Deutsch lernen online
Eine Analyse interkultureller Interaktionen im Chat
0515
2013
978-3-8233-7733-7
978-3-8233-6733-8
Gunter Narr Verlag
Dr. Gabriela Marques-Schäfer
Die vorliegende Studie präsentiert eine empirische Untersuchung eines didaktisierten Chat-Raums, in dem sich Lernende des Deutschen als Fremdsprache aus der ganzen Welt miteinander, mit Muttersprachlern und mit Tutorinnen austauschen können. Sie schließt eine Forschungslücke, da in ihr zum ersten Mal ein Chat-Raum untersucht wird, der zum Erlernen einer Fremdsprache entwickelt wurde und jederzeit frei zugänglich ist. Die Arbeit fragt nach den Möglichkeiten und Grenzen des Deutschlernens im Chat des Projektes JETZT Deutsch lernen des Goethe-Instituts sowie nach der Rolle der Chat-Tutorinnen im Umgang mit Fehlern und sprach- und kulturbezogenen Fragen. Anhand zahlreicher Chat-Protokolle aus tutorierten und untutorierten Stunden werden die Daten im Licht der Interaktionstheorie und des interkulturellen Fremdsprachenlernens quantitativ und qualitativ analysiert.
<?page no="0"?> Gabriela Marques-Schäfer Deutsch lernen online Eine Analyse interkultureller Interaktionen im Chat Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik <?page no="1"?> Deutsch lernen online <?page no="2"?> GIESSENER BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENDIDAKTIK Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler. Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho. <?page no="3"?> Gabriela Marques-Schäfer Deutsch lernen online Eine Analyse interkultureller Interaktionen im Chat <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2013 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISSN 0175-7776 ISBN 978-3-8233-6733-8 <?page no="5"?> Para os meus pais, Luiz Carlos Dias Marques e Graciete de Oliveira Marques, por serem, ao longo da minha vida, aqueles que de maneira incontestável sempre me ofereceram, por um lado, asas para o estudo e, por outro lado, raízes de um porto-seguro. <?page no="7"?> 7 Danksagung/ Agradecimento Dieses Buch ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Dezember 2011 vom Fachbereich Sprache, Literatur und Kultur der Justus-Liebig- Universität Gießen angenommen wurde. Diese Forschungsarbeit wäre ohne die finanzielle Unterstützung einiger Institutionen nicht zustande gekommen. Daher gilt mein herzlicher Dank: - Der CAPES (Coordenaç-o de Aperfeiçoamento de Pessoal de Nível Superior, brasilianisches Pendant für die Deutsche Forschungsgemeinschaft) und dem DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) für das vierjährige Promotionsstipendium. - Dem Graduate Centre for the Study of Culture, GCSC, der Universität Gießen, das es mir ermöglicht hat, an verschiedenen internationalen Veranstaltungen in Deutschland und in Brasilien teilzunehmen, auf denen ich mein Forschungsprojekt vorstellen und mich als Wissenschaftlerin fortbilden konnte. Für die Entwicklung dieser langjährigen Arbeit benötigte ich nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch eine fachliche und emotionale Betreuung, mit der ich manche Herausforderungen überwinden konnte. Aus diesem Grund möchte ich mich bei folgenden Personen bedanken: - Prof. Dr. Dietmar Rösler (Universität Gießen) für die intensive, konstruktive und motivierende Betreuung meines Dissertationsvorhabens. Ohne ihn und seine Bücher wäre ich nie auf die Idee gekommen, bereits im Jahr 2005 Gießen auf der Deutschlandkarte zu suchen. - Prof. Dr. Michael Legutke (Universität Gießen), Prof. Dr. Sonia Zyngier (Universidade Federal do Rio de Janeiro) und Prof. Dr. Lucia Pacheco (Pontifícia Universidade Católica do Rio de Janeiro), die mich mit vielen praktischen Hinweisen in verschiedenen Phasen des Projekts unterstützt haben. - Dr. Ruth Bartholomä und Saltanat Rakhimzhanova, die mit mir in den letzten vier Jahren in vielen Mensa-Ausflügen Forscherfreuden und Forscherleiden gemeinsam und solidarisch durchlebt haben. - Den Chat-Tutorinnen des Projektes JETZT Deutsch lernen, die mir bei der Datenerhebung sehr behilflich waren. - Gelegenheiten meine Forschungsarbeit mit Vielen weiteren Kolleginnen und Kollegen der Universität Gießen, die bei verschiedenen mir diskutiert <?page no="8"?> 8 haben. Sie alle haben mir mit ihren Fragen und Anregungen bei der Entwicklung dieser Arbeit geholfen. - Meiner Familie und meinen Freunden in Brasilien und in Deutschland für die Ermunterung und emotionale Unterstützung/ À minha família e a meus amigos no Brasil pelo incentivo e pelo apoio emocional. - Der Familie Baaiat für die liebvolle Betreuung meiner Kinder. - Wolfhardt Schäfer für die unzähligen und wertvollen inhaltlichen und sprachlichen Rückmeldungen sowie für die Geduld in den schwierigen Momenten der Arbeit. Muito obrigada! Vielen Dank! Gabriela Marques-Schäfer Gießen, November 2012 <?page no="9"?> 9 Inhaltsverzeichnis Tabellenverzeichnis ........................................................................................13 Einleitung .........................................................................................................15 Teil A: Theoretischer Rahmen ......................................................................19 1 Fremdsprachenlernen, Interaktion und computer mediated communication .......................................................................................19 1.1 Interlanguage und Input-Hypothese............................................. 21 1.2 Interaktions-Hypothese und negotiation of meaning.................. 22 1.3 Output-Hypothese und collaborative dialogue ............................ 26 1.4 Kontext, soziale Interaktion und Dialog ....................................... 28 2 Technologie, Gesellschaft und Bildung ...............................................31 2.1 Technologien und digital divide..................................................... 31 2.2 Technologien und cultures of use................................................... 34 2.3 Digital literacy................................................................................... 37 2.4 Aufgaben von Online-Tutoren ...................................................... 40 2.5 Das Potenzial der Informations- und Kommunikationstechnologien für das Fremdsprachenlernen................................. 42 3 Die Chat-Kommunikation in der Linguistik und in der Didaktik ..49 3.1 Linguistische und kommunikative Merkmale von Chats .......... 49 3.1.1 Chats zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit....................... 49 3.1.2 Synchronizität der Chat-Kommunikation ................................... 53 3.1.3 Sprecherwechsel, Behandlung von Themen, Ansprechstrategien .......................................................................... 56 3.1.4 Länge und Form der Äußerungen im Chat.................................. 60 3.2 Fremdsprachenlernen mit Chats ................................................... 63 3.2.1 Einsatzmöglichkeiten von Chats in Fremdsprachenlernkontexten........................................................................................... 63 3.2.2 Überblick über Chat-Studien in der Fremdsprachendidaktik ... 66 3.2.3 Implikationen für Chat-Studien .................................................... 87 3.2.4 Wichtige Aspekte des Einsatzes von Chats im Rahmen des Fremdsprachenlernens .................................................................... 89 <?page no="10"?> 10 3.2.4.1 Organisation und Durchführung ..................................................89 3.2.4.2 Die Wahrnehmung der Lernenden...............................................92 3.2.4.3 Soziale Aspekte in Chat-Interaktionen.........................................94 3.2.4.4 Fremdsprachliches Lernen in Chat-Räumen...............................96 Teil B: Forschungsdesign..............................................................................103 4 Kontext und Erkenntnisinteresse.......................................................103 4.1 Das Projekt JETZT Deutsch lernen ..............................................103 4.2 Der didaktisierte Chat-Raum von JETZT Deutsch lernen ........105 4.3 Erkenntnisinteresse und Forschungsfragen ...............................111 5 Methode.................................................................................................115 5.1 Forschungsteilnehmer ...................................................................115 5.2 Datenerhebung ...............................................................................115 5.2.1 Fragebögen......................................................................................116 5.2.2 Interviews ........................................................................................116 5.2.3 Chat-Protokolle ..............................................................................117 5.3 Datenanalyse ...................................................................................119 5.3.1 Kriterien für die Auswahl der Chat-Protokolle ........................119 5.3.2 Aufbereitung der ausgewählten Chat-Protokolle ......................123 5.3.3 Sequenzanalytischer Ansatz für die Datenanalyse ....................123 5.3.4 Das Kategoriensystem ...................................................................124 Teil C: Chatten als fremdsprachliches und interkulturelles Handeln 125 6 Erste Annäherung an die Daten .........................................................125 6.1 Daten aus den Fragebögen und aus den Interviews ..................125 6.1.1 Zu den Tutorinnen ........................................................................126 6.1.2 Zu den Chat-Teilnehmern ............................................................128 6.1.3 Der JETZT Deutsch lernen-Chat aus der Sicht der Tutorinnen und Besucher .............................................................129 6.2 Quantitative Daten aus den Chat-Protokollen ..........................139 7 Fehlerkorrektur ....................................................................................146 7.1 Was ist ein Fehler? .........................................................................146 7.2 Identifikation von Fehlern und ihrer möglichen Ursachen .....148 7.3 Fehler im Chat ................................................................................149 <?page no="11"?> 11 7.4 Korrekturen und ihre Funktionen...............................................151 7.5 Fehlerkorrektur im Chat: zwischen mündlicher und schriftlicher Korrektur..............................................................................154 7.6 Fehlerkorrektur im Chat: die Perspektive der Tutorinnen ......156 7.7 Zur Wirkung von Fehlerkorrekturen im Chat...........................159 7.8 Analyse der Fehlerkorrekturen im Chat .....................................160 7.8.1 Kategoriensystem und zu erwartender Erkenntnisgewinn ......161 7.8.2 Unkorrigierte Fehler im Chat.......................................................163 7.8.3 Korrekturtyp ...................................................................................165 7.8.4 Korrekturbereich............................................................................174 7.8.5 Korrekturform ................................................................................178 7.8.6 Reaktion auf die Korrekturen.......................................................187 7.8.7 Zusammenfassung der Ergebnisse...............................................193 8 Sprachbezogene Fragen .......................................................................197 8.1 Sprachbezogene Fragen im Fremdsprachenunterricht.............197 8.2 Sprachbezogene Fragen im Chat..................................................199 8.3 Analyse der sprachbezogenen Fragen im Chat ..........................200 8.3.1 Kategoriensystem und zu erwartender Erkenntnisgewinn ......201 8.3.2 Inhalte sprachbezogener Fragen ..................................................203 8.3.3 Auslöser sprachbezogener Fragen ...............................................207 8.3.4 Antworten auf sprachbezogene Fragen.......................................212 8.3.5 Zusammenfassung der Ergebnisse...............................................226 9 Kulturbezogene Fragen .......................................................................230 9.1 Zum Verhältnis zwischen Sprache und Kultur..........................230 9.2 Kultur im Fremdsprachenunterricht: ein historischer Überblick..................................................................................................231 9.3 Der interkulturelle Ansatz ............................................................238 9.4 Zum Begriff des interkulturellen Lernens...................................241 9.5 Ziele des interkulturellen Fremdsprachenlernens .....................246 9.6 Stereotypen und Vorurteile ..........................................................247 9.7 Interkulturelles Lernen im Chat...................................................254 9.8 Interkulturelles Lernen im Chat: die Perspektive der Tutorinnen...............................................................................................258 9.9 Analyse der kulturbezogenen Fragen im Chat...........................262 9.9.1 Kategoriensystem und zu erwartender Erkenntnisgewinn ......263 <?page no="12"?> 12 9.9.2 Überblick über die ausgewählten Sequenzen .............................264 9.9.3 Arten kulturbezogener Fragen .....................................................267 9.9.4 Inhalte der Antworten auf kulturbezogene Fragen ...................279 9.9.5 Vergleich der Art der Fragen und der Inhalte der Antworten.291 9.9.6 Zusammenfassung der Ergebnisse...............................................294 10 Fazit und Ausblick ...............................................................................298 10.1 Fremdsprachliches Handeln im JETZT Deutsch lernen-Chat..298 10.2 Interkulturelles Handeln im JETZT Deutsch lernen-Chat........301 10.3 Implikationen für die Aus- und Fortbildung von Chat- Tutoren ............................................................................................305 10.4 Implikationen für die Gestaltung weiterer frei zugänglicher didaktisierter Chat-Räume ...........................................................306 Literaturverzeichnis.......................................................................................308 Anhang ............................................................................................................322 A1 Definitionen der Chat-Aufgabentypen .............................................322 A2 Anlagen zur Datenerhebung...............................................................324 A2.1 Überblickstabelle ....................................................................324 A2.2 Pilotstudie ...............................................................................326 A2.2.1 Test-Fragebogen an die Tutorinnen.........................................326 A2.2.2 Leitfaden für das Test-Interview via Chat ...............................329 A2.3 Hauptstudie.............................................................................330 A2.3.1 Anschreiben 1 an die Tutorinnen .............................................330 A2.3.2 Fragebogen 1 an die Tutorinnen...............................................331 A2.3.3 Anschreiben 2 an die Tutorinnen .............................................333 A2.3.4 Fragebogen 2 an die Tutorinnen...............................................334 A2.3.5 Fragebogen an die Chat-Besucher ............................................335 A2.3.6 Leitfaden für das Chat-Interview mit den Tutorinnen ..........337 A2.3.7 Leitfaden für das Chat-Interview mit den Chat-Besuchern ..338 A3 Anlagen zur Datenauswertung ...........................................................339 A3.1 Kategoriensystem: eine Überblicksdarstellung ..................339 A3.2 Kategoriensystem: Definitionen...........................................341 <?page no="13"?> 13 Tabellenverzeichnis Tab. 1: Überblick über bereits durchgeführte Chat-Studien in der Fremdsprachendidaktik ......................................................................................86 Tab. 2: Aspekte, die in zukünftigen Chat-Studien beachtet werden sollten ..89 Tab. 3: Verteilung der 131 Stunden auf die Tutorinnen von September bis November 2007.......................................................................................120 Tab. 4: Anzahl der Turns der Tutorin A in den Chat-Sitzungen von September bis November 2007 ...................................................................121 Tab. 5: Beispiel einer Chat-Sequenz bzw. eines Chat-Auszuges ...................124 Tab. 6: Überblick über die Aushandlungsprozesse im Korpus .....................141 Tab. 7: Detaillierter Überblick über die Aushandlungsprozesse im Korpus......................................................................................................142 Tab. 8: Überblick über das Verhältnis von Logs und Turns im Chat...........143 Tab. 9: Überblick über die Zahl der Turns mit Aushandlungsprozessen ....143 Tab. 10: Überblick über das Kategoriensystem für die Analyse der Fehlerkorrekturen im Chat ..............................................................................162 Tab. 11: Häufigkeit der Oberkategorie 1 Korrekturtyp in den tutorierten und untutorierten Stunden ...................................................................165 Tab. 12: Detaillierter Überblick über die Oberkategorie 1 Korrekturtyp in den tutorierten und untutorierten Stunden ...................................167 Tab. 13: Häufigkeit der Oberkategorie 2 Korrekturbereich in den tutorierten und untutorierten Stunden ......................................................175 Tab. 14: Oberkategorie 2 Korrekturbereich in den tutorierten Stunden .......177 Tab. 15: Häufigkeit der Oberkategorie 3 Korrekturform in den tutorierten und untutorierten Stunden ...................................................................179 Tab. 16: Häufigkeit der Oberkategorie 4 Reaktion auf Korrekturen in den tutorierten und untutorierten Stunden .......................................188 Tab. 17: Überblick über das Kategoriensystem für die Analyse der sprachbezogenen Fragen im Chat....................................................................202 Tab. 18: Häufigkeit der Oberkategorie 5 Inhalt der sprachbezogenen Fragen in den tutorierten und untutorierten Chat-Stunden ............206 Tab. 19: Häufigkeit der Oberkategorie 6 Auslöser der sprachbezogenen Frage in den tutorierten und untutorierten Chat-Stunden ..............211 Tab. 20: Häufigkeit der Oberkategorie 7 Antworten auf sprachbezogene Fragen in den tutorierten und untutorierten Chat-Stunden ............213 Tab. 21: Überblick über das Kategoriensystem für die Analyse der kulturbezogenen Fragen im Chat....................................................................263 <?page no="14"?> 14 Tab. 22: Informationen zu den ausgewählten Sequenzen für die Analyse der kulturbezogenen Fragen im Chat ..................................................264 Tab. 23: Häufigkeit der Oberkategorie 8 Arten kulturbezogener Fragen........277 Tab. 24: Häufigkeit der Oberkategorie 9 Inhalte der Antworten auf kulturbezogene Fragen ...........................................................................289 Tab. 25: Häufigkeit der Oberkategorien 8 und 9 im Vergleich .......................292 Tab. 26: Überblick über die Datenerhebung......................................................325 <?page no="15"?> 15 Einleitung In einer Zeit, in der Wissen zunehmend über digitale Informations- und Kommunikationstechnologien verarbeitet und verbreitet wird, unterliegt auch die Wissensvermittlung tief greifenden Veränderungen. Dabei gewinnt zum einen die Fähigkeit zum Umgang mit den digitalen Technologien an Bedeutung, zum anderen scheinen Bildungsprozesse ohne den Umgang mit den neuen Medien kaum noch möglich zu sein. Die digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien machen das Lernen zeit- und raumunabhängiger, bieten neue Formen des Lernens durch mediale Präsentationsformen, ermöglichen den interaktiven Umgang mit Lernmaterialien, bieten Gelegenheit zu weltweiter Kommunikation und erweitern die Möglichkeiten der Selbststeuerung des Lernprozesses durch einen selbstbestimmten Umgang mit dem Lernstoff. Sie bieten größere Auswahlmöglichkeiten von Materialien und Methoden im Lernprozess und ermöglichen durch die Arbeit mit Hypertexten, nicht mehr linear vorbestimmte Lernwege einzuschlagen. Sie eröffnen darüber hinaus die Chance, eigene Netzwerke und Lerngruppen aufzubauen sowie das Erlernte und Erarbeitete leichter zu veröffentlichen. Darüber hinaus eröffnet insbesondere das Internet neue Perspektiven für interkulturelles Lernen. Es fungiert nicht nur als Quelle didaktisierter und authentischer landeskundlicher Materialien für den Unterricht, sondern auch als Medium für authentische Kommunikation und für die Realisierung interkultureller Projekte. Eine Kommunikationsform im Internet, die sich heute insbesondere bei Jugendlichen großer Beliebtheit erfreut, ist das Chatten. Obwohl Chats bei Jugendlichen sehr verbreitet sind, finden sie im Rahmen des (fremdsprachlichen) Lernens bisher kaum Beachtung. Dies mag einerseits daran liegen, dass vielen Lehrenden und Lernenden das Potenzial von Chats für das Erlernen von Fremdsprachen noch wenig bekannt ist. Andererseits fehlen in der Fremdsprachendidaktik sowohl methodisch fundierte Vorschläge zum praktischen Einsatz von Chats in fremdsprachlichen Lernkontexten als auch empirische Studien, die über solche Vorschläge hinausgehen und die Möglichkeiten der Arbeit mit Chats für das Fremdsprachenlernen erforschen. Bisherige Ergebnisse zeigen jedoch, dass diese von Lehrenden und Lernenden noch wenig beachtete internetbasierte Kommunikationsform großes Potenzial für das Erlernen einer Fremdsprache bietet. In Chats können Lernende synchron mit Muttersprachlern und anderen Lernenden in einer spontanen Art interagieren und auf diese Weise ihre fremdsprachlichen Kenntnisse verbessern. Im Kontakt mit Menschen aus anderen Kulturen können sich Lernende zu- <?page no="16"?> 16 dem über kulturbezogene Themen austauschen, indem sie einander von ihrer jeweils eigenen Kultur erzählen und die Kulturen der Anderen kennen lernen. Studien über die Nutzung von Chats für das Erlernen einer Fremdsprache sind im deutschsprachigen Raum selten. Insbesondere für das Fach Deutsch als Fremdsprache (DaF) stellt dies ein Desiderat dar. Mit der vorliegenden Arbeit wird daher der Versuch unternommen, einen Beitrag zur Erforschung von Chats in der Fremdsprachendidaktik zu leisten, indem ein Chat-Raum für das Erlernen der deutschen Sprache untersucht wird. Dabei handelt sich um den didaktisierten Chat-Raum des Projektes JETZT Deutsch lernen, das seit 1996 im Auftrag des Goethe-Instituts und in Zusammenarbeit mit dem Online-Jugendmagazin jetzt.de der Süddeutschen Zeitung an der Universität Gießen entwickelt und wissenschaftlich betreut wird. Der Chat-Raum des Projektes JETZT Deutsch lernen ist ein freies Interaktionsangebot, mit dessen Hilfe sich Lernende des Deutschen als Fremdsprache aus der ganzen Welt in Echtzeit miteinander und mit Tutorinnen 1 austauschen können. Meines Wissens ist der JETZT Deutsch lernen-Chat-Raum eine in dieser Form einzigartiges Angebot, da er für alle Interessierten kostenlos und frei zugänglich ist sowie täglich tutoriert wird. Die bisherigen Veröffentlichungen über Chat- Studien in der Fremdsprachendidaktik untersuchten Chat-Räume, die Teil eines Forschungsprojektes mit vorbestimmten Gruppen von Lernenden waren, die für diese Forschung eingeladen wurden. Darin liegt der grundlegende Unterschied zu der vorliegenden Arbeit: Hier handelt es sich um einen Chat-Raum, der von keiner festen Gruppe von Lernenden besucht wird und für den keine Lernenden gesondert eingeladen wurden. Im Gegensatz zu den bisherigen Studien zu Chats in der Fremdsprachendidaktik kennen sich die Tutorinnen und die Besucher des JETZT Deutsch lernen-Chat-Raums nicht persönlich und es gab daher vor den Chat-Interaktionen keinerlei Kontakt untereinander. DaF-Lernende besuchen diesen tutorierten Chat-Raum aus eigenem Antrieb. Für viele ist dieses Interaktionsangebot mit einer Online- Deutschstunde zu vergleichen, in der sie ihre Kenntnisse der deutschen Sprache und Kultur vertiefen können. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die fremdsprachlichen und interkulturellen Aushandlungen in diesem Chat-Raum zu untersuchen. Dazu werden drei Forschungsschwerpunkte gesetzt: Fehlerkorrektur, Sprachbezogene Fragen und Kulturbezogene Fragen. Der JETZT Deutsch lernen-Chat-Raum als Ort für fremdsprachliches Handeln ermöglicht Lernenden, Korrekturen zu 1 Da während des Untersuchungszeitraums der vorliegenden Studie lediglich weibliche Personen als Tutoren tätig waren, wird in Bezug auf den JETZT Deutsch lernen- Chat-Raum von „Tutorinnen“ gesprochen. <?page no="17"?> 17 erhalten und Fragen zur deutschen Sprache zu klären. DaF-Lernende haben im untersuchten Chat die Möglichkeit, um Korrektur für ihre Fehler zu bitten und Fragen nach einer bestimmten Form der deutschen Sprache oder nach der Bedeutung eines Wortes oder Ausdruckes zu stellen. Darüber hinaus bietet der JETZT Deutsch lernen-Chat-Raum als Ort für interkulturelles Handeln den Lernenden die Möglichkeit, sich über kulturbezogene Themen auszutauschen. DaF-Lernende können im hier untersuchten Chat Fragen zur deutschen Kultur stellen, von ihren eigenen Kulturen erzählen und sich über die Kulturen der anderen Lernenden unterhalten. Die vorliegende Arbeit gliedert sich in vier Teile: In Teil A wird der theoretische Rahmen der vorliegenden Studie umrissen. Dabei werden in Kapitel 1 zunächst Grundprinzipien des interaktiven Fremdsprachenlernens diskutiert. Anschließend wird in Kapitel 2 auf ausgewählte Aspekte der Entwicklungen der neuen Technologien in Bezug auf Gesellschaft und Bildung eingegangen. Die Diskussion über die internetbasierte Chat-Kommunikation wird in Kapitel 3 aufgegriffen: Nach einem Blick auf die wichtigsten Merkmale von Chats aus der Perspektive der Linguistik wird der Stand der Forschung bezüglich der Nutzung von Chats in der Fremdsprachendidaktik ausführlich diskutiert. In Teil B Forschungsdesign werden methodologische Aspekte der vorliegenden Untersuchung präsentiert. Dazu werden zunächst in Kapitel 4 der Forschungskontext, die Forschungsfragen sowie das Erkenntnisinteresse der Arbeit vorgestellt, bevor in Kapitel 5 eine Darstellung der in dieser Arbeit verwendeten Methode folgt. In Teil C Chatten als fremdsprachliches und interkulturelles Handeln werden die Daten ausgewertet. Dabei erfolgt in Kapitel 6 zunächst eine erste Annäherung an die Daten. Bevor die Analyseergebnisse der drei Forschungsschwerpunkte - Fehlerkorrektur, Sprachbezogene Fragen und Kulturbezogene Fragen - ausführlich diskutiert werden, werden theoretische Grundlagen zu den jeweiligen Themengebieten erläutert. So wird in Kapitel 7 der Stand der Diskussion zu Fehlern, Fehlerkorrekturen und deren Wirkung dargestellt. Auf die Rolle der Fragen zur Sprache, die Lernende im Rahmen des Lernprozesses stellen, wird in Kapitel 8 eingegangen. Schließlich wird in Kapitel 9 der Bezug zwischen Kultur und Fremdsprachenlernen thematisiert. Dabei wird zunächst ein historischer Überblick über die Rolle von Kultur im Fremdsprachenunterricht gegeben, bevor eine Diskussion über interkulturelles Lernen und das Potenzial von Chats als Kommunikationsform für interkulturelle Begegnungen folgt. In Teil D Zusammenfassende Diskussion der Ergebnisse und Ausblick erfolgt zunächst in Kapitel 10 eine abschließende Diskussion der Ergebnisse in Bezug auf das sprachliche und interkulturelle Handeln im JETZT Deutsch lernen-Chat. Abgeschlossen wird die Arbeit mit einem Ausblick (Kapitel 11), <?page no="18"?> 18 in dem Implikationen für die Aus- und Fortbildung von Chat-Tutoren sowie für die Gestaltung weiterer frei zugänglicher didaktisierter Chat-Räume diskutiert werden. <?page no="19"?> 19 Teil A: Theoretischer Rahmen In diesem Teil werden theoretische Konzepte und Überlegungen der Forschung in der Fremdsprachendidaktik diskutiert, die nicht nur für die Forschungsfragen der vorliegenden Studie und für die Analyse der erhobenen Daten relevant sind, sondern auch für ein Verständnis des Verhältnisses zwischen dieser Disziplin und der Rolle der neuen Technologien für das Fremdsprachenlernen eine wichtige Rolle spielen. In Kapitel 1 Fremdsprachenlernen und Interaktion werden Theorien diskutiert, die versuchen, den Fremdsprachenlernprozess aus unterschiedlichen Perspektiven zu erklären. In Kapitel 2 Technologie, Gesellschaft und Bildung folgt eine Darstellung ausgewählter Aspekte der technologischen Entwicklungen und ihrer Auswirkungen auf Gesellschaft und Bildung. In Kapitel 3 Die Chat-Kommunikation in der Linguistik und in der Didaktik wird eine ausführliche Diskussion der wichtigsten linguistischen und kommunikativen Merkmale der Chat-Kommunikation sowie des Einsatzes von Chats im Rahmen des Fremdsprachenlernens durchgeführt. 1 Fremdsprachenlernen, Interaktion und computer mediated communication Das Fremdsprachenlernen ist ein komplexer Prozess, der mit verschiedenen internen und externen Faktoren zusammenhängt. 2 Fremdsprachenwissenschaftler verfolgen das Ziel, diese Faktoren zu beschreiben und Theorien zu 2 In der Fremdsprachenforschung ist die Unterscheidung zwischen den Konzepten „Fremdsprachenlernen“ und „Fremdsprachenerwerb“ bzw. „foreign language learning“ und „foreign language acquisition“ umstritten. Ellis (1997) zufolge bezieht sich „Lernen” (learning) auf die bewusste Kenntnis von Sprachregeln (conscious knowledge of language rules), die sich aus formaler Instruktion entwickelt. „Erwerben“ (acquisition) finde hingegen unbewusst und spontan statt und entwickele sich im natürlichen Sprachgebrauch. Diese Dichotomie „Lernen“ vs. „Erwerben“ ist jedoch für Didaktiker vage und wenig überzeugend. „Lernen“ und „Erwerben“ schließen sich nicht aus, da viele sprachliche Elemente des Sprachgebrauchs zunächst bewusst sind und dann durch die Praxis automatisiert und dadurch unbewusst werden. Daher schlagen Didaktiker vor, dass beide Konzepte - Lernen und Erwerben - zusammen betrachtet werden sollen. In der vorliegenden Studie wird aus diesem Grund nicht zwischen „Lernen“ und „Erwerben“ differenziert, sondern „Lernen“ wird im Sinne von „Lernen und Erwerben“ verwendet. <?page no="20"?> 20 entwickeln, die erklären sollen, wie Menschen eine Fremdsprache lernen. Eine Form, um diese Faktoren zu beschreiben und somit den komplexen Prozess des Fremdsprachenlernens besser zu erklären, die besonders in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts sehr verbreitet war, jedoch auch heute noch üblich ist, ist die Untersuchung der Lernersprache. Dabei geht es vor allem um die Identifizierung und Beschreibung bestimmter grammatischer Aspekte, um daraus Rückschlüsse auf die Lernprozesse der Lernenden ziehen zu können. Die ersten Studien zur Lernersprache führten in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts zur Entwicklung von unterschiedlichen Hypothesen zum Fremdsprachenlernen, die heute als theoretische Grundlage für Studien in der Fremdsprachendidaktik gelten, z.B. die Interlanguage-Hypothese (Interimsprache) von Selinker (1972), die Input-Hypothese von Krashen (1985), die Interaktions-Hypothese von Long (1981; 1983) und Allwright (1984) sowie die Output-Hypothese von Swain (1985). Darüber hinaus gewinnen aktuelle Diskussionen über den sozio-kulturellen Kontext der Lernenden immer mehr an Bedeutung in der Fremdsprachendidaktik. In der Lerntheorie von Vygotsky (1978) wird davon ausgegangen, dass soziokulturelle Aspekte den Fremdsprachenlernprozess eines Menschen beeinflussen können. Mit den technologischen Entwicklungen der letzten zwanzig Jahre - insbesondere mit der Entwicklung der Computer-mediated communication 3 (CMC) oder Computer-vermittelten Kommunikation (CvK) - wird in der Forschung zunehmend auf diese Hypothesen zum Fremdsprachenlernen zurückgegriffen. Viele Studien über die neuen elektronischen Lernkontexte verwenden die genannten Theorien, um Interaktionen zwischen Lernenden sowie Lernprozesse zu beschreiben (vgl. exemplarisch Blake 2000; Liang 2010; Rebelo 2006; Smith 2005; Tudini 2003, 2007). Aus diesem Grund werden in diesem Kapitel die wichtigsten Aspekte der oben erwähnten Hypothesen diskutiert. Hauptziel dieses Kapitels ist es, das Verständnis des Fremdsprachenlernprozesses für die vorliegende Studie darzulegen. 3 CMC bezieht sich auf Kommunikationsformen, die synchron oder asynchron über den Computer erfolgen. In asynchroner CMC verläuft die Interaktion nicht in Echtzeit: Ein Lernender schreibt eine Nachricht und ein anderer kann diese nach einer gewissen Zeit lesen und beantworten (z.B. E-Mails). In synchroner CMC hingegen sind die Lernenden gleichzeitig online, sie halten sich jedoch nicht unbedingt am selben Ort auf. Ein Lernender schreibt z.B. in einem Chat-Raum eine Nachricht und schickt sie ab, so dass sie auf den Bildschirmen aller anderen Teilnehmer, die sich im selben Chat-Raum befinden, erscheint. Alle können diese Nachricht lesen und sie in Echtzeit beantworten. <?page no="21"?> 21 1.1 Interlanguage und Input-Hypothese Im Rahmen der Interlanguage-Hypothese, die auf Selinker (1972) zurückgeht, ist die Lernersprache als ein Sprachsystem zu verstehen, das sich in Stufen entwickelt, die nicht dem muttersprachlichen Niveau entsprechen. Nach der Interlanguage-Hypothese versuchen Lernende, durch ständige Überprüfung von Hypothesen ihr Sprachsystem zu entwickeln und sich damit immer weiter der Zielsprache anzunähern. Bei dieser sprachlichen Entwicklung spielen für Selinker (1972) drei Faktoren eine wichtige Rolle: die Muttersprache der Lernenden, ihre fremdsprachliche Kompetenz und das System der Zielsprache. Die Interlanguage ist ein abstraktes System linguistischer Regeln, ‚a mental grammar‘ (Ellis 1997: 34), das von den Lernenden konstruiert wird. Bei der Konstruktion dieses Systems gehen die Lernenden von ihrer Muttersprache aus. Nach Ellis kann Interlanguage sowohl von Outputs als auch von Inputs beeinflusst werden. Darüber hinaus ist die Interlanguage vorübergehend, da die Lernenden ihre Grammatik von Zeit zu Zeit ändern können, indem sie neue Regeln lernen, andere verändern und so das ganze System restrukturieren. Lernende verwenden zahlreiche verschiedene Strategien, um ihre Interlanguage zu entwickeln. Daher können Lernersprachenuntersuchungen Hinweise darüber geben, wie Lernende diese Entwicklung gestalten und welche Strategien ihnen dabei behilflich sein können. Bei der Input-Hypothese von Krashen (1985) geht es um die Überprüfung der Annahme, dass das Fremdsprachenlernen nur durch einen verständlichen Input möglich ist, d.h. die Konfrontation mit fremdsprachlichem Material allein reicht nicht aus, um den Fremdsprachenlernprozess in Gang zu setzen. Diese Konfrontation muss für die Lernenden verständlich und wiederholt sein, damit sie neue sprachlichen Formen und Strukturen lernen können. Input ist also ein Begriff für sprachliche Äußerungen, die im Fremdsprachenunterricht an die Lernenden gerichtet sind. Dieser Begriff kann jedoch nach Henrici (1995: 10) im weiteren Sinne anderes Sprachmaterial umfassen, zum dem die Lernenden zwar Kontakt haben, das jedoch nicht speziell an sie gerichtet sind. Für Krashen (1985) muss der Input nicht besonders aufbereitet sein. Lehrende können Lernenden durch Simplifizierungen (z.B. reduziertes Sprechtempo, kürzere Sätze und Vermeidung von Pronominalisierungen usw.) oder durch die Bereitstellung von fertigen Ausdrücken verständliche Inputs geben. Diese Inputs werden nur zu einem so genannten Intake, d.h. zu einer neu gelernten Regel, wenn die Lernenden einen Unterschied zwischen ihrem Sprachstand und der neuen Struktur bemerken und mehrmals mit demselben Input konfrontiert werden. Der Fremdsprachenlernprozess derjenigen Lernenden, die Angst haben, sich in der Fremdsprache auszudrücken oder die <?page no="22"?> 22 ständig vom Lehrenden korrigiert werden, kann Krashen zufolge aufgrund der schlechten affektiven Bedingungen beeinträchtigt werden. Die Input- Hypothese von Krashen wurde von vielen Fremdsprachenwissenschaftlern heftig kritisiert. 4 Am häufigsten wurde kritisiert, dass der Hypothese zufolge das Verstehen von Inputs allein eine Garantie für den erfolgreichen Fremdsprachenlernprozess darstellt. Versucht man die Input-Hypothese auf eine Interaktion im Chat zu übertragen, fragt man sich zunächst, was für Inputs im Chat identifiziert werden können und wie damit umgegangen wird. Denkt man beispielsweise an einen Chat mit vielen Teilnehmern, fragt man sich, ob diese Teilnehmer Zeit haben, alle Äußerungen zu lesen und auf sie zu reagieren. Wenn es um eine Chat- Interaktion mit Lernenden einer Fremdsprache geht, müsste die Lehrperson - die eventuell auch im Chat anwesend ist - darauf achten, dass die Teilnehmer sprachlich in der Lage sind, die geäußerten Inputs zu verstehen und je nach Bedarf um eine Erklärung bzw. um eine sprachliche Hilfe zu bitten. In Kapitel 3.1 werde ich die wichtigsten linguistischen und kommunikativen Merkmale von Chats diskutieren, um aufzuzeigen, unter welchen Kommunikationsbedingungen Lernende in diesem elektronischen Kontext fremdsprachliche Inputs verarbeiten können. Danach werde ich in Teil C anhand der Analyse der für diese Studie erhobenen Daten die Rolle von Inputs im Chat - insbesondere, wenn sie als Korrektur oder als Frage geäußert werden - für die Entwicklung der Interlanguage der Lernenden charakterisieren. 1.2 Interaktions-Hypothese und negotiation of meaning Bevor die Interaktions-Hypothese hier diskutiert werden kann, ist es zunächst nötig, einige wichtige Aspekte des Interaktionsbegriffs zu klären. Zum Interaktionsbegriff Die Definition des Interaktionsbegriffs variiert je nach theoretischem Konzept und Fachdisziplin. In der Fremdsprachendidaktik ist man mit der Schwierigkeit konfrontiert, den Interaktionsbegriff vom Kommunikationsbegriff zu unterscheiden. Beide Begriffe werden häufig synonym verwendet. Ellis (1999) unterscheidet zwischen zwei Realisationsformen von Interaktionen, interpersonal und intrapersonal. Interpersonale Interaktion ist als ein soziales Verhalten zu verstehen und findet statt, wenn eine Person mit einer anderen kom- 4 Siehe Henrici (1995: 13 f.) für eine Zusammenfassung dieser Kritiken. <?page no="23"?> 23 muniziert. Intrapersonale Interaktion geschieht hingegen kognitiv. Ellis versteht intrapersonale Interaktion als ‚private speech‘ und sie erfolgt, […] when different modules of the mind interact to construct an understanding of or a response to some phenomenon. In reading, for example, we draw interactively on our ability to decode print, our stored knowledge of the language we are reading and the context schemata through which our knowledge of the world is organised. (ebd.: 1) Eine ähnliche Unterscheidung treffen Edmondson/ House (2007). Die Autoren sprechen von offener und verdeckter Interaktion. Während Interaktionen z.B. zwischen Lehrenden und Lernenden oder Lernenden und Lernenden im Fremdsprachenunterricht offen sind und direkt beobachtet werden können, sind sprachliche Handlungen wie Zuhören, Lesen oder Schreiben verdeckt. Unter verdeckter Interaktion versteht man auch die Interaktion zwischen einem Text und einer Person, die zuhört, liest oder schreibt. Allgemein zum Interaktionsbegriff formulieren Edmondson/ House (2007) folgende Definition: Interaktion ist als gegenseitiges Handeln zu verstehen, d.h. die Handlung einer Person A beeinflusst Person B in ihrer darauffolgenden Handlung, deren Auswirkungen wiederum A in ihren weiteren Handlungen beeinflussen. (ebd.: 242) Im deutschsprachigen Raum ist es unumstritten, dass die Diskussion um den Interaktions-Begriff eine zentrale Bedeutung für die Erforschung fremdsprachlichen Lehrens und Lernens hat. Diese Diskussion ist besonders im Band Interaktion im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen zu finden, der 2000 erschienen ist und in dem über 30 Wissenschaftler ihre Positionen zu ihren Verständnissen zum Thema Interaktion darlegen. Liest man die Titel der einzelnen Beiträge in diesem Band, stellt man fest, dass die Diskussion um Interaktion breitgefächert ist. Bereits im Titel seines Beitrags behauptet Henrici (2000) „Wer (Fremd)sprachenerwerb sagt, muss auch Interaktion sagen“. Der Autor präsentiert zunächst in seinem Text sein Verständnis von Fremdsprachenerwerb, das unerlässlich für das Verständnis der Rolle der Interaktion im Lernprozess ist. Dem Autor zufolge geht es im Fremdsprachenerwerb […] um einen wesentlich interaktiv und kognitiv konstituierten, von weiteren Variablen abhängigen Prozess […], der sowohl eine Verstehensals auch eine Produktionskomponente hat, die sich gegenseitig bedingen. Weiterhin, dass der Spracherwerb ein individueller Prozess ist, der sich prozessual und in Produkten dokumentiert, der hinsichtlich seiner Kurz-/ Mittel-/ Langzeitigkeit untersucht werden kann/ muss. (ebd.: 104) <?page no="24"?> 24 Für ihn können Interaktionstypisierungen nach unterschiedlichen Gesichtspunkten erfolgen, wie z.B. Mensch - Mensch(en), Mensch - Maschine-Interaktion, Alltag - Institution, künstlich - natürlich, gesteuert - ungesteuert, mündlich - schriftlich usw. Henrici führt darüber hinaus aus, dass die Form und der Inhalt der Interaktion einen Einfluss auf die Art der kognitiven Verarbeitung und des Lernens haben. Kognitive Verarbeitungsprozesse können durch verschiedene Interaktionsformen aktiviert werden. Wichtig für die Fremdsprachenforschung sind jedoch immer noch die Fragen, inwieweit und in welcher Form Interaktionen den Lernprozess fördern oder behindern und wann und wozu bestimmte Interaktionsformen vom Lehrenden durch Steuerung eingesetzt werden sollen. Besonders in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts haben sich viele Studien mit diesen Fragen auseinandergesetzt (vgl. exemplarisch Chaudron 1985; Long 1982; Varonis/ Gass 1985; Pica et al. 1987). Mit den technologischen Entwicklungen der CMC stellen sich diese Fragen auch in den neuen elektronischen Lernkontexten, innerhalb derer Fremdsprachen gelehrt und gelernt werden. So untersuchen viele Studien über CMC, ob und wenn ja, wie elektronische interpersonelle Interaktionen die Aushandlungen zwischen Lehrenden - Lernenden und Lernenden - Lernenden fördern können (vgl. exemplarisch Blake 2000; Kötter 2002; Pellettieri 2000). In der vorliegenden Studie geht es um die Untersuchung interpersoneller bzw. offener Interaktionen, die via Computer zum Zwecke des Lernens der deutschen Sprache erfolgen, und deshalb werden im Folgenden die Interaktions-Hypothese und die Rolle von Aushandlungsprozessen zum Fremdsprachenlernen diskutiert. Interaktions-Hypothese und negotiation of meaning Wie Krashen unterstreicht Long (1983) ebenso die Bedeutung von verständlichen Inputs für den Fremdsprachenlernprozess. Der Autor erweitert die Input-Hypothese und betont die Rolle von Rückfragen wie z.B. Verständnis- Kontroll-Fragen (comprehension checks), Bitte um Klärung (clarification request) und Wiederholungen, die während der Interaktion erfolgen und dazu beitragen, Inputs zu verstehen. Long entwickelt somit aus der Input-Hypothese die Interaktions-Hypothese und legt dadurch in seiner Forschung den Schwerpunkt auf den Umgang mit Inputs. Dem Autor zufolge ist für das Fremdsprachenlernen entscheidend, wie Lehrende und Lernende in dem Moment interagieren, in dem ein Input nicht verständlich ist, und wie sie diese Verständnisschwierigkeit überwinden. Bei der Interaktions-Hypothese gilt die Annahme, dass Interaktionen den Fremdsprachenlernprozess fördern, da die Möglichkeit zum Aushandeln von Bedeutungen (negotiation of meaning) zur Förderung des gegenseitigen Verstehens gegeben ist (vgl. Long <?page no="25"?