möchten. Dazu verfügt jeder Sprecher genuin über ein vereinfachtes Register seiner Sprache, den sog. foreigner talk oder Xenolekt. Dieses Register weist aufgrund seiner simplifizierten Struktur Lücken in Grammatik und Lexik auf, die auch als Fehler interpretiert werden können. Es erscheint naheliegend, dass Emittenten für eine bewusste Fehlerproduktion darauf zurückgreifen. Fobbe (2006) hat am Vergleich von fehlerbehafteten Erstschreiben mit 13 Ausführlicher dazu Kniffka (2001: 196f.). <?page no="175"?> 5.8 Fingierte Fehler 175 fehlerfreien Folgeschreiben aus dem Korpus des BKA gezeigt, wie dieses Register in der Tat von Muttersprachlern für die Produktion fingierter Fehler herangezogen wird. Dabei hat sich auch eine Schwäche dieser Vorgehensweise offenbart: Foreigner talk reduziert nicht nur die Komplexität der Grammatik, sondern auch die Komplexität von Bedeutungen von Lexemen, die dann entweder mit bedeutungsähnlichen Ausdrücken oder mit ihrem Hyperonym beschrieben oder ganz paraphrasiert werden. Für den Zweck der Erpressung kann dies kontraproduktiv sein, da der Emittent unter Umständen nicht sicher sein kann, dass seine Forderung oder die Beschreibung der Übergabemodalitäten vom Adressaten richtig verstanden worden ist. So erklärt sich auch die korrekte Schreibweise in den Folgeschreiben. Die Ambiguität, die beim foreigner talk zugunsten des Gelingens der Kommunikation billigend in Kauf genommen wird, kann in der konkreten Sprechsituation durch Gestik, Mimik und andere paraverbale Elemente minimiert werden; in den Bereich der Schriftlichkeit übertragen, kann sie zum Scheitern der Kommunikation führen. Daher ist es ein Merkmal von Schreiben mit Fehlern, die als fingiert eingeschätzt werden müssen, dass die Schlüsselwörter der Erpressung, die den Handlungsrahmen konstituieren, eindeutig (sie sind lexikalisch korrekt) und meist fehlerfrei geschrieben sind. Ein anschauliches Beispiel sin die folgenden drei Absätze aus einem Erpresserschreiben aus den 1990er Jahren (vgl. Kapitel 2): Im ersten Absatz, der die mutmaßlichen Erpresser charakterisiert und ihre Beweggründe schildert, finden sich sieben Rechtschreibfehler, im zweiten Absatz, der die Übergabemodalitäten beschreibt und damit essentiell für den erfolgreichen Ablauf der Geldübergabe ist, nur einer. Im letzten Absatz, der wiederum der Selbstdarstellung von Schreiber und Erpressergruppe dient, häufen sich wieder die Rechtschreibfehler. | ~ ) " O = < _ " % $ [ |[ )^ (? q? ? ? { | ~ & ? ?
! # _ & > * ! " )^ (? q? ? ? { ' # X' X' / # 9 ' & JJ ? ~ ' " J * # ? ` ? )^ (? q? ? ? { Ein Erpresser ist darauf angewiesen, dass der Inhalt seiner Schreiben eindeutig ist. Daher sind lexikalische Fehler nicht oder nur eingeschränkt geeignet, da sie zu Missverständnissen oder zum Zusammenbruch der Kommunikation führen können. Auch wenn lexikalische Fehler die Kriterien eines guten Fehlers erfüllen in dem Sinn, dass sie gut zu erkennen, potentiell irritierend und leicht zu produzieren sind, werden sie eher nicht bei den Schlüsselwörtern eingesetzt, sondern z.B. bei der sprachlichen Realisation von fakultativen Textfunktionen wie der Selbstdarstellung. Will der Emittent aber auch die Formulierungen der obligatorischen Grundfunktion mit Fehlern versehen, bleiben ihm nur solche Fehler, die deren Verständlichkeit nicht grundsätzlich gefährden, und das sind Grammatikfehler und Fehler in der Rechtschreibung. <?page no="176"?> 5 Fehler 176 2 8 ' 4 ) Anhand der Beispielanalyse eines Briefes soll gezeigt werden, wie die in diesem Kapitel vorgestellten Analysemethoden bei der Fehleranalyse konkret angewendet werden können. Der folgende Brief ist das Erstschreiben einer Briefserie aus dem Korpus des BKA. * `%[}} ~%Y
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)Y%OO%}Y Der Brief vermittelt den Eindruck eines fremdsprachigen Lerners mit einem geringen Sprachkompetenzniveau (ein Folgeschreiben findet sich im Aufgabenteil unter 5.9). Bei den orthographischen Fehlern des Schreibens ist zu prüfen, ob der Schreiber bestimmte Schreibprinzipien des Deutschen kennt oder nicht kennt, wobei in dem Fall, dass eine richtige und eine falsche Form belegt sind, die richtige anzeigt, dass dem Schreiber die korrekte Schreibung des Wortes bekannt ist. Das erste Schreiben weist eine ganze Reihe von Schreibfehlern auf, die orthographische Prinzipien verletzen und die sich unter Punkt 1 der Taxonomie aus Kapitel 5.5.1 einordnen lassen. Eine vokalische Phonem-Graphem-Korrespondenz (1.1.1) ist einmal in <intresirt> fehlerhaft, da hier <e> nicht gesetzt wurde, ebenso in <ire> und <vile>. Verletzungen konsonantischer Phonem-Graphem-Korrespondenzen (1.1.2) liegen vor in folgenden Fällen: <spermüll>, <grose>, <sake>, <zurük...>, <sheine>, <dan>, <bestimt>, <_allo...>, <exbres>, <intresirt>, <make>, <stikwort>, <finterlon>. Dabei betreffen <grose>, <exbres>, <intresirt> die fehlende Schärfung des <s>. Fehlende Realisationen des Silbengelenks zeigen die Schreibungen <spermüll>, <bestimt>, <dan> und <zurük>. In den Schreibungen <kommt>, <...müll>, <wolle> und in <allo...> ist das Prinzip des Silbengelenks verwirklicht. Fehlende Markierungen der Dehnung liegen vor in <vile> und <intresirt> (1.1.1) sowie in <ire> und <finterlon> (1.1.2). Damit bestehen die Fehler überwiegend aus Auslassungen bzw. omissions. Falsche Phonem-Graphembeziehungen liegen vor in <finterlon>, <sheine>, <exbres> (1.1.1). Hierbei handelt es sich um eine falsche Auswahl bzw. einen Selektionsfehler. Die Fehlschreibung <sheine> mag durch englisches <sh> motiviert sein, ob sie aber als Interferenz zu werten ist, muss offen bleiben. Der Schreiber ordnet in zwei Fällen <k> dem Phonem / k/ zu, das stellvertretend für / X/ steht, vgl. <make> und <stikwort>. Beide Fälle lassen sich auch als korrekte Verschriftlichungen einer falschen Aussprache deuten, so dass die Phonem-Graphem-Korrespondenz dann richtig wäre. Der Umlaut des <u> als <ü> ist bekannt, die Schreibung <sake> ist wohl eher <?page no="177"?> 5.9 Ein Analysebeispiel 177 das Ergebnis einer falschen Pluralbildung auf -e, die keinen Umlaut vorsieht, denn einer Fehlschreibung des <ä> durch <a>. Widersinnig erscheint die Fehlschreibung von Express. Dies würde voraussetzen, dass der Schreiber die Zeitung nur vom Hörensagen kennt und ihm die richtige Schreibung unbekannt ist, obwohl er diese Zeitung zu gegebener Zeit als Druckmittel gegenüber dem Opfer einsetzen möchte. Ob es sich bei Allozeitung um eine Fehlschreibung einer (regionalen) Hallo-Zeitung handelt, kann ohne weitere Informationen über den Empfänger des Briefes und seinen Wohnort nicht geklärt werden. Die fehlenden <n>-Grapheme bei dem Modalverb <wolle> und dem Verb <make> erlauben zwei Deutungen: Sie können unter (3.1.5.1.1) als orthographischer Reflex eines morphosyntaktischen Fehlers gedeutet werden, aber auch als orthographische Wiedergabe einer nicht-muttersprachlichen Artikulation, wie z.B. der italienischen. Die unmarkierte Silbenstruktur des Italienischen ist C-V, so dass wollen ohne auslautendes [n] realisiert wird. In der Präpositionalphrase bei spermüll fehlen die Kasuskennzeichnung des Dativs aufgrund der Auslassung des Artikels der (3.2.5) und die obligatorische Kontraktion der Elemente zu beim, in 2 grose sake gefunden mit vile akte findet sich eine falsche Pluralbildung von sake und akte (3.1.1.1), eine fehlende Kasusmarkierung bei vile (3.1.2.1), die fehlenden Hilfsverben habe/ wurden als Teil eines komplexen Prädikats (3.2.4) und ggf. ein fehlendes Subjekt wie z.B. ich (3.2.1). Im folgenden Satz wolle zurükkaufen 18.000 kleine sheine fehlen das Anredepronomen Sie, die Anapher sie oder eine entsprechende Wiederaufnahme als die akten (3.2.1), es fehlt die Präposition für und die Währungsangabe DM/ Euro/ Dollar bei 18.000 (3.2.5), die Präposition in ist nicht realisiert (3.2.5), auch fehlt die Kasusmarkierung des Dativ Plurals in sheine (3.1.1). In der Frage wolle nicht fehlt das Anredeprononen Sie (3.2.1). Dan bestimmt allozeitung, exbres oder ire kunde intresirt: Hier liegt entweder falsche Wortstellung vor als fehlende Inversion von dann interessiert bestimmt die Hallozeitung, was ... (3.2.10) oder es fehlen Kopula (3.2.4) und Korrelat (zum PräpObj von interessiert sein an 3.2.4.1), wenn man den Satz dann ist bestimmt die Hallozeitung daran interessiert zugrunde legt. Unabhängig davon fehlen die Artikel die ... -zeitung bzw. der Express) (3.2.1). Bei kunde liegt falsche Pluralbildung vor (kunden) (3.1.1.1). Im Teilsatz was make kanzlei mit akte ist die Verbletztstellung nicht durchgeführt (3.2.10), es fehlt jeweils der Artikel (3.2.1) und die Pluralbildung von akte ist falsch (3.1.1.1). Stammbildung und Flexion des Verbs machen sind ebenfalls falsch realisiert (3.1.5.1). Über die Funktion der rudimentären Phrase telefon in telefon kommt stikwort/ finterlon: kann nur spekuliert werden; eine Subjektsfunktion als anruf ist denkbar. Semantisch (2.1) läge dann ein Gebrauch eines bedeutungsverwandten Begriffs aus dem Wortfeld Telekommunikation vor. Geht man von der Bedeutung ‚Anruf‘ aus, fehlt eine Präposition (3.2.5), die stikwort/ finterlon anbindet im Sinne von ein Anruf kommt unter/ mit dem Stichwort Finderlohn. <?page no="178"?> 5 Fehler 178 Die hier festgestellten morphosyntaktischen Fehler erscheinen überwiegend als Auslassungen, wie sich schon an ihrer Beschreibung als ‚fehlend‘ oder ‚nicht realisiert‘ zeigt. Selten sind statt der erforderlichen Form andere Formen gesetzt, wie im Fall von {mak-} für {mach-}. Weggelassen sind dabei Funktionswörter wie Präpositionen, Artikel oder Kopulabzw. Hilfsverben, deren Fehlen die Kommunikation nicht weiter beeinträchtigt. Die fehlerhaften Pluralbildungen von akte und kunde lassen sich zwar als Selektionsfehler interpretieren, wenn man annimmt, dass hier das pluralische Nullallomorph gesetzt wurde, aber ebenso erlauben sie die Beschreibung als Auslassungen, wenn man in ihnen singularische, nominativische Defaultformen sieht, an denen gar keine Pluralbildung durchgeführt wurde. Im ersten Fall ließe sich die fehlerhafte Pluralbildung als intralingualer Transfer interpretieren, der auf einer Kompensationsstrategie beruhen kann, im zweiten Fall läge das Ergebnis einer formalen Reduktionsstrategie vor. Dass mit dem Fehlen einer Kategorie das Ergebnis einer Reduktionsstrategie vorliegt, lässt sich vergleichsweise sicher bestimmen, wenn der Emittent Muttersprachler des Deutschen ist. Dann hat die Anwendung der Reduktionsstrategie die Aufgabe, den Emittenten kognitiv zu entlasten, da er keine weiteren Überlegungen anstellen muss, wie er die Kategorie zu realisieren hat. Zugleich fällt das Fehlen einer Kategorie ins Auge, bewirkt also gut sichtbare Fehler. Betrachten wir jetzt im Rahmen der Sprachprofilanalyse den Gebrauch des Artikels und die Flexion von Adjektiven und Substantiven. Der Erwerb der korrekten Flexion ist dem Syntaxerwerb nachgeordnet. So können auch bei korrekter Realisation der Verbletztstellung im Nebensatz (noch) falsche Flexionsformen vorkommen, wie z.B. in ich wisse nicht ob ich hier pensioniert werde (vgl. auch die Aufgabe unter 5.7). Stufe 1 in der Flexion zeichnet sich nach Apeltauer (2005) dadurch aus, dass die Nominativformen als Defaultformen verwendet werden. Stufe 2 weist weitere Flexive nach dem Zufallsprinzip auf; dies ist hier bei der Flexion der Adjektive und der Pluralformen belegt. Damit hat der Schreiber die Stufe 2 in der Kennzeichnung nominaler Kategorien erreicht. Der Schreiber setzt keine Artikel, dafür aber das zur Anrede gehörige Possessivum (ire) in determinativer Funktion. Er gebraucht unter den Kasusmarkierungen der Adjektive nur die Endung auf {/ -e/ }, die auf alle attributiv verwendeten Adjektive und das Determinativ gleichermaßen angewendet wird, vgl. grose, vile, kleine, ire. Dieses Vorkommen ist typisch sowohl für fremdsprachliche Lerner wie auch für deutsche Sprecher des foreigner talk. Für den Plural wird {/ -e/ } für sake und sheine verwendet. Auch diese Form des Plurals ist häufig und daher unmarkiert. Silbenstrukturell und in Bezug auf das Genus sind beide Bildungen regelhaft (der Sack, der Schein). Die übrigen Fälle sind unflektierte Formen im Nominativ als Defaultform (akte, kunde, kanzlei, telefon, stikwort, finterlon). Der erworbene Sprachstand umfasst damit die Stufe 1. Bezüglich der Verbmorphologie benutzt der Schreiber unvollständig flektierte Formen wie wolle und make neben korrekt flektierten Formen der 3. Person Singular in intresirt und kommt und neben der Partizipialbildung gefunden. Des Weiteren liegt ein Modalverb (wollen) vor und eine trennbare Verbform in ungetrennter Form (zurückkaufen). Das Vorkommen erster Modalverben, die vereinzelte (evtl. formelbasier- <?page no="179"?> 5.9 Ein Analysebeispiel 179 te) Verwendung von Partizipien ohne Hilfsverben sind Merkmale der Stufe 2 des Erwerbs der verbalen Morphosyntax nach Apeltauer. Der Gebrauch von ungetrennten Partikelverben gehört auch dazu, allerdings liegt mit wolle zurükkaufen eine Kombination mit einem Modalverb vor, die zugleich eine richtig gebildete Verbalklammer in Kontaktstellung ist. Auch hier kann als erworben nur Stufe 1 gelten. Die Satzstruktur lässt sich wie folgt rekonstruieren. Die Teilsätze wurden nummeriert: * `%[}} ~%Y
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)Y%OO%}Y Alle Sätze sind verbal verankert. Daher kann mit Grießhaber mindestens die Stufe 1 als erworben gelten. Satz (1) enthält zwar keine Kopula, aber mit dem Partizip II den infiniten Prädikatsteil (gefunden). Des Weiteren fehlt das Subjekt, auch dies ist ein Kennzeichen der Stufe 1. Andererseits setzt Clahsen für Formen mit getilgter Kopula bei realisiertem Partizip eine erfolgte Separierung an, und das würde den ersten Satz der Stufe 2 zuordnen. Auch zeigt der Satz mit der Voranstellung der Adverbphase bei spermüll eine Struktur, die der Bildung der Klammer vorausgeht. Satz (2) ist eine Frage, die zum einen das finite Verb in Spitzenstellung (wolle zurükkaufen) und zum anderen eine grammatische Klammer in Kontaktstellung zeigt. Beide Strukturen sind Charakteristika derselben Stufe (Stufe 3) bei Apeltauer und der benachbarten Stufen 2 und 3 Clahsens. Die Verbspitzenstellung in Fragesätzen sieht Clahsen als Form der Inversion an. Satz (4) zeigt die Spitzenstellung des Adverbs dan. Wie in Satz (1) bilden Objekt und Verb hier eine Einheit. Satz (4) und (5) bilden ein Satzgefüge, in dem der eingebettete Nebensatz Subjektfunktion übernimmt und damit durch seine Nachstellung Subjektinversion zeigt. Satz (5) selbst ist ein Interrogativnebensatz, der eine Inversion des Subjekts bei gleichzeitiger Voranstellung des Objekts in Form des Interrogativums nötig macht und damit zu einem Aufbrechen der Abfolge Verb-Objekt führt. Auch hier ist die Inversion durchgeführt (Was AkkObj macht (die) Kanzlei Subj mit (den) Akte(n) (? )). Nicht realisiert ist die Verbletztstellung in (5), die durch das Satzgefüge von (4) und (5) verlangt ist. In Satz (6) kann (! ) stikwort/ finterlon als weitere Subjektsinversion gelesen werden, wenn man die Phrase telefon als Adverbiale instrumental interpretiert. Angesichts dieser zweibzw. dreifach durchgeführten Subjektsinversion ist der Schreiber der Stufe 3 von Clahsen und der Stufe 5 nach Apeltauer zuzuordnen. Nach der formalen Analyse, die den Text syntaktisch einem fortgeschritteneren Erwerbsstadium zuordnet, sei der Blick noch einmal auf den Inhalt des ersten Ab- 14 Eine Deutung von 18.000 Kleine Sheine als weiterer Teilsatz ist möglich. Dieser Satz wäre dann nicht verbal verankert. Für die obige Einteilung gab die Abfolge von wolle - wolle nicht den Ausschlag. <?page no="180"?> 5 Fehler 180 schnitts gerichtet. Die Sätze (1)-(3) wirken nicht zuletzt deshalb stark fehlerhaft, weil ihnen das Subjekt und das finite Verb (in Satz 1) fehlen. Hingegen ist im zweiten Teil die Flexion in zwei von drei Fällen korrekt durchgeführt und das Subjekt durchgängig realisiert. Eine Erklärung für diese Schieflage mag darin liegen, dass das grammatische Subjekt im ersten Satz auch das handelnde Subjekt, sprich, der Emittent ist. Zugleich fehlt die Kopula, die ihrerseits auf das Subjekt durch die Verbalflexion verweist. Psychologisch gesehen bewirkt der Emittent durch deren Nichtrealisierung eine Trennung seiner Person vom Inhalt. Ähnlich verhält es sich mit der Anrede des Opfers in den Sätzen (2) und (3). Weder ist eine korrekte Flexion als wollen/ willst durchgeführt, noch das in der höflichen Anrede obligatorische Pronomen Sie gesetzt. Die Anrede bleibt diffus. Eine direkte Anrede des Opfers findet sich dann im vierten Satz im Determinativ ire. Hier demonstriert der Schreiber, dass er sowohl die Konvention des Siezens kennt wie auch deren sprachliche Realisation (mit ihr als dem zugehörigen Possessivpronomen). Die Abwesenheit der Pronomen Sie, du, ich oder wir wirkt in diesem Lichte unglaubhaft und entspricht auch nicht ihrer Verteilung in authentischen lernersprachlichen Äußerungen vergleichbarer Erwerbsstufen. Sie ist weniger als Kompetenzfehler zu bewerten, denn als stilbildendes Merkmal, denn ihre Nichtrealisation entspricht dem unpersönlichen, agensabgewandten Stil des Briefes. Dementsprechend ließe sich der erste Satz auch als deformierter Passivsatz interpretieren. Der Wortschatz für Lerner auf der Stufe 1 ist im Bereich des operativen und des deiktischen Feldes eingeschränkt. Um Kohäsion herzustellen, nimmt der Lerner auf dieser Stufe Ausdrücke des Symbolfeldes immer wieder auf, deiktische Ausdrücke treten nur vereinzelt auf, wie z.B. dan. Der Emittent wiederholt zu diesem Zweck zwei Wörter: wolle und akte und verzichtet des Weiteren auf explizite Bezüge. Die Bezüge müssen vom Leser selbst hergestellt werden. Der Text enthält genau 31 Wörter; bis auf drei kommen sie nur jeweils einmal vor. Dies weist noch nicht auf einen großen Wortschatz des Schreibers hin, sondern diese type-token-Relation ist ein grundsätzliches Merkmal extrem kurzer Texte. Dennoch zeigt der Wortschatz Auffälligkeiten. Der Schreiber kennt die Wörter spermüll, akte und kanzlei, kunde sowie die Wörter stikwort und finterlon, die (von kunde einmal abgesehen) keinesfalls zum Grundwortschatz gehören. Darüber hinaus ist die im Kontext einer Erpressung mit ziemlicher Sicherheit voraussagbare Kollokation von kleine und sheine dem Schreiber geläufig. Der Ausdruck Sperrmüll ist ein Ausdruck, der ein spezielles deutsches Kontextwissen voraussetzt. Vgl. Kapitel 6 bzw. Knapp/ Hart/ Dennis (1974). Inwieweit der Schreiber hier fälschlicherweise den Ausdruck kunde für Klient verwendet, kann nur geklärt werden, wenn bekannt ist, wer der Erpresste ist. Nämlich ein Wissen darüber, was alles auf dem Sperrmüll landen kann, und dass bei Haushaltsauflösungen gelegentlich auch Müllsäcke mit Papier und Unterlagen am Straßenrand stehen. Anders lässt sich der implizite Bezug zwischen Sperrmüll und Aktenfund nicht erklären. Des Weiteren zeigt der Ausdruck Handlungswissen: In Deutschland ist es üblich und geduldet, dass Passanten den Sperrmüll durchsuchen und das, was sie an Brauchbarem finden, (wie der <?page no="181"?> 5.9 Ein Analysebeispiel 181 Auch die Wörter Stichwort und Finderlohn besitzen eine spezifische Verwendung im Bereich der (halb)öffentlichen Kommunikation über Medien wie Zeitung oder Radio, z.B. in einer Verlustmeldung mit der Aussetzung einer Belohnung oder (bezogen auf Stichwort) die Teilnahme an einem Gewinnspiel. Durch die spezifische Kombination beider Wörter zeigt der Schreiber, dass er über entsprechendes (deutsches) Textsortenwissen verfügt. Auffällig ist auch der Gebrauch des Modalwortes bestimmt, das der Steuerung des Hörerverhaltens dient. Der Gebrauch derartiger Funktionswörter ist auf einer relativ hohen Stufe des Spracherwerbs angesiedelt. Bestimmt bewertet im vorliegenden Brief das Hörerverhalten und relativiert zugleich die Entscheidungsfreiheit des Hörers, indem es aus der zuvor gestellten Frage wolle nicht? eine rhetorische Frage macht. Hier zeigt der Schreiber, dass er mit den begrenzten sprachlichen Mitteln auch komplexere Botschaften auszudrücken vermag. Das Schreiben zeigt Diskrepanzen zwischen den Erwerbsstufen nominaler Kategorien (Artikel), der Flexionsmorphologie, der Syntax und der Lexik. Während erstere nur rudimentär realisiert werden, zeigen Syntax und Lexik Hinweise auf ein fortgeschritteneres Erwerbsstadium. Aufgrund dieser Diskrepanzen ist nicht auszuschließen, dass die Fehler fingiert sind und eine muttersprachliche Kompetenz des Schreibers verbergen sollen. A 1. Dem ersten Tatschreiben, das oben analysiert wurde, folgte ein zweites, das die Übergabemodalitäten klärte. 2. Führen Sie eine orthographische Fehleranalyse durch. 3. Inwiefern sind die Schreibungen <hendi> und <... zenta> graphemische Realisierungen einer deutschen Aussprache? 4. Sind die orthographischen Fehler echt oder fingiert? Vergleichen Sie Ihre Ergebnisse mit denen der Analyse des ersten Schreibens und wägen Sie ab. O
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O _Y} * YO % $ Erpresser) zu ihrer eigenen Verwendung mitnehmen. In diesem Kontext erklärt sich auch die Verwendung des Ausdrucks Finderlohn. <?page no="182"?> 5 Fehler 182 Y O
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| % % _ K. L Die abgedruckten Ausschnitte vom Anfang und Schluss des folgenden Briefes entstammen einem anonymen fünfseitigen Brief, der per E-Mail versendet wurde. Der Verfasser gibt vor, aus der Türkei zu stammen, und erläutert zunächst, welche moralischen Beweggründe ihn zu diesem Schreiben veranlasst haben. Dann beschreibt er ausführlich, was ihm seine Freunde aus Pakistan erzählt haben, nämlich, wie potentielle Terroristen als Informatikstudenten ins Land kommen, sich durch arrangierte Heiraten ein Aufenthaltsrecht in Deutschland erschleichen und verdeckt für terroristische Vereinigungen arbeiten. Führen Sie eine Fehleranalyse unter folgenden Gesichtspunkten durch: 1. Suchen Sie nach Schreibungen und Formen, die sowohl korrekt wie inkorrekt realisiert sind. 2. Welche syntaktischen und morphologischen Regeln beherrscht der Schreiber? 3. Suchen Sie idiomatische Wendungen bzw. Kollokationen. 4. Die Setzung des Infinitivs für flektierte Verbformen zieht sich durch den ganzen Brief und ist ein sehr auffälliges Merkmal. Bewerten Sie diese Formen im Kontext: Sind sie dem präsentierten Sprachstand angemessen oder nicht angemessen? Ausschnitt 1 <?page no="183"?> 5.9 Ein Analysebeispiel 183 Ausschnitt 2 <?page no="185"?> 3 Der Inhalt bestimmter inkriminierter Texte in schriftlicher oder mündlicher Form kann die Frage aufwerfen, ob man dem, wie sich der Autor präsentiert, und dem, was er sagt, Glauben schenken kann. In den vorangegangenen Kapiteln wurde bereits an verschiedenen Stellen auf Unstimmigkeiten in der Selbstpräsentation hingewiesen, die sich primär über einen formalen Zugang erkennen und aufdecken ließen, wie z.B. die Analyse der Textstruktur, der Fehler oder des Stils. Hier zeigte sich, dass Fehlertypen und ihre Häufigkeit in Widerspruch zu der präsentierten Sprachkompetenz standen oder dass Emittenten eine bestimmte Stilebene nicht durchhalten konnten. Diese Unstimmigkeiten offenbarten z.T. Verstellungsstrategien, die Informationen über den Emittenten eigentlich verbergen sollten. Inhaltliche Aspekte stützten im Einzelfall die Ergebnisse dieser Methoden, sie standen aber bislang nicht im Vordergrund, obwohl die Frage nach der inhaltlichen Wahrheit eines Textes für Gericht und Ermittler von zentraler Bedeutung ist, wenn es um die Würdigung von Zeugenaussagen und Geständnissen geht. Vor Gericht steht die Zeugenaussage bzw. die Parteivernehmung als sog. Personenbeweis gleichberechtigt neben dem Sachbeweis (das sind Urkunden, der Augenschein, sowie der Sachverständige und sein Gutachten). Gemäß dem Gebot der Wahrheitsfindung ist es für das Gericht von vorrangigem Interesse, den Wert einer Aussage feststellen zu können. Da man einer Aussage, die erlogen ist, im Hinblick auf die Wahrheitsfindung geringen oder keinen Wert zusprechen muss, stellt sich für das Gericht zunächst die Frage danach, ob der Zeuge lügt oder ob er die Wahrheit sagt. Im Allgemeinen gehen wir davon aus, dass ein Zeuge, der die Wahrheit sagt, seine Aussage sprachlich so formuliert, dass sie Kriterien der Glaubwürdigkeit erfüllt; daraus schließen wir, dass eine glaubwürdige Aussage mit einer relativ großen Wahrscheinlichkeit ‚wahr‘ ist. Natürlich gibt es auch Faktoren, 1 die die Glaubwürdigkeit einer Aussage einschränken können, ohne dass der Zeuge damit zugleich lügt. So kann sich z.B. im Vergleich mit anderen Aussagen und den Sachbeweisen herausstellen, dass sich der Zeuge einfach irrt. Dies ist sogar vergleichsweise häufig der Fall (Bayen in Hermanutz/ Litzcke 2009: 84). Ob und in welchem Umfang er sich irrt, hängt auch davon ab, was von dem Zeugen erfragt wird. Für die Aussage heißt dies, dass dann Teile ihres Inhalts nicht mehr ‚wahr‘ sind, aber es heißt nicht im Analogieschluss, dass die Aussage an sich nicht mehr glaubwürdig wäre. Zwei Dinge müssen also für den 1 Es ist zwischen der Glaubwürdigkeit der Person und der Glaubwürdigkeit des Zeugnisses zu trennen. Gleichwohl muss eine Person, die sich in ihrem Verhalten insgesamt als wenig glaubwürdig darstellt, weil sie z.B. bereits mehrfach nachweislich an anderer Stelle gelogen hat, damit rechnen, dass ihrer Aussage weniger Glauben geschenkt wird. <?page no="186"?> 6 Inhalt 186 Wert des Personenbeweises bestimmbar sein: Ob eine Person lügt oder nicht und was eine glaubwürdige von einer unglaubwürdigen Aussage unterscheidet. 3 - 3 , - Der Gesetzgeber vermeidet den Begriff der Lüge. Indessen folgen aus dem, was man alltagssprachlich mit dem Begriff ‚Lüge‘ verbindet, in bestimmten Konstellationen doch rechtliche Konsequenzen, etwa im Zusammenhang mit den gesetzlichen Tatbeständen der arglistigen Täuschung § 122 BGB, der Irreführung § 4, § 5 UWG, der Falschaussage § 153, § 154 StGB, des Betrugs § 156 StGB oder der Urkundenfälschung § 267 StGB. Dem Gesetzgeber kommt es „nur auf das Vorliegen eines Erklärungswertes eines Verhaltens an[…] und nicht darauf, wie es transportiert wird“ (Rössel 2007: 148). Mit dem Begriff der Lüge ist nur die verbale Form der Täuschung abgedeckt (ebd.). Dass es den Straftatbestand der Falschaussage gibt, der genau darauf abhebt, ergibt sich daraus, dass die Aussage von Zeugen an die sprachliche, primär gesprochene Form gebunden ist. 2 Eben diese sprachliche Form macht die Lüge auch für die Linguistik interessant. Die Bedingungen, die in der langen Tradition einer vorwiegend moralisch-philosophischen Beschäftigung mit der Lüge definiert worden sind, können ebenso auf die kommunikativen Gelingensbedingungen der Lüge übertragen werden, wie sie von der Pragmatik bzw. von Vertretern der Sprechakttheorie formuliert worden sind. Dabei lässt sich die negative Bewertung der Lüge nicht nur moralisch begründen, sondern auch kommunikationstheoretisch. Wer lügt, verletzt das den Grice’schen Konversationsmaximen zugrunde liegende Prinzip, das aussagt, dass sich die Gesprächsteilnehmer kooperativ verhalten. Diese Grundannahme von Kooperation ist die Voraussetzung für die vier Kommunikationsmaximen, die Grice ebenfalls formuliert hat (Qualität, Quantität, Relation und Modalität) und damit für das Gelingen eines Gesprächs (Chapman 2005: 103). Wie noch zu zeigen sein wird, beschränkt sich Kooperation nicht auf rein sprachliche Merkmale wie die Wortwahl, sondern gestaltet auch das gesamte Gesprächsverhalten, so dass im Umkehrschluss nicht nur der Missbrauch von einzelnen Äußerungen unkooperativ ist, sondern auch das Verhalten, das diesen Missbrauch begleitet. Damit eine Äußerung als Lüge definiert werden kann, müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein (Müller 2007: 28): 1. die Unwahrheit der Aussage, 2. die Unwahrhaftigkeit des Sprechers, 3. die Täuschungsabsicht des Sprechers, 4. die intendierte Folge bzw. der beabsichtigte Zweck. 2 Ausnahme ist § 377 Abs. 3 ZPO, der die Möglichkeit einer schriftlichen Aussage behandelt. <?page no="187"?