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Pilgerheilige und ihre Memoria

1207
2011
978-3-8233-7684-2
978-3-8233-6684-3
Gunter Narr Verlag 
Klaus Herbers
Peter Rückert

Mit den Pilgerheiligen und ihrer Memoria führt der Band zwei vieldeutige Begriffe programmatisch zusammen. Anhand von Beispielen des Heiligenkultes im Elsass und auf dem Jakobsweg in Spanien wird nach den verschiedenen Ausdrucksformen von rituellem Gedenken und Erinnern gefragt. Im Mittelpunkt steht die Verehrung von "Pilgerheiligen", deren Kult vor allem in der Pilgerschaft ihren Ausdruck fand und im Spätmittelalter eine besondere Blüte erfuhr, die Wallfahrtsziele von überregionaler Bedeutung repräsentierten und deren Memoria im sozialen Gefüge der mittelalterlichen Gesellschaft von bedeutender Relevanz war. Ausgehend von Elsass als Sakrallandschaft wird den engen Verflechtungen mit dem Oberrhein und der Pfalz, mit Norddeutschland, Böhmen und der Iberischen Halbinsel nachgegangen. Der Bogen wird gespannt von der hl. Odilia, deren Kult bis nach Prag reichte, über die Verehrung der hl. Kaiserin Richgard in Andlau sowie des hl. Theobald in Thann und des hl. Pirmin in Hornbach bis hin zum hl. Dominikus de la Calzada, dessen Wirken eng mit dem Jakobuskult verwoben ist. Die Förderung des Jakobsweges durch Alfons VI. von Kastilien und die Haltung des Straßburger Münsterpredigers Johann Geiler von Kaysersberg zum Wallfahrtswesen vervollständigen den Gesamtüberblick über die vielfältige Memoria von Pilgerheiligen.

<?page no="0"?> Jakobus - Studien Pilgerheilige und ihre Memoria herausgegeben von Klaus Herbers und Peter Rückert <?page no="1"?> Pilgerheilige und ihre Memoria <?page no="2"?> Jakobus-Studien 19 im Auftrag der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft herausgegeben von Klaus Herbers und Robert Plötz <?page no="3"?> Pilgerheilige und ihre Memoria herausgegeben von Klaus Herbers und Peter Rückert <?page no="4"?> Titelabbildung: Johannes Gerson als Pilger. Titelblatt der Gerson-Ausgabe Geilers von Kaysersberg (Straßburg 1488). Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Satz: typoscript, Walddorf-Häslach Printed in Germany ISSN 0934-8611 ISBN 978-3-8233-6684-3 <?page no="5"?> Inhalt Klaus Herbers/ Peter Rückert Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Peter Rückert Die heilige Odilia und ihre Memoria jenseits des Elsass . . . . . . . . . . . . 11 Wolfgang Schmid Karl IV. und die heilige Odilia. Heiligenverehrung und Politik am Oberrhein und in Böhmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Racha Kirakosian Kaiserin und Heilige. Der Kult der heiligen Richgard in Andlau . . . . 65 Bernhard Metz Burgkapellen als Wallfahrtsorte nach elsässischen Beispielen . . . . . . . . 91 Elisabeth Clementz Die Nahwallfahrten im elsässischen Teil der Diözese Basel im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Andreas Röpcke St. Theobald und die Wallfahrt nach Thann im Spätmittelalter . . . . . . 129 Franz Maier Der heilige Pirmin und seine Memoria in der Pfalz . . . . . . . . . . . . . . . . 145 <?page no="6"?> Volker Honemann Geiler von Kaysersberg und das Pilgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Robert Plötz San Domingo de la Calzada - Der heilige Dominikus von der Straße und die Rioja: Ein Panorama . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Klaus Herbers Alfons VI. ( † 1109), ein König für die Pilger? Zum 900. Todestag . . . 227 Hintergrundbeitrag Ursula Kopp Wege der Jakobspilger durch das Elsass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Register der Orts- und Personennamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Inhalt 6 <?page no="7"?> Einführung Klaus Herbers/ Peter Rückert Der vorliegende Band publiziert die Vorträge, die bei der Jahrestagung der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft vom 1. bis 4. Oktober 2009 in Obernai gehalten wurden. Sie wurden um zwei Beiträge ergänzt, welche das gemeinsame Thema in wünschenswerter Weise vertiefen und erweitern: Diese widmen sich zum einen der heiligen Königin Richgard und ihrer Verehrung, die sich an ihre Grabesstätte im elsässischen Andlau knüpfte (Racha Kirakosian), zum anderen werden „ Wege der Jakobspilger im Elsass “ in einem ergänzenden Hintergrundsbeitrag vorgestellt (Ursula Kopp), der aktuelle Diskussionen um die regionalen „ Pilgerwege “ aufgreift. Die Tagung am Fuße des Odilienbergs, des „ heiligen Bergs des Elsass “ , war mit ihrem Programm zunächst dem „ Genius loci “ verpflichtet. Der Odilienberg besitzt als Wirkungsort und Grabesstätte der hl. Odilia herausragende kult- und kulturgeschichtliche Bedeutung. Odilia gilt als Schutzpatronin des Elsass und wird als eine leuchtende Gestalt der mittelalterlichen Kultgeschichte weit über das Elsass hinaus bis in die Gegenwart verehrt. Gerade in den letzten Jahrzehnten ist der Zulauf zum Odilienberg deutlich angestiegen; es strömen wieder Pilgermassen zum Grab der Heiligen, wie dieser aktuelle Trend auch für die berühmteren Pilgerziele, etwa Santiago de Compostela, bekannt ist 1 . Mit dem Titel „ Pilgerheilige und ihre Memoria “ wurden hier zwei relativ vieldeutige Begriffe programmatisch zusammengeführt, die zunächst zu problematisieren sind. Da die „ Memoria “ , allgemein das „ Gedenken “ und rituelle „ Erinnern “ , mittlerweile zu einem Zentralbegriff der internationalen Mediaevistik avanciert ist, braucht ihre aktuelle Relevanz in der Forschungsdiskussion nicht hinterfragt zu werden. Mit den Forschungen 1 Vgl. dazu den aktuellen Führer zum Odilienberg (deutsche Ausgabe): Der Odilienberg, bearbeitet von Jean-Marie le Mino / Alphonse Troestler / Franck Billmann (Rosheim 2008) (mit weiterer Literatur). <?page no="8"?> von Otto Gerhard Oexle 2 unterscheiden wir mittlerweile verschiedene Formen und Typen der Memoria: vom eigentlichen liturgischen Gedenken, gebunden an das Grab eines spätrömischen Märtyrers oder mittelalterlichen Heiligen, bis zur sogenannten „ sozialen Memoria “ , dem gemeinsamen bzw. gegenseitigen Gedenken und Erinnern miteinander verbundener Menschen oder Gruppen. Die folgenden Beiträge sollten also auch die verschiedenen Ausdrucksformen der Memoria hinterfragen und ihre Erscheinungen differenziert vorstellen. Dabei steht der Bezug zu „ Pilgerheiligen “ im Vordergrund. Was sind überhaupt „ Pilgerheilige “ ? Es ist ein problematischer Begriff, der in der Wissenschaftssprache bislang kaum geläufig ist. Heilige, die von Pilgern verehrt werden, Pilgerziele repräsentieren, „ Pilgerheilige “ in diesem Wortsinne, sind bekanntlich die Regel. Und doch gibt es - schon bei einer schnellen Google-Suche - auch spezielle „ Pilgerheilige “ , deren Bedeutung gerade aus der Pilgerfahrt erwächst: In erster Linie ist hier der hl. Jakobus angesprochen, dessen Grab, neben denen der Apostelfürsten Petrus und Paulus in Rom und dem Heiligen Land mit der Grabeskirche in Jerusalem, bekanntlich als eines der drei großen Pilgerziele des abendländischen Mittelalters galt. Der Apostel Jakobus wird auch in der Bildsprache des Mittelalters schon bald als Pilger dargestellt: Pilgerstab, -hut, und -tasche kennzeichnen ihn neben der Pilgermuschel eindeutig 3 . Neben ihm erscheinen auch die heiligen Jodokus/ Jost oder Sebaldus als Pilger, selbst Christus werden manchmal Pilgerinsignien beigegeben. Doch diese sollen im Einzelfall nicht Thema sein: „ Pilgerheilige “ sind hier im weiteren Sinne zu verstehen, als heilig verehrte Männer oder Frauen, deren Verehrung vor allem in der Pilgerschaft der Gläubigen ihren Ausdruck fand, die Pilgerziele von überregionaler Bedeutung repräsentieren und deren Memoria auch im sozialen Gefüge der zeitgenössischen Gesellschaft von wesentlicher Relevanz war. So akzentuiert kann die Memoria der „ Pilgerheiligen “ auch deren Kultort selbst verlassen und ubiquitär wirken; überall dort, wo das ritualisierte Gedenken zu bleibenden Erscheinungsformen führte. Konkreter: während die Memoria zunächst an die Gräber der Heiligen in ihren unterschiedlichen rituellen und liturgischen Formen gebunden ist und dort kulminiert, trägt die 2 Memoria als Kultur, hg. von Otto Gerhard Oexle (Veröffentlichungen des Max- Planck-Instituts für Geschichte 121, Göttingen 1995); Ders. , Memoria, Memorialüberlieferung, in: Lexikon des Mittelalters 6 (1993) Sp. 510 - 513. 3 Vgl. dazu zuletzt ausführlich Robert Plötz , Signum peregrinationis. Heilige Erinnerung und spiritueller Schutz, in: Das Zeichen am Hut im Mittelalter. Europäische Reisemarkierungen, hg. von Hartmut Kühne / Lothar Lambacher / Konrad Vanja (Europäische Wallfahrtsstudien 4, Frankfurt am Main u. a. 2008) S. 47 - 70; daneben Klaus Herbers , „ Wol auf sant Jacobs straßen! “ Pilgerfahrten und Zeugnisse des Jakobuskults in Süddeutschland (Ostfildern 2002). Klaus Herbers / Peter Rückert 8 <?page no="9"?> Heiligenverehrung den Kult hinaus: Man stiftet und weiht den Heiligen Kirchen, Kapellen, Altäre, man verteilt und verehrt ihre Reliquien, man stellt sie dar in Bildern und Zeichen und man vergibt ihre Namen an andere Orte und Personen - verschiedene Facetten der Memorialkultur, die auf die Präsenz der Heiligen und ihre Commemoratio ausgerichtet sind. Die folgenden Beiträge wollen dies jeweils konkreter ansprechen. Der hl. Odilia und ihrer Memoria, wie diese vor allem jenseits des Rheins, im süddeutschen Sprachgebiet, nachhaltigen Ausdruck fand, widmet sich der Beitrag von Peter Rückert. Daran anschließend verfolgt Wolfgang Schmid die Verehrung Odilias und ihrer Reliquien im prominenten Umfeld Kaiser Karls IV. Racha Kirakosian wendet den Blick auf die dem Odilienberg benachbarte Abtei Andlau und fragt nach der zweifelhaften Verehrung der Kaiserin Richgard, die mit deren Grab verbunden war. Die Beiträge von Bernhard Metz und Elisabeth Clementz weiten anschließend die räumliche Perspektive aus und lassen das Elsass als Sakrallandschaft genauer kennenlernen, besonders in Hinblick auf Burgkapellen als Wallfahrtsorte bzw. die spätmittelalterlichen Regionalwallfahrten im Oberelsass. Einem herausragenden, überregional bedeutenden Pilgerziel im Unterelsass widmen sich die Ausführungen von Andreas Röpcke zu Thann und der Wallfahrt zum hl. Theobald. Der hl. Pirmin und seine Memoria führen dann über das Elsass hinaus, zunächst in die benachbarte Pfalz, wie die Untersuchung von Franz Maier detailliert ausführt. Besonders unter literaturwissenschaftlichen Aspekten stellt Volker Honemann den berühmten Straßburger Humanisten und Münsterprediger Geiler von Kaysersberg und dessen Sicht auf das Pilgerwesen seiner Zeit vor. Er vermittelt damit ebenso prominente wie populäre zeitgenössische Formen von Laienfrömmigkeit im spätmittelalterlichen Elsass kurz vor der Reformation. Nach diesen räumlich dicht auf das Elsass und seine mittelalterliche Sakrallandschaft bezogenen Untersuchungen, setzen die beiden abschließenden Beiträge von Robert Plötz und Klaus Herbers dann am Jakobuskult an und nehmen die Iberische Halbinsel in den Blick: Robert Plötz widmet sich der Rioja und Santo Domingo de la Calzada als einschlägigem „ Pilgerheiligen “ auf dem Weg nach Santiago de Compostela, und Klaus Herbers erinnert an König Alfons VI. von León und Kastilien, der im Jahr 1109 verstarb: ein König für die Pilger? Der ergänzende Artikel von Ursula Kopp führt aktuelle Eindrücke von den „ Wegen der Jakobspilger im Elsass “ vor Augen und schließt den thematischen Bogen mit der aktuellen „ Memoria “ des Pilgerheiligen Jakobus. Unser abschließender Dank gilt vor allem den Autorinnen und Autoren für Ihre anregende Unterstützung. Herr Dr. Gordon Blennemann und Frau Katharina Götz haben die Beiträge für den Druck vorbereitet, Herr Dr. Stefan Schröder die Korrekturphase betreut, Frau Katharina Götz das Einführung 9 <?page no="10"?> Register erarbeitet. Frau Verena Forster und Frau Brígida Janner-Acero haben die Zusammenfassungen ins Spanische übersetzt. Ihnen allen sei für die Mühe und gute Zusammenarbeit von Herzen gedankt. Klaus Herbers / Peter Rückert 10 <?page no="11"?> Die heilige Odilia und ihre Memoria jenseits des Elsass Peter Rückert Einführung Der Odilienberg im Elsass, der in der mittelalterlichen Überlieferung zunächst als Hohenberg begegnet, trägt seinen Namen nach der hl. Odilia, die noch immer als Patronin des Elsass verehrt wird. Diese Verehrung wurde seit dem 19. Jahrhundert durch päpstliche Autorität anerkannt und lässt dem Hohenberg bei Obernai (Oberehnheim), unweit südwestlich von Straßburg gelegen, über 1300 Jahre hinweg als Kultzentrum dieser historischen Landschaft ansprechen 1 . Im späteren Mittelalter besaß dieser „ heilige Berg des Elsass “ seine größte historische Bedeutung und kulturelle Ausstrahlung. Das Grab der hl. Odilia wurde damals von zahlreichen Pilgern besucht, es galt als überregionales Pilgerziel, jedenfalls als eines der wichtigsten im Elsass 2 . Die folgenden Ausführungen wollen sich zunächst Odilia, ihrer Vita und ihrer Geschichte widmen, um daran anschließend die Entwicklung ihrer Verehrung zu verfolgen. Diese auch politisch und persönlich motivierte Verehrung 3 wurde bereits im hohen Mittelalter von bedeutenden architektonischen, bildlichen und literarischen Werken begleitet, welche die Memoria der hl. Odilia gezielt in den Blick nehmen lassen: In welchen Formen äußert 1 Vgl. die einschlägigen Beiträge in dem Sammelband Historische Landschaft - Kunstlandschaft? Der Oberrhein im späten Mittelalter, hg. von Peter Kurmann / Thomas Zotz (Vorträge und Forschungen 68, Ostfildern 2008), darin vor allem Heinz Krieg , Zur Geschichte des Begriffs „ Historische Landschaft “ und der Landschaftsbezeichnung „ Oberrhein “ , S. 31 - 64. 2 Francis Rapp , Zwischen Spätmittelalter und Neuzeit, Wallfahrten der ländlichen Bevölkerung im Elsaß, in: Laienfrömmigkeit im späten Mittelalter. Formen, Funktionen, politisch-soziale Zusammenhänge, hg. von Elisabeth Müller-Luckner / Klaus Schreiner (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 20, München 1992) S. 126 - 136. 3 Vgl. unterschiedliche Aspekte dazu bei Politik und Heiligenverehrung im Hochmittelalter, hg. von Jürgen Petersohn (Vorträge und Forschungen 42, Sigmaringen 1994). <?page no="12"?> sich das Gedenken, die Erinnerung an die Heilige in Text und Bild, Liturgie und Literatur, Architektur und Musik? Wer sind ihre Träger und wie funktioniert ihre Verbreitung, die bald weit über den Hohenberg, Straßburg und das Elsass hinaus Raum gewinnt? Aufbauend auf den noch immer einschlägigen Forschungen von Medard Barth 4 sollen dabei im Kontext der aktuellen Forschungsdiskussion herrschaftliche und räumliche Strukturen präzisiert werden, die vor allem auch in Hinblick auf die Nachhaltigkeit von Kult und Memoria jenseits des Elsass zielen und neue Erkenntnisse dazu profilieren können. Die hl. Odilia und ihre Vita Odilias Wirken und Verehrung sind zunächst eingebunden in ihre prominente Familiengeschichte. Neben ihr stehen vor allem ihre Eltern, Herzog Eticho und Herzogin Bersinda oder Bereswind, die ebenfalls zeitgenössischen Kultstatus genossen, sowie eine Reihe weiterer Verwandter. Odilias Geschichte ist also Teil der Geschichte des elsässischen Herzogsgeschlechts, der Etichonen 5 , das im späteren 7. Jahrhundert am Hohenberg herrschte und hier in der Folgezeit verehrt werden sollte. Ihre Grabstelle im Kloster, das an der Stelle der Burg auf dem Hohenberg gegründet worden war 6 , bildete den Ansatz zu ihrer Memoria, die bald auch auf Vater und Mutter ausgedehnt werden sollte 7 . Doch zunächst ein kurzer Blick auf den Kern von Odilias Vita, wie diese seit der Zeit um 900 in zahlreichen Fassungen immer weiter ausgebaute, 4 Medard Barth , Die Heilige Odilia. Schutzherrin des Elsaß. Ihr Kult in Volk und Kirche 2 Bde. (Forschungen zur Kirchengeschichte des Elsaß 4, Straßburg 1938). 5 Zu den Etichonen: Thomas Zotz , Etichonen, in: Lexikon des Mittelalters 4 (1989) Sp. 57, sowie Frank Legl , Studien zur Geschichte der Grafen von Dagsburg-Egisheim (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 31, Saarbrücken 1998). 6 Zur Geschichte des Stifts Hohenberg vgl. Heinrich Büttner , Studien zur Geschichte des Stiftes Hohenburg im Elsaß während des Hochmittelalters, Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, Neue Folge 52 (1939) S. 103 - 138; allgemeiner zur Herrschaftsgeschichte des Elsass in einzelnen Überblicksbeiträgen: Das Elsaß: historische Landschaft im Wandel der Zeiten, hg. von Michael Erbe (Stuttgart 2002), sowie jetzt besonders zur Salierzeit: Hans-Peter Sütterle , Die Salier und das Elsass. Studien zu den Herrschaftsverhältnissen und zu den politischen Kräften in einer „ Randregion “ des Reiches (1002 - 1125) (Frankfurt am Main u. a. 2009). Zur frühen Kirchengeschichte vgl. Friedrich Prinz , Frühes Mönchtum in Frankenreich (2. Aufl. München 1988), hier: S. 385 - 387, sowie Sönke Lorenz , Zur Genese kirchlich bestimmter Strukturen und geistlicher Kräftezentren am Oberrhein im Mittelalter, in: Historische Landschaft (wie Anm. 1), S. 113 - 248. 7 Grundlegend dazu noch immer Bart h, Odilia (wie Anm. 4). Peter Rückert 12 <?page no="13"?> legendenartige Textgestalt gewonnen hat 8 . Bis ins 13. Jahrhundert sind etwa 30 Handschriften mit der lateinischen Odilienlegende bekannt. An diese Vita knüpfen sich ihre Verehrung und auch die spezielle Ausprägung der Memoria, die Odilia zuteil werden sollte. Demnach wurde sie als Tochter des Herzogs Eticho und seiner Frau Bersinda auf der Hohenburg geboren; Odilia kam blind zur Welt. Ihr Vater wollte sie deshalb töten lassen, ihre Mutter aber rettete sie und gab sie in ein Kloster (wohl Baume-les-Dames bei Besançon). Als sie mit 12 Jahren von Bischof Erhard von Regensburg getauft wurde, erlangte sie das Augenlicht und kehrte mit Hilfe ihres Bruders zu ihren Eltern zurück. Ihr Vater allerdings schlug daraufhin aus Wut den Bruder derart, dass dieser bald danach starb. Er ging aus Reue darüber schließlich ins Kloster, und erst die innigen Gebete seiner Tochter Odilia retteten seine Seele aus der Hölle. Odilia hatte mittlerweile das von ihrem Vater gegründete Kloster auf dem Hohenberg übernommen und tatkräftig ausgebaut. Am Fuß des Berges gründete sie in Niedermünster ein zweites Kloster, wo sie gebeten wurde, drei Linden zu pflanzen, ut in posterum ob memoriam tui habeantur, wie eine St. Galler Handschrift formuliert 9 . Als Odilia selbst ihren Tod nahen fühlte, forderte sie ihre Schwestern auf, für ihren Vater und die Familienangehörigen eifrig zu beten. Das Gebet der Schwestern holte Odilia noch kurz ins Leben zurück; sie gab sich selbst die hl. Kommunion und starb am 13. Dezember, wohl des Jahres 717. Odilias Grab in der Johanneskapelle des Klosters auf dem Odilienberg wurde schon bald zur Wallfahrtstätte. Ihre Nichte Eugenia pflegte ihren Kult dann als Äbtissin weiter. Die Vita der hl. Odilia ist also bereits von der Memoria geprägt: Ihre eigene Gebetsfürsorge für den Vater rettet dessen Seele, ihr Auftrag an die Mitschwestern gilt der Memoria ihrer Familie, deren Gebete haben bereits die Kraft, sie selbst ins Leben zurückzurufen. Drei Linden, die Odilia pflanzt, wachsen nun für dieses Gedächtnis, für die Erinnerung der Schwestern an die hl. Mutter. Die Wirkmächtigkeit ihrer Gebete bezeugt auch ein 8 Zuletzt dazu Martina Backes / Barbara Fleith , Zur Funktion von Heiligenviten in Text und Bild in elsässischen und südwestdeutschen Frauenklöstern des Mittelalters am Beispiel des Odiliakults, in: Frauen - Kloster - Kunst. Neue Forschungen zur Kulturgeschichte des Mittelalters, hg. von Jeffrey F. Hamburger / Carola Jäggi (Turnhout 2007) S. 165 - 175, hier: S. 166 f.; daneben auch Maria Stoeckle , Das Leben der hl. Odilia. Geschichtsquelle - Sage/ Entwicklungsmärchen - hagiographisches Bild? (St. Ottilien 1991). Vgl. dazu auch die Darstellung des Straßburger Chronisten Jakob Twinger von Königshofen aus dem 15. Jahrhundert: Jakob Twinger von Königshofen, Die älteste Teutsche so wol Allgemeine, als insonderheit Elsässische und Strassburgische Chronicke, ed. Carl Hegel , in: Die Chroniken der oberrheinischen Städte: Straßburg 1 und 2 (Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert 8 und 9, Leipzig 1870 - 1871 ND 1961) S. 155 - 917, hier: 2, S. 635 f. 9 Backes/ Fleith , Funktion von Heiligenviten (wie Anm. 8) S. 167. Die heilige Odilia und ihre Memoria jenseits des Elsass 13 <?page no="14"?> Lektionar des Straßburger Münsters aus dem frühen 11. Jahrhundert, wonach das Fürbittgebet der in der Johanneskapelle ruhenden Odilia weiterhin in hohem Ansehen stehe 10 . Aus historischer Sicht lässt sich daran erinnern, dass Herzog Eticho ( † nach 683) tatsächlich auf dem Hohenberg ein Kloster errichten ließ. Unter dem Einfluss seiner Tochter Odilia entwickelte sich hier ein Nonnenkonvent neben einem kleineren Mönchskloster. Auch ließ Odilia am Fuß des Berges ein zweites Kloster, eben Niedermünster, bauen, das als Pilgerstation dienen sollte. Nach 816 wurden die beiden Nonnenklöster in Kanonissenstifte umgewandelt 11 . Sie gerieten immer stärker unter den Einfluss des elsässischen Adels, besonders der Grafen von Egisheim 12 . Das Stift Hohenberg erlebte dann unter der von Kaiser Friedrich Barbarossa eingesetzten Äbtissin Relindis (ca. 1153 - 1176) und ihrer Nachfolgerin Herrad (1176 - 1195) eine Blütezeit, die mit Ausbau, Neugründungen und Zeugnissen hoher geistiger Blüte einherging. Wir kommen darauf zurück. Bleiben wir zunächst noch bei der frühen Verehrung der hl. Odilia und deren charakteristischen Formen: In ihrer Vita wird mit der Blindgeburt des Mädchens und seiner Heilung durch die Taufe des hl. Erhard ein zentrales Mirakulum dargestellt. Und auch die frühen Kultzeugnisse berichten schon bald von der Wunderkraft der hl. Odilia und ihrer Reliquien, die die Pilger zur Heilung ihrer Gebrechen an Odilias Grab auf den Hohenberg zog. Die Untersuchung von Medard Barth zum Kult der hl. Odilia 13 breitet diese Kultzeugnisse in bemerkenswerter Fülle aus und lässt ihre Verehrung ab dem 10. Jahrhundert zunächst in groben Zügen nachvollziehen. Die Verehrung der hl. Odilia im Hochmittelalter Bereits um 980 berichtet Uffing, ein Mönch aus Werden an der Ruhr, in seiner Vita der hl. Ida, dass die heilkräftigen Überreste der Jungfrau Odilia den Pilgern zur Genesung verhelfen 14 . Ihre Verehrung war damals also bereits 10 Barth , Odilia (wie Anm. 4) 1, S. 74. 11 René Bornert , Odilienberg, in: Lexikon des Mittelalters 6 (1993) Sp. 1350. 12 Im frühen 10. Jahrhundert residierte offenbar ein Graf Hugo von Egisheim auf Hohenburg; neben dem Kloster bestand also noch eine Befestigungsanlage, die wohl auch als eine Art „ Fliehburg “ zu nutzen war. Vgl. Legl , Studien (wie Anm. 5) vor allem S. 435 f. 13 Barth , Odilia (wie Anm. 4). 14 Ebd. 1, S. 74; desweiteren Medard Barth , Zur Geschichte des Odilienkultes in alter und neuer Zeit, Archives de l ’ Église d ’ Alsace 9 (1958) S. 229 - 231 sowie weitere Beiträge desselben Verfassers in „ Archives de l ’ Église d ’ Alsace “ . Peter Rückert 14 <?page no="15"?> weit über das Elsass in den Nordwesten Deutschlands gelangt. Weitere Berichte zur Pilgerfahrt auf den Odilienberg folgen erst im frühen 12. Jahrhundert. Ein englischer Mönch namens Johann bemerkt für das Jahr 1132, dass zum Odilienfest dort große Pilgerscharen eintreffen 15 . Bei dieser Gelegenheit werde auch das stinkende Totenhemd Etichos gezeigt, das der Herzog bei seiner Seelenrettung trug. Eticho selbst wird hier als heilig bezeichnet, sein Sarg wird neben dem seiner Tochter verehrt 16 . Nach Jahrzehnten der Verwahrlosung und des Niedergangs sollte der Odilienkult damals die bereits angesprochene Blüte erhalten. 1045 noch hatte Bischof Bruno von Toul aus dem Geschlecht der Grafen von Egisheim, der drei Jahre später als Leo IX. Papst werden sollte, die neu erbaute Stiftskirche auf dem Hohenberg zu Ehren der Gottesmutter und des hl. Nikolaus geweiht 17 . Als er wenige Jahre später wiederum das Elsass bereiste, soll der Papst - nach einer im frühen 12. Jahrhundert gefälschten Urkunde 18 - abermals nach Hohenberg gekommen sein, um dort die Gräber seiner Vorfahren und Verwandten zu besuchen 19 : veranlasst durch seine familiäre Verbundenheit, die im gemeinsamen Familiengedenken und in der Heiligenverehrung repräsentativen Ausdruck finden sollte. Freilich konnte mit einem Papstbesuch auch das Ansehen des Klosters aufpoliert werden, zumal hier über dessen verwahrlosten Zustand geklagt wird. Weitere berühmte Pilger folgen noch im 12. Jahrhundert, darunter 1153 Kaiser Friedrich Barbarossa mit einer mächtigen Schar, dessen Vater wenige Jahrzehnte zuvor das Kloster noch hatte ausbeuten lassen, und damit vielleicht Anlass für die Urkundenfälschung gab. Neben der literarischen Verbreitung der Odiliengeschichte finden wir jetzt auch Reliquien der Heiligen an verschiedenen Orten, zunächst vor allem im deutschen Südwesten und in der Schweiz: Der Bischof von Konstanz ließ bereits 1064 Teile ihrer Gebeine ins Kloster Allerheiligen in Schaffhausen und nach Luzern überführen, wir finden sie bald danach in den fränkischen Bischofssitzen von 15 Barth , Odilia (wie Anm. 4) 1, S. 77. 16 Zu der metaphorischen Darstellung der Gerüche im Mittelalter sei auf die neue grundlegende Darstellung von Martin Roch , L ’ intelligence d ’ un sens: odeurs miraculeuses et odorat dans l ’ Occident du haut Moyen Âge (V e - VIII e siècles) (Turnhout 2009) verwiesen. 17 Vgl. dazu Legl , Studien (wie Anm. 5) S. 210 f. sowie wiederum die Straßburger Chronistik: Jakob Twinger von Königshofen, Chronik (wie Anm. 8) 2, S. 557 f.; Fritsche Closener ’ s (Strassburgische) Chronik, ed. Carl Hegel , in: Die Chroniken der oberrheinischen Städte: Straßburg 1 (Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert 8, Leipzig 1870) S. 1 - 151, hier: S. 135 f. 18 Zur Urkundenfälschung vgl. Barth , Odilia (wie Anm. 4) 1, S. 20 und S. 75; sowie Büttner , Studien (wie Anm. 6) S. 118 ff. 19 Dazu ausführlicher ebd. S. 118 ff. Die heilige Odilia und ihre Memoria jenseits des Elsass 15 <?page no="16"?> Eichstätt und Bamberg sowie in den Benediktinerklöstern Hirsau im Schwarzwald und Weingarten am Bodensee 20 . Als die Benediktinermönche im berühmten Skriptorium des benachbarten Klosters Zwiefalten um 1162 ein Martyrologium und ein Passionale herstellen, wird hier nicht nur die Odilienlegende aufgenommen, das Martyrologium zeigt auf seinem Kalendar zum Dezember auch eine der frühesten Darstellungen der Heiligen in ihrer zentralen Wunderszene: Wir erkennen Odilia in einem Taufbecken oder besser -zuber, mit kaum geöffneten Augen (Abb. 1). Bischof Erhard steht daneben und deutet mit dem Zeigefinger auf die Augen des Mädchens. O ˇ tilia bapt[izatur] ist sie auch beschrieben, um ihr Taufwunder eindeutig zu kennzeichnen 21 . Da die Heiligen in diesen Darstellungen nach dem Zwiefaltner Festkalender ausgewählt wurden, wird damit die Verehrung Odilias zum 13. Dezember, ihrem Todestag, deutlich. Diese hatte hier schon Tradition, wie die älteren Festkalender des Klosters bezeugen. Im benediktinischen Mönchtum Südwestdeutschlands erscheinen Odilia und ihre liturgische Memoria bereits etabliert. Abb. 1: Das Taufwunder der hl. Odilia, dargestellt in einem Martyrologium des Klosters Zwiefalten, um 1162 (Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Cod. hist. fol. 415, fol. 83 r). 20 Vgl. Barth, Odilia (wie Anm. 4) 2, S. 3; zu Weingarten: Wirtembergisches Urkundenbuch 8 (Stuttgart 1903) Nr. 2670 (zu 1224, dann wiederholt); vgl. jetzt unter http: / / www.wubonline.de. 21 Württembergische Landesbibliothek Stuttgart Cod. hist. fol. 415, fol. 83 r; vgl. dazu: Die romanischen Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Teil 1: Provenienz Zwiefalten, bearbeitet von Sigrid von Borries-Schulten (Stuttgart 1987) S. 110. Siehe daneben auch Barth , Odilia (wie Anm. 4) 1, S. 136 f. Peter Rückert 16 <?page no="17"?> Machen wir einen Blick in das damals blühende Kloster der hl. Odilia unter der berühmten Herrad, später genannt von Landsberg, die von 1167 bis zu ihrem Tod 1195 Äbtissin in Hohenberg war. Hier findet sich ein dreiseitig bearbeiteter Steinpfeiler mit Reliefs, der damals wohl im neuen Refektorium aufgestellt wurde 22 und das geistige Programm der Äbtissin ikonographisch eindrucksvoll dokumentiert 23 . Eines der Reliefs zeigt die Übergabe der Hohenburg durch Herzog Eticho an seine Tochter Odilia, was durch die Schenkungsurkunde symbolisiert wird (Abb. 2). Ein weiteres stellt die Gottesmutter mit Jesuskind dar, zu deren Füßen die beiden Äbtissinnen Herrad und Relindis knien. Die beiden halten ein Buch gemeinsam in Händen, wohl eine „ regula “ , ein Regelbuch zum Zeichen ihrer Autorität 24 (Abb. 3). Sie stellen sich damit betont in die Tradition der hl. Odilia und unter den Schutz der Gottesmutter, der Patronin ihrer Kirche. Das berühmteste Buch der Herrad von Landsberg, vielleicht schon von Relindis um 1160 begonnen, sollte freilich ihr „ Hortus deliciarum “ darstellen, ein illustriertes gelehrtes Sammelwerk, eine monastische Enzyklopädie in heilsgeschichtlicher Systematik 25 , die die Klosterfrauen über Theologie und Philosophie, Kunst und Technik unterrichten sollte. Bekanntlich ist es beim Brand der Straßburger Stadtbibliothek 1870 zerstört worden und nur mehr durch frühere Kopien teilweise zu rekonstruieren. Der an Umfang und Größe beeindruckende Pergamentcodex umfasste mindestens 342 Blätter und ebenso viele Miniaturen, an manchen Stellen auch Musiknotation, wirkte also in komplexer Multifunktionalität unmittelbar auf seine exklusiven Betrachter, den Konvent in Hohenberg. Die Handschrift schloss mit zwei kolorierten Federzeichnungen, die ebenfalls der Geschichte Hohenburgs gewidmet waren 26 : Zunächst zeigt eine Darstellung wiederum die Gründung des Klosters Hohenberg durch den hl. Herzog Eticho (sanctus Eticho dux) und die Übergabe an die hl. Odilia. Aber in welch differenzierter ikonographischer Fülle: Wir erkennen den knienden Herzog, wie er mit einem Stab, der von Petrus und Maria als den ursprünglichen Kirchenpatronen geführt wird, das im Hintergrund dargestellte 22 Vgl. dazu den aktuellen Führer (deutsche Ausgabe): Der Odilienberg, bearbeitet von Jean-Marie le Mino / Alphonse Troestler / Franck Billmann (Rosheim 2008) S. 34 f. (mit weiterer Literatur). 23 Dazu jetzt auch die teils spekulativen, gleichwohl anregenden Ausführungen bei Renate Schumacher-Wolfgart , Herrad von Landsberg oder Demut und Wertbewusstsein in der Kunst staufischer Frauen, Freiburger Diözesanarchiv 130 (2010) S. 43 - 58. 24 Zur damals übernommenen Augustinerregel vgl. unten S. 23. 25 Ich danke Prof. Dr. Felix Heinzer, Freiburg, herzlich für die anregenden Informationen, die er mir zum „ Hortus deliciarum “ zukommen ließ. Vgl. dazu auch Bart h, Odilia (wie Anm. 4) 1, S. 139. 26 Vgl. dazu die Faksimile-Ausgabe bearbeitet von Rosalie Green , Hortus deliciarum 2 Bde. (Studies of the Warburg Institute 36, London 1979). Die heilige Odilia und ihre Memoria jenseits des Elsass 17 <?page no="18"?> Abb. 2: Herzog Eticho übergibt mit einer Urkunde die Hohenburg an Odilia. Romanisches Relief an einem Steinpfeiler im Kloster Odilienberg (spätes 12. Jahrhundert). Peter Rückert 18 <?page no="19"?> Abb. 3: Die Äbtissinnen Herrad und Relindis zu Füßen der Gottesmutter mit Kind. Romanisches Relief an einem Steinpfeiler im Kloster Odilienberg (spätes 12. Jahrhundert). Die heilige Odilia und ihre Memoria jenseits des Elsass 19 <?page no="20"?> Abb. 4: Die Gründung des Klosters Hohenburg durch Herzog Eticho, dargestellt im „ Hortus deliciarum “ , Ende 12. Jahrhundert, fol. 322 v. Peter Rückert 20 <?page no="21"?> Abb. 5: Der Konvent des Klosters Hohenburg, dargestellt im „ Hortus deliciarum “ , Ende 12. Jahrhundert, fol. 323 r. Die heilige Odilia und ihre Memoria jenseits des Elsass 21 <?page no="22"?> Kloster an Christus übergibt (Abb. 4). Rechts davon wohnen Odilia, die „ berühmte Braut Christi “ , und Johannes der Täufer der Szene bei. Die ausführlichen Beschriftungen berichten auch davon, dass Odilia den Täufer vor allen anderen Heiligen liebte - wir denken an ihr Taufwunder zurück. Im Bildfeld darunter wird die Übergabe Hohenbergs durch Eticho an Odilia und ihre Klosterfamilie gezeigt: Der Herzog sitzt auf einem Thronsessel und überreicht Odilia einen Schlüssel. Getrennt bzw. besser: verbunden durch eine von Christus entrollte Schriftrolle wendet sich die Äbtissin „ Relinda “ von dieser Szene ab und weist auf das Kreuz, das mit einem Gebetstext gefüllt ist. Das untere Bildfeld bezeichnet den Ort der Handlung, den Berg Hohenberg mit Bäumen und Sträuchern. Die gegenüber liegende Bildseite nimmt diese Darstellung des Berges wiederum auf und lässt darauf sechs Reihen mit 60 Schwestern übereinander gruppieren, bezeichnet als die „ congregatio religiosa “ , die zu Zeiten der Äbtissinnen Relindis und Herrad zu Hohenberg dem Herrn dienten. Am rechten Rand steht Herrad selbst, mit einem Schriftstück in der Hand (Abb. 5). Auffälligerweise sind die erste und letzte der Schwestern nicht namentlich bezeichnet, was offensichtlich die früheren und späteren Mitglieder der Gemeinschaft auf dem Hohenberg stellvertretend mit einbeziehen sollte - einbeziehen in die gegenseitige Memoria, die von den genannten Nonnen und ihren Äbtissinnen geleistet wird und diese umfasst. Dem gegenseitigen Gedenken entspricht schließlich auch die Gestaltung der Rückseite des Blattes, die zwei Lieder mit der Bezeichnung Rithmi de monte Hohenburc enthält; sie thematisieren die himmlische Vollendung der Geschichte, deren Anfänge, Gegenwart und Zukunft von den beiden Bildern repräsentiert wird. Heilsgeschichte in ganz konkretem, auf den Konvent hin ausgerichteten Sinn! Bildgestützte Memoria, gemeinsam gestaltet durch und für den Konvent der Hohenberger Schwestern! Einige der Damen tragen Herkunftsbezeichnungen, die sich vor allem im benachbarten Elsass lokalisieren lassen, so Straßburg, Hagenau, Andlau oder Egisheim. Daneben erscheinen aber auch Gundelfingen, Entringen, wohl auch Eichstätt und Neuffen als Herkunftsorte, die weit jenseits des Rheins und des Elsass liegen: So wie Barbarossa mit Relindis seine Verwandte aus dem Kloster Berg bei Eichstätt nach Hohenberg gerufen hatte, war damals die Schwesterngemeinschaft durch auswärtigen Zuzug verstärkt worden 27 . Das Stift auf dem Hohenberg besaß jetzt große Attraktivität auch für ein geistliches Frauenleben und einen weiten Einzugsbereich vor allem in Süddeutschland, wozu sicher auch die Schirmvogtei der Stauferherzöge und -könige beitrug. 27 Barth, Odilia (wie Anm. 4) 1, S. 79. Peter Rückert 22 <?page no="23"?> Die in den vorgestellten Plastiken, Büchern und Bildern repräsentierte Blütezeit des Klosters steht gleichzeitig für eine Reform des Klosterlebens, eine bewusste Rückbesinnung auf die eigene Klostergeschichte und Tradition um die hl. Odilia. Das Frauenstift war damals intensiv in den zeitgenössischen Reformkontext eingebunden und hatte sich der Augustinerregel unterworfen, wie zuletzt Fiona Griffith gezeigt hat 28 . Hier ist vor allem auf die engen Verbindungen zum Chorherrenstift Marbach bei Colmar hinzuweisen; Zentrum eines weit ausstrahlenden Reformkreises, das auch mit der südwestdeutschen Reformzentrale Hirsau verbrüdert war, von der wir bereits hörten 29 . Das Bild der Odilia mit Kelch erscheint nun auch auf dem Siegel der Äbtissin Herrad (ab 1178) 30 . Odilia wird von ihr als „ unsere heilige Mutter Odilia “ bezeichnet 31 . Ihr vorbildliches monastisches Leben gilt es zu imitieren und die Memoria der heiligen Stifterfamilie dabei zu pflegen. Der Odilienkult wird vor Ort also programmatisch auch nach außen repräsentiert und profiliert dabei die erfolgreiche Fürbitterinnenrolle der Heiligen, was sich auch im Aufschwung der Wallfahrt zum Odilienberg dokumentieren sollte. Dafür wird im nahen Truttenhausen eine Pilgerherberge eingerichtet (1181) 32 , die von Augustiner-Chorherren aus Marbach betreut wird. Das Prämonstratenserpriorat in St. Gorgon wird von Herrad 1178 gegründet, dessen Mönche aus dem lothringischen Etival geholt wurden und auf dem Hohenberg die Seelsorgedienste für die Pilgerscharen zu übernehmen hatten. Die Schwestern und Brüder sind sich in gegenseitigen Gebetsverbrüderungen verbunden. Diese Organisation des Pilgerverkehrs markiert auch die neue Sakrallandschaft um den Hohenberg, der damit endgültig zum „ Heiligen Berg “ des Elsass wird. Die Pilger ziehen nun von weither zum Hohenberg und erweisen der hl. Odilia ihre Verehrung, um an ihrer Fürbitte teilzuhaben und damit ihre Gebrechen zu lindern. Hier werden Blinde geheilt, wie einst die Heilige selbst, berichtet man im späten 13. Jahrhundert im Stift St. Stephan in Straßburg; so eine blinde Frau, die man gemäß ihrem Gelübde aus Köln herbeiführte 33 , und viele andere Wunder mehr. Besonders zum Odilienfest am 13. Dezember war der Pilgerverkehr damals überwältigend. Jetzt konnte man hier auch Ablässe bekommen, die auf die Marienfeste und den Odilientag fixiert waren. 28 Fiona J. Griffith , The Garden of Delights. Reform and Renaissance for Women in the Twelfth Century (Philadelphia 2007). 29 Vgl. dazu Lorenz , Genese (wie Anm. 6) S. 179 f. 30 Barth , Odilia (wie Anm. 4) 1, S. 137. 31 Ebd. S. 80. 32 Ebd. S. 81. 33 Ebd. S. 83. Die heilige Odilia und ihre Memoria jenseits des Elsass 23 <?page no="24"?> Der Pilgerverkehr zur hl. Odilia verbreitete entsprechend ihren Kult in der breiten Bevölkerung ebenso wie die Verbreitung ihrer Legende und ihrer Reliquien zur Ausdehnung ihrer Verehrung in der liturgischen Memoria jenseits des Elsass führten. Seit dem 13. Jahrhundert wurde die Vita Odilias mehrfach eigenständig ins Deutsche übersetzt. Martina Backes und Barbara Fleith nennen 10 Textzeugen, deren Streuung sich vor allem um Elsass und den deutschsprachigen Südwesten massiert 34 . Schon früh wurden Odilia als Patronin Kirchen und Kapellen im Bereich der weiträumigen Hohenberger Grundherrschaft unterstellt, dann bis ins Saarland hinein und in die nördliche Schweiz 35 . Besonders beliebt war ihr Patrozinium zunächst auch bei den regionalen adeligen Kreisen, die ihr etliche Burgkapellen weihten. Mit dem benediktinischen Reformmönchtum des 12. Jahrhunderts, dann vor allem den mit den genannten Hohenberger Äbtissinnen verbundenen Augustiner-Chorherren und Prämonstratensern, haben wir schon Protegées kennen gelernt, die mit ihren überregionalen Netzwerken programmatisch für eine Verbreitung des Kultes vor allem nach Süddeutschland sorgten. Der namhafteste dieser Protegées war um die Mitte des 14. Jahrhunderts der König selbst: Karl IV., ein bekannter „ Reliquienjäger “ , der möglichst viel „ Heiltum “ zum persönlichen Wohle, dem seiner Familie und zum repräsentativen Schmuck seiner neuen Königsresidenz Prag erwerben wollte, war in den Jahren 1353/ 54 am Oberrhein in dezidierter Mission unterwegs 36 . Er suchte mit seinem engsten Hofstaat die bekannten Gnadenorte auf, ließ die Reliquien der Heiligen untersuchen, ihre Authentizität bestätigen und sich dann seinen Teil übergeben. So auch auf dem Odilienberg, wo im Beisein der Äbtissin Agnes von Stauffenberg, des Straßburger Bischofs Johann von Lichtenberg und seines Kanzlers, des späteren Erzbischofs Johann Oc ˇ ko von Prag, der Schrein der Heiligen geöffnet wurde 37 . Odilias Überreste wurden hier unversehrt vorgefunden, der König bestätigte den Schwestern ihren „ corpus incorruptum “ und ließ ein Stück des rechten Vorderarms für sich entnehmen 38 . Die Reliquie wurde dann über den Prager Erzbischof direkt dem Prager Domschatz einverleibt. Wie der König selbst, so litt auch Erzbischof Johann Oc ˇ ko, genannt das Äuglein, an einer Augenkrankheit, welche die ganz persönliche Verehrung beider für Odilia erklärt. Seine Grabkapelle im Prager Dom ließ Oc ˇ ko anschließend auch mit Bildern des Odilienwunders schmücken. Die ver- 34 Vgl. Backes/ Fleith, Funktion von Heiligenviten (wie Anm. 8) S. 168 f. 35 Barth, Odilia (wie Anm. 4) 1, S. 160. 36 Vgl. dazu den Beitrag von Wolfgang Schmid in diesem Band, S. 35 - 63. 37 Dazu wiederum Jakob Twinger von Königshofen, Chronik (wie Anm. 8) 1, S. 484: [. . .] und zu ˚ Hohenburg det er sant Otylien schrin uf [. . .]. 38 Entsprechendes ist etwa auch für die benachbarte Abtei Andlau zu erfahren. Vgl. dazu den Beitrag von Racha Kirakosian in diesem Band, S. 65 - 90. Peter Rückert 24 <?page no="25"?> briefte Intaktheit des Odilienkörpers freilich gerät bereits zur Farce, wenn man bedenkt, dass damals schon Reliquien der Heiligen in Lothringen, der heutigen Schweiz, Deutschland, Österreich, in den Niederlanden und England zu finden sind. Medard Barth zählte hierfür bereits 37 Belege, daneben 14 Pfarrkirchen mit ihrem Patronat, 22 Kapellen, 16 Altäre. Für zehn Kirchen weist er eine Sonderfeier des Odilienfestes nach; insgesamt beziehen sich die gesammelten Zeugnisse auf etwa 100 verschiedene Orte, noch ohne liturgische Nachweise und Bilder. Wie die kartographische Darstellung dieser Aufzählung veranschaulicht, können die räumlichen Schwerpunkte des frühen Odilienkults auch jenseits des Elsass damit deutlich markiert werden: Vor allem Süddeutschland, Baden, Franken, besonders aber Württemberg und Bayern sind neben der nördlichen Schweiz als solche anzusprechen (Karte 1, S. 28). Das nördliche Deutschland, Frankreich, Italien werden hingegen kaum davon berührt; die Ausdehnung des Odilienkultes richtete sich zunächst doch vor allem über den Rhein nach Osten. Odilia und ihre Memoria jenseits des Elsass im späten Mittelalter Welche besonderen Ausprägungen und eigentümliche Gestaltung nimmt diese vielschichtige Verehrung dann im Spätmittelalter an? Die weit breitere Überlieferung an Schriftquellen, Bildzeugnissen und Architektur lässt uns ab dem späten 14. Jahrhundert den Odilienkult vor allem jenseits des Elsass als besondere Ausformung der Memoria der Heiligen differenziert verfolgen und beispielhaft vorstellen. Dabei wollen wir kurz die bedeutenden Wallfahrtsorte in den Blick nehmen, die nun die Odilienverehrung an sich binden, und diese typologisch erörtern. Medard Barth hat als Zentren der frühen Verehrung der Heiligen, die sich schon ab dem 12. Jahrhundert durch überregional besuchte Wallfahrten auszeichnen, Lengstein in Südtirol bei Bozen und Hellring bei Regensburg vorgestellt. Lengstein erhielt bereits 1177 eine Marktrechtsurkunde, die von dem regen Pilgerverkehr dorthin zeugt, zu dessen Unterhaltung der Markt dienen sollte 39 . Das Patronat der Lengsteiner Odilienkirche war offenbar über die Augustiner-Chorherrenstifte Marbach im Elsass und Neustift in Tirol vermittelt worden, die wiederum eine gemeinsame Gebetsverbrüderung mit dem Damenstift auf dem Hohenberg pflegten. Zeugnisse der Wallfahrt nach Lengstein sind vor allem Votivtafeln, die vielfältig von Gebetserhörungen bei Augenleiden berichten. Die Kapelle der hl. Odilia in Hellring wurde von den benachbarten Augustiner-Chorherren in Paring versehen. Von hier aus wurde auch die 39 Barth , Odilia (wie Anm. 4) 2, S. 194. Die heilige Odilia und ihre Memoria jenseits des Elsass 25 <?page no="26"?> Wallfahrt gefördert, Paringer Zeugnisse aus dem 12. Jahrhundert berichten sogar davon, dass die hl. Odilia hier erzogen und von Bischof Erhard aus dem nahen Regensburg getauft worden sei 40 . Ein Ablass von 1267 ermöglichte einen mächtigen Neubau der Kirche, die die Pilgerscharen damals nicht mehr fassen konnte. Auch hier berichten die späteren Beschreibungen von der Heilung blinder Pilger, die sich besonders zum Wallfahrtsfest mit Jahrmarkt im Oktober einfanden, das als sogenannte „ Dult “ dort noch immer am 2. Oktobersonntag begangen wird. Der dritte zentrale Ort, der als frühes Pilgerzentrum bekannt ist, ist St. Ottilien im Mußbachtal bei Freiburg. An diese einsam gelegene Kapelle im Schwarzwald knüpft sich ebenfalls eine spätere Form der Odilienlegende, die bis ins 13. Jahrhundert zurückzuführen ist 41 . Demnach habe Odilia selbst die Kapelle bei der Flucht vor ihrem Vater erbaut, dabei begann eine heilkräftige Quelle zu sprudeln. Um 1500 wurde die Kapelle dann neu errichtet, damals werden auch zahlreiche Wunder notiert, die sich in St. Ottilien ereigneten. Die Pilger kamen auch von jenseits des Schwarzwaldes ins Mußbachtal und hinterließen wiederum Votivgaben, die auf die Heilung ihres Augenlichts hinweisen. Später sind auch Prozessionen um die Kapelle am Kirchweihfest und dem Tag der hl. Odilia bezeugt. Aus der heiligen Quelle, dem sogenannten „ Gnadenbrunnen “ , nahmen die Pilger das Wasser mit nach Hause. Hier finden wir offenbar erstmals die charakteristische Gestalt einer Gnadenstätte der hl. Odilia, wie sie in der Folgezeit immer wieder entgegentreten sollte: eine der Heiligen geweihte Kapelle in einsamer Lage, am oder auf dem Berg, die dem Ort bald ihren Namen gibt und womöglich noch eine heilkräftige Quelle aufzuweisen hat. Die bedeutendsten spätmittelalterlichen Wallfahrtsorte zur hl. Odilia entsprechen diesem Schema, so etwa der St. Ottilienberg bei Hörmannshofen im Allgäu 42 , wo neben der Bergkapelle ebenso eine Heilquelle sprudelte, wie auch bei den hochgelegenen Odilienkirchen und -kapellen in Randegg (bei Radolfzell), Mörsach (bei Gunzenhausen), Plochingen (bei Esslingen), Kerkingen (bei Neresheim), Oberbessenbach (im Spessart bei Aschaffenburg) oder Rüdenau (im Odenwald bei Miltenberg), die wohl spätestens im 15. Jahrhundert zumindest regional bedeutende Pilgerziele darstellten. Auch auf dem Kollmitzberg in Niederösterreich findet sich noch immer eine Wallfahrtskirche zur hl. Odilia, wo ein Jahrmarkt mit ihrer Wallfahrt verbunden wird, mit der Möglichkeit „ Ottilienwasser “ zu erwerben 43 . Die Dominikanerinnen im badischen Rugacker zeigten damals eine Reliquie der Heiligen, die in einem aus Holz und Wachs geformten Kopf 40 Ebd. S. 122. 41 Ebd. S. 59. 42 Das Patronat über die Ottilienkapelle besaß 1443 Ber von Rechberg, vgl. Barth , Odilia (wie Anm. 4) 2, S. 96. Dazu vgl. unten S. 30 f. 43 Vgl. ebd. S. 196. Peter Rückert 26 <?page no="27"?> eingefügt war und als Haupt der hl. Odilia von den Pilgern verehrt wurde 44 . An den Wallfahrtstagen wurde dieses „ Haupt “ den Gläubigen auf den Kopf gelegt und die Handlung mit den Worten begleitet: Ab omni malo mentis et oculorum liberet te Dominus Pater et Filius et Spiritus Sanctus. Zur Heilung von Augen und Geist also taugten die Reliquien der hl. Odilia. Daneben finden sich zahlreiche weitere „ Odilienberge “ , wie bei Eppingen im badischen Kraichgau, bei Schorndorf oder Heidenheim in Schwaben, die ihren Namen von den Ottilienkapellen erhalten haben, welche im deutschen Südwesten vor allem im späten 15. Jahrhundert dort gegründet wurden. Die heutige Erzabtei des Benediktinerordens St. Ottilien in Oberbayern hat ebenfalls ihren Namen von einer Ottilienkapelle übernommen, gelegen in dem Dorf Emming, wohin die Wallfahrt seit 1365 schriftlich bezeugt ist. Damals berichtet der Pfarrer des benachbarten Eresingen über die Ottilienkapelle in Emming: do rest in Sant Ottilia gar genädigklich, do hin mänger mensch kumpt von Swaben und Bayern, von priester und layen. Auch hier wird ein großer Einzugsbereich der Pilger deutlich, die vor allem aus dem benachbarten Schwaben und Bayern kommen, um die Reliquien der hl. Odilia in Emming zu verehren. Aus Emming wurde mittlerweile der amtliche Ortsname St. Ottilien 45 ; ihr Kult hat also auch in neuester Zeit noch Namensform gefunden. In der Zusammenschau der Kultzeugnisse bis zum Jahr 1500 - insgesamt zählt Barth ca. 600 46 - finden sich zwölf „ Odilienberge “ , die ihren Namen der Heiligen verdanken und mit einer Kirche oder Kapelle der Heiligen bekrönt sind, wovon die Hälfte in Süddeutschland liegt (Karte 2, S. 29). Daneben stehen 14 mit dem Kult der hl. Odilia verbundene Quellheiligtümer, davon wiederum über die Hälfte in Süddeutschland. Vor allem in Württemberg und Bayern besaß die Verehrung der hl. Odilia damals ihre größte Popularität. Hier nimmt sie in der Beliebtheit der spätmittelalterlichen Kirchen-, Kapellen- und Altarpatrone unter den weiblichen Heiligen einen der vorderen Ränge ein 47 . Damit zeigt sich das Besondere und Einzigartige der Kultgestaltung für die hl. Odilia jenseits des Elsass bereits in der spätmittelalterlichen Kulturlandschaft. Odilienkapellen auf Bergen, verbunden mit hl. Quellen imitieren den Hohenberg, den heiligen Ort im Elsass, wo die wirkmächtige Gebets- 44 Ebd. S. 12. 45 Ebd. S. 100. 46 Ebd. S. 203. 47 Gustav Hoffmann , Kirchenheilige in Württemberg (Darstellungen aus der Württembergischen Geschichte 23, Stuttgart 1932), hier vor allem S. 32 ff. Die heilige Odilia und ihre Memoria jenseits des Elsass 27 <?page no="28"?> Karte 1: Die Verbreitung des Odilienkults vom 9. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts. Peter Rückert 28 <?page no="29"?> Karte 2: Das Wachstum des Odilienkults von der Mitte des 14. Jahrhunderts bis zur Reformation. Die heilige Odilia und ihre Memoria jenseits des Elsass 29 <?page no="30"?> fürsorge der hl. Odilia Linderung bei Gebrechen, gerade bei Blindheit 48 , verspricht. Nicht nur die Heilige, ihr heiliger Ort gewinnt Gestalt. Ihre Präsenz oder in unserem Sinne besser: ihre Memoria findet repräsentativen Ausdruck im Ortsnamen, ihre Reliquien zeigen ihre Anwesenheit, Wandmalereien halten ihre wunderbare Vita vor Augen, Plastiken und Altartafeln erleichtern den gläubigen Pilgern ihre Imagination. Das Heilwasser aus den Odilienquellen können sie schon hier mitnehmen und so an ihrer Wunderheilung teilhaben. Die Frage, wer konkret hinter dieser großartigen Verbreitung des Odilienkultes, hinter der Stiftung ihrer Kirchen und Kapellen, hinter der Einrichtung ihrer Heiligtümer stand, ist nur im Einzelfall zu beantworten. Die bekannten Stifter und Wohltäter kommen nun in erster Linie aus den örtlichen Adelskreisen oder dem Patriziat benachbarter Städte. Es deutet sich zumindest an, dass die Wallfahrt zur hl. Odilia auf den Hohenberg für diese potenten Stifter tendenziell der Ansatz war, ihren Kult mitzunehmen und zu transferieren. Jedenfalls scheint ihre breite Verehrung im Spätmittelalter, zumal im süddeutschen Raum, nicht mehr vorrangig von monastischen Netzwerken getragen, sondern besonders von den oberen laikalen Schichten vermittelt worden zu sein. Der nachhaltige Bedarf an der wirkmächtigen Fürbitte der Heiligen jedenfalls wird jetzt bei der breiten Bevölkerung augenscheinlich und durch die zahlreichen regionalen Kultstätten bedient. Odilia hat auch bald ihren festen Platz im Heiligenhimmel des spätmittelalterlichen Kunstbetriebs: Die seit dem 13. Jahrhundert jenseits des Rheins erhaltenen Wandmalereien schildern ihre Vita und kulminieren in der Darstellung ihrer Taufe und der Errettung ihres Vaters durch ihr Gebet. Das Buch, das sie als Äbtissin kennzeichnet, das Augenpaar, meist darauf liegend, als Symbol ihrer Wunderkraft, und der Kelch, den sie sich zur Selbstkommunion reichte, sind ihre bekannten Insignien, auf Plastiken wie in der Tafelmalerei. Dazu einige wenige Beispiele: Die spätgotische Kunst hat ihr vor und um 1500 besonders in Franken 49 , am Oberrhein und Bodensee 50 bedeutende Bilddenkmäler gesetzt. Hierfür sind die Stifter wie die pilgerfreudigen Herrn 48 Aus kulturgeschichtlicher Sicher allgemeiner dazu: Gudrun Schleusener-Eichholz , Das Auge im Mittelalter 2 Bde. (Münstersche Mittelalter-Schriften 35, München 1985). 49 Etwa mit den Altären in Lindelbach und Dertingen (bei Wertheim). Vgl. dazu Renate Neumüllers-Klauser , Versprengte fränkische Heilige, 135. Bericht des Historischen Vereins Bamberg (1999), S. 63 - 70, sowie den Ausstellungskatalog des Badischen Landesmuseums: Ora pro nobis. Bildzeugnisse spätmittelalterlicher Heiligenverehrung, hg. von Harald Siebenmorgen (Karlsruhe 1992) S. 35 ff. mit Abb. 60 f. 50 So mit den bedeutenden Altartafeln Peter Murers oder dem Falkensteiner Retabel des Meisters von Messkirch, vgl. Anna Morath-Fromm / Hans Westhoff , Der Meister von Messkirch. Forschungen zur südwestdeutschen Malerei des 16. Jahrhunderts (Ulm 1997), hier: S. 64 ff. und S. 202. Peter Rückert 30 <?page no="31"?> von Rechberg oder die Grafen von Zimmern zumindest zum Teil bekannt 51 . Bekannt ist auch die besondere Odilienverehrung bei den Grafen von Katzenelnbogen oder den Markgrafen von Baden am Oberrhein, die nicht nur ihre weiblichen Nachkommen nach der Heiligen nannten, sondern zu ihrer Verehrung auch fromme Bildwerke, wie 1496 den Altar von Kloster Lichtenthal mit ihrem Bild, stifteten, der einer Äbtissin aus badischem Haus zu verdanken ist 52 . Hier im Zisterzienserinnenkloster Lichtenthal wirkte und unterrichtete damals Schwester Regula als Lesemeisterin, die für ihre Schreibkunst und geistige Schaffenskraft bekannt ist 53 . Sie erstellte auch eine Art „ kommentierte “ Übersetzung der Legende der hl. Odilia und erklärte dabei das richtige Verständnis der Fürbitten, womit Odilia ihrem Vater das Seelenheil sicherte 54 . Sie diskutierte den Text auf anspruchsvollem geistigen Niveau, stellte ihren Schwestern Fragen, und schulte damit deren kritische Rezeption in der vermittelnden Verehrung der Heiligenlegende. Die Wirkmächtigkeit der Gebetsvorsorge, der sich auch die Lichtenthaler Nonnen verschrieben hatten, die Memoria für die Heilige wie die badische Stifterfamilie des Klosters stand dabei im Blickpunkt der gelehrten Erörterung. Die Imitatio, das Vorbild der Heiligen nachzuahmen, hat nach wie vor in den geistlichen Frauengemeinschaften zentrale Bedeutung. Ein Berner Gebetbuch, das im Jahr 1477 wohl ebenfalls in einem Frauenkloster angelegt wurde, legt der hl. Odilia ein Bittgebet in den Mund, das sie für ihren in der Hölle bestraften Vater gesprochen haben soll. Es heißt hier: Dis ist sant Ottilien gebett als ir vater vss der helle erlost. Herre ich knuwe hut fur dich vnd din heilges blut vnd fur din lieben muter die kunschen reinen magt maria vnd manen dich herre des ru e ffens so da beschach do dir din go e tliches minnriches hertz in des todes not vfbrach vnd ru e ffe dich an fur die selen vnd alle glo e big selen [. . .] 55 . 51 Zu den Herren von Rechberg vgl. oben S. 26; zu den Grafen von Zimmern: Peter Rückert , Pilgerfahrten auf dem Oberrhein im späteren Mittelalter, in: Jakobuskult im Rheinland, hg. von Robert Plötz / Peter Rückert (Jakobus-Studien 13, Tübingen 2004) S. 35 - 54; hier: S. 52 f. Dazu auch Peter Rückert , Der spätmittelalterliche Pilgerverkehr am und auf dem Oberrhein - Wege und Zeichen, in: Wege zum Heil. Pilger und heilige Orte an Mosel und Rhein, hg. von Thomas Frank/ Michael Matheus / Sabine Reichert (Geschichtliche Landeskunde 67, Stuttgart 2009) S. 241 - 258. 52 Vgl. 750 Jahre Zisterzienserinnen-Abtei Lichtenthal: Faszination eines Klosters, hg. von Harald Siebenmorgen (Sigmaringen 1995) darin vor allem: Konrad Krimm , Die Markgrafen von Baden und ihr Hauskloster im 15. und 16. Jahrhundert, S. 71 - 84. 53 Vgl. Gerhard Stamm , Klosterreform und Buchproduktion. Das Werk der Schreib- und Lesemeisterin Regula, in: 750 Jahre (wie Anm. 52) S. 63 - 70. 54 Backes/ Fleith , Funktion von Heiligenviten (wie Anm. 8) S. 167 f. 55 Ebd. S. 168. Die heilige Odilia und ihre Memoria jenseits des Elsass 31 <?page no="32"?> Odilia erinnert dabei Christus an seine eigene Todesnot und bittet ihn um das Seelenheil. Auf diese erste Bitte folgt im Text eine direkte Aufforderung an die Leser, dieses Gebet dreimal zu wiederholen, also Odilia zu imitieren, und ebenso oft ein Paternoster zu sprechen - ein Gebet für das Seelenheil von Verstorbenen, das von jedem Gläubigen gesprochen wurde, dem aber als Nachahmung der Worte Odilias besonderer Erfolg zugetraut werden darf. In solchen Gebeten, in Bildern und Liedern ist Odilia damals nicht nur bei den geistlichen Frauengemeinschaften zugegen, auch volkstümliche Segensprüche bei Augenleiden sind weithin bekannt. Die Pilger, die am Rhein unterwegs waren, kennen die Heilige vom Elsass, ihre Wege werden von den neuen Pilgerführern und Karten zu ihrem Grab geführt 56 , sowohl im realen Sinne wie bei den geistigen Pilgerfahrten, die nun in der monastischen Andachtsliteratur vor allem bei den Frauenkonventen immer beliebter werden. Der Dominikanermönch Felix Fabri in Ulm, selbst vielfacher Pilger und einschlägiger Verfasser von Pilger- und Reiseliteratur, bietet in seinem Werk über die „ Sionpilger “ von 1493, das sich dezidiert an die Frauenkonvente seiner Umgebung wendet, lebensnahe Pilgerfahrten zu den drei großen Pilgerzielen Jerusalem, Rom und Santiago de Compostela an. Dabei beschreibt er auch das Oberrheingebiet mit seinen zahlreichen heiligen Orten als imaginierte Sakrallandschaft und führt die Pilgerin im Geiste von Ulm über Speyer und Straßburg auch auf den Odilienberg. Fabris Pilgerführer lädt so die Nonnen zur Imitatio ein und verheißt ihnen auch den entsprechenden Lohn in Form von konkreten Ablässen 57 . Man konnte also auch mit dem Mund zur hl. Odilia pilgern, ohne das Kloster zu verlassen, und hatte dafür in der Regel nur einige Tausend Pater Noster und Ave Maria zu beten 58 . Die Pilger freilich, die sich tatsächlich auf den Weg machten, brachten die hl. Odilia mit nach Hause, oft als Pilgerzeichen (Abb. 6) oder Einblattdruck 59 , sie verbreiteten ihre Geschichte und sorgten für ihre Memoria 60 : Im andächtigen Vertrauen auf ihre wundermächtigen Gebete holten sie ihr Heilwasser nicht nur aus der nächsten Odilienquelle, sondern liefen bis zum Hohenberg selbst, wie der Mann, der mit seinem blinden Sohn 1511 aus dem 56 Rückert , Der spätmittelalterliche Pilgerverkehr (wie Anm. 51) S. 246. 57 Ebd. S. 255 f. 58 Vgl. den Beitrag von Elisabeth Clementz in diesem Band. 59 Vgl. Spätmittelalter am Oberrhein. Alltag, Handwerk und Handel 1350 - 1525 2/ 1: Katalogband der Ausstellung des Badischen Landesmuseums Karlsruhe, hg. von Sönke Lorenz / Markus Dekiert (Stuttgart 2001), hier: S. 121 f. 60 Vgl. dazu Robert Plötz , Signum peregrinationis. Heilige Erinnerung und spiritueller Schutz, in: Das Zeichen am Hut im Mittelalter. Europäische Reisemarkierungen, hg. von Hartmut Kühne / Lothar Lambacher / Konrad Vanja (Europäische Wallfahrtsstudien 4, Frankfurt am Main u. a. 2008) S. 47 - 70; dazu die einschlägige Pilgerzeichen- Datenbank unter http: / / www.pilgerzeichen.de. Peter Rückert 32 <?page no="33"?> Abb. 6: Pilgerzeichen der hl. Odilia, Elsass, 1. Hälfte 15. Jahrhundert. Die heilige Odilia und ihre Memoria jenseits des Elsass 33 <?page no="34"?> schwäbischen Schorndorf ins Elsass pilgerte 61 , obwohl er auch eine Odilienkapelle vor dem Haus hatte 62 . Die Formen der Memoria für die hl. Odilia jenseits des Elsass waren vielfältig und doch speziell an ihrem heiligen Ort und besonderen Kult ausgerichtet. Es gilt, sie differenziert zu begreifen. Resumen: Partiendo de la vita de santa Odilia y de sus redes familiares se observa el desarrollo de su culto en la Alta Edad Media. Al mismo tiempo, se trata especialmente de seguir desde una perspectiva externa la veneración de Odilia en Alsacia, en su convento Hohenberg, que poco después se llamaría Odilienberg (Monte de Santa Odilia). El auge de la peregrinación al Monte de Santa Odilia comienza a ser palpable a partir del siglo XII, cuando la abadesa Herrad de Landsberg se ocupa de la reforma de la vida monástica e intensifica la memoria de la Santa. Desde el siglo XIV el culto a Odilia se manifiesta también fuera de Alsacia, en múltiples formas arquitectónicas, artísticas y literarias, aunque poco después el centro de la veneración se encontrará en el sur de Alemania, sobre todo en las regiones de Suabia y Baviera. Aquí, los lugares conmemorativos de Santa Odilia se presentan de forma característica: una capilla consagrada a la Santa, que está en una zona muy retirada, situada en un monte o en su cima, que pasará pronto a dar nombre al pueblo y posiblemente existe cerca una fuente sagrada, por así decirlo, una imitación del Monte de Santa Odilia en Alsacia. Mientras en la Alta Edad Media aparecían frecuentemente redes monásticas - en especial la “ Augustiner-Chorherren ” - detrás de la propagación del culto de la santa, en la Baja Edad Media serán grupos de nobleza local y patricios los que actuan como patrocinadores del culto. La - en aquel entonces muy floreciente - peregrinación a Santa Odilia en Hohenberg parece ser el desencadenante central de la divulgación de su memoria. Se origina así una forma de expresión adecuada para su veneración, ensalzándola como “ Santa de peregrinación ” , especialmente más allá de Alsacia hasta la época de la Reforma. 61 Vgl. Martin Crusius , Annales Suevici 3 (Frankfurt am Main 1596); dazu Barth , Odilia (wie Anm. 4) 1, S. 179. 62 Vgl. Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 602 Nr. 12027, Nr. 12028, wo eine Sondersiechenkapelle mit Odilienaltar in Schorndorf für 1456 nachgewiesen ist. Peter Rückert 34 <?page no="35"?> Karl IV. und die heilige Odilia Heiligenverehrung und Politik am Oberrhein und in Böhmen Wolfgang Schmid Am 3. Mai 1354 besuchte König Karl IV. das Kloster auf dem elsässischen Odilienberg. Wie die Fortsetzung der Chronik des Matthias von Neuenburg berichtet, ließ er in Gegenwart des Straßburger Bischofs Johann von Lichtenberg das bis dahin unberührte Grab der hl. Odilia öffnen. Der König entnahm einen Teil des rechten Vorderarms und ließ den Sarkophag dann wieder sorgfältig schließen (Et venit in monasterium Hohenburg quinto nonas Maii et tumbam beate Odile una cum Iohanne episcopo Argentinensi paulisper aperuit, tollens ex integro corpore ibi reperto partem brachii dextri, fideliter ipsam recludens) 1 . Odilia war die Tochter des Etichonenherzogs Eticho. Blind geboren, erlangte sie bei der Taufe durch den Regensburger Bischof Erhard ihr Augenlicht. Um 690 gründete sie das Kloster auf dem Odilienberg. Ihren Fürbitten verdankt der Vater, der den Tod ihres Bruders verursacht hatte, seine Erlösung aus dem Fegefeuer. Um 720 starb sie. Sie wurde zur Landespatronin des Elsass, ihr Grab auf dem Odilienberg zu einem bedeutenden Wallfahrtsort 2 . Etwas kürzer ist der Bericht des Straßburger Kanonikers Jakob Twinger von Königshofen, der einen Zusammenhang mit anderen Reliquienerhebungen herstellt: Karl habe in Haslach den goldenen Schrein des hl. Florentius aufbrechen lassen, habe in Andlau Reliquien des vom Tod auferstandenen Lazarus erhalten und in Erstein den Urbansschrein öffnen lassen. Und zu ˚ Hohenburg det er sant Otylien schrin uf 3 . Der Bericht fasst 1 Mathias von Neuenburg, Chronica, ed. Adolf Hofmeister (MGH SS rer. Germ. N. S. 4, Berlin 1924/ 1940 ND 1984) S. 476; Die Chronik des Mathias von Neuenburg, übersetzt von Georg Grandaur (Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, Vierzehntes Jahrhundert 6, Leipzig 1899) S. 213. Vgl. dazu den Beitrag von Peter Rückert in diesem Band, S. 11 - 34. 2 Medard Barth , Die Heilige Odilia. Schutzherrin des Elsaß. Ihr Kult in Volk und Kirche 2 Bde. (Forschungen zur Kirchengeschichte des Elsaß 4, Straßburg 1938). 3 Jakob Twinger von Königshofen, Die älteste Teutsche so wol Allgemeine, als insonderheit Elsässische und Strassburgische Chronicke, ed. Carl Hegel , in: Die Chroniken der oberrheinischen Städte. Straßburg 1 und 2 (Die Chroniken der <?page no="36"?> die vier Reliquienerhebungen der Jahre 1353 und 1354 als zusammengehörige Einheit auf. Schließlich besitzen wir noch eine am 8. Mai 1354 in Schlettstadt ausgefertigte Urkunde, die über die Erhebung auf dem Odilienberg nähere Auskünfte gibt: Danach hatte der König mit den Bischöfen von Olmütz und Straßburg das reichsunmittelbare Kloster auf dem Berg besucht und dort den vollständigen Leichnam der ruhmreichen Jungfrau Odilia, der Tochter eines Herzogs, Eticho, eines berühmten Reichsfürsten, gesehen. In Gegenwart vieler Prälaten und mit Genehmigung der Äbtissin und des Konventes sei das bis dahin unberührte Grab geöffnet worden, in dem man das Haupt, die Hände, den Körper und die Füße, wie sie seit Beginn dort unverletzt lagen, sah. Von dem Körper erhielt der König den vorderen Teil des rechten Armes, um ihn an einem Gott geweihten Ort zur Vermehrung der Verehrung Gottes niederzulegen. Den Rest des Körpers ließ er dort und verschloss die Tumba. Außerdem erließ er ein Verbot, künftig das Grab zu öffnen oder einen Teil der Heiligen zu entnehmen 4 . König Karl IV. gilt als begeisterter Reliquiensammler 5 . Die Erhebung auf dem Odilienberg steht im Kontext einer umfangreichen Sammelkampagne am Oberrhein, am Bodensee und an der Mosel in den Jahren 1353 und 1354, wobei nicht nur die verschiedenen Stationen und die Auswahl der Reliquien von Interesse sind, sondern auch der jeweilige personelle bzw. politische Kontext, der eine Übergabe begünstigte oder aber verhinderte, und nicht zuletzt auch die Methoden der Erhebung, der Echtheitsprüfung und der Beglaubigung von Reliquien 6 . Ähnliche Fragen müssen wir auf der anderen deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert 8 und 9 (Leipzig 1870 - 1871), ND 1961) hier: 1, S. 483 - 484; Klaus Kirchert , Städtische Geschichtsschreibung und Schulliteratur. Rezeptionsgeschichtliche Studien zum Werk von Fritsche Closener und Jakob Twinger von Königshofen (Wissensliteratur im Mittelalter 12, Wiesbaden 1993). 4 Johann Friedrich Böhmer, Regesta Imperii VIII. Die Regesten des Kaiserreichs unter Kaiser Karl IV. 1346 - 1378, bearb. von Alfons Huber (Innsbruck 1877, ND 1968) Nr. 1835; Hugues Peltre , La vie de Sainte Odile vierge première abbesse du monastère d'Hohembourg, diocèse de Strasbourg (Straßburg 1719), unpaginierter Urkundenanhang. 5 Die umfangreiche Literatur zur Geschichte Karls IV. kann hier nicht im Einzelnen aufgelistet werden, vgl. zuletzt die beiden voluminösen Sammelbände Karl IV. Kaiser von Gottes Gnaden. Kunst und Repräsentation des Hauses Luxemburg 1310 - 1437, hg. von Jir ˇ i Fajt (München 2006); Kunst als Herrschaftsinstrument. Böhmen und das Heilige Römische Reich unter den Luxemburgern im europäischen Kontext, hg. von Jir ˇ i Fajt / Andrea Langer (Berlin 2009). 6 Politik und Heiligenverehrung im Hochmittelalter, hg. von Jürgen Petersohn (Vorträge und Forschungen 42, Sigmaringen 1994); Patriotische Heilige. Beiträge zur Konstruktion religiöser und politischer Identitäten in der Vormoderne, hg. von Dieter R. Bauer / Klaus Herbers / Gabriela Signori (Beiträge zur Hagiographie 5, Stuttgart 2007). Über Karls IV. „ Reliquienjagd am Oberrhein “ bereitet der Verfasser eine umfangreichere Studie vor, die in der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins erscheint. Wolfgang Schmid 36 <?page no="37"?> Seite stellen: Welche Formen von Frömmigkeit stehen hinter dieser Sammelleidenschaft? Was hat Karl IV. mit den Reliquien in Prag gemacht, was waren die Ziele seiner Sammelpolitik, wer waren die Träger der neuen Kulte, wie wurden diese in Prag bzw. Karlstein etabliert und für welche Ziele instrumentalisierte man dort die neuen Kulte 7 ? I. Werfen wir einen kurzen Blick auf die an der Erhebung Beteiligten: Äbtissin des Klosters war in den Jahren 1340 bis 1360 Agnes von Stauffenberg. Sie stammte aus einer niederadeligen Familie aus dem Umkreis der Markgrafen von Baden, die eine Burg in Offenburg bei Lahr besaßen. Insgesamt gab es im 14. und frühen 15. Jahrhundert vier Äbtissinnen aus ihrer Familie auf dem Odilienberg: Katharina von Stauffenberg amtierte von 1304 bis 1312, nach unserer Agnes folgte eine weitere Agnes in den Jahren 1388 bis 1406 und schließlich eine weitere Katharina im Jahr 1409. Ihre Nachfolgerinnen stammen aus anderen, vor allem elsässische Familien 8 . Dionysius Albrecht 7 Franz Machilek , Privatfrömmigkeit und Staatsfrömmigkeit, in: Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen, hg. von Ferdinand Seibt (2. Aufl. München 1978) S. 87 - 101; Bernd-Ulrich Hergemöller , Heiltümer und Symbole im Zeitalter der Luxemburger. Reliquienkult und Bildersturm in Böhmen von Karl IV. bis zu den Hussiten, in: Religion und Magie in Ostmitteleuropa. Spielräume theologischer Normierungsprozesse in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Thomas Wünsch (Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa 8, Münster 2006) S. 63 - 83; Martin Bauch , Öffentliche Frömmigkeit und Demut des Herrschers als Form politischer Kommunikation. Karl IV. und seine Italienaufenthalte als Beispiel, Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 87 (2007) S. 109 - 138; Ders ., Der Kaiser als Pilger? Zwei Einzüge Karls IV. in Rom als Beispiele subtil inszenierter Frömmigkeit, in: 1. Internationaler Kongress „ Europa: Geschichte, Bilder, Mythos “ . 5. Europäische Forschungstagung des historischen Arbeitskreises Potestas, hg. von Juan José Ferrer Maestro / Pedro Barceló (Humanitas 30, Castelló de la Plana 2008) S. 753 - 767; Barbara Drake Boehm , Der gläubige Herrscher, in: Karl IV. (wie Anm. 5) S. 137 - 147; Wolfgang Schmid , Wallfahrt und Memoria. Die Luxemburger und das spätmittelalterliche Rheinland, Rheinische Vierteljahrsblätter 70 (2006) S. 155 - 214, hier: S. 161 - 163, S. 168 - 172; Ders ., Vom Rheinland nach Böhmen. Studien zur Reliquienpolitik Kaiser Karls IV., in: Die Goldene Bulle. Politik - Wahrnehmung - Rezeption 2, hg. von Ulrike Hohensee u. a. (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berichte und Abhandlungen, Sonderband 12, Berlin 2009) S. 431 - 464, hier: S. 434 - 446; Ders ., Von Konstantinopel über Prag nach Trier: Das Haupt der hl. Helena, in: Kunst als Herrschaftsinstrument (wie Anm. 5) S. 309 - 319. 8 Dionysius Albrecht , History von Hohenburg, oder St. Odilien-Berg (Straßburg 1751) S. 313; Johann Andreas Silbermann , Beschreibung von Hohenburg oder dem St. Odilienberg, samt umliegender Gegend (Straßburg 1781) S. 42; Josef Gyss , Der Odilienberg. Legende, Geschichte und Denkmäler. Vollständige und ausschließlich aus den Quellen bearbeitete Monographie des Odilienberges, zugleich ein Beitrag zur Karl IV. und die heilige Odilia 37 <?page no="38"?> hebt in seiner Klostergeschichte von 1751 mehrere Ereignisse in der Regierungszeit der Äbtissin hervor: Die Einsetzung eines Zunftmeisters in Rosheim und die Privilegierung durch Karl IV. Bereits ein halbes Jahr vor der Erhebung der Reliquien, am 7. November 1353, hatte Karl IV. in Hagenau zwei Urkunden bestätigt, zunächst das 1249 verliehene Patronatsrecht über die Pfarrkirche in Oberehenheim und zum Zweiten eine Zusicherung an die Äbtissin, dass ihre Rechte durch Privilegienverleihungen an das Kloster Niedermünster nicht beeinträchtigt würden 9 . Als weitere wichtige Ereignisse berichtet Dionysius Albrecht von der Öffnung des Odiliengrabes in Gegenwart des Königs und schließlich von der Klosterreform 1358. Da sich ein unordentliches Leben eingeschlichen habe, habe der Kaiser den Straßburger Bischof aufgefordert, die drei Klöster Hohenburg, Andlau und Erstein zu reformieren. Beklagt wurde das ungeistliche Leben der Nonnen, die ihre Klöster verlassen hätten und sich an den Höfen der Fürsten und Herren (ihrer Verwandten? ) herumtrieben. Alle drei Klöster waren reichsunmittelbar und alle drei hatte Karl IV. in den Jahren 1353/ 54 besucht und dabei Reliquien erhalten 10 . Der Straßburger Bischof, der an der Klosterreform und an der Reliquienerhebung beteiligt war, war Johann von Lichtenberg: Er stammt aus einer bedeutenden elsässischen Adelsfamilie, die seit 1249 im Besitz der Straßburger Hochstiftvogtei war und zahlreiche Domherren sowie drei Bischöfe stellte: Konrad (1273 - 1299), Friedrich (1299 - 1306) und Johann (1353 - 1365) von Lichtenberg 11 . Dieser war 1349 Generalvikar Erzbischof Frühgeschichte des Elsasses. Mit einem topographischen Plane des Odilienbergs und der umliegenden Denkmäler (Rixheim 1874) S. 287 - 288; Ludwig Gabriel Glöckler , Geschichte des Bisthums Straßburg 2 (Straßburg 1880) S. 280; Sabine Klapp , Die Äbtissinnen der elsässischen Kanonissenstifte vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Handlungsmöglichkeiten zwischen Kirche und Welt, Individuum und Gemeinschaft, Amt und Familie (Diss. Trier 2009) Tabelle 2.4.1. Für die Übersendung der Tabelle und weitere Auskünfte sowie für den Hinweis, dass man Odilienberg, Andlau und Erstein strenggenommen als Damenstifte bezeichnen müsste, danke ich Sabine Klapp, Trier. 9 Regesta Imperii VIII (wie Anm. 4) Nr. *1651; Urkunde Karls IV. für das Augustinerinnenkloster Odilienberg, in: MGH LL Const. 10, ed. Margarete Kühn (Weimar 1979 - 1991, ND 2001) S. 514 - 517 Nr. 686 und Urkunde Karls IV. für das Augustinerinnenkloster in Hohenburg, ebd. S. 517 Nr. 687. 10 Albrecht, History (wie Anm. 8) S. 313; Regesta Imperii VIII (wie Anm. 4) Nr. 2777. 11 Zur Familie Fritz Eyer , Das Territorium der Herren von Lichtenberg 1202 - 1480. Untersuchungen über den Besitz, die Herrschaft und die Hausmachtpolitik eines oberrheinischen Herrengeschlechts (Schriften der Elsass-Lothringischen Wissenschaftlichen Gesellschaft zu Straßburg, Straßburg 1938); Peter K. Weber , Lichtenberg. Eine elsässische Herrschaft auf dem Weg zum Territorialstaat. Soziale Kosten politischer Innovationen (Schriften der Erwin-von-Steinbach-Stiftung 12, 1993); René Pierre Levresse, Prosopographie du chapitre de l ’ église cathédrale de Strasbourg de 1092 à 1593, Archives de l ’ Église d ’ Alsace N. S. 18 (1970) S. 1 - 39, hier: S. 14, S. 16 - 18; Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, hg. von Clemens Brodkorb / Erwin Gatz (Berlin 2001) S. 756 - 757, S. 759. Wolfgang Schmid 38 <?page no="39"?> Balduins von Luxemburg und Domherr in Trier 12 . Außerdem war er Sekretär und Stellvertreter Karls IV. im Elsass; zudem waren mehrere Angehörige seiner Familie im Dienst des Königs tätig. Nach dem Tod Bertholds von Bucheck, den Karl IV. und Johann von Lichtenberg noch auf dem Totenbett aufsuchten, war Johann der Wunschkandidat des Königs für die anstehende Bischofswahl 13 . Dem engeren Umkreis Karls IV. gehörte auch der Bischof von Olmütz an, Johann Oc ˇ ko von Vla š im, den wir im nächsten Kapitel kennen lernen. Nach den Motiven des Königs, bei seinem Elsassbesuch die Reliquien der hl. Odillia zu erwerben, braucht man nicht lange zu suchen. Sie wurde blind geboren und erlangte durch die Taufe ihre Sehkraft wieder; so wurde sie zur Schutzpatronin gegen Augenleiden aller Art und ihr Grab zu einer viel besuchten Wallfahrtsstätte. Dass Odilia zudem eine Herzogstochter und die Gründerin eines Klosters war, machte ihre Reliquien nur noch interessanter. Auch das Kloster konnte sich freuen. Neben zwei Privilegienbestätigungen besaß es jetzt eine vom König und zahlreichen prominenten Zeugen beglaubigte Urkunde, wonach es den ganzen Leib der hl. Odilia besaß. Ein corpus incorruptum war angesichts der mehr oder minder hartnäckig vorgetragenen Bitten von Herrschaftsträgern und Klöstern um Partikel eines Heiligen geradezu eine Seltenheit 14 . Wir wissen nicht, ob es - wie im Beispiel von Haslach - Auseinandersetzungen über die Echtheit der Reliquien gegeben hat, doch auch die Verfasser mittelalterlicher Reiseberichte wunderten sich, wieso das Haupt des hl. Matthias in Trier und Padua ausgestellt wurde 15 . Mit dem Haupt des hl. Kornelius wurden gleich in vier fast benachbarten Kirchen - Trier, Stuben, Helenenberg, Kornelimünster - Fallsüchtige geheilt 16 . Der König war jedoch stets auf der Suche nach 12 Rudolf Holbach , Stiftsgeistlichkeit im Spannungsfeld von Kirche und Welt. Studien zur Geschichte des Trierer Domkapitels und Domklerus im Spätmittelalter 2 (Trierer Historische Forschungen 2, Trier 1982) S. 525. 13 Wolfgang Hölscher , Kirchenschutz als Herrschaftsinstrument. Personelle und funktionale Aspekte der Bistumspolitik Karls IV. (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 1, Warendorf 1985) S. 70; Gerhard Losher , Königtum und Kirche zur Zeit Karls IV. Ein Beitrag zur Kirchenpolitik im Spätmittelalter (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 56, München 1985) S. 127. 14 Arnold Angenendt , Corpus incorruptum. Eine Leitidee der mittelalterlichen Reliquienverehrung, Saeculum 42 (1991) S. 320 - 348; Ursula Swinarski , Der ganze und der zerteilte Körper. Zu zwei gegensätzlichen Vorstellungen im mittelalterlichen Reliquienkult, in: Hagiographie im Kontext. Wirkungsweisen und Möglichkeiten historischer Auswertung, hg. von Dieter R. Bauer / Klaus Herbers (Beiträge zur Hagiographie 1, Stuttgart 2000) S. 58 - 68. 15 Paula Giersch / Wolfgang Schmid , Rheinland - Heiliges Land. Pilgerreisen und Kulturkontakte im Mittelalter (Armarium Trevirense. Studien und Quellen zur Geschichte des Erzbistums Trier 1, Trier 2004) S. 188 Anm. 532. 16 Wolfgang Schmid , Ein Heiltumsdruck für Kornelimünster, Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 107 - 108 (2005 - 2006) S. 149 - 166. Karl IV. und die heilige Odilia 39 <?page no="40"?> Reliquien von einwandfreier Reputation, deren „ Echtheit “ durch prominente Schenker und eine alte schriftliche Tradition sowie durch zahlreiche Pilger und Gebetserhörungen „ bewiesen “ wurde. Hierzu gehörten auch der Besuch des „ originalen “ Grabes eines Heiligen und die „ archäologische “ bzw. „ anthropologische “ Beschreibung der Befunde. Betrachtet man die Kultbelege für die Odilienverehrung, dann stellt sich nämlich die Frage, warum Karl IV. denn überhaupt in das elsässische Kloster gereist ist. Odilienreliquien hätte er auch woanders erhalten können. Von den vielen rheinischen Kultstätten (Aachen, Essen, Maria Laach, Oberwesel, in Düsseldorf sogar Odilia und Luzia) 17 seien nur zwei herausgegriffen, Trier und Köln. In Trier gab es in der Benediktinerabtei St. Matthias einen 1148 geweihten Agathenaltar, der unter anderem Reliquien von Luzia und Odilia enthielt 18 . In der ebenfalls von Karl IV. besuchten und beraubten Stiftskirche St. Paulin erwähnt ein Heiltumsdruck von 1515 Reliquien von St. Odilia 19 . In der Benediktinerabtei St. Maria ad Martyres wurde 1468 ein Altar zu Ehren von Barbara und Sebastian geweiht, der unter anderem Odilienreliquien enthielt 20 . Im Dom wird 1319 ein Odilienaltar erwähnt 21 und 1329 der Dreikönigsaltar gestiftet, der Odilienreliquien barg 22 . 1340 ist ein Fest der hl. Odilia in der Andreaskapelle des Domes belegt 23 . Während das Luzienfest eine große Rolle spielte, wird Odilia in dem um 1300 entstandenen Liber Ordinarius der Domkirche (noch) nicht genannt 24 . Das Luzienfest am 16. September ist in den Trierer Festkalendern durchgängig belegt, das Odilienfest am 13. Dezember vereinzelt seit dem 12., durchgängig dann ab dem 14. Jahrhundert 25 . Pilger aus Trier besuchten im 15. Jahrhundert den 17 Zusammenstellung der zahlreichen Belege bei Barth , Odilia (wie Anm. 2) 1, S. 175 - 189. 18 Barth , Odilia (wie Anm. 2) 2, S. 5; Petrus Becker , Die Benediktinerabtei St. Eucharius - St. Matthias vor Trier (Germania Sacra NF 34, Berlin 1996) S. 39. 19 Barth , Odilia (wie Anm. 2) 2, S. 14. Weitere Belege bei Franz-Josef Heyen (Bearb.), Das Stift St. Paulin vor Trier (Germania Sacra NF 6,1, Berlin 1972) S. 343, S. 347. 20 Barth , Odilia (wie Anm. 2) 2, S. 11. 21 Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz 13, 1 (Düsseldorf 1931) S. 261; Barth , Odilia (wie Anm. 2) 2, S. 177. 22 Kunstdenkmäler 13, 1 (wie Anm. 21) S. 261 (mit irreführender Quellenangabe); Barth , Odilia (wie Anm. 2) 2, S. 177. 23 Landeshauptarchiv Koblenz, Best. 1 D, Nr. 449 - 451. 24 Adalbert Kurzeja , Der älteste Liber Ordinarius der Trierer Domkirche. London, Brit. Mus., Harley 2958, Anfang 14. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Liturgiegeschichte der deutschen Ortskirchen (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 52, Münster 1970) S. 85 - 86, S. 171. 25 Peter Miesges , Der Trierer Festkalender. Seine Entwicklung und seine Verwendung zu Urkundendatierungen. Ein Beitrag zur Heortologie und Chronologie des Mittelalters (Trierisches Archiv, Erg.-H. 15, Trier 1915) S. 84 - 85, S. 104 - 105, S. 110 - 111, S. 144. Wolfgang Schmid 40 <?page no="41"?> Odilienberg, wie ein in der Moselstadt gefundenes Pilgerzeichen belegt 26 . Ein Heiltumsdruck von 1514 berichtet, in dem Kloster der Augustiner-Eremiten würde man nicht nur Reliquien der Zahnweh-Patronin Apollonia, sondern auch einen Finger von St. Luzia und einen halben Arm der hl. Odilia - Ei[n] halben arm von s. Ottilien - aufbewahren 27 . Wie das nicht sonderlich bedeutende, 1271 gegründete Trierer Kloster 28 in den Besitz einer ebenso prominenten Reliquie der elsässischen Heiligen gelangte wie der Prager Dom, lässt sich genauso wenig klären wie die Frage, woher denn die anderen Trierer Heiltümer stammen: Die Nonnen auf dem Hohenberg hatten 1354 behauptet, bisher sei die tumba der Heiligen nicht geöffnet worden. Vielleicht zeigt dies die zeitgenössische Sicht von Fälschung und Wahrheit, dass sich Karl IV. von der Echtheit der Reliquien durch eine offizielle Erhebung in Anwesenheit prominenter Zeugen überzeugen wollte. Über die Erhebung wurde eine notariell beglaubigte Urkunde ausgestellt. Karl IV. ließ die schriftliche Überlieferung sorgfältig prüfen und zeigte sich über die Vita des jeweiligen Heiligen recht gut informiert. Karl IV. hätte außerdem in Köln fragen können, doch die größte Heiltumskammer im Römischen Reich blieb ihm weitgehend verschlossen, da er mit dem als Kurfürst in der Reichspolitik wichtigen Kölner Erzbischof koalierte und aus diesem Grund die Stadt nicht förderte und daher - von einer freilich bemerkenswerten Ausnahme abgesehen 29 - keine Reliquien erhielt 30 . Außerdem gab es in Köln das Problem, dass man hier zwei hl. Odilien verehrte, neben der elsässischen Herzogstocher eine der Gefähr- 26 Hans-Joachim Kann , Blei/ Zink-Devotionalien aus Trierer Funden in Privatbesitz, Trierer Petermännchen 1 (1987) S. 23 - 34, hier: S. 25; Elly van Loon-van de Moosdijk, St. Odilia auf westeuropäischen Glocken. Pilgerzeichen aus dem Elsaß, Jahrbuch für Glockenkunde 7 - 8 (1995 - 1996) S. 185 - 193, hier: S. 188. 27 Die Medulla Gestorum Treverensium des Johann Enen. Ein Trierer Heiltumsdruck von 1514. Faksimileausgabe und Kommentar, ed. Michael Embach / Wolfgang Schmid (Armarium Trevirense. Studien und Quellen zur Geschichte des Erzbistums Trier 2, Trier 2004) S. 271. 28 Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz 13, 3 (Düsseldorf 1938) S. 42 - 47; Hans- Joachim Schmidt , Bettelorden in Trier. Wirksamkeit und Umfeld im hohen und späten Mittelalter (Trierer Historische Forschungen 10, Trier 1986) S. 36 - 37. 29 1359 händigte das Stift St. Gereon Helenareliquien an Kaiser Karl IV. aus, Joachim Oepen , Die Reliquienverzeichnisse von St. Gereon, in: Märtyrergrab, Kirchenraum, Gottesdienst. Interdisziplinäre Studie zu St. Gereon in Köln, hg. von Albert Gerhards / Andreas Odenthal (Studien zur Kölner Kirchengeschichte 35, Siegburg 2005) S. 125 - 166, hier: S. 127, S. 133 - 134, S. 148 - 153. 30 Anna Dorothee von den Brincken , Privilegien Karls IV. für die Stadt Köln, Blätter für Deutsche Landesgeschichte 114 (1978) S. 243 - 264; Wilhelm Janssen , Karl IV. und die Lande an Niederrhein und Untermaas, in: Ebd. S. 203 - 239; Hans-Walter Stork , Der pilgernde Kaiser. Karl IV. am Schrein der hl. Elisabeth von Thüringen, in: Elisabeth von Thüringen und die neue Frömmigkeit in Europa, hg. von Christa Bertelsmeier-Kierst (Kulturgeschichtliche Beiträge zum Mittelalter und der frühen Neuzeit 1, Frankfurt am Main 2008) S. 151 - 170, hier: S. 168. Zu Kölner Reliquien in Karl IV. und die heilige Odilia 41 <?page no="42"?> tinnen der hl. Ursula, deren Reliquien 1287 von dem Pariser Kreuzbrüderkonversen Johann von Eppa in einem Garten bei St. Gereon aufgefunden und 1292 nach Huy an der Maas gebracht worden waren 31 . Ihre liturgische Verehrung ist in acht Kölner Kirchen nachweisbar 32 , außerdem in den Kreuzherrenklöstern Aachen und Schwarzenbroich sowie in der Benediktinerabtei Brauweiler 33 . Aus dem Kreuzherrenkloster in Huy stammt ein bemalter Reliquienschrein, an dessen Seiten die Vita der hl. Odilia dargestellt ist 34 . Die Kölner Odilia gehörte sogar zu den Hauptjungfrauen, zu den elf Königstöchtern, denen jeweils 1000 der 11.000 Jungfrauen unterstellt waren. Auch die Kölner Odilia heilte Blinde, sie orientierte sich also am Vorbild der elsässischen Heiligen und wurde auch durch dieselben Attribute - ein Buch mit zwei Augen - gekennzeichnet 35 . Einige Reliquien blieben trotz der translatio in Köln: Bei den Kreuzherren verehrte man 1645 ein Fingerglied und eine Rippe und im Zisterzienserinnenkloster St. Apern das Haupt der hl. Odilia. Beide Kölner Odilien werden als Jungfrauen und Märtyrerinnen bezeichnet, so dass ihre Identifizierung gesichert erscheint, was nicht immer so einfach ist, denn in Köln war man noch auf drei weitere Gefährtinnen der hl. Ursula mit Namen Odilia gestoßen 36 . Karl IV. hat auch weiterhin noch Reliquien gesammelt. Um nur zwei Ereignisse herauszugreifen: Zwei Jahre nach seiner Reise durch den Westen des Reichs, am 9. November 1356, ließ er bei einem weiteren Aufenthalt an der Mosel in der Stiftskirche St. Paulin vor Trier den ersten Trierer Bürgermeister Palmatius erheben und nach Burg Karlstein bringen. Bei seinem Trier-Besuch 1353 war ihm der Zugang zu den Reliquien von St. Paulin verwehrt geblieben; jetzt hatte er aufgrund familiärer und kirchen- Böhmen und Prag vgl. Anton Legner , Kölner Heilige und Heiligtümer. Ein Jahrtausend europäischer Reliquienkultur (Köln 2003) S. 309 - 312. 31 Richard Knipping (Bearb.), Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter 3, 2: 1261 - 1304 (Publikationen der Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde 21, Düsseldorf 1913) Nr. 3108, Nr. 3145. Zur Kölner Odilia und zu weiteren Heiligen mit diesem Namen vgl. Barth , Odilia (wie Anm. 2) 2, S. 263 - 272. Das Lexikon der christlichen Ikonographie unterscheidet geschickt zwischen der Äbtissin Odilia (8, Sp. 76 - 79) und der Jungfrau Ottilie (8, Sp. 105). Johann Hubert Kessel , St. Ursula und ihre Gesellschaft. Eine kritisch-historische Monographie (Köln 1863) S. 268, unterscheidet bis zu fünf Ursulagefährtinnen mit dem Namen Odilia. 32 Reliquiarium Coloniense, ed. Hans-Joachim Kracht / Jakob Torsy (Studien zur Kölner Kirchengeschichte 34, Siegburg 2003) S. 409. 33 Legner , Kölner Heilige (wie Anm. 30) S. 273; Barth , Odilia (wie Anm. 2) 2, S. 270 - 271. 34 Legner , Kölner Heilige (wie Anm. 30) S. 295 - 297. 35 Barth , Odilia (wie Anm. 2) 2, S. 270 - 271. Ähnliche Verwechslungen gab es auch in niederländischen Sweikhuizen und in Maaseick. Vgl. Jakobswege. Wege der Jakobspilger zwischen Rhein und Maas, hg. von Annette Heusch-Altenstein (2. Aufl. Köln 2008) S. 155, S. 160. Freundlicher Hinweis von Annette Heusch-Altenstein. 36 Barth , Odilia (wie Anm. 2) 2, S. 271. Wolfgang Schmid 42 <?page no="43"?