> 25 1983; Pica 1994; Varonis/ Gass 1985). In einem Gespräch können Lehrende und Lernende jederzeit interaktive Mittel anwenden, um die Verständigung in der Interaktion zu sichern, wie z.B. klärende Nachfragen, Bitten um Wiederholung, Korrekturen usw. Das folgende Zitat von Pica (1994) verdeutlicht, auf welche Momente in einer fremdsprachlichen Interaktion sich das Konzept von negotiation of meaning bezieht: This term [negotiation of meaning] has been used to characterize the modifycation and restructuring of interaction that occurs when learners and their interlocutors anticipate, perceive, or experience difficulties in message comprehensibility. (ebd.: 494) Ellis (1999: 30) hebt die Tatsache hervor, dass interpersonelle Interaktionen, in denen Lernende die Bedeutung ihrer Äußerungen aushandeln müssen bzw. in denen negotiation of meaning stattfindet, für den Lernprozess nicht unbedingt notwendig, zweifellos jedoch förderlich sind. Intrapersonelle Interaktionen hingegen seien unerlässlich. Damit relativiert Ellis die Annahme, dass Fremdsprachenlernen ausschließlich durch Interaktionen möglich ist. Nimmt man als Beispiel interpersonelle Interaktionen im Fremdsprachenunterricht, dann stellt man fest, dass das, was von einem Lehrenden gelehrt wird, nicht gleich dem ist, was von seinen Lernenden gelernt wird. Obwohl die Lernenden denselben Unterricht besuchen, lernen sie jeweils unterschiedliche Dinge (Allwright 1984). Interaktionen im Unterricht werden aus diesem Grund „als eine Sequenz möglicher Spracherwerbsmomente konzipiert, die unterschiedlich wahrgenommen, verstanden oder auch ignoriert werden“ (Edmondson/ House 2007: 242). Wie die Input-Hypothese blieb die Interaktions-Hypothese nicht ohne Kritik. Swain (1995) bemängelt, dass sowohl bei der Input-Hypothese als auch bei der Interaktions-Hypothese die Rolle des aktiven Gebrauchs von Sprache beim Fremdsprachenlernen - des sogenannten Outputs - vernachlässigt wird. Ähnlich kritisiert Blake (2000); für den Autor ist es jedoch wichtig zu bemerken, dass man nach der Interaktions-Hypothese nicht davon ausgehen kann, dass durch negotiation of meaning in synchroner CMC automatisch Lernprozesse in Gang gesetzt werden. Interaktionen in Chats sind z.B. eher als „fertile environment for Second Language Aquisition“ (ebd.: 121) zu betrachten. Henrici (2000) listet eine Reihe von Annahmen aus empirischen Studien über Interaktionen im Fremdsprachenunterricht auf, die für die Analyse von fremdsprachlichen Interaktionen in Chats relevant sein können. Laut dem Autor werden Interaktionen im Fremdsprachenunterricht als günstige Erwerbsbedingungen angesehen, „wenn - wie in ungesteuerten Situationen - keine Reduktion der Interaktion auf ein pures Frage-Antwort-Schema erfolgt, sondern kooperatives Aushandeln stattfindet“ (ebd.: 108). Henrici zufolge ist <?page no="26"?> 26 es außerdem für den Fremdsprachenlernprozess wichtig, „wenn [in Interaktionen] der/ die Nicht-Muttersprachler(in) aktiv und selbst-initiativ ist und damit deutlich zeigt, dass er/ sie an der Problembearbeitung und -lösung interessiert und beteiligt ist“ (ebd.: 108). So gesehen könnte man vermuten, dass fremdsprachliche Interaktionen in Chats günstige Erwerbsbedingungen für Lernende ermöglichen, da ihr Ablauf nicht ganz vom Lehrenden oder Tutor gesteuert werden kann. In Kapitel 3.1 wird gezeigt, woraus Interaktionen in Chats bestehen und wie sich Lernende an der Interaktion beteiligen können. In den Analysekapiteln 7 und 8 wird die Frage aufgegriffen, ob Lernende die Initiative übernehmen, Fragen zu stellen, Probleme zu lösen und somit miteinander zu verhandeln. Das Ziel dabei ist zu untersuchen, wie im Sinne von Long (1983), Pica (1994) und Varonis/ Gass (1985) fremdsprachliche Aushandlungen im Chat zum Lernprozess beitragen können. 1.3 Output-Hypothese und collaborative dialogue Besonders die Arbeiten von Swain (1985, 1995, 2000) beschreiben die Output-Hypothese, die als eine die Input- und Interaktions-Hypothesen ergänzende Hypothese zu verstehen ist. Für Swain lernen Lernende eine Fremdsprache erst dann, wenn sie ihre Sprachkenntnisse aktiv anwenden. So ist der aktive Sprachgebrauch bzw. der Output für die Autorin der zentrale Faktor beim Fremdsprachenlernen. Swain (1985) zufolge können Outputs mehrere Funktionen erfüllen. Henrici (1995) fasst drei dieser wesentlichen Funktionen folgendermaßen zusammen: - Die Notwendigkeit für die Lernenden, während der Übermittlung ihrer Intentionen/ Informationen sprachlich verständlich zu sein, bringt sie dazu, ihre sprachlichen Ressourcen möglichst gut einzusetzen. Swain nennt dies „erzwungenen Sprachgebrauch“ (“pushed language use”). - Der Einsatz der Sprache (Output) zwingt die Lernenden dazu, vorhandene Hypothesen über Sprache zu überprüfen und gegebenenfalls neu zu formulieren, wieder zu überprüfen usw. - Der Gebrauch von Sprache [Output] im Unterscheid zum Verstehen von Sprache [Input] zwingt die Lernenden dazu, nicht nur auf inhaltliche Aspekte zu achten, sondern Sprache auch formal zu verarbeiten. Es ist möglich, Sprache ohne formale (syntaktisch-morphologische) Analyse zu verstehen. Der Sprachgebrauch zwingt die Lernenden zur Beachtung der sprachlichen Ausdrucksmittel. (ebd.: 17) <?page no="27"?> 27 In einer späteren Studie identifiziert Swain (1995) zwei weitere Funktionen von Outputs: (i) Outputs können Lernenden helfen, sich ihrer fremdsprachlichen Lücken bewusst zu werden und somit ihre Interlanguage zu entwickeln, indem sie beim Sprechen merken, ob sie in der Lage sind, all das in der Fremdsprache zu versprachlichen, was sie gerne äußern möchten (output promotes noticing, ebd.: 125); (ii) Outputs können darüber hinaus Lernenden helfen, über ihren eigenen Sprachgebrauch zu reflektieren und sich darüber mit anderen Lernenden auszutauschen (output serves as metalinguistic function, ebd.: 126). Im Unterschied zu Inputs kontrollieren Lernende bei der Produktion von Outputs die Situation, d.h. in Swains (1995) Worten: In speaking or writing, learners can ‘stretch’ their interlanguage to meet communicative goals. They might work toward solving their linguistic limitations by using their own internalized knowledge, or by cueing themselves to listen for a solution in future input (as well as native speakers, of course) can fake it, so to speak, in comprehension, but they cannot do so in the same way in production. […] to produce, learners need to do something; they need to create linguistic form and meaning and in so doing, discover what they can and cannot do. (ebd.: 127) Einer der Punkte, die an der Output-Hypothese kritisiert wird, bezieht sich auf die Annahme, dass allein die Schaffung von Möglichkeiten, in denen Lernende aktiv ihre Sprachkenntnisse anwenden können, ausreiche, um Lernende zu einer fehlerfreien Verwendung der Fremdsprache zu bringen. Bezüglich dieser Kritik nimmt Swain (1995) folgendermaßen Stellung: […] the output hypothesis claims that producing language serves second language acquisition in several ways. One function of producing the target language, in the sense of ‘practising’, is that it enhances fluency. This seems noncontroversial, particularly if it is not confused with the adage that ‘practice makes perfect’. We know that fluency and accuracy are different dimensions of language performance, and although practice may enhance fluency, it does not necessarily improve accuracy […]. (ebd.: 125) Eine weitere Kritik an der Output-Hypothese bezieht sich auf den Output- Begriff selbst. Van Lier (2000) und andere Fremdsprachenforscher bemängeln, dass dieser Begriff das Verständnis des Fremdsprachenlernens auf eine reine Informationsverarbeitung (information-processing) beschränkt, anstatt das Fremdsprachenlernen in einer breiteren Perspektive als eine soziale Aktivität zu verstehen. Als Antwort auf diese Kritik plädiert Swain (2000) für eine Erweiterung des Verständnisses des Output-Begriffes. Um ihre Forderungen zu erklären, diskutiert die Autorin einen Teil einer interpersonellen Interaktion im Unter- <?page no="28"?> 28 richt, bei der zwei Lernende versuchen, gemeinsam einen Satz auf Französisch zu formulieren. Dabei merken diese Lernenden, dass sie nicht über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen, um ihre Ideen in der Zielsprache auszudrücken. Sie diskutieren daher mögliche Hypothesen, testen sie aus und entscheiden schließlich, ihr sprachliches Problem mit Hilfe eines Wörterbuchs zu lösen. Für Swain ist diese Aushandlung ein Beispiel dafür, wie die Lernenden in einem Dialog zusammen engagiert sind, ihre vorhandenden Sprachkenntnisse anzuwenden und somit neues Wissen zu konstruieren. Anders als die Annahme von Pica (1994), dass negotiation of meaning in Situationen zur Behebung von Verständnisschwierigkeiten erfolgt, sieht Swain (2000), dass negotiation of meaning in diesem Dialog nicht deswegen erfolgt, weil die Lernenden sich nicht verstanden haben, sondern weil sie ein sprachliches Problem identifiziert haben und es zusammen lösen wollen. Der in Swain (ebd.) analysierte Dialog zeigt die kognitiven Schritte der Lernenden, welche die Basis der schriftlichen Produktion bilden. Der Autorin zufolge sind die Outputs der Lernenden daher nicht nur als Sprachgebrauch zu verstehen, sondern als Form eines kollaborativen Dialoges, welcher der Verständigung untereinander und der Lösung des Problems dient. Damit verdeutlicht Swain ihr erweitertes Verständnis des Output-Begriffes sowie des Konzeptes negotiation of meaning. Als Folge davon ergänzt die Autorin den Output-Begriff in ihrem Text durch folgende Wörter: „speaking“, „writing“, „utterance“, „verbalization“ und „collaborative dialogue“. Analysiert man eine fremdsprachliche Interaktion im Chat, fragt man sich, welche Outputs Lernende dabei äußern und wie diese Lernenden einen kollaborativen Austausch führen (können) - insbesondere, wenn am Chat viele Lernende gleichzeitig teilnehmen. Welches sind die Schwierigkeiten, die die Lernenden im Chat haben, um die Bedeutung und die Form ihrer Äußerungen in einer kollaborativen Art auszuhandeln? Anhand der Diskussion über einige linguistische und kommunikative Merkmale von Chats werde ich in Kapitel 3 diesen Fragen nachgehen. 1.4 Kontext, soziale Interaktion und Dialog Ein wichtiger Aspekt, der von den bereits diskutierten Hypothesen zum Fremdsprachenlernen vernachlässigt wird, ist der soziale Kontext, in dem Lernende mit anderen Menschen in der Fremdsprache interagieren und der für die Wissenskonstruktion von entscheidender Bedeutung ist. Diese Annahme ist die Basis der soziokulturellen Lerntheorie von Vygotsky (1978). Studien in der Fremdsprachendidaktik, die sich auf diese Theorie beziehen, versuchen vor allem, das Verhältnis zwischen kognitiven Prozessen und kul- <?page no="29"?> 29 turellen, historischen und institutionellen Kontexten zu verstehen. Der Fremdsprachenlernprozess wird daher aus einer breiteren Perspektive betrachtet, bei der nicht nur Inputs und Outputs eine Rolle spielen, sondern bei der auch der Mensch bzw. der Lernende als soziales und historisches Wesen verstanden wird. Die wichtigste Prämisse in Vygotskys Theorie ist, dass kognitive Funktionen wie Gedächtnis oder Aufmerksamkeit geistige Aktivitäten sind, die mit dem soziokulturellen Kontext zusammenhängen. Psychische Prozesse entstehen zunächst in der Interaktion mit anderen Menschen. Erst dann werden sie internalisiert, so dass das Individuum sie beherrscht. Dieser Internalisierungsprozess wird durch semiotische Instrumente (tools) gesteuert. Das wichtigste semiotische Instrument ist für Vygotsky die Sprache, durch die geistige Aktivitäten ermöglicht werden. Sprache ermöglicht darüber hinaus jedoch auch die Interaktion der Menschen mit der physischen und sozialen Umwelt. Sprache als bedeutungsvolles semiotisches Instrument steuert menschliche physische und geistige Aktivitäten. In diesem Sinne kann Sprache sowohl als kognitive Aktivität als auch als ein Produkt dieser Aktivität betrachtet werden. Für das Fremdsprachenlernen heißt dies, dass Lernende in sozialen Interaktionen kollektives Wissen konstruieren können, das auch individuell nützlich werden kann. Wenn Lernende mit einem anderen Menschen in der Fremdsprache interagieren, haben sie die Chance, Wissen zu konstruieren, das zwar zunächst kollektiv in der Interaktion entsteht, das jedoch ein nützliches Instrument für ihre spätere individuelle Fremdsprachennutzung werden kann. Wissenskonstruktion wird durch die Sprache gesteuert und entwickelt, d.h., wenn Lernende interagieren und dabei die Fremdsprache benutzen, um ein sprachliches Problem zu lösen oder eine Verständnisschwierigkeit zu beheben, versuchen sie, ihre Gedanken zu verbalisieren. Diese Verbalisierung bzw. das Gesagte ist die Umwandlung von Gedanken in ein konkretes Objekt, das in der Interaktion mit anderen Menschen überprüft werden kann. In diesem Sinne sind interpersonelle Interaktionen sehr wichtig für die Wissenskonstruktion, da die Lernenden durch die Verbalisierung ihrer eigenen Gedanken (Output) und durch das Verstehen der Verbalisierung der Gedanken ihrer Interaktionspartner (Input) ihre fremdsprachlichen Kenntnisse überprüfen und ihre Interlanguage entwickeln können. Dialoge stellen daher für Interaktionisten die beste Möglichkeit dar, um eine Fremdsprache zu lernen, da sich Lernende in Dialogen aktiv in einen Wissenskonstruktionsprozess einbringen können (vgl. Swain 2000: 113). In diesem Sinne lässt sich in Bezug auf den Schwerpunkt der vorliegenden Studie fragen, wie Interaktionen in Chats eine gute Möglichkeit für Lernende darstellen, um eine Fremdsprache zu lernen. Darüber hinaus lässt sich die Frage stellen, was uns die Analyse von <?page no="30"?> 30 Chat-Interaktion zum individuellen Lernprozess zeigt. Nach der soziokulturellen Lerntheorie entwickeln sich interne geistige Aktivitäten aus den äußeren dialogischen Aktivitäten. Daher können Analysen von fremdsprachlichen Dialogen - wie z.B. eines Austauschs im Chat - Hinweise darauf geben, wie Lernende eine Fremdsprache lernen und welche Strategien sie dabei verwenden, um Wissen zu konstruieren. In der vorliegenden Studie werden Chat-Interaktionen analysiert, in denen sich mehrere DaF-Lernende in deutscher Sprache austauschen. Es wird davon ausgegangen, dass sie dabei mit sprachlichen und kulturellen Problemen und Fragen konfrontiert werden, für die sie gemeinsam Lösungen und Antworten suchen müssen. Dieser Austausch kann für die jeweiligen Lernenden eine Möglichkeit bedeuten, Deutsch zu lernen, indem sie durch interpersonelle Interaktionen in Echtzeit Inputs verarbeiten, Outputs produzieren und somit Bedeutungen aushandeln. Der Fremdsprachenlernprozess wird hier daher als ein dynamischer und interaktiver Prozess verstanden, der von kognitiven und soziokulturellen Faktoren abhängt. Darüber hinaus wird der Fremdsprachenlernende als ein Individuum verstanden, das in der Interaktion mit anderen Lernenden Outputs produziert und Outputs anderer als Inputs wahrnimmt. In ihren Äußerungen verbalisieren die Lernenden ihre sprachlichen, sozialen und historischen Vorerfahrungen. Aufgrund des Forschungsdesigns dieser Studie muss ich mich jedoch auf die Äußerungen der Lernenden beschränken und kann die nicht in den Äußerungen dokumentierten kulturellen Faktoren berücksichtigen. Es ist nicht Ziel dieser Untersuchung, einzelne soziokulturelle Aspekte der jeweiligen Lernenden zu diskutieren und dadurch Rückschlüsse auf ihre individuellen Lernprozesse zu ziehen, sondern das Ziel hier ist es, Chat-Interaktionen als kollektives Handeln zu analysieren, in denen Lernende durch ihre jeweiligen kommunikativen Mittel sprachliche und kulturelle Fragen bearbeiten und Wissen konstruieren. <?page no="31"?> 31 2 Technologie, Gesellschaft und Bildung Die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) wie Computer und Handy ist aus dem Alltag vieler Menschen nicht mehr wegzudenken. Insbesondere das Internet ist ein kultureller Handlungsraum geworden, in dem die Menschen neue Formen der sozialen Vernetzung, der Wissenskonstruktion, -vermittlung und -aneignung sowie der Konstruktion personaler und kultureller Identitäten vorfinden. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei soziokulturellen Transformationsprozessen wie dem Wandel sozialer Organisations- und Vernetzungsformen und dem Wandel von Lehr- und Lernkulturen. Die sich vollziehenden Transformationsprozesse sind heute Thema verschiedener fachwissenschaftlicher Disziplinen geworden, wie z.B. der Ethnographie, Didaktik, Linguistik, Soziologie und Philosophie. Betrachtet man die Diskussion über die Auswirkungen der Nutzung der IKT im Bereich der Didaktik, so erkennt man zunächst eine Phase der Euphorie, in der viele ökonomische und sozialpolitische Vorteile für eine didaktische Verbesserung des Unterrichts versprochen wurden. 5 Gegenwärtig befinden wir uns in einer Phase der Ernüchterung, in der Konsens darüber herrscht, dass die Nutzung der IKT allein keine Verbesserung des Lernprozesses bedeuten muss. „Informations- und Kommunikationstechnologien im Unterricht? Ja, aber wann, wie und für wen? “ lauten die Fragen, mit denen sich Didaktiker heute beschäftigen. Anhand ausgewählter Aspekte der Auswirkungen der technologischen Entwicklungen auf Gesellschaft und Bildung wird in diesem Kapitel diskutiert, welche Rahmenbedingungen und Kompetenzen für eine sinnvolle Nutzung der IKT im Rahmen des Lehrens und Lernens erforderlich sind und vor welchen Herausforderungen und Perspektiven die Fremdsprachendidaktik heute steht. 2.1 Technologien und digital divide Die Zukunft des Einsatzes der Informations- und Kommunikationstechnologien im Bildungsbereich sowie der daraus folgenden Transformationsprozesse hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie z.B. von der Forschung, von den sozialen, politischen und ökonomischen Veränderungen in der Gesell- 5 Diese erste Phase war vom so genannten „Technikdeterminismus“ (technological determinism, Warschauer 2003: 15) geprägt. Dabei ging man davon aus, dass der Einsatz digitaler Medien in Lernkontexten automatisch zu Verbesserungen im Lernprozess führen würde. <?page no="32"?> 32 schaft und natürlich von neuen technologischen Entwicklungen (vgl. Warschauer 2003). Die Forschung im Bildungsbereich setzt sich heute hauptsächlich mit folgenden Fragen auseinander: - Welche Rolle spielen die IKT in Lernkontexten? - Wie verändert sich das Lernen mit dem Einsatz der IKT? - Was sind die methodischen und didaktischen Herausforderungen für den erfolgreichen Einsatz der IKT im Lernprozess? - Wie können die IKT - insbesondere das Internet als Informations-, Kommunikations- und Produktionsmedium - den Lehr- und Lernprozess positiv beeinflussen? - Wie können die IKT die Autonomie der Lernenden und die Kooperation zwischen ihnen fördern? Um diese Fragen zu beantworten und somit das Potenzial der IKT für das Lehren und Lernen als einen echten Mehrwert beschreiben zu können, ist es unerlässlich, den Bildungsbedarf in den Vordergrund der Diskussion zu rücken, denn die Frage, ob der Einsatz der IKT zu Lehr-Lern-Zwecken einen Mehrwert darstellt, lässt sich nur durch die Betrachtung und Analyse eines konkreten Lernkontextes beantworten. Betrachtet werden muss das Verhältnis zwischen dem gewählten Medium, dessen methodischem Einsatz und der individuellen Konstellation von Lernenden, Lehrenden und Lernbedarf. Deshalb muss laut Rösler (2010) die Befassung mit der Funktionalität des Medieneinsatzes an erster Stelle stehen, da „der Einsatz digitaler Medien dann sinnvoll [ist], wenn er sinnvoll ist“ (ebd.: 1204). Keine Technologie hat einen inhärenten didaktischen Mehrwert. Dieser kann nur festgestellt werden, wenn die Wahl der technologischen Medien und deren methodisch angemessener Einsatz zu einem konkreten Lernkontext mit bestimmten Zielen und Bedürfnissen passt. Dabei ist es jedoch nicht nur nötig, den Medieneinsatz und die damit verbundenen Lernziele und Rahmenbedingungen didaktisch gut zu durchdenken, sondern auch, die Mediennutzung während der Durchführung in Hinblick auf den Lernprozess zu fördern und sie im Nachhinein zu evaluieren. Um die Funktionalität und den Erfolg des Medieneinsatzes im Bildungsbereich zu überprüfen, unternahm Warschauer (2003) den Versuch eines internationalen Vergleichs. Hauptziel seiner langjährigen Untersuchung war es, das Verhältnis zwischen den IKT und der Gesellschaft in Ägypten, Brasilien, China, Indien und den USA zu vergleichen. Der Autor diskutiert vor allem das Problem des Zugangs der ökonomisch benachteiligten Teile der Gesellschaft zu den IKT. Für den Mangel an Zugangsmöglichkeiten zu Com- <?page no="33"?> 33 putern und anderen Technologien dieses Teils der Gesellschaft verwendet Warschauer den Begriff digital divide. Trotz der zunehmenden Verbreitung der IKT warnt Warschauer vor der Gefahr einer sich entwickelnden Wissenskluft zwischen denjenigen, die Zugang zu den IKT haben, und denjenigen, die von den technologischen Entwicklungen ausgeschlossen sind. Eines der größten Probleme, die Warschauer in seiner Untersuchung hervorhebt, sind die politischen Maßnahmen in diesen Ländern, mit denen der digital divide bekämpft wird: In vielen Projekten beobachtete der Autor, dass die Förderung der IKT lediglich durch die Bereitstellung von Computern erfolgte. Warschauer plädiert für eine neue Definition von digital divide, die nicht nur durch den bloßen Zugang zu den IKT gekennzeichnet ist, sondern auch die zusätzlichen notwendigen Bedingungen umfasst, die eine sinnvolle Nutzung der IKT für die Verbesserung der Bildung und Veränderungen in der Gesellschaft ermöglichen. 6 Um dies zu erreichen, sollen Wissenschaftler Warschauer (2003) zufolge sich Folgendes bewusst machen: As researchers of ICT [information and communication technology] and its social context, we may sometimes tally up computers and Internet accounts; however, this is not an end in itself but rather part of a broader effort to better understand the process of technology use and the role of ICT in human and social development. Similarly, as social advocates, we may work to distribute computer equipment, but again as one step toward a large purpose of helping people participate fully in the information economy and network society. That participation requires not only physical access to computers and connectivity, but also access to the requisite skills and knowledge, content and language, and community and social support to be able to use ICT for meaningful ends. The tasks are large, but so is the challenge: reducing marginalization, poverty, 6 Ich habe selbst in Brasilien an einem wissenschaftlichen Projekt - Do Papel à tela (Vom Papier zum Bildschirm) - teilgenommen, dessen Ziel es war, die Motivation von Schülern einer öffentlichen Schule für die Beschäftigung mit Literatur durch den Einsatz von Computern zu steigern und somit ihre Medienkompetenz zu verbessern (Fausto 2006; Almeida/ Marques 2006). Während der Durchführung des Projektes lernten wir nicht nur den Mangel an Infrastruktur der Schule, sondern auch die schlechte Nutzung und Verfügbarkeit von Computern kennen. Auch der Mangel an Medienkompetenz seitens der Schulleitung und der Lehrkräfte ließ sich feststellen. Die meisten Lehrenden waren nicht in der Lage, den Computerraum zu benutzen. Andere gaben den Schülern bestimmte Aufgaben, die kein klares didaktisches Konzept beinhalteten. Diese Lehrenden begründeten die Nutzung des Computerraums, damit, dass dies die einzige Möglichkeit für die Schüler sei, Zugang zu Computern zu erhalten. Die Schüler hingegen, die z.T. kaum mit der Maus umgehen konnten, betrachteten die Zeit im Computerraum als Freizeit und als eine Form, die Zeit in der Schule totzuschlagen. <?page no="34"?> 34 and inequality and enhancing economic and social inclusion for all. (ebd.: 216) Die vorliegende Studie untersucht zwar nicht direkt die gesellschaftlichen Auswirkungen des Einsatzes von Chats, sie leistet jedoch einen Beitrag zur Beantwortung der Fragen, wie die Online-Kommunikationsform Chat für die fremdsprachliche Interaktion genutzt wird und welche Bedeutung das hier untersuchte Chat-Angebot für den interkulturellen Austausch zwischen Menschen verschiedener Nationalitäten hat. Der untersuchte Chat-Raum steht außerdem im Rahmen eines freien Lernangebots im Internet zur Verfügung und daher handelt es sich dabei um eine Möglichkeit, die Forderungen von Warschauer zu verwirklichen, da dieses Lernangebot für alle Interessierten unabhängig von ihrer (gesellschaftlichen) Herkunft frei zugänglich ist. 2.2 Technologien und cultures of use Die IKT bieten viele Möglichkeiten, die den Lernprozess fördern können. Vielen Fremdsprachenlehrenden fällt es trotzdem schwer, IKT im Unterricht einzusetzen. Zahlreiche methodologische Fragen spielen eine entscheidende Rolle bei der Organisation, Durchführung und Evaluation von Veranstaltungen, die mit Online-Arbeitsphasen - sei es im Rahmen eines Blended Learning oder eines vollvirtuellen Konzepts - erfolgen. 7 Für den Einsatz der IKT im Fremdsprachenunterricht ist es wichtig, sich z.B. zu fragen, wie gut bestimmte Materialien für bestimmte Lernende geeignet sind. Die schier endlose Fülle an authentischen Materialien im Internet ist für den Fremdsprachenunterricht zwar sehr attraktiv, sie muss jedoch Rösler (2010) zufolge so durch auf die jeweiligen Stadien des Spracherwerbs zugeschnittene Aufgabenstellungen und Vermittlungen von Strategien begleitet werden, dass die Lernenden erfolgreich mit diesen umgehen können. Dies kann z.B. bedeuten, dass bereits im sehr frühen Anfangsunterricht stark gesteuerte Ausflüge ins 7 Das Konzept von Blended Learning oder hybride Lernen bezieht sich auf ein Lernszenarium, bei dem Präsenzarbeitsphasen mit Online-Phasen kombiniert werden. Rechercheaufgaben, die im Unterricht oder zu Hause zu lösen sind und deren Ergebnisse per E-Mail geschickt werden, die Erstellung von Blogs oder eine Diskussion in einem Forum, die im Präsenzunterricht aufgenommen werden können, stellen einige der Möglichkeiten für den Einsatz von Blended Learning dar (vgl. Rösler/ Würffel 2010a). Vollvirtuelles Lernen hingegen bezieht sich auf ein Lernszenarium, das komplett online stattfindet. Das Lernen erfolgt unabhängig vom Ort, an dem sich Lehrende und Lernende befinden. Eine ausführliche Beschreibung verschiedener Lernszenarien, in denen die IKT eingesetzt werden, ist in Arnold (2001), Kerres (2001) und in einigen Beiträgen in Issing/ Klimsa (2002) zu finden. <?page no="35"?> 35 Netz unternommen werden, bei denen die Zahl der anzusteuernden Seiten begrenzt ist, die Aufgabenstellung nur selektives Lesen erfordert und die schriftliche oder mündliche Mitteilung der gefundenen Lösung mit dem vorhandenen sprachlichen Können möglich sein muss. (ebd.: 1207) In Marques (2006: 110 ff.) habe ich in einer Studie mit DaF-Lernenden und DaF-Lehrenden aus Brasilien gezeigt, was passiert, wenn die von Rösler genannten Aspekte nicht beachtet werden. Anhand von Interviews konnte ich feststellen, wie unklare Aufgabenstellungen und wenig gesteuerte Ausflüge ins Netz zu Enttäuschung bei den Lernenden und zum Misslingen der Internetnutzung in der Schule führen können. In den Interviews berichteten Schüler, dass sie sich bei den von ihrer Lehrerin gegeben Rechercheaufgaben im Internet verloren fühlten und den Sinn der Aufgaben nicht nachvollziehen konnten. Die meisten Internetadressen, die die Schüler besuchen sollten, waren für ihr Sprachniveau nicht angemessen, daher waren sie nicht in der Lage, die Aufgaben zu lösen. Die Schüler erzählten außerdem, dass die Zeit im Computerraum für die Durchführung der Aufgaben immer sehr kurz bemessen war und dass sie deswegen in der Schule lieber ohne Computer arbeiten würden. Die von der Lehrerin ausgewählten Themen für die Rechercheaufgaben (wie zum Beispiel Tiere und Zoos in Deutschland) waren für die 15- und 16jährigen brasilianischen DaF-Lernenden nicht interessant. Sie sagten, sie würden lieber über Fußball oder Mode auf deutschsprachigen Internetseiten recherchieren. Darüber hinaus meinten die Schüler, dass die Lehrerin selbst mit der Technik und der Betreuung der Gruppe im Computerraum überfordert war. Da alle Schüler eigene Computer besaßen und auch von zu Hause Internetrecherchen hätten durchführen können, empfanden sie den Einsatz des Internets in der Schule als sinnlos und die Zeit im Computerraum als vergeudete Zeit: Das geht gar nicht. Reine Zeitverschwendung. Uns gefällt es, denn es ist sehr einfach und wir wissen, dass wir da ein bisschen rumsuchen, ohne wirklich was tun zu müssen, und so geht die Zeit rum. (Aussage einer Schülerin in einem Gruppeninterview aus Marques 2006: 125, m.Ü.) 8 Ferner erzählten die Schüler, dass die Nutzung des Internets in der Schule nichts mit ihrer privaten Internetnutzung zu Hause zu tun habe und dass sie die Nutzung des Internets in der Schule deswegen für überflüssig hielten. Während sie zu Hause meist E-Mails schrieben, Hausaufgaben mit Freunden via Chat besprachen und Recherchen im Internet durchführten, dürften sie in der Schule keine Emails schreiben, kein Chat-Programm nutzen und nur von 8 N-o dá. Pura perda de tempo. A gente gosta porque é moleza, sabe que vai ficar lá pesquisando sem tem que fazer nada mesmo e aí o tempo passa. <?page no="36"?> 36 der Lehrerin ausgewählte Adressen für Rechercheaufgaben besuchen. Die Lehrerin hingegen hatte eine völlig andere Wahrnehmung. Sie zeigte große Zufriedenheit mit dem Einsatz des Internets in der Schule und war der Meinung, dass ihre Schüler viel von den Rechercheaufgaben profitieren konnten. Diese unterschiedlichen Perspektiven und die daraus resultierende Enttäuschung der Schüler in meiner Studie lassen sich durch das Konzept der cultures of use von Thorne (2003) erklären. Für den Autor muss eine Aufgabe in einem bestimmten Lernszenarium nicht nur sinnvoll sein, sondern auch die gewählten Kommunikationstools müssen für die Lernenden geeignet sein und zu ihren individuellen und kulturellen Gewohnheiten passen. Thorne zufolge sind die verschiedenen Kommunikationstools im Internet nicht neutral, sondern ein kulturelles Produkt einer Gruppe einer bestimmten Gesellschaft. Für jeden Menschen hat das Internet eine individuelle Bedeutung, die durch seine tägliche Nutzung konstruiert wird. Diese Bedeutung ist ein kulturelles und subjektives Produkt, das sich sozial und historisch entwickelt. Aus diesem Grund sollen Kommunikationstools im Internet für Thorne (2003) folgendermaßen verstanden werden: Internet communication tools cannot be fully apprehended from a positivist vantage point as generically ‘there’ in the world. Cultural artifacts such as global communication technologies are produced by and productive of sociohistorically located subjects. Such artifacts take their functional form and significance from the human activities they mediate and the meanings that communities create through them. (ebd.: 58) Thorne zeigt in seiner Studie, wie bedeutsam es ist, die individuellen digitalen Erfahrungen und Gewohnheiten der Lernenden im Internet für den erfolgreichen Einsatz der IKT im Unterricht besonders zu berücksichtigen. Dabei diskutiert er das Beispiel eines E-Mail-Kooperationsprojektes zwischen amerikanischen und französischen Studierenden, bei dem es aufgrund der unterschiedlichen Erwartungen bezüglich der gewählten Kommunikationsformen zu Missverständnissen und Misserfolgen kam. Die amerikanischen Projektteilnehmer sahen die E-Mail-Kommunikation als eine sehr formelle Form, sich mit gleichaltrigen französischen Studierenden auszutauschen, und bevorzugten deswegen die synchrone Kommunikation via Chat. Die französischen Teilnehmer hingegen empfanden die E-Mail-Kommunikation nicht als zu formell und waren außerdem mit Chats nicht so vertraut. Angesichts dieser Problematik schlägt Thorne für den Erfolg der IKT in einem bestimmten Lernszenarium Folgendes vor: For Internet-mediated interpersonal or hyperpersonal relationships to develop, I suggest that certain minimum alignments of cultures-of-use are a necessary condition. In other words, the cultures-of-use of a communicative <?page no="37"?> 37 medium - its perceived existence and construction as a cultural tool - may differ interculturally just as a communicative genres and personal style may differ interculturally […]. Internet communication tools and their cultures-ofuse, associated commutative genres, and for participant-actors, a shared orientation to activity, are necessary before substantive intercultural communication might develop. (ebd.: 57) Die nachstehende Ausführung von O’Dowd (2007) zeigt, wie Thornes Ideen von cultures of use als eine Bedingung für den erfolgreichen Einsatz der IKT in einem Lernkontext verstanden werden können: Online language learning has to make sense to learners in their particular context and it has to be seen to be making a particular contribution to how they learn. Furthermore, the tasks should be seen to use communication tools in a fashion that is coherent with their habitual uses in society. (ebd.: 22) In diesem Sinne lässt sich schlussfolgern, dass der Einsatz der IKT im Rahmen des Fremdsprachenlernens nur dann erfolgreich ist, wenn man ein breiteres didaktisches Konzept entwickelt, in dem man nicht nur auf methodologische Fragen sowie auf kulturelle Erfahrungen und individuelle Erwartungen der Lernenden achtet, sondern auch die Erfordernisse für die Entwicklung der Medienkompetenz von Lernenden ernst nimmt (vgl. Kap. 2.3). Diese Schlussfolgerung gilt natürlich für den Einsatz von Chats im Rahmen eines Fremdsprachenunterrichts. Möchte ein Lehrender beispielsweise mit seiner Klasse eine Aufgabe im Chat lösen, müsste er nicht nur die Aufgabe durchplanen, sondern sich ebenfalls Gedanken machen, ob und wenn ja wie viel Erfahrung seine Schüler bzw. die Lernenden mit dieser elektronischen Kommunikationsform haben. In Kapitel 3.2 werden verschiedene Einsatzmöglichkeiten von Chats diskutiert sowie Implikationen für weitere Chat-Studien ausgesprochen, die Lehrenden und Forschern bei der Entwicklung eines didaktischen Konzepts für die Nutzung von Chats behilflich sein können. 9 2.3 Digital literacy Der Begriff der digital literacy wird häufig in Studien über den Einsatz der IKT im Bereich der Bildung verwendet. In der vorliegenden Arbeit wird der 9 Auch auf der Internetseite des hier untersuchten Chat-Raums finden Lehrende Ideen für den sinnvollen Einsatz von Chats im Unterricht (vgl. Kap. 4.2). <?page no="38"?> 38 pädagogische Literacy-Begriff im Sinne von Freire (2001) 10 - letramento im Original - verstanden. Literacy bezieht sich nicht nur auf die Lese- und Schreibkompetenz eines Individuums, sondern auch auf seine Fähigkeit, in der Gesellschaft kritisch zu agieren. Lesen und Schreiben zu lernen heißt für Freire nicht die bloße Dekodifizierung und Wiedergabe von Zeichen, sondern erfordert die Entwicklung der Fähigkeit, eigenständig Texte zu verfassen, Bedeutungen zuzuschreiben und zu kritisieren. Digital Literacy geht in dieselbe Richtung wie Freires Ideen zu literacy als soziale Praxis. Digital literacy bedeutet mehr als die einfache Nutzung der neuen Technologien. Digital literacy impliziert die kritische und aktive Nutzung der IKT, damit das Individuum sich in die digitale Welt integriert. Shetzer/ Warschauer (2000) entwickeln ein pädagogisches Modell für die Entwicklung der benötigten Kompetenzen für eine sinnvolle Mediennutzung im Bereich der Bildung. In diesem Modell, in dem digital literacy als Bildungsziel in der heutigen Gesellschaft eingeführt wird, präsentieren die Autoren Überlegungen zu den technologischen Entwicklungen und ihren Auswirkungen auf Kommunikation, Wissenskonstruktion und Forschung im Rahmen der Sprachennutzung. Der wichtigste Aspekt dieses Modells für das Fremdsprachenlernen mit Technologien und somit für die vorliegende Studie ist der Aspekt der Kommunikation. Shetzer/ Warschauer listen folgende Erfordernisse auf, die den kommunikativen Aspekt im Rahmen des Konzeptes von digital literacy erläutern und die für den Bildungsbereich bedeutsam sind. Lernende sollen angesichts der technologischen Entwicklungen in der heutigen Gesellschaft Folgendes beherrschen: - How to contact individuals to ask a question, give an opinion, give advice, or share knowledge. How to respond to questions, replies, feedback, advice or other communication. - How to contact groups of people using a variety of on-line technologies in order to read for comprehension, ask a question, share an opinion, give advice, share knowledge, conduct surveys, and post summaries and original research. How to be contacted and interact with groups of people. - How to participate in collaborative projects with people in different places to accomplish a shared goal (i.e., how to set up and participate in communication networks). 10 Freires Ideen sind vor dem Hintergrund der brasilianischen Gesellschaft der 1960er Jahre zu verstehen, die von großer Armut, Analphabetismus und sozialen Spannungen geprägt war. Die Literaturangaben beziehen sich auf die portugiesischsprachige Auflage aus dem Jahr 2001. <?page no="39"?> 39 - How to select the available asynchronous technologies such as e-mail, email lists, Web bulletin boards, and news groups. - How to select the synchronous technologies such as MOOs, chat rooms, IRC, person-to-person and group videoconferencing (…) or other tools. - Understanding implication: netiquette issues, privacy issues, safety issues, corporate advertising issues. (ebd.: 176 f.) Das Internet ist für die Autoren ein Medium, das seine eigenen stilistischen und soziolinguistischen Kommunikationseigenschaften hat, die sich von den traditionellen schriftlichen und mündlichen Kommunikationsmedien unterscheiden. Lernende sollen daher in die Lage versetzt werden, diese Unterschiede zu bemerken, um sich an neue Online-Kommunikationskontexte anpassen zu können. Nimmt man das Beispiel von Chats, durch die eine schriftliche synchrone Kommunikation mit Menschen aus verschiedenen Ländern der Welt ermöglicht wird, würde das konkret heißen: die Lernenden sollen nicht nur die spezifischen linguistischen und kommunikativen Merkmale von Chats kennen und erfolgreich mit ihnen umgehen, sondern sie sollen ebenfalls mit möglichen kulturellen Unterschieden ihrer Kommunikationspartner umgehen können, damit die Kommunikation erfolgreich stattfinden kann. Für Shetzer/ Warschauer spielt der kulturelle Hintergrund eines Internetnutzers in der Online-Kommunikation - wie generell in jeder Art von Kommunikation - besonders in Bezug auf seine Erwartungen über den Inhalt und Ablauf der Kommunikation eine wichtige Rolle. Diesbezüglich führt O’Dowd (2007) folgendes aus: […] online language learners need to have knowledge of how online behaviour is organised and interpreted in different cultures and they will also need skills, including the ability to interpret online publications and behaviour from different cultures and to elicit the meaning of certain online behaviour for them. (ebd.: 24) Darüber hinaus unterstreicht O’Dowd die Notwendigkeit der Entwicklung der interkulturellen Kompetenz der Lernenden für die erfolgreiche Nutzung der IKT und ergänzt daher das Konzept von electronic/ digital literacy wie folgt: Electronic literacies for foreign language learners need to include the skills and knowledge necessary to interact, investigate, publish and collaborate appropriately, taking into consideration the characteristics of the medium as well as the cultural and professional backgrounds of one’s interlocutors. (ebd.: 24 f.) Rösler (2004: 124 ff.) nennt hingegen für die Entwicklung von Medienkompetenz der Lernenden im Rahmen des Fremdsprachenlernens durch die zwei Ebenen: die Ebene der Rezeption und die der Produktion. Auf der Rezepti- <?page no="40"?> 40 onsebene geht es nicht nur darum, dass die Lernenden in die Lage versetzt werden sollen, die IKT kritisch zu nutzen, sondern auch darum, dass sie lernen sollen, die Glaubwürdigkeit eines Textes oder eines medialen Angebots einzuschätzen. Die Lernenden sollen angesichts der im Internet erweiterten Möglichkeiten für die Produktion und Reproduktion von Bildern und Texten lernen, die Seriosität und Zuverlässigkeit bestimmter Quellen zu beurteilen. Wie für Shetzer/ Warschauer (2000) gehören auch für Rösler (2004) die Fragen nach den Kommunikations- und Verhaltensformen in den neuen elektronischen Kontexten auf die Produktionsebene. Um zu erläutern, wie diese zwei Ebenen der Entwicklung von Medienkompetenz Gegenstand im Fremdsprachenunterricht werden können, nennt Rösler (2004) als Beispiel u.a. das Studium von Fremdsprachen selbst. Dem Autor zufolge sollen Studierende medienwissenschaftliche Seminare besuchen oder an medienbasierten Projekten teilnehmen, um den Einsatz der IKT „am eigenen Leib“ (ebd.: 126) zu erfahren. Diese Erfahrung könnte in verschiedenen Formen stattfinden, wie z.B. durch die Arbeit auf einer Online-Lernplattform, die Durchführung von Rechercheaufgaben mit anschließender Veröffentlichung der Ergebnisse im Netz sowie durch die Arbeit als Online-Tutor. Das bedeutet für Lernende und für (künftige) Lehrende, dass sie in die Lage versetzt werden sollten, bewusst und kritisch in den elektronischen Kontexten zu agieren. In Bezug auf die Chat-Kommunikation heißt, dass sie lernen sollten, wie sie sich im Chat am besten verhalten, um ihr Lernziel zu erreichen. In der vorliegenden Studie geht es spezifisch darum, die Fähigkeit der Besucher und der Tutorinnen des JETZT Deutsch lernen-Chats in Hinblick auf ihren Umgang mit Fehlern und Fragen zur Grammatik und Landeskunde zu untersuchen. Mit gezielten Forschungsfragen (vgl. Kap. 4.3) möchte ich in Teil C diskutieren, wie erfolgreich die Chat-Teilnehmer und die Chat-Tutorinnen Fehler korrigieren sowie sprachbezogene und kulturbezogene Fragen beantworten und diese vertiefen. 2.4 Aufgaben von Online-Tutoren Kaum ein anderer Beruf erfordert eine derart intensive Reflexion der eigenen Rolle wie der Lehrerberuf. Bereits in der Ausbildung gehört die Frage nach der Rolle und der damit verbundenden Verantwortung zum Lehreralltag. Mit der rasanten Entwicklung der Kommunikations- und Informationstechnologien haben Lehrende heutzutage einen weiteren Grund, sich mit dieser Frage zu beschäftigen: Die neuen Online-Lernkontexte stellen sie vor neue Lernsituationen, die für viele eine didaktische Herausforderung bedeuten. In der Fremdsprachendidaktik herrscht Konsens darüber, dass die Lehrkraft - sei es in Form eines Lehrenden oder eines Tutors - in Online-Kontexten sowohl für <?page no="41"?