> 6.1 Lüge 187 Schon an dem ersten Kriterium, der Unwahrheit der Aussage, zeigt sich, dass dieses allein nicht ausreicht, um eine Lüge zu konstituieren. Sprechakttheoretisch würde hier eine Behauptung vorliegen, die unwahr ist, wobei die Unwahrheit der Aussage keine Relevanz für ihre Kategorisierung als Behauptung hat - der Sprecher muss wenigstens die Absicht haben, etwas Unwahres zu sagen, denn sonst würde er sich einfach nur irren. Das zweite Kriterium betrifft die Diskrepanz zwischen dem Gesagten und dem Wissen des Sprechers über den Wahrheitsgehalt des Gesagten. Hier setzt sich die alltagssprachliche Auffassung von Lüge gemeinsam mit der sprechakttheoretischen deutlich gegenüber dem rechtlichen Begriff vom Sagen der Unwahrheit ab. Nur wenn die Aussage nachweislich unwahr ist - gemessen an den Tatsachen - und derjenige, der sie vorbringt, die Absicht hat, etwas Unwahres zu sagen, kann man ihn rechtlich gesehen der Falschaussage bezichtigen. Wenn er aber nur geglaubt hat, etwas Unwahres zu sagen, das sich später als wahre Tatsache herausstellt, dann wäre dies keine Lüge. Die Auffassung der Rechtslehre hebt also ausschließlich auf den nicht-epistemischen Aspekt der Aussage ab. Vertreter der moralisch-philosophischen Bewertung der Lüge nehmen häufig den Standpunkt ein, allein die Überzeugung des Sprechers, etwas Unwahres zu sagen, wiege am Ende mehr als der eigentliche Inhalt, und Lügen könnten daher aus wahren wie falschen Behauptungen bestehen. Entscheidend sei die fehlende Wahrhaftigkeit des Sprechers. Wahrhaftigkeit ist nach Dietz (2001: 104) eine besondere Form von Wahrheit: Sie misst sich an der letztlich psychologischen Einschätzung der Person über den Wahrheitsgehalt der von ihr gemachten Aussagen relativ zur Wirklichkeit. Wer von der Wahrheit seiner Aussagen überzeugt ist, ist wahrhaftig, wer dies nicht ist und sie dennoch als wahr ausgibt, ist unwahrhaftig. Sprechakttheoretisch liegt in dieser Diskrepanz der eigentliche Missbrauch: Der Sprecher bedient sich der Behauptung als Sprechakt, um etwas auszusagen, was nicht stimmt. Damit verletzt er die Maxime der Qualität, die heißt, dass jeder nur das behauptet, was er in seinem Rahmen beweisen kann und von dem er annimmt, dass es wahr ist. Wer weiß, dass er das, was er sagt, nicht für wahr hält, dies aber sprachlich nicht deutlich macht, handelt sprechakttheoretisch gesehen „parasitär“ (Müller 2007: 39). 3 Eine deutlich negative moralische Bewertung bestimmt auch das Alltagsverständnis der Lüge: Selbst wenn sich später herausstellen sollte, dass jemand mit seiner Lüge unwissentlich die Wahrheit getroffen hat, bliebe dennoch etwas vom Vorwurf der Lüge an ihm haften. Bezogen auf das erstgenannte Kriterium bedeutet dies, dass - außerhalb des juristischen Verständnisses - „das Sagen der Unwahrheit nicht nur kein hinreichendes, sondern noch nicht mal ein notwendiges Moment des Lügens bildet“ (Müller 2007: 29). Das dritte konstituierende Element der Lüge ist die Täuschungsabsicht des Sprechers. Ob sie ein von der Unwahrhaftigkeit des Lügenden zu trennendes Element darstellt, ist strittig, da jede willentliche Falschaussage ein Moment der Täuschungsabsicht bereits enthält (G. Müller 1962: 271). Allerdings macht Müller hier geltend, 3 Siehe auch Strömsdörfer (2010: 10f.) mit Bezug auf Falkenberg (1982). <?page no="188"?> 6 Inhalt 188 dass diese Täuschungsabsicht nur dann gegeben ist, wenn sie verborgen wird. So unterscheide die fehlende Täuschungsabsicht die Ironie von der Lüge, denn der Sprecher kann durch paraverbale Merkmale eine ironische Sprechweise kodieren, die die Täuschungsabsicht aufhebt. Sprechakttheoretisch gilt eine Lüge dann als vollzogen, wenn das Gegenüber erfolgreich über den zu verschleiernden Sachverhalt getäuscht worden ist. Ihr Zustandekommen entscheidet sich im Zusammenhang mit ihrer Perlokution. Das vierte Element ist schließlich die intendierte Folge oder die mit der Lüge verfolgte Absicht des Lügners. Weshalb gelogen wird (Notlüge, Scherzlüge, Schadenslüge), ist nicht festgelegt, denn der Zweck, dem die Lüge jeweils dient, ist schließlich nicht an das Mittel der Lüge gebunden. Gleichwohl hat er Einfluss auf die Bewertung einer Äußerung als Lüge. 3 - ) 4 9 Aus psychologischer Sicht ist Lügen ein komplexes Handlungsmuster im Sinne eines Problemlösungskonzeptes (vgl. Lukesch 2007, McCornack 1997). Es benötigt einen Zielentwurf, diagnostisches Wissen, um den Ist-Zustand in Relation zum Soll-Zustand zu bewerten, sowie instrumentelles oder prozedurales Wissen, das dem Lügner sagt, welche Beeinflussungstaktik mit welchen Mitteln unter welchen Bedingungen angewendet werden kann. Zugleich muss er den Prozess des Lügens und die Reaktion des Gegenübers durch eine Art monitoring kontinuierlich prüfen, um auf Veränderungen flexibel reagieren zu können. Ein Mittel der Beeinflussung ist es, impression management zu betreiben, das den Lügenden als glaubwürdig hinstellt. Um dies zu erreichen, muss der Lügende Vertrauen in seine Person (und damit seine Rede) aufbauen. Dies geschieht durch nonverbale, paraverbale und schließlich auch verbale Mittel, wobei die non- und paraverbalen Strategien primär sind, da sie, wenn sie Erfolg haben, die verbal vermittelten Aussageninhalte reibungslos als ‚wahr‘ passieren lassen. Mehrere Laborstudien haben außerdem bestätigt, dass der größte Teil der Aufmerksamkeit durch den verbalen Teil der Äußerung, die jemand hört, gebunden wird. Ergeben sich durch das nonverbale Verhalten keine erkennbaren Widersprüche zum Gesagten, d.h. erkennt der Adressat keine subjektiven Lügensymptome, so geht er davon aus, dass das Gesagte wahr ist. Diese Lügensymptome, die der Lügende auch selbst kennt, unterdrückt er gezielt durch Kontrolle und Gegenstrategien. Mit Blick auf eine kommunikationstheoretische Beschreibung des Lügens kann man nun das gezielte Aufbauen von Vertrauen dahingehend präzisieren, dass dieses Vertrauen nicht nur Vertrauen in die Redlichkeit des Gegenübers ist, sondern Vertrauen in die Gültigkeit des Kooperationsprinzips. Während paraverbale und nonverbale Verhaltensmuster die Gültigkeit des Kooperationsprinzips simulieren, kann der Lügende auf der sprachlichen Ebene versuchen, allgemeine Kriterien der Glaubwürdigkeit zu erfüllen. Denn auch für sprachliches Verhalten liegen Glaubwürdigkeitsstereotypien vor (Fiedler et al. 2003), wie z.B. Detailreichtum oder persönliches Formulieren, die der Lügende ebenso kennt wie sein Gegenüber und die er (auch nach Aufforderung) bedienen kann. <?page no="189"?> 6.1 Lüge 189 Die Alltagsdefinition der Lüge versteht unter Lügen das Erzählen einer erfundenen Geschichte, die als wahr ausgegeben wird. Allerdings ist nur in einer kleinen Zahl der Fälle (die in Studien untersucht wurden) die ganze Geschichte frei erfunden (McCornack 1997, Vrij et al. 2001). Viel häufiger wird der erlogene Teil der Information sorgfältig hinter Erzählelementen verborgen, die tatsächlich erlebt wurden (aber möglicherweise in einem anderen Zusammenhang oder einer ähnlichen Situation). McCornack spricht hier von packaged lies bzw. von packaged deception und definiert Lügen primär als das Verbergen von Wissen: Eine Lüge unterdrückt die kritische Information und ersetzt sie durch Unverfängliches. Dieses Unverfängliche ist nicht im Gedächtnis verankert, sondern muss in die Erinnerung eingebettet werden. Jedes Detail, das man nun diesem konstruierten Teil hinzufügt, z.B. unter dem Druck, die eigene Aussage anschaulich zu gestalten, muss stimmig mit den anderen Details abgeglichen und auch behalten werden. Zugleich muss der Lügende seine Wirkung auf das Gegenüber im Blick behalten, denn aus dem Augenblick des Erzählens heraus zu konstruierende Einzelheiten bilden Fallstricke für die weitere logische Entwicklung der Erzählung. Je weniger aber ein Text bzw. eine Erzählung in sich stimmig ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Gegenüber Zweifel an der Echtheit der Geschichte entwickelt. Diese Gefahr verstärkt sich, je länger und je ausführlicher gelogen werden muss, und umso eher ist damit zu rechnen, dass der Lügende durch die kognitive Beanspruchung nicht nur das verbale Verhalten, sondern auch das nonverbale und paraverbale Verhalten nicht mehr umfassend kontrollieren kann. Es treten sog. Lecks auf, die für den geübten Beobachter erkennbar sind. Diese kognitive Beanspruchung, die auch als cognitive load bezeichnet wird, ist Bestandteil einer Hypothese, die davon ausgeht, dass Lügen kognitiv anspruchsvoller ist als die Wahrheit zu sagen. Dies ist aber nur eingeschränkt gültig, denn ebenso wie es selten die völlig erfundenen Geschichten sind, die dem Gegenüber präsentiert werden, so sind es selten die reinen Wahrheiten, die wir unseren Gesprächspartnern ins Gesicht sagen. Ebenso wie es packaged lies gibt, gibt es auch packaged truths, in denen wir eine unangenehme Wahrheit so verpacken, dass sie für das Gegenüber erträglich wird. Unsere Kommunikationsstrategien sind darauf angelegt, die sog. face-threatening acts (FTAs) zu vermeiden, also Handlungen, durch die wir unser Gesicht verlieren oder in denen wir riskieren, dass dies anderen zustößt. Zu diesen FTAs können ebenso Wahrheiten gehören. Daher argumentiert McCornack (1997) mit Recht, dass im Sinne der o.g. Problemlösungsstrategie das Formulieren von verpackten Wahrheiten unter Umständen kognitiv genau so anspruchsvoll sein kann wie das Lügen, so dass die cognitive load nicht ein Merkmal allein des Lügens ist. Es kann unter Umständen - wenn man als Teil eines Problemlösungsprozesses mögliche Folgen einer Äußerung abwägt - viel bequemer und weniger anstrengend sein, zu lügen. In diesem Fall würden sich die Anzeichen, aus denen die Vertreter der cognitive load-Hypothese die kognitive Belastung des Sprechers ableiten, nicht zeigen, eben weil diese Belastung nicht vorliegt. Diese Problematik hat direkte Auswirkungen sowohl auf die Aussagekraft sog. noverbaler Lügensignale wie auf die Trennschärfe der Realkennzeichnen <?page no="190"?> 6 Inhalt 190 der sog. merkmalsorientierten Inhaltsanalyse, vgl. Hermanutz/ Litzcke (2009: 180) sowie Kapitel 6.2. 3 # - ) ! 9 Auf der Basis einer sprechakttheoretischen Betrachtung der Lüge hat McCornack (1992, 1997) mit seiner Information Manipulation Theory einen Ansatz entwickelt, der versucht, dem Anspruch einer theoretischen Verankerung gerecht zu werden, und der darüber hinaus zu einer differenzierteren Konzeption und Beschreibung von Lüge führt, als sie das Alltagsverständnis vorsieht. McCornack wendet die jeweiligen Verletzungen der Grice’schen Konversationsmaximen rasterartig auf unterschiedliche Formen der Lüge an, so dass diese danach beschrieben werden können, ob sie Quantität, Qualität, Relation oder Modalität verletzen. Der Vorteil dieser Herangehensweise liegt darin, dass unscharfe Begriffe wie Irreführung, ausweichendes Verhalten oder Lüge innerhalb eines gemeinsamen theoretischen Rahmens beschrieben werden können und so deutlicher gegeneinander abgrenzbar sind. Hinzu kommt, dass sprachliche Elemente, deren Verwendung oder Vermeidung im Rahmen der Lüge als aussagekräftig eingeschätzt wird, diesen Maximenverletzungen zugeordnet werden können. Schließlich trägt diese differenzierte Beschreibung von Lügen der Tatsache Rechnung, dass sich im Alltag die Art, wie gelogen wird, je nach Situation sehr unterschiedlich präsentiert. Zwischen dem Erzählen fiktiver Geschichten und der leicht abgewandelten Wahrheit gibt es zahlreiche Abstufungen. Die Grenzen des Alltagsverständnisses von Lüge als ausgedachter Geschichte, die keine Verankerung in der Wirklichkeit besitzt, zeigen sich auch in psychologischen Studien zur Lüge, und zwar darin, dass zu große und nicht genügend diskrete Klassen von Lügen definiert werden, die den Unterschieden in der sprachlichen Struktur nicht gerecht werden. McCornack geht davon aus, dass Lügen darin besteht, ein bestimmtes Wissen dem Gesprächspartner nicht zu offenbaren. Diese Weigerung, Wissen, das für das Gegenüber eigentlich wichtig ist, preiszugeben, kann sich unterschiedlich manifestieren. Gemeinsam ist allen Verhüllungsstrategien, dass sie eine oder mehrere der Konversationsmaximen vorsätzlich verletzen und das zugrunde liegende Prinzip der Kooperation missbrauchen. In einer Laborstudie konnten McCornack et al. (1992) zeigen, dass die Verletzung einer jeden der Maximen zu unterschiedlichen sprachlichen Realisationen der Lüge führt. Im ersten Teil der Studie wurde eine Gruppe danach gefragt, wann und wie die Probanden in einer kritischen Situation gelogen hätten. Diese Geschichten wurden als Stimulus für eine zweite Gruppe anonymisiert aufbereitet mit der Frage, wie sie eine bestimmte Person in der gegebenen Situation reagieren lassen würden. Es handelte sich dabei um eine potenziell konfliktträchtige Situation in einer Beziehung, in der einer der Partner (Terry) 4 darüber Auskunft geben sollte, warum er oder sie nicht er- 4 Es wurden geschlechtsneutrale Kurzformen von Vornamen gewählt, z.B. Chris, Sam oder Terry. <?page no="191"?> 6.1 Lüge 191 reichbar war und was er bzw. sie gemacht hatte. Vorgegeben war, dass Terry mit einer anderen Frau bzw. einem anderen Mann auf einer Party war. Die Probanden ließen Terry in den meisten Fällen mit einer Lüge antworten. Die folgenden (aus dem Englischen übersetzten) Antwortbeispiele der Studie illustrieren die Variationsbreite möglicher Lügen mit ihren jeweiligen Maximenverletzungen. Zur Veranschaulichung sind jeweils zwei Varianten zitiert: & M 1 ! ( ! ( X' & \ " * '< & & = X# ? ( X' ' & * = X# X' ' & X' & X' \ & X' ! ! ? & M 1 ! ( ! ( X' " > ` ] = = ? ( X' " > ` ]? & $ ! ( ! ( _ ]\ X' & X' £ & ' X' "Q X' \ X' '< " \ # \ '< X' " ! #^ >Q " ? X'^ \ X' $ ' ) " % ¡ ( ) ' | X' \ | # ¡ X' \ X' " \ | X' & X' #"Q & \ & > X' ) ' ' > '$ \ X' # \ X' <X' X'\ | X' ¡ ) "Q $ > \ " X' * X' & "Q \ X' Q>> X' = > Q& X' "Q > "Q \ " X' ' ¡ & 0 1 ! ( ! ' # ( ( YX'\ X' ' " ? ( X' ' & & ' ? Diese Varianten der Lüge werden von Sprechern überwiegend nicht als Lüge aufgefasst, sondern als Beschönigen der Wahrheit oder schlicht als ausweichendes Verhalten oder Ablenkungsmanöver. Nur die Äußerungen, in denen eine Verletzung der Maxime der Qualität vorliegt, würden als klassische Lügen gelten; in den anderen Antworten ist ein unterschiedlich großer Teil des Wissens offenbart, nur eben nicht der Teil, der für die Beziehung gefährlich werden könnte. Diese unterschiedliche Wahrnehmung einer unwahren Aussage als Lüge oder eben nicht als eine solche hängt eng mit der Funktion der Lüge im sozialen Miteinander zusammen. Verschiedene Studien haben ergeben, dass Menschen im Laufe eines Tages mehrmals lügen, ohne dass sie dieses als Lüge wahrnehmen würden oder deswegen ein schlechtes Gewissen hätten. Lügen hilft, das eigene Gesicht oder das Gesicht anderer zu wahren, und ist daher ein Zeichen sozialer Kompetenz. Deshalb ist es auch verständlich, dass wir die oben beschriebenen Varianten zwar als nicht der Wahrheit entsprechend <?page no="192"?> 6 Inhalt 192 wahrnehmen, sie aber auch nicht zwingend moralisch verurteilen, sondern ihren Zweck (Vermeiden einer Konfrontation mit ungewissem Ausgang) in unsere Bewertung mit einbeziehen. 3 * / - Viele Menschen glauben von sich, aufgrund ihrer Erfahrung zum einen anhand der Struktur der präsentierten Geschichte und zum anderen anhand des Verhaltens und der Sprechweise des Gegenübers eine Lüge gut erkennen zu können (Reinhard et al. 2002). Eine ganze Reihe validierter Studien zur Lüge hat jedoch gezeigt, dass nur in etwas mehr als der Hälfte aller Fälle die Täuschungsabsicht des Gegenübers entdeckt wird (vgl. Vrij et al. 2001: 240, Vrij 2005); die Studien bestätigen aber die Annahme, dass das Lügen von sprachlichen und nicht-sprachlichen (körperlichen) Signalen begleitet wird, die von Körpersprache und Sprechweise einer Person abweichen, die die Wahrheit sagt. Dabei kann man folgende Merkmalsklassen unterscheiden: physiologisch: Körperreaktionen nonverbal: Gestik, Mimik, Körperhaltung, Blick paraverbal: Sprechweise, Stimmlage verbal: Wortwahl, Erzählstruktur Physiologische Begleiterscheinungen des Lügens betreffen Herzschlag, Blutdruck, Veränderung oder Beschleunigung der Atmung, Pupillenweite, Hautwiderstand oder Lidschlagfrequenz. Sie lassen sich mit dem Polygraphentest (dem sog. Lügendetektortest) erfassen, indem neutrale Fragen im Wechsel mit solchen Fragen gestellt werden, deren Antwort nur der ‚Täter‘ wissen kann. Der Polygraph misst die physiologischen Reaktionen des Probanden vor und während der Beantwortung der Frage. Der Polygraphentest ist nicht als Beweismittel zugelassen, obwohl bewiesen ist, dass sich bestimmte körperliche Reaktionen während des Lügens messbar verändern (Jager 2008). Diese Reaktionen sind nicht bewusst steuerbar, daher könnte man meinen, dass sie ein guter Indikator für eine Lüge wären. Ihr Nachteil ist aber, dass ihr Vorkommen nicht ausschließlich auf das Lügen beschränkt ist, sondern sie sich auch feststellen lassen, wenn die Person generell unter starker emotionaler Anspannung steht. Als Folge produziert der Polygraphentest häufig falsch-positive Urteile (Porter/ Yuille 1996: 444). Außerdem treten diese Körperreaktionen nur dann auf, wenn das Lügen intendiert ist (Dietz 2001: 106). Eine Person, die unwillentlich falsche Angaben macht, oder die ein Soziopath ist, zeigt sie nicht. Hinzu kommt, dass die Reaktionen manipuliert werden können, indem man sich z.B. auf die Zunge beißt oder während der Befragung Kopfrechenaufgaben löst. Dadurch kann die Reaktion, die durch das Lügen selbst auftritt, verfälscht bzw. überlagert werden, so dass sich kein signifikanter Wert ablesen lässt. 5 5 Aufgrund dieser Einschränkungen besitzt der Polygraphentest in den Augen des BGH auch keinen Beweiswert im Sinne des § 244 Abs. 3 StPO. <?page no="193"?> 6.1 Lüge 193 Neben diesen physiologischen gibt es mit den nonverbalen Merkmalen eine weitere Gruppe von Merkmalen, die sichtbar, aber nicht sprachlich sind, und die das Sprechen begleiten, wie z.B. die Körperhaltung des Sprechenden, sein Blick, seine Gestik und Mimik. Psychologische Untersuchungen prüfen hier, inwieweit sich diese Merkmale beim Lügen verändern. Typische mimisch ausgedrückte Gefühle sind Angst (vor der Entdeckung der Lüge), Schuld (weil gelogen werden muss) und Aufregung bzw. Freude (über eine erfolgreiche Täuschung). Diese Gefühlsregungen versucht der Lügende zu unterdrücken, sie können aber als leaking für Sekundenbruchteile auf dem Gesicht des Lügenden abzulesen sein, also durch die aufgesetzte Mimik ‚hindurchsickern‘. Sog. Kanaldiskrepanzen treten ebenfalls häufiger auf - hier passt der Inhalt des Gesagten nicht zum Gesichtsausdruck. Zu beobachten ist ebenso eine vermehrte Adaptorentätigkeit, also die Zunahme der Selbstberührungen wie Kopfkratzen, Nägelkauen, Hals- oder Gesichtsberührungen. Auch die Gesten, die das Sprechen unterstützen (sog. Illustratoren), verändern sich dahingehend, dass weniger Armbewegungen bei gleichzeitiger Bewegung der Finger zu beobachten sind und die Gestik der Hände weniger komplex ist. Zugleich setzt die Gestik zeitlich verzögert zum Sprechen ein. Zu diesen nonverbalen Merkmalen treten die paraverbalen Elemente ergänzend hinzu. Diese umfassen die Stimm- und Sprechparameter, z.B. Höhe der Tonlage, die sich beim Lügen nach oben oder unten verschiebt, die Sprechgeschwindigkeit, die sich erhöhen kann, aber auch sog. Häsitationen oder Latenzzeiten, die bei der Beantwortung von Fragen auftreten; sie betreffen die Geschwindigkeit, mit der auf eine gestellte Frage geantwortet wird. Bei der Gruppe der physiologischen, nonverbalen und paraverbalen Merkmale ist grundsätzlich zu beachten, dass sie nur dann adäquat als Lügensignale bewertet werden können, wenn sog. Basisraten der entsprechenden Merkmale vorliegen, d.h., es muss bekannt sein, wie sich die Person verhält, wenn sie die Wahrheit sagt (ihr Basisverhalten). Erschwerend kommt für die Bewertung der Aussagekraft hinzu, dass jeder Mensch unterschiedliche Merkmale in unterschiedlicher Ausprägung zeigt (die sog. Symptomäquivalenz) und diese Merkmale auch noch unterschiedlich gut kontrollieren kann. Sind entsprechende Basisraten bekannt, liegt die Trefferquote für Lügen deutlich höher (vgl. Hermanutz/ Litzcke 2009: 187-190). Schließlich gibt es die Gruppe der verbalen Elemente im eigentlichen Sinne. Sie beschreiben die sprachlichen Mittel, die eine Person wählt und wie sie diese präsentiert. Sie stehen im Mittelpunkt des Kapitels 6.3 und sind der Kern der linguistischen Analyse. In psychologischen Untersuchungen fallen sie kategoriell häufig mit den paraverbalen in die Gruppe der verbalen Merkmale zusammen. 3 2 > N % N % - Quer zur Einteilung der sprachlichen und nicht-sprachlichen Merkmale lassen sich die Lügensignale in objektive und subjektive Signale unterteilen. Wie bereits erwähnt, meinen viele, eine Lüge erkennen zu können, obwohl Tests gezeigt haben, dass dem <?page no="194"?> 6 Inhalt 194 nicht so ist. Dies hat seine Ursache unter anderem darin, dass wir bei unserer Verhaltensanalyse des Gegenübers die subjektiven Signale als Orientierung zugrundelegen. Subjektive Signale sind allgemeine, z.T. kulturell geprägte Annahmen über Erscheinungsformen des Lügens und die Person des Lügners (vgl. Hermanutz/ Adler/ Schröder 2011). Schon Lipmann (1927) und Kainz (1927) nennen mit dem Wegwenden des Blicks, einer stockenden Redeweise, einem zaghaften und unsicheren Verhalten ebenso wie mit einer allgemeinen Wortkargheit und unbestimmten Antworten subjektive Lügenmerkmale. Diese Verhaltensformen können jedoch auch Signale einer cognitive load sein. Um diese subjektiven Merkmale zu verschleiern bzw. von ihnen abzulenken, greift der Lügende zu Gegenstrategien und spricht z.B. bewusst mit fester Stimme oder suggeriert Auskunftsfreudigkeit und Offenheit, indem er über irrelevante Details spricht und häufiger lächelt. Auch in Bezug auf den abgewandten Blick, der von vielen als Lügensymptom interpretiert wird, greift die Gegenstrategie. Anders als allgemein angenommen, meidet der Lügende den Blickkontakt nicht, sondern stellt ihn bewusst her, eben weil im Gespräch die Aufnahme des Blickkontakts als vertrauensbildende Maßnahme gilt. Objektive Signale sind die Signale, die nachgewiesenermaßen signifikant häufiger beim Lügen auftreten als beim Wiedergeben der Wahrheit. Es sind die physiologischen Merkmale, wie sie der Polygraphentest feststellen kann, besagte Kanaldiskrepanzen, das leaking und die Adaptorentätigkeit sowie Veränderungen in der Sprechweise und der Atmung. Nur einige wenige subjektive Signale gehören auch objektiv zum Erscheinungsbild des Lügens wie z.B. das ‚Pokerface‘, also das Reduzieren der Mimik, um einen verräterischen Gesichtsausdruck zu vermeiden. Anders als angenommen, hat sich für die Länge oder Kürze der Äußerungen keine Signifikanz nachweisen lassen (vgl. Sporer/ Schwandt 2006). An dieser Stelle wird deutlich geworden sein, dass es nicht die objektiven Signale sind, die der Lügende unter Kontrolle halten muss, sondern die subjektiven Signale. Diese muss der Lügner entkräften, weil sie es sind, auf die das Gegenüber achtet. Er wird sich daher bemühen, Signale auszusenden, die das Vertrauen in seine Kooperationsbereitschaft aufbauen und das Gegenüber glauben machen, dass die Grice’sche Kommunikationsmaxime der Qualität gilt. Dass wir so schlecht erkennen, ob uns jemand belügt, hängt direkt damit zusammen, dass wir dem Gegenüber zunächst immer unterstellen, dass es sich an die Kommunikationsmaximen hält (der sog. positive-bias). Diese positiv verzerrte Wahrnehmung des Gegenübers ermuntert uns, den Inhalt des Gesagten ungeprüft als ‚wahr‘ zu akzeptieren und uns weder auf die Suche nach subjektiven noch nach objektiven Lügensignalen (soweit sie bekannt sind) zu begeben. Entsprechend schwer fällt uns im Zweifel auch das Erkennen der Wahrheit: In der bereits zitierten Studie von Vrij et al. (2001) wurden nur 67% der zu bewertenden Aussagen richtig als wahr und 44% richtig als Lügen erkannt. <?page no="195"?> 6.2 Glaubwürdigkeit 195 3 - Die Klärung der Frage nach der Glaubwürdigkeit fällt traditionell der forensischen Aussagepsychologie zu, die mit Merkmalen (auch Realkennzeichen genannt) arbeitet, die dazu dienen, den Grad der sog. Erlebnisbasiertheit der Aussage zu ermitteln, also zu bewerten, ob das Geschilderte tatsächlich erlebt wurde. Die Merkmale verweisen zu einem guten Teil auf die sprachliche Präsentation des Inhalts, eben weil die Aussage an die sprachliche Form gebunden ist. Die Bedeutung, die Aussagen bekommen, wird umso größer, je weniger Sachbeweise zur Verfügung stehen. Insbesondere in Missbrauchsfällen von Kindern und Jugendlichen sind sie oft der einzige Beweis und bilden die Grundlage der Verurteilung. So hat sich die Aussagepsychologie gerade im Zusammenhang mit Fällen von Kindesmissbrauch herausgebildet, und diese stellen nach wie vor ihr vorrangiges Betätigungsfeld dar. Im Prinzip ist sie auch in jedem anderen Fall anwendbar, in dem Zweifel an der Glaubwürdigkeit einer Aussage aufkommen (sowohl an der Belas t ungs-, als auch an einer Entlastungsaussage zugunsten des Angeklagten). Sie wird aber selten angefordert, da die Bewertung der Glaubwürdigkeit auch bei kindlichen Zeugen grundsätzlich im Ermessen des Richters liegt. Allerdings können es bestimmte Konstellationen zwingend notwendig machen, einen Gutachter hinzuzuziehen. Dies kann z.B. gegeben sein, wenn die Aussagen des Kindes, die es bei der Polizei gemacht hat, von denen vor Gericht stark abweichen, wenn der Verdacht besteht, dass dem Kind z.B. durch die Eltern oder andere Personen im Vorfeld etwas suggeriert wurde, oder wenn das Kind jünger als 4 ½ Jahre ist (vgl. Ulrich 2007: 83, Rn 143, Anm. 151-153). Ihren Ausgang nahm die Aussagepsychologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Untersuchungen von Alfred Binet und William L. Stern. Diese Untersuchungen sollten die Frage beantworten, wie zuverlässig Aussagen von Zeugen generell sind. Dazu wurden den Probanden u.a. Bilder gezeigt und sie wurden mit Ereignissen aus dem täglichen Leben konfrontiert. Anschließend wurden sie aufgefordert, wiederzugeben, was sie gesehen und erlebt hatten. Es stellte sich heraus, dass das Gesehene bzw. die erlebte Situation in kaum einem Fall richtig wiedergegeben werden konnte, und Stern (1902: 327) resümierte: „Die fehlerlose Erinnerung ist nicht die Regel, sondern die Ausnahme“. Auch spätere Laborversuche bestätigten die eingeschränkte Erinnerungsleistung von Zeugen, doch wurde vernachlässigt, dass sich die Bedingungen, unter denen im Experiment die Erinnerungen gewonnen wurden, von denen durch eigenes Erleben qualitativ deutlich unterscheiden. Gerade in Missbrauchsfällen berührt das Erlebnis die Psyche des Opfers tief, so dass es noch nach Jahren aus der Erinnerung abgerufen werden kann (vgl. Greuel et al. 1998). Allerdings erinnert sich ein betroffener Mensch oft nur an solche Details, die im direkten Zusammenhang mit dem Erlebten stehen. Randerscheinungen werden ausgeblendet, da sie in der Situation als nicht wichtig eingeschätzt werden. Typisch ist z.B., dass sich Opfer von Gewaltverbrechen detailge- <?page no="196"?> 6 Inhalt 196 nau an die Waffe oder an die Hand erinnern, die die Waffe gehalten hat, nicht aber an das Gesicht des Täters (Hermanutz/ Litzcke 2009: 86). Undeutsch (1967: 65) berichtet von einem Fall, in dem ein Mädchen den Täter nicht beschreiben konnte, wohl aber die Bonbons, mit denen es von ihm zum späteren Tatort gelockt wurde. Wenn nun in der Vernehmung z.B. nach dem Aussehen des Täters gefragt wurde, verstrickten sich die kindlichen Zeugen oft in Widersprüche und gefährdeten so die Glaubwürdigkeit ihrer Aussage. 3 ! ! 4 OD/ D P Basierend auf den Arbeiten von Leonhardt zu Beginn der 1930er Jahre hat sich Undeutsch seit der Mitte der 1950er Jahre der Glaubwürdigkeit der Aussage gewidmet und schließlich einen Katalog von Kriterien entwickelt, die die wahre Aussage auszeichnen, und die Hypothese aufgestellt, dass diese Kriterien in einer falschen Aussage in geringerem Umfang oder gar nicht anzutreffen sind. Diese sog. Undeutsch- Hypothese und der Kriterienkatalog sind das Herzstück einer Analysemethode, die als merkmalsorientierte Inhaltsanalyse zur herrschenden Methode in der Analyse von Zeugenaussagen (vor allem in kindlichen Missbrauchsfällen) geworden ist und die international als criteria-based content analysis (CBCA) bezeichnet wird. Um für einen Prozess eine verwertbare Aussage zu erhalten, wird die Aussage einer sog. Glaubhaftigkeitsbegutachtung (statement validity assessment) unterzogen. Das Verfahren sieht drei Schritte vor: Zunächst soll der Zeuge eine freie Aussage machen, danach folgt ein strukturiertes Interview, dann werden beide Aussagen nach den Kriterien der merkmalsorientierten Inhaltsanalyse ausgewertet und schließlich mit einer Checkliste von fallbezogenen Besonderheiten wie Beweislage, Verhalten der Person oder Umstände des Gesprächs ggf. hinsichtlich ihrer inhaltlichen Aussagekraft relativiert (Gödert 2002: 15). Die Kriterien der merkmalsorientierten Inhaltsanalyse beziehen sich auf die Textstruktur der Erzählung und auf den Inhalt. Der Inhalt wird danach bewertet, was er beschreibt, in welcher Relation dies zum Kerngeschehen steht, ob es sich um das Ereignis selbst oder Gefühle und Deutungen durch den Erzähler handelt, ob die Form der Versprachlichung sich mit der Erlebniswelt des Aussagenden verträgt und ob die Beschreibung Erfahrungen von Experten stützt. D ?