> politischer Verbindungen Zugriff 37 . Danach besuchte der Kaiser anlässlich des Reichstags (Goldene Bulle) die Reichsstadt Metz 38 . Am 29. November 1356 erhielt er einen Teil des Hauptes des hl. Metzer Bischofs St. Arnulf ( † 629), den er als Vorfahren Karls des Großen verehrte 39 . Die in der Metzer Überlieferung nicht dokumentierte Translation kann erklären, warum der erst 1354 gewählte Abt Raynald (Renaud Ruèce) 1356 von Karl zu seinem Hofkaplan ernannt wurde. Die Abtei St. Arnulf war zudem eine Nekropole der Karolinger, in der Hildegard, eine der Ehefrauen Karls des Großen, seine Schwestern und sein Sohn Kaiser Ludwig der Fromme bestattet wurden 40 . Außerdem übergab ihm in Metz der Dauphin die seit langem versprochenen zwei Dornen aus der Dornenkrone Christi, die in der Sainte-Chapelle in Paris aufbewahrt wurde, und ein großes Kreuzholzpartikel. Dieses Ereignis erschien Karl IV. so wichtig, dass er es in Karlstein, wohin die Reliquien gebracht wurden, auf einer Wandmalerei darstellen ließ 41 . Weiter ließ er in der 37 Schmid , Wallfahrt (wie Anm. 7) S. 176 - 188; Ders ., Rheinland (wie Anm. 7) S. 446 - 456. 38 Michel Margue / Michael Pauly , Luxemburg, Metz und das Reich. Die Reichsstadt Metz im Gesichtsfeld Karls IV., in: Die Goldene Bulle (wie Anm. 7) 2, S. 869 - 915; Christoph Brachmann , Kaiser Karl IV. und der Westrand des Imperiums. Politischer und künstlerischer Austausch mit einer Innovations- und Transferregion, in: Kunst als Herrschaftsinstrument (wie Anm. 5) S. 89 - 100; Bernd-Ulrich Hergemöller , Fürsten, Herren und Städte zu Nürnberg 1355/ 56. Zur Entstehung der „ Goldenen Bulle “ Karls IV. (Städteforschung A 13, Köln u. a. 1983) S. 180 - 186, S. 214 - 216; Ders., Der Abschluß der „ Goldenen Bulle “ zu Metz 1356/ 57, in: Studia Luxemburgensia. Festschrift Heinz Stoob zum 70. Geburtstag, hg. von Friedrich B. Fahlbusch / Peter Johanek (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 3, Warendorf 1989) S. 123 - 232, insbesondere S. 148. 39 Bedrich Mendl (Bearb.), Regesta diplomatica necnon epistolaria Regni Bohemiae et Moraviae 6, 2 (1929) Nr. 481. Die Urkunde befindet sich im Archiv des Prager Metropolitankapitels, Nr. 258 XII 5, und wurde von Libor Gottfried , Nález originálu listiny na ostatky s. Pakmácia (Pr ˇ ispe ˇ vek k poc ˇ átku ˚ m sbirky ostatku ˚ Karla IV. na Karl š teijne), Str ˇ edoc ˇ esky sbornik historicky 21 (1995) S. 29 - 43, S. 40 - 41, neu herausgegeben. Nicht bei Regesta Imperii VIII (wie Anm. 4) S. 204. Zu Luzia: Emanuel Poche , Adalbert (Vojte ˇ ch) von Prag (von Gnesen), in: Lexikon der christlichen Ikonographie 5 (1990) Sp. 248 - 249; Margit Müller , Am Schnittpunkt von Stadt und Land. Die Benediktinerabtei St. Arnulf in Metz im hohen und späten Mittelalter (Trierer Historische Forschungen 21, Trier 1993) S. 13 - 14; Brachmann , Karl IV. (wie Anm. 38) S. 90; Margue/ Pauly , Luxemburg (wie Anm. 38) S. 876. 40 Müller , Schnittpunkt (wie Anm. 39) S. 53. 41 Heinrich Neureither , Das Bild Kaiser Karls IV. in der zeitgenössischen französischen Geschichtsschreibung (Diss. Heidelberg 1964) S. 185 - 188; Brachmann , Karl IV. (wie Anm. 38) S. 92; Michael Lindner , Eine Kiste voller Knochen - Kaiser Karl IV. erwirbt Reliquien in Byzanz. Zugleich ein Beitrag zur Datierung zweier Karlsteiner Reliquienszenen, in: Kunst als Herrschaftsinstrument (wie Anm. 5) S. 289 - 299; Ralf Lützelschwab, Ludwig der Heilige und der Erwerb der Dornenkrone. Zum Verhältnis von Frömmigkeit und Politik, Das Mittelalter 9 (2004) S. 12 - 22; Ders. , Prag - das neue Paris? Der französische Einfluß auf die Reliquienpolitik Karls IV., in: Karl IV. und die heilige Odilia 43 <?page no="44"?> Metzer Abtei St. Vinzenz den Schrein der hl. Luzia öffnen und sich Partikel aushändigen 42 . Wie die hl. Odilia galt Luzia als Helferin gegen Augenleiden aller Art. Da sie in Prag zum Teil gemeinsam verehrt wurden, ist es mehr als wahrscheinlich, dass sich Karl IV. gerade für diesen Aspekt besonders interessierte. II. Bei der Frage nach dem weiteren Schicksal der Odilienreliquien in Prag ergibt sich das Problem, dass sich Medard Barth in seinem bis heute grundlegenden Werk über die hl. Odilia auf die Acta Sanctorum von 1734 stützt und die Identifizierung seiner Angaben in der Prager Überlieferung mitunter Schwierigkeiten bereitet 43 . 1354 befand sich die Odilienreliquie bereits im Prager Domschatz. Im Inventar heißt es: Manus sanctae Otyliae virginis argento circumdatum et deauratum 44 . Nach dem Domschatzinventar von 1355 war in der Zwischenzeit ein nicht erhaltenes silbernes Armreliquiar der Heiligen angefertigt worden - laut der überlieferten Inschrift ein Geschenk Karls IV. (Manus sanctae Otiliae virginis et martyris (! ) tenens reliquias scti. Erhardi, argentea, deaurata, quas decoravit et donavit imperator) - demnach wäre die erste Förderung des Prager Odilienkults auf den Kaiser zurückgegangen, das Reliquiar hätte dieser außerdem frühestens nach seiner Kaiserkrönung 1355 stiften können 45 . In das Schaugefäß wurden zudem Reliquien des Regensburger Bischofs Erhard eingefügt. Der hl. Erhard war ein Wandermönch, der in Bayern und im Elsass wirkte, wo er die hl. Odilia taufte, und später das Bistum Regensburg Wallfahrten in der europäischen Kultur, hg. von Daniel Dole ž al/ Hartmut Kühne (Europäische Wallfahrtsstudien 1, Frankfurt am Main u. a. 2006) S. 201 - 219. 42 Antonius Podlaha/ Eduard Š ittler, Chrámový poklad u sv. Víta v. Praze. Jeho de ˇ jiny a popis (Prag 1903) S. IX Nr. 297; Pierre Edouard Wagner , Culte et reliques de Sainte Lucie à Saint Vincent de Metz. La transposition de la Passio Luciae de Sigebert de Gembloux (XII e siècle). Le cycle de Sainte Lucie de l ’ abbé Le Gronais (XV e siècle). Le chef reliquaire de Laurent Le Clerc (XVII e siècle), Mémoires de l ’ Académie Nationale de Metz 183 (2002) S. 179 - 203, hier: S. 196; Gisela Minn , Kathedralstadt und Benediktinerkloster. Die Abtei St. Vinzenz und die Stadt Metz im Mittelalter (Trierer Historische Forschungen 45, Trier 2002) S. 76, S. 309 - 310; Christel Squarr , Lucia von Syrakus, in: Lexikon der christlichen Ikonographie 7 (1990) Sp. 415 - 420; Brachmann , Karl IV. (wie Anm. 38) S. 93; Margue/ Pauly , Luxemburg (wie Anm. 38) S. 876. 43 Barth , Odilia (wie Anm. 2) 2, S. 8; AA SS 1. Januar (1734) S. 1084 - 1085, S. 1108. 44 Podlaha/ Sittler , Poklad (wie Anm. 42) S. IX Nr. 297. 45 Podlaha/ Sittler , Poklad (wie Anm. 42) S. XIII Nr. 44 b; Joseph M. B. Clauss , Sancta Odilia. Der Odilienberg und die hl. Odilia in Wort und Bild. Zum 1200jährigen Jubiläum der Heiligen (Karlsruhe 1922) S. 15 Anm. 1; Barth , Odilia (wie Anm. 2) 2, S. 8. Wolfgang Schmid 44 <?page no="45"?> gründete, wo er um 717 starb und im Niedermünster begraben wurde; 1052 wurde er heilig gesprochen 46 . Über eine Erhebung seiner Reliquien und ihre Überführung nach Prag ist nichts bekannt. Regensburg spielte bei der Mission eine wichtige Rolle; hier wurden 845 14 Angehörige böhmischer Adelsgeschlechter getauft. Auch die Legenden der ersten böhmischen Märtyrerheiligen aus der Familie der Pr ˇ emysliden (Ludmila, Wenzel) entstanden in Regensburg. Erst 973 wurde das Bistum Prag gegründet, dessen Sprengel bis dahin zu Regensburg gehört hatte 47 . Weiter werden in dem Martyrologium des Prager Domes zum 13. Dezember die Odilienreliquien und ihre Herkunft aus dem Elsass erwähnt. Auch hier wird der hl. Erhard genannt und die Herkunft seiner Reliquien aus Regensburg hervorgehoben (quas reliquias imperator obtinuit in Rituspona de monasterio inferiori) 48 . Karl IV. hielt sich mehrfach in der Donaustadt auf, ohne dass wir Nachrichten über den Erwerb von Heiltümern besitzen. Denkbar wären die Daten 1354 und 1362. Auch der Erzbischof Johann Oc ˇ ko könnte als Urheber einer Translatio gelten: Nachdem er 1365 zum päpstlichen Legaten ernannt worden war, besuchte er im gleichen Jahr Regensburg. Hier erhielt er eine Erhardslegende, die der bekannte Kanoniker, Theologe und Naturwissenschaftler Konrad von Megenberg verfasst hatte. Dieser war von Wien nach Regensburg gezogen, wo ihn der hl. Erhard 1343 von seinem Gichtleiden erlöste. In einem undatierten Begleitbrief zur Legende des Heiligen wird die besondere Erhards- und Odilienverehrung des Prager Erzbischofs hervorgehoben 49 . Dass er Erhardsreliquien nach Prag 46 Gisela Koschwitz , Erhard von Regensburg, in: Lexikon der christlichen Ikonographie 6 (1990) Sp. 164 - 165; Clauss , Odilia (wie Anm. 45) S. 153 - 157; Gisela Koschwitz , Der heilige Bischof Erhard von Regensburg. Legende - Kult - Ikonographie, Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 86 (1975) S. 481 - 644 (ohne Hinweise auf die Prager Erhardsverehrung); Paul Mai , Der heilige Erhard. Bischof von Regensburg (Erste Hälfte des 8. Jahrhunderts), in: Lebensbilder aus der Geschichte des Bistums Regensburg 1, hg. von Georg Schwaiger (Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 23 - 24, Regensburg 1989) S. 38 - 52, insbesondere S. 46 - 47; Václav Bok , Zum Kult der Regensburger Heiligen Emmeram und Erhard in den böhmischen Ländern, in: Das mittelalterliche Regensburg im Zentrum Europas, hg. von Edith Feistner (Regensburg 2006) S. 223 - 233; Klaus Schwarz , Das spätmerowingerzeitliche Grab des Heiligen Bischofs Erhard im Niedermünster zu Regensburg. Ein Ausgangspunkt für kirchen- und landesgeschichtlich-archäologische Forschungen im Nordosten der alten baierischen Hauptstadt, in: Ausgrabungen in Deutschland 2, hg. von Dems. (Mainz 1975) S. 129 - 164; Claudia Märtl , Die Damenstifte Obermünster, Niedermünster, St. Paul, in: Geschichte der Stadt Regensburg 2, hg. v. Peter Schmid (Regensburg 2000) S. 745 - 763. 47 Bok , Kult (wie Anm. 46). 48 AA SS 1. Januar (1734) S. 1108. 49 Bok , Kult (wie Anm. 46) S. 228 - 229, dagegen S. 230 mit Anm. 23. Helmut Ibach , Leben und Schriften des Konrad von Megenberg (Neue deutsche Forschungen, Abt. Mittelalterliche Geschichte 7, Berlin 1938) S. 115 - 116; Mai , Erhard (wie Anm. 46) Karl IV. und die heilige Odilia 45 <?page no="46"?> mitgebracht hat, ist nicht auszuschließen: 1363 besuchte er die Stadt an der Donau; 1367 stiftete er eine Kapelle. Jedoch wies die Inschrift an dem verlorenen Reliquiar darauf hin, dass dieses der Kaiser 1355 eben auch für Erhardsreliquien gestiftet hat. In einem weiteren Reliquienverzeichnis des Prager Domes wird die Reliquie der hl. Odilia gemeinsam mit der der hl. Luzia genannt, die Karl IV. 1356 in Metz erhalten hatte. Schließlich habe Papst Innozenz VI. (1352 - 1362) die Feier des Odilienfestes für die ganze Prager Diözese angeordnet 50 . 1367 stiftete der Prager Erzbischof Johann Oc ˇ ko von Vlasim eine Kapelle am Chorumgang des Veitsdoms, die dem hl. Bischof Erhard, der Jungfrau Odilia und dem Märtyrer Alban geweiht wurde. 1375 ließ sich der Stifter sein Begräbnisrecht in der Kapelle verbriefen und verlieh dem jeweiligen Prager Erzbischof sowie dem Kaplan der Allerheiligen-Kapelle das Patronatsrecht 51 . Warum die Erhard- und Odilienkapelle im Prager Dom auch noch zu Ehren des Mainzer Bistumsheiligen St. Alban geweiht wurde, dessen Reliquien Karl IV. 1353 in Mainz erhielt, ist bisher ungeklärt 52 . Die Prager Odilienverehrung war also spätestens 1367 von Kaiser Karl IV. auf Johann Oc ˇ ko, einen seiner engsten Vertrauten, übergegangen, der ihr eine der Chorkapellen des neu errichteten Veitsdomes widmete. Wie im Kölner Domchor sollten Pilger und Teilnehmer an Prozessionen an den Kapellen mit ihren Altären und Grabmälern sowie an den Gräbern der Luxemburger und der Pr ˇ emysliden vorbeiziehen und dabei auch der Verstorbenen gedenken. Deshalb wird man sich in der Kapelle des Erzbischofs eine Anlage aus Altar und Grabmal vorstellen dürfen 53 . Johann Oc ˇ ko von Vla š im stammte aus einer einflussreichen adeligen Familie. Sein Neffe Johann von Jenstein wurde Bischof von Meißen und als Erzbischof von Prag sein Nachfolger (1379 - 1396). Johann war bereits für König Johann den Blinden als Notar und Kaplan tätig. Er wurde Domherr in S. 50. Dagegen wäre einzuwenden, dass das von Karl IV. gestiftete Odilien-Armreliquiar bereits Erhardsreliquien beherbergte, Clauss , Odilia (wie Anm. 45) S. 15 Anm. 1. 50 Barth , Odilia (wie Anm. 2) 2, S. 8; AA SS 1. Januar (1734) S. 1084 - 1085. 51 Siehe Anm. 75. 52 Fritz Arens , Alban von Mainz, in: Lexikon der christlichen Ikonographie 5 (1990) Sp. 68 - 70; Martin Dolch , Die Heiligennamen Albin und Alban. Zur Verehrung westfränkischer Heiliger im Rheinland im 8. Jahrhundert, Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 39 (1987) S. 43 - 66, hier: S. 62 - 65. 53 Zu Köln: Rolf Lauer , Bildprogramme des Kölner Domchores vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, in: Dombau und Theologie im mittelalterlichen Köln. Festschrift zur 750-Jahrfeier der Grundsteinlegung des Kölner Domes und zum 65. Geburtstag von Joachim Kardinal Meisner 1998, hg. von Ludger Honnefelder / Norbert Trippen / Arnold Wolff (Studien zum Kölner Dom 6, Köln 1998) S. 185 - 232; Stefan Heinz/ Barbara Rothbrust/ Wolfgang Schmid , Die Grabdenkmäler der Erzbischöfe von Trier, Köln und Mainz (Trier 2004) S. 90 - 100. Wolfgang Schmid 46 <?page no="47"?> Prag und 1340 erster Propst des Kollegiatstifts an der Allerheiligen-Kapelle auf der Prager Burg. 1351 wurde er Bischof des jetzt auch zur Prager Diözese gehörigen Bistums Olmütz. Johann Oc ˇ ko von Vla š im gehörte zum engsten Umkreis Karls IV. Er begleitete ihn 1354 nach Trier, wo er die Totenmesse für dessen Großonkel Erzbischof Balduin las, folgte ihm nach Metz, wo er die Übersendung der Trierer Reliquien nach Prag beurkundete, auf den Odilienberg, wo er an der Erhebung der Gebeine der hl. Odilia teilnahm, und auch nach Marburg, wo Karl IV. Reliquien der hl. Elisabeth erhielt. 1364 wurde er Nachfolger Ernsts von Pardubitz (1343 - 1364) als Erzbischof von Prag, ein Amt, das er bis 1378 bekleidete. Sein Nachfolger in Olmütz wurde der aus einer schlesischen Bürgerfamilie stammende Johann von Neumarkt, der Kanzler Karls IV. Der aus einem mährischen Adelsgeschlecht kommende Adalbert von Sternberg wurde Bischof von Leitomischl. Johann Oc ˇ ko war außerdem der erste Prager Erzbischof, der 1365 zum ständigen päpstlichen Legaten ernannt wurde. In dieser Eigenschaft durfte er die zum Königreich Böhmen gehörenden Burgen, Dörfer und Städte nicht nur in seinem Sprengel, sondern auch in den Diözesen Bamberg, Regensburg und Meißen visitieren 54 . Von seinen vielfältigen Aktivitäten seien nur seine Rolle beim Weiterbau des Prager Domes sowie seine Bedeutung als Berater Karls IV. und als Erzieher Wenzels IV. hervorgehoben. Er ließ den Prager Bischofshof erweitern und eine Kapelle errichten, gründete am Eingang des Hradschin ein Hospital für arme Kleriker, das unter dem Patronat der Heiligen Elisabeth und Antonius stand. Weiter stiftete er unter dem Vy š ehrad ein Hospital für verarmte adlige Männer und Frauen. 1378 resignierte er, wurde aber zeitgleich zum Kardinalpriester von Santi Apostoli ernannt: Im gleichen Jahr hielt er die Totenmesse für Karl IV. Johann Oc ˇ ko, der an grünem Star litt, war bei einem ärztlichen Eingriff auf dem linken Auge erblindet. Dies war der Grund für den Spitznamen Oc ˇ ko (Äuglein), aber auch für seine Odilienverehrung 55 . Johann Oc ˇ ko von Vla š im ist mehrfach als Stifter hervorgetreten. Aus der Marienkapelle der bischöflichen Burg Raudnitz (Roudnice) an der Elbe, wo er den großen Turm vollendet hatte, stammt eine großformatige Votivtafel (181,5 x 96,5 cm, Abb. 1) 56 . Sie besteht aus zwei in etwa gleich großen 54 Zden ˇ ka Hledíková , Die Prager Erzbischöfe als ständige päpstliche Legaten. Ein Beitrag zur Kirchenpolitik Karls IV., in: Regensburg und Böhmen. Festschrift zur Tausendjahrfeier des Regierungsantrittes Bischof Wolfgangs von Regensburg und der Errichtung des Bistums Prag, hg. von Georg Schwaiger / Josef Staber ( Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 6, Regensburg 1972) S. 221 - 256, hier: S. 227 - 228; Losher, Königtum (wie Anm. 13) S. 64 - 67. 55 Zden ˇ ka Hledíková , Johann Oc ˇ ko von Vla š im ( † 1380), in: Bischöfe (wie Anm. 11) S. 589 - 590. Zur Augenkrankheit Bok , Kult (wie Anm. 46) S. 228. 56 Vgl. den umfangreichen Katalogbeitrag: Jir ˇ i Fajt, Von der Nachahmung zu einem neuen kaiserlichen Stil, in: Karl IV. (wie Anm. 5) S. 40 - 75, hier: S. 69 Nr. 33; Václav Rynes , K osudu ˚ m a ikonografické náplni votivního obrazu Jana Oc ˇ ka z Vla š imi, Karl IV. und die heilige Odilia 47 <?page no="48"?> Abb. 1: Motivtafel des Prager Erzbischofs Johann Oc ˇ ko von Vla š im, vor 1371. Wolfgang Schmid 48 <?page no="49"?> Registern. Vor strahlendem Goldgrund erkennt man oben eine Maria in leuchtend blauem Kleid, das Christuskind auf dem Schoß. Zwei Engel halten einen rotgoldenen Vorhang auf. Zu ihren Füßen knien in prächtigen Gewändern links, also auf der heraldisch rechten, der wichtigeren Seite, Kaiser Karl IV. und rechts sein Sohn Wenzel. Vor ihren Knien befinden sich die Wappen des Reiches und Böhmens. Begleitet werden sie von zwei heiligen Herrschern, die ihnen beschützend eine Hand auf die Schulter legen: Links ist es der hl. Sigismund, der gewalttätige König der Burgunder, der mit seinem Volk vom arianischen zum katholischen Glauben übertrat und einen gewaltsamen Tod fand, durch den er zum Märtyrer wurde 57 . Rechts erkennt man den heiligen Pr ˇ emyslidenfürst Wenzel, der den Veitsdom errichtete und 929 ermordet wurde; seitdem wird er als Märtyrer verehrt. Karl IV. wurde auf den Namen Wenzel getauft. Seine eigenen Söhne nannte er Wenzel und Sigismund 58 . Man erkennt also auf dem Gemälde den kaiserlichen Vater und seinen bereits als Kind 1363 zum Böhmenkönig gekrönten Sohn. Kaiser Karl verehrt die Gottesmutter, er wird dabei von einem Staatsheiligen begleitet und empfohlen. Er blickt zu Maria empor, die seinen Blick erwidert, während König Wenzel ebenfalls auf das Christuskind schaut, das jedoch den Blick auf seine Mutter richtet. Stattdessen streckt es wie unbeabsichtigt seine rechte Hand dem Kaiser entgegen. Als erstes Ergebnis sei festgehalten: Wir sehen den Kaiser und seinen Sohn unter Ume ˇ ní 15 (1967) S. 104 - 107; Hans Peter Hilger , Der Altar des Hl. Wenzel im Dom zu Aachen, Aachener Kunstblätter 44 (1973) S. 211 - 232 (insbesondere zur ikonographischen Tradition und zur Wirkungsgeschichte); Marco Bogade , Kaiser Karl IV. Ikonographie und Ikonologie (Stuttgart 2005) S. 84 - 86, S. 99 - 103; Iva Rosario , Art and propaganda. Charles IV of Bohemia, 1346 - 1378 (Woodbridge 2000) S. 91 - 92, S. 117 - 118; Robert Suckale , Die Porträts Kaiser Karls IV. als Bedeutungsträger, in: Das Portrait vor der Erfindung des Portraits, hg. von Martin Büchsel / Peter Schmidt (Mainz 2003) S. 191 - 204, hier: S. 194; Corine Schleif , Hands that appoint, anoint, and ally: late-medieval donor strategies for appropriating approbation through painting, Art History 16 (1993) S. 1 - 32, hier: S. 9 - 15. 57 Christel Squarr , Sigismund von Böhmen, in: Lexikon der christlichen Ikonographie 8 (1990) Sp. 349 - 352; Reinhold Kaiser , Der Burgunderkönig Sigismund ( † 523/ 524). Erster heiliger König des Mittelalters und erster königlicher Romfahrer, Bußpilger und Mönch, in: Päpste, Pilger, Pönitentiarie. Festschrift für Ludwig Schmugge, hg. von Andreas Meyer u. a. (Tübingen 2004) S. 199 - 210. 58 Peter Assion , Wenzeslaus (Vaclav), in: Lexikon der christlichen Ikonographie 8 (1990) Sp. 595 - 599; Anton Blaschka , Die St. Wenzelslegende Kaiser Karls IV. Einleitung, Texte, Kommentar (Quellen und Forschungen aus dem Gebiete der Geschichte 14, Prag 1934); Franti š ek Graus , St. Adalbert und St. Wenzel. Zur Funktion der mittelalterlichen Heiligenverehrung in Böhmen, in: Europa Slavica - Europa Orientalis. Festschrift für Herbert Ludat zum 70. Geburtstag, hg. von Klaus-Detlev Grothusen / Klaus Zernack (Gießener Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens 100, Berlin 1980) S. 205 - 231; Aleksander Gieysztor , Politische Heiligenverehrung im hochmittelalterlichen Polen und Böhmen, in: Politik und Heiligenverehrung (wie Anm. 6) S. 325 - 341; Rosario , Art (wie Anm. 56) S. 47 - 51. Karl IV. und die heilige Odilia 49 <?page no="50"?> dem Schutz der Heiligen sowie in inniger Verehrung und in vertrautem Umgang (sacra conversazione) mit Christus und Maria. Der enge Kontakt zu den Heiligen legitimiert die Herrschaft von Kaiser und König, von Vater und Sohn, die sich in dem gleichen Goldraum befinden wie die Heiligen. Wenzel wird bereits als gekrönter König dargestellt, seine dynastische Sukzession wird dadurch wie auch durch weitere Denkmäler (Altstädter Brückenturm) religiös legitimiert. Würde man die Tafel bis dahin als herrschaftliches Repräsentationsbild der frommen Königsfamilie - wenn auch ohne Frauen und Geschwister, also nur des Kaisers und seines Sohnes - deuten, so gewinnt das Votivbild durch das annähernd gleich große, ebenfalls vollständig von goldener, von himmlischer Farbe beherrschte untere Register eine weitere Dimension: In der Mitte erkennt man Erzbischof Johann Oc ˇ ko von Vla š im in liturgischen Gewändern mit einem Kreuzstab in der Hand. Vor ihm liegt ein Wappenschild, er ist geviert und zeigt die Wappen des Stifters und des Prager Domkapitels. In strengem Profil dargestellt kniet der Erzbischof vor einem Heiligen, der einen Bischofsstab und ein prächtiges rotgoldenes Messgewand trägt. Es ist der hl. Adalbert, der erste Prager Bischof, der 997 als Missionar für seinen Glauben in Preußen den Tod fand 59 . Hinter ihm steht in dunklem Gewand der böhmische Benediktinerheilige Prokop, ein Priester, Einsiedler und Abt, der 1053 starb und 1204 als erster böhmischer Heiliger kanonisiert wurde 60 . Auf der rechten Seite finden wir in einem leuchtend roten Gewand den 304 ermordeten Nothelfer St. Veit, der in der Prager Kathedrale verehrt wurde, wohin Karl IV. 1355 sein Haupt aus Pavia übertrug 61 . Dahinter erkennt man die hl. Ludmila, die Großmutter und Erzieherin König Wenzels, die erste christliche Fürstin Böhmens, die 921 auf Anstiftung ihrer heidnischen Schwiegertochter Dragomira ermordet wurde 62 . Überblickt man das Programm der Heiligen und der irdischen Personen, dann lässt sich festhalten, dass wir hier vier der böhmischen Landespatrone 59 Poche , Adalbert (wie Anm. 39); Franz Machilek , Die Adalbertsverehrung in Böhmen im Mittelalter, in: Adalbert von Prag - Brückenbauer zwischen dem Osten und Westen Europas, hg. von Hans H. Henrix (Schriften der Adalbert-Stiftung 4, Baden-Baden 1997) S. 163 - 183. 60 Eduard Poche , Prokopius von Böhmen (Sázava), in: Lexikon der christlichen Ikonographie 8 (1990) Sp. 228 - 229. 61 F. Hensel , Vitus (Veit, Gui), in: Lexikon der christlichen Ikonographie 8 (1990) Sp. 579 - 583; Machilek , Privatfrömmigkeit (wie Anm. 7) S. 94. 1358 ließ Karl IV. eine Monstranz für die Reliquie anfertigen und schenkte sie der dem hl. Veit geweihten Stiftskirche in Herrieden. Solche politisch oder kirchenpolitisch motivierten ‚ Geschenke ‘ sind auch in anderen Fällen nachweisbar (Tangermünde, Trier). Zu Herrieden vgl. Günther Rüger / Heinz Stafski , St. Veit und sein Reliquiar zu Herrieden, Jahrbuch des Historischen Vereins für Mittelfranken 78 (1959) S. 54 - 68. 62 Friederike Tschochner , Ludmilla von Prag, in: Lexikon der christlichen Ikonographie 7 (1990) Sp. 423. Wolfgang Schmid 50 <?page no="51"?> finden, die im Veitsdom wie in Karlstein ebenso oft dargestellt waren wie die beiden heiligen Könige Wenzel und Sigismund. Zudem könnten die vier Heiligen verschiedene Frömmigkeitsformen (Welt- und Ordensklerus), Stände (Adel, Klerus) und Geschlechter verkörpern. Hinzu kommt Maria, die als Himmelskönigin besondere Verehrung genoss. Es ist also ein politisches Repräsentationsbild, das die königliche Familie und den Prager Erzbischof, der ihr als Ratgeber und Prinzenerzieher diente, unter dem Schutz der Muttergottes bzw. der Landespatrone zeigt. Es ist eine gottgewollte Herrschaftsordnung vor himmlischem Goldgrund, in der oben zwei Heilige den Kaiser und den König sowie auf einer unteren Ebene vier Heilige den Erzbischof beschützen. Unklar ist jedoch die Rollenverteilung. Der Auftraggeber des vor 1371 - in diesem Jahr wurde die Kapelle geweiht - datierten „ Votivbildes “ war Johann Oc ˇ ko von Vla š im, der den Kaiser und den König an hervorgehobener Stelle in das Bildprogramm integrierte und damit seine Position im zweiten Glied dokumentierte. Indem er ins untere Register zurücktrat, erhöhte er sich. Dies mag für die politische Komponente zutreffen, nicht aber für die religiöse. Sein Bildraum ist ebenso groß und mit Goldgrund ausgestattet wie der Raum der beiden Könige, er ist Teil eines Ganzen, es handelt sich also um einen gemeinsamen Sakralraum, bei dem allenfalls durch eine Zuordnung nach oben und unten, nach links und rechts sowie zu prominenten (Maria) und weniger prominenten Heiligen Rangunterschiede zum Ausdruck gebracht werden. Allerdings besitzt das Bild noch eine weitere Bedeutungsebene, die bisher falsch gedeutet wurde. Während die Darstellung Karls und Wenzels keine Probleme aufwirft - sie verehren kniend und betend Maria und werden von ihren Patronen der Gottesmutter empfohlen - , muss man die Darstellung des Stifters etwas genauer ansehen. Gezeigt wird nämlich nicht, wie dieser vom hl. Adalbert das Bistum Prag ‚ erhält ‘ . Der Heilige umfasst stattdessen mit den Fingern seiner Rechten die gefaltete linke Hand bzw. die beiden Hände des knienden Erzbischofs, den er gleich zu sich ziehen wird; beide tragen Handschuhe, Mitren und Prozessionskreuze, was ihre Verbindung noch unterstreicht. Der „ Griff ans Handgelenk “ stammt aus dem altägyptischen bzw. byzantinischen Hofzeremoniell 63 , er wird im Mittelalter zu dem Griff, 63 Walter Loeschcke , Der Griff ans Handgelenk. Skizze einer motivgeschichtlichen Untersuchung, in: Festschrift für Peter Metz, hg. von Ursula Schlegel / Claus Zoege von Manteuffel (Berlin 1965) S. 46 - 73; Schleif , Hands (wie Anm. 56); Dies ., Donatio et Memoria. Stifter, Stiftungen und Motivationen an Beispielen aus der Lorenzkirche in Nürnberg (Kunstwissenschaftliche Studien 58, München 1990) S. 156 - 158. Die Bedeutung dieser Geste bei unserem ‚ Votivbild ‘ hat bereits Hilger , Altar (wie Anm. 56) S. 226 erkannt, sie geriet aber durch die Fehldeutung in den vielgelesenen Aufsätzen Suckale , Porträts (wie Anm. 56) S. 194, und Ders. , Die Glatzer Madonnentafel des Prager Erzbischofs Ernst von Pardubitz als gemalter Marienhymnus. Zur Frühzeit der böhmischen Tafelmalerei, mit einem Beitrag zur Karl IV. und die heilige Odilia 51 <?page no="52"?> mit dem Christus Adam aus der Vorhölle zieht, spielt aber auch in der Rechtssymbolik eine Rolle (Sachsenspiegel). Und er kommt auf einer kleinen Zahl von Stifterbildern vor, z. B. auf dem Epitaph des steiermärkischen Ritters Ulrich Reichenecker von 1410 64 oder auf dem des Nürnberger Pfarrers Johann Ehenheim von 1438 (Abb. 2 - 3) 65 . Dabei korrespondiert der „ Griff ans Handgelenk “ des Heiligen mit der Geste, mit der der hl. Veit seine Hand dem Stifter auf die Schulter legt und sich damit nicht nur als Schutzpatron des Erzbischofs, sondern auch als sein Fürsprecher beim Jüngsten Gericht zu erkennen gibt. Ich will die eschatologische Deutung dieses Bildes hier nicht zu Ende diskutieren, aber der „ Griff ans Handgelenk “ und die Hand auf der Schulter des Stifters bringen in das hochpolitische Repräsentationsbild ein Element individueller Frömmigkeit hinein. Franz Machilek hat vor einigen Jahren das treffende Begriffspaar von „ Staatsfrömmigkeit “ und „ Privatfrömmigkeit “ geprägt 66 , mit dem sich auch die Person Karls IV. (Prager Dom, Karlstein) oder sein Großonkel Balduin charakterisieren lässt. Dieser hatte den Trierer Dom und die Kartause gefördert, wohin er sich von Zeit zu Zeit ‚ die Einsamkeit suchend ‘ zurückzog 67 . Wichtig sind auch die Gesten der dargestellten Heiligen: Während Prokop und Ludmila eher wie Statisten wirken, stellen Adalbert und Veit unmittelbare Beziehungen zu dem Stifter her: Adalbert hält mit der linken Hand seinen Bischofsstab, mit der rechten umfasst er die behandschuhten Hände des Stifters, zu dem er hinunterschaut. Dieser blickt gerade aus und umfasst gleichzeitig seinen Kreuzstab; die beiden Stäbe laufen unten aufeinander zu und treffen sich im Stifterwappen, das dadurch eine zusätzliche Einordnung der Kaufmannschen Kreuzigung, in: Stil und Funktion. Ausgewählte Schriften zur Kunst des Mittelalters, hg. von Peter Schmid / Gregor Wedekind . (München 2003) S. 119 - 150, hier: S. 127 mit Anm. 38 - 39 als lehnsrechtlicher Prozedur (commendatio, Infoedation) in Vergessenheit. Gegen eine solche Deutung wäre außerdem einzuwenden, dass eine Einsetzung des Erzbischofs durch seinen heiligen Amtsvorgänger sowohl die Wahl durch das Domkapitel als auch den Einfluss des Königs negieren würde. 64 Rainer Wohlfeil / Trudl Wohlfeil, Nürnberger Bildepitaphien. Versuch einer Fallstudie zur historischen Bildkunde, Zeitschrift für historische Forschung 12 (1985) S. 129 - 180, hier: S. 166 - 173 (zu den kirchenpolitischen Hintergründen); Schleif , Hands (wie Anm. 56) S. 16 - 23; Dies ., Donatio (wie Anm. 63) S. 155 - 158; Wolfgang Schmid , Stifterbilder als historische Quelle - Köln und Nürnberg im 15. und 16. Jahrhundert, Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums (1994) S. 111 - 128, hier: S. 111 - 118. 65 Gottfried Biedermann , Katalog der mittelalterlichen Kunst. Alte Galerie am Landesmuseum Joanneum (Graz 1982) Nr. 5. 66 Machilek , Privatfrömmigkeit (wie Anm. 7). 67 Zuletzt Andreas Heinz , Balduin von Luxemburg - Erzbischof von Trier, in: Balduin aus dem Hause Luxemburg. Erzbischof und Kurfürst von Trier 1285 - 1354, hg. von Valentin Wagner (Luxemburg 2009) S. 11 - 85, hier: S. 68 - 73. Wolfgang Schmid 52 <?page no="53"?> Abb. 2: Epitaph des steiermärkischen Ritters Ulrich Reichenecker, 1410. Abb. 3: Epitaph des Nürnberger Pfarrers Johann Ehenheim, 1438. Karl IV. und die heilige Odilia 53 <?page no="54"?> Betonung erfährt. Die drei Stäbe auf der linken Seite unterstreichen den eher offiziellen Charakter dieser Bildhälfte. Auf der anderen Seite sehen wir den hl. Veit, wie er dem Stifter schützend seine linke Hand auf die Schulter legt, während er mit seiner rechten seine Märtyrerpalme präsentiert. Eine solche Deutung wird nicht zuletzt auch durch die Komposition unterstrichen: Oben erkennt man zwei kniende Stifter mit stehenden Schutzpatronen, die der deutlich größeren Muttergottes in der Mitte zugeordnet sind. Unten handelt es sich um einen knienden Stifter und um vier Heilige, die durch die Farbkontraste eine Gruppierung erkennen lassen: St. Adalbert und St. Veit tragen prachtvolle rote bzw. rotgoldene Gewänder, der Eremit St. Prokop und die hl. Ludmila sind durch eine eher zurückhaltende Farbigkeit gekennzeichnet. Dadurch entstehen Bezüge und Kompositionslinien, welche die Grenze zwischen dem oberen und dem unteren Register überschreiten: Die beiden rotgold gekleideten Landespatrone korrespondieren in Gestik und Kolorit mit den beiden heiligen Königen oben, während die Stifterbilder von Karl, Wenzel und Johann durch ihre Haltung und ihre goldene Kleidung eine weitere Beziehungsebene herstellen. Jetzt wird deutlich, dass die Komposition aus symmetrisch angeordneten Dreiecken die beiden Ebenen auch inhaltlich miteinander verklammert: Oben schauen die beiden knienden Stifter zu Maria empor, unten blicken die beiden Heiligenpaare auf den Stifter hinunter. Man kann sich somit ein auf dem Kopf stehendes Dreieck denken, dessen untere Spitze Johann Oc ˇ ko aufnimmt und dessen obere Schenkel die thronende Maria beherbergen bzw. die oberen Stifter abgrenzen. Der Stifter der ‚ Votivtafel ‘ hoffte somit auf die Fürsprache der Landespatrone am Jüngsten Tag, während der Kaiser und sein Sohn in repräsentativer Verehrung und in vertrauter Nähe von Maria und Christus verharren. Diese können als den Landespatronen übergeordnete Fürsprecher gedeutet werden, die sich bei Gottvater nicht nur für den König und seinen Sohn, sondern auch für den Erzbischof verwenden 68 . Ein hochinteressantes Vergleichsbeispiel ist die ‚ Glatzer Madonna ‘ , ein Marienbild, das Johann Oc ˇ kos Vorgänger, Ernst von Pardubitz, kurz vor seiner Ernennung zum Prager Erzbischof 1343 nicht für die von ihm gestiftete Kirche der Augustiner-Chorherren in Glatz, seinem Geburtsort, sondern für die dortige Pfarrkirche, in der er auch begraben wurde, in Auftrag gab. Es handelt sich ebenfalls nicht um ein Altarbild, sondern um eine große hochrechteckige Tafel (186 x 95 cm), die an einer Wand oder einem Pfeiler aufgehängt wurde und dort als Votivbild oder Epitaph gedient haben mag. Man erkennt den Kirchenfürsten winzig klein, aber mit viel Aufwand und Liebe zum Detail dargestellt, wie er auf der linken Seite vor Maria kniet, 68 Man denkt dabei an die Konstruktion einer ‚ Heilstreppe ‘ , vgl. Martin Luther und die Reformation in Deutschland. Ausstellung zum 500. Geburtstag Martin Luthers (Nürnberg 1983) S. 336 - 339 Nr. 445 - 450. Wolfgang Schmid 54 <?page no="55"?> die auf einem mit großem architektonischen Zierrat in Szene gesetzten Thron sitzt. Seine Insignien (Mitra, Handschuhe, Kreuzstab) hat er vor sich abgelegt. Das Gemälde konzentriert sich auf ein komplexes mariologisches Programm, der Stifter besitzt keine Schutzpatrone und ist extrem verkleinert dargestellt. Dennoch weist die Gattung der Tafel, die als Wandbild oder Epitaph gedient haben könnte, eine Reihe von Parallelen zum Votivbild des Johann Oc ˇ ko auf, der es sicherlich gekannt hat. Darüber hinaus sind aber auch die hohe künstlerische Qualität und die große Bandbreite der individuellen Selbstdarstellungs- und Fürbittestrategien hervorzuheben 69 . Ein weiteres Zentrum der luxemburgischen Memoria war Rom. Als 1605 das östliche Langhaus von Alt-St. Peter abgetragen wurde, zerstörte man den dort gelegenen Erasmusaltar. Dahinter kam ein Wandgemälde zum Vorschein, das von dem ehemaligen Wenzelsaltar stammt; sein Aussehen ist durch Zeichnungen und Beschreibungen überliefert. Danach stand in der Mitte der hl. Wenzel, daneben der Slawenmissionar Adalbert, der dem vor ihm knienden Kaiser Karl IV. die Hand auf die Schulter legt, und der Slawenapostel Prokop mit einem Erzbischof. Bei diesem handelt es sich wahrscheinlich ebenfalls um Johann Oc ˇ ko von Vla š im, der - einer Beschreibung nach zu urteilen - als päpstlicher Legat dargestellt wurde, ein Amt, das er seit 1365 bekleidete. Der römische Altar diente der Seelsorge der böhmischen Pilger. Außerdem demonstrierte er die böhmische Präsenz im Petersdom: Nicht nur die Landespatrone waren vertreten, sondern auch der Kaiser und sein Erzbischof. Von dem Altar aus bestand eine direkte Blickverbindung zum Hauptaltar; zahlreiche böhmische Rompilger, für die 1368 ein eigenes Spital gegründet wurde, zogen hier insbesondere in den Jubeljahren vorbei 70 . Ein weiteres Bildnis unseres Erzbischofs finden wir im Prager Dom. Um 1370/ 80 entstand eine Büstengalerie im Triforium: 20 Büsten von Personen, die wie Zaungäste von der Galerie aus in den Chorbereich blicken 71 . Im 69 Suckale , Porträts (wie Anm. 56); Karl IV. (wie Anm. 5) S. 172, S. 179; Jan Royt , Die ikonologische Interpretation der Glatzer Madonnentafel, Umení 46 (1998) S. 51 - 60. 70 Peter Cornelius Claussen , Der Wenzelsaltar in Alt St. Peter. Heiligenverehrung, Kunst und Politik unter Karl IV., Zeitschrift für Kunstgeschichte 43 (1980) S. 280 - 299; Schmid , Wallfahrt (wie Anm. 7) S. 189 - 190. 71 Michael Viktor Schwarz , Peter Parler im Veitsdom. Neue Überlegungen zum Prager Büstenzyklus, in: Der Künstler über sich in seinem Werk, hg. von Matthias Winner (Weinheim 1992) S. 55 - 72; Ders., Felix Bohemia Sedes Imperii. Der Prager Veitsdom als Grabkirche Kaiser Karls IV., in: Grabmäler der Luxemburger. Image und Memoria eines Kaiserhauses, hg. von Dems . (Publications du Centre Luxembourgeois de Documentation et d'Études Médiévales 13, Luxemburg 1997) S. 123 - 153; Ders ., Kathedralen verstehen (St. Veit in Prag als räumlich organisiertes Medienensemble), in: Virtuelle Räume. Raumwahrnehmung und Raumvorstellung im Mittelalter, hg. von Elisabeth Vavra (Akten des Symposiums des Mediävistenverbandes 10, Berlin 2005) S. 47 - 68, hier: S. 58 - 64; Christian Freigang , Werkmeister als Stifter. Bemerkungen zur Tradition der Prager Baumeisterbüsten, in: Nobilis arte manus. Festschrift zum 70. Karl IV. und die heilige Odilia 55 <?page no="56"?> Mittelpunkt finden wir Kaiser Karl IV. mit seiner Familie, seinen drei Frauen und seinem Sohn Wenzel. An der rechten Seite schließen sich Büsten der drei ersten Prager Erzbischöfe Ernst von Pardubitz, Johann Oc ˇ ko von Vla š im und Johann von Jenstein an. Links und rechts folgen dann die vier Baurektoren, links bilden die beiden Architekten Peter Parler und Matthias von Arras den Abschluss - beide liegen darunter im Chorumgang begraben. Auch Johann Oc ˇ ko ist unmittelbar über ‚ seiner ‘ Kapelle dargestellt. Den am Dombau Beteiligten wurde hier ein kollektives Denkmal gesetzt, bei dem die kaiserliche Familie im Mittelpunkt steht, aber auch die Erzbischöfe, Baurektoren und Baumeister vertreten sind. Eingefügt ist dieses Programm in die Serie der Kapellen im Chorumgang mit den Gräbern der Pr ˇ emysliden, die auf die bedeutenden Ahnen der Kaiserfamilie verweisen, sowie auf die oben, im äußeren Triforium platzierte Reihe der böhmischen Landespatrone, welche das Königtum in den Rahmen der Heilsgeschichte einordnen. Neben dem Ruhmesgedanken spielte sicherlich auch die kollektive Memoria eine Rolle: Die Porträtbüsten nahmen für alle Zeiten an der Messfeier im Veitsdom und an der Verehrung der Landespatrone teil. Ein drittes Mal hatte der durchaus porträthaft dargestellte Johann Oc ˇ ko seinen Platz im politischen System Kaiser Karls aufgezeigt. Auch wenn der religiöse Charakter gegenüber dem ‚ Votivbild ‘ deutlich in den Hintergrund zu treten scheint, so kann man diese Bildnisreihe durch ihren Bezug zu der Reihe der Heiligen und durch den visuellen Kontakt zum Geschehen im Domchor ebenfalls eschatologisch deuten. Als zweite Ebene erscheint von Bedeutung, dass Johann Oc ˇ ko hier nicht als Einzelpersönlichkeit, sondern als Angehöriger eines herausgehobenen Personenkreises von königlicher Familie, Erzbischöfen, Baurektoren und Architekten dargestellt wird. Das Bildnis wirft ein willkommenes Schlaglicht auf sein Selbstverständnis und seine Zugehörigkeit zur familia Kaiser Karls IV. Der Personenkreis der Ratgeber spielte bereits bei seinem Großvater Heinrich VII. eine so große Rolle, dass er nicht nur in der Bilderhandschrift der ‚ Romfahrt ‘ , sondern auch an seinem Grabmal in Pisa dargestellt wurde 72 . Die Personen aus dem Geburtstag von Antje Middeldorf Kosegarten, hg. von Bruno Klein / Harald Wolter von dem Knesebeck (Dresden 2002) S. 244 - 265; Olaf B. Rader , Aufgeräumte Herkunft. Zur Konstruktion dynastischer Ursprünge an königlichen Begräbnisstätten, in: Die Goldene Bulle (wie Anm. 7) 1, S. 403 - 430; Bogade , Ikonographie (wie Anm. 56) S. 158 - 161; Suckale , Porträts (wie Anm. 56) S. 204 Anm. 41. 72 Der Weg zur Kaiserkrone. Der Romzug Heinrichs VII. in der Darstellung Erzbischof Balduins von Trier, hg. von Michel Margue / Michel Pauly / Wolfgang Schmid (Publications du Centre luxembourgeois de Documentation et d ’ Études Médiévales 24, Trier 2009); Manfred Tripps , Restauratio Imperii. Tino da Camaino und das Monument Heinrichs VII. in Pisa, in: Grabmäler der Luxemburger (wie Anm. 71) S. 51 - 78; Volker Herzner, Das Grabmal Kaiser Heinrichs VII. in Pisa - Alte Fakten und neue Funde, in: Oben und Unten - Hierarchisierung in Idee und Wirklichkeit der Stauferzeit, hg. von Volker Herzner/ Jürgen Krüger (Speyer 2005) S. 163 - 183; Wolfgang Schmid 56 <?page no="57"?> Kreis der geistlichen und weltlichen Funktionsträger, Vertrauten und Ratgeber traten auch als Stifter und Mäzene hervor, sie werden deshalb als Träger und Verbreiter einer karolingischen Hofkunst angesehen 73 . Unterhalb seiner Porträtbüste und in einer Kapelle des Chorumgangs sollte Johann Oc ˇ ko seine letzte Ruhestätte finden 74 . Bereits 1367 hatte er den Altar gestiftet und 1375, also vier Jahre vor seinem Tod 1379, seine Grablege in der Kapelle gesichert 75 . Aus der Urkunde ist zu entnehmen, dass Johann Oc ˇ ko die Kapelle zu Ehren des Regensburger Bischofs Erhard, der hl. Odilia, die blind geboren und durch die Taufe ihre Sehkraft erklangt hatte, und des nicht näher bezeichneten Märtyrers Alban gestiftet hatte. Einkünfte zum Unterhalt eines Priesters werden zur Verfügung gestellt, der dreimal in der Woche eine Messe lesen soll; auch ein ewiges Licht wird fundiert. Besonders geregelt wurden die Feierlichkeiten am Todestag des Stifters, an dem die Kanoniker, die Kleriker und Diener des Domes ein Präsenzgeld erhielten, ebenso 40 Priester, die die Totenmesse feierten, arme Kleriker, Scholaren und die Armen an der Kirchentür. Das Kollationsrecht behielt sich der Stifter vor, nach seinem Tod soll es an seine beiden Brüder und nach deren Tod an die Prager Erzbischöfe und seine Familie fallen. Die Odilienkapelle war also ein Platz der privaten und individuellen Memoria, die an einem höchst prominenten öffentlichen Ort inszeniert wurde. In der Erhard- Kapelle wurde auch der 1393 ermordete Johann von Nepomuk beerdigt, an den heute ein prachtvoller barocker Reliquienschrein im Chorumgang erinnert. Damian Dombrowski, Das Grabdenkmal Heinrichs VII. in der Ausstattung der Pisaner Domapsis. Bemerkungen zu Chronologie, Rekonstruktion und Ikonographie, in: Docta manus. Studien zur italienischen Skulptur für Joachim Poeschke, hg. von Johannes Myssok / Jürgen Wiener (Münster 2007) S. 125 - 143. Eine kritische Diskussion der einzelnen Rekonstruktionsversuche ist hier nicht möglich. 73 Zum Begriff: Friedhelm Burgard , Familia Archiepiscopi. Studien zu den geistlichen Funktionsträgern Erzbischof Balduins von Luxemburg (1307 - 1354) (Trierer Historische Forschungen 19, Trier 1991); Hans Patze , Die Hofgesellschaft Kaiser Karls IV. und König Wenzels in Prag, Blätter für deutsche Landesgeschichte 114 (1978) S. 733 - 773. Leider sehr allgemein: Peter Moraw , Räte und Kanzler, in: Kaiser Karl IV. (wie Anm. 7) S. 285 - 292. Nicht wesentlich konkreter: Ders ., Über den Hof Kaiser Karls IV., in: Deutscher Königshof. Hoftag und Reichstag im späten Mittelalter, hg. von Dems. (Stuttgart 2002) S. 77 - 103. Wenig überzeugend: Jir ˇ i Fajt / Robert Suckale , Der Kreis der Räte, in: Karl IV. (wie Anm. 5) S. 173 - 183. 74 Zum Kapellenkranz im Prager Domchor vgl. Marc Carel Schurr , Die Baukunst Peter Parlers. Der Prager Veitsdom, das Heiligkreuzmünster in Schwäbisch Gmünd und die Bartholomäuskirche zu Kolin im Spannungsfeld von Kunst und Geschichte (Ostfildern 2003) S. 52 - 88, S. 144 - 154, hier: S. 145 - 146; Klaus Niehr , Zeichen des mittelalterlichen Reichs? Speyer - Königslutter - Prag, in: Heilig - Römisch - Deutsch. Das Reich im mittelalterlichen Europa, hg. von Bernd Schneidmüller / Stefan Weinfurter (Dresden 2006) S. 372 - 398, hier: S. 387 - 398. 75 Libri erectionum archidioecesis pragensis. Saeculo XIV et XV, 1 (1358 - 1376), ed. Clemens Borovy ( Prag 1875) Nr. 137; Bok , Kult (wie Anm. 46) S. 227. Karl IV. und die heilige Odilia 57 <?page no="58"?> Johann Oc ˇ ko befand sich mit seiner Kapellenstiftung in prominenter Nachbarschaft, denn in den östlich daran anschließenden Kapellen hatte Karl IV. seine Vorfahren aus dem Haus Pr ˇ emysl in neu gestalteten Tumbengräbern beisetzen lassen. In drei Kapellen wurden insgesamt sechs Grabmäler platziert, wobei man jeweils einen Priesterfürsten und einen Kriegsfürsten einander gegenüberstellte. Die Überführung der Überreste der Herrscher aus der böhmischen Königsfamilie in den Chor der neuen Kathedrale fand in der zeitgenössischen Chronistik ebenso große Aufmerksamkeit wie die Translation von 19 Prager Bischöfen, ein Phänomen, das wir in ähnlicher Form in Köln und in Saint-Denis beobachten können 76 . Eine weitere Parallele stellt Karls Großvater Kaiser Heinrich VII. dar, der 1309 die sterblichen Überreste seiner beiden Vorgänger Adolf von Nassau (1298) und Albrecht von Habsburg ( † 1308) in Rosenthal bzw. Wettingen exhumieren und in einer feierlichen Prozession nach Speyer überführen und im Kaiserdom begraben ließ 77 . Die Konstruktion aus Kapellen der Landespatrone, Kaisergrab, Ahnen- und Bischofsgrablegen sowie Triforiengallerie fasste Olaf B. Rader wie folgt zusammen: „ Die einander gegenüberliegenden Sigismund- und Wenzelskapelle evozierten eine Parallelisierung der Königreiche Böhmen und Burgund. Karl wählte zu seiner letzten Ruhestätte also einen Platz im Schnittpunkt himmlischer Kraftlinien von heiligen Vorfahren und mystischen Gründern, der damit auch zum Ort verdichteter böhmischer Geschichte wurde “ 78 . Die Odilienkapelle des Johann Oc ˇ ko lag also auf der Südseite des Chorumgangs neben den drei Kapellen mit den Pr ˇ emyslidengräbern. Die der Dreifaltigkeit geweihte Achskapelle hatte der Kaiser 1368 gestiftet und von Johann Oc ˇ ko fundieren lassen. Die links daneben liegende Kapelle war Johannes dem Täufer geweiht; gestiftet hatte diese Erzbischof Ernst von Pardubitz. Rechts liegt die Sächsische bzw. Sternberger Kapelle, in der der Kurfürst Herzog Rudolf I. von Sachsen ( † 1356) begraben wurde. Die 76 Rader , Herkunft (wie Anm. 71); Niehr , Zeichen (wie Anm. 74) S. 387 - 398. 77 Die chronikalischen Quellen zu diesem Ereignis finden sich zusammengestellt bei Anton Doll, Schriftquellen, in: Der Dom zu Speyer, hg. von Hans Erich Kubach/ Walter Haas (Die Kunstdenkmäler von Rheinland-Pfalz 5, München 1972) S. 11 - 71, hier: S. 53 - 55; Johann Friedrich Böhmer, Regesta Imperii VI. Die Regesten des Kaiserreichs unter Rudolf, Adolf, Albrecht, Heinrich VII. 1272 - 1313. Abt. 4 Heinrich VII. 1288/ 1308 - 1313. 1. Lief.: 1288/ 1308 - August 1309, bearb. von Kurt-Ulrich Jäschke/ Peter Thorau ( Köln u. a. 2006) Nr. 275; Rudolf J. Meyer , Königs- und Kaiserbegräbnisse im Spätmittelalter. Von Rudolf von Habsburg bis zu Friedrich III. (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters 19, Köln u. a. 2000) S. 32 - 52; Wolfgang Schmid , Kaiser Heinrichs Memoria, in: Vom luxemburgischen Grafen zum europäischen Herrscher. Neue Forschungen zu Heinrich VII., hg. von Ellen Widder (Publications du Centre de luxembourgeois de Documentation et d ’ Études Médiévales 23, Luxemburg 2008) S. 269 - 307, hier: S. 270 - 272. 78 Rader , Herkunft (wie Anm. 71) S. 412. Wolfgang Schmid 58 <?page no="59"?> Kapelle war den Heiligen Adalbert und Dorothea geweiht 79 . Im Norden schloss sich die Annenkapelle an, die Ernst von Pardubitz finanziert hat; den Altar stiftete der ebenfalls zum engeren Kreis um Karl IV. gehörende Burggraf Burchard von Magdeburg 80 . Den Abschluss bildete die Annenkapelle, in der der letzte Prager Bischof Johann von Draschitz 1343 begraben wurde. Er hatte noch zu Lebzeiten im alten Dom den Sylvesteraltar gestiftet und davor seine Grablege gewählt. Der erste Prager Erzbischof Ernst von Pardubitz gestattete Johanns Neffen, dem Domherrn Zdeslav von Stan ˇ kov, im neuen Dom eine Kapelle zu errichten sowie den Altar und das mit einer Bronzefigur geschmückte Grab dorthin zu übertragen. Johann von Draschitz war von 1301 bis 1343 Bischof von Prag, er war elf Jahre lang an der Kurie in Avignon tätig. Den Prager Bischofspalast ließ er nach französischen Vorbildern umbauen und ausstatten. Er stiftete drei Altäre im Dom, 1304 den ersten für Sylvester, 1329 einen zweiten zu Ehren von Martha und 1331 einen für Laurentius und Anna 81 - wir haben also einen in mehrerer Hinsicht kongenialen Vorgänger von Ernst von Pardubitz und Johann Oc ˇ ko auf dem Prager Bischofsstuhl vor uns. Da alle drei als Stifter und Mäzene hervorgetreten sind, erschiene es wünschenswert, die Rolle der Erzbischöfe (und auch des Domkapitels) gegenüber Karl IV. (bzw. Johann dem Blinden) bei der Konzeption und dem Bau des Prager Domes präziser herauszuarbeiten. Sein eigenes Grabmal zeigt Erzbischof Johann Oc ˇ ko von Vla š im als Liegefigur in liturgischen Gewändern auf einer Tumba. Die Figur besteht aus weißem, die Tumba aus rotem Marmor. Über dem Grabmal sind die Wappen der drei Ämter des Verstorbenen angebracht. Enge Zusammenhänge gibt es mit den Grabmälern des Prager Erzbischofs Ernst von Pardubitz ( † 1364) in Glatz und dem des Breslauer Bischofs Preczlaus von Pogarell ( † 1376), einem treuen Statthalter des Kaisers in Schlesien, im Breslauer Dom. Parallelen bestehen auch zu den Grabmälern der Pr ˇ emysliden im Veitsdom. Leider ist das Grabmal Karls IV. nicht erhalten, zu dem es sicherlich ebenfalls enge Beziehungen gegeben hat 82 . Entscheidend ist aber, dass der ranghohe Klerus 79 Ich folge der Beschreibung bei Zuzana V š etec ˇ ková , Str ˇ edove ˇ ká náste ˇ nná malba ve Str ˇ edních C ˇ echách (Pru ˚ zkumy památek 6, Prag 1999). Für die Übersetzung danke ich Jakub Hrdy. 80 Er war Zeuge in zahllosen Urkunden Karls IV. vgl. Regesta Imperii VIII (wie Anm. 4) S. 675. 81 Jiri Fajit , Karl IV. 1316 - 1378. Von der Nachahmung zu einem neuen kaiserlichen Stil. Entwicklung und Charakter der herrscherlichen Repräsentation Karls IV. von Luxemburg, in: Karl IV. (wie Anm. 5) S. 41 - 75, hier: S. 45 - 50; Jan Royt , Bischof Johann IV. von Draschitz als Kunstmäzen, in: Böhmen und das Deutsche Reich. Ideen- und Kulturtransfer im Vergleich (13. - 16. Jahrhundert), hg. von Eva Schlotheuber (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 116, München 2009) S. 265 - 282. 82 Karl Stejs kal, Karl IV. und die Kultur und Kunst seiner Zeit (Hanau 1978) S. 189, S. 204; Michael Viktor Schwarz , Höfische Skulptur im 14. Jahrhundert. Entwicklungsphasen und Vermittlungswege im Vorfeld des Weichen Stils 1 (Manuskripte zur Karl IV. und die heilige Odilia 59 <?page no="60"?> hier neue Strategien der postmortalen Repräsentation entwickelte bzw. königliche Vorbilder rezipierte, bei denen das Material Marmor eine wichtige Rolle spielte. Entwickelt am Pariser Königshof (Grablege in Saint-Denis), breitete es sich als repräsentatives Medium, das die Zugehörigkeit zu einer internationalen Hofkultur erkennbar machte, in ganz Mitteleuropa aus 83 . In Johann Oc ˇ kos Grabkapelle ist außerdem ein Fresko angebracht, das die hl. Odilia und den Stifter zeigt (Abb. 4). Dargestellt wird die Taufe der hl. Odilia durch den hl. Erhard, zu dessen Füßen der Stifter kniet. Gemäß mittelalterlichem Bedeutungsmaßstab, der bei den anderen Bildern keine Rolle spielte, ist er wesentlich kleiner dargestellt als die Heiligen und die zahlreichen Personen, die die Taufszene umstehen. Dazu zählen mehrere Diakone, ein Priester mit dem Ziborium und Nonnen, die von rechts aus einer Kirche kommen und der Getauften ein Kleid bringen. Der Stifter schaut der Taufe zu - das ist genau der Moment, in dem die Heilige ihr Augenlicht wiedererlangen wird. An der gegenüberliegenden Ostwand sind der hl. Adalbert, Johanns heiliger Vorgänger im Amt, und die hl. Katharina, die Patronin der Karlsuniversität, deren Kanzler der Erzbischof war, dargestellt. Das Fresko weist enge stilistische und ikonographische Bezüge zu einer Wandmalerei mit der Taufe der hl. Ludmila auf Burg Karlstein auf 84 . Außerdem könnte man ein um 1340 datiertes Fresko in der Kirche in dem nordwestlich von Prag gelegenen Holubice anführen, das neben Kunstwissenschaft 6, Worms 1986) S. 421 - 443; Ders ., Felix Bohemia (wie Anm. 71) S. 130; Ders ., Kathedralen verstehen (wie Anm. 71) S. 58 - 60. Zum Grab und zum Begräbnis Karls IV. siehe Franti š ek Š mahel , Zur politischen Präsentation und Allegorie im 14. und 15. Jahrhundert (Otto-von-Freising-Vorlesungen der Katholischen Universität Eichstätt 9, München 1994); Marie Bláhová , Die königlichen Begräbniszeremonien im spätmittelalterlichen Böhmen, in: Der Tod des Mächtigen. Kult und Kultur des Todes spätmittelalterlicher Herrscher, hg. von Lothar Kolmer (Paderborn 1997) S. 89 - 111; Meyer , Kaiserbegräbnisse (wie Anm. 77) S. 100 - 118. 83 Stephan Albrecht, Die Inszenierung der Vergangenheit im Mittelalter. Die Klöster von Glastonbury und Saint-Denis (Kunstwissenschaftliche Studien 104, München 2003); Bernd Carqué, Stil und Erinnerung. Französische Hofkunst im Jahrhundert Karls V. und im Zeitalter ihrer Deutung (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 192, Göttingen 2004); Wolfgang Brückle, Civitas terrena. Französische Kunst um 1270 - 1380 im Umkreis von Staatsrepräsentation und politischem Aristotelismus (Kunstwissenschaftliche Studien 124, München 2005). 84 Stejskal , Karl IV. (wie Anm. 82) S. 72, S. 191; Karl IV. (wie Anm. 5) S. 69, S. 72; Jakub Vítovsky , Náste ˇ nné malby ze XIV. stoleti v pra ž ské katedrále, Ume ˇ ní, NF 24 (1976) S. 473 - 503; Katedrála sv. Víta v Praze. Kk 650. výroc ˇ i zalo ž ení, hg. von Ane ž ka Merhautová (1994) S. 113 - 117; Pavel Kalina , Architecture and memory. St Vitus ’ s cathedral in Prague and the problem of the presence of history, in: Kunst als Herrschaftsinstrument (wie Anm. 5) S. 150 - 156, hier: S. 153. Zur Datierung der Fresken vgl. Lindner , Kiste (wie Anm. 41) S. 294 - 295 mit Anm. 72; Jir ˇ i Fajt, Karlstein Revisited. Überlegungen zu den Patrozinien der Karlsteiner Sakralräume, in: Kunst als Herrschaftsinstrument (wie Anm. 5) S. 250 - 288, hier: S. 275 - 276; Bok , Kult (wie Anm. 46) S. 228. Für Hinweise danke ich Jir ˇ i Fajt. Wolfgang Schmid 60 <?page no="61"?> Ambrosius und Katharina auch die hl. Odilia zeigt. Die Kirche gehörte dem Prager Domkapitel, die Wandmalerei zeigt die Wappen des Königreichs Böhmen, des Erzbischofs Ernst von Pardubitz und des Prager Domkanonikers Tamm Rabstein 85 . Wir haben also fünf Darstellungen unseres Erzbischofs, eine in Rom, eine in der Marienkapelle der bischöflichen Burg Raudnitz und drei im Veitsdom, einmal innerhalb des Büstenzyklus, zweimal in seiner Begräbniskapelle. Merkwürdigerweise geht die Theorie von der Parallelität von Staatsfrömmigkeit und Privatfrömmigkeit dann doch nicht so ganz auf: In der privaten Burgkapelle finden wir ein feierliches Repräsentationsbild, das den Erzbischof mit den Landespatronen sowie dem Kaiser und seinem Sohn zeigt. Der Staatsfrömmigkeit im privaten Raum entspricht die Privatfrömmigkeit im politischen Sektor: In der Grabkapelle, an der zahlreiche Pilger und Passanten vorbeikamen, ist der an einem Augenleiden erkrankte Erzbischof Abb. 4: Taufe der hl. Odilia. Wandmalerei 1368 (Prag, Veitsdom, Kapelle des Erzbischofs Johann Oc ˇ ko von Vla š im, Ostwand). 85 Jana Sakar ˇ ova / Helena Š vandová , Gotické fresky kostele narození p. Marie v Holubích, Sborník Spolec ˇ nosti Pr ˇ átel Staro ž itností 2 (1991) S. 109 - 116; Katedrála (wie Anm. 84) S. 30 - 34. Karl IV. und die heilige Odilia 61 <?page no="62"?> mit der hl. Odilia dargestellt, die nach ihrer Taufe ihre Sehkraft wiedererlangt hat; gegenüber sind die Heiligen seines Amtes dargestellt. Darüber thronte er für Passanten kaum wahrnehmbar als Büste und stellt Betrachter wie Kunsthistoriker vor das Rätsel, ob er und die anderen Angehörigen der familia als autonome Bildnisse, als antike Bildnisbüsten oder als Büstenreliquiare dargestellt werden wollten, wie sie aus sicherer Entfernung dem Geschehen im Chor der Kathedrale beiwohnen. III. Die Überlegungen zur Prager Odilienverehrung zeigen uns anschaulich viele Elemente des Kulttransfers, der Kulttradierung, der Propagierung, Inszenierung und Instrumentalisierung einer Heiligen im 14. Jahrhundert. Man kann Prag mit einer großen Pumpe vergleichen, die nicht nur Künstler und Kunstströmungen sondern auch Heilige und Reliquien aus ganz Europa anzog, zu einem Prager Himmel zusammenfügte und dann in Form von Ablässen wieder ausstieß 86 . Aus ganz Böhmen strömten die Pilger zur Heiltumsweisung nach Prag, und böhmische Pilger suchten die Memorialorte der Luxemburger im Süden und Westen des Reichs (Aachen, Rom, Nürnberg, Ingelheim, Trier) auf. Die leidenschaftlich betriebene Reliquiensammlung war keine Marotte eines eigenwilligen Königs, sondern ein wichtiger Baustein des planvollen Ausbaus der Stadt Prag zu einer böhmischen bzw. europäischen Metropole, wobei der König stets die böhmische und die imperiale Tradition im Auge behalten musste. Weitere Bestandteile dieses Programms waren der Veitsdom, die Karlsuniversität, die Karlsbrücke, die Neustadt und nicht zuletzt auch Burg Karlstein. Odilia befand sich in Prag somit in guter Gesellschaft, war aber trotz ihres prominenten Platzes in einer der Chorumgangskapellen der Kathedrale keine der zentralen Heiligen des „ Prager Himmels “ . Das Beispiel des Johann Oc ˇ ko von Vla š im zeigt uns darüber hinaus, dass wir uns nicht zu sehr auf die Person Kaiser Karls beschränken dürfen, sondern auch seine Vorgänger und Nachfolger im Blick behalten müssen, die zum Ausbau der böhmischen Metropole beigetragen haben, sowie den Kreis der Funktionsträger, Ratgeber und Vertrauten des Kaisers, die ebenfalls als Stifter und Mäzene sowie als Multiplikatoren der karolingischen Hofkunst hervorgetreten sind. Der Odilienkult wurde von Karl IV. zunächst selbst gefördert, dann an den Erzbischof delegiert, der ein persönliches Interesse an der Verehrung der Heiligen hatte. Freilich lässt sich ein Spagat zwischen Staatsfrömmigkeit und Privatfrömmigkeit erkennen. Auf seinem Votivbild, auf dem römischen Altar und im Chorobergaden des Veitsdomes präsentiert 86 In Anlehnung an Schwarz , Skulptur 1 (wie Anm. 82) S. 9. Wolfgang Schmid 62 <?page no="63"?> sich der Erzbischof als Mitglied der kaiserlichen familia, auf dem Votivbild zudem unter dem Schutz der Staatspatrone. Diese Verklammerung wird auch in der Odilienkapelle nicht aufgegeben, wo das Programm von Erhard und Odilia durch Adalbert und Katharina ergänzt wird. Resumen: En 1354 el rey Carlos IV visitó el convento en el Monte de santa Odilia. En presencia del obispo de Estrasburgo y con permiso de la abadesa, Carlos IV hace abrir la tumba de santa Odilia que hasta aquel entonces había permanecido cerrada. Sacó una parte del antebrazo derecho, así como otras reliquias y se las regaló a la Catedral de san Vito en Praga. Antes de que la consolidación de la veneración a santa Odilia se investigue más en detalle, se deben considerar otras canonizaciones en Alsacia (como en Tréveris, Metz y Maguncia), porque de esta manera se pueden comprender los motivos y métodos de Carlos IV como coleccionista. Carlos IV hizo transportar reliquias de casi todos los santos a la iglesia de su nuevo arzobispado, fundado en Praga. Allí donó un relicario de plata, donde se colocaron las reliquias del obispo Erhard, que había bautizado a santa Odilia y que el rey había recibido en Ratisbona. Además del rey, también el arzobispo de Praga Johann Ocko von Vlasim se mostró como un importante patrocinador de la veneración a santa Odilia. En 1367 el arzobispo donó una capilla en el deambulatorio de la Catedral de san Vito, que fue dedicada al santo Obispo Erhard, a la Virgen Odilia y al mártir Alban de Maguncia (hoy Capilla de Johannes-Nepomuk). En 1375 le fue confirmado por escrito su derecho de enterramiento en la capilla y se confirió el patrocinio al respectivo arzobispo de Praga y al capellán de la Capilla de Todos los Santos. En esta capilla se conservó no sólo la tumba del arzobispo, sino también un fresco que muestra a santa Odilia y al donante. Este representa el bautismo de la santa realizado por san Erhard, en el cual, el donante se encuentra de rodillas ante sus pies. Al oeste, en la pared opuesta, se puede ver al santo Adalbert, predecesor de Johann en el cargo y a santa Catalina, patrona de la Universidad de Carlos, de la que Adalbert era canciller. Las investigaciones sobre la consolidación del culto de Odilia en Praga nos dan indicios y puntos de referencia muy importantes para poder comprender el significado político de la veneración de reliquias, pero también de la devoción nacional y privada en el entorno personal del emperador. Karl IV. und die heilige Odilia 63 <?page no="65"?> Kaiserin und Heilige Der Kult der heiligen Richgard in Andlau Racha Kirakosian Einleitung Das Wallfahrtswesen im Elsass flaute auch in Zeiten des Umbruchs und religiöser Veränderungen nicht ab, wie Francis Rapp für den Übergang vom Spätmittelalter zur Neuzeit feststellte 1 . Unter den von ihm dargestellten elsässischen Kultorten scheint aber einer zu fehlen, der überhaupt von der Forschung vernachlässigt wird: die Abtei Andlau, die nicht nur einen Marienwallfahrtort darstellt 2 , sondern auch die Memoria ihrer illustren Klostergründerin Kaiserin Richgard (um 840 - 895) in hohen Ehren hält. Dass die Wallfahrtsorte des Elsass zum Teil nicht einmal einen Tagesmarsch voneinander entfernt liegen 3 , zeigt sich auch an der unmittelbaren Nähe Andlaus zur Hohenburg, dem Kloster der heiligen Odilia. Eine neuzeitlich überlieferte Legende weiß Richgard sogar dem Odilienberg persönlich zu affiliieren. Demnach soll die Kaiserin auf den Odilienberg gestiegen sein, um an dem Grab ihrer Eltern zu beten. Ihre Bitte richtete sich dabei auf die Offenbarung des Werks, das Gott am wohlgefälligsten sei. So soll sie aufgefordert worden sein, durch ihre Besitztümer zu wandern und an jener Stelle ein Kloster zu stiften, an der sie einen Bären mit seinem Nachwuchs die Erde aufwühlen sähe 4 . Im Tal der Andlau soll dann Richgard einer solchen 1 Francis Rapp , Zwischen Spätmittelalter und Neuzeit, Wallfahrten der ländlichen Bevölkerung im Elsaß, in: Laienfrömmigkeit im späten Mittelalter, hg. von Elisabeth Müller-Luckner / Klaus Schreiner (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 20, München 1992) S. 126 - 136, hier: S. 127 f. 2 Vgl. Charles Deharbe , La crypte d ’ Andlau-au-Val et sa fondatrice sainte Richarde, Revue catholique de l ’ Alsace (1862) S. 125 - 138, hier: S. 129. 3 Rapp, Spätmittelalter (wie Anm. 1) S. 128. 4 Eine runde Vertiefung, über die erst 1828 eine Nachricht eingeht (vgl. Médard Barth , Die heilige Richardis und ihr Kult, in: Festschrift zur Neunhundertjahrfeier der Weihe der Stiftskirche von Andlau und der Heiligsprechung von St. Richardis durch Papst Leo IX., 1049 - 1949 [Sélestat 1949] S. 11 - 100, hier: S. 23), in der Krypta der <?page no="66"?> Bärenfamilie begegnet sein. Gott habe ihr so dank der Vermittlung der heiligen Odilia diesen Ort „ vieler nachfolgender Wohltaten “ gezeigt 5 . Außerdem soll Richgard die Gebeine ihrer Eltern, die sich auf dem Odilienberg befunden haben sollen, nach Andlau gebracht haben 6 . Médard Barth versuchte Mirakelbücher oder andere nicht überlieferte Textzeugnisse, die einen etwaigen Richgardkult dokumentieren könnten, mit dem Umstand zu erklären, dass „ die Wallfahrt im Schatten des berühmten Heiligtums von St. Odilien lag “ 7 . Ein genauerer Blick verrät aber nicht nur interessante Einzelheiten über das Nachleben der Heiligen Richgard, sondern gibt auch Aufschluss über die Verbreitung ihres Kultes in frühester Zeit. Hier sollen daher Hinweise vorgestellt und ausgewertet werden, die auf eine kultische Verehrung dieser elsässischen Heiligen während des Hoch- und Spätmittelalters schließen lassen. Doch soll zunächst das Leben der heiligen Richgard anhand urkundlicher Erwähnungen kurz skizziert werden. Anschließend geht es um ihre Kanonisierung durch Papst Leo IX. Frühe Berichte beschäftigen sich mit einer besonderen Legende: Richgard soll sich von einer Ehebruchsanklage mit Hilfe eines Gottesurteils befreit haben. Da diese Legende einen bleibenden Einfluss auf den Kult Richgards nehmen sollte, wird hier ihrer Entstehung ein Exkurs gewidmet. Abschließend verweist ein spätmittelalterlicher Pilgerbericht Kaiser Karls IV. auf das Fortbestehen des Richgardkultes bis ins ausgehende Mittelalter und darüber hinaus. I. Kaiserin Richgard und die klösterliche Landschaft im Elsass Richgard (auch Richarde, Richgarda, Rickart oder Richardis genannt) entstammte einem oberrheinischen fränkischen Adelsgeschlecht und wurde in einer Zeit geboren, in der die Verhältnisse der fränkischen Welt durch den Vertrag von Verdun um 843 geklärt zu sein schienen 8 . Dass Richgards Vater Abteikirche soll diese Stelle sein. Vermutlich befand sich ein gallorömisches Heiligtum zu Ehren der Bärengöttin Artio im Andlautal. Das würde auch das Bärenattribut zur Richgardlegende zum Teil erklären, vgl. ebd. S. 18. 5 Vgl. die Legende bei Charles Deharbe , Sainte Richarde, son abbaye d ’ Andlau, son église et sa crypte (Paris 1874) S. 14 f. Vgl. auch: Thomas François-Xavier Hunckler , Vie de Sainte Richarde, impératrice d ’ Allemagne, reine de France (Paris 1833). 6 Vgl. Barth , Richardis (wie Anm. 4) S. 11 Anm. 1. Das Grab der Eltern wurde noch um 1655 dokumentiert, vgl. Eugène Bécourt , Andlau: son abbaye, son hôpital, ses bienfaiteurs 1 (Strasbourg 1904 - 1921) S. 61 f. Anm. 4. 7 Barth , Richardis (wie Anm. 4) S. 21. 8 Zum Kontext des 9. Jahrhunderts vgl. Heinrich Büttner , Kaiserin Richgard und die Abtei Andlau, in: Ders ., Geschichte des Elsaß 1. Politische Geschichte des Landes von der Landnahmezeit bis zum Todes Ottos III., hg. von Traute Endemann (Sigmaringen Racha Kirakosian 66 <?page no="67"?> der elsässische Graf Erchangar war, wie so oft in der Forschung behauptet 9 , lässt sich kaum nachweisen, zumal die Altersverhältnisse dagegen sprechen 10 . In den Statuten für das Kloster Andlau (siehe unten) erscheint sie zwar ausdrücklich als Tochter des Grafen Erchangar 11 . Da aber der Wert dieser Quelle noch genauer zu prüfen sei 12 , legt Michael Borgolte nahe, dass sie wohl eher die Tochter eines gleichnamigen Sohns oder Neffen Erchangars gewesen sein muss 13 . Dennoch berührt eine neue Bestimmung der Identität der Grafen namens Erchangar die Deutung der politischen Absichten, die hinter der Heirat Richgards mit Karl III. standen, kaum 14 , so dass diese kurz resümiert werden sollen. Graf Erchangar (der Ältere) zählte als Vertreter der karolingischen Staatsgewalt zu den Anhängern Lothars I. 15 . Trotz vielfacher Bemühungen und politischer Verhandlungen mit seinem Neffen Lothar II. hatte Ludwig der Deutsche zunächst auf das Elsass verzichten müssen. Sein Interesse war jedoch nicht erloschen, so dass er schließlich seinen Sohn, den späteren Kaiser Karl III., im Sommer 861 oder 862 mit Richgard verheiraten konnte 16 . Graf Erchangar wurde schon in den Jahren vor Richgards Geburt für an Lothar geleistete Dienste mit vielen Ländereien im Elsass belohnt. Darunter befanden sich sodann auch Gebiete, auf denen später die Abtei Andlau gegründet werden sollte 17 . 1991) S. 295 - 301, hier: S. 295 (erstmals in: Archives de l ’ Église d ’ Alsace 7 [1956] S. 83 - 91). 9 Ernst Dümmler , Geschichte des ostfränkischen Reiches 3 Bde. (2. Aufl. Leipzig 1886 - 1888), hier: 3, S. 62; Gerd Tellenbach , Königtum und Stämme in der Werdezeit des Deutschen Reiches (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches im Mittelalter und Neuzeit 7/ 4, Weimar 1939) S. 53; Büttner , Richgard (wie Anm. 8) S. 295. 10 Borgolte rechnet die Altersverhältnisse aus, vgl. Michael Borgolte , Die Grafen Alemanniens in merowingischer und karolingischer Zeit - Eine Prosopographie (Sigmarigen 1996) S. 106. 11 [. . .] genitor noster Herchangarius apud dominum suum Luutharium seniorem servitio suo promeruit [. . .], vgl. Regesta Alsatiae aevi Merovingici et Karolini 496 - 918 1, Quellenband, bearbeitet von Albert Bruckner (Straßburg/ Zürich 1949) S. 393 Nr. 656. 12 Forster spricht sich dafür aus, dass die Statuten tatsächlich aus dem 9. Jahrhundert stammen und überdies folglich von Richgard verfasst worden sind, vgl. Christian Forster, Die Vorhalle als Paradies, Ikonographische Studie zur Bauskulptur der ehemaligen Frauenstiftskirche in Andlau (Diss. TU Berlin 2003) (Weimar 2010) S. 25 - 27. 13 Borgolte , Grafen (wie Anm. 10) S. 106. 14 Vgl. ebd. S. 108. 15 So vermutet Büttner , Richgard (wie Anm. 8) S. 297. 16 Vgl. Voranmerkung zur Urkunde Ludwigs des Deutschen an seinen Sohn Karl, darin ergeht die Morgengabe für dessen Gemahlin, vgl. MGH DD LD, ed. Paul Fridolin Kehr (Berlin 1934, ND 1980) S. 155 f. n. 108. 17 Mit Ludwig dem Frommen kam er in Kontakt, weil dieser ihm einen Tausch mit dem Bistum Straßburg (Johannes Daniel Schöpflin , Alsatia aevi merovingici, carolingici, saxonici, salici, suevici diplomatica 1 [Mannheim 1772] S. 71 n. 87) und ein anderes Mal mit dem Kloster Schwarzach (ebd. S. 72 f. n. 89) bestätigte. Kaiserin und Heilige 67 <?page no="68"?> Tatsächlich ist der Ursprung der Abtei Andlau nicht mehr urkundlich nachweisbar. Nach Heinrich Büttner sei am ehesten „ ein Übergang aus dem Besitz Erchangars an seine Tochter [! ] Richgard und von dieser wieder an deren Stiftung Andlau anzunehmen “ 18 . Die Morgengabe an Richgard umfasste Gebiete im benachbarten Breisgau. Auch Ludwig der Deutsche stattete seine Schwiegertochter reich aus: einige dieser Gütergruppen sollten zum „ eigentlichen Mittelpunkt “ des andlauischen Besitzes im Breisgau werden 19 . Damit gewann das elsässische Grafengeschlecht nicht allein repräsentative Königsnähe, sondern die Aussicht, rechts des Rheins die Position der Familie zu stärken 20 . Andererseits ermöglichte die Heirat für Ludwig den Deutschen eine stärkere Einflussnahme im Elsass. Nach diesen Vorgängen schweigen die Quellen über das Eheschicksal des jungen Paares für mehr als ein Jahrzehnt. Die Nachrichten über Richgard setzen dann wieder ein, als ihr Gemahl nach dem Tod seines Vaters die Regierung des ihm zugefallenen Teilreiches übernahm. Schließlich gelangte auch das Elsass an König Karl III. In den Folgejahren beschenkte dieser seine Gemahlin Richgard mit mehreren Frauenklöstern, so im Februar 878 mit den Abteien in Säckingen am Hochrhein und in Zürich, beide auf Lebenszeit 21 . Außerdem übergab er ihr im Oktober 881 das Nonnenkloster S. Marinus zu Pavia 22 . Gleichzeitig erfolgte die Übertragung des Klosters Zurzach am Hochrhein 23 . Endlich kündet eine Urkunde vom Juli 880 zum ersten Mal von der eigenen Stiftung Richgards, der elsässischen Frauenabtei Andlau 24 . Diese muss zu diesem Zeitpunkt bereits in ihren Anfängen bestanden haben 25 . Die Rechtslage der Abtei wurde hingegen erst 884 geklärt: Kaiser Karl III. unterstellte das Kloster Andlau dem direkten Schutz Roms 26 . Zwischenzeitlich war die Kaiserkrönung durch 18 Büttner , Richgard (wie Anm. 8) S. 297. 19 Vgl. ebd. S. 297. 20 Vgl. Borgolte , Grafen (wie Anm. 10) S. 108. 21 Vgl. Urkunde Karls III. für Richgard, ed. Paul Fridolin Kehr, MGH DD Karl (Berlin 1937, ND 1984) S. 11 n. 7. 22 Vgl. Urkunde Karls für Richgard, ebd. S. 70 f. n. 42. 23 Vgl. Urkunde Karls für Richgard, ebd. S. 71 f. n. 43. 24 In derselben Urkunde bestätigt Karl III. die Rechtsfestsetzung Richgards im Elsass, vgl. ebd. S. 40 n. 24. 25 Vgl. Germania Pontificia 3, bearbeitet von Albert Brackmann (Berlin 1935, ND 1960) S. 39 - 45. Heineken vermutet eine merowingische Gründung Andlaus, vgl. Johanna Heineken , Die Anfänge der sächsischen Frauenklöster (Göttingen 1909) S. 66 f. 26 Nach einem Hoftag in Colmar am 2. Februar 884 reist das Kaiserpaar nach Schlettstadt, wo Karl III. für die Stiftung seiner Frau die entsprechende Urkunde ausstellt, vgl. MGH DD Karl (wie Anm. 21) S. 156 n. 96. Vgl. dazu auch allgemein Egon Boshof , Traditio Romana und Papstschutz im 9. Jahrhundert. Untersuchungen zur vorcluniazensischen libertas, in: Rechtsgeschichtlich-diplomatische Studien zu frühmittelalterlichen Papsturkunden, hg. von Dems. / Heinz Wolter (Studien und Vorarbeiten zur Germania Pontificia 6, Köln/ Wien 1976) S. 1 - 100. Racha Kirakosian 68 <?page no="69"?> Papst Johannes VIII. erfolgt (Februar 881) 27 . In der Urkunde von 884 wurde der Besitz Andlaus beträchtlich ergänzt. Im gleichen Jahr wurde die Westvogesenabtei Étival durch die Kaiserin an ihre Stiftung Andlau geschenkt. Es handelt sich hierbei um das einzig überlieferte Diplom, das von Richgard selbst ausgestellt wurde 28 . Außerdem soll sie die ersten Statuten für Andlau erlassen haben 29 . Darin finden sich mehrere Passagen, die explizit die Memoria Karls ansprechen 30 : Andlau wird als Ort umschrieben, an dem das Gedenken Karls geehrt und bewahrt wird 31 . Richgard sorgte hier für diese Memoria, die auch auf die Familie des Gatten ausgedehnt wurde und mit Gaben (elemosina) für die Andlauer Kirche Gestalt erhielt, wozu alle ihre Zugehörigen angehalten wurden (cum omnibus illic rite pertinentibus confirmationem regiam faciendo) 32 . Auch das Seelenheil ihres genitor Erchangar 33 wie eines Herrn Ludwig (wohl König Ludwig der Deutsche) wird erwähnt 34 . 27 Das genaue Datum ist unbekannt, vgl. die Voranmerkung zum Streit zwischen Johannes von Arezzo und Lupus von Siena, ebd. S. 51 f. n. 31. Nach Bornert sei die Kaiserkrönung ein Jahr später ergangen, vgl. René Bornert , Richarde, in: Noveau Dictionnaire de biographie alsacienne 7 (Straßburg 1996) S. 3193 - 3195, hier: S. 3194. 28 Nur noch in einer überarbeiteten Form aus dem Ende des 12. Jahrhunderts überliefert: Urkunde der Kaiserin Richgard, MGH DD Karl III (wie Anm. 21) S. 327 n.1. - Außerdem soll sie einige Verse in Andlau verfasst haben, die ihre Frömmigkeit widerspiegeln. Der lateinische Text findet sich bei Jean Ruyr , Recherches des sainctes Antiquitez de la Vosge (Espinal 1634) S. 234. Übersetzung ins Deutsche bei Ludwig Garbiel Glöckler , Die Abtei Andlau (880 - 1790) (Straßburg 1880) S. 12 (und erneut bei Barth , Richardis [wie Anm. 4] S. 16 f.). 29 Das Original aus dem 9. Jahrhundert ist unbekannt. Grandidier und Schöpflin hatten noch Zugang zu einer Abschrift aus dem 11. Jahrhundert, welche ebenfalls verloren gegangen ist, vgl. Regesta Alsatiae (wie Anm. 11) S. 395 und wiedergedruckt bei Forster , Vorhalle (wie Anm. 12) S. 251 - 255. 30 Sämtlich in Kapitel 21, vgl. Regesta Alsatiae (wie Anm. 11) S. 392 - 394. 31 Ospites supervenientes semper recipiendos cum omnibus utensilibus ad idem ministerium, ut omnes absque ulla ambiguitate pro certe sciant et recognoscant, quod nullam personam, abbatissam videlicet vel advocatum, licentiam aut facultatem habere liceat duas scilicet villas Andaloiam et Chencingam, a beatae memoriae domino Carolo imperatore augusto coram summis primatibus publice ad altare sancti Salvatoris solummodo ad opus et ad victum et vestitum sanctimonialium firmissime contraditas ulli homini in beneficium vel ulla occasione ab earum necessitatibus avelli vel amoveri, sed perpetualiter ad totum et ad integrum servitium illarum pertineant atque sine ulla contradictione vel immunicione perseverant [. . .], vgl. ebd. S. 392. 32 Senior igitur meus beate memoriae Carolus pro sui et suorum, patris fidelicet ac matris, fratrum sive propinquorum elemosina ad altarem et ecclesiam sancti salvatoris propria manu firmissima tradicione largitus est quendam locum Nadaloia [wohl Andlau, Anm. d. Verf.] nominatum cum omnibus illic rite pertinentibus confirmationem regiam faciendo. Vgl. ebd. S. 393. 33 Vgl. ebd. S. 393. 34 [. . .] nobis beatae memoriae domnus Ludouuicus sub confirmatione regia et legitima secundum Francorum morem firmissime pro sui bonitate dedit, vgl. ebd. S. 393 f. Kaiserin und Heilige 69 <?page no="70"?> Abb. 1: Christus mit Ermengard (? ), Steinskulptur in der Stiftskirche Andlau (9./ 10. Jahrhundert). Racha Kirakosian 70 <?page no="71"?> Bemerkenswerterweise befindet sich in der Stiftskirche von Andlau eine zeitgenössische Steinskulptur, die ins späte 9. oder frühe 10. Jahrhundert datiert wird (Abb. 1). Dargestellt ist ein byzantinischer Christus, mit A und Ω zu Seiten des Hauptes und griechischem Nimbus, nebst einer kleineren weiblichen Figur. Die Christusfigur hält ein Band in den Händen mit der Inschrift Irmengart. Da requiem vitae nobis sitientibus in Te. Eugène Bécourt nimmt an, dass sich die Skulptur früher im Kreuzgang des Klosters befand. Beim Bau der heute noch intakten Kirche im 17. Jahrhundert wurde sie in die Südwand der Apsis integriert 35 . Wahrscheinlich soll sie an Ermengard erinnern, die Tochter des 875 verstorbenen Kaisers Ludwig II. Tatsächlich hatte sich Karl III. zu Lebzeiten um die Adoption von Ermengards Sohn Ludwig bemüht, zumal er mit ihm verwandt war (Lothar I. war Karls Onkel und Ermengards Großvater) 36 . Bisher wurde in der Forschung nur auf die angebliche freundschaftliche Verbindung zwischen Richgard und Ermengard hingewiesen 37 . Vielleicht bestand jedoch auch ein verwandtschaftliches Verhältnis zwischen den beiden hochadeligen Damen, da die gleichnamige Großmutter Ermengards, also die Gemahlin Lothars I., eine Tochter Hugos von Tours ( † 837) war, dem fränkischen Grafen, der als Etichonenabkömmling gilt. Exaktere verwandtschaftliche Beziehungen lassen sich bezüglich Hugos von Tours nicht klären 38 . Dass auch Richgards Familienzweig zu den Etichonen gezählt werden kann, wird in der Forschung vorausgesetzt 39 . Des Weiteren nahm der Kunsthistoriker Franz Xaver Kraus an, dass Ermengard selbst das Relief auf ihrer Reise nach Forchheim im Jahre 889 stiftete 40 . Aus der dargestellten Entwicklung geht deutlich hervor, dass Richgard ein starkes Interesse am Vorantreiben ihrer Gründung hegte. Vor dem Hintergrund des politisch-kulturellen Kontextes, wie ihn Hedwig Röckelein 35 Vgl. Bécourt , Andlau (wie Anm. 6) S. 64. 36 Vgl. Eduard Hlawitschka , Nachfolgeprojekte aus der Spätzeit Kaiser Karls III., Deutsches Archiv 34 (1978) S. 19 - 50, hier: S. 24 (wieder abgedruckt in: Ders ., Stirps regia. Forschungen zu Königtum und Führungsschichten im früheren Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze. Festgabe zu seinem 60. Geburtstag [Frankfurt am Main 1988] S. 123 - 154). 37 Bécourt , Andlau (wie Anm. 6) S. 64. 38 Vgl. Frank Legl , Studien zur Geschichte der Grafen von Dagsburg-Ehisheim (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 31, Saarbrücken 1998) S. 9. 39 Während Michael Borgolte meint, dass nicht näher auf das Geschlecht der Erchangaren eingegangen werden kann (vgl. Borgolte , Grafen [wie Anm. 10] S. 108), spricht Frank Legl von der Familie Richgards als Etichonenabkömmlingen (vgl. Legl , Studien [wie Anm. 38] S. 162). Auch Médard Barth nimmt an, dass die Familien Richgards und Irmengards verwandtschaftlich zusammenhingen, vgl. Barth , Richardis (wie Anm. 4) S. 11 Anm. 1. 40 Vgl. Franz Xaver Kraus , Kunst- und Alterthum, Elsass-Lothringen 1 (Straßburg 1876) S. 15. Kaiserin und Heilige 71 <?page no="72"?> für die frühmittelalterliche „ alemannische Frauenklosterlandschaft “ erörterte, können die frühen Geschehnisse um Andlau zwischen zwei Phasen eingeordnet werden: die „ Phase der Christianisierung und der politischen Integration Alemanniens in das Frankenreich “ und die „ Phase der herzoglichen und königlichen Inanspruchnahme der Klöster “ 41 . Am Beispiel Andlaus wird deutlich, wie nachhaltig verwandtschaftliche Verhältnisse die Entwicklung und Ausgestaltung der Klöster im Elsass prägten. Es sind Verwandte, die in verschiedenen Formen der Memoria vor Ort erinnert werden. Richgard selbst zog sich dann 887 in die „ schützende Obhut ihrer Stiftung “ 42 zurück, wo sie bis zu ihrem Tod, wohl Anfang der 890er Jahre, weilte. II. Die Heilige Richgard und ihre Memoria Als Papst Leo IX. 1049 auf seiner Rückreise von einer Synode in Mainz durch das Elsass kam, machte er wahrscheinlich auch in Andlau Halt, um die dortige, gerade neu errichtete Stiftskirche einzuweihen. Auch der Straßburger Chronist Jakob Twinger von Königshofen weiß von der Papstweihe zu berichten 43 , sofern wir die Ortsbezeichnung Eley als eine abgewandelte Form von lat. „ Eleon “ für Andlau verstehen dürfen 44 . Die davon zeugende päpstliche Bulle (Abb. 2) betont nicht allein den Akt der Gründung Andlaus durch die Kaiserin Richgard, sondern erwähnt zugleich, dass Leo die Gebeine derselben erheben ließ, was dem damaligen Verständnis nach einer Heiligsprechung entspricht 45 . 41 Hedwig Röckelein , Religiöse Frauengemeinschaften des frühen Mittelalters im alemannischen Raum, Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 27 (2008) S. 27 - 49, hier: S. 29. 42 Büttner , Richgard (wie Anm. 8) S. 301. 43 [. . .] er [der bobest] wihete ouch die kirche zuo Eley [. . .], Jakob Twinger von Königshofen, Die älteste Teutsche so wol Allgemeine, als insonderheit Elsässische und Strassburgische Chronicke, ed. Carl Hegel , in: Die Chroniken der oberrheinischen Städte: Straßburg 1 und 2 (Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert 8 und 9, Leipzig 1870 - 1871 ND 1961) S. 155 - 917, hier: 2, S. 558. 44 Diese Interpretation schlägt schon Schulte vor, vgl. Aloys Schulte , Papst Leo IX. und die elsässischen Kirchen, Sonderdruck (abgedruckt aus: Straßburger Studien 2 [Straßburg 1884] S. 78 - 90), hier: S. 9. Sie macht auch Sinn, weil im Anschluss von der Klosterweihe auf der Hohenburg die Rede ist, vgl. Jakob Twinger von Königshofen, Chronik (wie Anm. 43) 2, S. 558. 45 Vgl. dazu Barth, Richardis (wie Anm. 4) S. 19 Anm. 8. Darüber hinaus wird Richgard in urkundlichen Nachrichten des 12. Jahrhunderts mit dem Heiligentitel erwähnt, vgl. ebd. S. 41 Anm. 6. Racha Kirakosian 72 <?page no="73"?> Abb. 2: Bulle Papst Leos IX. für das Kloster Andlau (1049/ 1050). Heute im Straßburger Stadtarchiv aufbewahrt 46 , weist diese Bulle einige Besonderheiten auf, die allerdings nur auf den ersten Blick an ihrer Echtheit zweifeln lassen. Markant erscheinen die Schnitte durch das Pergament, die für eine nachträgliche Annullierung des Dokumenteninhalts sprechen 47 . Das Siegel hingegen, die bleierne Bulle, ist echt, obwohl die Hängung jünger sein 46 Archives municipales de Strasbourg [AMS] Ser. IV, Charte 1; Regest: JE 4195. Editionen von Grandidier und Würdtwein mit kleineren Fehlern siehe folgende Anm., wieder abgedruckt in: Forster, Vorhalle (wie Anm. 12) S. 257 f. 47 Grandidier hat dieses Merkmal bei seiner Edition unerwähnt gelassen (vgl. Philippe- André Grandidier , Histoire de la province d ’ Alsace 1 [Straßburg 1787] S. 159 f. n. 409) und so schweigen sowohl Würdtwein (Stefan Alexander Würdtwein , Nova subsidia diplomatica 6 [Heidelberg 1785] S. 212 - 215 n. 94), dessen Edition auf Grandidier zurückgeht, als auch Médard Barth darüber (vgl. Barth , Richardis [wie Anm. 4] S. 19 f.). Kaiserin und Heilige 73 <?page no="74"?> muss 48 . Auch aus formaler Sicht handelt es sich hier offensichtlich um ein Originalprivileg des Papstes Leo IX. Das Eschatokoll, nur aus den Schriftzeichen Rota, Monogramm und Komma bestehend, wurde nach der Meinung von Joachim Dahlhaus zum größten Teil, wenn nicht sogar ganz vom Aussteller selbst eingetragen 49 . Zwar ist das Dokument nicht datiert 50 , aber die Erwähnung der Mainzer Synode von 1049 erlaubt eine konkrete Kontextualisierung 51 . Dahlhaus erwägt nach den Schriftzeichen, dass die Bulle spätestens im April 1050 entstand. Das Diktat spreche hingegen „ für die Ausstellung der Urkunde schon im November 1049 “ 52 . Neben der Unabhängigkeit des Konvents bei der Wahl der Äbtissin wird in der Bulle betont, dass nur jene Priester die Messe zelebrieren dürfen, die von der Äbtissin als dazu befugt erklärt wurden. Überdies wurde die Immunität der Abtei bestärkt. Auffällig sind diese Paragraphen deswegen, weil Papst Gregor V. (996 - 999) Andlau der direkten Aufsicht Roms entziehen wollte 53 , was sodann Papst Silvester II. (999 - 1003) bestätigte 54 , um die Abtei dem Bistum Straßburg zu unterstellen 55 . In einem Diplom Heinrichs II. von 1004 wird aber der ursprüngliche Zustand des direkten Schutzes durch Rom wie stillschweigend vorausgesetzt, weil vom Straßburger Bischof keine Rede ist, und das obwohl Andlau die Einrichtung eines Wochenmarktes samt Zollrecht erlaubt wird 56 . Vor dem Pontifikat Leos IX. 48 Darauf hat schon Diekamp hingewiesen, vgl. Wilhelm Diekamp , Eine Original- Urkunde Papst Leo IX., Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 5 (1884) S. 141 - 143. 49 Joachim Dahlhaus , Aufkommen und Bedeutung der Rota in den Urkunden des Papstes Leo IX., Archivum Historiae Pontificiae 27 (1989) S. 7 - 84, hier Tabelle auf S. 72 f. 50 Eine Hand aus dem 15. Jahrhundert versuchte Papst Leo IX. auf der Rückseite des Pergaments zu identifizieren. Dieselbe Beschreibung übernimmt eine barocke Hand und datiert so die Bulle irrigerweise auf das Jahr 963. 51 Vgl. JE 4194 vom 29. Oktober 1049. 52 Dahlhaus , Rota (wie Anm. 49) S. 66 Nr. 7. 53 Vgl. JL *3891 und Johann Friedrich Böhmer / Harald Zimmermann , Regesta Imperii II, Sächsische Zeit, 5. Abt., Papstregesten 911 - 1024 (2. Auflage, Wien/ Köln/ Weimar 1998) n. 849. 54 JL 3904 und Böhmer/ Zimmermann, Papstregesten (wie Anm. 53) n. 878, ed. Harald Zimmermann , Papsturkunden 896 - 1046 (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Denkschrift 177, Veröffentlichungen der Historischen Kommission IV, 2. Auflage, Köln/ Wien/ Weimar 1989) S. 724 - 725, n. 373. 55 Vgl. Georg Wagner , Studien zur Geschichte der Abtei Andlau, Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 27 (1912) S. 445 - 469, hier: S. 450 und zuletzt Forster , Vorhalle (wie Anm. 12) S. 39 f. 56 Die Urkunde ist an Äbtissin Brigida (1004 - 1048), der Vorgängerin Mathildes I., ausgestellt, vgl. MGH DD H II, ed. Harry Bresslau / Hermann Bloch (Hannover 1900 - 1903 ND 2001) S. 99 f. n. 79. Brigida war vermutlich eine Schwester Heinrichs II., vgl. Anm. in Johann Friedrich Böhmer , Regesta Imperii II, Sächsisches Haus Racha Kirakosian 74 <?page no="75"?> waren im Elsass offenbar nur zwei Klöster unmittelbar dem päpstlichen Schutz unterstellt: die Abtei Selz und die Abtei Andlau 57 . Dieser besondere Status wurde demnach beim päpstlichen Besuch von 1049 von kirchlicher Seite bestätigt. Unterschätzt werden dürfen nicht die verwandtschaftlichen Verstrickungen zwischen den Akteuren: Äbtissin Mathilde I. (1024 - 1056), direkte Adressatin der Bulle, war nicht nur eine Nichte Gregors V., sondern auch eine Cousine Papst Leos IX. 58 Beide gehörten zum Geschlecht der Grafen von Dagsburg-Egisheim, die als sogenannte „ Eberhardiner “ Etichonenabkömmlinge waren 59 . Da der Name „ Richardis “ in der Erchangarwie auch in der Egisheimer-Familie vorkommt - auch die Urgroßmutter Leos hieß so - , vermutet Barth eine entsprechende Verwandtschaft 60 . Die Rivalität der beiden elsässischen Familienzweige der Eberhardiner (Leo IX. und Mathilde) und Erchangare (Richgard) fand ein Ende, als Richgard sich nach Andlau zurückzog und die ihr von Ludwig dem Deutschen übergebene Frauenabtei SS. Felix und Regula in Zürich an Graf Eberhard I. fiel 61 . Auch betont Andrea Bruhin in Hinblick auf die Vernetzung Andlaus mit dem Hochadel, dass Leo „ seiner Familie die Tür zur Reichspolitik [öffnete], einer Familie, welche die Andlauer Vogteirechte innehatte und als mächtigstes elsässisches Grafengeschlecht über immense Territorien verfügte “ 62 . Die Dagsburger Grafen lassen sich allerdings erst ab dem 12. Jahrhundert als Vögte für die Abtei Andlau greifen 63 . Jedenfalls treten die herrschafts- und familienstrategischen Aspekte von Leos Reisen durch das Elsass, sein 919 - 1024, Abt. 4, Die Regesten des Kaiserreichs unter Heinrich II. 1002 - 1024, bearbeitet von Theodor Graff (Wien 1971) n. 1574. 