> 41 den Erfolg des Lernprozesses als auch für die Interaktion von entscheidender Bedeutung ist. Den Lernenden die neuen Medien lediglich zur Verfügung zu stellen, reicht nicht aus, um einen Lernprozess zu initiieren. Im Bereich des Fremdsprachenlernens mit digitalen Medien ist das Tutorierungskonzept sehr breit gefächert. Es gibt in der Fachliteratur zahlreiche Bezeichnungen, die von Onlinebzw. Tele-TutorIn oder E-TutorIn über Online-Coach, e-moderator und facilitator bis hin zu Online-Instruktor reichen und zwischen denen keine klaren funktionellen Unterschiede bestehen (Schnaithmann 2008: 46). Viele dieser Bezeichnungen werden synonym verwendet; entscheidend für die Abgrenzungen zwischen allen diesen Begriffe sind jedoch die jeweiligen Lehr-Lern-Szenarien und die zu übernehmenden Funktionen der Lehrperson. Für Schnaithmann (ebd.) übernehmen Lehrende, die Kurse komplett online organisieren, durchführen sowie den Lernenden bei Fragen und Schwierigkeiten zur Verfügung stehen, die Funktion eines „Online-Lehrers“. Diejenigen Lehrenden hingegen, die die Lernenden in einem Online-Lernkontext betreuen, ohne für die Organisation und Durchführung des Kurses verantwortlich zu sein, werden häufig als „Online-Lernbegleiter“ oder „Online-Tutor“ bezeichnet. Rösler (2004: 196) trifft die Unterscheidung zwischen einem ins Material eingebundenen Online-Tutor, der im Rahmen eines anonymen Sprachlernprogramms als elektronischer Korrekturservice fungiert, ohne dass eine persönliche Beziehung zwischen Tutor und Lernenden besteht, und virtuellen Tutoren, die den Lernenden namentlich bekannt sind (oft mit Bild) und für Rückfragen als Sprachlernberater zur Verfügung stehen. Der Sprachlernberater leistet seinerseits Sprachlernberatung, indem er meist in face-to-face-Gesprächen mit dem Lernenden versucht, individuelle Lernschwierigkeiten zu diagnostizieren, daraus abgeleitete Lernziele und -strategien zu definieren und Möglichkeiten zu skizzieren und Lernergebnisse zu evaluieren (vgl. Mehlhorn/ Kleppin 2006: 1). Mit der Unterstützung digitaler Medien kann die Sprachlernberatung in Form einer Distanzlernberatung stattfinden, bei der die Grundziele der Lernberatung beibehalten werden, jedoch nach den gewählten Medien entwickelt und adaptiert werden müssen (vgl. Kleppin 2006: 5). In der vorliegenden Studie wird nach der Unterscheidung von Rösler (2004) die Bezeichnung virtuelle Tutoren verwendet, da die Tutorinnen des JETZT Deutsch lernen-Chats den Chat-Besuchern mit Namen und Bild bekannt sind und für Rückfragen im Chat zur Verfügung stehen. Eine Einführung über ihre Aufgaben in diesem Chat erhalten sie, bevor sie mit der Arbeit als Chat-Tutor beginnen. Dabei werden ihnen viele Freiheiten gelassen. Sie können sich z.B. aussuchen, über welche Themen sie chatten wollen und wie <?page no="42"?> 42 und wann sie Fehler korrigieren. Platten fasst die Aufgaben der Tutorinnen des JETZT Deutsch lernen-Chat-Raums wie folgt zusammen: Sie sollen sich dem Sprachniveau der Nicht-Muttersprachler anpassen, gegebenenfalls Korrekturen vornehmen und Wortbedeutungen erklären, um somit den Gesprächsverlauf positiv zu beeinflussen und die Chat-Erfahrung zu einem Gewinn für den Lerner zu machen. Befinden sich mehrere Lerner im Chat, haben die Tutoren die Funktion, die Gespräche zu moderieren. Zudem sind sie auch Übermittler landeskundlicher Informationen und ermöglichen durch ihre Studienrichtung und durch ihre eigenen fremdsprachlichen Lernerfahrungen einen fachkundlichen Austausch zu Themen wie Lernstrategien und Institutionelles Lernen. (Platten 2003: 161, meine Hervorhebung) Für die Tutorinnen vom JETZT Deutsch lernen-Chat ist es nicht immer möglich, alle diese Aufgaben gleichzeitig zu übernehmen. Häufig befinden sich viele Besucher im Chat, die über unterschiedliche Sprachniveaus verfügen sowie verschiedene Vorstellungen vom Chat haben. Während manche Besucher Fragen zur deutschen Sprache haben und korrigiert werden wollen, möchten andere sich einfach frei unterhalten. In jeder neuen Stunde begegnen die Tutorinnen neuen Besuchern im Chat. Die unvorhersehbare Heterogenität der Gruppe von Besuchern, die die Tutorinnen im Chat treffen, stellt sie in Bezug auf ihre Aufgaben täglich vor neue Herausforderungen (vgl. Marques-Schäfer 2010: 163). In der vorliegenden Studie wird anhand der drei Forschungsschwerpunkte Fehlerkorrektur, Sprachbezogene Fragen und Kulturbezogene Fragen untersucht, wie die Tutorinnen trotz der Heterogenität der Gruppe im Chat und des Rahmens des hier untersuchten Online-Angebots Lernberatung leisten. In Kapitel 6.1.1 wird diskutiert, wie die Tutorinnen ihre eigene Rolle sehen und in den Analysekapiteln 7.8.5, 8.3.3 sowie 9.9.3 wird gezeigt, wie die Tutorinnen ihre Rolle als virtuelle Beraterinnen für Sprache und Kultur erfüllen. 2.5 Das Potenzial der Informations- und Kommunikationstechnologien für das Fremdsprachenlernen In der Fremdsprachendidaktik ist es unumstritten, dass besonders das Internet zahlreiche neue Möglichkeiten für das Fremdsprachenlernen bietet, wie z.B. einen breiteren Zugang zu Informationen und neuen Kommunikations- <?page no="43"?> 43 und Produktionsformen. 11 So verfügen Lehrende und Lernende inzwischen nicht nur über eine fast unübersehbare Menge an authentischen Materialien aus dem Zielsprachenland, sondern können auch schnell und günstig in direkten Kontakt mit Muttersprachlern und mit anderen Lehrenden und Lernenden treten. Die im Internet bereits zu findenden Materialien können von Lehrenden und Lernenden sowohl für die Vorbereitung des Fremdsprachenunterrichts als auch für den Einsatz im Unterricht verwendet werden. Für Rösler (2008) liegt das Potenzial der IKT für das Fremdsprachenlernen gerade in den Möglichkeiten, die die Lernenden haben, die Inhalte ihres Lernprozesses selbst zu bestimmen und die Künstlichkeit des Fremdsprachenunterrichts etwas zu verringern, indem sie selbst einen authentischeren Kontakt zur Zielsprache und zur Zielkultur organisieren und erleben können. In vielen Veröffentlichungen werden die Auswirkungen der technologischen Entwicklung auf verschiedene Lernszenarien ausgelotet und evaluiert. Dabei werden die Möglichkeiten und Grenzen der IKT für das Fremdsprachenlernen erforscht und somit neue Perspektiven für die Fremdsprachendidaktik skizziert. Rösler (ebd.) versucht, eine Zwischenbilanz der bisherigen Forschungsergebnisse und der sich daraus ergebenden Hoffnungen auf künftige Entwicklungen und Änderungen für die Fremdsprachendidaktik zu ziehen. Drei Aspekte dieser Zwischenbilanz sollen im Folgenden näher diskutiert werden: Digitalisierte Distribution von Lernmaterialien, digitale Lernmaterialien und ihre Analyse sowie Kooperationen. Digitalisierte Distribution von Lernmaterialien Einer der wichtigsten Vorteile der Verbreitung der IKT ist die Möglichkeit, schnell und günstig Zugang zu didaktischen Lernmaterialien zu erhalten. Im Internet gibt es zahlreiche Adressen, unter denen man kostenlose Zusatzmaterialien für den Unterricht finden kann. Diese reichen von fertigen Übungsblättern, Lesetexten, Diktaten, Grammatikübersichten und Wortschatzlisten zum Ausdrucken bis hin zu Audio-Dateien zum Herunterladen. Besonders für Lehrende und Lernende, die aus weit vom Zielsprachenland entfernten Ländern kommen, ist es einfacher geworden, Zugang zu solchen Materialien zu erhalten. Aber unabhängig vom Lernort ist es wichtig zu bedenken, ob 11 Asynchrone Kommunikationsformen wie E-Mails, Blogs, Foren, Wikis und Podcasts und synchrone Kommunikationsformen wie Text-Chats und Voice-Chats finden in verschiedenen fremdsprachlichen Lernkontexten mit verschiedenen Zielsetzungen zunehmend Anwendung. Während Wiki und Blog häufig zum Üben und zur Verbesserung der fremdsprachlichen Schreibfähigkeiten der Lernenden verwendet werden, werden Podcasts meist zur Förderung des Hörens und Sprechens benutzt. Zu Studien über Wiki siehe exemplarisch Platten (2008), über Blogs Arena (2008) und Zimmer (2009), über Podcasts Peuschel (2009) sowie Schmidt (2009). <?page no="44"?> 44 diese neuen digitalen Materialien eine wirkliche inhaltliche Verbesserung im Vergleich zu den bereits vorhandenen Materialien bieten oder nicht. Lehrende sollten sich fragen, ob sich die digitalen Übungsblätter überhaupt von denen unterscheiden, die man traditionell in Grammatiken und Lehrbüchern findet. Sie sollten einschätzen können, ob digitale Lernmaterialien tatsächlich einen didaktischen Mehrwert bieten oder ob ihr Vorteil lediglich in der besseren und günstigeren Distributionsform liegt. Rösler (2008) zufolge wäre es eine interessante Verbesserung, wenn die Lehrbuch-Verlage das Potenzial der IKT in Bezug auf die Produktion und Distribution von Lernmaterialien nutzbar machen würden, indem sie Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien auf bestimmte Zielgruppen ausrichten. Besonders Glossare und Lehrerhandbücher könnten verbessert werden, wenn sie auf die Bedürfnisse von Lehrenden einer konkreten Zielgruppe zugeschnitten würden. Nach Ansicht von Rösler könnten die Verlage anhand der IKT Glossare entwickeln, die nicht nur aus Vokabellisten mit Eins-zu-Eins- Übersetzung bestünden, sondern darüber hinaus auch Bildmaterial, Verweise auf Texte, in denen Wortschatz in unterschiedlichen Kontexten verwendet wird, sowie Erklärungen zu interkulturellen Fragen, die die Arbeit mit Wortschatz und Landeskunde vereinfachen, umfassen. Für Rösler wäre diese Verbesserung durch die Entwicklung einer zentralen Datenbank von Lernmaterialien möglich. Diese Datenbank könnte nicht nur Glossare und Lehrerhandbücher bereichern, sondern auch der Vertiefung eines im Lehrwerk nur knapp behandelten Themas dienen. Da Lehrende für den Unterricht schon immer Materialien adaptieren mussten, wie z.B. durch die Erstellung neuer Übungen oder Arbeitsblätter zur Grammatik, könnten sie diese Materialien in Gruppen dezentral produzieren und sie zentral dokumentieren, anstatt sie für sich zu behalten. Durch eine solche dezentrale Datenbank hätten viele Lehrende Zugang zu vielfältigen und zielgruppenspezifischen Materialien. 12 Für Rösler (2008) würde die Entwicklung einer solchen Datenbank einen großen Fortschritt für die Materialproduktion im Fach Deutsch als Fremdsprache bedeuten. Analyse digitaler Lernmaterialien Zu den Lehrwerken werden heute Zusatzkomponenten auf CD oder extra Unterrichtsmaterialien im Internet angeboten. Diese Angebote sind sehr un- 12 Darüber hinaus könnte Rösler (2004: 97) zufolge die Entwicklung einer Datenbank von Lehrmaterialien zur Entwicklung von Lehrwerken on demand führen. Das würde bedeuten, dass bestimmte Themen in einem Lehrwerk, die lediglich in Ansätzen behandelt werden, anhand von Materialien aus der Datenbank vertieft werden könnten und dass sich die Qualität dieses Lehrwerks folglich verbessern würde. <?page no="45"?> 45 terschiedlich und variieren je nach Lehrwerk und Verlag. Während Lernenden ergänzend zum Arbeitsbuch z.B. digitale Übungen im Internet angeboten werden, finden Lehrende im Internetangebot eine Art Erweiterung des Lehrerhandbuchs, in dem sie nicht nur zusätzliche Materialien für den Unterricht finden können, sondern sich auch mit anderen Lehrenden austauschen können (wie z.B. in Foren). Wie man diese zusätzlichen digitalen Materialien analysiert, ist in der Fremdsprachendidaktik ein noch offener Diskussionspunkt. Lassen sich die traditionellen Kriterien für gedruckte Lehrwerke auf die Analyse von digitalen Lernmaterialien übertragen? Wenn ja, welche sind die relevanten Kriterien? 13 Auf welche Aspekte der digitalen Lernangebote sollten Lehrende besonders achten? Für Rösler (2004) spielt die Frage nach der Qualität des Feedbacks eine entscheidende Rolle für die Analyse digitaler Lernangebote. Unter Feedback ist im Rahmen des Fremdsprachenlernprozesses jede Art von Rückmeldung zu verstehen, die auf eine Äußerung eines Lernenden gegeben wird, um ihm dabei zu helfen, die Richtigkeit bzw. die Angemessenheit seiner Äußerung abzuschätzen. Bei der Analyse der Qualität des Feedbacks ist es wichtig zu bedenken, inwieweit das Feedback den Lernenden tatsächlich zu einer Verbesserung seiner Äußerung führt. Ist das Feedback eine Art Hilfe, damit der Lernende den Fehler oder das Misslingen seiner Äußerung versteht, oder ist das Feedback eine einfache programmierte Antwort wie „Die Antwort ist nicht richtig“. Mit solch einfachen programmierten Feedbacks kann der Lernende nicht herausfinden, ob er lediglich einen Tippfehler gemacht hat oder nur Groß- und Kleinschreibung verwechselt hat oder ob der Fehler tatsächlich auf eine Wissenslücke über die Regeln der Morphologie der deutschen Sprache zurückzuführen ist. Die meisten elektronischen Lernangebote bieten geschlossene Übungen an, wie Zuordnungsübungen, Multiple-Choice, Lückentexte oder Kreuzworträtsel. Bei der Analyse solcher Angebote ist die Frage nach der Qualität des programmierten Feedbacks von entscheidender Bedeutung, da dieses entweder zur Motivation oder zur Frustration der Lernenden führen kann. Rösler (2010) erklärt, dass die Qualität eines automatisch generierten Feedbacks davon abhängt, „wie arbeitsintensiv und sorgfältig die Antizipationen der Programmersteller sind“ (ebd.: 1205). Feedbacks sind oft so kurz und verwirrend, dass die Lernenden schnell den Sinn der Übung aus dem Auge verlieren und demotiviert werden. Aus der Perspektive der Didaktik sind einfach pro- 13 An dieser Stelle sei auf einen Kriterienkatalog hingewiesen, der in Rahmen eines Seminars an der Universität Gießen erstellt wurde und unter <http: / / www.unigiessen.de/ daf/ Kriterienkatalog/ kriterienkatalog.pdf> zu finden ist (letztes Abrufdatum 22.03.13). <?page no="46"?> 46 grammierte Feedbacks daher nicht befriedigend (vgl. ebd.: 1205). Für offene Übungen, bei denen die Lernenden einen eigenen Text eingeben müssen, ist die Erstellung eines automatisch generierten Feedbacks schwieriger, da solche Feedbacks nur anhand einer Musterlösung gegeben werden können oder durch die Weiterleitung der Texte an einen Tutor bzw. Lehrer möglich ist, der sie im Nachhinein korrigieren kann. Für Rösler (2004) kann das programmierte Feedback bei offenen Übungen erst dann einen qualitativen Fortschritt erreichen, wenn künstliche Intelligenz und Fremdsprachendidaktik kooperieren, indem sie Analysewerkzeuge der Sprachtechnologie verwenden, um eine angemessene Reaktion auf fehlerhafte Lerneräußerungen zu geben. Darüber hinaus sieht Rösler (2008: 376) durch die Forschung über digitale Materialien positive Auswirkungen auch auf die Lehrwerkanalyse. Der Autor hofft, dass empirische Methoden, die bei der Analyse von Interaktionen zwischen Lernenden und digitalen Materialien angewendet werden, auch für künftige Analysen gedruckter Lehrwerke übernommen werden. Dies würde eine Art empirische Wende in der traditionellen Lehrwerkanalyse bedeuten, da Lehrwerke traditionell als reine „Werke“ beurteilt werden und nicht empirisch im Unterricht und im Rahmen der Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden untersucht werden. Kooperationen Kooperationsprojekte zwischen Lernenden, Lehrenden und Muttersprachlern gab und gibt es unabhängig von der zunehmenden Verbreitung der IKT. Durch die rasanten technologischen Entwicklungen ist die Überwindung von Raum und Zeit einfacher geworden und somit haben sich die Möglichkeiten für Kooperationsprojekte vergrößert. 14 Ein Beispiel dafür sind die Tandem- Angebote, die durch das Internet einfacher initiierbar geworden sind. Der Tandem-Service der Universität Bochum, der heute als international bekannte Kontaktbörse für Lernende verschiedener Fremdsprachen fungiert, ist ein Beispiel für diese Entwicklung. 15 Andere Projekte wie z.B. das Gießener Elektronische Praktikum (Tamme 2001; Würffel 2002) und GALANET (Araújo e Sá/ Melo-Pfeifer 2009; Melo 2006) zeigen nicht nur, dass durch die IKT-Kooperationen zwischen Lernenden und Muttersprachlern auf unterschiedlichen Kontinenten einfacher geworden sind, sondern auch, dass Fragen nach den Inhalten, den Rahmenbe- 14 Parallel zur steigenden Zahl an digitalen Kooperationsprojekten lässt sich auch eine Zunahme an empirischen Untersuchungen in diesem Bereich feststellen. Siehe dafür einige Beiträge in Barber/ Zhang (2008), Belz/ Thorne (2006), Ducate/ Arnold (2006), O’Dowd (2007), Thomas (2009) und Warschauer/ Kern (2000). 15 http: / / www.slf.ruhr-uni-bochum.de/ (letztes Abrufdatum 22.03.13). <?page no="47"?> 47 dingungen der beteiligten Institutionen und die Auswahl der Kommunikationsmedien bei der Durchführung von Online-Projekten zwischen zwei oder mehreren Institutionen genauso wichtig sind wie bei traditionellen Kooperationsprojekten ohne den Einsatz der IKT. 16 Im Gießener Elektronischen Praktikum geht es um einen Online-Austausch zwischen Deutschlernenden aus Hongkong und Germanistikstudierenden aus Gießen. Während dieser Austausch in dem Zeitraum, in dem die Arbeit von Tamme (2001) entstand, ausschließlich über E-Mails erfolgte, wird er gegenwärtig mit der Nutzung weiterer Medien wie Wiki, Chat, Forum und Skype durchgeführt. Durch diesen Austausch können einerseits die chinesischen Deutschlernenden nicht nur ihre Sprachkenntnisse verbessern, sondern auch persönlich Kontakt mit Studierenden aus Deutschland aufnehmen und deren individuelle Perspektiven zu kulturbezogenen Themen kennen lernen. Andererseits können die Studierenden aus Gießen, die als Tutorinnen in diesem Projekt tätig sind, durch das Praktikum ihre Medien-, Lehr- und interkulturelle Kompetenz in einem authentischen Rahmen bereits während des Studiums erweitern (vgl. Rösler/ Würffel 2010b). Beim GALANET handelt sich um ein Kooperationsprojekt zur Förderung der Interkomprehension 17 von Sprechern romanischer Sprachen, das auf einer multimedialen Lernplattform durchgeführt wird. Die Teilnehmer sind überwiegend Studierende von verschiedenen Universtäten in Frankreich, Spanien, Portugal, Italien, Brasilien, Argentinien usw., die von Tutoren betreut werden und sich via E-Mails, Foren und Chats austauschen. Dabei versuchen die Lernenden, sich in ihrer jeweiligen (romanischen) Muttersprache verständlich zu machen und gleichzeitig die von den anderen Lernenden verwendeten romanischen Sprachen zu verstehen, wodurch ihre Mehrsprachigkeit gefördert wird. Wie auch beim Gießener Elektronischen Praktikum haben die Lernenden durch den Austausch im GALANET die Möglichkeit, ihre kulturellen Kenntnisse über die durch die Lernenden vertretenen Länder zu erweitern und somit ihre interkulturelle Kompetenz zu fördern. Auch der in der vorliegenden Studie untersuchte Chat-Raum ermöglicht eine Form von Kooperation, die zwar in einem völlig anderen didaktischen Rahmen als die beiden oben präsentierten Projekte angeboten wird, die jedoch ebenfalls zum (interkulturellen) Lernprozess von Lernenden aus verschiedenen Ländern der Welt beitragen kann (vgl. Kap. 4). Auch der Chat- 16 Für eine ausführliche Darstellung von wichtigen Kriterien für eine erfolgreiche Durchführung eines virtuellen Kooperationsprojektes siehe die Vorschläge von Reinhard Donath unter http: / / www.schule.de/ englisch/ tipps_neu.htm (letztes Abrufdatum 22.03.13). 17 Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit diesem Konzept und für Beispiele aus empirischen Studien zu diesem Thema siehe Doyé/ Meißner (2010). <?page no="48"?> 48 Raum des Projekts JETZT Deutsch lernen wird von Rösler (2004: 63) als „ein echter Anwendungskontext von bereits Gelerntem“ gesehen, d.h. Lernende des Deutschen als Fremdsprache können in dem hier untersuchten Chat die Künstlichkeit des Unterrichts etwas überwinden, indem sie dort feststellen, dass sie in der Lage sind, sich in der Fremdsprache verständlich zu machen. <?page no="49"?> 49 3 Die Chat-Kommunikation in der Linguistik und in der Didaktik Die Chat-Kommunikation ist eine der beliebtesten und verbreitetsten Kommunikationsform im Internet. 18 Der JIM-Studie (Jugend, Information und (Multi-)Media) (2008) zufolge, in der der Medienkonsum von Jugendlichen in Deutschland untersucht wurde, nutzen 97 Prozent der deutschen Jugendlichen das Internet, 62 Prozent davon täglich. 19 Die Ergebnisse zeigen, dass die Online-Kommunikation via Chat unter den zahlreichen digitalen Kommunikationsformen eine zentrale Rolle spielt: Sie ist die bei der Hälfte der Jugendlichen beliebteste Form, sich mit Gleichaltrigen auszutauschen, sei es mit Freunden via Instant-Messenger wie ICQ und MSN, oder mit Fremden in anonymen Chat-Räumen. Ziel des vorliegenden Kapitels ist es, diese wichtige technologiebasierte Kommunikationsform näher zu betrachten. Dazu werden zunächst die wichtigsten linguistischen und kommunikativen Merkmale der Chat-Kommunikation beschrieben und im Anschluss der Stand der Chat-Forschung in der Fremdsprachendidaktik ausführlich dargestellt. 3.1 Linguistische und kommunikative Merkmale von Chats 3.1.1 Chats zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit Die linguistische Chat-Forschung beschäftigt sich vor allem mit der Frage der Verortung von Chat-Kommunikation zwischen den wesentlichen Praktiken sprachlichen Handelns Text und Gespräch. Beißwenger (2007) schildert das Ausgangsproblem der linguistischen Chat-Forschung in Bezug auf die Klassifizierung dieser Kommunikationsform wie folgt: Dass die Chat-Kommunikation in verschiedenen ihrer Eigenschaften dem Gespräch deutlich näher steht als dem Text, ist unbenommen und auch in der Forschungsliteratur zum Thema weitgehend unstrittig. Probleme bereitet aber nach wie vor eine genaue Verortung des Chats in seiner Stellung zum 18 Das Wort chatten kommt aus dem Englischen und bedeutet „plaudern“ oder „schwatzen“. Für eine ausführliche Differenzierung der semantischen Bedeutungen des alltagsprachlichen Ausdrucks „Chat“ siehe Beißwenger (2007: 40 ff.). 19 Die JIM-Studie, die vom Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest durchgeführt wurde, untersuchte den Medienkonsum von 14bis 19-Jährigen und wurde im selben Zeitraum durchgeführt wie die Datenerhebung der vorliegenden Studie. <?page no="50"?> 50 Gespräch. „Wenn Chat nicht Text ist“, so müsste man meinen, „dann kann Chat eigentlich nur Gespräch sein“. Ganz so einfach ist es aber nicht, da Chat andererseits auch Merkmale aufweist, die ihn in deutlicher Differenz zum Gespräch zeigen. Die Frage, die sich stellt, ist die, wie strapazierfähig eine Kategorie Gespräch angelegt sein muss, die die Chat-Kommunikation integriert bzw. ob hinsichtlich der charakteristischen Differenzen chatbasierter Interaktion zum Gespräch eine Einordnung unter die Kategorie Gespräch noch praktikabel erscheint und theoretisch wünschenswert ist. (ebd.: 2) In der Literatur gibt es verschiedene Auffassungen darüber, wie die Chat- Kommunikation einzuordnen ist. Der Großteil der Arbeiten im deutschsprachigen Raum bezieht sich auf das Modell von Koch/ Oesterreicher (1985), um die Beziehung zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit in der Chat-Kommunikation aufzuzeigen. Dieses Modell basiert auf den Dimensionen Medium und Konzeption zwischen den Polen Schriftlichkeit und Mündlichkeit. Während mediale Mündlichkeit und Schriftlichkeit nur dichotomisch betrachtet werden können, da sie entweder graphisch oder phonisch realisiert werden, können konzeptionelle Mündlichkeit und Schriftlichkeit als ein sprachliches Kontinuum verstanden werden, deren einen Pol die Kategorie der sprachlichen „Nähe“ und deren anderen Pol die Kategorie der „Distanz“ bilden (ebd.: 23). Im Rahmen dieses Kontinuums können verschiedene Äußerungsformen verortet werden. So stehen beispielsweise ein familiäres Gespräch oder ein Privatbrief näher am Pol der konzeptionellen Mündlichkeit des Kontinuums, während ein wissenschaftlicher Vortrag oder ein Gesetzestext näher am Pol der konzeptionellen Schriftlichkeit des Kontinuums stehen. Kriterien für die Verortung der verschiedenen Äußerungsformen in diesem Kontinuum sind für Koch/ Oesterreicher die Vertrautheit der Kommunikanten, die Synchronizität sowie der Grad an Öffentlichkeit der Kommunikation. Darüber hinaus korrelieren die Kommunikationsbedingungen mit bestimmten Versprachlichungsstrategien. So ist beispielsweise eine politische Rede durch einen hohen Grad an Öffentlichkeit charakterisiert, was i.d.R. mit einem hohen Planungsaufwand verbunden ist. Für Dürscheid (2003) bietet das Modell von Koch/ Oesterreicher einen brauchbaren Ansatz für die Beschreibung der Chat-Kommunikation und hat sogar den Status einer Grundlage für die Chat-Forschung erreicht. Nichtsdestotrotz bemängelt die Autorin zwei Aspekte: Zum einen, dass dieses Modell zu einer Zeit konzipiert wurde, in der Online-Kommunikationsformen wie Chat noch nicht verbreitet waren und deswegen in dem Modell nicht erfasst werden konnten. Zum anderen kritisiert Dürscheid, dass in diesem Modell Hinweise aus der Medienforschung unberücksichtigt bleiben, wie z.B. die Feststellung, dass das Kommunikationsmedium Einfluss auf die Art und Weise ausübt, wie Menschen sich sprachlich ausdrücken. Da Koch/ Oesterrei- <?page no="51"?> 51 cher für Dürscheid mit einem zu eng gefassten Medienbegriff (schriftlich oder mündlich) arbeiten, plädiert sie für die Erweiterung des Modells, indem sie zwar die Unterscheidung zwischen medialer und konzeptioneller Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit beibehält, jedoch ein neues Verständnis des Begriffs „Medium“ einführt. 20 Für die Erläuterung dieses erweiterten Medienbegriffes verwendet Dürscheid (2003) die folgende Definition von Holly (1997: 69): „Medien sind materielle Hilfsmittel, mit denen Zeichen verstärkt, hergestellt, gespeichert und/ oder übertragen werden können“. Nicht nur Bücher und Zeitschriften, sondern auch Computer und Handys können solche Hilfsmittel sein. Für Dürscheid sind Kommunikationsmedien daher diejenigen materiellen Hilfsmittel, die eine Kommunikation über räumliche Entfernung hinweg ermöglichen, wie z.B. das Telefon. Im Gegensatz dazu sind Kommunikationsformen nicht materieller Art, sondern rein ‚virtuelle Konstellationen’ (vgl. Dürscheid 2003: 40), die entweder von einem Kommunikationsmedium unabhängig sind (wie ein face-to-face-Gespräch) oder aber nur mit Hilfe eines Kommunikationsmediums möglich sind (wie ein Telefongespräch). Kommunikationsformen lassen sich ausschließlich durch textexterne Merkmale bestimmen, wie z.B. die Kommunikationsrichtung (monologisch/ dialogisch), die Zahl der Kommunikationspartner und die zeitliche Dimension der Kommunikation (synchron/ asynchron). Eine weitere Unterscheidung nimmt Dürscheid zwischen Kommunikationsformen und Textsorten vor. Während sich Kommunikationsformen ausschließlich durch textexterne Merkmale definieren lassen, können Textsorten sowohl über textexterne als auch über textinterne Merkmale beschrieben werden. Sie erfüllen nur eine thematische Funktion, während Kommunikationsformen multifunktional sein können. Die Autorin erläutert das Merkmal Funktion anhand der Kommunikationsform E-Mail. E-Mails können verschiedene thematische Funktionen erfüllen, daher können fast alle Gebrauchstextsorten wie z.B. ein Gratulationsschreiben, ein Liebesbrief, eine Bestellung als E-Mail realisiert werden Diese Gebrauchstexte könnten jedoch ebenso gut als handschriftliche oder gedruckte Texte verfasst werden, weswegen E-Mail nicht als Textsorte, sondern als Kommunikationsform zu verstehen ist. 20 Aufgrund des breiten Diskussionsfelds in der Textlinguistik über die Begrifflichkeit der Chat-Kommunikation verzichte ich an dieser Stelle bewusst auf eine ausführliche Darstellung der von Dürscheid vorgeschlagenen Erweiterung des Modells von Koch/ Oesterreicher. Dürscheid stellt selbst die Gültigkeit dieses Modells für künftige technologiebasierte Kommunikationsformen in Frage. Daher erscheint es mir für die vorliegende Studie sinnvoller, lediglich ihre Begriffsdefinitionen zu erklären, da diese eine Grundlage der gegenwärtigen Diskussion in der linguistischen Chat-Forschung im deutschsprachigen Raum darstellen. <?page no="52"?> 52 Um Chats zu definieren, unterscheidet Dürscheid (2003) ferner zwischen Text und Diskurs. Während Texte unabhängig von ihrer Entstehungssituation an jedem Ort verstehbar sind, sind Diskurse „an das Hier und Jetzt der Sprechsituation gebunden“ (ebd.: 41). Für die Autorin können sowohl Text als auch Diskurs mündlich oder schriftlich realisiert werden. Text und Diskurs unterscheiden sich je nach ihrer kommunikativ-funktionalen Art. Wenn es sich um eine wechselseitige Kommunikation handelt, spricht die Autorin von einem Diskurs, andernfalls von einem Text - unabhängig davon, ob er gesprochen oder geschrieben wird. So versteht Dürscheid Chat als einen (schriftbasierten) Diskurs. Da Chats wie E-Mails bestimmte Funktionen erfüllen können, sind Chats für die Autorin Diskursarten. Mögliche Chat-Diskursarten sind der Autorin zufolge der Beratungs-Chat oder der Unterrichts- Chat. Der linguistischen Chat-Forschung außerhalb des deutschsprachigen Raums liegt aufgrund einer anderen Forschungstradition in der Textlinguistik eine andere Begrifflichkeit zugrunde. Es würde jedoch den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen, wenn ich an dieser Stelle die verschiedenen existierenden Auffassungen der linguistischen Chat-Forschung ausführlich diskutieren würde. In romanischsprachigen Ländern wie Brasilien, Frankreich, Portugal und Spanien werden Chats als „Textgattung“ oder „Textgenre“ verstanden. Beispielsweise werden Chats in den Studien von Marcuschi (2004, 2005), der auf die Genrekonzepte von Bakhtin (1979) und Halliday (1978) zurückgreift, als Texte verstanden, zwar in einer wechselseitigen Interaktion mit mehreren Menschen produziert werden, die jedoch auch außerhalb der Entstehungssituation verständlich sind. Für Marcoccia (2004) ist die Chat- Kommunikation nicht nur als Prozess, sondern auch als Produkt zu verstehen. Damit ist gemeint, dass Chats einerseits als ein technologiebasierter Interaktionsprozess betrachtet werden können, dessen Kommunikationsmerkmale ausschließlich in situ verständlich sind. Andererseits ist das Produkt der Chat-Interaktion ein Text, anhand dessen sich die Chat-Interaktion nachvollziehen lässt. Chat-Studien in der Fremdsprachendidaktik - wie die vorliegende - berücksichtigen zwar häufig die linguistische Diskussion um die Verortung von Chats zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit bzw. zwischen Diskurs und Text, setzen jedoch aufgrund ihrer Forschungsziele andere Diskussionsschwerpunkte wie z.B. Lernstrategien, Rolle der Lernenden und Aufgabentypen. Ferner erkennen sie auch an, dass viele Kommunikationsmerkmale von Chats oft nur in der Interaktion verständlich werden, obwohl sie aufgrund ihres Forschungsdesigns meist ausschließlich die Ergebnisse der Chat-Interaktionen - die so genannte Chat-Protokolle - erforschen können. <?page no="53"?> 53 Araújo e Sá/ Melo (2003) vergleichen in ihrer Studie die linguistische und die didaktische Diskussion über Chats. Sie bemängeln, dass die Linguistik noch nicht über genügend heuristische Instrumente verfügt, um die Chat- Kommunikation komplett zu beschreiben. Daher sollen Chats den Autorinnen zufolge als mündliche geschriebene Texte betrachtet werden. Sie bilden dafür das Kunstwort texto escritoral (ein Amalgam von escrito „geschrieben“ und oral „mündlich“). Den Autorinnen zufolge lässt sich diese Form von „mündlichem geschriebenen Text“ auf drei Ebenen beschreiben: (i) auf der Ebene des Äußerungsakts (nivel de la enunciación), auf der die wichtigsten Merkmale des Entstehungskontextes der Äußerungen analysiert werden; (ii) der diskursiven Ebene (nivel del discurso), auf der der Text an sich erforscht wird; und (iii) der Ebene des Sprachgebrauchs (nivel del uso de los lenguajes), auf der die Bedeutung bestimmter sprachlicher Mittel für den Erfolg der Kommunikation analysiert wird, wie z.B. Emoticons. Araújo e Sá/ Melo (ebd.: 46) schlagen für die Fremdsprachendidaktik hingegen vor, Chats als einen technologiebasierten wechselseitigen Polyalog 21 zu betrachten, in dem mehrere Kommunikationsteilnehmer gleichzeitig in einem virtuellen Kommunikationsraum miteinander interagieren können. Fremdsprachendidaktiker sollten daher diese spezifischen Bedingungen, unter denen Chat- Texte entstehen, berücksichtigen, um die Möglichkeiten und Grenzen der Chat-Kommunikation für das Fremdsprachenlernen auszuloten. 3.1.2 Synchronizität der Chat-Kommunikation Im Gegensatz zu anderen technologiebasierten Kommunikationsformen wie E-Mail, Forum oder Blog, bei denen die Kommunikation asynchron verläuft, verläuft sie im Chat synchron. Im Vergleich mit der synchronen mündlichen Kommunikation wie z.B. in face-to-face-Gesprächen verläuft die Kommunikation im Chat allerdings nur fast-synchron. 22 Produktion und Rezeption erfolgen im Chat nicht gleichzeitig: Zwar kommunizieren mehrere Chatter miteinander, die gleichzeitig vor dem Computer sitzen. Die Äußerungen der Chat-Besucher können von den anderen Chattern jedoch erst dann wahrgenommen werden, wenn der Verfasser des Beitrags sie abschickt und sie auf dem Bildschirm des Gegenübers erscheinen. Das allein impliziert darüber hinaus nicht, dass das Gegenüber die Äußerungen auch zur Kenntnis nimmt. Viele Chatter beschäftigen sich während des Chattens mit anderen Aktivitäten. Daher werden Äußerungen im Chat oft nicht unmittelbar von den 21 Araújo e Sá/ Melo verwenden den Neologismus Polyalog, den sie aus dem griechischen Präfix poly- (mehrere, viel) und dem Wort Dialog bilden, um ein Gespräch zwischen mehr als zwei Teilnehmern zu bezeichnen. 22 Vgl. hierzu Beißwenger (2007: 35ff.) und Thaler (2005: 97ff.). <?page no="54"?> 54 Kommunikationspartnern wahrgenommen. In einer face-to-face-Kommunikation hören die Gesprächsteilnehmer eine Äußerung im selben Moment, wie sie vom Sprecher produziert wird. Beim Chat hingegen fallen Produktion und Rezeption der Äußerungen auseinander und hängen vom individuellen Engagement des Chatters ab. Auszug 1, der dem Korpus der Hauptstudie der vorliegenden Untersuchung entnommen wurde, um lediglich das hier behandelte Thema konkret zu illustrieren, ist ein Beispiel dafür, wie Sprachproduktion und Sprachwahrnehmung im Chat zeitlich versetzt sein können: 23 Auszug aus dem Chat-Protokoll B/ 18.11.07 (19: 22: 33) Tutorin B: Das ist in Deutschland seit zwei Jahren so, dass es nur noch 12 Schuljahre gibt (19: 22: 50) Tanja: in allen bundeslaendern? (19: 23: 02) Tutorin B : Leider haben wir in Deutschland zu viele Arbeitslose (19: 23: 18) Tutorin B : Bei uns gibt es nicht genug Arbeit für alle (19: 23: 35) Tanja: ich bin im Bilde (19: 23: 41) Tanja: leider ist es so (19: 24: 26) Tanja: aber du hast meine frage nicht beantwortet (…) 24 (19: 24: 52) Tutorin B : Nein nicht in allen Bundesländern (19: 25: 04) Tanja: Brauche Schueler aus allen Bundeslaendern 12 Jahre bis zum Abitur? (19: 25: 13) Tanja: du bist schneller (19: 25: 15) Ted: was ist nicht in allen bundsländern (19: 25: 18) Tanja: brauchen* (19: 25: 32) Tutorin B : Fast alle, nur Schleswig-Holstein und Brandenburg noch nicht Auszug 1: Synchronizität im Chat 23 Alle Auszüge in der vorliegenden Arbeit werden im Original und unkorrigiert wiedergegeben. Insofern blieben bei der Analyse der Daten grammatische sowie Rechtschreibfehler erhalten. Um die Anonymität der Tutorinnen und der Chat- Besucher zu wahren, werden die Tutorinnen mit Buchstaben (A bis M) und die Chat- Teilnehmer mit neuen nicknames bezeichnet (vgl. Kap. 5). 24 Aus Gründen einer besseren Lesbarkeit werden Äußerungen, die inhaltlich keinen Bezug zur behandelten Passage haben, und Chat-Logs mit der Information, dass jemand den Chat betritt oder verlässt, nicht in den Auszügen wiedergegeben. Das wird in Klammern gekennzeichnet. <?page no="55"?> 55 In Auszug 1 wiederholt die Chat-Teilnehmerin Tanja um 19: 25: 04 ihre Frage, offenbar ohne bemerkt zu haben, dass die Tutorin sie bereits beantwortet hat. Erst um 19: 25: 13 merkt Tanja, dass die Antwort auf ihre Frage schon auf dem Bildschirm zu lesen war, und kommentiert, dass die Tutorin schnell gewesen sein. In der face-to-face-Kommunikation ist es üblich, dass man schon nach wenigen Sekunden mit einer Antwort auf eine gestellte Frage rechnen kann. Wenn sich die Lernenden im Unterricht auf eine Frage nicht melden, versucht der Lehrende i.d.R. durch die Wiederholung der Frage, durch Umformulierungen oder durch andere Fragen die Lernenden zum Sprechen zu motivieren. Das minutenlange Schweigen in der Mitte einer mündlichen Kommunikation im Unterricht zwischen Lehrenden und Lernenden ist selten und meist ein Anzeichen für Verständnisschwierigkeiten der Lernenden. Im Chat dagegen kann ein solches längeres Schweigen aufgrund der zeitlichen Verzögerung zwischen Sprachproduktion und -rezeption vorkommen. Crystal (2001) erklärt, dass das Schweigen im Chat drei Gründe haben kann: In a chatgroup, silence is ambiguous: it may reflect a deliberate withholding, a temporary inattention, or a physical absence (without signing off). (ebd.: 159) Folgender Auszug zeigt, wie die Tutorin G das Schweigen im Chat vom JETZT Deutsch lernen interpretiert. Auszug aus dem Chat-Protokoll G/ 02.09.07 (11: 41: 57) Pedro: seine politik macht wennig sinn (11: 41: 57) Pedro: danke (11: 42: 06) Tutorin G: Die anderen Chatter: Was denkt ihr über die amerikanische Politik? (11: 44: 18) Tutorin G: Hui, ein schwieriges Thema, über das niemand sprechen will. (11: 45: 11) Isak: ich denke nicht so gut über die amerikanische politik Auszug 2: Schweigen im Chat Hier unterhalten sich Pedro und die Tutorin G über amerikanische Politik, da Pedro aus Amerika kommt. Die Tutorin versucht, die anderen Chat-Besucher in ein Gespräch zu verwickeln, und stellt explizit eine direkte Frage an alle. Erst nach drei Minuten reagiert jemand im Chat auf ihre Frage und damit läuft die Unterhaltung weiter. Das derart lange Schweigen im Chat führt die Tutorin zu der Vermutung, dass das behandelte Thema schwierig ist und dass sich keiner im Chat darüber unterhalten möchte. Was genau der Grund für <?page no="56"?> 56 das Schweigen war, lässt sich jedoch aus dem Chat-Protokoll nicht ersehen. Die Chat-Teilnehmer waren eventuell nicht mehr am Computer oder haben die Frage der Tutorin G aufgrund der schnellen Kommunikation übersehen. Dadurch, dass es sich hier um ein Beispiel aus einem Chat für Lernende des Deutschen als Fremdsprache handelt, lässt sich ebenfalls vermuten, dass die Teilnehmer eventuell sprachliche Schwierigkeiten hatten, sich zu diesem Thema zu äußern. Für solche Situationen des Schweigens und mögliche Gründen hierfür müssen Chat-Tutoren Strategien entwickeln, um den Verlauf der Interaktion wieder herzustellen und die aktive Teilnahme der Lernenden wiederzugewinnen. In den Analysekapiteln in Teil C gehe ich der Frage nach, welche Rolle die Synchronizität der Chat-Kommunikation in spezifischen Momenten spielt, wie z.B. während der Korrektur eines Fehlers und der Behandlung sprachbezogener und kulturbezogener Fragen. 3.1.3 Sprecherwechsel, Behandlung von Themen, Ansprechstrategien Im Gegensatz zur face-to-face-Kommunikation können die Teilnehmer im Chat zur selben Zeit Beiträge verfassen und abschicken, ohne dabei auf ein „Rederecht“ warten zu müssen. Die Phänomene „Rederecht geben“ oder „Rederecht übernehmen“ werden in der Gesprächsanalyse als Turn-taking oder Sprecherwechsel bezeichnet (vgl. Brinker/ Sager 2001: 62 ff.). Damit sind verschiedene verbale und nonverbale Strategien gemeint, mit denen ein Kommunikationspartner einem anderen signalisieren kann, dass er das Rederecht übernehmen will. Für den Erfolg einer face-to-face-Kommunikation ist es unverzichtbar, dass die Gesprächsteilnehmer nicht durcheinander reden. Rebelo (2006: 69) räumt ein, dass im Chat keine Turn-taking-Phänomene, die mit denen in einer face-to-face-Kommunikation vergleichbar wären, vorkommen, da sich jeder Teilnehmer im Chat zu jeder Zeit äußern kann, ohne dass dies die kohärente Sequenz der Kommunikation behindert. Sich häufig oder praktisch gleichzeitig zu äußern, ist für den weiteren Verlauf der Chat- Kommunikation unerlässlich, um beim Kommunikationspartner nicht den Eindruck zu vermitteln, dass man nicht mehr an der Kommunikation teilnimmt. Die simultanen Äußerungen im Chat werden nicht als unhöflich, sondern als der Chat-Kommunikation praktisch inhärent wahrgenommen. Crystal (2001) vergleicht dieses Phänomen der Chat-Kommunikation mit einer Cocktailparty, auf der alle gleichzeitig reden können. Das ständige Zusenden von Beiträgen im Chat kann die Kommunikation jedoch auch beeinträchtigen. Je mehr Teilnehmer im Chat-Raum aktiv sind, desto mehr Themen können gleichzeitig diskutiert werden. Dies führt dazu, dass die Äußerungen zu verschiedenen gleichzeitig diskutierten Themen ineinander ver- <?page no="57"?> 57 flochten sind. In Auszug 3 unterhalten sich im Chat z.B. sechs Besucher gleichzeitig. Auszug aus dem Chat-Protokoll C/ 11.09.07 (20: 00: 08) Tutorin C: Anne, du magst doch Überraschungen, oder? ; ) (20: 00: 09) Tamara: Steffi ich wohne auch in Deutschland (20: 00: 17) Steffi: Ja, das ist super Tutorin, ich werde dann mit den Schülern am Donnerstag ab 9.00 chatten (20: 00: 19) Julian: wie lange hast du schon in Deutschland gewohnt (20: 00: 23) Anne: das ist gut, ich sollte meinen zukünftigen Mann auch kennenlernen! : -D (20: 00: 29) Paul: Ja ja, sie mag das. Ich bin 18 Jahre alt (20: 00: 35) Paul: Anne, du kennst mich doch! (20: 00: 38) Julian: waren deine eltern vielleicht Deutsche in Russland ? (20: 00: 40) Paul: dein kater heisst Todor Auszug 3: Die Behandlung mehrerer Themen gleichzeitig Während des Chats muss jeder Teilnehmer die angezeigten Äußerungen wahrnehmen und dabei selbst einordnen, welche Äußerung zu welchem Thema gehört. Daraus kann sich die Schwierigkeit ergeben, dass ein Diskussionsverlauf nicht nachvollziehbar ist. Für manche Chatter stellt das zwar kein Problem dar, weil sie während des Chattens besser nachvollziehen können, an wen welche Äußerung gerichtet ist, als jemand, der im Nachhinein das Chat- Protokoll liest. Auszug 4 ist jedoch ein Beispiel dafür, wie ein Teilnehmer Schwierigkeiten hat, dem Diskussionsverlauf im Chat zu folgen. In Auszug 4 unterhalten sich vier Teilnehmer gleichzeitig und der Chat-Teilnehmer Estrela äußert seine Schwierigkeit um 15: 10: 41. <?page no="58"?> 58 Auszug aus dem Chat-Protokoll D/ 07.10.07 (15: 08: 47) Estrela: Hallo an alle! (15: 08: 49) Dan: un du= (15: 08: 53) Dan: Hallo Estrela (15: 08: 54) Igor: athe star herzlich wilkommen (15: 08: 55) Dan: Estrela (15: 08: 58) Igor: : ) (15: 09: 03) Maurício: HALLO LEUTE (15: 09: 04) Estrela: : ) (15: 09: 07) Dan: hallo : P (15: 09: 13) Igor: wo warst du denn? ? ? (15: 09: 18) Nuri: wem? (15: 09: 20) Igor: halo Maurício (15: 09: 30) Igor: estrela , Dan (15: 09: 34) Igor: : ) (15: 09: 38) Estrela: wie biite? (15: 09: 43) Dan: ahh, sie kennen Estrela? (15: 09: 48) Igor: mein gott (15: 09: 57) Igor: es ist so misch geworden (15: 10: 02) Igor: jap (15: 10: 05) Dan: ich verstenden nicht? (15: 10: 17) Igor: darf ich dich korrigieren? (15: 10: 27) Dan: ja natürlich! ! ! ! ! : D (15: 10: 41) Estrela: Chaos im Hauptraum. Ich verstehe gar nicht,wer wem was schreibt. : D (15: 10: 41) Igor: ich verstehe nicht*** oder ich konnte nicht verstehen Auszug 4: Die Schwierigkeit, dem Verlauf der Interaktion zu folgen Auszug 5 zeigt, wie die Anzahl der Chat-Teilnehmer die Klarheit des Kom-munikationsverlaufs beeinflussen kann. In diesem Auszug unterhalten sich nur zwei Chatter und es lässt sich beobachten, wie im Vergleich zu Auszug 4 die Kommunikation ohne verflochtene Beiträge und Verständnisschwierigkeit erfolgt: <?page no="59"?