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! # & & X' _ ( <?page no="197"?> 6.2 Glaubwürdigkeit 197 / ? > O = > ! X' X' " ( ? & <X' X' | \ O X' Q ( ? = ! '< X' * X' & \ = ? # X' | ( ? # & '< ' & O ( ? ! ]X' X' < ? *? # ( ? ! ]X' X' < X' & = ~ >Q' \ #^ ! X' % # ( 0 % & ? ! & ` < ? QX# ? & "< * # & Q X' < X'# ( ? & ? *? " _ ( ? X' ' ( ) & ? # ! > X' | X' & < > & < ! " ( Tab. 1: Der Kriterienkatalog der CBCA Die Validität der Methode kann auf der Basis von Feld- und Laborstudien als erwiesen gelten (Hermanutz/ Litzcke 2009). Forschungen von Köhnken (1990) und Fabian/ Greuel/ Stadler (1998) haben eine Reihe von Kriterien gedächtnispsychologisch fundiert. In seinem Urteil vom 30.07.1999 hat der BGH (1 StR 618/ 98) diese Methode explizit als geeignet für kindliche Mißbrauchsfälle bewertet und ihre Anwendung verbindlich gemacht. Zur Validität einzelner Kriterien (vgl. Gödert 2002) hat eine Reihe von Feldstudien ergeben, dass insbesondere für das Kriterium des Detailreichtums durchgängig eine hohe Aussagekraft belegt ist, die Befundlage stützt außerdem die Validität der Kriterien Unordnung, Details, Verknüpfungen, Interaktionen und Gesprächswiedergaben. In drei von vier Studien bestätigten sich die Kriterien Konsistenz, Unordnung, Details, Verknüpfungen, Interaktionen, Gespräche und Eigenpsychisches, das Kriterium Deliktspezifisches konnte in zwei von drei Feldstudien validiert werden und die Kriterien Komplikationen, Indirektes, spontane Verbesserungen fanden sich in der Hälfte der Studien wieder. Der Rest der Kriterien muss hinsichtlich seiner Aussagekraft derzeit als ambivalent eingestuft werden. Die Kriterien sind zwar bei glaubwürdigen Aussagen vorzufinden, bei ihrer Abwesenheit kann aber nicht im Umkehrschluss auf eine unglaubwürdige Aussage geschlossen werden. Streng genommen besitzen sie so nicht den Status von Kriterien, sondern nur den von Merkmalen. Daher bevorzugen Hermanutz/ Litzke (2009) auch den Terminus <?page no="198"?> 6 Inhalt 198 Realkennzeichen, der primär auf die Erlebnisbasiertheit in der Wachwirklichkeit 6 der Aussage des Emittenten verweist. Da sich erfundene Aussagen nicht einfach durch die Abwesenheit der Realkennzeichen auszeichnen, ist nicht auszuschließen, dass auch sie als glaubwürdig eingeschätzt werden und wahre Aussagen als unglaubwürdig. Dies bestätigen Auswertungen von Texten innerhalb einer geschlossenen Probandengruppe, wobei die Genese der fingierten und der echten Texte jeweils bekannt war. In 80% der Fälle wurden die fingierten Texte korrekt als fingiert bewertet. Damit lag eine hohe, aber keine vollständige Zuordnung vor. Nun wäre es jedoch verfehlt, eine solche vollständige Zuordnung erwarten zu wollen. Dies hat zwei Gründe. Zum einen ist die relative Bewertung des sog. Erlebnisbezugs, die sich sowohl aus dem Inhalt der Aussage, aber auch aus der persönlichen Disposition des Zeugen und der Motivlage konstituiert, ein Verfahren, das sich nicht operationalisieren lässt, denn es ist am Einzelfall orientiert. Es bleibt Aufgabe des jeweiligen Psychologen, die Anzahl der erfüllten Glaubhaftigkeitskriterien zu bestimmen und ihre Aussagekraft zu gewichten (Vrij 2005, Bond/ de Paulo 2006). Dabei sind alle vorgefundenen Kriterien gleichermaßen zu berücksichtigen, denn nur die Gesamtheit dieser Kriterien bringt ein hypothesenkonformes Ergebnis hervor. Zum anderen arbeitet die CBCA - wie die Stilanalyse - mit Merkmalen, die versprachlicht sind. Aufgrund der Eigenschaften und der Funktion von Sprache kann von einzelnen Merkmalen nicht erwartet werden, dass sie zwischen Wahrheit und Lüge trennen können, ebenso wenig, wie sich am Gebrauch einzelner Stilmerkmale oder Wörter eine bestimmte Person erkennen lässt. Beide Methoden arbeiten mit Merkmalsbündeln, deren Zusammensetzung und Aussagekraft stets neu bestimmt werden muss. Dabei ist nicht auszuschließen, dass auch diese Merkmalsbündel im konkreten Fall nicht ausreichend zwischen dem Stil zweier Autoren oder zwischen Glaubwürdigkeit und Unglaubwürdigkeit einer Aussage unterscheiden können. Ergänzend zu den Glaubhaftigkeitsmerkmalen wird für die Unterscheidung von erfundenen und erlebten Aussagen auch auf Forschungsergebnisse zum reality monitoring von Johnson/ Raye (1981) zurückgegriffen. Reality monitoring ist das Verfahren, mit dem wir Erlebtes von Vorgestelltem unterscheiden bzw. überprüfen, und die Forschung dazu basiert auf der Annahme, dass Erlebtes anders im Gedächtnis abgelegt wird als Dinge, die wir uns nur vorstellen. Erlebtes wird über die Erinnerung an Sinneseindrücke gespeichert, so dass für eine echte Erinnerung zu erwarten ist, dass sie visuelle, auditive, olfaktorische, gustatorische und haptische Sinneseindrücke wiedergibt sowie kontextuelle Informationen und Informationen über die Gefühle der Person enthält. Aus dieser Grundannahme hat man für die Unterscheidung von Lügen und wahren Aussagen die Hypothese abgeleitet, dass nicht erlebte Erinnerungen, die aus der Vorstellung heraus entwickelt werden, in ihrer versprachlichten Form mehr kognitive Operationen aufweisen sollten, wie z.B. Begründungen, Annahmen oder Gedanken. 6 Die Wirklichkeit, wie wir sie in wachem Zustand wahrnehmen, im Gegensatz zur Wahrnehmung in Träumen. <?page no="199"?> 6.2 Glaubwürdigkeit 199 Dies hat sich aber nicht bestätigt (vgl. auch Hermanutz/ Litzcke 2009: 182). Forschungen zur Arbeitsweise des Gedächtnisses zeigen, dass Erinnerungen weder aus rein internen noch rein externen Quellen stammen, sondern dass das Verhältnis beider Quellen zueinander veränderlich ist. Darüber hinaus lenken unsere Erwartungen und unser Schemawissen die Art, in der Erinnerungen gespeichert werden. Schließlich füllen wir, wenn wir Erinnerungen aus dem episodischen Gedächtnis abrufen, mit Hilfe unseres semantischen Gedächtnisses auf der Basis unseres Schemawissens die Lücken durch kognitive Operationen auf. 3 0 ! ! $ ! D/ D Die sprachliche Darstellung selbst geht in der CBCA in den einzelnen Realkennzeichen auf. Nur wenige Studien befassen sich mit der Analyse der verbalen Merkmale an sich und verstehen darunter häufig den Gebrauch der Auto- und Synsemantika. In diesen Studien (vgl. Newman/ Pennebaker et al. 2003) wurden z.B. Pronomenverwendungen, der Gebrauch emotional gefärbter Wörter sowie Konjunktionen, Präpositionen oder der Gebrauch von Wörtern, die kognitive Prozesse beschreiben, in Korrelation zum Verhalten und zum psychischen Zustand der Probanden gesetzt. Die Bewertung einer bestimmten Wortwahl als Lügen-Indikator basiert auf der psychologischen Annahme, dass sich der Emittent unwahrer Aussagen in einem Erregungszustand (arousal) befindet und sich dieser auch in der Wortwahl niederschlägt. Bestätigt hat sich diese Annahme für die nicht-verbalen Lügenindikatoren, denn diese traten umso stärker hervor, je mehr für den Emittenten auf dem Spiel stand, je stärker also auch seine innere Anspannung war. Newman/ Pennebaker gehen nun davon aus, dass die Wahl der sprachlichen Mittel uns etwas über den psychischen Zustand einer Person verrät und leiten daraus ab, dass ein Stil, der als ehrlich und persönlich bewertet wird, bestimmte Merkmale aufweist, die bei einem vom Persönlichen losgelösten Stil nicht vorkommen. Sie formulieren die Hypothese, dass eine erfundene Geschichte über ein persönliches Thema sich in einer anderen Sprachverwendung präsentiert als eine erlebte und dass die Merkmale dieser Sprachverwendung auf ein ehrliches und ein unaufrichtiges Sprachverhalten übertragen werden können. Auf dieser Basis werten sie gezielt verbale Merkmale wie Negation, Selbstreferenz und exkludierende Wörter (aber, außer, ohne) aus, deren potentielle Aussagekraft im Rahmen sprachlicher Täuschung bereits durch andere psychologische Studien belegt worden ist. Dieses Vorgehen ist nicht unproblematisch, da es auf weitreichenden Hypothesen basiert, wie z.B. einer weitgehenden Gleichsetzung von Lüge und Stil. Ähnlich verhält es sich mit den verbalen Merkmalen, die im Rahmen von Trainingsprogrammen amerikanischer Ermittlungsbeamter als aussagekräftig gelten. Vielen von ihnen fehlt die linguistische theoretische Fundierung (vgl. Shuy 1998), z.T. entsprechen sie auch Lügenstereotypen (Hermanutz/ Adler/ Schröder 2011: 44f.). Die Meinungen über die Signifikanz der verbalen Merkmale sind daher geteilt, und Steck/ Hermanutz/ Lafrenz resümieren, dass es bis heute ein Defizit darstellt, dass verbale Lügenmerkmale noch nicht bekannt sind (2010: 14). <?page no="200"?> 6 Inhalt 200 A Die folgende Aufgabe eignet sich für eine Gruppenarbeit bzw. für eine kleinere gemeinsame Projektarbeit. Schreiben Sie einen kurzen Bericht darüber, wie es ist, eine Narkose zu erleben (dieses Beispiel geht auf Undeutsch zurück). Wenn Sie bisher noch keine Narkose erlebt haben, versuchen Sie, sich das Erlebnis vorzustellen und entsprechend zu schildern. Lesen Sie anschließend Greuel et al. (1998), um sich anhand ihrer Beispiele mit den Realkennzeichen der CBCA eingehender vertraut zu machen, und informieren Sie sich außerdem über Narkose und Narkoseerfahrungen allgemein. Werten Sie dann die Berichte gemäß den unter 6.2.1. genannten Merkmalen aus. Lassen sich die erfundenen von den erlebten Schilderungen unterscheiden? Tragen Sie die Ergebnisse zusammen und diskutieren Sie sie. Steller/ Köhnken (1989), Greuel et al. (1998). 3 # '( F & 9 Auch im Zusammenhang mit der Untersuchung von Abschiedsbriefen von Selbstmördern ist es eine gängige Annahme, dass sich der mentale Zustand des suizidalen Emittenten direkt in seiner Sprache und dem, was er mitzuteilen hat, niederschlägt. Gregory (1999) konstatiert, dass die sprachlichen Eigenheiten des Stils suizidaler Schreiber umso stärker vorhanden seien, je mehr der Emittent den Wunsch zu sterben verinnerlicht habe. Die angloamerikanischen Untersuchungen zum Stil authentischer Abschiedsbriefe basieren in vielen Fällen auf der Auswertung des Korpus von Shneidman/ Farberow (1957), das 33 echte und 33 fingierte Abschiedsbriefe enthält. Dieses Korpus ist so aufgebaut, dass jedem echten Brief ein fingierter Brief zur Seite gestellt ist, dessen Verfasser mit seiner Biographie dem Suizidanten weitgehend entspricht. Alle Verfasser sind männlich, weiß, protestantisch und zwischen 25 und 59 Jahre alt. Untersuchungen, die die Authentizität durch die Anwesenheit bestimmter Themenmuster eruieren wollten, haben ergeben, dass sich über diese Form der Inhaltsanalyse keine Trennung zwischen echten und gefälschten Briefen vornehmen ließ. Andere Studien untersuchten sowohl inhaltliche Merkmale wie auch sprachstrukturelle Merkmale. Sprachstrukturelle Merkmale sind z.B. die durchschnittliche Satzlänge und die Vorkommenshäufigkeit von bestimmten Wortarten. In echten Briefen hat sich mehrfach ein höherer Anteil an Substantiven nachweisen lassen, wohingegen Adjektive und Adverbien nur gering vertreten sind (vgl. Jones/ Bennell 2007). Edelman/ Renshaw (1982) stellten in diesem Zusammenhang die Hypothese auf, dass die mentale Aktivität des Suizidanten beim Abfassen des Briefes erhöht sei und daher eine höhere lexikalische Dichte erwarten lasse, für die wiederum die Anzahl der Nomen eine Messgröße sei. Kognitiv lasse sich die Wahl von Substantiven dadurch erklären, dass sie als semantisch reicher gelten, eben da sie sich durch eine Reihe von Merkmalen auszeichnen. Zudem würden sie früher erworben, seien fester <?page no="201"?> 6.2 Glaubwürdigkeit 201 Merkmalen auszeichnen. Zudem würden sie früher erworben, seien fester verankert und könnten auch unter Belastung besser abgerufen werden. Auch beschäftige sich der Emittent zu diesem Zeitpunkt eher mit Personen, Orten und Dingen, die ihrerseits mit konkreten Handlungen verbunden sind (nicht zuletzt mit seinen eigenen und denen der Hinterbliebenen) und weniger mit Gefühlen und Gedanken, so dass mehr Handlungsverben als kognitive Verben zu erwarten seien. Die kürzere durchschnittliche Satzlänge ergibt sich aus einem solchen knappen und konkreten Stil. Hingegen hat die Auswertung der Gesamtlänge von echten und gefälschten Abschiedsbriefen ergeben, dass die echten Briefe länger sind. Dies hängt mit dem Inhalt zusammen bzw. damit, dass bestimmte Inhalte wie z.B. testamentarische Anweisungen sehr präzise und detailliert geschildert werden. Gregory (1999) hat in einer multivarianten Herangehensweise sprachstrukturelle und inhaltliche Komponenten seiner Vorgänger miteinander verbunden und festgestellt, dass die sprachstrukturellen kaum diskriminierende Kraft haben. Vergleichbares haben auch Jones/ Bennell (2007) festgestellt. Als gute diskriminante Faktoren nennt Gregory folgende Punkte: 1. den Sitz (locus) der Kontrolle außerhalb des Emittenten, 2. Begründungen und Erklärungen, 3. testamentarische Anweisungen, 4. positive Gefühlsäußerungen, 5. einen größeren Wortumfang. Selbstmörder entscheiden sich für Selbstmord, weil sie sich zum Selbstmord getrieben sehen durch Bedingungen, die (in ihrer Wahrnehmung) außerhalb ihrer selbst und ihrer Kontrolle liegen. Im Rückgriff darauf hat Olsson (2004) für den Stil von authentischen Abschiedsbriefen die Hypothese aufgestellt, dass es dann, wenn der Wunsch oder die Notwendigkeit des Selbstmordes thematisiert werden, eine eindeutige Aussage geben müsse, dass dies nicht nur die beste Lösung, sondern die einzige Lösung für den Emittenten darstellt, wie z.B. in Ich muss diesen Weg gehen, für mich gibt es keinen anderen. 7 Gregory zeigte, dass echte Briefe tendenziell weniger Begründungen für die Handlung aufwiesen. Wenn aber Erklärungen gegeben wurden, waren sie sehr spezifisch und ausführlich, z.B. Ich habe genug vom Leben (...) wenn ich keine Aufgaben mehr habe und nichts mehr nähen kann oder Ich kam mir oft wie ein Almosenbettler vor, der Prozeß mit Eurem Vater hat mich viel Nerven gekostet und noch vieles mehr. Die gefälschten Briefe hingegen zeigten häufiger Erklärungen, die aber allgemein gehalten waren. Positive Gefühlsäußerungen (ich liebe dich) gegenüber den Hinterbliebenen sind ein Kriterium, dessen Signifikanz auch die Studie von Jones/ Bennell (2007) bestätigt. 7 Dieses und alle folgenden Beispiele in diesem Kapitel sind Döhner/ Bojanovsky (1987) entnommen. <?page no="202"?> 6 Inhalt 202 Die Abwesenheit positiver Gefühle in gefälschten Briefen erklärt Gregory damit, dass der Emittent - anders als der Suizidant - wisse, dass positive Gefühle auch in der Welt der Lebenden geäußert werden können. Zugleich nehme er an, dass ein Suizidant von negativen Gefühlen gegenüber anderen zur Selbsttötung getrieben wird, die er dann auch vermehrt in einem gefälschten Brief formuliert. Zu dieser Untersuchung bemerkt Gregory abschließend, dass nicht zu leugnen sei, dass es auch Abweichungen in beide Richtungen gibt: Manche Briefe des Korpus von Shneidman/ Farberow zeigen nicht oder nur in geringem Umfang die oben genannten Eigenschaften und sind dennoch echt. Gregory erklärt diese vorgefundenen Abweichungen direkt mit dem vermutlich nicht-suizidalen mentalen Zustand des Schreibers. Aus linguistischer Sicht wäre hier einzuwenden, dass die existierenden Abweichungen auch einfach ein Beleg dafür sein können, dass die von Gregory angenommene direkte Verbindung von Seelenzustand und Gestaltung der sprachlichen Äußerung - ähnlich wie bei der Lüge - so nicht gegeben ist. Auch konzentriert sich die psychologische Analyse der Sprache hier auf die lexikalische Semantik und einige ausgewählte quantitative Merkmale wie die lexikalische Dichte, die direkt von der Länge des Textes abhängt. Die Aussagekraft der gewählten sprachlichen Merkmale ist möglicherweise deshalb gering, weil die Merkmale nicht oder nur wenig zur Abgrenzung geeignet sind. Der Einbezug pragmatischer und funktionaler Aspekte der Sprachverwendung, wie auch Olsson ihn punktuell vornimmt, kann an dieser Stelle möglicherweise weiterführen: Nach Olsson (2004: 162) sind authentische Briefe knapp und prägnant gehalten, der Stil ist einfach und direkt, und der Schreiber macht eine eindeutige, thematische Aussage, die in direktem Bezug zum geplanten Freitod steht, so ungewöhnlich sie in den Augen des Lesers auch sein mag. Der situative Kontext, in den der Brief zu stellen ist, muss in der Regel abgeleitet werden, auch wenn auf ihn Bezug genommen wird, darf man ihn damit nicht als wirklich gegeben hinnehmen. Auch nennt der Emittent in den meisten Fällen den geplanten Freitod nicht explizit, aber der Bezug darauf ist klar erkennbar, so dass der Zweck des Briefes eindeutig ist. ' X' ' >> \ # Q& \ X' ' & " \ ' " ? | & | X' & " X' "Q X' | X'^ } & ` \ |
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> ? " } & [ X 1. Welche der Kriterien Gregorys (1999) und der Kriterien Olssons (2004) finden Sie in obigem Brief vor 8 ? Was ist die Intention des Schreibers? 8 http: / / www.denkstern.com/ 11022/ 536.html <13.01.2011> <?page no="203"?> 6.3 Der linguistische Ansatz 203 2. Untersuchen Sie den Brief in Kapitel 3.4.1 entsprechend. Gregory (1999), Olsson (2004), Jones/ Bennell (2007). 3 # & Anders als in Deutschland zählt im angloamerikanischen Raum zu den möglichen Aufgaben forensischer Linguistik nicht nur die Analyse der präsentierten Sprach- und Schreibkompetenz, sondern auch die Analyse der Präsentation des Inhalts, also wie etwas erzählt wird. Dass die Inhaltsanalyse der Aussage auch linguistisch interessant ist, haben bereits Stern und Groß erkannt, ohne daraus allerdings Forderungen an die Philologien ihrer Zeit abzuleiten. Mitte der 1950er Jahre hat Friedrich Kainz in der Zeitschrift Sprachforum zur ‚Psychologie der Aussage‘ Stellung genommen. Kainz verweist auf die Bedeutung der Sprache und der Sprechweise sowie deren Analyse im Rahmen der Aussagepsychologie, weil „die sprachliche Darstellung, die verbale Umsetzung der Erinnerungsbestände [...] ein Vorgang bestimmter Eigengesetzlichkeit [ist], die allerlei Fehler der Aussage induzieren kann“ (Kainz 1955: 22). Da die Wiedergabe der Erinnerung an die sprachliche Form gebunden ist, finden sich für eine ganze Reihe der Realkennzeichen Entsprechungen in der pragmatischen Textlinguistik und der Erzähltheorie, wie z.B. die Verankerung in Raum und Zeit als grundlegendes Merkmal alles Narrativen oder die spontanen Verbesserungen als Zeichen, dass der Emittent der Maxime der Modalität folgt. Im Folgenden sollen Merkmale, die linguistisch als relevant einzustufen sind, vorgestellt werden. Dabei wird auch auf die verbalen Merkmale der CBCA bezug genommen, da die Verbindungen erkennbar eng sind und die Autoren zum Teil implizit, zum Teil explizit auf diese Kriterien referieren. Dem psychologischen Konzept der Erlebnisbasiertheit kann dabei das linguistische von der Wohlgeformtheit von Texten an die Seite gestellt werden, aus dem sich die Glaubwürdigkeit dann analog ableiten lässt. Das Konzept der Wohlgeformtheit operiert auf der Basis der Annahme, dass der wohlgeformte Text gewissermaßen die Normalform darstellt und ein nicht wohlgeformter Text eine Abweichung davon ist. Die fehlende Wohlgeformtheit manifestiert sich über die Inkonsistenzen in einem Text. Die Inkonsistenzen ihrerseits sind damit markiert und werfen zugleich die Frage nach dem Grund ihres Vorkommens auf. Auf diese Inkonsistenzen bzw. darauf, sie aufzufinden, richtet die linguistische Analyse ihren Blick. Zu jeder Textsorte existiert das Konstrukt einer Normalform, das wir aus der Erfahrung im Umgang mit authentischen, nicht-verstellten Textexemplaren empirisch ableiten, deren konkrete Ausgestaltungen sich ihrerseits pragmatisch begründen und mittels formaler und inhaltlicher Merkmale beschreiben und kategorisieren lassen. Entsprechende Ideen von Wohlgeformtheit teilen wir auch bei narrativen Sequenzen in Bezug auf die Darstellung eines Textthemas mit seinen Teilthemen, d.h., wir haben <?page no="204"?> 6 Inhalt 204 bestimmte Vorstellungen davon, wie ein Thema präsentiert, ein Ereignis erzählt oder ein Ablauf berichtet werden sollte (Schönert 1991). In Texten, in denen Teilthemen des Themas fehlen, erwartete Bezüge nicht hergestellt werden oder Unterthemen zu viel Raum einnehmen, ist für uns die inhaltliche Kohärenz des Textes und damit auch seine Konsistenz beeinträchtigt. Für derartige Unstimmigkeiten kann es unterschiedliche Erklärungen geben, die nicht zwingend die Glaubwürdigkeit der Aussage infrage stellen müssen. Aber natürlich werden Inkonsistenzen oft als Hinweis auf die nicht vorhandene Erlebnisbasiertheit der Aussage gewertet, was wiederum ein Indiz dafür sein kann, dass die betreffende Person lügt. Coulthard (1992: 244) definiert drei große Bereiche, auf die sich die linguistische Analyse erstreckt. Es handelt sich um 1. den psycholinguistischen Bereich, der kognitionspsychologische Erkenntnisse z.B. zur Wiedergabefähigkeit von Gesprächen berücksichtigt, 2. den kommunikationstheoretischen, der sich z.B. auf die Kooperation der Gesprächspartner bezieht, und 3. den textstrukturellen, der Aufbau und Ausgestaltung des Erzählten betrifft. Bei der Analyse der Texte ist folglich zwischen sprachlichen Kriterien im engeren Sinne zu unterscheiden und solchen, die die Erzählstruktur betreffen. 3 # 9 % A Wenn Zeugen oder Verdächtige aufgefordert werden, ihre Erinnerung an eine Straftat, einen Unfall oder ein anderes Ereignis wiederzugeben, erzählen sie eine Geschichte und folgen den Strukturen alltäglichen Erzählens. Das Narrative besteht dabei nicht in der Schilderung aufeinanderfolgender Ereignisse, sondern darin, dass der Erzählende seine eigene Wahrnehmung bzw. Erfahrung wiedergibt. Daher ist „Erzählen [...] grundlegend ‚fiktional‘ - jedoch nicht, weil es von ‚erfundenen‘ oder fantastischen Dinge handelt, sondern weil es auf Bewusstsein(sdarstellung) basiert“ (Fludernik 2008: 73). Auch Zeugenaussagen und Geständnisse sind Formen alltäglichen Erzählens. Zeugenaussage und Geständnis repräsentieren zwei zentrale Kategorien der Erzählung, zum einen die Erzählung des Ichs-als-Zeuge von Ereignissen, die sich über die Wahrnehmung von Ereignissen bestimmt, und zum anderen die Erzählung eigener Erfahrungen, die sich durch die Erinnerung auszeichnet. Für die Darstellung des Geschehens in Zeugenaussagen ist dabei in Anlehnung an Fludernik (1996) von Relevanz, wie der Emittent das unerwartete Element bzw. den Akteur selbst wahrgenommen hat. Hat er oder sie das unerwartete Element/ den Akteur vor Beginn des eigentlichen Ereignisses wahrgenommen (wie er z.B. an einer Straßenecke wartet und dann die Bank betritt oder wie sich Wasser sammelt, das dann über die Ufer tritt), folgt ihm der Emittent mit seiner Erzählperspektive, berichtet also mit einem Fokus auf dem Handelnden. Wird der Handelnde oder das unerwartete Element vom Erzähler aber vorher nicht wahrgenommen und bricht gewissermaßen in die Sphäre des Erzählers ein, wird er die Ereignisse aus der Perspektive der betroffenen Objekte oder Menschen (einschließlich seiner selbst) erzählen (Fludernik 1996: 74). Dem gegenüberzu- <?page no="205"?> 6.3 Der linguistische Ansatz 205 stellen sind Geschichten, die die eigenen Erfahrungen wiedergeben, wie z.B. Geständnisse. Hier wird das Ereignis nicht als von außen wahrgenommen beschrieben, sondern stellt selbst die Erfahrung dar und ist ein Teil des Inneren des Emittenten. Es ist eingebettet in die Erinnerung an die eigenen Handlungen, die vollzogen wurden, oder an Handlungsabsichten, die nicht umgesetzt wurden (Fludernik 1996: 75). Erzählenswert ist dabei das Unerwartete eines Ereignisses in der Perzeption des Erzählers und dessen anschließende Bewältigung, Bewertung oder Interpretation durch den Erzähler. Nach Labov/ Waletzky (vgl. Ehlich 2007: 386) folgt die Struktur von Alltagserzählungen fünf Schritten: 1. Exposition, 2. Komplikation, 3. Lösung, 4. Evaluation und 5. Coda. Die Aspekte Komplikation und Lösung, so Ehlich (2007: 387), betreffen die Geschichte selbst. Sie sind eingerahmt von Erzählhandlungen, die Sprecher und Hörer betreffen: Die Exposition dient dazu, das Wissen von Sprecher und Hörer auf einen gemeinsamen Stand zu bringen, von dem aus das Unerwartete und dessen Bewältigung erzählt werden können. Die Coda dient der Versicherung des Sprechers, dass die Informationsübertragung an den Hörer erfolgreich war (ebd.). Nun kann es geschehen, dass eine Geschichte diese Charakteristika zwar besitzt, aber dennoch im konkreten Fall das, was für ihre Wohlgeformtheit nach Auffassung des Rezipienten entscheidend ist, nicht ausreichend aufweist. Metakommunikative Kommentare zwischen Gesprächspartnern zeigen nämlich, dass Sprecher und Hörer ganz spezifische Vorstellungen davon haben, was für die Geschichte, die gerade erzählt wird, relevant ist, damit es eine ‚gute‘ Geschichte ist (vgl. Ehlich 2007: 385). Anders gesagt, die Ansichten über das Erzählenswerte können differieren. Edwards (2004: 264) zitiert dazu einen Vernehmungsausschnitt, in dem ein Mann (im Folgenden B), der seine Frau zusammengeschlagen hat, seine Handlungen wie folgt beschreibt (A ist der vernehmende Beamte): * ) \ ' ! ! & " ' X' \ ! " # ' ? )' ' ! ! & " ' X' \ " = ' > ' " ]? ' & ' ' ' X ' ! X q¢{ | ] X# ' ¡ * ? ' ] [ ? *? * ) \ ] \ "' ] ] X# ] ' ? '\ ] ' = ' ? ' ¡ * '\ ' = ' ? <?page no="206"?> 6 Inhalt 206 Zwei Punkte stellt Edwards heraus: den einleitenden Satz I got up to walk out the door von B und die metasprachliche Äußerung von A. Mit dem ersten Satz impliziert B, dass er der Konfrontation ausweichen wollte, und stellt so die folgenden Handlungen bereits in einen Deutungszusammenhang, der ihn als unschuldig erscheinen lässt. A’s anschließende Bemerkung you’re not telling me the story nimmt auf die Wohlgeformtheit dieser Erzählungssequenz Bezug, da hier etwas erzählt werden müsste, was erklärt, aus welchem Grund die Polizei gerufen worden ist. To move someone out of the way gilt nicht als ausreichender Grund. Je nach Bezugszusammenhang müssen bestimmte „Regeln befolgt werden, damit die >Geschichte< als plausibel gilt und akzeptiert wird“ (Schönert 1991: 18). Die Frage nach der Wohlgeformtheit einer Erzählung muss also den Zweck berücksichtigen, dem die Erzählung dient. Dieser Zweck kann für die Beteiligten durchaus divergieren, so dass sich auch die Einschätzung der Wohlgeformtheit der jeweiligen Narration unterscheiden kann. Eine Geschichte - Zeugenaussage wie Geständnis - ist ein Mittel der Selbst- und der Wirklichkeitsinszenierung und verfolgt das Ziel, die eigenen Handlungen oder die Handlungen anderer in eine Sichtweise einzubetten, die der Legitimation dieser Handlungen dient (vgl. Fludernik 1996: 75). So ist aus der Sicht eines vernehmenden Beamten das Geständnis von Susan Smith, die 1994 ihre Kinder in einem See ertränkte, in diesem Sinne nicht wohlgeformt, weil es weder das Verbrechen, das sie begangen hat, als eine aktive Handlung erzählt, noch sie selbst als planend und zielorientiert beschreibt. Aus ihrer Sicht ist das Geständnis aber möglicherweise wohlgeformt, weil es ihre Handlungen als fast unausweichliches Ergebnis im Kontext einer größeren Leidensgeschichte deutet und damit ihre Verantwortung relativiert. 