57 Vgl. Schulte , Leo IX. (wie Anm. 44), hier: S. 10. 58 Mathildes Bruder war niemand geringeres als der Salierkönig Konrad II. Die bestehende Blutsverwandtschaft zwischen den beiden Familien (Eberhardiner und Salier) findet sich vor allem in der Vita Leos IX. bezeugt, vgl. Legl , Studien (wie Anm. 38) S. 36 f. und S. 38 Tafel 5. 59 Vgl. ebd. S. 8 f. 60 Vgl. Barth , Richardis (wie Anm. 4) S. 11 Anm. 1. 61 Vgl. Borgolte , Grafen (wie Anm. 10) S. 99 und Legl , Studien (wie Anm. 38) S. 163. 62 Vgl. Andrea Bruhin, Die romanischen Skulpturen der Abteikirche Andlau und das geistliche Spiel, Strukturelle und funktionale Parallelen zwischen zwei verwandten Ausdrucksformen, in: Literatur und Wandmalerei 1, Erscheinungsformen höfischer Kultur und ihre Träger im Mittelalter, Freiburger Colloquium 1998, hg. von Eckart Conrad Lutz / Johanna Thali / René Wetzel (Tübingen 2002) S. 83 - 114, hier: S. 90. 63 So indirekt zum ersten Mal in einer von Mathilde II. ausgestellten Urkunde am 7. Mai 1144, vgl. Legl , Studien (wie Anm. 38) S. 524 f. - Im 12. Kapitel der Statuten für Andlau delegiert Richgard das Vogteirecht an ihre Familie, erst nach dem Absterben des letzten männlichen Nachfolgers sollte der Vogt durch eine geregelte Wahl ernannt werden, vgl. Regesta Alsatiae (wie Anm. 11) S. 391. Dazu: Wagner, Abtei Andlau (wie Anm. 55) S. 453 f. Kaiserin und Heilige 75 <?page no="76"?> Heimatland, mit dem Besuch in Andlau hervor und können vor dem Hintergrund des „ Investiturstreits “ gedeutet werden. Eine kaiserliche, wahrscheinlich blutsverwandte Klosterstifterin und dazu Gemahlin des letzten regierenden Karolingers unter die Riege der Heiligen einzureihen, konnte die Machtfülle des Papstes mittels eigener Familienbande hervorragend demonstrieren. So wird in der Urkunde mehrmals betont, dass Richgard gemeinsam mit Karl das Kloster „ übergeben “ hat und zwar in Form einer Schenkungsurkunde: per donationis paginam una [beate Richarde ] cum filio suo Karolo Imperatore Augusto contradidit und imperatrix Richarda una cum carissimo filio suo Karolo serenissimo imperatore Augusto et quod beato Petro Principi Apostolorum per donationis paginam obtulerunt 64 . Eine Skulptur am Westwerk der Abteikirche in Andlau zeigt diesen Stiftungsakt (Abb. 3): Auf einem Keilstein im Scheitel des Rundbogens des äußeren Portals 65 wird Richgard als Klostergründerin repräsentiert 66 . Die Figur im langen Gewand wird von Christus, der auf einem Drachen stehend dargestellt wird, gesegnet und hält dabei ein Buch in den Händen 67 . Es wird daher nicht wie gewöhnlich ein Modell der Abtei übergeben, sondern ein Schriftzeugnis, das den Gründungsakt symbolisiert 68 . Das vorgelagerte Westwerk, an dem sich die beschriebene Skulptur befindet, ist wahrscheinlich um die Mitte des 12. Jahrhunderts entstanden. 69 64 Vgl. AMS CH1. Die Worte cum filio suo sind nicht in Bezug auf Richgard zu verstehen, welche kinderlos geblieben ist. Viel eher beziehen sich diese auf den Vater Karls III., so dass nur letzterer damit gemeint sein kann. Eine Erklärung für eine derartige Formulierung könnte darin liegen, dass man die Bezeichnung für ein Eheverhältnis zwischen den beiden Stiftern zu umgehen versuchte. 65 Vgl. Bruhin , Skulpturen (wie Anm. 62) S. 88, Kraus, Kunst- und Althertum (wie Anm. 40) S. 9. 66 Vgl. ebd. S. 10 und so auch zuletzt Bruhin , Skulpturen (wie Anm. 62) S. 86. 67 Forster meint, „ dass mit dem Buch, das Richgard dem Herrn geöffnet reicht, ein Nekrolog gemeint ist und dass die Torarchitektur nicht das Stift Andlaus symbolisieren soll, sondern das Paradies, in dem sich Richgard als Heilige aufhält. “ Nach seiner ausführlichen Analyse der Pilaster des Westportals resümiert er, dass es sich bei dem Buch um die Repräsentation von Fürbitten handelt, die den Stiftern gelten. So fasse die „ prominenteste[n] Stelle der Außenfassade das gesamte Programm der Vorhalle in einer einzigen Darstellung “ zusammen, vgl. Forster , Vorhalle (wie Anm. 12) S. 229. 68 Es steht daher zu vermuten, dass das Buch die Klosterstatuten darstellen soll, die ja von Richgard erlassen worden sein sollen (s. o.). Vgl. zu entsprechenden Darstellungen im Umfeld des Klosters auf dem Hohenberg den Beitrag von Peter Rückert in diesem Band. - Das Tympanonthema mit der Übergabe eines Buches wiederholt sich in den Pfarrkirchen in Marlenheim und in Sigolsheim, die beide im 12. Jahrhundert zu Andlau gehörten, vgl. Forster , Vorhalle (wie Anm. 12) S. 237. 69 Nach einem Kurzbericht des Bauarchäologen Werner Stöckli fällt diese auf das mittlere Drittel des 12. Jahrhunderts, vgl. Bruhin , Skulpturen (wie Anm. 62) S. 88. Racha Kirakosian 76 <?page no="77"?> Abb. 3: Christus segnet die hl. Richgard, Steinskulptur am äußeren Portal der Stiftskirche Andlau (Mitte 12. Jahrhundert). Damit könnte die Erweiterung der Abteikirche in die Amtszeit Mathildes II. (1144/ 46 - 1160) fallen, von der wir wissen, dass sie sich um den Richgardkult bemühte 70 . Wenn Papst Leo IX. in seiner Bulle von 1049/ 50 den noch nicht vollendeten Bau der neuen Kirche weiht, dann bezieht sich dieser Akt zunächst auf den Bau der neuen Kirche unter Mathilde I. im 11. Jahrhundert 71 und weist gleichzeitig auf deren Erweiterung hin, die dann nach 70 Vgl. unten S. 79. 71 Der Plan dieser Kirche ist vergleichbar mit dem der Abteikirche von Limburg an der Haardt (bei Bad Dürkheim). Es liegt bereits dadurch eine Verbindung zu Andlau vor, dass der Gründer dieser Abtei in der Pfalz, Konrad II., der Bruder Mathildes war, vgl. Jean-Philippe Meyer , Andlau, Église des Saints-Pierre-et-Paul, in: Monuments de Strasbourg et du Bas-Rhin. Congrès Archéologique de France, 162 e Session 2004 (Paris 2006) S. 7 - 13, hier: S. 11. Kaiserin und Heilige 77 <?page no="78"?> einem Brand von 1160 neue Dimensionen annehmen sollte 72 . Nicht unwesentlich bei diesen Überlegungen ist auch die Namensverwandtschaft zwischen den beiden betroffenen Äbtissinnen. Mit der Approbation des Kultes um die Klostergründerin konnte gleichzeitig die Bedeutung Andlaus als Wallfahrtsort bestärkt werden 73 . Hingegen meint Médard Barth, dass eine kultische Verehrung am Grab Richgards „ die Voraussetzung für die Erhebung der hl. Gebeine, welche Leo IX. 1049 vornahm “ , bildete 74 . Beide Momente schließen sich nicht aus. Sicherlich kann zunächst von einer örtlich auf Andlau begrenzten Verehrung ausgegangen werden. Der früheste bekannte Ableger des Kultes begegnet uns erst 1077 in einer Notiz des Klosters Gorze. Darin werden Reliquien, die sich im Hauptaltar befinden, aufgezählt. Richgard wird als letzte in einer ganzen Reihe von mehr oder weniger bekannten Heiligen bedacht, dafür begleitet von ihrem Kaisertitel 75 . Weitere Hinweise auf eine existierende Verehrung finden sich dann zeitnah zum Bau des vorgelagerten Westwerks. So berichtet der sächsische Annalist von zahlreichen Wundern, die sich am Grab der Heiligen ereigneten 76 . Dieses soll sich demnach in Andlau befunden haben. Dieselbe Chronik erwähnt die Erhebung der Gebeine durch Papst Leo IX. und präzisiert dabei im Gegensatz zur Bulle den neuen Ort des Körpers: Idem papa in cenobio virginum quod nominatur Andela in Alsatia, corpus sancte Richardis imperatricis de tumolo honorifice elevavit et in ecclesia recondidit 77 . Dass ein sächsischer Mönch aus der Mitte des 12. Jahrhunderts, dessen genauere Identität anonym bleiben muss 78 , über die Geschehnisse im Elsass unterrichtet war, stützt das Argument, dass die Andlauer Schwestern im 12. Jahrhundert darum bemüht waren, ihrer Abtei 72 Kraus meint, dass Mathilde II. als Erbauerin der zweiten Kirche in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts nach dem Brand von 1160 gilt, vgl. Kraus , Kunst- und Alterthum (wie Anm. 40) S. 8. Forster hingegen datiert den Brand später (zwischen 1160 und 1164), so dass der Wiederaufbau unter Äbtissin Haziga stattgefunden haben müsste, vgl. Forster, Vorhalle (wie Anm. 12) S. 65 f. 73 Pilger kamen aber nicht nur an das Grab der nunmehr heiligen Richgard, sondern auch um die Jungfrau Maria anzubeten, zu dessen Ehre die Krypta geweiht ist, vgl. Bécourt , Andlau (wie Anm. 6) S. 93. Bis heute wird Andlau als Marienwallfahrtsort auf dem Jakobsweg aufgesucht. Vgl. dazu auch den Beitrag von Ursula Kopp in diesem Band, S. 245 - 256. 74 Vgl. Barth , Richardis (wie Anm. 4) S, 20. Während Barth aber dahingehend nur auf Grandidier verweist, können wir im Folgenden ein passendes Textzeugnis anbringen. 75 Et in principali altari continentur reliquie de tunica, de ligno et de sepulcro Domini, [. . .] Richarede auguste. Vgl. Notae Gorziensis, ed. Georg Waitz , MGH SS XV/ 2 (Hannover 1888, ND 1991) S. 974 - 977, hier: S. 976. 76 Vgl. zum Jahr 886: Annalisto Saxo, ed. Klaus Nass , MGH SS XXXVII (Hannover 2006) S. 109. 77 Vgl. zum Jahr 1048 ebd. S. 390. 78 Vgl. ebd. S. VII - IX. Racha Kirakosian 78 <?page no="79"?> mehr Bedeutung zu verleihen. So soll Äbtissin Mathilde II. den Kult um Richgard auch überregional gefördert haben, indem sie die Tunika, in der Richgard angeblich die Feuerprobe durchstand, als Reliquie an das Kloster Étival, das bis ins 13. Jahrhundert von Andlau abhängig blieb 79 , übergab 80 . Gerade als Mathilde II. so stark den Richgard-Kult promulgierte, wurde die Reichschronik des sächsischen Annalisten redigiert 81 . Auffällig ist das gemeinsame Moment des Gottesurteils, auf das auch der sächsische Annalist ausführlich eingeht. Exkurs: Die Feuerprobe und deren Bedeutung für die Verehrung der hl. Richgard In der Darstellung des sächsischen Annalisten wird Bischof Liutward von Vercelli aus dem Umfeld König Karls III. entfernt, sobald letzterer zurück nach Alemannien gekehrt ist. Der Grund liege darin, dass derselbe Bischof ein zu nahes Verhältnis zur Königin pflegte 82 . Anschließend erklärt Karl, nie eine fleischliche Verbindung mit seiner Gemahlin Richgard eingegangen zu sein. Diese weiß sich des Ehebruchsverdachts zu entledigen, indem sie auf ihre Jungfräulichkeit schwört. Sie ist sogar bereit, diesen Status durch ein Gottesurteil unter Beweis zu stellen, falls es denn der Ehemann wünsche. Auch die Probeart des Ordals wird konkretisiert: Richgard schlägt den Zweikampf mit Stellvertreter oder den Pflugscharengang vor 83 . Ob es dann wirklich zu einer Austragung des Ordals kam, bleibt unausgesprochen. Mit 79 Vgl. Heinrich Büttner , Geschichte des Elsaß 1. Politische Geschichte des Landes von der Landnahmezeit bis zum Todes Ottos III., in: Ders. , Geschichte des Elsaß 1 (wie Anm. 8) S. 27 - 182, hier: S. 141 (erstmals: Neue Deutsche Forschungen 242, Abt. Mittelalterliche Geschichte 8 [Berlin 1939]). Im 13. Jahrhundert wurde Andlau allmählich durch den Herzog von Lothringen verdrängt, vgl. Heinrich Büttner , Andlau und der Dagsburger Wald. Zur frühmittelalterlichen Geschichte der Landschaft im Quellgebiet von Saar und Zorn, in: Ders. , Geschichte des Elsaß 1 (wie Anm. 8) S. 269 - 281, hier: S. 273 Anm. 35 (erstmals in: Elsaß-Lothringisches Jahrbuch 20 [1942] S. 10 - 27). Zu den Territorien Andlaus vgl. Heinrich Büttner , Andlauer Besitz und Reichsgut, in: Ders. , Geschichte des Elsaß 1 (wie Anm. 8) S. 282 - 294 (erstmals in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins NF 56 [1943] S. 15 - 30). 80 Dort hatte dieselbe Äbtissin 1146 die Prämonstratenserregel eingeführt. Vgl. Barth , Richardis (wie Anm. 4) S. 27. Ob die Reliquie tatsächlich eine Gabe Mathildes II. war, lässt sich allerdings nicht mehr nachverfolgen. 81 Vgl. Klaus Nass , Die Reichschronik des Annalista Saxo und die sächsische Geschichtsschreibung im 12. Jahrhundert (MGH Schriften 41, Hannover 1996) S. 365. Die Erstfassung der Reichschronik ist wahrscheinlich zwischen August 1148 und Juli 1152 entstanden, der Nachtrag frühestens im Juli 1152, vgl. ebd. S. 367. 82 Für einen Überblick der Vorkommnisse vgl. Barth , Richardis (wie Anm. 4) S. 12 - 15. 83 Vgl. zum Jahr 886 Annalista Saxo (wie Anm. 75) S. 109. Kaiserin und Heilige 79 <?page no="80"?> diesem Bericht stützt sich der sächsische Annalist gänzlich auf seine älteste Quelle 84 , die Chronik Reginos von Prüm. Dieser älteste chronikalische Bericht über das Eheschicksal des kaiserlichen Paares stammt aus dem frühen 10. Jahrhundert, ist also beinahe zeitgenössisch 85 . Auch bei Regino wird nicht ausgeführt, ob es zu einem solchen Ordal kam. Stattdessen erfahren wir von der Scheidung und vom anschließenden Eintritt Richgards in das von ihr gegründete Kloster 86 . Andere zeitnahe lateinische Werke befassen sich eher aus politischer Sicht mit dem Sturz Liutwards und erwähnen Richgard gar nicht, wie etwa die Fuldaer Annalen 87 . Diese zählten aber zu den Quellen des sächsischen Annalisten. Warum die dortige Verleumdungsgeschichte gegen Liutward vom sächsischen Annalisten nicht übernommen wurde 88 , mag mit der Vorlage der Fuldaer Annalenkompilation, auf die der spätere Chronist zurückgriff, zusammenhängen 89 . Historisch gesehen kann jedenfalls eine enge politische Zusammenarbeit zwischen Richgard und Liutward festgestellt werden 90 . So adressiert Papst Johannes VIII. einen Brief an diese beiden Personen, in dem er um Hilfe beim Kampf gegen die Sarazenen bittet 91 . Kurz vor seinem Tod ersucht Johannes den militärischen Beistand Karls erneut über dieselben Kontaktpersonen Liutward und Richgard 92 . Wie Eduard Hlawitschka zeigte, muss kritisch mit Reginos Bericht umgegangen werden. Regino kontaminiere zwei verschiedene Nachrichten: das Wissen von der Trennung des kaiserlichen Ehepaares wegen der 84 Vgl. Nass , Reichschronik (wie Anm. 81) S. 52 - 61. Wie Naß feststellt, hat der Annalist einen direkten Zugang zu Reginos Werk gehabt und nicht wie zuweilen in der Forschung angenommen eine sekundäre Ableitung benutzt, vgl. ebd. S. 53. 85 „ Im übrigen scheint er sich vielfach auf Erzählungen und - etwa ab 875 - auf eigenes Erleben gestützt zu haben. “ Gerhard Schmitz , „ Regino von Prüm “ , in: Verfasserlexikon 7 (1989) Sp. 1115 - 1122, hier: Sp. 1120. „ Hätte sich Richardis tatsächlich einem Gottesurteil unterzogen, so wäre Regino, der über die Vorgänge [. . .] gut unterrichtet war, gewiss nicht mit Schweigen darüber hinweggegangen. “ Barth , Richardis (wie Anm. 4) S. 15. 86 Regino von Prüm, Chronicon cum continuatione Treverensi, ed. Friedrich Kunze , MGH SS rer. Germ. 50 (Hannover 1890, ND 1989) S. 127. 87 Vgl. zum Jahr 887 Annales Fuldenses, ed. Georg Heinrich Pertz , MGH SS I (Hannover 1826, ND 1976) S. 337 - 415, hier: S. 404 f. In den Fuldaer Annalen wird deutlich Stellung gegen Liutward bezogen, der aus einer unbedeutenden Familie stammte und als Günstling Karls III. in kürzester Zeit enorm an Macht und Einfluss gewonnen hatte. So wird er mit pseudo-episcopus betitelt, vgl. zum Jahr 882 ebd. S. 396. 88 Zur Person Liutwards und seiner Verleumdung am Hof vgl. auch Dümmler , Geschichte des ostfränkischen Reiches (wie Anm. 9) 2, S. 282 - 284. 89 Diese ist unbekannt, vgl. Nass, Reichschronik (wie Anm. 81) S. 61 - 69. 90 In mehreren Urkunden erscheint Richgard als Fürsprecherin des Erzkanzlers Liutwards, vgl. Barth , Richardis (wie Anm. 4) S. 13. 91 Riccardi Augustae, seu Liutwardo Vercellensi episcopo, a paribus, vgl. Migne PL 126, Sp. 949 - 950 ep. 355. 92 Vgl. Brief an Bischof Liutward, ebd. Sp. 958 ep. 366. Racha Kirakosian 80 <?page no="81"?> Ehebruchsbeschuldigung, die Richgard und Liutward in Verbindung bringt „ mit einem damals offenbar weit verbreiteten [. . .] Gerücht, Karl habe noch nicht einmal nach über zehnjähriger Ehe intimeren Umgang mit seiner Frau gehabt “ 93 . Dabei verfolge der Geschichtsschreiber vor allem das Ziel, Karl einen tugendvollen Abgang zu ermöglichen 94 . Nach gescheiterten Adoptionsplänen Karls, um die Nachfolge zu sichern 95 , war für Regino „ eine Scheidung nur als Annullierung wegen Nichtvollzugs der Ehe möglich “ 96 . Ein weiteres Argument Hlawitschkas dafür, dass erst mit Regino der spektakuläre Ehescheidungsprozess in die Geschichtsschreibung einfloss, ist der Umstand, dass sowohl die Fuldaer Annalen als auch das Karlsbuch Notkers von St. Gallen Richgard unerwähnt lassen 97 . Nichtdestotrotz ist Reginos Schilderung des Vorfalls diejenige, die weitertradiert wurde. Darüber hinaus entwickelt die Geschichte vom Gottesurteil eine Eigendynamik. Gerade als man 1050 begann, sich kritisch und im theoretischen Diskurs mit der Gottesurteilspraxis auseinanderzusetzen 98 , finden wir mit der Chronik Hermanns von Reichenau den ersten Text, in dem das Gottesurteil der Kaiserin Richgard als vollführt aufgenommen wird: Richgarda imperatrix adulterii cum Liutwardo Vercellensi episcopo, qui apud eam et imperatorem familiariter in palatio vigebat, ab imperatore et aliis incusata, divino iudicio ab omnium se virorum commixtione integram et eatenus virginem comprobavit 99 . Richgard habe ihre Unschuld von der Ehebruchsanklage und gleichzeitig ihre Jungfräulichkeit unter Beweis stellen können 100 . Franz-Josef Schmales Argument, dass die „ Zufälligkeit “ von Hermanns Material auch zu 93 Hlawitschka , Nachfolgeprojekte (wie Anm. 36), hier: S. 44. - Hinkmar berichtet in seinen „ Annales Bertiniani “ von einem Geständnis Karls von 873, niemals mit seiner Gemahlin eine fleischliche Verbindung einzugehen. Zu diesem Zeitpunkt bestand die Ehe für zehn Jahre. „ Gerade die auffällige Zehn-Jahres-Angabe und die Selbstbekenntnis-Form im Regino-Bericht dürften deutlich machen, dass Regino in seinen Darlegungen über Karls III. Ehescheidung diese Episode des Jahres 873 einschmolz. “ Vgl. ebd. S. 45 f. 94 „ Ein solches Muster an christlichen Tugenden konnte aber von Regino kaum mit einer fadenscheinigen Verstoßung seiner ihm angetrauten Ehefrau, auch wenn diese des Ehebruchs beschuldigt wurde, in Zusammenhang gebracht werden. “ Vgl. ebd. S. 44. 95 So für den Konkubinensohn Bernhard, vgl. ebd. S. 20 - 22. 96 Vgl. ebd. S. 44. 97 Vgl. ebd. S. 46 und S. 49. 98 Vgl. Hermann Nottarp , Gottesurteilstudien (München 1956) S. 340 f. 99 Hermann von Reichenau, Chronicon, ed. Georg Heinrich Pertz , MGH SS V (Hannover 1844, ND 1985) S. 67 - 133, hier: S. 109. Zuvor wird von der Adoption Ludwigs durch Karl berichtet, vgl. ebd. 100 Die Art der Ordalprobe wird freilich nicht spezifiziert. Ebenso verhält es sich mit der Chronik Bernolds von Konstanz, MGH SS V (wie Anm. 98) S. 400 - 467, hier: S. 421 und den Marbacher Annalen, ed. Hermann Bloch , MGH SS rer. Germ. IX (Hannover/ Leipzig 1907, ND 2001) S. 20. Sigbert von Gembloux hingegen schreibt zwar, dass ihre Jungfräulichkeit wahrlich glorifiziert wurde, lässt ein mögliches Gottesurteil jedoch völlig unerwähnt, vgl. Sigbert von Gembloux, Chronica, ed. Kaiserin und Heilige 81 <?page no="82"?> Konstruktionen geführt habe, „ die vielleicht nicht ganz zu Recht als bewusste Absicht gedeutet worden sind “ , mag auch in diesem Fall greifen 101 . Der Chronist aus der Mitte des 11. Jahrhunderts hat womöglich nicht einfach nur die Quellen interpretiert, sondern eine mündlich tradierte Geschichte niedergeschrieben. Dass Richgard in Reichenau bekannt war, beweist ein Eintrag im Necrologium des Klosters 102 , der gegen Ende des 9. Jahrhunderts vorgenommen wurde 103 . Unter ihrem offiziellen Heiligentag (18. September) wird sie als Rihcart imperatrix vermerkt. Der Kaisertitel ist Zusatz einer späteren Hand um etwa 900. Tatsächlich hegte Kaiser Karl III. Kontakt zum Reichenauer Kloster, wie ein Diplom vom Januar 878 bezeugt. Darin wird dem Kloster die von Karl dem Großen und Ludwig dem Frommen verliehene Immunität nebst Königsschutz und freier Abtswahl bestätigt 104 . Zudem wurde Karl nach seinem Tod in der Abteikirche auf der Insel Reichenau beigesetzt. Mit dieser persönlichen Bevorzugung des Klosters lässt sich die bereits sehr früh einsetzende liturgische Memoria der hl. Richgard auf der Reichenau erklären. Wie im Bericht Reginos greift auch hier das Argument, dass man mit der Schilderung einer bestanden Gottesurteilsprobe die Ehe als nichtvollzogen darstellen wollte und so die Kinderlosigkeit zu erklären versuchte. Neben diesen Verbindungen zur Reichenau kann auch hervorgehoben werden, dass bereits Richgards Vater bzw. Großvater, Graf Erchangar, ein Förderer des Klosters gewesen war. So erscheint sein Name in der Liste der lebenden Freunde im Verbrüderungsbuch der Abtei 105 . Im Laufe der Zeit verschmolz die Legende von der bestandenen Feuerprobe unzertrennbar mit dem Kult der hl. Richgard 106 . Spätmittelalterliche Bilder und Skulpturen stellen sie barfuß in Flammen dar, so auch eines der vier Steinreliefs an ihrem gotischen Hochgrab (Abb. 4). Ludwig Conrad Bethmann , MGH SS VI (Hannover 1844, ND 1980) S. 300 - 374, hier: S. 343. 101 Vgl. Franz-Josef Schmale , Hermann von Reichenau, in: Verfasserlexikon 3 (1981) Sp. 1082 - 1090. 102 Vgl. zu September MGH Necr. I, ed. Franz Ludwig Baumann (Berlin 1888, ND 2002) S. 279. 103 Die meisten Einträge sind gegen Ende des 9. Jahrhunderts, einige im 10. Jahrhundert vorgenommen wurden, vgl. Das alte Necrolugium von Reichenau, im Facsimile, hg. von Ferdinand Keller (Zürich 1848) S. 38 - 40. 104 Urkunde Karls III. für das Kloster Reichenau, MGH DD Karl (wie Anm. 21) S. 9 f. n. 6. 105 Im Anlageeintrag vom Jahr 824, vgl. Borgolte , Grafen (wie Anm. 10) S. 105. 106 Vgl. dazu demnächst meine ausführlichere Studie über die Darstellungen des Gottesurteils der Heiligen Richgard in Kunst, Literatur und Liturgie, die im Rahmen des nächsten Bandes der Reihe „ Kulturtopographie des Alemannischen Raums “ veröffentlicht wird. Racha Kirakosian 82 <?page no="83"?> Abb. 4: Nordseite des Hochgrabs der hl. Richgard in der Stiftskirche Andlau mit Reliefs der Klosterstiftung und des Feuerordals der hl. Richgard (Mitte 14. Jahrhundert). Kaiserin und Heilige 83 <?page no="84"?> Abb. 5: Steinskulptur der hl. Richgard (14. Jahrhundert), Marlenheim. Racha Kirakosian 84 <?page no="85"?> Eine Steinstatue aus dem 14. Jahrhundert im benachbarten Marlenheim zeigt sie entsprechend im Büßergewand (Abb. 5). Diese befindet sich heute im Hof des Pensionats der elsässischen Kongregation S œ urs de la Divine Providence de Ribeauvillé. Zuvor soll sich die Skulptur in der Richardiskappelle Marlenheims befunden haben 107 . Marlenheim gehörte bis 1510 zur Grundherrschaft von Andlau, die Äbtissin ernannte auch den dortigen Schultheissen 108 . Schon zu Lebzeiten Richgards übte das Kloster seinen herrschaftlichen und kirchlichen Einfluss auf Marlenheim aus 109 . Dass sich neben chronikalischen Berichten auch im kirchlichen Kontext die Geschichte vom Feuerordal verfestigte, lässt sich mit dem Jungfräulichkeitsideal erklären, das sich hier an einer verheirateten Klostergründerin veranschaulichen ließ. An Richgards Beispiel wird deutlich, dass der Diskurs über die Aussagekraft von Gottesurteilen trotz des kanonischen Verbots von 1215 in Kunst, Literatur und Liturgie weiterhin fortbestand 110 . III. Die Grabstätte in Andlau als Zentrum des Kultes Die Bekanntheit des Kultes um die hl. Richgard mag dazu beigetragen haben, dass es Kaiser Karl IV. auf einer seiner Pilgerreisen nach Andlau verschlug. So berichtet der Straßburger Chronist Jakob Twinger von Königshofen: „ Danach [nachdem er in Haslach am Grab des Heiligen Florenz war] fuhr dieser Kaiser ins Kloster Andlau, wo er das Heiligtum [die Reliquie] des Heiligen Lazarus, welcher vom Tode erstanden ist, sah; denn dieser liegt in Andlau, sagen die Leute “ 111 . Tatsächlich beansprucht Andlau für sich, 107 Vgl. Barth , Richardis (wie Anm. 4) S. 29. 108 Forster , Vorhalle (wie Anm. 12) S. 237 f. 109 Über die Patronatsrechte: vgl. Barth , Richardis (wie Anm. 4) S. 29. 110 Die Rezeption des antiken Rechts ließ auch die Wahrnehmung der Gottesurteile nicht unberührt. Während bilaterale Ordalien früh als unchristlich abgewiesen wurden (817 ergeht ein synodales Verbot über das Gottesurteil des Kreuzes, ein bilaterales Ordal, das vom Prinzip her dem Duell ähnelt; vgl. hierzu die Ausführungen Robert Jacobs , La parole des mains, Genèse de l ’ ordalie carolingienne de la croix, in: Les rituels de la justice, gestes et rituels judiciaires au Moyen Âge [occidental], hg. von Claude Gauvard (Paris 2000) S. 19 - 62), blieben unilaterale dagegen bis zum Vierten Laterankonzil von 1215 aus kanonischer Sicht rechtmäßig. Anscheinend konnte erst die hochscholastische Atmosphäre am Vorabend des Vierten Laterankonzils die Befürworter davon überzeugen, dass Gottesurteile weder theologisch noch kanonisch mit der Position der Kirche vereinbar waren ( „ [. . .] both canonically unsound and theologically suspect [. . .] “ ; vgl. Finbarr McAuley, Canon Law and the End of the Ordeal, Oxford Journal of Legal Studies 26/ 3 (2006) S. 475). Verschiedene Entwicklungen in der Rechts- und Gelehrtenwelt mögen zu dieser Erkenntnis geführt haben. 111 Donoch fuor dirre keyser gein Andelo in das closter und sach sant Lazarus heiltum der do von dem tode erstunt: wan er zuo Andelo lit, also sü sprechent, Jakob Twinger von Kaiserin und Heilige 85 <?page no="86"?> Lazarusreliquien aufzubewahren. Einer Legende nach sollen diese von Papst Leo IV. an Richgard gegeben worden sein 112 , die sie dann nach Andlau brachte 113 . Einen Teil dieser Lazarusreliquien (Schädel und andere Gebeine) 114 soll Äbtissin Adelheid an Kaiser Karl IV. bei dessen Besuch in Andlau im Jahr 1353 geschenkt haben 115 . Nach dem Bericht Königshofens lässt Karl in Erstheim das Grab des hl. Urban und auf der Hohenburg das der hl. Odilia öffnen. Für die gesamte Pilgerreise wird dabei folgendes Verfahren beschrieben: „ Auf diese Weise fuhr er herum in die Klöster und Stifte, von denen er glaubte dort große Heiligtümer zu finden. Von jeglichem Heiligen nahm er einen Körperteil oder ein Stückchen mit. Er nahm das mit sich nach Prag und hielt es in großen Ehren “ 116 . Da seit der Öffnung des Grabes der hl. Richgard am 28. September 1841 bekannt ist 117 , dass an ihrem Skelett u. a. ein halber Arm fehlt 118 , wäre auch zu bedenken, ob Kaiser Karl nicht in Wirklichkeit eine Reliquie der heiligen Richgard mitnahm. Konnten die Zeitgenossen wissen, dass es sich dabei tatsächlich um Gebeine der hl. Richgard bzw. des hl. Lazarus handelte? Wie Richgards Grab zum Zeitpunkt von Karls Besuch ausgesehen hat, kann jedoch nicht mehr mit Sicherheit gesagt werden, da das gotische Hochgrab etwa zeitgleich um die Mitte des 14. Jahrhunderts entstand 119 . Die Erinnerung an Richgard in Andlau findet sich in künstlerisch ausgestalteten Formen an vielen Orten außerhalb wie innerhalb der Abteikirche manifestiert. Zentrum ihrer Memoria bildet ihr gotisches Hochgrab, Königshofen, Chronik (wie Anm. 43) 2, S. 483 f. Vgl. dazu auch den Beitrag von Wolfgang Schmid in diesem Band. 112 Vgl. Jos Rietsch , Die Nachevangelischen Geschicke der bethanischen Geschwister und die Lazarusreliquien zu Andlau (Straßburg 1902) S. 42. 113 Vgl. ebd. S. 3 und Forster, Vorhalle (wie Anm. 12) S. 171. 114 Vgl. Rietsch , Geschicke (wie Anm. 112) S. 3. 115 So übernimmt Rietsch diese Information aus den Acta Sanctorum, vgl. ebd. S. 43. 116 Also fuor er umb und umb zuo kloestern und stiften, do er gros heiltuom truwete zuo vindende, und nam von ieglichem heilgen ein glyd oder ein stükelin und fuorte daz mit ihme gein Behem und hielt es in grossen eren, Jakob Twinger von Königshofen, Chronik (wie Anm. 43) 2, S. 484. 117 Dies geschah zur Restaurierung, nachdem man das Grab der hl. Odilia 1836 geöffnet und Schäden infolge der Feuchtigkeit festgestellt hatte. 118 Vgl. Barth , Richardis (wie Anm. 4) S. 25. 119 Ursprünglich sollen sich ihre Gebeine in einem älteren Sarkophag befunden haben, der heute in einer barocken Seitenkapelle der Abteikirche in das südliche Mauerwerk eingefasst ist, vgl. dazu: Meyer , Andlau (wie Anm. 71), hier: S. 10. - Forster datiert die Gestalt des gotischen Hochgrabs noch älter, „ da er auf vier Säulen steht, und [. . .] bis heute an der hinteren Chorwand aufgestellt [ist], so dass ein Reliquienaltar als ursprüngliche Anlage angenommen werden darf. Dafür spricht auch, dass der Deckel von Richgards Sarkophag in die Ostwand der Apsis eingemauert ist und vom Schrein verdeckt wird, in der er zugleich integriert ist. “ Vgl. Forster , Vorhalle (wie Anm. 12) S. 70. Racha Kirakosian 86 <?page no="87"?> das auf vier mannshohen Säulen steht und als Schlupfwallfahrt für Pilger dient (Abb. 6) 120 . Abb. 6: Hochgrab der hl. Richgard in der Stiftskirche Andlau (Mitte 14. Jahrhundert). 120 Vgl. Barth , Richardis (wie Anm. 4) S. 22 Kaiserin und Heilige 87 <?page no="88"?> Zentral hinter dem Hauptaltar erinnert ein Textfeld an der Front, das heißt gen Westen, an das Leben der Richgard 121 . Die durch die Feuerprobe bewiesene Jungfräulichkeit wird ausdrücklich hervorgehoben 122 . An den Seiten des Hochgrabes befinden sich jeweils zwei Steinreliefs, die allesamt im 17. Jahrhundert farblich neu gestaltet wurden 123 . Das erste Relief an der Nordseite des Grabs stellt den Stiftungsakt Richgards mit einem Klostermodell dar (Abb. 4). Der Pilger schlüpft unter das Grab auf die andere Seite, wo er zunächst die Verleumdung Liutwards am Hofe Karls sehen kann 124 . Daran schließt sich, immer noch an der Südseite befindlich, eine Art Reliquienübergabe Richgards an Liutward von Vercelli an 125 . Vielleicht handelt es sich hierbei um das Reliquienkreuz, in dessen Besitz Richgard gewesen sein soll 126 . Besonders auffällig erscheint die doppelte Berührung der Richgard- und Liutwardfiguren, die auf ein inniges Verhältnis zwischen den beiden hinweisen wollen. Schließlich umläuft der Pilger den Hochschrein, um das letzte der vier Reliefs zu sehen (Abb. 4), auf dem das Gottesurteil Richgards dargestellt ist: An ihrem Kleid lodern kleine Flammen und sie steht barfuß auf brennend dargestelltem Untergrund. Richgard wird als gottgefällig, vertrauend auf die Kraft des Kreuzes, das sie in Händen hält, dargestellt. Die Figur des Geistlichen daneben soll offenbar den Beistand der Kirche beim Durchlaufen der Probe unterstreichen. Rechts ist Karl in richterlicher Pose (mit Zepter) dargestellt 127 . Auf Grund der zeitlichen Nähe der Entstehung des Reliquien- 121 Es handelt sich dabei um eine neue Inschrift, die der alten nachgeahmt ist, welche bei der Grabesöffnung 1841 zerstört wurde, vgl. ebd. S. 73. 122 Die Inschrift lautet: Sancta Richardis augusta / Cum Car. C. conjuge fundat / ecc. Andel, calumni passa / fidem flammis probat integram / Carolo libera chro. Sociatur / virgo corpus hoc L, doncit / Andeloa servat. 123 Vgl. Bécourt, Andlau (wie Anm. 6) S. 97. 124 Ausführlicher dazu ebd. S. 97 und Barth , Richardis (wie Anm. 4) S. 74. 125 Vgl. ebd. S. 73. - Barth erwähnt keine Reliquienübergabe, sondern „ [d]ie Kaiserin berührt mit der Linken dessen [Kanzler Liutward, Anm. d. Verf.] Brustkreuz “ , ebd. 126 Vgl. Forster , Vorhalle (wie Anm. 12) S. 241 f. Passend zu den Bildern soll Richgard das edelsteinbesetzte Kreuz, in das ein Stück des Kreuzes Christi eingefasst gewesen sein soll, dem Bischof von Vercelli geschenkt haben. Jener soll es ihr dann wieder zurückgegeben haben, vgl. ebd. S. 19. 127 Es mag merkwürdig erscheinen, dass das Bildprogramm mit einer Darstellung der Feuerprobe endet. In der Tat ist es umstritten, wo genau die Folge beginnt. Barth listet die Reliefbilder folgenderweise auf: (südlich-links) Verkehr Liutwads mit Richgard, (südlich-rechts) Verleumdung am Hof, (nördlich-rechts) Feuerprobe, (nördlichlinks) Klostergründung. Problematisch ist bei einer solchen Reihenfolge nicht nur, dass der Pilger beim Unterschlüpfen des Grabes die Seiten wechseln müsste. Auch inhaltlich wären die Bilderfolgen inkohärent, denn Richgard tritt nach dem Ehebruchsprozess ins Kloster ein und dürfte danach nicht mehr mit Kaiserkrone dargestellt werden. Außerdem nimmt Barth an, dass die Modellübergabe, die den Stiftungsakt repräsentiert, an Liutward stattfindet. Auch dieser Aspekt würde in der von ihm vorgeschlagenen Reihenfolge nicht passen, weil Liutward zu dem Zeitpunkt nach der Ehebruchsanklage bereits in Ungnade gefallen war. Schließlich gäbe es eine Racha Kirakosian 88 <?page no="89"?> schreins zum Besuch Karls IV. darf man annehmen, dass die Gebeine Richgards erst in diesem Kontext die beschriebene Bahrung erfuhren. Die neue Gestaltung rückt das Moment der bestandenen Gottesurteilsprobe als zentrales Moment ihrer Heiligkeit in den Mittelpunkt. Noch im ausgehenden Mittelalter sollte mit Richgards Überresten Reliquienpolitik betrieben werden. In einem Brief vom 8. März 1503 128 verbietet Kardinal Raimund Peraudi, der päpstliche Legat für Deutschland 129 , den Andlauern unter Androhung der Exkommunikation, Reliquien des heiligen Lazarus oder der heiligen Richgard zu verschenken 130 . Dabei erschienen beide Heilige, Richgard wie Lazarus, als gleichermaßen in Andlau verehrt. Offensichtlich schloss der eine Kult den anderen nicht aus. Vielmehr führten die legendären Zutaten, welche damals die Lazarusreliquien unmittelbar mit Richgard in Verbindung brachten, zu einer gegenseitigen Verstärkung des Doppelkultes dieser beiden Heiligen in Andlau. IV. Fazit Die Kaiserin Richgard beeinflusste mit ihrer Klostergründung in Andlau die elsässische Klosterlandschaft nachhaltig. Sie pflegte dort zunächst selbst die Memoria ihrer Familie. Wenige Zeit nach ihrem Tod werden ihr gottgefälliges Leben wie ihre keusche Ehe mit Kaiser Karl III. bereits in der Chronistik betont. Diese Berichte und ein früher lokaler Kult um Richgard bereiteten die Heiligsprechung der Kaiserin vor. Von Bedeutung für die Erhebung von Richgards Gebeinen durch Papst Leo IX. waren ebenso familiäre Bande wie machtpolitische Interessen. Ab der Mitte des 11. Jahrhunderts wurde Richgards bestandene Feuerprobe für ihren Heiligenkult zentral 131 . Mit dem Eingang des Gottesurteils in die Geschichtsschreibung erhielt ihr Kult eine chronologische Unklarheit: Historisch gesehen gründete Richgard die Abtei Andlau vor den Geschehnissen, die ihre Scheidung von Karl nach sich zogen, vgl. Barth , Richardis (wie Anm. 4) S. 73 f. 128 Zu Kardinal Raimunds Zeit in Straßburg vgl. Francis Rapp , La fin décevante d ’ une campagne d ’ indulgences, le cardinal Péraud à Strasbourg (1504), in: Finances, pouvoir et mémoires, Mélanges offerts à Jean Favier, hg. von Jean Kerhervé / Albert Rigaudière (Paris 1999) S. 578 - 586. 129 Vgl. Peter Schmid , Der päpstliche Legat Raimund Peraudi und die Reichsversammlungen der Jahre 1501 - 1503. Zum Prozeß der Entfremdung zwischen Reich und Rom in der Regierungszeit König Maximilians I, in: Reichstage und Kirche. Kolloquien der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München 9. März 1990, hg. von Erich Meuthen (Göttingen 1991) S. 65 - 88. 130 Vgl. Rietsch , Geschicke (wie Anm. 112) S. 43. An dieses Verbot hielt man sich nicht: Bei ihrer Wahl als Äbtissin (17. April 1637) verschenkte Maria Sabina von Offenburg angeblich einen Teil der Hirnschale des heiligen Lazarus an den Kardinal Ranut, „ der ihre Wahl bestätigt hatte “ , vgl. ebd. 131 Vgl. Barth , Richardis (wie Anm. 4) S. 17. Kaiserin und Heilige 89 <?page no="90"?> entscheidende Färbung, so dass ihre Verehrung nicht mehr allein an ihre Stiftung Andlau und ihr dortiges Grab geknüpft wurde. Im 14. Jahrhundert erfuhr der Ort dann durch den Besuch Kaiser Karls IV. eine deutliche Aufwertung seiner sakralen Ausstrahlung. Dabei verband sich der Lazarusmit dem Richgardkult. Die damals ostentativ gestaltete Bahrung der hl. Richgard steht für ihre örtliche Verehrung und den zeitgenössischen Pilgerverkehr 132 . Beim Übergang vom Spätmittelalter zur Neuzeit wurde der Kult um Richgard weiterhin lokal stark betrieben und überregional verbreitet 133 . Dabei wurde ihre Geschichte verstärkt in Verbindung mit dem Gottesurteil gebracht. Auch andere Legenden wurden weiter ausgemalt. Die Bemühungen, sich der Hohenburg und dem dortigen Odilienkult zu affiliieren, treten dabei hervor. Die Pilger, die zur Hohenburg kamen, konnten leicht ihren Weg mit dem zur hl. Kaiserin Richgard nach Andlau verbinden. Die geographische, verwandtschaftliche und geistige Nähe von Richgard und Odilia, von Andlau zum Odilienberg, kam so dem Richgardkult zu Gute. Resumen: La emperatriz Richgard aparece como una figura que, con la fundación de su convento en Andlau, ejerció una influencia persistente en el panorama monacal de Alsacia. También conservó la memoria de su familia. Poco tiempo despúes de su muerte, los cronistas ensalzaron su vida piadosa y su casto matrimonio con el emperador Carlos III. Dichos informes y un temprano culto local a Richgard, apoyaron la canonización de la emperatriz. Así mismo, para la canonización de los restos de Richgard por el Papa León IX, fueron de considerable importancia las alianzas familiares así como los intereses políticos. A partir de mediados del siglo XI, la superada prueba de fuego de Richgard, jugó un papel primordial. Con la recepción del juicio divino en la historiografía su culto obtuvo una decidida tendencia política, de manera que su culto ya no sólo se hallaría ligado a la fundación Andlau y a su sepulcro. En el siglo XIV el convento experimentó, con la visita del emperador Carlos IV, una clara revalorización de su atractivo sacro. Incluso el culto de Richgard se unió al de Lázaro. La ostentosidad con la que se decoró la capilla ardiente de Santa Richgard es la causa de la veneración y de la llegada de peregrinos. En la transición de la Baja Edad Media a la Edad Moderna el culto local de Santa Richgard continuó teniendo gran importancia local y se promulgó a nivel suprarregional. Al mismo tiempo su historia se relacionó aún más con el juicio divino. También otras leyendas continuaron extendiéndose. Se ponen de relieve los esfuerzos por afiliar Hohenburg con el culto a Odilia. Los peregrinos, que llegaban a Hohenburg, podían unir facilmente los dos caminos: el camino que llevaba a la Santa emperatriz Richgard con el camino que conducía a Andlau. La cercanía geográfica, familiar y espiritual de Richgard y Odilia, de Andlau al Odilienberg, favoreció el culto de Richgard. 132 Vgl. dazu auch Peter Rückert , Der spätmittelalterliche Pilgerverkehr am und auf dem Oberrhein - Wege und Zeichen, in: Wege zum Heil. Pilger und heilige Orte an Mosel und Rhein, hg. von Thomas Frank / Michael Matheus / Sabine Reichert (Geschichtliche Landeskunde 67, Stuttgart 2009) S. 241 - 258. 133 Zur Verbreitung des Richgardkultes im Hoch- und Spätmittelalter bis zur Neuzeit, vgl. Barth , Richardis (wie Anm. 4) S. 28 - 39. Racha Kirakosian 90 <?page no="91"?> Burgkapellen als Wallfahrtsorte nach elsässischen Beispielen Bernhard Metz Bekanntlich wird das Wallfahren im Spätmittelalter um eine neue Komponente bereichert * . Nach wie vor brechen Menschen aus ihrem Alltag heraus, um etwa nach Rom oder Santiago zu pilgern. Aber daneben entstehen allenthalben Unmengen von Nahwallfahrten zu Feld- oder Waldkapellen 1 . Zum Beispiel hatten die Einwohner von Oberehnheim, unserem Tagungsort, am Ende des Mittelalters in einer Entfernung von 10 km mindestens fünf Heiligtümer - Odilienberg, Laubenheim, Bruderberg, St. Anna bei Barr, Andlau 2 - zu denen sie so pilgern konnten, daß sie am Morgen aufbrachen und am Abend wieder zuhause waren. Damit hat sich die Pilgerfahrt von einem Abenteuer, das man höchstens ein Mal in seinem Leben wagt, zu wenig mehr als einer Sonntagswanderung reduziert. Aber solche Fahrten unternehmen wesentlich mehr Leute wesentlich öfter als die Pilger des alten Typs. * Siglen und abgekürzte Titel: ABR: Archives départementales du Bas-Rhin AHR: Archives départementales du Haut-Rhin AMS: Archives municipales de Strasbourg BMHA: Bulletin de la société pour la conservation des monuments historiques d'Alsace/ Mitteilungen der Gesellschaft für Erhaltung der geschichtlichen Denkmäler im Elsaß RUB: Rappoltsteinisches Urkundenbuch 759 - 1500. 5 Bde., hg. von Karl Albrecht (1891 - 99) 1 Francis Rapp , Les pèlerinages dans la vie religieuse de l ’ Occident médiéval aux 14 e et 15 e siècles, in: Les pèlerinages de l ’ antiquité biblique et classique à l ’ Occident médiéval (Étude d ’ histoire des religions 1, Paris 1973) S. 117 - 160; siehe auch den Beitrag von Elisabeth Clementz in diesem Band. 2 Zu diesen und weiteren Wallfahrten im Elsaß siehe zuletzt Marie-Thérèse Fischer , Pèlerinages et piété populaire en Alsace des Mérovingiens à nos jours, de Lauterbourg à Lucelle (Straßburg 2003). Dieses Lexikon der elsässischen Wallfahrtsheiligtümer gibt leider keine Quellen an und ist zu sehr abhängig von Joseph Levy , Die Wallfahrten der Heiligen im Elsaß (Schlettstadt 1926) und Ders. , Die Wallfahrten der lieben Mutter Gottes im Elsaß (Colmar 1929), der gerade für das Mittelalter nicht auf Quellen fußt und dem es zu sehr an Kritik mangelt. <?page no="92"?> Sobald man ein Anliegen hat, läuft man zum dafür zuständigen Heiligen. Es ist nichts Spektakuläres, aber es ist eine Massenbewegung, und sie entfaltet eine ungemeine Dynamik: auf Schritt und Tritt entstehen neue Wallfahrten. Selbst vor den Toren der Burgen macht diese Bewegung nicht halt. Und hier steht man vor einem Widerspruch: eine Burg ist ein geschlossener Ort, wo man auf der Hut ist, sich vor Überrumpelung fürchtet, und daher ungern jeden hereinläßt. Zwar hat uns die Burgenforschung der fünfzig letzten Jahren vor allem eines gelehrt: daß die Burg kein reiner Wehrbau ist, daß sie auch Wohn- und Repräsentationsort eines Herren ist, Mittelpunkt seiner Herrschaft, Verwaltungs- und Wirtschaftszentrum 3 . Das ist mit solchem Nachdruck betont worden, daß man fast schon versucht ist, gegenzulenken und daran zu erinnern, daß eine Burg doch immer ein Wehrbau ist, daß ein Burgherr immer um die Sicherheit seiner Burg besorgt ist, und daß ihm daher das Kommen und Gehen fremder Leute in seiner Burg alles andere als lieb ist. Dafür ein Beispiel: Es gibt im Elsaß einige kommunale Kirchhofsbefestigungen, die ein weltlicher Herr gleichsam privatisiert, das heißt zu einer Adelsburg umfunktioniert hat. Dann aber muß er mit der Tatsache leben, daß die Kirchgänger in seiner Burg ein- und ausgehen, und das mißfällt ihm dermaßen, daß er dafür sorgt, daß eine Kapelle außerhalb seiner Burg (das heißt des Kirchhofes) gebaut und nach und nach mit Taufbecken, Begräbnis und allen Pfarrfunktionen ausgestattet wird, während die ursprüngliche Pfarrkirche zur Burgkapelle herabgestuft wird: So geschehen in Walf, in Hochfelden und in Wasselnheim 4 . Wenn Burgherren also ihre eigenen Untertanen nicht gern als Kirchgänger in den Mauern ihrer Burg sehen, sollte man annehmen, daß Pilger ihnen dort erst recht unerwünscht sind, denn diese kommen meist von weiter her; sie sind also in den wenigsten Fällen persönlich bekannt, und daher verdächtiger. I. Tatsächlich verhält sich der Burgherr im ältesten bekannten Fall so, wie man es von ihm erwartet. Es handelt sich um die Burg Bilstein bei Reichenweier, die seit spätestens 1332 dem Grafen Ulrich von Württemberg gehörte 5 . 1337 3 Statt vieler Titel: Thomas Biller , Die Adelsburg in Deutschland. Entstehung, Form und Bedeutung (München 1993). 4 Wasselonne. Site, passé, monuments, Bulletin de la société d ’ histoire et d ’ archéologie de Saverne et environs 58 - 59 (1967) S. 11, S. 19 § 6, S. 31 - 39. Bernhard Metz , [Cimetières fortifiés en] Alsace, in: L'église, la campagne, le terroir, hg. von Michel Fixot / Elisabeth Zadora-Rio (Monographies du centre de recherches archéologiques 1, Paris 1989) S. 21 - 50, hier: S. 38 - 41 (Hochfelden) und S. 41 - 43 (Walf). 5 Heino Pfannenschmid , Schloß Bilstein im Ober-Elsaß, Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 53, NF 14 (1899) S. 549 - 564; August Scherlen , Perles d ’ Alsace. Bilder aus der elsässischen Vergangenheit 2 (Mühlhausen 1929) S. 325 - 334; künftig Bernhard Metz 92 <?page no="93"?> erfährt man, daß dieser ein Marienbild, das in der Burg stand und Wunder wirkte, von dort entfernt und der Liebfrauenkapelle seiner Stadt Reichenweier geschenkt hat 6 . Er wollte also offenbar vermeiden, daß die Burgkapelle Ziel einer Wallfahrt würde, ohne die Wallfahrt als solche zu unterdrücken. Das war riskant, denn eine Wallfahrt läßt ich nicht immer ohne weiteres verlegen. Das bezeugen die vielen Sagen über Reliquien oder Gnadenbilder, die angeblich mehrfach selbsttätig an den Ort zurückkamen, von dem man sie entfernt hatte: solche Erzählungen sind zum Teil auch als Ausdruck des Widerstandes gegen derartige Versuche zu verstehen. Aber hier ging der (anzunehmende) Wunsch des Grafen in Erfüllung, denn die Wallfahrt ist in Reichenweier mindestens bis zum Ende des 14. Jahrhunderts belegt 7 . Die Wallfahrt nach Bilstein war also nur von kurzer Dauer, weil sie der Burgherr nicht haben wollte. Anders im nächsten Fall: 1347 wurde ein Ablaß von 720 Tagen allen erteilt, die an schätzungsweise 120 Tagen im Jahr die Kapelle St. Franziskus und St. Margareta der Burg Altkirch causa devotionis, orationis seu peregrinationis besuchen und für die Seele der Stifterin beten würden 8 . Diese Stifterin (fundatrix et dona[trix] altaris et capelle) war Johanna, Tochter des letzten Grafen von Pfirt und Gattin des Herzogs Albrecht von Österreich 9 . Die Herzogin wollte also die Pilger in ihre Burg locken - jedenfalls wenn das causa . . . peregrinationis buchstablich zu nehmen ist Thomas Biller / Bernhard Metz , Die Burgen des Elsaß, Architektur und Geschichte 1 (im Druck). 6 Wand soliche gnaden und löbeliche zeichen geschehen sint und noch schimberlich geschehen von Unserre Frouwen [. . .] heiltum und [. . .] bilde der tafeln zu Richenwilre, die [. . .] grafe Ulrich von Wirtenberg von sinre bùrge Bilstein dar het gegeben in die capelle Unserre Frouwen zu Richenwilre [. . .]: RUB 1 S. 355 Nr. 480. 7 1378 bzw. 1379 wurden Besessene in Reichenweier vor Unsern Frowen befreit: Basler Chroniken 4, hg. von August Bernoulli (Leipzig 1890) S. 429, bzw. Colmarer Chronik, in: Alsatia (1874) S. 234. 1392 schenkte ein Colmarer Adliger dem Reichenweirer Marienbild ein berlin schapel: Stadtarchiv Colmar JJ CC 443/ 1; Druck: RUB 5 S. 699 Nr. 1601. Siehe auch Raymond Voegeli , Reichenweier. Ein altes Weinstädtchen (Reichenweier 1937) S. 91 - 97. 8 18 Bischöfe gewähren je 40 Tage Ablaß an einer sehr langen Reihe von Festtagen. Druck: Straßburger Diözesanblatt 10 (1891) Archivalische Beilage S. 80, französische Übersetzung: René Bornert / Jean Zimmermann / Gabrielle Claerr-Stamm , Lettre d'indulgences pour la chapelle Sainte-Marguerite . . . d'Altkirch . . . 1347, Annuaire du Sundgau (1999) S. 115 - 120, hier: S. 117 - 119. Die Ausfertigung war im 19. Jahrhundert Privatbesitz; ihr heutiger Verbleib ist unbekannt. Über die abgegangene Burg Altkirch gibt es keine Monographie. In solchen Fällen ist man geneigt, nach Charles Laurent Salch , Dictionnaire des châteaux de l'Alsace médiévale (Straßburg 1976), oder Ders. , Nouveau dictionnaire des châteaux forts d'Alsace (Straßburg 1991), zu greifen. Doch sind dessen Angaben mit äußerster Vorsicht zu geniessen, selbst wenn sie mit Quellenangaben belegt sind. 9 Zu ihr siehe Christian Wilsdorf , Histoire des comtes de Ferrette (1105 - 1324) (Altkirch 1991) S. 231 - 241, und Ders ., Pfirt, Johanna (Johannetta) von, in: Nouveau dictionnaire de bibliographie alsacienne 29 (Straßburg 1997) S. 2992. Burgkapellen als Wallfahrtsorte nach elsässischen Beispielen 93 <?page no="94"?> und nicht einfach zum Formular gehört. Auf diesen Verdacht könnte man kommen, weil es im Elsaß mindestens vier weitere Ablaßbriefe des zweiten Viertels des 14. Jahrhunderts gibt für diejenigen, die causa devotionis, orationis seu peregrinationis vier Kirchen besuchen, zu welchen sonst keine Wallfahrt bekannt ist 10 . Andererseits gibt es weit mehr Ablaßbriefe - allerdings meist spätere - in denen der Hinweis auf die peregrinatio fehlt, so daß er hier wohl doch ernstzunehmen ist 11 . Freilich kennt man keine späteren Hinweise auf Pilger zur Burgkapelle von Altkirch. Belegt ist hier also strenggenommen keine Wallfahrt, sondern nur die Absicht, eine solche ins Leben zu rufen. Eindeutiger ist der Fall der Burg Rappoltstein über Rappoltsweiler; sie ist schon im 11. Jahrhundert bezeugt, und hat immer den Freiherren von Rappoltstein gehört, einer der mächtigsten Adelsfamilien des Oberelsaß 12 . Ihre Kapelle war dem hl. Ulrich geweiht 13 , daher heißt Rappoltstein heute meist Ulrichsburg bzw. St. Ulrich; die Kapelle ist als Ruine soweit erhalten, daß man sie als spätromanich einstufen kann, in etwa aus der Zeit um 1200. 1435 wurde ihr St. Ulrich-Altar neugeweiht, wobei der Basler Weihbischof 40 Tage Ablaß an ca. 100 Tagen im Jahr erteilte 14 . Seit der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts scheinen die Herren von Rappoltstein immer seltener in ihrer Höhenburg Rappoltstein und immer öfter in ihrem Stadtschloß in Rappoltsweiler gewohnt zu haben. Im 2. Viertel des 16. Jahrhunderts traten 10 Straßburger Diözesanblatt 12 (1892) Archivalische Beilage S. 99 f. (Ittersweiler 1330); Urkundenbuch der Stadt Straßburg 5: Politische Urkunden von 1332 - 1380, hg. von Hans Witte / Georg Wolfram (Straßburg 1896) S. 19 Nr. 4 (Straßburg/ St. Andreas 1332) und S. 458 Nr. 558 (Straßburg/ St. Arbogast 1361); Lucian Pfleger , Die Benediktinerabtei St. Walburg im Heiligen Forst, Archiv für elsässische Kirchengeschichte 6 (1931) S. 1 - 90, hier: S. 56 Nr. 46 (St. Walburg 1349). Nach einem deutschen Regest des 15. Jahrhunderts (AHR 118J dépôt 1, S. 41 f., Dank an Elisabeth Clementz) stand dieselbe Formel in einem Ablaßbrief von 1321 für Sewen - nur ist dort eine Marienwallfahrt belegt. 11 Leider macht Nikolaus Paulus , Geschichte des Ablasses im Mittelalter, 3 Bde. (Paderborn 1922 - 1923), keine Angaben zum Formular der Ablassbriefe und zu dessen Wandel. 12 Die Quellen ihrer Geschichte sind bis 1500 bequem in RUB gesammelt (vorzügliches Register! ). Zum Geschlecht siehe Benoît Jordan , La noblesse d ’ Alsace entre la gloire et la vertu. Les sires de Ribeaupierre 1451 - 1585 (Publications de la Société savante d'Alsace et des régions de l'Est. Collection «Recherches et Documents» 44, Straßburg 1991), zum Bau Gilbert Meyer , Le château du Grand Ribeaupierre St. Ulrich, Annuaire de Colmar 27 (1978) S. 119 - 134; und künftig Biller/ Metz , Burgen (wie Anm. 5) 1. 13 Erste sichere Belege 1376 (die pfründe sant Ulrihs zu Rapoltzstein: AHR 31H 52, Dank an Elisabeth Clementz) und 1384 (capellanus altaris S. Ulrici super castro Rapoltzstein: Archives départ. des Vosges 1H 45 Bl. 1 v). 14 RUB 3 S. 406 Nr. 858. Die Ablaßtage sind die Festtage der Kirchweihe, der 5 Patrone des Altars und 7 weiterer Heiliger, 5 Christusfeste, alle Marienfeste, samt den Oktaven aller dieser Feste, und alle Samstage des Jahrs von Mittag bis zum folgenden Sonntag zu Mittag. Bernhard Metz 94 <?page no="95"?> sie zum evangelischen Glauben über 15 . Mindestens ein Menschenalter später ließen sie ein Inventar der Fahrhabe auf der Burg erstellen; es zeigt, daß sie fast unbewohnt und sehr dürftig möbliert war. Nur liturgische Geräte und Kirchenzier waren reichlich vorhanden, vermutlich weil die evangelisch gewordenen Rappoltsteiner sie nicht sonstwo gebrauchen konnten; darunter waren (aht? ) wahssene hertz, die man St. Ulrich geopfert, item 10 gisel ringeisen, dem heiligen geopfert, item 4 eisene schenkel, dem götzen geopfert; item 4 eisene erm klein und groß, item 2 eisene krot, item mer ein kleiner ring 16 . Das sind eindeutig Votivgaben, die eine Wallfahrt zum hl. Ulrich bezeugen. Offenbar hat man ihn wegen Verletzungen oder Krankheiten an Armen und Beinen, aber auch wegen Frauenleiden angerufen (die Kröte symbolisiert bekanntlich die Gebärmutter), und die Geiselringe zeigen, daß auch Gefangene sich an ihn gewendet haben. Weitere Quellen sind nicht bekannt, aber immerhin hat man hier, neben dem Ablaßbrief, den man auch in Altkirch und in Hohbarr (s. u.) findet, einen Beweis für eine Wallfahrt, die tatsächlich stattgefunden hat. II. Bilstein, Altkirch und Ulrichsburg sind im Elsaß die einzigen Burgen, die zu Wallfahrtszielen wurden, als sie noch bewohnt waren. Zahlreicher sind die Fälle, in denen die Pilgerfahrt erst nach der Aufgabe der Burg bezeugt ist - was nicht unbedingt bedeutet, daß sie erst danach entstanden ist. Besonders interessant ist in dieser Hinsicht Hohegisheim. Es war die Stammburg der Grafen von Egisheim; sie ist seit dem frühen 11. Jahrhundert bezeugt, und seit dem 13. war sie in drei selbständige Anlagen geteilt, die man mundartlich die Drei Egse nennt 17 . Nach dem Aussterben der Grafen 1225 wurden sie nur noch von Niederadligen bewohnt. Einer von ihnen provozierte 1466 die elsässischen Reichsstädte, die daraufhin Hohegisheim 15 Jordan , Ribeaupierre (wie Anm. 12) S. 148 - 156 (Wohnsitze) und S. 221 - 228 (Konfession). 16 AHR E 2662/ 11 (undatiertes Konzept; die Schrift scheint aus dem späten 16. Jahrhundert; der götze, unter der Feder eines evangelischen Schreibers, ist natürlich der Heilige). In der Reinschrift E 2662/ 10, von einer sehr ähnlichen Schrift, hat man die Votivgaben ausgelassen. 17 Christian Wilsdorf , Le château de Haut-Eguisheim jusqu ’ en 1251 (regestes), Revue d ’ Alsace 106 (1980) S. 21 - 36; Bernhard Metz , Quatre châteaux pour le berceau d ’ un pape, in: Léon IX et son temps. Actes du colloque international organisé par l'Institut d'Histoire Médiévale de l'Université Marc-Bloch, Strasbourg-Eguisheim, 20 - 22 juin 2002, hg. von Georges Bischoff / Benoît Michel Tock (Atelier de recherches sur les textes médiévaux 8, Turnhout 2006) S. 111 - 130, hier: S. 115 - 16; zur Spätzeit August Scherlen , Egisheim, Dorf und Stadt (Colmar 1929) S. 53 - 55; künftig Biller/ Metz, Burgen (wie Anm. 5) 1. Burgkapellen als Wallfahrtsorte nach elsässischen Beispielen 95 <?page no="96"?> niederbrannten, wobei sie die Burgkapelle St. Pankratius in der Mittelburg ausdrücklich verschonten 18 . Diese Kapelle soll Papst Leo IX., der ein gebürtiger Graf von Egisheim war, um 1050 geweiht haben 19 . Das Wenige, das davon erhalten bleibt, ist aber aus dem 12. Jahrhundert. Nun hat man aus dem Jahre 1470 - erst vier Jahre nach der Zerstörung der Burg - folgende Mitteilung in Sebastian Brants Annalen: S. Pancratius ist gnedig zu Drien Eichen by der Mendat. Wer zu opffer gibet, dem maht er sinen win nit üßlauffen, als her Burggr. seit 20 . Daß der hl. Pancratius 1470 erst seit vier Jahren angefangen habe, sich den Winzern gnädig zu erzeigen, scheint nicht sehr wahrscheinlich. Die Wallfahrt könnte also sehr gut in der noch bewohnten Burg entstanden sein. 1505 erwähnt Wimpfeling Hohegisheim als tres arces [. . .] in quarum una divus Pancratius frequentissime colitur 21 . 1525 und 1554 wird der bruder zu den dreyen Egeßheym erwähnt 22 ; demnach war die Kapelle von einem Einsiedler gehütet. Aber in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde sie mehrmals aufgebrochen - wahrscheinlich wohnte vor Ort kein Einsiedler mehr - woraufhin das Bild des hl. Pankratius nach Herlisheim gebracht wurde 23 ; seitdem hört man nichts mehr von einer Wallfahrt. In Hagenau wurde zur Kapelle einer Burg gepilgert, die noch genutzt war, aber nicht mehr burgmäßig, deswegen wird sie erst an dieser Stelle besprochen, denn auf den Widerspruch zwischen Wallfahrt und militärische 18 [. . .] die schlosß Hochen Egenßhein [. . .] gantz ußgebrennt und zerstört, ußgeschieden sant Pancräcyen cappellen: Cartulaire de Mulhouse 2, hg. von Xavier Mossmann (Straßburg 1884) S. 453 Nr. 924. 19 Pierre-Paul Brucker , L ’ Alsace et l ’ Eglise au temps du pape St Léon IX 2 (Straßburg 1889) S. 85 Anm. 2 und W ilsdorf , Haut-Eguisheim (wie Anm. 17) S. 26 Nr. 9, zitieren Jakob Wimpfeling , Epithoma rerum Germanicarum, (Straßburg 1505), Kap. 26. Da die Erstausgabe in Straßburg fehlt, zitiere ich den Nachdruck in: Witichindi Saxonis rerum ab Henrico et Ottone I impp. gestarum libri III, una cum aliis quibusdam raris [. . .] historiis [. . .], (Basel 1532) S. 333 - 334. Ganz unwahrscheinlich ist diese späte Nachricht nicht, weil Leo IX. auch sonst für die Stiftungen seiner Familie manche Kirchweihe und Beurkundung vorgenommen hat, siehe Bischoff / Tock , Léon IX (wie Anm. 17) passim. 20 Annales de Sébastien Brant, in: Fragments des anciennes chroniques d ’ Alsace 3, hg. von Léon Dacheux (Straßburg 1892) S. 216 Nr. 3276, auch erschienen in: BMHA 15 (1892) S. 209 - 280. In der Hauptsache sind „ Brants Annalen “ Auszüge aus den (inzwischen verlorenen) Straßburger Ratsprotokollen, aber gerade hier scheint eine echte Aufzeichnung Sebastian Brants vorzuliegen. - Drien Eichen by der Mendat ist als Drei Egsen, das heißt Hohegisheim, in der Obermundat, das heißt in der bischöflichen Herrschaft Rufach, zu verstehen. Her Burggr[af von Sulzmatt] ist ein Adliger dieser Gegend. 21 Wimpfeling , Epithoma (wie Anm. 19). 22 1525: freundlicher Hinweis von Herrn Louis Schlaefli nach ABR 1G 174/ 1 Bl. 64 v. 1553 - 54: August Scherlen , Die Herren von Hattstatt und ihre Besitzungen (Colmar 1908) S. 155, mit Quellen. 23 Scherlen , Hattstatt (wie Anm. 22) S. 155. Bernhard Metz 96 <?page no="97"?> Nutzung kommt es hier an, und die Kaiserpfalz in Hagenau hatte ihre militärische Bedeutung mit dem Bau der zweiten Stadtmauer verloren, das heißt gegen Ende des 13. Jahrhunderts oder etwas später 24 . Denn seitdem lag die Burg nicht mehr wie früher selbständig außerhalb der Stadtbefestigung, sondern mitten in der Stadt. Schon 1352 hingen die Bürger die Flügel des Burgtores einfach ab 25 . Im 15. Jahrhundert findet man in der Burg nicht nur den Sitz der Reichslandvogtei im Elsaß, sondern unter anderem eine Hafnerwerkstatt und den städtischen Werkhof 26 . Obwohl die ehemalige Pfalz bis zum 17. Jahrhundert stets „ die Burg “ genannt wurde, wurde also an ihre militärische Nutzung längst nicht mehr gedacht. Insofern störten Pilger hier ebensowenig wie in einer abgegangenen Burg. Die Pfalz hatte eine Doppelkapelle, unten dem hl. Johannes Evangelist, oben dem hl. Johannes Baptist geweiht. Darüber gab es noch die sogenannte Dreskammer, in welcher in der Stauferzeit die Reichskleinodien gelegentlich aufbewahrt wurden 27 . In der oberen Kapelle gab es eine Wallfahrt zum hl. Johannes dem Täufer, denn ein Inventar des frühen 16. Jahrhunderts sagt dazu: man stosset durch den fronaltar junge kinde in sant Johanns enthaubtunge ere in einem ledel, so darzu gemacht ist, vor houbtwe; dieses ledel heißt in einer Rechnung von 1503 das kinderschiffelin 28 . Es ging also darum, Kleinkinder in einem wie auch immer gestalteten Behältnis unter die Altarmensa durchzuschieben, um sie von Kopfschmerzen zu heilen. Die Eltern brachten dem Heiligen Hühner, Eier, Fleisch und Wachs, was alles dem Kaplan zugute kam. Die zweite Wallfahrt hing mit dem Speer- und Kronentag zusammen, einem Fest, das 1354 auf Betreiben Karls IV. eingeführt worden war. An diesem Tag war ein Ablaß zu gewinnen in den Orten, in denen die Passionsreliquien, die zu den Reichskleinodien gehörten, aufbewahrt wor- 24 Zur Stadtbefestigung von Hagenau siehe Bernhard Metz , Hagenau als staufische Stadtgründung, in: Staufische Stadtgründungen am Oberrhein, hg. von Eugen Reinhard / Peter Rückert (Oberrheinische Studien 15, Sigmaringen 1998) S. 213 - 234, und zuletzt Richard Nilles , Haguenau, in: Archéologie des enceintes urbaines et de leurs abords en Lorraine et en Alsace (12 e - 15 e siècles), hg. von Yves Henigfeld / Amaury Masquillier (Revue archéologique de l'Est, Suppléments 26, Dijon 2008) S. 105 - 127. 25 Brief Karls IV. an die Stadt Hagenau, ed. Margarete Kühn, MGH LL Const. 10 (Hannover 1979 - 1991, ND 2001) S. 303 - 304 Nr. 396. hier: S. 304 § 4. 26 Zur Hagenauer Pfalz bzw. Burg siehe Robert Will , Le château, dit «Burg» de Haguenau, nouvelles données archéologiques et historiques, Études Haguenoviennes NF 1 (1955) S. 41 - 125, und künftig Biller/ Metz , Burgen (wie Anm. 5) 1. 27 Zur Kapelle siehe Will , Château (wie Anm. 26) S. 70 - 89, und Thomas Biller , Die Pfalzkapelle zu Hagenau: neue Überlegungen zu ihrer Rekonstruktion, Châteaux forts d ’ Alsace 10 (2009) S. 19 - 34. Im Wort Dreskammer kommt dres von Tresor. 28 Diese Quellen sind gedruckt in: Will , Château (wie Anm. 26) S. 120; siehe ebd. S. 73 Anm. 110. Burgkapellen als Wallfahrtsorte nach elsässischen Beispielen 97 <?page no="98"?> den waren; dazu gehörte eben die Pfalzkapelle von Hagenau 29 . Dort hatte sich sogar die Legende gebildet, daß die Reichsinsignien von 1153 bis 1209 ununterbrochen in Hagenau geblieben wären - was nicht stimmt, denn die staufischen Kaiser nahmen sie meist mit sich auf ihren Reisen 30 . In der Dreskammer über der oberen Kapelle zeigte man im 16. Jahrhundert noch die Kiste, in welcher diese Reliquien einst lagen 31 , und die inzwischen selbst zu einem Heiltum geworden war. 1528 schreibt Hieronymus Gebwiler, die Reichskleinodien seien 1209 auf den Trifels verbracht worden [soweit richtig], die Wallfahrt zu den Passionsreliquien habe nichtsdestominder weiter bestanden [dabei bleibt zu erweisen, daß sie schon vorher bestanden habe! ], und das Volk habe besagte Kiste lange Zeit in großer Verehrung gehalten. Man habe sich glücklich geschätzt, wenn man davon einen kleinen Span entnehmen und nach Hause tragen konnte, denn das Holz der Kiste galt als heilskräftig 32 . Bernhard Hertzog schreibt 1592, man habe sie „ für das Zanwehe gebraucht “ , und im Krankheitsfall Pilgerfahrten zur Burgkapelle gelobt. Hertzog und schon Gebwiler sprechen von dieser Wallfahrt nur im Perfekt; demnach scheint sie im 16. Jahrhundert nicht mehr bestanden zu haben. Nach Hertzog soll es im 15. Jahrhundert auch auf dem Trifels eine Wallfahrt zu den Passionsreliquien gegeben haben 33 . Ähnlich wie in Hagenau pilgerte man in Girbaden zur Kapelle einer noch bewohnten Burg, aber hier lag diese Kapelle in einem schon aufgegebenen Teil der Anlage. Denn Girbaden bestand aus vier Teilen (Abb. 1) 34 : zur Ober- und zur Unterburg des 12. Jahrhunderts kam im frühen 13. Jahrhundert „ die neue Burg, die neulich vor Girbaden errichtet wurde “ hinzu, wie sie 1226 genannt wurde 35 . Diese höchstwahrscheinlich von Friedrich II. erbaute „ neue Burg “ zerfällt wiederum in zwei Teile: das eine, mit dem Palas, 29 Will , Château (wie Anm. 26) S. 104 f. 30 Will , Château (wie Anm. 26) S. 97 - 100. 31 Z. B. ist sie 1573 dem Straßburger Johann Schenkbecher gezeigt worden (ein alter trog, dorinnen soll unser Herrn Gottes spehr und kron und ein nagel gelegen sein, ist aber durch ein Barfüsser munch gestolen worden [! ]): AMS 1AST 1655 Bl. 50 r. 32 Hieronymus Gebwiler , Epistola ad Senatum Hagenovensem, in: Gravissime sacrilegii ultiones. . . (1528), zitiert nach Will , Château (wie Anm. 26) S. 75 Anm. 123; danach Specklin (Les collectanées de Daniel Specklin, ed. Rodolphe Reuss [Straßburg 1890] S. 74 Nr. 854) und Bernhart Hertzog , Chronicon Alsatiae, Edelsasser Chronik (Straßburg 1592) Buch IX S. 148. 33 Hertzog, Chronicon (wie Anm. 32) Buch IX S. 149: bey lebzeiten [. . .] Ludwig Pfaltzgraffen [. . .] zu Veldentz [ † 1489]. 34 Biller/ Metz , Burgen (wie Anm. 5) 2 (2007) S. 206 - 224. Thomas Biller , castrum novum ante Girbaden noviter edificatum - Ein Saalbau Kaiser Friedrichs II. im Elsaß, in: Burgenbau im späten Mittelalter, hg. von Hartmut Hofrichter / Georg Ulrich Großmann (Forschungen zu Burgen und Schlössern 2, München 1996) S. 159 - 176. 35 Castrum novum ante Girbaden noviter edificatum: ABR G 2722/ 5; Druck: Acta imperii selecta 1, hg. von Johann Friedrich Böhmer (Innsbruck 1870, ND 1967) S. 279 - 280 Nr. 319. Bernhard Metz 98 <?page no="99"?> schließt an die alte Unterburg an; das andere ist eine große Vorburg, die von der Hauptburg durch einen monumentalen Graben getrennt ist. In dieser Vorburg standen nicht nur ein Bergfried und Burgmannensitze, sondern auch die Kapelle, die aber älter als die sonstigen Überreste der „ neuen Burg “ ist: ihr Chor ist noch heute zum Teil romanisch, und sie wird schon 1192 erwähnt 36 . Ob sie ursprünglich außerhalb der Burg stand, oder in einer etwa aus Holz befestigten Vorburg, bleibt zu klären. Geweiht war sie dem hl. Valentin. Abb. 1: Girbaden; links die Vorburg mit der Kapelle, der westlich die Wohnung des Einsiedlers angebaut ist. Girbaden ist wie Hohegisheim eine Burg der Grafen von Egisheim, die später in die Hände des Niederadels fiel. Zuerst kam sie 1226 an den Bischof von Straßburg, der sie aber 1395 dem Ritter Rudolf von Hohenstein verpfändete und ihm dabei erlaubte, finde er, das ùtschit an der alten burg zu Girbaden were, das der rehten bùrge schadete, daz er das mag tun abebrechen und der vördern vestin und burge zu frommen und zu nutze bringen 37 . Es ist die Vorburg - das äussere Teil der „ neuen Burg “ des 13. Jahrhunderts - die hier als „ alt “ bezeichnet wurde, sicher weil sie schon verlassen war. Der Pfandherr wurde ermächtigt, sie abzureißen, und das tat er teilweise. Die Kapelle war also schon vor 1395 außerhalb der rehten bùrge, das heißt der noch genutzten Anlage. Etwaige Pilger konnten sie erreichen, ohne die rehte burg zu betreten. Diese Pilger sind 1473 indirekt bezeugt, als Jakob von Hohenstein einen armen bruder erwähnte, [. . .] den zùche ich um Gottes willen, der dut nutz anderes dann [. . .] sant Veltin und der cappellen [zu] warten, als dann ein cappel an mym slosß lytt, do sant Veltin grösß zeichen inn dut 38 . Eben weil die 36 ABR H 1/ 8. 37 AMS AA 1426 (Konzept). 38 AMS II 22 a/ 6. Burgkapellen als Wallfahrtsorte nach elsässischen Beispielen 99 <?page no="100"?> Kapelle außerhalb der Burg war, mußte sie von einem Einsiedler gehütet werden; seine Nachfolger sind bis 1868 bezeugt 39 . Denn die Burg wurde zwar 1633 von den Schweden zerstört, aber die Kapelle 1663 restauriert und im 18. Jahrhundert vergrößert 40 - ein Beweis, daß die Wallfahrt noch lebendig war. Die Wallfahrt nach Hohbarr ist erst wirklich bezeugt, als die Burg schon aufgegeben war, obwohl sie schon für das Mittelalter postuliert wird. Hohbarr war eine Burg der Bischöfe von Straßburg über ihrer Stadt Zabern, mit einer noch erhaltenen romanischen Kapelle 41 , die ursprünglich unter dem Patrozinium des hl. Nikolaus stand. Aber 1295 wurde ihr Altar demselben hl. Nikolaus und der Dreifaltigkeit neu geweiht 42 ; bei dieser Gelegenheit, und ebenfalls 1343, und wiederum bei der Weihe der Seitenaltäre 1357 und 1397, erhielt die Kapelle jeweils Ablässe, allerdings zunächst nur am Tag ihrer Weihe, 1357 zusätzlich am Tag der Weihe eines Seitenaltars, und 1397 an fünf Tagen im Jahr, darunter am Sonntag Trinitatis 43 . Von 1360 datiert eine Inschrifttafel am Brunnenturm, die schon vor einem Jahrhundert nicht mehr ganz zu lesen war. Die Tafel besteht aus zwei Steinplatten; auf der oberen stehen die Wappen der Familie von Lichtenberg und des Bistums, auf der unteren stand eine Inschrift, die heute völlig unleserlich ist. Auf dem Rahmen, der beide Platten umschließt, ist heute noch zu lesen per dominum Johannem de Liehtenbergk episc. argent., unten erkennt man anno [Domini] MCCCLX . . . Vor einem Jahrhundert haben zwei Lokalgelehrte weiter lesen wollen: [fi]deles votum [fe]cer[e] in [f]esto Trinitatis 44 . Nun ist ein Brun- 39 Joseph Wimmer , Histoire de Grendelbruch et de la seigneurie de Girbaden (Straßburg 1967) S. 33, ohne Quellen. 40 1663: BMHA 18 (1897) S. 25*. 18. Jahrhundert: wie Anm. 39. 41 Robert Will , La chapelle castrale de Haut-Barr, in: Le château du Haut-Barr, hg. von Henri Heitz (Pays d'Alsace 107 - 108, Zabern 1979) S. 21 - 24. 42 ABR G 1358/ 1; Druck: Léon Bachmeyer , Die Hohbarrer Kapelle, Journal de Saverne Nr. 19 (12. Feb. 1927) (in der Straßburger Universitätsbibliothek: M 40 145); Regesten der Bischöfe von Straßburg 2, bearb. von Alfred Hessel / Manfred Krebs (Innsbruck 1928) Nr. 2361. 43 ABR G 1736 Nr. 5 (1343), 6 (1355), 7 (1357), 8 (1397). 44 Im 18. Jahrhundert überliefert Grandidier nur den Text der Rahmung, der noch heute lesbar ist ( Œ uvres historiques inédites de Philippe André Grandidier 2, hg. von Joseph Liblin [Colmar 1865] S. 459 Anm. 3), desgl. im 19. Jahrhundert Dagobert Fischer , Das Bergschloß Hohbarr (Zabern 1874) S. 5. Im 20. Jahrhundert wird die Inschrift wie oben zitiert in: Dagobert Fischer , Notice historique sur le château de Haut-Barr (Zabern 1871, 2. von Léon Bachmeyer überarbeitete Aufl. 1927) S. 11, aber Alfons Adam , Das bischöfliche Schloß Hohbarr, BMHA 23 (1911) S. 1 - 124, hier: S. 12, las [fi]deles votum [persolveru]nt [. . .]. Daß Bachmeyer und Adam dafür mindestens Anhaltspunkte hatten, zeigt eine Zeichnung von Audiguier (1884), auf welcher der Text der unteren Steinplatte teilweise noch zu lesen ist (abgebildet in: Haut-Barr, hg. von Heitz (wie Anm. 41) Tafel XV, Abb. 95). Übrigens sitzt die Tafel sauber im Verband des Brunnenturms, und die Mauern der Kapelle tragen keine Spur ihrer etwaigen Entfernung. Bernhard Metz 100 <?page no="101"?> nenturm kaum der rechte Ort, um ein Gelübde des Christenvolks zu verewigen; deswegen hat man vermutet - allerdings rein spekulativ - daß die Inschrift von der Kapelle komme. Das Gelübde am Sonntag Trinitatis hat man in Beziehung zur Dreifaltigkeit als zweitem Patron der Kapelle gesetzt - was ziemlich gewagt ist, denn in allen Quellen bis zum Ende des 14. Jahrhunderts ist nur von der Nikolauskapelle die Rede, und ihr Weihetag war im September 45 . Ohnehin kann es sich bei diesem Gelübde bestenfalls um eine Prozession gehandelt haben, womit noch keine Wallfahrt erwiesen wäre. Erst in einem Visitationsprotokoll von 1758 ist diese belegt, durch die Nennung von Opfern und von „ Heiligenbildchen u. Ä., die man auf die Altartafel geheftet hat “ 46 . Aber damals war die Burg schon Ruine, denn sie wurde 1648 zerstört, mit Ausnahme eben der Kapelle. Der 1670 als Burgmeier belegte Urban Widmer wird nach seinem Tod „ weiland Einsiedler auf Hohbarr “ genannt 47 , was zu zeigen scheint, daß er auch die Kapelle zu hüten hatte. Nur kursorisch sollen weitere Wallfahrten zu Burgkapellen erwähnt werden, die erst lange Zeit, nachdem die betreffende Burg aufgegeben wurde, bezeugt sind: Dürrenstein, südöstlich von Saarburg, entstand spätestens im 12. Jahrhundert. Die Burg war vermutlich schon verlassen, als der Graf von Leiningen-Dagsburg sie 1269 den Stiftsherren von Obersteigen schenkte, die dort ein kleines Priorat einrichteten 48 . Dieses wiederum war schon eingegangen, als 1488 Papst Innozenz VIII. den Kaplan der Michaelskapelle in Dürrenstein und die weiteren Ordens- und Weltpriester ibidem existentes ermächtigte, die Beichte der Gläubigen anzuhören, die am St. Marxtag pro consequentibus indulgentiis zuströmten 49 . Welche Bewandnis es mit diesen Ablässen hat, und warum sie ausgerechnet am St. Marxtag zu gewinnen waren, ist unklar; vermutlich war es der Weihetag. Die Burg über Kinzheim bei Schlettstadt wurde im 13. Jahrhundert gebaut. Zuletzt gehörte sie der Stadt Schlettstadt. Sie wurde im Dreißig- 45 Capella S. Nicolai in den in Anm. 43 zitierten Quellen. Weihetag am Sonntag nach Kreuzerhöhung: siehe Anm. 42. 46 Die Kapelle soll repariert werden „ avec le produit des offrandes qui s'y font “ - „ petites images et papiers qui chargent et entourent les grands tableaux des autels “ : Fischer/ Bachmeyer, Notice historique (wie Anm. 44) S. 40 f. Vom Mobiliar der Burg gibt es seit dem 16. Jahrhundert zahlreiche Inventare; darin werden 1526 erwähnt ein silberin prußtbild S. Wolffgangs [. . .] 5 brieff in eim kistlin uff dem altar (die in Anm. 42 - 43 zitierten Ablassbriefe): Elsässische Altertümer in Burg und Haus, in Kloster und Kirche: Inventare vom Ausgang des Mittelalters bis zum 30jährigen Kriege aus Stadt und Bistum Straßburg 1, 2, hg. von Edmund Ungerer (Straßburg 1913) S. 37 f. 1620 wird ein heilthumb taffel erwähnt (ebd. S. 68); aber das belegt noch keine Wallfahrt. 47 Quondam eremita in Hohebahr 1694: Fischer/ Bachmeyer (wie Anm. 44) S. 29. 1670: Adam , Hohbarr (wie Anm. 44) S. 107. 48 Zu Dürrenstein siehe Metz , Quatre châteaux (wie Anm. 17) S. 118 - 121. 49 ABR G 5703/ 1. Burgkapellen als Wallfahrtsorte nach elsässischen Beispielen 101 <?page no="102"?> jährigen Krieg zerstört, aber die Burgkapelle St. Jakob wurde weiter genutzt 50 . Als Wallfahrtsziel ist sie erst vom 18. bis zum 20. Jahrhundert bezeugt. Im 18. Jahrhundert wurde sie von einem Einsiedler gehütet 51 . In Brunn, im elsässischen Jura, zwischen Lutter und Rädersdorf, lag ein Dinghof des Basler Domstifts, mit einer Burg, die im 15. Jahrhundert bezeugt ist, und einer Marienkapelle, die im späten 16. Jahrhundert als Wallfahrtsort erwähnt wird 52 . Damals aber waren Burg und Hof schon abgegangen, und nach einem Plan von 1698 war die Kapelle knapp außerhalb der Umwallung 53 . Daneben ist auf diesem Plan ein Bruderhaus zu sehen, das schon um 1600 bezeugt ist 54 . III. Soweit die Hinweise auf Wallfahrten zu elsässischen Burgkapellen, aber wie sind sie zu deuten? Bedenkt man, daß die Wallfahrt nach Altkirch nicht über alle Zweifel erhaben ist, bleiben nur zwei ganz sichere Fälle, Bilstein und Ulrichsburg, wobei Bilstein wohl nur von kurzer Dauer war. Doch sollte man nicht vergessen, daß die kleinen Wallfahrten des Spätmittelalters, gleich ob zu einer Burg oder zu sonstigen Kapellen, meist außerordentlich schlecht bezeugt sind. In vielen Fällen hat man von ihnen nur eine einzige mittelalterliche Erwähnung, so daß nur neuzeitlichen Nennungen erweisen können, daß diese Wallfahrt von Dauer war - denn es gibt ja auch kurzlebige, wofür Elisabeth Clementz in diesem Band Beispiele anführt. Bedenkt man weiter, von wievielen Zufällen es abhängt, daß diese einzige mittelalterliche Nennung überhaupt niedergeschrieben wurde, daß sie bis heute erhalten ist, 50 Zur Geschichte der Burg siehe Biller/ Metz, Burgen (wie Anm. 5) 3 (1995) S. 166. 1752 werden 103 ½ lb. um Öl für die Lampe der Burgkapelle in Rechnung gestellt: AHR 1B 532/ 1. 51 Das Repertorium von AHR 1B 941/ 104 erwähnt im Register den Einsiedler Franz Kipfert um 1740, aber unter dieser Signatur war er nicht zu finden, es muß ein Druckfehler vorliegen. Auch 1765 soll ein Einsiedler die frühere Burg bewohnt haben (Annuaire du Bas-Rhin [1852] S. 19, nach Johann Andreas Silbermann, ohne nähere Angabe; in seinen gedruckten Werken habe ich diese Nennung nicht gefunden, und seine nachgelassenen Schriften sind 1870 verbrannt). Pilgergottesdienste „ vor Zeiten “ am Jakobstag und eine bis 1965 vorhandene Votivtafel erwähnt die Tageszeitung Le Nouvel Alsacien, 27. April 1965. 52 Die Wallfahrt wird zum Jahr 1575 in einem undatierten Bericht erwähnt (nach 1684: AHR 1G 50/ 31) und im Pfirter Urbar (um 1600; oft fälschlich 1567 bzw. 1592 datiert: AHR 1E 15/ 7, Bl. 533 und 549; der einschlägige Passus ist abgedruckt in: Christian Adolf Müller , Der Solothurner Johann Baptist von Staal als Obervogt der Herrschaft Pfirt 1664 - 1673, Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 49 [1950] S. 98 - 153, hier: S. 126 Anm. 72). 53 AHR 1G 50/ 8. 54 Im Pfirter Urbar (wie Anm. 52). Bernhard Metz 102 <?page no="103"?> und daß die Forschung sie entdeckt hat, kann man sich leicht vorstellen, wieviele weitere Nahwallfahrten es gegeben haben muß, die uns (noch) nicht bekannt sind - besonders in später evangelisch gewordenen Herrschaften. Das gilt auch für die Wallfahrten zu Burgkapellen; und deswegen ist es nicht abwegig, auch diejenigen zu berücksichtigen, die erst bekannt wurden, nachdem die Burg schon aufgegeben war - und davon gibt es im Elsaß mindestens acht. Selbstverständlich kann man nicht behaupten, daß alle schon bestanden, als die Burg noch bewohnt bzw. noch als Befestigung genutzt wurde. Aber zum Teil darf man schon mit dieser Möglichkeit rechnen. Und in diesem Fall ist die Wallfahrt zu einer Burgkapelle keine einmalige Bizarrerie, sondern eine Erscheinung, die man erklären muß. Von der Tatsache ausgehend, daß eine erfolgreiche Wallfahrt Geld einbringt, und daß ein Teil davon immer bei der Herrschaft hängen bleibt, wäre man versucht, zu vermuten, daß einzelne Herren den Versuch gemacht haben, ihre Burg mit Hilfe einer Wallfahrt zu rentabilisieren. Abwegig wäre es deswegen nicht, weil man eine andere, noch gefährlichere Methode kennt, mit denen Herren tatsächlich versucht haben, aus ihren Burgen Geld zu schlagen. Es ist der sogenannte Enthalt (entheltnis), der darauf hinaus lief, daß man eine Burg um ca. 10 bis 100 Gulden jemandem öffnete, der sie für einen Krieg brauchte. Das wird in Hunderten von Burgfrieden des 14. und 15. Jahrhunderts vorgesehen 55 , und in mehr als einem Fall hat es zur Zerstörung der Burg geführt. Aber dieser Enthalt fand in aller Regel in Burgen des Niederadels statt. Gepilgert wurde dagegen zu Burgen des Hochadels. Die Herren von Rappoltstein auf der Ulrichsburg waren die mächtigsten Herren des Oberelsaß nach den Habsburgern; sie, der Graf von Württemberg auf Bilstein, die Habsburger in Altkirch, das Reich in Hagenau, der Bischof von Straßburg auf Hohbarr - das waren lauter Herrschaften, die es nicht nötig hatten, die Sicherheit ihrer Burgen um ein paar Gulden zu gefährden. Es gibt übrigens einen einfachen Grund, warum nicht zu Burgen des Niederadels gepilgert wurde. Erstens besaß die Mehrheit der Burgen gar keine Kapelle, und zweitens waren die Burgkapellen mehrheitlich keine selbständigen Gebäude. In einer Ministerialenburg wie Landsberg, ja sogar in der Grafenburg Bernstein, war die Kapelle in dem Wohnbau integriert und nur vom Saal aus zu betreten 56 . So gelegen, war sie für Pilger nicht erreichbar. 55 Volker Rödel , Die Burg als Gemeinschaft - Burgmannen und Ganerben, in: Zur Sozial- und Kulturgeschichte der mittelalterlichen Burg, hg. von Lukas Clemens / Sigrid Schmitt (Interdisziplinärer Dialog zwischen Archäologie und Geschichte 1, Trier 2009) S. 111 - 139, hier: S. 119 - 121; für das Elsaß Francis Rapp , Recherches sur les châteaux forts alsaciens (Straßburg 1968) S. 36 - 37, und Nicolas Mengus , Les paix castrales (Burgfrieden) dans les villes et châteaux alsaciens au Moyen Age, Revue d ’ Alsace 118 (1992) S. 11 - 21, hier: S. 14 f. 56 Zu Landsberg siehe Biller/ Metz, Burgen (wie Anm. 5) 2 (2007) S. 304 - 307, zu Bernstein ebd. S. 186 - 189, jeweils mit Grundrissen. Burgkapellen als Wallfahrtsorte nach elsässischen Beispielen 103 <?page no="104"?> Die Kapellen, die direkt vom Burghof aus zugänglich sind, sind eine Minderheit, und man findet sie eben nur in den größten Burgen. Wo übrigens die Kapellen der Burgen Bilstein und Altkirch lagen, und wie ihr Zugang aussah, ist völlig unbekannt. Jedenfalls muß man für die Wallfahrten zu Burgkapellen eine andere Erklärung finden als die Geldgier. Vielleicht sind zwei Möglichkeiten zu unterscheiden: Erstens gab es Herren, die sich regelrecht bemühten, die Pilger anzuziehen. Herzogin Johanna erwarb 1347 von 18 Bischöfen je 40 Tage Ablaß, die man an schätzungsweise 120 Tage pro Jahr gewinnen konnte. Das war mit den zweimal vierzig Tagen Ablaß, die man in Hohbarr an einem Tag im Jahr erlangen konnte, nicht vergleichbar. In Hohbarr gab es gleichsam jährlich einen Tag der offenen Türe, während die Burg Altkirch jeden dritten Tag offen war, oder zumindest offen sein sollte. Ähnlich besorgte sich der Herr von Rappoltstein 1435 zwar nur vierzig Tage Ablaß, die man aber an rund hundert Tagen im Jahr gewinnen konnte. Hier wäre auch der Abt von Murbach zu erwähnen, der 1313 die Kapelle seiner Burg Hugstein weihen ließ und ihr 140 Tage Ablaß erwarb, die eine Woche pro Jahr zu erlangen waren 57 . In diesen drei Fällen wurde das Volk regelrecht in die Burgkapelle gelockt - mit unterschiedlichem Erfolg, zumindest anscheinend: in der Ulrichsburg ist eine Wallfahrt gut bezeugt, in Altkirch ist es nur der Ablaßbrief, der darauf anspielt, und in Hugstein kennt man überhaupt keinen Hinweis auf Pilger. Was aber zählt ist die Absicht: was motivierte die Burgherren? Der Herzogin Johanna legt der Ablaßbrief den Wunsch in den Mund, daß die Pilger für sie beten mögen. Das könnte auch der Grund sein, warum die Wallfahrt später nicht bezeugt ist: den Nachfahren der Herzögin war wohl die Sicherheit ihrer Burg wichtiger als das Gebet für ihre Ahnfrau. Und den Burgvögten bzw. den Pfandherren von Altkirch erst recht 58 - und sie waren es, die Tag für Tag darüber entschieden, ob das Burgtor für etwaige Besucher der Kapelle geöffnet wurde oder nicht. Im Fall von Ulrichsburg und Hugstein kann man nur vermuten, daß die Burgherren einen Prestigegewinn darin sahen, wenn die Kapelle ihrer Burg die Pilger anzog. „ In meinem Haus ist der hl. Ulrich gnädig “ - so etwas kann nicht jeder sagen! Aber in Bilstein war die Mutter Gottes gnädig, und der Graf von Württemberg wollte das nicht haben. Freilich war Bilstein nicht seine Stammburg, wie Ulrichsburg die der Rappoltsteiner, und auch nicht seine Residenzburg, wie Hugstein die der Äbte von Murbach. Er hat wohl nie dort gewohnt. Anders als in Rappoltstein muß man annehmen, daß die Bilsteiner 57 Annales Murbacenses, ed. Theodor von Liebenau, Anzeiger für schweizerische Geschichte NF 4 (1882/ 85) S. 175. 58 Erste belegte Verpfändung von Altkirch schon 1355: AMS Urk. 1455; Reg.: Die Urkunden und Akten der oberdeutschen Städtebünde II/ 1, hg. von Konrad Ruser (Göttingen 1988) S. 213 f. Nr. 169 f. Bernhard Metz 104 <?page no="105"?> Wallfahrt spontan aus einem oder mehreren Wundern entstanden ist. Wie leicht im Mittelalter Wunder geschehen und Wallfahrten entstehen konnten, ist bekannt, und Elisabeth Clementz nennt dafür in diesem Band elsässische Beispiele. Jedenfalls muß man, neben den von den Burgherren angestifteten oder begünstigten Wallfahrten, auch mit spontan entstandenen rechnen. Aber eine spontane Entstehung ist schwer nachzuweisen, denn auch wenn keine Initiative des Burgherren bezeugt ist, heißt es noch nicht gleich, daß sie ohne sein Wissen stattgefunden hat. Dementsprechend gibt es außer Bilstein keine Wallfahrt zu einer Burgkapelle, von der man guten Gewissens behaupten könnte, daß sie spontan entstanden sei. Aber mit dieser Möglichkeit muß man rechnen, und diese spontanen Wallfahrten wären eben die Alternative zu den aus Prestigegründen begünstigten. Was tut nun ein Herr, wenn spontan eine Wallfahrt zur Kapelle seiner Burg entsteht, oder zu entstehen droht? Ist er auf Sicherheit bedacht, so ist es ihm leicht, diese Wallfahrt zu unterbinden: er braucht nur sein Tor geschlossen zu halten. Läßt er aus irgendeinem Grund die Wallfahrt lieber zu, so haben er und seine Nachfolger jeder Zeit die Möglichkeit, das Ruder herumzureißen - sie brauchen eben nur ihr Tor nicht mehr zu öffnen. Und wenn sie das lange genug tun, werden die Pilger wohl endgültig ausbleiben. Deswegen waren Wallfahrten zu Burgkapellen in ihrem Fortbestand besonders gefährdet, und vermutlich waren sie oft kurzlebig. Auch das ist ein Grund, anzunehmen, daß es mehr davon gegeben hat, als wir nachweisen können. Vom Standpunkt der Burgenforschung bestätigen diese Wallfahrten, daß nicht alle Burgherren die Sicherheit zu ihrer obersten Priorität gemacht haben 59 . Man betont oft, daß es den homo oeconomicus nicht gibt, der alle seine Entscheidungen nach rationalen wirtschaftlichen Erwägungen treffen würde. Aber ebensowenig existierte der homo militaris, der sein ganzes Tun und Lassen nach Sicherheitsprinzipien gerichtet hätte. 59 Das erinnert an Lichtenberg - einer Burg der Nordvogesen, mit einem gleichnamigen Burgweiler, der zwar 1305 mit den Freiheiten der Stadt Hagenau bewidmet wurde, aber trotzdem klein blieb, und der keine Kirche hatte. Die Einwohner hatten ihren Kirchgang zur Burgkapelle, denn ihre Pfarrkirche war weit entfernt (nämlich in Wimmenau bzw. gar in Ingweiler: ABR G 5400/ 8, 1394). Erst 1522 - drei Jahre vor dem Bauernkrieg - fand einer der beiden Burgherren, daß das für die Sicherheit der Burg bedenklich war, und schlug dem andern vor, lieber eine Kirche im Flecken zu erbauen (Johann Georg Lehmann , Urkundliche Geschichte der Grafschaft Hanau- Lichtenberg 2 [Mannheim 1863] S. 449) - was offenbar doch unterblieb, denn die Kirche ist erst in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts bezeugt (Jean Michel Rudrauf , Lichtenberg, un château, un stettl, un village et ses habitants [Drulingen 2006] S. 53 - 58). Hier ist der Beweis erbracht, daß es Herren gab, die keine Bedenken trugen, ihre Burg ihren Untertanen zu öffnen, anders als die eingangs (Anm. 4) zitierten Burgherren von Walf, Hochfelden und Wasselnheim. Burgkapellen als Wallfahrtsorte nach elsässischen Beispielen 105 <?page no="106"?> Bruche Zorn Andlau Moder Sauer Ill Weiss Fecht Thur Doller Largue Ill Rhein Rhein Lauter Murg Kinzig Rench Dreisam Elz Lauch Giesen Leber Burgkapellen als Wallfahrtsorte © B. METZ / 2009 Echelle 0 10 20 km Girbaden Weyersheim Ulrichsburg Kinzheim Bilstein Hohegisheim STRAßBURG Hohbarr Hagenau Altkirch Dürrenstein Brunn Reichenweier Saarburg MÜHLHAUSEN BASEL COLMAR Karte der im Text erwähnten Burgen (Entwurf: B. Metz; Zeichnung: J. M. Holderbach). Bernhard Metz 106 <?page no="107"?> Zum Schluß seien die Merkmale rekapituliert, die auf eine Wallfahrt zu einer Burgkapelle hinweisen können, wenn man nicht das Glück hat, sie ausdrücklich erwähnt zu finden - durch Votivgaben, wie in Ulrichsburg, oder durch ein Gnadenbild, wie in Bilstein. Der beste Hinweis sind die Ablaßbriefe. Man findet sie für mindestens sieben elsässische Burgen, darunter für eine schon verlassene. Freilich ist ein Ablaßbrief noch kein Beweis für eine Wallfahrt: er belegt nur, daß der Burgherr zum Zeitpunkt, als er den Ablaß erwarb, die Absicht hatte, die Leute in seine Kapelle zu locken. Wie lange diese Absicht noch bestand, und wieviel Erfolg sie hatte, ist eine andere Frage. Zu beachten sind auch die Burgkapellen, die von einem Einsiedler bzw. Waldbruder gehütet werden, wie es im Elsaß mindestens sechsmal der Fall ist. Da dieser Bruder mindestens teilweise von den Almosen der Besucher lebt, kann er sich nur halten, wenn die Kapelle stark besucht wird. Allerdings ist ein Einsiedler nur in einer schon verlassenen Burg zu erwarten, denn sonst braucht ihre Kapelle nicht besonders gehütet zu werden. Und schließlich hat es etwas zu bedeuten, wenn der Name der Burg durch den Namen des Heiligen ihrer Kapelle verdrängt wird, wenn etwa Rappoltstein zur Ulrichsburg wird oder Girbaden zum St. Veltinsberg, Hohbarr zum Dreifaltigkeitsberg, oder Hohegisheim zum Pancracyberg. Wer solchen Hinweisen nachgeht, wird sicher auch in anderen Landschaften fündig 60 . Resumen: Las peregrinaciones a las capillas de castillos son paradójicas porque presuponen que lugares que deberían estar bien protegidos iban a abrirse para desconocidos. Sin embargo en Alsacia (pero no soló allí) hay ejemplos de esto: 1. En castillos todavía habitados: en Bilstein cerca de Altweiler una imagen de Maria obró milagros, pero a más tardar en el año 1337 el conde de Wurtemberg ordenó que se llevara la imagen a Reichenweiler. En el año 1347 en Altkirch la condesa de Austria obtuvo la indulgencia para todos los que fueran a visitar la capilla del castillo causa devotionis [. . .] seu peregrationis. En el primer caso se puede ver una peregrinación esporádica y en el segundo caso una peregrinación dirigida. En cambio, la carta de indulgencia de 1435 causó probablemente una peregrinación duradera a la capilla del Santo Ulrich en Rappoltstein, porque en el siglo XVI pendían allí numerosas ofrendas votivas. 