> 59 Auszug aus dem Chat-Protokoll D/ 26.09.07 (09: 06: 39) Tutorin D: du bist jetz sehr oft hier! (09: 07: 47) Ana Maria: ja, weil ich wegen meiner Arbeit am Komputer bin (09: 08: 34) Ana Maria: habe ich richtig geschrieben? (09: 08: 50) Tutorin D: Computer (09: 08: 59) Tutorin D: ansonsten war es richtig ; ) (09: 09: 08) Tutorin D: was arbeitest du denn? (09: 09: 09) Ana Maria: Entschuldigung (09: 09: 12) Ana Maria: danke (09: 09: 21) Tutorin D: kein Problem, das ist ja nur eine Kleinigkeit Auszug 5: Klarheit des Kommunikationsverlaufs mit zwei Chat- Teilnehmern Aufgrund der gleichzeitigen Behandlung mehrerer Themen müssen die Chat- Teilnehmer oft Ansprechstrategien entwickeln, um Missverständnisse in der Kommunikation zu vermeiden. In Auszug 6 kann man sehen, wie die Tutorin C den nickname der angesprochenen Chat-Teilnehmer explizit vor ihre Antwort schreibt, damit klar ist, an wen sich ihre Äußerung richtet. Auszug aus dem Chat-Protokoll C/ 11.09.07 (20: 01: 34) Tutorin C: Julian, neee, gar nicht (20: 01: 58) Julian: ich dachte , aber wie lange lebst du schon in D (20: 02: 22) Tutorin C: seit 4 Jahren (20: 02: 36) Tutorin C: Anne: wie heisst eigentlich dein Kater? ; ) (20: 02: 41) Tutorin C: jetzt bin ich gespannt? (…) (20: 03: 00) Julian: so kurz hast du schon viele Jahren deutsch in russland studiert (…) (20: 03: 13) Tutorin C: Steffi: soll ich nachfragen, ob Tutorinnen da sein könnten oder braucht ihr das nicht? Auszug 6: Ansprechstrategien Fehlen solche Strategien, fühlen sich andere Chat-Teilnehmer angesprochen. Das Fehlen solcher Strategien kann auch zu Missverständnissen führen: Wie in Auszug 7 zu sehen ist, fühlt sich Rose von der Tutorin A angesprochen und antwortet deswegen auf die Frage der Tutorin. Die Tutorin ihrerseits erklärt, <?page no="60"?> 60 dass sie eigentlich einen anderen Chat-Teilnehmer angesprochen hat, und Rose entschuldigt sich für ihre Äußerung, die von ihr aus nicht als eine Einmischung in die Unterhaltung verstanden werden sollte. Auszug aus dem Chat-Protokoll A/ 19.11.07 (09: 57: 22) Tutorin A: Was hast du für Ziele in deinem Leben? (09: 57: 55) Rose: also habt doch gesagt das ich eine Deutsch Lehrerin sein möchte (09: 58: 02) Rose: das hoffe ich (09: 58: 16) Tutorin A: ja, das weiß ich (09: 58: 26) Tutorin A: Ich habe jetzt Walter gefragt (09: 58: 47) Rose: achso schuldigung (09: 58: 59) Tutorin: Das macht doch nichts Rose (09: 59: 14) Walter: welche Ziele ich im Leben hab (: ? ! (09: 59: 15) Tutorin: Du brauchst dich nicht zu entschuldigen (09: 59: 18) Tutorin: ja Auszug 7: Fehlen von Ansprechstrategien Den Fragen, wie Lernende mit vielen fremdsprachlichen Inputs zu verschiedenen Themen umgehen und wie gut eine gleichzeitige Diskussion vieler Themen für die Interaktion ist, wird bereits von Fremdsprachendidaktikern wie beispielsweise Engler (2003), Rebelo (2006) und Tudini (2007) nachgegangen. In Kapitel 3.2.4 diskutiere ich anhand der Ergebnisse anderer Studien zum Einsatz von Chats im fremdsprachlichen Lernkontext, welche Rolle die Zahl von Chat-Teilnehmern für die Interaktion spielt und wie die Formulierung formeller Verhaltensweisen den Lernenden helfen, bestimmte Schwierigkeiten zu überwinden, wie z.B. die Behandlung vieler Themen gleichzeitig zu bewältigen, dem Verlauf der Chat-Kommunikation zu folgen und sich dabei aktiv zu beteiligen. 3.1.4 Länge und Form der Äußerungen im Chat In face-to-face-Kommunikationssituationen verfügen Gesprächspartner über eine Vielzahl an verbalen und nonverbalen Mitteln, um Aufmerksamkeit, Interesse, Einverständnis oder Meinungsverschiedenheit zu signalisieren (vgl. Goffmann 1971: 12). Da sich die Chat-Teilnehmer gegenseitig nicht sehen, müssen sie andere Strategien entwickeln, um ihrem Kommunikationspartner ihre Anwesenheit zu zeigen. Im Chat ist eine solche Strategie, sich kontinuierlich zu äußern. Eine weitere Strategie, um den Mangel an visuellen <?page no="61"?> 61 Kommunikationsmitteln zu kompensieren, sind die so genannten Emoticons 25 , die meist zur Gefühlsäußerung eingesetzt werden. Da das Verfassen einer schriftlichen Äußerung aufwendiger ist als die entsprechende mündliche Versprachlichung und daher auch länger dauert, schicken Chat-Teilnehmer tendenziell häufiger kurze Beiträge ab, um das Gegenüber nicht zu lange warten zu lassen. Der zeitliche Druck zwingt die Chat-Teilnehmer oft dazu, auf Gelesenes schnell zu reagieren und ihre Äußerungen fragmentarisch zu formulieren. Viele Sätze werden nicht vollständig getippt, um die Dynamik der Kommunikation nicht zu behindern (vgl. Crystal 2001: 145). Auszug 8 ist ein Beispiel für dieses Phänomen. Hier äußert sich der Chat-Teilnehmer Conrado fünf Mal, jedoch lediglich mit kurzen Kommentaren: Auszug aus dem Chat-Protokoll I/ 12.10.07 (11: 05: 45) Tutorin I: Super, jetzt haben wir uns alle kurz kennengelernt! Wollen wir jetzt ein Gesprächsthema finden? Wollen wir anfangen? : ) (11: 05: 57) Conrado: ok (11: 06: 00) Conrado: ich denke (11: 06: 10) Conrado: du sollst finden , tutorin (11: 06: 11) Conrado: : =) (11: 06: 13) Conrado: : =) (11: 06: 17) Ely: Wir möchten über Hesse sagen (11: 06: 18) Conrado: du bist tutorin Auszug 8: Fragmentarische Äußerungen im Chat Aufgrund des hohen Spontaneitätsgrads und der Geschwindigkeit der Kommunikation im Chat tippen die Chat-Teilnehmer ihre Äußerungen so schnell und kurz wie möglich, ohne dabei zu versuchen, elaborierte Sätze zu formulieren. Längere Beiträge im Chat können sogar als störend empfunden werden (vgl. Beißwenger 2001b: 124). Der Verzicht auf sprachliche Elaboriertheit im „getippten Gespräch“ (Storrer 2001) führt die Teilnehmer oft dazu, nicht nur so zu schreiben, wie sie sprechen (vgl. Auszug 9), sondern auch nicht so gründlich auf grammatische Regeln wie z.B. Großschreibung zu achten (vgl. Auszug 10). Damit verringern die Chat-Teilnehmer den Aufwand, den sie für die Produktion einer Äußerung im Chat leisten müssen. 25 Die am häufigsten verwendeten Emoticons im Chat und ihre jeweilige Bedeutung sind in Beißwenger (2000: 95 ff.) beschrieben. <?page no="62"?> 62 Auszug aus dem Chat-Protokoll A/ 03.09.07 (09: 11: 14) Olavo: heute wirds aber nix mit joggen oder inline. Hier in Giessen regnets stark): Auszug 9: Getippte gesprochene Sprache Auszug aus dem Chat-Protokoll A/ 03.09.07 (10: 15: 33) Carla: ich mache master, electro,ich bin student in münster Auszug 10: Verringerung des Produktionsaufwands einer Äußerung Dieser Versuch, den Produktionsaufwand einer Äußerung durch Missachtung grammatischer Regeln zu verringern, kann nach Beißwenger (2000: 75) als eine Form des Ökonomisierens des Tippens im Chat verstanden werden. Dies wird häufig als ein natürliches Phänomen in der Chat-Kommunikation betrachtet, da man davon ausgeht, dass alle Chat-Teilnehmer so schnell wie möglich kommunizieren möchten. Die Häufigkeit und Akzeptanz von grammatischen Fehlern bzw. vom Ökonomisieren des Produktionsaufwands hängt jedoch mit der Funktion des jeweiligen Chats zusammen (vgl. Kap. 7.6). Nicht alle Chats haben denselben Fehlerquotienten, und nicht alle Fehler im Chat haben dieselben Ursachen (vgl. Marterer 2006: 197). Dabei spielen die Zielsetzung und der Grad der Öffentlichkeit, der Verbindlichkeit und der Steuerung des Chats eine entscheidende Rolle. In einer Studie zeigt Marterer (ebd.: 204 ff.) beispielsweise, dass in öffentlichen, moderierten Chats mit einer bestimmten Zielsetzung weniger Rechtschreibfehler gemacht werden als in Chats, in denen Chatter nur „plaudern“ wollen. Sie weist nach, dass zwischen dem Fehlerquotienten im Chat und der Moderation sowie der Zielsetzung des Chats ein enger Zusammenhang besteht. Fehler in Chats hängen also direkt mit der Funktion des Chats zusammen. Aus diesem Grund muss man der Autorin zufolge zur Identifikation von Fehlern in Chats zunächst feststellen, wie öffentlich der Chat ist, welche Ziele die Chatter verfolgen und in welcher Beziehung diese Chatter zueinander stehen. Diese Fragen spielen bei der Erforschung von Chats für das Erlernen einer Fremdsprache eine große Rolle, und sie werden aus diesem Grund in der vorliegenden Studie ebenfalls gestellt. Es ist für Lernende einer Fremdsprache wichtig, dass sie möglichst komplette und richtige Sätze im Chat als Input zu lesen haben. Auf die Fragen, was für Fehler in Chats für das Erlernen einer Fremdsprache gemacht werden, inwieweit sie <?page no="63"?> 63 tolerierbar sind und welche Rolle sie für die Interaktion spielen, wird in Kapitel 7 eingegangen. 3.2 Fremdsprachenlernen mit Chats 3.2.1 Einsatzmöglichkeiten von Chats in Fremdsprachenlernkontexten Der Einsatz von Chats in Fremdsprachenlernkontexten kann durch die Verwendung verschiedener Chat-Programme und Chat-Räume erfolgen. 26 Während manche Lehrende beliebte Chat-Räume und Instant-Messenger Programme wie ICQ, MSN und Skype benutzen, um eine konkrete Aufgabe mit ihren Lernenden durchzuführen, verwenden andere Lehrende Chat-Räume, die ihnen innerhalb einer virtuellen Lernumgebung oder Lernplattform zur Verfügung stehen. Die Entscheidung zwischen einem Chat-Raum im Internet oder einem Chat-Raum im Rahmen einer virtuellen Lernplattform für die Durchführung eines Online-Austauschs hängt mit der Frage nach den technischen Möglichkeiten des Lernkontextes und den jeweiligen Lernbedürfnissen einer bestimmten Gruppe zusammen (vgl. Marques 2009: 25). Chats können z.B. als ein punktuelles Ereignis im Präsenzunterricht oder als permanente Interaktionsmöglichkeit einer virtuellen Lernplattform verwendet werden. Um den Einsatz von Chats in der gegenwärtigen Fremdsprachendidaktik zu verstehen, ist es zunächst nötig, zwischen Chat-Angeboten und Chat-Ereignissen zu differenzieren. Dafür sind die folgenden Definitionen hilfreich. Chat-Angebote beziehen sich auf die Stellung und Funktion einer Chat-Umgebung im Rahmen ihres medialen Kontexts [z.B. Lernplattform] und ihrer institutionellen Einbettung [z.B. im Online-Angebot einer Schule oder Universität]. (Beißwenger 2007: 67) Im Rahmen eines einzigen Chat-Angebots können zahlreiche Chat-Ereignisse mit unterschiedlichen Zwecken realisiert werden. Ein Chat-Ereignis ist also ein konkreter Vollzug dialogischer und thematisch zentrierter Interaktion zwischen zwei oder mehreren Kommunikanten in einer Chat-Umgebung und unter dem Einfluss der durch sie gesetzten kommunikativen Rahmenbedingungen. Es ist entweder durch klar identifizierbare (erfolgreiche) Eröffnungs- und Beendigungsakte begrenzt oder lässt sich (im Falle nicht-terminierten spontanen Austausch in Chat-Umgebungen mit kontinuierlichem Kommunikationsfluss und kontinuierlich wechselnder Kommunikantenkonstellation) 26 Im Internet gibt es verschiedene Sorten von Chat-Räumen. Sie unterscheiden sich nicht nur thematisch und im Grad der Öffentlichkeit, sondern auch in ihrer Funktion und Zielgruppe (vgl. hierzu Beißwenger 2007: 46 ff.). <?page no="64"?> 64 als individuelle Sicht auf das Kommunikationsaufkommen fassen, die all diejenigen Kommunikationsbeiträge beinhaltet, die von einem Chat-Nutzer produziert und respondiert werden, auf seine Beiträge Bezug nehmen oder an ihn gerichtet sind. (ebd.: 70) Darüber hinaus unterscheidet Beißwenger anhand zweier weiterer Kriterien zwischen Chat-Angebot und Chat-Ereignis: „Verfügbarkeit“ und „Häufigkeit“. Aus dieser Unterscheidung ergeben sich fünf Kategorien, die für das Verständnis des Rahmens vieler Chat-Studien in der Fremdsprachendidaktik relevant sind und die ich hier in einer gekürzten und sprachlich leicht überarbeiteten Fassung wiedergebe: - Terminierte Chat-Ereignisse sind solche Chat-Ereignisse, die zu einem vorab festgesetzten (und der Nutzergruppe oder anvisierten Zielgruppe bekannt gemachten) Termin realisiert werden. Spontane (d.h.: nichtterminierte) Chat-Ereignisse hingegen sind solche Chat-Ereignisse, bei denen dies nicht der Fall ist, d.h. bei welchen sich die Kommunikanten zufällig in einer Chat-Umgebung begegnen und gemeinsam einen über den bloßen Austausch von Grußformeln hinausgehenden kommunikativen Austausch prozessieren. - Permanente Chat-Angebote sind solche Chat-Angebote, die jederzeit zugänglich sind. Dazu gehören Chat-Angebote, die sich als soziale Kontaktplattformen im Freizeitbereich verstehen (die so genannten Plauder- Chats). Je nach Größe des Nutzerkreises und deren Bindung an das Angebot sind solche Angebote sporadisch oder kontinuierlich frequentiert. Das in ihnen zu verzeichnende Kommunikationsaufkommen wird von einer stetig wechselnden Anzahl an Nutzern erzeugt und weiterentwickelt. Je nach dem, ob permanente Chat-Angebote beliebigen Nutzern zugänglich sind oder - etwa im Rahmen von Lehr-/ Lernumgebungen oder Portalen mit kostenpflichtigen Community-Bereichen - nur bestimmten Nutzergruppen offen stehen, können öffentliche permanente Chat-Angebote und exklusive permanente Chat-Angebote unterschieden werden. - Punktuelle Chat-Angebote sind solche Chat-Angebote, die nur zu einem bestimmten (der Nutzergruppe oder der anvisierten Zielgruppe zuvor bekannt gemachten) Termin und für eine begrenzte Dauer zur Verfügung stehen. Ihr genuiner Zweck ist es, eine Umgebung für die Realisierung eines ganz bestimmten Chat-Ereignisses bereitzustellen. Den Kern des in ihnen beobachtbaren Kommunikationsaufkommens bildet dasjenige (singuläre und terminierte) „Event“, zu dessen Realisierung das Angebot eingerichtet wurde. Ihm können ggf. weitere Chat-Ereignisse vorangehen oder nachfolgen, z.B. vorherige Planungsdiskurse der Moderatoren oder vorangehende oder nachfolgende unmoderierte Diskurse der Nutzer. <?page no="65"?> 65 - Singulär terminierte Chat-Ereignisse sind nicht nur solche Ereignisse, die in punktuellen Chat-Angeboten zu Zwecken einer kollektiven Befragung von Politikern, Prominenten oder Experten vollzogen werden, sondern ganz allgemein all diejenigen Chat-Ereignisse, die von einer sich nur einmalig in dieser konkreten Zusammensetzung und zu diesem konkreten Zweck (z.B. einen Experten/ Politiker befragen; Rat zu einem individuellen Problem einholen/ erteilen; gemeinsam die Bearbeitung einer Aufgabe besprechen) in irgendeinem Chat-Angebot realisiert werden. - Seriell terminierte Chat-Ereignisse sind solche Ereignisse, die nach einem vorab festgelegten (und der Nutzergruppe oder anvisierten Zielgruppe bekannt gemachten) Terminplan realisiert werden. Seriell terminierte Chat- Ereignisse haben (bis auf das planmäßig erste) immer eine kommunikative Vorgeschichte und (bis auf das planmäßig letzte) eine kommunikative Fortsetzung. Die Gesamtheit aller Chat-Ereignisse, die nach ein- und demselben Terminplan realisiert wurden, inklusive ihrer planmäßig vorgesehen Abfolge werden Chat-Serie genannt. (Beißwenger 2007: 74 f.) Wie kann diese Kategorisierung von Beißwenger konkret helfen, die unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten von Chats in fremdsprachendidaktischen Studien zu verstehen? In die Kategorie 1 „terminierte Chat-Ereignisse“ sind z.B. Studien einzuordnen, in denen der Lehrende/ Forscher mehrere Chat- Sitzungen zu festgelegten Terminen plant, in denen die Lernenden Aufgaben erhalten, die sie im Chat lösen müssen. Falls diese terminierten Chat-Ereignisse der Fortsetzung der Behandlung eines bestimmten Themas dienen, das bereits in vorherigen terminierten Chat-Ereignissen diskutiert worden ist, handelt es sich um eine Studie, die der Kategorie 5 „seriell terminiertes Chat- Ereignis“ zuzuordnen ist. In die Kategorie 2 „permanente Chat-Angebote“ sind z.B. Studien einzuordnen, in denen der Lehrende/ Forscher einen Chat- Raum auswählt, der permanent auf einer bestimmten Internetseite frei zugänglich ist, um mit seinen Lernenden eine spezifische Aufgabe bzw. eine Studie durchzuführen. In die Kategorie 3 „punktuelle Chat-Angebote“ sind hingegen Studien einzuordnen, in denen der Lehrende/ Forscher einen Chat- Raum exklusiv für die Durchführung einer Aufgabe/ einer Studie mit seinen Lernenden einrichtet. Dieser Chat-Raum steht dem Lehrenden/ Forscher nur für eine begrenze Zeit zur Verfügung. Schließlich sind in die Kategorie 4 „singulär terminiertes Chat-Ereignis“ z.B. Studien einzuordnen, in denen der Lehrende/ Forscher eine einzige Sitzung plant, in der die Lernenden in einem Chat eine bestimmte Aufgabe lösen müssen. Unabhängig von der Unterscheidung zwischen Chat-Angebot und Chat- Ereignis können Chat-Räume, die der Förderung des (fremdsprachlichen) Lernens und der Kommunikation zwischen Lernenden und Lehrenden die- <?page no="66"?> 66 nen und extra für diesen Zweck eingerichtet worden sind, allgemein als didaktisierte Chat-Räume (DCR) betrachtet werden. Platten zufolge lassen sich didaktisierte Chat-Räume anhand der folgenden vier Merkmale definieren: - Der DCR ist ein extra für Lerner eingerichteter Chat-Raum; - Es gibt eine pädagogische Instanz, die den Raum eingerichtet hat, ihn gestaltet und beobachtet; - Es gibt mindestens auf einer Seite Gesprächspartner, die der Instanz bekannt sind und die einen bestimmten Auftrag erhalten haben. Das können Chat-Tutoren, Online-Lehrer, Experten oder Lerngruppen sein; - Andere didaktische Komponenten machen den Chat-Raum zu einem DCR, z.B. Themen-Vorgabe, Projekteinbindung, konkrete Aufgabenstellung usw. (Platten 2003: 158) Beim JETZT Deutsch lernen-Chat handelt es sich, wie an den von Platten beschriebenen Aspekten deutlich wird, um ein didaktisiertes Chat-Angebot. Dieses steht DaF-Lernenden permanent zur Verfügung (vgl. Kategorie 2 bei Beißwenger). Ein wesentliches Merkmal des hier untersuchten Chat-Angebots, das in der Kategorisierung von Beißwenger (2007) fehlt, ist, dass im Rahmen dieses permanenten didaktisierten Chat-Angebots regelmäßige Chat-Ereignisse stattfinden, nämlich Chat-Stunden, in denen Tutorinnen anwesend sind (vgl. Kap. 4.2). 3.2.2 Überblick über Chat-Studien in der Fremdsprachendidaktik Empirische Chat-Studien in der Fremdsprachendidaktik versuchen, hauptsächlich anhand der Analyse von Chat-Protokollen, die Möglichkeiten und Grenzen von Chats für das Fremdsprachenlernen zu erforschen. Während einige Autoren behaupten, dass der didaktische Einsatz von Chats und dessen Auswirkung auf den Fremdsprachenlernprozess durch empirische Studien in den letzten Jahren schon ausführlich analysiert worden sind (vgl. exemplarisch Ollivier 2008), heben andere die großen Unterschiede der bisher durchgeführten Studien hervor und verweisen auf die Schwierigkeit, allgemeine Rückschlüsse auf das Potenzial von Chats für das Fremdsprachenlernen zu ziehen (vgl. exemplarisch Kost 2004). Wenn man bedenkt, dass der Einsatz von Chats in Lernkontexten erst mit den technologischen Entwicklungen seit Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts möglich geworden ist, erkennt man, dass dieser Forschungsbereich noch recht jung ist. Bislang liegen die meisten Veröffentlichungen über Chat-Studien in der Fremdsprachendidak- <?page no="67"?> 67 tik in englischer Sprache vor. 27 Während englischsprachige Veröffentlichungen meist einen stark quantitativen Forschungsschwerpunkt haben und die Ergebnisse häufig mit statistischen Tests ausgewertet werden, verwenden Studien in deutscher, portugiesischer und spanischer Sprache eher qualitative Analysenverfahren. In diesem Kapitel wird der Versuch unternommen, einen tabellarischen Überblick über die bisherigen Ergebnisse von Chat-Studien zu geben, die zwischen 1994 und 2010 in unterschiedlichen Ländern durchgeführt wurden. In Tabelle 1, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, sind insgesamt 40 Chat-Studien chronologisch aufgelistet. In der ersten Spalte sind die Namen der Autoren und das Publikationsjahr der Studie zu finden. In der zweiten Spalte befinden sich Informationen über die Zielsprache der Studie, die Zahl der Teilnehmer und ihr Sprachniveau sowie die Dauer der Studie. In der dritten Spalte werden die für die jeweiligen Studien verwendeten Aufgabentypen 28 und Medien genannt. In vielen Studien werden Interaktionen im Chat mit Interaktionen im Präsenzunterricht verglichen. Ist das der Fall, wird die Information in dieser Spalte angegeben. In der vierten Spalte werden ausgewählte Ergebnisse aufgeführt. Wenn bestimmte Informationen zu den einzelnen Studien, wie z.B. das Sprachniveau der Lernenden oder der genaue Zeitrahmen der Untersuchung, in der Tabelle fehlen, wurden sie nicht in den Veröffentlichungen angegeben. 27 Der Großteil dieser Veröffentlichungen erschien in den Zeitschriften CALICO Journal, Language Learning and Technology und ReCALL. 28 Unter A1 im Anhang dieser Arbeit findet sich eine Liste mit den Definitionen aller Aufgabentypen, die in den hier aufgeführten Studien verwendet wurden. <?page no="68"?> 68 Studie Zielsprache/ Teilnehmer/ Dauer der Studie Aufgabentyp / Medien Ausgewählte Ergebnisse Chun (1994) - Deutsch - 28 Lernende der Grundstufe - 14 Sitzungen à 25 Minuten während 2 Semestern Opinion exchange/ Text-Chat - Interaktion im Chat fördert die Entwicklung der Interaktionskompetenz der Lernenden. Kern (1995) - Französisch - 40 Lernende der Grundstufe - 7 Sitzungen à 50 Minuten Opinion exchange/ Text-Chat - Lernende zeigen größere Output-Produktion im Vergleich zum Präsenzunterricht; - Vielfältigere Diskursfunktionen im Vergleich zu mündlichen Diskussionen. Warschauer (1996) - Englisch - 16 Lernende der Oberstufe - 15 Minuten Opinion exchange/ Präsenzunter richt und Text-Chat - Die im Chat verwendete Sprache ist lexikalisch und syntaktisch komplexer als die in der mündlichen Diskussion im Unterricht. Beauvois (1997) - Französisch - 83 Lernende Opinion exchange/ Präsenzunterricht und Text- Chat - Die Lernenden, die an den Chat-Diskussionen teilnahmen, zeigten eine bessere Performanz bei den mündlichen Prüfungen als diejenigen, die die Texte nur mündlich im Unterricht diskutiert haben. <?page no="69"?> 69 Studie Zielsprache/ Teilnehmer/ Dauer der Studie Aufgabentyp / Medien Ausgewählte Ergebnisse Negretti (1999) - Englisch - 8 Lernende - 4 Stunden in einem Monat Opinion exchange/ Text-Chat - Muttersprachler verwendeten onomatopoetische Formen im Chat, Nicht-Muttersprachler nicht; - Die medienbedingten Aspekte der Chat- Kommunikation beeinflussen die Art und Weise, wie sich Lernende und Muttersprachler äußern. Blake (2000) - Spanisch - 50 Lernende der Mittelstufe - 50 Minuten Jigsaw, informationgap und decisionmaking/ Text- Chat - Gut formulierte Aufgaben fördern das Bewusstsein der Lernenden über ihre lexikalischen Lücken in der Zielsprache; - Jigsaw-Aufgaben ergeben mehr Aushandlungsprozesse im Vergleich zu information gap- und decisionmaking-Aufgaben; - Die Arbeit im Chat fördert die Entwicklung der metasprachlichen Reflexion der Lernenden über ihr eigenes Sprachniveau. <?page no="70"?> 70 Studie Zielsprache/ Teilnehmer/ Dauer der Studie Aufgabentyp / Medien Ausgewählte Ergebnisse Pellettieri (2000) - Spanisch - 20 Lernende der Mittelstufe - 5 Sitzungen Jigsaw und opinion exchange/ Text-Chat - Die Häufigkeit der Aushandlungen von Form sind vom Aufgabentyp abhängig; - Lernende nehmen Selbst- und Fremdkorrekturen vor. Lee (2001) - Spanisch - 40 Lernende der Mittelstufe Opinion exchange/ Text-Chat - Wie in face-to-face- Interaktionen verwenden die Lernenden verschiedene Kommunikationsstrategien wie comprehension checks, clarifications checks, requests und self-repair. Motta- Roth (2001) - Englisch - Lehrende in ihrer Lehrerausbildung Opinion exchange/ Text-Chat - Der Redefluss im Chat ist wichtiger als die Korrektur grammatischer Fehler; - Lernende sind im Chat aktiver und kritischer als im Unterricht; - Lernende können in der Interaktion im Chat fremdsprachliches Wissen in einer weniger hierarchisierten Form konstruieren. <?page no="71"?> 71 Studie Zielsprache/ Teilnehmer/ Dauer der Studie Aufgabentyp / Medien Ausgewählte Ergebnisse Kötter (2002) - Englisch und Deutsch - 29 Lernende der Oberstufe und der Mittelstufe - 2 Mal pro Woche für 75 Minuten während 9 Wochen Opinion exchange/ Text-Chat - Lernende kooperieren sprachlich miteinander; - Lernende fühlen sich im untersuchten Kontext frei und testen somit fremdsprachliche Hypothesen; - Durch den Austausch werden sich die Lernenden ihrer Kenntnisse der Zielsprache bewusster; - Lernende handeln häufig die Bedeutung ihrer Äußerungen aus, korrigieren einander jedoch selten. Payne/ Whiney (2002) - Spanisch - 58 Lernende der Mittelstufe Opinion exchange und freie Diskussion/ face-to-face und Text- Chat - Lernende, die an Interaktionen im Chat teilnahmen, zeigten am Ende der Untersuchung eine bessere mündliche Performanz; - Es gibt einen Transfer vom Schreiben zum Sprechen; - Im Chat sprechen die Lernenden mehr als in face-to-face-Interaktionen im Unterricht. <?page no="72"?> 72 Studie Zielsprache/ Teilnehmer/ Dauer der Studie Aufgabentyp / Medien Ausgewählte Ergebnisse Sabbag (2002) - Englisch - Lehrende und verschiedene Lernende der Mittelstufe Opinion exchange/ Text-Chat - Lernende können im Chat ihre kommunikative Kompetenz verbessern; - Lernende haben im Chat mehr Zeit, um ihre Äußerungen und die ihrer Partner zu lesen und haben dadurch im Vergleich zum Unterricht eine zusätzliche Chance, sich ihrer sprachlichen Strategien bewusst zu werden. Toyoda/ Harrison (2002) - Japanisch - 5 Lernende der Oberstufe und Muttersprachler - 1 Stunde, 10 Sitzungen Freie Diskussion/ Text-Chat - Obwohl kein konkretes Thema für die Diskussion vorgegeben wurde, konnten die Teilnehmer sich intensiv austauschen; - Muttersprachler helfen Lernenden im Chat; - Verständnisschwierigkeiten führen häufig zu Aushandlungen von Bedeutung; - Chat-Protokolle sind ein gutes Material für die Reflexion der Lernenden über ihre Sprachkenntnisse. <?page no="73"?> 73 Studie Zielsprache/ Teilnehmer/ Dauer der Studie Aufgabentyp / Medien Ausgewählte Ergebnisse Abrams (2003) - Deutsch - 96 Lernende der Mittelstufe - 1 Semester Opinion exchange/ Präsenzunter richt, E-Mails und Text- Chat - Lernende haben größere Output-Produktion im Chat im Vergleich zur mündlichen und E-Mail Kommunikation; - Die verwendete Sprache im Chat, in den E- Mails und in den faceto-face-Interaktionen im Unterricht zeigte keinen signifikanten Unterschied in Bezug auf Lexik und Syntax. Böhlke (2003) - Deutsch - 27 Lernende Opinion exchange/ Präsenzunter richt und Text-Chat - Im Chat verwenden die Lernenden häufiger attributive Adjektive als im Unterricht. Platten (2003) - Deutsch zahlreiche Lernende Freie Diskussion/ Text-Chat - Die Anwesenheit von Tutorinnen ermöglicht, dass die Lernenden im Chat Korrekturen erhalten und bestimmte Fragen zur Grammatik klären; - Lernende trainieren Lese- und Gesprächsstrategien. <?page no="74"?> 74 Studie Zielsprache/ Teilnehmer/ Dauer der Studie Aufgabentyp / Medien Ausgewählte Ergebnisse Smith (2003) - Englisch - 28 Lernende der Mittelstufe Jigsaw und decisionmaking/ Text- Chat - Bei Verständnisschwierigkeiten handeln Lernende die Bedeutung der Wörter oder Ausdrücke mit ihrem Partner aus; - Der Aufgabentyp beeinflusst die Art, wie die Lernenden Bedeutungen aushandeln. Tudini (2003) - Italienisch - 9 Lernende und 49 Muttersprachler - 49 Chat- Sitzungen Freie Diskussion/ Text-Chat - In Interaktionen zwischen Lernenden werden häufiger Selbstkorrekturen vorgenommen als in Interaktionen zwischen Muttersprachlern und Lernenden; - In Interaktionen zwischen Muttersprachlern und Lernenden sind die Aushandlungen breiter gefächert (more varied); - In Chat-Interaktionen haben die Lernenden die Möglichkeit, ihre fremdsprachlichen Lücken kennenzulernen. <?page no="75"?> 75 Studie Zielsprache/ Teilnehmer/ Dauer der Studie Aufgabentyp / Medien Ausgewählte Ergebnisse Kost (2004) - Deutsch - 94 Lernende der Mittelstufe - 1 Semester, 12 Chat- Sitzungen Role plays/ Präsenzunter richt und Text-Chat - Am Ende des Experimentes gab es keinen signifikanten Unterschied in der mündlichen und schriftlichen Performanz der Lernenden, d.h. die Chat-Interaktionen können genauso nützlich für die Verbesserung der sprachlichen Kompetenzen der Lernende sein wie mündliche Diskussionen im Unterricht; - Lernende, die an den Chat-Interaktionen teilnahmen, berichteten, dass sie die Chat-Interaktionen als gut für ihre sprachliche Entwicklung empfanden. Darüber hinaus behaupteten sie, dass sie mit den Chat- Interaktionen die Fehler ihrer Partner besser erkennen konnten, was Kost zufolge der erste Schritt für die Entwicklung von Inputs in Intakes ist. <?page no="76"?> 76 Studie Zielsprache/ Teilnehmer/ Dauer der Studie Aufgabentyp / Medien Ausgewählte Ergebnisse Kung (2004) - Englisch - 47 Lernende der Mittelstufe ca. 40 Min. Opinion exchange/ Text-Chat - Lernende machen aufgrund der Geschwindigkeit der Interaktion viele Fehler und schreiben fragmentarische Sätze. Das stört jedoch nicht das Verständnis in der Kommunikation; - Lernende handeln die Bedeutung ihrer Äußerungen aus und übernehmen im Chat die Rolle eines Lehrenden, z.B. indem sie einander schwierige Stellen der Lektüren erklären und Beispiele geben. Smith/ Gorsuch (2004) - Englisch - 10 Lernende der Mittelstufe - 40 Min. Präsentation/ Text-Chat - Audio-, Video- und Screen-Shot-Aufnahmen der Chat-Interaktion tragen zu einem besseren Verständnis der Interaktion im Chat im Vergleich zur Analyse von Chat- Protokollen bei. Jepson (2005) - Englisch zahlreiche Lernende - 10 Sitzungen à jeweils 5 Minuten Freie Diskussion/ Text-Chat und Voice- Chat - Lernende handeln die Bedeutung ihrer Äußerungen häufiger aus, als dass sie einander korrigieren; - Im Voice-Chat korrigieren die Lernenden besonders Ausspracheprobleme der anderen Lernenden. <?page no="77"?> 77 Studie Zielsprache/ Teilnehmer/ Dauer der Studie Aufgabentyp / Medien Ausgewählte Ergebnisse Kilian (2005) - Deutsch zahlreiche Lernende Freie Diskussion/ Text-Chat - Lernende können ihre Schreib- und Lesefertigkeiten im Chat verbessern; - Lernende können im Chat Umgangssprache lernen. Payne/ Ross (2005) - Spanisch - 24 Lernende der Mittelstufe ein Semester Opinion exchange, information gap, role play und freie Diskussion/ Präsenzunter richt und Text-Chat - Lernende, die Gedächtnisübungen (working memory) machten, zeigten eine bessere mündliche Performanz; - Aufgaben im Chat tragen zur Verbesserung der mündlichen Kompetenz der Lernenden bei. Cardoso/ Melo/ Rebelo (2006) - Portugiesisch - 17 Lernende der Mittelstufe Opinion exchange/ Text-Chat - Die Chat-Aufgabe „Diskussion eines literarischen Werks“ fungiert als Kommunikationsvorwand für das interaktive Fremdsprachenlernen; - Die Lernenden und die Lehrerin ziehen die weitere Durchführung der thematischen Diskussion der Korrektur in der Interaktion vor. <?page no="78"?> 78 Studie Zielsprache/ Teilnehmer/ Dauer der Studie Aufgabentyp / Medien Ausgewählte Ergebnisse Melo (2006) - Französisch, Italienisch, Portugiesisch und Spanisch zahlreiche Lernende Freie Diskussion/ Text-Chat - Die Diskussionen im Chat fördern einen authentischen Kontakt mit Lernenden aus anderen Ländern. Durch diesen Kontakt können die Lernenden nicht nur die fremden Kulturen näher kennen lernen, sondern auch über ihre eigene Kultur reflektieren; - Die Kommunikation im Text-Chat ist sowohl für einen interkulturellen als auch für einen mehrsprachigen Austausch zwischen Lernenden geeignet. Rebelo (2006) - Portugiesisch zahlreiche Lernende der Mittelstufe und ein Lehrender Opinion exchange/ Text-Chat - Die Interaktion im Chat ist weniger hierarchisiert als im Unterricht und trägt zur Wissenskonstruktion der Lernenden bei; - Im Chat haben die Lernenden die Möglichkeit, sowohl individuell als auch in einer kollaborativen Weise mit dem Rest der Gruppe ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. <?page no="79"?> 79 Studie Zielsprache/ Teilnehmer/ Dauer der Studie Aufgabentyp / Medien Ausgewählte Ergebnisse Shekary/ Tahririan (2006) - Englisch - 16 Lernende der Mittelstufe und der Oberstufe Jigsaw, dictogloss und freie Diskussion/ Text-Chat und Post-Tests im Unterricht (erster Test 3- 5 Tage nach der Chat- Interaktion und zweiter Test 3 Wochen später) - Lernende können sich noch nach Wochen an im Chat ausgehandelte Formen und Bedeutungen erinnern; - Der Austausch im Chat hat positive Wirkungen auf das kollaborative Lernen. <?page no="80"?> 80 Studie Zielsprache/ Teilnehmer/ Dauer der Studie Aufgabentyp / Medien Ausgewählte Ergebnisse Rebelo/ Mathias/ Marques (2007) - Französisch, Italienisch, Portugiesisch und Spanisch zahlreiche Lernende Opinion exchange und freie Diskussion/ Text-Chat - Das Ziel der Chat-Aufgabe ist entscheidend für den Verlauf der Interaktion und für die Haltung der Teilnehmer im Chat; - In einem Chat mit einer opinion exchange- Aufgabe ist die Aushandlung einzelner Wörter zweitrangig und der Meinungsaustausch wichtiger; - In einem Chat mit der Aufgabe „freie Diskussion“ ist das Thema frei und beliebig. Das hat zu Folge, dass die Themen sehr schnell wechseln und die Aushandlung von Wörtern für den weiteren Verlauf der Interaktion eine große Rolle spielt. <?page no="81"?> 81 Studie Zielsprache/ Teilnehmer/ Dauer der Studie Aufgabentyp / Medien Ausgewählte Ergebnisse Mishan (2007) - Englisch zahlreiche Lernende Opinion exchange/ Text-Chat - Lernende haben im Chat Kontakt zu einer authentischen Form der Nutzung der Zielsprache; - Lernende können im Chat unabhängig vom Lehrenden die Zielsprache üben; - Lernende haben im Chat die Möglichkeit, sich in der Zielsprache auszutauschen und ihre Kenntnisse zu verbessern. Tudini (2007) - Italienisch - 27 Lernende der Mittelstufe und 118 Muttersprachler Opinion exchange/ Text-Chat - Chat-Interaktionen mit Muttersprachlern sind für Lernende genauso informell und authentisch wie face-to-face- Interaktionen im Ausland; - Lernende können in Interaktionen mit Muttersprachlern ihre interkulturelle Kompetenz erweitern und verbessern; - Chat-Interaktionen mit Muttersprachlern sind eine gute Möglichkeit für Lernende, die sich sprachlich und kulturell auf einen Austausch im Ausland vorbereiten wollen. <?page no="82"?> 82 Studie Zielsprache/ Teilnehmer/ Dauer der Studie Aufgabentyp / Medien Ausgewählte Ergebnisse Ollivier (2008) - Französisch - 23 Lernende der Mittelstufe zwei mal im Semester für 12 Minuten Opinion exchange/ Text-Chat - Die Anonymität im Chat hat positive Auswirkungen auf die Teilnahme der Lernenden in der Interaktion. Lernende haben dadurch weniger Angst, Fehler zu machen, und konzentrieren sich mehr auf den Inhalt der Kommunikation als auf die Form; - Anonyme Chats eignen sich gut für die Diskussion heikler und persönlicher Themen. Satar/ Özdener (2008) - Englisch - 90 Lernende der Mittelstufe Information gap, problem solving, jigsaw und decision making/ Präsenzunterricht, Text-Chat und Voice- Chat - Lernende, die im Text- Chat und im Voice- Chat Aufgaben lösten, haben eine bessere mündliche Performanz am Ende des Projektes; - Lernende, die Aufgaben im Text- Chat lösten, sagten, dass sie während der Interaktion weniger aufgeregt waren, sich in der Zielsprache zu äußern, als im Präsenzunterricht. <?page no="83"?> 83 Studie Zielsprache/ Teilnehmer/ Dauer der Studie Aufgabentyp / Medien Ausgewählte Ergebnisse Stickler (2008) - Deutsch, Englisch, Italienisch und Polnisch zahlreiche Lernende, Lehrende und Organisatoren des Projektes Freie Diskussion/ Wiki, Forum und Text- Chat - Lernende können im Chat ihre Sprachkenntnisse in einer kollaborativen Art üben; - Lernende können sich im Chat über ihre Kulturen austauschen. Wilden (2008) - Englisch und Deutsch - 10 Lehrende Opinion exchange (Austausch über eigene Lebenserfahrungen)/ Text-Chat und Voice- Chat - Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass der Fokus des in den interkulturellen Onlinekommunikationsprozessen initiierten Austauschs auf der Selbstwahrnehmung lag; - Der Text-Chat erweist sich in dieser Studie im Vergleich zum Voice- Chat als weniger geeignet für die Förderung des interkulturellen Austauschs. <?page no="84"?> 84 Studie Zielsprache/ Teilnehmer/ Dauer der Studie Aufgabentyp / Medien Ausgewählte Ergebnisse Araújo e Sá/ Melo (2009) - Französisch, Italienisch, Portugiesisch und Spanisch zahlreiche Lernende Freie Diskussion/ Text-Chat - Lernende nutzen die Chat-Interaktion, um ihre sprachlichen Kenntnisse über die unterschiedlichen romanischen Sprachen zu erweitern; - Lernende stellen im Chat Fragen zur Grammatik und Landeskunde und diskutieren diese mit den Tutoren und anderen Lernenden; - Lernende bekommen im Chat nicht nur von den Tutoren Korrekturen, sondern auch von den anderen Lernenden. <?page no="85"?> 85 Studie Zielsprache/ Teilnehmer/ Dauer der Studie Aufgabentyp / Medien Ausgewählte Ergebnisse Biebighäuser/ Marques- Schäfer (2009) - Deutsch zahlreiche Lernende der Mittel- und Oberstufe Freie Diskussion/ Text-Chat und Voice- Chat - Lernende üben ihre Lese- und Schreibfertigkeit sowie Sprech- und Hörfertigkeit; - Lernende unterhalten sich anonym, was zur Überwindung eventueller Hemmungen beiträgt, sich in der Fremdsprache auszudrücken; - Lernende erhalten sowohl von Tutorinnen als auch von anderen Lernenden Korrekturen und handeln mit ihnen die Bedeutung und die Form ihrer Äußerungen aus. Liang (2010) - Englisch - 12 Lernende der Mittelstufe ein Semester Gemeinsame s Schreiben/ Präsenzunter richt und Text Chat - Lernende können im Chat in einer kollaborativen Form Ideen für ihre Texte sammeln, über diese diskutieren und sie gemeinsam verbessern; - Lernende handeln häufiger den Inhalt ihrer Texte aus als die Bedeutung und die Form ihrer Wörter. <?page no="86"?> 86 Studie Zielsprache/ Teilnehmer/ Dauer der Studie Aufgabentyp / Medien Ausgewählte Ergebnisse Marques- Schäfer/ Platten (2010) - Deutsch zahlreiche Lernende der Mittelstufe und Oberstufe Freie Diskussion/ Text-Chat und Wiki - Lernende üben Lese- und Schreibfertigkeiten; - Während im Wiki sprachliche und soziale Normen der Lernumgebung i.d.R. eingehalten werden, gibt es im Chat Stellen, an denen die Lernenden diese Regeln missachten, indem sie in anderen Sprachen außer Deutsch schreiben und respektlos miteinander umgehen; - Anonymität und niedrigerer Verbindlichkeitsgrad des Chats beeinflussen das Verhalten im Chat. Sauro/ Smith (2010) - Deutsch - 23 Lernende der Grundstufe Jigsaw/ Text- Chat - Obwohl die Chat- Kommunikation oft sehr schnell abläuft, nehmen sich die Lernenden Zeit, um ihre Äußerung zwischen der Rezeption eines Inputs eines Chat- Partners und der Produktion ihres eigenen Outputs sorgfältig zu planen. Tab. 1: Überblick über bereits durchgeführte Chat-Studien in der Fremdsprachendidaktik <?page no="87"?> 87 Tabelle 1 zeigt, wie unterschiedlich die Ergebnisse verschiedener Chat- Studien in der Fremdsprachendidaktik aufgrund ihres individuellen Rahmens ausfallen können. Einige dieser Ergebnisse werden in Kapitel 3.2.4 etwas ausführlicher beschrieben und in den Analysekapitel in Teil C - wann immer möglich - mit den Ergebnissen der vorliegenden Studie verglichen. Bevor ich einige der in Tabelle 1 erwähnten Studien thematisch diskutiere, möchte ich im folgenden Kapitel Implikationen ansprechen, die für die Durchführung und Veröffentlichung künftiger Chat-Studien in der Fremdsprachendidaktik berücksichtigt werden sollten. 3.2.3 Implikationen für Chat-Studien Die bereits durchgeführten Chat-Studien in der Fremdsprachendidaktik unterscheiden sich nicht nur in Bezug auf die Häufigkeit der Chat-Ereignisse und die Verfügbarkeit der Chat-Angebote, sondern auch in Bezug auf die Rolle der Chat-Teilnehmer, den Grad der Öffentlichkeit des untersuchten Chat-Raums, die Zahl der Teilnehmer und ihre Beziehung zueinander sowie die Aufgabentypen (vgl. Kap. 3.2.2). 29 Da in den verschiedenen Studien unterschiedliche Schwerpunkte der Interaktion im Chat gesetzt werden, kommen die Autoren auch zu sehr heterogenen Ergebnissen. Häufig fehlen in den Veröffentlichungen im Bereich der didaktischen Chat-Forschung detaillierte Informationen zum Kontext oder zum Aufgabentyp. Dies erschwert oft das Verständnis der gesamten Untersuchung sowie die Durchführung eines Vergleiches zwischen mehreren Studien. In der vorliegenden Arbeit wurde trotz dieser Schwierigkeiten der Versuch unternommen, wann immer möglich Ergebnisse aus anderen Chat-Studien mit denen aus der vorliegenden Studie zu vergleichen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede festzustellen. Es wäre ein Fortschritt für die Chat-Forschung in der Fremdsprachendidaktik, wenn künftige Veröffentlichungen auf diesem Forschungsfeld detailliertere Informationen zu den in Tabelle 2 aufgelisteten Aspekten geben würden: 29 Ferner unterscheiden sich diese Studien in Bezug auf das Chat-Programm, das für die Durchführung der Studie verwendet wurde, wie z.B. InterChange, ytalk, ICQ, MSN und Yahoo Messenger. <?page no="88"?> 88 Informationen Passende Fragen Rolle der Lehrenden Welche Rolle spielt der Lehrende im Chat? Ist er bei der Durchführung der Aufgabe dabei? Rolle der Lernenden Welche Rolle spielen die Lernenden im Chat? Rolle eines muttersprachlichen Gasts Ist ein Muttersprachler im Chat dabei? Welche Rolle spielt der Muttersprachler im Chat? Ist er ein eingeladener Gast, der die zu lösende Aufgabe kennt, oder ist er ein Unbekannter, der zufällig auch im Chat ist? Sprache In welcher Sprache sollen die Lernenden chatten? Ist die Verwendung der Muttersprache erlaubt? Welches Sprachniveau haben die Lernenden? Grad der Öffentlichkeit Wie öffentlich ist der untersuchte Chat-Raum? Ist dieser Chat ein frei zugänglicher Chat im Internet oder ist er ausschließlich für Lernende der Studie zugänglich? Beziehung Kennen sich die Chat-Teilnehmer alle persönlich? Woher kennen sie sich? Zeit Für wie lange interagieren die Lernenden miteinander im Chat? Wie häufig interagieren die Lernenden im Chat? Zahl der Teilnehmer Wie viele Lernende nehmen an der Studie teil? Wie arbeiten sie? Zu zweit oder in Gruppen? Ist die Zahl der Lernenden im Chat begrenzt? Ort Von wo aus chatten die Lernenden? Sitzen sie zusammen in einem Raum, wie z.B. in einem Computer-Labor der Schule oder der Universität? Chatten sie von zu Hause aus an ihrem eigenen PC? Wohnen sie in derselben Stadt oder im selben Land? <?page no="89"?> 89 Aufgabe Was für eine Aufgabe sollen die Lernenden im Chat lösen? Welche Anweisungen erhalten sie für diese Aufgabe? Mit welchem Material und welchen Medien müssen die Lernenden arbeiten? Tab. 2: Aspekte, die in zukünftigen Chat-Studien beachtet werden sollten In Teil B der vorliegenden Studie wird der Rahmen des JETZT Deutsch lernen-Chats ausführlich beschrieben und damit auf die in Tabelle 2 formulierten Fragen eingegangen. 3.2.4 Wichtige Aspekte des Einsatzes von Chats im Rahmen des Fremdsprachenlernens Wie bereits ausgeführt, weisen die bisherigen Chat-Studien in der Fremdsprachendidaktik auf unterschiedliche Aspekte der Arbeit mit dieser synchronen Kommunikationsform hin. In diesem Kapitel wird auf einige dieser Ergebnisse näher eingegangen. Dazu ist dieses Kapitel in vier Themenbereiche gegliedert: Zunächst werden Themen aufgegriffen, die für die Organisation und Durchführung des Einsatzes von Chats in fremdsprachlichen Lernkontexten wichtig sind (vgl. Kap. 3.2.4.1). Anschließend wird darüber diskutiert, wie Lernende generell die Arbeit mit Chats wahrnehmen und was sie in der Interaktion im Chat fühlen (Kap. 3.2.4.2). Weiterhin werden soziale Aspekte der Arbeit mit Chats wie authentische Kontakte, Rollen und Verhalten für das Erlernen einer Fremdsprache näher erläutert (Kap. 3.2.4.3). Abschließend werden Themen behandelt, die sich mit dem fremdsprachlichen Lernprozess der Lernenden in der Arbeit mit Chats beschäftigen (Kap. 3.2.4.4). Ergebnisse aus Studien, die sich auf den Umgang mit Fehlern und der Aushandlung sprachbezogener und kulturbezogener Fragen beziehen, werden erst in den Analysekapiteln ausgeführt, da sie die Forschungsschwerpunkte der vorliegenden Arbeit bilden. 