9 Ist also die Rede von einer ‚guten‘ Zeugenaussage oder einem ,guten‘ Ge s tändnis, sind daran Kriterien der Wohlgeformtheit angelegt, die dazu dienen sollen, für die ermittelnden Beamten oder das Gericht eine im Idealfall lückenlose Rekonstruktion der relevanten Geschehnisse möglich zu machen. Genau dieses erreicht eine Erzählstruktur, wie sie die von Olsson (2004: 123) genannten Kriterien produzieren sollten. Er unterteilt nach 1. Zeit (die Ereignisse finden in der betreffenden Zeitspanne statt und weisen keine Lücken auf), 2. Ort und Personen (wichtige Orte und Personen werden in der Reihenfolge ihres Erscheinens eingeführt), 3. Sequenz (Ereignisse werden in der Reihenfolge ihres Geschehens geschildert), 4. Beschreibungen sind nicht übermäßig detailreich, 5. Erzählzeit (die Tempuswahl ist einheitlich). Auf den ersten Blick führen diese Kriterien zu einer negativen Bewertung von narrativen Elementen, die diesem Anspruch nicht zu genügen scheinen, wie z.B. die unge- Olsson (2004) bietet eine ausführliche Analyse des Geständnisses von Susan Smith. Das Ge s tändnis ist z.B. unter http: / / www.thetext.co.uk/ cgi-bin/ view_texts.pl abgedruckt. <16.03.2011>. <?page no="207"?> 6.3 Der linguistische Ansatz 207 ordnete Präsentation der Ereignisse, die aber als Glaubwürdigkeitsmerkmal im Rahmen der CBCA gilt. So ist auch das Hin- und Herspringen zwischen unterschiedlichen Erzählzeiten (Präteritum, historisches Präsens) ein Kennzeichen von Alltagserzählungen vieler Menschen. Daher kann eine einheitliche Erzählzeit für die glaubhafte Wiedergabe von kritischen Ereignissen kaum ein signifikantes Merkmal sein (Shuy 1998: 106). Die unterschiedliche Bewertung von narrativen Strukturmerkmalen hängt möglicherweise auch damit zusammen, dass die CBCA Narrationen des Alltags analysiert, in denen das Geschehen noch nicht nach juristischen Gesichtspunkten geordnet ist. Olsson hingegen hat schriftliche Zeugenaussagen im Blick, in denen „durch gezielte Auswahl bestimmter, professionell als relevant eingeschätzter Daten [...] ein immanenter Sinn der rechtsinstitutionellen Erzählung hergestellt wird“ (Imm 1991: 21). ? ? ? O # Jede Erzählung besteht also aus einer einleitenden Sequenz (der Exposition), einem Mittelteil (dem Ereignis, seinem Erleben und seiner Bewertung) und einem Schluss (der Coda). In der Einleitung werden für die Situation, in der das zu Erzählende von Bedeutung ist, Vorinformationen gegeben, um das eigentliche Ereignis einzubetten. Im Zusammenhang mit Vernehmungen wird dies die Frage nach der Beteiligung der Person an dem betreffenden Sachverhalt sein, so dass der Zeuge oder der Verdächtige in die Situation einführt und kurz erläutert, was ihn dorthin gebracht hat. Im Hauptteil wird das eigentliche Ereignis geschildert und in einem Epilog der Schluss der Erzählung markiert. Im Kontext der Schilderung einer Straftat oder eines Unfalls ist dies dann meist der Zeitraum, nachdem Polizei, Feuerwehr oder Krankenwagen eingetroffen sind. In ihrer Studie stellten Adams/ Jarvis (2006) fest, dass diese Elemente der Erzählung in authentischen Erzählungen bzw. Aussagen ausgewogen sind, d.h. eine kurze Exposition und eine kurze Coda gleicher Länge umrahmen einen ausführlichen Mittelteil. Werden diese Verhältnisse verletzt, so ergibt sich in der Struktur der Erzählung eine Unausgewogenheit, die als ein Merkmal von Inkonsistenz der Erzählung gewertet werden kann. Inkonsistenzen bestehen also nicht nur auf der Satzebene, sondern auch auf der Ebene der gesamten Textstruktur. Hinsichtlich der Aussagekraft der Abweichungen haben Adams/ Jarvis (2006) festgestellt, dass es vor allem die Länge des Prologs bzw. der Exposition ist, die markant ist. Nicht gleichzusetzen ist die Struktur der Erzählung mit ihrer Präsentation. Als ein sehr gut belegtes Kriterium von Erlebnisbasiertheit im Rahmen der CBCA gilt die ungeordnete Präsentation der Aussage, wohingegen eine chronologische Darstellung der Ereignisse nicht als zwingend glaubwürdig gilt. Die Ungeordnetheit der Präsentation hat zum einen etwas mit dem Medium der Wiedergabe zu tun, zum anderen damit, dass das Geschehen aus der Erinnerung abgerufen wird und diese Erinnerung nicht chronologisch geordnet ist. Bei Unterschieden zwischen mündlicher und schriftlicher Aussage könnte zum einen eine Rolle spielen, dass eine mündliche Aussage, in der das Erlebte versprachlicht wurde (die im Idealfall ungeordnet ist) meist zuerst erfolgt ist, <?page no="208"?> 6 Inhalt 208 wogegen die schriftliche Aussage bereits das Ergebnis einer Reflexion ist. Zum anderen kann der Betreffende die Ereignisse vor der Niederschrift im Geiste ordnen und er hat im Sinne eines besseren Textmusterwissens möglicherweise eine explizitere Vorstellung davon, was es bedeutet, eine schriftliche Aussage zu machen. Wenn der chronologische Aufbau generell ein unterscheidendes Merkmal der unterschiedlichen medialen Präsentationsformen ist, könnte man Olsson zustimmen, dass dann die chronologische Abfolge ein Merkmal der Wohlgeformtheit schriftlicher Aussagen darstellt. Ein weiteres textstrukturelles Merkmal einer idealen Aussage ist die Konzentration auf den Handlungsablauf, wie er vollzogen oder erlebt wurde. Innenansichten und Überlegungen des Erzählers, wie sie in literarischen Erzählungen zu finden sind, bewertet Olsson kritisch. Er weist darauf hin, dass Innensichten und Überlegungen in schriftlichen Aussagen eine Entfernung vom Fokus darstellen, dadurch die Wohlgeformtheit beeinträchtigen und daher bezüglich der Glaubwürdigkeit mit Zurückhaltung zu sehen seien. Auch hier finden wir erneut Abweichungen in der Bewertung der Kriterien, denn im Rahmen der CBCA gelten Schilderungen von Gefühlen oder von Überlegungen als Glaubwürdigkeitsmerkmale. Dies passt mit der erzähltheoretischen Auffassung zusammen, dass Erzähltes immer auch Aspekte der Bewältigung und der Interpretation durch den Erzähler enthält und gerade dadurch seinen narrativen Wert erst erhält. Adams/ Jarvis (2006) bestätigen in ihrer Auswertung schriftlicher Aussagen diese Auffassung empirisch, da sie feststellen konnten, dass es eine leicht positive Tendenz für eine Korrelation von Gefühlsbeschreibungen im Epilog mit der Erlebnisbasiertheit der Aussage gibt. Analog zur schriftlichen Aussage kommt Olsson (2004) auch für die mündliche Aussage zu der Einschätzung, dass eine klare, knappe und präzise Darstellung eines Geschehens durch einen Zeugen oder den Verdächtigen Kooperation signalisiert. Dies erscheint zunächst einleuchtend, doch sollte man berücksichtigen, dass jede Aussage der Selbstpräsentation dient und zugleich Glaubwürdigkeitsstereotype bedienen kann, ohne damit automatisch auf der Wahrheit zu fußen. Entsprechend gut kann diese Vorstellung von Wohlgeformtheit bei mündlichen Aussagen z.B. im Rahmen der Befragung vor Gericht instrumentalisiert werden. Fragt der Anwalt den Zeugen mit offenen Fragen, so gibt er ihm Raum zur Antwort, so dass der Eindruck des guten kooperativen Zeugen entsteht; führt er die Befragung mit geschlossenen Fragen durch, kann er damit den Zeugen an ausführlicheren Antworten hindern und den Eindruck der Kooperation des Zeugen beschädigen (Harris 2001, Holly 2001). ? ? ? | X' Ein weiteres strukturelles Kriterium ist der Detailreichtum einer Erzählung. In dem Satz Die Krankenschwester kam herein und begrüßte uns gilt jede der Phrasen als Detail. Zugleich verbinden diese Details das Ereignis räumlich (Betreten des Zimmers) und zeitlich (Eintreten, Begrüßen) mit Personen (Krankenschwester, Gruppe von Patienten, ‚uns‘ ). Als überflüssiges Detail muss im folgenden Satz die Phrase topped with a lemon gelten (Olsson 2004: 139): <?page no="209"?> 6.3 Der linguistische Ansatz 209 [] > ' = \ j ] " ' > " )) ! \ > ' ] #? Der überflüssige Charakter dieses Details ergibt sich aus der übrigen Beschreibung der Situation. Topped with a lemon lässt sich aus dem Schemawissen ableiten und hat daher nur begrenzte Aussagekraft, denn Wasser, das man in einem Lokal in einem Glas bekommt, enthält häufig eine Zitronenscheibe. Detailreichtum ist also nicht mit der Beschreibung von Situationen oder Objekten mit möglichst vielen Attributen zu verwechseln. 6 ! ! ><' ' ' & X' X' X' ' > \ ) ' * > '< ? ~ ' # _ X' >$ ) ' ! > X'? X' X' > & # \ % = % X' " ? X' X# # X' ~ < " >\ % X' X' Q
QX' ' & ? | % X' " < # X' > \ * ' = # \ > \ = _ ? X' > \ " ' " $ [ # \ X' X' > ' ? $ " ' < & ' ! > " Q& QX# X' = \ X' X' _ \ X' ^ X' " ? ' & <' >
QX' `<X#X' ? | <' " X'^ & ' j = X' = ' ? X' X' & \ $ " ' \ X' ) ' >Q' X' ' & X' ' & \ Q& QX# X' = " ? | ) ' >Q' > = \ " X' = X' ? ? " & ' ? ) X' " >< \ " X' & ? 1. Bestimmen Sie Einleitung, Hauptteil (die Schilderung des Brandes und der damit verknüpften Handlungen) und Schluss. Vergleichen Sie deren Umfang relativ zum gesamten Text. Was stellen Sie fest? 2. Eine Hypothese im Rahmen des reality monitoring lautet, dass Erlebtes durch Sinneseindrücke im Gedächtnis verankert wird und mit entsprechenden Verben, Adjektiven oder Substantiven wiedergegeben wird. Finden Sie solche Lexeme im Text? Adams/ Jarvis (2006), Olsson (2004), Johnson/ Raye (1981). <?page no="210"?> 6 Inhalt 210 : Q R ! 4; Bestimmen Sie in dem genannten Beispiel (Kapitel 6.3.1) die fünf Schritte einer Alltagserzählung. Welchen Schritt diskutieren die beiden Männer? Edwards (2004). 3 # . Die Entscheidung für oder gegen einen bestimmten sprachlichen Ausdruck (die Wortwahl) unterliegt unterschiedlichen Bedingungen, die nicht alle dem Bewusstsein zugänglich sind und auch unterschiedlich restriktiv sind. Voraussetzung für eine Entscheidung ist zudem, dass, ähnlich wie bei der Wahl stilistischer Mittel, überhaupt die Möglichkeit einer Alternative gegeben ist. Die Pronomenwahl im Rahmen der Textdeixis beispielsweise ist durch grammatische Regeln determiniert; die der Referenz auf bestimmte Objekte oder Sachverhalte durch die Situation, in der referiert wird, durch das gemeinsam geteilte Rahmenwissen und die Beziehung der Gesprächspartner zueinander. Neben eher funktional bestimmten Elementen wie Negationsformen oder Pronomen werden aus psychologischer Sicht auch Autosemantika aufgrund ihrer lexikalischen Bedeutung im Kontext sprachlicher Täuschung als aussagekräftig angesehen. Newman/ Pennebaker et al. (2003) führen sog. negative Wörter wie Hass oder traurig an, deren lexikalische Bedeutung ein negatives Element enthält. Ein anderes Beispiel sind Verben. Olsson (2004) bspw. merkt an, dass fingierte Aussagen seiner Erfahrung nach mehr Bewegungsverben enthalten als nicht fingierte. Newman et al. begründen dies vor dem Hintergrund der cognitive load-Hypothese mit einer geringeren kognitiven Komplexität solcher Verben, weil sie konkret sind und daher kognitiv leichter auf sie zugegriffen werden könne. Dies bewirke eine Entlastung des Lügners, dessen kognitive Kapazitäten u.a. durch die Kontrolle seines Verhaltens gebunden sind. Semin und Fiedler (1988) haben hingegen in einer Studie festgestellt, dass deskriptive Verben eben aufgrund dieser Konkretheit glaubwürdiger wirken als die Beschreibung einer Person über interpretative Verben, Zustandsverben oder die Zuweisung von Prädikaten, vgl. Peter stützte die alte Dame vs. Peter half der alten Dame vs. Peter fühlt mit der alten Dame mit vs. Peter war sozial. Diese vier Wortklassen zeichnen sich durch einen zunehmenden Grad an Abstraktheit aus und konstituieren das von Fiedler und Semin entwickelte linguistische Kategorienmodell. Der Gebrauch von deskriptiven Verben bedeutet allerdings nur, dass die Aussage glaubwürdiger wirkt, nicht dass sie es ist. Schmid (2005) schätzt den Glaubwürdigkeitsgrad von deskriptiven Verben deshalb als hoch ein, weil sie konkret sind und einen Erlebnisbezug implizieren. Für ein Verhör bzw. eine Befragung im Rahmen einer Verhandlung kann dies vorteilhaft sein oder auch zu Nachteilen führen. Da in Gesprächen Handlungs- und Zustandsverben einander abwechseln bzw. aufeinander folgen, kann eine entsprechende Gesprächsführung durch den Anwalt den Zeugen oder den Angeklagten in ein unglaubwürdigeres Licht rücken, weil er auf eine Frage wie Warum haben Sie das getan? , <?page no="211"?> 6.3 Der linguistische Ansatz 211 die ein Handlungdverb enthält, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit mit einem Zustandsverb antworten wird, das einen höheren Abstraktheitsgrad aufweist, nicht intersubjektiv nachprüfbar ist und daher als weniger glaubwürdig erscheint (vgl. Schmid 2005). Tab. 2: Die Wortklassen des linguistischen Kategorien-Modells (Schmid 2005) Aus der An- oder Abwesenheit deskriptiver Verben allein kann folglich keine Glaubwürdigkeit abgeleitet werden. Eine Studie von Sporer et al. (2003) hat dementsprechend keine Unterschiede im Vorkommen einzelner Verbklassen bei erfundenen und erlebnisbasierten Erzählungen feststellen können. Unter Einbeziehung von Realkennzeichen der CBCA hat sich nur ein insgesamt geringerer Abstraktheitsgrad der erlebnisbasierten Erzählungen nachweisen lassen, der insofern die theoretischen Grundannahmen des linguistischen Kategorien-Modells bestätigt. 3 # # $ & Als grundlegendes Merkmal einer glaubwürdigen Erzählung gilt die Einbettung der Handlung in Raum und Zeit und ihre Verknüpfung mit anderen Personen. Dazu verwendet der Sprecher Kohärenz- und Kohäsionsmittel. Wichtige Kohäsionsmittel sind Wiederaufnahmen durch Pronomina, Substitutionen oder Rekurrenzen. Psychologische Studien integrieren regelmäßig die Pronomenverwendung in ihren Katalog der zu prüfenden Merkmale. Sie differenzieren hier nach der Verwendung von Possessiva der 1. Person und nach der Verwendung des Personalpronomens ich. Gelegentlich werden beide Aspekte unter dem Begriff der Selbstreferenz zusammengefasst. Mit diesem Bereich eng verbunden ist auch die Frage danach, wie ein Element in den Text eingeführt wird und wie seine Wiederaufnahme erfolgt. Diese sprachlichen Mittel dienen zunächst dazu, auf außersprachliche Sachverhalte zu referieren, um dann nach deren Einführung in den Diskurs innerhalb des Textes bzw. zwischen Texten auf sie zu verweisen. Die Art und Weise, wie referiert wird, sagt zugleich etwas über die Bewertung der betreffenden Dinge durch den Sprecher aus. | # ! = _ = & ! = _ = & = & j # = & Q " > > ' > = ! " # $ ' >Q' >Q X' % & = < X' ! % ! <?page no="212"?> 6 Inhalt 212 Der Hörer seinerseits kann die Vorannahmen des Sprechers aus dessen Pronomenwahl ableiten. So wird z.B. ein für den Hörer unbestimmter Referent zunächst vom Sprecher mit ein eingeführt und dann, wenn er durch seine Einführung als bekannt und bestimmt gelten kann, mit der wieder aufgenommen. Der Hörer schließt aus der Artikelverwendung mit ein, dass er den Referenten nicht kennt, oder aus der Verwendung von irgendein, dass auch der Sprecher den Referenten nicht identifizieren kann. Normalerweise führt jemand, der ein Erlebnis wiedergibt, für den Hörer unbekannte Personen zunächst indefinit ein oder, wenn er mehr über sie sagen kann, mit deren Namen oder einer Beschreibung, die sie für die weitere Erzählung für Hörer wie Sprecher definiert und identifizierbar macht. Die Nominalphrase Louise, meine Frau z.B. besitzt mit Louise den Referenzausdruck und mit der Apposition meine Frau eine Beschreibung. Man kann davon ausgehen, dass im Laufe der Erzählung entweder die Beschreibung oder der Name im Wechsel mit dem Personalpronomen wiederaufgenommen wird. Adams (1996) führt in diesem Zusammenhang den Fall an, dass ein Mann, der verdächtig ist, seine Frau erschossen zu haben, in seiner Aussage zum Tathergang zunächst stets von meine Frau spricht und ihren Namen nicht nennt. Damit definiert der Mann für seine Zuhörer den Referenten (die Frau) über seine Beziehung zu ihm. Erst im unmittelbaren Kontext der Beschreibung der Tat, nämlich, als sich der Schuss löst und die Frau trifft, nennt er sie Louise. Adams argumentiert nun, der Mann habe sich von seiner Frau distanzieren wollen und daher auf sie nicht mehr mit meine Frau referiert - sie sei zu Louise geworden. Dem Hörer bleibt in der Tat am entscheidenden Punkt der Erzählung die Schlussfolgerung überlassen, dass Louise identisch mit seiner Frau ist, da zu diesem Zeitpunkt keine andere weibliche Person in die Erzählung eingeführt ist, die Louise sein könnte. Welche Kriterien für die Verwendung der Artikel oder gewisser Pronomen in bestimmten Kontexten gelten und mit welchen sprachlichen Mitteln man darüber hinaus referieren kann, beschreibt die Referenzsemantik bzw. die Pragmatik. Um also Abweichungen in der Referenz eines Sprechers erkennen zu können, ist es notwendig, die regelhafte Verwendung und die ihr zugrundeliegenden Präsuppositionen zu kennen und beschreiben zu können. Für das genannte Beispiel wäre zu klären, ob der Eigenname eine geeignete Form der Wiederaufnahme einer definiten Kennzeichnung darstellt analog zur Wiederaufnahme durch Pronomen, oder ob die Wahl der Kennzeichnung als referentieller Ausdruck gegenüber dem Eigennamen eine kommunikative Entscheidung darstellt, die nicht mehr rückgängig gemacht bzw. die nicht beliebig variiert werden kann. Schließlich wäre zu bestimmen, welche situativ-pragmatischen oder normativ verankerten Kriterien die Entscheidung beeinflussen. 10 Auf dieser Basis ließe sich dann bestimmen, ob eine Abweichung in der Referenz tatsächlich Signalcharakter besitzt. 10 Shuy (1998: 106) weist z.B. darauf hin, dass Sprecher an diesen Punkten u.U. auch einer stilistischen Norm folgen, die sie in der Schule verinnerlicht haben, und die lautet, dass sie die jeweilige Bezugnahme sprachlich variieren sollten. <?page no="213"?> 6.3 Der linguistische Ansatz 213 Ein ähnliches Beispiel zitieren Olsson (2004) und Coulthard (1992). Es handelt sich um die Aussage von Derek Bentley, der 1952 in England zum Tode verurteilt wurde, nachdem bei einem Einbruch, den er mit seinem Komplizen Christopher Craig verübt hatte, ein Polizist erschossen worden war. Während der minderjährige Craig nur eine Gefängnisstrafe verbüßen musste, wurde Bentley durch den Strang hingerichtet, obwohl bis zum Schluss nicht geklärt werden konnte, aus wessen Waffe die Kugel stammte. 11 Da Bentley als geistig zurückgeblieben galt und selbst nicht schreiben konnte, ist seine Zeugenaussage vor allem in Hinblick auf ihre Genese interessant. Olsson weist auf folgende Abweichung hin: In der relativ kurzen Zeugenaussage referiert Bentley auf seinen engen Freund einmal mit der Kurzform des Vornamens, einmal mit dem Nachnamen und auch mit einer Kombination aus beidem: als Craig, dann als Chris Craig und schließlich als Chris. Da die Namenverwendung nicht nur Kennzeichen des Grades an Vertrautheit zwischen den Personen ist, sondern mit einem Namensbestandteil der Referent schon definit eingeführt ist, wirkt diese unterschiedliche Wahl irritierend. Zu erwarten gewesen wäre, dass Bentley sich für eine Art der Referenz entscheidet und diese dann beibehält. Coulthard wertet diese Abweichung als deutliche Inkonsistenz und als Verletzung der Maxime der Quantität (sowie der Modalität, weil die unterschiedliche Namenwahl den Vertrautheitsgrad von Bentley und Craig nicht eindeutig festlegt). Da Verstöße gegen Maximen, auch wenn sie offensichtlich sind, vom Kommunikationsteilnehmer auf einer Metaebene als sinnvoll interpretiert werden, stellt sich hier die Frage, worin diese Metaebene besteht. Coulthard kommt zu dem Ergebnis, dass die unterschiedlichen Referenzformen nicht von Bentley geäußert wurden, sondern Teil der Fragen der vernehmenden Beamten sind, die gemeinsam mit den Antworten Bentleys in das Vernehmungsprotokoll eingegangen sind. 3 # * Auch der Pronomengebrauch kann in diesem Zusammenhang betrachtet werden. Ist z.B. von einem Ehepaar die Rede, so ist zu erwarten, dass der Sprecher von wir spricht, wenn er sich und seine Frau als Einheit begreift. Das Personalpronomen wir ordnet den Sprecher einer anderen Person oder einer Gruppe von Personen zu, die zur Sphäre des Sprechers gehört. Referieren Partner auf sich und einander ausschließlich als ich und meine Frau/ mein Mann oder - wie im Fall Susan Smiths - auf sich und die Kinder als ich und meine Kinder, dann verweist der Sprecher zwar mit dem Possessivpronomen auf die enge Beziehung, nicht aber auf die Zugehörigkeit zu seiner Sphäre. Die Gründe dafür können unterschiedlich sein. Auch hier bedeutet diese Abweichung nicht, dass die Person lügt. In anderen Fällen wirkt hingegen das wir nicht angemessen, nämlich dann, wenn davon auszugehen ist, dass Opfer und Täter sich nicht kennen. Hier würde man die 11 Der Fall wurde als Let him have it! (zu deutsch: Gib’s ihm, Chris! ) mit Christopher Eccleston in der Rolle des Bentley 1991 von Peter Medak verfilmt. <?page no="214"?> 6 Inhalt 214 Trennung in er und ich erwarten, in der auch deiktisch kenntlich gemacht wird, dass der Täter nicht zum Bereich des ich gehört. Mit wir zu referieren zeigt, dass der Sprecher für sich und den anderen spricht, und legt nahe, dass es eine Beziehung zu der Person gibt, was, so Adams (1996), wiederum implizieren kann, dass der Täter dem Opfer (hier dem Sprecher) bekannt ist. Die erste Person Singular weist dem Sprecher die Sprecherrolle in einer Gesprächssituation zu und verbindet die Person des Sprechers direkt mit dem von ihm Erzählten. Sie macht ihm zum Eigner der Geschichte. Eine früh formulierte Hypothese von Knapp/ Hart/ Dennis (1974) hinsichtlich der Bedeutung von ich in wahren oder erfundenen Erlebnissen ist die, dass Personen, die über etwas berichten, das sie selbst nicht erlebt, sondern sich nur ausgedacht haben, versuchen, sich in irgendeiner Form von dem Erzählten zu trennen bzw. zu distanzieren. Diese Annahme hat sich in mehreren Studien insofern bestätigt, als in erfundenen Geschichten das Pronomen ich weniger häufig vorkommt als in echten. Stattdessen werden häufiger unpersönliche Wendungen gewählt oder alternatives du gesetzt. Bei der Nacherzählung fremder Geschichten kann dieses Merkmal deutlich an Trennschärfe verlieren (Steck/ Hermanutz/ Lafrenz et al. 2010). Auch stellt sich die Frage, ob es nicht auch andere Gründe für eine innere Distanzierung geben kann, möglicherweise, weil Aspekte des Erlebten zu schmerzhaft für die Person sind und sie daher bestrebt ist, in der Erzählung eine andere Perspektive einzunehmen. Schließlich gibt es Fälle, in denen zweifelhaft ist, ob Pronomina wie du überhaupt eine deiktische Funktion besitzen. Ein Beispiel von Adams (1996), in dem eine Studentin aussagt, mitten in der Nacht von einem Mann bedroht und vergewaltigt worden zu sein, zeigt die mehrmalige Verwendung von you know. Neben anderen Auffälligkeiten wirkt der mehrfache Verweis mit you know auf das Wissen des Hörers irritierend, da der Hörer von dem Geschehen nichts wissen kann. Der Text erweckt den Eindruck, das Gegenüber solle die Lücken im Text füllen. _ && ' # > ] ' ? "' " # ! " \ " ] ! ¥ # " "' " \ # > 4 " X # > "' " # ! \ Q \ Q " ' \ ' \ ' # ! ' ! ' # > X > ' # > ? Möglich ist aber auch, dass die Person you know generell hochfrequent als Diskurspartikel verwendet, der einerseits der Verstehenssicherung dient und andererseits Pausen im Erzählfluss füllt. Dies würde den deiktischen Wert des you know relativieren, hätte aber dann im Zusammenhang mit dem verbalen Verhalten insgesamt einen möglichen Aussagewert: Die Verwendung als Pausenfüller wäre ein Zeichen für die kognitive Beanspruchung der Person, denn die Wiederaufnahme des startled, der Pausenfüller you know und die dreifache Wiederholung des he zeigen, dass die Erzählung an dieser Stelle stockt, bis sie sich dann auflöst in den detailreichen und relativ <?page no="215"?> 6.3 Der linguistische Ansatz 215 langen zusammenhängenden Satz kept telling me to shut up and he asked me if I could feel the knife. Die Auslassung eines Pronomens bewertet Olsson analog zur geringeren Gebrauchsfrequenz von Selbstreferenzen in erlogenen Geschichten als ein potentielles Lügenmerkmal. Dies betrifft vorrangig die Auslassung des Pronomens in Subjektsfunktion in Sprachen, die es zur Bildung eines grammatisch wohlgeformten Satzes eigentlich verlangen. Olsson nennt hier ein Beispiel: In einer Vernehmung, in der es um den Mord in einer Pizzeria geht, antwortet der Zeuge auf die Frage, was der Tatverdächtige dann gemacht habe (What did he then? ), mit Went in anstelle von He went in. Damit zeige er an, dass er die Aussage nicht als seine eigene kennzeichnen wolle. Die geringe Tragfähigkeit dieses Kriteriums sprechen Newman/ Pennebaker et al. (2003) an, wenn sie darauf verweisen, dass es Sprachen gibt, in denen das Personalpronomen dem Verb inhärent ist. Eine sprachlich kodierte Distanzierung der eigenen Person vom Gesagten wäre in solchen Sprachen in dieser Form nicht möglich. Zu bedenken ist auch, dass im Kontext mündlicher Kommunikation vieles sprachlich nicht realisiert werden muss, was grammatisch möglich und üblich ist, da die Verständlichkeit durch die Situation gewährleistet ist. Zu den Selbstreferenzen gehören auch Possessivpronomina in der ersten Person, die eine enge Beziehung zum betreffenden Objekt herstellen. Die Beziehung kann Besitz oder Zugehörigkeit ausdrücken. Ein prominentes Beispiel sind hier Fälle, in denen am entscheidenden Punkt der Erzählung auf die Tatwaffe oder das Instrument nicht mehr mit mein Auto, mein Gewehr referiert wird, sondern mit dem definiten Artikel, der den Referenten zwar identifiziert, aber nicht mehr in Relation zum Besitzer beschreibt. Derartige Brüche in der Referenz sind in der Tat augenfällig, aber es ist zu bedenken, dass die Verbindung mit einem Possessivpronomen in bestimmten Kontexten idiomatisiert sein kann. Damit eine solche Veränderung in der Bezugnahme Aussagekraft besitzt, muss zuvor geklärt werden, welche Objekte (Personen, Körperteile, Gegenstände) in welchen Verwendungsweisen welches Artikelwort fordern und inwiefern es wirklich Wahlfreiheit gibt. In der Konsequenz sind hier Abweichungen nicht möglich, so dass weder die Anwesenheit eines definiten Artikels noch die von Pronomina eine Signifikanz hat. 3 # 2 . ! 0 ( ! M 1 Wie bereits im Zusammenhang mit den sprachlichen Varianten von Lügen erwähnt wurde, lassen sich auf der Basis der Konversationsmaximen nach Grice die jeweiligen Lügenausprägungen gut beschreiben. Anders als McCornack, der die Äußerungen in ihrer Gesamtheit betrachtet, stellt Coulthard auch einzelne sprachliche Merkmale in diesen Kontext und zeigt, wie sich aus ihrem Gebrauch Inkonsequenzen ergeben, die als Maximenverstöße gelesen werden können. Allerdings setzt eine erfolgreiche Kommunikation die Gültigkeit des Kooperationsprinzips und die Befolgung der Konversationsmaximen durch die Gesprächsteilnehmer schon voraus, so dass eine Maxi- <?page no="216"?