2. En castillos ya abandonados: ya cuatro años después de la destrucción de Hohegisheim del año 1466 se peregrinó a la Pankratiuskapelle, así la peregrinación se inició quizás en el castillo todavía habitado. En Hagenau la gente peregrinaba, probablemente en el siglo XV, a la capilla del palacio imperial antiguo. El palacio imperial era todavía utilizado, pero ya no como fortaleza. La capilla del Santo Valentin de Girbaden estaba en la parte externa del castillo, que (a diferencia del castillo principal) ya se encontraba abandonada cuando se convirtió en destino de peregrinación, documentado desde el 60 Eine einzige Burgenwanderung im unteren Inntal führte mich neulich zu zwei Burgen, zu denen gepilgert wird: Fr(e)undsberg bei Schwaz und Mariastein. Freilich scheint in beiden Fällen die Wallfahrt erst in der Neuzeit bezeugt, im ersten steht die 1637 geweihte Kapelle an der Stelle des mittelalterlichen Wohnbaues. Burgkapellen als Wallfahrtsorte nach elsässischen Beispielen 107 <?page no="108"?> 1473. Las peregrinaciones a las capillas en Hohbarr, Dürrenstein, Kinzheim y Brunn están documentadas por primera vez cuándo ya hacía tiempo que habían sido abandonadas. Por eso, el caso de Rappoltstein es el único donde la gente peregrinaba sin duda a un castillo que todavía se utilizaba como fortaleza, pero quizás sea esto sólo la punta del iceberg, porque en general las peregrinaciones a pequeña escala están escasamente documentadas y peor documentadas están las peregrinaciones a capillas de castillos documentadas que las, porque probablemente éstas eran a menudo esporádicas: El señor del castillo sólo tenía que cerrar sus puertas para impedir las peregrinaciones a su castillo y la preocupación por la seguridad de su castillo podía ser un motivo plausible para cerrarlas. Así pues queda abierta la cuestión sobre el motivo de aparición de estas peregrinaciones en las capillas de los castillos. Quizás haya que diferenciar entre las peregrinaciones que aparecieron de manera espontánea (por ejemplo en Bilstein) y las peregrinaciones que estaban buscadas por el señor del castillo al obtener así una indulgencia interesante para su castillo (Altkirch, Rappoltstein). Con esto demostraba que la seguridad de su castillo no era lo más importante para él. Entonces ¿ Cuál era la causa? Probablemente no eran las ganancias que se podían esperar de la peregrinación, porque los castillos con capillas a las cuales peregrinaba la gente, eran exclusivamente posesiones de señores de castillos que tenían los suficientes medios como para no tener que depender de esto.Pero a lo mejor lo que esperaban alcanzar de las peregrinaciones era un aumento de prestigio. Bernhard Metz 108 <?page no="109"?> Die Nahwallfahrten im elsässischen Teil der Diözese Basel im Mittelalter Elisabeth Clementz 1973 hat Francis Rapp die Vermehrung der Wallfahrten im 14. und 15. Jahrhundert am Beispiel der Diözese Straßburg auf breiter Quellenbasis dargestellt 1 . Diese Arbeit hat nur einen Nachteil: Sie läßt das Oberelsaß außer Acht, weil es vor dem 19. Jahrhundert eben nicht zur Straßburger, sondern zur Basler Diözese gehörte. Die Tagung der St. Jakobus-Gesellschaft im Elsaß soll Anlaß sein, diese Lücke zu schließen 2 und beide Hälften des Elsaß miteinander zu vergleichen. 1 AAEB: Archives de l ’ Ancien Evêché de Bâle ADBR: Archives départementales du Bas-Rhin ADHR: Archives départementales du Haut-Rhin AEA: Archives de l ’ Eglise d ’ Alsace Bernhard Metz danke ich auch diesmal für zweckdienliche Hinweise und für Hilfe bei der Übersetzung. Francis Rapp , Les pèlerinages dans la vie religieuse de l ’ Occident médiéval aux 14 e et 15 e siècles, in: Les pèlerinages de l ’ antiquité biblique et classique à l ’ Occident médiéval, hg. von Freddy Raphael (Études d'histoire des religions 1, Paris 1973) S. 117 - 160; der zweite Teil des Aufsatzes trägt den Titel „ Les pèlerinages multipliés, l ’ exemple du diocèse de Strasbourg “ . 2 Ausgangspunkt dieser Arbeit sind unvermeidlich die beiden Büchlein von Joseph Levy , Die Wallfahrten der Heiligen im Elsaß (Schlettstadt 1926) und Die Wallfahrten der Mutter Gottes im Elsass (Colmar 1929), in denen aber das Mittelalter zu kurz kommt; außerdem zitiert der Verfasser nur selten seine Quellen und zeigt viel zu wenig kritischen Sinn. Marie-Thérèse Fischer, P èlerinages et piété populaire en Alsace des Mérovingiens à nos jours, de Lauterbourg à Lucelle (Straßburg 2003) geht gerade für das Mittelalter wenig über Levy hinaus. Wesentlich brauchbarer ist die Magisterarbeit von Christine Drouot , Recherches sur les pèlerinages alsaciens à la fin du Moyen Age (Paris IV-Sorbonne 1977), die freilich ebenfalls - beim Umfang ihres Themas verständlich - mehr auf Literatur als auf Quellen basiert. Unerläßlich ist Medard Barth , Handbuch der elsässischen Kirchen (Archives de l ’ Église d ’ Alsace 27 - 29, Straßburg 1960 - 63), der aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. <?page no="110"?> 1. Methodische Vorbemerkungen Zuerst aber soll auf einige methodische Schwierigkeiten des Themas hingewiesen werden. Die lokalen Wallfahrten sind nämlich, im Unterschied zu den großen, oft schwer zu fassen - jedenfalls für das Mittelalter: Oft sind sie erst in der Neuzeit gut bezeugt, wobei behauptet wird, sie bestünden schon seit mehreren Jahrhunderten. Will man diese Behauptung prüfen, findet man oft nur dürftige oder wenig überzeugende Quellen, die einem die Frage aufzwingen: Was ist im Grunde eine Wallfahrt, und woran erkennt man sie? Eben diese Frage hat sich Catherine Vincent in ihrem Forschungsprojekt über die christlichen Wallfahrtsorte in Frankreich gestellt 3 . Sie nennt als erstes Merkmal ein Objekt, auf welches sich die Devotion richtet: Ein Grab, eine Reliquie, ein Bild; da aber jede Kirche Reliquien und Bilder besitzt, genügt das als Beweis nicht. Dazu müssen Wunder Erwähnung finden; das sei das sicherste Merkmal, leider kommt es ziemlich selten in den Quellen vor. Daher ist ergänzend dem concursus populi ein Platz einzuräumen, dem andauernden Besuch eines Kultortes durch das Kirchenvolk. Aus oberelsässischer Sicht kann man bestätigen, daß es nicht so viele Orte gibt, aus denen von Wundern berichtet wird. Nur für sieben Wallfahrten hat sich ein Mirakelbuch erhalten (s. u.). Ergänzend sind die Orte in Rechnung zu bringen, von welchen es heißt, dort sei ein Heiliger gnädig, auch wenn die Gnaden, die er gewährt, nicht explizit als Wunder bezeichnet werden. So heißt es 1366, der hl. Antonius sei in Isenheim gnädig 4 , und tatsächlich wird die dortige Wallfahrt etwas später in Quellen bestätigt: Zu Beginn des 15. Jahrhunderts ist die Rede von Pilgern, die auf dem Weg nach Einsiedeln in Isenheim Station machen 5 , und 1420 ist ein Opferstock im Chor der Kirche erwähnt 6 . Jedoch bleiben viele Fälle, in denen die Wallfahrt nur durch den concursus populi nachzuweisen ist. Nur ist dieser selten direkt bezeugt 7 . Es gilt also, indirekte Belege dafür zu finden, aber nicht alle sind gleich beweiskräftig. Catherine Vincent nennt als Beispiele Testamente, in welchen eine Pilgerfahrt bestellt wird (Horburg 8 , Uffholz s. u.) und Opfer, die die Pilger dem Heiligen 3 Catherine Vincent , Présentation du projet d ’ inventaire des sanctuaires et lieux de pèlerinage chrétiens en France, Comptes-rendus des séances de l ’ Académie des Inscriptions et Belles-Lettres 149, 2 (2005) S. 859 - 874. 4 ADHR 36H 51/ 5. 5 ADHR 36H 43 b/ 7. 6 Ebd. 7 Eine Ausnahme bilden die Colmarer Annalen, ed. Philipp Jaffé (MGH SS 17, Hannover 1859 ND 1990) S. 202 - 232. Ihr Autor, ein Dominikaner der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, erwähnt den concursus etwa in „ St. Egidius im Lebertal “ (S. 206 Z. 43) - wohl doch Saint-Gilles im vorderen Weilertal - im Martinsmünster von Colmar (S. 206 Z. 45 f.) und in Horburg (S. 226 Z. 32), aber nie als etwas Dauerhaftes. 8 Stadtarchiv Colmar BB 43 S. 192 - 194. Elisabeth Clementz 110 <?page no="111"?> darbringen. Ebenso hoch zu werten sind Pilgerzeichen oder Wallfahrtsbilder. Leider sind sie selten: Pilgerzeichen von Thann und Rufach - zwei internationale Wallfahrten - sind erhalten, und für Dusenbach sind sie in Rechnungen erwähnt 9 . Wallfahrtsbilder gibt es von Rufach, Biesheim und Drei- Ähren 10 . Wo solche eindeutige Belege fehlen, muß man nach anderen Hinweisen suchen, als da sind Prozessionen, Jahrmärkte, Bruderschaften, Ablässe. Das alles findet man an Wallfahrtsorten, aber nicht nur dort. Feste Beweise sind es also nicht, und nur wenn mehrere solcher Indizien gebündelt vorkommen, gewinnen sie eine gewisse Überzeugungskraft, wenn auch nur eine beschränkte. So im Fall von St. Gangolf bei Lautenbach: Hier sind Wunder bezeugt, aber erst in der Neuzeit 11 ; andererseits wurde die Kapelle schon 1446 erbaut. Die Wandgemälde, leider sehr restauriert, sind aus dem frühen 16. Jahrhundert, und ihr Vorhandensein setzt Geldmittel voraus, deren wahrscheinlichste Quelle die Opfer der Pilger sind. Auf der Grundlage solcher Belege und Indizien wurde versucht, die spätmittelalterlichen Lokalwallfahrten des Oberelsaß zu kartieren; dabei müssen die unsicheren Fälle wie St. Gangolf von den sicheren unterschieden werden (was hier mit vollen und leeren Zeichen geschieht). Allerdings ist gerade bei den nur dürftig bezeugten Wallfahrten die Unterscheidung zwischen sicher und unsicher notgedrungen etwas subjektiv. Demnach ist unsere Karte (Karte 2) nur als eine provisorische Arbeitsgrundlage anzusehen. Zur Beurteilung des Einzelfalls sei auf die beigefügten Regesten verwiesen. Mit späteren Ergänzungen und Neubewertungen ist zu rechnen. 2. Die Anfänge der oberelsässischen Wallfahrten Was die Anfänge dieser Wallfahrten anbelangt, steht man meist vor einem Sagengespinst, mit welchem kein Historiker sich zufrieden geben kann. Zum Beispiel schreibt Pfarrer Levy zum Ursprung der Marienwallfahrt von Blotzheim: Tiefes Dunkel umhüllt die Entstehung der Wallfahrt. Nach 9 Für Thann: René Biéry , Les enseignes de pèlerinage de St. Thiébaut, Annuaire de la Société d ’ Histoire des régions de Thann-Guebwiller 1 (1948 - 1950) S. 15 - 18. Für Rufach siehe die noch unveröffentliche Arbeit von Pierre-Paul Faust , Le prieuré Saint-Valentin de Rouffach (im Druck). Für Dusenbach: ADHR E 2722 V, 1484, Ausgaben zum Bau, Bl. 15 r: 1 gulden geben umb ein form zu Unser Frowen zeichen im Thussenbach. 10 ½ ß geben dem munch her Diebolt vir bli, Unser Frowen zeychen zu giessen, und vir sin arbeit. 10 Joseph Clauss , Unbekannte elsässische und badische Wallfahrtsbilder des 16. und 17. Jahrhunderts, Studien zur deutschen Kunstgeschichte 300 (1934) S. 53 - 60, hier: S. 53 (Drei-Ähren) und S. 55 (Biesheim). Rufach: Paul Heitz, P estblätter des 15. Jahrhunderts (Straßburg 1901) Nr. 37. 11 Medard Barth , Heiligenkulte im Elsaß, AEA 19 (1949 - 1950) S. 33 - 70, hier: S. 37. Die Nahwallfahrten im elsässischen Teil der Diözese Basel 111 <?page no="112"?> den einen soll die Mutter Gottes hier einem Schäfermädchen erschienen sein und den Bau einer Kirche verlangt haben; anderen zufolge hätten spielende Kinder dort einen himmlischen Gesang gehört. Nach einer dritten Legende sollen zwei Holzhauer beim Fällen von Bäumen das Gnadenbild in einer Eiche gefunden haben; ein Vöglein habe die Waldarbeiter wunderbarerweise darauf aufmerksam gemacht 12 . Hier begegnet man also auf einem Mal der ganzen Palette der Topoi, die man zur Erklärung der Anfänge einer Wallfahrt immer wieder findet; ebenso typisch ist das Fehlen jeglichen Datierungsansatzes. Im Oberelsaß gibt es nur zwei Wallfahrten, deren Anfang datiert ist. 1466 weinte ein Marienbild, das von der verbrannten Kirche von Sigolsheim nach Kienzheim gebracht worden war, wo dann sofort zu diesem Bild gepilgert wurde 13 ; und 1491 erschien die Mutter Gottes einem Schmied von Urbeis, der zum Markt nach Ammerschweier ging, und so entstand die Wallfahrt zu Drei-Ähren 14 . In seinen Historiae memorabiles erzählt Rudolf von Schlettstadt um 1300 die Entstehung einer anderen Wallfahrt, die nicht von Dauer war (und deswegen auf der Karte fehlt). Nach 1240 kam eine unbekannte, wie eine Nonne gekleidete Frau nach Wettolsheim, wo sie tags darauf starb. An ihrem Grab geschahen Wunder, und es entstand eine Pilgerfahrt. Aber die Herren von Girsberg leerten den Opferstock, der neben dem Grab stand. Daraufhin geschahen keine Wunder mehr, und die Wallfahrt hörte auf 15 . Eine ebenso kurzlebige kennt man aus dem späten 15. Jahrhundert (s. u., Kap. 6). Es hat sicher viele ähnliche Fälle gegeben, die nicht aktenkundig geworden sind. Andere Wallfahrten werden nur ein einziges Mal im ganzen Mittelalter erwähnt. Hätten wir diese zufällige Erwähnung nicht, hätten wir keinen Beweis, daß sie ins Mittelalter zurückreichen. So wird diejenige zum hl. Antonius in Uffholz 1458 im Zusammenhang mit dem Nachlaß des Mülhauser Stadtschreibers Andreas Schad erwähnt. Dessen Söhne weigerten sich, die Erbschaft anzutreten, weil sie mit zu vielen Schulden belastet war. Die Stadt übernahm sie, bezahlte die Beerdigung und 3 ß einem Mann, der für den Verstorbenen nach Uffholz gepilgert war 16 . Das ist die einzige Nennung 12 Levy , Mutter Gottes (wie Anm. 2) S. 83. Einziger mittelalterlicher Hinweis auf die Wallfahrt ist ein Ablaßbrief von 1386, wonach Virgo Maria [. . .] suos devotos ecclesiam parochialem in Blatzheim in ejus honore consecratam specialibus beneficiis [. . .] consoletur: Barth , Handbuch (wie Anm. 2) Sp. 176. 13 ADHR 10H 70/ 4. 14 Barth , Handbuch (wie Anm. 2) Sp. 1864. 15 Rudolf von Schlettstadt, Historiae memorabiles. Zur Dominikanerliteratur und Kulturgeschichte des 13. Jahrhunderts, ed. Erich Kleinschmidt (Archiv für Kulturgeschichte, Beiheft 10, Köln u. a. 1974) S. 75 - 77. 16 Marcel Moeder , La vie d ’ un fonctionnaire mulhousien du 15 e siècle, André Schad, greffier-syndic de Mulhouse, Bulletin du Musée Historique de Mulhouse 51 (1931) S. 47 - 70, hier: S. 60. Elisabeth Clementz 112 <?page no="113"?> dieser Wallfahrt vor der Neuzeit. Es ist also wahrscheinlich, daß viele andere Lokalwallfahrten im Mittelalter existiert haben, aber wir können sie nicht nachweisen, weil uns bis jetzt eine sichere mittelalterliche Nennung fehlt. 3. Zur Typologie der Wallfahrten Unter den Heiligen, zu denen im Oberelsaß gepilgert wird, finden sich Johannes der Täufer, frühchristliche Märtyrer (Valentinus, Adelphus, Apollinaris, Blasius, Pankrazius, eventuell Romanus), der angebliche frühmittelalterliche Märtyrer Gangolf, mittelalterliche Bischöfe (Ulrich, Theobald), der Eremit bzw. Abt Antonius und der Cluniazenserprior Morand 17 - also lauter männliche Heilige, mit zwei Ausnahmen: Die Mutter Gottes und die hl. Huna, eine verheiratete Adlige des Frühmittelalters, von sehr zweifelhafter Historizität 18 . Auch andere Wallfahrtsheilige, wie Gangolf, Morand oder Theobald 19 , sind etwas dubiöse Gestalten, während z. B. die Apostel hier völlig fehlen. Vor 1300 ist das typische Wallfahrtsziel das Grab eines Heiligen, etwa der hl. Huna in Hunaweier 20 , und wahrscheinlich auch des hl. Morand in Altkirch 21 . Dagegen liegen in Reiningen nicht etwa das Grab des hl. Romanus, sondern nur seine Reliquien, in einem Schrein des 12. Jahrhunderts. So früh ist die Wallfahrt nicht bezeugt, aber der Reliquienschrein ist reich mit Silber beschlagen, und man kann sich fragen, ob es nicht die Opfer der Pilger sind, die dies ermöglicht haben 22 . In Kingersheim ist die 17 Zu diesen Heiligen sei allgemein auf die Bibliotheca Sanctorum 15 Bde. (Rom 1961 - 2000) verwiesen. 18 Sehr optimistisch beurteilt sie André Marcel Burg , Sainte Hune, sa légende, son historicité et son culte, AEA NF 1 (1946) S. 27 - 74, hier: S. 36 - 48. Daß Hunas Ehemann Huno heißen soll, ist doch ein typisch folkloristischer Zug. 19 Zu Gangolf siehe Jean Marilier , Gengolfo, in: Bibliotheca Sanctorum (wie Anm. 17) 6 (1965) Sp. 127 f.; zu Theobald (eigentlich Ubald, Bischof von Gubbio im 12. Jahrhundert) siehe Medard Barth , Zur Geschichte der Thanner St. Theobalduswallfahrt im Mittelalter, Annuaire de la Société d ’ Histoire des régions de Thann-Guebwiller 1 (1948 - 1950) S. 19 - 82. Der hl. Morand gilt als Prior von Altkirch im 12. Jahrhundert, ist aber urkundlich nicht nachgewiesen. Inzwischen ist er zum Schutzpatron des ganzen Sundgaus avanciert. Die Entstehung seines Kultes würde eine Untersuchung verdienen. Herr Christian Wilsdorf, Direktor des Colmarer Departementalarchivs a. D., hat mir dazu wertvolle Materialien mitgeteilt, wofür ich ihm herzlich danke. 20 Bei Erdarbeiten im Chor der Pfarr- und ehemaligen Wallfahrtskirche von Hunaweier wurde ein Stück eines merowingerzeitlichen Steinsarges gefunden, welcher derjenige der Heiligen sein könnte: Pierre Brunel , L ’ église paroissiale de Saint-Jacques le Majeur: constats archéologiques sommaires, Bulletin de liaison de l ’ Association des Amis de l ’ Eglise historique de Hunawihr 1 (1990) S. 5 - 8. 21 Jean Zimmermann , Saint Morand du Sundgau (Altkirch 1981) S. 25 - 27. 22 Robert Will , Alsace romane (1982) S. 319 und S. 333. Die Nahwallfahrten im elsässischen Teil der Diözese Basel 113 <?page no="114"?> Wallfahrt zu den Reliquien des hl. Adelphus um 1235/ 1238 bezeugt 23 . Bis 1300 sind aber im elsässischen Teil der Diözese Basel höchstens diese vier Wallfahrten bezeugt. Von 1300 bis zur Reformation erscheinen 27 weitere; davon sind mehr als die Hälfte (15 von 27) Marienwallfahrten. Das ist eine klassische Entwicklung: Vor 1300 gelten die meisten Wallfahrten Heiligengräbern; nach 1300 gelten sie Reliquien oder einem Heiligenbild. Hier lohnt sich ein Vergleich mit der Diözese Straßburg, wo es vor 1300 sechs Wallfahrten zu Heiligengräbern gibt; nach 1300 erscheinen 34 neue Wallfahrten, darunter 18 zur Mutter Gottes 24 . Die Gesamtzahl und der Anteil der Marienwallfahrten in beiden Diözesen sind praktisch die gleichen 25 . Diese Vorherrschaft der Mutter Gottes liegt daran, daß sie an der Spitze der himmlischen Hierarchie steht, über dem ganzen Heer der Heiligen. Sie ist auch die Zuflucht, die man in allen Fällen anrufen mag, was immer man vom Himmel erwartet. Zum Beispiel hat Maria nach dem Kienzheimer Mirakelbuch eine Epileptikerin aus Rufach geheilt 26 , obwohl es, ausgerechnet in Rufach, eine Wallfahrt für Epileptiker zum hl. Valentin gab. Im Unterschied zu Maria haben die Heiligen meist nur einen begrenzten Zuständigkeitsbereich. Die Lokalwallfahrten der Diözese Basel sind eine vorwiegend ländliche Erscheinung: Nur fünf haben ihren Sitz in Städten (Altkirch, Thann, Rufach, Colmar, Reichenweier), darunter zwei, die eigentlich internationale Wallfahrten sind, aber trotzdem hier zu berücksichtigen sind, denn sie ziehen 23 Johannes Meyer, Buch der Reformacio Predigerordens, ed. Paulus Maria von Loë / Benedikt Maria Reichert (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland 2 - 3, Leipzig 1908 - 1909) S. 17 erwähnt das opffer sancte Adolffs zum Jahr 1238, anlässlich eines Streits zwischen dem Kloster Schönensteinbach und den (im Elsaß so früh nicht bezeugten) Herren von Wasserstelzen. Seraphin Dietler, Chronik des Klosters Schoenensteinbach, ed. Johannes von Schlumberger (Gebweiler 1897) S. 98 - 100 erwähnt denselben Streit zum Jahr 1235 (Meyer schreibt im 15., Dietler im 18. Jahrhundert). Um 1518 lebt der Streit wieder auf; diesmal sind es die Herren von Andlau, die sich die 20 Viertel Korn, die dem Heiligen an seinem Festtag geopfert wurden, widerrechtlich aneignen. Aus der Beschwerdeschrift des Klosters (Druck: Curiosités d ’ Alsace 2 [1863] S. 239 - 259, hier: S. 248 - 50) erfährt man, daß der Heilige weiterhin grose zeichen thuot, und daß die blühende Wallfahrt von einem Jahrmarkt begleitet wird. Siehe auch Barth , Handbuch (wie Anm. 2) Sp. 682, und Jean-Charles Winnlen , Schönensteinbach. Une communuaté religieuse féminine 1138 - 1792 (Altkirch 1993) S. 82 - 86, der ADHR 27H 8/ 1 - 9 und 1/ 1 - 4 zitiert. 24 Rapp , Pèlerinages (wie Anm. 1) S. 141 - 143. 25 In Italien gelten mindestens 80 % der nach 1400 entstandenen Wallfahrten der Mutter Gottes: Vincent, Inventaire (wie Anm. 3) S. 868. 26 Bernardin Buchinger , Miracul Buch, darinn bey hundert und etlich achtzig herrliche Wunderzeichen begriffen, die sich bey Unser lieben Frawen walfahrt zu Kienßheim im Elsaß in St. Regulae Kirchen daselbst vorzeiten zugetragen (Bruntraut 1662) Nr. 20. Elisabeth Clementz 114 <?page no="115"?> auch Leute aus der Nähe an: So pilgern etwa Johanniter aus Schlettstadt nach Thann 27 , und andere Schlettstädter zum hl. Valentin nach Rufach 28 . Die Hälfte der Marienwallfahrten liegt in den Vogesen oder am Fuß dieses Gebirges. In seinen neuen Synodalstatuten von 1503 ermahnt der Bischof von Basel die Pfarrer, ihm die neuen Wallfahrten zu melden, die erfahrungsgemäß [. . .] zu [. . .] gewissen ungeweihten, in den Bergen und Wäldern versteckten Orten, stattfinden 29 . Offenbar hatten die Zeitgenossen gemerkt, daß das die bevorzugten Räume der neuen Wallfahrten waren. Weiter wäre zu fragen, wie die Wallfahrten entstehen, und von welchen Kreisen sie getragen werden. Es gibt solche, die ihren Sitz in einem Kloster hatten (Thierenbach 30 , Isenheim, St. Apollinaris 31 , Unterlinden in Colmar 32 , Altkirch, Rufach, Biesheim). Es ist bemerkenswert, daß von den fünf Cluniazenserprioraten, die es im Oberelsaß gab, drei zu Wallfahrtszielen 27 ADBR H 1984, Rechnung für 1484/ 85: Für bruder Eucharius: 3 ß ad sanctum Dieboldum peregrinando. 28 1509 verspricht Leonhard Schnider aus Schlettstadt, der mit dem fallenden Weh behaftet ist, nach Rufach zu pilgern und ein silbernes Kreuz zu schenken: Paul Adam , Histoire religieuse de Sélestat 1 (Schlettstadt 1967) S. 172. 29 Statuta synodalia Basiliensia (Basel 1503) Bl. 5 r (Exemplar des Druckes in AAEB A 104, Mappe 1): Et quoniam experientia teste hactenus quedam peregrinationes et frequens vulgi concursus ad quasdam imagines, aut prophana quedam loca in montibus et silvis abstrusa [. . .]. 30 Das Marienpatronat des Cluniazenserpriorats Thierenbach bei Sulz ist zuerst 1378 bezeugt (Repertorium Germanicum 1, bearb. von Emil Göller [Berlin 1916 ND 1991] S. 62). Die Ausgrabungen von 1983 haben gezeigt, daß die Kirche im 15. Jahrhundert stark vergrößert wurde (Pierre Brunel , Thierenbach, un pèlerinage millénaire à la lumière de l ’ archéologie, Annuaire de la Société d ’ Histoire des régions de Thann- Guebwiller 16 [1985 - 1987] S. 133 - 136, hier: S. 134), was wohl durch die Wallfahrt zu erklären ist, denn das Priorat als solches blieb unbedeutend. 1506 ist in Thierenbach eine Jakobusbruderschaft bezeugt (ADHR 158J 351 - 352). Aus alledem kann wohl gefolgert werden, daß die Wallfahrt im 15. Jahrhundert bestand. Siehe Elisabeth Clementz , Le prieuré et le pèlerinage de Thierenbach, Les Amis de Soultz 84 (2005) S. 3 - 14. 31 St. Apollinaris hing vom Zisterzienserkloster Lützel ab ( Barth , Handbuch [wie Anm. 2] Sp. 994 - 995). Dorthin pilgerte 1511 Lienhard Schnider, ein Epileptiker aus Schlettstadt, mit seiner Frau (Stadtarchiv Schlettstadt, Missiven 1509 - 1511, S. 124, 20 III 1511). Von dort stammt das Bild des thronenden hl. Apollinaris, das heute in der Pfarrkirche von Obermichelbach steht; Monique Fuchs , La sculpture en Haute- Alsace à la fin du Moyen Age 1456 - 1521 (Société savante d'Alsace, coll. „ Grande publications “ 19, Colmar 1987) S. 259 Nr. 215, datiert es um 1530/ 40; siehe ebd. S. 50 Abb. 13. 32 Im Dominikanerinnenkloster Unterlinden zu Colmar stand auf dem Lettner, für Nonnen und Laien zugänglich, ein wundertätiges Marienbild. Der Liber miraculorum liegt in der Colmarer Stadtbibliothek (Ms. 495). Die Wallfahrt ist im 15. Jahrhundert sicher belegt: Jeffrey F. Hamburger , Le Liber miraculorum d ’ Unterlinden, une icône dans l ’ écrin de son couvent, in: Les dominicaines d ’ Unterlinden 1, hg. von Madeleine Blondel (Paris 2000) S. 190 - 225, hier: S. 214. Die Nahwallfahrten im elsässischen Teil der Diözese Basel 115 <?page no="116"?> wurden (Thierenbach, Biesheim und Altkirch). Andere Wallfahrten wurden von einem Stift getragen, obwohl sie nicht dort ihren Sitz hatten: Die Wallfahrten von Reiningen und Leimbach vom Augustinerchorherrenstift Ölenberg, Hunaweier vom weltlichen Stift Saint-Dié und Sewen vom Damenstift Masmünster. Die Freiherren von Rappoltstein standen am Anfang der Wallfahrten nach Dusenbach und zur Ulrichskapelle ihrer Burg Rappoltstein 33 . Die Wallfahrt nach Drei-Ähren entstand 1491, weil die Mutter Gottes einem Schmied erschienen war. Hier scheint es sich um eine spontane Entstehung zu handeln. Aber zwölf Jahre danach erfährt man, daß der Opferstock von Drei-Ähren fünf Schlüssel hatte; je einen davon hatten die drei weltlichen Herren von Ammerschweier, der Propst von Feldbach als Kollator der Pfarrei und der Bischof von Basel 34 . Die Wallfahrt war also in der Obhut von weltlichen und geistlichen Herrschaften, und das war wohl die beste Bedingung für ihren dauerhaften Bestand. Was auf der Karte nicht erscheint, ist die Lebensdauer der Wallfahrten. Einige sind nicht von Bestand. Erinnert sei an die schon erwähnte Unbekannte von Wettolsheim; von der Wallfahrt von Bilstein weiß man nur, daß sie nach Reichenweier verlegt wurde 35 , und von St. Martin in Colmar hat man nur folgende Erwähnung zum Jahr 1280: Am 4. September strömte viel Volk in die Stiftskirche von Colmar, wegen der Wunder, die [dort] stattfanden, so daß man eigentlich nicht nachweisen kann, daß die Wallfahrt mehr als einen Tag gedauert habe 36 . Überhaupt gibt es viele Wallfahrten, von denen man nur eine mittelalterliche Erwähnung hat. Falls sie in der Neuzeit nicht wieder auftauchen - und das ist in den evangelisch gewordenen Gebieten stets der Fall - läßt sich ihre Lebensdauer nicht einschätzen. 4. Die Mirakelbücher Von allen im mittelalterlichen Oberelsaß bekannten Wallfahrten haben nur sieben ein Mirakelbuch hinterlassen (Thann, Kienzheim, Dammerkirch, Unterlinden in Colmar, Altkirch, Sewen und Leimbach 37 ). Diese Mirakelbücher sind alle aus dem Ende des Mittelalters. Dasjenige von Leimbach 33 Zu Dusenbach siehe Anm. 55, zu Rappoltstein siehe den Beitrag von Bernhard Metz in diesem Band, Anm. 12 - 16. 34 ADHR E 2359 (1503). 35 ADHR 16G Reichenweier; Druck: Rappoltsteinisches Urkundenbuch 1, hg. von Karl Albrecht (1897) S. 355 - 357 Nr. 480. 36 [. . .] in octava S. Augustini factus est concursus in Columbaria ad maius monasterium propter miracula que fiebant: Colmarer Annalen (wie Anm. 7) S. 206 Z. 45 f. Sollte octava hier mit „ Festwoche “ statt mit „ Oktav “ zu übersetzen sein, hätte die Wallfahrt mindestens eine Woche gedauert. 37 Thann: Georg Stoffel , Tomus miraculorum sancti Theobaldi (1875). Kienzheim: Buchinger , Miracul-Buch (wie Anm. 26). Dammerkirch: Barth , Handbuch (wie Elisabeth Clementz 116 <?page no="117"?> berichtet von 62 Wundern, wovon 61 zwischen 1472 und 1516 stattgefunden haben, das letzte im Jahre 1584 38 . In den meisten Fällen (52 von 62) ist die Herkunft der Pilger bekannt (Karte 1). Die allermeisten hatten nur einen kurzen Weg bis nach Leimbach (ungefähr 10 km). Die Pilger konnten also in einem einzigen Tag hin- und zurückreisen. Es gibt nur wenige Ausnahmen: Zwei Pilger kamen aus Molsheim im Unterelsaß, einer aus Neuenfels im Markgräflerland - aber als er die Wallfahrt gelobte, war er in der Lombardei; und eine Frau kommt aus dem Etscherland. Insgesamt ist die Wallfahrt von Karte 1: Herkunft der Pilger von Leimbach (Ober-Elsaß) 1472 - 1516. Anm. 2) Sp. 254. Unterlinden: siehe Anm. 32. Altkirch: siehe Anm. 21. Sewen: ADHR 118J dépôt 1. Leimbach: ADHR 15J 2053. 38 ADHR 15J 2053. Die Nahwallfahrten im elsässischen Teil der Diözese Basel 117 <?page no="118"?> Leimbach eindeutig regional. Die schwache Ausstrahlung der Lokalwallfahrten vom Typus Leimbach liegt auch daran, daß sie sich gegenseitig im Wege standen. Ganz in der Nähe von Leimbach liegen Thann und Sewen. Aus dem Leimbacher Mirakelbuch sieht man, für welche Krankheiten etwa der heilige Blasius zuständig war. Nach seiner Vita hat er ein Kind gerettet, das sich an einem Fischgrat verschluckt hatte 39 . Deswegen wurde er für alle Leiden angerufen, die mit Ersticken und Halsschmerzen zu tun hatten, oder im weiteren Sinne den Kopf betrafen. Das bestätigt sich am Leimbacher Mirakelbuch: Von 59 bekannten Heilungen haben zwanzig mit Leiden zu tun, die den Kopf betreffen. In sieben von diesen zwanzig Fällen geht es um Ersticken nach dem Schlucken eines Fremdkörpers. Selbstverständlich sind vorwiegend Kinder betroffen. Die Wunderschilderungen zeigen uns das Benehmen von Kindern im Alltag, was in sonstigen Quellen sehr selten der Fall ist. Einmal sitzen zwei Kinder beim Feuer. Dann hatt das ein kind ein glaßstück in seiner handt gehebt und stieß das dem andern in mund biß in den halß 40 . Ein anderes Kind aus Thann hat in seiner hand gehebt einen rincken von eym gürtell, den stiess es in sinen mund, daß er im in den halß kam, das das kind nit mee moht den atem han 41 . Andere Kinder verschlucken sich an einem Knochen, einer Nußschale oder einem Stück getrockneter Birnen 42 . Aber der heilige Blasius ist nicht nur für den Hals, sondern auch für den ganzen Kopf zuständig. Vier Erwachsene hat er von ihren Kopfschmerzen geheilt 43 , vier andere von Gehörproblemen 44 und eine weitere von ihrer Sehschwäche 45 . Ferner wurde ein Mann von seinem Kropf geheilt. Er hatte für einen Bauer in der Ernte gearbeitet. Als dieser ihn bezahlen wollte, klopfte er auf seinen Kropf und fragte, ob das sein Geldbeutel war. Darauf rief der Schnitter den heiligen Blasius an, und auf der Stelle wanderte der Kropf von seinem Hals zu demjenigen des Spötters 46 . Dieses Beispiel zeigt uns, daß Blasius, wie andere Heilige, zwei Gesichter hatte: Denen, die ihn anriefen, war er gnädig, aber die Respektlosen strafte er. Für die Kopfbeschwerden war der heilige Blasius überall zuständig. Ein anderes Spezialgebiet hatte er nur in den deutschsprachigen Ländern. Die Ähnlichkeit zwischen den Wörtern Blasius und Blase machte ihn zum Urologen, zuständig für die Blase und die Nieren. In Leimbach hat er 19 Personen von Nierensteinen befreit, darunter 16 Kinder. Eines von ihnen 39 Maria Chiara Celleti , Biagio, vescovo di Sebaste, in: Bibliotheca sanctorum (wie Anm. 17) 3 (1963) Sp. 159. 40 ADHR 15J 2053, Nr. 3. 41 ADHR 15J 2053, Nr. 6. 42 ADHR 15J 2053, Nr. 19, 33, 40. 43 ADHR 15J 2053, Nr. 9 f., 13, 39. 44 ADHR 15J 2053, Nr. 24 f., 39, 55. 45 ADHR 15J 2053, Nr. 13. 46 ADHR 15J 2053, Nr. 1. Elisabeth Clementz 118 <?page no="119"?> soll nur zehn Wochen alt gewesen sein 47 . Die große Zahl der Kinder, die an Nierensteinen litten, überrascht, denn heute kommt das nicht mehr vor. Anders im Mittelalter und in der Neuzeit: Es gibt frühneuzeitliche Belege für Steinschneider, die Kinder operierten 48 . Fachleute erklären das mit einem höheren Anteil von Milch in der Kindernahrung. Auch die Wassersucht kommt im Leimbacher Mirakelbuch vor. Sieben Erwachsene und vier Kinder, die geschwollen waren, wurden vom heiligen Blasius geheilt - darunter eine Frau, von welcher das Mirakelbuch sagt, daß sie geschwollen gewesen [war] jor und tag alß groß als ein gemeiner stubenofen 49 . Nach seiner Vita hatte der heilige Blasius einer armen Witwe ihr Schwein, das ein Wolf geraubt hatte, zurückgebracht 50 . Seitdem war er auch für das Vieh zuständig. In einer Gesellschaft, in welcher die große Mehrheit der Leute von der Landwirtschaft lebte, gab ihm das eine große Bedeutung. Sieben seiner Wunder in Leimbach betreffen das Vieh 51 . Die Gläubigen, deren Bitten der heilige Blasius erhört hatte, kamen nach Leimbach mit einem Opfer um ihm zu danken. Manche brachten ein lebendiges Opfer, also ein Stück Vieh, andere Wachs - zum Beispiel brachte eine Frau, die von einem Augenleiden geheilt worden war, zwei wächserne Augen; andere opferten verschiedene Wertgegenstände, zum Beispiel zwei silberin Sternen 52 . Auf diesen Opfern beruht die Bereicherung der Gnadenorte. Darauf ist jetzt einzugehen. 5. Wallfahrten als Geldquellen Nicht nur am Beispiel von Leimbach sieht man, daß die Pilger dem Heiligen für die empfangenen Gnaden mit einem Opfer dankten. Von der Wallfahrt Dusenbach bei Rappoltsweiler, deren Rechnungen erhalten sind, weiß man, daß die Opfergaben vor Ort weiter verkauft wurden. Das galt zum Beispiel für das geopferte Wachs. Um es zu wiegen, gab es sogar eine Waage auf dem Altar. Die zwei Waldbrüder, die die Wallfahrt betreuten, sollten den Kaufpreis in Anwesenheit des Käufers in den Stock werfen, und ihn den Priestern melden, damit sie ihn aufschreiben 53 . Es kam vor, daß der Schenker 47 ADHR 15J 2053, Nr. 41. 48 Eric Wolf , Un charlatan de Molsheim à l ’œ uvre. Pratique de la lithotomie (opération de la taille) dans nos régions au début du 16 e siècle, Annuaire de la Société d ’ Histoire et d ’ Archéologie de Molsheim et Environs (2009) S. 5 - 11. 49 ADHR 15J 2053, Nr. 36. 50 Celleti , Biagio (wie Anm. 39) Sp. 159. 51 ADHR 15J 2053, Nr. 21, 26, 28, 37, 50, 53, 58. Noch im 20. Jahrhundert wurde der hl. Blasius als Viehpatron verehrt: Levy , Heiligen (wie Anm. 2) S. 199 - 201. 52 ADHR 15J 2053, Nr. 13. 53 ADHR E 2722 III (1496): ob auch jemans keme und begert ein pfund waß [. . .], sol er ein gewicht by dem altar haben und ime das geben, und waß er darumb enpfoet, strack Die Nahwallfahrten im elsässischen Teil der Diözese Basel 119 <?page no="120"?> oder ein Familienangehöriger sein Opfer zurückkaufte 54 . Darüber hinaus erhielt Dusenbach Schenkungen und Legaten, und legte das Geld in Zinsen an. Am Ende des 15. und am Anfang des 16. Jahrhunderts wurde viel Geld ausgegeben zur Vergrößerung und Verschönerung der Wallfahrtskirche. Danach lagen die Einnahmen stets über den Ausgaben. 1516 verzeichnete man ein Überschuß von 100, 1526 von mehr als 500 Gulden 55 . Überhaupt brachte eine florierende Wallfahrt viel Geld ein. In Leimbach hatte die St. Blasiusbruderschaft vor 1507 140 Gulden der Gemeinde geliehen 56 . Zum Vergleich verdiente damals ein Universitätsprofessor 100 bis 120 Gulden pro Jahr. Nach einer Quelle von 1418 brachte die Wallfahrt von Biesheim im Durchschnitt 200 Gulden pro Jahr ein 57 . Die Teilung der Einkünfte von Drei- Ähren wurde 1503 geregelt - knapp zwölf Jahre nach der Entstehung der Wallfahrt. Auch hier ging es um viel Geld: Der Propst von Feldbach, als Inhaber der Pfarrei Ammerschweier, in welcher die Wallfahrt lag, erhielt erstmals hundert Gulden „ für seine Unkosten “ und zwölf Gulden für eine Monstranz. Künftig sollte ihm ein Drittel der Opfer zukommen. Der Opferstock von Drei-Ähren hatte, wie schon erwähnt, fünf Schlüssel, denn der Propst von Feldbach, der Bischof von Basel und die drei weltlichen Herren von Ammerschweier waren alle an seinem Ertrag beteiligt 58 . Und ein Opferstock aus dem 14. oder 15. Jahrhundert steht noch heute in der Stiftskirche von Thann. In Ermangelung von einschlägigen Rechnungen gibt er allein schon eine Vorstellung vom Ertrag der Wallfahrt, denn man hielt es für nötig, ihn mit viel (damals teurem) Eisen zu bewehren, um seinen Inhalt zu schützen 59 . in derselben bysin in den stogk tun. Ebd. E 2722/ 8, Ordnung der zwey brüder (1490): ob ein bilger waß kouffet zu eim oppffer, oder ander ding, syd oder waß daß were, daß gelt sol man angesicht der litten in den stock legen, und den priestern daß angeben uffzuzeychen. 54 ADHR E 2722/ 11C (Einnahmen 1501): ein schleiger hat geben Heßen Elß von Sant Pult, und hat yn wider gelest mit 3 ß rappen 1 stroßburger ortlin; das gelt yn den stock geleit yn bywesen der personen und deß bruderß. ADHR E 2722 Bl. 51 v: ein guldenen gurtel hat Stuben Hans gehengt vir Unser Frawen und hat in wider gelest vir 10 gulden, han ich entpfangen uff sant Jocobs dag im [14]92. Ebd. Bl. 53 v: 6 ß han ich enpfangen vir ein katzthonien paternoster, ist gewesen Thoman Zurmantelß selgen frow, hat ir swester wider gelest vir 6 ß. 55 Francis Rapp , Le pèlerinage de Dusenbach et Maximin II de Ribeaupierre, Revue d ’ Alsace 128 (2002) S. 193 - 205, hier: S. 198. 56 ADBR 12J 919 Bl. 7 r: Ist alsdann das dorf Leymbach der genanten bruderschaft schuldig gewesen 7 lb gelts, darfur sol die bruderschaft die Stirmatten für ein underpfandt haben [. . .] so mogen sy [die Dorfleute] die Stiermatten wol wider lösen mit 140 lb Basler werung. 57 Gaston Charvin , Statuts, chapitres généraux et visites de l ’ ordre de Cluny 5 (1970) S. 63. 58 ADHR E 2359 (1503): Es sollent auch dem brobst für sein gehapt mühe und erlitten costen zuvoruß von den gefällen, so yetz vorhands sein, werden 100 gulden. 59 Inventaire général des monuments et des richesses artistiques de la France. Haut-Rhin, canton de Thann (Inventaire topographique 11, 1980) S. 285 Abb. 217; siehe auch Elisabeth Clementz 120 <?page no="121"?> 6. Das Mißtrauen der kirchlichen Hierarchie Am Ende des Mittelalters begegnete die kirchliche Hierarchie dem Wunderglauben mit mehr Mißtrauen als früher; folglich war sie diesen vielen Wallfahrtsorten nicht mehr günstig. In seinen Synodalstatuten von 1503 verbot es der Bischof von Basel, neue, von ihm nicht geprüfte Wunder von den Kanzeln herab zu verkünden 60 . Der Münsterprediger Geiler von Kaysersberg kritisierte den Wunderglauben, der den Wallfahrten zu Grunde lag: Ich sprich, das du nicht solt wunderzeichen begeren und suchen, wann du folgest nach den iuden, die zeichen begerten. Es ist auch nit not, wan der glaub mit wunderzeichen genugsam bestetiget ist. [. . .] Also der glaub ist ietz starck, darumb so bedarff er sein nit me der wunderzeichen. Man sol auch nit leichtlich glauben, wa etwan ein geschrei ußgat, das wunderzeichen gewircket werden. Man sol es vor wol erfaren. Aber wa semliche leckery für gat, und man die lüt betrügt, da sicht niemans zu, warumb, es bringt gelt: Der herr des lands nimpt ein teil davon, der bischoff der nimmet den andern teil, und den dritten teil den leget man an den baw derselben kirchen 61 . Geilers Skepsis wurde mindestens von einem Teil der kirchlichen Hierarchie seiner Zeit geteilt. Ein Beispiel dafür ist eine neue Wallfahrt, die die Einwohner von Ammerschweier 1498 zu Wege bringen wollten - vom selben Städtchen also, innerhalb dessen Pfarrei sieben Jahre vorher die Wallfahrt zu den Drei-Ähren entstanden war, die sofort, trotz des Widerstands des Bischofs von Basel, viel Erfolg hatte 62 . Zur neuen Wallfahrt von 1498 gibt es eine einzige Quelle, einen Brief an einen hohen Beamten der bischöflichen Verwaltung 63 , wahrscheinlich geschrieben durch Johann Gebwiller, damals Pfarrer von Kaysersberg 64 , einem Nachbarort von Ammerschweier, Dekan des Landkapitels S. 160. Zur Thanner Wallfahrt siehe auch den Beitrag von Andreas Röpcke in diesem Band. 60 Statuta synodalia Basiliensia (wie Anm. 29) Bl. 5 r. 61 Johannes Geiler von Kaysersberg, Die Emeis (Straßburg 1516) Bl. 10 r. Vgl. dazu auch den Beitrag von Volker Honemann in diesem Band. 62 Siehe dazu unten Anm. 66. 63 Dieser Brief wurde bei Bauarbeiten in einem Turm des bischöflichen Residenzschlosses in Porrentruy gefunden. Die zwei oberen Drittel sind fast vollständig erhalten, das unter Drittel ist zerrissen und lückenhaft. Von der Unterschrift ist nur [. . .]isersperg zu lesen. Herr Noirjean (Denkmalamt des Kantons Jura) teilte dankenswerterweise eine Kopie des Briefs und seiner Transkription durch Prof. Peter Rück (dem ebenso zu danken ist) dem Colmarer Departementalarchiv mit (ADHR 1J 6). Herrn Archivdirektor a. D. Christian Wilsdorf danke ich herzlich dafür, daß er mich auf diese Quelle aufmerksam machte. 64 Aufgrund der Unterschrift (Anm. 63) und des Inhalts wäre man versucht, den Brief Johannes Geiler von Kaysersberg zuzuschreiben. Aber ein Blick auf Johannes Ficker/ Otto Winckelmann , Handschriftenproben des 16. Jahrhunderts 2 (1905) Nr. 49, beweist, daß er nicht von seiner Hand ist. So fällt der Verdacht auf Johann Gebwiller, von dem man weiß, daß er 1485 - 98 in Kaysersberg und 1498 - 1504 in Türkheim Die Nahwallfahrten im elsässischen Teil der Diözese Basel 121 <?page no="122"?> Ultra Colles und geschätzter Theologe und Prediger. Sein Brief ist teilweise unleserlich, außerdem deutet er die Sachen nur an. Gebwiller war kein Freund der Wallfahrt zu den Drei-Ähren, und die neue lehnte er erst recht ab. Er hatte sich von der Kanzel herab dagegen ausgesprochen und wußte, daß die Ammerschweirer ihm die Schuld an der Hinderung ihres neuen Projekts gaben. Ziel der Wallfahrt sollten die Gebeine eines Kindes sein, die man unter ungeklärten Umständen im Beinhaus von Ammerschweier gefunden hatte. Gebwiller war vom Bischof beauftragt worden, den Ammerschweirern zu verkünden, daß sie ihm diese angeblichen Reliquien bei Strafe der Exkommunikation aushändigen sollten 65 . Er fürchtete sich genug vor ihnen, um doppelzüngig zu werden. Ihnen riet er, den Bischof noch einmal um die Bestätigung der neuen Wallfahrt zu bitten. Aber hinter ihrem Rücken schrieb er dem bischöflichen Hof, das ja nicht zu tun. In seinem Brief beklagte er, daß der Erfolg der Wallfahrt zu den Drei-Ähren die Ammerschweirer ermutigt habe 66 , und bat den Empfänger, sie kräftig zu maßregeln, und notfalls zu exkommunizieren - aber die Sache einem Anderen anzuvertrauen. Was daraus wurde, wissen wir nicht. Nur ist von dieser Wallfahrt nie mehr die Rede, und Johann Gebwiller wechselte noch 1498 von Kaysersberg nach Türkheim - von Ammerschweier schon etwas weiter entfernt - und 1504 nach Basel 67 . Jedenfalls zeigt diese Geschichte, welcher Graben sich in puncto Wunder und Wallfahrten zwischen Klerus und Kirchenvolk aufgetan hat. Mit ihr könnte es zu tun haben, wenn der Bischof von Basel fünf Jahre später in seinen Synodalstatuten den Pfarrern befiehlt, ihm jeden ungeregelten Zustrom zu neuen Kultorten zu melden 68 . Leutpriester war (Straßburg, Erzbischöfliches Archiv, Cahiers Nehr, S. 254 und S. 716; Herrn Louis Schlaefli danke ich für den Hinweis auf diese Quelle). 1507 wurde er in Basel Dr. theol. und Professor, 1508 Kanoniker in St. Peter, später mehrfach Dekan und Rektor der Basler Universität. 1529 mußte er, als Verfechter des alten Glaubens, die Stadt verlassen (Francis Rapp , Johann Gebwiller, in: Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne 12 [Straßburg 1988] S. 1133). 65 ADHR 1J 6 (wie Anm. 62): Nuper scripsit dominus noster gratiosus, quatinus seriosius ab illis de Amerschwiler ossa pelli adherentia cuiusdam pueri in ossorio inventa requirerem ad manus meas, etiam sub pena excommunicationis, mandando [. . .] ne predicta ossa sepulture quam extruxerunt traderentur. 66 ADHR 1J 6 (wie Anm. 62): sed heu ex prioribus circa Tres Spicas factis audaciam sumpserunt, in quibus, domino nostro gratioso renitente, nichilominus intentum eorum fuerant prosecuti. 67 Rapp , Gebwiller (wie Anm. 64). 68 Statuta synodalia Basil. (wie Anm. 29) Bl. 5 r: mandamus sub pena excommunicationis, ut ubicunque huiuscemodi tumultuarius concursus quocumque eventu, aut novo quodam aucupio exortus fuerit, ab eiusdem loci curato vel decano quamprimum ad nos referatur. Auch Bischof Ruprecht von Straßburg ( † 1478) forderte die Pfarrer seiner Diözese auf, ihm zu melden, wo neue Wallfahrten spontan entstehen wollten: Rapp , Pèlerinages (wie Anm. 1) S. 142. Elisabeth Clementz 122 <?page no="123"?> Bischof Christoph von Uttenheim war vom christlichen Humanismus beeinflußt, der den Wallfahrten gegenüber mißtrauisch war 69 . In der Spiritualität des endenden Mittelalters gibt es unter dem Einfluß der Devotio moderna eine Strömung, die aus der Wallfahrt am liebsten eine rein geistige Übung machen möchte, die man praktizieren könnte, ohne sein Zimmer zu verlassen, indem man statt der Wegmeilen eine entsprechende Anzahl von Gebeten verrichtet 70 . So konnte man nach dem Odilienberg mit dem Munde pilgern, indem man 2000 Pater Noster und Ave Maria betete 71 . 7. Schluß Am Beispiel des elsässischen Teils des Bistums Basel konnte gezeigt werden, welche große Rolle das Pilgern vor der Reformation in der Volksfrömmigkeit spielte. Selbst der kirchlichen Hierarchie, die den neuen, spontan entstandenen Wallfahrten nicht traute, war diese Form von Frömmigkeit nicht fremd. Geiler machte sich über die Pilger lustig - Eine gans ist geflogen uß, und gagack kumpt wider zu huß - aber er selbst pilgerte nach Einsiedeln und Saintes-Maries-de-la-Mer 72 . Die große Anziehungskraft der Wallfahrten beruhte teilweise auf einer sehr gegenständlichen Vorstellung der Gnade. Man stellte sie sich wie eine Strahlung vor, die von einem gewissen Punkt ausging; solche Punkte waren etwa Heiligengräber oder Reliquien, zu denen man pilgerte, um der Gnade teilhaftig zu werden, die von ihnen ausstrahlte. Nun ist es dieselbe gegenständliche Vorstellungswelt, die das Bedürfnis nach religiösen Bildern erklärt. Diese Bilder, seien es Gemälde, Statuen oder Altarretabeln, entstanden im Spätmittelalter bekanntlich in besonders großer Zahl. Und einige von ihnen wurden zu sogenannten Gnadenbildern; das heißt, daß nunmehr nicht nur das Grab eines Heiligen, oder seine Reliquien, Gnade ausstrahlte, sondern in manchen Fällen auch ein bestimmtes Bild von ihm. Gerade solche Bilder waren die Ziele der meisten neuen Lokalwallfahrten des Spätmittelalters. Die Macht, die hier einem Bild zugesprochen wurde, mußte früher oder später als Idolatrie kritisiert werden. Das geschah mit der Reformation, die ebenso von Heiligengräbern und Reliquien nichts mehr wissen wollte, weil sie die ganze 69 Robert Sauzet , Contestations et renouveau du pèlerinage au début des Temps modernes (16 e - début 17 e siècle), in: Chemins de Dieu. Histoire des pèlerinages chrétiens des origines à nos jours, hg. von Jean Chelini/ Henry Branthomme (Paris 1982) S. 236. François Joseph Fuchs , Uttenheim, in: Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne 37 (Straßburg 2001) S. 3962. 70 Francis Rapp , Mutations et difficultés du pèlerinage à la fin du Moyen Age (14 e - 15 e siècle), in: Chemins de Dieu (wie Anm. 69) S. 226. 71 Ernst von Moeller, Die Elendenbrüderschaften [sic] (Leipzig 1906) S. 97. 72 Luzian Pfleger , Kirchengeschichte der Stadt Straßburg (Colmar 1941) S. 194. Die Nahwallfahrten im elsässischen Teil der Diözese Basel 123 <?page no="124"?> materialistische Vorstellung der Gnade, die dahinter steckte, verwarf. In Hunaweier etwa wurden die Gebeine der hl. Huna, die 1520 feierlich erhoben worden waren, 1540 verbrannt, und der Hunabrunnen zugeschüttet 73 . Aber im Oberelsaß gingen nur wenige Territorien zur Reformation über 74 und in den katholisch gebliebenen Landen blühten die Lokalwallfahrten weiter. Die katholische Geistlichkeit verpaßte übrigens keine Gelegenheit, zu betonen, daß sie manchmal auch von Protestanten aufgesucht wurden 75 . Viele Wallfahrten sind uns nur aus dieser Zeit bekannt. Sie waren aber kaum alle erst in der Frühneuzeit entstanden. Doch wie viele davon schon im Mittelalter bestanden, muß noch die künftige Forschung herausfinden. 8. Anhang Für die Gestaltung der Karte danke ich sehr herzlich Jean-Marie Holderbach. Belege zu den meisten kartierten Wallfahrten finden sich in den Anmerkungen, mit folgenden Ausnahmen: Gildweiler, Pfarrkirche Unsere liebe Frau: 1361 ist ein Jahrmarkt am 15. August belegt (Das Habsburgische Urbar II/ 1, hg. von Rudolf Maag / Paul Schweizer / Walter Glättli [Quellen zur Schweizer Gesch. 14 - 15, Basel 1904] S. 413, S. 419). 1474 plündern Burgunder die Kirche und erbeuten u. a. 100 lb., die der Kirchenfabrik gehörten (Basler Chroniken 3, hg. von Wilhelm Vischer [Leipzig 1887] S. 400). Eine solche Summe könnte auf eine Wallfahrt hinweisen, aber Gildweiler ist eine reiche Pfarrei. Pilger sind erst 1628 eindeutig bezeugt: Gabrielle Claerr-Stamm , Gildwiller sur le Mont, un antique pèlerinage à la Vierge (Riedisheim 2000) S. 18. Heilig-Kreuz: Die Pfarrkirche St. Bartholomäus (nicht zu verwechseln mit der Klosterkirche zum Hl. Kreuz) verwahrte im 15. und 16. Jahrhundert Reliquien des Hl. Kreuzes, des hl. Bartholomäus und des hl. Leo IX., die am Tag ihres Patrons dem Volk gezeigt wurden (August Scherlen , Perles d ’ Alsace 1 [Mülhausen 1926] S. 269). 1515 wurde ein Ablaß allen erteilt, die nach hl. Kreuz zum Heiltum pilgerten ( Barth , Handbuch [wie Anm. 2] Sp. 544). 73 Burg , Sainte Hune (wie Anm. 18) S. 54 - 55. Damien Parmentier , Aux premiers temps de la Réforme en Alsace: le pèlerinage de sainte Hune à Hunawihr (1520), Revue d ’ Alsace 118 (1992) S. 23 - 30. Die 1524 abgeschlossene Vergrößerung der Pfarrkirche, die die nicht allzu lange davor erneuerte Befestigtung des Kirchhofs unbrauchbar gemacht hatte (Bernhard Metz , Hunawihr, in: L ’ église, la campagne, le terroir, hg. von Elisabeth Zadora-Ri o/ Michel Fixot [Paris 1989] S. 23 - 25) und in der Hauptsache auf die Bedürfnisse der Wallfahrt zugeschnitten war, wurde dadurch zur Fehlinvestition. 74 In der Hauptsache die württembergische Herrschaft Horburg-Reichenweier und die Reichsstädte Mülhausen und Münster (mit dem hinteren Münstertal). 75 Zahlreiche Beispiele in Levy , Heiligen und Levy, Mutter Gottes (wie Anm. 2). Elisabeth Clementz 124 <?page no="125"?> Diocèse de Constance Diocèse de Constance Diocèse de Besançon Diocèse de Strasbourg Diocèse de Toul Diocèse de Lausanne Rhin Rhin Lauch Fecht Thur Ill Ill Doller Ill Enclave du diocèse de Strasbourg Limites du diocèse de Bâle PELERINAGES DU DIOCESE DE BALE - Doyennés alsaciens - Pèlerinage à un saint (attesté) Pèlerinage à la Vierge (attesté) Pèlerinage à la Vierge (probable) Pèlerinage à un saint (probable) Jusqu'au 13e siècle / Après Jusqu'au 13e siècle / Après Jusqu'au 13e siècle / Après Jusqu'au 13e siècle / Après © Elisabeth CLEMENTZ - 2009 Frontière franco-suisse Kingersheim Altkirch Reiningue Hunawihr Mulhouse Leimbach Ribeauvillé Riquewihr Rouffach Saint-Apollinaire Sainte-Croix Schaefertal Schauenberg Thierenbach Thann Sewen Issenheim Rosenkranz Horbourg Thierhurst Gildwiller Blotzheim Bilstein Biesheim Kientzheim Uffholtz Trois-Epis Colmar St. Gangolf Dannemarie Bâle Haut-Eguisheim Dusenbach Karte 2: Die mittelalterlichen Wallfahrten im elsässischen Teil der Basler Diözese. Die Nahwallfahrten im elsässischen Teil der Diözese Basel 125 <?page no="126"?> Hohegisheim: Siehe den Beitrag von Bernhard Metz in diesem Band, Anm. 16 - 22. Reichenweier: Siehe den Beitrag von Bernhard Metz in diesem Band, Anm. 6. Rosenkranz bei Hausen: Es gab eine Liebfrauenkapelle an der Landstraße von Colmar nach Schlettstadt, erwähnt seit 1459 (August Scherlen , Perles d ’ Alsace 1 [Mülhausen 1926] S. 257 - 258, ohne Quellen); eine Ordnung von 1499 (ADHR E 2359) erwähnt den Kaplan, der auch die Opfer (Hühner, Geld, gewant, cleinod) empfängt, den Waldbruder und den Wirt. Schäfertal hinter Sulzmatt: Die Liebfrauenkapelle wurde 1511 neugeweiht (Paul Stintzi , Unsere liebe Frau, Gotteshaus im Schäfertal, Archives de l ’ Eglise d ’ Alsace NF 7 (1956) S. 251 - 60, hier: S. 253); sie müsste also ins 15. Jahrhundert zurückgehen, aber dazu gibt es keine Schriftquellen und höchstens unsichere archäologische Hinweise (Pierre Brunel/ Pierre-Paul Faust , Notre-Dame du Schaefertal, à l'occasion de l'inauguration de la chapelle rénovée, 18 septembre 1988 [Sultzmatt 1988] S. 14 - 23). 1626 heißt es, daß die miraclen zu Unserer lieben Frau Cappellen vor langen joren biß dato offentlich an taffeln geschriben (AAEB A 75 Bl. 133 r). Schauenberg über Pfaffenheim: Der Kaplan der Liebfrauenkapelle ist 1441 (aber noch nicht um 1380) bezeugt (Pouillés des provinces de Besançon, de Tarentaise et de Vienne, hg. von Etienne Clouzot [Paris 1940] S. 169), eine zweite Kaplanei wird 1483 gestiftet: Theobald Walter , Das Minoritenkloster in Rufach, Zeitschrift der Gesellschaft für Geschichts- und Altertumskunde zu Freiburg 22 (1906) S. 14 - 65, hier: S. 30 [nach ADHR 141J dépôt 247 & 250]. 1446 soll eine Landgräfin von Hessen hier durch ein Wunder geheilt worden sein, aber die Quelle ist aus dem 18. Jahrhundert. Die Kapelle wurde 1515 vergrößert (Bernard Keller , Le Schauenberg, cinq siècles d ’ histoire et de dévotion, Archives de l ’ Eglise d ’ Alsace 47 [1988] S. 345 - 368, hier: S. 346 - 347). Thierhurst bei Heiteren: Das Dorf Tiernheim war schon 1394 wüstgefallen (ADHR 1C 8043 Bl. 7 v). Seine Kapelle Unsere liebe Frau wurde 1517 auf Betreiben von Agnes von Rappoltstein, welche das Nachbardorf Heiteren besaß, wiederhergestellt, geweiht und mit einem Ablaß bedacht: ADHR E 1261. Vgl. Joseph Levy, Notes pour servir à l ’ histoire du pèlerinage Notre-Dame de Thierhurst, Revue catholique d ’ Alsace 23 (1904) S. 377 - 389 (wenige Angaben vor dem 18. Jahrhundert); Levy , Mutter Gottes (wie Anm. 2) S. 248 - 255. Elisabeth Clementz 126 <?page no="127"?> Resumen: Las peregrinaciones regionales en la parte alsaciana de la diócesis de Basilea en la Edad Media. Hoy sabemos de 32 peregrinaciones en la región de la Alta Alsacia pero sus orígenes se encuentran a menudo en la sombra. Sólo dos de ellas tienen datado su inicio: Kienzheim (1466) y Drei-Ähren (1491). Antes del año 1300, el destino clásico de una peregrinación era el sepulcro de un santo, por ejemplo, la tumba de Santa Huna en Hunaweier y probablemente también la de San Morand en Altkirch. Hasta el año 1300, sin embargo, sólo existe testimonio de, como mucho, cuatro de tales peregrinaciones en la parte alsaciana de la diócesis de Basilea. Se trata de un desarrollo clásico: con anterioridad a 1300, la mayoría de las peregrinaciones se dirigían a los sepulcros de los santos, pero después de esa fecha, los destinos pasan a ser lugares donde se encontraban reliquias o imágenes de algún santo. En la diócesis de Estrasburgo tuvieron lugar antes de 1300 seis peregrinaciones a sepulcros de santos; después de 1300 surgen 34 nuevas peregrinaciones, de las cuales 18 son objetos de culto mariano. La cifra total y el porcentaje de peregrinaciones marianas en ambas diócesis son prácticamente los mismos. Las peregrinaciones locales de la diócesis de Basilea son mayoritariamente un fenómeno rural: sólo cinco tienen su sede en ciudades (Altkirch, Thann, Rufach, Colmar, Reichenweier). La mitad de las peregrinaciones marianas se encuentra en los Vosgos o al pie de esta cordillera. De entre todas las peregrinaciones conocidas de la Alta Alsacia medieval, sólo siete legaron libros de milagros, todos ellos de la Baja Edad Media. En el libro de milagros de Leimbach se puede ver que a San Blasio se le atribuían tres competencias especiales. Dos de ellas se pueden deducir de su Vita: se le encomendaba el ganado así, como la curación de todos los dolores del cuello, la faringe y la cabeza (de ahí también que a menudo se le invocara para ayudar a niños que corrían peligro de ahogarse). Únicamente en las regiones de habla alemana se le invocaba también en el caso de afecciones de vejiga y afecciones renales, debido a la semejanza entre los nombres Blasius y Blase; en Leimbach se le encommendaban a menudo niños que sufrían de cálculos renales. La mayoría de los peregrinos que acudía a Leimbach, vivía en un radio de 10 km. Al final de la Edad Media, la jerarquía eclesiástica comenzó a mostrar una mayor desconfianza en los milagros que en épocas anteriores; así que dejó de ver con buenos ojos estas numerosas peregrinaciones. Hubo incluso algunos casos en los que las combatió. Die Nahwallfahrten im elsässischen Teil der Diözese Basel 127 <?page no="129"?> St. Theobald und die Wallfahrt nach Thann im Spätmittelalter Andreas Röpcke Die Thanner Wallfahrt ist ein naheliegendes Thema, wenn man im Elsass tagt und sich mit Pilgern beschäftigt, und es ist ein reizvolles und lohnendes Thema. Wallfahrten als Ausdruck von Volksfrömmigkeit sind ja unter verschiedenen Aspekten von geschichtlichem Interesse. Von der Kirchengeschichtsschreibung im protestantischen Norddeutschland wurden sie lange eher oberflächlich und stiefmütterlich behandelt. Das, was die Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte 1978 über Heiligenverehrung und Wallfahrtswesen ausführt, wird von kundiger Seite schlicht als belanglos bezeichnet 1 . Und der maßgebliche mecklenburgische Kirchenhistoriker Karl Schmaltz zum Beispiel sieht beim Wallfahrtswesen die „ eingeborne deutsche Wanderlust, den germanischen Drang in die Ferne “ wirksam werden 2 . Wie bei der Völkerwanderung? Mein Interesse an Thann wurde bei einem Besuch der unerwartet schönen, ja prächtigen Kirche geweckt. Die Mittel für einen solchen Kirchbau waren durch Pilger zusammengekommen, die seit dem 14. Jahrhundert nach Thann strömten, wo eine wundertätige Daumenreliquie verwahrt wurde. Nach Thanner Überlieferung war es der Daumen des hl. Bischofs Ubald von Gubbio, den ein Getreuer nach dessen Tod mitgenommen hatte. Auf dem Heimweg wollte der Stab, in dem die Reliquie geborgen war, an einer Stelle im Oberelsass nicht mehr weiter, und dort wurde dem Heiligen dann eine Kirche gebaut 3 - ähnliche Legenden begründen oftmals die Ortswahl für ein Kloster oder eine andere heilige Stätte. Ein Wunder, ein Wink Gottes soll schon am Anfang stehen. Über dem 1 Enno Bünz , Santiagopilger und Jakobusverehrung zwischen Nord- und Ostsee im 12. Jahrhundert, Hansische Geschichtsblätter 118 (2000) S. 35 - 56, hier: S. 37 Anm. 10. Die Wallfahrt nach Thann findet in dieser Kirchengeschichte überhaupt keine Erwähnung. 2 Karl Schmaltz , Kirchengeschichte Mecklenburgs 1 (1935) S. 278. 3 Georges Kiesel , Theobald von Thann, in: Lexikon der christlichen Ikonographie 8 (1990) Sp. 439 - 442, hier: Sp. 440. <?page no="130"?> Kirchenportal steht der hl. Bischof, Pilger zu seinen Füßen, und im Kircheninnern befindet sich eine Heiligenfigur, über deren Haupt zwei schwebende Engel eine Bischofsmütze halten 4 . In der Nachbereitung dieses Besuchs stieß ich auf etwas, das Thann als Wallfahrtsort nun besonders vielfältig darstellbar macht: das Mirakelbuch. Von Pilgern berichtete besondere Beispiele für die Wunderwirksamkeit des Heiligen zeichnete man auf, um die Bedeutung der Wallfahrtsstätte zu dokumentieren und zu unterstreichen. So ein Buch mit 215 Berichten aus dem Zeitraum 1405 - 1522 wurde im 19. Jahrhundert auf dem Dachboden eines elsässischen Pfarrhauses wiederentdeckt und von Georg Stoffel 1875 in den Druck befördert 5 . Eine Art Widmungstext besagt, dass alle Menschen, die ihn mit truwen und ernst anrufen in welicherley Kumers, Banden, Trübsal oder Gebresten sy sint, befreit und erlöst werden. Zum Beweis der Wahrheit diene dieses Buch. Es enthält unerwartet viele Bezüge zu Norddeutschland, zur Waterkant, zum Meer, und überhaupt wunderbare Wundergeschichten. Es ist die Hauptquelle für diesen Beitrag. Für Pommern 6 und Mecklenburg 7 , Lübeck 8 und Hamburg 9 ist es von der Forschung schon früher benutzt und ausgewertet worden, für Schleswig- Holstein und das Elbe-Weser-Gebiet habe ich das gemacht 10 . Es wird nun zunächst etwas zum hl. Theobald allgemein ausgeführt - eine ziemlich komplizierte Geschichte übrigens - dann mit norddeutscher Perspektive die Wallfahrt von der Waterkant zwischen Stettin und Bremen nach Thann im Elsass kursorisch abgehandelt, um schließlich einen weiteren Akzent auf die Theobaldsmirakel des elsässischen Umfelds von Thann zu setzen. Ein Blick zwischendurch auf die Thanner Pilgerzeichen darf nicht fehlen. Es wurde schon erwähnt, dass man in Thann die wundertätige Reliquie auf den hl. Ubald zurückführte, den man aber Theobald nannte, süddeutsch Thiebold, französisch Thiebault. Das hat für Irritationen gesorgt, und als 4 René Kirner , Das Theobaldusmünster zu Thann (Lyon 1984), Broschüre. Vgl. Abb. 3 und 4. 5 Tomus Miraculorum Sancti Theobaldi, ed. Georg Stoffel (Colmar 1875). 6 Norbert Buske , Die Verehrung des Hl. Ewald und die Errichtung der Bodstedter Kapelle, Baltische Studien NF 58 (1972) S. 19 - 32, hier: S. 21 - 25. 7 Friedrich Techen , Der Nothelfer St. Theobald (Ewald), Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde 60 (1895) S. 169 - 178. 8 Norbert Ohler , Zur Seligkeit und zum Troste meiner Seele. Lübecker unterwegs zu mittelalterlichen Wallfahrtsstätten, Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 63 (1983) S. 83 - 103, hier: S. 100 ff. 9 Hans Nirrnheim , Über die Verehrung des heiligen Theobald (Enwald) in Hamburg, in: Festgabe zum 21. Juli 1905 für Anton Hagedorn (1906) S. 2 - 24, hier: S. 6 - 8. 10 Andreas Röpcke , St. Theobald und die Wallfahrt nach Thann. Norddeutsche Aspekte, in: Klerus, Kirche und Frömmigkeit im spätmittelalterlichen Schleswig-Holstein, hg. von Enno Bünz / Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt (Neumünster 2006) S. 345 - 355. - Andreas Röpcke , Mittelalterliche Spuren der Verehrung des heiligen Theobald zwischen Elbe und Weser, Bremisches Jahrbuch 82 (2003) S. 31 - 42. Andreas Röpcke 130 <?page no="131"?> man nun bei einer Graböffnung Ubalds 1593 feststellte, dass der Daumen noch dran war, verkündeten die gelehrten Bollandisten, die Bearbeiter der Acta Sanctorum, man habe sich in Thann geirrt, es müsse sich um Theobald den Eremiten handeln, gestorben 1066, - nur: der war nie Bischof, und in Thann wurde ein hl. Bischof verehrt. Man hat in Thann geradezu hartnäckig an der Ubald-Version festgehalten, die Reliquie noch im 20. Jahrhundert mit naturwissenschaftlichen Methoden untersuchen lassen und im Jahre 1946 eine weitere Graböffnung Ubalds erwirkt. An Ubalds Daumenknochen wurde dabei eine Schabstelle festgestellt, und die Thanner Reliquie könnte Daumengewebe sein. In Thann fühlte man sich in seiner Auffassung endlich bestätigt. Der Streit kann, was das historische Interesse angeht, seit der gründlichen Untersuchung von Médard Barth 1948 als entschieden gelten 11 , doch wirkt er in den Formulierungen der einschlägigen Nachschlagewerke noch lange fort 12 . Um die Verwirrung zu vergrößern: der Festtag Ubalds war der 16. Mai, in Thann wurde aber am 1. Juli gefeiert, wohl die Translation der Reliquie, aber es ist auch der Festtag des Eremiten Theobald; der 1. Juli war auch Theobaldstag in Hamburg, der 3. Juli in Lübeck und in Ratzeburg der 16. Mai. In der pommerschen Diözese Kammin war am 3. Oktober Theobaldstag 13 , eigentlich der Festtag der hl. Ewalde aus Irland, und das kommt daher, dass im niederdeutschen Raum Theobald auch als Enwold oder Ewald bezeichnet wurde. Der Wismarer Crull hat 1889 vor allem anhand schleswig-holsteinischer Quellen aufgedeckt, dass die Wallfahrt zu St. Ewald die nach Thann ist 14 . Die verschiedenen Namen sprechen ebenso wie die verschiedenen Festtage dafür, dass eine schließlich unentwirrbare Vermengung, Überlagerung und Verschmelzung verschiedener Kulte stattgefunden hat. Das ist ja kein Einzelfall. Dem mittelalterlichen Menschen war das, so können wir annehmen, letztlich nicht so wichtig. Es ging ihm mit der Anrufung eines 11 Médard Barth , Zur Geschichte der Thanner St. Theobalduswallfahrt im Mittelalter, Annuaire de la Societé d ’ histoire des régions de Thann-Guebwiller 1 (1948) S. 19 - 82. 12 Otto Wimmer , Handbuch der Namen und Heiligen (3. Aufl. 1966) S. 483 f. setzt den Einsiedler und Kamaldulenser Theobald mit dem Thanner Heiligen gleich und vermerkt S. 499 bei Ubald: „ Bis in die neuere Zeit wurde er fälschlich mit dem hl. Theobald von Provins (oder Thann) identifiziert “ . - Das Lexikon für Theologie und Kirche, das sich 1935 den Gegnern der Thanner Tradition angeschlossen hatte, ist in der 3. Aufl. (2000) zwiespältig. Während das Mirakelbuch weiterhin Theobald von Provins zugeschrieben wird, Darstellung „ zuweilen irrig als Bischof “ , bekennt sich der Artikel Thann im selben Band zu Ubald unter dem Namen von Theobald. Das Lexikon des Mittelalters (1997) und das Lexikon der christlichen Ikonographie (1976) identifizieren Ubald mit dem Thanner Theobald. 13 Hermann Grotefend , Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit 2, 1 (Hannover 1892) S. 69, S. 81, S. 103, S. 155; 2, 2 (Hannover 1898) S. 174. 14 Friedrich G. L. Crull , S. Ewald, Mitteilungen des Vereins für Lübeckische Geschichte 4 (1889) S. 84. St. Theobald und die Wallfahrt nach Thann im Spätmittelalter 131 <?page no="132"?> Heiligen wie uns bei der Einnahme von Medizin: Hauptsache, es hilft. Was genau drin ist, muss ich nicht wissen. „ Heiliger Himmelsfürst “ wird Theobald angerufen, und man gelobt eine Wallfahrt nach Thann, gern in Verbindung mit einem Besuch von Aachen und Einsiedeln in der Schweiz. Schriftzeugnisse, insbesondere Testamente belegen außer unserem Mirakelbuch die Popularität der Thanner Wallfahrt im ausgehenden Mittelalter, Pilgerzeichen treten als Sachzeugen hinzu. Die sogenannten Thebal-Ringe, die früher mit Theobald in Verbindung gebracht wurden 15 , scheiden hingegen aus. Sie haben mit ihm nichts zu tun 16 . Die Reise von Ost nach West die Ostseeküste entlang soll in Stettin beginnen mit einer Geschichte, die gleich zweimal ins Mirakelbuch eingetragen ist, davon einmal richtig breit ausgeführt: Ein Edler vom Hofe des pommerschen Herzogs hatte Theobald eine Wallfahrt gelobt, um eine Krankheit zu überstehen, und als er den Herzog deswegen um Urlaub bat, sagte der: Du und dein Theobald! Er liegt im Elsass, wo die guten Weine wachsen, und die ihn aufsuchen, die trinken von dem guten Wein und durch ihr Trinken werden sie gesund! Im Verlauf der Geschichte wird dann der Herzog selber krank und beide mit Theobalds Hilfe wieder gesund. Sie pilgern zusammen nach Thann, und der Herzog gelobt, sein Leben lang jährlich 6 Gulden der Theobaldskirche zu senden, was er auch viele Jahre getan habe 17 . Das Mirakelbuch nennt weitere Pilger aus Pommern, allerdings keinen mehr nach 1461, was seine einfache Erklärung darin findet, dass 1462 erstmals eine dem hl. Ewald geweihte Kapelle in Bodstedt bei Barth an der Ostsee genannt wird 18 . Damit hatten sich die Pommern ein Theobald-Heiligtum ins eigene Land geholt, das sie ohne größere Umstände besuchen konnten. Mecklenburg ist auch mit mehreren Wundergeschichten im Mirakelbuch vertreten, die schon vor längerer Zeit in den Jahrbüchern für mecklenburgische Geschichte zusammengestellt wurden 19 . Nicht ins Mirakelbuch gelangte die Pilgerfahrt des mecklenburgischen Statthalters Mathias Axekow. 1436 besuchte er Thann, Einsiedeln und - die Gelegenheit war günstig - das Baseler Konzil. Auf dem Rückweg wurde er auf Veranlassung des Lübecker Domkapitels gefangen genommen, das noch eine Rechnung mit ihm offen hatte 20 . Weil er als Pilger zu Fuß ging, war er leichter zu fangen, schreibt der Chronist 21 . 15 Wilhelm Deecke , Amulettringe des heiligen Theobald von Thann, Jahrbuch für Geschichte, Sprache und Literatur Elsass-Lothringens 8 (1892) S. 36 - 44. 16 Ernst Grohne , Das Problem der Thebalringe, in: Alte Kostbarkeiten aus dem bremischen Kulturbereich, hg. von Dems. (Bremen 1956) S. 46 - 106, hier: S. 60. 17 Tomus Micaculorum (wie Anm. 5) Nr. 2, 3, 92. 18 Buske , Verehrung des Hl. Ewald (wie Anm. 6) S. 28 - 29. 19 Techen , Nothelfer (wie Anm. 7). 20 Schmaltz , Kirchengeschichte Mecklenburgs (wie Anm. 2) S. 244. 21 Dietrich Schröder , Papistisches Mecklenburg 2 (1741) S. 1971. Andreas Röpcke 132 <?page no="133"?> Auf Mecklenburger und pommerschen Kirchenglocken sind Pilgerzeichen des hl. Theobald überliefert 22 , fromme Souvenirs, die in großen Stückzahlen an den Wallfahrtsorten verkauft wurden. In Rostock gab es 1431 einen Theobald-Altar in St. Marien 23 , in Schwerin gab es eine St.-Ewald-Bruderschaft 24 , Wismar verpflichtete sich 1430 in einer Sühneurkunde, je einen Pilger nach Thann, nach Rom, und nach Santiago auszusenden 25 . Diese Nennung in einem Atemzug mit den bedeutendsten Wallfahrtsorten des Abendlandes will schon etwas heißen. Größere Pilgerreisen bedurften in den Hansestädten der Genehmigung des Rats. Wismar nennt 1419 und öfter Namen für solche Fahrten, die ohne Genehmigung verboten sind: Aachen, Einsiedeln und Eenwolde, also Thann 26 . In Lübeck hat eine Analyse von testamentarischen Verfügungen ergeben, dass Thann häufiger genannt wird für einen aus dem Vermächtnis finanzierten Pilger als Santiago 27 - war ja auch billiger, mag sich der Lübecker Kaufmann gedacht haben. Thann als Ziel einer Wallfahrt findet sich in den Lübecker Testamenten vereinzelt in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts 28 , um im 15. Jahrhundert dann richtig beliebt zu werden. Es gab eine Bruderschaft des hl. Enwold in Lübeck und einen ihm geweihten Altar mit einer Meßstiftung in St. Katharinen, der 1423 erwähnt wird 29 . Eine Wandmalerei des ausgehenden 14. Jahrhunderts in einem Beginenhaus ist erst vor wenigen Jahren (2003) wiederentdeckt und restauriert worden. Die Engelsflügel an der Bischofsmütze weisen deutlich auf Theobald 30 . Im Mirakelbuch sind Lübecker mehrfach vertreten 31 . 22 Monika Schaugstat , Mittelalterliche Pilgerzeichen auf Glocken in mecklenburgischen Dorfkirchen, Mecklenburgische Jahrbücher 109 (1993) S. 19 - 54, hier: S. 42 - 43, S. 50 und Abb. 11. Vgl. Abb. 1. 23 Schröder , Papistisches Mecklenburg (wie Anm. 21) S. 1921. 24 Wilhelm Jesse , Geschichte der Stadt Schwerin 1 (Schwerin 1913) S. 93. 25 Techen , Nothelfer (wie Anm. 7) S. 175. 26 Ebd. S. 177. 27 Ohler , Seligkeit (wie Anm. 8) S. 97. Nur Aachen und Wilsnack liegen vor Thann. Dies bestätigt die Analyse von Gunnar Meyer , „ Besitzende Bürger “ und „ elende Sieche “ : Lübecks Gesellschaft im Spiegel ihrer Testamente 1400 - 1449 (Lübeck 2010) S. 109. 28 Ein Beleg zu 1363 bei Hildegund Hölzel , „ pro salute anime mee . . . ordino testamentum meum . . . “ Studien zur Lübecker Kirchengeschichte des 14. Jahrhunderts, Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 70 (1990) S. 27 - 59, hier: S. 40. 29 Die Bau- und Kunstdenkmäler der Freien und Hansestadt Lübeck 4, bearbeitet von Johannes Baltzer (Lübeck 1928, ND 2001) S. 92. Der Altar wird dort irrtümlich mit Malereien aus der Legende der beiden Ewalde in St. Katharinen in Verbindung gebracht. 30 Eileen Wulf , Bericht über das Haus St. Annen Str. 3, 23552 Lübeck, Amt für Denkmalpflege der Freien und Hansestadt Lübeck (Lübeck 2003). Ich danke Frau Wulf für ihre Unterstützung. 31 Tomus Miraculorum (wie Anm. 5) Nr. 51, 52, 65, 165, 166, 186. - Siehe auch Ohler , Seligkeit (wie Anm. 8) S. 99 ff. St. Theobald und die Wallfahrt nach Thann im Spätmittelalter 133 <?page no="134"?> In Hamburg, wo die Theobaldsverehrung in einer kleinen Spezialstudie von Nirrnheim mustergültig untersucht ist, gab es bereits im 14. Jahrhundert einen Theobaldaltar in St. Petri mit einer Vikarie, ein weiterer wurde dort 1424 gestiftet bei der Gründung der Bruderschaft 32 . Außer der Bruderschaft durfte nur das Schneideramt an dem Altar Messe lesen lassen. Die Hamburger Bruderschaft ist durch ihre Gründungsurkunde, erhaltene Statuten und Namenslisten von Mitgliedern gut dokumentiert. 1480 hat sie 138 Mitglieder - Bäcker, Schumacher, Schneider, Fischer - die alle in drei Straßen wohnen, 1544 wird sie aufgelöst 33 . Es gibt zwei Hamburger Pilger im Mirakelbuch und Belege aus Bürgertestamenten für die Aachen-Enwold- Einsiedeln-Tour. Diese wurde im Jahr 1454 vom Hamburger Rat ausdrücklich verboten, damit in dieser schlechten Zeit niemand zu Schaden und Verderb komme, den Hamburgern Bürgern wurde zugleich verboten, einen in Gefangenschaft geratenen Pilger auszulösen 34 , aber zum Glück gehörte Befreiung aus Gefangenschaft ja zu den Spezialitäten des hl. Theobald, wie das Mirakelbuch mit insgesamt 35 Fällen belegt. Damit können wir uns nun Schleswig-Holstein zuwenden. Welchen Niederschlag Theobalds Verehrung z. B. in Altarstiftungen und -patrozinien fand, ist leider nicht so systematisch erforscht wie in Niedersachsen und Bremen. Belegstücke für Thanner Pilgerzeichen - sei es auf Glocken, sei es als Funde - gibt es bislang nicht (dafür aber wieder in Dänemark). So bliebe es bei einzelnen urkundlichen Hinweisen besonders aus Kiel, hätten wir nicht jenes wunderbare Wunderbuch, die Theobaldsmirakel. Selbst wenn man alle Geschichten fraglicher Provenienz ausklammert - es gibt mehrdeutige Bezeichnungen wie „ von der See “ oder „ aus Seland “ , was in einem Fall die Stadt Hamburg meint 35 , und es gibt Verstümmelungen und Verballhornungen von Namen, denn man kann sich ja vorstellen, wie gut so ein Schreiber im Oberelsass einen platt snakenden Holsteiner verstanden hat, wenn der seine Geschichte erzählte - also selbst wenn man die unklaren Fälle und auch die Lübecker ausklammert, kommt man noch auf 22 Wundergeschichten aus Schleswig-Holstein 36 , bei insgesamt 215 Geschichten des Buches sind das mehr als 10 %! Zeitlich erstrecken sie sich von 1408 bis 1522 mit einem deutlichen Schwerpunkt in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, räumlich erstrecken sie sich von Flensburg im Nordosten bis an die Elbe mit einem deutlichen Schwerpunkt in Holstein. Adel und Kaufmannschaft sind ver- 32 Nirrnheim , Theobald (wie Anm. 9) S. 10 f. 33 Ebd. S. 15 f., S. 23. 34 Ebd. S. 9 f. 35 Tomus Miraculorum (wie Anm. 5) Nr. 14. 36 Ebd. Nr. 16, 22, 64, 75, 77, 84, 85, 86, 101 (Niclaus von Lübeck wird hier als Name verstanden und nicht zu den Lübeckern gezählt wegen des Zusatzes „ aus dem Lübecker Bistum “ ), 119, 129, 135, 136, 138, 171, 177, 185, 188, 191, 196, 203, 212. Andreas Röpcke 134 <?page no="135"?> treten, ein verschuldeter Fischer, drei Frauen. Als Anlass für die Pilgerfahrt dominiert die Heilung von Krankheit, Missbildung und Gebrechen, wie das im Übrigen für das ganze Mirakelbuch gilt: das ist die mit 78 Fällen auch insgesamt größte Gruppe. Sei es eine langjährige Wurmerkrankung 37 , sei es Tobsucht, Mutterkornbrand oder ein lahmer Arm 38 - Theobald hat geholfen. Der Hinweis auf das Antoniusfeuer, den im Mittelalter verbreiteten Mutterkornbrand, unterstreicht die Vielseitigkeit der Wirkungsmacht des hl. Theobald, denn eigentlich hatten sich die Antoniter auf die Behandlung dieser Krankheit spezialisiert 39 , Antonius war der zuständige Heilige, und die nächste Niederlassung der Antoniter zweifellos leichter zu erreichen als Thann. Der Schreiber des Mirakelbuches konnte mit dieser Wunderheilung für die Nachwelt festhalten: Antonius sollte nicht überschätzt werden. Seht her, unser Mann kann das auch! Seitenhiebe auf die Konkurrenz finden sich auch an anderen Stellen, so, wenn von einer Frau aus Worms berichtet wird, sie habe viele Heilige erfolglos angerufen, bis ihr nun von Theobald Hilfe zuteil wurde 40 . Eine Frau aus Hasfelde bei Lübeck hatte ein Kind mit einem mißgebildeten Arm. Nachdem sich mit Theobalds Hilfe alles zurechtgewachsen hatte, pilgerte sie barfüßig nach Thann, um dem Heiligen zu danken 41 - eine bewusst verschärfte Form der Pilgerschaft. Von einem Paar aus fernen welschen Landen wird 1473 sogar erzählt, der Mann sei nackend gepilgert und habe sich erst in Thann wieder anziehen dürfen 42 . Spezielle Dienste leistet der Heilige der adligen Familie Rantzau in der Geburtshilfe. Als sich 1463 der Junker Heinrich Rantzau im holsteinischen Oldenburg Sorgen um seine Frau macht, weil sie Schmerzen bei der Schwangerschaft hat und nicht gebären kann, soll Theobald es richten. Rantzau schickt seinen Knecht auf die Fahrt nach Thann, welcher dort ein goldenes Bild im Wert von 11 Gulden übergibt 43 - ein armer Mann war Heinrich Rantzau nicht. Jahrzehnte später ereignet sich ein ähnlicher Fall bei den Rantzaus auf Rantzau: eine Geburt verläuft unglücklich, das Kind stirbt, die Mutter liegt wie tot; da empfiehlt eine der Frauen, die bei der Geburt helfen, die Einschaltung Theobalds. Sobald die Wallfahrt gelobt und ein Pilger bestellt ist, regt sich die Frau und wird gesund, der Pilger überbringt zum Dank eine silberne Platte, auf die ein Frauenbild graviert ist 44 . 37 Ebd. Nr. 101 für das Jahr 1408. 38 Ebd. Nr. 135, 136. 39 Adalbert Mischlewski , Grundzüge der Geschichte des Antoniterordens bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts (Köln u. a. 1976) hier: S. 349 ff. 40 Tomus Miraculorum (wie Anm. 5) Nr. 146. 41 Ebd. Nr. 177. 42 Ebd. Nr. 154. 43 Ebd. Nr. 64. 44 Ebd. Nr. 212. St. Theobald und die Wallfahrt nach Thann im Spätmittelalter 135 <?page no="136"?> Es gibt auch eher kuriose Einzelfälle, die keiner bestimmten Wundergruppe zuzuordnen sind. Die Rettung vor Gläubigern ist so ein Fall: Ein überschuldeter Fischer aus Holstein sieht sich schon von seinen Gläubigern außer Landes getrieben, als ihm die Anrufung Theobalds wundersam die Netze füllt und er einen so großen Fang macht, dass er damit alle Schulden bezahlen kann 45 . Wie für manche Heilungswunder und die Befreiung aus Gefangenschaft gibt es auch für den wundersamen Fischzug ein biblisches Vorbild, Petri Fischzug im See Tiberias bei Johannes im 21. Kapitel. Rettung aus Seenot verschiedenster Art kommt bei den Theobaldsmirakeln öfters vor. Ein Pilger erlitt Schiffbruch auf der Reise von Flandern nach Livland und gehörte zu den wenigen Überlebenden 46 . Ähnlich erging es einem dankbaren Holländer, einem Holsteiner und einem Seemann, der bei Danzig in Seenot geriet 47 . Ein Mann aus Flensburg verlor sein Gut auf See durch Seeräuber und gelobte eine Wallfahrt, wenn ihm Hilfe zuteil würde. In einem anderen Land auf Reisen unterwegs, wurde er gewahr, wie sein Gut angelandet wurde, erhielt es zurück und erlebte noch, wie vier der Seeräuber einen Kopf kürzer gemacht wurden 48 . Ein anderer Flensburger, der seine ganze Habe durch Seeräuber verloren hatte, gelobte eine Wallfahrt nach Thann innerhalb der nächsten drei Jahre, hielt sich aber nicht daran. Da wurde seine rechte Hand lahm, was ihn an das Gelöbnis erinnerte, und kaum war er zur Pilgerfahrt aufgebrochen, war die Hand wieder gut 49 . Solche Geschichten sollten den Gläubigen nachdrücklich klar machen, dass es dem Heiligen nicht egal war, ob man sich an frühere Versprechungen hielt oder nicht. Wie wir in den Hansestädten Wismar, Lübeck und Hamburg eine ausgeprägte Theobald/ Ewald-Verehrung feststellen konnten, so hat auch Kiel mehr zu bieten als die Fälle des Mirakelbuches. Ein Bürgertestament verfügt schon 1368, einen Pilger ad sanctum Theobaldum proprie Ennewald zu senden, eine Formulierung, die zum Schlüssel für die Gleichsetzung Theobald/ Enwald/ Ewald wurde 50 . 1432 kommt der von Tobsucht geheilte Kieler Ulrich Schmit nach Thann 51 , 1451 ein Bruder Matthias, der im Auftrag des Kieler Rates zwei Silberbarren überbringt, der eine versehen mit dem Bild des Bischofs, der andere mit dem eines knieenden Mannes mit wohl zum Gebet verbundenen Händen, auf dem Kopf eine mit einer Feder geschmück- 45 Ebd. Nr. 185. 46 Ebd. Nr. 8. 47 Ebd. Nr. 9, 13. 48 Ebd. Nr. 70. 49 Ebd. Nr. 77. 50 Crull, S. Ewald (wie Anm. 14) S. 84. 51 Tomus Miraculorum (wie Anm. 5) Nr. 16. Andreas Röpcke 136 <?page no="137"?> te Mütze. Das Silber ist für die Kirchenfabrik, die Baukasse des Thanner Theobaldsmünsters bestimmt, und die Übergabe wird Matthias quittiert. Fünf weitere Quittungen sind erhalten, die letzte von 1487. Aus ihr wird deutlich: es gab jedes Jahr Silber für Theobald aus Kiel 52 . Das Mirakelbuch erwähnt 1489 eine Kielerin, die mit Blindheit geschlagen war, aber durch eine Silberspende für Theobald wieder sehend wurde 53 . Auch bei Feuersbrünsten war nicht nur der volkstümliche hl. Florian gefragt - Motto: Heiliger St. Florian, verschon mein Haus, zünd andre an - auch Theobald wird mit Erfolg angerufen. Ein Edelmann, dessen Haus stehen geblieben war, während 300 andere abbrannten, schickt 1488 Gold 54 , und eine Kielerin, die sich beim Stadtbrand der Hilfe des Heiligen versichert hatte, schickt 1495 einen Pilger mit einem halben Pfund Wachs 55 . Westlich der Elbe sind die Spuren der Theobaldsverehrung nicht so ausgeprägt. Wohl sind in Altenbruch, Lüneburg und an der Stadtkirche von Hoya Theobaldaltäre und Vikariestiftungen bezeugt, in Bremen aber zum Beispiel nicht 56 . Kein Altar, keine Bruderschaft, keine Erwähnung der Thanner Wallfahrt, kein Bremer im Mirakelbuch. Dass die Wallfahrt gleichwohl bekannt war, belegt ein Weserfund, der Thanner Pilgerzeichen enthält. Pilger aus Stade und dem Erzbistum Bremen finden sich im Mirakelbuch, und mit der Geschichte von Theobald als Poltergeist von der Unterweser soll unsere Reise entlang der norddeutschen Küste abgeschlossen werden: Ein Mann in Neuenkirchen (zwischen Bremen und Bremerhaven) hatte eine Wallfahrt zu Theobald testamentarisch verfügt, seine Erben aber kümmerten sich nicht darum. Da begann es in seinem Haus zu spuken, und ein Gespenst fuhr dem einen ungetreuen Erben so in die Seite, dass er lahm blieb. Das half, nun wurde ein Pilger nach Thann geschickt, um die Verpflichtung einzulösen 57 . 52 Ernst Joachim de Westphalen , Monumenta inedita Rerum Germanicarum praecipue Cimbricarum et Megapolensium 4 (Leipzig 1745) Sp. 3311. 53 Tomus Miraculorum (wie Anm. 5) Nr. 65. 54 Ebd. Nr. 188. Es wird sich um Kiel handeln, da von einer Hauptstadt der Herrschaft Holstein die Rede ist. 55 Ebd. Nr. 196. 56 Röpcke , Spuren (wie Anm. 10). Zu ergänzen ist ein Lüneburger Testament, das eine Pilgerfahrt nach Enwalde verfügt, siehe Uta Reinhardt , Lüneburger Testamente des Mittelalters 1323 - 1500 (Hannover 1996) S. 285 Nr. 201 (dort fälschlich mit den Kölner Ewalden in Verbindung gebracht). 57 Tomus Miraculorum (wie Anm. 5) Nr. 210. St. Theobald und die Wallfahrt nach Thann im Spätmittelalter 137 <?page no="138"?> Eine Kartierung der Herkunftsorte der Thanner Pilger, wie sie das Mirakelbuch auflistet, ergibt folgendes Bild 58 : Karte 1: Herkunftsorte der im Mirakelbuch genannten Pilger. Die Karte hat verschiedene Mängel (Karte 1). Öfters ist Oldenburg in Holstein gemeint und nicht Oldenburg in Oldenburg, auch meint der Begriff „ Seeland “ nicht die dänische Insel, sondern allgemein „ Land an der Küste “ , wie wir „ Waterkant “ sagen, aber die Schwerpunkte und die Streuung lassen sich doch ganz gut ablesen. Die Einzeichnung der Pilgerzeichenfunde ist ganz unzureichend und wurde durch eine neue Kartierung der 71 in der Pilgerzeichendatenbank nachgewiesenen Stücke ersetzt (Karte 2 und Legende). Eine Verknüpfung von Wundergeschichten des Mirakelbuchs mit Pilgerzeichenfunden gelingt leider nicht. Das Pilgerzeichen auf der Thanner Münsterglocke ist nicht eindeutig einem Wunder zuzuweisen, und auch im dänischen Aalborg, wo es eine Pilgergeschichte und ein Thanner Pilgerzeichen gibt, ist die Verbindung nicht eindeutig. Die Pilgerzeichen zeigen Theobald als thronenden Bischof, begleitet von Pilgern und/ oder den schwebenden Engeln, die die Bischofsmütze halten - beide Motive waren in Thann zu sehen (Abb. 3 und 4, S. 141). 58 Aus: Francois J. Himly , Atlas des villes médiévales d ’ Alsace (Nancy 1970) S. 43. Andreas Röpcke 138 <?page no="139"?> N O R D S E E Elbe Oder Rhein W e s e r E m s Elbe S a a l e H a v e l M a i n Donau Inn N e c k a r M o s e l A a r e M a a s Rhein O S T S E E Fünen S e e l a n d Rügen Bornholm Rostock Kiel Lübeck Schwerin Greifswald Stettin Hamburg Lüneburg Salzwedel Berlin Oldenburg Essen Göttingen Hannover Münster Arnhem Braunschweig Magdeburg Koblenz Frankfurt Aachen Fulda Erfurt Leipzig Dresden Kopenhagen Prag Nürnberg Ulm Regensburg Augsburg München Stuttgart Straßburg Freiburg Konstanz Basel Metz Luxemburg Linz Brüssel Antwerpen Bonn Zürich Aarhus Viborg Odense Flensburg Esbjerg 1 8 35 48 4 18 20 41 42 45 50 5 6 14 9 2 12 11 13 16 17 22 23 25 26 27 28 29 31 34 36 37 38 39 40 43 44 46 47 49 53 54 56 57 58 60 61 62 63 65 15 19 30 32 52 55 59 64 66 67 68 33 2 7 21 24 51 3 10 Fundort Orientierungsort Kartographie: G. Pápay Pilgerzeichen des Wallfahrtsortes Thann im Elsass 1 : 5 500 000 Karte 2: Thanner Pilgerzeichen. Kartographie: Prof. Dr. Gyula Pápay, Rostock. St. Theobald und die Wallfahrt nach Thann im Spätmittelalter 139 <?page no="140"?> Legende: Pilgerzeichen nach Fundorten/ Glocken www.pilgerzeichen.de, aufgerufen 2009 1. Groß Wusterwitz, Jerichower Land, Sachsen-Anhalt 2. Harber, Krs. Soltau-Fallingbostel, Niedersachsen 3. Belge, Krs. Nienburg 4. Medow, Krs. Ostvorpommern, Mecklenburg-Vorpommern 5. Fuhlenhagen, Krs. Herzogtum Lauenburg, Schleswig-Holstein 6. Bremen (Weserfund) 7. Eller, Krs. Cochem-Zell, Rheinland-Pfalz 8. Mechau, Krs. Salzwedel, Sachsen-Anhalt 9. Berlin-Schmargendorf, Berlin 10. Erbach (Rheingau), Rheingau-Taunus- Kreis, Hessen, 1377 11. Wijckel, Gemeinde Gaasterland, Friesland, Niederlande, 1388 12. Drochtersen, Krs. Stade, Niedersachsen 13. Melsungen, Schwalm-Eder-Kreis, Hessen 14. Sehlis b. Leipzig, Sachsen 15. Daler, Tønder Kommune, Südjütland, Dänemark (2 x) 16. Wenigenhasungen, Krs. Kassel, Hessen 17. Roda, Krs. Frankenberg/ Eder, Hessen 18. Domsühl, Krs. Parchim, Mecklenburg- Vorpommern 19. Vejle, Vejle Kommune + Amt, Dänemark 20. Rehberg, Krs. Uecker-Randow, Mecklenburg-Vorpommern 21. Amsterdam 22. Köln, 1400 23. Bisperode, Krs. Hameln-Pyrmont, Niedersachsen 24. Warfleth, Krs. Wesermarsch, Niedersachsen, (1425) 25. Schinznach, Bez. Brugg, Kanton Aargau, Schweiz 26. Mensfelden, Krs. Limburg-Weilburg, Hessen, 1431 27. Jeinsen, Krs. Hildesheim, Niedersachsen, 1431 28. Salz, Westerwaldkreis, Rheinland-Pfalz 29. Hildisrieden, Bezirk Sursee, Kanton Luzern, Schweiz 30. Ols, Aalborg Kommune, Bornholm, Dänemark 31. Holzweiler, Krs. Erkelenz, Nordrhein- Westfalen, 1436 32. Varde, Ribe Amt, Dänemark 33. Swichum, Gemeinde Leeuwarden, Friesland, Niederlande 34. Landringshausen, Stadt Barsinghausen, Krs. Hannover, Niedersachsen 35. Droyßig, Burgenlandkreis, Sachsen-Anhalt 36. Jestädt, Krs. Eschwege, Hessen 37. Germerode, Werra-Meißner-Kreis, Hessen 38. Mündersbach, Westerwaldkreis, Rheinland- Pfalz 39. Affoldern, Krs. Waldeck-Frankenberg, Hessen 40. Ohlweiler, Rhein-Hunsrück-Kreis, Rheinland-Pfalz, 1441 41. Burow, Krs. Parchim, Mecklenburg- Vorpommern 42. Schlatkow, Ostvorpommern, Mecklenburg- Vorpommern, 1446 43. Gemünden an der Wohra, Kreis Waldeck- Frankenberg, Hessen 44. Wolterdingen, Krs. Soltau-Fallingbostel, Niedersachsen 45. Jürgenstorf, Krs. Demmin, Mecklenburg- Vorpommern 46. Roßbach, Westerwaldkreis, Rheinland-Pfalz 47. Seehausen (Uckermark), Brandenburg 48. Untergreißlau, Krs. Weißenfels, Sachsen- Anhalt 49. Sinzig, Krs. Ahrweiler, Rheinland-Pfalz, 1451 50. Ballwitz, Krs. Mecklenburg-Strelitz, Mecklenburg-Vorpommern, 1453 51. Hoeningen, Krs. Neuss, Nordrhein- Westfalen, 1455 52. Kippervig, Horsens Kommune, Vejle Amt, Dänemark 53. Thann (Glocke), Elsass, Frankreich, 1467 54. Remsfeld, Schwalm-Eder-Kreis, Hessen 55. Jörl, Südjütland, Dänemark (Glocke) 56. Bad Salzig, Rhein-Hunsrück-Kreis, Rheinland-Pfalz, 1471 57. Oeverich, Krs. Ahrweiler, Rheinland-Pfalz, 1472 58. Altenahr, Krs. Ahrweiler, Rheinland-Pfalz, 1473 59. Uggerby, Hirtshals Kommune, Nordjylland Amt, Dänemark, 1473 60. Hirschfeld, Rhein-Hunsrück-Kreis, Rheinland-Pfalz, 1481 61. Rethen, Krs. Gifhorn, Niedersachsen, 1484 62. Ebsdorf, Krs. Marburg-Biedenkopf, Hessen, 1489 63. Wehrda, Krs. Marburg, Hessen 64. Kirkerup, Gundsø Kommune, Roskilde Amt, Dänemark, 1500 65. Stargard Szczeci ń ski, Westpommern, Polen 66. Lomborg, Lemvig Kommune, Ringkøbing Amt, Dänemark, 1505 67. Gislev, Gudme Kommune, Svendborg Amt, Dänemark, 1523 68. Nyborg, Fünen, Wächterglocke, 1523 Andreas Röpcke 140 <?page no="141"?