3.2.4.1 Organisation und Durchführung Vielen Fremdsprachenlehrenden mag die Vorstellung, innerhalb des Unterrichts mit Lernenden zu chatten oder ihnen eine Aufgabe zu geben, die sie im Chat lösen müssen, wenig sinnvoll erscheinen. Viele von ihnen haben selbst kaum Chat-Erfahrungen, so dass ihnen die wichtigsten Merkmale und Potenziale dieser Internet-Kommunikationsform nicht bekannt sind. Viele wissen auch nicht, welche organisatorische Angelegenheiten vor und nach der Arbeit <?page no="90"?> 90 mit Chat zu erledigen sind und erledigten werden können, damit der Einsatz von Chats im Unterricht nicht mit einer reinen Freizeitbeschäftigung verglichen wird. Einige Studien in der Fremdsprachendidaktik weisen darauf hin, dass bezüglich der Organisation alle technischen Fragen vor dem Einsatz von Chats im Unterricht geklärt werden sollen, denn die Störanfälligkeit des Werkzeugs sowie technische Probleme und langsame Zugänge haben sich häufig als Problem der Arbeit mit Chats erwiesen (Knopp 2006: 307). Andere Studien haben gezeigt, dass die Zahl der Lernenden ebenfalls entscheidend für die Organisation des Einsatzes von Chats ist. Tudini (2007) führt aus, dass Lernende zu zweit im Chat besser arbeiten als in größeren Gruppen. Für Engler (2003) sollte die Zahl der Chat-Teilnehmer vier nicht überschreiten, damit alle Lernenden die gleiche Chance haben, sich zu äußern und aktiv zu interagieren. Für Tudini (2007) werden durch die Arbeit in kleineren Gruppen im Chat „multiple conversation threads“ (ebd.: 586) vermieden, die zu Verständnisschwierigkeiten führen können. Chatten in einer großen Gruppe kann als „public speaking“ (ebd.: 586) angesehen werden. Viele Lernende können dadurch eingeschüchtert werden und sich weniger an der Interaktion beteiligen. Wie bereits in Kapitel 3.1.3 gezeigt wurde, können die gleichzeitige Behandlung mehrerer Themen und der schnelle Themenwechsel im Chat Lernende überfordern und zu Missverständnissen führen. Im JETZT Deutsch lernen-Chat ist die Zahl der Teilnehmer sowohl in den einzelnen tutorierten als auch in den untutorierten Stunden immer unvorhersehbar und offen, weil es sich dabei um einen frei zugänglichen Chat handelt (vgl. Kap. 4.2). Es lässt sich daher fragen, wie die Tutorinnen mit den unterschiedlichen Teilnehmerzahlen umgehen und wie sie in der Lage sind, trotz möglicher hoher Teilnehmerzahlen ihre Aufgaben, wie z.B. das Korrigieren, zu erfüllen. Ein weiterer wichtiger Aspekt, der vor dem Einsatz von Chats berücksichtigt werden soll, ist die Frage, welche Regeln für die Interaktion gelten und was von den Lernenden in Bezug auf diese Regeln erwartet wird. Rebelo (2006) verwendet den Begriff „Vertrag“, um sich auf kommunikative und didaktische Regeln zu beziehen, die für den erfolgreichen Einsatz von Chat unerlässlich sind. Diese kommunikativen und didaktischen Regeln, die auch als Verhaltensregeln verstanden werden können, müssen nicht vor dem Einsatz von Chats im Unterricht schriftlich fixiert werden, sie sind vielmehr als eine mündliche Vereinbarung zwischen Lehrenden und Lernenden zu verstehen. Für Rebelo (ebd.) umfassen die didaktischen Regeln verschiedene Aspekte, die für das Fremdsprachenlernen in einem institutionellen Rahmen unerlässlich sind, wie z.B. die Anerkennung der Lehrer- und der Lernerrolle, das Einhalten bestimmter Gewohnheiten, die Zielsetzung einer Aktivität, mit der man ein bestimmtes Lernziel erreichen kann, sowie die Pflege einer freundlichen Lernatmosphäre, in der alle Beteiligten einander unterstützen. <?page no="91"?> 91 Die kommunikativen Regeln umfassen Aspekte, die für eine erfolgreiche Kommunikation notwendig sind, wie z.B. die Beachtung des Rederechts sowie die Aufmerksamkeit und die Kollaboration während des Kommunizierens. Die Autorin verwendet für ihre Studie einen Chat-Raum eines permanenten Chat-Angebots im Internet, der zwar nicht didaktisiert ist, in dem jedoch nur ihre Lernenden miteinander interagieren konnten, ohne von unbekannten Chattern gestört zu werden. Der Autorin zufolge hing der Erfolg des Einsatzes von Chat in ihrer Studie am Einhalten der kommunikativen und didaktischen Regeln während des Online-Austauschs. Anhand der Analyse von Chat-Protokollen konnte Rebelo (ebd.) feststellen, wie ihre Lernenden diese Regeln berücksichtigten, indem sie sich aktiv in die Chat-Interaktion einbrachten und ihre Rolle als Lernenden und die Rolle der Lehrerin als Moderatorin und Person, die Hilfestellungen gab, anerkannten. Darüber hinaus akzeptierten die Lernenden, sich im Chat in einer Sprache zu äußern, die nicht ihre Muttersprache war, respektierten einander und entwickelten Strategien, um die gegebene Aufgabe zu lösen. Die Lernenden mussten im Chat ein Gleichgewicht zwischen den kommunikativen und den didaktischen Regeln herstellen, d.h. sie mussten sich gleichzeitig aktiv in der Kommunikation zeigen, die Rolle aller Kommunikanten anerkennen und respektieren, den Schreibrhythmus der anderen Lernenden im Chat berücksichtigen, sich in der Fremdsprache äußern und dabei noch die Aufgabe lösen. Rebelo (2006) zufolge sind die didaktischen Regeln im Chat daher eng mit den kommunikativen Regeln verbunden. Beide spielen eine entscheidende Rolle für den Erfolg des Einsatzes von Chats in Fremdsprachenlernkontexten. Die Bekanntmachung und die Berücksichtigung solcher didaktischen und kommunikativen Regeln für einen didaktisierten Chat-Raum können durch die Bereitstellung einer Chatikette erfolgen, in der nicht nur alle formellen Verhaltensweisen für die Interaktion im Chat definiert, sondern auch alle Erwartungen dargestellt werden. Die Formulierung einer schriftlichen Chatikette kann den Lernenden helfen, die Rolle der Kommunikanten im Chat zu erkennen, den Einsatz des Chats im Rahmen des Lernprozesses zu verstehen und die Aufgabe durchzuführen. In vielen Chat-Studien wird nicht von einer schriftlichen Chatikette berichtet, sondern eher von einer (meist mündlichen) Vorbesprechung mit den Lernenden über die Bedingungen und Erwartungen als eine organisatorische Sache, die vor dem Einsatz von Chats im Rahmen des jeweiligen Lernkontextes erledigt wird. Schließlich gehört noch zum Punkt Organisation die Frage nach der Nacharbeitung bzw. der Nachbesprechung der Interaktion im Chat. Es wird in der Literatur oft angeführt, dass die Möglichkeit der digitalen Speicherung der gelaufenen Interaktionen ein Vorteil des Einsatzes von Chats in Lernkontexten ist. Durch die Analyse dieses Materials sind die verwendeten <?page no="92"?> 92 Kommunikations- und Lernstrategien der jeweiligen Chat-Teilnehmer einfacher nachvollziehbar (vgl. Beauvois 1997: 170). Die gespeicherten Interaktionsverläufe ermöglichen darüber hinaus Lehrenden eine spätere Revisionsarbeit mit den Lernenden im Unterricht, d.h. anhand der Chat-Protokolle, die als Texte reproduzierbar sind, können sich Lehrende und Lernende im Unterricht über eventuelle Kommunikationsschwierigkeiten und Fehler im Chat austauschen (vgl. Toyoda/ Harrison 2002; Tudini 2003; Marques 2009). Blake (2000) sieht die Analyse von Chat-Protokollen als „a window for investigating interlanguage development“ (ebd.: 120). Da Chat-Protokolle beständig sind, können sie als schriftliche Leistungsarbeiten der Lernenden angenommen werden. Auf der Internetseite des JETZT Deutsch lernen-Chats findet sich ein Lehrerhandbuch mit organisatorischen Hinweisen, die für die Nutzung dieses Chats beachtet werden sollten 30 . Lehrende können sich beim Autoren-Team des Projektes JETZT Deutsch lernen melden, um eine Chat-Tutorin für eine von ihnen organisierte Chat-Sitzung zu „bestellen“ und/ oder eine Kopie des Chat-Protokolls zu bekommen, an der sie sich beteiligt haben. Darüber hinaus gibt es für den JETZT Deutsch lernen-Chat eine Chatikette, die als eine Art Liste von Regeln oder Empfehlungen für das erfolgreiche Chatten verstanden werden kann (vgl. dazu Kap. 4.2). Für die vorliegende Studie spielt die Beachtung der Chatikette seitens des Besuchers eine wichtige Rolle. Mit der Analyse der Chat-Interaktionen in Teil C sollen zwei Punkte der Chatikette näher untersucht werden: Kooperation und Sprache. Es wird analysiert, wie Tutorinnen und Chat-Teilnehmer mit Fehlern und Fragen umgehen und welche Sprache sie bei der Behebung eventueller Kommunikationsschwierigkeiten verwenden. Darüber hinaus sind im Rahmen der vorliegenden Studie aufgrund der Forschungsmethode Nachbesprechungen der einzelnen ausgewählten Stunden nicht möglich, denn es geht hier nicht darum, den individuellen Problemen der Besucher nachzugehen, sondern den allgemeinen Verlauf der Interaktion genauer zu untersuchen. So wird beispielsweise untersucht, was für Fragen die Besucher im Chat stellen und wie und von wem diese Fragen beantwortet werden. 3.2.4.2 Die Wahrnehmung der Lernenden Der Einsatz von Chats im Fremdsprachenunterricht kann von den Lernenden selbstverständlich unterschiedlich wahrgenommen werden. Wie die Lernenden die Arbeit im Chat einschätzen und wie sie sich dabei fühlen, sind subjektive Fragen, die jedoch für die Evaluation des gesamten Einsatzes eine wichtige Rolle spielen. In vielen Chat-Studien in der Fremdsprachendidaktik 30 http: / / www.goethe.de/ z/ jetzt/ dejchat/ dejlehrh.htm (letztes Abrufdatum 22.03.13). <?page no="93"?> 93 wird berichtet, dass die Lernenden große Motivation hinsichtlich der Arbeit im Chat äußern (vgl. Knopp 2006: 308). Eine offene Frage ist jedoch, wie lange diese Motivation anhält. Lernende können in der Arbeit mit Chats einen Bezug zu ihrem Alltag außerhalb des schulischen Kontextes erleben, da diese Kommunikationsform in ihrem alltäglichen Privatleben sehr präsent ist. Aber dadurch, dass der Einsatz von Chats in vielen Studien in der Fremdsprachendidaktik ein punktuelles Ereignis ist, gibt es bislang keine Studie, die von einer langfristigen Motivation der Lernenden für die Arbeit mit Chats im Rahmen des Fremdsprachenlernens berichtet. Zu den Gefühlen, die die Lernenden während des Chattens haben, wird in bisherigen Studien oft die reduzierte Aufregung genannt. Lernende haben oft Angst oder fühlen sich aufgeregt, wenn sie sich im Präsenzunterricht in der Fremdsprache äußern müssen. Wie Kost (2004) unten beschreibt, muss der Lernende, der im traditionellen Unterricht vom Lehrenden gefragt wird, spontan folgende kognitive Arbeit leisten: Instantaneously, they have to come up with something that fits context-wise, express it then with the appropriate lexical items of the foreign language, watch out for differences in syntax and pragmatics, and - last but not least - use the correct pronunciation and intonation (and all of that while their peers are watching! ). Clearly, this demands a lot of cognitive energy. (ebd.: 36) Im Chat kommen einige der von Kost genannten Faktoren nicht vor: Der Lernende hat im Chat mehr Zeit, um eine Antwort zu formulieren, während seine Kommilitonen selbst mit dem Verfassen ihrer eigenen Äußerungen beschäftigt sind. Daher behaupten manche Forscher, dass sich das Gefühl der Lernenden im Chat von dem im Unterricht unterscheidet. Für Chun (1994) ist der Chat ein „less stressful environment for L2 practice”. Beauvois (1997) erklärt diesen Aspekt wie folgt: Teacher intervention is [in chats] minimized. For better or worse, students are largely in control of the flow of the discussion. The reticent and fearful seem less inhibited in their communication because they do not feel „put on the spot“, as students often state in their evaluations of the process. (ebd.: 168) Darüber hinaus führt Beauvois (ebd.: 170) aus, dass Lernende Diskussionen im Chat einfacher verfolgen können als im Unterricht, da die Redebeiträge im Chat kürzer sind. Dem Autor zufolge haben die Lernenden im Chat weniger Zeitdruck, ihre Antworten zu formulieren. Der Autor nennt daher die Interaktion im Chat „conversation in slow motion“. Die Anonymität im Chat trägt zu einer Reduktion der Aufregung bei, sich in der Fremdsprache auszudrücken. Ollivier (2008) untersuchte, ob die Anonymität der Lernenden im Chat ein größeres Gefühl der Freiheit herbeiführen und positive Auswirkungen auf die Produktion der Lernenden haben kann. <?page no="94"?> 94 Anhand von Befragungen stellte der Autor fest, dass die Lernenden in anonymen Chats weniger Angst haben, Fehler zu machen und sich damit bloßzustellen. Dem Autor zufolge eignen sich anonyme Chats gut für die Diskussion heiklerer und persönlicher Themen, da sich schüchterne Lernende freier fühlen, ihre Meinung zu äußern. Diesbezüglich erklärt Ollivier außerdem, dass [d]ie Lernenden […] sich dadurch besser auf das konzentrieren [können], was sie ausdrücken wollen. Der Inhalt, der schlussendlich das Wesentliche an der Kommunikation ist, kann in den Vordergrund treten und die Form in den Hintergrund rücken. (ebd.: 65) Für Tudini (2007) haben Lernende weniger Angst, sich im Chat mit einem Muttersprachler zu unterhalten, weil sie wissen, dass ein Muttersprachler ihre Performanz und ihr Sprachniveau nicht so evaluiert wie ein Fremdsprachenlehrender. Für Warschauer (1997) sind Chats ein text-basiertes Kommunikationsmedium, das die Konzentration der Lernenden auf grammatische Formen unterstützen kann. Im Vergleich zu face-to-face-Diskussionen haben die Lernenden im Chat mehr Zeit, neue sprachliche Formen kognitiv zu verarbeiten, da sie diese Formen auf dem Bildschirm lesen können, bevor sie reagieren müssen. Mit der Datenanalyse in Teil C sollen in der vorliegenden Studie Rückschlüsse daraus gezogen werden, wie sich Tutorinnen und Teilnehmer in der Interaktion fühlen. Ausschließlich anhand von im Chat getätigten Äußerungen soll hier beispielsweise untersucht werden, wie die Teilnehmer auf Korrekturen reagieren, ob sie sich frei fühlen, nach Korrekturen zu fragen und kritische Meinungen zu kulturbezogenen Themen zu äußern. 3.2.4.3 Soziale Aspekte in Chat-Interaktionen Der Einsatz von Chats in fremdsprachlichen Lernkontexten berührt viele soziale Aspekte. Die synchrone Kommunikation ist attraktiv für diejenigen, die in Echtzeit ihre fremdsprachlichen Kenntnisse mit Muttersprachlern und/ oder mit anderen Lernenden ausprobieren und verbessern wollen. Für Stickler (2008) können Chats als ein soziales Ereignis bzw. soziales Event im Rahmen eines geschlossenen Austauschprojektes betrachtet werden. Die Autorin beschreibt in ihrer Studie das Projekt LITERARIA (Learning In Tandem to Encourage Reciprocal Autonomous Learning In Adults), dessen Ziel es war, Deutsch-, Englisch-, Italienisch- und Polnischlernenden aus unterschiedlichen europäischen Ländern einen Online-Austausch zur Förderung ihrer Sprachkenntnisse zu ermöglichen. In diesem Projekt hatten die Teilnehmer die Möglichkeit, sich via E-Mail, Forum, Wiki und Chat auszutauschen. Die Teilnahme an den Chat-Sitzungen fand immer auf freiwilliger Basis statt und <?page no="95"?> 95 sollte den Austausch via E-Mail ergänzen. Stickler erklärt, dass diese Chat-Sitzungen einerseits die Funktion hatten, den Lernenden eine weitere Gelegenheit zu geben, ihre Sprachkenntnisse zu üben und sich mit den anderen Lernenden auszutauschen. Andererseits hebt die Verfasserin die soziale Funktion der Chat-Sitzungen in Bezug auf das gesamte Projekt hervor. Sie bezeichnet die Chat-Sitzungen als soziales Ereignis in diesem Projekt, da die Projektteilnehmer die Chat-Sitzungen nicht nur als eine Möglichkeit sahen, die Fremdsprache zu üben, sondern auch als Gelegenheit, Leute zu treffen, sich zu unterhalten, sich besser kennen zu lernen und den weiteren Verlauf des Austauschs zu planen. Ein weiterer sozialer Aspekt der Arbeit mit Chats bezieht sich auf die Rollen, die in der Interaktion übernommen werden. In Chats können Lernende aktiver werden und somit einfacher bestimmte Aufgaben übernehmen, die im Präsenzunterricht häufig nur vom Lehrenden übernommen werden, wie z.B. Fragen stellen und Antworten formulieren, Diskussionen moderieren sowie Korrekturen vornehmen. Da die Chat-Interaktion weniger lehrerzentriert abläuft und sich die Lernenden jederzeit äußern können, haben die Lernenden die Chance, die Rolle des Experten und/ oder die des Moderators zu übernehmen (vgl. exemplarisch Kern 1995; Rebelo 2006). Wenn dieser Rollenwechsel respektvoll stattfindet, stellt er kein Problem für die Interaktion und für die Arbeitsatmosphäre in der Gruppe dar. Dieser Rollenwechsel kann jedoch auch zu Problemen führen, besonders, wenn die Lernenden sich anonym unterhalten und bestimmte soziale Regeln nicht mehr beachten. Marques-Schäfer/ Platten (2010) untersuchten den respektlosen Umgang mit anderen Lernenden im Chat. Wir versuchten in unserer Studie, den Umgang mit Verhaltensnormen im Wiki und im Chat-Raum des Projektes JETZT Deutsch lernen, der auch Forschungsgegenstand der vorliegenden Arbeit ist, zu vergleichen. Im Rahmen unserer Analyse stellten wir fest, dass es im Wiki eine weit gehende Einhaltung der sprachlichen und sozialen Normen der untersuchten Lernumgebung gab. Im Chat hingegen fanden wir Interaktionen, an denen die Lernenden diese Regeln missachteten, indem sie z.B. in anderen Sprachen als Deutsch schrieben oder respektlos miteinander umgingen. Dieses Verhalten ließ sich unserer Ansicht nach nicht nur mit dem niedrigeren Verbindlichkeitsgrad des untersuchten Chat-Angebots erklären, sondern auch mit der Anonymität der Chatter. Die Lernenden, die diesen Chat- Raum besuchen, kennen sich nicht persönlich und haben außerhalb des Chats keine Beziehung zueinander. Sie besuchen den Chat nicht, weil dies Teil einer Aufgabe ihrer Sprachschule wäre, sondern weil sie einfach Zeit und Lust haben, mit anderen Lernenden und mit Muttersprachlern zu chatten. Ihre Teilnahme in diesem Chat wird im Gegensatz zum Setting anderer Chat- Studien weder von einem bestimmten Lehrenden beobachtet noch bewertet. <?page no="96"?> 96 Der Verbindlichkeitsgrad ist daher in diesem Chat sehr niedrig. Dies führt dazu, dass sich die Lernenden sehr frei fühlen und die Chat-Kommunikation sich dadurch als recht spielerisch charakterisieren lässt. Wie Beißwenger (2000; 2001b) ausführt, erweist sich das Einander-Kennenlernen im Chat als ein Entdeckungsspiel des anderen. Wie in jedem üblichen freien Chat-Raum im Internet werden die Lernenden im von uns untersuchten Chat-Raum durch ihre nicknames identifiziert. Gerade die Anonymität dieses Chat- Raums ist für viele Lernende attraktiv, da sie wissen, dass der schriftliche Austausch auf dem Bildschirm mit einem einzigen Maus-Klick vollständig verschwinden kann. Solange die Tutorinnen und die anderen Teilnehmer es erlauben, kann das im traditionellen Unterricht Ungewohnte und Unerlaubte in diesem Chat ausprobiert werden (vgl. Marques-Schäfer/ Platten 2010: 144). In der vorliegenden Arbeit soll zwar wie in Marques-Schäfer/ Platten (2010) ebenfalls der JETZT Deutsch lernen-Chat untersucht werden. Die Analyse neuer Daten soll aber in Teil C dieser Studie vertiefend zeigen, wie der bereits festgestellte niedrigere Verbindlichkeitsgrad zwischen Tutorinnen und Besucher Einfluss auf Korrekturen und die Beantwortung sprach- und kulturbezogener Fragen hat. 3.2.4.4 Fremdsprachliches Lernen in Chat-Räumen Hauptziel des Einsatzes von Chats, wie er in Studien in der Fremdsprachendidaktik untersucht wird, ist es, den Lernenden eine sprachliche Verbesserung zu ermöglichen. Diese Verbesserung ist nicht immer einfach zu vermessen und zu dokumentieren. Einige Studien versuchen jedoch, mit ihren Ergebnissen den Beitrag von Chats zum fremdsprachlichen Lernprozess der Lernenden hervorzuheben. Es herrscht in den Studien Konsens darüber, dass die Arbeit mit Chats im Rahmen des Fremdsprachenlernens gut für die Übung von Schreib- und Lesefertigkeiten ist. Viele Autoren zeigen, wie Lernende durch Aushandlungsprozesse dazu gebracht werden, ihre Schreib- und Lesefertigkeiten zu üben, indem sie sich in der Fremdsprache schriftlich äußern und die Äußerungen ihrer Kommunikationspartner lesen müssen (vgl. exemplarisch Abrams 2003; Beauvois 1997; Lai/ Zhao 2006; Satar/ Özdener 2008). Payne/ Ross (2005: 25) sehen die Arbeit im Chat für Fremdsprachenlernende als „conversation simulator“, durch die alle Lernenden, vor allem auch schüchterne Lernende, zur Verwendung der Fremdsprache motiviert werden. Für Engler (2003: 8) ersetzt ein Chat-Raum zwar nicht den Präsenzunterricht, er kann jedoch als „Konversationsraum“ für den Fremdsprachenunterricht genutzt werden, da die Lernenden im Chat ihre kommunikativen Fähigkeiten in der Fremdsprache trainieren und erweitern können. Die Teilnahme an didaktischen Voice-Chats ermöglicht darüber hinaus, dass die <?page no="97"?> 97 Lernenden ihre Sprech- und Hörfertigkeiten üben (vgl. Biebighäuser/ Marques-Schäfer 2009). Rebelo (2006) leitete mit ihren Studierenden im Präsenzunterricht Diskussionen via Chat über ein literarisches Werk, das als Lektüre Teil des Curriculums des Sprachkurses war. In ihrer Arbeit berichtet die Autorin, welche besonderen Merkmale und didaktischen Herausforderungen der Online-Austausch im Vergleich zu den Interaktionen in ihrem regulären Präsenzunterricht aufwies. Durch Fragen brachte die Autorin, die in ihrer Studie Forscherin und Chat-Moderatorin war, die Lernenden dazu, ihre eigenen Äußerungen besser zu formulieren und zu korrigieren. Rebelo (ebd.) sah die Diskussion über die Lektüre im Chat als einen Vorwand, damit die Lernenden weitere Möglichkeiten bekamen, die Fremdsprache zu verwenden und diese beim Kommunizieren zu lernen. Als Ergebnis stellt sie fest, dass ihre Lernenden im Chat die Möglichkeit hatten, aktiver, autonomer und kollaborativer als im Unterricht zu arbeiten, indem sie ohne die häufige Steuerung durch die Lehrerin einander bei Verständnisschwierigkeiten halfen und Fehlerkorrekturen vornahmen. Beauvois (1997) schlussfolgert, dass die Interaktionen im Chat weniger Lehrerzentriert als Interaktionen im Unterricht verlaufen, da der Lehrende die Häufigkeit der Äußerungen der Lernenden nicht kontrollieren kann. Die Lernenden können daher in Chat-Diskussionen aktiver als im Unterricht werden. Der Austausch zwischen den Lernenden untereinander ist im Chat größer als der Austausch zwischen dem Lehrenden und den Lernenden, denn im Chat haben die Lernenden mehr Chancen, sich miteinander ohne die Steuerung des Lehrenden auszutauschen. In dieser weniger hierarchisierten bzw. weniger lehrerzentrierten Interaktion und der aktiveren Teilnahme der Lernenden an Chat-Diskussionen sehen viele Wissenschaftler die Möglichkeit zur Förderung der Autonomie der Lernenden. Im Chat müssen die Lernenden selbst die Aushandlungen steuern und bestimmte Strategien verwenden, um erfolgreich interagieren zu können (Motta-Roth 2001; Abrams 2003; Rebelo et al. 2007). Diese Handlung nennen Andrade et al. (2002) „Steuerung des linguistischen Repertoires“ (gest-o de repertórios lingüísticos in Original). Diese spielt im Fremdsprachenlernprozess eine entscheidende Rolle. Damit ist die Nutzung aller im Verlauf seines Lebens akkumulierten sprachlichen Erfahrungen eines Sprechers gemeint, die Hinweise darauf geben können, wie sich seine Sprachautonomie mit der Zeit entwickelt. Bezüglich der Quantität der Sprachproduktion der Lernenden stellt Kern (1995) fest, dass Lernende in Diskussionen im Chat mehr Sätze als in Diskussionen im Unterricht produzieren. Die von Kern (1995) analysierten Diskussionen im Unterricht verliefen nach der traditionellen Struktur des Unter- <?page no="98"?> 98 richts: der Lehrende fragte, ein Lernender antwortete und der Lehrende reagierte auf diese Antwort. Im Chat verwendeten die Lernenden hingegen andere Kommunikations- und Lernstrategien, die sie im Unterricht nicht verwendeten. Sie stellten häufiger Fragen nach Meinungen sowie nach Form und Bedeutung bestimmter Äußerungen und trafen viele Aussagen, mit denen sie ihre eigene Meinung zum behandelten Thema darstellten. Ihre Sätze beinhalteten einen vielfältigeren Wortschatz sowie komplexere grammatikalische Strukturen (z.B. Sätze mit Konjunktionen). Auch Warschauer (1996) verglich die Sprachproduktion der Lernenden in Diskussionen im Unterricht mit Diskussionen im Chat und stellte fest, dass die Äußerungen der Lernenden im Chat in Bezug auf Lexik und Syntax komplexer als die im Unterricht waren. Für Cardoso et al. (2006: 88) müssen die Lernenden im Chat besonders auf die Qualität ihrer Beiträge achten, um Missverständnisse zu vermeiden und um keine Zeit mit Umformulierungen und Fehlerkorrekturen zu verlieren. Auch für Engler (2003) stellt dies einen Vorteil der Chat-Kommunikation gegenüber der face-to-face-Kommunikation dar. Die Lernenden haben mehr Zeit, das Gesagte wahrzunehmen und ihre Äußerung zu präzisieren. Diesen Vorteil erklärt Engler wie folgt: Die Möglichkeit eines späteren Bezugnehmens auf zuvor (schriftlich) Realisiertes macht es im Gegensatz zur mündlichen Kommunikation möglich, dass „Gesagtes“ für einige Zeit der Wahrnehmung der Kommunizierenden zur Verfügung steht. Durch die Ausschaltung des nonverbalen Kanals ist jegliche kommunikative Äußerung auf das schriftliche Geäußerte reduziert, was dazu führt, dass sich die Fremdsprachenlerner möglichst präzise und eindeutig in der Zielsprache äußern sollen, um den Fortbestand des Chatgespräches zu sichern. (ebd.: 9) Abrams (2003) analysierte die Qualität der mündlichen Sprachproduktion von Deutschlernenden. Die Lernenden wurden in drei Gruppen eingeteilt, die jeweils im Unterricht synchron und asynchron via Computer Aufgaben lösen mussten. Das Ziel des Experiments war es zu untersuchen, ob die Gruppen, die zunächst am Computer gearbeitet hatten, nachher eine bessere Performanz in einer mündlichen Diskussion zeigten. Wie auch bei Beauvois (1995), Blake (2000) und Kern (1995) zeigen die Ergebnisse von Abrams, dass die Lernenden, die sich vorher im Chat auf die mündliche Diskussion vorbereitet hatten, eine bessere Sprachproduktion hatten als diejenigen, die vorher im Unterricht und asynchron am Computer gearbeitet hatten. Darin sieht die Autorin einen Vorteil der synchronen Online-Kommunikationsform Chat für die Entwicklung von Interlanguage: Learners can [in chat] access the necessary lexical items with greater facility and speed, which contributes more knowledge to the common exchange, as <?page no="99"?> 99 well as promotes the learners’ interlanguage development. Being able to articulate their ideas with greater ease might, furthermore, contribute to their motivation and attitude toward both the language task and the language itself. (Abrams 2003: 164) Trotz dieses quantitativen Ergebnisses fand Abrams nach der Durchführung statischer Tests keinen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen bezüglich der Qualität der Sprachproduktion der Lernenden, d.h. ihre Daten konnten nicht beweisen, dass die Lernenden, die im Chat gearbeitet hatten, eine bessere Sprachproduktion im Bereich der Lexik und Syntax hatten als die Vergleichsgruppe. Nicht nur die Quantität und der Qualität der Sprachproduktion der Lernenden sind häufige Themen in den Ergebnissen der Chat-Studien in der Fremdsprachendidaktik, sondern Inhalt und die Häufigkeit der im Chat stattgefundenen Aushandlungen (vgl. exemplarisch dazu Pellettieri 2000; Smith 2003; Toyoda/ Harrison 2002). In der Studie von Blake (2000) wurden mehr Aushandlungen von lexikalischen als von syntaktischen Elementen gefunden. Für den Autor ist es aus diesem Grund fraglich, inwiefern die Chat- Kommunikation auch die grammatische Entwicklung der Lernenden fördern kann. Nichtsdestotrotz unterstreicht Blake die Relevanz der Chat-Kommunikation für das interaktive Fremdsprachenlernen. Die Lernenden können im Chat nicht nur häufiger Bedeutung und Form aushandeln, sondern sich auch unabhängig von Zeit und Ort austauschen: Increased opportunities to engage in collaborative tasks online could provide a significant benefit in light of the arduous journey L2 learners must take toward the target language and the important role that input plays in this process. (ebd.: 132) Jepson (2005) verglich die Aushandlungen von Lernenden in Interaktionen im Text-Chat mit denen im Voice-Chat. In beiden Chats handelten die Lernenden Bedeutung und Form ihrer Äußerungen anhand verschiedener Strategien - insbesondere clarification requests, confirmation checks und self-repetitions - aus. In den analysierten Interaktionen nahmen die Lernenden selten Fremdkorrekturen vor. Selbstkorrekturen in den Voice-Chat-Interaktionen betrafen meist nur den Bereich der Aussprache. Jepson (2005: 91) hinterfragt die höhere Zahl von Aushandlungen, die er als Ergebnis seiner Studie enthielt. Obwohl in vielen Chat-Studien in der Fremdsprachendidaktik die höhere Häufigkeit der Aushandlungen durch Äußerungen der Lernenden als positiv für die Interaktion angesehen wird, fragt sich der Autor, ob dies wirklich als für den Lernprozess förderlich interpretiert werden kann. Nach Long (1983) und anderen Interaktionisten bieten Aushandlungsprozesse den Lernenden eine gute Möglichkeit, ihre Sprachkenntnisse zu testen und zu erwei- <?page no="100"?> 100 tern (vgl. Kap. 1.2). Jepson fragt dagegen kritisch, ob diese häufigeren Aushandlungen nicht ein Zeichen für Schwierigkeiten und Misslingen der Interaktionen sein könnte. Bejaht man diese Frage, müssen laut dem Autor die häufigeren Aushandlungen anders interpretieren werden. Darüber hinaus mussten die Lernenden in vielen Studien unterschiedliche Aufgabentypen im Chat lösen, die die Häufigkeit und den Inhalt der Aushandlungen im Chat beeinflussen. Blake (2000) erklärt, dass Jigsaw-Aufgaben aufgrund ihrer Struktur mehr Aushandlungsprozesse im Chat auslösen als Information gap- und decision-making-Aufgaben. Ferner stellte Tudini (2007) mit ihrer Studie fest, dass die Aushandlungen in Interaktionen zwischen Muttersprachlern und Lernenden breiter gefächert sind als die Aushandlungen in Interaktionen nur zwischen Lernenden. Ein weiterer Aspekt, der in der Literatur mit der Diskussion über häufigere Aushandlungsprozesse im Chat zusammenhängt, ist die Möglichkeit, die die Lernenden im Chat haben, ihre fremdsprachlichen Lücken zu erkennen. Wie in face-to-face-Interaktionen können Lernende während der Interaktion im Chat „the gap between the target language and their own interlanguage“ bemerken (Shekary/ Tahririan 2006: 559). Damit heben zahlreiche Wissenschaftler die Hypothese auf, Lernende hätten im Chat mehr Chancen, ihre Interlanguage mit der Zielsprache zu vergleichen, und infolgedessen bessere Bedingungen zur Erweiterung ihrer Sprachkompetenz (vgl. exemplarisch Pellettieri 2000; Tudini 2003). Nach dieser Hypothese ergeben sich während der Aushandlungen bestimmte sprachliche Probleme, durch die der Lernende oder sein Kommunikationspartner ihre fremdsprachlichen Lücken erkennen können. Angesichts dessen müssen die Lernenden den Verlauf der Interaktion unterbrechen, um das Problem zu lösen. Dabei haben sie die Möglichkeit, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern und sich ihrer fremdsprachlichen Lücken bewusst zu werden. Shekary/ Tahririan (2006: 559) sind der Meinung, dass Interaktionen in Chats optimale Bedingungen für die Bewusstmachung fremdsprachlichen Lücken bieten, da sie automatisch gespeichert werden, so dass die Lernenden auf dem Bildschirm zurückrollen oder das Chat-Protokoll später lesen können, um Unterschiede zwischen ihrer Interlanguage und der Zielsprache zu vergleichen. Schließlich wird ein weiterer Aspekt zum sprachlichen Lernen in Chat- Studien in der Fremdsprachendidaktik hervorgehoben. Individuell auftretende Probleme können im Chat durch private Nachrichten - die so genannten „private messages“ - gelöst werden, indem sie nur an den Lehrenden bzw. Chat-Tutor geschickt und somit nur für diese sichtbar werden. Dadurch vermeidet man auch die Unterbrechung und eine eventuelle Störung des Kommunikationsflusses im Haupt-Chat-Raum, in dem alle anderen Chat- Teilnehmer anwesend sind. Diese privaten Nachrichten können parallel zur <?page no="101"?> 101 laufenden Interaktion geschickt werden, so dass das aufgetretene Problem in einer privaten Atmosphäre ausgehandelt werden kann, wodurch der Gesichtsverlust vor den anderen Lernenden vermieden wird. Für Engler (2003: 9) stellt diese Möglichkeit einen klaren Vorteil der Chat-Kommunikation gegenüber dem Präsenzunterricht dar, wo der Rest der Gruppe von der Unterbrechung der Interaktion betroffen ist. Die individuelle Behandlung von privaten Nachrichten im Chat erfordert jedoch natürlich vom Lehrenden bzw. Chat-Tutor die Fähigkeit, parallele Kommunikationsstränge gleichzeitig zu steuern. Für Engler haben die privaten Nachrichten darüber hinaus eine Art „Flüsterfunktion“, da der Lehrende bzw. Chat-Tutor schüchterne oder inaktive Lernende ansprechen kann. Auch im hier untersuchten Chat-Raum gibt es für alle Besucher die Funktion, den Tutorinnen und anderen Lernenden Nachrichten in einem privaten Chat-Raum zu schicken. Die Tutorinnen ihrerseits sollen sich jedoch mit den Lernenden lediglich im Hauptraum unterhalten und diejenigen, die sie privat anschreiben, bitten, sich unter allen anderen Besuchern zu äußern. Die Besucher haben im JETZT Deutsch lernen-Chat die Möglichkeit, im Chat ihre bereits gelernten Deutschkenntnisse einzusetzen. Wie sie selber das Potenzial dieses Angebot zum Erlernen der deutschen Sprache und Kultur einschätzen, möchte ich mit der Analyse ihrer Aussagen in Interviews und Fragebögen diskutieren (vgl. Kap. 6.1.3). <?page no="103"?> 103 Teil B: Forschungsdesign In diesem Teil wird das Forschungsdesign der vorliegenden Studie vorgestellt. Zunächst werden in Kapitel 4 der Kontext und das Erkenntnisinteresse dieser Forschung dargelegt. Kapitel 5 umfasst Informationen zur Methode wie Forschungsteilnehmer, Datenerhebung und eine Beschreibung der Methode der Datenanalyse. 4 Kontext und Erkenntnisinteresse 4.1 Das Projekt JETZT Deutsch lernen Der in der vorliegenden Studie untersuchte Chat-Raum wird im Rahmen des Projektes JETZT Deutsch lernen 1 angeboten, das seit 1996 im Auftrag des Goethe-Instituts Deutschland und in Zusammenarbeit mit dem Online- Jugendmagazin jetzt.de 2 der Süddeutschen Zeitung an der Justus-Liebig-Universität Gießen entwickelt und wissenschaftlich betreut wird. Das Projekt JETZT Deutsch lernen ist eine multimediale und webbasierte Lernumgebung, die DaF-Lehrenden und -Lernenden aus aller Welt über das Internet kostenlos Unterrichtsmaterialien, Texte, Videos und Tipps zum DaF-Unterricht zur Verfügung stellt. 3 Diese Lernumgebung richtet sich hauptsächlich an fortgeschrittene Deutschlernende und an Deutschlehrende, die Interesse an authentischen und interaktiven Lernmaterialien haben. Die Textbasis bilden Artikel des Jugendmagazins jetzt.de der Süddeutschen Zeitung sowie selbst produzierte Videos, die von einer Gruppe von Fremdsprachendidaktikern didaktisch aufbereitet werden. Die vielfältigen Aufgabentypen, deren Spektrum geschlossene bis offene Aufgaben sowie Projekte und Webrecherchen umfasst, verfolgen v.a. folgende Ziele: Förderung des Lese- und des Hörsehverstehens, kooperatives und kreatives Schreiben, ungesteuerte Kommunikation und Förderung der Medienkompetenz. 1 Siehe Abbildung 1; Quelle: http: / / www.goethe.de/ jetzt (letztes Abrufdatum 22.03.13). 2 Vgl. http: / / www.jetzt.de (letztes Abrufdatum 22.03.13). 3 Für eine ausführlichere Darstellung aller Angebote des Projektes JETZT Deutsch lernen siehe Marques/ Zibelius (2008). <?page no="104"?> 104 Abb. 1: Die Hauptseite im Internet von JETZT Deutsch lernen Lehrende finden in dieser Umgebung nicht nur zahlreiche Informationen und Empfehlungen für den Einsatz der zur Verfügung stehenden Materialien im Unterricht, sondern auch einen Lehrwerkadapter, in dem Texte und Videos des Projekts JETZT Deutsch lernen elf verschiedenen DaF-Lehrwerken zugeordnet sind. Zu jedem Kapitel der jeweiligen Lehrwerke gibt es eine übersichtlich gestaltete Materialsammlung, die kurze Informationen zu Inhalt und Lernaktivitäten der Einheiten gibt. Lehrende können anhand des Lehrwerkadapters Materialien von JETZT Deutsch lernen finden, die zu dem jeweiligen <?page no="105"?> 105 Lehrwerkkapitel, das sie gerade im Unterricht bearbeiten, passt. Neben Texten und Aufgaben bietet JETZT Deutsch lernen außerdem Interaktionsmöglichkeiten, bei denen sich Lernende synchron und asynchron austauschen können, wie z.B. Diskussionsforen, eine interaktive Schreibwerkstatt im Wiki- Web und einen didaktisierten Chat-Raum. Da die Interaktionen in diesem Chat-Raum den Forschungsschwerpunkt der vorliegenden Arbeit darstellen, werden die wichtigsten Eigenschaften dieses Chat-Raums im nächsten Kapitel genauer dargestellt. 4.2 Der didaktisierte Chat-Raum von JETZT Deutsch lernen Der in der vorliegenden Studie untersuchte Chat-Raum 4 ist das am meisten genutzte Angebot des Projektes JETZT Deutsch lernen (vgl. Rösler et al. 2009). Pro Tag besuchten im Untersuchungszeitraum ca. 300 Personen 5 aus verschiedenen Ländern der Welt diesen Chat-Raum, der rund um die Uhr frei zugänglich ist. Eine Besonderheit, die diesen freien Chat von anderen freien Chats im Internet unterscheidet, ist sein didaktischer Rahmen. Bei vielen Aufgaben der Lernumgebung und unter dem Punkt „Gesprächsthemen“ auf der Internetseite des Chats finden DaF-Lernende Ideen zu Themen, über die sie sich täglich für mindestens eine Stunde mit den Chat-Tutorinnen austauschen können. 6 Der Austausch in diesem Chat-Raum ermöglicht bereichernde und authentische Kontakte zwischen den Besuchern und trägt dadurch zur Überwindung geographischer Distanzen bei. Darüber hinaus bietet der didaktisierte Chat-Raum von JETZT Deutsch lernen DaF-Lernenden aus der ganzen Welt die Möglichkeit, synchron in deutscher Sprache mit anderen Lernenden und mit Muttersprachlern zu interagieren, um fremdsprachliche Kenntnisse zu üben und kulturelle Fragen zu thematisieren. Die Zielgruppe des Chat-Raums des Projektes JETZT Deutsch lernen sind fortgeschrittene DaF-Lernende. Da es sich jedoch um einen für alle Interes- 4 Vgl. http: / / www.goethe.de/ z/ jetzt/ dejchat/ dejchat1.htm (letztes Abrufdatum 22.03.13). Der Chat-Raum wurde mit dem Chatting-System KeepTalking programmiert und wird von der Firma Chatleasing technisch betreut. 5 Das Chatting-System KeepTalking generiert automatisch Statistiken der täglichen Nutzung des Chat-Raums. 300 Besucher am Tag ist der ungefähre Durchschnitt der täglichen Nutzung im Jahr 2007, Jahr der Datenerhebung der vorliegenden Studie. 6 Die tutorierten Stunden können als „Events“ des gesamten Angebotes von JETZT Deutsch lernen betrachtet werden. Sie sind trotz ihres vorab festgelegten regelmäßigen Zeitplans keine „seriell terminierten Chat-Ereignisse“ im Sinne von Beißwenger (2007), weil sie keine kommunikative Vorgeschichte und Fortsetzung haben. Das Thema jedes neuen tutorierten Chat-Ereignisses wird im Laufe der Interaktion von den Chat-Teilnehmern frei gewählt (hierzu vgl. Kapitel 3.2.1). <?page no="106"?> 106 sierten frei zugänglichen Chat handelt, können sowohl Anfänger, die trotz ihrer geringen Kenntnisse der deutschen Sprache in authentische Interaktion mit anderen Menschen treten wollen, als auch Muttersprachler, die DaF-Lernende aus verschiedenen Ländern kennen lernen möchten, den Chat-Raum jederzeit besuchen. Die Chat-Tutorinnen sind DaF-Studierende oder ehemalige DaF-Studierende der Justus-Liebig-Universität Gießen. Während des Studiums besuchen sie Fachseminare, in denen sie ihre allgemeinen Kompetenzen im Bereich des Fremdsprachenlehrens und -lernens mit digitalen Medien erweitern können. Im Rahmen dieser Seminare werden manche Studenten eingeladen, als Chat- Tutor zu arbeiten. Dazu wird kein weiteres Seminar bzw. kein spezifischer Kurs, der zur Einführung in die Arbeit als Chat-Tutor dient, angeboten. Lehrende können auf der Internetseite des Chats ein ausführliches Chat- Lehrerhandbuch finden, das technische Informationen und Vorschläge für den Einsatz von Chats im DaF-Unterricht beinhaltet. Sie können auch Kontakt mit dem Projektteam des Projektes JETZT Deutsch lernen aufnehmen, um z.B. per E-Mail das Protokoll des Chats zu bekommen, an dem ihre Lernenden teilgenommen haben. Alle Interessierten müssen lediglich das Projektteam informieren, an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit ihre Lernenden im Chat anwesend waren. Das Chat-Protokoll dokumentiert die Teilnahme einer bestimmten Gruppe und ermöglicht so ein späteres Nachbereiten der Interaktion im Unterricht. Wer sich für den Einsatz von Chats im Deutschunterricht interessiert und eine bestimmte Aufgabe mit Lernenden durchführen möchte, kann sich beim Projektteam erkundigen, ob zum gewünschten Termin ein Tutor im Chat zur Verfügung stehen kann. In der Abbildung 2 ist der Hauptraum des didaktisierten Chat-Raums von JETZT Deutsch lernen zu sehen. Um den Chat-Raum zu besuchen, muss jeder, wie auch in anderen frei zugänglichen Chat-Räumen üblich, lediglich einen Benutzernamen - den so genannten nickname - und ein Passwort eingeben, die gespeichert und für spätere Besuche reserviert werden. Im Gegensatz zu face-to-face-Gesprächen, bei denen sich die Gesprächspartner gegenüber stehen, weiß man in Chats also nicht, mit wem man es in Wirklichkeit zu tun hat. Aus diesem Grund kann die Wahl eines bestimmten nicknames eine wichtige Rolle bei der Identifikation des Chat-Partners spielen. Die Chat-Besucher verwenden verschiedene Formen, um sich im Chat zu identifizieren und um Informationen über sich preiszugeben (vgl. Beißwenger 2001: 94; Dorta 2005: 61 ff.). Während einige z.B. ihre eigenen Vornamen mit einer Zahl oder mit den Namen ihrer Herkunftsländer kombinieren, kreieren andere fiktive nicknames wie z.B. „simpatisch_mann“, „ichbinniemand“ und „hakanistanbul“. Die Tutorinnen des Chats des Projektes JETZT Deutsch lernen, die die Interaktionen moderieren <?page no="107"?> 107 und den Chat-Besuchern für Fragen zur Verfügung stehen, werden auf der Internetseite des Chats mit ihren eigenen realen Namen und einem Foto identifiziert. Im Chat-Raum verwenden die Tutorinnen statt fiktiver nicknames ihre eigenen Vornamen, gefolgt von der Abkürzung „_ad“ für „Administrator“, damit die Besucher sie im Chat sofort als Tutorinnen erkennen können. Abb. 2: Der Chat-Raum des Projektes JETZT Deutsch lernen <?page no="108"?> 108 Aufgrund der Tatsache, dass der Chat von JETZT Deutsch lernen jederzeit von unterschiedlichen Lernenden aus aller Welt besucht werden kann, können im Vorfeld keine im Chat zu lösenden Aufgaben gegeben werden. Dies ermöglicht die Teilnahme aller Lernenden zu jedem beliebigen Zeitpunkt. Die Aufgabe in diesem Chat ist die freie Diskussion mit anderen Besuchern und mit den Tutorinnen. 7 So wie für die nicht tutorierten Chat-Stunden sind die Themen in den tutorierten Chat-Stunden nicht im Voraus festgelegt. Daher können sowohl die Tutorinnen als auch die Besucher Themen vorschlagen oder spontan in der Interaktion entwickeln. Wie in Abbildung 3 zu sehen ist, finden die Chat-Besucher auf der Internetseite des Chats eine Liste von Themenvorschlägen, über die sie sich austauschen können: 8 7 Manche Lerneinheiten, die auf der Lernumgebung individuell und asynchron bearbeitet werden können, empfehlen den Lernenden eine Diskussion über das behandelte Thema im Chat wie z.B. die Aufgabe Der Spezialist für „Heute wird es etwas lauter“- Zettel (http: / / www.goethe.de/ z/ jetzt/ dejart73/ dejprv73.htm, letztes Abrufdatum 22.03.13). 