> 6 Inhalt 216 menverletzung nur scheinbar gegeben ist - „auf einer tieferen Ebene“ (Levinson 2000: 113) wird die Maxime befolgt. Coulthard (1992) hat sich vor allem der Verletzung der Maxime der Quantität (mache deinen Redebeitrag so informativ wie nötig) gewidmet und scheinbare Maximenverletzungen am Beispiel von Vernehmungsprotokollen herausgearbeitet. Mit ihrer Hilfe zeigt er, dass die Vernehmungsprotokolle keine unmittelbaren Wiedergaben der Aussagen der Verdächtigen darstellen (wie später im Prozess unterstellt wurde), sondern dass in die Protokolltexte an zahlreichen Stellen die Fragen der Beamten mit eingeflossen waren. In jeder Gesprächssituation - so auch in der Situation einer Vernehmung - entwickeln Sprecher und Hörer ein gemeinsames Wissen. Dies schlägt sich sprachlich darin nieder, dass gemäß der Maxime der Quantität nicht mehr gesagt wird als nötig, um auf dieses Wissen zu verweisen. Wenn z.B. beiden bekannt ist, dass sich Person A am Fuß verletzt hat, dann wird keiner von beiden darauf so referieren, als handele es sich um eine Neuigkeit, sondern A wird vielleicht mit der Phrase wegen meinem Fuß darauf Bezug nehmen. Wenn aber in einer Vernehmung der Beamte den Verdächtigen fragt: Sie sprechen über Ihren verletzten Fuß? , obwohl der Beamte den Zustand des Fußes zu diesem Zeitpunkt kennt, so scheint hier die Maxime der Quantität verletzt. Gehen beide Gesprächspartner davon aus, dass das Kooperationsprinzip gilt, so muss es für das Verhalten des Beamten einen Grund geben. Ein Vernehmungsprotokoll dient dazu, rechtliche relevante Gegenstände des Gesprächs für ein weiteres Publikum (die Prozessbeteiligten) aufzubereiten, welches eben nicht über das gemeinsam geteilte Wissen der Personen in der Vernehmungssituation verfügt, sondern in dieses Wissen erst eingeführt werden muss. Dem folgt auch der Beamte, indem er seine Frage erkennbar explizit formuliert. Hätte er gefragt, Was soll das heißen, ‚wegen meinem Fuß‘? , hätte er das fehlende Wissen erfragt; durch seine Frage nach dem verletzten Fuß macht er aber nicht fehlendes Wissen, sondern gemeinsam geteiltes Wissen explizit - für ein unwissendes Publikum. Entsprechend lässt sich auch die sprachliche Wiederaufnahme bereits erwähnter Dinge deuten, wenn sie demselben Ziel dient, Wissen explizit zu machen. Coulthard illustriert dies an einem Abschnitt eines anderen Vernehmungsprotokolls. In diesem Abschnitt referieren der vernehmende Beamte und der Verdächtige mehrmals mit X was carrying two white plastic carrier bags oder wenigstens mit his white plastic (carrier) bags auf bereits eingeführte Plastiktüten. Nach der Einführung der betreffenden Tüten wäre eine Wiederaufnahme durch bags und durch they zu erwarten gewesen. Stattdessen wird wiederholt mit mehreren Attributen auf die schon als bekannt vorauszusetzenden Taschen referiert. Im Gegensatz zum Protokoll zeigt der Wortlaut der aufgezeichneten mündlichen Vernehmung keine derartige Abweichung, hier kommen die Eigenschaften der Taschen erst auf Nachfragen zur Sprache: Auf die Frage Was für Taschen? , antwortet der Zeuge Sie waren weiß, ich glaube, es waren Plastiktüten. Obwohl der vernehmende Beamte auf der langen Version von drei weiße Plastiktüten beharrt, nimmt der Antwortende diese nie in der vollen Form auf, sondern referiert auf sie als Plastiktüten, als Tüten und als sie (Coulthard 1992: 250f.). <?page no="217"?> 6.3 Der linguistische Ansatz 217 3 # 3 A Auch für dieses Merkmal verweisen Coulthard (1992) und Coulthard/ Johnson (2010) auf Grice. Negation ist eine markierte Wahl. Da der überwiegende Teil der von uns produzierten Sätze positiv formuliert ist, gilt ‚positiv‘ als unmarkiert. Negierende Elemente werden dort gesetzt, wo der Hörer in den Augen des Sprechers Gegenteiliges erwarten sollte. Um dies zu korrigieren, wird die Negation gewählt. In dem von Coulthard/ Johnson (2010: 174f.) behandelten Text, der Aussage von Bentley, erscheinen nach und nach immer mehr Negationen. Für eine Erzählung ist es relevant, wiederzugeben, was passiert ist, nicht, was nicht passiert ist. Negative Sätze, die Fakten betreffen, verletzen damit die Wohlgeformtheit der Erzählung und werden als Inkonsistenzen gedeutet. Coulthard kommt zu dem Ergebnis, dass die zahlreichen negativen Einschübe wie bis dahin hatte Chris nichts gesagt, Ich hatte kein Gewehr, es war niemand auf dem Dach Antworten auf Nachfragen der vernehmenden Beamten sind, die in das Vernehmungsprotokoll als Teil der Erzählung von Bentley eingegangen sind. Olsson greift diese Problematik nicht auf, er sieht diese spontanen Negationen als Vorbereitung des Erzählenden darauf, dass er weder wusste, dass ein Gewehr benutzt werden würde, noch dass es überhaupt ein Gewehr gab. Diese unterschiedliche Bewertung desselben Textes zeigt wieder mit aller Deutlichkeit, dass zunächst immer geklärt werden muss, wie der zu analysierende Text zustande gekommen ist. Ist der Text tatsächlich von einer einzigen Person verfasst worden oder nicht? Sobald die Möglichkeit besteht, dass ein zweiter Autor an dem Text beteiligt sein könnte, sind alle Irregularitäten des Textes zunächst daraufhin zu prüfen und erst anschließend in Bezug auf den angeblichen Autor. Was beide Analysen zeigen, ist die Inkonsistenz des Textes, deren Interpretation hingegen divergiert. Natürlich ändert sich nichts an der Schuld des Verdächtigen, wenn er bei den negierten Antworten gelogen hat, aber es ist ein Unterschied, ob wir über die Manipulation eines Textes sprechen oder über eine zweckgebundene, die eigene Unschuld betonende Erzählstrategie einer verdächtigen Person. Beide Deutungen lassen sich von Außenstehenden vorschnell und verkürzt gerne auch als Argumente für oder gegen den Verdächtigen lesen. Jede für sich ist zulässig, aber eben nur dann, wenn die Genese des Textes zweifelsfrei bekannt ist. Eine weitere Unterscheidung ist die nach schwacher und starker Negation. Als stark gelten Prädikatsnegationen mit einem weiten Skopus, da sie die Aussage des ganzen Satzes negieren, als schwach andere Negationen, da sie nur eine Konstituente negieren. Ähnlich verhält es sich mit komplexen Sätzen, deren übergeordneter Satz eine Prädikatsnegation enthält. Die Negation kann dann wie in I don’t know that Ben came die Präsupposition des Kommens von Ben als wahr aufheben, so dass über das Kommen Bens nichts gesagt ist (Levinson 2000: 204). <?page no="218"?> 6 Inhalt 218 6 Lesen Sie die folgende Zeugenaussage aus Würstl (2004). Wo finden Sie Hinweise darauf, dass der Text nicht von der Zeugin allein formuliert wurde, sondern dass Antworten auf Fragen des vernehmenden Beamten in den Text mit eingegangen sind? OO? [[? \ ? ? ' " X' & X' X' ! X' ? X' ) ' Q ^>> \ & # X' > = Q ? | ' & X' ' > ' \ X' ) ' Q ^>> ? X' ' & >\ QX# ) ' \ * > ' & ? X' & & X' X' X'& \ *? \ ' & ' = ? * *? " # ) ' Q ? Y& X' " _ OQ X# \ # X' X' ? *? X' X' _ ? \ " X' X' & _ " ' ? X' & & X' X' ` X' $ = ? X' ' & ? | j & X' & ' \ # X' X' = ? X' ' & X' # ` & _ & " ' X'& < ? [ ! < X' X' ? | ! ' & X' X' ? [ ) >Q' = ) ' = & $[ ` #! % X' *$ & & " " QX#? * ' ' & X' > #^ \ X' j & & X' ' ? X'& \ *? \ # X' & X' ? " X' X' # > ` & ' & ) ' Q & "? ) ' ? | ) " X' ) # [? " = X' ? | ) ! X' = [ \ OO? [[? ? ' " QX#? ) & # X' X' X' ? X' ^X' = > ' > " ? X' ' & ` # & X' $ & ? ! X' = X' & ? Coulthard (1992), Würstl (2004), Adams/ Jarvis (2006), Coulthard/ Johnson (2010). 3 # G < - 5 $ % ? % Die CBCA nennt als eine Gruppe ihrer Kriterien die sog. motivationsbezogenen Inhalte. Dies sind Inhalte, die sich auf einer Metaebene auf das Erzählte beziehen. Dazu gehören u.a. die sog. Selbsteinwände und die Erinnerungslücken. Das Eingestehen von Erinnerungslücken schlägt sich in Phrasen wie das weiß ich nicht mehr nieder, die Selbsteinwände zeigen sich u.a. in sog. Heckenausdrücken. Heckenausdrücke sind Phrasen, die den Inhalt einer Äußerung hinsichtlich seiner Repräsentativität bewerten, häufig indem sie ihn relativieren, wie z.B. die Ausdrücke irgendwie oder eine Art <?page no="219"?> 6.3 Der linguistische Ansatz 219 von. Heckenausdrücke können auch anzeigen, dass der Sprecher die Gültigkeit der eigenen Aussage einschränkt (equivocations). Er kann dazu den Satz durch ein Modalwort wie wahrscheinlich oder vermutlich ergänzen oder die fragliche Aussage in einen übergeordneten Satz einbetten, der ein nicht faktives Verb wie glauben, hoffen oder meinen enthält. Auch der epistemische Gebrauch von Modalverben wie in das muss später gewesen sein zählt dazu. Gerade das Kriterium des Eingestehens von Erinnerungslücken ist ein umstrittenes Kriterium. Im Rahmen der Glaubwürdigkeitsanalyse gilt es traditionell als Merkmal wahrer Aussagen. Im Zusammenhang mit der linguistischen Analyse von Texten wird hingegen von Olsson postuliert, dass Aussagen wie Ich kann mich nicht erinnern oder das weiß ich nicht mehr verdächtig wirken. Er argumentiert, dass diese Antworten als Ausweichmanöver auf die entsprechende Frage aufgefasst werden können bzw. als das Verschleiern von Informationen. Eine ältere Studie von Porter/ Yuille (1996) hatte ergeben, dass Lügner sehr viel seltener Erinnerungslücken zugeben als aufrichtige Zeugen, und bestätigte damit zum einen, was schon im Zusammenhang mit dem impression management gesagt wurde, zum anderen stützte es die Validität des Kriteriums im Rahmen der Glaubwürdigkeitsanalyse. Jüngere forensisch-psychologische Studien zu den motivationsbezogenen Kriterien neigen hingegen zur Skepsis, ob die Realkennzeichen dieses Bereichs tatsächlich aussagekräftig sind (vgl. Hermanutz/ Litzcke 2009, Steck/ Hermanutz/ Lafrenz et al. 2010). Wichtig ist jedoch, woran sich die Person nicht erinnert und wie lange das Ereignis zurückliegt. Sind es Details des Randgeschehens, der Ablauf eines gewöhnlichen Tages oder sind es kritische Elemente des eigentlichen Tathergangs? Sicher ist, dass Erlebtes mit einer hohen emotionalen Beteiligung länger und genauer erinnert wird als Dinge oder Situationen, die als irrelevant eingeschätzt werden, keine innere Beteiligung des Zeugen voraussetzen oder sich regelmäßig wiederholen. Ebenso fest steht, dass die Genauigkeit der Erinnerung mit den Jahren kontinuierlich abnimmt (Greuel et al. 1998). Hinzu kommt, dass beim Erinnern die Rekonstruktion von Wissen auf zwei unterschiedliche Arten erfolgt: Wer versucht, sich zu erinnern, erinnert sich gleichermaßen an faktisches Wissen, also an Bilder, Szenen, Geräusche, Worte, Gerüche, die er erlebt und wahrgenommen hat, wie er sich auf kognitivem Weg seine Erinnerung wieder erarbeitet. 12 Kognitiv erarbeitete Erinnerung schlägt sich auch sprachlich nieder, nämlich immer dann, wenn der Zeuge eine Aussage mit einem nicht-faktiven Verb einleitet, wie in ich glaube, das war da und da. In diesen Fällen hat er aus seiner Erinnerung - unter Zuhilfenahme und Abwägen anderer Erinnerungen und seines Schemawissens - eine Erinnerung rekonstruiert. Da dieses Verfahren auch für die Konstruktion fiktiver Erinnerungen verwendet wird, ist die skeptische Haltung Olssons nachvoll- 12 Vrij et al. (2001) nennen folgendes Beispiel: Jemand wird gefragt, ob er oder sie an einem bestimmten Tag auf der Autobahn schnell gefahren ist. Dann kann es der Fall sein, dass sich der Fahrer an den Blick auf den Tachostand und an den Tachostand selbst erinnert (der dann wahrscheinlich eingebettet wäre in eine ungewöhnliche Situation), oder er oder sie erinnert sich daran, viel und schnell auf der Autobahn gefahren zu sein. Daraus leitet die Person ab, dass sie auch an besagtem Tag schnell gefahren ist. <?page no="220"?> 6 Inhalt 220 ziehbar. Es muss aber an diesem Punkt betont werden, dass kognitiv erarbeitete Erinnerungen ebenso erlebt worden sein können wie faktisch erinnerte. Wer mit nichtfaktiven Verben seine Erinnerung einleitet, zeigt zunächst nur, welchen Weg er gewählt hat. Darüber hinaus ist es auch ein Hinweis darauf, dass der Befragte selbst seinem Erinnerungsvermögen skeptisch gegenüber steht. Dies wiederum gilt als Glaubwürdigkeitsmerkmal der merkmalsorientierten Aussageanalyse. In der Konsequenz kann dies den Zeugen unter Umständen sogar entlasten, wie Coulthard am Beispiel unten eindrucksvoll nachgewiesen hat. Daher ist es nicht statthaft, aus dem Vorhandensein von Ausdrücken wie ich glaube oder ich meine direkt eine Unglaubwürdigkeit der Aussage abzuleiten. Erst, wenn diese Wendungen gehäuft an bestimmten Punkten einer Erzählung bzw. der Wiedergabe eines Erlebnisses auftreten, ist die Frage gestattet, ob sie möglicherweise ein Zeichen der Inkonsistenz der Erzählung an dieser Stelle sind. Olsson verweist z.B. darauf, dass nicht-faktive Verben, die in der Kombination mit einer seelischen Innenschau den Fokus verlassen, als Inkonsistenzen und damit als Verdachtsmomente zu behandeln sind. Diese Auffassung muss durch die Frage ergänzt werden, was aufgrund dieses Fokusverlusts nicht erzählt wird. Sind es kritische Punkte des Tathergangs, die durch eine Innenschau oder Selbsteinwände ersetzt werden, ist die Frage nach der Funktion dieser Erzähltechnik sicher angemessen. Die Schilderung der Tat selbst zeigt dann Lücken im Ablauf oder bricht ab und die Tat wird nicht zu Ende erzählt. Derartige Inkonsistenzen erlauben vielfältige Deutungen. Sie können bedeuten, dass die Person an dieser Stelle lügt, sie können reflektieren, dass sich die Person der Tat nicht stellt, sie können aber darauf hinweisen, dass die Person Antworten oder Informationen wiedergibt, die ihr an anderer Stelle suggeriert bzw. gegeben wurden, während sie sich selbst möglicherweise gar nicht an den Vorfall erinnert. Der folgende kurze Text soll dies illustrieren. Er erscheint zunächst als informativer Hinweis auf einen alten Mordfall. <?page no="221"?> 6.3 Der linguistische Ansatz 221 Bei genauerer Lektüre stellen sich die Angaben zu Ort (damalige Baustelle), Zeit (vor Jahren, vor langer Zeit), Personen (oder ähnlich, von wem auch immer) und Handlungsablauf (spurlos verschwunden, wurde ermordet, anschließend) aber als vage dar bzw. als potenziell aus dem Schemawissen ableitbar. Ein Zeitrahmen, auf den das deiktische damalig referiert, kann nur über den Namen des Mädchens konstruiert werden, dieser ist aber nicht zweifelsfrei bekannt. Nur der Name der Villa bietet einen eindeutigen Bezugspunkt. Nachdem dieser eindeutige Hinweis gegeben ist, folgen drei Selbsteinwände (ich weiß nicht, ob das so stimmt, ob es herauszufinden ist, ob [sie] übereinstimmen), durch die sich der Autor von der soeben gegebenen Information wieder distanziert. Sein Verhalten gegenüber dem Wert der Informationen aus zweiter Hand ist ambivalent. Damit stimmt überein, dass der Emittent die direktive Illokution des Briefes (nämlich die Aufforderung, den Keller aufzustemmen) mit der Formulierung ob es noch herauszufinden ist und der Schlussformel viel Glück nur sehr indirekt realisiert. 13 Auch Adams (1996) sieht die Verwendung von Heckenausdrücken kritisch. Zu dem bereits zitierten Beispiel der Studentin, die angibt, überfallen und vergewaltigt worden zu sein, merkt Adams kritisch an, dass der relativierende Ausdruck kind of hier ein Gefühl einschränkt, das man in der betreffenden Situation als unmittelbar empfinden müsste. Sie meint zudem, dass der passende (weil zu erwartende) Ausdruck hier nicht kind of startled, sondern terrified sein müsste: _ && ' # > ] ' ? "' " # ! " \ " ] ! ¥ # " "' " \ ] # " " X "' " # ! \ # "\ # " " ' \ ' \ ' # ! ' ! ' # > X > ' # > ? Auch der folgende Beispieltext aus Coulthard/ Johnson (2010: 136f.) zeigt die besprochenen Auffälligkeiten. Bemerkenswert ist, dass der Verdächtige Iain Hay Gordon auf die entscheidenden Schritte des Tatgeschehens nur kognitiv zugreift. An keinem Punkt des Hergangs gibt er eine unmittelbare Erinnerung wieder. &4 & "' ' ! ! & ) 4 ! ' & ] > ` X ' ' ' & ' ' ? ' &] ' ' \ & ? ! ! ? = & > ' ' ! ! " X ! & > # " "' " ? " X > ' % && ' X " X " ' ] = X # > ? ' & X ] ' ] ! X# ? = "' # > # > " ? ! 4 ' = X ' ' &] ' ' ! ' > ' ? ! 4 ' = ! ' ' X = ' ' ! ' ' ? % 4 &4 & " & &] ' ' > ! ' = ? 13 Das Beispiel findet sich auch in Dern (2009: 136-138). <?page no="222"?> 6 Inhalt 222 ! % ' " # > ' ~ ' ~ } ' ? X ' ' " ' # > ' ? Eine forensische textlinguistische Analyse konnte erreichen, dass diese Aussage, die durch Polizeibefragungen zustande gekommen war, vor Gericht nicht als Beweis verwertet werden durfte, da der Angeklagte offenkundig keine Erinnerung an die ihm vorgeworfene Tat hatte. So entlastet diese Aussage hier den Verdächtigen. So klar die Beispiele die besprochenen Auffälligkeiten zeigen, es soll abschließend doch noch einmal darauf hingewiesen werden, dass mit linguistisch begründeten Erkenntnissen zu Inkonsistenzen in inkriminierten Texten sorgsam zu verfahren ist. Die Glaubwürdigkeit des Emittenten daraus abzuleiten, ist nicht Aufgabe des Linguisten. 3 # H 9 & Der folgende Brief ging am 14. Juli 2006 im Polizeipräsidium Westpfalz in Kaiserslautern ein. In diesem Brief gestand ein anonymer Schreiber den lange zurückliegenden Mord an der 13-jährigen Schülerin Lydia Schürmann, die 1962 getötet und in einem Waldstück bei Bielefeld verscharrt wurde. 14 X' ' & ~ < X' ? X' & # # ' %QX# X' > } & ? [ X' # X' X' > ? X' ' & [ X' ^$ \ = \ " X' \ ' & " X' X' >> \ X' ? X' ' & = ~ >< \ X' & ? & X' " ~ " X' ? > " X' " ' & [< X' ! ' $ ? " " ? | " # = Y ? <' " & " Y " QX# X' _ " X' Y $ ? X' " X'\ > " X' \ X' > ? " ' X' X' ? " > \ & " X' X' ' ? X' " =^ > \ ' ) & Y = & ? X' " X' ' \ " " ? X' ' & X' = ' = ! <$ = X# ? X' " ' & Y ? ) \ " X' ' ? X' " X' X' ^ ? X' ^X' ~ " X' \ & = $ ' " = Y ? X' # X' = ? X' ' & \ X' $ \ " X' X' ~ >< ) X' X' = ' ¡ Analysieren Sie den Text unter folgenden Gesichtspunkten: 14 Mehr über diesen und den folgenden Fall im Anhang. <?page no="223"?> 6.3 Der linguistische Ansatz 223 1. Bestimmen Sie das Thema des Textes sowie die Teilthemen: Was ist Teil der Rechtfertigung, was ist Teil der Beschreibung des Tathergangs? 2. Analysieren Sie die Textstruktur der eigentlichen Tatbeschreibung nach folgenden Kriterien: 1. Zeitspanne: Handlungen treten in der genannten Zeitspanne auf und ergeben einen Ablauf ohne Lücken, 2. Plätze treten in der Reihenfolge ihres Erscheinens auf, 3. Ereignisse sind in Abfolge erzählt, 4. es gibt keine übergenauen Details, 5. die Erzählzeit bleibt einheitlich. 3. Achten Sie auf die Fokusverlagerung von der Beschreibung der Handlung hin zum seelischen oder kognitiven Zustand des Schreibers. Wo finden sich Heckenausdrücke oder Relativierungen? 4. Wie ist das Verhältnis von Einleitung, Mittelteil (der eigentliche Mord bzw. Totschlag) und Schluss? 5. Erzählt der Text das Verbrechen? Gibt der Schreiber das Verbrechen eindeutig zu? Stellt er sich dem Verbrechen? 6 Der folgende Text ist ursprünglich handschriftlich verfasst und wurde auf einer Kneipentoilette kurz nach dem Mord geschrieben. q { q { q { _ _ * [ OO? [ Y *Y* _OO ) |% [Y%O ~ _ _ [ _ | ) % )~} ? _ [ O _ _ | ) % [ |% [ }|? [ | % [O _) % ~? |% [ ) % *} % _Y | _" % }|%
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<?page no="224"?> 6 Inhalt 224 Analysieren Sie den Text unter folgenden Gesichtspunkten: 1. Was ist Teil der Beschreibung des Tathergangs, was ist Teil der Personenbeschreibung des Täters? 2. Analysieren Sie die Textstruktur der eigentlichen Tatbeschreibung nach folgenden Kriterien: 1. Zeitspanne: Handlungen geschehen in der genannten Zeitspanne und ergeben einen Ablauf ohne Lücken, 2. Plätze und Personen werden in der Reihenfolge ihres Erscheinens genannt, 3. Ereignisse sind in Abfolge erzählt, 4. es gibt keine übergenauen Details, 5. die Erzählzeit bleibt einheitlich. 3. Stellen Sie eine Fokusverlagerung von der Beschreibung der Handlung hin zum seelischen oder kognitiven Zustand des Schreibers fest? 4. Finden sich Heckenausdrücke, Relativierungen und stilistische Auffälligkeiten? Wie ist das Verhältnis von Einleitung, Mittelteil (dem eigentlichen Mord bzw. Totschlag) und Schluss? 5. Erzählt der Text das Verbrechen? Stellt sich der Schreiber dem Verbrechen? 3 * 9 = & 4 Neben der merkmalsorientierten Inhaltsanalyse aus der Psychologie ist eine weitere Methode aus den Nachbarwissenschaften zu nennen, die sich mit der Aussagekraft von Texten und ihrer inhaltlichen Konsistenz befasst, die Sequenzanalyse. Sie ist Teil einer Analysemethode aus der Sozialwissenschaft. Ursprünglich wurde sie von Ulrich Oevermann im Rahmen der Objektiven Hermeneutik entwickelt, um die Beziehungen zwischen Mitgliedern einer Familie auf der Ebene der Sprache deutlich machen zu können bzw. zu zeigen, wie Beziehungen zwischen Personen versprachlicht werden. Die Sequenzanalyse ist Bestandteil der operativen Fallanalyse des BKA. Dern (2009) zeigt an der sequenzanalytischen Beispielanalyse eines Erpresserschreibens, wie dieses Vorgehen die Handlungsstruktur des Täters offenlegen und bestimmte Hypothesen der Ermittler zur Situation und zum Profil des Täters erhärten oder schwächen kann. Im Rahmen mehrerer Projekte wurde die Sequenzanalyse auch in die Polizeiausbildung in Thüringen eingeführt und erfolgreich in den Bereich der Notrufbereitschaft integriert. An der Polizeihochschule in Erfurt ist im Jahr 2004 eine Abschlussarbeit entstanden, die die Sequenzanalyse auf ein Erpresserschreiben anwendet, um so ein mögliches Autorenprofil zu erstellen. 15 Da sich ihr Anwendungsbereich in diesem Fall mit der forensischen Stilanalyse ebenso berührt (vergl. dazu auch Püschel 2009: 55f.) wie mit den o.g. Aspekten einer pragmatisch orientierten Inhaltsanalyse, soll das Verfahren an dieser Stelle kurz vorgestellt werden. Die sequenzanalytische Herangehensweise erscheint zunächst ungewohnt, da sie wegführt von der Frage nach der Intention eines Satzes hin zu der Frage nach dem, was dieser Satz wortwörtlich sagt. Im Unterschied zur pragmatischen Stilanalyse geht die Sequenzanalyse nämlich davon aus, dass es nur Gemeintes, aber niemals Mitgemein- 15 Heike Würstl: Analyse eines Erpresserschreibens. <?page no="225"?> 6.4 Sequenzanalyse 225 tes gibt: Was der Autor sagt, genau das meint er auch, so abwegig es dem Leser zunächst auch erscheinen mag. Die Sequenzanalyse (vgl. im Folgenden Wernet 2006) bietet eine Prozedur zur Textinterpretation an, die das Ziel hat, die Operation des Verstehens methodisch zu kontrollieren, indem sie den Verstehensprozess in einzelne Schritte zergliedert. Zugleich setzt sie einen umfassenden Textbegriff voraus, der Mündliches wie Schriftliches umfasst. Der Text gilt dabei als Materialisierung einer Wirklichkeit, die sich sprachlich konstituiert. Texte sind Protokolle dieser Wirklichkeit und erlauben eine kontrollierte Wirklichkeitserfahrung. Die objektiv-hermeneutische Interpretation dieser Texte folgt dabei fünf Prinzipien. Es handelt sich um die Prinzipien der 1. Kontextfreiheit, 2. Wörtlichkeit, 3. Sequenzialität, 4. Extensivität, 5. Sparsamkeit. Kontextfreiheit bedeutet nicht, den Kontext zu vernachlässigen, sondern trennt das Verstehen einer Äußerung bewusst von seiner Interpretation. Indem sich der Leser in einer „künstlichen Naivität“ (2006: 23) dem Text nähert, wird ihm deutlicher, in welcher Form er anschließend sein Kontextwissen zur Interpretation der Äußerung auf die Äußerung anwendet. Es geht, so Wernet, um das Vermeiden von Zirkularität: Es soll nichts in den Text hineingelesen werden, was sich aus dem Kontext ergibt, aber im Text selbst nicht zu finden ist. Das Wörtlichkeitsprinzip leitet dazu an, eine Äußerung zunächst immer wörtlich zu verstehen, also auch hier das konventionalisierte Kontextwissen auszublenden. Die Bedeutsamkeit des Wörtlichen verbindet diese Herangehensweise mit der forensischen Stilanalyse ebenso wie mit dem o.g. inhaltsanalytischen Ansatz. Für alle Ansätze gilt, dass Widersprüche zum offenbar Gemeinten die Intention des Gesagten aufdecken können, d.h., auch eine dem ‚Gemeinten‘ entgegenlaufende Sinnstruktur des Textes ist in diesem Text gegeben und hat für ihn bzw. für den Emittenten eine Berechtigung. Es bedeutet, zunächst die „lebenspraktischen-alltagsweltlichen Maximen und Handlungen“ (Wernet 2006: 27) auszublenden. Das Prinzip der Sequenzialität knüpft an das der Wörtlichkeit an. Es verlangt, jeden Satz eines Textes als eine in sich geschlossene Einheit (eine Sequenz) anzunehmen und sich bewusst darauf zu beschränken. Weder interessiert, was der Sequenz vorangeht, noch, was ihr nachfolgt. Erst nach Abschluss der Textanalyse nach den hier vorgestellten Schritten ist die Einbeziehung des ganzen Textes sowie des Kontextwissens gestattet; dann ist sie sogar geboten, um die Bedeutung des Textes im Handlungskontext angemessen interpretieren zu können. Das Prinzip der Extensivität bedeutet, alle Lesarten, alle Kontexte, die für eine Sequenz angemessen sind, explizit zu machen. Wernet merkt hier an, dass gerade das Versäumnis „eine Textsequenz nicht auszuinterpretieren, regelmäßig dazu [führt], dass die sequenzanalytische Feinanalyse misslingt“ (2006: 34). Extensivität ist also das <?page no="226"?> 6 Inhalt 226 Ergebnis einer inneren Haltung, die sich durch Geduld bei der Suche und Offenheit bei der Formulierung möglicher Lesarten auszeichnet. Das fünfte von Oevermann etablierte Prinzip ist das Prinzip der Sparsamkeit. Es bedeutet, keine umständlichen Lesarten zu entwickeln, sondern nur solche, die sich ohne Zusatzannahmen aus der Sequenz selbst ableiten lassen. Die Verbindlichkeit einer Textinterpretation gründet sich auf die Regelgeleitetheit sozialen Handelns bzw. soziales Handeln konstituiert sich entlang dieser Regeln. Die Interpretation des Textes, der als Protokoll sozialen Handelns zu verstehen ist, erfolgt unter Rückgriff auf dieses Regelwissen. Das Prinzip der Sparsamkeit geht auch davon aus, dass sich die Regelgeleitetheit grundsätzlich aus dem Text rekonstruieren lässt. Die Regelgeleitetheit, so führt Wernet weiter aus, kann nicht hintergangen werden, da man sich weder der Lebenspraxis entziehen noch die Regelgeltung außer Kraft setzen kann. Die Regelgeleitetheit verleiht einer Handlung erst Bedeutung, so wie sie dem Protokoll des Handelns, d.i. dem Text, ebenfalls erst eine Bedeutung gibt. Regelgeleitetheit bedeutet daher nicht, was zu tun ist, sondern, was es bedeutet, etwas zu tun. Bei der Interpretation eines Textes rekonstruiert man demnach die Bedeutung einer Handlung. Dabei stützt man sich auf 1. Regeln der universalen und einzelsprachlichen Kompetenz, 2. Regeln der kommunikativen und illokutiven Kompetenz, 3. Regeln der kognitiven und moralischen Kompetenz. Auch die Handlungsoptionen, die sich in der konkreten Lebenspraxis eröffnen, sind regelgeleitet. Welche Möglichkeiten zu handeln es gibt und welche Folgen diese Möglichkeiten jeweils haben, ist durch die Welt der sozialen Regeln bereits festgelegt. Welche der Optionen im Einzelfall realisiert wird, entscheidet die sog. Fallstruktur: Wenn man bspw. ein Versprechen gibt, so ist man nicht gezwungen, dieses einzulösen, sondern das Versprechen selbst eröffnet erst die Möglichkeit, es einzulösen oder nicht. Auch wenn man grüßt, so gibt die Regel vor, dass zurückgegrüßt wird, und nur durch diese Regel bekommt das Nichterwidern eines Grußes Bedeutung. Mit der Methode der Sequenzanalyse rekonstruiert man die Struktur der Auswahl von Entscheidungen in einer durch den Text protokollierten Lebenspraxis. Diese Auswahl erfolgt prozessual, denn jede Entscheidung, die man trifft, bietet neue Möglichkeiten, die an die Entscheidung anknüpfen. Natürlich ist eine Entscheidungsmöglichkeit nur dann gegeben, wenn die Wahl zwischen Möglichkeiten wirklich offen und nicht determiniert ist. Auch diese Ablaufstruktur wird durch die Sequenzanalyse rekonstruiert. Ein Text generiert Bedeutungsstrukturen, die sich nicht in Meinungen, Wertungen oder Intentionen erschöpfen. Um diese Strukturen zu rekonstruieren, geht die Interpretation zunächst nicht von der Perspektive der Motive und Intentionen aus. Vielmehr nimmt sie gemäß den fünf Prinzipien jeden Satz in seiner Aussage wörtlich und isoliert und vollzieht dann in Bezug auf die Extensivität und die Sparsamkeit einen <?page no="227"?