> Abb. 1: Thanner Pilgerzeichen von der Glocke in Drochtersen (Landkreis Stade). Abb. 2: Theobald als Bischof mit Engeln und Pilgern. Abb. 3: Theobald als Bischof mit Pilgern. Thann, Münsterkirche. Abb. 4: Theobald als Bischof mit Engeln. Thann, Münsterkirche. St. Theobald und die Wallfahrt nach Thann im Spätmittelalter 141 <?page no="142"?> Wir wissen nicht, nach welchen Gesichtspunkten die Geschichten in das Mirakelbuch aufgenommen wurden, aber es waren vermutlich eher die besonderen Fälle, nicht die alltägliche Routine, wie besonders die Geschichte der drei Jerusalempilger aus Geldern und Maastricht zeigt, die auf dem Weg zum Hl. Grab in Gefangenschaft gerieten, dank Theobald aber frei kamen und nach Rhodos gelangten, oder des Engländers John Person, der als Seesoldat in Diensten des spanischen Königs in Gefangenschaft geriet zusammen mit einem Straßburger, der ihn auf den Nothelfer Theobald aufmerksam machte - mit Erfolg 59 . Wundergeschichten aus dem Elsass kommen zunächst nur vereinzelt vor, im Laufe des 15. Jahrhunderts aber werden es mehr. 1473 gibt es in Zusammenhang mit dem Bericht von zwei Kindern aus Thann, die Theobald von Steinen befreit hat, den summarischen Hinweis, es seien noch viele Kinder gewesen, von denen Steine gegangen sind, ohne dass es einzeln aufgeschrieben sei 60 . Zwölf Holländer hatten die Pilgerfahrt nach Thann mit dem Besuch des lothringischen Wallfahrtsortes S. Nicolas-du-Port verknüpft, waren unterwegs von Feinden umstellt, aber dank Theobald unbehelligt geblieben 61 . Es sind knapp vierzig Wunderberichte aus dem Elsass im Mirakelbuch mit Schwerpunkten in Straßburg und Thann. 1444 wird chronikartig ausholend vom Einfall von 80 000 Mann, den sogenannten Schindern, unter Führung des französischen Königssohnes berichtet, die mordend, plündernd und brennend durch das Land zogen, um dann in das Wunder der Schwangeren von Thann überzuleiten, die von einem Spieß so durchstochen wurde, dass man das Kind im Leib sehen konnte, aber gesundete und einen schönen Knaben gebar 62 . Ein Straßburger hatte bei einem Schiff gestanden, als man mit einem Kran Wein entladen wollte. Die Zange fasste nicht und ihm fiel ein großes Fass auf den Kopf, dass er wie tot liegen blieb, nach der Anrufung Theobalds aber wieder zu sich kam und gesund wurde 63 - hier haben wir eine Szene aus dem Arbeitsleben im Mirakelbuch. Heilung von Krankheit und Gebresten ist auch im Elsass die größte Wundergruppe, fünfmal kommt Befreiung aus Gefangenschaft vor, davon einmal aus einem Schuldturm 64 . Rettung aus Seenot berichtet 1472 ein Bürger aus Thann, der per Schiff nach Santiago unterwegs war 65 . Eine Frau aus Straßburg hatte eine Wallfahrt nach Thann gelobt, als ihre Schwester krank darnieder lag. Die Schwester starb, und damit hatte die Sache sich erledigt, dachte sie. Doch dann erschien ihr die Tote und erinnerte an die 59 Tomus Miraculorum (wie Anm. 5) Nr. 103, 195. 60 Ebd. Nr. 158. 61 Ebd. Nr. 41. 62 Ebd. Nr. 73. 63 Ebd. Nr. 69. 64 Ebd. Nr. 74, 163, 180, 194, 197. 65 Ebd. Nr. 141. Andreas Röpcke 142 <?page no="143"?> gelobte Wallfahrt, außerdem fing ihr Arm an zu schmerzen 66 - wir hatten ähnliche Geschichten schon in Flensburg und an der Unterweser: die Wallfahrt wird angemahnt und dann auch gemacht. Als Geburtshelfer in Kindsnöten verhalf der Heilige einer Elsässerin 1502 zu Drillingen, ein tot geborenes Kind regt sich und lebt, als es hört, dass es Diepolt heißen soll 67 . Auffällig hoch ist die Zahl der verunglückten Kinder - es sind allein zehn Fälle. Das sprichwörtliche Kind, das in den Brunnen gefallen ist, kann 1473 mit Theobalds Hilfe wieder belebt werden, ein anderes fiel in eine Leimgrube 68 . In Zabern spielt ein 10jähriger an einem Schießplatz und wird dabei versehentlich in den Kopf getroffen. Er überlebt, und der Unglücksschütze pilgert nach Thann 69 . Bei Feuersgefahr wurde Theobald wie in Schleswig-Holstein so auch im Elsass angerufen: die wunderbare Rettung eines Hauses in einem brennenden Dorf ist Anlass für den letzten Eintrag im Mirakelbuch, datiert 1521 70 . Das Mirakelbuch des hl. Theobald in Thann als hervorragende kulturgeschichtliche Quelle belegt, dass die Verehrung des Heiligen besonders im Norden Deutschlands verbreiteter war, als es die ältere Literatur erkennen lässt, und liefert ein durchaus beispielhaft lebendiges und anschauliches Bild von Heiligenverehrung und Wallfahrtswesen im ausgehenden Mittelalter. Resumen: El Libro de Milagros de San Teobaldo fue publicado en el año 1875 por Georg Stoffel y contiene 215 relatos milagrosos que corresponden al período entre los años 1405 y 1522. Este Libro de Milagros es la principal fuente para este artículo. Además, en él se consideran algunos patrocinios, símbolos de peregrinos y pruebas documentales. Al principio, el autor plantea la discusión de si el santo de Thann es idéntico al santo Obispo Ubald de Gubbio (como se creyó en Thann), o si éste, es el mismo que el eremita Teobaldo de Provins, como creyeron los bolandistas. Hoy, la teoría de Ubald se ha impuesto ampliamente. En la Región Bajoalemana el santo de Thann era llamado Enwold o Ewald, lo que también llevó a confusiones con los dos Santos de Irlanda. Se puede así suponer que en el milagroso santo de Thann se origina una confusión, como también una fusión de diferentes cultos. Después, el autor presenta relatos milagrosos de peregrinos de Pomerania, Meclemburgo, Hamburgo, Lubeck, Schleswig-Holstein y la región del Elba y Weser, que se complementan con pruebas documentales, patronicios de Teobaldo y hallazgos de símbolos de peregrinos de estas regiones. Todos los símbolos del peregrino de Thann pertenecientes a su base de datos fueron cartográficamente registrados. Al final se narrran historias de Alsacia en el Libro de Milagros. 66 Ebd. Nr. 181. 67 Ebd. Nr. 206, 213. 68 Ebd. Nr. 156, 158. 69 Ebd. Nr. 55. 70 Ebd. Nr. 189, 215. St. Theobald und die Wallfahrt nach Thann im Spätmittelalter 143 <?page no="145"?> Der heilige Pirmin und seine Memoria in der Pfalz Franz Maier Wir haben heute bereits einen Vortrag über die Heilige Odilia gehört, die ja gerade für den hiesigen Tagungsort von ganz besonderer Bedeutung ist und darüber hinaus auch als Patronin des Elsass verehrt wird. Mit dem Heiligen Pirmin, den ich Ihnen jetzt näher vorstellen will 1 , entfernen wir uns zeitlich und geographisch nicht allzu weit von der Heiligen Odilia: Zeitlich ist Pirmin etwa eine Generation nach Odilia anzusiedeln, sein geistliches Wirken im oberrheinischen Raum begann etwa um die Zeit von Odilias Tod. Geographisch gibt es ebenfalls Berührungspunkte, die so weit gehen, dass auch Pirmin als Patron des Elsass gilt. Darüber hinaus lagen aber die Schwerpunkte seines Wirkens zunächst am Bodensee und später dann in der heutigen Pfalz, was ihm auch den Ehrentitel eines „ Apostels der Alemannen “ eingetragen hat 2 . 1 Schriftliche und mit Anmerkungen versehene Fassung des Vortrags, den der Autor am 2. Oktober 2009 auf der Jahrestagung der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft in Obernai gehalten hat. 2 Zur Biographie Pirmins vgl. Andreas Neubauer , Pirminius, Westpfälzische Geschichtsblätter 7 (1903) S. 7 f., S. 10 - 12, S. 14 - 16, S. 19 f., S. 21 f., S. 25 - 27, S. 29 - 31; Johannes Emil Gugumus , Pirminius in der pfälzischen Überlieferung. Zur 1200jährigen Wiederkehr seines Todestages, Pilger-Kalender 32 (1953) S. 18 - 22; Gall Jecker , St. Pirmins Erden- und Ordensheimat, Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 5 (1953) S. 9 - 42; Eugen Matheis , Gedenkblatt und Festprogramm anläßlich der Feier des 1200-jährigen Todestages des Heiligen Pirminius (21. Juni 1953) (Waldfischbach 2. erw. Aufl. 1957); Georg Schreiber , St. Pirmin in Religionsgeschichte, Ikonographie, Volksfrömmigkeit. Irische und spanische Problematik - Methodik in der Forschung, Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 5 (1953) S. 42 - 76; Ludwig Litzenburger , Zum Andenken an den hl. Pirminius, Blätter für pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde 21 (1954) S. 94 - 96; Ursmar Engelmann , Der heilige Pirmin und sein Missionsbüchlein (Konstanz 1959); Johannes Emil Gugumus , Pirmin † 753, in: Pfälzer Lebensbilder, hg. von Kurt Baumann (Speyer 1964) S. 9 - 22; Julius Konrad , St. Pirminius, heimatloser Emigrant, Heimatkalender für das Pirmasenser und Zweibrücker Land (1976) S. 43 - 48; Hans Ammerich , Hl. Pirmin - pfälzischer Glaubensbote und „ Apostel der Alemannen “ , Lebendiges Rheinland-Pfalz 24 (1987) S. 118 f.; Josef Semmler , Pirminius, Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 87 (1989) S. 91 - 113; Hans Ammerich , Hl. Pirminius (Das Bistum Speyer und seine <?page no="146"?> Über das Leben Pirmins informiert uns in erster Linie eine Vita, die vermutlich um 830 in dem von ihm gegründeten Kloster Hornbach in der Pfalz entstanden ist 3 . Über die Herkunft des Heiligen schweigt sich die Vita aus, sie erwähnt nur, dass er zur Zeit des Frankenkönigs Theuderich IV. (721 - 737) als Bischof in einem Ort gewirkt habe, der sich aller Wahrscheinlichkeit nach mit der heutigen französischen Stadt Meaux bei Paris identifizieren lässt. Die Legende erzählt, dass der Ruf Pirmins sich wegen seines heiligmäßigen Lebens und seiner wirkungsvollen Predigten weit verbreitet hatte, so dass viele Leute auch aus den entferntesten Gegenden ihn aufsuchten und das Evangelium von ihm hören wollten. Eines Tages kam auch ein alemannischer Adliger aus dem Bodenseegebiet namens Sintlaz, der von Pirmin so beeindruckt war, dass er ihn bat, mit ihm nach Alemannien zu kommen, um dort, wo das Christentum noch keine festen Wurzeln geschlagen hatte, missionarisch zu wirken. Pirmin sagte zu, wollte sich aber vorher den päpstlichen Segen und Auftrag zu diesem Unternehmen erwirken. Zu diesem Zweck unternahm er zusammen mit Sintlaz eine Wallfahrt nach Rom, wo er sich Papst Gregor II. vorstellte. Der Papst zeigte sich von Pirmin beeindruckt und erteilte ihm die gewünschte Vollmacht zur Missionierung und zur Weihe von Priestern. Pirmin kehrte daraufhin noch einmal ins Frankenreich zurück und wählte dort 40 Geistliche aus, die ihm als Mitarbeiter bei der Mission in Alemannien zur Seite stehen sollten. Pirmin erhielt von seinem Freund Sintlaz eine in dessen Besitz befindliche Insel im Bodensee, die später den Namen Reichenau erhielt. Die Legende berichtet nun, wie Pirmin diese Insel von zahllosen Kröten, Schlangen und giftigen Tieren reinigte - dies könnte ein Hinweis auf eine ursprünglich dort bestehende heidnische Kultstätte sein - und daraufhin ein Kloster gründete. Die hochmittelalterliche Tradition des Klosters Reichenau setzte diesen Gründungsakt ins Jahr 724 4 . Nur drei Jahre später musste Pirmin sich jedoch von der Reichenau aus politischen Gründen zurückziehen. Er konnte durch Übergabe der Abtei an seinen Weggefährten Eddo zwar den Bestand des Klosters sichern, kehrte aber selbst nie mehr auf die Reichenau zurück. Seine neue Wirkungsstätte fand er im Elsass, wo er 727 das Kloster Murbach gründete, unterstützt vom Grafen Eberhard aus dem elsässischen Herzogshaus der Etichonen, einem Neffen der hl. Odilia. Aber auch in Murbach blieb Pirmin nicht lange. In der Folgezeit gründete er weitere Klöster im Elsass, in Alemannien und in Bayern bzw. reformierte bereits bestehende im Sinne der Benediktinerregel. Geschichte 5, Kehl am Rhein 2002); Hans Ammerich , Pirminius - Glaubensbote der Pfalz. 1250. Todestag des „ Apostels der Alemannen “ , Pilger-Kalender 82 (2003) S. 34 - 38. 3 Vita Pirminii I und II, ed. Charles de Smedt (Acta Sanctorum nov. II, 1, Brüssel 1894) S. 33 - 45, dazu noch S. 47 - 50 die metrische Bearbeitung der Vita. 4 Jecker , St. Pirmins Erden- und Ordensheimat (wie Anm. 2) S. 15. Franz Maier 146 <?page no="147"?> Genannt werden als Gründungen Pirmins die Klöster Gengenbach im Kinzigtal, Schwarzach bei Rastatt, Neuweiler im Elsass, Niederaltaich in Bayern und Pfäfers in Rätien. Reformiert hat er die elsässischen Klöster Maursmünster, möglicherweise auch Münster bei Colmar und Ebersheimmünster sowie Schuttern bei Lahr 5 . Die letzte Klostergründung Pirmins erfolgte wohl um 742 im damaligen Bliesgau, im Gebiet der Diözese Metz, an einem Ort, der damals „ Gamundium “ (Gemünden) genannt wurde und später unter dem Namen „ Hornbach “ bekannt wurde. Die Initiative zur Gründung des Klosters ging den Angaben der Legende zufolge von einem gewissen Wernharius aus, einem reich begüterten Adligen aus der fränkischen Reichsaristokratie, den man dem Geschlecht der Widonen oder Lambertiner zuordnen kann. Der Schwerpunkt der widonischen Besitzungen lässt sich im Gebiet von Mosel, Saar und Nahe lokalisieren, reichte aber auch weit nach Lothringen hinein. Im Dienst der Karolinger breiteten sie sich aber auch in periphere Gebiete des Frankenreiches aus, so etwa im 9. Jahrhundert nach Italien, wo sie für einige Jahre sogar die Kaiserkrone erlangen konnten. Wichtiger für unser Thema ist aber die Tatsache, dass von diesen Widonen offensichtlich unmittelbare genealogische Verbindungen zum Geschlecht der Salier führten, das im Jahr 1024 die ostfränkisch-deutsche Königswürde und in der Folgezeit auch die Kaiserkrone erlangte. Das Kloster Hornbach blieb über Jahrhunderte im Besitz dieser Familie, bis Kaiser Heinrich IV. es im Jahr 1087 dem von ihm besonders geförderten Bistum Speyer schenkte. Seither unterstand Hornbach zwar kirchenrechtlich immer noch dem Bischof von Metz, wenn auch mit weitgehenden Immunitätsrechten, zugleich aber war es ein Eigenkloster des Bischofs von Speyer, das der jeweilige Abt vom Speyerer Bischof zum Lehen nehmen musste 6 . Obwohl das Kloster Hornbach ursprünglich der Gottesmutter Maria und dem hl. Petrus geweiht war, übernahm schon bald Pirmin selbst die Funktion des Hauptpatrons, nachdem er um das Jahr 753 als erster Abt des Klosters gestorben und dort bestattet worden war. Bereits im Jahr 827 ist er urkundlich zum ersten Mal neben Maria und Petrus als Klosterpatron erwähnt, und etwa in diese Zeit dürfte auch die Abfassung seiner ersten Lebensbeschreibung durch einen Hornbacher Mönch fallen. Von Anfang an war Hornbach zentraler Ort der Pirmins-Memoria und das Grab des Heiligen kultisches Zentrum des Klosters, das schon bald zum Ziel von Wallfahrern wurde. Die reichhaltige Gründungsausstattung durch die Widonen-Sippe und weitere großzügige Schenkungen in der Folgezeit verschafften dem Kloster einen umfangreichen Grundbesitz, der sich 5 Gugumus, Pirmin † 753 (wie Anm. 2) S. 12. 6 Anton Doll , Das Pirminskloster Hornbach. Gründung und Verfassungsentwicklung bis Anfang des 12. Jahrhunderts, Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 5 (1953) S. 108 - 142. Der heilige Pirmin und seine Memoria in der Pfalz 147 <?page no="148"?> über die heutige Pfalz hinaus weit hinein nach Luxemburg, Lothringen, ins Elsass und auch in Richtung Norden über Rheinhessen bis in den Taunus erstreckte. Hornbach entwickelte sich zum reichsten Kloster zwischen Speyer und Metz, wobei allerdings archäologische Untersuchungen in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts klargemacht haben, dass man sich die Klosteranlagen in den ersten Jahrhunderten ihres Bestehens relativ bescheiden vorstellen muss: Eine erste einschiffige Saalkirche von ca. 8 m Länge wurde wohl im 9. Jahrhundert zu einem Langhaus von 13 ½ m Länge erweitert, dem östlich eine dreiapsidiale Anlage mit gewölbter Mittelapsis vorgelagert war. In diese Mittelapsis wurde eine 2,18 m lange Grabkammer für Pirmin eingebaut, an die sich ostwärts eine kleine fünfstufige Treppenanlage anschließt, die durch eine fenestella (kleines Fenster) mit der Grabkammer in Verbindung steht. Man hat einerseits vermutet, dass dieses Fenster den Wallfahrern Gelegenheit geben sollte, den Leichnam des Heiligen zu betrachten, andererseits weist aber die Tatsache, dass die Stufen bei ihrer Ausgrabung nicht abgenutzt waren, darauf hin, dass die Treppe nicht zum Betreten durch die Wallfahrer vorgesehen war. Um das Pirminsgrab herum entstand dann in mehreren Etappen zwischen dem 11. und dem Anfang des 13. Jahrhunderts ein neuer Kirchenbau im romanischen Stil mit der beeindruckenden Länge von 71 m 7 . Die Verehrung Pirmins als Heiliger begann bereits kurz nach seinem Tod. Schon in einem Metzer Martyrologium vom Ende des 8. Jahrhunderts wird er als sanctus bezeichnet, in einem Reichenauer Brevier des frühen 9. Jahrhunderts ist bereits das Fest des heiligen Bischofs Pirmin am 3. November zu finden. Die damals schon übliche Pirmins-Verehrung kommt auch in der 824 entstandenen „ Visio Wettini “ des späteren Reichenauer Abtes Walahfrid Strabo zum Ausdruck, in der die Gläubigen zur Wallfahrt nach Hornbach aufgefordert werden: Wer sein heiliges Leben kennenzulernen den Wunsch hat, strebe zu Pirmins Grab, in Hornbach erbringt den Beweis er. Die Verehrung, die er auch in anderen Regionen seines früheren Wirkens genoss, lässt sich dadurch dokumentieren, dass zu nicht mehr näher bestimmbaren Zeiten während des Mittelalters Teile seiner Reliquien aus Hornbach an andere Orte transferiert wurden, so z. B. ins Kloster Reichenau, von wo aus bereits im Jahr 1343 Pirminsreliquien an das Münster in Bern weitergegeben wurden und wohin um die Mitte des 15. Jahrhunderts noch einmal ein Fingerglied Pirmins aus Hornbach kam. Im bayerischen Kloster Au am Inn besaß man im 15. Jahrhundert als Pirminsreliquien eine grüne Dalmatica und einen seidenen Gürtel, den man Frauen in Geburtswehen aufzulegen pflegte 7 Karlwerner Kaiser / Hans Erich Kubach , Ausgrabungen in der Abteikirche Hornbach, Pfälzer Heimat 8 (1957) S. 16 - 20; vgl. dazu Pia Heberer , Das Kloster Hornbach in der Pfalz - Baugeschichte und Sakraltopographie (Speyer 2010). Franz Maier 148 <?page no="149"?> - die Sitte der Verwendung von sogenannten Pirminsgürteln für diesen Zweck ist auch noch aus späterer Zeit aus der Pfalz überliefert 8 . Die mittelalterlichen Quellen zur Wallfahrt nach Hornbach sind zwar sehr spärlich, aber immerhin gibt es eine relativ frühe Quelle, die nähere Auskünfte darüber gibt, nämlich den im Jahr 1012 oder kurz danach entstandenen „ Liber de miraculis sancti Pirminii episcopi “ . Das offensichtlich von einem Hornbacher Autor niedergeschriebene Werk reicht bis etwa 970 zurück und wird gegen Ende zunehmend präziser, wobei auch einige Tagesdaten festgehalten werden. Der Autor beschreibt eine ganze Anzahl von Wunderheilungen an Personen, die im Kloster den hl. Pirmin um seine Fürbitte angerufen hatten, wobei er immer wieder von der großen Volksmenge spricht, die an Festtagen dort zusammenströmte, was auf eine sehr lebhafte Wallfahrt in dieser Zeit um die Jahrtausendwende schließen lässt. Besonders hervorzuheben ist die Erzählung vom Begräbnis des kleinen Sohnes eines Herzogs Konrad, bei dem die Kerzen des Leichenzugs vom Wind ausgeblasen wurden; sobald der Zug aber das Kloster erreichte, brach die Sonne durch die Wolken und entzündete, verstärkt durch die silbernen Schilde des Gefolges, die Kerzen wieder von neuem 9 . Diese Geschichte ist weniger wegen des geschilderten Kerzenwunders interessant als vielmehr wegen der Tatsache, dass sich der Vater des verstorbenen Kindes als Herzog Konrad von Kärnten identifizieren lässt, der als Angehöriger des salischen Hauses auf der Burg Stauf in der Nordpfalz residierte. Hier wird unmittelbar die enge Bindung des Klosters Hornbach zu seiner Gründerfamilie erkennbar. Konrads älterer Bruder Heinrich von Worms war der Vater des späteren Kaisers Konrad II. und damit Stammvater des salischen Kaiserhauses, wohingegen der 1011 verstorbene Konrad von Kärnten eine jüngere Linie der Salier begründete, aus der wahrscheinlich die Grafen von Württemberg hervorgegangen sind 10 . Unmittelbar im Anschluss daran wird eine weitere Episode erzählt, die sich historisch in den Sommer des Jahres 1009 einordnen lässt. König Heinrich II. unternahm damals einen Kriegszug gegen den aufständischen Bischof von Metz, wobei Krieger seines Heeres eine Kirche plünderten. Einer der Plünderer verfiel daraufhin in Wahnsinn, was natürlich als göttliche Strafe interpretiert wurde, und wurde gefesselt zu seinem Herrn geführt, dem 8 Ammerich , Hl. Pirmin (wie Anm. 2); Joseph M. B. Clauss , Die Heiligen des Elsass in ihrem Leben, ihrer Verehrung und ihrer Darstellung in der Kunst (Düsseldorf 1935) S. 169. 9 Miracula Sancti Pirminii Hornbacensia. Des heiligen Pirmins Wunder von Hornbach, eingeleitet und übersetzt von Kurt Schöndorf / Ernst Wenze l, Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 60 (2008) S. 273 - 291. 10 Dieter Mertens , Württemberg, in: Handbuch der baden-württembergischen Geschichte 2: Die Territorien im alten Reich, hg. von Meinrad Schaab / Hansmartin Schwarzmaier (Stuttgart 1995) S. 1 - 163, hier: S. 7 f. Der heilige Pirmin und seine Memoria in der Pfalz 149 <?page no="150"?> Abt von Reichenau, der am Kriegszug des Königs teilnahm. Als das Heer des Königs auf seinem Rückweg in der Nähe des Klosters Hornbach lagerte, bat der Abt von Reichenau, dem offenbar sehr an der Wiedergenesung seines Ministerialen gelegen war, seinen Hornbacher Kollegen um Hilfe, mit den Worten: Ich vertraue darauf, dass er durch unseren gemeinsamen Patron in der Gnade des Allmächtigen geheilt wird von dem todbringenden Gift der Schlange, das in ihn gefahren ist. Mit der Schlange war einerseits der Teufel gemeint, der nach allgemeiner Ansicht in den Patienten gefahren war, andererseits liegt hier aber mit Sicherheit auch eine Anspielung auf das Reichenauer Schlangenwunder Pirmins vor, das ich im Eingang schon geschildert habe, und damit ein frühes Zeugnis der später häufig dokumentierten Anrufung des hl. Pirmin speziell als Patron gegen Schlangenbisse. Auch in diesem Fall zeigt die Anrufung Pirmins ihre Wirkung: Der junge Mann wird in Fesseln, tobend und schäumend, in die Hornbacher Klosterkirche direkt zum Grab des Heiligen gebracht und dort abgelegt, und tatsächlich bewirkt dies zusammen mit dem gemeinsamen Gebet der Mönche nach einigen Tagen seine Heilung 11 . In den Zeitraum dieser Wundererzählungen fällt die Gründung einer Stiftskirche durch das Kloster Hornbach, die relativ weit entfernt in der Nordpfalz erfolgte, in Zell an der Pfrimm. Diese Stiftskirche, deren Geschichte von Peter Moraw in seiner Dissertation 1964 mustergültig aufgearbeitet worden ist 12 , verdient aus mancherlei Gründen eine nähere Betrachtung. Unsere einzige Quelle für die Gründung des Stifts Zell ist die „ Editio de inventione corporis sancti Philippi “ , ein Bericht über die Auffindung der Gebeine des hl. Philipp, der in zwei Handschriften des westfälischen Stifts Böddeken aus dem 15. Jahrhundert überliefert ist. In beiden Handschriften befindet sich vor diesem Auffindungsbericht eine „ Vita Philippi “ , also eine Lebensbeschreibung des hl. Philipp, von der es außerdem noch eine ältere schriftliche Überlieferung in einem Legendar des Trierer Klosters St. Maximin aus dem 13. Jahrhundert gibt 13 . Diese Lebensbeschreibung schildert, wie Philipp, ein gebürtiger Engländer, aus Liebe zu Christus seine Heimat verlassen habe und nach Rom gezogen sei. Dort sei er nach langem Aufenthalt auf Befehl des Papstes gegen seinen Willen Priester geworden. Weil er aber ein stilleres Leben bevorzugte, 11 Miracula Sancti Pirminii Hornbacensia (wie Anm. 9) S. 288 f. 12 Peter Moraw , Das Stift St. Philipp zu Zell in der Pfalz. Ein Beitrag zur mittelalterlichen Kirchengeschichte (Heidelberg 1964). 13 Zur Edition ebd. S. 85 - 88, zur Vita ebd. S. 42 - 53; vgl. dazu jetzt die Edition der Texte durch Richard Antoni , „ Ein sehr heilger Mann namens Philipp “ . Lebensbeschreibung und Verehrung des heiligen Philipp von Zell, Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 61 (2009) S. 315 - 364. Franz Maier 150 <?page no="151"?> habe er die Stadt verlassen, sei durch Gallien gewandert und habe im Nahegau die Stelle gefunden, die jetzt „ Cella “ heiße. Geschehen sei dies zur Zeit des Frankenkönigs Pippin, also zwischen 751 und 768. Philipp errichtete an dieser Stelle ein Oratorium zu Ehren des hl. Michael und eine kleine Einsiedlerzelle, die er zusammen mit seinem Gefährten Horoskolf, der ihn von Jugend an begleitete, bewohnte. Er führte ein heiligmäßiges Leben, das Besucher von nah und fern anzog, darunter einen namentlich nicht genannten vornehmen Mann, der unter König Pippin eine große Rolle im Frankenreich spielte und Philipp mehrfach besuchte. Schließlich starb Philipp an einem Fieber und wurde von den Brüdern, die bei ihm weilten, aufgebahrt. In dem Moment traf der soeben genannte Adlige, der gerade zu einem Kriegszug im Dienst des Königs aufbrechen wollte, in der Zelle ein, um sich von Philipp segnen zu lassen, und war untröstlich, als er vom Tod Philipps hörte. Da geschah aber das Wunder, dass der Verstorbene sich auf der Bahre noch einmal erhob, den gewünschten Segen erteilte und danach endgültig entschlief. Die letzten zwei Drittel der Vita sind angefüllt mit Berichten über die Wunder, die sich am Grab Philipps in der Folgezeit ereignet hätten, darunter auch zahlreiche Krankenheilungen. Zum Ende der Vita wird dann noch berichtet, wie man anlässlich einer langen Schlechtwetterperiode beschlossen habe, mit den Gebeinen Philipps eine Prozession zu den Nachbarklöstern zu unternehmen. Bei dieser Prozession seien die Gebeine Philipps auch bei stärkstem Regen immer nur betaut gewesen. Danach seien die Gebeine nach Zell zurückgebracht und dort in einer basilica, die zu Ehren des Erlösers geweiht worden sei, bestattet worden. Soweit der Bericht der Vita, die von Peter Moraw mit guten Gründen in die Zeit um 860 angesetzt und einem Hornbacher Mönch zugeschrieben wird, der seiner Aussage zufolge an dieser zuletzt geschilderten Prozession selbst teilgenommen haben will 14 . Danach schweigen die Quellen über hundert Jahre lang, wir erfahren von Zell erst wieder durch den schon genannten Auffindungsbericht, der die von ihm geschilderten Ereignisse ins dritte Regierungsjahr Kaiser Ottos II. verlegt. Je nach Art der Datierung handelt es sich dabei um das Jahr 970 oder 975/ 76, aber diese Differenz ist für uns jetzt nicht weiter maßgeblich. Graf Otto von Worms aus dem Geschlecht der Salier (ab 978 Herzog von Kärnten), der Vater des zuvor schon genannten Herzogs Konrad, beauftragte den Abt Adalbert von Hornbach, das wegen seines Alters zerstörte Kloster des heiligen Bekenners Philipp zu erneuern. Der Abt kam dieser Aufgabe nach, war nach deren Vollendung aber beunruhigt darüber, dass man über den Bestattungsort der Gebeine Philipps nichts wusste. Aus Nachlässigkeit der vorangegangenen Mönche war die Erinnerung an Philipp nämlich so sehr geschwunden, dass die umwohnende 14 Moraw , Das Stift St. Philipp (wie Anm. 12) S. 46 - 50. Der heilige Pirmin und seine Memoria in der Pfalz 151 <?page no="152"?> Bevölkerung an seiner Existenz zweifelte. Mit Erlaubnis des zuständigen Mainzer Erzbischofs ging der Abt daher auf die Suche, die ziemlich genau beschrieben wird: Mitten in der Nacht betrat der Abt mit wenigen eidlich verpflichteten Getreuen die Kirche, während die übrigen schliefen. Beim Graben fand man zunächst eine Anzahl Steine und nach deren Beseitigung einen teilweise geöffneten „ Sarkophag “ , in diesem wiederum einen hölzernen Schrein und darin - in ein Tuch gehüllt - totum sanctum Philippum. Es herrschte allgemeiner Jubel. Im Anschluss daran wird eine Reihe von Wunderheilungen aufgezählt, die sich zum Teil unmittelbar nach der Wiederauffindung der Reliquien ereignet haben und deren Echtheit erhärten sollen. Den Abschluss des Berichts bildet eine kurze Lebensbeschreibung des Abtes Adalbert von Hornbach 15 . Soweit die beiden Quellen, aus denen wir unsere einzige Kenntnis über die Frühzeit des Stifts Zell beziehen. Manches von den darin geschilderten Ereignissen verdient eine nähere Betrachtung. Beginnen wir mit der Person des hl. Philipp. Man hat in der Forschung eine Beeinflussung seiner Vita durch die Pirminsvita vermutet 16 , und tatsächlich gibt es einige Parallelen: Die fremde Herkunft, den Aufenthalt in Rom mit der entscheidenden Weichenstellung für die künftige geistliche Tätigkeit durch den Papst, das anschließende Wanderleben durch die Gebiete des Frankenreiches nördlich der Alpen mit endgültiger Niederlassung im Gebiet der heutigen Pfalz. Es gibt aber auch wesentliche Unterschiede: Über das geistliche Wirken Pirmins, seine Klostergründungen und seine Beziehungen zu Persönlichkeiten der alemannischen und fränkischen Führungsschicht werden wir ziemlich ausführlich informiert, über seine Herkunft schweigt sich die Vita aber vollständig aus, lediglich einige indirekte Andeutungen erlauben die Vermutung, dass er wohl westeuropäischer, aber nicht fränkischer Herkunft war. Die Erzählungen der durch Pirmin gewirkten Wunder sind am Schluss der Vita summarisch zusammengefasst und nehmen nur einen relativ kleinen Teil der Vita ein. Demgegenüber steht bei Philipp gleich am Beginn seiner Vita die klare Aussage, dass er aus England stammte, sein geistliches Wirken verschwindet aber fast völlig hinter den Wundererzählungen, die den größten Teil seiner Vita einnehmen. Wir erfahren eigentlich nur, dass er als Einsiedler leben wollte und sich deshalb auf den bewaldeten Hügel namens Osterberg zurückzog, auf dem später das Stift Zell entstand, wobei sich für uns wiederum die Frage ergibt, warum er sich für die Errichtung seiner Einsiedlerzelle ausgerechnet ein Gebiet aussuchte, das zu den am 15 Ebd. S. 85 f. 16 Adam Fath , Untersuchungen zur ältesten Geschichte des nachmaligen Stiftes Zell in der Nordpfalz, Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 1 (1949) S. 3 - 29, hier: S. 8; kritisch hierzu Moraw , Das Stift St. Philipp (wie Anm. 12) S. 48 Anm. 28. Franz Maier 152 <?page no="153"?> dichtesten besiedelten im damaligen Frankenreich gehörte 17 . Die Errichtung einer Michaelskapelle auf dem Osterberg durch Philipp weist darauf hin, dass sich an diesem Ort zuvor ein heidnisches Wodansheiligtum befunden hat, und diese Vermutung wird durch den Namen des unmittelbar darunter gelegenen Ortes Harxheim bestätigt. Im Gegensatz zu den meisten auf „ -heim “ endenden Ortsnamen liegt hier kein Personenname als Bestimmungswort vor, sondern das germanische Wort „ harrach “ , das ein Heiligtum, einen heiligen Hain bezeichnet 18 . Dies war wohl auch der Grund, dass Philipp in dem ansonsten dichtbesiedelten Gebiet auf diesem Hügel noch einen Wald vorfand, der heute schon längst spurlos verschwunden ist. Die Kenntnis der historischen Figur Philipp scheint also schon kurz nach seinem Tod, den man nur ganz vage in der Zeit gegen Ende des 8. Jahrhunderts ansetzen kann, nicht mehr allzu präsent gewesen zu sein. Direkt bestätigt wird das in der Erzählung über die Auffindung seiner Gebeine, wo es heißt, dass Abt Adalbert von Hornbach mit seinem Versuch, in Zell einen Philippskult einzuführen, bei der einheimischen Bevölkerung zunächst auf einiges Befremden stieß, da ein heiliger Philipp offensichtlich völlig unbekannt war. Dies muss überraschen, wenn man bedenkt, dass nach Aussage seiner Vita um die Mitte des 9. Jahrhunderts, also nur gut hundert Jahre vorher, sein Kult höchst lebendig gewesen sein soll und seine Gebeine mit großem Gepränge in eine neu errichtete Basilika in Zell überführt worden sein sollen. Für die in der Zwischenzeit erfolgte Zerstörung dieser Basilika hat man in der Forschung die Ungarneinfälle verantwortlich gemacht, die besonders in den Jahren 937 und 954 die Wormser Gegend heimgesucht hatten 19 . Doch auch wenn man, wie Peter Moraw, den früheren Einfall des Jahres 937 für die Zerstörung der Basilika verantwortlich macht, so bliebe es doch ein schwer nachvollziehbares Phänomen, wenn innerhalb von nur 30 Jahren die Erinnerung an einen vormals hoch verehrten Heiligen in der umwohnenden Bevölkerung vollständig verschwunden sein sollte. Man muss also mit der Möglichkeit rechnen, dass die Wiederauffindung der angeblichen Gebeine Philipps eine bewusste Inszenierung von Seiten der Mönche des Klosters Hornbach war, bei der die Gestalt eines Einsiedlers, der durchaus im 8. Jahrhundert in Zell gelebt haben mag, eine propagandistische Aufwertung erfuhr. Dies führt uns zu der Frage, welches Interesse das Kloster Hornbach an einer solchen Aktion in der relativ weit entfernten Nordpfalz haben konnte. 17 Vgl. dazu Ernst Christmann , Die germanische Landnahme an Hand der Siedlungsnamen, in: Pfalzatlas, Textband 1, hg. von Willi Alter (Speyer 1964) S. 149 f. (mit Karte 22 im Pfalzatlas). 18 Martin Dolch / Albrecht Greule , Historisches Siedlungsnamenbuch der Pfalz (Speyer 1991) S. 190. 19 Moraw , Das Stift St. Philipp (wie Anm. 12) S. 84. Der heilige Pirmin und seine Memoria in der Pfalz 153 <?page no="154"?> Die enge Beziehung von Zell zu Hornbach, wie sie in den Quellen erstmals bei der Wiederauffindung der Gebeine Philipps um 975 deutlich wird, geht mit Sicherheit schon in die Gründungszeit des Klosters Hornbach im 8. Jahrhundert zurück, wie Peter Moraw deutlich gemacht hat. Schon in den ältesten Urkunden des Lorscher Codex sind Hornbacher Besitzungen im heutigen rheinhessisch-nordpfälzischen Raum genannt, die ganz offensichtlich Bestandteil der Gründungsausstattung des Klosters Hornbach durch die Stifterfamilie der Widonen waren. Für die Verwaltung dieser von Hornbach aus gesehen entlegenen Gebiete war die Gründung einer Stiftskirche in diesem Gebiet mit Sicherheit von Vorteil, gerade auch im Hinblick auf die Sicherung dieses Besitzes gegen Begehrlichkeiten der Bischöfe von Mainz und Worms. Voraussetzung dafür war eine enge Anbindung der Stiftskirche in Zell an das Kloster Hornbach, die immer gegeben war, und tatsächlich konnte das Kloster auf diese Weise mehrfache Versuche von Seiten der Erzbischöfe von Mainz abwehren, die Zell und den dazu gehörigen Besitzkomplex unter ihre Kontrolle bringen wollten 20 . Als kleines weltliches Kollegiatstift blieb Zell über Jahrhunderte hinweg eng mit dem Kloster Hornbach verbunden, gleichsam eine Filiale dieses Klosters ohne geistliche und wirtschaftliche Selbständigkeit. In wirtschaftlicher Hinsicht blieb Zell in bescheidenem Rahmen und entwickelte sich wohl schlechter, als man sich das in Hornbach bei der Gründung des Stifts vorgestellt hatte. Eine entscheidende Änderung im Verhältnis des Stifts Zell zum Mutterkloster in Hornbach trat erst um das Jahr 1400 ein. Der Versuch Zells, eine größere Selbständigkeit zu erlangen, hängt wohl mit der Tatsache zusammen, dass in dem seit 1378 bestehenden Großen Abendländischen Schisma zwischen den Päpsten in Rom und denen in Avignon Hornbach als Kloster in der Diözese Metz der Obödienz von Avignon angehörte, während Zell mit der Erzdiözese Mainz dem Papst in Rom folgte. Im Jahr 1400 fand die einzige uns bekannte Wahl eines neuen Kanonikers in Zell durch das Stiftskapitel statt, ansonsten wurden die Zeller Kanoniker immer vom Hornbacher Abt ernannt 21 . Andeutungsweise lassen sich noch weitere Konflikte innerhalb des Zeller Stiftskapitels um diese Zeit erkennen, doch ist die Quellenlage sehr schlecht. Von längerfristiger Bedeutung war die Gründung einer Philippsbruderschaft durch den Zeller Kanoniker Johann von Wachenheim im Jahr 1407, deren Hauptziel die Förderung der Wallfahrt zum Grab des hl. Philipp war 22 . Frühestes indirektes Zeugnis für eine Wallfahrt nach Zell ist (neben den schon im Auffindungsbericht erwähnten Heilungssuchenden) die Schenkung des Zolls in Zell an das Stift in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts. 20 Ebd. S. 71 - 81. 21 Ebd. S. 108. 22 Ebd. S. 161 - 163. Franz Maier 154 <?page no="155"?> Vermutlich handelte es sich dabei um einen Marktzoll, denn mittelalterliche Märkte standen sehr oft mit Wallfahrten in Verbindung. Gerade in Zell ist dies ebenfalls anzunehmen, da ansonsten kaum erklärlich wäre, warum der Markt gerade dort auf einem Berg oberhalb der Landstraße von Worms nach Metz stattfand. Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts sind zudem Ablässe für den Besuch der Zeller Stiftskirche nachgewiesen, die von Päpsten, Kardinälen und Bischöfen gewährt wurden - eine wichtige Voraussetzung für die Ankurbelung der Wallfahrt. Für das Jahr 1329 ist auch schon eine Bruderschaft in Zell nachgewiesen, die jedoch allem Anschein nach nicht lange Bestand hatte. Insgesamt lässt sich sagen, dass die Anziehungskraft der Zeller Wallfahrt sich bis zum Ende des 14. Jahrhunderts auf die nähere Umgebung beschränkte, von einer Konkurrenz zur Pirminswallfahrt in Hornbach also keine Rede sein konnte. Dies änderte sich mit der Gründung der neuen Philippsbruderschaft im Jahr 1407, über deren Geschichte wir durch das Bruderschaftsbuch, das heute in der Bayerischen Staatsbibliothek in München aufbewahrt wird, außergewöhnlich gut informiert sind. Die Wallfahrt nach Zell erfuhr jetzt einen ganz ungewöhnlichen Aufschwung, während zur gleichen Zeit das Mutterkloster Hornbach in eine wirtschaftliche Krise geriet, von der es sich bis zu seinem Ende nicht mehr erholen konnte. Für den Aufschwung der Zeller Wallfahrt führt Peter Moraw drei Gründe an: Das Vorhandensein eines eigenen Heiligen, der in der Bevölkerung offensichtlich als Einheimischer empfunden wurde; die günstige Verkehrslage von Zell an der Durchgangsstraße von Worms über Kaiserslautern und Saarbrücken nach Metz; und als wahrscheinlich wichtigster Grund eine geschickte Werbung der Zeller Kleriker für die Wallfahrt 23 . Von großer Bedeutung waren in diesem Zusammenhang sicher auch die guten Beziehungen, die der Stifter der Philippsbruderschaft - wahrscheinlich durch seine Tätigkeit an der erst kürzlich gegründeten Universität Heidelberg - zu den pfälzischen Kurfürsten unterhielt. Ab etwa 1450 sind in Zell dann zunehmend Besuche und Weihegeschenke von Angehörigen des Hochadels feststellbar, man kann fast sagen, dass Zell in dieser Zeit zu einem Modewallfahrtsort des deutschen Hochadels geworden ist. Als auslösendes Ereignis vermutet Peter Moraw die Wallfahrt des Kurfürsten Ludwig IV. von der Pfalz und seiner Ehefrau Margarethe von Savoyen im Jahr 1447 und die im Jahr darauf erfolgende Geburt des einzigen Kindes der Eheleute, eines Sohnes, der den Namen Philipp nach dem Heiligen von Zell erhielt und später von 1476 bis 1508 selbst als Kurfürst die Pfalz regierte 24 . Offensichtlich resultierte aus diesem Ereignis die plötzliche überregionale Bekanntheit des hl. Philipp von Zell, der auf diese Art 23 Ebd. S. 156. 24 Ebd. S. 243. Der heilige Pirmin und seine Memoria in der Pfalz 155 <?page no="156"?> und Weise zu einem Nothelfer bei Kinderlosigkeit avancierte, obwohl sich aus seiner Vita und seinem bis dahin praktizierten Kult keinerlei Beziehungen zum Themenkomplex „ weibliche Fruchtbarkeit “ konstruieren lassen. Zum Markenzeichen der Zeller Wallfahrt wurden die sogenannten „ Kindlein “ , kleine Kinderfiguren aus Silber im Gewicht von normalerweise ca. 100 g, die in der Luxusausführung auch vergoldet und mit den Wappen der Stifter versehen waren. Im Zeller Bruderschaftsbuch sind ab 1463 fast hundert Schenkungen von solchen silbernen Kindlein aufgeführt, tatsächlich waren es wohl noch wesentlich mehr, da im Bruderschaftsbuch nur diejenigen Pilger dokumentiert sind, die sich auch in die Philippsbruderschaft aufnehmen ließen. Leider ist von diesen silbernen Kindlein aus Zell kein einziges erhalten, so dass wir für deren Beschreibung auf die Angaben des Bruderschaftsbuches angewiesen sind. Jedenfalls steht die Wallfahrt des hl. Philipp von Zell in dieser Hinsicht einzigartig da, es gibt sonst keinen Fall, in welchem innerhalb einer Zeitspanne von 70 Jahren so viele „ Kindlein “ gespendet worden sind 25 . Für die Ausstrahlungskraft der Zeller Wallfahrt kann man die im Bruderschaftsbuch dokumentiere Herkunft der Mitglieder heranziehen, und hierbei macht man die Feststellung, dass sich der Einzugsbereich von Zell fast ausschließlich in nördliche und östliche Richtung erstreckte 26 . Das Fehlen von Pilgern aus dem bayerisch-österreichischen Raum erklärt sich wohl mit der Konkurrenz der dortigen Wallfahrtsorte, man denke etwa an St. Wolfgang mit seinem großen Einzugsbereich oder an die ebenfalls in dieser Zeit aufkommende Wallfahrt nach Altötting. Auffällig ist aber das fast völlige Fehlen von Pilgern aus der Region südwestlich von Zell, also aus der heutigen Pfalz, und hier vermute ich, dass man von Zell aus der Pirminswallfahrt im Mutterkloster Hornbach nicht in die Quere kommen wollte. Möglicherweise hat es hier eine Art Vereinbarung gegeben, wie auch immer diese ausgesehen haben könnte. Die Hornbacher Pirminswallfahrt existierte nämlich sicher auch in dieser Zeit noch weiter, allerdings wissen wir über ihren Umfang praktisch nichts, weil eine dem Zeller Bruderschaftsbuch vergleichbare Quelle aus Hornbach nicht überliefert ist. Wahrscheinlich haben die Zeller Kanoniker das Hornbacher Einzugsgebiet bei ihren Werbemaßnahmen für ihre Wallfahrt bewusst ausgespart. Wie solche Werbemaßnahmen ausgesehen haben, sehen wir an einer im Jahr 1516 herausgegebenen Druckschrift, dem sogenannten „ Zeller Wallfahrtbüchlein “ , das in einem einzigen Exemplar in der Stadtbibliothek Mainz überliefert ist. Es handelt sich dabei um eine lateinisch verfasste Einladung zur Wallfahrt nach Zell mit mehreren Illustrationen, wobei auch die Vita des hl. Philipp kurz referiert wird. Bemerkenswert dabei ist, dass man seine 25 Ebd. S. 177. 26 Ebd. S. 175 (mit Karte). Franz Maier 156 <?page no="157"?> Lebenszeit ins Jahr 1200 verlegte, woran man wieder einmal sehen kann, dass historische Fakten im Zusammenhang mit Heiligenlegenden nur eine sehr untergeordnete Rolle spielten 27 . Den gesellschaftlichen Höhepunkt der Zeller Wallfahrt bezeichnete wohl der Besuch der Königin Bianca Maria aus dem Mailänder Herzogsgeschlecht der Sforza, die im Jahr 1494 den deutschen König Maximilian I. geheiratet hatte und im Jahr darauf von Worms aus, wohin ihr Ehemann den Reichstag einberufen hatte, nach Zell pilgerte, um beim hl. Philipp Kindersegen für ihre Ehe zu erbitten. Obwohl die Königin in den folgenden Monaten diese Wallfahrt noch dreimal wiederholte, blieb ihr Wunsch unerfüllt 28 . Die Ehe war übrigens - wohl auch aus diesem Grund - äußerst unglücklich, der König und spätere Kaiser Maximilian zeigte offene Verachtung gegenüber seiner Frau, die schließlich im Jahr 1510 in Innsbruck an Magersucht starb und von ihrem Ehemann nicht einmal eines Grabsteins für würdig erachtet wurde 29 . Die Reformation brachte auch die Wallfahrt in Zell fast schlagartig zum Erliegen, da ihr bisheriger Haupteinzugsbereich gerade das Gebiet war, in dem sich die Lehren Luthers am frühesten und schnellsten ausbreiteten. Nach 1522 gibt es keine Eintragungen im Bruderschaftsbuch mehr, abgesehen von einem einzigen Nachzügler, der im Jahr 1532 noch einmal ein letztes silbernes „ Kindlein “ stiftete, was aber zu diesem Zeitpunkt sicher schon als krasser Anachronismus angesehen wurde 30 . Die in Zell bis dahin - wohl nach dem Vorbild der Aachener Heiligtumsfahrt - in siebenjährigem Turnus praktizierte öffentliche Ausstellung der Philippsreliquien erfolgte 1524 zum letzten Mal. Beim nächsten Termin im Jahr 1531 unterblieb sie, weil angeblich die Schlüssel zum Schrein nicht auffindbar waren. Der reichhaltige Zeller Kirchenschatz war schon im Jahr 1525 - angeblich zum Schutz vor den aufständischen Bauern - auf Veranlassung des pfälzischen Kurfürsten nach Heidelberg gebracht worden, wo sich seine Spur verliert 31 . Die äußere Fassade eines Kollegiatstifts wurde in Zell noch gut 20 Jahre lang weiter aufrechterhalten, bis das Stift im Jahr 1550 durch Papst Julius III. dem Kurfürsten Friedrich II. von der Pfalz übergeben wurde, um es der Universität Heidelberg zu inkorporieren 32 . Die damit verbundene päpstliche Hoffnung, es auf diesem Weg wenigstens der katholischen Kirche zu erhalten, zerschlug sich spätestens 1557, als nach dem Tod des kon- 27 Ebd. S. 178 - 181. 28 Ebd. S. 166 f. 29 Hermann Wiesflecker , Maximilian I. Die Fundamente des habsburgischen Weltreiches (Wien/ München 1991) S. 81. 30 Johann Georg Lehmann , Diplomatische Geschichte des Stifts des hl. Philipp zu Zell in der Pfalz (Speyer 1845) S. 58. 31 Moraw , Das Stift St. Philipp (wie Anm. 12) S. 231 f. 32 Ebd. S. 237 - 239. Der heilige Pirmin und seine Memoria in der Pfalz 157 <?page no="158"?> fessionell unentschiedenen Friedrichs II. sein Nachfolger Ottheinrich die Reformation in der Kurpfalz einführte. Parallel zum Zerfall des Stifts Zell vollzog sich auch derjenige des Mutterklosters Hornbach. Dort hatte nach einer vorübergehenden Erholung in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ab dem Beginn des 16. Jahrhunderts ein rapider wirtschaftlicher Niedergang eingesetzt, der auch von einem Verfall der geistlichen Disziplin unter den Mönchen begleitet war. Der Abt Johann von Kindhausen lebte im Kloster mit seiner Magd in einem eheähnlichen Verhältnis und zeigte offene Sympathien für den Protestantismus. Mit dem Erzbischof von Mainz geriet er in Streit wegen des Stifts Zell, den er mit kurpfälzischer Unterstützung für sich entscheiden konnte, allerdings nur um den Preis, dass Zell nun ganz unter kurpfälzische Kontrolle geriet. Nachdem der Abt 1540 seine Konkubine geheiratet hatte, wurde der einzige noch verbliebene katholische Mönch im Kloster, Johann Bonn von Wachenheim, auf kaiserlichen Befehl als Administrator eingesetzt. Im Jahr 1554 wurde Anton Graf von Salm vom Papst als neuer Abt von Hornbach bestätigt, jedoch erst im Jahr darauf vom Landesherrn, dem protestantischen Herzog Wolfgang von Pfalz-Zweibrücken, nach langwierigen Verhandlungen über die künftigen Verhältnisse des Klosters, die einseitig die neue Lehre begünstigten, in Hornbach eingeführt. Mit der Flucht des Abtes vor dem zunehmenden Druck des Herzogs um die Jahreswende 1557/ 58 und der darauffolgenden Gründung einer protestantischen Schule in den Klostergebäuden 1558 endete die Geschichte des Klosters Hornbach. Der Versuch einer Wiedererrichtung während des Dreißigjährigen Krieges blieb eine Episode 33 . Bei seiner Flucht aus Hornbach nahm Abt Anton neben den wichtigsten Teilen des Klosterarchivs und des Schatzes auch die Reliquien des hl. Pirmin mit. Er zog sich zunächst in den Hornbacher Klosterhof in der Stadt Landau zurück, übersiedelte aber schon bald nach Speyer, wo die Reliquien für die folgenden 17 Jahre blieben. Im Jahr 1575 nahm sie der Präsident des Reichskammergerichts, Schweickhard von Helfenstein, mit nach Innsbruck, wo er seine neue Stelle als kaiserlicher Statthalter von Tirol antrat. Die näheren Umstände dieses Besitzwechsels der Pirminsreliquien in Speyer sind weitgehend unklar, jedenfalls scheint das 1567 gegründete Speyerer Jesuitenkolleg dabei irgendwie beteiligt gewesen zu sein, denn der seit 1571 in Innsbruck wirkende Ordensprovinzial Petrus Canisius war zuvor am Kolleg in Speyer tätig gewesen. Die Pirminsreliquien fanden ihre Aufnahme zunächst in der dem Innsbrucker Kolleg angeschlossenen Salvatorkapelle, bis sie in der ab 1627 erbauten und 1646 geweihten neuen Jesuitenkirche ihre endgültige Ruhestätte in einem gläsernen Schrein erhielten. Mit der Gewäh- 33 Hans Fell , Hornbach, in: Die Männer- und Frauenklöster der Benediktiner in Rheinland-Pfalz und Saarland, hg. von Friedhelm Jürgensmeier (Germania Benedictina 9, St. Ottilien 1999) S. 177 - 229, hier: S. 187 - 191. Franz Maier 158 <?page no="159"?> rung eines Ablasses zu Ehren des hl. Pirmin im Jahr 1593 durch Papst Clemens VIII. gewann der neu „ zugezogene “ Heilige unter der Tiroler Bevölkerung erhöhte Popularität, der Pirminskult wurde zu einem Bestandteil der Tiroler Volksfrömmigkeit, was sich bis heute etwa in der Namengebung in Tirol und in der Stellung des hl. Pirmin als Stadtpatron von Innsbruck niederschlägt 34 . Somit hatte sich der hl. Pirmin durch die Translation seiner Reliquien ein neues Einzugsgebiet erschlossen. Während des Mittelalters war seine Verehrung - ausgehend von den Hauptzentren Hornbach und Reichenau - weitgehend beschränkt gewesen, einerseits auf die schwäbisch-alemannischen Diözesen Konstanz, Chur und Augsburg mit einer gewissen Ausstrahlung in östliche Richtung nach Bayern, andererseits auf die oberrheinischen Diözesen von Mainz bis Strassburg und die Moseldiözesen Trier und Metz. In diesem alten westlichen Kultgebiet finden wir auch in der frühen Neuzeit noch Spuren seiner Verehrung im Bereich der Volksfrömmigkeit: In den luxemburgischen Ardennen zwischen Wiltz und Bastogne steht auf einem als Permesknupp bezeichneten Hügel eine Pirminskapelle mit einer Quelle in der Nähe, in die früher missgebildete oder skrofulöse Kinder eingetaucht wurden, um ihre Heilung zu bewirken 35 . Zu erwähnen wäre auch eine Pirminswallfahrt im elsässischen Dorf Holzheim, 20 km vom Obernai entfernt. Dieses zum Bistum Straßburg gehörige Dorf war im 15. und 16. Jahrhundert an Familien der Reichsritterschaft verpfändet, die dort die Reformation einführten, 1578 wurde es jedoch vom Bischof wieder ausgelöst und rekatholisiert. Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts lässt sich dort, zunächst nur sehr vage, eine lokale Pirminswallfahrt fassen, die auf einem legendären Ölwunder beruhte. Das in der Holzheimer Kirche verabreichte „ heilige Pirmins-Öl “ galt als hilfreich bei Augenleiden und wurde den Kranken vom Pfarrer unter Verrichtung der vorgeschriebenen Gebete mit einer Feder in die Augen gestrichen, während sie vor einer Pirminsstatue standen, die den Heiligen mit einem Buch in der Hand, auf dem zwei Augäpfel liegen, darstellt. Der Straßburger Vikar Henri Oster hat diese Wallfahrt in einem Aufsatz im Jahr 1936 beschrieben und dabei mitgeteilt, dass diese angesichts einer geschätzten Zahl von zwei bis drei Pilgern pro Jahr bereits so gut wie erloschen sei 36 . 34 Philipp Schmidt , Pirminius als Abt der Benediktinerabtei Hornbach. Nach der ältesten Lebensbeschreibung des Pirminius, in: Ders. , Du mein Heimatland. Im Hügelland des Westrichs zwischen Pirmasens und Zweibrücken. Geschichten, Aufsätze und Bilder aus Vergangenheit und Gegenwart (Nünschweiler 1930) S. 30 f.; Ludwig Litzenburger , Vom Schicksal der Pirminius-Reliquien in neuester Zeit, Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 5 (1953) S. 155 - 156. 35 Paul Sartori . Pirmin, hl., in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens 7, hg. von Hanns Bächtold-Stäubli (Berlin/ Leipzig 1935 - 1936) Sp. 34 f. 36 Henri Oster , Die Wallfahrt zum hl. Pirmin in Holzheim, Archiv für elsässische Kirchengeschichte 11 (1936) S. 193 - 204. Der heilige Pirmin und seine Memoria in der Pfalz 159 <?page no="160"?> In Hornbach und seiner Umgebung scheint hingegen der Pirminskult mit der Einführung der Reformation im Herzogtum Pfalz-Zweibrücken und der daraus resultierenden Aufhebung des Klosters 1558 und der Abwanderung der Pirminsreliquien nach Tirol vollständig zum Erliegen gekommen zu sein. In der Literatur wird zwar manchmal Gegenteiliges behauptet 37 , doch ließen sich bisher keinerlei Belege für eine Kontinuität des Pirminskultes während des 17. Jahrhunderts finden, auch die vorübergehende Wiedererrichtung des Klosters Hornbach durch den Bischof von Speyer in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges scheint in dieser Hinsicht ohne Auswirkungen geblieben zu sein. Denkbar wäre allerdings eine Rückübertragung des Pirminskultes in seine ursprüngliche Heimat durch katholische Bauhandwerker aus Tirol, die in der Zeit um 1700 in größerer Anzahl in die bis dahin rein protestantische Westpfalz einwanderten, um bei der Beseitigung der Schäden aus den vorangegangenen Kriegen gegen Frankreich mitzuwirken. Hierüber gibt es allerdings noch keine Erkenntnisse, es wäre durchaus interessant, die Tiroler Einwanderung in die Pfalz, die bisher überwiegend unter familiengeschichtlichen Aspekten untersucht worden ist, auch einmal von dieser Seite her zu beleuchten 38 . Im Gegensatz zu Hornbach kam es in Zell schon im 18. Jahrhundert zu einer Wiederbelebung des Philippskultes, obwohl die äußeren Voraussetzungen hier eigentlich noch ungünstiger waren. Die Reformation hatte hier besonders gründlich aufgeräumt, insbesondere nachdem die Universität Heidelberg, der die Kirche 1550 inkorporiert worden war, ab 1560 zum geistigen Zentrum des Calvinismus in Deutschland wurde. Unter diesen Umständen verwundert es nicht, dass die Philipps-Reliquien, die 30 Jahre vorher noch Gegenstand eines spektakulären Kultes waren, spurlos verschwanden. Die Stiftskirche wurde um 1600 abgerissen und mit ihrem Steinmaterial an derselben Stelle eine neue calvinistische Pfarrkirche errichtet, die allerdings schon wenige Jahre später im Dreißigjährigen Krieg wiederum zerstört und erst 80 Jahre später durch einen weiteren Neubau ersetzt worden ist 39 . 37 So z. B. Gugumus , Pirminius in der pfälzischen Überlieferung (wie Anm. 2) S. 21. 38 Vgl. dazu Ernst Drumm , Die Einwanderung Tiroler Bauhandwerker in das linke Rheingebiet 1660 - 1730 (Zweibrücken 1950); Walter Petto , Die Einwanderung aus Tirol und Vorarlberg in die Saargegend (Saarbrücken 1976); Hans-Eugen Bühler , Die Einwanderung von Berg- und Hüttenleuten aus den Montanzentren Sachsen, Harz und Tirol in den Mosel-Saar-Nahe-Raum. Ein Beitrag zur Montangeschichte der linksrheinischen Territorien Kurtrier, Sponheim, Nassau-Saarbrücken und Pfalz (Birkenfeld 1991); Markus Bauer , Von den Alpen in den Westrich, Westricher Heimatblätter 26, 2 (1995) S. 37 - 42. 39 Otto Böcher , Zell und Mölsheim im 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur pfälzischrheinhessischen Orts- und Sozialgeschichte, Der Wormsgau 9 (1970/ 71) S. 5 - 29, hier: S. 7 f. Franz Maier 160 <?page no="161"?> Die Spuren des alten Philipps-Stifts in Zell waren damit so radikal ausgelöscht wie bei kaum einer anderen mittelalterlichen Kirche in der Pfalz. Nach der Übernahme der bis dahin calvinistischen Kurpfalz durch die katholische Linie Pfalz-Neuburg im Jahr 1685 und daraus resultierenden jahrzehntelangen konfessionellen Differenzen innerhalb der Universität Heidelberg kam es in Zell schließlich in den Jahren 1746 bis 1749 auf Initiative des Kurfürsten Karl Theodor zum Neubau einer katholischen Philippskirche im Barockstil, die als Fixpunkt für eine Neupropagierung des Philippskultes diente 40 . Allerdings musste diese Kirche an einer anderen Stelle innerhalb des Ortes errichtet werden, da der Platz der alten Stiftskirche ja schon von der calvinistischen Pfarrkirche besetzt war, und auch die Gebeine des hl. Philipp blieben verschollen, eine Wiederholung der wundersamen Wiederauffindung des 10. Jahrhunderts wollte man den Gläubigen wohl nicht zumuten. Trotzdem kam es zu einem Wiederaufleben des Kultes, der hl. Philipp wurde zum Patron der Universität Heidelberg ernannt, deren Rektor erlangte vom zuständigen Wormser Bischof im Jahr 1780 die Erlaubnis zur Wiederbelebung der Wallfahrt nach Zell, die daraufhin bis zu 2000 Pilger anzog, jedoch nur wenige Jahre später in der Französischen Revolution schon wieder vollständig zum Erliegen kam 41 . Ein erneuter Wiederbelebungsversuch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte keinen überregionalen Erfolg mehr, heute hat das Philippsfest, das in Zell jedes Jahr am 3. Mai bzw. am darauffolgenden Wochenende gefeiert wird, den Charakter eines Dorf- oder Gemeindefestes. Zu einer vergleichbaren Wiederbelebung des Pirminskultes kam es in Hornbach während des 18. Jahrhunderts nicht, obwohl auch im Herzogtum Pfalz-Zweibrücken die herrschende Dynastie im Jahr 1758 wieder zum Katholizismus konvertierte. Im Gegenteil: Hier kam es noch im Jahr 1784 zum Abbruch der alten Klosterkirche, die bis dahin - wenn auch in zunehmend ruinösem Zustand - noch erhalten geblieben war, und zum Neubau einer protestantischen Pfarrkirche unmittelbar neben und teilweise auch auf dem Grundriss der alten Klosterkirche. Deren Chorgeviert und die Apsis mit der ehemaligen Grabkammer Pirmins waren vermutlich schon seit dem Einsturz des Vierungsturmes im Jahr 1705 unter Schuttmassen begraben 42 . Erst im 19. Jahrhundert, als das Gebiet der heutigen Pfalz nach dem Zwischenspiel der französischen Herrschaft infolge des Wiener Kongresses an das Königreich Bayern gefallen war, das von den Nachkommen der 40 Ebd. S. 12; vgl. dazu auch Bernhard Hermann Röttger / Karl Busch / Max Goering (Bearb.), Die Kunstdenkmäler der Pfalz 7: Bezirksamt Kirchheimbolanden (München 1938) S. 326 - 336. 41 Peter Bruder , Der heilige Philippus von Zell in der Pfalz (Speyer 1919). 42 Vgl. dazu Herbert Dellwing / Hans Erich Kubach , Die Kunstdenkmäler der Stadt und des ehemaligen Landkreises Zweibrücken (München/ Berlin 1981) S. 565 - 615. Der heilige Pirmin und seine Memoria in der Pfalz 161 <?page no="162"?> ehemaligen Herzöge von Pfalz-Zweibrücken regiert wurde, begann das Interesse am hl. Pirmin dort neu zu erwachen. Einen ersten Anstoß dafür lieferte der Pfarrer von Hambach bei Neustadt, Franz Xaver Remling, mit seiner 1836 erschienenen „ Urkundlichen Geschichte der ehemaligen Abteien und Klöster im jetzigen Rheinbayern “ , deren Erscheinen zeitlich mit der kirchlichen Restaurationspolitik des Königs Ludwig I. von Bayern zusammenfiel. Einen Höhepunkt der Versuche zur Wiederbelebung des Pirminskultes in der Pfalz brachte das Jahr 1853, in dem der 1100. Todestag des Heiligen gefeiert wurde. Der aus der Gegend von Hornbach stammende Speyerer Bischof Nikolaus von Weis ließ in seinem Dom bei dessen Renovierung Statuen des hl. Pirmin und des hl. Philipp von Zell aufstellen und in den neuen Hochaltar Reliquienpartikel Pirmins einsetzen, die er aus Innsbruck erhalten hatte. Neu errichtete Kirchen in den Dörfern Eppenbrunn und Walsheim im alten Pirminsland um Hornbach erhielten das Pirminspatrozinium, ebenso wie in den folgenden Jahrzehnten noch sieben weitere pfälzische Kirchen, u. a. in der nach Pirmin benannten Stadt Pirmasens. Allerdings scheiterten Bemühungen des Bistums Speyer, die gesamten Pirminsreliquien wieder zurückzuerhalten, um die Wallfahrt in der Pfalz neu zu beleben, am Widerstand der Innsbrucker Katholiken, die ihren Stadtpatron nicht mehr herausgeben wollten 43 . Ab der Wende zum 20. Jahrhundert kam es zu einer verstärkten wissenschaftlichen Beschäftigung mit Pirmin und seiner historischen Bedeutung, die ihren Höhepunkt im Jubiläumsjahr 1953 fand, als u. a. ein ganzer Jahrgangsband des „ Archivs für mittelrheinische Kirchengeschichte “ ausschließlich diesem Thema gewidmet wurde. Einer der zentralen Diskussionspunkte war die Frage nach der Herkunft Pirmins. Während die Forschung zunächst überwiegend dazu neigte, in ihm einen iroschottischen Wanderbischof zu sehen, gewann in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Forschungsmeinung die Oberhand, die in ihm - mit sehr vagen Argumenten - einen aus Spanien vor der arabischen Invasion geflüchteten Westgoten sehen wollte 44 . Dies ging sogar so weit, dass in einer der Publikationen zum Jubiläumsjahr 1953 der Autor eine Parallele von Pirmins Vita zum aktuellen Schicksal der ostdeutschen Flüchtlinge nach 1945 ziehen wollte. Inzwischen ist die Forschung wieder davon abgekommen, Aussagen über Pirmins Herkunft zu wagen, in der klaren Erkenntnis, dass solche angesichts der vorhandenen Quellen immer nur reine Spekulation bleiben können. 43 Gugumus , Pirminius in der pfälzischen Überlieferung (wie Anm. 2) S. 21 f.; Ernst Drumm , Ist die Erinnerung an Pirminius noch lebendig? , Blätter für pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde 20 (1953) S. 79 - 81. 44 So z. B. Albert Becker , Aus dem Wirkungskreis des hl. Pirminius, Blätter für pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde 3, 3 (1927) S. 87; Jecker , St. Pirmins (wie Anm. 2) S. 10; Gugumus , Pirmin † 753 (wie Anm. 2) S. 10 f. Franz Maier 162 <?page no="163"?> Der nachhaltigste Ertrag des Pirminsjahres 1953 bestand wohl in den umfangreichen archäologischen Ausgrabungen, die in diesem Jahr im Bereich des ehemaligen Klosters Hornbach vom Staatlichen Amt für Vor- und Frühgeschichte in Speyer begonnen wurden und sich bis 1957 hinzogen 45 . Diesen Grabungen haben wir es heute zu verdanken, dass wir uns überhaupt wieder ein einigermaßen zuverlässiges Bild vom mittelalterlichen Aussehen der Klosteranlage machen können. Höhepunkt der Grabungen war die Wiederauffindung und Freilegung der Felsengrabkammer des hl. Pirmin im Jahr 1954, zu deren ersten Besuchern der damalige Bundespräsident Theodor Heuß gehörte. Der Beschluss der protestantischen Landeskirche der Pfalz als Eigentümerin des Geländes, über der Grabkammer eine Gedächtnisstätte für Pirmin zu errichten, wurde in den Jahren 1955/ 56 in die Tat umgesetzt und von katholischer Seite erfreut zur Kenntnis genommen 46 . So konnte der hl. Pirmin einen wichtigen Beitrag zum ökumenischen Zusammenleben und zur Aussöhnung von Katholiken und Protestanten in der Pfalz leisten, deren Zusammenleben bis zum 2. Weltkrieg oft problematisch gewesen war. Heute ist Hornbach zwar kein Wallfahrtsort im kirchlichen Sinn mehr, mit der modernen Pirmins-Gedenkstätte über der Grabkammer aus dem 8. Jahrhundert und den in den Neunzigerjahren einfühlsam restaurierten und zu einem Hotel ausgebauten Resten des mittelalterlichen Klosters finden wir aber dort ein Ensemble vor, das uns wie kaum ein anderer Ort die wechselhafte Kirchengeschichte der Pfalz aus über 1200 Jahren vor Augen führt, nicht zuletzt durch die Einrichtung eines multimedialen Museums, des „ Historama Kloster Hornbach “ , das in Computeranimationen über den hl. Pirmin und das Kloster Hornbach im Mittelalter informiert 47 . Resumen: Entre los monjes peregrinos cristianos que desempeñan una función importante durante el siglo VII y VIII en la evangelización de las tribus germánicas en la unidad del Imperio Franco, fue Pirmin una de las personalidades más notables. Su santa vita aparecida en el 830, no menciona nada sobre su origen, pero nos revela algo de sus actividades en la región del suroeste de Alemania, entre cuyas actividades estuvieron la fundación de varios conventos, sobre todo Reichenau en el año 724 y Murbach en Alsacia en el año 727. La fundación del convento en Hornbach que se llevó a cabo hacia el año 742, es desde el año 753 también el lugar de su muerte y de su enterramiento, por lo cual se desarrolló allí la peregrinación a el sepulcro de Pirmin. La iniciativa para fundar el convento 45 Vgl. dazu Kaiser / Kubach , Ausgrabungen (wie Anm. 8). 46 Nikolaus Lauer , Wallfahrtsorte und Gnadenstätten, in: Das große Pfalzbuch, hg. von Oskar Bischoff / Karl Heinz / Alf Rapp (Neustadt/ Weinstraße 4. erg. Aufl. 1968) S. 97 - 110, hier: S. 104. 47 Vgl. dazu Heinz-Walter Roth , „ Historama Kloster Hornbach “ - ein multimediales Museum stellt sich vor, in: Heimatkalender 2004. Das Pirmasenser und Zweibrücker Land, seine wechselvolle Geschichte und seine entwicklungsfreudige Gegenwart, hg. vom Landkreis Südwestpfalz (Koblenz 2003) S. 59 - 64. Der heilige Pirmin und seine Memoria in der Pfalz 163 <?page no="164"?> de Hornbach partió de la poderosa familia aristocrática franca de los Widonen que conservaría su determinante influencia también en lo sucesivo. La fundación de una filial del convento de Hornbach en Zell, en el río Pfrimm también nació de la iniciativa de los Widonen que tenían en la vecina ciudad de Worms un centro de dominio y para la que consiguieron en el siglo XI el título de digna imperial bajo el nombre de “ Salier ” . La leyenda dice que el patrón de esta colegiata de Zell, un eremita de Inglaterra llamado Philipp, vivió como Pirmin en el siglo VIII, pero sobre Philipp conocemos casi menos hechos históricos que sobre Pirmin. Por las circunstancias de su vita y por la supuesta recuperación de sus restos en Zell hacia el año 970, podemos suponer que Philipp es una figura ficticia que se proyectó como socio del santo Pirmin. También al santo Philipp en Zell le sucedió muy pronto una peregrinación que alcanzó en el siglo XV una gran popularidad sobre todo en la región de Alemania central y superó con mucho la peregrinación a Hornbach. Se puede denominar a Zell en estos tiempos verdaderamente como un un lugar de “ peregrinación de moda ” de la alta nobleza alemana, visitado sobre todo para pedir ayuda cuando el deseado hijo no llegaba. Pero en el periodo de la reformación, la peregrinación a Zell quedó paralizada ya poco después del año 1520, puesto que el centro de la nueva teoria de Lutero se correspondía practicamente con las zonas de creyentes que peregrinaban a Zell. En Hornbach también la peregrinación, sobre la que por lo demás no sabemos casi nada, debió decaer mucho a consecuencia de la reformación. Con la supresión del convento en Zell en el año 1550 y del convento en Hornbach 1558 el culto católico quedó paralizado totalmente en estos lugares. Una reactivación de las peregrinaciones no apareció hasta finales del siglo XVIII en Zell, mientras el culto a Pirmin experimentó una reanimación en toda la región del Palatinado desde el siglo XIX, en el marco de una restauración católica que no se restringió únicamente a la región de Hornbach. Franz Maier 164 <?page no="165"?> Geiler von Kaysersberg und das Pilgern Volker Honemann Der Mann, von dem hier die Rede sein wird, ist heute in der Öffentlichkeit nahezu vergessen und war doch berühmt im Deutschen Reich um 1500. Ein Mann, dessen Worten über Jahrzehnte hinweg viele tausend Menschen lauschten, und dessen Rat auch die Großen der Zeit, so etwa Kaiser Maximilian, einholten 1 . Seine Predigten wurden von den Zuhörern mit höchster Intensität gehört, ja geradezu mitverfolgt; sie wurden mitgeschrieben, die Drucker wetteiferten darum, sie in lateinischer, vor allem aber in deutscher Sprache zu veröffentlichen. Vielfach, und über Jahrzehnte hinweg, hat dieser Prediger zu seinem Publikum über das Pilgern gesprochen, das für ihn geradezu eine Grundform menschlicher Existenz war. Im Folgenden sei zunächst dieser Mann, Geiler von Kaysersberg, vorgestellt, um danach seine Auffassung vom Pilgern genauer zu beschreiben. Geschehen soll dies vor dem Hintergrund einer um 1500 bereits weit verbreiteten Kritik am Besuch „ heiliger Stätten “ - gleichgültig, ob sie Santiago, Einsiedeln oder Wilsnack hießen. Abschließend wird zu fragen sein, ob Geiler diese Kritik teilte, ob seine spezifische Auffassung vom Pilgern durch sie bestimmt wurde und wie sich Geilers Reformimpuls (den er, was die Laien angeht, auch durch seine Predigten und Schriften über das Pilgern artikulierte) im Kontext des Zustandes der Kirche des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts ausnimmt. 1. Geiler von Kaysersberg wird am 16. März 1445 in Schaffhausen geboren 2 . Bereits mit zwei Jahren verliert er den Vater, der bei einer Bärenjagd ums Leben kommt. Er wird darauf hin einem Verwandten (wohl 1 Siehe Herbert Kraume , Geiler von Kaysersberg, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon (2. Aufl. 1980) Sp. 1141 - 1152, hier: Sp. 1151. 2 Das folgende nach der die Geiler-Forschung auf eine neue Grundlage stellenden Monographie von Rita Voltmer, Wie der Wächter auf dem Turm. Ein Prediger und seine Stadt. Johannes Geiler von Kaysersberg (1445 - 1510) und Straßburg (Straßburg 2005), hier: S. 132 - 156 und Uwe Israel, Johannes Geiler von Kaysersberg (1445 - 1510). Der Straßburger Münsterprediger als Rechtsreformer (Berliner historische Studien 27, Berlin 1997) S. 38 - 177; siehe weiterhin die Geiler-Porträts von <?page no="166"?> Abb. 1: Geiler von Kaysersberg, Gemälde von Hans Burgkmair aus dem Jahr 1490 3 . Francis Rapp , Préréforme et humanisme. Strasbourg et l ’ Empire 1482 - 1520, in: Histoire de Strasbourg des origines à nos jours 2, hg. von Georges Livet / Francis Rapp (1981) S. 177 - 255, hier: S. 181 - 185 und Ders ., Geiler von Kaysersberg, Johannes, in: Theologische Realenzyklopädie 12 (1984) S. 159 - 162. 3 Gemälde von Hans Burgkmair d. Ä. München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen Inv. Nr. 3568. Das Gemälde entstand 1490 im Auftrag von Geilers Freund und Gönner, dem Augsburger Bischof Friedrich von Zollern; Burgkmair war, als er es schuf, erst 17 Jahre alt, siehe dazu Israel , Johannes Geiler (wie Anm. 2) S. 168. Volker Honemann 166 <?page no="167"?> dem Großvater), einem wohlhabenden Bürger in Kaysersberg im elsässischen Oberland, zur Erziehung anvertraut - daher sein Herkunftsname. Bereits 1460, also mit 15 Jahren, wird Geiler an der Universität Freiburg im Breisgau immatrikuliert (das ist damals kein ungewöhnliches Alter), wo er schon in seinem vierten Studienjahr die Würde eines Magisters der Freien Künste erlangt. Er scheint ein modebewußter, den Freuden der Welt durchaus aufgeschlossener junger Mann gewesen zu sein: Bevor er den Magistertitel erhält, muß er - der Würde des akademischen Standes entsprechend - versprechen, künftig auf „ Schnabelschuhe, Armringe und Halsketten zu verzichten “ 4 . Irgendwann in den folgenden Jahren muß bei Geiler eine Hinwendung zu einem ernsteren Leben erfolgt sein. Er beschließt, Theologie zu studieren. In Freiburg wird er mit dem Schlettstädter Humanisten Jakob Wimpfeling bekannt, der später eine Lebensbeschreibung Geilers verfassen sollte, die für uns heute die wichtigste Quelle über sein Leben ist. 1470 wird Geiler zum Priester geweiht und siedelt nach Basel über, wo er nun einerseits Theologie studiert (und zwischen 1471 und 1475 „ sowohl an der Artistenfakultät, als auch bei den Theologen “ lehrt 5 ), andererseits aber als Leutpriester (nicht als Prediger) tätig ist. 1475 - also nicht mehr als zwanzigjährig! - wird er zum Doktor der Theologie promoviert, der gleichbedeutend ist mit der heutigen Professur, und schon im folgenden Jahr an die Universität Freiburg berufen. All dies ließ eine glanzvolle theologische Karriere erwarten, weshalb es die Zeitgenossen sehr überrascht haben dürfte, daß Geiler seine Freiburger Professur bereits 1477 aufgab. Wohin es ihn in Wirklichkeit zog, hatte die Arbeit als Leutpriester und der freundschaftliche Kontakt mit ihn fördernden Basler Theologen wie Wilhelm Textoris und Heynlin vom Stein ihm deutlich gemacht: Wie diesen ging es Geiler je länger je mehr um die Sorge für das geistliche (und weltliche) Heil seiner Mitmenschen, und das heißt: a l l e r Menschen, ungeachtet ihres gesellschaftlichen Standes. Vor dieser Verpflichtung zur Seelsorge hatte alles andere zurückzustehen: vor allem die innertheologischen Auseinandersetzungen der Zeit 6 , aber auch (mögliche) theologische Forschung. Geilers zentrales Anliegen war damit klar definiert: Es ging ihm darum, immer von neuem und mit all seinen Fähigkeiten die Menschen seiner Umwelt auf ihre 4 Rapp , Geiler von Kaysersberg (wie Anm. 2) S. 159, siehe auch Voltmer, Wie der Wächter (wie Anm. 2) S. 145. - Ein in Privatbesitz befindliches Gemälde (Abb. ebd. S. 133) zeigt uns einen modebewußten, gleichwohl ernsthaft-grübelnden jungen Mann, der mit Geiler identisch sein könnte. 5 Voltmer, Wie der Wächter (wie Anm. 2) S. 137. - Zu den Daten von Geilers Universitätslaufbahn siehe besonders Jakob Wimpfeling/ Beatus Rhenanus, Das Leben des Johann Geiler von Kaysersberg. Unter Mitarbeit von Dieter Mertens eingeleitet, kommentiert und herausgegeben von Otto Herding (Jacobi Wimpfelingi Opera selecta 2, 1, München 1970), hier: S. 89 - 91. 6 Kontroverses gehört für Geiler in die schül, nitt auff den predig stül, siehe Kraume, Geiler von Kaysersberg (wie Anm. 1) Sp. 1148. Geiler von Kaysersberg und das Pilgern 167 <?page no="168"?> persönliche Verantwortung für ihr Seelenheil aufmerksam zu machen, darauf, daß jeder Mensch „ die Pflicht hat, alles zu tun, was er vermag, um zum Heil zu gelangen “ 7 . Geiler stellte sich damit in eine Tradition, die seit dem frühen 15. Jahrhundert vor allem durch den berühmten Pariser Theologen und langjährigen Kanzler der Universität Paris, Johannes Gerson (Jean Charlier de Gerson, 1363 - 1429), geprägt und in vielen Schriften formuliert worden war. Gerson und seine ganz auf den Christenmenschen ausgerichtete Frömmigkeitstheologie wurden zum verehrten Vorbild für Geiler, der nicht weniger als sechs Schriften Gersons ins Deutsche übertrug 8 und - zusammen mit Straßburger Freunden, vor allem dem Ammeister Peter Schott, - eine mehrbändige Ausgabe der Schriften Gersons erarbeitete, die 1488 im Druck erschien und mehrfach nachgedruckt wurde. Von Gerson dürfte Geiler auch das Pilgermotiv übernommen haben; das Titelblatt der Straßburger Gerson- Ausgabe zeigte diesen als Pilger; darauf ist zurückzukommen 9 . Wie aber konnte Geiler sein Ziel erreichen, das Seelenheil seiner Mitmenschen zu fördern? Dafür gab es, in seiner Zeit, grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Zum einen konnte der Theologe durch die Schrift wirken. Der seit seiner Entwicklung in den 1450er Jahren sich rasch verbreitende Buchdruck hatte am Ende des 15. Jahrhunderts die eingeschränkten Möglichkeiten der handschriftlichen Vervielfältigung von Texten quantitativ wie qualitativ sehr beträchtlich erweitert. Geiler hat, wie wir noch sehen werden, von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Dabei bediente er sich fast ausschließlich der Volkssprache, wohl, um möglichst viele Leser zu erreichen 10 . Es dürfte ihm aber bewußt gewesen sein, daß nur sehr wenige Menschen seiner Zeit lesen (viel mehr als 10 % der Bevölkerung dürfen wir auch im kulturell „ fortschrittlichen “ Oberrheingebiet sicher nicht anneh- 7 Rapp , Geiler von Kaysersberg (wie Anm. 2) S. 160. 8 Vgl. Kraume, Geiler von Kaysersberg (wie Anm. 1) Sp. 1143 f. 9 Vgl. Herbert Kraume , Die Gerson-Übersetzungen Geilers von Kaysersberg (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 71, Zürich 1980) S. 78 - 90; zur Inspiration durch Gerson siehe ebd. S. 24 und S. 108 sowie Voltmer, Wie der Wächter (wie Anm. 2) S. 990; Kraume S. 108 Anm. 7 zu der Darstellung Gersons als Pilger. Die dreibändige Ausgabe wurde 1502 um einen vierten Band ergänzt, siehe ebd. S. 79, Würdigung der Ausgabe: S. 79 - 90. - Geilers zuletzt vor allem von Voltmer herausgearbeitetes, weitergehendes Bemühen, nämlich „ durch Unterweisungen und Reformvorschläge eine nur der lex Dei verpflichtete Stadtgemeinde zu erziehen “ ( Voltmer, Wie der Wächter [wie Anm. 2] S. 37), das zu seinem vielfachen Eingreifen in die politischen und sozialen Belange Straßburgs führte, kann hier außer acht bleiben. 10 Siehe Kraume, Geiler von Kaysersberg (wie Anm. 1) Sp. 1143 - 1145: Von Geiler selbst veröffentlichte Schriften. - Siehe zu Geilers Orientierung an Gerson auch Voltmer, Wie der Wächter (wie Anm. 2) S. 37 - 41, wo - zu Recht - herausgearbeitet wird, daß Geiler „ es nicht bei reiner instructio durch Homiletik und plastische Ausmalung von Tugenden und Latsern bewenden ließ “ (S. 37), sondern mit seinen Predigten eine Reform von Kirche und weltlicher Obrigkeit anstrebte. Volker Honemann 168 <?page no="169"?> Abb. 2: Gerson als Pilger. Geiler von Kaysersberg und das Pilgern 169 <?page no="170"?> men), und noch weniger sich die - immer noch teuren - Bücher leisten konnten. Geiler setzte deshalb vor allem auf eine zweite, ungleich wichtigere Möglichkeit zur Verbreitung seiner Vorstellungen: die Predigt - und sie ist es, die Geiler geradezu zu seinem Beruf macht. Er wählte damit d a s Massenmedium seiner Zeit, das Medium mündlicher Kommunikation, das qualitativ die Schriftkommunikation weit übertraf, sie aber auch quantitativ in den Schatten stellte. Erste Erfahrungen damit hatte er in seiner Basler Zeit gemacht, wo er während der Universitätsgottesdienste gepredigt haben muß, desweiteren predigte er im Kurort Baden, „ wo er seine Zuhörer begeisterte “ 11 . Sehr rasch erwarb er sich einen Ruf als bedeutender, sehr viele Zuhörer anziehender Prediger. An einem solchen Mann waren im späteren 15. Jahrhundert, also einer Zeit intensiver Bemühungen um die Reform von Kirche, Klerus und Gläubigen, vor allem die Obrigkeiten der bedeutenden Städte des Reiches interessiert. Denn jetzt waren es vielerorts die Stadträte und Bürgermeister, die eine sittliche Förderung ihrer Bürger erstrebten. Dementsprechend wurden nun überall im Reich oft hochdotierte Prädikaturen an den Stadtpfarrkirchen geschaffen - so beispielsweise in Ulm, wo der berühmte Basler Theologieprofessor Ulrich Kraft predigte 12 . So nimmt es nicht wunder, daß Geiler rasch einen Ruf auf eine Prädikatur in Würzburg erhielt, den er aber schließlich nicht antrat. Vertreten durch den Ammeister Peter Schott warb ihn das ungleich mächtigere, für Geiler vertrautere Straßburg ab. 1478 trat er das für ihn geschaffene Dompredigeramt an - im Alter von 33 Jahren; der Zahl der Lebensjahre Jesu Christi also. Mit kleinen Unterbrechungen sollte er dieses Amt bis zu seinem Tode am 10. März 1510, also weitere 33 Jahre innehaben - Zahlen, die für die Menschen der Zeit von hoher Symbolik waren 13 . 2. Geilers Pflichten als Straßburger Münsterprediger waren nicht gering: In der Fastenzeit hatte er täglich zu predigen, „ sonst an jedem Sonntag und an den gebotenen Feiertagen “ 14 . Dazu traten Predigten außerhalb des Münsters, 11 Rapp , Geiler von Kaysersberg (wie Anm. 2) S. 160. 12 Kraft, der bis 1501 an den Universitäten Tübingen, Freiburg und Basel als Professor beider Rechte gelehrt hatte, trat 1501 die mit 600 Gulden sehr hoch dotierte Prädikatur am Münster seiner Heimatstadt Ulm an, die er bis zu seinem Tode 1516 innehatte. Zwei seiner Predigtreihen ( ‚ Der geistliche Streit ‘ , ‚ Die Arch Noe ‘ ) liegen in zeitgenössischen Drucken vor, vgl. Volker Honemann , Kraft (Krafft) Ulrich, in: Verfasserlexikon (wie Anm. 1) 5 (1985) Sp. 332 - 334. 13 Siehe Heinz Meyer / Rudolf Suntrup , Lexikon der mittelalterlichen Zahlenbedeutungen (Münstersche Mittelalter-Studien 56, München 1987, ND 1999) Sp. 703 - 706. Die Faktoren (3 x 10 + 3) „ bezeichnen den Glauben an die Trinität und das Handeln nach den Zehn Geboten “ (Sp. 704). 14 Rapp , Geiler von Kaysersberg (wie Anm. 2) S. 160; genauere Beschreibung der Pflichten Geilers (wie sie der bei seiner Einstellung geschlossene Vertrag vorsah) bei Voltmer, Wie der Wächter (wie Anm. 2) S. 139 f.; auch die Verkündung von Ablässen gehörte zu seinen Pflichten (ebd. S. 140 f.). Volker Honemann 170 <?page no="171"?> so besonders in den Straßburger Frauenklöstern. Hinzu kamen auswärtige Verpflichtungen: 1488 „ holte der in der Kirchenreform engagierte Augsburger Bischof Friedrich von Zollern den inzwischen zum „ Superstar der Kanzel “ avancierten Freund Geiler für drei Monate in die Reichsstadt, um seinen Reformbemühungen entscheidende Impulse zu verleihen “ 15 . Geilers Predigten begannen in der Regel morgens zwischen fünf und sechs Uhr 16 , was die Menschen seiner Zeit nicht als ungewöhnlich empfanden, weil sie ohnehin mit dem ersten Tageslicht aufstanden, und sie dauerten etwa eine Stunde; er sprach damit kürzer als viele seiner Kollegen 17 . Seit 1486 konnte sie Geiler im Straßburger Münster von einer eigens für ihn errichteten, prächtigen Kanzel halten 18 . Auf diese Predigten bereitete sich Geiler sehr sorgfältig vor, wozu ihm seine von den Zeitgenossen als „ reich “ bezeichnete Bibliothek diente; schon am Tage vor einer Predigt suchte er nach einer angemessenen materia. Am darauffolgenden Morgen (ab zwei oder drei Uhr! ) „ studierte “ er diese durch und machte sich dabei umfängliche Notizen in lateinischer Sprache (für ihn als Universitätsgelehrten ging dies schneller, als wenn er die Volkssprache benutzt hätte, zumal seine Vorlagentexte ohnehin fast immer lateinisch waren). Nach der ab sechs Uhr auf Deutsch gehaltenen Predigt schrieb Geiler diese dann skizzenhaft oder im Volltext nieder, was zur Entstehung ganzer „ Predigtjournale “ führte 19 . Beim Predigen verzichtete Geiler konsequent auf theologische Fachsprache, er gliederte seine Ansprachen sehr einleuchtend und bediente sich häufig der Technik der Emblematik. Wenn er beispielsweise über den Teufel sprach, dann kleidete Geiler diesen in das Bild eines Löwen, der in der meß gezeigt ward - vermutlich das Bild eines Löwen; der Reihe nach handelte Geiler 15 Werner Williams - Krapp , Johann Geiler von Kaysersberg in Augsburg. Zum Predigtzyklus ‚ Berg des Schauens ‘ , in: Literarisches Leben in Augsburg während des 15. Jahrhunderts; hg. von Johannes Janota / Werner Williams - Krapp (Studia Augustana 7, Tübingen 1995) S. 265 - 280, hier: S. 267. 16 Ebd. S. 268, bezeugt durch das zeitgenössische Tagebuch über Friedrich von Zollern, das Geilers Augsburger Aufenthalt reich dokumentiert. 17 Siehe Wimpfeling/ Rhenanus, Das Leben des Johann Geiler (wie Anm. 5) S. 78 Z. 705 - 707: Verum in concione qualibet unius horae cursum non excessit sed clepsydra indicante mox receptui cecinit; zur Predigtvorbereitung und zu Geilers Bibliothek siehe weiterhin die Vita des Beatus Rhenanus (ebd. S. 88 - 96), hier: S. 93. 18 Rapp , Geiler von Kaysersberg (wie Anm. 2) S. 161, Voltmer, Wie der Wächter (wie Anm. 3) S. 142, vor allem aber Israel, Johannes Geiler (wie Anm. 1) S. 104 - 113. 19 Siehe hierzu die gründlichen Darlegungen von Karl Fischer , Das Verhältnis zweier lateinischer Texte Geilers von Kaisersberg zu ihren deutschen Bearbeitungen, der „ Navicula fatuorum “ zu Paulis „ Narrenschiff “ und des „ Peregrinus “ zu Otthers „ Christenlich bilgerschafft “ nebst einer Würdigung der lateinischen Texte Geilers (Metz 1908) S. 5 - 13 (besonders S. 6) sowie Voltmer, Wie der Wächter (wie Anm. 2) S. 65 - 68, dort S. 67 f. zu den „ Predigtjournalen “ , die vielleicht auch für Nachfolger in seinem Amte bestimmt waren. Geiler von Kaysersberg und das Pilgern 171 <?page no="172"?> dann über den höllischen, weltlichen, geistlichen und himmlischen Löwen 20 . In der berühmten Predigt vom ‚ Has im Pfeffer ‘ wurden „ die Eigenschaften des Christen emblematisch mit denen eines Hasen verglichen “ . Geiler verwendete dabei immer wieder Sprichwörter, Fabeln, Beispielsgeschichten 21 und Beobachtungen aus seinem Straßburger Alltag, wobei er vor einer gelegentlich grobianischen Sprache nicht zurückschreckte - was sich gut damit verbindet, daß Geiler die Übel seiner Zeit immer wieder drastisch kritisierte. All dies trug zu der in seiner Zeit unvergleichlichen Wirkung bei: Als „ Wächter auf dem (Straßburger Münster-) Turm “ , der „ ins Horn bläst, sobald er vom Turm aus einen Brandherd gesichtet hat “ 22 als „ helltönende Posaune “ hat Geiler sich selbst bezeichnet - eine Posaune, die auch und gerade dem Straßburger Rat oft schrill in den Ohren klang, wenn er in harten Worten dessen unchristliches Verhalten konkret tadelte: so die schlechte Versorgung der Armen mit Lebensmitteln, die Weigerung, zum Tode Verurteilten die Sakramente spenden zu lassen und anderes mehr. Beliebt machte sich Geiler damit nicht, hoch respektiert wurde er von allen. Eingangs wurde bereits angedeutet, daß das Thema der Pilgerschaft, die Auffassung des menschlichen Lebens bzw. Lebensweges als Pilgerschaft hin zum ewigen Heil oder zur ewigen Verdammnis ein zentrales, Geiler immer wieder beschäftigendes Thema war - man könnte darin geradezu eine Grundkonstante seines Wirkens sehen. Von daher erhebt sich in unserem Kontext zunächst die Frage, ob Geiler denn selbst gepilgert ist? Sie läßt sich teils sicher, teils nur vermutungsweise beantworten. Wir wissen aus zuverlässiger Quelle, daß Geiler häufig reiste, so nach Baden zur Kur (der ihn stets plagenden Nierensteine wegen), aber auch nach Freiburg, Basel, Augsburg, Konstanz, Füssen oder Würzburg. Daneben war er immer wieder im Elsaß unterwegs, dies auch zu Pferde. Mehrfach besuchte Geiler einen Eremiten, der in der Nähe von Ammerschweier in den Vogesen wohnte, einmal scheint er den berühmtesten Einsiedler der Zeit, Nikolaus von der Flüe, besucht zu haben - die Vita eremitica hat Geiler anscheinend je länger je mehr angezogen; seine späteren eigenen Versuche, sich mit ähnlich gestimmten Freunden aus der Welt zurückzuziehen, scheiterten allerdings 23 . Vermutlich 1483 unternahm Geiler „ seine wohl weiteste Pilgerfahrt. Sein Ziel war St. Maximin in der Nähe von Marseille, wo man seit dem späten 13. Jahrhundert die Gebeine der als erste Missionarin der Provence geltenden Maria Mag- 20 Kraume, Geiler von Kaysersberg (wie Anm. 1) Sp. 1150 (mit Nachweis). 21 Zum Gebrauch von Exempla siehe besonders die vorläufige Zusammenstellung bei Wilfried Theiß, Geiler von Kaysersberg, Johann, in: Enzyklopädie des Märchens 5 (1987) Sp. 904 - 907. 22 Rapp , Geiler von Kaysersberg (wie Anm. 2) S. 161. 23 Siehe Kraume, Geiler von Kaysersberg (wie Anm. 1) Sp. 1143. Volker Honemann 172 <?page no="173"?> dalena verehrte “ 24 . Es könnte dies damit zusammenhängen, daß Geiler in enger Verbindung mit dem Straßburger Magdalenerinnenkloster (= Reuerinnen) stand. Auf der Rückreise besuchte Geiler in Lyon das Grab des verehrten Johannes Gerson, und er schrieb dort und schon vorher im Coelestinerkloster von Avignon Gerson-Handschriften ab (oder ließ sie kopieren), die er für seine bereits erwähnte Ausgabe der Werke Gersons brauchte - ein weiteres Zeichen dafür, wie intensiv Geiler neben dem gesprochenen auch auf das geschriebene bzw. gedruckte Wort setzte. Mehrfach scheint er nach Einsiedeln gepilgert zu sein, dies auch in Begleitung von großen Gruppen Straßburger Pilger, doch stammen die Belege dafür erst aus dem 19. Jahrhundert. In Santiago de Compostela ist Geiler, soviel wir wissen, nicht gewesen. Da wir sein Wirken in Straßburg (das einen vierwöchigen Jahresurlaub einschloß), genau verfolgen können, ist eine solche Fernpilgerfahrt auszuschließen, weil dafür die Zeit fehlte; von einer besonderen Jakobus-Verehrung Geilers ist zudem nichts zu erkennen. 