8 Vgl. http: / / www.goethe.de/ z/ jetzt/ dejchat/ dejfra.htm (letztes Abrufdatum 22.03.13). <?page no="109"?> 109 Abb. 3: Themenvorschläge für Diskussionen im Chat <?page no="110"?> 110 Darüber hinaus können die Chat-Besucher dreimal wöchentlich an thematischen Chats teilnehmen. In diesem Fall bereiten sich die Tutorinnen auf ein bestimmtes Thema vor, über das sie mit den Besuchern chatten, wie z.B. „Berufe in Deutschland“, „Freizeit und Sport“ oder „Universität und Studium in Deutschland“. Auf der Internetseite des Chats von JETZT Deutsch lernen finden die Chat-Besucher noch eine Chatikette, in der insgesamt zehn Hinweise gegeben werden, wie man sich in diesem Chat verhalten soll und was man von anderen im Chat erwarten kann. 9 Diese Hinweise, die sowohl Empfehlungen für die Gestaltung des Chats als auch Verhaltensregeln für den Umgang mit anderen Chattern umfassen, werden hier im Original wiedergegeben: - Um einen guten Einstieg in den Chat zu finden, versuche erst mal die Stimmung im Chat-Raum mitzukriegen, bevor du beginnst. - Zeige den anderen Chattern gegenüber Respekt. - Stört jemand dein Gespräch, indem er beleidigend oder ausfallend wird, ignoriere ihn am besten. Es wird ihm/ ihr dann schnell langweilig. - Nervt dich jemand zu sehr, schreibe eine E-Mail an uns. Wir können dann weitere Maßnahmen einleiten. - Wenn du jemandem etwas sagen willst, richte es direkt an ihn. Mitteilungen, die nicht an jemanden ‘adressiert’ sind, müssen nicht unbedingt beantwortet werden... - Wenn du Fragen hast, dann frage, aber höflich... die meisten werden dir ebenso antworten, und wenn deine Fragen zu persönlich sind, werden sie es dir freundlich mitteilen. - Denke daran, dass dieser Chat nicht privat ist. Alle Mitteilungen werden gespeichert und stichprobenartig gelesen und können als Daten für wissenschaftliche Forschung verwendet werden. - Denke daran, dass deine Mitchatter nicht unbedingt die Personen sind, die sie vorgeben zu sein. Sei also vorsichtig mit Herausgabe deiner E-Mail- Adresse oder anderer privater Informationen, z.B. wo du wohnst. - Erinnere dich, dass du nicht anonym bist: Jeder Chat-Server ist fähig, deine IP [Rechner-Adresse] mitzuschneiden und alle Besucher in einer Log-Datei zu speichern. Auch wir tun das für deine eigene Sicherheit. Deine IP-Adresse führt zu deinem Internet-Provider und dieser hat Informationen über dich. 9 Vgl. http: / / www.goethe.de/ z/ jetzt/ dejchat/ dejchati.htm (letztes Abrufdatum 22.03.13). <?page no="111"?> 111 - Da unser Chat-Raum Deutschlernende aus aller Welt ansprechen soll, solltet ihr auch auf Deutsch kommunizieren! Die meisten Punkte der oben zitierten Chatikette verweisen auf Aspekte wie Respekt, Höflichkeit und Umgang mit den Äußerungen anderer Chat-Besucher. In Marques-Schäfer/ Platten (2010) wurde gezeigt, dass der Umgang mit dem letzten Punkt der Chatikette „Kommunikationssprache im Chat ist Deutsch“ je nach Chat-Teilnehmern und den Sprachen, die sie beherrschen, variiert. Einfluss hierauf hat außerdem die Frage, ob es sich um tutorierte oder untutorierte Chat-Stunden handelt. Während in tutorierten Stunden selten andere Sprachen als Deutsch verwendet werden, ist dies in den untutorierten Stunden deutlich häufiger. Die Tutorinnen spielen eine Aufsichtsrolle, und ihre Anwesenheit verringert die Wahrscheinlichkeit, dass die Chat-Teilnehmer eine andere Sprache als Deutsch im Chat verwenden. Die Tutorinnen haben daher auch den Auftrag, die Chat-Besucher aufzufordern, sich auf Deutsch zu äußern, damit es eine gemeinsame Sprache im Chat gibt. 4.3 Erkenntnisinteresse und Forschungsfragen Bei der vorliegenden fremdsprachendidaktischen Untersuchung geht es um die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen interkulturellen Deutschlernens im Chat. Das Erkenntnisinteresse richtet sich nicht nur auf die fremdsprachliche, sondern auch auf die interkulturelle Dimension des hier untersuchten Chats. Basierend auf der in Teil A geführten Diskussion und darüber hinausgehend wurden drei Forschungsschwerpunkte für diese Studie festgelegt: Fehlerkorrektur, Sprachbezogene Fragen und Kulturbezogene Fragen. Interaktionisten zufolge bieten Interaktionen im Fremdsprachenunterricht Lernenden nicht nur günstige Bedingungen für den Erwerb einer Sprache, sondern sind ebenfalls für den Lernprozess nötig (Henrici 1995; Long 1983; Pica 1994. Varonis/ Gass 1985). Die Rezeption von Inputs, die Produktion von Outputs sowie Aushandlungsprozesse fremdsprachlicher Bedeutungen und Formen sind entscheidende Interaktionsmomente im Rahmen des Fremdsprachenlernens (Pica 1994; Swain 2000). Aus diesem Grund sind Dialoge, in denen sich Lernende gegenseitig oder mit der Lehrperson in der Fremdsprache austauschen, für den Lernprozess sehr wichtig (vgl. Kap. 1). Für die vorliegende Studie ist die Frage relevant, ob fremdsprachliche Interaktionen im Chat einen positiven Beitrag zum Lernprozess leisten können. Wie gehen Lernende mit fremdsprachlichen Inputs um - wie z.B. mit Fremdkorrekturen und sprachbezogenen Fragen -, und wie produzieren sie ihre Outputs im Chat? Wie handeln Lernende die Bedeutung und die Form ihrer Äußerungen im Chat aus? Dies sind einige Fragen, die man sich konsequen- <?page no="112"?> 112 terweise stellt, wenn man die Interaktionstheorie auf Online-Interaktionskontexte überträgt. Darüber hinaus lässt sich in einer Zeit, in der die Online- Kommunikation ein wichtiger Teil unseres Alltags ist (vgl. Kap. 2), ebenfalls fragen, welche Rolle Chats in der alltäglichen Kommunikation spielen. Muss man chatten lernen? Wenn ja, wie und wo lernt man chatten? Die Chat- Kommunikation stellt bestimmte Merkmale dar, die man am besten vor dem virtuellen Austausch kennenlernen sollte, um erfolgreich zu interagieren (Araújo e Sá/ Melo 2003). Wollen Lehrende Chats im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts einsetzen, sollten sie nicht nur diese Merkmale berücksichtigen, sondern auch auf die Gewohnheiten der Lernenden in der Online- Kommunikation bzw. ihrer culture of use (Thorne 2003) achten (vgl. Kap. 2). Mit der Analyse von Fehlerkorrekturen und sprachbezogenen Fragen möchte ich diesen und anderen Fragen nachgehen. Aus diesem Grund wurden zum ersten Forschungsschwerpunkt der vorliegenden Studie folgende Fragen formuliert: Forschungsfragen zum Schwerpunkt 1: Fehlerkorrektur 1.1 Korrigieren die Chat-Teilnehmer und die Chat-Tutorinnen sprachliche Fehler im Chat? Korrigieren sie sich selbst oder/ und einander? Wie oft tun sie das? 1.2 Welche sprachlichen Fehler wählen die Tutorinnen zur Korrektur aus und welche wählen die Chat-Teilnehmer aus? Wie oft tun sie das? 1.3 Wie korrigieren Tutorinnen und Chat-Teilnehmer sprachliche Fehler im Chat? 1.4 Wie und wie oft reagieren die Chat-Teilnehmer auf die Fehlerkorrekturen? Ein Vergleich der Antworten auf diese Fragen mit der in Kapitel 7 diskutierten Theorie zur Fehlerkorrektur und mit Ergebnissen aus anderen Chat-Studien soll genauer zeigen, welche Rolle Fehlerkorrekturen im JETZT Deutsch lernen-Chat spielen. Durch eine Analyse des Korrekturtyps, des Korrekturbereichs sowie der Korrekturform soll hier ein vertiefender Überblick über den Umgang mit Fehlern in einem Chat zum Erlernen einer Fremdsprache gewonnen werden. Zum zweiten Forschungsschwerpunkt der vorliegenden Studie wurden folgende Fragen formuliert: <?page no="113"?> 113 Forschungsfragen zum Schwerpunkt 2: Sprachbezogene Fragen 2.1 Nutzen die Chat-Teilnehmer den JETZT Deutsch lernen-Chat-Raum, um sprachbezogene Fragen zu stellen? 2.2 Welche sprachbezogenen Fragen stellen die Chat-Teilnehmer im Chat? Wie oft tun sie das? 2.3 Entstehen die Fragen spontan während der Interaktion im Chat, oder bringen die Chat-Teilnehmer Fragen aus anderen Kontexten wie z.B. einer Lektüre oder einem Sprachkurs mit? 2.4 Wie antworten die Tutorinnen und die anderen Chat-Teilnehmer auf diese Fragen? Werden alle Fragen beantwortet? Mit diesen Fragen soll in der vorliegenden Studie untersucht werden, ob sprachbezogene Fragen im JETZT Deutsch lernen-Chat einen kollaborativen Austausch im Sinne von Swain (2000) auslösen, welcher die Lernenden dazu bringt, die Bedeutung und die Form ihrer Äußerungen auszuhandeln (Kap. 1.3). Wie reagieren z.B. die Tutorinnen, wenn viele Fragen im Chat gleichzeitig gestellt werden und schwierig zu beantworten sind? Welche Rolle spielen die Kommunikationsbedingungen für die Beantwortung der im Chat gestellten Fragen (vgl. Kap. 3.1)? Durch eine Analyse des Inhalts der sprachbezogenen Fragen, ihrer Auslöser und der Form der Antworten auf die gestellten Fragen soll basierend auf der in Kapitel 8 diskutierten Theorie zu sprachbezogenen Fragen gezeigt werden, welche Möglichkeiten und Grenzen Lernende in der Interaktion im Chat finden, wenn sie spezifische Fragen zum Deutschen klären möchten. Schließlich lässt sich darüber hinaus fragen, ob (und wenn ja, wie gut) Interaktionen in Chats den Lernenden die Möglichkeit bieten, die Kultur der Kommunikationspartner kennenzulernen. Ist die Kommunikation im Chat nicht zu flüchtig und zu schnell zum interkulturellen Fremdsprachenlernen? Welche anderen Merkmale der Chat-Kommunikation spielen eine Rolle beim interkulturellen Fremdsprachenlernen? Die vorliegende Studie soll einen Beitrag zu diesem Forschungsgebiet leisten, indem hier der Austausch im JETZT Deutsch lernen-Chat zu kulturbezogenen Themen vertiefend untersucht wird. Dafür wurden zum dritten Forschungsschwerpunkt folgende Forschungsfragen formuliert: <?page no="114"?> 114 Forschungsfragen zum Schwerpunkt 3: Kulturbezogene Fragen 3.1 Nutzen die Chat-Teilnehmer den JETZT Deutsch lernen-Chat-Raum, um kulturbezogene Fragen zu stellen? 3.2 Was für kulturbezogene Fragen stellen die Chat-Teilnehmer im Chat? 3.3 Wie antworten die Tutorinnen und die anderen Chat-Teilnehmer auf diese Fragen? Mit diesen Fragen soll untersucht werden, ob die Besucher des JETZT Deutsch lernen-Chats die Möglichkeit nutzen, Fragen zur Kultur ihrer Kommunikationspartner zu stellen. Es wird analysiert, welche kulturbezogenen Fragen gestellt werden und ob sie die Besucher dazu bringen, sich vertiefend auszutauschen bzw. ob diese Fragen zu ausführlichen sowie reflektierenden Äußerungen im Chat führen. Basierend auf der in Kapitel 9 diskutierten Theorie zu interkulturellem Fremdsprachenlernen soll ferner mit der Analyse des Inhalts der Antworten auf kulturbezogene Fragen untersucht werden, wie die Chat- Besucher ihre Gefühle und Eindrücke zu kulturbezogenen Themen äußern, wie sie menschliches Verhalten beurteilen sowie wie sie ihre Bilder zu bestimmten Kulturen begründen. Diese Analyse soll vergleichend mit anderen Chat-Studien aus der Fremdsprachendidaktik erläutern, inwiefern der Austausch im JETZT Deutsch lernen-Chat sich mit dem Konzept des interkulturellen Lernens (ABCD-Thesen; Bechtel 2003; Bredella 1988; Hu 1999; Krumm 2007 in Kap. 9) vereinbaren lässt. <?page no="115"?> 115 5 Methode 5.1 Forschungsteilnehmer Die Personen, die an der vorliegenden Forschung teilgenommen haben, sind die Tutorinnen und Besucher des JETZT Deutsch lernen-Chats. Anhand von Fragebögen, die per E-Mail verschickt und auf der Chat-Seite im Internet veröffentlicht wurden, und Chat-Interviews wurde der Versuch unternommen, nähere Informationen über diese Personen zu erhalten. Diese Informationen werden in Kapitel 6.1 ausgewertet und diskutiert. 5.2 Datenerhebung Mit der zunehmenden Nutzung des Internets werden immer mehr Studien in der Fremdsprachendidaktik durchgeführt, für die Daten im Rahmen von Online-Handlungsprozessen erhoben werden. Mit dem Internet ist es einfacher geworden, an Daten zu kommen, sie zu speichern und Online-Experimente durchzuführen (vgl. Dörnyei 2007: 121). Die vorliegende Studie hat bewusst von den internetbasierten Kommunikationsmöglichkeiten Gebrauch gemacht, um Kontakt mit den Besuchern des JETZT Deutsch lernen-Chats und mit den Chat-Tutorinnen aufzunehmen und empirische Daten zu erheben. Um nähere Informationen zu den Forschungsteilnehmern zu erhalten, wurden Fragebögen formuliert und Interviews durchgeführt, die in den Kapiteln 5.2.1 und 5.2.2 erläutert werden. Um die Interaktion im JETZT Deutsch lernen-Chat-Raum zu charakterisieren und somit die Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit beantworten zu können, wurden Chat-Protokolle ausgewertet. Die Daten aus den Fragebögen und Interviews dienen daher einer Annäherung an die Personen und ihre individuellen Einschätzungen über den hier untersuchten Chat-Raum, während die Daten aus den Chat-Protokollen die wichtigsten Daten in der Auswertung sind. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurden eine Pilot- und eine Hauptstudie durchgeführt. Die Pilotstudie diente lediglich dem Gewinn eines ersten Überblicks über die Chat-Protokolle und einem ersten Versuch, Fragebögen und Leitfragen für die Interviews zu entwerfen. Diese Daten wurden nicht ausführlicher ausgewertet, da sie lediglich als eine erste Orientierung für die Durchführung der Hauptstudie betrachtet wurden. Daher werden in der <?page no="116"?> 116 vorliegenden Arbeit ausschließlich die Daten aus der Hauptstudie ausgewertet. 5.2.1 Fragebögen In der Pilot- und in der Hauptstudie wurden Fragebögen entwickelt, deren Ziel es war, nähere Informationen über die Chat-Tutorinnen und die Chat- Teilnehmer sowie über ihre Erfahrungen mit dem Chat von JETZT Deutsch lernen zu erhalten. Mit einem offiziellen Anschreiben kontaktierte ich die Tutorinnen per E- Mail und informierte sie über die vorliegende Studie (siehe A2.3.1 im Anhang). 10 Ich schickte ihnen die Fragebögen, die sie elektronisch ausfüllten und mir zurückschickten. Insgesamt wurden zwei verschiedene Fragebögen für die Tutorinnen entwickelt. Im ersten Fragebogen wurden allgemeine Personendaten (u.a. Muttersprache und Fremdsprachenkenntnisse) abgefragt, Erfahrungen im Umgang mit Computern in verschiedenen Kontexten und mit Chats (siehe A2.3.2 im Anhang). Im zweiten Fragebogen stellte ich den Tutoren offene Fragen zu spezifischen Punkten ihrer Arbeit im Chat, die im ersten Fraugebogen nicht ausführlich behandelt wurden (siehe A2.3.4 im Anhang). Für die Chat-Besucher wurde ein anderer Fragebogen erstellt (siehe A2.3.5 im Anhang), der von Oktober bis November 2007 auf der Internetseite des Chats von JETZT Deutsch lernen abrufbar war. 11 Insgesamt wurden 339 Online-Fragebögen ausgefüllt, von denen 329 ernsthaft beantwortet waren und ausgewertet werden konnten. In diesem Online-Fragebogen wurden allgemeine Personendaten abgefragt, Erfahrungen mit dem Chat von JETZT Deutsch lernen sowie Erwartungen und Anregungen bezüglich dieses Interaktionsangebots. 5.2.2 Interviews Für die Pilotstudie wurde darüber hinaus per E-Mail Kontakt zu einer Chat- Tutorin aufgenommen, die langjährige Erfahrung auf diesem Gebiet hatte. Da 10 Dieses Anschreiben wurde individuell an die Tutorinnen geschickt. Da ich die meisten Tutorinnen persönlich entweder aus informellen Begegnungen an der Universität Gießen oder aus von mir geleiteten Seminaren kannte, habe ich dieses Anschreiben bewusst an die einzelnen Personen verfasst. Die Tatsache, dass einige Tutorinnen, die ich persönlich nicht kannte, mir überhaupt keine Antwort auf mein Anschreiben geschickt haben, lässt mich schlussfolgern, dass der bereits bestehende persönliche Kontakt mit manchen Tutorinnen eine wichtige Rolle bei der Datenerhebung gespielt hat. 11 Dieser Fragebogen wurde mit der kostenlosen open-source-Software LimeSurvey erstellt. <?page no="117"?> 117 sich diese Tutorin zum Erhebungszeitraum der Pilotstudie im Ausland befand, wurde ein semi-strukturiertes Test-Interview (vgl. Dörnyei 2007: 136) in einem privaten Chat-Raum der Online-Lernplattform der Universität Gießen durchgeführt (siehe A2.2.2 im Anhang). Für die Hauptstudie wurde eine zweite Chat-Tutorin zu einem Chat-Interview eingeladen. Dieses Interview war ebenfalls semi-strukturiert (siehe A2.3.6 im Anhang) und wurde per Skype durchgeführt. In der Hauptstudie wurde darüber hinaus ein drittes Chat-Interview mit einem Chat-Besucher durchgeführt (siehe A2.3.7 im Anhang). Ziel dieser Interviews war es, ausgewählte Aspekte aus den Antworten der Fragebögen zu besprechen und auf diese Weise eine vertiefende Diskussion zu ermöglichen. Die Durchführung von Interviews via Chat erwies sich im Rahmen der Pilotstudie als eine geeignete Methode für eine dialogische Datenerhebung und wurde daher auch in der Hauptstudie angewendet. Bewusst wurde diese internetbasierte Kommunikationsform gewählt, da man in diesem Forschungskontext davon ausgehen konnte, dass sowohl die Tutorinnen als auch die Teilnehmer Erfahrung mit der Chat-Kommunikation haben und keine Schwierigkeit damit hätten. Die Durchführung von Chat-Interviews war für die vorliegende Studie in zweifacher Hinsicht von Vorteil: Forschungsteilnehmer und Forscherin konnten sich über den JETZT Deutsch lernen-Chat sowie über die Besonderheiten der Chat-Kommunikation für das DaF-Lernen austauschen. Die Phänomene, über die in den Interviews gesprochen wurde, kamen dabei - bedingt durch die gewählte Kommunikationsform - im Chat selbst vor. 5.2.3 Chat-Protokolle Die Speicherung von Chat-Protokollen ist die häufigste Erhebungsmethode der Chat-Forschung in der Linguistik und in der Fremdsprachendidaktik. 12 12 Bortz/ Döring (2003: 44 ff.) diskutieren das ethische Problem bei der Erhebung von Daten aus Kommunikationsprozessen in Online-Umgebungen. Dabei geht es hauptsächlich darum, dass Grenzen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit besonders in offen zugänglichen Kommunikationsplattformen oder Online-Umgebungen nicht klar definiert und oft unterschiedlich verstanden werden. Die Frage nach der Grenze zwischen Privatheit und Öffentlichkeit ist für die vorliegende Studie relevant, da der hier untersuchte Chat sowie das ganze Projekt JETZT Deutsch lernen frei zugängliche Angebote sind. Um eventuelle Probleme dieser Natur zu vermeiden, wird sowohl in der Chatikette als auch in den Lehr- und Lernhandbüchern der multimedialen Lernumgebung des Projektes JETZT Deutsch lernen darauf hingewiesen, dass die Nutzer dieser Angebote nicht ganz anonym bleiben und dass die Daten aus der Nutzung der Interaktionsangebote der Lernumgebung für wissenschaftliche Zwecke verwendet werden können. <?page no="118"?> 118 Viele Studien versuchen durch die Speicherung von Chat-Protokollen, Belege für bestimmte zu erforschende Phänomene zu finden. Die Speicherung erfolgt meist automatisch durch die jeweiligen Chat-Server. Diese Automatisierung ermöglicht die Speicherung zahlreicher Interaktionen eines bestimmten Chat- Raums ohne großen Aufwand, was einen Vorteil für die Chat-Forschung bedeutet. Neueste Entwicklungen in der linguistischen und didaktischen Chat- Forschung erkennen zwar das Potenzial der automatischen Speicherung der Chat-Protokolle als Erhebungsmethode für Untersuchungen von Chat- Interaktionen an, gleichzeitig wird jedoch dafür plädiert, weitere Methoden parallel zu dieser Speicherung anzuwenden, um die tatsächlich ablaufenden Interaktionen in Chats rekonstruieren zu können. 13 Um dies zu ermöglichen, wäre eine Methode nötig, durch die gleichzeitig der Kommunikationsfluss und das individuelle Verhalten der einzelnen Chat-Teilnehmer am Computer erfasst werden können. Beißwenger (2007) schlägt daher als weitere Erhebungsmethode die Nutzung von Videoaufzeichnungen und Screen Capturing-Verfahren vor, wodurch sich nicht nur das Kommunikationsgeschehen im Chat dokumentieren ließe, sondern auch die Art und Weise, wie die Chat- Teilnehmer individuell ihre Kommunikationsteilhabe erfahren und organisieren. Ein solcher Ansatz würde natürlich einen umfangreicheren Überblick über die einzelnen Interaktionen und über die individuellen Teilnahmen im Chat ermöglichen. Er ist jedoch in der vorliegenden Untersuchung nicht anwendbar, da Video- und Screen Capturing-Aufzeichnungen nur bei Projekten möglich sind, bei denen der Forscher die Chat-Teilnehmer kennt und sie zu seinem Experiment einlädt. Der technische und organisatorische Aufwand ist darüber hinaus sehr groß, weil alle Probanden an Computern chatten müssen, auf denen die entsprechenden Aufzeichnungsprogramme installiert sind. In der vorliegenden Studie geht es um die Untersuchung eines Chat-Raums, der permanent online angeboten wird, d.h. es wurden keine Probanden zum Chatten eingeladen. Ziel dieser Studie ist es, den natürlichen Rahmen des Online-Angebots zu bewahren, indem die Chat-Teilnehmer zwar über mögliche wissenschaftliche Untersuchungen informiert sind, ohne dass sie jedoch das Gefühl haben, ihre Teilnahme am untersuchten Chat-Raum wäre Teil eines bestimmten Experiments. Der hier untersuchte Chat-Raum wird darüber hinaus täglich von zahlreichen Chat-Teilnehmern aus verschiedenen Ländern der Welt besucht. Angesichts dessen ist eine individuelle Video- und Screen Capturing-Aufzeichnung nicht möglich. Die einzige Methode, die die gelaufenen Interaktionen in dem hier untersuchten Chat-Raum dokumentiert und den natürlichen Rahmen dieses Chat-Angebots nicht be- 13 Siehe dazu exemplarisch für die Linguistik die Studie von Beißwenger (2007) und für die Fremdsprachendidaktik die Studie von Smith/ Gorsuch (2004). <?page no="119"?> 119 einträchtigt, ist daher die automatische Speicherung der Chat-Protokolle des Chats von JETZT Deutsch lernen. Diese Protokolle werden seit Juni 2006 täglich auf einer geschützten elektronischen Datenbank des Chat-Servers des Goethe-Instituts als HTML- und als Text-Dateien automatisch gespeichert. Für die vorliegende Untersuchung hatte ich freien Zugang zu dieser Datenbank. 14 Die Länge der Chat-Protokolle, die vom Projektteam von JETZT Deutsch lernen stichprobenartig gelesen werden, variiert von Tag zu Tag. Durchschnittlich beinhaltet ein Chat-Protokoll eines einzigen Tages ca. 40-50 Wordseiten (Times New Roman, 12, einfacher Zeilenabstand). Die Kriterien für die Auswahl der Chat-Protokolle aus dieser Datenbank für die vorliegende Studie werden in Kapitel 5.3.1 vorgestellt. 5.3 Datenanalyse 5.3.1 Kriterien für die Auswahl der Chat-Protokolle und der Chat- Sequenzen Die Protokolle des Chats von JETZT Deutsch lernen werden täglich automatisch generiert und in einer Datenbank gespeichert. Für die Pilotstudie wurden ausschließlich die Protokolle der tutorierten Chat-Stunden des Monats Januar 2007 ausgewählt. 15 Um eine umfangreichere Analyse in der Hauptstudie zu ermöglichen, wurden Chat-Protokolle sowohl aus tutorierten als auch aus untutorierten Chat-Stunden ausgewählt, die während eines Jahres, zwischen Februar 2007 und Januar 2008, stattfanden. Die Hauptstudie basiert daher auf einer Datenbasis von insgesamt 365 Chat-Protokollen von sehr unterschiedlicher Länge. Diese 365 Chat-Protokolle entsprechen schätzungsweise 14.600 Wordseiten (Times New Roman, 12, einfacher Zeilenabstand). Um diese Menge an erhobenen Daten eingrenzen zu können, wurden bestimmte Kriterien entwickelt, die eine empirische Analyse der Daten ermöglichten. Im Folgenden werden diese Kriterien in zwei Teilen dargestellt: im 14 Die Chat-Besucher werden durch die Chatikette (siehe Kap. 4.2) informiert, dass diese Chat-Protokolle gespeichert und vom Projektteam gelesen werden. Darüber hinaus wird ihnen durch die Chatikette mitgeteilt, dass die Chat-Protokolle auch für wissenschaftliche Arbeiten wie die vorliegende verwendet werden können. Obwohl in den Chat-Protokollen die nicknames und die IP-Adressen der Chat-Besucher Identifikationsformen sind, werden sie in der vorliegenden Studie nicht weitergegeben, um die Anonymität der Chat-Besucher zu wahren. In den in dieser Studie gezeigten Auszügen wurden alle nicknames geändert und die IP-Adressen gelöscht. 15 Eine Chat-Stunde dauert ca. 60 Minuten und beinhaltet ca. 6 bis 10 Wordseiten (Times New Roman, 12pt). Im Januar 2007 fanden insgesamt 27 Chat-Stunden von neun unterschiedlichen Tutorinnen statt. <?page no="120"?> 120 ersten Teil die Kriterien für die Forschungsschwerpunkte Fehlerkorrektur (Kap. 7) und Sprachbezogene Fragen (Kap. 8) und im zweiten Teil die Kriterien für den Forschungsschwerpunkt Kulturbezogene Fragen (Kap. 9). Für die Analyse der Schwerpunkte Fehlerkorrektur und Sprachbezogene Fragen wurden vier Kriterien entwickelt, die zur Eingrenzung des gesamten erhobenen Korpus angewendet wurden: Das erste Kriterium betrifft die zeitliche Auswahl: Für die empirische Analyse wurden zunächst ausschließlich Chat-Protokolle aus den Monaten September, Oktober und November 2007 ausgewählt. Die Auswahl tutorierter Stunden bildet das zweite Kriterium: Anhand von automatisch generierten Statistiken des Chat-Servers wurde festgestellt, dass innerhalb der oben genannten drei Monate 131 tutorierte Chat-Stunden stattfanden. Tabelle 3 zeigt, wie viele Sitzungen von welcher Tutorin innerhalb dieser Zeit tutoriert wurden: Tutorin September Oktober November Total Tutorin A 3 5 2 10 Tutorin B 2 - 3 5 Tutorin C 6 5 4 15 Tutorin D 3 11 11 25 Tutorin E 5 9 6 20 Tutorin F 3 6 10 19 Tutorin G 10 7 6 23 Tutorin H 2 5 8 15 Summe der Stunden 33 48 50 131 Tab. 3: Verteilung der 131 Stunden auf die Tutorinnen von September bis November 2007 Als drittes Kriterium wurde die Anzahl an Turns (Beiträgen im Chat) gewählt: Um einen Vergleich der tutorierten Stunden von September bis Dezember 2007 zu ermöglichen, wurde ein drittes Kriterium für die Auswahl der Chat-Protokolle entwickelt, das sich auf die Zahl von Turns der Tutorinnen pro Chat-Sitzung bezieht. Anhand dieses Kriteriums wurde in den Chat-Statistiken des Chat-Servers überprüft, wie viele Turns jede Tutorin pro Sitzung hat, um insgesamt fünf Chat-Sitzungen jeder Tutorin auszuwählen. Da die Zahl von Turns der jeweiligen Tutorinnen je nach Sitzung stark variierte, wurden die drei Sitzungen mit den meisten Turns und die zwei Sitzungen mit den wenigsten Turns ausgewählt. Ziel damit war es, zu <?page no="121"?> 121 erforschen, ob es einen Bezug zwischen den höheren oder niedrigeren Turn- Zahlen und der Häufigkeit von Korrekturen und Aushandlungen in diesen Stunden gibt. Es wurde davon ausgegangen, dass in den tutorierten Stunden mit vielen Turns einer Tutorin mehr korrigiert und ausgehandelt wurde als in den Stunden, in denen sich eine Tutorin wenig geäußert hat. Die tutorierten Stunden mit einer mittleren Zahl von Turns wurden nicht ausgewählt. Tabelle 4 zeigt anhand der Turn-Zahlen der Tutorin A, die von September bis November 2007 insgesamt 10 Chat-Sitzungen tutoriert hat, wie dieses dritte Kriterium für die Auswahl der Chat-Protokolle angewendet wurde: Datum der Chat-Sitzungen der Tutorin A Anzahl der Turns A 03.09.07 132 A 10.09.07 175 A 17.09.07 188 A 01.10.07 185 A 06.10.07 194 A 08.10.07 185 A 15.10.07 176 A 22.10.07 38 A 19.11.07 189 A 26.11.07 130 Tab. 4: Anzahl der Turns der Tutorin A in den Chat-Sitzungen von September bis November 2007 In Tabelle 4 ist in der linken Spalte das Datum aller Chat-Sitzungen der Tutorin A von September bis November 2007 aufgelistet. In der rechten Spalte ist die Anzahl von Turns dieser Tutorin in den jeweiligen Sitzungen eingetragen. Die Tutorin A hatte beispielsweise in den Sitzungen vom 17.09., 06.10. und 19.10. die meisten Turns, in den Sitzungen vom 22.10. und 26.11. hingegen die wenigsten Turns. Diese fünf Sitzungen, die in der Tabelle markiert sind, wurden für die empirische Analyse ausgewählt (siehe Kap. 3). Ebenso wurde bei der Auswahl der anderen tutorierten Stunden der anderen sieben Chat-Tutorinnen verfahren. Insgesamt wurden also je fünf Chat-Protokolle von acht unterschiedlichen Chat-Tutorinnen ausgewählt. Das bedeutet, dass in der empirischen Analyse 40 tutorierte Chat-Sitzungen untersucht wurden. Um einen Vergleich zwischen den tutorierten und den untutorierten Stunden im Chat durchzuführen, wurde schließlich für die empirische Analyse ein viertes Kriterium für die Auswahl von Chat-Protokollen entwickelt. <?page no="122"?> 122 Es wurden die 40 untutorierten Stunden im Chat von JETZT Deutsch lernen ausgewählt, die gleich nach den bereits ausgewählten tutorierten Stunden stattfanden. Ziel war es, den Übergang von der tutorierten Stunde auf die folgende untutorierte Stunde zu untersuchen. Die vier hier präsentierten Kriterien bilden die Basis des Auswahlverfahrens der 40 tutorierten und der 40 untutorierten Chat-Stunden, die in den Kapiteln 7 und 8 ausführlich nach den Forschungsfragen der vorliegenden Studie ausgewertet werden. Für die Analyse des Schwerpunktes Kulturbezogene Fragen wurden zwei andere Kriterien entwickelt, die ebenfalls für die Auswahl bestimmter Chat- Protokolle aus dem gesamten erhobenen Korpus angewendet wurden: Das erste Kriterium ist ein inhaltliches Kriterium, das sich auf die Themen der Diskussionen im Chat von JETZT Deutsch lernen bezieht. Die Auswertung der Antworten der Chat-Tutorinnen auf die Frage 28 des ersten Fragebogens (vgl. A3.3.2 im Anhang) „Welche Themen lassen sich Deiner Meinung nach [im Chat von JETZT Deutsch lernen] leichter diskutieren? Welche Themen sind schwieriger zu diskutieren? Warum? “ hat ergeben, dass sich nach Meinung der Tutorinnen alltägliche Themen wie „Beschäftigung am Wochenende“, „Beruf und Studium“ oder „Musik und Feier“ einfacher diskutieren lassen als Themen wie „Politik“ oder „Religion und Glaube“. Für die Auswertung der Daten wurde dann bewusst nach Sequenzen in den Chat- Protokollen gesucht, in denen die Chat-Teilnehmer und die Tutorinnen die oben genannten Themen behandeln. Ziel war es, zu untersuchen, ob es Unterschiede zwischen einem Austausch über alltägliche Themen und einem Austausch über polemische Themen gibt und worin diese bestehen. Darüber hinaus sollte auch mit dem Vergleich der Themen herausgefunden werden, wie die Chat-Besucher und die Chat-Tutorinnen Fragen stellen, ihre Meinungen äußern und mit den Äußerungen der Anderen umgehen. Aufgrund der Tatsache, dass sich die Themen in einem freien Chat wie dem von JETZT Deutsch lernen schnell ändern, wurde ein zweites Kriterium entwickelt, um die Behandlung der von den Tutorinnen genannten Themen zu untersuchen. Es sollten nur Chat-Sequenzen analysiert werden, in denen ein Thema mindestens 15 Minuten lang diskutiert wurde. Insgesamt wurden fünf Sequenzen ausgewählt, die dieses Kriterium erfüllen. Diese Sequenzen sind ausschließlich aus tutorierten Stunden, da davon ausgegangen wurde, dass die Anwesenheit der Tutorinnen eine entscheidende Rolle für die Entwicklung interkultureller Diskussionen spielt. Diese beiden Kriterien bilden die Basis des Auswahlverfahrens der 5 Chat- Sequenzen, die in Kapitel 9 ausführlich nach den Forschungsfragen der vorliegenden Studie untersucht werden. <?page no="123"?> 123 5.3.2 Aufbereitung der ausgewählten Chat-Protokolle Die ausgewählten Chat-Protokolle wurden lokal gespeichert und anschließend nach folgendem Schema benannt: - Tutorierte Stunden: „Chat-Protokoll (X)/ (Tag/ Monat/ Jahr)“. X steht hier für die Tutorin, deren Namen durch Buchstaben ersetzt und so anonymisiert wurde. Auch die nicknames der Chat-Teilnehmer wurden geändert. - Nicht-tutorierte Stunden erhielten folgende Namen: „Chat-Protokoll (Nach X)/ (Tag/ Monat/ Jahr)“. „Nach X“ bedeutet, dass das Protokoll der untutorierten Chat-Stunde direkt an die vorherige, von X tutorierte Chat- Stunde anschließt. In allen Chat-Protokollen mussten die Buchstaben ä, ö, ü und ß korrigiert werden, da sie vom Server als Unicode gespeichert wurden. Die Protokolle wurden außerdem in rtf-Dateien umgewandelt, damit sie mit der Software MAXQDA (vgl. Kuckartz 2007) analysiert werden konnten. 5.3.3 Sequenzanalytischer Ansatz für die Datenanalyse Wie in anderen Chat-Studien in der Fremdsprachendidaktik (vgl. exemplarisch Araújo e Sá/ Melo 2009; Smith 2003; Tudini 2007) wurde für die Auswertung der Fülle der erhobenen Daten ein qualitativer und quantitativer sequenzanalytischer Ansatz angewendet. Hierbei wurden nach bestimmten Sequenzen bzw. Auszügen in den Chat-Protokollen gesucht, die der Beantwortung der Forschungsfragen dienen sollen. Smith (2003) und Tudini (2007) adaptieren das Modell von Varonis/ Gass (1985) zur Interaktion zwischen Lernenden im Präsenzunterricht, um die Phasen einer Sequenz im Chat zu beschreiben. Während Smith (2003) zeigt, wie unterschiedlich lang eine Sequenz im Chat sein kann und welche Strategien Lernende verwenden, um ein neues Thema einzuführen und abzuschließen, unterscheidet Tudini (2007) außerdem, ob die Sequenz im Chat von einem Muttersprachler oder von einem Lernenden initiiert wurde. Smith (2003) und Tudini (2007) identifizieren folgende vier Grundphasen einer Chat-Sequenz: trigger, indicator, response und reaction to the response. Diese Sequenz wird durch eine Problemstellung, eine Fragestellung, einen Fehler oder eine Verständnisschwierigkeit ausgelöst (trigger), die in der Sequenz ausgehandelt werden. Dieses Problem wird zum Thema der Interaktion gemacht, indem ein Chat-Teilnehmer darauf hinweist (indicator). Die anderen Chat-Teilnehmer antworten auf diesen Hinweis (response). Zum Abschluss der Sequenz reagiert der Chat-Teilnehmer auf die Antwort und bedankt sich gegebenenfalls (reaction to the response). Folgender Auszug in Tabelle 5 aus <?page no="124"?> 124 dem Chat-Korpus zeigt, wie die beschriebenen Phasen im Chat identifiziert werden können. Phasen einer Sequenz Verständnisfrage trigger/ Auslöser (09: 12: 53) Tutorin A: Hast du schon eine Zulassung von der Universität? (09: 13: 04) Joana: ja (09: 13: 11) Tutorin A: Dann ist es toll (09: 13: 41) Tutorin A: Warum hast du Muenster zum Studium gewählt? indicator/ Hinweis (09: 13: 42) Joana: was bedutung toll? response/ Antwort (09: 14: 07) Tutorin A: Toll bedeutet in diesem Satz "schoen" (09: 14: 17) Tutorin A: Das ist sehr gut (09: 14: 25) Tutorin A: Ich freue mich für dich reaction/ Reaktion (09: 14: 37) Joana: ja,danke Tab. 5: Beispiel einer Chat-Sequenz bzw. eines Chat-Auszuges In diesem Beispiel verwendet die Tutorin A das Wort „toll“, das für die Chat- Teilnehmerin Joana offenbar neu ist. Die Chat-Teilnehmerin fragt daher nach der Bedeutung dieses Wortes und die Tutorin A antwortet mit Synonymen. Joana reagiert auf die Antwort der Tutorin und bedankt sich. 5.3.4 Das Kategoriensystem Das Kategoriensystem für die Auswertung der Chat-Sequenzen wurde sowohl induktiv in einer offenen Herangehensweise an die Daten gewonnen als auch deduktiv, indem die gefundenen Kategorien mit dem theoretischen Hintergrund abgeglichen und bei Bedarf auf dieser Grundlage erweitert wurden (vgl. hierzu auch im Anhang die Überblicksdarstellung in A3.1 sowie die Definitionen der Kategorien in A3.2). Die entwickelten Kategorien sowie der zu erwartende Erkenntnisgewinn in Bezug auf die Forschungsfragen werden direkt vor der Auswertung der Daten präsentiert, weil sie dort besser begründet werden können. Die gesamte Analyse der Daten wurde mit der Software MAXQDA nach den entwickelten Kategorien durchgeführt. Mit dieser Software konnte nicht nur eine qualitative Analyse der Chat-Sequenzen durchgeführt, sondern auch eine quantitative Analyse vorgenommen werden. <?page no="125"?> 125 Teil C: Chatten als fremdsprachliches und interkulturelles Handeln In diesem Teil werden alle für die Hauptstudie erhobenen Daten ausgewertet. Zunächst soll in Kapitel 6 eine erste Annäherung an diese Daten gewonnen werden. Dazu werden in Kapitel 6.1 wichtige Informationen über die Forschungsteilnehmer, die anhand von Fragebögen und Interviews erhoben wurden, und in Kapitel 6.2 ein quantitativer Überblick über die Daten aus den Chat-Protokollen gegeben. Der erste Schwerpunkt der vorliegenden Studie Fehlerkorrektur wird in Kapitel 7 aufgegriffen. Nach einer theoretischen Diskussion der Aspekte Fehler und Fehlerkorrekturen werden Daten aus den tutorierten und untutorierten Chat-Stunden ausgewertet. Darauf folgt in Kapitel 8 die Auseinandersetzung mit dem zweiten Schwerpunkt dieser Studie, Sprachbezogene Fragen. Dazu werden wichtige Aspekte der Behandlung von Fragen im Fremdsprachenunterricht und in Chats diskutiert, bevor Daten aus den tutorierten und untutorierten Chat-Stunden analysiert werden. In Kapitel 9 wird der dritte Schwerpunkt der vorliegenden Forschung Kulturbezogene Fragen dargelegt. Dazu wird zunächst die theoretische Grundlage des interkulturellen Fremdsprachenlernens diskutiert und anschließend die Daten analysiert. 6 Erste Annäherung an die Daten 6.1 Daten aus den Fragebögen und aus den Interviews In diesem Kapitel werden Daten ausgewertet, die durch Fragebögen und Chat-Interviews erhoben wurden, zunächst solche, die über die Tutorinnen gewonnen wurden. Diese Auswertung soll nähere Informationen zu den Tutorinnen, zu ihrer Motivation für ihre Tätigkeit im hier untersuchten Chat sowie zu ihrer Einschätzung über ihre Rolle ermöglichen. Danach werden die Daten, die bei den Chat-Besuchern erhoben wurden, analysiert. Ziel ist es, einen allgemeinen Überblick über die Personen zu geben, die sich für den JETZT Deutsch lernen-Chat interessieren. In Kapitel 6.1.3 soll schließlich diskutiert werden, wie die Tutorinnen und die Chat-Besucher den JETZT Deutsch lernen-Chat und seine Möglichkeiten für das Deutschlernen ein- <?page no="126"?> 126 schätzen. Diese individuellen Einschätzungen sollen die Annahme bestätigen, dass es bei den Interaktionen im JETZT Deutsch lernen-Chat nicht nur um fremdsprachliches, sondern auch um interkulturelles Handeln geht. Einige Aspekte dieser Aussagen fungieren als Ausgangspunkt für die empirische Analyse der Chat-Protokolle in den Kapiteln 7.8, 8.3 und 9.9. 6.1.1 Zu den Tutorinnen Die acht Tutorinnen des JETZT Deutsch lernen-Chats, die an der Hauptstudie der vorliegenden Untersuchung teilnahmen, sind Studierende und ehemalige Studierende der Universität Gießen, die geistwissenschaftliche Fächer (wie deutsche, russische, französische Sprachwissenschaft, deutsche Literaturwissenschaft, Soziologie, Politikwissenschaft und Kunstgeschichte) in unterschiedlichen Kombinationen studieren. Die Tutorinnen sind alle weiblich, zwischen 24 und 31 Jahre alt und studieren bzw. studierten Deutsch als Fremdsprache im Nebenfach. Während vier Tutorinnen Deutsche sind und Deutsch als Muttersprache sprechen, kommen vier Tutorinnen aus anderen Ländern (zwei aus Russland, eine aus Griechenland und eine aus Bulgarien). Die Tutorinnen, die durchschnittlich seit drei Jahren im Chat von JETZT Deutsch lernen tätig sind, nennen in ihren Antworten im ersten Fragebogen (siehe A3.3.2 im Anhang) unterschiedliche Motivationen für ihre Arbeit als Tutorin. Besonders hervorgehoben wurde der interkulturelle Austausch mit Menschen aus verschiedenen Ländern, der durch den Chat ermöglicht wird. Folgende Antworte einer Tutorin auf die Frage 15 „Aus welchem Grund wolltest Du als Chat-Tutorin bei diesem Projekt mitmachen? “ illustriert dies: Auszug aus dem ersten Fragebogen an die Tutorinnen Tutorin A: Ich wollte etwas Neues über andere Kulturen und Länder erfahren. Darüber hinaus fand ich spannend zu sehen, wie Wissensvermittlung und Erfahrungsaustausch im Chat verläuft. 1 Auszug 11: Antwort der Tutorin A bezüglich ihrer Motivation für die Arbeit als Chat-Tutorin Für andere Tutorinnen ist nicht nur der interkulturelle Aspekt des Chats von JETZT Deutsch lernen motivierend, sondern auch die Tatsache, dass es sich um ein Projekt des Goethe-Instituts handelt (vgl. Auszüge 12 und 13). 1 In den folgenden Auszügen werden die jeweiligen Äußerungen der Tutorinnen sprachlich nicht korrigiert, sondern in der originalen Orthographie und Interpunktion belassen. <?page no="127"?> 127 Auszug aus dem ersten Fragebogen an die Tutorinnen Tutorin M: Weil man selten die Möglichkeit hat mit Menschen aus anderen Ländern zu reden, die tatsächlich noch immer dort wohnen. Man erfährt sehr viel über fremde Länder, über deren Menschen. Besonders interessant ist das jeweilige Verhalten, besonders der Chatter, die noch nie im Ausland waren. Sie sind z.T. sehr schüchtern, höflich, können sich nicht überwinden andere zu duzen und sind der Ansicht sich ständig entschuldigen zu müssen, besonders wenn sie sprachliche Fehler gemacht haben. Außerdem ist es für die Karriere sicherlich förderlich, wenn man für das Goethe-Institut gearbeitet hat. Auszug 12: Antwort der Tutorin M bezüglich ihrer Motivation für die Arbeit als Chat-Tutorin Die Tutorin G möchte mit ihrer Arbeit im untersuchten Chat ein positives Deutschlandbild verbreiten (vgl. Auszug 13). Sie versteht sich als Kulturvermittlerin und ist motiviert, kulturbezogene Fragen zu Deutschland zu beantworten. . Auszug aus dem ersten Fragebogen an die Tutorinnen Tutorin G: Interkulturelle Kontakte pflegen, ein positives Deutschlandbild verbreiten, Kulturvermittler sein, ein kleines Taschengeld, der Name Goethe-Institut. Auszug 13: Antwort der Tutorin G bezüglich ihrer Motivation für die Arbeit als Chat-Tutorin Die Angaben in den Fragebögen zeigen darüber hinaus, dass die Mehrheit der Tutorinnen, obwohl sie kein spezifisches Seminar zum Einsatz von Chats in fremdsprachlichen Lernkontexten während des Studiums besucht haben, bereits Chat-Erfahrungen hatten, bevor sie mit der Arbeit als Tutorin begannen, und die Chat-Kommunikation für sie daher nicht ganz unbekannt war. Ein weiterer interessanter Aspekt, der im ersten Fragebogen behandelt wurde, bezieht sich auf die Frage, wie die Tutorinnen ihre eigene Rolle einschätzen. Auf die Frage 20 „Wie siehst Du Deine Rolle als Chat-Tutorin? “ gaben die Tutorinnen sehr unterschiedliche Antworten. Dabei verwendeten sie folgende Begriffe, um ihre Rolle zu definieren: Tutorin, Moderatorin, Beraterin, Sprachvermittlerin, Kulturvermittlerin, Animatorin, Gesprächspart- <?page no="128"?> 128 nerin und jemand, der Aufsicht im Chat macht. Die Tutorin M nennt beispielsweise verschiedene Aspekte ihrer Rolle gleichzeitig: Auszug aus dem ersten Fragebogen an die Tutorinnen Tutorin M: Als Berater. Häufig werden mir direkt Fragen gestellt, zur Sprache, zur Kultur. Außerdem ist es meine Aufgabe die Chatter zu animieren. Besonders schüchterne Chatter müssen direkt angesprochen werden, um sich am Gespräch zu beteiligen. Darüber hinaus muss ich Meinungsverschiedenheiten schlichten und natürlich Fehler korrigieren. Auszug 14: Antwort der Tutorin M bezüglich ihrer Rolle Der Aspekt der Aufsicht, die die Tutorinnen im Chat machen sollen, sowie die Ähnlichkeit von tutorierten Chat-Stunden mit Schulstunden werden besonders in der Antwort der Tutorin C deutlich: Auszug aus dem ersten Fragebogen an die Tutorinnen Tutorin C: Ich bin Betreuerin, die bei Fragen zur Verfügung stellt. Ausserdem passe ich auf, dass keiner beleidigt wird oder die Kommunikation zwischen den Teilnehmern stört. Wichtig ist es auch, da zu sein, weil die meisten Menschen im Chat an eine Lernsituation aus der Schule erinnert werden, d.h. es muss jemanden (‘Lehrer’) geben, der die anderen (‘Schüler’) in die richtige Richtung führt. Auszug 15: Antwort der Tutorin M bezüglich ihrer Rolle Die Tutorinnen wurden darüber hinaus in den Fragebögen gefragt, wie sie mit Korrekturen im Chat umgehen und wie sie den interkulturellen Austausch im Chat einschätzen. Ihre Antworten zu diesen Themen werden jeweils in den Kapitel 7.6 und 9.8 diskutiert. 