> 6.4 Sequenzanalyse 227 Dreischritt: Zunächst muss der Leser mehrere Situationen konstruieren, in denen die Äußerung passt. Dann vergleicht er diese Kontexte auf Gemeinsamkeiten hin und deckt dadurch die Lesarten auf. Dann konfrontiert er die Lesarten mit dem Kontext in der gegebenen Aussagesituation und ggf. mit kontrastierenden Geschichten. Die Einbettung einer Sequenz in einen abweichenden Kontext macht oft besonders deutlich, was der Text nicht bedeutet. Das konkrete Vorgehen soll an zwei Beispielen verdeutlicht werden. Das erste Beispiel ist folgende Äußerung: [ \ " # X' X' " \ X' ' & _ ? Gemäß dem Dreischritt wären jetzt zunächst Geschichten zu erfinden, in denen diese Äußerung passt. Oevermann bietet dazu drei konkrete Situationen an, in denen dieser Satz geäußert werden könnte. So könnte ein kleines Kind dies sagen, wenn es zu der Zeit, zu der es gewöhnlich Essen gibt, noch nichts bekommen hat, oder nachdem es schon wiederholt danach gefragt hat. Als zweite Situation nennt er einen Ehemann, der seine Frau mit „Mutti“ anspricht und der nach der Arbeit im Wohnzimmer sitzt und auf das Essen wartet. Schließlich wäre an ein krankes Kind zu denken, das aus seinem Zimmer nach der Mutter ruft (1981: 12). Gemeinsam ist allen drei Situationen, dass der Sprecher sehr hungrig ist, dass er das Essen zu einem bestimmten Zeitpunkt hat erwarten können und jetzt berechtigterweise ungeduldig ist und dass es die Pflicht des Adressaten ist, sich um das Essen zu kümmern, wobei dies zugleich bedeutet, dass es vom Sprecher nicht erwartet werden kann, dass er sich selbst um die Zubereitung kümmert (1981: 12f.). Der zweite Beispielsatz ist Würstl (2004) entnommen. In dem von ihr sequenzanalytisch untersuchten Erpresserschreiben lautet der dritte Satz: O X' \ " X' ' & ? Denkbar wäre hier z.B. ein Arzt, der einem todkranken Menschen ans Herz legt, sich einer riskanten, aber lebensrettenden Operation zu unterziehen: „Tun Sie es nicht, werden Sie noch heute sterben! “, oder eine Flutkatastrophe mit einer Flutwelle steht unmittelbar bevor und der Bewohner einer Insel, die unter dem Meeresspiegel liegt, wird aufgefordert, den bereitstehenden Helikopter zu besteigen. Im Kontext einer Entführung wäre denkbar, dass der Mörder direkt neben dem Opfer steht und es zu einer Handlung auffordert: „Tun Sie es nicht, werden Sie heute noch sterben! “ Hinsichtlich der Lesarten stimmen die drei hier entwickelten Situationen darin überein, dass die Lebenszeit des Angesprochenen definitiv auf die restlichen Stunden des Tages begrenzt ist, und zwar durch Fremdkontrolle (Krankheit, Naturgewalt, Freiheitsentzug). <?page no="228"?> 6 Inhalt 228 Im dritten Schritt wendet man die Lesart auf die ursprüngliche Situation an. Im oben genannten Beispiel ist das Kind, das diesen Satz äußert, acht Jahre alt. Es kann sich also bereits selbst ein Brot machen. Dass es den Satz in der vorliegenden Form äußert, lässt sich so deuten, dass es gerne als ein kleineres Kind behandelt werden möchte bzw. sich als solches präsentiert, und sich die Hilfe der Mutter wünscht (Oevermann 1981: 17). Im zweiten Fall wird der Satz auf die anonyme Erpressung bzw. die Situation angewendet, in der der Erpresste das Schreiben liest. Das Opfer findet den Brief gegen 15.00 Uhr. Hier müsste der Erpresser unmittelbar anwesend sein, um seine Drohung wahr machen zu können, er ist es aber nicht. Die Ankündigung, dass sie noch heute sterben müsse, kann der Erpresser nicht umsetzen, weil sich das Opfer für die restlichen Stunden des Tages einen Personenschutz organisieren kann. Die Formulierung entpuppt sich folglich als Allmachtsphantasie, die nur dem Aufbau einer Drohkulisse dient (Würstl 2004: 23). Durch die Gegenüberstellungen lassen sich die „psychischen, sozialen und kulturellen Faktoren“ (Würstl 2004: 8), die das Handeln des Emittenten bestimmen, ermitteln. „Das Ziel der Analyse ist daher die Rekonstruktion der Persönlichkeitsstruktur des Täters, die Hinweise auf Gefährlichkeit, Motivation, Planungsniveau, weiteres Verhalten, Bildungsstand, soziales Umfeld u.a. ermöglicht.“ (Würstl 2004: 11). In diesem Sinne stellt die Hypothese über die Allmachtsphantasie eine Hypothese über die Persönlichkeitsstruktur des Emittenten dar. Dies Hypothese kann durch weitere Sequenzen, deren Lesarten in der Konfrontation mit der Situation der Erpressung ähnlich unpassend wirken, gestärkt werden. Ein sehr ausführliches Beispiel gibt Dern (2009: 101-103). Sie legt die Betonung auf diese Hypothesenbildung bezüglich der Fallstruktur. Es handelt sich um einen Fall von erpresserischem Menschenraub, in dem das Entführungsopfer erkrankt ist. Daraufhin wendet sich der Entführer mit einem Brief an die Eltern. Man könnte nun erwarten, dass der Täter durch die Krankheit den Druck erhöhen und eine beschleunigte Übergabe des Geldes forcieren wollte, so dass das Kind freigelassen und behandelt werden kann. Stattdessen verlangt er jedoch, dass die Eltern des Kindes in die bereits formulierten Forderungen einwilligen und dieses zeigen, indem sie eine Pressemitteilung schalten. Dadurch bewirkt der Erpresser eine zeitliche Verzögerung, die an dieser Stelle unpassend erscheinen muss. Dern erklärt, dass, angewendet auf die Ausgangssituation, diese Handlungsweisen des Täters nur dann einen Sinn ergeben, wenn man annimmt, dass das Kind zum Zeitpunkt des Briefes bereits tot ist. Anders ließen sich die zeitliche Verzögerung und die Bitte, in die Forderungen einzuwilligen, nicht erklären. 9 = & 4 S Versuchen Sie eine sequenzanalytische Analyse des folgenden Briefausschnitts. Decken Sie dazu den Text ab, so dass nur der erste Satz lesbar ist. Überlegen Sie, in welchen Kontexten dieser Satz passen würde und formulieren Sie kurze Geschichten. Vergleichen Sie Ihre Geschichten auf eine gemeinsame Lesart hin und überprüfen Sie dann, inwieweit diese Lesart auf die hier gegebene Situation der Erpressung passt. <?page no="229"?> 6.4 Sequenzanalyse 229 Entwickeln Sie mögliche Handlungsoptionen, wie sie sich aus der Sequenz ergeben. Lesen Sie erst dann den nächsten Satz und verfahren Sie wie beschrieben. Prüfen Sie dabei, ob der folgende Satz die Handlungsoptionen des vorangegangenen Satzes be s tätigt oder davon abweicht. X' " \ " ' O X' & \ & " X' \ " ' [ " ' ? X' " X'\ " & ' ' " ' ? Oj \ X' " Q& ' ? #^ X' = X' = X# ? X' > Q& ? = ' & \ ` j & ' \ " & [ ' O X' X' ? | X' ' O X' & > " \ # X' ' # X' ? Würstl (2004), Wernet (2006), Dern (2009). <?page no="231"?> " 1 <?page no="233"?> G 9 % Da es die Aufgabe der forensischen Linguistik ist, solche sprachlichen Daten zu analysieren, die für eine kriminologische oder juristische Betrachtung relevant sind oder sein können, ist mit der Analyse der Daten regelmäßig eine Präsentation der Ergebnisse und deren Auswertung verbunden. Dies geschieht im Allgemeinen in Form eines schriftlichen Gutachtens. Werden das Gutachten und der Gutachter als Sachverständigenbeweis vom Gericht angefordert, legt der Gutachter die Ergebnisse des Gutachtens in der Verhandlung zusätzlich mündlich dar. Damit betätigt sich der Linguist bzw. die Linguistin als sog. linguistischer Sachverständiger. G 9 % 1 Der Sachverständige ist im deutschen Prozessrecht der Helfer des Richters, „der das allgemeine richterliche Wissen um besonderes Fachwissen zu komplettieren hat.“ (Ulrich 2007: 5, Rn 11). Dieses Fachwissen ist immer dann nötig, wenn eine angemessene rechtliche Beurteilung eines Sachverhalts erst mit seiner Hilfe möglich wird. Grundsätzlich hat jeder, der über eine „relevante Sachkompetenz auf irgend einem Gebiet“ (Ulrich 2007: 27, Rn 49) verfügt, das Recht, als gerichtlicher Sachverständiger tätig zu werden. Zwar verweisen sowohl § 73 Abs. 2 StPO wie § 404 Abs. 2 ZPO auf den Vorrang öffentlich bestellter Sachverständiger, dies ist aber kein Ausschlussgrund für nicht öffentlich bestellte Sachverständige. 1 Die Pflicht, als Sachverständiger tätig zu werden, ist eine allgemeine öffentlich-rechtliche Pflicht, sie trifft aber nicht alle Bürger eines Landes (Ulrich 2007: 103, Rn 167). Neben den öffentlich bestellten Sachverständigen sind diejenigen Bürger dazu verpflichtet, die eine Tätigkeit in Wissenschaft, Kunst oder Gewerbe öffentlich zum Erwerb ausüben, welche sie mit der Kenntnis ausstattet, die zur Begutachtung nötig ist. Eine Altersgrenze gibt es nur für öffentlich bestellten Sachverständige. Natürlich sieht das Gesetz nicht vor, eine Privatperson gegen ihren Willen zur Begutachtung zu zwingen, ein Gericht kann daher einen Sachverständigen auch von seiner Verpflichtung entbinden, z.B. wenn dadurch andere berufliche Aufgaben vernachlässigt werden müssten (vgl. Ulrich 2007: 105, Rn 176). Neben der Gutachtertätigkeit für das Gericht besteht die Möglichkeit, Privatgutachten zu erstellen, also im Auftrag einer der Parteien tätig zu werden. Ein solches Gutachten gilt dann nicht als Beweismittel, sondern als qualifizierter Parteivortrag, 1 Die Auswahl eines nicht öffentlich bestellten Sachverständigen ist kein fehlerhaftes Verhalten des Gerichts, weil es in der Wahl des Sachverständigen frei ist (Ulrich 2007: 556, Rn 1028). <?page no="234"?> 7 Linguistische Sachkunde vor Gericht 234 der vom Gericht berücksichtigt, erwogen und in die Entscheidung mit einbezogen werden muss. 2 G " & $ ! Das deutsche Rechtssystem folgt für den Strafprozess dem inquisitorischen Prinzip. Dies bedeutet, dass das Gericht allein die Aufgabe und die Verpflichtung hat, die Beweise zu erheben und sie in den Urteilsgründen zu würdigen. Da allein dem Gericht die Beweisaufnahme vorbehalten ist, heißt dies auch, dass es nach § 73 StPO die Entscheidung des Gerichts ist, einen Experten zu bestimmen und ihn und sein Gutachten als Beweismittel, als sog. Sachverständigenbeweis, im Rahmen der Beweisaufnahme zu hören. In vielen Fällen sind die Gerichte nach gefestigter Rechtsprechung gehalten, Sachverständige zu hören, aber in nur wenigen Fällen sieht die Prozessordnung einen Sachverständigen zwingend vor (z.B. bei zu erwartender Unterbringung § 246a StPO; in Fragen der Vormundschaft § 280 FamFG, siehe aber § 281 FamFG). Unabhängig von der Bestellung der Sachverständigen durch das Gericht können die Verteidigung und die Staatsanwaltschaft im Rahmen des Beweisantragsrechts die Bestellung und Anhörung eines oder mehrerer Sachverständiger beantragen. Dem muss das Gericht entsprechen, soweit keine Ablehnungsgründe nach § 244 Abs. 3 StPO vorliegen. Ein Ablehnungsgrund ist es gemäß § 244 Abs. 4 (1) StPO, dass das Gericht die Sachkunde selbst besitzt oder dass das erste Gutachten bereits zu einem gegenteiligen Ergebnis gekommen ist. Möglich ist die Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen auch, wenn an der Eignung des bisherigen Sachverständigen, der Adäquatheit und Verlässlichkeit seiner Methoden Zweifel bestehen oder der neu hinzuzuziehende Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die überlegen scheinen (§ 244 Abs. 4 (3) StPO). Außerdem besteht für die Verteidigung die Möglichkeit, nach § 220 StPO den Sachverständigen selbst zu laden. Häufig ist es jedoch so, dass die Polizei während der Ermittlungen oder die Staatsanwaltschaft bei der Vorbereitung der öffentlichen Klage bereits einen Sachverständigen hinzugezogen hat (§ 161a StPO), den der Richter dann auch für die Verhandlung bestellen wird. Dies schließt die richterliche Prüfung der Eignung des Sachverständigen nicht aus. Der deutsche Zivilprozess folgt für die Sachverhaltsfeststellung dem Verhandlungsgrundsatz, d.h. die Parteien müssen den Sachverhalt, der die Grundlage der Entscheidung bildet, vortragen und Beweismittel benennen, die ihrer Meinung nach zum Beweis der streitigen Tatsachen geeignet sind (Beweisantritt). 3 Bei Beweisantritt durch einen Sachverständigen ist es Sache des Gerichts, den Sachverständigen auszuwählen (§ 404 Abs. 1 ZPO); die Parteien können aber nach Aufforderung durch das Gericht 2 Vgl. Reichold in Thomas/ Putzo (2009: 632, Vorbem. zu § 402, Rn 5). Siehe auch NJW (1997) 2, 122, Entscheidung des BVrfG vom 07.10.1996 - 1 BvR 520/ 95: Verletzung des rechtlichen Gehörs. 3 Reichold in Thomas/ Putzo (2009: 2, Rn 5). <?page no="235"?> 7.2 Prozessrechtliche Rahmenbedingungen 235 gemäß § 404 Abs. 3 ZPO selbst einen oder mehrere Sachverständige vorschlagen. Wie der Sachverständige ausgewählt wird, ist nicht geregelt. Eine Richtlinie, dass vorrangig öffentlich bestellte Sachverständige ausgewählt werden sollen, geben die Vorschriften des § 73 Abs. 2 StPO und § 404 Abs. 2 ZPO. Im Allgemeinen wird der Richter wissen, wer den fraglichen Sachverhalt angemessen beurteilen kann. Ist nicht eindeutig, aus welcher Fachrichtung ein Experte hinzuzuziehen ist, unterliegt es dem pflichtgemäßen Ermessen des Richters, sich durch Anfragen bei geeigneten Institutionen (z.B. Kammern, Verbänden) kundig zu machen. Um der Gefahr vorzubeugen, dass fälschlicherweise kein Experte hinzugezogen wird, wo einer benötigt würde, reicht es, dass die „ernsthafte Möglichkeit besteht“ (Müller 1988: 11, Rn 24), dass ein bestimmtes Fachwissen benötigt wird. Wenn also Parteien im Vorfeld bereits ein linguistisches Gutachten im Rahmen der Beweisaufnahme vorlegen, so ist damit diese Möglichkeit gegeben. Faktisch kann die Partei damit die Einholung eines weiteren Gutachtens durch den Richter veranlassen, denn der Richter muss sich am Ende mit dem Privatgutachten, d.h. seiner Sachaussage, auseinandersetzen und muss begründen, warum er ggf. von diesem Gutachten abweicht. Dies wird er im Allgemeinen auf der Basis eines anderen Gutachtens tun. Wenn dessen Darstellung im Ergebnis vom Gutachten des Privatgutachters abweicht, muss das Gericht diesem Widerspruch nachgehen, entweder auf der Grundlage eines weiteren Gutachtens oder indem es in der Verhandlung beide Gutachter befragt; 4 anderenfalls verletzt es das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung. Es gibt allerdings Gründe, die gegen eine größere Zahl von Sachverständigen im Zivilprozess sprechen. Wenn für das Gericht bereits ein Gutachten erstellt wurde, welches den Richter mit der betreffenden Sachkunde ausgestattet hat, stellt es im Sinne der ZPO einen Verfahrensfehler im weiteren Sinne dar, wenn ein weiteres Gutachten eingeholt wird, das zur Feststellung der beweiserheblichen Tatsachen nicht (mehr) nötig ist. Auch ist das Gericht gehalten, die Prozesskosten für die Parteien gering zu halten, um nicht faktisch eine Rechtsbarriere z.B. durch hohe Gutachterkosten zu errichten (vgl. Ritter 1990). Der Richter soll auf der Basis seiner idealerweise breiten Allgemeinbildung möglichst viel selbst beurteilen. G $ 9 Das Gericht muss immer dann einen Sachverständigen hinzuziehen, wenn es die zur Wahrheitsfindung erforderliche Sachkunde nicht selbst besitzt und sich auch nicht selbst verschaffen kann. Zuvor muss es sorgsam abwägen, ob es den betreffenden Sachverhalt aus der eigenen Sachkenntnis heraus beurteilen kann. Kann es das nicht, verletzt es seine Aufklärungspflicht, und ein Urteil, das auf dieser Basis gesprochen wird, kann anschließend aufgehoben werden. 4 Vgl. für einen Versicherungsfall das Urteil des BGH, IV ZR 57/ 08 vom 18. Mai 2009. <?page no="236"?> 7 Linguistische Sachkunde vor Gericht 236 Kommt es in einem Prozess für die richterliche Entscheidung auf die Klärung eines sprachlichen Sachverhalts an, z.B. der aktuellen Bedeutung eines gruppensprachlichen Begriffs, dessen Bedeutung nicht aus der Alltagserfahrung und der Allgemeinbildung des Gerichts heraus bestimmt werden kann, ist linguistisches Expertenwissen erforderlich. Das Gericht hat die Wahl, sich das Wissen selbst zu verschaffen oder einen Experten zu beauftragen. Diese Entscheidung fällt nach dem pflichtgemäßen Ermessen. In den Urteilsgründen muss das Gericht dann erläutern, wie es zu der relevanten Sachkenntnis gekommen ist. Maßgeblich ist dabei die Selbsteinschätzung des Richters. Dass Laien für sich linguistische Kompetenz beanspruchen, beruht häufig darauf, dass sie diese mit muttersprachlicher Kompetenz gleichsetzen. Muttersprachler halten sich für kompetent, Aussagen über ihre Sprache zu machen, da sie deren sprachlichen Mittel korrekt und angemessen einsetzen können. „Der ‚normale Durchschnittssprecher‘ [...] vermag jedoch seinen eigenen Sprachgebrauch oder den seiner Partner nicht adäquat zu beschreiben, geschweige denn die wesentlichen strukturellen Gesetzmäßigkeiten explizit 5 anzuzeigen“ (Kniffka 1981: 602). Auch hinsichtlich der Komplexität der zu klärenden Frage kann die (laienhafte) richterliche Einschätzung von der fachwissenschaftlichen abweichen oder auch in Hinblick darauf, auf welchem Wege sie beantwortet werden kann. Entscheidet sich das Gericht dafür, sich das Fachwissen selbst aus der Literatur zu erschließen, um die Bedeutung des beweiserheblichen Begriffs zu klären, könnte es Lexika und Wörterbüchern zu Rate ziehen. Ein Linguist würde möglicherweise Einwände gegen ein solches Vorgehen haben: Auch Wörterbücher bilden nur einen Ausschnitt der Sprachverwendung ab, sie sind eingebunden in den Kontext ihrer Zeit und spiegeln den Wissenstand des Faches ebenso wie den Stand der Lexikographie zu einem bestimmten Zeitpunkt wider. Eine empirische Erhebung des aktuellen Gebrauchs eines sprachlichen Ausdrucks kann - je nach Fall - deutlich zweckmäßiger sein (vgl. auch Ritter 1990). Linguistische Expertise wird demzufolge vor allem dort angefordert, wo die Einsicht, dass man selbst den betreffenden sprachlichen Sachverhalt nicht angemessen beurteilen kann, leicht greifbar ist. Weniger eindeutig verhält es sich mit der linguistischen Analyse standardsprachlicher Texte oder mit der Bedeutungsanalyse von Begriffen: Je alltags- oder gemeinsprachlicher die strittigen Begriffe sind, desto weniger wird die Notwendigkeit einer linguistischen Begutachtung ins Bewusstsein treten. Dies hat in der Vergangenheit dazu geführt, Begriffe wie z.B. Wohnhaus primär aus ihrer juristischen Verwendung heraus erklären zu wollen (Ritter 1990: 131). Es kann also vorkommen, dass den Prozessbeteiligten weder deutlich ist, dass es sich möglicherweise um eine komplexe sprachliche Fragestellung handelt, die zu beantworten ist, noch dass dazu linguistischer Sachverstand benötigt wird oder dass Linguistik überhaupt die Klärung des Sachverhalts herbeiführen könnte. Für die Praxis bedeutet dies, dass linguistische Expertisen oft erst angefordert werden, wenn das 5 Im Original gesperrt. <?page no="237"?> 7.2 Prozessrechtliche Rahmenbedingungen 237 Gericht sich auf der Basis des bisherigen Vortrags der Parteien nicht auf eine Auslegung des betreffenden Begriffs festlegen konnte und an das Ergebnis des linguistischen Gutachtens dann deutliche Erwartungen geknüpft sind (Kniffka 1981: 598). Nicht zuletzt werden deraritge Gutachten häufig von zu Unrecht Verdächtigten eingeholt, die nur über diesen Weg die Möglichkeit ihrer Entlastung sehen. Dabei überschätzen die Prozessbeteiligten z.T. auch die Möglichkeiten der Linguistik. Ein linguistisches Gutachten allein kann nichts beweisen, was nicht auch andere forensische Wissenschaften beweisen könnten, wohl kann es sie ergänzen und eine bestehende Annahme bestätigen oder entkräften (Kniffka 1981: 599). G - Hat im Zivilprozess die beweispflichtige Partei Beweis durch ein Gutachten angetreten und das Gericht einen entsprechenden Beweisbeschluss erlassen, wird dem betreffenden Sachverständigen das Beweisthema mitgeteilt. Ausgangspunkt des Themas sind die sog. Anknüpfungstatsachen. Sie sind dem Gutachter vorgegeben und Grundlage des Beweisschlusses (§ 404a Abs. 3 und 4 ZPO). Im Gegensatz zu den sog. Befundtatsachen ist zu ihrer Feststellung kein Experte nötig. Das Beweisthema wird aber nicht nur von diesen Anknüpfungstatsachen bestimmt, sondern auch von dem Expertenwissen, das zur Feststellung der Befundtatsachen herangezogen werden soll. Wie bereits erwähnt, ist der Richter für die Auswahl des geeigneten Sachverständigen zuständig; dabei kann es geschehen, dass das Beweisthema nicht vom ausgewählten Sachverständigen bearbeitet werden kann, entweder weil er nicht die fachliche Spezialisierung besitzt oder weil die Fragestellung verfehlt ist. Im ersten Fall könnte der Sachverständige die Fachdisziplin benennen, die geeigneter wäre. Im zweiten Fall muss der Sachverständige Anregungen geben, wie das Beweisthema bzw. die Beweisfrage umzuformulieren wäre, damit sie ihm aus wissenschaftlicher Sicht angemessen erscheint, und er muss mit dem Gericht Eindeutigkeit in der Fragestellung herbeiführen. Gegebenenfalls muss er dem Gericht auch mitteilen, dass die gestellte Frage nicht beantwortet werden kann, und dieses begründen. Schließlich ist der Fall denkbar, dass erst im Laufe der Untersuchung durch den Gutachter erkennbar wird, dass die Fragestellung verfehlt ist. Auch darüber muss der Sachverständige das Gericht informieren (vgl. § 404a, § 407a ZPO). Das Gericht soll den Sachverständigen über seine Rolle als Gutachter belehren; dies wird aber in der Praxis eher locker gehandhabt, so dass Grenzüberschreitungen seitens des Gutachters erfolgen können, z.T. aus Unkenntnis, z.T. aus dem Eifer, zum Fortgang des Prozesses beizutragen. Kniffka hat verschiedentlich (1981, 1993) bemängelt, dass Gutachter sich zu wenig mit der Sachverständigenrolle auseinandersetzen, wenn sie vom Gericht bestellt werden, obwohl es für die Glaubwürdigkeit des Gutachters selbst und indirekt für die Seriosität seiner Wissenschaft wichtig ist, diese Rolle korrekt auszufüllen (vgl. auch Shuy 2006). Ein grundlegendes Problem bei der Beantwortung der Beweisfrage durch den Experten ist die Grenzziehung zwischen der Analyse des betreffenden Sachverhalts mit den <?page no="238"?> 7 Linguistische Sachkunde vor Gericht 238 Mitteln der Fachdisziplin und den rechtlichen Schlussfolgerungen daraus. Letztere vorzunehmen steht ausschließlich dem Richter zu, aber die gesetzlichen Begriffe legen es dem Gutachter oft genug nahe, selbst schon Schlüsse zu ziehen, denen der Richter dann folgt. Ein Beispiel (aus dem medizinischen Bereich) ist die Beweisfrage nach dem Anteil des Alkohols im Blut, die eine Schlussfolgerung des Experten geradezu voraussetzt. Denn nur, wenn der Experte feststellt, dass der Alkoholgehalt so hoch ist, dass er Fahruntüchtigkeit bewirkt, kann der Richter seine Entscheidung bzgl. der Fahruntüchtigkeit fällen, also „die Tatbestandsmerkmale ... im Subsumtionsvorgang nur richtig erfassen, wenn er sich dabei der Sachkunde eines Sachverständigen bedient“ (Müller 1988: 7, Rn 16). Eine Überschreitung des fachwissenschaftlichen Rahmens muss vom Gutachter nicht beabsichtigt sein, sie kann auch durch die fehlerhafte Formulierung der Beweisfrage entstehen, die unbeabsichtigt zu rechtlichen Schlussfolgerungen auffordert (vgl. Ulrich 2007: 182f., Rn 308, 309). Im Rahmen einer linguistischen Expertise sollte der Linguist daher den Inhalt der Beweisfrage aus fachwissenschaftlicher Sicht prüfen und sich zugleich davor hüten, etwaige Schlussfolgerungen aus der linguistischen Analyse zu ziehen, die juristischer Natur sind (einige Negativbeispiele in Kniffka 1994c). Das erste Gebot an einen Experten, der sich als Sachverständiger betätigt, lautet, sich nur auf das zu beschränken, was er kann. Dies heißt auch, keine Mutmaßungen oder Hypothesen über den Geschehensablauf und über Personen zu äußern, sondern sich auf die Bewertung des Materials zu beschränken. Natürlich macht sich jeder, der sich intensiv mit den Texten einer Person auseinandersetzt, Gedanken über diese Person, aber es sollte immer der Auftrag, ein linguistisches Gutachten zu erstellen, im Blick bleiben und dass sich der Gutachter nur im Rahmen seines Fachgebiets zu äußern hat. Dies bedeutet nicht, dass sich das Gutachten in einer deskriptiven Behandlung z.B. von Briefen im Vergleich mit einem Tatschreiben erschöpfen sollte. Damit wäre keinem geholfen, weil es ja gerade die Expertise des Sachverständigen ist, die eine Bewertung des Materials erst möglich macht. Im Allgemeinen fordert das Beweisthema zu einer Schlussfolgerung auf. ? ? ? >& ~ X' Zunächst ist es sinnvoll, die Formulierung des Beweisschlusses in die Fragestellung, die das Gutachten bearbeiten soll, zu übernehmen, um sicherzustellen, dass Gericht und Sachverständiger wissen, worum es geht. In Fall versuchter Erpressung könnte der Gutachterauftrag des Gerichts lauten, „sich darüber zu äußern, ob der Beklagte/ Angeklagte das Tatschreiben verfasst hat“. Um den Wortlaut des Beweisthemas angemessen in einen fachwissenschaftlichen Arbeitsauftrag umwandeln zu können, hat Kniffka (1981: 618) einen Dreischritt vorgeschlagen, der erstens die Frage des Beweisthemas in eine linguistische Fragestellung umformuliert und sie zweitens linguistisch beantwortet. Im oben genannten Fall müsste man die Frage ungefähr dahingehend umformulieren, ob zwischen dem Tatschreiben und dem Vergleichsmaterial sprachliche Übereinstimmungen bestehen, die aufgrund ihrer Aussagekraft unterschiedliche Verfasser eher ausschließen und einen identischen Verfasser wahrscheinlich ma- <?page no="239"?> 7.2 Prozessrechtliche Rahmenbedingungen 239 chen. Anschließend, als dritter Schritt, wird das Ergebnis so umformuliert, dass es eine allgemeinverständliche Antwort auf die ursprüngliche Fragestellung gibt. In einem vierten Schritt stellt der Gutachter in der mündlichen Verhandlung seine Ergebnisse vor. Der Gutachter muss zunächst angeben, auf welcher Basis (Quelle, Seitenzahl der betreffenden Akte) er die Frage des Beweisthemas beantwortet; dies sind üblicherweise die Anknüpfungstatsachen. Nur so kann das Gericht überprüfen, ob alle Anknüpfungstatsachen berücksichtigt wurden, und sicherstellen, dass das Gutachten nicht das Thema verfehlt. Im Anschluss an die vom Gutachter formulierte fachwissenschaftliche Fragestellung wird das Material, das zur Begutachtung vorliegt, beschrieben und entsprechend bezeichnet. Bezogen auf das weitere Vorgehen wird nun bestimmt, um welche Art der Analyse es sich im Folgenden handeln soll, je nachdem, ob ein Verständnis- oder Verwendungsnachweis eines sprachlichen Ausdrucks oder ein Autorschaftsnachweis erstellt werden soll (Kniffka 1981: 589). Für das Gutachten selbst formuliert Müller (1988) nur allgemeine wissenschaftliche Standards. 