3. Geilers großes Vorbild war, wie bereits bemerkt, Johannes Gerson; von Jakob Wimpfeling wurde er selbst später als illustrator des Pariser Theologen charakterisiert 25 . Das Thema des menschlichen Lebens als Pilgerfahrt zum himmlischen Jerusalem (oder, im Falle eines schlecht gelebten christlichen Lebens, hin zu Fegefeuer und Hölle) beschäftigte Gerson über mehrere Jahrzehnte seines Lebens hinweg 26 . Frühestes Zeugnis ist ein französischsprachiges ‚ Testamentum peregrini tendentis in paradisum ‘ (Inc.: Dispose ton mesnage), das um 1403 entstanden ist 27 . Der Text legt dar, daß der Mensch über seinen Besitz testamentarisch verfügen soll, weil man nicht weiß, wann man sterben wird. Und so, wie der Mensch, der auf eine weite Pilgerfahrt geht, sein Testament errichten und dieses mit sich führen soll, 24 Die Ausführungen zu den Reisen Geilers bei Israel, Johannes Geiler (wie Anm. 2) S. 126 - 129, Zitat S. 128; siehe weiterhin Voltmer, Wie der Wächter (wie Anm. 2) S. 149 - 151 und S. 141 f., wo darauf aufmerksam gemacht wird, daß Geilers Reisen und auswärtige Aufenthalte in den Jahren zwischen 1478 und 1489 auch damit zusammenhängen dürften, daß es „ immerhin elf Jahre dauern [sollte], bis Geiler [in Straßburg] rechtmäßig in sein Amt eingesetzt war “ und auch erst dann über seine vollen Bezüge verfügte (S. 141). 25 Kraume, Die Gerson-Übersetzungen (wie Anm. 9) S. 91. 26 Es wäre von Interesse, zu untersuchen, ob Gersons Pilger- und Pilgerschaftsvorstellungen von den sehr populären ‚ Pèlerinages ‘ des Guillaume de Digulleville (entstanden zwischen 1332 und ca. 1360) beeinflußt wurden; zu diesen siehe Volker Honemann , Das Leben als Pilgerfahrt zum Himmlischen Jerusalem in der Pèlerinage de la vie humaine des Guillaume de Digulleville, in: Himmel auf Erden/ Heaven on Earth, hg. von Rudolf Suntrup / Jan R. Veenstra (Medieval to Early Modern Culture/ Kultureller Wandel vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit 12), (Frankfurt am Main 2009) S. 107 - 122. 27 Abdruck: Jean Gerson, Œ uvres Complètes I - X, ed. Palémon Glorieux (Paris 1960 - 1973), hier: VII (1966) S. 142 f. Nr. 307. Geiler von Kaysersberg und das Pilgern 173 <?page no="174"?> sollen wir, die wir auf dem Wege zur cité de paradis sind, espirituellement ein Testament errichten. Dieses sei hier in Gestalt eines Gebetes getan, das jeder fromme Pilger jeden Tag sprechen soll, damit er nicht ohne Testament stirbt; darauf folgt dann das Gebet (Inc. Nostre ben pere); der kurze Text endet mit einem Explicit testamentum peregrini. Der gleiche Text existiert auch in einer lateinischen Fassung ( ‚ Super quotidiano peregrini testamento ‘ , vielleicht aus dem Jahre 1404) 28 , doch schließen sich hier noch Considerationes summariae per quatuor partes super quotidiano peregrini testamento an, in denen Gerson das eigentliche testamentum ausführlich deutet, so z. B. bezüglich der verschiedenen Aspekte der Errichtung eines Testaments. Die Deutung endet mit einer siebenfältigen Bitte an Gott um ein christliches Leben und einen guten Tod, durch den redeat spiritus ad Deum qui dedit illum tamquam ad domum aeternitatis, claritatis et felicitatis (S. 9). In seinen am 8. September 1416 auf dem Konstanzer Konzil gehaltenen ‚ Sermo de nativitate Beate Marie Virginis ‘ fügte Gerson acht Verse ein, die das menschliche Leben als Pilgerfahrt auffaßten 29 . Im Jahr darauf erreicht seine Beschäftigung mit dem Thema der peregrinatio einen Höhepunkt: Nun charakterisiert, ja stilisiert er sich selbst in seinem Erdenleben als Pilger. In einem Brief an den Bruder Johannes nennt er sich ego peregrinus et advena und fügt hinzu: sic enim Gerson interpretatum significat 30 . Gerson interpretiert damit seinen eigenen Nachnamen als ‚ Pilger ‘ . Dabei spielt er, wie Frank Hieronymus gezeigt hat ‚ auf das Buch Exodus der Bibel an: In „ Exod. 2,22 nennt Moses, im Lande Midian auf der Flucht vor Pharao, seinen ersten Sohn Gersam/ Gerschom, und der Autor des Buches Exodus lässt ihn den Namen volksetymologisch von garasch = ‚ vertreiben ‘ ableiten mit den Worten: ‚ Ich bin ein Fremdling geworden in fremdem Land ‘ (ebenso 18,3) “ 31 . Der Terminus der Vulgata für ‚ Fremdling ‘ , advena aber wird zum einen von Gerson für sich selbst immer wieder gebraucht (so z. B. in der Zeit seines deutschen Exils), zum anderen ist er synonym mit peregrinus. Der Brief, in dem Gerson seinen Namen als ‚ Pilger ‘ auslegt, 28 Ausgabe: Gerson, Œ uvres (wie Anm. 27) VIII (1971) S. 5 - 9 Nr. 400; zur Datierung siehe ebd. S. XII: „ septembre 1404 (sinon 1428; comme le Testament en vers) “ . 29 Inc. Esto peregrinis nobis cantabilis alma; Gerson, Œ uvres (wie Anm. 27) IV (1961) S. 22 Nr. 131. 30 Brief an seinen Bruder Johannes, den Cölestinermönch vom 1. Januar 1417, Abdruck Gerson, Œ uvres (wie Anm. 27) II (1960) S. 199, Nr. 40. - Hinweis auf diesen und den folgenden Text bei Kraume , Die Gerson-Übersetzungen (Anm. 9) S. 108. 31 Frank Hieronymus , Gersons Engel - rehabilitiert, in: Für Christoph Vischer. Direktor der Basler Universitätsbibliothek 1959 - 1973, hg. von seinen Mitarbeitern (Basel 1973) S. 148 - 158, hier: S. 152 Anm. 1. - Der lateinische Bibeltext: quae peperit ei filium, quem vocavit Gersam, dicens: Advena fui in terra aliena. In Exod. 18,3 wird dies fast wörtlich wiederholt. Volker Honemann 174 <?page no="175"?> ist im übrigen als Interpretation einer ihm beigelegten ‚ Descriptio peregrini ‘ von 17 Versen gedacht 32 . Der Text lautet: Dic precor, iste quis est qui carmina condidit ista? Gratia nomen ei; cognomen et advena fecit Esse peregrinus; signis agnoscitur aptis. Cassidulum dextro fartum dependet ab armo Ad latus oppositum; celsum caput orbicularis Pileus obnubit, soles quo pellat et imbres A vultu infestos, baculus teres regit artus Ferrea cui cuspis; munitur sura cothurno. Scutum leva gerit sapphyro coelove sereno Concolor; hic auro septem radiare planetas Inspiceres; medio cor pennatum velut ignis Emicat et Thau rutilo sibi signat in auro Aegide protectus hac hostia tela retundit. Nec caret angelico duce sed caro visibus obstat. Sedulus hunc catulus ut Tobiam comitatur. Gerson origo fuit, dat cancellarius almo Lustris quinque gradus studio tibi Parisiorum. Wichtig an dem Text ist - abgesehen von der (Selbst-)Deutung des Namens ‚ Johannes Gerson ‘ - die Beschreibung des Pilgers, genauer: die Nennung seiner Attribute: der Tasche (cassidulum, V. 4), des runden, vor Sonne und Regen schützenden Hutes (V. 5 - 7), des langen Stabes mit eiserner Spitze (V. 7 f.), der Stiefel, die die Waden bedecken (V. 8), schließlich des - aufwendig geschmückten - Schildes (V. 9 - 13). Bis auf letzteren, auf dessen Deutung hier nicht näher einzugehen ist, finden sich all diese Attribute natürlich auch in den ‚ Pilger ‘ -Texten Gersons, aber, das ist sofort hinzuzufügen, natürlich auch in anderen Texten, die sich mit der für einen Pilger nötigen Ausstattung beschäftigen, so z. B. dem bekannten Lied ‚ Wer das ellend bauen will ‘ , das seit dem 15. Jahrhundert belegt ist 33 . Es nennt in den Strophen 1 - 3 Zwei par schuoch der darf er wol / ein schüßel bei der flaschen / / Ein braiten huot den sol er han / und an mantel sol er nit gan, / mit leder wol besezet, / [. . .] / / Sack und stab ist auch darbei [. . .]. Im folgenden Jahr, 1418, wiederholt Gerson diese Stilisierung in einem ‚ Carmen de causa canendi ‘ , das ebenfalls an den Bruder Johannes, den 32 Abdruck: Gerson, Œ uvres (wie Anm. 27) IV (1969) S. 15 f. Nr. 126; Inc.: Dic precor, iste quis est qui carmina condidit ista? Nachdem Gerson hier die verschiedenen Attribute des Pilgers beschrieben hat, kommt er auch auf sich selbst zurück, indem er die Antwort auf die eingangs gestellte Frage gibt: Gerson origo fuit, dat cancellarius almo / Lustris quinque gradus studio tibi Parisiorum. 33 Siehe dazu Klaus Herbers / Robert Plötz (Hg.), Nach Santiago zogen sie. Berichte von Pilgerfahrten ans „ Ende der Welt “ (München 1996) S. 151 - 161, Text des Liedes S. 156 - 161. Geiler von Kaysersberg und das Pilgern 175 <?page no="176"?> Cölestiner gerichtet ist 34 . Ende 1424 verfaßt er ein in französisch-lateinischer Mischsprache gehaltenes, umfängliches ‚ Canticordum du Pélerin ‘ 35 , in dem er eingangs das menschliche Leben als mortel pelerinage bezeichnet (S. 112) und ein weltliches Herz mit einem geistlichen Herzen eine Kollation halten läßt. Diese Dialog-Konstruktion geht aus vom Bild der Jünger, die nach Emmaus pilgern (a l ’ exemple du cuer des deux pelerins alans en Emaux ausquelz Jhesus se joingny en forme de pelerin, qui dirent: nonne cor nostrum ardens erat in nobis dum loqueretur via et aperiret Scripturas? , ebd.). Das Canticordum ist hier als Musikinstrument aufgefaßt, das aber nur im Herzen und im Geist des Herzens zu hören ist (il ne sonne que dendens le cuer et a l ’ esprit du cuer, S. 114). Es hat die Gestalt des Kreuzes (vier Seiten und das Zentrum - angespielt wird auf die Kreuzeswunden), denen die fünf Vokale a e i o u entsprechen, die wiederum mit den fünf Noten (Re - My - Sol - Fa - A) gleichzusetzen sind. Nur das geistliche, fromme Herz kann das Canticordum in sich tragen, das weltliche Herz hat stattdessen ein Discordum (S. 117). Das geistliche Herz stimmt einen neuen Gesang an, que tu nommes Canticordum au pelerin (S. 124); das menschliche Herz singt la haulte game en ce pelerinaige (S. 137) - also den Lauf des menschlichen Lebens, unter der haulte game ist, wie Gerson anschließend erklärt, die theologie mistique zu verstehen (S. 138). Der Gesang aber gehört, so der Schluß des Traktats, a creature raisonnable pour ce mortel pelerinage ent tant que son chant approuche plus a cely de paradis en pardurable eternité (S. 139). Drei Jahre später, 1427, verfaßt Gerson schließlich ein metrisches ‚ Testamentum peregrini mysticum ‘ 36 , in dem er erneut auf die Auslegung seines Namens als ‚ Pilger ‘ anspielt: Gratia cui nomen confert insigne Joannes / Advena cognomen Gerson habere dedit (V. 1 f., insgesamt 30 Verse). Unklar ist die Datierung eines weiteren ‚ Testamentum peregrini ‘ von 75 Versen (Inc.: Janua morte patet coelestis et inde cupivi / Jugiter ad mortem posse veniore piam) 37 , in dem Gerson eine Art Summe seines Lebens zieht und den Tod gefaßt erwartet: Vita fidelis erat, Christicolus morior (V. 18). Abgesehen vom Titel deutet in diesem sicher sehr späten Text nichts auf Gersons Selbstauffassung als Pilger hin; sie war ihm offenbar ganz selbstverständlich geworden 38 . 34 Edition Gerson, Œ uvres (wie Anm. 27) IV (1961) S. 18 - 19 Nr. 128. 35 Edition: ebd. VII (1971) S. 112 - 139 Nr. 305. 36 Edition: ebd. IV (1961), S. 104 f. Nr. 142. 37 Edition: ebd. S. 109 f. Nr. 147. 38 Nur am Rande sei erwähnt, daß Gerson in seinen Predigten mehrfach das Thema der Pilgerschaft erwähnt, allerdings jeweils nur mit kurzen Worten. So heißt es in der 2. particula seines ‚ Sermo de resurrectione Christi ‘ Gerson, Œ uvres (wie Anm. 27) IV (1961), S. 494 - 498 Nr. 244, hier: S. 496: Adeste nunc fortes vigilesque peregrini, concito passu. quae sursum quaerite, celeriter omnes praecipitate moras et ad illam propter quam facti estis manentem civitatem omni tempore discusso cursum dirigite. Wenig später (S. 497) heißt es dann: Properate igitur, nec ut incertis peregrinis mos est, Volker Honemann 176 <?page no="177"?> Insgesamt läßt sich sagen, daß Geiler von Kayserberg von der Pilger- und Pilgerschafts-Konzeption Gersons zumindest stark beeinflußt worden ist; ob er ihm allein seine eigene diesbezügliche Konzeption verdankt, wird sich nicht sicher sagen lassen, doch ist Gerson jedenfalls seine wichtigste Inspirationsquelle. Dies ergibt sich auch daraus, daß es ja Geiler war, der - zusammen mit Peter Schott - eine Ausgabe der sehr zahlreichen Schriften Gersons erarbeitete, die zuerst 1488 in drei Teilen in Straßburg bei Johann Grüninger erschien 39 . Der erste Teil (= Band) bietet auf der Rückseite des Titelblattes den vielfach reproduzierten, oben bereits wiedergegebenen Holzschnitt; ihm gegenüber steht das Gedicht Dic precor (siehe oben), in dem Gerson sich selbst als Pilger charakterisiert 40 . Schon an dieser Anordnung läßt sich erkennen, welche Bedeutung Geiler und Schott dem Thema der Pilgerschaft bzw. Gerson als Pilger zumaßen. Erkennbar wird dies weiterhin daraus, daß gleich anschließend, auf den Seiten a2ra - a3rb des ersten Teiles, eine Compendiosa laus Joannis de Gerson aus der Feder Schotts folgt, in der dieser, Gerson ansprechend, erklärt: Tu vere secundum nomen tuum laudem tibi ponas. Gerson enim aduenam significat - Gersons Selbstdeutung seines Namens wird hier wiederholt. In Teil zwei bot die Ausgabe dann Abdrucke einiger der oben charakterisierten Pilger-Texte Gersons, so sein ‚ Testamentum quotidianum peregrini ‘ (Gl 400) und gleich anschließend das ‚ Testamentum peregrini mysticum ‘ (Gl 142). Die Gerson-Ausgabe Geilers und Schotts scheint außerordentlich erfolgreich gewesen zu sein, wie die sehr hohe Zahl heute noch erhaltener Exemplare (ca. 240! Siehe die Nachweise am Ende der Beschreibung im ‚ Gesamtkatalog der Wiegendrucke ‘ 41 ) ausweist. Das ausgesprochen hohe Interesse an Gersons Werken - damit auch an seinen Pilgerschafts-Schriften - dokumentiert sich weiterhin daran, daß dem Straßburger Erstdruck der Ausgabe Geilers und Schotts sehr rasch Nachdrucke folgten, so 1489 durch Nikolaus Kessler in Basel (GW 10715) und durch Georg Stuchs in Nürnberg (GW 10716, Druckort und Drucker erschlossen), schließlich durch Martin Flach in Straßburg 1494 (GW 10717). Dieser Straßburger Druck benützt erneut den Gerson-als-Pilger-Holzschnitt des Erstdruckes, während der Basler und der Nürnberger Druck Holzschnitte diuturnitatem temporis vobis promittite; am Ende werden dann (ebd.) die Hörer der Predigt als devoti fidelesque peregrini angesprochen. 39 Siehe die vorzügliche Beschreibung des Druckes im Gesamtkatalog der Wiegendrucke, hier GW 10714, Gesamtkatalog der Wiegendrucke IX (Stuttgart/ Berlin 1991) Sp. 463 - 472 (mit genauer Aufschlüsselung des Inhalts unter Angabe der Werknummern der Edition von Glorieux ). Benützen konnte ich das Exemplar der Staatsbibliothek Berlin-Preußischer Kulturbesitz 4° Inc. 2355; dafür und für die Benützung ihrer weiteren Exemplare der Ausgabe sei auch hier herzlich gedankt. 40 Der Holzschnitt ist auf den Versoseiten der Titelblätter der Teile II und III des Druckes wiederholt. 41 Hier IX (Stuttgart/ Berlin 1991) Sp. 471 f. Geiler von Kaysersberg und das Pilgern 177 <?page no="178"?> aufweisen, die dem Straßburger nachgebildet sind 42 . Dem 1502 erstmals erscheinenden vierten Bande der Ausgabe (der weitere, inzwischen aufgefundene Gerson-Texte veröffentlichte) wurde dann ein neuer, vielleicht von Albrecht Dürer herrührender Holzschnitt beigegeben, der sich zwar an dem der vorausgehenden Drucke orientierte, aber zusätzlich den in Gersons Text (Dic precor) erwähnten „ unsichtbaren “ Engel beifügt 43 . All diese Drucke, die am Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts in einer sehr hohen Zahl von Exemplaren in die Bibliotheken Europas und in die Hände der Leserschaft gelangten, sorgten dafür, daß die Vorstellung von „ Gerson dem Pilger “ weiteste Verbreitung fand, womit das (damals ohnehin populäre) Thema der peregrinatio ganz generell noch weitere Verbreitung fand. 4. Nun aber, endlich, zu Geilers Predigten bzw. Schriften über das Pilgern 44 . Letztere umfassen die folgenden Texte: a) einen aus Augsburger Predigten, die Geiler zwischen dem 30. September und Ende Oktober des Jahres 1488 gehalten hatte, hervorgegangen Traktat ‚ Der bilger mit seinen eygenschafften ‘ . Er liegt zunächst in einer Augsburger Handschrift vor, die von dem Augsburger Handwerker und religiösen Schwärmer Jörg Preining geschrieben wurde, den wir selbst auch als Dichter geistlicher Lieder kennen (= ‚ Pilger I ‘ ) 45 . b) Daneben gibt es einen in zwei Separat-Drucken (1494 und Augsburg, Lucas Zeissenmair 1499) vorliegenden ‚ Pilger ‘ -Text, der auf der Basis von Predigtnotizen ruht, die Geiler selbst überarbeitet hatte (= ‚ Pilger II ‘ ); Kraume zählt diese Fassung zu den von Geiler selbst veröffentlichten Schriften 46 . Der erste Druck ist mit insgesamt 17 Holzschnitten ausgestattet; der zweite Druck übernimmt diese Holzschnitte 47 . 42 Abbildungen bei Hieronymus, Gersons Engel (wie Anm. 31) Abb. 2 und 3; den Basler Druck habe ich im Berliner Exemplar 4° 521 c benützt, den Straßburger von 1494 im Exemplar Wiegendruck 73. 43 Siehe Hieronymus, Gersons Engel (wie Anm. 31) S. 150 f. mit Abb. 4. 44 Die vom Titel her vielversprechende Arbeit von Erich Kräml , Vers Compostelle. Les qualités du pèlerin selon Jean Geiler de Kaysersberg (Paris 2008) erweist sich als für Laien bestimmte neufranzösische Übersetzung der ‚ Achtzehn Eigenschaften ‘ Geilers (in der Fassung von 1494; s. u.) ohne jeden wissenschaftlichen Anspruch; welcher Text der Übersetzung zugrundegelegt ist, wird nicht gesagt. 45 Diese Version erstmals gedruckt durch: Nine Miedema , Een geestelijke pelgrim op reis: reisvoorbereiding en reisbenodigheden, in: Op reis met memoria, hg. von Peter de Wilde et al. (Middeleeuwse studies en bronnen 81, Hilversum 2004) S. 107 - 149, hier: S. 131 - 142. - Die Ausführungen zu den verschiedenen Fassungen des ‚ Pilgers mit seinen Eigenschaften ‘ und zur ‚ Romfahrt ‘ folgen Voltmer, Wie der Wächter (wie Anm. 3), hier: S. 804 - 806, S. 989 - 995, S. 998 - 1000, S. 1019 - 1023. Zur Druckgeschichte siehe Johannes Geiler von Kaysersberg, Sämtliche Werke, hg. von Gerhard Bauer , 3 Bde. (Berlin 1989 - 1995) hier: 1, S. 494 - 503. 46 Edition: Johannes Geiler von Kaysersberg, Sämtliche Werke (wie Anm. 45) 1, S. 27 - 95. 47 Es handelt sich um die Drucke GW 10587 (= Hain 9766) und GW 10588 (Hain 9767); Beschreibung auch im Werkverzeichnis bei Léon Dacheux (Hg.), Die ältesten Volker Honemann 178 <?page no="179"?> c) Eine gekürzte Fassung von ‚ Pilger II ‘ wurde - ohne Geilers Wissen und Zutun - in die ‚ Predigen deutsch ‘ aufgenommen, die 1508 im Druck erschienen (= ‚ Pilger III ‘ ) 48 . d) Eine weitere Version ist bis heute ungedruckt (= ‚ Pilger IV ‘ ). Es handelt sich dabei um 23 Predigten über das Pilgern, die Geiler 1489 im Straßburger Magdalenenkloster hielt; sie wurden anscheinend von einer (oder mehreren) Klosterfrauen niedergeschrieben. Dieser Text ist nur fragmentarisch erhalten 49 . Damit aber sind wir keineswegs am Ende angelangt: e) Geiler hat daneben zwischen dem 1. März und dem 17. Mai des Jahres 1500 nicht weniger als 51 Predigten über den Pilger und die Pilgerschaft gehalten. Sie wurden zunächst deutsch durch Jakob Otther 1512 in einem eigenen, ‚ Christenlich bilgerschafft ‘ betitelten Band veröffentlicht; da Otther in Geilers Haushalt lebte, hatte er Zugang zu dessen Manuskripten. Die Predigten, die nun über 25 Eigenschaften eines Pilgers handelten, wurden bei ihrer Veröffentlichung in Traktate umgewandelt 50 . f) Schon ein Jahr später, 1513, erschien die lateinische Version des gleichen Textes, der ‚ Peregrinus ‘ , den ebenfalls Otther veröffentlichte; hier blieb die Predigtform erhalten 51 . Schriften Geilers von Kaysersberg (Freiburg 1882) S. XVII, hier: Nr. 10 und 11. - Faksimilierung der Holzschnitte ebd. T. XIX und T. XXI - XXVI. 48 Edition: Johannes Geiler von Kaysersberg, Sämtliche Werke (wie Anm. 45) 2, S. 136 - 160; vgl. Kraume, Geiler von Kaysersberg (wie Anm. 1) Sp. 1143, b und Voltmer, Wie der Wächter (wie Anm. 2) S. 991. Auch dieser Druck erschien in Augsburg, diesmal bei Hans Otmar, siehe die Beschreibung VD 16 G 790; einen genauen Nachdruck brachte Otmar 1510 auf den Markt (G 791); Beschreibung beider Drucke bei Dacheux, Die ältesten Schriften (wie Anm. 47) S. XXXI f. Nr. 36 und Nr. 37. Die Achtzehen aigenschafften / Die ain guotter Christenbilger / an sich nemen soll stehen auf den Seiten XXIXr - XLVIIIr. Auf XXXVIIJv steht der einzige, für uns einschlägige, von Hans Burgkmair d. Ä. herrührende Holzschnitt (Zwei Pilger und hinter ihnen eine Frau mit einem Kind an der Hand). 49 Siehe Voltmer, Wie der Wächter (wie Anm. 2) S. 991. 50 Zur Christenlich bilgerschafft zuom ewigen vatterland siehe Voltmer , Wie der Wächter (wie Anm. 2) S. 991 - 995. Der Text erweitert das Schema der früheren ‚ Pilger ‘ -Fassungen, siehe die Synopse ebd. S. 1019 - 1023 (zusätzlich: Pilgerhund, zeitiger Aufbruch, der Pilger stärkt sich oft; insgesamt 25 ‚ Eigenschaften ‘ ). Die ‚ Pilgerschaft ‘ , die auf Predigten des Jahres 1500 beruht, liegt in einem Druck des Adam Petri, Basel 1512 vor (VD 16 G 727, siehe Dacheux, Die ältesten Schriften [wie Anm. 47] S. LXIV f. Nr. 55). Der Druck weist drei Holzschnitte von Urs Graf auf, darunter den sehr sinnträchtigen Titelholzschnitt: „ Ein Pilger geht einem Schlosse zu; in dem Himmel über ihm schwebt ein Engel der ihn leitet. Unter dem Schlossthor steht Christus der ihm zuwinkt “ ( Dacheux S. LXV). - Hinzu treten Holzschnitte, die das Zahlen der Schulden und den Abschied des Pilgers darstellen. 51 Siehe Voltmer, Wie der Wächter (wie Anm. 2) ebd. Der Druck erschien 1513 in Straßburg bei Matthias Schürer (VD 16 G 787), siehe Dacheux, Die ältesten Schriften (wie Anm. 47) S. LXVI f. Nr. XXI. Der Druck hat keine Holzschnitte. Geiler von Kaysersberg und das Pilgern 179 <?page no="180"?> g) Wie groß das Interesse an einer Verschriftlichung von Geilers Predigten war (und welches vor allem wohl materielle Interesse die Drucker daran hatten), zeigt der Umstand, daß die letzte Predigt der ‚ bilgerschafft ‘ bzw. des ‚ Peregrinus ‘ bereits im Jahre 1500 in Straßburg separat gedruckt wurde, dies unter dem Titel: ‚ Eyn geistlich Romfart Jübel Jor so ein Christner Mönsch mag thuon. Der do ursachen halben nit gen Rom kummen kann ‘ 52 . Es ist kaum von der Hand zu weisen, daß die kleine, nur vier Blätter umfassende Flugschrift den Straßburger Lesern rechtzeitig zum Heiligen Jahr 1500 zur Hand sein sollte. Geiler hat hier einen vermutlich von Gerson stammenden Text bearbeitet, nämlich dessen ‚ Pèlerinage spirituel ‘ 53 . Die verschiedenen Fassungen von Geilers ‚ Pilger ‘ , in denen es stets um „ Eigenschaften “ geht, die derselbe besitzen muß, worunter Charakteristika, damit auch Verhaltensweisen zu verstehen sind, die er an den Tag zu legen hat, bleiben im Kern gleich, unterscheiden sich aber erheblich in Aufbau und Umfang. Einem knappen und in mancher Hinsicht inkonsequenten ersten Text, der 20 Eigenschaften nennt, steht ein zweiter, sehr viel umfangreicherer gegenüber, der zwar einiges bessert (so wird der Pilger beispielsweise nun aufgefordert, sein Testament zu machen), aber insgesamt weniger stringent und in manchem „ überentwickelt “ wirkt; statt der eingangs angekündigten 20 Eigenschaften umfaßt er in Wirklichkeit nur 18. Ausgesprochen schlüssig wirkt demgegenüber ‚ Pilger III ‘ , der auf der zweiten Version beruht, aber viel kürzer ist 54 . Im Folgenden sollen deshalb Inhalt und Aufbau von ‚ Pilger III ‘ näher betrachtet werden, wobei die bedeutendsten Abweichungen gegenüber ‚ Pilger II ‘ einbezogen sind. Alle deutschsprachigen separat gedruckten Pilger-Texte Geilers waren im übrigen mit Holzschnitten illustriert, was damals üblich war: das volkssprachige gedruckte Buch der Frühdruckzeit ist fast durchgängig illustriert. Das verschafft uns die Möglichkeit, die verschiedenen Aspekte von Geilers Pilger-Auffassung auch bildlich zu vermitteln. 52 GW 10589; Edition: Johannes Geiler von Kaysersberg, Sämtliche Werke (wie Anm. 45) 1, S. 147 - 151. Siehe Voltmer, Wie der Wächter (wie Anm. 2) S. 998: Straßburg, o. D., 1500; Beschreibung des Druckes Johannes Geiler von Kaysersberg, Sämtliche Werke (wie Anm. 45) 1, S. 141 - 152. Der kleine Druck weist einleitend einen einschlägigen Holzschnitt auf: „ Pilger mit Hut, Stab und Rosenkranz vor Stadttor und -befestigung. “ 53 Zur Frage der Echtheit der ‚ Pèlerinage spirituel ‘ siehe Johannes Geiler von Kaysersberg, Sämtliche Werke (wie Anm. 45) 1, S. 517 - 519, dort auch zur Gerson-Benützung in der ‚ Christlichen Pilgerschaft ‘ . 54 Siehe die Darlegungen bei Voltmer, Wie der Wächter (wie Anm. 2) S. 992 - 995 und Miedema, Een geestelijke pelgrim (wie Anm. 45) S. 117 - 124. - Über ‚ Pilger IV ‘ läßt sich noch nichts aussagen, da der Text nicht gedruckt ist; die ‚ Christenlich bilgerschafft ‘ samt der ‚ Romfahrt ‘ sind separat zu behandeln. Volker Honemann 180 <?page no="181"?> Abb. 3: Holzschnitt von Hans Burgkmair im Druck der ‚ Predigen deutsch ‘ , 1508, fol. 38 r. Geiler von Kaysersberg und das Pilgern 181 <?page no="182"?> 5. Ehe ich auf den Text eingehe, einige Worte zu dem Holzschnitt, der ihm vorangestellt ist; er stammt aus den ‚ Predigen deutsch ‘ von 1508: Zu achten ist hier auf die gekreuzten Schlüssel am Hut des einen und die Jakobsmuschel am Hut des anderen Pilgers, was die beiden Männer als Rombzw. Santiagopilger ausweist. Zu bedenken ist auch, daß die Frau und das Kind links von dem Santiagopilger die Betrachter darauf aufmerksam machen sollen, daß eben keineswegs nur Männer pilgerten; wir dürfen dies so auffassen, daß der Holzschneider andeuten wollte, daß a l l e Menschen, ungeachtet ihres Geschlechts und Alters zur Pilgerfahrt berufen sind. Ein letzter Hinweis: Das Kreuz am Wegesrand trägt die Initialen H. B., die Signatur des bereits oben erwähnten Hans Burgkmair (Augsburg 1473 - 1531), der mittlerweile einer der bedeutendsten Maler und Holzschneider der Zeit geworden war. Daß der Drucker der ‚ Predigen deutsch ‘ von 1508, der Augsburger Johan Otmar 55 einen so angesehenen Künstler mit der Aufgabe der Illustrierung von Geilers Predigten beauftragte, zeigt, welche Wertschätzung man dem Autor entgegenbrachte. In den Drucken der Zweitfassung des ‚ Pilgers ‘ ist, wie bereits erwähnt, fast jede der von Geiler beschriebenen 18 ‚ Eigenschaften ‘ des Pilgers durch einen Holzschnitt veranschaulicht. Das ist bei ‚ Pilger III ‘ , also der Fassung der ‚ Predigen deutsch ‘ nicht der Fall, doch können wir im Folgenden trotzdem anhand von zeitgenössischen Illustrationen durch den Text gehen, weil Definition und Anordnung der 18 Eigenschaften in ‚ Pilger III ‘ mit denen in ‚ Pilger II ‘ völlig übereinstimmen. Im Folgenden werden deshalb der Charakterisierung der einzelnen ‚ Eigenschaften ‘ jeweils Reproduktionen der Holzschnitte vorangestellt. In einer kurzen Vorbemerkung, in der Geiler auf sein Thema einstimmt, stellt er - nach Hebräerbrief 13, 14 - fest: Wir habent hie kain blibende stat aber wir suochendt ain künfftige und zieht daraus die Konsequenz: Da wir (d. h. a l l e Menschen) nun einmal Pilger sind, sollen wir das Verhalten und die Eigenart der Pilger annehmen, damit wir wieder in unser Vaterland (also die ewige Seligkeit) heimkehren können. I. Die erste Eigenschaft (so auch in ‚ Pilger II ‘ ) 56 besteht darin, daß der Pilger die schulden des pfennigs und der sünd bezahlen muß. Der Holzschnitt zeigt deshalb rechts einen Pilger, der beichtet, links einen Pilger, der Münzen auf einem Tisch sortiert. Das heißt: Er muß ebenso seinen Gläubigern 55 Nachweis des Druckes: VD 16 G 790; zum Inhalt des Druckes siehe Johannes Geiler von Kaysersberg, Sämtliche Werke (wie Anm. 45) 2, S. V - XXX. 56 Siehe zur Vergleichung der ‚ Eigenschaften ‘ in den verschiedenen Fassungen des ‚ Pilgers ‘ die Synopse bei Voltmer, Wie der Wächter (wie Anm. 2) S. 1019 - 1023. - Auf einen Nachweis der im Text des ‚ Pilgers ‘ angeführten Zitate und Autoritäten verzichte ich (abgesehen von einigen wichtigen Bibelzitaten), da diese fast sämtlich in der Ausgabe Bauer s (Anm. 45) nachgewiesen sind. Volker Honemann 182 <?page no="183"?> Abb. 4: Erste Eigenschaft: Der Pilger muß seine materiellen Schulden (links) und seine geistlichen Schulden (rechts, beichtender Pilger) bezahlen. Der Holzschnitt zeigt ihn links Geld zählend (das er zahlen muß), rechts beichtend. Geiler von Kaysersberg und das Pilgern 183 <?page no="184"?> gegenüber, d. h. in seinem weltlichen Leben, wie gegenüber Gott seine Schulden bezahlen, um unbelastet seine Pilgerfahrt antreten zu können. Den Begriff der „ Schuld “ hat Geiler dabei stark ausgeweitet; er umfaßt auch mangelnde Nächstenliebe, den Verzicht auf Rache, aber ebenso die warhaftig penitenz (138, 10). Eingelegt sind in den Text kurze Gebete, die der Pilger sprechen soll, um Vergebung zu erlangen. Hier schon fällt auch der Begriff, der für alles weitere entscheidend ist: Geiler hat vor allem den g e i s t l i c h e n Pilger im Sinne, den mensche der hye auff disem ertrich / will sein ain gaistlicher bilger (137, 23 - 138, 2). Die ‚ Eigenschaften ‘ beziehen sich also auf diesen; sie sind aber entwickelt aus den Bedürfnissen einer realen Pilgerschaft, was besonders an der von Geiler gesetzten Reihenfolge der Eigenschaften zu sehen ist: Vor dem Aufbruch ist es schließlich sinvoll (und anständig), seine Schulden zu bezahlen. Abb. 5: Zweite Eigenschaft: Der Pilger muß stets darauf vorbereitet sein, sterben zu müssen; der Holzschnitt zeigt ihn beim Schreiben seines Testaments. II. Die zweite Eigenschaft (so auch in ‚ Pilger II ‘ ) setzt das vorhergehende logisch fort: Der Holzschnitt zeigt einen Pilger (an der Wand hängt sein Rucksack), der an einem Tisch sitzend ein Blatt Papier oder Pergament beschrieben hat, und dessen Text nun noch einmal durchliest. Die zweite Eigenschaft geht so auf das Errichten eines Testaments, das Geiler wiederum ebenso weltlich wie geistlich versteht; für den gaystlich bilger (139, 14 f.) Volker Honemann 184 <?page no="185"?> bedeutet es, daß er sich permanent darauf vorbereitet, sterben zu müssen: Wachend wann ir wissend nit die stund noch die tzeitt (Mt 24, 42; 139, 18 f.). Abb. 6: Dritte Eigenschaft: Der Pilger muß auf irdische (körperliche) wie geistige Freuden verzichten; der Holzschnitt zeigt ihn, wie er sich von seiner Frau und von seiner Haushälterin verabschiedet. III. Die dritte Eigenschaft (so auch in ‚ Pilger II ‘ ) zeigt einen Pilger, der sich von zwei Frauen verabschiedet. Versinnbildlicht wird dadurch der urlaub, den der Pilger von seim haußgesünde nimmt (139, 27). Das Gesinde soll in Abwesenheit des Hausherrn der zuhause bleibenden Ehefrau gehorsam sein (hier pilgert also nur der Mann! ). Dieses Gesinde legt Geiler aber auch geistlich aus; er versteht darunter alle zeitliche ding. Ich main lust des flaysches. begird des guotes und der eeren (140, 3 - 5). Wer pilgert, muß also auf alle irdischen Freuden (z. B. die des Leibes), wie die geistigen (z. B. Besitz und Ehre), verzichten. Der Pilger, der in die ewige Seligkeit eingehen will, muß den Kropf der irdischen ding (140, 7) und der sünden (140, 12) von sich werfen. Unter dem Gesinde, das von der Frau des Hauses gemeistert wird, versteht Geiler im weiteren die äußeren und die inneren Sinne, die von der Frau, der Vernunft beherrscht werden - ein Begriff, der im weiteren immer wieder auftritt und im Konzept des „ vernünftigen “ Pilgers kulminiert. Geiler von Kaysersberg und das Pilgern 185 <?page no="186"?> Abb. 7: Vierte Eigenschaft: Der Pilger muß einen lebendigen Glauben besitzen. Dieser wird im Holzschnitt durch den ledernen Sack versinnbildlicht, den der Pilger eben kauft. IV. Die vierte Aigenschaffte / des guotten fürsichtigenn bilgers / ist. Er bestellet ym ainen lyderin [ledernen] sack (140, 30 f.) (so auch in ‚ Pilger II ‘ ). Auf dem Holzschnitt ist dies nur zu erahnen, anscheinend reicht der Pilger hier einem sitzenden Manne, der den Sack auf seinem Schoß liegen hat, Geld. In diesen Sack soll der Pilger Brot, Wein, Latwergen (also ein vielfältig einsetzbares Arzneimittel) und ein Feuerzeug stecken; auch wenn vier oder fünf Pilger zusammen reisten, brauche man einen solchen Sack nur einmal, den dann der stärkste tragen solle. Unter dem Sack aber sei, so Geiler der lebendige Glaube zu verstehen; er sei aus der Haut der lieben Heiligen, wie Bartholomäus, Crispinus und Crispinianus gemacht 57 . 57 Die genannten Heiligen erlitten das Martyrium dadurch, daß ihnen die Haut abgezogen wurde. - Vielleicht erklärt die Stelle eine merkwürdig scheinende Angabe am Ende der Pilgerreisebeschreibung des Arnold von Harff (nach 1498): Ich will raeden eyme yecklichen hertzoge graeffen vrijen ritter knechte ind allen staeden geystlich ind werltlich, die dese pylgrymmacie tzeyn willen, dat sij vursichtich sijnt ind mit yen neemen tzweyn budel van eyner mynschen huyt gemaicht ind eynen vss hyrtz leder gesneden, die alle drij wael gevullet sijnt, vnden mit golde ind oeuen mit wijssen gelde, vff dat du in allen steden ind dorffer nyet durffs wesselen, siehe: Die Pilgerfahrt des Ritters Arnold von Harff [. . .], ed. Eberhard von Groote (Köln 1860) S. 259 f. Z. 40 - 7. Harff legt diese Beutel dann im folgenden aus: Soe sals du tzweyn budel van mijnschen huyde gemaicht den eynen vnden mit golde vullen, dat sal sijn vursichticheyt ind dar vff wijsgelt, dat sal sijn wijsheyt ind den anderen vulle vnden mit golde, dat sal Volker Honemann 186 <?page no="187"?> Abb. 8: Fünfte Eigenschaft: Der Pilger muß geübt sein in Tugenden, die er in stetem Kampf gegen die Sünde bewährt. Dafür stehen im Holzschnitt die „ nicht neuen “ , also gut „ eingelaufenen “ Schuhe, die der Pilger in einer Schusterwerkstatt erwirbt. V. Holzschnitt vier zeigt uns den Pilger in einer Schusterwerkstatt (er ist also immer noch nicht aufgebrochen): er soll sich nämlich gute Schuhe bestellen, aber solche die nit new seind (141, 27), also eingetragen. Geistlich sind unter dieser fünften Eigenschaft (so auch in ‚ Pilger II ‘ ) die erübten tugend (141, 28) zu verstehen, also diejenigen, die der Mensch in harter Arbeit, also stetem Kampf gegen die Sünde, eingeübt hat. sijn paciencia, ind oeuen siluer muntz, dat moiss sijn oitmoedicheit. (ebd. S. 260 Z. 7 - 11). Geiler von Kaysersberg und das Pilgern 187 <?page no="188"?> Abb. 9: Sechste Eigenschaft: Der Pilger muß angesichts der Mühen und Widrigkeiten der Pilgerfahrt über eine „ breite und weite “ Geduld verfügen. Dafür steht im Holzschnitt der breitkrempige Hut, den er auf dem Markt erwirbt. VI. Damit nicht genug: der Pilger muß natürlich auch einen guten Hut haben; also einen mit einer breiten Krempe. Der Holzschnitt zeigt den Pilger (etwas inkonsequent, denn vorher hatte er schon einen Hut auf) nun barhäuptig vor einem Marktstand, an dem eine Frau Hüte verkauft. Die sechste Eigenschaft (so auch in ‚ Pilger II ‘ ), der Hut, wird von Geiler ausgelegt auf ain brayte und weyte gedult / gegen als vil truebsalen. die ainem menschen begegnen auff seiner bilgerfartt (142, 17 - 19); Geduld nämlich sei ain gemaine [allgemeine] behuetterin alle tugendt (142, 20 f.). VII. Auch damit nicht genug der Ausstattung: Neben Schuhen und Hut muß der Pilger auch - als siebte „ Eigenschaft “ - einen guoten weiten mantel (143, 9, so auch in ‚ Pilger II ‘ ) besitzen. Unter diesem Mantel ist die cristenliche früntschafft (143, 10 f.) zu verstehen, worunter Geiler das Herrengebot versteht: Hab gott lieb. unnd deinen nechsten als dich selbßs. auch dein veind (Lk 10, 27; 143, 11 f.). Wie dieses Herrengebot im alltäglichen Leben umzusetzen ist, beschreibt Geiler dann im Folgenden recht ausführlich. - Dieser ‚ Eigenschaft ‘ ist im Druck von ‚ Pilger II ‘ kein Holzschnitt vorangestellt, warum, ist schwer zu erklären, da ein Mantel leicht darstellbar gewesen wäre. Volker Honemann 188 <?page no="189"?> Abb. 10: Achte Eigenschaft: Der Pilger muß auf dem Wege Leid und Widerwärtigkeit ertragen. Dafür stehen im Holzschnitt die Münzen, die der Pilger (der sie eben bei einem Geldwechsler erwirbt) bei sich führen muß. VIII. Eigenschaft acht (so auch in ‚ Pilger II ‘ ) konstatiert, daß der Pilger muoß haben müntz. ain tail im seckel / ain tayl verborgen (144, 13 f.). Der Holzschnitt zeigt einen Pilger, der sich bei einem Geldwechsler mit Münzen versorgt; die Aufbewahrung der Münzen war nicht darstellbar (hier stoßen die Möglichkeiten bildlicher Darstellung an ihre Grenzen). Unter den Münzen sind leyden und widerwertikayt (144, 16) zu verstehen, die der Pilger ertragen muß, d. h. die ihm von Gott, dem obersten Münzmeister, auferlegt werden. Es müssen gute Münzen sein, durch die nicht das Kupfer der Ungeduld scheint. Geiler von Kaysersberg und das Pilgern 189 <?page no="190"?> Abb. 11: Neunte Eigenschaft: Der Pilger muß eine starke Hoffnung auf Gott besitzen. Sie wird im Holzschnitt durch den Stab versinnbildlicht, den der Pilger nun führt. IX. Aigenschaft neun (so auch in ‚ Pilger II ‘ ) wiederum kann im Holzschnitt klar dargestellt werden: der Pilger muoß haben einen guoten stab oder spyeß (145, 5 f.). Wieder ist die bildliche Darstellung nicht ganz konsequent ausgefallen, denn der Pilger wurde bereits auf den vorhergehenden Holzschnitten stets mit einem Pilgerstab dargestellt. Zu verstehen ist unter dem Stab ain starcke hoffnung tzuo gott dem herren (145, 7 f.). X. Auch die nächste, die zehnte Eigenschaft des Pilgers (so auch in ‚ Pilger II ‘ ) konnte offenbar nicht visualisiert werden: Sie besteht darin, daß der Pilger überladet sich nit mit speiß / und mit klaidern (145, 27 f.). Die geistliche Auslegung ist einfach: Der Pilger soll sich nit überladen mit zeytlichem guot / sunder sich lassen benuegen an ainer blosen notdurfft (146, 2 f.). Der Text betont dabei: Doch hiesche das weyter außlegung. laß ich nun tzuomal anston (146, 9 f.) - ein Hinweis Geilers auf die stets mitzubedenkende Spannung zwischen dem Wort der Predigt und deren Verschriftlichung. Volker Honemann 190 <?page no="191"?> Abb. 12: Elfte Eigenschaft: Der Pilger muß sich vor schlechten Gefährten (dem Teufel) hüten, gute (Christus) aber wählen. Der Holzschnitt zeigt, wie er einen schlechten Gefährten (struppiges Haar, zerrissene Kleider) zurückweist und sich dem guten Gefährten (rechts) zuwendet. XI. Als elfte Eigenschaft (so auch in ‚ Pilger II ‘ ) benennt Geiler, der Pilger möge sich nach einem guoten geferten umsehen, der kurtzweilig sey / und hiet sich vor dem verreter. och vor dem geudischen (also dem Prasser) und faulen geferten (146, 18 f.). Der Holzschnitt zeigt hier den Pilger, neben dem zwei Männer stehen. Den einen, der durch seine ungepflegten Haare und seine zerrissenen Hosen negativ charakterisiert ist, scheint er zurückzustoßen; im Unterschied zu ihm trägt der zweite korrekte, modische Kleidung. Wichtig ist die Wahl guter Gefährten auf dem Wege deshalb, weil David spricht Bey dem guoten würst du guot / vnd by dem verkertten würst du verkert (Ps. 17, 27 / 2 Reg. 22, 27; 146, 23 f.). Ein solch guter Begleiter sei Christus auf dem Weg nach Emmaus gewesen. Unter dem Verräter versteht Geiler im Folgenden den Teufel, unter dem Prasser den, der ihn auf der Pilgerfahrt zu weltlichen Freuden verführen will, unter dem Trägen den eigenen Leib. XII. Eigenschaft zwölf (so auch in ‚ Pilger II ‘ ) fordert den Pilger auf, seinen Schatz gut zu verbergen, damit er nicht geraubt werde; dieses gute Verbergen war im Bild anscheinend nicht darstellbar. Der Schatz seien die guten Werke, die der Pilger heimlich tun und nicht vor der Welt demonstrieren dürfe; wie dies konkret aussehen kann, zeigt Geiler durch ein Bernhard von Clairvaux-Exempel. Geiler von Kaysersberg und das Pilgern 191 <?page no="192"?> Abb. 13: Dreizehnte Eigenschaft: Der Pilger muß auf seinem Weg zum himmlischen Jerusalem Spott und Verachtung der Menschen ertragen. Der Holzschnitt zeigt ihn auf dem Weg durch eine Stadt; zwei Männer zeigen höhnisch auf ihn. XIII. Der Holzschnitt zeigt hier einen in eine Stadt hineinschreitenden Pilger, auf den zwei junge Männer mit Fingern zeigen; ihre Körperhaltung drückt ihre negative Einstellung dem Pilger gegenüber klar aus. Der zugehörige Text der dreizehnten Eigenschaft des Pilgers (so auch in ‚ Pilger II ‘ ) geht darauf, daß der Pilger nicht darauf achten dürfe, wenn man ihn in fremden Ländern verspotte. In gleicher Weise müsse der Christ auf seinem Weg hin zum Himmel den Spott und die Verachtung der mannen dises erdtrichs (149, 2 f.) geduldig ertragen. Volker Honemann 192 <?page no="193"?> Abb. 14: Vierzehnte Eigenschaft: Der Pilger muß unterwegs auf die Freuden der Welt verzichten. Der Holzschnitt zeigt ihn, wie er sich zwei höfisch gekleideten Paaren abwendet, die ihn einladen wollen. XIV. Das nächste Bild ist erst recht zu deuten, wenn man die zugehörige vierzehnte Eigenschaft (so auch in ‚ Pilger II ‘ ) gelesen hat: sie geht darauf, daß der Pilger auf Freuden, die sich ihm unterwegs bieten, verzichten muß. Der Holzschnitt stellt dementsprechend junge, höfisch gekleidete Menschen dar, zwei Paare offenbar, die versuchen, den still seines Weges gehenden Pilger einzuladen, ihre Freuden mit ihnen zu teilen. Der Pilger aber muß ablehnen: er findet all seine ergetzlichait hin in sein vaterland (151, 10 f.). Die Freuden dieser Welt sind vergänglich; der Text vergleicht sie - im Anschluß an ein Zitat Gregors des Großen - mit einer grünen Wiese, die man am Morgen abmäht und die dann verdorrt. Unser Text geht hier, was die weltlichen, vergänglichen Freuden angeht, sehr ins Detail; kontrastiert werden z. B. die lust des flaischs (152, 3) und die Erkenntnis der wahren Pilger, daß wir auf Erden in einem Tränental wandeln (152, 15). Ausführlich zitiert Geiler einen anonym bleibenden Kartäuser, also ein Mitglied des strengsten Ordens der Kirche, der alles böse, dem Heil abträgliche Handeln des Menschen mit Stricken vergleicht, nämlich den (Fall-)Stricken der Sünde: Du schlaffest strick / du yssest strick du trinckest strick / du redest strick (152, 21 f.) 58 . Leider, 58 Die Identität dieses Kartäusers hat auch Bauer (wie Anm. 45) nicht zu ermitteln vermocht. Geiler von Kaysersberg und das Pilgern 193 <?page no="194"?> so Geiler, nähmen die verkertten menschen (153, 6) der Gegenwart gar nicht wahr, daß sie durch übermäßiges, zu unordentlicher Liebe anreizendes Essen und Trinken ihre eigene Verdammnis förderten: Wo jedermann stinkt, da nimmt man den Gestank nicht mehr wahr (153, 24 f.). XV. Auch die nächste, fünfzehnte Eigenschaft (so auch in ‚ Pilger II ‘ ) ist bildlich nicht darstellbar gewesen: Der Pilger soll sich nicht übereilen, er soll sich, vor allem zu Beginn, nicht zu große Tagesmärsche zumuten: Er erlaeg sunst auf dem weg (154, 12). Dementsprechend darf sich der geistliche Pilger nicht zu sehr erösen und ermoergeln (154, 17, erschöpfen und ‚ abmergeln ‘ ), also nicht zuviel fasten und wachen. Wer das nämlich tut, der kann seinem Nächsten nichts mehr an Gutem tun; er beraubt den eigenen Leib der Übung guter Werke und seine Seele der begirden der tugent (154, 19 f.). Geiler veranschaulicht dies durch ein Wort des heiligen Bernhard: Wer von einer Leiter fällt, der fügt sich sehr großen Schaden zu, denn er fällt nicht nur eine Sprosse hinunter, sondern ganz und gar (155, 4 - 6). Menschen, die sich zu sehr kasteien, kreuzigen den neuen Menschen, d. h. den auf dem Weg zum Heil bereits vorangeschrittenen, nicht den alten, sündigen Menschen. Geiler führt dies noch weiter aus, indem er diejenigen tadelt, die dem Beispiel der Wüstenväter folgen wollen, also der Asketen und Eremiten der Spätantike (wie der heilige Antonius), deren extreme Bußübungen sie nachahmen wollen, dabei aber nur in die Stricke des Teufels fallen. Geiler ist dieser Aspekt offensichtlich sehr wichtig, weshalb er hier sehr ins Detail geht; am Ende betont er, nachdem er sein Anliegen in mehreren Exempeln veranschaulicht hat, daß man Gott in beschaidenhait (156, 26) finde, also durch Unterscheidung des richtigen und des falschen, letztlich also durch vernünftiges Verhalten. Er schließt hier mit den einem Altvater in den Mund gelegten Worten: Wir haben als lang unnd vil gefastet / das unnser münd darvon stinckent / und haben alle geschrifft durch lernet. den Psalter künnen wir außen [ „ auswendig “ ]. Unnd die ding / die got von uns vordert / der haben wir nit. Was ist das? Es ist demuot und christenliche liebe. (156 f., 29 - 2). Volker Honemann 194 <?page no="195"?> Abb. 15: Sechzehnte Eigenschaft: Der Pilger, der hier beim genußvollen Essen gezeigt wird, soll sich darüber nicht zu sehr freuen, sondern stets daran denken, daß er dies dem Wirt bezahlen muß. Das Bild steht für den Menschen, der sich über zuviele irdische Güter nicht freuen soll, sondern bedenken, daß er über deren Gebrauch am Jüngsten Tage wird Rechenschaft ablegen müssen. XVI. Auf diesem Holzschnitt sehen wir einen Pilger, der in einer Wirtsstube vor einem reich gedeckten Tisch sitzt. Dabei fällt auf, daß der Pilger nicht eben heiter aussieht, obwohl er die linke Hand (mit einem letzten Bissen? - der Teller vor ihm ist leer) zum Munde führt. Der Text zu dieser sechzehnten Eigenschaft (so auch in ‚ Pilger II ‘ ) des Pilgers fordert, daß dieser sich vernünfftiklich und behuotsamklich haldet / gegen dem würt (157, 3 f.). Konkret gesprochen: Wenn der Wirt ihm köstliches Essen und Trinken vorsetzt, soll sich der Pilger darüber nicht freuen, weil er weiß, daß er dies bezahlen muß. In gleicher Weise soll sich ein vernünftiger geistlicher Pilger nicht freuen, wenn Gott seiner Seele und seinem Leib zuviele Glücksgüter zuteil werden läßt; er wird darüber am Jüngsten Gericht Rechenschaft ablegen müssen und soll sie deshalb gut anlegen und nicht mißbrauchen. Desweiteren soll der Pilger mit dem Personal eines Wirtshauses nicht zu vertraut umgehen, denn er muß ja doch in Kürze abreisen. Ebenso soll der geistliche Pilger auf dieser Erde nicht zuviel in Freundschaften ‚ investieren ‘ : er wird sie doch verlieren. Wenn aber der Wirt den Pilger „ überrechnet “ , d. h. ihm zuviel Geld abverlangt, soll er deswegen nicht mit ihm streiten; ebenso soll auch der geistliche Pilger wegen zeitlichen Verlusts nicht streiten und Geiler von Kaysersberg und das Pilgern 195 <?page no="196"?> zanken - das ist nur verlorene Zeit, Zeit, in der er nicht an seinem ewigen Heil arbeiten kann. XVII. Mit der siebzehnten Eigenschaft (so auch in ‚ Pilger II ‘ ) nähern wir uns dem Ende des Traktats; auch sie ist bildlich nicht darstellbar gewesen. Sie besteht darin, daß der Pilger unterwegs stets an seine Heimat denkt und daran, daß dann, wenn er wieder zuhause angekommen ist, alle Widerwärtigkeiten (widerwertigkayt, not und arbeit, 158, 28 und 30) der Pilgerreise zu Ende sind. Ebenso soll ein geistlicher Pilger alle zeyt ain verlangen haben nach seinem vatterland oewiger saeligkayt (159, 1 f.); alle Widerwärtigkeiten, die ihm in seinem Alltag begegnen, soll er als treibgaysel (159, 4) ansehen, mit der Gott ihn auf dem Weg zur ewigen Seligkeit vorantreibt. Abb. 16: Achtzehnte Eigenschaft: Der Holzschnitt zeigt den Pilger, der in die Hände von Räubern gefallen ist und nun betteln muß, um wieder nach Hause zu gelangen. Ebenso muß der Mensch, der alles verloren hat, sich an Gott und die Engel wenden, damit sie ihm ein geistliches Almosen gewähren, damit er zum Tor des Vaterlandes, zur ewigen Seligkeit, dem Ziel seines Pilgerreise, gelangen kann. XVIII. Das letzte Bild zeigt den Pilger, der in die Hände von Räubern gefallen ist: Ebenso wird in der achtzehnten Eigenschaft der Pilger (so auch in ‚ Pilger II ‘ ), wenn er hin und her zieht, mitunter gantz beraubt (159, 24) und muß dann betteln, um wieder nach Hause zu gelangen. So sieht sich auch der geistliche Pilger oft beraubt und klagt: „ Ich habe den breiten Hut der Geduld verloren, mein Stab der Hoffnung ist brüchig geworden, den weiten Mantel christlicher Freundschaft habe ich verloren “ (159, 29 - 31). Der Pilger, dem Volker Honemann 196 <?page no="197"?> das widerfährt, muß betteln, bis er all das wieder erlangt hat, indem er sich mit gantzem ernst (160, 4) im Gebet an Gott und die Engel wendet und sie um ein geistliches Almosen bittet, das ihm alles Verlorene wieder verschafft. So soll er bitten, bis er zum Tor des Vaterlandes, der ewigen Seligkeit gelangt. Den Sack des lebendigen Glaubens und den Stab der Hoffnung soll er dann vor dem Tor stehen lassen, nur den Mantel der christlichen Freundschaft (= Liebe) soll er mit sich in das Himmelreich nehmen. Dort werden ihm seine Freunde, die himmlischen Heerscharen entgegenkommen und ihn fröhlich empfangen. Der Pilger ist nun am Ziel seiner Reise angelangt, und Geiler beschließt seinen Text mit den Worten: Das wir allso den weg gottes wandelen / da durch wir tzuo der heerlichen gesellschaft kummen. das verleich uns gott Amen (160, 16 - 18). Der Text endet so in einer geradezu optimistischen Weise; das Sterben des Menschen und sein leiblicher Tod, um dessen Verständnis sich Geiler in anderen Schriften intensiv bemüht hatte 59 , wird hier nicht angesprochen. 6. Zweierlei ist nun zu fragen, zum einen: Welches Bild entwirft Geiler vom Pilger und der Pilgerfahrt; zum anderen: welche Ansicht vertritt er in Bezug auf die tatsächliche Durchführung von Pilgerfahrten, also das reale Pilgern nach Rom, Jerusalem, Santiago oder anderen heiligen Stätten? a) Zum ersten: es dürfte deutlich geworden sein, daß Geiler das Phänomen der realen Pilgerfahrten als Metapher, als Bild dafür benützt, um ein frommes, zum ewigen Heil führendes Christenleben in dieser Welt zu beschreiben. Es geht ihm also nicht um eine reale, sondern um eine geistliche Pilgerfahrt, eine „ Pilgerfahrt im Geiste “ , wie sie im Spätmittelalter in einer großen Zahl von Texten und Bildern propagiert wurde, Texten und Bildern, die sich vor allem an diejenigen richteten, die selbst nicht pilgern konnten, z. B. Nonnen 60 . Geiler bedient sich in dem hier 59 Siehe dazu Volker Honemann , Der Tod bei Geiler von Kaysersberg, in: Zeit, Tod und Ewigkeit in der Renaissance-Literatur 1, hg. von James Hogg (Analaecta Cartusiana 1, Salzburg 1987) S . 90 - 107 (mit Abdruck des Kapitels ‚ De conditionibus mortis ‘ aus den ‚ Sermones prestantissimi ‘ ). 60 Zum Phänomen der ‚ Geistlichen Pilgerfahrt ‘ siehe besonders Nine Miedema , Rompilgerführer in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Die Indulgentiae ecclesiarum urbis Romae (deutsch/ niederländisch). Edition und Kommentar (Frühe Neuzeit 72, Tübingen 2003) S. 398 - 462 mit Verweis auf zahlreiche Texte und Forschungsliteratur, siehe weiterhin Klaus Herbers , „ Wol auf sant Jacobs straßen! “ . Pilgerfahrten und Zeugnisse des Jakobuskults in Süddeutschland (Stuttgart 2002) S. 136 - 146: „ Pilgern ohne Risiko: Die geistliche Pilgerfahrt “ . Als Textbeispiele werden Geilers ‚ Pilger ‘ , die ‚ Sionpilger ‘ des Felix Fabri (1493 abgeschlossen) und das um 1490 wohl in Ulm erstmals gedruckte (GW 5556) und das ‚ Pilgern mit dem Munde ‘ propagierende Pilgerbüchlein aufgeführt; der Text - erstmals veröffentlich ebd. S. 179 - 184 - gibt sich zugleich als Bruderschaftbüchlein einer - vielleicht von dem Ravensburger Kleriker Johann Gösseler propagierten - bruoderschafft der sterbende bilgery (ebd. S. 180). Vorgeschlagen werden insgesamt 14 geistliche kirchfarten, z. B. Die fierd geistlich kirchfart ist zuo sant Jacob zuo dem finstern stern, da sprich acht tusent pater noster Geiler von Kaysersberg und das Pilgern 197 <?page no="198"?> vorgestellten Text deshalb wesentlicher Elemente einer realen Pilgerfahrt, so z. B. der Gegenstände, die sich ein Pilger vor dem Aufbruch beschaffen muß: Ledersack, Schuhe, Hut, Stab, Mantel usw. Diese Gegenstände aber legt er sofort geistlich aus: Der Mantel steht für die Nächstenliebe, der Stab für die Hoffnung auf Gott den Herrn, die gut eingelaufenen Schuhe für die eingeübte Tugend usw. Auswahl und Beschreibung dieser Gegenstände wie die der weiteren Elemente einer Pilgerfahrt (also z. B. die Abfassung eines Testaments) zeigen, daß Geiler sich mit den Umständen einer realen Pilgerfahrt gut auskennt - wie wir gesehen haben, war er ja selbst mehrfach gepilgert. Sein Ziel ist aber nicht die Beschreibung einer realen Pilgerfahrt, sondern die eines guten, zum ewigen Heil führenden christlichen Lebens in dieser Welt. Wer aber dieses führen und das Heil erlangen will, muß, so Geiler an vielen Stellen des Traktats, ein „ vernünftiger “ Pilger sein, einer, der von seinem Verstand gesteuert wird, der ihn ebenso auf die Freuden des Fleisches bewußt verzichten läßt, wie er ihn von übermäßiger Kasteiung zurückhält. Es fügt sich dies in das Bild, das Geiler in anderen seiner Schriften von einem guten Christenmenschen entwirft: dieser darf (unter anderem) nicht zu skrupulös sein, sich nicht zu sehr von der Angst vor möglicher Verdammnis quälen lassen 61 . b) Zum zweiten: Welche Ansicht vertritt Geiler in Bezug auf das reale Pilgern, vor allem: wie heilsverdienstlich ist es ihm? Dazu ist zunächst festzustellen, daß Geiler sich in dem hier vorgestellten Traktat wie in seinen anderen, ediert vorliegenden Texten, mit dem „ realen “ Pilgern, soweit ich sehe 62 , nicht beschäftigt hat. Indirekt „ einschlägig “ ist lediglich eine Passage seines ‚ Emeis ‘ -Predigtzyklus 63 , in der Geiler „ Wunderzeichen “ (und auch deren Folgen in Gestalt neuer Wallfahrtskirchen) scharf ablehnt: [Xra] Du sprichest was zeichen gibs tu vns / das ich also [nämlich christlich] leben sol / wenn wunderwerck ietz geschehen als vor zeiten geschehen seind / so würd ich jm glauben bestetiget dir zeglauben vnd zethuon was du vns lerest etc. / Jch sprich das du nit solt wunderzeichen begeren vnd suochen / wan du folgest nach den iuden / die zeichen unnd so fil aue maria. (S. 181). Der Text war unter der Signatur D 73 auch in der Laienbibliothek der Basler Kartause erhalten, siehe Volker Honemann , Deutsche Literatur in der Laienbibliothek der Basler Kartuse 1480 - 1520, Habil.-Schrift Berlin: FU 1982 (1990) S. 106 f. 61 Johannes Gerson und, ihm folgend, Geiler hatten sich in einem eigenen Traktat ( ‚ De remediis contra puillanimitatem ‘ ) gegen dieses um 1500 anscheinend weit verbreitete Phänomen ausgesprochen, siehe Kraume, Die Gerson-Übersetzungen (wie Anm. 9) S. 121 f. (der Traktat ‚ Das irrig schaf ‘ ist eine „ sehr erweiterte Übertragung “ von ‚ De remediis ‘ ), weiters S. 195 f. 62 Diese Kautele ist angesichts des Umfanges von Geilers Werk nötig. Es ist nicht auszuschließen, daß einer der Predigtzyklen Aussagen hierzu enthält. 63 Druck: Geiler von Kaysersberg, Die Emeis oder Quadragesimale (1516) (VD 16 G 714), hier: Xr. Volker Honemann 198 <?page no="199"?> begerten. Es ist auch nit not / wan der glaub mit wunderzeichen genuogsam bestetiget ist. [. . .] Also der glaub ist ietz starck / darumb so bedarff er sein nit me der wunderzeichen / man sol auch nit leichtlich glauben / wen etwen ein geschrei vß gat das wunderzeichen gewirckt wurden / man sol es vor wol erfaren. Aber wa semlich leckerey für gat / vnd man die lüt betrügt / da sicht niemans zuo / warumb es bringt gelt der herr / / [Xrb] des lands nimpt ein teil darvon / der bischoff der nimmet den andern teil / vnd den dritten teil den leget man an den baw der selben kirchen. Geiler protestiert hier mit scharfen Worten gegen die zahlreichen neuen Wallfahrten seiner Zeit (wie etwa die nach Sternberg in Mecklenburg), bei denen es sich nach seiner Meinung nicht selten um Betrug handelte - hier ist er mit Martin Luther einer Meinung (s. u.). Andererseits aber läßt sich aus der Tatsache, daß Geiler selbst gepilgert ist folgern, daß er es für heilsverdienstlich hielt. Schließen kann man dies auch aus einer weiteren Schrift Geilers, der letzten Predigt seiner „ Christlichen Pilgerschaft “ , die er am 17. Mai des Jahres 1500 im Straßburger Münster hielt: Er sprach hier über Eyn geistlich Romfart=jübel Jor 64 , darüber, wie ein Pilger, der ursach halben nit gen Rom kummen kann (147, 2 f.), zum Beispiel weil er gefangen wuordt und geirret an syner Romfart (147, 12 f.), diese Pilgerfahrt trotzdem verrichten kann. Der Text war offenbar populär; er wurde sofort gedruckt 65 . Textbasis war, wie der Druck einleitend behauptet, ein Manuskript, das Geiler am Tag nach der Predigt dem Straßburger Altammeister Peter Schott, seinem großen Förderer, übergeben hatte. Geiler entwirft hier - ganz auf der Basis eines Johannes Gerson zugeschriebenen Textes ( ‚ Le pèlerinage spirituel ‘ ) - wie er selbst erklärt (148, 14 - 17) für das Jubeljahr 1500, also aus ganz aktuellem Anlaß, eine in 50 Tagen (50 - 1500! ), genauer: 7 X 7 = 49 Tagen zu verrichtende Pilgerfahrt nach Rom; Gerson hatte seinen Text, der auch in französischer Fassung erhalten ist, aus Anlaß des Jubeljahres 1400 verfaßt 66 . Inhaltlich ist die Schrift mit der vorhin beschriebenen ‚ Pilgerfahrt ‘ vergleich- 64 Textausgabe: Johannes Geiler von Kaysersberg, Sämtliche Werke (wie Anm. 45) 1, S. 147 - 151. Auf die Stelle hat mich Elisabeth Clementz aufmerksam gemacht, der ich auch hier herzlich dafür danke. 65 Dazu siehe Johannes Geiler von Kaysersberg, Sämtliche Werke (wie Anm. 45) 1, S. 512 - 517. 66 Abdruck von Gersons lateinischem Text und Nachweis, daß es sich dabei um die Vorlage Geilers handelt bei Miedema, Rompilgerführer (wie Anm. 60) S. 410 f. und S. 452 f., Abdruck der französischen Fassung bei Edmond Vansteenberghe , Quelques écrits de Jean Gerson, Revue des Sciences religieuses 14 (1934) S. 387 - 391. Während (Ps.? -) Gerson seinen Pilger tatsächlich nach Rom gehen läßt (es werden die sieben Hauptkirchen genannt), hat Geiler die Konzeption des Textes derart verändert, daß er für die römischen Hauptkirchen Straßburger Äquivalente nennt (Die kirchen magst dir bestymmen hye zuo Straßburg zuo suchen mit andacht Unser Frawen ym Geiler von Kaysersberg und das Pilgern 199 <?page no="200"?> bar: Der Pilger soll frei sein von Todsünden, soll vor dem Aufbruch die Sakramente empfangen, soll für jede Meile, die er zurücklegt (nach Geilers Rechnung sind es 147 67 ) ein Paternoster beten. Er soll aber auch nicht zuviel beten (auch hier also die Warnung davor, sich zu übernehmen). In Rom soll er die sieben Hauptkirchen besuchen, an deren Stelle nun namentlich genannte Straßburger Kirchen bzw. Heiltümer/ Altäre treten (Unsere Liebe Frau im Münster, St. Johannes zum Grünenwörth, Alt St. Peter, die Kirche der Franziskaner, St. Laurentius im Münster, St. Sebastian in St. Martin, das heilige Kreuz bei St. Stephan). Und soll yn denen, so Geiler, eyn mensch thuon als ob er gegenwürtig do were und sich mit gott und den heyligen versünen. und von ir yetlichem ablas bitten noch dem als ym got yn gibt (149 f., 29 - 2). Wenn der geistliche Pilger reich ist, muß er überdies alle Tage Almosen geben, sonst aber das Almosen seines Herzens, d. h. er muß sich über Arme erbarmen. Er muß weiterhin jeden Tag die Messe hören und immer, wenn es ihm möglich ist, die Kirchen besuchen, besonders aber weitere heilige Stätten auf dem Wege, an denen er Ablaß gewinnen kann. Siebtens und letztens muß er auf weltliche Freunde verzichten: Schlecks. Weychs ligens. Badens. weycher kleyder. geschwetzs. kuortzweyll (150, 25 - 27) und von allem das Gegenteil haben, also ein hartes Lager, Schwitzen, Läuse usw. Wer so geistlich nach Rom pilgert, der kann sich - in Bezug auf die Heilsverdienstlichkeit - wahrhaftig mit einem „ wirklichen “ Rompilger vergleichen. Der kleine Text zeigt, wie sehr Geiler - trotz aller reformerischer Züge - der spätmittelalterlichen Frömmigkeit verhaftet war 68 . Eine Kritik an Wallfahrten und am Ablaßwesen läßt sich nicht finden. Es verwundert gleichwohl, daß Geiler nirgends explizit zur Durchführung realer Pilgerfahrten auffordert. Könnte es sein, daß er dies nicht tat, weil er um die zeitgenössische Kritik am Pilgern wußte, wie sie etwa kurz nach seinem Tode ein Erasmus von Rotterdam (und bald darauf ein Martin Luther) äußerten? Erasmus bietet in seinen zuerst 1518 und danach vielfach im Druck erschienenen ‚ Colloquia familiaria ‘ ein sehr umfangreiches Kapitel über das Wallfahren, in münster. Sant Johans zuom grünen werde etc., Johannes Geiler von Kaysersberg, Sämtliche Werke (wie Anm. 45) 1, S. 149 Z. 24 - 26). 67 Eine Phantasiezahl, wie Geiler am Ende (151, 6 - 9) einräumt: Die tatsächliche Zahl der Meilen wisse er nicht; wer sie kenne, solle die Zahlen im Traktat entsprechend anpassen. 68 Gut erkennen lassen dies auch die diesbezüglichen Ausführungen Wimpfelings in seiner Geiler-Vita. Hier heißt es unter der Überschrift. In quo delectaretur peregre proficiscens (Im Frühdruck: De moribus in peregrinatione): Delectabatur enim ocio nacto abstrusa in montibus et sylvis heremitoria, vetusta sacella, antiquasque parrochias inuisere, divorum reliquias contemplari, epigrammata vetera legere quacunque sacra aede inita primum patronos salutabat, coemeteria circuiens pro defunctorum animabus psalmum quempiam et collectam ad deum: fundere non intermittebat, Wimpfeling/ Rhenanus, Das Leben des Johann Geiler (wie Anm. 5) S. 63 f. Volker Honemann 200 <?page no="201"?> dem er vor allem die Wallfahrten nach Santiago de Compostela und nach Walsingham aufs Korn nimmt, aber auch grundsätzlich die Heilsverdienstlichkeit des Wallfahrens in Frage stellt; Martin Luther erklärt 1520 die newren Walfarten, z. B. die nach Wilsnack und Sternberg, gar für ganz teuffels gespenst 69 . Diese Kritik aber war sehr alt - sie findet sich schon in der Spätantike 70 - und sie war bereits knapp 200 Jahre vor Geilers Pilgerpredigten vom berühmtesten Prediger des späten 13. Jahrhunderts, Berthold von Regensburg, in wuchtiger Härte formuliert worden: Ihr lauft da nach St. Jakob und verkauft zu Hause alles, sodaß eure Kinder und eure Hausfrau für den Rest ihres Lebens verarmen oder ihr selbst Not leidet und verschuldet seid [. . .] Mancher läuft nach Kompostella zum heiligen Jakobus, und läuft hier hin und dorthin, sodaß er nie eine Messe hört, und sie vertun ihre Zeit mit Possenspiel und mit Gelächter, sprechen aber nie ein Pater noster, und schließlich: Was findest du denn in Kompostella, wenn du dorthin kommst? „ Sankt Jakobs Haupt “ , sprichst du. Das ist gut, das ist ein toter Knochen und ein toter Schädel: das bessere Teil [des heiligen Jakobus] ist im Himmel. Sag an, was findest du hier zu Hause an deinem Hofzaun, wenn ein Priester in der Kirche die Messe singt? Da findest du den wahren Gott und den wahren Menschen mit all seiner Macht, wie er im Himmel ist, und dessen Heiligkeit ist über die aller Heiligen und Engel 71 . Diese Kritik war in den folgenden Jahrhunderten nicht verstummt; es ist also kaum möglich, daß Geiler sie nicht kannte. Es könnte deshalb gut sein, daß sein Konzept einer „ geistlichen “ Pilgerschaft, also eines vorbildlichen geistlichen Erdenwandelns des Christen, für das eine „ reale “ Pilgerfahrt nicht nötig war, von Geiler auch unter dem Einfluß dieser Kritik formuliert wurde. 7. Schon ab den frühen neunziger Jahren des 15. Jahrhunderts lassen sich bei Geiler Anzeichen von Resignation erkennen: Die von ihm mit ungeheurer Intensität verfochtene Besserung des Volkes, erst recht aber die der Obrigkeiten kam nicht voran, und er mußte einsehen, daß seine Predigten nur wenig ausrichteten 72 . Ein (immer wieder zitierter) Ausspruch - fast ein 69 Erasmus von Rotterdam, Vertraute Gespräche (Colloquia familiaria). Übertragen und eingeleitet von Hubert Schiel (Köln 1947) S. 88 - 126, die Kritik Martin Luthers steht in seiner Schrift „ An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung “ , in: Martin Luther, Studienausgabe 2, hg. von Hans-Ulrich Delius (Berlin 1982) S. 89 - 167, hier S. 143 f., siehe weiter aber S. 131 f., wo Luther sich differenzierter äußert: Er lehnt das Wallfahren nicht grundsätzlich ab, wohl aber die in seinen Augen pervertierten Formen desselben (z. B. der Romwallfahrt). 70 Bernhard Kötting , Gregor von Nyssa ’ s Wallfahrtskritik, in: Ecclesia peregrinans. Das Gottesvolk unterwegs. Gesammelte Aufsätze 2, hg. von Dems. (Münster 1988) S. 245 - 251 (zuerst Studia Patristica 5 [1962] S. 360 - 367). 71 Zitiert nach Miedema, Een geestelijke pelgrim (wie Anm. 45) S. 109; dort auch die mittelhochdeutsche Originalfassung. 72 Siehe hierzu Francis Rapp , Jean Geiler de Kaysersberg (1445 - 1510), le prédicateur de la Cathédrale de Strasbourg, in: Grandes figures de l ’ Humanisme alsacien. Courants - Geiler von Kaysersberg und das Pilgern 201 <?page no="202"?> Hilfeschrei - aus dem Jahre 1508 zeigt das Ausmaß der Resignation des Straßburger Münsterpredigers, eines Mannes, der „ ein Mann der Anschauung und zugleich der Meditation war, der das kräftige und elende Leben, das ihn umgab, in all seinen Dimensionen verarbeitet hat[te] und doch in den religiösen und gelehrten Traditionen der Zeit zu Hause war “ 73 : Ich sprich nein, so erklärt er nun, es ist auch kein hoffnung, dass es besser werd um die Christenheit [. . .] Darum so stoss ein jeglicher sein Haupt [. . .] in ein Loch, und sehe, dass er Gottes Gebot halte und tue, das recht sei, damit er selig werde 74 - eine Äußerung, die auch im Kontext von Geilers mehrfachen Versuchen zu sehen ist, sich aus dem Predigtdienst für die mittelalterliche Großstadt Straßburg in ein Einsiedlerleben im Schwarzwald zurückzuziehen. Nur ein knappes Jahrzehnt nach Geilers Tod, der sich jetzt zum 500. Mal jährte, sollte ein ihm in Vielem ähnlicher Wittenberger Mönch und Theologe mit ganz anderen Mitteln eine Reform auf den Weg bringen, die schließlich zum Untergang der mittelalterlichen Kirche und zur Kirchenspaltung führte. Resumen: El artículo nos presenta al Münsterprediger de Estrasburgo, Geiler von Kaysersberg (1455 - 1510) y nos describe su postura ante la peregrinación. A la vez, el autor se cuestiona en qué medida Geiler fue él mismo peregrino y analiza sus numerosos escritos en torno a la peregrinación clerical; este motivo constituye un punto clave de la obra de Geiler. A continuación se lleva a cabo un estudio detallado del texto aparecido en 1508 ‘ El peregrino y sus cualidades ’ , en el ámbito de ‘ Predigen deutsch ’ de Geiler. Estas “ cualidades ” son características y comportamientos que debe poseer y practicar todo peregrino que desee culminar con éxito su peregrinaje a la patria eterna. Así antes de su partida tiene que pagar “ las deudas monetarias (del Pfennig) y de pecado ” , lo que significa que el peregrino tiene que saldar sus deudas financieras e ir a confesarse. En relación al peregrinaje real, Geiler tiene una opinión muy crítica frente a la aparición de nuevas peregrinaciones, pero con motivo del año jubilar 1500, Geiler recomienda en su Milieux - Destins, hg. von Francis Rapp / Georges Livet (Straßburg 1978) S. 25 - 31, hier: S. 30, wo dargelegt wird, daß Geilers Resignation damit zusammenhing, daß weder seine Straßburger Synodalpredigt von 1482, noch seine Pläne, 1482 die krisengeschüttelte Abtei St. Stephan auflösen zu lassen und ihren Besitz zur „ création d ’ un institut où des mâitres savants et pieux dispenseraient un enseignement de droit canonique et de théologie “ zu verwenden, noch sein Vorhaben von 1491, eine Visitation der Diözese Straßburg mit dem Ziel der Reformierung des Weltklerus durchführen zu lassen, Erfolg gehabt hatten - die Widerstände dagegen, vor allem seitens des Straßburger Klerus, waren für ihn unüberwindlich. Schließlich enttäuschte auch der neue Straßburger Bischof Wilhelm von Honstein (gewählt 1506) Geilers Erwartungen (ebd. S. 31). 73 So die vorzügliche Charakterisierung Otto Herding s in der Einleitung seiner Edition der Geiler-Vita: Wimpfeling/ Rhenanus, Das Leben des Johann Geiler (wie Anm. 5) S. 8. 74 Zitiert nach Rapp, Préréforme et humanisme (wie Anm. 2) S. 185 und Ders ., Geiler von Kaysersberg (wie Anm. 2) S. 161, siehe weiter Kraume, Geiler von Kaysersberg (wie Anm. 1) Sp. 1151 (mit Nachweis der Quelle). Volker Honemann 202 <?page no="203"?> propio texto realizar la peregrinación espiritual a siete iglesias de Estrasburgo, que representan las siete iglesias principales de Roma. Pero con la misma intensidad que Geiler recomienda a sus prójimos la peregrinación espiritual, rechaza claramente en sus últimos años de vida este medio ante la pecaminosidad imposible de evitar. Geiler von Kaysersberg und das Pilgern 203 <?page no="205"?> San Domingo de la Calzada - Der heilige Dominikus von der Straße und die Rioja: Ein Panorama 1 Robert Plötz Der hl. Dominikus verbrachte sein Leben in der Rioja. Die Rioja ist eine der Regionen, die gerade durch Santo Domingo de la Calzada am stärksten mit Jakobus-Traditionen verbunden ist und ebenso wie Roncesvalles 2 und Padrón 3 eine eigene Sakraltopographie entwickelt hat. Sowohl die Reconquista 4 , die Wiedereroberung verlorenen Gebietes, als auch die Repoblación 5 , 1 Zur Zeit des Römischen Reichs war die Rioja im Norden und Westen von Vaskonen und im Süden und Osten von Kelten besiedelt. Während des Westgotischen Reiches gehörte der größte Teil der Rioja zum Herzogtum Kantabrien. Nach dem Fall des Westgotenreiches im 8. Jahrhundert war es maurisches Territorium. Ab dem 10. Jahrhundert wurde um die Vorherrschaft der Region zwischen Navarra und Kastilien gekämpft. Im Verlauf dieser Konfrontationen trafen 1176 Alfons VII. von Kastilien und Sancho VI. von Navarra ein Abkommen, in dem Navarra ab 1177 den Großteil der Rioja an Kastilien abtreten musste. Vgl. Klaus Herbers , Geschichte Spaniens im Mittelalter. Vom Westgotenreich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts (Stuttgart 2006) S. 118 f. 2 Zu Roncesvalles und seinen Traditionen vgl. Luís Vazquéz de Parga / José María Lacarra de Miguel / Juan Uría Ríu , Las peregrinaciones a Santiago de Compostela 3 Bde. (Madrid 1949) hier: 2, S. 91 - 93 und Gérard Jugnot , Deux fondations augustiennes en faveur des pèlerins: Aubrac et Roncevaux, Cahier de Fanjeaux 13 (1978) S. 321 - 341, mit ausführlicher Bibliographie. 3 Zu Padrón vgl. Padrón, Iria y las tradiciones jacobeas, Actas del VI Congreso Internacional de Estudios Jacobeos, hg. von Vicente Almazán (Santa Comba 2004). 4 Alexander Pierre Bronisch , Reconquista und Heiliger Krieg. Die Deutung des Krieges im christlichen Spanien von den Westgoten bis ins frühe 12. Jahrhundert (Spanische Forschungen der Görresgesellschaft. Reihe 2, 35, Münster 1998) S. 371 - 390, vgl. auch Claudio Sanchez-Albornoz , Asturias resiste, Alfonso el Casto salva a la España cristiana, Logos 5 (1946) S. 9 - 33, und Herbers , Geschichte Spaniens (wie Anm. 1) S. 111 - 120. 5 Vgl. José Maria Lacarra de Miguel , Colonización, parias, repoblación y otros estudios (Zaragoza 1981); Dietrich Claude , Die Anfänge der Wiederbesiedlung Innerspaniens, in: Die deutsche Ostsiedlung des Mittelalters als Problem der europäischen Geschichte: Reichenau-Vorträge 1970 - 1972, hg. von Walter Schlesinger <?page no="206"?> die Wiederbesiedelung von Gebieten, die im Verlauf der Kämpfe zwischen Christen und Muslimen teilweise ganz verwüstet und entvölkert waren, spielten sich hier eindrucksvoll ab. Im Rahmen der mittelalterlichen Reconquista und nach ihrer Besetzung durch christliche Truppen wurden dort Christen neu angesiedelt oder nahmen aus eigener Initiative Land in Besitz 6 , das den Mauren kriegerisch abgerungen worden war. Fokus: Lebenszeit des hl. Dominikus Legen wir ein Datengerüst für die Zeit an, in der der hl. Dominikus lebte und wirkte. Sein Leben verläuft zwischen 1020 und 1109 7 . In dieser Zeit beendet die Rioja Alta - das ist die Region, in der heute Santo Domingo de la Calzada liegt - ihre Zugehörigkeit zum Königreich Navarra 8 . Ab 1076 wurde sie Kastilien unter der Herrschaft von Alfons VI. (1072 - 1109) zugeschlagen. Genau 1109 sterben sowohl Alfons VI., über dessen Bedeutung als „ Pilgerkönig “ Klaus Herbers ’ Beitrag handelt 9 , als auch der hl. Dominikus, also San Domingo de la Calzada. Wenn man die „ Historia Silense “ (um 1110) als Quelle zugrunde legt, war es Sancho III. el Mayor (1000 - 1035), der den Weg südlich über Nájera verlegt 10 , und damit die alte Route, die über Álava lief, änderte. Er schuf den „ iter Sancti Jacobi “ als direkte Verbindung von den Pyrenäen bis Nájera, wohl (Vorträge und Forschungen 18, Sigmaringen 1975) S. 607 - 656; Claudio Sánchez- Albornoz , Despoblación y repoblación del valle del Duero (Buenos Aires 1966). 6 Vgl. Herbers , Geschichte Spaniens (wie Anm. 1) S. 113. 7 De S. Dominico Calciatensi (Acta Sanctorum maii III, Antwerpen 1680) S. 167 ff.; Pedro de la Vega, Flos Sanctorum, ed. Juan Sánchez / Pedro de Leguizamo (Biblioteca de la Universidad de Barcelona 1578) fol. CXL f.; Enciclopedia europeo-cristiana 18 (Madrid 2003) Sp. 1846 f.; ferner José Gonzalez Tejada , Historia de San Domingo de la Calzada, Abraham de la Rioja, (Madrid 1702, Faksimile Logroño 1985), José Gil y García , Compendio de la vida y milagros de Santo Domingo de la Calzada (Bilbao 1916); Javier Pérez Escohotado , Santo Domingo de la Calzada, ingeniero de la tierra (Logroño 2009). 8 Die Stadt Navarra gehörte zum Königreich Pamplona oder Navarra unter den Königen Sancho III el Mayor (1004 - 1035), García de Nájera (1035 - 1054) und Sancho el de Peñalén (1054 - 1076). Nur von 1035 bis 1076 kann man von einem Königreich Navarra sprechen. Vgl. María Concepción Fernández de la Pradilla Mayoral , El Reino de Nájera (1035 - 1076) (Logroño 1991). 9 Siehe den Beitrag in diesem Band. Vgl. auch Adrián Herrero Casla , Vida y obra de Alfonso VI, Una visión peregrina en su noveno centenario desde Sahagún, Peregrino 123 - 124 (2009) S. 40 - 43, hier: S. 43. 10 [. . .] ab ipsis namque Pirineis iugis adusque castrum Nazara quidquid terre infra continetur a potestate paganorum eripiens, iter Sancti Iacobi quod barbarico timore per devia Alave peregrini declinabant absque retractionis obstaculo currere fecit (Historia Silense, ed. Francisco Santos Coco [Madrid 1921] S. 63 f.). Robert Plötz 206 <?page no="207"?> aus strategisch-militärischen Gründen und auch für die Pilger, Handelsleute und Siedler. Dieser Weg folgt nicht mehr ausschließlich den alten Römerstraßen, was zu Städte- und Ortgründungen entlang der neuen Trassen führte. García de Nájera, sein Nachfolger, eröffnete 1052 eine Pilgerherberge in Nájera 11 und gründete die Kirche Santa María. Er versah Nájera, die zukünftige Hauptstadt seines Königreiches, mit dem üblichen und nötigen religiösen Schutz. Dem König wird der Legende nach der Fund eines Muttergottesbildes zugeschrieben, für das er die Kirche Santa María und ein Kloster gründete 12 . Fünf Hospitalgründungen fanden zwischen Mitte des 10. und Mitte des 11. Jahrhunderts entlang des Weges statt: Sahagún, Villa Vascones, Arconada (Rioja), Nájera und Santo Domingo de la Calzada. Im Mittelalter war die Rioja Durchzugsland, v. a. für den Camino de Santiago, und eine strategisch wichtige Grenzzone, was wiederholt zu Auseinandersetzungen zwischen den Königreichen Kastilien, Navarra und Aragón führte. Ein erster Hinweis auf einen Weg, der von den Pilgern von und nach Rom frequentiert wurde, ist in der steinernen Stiftungsurkunde - heute verschwunden - für das Kloster und Hospiz von Arconada enthalten. Graf Gómez von Carrión verfügt am 15. März 1047, dass zu seinem Seelenheil und dem seiner Eltern zu Ehren der hll. Facundus, Primitivus und Christopherus und allen Heiligen in diesem Ort, den man Arconada nennt, ein Kloster [. . .] oder auch ein Hospiz an der [. . .] Straße, für diejenigen, die von Sankt Peter und St. Jacobus gehen oder von dort kommen, erbaut werden solle 13 . Clavijo Die Schlacht von Clavijo 14 gehört wegen der mit ihr verbundenen Legende zu den berühmten Schlachten der Reconquista und ist von zentraler 11 Fidel Fita y Colomé , Santa María la Real de Nájera. Estudio crítico, Boletín de la Real Academia de la Historia 26 (1895) S. 155 - 198, S. 227 - 275 mit der Urkunde der Herbergsstiftung. Zu Nájera vgl. Vázquez de Parga/ Lacarra de Miguel/ Uría Ríu , Peregrinaciones (wie Anm. 2) 2, S. 155 - 162. 12 Die Gründung des Benediktinerklosters von Nájera soll auf ein Grottenwunder zurückgehen, nach dem der König von Navarra, García el de Nájera, einen Jagdfalken auf ein Rebhuhn losließ und beide später friedlich in einer kleinen Grotte zu Füßen einer Marienstatue fand. 13 [. . .] secus stratam ab antiquis temporibus fundatam euntium vel redeuntium Sancti Petri et Sancti Iacobi apostoli ( Vázquez de Parga/ Lacarra de Miguel/ Uría Ríu , Peregrinaciones [wie Anm. 2] 2, S. 212). 14 Vgl. für die Thematik Julián Cantera Orive , La Batalla de Clavijo y Aparición en ella de Nuestro Patron (Vitoria 1945, Faksimile Logroño 1997), Claudio Sánchez Albornoz , La auténtica Batalla de Clavijo, in: Orígenes de la nación española. Estudios críticos sobre la historia del reino de Asturias 3 Bde. (Oviedo 1975), hier: 3, San Domingo de la Calzada - Der heilige Dominikus 207 <?page no="208"?> Bedeutung für die Entwicklung der Hüterin des Apostelgrabes, der Kathedrale von Santiago de Compostela. Die Schlacht fand angeblich am 23. Mai 844 (nach anderen Angaben 834) auf dem Campo de la Matanza in der Nähe von Clavijo in La Rioja zwischen dem Heer Königs Ramiro I. von Asturien und einer Streitmacht des Emirs Abd ar-Rahman II. statt. Ramiro soll gesiegt haben. Nach Auffassung der neueren Forschung ist die Schlacht aber entweder frei erfunden oder es handelte sich in Wirklichkeit um ein Gefecht, das erst nach Ramiros Tod stattfand. Der Bericht über die Schlacht stammt aus einer angeblich von König Ramiro nach dem Sieg am 25. Mai 844 ausgestellten Urkunde, dem „ Privilegio de los Votos “ . Diese Urkunde wurde um die Mitte des 12. Jahrhunderts von dem Kleriker Pedro Marcio in Santiago de Compostela gefälscht und ist daher als Quelle für das 9. Jahrhundert ohne Wert. Die Darstellung der gefälschten Urkunde wurde im 13. Jahrhundert von den Chronisten Lucas von Túy und Rodrigo Jiménez de Rada übernommen und gelangte so auch in spätere Geschichtswerke, insbesondere in die „ Estoria de España “ (Crónica General). In der gefälschten Urkunde werden dem König Ramiro folgende Aussagen unterstellt. Einige seiner (nicht namentlich genannten) Vorgänger hätten aus Faulheit und Pflichtvergessenheit nicht gegen die Muslime gekämpft, sondern den Frieden durch eine jährliche Tributzahlung erkauft. Dieser Tribut habe aus hundert christlichen Jungfrauen bestanden, 50 aus dem Adel und 50 aus dem Volk, die den Muslimen übergeben worden seien. Er, Ramiro, habe den Tribut verweigert und den Kampf gewählt. Zunächst sei sein Heer in die Flucht geschlagen worden und habe sich dann bei Clavijo erneut gesammelt. Dort sei ihm der heilige Apostel Jakobus (Santiago) als Schutzheiliger Spaniens im Traum erschienen und habe ihm für die kommende Schlacht Hilfe versprochen. Am nächsten Morgen seien die christlichen Truppen mit dem Ruf Hilf uns, Gott und heiliger Jakob! in den Kampf gezogen und hätten gesiegt, wobei der Apostel selbst als Ritter auf einem Schimmel erschienen sei. 70.000 Feinde seien gefallen. Zum Dank habe Ramiro danach der Kathedrale in Santiago eine jährliche Zahlung gewährt, die als allgemeine Abgabe von allen Christen im Reich zu entrichten sei 15 . Da keine der älteren, der Epoche Ramiros I. zeitlich weit näheren Quellen die Schlacht erwähnt, obwohl diese ein spektakuläres Ereignis gewesen sein S. 281 - 311, Ofelia Rey Castelao , La historiografía del Voto de Santiago. Recopilación crítica de una polémica histórica (Monografías de la Universidad de Santiago de Compostela 115, Santiago de Compostela 1985). 15 Überblicksmäßig vgl. Klaus Herbers , Politik und Heiligenverehrung auf der Iberischen Halbinsel. Die Entwicklung des „ politischen Jakobus “ , in: Politik und Heiligenverehrung, hg. von Jürgen Petersohn (Vorträge und Forschungen 43, Sigmaringen 1994) S. 177 - 275, spanisch: Ders ., Política y veneración de santos en la península ibérica. Desarrollo del “ Santiago político “ (Pontevedra 2006) insbesondere S. 66 ff. Robert Plötz 208 <?page no="209"?> müsste, wenn sie sich in der beschriebenen Weise abgespielt hätte, ist davon auszugehen, dass es sich um eine Erfindung bzw. Fälschung des Klerikers handelt. Dieser gehörte selbst dem Domkapitel der Kathedrale von Compostela an, die von der gefälschten Urkunde am meisten profitieren sollte. San Millán de Suso und Yuso Eine bedeutende Rolle für die Rioja spielte die Klosteranlage San Millán de Suso und Yuso. Der Name des Klosters geht auf den heiligen Aemilianus von Cogolla, spanisch San Millán de la Cogolla (* um 473 in Vergegio - heute Berceo - † 12. November 574 in Nordspanien) zurück 16 . Aemilianus war der Sohn eines Schäfers und übte diesen Beruf selbst bis zu seinem vierzigsten Lebensjahr aus. Der Eremit Felices de Bilibio nahm ihn als Schüler auf und verbrachte drei Jahre mit ihm in der Nähe von Haro. Danach zog Aemilianus in die Montes Distercios und verbrachte dort die nächsten 40 Jahre in Abgeschiedenheit. Auf Grund seiner Tugend wurde er von Bischof Didimo von Tarazona zum Priester seines Geburtsortes Berceo ernannt. Er übte dieses Amt drei Jahre aus, wurde dann aber von anderen Geistlichen beschuldigt, die kirchlichen Güter zu verschwenden, da er gegenüber den Armen zu großzügig sei. Daraufhin zog er sich in die Höhlen von Aidillo zurück, wohin ihm andere Geistliche folgten. Dort starb er im Alter von 101 Jahren. Sein Sarg wurde ein Anziehungspunkt für Pilger. Grafen und Könige erbaten dort seinen Beistand für ihre Kämpfe gegen die Mauren. Im Jahr 1053 wurden seine Überreste vom Kloster San Millán de Suso ins benachbarte, neu erbaute Kloster San Millán de Yuso überführt. Im Archiv des Klosters werden die berühmten „ Glossae Aemilianenses “ 17 aus dem 10. Jahrhundert aufbewahrt, die in Latein, Baskisch und Kastilisch geschrieben sind und somit das erste Zeugnis der kastilischen Sprache darstellen 18 . Aus dem Geburtsort des hl. 16 Braulio, Erzbischof von Zaragoza, hat uns die „ Vita S. Aemiliani confessoris cognomento Cuccullati “ hinterlassen (Migne PL 80, Sp. 699 - 714, Vita auf Sp. 703 - 714). Ferner: Acta Sanctorum OSB 9 Bde., ed. Jean Mabillon (Paris 1668/ 1702) hier: 1, S. 205 - 216, S. 197 ff. und Mateo de Anguiano , Compendio Historial de la provincia de la Rioja, de sus Santos, y milagrosos santvarios de Fray Matheus de Angviano, hg. von Domingo Hidalgo de Torres y la Cerda (Madrid 1704) S. 502 - 504. Über seine Herkunft schreiben die Acta Sanctorum: Aemiliani parentes obscuri (S. 207). Zu den folgenden Informationen vgl. die gängigen Lexika. 17 Vgl. César Hernández Alonso , Estudio linguístico e notas a ediç-o das glosas Emilianenses (Logroño 1992). 18 Zur Bedeutung des Klosters vgl. José Angel García de Cortázar y Ruiz de Aguirre , El dominio del monasterio de San Millán de la Cogolla (Salamanca 1969) S. 286 Anm. 159. San Domingo de la Calzada - Der heilige Dominikus 209 <?page no="210"?> Aemilianus stammt auch Gonzalo de Berceo (ca. 1197 - 1264) 19 . Er gilt als erster bekannter Dichter in kastilischer Sprache und schrieb unter anderem eine „ Vida de S. Millán “ 20 und auch eine Lebensbeschreibung San Domingos de Silos. Der Abt war zur fraglichen Zeit der hl. Dominikus von Silos. Er kam von der Abtei Santo Domingo de Silos, einem Benediktinerkloster im gleichnamigen Ort, die im Süden der nordspanischen Provinz Burgos liegt. Santo Domingo de Silos Santo Domingo de Silos 21 ist ein weiteres bedeutendes geistiges Zentrum am Rand der Rioja im Süden von Burgos. Gegründet wurde das Kloster im Jahre 929. Nach mehreren Plünderungen durch die Mauren kam das Kloster dann in der Amtszeit von Dominikus von Silos (ursprünglich Domingo Manso) 22 zu neuer Blüte, der von 1041 bis zu seinem Tod 1073 als Abt der Gemeinschaft vorstand. Die Abtei wurde ein bedeutendes Zentrum der Geisteswissenschaften, und seine Bibliothek sowie sein Skriptorium erlangten europaweiten Ruhm. Bedeutende Werke sind u. a. die Beatus-Handschrift, die heute in der British Library in London aufbewahrt wird, mehrere mittelalterliche Landkarten des Mittelmeerraumes sowie das „ Missale de Silos “ , welches bis heute zur Bibliothek des Klosters gehört 23 . Andere Heilige in der Region Wie gestaltete sich überhaupt im Rahmen der historischen Entwicklung die Heiligentopograhie am Weg 24 ? Innerhalb der kleinräumigen Entwicklung 19 Vgl. Hans Flasche , Gonzalo de Berceo und sein Werk, in: Geschichte der spanischen Literatur 1: Von den Anfängen bis zum Ausgang des fünfzehnten Jahrhunderts, hg. von Dems . (Bern/ München 1977) S. 134 - 149. 20 Aqui escomienza la Estoria de Sennor Sant Millan, in: Poetas castellanos anteriores al siglo XV, ed. Thomás Antonio Sanchez (Biblioteca de Autores Españoles 57, Madrid 1952) S. 78, Strophe 437 - 439. 21 Vgl. Marius Férotin , Histoire de l ’ abbaye de Silos (Paris 1897) und Meyer Schapiro , From Mozarabic to Romanesque in Silos, in: Selected Papers 2: Romanesque Art, hg. von Dems . (London 1977) S. 28 - 101. 22 Der Mönch Grimald schrieb eine zeitgenössische Vita des Dominikus Exiliensis (Acta Sanctorum [wie Anm. 16] VI, 2 (1740) S. 299 - 320. Vgl. K. Zimmermanns , Dominikus von Silos/ Manso, in: Lexikon der christlichen Ikonographie 6 (Rom 1990) Sp. 79 f. 23 Vgl. Herbers , Geschichte Spanien (wie Anm. 1) hier besonders: S. 150 ff., und Susana Zapke (Hg.), Hispania Vetus. Musical-Liturgical Manuscripts. From visigothic origins to the franco-roman transition (9th - 12th centuries) (Bilbao 2007). 24 Vgl. Mateo de Anguiano , Compendio historial de la provincia de La Rioja, de sus santos y milagrosos santuarios (Madrid 1704) und allgemein Julián Cantera Orive et al., Santos de la Rioja. Seminario Conciliar (Logroño 1962). Robert Plötz 210 <?page no="211"?