6.1.2 Zu den Chat-Teilnehmern Ziel des vorliegenden Kapitels ist es, anhand von in der Online-Umfrage erhobenen Daten ein ungefähres Bild der anonymen Besucher des untersuchten Chats zu geben. Es ist mir bewusst, dass in jeder neuen Stunde neue Besucher mit einem anderen Profil zum Chat von JETZT Deutsch lernen kommen und es unmöglich ist, endgültige Informationen über alle Besucher zu geben. Dennoch soll eine Annäherung versucht werden. <?page no="129"?> 129 329 Chat-Teilnehmer, die den Online-Fragebogen der Hauptstudie ausgefüllt haben, waren nach eigenen Angaben zwischen 16 und 30 Jahre alt und zu 38 % weiblich und zu 62 % männlich. Die Chat-Teilnehmer kamen aus 64 unterschiedlichen Ländern. 2 8 % von ihnen waren Schüler, 49 % Studierende und 43 % berufstätig. Sie gaben an, unterschiedlich lang Deutsch zu lernen, was durch die Tatsache bestätigt wird, dass das Sprachniveau der verschiedenen Teilnehmer sehr heterogen ist. Auf die Frage, wo sie Deutsch lernen, gaben 17 % der Chat-Teilnehmer an, dass sie Deutsch an einem Goethe-Institut lernen. 16 % der Teilnehmer lernen Deutsch in der Schule, 22 % in einem Sprachkurs und weitere 22 % an der Universität. 51 % der Chat-Teilnehmer gaben an, dass sie den Chat von JETZT Deutsch lernen über die Internetseite des Goethe-Instituts kennen gelernt haben. 16 % haben über Freunde vom Chat erfahren, 11 % über Werbung und 15 % auf andere Weise. Knapp 7 % der Chat-Teilnehmer lernten den Chat über ihre Lehrenden kennen. Die Motivation der Befragten für die Teilnahme am JETZT Deutsch lernen-Chat ist unterschiedlich. Während 54 % der Teilnehmer den Chat besuchen, weil sie Deutsch lernen möchten, wollen 27 % Leute kennen lernen. Weitere 16 % der Besucher gaben an, dass sie oft in diesem Chat sind und bereits viele Leute kennen. Lediglich 3 % der Chat- Teilnehmer gaben in der Online-Umfrage an, dass sie eine konkrete Frage hatten, die sie den Tutorinnen stellen wollten. 6.1.3 Der JETZT Deutsch lernen-Chat aus der Sicht der Tutorinnen und Besucher Die Tutorinnen und die Chat-Besucher, welche die Fragebögen ausgefüllt haben, haben ihre persönlichen Einschätzungen zum JETZT Deutsch lernen- Chat geäußert. Diese Äußerungen haben einen heuristischen Wert für die Datenanalyse und werden daher in diesem Kapitel diskutiert. 3 2 Die angegebenen Länder sind: Afghanistan, Ägypten, Algerien, Argentinien, Aserbaidschan, Bangladesch, Brasilien, Bulgarien, Chile, China, Deutschland, Ecuador, Elfenbeinküste, Finnland, Frankreich, Georgien, Griechenland, Großbritannien, Guinea, Indien, Indonesien, Irak, Iran, Italien, Jemen, Jordanien, Kamerun, Kenia, Kolumbien, Korea, Kosovo, Libanon, Litauen, Marokko, Mazedonien, Mexiko, Niederlande, Nigeria, Pakistan, Palästina, Philippinen, Polen, Rumänien, Russland, Schweiz, Senegal, Slowakei, Slowenien, Somalia, Spanien, Sri Lanka, Südafrika, Syrien, Taiwan, Thailand, Tschechische Republik, Tunesien, Türkei, Ukraine, Ungarn, USA, Usbekistan, Vietnam und Weißrussland. 3 Bei den Aussagen der Chat-Teilnehmer steht „TN“ für Teilnehmer. Die darauf folgende Zahl steht für die Nummer des jeweiligen Fragebogens und wurde automatisch durch die elektronische Speicherung des Fragebogenprogramms generiert. <?page no="130"?> 130 Als Antwort auf Frage 17 aus dem ersten Fragebogen „Was können die Chat-Teilnehmer Deiner Meinung nach im Chat lernen? “ hoben die Tutorinnen in ihren Antworten nicht nur soziale und sprachliche Aspekte des hier untersuchten Chat-Raums hervor, sondern auch die kommunikative und interkulturelle Dimension der Interaktionen. Tutorin C erwähnt den Aspekt des Kommunizierens ohne Angst und ohne Noten (vgl. Auszug 16): Auszug aus dem ersten Fragebogen an die Tutorinnen Tutorin C: Hier können sie (ohne Angst zu bekommen) ihr Deutsch ausprobieren. Hier gibt es keine Noten und keiner lacht einen aus. Auszug 16: Antwort der Tutorin C zum Lernpotenzial des JETZT Deutsch lernen-Chats Tutorin G ihrerseits unterstreicht die Möglichkeit, die erlernten Deutschkenntnisse im Chat aktiv zu verwenden und durch den Kontakt mit fortgeschrittenen Lernenden und Muttersprachlern Sprache in einem authentischen Kontext zu erleben. Auszug aus dem ersten Fragebogen an die Tutorinnen Tutorin G: Sie lernen u.a., wie das Deutsche gesprochen wird. Auszug 17: Antwort der Tutorin G zum Lernpotenzial des JETZT Deutsch lernen-Chats Für die Tutorin M liegt das Potenzial des JETZT Deutsch lernen-Chat nicht nur in der Tatsache begründet, dass die Lernenden unter relativ normalen Bedingungen kommunizieren können, sondern auch darin, dass sie umgangssprachliche Ausdrücke auf Deutsch und neue Kulturen kennen lernen können. Auszug aus dem ersten Fragebogen an die Tutorinnen Tutorin M: Kommunikation unter relativ normalen Bedingungen, Umgangsprache, Fremde Kulturen (nicht nur über Deutschland, sondern auch über die Kultur der internationalen Mitchatter). Auszug 18: Antwort der Tutorin M zum Lernpotenzial des JETZT Deutsch lernen-Chats <?page no="131"?> 131 Der Aspekt der Kommunikation wird in der Antwort der Tutorin D etwas ausführlicher angesprochen. Für diese Tutorin können Lernende im untersuchten Chat nicht nur die Kommunikation in einem synchronen internetbasierten Kontext lernen, sondern auch kommunikationsbedingte Aspekte wie Gesprächsstrategien und Konventionen der deutschen Sprache im Allgemeine üben. Auszug aus dem ersten Fragebogen an die Tutorinnen Tutorin D: Gesprächsstrategien und Konventionen, zum einen im Chat, aber auch in der deutschen Sprache allgemein. Sie können authentische Berichte aus dem Leben in Deutschland erhalten und so ein Bild über Land und Leute machen. Zudem trainieren sie ihre Ausdrucksfähigkeit, erhalten auf Wunsch Korrekturen und verbessern so Wortschatz und Rechtschreibung. Nicht zuletzt lernen sie den Umgang mit Menschen verschiedener Kulturen, Empathiefähigkeit und Problemlösestrategien. Auszug 19: Antwort der Tutorin D zum Lernpotenzial des JETZT Deutsch lernen-Chats Aus der Antwort der Tutorin D lässt sich darüber hinaus ersehen, dass ihrer Meinung nach das Potenzial des JETZT Deutsch lernen-Chats auch darin liegen kann, dass die Lernenden ihre fremdsprachlichen Kenntnisse üben und verbessern sowie ihre landeskundlichen Kenntnisse über Deutschland erweitern können. Der Austausch im untersuchten Chat ermöglicht dieser Tutorin zufolge den Lernenden, mit Menschen aus anderen Kulturen umzugehen und eventuelle kulturbezogene Probleme zu lösen. In der Antwort auf Frage 16 des ersten Fragebogens „Warum ist Deiner Meinung nach der Chat das beliebteste Angebot des Projektes JDL [JETZT Deutsch lernen]? “ betont Tutorin E beispielsweise den institutionellen Charakter und den didaktischen Rahmen des Chats von JETZT Deutsch lernen, die ihn von anderen frei zugänglichen Chat-Räumen im Internet unterscheiden (vgl. Auszug 20). <?page no="132"?> 132 Auszug aus dem ersten Fragebogen an die Tutorinnen Tutorin E: Der Chatangebot von JDL ist sehr seriös, bei vielen anderen Chatseiten werden keine bestimmten Themen angegeben. In JDL haben die Tutoren immer aufgepasst, dass keine Diskriminierungen und Beschimpfungen stattfanden. Auszug 20: Antwort der Tutorin E zur Beliebtheit des JETZT Deutsch lernen- Chats Für eine andere Tutorin sind der unmittelbare Kontakt zu anderen Menschen und der niedrigere Grad an Verbindlichkeit zwischen den Chat-Teilnehmern die Gründe, warum dieser Chat so beliebt ist: Auszug aus dem ersten Fragebogen an die Tutorinnen Tutorin G: Weil es unmittelbaren Kontakt zu anderen Lernern ermöglicht, der aber nicht verbindlich ist. Auszug 21: Antwort der Tutorin G zur Beliebtheit des JETZT Deutsch lernen- Chats Zwei andere Tutorinnen beschreiben die Möglichkeit für die Lernenden, in diesem Chat Deutsch zu lernen. Für Tutorin I ist der Chat von JETZT Deutsch lernen ein virtuelles Klassenzimmer, in dem die Teilnehmer eine fremde Sprache und Kultur lernen können. Tutorin I fügt den Aspekt des Lesens im Chat hinzu. Für sie können die Lernenden sowohl das kursorische als auch das selektive Leseverständnis im Chat üben. <?page no="133"?> 133 Auszug aus dem ersten Fragebogen an die Tutorinnen Tutorin I: Der Chat von JDL ist ein ‘didaktischer Chat’. Für viele Lerner ist der Chat eine Art ‘virtuelles Klassenzimmer’, da sie durch die Diskussionen ihren Wortschatz erweitern können und auf grammatische/ syntaktische Fehler aufmerksam gemacht werden können (einige Nutzer möchten gerne korrigiert werden und sie erwarten es von mir, damit sie sich verbessern können). Außerdem steht das interkulturelle Lernen im Vordergrund der Gespräche. Der Lerner kann weiterhin das ‘Lesen im Chat’ lernen. Dies ist eine besondere Art von Lesen, da der Lerner zwischen dem kursorischen und selektiven Lesen ständig wechseln muss, um entweder den Text sehr schnell oder detailliert lesen zu können. Diese Art von Lesen ist selten im Präsenzunterricht z.B. beim Lesen eines Artikels zu finden, da es im Chat einen gewissen Zeitdruck zum Lesen gibt. Auszug 22: Antwort der Tutorin I zur Beliebtheit des JETZT Deutsch lernen- Chats Tutorin D kommentiert ihrerseits, dass der JETZT Deutsch lernen-Chat für viele Besucher attraktiv ist, weil sie dort nicht nur in einer geschützten Umgebung ihre fremdsprachlichen Kenntnisse üben, sondern auch dort Kontakt mit Muttersprachlern aufnehmen können, die ihnen beim Deutschlernen behilflich sind. Die Tatsache, dass die Tutorinnen alle weiblich sind, ist Tutorin D nach ebenfalls ein Grund dafür, warum viele Besucher den hier behandelten Chat besuchen. Auszug aus dem ersten Fragebogen an die Tutorinnen Tutorin D: Weil sich die Lerner hier austauschen können und immer wider neue Gesprächspartner auftauchen. Viele haben nur so die Möglichkeit sich in der Fremdsprache auszudrücken, da der Chatraum geschützt ist, baut dies zusätzlich Hemmungen ab. Außerdem haben sie hier muttersprachliche Ansprechpersonen, die sie bei Fragen zur Sprache oder zu Deutschland gezielt kontaktieren können. Manche Chatter scheinen aber auch durchaus darauf zu hoffen, deutsche Mädchen kennen zu lernen. Auszug 23: Antwort der Tutorin D zur Beliebtheit des JETZT Deutsch lernen- Chats Auch die Besucher des JETZT Deutsch lernen-Chats haben durch eine Online- Umfrage die Gelegenheit erhalten, nähere Informationen über ihre Person zu <?page no="134"?> 134 geben und ihre Meinung zum Chat zu äußern (vgl. A2.3.5 im Anhang). In dieser Umfrage konnten die Chat-Teilnehmer im letzten Punkt Anregungen und Vorschläge zum JETZT Deutsch lernen-Chat aussprechen. Manche Chat- Teilnehmer unterstrichen das Lernpotenzial des hier untersuchten Angebotes (vgl. Auszüge 24-26). Auszug aus dem Online-Fragebogen an die Chat-Besucher Anonymer Chat-Besucher 1: das finde ich die bessere moglichkeit dazu, deutsch zu erlernen. Auszug 24: Antwort eines Chat-Besuchers zum Potenzial des JETZT Deutsch lernen-Chats Für den folgenden Chat-Besucher ist der Chat vom JETZT Deutsch lernen nützlich, weil er dort seine fremdsprachlichen Kenntnisse der deutschen Sprache üben kann: Auszug aus dem Online-Fragebogen an die Chat-Besucher Anonymer Chat-Besucher 2: Ich finde diesen Chat sehr nützlich. Ich habe die Gelegenheit, mein Deutsch zu üben. Auszug 25: Antwort eines Chat-Besuchers zum JETZT Deutsch lernen-Chat Dieser Chat-Teilnehmer verweist auf die Tatsache, dass es für ihn im untersuchten Chat möglich ist, seinen Wortschatz zu erweitern: Auszug aus dem Online-Fragebogen an die Chat-Besucher Anonymer Chat-Besucher 3: ich lerne hier neue wörter. Auszug 26: Antwort eines Chat-Besuchers zum Potenzial des JETZT Deutsch lernen-Chats Für diesen Chat-Teilnehmer ist der soziale Aspekt wichtig, da er im Chat Freundschaften schließen kann: <?page no="135"?> 135 Auszug aus dem Online-Fragebogen an die Chat-Besucher Anonymer Chat-Besucher 4: gut,mann kann mit vielen leute chatten und viel freunde machen. Auszug 27: Antwort eines Chat-Besuchers zum Potenzial des JETZT Deutsch lernen-Chats Für andere Chat-Besucher ist der Aspekt der Interkulturalität wichtig. Für diesen Chat-Teilnehmer ist der JETZT Deutsch lernen-Chat gut, weil er dort sich über Deutschland und sein Heimatland Frankreich unterhalten kann: Auszug aus dem Online-Fragebogen an die Chat-Besucher Anonymer Chat-Besucher 5: Es ist Genial ! Ich kann lerne Deutsch , spresche über Deutschland und Frankreich .... Ich kann Leute kennen lernen. Auszug 28: Antwort eines Chat-Besuchers zum Potenzial des JETZT Deutsch lernen-Chats Für diesen Besucher sind die Begegnungen mit Leuten aus anderen Ländern ein wichtiger Aspekt des untersuchten Chats: Auszug aus dem Online-Fragebogen an die Chat-Besucher Anonymer Chat-Besucher 6: ich habe diese chat sehr gut gefunden, und es macht kontakt zwieschen viele Menschen, die aus verschiedne Länder kamen. Auszug 29: Antwort eines Chat-Besuchers zum Potenzial des JETZT Deutsch lernen-Chats Neben diesen positiven Aspekten heben andere Chat-Teilnehmer einige Probleme des JETZT Deutsch lernen-Chats hervor, wie z.B. die Verwendung anderer Sprachen als dem Deutschen (vgl. Auszug 30). <?page no="136"?> 136 Auszug aus dem Online-Fragebogen an die Chat-Besucher Anonymer Chat-Besucher 7: Ich finde dieses chat super. Es stört mir nur, dass manschmal wird es hier Türkisch gesprochen oder in eine andare sprache statt Deutsch. Auszug 30: Antwort eines Chat-Besuchers zum Potenzial des JETZT Deutsch lernen-Chats Die Tatsache, dass einige Besucher respektlos miteinander umgehen und das hier untersuchte Angebot nicht ernst nehmen, ist ein Störfaktor für manche Chat-Teilnehmer (vgl. Auszug 31). Auszug aus dem Online-Fragebogen an die Chat-Besucher Anonymer Chat-Besucher 8: Ich finde diesen Chat sehr gut, allerdings finde ich, dass es dort zu oft zu rassistisch motivierten Auseinandersetzungen kommt und keiner kontrolliert es. Und selbst, wenn man darauf aufmerksam macht, wird nichts gemacht. Man sollte sowas ernst nehmen. Auszug 31: Antwort eines Chat-Besuchers zum Potenzial des JETZT Deutsch lernen-Chats Ein Thema zu finden, das gleichzeitig alle Chat-Teilnehmer interessiert und sie sprachlich fordert, scheint für manche ein Problem des Chat-Raums von JETZT Deutsch lernen zu sein (vgl. Auszüge 32 und 33). Auszug aus dem Online-Fragebogen an die Chat-Besucher Anonymer Chat-Besucher 10: es ist ganz schön und praktisch, ich beklage nu das, dass manche Menschen nur über Sex sprechen wollen. Auszug 32: Antwort eines Chat-Besuchers zum Potenzial des JETZT Deutsch lernen-Chats Auszug 33 zeigt darüber hinaus die Erwartungen eines Chat-Teilnehmers an den JETZT Deutsch lernen-Chat. Er besucht diesen Chat, weil er dort lernen möchte. Dabei kritisiert er das Angebot, da er durch dieses nicht genug gefordert werde. <?page no="137"?> 137 Auszug aus dem Online-Fragebogen an die Chat-Besucher Anonymer Chat-Besucher 11: esi wird hier nur uber belanglose Themen diskutiert. Ich mochte etwas lernen und hier kann ich leider nicht, weil mich niemand fordern. Auszug 33: Antwort eines Chat-Besuchers zum Potenzial des JETZT Deutsch lernen-Chats In Auszug 34 bemängelt ein anderer Chat-Besucher das im Chat verwendete Sprachniveau, das seiner Meinung nach sehr niedrig ist. Darüber hinaus kritisiert er die Art der Fragen, die im Chat oft gestellt werden. Auszug aus dem Online-Fragebogen an die Chat-Besucher Anonymer Chat-Besucher 12: Viele Leute sprechen sehr einfach und haben nur einfache Fragen - woher bist du? Wie geht es dir? Was machst du? Auszug 34: Antwort eines Chat-Besuchers zum Potenzial des JETZT Deutsch lernen-Chats Diese und weitere Faktoren, die von manchen Besuchern als Problem im JETZT Deutsch lernen-Chat betrachtet werden und die Qualität des im Chat durchgeführten Austauschs beeinflussen können, werde ich in den Analysekapiteln 7.8, 8.3 und 9.9 anhand von Daten aus den Chat-Protokollen detaillierter diskutieren. Schließlich zeigen die Aussagen im folgenden Auszug 35, wie manche Chat-Teilnehmer das Lernpotenzial des JETZT Deutsch lernen-Chats einschätzen. Dabei geht es um eine Unterhaltung, in der ein Deutschlehrender die anwesenden Chat-Teilnehmer fragt, was sie im Chat lernen können, weil er diesen Chat-Raum seinen Schülern in Schweden empfehlen möchte. Die Anwesenden weisen auf die Möglichkeit hin, im Chat bereits gelernte Sprachkenntnisse in synchroner Interaktion mit anderen Chat-Teilnehmern zu üben. Der Chat-Teilnehmer Walter sagt um 20: 58: 23, dass er die Regel der Grammatik in der Schule lernen könne, der Chat hingegen die Möglichkeit biete, etwas Neues zu lernen. Die Chat-Teilnehmerin Sandra unterstützt Walter und sagt um 20: 59: 07, dass der Chat zum Üben gedacht ist. Sandra betont um 21: 00: 05, dass im Chat das Gelernte einfach geübt wird, und äußert um 21: 00: 58, dass sie im Chat keine Angst habe, sich in einer Fremdsprache zu äußern, weil sie weiß, dass ihre Kommunikationspartner sie trotz aller Fehler verstehen können. <?page no="138"?> 138 Auszug aus dem Chat-Protokoll C/ 14.09.07 (20: 56: 34) Fabio: Walter: dafür kannst du aber schon gut sprechen. Hilft denn so ein chat? (…) (20: 58: 23) Walter: Fabio,meine Meinung nach,kann man in >chat was neues zu erlernen, aber richtige deutsche Gramatik kann man nur in der shulle sich erlernen (20: 59: 07) Sandra: genau, das hier ist nur zu üben (20: 59: 18) Walter: Tutorin, korektierst Du unsere fehler die wir in chat sicher machen (20: 59: 18) Sandra: hier kann man nicht kommen und sagen (20: 59: 20) Diego.: Das ist nicht richtig ,Walter (20: 59: 33) Fabio: Ja, das ist richtig. Ich bin Deutschlehrer hier in Schweden und wollte mal schauen, ob ich diese Chatseite meinen Schülern empfehlen kann... (…) (20: 59: 42) Sandra: so ich will deutsch lernen, wie gehts das, warum funktionert es? ? ? (20: 59: 43) Tutorin C: Walter, wenn du Lust hast, kann ich das machen (20: 59: 46) Walter: Diego, was is nicht richtig (…) (21: 00: 05) Sandra: hier wird das gelernte einfach geübt (21: 00: 18) Tutorin C: Fabio, wie findest du den Chat? (21: 00: 22) Ted: genau (…) (21: 00: 40) Ted: ich wollte nach Gleichem fragen (21: 00: 54) Walter: tutorin, besser nicht ha ha, ich kann Lust um deutsch zu lernen verloren (21: 00: 58) Sandra: und so auf jeden Fall ich habe keine Angst mit anderen dann zu reden (…) (21: 01: 30) Sandra: weil ich weiß, dass si mich verstehen und ungekehrt (…) (21: 01: 43) Diego.: Ich glaube, daß ist möglich die deutsche Grammatik auch selbst zu lernen, Walter. (…) Auszug 35: Einschätzung der Chat-Teilnehmer zum Potenzial des JETZT Deutsch lernen-Chats <?page no="139"?> 139 Die in diesem Kapitel diskutierten Aussagen stützen die Annahme, dass es bei den Interaktionen im JETZT Deutsch lernen-Chat nicht nur um fremdsprachliches Handeln geht, sondern auch um interkulturelles Handeln. Insofern sind sie ebenso wichtig wie die Feststellungen aus der fremdsprachendidaktischen Fachliteratur über die Möglichkeiten des Fremdsprachenlernens im Chat und daher heuristisch von Interesse. Einige Aspekte dieser Aussagen und einige Fragen, die sich aus der theoretischen Fachdiskussion ergeben, bildeten also den Ausgangspunkt für die empirische Analyse der Chat-Protokolle in der Hauptstudie und somit für die Formulierung der Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit. 6.2 Quantitative Daten aus den Chat-Protokollen Ziel dieses Kapitels ist es, einen quantitativen Überblick über das sprachliche Handeln im JETZT Deutsch lernen-Chat zu geben. Dafür werden unterschiedliche quantitative Daten verglichen, um Aussagen darüber zu treffen, wie das Verhältnis des sprachlichen Handelns in den analysierten Chat-Stunden zu dem gesamten Interaktionsverlauf im untersuchten Chat ist. Bevor eine Diskussion der Daten erfolgt, soll zunächst anhand der Auszüge 36 und 37 beleuchtet werden, welche Aushandlungsprozesse gemeint sind und aus wie vielen Turns diese Prozesse bestehen. Da zwei der Forschungsschwerpunkte der vorliegenden Studie Fehlerkorrektur und sprachbezogene Fragen sind, werden das Vornehmen einer Korrektur und die Beantwortung einer sprachbezogenen Frage als Aushandlungsprozesse betrachtet. Das heißt, wenn jemand einen Fehler korrigiert, möchte er die Form oder die Bedeutung seiner Äußerung oder der Äußerung seines Kommunikationspartners berichtigen bzw. verständlicher machen. Derjenige, der die Korrektur vornimmt, muss im Dialog mit seinem Kommunikationspartner diesen Korrekturprozess anfangen und abschließen. Dieselben Schritte werden in einem Aushandlungsprozess über eine sprachbezogene Frage gemacht. Derjenige, der eine sprachbezogene Frage stellt, möchte die Form oder die Bedeutung eines Wortes oder Ausdrucks verstehen. Er initiiert mit seiner Frage den Aushandlungsprozess und versucht, im Dialog mit seinem Kommunikationspartner sein Problem zu lösen. Diese Aushandlungsprozesse über Fehlerkorrektur und sprachbezogene Fragen können unterschiedlich lang dauern. Mit einer kurzen Äußerung oder mit einem längeren Austausch von Äußerungen kann beispielsweise einen Fehler korrigiert oder eine Frage beantwortet werden. In der vorliegenden Studie werden die Äußerungen, die im Rahmen einer Fehlerkorrektur oder einer Beantwortung einer sprachbezogenen Frage analysiert werden, Turns <?page no="140"?> 140 genannt. Auszug 37 ist ein Beispiel für einen Aushandlungsprozess über eine Fehlerkorrektur, die zwar von der Tutorin G initiiert wird, jedoch vom Chat- Teilnehmer Biba selbst durchgeführt wird. Dieser Aushandlungsprozess besteht aus vier Turns und dauert ca. 3 Minuten. Auszug aus dem Chat-Protokoll G/ 24.10.07 Turn 1 (17: 24: 32) Biba: sind die Namen Elke und silke sehr volkslieb mit Eltern in Deutschland? (…) 4 Turn 2 (17: 25: 35) Tutorin G: Blitz, ich verstehe deine Frage leider nicht? (…) Turn 3 (17: 26: 26) Biba: Gibt es viele Frauen mit Name Elke und Silke in Deutschland? (…) Turn 4 (17: 27: 42) Tutorin G: Blitz, nein, eigentlich nicht so. Silke gibt es mehr als Elke. Auszug 36: Beispiel für einen Aushandlungsprozess über Korrektur mit 4 Turns Auszug 37 ist ein Beispiel für einen Aushandlungsprozess über eine sprachbezogene Frage, die vom Chat-Teilnehmer Daniel gestellt und von der Tutorin G beantwortet wird. Dieser Aushandlungsprozess besteht aus 6 Turns und dauert ca. anderthalb Minuten. 4 Automatische Logs mit den Informationen, wer den Chat-Raum betritt oder verlässt, sowie Äußerungen zu Themen, die nicht mit dem behandelten Aushandlungsprozess zu tun haben, werden hier, um eine bessere Lesbarkeit zu erreichen, nicht wiedergegeben, sondern durch Klammern und Auslassungspunkte gekennzeichnet. <?page no="141"?> 141 Auszug aus dem Chat-Protokoll G/ 24.10.07 Turn 1 (18: 55: 13) Kate: aber wo "exactly" ? ? Turn 2 (18: 55: 35) Daniel: Was bedeutet exactly? (…) Turn 3 (18: 56: 06) Kate: ? ? was ist bedeutet (in englisch ) bitte? ? (…) Turn 4 (18: 56: 15) Tutorin G: Exactly bedeutet genau. Turn 5 (18: 56: 33) Daniel: danke (…) Turn 6 (18: 56: 44) Kate: ah ja danke tutorin Auszug 37: Beispiel für einen Aushandlungsprozess über eine sprachbezogene Frage mit 6 Turns Im Korpus der vorliegenden Studie wurden in den 80 analysierten Stunden insgesamt 210 Aushandlungsprozesse identifiziert. Davon erfolgten 62 % in den tutorierten Stunden und 38 % in den untutorierten Stunden (vgl. Tab. 6). Dieses Ergebnis zeigt, dass die Anwesenheit der Tutorinnen ein intensiveres fremdsprachliches Handeln im untersuchten Chat fördert. Analysierte Stunden Aushandlungsprozesse Häufigkeit % Tutorierte Chat-Stunden 40 137 62 Untutorierte Chat-Stunden 40 73 38 Gesamt 80 210 100 Tab. 6: Überblick über die Aushandlungsprozesse im Korpus Wirft man einen Blick auf Tabelle 6, in der die Häufigkeit und die Prozentzahl der einzelnen identifizierten Aushandlungsprozesse angezeigt werden, stellt man fest, dass die häufigsten Aushandlungsprozesse sowohl in den tutorierten als auch in den untutorierten Chat-Stunden Fehlerkorrekturen zum Thema haben. Von den gesamten identifizierten Aushandlungsprozessen im Korpus sind über 70 % Prozesse über Fehlerkorrektur (44,2 % in tutorierten und 30 % in den untutorierten Stunden) und lediglich 25,8 % Prozesse zu sprachbezogenen Fragen (21 % in tutorierten und 4,8 % in den untutorierten Stunden). Dieses quantitative Ergebnis zeigt zunächst, dass die Chat- Tutorinnen und die Chat-Teilnehmer in beiden Kontexten großen Wert auf <?page no="142"?> 142 Korrektheit legen. Was für Korrekturen dies sind und mit welcher Funktion und Reaktion sie erfolgen, wird in Kapitel 7 ausführlicher diskutiert. Vergleicht man in Tabelle 7 den Durchschnitt jedes einzelnen Aushandlungsprozesses im Verhältnis zu den analysierten Chat-Stunden, stellt man fest, dass es in jeder tutorierten Stunde mindestens einen Aushandlungsprozess über Fehlerkorrektur und einen über sprachbezogene Frage gibt, was in den untutorierten Stunden nicht der Fall ist. Aushandlungsprozess Häufigkeit % Durchschnitt pro Stunde 40 tutorierte Chat-Stunden Fehlerkorrektur 93 44,2 2,3 Sprachbezogene Frage 44 21 1,1 40 untutorierte Chat-Stunden Fehlerkorrektur 63 30 1,6 Sprachbezogene Frage 10 4,8 0,3 Gesamt 210 100 - Tab. 7: Detaillierter Überblick über die Aushandlungsprozesse im Korpus Tabelle 8 zeigt ein weiteres quantitatives Ergebnis der vorliegenden Studie: Eine Frage zu den analysierten Stunden, die einen interessanten Hinweis über die generelle Nachfrage des untersuchten Chat-Raums geben kann und sich anhand der Zahlen der automatischen Logs 5 beantworten lässt, ist die Frage nach der Gesamtzahl der Chat-Besucher. Aus Tabelle 8 geht hervor, dass sich die Zahl der Logs in den tutorierten Stunden von derjenigen in den untutorierten Stunden nicht groß unterscheidet. In beiden Kontexten ist die Fluktuation der Besucher, die den Chat-Raum betreten und verlassen, sehr hoch. Durchschnittlich sind 58 Logs pro tutorierter Stunde und 61 Logs pro untutorierter Stunde festzustellen. 5 Logs sind die automatisch generierten Meldungen, die im Hauptraum des untersuchten Chat angezeigt werden. Diese Meldungen beinhalten die Information, wer den Chat-Raum betritt und verlässt. <?page no="143"?> 143 Analysierte Stunden Logs Turns Durchschnitt der Logs pro Stunde Durchschnitt der Turns pro Stunde 40 tutorierte Chat- Stunden 40 2.324 11.942 58 298 40 untutorierte Chat- Stunden 40 2.447 7.763 61 194 Gesamt 80 4.771 19.705 - - Tab. 8: Überblick über das Verhältnis von Logs und Turns im Chat Aus der Tabelle 8 lässt sich darüber hinaus ersehen, dass in den tutorierten Stunden 60 % aller Äußerungen des untersuchten Korpus (11.942 Turns) und 40 % in den untutorierten Stunde (7.763) sind. Durchschnittlich sind das 298 Turns pro tutorierter Stunde und 194 Turns pro untutorierter Stunde. Das bedeutet, dass in den tutorierten Stunden ein intensiverer Äußerungsaustausch als in den untutorierten Stunden stattfindet. Aus diesem Ergebnis lässt sich jedoch eine weitere Fragen ableiten: Wie viele dieser Äußerungen sind Teil der hier identifizierten Aushandlungsprozesse? Aus Tabelle 9 geht hervor, dass von den insgesamt 19.705 Turns im untersuchten Korpus 796 solche Turns sind, die im Rahmen der Aushandlungsprozesse über Fehlerkorrekturen und sprachbezogene Fragen geäußert wurden, d.h. in Prozenten: Es wurden lediglich 4 % der Turns im Rahmen der stattgefundenen Aushandlungsprozesse geäußert. Analysierte Stunden Turns Turns der Tutorinnen Turns der Chat- TN Turns mit Aushandlungsprozessen Tutorierte Chat-Stunden 40 11.942 3.613 8.329 577 Untutorierte Chat-Stunden 40 7.763 - 7.763 219 Gesamt 80 19.705 3.613 16.092 796 Tab. 9: Überblick über die Zahl der Turns mit Aushandlungsprozessen In den tutorierten Stunden wurden 2,9 % der Turns (577 Turns) und in den untutorierten Stunden 1,1 % der Turns (219) innerhalb eines Aushand- <?page no="144"?> 144 lungsprozesses über Fehlerkorrekturen und sprachbezogene Fragen geäußert. Dieser Unterschied zeigt, dass die Anwesenheit eines Muttersprachlers bzw. einer Tutorin im Chat zu einer erhöhten Häufigkeit von Äußerungen beiträgt, die mit einer Fremdkorrektur und/ oder einer sprachbezogenen Frage zusammenhängen. Angesichts dieses Ergebnisses lässt sich schlussfolgern, dass Lernende in Interaktionen mit Chat-Tutoren größere Chancen als in Interaktionen ohne Tutoren haben, Korrekturen zu erhalten und Antworten auf ihre Fragen zur deutschen Sprache zu bekommen. Dieses Ergebnis weist in dieselbe Richtung wie die Ergebnisse von Tudini (2003): Ihre Untersuchung hat ergeben, dass fremdsprachliche Aushandlungen in Interaktionen zwischen Muttersprachlern und Lernenden häufiger und breiter gefächert (more varied) sind als in Interaktionen nur zwischen Lernenden. Tudinis Ergebnisse bestätigen - wie auch die Ergebnisse der vorliegenden Studie - die Annahme anderer Chat-Studien in der Fremdsprachendidaktik, dass Aushandlungsprozesse ein Bestandteil der Computer-vermittelten Kommunikation sind, auch wenn sich Lernende ohne Tutoren austauschen (vgl. Pellettieri 2000; Smith 2003). In der Studie von Tudini wurden 9 % der Turns innerhalb von Aushandlungsprozessen geäußert. Der Autorin zufolge ist diese Prozentzahl im Vergleich zu einer Studie von Iwasaki/ Oliver (2003), in der 25 % der Turns im Rahmen von Aushandlungen geäußert wurden, gering. Folgende Gründe können der Autorin nach diesen Unterschied erklären: Das unterschiedliche Bildungsniveau der Muttersprachler; ihre Bereitschaft, den Lernenden sprachlich zu helfen, obwohl sie keine Lehrende sind; das Sprachniveau, die Persönlichkeit und das Geschlecht der Lernenden. Diese Gründe können nur teilweise auch die geringere Prozentzahl der Turns (4 %) an Aushandlungsprozessen in der vorliegenden Studie erklären. Im Vergleich zu der Studie von Tudini haben die Tutorinnen vom JETZT Deutsch lernen-Chat (fast) das gleiche Bildungsniveaus und sollten aufgrund ihrer Funktion immer bereit sein, den Lernenden im Chat sprachlich zu helfen (vgl. Kap. 2.4). Einflüsse auf die Ergebnisse der vorliegenden Studie könnten jedoch wie in der Studie von Tudini das unterschiedliche Sprachniveau, die Persönlichkeit und das Geschlecht der Lernenden sein. Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen der vorliegenden Studie und allen bisherigen Chat-Studien in der Fremdsprachendidaktik kann darüber hinaus diese geringere Zahl von Turns in Aushandlungsprozesse erklären: der Rahmen des hier untersuchten Chat-Angebots. In allen empirischen Chat- Studien in der Fremdsprachendidaktik ging es m.W. entweder um Chat- Interaktionen, für die die Lernenden als Probanden eingeladen waren, oder um Chat-Interaktionen, die als Aufgaben im Rahmen eines Sprachkurses bzw. eines Sprachprojektes gegeben wurden (vgl. Kap. 3.2). Es besteht daher in diesen Studien eine vorher hergestellte Verbindlichkeit zwischen den Chat- <?page no="145"?> 145 Teilnehmern und damit eine gewisse didaktische Verpflichtung bei der Durchführung des sprachlichen Austauschs im Chat. In der vorliegenden Studie geht es jedoch um die Untersuchung eines Chat-Angebots, für das keine Lernenden eingeladen werden und das trotzdem von zahlreichen Lernenden aus verschiedenen Ländern der Welt wahrgenommen wird. Die Chat- Besucher haben keinen direkten Kontakt miteinander, bevor sie an der Interaktion teilnehmen, weshalb es keine Verbindlichkeiten zwischen ihnen gibt. Der Rahmen der hier analysierten Chat-Interaktionen ist daher im Vergleich zu anderen Chat-Studien natürlicher und nicht für Unterrichts- oder Experimentzwecke konstruiert. Die Besucher des JETZT Deutsch lernen-Chats müssen keine Unterrichts- oder Experimentaufgabe erfüllen. Das Kennenlernen und der freie Austausch in diesem Chat sind im Vordergrund dieses Angebots und nicht die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe, die von einem Lehrenden oder Forscher gegeben wurde. Der Mangel an Verbindlichkeit außerhalb des JETZT Deutsch lernen-Chats und das Fehler einer vorherbestimmten Aufgabe seitens einer Lehrperson können also als Gründe für die geringere Zahl von Turns mit Aushandlungsprozessen über Fehlerkorrekturen und sprachbezogene Fragen verstanden werden. In den nächsten Kapiteln möchte ich die Diskussion über Fehlerkorrektur und die Behandlung sprachbezogener Fragen im Chat vertiefen und die für diese Studie erhobenen Daten qualitativ und quantitativ auswerten. <?page no="146"?> 146 7 Fehlerkorrektur 7.1 Was ist ein Fehler? Die Diskussion über Fehler im Unterricht und den Umgang mit ihnen ist ein zentrales Thema in der Fremdsprachendidaktik. Fehler werden unterschiedlich verstanden. Das Fehlerverständnis vieler Didaktiker variiert, je nach ihrer Definition bestimmter Kriterien wie sprachlicher Korrektheit, Verständlichkeit und Situationsangemessenheit. Wirft man einen Blick auf die Geschichte des Fremdsprachenunterrichts, stellt man fest, dass Fehler vor den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts sehr negativ beurteilt wurden. Fehler wurden als ein Zeichen von Ignoranz oder Faulheit der Lernenden betrachtet und sollten daher im Unterricht möglichst vollständig vermieden werden. Ab den 60er Jahren stellte eine neue Generation von Linguisten andere Hypothesen zur Ursache von Fehlern auf, die in der Fremdsprachendidaktik zu einer veränderten Haltung gegenüber Fehlern führten. Nach der Interlanguage-Hypothese machen Lernende während des Fremdsprachenlernprozesses Gebrauch von den ihnen bereits zur Verfügung stehenden grammatischen Regeln (vgl. Kap. 2.1.1). Sie wenden diese Regeln auf neue Situationen an, die sie sprachlich bewältigen wollen, und stellen dabei eigene Hypothesen zum Sprachsystem der Zielsprache auf. Diese Hypothesen sind eine Art Versuch der Lernenden, sich korrekt in der Fremdsprache zu äußern. Unabhängig davon, ob dieser Versuche richtig oder falsch sind, sind sie dem Lernprozess inhärent und können den Lernenden helfen, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. In diesem Sinne können Fehler als nicht gelungene Versuche und damit als etwas Positives für den Lernprozess verstanden werden. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, Fehler zu definieren. Im deutschsprachigen Raum werden Fehler oft als „Abweichungen“ bezeichnet, um die negative Konnotation des Begriffes „Fehler“ zu vermeiden. Als möglichst allgemeine Bestimmung definiert Kleppin Fehler als etwas, „das gegen etwas verstößt oder von etwas abweicht, was als richtig empfunden wird“ (Kleppin 1998: 133). Für Huneke/ Steinig (2005) sind Fehler Lernfortschritte und gehören zur Lernersprache, der sprachlichen Varietät, über die der Lernende auf seinem Weg zur Zielsprache gerade verfügt und die ihre eigene innere Systematik aufweist. (ebd.: 197) In ihrer Studie über mündliche Korrektur versteht Desgranges (1990) Fehler wie folgt: <?page no="147"?> 147 Als sprachlicher Fehler wird die Abweichung von geltenden Normen betrachtet. Verstöße gegen sprachliche Regeln und Normen, gegen Erfordernisse der Angemessenheit und der Form können Missverständnisse und Kommunikationsschwierigkeiten zur Folge haben. (ebd.: 18) Viele Fehler können ferner Hinweise auf die sprachliche Entwicklung der Lernenden geben (vgl. Corder 1967). Die Analyse von Fehlern kann zeigen, welche sprachlichen Elemente bereits im Sprachsystem der Lernenden vorhanden sind und wie sie von ihnen verarbeitet wurden. Durch Fehleranalysen lässt sich nicht nur die kognitive und kreative Arbeit der Lernenden rekonstruieren, sondern es lässt sich auch feststellen, welche Hypothesen die Lernenden über die Zielsprache aufstellen. Fehler können sowohl im schriftlichen als auch im mündlichen Sprachgebrauch vorkommen. Schriftliche Fehler betreffen z.B. die Ebene der Lexik oder der Grammatik. Bei mündlichen Fehlern kommen weitere Ebenen wie z.B. Phonologie und Phonetik hinzu. Desgranges (1990) führt aus, dass Abweichungen in der geschriebenen Sprache negativer bewertet werden als in der mündlichen Sprache. Während schriftliche Abweichungen negative Auswirkungen auf die Schülerkarriere haben können, wiegen Abweichungen in der mündlichen Sprachproduktion weniger schwer, solange Verständigung erreicht wird. Rösler (1994) zufolge sollten Fehler darüber hinaus nicht nur in Bezug auf das sprachliche System beobachtet werden, sondern auch „in Abhängigkeit vom sprachlichen Entwicklungsstadium und vom Äußerungskontext (Situation, sprachlicher Kontext, inhaltliches Engagement, früheres Sprachverhalten)“ (ebd. 136). Für den Autor ist es wichtig, die Relevanz von Fehlern für das gegenseitige Verständnis in der Kommunikation zu analysieren. Macht ein Anfänger grammatische Fehler z.B. in einem informellen Gespräch mit einem Muttersprachler, erschwert dies oft nicht das Verständnis zwischen beiden Kommunikationspartnern. Fehler spielen also in diesem Kontext eine weniger wichtige Rolle als z.B. in einer Prüfungssituation, in der sich Lernende bemühen, sich möglichst fehlerfrei zu äußern, um gut benotet zu werden. In dieser Arbeit werden Fehler als inhärenter Bestandteil des Fremdsprachenlernprozesses und als natürliches Testen fremdsprachlicher Hypothesen verstanden. Die Fragen nach den Fehlern im Chat werden in Kapitel 7.3 diskutiert. <?page no="148"?> 148 7.2 Identifikation von Fehlern und ihrer möglichen Ursachen Fehler sind natürlich und gelten als Kennzeichen der gesprochenen Sprache. Daher finden sie sich auch in der Alltagssprache von Muttersprachlern (vgl. Desgrandes 1990: 17 ff.). Man unterscheidet zwischen Flüchtigkeitsfehlern und solchen Fehlern, die aus mangelnder Sprachbeherrschung resultieren. Aber wie können Lehrende zwischen diesen Fehlertypen bei den Fehlern ihrer Lernenden unterscheiden? Wie unterscheiden sich die Fehler in der geschriebenen und in der gesprochenen Sprache? Bevor die Lehrenden die Fehler ihrer Lernenden korrigieren, müssen sie sie zunächst identifizieren. „This is in fact easier said than done“, schreibt Ellis (1997: 15). Jeder Lernende macht Fehler aus unterschiedlichen Gründen. Um die Ursachen dieser Fehler herauszufinden, schlägt Ellis die Unterscheidung zwischen errors und mistakes vor, die er wie folgt versteht: Errors reflect gaps in a learner’s knowledge; they occur because the learner does not know what is correct. Mistakes reflect occasional lapses in performance; they occur because, in a particular instance, the learner is unable to perform what he or she knows. (ebd.: 17) Die Schwierigkeit bei der Unterscheidung zwischen errors und mistakes ist festzustellen, ob die Lernenden die richtige Form zwar kennen, sich jedoch aus einem bestimmten Grund im Moment der Äußerung geirrt haben, oder ob sie die richtige Form noch nicht gelernt haben. Um dies zu klären, beschreibt Ellis (ebd.) zwei Methoden. Die erste Methode ist die Überprüfung der Konsistenz der sprachlichen Äußerungen eines Lernenden. Wenn dieser Lernende denselben Fehler mehrmals macht, muss als Ursache des Fehlers eine Wissenslücke angenommen werden. In dieser Situation kann man davon ausgehen, dass der Lernende die richtige sprachliche Form noch nicht gelernt hat und daher denselben Fehler immer wiederholt. Diese Art von Fehlern bezeichnet Ellis als error. Mistake ist hingegen, wenn der Lernende mal die richtige Form, mal die falsche Form verwendet. Dieses alternierende Verhalten lässt darauf schließen, dass der Lernende zwar die benötigten Kenntnisse und Fertigkeiten hat, um die richtige Form zu verwenden, zum Zeitpunkt der Äußerung jedoch nicht in der Lage war, diese korrekt anzuwenden und den Fehler zu vermeiden. Die zweite Methode, um errors von mistakes zu unterscheiden, ist der Test, ob der Lernende seine eigenen Fehler berichtigen kann. Ist er dazu in der Lage, handelt es sich um einen mistake, andernfalls um einen error. In der täglichen Unterrichtspraxis ist jedoch eine klare Unterscheidung zwischen errors und mistakes oft nicht möglich, da Fehler eng mit anderen Faktoren wie z.B. Motivation, Aufmerksamkeit und Aufgabentyp verbunden sein können. Auch im Chat ist eine klare Unterscheidung nicht einfach. <?page no="149"?> 149 Lernende machen im Chat genauso viele Fehler wie im Unterricht. Die Ursache können einerseits die bereits genannten Faktoren sein, darüber hinaus jedoch auch Faktoren, die mit dem Medium und mit der Kommunikationsform zusammenhängen. Dieser Frage gehe ich im nächsten Kapitel nach. 7.3 Fehler im Chat Auch bei Fehlern im Chat lässt sich mit den oben genannten Methoden zwischen errors und mistakes unterscheiden. 6 Dadurch, dass es sich beim Chat um eine computergestützte synchrone Kommunikationsform handelt, bei der die Eingabe mechanisch über eine Tastatur erfolgt, können mistakes wie Tippfehler häufig im Chat vorkommen. In Chats herrschen bestimmte Kommunikationsbedingungen, die das Schreibverhalten der Chat-Teilnehmer beeinflussen. Wie in Kapitel 3.1.2 dargestellt, herrscht im Chat der Druck, sich ständig zu äußern, um Anwesenheit zu signalisieren. Dieser Druck führt dazu, dass in vielen Chats aus ökonomischen Gründen beispielsweise vollständig auf Groß- und Kleinschreibung verzichtet wird (vgl. Beißwenger 2000: 74 ff.). Auch Tippfehler, die das Verständnis nicht beeinträchtigen, werden seltener korrigiert. Das Ziel der Chat-Kommunikation ist generell weniger die sprachliche Korrektheit, sondern die Verständlichkeit zwischen den Kommunikationspartnern. Dies ist auch der Grund, warum viele Forscher behaupten, dass die Toleranz gegenüber Fehlern in Chats sehr hoch sei (vgl. exemplarisch Beißwenger 2000: 75; Bittner 2003: 249). Daher werden Chats - insbesondere in didaktischen Kontexten - als eine minderwertige Kommunikationsform angesehen. Um diesem Bild entgegenzuwirken, spricht Kilian (2005) von „chatsprachlichen Fehlern“. Für den Autor muss die Betrachtung von Fehlern in Chats durch die Betrachtung der spezifischen Bedingungen der Chat-Kommunikation relativiert werden. Nur so können Chats auch als geeignetes Medium für Lernkontexte verwendet werden. Marterer (2006: 197) führt aus, dass nicht alle Chats denselben Fehlerquotienten und nicht alle Fehler im Chat dieselben Ursachen haben. Bei jedem Chat gibt es Faktoren, die die Art und Weise beeinflussen, wie die Menschen die Sprache verwenden: die Zielsetzung des Chats, sein Grad an Öffentlichkeit, die Verbindlichkeit zwischen den 6 Tudini (2003: 149) führt aus, dass es im Chat schwierig ist, Tippfehler von orthographischen Fehlern zu unterscheiden. In ihrer Studie untersucht sie ausschließlich die Fehler, die zu Missverständnissen geführt haben. In der vorliegenden Studie hingegen wird zwischen diesen Fehler nicht unterschieden, sondern alle Fehler analysiert, die im Chat von den Tutorinnen und von den Chat-Teilnehmern korrigiert werden, ohne weitere Differenzierung. <?page no="150"?> 150 Kommunikanten und die Steuerung der Interaktion. In ihrer Studie zeigt Marterer (ebd.: 204 ff.) beispielsweise, dass in öffentlichen, moderierten Chats mit einer bestimmten Zielsetzung weniger Rechtschreibfehler gemacht werden als in Chats, in denen die Chat-Teilnehmer nur „plaudern“ wollen. Sie weist nach, dass zwischen dem Fehlerquotienten im Chat einerseits und der Moderation und der Zielsetzung des Chats andererseits ein enger Zusammenhang besteht. Fehler im Chat hängen also direkt mit dem Rahmen des Chats zusammen. Aus diesem Grund muss für die Identifikation von Fehlern in Chats zunächst feststellen werden, wie öffentlich der Chat ist, welche Ziele die Chat-Teilnehmer verfolgen und in welcher Beziehung sie zueinander stehen. Wenn es um didaktisierte Chat-Räume geht, deren Ziel das Erlernen einer Fremdsprache ist, sind weitere Aspekte zur Bewertung von Fehlern relevant. Es muss z.B. geklärt werden, was bei einer Aufgabe im Chat Vorrang hat: die Normen der zu erlernenden Zielsprache oder die sprachliche Freiheit bzw. Spontaneität der Chat-Kommunikation? Wie viele sprachliche Fehler sind in einem solchen didaktisierten Chat-Raum akzeptabel? Können die in öffentlichen Chat-Räumen üblichen Normabweichungen in einem didaktisierten Chat-Raum toleriert werden? Obwohl Tippfehler häufig das Verständnis zwischen Muttersprachlern und/ oder Fortgeschrittenen nicht stören, können sie die Verständigung mit Anfängern erschweren. Dies wird in Auszug 38 gezeigt: Dabei geht es um einen Lernenden, der ein Verständnisproblem mit einem Tippfehler der Tutorin hat. Auszug aus dem Chat-Protokoll D/ 26.09.07 (17: 33: 15) Tutorin D: Tatiana, der Chat ist schwerm oder? (17: 33: 26) Tutorin D: je, er ist sehr umgangssprachlich und sehr schnell,.. (17: 33: 27) Tatiana: schwerm? (17: 33: 33) Tatiana: genau (17: 33: 41) Tutorin D: schwer, entschuldige.. ich habe eine neue Tastatur : D → Orthographischer Fehler → Nachfrage → Selbstkorrektur + Entschuldigung Auszug 38: Tippfehler erschwert das Verständnis in der Chat-Kommunikation <?page no="151"?