6 Dazu gehören eine Disposition, die Analyse der Daten, die Bewertung des Befundes, die Erklärung notwendiger Fachterminologie und eine Gesamtwürdigung. Jedes Gutachten enthält sprachtheoretische Grundannahmen des Gutachters, die sich in seiner Herangehensweise niederschlagen und die er explizit machen sollte. Diese Annahmen betreffen die Funktion von Sprache, ihren kommunikativen Zweck und ihre Definition (als Zeichensystem, das auf Konventionen basiert) (vgl. Kniffka 1981). Der Gutachter sollte entsprechend darlegen, warum er eine bestimmte Analysemethode gewählt hat und welche Vor- und Nachteile diese Methode gegenüber anderen möglichen Methoden hat, damit das Gericht die Entscheidung und das Vorgehen des Sachverständigen nachvollziehen kann. Idealerweise sollte der Gutachter auch die Ergebnisse abweichender Methoden erläutern. In der Praxis wird dieser Teil mitunter sehr verkürzt dargestellt werden. Die gewählte Methodik sollte nach herrschender Meinung „eine gewisse Verbreitung in Lehre und Praxis erfahren“ haben (Müller 1988: 328, Rn 527); dies schließt aber andere Methoden nicht von vornherein aus. Das Gutachten soll zwar grundsätzlich verständlich sein, darf aber die fachwissenschaftlichen Inhalte keinesfalls dadurch verfälschen, dass es zugunsten einer besseren Verständlichkeit komplexe Sachverhalte zu stark verkürzt und dadurch unrichtig darstellt. Im Zusammenhang mit der Stil- und Fehleranalyse wäre es z.B. denkbar, Hinweise darauf zu geben, wie sich Stil konstituiert und was die Wahlmöglichkeiten stilistischer Varianten beeinflusst, bei Fehlern die Frage nach Normen und Regeln, die eine Abweichung als Fehler bestimmt, oder auch die Tatsache, dass orthographische Fehler unterschiedliche Ursprünge haben können. Auch auf Probleme, die sich konkret aus 6 Für die Gutachtenerstellung einzelner Berufszweige oder Berufsgruppen stellen die Verbände Handreichungen bereit oder verweisen auf entsprechende Publikationen. <?page no="240"?> 7 Linguistische Sachkunde vor Gericht 240 der Gestaltung oder dem Umfang des inkriminierten Materials ergeben, ist einzugehen. Auch wären die Grenzen der Analysemöglichkeiten zu nennen, und es sollte festgehalten werden, ob eine Analyse des Materials im Einzelnen überhaupt möglich ist. Auch wäre zu begründen, weshalb bestimmte stilistische Merkmale ausgewählt wurden und als aussagekräftig gelten. Schließlich folgt eine Darstellung der Ergebnisse des Befundes mit Erläuterungen sowie eine Bewertung dieser Ergebnisse, die die anfängliche Fragestellung wieder aufnimmt und beantwortet. Die Ergebnisse sollten sich direkt aus dem Material ergeben und müssen belegt werden. Ein Literaturverzeichnis sollte beigegeben sein. Natürlich kann die Antwort auf die Beweisfrage bei derartigen linguistischen Fragestellungen niemals absolut eindeutig sein. Wird ein Gutachten angefordert mit der Frage, ob der Angeklagte der Verfasser des Tatschreibens ist, und wird dem Gutachter Vergleichsmaterial des Angeklagten gegeben, so kann der Gutachter auf einer Wahrscheinlichkeitsskala angeben, wie es sich mit dessen Autorschaft verhält. Er wird davon absehen, die Frage mit Ja oder Nein zu beantworten. ? ? ? | X'# ~ X' Der Gesetzgeber (insbesondere in den einschlägigen Vorschriften der §§ 404 ff. ZPO) formuliert die Anforderungen, die an das Gutachten zu stellen sind, nicht ausdrücklich. Sie ergeben sich jedoch mittelbar aus den Vorschriften über die Beweisaufnahme im Strafprozess (§ 244 Abs. 3 und 4 StPO). Allgemein ist zu sagen, dass sich Begutachtung und Abfassung nach den jeweiligen fachwissenschaftlichen Standards zu richten haben. Der Gesetzgeber legt vorrangig Wert darauf, dass die Vorgehensweise, die Anwendung und die damit verbundenen theoretischen Implikationen vom Gutachter schlüssig dargestellt werden, und dass der Gutachter sein Vorgehen in Relation zu anderen Lehrmeinungen reflektiert darstellt. Mit der intellektuellen Nachvollziehbarkeit der Argumentation und der darauf aufbauenden Sachaussage steht und fällt der Wert des Gutachtens, denn nur sie macht es dem Richter möglich, sich von der Schlüssigkeit (und Richtigkeit) des Gutachtens zu überzeugen. Dies ist natürlich der Aufgabe des Richters geschuldet, den Beweis anschließend kritisch zu würdigen und ihn zur Grundlage einer Entscheidung zu machen. Im Zusammenhang mit der erfolgreichen Vermittlung des linguistischen Fachwissens an Laien wird es von Vorteil sein, dass die Linguistik mit der Sprache in all ihren Erscheinungs- und Gebrauchsformen im Vergleich mit anderen Wissenschaftsgebieten einen Forschungsgegenstand vorweist, der Richtern und Anwälten speziell als Interpreten von Gesetzestexten vertraut ist. In vielen Fällen besitzt die Linguistik für die Prozessbeteiligten einschließlich des Gerichts auch den Bonus, jenseits des juristischen Diskurses etwas Neues zu bieten, das an das Alltagswissen anknüpft. Bei diesem alltagsweltlichen Wissen über Sprache und ihre Funktionen handelt es sich jedoch nicht um ‚vorlinguistisches‘ Wissen, das sich einfach korrigieren oder aus dem Kontext herauslösen und ersetzen ließe (Spitzmüller 2009: 116, 121), sondern um ein in sich kohärentes Wissen, das an die eigene Lebenswirklichkeit gebunden und daher verfestigt ist. In manchen Bereich widerspricht dieses Alltagswissen auch dem sprach- <?page no="241"?> 7.2 Prozessrechtliche Rahmenbedingungen 241 wissenschaftlichen Wissen. Dies macht es für den Sachverständigen notwendig, besonders sorgfältig zu argumentieren, denn er muss das Alltagswissen ggf. revidieren und die Prozessbeteiligten von der Laienhaftigkeit ihrer Ansichten überzeugen, ohne zugleich ihre Sprecherkompetenz zu negieren. In bestimmten Bereichen unterscheiden sich alltagsweltliches und linguistisches Wissen kaum, so dass das bestehende Wissen nur leicht moduliert werden muss, in anderen Bereichen kann es zu „Wissenskollisionen“ kommen (Spitzmüller 2009: 122). Je mehr das neue Wissen folglich an die Sprachkonzepte der Alltagswelt der Beteiligten angebunden werden kann und je besser der Gutachter in der Bearbeitung des Sachverhalts mit dem oben genannten Dreischritt den „zweifachen Übersetzungsprozess [...] meistert“ (Kniffka 1981: 619), desto größer sind seine Chancen, von den Prozessbeteiligten gehört zu werden. Durch die Vermittlung linguistischen Wissens, so fasst Shuy (1997) zusammen, sollte erreicht werden, dass die Beteiligten in die Lage versetzt werden, das inkriminierte sprachliche Material zu „verstehen“ und den Ausführungen des Gutachters zu folgen, dass die Beteiligten wissen, wie mit sprachlichem Daten generell zu verfahren ist bzw. welche Möglichkeiten der Auswertung sich daraus ergeben, dass Linguistik als Wissenschaft wahrgenommen wird, die Theorien, Methoden und Instrumente zur Analyse sprachlicher Daten bereit stellt und dass im besten Fall das erworbene Wissen zur Reflexion über die eigenen subjektiven Spracheinschätzungen im Vergleich zur fachwissenschaftlichen Herangehensweise einlädt. G # / - Durch das Gutachten bzw. die auf diesem Wege vermittelte Sachkunde wird es dem Richter ermöglicht, die konkreten Tatsachen des Rechtsfalles festzustellen und zu beurteilen (vgl. Reichold in Thomas/ Putzo zu § 286). Mit Hilfe des Gutachtens soll sich der Richter eine unabhängige Meinung bilden können. In der Würdigung des Gutachtens ist er wie auch bei der Würdigung anderer Beweismittel frei (§ 286 Abs. 1 ZPO, § 261 StPO) und unterliegt dabei, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keinen vorgegebenen Beweisregeln (Reichold in Thomas/ Putzo 2009: 478, Rn 2a). Er entscheidet über das Ergebnis unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach seiner freien Überzeugung (§ 286 Abs. 1 (1) ZPO). Einem in sich schlüssigen Gutachten und seinem Ergebnis wird er in aller Regel folgen, wenn nicht die Gegenseite dagegen etwas Substantielles vorzubringen hat. Folgt er dem Gutachten nicht, ist damit nicht etwa davon auszugehen, dass das Gegenteil der zu beweisenden Tatsache bewiesen wäre. Der Richter wird daher einen anderen Sachverständigen auswählen müssen; es sei denn, er hätte sich <?page no="242"?> 7 Linguistische Sachkunde vor Gericht 242 die erforderliche Sachkunde inzwischen anderweitig selbst verschafft, was selten vorkommen dürfte. 7 Den Umstand, dass er im Prozess eine verfahrensrechtlich definierte Rolle als Helfer des Richters wahrnimmt, sollte sich der Sachverständige besonders dann vor Augen führen, wenn seine fachwissenschaftlichen Erkenntnisse vom Richter (einem Laien! ) nicht als stichhaltig gewürdigt werden. Er sollte sich vergegenwärtigen, dass es nicht seine Aufgabe ist, den Prozess für eine der Parteien zu führen. G # / B In einem Fall wird ein Mitarbeiter einer Firma für Landmaschinen verdächtigt, eine Reihe von Schmähbriefen an den Firmeninhaber geschrieben zu haben. Als Vergleichsmaterial liegen mehrere Geschäftsbriefe und ein Artikel des Mitarbeiters aus einer landwirtschaftlichen Fachzeitschrift vor. In einem anderen Fall einer Erbschaftsangelegenheit besteht der Verdacht, dass ein für den Fall wichtiger Brief des Erblassers in Wahrheit von seiner Tochter geschrieben wurde. Von der Tochter liegen als Vergleichsmaterial vier Privatbriefe vor. In einem dritten Fall, in dem drei Männer gemeinschaftlich eine räuberische Erpressung begangen haben, soll die Analyse der Tatscheiben beweisen, dass einer der Angeklagten als Verfasser definitiv nicht in Frage kommt. Welche/ n der Gutachteraufträge würden Sie annehmen, welche/ n nicht? Begründen Sie Ihre Entscheidung. . B Nicht immer geht es um die Analyse des Sprachgebrauchs, wenn linguistische Sachkunde hinzugezogen wird. Im folgenden Fall, in dem Rodman als Linguist die Verteidigung beriet, stand die Vermittlung linguistischen Wissens an sich im Vordergrund. Beantworten Sie zunächst die Fragen 1.-3. nach einer entsprechenden Literaturrecherche. Lesen Sie dann die nachstehende Schilderung des Falles und beantworten Sie anschließend Frage 4. 1. Was ist unter Lautwandel zu verstehen? 2. Wie beschreiben aktuelle und ältere Ausgaben üblicher Nachschlagewerke Tätigkeit und Forschungsfeld von Linguisten? 7 Ein zentraler Diskussionspunkt in der Literatur ist es, so Tiwisina (2005: 129ff., speziell 133), dass bei einem ungenügenden Gutachten zwar ein weiteres Gutachten hinzuzuziehen ist, dass es aber stets im Ermessen des Richters liegt, zu beurteilen, wann ein Gutachten als ungenügend anzusehen ist. <?page no="243"?> 7.3 Aufgaben 243 3. Kann man eine Fremdsprache frei vom eigenen muttersprachlichen Akzent sprechen? In einem Prozess vor einem US-amerikanischen Gericht war ein Haitianer wegen Drogenhandels zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden. Ein wichtiger Beweis war ein verdeckter Tonbandmitschnitt des Deals. Das Englisch des Angeklagten zeigte einen deutlichen haitianischen Akzent, während der Sprecher auf dem Tonband einen afroamerikanischen Dialekt sprach. Der Angeklagte hatte mit 18 Jahren Englisch gelernt und dann bei der U.S. Army als Dolmetscher gearbeitet, was in den Gerichtsakten als ‚linguist ... duties‘ formuliert worden war. Im Kreuzverhör konfrontierte der Staatsanwalt den Angeklagten mit dem Terminus linguist, den er angeblich in einer aktuellen Ausgabe von Webster’s Dictionary nachgeschlagen hatte. Als linguist wurde dort jemand beschrieben, der sich mit Lautwandel beschäftigte. Diese Definition von linguist machte der Staatsanwalt zur Grundlage seiner Behauptung, Lautwandel sei die Fähigkeit, den eigenen muttersprachlichen Akzent fallen zu lassen. Auf dieser Grundlage formulierte er weitere (wissenschaftlich unhaltbare) Implikationen mit einem zunächst negativen Ausgang für den Angeklagten. Der für das Berufungsverfahren hinzugezogene Linguist stellte zunächst fest, dass diese Definition einer Auflage des Universal English Dictionary aus den 1950er Jahren entnommen war und sich in jüngeren Auflagen nicht mehr fand. 4. An welchen weiteren Punkten der Argumentation des Staatsanwalts würden Sie kritisch ansetzen? Skizzieren Sie Ihr argumentatives Vorgehen und vergleichen Sie es dann mit dem Vorgehen Rodmans. Rodman (2002). < 4! 9) In einem deutschen Entführungsfall versuchte einer der Gutachter zu klären, woher der Erpresser, der am Telefon eine dialektale Prägung seiner Aussprache zeigte, kam. Die Prozessbeteiligten waren sich einig, dass er ein ‚Hochdeutsch mit bairischem Einschlag‘ sprach. Auffällig war, dass der Anrufer Rückfragen sowohl mit der Partikel gell wie mit der Partikel nicht realisierte. Um eine mögliche Herkunft des Anrufers zu bestimmen, schlug der Gutachter im Wortatlas der deutschen Umgangssprachen von Eichhoff (1977/ 2000) nach und suchte nach dem Gebiet, in dem sich der Gebrauch von gell und nicht überschneidet. Da u.a. für die Städte Ellwangen und Nürnberg beide Formen verzeichnet waren, leitete er daraus die regionale Herkunft des anonymen Anrufers ab. 1. Was versteht man unter einem Sprachatlas? Wie gehen Sprachkartographen vor? 2. Klären Sie auch die Begriffe Isoglosse, Sprachgrenze und Diglossie. <?page no="244"?> 7 Linguistische Sachkunde vor Gericht 244 3. Welche Rolle spielt es unter dem Aspekt der Diglossie, dass nicht der gesprochenen Standardsprache angehört, gell hingegen dem süddeutschen Dialektraum? 4. Aus welchen Gründen ist das Vorgehen des Gutachters unzweckmäßig? Engel (1989, 1993). G * ' ! " & Zu Beginn dieser Einführung wurde bereits darauf hingewiesen, dass die aktuellen Fragestellungen forensisch-linguistischer Forschung und die Ausrichtung ihrer Praxis von den prozessrechtlichen Vorgaben des jeweiligen Staates geprägt sind. Da das bundesdeutsche und das US-amerikanische Prozessrecht sich unterscheiden, differieren auch die Regelungen, die festlegen, unter welchen Bedingungen und in welcher Form in einem Prozess auf fachwissenschaftliche Expertise zurückgegriffen wird. Diese anderen Voraussetzungen sind der Grund dafür, weshalb z.B. die Diskussion um die Zulassung linguistischen Wissens als expert testimony in der amerikanischen forensisch-linguistischen Literatur erkennbaren Raum einnimmt und sich Dinge als problematisch darstellen, die für das Selbstverständnis und die Tätigkeit eines ‚deutschen‘ Sachverständigen kaum eine Rolle spielen (vgl. Tiersma/ Solan 2002, Solan/ Tiersma 2004). Ein kurzer Ausblick auf das amerikanische Prozessrecht und auf die Rolle des amerikanischen linguistischen Sachverständigen soll daher dieses Kapitel abschließen. 8 G * / ! Der Richter im amerikanischen Zivilprozess übernimmt - anders als im deutschen Prozess - die Aufgabe des Schiedsrichters zwischen den beiden Parteien. In diesem adversary system kann er seine Aufgabe darauf reduzieren, darauf zu achten, dass die Verfahrensregeln eingehalten werden; inwieweit er eine aktivere Rolle übernimmt, bleibt ganz ihm überlassen (Schack 2003: 61). Die Jury übernimmt in diesem Sinne einen Teil der Aufgabe des Richters im deutschen Zivilprozess, indem sie die Tatfrage entscheidet, während der Richter ausschließlich die Rechtsfragen entscheidet. Die Beweisaufnahme im US-amerikanischen Zivilprozess erfolgt vor der Hauptverhandlung als sog. pretrial discovery durch die Parteien bzw. deren Anwälte in eigener Verantwortung. Die discovery erfolgt in alle Richtungen, denn das Ziel ist es, möglichst umfassende Informationen zu bekommen, da sich später herausstellen könnte, dass sie unter Umständen für den Streitgegenstand in irgendeiner Weise von Bedeutung sein könnten (Schack 2003). Dies hat natürlich auch Einfluss auf die Tätigkeit von linguistischen Sachverständigen und deren Ausgestaltung in einem USamerikanischen Prozess, denn die Sachverständigen werden im Zuge der discovery 8 Zur Stellung des Sachverständigen im englischen Zivilprozessrecht vgl. Tiwisina (2005). <?page no="245"?> 7.4 Ein Ausblick auf das amerikanische Prozessrecht 245 von den Parteien angefordert. Dabei wird mit allen Mitteln versucht, sich den besten Sachverständigen für die eigene Sache zu sichern, und so gelten die Sachverständigen allgemein als die Sprachrohre ihrer Streitpartei (vgl. Schack 2003, Shuy 2006). Wichtigster Teil der discovery ist die sog. deposition. Dazu kommen die Parteien, die Anwälte der Parteien, deren Zeugen und Experten zusammen, um von den Anwälten der jeweiligen Gegenpartei befragt zu werden. Dies geschieht unter Eid und wird schriftlich protokolliert. Ziel ist es, zu erfahren, was die Gegenpartei vorbringen und worauf sie sich in der Verhandlung stützen wird, um die eigene Partei auf die Verhandlung vorbereiten zu können. Ziel der z.T. ins Persönliche gehenden Fragen ist es aber auch, die Glaubwürdigkeit des Einzelnen zu prüfen und mögliche Schwachstellen in seiner Aussage aufzudecken, die später in der Verhandlung gegen ihn verwendet werden können. Nach einer langjährigen Tätigkeit als Sachverständiger resümiert Roger Shuy für sich, dass es diese Art des attackierenden Umgangs im Rahmen der deposition und später im Kreuzverhör sei, die die Arbeit als expert witness emotional ziemlich belastend und für zartbesaitete Gemüter fast unmöglich mache (2006: 57, 2004: 5). Er weist auch darauf hin, dass eine rein beratende Funktion des Linguisten für den Anwalt einer Partei die vorteilhaftere Form der Zusammenarbeit sein kann als die, als expert witness aufzutreten, weil der Anwalt dann frei darin ist, wie er das linguistische Wissen verwertet (2004: 5f.). Dies kann auch bedeuten, es im Prozess gerade nicht zu verwenden. Eine solche Tätigkeit bedeutet, offen zu legen, was das Material bietet und daran ggf. auch eine Empfehlung für den Umgang mit dem Material zu knüpfen. 9 Das Strafprozessrecht der einzelnen Bundesstaaten variiert stärker als das Zivilprozessrecht. In den meisten Staaten sind die Möglichkeiten der discovery im Rahmen eines Strafprozesses begrenzt. Der Angeklagte hat das Recht, Einsicht in die Unterlagen zu erhalten, z.B. in Protokolle, Sachbeweise und Gutachten, die der Ankläger in der Verhandlung verwenden wird. Kontrovers diskutiert wird die Frage, ob und inwiefern auch der Angeklagte seinerseits Unterlagen zur Verfügung stellen muss (Schmid 1993: 63), denn der Angeklagte ist in Strafverfahren durch den fünften und sechsten Zusatzartikel der Verfassung geschützt, die ihn u.a. dazu berechtigen, die Aussage zu verweigern, um sich selbst nicht zu belasten. G * 6 % Wie sich die Rolle des Richters, der Parteien und die Gestaltung der Beweisaufnahme in beiden Rechtssystemen unterscheidet, so unterscheidet sich auch die Definition dessen, was im Rahmen eines Sachverständigenbeweises vor Gericht zugelassen ist. 10 9 So konnte Shuy in einem Fall den Angeklagten davon überzeugen, zuzugeben, dass er auf dem Tonbandmitschnitt, den Shuy analysiert hatte, zu hören war. Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, Drogen verkauft zu haben. Die gesprächsanalytische Auswertung des Mitschnitts ergab, dass zwar zu hören war, wie er Wetteinsätze annahm, er aber an keinem Punkt über Drogen sprach. Da er wegen Drogenhandels vor Gericht stand und nicht wegen illegalen Buchmachens, wurde er frei gesprochen (Shuy 2004: 7). Vgl. auch Shuy (2006: 96-100). <?page no="246"?> 7 Linguistische Sachkunde vor Gericht 246 Anders als das deutsche Prozessrecht verspricht sich das US-amerikanische von einer möglichst umfassenden Informationsbeschaffung grundsätzlich Vorteile für eine erfolgreiche Rechtsfindung. Dies schließt es auch ein, eher sich widersprechende Gutachten zu einem Thema zuzulassen und die Entscheidungsfindung der Jury zu überlassen, als gar keine Gutachten heranzuziehen. Während es im deutschen Prozess stets das Gericht ist, das von einem wissenschaftlichen Ergebnis und der Solidität der angewandten Methoden überzeugt werden muss, ist es im US-amerikanischen Verfahren meistens die Jury. 11 Da die Jury einen Querschnitt durch die amerikanische Gesellschaft widerspiegeln soll, wird der Sachverständige auf Menschen treffen, die einen recht heterogenen Bildungshintergrund haben und sowohl in juristischer wie in linguistischer Hinsicht Laien sind. Dennoch hat die Jury die entscheidende Rolle wahrzunehmen, die Tatfrage zu beurteilen, und kann dies unter Umständen nur, wenn sie die relevanten fachwissenschaftlichen Zusammenhänge verstehen und in ihrer Aussagekraft bewerten kann. Zur intellektuellen Belastbarkeit der Jury gibt es unterschiedliche Meinungen; viele sind der Ansicht, dass die Jury mit ihrer Aufgabe im Allgemeinen restlos überfordert sei, so dass eine Hilfestellung durch expert testimony für eine solide Entscheidungsgrundlage unbedingt erfolgen müsse (Solan 1998), andere Richter sehen eher die Gefahr darin, die Jury durch expert testimony zu verwirren und ihre Entscheidungsfähigkeit dadurch zu gefährden. Die entscheidende Hürde für expert testimony im amerikanischen Prozess ist demnach ihre Zulassung als Beweismittel. Ob ein Experte und sein Gutachten als Sachverständigenbeweis zugelassen werden, entscheidet in Deutschland neben der persönlichen Eignung die berufliche Qualifikation. Wissenschaftlichkeit der Methodik wird dabei zunächst vorausgesetzt, dass sie u.U. nicht gegeben sein kann, ergibt sich dann erst im Nachgang im Laufe des Verfahrens, z.B. auf der Basis eines anderen Gutachtens. In den USA ist hingegen die Wissenschaftlichkeit der vom Experten angewendeten Methoden die Voraussetzung für seine Zulassung als Sachverständiger und sie muss von ihm für jeden Rechtsfall neu nachgewiesen werden. Natürlich haben die Parteien ein Interesse daran, dass es die Sachverständigen der Gegenseite sind, die der Richter nicht zulässt. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, besteht im Strafwie im Zivilprozess darin, vor der Verhandlung einen Antrag, die sog. Daubert motion, zu stellen. Die Daubert motion verlangt vom Richter zu prüfen, ob die Arbeitsweise des betreffenden Experten einen bestimmten Standard (den Daubert standard) erfüllt, damit er als Sachverständiger gehört und sein Gutachten als Beweismittel zugelassen werden kann. Daher ist es von unmittelbarer Bedeutung, wie der Experte sich, seine Methodik und seine Wissenschaft präsentiert. 12 Erfahrungs- 11 Es besteht auch die Möglichkeit, auf eine Jury zu verzichten und den Fall ‚direkt‘ vom Richter entscheiden zu lassen. 12 So ist es z.B. heikel, für die Gesprächsanalyse anzugeben, mit ihr könne man die Intentionen des Sprechers herausarbeiten. Diese Formulierung kann der Richter so (fehl)interpretieren, als <?page no="247"?> 7.4 Ein Ausblick auf das amerikanische Prozessrecht 247 gemäß wird dieser Antrag ganz überwiegend in Zivilverfahren gestellt. Obwohl die Staatsanwaltschaft regelmäßig forensische Fachdisziplinen heranzieht (z.B. für die DNA-Analyse, die Daktyloskopie u.ä.), wird Daubert motion in Strafprozessen selten beantragt. Der Daubert standard basiert auf den Federal Rules of Evidence, deren Funktion es ist, „pseudowissenschaftliche Aussagen von der Jury fernzuhalten“ (Schack 2003: 65). Rule 702 nennt Kriterien für die Zulassung von expert testimony, so dass der Richter ggf. die Zulassung eines Gutachtens verweigert, das diesen Kriterien seiner Meinung nach nicht genügt. Die Rules gelten zwar primär für das Prozessrecht des Bundes, aber sie sind insofern von allgemeiner Bedeutung, als die meisten Bundesstaaten sie in ihr Prozessrecht übernommen haben (Schack 2003: 12, 14). Bevor die Federal Rules of Evidence 1975 in Kraft traten, hatten sich die Gerichte bei der Bewertung der Zulässigkeit von expert testimony an dem Urteil Frye v. United States aus dem Jahr 1923 orientiert, in dem es um die (verweigerte) Zulassung eines Lügendetektortests ging. Der Test sollte dazu dienen, die Glaubwürdigkeit des Angeklagten in einem Mordfall zu untermauern. Das Gericht lehnte den Lügendetektor mit der Begründung ab, dass „the thing from which the deduction is made must be sufficiently established to have gained general acceptance in the particular field in which it belongs“ (293 F. at 1014, vgl. Solan/ Tiersma 2002: 224). 13 In zweierlei Hinsicht problematisch ist hier das alleinige Kriterium der allgemeinen Akzeptanz, die auch bei ausreichend etablierten Methoden nicht immer zu finden ist, und die die deutsche Rechtsprechung als Bedingung für den deutschen Sachverständigenbeweis auch nicht einfordert. Auch macht die Akzeptanz einer Methode diese noch nicht wissenschaftlich reliabel. So zeigte sich in den 1990er Jahren im Zusammenhang mit zahlreichen Fällen angeblichen Kindesmissbrauchs, dass mit der ‚allgemein akzeptierten‘ Methode der Hypnose bei den angeblichen Opfern das sog. false-memory syndrome ausgelöst wurde. Durch die Hypnose sollten sog. verschüttete Erinnerungen an entsprechende Ereignisse aufgedeckt werden. Diese allerdings, so stellte sich später heraus, waren von den Betroffenen nie erlebt worden. Die Auswirkungen auf die fälschlich überführten Angeklagten waren zum Teil ruinös, vgl. Lipton (1999). Anders als der Frye test macht Rule 702 die „general acceptability“ nicht zur Bedingung für die Zulässigkeit eines Sachverständigenbeweises, sondern gibt an, dass dieser dem Gericht zu helfen habe, den Sachverhalt zu verstehen, und sich der Sachverstänkönne Gesprächsanalyse klären, was der Sprecher eigentlich denkt und wird Linguistik dann als unseriös abtun (Shuy 1997). 13 Auch der BGH hat den Lügendetektortest wiederholt abgelehnt, zunächst mit dem Verweis auf die Menschenwürde, gegen die seine Anwendung verstoße. Die erneute Ablehnung stützt sich auf den fehlenden Beweiswert im Sinne des § 244 Abs. 3 StPO, nach dem ein Beweisantrag abzulehnen ist, wenn das Beweismittel völlig ungeeignet ist. Diese fehlende Eignung wurde durch Sachverständigengutachten ermittelt, die grundlegende methodische Fehler des Verfahrens offenlegten. Pressemitteilung des BGH 96/ 1998 vom 17.12.1998. <?page no="248"?