> kann man die Ausstattung des sakralen Raumes der Rioja allgemein als Beispiel für den Auf- und Ausbau im Rahmen von Reconquista (Wiedereroberung) und Repoblación (Wiederbesiedlung) betrachten. Die Heiligen der römischen Christianisierung des Raumes kamen mit den römischen Legionen von Afrika her, wie Facundus und Primitivus von Arconada oder San Emeterio (San Model), der ungefähr um 300 den Märtyrertod erlitt. Er war römischer Soldat ebenso wie der hl. Celedonius (Schutzheiliger von Calahorra in der Rioja). Dann folgten die Heiligen der Westgotenzeit wie der hl. Aemilianus (San Millán), der für die Rioja als „ miles Christi “ die gleiche Bedeutung wie Jakobus für Asturien, Galicien und León-Kastilien hatte. Er wird in der Ikonographie öfter als Benediktinermönch auf einem Pferd mit gezückter Klinge in der Hand dargestellt 25 . San Millán ist in seiner Kultmächtigkeit im Kampf gegen die Mauren dem „ Jacobus miles Christi “ durchaus gleichgestellt. Dazu kamen noch die Heiligen der franci wie z. B. der hl. Martin, der hl. Nikolaus und Maria mit vielen Titeln 26 . San Juan de Ortega Mit dem Weg waren die zwei Persönlichkeiten verbunden, die eine größere geschichtliche Berücksichtigung erfahren sollen: Der hl. Dominikus, oder San Domingo de la Calzada, und San Juan de Ortega. Ihnen traute König Alfons VI., dem die Mühen, Arbeiten und die Hingabe beider in der Rioja bekannt waren, die Konstruktion und Reparatur der Brücken und Straßen an, die für den Pilgerweg zwischen Logroño und Burgos nötig waren. Juan de Quintana Ortuño, der spätere San Juan de Ortega, lernte der Überlieferung nach im Alter von 15 Jahren den 75-jährigen Dominikus in Burgos kennen. Erfahrung und Jugend kommen zusammen, um den Auftrag des Königs zu erfüllen, wobei der Alte Wissen und Scharfsinn zur Konstruktion beiträgt, während der Junge große körperliche Stärke, Bescheidenheit, technische Intuition und eine enorme Hingabe dem hl. Dominikus gegenüber mitbringt. Die „ Vita “ des San Juan ist gut dokumentiert 27 . Er wurde gegen 1080 in 25 So wird er über dem Eingangsportal des Klosters San Millán de la Cogolla (Suso), auf einem Altarbild von Juan Rizzi von 1653 (Abb. bei Elías Tormo Manzó , La vida y la obra de F. J. Ricci 2 (Madrid 1930), das sich auf die Schlacht von Hacinas bezieht, dargestellt, wie auch in der Madrider Pfarrkirche San Millán y San Cayetano. In der Schlacht von Hacinas soll San Millán als „ matamoros “ Conde Fernán de Gonzalez geholfen haben. Auch García III. soll durch die Hilfe des hl. Millán Calahorra im Jahr 1045 eingenommen haben. Vgl. Lieselotte Schütz , Aemilianus/ Millán, in: Lexikon der christlichen Ikonographie 5 (Rom 1990) Sp. 122. 26 Vgl. den Absatz “ El camino de Santiago, vehículo de nuevas devociones “ , in: Vázquez de Parga/ Lacarra de Miguel/ Uría Ríu , Peregrinaciones (wie Anm. 2) 1, S. 489 f. 27 Ebd. 2, S. 173 - 178; AA SS iunii I, S. 260 - 263; Enrique Flórez , España Sagrada. Teatro geográfico-histórico de la Iglesia de la España 51 Bde. (Madrid 1754 - 1879) hier: San Domingo de la Calzada - Der heilige Dominikus 211 <?page no="212"?> Quintana Ortuña, einem burgalesischen Dorf, geboren. Er war als Sohn des Ritters Vela Velázquez adeliger Abkunft. Nach seiner Priesterweihe arbeitete er mit dem hl. Dominikus bei der Unterstützung der Hilflosen und Armen zusammen. Nach dessen Tod (12. Mai 1109) verließ er das Land und pilgerte zu den heiligen Stätten der Christenheit. Nach seiner Rückkehr errichtete er nach einem Schiffbruch, aus dem ihn der Legende nach der hl. Nikolaus von Bari rettete, zu dessen Ehren eine Kirche für Arme und Verfolgte am Pilgerweg in der Wildnis der Montes de Oca in servitio pauperum in via Sancti Iacobi 28 . Für seine Schüler und für die Pilger baute San Juan ein Refugium. Er zog sich mit seinen beiden Neffen dorthin zurück und gründete eine Gemeinschaft von Regularkanonikern des hl. Augustinus. Als Regularkanoniker bezeichnet man Mitglieder einer Stiftskirche, die nach einer Ordensregel (meistens der des hl. Augustinus) leben. Priesterweihe und Ordensgelübde waren dazu erforderlich. Für dieses Vorhaben gab San Juan sein ganzes Vermögen aus. Als dieses aufgebraucht war und nichts mehr für die Armen und Pilger blieb, die an seinen Türen anklopften, füllte ihm Gott der Legende nach die Truhen mit Brot, um alle versorgen zu können 29 . Juan de Ortega wurde von der Krone beschützt und gefördert. So übergab im Jahr 1142 Alfons VII. von Kastilien (1126 - 1157) dem Heiligen alle Ländereien in seinem Besitz, die in den Montes de Oca zwischen Ortega de Arriba und Ortega de Abajo lagen, um den Armen vor Christo zu helfen 30 . Juan de Ortega lebte lange Zeit in der Rioja, wo ihm die Konstruktion zahlreicher Brücken zugeschrieben wird, wie die von Logroño, Najera und Santo Domingo de la Calzada. Auch soll er eine Straße zwischen Agés und Atapuerca und andere mehr errichtet haben. In Nájera wurde er krank und ließ sich nach Ortega bringen, wo er am 2. Juni 1163 starb. An seinem Grab sollen viele Wunder geschehen sein 31 . San Lesmes In diesem Zusammenhang wäre als dritter bedeutender heiliger Ingenieur noch San Lesmes zu nennen 32 . Er wurde in Loudun im Poitou (Frankreich) 27 (2. Aufl. 1824) S. 176 ff., Braulio Valdivielso Ausín , San Juan de Ortega, hito vivo en el Camino de Santiago (Burgos 1985) insbesondere S. 52 - 82. 28 Vázquez de Parga/ Lacarra de Miguel/ Uría Ríu , Peregrinaciones (wie Anm. 2) 3, S. 16 Nr. 4. 29 Ebd. 2, S. 174. 30 Flórez , España Sagrada (wie Anm. 27) 27, S. 460. 31 Vgl. Vázquez de Parga/ Lacarra de Miguel/ Uría Ríu , Peregrinaciones (wie Anm. 2) 2, S. 173 - 176. 32 Vgl. Jaime Vargas Vivar , Vida de San Lesmes abad patron de Burgos (Burgos 1985) und Claude Lacombe, San Lesmes y Jerónimo de Périgueux, dos religiosos “ francos “ Robert Plötz 212 <?page no="213"?> im Schoss einer reichen Familie geboren. Schon in seiner Jugend verteilte er der Überlieferung gemäß seine Güter unter den Armen und trug die Kleidung eines Knechtes. Er unternahm eine Pilgerfahrt nach Rom. Danach trat er in das Kloster ein und wurde Abt der berühmten Abtei La Chaise- Dieu in der Auvergne. Königin Konstanze von Burgund ( † 1092), Spanierin und Gemahlin von Alfons VI., berief ihn dazu, im christlichen Spanien die mozarabische Liturgie durch die römische zu ersetzen. In Burgos gründete er das Benediktinerkloster San Juan Evangelista, wo er sich der Pilgerbetreuung widmete. Im Jahr 1085 rief er der Überlieferung gemäß während der Reconquista von Toledo das kastilische Heer auf, die Stadt über den Fluss Tajo zu erobern. San Lesmes starb im Jahr 1097 und wurde im Kloster von San Juan beigesetzt. Später wurde der Heilige in die Kirche San Lesmes in Burgos überführt. Er ist Patron von Burgos. Dort gilt er als San Idraúlico, da er das Stadtgebiet einer gründlichen Entwässerung unterzog. Santo Domingo de la Calzada Die Stadtgründung von Santo Domingo de la Calzada 33 erfolgte in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts. Der alte Weg verlief, wie schon vorher erwähnt, über Nájera und Briviesca. Aber als Burgos Hauptstadt des kastilischen Königreichs wurde, war der Weg über die Oca-Berge die natürliche Route für die Verbindung mit dem Königreich Navarra, das im 11. Jahrhundert seine Grenzen bis 14 Kilometer vor Burgos verlegte. Lange Zeit kämpften beide Königreiche darum, in den Montes de Oca ihre Territorialgrenzen festzulegen. Die kastilischen und navarresischen Heere dürften diesen Weg viele Male im 10./ 11. Jahrhundert gezogen sein. Aber die Überlieferung schreibt diesen Weg dem heiligen Eremiten Dominikus zu. Es kann als gesichert gelten, dass er die Strecke zwischen Nájera und Redecilla anlegen ließ. Der hl. Dominikus wurde als Domingo García in Viloria de Rioja, einem Ort zwischen Grañón und Belorado geboren. Der bekannte spanische Hagiograph Luis de la Vega verfasste 1601 eine erste ausführliche Vita des Heiligen 34 . Einige Hagiographen schrieben dem hl. Dominikus eine Herkunft aus Calabria bei Neapel, aus Ur in Chaldea oder aus der Toskana en la iglesia española del siglo XI, Iacobus. Revista de Estudios jacobeos y medievales 19/ 20 (2005) S. 27 - 46. 33 Vgl. Vázquez de Parga/ Lacarra de Miguel/ Uría Ríu , Peregrinaciones (wie Anm. 2) 2, S. 162 - 169 und Jean Passini , Deux petites villes du chemin de Saint Jacques de Compostelle: Santo Domingo de la Calzada y Belorado (Madrid 1983). 34 Luis de la Vega , Historia de la vida y milsgros de Santo Domingo de la Calzada (Burgos 1606). San Domingo de la Calzada - Der heilige Dominikus 213 <?page no="214"?> zu 35 . Seine Kindheit verbrachte er als Schäfer. Später wurde er Schüler des riojanischen Benediktinerklosters Valbanera 36 . Dort wollte er als Mönch eintreten wie später auch in das Kloster San Millán de Yuso. Der hl. Dominikus soll in beiden Klöstern wegen - so wird es zumindest tradiert - seines geringen Bildungsstandes abgewiesen worden sein 37 . Der Name Valbaneras könnte von der lateinischen Bezeichnung Vallis Venaria kommen, was Tal der Wasseradern heißen könnte. Das Kloster wird in einer Übereinkunft von 1016 zwischen Sancho Garcés el Mayor und seinem Schwager Sancho García erwähnt, die eine Grenzregelung beinhaltet. Das Kloster Valbanera hatte enge Beziehungen zu San Millán de Yuso. Nach der Abweisung durch beide Klöster soll Dominikus der hagiographischen Überlieferung nach zunächst von einem Eremiten aufgenommen und dann von dem hl. Kardinalbischof Gregor von Ostia betreut worden sein, der als Legat und Prediger in Spanien gewirkt und Dominikus zum Priester geweiht haben soll. Marinaeus Siculus erwähnt als erster in seinen „ De Rebus Hispaniae memorabilibus “ (1530) den hl. Gregorius Ostiense als Lehrer des hl. Dominikus, der nach der neuesten Forschung von Javier Pérez Escohatado (2009) ein „ erfundener “ Heiliger ist 38 . Als pseudohistorische Figur wurde der Heilige zum Bischof von Ostia ernannt, später zum Kardinal und Bibliothekar von Papst Johannes XVIII. (1003 - 1009). Benedikt IX. (1033 - 1045) soll ihn zum Legaten a latere ernannt und beauftragt haben, sich nach Navarra und der Rioja zu begeben, um Maßnahmen gegen Ungläubige und Häretiker 39 zu ergreifen, was ihm der Legende nach gelungen sein soll. Er gilt zudem als Vater der Freimaurer 40 . Im Folgenden ließ sich Dominikus in einem Waldstück an den Ufern des Flusses Oja nieder, eine „ legua “ (spanische Meile = 5,5727 km) südlich von der Furt, die die Pilger auf ihrem Weg oder Rückweg nach und von Santiago überquerten. Wahrscheinlich wegen der Mühsale und Beschwerlichkeiten, die diese beim Flussüberqueren hatten, versuchte der hl. Dominikus die Leiden der Pilger zu lindern, soweit das möglich war. Er reparierte die Wege und erbaute eine Brücke. Die Schreiber seiner Legende erzählen von den 35 Noch die erste Ausgabe des Lexikon für Theologie und Kirche (hg. von Michael Buchberger , Freiburg im Breisgau 1931) lässt den Heiligen aus Italien oder dem Baskenland kommen (3, Sp. 395). 36 Valvanera, seu coenobium S. Mariae de Valvanera, est in Rivigoja seu Rioja supra urbem Najeram (AA SS [wie Anm. 27] S. 169). 37 [. . .] in Ordinem Benedicti non admissus steht in einer Randnotiz in den AA SS (wie Anm. 27) S. 168. 38 Pérez Escohotado , Santo Domingo (wie Anm. 7) S. 15 - 17. 39 Marinaeus Siculus spricht als erster in Zusammenhang mit Häretikern von einer plaga innumerable de langostas. Zitiert aus González Tejada , Historia de Santo Domingo (wie Anm. 7) S. 45. Vgl. Alberto Caperos Sierra , Comentarios los hagiográfos de Santo Domingo de la Calzada (Logroño 2000) S. 45. 40 Ebd. Robert Plötz 214 <?page no="215"?> großen Mühen, die der heilige Ingenieur wegen seiner geringen Mittel hatte, um die Brücke zu konstruieren, und auch von den Wundern, die ihm Gott zukommen ließ, um den Widerstand, den die Bewohner der umliegenden Dörfer ihm entgegenbrachten, zu überwinden und sie für die Mitarbeit an dem Brückenbau zu gewinnen 41 . In der Vita des San Juan de Ortega wird die Brückenkonstruktion ebenfalls dem hl. Dominikus zugewiesen, obwohl es sich in diesem Zusammenhang um die Rekonstruktion der Brücke gehandelt haben dürfte, die jetzt mit Steinträgern und Bindewerk (Fachwerk) aus Holz ausgestattet wurde. Der Brückenbau geschah nach widersprüchlichen Angaben zwischen 1045 und 1065 und dauerte fünf Jahre 42 . Juan de Ortega, dem in verschiedenen Texten eine Mitarbeit an der ursprünglichen Brücke zugeschrieben wird, konnte schon aufgrund seiner Lebensdaten nicht interveniert (1080 - 1163) haben. Bei den Reparaturarbeiten 1107 hingegen könnte er aber dabei gewesen sein 43 . Nachdem die Brücke errichtet war 44 , baute der hl. Dominikus an dem Ort seiner Eremitenbleibe eine Pilgerherberge 45 , die er selbst betreute und auch versorgte. Das ist der Ursprung des Ortes, der bald seinen Namen trug. Als Alfons VI. auf seinen Heereszügen während der Besetzung der Rioja im Jahr 1076 hier vorbeikam, besuchte er den hl. Dominikus, hieß seine Werke gut und übertrug ihm allen Grund und Boden, den er benötigte. Die königliche Gunst bewirkte, dass sich der neue Ort weiter entwickelte. Als der Heilige am 12. Mai 1109 verstarb, hatte die Ansiedlung, die sich „ Burgo de Santo Domingo “ nannte, schon eine kräftige Entwicklung hinter sich. Seine Schüler legten die Zukunft der „ Casa de la Calzada “ in die Hände des Bischofs von Nájera-Calahorra und begaben sich 1120 in dessen unmittelbare Abhängigkeit 46 . 41 Ad pontis quoque aedificationem, quasi ad opus commune auxilium villarum circumjacentium imploravit (AA SS [wie Anm. 27] S. 168). 42 Post cujus obitum [S. Gregorius] S. Dominicus quinque annos consumpsit in extrutione pontis (Ebd.). 43 Flórez , Espana Sagrada (wie Anm. 27) 27, S. 187. Zitiert aus Vázquez de Parga/ Lacarra de Miguel/ Uría Ríu , Peregrinaciones (wie Anm. 2) 2, S. 163. 44 Dominikus hatte, wie wir sehen konnten, bei seinem Brückenbau anfänglich keine offizielle Unterstützung. Er stellte sich auch gegen die Einflussnahme der Benediktiner und der Mozaraber, denn zu dieser Zeit wurde der mozarabische Ritus durch die römische Liturgie ersetzt. Vgl. Herbers , Geschichte Spaniens (wie Anm. 1) S. 155, und Pérez Escohotado , Santo Domingo (wie Anm. 7) S. 54. 45 Vázquéz de Parga/ Lacarra de Miguel/ Uría Ríu , Peregrinaciones (wie Anm. 2) 2, S. 163. Vgl. María Victoria Sáenz Terreros , El Hospital de peregrinos y la Cofradía de Santo Domingo de la Calzada, desde su fundación hasta la crisis del Antiguo Régimen (Logroño 1986). 46 Vgl. Vázquez de Parga/ Lacarra de Miguel/ Uría Ríu , Peregrinaciones (wie Anm. 2) 2, S. 163. San Domingo de la Calzada - Der heilige Dominikus 215 <?page no="216"?> Noch zu Lebzeiten des Heiligen (1106) weihte der Bischof von Calahorra, Don Pedro Nazar, die Kirche ein, die der hl. Dominikus zu Ehren von Salvador und Santa María errichtet hatte. Später wurde diese Kirche zur Stifts- und Domkirche erhoben. Im Jahr 1152 begann man mit einem Wiederaufbau, und 1180 konnte man in ihr wieder Messe lesen. Der Kirchenbau ist, obwohl er viele Ausbesserungen und Veränderungen erlebte, einer der frühsten gotischen Bauten in Spanien und belegt den Einfluss der Architektur aus dem Südwesten Frankreichs 47 . Im Leben des hl. Dominikus können wir zwei Etappen unterscheiden. Die erste ereignete sich während der Herrschaft des García, „ el de Nájera “ (1003/ 04 - 1035) und der des Sancho „ el de Peñalén “ (1054 - 1076), dessen Herrschaft 1076 endete, in dem Jahr also, als Alfons VI. die Rioja in das Königreich Kastilien aufnahm. Während der Zeit der Könige von Nájera erlebte der hl. Dominikus eine religiöse Dominanz der Benediktiner, deren Regel Sancho III. García „ el Mayor “ (1009 - 1035) in seinem Reich eingeführt hatte. Nach 1076 unterstützte Alfons VI. die Reform von Cluny 48 und setzte auch in Nájera Cluniazenser ein. Alfons I. von Aragón und Navarra, „ el Batallador “ (1104 - 1134), Stiefsohn von Alfons VI., müsste, auch wenn er den hl. Dominikus nicht persönlich kannte, zumindest Information über dessen Unternehmungen und tugendhaftes Wirken gehabt haben, jedenfalls zeigte sich Alfons immer als ein entschiedener Förderer seiner Gründung. 15 Jahre nach dem Ableben des Heiligen gestand Alfons im Jahr 1124 allen Belangen und Unternehmungen, die den Heiligen und seinen Nachlass betrafen, Freiheit und Schutz zu: Häuser, Menschen und Vieh. Alfons fügte hinzu: Und jeder, ob er mir geneigt ist oder mich hasst, oder der sich irgendetwas von mir erwartet, solle diese Verfügung und meine Anordnungen zur Kenntnis nehmen 49 . Später übertrug er ihm noch Häuser und Land von Jubarte (Olgobarte), und 1133 gestand ihm der König alles zu, was er mit der Burg von Bilivio besaß, die er in Bañares zu eigen hatte 50 . In der Formelhaftigkeit der Zeit lautet die mittellateinische Urkunde: Er sagt, er mache die Schenkung ad honorem Dei et sancti eius Dominici et ad consolacionem vel sustentacionem pauperum clericorum sive laicorum Deo ibidem servientium sive etiam causa Christi peregrinantium 51 . Die zunehmende Bedeutung der neuen Ansiedlung führte zu einem Disput über ihre rechtliche Einordnung zwischen den Bischofssitzen von 47 Ebd. 48 Über das Vordringen von Cluny in Spanien vgl. Herbers , Geschichte Spaniens (wie Anm. 1) S. 152 - 154. 49 Cartulario de Santo Domingo de la Calzada, fol. 11 v. o - 12. Zitiert nach Vázquez de Parga/ Lacarra de Miguel/ Uría Ríu , Peregrinaciones (wie Anm. 2) 2, S. 164. 50 Ebd. Cartulario, fol. 12. 51 Ebd. Cartulario, fol. 12 v. Robert Plötz 216 <?page no="217"?> Burgos und Calahorra, deren Diözesangrenzen in dieser Region verliefen. Alfons VII. (1126 - 1157) sprach sich letztendlich zugunsten von Calahorra aus. Diese Entscheidung fand im Jahr 1137 statt und beinhaltete die Aussagen der geladenen Zeugen, unter anderem, dass die Kirche des hl. Dominikus in den Gemarkungen von San Model (San Emeterio) errichtet worden sei, wo es vor kurzem noch eine Burg gab, und in der Region von Sonsoto und Pino de Yuso 52 . Die Angelegenheit gelangte bis vor den Papst, der ebenfalls zugunsten der Diözese Calahorra entschied. Die oben erwähnten Ortschaften verschwanden, die Bewohner wanderten ab. Vielleicht verlegten sie ihren Wohnsitz in den Ort Santo Domingo de la Calzada 53 . Der Heilige, der sein ganzes Leben hingab, um die Leiden der Pilger zu lindern, hörte auch nach seinem Ableben nicht auf, sie zu beschützen. Die Legende des Heiligen berichtet von wunderhaften Heilungen hilf- und schutzloser Pilger 54 . Einmal ist es ein französischer Ritter, der aufgrund seiner Sünden vom Teufel besessen war, und der, um sich von ihm zu befreien, sich zu einer Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela aufmachte. Aber als er in Santo Domingo de la Calzada Halt machte und sich zum Grab des hl. Dominikus begab, fühlte er sich im gleichen Moment von dem schlechten Geist befreit. Ein anderes Mal ist es ein deutscher Pilger namens Bernard, der sich gegen Ende des 14. Jahrhunderts auf dem Pilgerweg befand. Er wird am Heiligengrab von einer eitrigen Augeninfektion geheilt. Oder ein französischer Pilger aus der Normandie erlangte wieder die Sehkraft eines Auges, die er vollkommen verloren hatte. Der hl. Dominikus trägt mehrere Ehrentitel wie Bienaventurado (= Seliger: Pedro de la Vega - 1521), confesor (= Bekenner: R. Ribadeneyra - 1599), santísimo confesor (= heiligster Bekenner), Abrahan de la Rioja (José González Tejada - 1702), und noch um 1940 nannte ihn Joaquín de Entrambasaguas: ingeniero del cielo (= Baumeister des Himmels) 55 . Galgen- und Hühnerwunder Aber die populärste Mirakelerzählung, die das Wundergeschehen um den hl. Dominikus verdrängte und in die meisten Pilgerberichten aufgenommen wurde, war das Eingreifen des hl. Jakobus im Galgen- und Hühnermirakel, 52 Vgl. die ausführliche Darstellung der Vorgänge bei Vázquez de Parga/ Lacarra de Miguel/ Uría Ríu , Peregrinaciones (wie Anm. 2) 2, S. 164 Anm. 30. 53 Ebd. 54 Ebd. S. 164 - 167, und José de Salvador , Compendio de la vida y milagros de Santo Domingo de la Calzada (Pamplona 1787). 55 Zit aus Pérez Escohotado , Santo Domingo de la Calzada (wie Anm. 7) S. 7 (Prolog). San Domingo de la Calzada - Der heilige Dominikus 217 <?page no="218"?> das in Schrift und Bild als das am meisten verbreitete „ Wegmirakel “ in Europa betrachtete werden kann 56 . Unzählige Pilger haben seit dem 14. Jahrhundert an dem Spektakel der lebenden Hühner in einem Käfig in der Kathedrale von Santo Domingo de la Calzada auch während des Gottesdienstes teilgenommen. Ohne allzu sehr auf die Entwicklungsstränge und Überlieferungsformen des Galgen- und Hühnerwunders einzugehen, möchte ich doch versuchen, einen kurzen Überblick über das Mirakelgeschehen und seine Lokalisierung in Santo Domingo zu geben. Die Verortung des Mirakelgeschehens am Camino de Santiago trug ebenso zur Sakralisierung des Weges bei wie verschiedene andere Lokaltraditionen. Die dem Papst Calixtus II. zugeschriebene Mirakelerzählung im Lib. II (Libellus Miraculorum) des „ Liber Sancti Jacobi “ 57 (von etwa 1150) soll 1090 stattgefunden haben. Sie hat folgenden Inhalt: Wohlhabende deutsche Pilger kamen auf ihrer frommen Reise nach Toulouse und fanden Unterkunft bei einem habgierigen Wirt. Dieser machte seine Gäste betrunken in der Absicht, sich später ihres Besitzes zu bemächtigen. Er versteckte einen Silberbecher im Gepäck eines der Pilger. Die Reisegruppe brach am nächsten Morgen auf, und wurde von den Häschern des Wirtes verfolgt, festgenommen und des Diebstahls bezichtigt. Der Becher wurde im Reisesack zweier Pilger, Vater und Sohn, gefunden. Nach einigem Hin und Her und einem edlen Wettstreit unter den beiden Pilgern vor dem Richter wurde der Sohn zum Tode verurteilt und gehängt, während der Vater seine Pilgerfahrt fortsetzen durfte. Er betete dort am Altar des Apostels und kehrte nach 36 Tagen zur Richtstätte zurück. Hier traf er wider Erwarten den Sohn noch lebend an, der durch die Hilfe des heiligen Jakobus ’ weder Schmerz noch Hunger und Durst erlitten hatte. Der Apostel, sagte der Sohn, habe ihn die ganze Zeit am Leben gehalten. Der glückliche Vater eilte zum nahe gelegenen Ort, benachrichtigte dort die Leute, die herbeieilten, um das Wunder zu sehen. Für seine böse Tat empfing dann der schlechte Gastgeber seinen gerechten Lohn. Er wurde von der aufgebrachten 56 Vgl. Aus der Fülle der mit dem Thema beschäftigten Literatur Vázquez de Parga/ Lacarra de Miguel/ Uría Riú , Peregrinaciones (wie Anm. 2) 1, S. 575 - 586, Robert Plötz , Res est nova et adhuc inaudita. Motivindex und literarisch-orale Evolution der Mirakelerzählung vom Pilger, der vom Galgen gerettet wurde, Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 44 (1999) S. 9 - 37; Humbert Jacomet , Une géographie des miracles de Saint Jacques propre à l ’ arc mèditerranéen (XIII e - XV e siècles)? Apropos des exempla IV, V et XIV du Codex Calixtinus, in: Santiago e l ’ Italia, Atti del Convegno Internazionale di Studi Perugia 2002, hg. von Paolo Caucci von Saucken (Perugia 2005) S. 291 - 459. 57 Die Mirakelerzählung beginnt mit der Standardformel Memorie tradendum est, quosdam Theotonicos [. . .] (Liber Sancti Jacobi Codex Calixtinus, ed. Klaus Herbers / Manuel Santos Noya [Santiago de Compostela 1998] p. 164 f. lib. II, cap. V). Robert Plötz 218 <?page no="219"?> Menge an demselben Galgen aufgehängt, an dem vorher der junge Pilger hing 58 . Die Motive des Mirakels sind leicht ersichtlich. An erster Stelle steht die Figur des betrügerischen Gastgebers, der im Verlauf der Entwicklung der Pilgerwege sich in der Person des „ schlechten Wirtes “ wieder findet, der, aus der Sicht des Pilgers, einer seiner natürlichen Feinde ist und im Mirakel seine gerechte Strafe erfährt. An zweiter Stelle steht die Unterschiebung eines wertvollen Gegenstandes, hier eines silbernen Bechers, um ein angebliches Verbrechen aufzuklären. Dieses Motiv wird schon in der Bibel erzählt (Gen. 44) und taucht in der hagiographischen und mythischen Literatur immer wieder auf. Das dritte Motiv, das des edlen Wettstreits zwischen Vater und Sohn vor der Verurteilung zum Galgen, steht ganz in der antiken Tradition der Freundschaft zwischen Castor und Pollux 59 . Die Wiederbelebung des erhängten Pilgers als viertes Hauptmotiv ist eines der dominierenden Elemente zum Beweis der Wundermacht der Heiligen und speziell des Apostels Jakobus. Die hagiographischen Quellen führen immer wieder an, dass die unschuldig zum Tode Verurteilten stets mit der Hilfe und dem Schutz des Heiligen rechnen könnten, wenn sie diesen in ihrer Verzweiflung und Not um Hilfe riefen 60 . Die Mirakelerzählung vom gehängten und vom Tode wiedererweckten Pilgers wurde in ihrer ursprünglichen Fassung auf der Zisterzienser- und Dominikanerschiene weiter tradiert und gelangte gegen 1298 zunächst in die lateinische Fassung der „ Legenda aurea “ des Dominikaners Jacobus von Voragine 61 , die dann in fast alle europäischen Volkssprachen übersetzt wurde. Viele Mirakel und Heilige wurden erst durch sie bekannt. Kurz nach Aufnahme in die „ Legenda aurea “ erfuhr das Gehängten- Mirakel motivgeschichtlich seine erste Erweiterung. Im mitteldeutschen Passional wurde im späten 13. Jahrhundert das Motiv der beiden Hühner 58 Übersetzung und Kurzfassung vom Verfasser. 59 „ Vita sanctorum Amici et Ameli carissimorum “ aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts bezieht sich auf das Sinnbild dieser Freundschaft, und der Verfasser des Mirakels im „ Codex Calixtinus “ empfindet diese Episode gar als „ nachahmenswerten Wettstreit der entsagungsvollen Frömmigkeit “ (Liber Sancti Jacobi [wie Anm. 58] S. 165). 60 Friedrich Lotter führt 42 Galgenmirakel auf, die aus dem Zeitraum vom 6. bis zum 15. Jahrhundert stammen und greift größtenteils auf die von Baudouin de Gaiffier erstellten Verzeichnisse zurück (1943, 1953 und 1967): Friedrich Lotter , Heiliger und Gehängter. Zur Todesstrafe in hagiographischen Episodenerzählungen des Mittelalters, in: Ecclesia und Regnum. Beiträge von Geschichte, Recht und Staat im Mittelalter, Festschrift für Franz-Josef Schmale, hg. von Dieter Berg / Hans-Werner Goetz (Bochum 1989) S. 1 - 19. 61 Die noch gültige lateinische Ausgabe ist: Jacobus de Varazze (Voragine), Legenda aurea, vulgo Historia lombardica, ed. Theodor Graesse (Preßburg 1890, Reprint Osnabrück 1965). Vgl. Plötz , Res est nova (wie Anm. 57) S. 12 f. San Domingo de la Calzada - Der heilige Dominikus 219 <?page no="220"?> eingeführt und als konkreter Ort des Mirakels munster festgelegt 62 . Die Erweiterung bestand darin, dass bei der Mitteilung an den Richter, der gehängte Pilger lebe noch, dieser das wunderhafte Geschehen nicht glaubte und auf die beiden hunren wies, die auf dem Herd lagen, und meinte, eher würden die Hühner vom Herd auffliegen, als dass der Jüngling noch am Leben wäre - was die Hühner auch prompt taten 63 . Es war das Zeugnis der „ stummen Kreatur “ 64 , das in diesem Zusammenhang zum ersten Mal erschien. Das Wiederaufleben und Auffliegen gebratener oder in anderen Versionen gekochter Vögel als Beweis für die Wahrheit des Angekündigten, in unserem Fall für den noch lebenden Gehängten, erscheint in vielen Mirakelerzählungen. Die Hühner lebten der Überlieferung nach sieben Jahre 65 und wurden im Käfig am Tag des Heiligen (12. Mai) ausgetauscht: ad perpetuam rei memoriam 66 . Für die ununterbrochene Kontinuität des Mirakels war also gesorgt. Diese Hühner, die weiß sein mussten (albae sunt), wurden in einer interessanten Version im „ Heiligenleben “ (zwischen 1343 und 1349 geschrieben) des frommen Laien Hermann von Fritzlar erwähnt, der nach eigenen Angaben selbst in Santiago gewesen war 67 . Er brachte auch verschiedene Motiverweiterung in die Mirakelerzählung ein, wie er sie selbst in einer Predigt in Santiago gehört haben will. Das Mirakel soll sich seiner Aussage gemäß in einem Ort namens Gelferâte 68 ereignet haben, das mit dem heutigen Belorado am spanischen Pilgerweg identifiziert werden konnte. Hermann brachte auch die Motiverweiterung der Zusammenarbeit von Jakobus und der Muttergottes, die den Pilger während seiner Zeit am Galgen genährt haben soll 69 . Das 62 Karl August Hahn (Hg.), Das alte Passional (Frankfurt am Main 1845) S. 212 - 226, hier: S. 225 Z. 39 und Z. 55. 63 Ebd. 64 Vgl. Leopold Kretzenbacher , Zeugnis der stummen Kreatur. Zur Ikonographie eines Mirakels der Nikolaus von Tolentino-Legende, in: Festschrift Matthias Zender. Studien zu Volkskultur, Sprache und Landesgeschichte 1, hg. von Edith Ennen / Günter Wiegelmann (Bonn 1972) S. 436 - 446. 65 Ubi septennio vivunt (Lucio Marineo Siculo , De rebus Hispanie memorabilibus [1530] lib. V, in: AA SS Julii VI, S. 47 Nr. 184 - 186). 66 Ebd. 67 Am Schluss seines Kapitel über Jacobus erwähnt Hermann: Der diz liz schrîben, der hôrte diz predigen in dirre selben kirchen (Franz Pfeiffer , Deutsche Mystiker des 14. Jahrhunderts. Hermann von Fritslar, Nikolaus von Straßburg, David von Augsburg 1 [Leipzig 1845] S. 168). Zur Problematik der persönlichen Anwesenheit vgl. Plötz , Res est nova (wie Anm. 57) S. 25 Anm. 94. 68 Jan van Herwaarden identifizierte Gelferâte mit dem heutigen Belorado, das sechs Kilometer von Santo Domingo de la Calzada entfernt ist (Saint Jacques dans la tradition littéraire, in: Santiago de Compostela, Ausstellungskatalog Europalia Gent [Brüssel 1985] S. 81). 69 Pfeiffer , Deutsche Mystiker (wie Anm. 68) S. 168. Auch das niederländische „ Liedeken van Sint Jacob “ , der „ Waire Jacob “ lässt die Muttergottes zusammen mit Jakobus auftreten. Vgl. Jan van Heerwarden , Pelgrims door de eeuwen heen (Turnhout 1985) S. 231. Robert Plötz 220 <?page no="221"?> geht ohne Zweifel auf die um diese Zeit immer stärker auftretende Marienverehrung zurück. Die letzte Motiverweiterung verdanken wir einem Hinweis im Reisebericht des französischen Pilgers Seigneur Nompar de Caumont. Hier wurde mit dem silbernen Becher, den aus verschmähter Liebe die Magd des Wirtes dem jungen Pilger unterschoben hatte, das schon in der Bibel aufgeführte Potiphar-Motiv (Gen. 39, 7 - 20) eingebracht 70 . Was hat nun Santo Domingo de la Calzada mit dem Galgen- und Hühnermirakel zu tun? Die Vitensammlung der „ Heiligenleben “ bereicherte die Mirakelerzählung noch um andere wesentliche Neuerungen. Nach mehreren Jahren Aufenthalt in Gelferáte flogen die Hühner zu einer anderen Stadt in vier Meilen Entfernung, di heizit zu sancte Domine 71 . Die Lokalisierung des Galgen- und Hühnermirakels in einem Ort, der selbst ein Sakralangebot aufwies und an einem der meist frequentierten Abschnitten des Jakobus-Weges lag, war nun endgültig literarisch fixiert und geographisch geortet. Den genauen Standort der Hühner in einem Käfig hinter dem Marienaltar gab schon Hermann von Fritzlar an: ist ein han und eine henne und hánt snéwize vederen al zu mále und stén wol vormachit hinder unser vrowen altére mit ísene. Die Hühner ezzen und trinken, und der hane krewit also wol kein ander han. Die Ansiedlung des Galgen- und Hühnerwunders in Santo Domingo de la Calzada war sicherlich schon vorher erfolgt, auch wenn keine Belege darüber existieren. Der Hühnerkäfig und seine quasi sakramentale Bedeutung, die er in der Sicht der Pilger hatte, tauchen schon in einer in Avignon im Jahr 1350 ausgestellten Bulle auf, in der bei der Aufzählung der Reliquien der Kathedrale von Santo Domingo de la Calzada auch die Hühner erwähnt werden. Eine Bulle vom 6. Oktober 1350, die sich im Kathedralarchiv befindet und von Erzbischof Guillermo Efesino und anderen Bischöfen in Avignon ausgestellt worden war, gewährt folgenden Ablass: omnes videntes gallum et gallinam ibidem existentes et alis reliquias in predicta ecclesia contentas humiliter adoraverint et devote 72 . Es sieht fast aus, als ob mit dem Besitz der „ lebenden “ Reliquien das Galgenmirakel in Santo 70 Avoit une servente qui se cointa dudit enfant moult grandement et pour ce qu ’ il n ’ eut cure d ’ elle si fut grandemant indigene contre luy et le nuyt quant dormoit, elle entra en sa chambre et mist une tasse d ’ argent de cellez de l ’ ouste en son echirpe [. . .]. (Jeanne Vielliard , Le Guide du Pèlerin de Saint-Jacques de Compostelle. Texte latin du XII e siècle, édité et traduit en Français d ’ après le Manuscrits de Compostelle et de Ripoll [Macon 2 1950] S. 135). 71 Pfeiffer , Deutsche Mystiker (wie Anm. 68) S. 168. 72 Ausgestellt in Avignon am 6. Oktober 1350. Zur Manuskript-Tradition vgl. Ciriaco Lopez de Silanes / Eliseo Sainz Ripa , Colección Diplomática Calceatense, Archivo de la Catedral (Años 1125 - 1397) (Logroño 1985) S. 161 f., Dok. Nr. 99. San Domingo de la Calzada - Der heilige Dominikus 221 <?page no="222"?> Domingo de la Calzada unwiderruflich verankert werden sollte, damit der sich am Wege befindenden Konkurrenz Einhalt geboten werden konnte. Selbst ein Pilgerzeichen (Blei-/ Zinnguss) reflektiert den lokalen Anspruch und führt gleichzeitig den Heiligen Dominikus als Protagonisten ein, wie es in verschiedenen legendenhaften Erzählungen auch geschieht. Das Pilgerzeichen, das bei Uferarbeiten in der Seine gefunden wurde, stammt vom Ende des 14. Jahrhunderts und zeigt den hl. Dominikus mit ausgestreckten Händen, auf denen eine Henne und ein Hahn sitzen. Rechts zu seinen Füssen befindet sich ein aufgehängter Pilger mit einem Galgenstrick in den Händen 73 . Als Konkurrenz auf dem Wege und in unmittelbarer Nähe ist das neue marianische Zentrum zu verstehen, Santa María de Villasirga in Villalcázar de Sirga, das Alfons X. errichtet und damit den ursprünglichen Pilgerweg von Arconada nach Süden verlegt hatte. In den „ Cantigas “ wurde für Santa María de Villasirga eine besondere Form des Galgenmirakels entwickelt, wobei Maria die Rolle des Apostels Jakobus einnahm 74 . Als einziges Beispiel dieses Vorgangs sei Ludovicus de la Vega erwähnt, der 1606 schreibt: Maria Virgo sanctissima ac Die mater, nec non S. Dominicus Calceatensis hoc in statu vivum, ut ipsa vides, conservarunt 75 . Wobei wir wieder bei Maria wären! Aber in unseren Tagen hat Jakobus das ursprünglich ihm zugeschriebene Mirakel wieder zurückerobert. Die Überzeugungskraft der „ lebenden “ Reliquien, der Hühner, hat das mitbewirkt. Und auch heute noch ist ein Holzteil des angeblichen Galgens zu sehen, an dem der Pilger aufgehängt wurde, und das als Rechtszeugnis aus einer Zeit, in der Rädern in der Strafpraxis üblich war 76 . Ein zusätzlicher Beweis für die Realität des Mirakelgeschehens in Santo Domingo de la Calzada ist die Erwähnung eines 73 Zum Pilgerzeichen, das in Paris gefunden wurde und aus der Zeit gegen Ende des 14. Jahrhunderts stammen könnte, vgl. Robert Plötz , Signa peregrinationis in itinere ad limina beati Iacobi, in: Plenitudo Veritatis. Homenaje a Mons. Romero Pose, hg. von Segundo Leonardo Pérez López (Collectanea Scientifica 26, Santiago de Compostela 2008) S. 475 - 499, hier: S. 494. 74 Überhaupt ist Maria nicht nur als Patronin der großen Kathedralen am Pilgerweg omnipräsent. Vgl. Jesús Arraiza Frauca , Por la ruta jacobea con Santa María (Pontevedra 1993). 75 Zu den Cantigas und der alternativen Mirakelform: Cantigas de Santa María 2, hg. von Real Academia Española (Madrid 1889) S. 247, in neuerer Edition Cantigas de 1 a 100, ed. Walter Mettmann (Madrid 1985) S. 123 - 126. 76 In der älteren Literatur wird neben dem Galgen (una madera de la horca del peregrino) auch noch das Vorhandensein des Hemdes des aufgehängten Pilgers erwähnt (Mariano Barruso , Historia del glorioso Santo Domingo de la Calzada (Logroño 1887) S. 203 - 207). Ich habe das Galgenholz in der Kathedrale vor einigen Jahren auch wahrgenommen. Wie bei anderen Kultorten findet auch in Santo Domingo de la Calzada eine Möblierung und Inszenierung statt, um den Gnadenort zu authentifizieren. Robert Plötz 222 <?page no="223"?> Kapellchens am Ortsausgang in Richtung Burgos, das auf dem Platz errichtet wurde, an dem der Pilger der Überlieferung nach gehängt wurde 77 . Erwähnenswert ist noch die Pilgertradition, dass sich die Pilger Brotstückchen auf ihre Stäbe legten und ihr Reiseschicksal davon abhängig machten, ob die Hühner die Gabe annahmen oder ignorierten. Andere hefteten sich Federn der wundertätigen Hühner an ihren Hut, um, so geschützt durch das „ spirituelle “ Zeichen, ihre Reise fortzusetzen 78 . Vom Pilgerhospital, das der hl. Dominikus gründete, blieb nichts übrig. Zu Lebzeiten des Heiligen verteilte dieser der Überlieferung gemäß auf einer Wiese, die im Norden des Ortes und des Flusses lag, Essen unter den Pilgern. Die Wiese ist unter dem Namen „ Mesa del Santo “ (Tisch des Heiligen) 79 bekannt. Dort stehen sechs mächtige Steineichen, die als Reste eines ausgedehnten Waldes gelten, der sich vorher dort befand. Nach Gründung des Pilgerhospitals vermachte ihm der hl. Dominikus alle seine Güter. Weitere fromme „ Seelen “ unterstützten es durch Stiftungen und Renten. Am 8. Dezember 1216 stellte Papst Honorius III. (1216 - 1227) das Kapitel von Santo Domingo de la Calzada unter seinen Schutz: villam Sancti Dominici eum hospitali eiusdem loco 80 . Im Hospital fanden die Kranken und die Pilger Aufnahme. Um ein Beispiel zu erwähnen: auch Künig von Vach kam dort unter. Gehe jetzt vier Meilen bis Dominicus, das empfehle ich. Im Spital findest du zu trinken und zu essen. Die Hühner hinter dem Altar sollst du nicht vergessen, schau sie dir gut an. Denke daran, dass Gott alle Dinge so wunderbar geschaffen hat, dass diese von dem Bratenspieß weggeflogen sind. Ich weiß sicher, dass es nicht erlogen ist, denn ich selbst habe das Loch gesehen, aus dem ein Huhn nach dem anderen weggeflogen ist, und auch den Herd, auf dem sie gebraten wurden 81 . 77 Vgl. Vázquez de Parga/ Lacarra de Miguel/ Uría Ríu , Peregrinaciones (wie Anm. 2) 2, S. 168, die darauf hinweisen, dass die Pilger Domenico Laffi und Manier dieses Kapellchen erwähnen. Vgl. generell Martin Bugarola , Las tradiciones populares de Santo Domingo de la Calzada, Revista de Dialectología y Tradiciones Populares 4 (Madrid 1950) S. 640 - 649. 78 So berichtet schon Lucius Marinaeus Siculus : Magnae quoque admirationis est, quod omnes per hanc urbem transeuntes peregrini, qui sunt innumerabiles, galli hujus et gallinae plumam capiunt, et numquam illis plumae dificiunt. Hoc ego testor, propterea quod vidi et interfui, plumamque mecum fero (Lib. V, fol. XXXIIIV - De rebus Hispaniae (wie Anm. 66) S. 47. 79 Vázquez de Parga/ Lacarra de Miguel/ Uría Ríu , Peregrinaciones (wie Anm. 2) 2, S. 168. 80 Biblioteca del Real Academía de Historia, 26, S. 379 f. Zitiert nach ebd. 2, S. 168 Anm. 42. 81 Klaus Herbers / Robert Plötz , Nach Santiago zogen sie. Berichte von Pilgerfahrten ans „ Ende der Welt “ (München 1996) S. 198 f., S. 386 - 395. San Domingo de la Calzada - Der heilige Dominikus 223 <?page no="224"?> Im 18. Jahrhundert hatte das Pilgerhospital einen großen Kreuzgang, von dessen Decke die Haut eines getrockneten Krokodils hing 82 . Im Lauf der Zeit fand eine fromme Stiftung für arme Kranke der Stadt (1735) dort Aufnahme 83 . Im 19. Jahrhundert wurde das Pilgerhospital nach der Säkularisierung in eine Institution der öffentlichen Fürsorge für Santo Domingo de la Calzada umgewidmet, die später in den Franziskanerkonvent umzog 84 . Heute sorgt im Ort neben der Kathedrale ein staatlicher Parador für Gastlichkeit, der in einem alten Pilgerhospital des 12. Jahrhunderts eingebracht wurde, natürlich umgebaut und renoviert 85 . Ausblick Und heute? Der Ort Santo Domingo de la Calzada ist eine der großen Attraktionen des alten iter francorum (Camino francés) und bildet zusammen mit San Millán de la Cogolla, San Juan de Ortega und Clavijo ein mythisches Viereck, das die Kultur der Rioja kontrastreich, vielfältig und doch einheitlich im Raum/ Zeit-Kontext widerspiegelt. Pilger zu Fuß benutzen heute wieder die verschiedenen Herbergen am Weg, Touristen-Pilger steigen gern im Parador ab, um im Schatten der Kathedrale sich an den zehn „ entremeses Parador “ vor dem Hauptgang des Abendessens zu laben. Und die Kathedrale, die Kirche mit dem Grab des hl. Dominikus und dem Hühnerkäfig als Realisierungskomplex des hier angesiedelten Galgen- und Hühnermirakels kann nur besucht werden, wenn man bereit ist, Eintritt zu bezahlen. Die Mirakelwelt des Mittelalters und der Neuzeit lief unter dem Motto „ Unzeitgemäßes im Zeitgemäßen “ - das ist in unseren Tagen gestört und zu einem Panoptikum einer staunenden und leichtgläubigen Welt geworden. Wie kann man sich diesen Wandel vorstellen? Mayte Moreno beschreibt das für das Jubiläum 2009 vorgesehene Festprogramm folgendermaßen: „ Neben zahlreichen Weindegustationen wird 82 So beschreibt es Gabriel Manier im Buch von Marie-Luis-Xavier de Bonnault D ’ Houët , Pélerinage d ’ un paysan Picard à Saint-Jacques de Compostelle au commencement du XVIII e siècle (Montdidier 1890) S. 53. Manier geht auch auf die Verpflegung und Unterkunft ein, also auf die Dinge, die dem Pilger sehr am Herzen lagen, und weist auf die gute Fleischbrühe, auf Bohnen und gutes Brot hin, während er die schlechte Qualität der Betten kritisiert. 83 Gegründet von dem Ehepaar Méndez Gallego. Vgl. Agustín Ruíz de Arcaute , Juan de Herrera (Madrid 1936) S. 86. 84 Vgl. Vázquez de Parga/ Lacarra de Miguel/ Uría Ríu , Peregrinaciones (wie Anm. 2) 2, S. 169. 85 Der Parador befindet sich an der Plaza del Santo neben der Kathedrale und wurde 1965 eröffnet. Robert Plötz 224 <?page no="225"?> auch im Teatro Avenida am 27. Juni das Werk „ La verdadera historia de los hermanos Marx “ aufgeführt “ 86 . Wir befinden uns wieder im 21. Jahrhundert. Resumen: La Rioja es una de las regiones que tiene una relación más estrecha con las tradiciones jacobeas y ha desarrollado una topografía sagrada propia. Tanto la Reconquista como la Repoblación jugaron aquí un papel fundamental. La Rioja era lugar de paso en el Camino Francés y constituía una zona fronteriza de enorme importancia estratégica que, junto con San Millán de la Cogolla, contó con su propio “ santo guerrero ” , al modo del “ miles Christi ” Santiago, en la lucha contra los paganos. Los importantes monasterios de San Millán de Yuso (conocido como la cuna del castellano), Santo Domingo de Silos y Valbanera, así como su posterior reforma por Cluny (después de 1076), contribuyeron, al igual que los esfuerzos realizados para la construcción de puentes y caminos, a que, además de los militares, también los comerciantes, colonos y, sobre todo, los peregrinos, pudieran recibir asistencia espiritual y hacer uso de los caminos sin peligro para sus vidas. Los caminos y puentes de La Rioja del siglo XI y principios del XII se deben en gran parte a los ” santos ingenieros ” Santo Domingo de la Calzada, San Juan de Ortega y San Lesmes, a quien hizo venir de Francia (Abadía La Chaise-Dieu) la Reina Constanza de Burgundia, esposa de Alfonso VI. Estos santos enriquecieron y completaron el “ cielo de los santos ” de La Rioja, en cuya tradición se cuentan mártires romanos, santos de África del Norte, santos visigodos y de Occidente, así como los santos impuestos por los repobladores (San Martín, San Nicolás, San Fides, etc.). La construcción de un gran número de hospitales de mediados del siglo X a mediados del siglo XI (Sahagún, Villa Vascones, Arconada, Nájera y Santo Domingo, Redecilla, Carrión de los Condes, etc.) contribuyó a la promoción de la ruta jacobea. Una de las personalidades más relevantes fue Santo Domingo de Calzada, que se estableció en una zona boscosa del río Oja, donde edifició un hospital y un puente para facilitar a los peregrinos el difícil paso por el río. Recibió un apoyo intenso por parte del rey Alfonso VI. En su biografía se le atribuyen numerosos milagros. Pero fue sobre todo el establecimiento del muy representado milagro del camino, en el que Santiago resucitó a un peregrino ahorcado, el que hizo famoso el lugar entre los peregrinos cristianos de Europa. De especial relevancia son las gallinas asadas que huyeron del horno como testimonio de la “ criatura muda ” . Desde la Edad Media hasta hoy se puede ver estas gallinas, que se han hecho inmortales en la tradición de los peregrinos, en una jaula en la catedral. En Santo Domingo de la Calzada se ha desarrollado una oferta sacra propia, que incluye el centro de actividad atribuido a Santo Domingo. Además, el cercano pueblo de Clavijo está firmemente anclado en las tradiciones jacobeas. 86 Mayte Moreno , Santo Domingo de la Calzada (1020 - 1109), Año Jubilar Calceatense, Peregrino 123 - 124 (2009) S. 10. San Domingo de la Calzada - Der heilige Dominikus 225 <?page no="227"?> Alfons VI. ( † 1109), ein König für die Pilger? Zum 900. Todestag Klaus Herbers I. Einleitung Wer heute mit offenen Augen und Ohren auf dem Camino francés, dem Frankenweg, nach Compostela pilgert, wird immer wieder auf den Namen Alfons VI. stoßen. Als Alfons VI. am 30. Juni 1109 in Toledo starb, hatte er eine intensive und fruchtbare Regierungszeit hinter sich: Die Vergrößerung des kastilisch-leonesischen Reiches nach Süden und Osten, die Aussöhnung mit dem Cid, Sicherung der Herrschaft in Galicien durch Raimund, den Ausbau der königlichen Kanzlei, die Sorge um das religiöse Leben und vieles andere mehr könnte man nennen. Eine kurze Würdigung für diesen Sammelband sollte aber anders ansetzen: Alfons gilt als Förderer und Sicherer des Pilgerweges im nördlichen Spanien. Deshalb möchte ich kurz einige wichtige Aktivitäten des Herrschers vorstellen, um diese Aspekte dann in den größeren Zusammenhang der Herrschaft Alfons ’ und der iberischen Geschichte dieser Zeit einzuordnen 1 . 1 Die Fußnoten habe ich auf das wichtigste beschränkt. Vgl. an neueren, synthetisierenden Arbeiten zu Alfons VI.: Carlos Estepa Díez , El reinado de Alfonso VI. (Madrid 1985); Estudios sobre Alfonso VI y la Reconquista de Toledo. Actas del II Congreso Internacional de Estudios Mozárabes (Toledo, 20 - 26 Mayo 1985) 2 Bde. (Instituto de Estudios Visigótico-Mozárabes de Toledo. Serie historica 4 - 5, Toledo 1987 - 1988); Bernard F. Reilly , The Kingdom of León-Castilla under King Alfonso VI. 1065 - 1109 (Princeton 1988); Antonio Linage Conde , Alfonso VI, el rey hispano y europeo de las tres religiones (1065 - 1109) (Corona de España. Reyes de León y Castilla 17, Burgos 1994); Andrés Gambra , Alfonso VI. Cancillería, curia e imperio 2 Bde. (Colección Fuentes y estudios de historia leonesa 62 - 63, León 1997 - 1998); José María Mínguez , Alfonso VI. Poder, expansión y reorganisación interior (Hondarribia 2000). Ich folge in manchen Teilen meiner Gesamtdarstellung: Klaus Herbers , Geschichte Spaniens im Mittelalter. Vom Westgotenreich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts (Stuttgart 2006). Dort finden sich auch weitere Literaturangaben sowie die Tafeln und Karten, die den Vortrag begleitet haben. <?page no="228"?> II. Ein alfonsinischer Pilgerweg? Sieht man in den berühmten Pilgerführer des „ Liber Sancti Jacobi “ aus dem 12. Jahrhundert, so wird der königliche Name an folgender Stelle genannt: Diese Tafel ließ Diego II., Bischof von Santiago, im fünften Jahr seines Episkopats schaffen. Er hat aus dem Schatz des hl. Jakobus fünfundsiebzig Silbermark bezahlt. Und unten finden sich folgende Worte: Als dieses Werk vollendet wurde, war Alfons König, dessen Schwiegersohn Raimund Herzog und der Obengenannte Bischof 2 . Diese Notiz dient eher der Datierung, zeigt aber zumindest, dass Alfons am Pilgerort auch mit Unterstützung seines Schwiegersohnes, des Grafen Raimund, den Bau der Kathedrale förderte. Häufiger sind jedoch die Belege zu Alfons in Zusammenhang mit dem Weg. Schlägt man das Register im Standardwerk von Vázquez de Parga, Lacarra und Uría Ríu auf 3 , so stößt man auf eine Fülle von Einträgen zu Alfons VI., die damit beginnen, dass in der Zeit dieses Herrschers die Pilgerfahrten nach Santiago einen bedeutenden Aufschwung nahmen (I 469). Es folgen Registerverweise zum Pilgerschutz (II 20 - 21 und I 263) und zur Förderung von Hospitälern (I 300). Dabei fällt auf, dass Alfons immer wieder Burgos und die dortigen Hospitäler ausstattete. Insbesondere gründete er dort neben dem großen kaiserlichen Hospital (hospital del Emperador) (II 187 und 202) zwei weitere Hospitäler (II 184). Siedler, die sich in Burgos ansiedeln wollten, befreite er von Abgaben (I 474), außerdem gewährte er zahlreiche Sonderrechte für die aus Frankreich kommenden franci, die in den Stadtrechten, sogenannten fueros, niedergelegt wurden. Deshalb wurden Franken vor allem in den Orten am Pilgerweg seit dieser Zeit verstärkt angetroffen, die den fremden Pilgern entsprechend Hilfe gewähren konnten, zum Beispiel konnte das Sprachproblem auf diese Weise vielfach gelöst werden. Neben Burgos förderte Alfons besonders Sahagún, das fast wie eine multiethnische Stadt erscheint. Die anonyme Chronik von Sahagún berichtet, wie dort verschiedene Handwerker zusammenkamen, so zum Beispiel Schmiede, Schreiner, Schuhmacher, Gerber, Schildmacher. Sie verrät außerdem, und dies erleichtert die Gesamteinordnung, daß die neuen Städter nicht nur aus der Umgebung 2 Liber Sancti Jacobi. Codex Calixtinus, ed. Klaus Herbers / Manuel Santos Noia (Santiago de Compostela 1998) S. 255; deutsch: Klaus Herbers , Der Jakobsweg. Ein Pilgerführer aus dem 12. Jahrhundert (Reclams Universal-Bibliothek 18580, Stuttgart 2008) S. 136. Allgemein zu den Pilgerfahrten Ders ., Jakobsweg. Geschichte und Kultur einer Pilgerfahrt (C. H. Beck Wissen, Beck ’ sche Reihe 2394, München 2006, 2. Aufl. 2007), auch als Hörbuch 2008. 3 Luis Vázquez de Parga / José María Lacarra / Juian Uría Ríu , Las peregrinaciones a Santiago de Compostela 3 Bde. (Madrid 1948 - 1949). Klaus Herbers 228 <?page no="229"?> kamen, sondern aus anderen Ländern, denn im Anschluß werden Gascogner, Bretonen, Deutsche, Engländer, Burgunder, Normannen, Tolosaner, Provenzalen, Lombarden und viele weitere Händler genannt. In Sahagún stärkte Alfons aber zudem - ähnlich wie in Nájera (II 157) - den Einfluß der Mönche von Cluny. Alfons versicherte sich des Gebetes in beiden Gemeinschaften und der Mutterabtei Cluny. Beide Orte - Nájera und Sahagún - waren aber wichtige Etappen auf dem Pilgerweg, und auch für diese von Alfons geförderten Klostergemeinschaften galt, dass sie entsprechend der Benediktsregel Pilger beherbergen und beköstigen sollten. Zölle, zum Beispiel in Valcarcel, schaffte der König ab (I 261) und begünstigte damit gleichzeitig die Pilger, die zwar grundsätzlich Zollfreiheit genossen, aber trotzdem zuweilen ausgenommen wurden. In León entstand in seiner Regierungszeit die Santiago-Kirche sowie diejenigen zu Ehren der Heiligen Marcelo und Adrian (I 297); dort unterstützte Alfons das bei S. Marcelo gelegene Hospital (II 255). Wenn wir von Alfons außerdem wissen, dass er nicht nur mehrfach Santiago, sondern auch Santo Domingo de la Calzada besuchte, dass mehrere normative Satzungen dem Schutz der Pilger galten (II 20 - 21, I 263 n. 29) und dass auch der Weg nach Santiago immer wieder in seinen Dokumenten erwähnt wird, dann könnte man glauben, er sei ein König der Pilger gewesen. III. Merkmale der Herrschaft Alfons VI. War Alfons VI., dessen 900. Todestag wir 2009 begehen, wirklich ein König für die Pilger? Welchen Stellenwert besaßen Jakobus und das Pilgern in seiner Regierungszeit? Versuchen wir nun einen breiter angelegten Blick auf die Person und seine Herrschaft. Sein Vater Ferdinand I. (1035/ 38 - 1065) ist Jakobusfreunden deshalb bekannt, weil seine Person mit der Eroberung von Coimbra 1064 verbunden ist; bei dieser Belagerung soll Jakobus erstmals einem Pilger als Reiter erschienen sein und beim Sieg der christlichen Truppen geholfen haben 4 . Als Ferdinand 1065 starb, wurde das Reich unter 4 Historia Silense, ed. Justo Pérez de Urbel / Atilano González Ruíz-Zorrilla (Escuela de Estudios Medievales 30, Madrid 1959) S. 190 - 193. Zu dieser Edition, welche nicht in allen Punkten der Edition von Francisco Santos Coco (Madrid 1921) überlegen ist, vgl. Claudio Sánchez Albornoz , De nuevo sobre la Crónica de Alfonso III y sobre la llamado Historia Silense, Cuadernos de Historia de España 37 - 38 (1963) S. 292 - 317 (wiederabgedruckt in: Ders. , Investigaciones sobre la historiografía hispana medieval [Buenos Aires 1967] S. 235 - 263, besonders S. 249 - 263). Zweite Version: Liber S. Jacobi (wie Anm. 2) S. 175, deutsch: Libellus Sancti Jacobi: Auszüge aus dem Jakobusbuch des 12. Jahrhunderts. Ins Deutsche übertragen und kommentiert von Hans-Wilhelm Klein und Klaus Herbers (Jakobus-Studien 8, Tübingen 1997) S. 100 - 103. Alfons VI. ( † 1109), ein König für die Pilger? Zum 900. Todestag 229 <?page no="230"?> seine Söhne geteilt: Sancho II. (1065 - 1072) erhielt Kastilien, Alfons VI. León und García das im Nordwesten gelegene Galicien. Verbunden waren damit teilweise Rechte auf die Tribute der muslimischen Kleinkönigreiche. Alfons gewann mit León das Anrecht auf die Zahlungen des Taifenreiches von Toledo, Sancho mit Kastilien die Tributrechte von Zaragoza. In der Folge versuchte zunächst Sancho, eine gewisse Oberhoheit durchzusetzen, errang aber mit der Absetzung Garcías 1071 für sich nur einen Zwischenerfolg, obwohl García knapp zwanzig Jahre bis zu seinem Tod 1090 in Galicien inhaftiert blieb. Alfons floh damals in das noch muslimische Taifenreich von Toledo. Sancho ließ sich daraufhin auch zum König von León krönen. Wenig später wurde Sancho jedoch von einem Attentäter, vielleicht einem Vertrauten seiner Schwester Urraca, umgebracht. Sie soll, so heißt es, Alfons VI. besonders geliebt und ihm deshalb mit dieser Tat zum Thron verholfen haben. Der Mordverdacht fiel sogar zunächst auf Alfons selbst und seine Entourage. Als Alfons in der Folge 1072 die Herrschaft über alle drei Reiche antrat, mußte er laut literarischer Überlieferung in Burgos im Angesicht des bekannten Cid (Rodrigo Diaz de Vivar), der den kastilischen Adel anführte, angeblich einen Reinigungseid leisten 5 . Alfons ’ Regierungszeit läßt sich am besten in eine Phase der Expansion 1072 - 1086 und eine Zeit der Konsolidierung und Rückschläge (1086 - 1109) einteilen, die ich kurz charakterisieren möchte, um dann zu einigen allgemeinen Charakteristika seiner Regierungszeit zu kommen. 1. Expansion Mit seinem Titel Rex Hispaniae machte Alfons VI. programmatisch geltend, als was er sich ansah. Die ersten territorialen Erfolge errang er in den Jahren 1072 - 1086 zunächst im Osten. Als 1076 Sancho IV. von Navarra ermordet wurde, besetzte der aragonesische Herrscher Sancho I. Ramírez (1063 - 1094) daraufhin Navarra und Pamplona und vereinigte Navarra und Aragón, während Alfons ebenso Teile Navarras, die Rioja, Álava und die Vizcaya annektierte (1087). Damit war Navarra verkleinert, und Alfons konnte Kastilien weit nach Osten vorschieben. Die zweite Expansionsrichtung zielte nach Süden. Gegenüber den muslimischen Taifenreichen setzte Alfons VI. zunächst die Politik seiner Vorgänger fort und zog aus Tributen wirtschaftliche Vorteile, wechselte aber bald zu aktiver militärischer Eroberung. Nach den Aufzeichnungen ‘ Abd ’ Alla¯ hs 5 Vgl. hierzu: Richard Fletcher , The Quest for El Cid, Oxford 1991; deutsch: Ders ., El Cid. Leben und Legende des spanischen Nationalhelden (Berlin 1999) S. 189 f. und Gonzalo Martínez Diez , El Cid histórico. Un estudio exhaustivo sobre el verdadero Rodrigo Díaz de Vivar (Barcelona 1999) S. 71 f. (der Eid ist demnach fiktiv). Klaus Herbers 230 <?page no="231"?> (1077 - 1090), des Taifenherrschers von Granada, soll Graf Sisnando Davídiz, ein Gesandter Alfons VI., in Granada etwa folgendes gesagt haben: Vor der Eroberung durch die Araber gehörte ganz Al-Andalus den Christen. Nun wollen sie das zurückholen, was ihnen mit Gewalt abgenommen wurde. Damit aber das Ergebnis endgültig ist, muß man euch schwächen und dann hinwegfegen. Wenn ihr kein Geld und keine Soldaten mehr habt, werden wir das Land mit geringstem Aufwand zurückerobern 6 . Allerdings ging die hier gemachte Rechnung nicht ganz auf, wie die Entwicklung in Toledo verdeutlicht. Ursprünglich hatte König Alfons VI. während der Thronstreitigkeiten gute Beziehungen zu den örtlichen muslimischen Machthabern gepflegt. Dort herrschte bis 1075 al-Ma ’ mún, ein Mäzen für Kunst, Poesie und Wissenschaft; er hatte Alfons VI. Schutz vor den Verfolgungen seines Bruders Sancho II. gewährt. Aber unter dessen Nachfolger al-Qa¯ d ˙ ir (1075 - 1085) geriet das toledanische Taifenreich in eine Krise. Al-Qa¯ d ˙ ir floh 1080 vor seinen Untertanen und bat Alfons VI. um Hilfe. Mit der Unterstützung des kastilisch-leonesischen Königs kehrte al- Qa¯ d ˙ ir 1081 nach Toledo zurück, wurde dadurch aber noch stärker von Alfons VI. abhängig und konnte seine Position in Toledo letztlich nicht mehr festigen. Als schließlich einige seiner Gegner sogar eine Herrschaftsübernahme durch Alfons befürworteten, ging der christliche König darauf ein. Im Anschluß an einen Beutezug in Richtung Sevilla Ende des Sommers 1084 wurde ihm nach kurzer Belagerung am 6. Mai 1085 die Stadt übergeben. Alfons ernannte zunächst Graf Sisnando Davídiz als Stadtherr. Alle Einwohner Toledos - Muslime, Juden und Christen - sollten gleichberechtigt unter der Herrschaft Alfons ’ VI. weiterleben. Das somit durchaus angestrebte „ tolerante “ Zusammenleben (Convivencia) stieß schon bald an Grenzen, vor allem, als die aus Burgund stammende Königin sowie der französisch geprägte Klerus, die Alfons unterstützt hatten, sich gegen eine Gleichbehandlung aussprachen. Bernhard von Sauvetat, ehemals Abt von Sahagún, und nun neuer Erzbischof von Toledo, besetzte die Moschee, um schnell über eine Kathedrale zu verfügen 7 . 6 Évariste Lévi-Provençal , Les «Mémoires» de Abd Allah, dernier roi ziride de Grenade (conclusión), Al-Andalus 4 (1936), S. 29 - 146, besonders S. 35 f. 7 Ludwig Vones , Reconquista und Convivencia. Die Könige von Kastilien-Léon und die mozarabischen Organisationsstrukturen in den südlichen Grenzzonen im Umkreis der Eroberungen von Coïmbra (1064) und Toledo (1085), in: Die Begegnung des Westens mit dem Osten. Kongreßakten des 4. Symposions des Mediävistenverbandes in Köln 1991 aus Anlaß des 1000. Todesjahres der Kaiserin Theophanu, hg. von Odilo Engels / Peter Schreiner (Sigmaringen 1993) S. 221 - 242, besonders S. 232 f. Vgl. auch Klaus Herbers , Die Mozaraber - Grenzgänger und Brückenbauer. Einführende Bemerkungen, in: Die Mozaraber. Definitionen und Perspektiven der Forschung, hg. von Matthias Maser / Dems . (Geschichte und Kultur der Iberischen Welt 7, Berlin 2011) S. 3 - 9, hier: S. 8. Alfons VI. ( † 1109), ein König für die Pilger? Zum 900. Todestag 231 <?page no="232"?> Das Beispiel zeigt, wie schnell die ursprünglich geplante Convivencia in Gefahr geraten konnte, vor allem, wenn verschiedene Interessen konkurrierten. Der ehemalige Cluniazenser und neue Erzbischof Bernhard blieb nicht allein, denn Alfons ersetzte den „ gemäßigten Politiker “ Sisnando Davídiz durch den Grafen Pedro Ansúrez, der zu den Befürwortern eines harten Kurses gegenüber den Muslimen gehörte. Dennoch gab es in Toledo noch bis ins 14. Jahrhundert zwei Vorsteher für die beiden religiösen Gruppen (denen noch die Juden hinzuzufügen wären). Muslime besaßen formell die Möglichkeit, sozial aufzusteigen, aber durch die Ansiedlung von franci, Personen aus dem ehemaligen karolingischen Frankenreich, besonders aus Frankreich, die ihrerseits ein eigenes, besonders vorteilhaftes Recht erhielten, wurden sie häufig in den sozialen Abstieg gedrängt. Auch die arabische Sprache blieb in Toledo mindestens bis ins 13. Jahrhundert geläufig 8 . Trotz der skizzierten Folgeprobleme war die Eroberung Toledos für das christliche Spanien wichtig, stand doch nun die alte Hauptstadt des Westgotenreiches, die man in Asturien im 8. und 9. Jahrhundert so gepriesen, dann in Oviedo und León imitiert hatte, wieder unter christlicher Herrschaft. Toledo wurde das Zentrum von „ Neukastilien “ und übernahm langfristig die Bedeutung der Stadt León, mit der sie aber noch lange konkurrierte. Alfons VI. bezeichnete sich entsprechend als imperator toletanus. Manchmal nannte er sich auch Kaiser der beiden Religionen, weil Muslime in seinem Herrschaftsbereich verblieben waren. Vielleicht sollte dieser Titel wie ein weiterer (Imperator, constitutus super omnes Hispaniae nationes) aber vor allem ausdrücken, daß er, Alfons, Anspruch auf die gesamte Hispania erhob. In dieses vermutete Konzept paßt der Plan des Königs, eine Art Schutzherrschaft über den gesamten Süden aufrichten und durch eigene Amtsträger verwalten zu lassen. Verhindert wurde die Ausführung in jedem Fall durch die Eroberungen der aus Nordafrika kommenden muslimischen Almoraviden, die bereits 1086 Südspanien zu erobern begannen und nach dieser Zeit keine weiteren großen militärischen Erfolge Alfons ’ VI. mehr zuließen, so dass 1086 als ein Einschnitt gelten kann. 2. Konsolidierung und Rückschläge Schon eher waren eine Sicherung und ein weiterer Ausbau der christlichen Eroberungen durch den „ Cid “ möglich. Nicht nur bei Pilgern bekannt ist der Torbogen in Burgos, der unter anderem diesen Kämpfer als Held Kastiliens darstellt. Der Cid ist allerdings so sehr zum Mythos geworden, daß Realität 8 Christian Sassenscheidt , Mozarabes und Castellanos im Toledo des 12. Jahrhunderts. Die Entwicklung des Toledaner Doppelalcaldentums, in: Die Mozaraber (wie Anm. 7) S. 125 - 150. Klaus Herbers 232 <?page no="233"?> und literarische Überhöhung kaum zu scheiden sind. An seiner Person lassen sich zugleich die vielfältigen Interessen und Vorgehensweisen in dieser Zeit gut ablesen 9 . Der in Vivar bei Burgos geborene kastilische Heerführer, der anfangs auch als Campeador (Bannerträger) bezeichnet wurde, Rodrigo Díaz hatte zunächst nur mäßig gute Beziehungen zum Alleinherrscher Alfons, dies hing auch mit den geschilderten Ereignissen von 1072 zusammen. Alfons entsandte ihn 1079 nach Sevilla, wo er die Tributzahlungen des dortigen Taifenherrschers einziehen sollte. Als Rodrigo aber 1081 in das Reich von Toledo einmarschierte, zu dem Alfons VI. in dieser Zeit gute Beziehungen pflegte, verfiel er dem königlichen Zorn, der ira regia, und wurde des Landes verwiesen. Es war der erste schwere Konflikt zwischen König und Lehnsmann. Es folgte eine Phase verschiedener Unternehmungen, und seine Erfolge brachten ihm den Namen „ El Cid “ ein, den wohl Muslime zuerst verwendeten (von arabisch sayyid: Herr). Nachdem erstmals die berberischen Almoraviden den Christen bei Sagrajas (al Zalla¯ qa) 1086 eine schwere Niederlage beigebracht hatten, akzeptierte Alfons VI. den Cid wieder als Lehnsmann. Er vertraute ihn dem Schutz des Taifenherrschers von Valencia an, des ehemaligen Toledaner Königs al-Qa¯ d ˙ ir. Alle Länder in der Levante, die er erwerben würde, sollten ihm erblich zustehen. Als der Taifenkönig von Zaragoza und der Graf von Barcelona al-Qa¯ d ˙ ir das Reich von Valencia belagerten, sprengte der Cid den Belagerungsring. 1089 fiel der Cid erneut in Ungnade, da er seine Truppenbewegungen nicht mit denjenigen Alfons VI. koordinieren wollte; 1090 verstärkte er dann seine Stellung als Schutzherr von Valencia und nahm den Grafen von Barcelona gefangen (Schlacht von Pinar de Tevar). Nach den Erfolgen der Almoraviden in weiten Teilen von al- Andalus sicherte der Cid Valencia von Süden her ab und baute seine Stellung dort aus. Alfons VI. versuchte 1092 selbst, die Stadt zu erobern, überließ aber dann dem Cid die Interessenswahrnehmung im ganzen Gebiet von Valencia. Rodrigo de Vivar, der Cid, blieb ohne männlichen Erben. Als er am 10. Juli 1099 starb, konnte seine Witwe die Stadt Valencia noch bis August 1101 halten, doch die Hilfe Alfons ’ VI. im März 1102 kam zu spät; er mußte den angreifenden Almoraviden die Stadt überlassen, die er zuvor noch in Flammen aufgehen ließ. Die Geschichte des Cid vermittelt das Bild eines ruhelosen Kämpfers, der mehrfach die Fronten wechselte, in mehrere Konflikte mit seinem Lehnsherrn geriet, schließlich aber doch die christliche Sache verteidigte. So hat es auch die Dichtung von seinen Taten im 13. Jahr- 9 Zum Cid und seinem Nachleben vgl. mit den entsprechenden Nachweisen: Fletcher , The Quest (wie Anm. 5); Martínez Diez , El Cid histórico (wie Anm. 5) mit den einschlägigen Nachweisen. Alfons VI. ( † 1109), ein König für die Pilger? Zum 900. Todestag 233 <?page no="234"?> hundert in epischer Form festgehalten 10 . Damit wurde er auch zum Prototyp des Reconquista-Kämpfers, der zugleich Kastilien als Träger dieser Kämpfe stilisierte. Jedoch ist zu bedenken: Diese mythische Überhöhung des Cid erfolgte in verschiedenen Schritten nach seinem Tod und begann im Kloster Cardeña, wo er zunächst seine letzte Ruhe fand. Erst dort wurde er durch den Grabeskult immer stärker zu einem Art Helden Kastiliens und der Reconquista stilisiert. Später wurde er dann in der Vierung der Kathedrale von Burgos bestattet. Die Konstruktion eines typischen Reconquistakämpfers in der Gestalt des Cid blieb bis in die Neuzeit wirkmächtig und transportiert eher die allgemeinen Vorstellungen von der Rolle Kastiliens und der Reconquista, die man zunehmend mit seiner Person verband. Entkleidet man den Cid jedoch der verschiedenen mythischen Überhöhungen, so erschließen sein Lebensschicksal und die damit verbundenen Erzählungen ebenso, daß die Kämpfe dieser Zeit von verschiedenen, auch nichtreligiösen Motiven getragen werden konnten und daß Schlachtenerfolg zuweilen den Aufstieg von zunächst nicht hervorgehobenen Personen begünstigten konnte. 3. Persönliche Verflechtungen In die Regierungszeit Alfons ’ VI. fielen nicht nur wichtige militärische Entscheidungen, sondern diese waren von großen Umstrukturierungen begleitet, die oft mit dem Stichwort der „ Europäisierung “ bezeichnet werden. An dieser Stelle sind stichwortartig zumindest die noch eigens zu würdigenden Bezüge des Herrschers zum Kloster Cluny sowie seine Heiratspolitik zu erwähnen. Die Ehen, die Alfons mit Agnes von Poitou, mit Konstanze von Burgund, mit Bertha von Burgund (? ) und mit Zaida-Isabella schloß 11 , deuten politische Ziele an. Die Ehen seiner Töchter Urraca und Teresa mit den beiden Grafen Raimund und Heinrich von Burgund unterstreichen weiter, wie die eigenen Heiraten, vor allem mit Bertha, erst der Anfang sein sollten, um ein weitgespanntes personales Netz nach Osten zu weben. Schon die zweite Heirat Alfons ’ mit Konstanze, der Tochter des Herzogs Robert I. von Burgund (1032 - 1075), hatte in diese Richtung gezielt; neben den Kapetingern gehörte auch das Grafenhaus von Barcelona zu diesem vielfältigen Netz neuer Bindungen. Daß Alfons darüber hinaus 10 El Cantar del Mio Cid. Übersetzt und eingeleitet von Hans Jörg Neuschäfer (Klassische Texte des Romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben 4, München 1964); vgl. hierzu auch Andreas Blum , Historizität und Fiktion im Cantar de Mio Cid, in: Große Texte des Mittelalters. Erlanger Ringvorlesung 2003, hg. von Sonja Glauch (Erlangen 2005) S. 57 - 81. 11 Vgl. hierzu und zum weiteren die genealogische Tafel bei Herbers , Geschichte Spaniens (wie Anm. 1) S. 358 f. Klaus Herbers 234 <?page no="235"?> seine Tochter Elvira dem Grafen Raimund IV. von St-Gilles (1093 - 1105) zur Frau gab, festigte Bindungen an das Grafenhaus von Toulouse. Diese Heiratspolitik unterstreicht, daß Alfons VI. wie andere Herrscher dieser Zeit versuchte, unter anderem durch Eheschließungen sein Reich unter die führenden europäischen Mächte einzureihen. Mit seinen burgundischen Schwiegersöhnen Heinrich und Raimund, denen er die Grafschaften Portugal und Galicien übertrug, wollte er wohl zunächst den dort recht eigenständigen Adel an sich binden, konnte in der Folge jedoch nicht verhindern, daß beide - vor allem Heinrich in Portugal - ihre Position nutzten, um in ihren Gebieten eine relativ unabhängige, fast konkurrierende Stellung aufzubauen. Als Alfons ’ Sohn Sancho 1107 auf dem Hoftag zu León zum Thronfolger deklariert wurde, sahen sich Raimund und Heinrich von Burgund um ihre Chancen betrogen und schlossen sogar einen Pakt, in dem sie das Reich Alfons VI. unter sich aufteilten. Raimund starb jedoch bereits 1107; aus seiner Verbindung mit Urraca war schon 1105 ein Sohn Alfons Raimundez (später Alfons VII.) hervorgegangen. Da der von Alfons VI. eigentlich vorgesehene Thronfolger Sancho 1108 in der Schlacht fiel, schien beim Tod Alfons ’ VI. 1109 das weitere Schicksal des Reichs ungewiß. Begraben wurde der Herrscher in dem von ihm geförderten Kloster Sahagún, das Kontakte zu Cluny entwickelt hatte 12 , und seine vier Frauen ruhen gemeinsam in einem Sarkophag neben ihm. 4. Städte, Siedlung und der Pilgerweg nach Santiago Die Europäisierung erscheint zwar auf einer persönlichen Ebene des Herrschers, die Umgestaltungen betrafen aber nicht nur Königtum, Adel und kirchliche Gruppen, sondern sie gehören zugleich in den Zusammenhang größerer wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungen. Ein Zolltarif von Jaca aus der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts (1096 - 1094) zeigt, welche Wirtschaftgüter inzwischen auf dem Landweg mit dem übrigen Europa gehandelt 12 Peter Segl , Königtum und Klosterreform in Spanien. Untersuchungen über die Cluniazenserklöster in Kastilien-León vom Beginn des 11. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts (Kallmünz 1974); Ders ., Die Cluniazenser in Spanien unter besonderer Berücksichtigung ihrer Aktivitäten im Bistum León von der Mitte des 11. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts, in: Die Cluniazenser in ihrem politisch-sozialen Umfeld. Internationales Kolloquium Burg Stolpen bei Dresden (9. - 12. 9. 1996), hg. von Giles Constable / Gert Melville / Jörg Oberste (Vita regularis 7, Münster 1998) S. 537 - 558; Patrick Henriet , Moines envahisseurs ou moines civilateurs? Cluny dans l ’ historiographie espagnole (XIII e - XX e siècles), Revue Mabillon, N. S. 11 (t. 72) (2000) S. 135 - 159; Ders. , Un bouleversement culturel. Rôle et sens de la présence cléricale française dans la péninsule ibérique (XI e - XII e siècles), Revue d ’ Histoire de l ’ Église de France 90 (2004) S. 65 - 80; sowie jüngst Carlos M. Reglero de la Fuente , Cluny en España. Los prioratos de la provincia y sus redes sociales (1071 - ca. 1270) (Fuentes y estudios de Historia leonesa 122, León 2008). Alfons VI. ( † 1109), ein König für die Pilger? Zum 900. Todestag 235 <?page no="236"?> wurden 13 . Der Ort, wo dieser Zoll erhoben wurde, ist ebenso aufschlußreich: Jaca und Pamplona waren Eingangstore für das nordöstliche Spanien: Zu diesen Städten führten die Pässe vom Somport und später von Roncesvalles. Beide Übergänge benutzten auch die Pilger, die das Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela seit dem 11. Jahrhundert aus West- und Mitteleuropa immer häufiger besuchten. Beide Paßorte werden im berühmten Pilgerführer des 12. Jahrhunderts, der für die Pilgerfahrt nach Compostela deutliche Empfehlungen ausspricht, eigens erwähnt 14 . Handel und Pilgerfahrt waren wohl in dieser Zeit häufiger miteinander verknüpft. Dies macht der erwähnte Zolltarif von Jaca in seiner Schlußpassage deutlich: Nach der Aufzählung der Gebühren für verschiedene Produkte heißt es, Pilger seien frei von jeder Zollabgabe; bei den Bündeln von sogenannten Pilgerkaufleuten (romei mercatores) solle man schätzen, was für den Hin- und Rückweg benötigt werde, und den Rest verzollen. Religiöses und Weltliches ließ sich in dieser Zeit nicht so leicht wie heute scheiden 15 . Händler und Pilger - teilweise in einer Person - unterstützten also die Austauschprozesse, die für den Adel und kirchliche Personengruppen schon kurz skizziert worden waren. Sie kamen jedoch, ähnlich wie Krieger, die sich an den Reconquista-Kämpfen beteiligten, meist nur zeitweilig nach Spanien. Anders die zahlreichen Siedler: Diese bevölkerten die eroberten Gebiete und ließen sich häufig auch in den neu entstehenden Städten nieder. Im christlich beherrschten Spanien wird der Prozeß der Stadtentwicklung wie in anderen Gegenden Europas seit dem 11. Jahrhundert faßbar. Dabei dürfte der Einfluß städtischer Vorbilder im muslimischen Spanien weniger bestimmend als derjenige der europäischen Nachbarn gewesen sein. Alte römische Städte oder Siedlungen wurden nun wieder zu dem, was im lateinisch-europäischen Mittelalter als Stadt galt. Rechtlich wurde die neue Art des Zusammenlebens in den Rechtssatzungen der fueros geregelt; die ersten begegnen in León (1017), in der Pyrenäenzone in Jaca (1077) und in Estella (1090). Händler siedelten sich bei Bischofssitzen an, wie in Santiago de Compostela, Burgos und Lugo oder bei einem wichtigen Kloster, wie zum Beispiel in Sahagún. Die schon zitierte anonyme Chronik von Sahagún berichtet, wie verschiedene Handwerker dorthin strömten 16 . 13 José María Lacarra , Un arancel de aduanas del siglo XI (Zaragoza 1950), Edition S. 19 f.; als Edition auch leicht zu benutzen bei Vázquez de Parga / Lacarra de Miguel/ Uría Ríu , Peregrinaciones (wie Anm. 3) 3, S. 109 Nr. 76. 14 Herbers , Der Jakobsweg (wie Anm. 2) S. 51 f. und öfter; vgl. zum Hintergrund Ders. , Jakobsweg. Geschichte und Kultur (wie Anm. 2) S. 53 - 58. 15 Zur Interpretation vgl. Klaus Herbers , Mitteleuropäische Spanienreisende im Hohen Mittelalter: Krieger und Kaufleute - Pilger und Gelehrte, in: Reisen und Wallfahren im Hohen Mittelalter (Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 18, Göppingen 1999) S. 66 - 93, besonders S. 71 - 77. 16 Crónicas anónimas del Real monasterio de Sahagún, edición critica, notas e índices, ed. Antonio Ubieto Arteta (Textos medievales 75, Zaragoza 1987) S. 19 - 21. Klaus Herbers 236 <?page no="237"?> Die fueros regelten ebenso - ähnlich wie die Stadtrechte im übrigen Europa - das gemeinschaftliche Leben in diesen Städten, sie boten zugleich den fremden Siedlern Vergünstigungen: Keine Abhängigkeit von Grundherren, keine Heeresfolge sowie andere Vorrechte. Viele dieser neuen Orte lagen am Pilgerweg nach Santiago de Compostela. Siedlung und Stadtentstehung im Norden der Iberischen Halbinsel hingen mit dem Aufblühen der europäischen Pilgerfahrten nach Santiago de Compostela zusammen. „ Ausländer “ stellten in diesen Städten ein hohes Kontingent. Die Bevölkerung der Städte am Weg war deshalb stark von „ Fremden “ mitbestimmt, für Pilger meist ein Vorteil 17 . Worauf basierte aber dieser Weg nach Compostela? Er folgte im wesentlichen einer alten Römerstraße, die in der Antike und Spätantike von der südlichen Gallia die Verbindung zu den wichtigen Bodenschätzen in der Gegend von Ponferrada und Astorga hergestellt hatte. Seit Sancho III., vielleicht auch früher, wurden neue Varianten der Wegführung erwähnt, die zugleich neben den Pilgern militärische und wirtschaftliche Bedürfnisse im Auge hatten 18 . Jedenfalls ist die Bedeutung dieses Weges für die immer zahlreicheren Pilgergruppen daran ablesbar, daß Einrichtungen, die der Infrastruktur dienen, Brücken, Hospize, Herbergen - teilweise schon in kommerzieller Trägerschaft - ab dem 12. Jahrhundert in zunehmender Dichte belegt sind, nicht zuletzt durch Privilegierungen Alfons ’ VI. gefördert wurden. An dieser „ Straße “ lagen viele der seit dem 11. Jahrhundert wichtiger gewordenen Städte, in denen auch sogenannte franci siedelten. Einige Beispiele können das gut illustrieren. Das aragonesische Jaca gründete König Sancho Ramírez, der unter anderem allen Siedlern die Freiheit zugestand, Bauwerke zu kaufen und zu verkaufen, Vorschriften für Maße und Gewichte festlegte, persönliche Freiheit verlieh, eine gewisse Unabhängigkeit von der königlichen Justiz festsetzte, dafür jedoch die Unterwerfung aller 17 Zu den Städten und ihrer „ ethnischen “ Zusammensetzung sowie rechtlichen Situation am Pilgerweg vgl. Gonzalo Martínez Díez , Las pueblas francas del camino de Santiago, in: El camino de Santiago, camino de Europa. Curso de conferencias El Escorial 2. - 26. 7. 1991 (Pontevedra 1993) S. 239 - 251 und wichtige Differenzierungen bei Juan Ignacio Ruiz de la Peña Solar , Las colonizaciones francas en las rutas castellano-leonesas del Camino de Santiago, in: Las peregrinaciones a Santiago de Compostela y San Salvador de Oviedo en la Edad Media. Actas del Congreso Internacional celebrado en Oviedo del 3 al 7 de diciembre de 1990, hg. von Dems. (Oviedo 1993) S. 283 - 312; zu sprachlichen Aspekten vgl. Max Pfister , Galloromanische Sprachkolonien in Italien und Nordspanien, Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz. Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse 5 (1988) S. 3 - 45, insbesondere S. 27 - 30. Vgl. in diesen Abhandlungen die Belege zu den folgenden Bemerkungen. 18 Vgl. zur Entwicklung zusammenfassend Herbers , Jakobsweg. Geschichte und Kultur (wie Anm. 2) S. 51 - 53. Alfons VI. ( † 1109), ein König für die Pilger? Zum 900. Todestag 237 <?page no="238"?> Siedler unter die Gerichtsbarkeit von Jaca forderte. Neben dem König dürfte auch der Bischof die Siedlungspolitik gefördert haben. Die nicht aragonesischen Siedler, besonders Händler und Wirte, wohnten in einem eigenen Viertel. Im navarresischen Estella - 1090 privilegierte Sancho Ramírez die Stadt - erfolgte die Gründung fast ausschließlich mit Blick auf fränkische Siedler. Entsprechend blieb der Einfluß besonders lange greifbar, wie unter anderem die Sprache der fueros belegt. Noch weiter westlich, im kastilischen Burgos, ist ebenfalls „ fränkischer “ Einfluß festzustellen. Dort unterstützte zugleich der weitläufige Handel diese Internationalität. In Sahagún dürfte der hohe Anteil von Fremden vor allem damit zusammenhängen, daß König Alfons VI. zur Neugründung einen Abt aus Cluny holte und nach seiner Herrschaftszeit diese Bindungen weiter bestehen blieben, obwohl die Beziehungen des Klosters zur burgundischen Mutterabtei oft ein wenig überschätzt wurden. Auch in Santiago de Compostela sind im 12. Jahrhundert zahlreiche Mitglieder im Kathedralkapitel und in der Stadt nachweisbar, die sich entweder lange Zeit in Frankreich aufgehalten hatten oder französischer Herkunft waren. Hier scheinen die Verflechtungen des burgundischen Adels mit Galicien eine wichtige Rolle gespielt zu haben, wie am Beispiel Alfons ’ VII. schon verdeutlicht werden konnte. Zusammengefasst prägten Siedlungsprivilegien, Verbindungen von Klerikern, Adelsverflechtungen, Pilgerbedürfnisse, Bevölkerungsdruck, eine allgemeine Zunahme des Austausches sowie eine schon weitgehend vorhandene Verkehrsachse die neuen Entwicklungen. Dies trug zu einer durch das übrige Europa beeinflußten Stadtlandschaft im nördlichen Spanien bei. In den Vierteln der franci wurden außerdem neue, bisher vor allem in deren Ursprungsgebieten gepflegte Heiligenkulte weiter gepflegt und wurzelten sich so in Spanien ein, wie die Verehrung der Heiligen Martin, Nikolaus, Saturnin, Fides von Conques und vieler anderer belegt. Manchmal waren es Pilgerheilige; diese passen also besonders gut zu diesem Tagungsband. Nicht nur Fragen der Mönchsregeln, klerikale Netzwerke, Siedler und Pilger gehören zur sogenannten „ Europäisierung “ Spaniens. An zwei weiteren Bereichen ist diese Umgestaltung eindrücklich ablesbar: am Ritus- und am Schriftwechsel. Fast auf der gesamten Iberischen Halbinsel pflegte man seit westgotischer Zeit eine abweichende Form der Liturgie. Dies war grundsätzlich nicht ungewöhnlich, denn mindestens bis zur Karolingerzeit gab es neben der römischen Liturgie beispielsweise den gallikanischen oder den sogenannten Mailänder Ritus. Die sogenannte altspanische, zuweilen auch als mozarabisch oder westgotisch bezeichnete Liturgie unterschied sich von der römischen vor allem durch eine größere Anzahl von Lesungen aus dem Alten Testament, durch eine unterschiedliche Anordnung der einzelnen Messteile, durch eine teilweise abweichende Mönchsliturgie sowie durch einen differenzierten Festkalender. In der Messe waren zwei Teile deutlich Klaus Herbers 238 <?page no="239"?> getrennt, Katechumenen durften nur am ersten teilnehmen, Getaufte auch am zweiten Teil; die Kommunion wurde unter beiderlei Gestalten gereicht, das Vaterunser wurde vor der Wandlung gesprochen, und das Credo war in das Hochgebet der Messe integriert. Es war mithin keine Liturgie, die in der Substanz abweichende Wahrheiten repräsentierte, sondern sie unterschied sich eher im Bereich der Formen und der Abfolge. Die Gültigkeit erkannte der Papst 1066 an, nachdem die entsprechenden liturgischen Bücher in Rom geprüft worden waren 19 . Dennoch wurde der mozarabische Ritus seit der Mitte des 11. Jahrhunderts zugunsten einer einheitlich römischen Liturgie an den Rand gedrängt. Der Prozeß begann in den Pyrenäenreichen. Daß dies zunächst in Cluniazenserklöstern geschah, hat manche Forscher dazu verleitet, diesem Orden die konkrete Durchsetzung päpstlicher Liturgievorstellungen in Spanien zuzuschreiben 20 . Jedoch ist zu bedenken, daß beispielsweise aus Frankreich stammende Personen vielleicht ihren bisherigen Ritus mitbrachten, weiter pflegten oder zumindest gewürdigt wissen wollten. Die römische Liturgie soll dann auf einem Konzil von Burgos 1080 auch in den anderen Teilen Spaniens verbindlich gemacht worden sein 21 . Aber die Durchsetzung war nicht so einfach, denn liturgische Traditionen lassen sich nicht von heute auf morgen ändern. In Kastilien-León dürfte König Alfons VI. die neuen römischen Formen gefördert haben, hatte aber wohl Schwierigkeiten, dies wirksam durchzusetzen. Das belegt folgende Episode aus dem „ Chronicon Najerense “ : 1077 sollte der Streit um den „ besseren Ritus “ durch ein Gottesurteil entschieden werden. Nach einem Zweikampf, der zugunsten der altspanischen Liturgie ausging, blieb auch in der Feuerprobe das Buch mit der alten mozarabischen Liturgie unversehrt. Da soll König Alfons VI. das Buch, wutentbrannt, erneut mit dem Fuß ins Feuer gestoßen und gesagt haben: ad libitum regum flectantur cornua legum 22 . Das spanische Sprichwort Alla van leyes do quieren reyes (das Recht weicht da, wo es der König will) hat diese Szene verewigt. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt fasst diese Geschichte die bestehenden Spannungen und unterschiedlichen Interessen zusammen, ja spitzt sie gleichsam zu. Denn vor allem der Herrscher und neue Personengruppen profitierten von den römischen und europäischen Gebräuchen, weniger der recht eigenständige Adel. Dieser wurde 19 Vgl. hierzu Ludwig Vones , The Substitution of the Hispanic Liturgy by the Roman Rite in the Kingdoms of the Iberian Peninsula, in: Hispania vetus. Musical-Liturgical Manuscripts from Visigothic Origins to the Franco-Roman Transition (9 th - 12 th centuries), hg. von Susana Zapke (Bilbao 2007) S. 43 - 59, bes. S. 45. 20 Zu Cluny und Spanien vgl. die in Anm. 12 angeführte Literatur. 21 Zum Konzil von Burgos vgl. künftig Daniel Berger : Regesta Pontificum Romanorum, Iberia Pontificia Dioc. Burgos (im Druck) vorläufige Nr. 11. 22 Crónica Najerense, estudio preliminar, edición critica e índices, ed. Antonio Ubieto Arteta (Textos medievales 15, Valencia 1966) S. 116. Alfons VI. ( † 1109), ein König für die Pilger? Zum 900. Todestag 239 <?page no="240"?> durch die römische Kirchenordnung seiner herkömmlichen Machtmittel vielfach beraubt, beispielsweise bei der Besetzung der Bischofsstühle mit Kandidaten seines Willens. Vielleicht steht der Wechsel zur karolingischen Schrift im Zusammenhang mit dem Wechsel der Liturgie. Der spanische Historiograph Lucas von Túy ( † 1249) berichtet rückblickend um 1236 über das Konzil von León 1090, man habe dort beschlossen, künftig die gallica littera besonders zum Schreiben, das heißt zum Abschreiben liturgischer Texte zu benutzen; dies sei wichtig, damit zwischen den Dienern der Kirche keine Spaltung entstehe 23 . War also durch die zahlreichen Personen und Gebräuche, durch diesen Prozess der Europäisierung 24 durchaus eine Vielfalt am Pilgerweg eingekehrt, so ergab sich in manchen Bereichen - wie Liturgie und Schrift - eher eine Vereinheitlichung und eine Anpassung an römische Normen. 23 Lucas von Túy, Chronicon mundi, ed. Emma Falque Rey (Corpus Christianorum, Continuatio Mediaevalis 74, Turnhout 200) S. 305. 24 Vgl. allgemein zu diesem vielschichtigen Prozeß: Klaus Herbers , „ Europäisierung “ und „ Afrikanisierung “ - Zum Problem zweier wissenschaftlicher Konzepte und zu Fragen kulturellen Transfers, in: España y el „ Sacro Imperio “ . Procesos de cambios, influencias y acciones recíprocas en la época de la „ Europeización “ (Siglos XI - XIII), hg. von Julio Valdeón / Klaus Herbers / Karl Rudolf (Valladolid 2002) S. 11 - 31 und die weiteren Beiträge dieses Sammelbandes; vgl. weiterhin Bernard F. Reilly , Santiago and Saint Denis: The French Presence in Eleventh-Century Spain, Catholic Historical Review 44 (1968 - 69) S. 467 - 483; Joseph F. O ’ Callaghan , The integration of Christian Spain into Europe. The role of Alfonso VI of León-Castile, in: Santiago, Saint-Denis and Saint Peter. The Reception of the Roman Liturgy in León-Castile in 1080, hg. von Bernard F. Reilly (New York 1985) S. 101 - 120; Zur frühen Umgestaltung in Katalonien Ursula Vones-Liebenstein , Katalonien zwischen Maurenherrschaft und Frankenreich. Probleme um die Ablösung westgotisch-mozarabischer Kirchenstrukturen, in: Das Frankfurter Konzil von 794: Kristallisationspunkt karolingischer Kultur. Akten zweier Symposien (vom 23. bis 27. Februar und vom 13. bis 15. Oktober 1994) anläßlich der 1200-Jahrfeier der Stadt Frankfurt am Main 2 Bde., hg. von Rainer Berndt (Mainz 1997) S. 453 - 518; Ludwig Vones , Das Papsttum und die Konstituierung einer katalanischen „ Vorsprungslandschaft “ im Grenzraum von Gallia und Hispania, in: Roma y la Península Ibérica en la Alta Edad Media - la construccíon de espacios, normas y redes relacionales. Rom und die Iberische Halbinsel im Hochmittelalter - Konstruktion des Raumes, der Normen und der Netzwerke, hg. von Santiago Dominguez / Klaus Herbers (León/ Göttingen 2009) S. 157 - 171; Ders ., The Substitution of of the Hispanic Liturgy (wie Anm. 19) S. 43 - 59. Zum Einfluß des Papsttums vgl. Klaus Herbers , Das Papsttum und die Iberische Halbinsel im 12. Jahrhundert, in: Das Papsttum in der Welt des 12. Jahrhunderts, hg. von Ernst-Dieter Hehl / Ingrid Heike Ringel / Hubertus Seibert (Mittelalterforschungen 6, Stuttgart 2002) S. 25 - 60. Klaus Herbers 240 <?page no="241"?> IV. Einordnung Alfons VI. kümmerte sich um die Pilger und den Pilgerweg, dies bleibt unstrittig. Aber der kurze Abriß dürfte die bei Vázquez de Parga gefundenen Belege in größere Zusammenhänge gestellt haben, denn Pilgerorte waren nie ausschließlich Pilgerorte. Einige Aspekte seien wenigstens thesenhaft hervorgehoben. 1. Wenn Alfons zum Beispiel verstärkt in Burgos oder in Nájera Institutionen privilegierte, dann zeigt dies zugleich, dass diese Fördermaßnahmen nicht nur Pilgern zugute kamen, sondern zugleich seine Expansion in den kastilisch-navarresischen Grenzraum auch weiter festigte. 2. Die große Förderung Sahagúns mit der Orientierung zur großen burgundischen Abtei Cluny, in dessen Gebetsgedenken Alfons ’ VI. eintrat, blieb nicht ohne Folgen: Aus Sahagún stammte das Personal für den neuen Erzbischofs- und Primatialsitz in Toledo, Sahagún wurde offensichtlich auch für weitere Posten im königlichen Umfeld die entsprechende Kaderschmiede, denken wir neben dem Erzbischof von Toledo auch an den dort eingesetzten Grafen. Deshalb wurde Sahagún folgerichtig auch zur Grablege des Königs. 