> 7 Linguistische Sachkunde vor Gericht 248 dige durch sein Wissen, seine Fähigkeiten, seine Erfahrung und seine Übung oder Ausbildung als Experte definiere und daher seine Meinung äußern dürfe. Diese Formulierung wurde von vielen Befürwortern des Frye tests als Türöffner für sog. „junk science“ gesehen. Der Frye test wurde schließlich von den Daubert-Kriterien abgelöst, die Bestandteil einer Entscheidung des Supreme Courts im Verfahren Daubert v. Merrell Dow Pharmaceuticals, Inc. waren. Im Jahr 1993 hatten Mütter, die das Arzneimittel Bendectin des Pharmaunternehmens Dow Pharmaceuticals während der Schwangerschaft eingenommen hatten, geklagt, weil das Medikament ihrer Meinung nach Schädigungen an ihren ungeborenen Kindern hervorrufen hatte. Sie bezogen sich dabei auf Experten, die Tierversuche durchgeführt hatten, deren Ergebnisse diesen Verdacht bestätigten. Die bis dahin veröffentlichte Literatur zu dem betreffenden Mittel suggerierte das Gegenteil. Das Gericht lehnte die Sachverständigen mit der Begründung ab, dass die Forschung nicht publiziert sei und daher gemäß dem Frye test nicht die Standards allgemeiner Akzeptanz erfülle, die ihrerseits die Voraussetzung für die Zulässigkeit als Beweismittel war. Die Kläger gingen in die Berufung. Das Urteil wurde schließlich vom Supreme Court aufgehoben, und dieser entschied, dass es weitere Kriterien gebe, die die Zulässigkeit eines Beweises bestimmten. Der Supreme Court verfuhr zweigleisig. Zum einen legte er fest, dass der gewählte Sachverständige nur dann zugelassen werden solle, wenn seine Sachkunde für den Fall relevant sei. Zum anderen entschied der Supreme Court zwar nicht, was einen Beweis wissenschaftlich gültig mache, nannte aber zu dessen Bewertung vier Kriterien. Diese Kriterien fragten danach, ob (1) Theorie oder Methode getestet wurden, ob sie (2) Gegenstand einer Begutachtung waren und veröffentlicht wurden, (3) wie hoch die bekannte ‚rate of error‘ sei und (4) ob Theorie oder Methode allgemein in der scientific community akzeptiert seien. In zwei weiteren Fällen bestätigte der Supreme Court seine Auffassung. In einem der Fälle, Kumho Tire v. Carmichael aus dem Jahr 1999, hatte das Gericht als Experten einen Fachmann aus der Industrie zugelassen, der seine Expertise mit seiner praktischen Erfahrung begründete, und der Supreme Court bestätigte, dass die Anwendung von Daubert auch derartiges Expertenwissen umfasse. Auf diesen drei Entscheidungen (Daubert trilogy) basiert auch die neuerliche Änderung von Rule 702 aus dem Jahr 2000, bei der der ursprüngliche Wortlaut dahingehend ergänzt wurde, dass (1) das Sachverständigengutachten auf ausreichender quantitativer Basis stehen müsse, dass es (2) auf verlässlichen Methoden und Prinzipien zu basieren habe und dass (3) der Sachverständige diese in verlässlicher Form auf die Fakten des Falls anzuwenden habe. G * # In der Theorie mag die Linguistik diesen Anforderungen ohne Probleme genügen. Zudem zielen viele Fragen auf Bereiche ab, in denen die Linguistik zahlreiche Mittel bereitstellt, z.B. in Semantik, Syntax und Pragmatik oder dem Fremdspracherwerb. Diskussionen innerhalb der Disziplin kommen dabei meist gar nicht zur Sprache. Dennoch wird linguistische Expertise im Rahmen der Daubert motion ebenso häufig <?page no="249"?> 7.4 Ein Ausblick auf das amerikanische Prozessrecht 249 abgelehnt wie sie als Beweismittel zugelassen wird. Nach der Erfahrung von Tiersma/ Solan (2004) betrifft dies auch den Bereich der Autoren- und Sprechererkennung, der in den USA weitaus umstrittener ist als in Deutschland. US-amerikanische Gerichte zweifeln manchmal daran, ob Linguistik die Standards von Daubert oder Frye erfüllt. Dies betrifft zum Beispiel die Fehlerquote, die bekannt sein muss, oder die Falsifizierbarkeit. Da Linguistik keine Naturwissenschaft ist, kann diese Antwort nicht absolut und prozentual, sondern stets nur relativ und in Hinblick auf den Einzelfall erfolgen. Obwohl der Supreme Court in seiner Urteilsbegründung darauf hingewiesen hatte, dass der Daubert Standard gerade nicht als Testliste anzuwenden sei, verfahren viele Richter genau so und weisen expert testimony zurück, wenn die betreffende Methode ihrer Meinung nach eines der Kriterien nicht erfüllt. Als „remarkable state of affairs“ (2002: 230) bezeichnen Solan/ Tiersma die Begründung des Gerichts im Fall US v. Clifford für die Entscheidung, linguistische Expertise nicht als Beweismittel zuzulassen. Der betreffende Linguist hatte erläutert, dass es nicht möglich sei, bei der Analyse eines anonymen Briefes auf der Basis stilistischer Merkmale einen bestimmten Autor zu identifizieren und zugleich alle anderen auszuschließen; allenfalls könne man einen bereits bestehenden Verdacht bestätigen - eine Definition, der man sofort zustimmen kann. Der Richter interpretierte nun diese Erklärung dahingehend, dass Linguistik nicht zu eindeutigen Ergebnissen kommen könne, und daher weder Frye noch Daubert genüge. Problematisch war hier, dass die Kriterien von Daubert deshalb falsch angewendet wurden, weil der Richter eine verfehlte Auffassung davon hatte, was wissenschaftliche Methodik im Kern ausmacht (Solan/ Tiersma 2002: 229). <?page no="251"?> H Bei vielen der in diesem Buch abgedruckten Texte ist der wahrscheinliche oder tatsächliche Autor nur den ermittelnden Behörden bekannt. Oft bleibt die Autorschaft auch ungeklärt, weil das Erstschreiben keine Konsequenzen zeigte und keine weiteren Schreiben folgten. Die folgenden drei Fälle erfuhren seinerzeit ein relativ großes Medienecho. Als die jeweiligen Täter gefasst wurden, gestanden sie auch, die betreffenden Briefe geschrieben zu haben, so dass sich die Hypothesen, die sich aus der linguistischen Analyse ergeben, verifizieren bzw. falsifizieren lassen. 9 & ! 4 9 - ! O 3 # HP Verschiedene Polizeidienststellen und auch das BKA erhielten noch weitere, z.T. sehr umfangreiche Briefe desselben Schreibers, in denen er den Mord an insgesamt 11 anderen Frauen gestand. Durch einen Drohbrief an DJ Ötzi, der im Sommer 2007 in Weiskirchen im Saarland ein Konzert gab, kam die Kripo dem Schreiber schließlich auf die Spur. Eine DNA-Analyse ergab, dass sowohl die Geständnisse wie auch der Drohbrief an DJ Ötzi von ein und derselben Person stammen mussten. Diesem Brief hatte eine ausgeschnittene Zeitungsankündigung des Konzerts beigelegen, die aus einem kostenlosen Wochenblatt stammte, das nur in einem sehr begrenzten Raum, nämlich in der Gemeinde Weiskirchen verteilt worden war. Da sich die Polizei nun ziemlich sicher war, dass der Emittent aus Weiskirchen oder Umgebung stammen musste, veröffentlichte sie in der Sendung Aktenzeichen XY ein Foto der handschriftlich geschriebenen Adresse. Ein Postbote erkannte schließlich die Handschrift wieder. Anders als erwartet handelte es sich bei dem Schreiber der Briefe nicht um einen Rentner, sondern um einen 34jährigen psychisch kranken Mann. Mit der Postkarte, die dem Postboten aufgefallen war, hatte er aus einer psychiatrischen Einrichtung Grüße nach Hause geschickt. Das angebliche Geständnis betraf einen fast 40 Jahre zurückliegenden ungeklärten Mordfall. Die Schülerin Lydia Schürmann war am 26.4.1962 von zu Hause ausgerissen, zur nahegelegenen Autobahn gelaufen und dann Richtung Westen getrampt. Ihre Leiche wurde im Sommer 1962 in einem Waldstück bei Bielefeld von Pilzsammlern gefunden. Das angebliche Täterwissen (den Fundort der Leiche, die vergessenen Sachen, die Route, die das Mädchen auf der Hinfahrt genommen hatte und sein geschätztes Alter) hatte der Briefschreiber aus der Sendung von Aktenzeichen XY vom 5.7.1968, in der sich die Kriminalpolizei sechs Jahre nach dem Fund der Leiche an die Öffentlichkeit gewandt hatte. Bei der Wohnungsdurchsuchung des Briefschreibers <?page no="252"?> 8 Anhang 252 fand sich ein umfangreiches Medienarchiv, das auch alle Sendungen von Aktenzeichen XY enthielt. 1 6 O 3 # HP Die Zeugenaussage stammt vom Täter selbst, in diesem Fall einer Frau. In einem Maisfeld in einer ländlichen Gemeinde in Schleswig-Holstein war im Sommer 2008 die Leiche einer älteren Frau gefunden worden, die zunächst nicht identifiziert werden konnte. Über einen Aufruf im Fernsehen konnte die Identität der Frau schließlich ermittelt werden. In ihrem Umfeld fand sich dann auch die Täterin. Der angebliche Pole und das rote Auto waren eine Erfindung. Die Täterin beteuerte, die ältere Frau habe sterben wollen, sie habe mit ihr alles geplant. Als sie aber den Inhalt des Glases mit dem Medikamentencocktail verschüttet habe, habe die Frau sie aufgefordert, sie stattdessen zu würgen. Dem glaubte das Gericht nicht, sondern ging davon aus, dass das Opfer doch nicht sterben wollte, und dass sich die Tat tatsächlich so zugetragen hatte, wie es der Brief beschrieb: Als sich das Opfer weigerte, habe ein Kontrollverlust auf der Seite der Täterin stattgefunden. 2 Von ihrem Aufbau her ist die Geschichte nicht vollständig. Die Wiedergabe des Handlungsablaufs bis zum Würgen des Opfers weist keine Lücken auf, dann bricht die Schilderung ab. Es fehlt eine Bewertung der gesamten Situation (als Evaluation) und eine Beschreibung des eigenen Seelenzustandes in der Coda bzw. dem Epilog. Stattdessen folgt unmittelbar eine Personenbeschreibung mit einem irrelevanten Detail bezogen auf die Größe der Füße, die den Epilog ersetzt. Die Formulierung der Schlussformel signalisiert eher, dass die Schreiberin der Polizei nicht weiterhelfen will. ' ) 0 O # # 2P Der Emittent zeigt eine muttersprachliche Kompetenz des Deutschen. Er strukturiert den Brief durch Absätze und Fettdruck, d.h. er zeigt auch Schreiberfahrung bzw. Erfahrung im Umgang mit Textverarbeitungsprogrammen. Inwieweit er in einem schreibenden Beruf tätig ist, kann nicht festgestellt werden, die geringe Fehlerquote des Briefs schließt dies jedoch nicht aus. Vergleichbares gilt für den Bildungsstand; auch hier spricht die geringe Fehlerquote indirekt für einen höheren Schulabschluss. Die Kleinschreibung hat nur geringe Aussagekraft; sie spricht nicht dagegen, dass der Emittent in anderen Kontexten Regeln der Großschreibung beachtet. Der Brief weist nur einen orthographischen Fehler auf, wann statt wenn, der zugleich auch ein gram- 1 Aktenzeichen XY vom 5.7.1968 und vom 31.7.2008, http: / / www.youtube.com <04.01.2011>, http: / / azxy.community host.de/ thread/ ? thread__mid=678139814 <10.01.2011>, Kaiser, Simone/ Andreas Ulrich (2008): Ein Brief zuviel. In: DER SPIEGEL 45, 52. 2 http: / / www.bild.de/ BILD/ regional/ hamburg/ aktuell/ 2009/ 03/ 14/ mord-im-maisfeld/ wirre-luegen-nach-der-tat.html<11.01.2011>, http: / / www.spiegel.de/ panorama/ justiz/ 0,1518,632817,00. html <11.01.2011>. <?page no="253"?> 253 matischer Fehler ist. Dieser Fehler kann als Interferenzfehler aus dem Englischen oder einer anderen Sprache gedeutet werden, hat aber aufgrund seiner isolierten Stellung nur geringe Aussagekraft. Eine grobe regionale Zuordnung ist durch das Lexem Plastetüte möglich, der ostdeutschen Variante von Plastiktüte. Eine Schlussfolgerung könnte sein, dass der Emittent entweder aus dem Osten Deutschlands stammt oder dort schon sehr lange wohnt. Interessant sind die thematische Entfaltung und die Wiederaufnahme der fakultativen Funktionen: Das Verlangen nach keine Polizei fungiert durch den Fettdruck fast als eine Überschrift oder Betreffzeile, die Wendung leitet auch die Modalitäten der Geldbeschaffenheit ein und schließt den Text ab. Sie dominiert damit die übrigen Anweisungen des Textes, die durch die Positionierung von keine Polizei auch rein textstrukturell in diese Forderung eingebettet sind. Weiterhin beschreibt der Emittent - gemessen am Gesamtumfang des Textes - ausführlich die Art, wie das Geld verpackt werden soll, und er erklärt auch, weshalb. Ebenso erklärt er, weshalb er eine bestimmte Handlungsweise einfordert. Auch der Verweis auf das entführte Kind erfolgt dreimal und in allen Fällen thematisch. Er ist durchweg positiv formuliert: „geben k. frei“, „kind kommt frei“, „ans kind denken“. Eine negative Handlungsankündigung mit möglichen Konsequenzen für das Kind, das ja das Faustpfand des Täters ist, fehlt. Der Fokus des Emittenten, wie er sich aus der sprachlichen Realisierung der Lösegeldforderung ableiten lässt, liegt auf der Geldübergabe, insbesondere auf der Sorge, dass technische (Geld fällt aus der Tüte) und personelle Probleme (Polizei ist vor Ort) es unmöglich machen könnten, an das Geld zu kommen. Ebenso präsent ist der Fokus auf das Kind, das, wenn es erwähnt wird, allen drei Aspekten der Erpressung (Geldforderung, Beschaffenheit des Geldes, Polizei) jeweils vorangestellt ist. Dies könnte bei aller Zurückhaltung darauf hindeuten, dass dem Emittenten das Schicksal des Kindes nicht gleichgültig ist. Der Emittent ist ein 45 Jahre alter Geschäftsmann, er wurde in Tansania als Kind eines Entwicklungshelfers geboren und wuchs in Kenia auf. Er ist geschieden, selbst Vater von drei Kindern und hat Jura studiert. Der Beweggrund für die Kindesentführung ist akute Geldnot, da er mit seinem Geschäft stark verschuldet ist. Der Fall ereignete sich am 10.2.2011 in Kleinmachnow im Kreis Potsdam-Mittelmark. Der Täter hatte das vierjährige Mädchen vor den Augen der Mutter entführt, als diese das Kind morgens zur Tagesmutter bringen wollte. Er bedrohte die Mutter mit einer Sichel, hinterließ den Brief mit der Lösegeldforderung und fuhr mit dem Kind davon. Auf einem Campingplatz ging er mit ihm spazieren, kaufte ihm etwas zu essen und sang ihm Lieder vor. Mit einem Teil der 60.000 Euro wollte er seine Schulden tilgen. Angesichts dieser niedrigen Lösegeldforderung ging die Polizei von einem Ersttäter aus. Diese Einschätzung bestätigte sich, als bekannt wurde, dass der Täter das Tatfahrzeug in Kleinmachnow gemietet hatte. Am Abend erfolgte dann die Geldübergabe. Sobald der Täter das 8 Anhang <?page no="254"?> 8 Anhang 254 Geld an sich gebracht hatte, ließ er das Kind in Kleinmachnow wieder frei. Kurze Zeit später überwältigte die Polizei den Entführer. 3 3 http: / / www.pnn.de/ 374655 <16.2.2011>. Wangemann, Ulrich/ Kaufmann, Marion (2011): 13 Stunden Nervenkrieg. In: Märkische Allgemeine Zeitung vom 12./ 13.2.2011, S. 3. <?page no="255"?> 8 - & % & X' # ¡ ) \ ~ # < " > ' > & ? & ~ & >^ * ) * " X' > *~* *Q X' ~ & X' *~_ * X' ' > *
* # * >~ * = > X' * >~ * = > X' \ X' *=% % X' >Q > & X'" * = > X' ( ~ ~ Q& > ' X' ' > " ~ X' & # ~~ ~ 'Y}~ _ X' Y& X'
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Kontamination 155, 156 Brief Makrostruktur 97 cognitive load-Hypothese 189, 210 Daubert motion 246, 248 Daubert standard 246, 247, 248 Deklaration 79 Dialogizität 87 Dolmetschertätigkeit 18 Dreischritt 227, 238, 241 Drohbrief 52, 79, 88, 89, 90, 97, 251 Drohen (Sprechakt) 88, 89 Dudennorm 145 empirischer Autor 42, 43, 48, 49, 50, 51, 52, 56 Entlastungsbeweis 35 Erlebnisbasiertheit 195, 198, 203, 204, 207, 208, 210 Erpressen (Sprechakt) 88, 89, 136 Erpresserschreiben 18, 21, 51, 52, 62, 71, 74, 76, 77, 78, 79, 81, 87, 89, 91, 98, 146, 158, 160, 161, 167, 171, 175, 224, 227 Erpressung Phänomenologie 75, 76, 208, 221 Erwerbssequenzen Syntax 150, 151, 162, 168, 170 Erzähltheorie 48, 203 Ethnokategorien 72 expert testimony 244, 245, 246, 247, 249 expert witness 245 Experten-Laien-Kommunikation 18 face-threatening acts 81, 189 Fallstruktur 226, 228 falsche Freunde 150 Fehleranalyse 50, 97, 107, 139, 143, 157, 158, 176, 181, 182, 239 Fehlerdefinition 147 Fehlerdichte 164, 165 Fehlererklärung, monokausale vs. multikausale 149 Fehlerhierarchie 166, 167 Fehlerschwere 163, 164, 165, 166, 167, 173 Fehlertaxonomie 152 Fehlertyp Anordnung 155 Auslassung 155, 176, 178 Kontamination 140, 153, 155, 156 Selektion 155, 164, 176, 178 Fehlerursache 149, 152, 155 fingierte Fehler 174, 175 Foreigner talk s. Xenolekt 175 forensische Stilistik, s. Stilanalyse 142 <?page no="280"?> 11 Register 280 forensische Textanalyse 49, 57, 67, 107, 122, 143, 145, 147, 152, 155, 159, 162 Freiheitsgrad 114 Geschäftsbrief 72, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 85, 141, 146 Gesprächsanalyse 246 Geständnis 18, 100, 110, 115, 204, 206, 222, 251 geteiltes Wissen 216 Glaubhaftigkeit 85 Glaubwürdigkeit der Person 185 Glaubwürdigkeitsstereotypien 188 globaler Fehler 164, 166 Grice’sche Kommunikationsmaximen 186, 194 Grundform 89, 90, 91, 94 erweiterte 91 Handlungsbereich 73, 84 Handlungsoptionen 51, 226, 229 hapax legomenon, s. a. Plagiat 53, 54 Häsitation 193 Hauptkomponentenanalyse 126 Heckenausdrücke 218, 223, 224 Höflichkeit 32, 67, 76, 79, 81, 82, 83, 146 Hypothesenbildung 57, 132, 228 Illokutionshierarchie 98, 99 Illustratoren 193 impliziter Autor 47 impression management 188, 219 Individualstil 59, 109, 121, 122, 124, 128 Inhaltsvalidität 122, 125 Inkonsistenz 49, 111, 203, 204, 207, 217, 220, 222 textstrukturelle 207, 213, 217, 220 Interferenz 157, 158, 176 Interlanguage 149, 150, 151 Jury Instruktionen 18 Kanaldiskrepanz 193, 194 kategoriale Beschreibung des Emittenten 67, 97 Kollektivbeleidigung 33, 34 Kommunikation im Gerichtssaal 17 Konstruktvalidität 122, 123, 125 Konversationsmaximen Verletzung 191, 213, 216 Konzept der Wohlgeformtheit 203 Kooperationsprinzip 136, 216 Korrektheit der sprachlichen Mittel 144 Korrektheit des Sprachgebrauchs 144 Koselektion 119 kriterienbezogene Validität 122, 123 leaking 193, 194 Lernersprache 149, 150, 157, 173, 174 lexical richness 109, 120 linguistischer Sachverständiger 233 local error 163 Lüge Alltagsdefinition 97, 187, 189, 190 Kriterien 194, 199, 215 Merkmal 188, 194, 199 Lügendetektortest 192, 247 Mahnbrief 75 Markenname 28, 29, 30 Markenrecht 28, 29 Markiertheit, s. Negation 217 Merkmalsbündel 127, 128, 198 stilistische 124, 126, 128, 198 merkmalsorientierte Inhaltsanalyse 189, 196, 224 Miranda Rights 17 misordering s. Anordnungsfehler 155 misselection s. Selektionsfehler 155 Mitautor 42 monitoring 188, 198, 209 motivationsbezogene Inhalte 218 narrative Elemente 48, 206 negatives Gesicht, s. Höflichkeit 81, 83 nicht-muttersprachliche Kompetenz 63, 67 Norm 61, 74, 75, 107, 143, 144, 145, 152, 160, 239 Normabweichung 148 Normalverteilung 124 Normorientierung 145 Normsubjekt 145 Normverstoß 75, 147 Nullhypothese 57, 58, 59, 60 Oberflächenvalidität 122 Objektive Hermeneutik 224 <?page no="281"?> 11 Register 281 Orthographische Fehler 153 overhearer 111 Partnerbezug 84, 86 Personenbeweis 185, 186 Plagiat 18, 52, 53, 54, 55, 61, 120 Polygraphentest, s.a. Lügendetektortest 192, 194 positive-bias 194 postulierter Autor 43, 47, 48, 49, 50, 51, 95 pretrial discovery 244 principal component analysis 126 Privatgutachten 233, 235 Produktfehler 35 Prototypentheorie 25, 26 Pseudonym 34, 121 QSUM-Kontroverse 116 reality monitoring 198, 209 Realkennzeichen 130, 195, 198, 199, 200, 203, 211, 219 Rechtslinguistik 15, 17, 19 Rechtssprache 15 Regel 61, 64, 76, 82, 83, 125, 144, 145, 146, 147, 149, 156, 168, 182, 206, 210, 226, 239, 252 Verstoß 147 Regelgeleitetheit 226 Register 20, 119, 121, 143, 145, 146, 174 Relevanzpunkt 170 Reliabilität 122, 125 Rezeptionsstrategie 131 Rules of Evidence 247, 248 Sachbeweis 185 Sachverständigenbeweis 233, 234, 245, 246, 247 Sachverständiger Aufgabe 18, 20, 21, 59, 62, 69, 127, 128, 132, 185, 233, 234, 235, 237, 238, 239, 241, 242, 244, 246, 248 Satzlänge 109, 116, 119, 120, 122, 123, 124, 125, 130, 200, 201 Satztypen 112, 113, 114 Schadensersatz 37 Schreiber Merkmale 43 Schreibkompetenz 49, 56, 62, 67, 145, 159, 160, 161, 162, 163, 171, 203 Selbsterzählung 48 Selbstkorrektur 161 Selbstreferenz 199, 211, 215 Sequenzanalyse 48, 49, 56, 224, 225, 226 Silbengelenk 161, 176 singuläre Autorschaft 41, 42 sozialer Kontext 73, 84 Spracherwerb 147, 151, 174, 181 Sprachgebrauch allgemeiner 16, 22, 25, 28, 43, 58, 129, 236 Sprachkompetenz 18, 49, 55, 152, 159, 162, 167, 171, 173, 174, 185 sprachliche Ähnlichkeit s. Verwechslungsgefahr 29 sprachliche Benachteiligung 18 sprachliche Korrektheit 145, 147, 149 Sprachnorm 144, 145 Sprachprofilanalyse 167, 171, 178 Sprachstandsmessung 167 Sprechakt 37, 83, 88, 89, 137, 187 Standardwelt 72 Stereotyp 173 Stil Muster 17, 49, 73, 74, 75, 77, 90, 91, 95, 97, 99, 104, 125, 126, 131, 132, 136, 138, 139, 162 Stilanalyse 58, 67, 107, 108, 109, 111, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 130, 131, 138, 139, 143, 198, 224, 225 Probleme 128 qualitative 126, 127, 131 quantitative 108, 109, 120, 123 Stilbegriff deviatorischer 107, 128, 129 kommunikativer 107 Stilkonzept 116, 118, 122, 125 Stilmerkmale 108, 120, 121, 122, 125, 127, 128, 133, 198 lexikalische 120 Stilschwankungen 76 subsidiäre Handlung 99, 100 Suizid 52, 101, 102, 103, 104, 201 <?page no="282"?> 11 Register 282 suizidaler Stil 200 Suizidalität 101, 102, 105 Cluster 101 Symptomäquivalenz 193 syntaktische Fehler 155 syntaktische Korrektheit 144, 147 Tarnhandlung 49, 173 tätliche Beleidigung 32 Tatschreiben 57, 58, 60, 72, 109, 127, 181, 238 Textbausteine 78 Textbegriff Definition 67, 69, 70, 225 Textfunktion 68, 73, 84, 88, 90, 94, 95, 97, 133, 175 Textmusterwissen 52, 75, 78, 208 thematische Muster 90, 91, 104 Themenentfaltung Arten 137 Transfer 149, 150, 155, 157, 158, 178 Transkript 69 Undeutsch-Hypothese 196 unlauterer Wettbewerb 28 Validität 118, 122, 123, 125, 130, 197, 219 Validität der Stilmerkmale 122 Varietät 30, 143, 144, 147 Dialekt 160, 163, 243 Fachsprache 15, 129, 162 Non-Standard 143, 144 Verbale Lügenmerkmale 199 Verständlichkeit 17, 35, 36, 38, 147, 148, 163, 164, 165, 166, 175, 215, 239 Verstellungsstrategie 185 Verwechslungsgefahr 29, 30, 31 Wahrscheinlichkeitsaussage 59, 61, 130 Wahrscheinlichkeitsgrade 61, 62 Warnen (Sprechakt) 37 Wissenschaftlichkeit 37 Wissenschaftlichkeit der Methode 246 Wissenstransfer 22 Wohlgeformtheit 39, 49, 164, 174, 196, 197, 204, 224 Wortlänge 119, 123, 124, 125, 126 Wortschatz 170, 180 X 2 -Test 114 Xenolekt 174 Zeugenaussage 18, 48, 100, 111, 130, 185, 196, 204, 206, 207, 213, 218, 223, 252 Zusatzfunktion fakultative 51, 90, 92, 93 <?page no="284"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de NEUERSCHEINUNG HERBST 2010 JETZT BESTELLEN! JE Ruth Albert/ Nicole Marx Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachlehrforschung Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht narr studienbücher 2010, 202 Seiten, €[D] 19,90/ SFr 30,50 ISBN 978-3-8233-6590-7 Das Studienbuch bietet eine systematische Anleitung für Studierende, die eine quantitativ vorgehende empirische Untersuchung im Bereich Linguistik/ Sprachlehrforschung planen. Jeder einzelne Schritt wird ausführlich erklärt: vom Finden einer genau definierten Untersuchungsfrage über die Methoden der Datenerhebung (Beobachtung, Befragung, Experiment und Nutzung von Textkorpora) und -auswertung sowie deren statistischer Aufbereitung bis zum Schreiben des Forschungsberichts. Zu allen Kapiteln gibt es Übungsaufgaben mit Lösungshinweisen und ausführliche Hinweise auf weiterführende Literatur. <?page no="285"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de NEUERSCHEINUNG AUGUST 2011 JETZT BESTELLEN! Claudia Meindl Methodik für Linguisten Eine Einführung in Statistik und Versuchsplanung narr studienbücher 2011, 302 Seiten €[D] 22,90/ SFr 32,90 ISBN 978-3-8233-6627-0 Wie erhebt man linguistische Daten und wertet sie professionell aus? Mit der Umstellung auf Bachelor und Master haben viele Universitäten Lehrveranstaltungen zur Methodik in die Module ihrer Studiengänge aufgenommen. Das Studienbuch gibt dazu passend eine anwendungsorientierte Einführung in die Versuchsplanung und in die beschreibende und erklärende Statistik. Neben Tipps aus der Praxis werden auch die Grundlagen methodischen Arbeitens wie die Erkenntnis-, Mess- und Wahrscheinlichkeitstheorie vermittelt. Mathematikkenntnisse werden nicht vorausgesetzt. Die Autorin erklärt den Umgang mit Formeln, führt aber auch in die gängigen Statistikprogramme (SPSS und R) ein. Durch anschauliche Beispiele und Übungsaufgaben ist das Lehrbuch auch zum Selbststudium geeignet. Zielgruppen: Studenten der Linguistik und der angrenzenden Disziplinen, Lehrende im Bereich Methodenlehre. 077211 Auslieferung August 2011.indd 4 16.08.11 14: 57 <?page no="286"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.narr.de · E-Mail: info@narr.de Werbung ist ein beliebtes Forschungsobjekt der germanistischen Sprachwissenschaft, und die Werbesprache wird gerne als Thema für Seminar- und Magisterarbeiten gewählt. Das vorliegende Studienbuch stellt einerseits die werbewissenschaftlichen Grundlagen bereit, die auch für sprachwissenschaftliche Analysen unerlässliche Rahmendaten abgeben. Zum anderen wird in die unterschiedlichen linguistischen Fragestellungen eingeführt, unter denen Werbung untersucht werden kann. Methodische Hinweise, Wissens- und Diskussionsfragen sowie Anregungen zu bisher nicht untersuchten Aspekten machen dieses Arbeitsbuch zur geeigneten Seminargrundlage. Die 5. Auflage des bewährten Studienbuches wurde komplett überarbeitet, die Werbebeispiele und Aufgaben wurden erneuert, die Bibliographie wurde aktualisiert. Fernseh- und Hörfunkspots erfahren nun gebührende Berücksichtigung, und ein Beitrag von Jens Runkehl führt in die Formen der Internet-Werbung ein. Nina Janich Werbesprache Ein Arbeitsbuch narr studienbücher 5., erweiterte Auflage 2010, 324 Seiten, €[D] 19,90/ SFr 33,50 ISBN 978-3-8233-6550-1 047010 Auslieferung Juni 2010.indd 7 09.06.10 08: 55 <?page no="287"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.narr.de · E-Mail: info@narr.de Das vorliegende Studienbuch vereint die Beiträge verschiedener renommierter Textlinguistinnen und Textlinguisten des deutschsprachigen Raumes und gibt so einen Überblick über Forschungsfragen und Methoden der Textlinguistik von ihren Anfängen bis heute. Dabei werden klassische Ansätze der Textgrammatik, Textsemantik und Textpragmatik ebenso diskutier t wie aktuelle kommunikativ orientierte, kognitions- und diskurslinguistische Perspektiven auf Text; neben Aspekten wie Textsorten/ Texttypologien und Intertextualität sind auch die jüngsten Erweiterungen der Textlinguistik in der Hyper text- und Computerlinguistik berücksichtigt. Mit einem anwendungsorientierten Schwerpunkt auf Fragen der Textproduktion und Textrezeption reicht die Einführung schließlich weit über das übliche Themenspektrum einer Textlinguistik-Einführung hinaus. Nina Janich (Hg.) Textlinguistik 15 Einführungen narr studienbücher 2008, 384 Seiten, €[D] 24,90/ SFr 44,00 ISBN 978-3-8233-6432-0 094208 Auslieferung Oktober 2008.indd 25 22.10.2008 19: 46: 23 Uhr <?page no="288"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de NEUERSCHEINUNG MAI 2011 JETZT BESTELLEN! Christiane Driesen Haimo-Andreas Petersen Gerichtsdolmetschen Grundwissen und -fertigkeiten narr studienbücher, 2011, X, 229 Seiten, zahlreiche Abb., €[D] 19,90/ SFr 28,90 ISBN 978-3-8233-6477-1 Die anspruchsvolle Tätigkeit als Übersetzer und Dolmetscher an Gerichten und Behörden erfordert neben hervorragenden Sprachkenntnissen auch juristisches Know-how sowie Erfahrung in den verschiedenen Dolmetsch-Techniken. Dieses Studienbuch vermittelt sowohl die verschiedenen für das Gerichtsdolmetschen und -übersetzen notwendigen Kompetenzen als auch das benötigte juristische Grundlagenwissen über Zivil- und Strafverfahren. Damit bereitet es zuverlässig auf die Zulassung für die Beeidigung bzw. Vereidigung als Gerichtsdolmetscher vor und ist zum Selbststudium wie für Teilnehmer eines Lehrgangs geeignet. 047211 Auslieferung Mai 2011.indd 4 18.05.11 10: 31