3. Der Jakobsweg bot Alfons ’ einen wichtigen Verbindungsweg zum übrigen Europa. Den Willen, die Pyrenäen zu überschreiten, zeigen seine vier Ehen. Aber auch seine weiteren Kontakte zu Reichen nördlich der Pyrenäen, zum Beispiel nach Cluny, konnten die Infrastruktur des Weges nutzen. Trotz der Orientierung des Königs auf Toledo blieb die Verkehrsachse durch den Norden wichtig und förderte mit den Siedlern den ersten Schub einer städtischen Entwicklung auf der Iberischen Halbinsel sowie damit den Anschluß an die wirtschaftliche und soziale Entwicklung nördlich der Pyrenäen. 4. Fremder und zugleich königlicher Einfluß sollte auch durch das Grafenamt Raimunds in Galicien gesichert werden. Wenn dieser auch vor Alfons starb und seine Tochter Urraca nach dem Tod des Vaters in keine harmonische Ehe mit Alfons dem Kämpfer von Aragón eintrat, so blieb durch Raimunds Bestellung doch auch der französisch-burgundische Einfluß in Compostela und in Galicien gewährleistet. Die großen Pilgerdokumente, wie der „ Liber Sancti Jacobi “ und die „ Historia Compostellana “ , sowie die Politik eines Diego Gelmírez, in dessen Domkapitel nicht wenige Ausländer ihm zur Seite standen, konnten darauf aufbauen. Es bleibt also dabei: Alfons war durchaus ein Freund der Pilger, aber manche seiner Fördermaßnahmen fügten sich problemlos in die Schwerpunkte seiner sonstigen Politik ein. Alfons VI. ( † 1109), ein König für die Pilger? Zum 900. Todestag 241 <?page no="242"?> Resumen: La conferencia que conmemora el noveciento aniversario de la muerte del rey Alfonso VI parte de las importantes medidas fomentadas por el monarca para promover la ruta de peregrinos (las medidas están registradas en la literatura básica de Vázquez de Parga, Lacarra y Uría Ríu) y en base a esto, surge la pregunta, de si Alfonso VI fue un rey de los peregrinos. Se analizan detalladamente las características del dominio del rey Alfonso VI. Se procede en dos pasos: primero una visión temporal, en la que se considera tanto una etapa de expansión (de 1076 a 1086), como también una etapa de consolidación y de retroceso (de 1086 a 1109). Alfonso VI pudo expandir su reino especialmente en dirección a Navarra, para luego hacerlo hacia el sur con la conquista de Toledo. A los retrocesos se hace alusión brevemente con los ejemplos del Cid y del reino de Valencia. Como características generales se deben destacar los fuertes lazos personales del rey con la región de Borgoña, el apoyo que experimentaron en sus propios fueros, las ciudades y los asentamientos en el Camino de Santiago, así como también las peculiaridades de la liturgia romana y de la escritura carolingia. Al final del estudio el autor postula cuatro tesis: 1. La promoción de Burgos o de otros lugares de peregrinación en Navarra se encuadran dentro de un marco de expansión política en el área fronteriza entre Castilla y Navarra. 2. La promoción de Sahagún corresponde a una orientación hacia la gran abadía borgoñona en Cluny. 3. El Camino de Santiago ofreció a Alfonso una importante vía de comunicación con el resto de Europa. 4. Se aseguró una influencia externa mediante redes personales en Galicia, como se puede leer en los grandes documentos tardíos de peregrinos tales como el “ Liber Sancti Jacobi ” . Por todo ello, Alfonso fue un amigo de los peregrinos, pero sus acciones de fomento también se integraban en los aspectos centrales de sus otros intereses políticos. Klaus Herbers 242 <?page no="243"?> Hintergrundbeitrag <?page no="245"?> Wege der Jakobspilger durch das Elsass Ursula Kopp Konkreten Quellen und Hinweisen auf den Kult des Apostels Jakobus im Allgemeinen, und erst recht auf solche des Pilgerweges nach Santiago de Compostela begegnen wir im Elsass erst ab der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts. Vom Beginn des 12. Jahrhunderts stammen die ersten Jakobuspatrozinien, wie die am Fuße des Odilienberges gelegene Kapelle - heute Ruine, damals Zentrum einer Einsiedelei - ein Ort, der auch mit der Kamellegende 1 in Verbindung gebracht wird. Auch die frühere Abteikirche von Feldbach 2 im Sundgau, die Friedrich, Herzog von Ferrette, nach seiner Rückkehr von der Santiagowallfahrt stiftete, stammt aus dieser Zeit. Schriftlich überliefert sind uns nur wenige Zeugnisse, die über die Pilgerfahrt zum Apostelgrab im fernen Galicien in dieser Zeit berichten. Bekannt sind der Heilige Morandus 3 , zwar kein „ gebürtiger “ Elsässer, aber nach seinem Aufenthalt in Cluny Prior des Christophorusklosters in Altkirch und noch heute als „ Apostel des Sundgaus “ verehrt, sowie drei Mitglieder der Familie der Hohenstaufen aus Schlettstadt, Otto, Friedrich und Konrad, wie die Chronik von Jérôme Gebwiler (um 1530) berichtet 4 . Im 14. Jahrhundert sollen mehrere Mitglieder der Familie derer von Rappoltstein, beim heutigen Rappoltsweiler/ Ribeauvillé, die Santiagopilgerfahrt unternommen haben 5 . Im folgenden Jahrhundert sind mehrere Bürger Schlettstadts als Santiagopilger nachgewiesen, der Bekannteste unter ihnen ist Jakob Villinger, Schatzkanzler Kaiser Maximilians I., Stifter des bekannten „ Villinger-Fensters “ im Chor des Freiburger Münsters. Das im Laufe der 70er und 80er Jahre des letzten Jahrhunderts wieder erwachte Interesse einer breiteren Öffentlichkeit am Weg nach Santiago hat, 1 Vicente Almazán , La Quête du Pardon. Les traces en Alsace du pèlerinage de Saint- Jacques-de-Compostelle (1993) S. 36; Michel Vogt , Sainte-Odile Princesse de la Lumière (Straßburg 2002) S. 119. 2 Almazán , La Quête (wie Anm. 1) S. 36 ff. 3 Stephan Hilpisch , Morandus, in: Lexikon für Theologie und Kirche 7 (1962), Sp. 625. 4 Almazán , La Quête (wie Anm. 1) S. 34. 5 Almazán , La Quête (wie Anm. 1) S. 54 f. <?page no="246"?> wie in anderen Regionen, auch im Elsass zur Gründung einer örtlichen Jakobusgesellschaft geführt. Diese hat es zu ihrer Aufgabe gemacht, Pilgern einen Weg zu weisen, der unter Berücksichtigung der heute gegebenen verkehrstechnischen Bedingungen die historisch bedeutenden Pilgerorte verbindet. Im Folgenden möchte ich den von der elsässischen Jakobusgesellschaft, Les Amis de Saint-Jacques en Alsace, ausgeschilderten Weg kurz skizzieren. Der Weg führt in 12 Etappen und über 250 km in nord-südlicher Richtung durch das Elsass, von Wissembourg (Weißenburg) an der Grenze zur Pfalz bis Belfort an der Burgundischen Pforte. Die von Prag über Nürnberg, Rothenburg o. d. Tauber, wie auch aus nördlicher Richtung, aus Mainz und Worms kommenden Pilger erreichen über Speyer den Ausgangspunkt Wissembourg. Aus dem mittleren Schwarzwald führt der Weg über Offenburg und Kehl nach Straßburg. Im südlicheren Teil gibt es dann die Möglichkeit, von Freiburg kommend, den Elsassweg entweder über Breisach am Rhein am Kloster Schauenberg zu erreichen, oder aber über das etwas südlicher gelegene Fessenheim direkt nach Thann zu gelangen. Die Benediktinerabtei Weißenburg 6 , Petrus und Paulus geweiht, wurde vermutlich im 7. Jahrhundert gegründet und gehörte bis zum Jahre 1801 zum Bistum Speyer. Die heutige Abteikirche wurde unter Abt Edelinus zwischen 1262 und 1293 erbaut. Der romanische Turm an der Westseite stammt noch von der unter Abt Samuel 1056 bis 1098 erbauten romanischen Kirche, ebenso die kleine Kapelle hinter dem Kreuzgang, wie auch die älteste figürliche Glasmalerei Frankreichs, ein Christuskopf. Eine Kopie ist heute wieder in der Kapelle zu sehen, während sich das Original im Musée de l ’Œ uvre Notre-Dame in Straßburg befindet. Der Benediktinermönch Otfried von Weißenburg hat zwischen 863 und 871, in rheinfränkischer Mundart, die erste größere Dichtung in deutscher Sprache verfasst, eine Darstellung des Lebens Jesu. Noch in der ersten Etappe liegt auch die älteste Klostergründung des Elsass, das um 570 vom hl. Arbogastus gegründete Benediktinerkloster Surbourg (Sürburg) mit seiner noch überwiegend romanischen Kirche aus dem 11. Jahrhundert, Johannes dem Täufer geweiht. An der Abteikirche in Walbourg (Walburg) ist das Ende der ersten Etappe erreicht. Benediktinermönche aus Bayern haben hier am Rande des Hagenauer Forstes im 12. Jahrhundert eine Klosterzelle gegründet, die zunächst Philippus und Jakobus geweiht war, später der hl. Walburga. Die mittleren Chorfenster, von 1461, stammen aus der berühmten Straßburger Werkstatt von Peter Hemmel aus Andlau und zeigen auch eine Emmausszene, Christus 6 Evocation Historique de l ’ Abbatiale de Wissembourg, réalisée à l'occasion de la commémoration du 7 e centenaire de la consécration de l'abbatiale Saintes-Pierre-et- Paul, Wissembourg, le 16 septembre 1984 (1984). Ursula Kopp 246 <?page no="247"?> als Pilger mit einer Muschel. Ein weiteres Fenster zeigt Jakobus mit dem ihm zugeschriebenen Satz aus dem Credo. Die leider stark zerstörten Fresken aus dem 15. Jahrhundert enthalten ebenfalls eine Jakobusdarstellung. In Haguenau (Hagenau) befand sich seit dem 13. Jahrhundert ein Pilgerhospiz, das später anders genutzt und schließlich erst 1835 abgerissen wurde. Die Jakobusstatue aus dem Hospiz befindet sich heute im historischen Museum der Stadt. In Haguenau stand auch eine Kaiserpfalz der Staufer. Vor allem Friedrich I. Barbarossa hielt sich oft hier auf, daher gibt sich die Stadt auch heute noch gerne den Beinamen „ Barbarossa-Stadt “ . Durch die Kriegswirren wurde die Stadt stark zerstört, auch von der Kaiserpfalz sind keine Reste mehr vorhanden. In der Nikolaus-Kirche (Église Saint-Nicolas) befindet sich das Rokoko-Chorgestühl der untergegangenen Zisterzienserabtei Neubourg bei Haguenau mit einer Jakobusdarstellung. In der romanischen Georgs-Kirche (Église Saint-Georges) aus dem 12. Jahrhundert ist eine kleine Seitenkapelle mit einem modernen Kirchenfenster dem hl. Jakobus geweiht. An den Europa-Institutionen erreicht man Straßburg. Vorbei am Europa- Parlament, dessen Fahnen vor dem Gebäude durch viele Fernsehübertragungen gut bekannt sind, am auf der gegenüberliegenden Seite liegenden Gerichtshof für Menschenrechte mit seinen markanten, runden Gebäuden und am Europaratsgebäude, passiert man nach wenigen Minuten den Sitz des deutsch-französischen Kulturkanals Arte. Warum wurde Straßburg zur „ Europa-Stadt “ gewählt? Da es durch seine wechselvolle Geschichte zwischen Deutschland und Frankreich (in gerade mal einem dreiviertel Jahrhundert zwischen 1870 und 1945 erlebte das Elsass viermal eine grundlegend nationale Neuausrichtung) und die frühe Verständigung 1963 nach dem 2. Weltkrieg durch Charles de Gaulle und Konrad Adenauer zum Sinnbild für Versöhnung wurde, wie kaum eine andere Stadt in Europa. An der Kathedrale endet die 3. Etappe. Auch der Kinzigtäler Jakobsweg trifft hier, von Kehl kommend, nach Überquerung des Rheins auf der „ Passerelle des deux Rives “ auf den elsässischen Weg. 1146 predigt Bernhard von Clairvaux im romanischen Vorgängerbau und ruft zum 2. Kreuzzug auf. Die heutige Kathedrale ist nach einem Brand im damals neuen Baustil der Gotik im 13. und 14. Jahrhundert fertig gestellt worden. Krypta, Chor und nördliches Seitenschiff sind noch romanisch, das südliche Seitenschiff im Übergangsstil zur Gotik, das Langhaus und die beeindruckende Westfassade sind rein gotisch erbaut worden. Die Fenster stammen überwiegend aus dem 13. Jahrhundert, bekannt sind vor allem die „ Kaiserfenster “ . Warum finden wir hier 19 Kaiser und Könige, überwiegend aus der Zeit des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, dargestellt? Im mittelalterlichen Denken war der Kaiser der Beschützer der Kirche, betrachtete doch der Herrscher sein Amt als „ von Wege der Jakobspilger durch das Elsass 247 <?page no="248"?> Gottes Gnaden “ . Alle Fenster waren 1939 ausgebaut und nach Südfrankreich ausgelagert worden. Während der deutschen Besetzung des Landes wurden sie dort entdeckt und in ein Bergwerk nach Österreich gebracht. Hier wurden sie nach dem Krieg unversehrt wieder aufgefunden. Eine einzigartige Darstellung ist der im Volksmund „ Engelspfeiler “ genannte Pfeiler des Jüngsten Gerichts von 1225 - 1230 im südlichen Querschiff, von einem unbekannten Bildhauer, der vermutlich auch an der Kathedrale in Chartres gearbeitet hatte. Im unteren Teil sind die vier Evangelisten mit ihren Symbolen dargestellt. In der Mitte blasen die Engel zum Jüngsten Gericht, in der dritten Ebene ist Christus als milder Richter auf einem Thron, der von geretteten Seelen getragen wird, dargestellt, umgeben von Engeln mit den Leidenswerkzeugen. Die Kanzel von 1485 ist ein Meisterwerk des Dombaumeisters Hans Hammer, geschaffen speziell für Johann Geiler von Kaysersberg, bekannter Prediger der Vorreformation, der 32 Jahre bis zu seinem Tod 1510 in Straßburg gewirkt hat. Oft sollen die Menschen von weit hergekommen sein, um seinen wortgewaltigen, langen Predigten zu lauschen. 1529 wird die lutherische Reformation eingeführt und ein Jahr später werden alle 40 Altäre entfernt. Im Rahmen des Augsburger Interims wird im Jahre 1560 auf Befehl Kaiser Karls V. kurzfristig wieder katholischer Gottesdienst gefeiert, bevor bereits im Jahr darauf das Münster wieder an die Lutheraner zurückgegeben wird. 1681 wird die Stadt Ludwig XIV. übergeben und die Kathedrale erneut katholisch geweiht. Wir erleben also hier einen mehrfachen Wechsel zwischen den Konfessionen. 1789 - 1793 während der Französischen Revolution wurden 236 Statuen zerstört und die Kathedrale der „ Göttin der Vernunft “ geweiht. Der Turm als weithin sichtbares, verhasstes Symbol der Machtstellung der Kirche sollte abgerissen werden. Ein Straßburger Schmied kam jedoch auf die Idee, eine Jakobinermütze anzufertigen. Diese wurde auf dem Turm befestigt, wodurch er zu einem Symbol der Revolution und so gerettet wurde. Am spätromanischen Südportal befinden sich zwei der bekanntesten Figuren des Straßburger Münsters, Ecclesia und Synagoga (1225 - 1230), vermutlich von demselben Bildhauer gearbeitet wie der Engelspfeiler. Ecclesia verkörpert den Triumpf der Kirche über das Judentum, die Rettung, den richtigen Glauben, das Neue Testament; Synagoga hingegen den Unglauben, die die Wahrheit nicht sehen will (daher die verbundenen Augen), das Alte Testament, das Judentum. Diese Figuren waren Vorbild für viele Ecclesia- und Synagogadarstellungen an anderen Kathedralen (z. B. Freiburg, Bamberg, auch Pamplona und Burgos). Erwin von Steinbach hat 34 Jahre lang an der Kathedrale in Straßburg gearbeitet, vor allem die Westfassade ist sein Werk. Auch die klugen und törichten Jungfrauen (um 1280) zählen zu den bekanntesten Figuren und waren Vorbild für viele Darstellungen dieses Themas an anderen Kathedralen. Die klugen Jungfrauen erwarten den Erlöser (Matthäus-Evangelium), Ursula Kopp 248 <?page no="249"?> Karte 1: Der Wegverlauf mit Zubringerstrecken aus der Pfalz und Baden - Zeichnung: H. Kopp. Wege der Jakobspilger durch das Elsass 249 <?page no="250"?> die Törichten folgen dem Verführer. Er ist im modischen Gewand dargestellt, auf dem Rücken kriechen ihm jedoch Kröten und Schlangen als Symbol der Falschheit bis zum Hals empor. Die Thomas-Kirche (Église Saint- Thomas), in der Albert Schweitzer oft auf der Silbermannorgel spielte, und die Jung-Sankt-Peter-Kirche (Église Saint-Pierre-le-Jeune) gehen beide auf Gründungen irischer Mönche zurück. Saint-Pierre-le-Jeune besitzt nicht nur den einzigen noch erhaltenen Kreuzgang Straßburgs aus dem 11. Jahrhundert, sondern auch eine bemerkenswerte Innenausstattung und Fresken. Insbesondere der Zug der Nationen zum Kreuz, aus dem 15. Jahrhundert, kann von seiner Thematik her, über die ursprüngliche Bedeutung hinaus, auch auf die heutige Rolle Straßburgs als Europastadt hinweisen. Der Pilgerweg verlässt die Stadt zunächst dem Flüsschen Ill, später dem stillgelegten Breuschkanal folgend. Dieser Kanal wurde vom Festungsbaumeister Vauban im 17. Jahrhundert angelegt und diente dazu, das für die Stadtbefestigung benötigte Baumaterial heranzuschaffen. Am Dompeter, heute auf der Gemarkung der Gemeinde Avolsheim gelegen, führt der Pilgerweg an der vermutlich ältesten Kirche des Elsass vorbei. 1049 wurde das damals bereits erweiterte Bauwerk feierlich von Papst Leo IX., dem „ elsässischen “ Papst aus Egisheim, neu geweiht. In Molsheim gab es seit 1618 eine Universität der Jesuiten. Als das Straßburger Kathedralkapitel 1605 im Zuge der Reformation die Stadt verlassen musste, zog es sich bis 1681 nach Molsheim zurück, wodurch sich die Stadt in der Folgezeit zum Zentrum der Gegenreformation im Elsass entwickelte. Auch Benediktiner, Kapuziner und Kartäuser hatten sich hier niedergelassen. In der ehemaligen Kartause ist heute das Museum der Stadt untergebracht. Der weitere Pilgerweg führt an der in Teilen noch romanischen Kirche in Dorlisheim vorbei nach Rosheim, das mit vier erhaltenen Stadttoren sein Abb. 1: Statue des Jakobus (16. Jahrhundert) aus dem ehemaligen Hagenauer Pilgerhospiz des 14. Jahrhunderts. Ursula Kopp 250 <?page no="251"?> mittelalterliches Aussehen bewahren konnte. Auch besitzt die Stadt mit seiner Petrus und Paulus geweihten Kirche (Église Saints-Pierre-et-Paul) aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts eines der bekanntesten romanischen Bauwerke des Elsass. Innen wie außen ist es mit weltlichen und biblischen Motiven reich dekoriert, im Innenraum befindet sich ein einmaliges Kapitell, das der „ Kopfsäule “ , deren Figurenschmuck aus einem Kranz von 21 unterschiedlichen Köpfen gebildet wird. Seit 1363 gab es in Rosheim ein Pilgerhospiz mit einer Jakobuskapelle. Heute steht an dieser Stelle ein modernes Krankenhaus, dessen Kapelle im Untergeschoss wieder Jakobus geweiht ist. Auf dem weiteren Weg liegt nun schon seit geraumer Zeit der Odilienberg im Blickfeld des Pilgers. Odilia ist die Patrona Alsatiae, der Odilienberg der „ Heilige Berg des Elsass “ . Odilia, Tochter des Merowingergrafen Adalrich oder Eticho, wird blind geboren, worauf der enttäuschte Vater sie töten lassen will. Der Mutter Bereswinde gelingt es, das Kind in Sicherheit bringen zu lassen. Odilia wächst dann im Kloster Baume-les-Dames (Franche-Comté) auf. Während ihrer Taufe im Alter von 12 Jahren erlangt sie das Augenlicht und wird auf den Namen Odilia, Tochter des Lichts, getauft. Mit 18 Jahren hegt sie den Wunsch, ihre Familie kennenzulernen und nimmt Kontakt zu ihrem Bruder auf, der sie daraufhin nach Hohenberg bringt, dem Wohnsitz der Familie auf dem heutigen Odilienberg. Der Vater gerät hierauf außer sich und erschlägt seinen Sohn im Zorn. Als sie der Vater dann standesgemäß verheiraten möchte, flieht Odilia erneut. Schon hört sie die Häscher des Vaters hinter sich, da öffnet sich vor ihr ein Felsen, der sich hinter ihr wieder verschließt, sie ist gerettet. Nun erkennt der Vater die göttliche Fügung, übergibt ihr den Hohenberg, auf dem Odilia ihr Kloster gründet. Soweit kurz die Legende. Wenn man heute einen Rundgang auf dem Odilienberg macht, kann man noch den ehemaligen Kapitelsaal, heute Kreuzkapelle, die Tränenkapelle und die Michaelskapelle aus dem 12. Jahrhundert besuchen. Die heutige Kirche wurde nach mehrmals zerstörten Vorgängerbauten im 17. Jahrhundert errichtet. Auf der Außenterrasse des Klosters findet der heutige Jakobspilger das äußerst interessante Modell einer Weltzeitsonnenuhr, das die Mönche der untergegangenen Zisterzienserabtei Neubourg bei Haguenau im 18. Jahrhundert für ihr Kloster gefertigt hatten. Der auf einer Säule ruhende geometrische Körper mit 24 Flächen zeigt die Zeit für 24 verschiedene geografische Punkte, z. B. Äthiopien, Madrid, Paris, Alexandria, Wien, Ninive, Congo. Eine der Flächen zeigt auch die Zeit von Santiago de Compostela. Vorbei an der Ruine der Jakobuskapelle aus dem 12. Jahrhundert und der Ruine des ehemaligen Klosters Truttenhausen, erreicht man die Stadt Barr am unmittelbar an der Kirche gelegenen Friedhof. Der Besuch älterer elsässischer Friedhöfe kann sehr aufschlussreich sein. Die Inschriften auf den Grabsteinen sind oft ein aufgeschlagenes Geschichtsbuch, in teils deutscher, Wege der Jakobspilger durch das Elsass 251 <?page no="252"?> teils französischer Sprache, oft mit schönen Bildhauerarbeiten. Auch viele Jahrhunderte alte jüdische Friedhöfe haben sich im Elsass bis in die heutige Zeit erhalten. Die bekanntesten sind Sélestat (Schlettstadt) oder Rosenwiller, Nachbarort von Rosheim. Auf letzterem wurden auf einer Fläche von 4 Hektar seit dem 14. Jahrhundert die Toten von 40 Gemeinden bestattet. Ein weiterer historisch interessanter jüdischer Friedhof liegt in Jungholtz (Haut-Rhin). An ihm führt der Pilgerweg unmittelbar vorbei. In Andlau erwartet den Pilger mit der ehemaligen Abteikirche Sankt Richardis ein weiteres Kleinod der Romanik, heute ebenfalls Petrus und Paulus geweiht. Kaiserin Richardis, die Gemahlin Karls des Dicken, gründete das Kloster um 880. Nach der Legende hat ihr eine Bärin die Stelle angezeigt, an der das Kloster errichtet werden sollte. Richardis wurde 1049 von Papst Leo IX. heiliggesprochen. Ihre Gebeine ruhen im Chor der Abteikirche in einem Reliquienschrein aus dem 14. Jahrhundert. Das Portal aus dem 12. Jahrhundert zeigt Christus mit Petrus und Paulus. An der West- und Nordseite der Kirche zieht der romanische Fries mit seinen Fabelwesen, Jagdszenen, kämpfenden Rittern, Bären und vielen unterschiedlichen Bäumen den Blick des kunstinteressierten Betrachters auf sich. Die Krypta aus dem 11. Jahrhundert ist der älteste noch erhaltene Teil der ehemaligen Abtei. Eine noch heute zu sehende Vertiefung im Boden soll der Legende nach diejenige Stelle sein, die die Bärin der Kaiserin als Ort des Klosterbaus angezeigt hat. Hierher kamen seit Jahrhunderten Menschen, die sich Linderung von Rheuma und Gicht erhofften, oder Frauen, die um Kindersegen baten. Schon im Codex Calixtinus wird darauf hingewiesen: „ Buen pan y optimo vino “ sind für den Pilger unerlässlich. Auch der Weg durch das Elsass führt nun drei Tage lang durch die Weinberge und durch viele berühmte Grand Cru-Lagen. Da wären klingende Namen wie Praelatenberg, Rosacker, Kaefferkopf, Kirchberg, Bruderthal, Schlossberg usw., um nur einige zu nennen. Die Orte an der heutigen Weinstrasse sind fast alle schon zur Zeit der Römer gegründet worden. Da der Rhein durch Überschwemmungen und häufige Änderungen des Flussbettes vor seiner Begradigung Mitte des 19. Jahrhunderts unberechenbar war, ließen sich schon die Römer am Fuße der Vogesen nieder und bauten hier ihr Straßennetz aus, das natürlich später von Kaufleuten, Reisenden und eben auch von Pilgern benutzt wurde. Darauf weisen auch Orte mit früheren Pilger- oder Elendenherbergen hin, wie z. B. Haguenau, Rosheim, Andlau, Kaysersberg und Thann. Oberhalb von Kintzheim liegt die malerische Burgruine mit einer ehemaligen Jakobuskapelle. In der Pfarrkirche gibt es ein Bergkristallkreuz aus dem 17. Jahrhundert mit einer Jakobusreliquie, einem Zahn. Der rechte Seitenaltar ist Jakobus geweiht. Er zeigt ein Gemälde des elsässischen Malers René Kuder (Beginn 20. Jahrhundert). Jakobus predigt hier vor heimischer Ursula Kopp 252 <?page no="253"?> Kulisse, im Hintergrund die Burg Kintzheim, seine Zuhörer tragen elsässische Tracht. Auch die Wehrkirche von Hunawihr (Hunaweier) liegt inmitten von Weinbergen, malerisch oberhalb des Dorfes. Sie ist die einzige Kirche mit Jakobuspatrozinium auf dem Weg zwischen Wissembourg und Belfort. Die Ringmauer aus dem 12. Jahrhundert bot der Bevölkerung Schutz und Sicherheit bei Überfällen. Die Kirche wird heute noch, wie vielfach im Elsass, simultan genutzt. Auch Hunawihr blickt auf eine lange Pilgertradition zurück. Nach der Legende haben sich der Merowingergraf Huno und seine Gemahlin Huna im 7. Jahrhundert hier niedergelassen. Huna widmete sich den Armen und Kranken, deren Wäsche sie am Brunnen wusch. Sie gründete die Kirche, die nach ihrem Tod dem Kloster Saint-Dié zufiel. Schon kurz danach setzte eine rege Wallfahrt ein. Die Region um Hunawihr erlebte eine wechselvolle Geschichte; sie gehörte längere Zeit zu Württemberg-Mömpelgard, dem heutigen Montbéliard. Die Herzöge von Württemberg beantragten Anfang des 16. Jahrhunderts die Heiligsprechung Hunas. Das Wappen der Herzöge befindet sich heute noch am Rathaus des Ortes. Mit Kaysersberg erreicht der Pilger wieder einen geschichtsträchtigen Ort mit alter Pilgertradition. Überragt wird das Städtchen von der malerischen Ruine einer Burg der Hohenstaufen aus dem 13. Jahrhundert, von der sich auch der Name ( „ Burg des Kaisers am Berg “ ) ableiten soll. In der Hl. Kreuz-Kirche (Église Sainte-Croix) befindet sich das Hauptwerk des Colmarer Künstlers Jean Bongart, der Altar von 1518. Dargestellt ist das Leben Jesu und die Leidensgeschichte, in der Predella befindet sich unter den Aposteln ein beeindruckender Jakobus mit einer Muschel am Hut, die durch ihre Bemalung an eine Azabache erinnert. Im südlichen Seitenschiff finden wir die Darstellung einer Pilgerkrönung von 1477/ 78 von einem unbekannten Meister; Pilgerfiguren und Kronen sind jedoch abhanden gekommen. An der Nordseite der Kirche, am Rande eines kleinen Friedhofes, sind die Reste des ältesten Pilgerkreuzes des Elsass, aus dem Jahre 1511, untergebracht. Das Kreuz ist leider durch Vandalismus stark beschädigt, die Jakobusfigur ist abhanden gekommen, doch die Muscheln an der Basis sind noch deutlich zu sehen. Eine Kopie, mit Jakobusfigur, wurde an der alten Stelle an der Straße nach Lapoutroie errichtet, wo früher auch ein Weg nach Vézelay abzweigte. Kaysersberg ist auch bekannt als Geburtsort Albert Schweitzers, dessen Geburtshaus heute als Museum besichtigt werden kann. Und es ist die Stadt, in der Johannes Geiler aufgewachsen ist, der sich später Johannes Geiler von Kaysersberg nannte. Nun reihen sich malerische, berühmte Weinorte mit ihren Grand Cru-Lagen im Abstand von jeweils 2 km wie Perlen an einer Schnur aneinander: Ammerschwihr, der Ort, in dem der Vater von Geiler von Kaysersberg durch einen Bären ums Leben kam, Katzenthal, Nieder- Wege der Jakobspilger durch das Elsass 253 <?page no="254"?> morschwihr mit dem einzigen gedrehten Kirchturm des Elsass und Turckheim mit einem Jakobus-Gemälde in der Kirche. Nach mehreren Kilometern auf und ab durch Wald am Rande der Vogesen wird das Kloster St. Markus (Couvent Saint-Marc) und damit das Ende der 8. Etappe erreicht. Das Markus-Kloster, einsam im Wald gelegen, wurde 676 von Benediktinermönchen als „ Sigismundzell “ gegründet und gehört zu den ältesten Klostergründungen im Elsass. Von den Ungarn zerstört, im 11. Jahrhundert unter Papst Leo IX. wieder aufgebaut, im Laufe der Bauernkriege wiederum stark in Mitleidenschaft gezogen, wurde das Kloster während der Französischen Revolution endgültig verkauft. Seit 1845 sind die wiedererstellten Gebäude im Besitz der Schwestern vom hl. Joseph. Auch das eine Gehstunde entfernte ehemalige Kloster Notre-Dame de Schauenberg wird von einigen Schwestern vom hl. Joseph betreut. Notre-Dame de Schauenberg ist aus einer Einsiedelei hervorgegangen und auch heute noch ein rege besuchter Wallfahrtsort. Seine Lage am Rande der Vogesen mit weitem Blick in die Rheinebene und zum gegenüberliegenden Schwarzwald lädt zur Rast ein. Am Kloster Schauenberg erreichen die Pilger, die von Breisach an Colmar vorbei über Gueberschwihr kommen, den elsässischen Hauptweg. Nun wird bald darauf das Naturschutzgebiet Zinnköpfle überquert, ein Trockenrasengebiet mit seltener Flora, mit Blick auf die höchste Erhebung der Vogesen, den Grand Ballon (Grosser Belchen). Soultzmatt besitzt eine interessante, dem hl. Sebastian geweihte Kirche, deren Inneres trotz äußerst unterschiedlicher Stilrichtungen eine eigenartige Harmonie ausstrahlt: das linke (nördliche) Seitenschiff ist romanisch mit schönen Würfelkapitellen, das rechte (südliche) Seitenschiff spätgotisch, der Chor schließlich aus der Barockzeit. Im weiteren Verlauf des Weges trifft der Pilger im Wald wieder auf einen alten Wallfahrtsort, das „ Val du Pâtre “ oder Notre- Dame du Schaefferthal. Die Kapelle wurde 1511 errichtet und 1596 vergrößert. Die Fresken stammen teilweise aus dieser Zeit, darunter eine Jakobusdarstellung. Der Legende nach hat Maria hier ihre Schafe geweidet, Abb. 2: Wehrkirche Sankt Jakobus in Hunawihr Ursula Kopp 254 <?page no="255"?> die nach einer langen Dürre unter Durst litten. Maria klopfte mit ihrem Hütestab auf den Boden und ließ eine Quelle sprudeln. Diese Quelle, noch heute vor der Kapelle, bietet an heißen Tagen auch für Pilger eine willkommene Erfrischung. In Guebwiller erreicht der Pilger das Ende der 9. Etappe. Das früher als Zentrum der elsässischen Textilindustrie bekannte Städtchen besitzt eine spätromanische Kirche Saint-Léger (St. Leodegar), aus der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts sowie die ebenfalls sehenswerte Kirche des ehemaligen Dominikanerklosters mit Fresken aus dem 14. Jahrhundert, darunter auch eine Jakobusdarstellung. Von Jungholtz mit seinem interessanten jüdischen Friedhof sind es nur wenige Gehminuten zu einem weiteren ehemaligen Kloster mit langer Pilgertradition am Weg, der Basilika Notre-Dame de Thierenbach, einem Marienwallfahrtsort, der im Mittelalter dem Kloster Cluny unterstand und auch durch die Jakobspilger eine große Blütezeit erlebte. Heute werden dort zwei Pietas besonders verehrt, und mehrmals im Jahr finden große Wallfahrten aus der näheren und weiteren Umgebung statt. Die heutige Basilika wurde nach mehreren Zerstörungen 1723 von dem aus Voralberg stammenden Baumeister Peter Thumb erbaut und ist innen im 19. und 20. Jahrhundert fast vollständig ausgemalt worden, unter anderem von dem aus Barr stammenden Martin Feuerstein. Bekannt ist die Basilika für ca. 800 Ex Voto-Tafeln aus mehreren Jahrhunderten, die die Wände zieren. Der Hartmannsweiler Kopf (Vieil Armand) wird am Fuße des Berges umrundet. Einige Bunker im Wald erinnern noch heute an die tragischen Ereignisse des Ersten Weltkrieges. Hier lagen sich die Soldaten der verfeindeten Nationen in ihren Stellungen in Sichtweite gegenüber und innerhalb weniger Wochen fanden fast 30.000 von ihnen den Tod. Thann ist das vorletzte Etappenziel des elsässichen Weges. Das gotische Theobaldus-Münster (Collégiale Saint-Thiébaut) hat seine Originalausstattung aus dem 15. Jahrhundert bis in die heutige Zeit weitgehend erhalten. Das Chorgestühl, die Glasfenster und die Apostelstatuen im Chor blieben unversehrt. Im nördlichen Seitenschiff befindet sich ein Jakobusfenster; die Mitglieder der unbekannten Stifterfamilie knien zu beiden Seiten des Apostels. An der Nordseite außen befindet sich eine Jakobusstatue aus dem Jahre 1906. Interessant sind mehrere Pilgerkrönungen, wobei aber nicht Jakobus, sondern der hl. Theobald als Coronator dargestellt ist. Vor allem die Fassade mit ihrer seltenen Anordnung der drei Tympana und über 500 Figuren verdient nähere Beachtung. Dargestellt sind Szenen aus dem Alten und Neuen Testament, von der Erschaffung der Welt bis zur Leidensgeschichte Jesu und dem Marienleben: eine Bibel in Bildern. Neben dem ehemaligen Franziskanerkloster gab es ein Pilgerhospiz, an das heute noch das Krankenhaus Saint-Jacques sowie der Straßenname Rue Saint-Jacques erinnern. Durch eine bukolische Landschaft wird mit dem Benediktinerinnen- Kloster Bellemagny die letzte Etappe im Elsass erreicht. Schon im nächsten Wege der Jakobspilger durch das Elsass 255 <?page no="256"?> Ort, Angeot, hat man die Grenze zur Franche-Comté überschritten. Die südlichen Ausläufer der Vogesen hinter sich lassend, erreicht der Pilger nun bald mit Belfort das Ende des Elsassweges. Der bekannte, die Festung bewachende „ Löwe von Belfort “ erinnert an die 100 Tage dauernde, erfolglose Belagerung der Stadt im deutsch-französischen Krieg von 1870 - 1871. Es handelt sich um ein Werk des Colmarers Auguste Bartholdi (1834 - 1904), dessen bekanntestes jedoch die Freiheitsstatue an der Hafeneinfahrt von New York ist. So haben wir als Jakobspilger unserer Zeit den Landstrich zwischen Rhein und Vogesen durchwandert, zum Teil auf Wegen, die den heutigen Bedingungen angepasst werden mussten, zum Teil aber auch auf historischen Pfaden, auf denen uns im Verlauf der vergangenen Jahrhunderte zahllose Menschen vorausgegangen sind. Literaturhinweis Zur geschichtlichen Entwicklung von Jakobuskult und Pilgerfahrt im Oberrheingebiet und speziell im Elsass bieten unter anderem die folgenden Veröffentlichungen wertvolle Hinweise: Vicente Almazán , La Quête du Pardon, Les traces en Alsace du pèlerinage de Saint- Jacques de Compostelle (Straßburg 1993). Klaus Herbers , „ Wol auf sant Jacobs straßen “ , Pilgerfahrten und Zeugnisse des Jakobuskults in Süddeutschland (Ostfildern 2002). Resumen: Se pueden ver y encontrar indicios concretos del culto a Santiago (Patrocinios) y de la peregrinación a Santiago de Compostela (Camino de Santiago) en Alsacia a partir de mediados del siglo XI, pero especialmente a partir del siglo XII. Del siglo XIV y XV el autor menciona conocidas personalidades en relación con la peregrinación a Santiago de Compostela (miembros de la familia Hohenstaufen, Jacob Villinger, etc.). Debido al interés de un gran público por el Camino de Santiago, que nuevamente surgió en los años 70 y 80 del siglo pasado, se fundó la “ Jakobusgesellschaft ” (Sociedad local de Santiago). En primer lugar su obligación prioritaria era mostrar una ruta a los peregrinos, considerando las condiciones del tráfico y a la vez interconectando lugares históricos y significativos del peregrinaje. El artículo muestra esta ruta y describe las etapas más importantes. Ursula Kopp 256 <?page no="257"?> Abbildungsnachweis Augsburg, Staatsgalerie, Bayerische Staatsgemäldesammlungen Inv. Nr. 3568: S. 166 Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Wiegendrucke 73, f. 1 v: S. 169 Graz, Steiermärkisches Landesmuseum Johanneum: S. 53 (oben) Hagenau, Musée Historique: S. 250 Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum: S. 33, S. 53 (unten) Prag, Národní galerie v Praze [Nationalgalerie]: S. 48 Schwerin, Landeshauptarchiv: S. 141 (unten rechts) Straßburg, Archives municipales, Ser. IV, Charte 1: S. 73 Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. hist. fol. 415, 83r: S. 16 www.pilgerzeichen.de, Nr. 514: S. 141 (oben links) Medard Barth , Die Heilige Odilia. Schutzherrin des Elsaß. Ihr Kult in Volk und Kirche, 2 Bde. (Forschungen zur Kirchengeschichte des Elsaß 4, Straßburg 1938), Nr. I (S. 28); Nr. II. (S. 29). Eugène Bécourt , Andlau: son abbaye, son hôpital, ses bienfaiteurs 1 (Straßburg 1904 - 1921), S. 64: S. 70. Thomas Biller / Bernhard Metz , Der spätromanische Burgenbau im Elsaß (1200 - 1250) (Die Burgen des Elsaß 2, München/ Berlin 2007), S. 206: S. 99. Geiler von Kaysersberg, Johann, Die ältesten Schriften Geilers von Kaysersberg, ed. Léon Dacheux (Freiburg 1882), Tafel XVII (S. 183); Tafel XXI, Nr. 1 (S. 184); Tafel XXI, Nr. 2 (S. 185); Tafel XXII, Nr. 3 (S. 186); Tafel XXII, Nr. 4 (S. 187); Tafel XXIII, Nr. 5 (S. 188); Tafel XXIII, Nr. 6 (S. 189); Tafel XXIV, Nr. 7 (S. 190); Tafel XXIV, Nr. 8 (S. 191); Tafel XXIV, Nr. 9 (S. 192); Tafel XXV, Nr. 10 (S. 193); Tafel XXVI, Nr. 11 (S. 195); Tafel XXVI, Nr. 12 (S. 196). Hans Burgkmair 1473 - 1973. Das graphische Werk, hg. von Isolde Hausberger / Rolf Biedermann (Stuttgart 1973), Nr. 31, Abb. 35: S. 181. Herrad von Landsberg, Hortus deliciarum, ed. Rosalie Green , 2 Bde. (Studies of the Warburg Institute 36, London 1979), fol. 322v (S. 20); fol. 323r (S. 21). Lexikon der christlichen Ikonographie 8 (1976), Sp. 441: S. 141 (oben rechts). Weitere Abbildungsvorlagen, soweit nicht genauer bezeichnet, stammen von den Autoren. <?page no="259"?> Register der Orts- und Personennamen bearbeitet von Katharina Götz Das Register erfasst neben dem Haupttext auch alle Namen aus den Anmerkungen, sofern sie nicht in bibliographischen Angaben enthalten sind. Nicht berücksichtigt sind moderne Autoren, Namen in den spanischen Zusammenfassungen sowie in Bildlegenden und die Einführung. Personen werden bis Anfang/ Mitte des 16. Jahrhunderts unter dem Vornamen angeführt. Personen und Orte aus Quellenzitaten sind kursiv gesetzt; auf die moderne Schreibweise wird jeweils verwiesen. Alternative Schreibweisen werden in Klammern beim Hauptstichwort vermerkt. Adjektive sind den entsprechenden Substantiven (z. B. „ deutsch “ zu „ Deutschland “ ), Personenbezeichnungen ggf. den entsprechenden Toponymen zugeordnet (z. B. „ Deutscher “ zu „ Deutschland “ ). Datenangaben beziehen sich bei Herrschern, Päpsten und Bischöfen auf ihre Regierungszeit. Im Register werden folgende Abkürzungen verwendet: a. d. an der Äbt. Äbtissin bay. bayerisch Bf. Bischof Bg. Burg Btm. Bistum dt. deutsch Dyn. Dynastie Ebf. Erzbischof Ebtm. Erzbistum Fam. Familie Fl. Fluss frk. fränkisch frz. französisch Gf. Graf Gfn. Gräfin Gft. Grafschaft hl. Heilige(r) Hz. Herzog Hzgn. Herzogin Hzt. Herzogtum Jh. Jahrhundert Kard. Kardinal Kf. Kurfürst Kg. König Kgn. Königin Kgr. Königreich Ki. Kirche Kl. Kloster Ks. Kaiser Ksn. Kaiserin L. Land/ Landschaft Lgfn. Landgräfin Mgft. Markgrafschaft O. Ort o. d. ob der P. Papst Pfgf. Pfalzgraf röm-dt. römisch-deutscher St. Sankt, San, Saint(es), Santo, Santa V. Volk <?page no="260"?> Aachen, O. 40, 62, 132 - 134, 157 - Kreuzherrenkloster 42 Aalborg, O. 138 ‘ Abd ’ Alla¯ h, Taifenherrscher von Granada (1077 - 1090) 230 Abd ar-Rahman II., Emir von Córdoba (822 - 852) 208 Abrahan de la Rioja, siehe Dominikus de la Calzada Adalbert, Bf. von Prag (982 - 997), hl. 50 - 52, 54 f., 59 f., 63 Adalbert, Abt von Hornbach (um 975) 151 - 153 Adalbert von Sternberg, Bf. von Leitomischl (1372 - 1380) 47 Adalrich, Gf., möglicher Vater Odilias (um 700) 251 Adam, bibl. Person 52 Adam Petri, Buchdrucker ( † 1527) 179 Anm. 50 Adelheid, Äbt. von Andlau (1342 - 1358) 86 Adelphus (Adolff), Bf. von Metz, hl. ( † 5. Jh.) 114 Adenauer, Konrad, dt. Bundeskanzler (1949 - 1963) 247 Adolf von Nassau, dt. Kg. (1292 - 1298) 58 Adolff, siehe Adelphus Adrian, hl. ( † um 305) 229 Aemilianus von Cogolla (St. Millán de la Cogolla), hl. ( † 574) 209 - 211 Ägypten, L. 51 Äthiopien, L. 251 Afrika, L. 211, 232 Agatha von Catania, hl. ( † 250) 40 Agés, O. 212 Agnes von Poitou, Gemahlin Alfons VI. ( † 1078) 234 Agnes von Rappoltstein (um. 1517) 127 Agnes von Stauffenberg, Äbt. von Hohenburg (1340 - 1360) 24, 37 Agnes von Stauffenberg, Äbt. von Hohenburg (1388 - 1406) 37 Aidillo-Höhlen 209 Álava, L. 206, 230 Alban von Mainz, hl. ( † 406) 46, 57 Albrecht, Dionysius, Chronist ( † 1755) 37 f. Albrecht Dürer, Künstler ( † 1528) 178 Albrecht von Habsburg, dt. Kg. (1298 - 1308) 58 Albrecht II., Hz. von Österreich ( † 1358) 92 Alemannien, L. 72, 79, 145 f., 152, 159 Alexander II., P. (1061 - 1073) 239 Alexandria, O. 251 Alfons I. „ el Batallador “ , Kg. von Aragón und Navarra (1104 - 1134) 216, 241 Alfons VI., Kg. von León (1065 - 1109) und Kastilien (1072 - 1109) 206, 211, 213, 215 f., 227 - 235, 237 - 239, 241 Alfons VII. (Alfons Raimundez), Kg. von Kastilien-León (1126 - 1157) 212, 217, 235, 238 Alfons VIII., Kg. von Kastilien (1158 - 1214) 205 Anm. 1 Alfons X., Kg. von Kastilien-León (1252 - 1282), dt. Kg. (1257 - 1273) 222 Allgäu, L. 26 Almoraviden, Dyn. 232 f. Alpen, Gebirge 152 Alsatia, siehe Elsass Altenbruch, O. 137 Altkirch, O. 113 f. - Burg 93, 95, 102 f. - St. Christopherus, Kl. 115 f., 245 - St. Franziskus und St. Margarete, Kapelle 93 f., 104 Altötting, O. 156 Ambrosius, Bf. von Mailand (374 - 397), hl. 61 Ammerschweier (Amerschwiler), O. und Herren von 112, 116, 120 - 122, 172, 253 Al-Andalus, L. 231, 233 Andlau (Andaloiam, Andel(o)a, Nadaloia, Eley, Eleon), O. und Kl. 22, 24 Anm. 38, 35, 38, 65 - 72, 74 - 80, 85 f., 88 Anm. 122, 89 - 91, 114 Anm. 23, 246, 252 - St. Richardis (heute: St. Peter und Paul), Ki. 252 Andlautal 66 Anm. 4 Andreas Schad, Stadtschreiber von Mühlhausen (um 1458) 112 Angeot, O. 256 Register der Orts- und Personennamen 260 <?page no="261"?> Anna, hl. 59 Anna von Sachsen, Lgfn. von Hessen ( † 1462) 126 Annalista Saxo, Chronist (um 1150) 78 - 80 Anton Graf von Salm, Abt von Hornbach (um 1554) 158 Antoniter, Orden 135 Antonius, hl. 47 Antonius, Eremit, hl. ( † 356) 110, 112 f., 194 Antonius von Padua, hl. ( † 1231) 135 Apollinaris, hl. ( † 75 oder um 200) 113, 115 Anm. 31 Apollonia, hl. ( † 249) 41 Araber, V. 162, 231 Aragón, Kgr. 207, 230, 237 f. Arbogastus, Bf. von Straßburg (um 550), hl. 246 Ardennen, Gebirge 159 Arconada, O. 207, 222 - Kl. und Hospiz 207, 211 Arnold von Harff, Ritter ( † 1505) 186 Anm. 57 Arnulf, Bf. von Metz (614 - 629), hl. 43 Artio, Bärengöttin 66 Anm. 4 Aschaffenburg, O. 26 Astorga, O. 237 Asturien, L. 211, 232 Atapuerca, O. 212 Au am Inn, Kl. 148 Augsburg, O. und Bm. 159, 171 Anm. 16, 172, 178, 179 Anm. 48, 182 Augustiner, Orden 17 Anm. 24, 23 - 25, 212 Augustinus, Bf. von Hippo (395 - 430), hl. 212 Auvergne, L. 213 Avignon, O. 59, 154, 221 - Coelestinerkloster 173 Avolsheim, O. 250 - Dompeter, Ki. 250 Bad Dürkheim, O. 77 Anm. 71 Baden, L. 25 - 27, 31 Baden, O. 170, 172 Baden am Oberrhein, Mgft. 31, 37 Balduin von Luxemburg, Ebf. und Kf. von Trier (1307 - 1354) 39, 47, 52 Bamberg, O. und Btm. 16, 47 - St. Peter und St. Georg, Ki. 248 Bañares, L. 216 Barbara, hl. ( † 306? ) 40 Barcelona, Gft. 234 Barr, O. 91, 251, 255 Barth, O. 132 Bartholdi, Auguste, Bildhauer ( † 1904) 256 Bartholomäus, bibl. Person 124, 186 Baskenland, L. 214 Anm. 35 Baume-les-Dames, Kl. 13, 251 Basel, O. und Btm. 102, 109, 114, 116, 120 - 123, 132, 167, 170, 172, 177, 178 Anm. 42, 179 Anm. 50 - Kartause 198 Anm. 60 Bastogne, O. 159 Bayern (Oberbayern), L. und Kgr. 25, 27, 146 - 148, 156, 159, 161, 246 Belfort, O. 246, 253, 256 Bellamagny, Kl. 255 Belorado (Gelferâte), O. 213, 220 f. Benedikt IX., P. (1033 - 1045) 214 Benediktiner, Orden 16, 24, 27, 215 Anm. 44, 216, 246, 250, 254 f. Ber von Rechberg, Adliger (um 1443) 26 Anm. 42 Berber, V. 233 Berceo (Vergegio), O. 209 Bereswind, siehe Bersinda Berg, Kl. bei Eichstätt 22 Berlin, O. 178 Anm. 42 Bern, O. 31 - St. Vinzenz, Ki. 148 Bernard, dt. Pilger (Ende 14. Jh.) 217 Bernhard von Sauvetat, Abt von Sahagún, Ebf. von Toledo (1086 - 1124) 231 f. Bernhard, Abt von Clairvaux, hl. ( † 1153) 191, 194, 247 Bernhard, unehelicher Sohn Karls III. ( † 891/ 892) 81 Anm. 95 Berno, Abt von Reichenau (1008 - 1048) 150 Bernstein, Bg. 103 Bersinda (Bereswind), Hzgn., Mutter der hl. Odilia (2. Hälfte 7. Jh.) 12 f., 251 Bertha von Burgund, Gemahlin Alfons VI. ( † 1097) 234 Register der Orts- und Personennamen 261 <?page no="262"?> Berthold von Bucheck, Bf. von Speyer (1328), Bf. von Straßburg (1328 - 1353) 39 Berthold von Regensburg, Prediger ( † 1272) 201 Besançon, O. 13 Bianca Maria, dt. Kgn. (1494 - 1510), Erzhzgn. von Österreich (1494 - 1510), röm-dt. Ksn. (1508 - 1510) 157 Biesheim, O. und Kl. 111, 115, 120 Bilivio, Bg. 216 Bilstein, Bg. 92 f., 95, 102 - 105, 107, 116 Blasius, Bf. von Sebaste, hl. ( † 316) 113, 118 f. Blasiusbruderschaft, 120 Blatzheim, siehe Blotzheim Bliesgau, L. 147 Blotzheim (Blatzheim), O. 111 Bodensee 16, 30, 36, 145 f. Bodstedt, O. - St. Ewald, Kapelle 132 Bödekken, Kl. 150 Böhmen, L. 44, 47, 49 f., 55 f., 58, 61 f. Bozen, O. 25 Braulio, Ebf. von Zaragoza (590 - 651) 209 Anm. 16 Brauweiler, Kl. 42 Breisach am Rhein, O. 246, 254 Breisgau, L. 68 Bremen, O. und Ebm. 130, 134, 137 Bremerhaven, O. 137 Breslau, O. - St. Johannes, Ki. 59 Bretagne, L. 229 Brigida, Äbt. von Andlau (1004 - 1048) 74 Anm. 56 Briviesca, O. 213 Bruderberg, Kapelle 91 Bruderthal, Berg 252 Brunn, O. 102 - Bruderhaus 102 - Dinghof mit Bg. 102 - Marienkapelle 102 Bruno, Bf. von Toul (1026 - 1049), siehe Leo IX. Burchard, Burggf. von Magdeburg (um 1350) 59 Burgo de Santo Domingo, siehe Santo Domingo de la Calzada Burgos, O., Btm. und L. 210 - 213, 217, 223, 228, 232 f., 236, 238 f., 241 - Hospital del Emperador 228 - St. Juan Evangelista, Kl. 213 - St. Lesmes, Ki. 213 - St. Maria, Ki. 234, 248 Burgund, Kgr. und L. 49, 58, 124, 229, 238, 241, 246 Byzanz, L. 51 Calabria, O. 213 Calahorra, O. und Btm. 211, 217 Calixtus II., P. (1119 - 1124) 218 Camino francés, siehe Frankenweg Camino de Santiago, siehe Jakobsweg Canisius, Petrus, Ordensprovinzial ( † 1597) 158 Cardeña, Kl. 234 Carolus, siehe Karl Caspar zu Rhein von Mühlhausen, Bf. von Basel (1479 - 1502) 121 Castor, Dioskur 219 Celedonius, hl. ( † um 300) 211 Cella, siehe Zell Chaldaea, L. 213 Chartres, O. - Notre-Dame, Ki. 248 Chenzinga, siehe Kenzingen Christen 101, 146, 168, 172, 197 f., 201, 206, 208, 212, 231, 233 Christof von Utenheim, Bf. von Basel (1502 - 1527) 115, 122 f. Christopherus, hl. ( † um 250) 207 Chur, Btm. 159 Cid, siehe Rodrigo Diaz de Vivar Clavijo, O. 207 f., 224 Clemens VIII., P. (1592 - 1605) 159 Cluniazenser, Orden 216, 232, 239 Cluny, Kl. 216, 229, 234 f., 238, 239 Anm. 20, 241, 245, 255 Cogolla, St. Millán, Kl. 224 - St. Millán de Suso, Kl. 209, 211 Anm. 25 - St. Millán de Yuso, Kl. 209, 214 Coimbra, O. 229 Colmar (Columbaria), O. 68 Anm. 26, 93 Anm. 7, 114, 116 Anm. 36, 126, 147, 253 f., 256 - St. Martin, Ki. 110 Anm. 7, 116 Register der Orts- und Personennamen 262 <?page no="263"?> - Unterlinden, Kl. 115 f. Columbaria, siehe Colmar Congo, L. 251 Crispinus, hl. ( † um 287) 186 Crispinianus, hl. ( † um 287) 186 Crull, Friedrich, Historiker ( † 1911) 131 Dagbsurg-Egisheim, Gft. 75 Dänemark, L. 134 Dammerkirch, O. 116 Danzig, O. 136 David, bibl. Person 191 Dertingen, O. 30 Deutschland (Theotonicus, Norddeutschland, Süd[west]deutschland, Niederdeutschland, Ostdeutschland), L. 15 f., 22 - 25, 27, 30, 89, 129 f., 137, 143, 147, 155, 160, 162, 217 f., 229, 246 - 248, 256 Didimo, Bf. von Tarazona (um 560) 209 Dieboldum, siehe Theobald Diebolt, Mönch nach Dusenbach (um 1484) 111 Anm. 9 Diego II. Gelmírez, Ebf. von Santiago (1098/ 99 - 1140) 228, 241 Diepolt, Kind aus dem Elsass (*1502) 143 Dietrich II. von Luxemburg, Bf. von Metz (1005 - 1046) 149 Disterciosberge 209 Domingo, siehe Dominikus Dominicus Calceatensis, siehe Dominikus de la Calzada Dominikaner, Orden 219 Dominikus (Domingo García, Abrahan de la Rioja, S. Dominicus Calceatensis) de la Calzada, hl. ( † 1060 oder 1109) 205 f., 211 - 217, 220, 222 - 224 Dominikus (Domingo Manso, Dominikus Exiliensis), Abt von Silos, hl. ( † 1073) 210 Donau, Fl. 46 Dorlisheim, O. - St. Lorenz, Ki. 250 Dorothea, hl. ( † um 305) 59 Dragomira von Stodor, böhm. Fsn. ( † nach 934) 50 Drei-Ähren (Tres Spicas), O. 111 f., 116, 120 - 122 Drei Egse/ Drien Eichen/ dreyen Egeßheym, siehe Hohegisheim Dreifaltigkeitsberg, siehe Hohbarr Dürrenstein, Bg. 101 - St. Michael, Kapelle 101 Dusenbach (Thussenbach), O. 111, 116, 119 f. Düsseldorf, O. 40 Eberhard I., Gf. von Dagsburg-Egisheim (9. Jh.) 75 Eberhard, Etichonengf. ( † 747) 146 Eberhardiner, Dyn. 75 Ebersheimmünster, Kl. 147 Eddo, Abt von Reichenau (727 - 734), Bf. von Straßburg (739 - 763) 146 Edelinus, Abt von Wissembourg ( † 1293) 246 Eenwolde, siehe Thann Egisheim, O. und Gft. 14 f., 22, 95, 99, 250 Eichstätt, O. und Btm. 16, 22 Einsiedeln, Kl. 110, 123, 132 - 134, 165, 173 Elbe, Fl. 47, 134, 137 Elbe-Weser-Gebiet, L. 130 Eley, Eleon, siehe Andlau Elisabeth, Lgfn. von Thüringen, hl. ( † 1231) 47 Elsass (Alsatia, Oberelsass), L. 11 f., 15, 22 - 25, 27, 32, 34 f., 37 - 41, 45, 65 - 68, 72, 75, 78, 85, 89, 91 Anm. 2, 92, 94 f., 97, 102 f., 105, 107, 109 - 117, 123 f., 129 f., 132, 134, 142 f., 145 - 148, 159, 167, 172, 245 - 247, 250 - 255 Elß von Sant Pult, Pilger (um 1501) 120 Anm. 54 Elvira, Gfn. von Toulouse ( † um 1100) 235 Emaux, siehe Emmaus Emeterio (Model), hl. ( † um 300) 211 Emmaus (Emaux), O. 176, 191, 246 Emming, siehe St. Ottilien England, L. 25, 150, 152, 229 Ennewald, siehe Theobald de Entrambasaguas, Joaquín, Philologe ( † 1905) 217 Entringen, O. 22 Ewaldbruderschaft 133 Register der Orts- und Personennamen 263 <?page no="264"?> Enwoldbruderschaft 133 Enwold, siehe Theobald Eppenbrunn, O. 162 Eppingen, O. 27 Erasmus von Rotterdam, Theologe ( † 1536) 200 Erchangar (der Ältere) (Herchangarius), Gf. von Nordgau (um 850) 26, 67 - 69, 82 Erchangar, Sohn oder Neffe Erchangars von Nordgau (9. Jh.) 26, 67, 69 Erchangaren, Dyn. 71 Anm. 39 Eresingen, O. 27 Erhard, Bf. von Regensburg (um 700), hl. 13 f., 16, 26, 35, 44 - 46, 57, 60, 63 Ermengard, Ehefrau Lothars I. ( † 851) 71 Ermengard (Irmengart), Tochter Ludwigs II. ( † 896) 71 Ernst von Pardubitz, Ebf. von Prag (1343 - 1364) 47, 54, 56, 58 f., 61 Erstein (Erstheim), O. und Kl. 35, 38, 86 von Erthal, Friedrich Karl Joseph, Bf. von Worms (1774 - 1802) 161 Erwin von Steinbach, Künstler ( † 1318) 248 Essen, O. 40 Esslingen, O. 26 Estella, O. 236, 238 Eticho (Etticho), Hz. ( † nach 683), Vater der hl. Odilia 12 - 15, 17, 22, 27, 31, 35 f., 251 Etichonen, Dyn. 12, 71, 146 Étival, O. 23, 69, 79 Etscherland, L. 117 Eucharius, Mönch aus Schlettstadt (um 1484/ 5) 116 Anm. 27 Eugenia, Äbt. von Odilienberg ( † um 735) 13 Europa, L. 60, 62, 152, 178, 218 f., 236 f., 239, 247 Ewald, siehe Theobald Ewalde, Brüder, hl. ( † Ende 7. Jh.) 131, 133 Anm. 29, 137 Anm. 56 Ezzonen, Dyn. 35 Facundus, hl. ( † 300) 207, 211 Feldbach, O. und Kl. 116, 120 - St. Jakob, Ki. 245 Felices de Bilibio, hl. ( † 540) 209 Felix Fabri, Mönch ( † 1502) 32, 197 Anm. 60 Ferdinand I., Kg. von León (1035/ 38 - 1065) 229 Fernán de Gonzalez, Gf. ( † 970) 211 Anm. 25 Fessenheim, O. 246 Feuerstein, Martin, Maler ( † 1931) 255 Fides von Conques, hl. ( † 303) 238 Flandern, L. 136 Flensburg, O. 134, 136, 143 Florentius (Florenz), hl. ( † 3. Jh.) 35, 85 Florian von Lorch, hl. ( † 304) 137 Forchheim, O. 71 Franche-Comté, L. 251, 256 Franken, L. 15, 25, 30 Frankenreich (franci, Ostfranken, Rheinfranken), Kgr. und L. 66, 69 Anm. 34, 71 f., 146 f., 151 - 153, 228, 232, 238, 246 Frankenweg (Camino francés) 227 Frankreich, Kgr. und L. 25, 59, 110, 130, 142, 146, 160 f., 173, 212, 216 f., 221, 231 f., 238 f., 241, 246 - 248, 256 Freiburg im Breisgau, O. 27, 167, 172, 246 - Unserer Lieben Frau, Ki. 245, 248 - Universität 167, 170 Anm. 12 Fr(e)undsberg, Bg. 107 Anm. 60 Friedrich von Zollern, Bf. von Augsburg (1486 - 1505) 166 Anm. 3, 171 Friedrich von Lichtenberg, Bf. von Straßburg (1299 - 1306) 38 Friedrich I. Barbarossa, dt. Kg. (1152 - 1190), röm-dt. Ks. (1155 - 1190) 14, 15, 22, 247 Friedrich II., dt. Kg. (1211/ 12 - 1250), römdt. Ks. (1220 - 1250) 98 Friedrich II., Pfgf., Kf. von der Pfalz ( † 1556) 157, 158 Friedrich I., Hz. von Ferrette ( † 1160) 245 Friedrich II. Hz. von Schwaben ( † 1147) 15 Friedrich III., Gf. von Leiningen(-Dagsburg) ( † 1277) 101 Füssen, O. 172 Register der Orts- und Personennamen 264 <?page no="265"?> Galicien, L. 211, 227, 230, 235, 238, 241, 245 Gallien (Gallia), L. 151, 237 Gamundium, siehe Hornbach Gangolf, hl. ( † um 760) 113 García I., Kg. von Galicien (1065 - 1071) 230 García III., Kg. von Navarra (1035 - 1054) 211 Anm. 25 García de Nájera, Kg. von Pamplona (1035 - 1054) 206 Anm. 8, 207, 216 Gascogne, L. 229 de Gaulle, Charles, frz. Präsident (1959 - 1969) 247 Geiler von Kaysersberg, siehe Johann Geiler von Kaysersberg Geldern, O. 142 Gelferâte, siehe Belorado Gemünden, siehe Hornbach Gengenbach, Kl. 147 Georg Stuchs, Buchdrucker ( † 1520) 177 Gersam/ Gerschom, bibl. Person 174 Gildweiler, O. - Unserer Lieben Frau, Ki. 124 Girbaden (St. Veltinsberg), Bg. 98 - 100, 107 - St. Valentin, Kapelle 99 f. Girsberg, Herren von 112 Glatz, O. 54 - Augustiner-Chorherrenstift 54 - Pfarrkirche 54 Gómez von Carrión, Gf. (um 1047) 207 Gonzalo de Berceo, Dichter ( † um 1264) 210 Gorze, Kl. 78 Granada, O. 231 Grand Ballon, siehe Großer Belchen Grañón, O. 213 Gregor I. „ der Große “ , P. (590 - 604) 193 Gregor II., P. (715 - 731) 146 Gregor V., P. (996 - 999) 74 f. Gregor (Gregorius Ostiense), Bibliothekar, Kard.bf. von Ostia (998 - 1003), hl. 214, 215 Anm. 42 Grimald, Mönch (11. Jh.) 210 Anm. 22 Großer Belchen (Grand Ballon), Berg 254 Gueberschwihr, O. 254 Guebwiller, O. 255 - Dominikanerkloster 255 - St. Leodegar (St.-Léger), Ki. 255 Guillaume de Deguileville, Mönch ( † vor 1358) 173 Anm. 26 Guillermo Efesino, Ebf. (um 1350) 221 Gundelfingen, O. 22 Gunzenhausen, O. 27 Habsburger, Dyn. 103 Hacinas, O. 211 Anm. 25 Hagenau (Haguenau), O. 22, 38, 97 f., 246 f., 251 f. - St. Georg (Église St.-Georges), Ki. 247 - Historisches Museum 247 - Kaiserpfalz 96 f., 103, 105 Anm. 59, 247 - St. Johannes und St. Johannes Baptist, Kapelle 97 f. - St. Nikolaus (Église St.-Nicolas), Ki. 247 - Pilgerhospiz 247 Hambach, O. 162 Hamburg, O. 130 f., 134, 136 - St. Peter, Ki. 134 Hans Burgkmair der Ältere, Maler ( † 1531) 166 Anm. 3, 179 Anm. 48, 182 Hans Geiler, Stadtschreiber, Vater von Johann Geiler von Kaysersberg ( † 1449) 253 Hans Hammer, Dombaumeister (um 1490) 248 Hans Otmar, siehe Johann Otmar Hans Stuben, Pilger (um 1501) 120 Anm. 54 Haro, O. 209 Hartmannsweiler Kopf (Vieil Armand), Berg 255 Harxheim, O. 153 Hasfelde, O. 135 Haslach, O. 35, 39, 85 Haut-Rhin, L. 252 Haziga, Äbt. von Andlau (um 1160) 78 Anm. 72 Heidelberg, O. 157 - Universität 155, 157, 160 f. Register der Orts- und Personennamen 265 <?page no="266"?> Heidenheim, O. 27 Heilig-Kreuz, O. - St. Bartholomäus, Ki. 124 - Klosterkirche zum Hl. Kreuz 124 Heiliges Römisches Reich deutscher Nation, L. 41 f., 49, 103, 165, 247 Heinrich II., frk. Kg. (1002 - 1024), ital. Kg. (1002 - 1024), röm-dt. Ks. (1014 - 1024) 74, 149 f. Heinrich IV., dt. Kg. (1056 - 1106), röm-dt. Ks. (1084 - 1105) 147 Heinrich VII., dt. Kg. (1308 - 1313), römdt. Ks. (1312 - 1313) 56, 58 Heinrich von Worms, Hz. von Kärnten ( † 990) 149 Heinrich von Burgund, Gf. von Portugal ( † 1112) 234 f. Heinrich Rantzau, Junker ( † 1497) 135 Heiteren, O. 127 Helena, hl. ( † 329) 41 Anm. 29 Helenenberg, O. 39 von Helfenstein, Schweickhard, Präsident des Reichskammergerichts, ksl. Statthalter von Tirol (um 1575) 158 Hellring, O. 25 Herchangarius, siehe Erchangar Herlisheim, O. 96 Hermann Künig von Vach, Mönch ( † nach 1495) 223 Hermann von Fritzlar, Mystiker ( † nach 1349) 220 f. Hermann von Reichenau, Chronist ( † 1054) 81 f. Herrard von Landsberg, Äbt. von Hohenburg (1176 - 1195) 14, 17, 22 f. Hertzog, Bernhard, Chronist ( † 1596/ 97) 98 Heuss, Theodor, dt. Bundespräsident (1949 - 1959) 163 Heynlin vom Stein, Theologe ( † 1496) 167 Hieronymus Gebwiler, Chronist ( † 1545) 98 Hildegard, Ehefrau Karls d. Großen ( † 783) 43 Hirsau, Kl. 16, 23 Hispania, siehe Spanien Hochfelden, Bg. 92, 105 Anm. 59 Hohbarr (Hohebahr, Dreifaltigkeitsberg), Bg. 95, 100 f., 103 f. - St. Nikolaus (und St. Trinitatis), Kapelle 100 f. Hohegisheim (Drei Egse, Drien Eichen, dreyen Egeßheym, Hochen Egenßhein, Pancracyberg), Bg. 95, 99, 126 - St. Pankratius (Pancräcyen cappellen), Kapelle 96 Hohenberg, siehe Odilienberg Hohenstaufer, siehe Staufer Holland, L. 136, 142 Holstein, L. 134, 136, 137 Anm. 54, 138 Holubice, O. 60 Holzheim, O. 159 Honorius III., P. (1216 - 1227) 223 Horburg, O. 110 Horburg-Reichenweier, Herren von 124 Anm. 74 Hörmannshofen, O. 26 Hornbach (Gemünden, Gamundium), Kl. 146 - 151, 153 - 156, 158 - 163 - St. Fabian, Ki. 161 Horoskolf, Begleiter des hl. Philipps ( † 2. Hälfte 8. Jh.) 151 Hoya, O. - St. Martin, Ki. 137 Hugo, Gf. von Egisheim (frühes 10. Jh.) 14 Anm. 12 Hugo, Gf. von Tours ( † 837) 71 Hugstein, Bg. 104 Huna, hl. ( † um 687) 113, 124, 253 Huno, Ehemann der hl. Huna (7. Jh.) 113 Anm. 18, 253 Hunaweier (Hunawihr), O. 113, 116, 124, 253 - St. Jakob, Ki. 113 Anm. 20, 253 - Rathaus 253 Huy, O. 42 - Kreuzherrenkloster 42 Iberien, siehe Spanien Ida von Herzfeld, hl. ( † 825) 14 Ill, Fl. 250 Ingelheim, O. 62 Innozenz VI., P. (1353 - 1362) 46 Innozenz VIII., P. (1484 - 1492) 101 Innsbruck, O. 157, 158, 159, 162 - Jesuitenkirche 158 Register der Orts- und Personennamen 266 <?page no="267"?> - Jesuitenkolleg 158 - Salvatorkapelle 158 Irland (iroschottisch), L. 131, 162, 250 Irmengart, siehe Ermengard Isenheim, Kl. 110, 115 Italien, L. 25, 114 Anm. 25, 147, 21 Anm. 35 Jaca, O. 235 - 238 Jacobus von Voragine, Ebf. von Genua (1292 - 1298) 219 Jakobsweg (Camino de Santiago) 78 Anm. 73, 218, 221, 241, 247 Jakobus (St. Jocob, Santiago) der Ältere, bibl. Person 120 Anm. 54, 173, 197 Anm. 60, 201, 205, 207 f., 211 f., 217 - 220, 222, 228 f., 236, 245 - 247, 251 - 255 Jakob von Hohenstein, Ritter (2. Hälfte 15. Jh.) 99 Jakob Otther, Theologe ( † 1547) 179 Jakob Twinger von Königshofen, Chronist ( † 1420) 13 Anm. 8, 35, 72, 85 f. Jakob Villinger, Schatzkanzler Maximillians I. ( † 1529) 245 Jakob Wimpfeling, Historiker ( † 1528) 96, 167, 173 Jean Bogart, Künstler (um 1500) 253 Jean Charlier de Gerson, siehe Johannes Gerson Jérôme Gebwiler, siehe Johannes Gebwiller Jerusalem, O. 32, 142, 197 Jesus Christus (Jhesus) 17, 22, 32, 49 f., 52, 54, 76, 150, 170, 176, 191, 246, 252 f., 255 Jörg Preining, Handwerker ( † 1526/ 27) 178 Johanna von Pfirt, Hzgn. von Österreich ( † 1351) 92, 104 Johann von Nepomuk, hl. ( † 1393) 57 Johann von Jenstein, Bf. von Meißen (1376 - 1378), Ebf. von Prag (1379 - 1396) 46, 56 Johann Oc ˇ ko von Vla š im, Bf. von Olmütz (1351 - 1364), Ebf. von Prag (1364 - 1378), Kard. von Santi Apostoli (1378 - 1380), Kanzler Karls IV. 24, 36, 39, 45 - 47, 50 f., 54 - 60, 62 f. Johann von Neumarkt, Bf. von Olmütz (1364 - 1380), Kanzler Karls IV. 47 Johann von Draschitz, Bf. von Prag (1301 - 1343) 59 Johann IV. von Fleckenstein, Bf. von Basel (1423 - 1436) 94 Johann II. von Lichtenberg, Bf. von Straßburg (Iohanne episcopo Argentinensi, Johannes de Liehtenbergk) (1353 - 1365), Generalvikar Balduins von Luxemburg (1349), Domherr in Trier (1349) 24, 35 f., 38 f., 100 Johann Gösseler, Ravensburger Kleriker (Ende 15. Jh.) 197 Anm. 60 Johann von Kindhausen, Abt von Hornbach (1. Hälfte 16. Jh.) 158 Johann Gebwiller (Jérôme Gebwiller), Pfarrer von Kaysersberg (1485 - 1498) und Türkheim (1498 - 1504), Kanoniker von St. Peter (Basel) (seit 1508), Dekan und Rektor der Basler Universität (bis 1529) 121 f., 245 Johann von Wachenheim, Kanoniker (um 1407) 154 Johann Ehenheim, Pfarrer in Nürnberg (um 1438) 52 Johann Bonn von Wachenheim, Mönch in Hornbach (um 1540) 158 Johann von Eppa, Kreuzbruderkonverse (um 1287) 41 Johann, engl. Mönch, Pilger zum Odilienberg (um 1132) 15 Johann Geiler von Kaysersberg, Prediger ( † 1510) 121, 123, 165, 166 Anm. 3, 167 f., 170 - 173, 177 - 180, 182, 184 - 186, 188, 190 f., 193 f., 197 - 202, 248, 253 Johann von Luxemburg „ der Blinde “ , Kg. von Böhmen (1310 - 1346) 46, 59 Johann Grüninger, Buchdrucker ( † 1532) 177 Johann (Hans) Otmar ( † 1546) 179 Anm. 48, 182 Johannes, bibl. Person 136 Johannes d. Täufer, hl. 22, 58, 97, 113, 246 Johannes VIII., P. (872 - 882) 68, 80 Johannes XXIII., P. (1003 - 1009) 214 Register der Orts- und Personennamen 267 <?page no="268"?> Johannes, Bf. von Arezzo (nach 872 - 898) 69 Anm. 27 Johannes Gerson (Jean Charlier de Gerson), Theologe, Kanzler der Pariser Universität ( † 1429) 168, 173 - 178, 198 Anm. 61, 199 Johannes, Coelestinermönch (um 1417) 174 f. Johanniter, Orden 115 John Person, engl. Seesoldat 142 Juan de Ortega (Juan de Quintana Ortuña), hl. ( † 1163) 211 f., 215 Juan de Quintana Ortuña, siehe Juan de Ortega Jubarte, siehe Olgobarte Juden 231 f., 248 Julius III., P. (1550 - 1555) 157 Jungholtz, O. 252, 255 Kaefferkopf, Berg 252 Kaiserslautern, O. 155 Kammin, Btm. 131 Kapetinger, Dyn. 234 Kapuzinerorden 250 Karl der Große, frk. Kg. (768 - 814), Ks. (800 - 814) 43, 82 Karl III. (Carolus), ostfrk. Kg. (876 - 887), westfrk. Kg. (884 - 888), röm-dt. Ks. (881 - 888) 67 - 69, 71, 76, 79 - 82, 88 f., 252 Karl IV., dt. Kg. (1346 - 1378), böhm. Kg. (1347 - 1378) und röm-dt. Ks. (1349 - 1378) 24, 35 - 47, 49 - 52, 54 - 59, 62, 66, 85 f., 89 f., 97 Karl V., dt. Kg. (1519 - 1558), röm-dt. Ks. (1530 - 1558) 248 Karl V., Dauphin von Frankreich (1349 - 1364), Kg. von Frankreich (1364 - 1380) 43 Karl Theodor, Pfgf., Kf. von der Pfalz (1742 - 1799), Kf. von Bayern (1777 - 1799) 161 Karlstein, Bg. 37, 42 f., 51 f., 60, 62 Karolinger, Dyn. 43, 57, 62, 67, 147, 232, 238 Kartäuserorden 193, 250 Kastilien, Kgr. und L. 205 Anm. 1, 206 f., 213, 216, 230, 232 - 234, 238 Kastilien-León, Kgr. und L. 211, 227, 239 Katalonien, L. 240 Anm. 24 Katharina von Alexandria, hl. ( † 306) 61, 63 Katharina von Stauffenberg, Äbt. von Hohenburg (1304 - 1312) 37 Katharina von Stauffenberg, Äbt. von Hohenburg (1409) 37 Katzenelnbogen, Gft. 31 Katzenthal, Gemeinde 253 Kaysersberg, O. 122, 167, 252 f. - Burg 253 - Hl. Kreuz-Kirche (Église St.- Croix) 253 - Geburtshaus Albert Schweitzer 253 Kehl, O. 246 f. Kelten, V. 205 Anm. 1 Kenzingen (Chenzinga), O. 69 Anm. 31 Kerkingen, O. - St. Ottilia, Ki. 26 Kiel, O. 134, 136 f. Kienzheim, O. 112, 116 Kingersheim, O. 113 Kinzheim (Kintzheim), O. und Bg. 101, 252 f. - St. Jakob, Kapelle 102, 252 Kinzigtal 147, 247 Kipfert, Franz, Einsiedler (um 1740) 102 Anm. 51 Kirchberg, Berg 252 Kollmitzberg, O. - St. Odilia, Ki. 26 Köln, O. 23, 40 - 42, 58, 137 Anm. 56 - St. Apern, Kl. 42 - St. Gereon, Kl. 42 - St. Petrus, Ki. 46 Kompostella, siehe Santiago de Compostela Konrad von Lichtenberg, Bf. von Straßburg (1273 - 1299) 38 Konrad von Megenberg, Kanoniker, Theologie, Naturwissenschaftler ( † 1374) 45 Konrad II., dt. Kg. (1024 - 1039), röm-dt. Ks. (1027 - 1039) 75 Anm. 58, 77 Anm. 71, 149 Konrad, Hz. von Kärnten (1004 - 1011) 149, 151 Konstanz, O. und Btm. 159, 172, 174 Konstanze von Burgund, Gemahlin Alfons VI. ( † 1092) 213, 231, 234 Register der Orts- und Personennamen 268 <?page no="269"?> Kornelimünster, O. 39 Kornelius, Bf. von Rom (251 - 253), hl. 39 Kraichgau, L. 28 Kuder, René, Künstler ( † 1962) 252 Künig von Vach, siehe Hermann Künig von Vach Kurpfalz, siehe Pfalz La Chaise-Dieu, Kl. 213 Laffi, Domenico, Pilger (um 1673) 223 Anm. 77 Lahr, O. 147 Lambertiner, Dyn. 147 Landau, O. 158 Landsberg, Bg. 103 Lapoutroie, O. 253 Launheim, O. 91 Laurentius, hl. ( † 258) 59 Lautenbach, O. - St. Gangolf, Ki. 111 Lazarus, hl. 35, 85 f., 89 f. Leimbach (Leymbach), O. 116 - 120 Lengstein, O. 25 - St. Odilia, Ki. 25 Leo IV., P. (847 - 855) 86 Leo IX. (Bruno, Bf. von Toul, Gf. von Dagsburg-Egisheim), P. (1049 - 1054) 15, 66, 72, 74 f., 77 f., 89, 96, 124, 250, 252, 254 León, O. und Kgr. 229 f., 232, 235 f., 240 - St. Marcelo, Ki. und Hospiz 229 - St. Adrian, Ki. und Hospiz 229 Leonhard (Lienhard) Schnider, Schlettstädter Bürger (um 1510) 115 Anm. 28, 115 Anm. 31 Lesmes (San Idraúlico), Abt von La Chaise-Dieu, hl. ( † 1097) 212 f. Levante, L. 233 Lichtenberg, Bg. und Herren von 100, 105 Anm. 59 Lichtenthal, Kl. 31 Lienhard, siehe Leonhard Limburg a. d. Haardt, Kl. 77 Anm. 71 Lindelbach, O. 30 Liutward, Bf. von Vercelli (880 - 900/ 901), Kanzler Karls III. 79 - 81, 88 Livland, L. 136 Logroño, O. 211 f. Lombardei, L. 117, 229 London, O. 210 Lorsch, Kl. 154 Lothar I. (Luutharius), frk. Kg. (843 - 855), röm-dt. Ks. (840 - 855) 67, 71 Lothar II., frk. Kg. (855 - 869) 67 Lothringen, L. 23, 25, 79 Anm. 79, 142, 147 f. Loudun, O. 212 Lübeck, O. und Btm. 130 - 136 - Beginenhaus 133 - St. Katharinen, Ki. 133 Lucas, Bf. von Túy (1239 - 1249) 208, 240 Lucas Zeissenmair, Buchdrucker ( † 1502) 178 Ludmila von Böhmen, hl. ( † 921) 45, 50, 52, 54, 60 Ludwig der Fromme, frk. Kg. und Ks. (814 - 840) 43, 67 Anm. 17, 82 Ludwig der Deutsche, frk. Kg. (840 - 876) 67 - 69, 75, 76 Anm. 64 Ludwig II., ital. Kg. (839/ 40 - 875), röm. Ks. (855 - 875) 71 Ludwig III. „ der Blinde “ , röm. Ks. (901/ 2 - 905) 71, 81 Anm. 99 Ludwig I., bay. Kg. (1825 - 1848) 162 Ludwig XI., Kg. von Frankreich (1461 - 1483) 142 Ludwig XIV., Kg. von Frankreich (1643 - 1715) 248 Ludwig IV., Pfgf., Kf. von der Pfalz (1436 - 1449) 155 Ludwig V., Pfgf., Kf. von der Pfalz (1508 - 1544) 157 Lugo, O. und Btm. 236 Lüneburg, O. 137 Lupus, Bf. von Siena (881 - 897) 67 Anm. 27 Lutter, O. 102 Luutharius, siehe Lothar I. Luxemburg, L. 148, 159 Luxemburger, Dyn. 46, 55, 62 Luzern, O. 15 Luzia, hl. ( † 310? ) 40 f., 44, 46 Lyon, O. 173 Maas, Fl. 42 Maastricht, O. 142 Register der Orts- und Personennamen 269 <?page no="270"?> Madrid, O. 251 - St. Millán y St. Cayetano, Ki. 211 Anm. 25 Mähren, L. 47 Mailand, O. 157, 238 Mainz, O. und Ebm. 46, 72, 74, 152, 154, 156, 158 f., 246 al-Ma ’ mu¯ n, Taifenherrscher von Toledo (1043/ 44 - 1075) 231 Manier, Guillermo, Pilger (2. Hälfte 17. Jh.) 223 Anm. 77 Marbach bei Colmar, Kl. 23, 25 Marburg, O. 47 Margarethe von Savoyen, Pfalzgräfin ( † 1479) 155 Maria, Gottesmutter 15, 17, 23, 31, 48 - 51, 54, 78 Anm. 73, 104, 111 - 114, 116, 147, 207, 211, 220 - 222, 254 f. Maria Magdalena, bibl. Person 172 Maria Sabina von Offenburg, Äbt. von Andlau (ab 1637) 89 Anm. 130 Maria Laach, Kl. 40 Mariastein, Bg. 107 Anm. 60 Marinaeus Siculus, Gelehrter ( † um 1533) 214 Anm. 39 Markgräflerland, L. 117 Marlenheim, O. - St. Richardis, Ki. 76 Anm. 68, 85 Marseille, O. 172 Martin, Bf. von Tours (ca. 371 - 396/ 7), hl. 211, 238 Martin Flach, Buchdrucker ( † 1510) 177 Martin Luther, Theologe ( † 1546) 157, 199 - 201 Martha, bibl. Person 59 Masmünster, Kl. 116 Matanza, O. 208 Mathias Axekow, mecklenburgischer Statthalter ( † 1445) 132 Mathilde I., Äbt. von Andlau (1024 - 1056) 74 Anm. 56, 77 Mathilde II., Äbt. von Andlau (1144/ 46 - 1160) 77, 78 Anm. 72, 79 Matthias, hl. 39 Matthias von Arras, Architekt ( † 1352) 56 Matthias von Neuenburg, Chronist ( † nach 1364) 35 Matthias Schürer, Buchdrucker ( † 1519) 179 Anm. 51 Matthias, Pilger nach Thann (um 1451) 136 f. Mauren, V. 205 Anm. 1, 206, 209, 211 Maursmünster, Kl. 147 Maximilian I., dt. Kg. (1486 - 1519), Erzhz. von Österreich (1493 - 1519), röm-dt. Ks. (1508 - 1519) 157, 165, 245 Meaux, O. 146 Mecklenburg, L. 130, 132 f., 199 Meißen, Btm. 47 Meister von Messkirch, Künstler (1. Hälfte 16. Jh.) 30 Anm. 50 Mendat, siehe Obermundat Merowinger, Dyn. 68 Anm. 25, 251 Metz, O. und Btm. 43, 47, 147 f., 154 f., 159 - St. Arnulf, Kl. 43 - St. Vinzenz, Kl. 44 Michael, Erzengel, hl. 151 Midian, L. 174 Millán de la Cogolla, siehe Aemilianus von Cogolla Miltenberg, O. 26 Model, siehe Emeterius Molsheim, O. 117, 250 - Jesuitenuniversität 250 - Kartause (Stadtmuseum) 250 Montbéliard (Württemberg-Mömpelgard), O. 253 Morand(us), Prior von Altkirch ( † 1115), hl. 113, 245 Mörsach, O. - Ottilienbrünnlein 26 Mosel, Fl. 36, 41 f., 147, 159 Moses, bibl. Person 174 Mozaraber 213, 215 Anm. 44, 238 f. Mühlhausen, O. 124 Anm. 74 München, O. 155 Münster, O. 124 Anm. 74, 147 Münstertal, L. 124 Anm. 74 Murbach, Kl. 104, 146 Muslime 206, 208, 230 - 233, 236 Nadaloia, siehe Andlau Nahe, Fl. 147 Nahegau, L. 151 Register der Orts- und Personennamen 270 <?page no="271"?> Nájera (Nazara), O. und L. 206 f., 212 f., 216, 229, 240 - St. Maria la Real, Kl. und Ki. 207 Nájera-Calahorra, Btm. 215 Navarra, Kgr. und L. 205 Anm. 1, 206 f., 213 f., 230, 238 Nazara, siehe Nájera Neapel, O. 213 Neresheim, O. 26 Neubourg, Kl. 247, 251 Neuenfels, O. 117 Neuenkirchen, O. 137 Neuffen, O. 22 Neustadt, O. 162 Neustift, Kl. 25 Neuweiler, Kl. 147 New York, O. - Freiheitsstatue 256 Niclaus von Lübeck, Pilger 134 Anm. 36 Niederaltaich, Kl. 147 Niederlande, L. 25 Niedermorschwihr, O. 254 Niedersachsen, L. 134 Nikolaus, Bf. von Myra (1. Hälfte 4. Jh.), hl. 15, 100, 211, 238 Nikolaus von Weis, Bf. von Speyer (1842 - 1869) 162 Nikolaus von Bari, Abt, hl. (1. Hälfte 13. Jh.) 212 Nikolaus von der Fluë, Einsiedler ( † 1487) 172 Nikolaus Kessler, Buchdrucker ( † 1510) 177 Ninive, O. 251 Nompar de Caumont, Pilger ( † 1428) 221 Normandie, L. 217, 229 Nürnberg, O. 62, 177, 246 Oberbessenbach, O. - St. Ottilia, Ki. 26 Oberehnheim, siehe Obernai Obermichelbach, O. 115 Anm. 31 Obermundat (Mendat), L. 96 Obernai (Oberehnheim), O. 11, 38, 91, 145 Anm. 1, 159, 227 Anm. 1 Obersteigen, Kl. 101 Oberwesel, O. 40 Oca-Berge 212 f. Odenwald, L. 26 Odilia (Ovtilia, Ottilia, Odile, Otylia), hl. ( † 717? ) 11 - 17, 22 - 27, 30 - 32, 34 - 36, 39 - 42, 44 - 47, 57, 60 - 63, 65 f., 86, 90, 145, 251 Odilia ( „ Kölner Odilia “ ), Gefährtin der hl. Ursula, hl. ( † um 451) 42 Odilia 1, weitere Gefährtin der hl. Ursula ( † um 451) 42 Odilia 2, weitere Gefährtin der hl. Ursula ( † um 451) 42 Odilia 3, weitere Gefährtin der hl. Ursula ( † um 451) 42 Odilienberg (Hohenberg, Hohenburg, Hohenburc), Berg, Bg., Kl. 11 - 15, 17, 22 - 25, 27, 30, 32, 35 f., 38, 41, 46, 65 f., 76 Anm. 68, 86, 90 f., 123, 243, 251 - Johanneskapelle 13 f. - Michaelskapelle 251 - Refektorium 17 - Stiftskirche 15, 251 - Tränenkapelle 251 Ölenberg, Kl. 116 Olgobarte (Jubarte), O. 216 Offenburg bei Lahr, O. 37, 246 Oja, Fl. 214 Oldenburg, O. (Holstein) 138 Oldenburg, O. (Oldenburg) 138 Oldenburg, L. 138 Olmütz, Btm. 47 Ortega, O. 212 Österreich (Niederösterreich), L. 25 f., 156, 248 Osterberg, Berg 152 - St. Michael, Kapelle 153 Ostsee 132 Otfried von Weißenburg, Mönch ( † 875) 246 Ottheinrich, Pfgf., Kf. von der Pfalz (1556 - 1559) 158 Ottilia, siehe Odilia Otto II., dt. Kg. (961 - 983), röm-dt. Ks. (973 - 983) 151 Otto von Worms, Hz. von Kärnten (978 - 983, 995 - 1004) 151 Otylia, siehe Odilia Ovtilia, siehe Odilia Oviedo, O. 232 Register der Orts- und Personennamen 271 <?page no="272"?> Padrón, O. 205 Padua, O. 39 Palmatius, Bürgermeister von Trier ( † 286) 42 Pamplona, O. 206 Anm. 8, 230, 236 - St. Maria la Real, Ki. 248 Pancracyberg, siehe Hohegisheim Pancratius (Pankrazius), hl. ( † 304) 96, 113 Paring, Kl. 25 f. Paris, O. 41, 60, 146, 168, 175, 222 Anm. 73, 251 - St.-Chapelle 43 - Universität 168 Paulus, bibl. Person 252 Pavia, O. 50 - St. Marinus, Kl. 68 Pedro Nazar, Bf. von Calahorra (1089 - 1109) 216 Pedro Marcio, Kleriker aus Santiago (Mitte 12. Jh.) 208 Pedro Ansúrez, Gf. von Saldaña und Carrión ( † 1118/ 19) 232 Pedro de la Vega (um 1521) 217 Permesknupp, Pirminskapelle 159 Peter Hemmel, Künstler (um 1500) 246 Peter Murer, Künstler (um 1460) 30 Anm. 50 Peter Parler, Architekt ( † 1399) 56 Peter Schott der Ältere, Straßburger Ammeister ( † 1504) 168, 170, 177, 199 Petrus, bibl. Person 17, 76, 136, 147, 207, 252 Pfäfers, Kl. 147 Pfaffenheim, O. 126 Pfalz (Kurpfalz), Gft. und L. 77 Anm. 71, 145 f., 148 - 150, 152 - 158, 160 - 163, 246 Pfalz-Neuburg, Hzt. 161 Pfalz-Zweibrücken, Hzt. 160 - 162 Pino de Yuso, L. 217 Philippus, bibl. Person 246 Philipp, hl. ( † 750) 150 - 157, 161 f. Philipp, Pfgf., Kf. von der Pfalz (1476 - 1508) 155 Philippsbruderschaft 154 - 156 Pinar de Tevar, O. 233 Pippin, frk. Kg. (751 - 768) 151 Pirineis, siehe Pyrenäen Pirmasens, O. 162 Pirmin, Bf. von Meaux (? ), hl. ( † 753) 145 - 150, 152, 158 f., 161 - 163 Pisa, O. 56 Plochingen, O. - Ottilienkapelle 26 Poitou, L. 212 Pollux, Dioskur 219 Pommern, L. 130 - 133 Ponferrada, O. 237 Porrentruy, O. 121 Anm. 63 Portugal, Gft. 235 Potiphar, bibl. Person 221 Praelatenberg 252 Prag, O. und Ebm. 24, 37, 44 - 47, 50 f., 57 - 62, 86, 246 - Altstädter Brückenturm 50 - Bischofspalast 59 - St. Elisabeth und Antonius, Hospital 47 - Hospital 47 - Hradschin 47 - Karlsbrücke 62 - Karlsuniversität 60, 62 - St. Veit, Ki. 24, 41, 45 - 47, 49 - 52, 55, 57 Anm. 74, 58 f., 61 f. - Achskapelle 58 - Alban-, Erhard- und Odilienkapelle 46, 57 f. - Annenkapelle 59 - Grabkapelle Johann Oc ˇ kos 60 f. - Sächsische bzw. Sternberger Kapelle 58 - Sigismundkapelle 58 - Wenzelkapelle 58 - Vy š ehrad, Bg. 47 Prämonstratenser, Orden 24 Preczlaus von Pogarell, Bf. von Breslau (1341 - 1376) 59 Preußen, L. 50 Primitivus, hl. ( † 120) 207, 211 Pr ˇ emysliden, Dyn. 45 f., 56, 58 f. Prokop, Priester, Einsiedler, Abt ( † 1053) 50, 52, 54 f. Provence, L. 172, 229 Pyrenäen (Pirineis), Gebirge 206, 236, 239, 241 Register der Orts- und Personennamen 272 <?page no="273"?> al-Qa¯ d ˙ ir, Taifenherrscher von Toledo (1075 - 1085) und Valencia (1086 - 1092) 231, 233 Quintana Ortuña, O. 212 Radolfzell, O. 26 Rädersdorf, O. 102 Rätien, L. 147 Raimund Peraudi, Bf. von Gurk (1493 - 1505), Kard. von St. Maria in Cosmedin (1493 - 1505) 89 Raimund von Burgund, Gf. von Galicien (1093 - 1107) 227 f., 234 f., 241 Raimund IV. von St-Gilles, Gf. von Toulouse (1093 - 1105) 235 Ramiro I., Kg. von Asturien (842 - 850) 208 Randegg, O. - St. Ottilia, Ki. 26 Rantzau, Bg. und Herren von 135 Ranut, Kard. (um 1637) 89 Anm. 130 Rappoltstein (Ulrichsburg, St. Ulrich, Rapoltzstein), Bg. und Herren von 94 f., 102 - 104, 107, 116 Anm. 33, 245 - St. Ulrich (St. Ulrihs, S. Ulricus), Kapelle 94, 116 Rappoltsweiler (Ribeauvillé), O. 94, 119, 245 - Schloss 94 - S œ urs de la Divine Providence de Ribeauvillé, Pensionat 85 Rastatt, O. 147 Ratzeburg, O. 131 Raudnitz (Roudnice), Bg. - Marienkapelle 47, 61 Raynald (Renaud Ruèce), Abt von St. Arnulf, Metz (seit 1354), Hofkaplan Karls IV. (um 1356) 43 Rechberg, L. 31 Redecilla, O. 213 Regensburg (Rituspona), O. und Btm. 25 f., 44 f., 47 - Niedermünster, Kl. 13 f., 38, 45 Regino von Prüm, Chronist ( † 915) 80 - 82 Regula von Lichtenthal, Nonne ( † 1478) 31 Reichenau, Kl. 82, 146, 148, 159 Reichenweier (Richenwilre), O. 92 f., 114, 126 - Liebfrauenkapelle 93 Reiningen, O. 113, 116 Relindis (Relinda), Äbt. von Hohenburg (um 1153 - 1176) 14, 17, 22 Remling, Franz Xaver, Pfarrer ( † 1873) 162 Rhein, Fl. 22, 24 f., 30, 32, 36, 40, 66, 68, 145, 159, 168, 247, 252, 254 f. Rheinhessen, L. 148, 154 Rheinfranken, siehe Frankenreich Rhodos, Insel 142 Ribadeneyra, R. (um 1599) 217 Ribeauvillé, siehe Rappoltsweiler Riccardis, Richareda, Richarde, Richardis, siehe Richgard Richardis, Urgroßmutter Leos IX. 75 Richenwilre, siehe Reichenweier Richgard (Richarde, Richgarda, Rickart, Richardis, Riccardis, Richareda, Rihcart), röm-dt. Ksn., hl. ( † um 900) 65 - 69, 71 f., 75 - 82, 85 f., 88 - 90 Rioja (Rivigoja), L. 205 - 207, 209 - 212, 214 - 216, 224, 230, 252 Rituspona, siehe Regensburg Rivigoja, siehe Rioja Rizzi, Juan, Künstler (um 1653) 211 Anm. 25 Robert I., Hz. von Burgund (1032 - 1075) 234 Rodrigo Jiménez de Rada, Ebf. von Toledo (1209 - 1247) 208 Rodrigo Diaz de Viva (Cid), Ritter ( † 1099) 227, 230, 232 - 234 Rom, O. 32, 55, 61 f., 68, 74, 91, 133, 146, 150, 152, 154, 180, 182, 197, 199 f., 207, 211, 213, 215 Anm. 44, 238 - 240 - Alt-St. Peter, Ki. 55, 207 Romanus, hl. ( † 258) 113 Römisches Reich, L. 8, 205 Anm. 1, 207, 236, 252 Roncesvalles, O. 205, 236 Rosacker, Weinbaugebiet 252 Rosenkranz bei Hausen, O. - Liebfrauenkapelle 126 Rosenthal, O. 58 Rosenwiller, O. 252 Register der Orts- und Personennamen 273 <?page no="274"?> Rosheim, O. 38, 250, 252 - St. Peter und Paul (Église St.-Pierre-et- Paul), Ki. 251 - Pilgerhospiz, Jakobuskapelle (heute: Krankenhaus) 251 Rostock, O. - St. Marien, Ki. 133 Rothenburg o. d. Tauber, O. 246 Rüdenau, O. - Ottilienkapelle 26 Rudolf von Schlettstadt, Prior (um 1300) 112 Rudolf I., Hz. von Sachsen-Wittenberg (1298 - 1356) 58 Rudolf von Hohenstein, Ritter (um 1395) 99 Rufach, O. 96 Anm. 20, 111, 114 f. Rugacker, Kl. 26 Rumold, Bf. von Konstanz (1051 - 1069) 15 Ruprecht von Simmern, Bf. von Straßburg (1440 - 1478) 122 Anm. 68 St. Anna, Ki. (bei Barr) 91 St. Apollinaris, Kl. (Elsass) 115 St.-Denis, O. und Ki. 58, 60 St.-Dié, Kl. 116, 253 St. Egidius im Lebertal, siehe St.-Gilles im Vorderen Weilertal St. Gallen, Kl. 13 St.-Gilles im Vorderen Weilertal (St. Egidius im Lebertal), O. 110 Anm. 7 St. Gorgon, Kl. 23 St. Jakob, siehe Santiago de Compostela St.-Maries-de-la-Mer, O. 123 St. Markus (St.-Marc, Sigismundzell), Kl. 254 St. Maximin, O. 172 St. Nicolas-du-Port, O. 142 St. Ottilien im Mußbachtal, Kapelle 26 St. Ottilien (Emming), O. und Kl. (Oberbayern) 27 - Ottilienkapelle 27 St. Ottilienberg bei Hörmannshofen, Kapelle 26 St. Veltinsberg, siehe Girbaden St. Wolfgang, O. 156 Saale, Fl. 147 Saarbrücken, O. 155 Saarburg, O. 101 Saarland, L. 24 Säckingen, Kl. 68 Sagrajas (al-Zalla¯ qa), O. 233 Sahagún, Kl. und O. 207, 228 f., 235 f., 238, 241 Salier, Dyn. 12 Anm. 6, 147, 149, 151 Samuel, Abt von Wissembourg ( † 1097) 246 Sancho I. Ramírez, Kg. von Aragón (1063 - 1094) 230, 237 f. Sancho II., Kg. von Kastilien (1065 - 1072) 230 f. Sancho III. García „ el Mayor “ , Kg. von Navarra (1009 - 1035) 206, 216, 237 Sancho IV. el de Peñalén, Kg. von Navarra (1054 - 1076) 206 Anm. 8, 216, 230 Sancho VI., Kg. von Navarra (1150 - 1194) 205 Anm. 1 Sancho Garcés el Mayor, Kg. von Pamplona (1004 - 1035) 214 Sancho García, Gf. von Kastilien ( † 1029) 214 Sancho, Sohn Alfons VI. ( † 1108) 235 Sancte Domine, siehe Santo Domingo de la Calzada San Emeterio (San Model), L. 217 San Idraúlico, siehe Lesmes San Juan de Ortega, Kl. 212, 224 Santiago, siehe Jakobus Santiago de Compostela (St. Jakob, Kompostella), O. 32, 91, 133, 142, 165, 173, 182, 197, 201, 207 f., 214, 217, 220, 227 - 229, 236 - 238, 241, 245, 251 - St. Jakob, Ki. 208 f., 228 f. Santo Domingo de la Calzada (Burgo de Santo Domingo, Sancte Domine), O. und Kl. 205, 207, 212 f., 215 - 218, 220 Anm. 68, 221 - 224, 229 - Franziskanerkonvent 224 - Kathedralarchiv 221 - St. María y Salvador, Ki. 216 - 218, 221, 224 - Pilgerhospital 223 f. - Plaza del Santo 224 Anm. 85 Santo Domingo de Silos, O. und Kl. 209 Anm. 18, 210 Sarazenen, V. 80 Register der Orts- und Personennamen 274 <?page no="275"?> Saturnin, Bf. von Toulouse, hl. ( † um 250) 238 Schäfertal (Schaefferthal), Notre-Dame, Kapelle (Val du Pâtre) 126, 254 Schaffhausen, O. 165 - Allerheiligen, Kl. 15 Schauenberg, Notre-Dame, Kl. 126, 246, 254 Schenkbecher, Johann, Straßburger Pilger (um 1573) 98 Anm. 31 Schlesien, L. 47, 59 Schleswig-Holstein, L. 130 f., 134, 143 Schlettstadt (Sélestat), O. 36, 68 Anm. 26, 101, 115, 126, 167, 245, 252 Schlossberg, Berg 252 Schmaltz, Karl, Kirchenhistoriker (1867 - 1940) 129 Schönensteinbach, Kl. 114 Anm. 23 Schorndorf, O. 27, 34 Schuttern, Kl. 147 Schwaben (Swaben), L. 27, 34, 159 Schwarzach, Kl. 67 Anm. 17, 147 Schwarzenbroich, Kreuzherrenkloster 42 Schwarzwald, L. 16, 26, 202, 246, 254 Schwaz, O. 107 Anm. 60 Schweden, L. 100 Schweitzer, Albert, Gelehrter ( † 1965) 250, 253 Schweiz (Welsches Land), L. 15, 24 f., 132, 135 Schwerin, O. 133 Schwestern vom hl. Joseph, Orden 254 Sebastian, hl. ( † 288? ) 40 Sebastian Brant, Chronist ( † 1521) 96 Seeland (Seland), L. 134, 138 Seine, Fl. 222 Seland, siehe Seeland Sélestat, siehe Schlettstadt Selz, Kl. 75 Sevilla, O. 231, 233 Sewen, O. 94 Anm. 10, 116, 118 Sforza, Fam. 157 Sigismund, burgund. Kg. (516 - 524), hl. 49, 51 Sigismund von Luxemburg, dt. Kg. (1411 - 1437), böhm. Kg. (1419 - 1437), röm-dt. Ks. (1433 - 1437) 49 Sigismundzell, siehe St. Markus Sigolsheim, O. - St. Peter und Paul, Ki. 76 Anm. 68, 112 Silvester II., P. (999 - 1003) 74 Sintlaz, Stifter des Kl. Reichenau (1. Hälfte 8. Jh.) 146 Sisnando Davídiz, Gf. von Coimbra ( † 1091) 231 f. Somport, Passstraße 236 Sonsoto, L. 217 von Sötern, Philipp Christoph, Ebf. von Speyer (1610 - 1652) 160 Soultzmatt, siehe Sulzmatt Spanien (Hispania, Iberien), L. 142, 162, 209 f., 213, 216, 227, 232, 236 - 241 Spessart, L. 26 Speyer, O. und Btm. 32, 147 f., 158, 162 f., 246 - Jesuitenkolleg 158 - St. Maria und Stephan, Ki. 58, 162 Stade, O. 137 Stauf, Bg. 149 Staufer (Hohenstaufer), Dyn. 22, 245, 247 - Friedrich, Konrad, Otto 245 Sternberg, O. 199, 201 Stettin, O. 130, 132 Stoffel, Georg, Historiker (um 1875) 130 Straßburg, O. und Btm. 11, 12, 15 Anm. 17, 17, 22, 32, 35, 38, 67 Anm. 17, 72 - 74, 89 Anm. 128, 99 f., 103, 109, 114, 122 Anm. 68, 142, 159, 168, 170 - 173, 177 f., 179 Anm. 51, 180, 199 f., 202, 246 - 248, 250 - Alt St. Peter, Ki. 200 - Arte, Fernsehsender 247 - Breuschkanal 250 - Europaparlament 247 - Europaratsgebäude 247 - Gerichtshof für Menschenrechte 247 - St. Johannes zum Grünenwörth, Ki. 200 - Jung St. Peter (Église St.-Pierre-le- Jeune), Ki. 250 - Magdalenerinnenkloster 173, 179 - Musée de l ‘Œ uvre Notre-Dame 246 - Rat 172 - St. Sebastian in St. Martin, Ki. 200 - St. Stephan, Kl. 23, 200, 202 Anm. 72 Register der Orts- und Personennamen 275 <?page no="276"?> - St. Thomas (Église St.-Thomas), Ki. 250 - Unserer Lieben Frau, Ki. 14, 171, 199 f., 247 f. - Laurentiuskapelle 200 Stuben, O. 39 Sürburg, siehe Surbourg Sulz, O. 115 Anm. 30 Sulzmatt (Soultzmatt), O. und Burggf. von (um 1470) 96, 126, 254 - St. Sebastian, Ki. 254 Sundgau, L. 113 Anm. 19, 245 Surbourg (Sürburg), Kl. 246 Sylvester I., Bf. von Rom (314 - 335), hl. 59 Tajo, Fl. 213 Tamm Rabstein, Prager Domkanoniker (um 1350) 61 Taunus, Gebirge 148 Tejada, José González (um 1702) 217 Teresa, Kgn. von Portugal ( † 1130) 234 Tiberias, See 136 Thann (Eenwolde), O. 111, 115 f., 118, 120, 129 - 138, 142 f., 246, 252, 255 - Hospiz (heute: Krankenhaus St.-Jacques) 255 - St. Theobald (Collégiale St.-Thiébaut), Ki. 132, 137 f., 255 Theobald (Dieboldum, Ennewald, Enwold, Ewald, Thiebault, Thiebold, Ubald), Bf. von Gubbio (1129 - 1160), hl. 113, 115 Anm. 27, 129 - 138, 142 f., 255 Theobald von Provins, Eremit, hl. ( † 1066) 131 Theotonicus, siehe Deutschland Theuderich IV., frk. Kg. (721 - 737) 146 Thiebault, siehe Theobald Thiebold, siehe Theobald Thierhurst (Tiernheim), O. - Unserer Lieben Frau, Kapelle 127 Thoman Zurmantelß, Pilger (um 1501) 120 Anm. 54 Thumb, Peter, Architekt ( † 1767) 255 Thussenbach, siehe Dusenbach Thierenbach, O. - Notre-Dame, Kl. 115 f., 255 Tiernheim, siehe Thierhurst Tirol (Südtirol), L. 25, 159 f. Toledo, O. 213, 227, 230 - 233, 241 Toskana, Gft. und L. 213 Toulouse, O. und L. 218, 229, 235 Tres Spicas, siehe Drei-Ähren Trier, O. und L. 39 - 42, 47, 62, 159 - Kartause 52 - St. Katharina, Kl. 41 - St. Maria ad Martyres, Ki. 40 - St. Matthias, Kl. 40 - St. Maximin, Kl. 150 - St. Paulin, Ki. 40, 42 - St. Peter, Ki. 40, 52 - Andreaskapelle 40 Trifels, Bg. 98 Truttenhausen, O. und Kl. 23, 251 Tübingen, O. - Universität 170 Anm. 12 Turckheim, O. 254 Türkheim, O. 122 Ubald von Gubbio, siehe Theobald Uffholz, O. 110, 112 Uffing, Mönch aus Werder a. d. Ruhr (um 980) 14 Ulm, O. 32, 170, 197 Anm. 60 - Münster 170 Anm. 12 Ulrich, Bf. von Augsburg (923 - 973), hl. 95, 104, 113 Ulrich Kraft, Theologe ( † 1516) 170 Ulrich III., Gf. von Pfirt ( † 1324) 92 Ulrich III., Gf. von Württemberg ( † 1344) 92 f. Ulrich Reichenecker, Ritter aus der Steiermark (um 1410) 52 Ulrich Schmit, Kieler Pilger (um 1432) 136 Ulrichsburg, St. Ulrich, siehe Rappoltstein Ungarn, L. 153, 254 Ur, O. 213 Urban, Bf. von Rom (um 222 - 230), hl. 86 Urbeis, O. 112 Urraca, Kgn. von Kastilien-León (1109 - 1126) 234 f., 241 Urraca, Infantin ( † 1101) 230 Urs Graf, Künslter ( † 1528) 179 Anm. 50 Ursula, hl. ( † um 451) 42 Register der Orts- und Personennamen 276 <?page no="277"?> Val du Pâtre, siehe Schäferthal Valbanera (Vallis Veneria, Valvanera), St. Maria, Kl. 214 Valcarcel, O. 229 Valencia, O. 233 Vallis Veneria, siehe Valbanera Vaskonen, V. 205 Anm. 1 Valentin (Sant Veltin), Bf. von Terni, hl. ( † 268) 99, 113 - 115 Vauban, Sébastien le Prestre, Baumeister ( † 1707) 250 de la Vega, Luis (Ludovicus), Historiograph (um 1601/ 1606) 213, 222 Veit, hl. ( † 304) 50, 52 - 54 Vela Velázquez, Ritter (um 1100) 212 Verdun, O. 66 Vergegio, siehe Berceo Vézelay, O. 253 Vieil Armand, siehe Hartmannsweiler Kopf Villalcázar de Sirga, O. 222 - St. María de Villasirga, Ki. 222 Villa Vascones, O. 207 Viloria de Rioja, O. 213 Vivar, O. 233 Vizcaya, L. 230 Vogesen, Gebirge 69, 105 Anm. 59, 115, 172, 252, 254 f. Voralberg, L. 255 f. Walahfrid Strabo, Abt von Reichenau ( † 849) 148 Walbourg (Walburg), Kl. 246 Walburga, hl. ( † 779? ) 246 Walf, Bg. 92, 105 Anm. 59 Walsheim, O. 162 Walsingham, O. 201 Wasselnheim, Bg. 92, 105 Anm. 59 Wasserstelzen, Herren von 114 Anm. 23 Waterkant, L. 130, 138 Weingarten, Kl. 16 Weißenburg, siehe Wissembourg Welsches Land, siehe Schweiz Wenzel von Böhmen, hl. ( † 929 oder 935) 45, 49 f., 55 Wenzel IV., Kg. von Böhmen (1363 - 1419), dt. Kg. (1376 - 1400) 47, 49 - 51, 54, 56 Wernharius, Adeliger (Widone oder Lambertiner) (um 742) 147 Weser, Fl. 137, 143 Westfalen, L. 150 Westgotisches Reich, L. 162, 205 Anm. 1, 211, 232, 238 Wettingen, O. 58 Wettolsheim, O. 112, 116 Widmer, Urban, Burgmeier von Hohbarr (um 1670) 101 Widonen, Dyn. 147, 154 Wien, O. 45, 161, 251 Wilhelm von Honstein, Bf. von Straßburg (1506 - 1541) 202 Anm. 72 Wilhelm Textoris, Theologe ( † 1512) 167 Wilsnack, O. 133 Anm. 27, 165, 201 Wiltz, O. 159 Wismar, O. 131, 133, 136 Wissembourg (Weißenburg), O. 246, 253 - St. Peter und Paul, Kl. 246 Wodan, Gottheit 153 Wolfgang (S. Wolffgang), Bf. von Regensburg (972 - 994), hl. 101 Anm. 46 Wolfgang, Hz. von Pfalz-Zweibrücken (1532 - 1569) 158 Worms, O. 135, 153 - 155, 157, 246 Württemberg, Gft. und L. 25, 27, 103 f., 124 Anm. 74, 149, 253 Württemberg-Mömpelgard, siehe Montbéliard Würzburg, O. 170, 172 Zabern, O. 100, 143 Zaida-Isabella, Gemahlin Alfons VI. ( † 1107) 234 al-Zalla¯ qa, siehe Sagrajas Zaragoza, O. 230 Zdeslav von Stan ˇ kov (1. Hälfte 14. Jh.), Domherr in Prag 59 Zell a. d. Pfrimm (Cella), O. 150 - 158, 160 - 162 - St. Philipp, Ki. 150, 153 - 155, 157, 160 f. Zimmern, Gft. 31 Zinnköpfle, Berg 254 Zisterzienser, Orden 219, 247 Zürich, O. - SS. Felix und Regula, Kl. 68, 75 Zurzach, Kl. 68 Zwiefalten, Kl. 16 Register der Orts- und Personennamen 277 <?page no="279"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.narr.de · E-Mail: info@narr.de Im Blickpunkt der acht interdisziplinär ausgerichteten Beiträge dieses Bandes steht die bekannte süddeutsche Reichsstadt und Wirtschaftsmetropole Augsburg in ihrer Glanzzeit, vor allem während des 15. und 16. Jahrhunderts. Untersucht werden die Außenwirkung und die Vermittlung ökonomischer und kultureller Potenz durch Augsburger Exponenten mit ihren Rückwirkungen auf die schwäbische Reichsstadt. Dabei gilt den Reisen und insbesondere Pilgerfahrten sowie den schriftlichen bzw. literarischen und bildlichen Niederschlägen des Jakobuskultes das Interesse, lassen sich doch die Augsburger Wirtschafts- und Kulturexporte mit dem eigenen Handels- und Pilgerverkehr verknüpfen. Die Mischung der Augsburger Stimmen und Bilder mit anderen Zeugnissen, die Nachzeichnung ihrer Wechselwirkung und ihr Vergleich verhelfen zu einem differenzierten Eindruck von „Augsburger Netzwerken zwischen Mittelalter und Neuzeit“. Klaus Herbers Peter Rückert (Hg.) Augsburger Netzwerke zwischen Mittelalter und Neuzeit Wirtschaft, Kultur und Pilgerfahrten Jakobus-Studien, Band 18 2008, VI, 256 Seiten, €[D] 42,00/ SFr 71,00 ISBN 978-3-8233-6447-4 108608 Auslieferung Dezember 2008.indd 13 17.12.2008 15: 33: 06 Uhr <?page no="280"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de NEUERSCHEINUNG JANUAR 2011 JETZT BESTELLEN! Klaus Herbers Pilger Päpste Heilige Ausgewählte Aufsätze zur europäischen Geschichte des Mittelalters Herausgegeben von Gordon Blennemann, Wiebke Deimann, Matthias Maser und Christofer Zwanzig 2011, 428 Seiten, €[D] 68,00/ SFr 96,90 ISBN 978-3-8233-6616-4 Pilger, Päpste, Heilige: Seit drei Jahrzehnten prägen diese Themen die Forschungsinteressen von Klaus Herbers. Die für diesen Band ausgewählten Aufsätze - einige von ihnen in deutscher Erstübersetzung - erfassen ein breites inhaltliches Spektrum, das sich von der frühen Papstgeschichte über die Hagiographie und den Jakobuskult bis zu spätmittelalterlichen Reiseberichten erstreckt. Auch räumlich öffnet sich ein weites Panorama: Der Blick reicht von Aachen bis Rom, von Nürnberg bis Santiago de Compostela und richtet sich auf vielfältige Formen kultureller, politischer wie religiöser Bezüge und Kontakte im mittelalterlichen Europa. 004711 Auslieferung Januar 2011.indd 16 19.01.11 16: 01