> 151 Die Tutorin D tippt versehentlich ein M an das Wort „schwer“, was dazu führt, dass die Chat-Teilnehmerin Tatiana das Wort nicht mehr versteht. Da Tatiana nur über begrenzte Deutschkenntnisse verfügt, kann sie nicht wissen, dass „schwerm“ nicht existiert, und daher aus dem Kontext darauf schließen, dass es sich um einen versehentlichen Tippfehler handelt. Die Tutorin verbessert auf Nachfrage ihren Tippfehler und entschuldigt sich. Ein solcher Tippfehler würde vermutlich die Kommunikation zwischen Muttersprachlern oder mit Fortgeschrittenen nicht beeinträchtigen. In der Kommunikation mit Anfängern hingegen erschwert und behindert ein solcher Fehler die Verständigung. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass das Ökonomisieren des Produktionsaufwands in didaktisierten Chats nicht immer problemlos ist. Chat-Tutoren in didaktisierten Chat-Räumen müssen sich dieser Problematik bewusst sein und daher selbst ein möglichst hohes Maß an sprachlicher Korrektheit anstreben. Bei der Analyse des für diese Studie erhobenen Korpus werde ich auf dieses Thema zurückkommen (vgl. Kap. 7.8). 7.4 Korrekturen und ihre Funktionen Korrekturen 7 können mündlich oder schriftlich, in gesteuerten oder ungesteuerten Lernkontexten, von Muttersprachlern oder Nicht-Muttersprachlern vorgenommen werden und folgen meist auf fehlerhafte Äußerungen. Es gibt jedoch auch Korrekturen, denen kein Fehler vorangeht, und gleichzeitig gibt es viele Fehler, die nicht korrigiert werden. Wenn ein Fremdsprachlehrender viele Korrekturen vornimmt, geht er das Risiko ein, autoritär zu wirken. Die Lernenden könnten durch ständige Korrekturen gehemmt werden. Korrigiert der Lehrende hingegen zu wenig, könnten die Lernenden den Eindruck erhalten, der Lehrende schenke ihnen zu wenig Aufmerksamkeit oder sei nachlässig. Es stellt Lehrende daher vor eine schwierige Aufgabe, ein Gleichgewicht zwischen der Notwendigkeit zu korrigieren und dem Korrekturwunsch der Lernenden herzustellen. Im Unterricht werden Fehler häufiger durch den Lehrenden als durch die Lernenden korrigiert, da das Korrigieren eine der Funktionen des Lehrenden ist. Die Tatsache, dass sich Lernende im Unterricht seltener gegenseitig korrigieren, lässt sich aus folgenden möglichen Gründen erklären: (i) Lernende bemerken oft die Fehler der anderen Lernenden ihrer Gruppe nicht; (ii) Lernende übernehmen selten die Rolle der Lehrenden als Korrekturgeber, da sie 7 In englischsprachigen Chat-Studien werden Korrekturen corrective feedback (vgl. beispielsweise Tudini 2003) oder repair moves (vgl. beispielsweise Jepson 2005) genannt. <?page no="152"?> 152 lieber auf derselben Ebene wie die anderen Lernenden bleiben wollen. Dadurch riskieren sie ihr Image als Mitlernende nicht und vermeiden eventuelle Konflikte; (iii) Selten fordern Lehrende Lernende auf, einander zu korrigieren. Meist geschieht dies im Rahmen einer Partnerarbeit zur Kontrolle von schriftlichen Texten. Das gegenseitige Korrigieren von Lernenden - ohne die Aufforderung des Lehrenden - kann zwei Seiten haben, die einander je nach Situation nicht ausschließen: Entweder die Lernenden wollen miteinander kooperieren, indem sie einander durch die Korrekturen sprachliche Hilfe geben, oder sie wollen einander demonstrieren, dass sie mehr wissen als die anderen. Diese Wissensdemonstration kann eine negative Wirkung für die Beziehung der Lernenden haben und sich zu einer Rivalität zwischen ihnen entwickeln. Für Desgranges (1990: 9) sind Korrekturen Ersetzungsvorgänge. Dabei sei es unerheblich, ob etwas ersetzt werde, was als falsch bewertet werde, oder ob die Ersetzung aus anderen Gründen erfolgte. Der Umfang der ersetzten Elemente sei unterschiedlich, er reiche von einzelnen Morphemen bis hin zu größeren Textpassagen. Der Autorin zufolge beinhalten Korrekturen soziale und affektive Aspekte. Mit „sozialem Aspekt“ ist gemeint, dass die Lernenden durch die Korrekturen erfahren, was in einer Gesellschaft korrigiert werden muss, und somit erkennen die Lernenden, was sozial akzeptiert ist und was nicht. Der affektive Aspekt bezieht sich auf die Gefühle der Lernenden, wenn sie korrigiert werden. Explizite Korrekturen können zu Frustrationen und Ängsten führen und somit verhindern, dass Lernende sich in der Fremdsprache äußern. Tudini (2007) hebt hervor, dass Korrekturen wichtig für das Fremdsprachenlernen im Chat sind. Besonders die Unterscheidung zwischen selbstinitiierten und fremdinitiierten Korrekturen (vgl. dazu unten) ist wichtig für die Analyse dessen, wie die Lernenden Autonomie entwickeln, da dadurch gezeigt werden kann, welche Strategien und Techniken die Lernenden für ihren eigenen Lernprozess verwenden. Die Analyse von Fehlerkorrekturen im Chat kann darüber hinaus zeigen, wann der Lernende einen Fehler bemerkt, ob er diesen korrigieren kann und wie er das tut; was der Chat-Tutor oder ein anderer Lernender in den Äußerungen des Produzenten für korrekturbedürftig hält, wie er den Produzenten darauf aufmerksam macht oder ob er selbst die Initiative ergreift und eine Fremdkorrektur durchführt; wie der Lernende mit seinem nicht voll ausgebildeten Wissen über die fremde Sprache umgeht und wie er diese Sprache mit Hilfe eines Chat- Tutors oder eines anderen Lernenden erlernen kann. <?page no="153"?> 153 Kleppin (1998: 134) nach werden in der vorliegenden Studie Korrekturen verstanden „als das Signalisieren des mangelnden Einverständnisses mit Teilen der Lerneräußerung/ -produktion verstanden, an das sich unterschiedliche Schritte anschließen können“, wie etwa Selbstkorrektur oder Fremdkorrektur. Verbessert bzw. ersetzt der Produzent der fehlerhaften Äußerung diese selbst, spricht man von Selbstkorrektur; führt der Interaktionspartner die Verbesserung bzw. Ersetzung durch, spricht man von Fremdkorrektur. Für die Analyse der Korrekturvorgänge im untersuchten Chat orientiere ich mich an dieser Grunddefinition von Kleppin (1998) und werte die erhobenen Daten nach den in Kapitel 7.8.1 entwickelten Kategorien aus. Fehlerkorrekturen können im Lernkontext verschiedene Funktionen erfüllen, d.h. derjenige, der eine Korrektur durchführt, beabsichtigt damit, ein konkretes Ziel zu erreichen. Desgranges (1990: 96 ff.) unterscheidet zwischen den Funktionen von Selbstkorrekturen und denen von Fremdkorrekturen. Der Autorin zufolge sind Selbstkorrekturen polyfunktional. Ihre Funktionen sind interdependent und können daher bei der Analyse eines bestimmten Korrekturverhaltens nicht isoliert betrachtet werden. So dienen Selbstkorrekturen einerseits zur Sicherung der Verständlichkeit und der grammatischen Korrektheit, andererseits können sie je nach Kontext auch dazu dienen, Missverständnisse zu klären oder das eigene „Image“ zu pflegen. Auch Fremdkorrekturen werden mit unterschiedlichen Intentionen durchgeführt. Sie dienen zur Behebung grammatischer Mängel in Äußerungen und somit ebenfalls zur Sicherung der Verständigung. Obwohl Fremdkorrekturen nicht so häufig vorgenommen werden, weil sie das Image desjenigen der korrigiert wird, gefährden können, können sie auch in besonderen Situationen zur Imagepflege desjenigen dienen, der die Korrektur vornimmt. Derjenige, der korrigiert, übernimmt die Rolle des Lehrenden und möchte damit demonstrieren, dass er die sprachliche Kompetenz hat, den Fehler zu berichtigen. Auch bei Interaktionen in didaktisierten Chat-Räumen erfüllen Selbst- und Fremdkorrekturen die oben erwähnten Funktionen. Lernende korrigieren sich im Chat selbst, um zu zeigen, dass es sich um einen Flüchtigkeitsfehler handelt und sie die Regel der Zielsprache eigentlich beherrschen. Dadurch können sie ihr Image als kompetente Lernende pflegen und eventuelle Missverständnisse vermeiden. Durch Fremdkorrekturen können Lernende im Chat auch die Funktion des Lehrenden übernehmen, indem sie den anderen Lernenden helfen. Darüber hinaus können Lernende mit Fremdkorrekturen den anderen Lernenden jedoch auch sprachliche Überlegenheit demonstrieren. Sie gehen daher mit Fremdkorrekturen das Risiko ein, sich bei den anderen Lernenden unbeliebt zu machen und zur Entwicklung von Rivalitätsgefühlen beizutragen. <?page no="154"?> 154 Lehrende oder Tutoren korrigieren im Chat nicht nur, um fachliches Feedback zu geben und somit den Lernenden bei der Verbesserung ihrer sprachlichen Kenntnisse zu helfen, sondern auch, um ihrem Image als Vorbild und ihrer Rolle als Korrekturgeber Rechnung zu tragen. 7.5 Fehlerkorrektur im Chat: zwischen mündlicher und schriftlicher Korrektur Im Präsenzunterricht verfügen Lehrende über zahlreiche Möglichkeiten der Fehlerkorrektur. Bei schriftlichen Äußerungen können sie die Fehler entweder nur markieren und auf die Fehlerart hinweisen, damit der Lernende den Fehler selbst korrigieren kann, oder aber gleich die Verbesserung liefern. Bei mündlichen Äußerungen können die Lehrenden die Lernenden in Echtzeit direkt korrigieren oder sie durch non- oder paraverbale Hinweise wie Mimik, Gestik und Intonation auf ihre Fehler aufmerksam machen. Im Vergleich zum Präsenzunterricht sind Korrekturen in didaktisierten Chats schwieriger vorzunehmen, da der Lehrende bzw. Tutor nicht physisch präsent ist und ihm somit weniger Interaktionskanäle zur Verfügung stehen (vgl. Biechele et al. 2003: 18). Angesichts dieser Tatsache lässt sich fragen, welche Korrekturverfahren Lehrende im Chat wählen sollen. Sollen sie sich an den Methoden der mündlichen oder der schriftlichen Korrektur orientieren? Welche Fehler sollen im Chat überhaupt korrigiert werden und welche nicht? In der Fremdsprachendidaktik ist unumstritten, dass im Präsenzunterricht nicht alle Fehler korrigiert werden können und müssen. Bei schriftlicher Sprachproduktion ist es von Vorteil, dass Fehler schriftlich dokumentiert werden, damit sie einfacher einer eingehenden Korrektur unterzogen werden können. Dies bietet dem Lernenden zwar große Lernchancen, weil schriftlich dokumentiert ist, wo seine Schwächen liegen. Viel Korrektur birgt jedoch auch die Gefahr der Demotivation. Die Korrektur mündlicher Fehler hingegen ist komplexer, da Sprachproduktion und Korrektur in Echtzeit stattfinden. Kleppin (1998) hält es für sinnvoll, mündliche Fehler zu korrigieren, solange die Korrektur die Interaktion nicht stört. Auch Platten (2003) vertritt diese Meinung. Aufgrund der mündlichen Konzeption der Chat-Kommunikation hält es die Autorin für plausibel, Fehler in einem didaktisierten Chat wie mündliche Fehler zu korrigieren, d.h. „behutsam und an Stellen, die den Gesprächsverlauf nicht stören“. Für Kilian (2005: 215) macht es hingegen gerade den Reiz des Chats aus, ohne Angst vor Fehlern plaudern zu können und dabei eine umgangssprachliche Grammatik zu verwenden. Da Korrekturen im Chat diese Freiheit des schriftlichen Plauderns gefährden können, plädiert Kilian grundsätzlich dagegen. <?page no="155"?> 155 Aber wie relevant sind Fehlerkorrekturen in didaktisierten Chats wirklich? Müssen Korrekturen in didaktisierten Chats immer vorgenommen werden? Eine ähnliche Hinterfragung diesbezüglich unternimmt Tamme (2001): [Die Fremdsprachendidaktik muss sich fragen], ob die herausragende Stellung, die das Thema Fehlerkorrektur offensichtlich im Bewusstsein Lehrender und Lernender einnimmt, tatsächlich durch den fremdsprachlichen Lernprozess gerechtfertigt erscheint, oder ob sie nicht vielmehr nur die Widerspiegelung einer jahrzehntelangen Praxis bedeutet, die zu verändern den fremdsprachlichen Lernprozeß fördern könnte? (ebd.: 198) Für Tamme ist das Thema Fehlerkorrektur offensichtlich so im Bewusstsein der Lehrenden und Lernenden, dass Korrekturen aus einem Lernkontext kaum wegzudenken sind. Die Frage ist in Bezug auf didaktisierte Chats, wie stark sich Chat-Tutoren von der traditionellen Unterrichtspraxis beeinflusst fühlen und diese Praxis in einem Chat-Raum für das Erlernen einer Fremdsprache wiederholen? Was benötigen Tutoren und Lernende in didaktisierten Chats, um ein gelungenes Gleichgewicht zwischen der Notwendigkeit zum Korrigieren und dem Korrekturwunsch einiger Teilnehmer, nicht korrigiert zu werden, herzustellen? Wie gefährlich sind Fehler tatsächlich für den fremdsprachlichen Lernprozess in Chats? Empirische Chat-Studien in der Fremdsprachendidaktik zeigen sehr unterschiedliche Ergebnisse bezüglich des Themas Fehlerkorrektur. Die Studie von Pellettieri (2000) zeigt beispielsweise, dass Lernende im Chat nicht nur ihre Fehler selbst korrigieren, sondern auch die Fehler der anderen Lernenden. Für Kötter (2002) handeln die Lernenden die Bedeutungen ihrer Äußerungen im Chat zwar sehr häufig aus, korrigieren einander jedoch sehr selten. Tudini (2007) verglich Chat-Interaktionen zwischen Lernenden mit Chat- Interaktionen zwischen Lernenden und Muttersprachlern. Ihre Ergebnisse zeigen, dass in Interaktionen nur zwischen Lernenden Selbstkorrekturen häufiger vorgenommen werden als in Interaktionen zwischen Muttersprachlern und Lernenden. Das ist für die Autorin ein Zeichen dafür, dass sich die Lernenden im Kontakt mit Muttersprachlern mehr auf die Kommunikation und weniger auf die Richtigkeit ihrer Äußerungen konzentrieren als im Kontakt mit anderen Lernenden. Blake (2000) führt aus, dass Fremdsprachenlehrer oft fürchten, dass Diskussionen zwischen Lernenden ohne einen Muttersprachler oder einen Lehrenden eine Gefahr für das „korrekte Fremdsprachenlernen“ bedeuten kann, da bestimmte Fehler sich verbreiten oder bestätigt werden können. Dafür verwendet Blake (ebd.: 133) die Metapher „blind leading the blind“, um sich auf diese Befürchtung der Lehrenden zu beziehen. Laut dem Autor haben bisherige Studien noch nicht genügend empirisch bewiesen, dass bestimmte <?page no="156"?> 156 Fehler eines Lernenden so einfach von anderen Lernenden übernommen werden können. Aus diesem Grund erkennt Blake (ebd.: 133) zwar das Problem, plädiert jedoch zunächst dafür, keine Stigmatisierung von Fehlern in Interaktionen zwischen Lernenden im Präsenzunterricht oder in einem didaktisierten Chat-Raum vorzunehmen. Auch Knierim (2004) ist der Auffassung, dass Lehrende die häufige Verwendung non- und substandardsprachlicher Strukturen fürchten und dass die Lernenden in Chats Kontakt mit fehlerhaften Äußerungen aufnehmen können. Ähnlich wie Blake plädiert Knierim (2004) daher dafür, Fehler nicht zu stigmatisieren. Das erklärt der Autor wie folgt: den Schülern wie dem Lehrer [muss] bewusst sein, dass von der Norm der Schriftsprache abweichende Äußerungen inhärenter Bestandteil spontaner Interaktion sind und dass es „normal“ ist, dass man beim schnellen Tippen (genauso wie bei einem mündlichen Beitrag im Unterricht) oft mehr Fehler macht als wenn man z.B. eine Woche lang an einem Aufsatz feilen kann. (ebd.: 54) Die Diskussion innerhalb der Fremdsprachendidaktik darüber, wie Lehrende und Tutoren mit Korrekturen im Chat umgehen sollen, befindet sich noch in der Anfangsphase. Um einen Beitrag zu dieser Diskussion zu leisten, werde ich in Kapitel 7.8 anhand zahlreicher Auszüge aus dem für diese Studie erhobenen Korpus diesem Thema näher nachgehen. Im nächsten Kapitel möchte ich zunächst die Frage nach dem idealen Korrekturverhalten im Chat etwas weiter ausführen, indem ich die Perspektive der Tutorinnen des Chats von JETZT Deutsch lernen diskutiere. 7.6 Fehlerkorrektur im Chat: die Perspektive der Tutorinnen Die Tutorinnen des JETZT Deutsch lernen-Chats wurden gefragt, wie sie mit Fehlern im Chat umgehen. Sie sollten im ersten Fragebogen (siehe A2.3.2 im Anhang) Auskunft darüber geben, unter welchen Umständen sie die Chat- Teilnehmer korrigieren, und ihr Korrekturverhalten begründen. In ihren Antworten nannten sie unterschiedliche Gründe für die Korrektur: - Häufigkeit des Fehlers: Die Tutorinnen korrigieren häufig vorkommende Fehler; - Verständnisschwierigkeiten: Die Tutorinnen korrigieren Fehler, die das Verständnis der Kommunikation im Chat erschweren; - Wunsch nach Korrektur: Die Tutorinnen korrigieren die Fehler der Chatter, wenn die Korrektur explizit erwünscht wird. Diese Gründe können auch nebeneinander stehen, wie Auszug 39 zeigt: <?page no="157"?> 157 Auszug aus dem ersten Fragebogen an die Tutorinnen Tutorin M: Wenn es ein Fehler ist, der häufig auftritt, oder in häufig verwendeten Ausdrücken auftaucht, so dass die Gefahr besteht, dass ihn andere Teilnehmer übernehmen. Außerdem, wenn ein Fehler die Bedeutung der Aussage verfälscht, mich die Chatter speziell darum bitten sie zu berichtigen oder mich direkt fragen. Auszug 39: Antwort der Tutorin M zum Umgang mit Fehlern im Chat In der Antwort der Tutorin L lässt sich lesen, welche Korrekturform sie im Chat verwendet. Sie beschreibt, wie sie beim Korrigieren Rücksicht auf den Korrekturwunsch der Chatter nimmt, um eine unangenehme Situation im Chat zu vermeiden. Wenn sie das Gefühl hat, dass Korrektur erwünscht ist, korrigiert sie indirekt. Dies Korrekturverhalten trägt der Tatsache Rechnung, dass Korrekturen im Chat nicht immer willkommen sind. Die Tutorin hat daher auch keine feste Routine für ihre Korrekturen entwickelt, sondern korrigiert nach Gefühl und versucht dabei, Korrekturformen zu finden, die anders als im Schulunterricht sein sollen. Auszug aus dem ersten Fragebogen an die Tutorinnen Tutorin L: (…) Manchmal wiederhole ich in meiner Antwort die „falsch“ geschrieben Worte, damit die Korrektur nicht zu offensichtlich ist. Oft werde ich aber auch von Chattern gebeten, sie zu korrigieren oder ein bestimmtes[...] Wort zu übersetzen bzw. es näher zu erläutern. Ich mache dies nur, wenn ich das Gefühl habe, dass es von den Chattern erwünscht ist, da sie so ihre Fähigkeiten verbessern können, ohne an den Schulunterricht erinnert zu werden. Auszug 40: Antwort der Tutorin L zum Umgang mit Fehlern im Chat In den Fragebögen wurde den Tutorinnen auch die Frage gestellt, welche Fehler sie im Chat nicht korrigieren und warum. Den folgenden Antworten der Tutorinnen D und G zufolge korrigieren sie keine Tipp- und Flüchtigkeitsfehler. <?page no="158"?> 158 Auszug aus dem ersten Fragebogen an die Tutorinnen Tutorin D: Flüchtigkeitsfehler wie Buchstabendreher oder kleingeschriebene Nomen. Auszug 41: Antwort der Tutorin D zu nicht korrigierten Fehlern im Chat Auszug aus dem ersten Fragebogen an die Tutorinnen Tutorin G: Leichte Schreibfehler oder Tippfehler, die offensichtlich sind, korrigiere ich nicht. Auszug 42: Antwort der Tutorin G zu nicht korrigierten Fehlern im Chat Die Tutorinnen begründeten dieses Korrekturverhalten mit der Tatsache, dass sie den Kommunikationsfluss im Chat nicht stören und die Lernenden nicht einschüchtern wollen, vgl. die Antwort von Tutorin M: Auszug aus dem ersten Fragebogen an die Tutorinnen Tutorin M: Fehler, die das Gespräch nicht beeinflussen und deren Korrektur das Gespräch stören würden. Fehler, die nicht weiter ins Gewicht fallen und von einer schüchternen Person gemacht wurden. Manche Chatter sind sehr schnell eingeschüchtert und verlassen auch schon mal den Chat. Auszug 43: Antwort der Tutorin M zu nicht korrigierten Fehlern im Chat Zusammenzufassend lässt sich feststellen, dass die Perspektiven der Tutorinnen zum Umgang mit Fehlern im Chat den Überlegungen entsprechen, die von anderen Autoren in ihren Studien diskutiert wurden (vgl. Kap. 7.5). Aussagen der Tutorinnen bestätigen die Schwierigkeit, Korrekturen in einer computergestützten Interaktion in Echtzeit vorzunehmen. Die Tutorinnen treffen im Chat kontinuierlich auf neue Lernende und müssen mit unterschiedlichen Korrekturwünschen und individuellen Lernzielen umgehen. Aus diesem Grund können sie nicht bei jeder ihrer Chat-Sitzungen dasselbe Korrekturverhalten zeigen, sondern müssen immer zunächst das Sprachverhalten der Lernenden beobachten, mit ihnen Korrekturwünsche absprechen und dann - je nach Situation - entsprechende Korrekturformen entwickeln. Dies ist eine didaktische Herausforderung, die die Tutorinnen zu bewältigen versuchen und die ich in der Analyse weiter diskutiere (vgl. Kap. 7.8). <?page no="159"?> 159 7.7 Zur Wirkung von Fehlerkorrekturen im Chat Nachdem Korrekturen und ihre Funktionen definiert wurden, lässt sich an dieser Stelle fragen, wie sie auf den Lernprozess und auf den Lernenden wirken. Tamme (2001: 173) hebt hervor, dass sich Fremdsprachenforscher überwiegend mit dem Korrekturprozess beschäftigen und die Erforschung der Wirkung von Korrekturen immer noch ein Desiderat darstellt. Für die Autorin kann angesichts dieser Forschungslücke nicht selbstverständlich davon ausgegangen werden, dass Korrekturen die Sprachpraxis der Lernenden verbessern können. Sie umreißt dieses Problem wie folgt: Wenn man bedenkt, daß die Korrektur schriftlicher Lernerarbeiten zur täglichen Praxis Fremdsprachenlehrender gehört und mit einem beträchtlichen Zeitaufwand verbunden ist, so überrascht die Feststellung, daß bisher nicht einmal mit Sicherheit gesagt werden kann, ob sie überhaupt eine Verbesserung der Sprachpraxis der Lernenden bewirken kann und wenn ja, wie. (ebd.: 174) Königs (2007) untermauert diese Kritik. Für den Autor können die derzeit spärlichen empirischen Untersuchungen zum Korrekturverhalten keine Garantie für einen positiven Lerneffekt geben, sondern lediglich eine Reflexion über Korrekturmaßnahmen anregen. Obwohl es sehr schwer ist nachzuweisen, wie Korrekturen wirken, soll man daraus nicht schließen, dass Korrekturen sinnlos sind. Fraglich ist jedoch, ob der Lernende im Fremdsprachenunterricht unbedingt die Korrektur braucht oder ob er die richtige Form nicht auch aus anderer Quelle, wie z.B. aus einem Dialog mit einem Muttersprachler oder aus einem schriftlichen Text, entnehmen könnte. Tamme (2001) ist der Meinung, dass Studien, die sich mit der Wirkung von Korrekturen beschäftigen, am „Lerner ansetzen“ müssen, d.h. Fremdsprachenwissenschaftler müssten die Lernenden direkt fragen, wie sie das Korrekturverfahren empfinden und wie sie sich fühlen, wenn sie korrigiert werden. Anhand von Beispielen aus ihrer Studie zeigt Tamme jedoch, dass eine derartige Befragung nicht die beste Methode ist, um die Wirkung von Korrekturen zu untersuchen. Die Verfasserin behauptet, dass die Lernenden eine gewisse zeitliche Distanz benötigen, um den möglichen Effekt der Korrektur auf ihren eigenen Lernprozess besser einschätzen zu können. Wenn man jedoch die Wirkung von Korrekturen im Lehr-/ Lerndialog - wie z.B. durch die Analyse der Interaktion im Unterricht oder eines Protokolls eines didaktisierten Chats - untersuchen möchte und nicht durch eine direkte Befragung, „ist man notgedrungen auf Schlussfolgerungen angewiesen“ (Tamme 2001: 186). Trotz dieser Beschränkung versucht Tamme durch die Analyse von Dialogen zwischen Tutoren und Lernenden, Indizien <?page no="160"?> 160 für die Korrekturwirkungen im von ihr untersuchten E-Mail-Austausch herauszufinden. Dabei geht die Autorin die Frage nach, wie wahrscheinlich es ist, dass sich die Lernenden mit den Korrekturen ihrer Tutoren auseinandergesetzt haben. Diese Frage lässt sich auch auf die vorliegende Studie übertragen und kann wie folgt formuliert werden: Inwieweit ist aus den Chat-Protokollen ersichtlich, ob sich die Chat-Teilnehmer mit den gegebenen Korrekturen beschäftigen? Wie reagieren die Chat-Teilnehmer auf Korrekturen? Um diese Fragen genauer zu untersuchen, wurden für diese Studie verschiedene Kategorien entwickelt, die im Kapitel 7.8.1 vorgestellt werden. 7.8 Analyse der Fehlerkorrekturen im Chat In diesem Kapitel werden Daten aus insgesamt 80 Chat-Stunden (40 aus tutorierten und 40 aus nicht-tutorierten Stunden) quantitativ und qualitativ analysiert (siehe Kap. 5.3 für die Auswahlkriterien). Das Ziel dieser Analyse ist es, den Umgang mit Fehlern im untersuchten Chat zu erfassen. Dazu werden zunächst in Kapitel 7.8.1 das Kategoriensystem und der zu erwartende Erkenntnisgewinn dargestellt. Da nicht jeder Fehler im Chat berichtigt wird, folgt in Kapitel 7.8.2 eine Diskussion darüber, wie manche Fehler nicht von den Tutorinnen und Chat-Teilnehmern zur Korrektur ausgewählt werden und welche Bedeutung dies generell für die Interaktion im Chat haben kann. In den darauf folgenden Kapiteln 7.8.3 - 7.8.6 werden die Analyseergebnisse der für die vorliegende Arbeit entwickelten Oberkategorien präsentiert und diskutiert. Dabei werden die im Korpus der vorliegenden Studie identifizierten Fehlerkorrekturen aus den tutorierten Stunden mit denen aus den untutorierten Stunden verglichen und ausgewertet. Bevor ich mit der Analyse dieser Korrekturvorgänge beginne, möchte ich hier die Forschungsfragen in Erinnerung rufen (vgl. Kap. 4.3): Forschungsfragen zum Schwerpunkt 1: Fehlerkorrektur 1.1 Korrigieren die Chat-Teilnehmer und die Chat-Tutorinnen sprachliche Fehler im Chat? Korrigieren sie sich selbst oder/ und einander? Wie oft tun sie das? 1.2 Welche sprachlichen Fehler wählen die Tutorinnen zur Korrektur aus und welche wählen die Chat-Teilnehmer aus? Wie oft tun sie das? <?page no="161"?> 161 1.3 Wie korrigieren Tutorinnen und Chat-Teilnehmer sprachliche Fehler im Chat? 1.4 Wie und wie oft reagieren die Chat-Teilnehmer auf die Fehlerkorrekturen? 7.8.1 Kategoriensystem und zu erwartender Erkenntnisgewinn Für die Analyse der im JETZT Deutsch lernen-Chat identifizierten Fehlerkorrekturen wurden insgesamt vier verschiedene Oberkategorien entwickelt. Die Oberkategorie 1 Korrekturtyp dient der Differenzierung der Korrekturvorgänge im Chat. Bei jeder Chat-Sequenz, in der eine Korrektur vorgenommen wird, wird in der Analyse zunächst zwischen Selbstkorrektur und Fremdkorrektur unterschieden. Dabei wird darüber hinaus unterschieden, ob diese Korrekturen selbstinitiiert oder fremdinitiiert sind. So besteht die Oberkategorie 1 Korrekturtyp aus vier verschiedenen Unterkategorien: 1.1 Selbstinitiierte Selbstkorrektur; 1.2 Fremdinitiierte Selbstkorrektur; 1.3 Selbstinitiierte Fremdkorrektur; und 1.4 Fremdinitiierte Fremdkorrektur. Diese erste Differenzierung wird zur Vorstrukturierung der Daten vorgenommen. Die auf diese Weise vorstrukturierten Daten werden in den Oberkategorien 2, 3 und 4 weiter ausdifferenziert. Die Oberkategorie 2 Korrekturbereich dient der Differenzierung der Korrekturvorgänge und besteht aus den folgenden drei Unterkategorien: 2.1 Orthographie; 2.2 Grammatik; und 2.3 Ausdrucksform. Die Oberkategorie 3 Korrekturform dient der Differenzierung der Art und Weise, wie die Chat-Tutorinnen und die Chat-Teilnehmer korrigieren, und besteht aus fünf verschiedenen Unterkategorien: 3.1 Direkte Korrektur (+ Entschuldigung); 3.2 Direkte Korrektur + Absprache; 3.3 Bitte um Korrektur + Direkte Korrektur (+ grammatische Erklärung); 3.4 Nachfrage + Direkte Korrektur (+ Entschuldigung oder grammatische Erklärung); und 3.5 Indirekte Korrektur. Schließlich wird mit der Oberkategorie 4 Reaktion auf Korrekturen ausdifferenziert, wie die Chat-Tutorinnen und die Chat-Teilnehmer auf die einzelnen Korrekturvorgängen reagieren. Die Oberkategorie 4 hat vier Unterkategorien: 4.1 Keine Reaktion; 4.2 Positive Reaktion; 4.3 Ablehnung. In Tabelle 10 wird ein Überblick über alle Oberkategorien und ihre jeweiligen Unterkategorien für die Analyse der Fehlerkorrekturen im Chat gegeben. Dabei wird Bezug auf die aufgestellten Forschungsfragen genommen (vgl. Kap. 4.3). <?page no="162"?> 162 Oberkategorie Unterkategorien Zu erwartender Erkenntnisgewinn Oberkategorie 1: Korrekturtyp 1.1 Selbstinitiierte Selbstkorrektur Identifikation der einzelnen Korrekturtypen (Forschungsfrage 1.1) und Vorstrukturierung der Daten für die weitere Analyse der Korrekturvorgänge nach den Oberkategorien 2, 3 und 4 1.2 Fremdinitiierte Selbstkorrektur 1.3 Selbstinitiierte Fremdkorrektur 1.4 Fremdinitiierte Fremdkorrektur Oberkategorie 2: Korrekturbereich 2.1 Orthographie Identifikation des sprachlichen Bereichs der einzelnen Korrekturvorgänge (Forschungsfrage 1.2) 2.2 Grammatik 2.3Ausdrucksform Oberkategorie 3: Korrekturform 3.1 Direkte Korrektur (+ Entschuldigung) Identifikation der Form der einzelnen Korrekturvorgänge (Forschungsfrage 1.3) 3.2 Direkte Korrektur + Absprache 3.3 Bitte um Korrektur + Direkte Korrektur (+ grammatische Erklärung) 3.4 Nachfrage + Direkte Korrektur (+ Entschuldigung oder + grammatische Erklärung) 3.5 Indirekte Korrektur Oberkategorie 4: Reaktion auf Korrekturen 4.1 Keine Reaktion Identifikation der Reaktion auf die einzelnen Korrekturvorgänge (Forschungsfrage 1.4) 4.2 Positive Reaktion 4.3 Ablehnung der Korrektur Tab. 10: Überblick über das Kategoriensystem für die Analyse der Fehlerkorrekturen im Chat Jede in Tabelle 10 präsentierte Unterkategorie wird in den folgenden jeweiligen kommenden Analysekapiteln der Oberkategorien definiert und mit Beispielen vorgestellt. Dabei werden die Ergebnisse der Analyse der Korrek- <?page no="163"?> 163 turvorgänge aus den tutorierten Stunden mit den Analyseergebnissen aus den untutorierten Stunden verglichen und diskutiert. 7.8.2 Unkorrigierte Fehler im Chat Wie im Präsenzunterricht kann in didaktisierten Chat-Räumen nicht jeder sprachliche Fehler berichtigt werden. Das lässt sich mit verschiedenen Gründen erklären. Wenn beispielsweise Fehler z.B. Verständlichkeit der Interaktion nicht beeinträchtigen, wollen Chat-Tutoren und Chat-Teilnehmer sie meist nicht (selbst- oder fremd-)korrigieren. Häufig werden Fehler im Chat aus folgenden Gründen nicht korrigiert: (i) Der Lernende bemerkt den Fehler nicht, denn er kennt die entsprechende grammatische Regel nicht und daher ist ihm nicht bewusst, dass er einen Fehler produziert hat; (ii) Er bemerkt den Fehler, kennt jedoch die entsprechende Regel nicht und kann daher den Fehler nicht korrigieren; (iii) Der Chat-Tutor bemerkt den Fehler nicht; (iv) Der Chat-Tutor hat keine Zeit zum Korrigieren, weil er auf die Moderation und Weiterführung der Diskussion im Chat achten muss; (v) Der Chat-Tutor zieht es vor, eine Selbstkorrektur des Sprachlerners anzuregen; (vi) Der Lernende und der Chat-Tutor möchten nicht wegen eines einzelnen sprachlichen Fehlers den Redefluss der Kommunikation im Chat unterbrechen. In diesem Kapitel möchte ich Beispiele dafür geben, wie manche Fehler von den Tutorinnen und von den Chat-Teilnehmern nicht zur Korrektur gewählt werden. 8 Auszug 44 zeigt orthographische Fehler der Chat-Teilnehmer Moriz und Tatiana, die nicht zur Korrektur ausgewählt wurden. 9 Moriz schreibt das Substantiv Angst klein und tippt das Ende des Verbs verlieren ohne e. Die Schlagdynamik mit der Tastatur und der Zeitdruck im Chat können die Ursache dieser Fehler sein (vgl. Kap. 3.1.2). 8 Es ist wichtig anzumerken, dass es den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, alle unkorrigierten Fehler in den Chat-Protokollen zu markieren und sie zu quantifizieren. 9 Aus Gründen einer besseren Lesbarkeit werden Äußerungen, die inhaltlich keinen Bezug zur behandelten Passage haben, und Chat-Logs mit der Information, dass jemand den Chat betritt oder verlässt, nicht in den Auszügen wiedergegeben. Das wird in Klammern gekennzeichnet. <?page no="164"?> 164 Auszug aus dem Chat-Protokoll D/ 26.09.07 (17: 15: 44) Moriz: kann man sagen (17: 16: 01) Moriz: die angst, ihn zu verliern also ohne davor (17: 16: 29) Tatiana: die erste Satze ist richtig oder? Tutorin (17: 16: 38) Tutorin D: kann man auch sagen.. → Orthographische Fehler Auszug 44: Beispiel für nicht-korrigierten Fehler im Bereich der Orthographie Aus Auszug 45 lässt sich ersehen, wie der Grammatikfehler des Chat-Teilnehmers Abdula zur Satzstruktur das Verständnis seiner Äußerung „ich darf nicht trink wein“ nicht stört. Dasselbe passiert in Auszug 46, in dem der Teilnehmer Walter eine nicht korrekte Ausdrucksform „heuzutage haltet die Jugend nicht viel an die glauben“ verwendet, um zu sagen, dass die Jugendlichen heutzutage nicht mehr so religiös sind. Auszug aus dem Chat-Protokoll B/ 18.11.07 (19: 07: 34) Abdula: ich darf nicht trink wein ich bin muslim (19: 08: 53) Tutorin B: Aber das ist nicht schlimm, ich trinke dann Traubensaft : -D → Grammatischer Fehler Auszug 45: Beispiel für nicht-korrigierten Fehler im Bereich der Grammatik Auszug aus dem Chat-Protokoll H/ 23.11.07 (18: 31: 59) Walter: Tutorin ich bin auch katolisch,aber heuzutage haltet die Jugend nicht viel an die glauben (18: 32: 53) Tutorin H: Naja, das ist in jedem Land dasselbe Problem, Walter. (18: 33: 04) Christian: Walter, sprichst du ueber die Jugend in Slowenien? → Fehler im Bereich der Ausdrucksform Auszug 46: Beispiel für nicht-korrigierten Fehler im Bereich der Ausdrucksform <?page no="165"?> 165 Diese Auszüge zeigen, dass nicht alle Fehler im Chat korrigiert werden müssen, um ein gegenseitiges Verständnis zwischen den Kommunikanten zu erreichen und somit eine erfolgreiche Diskussion durchzuführen. Die Fehler in den Auszügen 45 und 46 könnten durchaus auch in einem mündlichen Dialog eines DaF-Unterrichts gemacht werden und würden wahrscheinlich auch dort das Verständnis zwischen Lernenden und Lehrenden nicht verhindern. Das heißt, dass die fließende Kommunikation und die Verständlichkeit sowohl in mündlichen Äußerungen im Präsenzunterricht als auch in didaktisierten Chats Vorrang vor der grammatischen Korrektheit haben können. 7.8.3 Korrekturtyp Insgesamt wurden 156 Korrekturvorgänge im analysierten Korpus identifiziert, 93 in den tutorierten Stunden und 63 in den untutorierten Stunden. Um diese Korrekturvorgänge auszuwerten, wurde zunächst zwischen den Korrekturtypen Selbstkorrekturen und Fremdkorrekturen unterschieden und folgende Unterkategorien daraus entwickelt: 1.1 Selbstinitiierte Selbstkorrektur, 1.2 Fremdinitiierte Selbstkorrektur, 1.3 Selbstinitiierte Fremdkorrektur und 1.4 Fremdinitiierte Fremdkorrektur. Von den 93 Korrekturvorgängen in den tutorierten Stunden sind 62 Selbstkorrekturen und 31 Fremdkorrekturen. Von den 63 Korrekturvorgängen in den untutorierten Stunden sind 51 Selbstkorrekturen und 12 Fremdkorrekturen (vgl. Tab. 11). Tutorierte Stunden Untutorierte Stunden Häufigkeit % Häufigkeit % Selbstkorrekturen 62 T 10 : 16/ TN 11 : 46 66,6 TN: 51 80,9 Fremdkorrekturen 31 T: 25/ TN: 6 33,4 TN: 12 19,1 Gesamt 93 100 63 100 Tab. 11: Häufigkeit der Oberkategorie 1 Korrekturtyp in den tutorierten und untutorierten Stunden Aus Tabelle 11 geht hervor, dass Selbstkorrekturen in den untutorierten Chat- Stunden häufiger als in den tutorierten Chat-Stunden sind. Während in den 10 T steht für die Chat-Tutorinnen. 11 TN steht für die Chat-Teilnehmer. <?page no="166"?> 166 untutorierten Chat-Stunden 80,9 % der Korrekturfälle Selbstkorrekturen sind, ist dies in den tutorierten lediglich in 66,6 % der Fälle so. Dieses Ergebnis weist in dieselbe Richtung wie das Ergebnis der Studie von Tudini (2003), in der Chat-Interaktionen zwischen Muttersprachlern und Lernenden mit Interaktionen lediglich zwischen Lernenden verglichen wurden. In den Interaktionen zwischen Lernenden waren 50 % der identifizierten Aushandlungsprozesse Selbstkorrekturen. Tudini (ebd.: 155) führt aus, dass Selbstkorrekturen die Interaktion zwischen Lernenden charakterisieren, da Lernende - wie auch die Lernenden im JETZT Deutsch lernen-Chat-Raum - einander Wissen demonstrieren und Korrektheit anstreben wollen. Tabelle 11 zeigt darüber hinaus, dass es in den analysierten Stunden mehr Fremdkorrekturen gibt, wenn ein Tutor im Chat anwesend ist. Während in den tutorierten Stunden 31 Fälle von Fremdkorrektur identifiziert wurden, gab es in den untutorierten Stunden 12 Fremdkorrekturen. Auch Tudini (2003) kam zu einem ähnlichen Ergebnis. In den von Tudini analysierten Interaktionen zwischen Muttersprachlern und Lernenden sind Fremdkorrekturen häufiger als in den Interaktionen nur zwischen Lernenden. Für Tudini sind Fremdkorrekturen daher typisch für Interaktionen zwischen Muttersprachlern und Lernenden, da der Muttersprachler die Ansprechpartner für einen (geäußerten und nicht-geäußerten) Korrekturwunsch ist (ebd.: 156). Die Tatsache, dass Fremdkorrekturen in den tutorierten Stunden häufiger als in den untutorierten Stunden sind, weist darauf hin, dass die Tutorinnen im JETZT Deutsch lernen-Chat ihrer Rolle als Korrekturgeberin Rechnung tragen. Würde man die Hypothese aufstellen, dass sich die Chat-Teilnehmer in den untutorierten Stunden aufgrund der Abwesenheit einer Lehrperson selbst bzw. untereinander nicht korrigieren würden, müsste man sie angesichts der vorliegenden Ergebnisse verwerfen. Auch in den untutorierten Stunden sind Selbst- und Fremdkorrekturen Bestandteil der Interaktion zwischen den Chat-Teilnehmern. Das bedeutet, dass die Chat-Teilnehmer in beiden untersuchten Kontexten nicht nur auf eigene Korrektheit achten und ihre eigenen Fehler zur Korrektur auswählen, sondern auch Korrektheit in den Äußerungen der anderen Chat-Teilnehmern erwarten und deren Fehler fremdkorrigieren. Wirft man einen detaillierten Blick auf die einzelnen Korrekturtypen in Tabelle 12, stellt man fest, dass in beiden untersuchten Kontexten der häufigste Korrekturtyp unter allen identifizierten Korrekturvorgängen selbstinitiierte Selbstkorrekturen sind (61 % in den tutorierten und 79,4 % in den untutorierten Stunden). Zu dieser Unterkategorie 1.1 Selbstinitiierte Selbstkorrektur gehören Korrekturvorgänge, die durchgeführt werden, wenn ein Chat- Teilnehmer in einer korrekturbedürftigen Äußerung seinen Fehler selbst feststellt und korrigiert. <?page no="167"?> 167 Oberkategorie 1: Korrekturtyp Tutorierte Stunden Untutorierte Stunden Häufigkeit % Häufigkeit % 1.1 Selbstinitiierte Selbstkorrektur 57 T: 14/ TN: 43 61 50 79,4 1.2 Fremdinitiierte Selbstkorrektur 5 T: 2/ TN: 3 6 1 1,6 1.3 Selbstinitiierte Fremdkorrektur 7 T: 7/ TN: - 8 2 3,2 1.4 Fremdinitiierte Fremdkorrektur 24 T: 18/ TN: 6 25 10 15,8 Gesamt 93 100 63 100 Tab. 12: Detaillierter Überblick über die Oberkategorie 1 Korrekturtyp in den tutorierten und untutorierten Stunden Zu der Kategorie 1.2 Fremdinitiierte Selbstkorrektur zählen Korrekturen, die vorgenommen werden, wenn eine Chat-Tutorin oder ein Chat-Teilnehmer z.B. durch eine Frage signalisiert, dass ein Fehler in einer Äußerung vorliegt. Daraufhin korrigiert sich derjenige, der den Fehler gemacht hat, selbst. Fremdinitiierten Selbstkorrekturen sind im untersuchten Korpus mit 6 % der Fälle in den tutorierten und 1,6 % in den untutorierten Stunden selten (vgl. Tab. 12). Der Kategorie 1.3 Selbstinitiierte Fremdkorrektur werden Korrekturvorgänge zugeordnet, in denen ein Chat-Teilnehmer durch eine Nachfrage oder eine Bitte um Korrektur signalisiert, dass er selbst einen Fehler in seiner Äußerung wahrgenommen hat. Der Fehler wird dann von der Chat-Tutorin oder einem Chat-Teilnehmer korrigiert. Selbstinitiierte Fremdkorrekturen sind im untersuchten Korpus im Vergleich zu den anderen Korrekturtypen nicht so häufig. Insgesamt sind 8 % der Korrekturvorgänge in den tutorierten und 3,2 % in den untutorierten Stunden Korrekturen dieser Art. Zu der letzten Kategorie 1.4 Fremdinitiierte Fremdkorrektur gehören Korrekturvorgänge, in denen jemand anders als der Produzent der korrekturbedürftigen Äußerung - also z.B. die Chat-Tutorin oder ein anderer Chat-Teilnehmer - darauf aufmerksam macht, dass ein Fehler vorliegt. Auch die Korrektur wird dann von der Chat-Tutorin oder einem Chat-Teilnehmer vorgenommen. Fremdinitiierte Fremdkorrekturen sind die zweithäufigste Korrekturform im untersuchten Korpus. In den tutorierten Stunden sind 25 % der Korrekturen fremdinitiierte Fremdkorrekturen, in den untutorierten Stunden 15,8 %. <?page no="168"?> 168 Die höhere Häufigkeit der Unterkategorie 1.1 Selbstinitiierte Selbstkorrektur in beiden Kontexten lässt sich durch den Rahmen des untersuchten Chat- Raums erklären: Der didaktische Rahmen kann einen direkten Einfluss auf das sprachliche Verhalten sowohl der Chat-Tutorinnen als auch der Chat- Besucher haben (vgl. Kap. 4.2). Einerseits versuchen die Tutorinnen, aufgrund ihrer sprachlichen Vorbildfunktion ihre Äußerungen im Chat so korrekt wie möglich zu schreiben und nehmen daher oft Selbstkorrekturen vor. Anderseits versuchen die Chat-Teilnehmer, die meist Lernende sind, den Tutorinnen und den anderen Chattern zu demonstrieren, wie gut sie die deutsche Sprache beherrschen, indem sie sich oft selbst berichtigen. Wie Desgranges (1990) erklärt, pflegen Muttersprachler - in dieser Studie die Tutorinnen - durch die selbstinitiierten Selbstkorrekturen ihr Image als Vorbilder, wohingegen Lernende, hier die Chat-Teilnehmer, ihr Image als sprachlich kompetente Lernende betonen (vgl. Kap. 7.4). Auszüge 47 und 48 sind Beispiele für Unterkategorie 1.1 Selbstinitiierte Selbstkorrektur. In Auszug 47 aus einer tutorierten Stunde korrigiert der Chat-Teilnehmer Teo seinen eigenen orthographischen Fehler. Auszug aus dem Chat-Protokoll E/ 27.09.07 (19: 54: 02) Teo: ich lerne Deutshe als Hobby (19: 54: 06) Teo: *Deutsch 12 → Fehler im Bereich der Orthographie → Selbstinitiierte Selbstkorrektur Auszug 47: Beispiel für die Unterkategorie 1.1 Selbstinitiierte Selbstkorrektur in den tutorierten Stunden Auszug 48 aus einer untutorierten Stunde zeigt, wie die Chat-Teilnehmerin Katja ihren eigenen orthographischen Fehler und korrigiert. 12 Der Asterisk wird in der Chat-Kommunikation häufig genutzt, um anzuzeigen, dass derjenige, der einen Fehler gemacht hat, diesen selbst bemerkt hat. Die neue, korrigierte Äußerung wird mit Hilfe des Asterisken markiert (vgl. hierzu Kap. 7.8.5). <?page no="169"?> 169 Auszug aus dem Chat-Protokoll Nach B/ 18.11.07 (19: 40: 05) Katja: und jatzt ist es -5 (19: 40: 11) Katja: Hallochen, Lili! (19: 40: 16) Lili: aha.. bei uns ist es kalt..der winter ist gekommne ) (19: 40: 16) Katja: jetzt* → Fehler im Bereich der Orthographie → Selbstinitiierte Selbstkorrektur Auszug 48: Beispiel für die Unterkategorie 1.1 Selbstinitiierte Selbstkorrektur in den untutorierten Stunden Korrekturvorgänge der Unterkategorie 1.2 Fremdinitiierte Selbstkorrektur werden normalerweise aus zwei Gründen vorgenommen: Entweder möchte derjenige, der die Korrektur initiiert, die Äußerung seines Kommunikationspartners besser verstehen, oder er möchte seinem Kommunikationspartner signalisieren, dass es in seiner Äußerung einen Fehler gab. Diese Initiierung der Korrektur fungiert als Impuls oder als Nachfrage, die denjenigen, der den Fehler gemacht hat, dazu bringt, seinen eigenen Fehler zu korrigieren. In beiden untersuchten Kontexten war die Häufigkeit der Unterkategorie 1.2 Fremdinitiierte Selbstkorrektur niedrig. In den tutorierten Stunden wurden lediglich 6 % der Korrekturen vorgenommen, weil die Chat-Teilnehmer Verständnisschwierigkeit aufgrund des Fehlers eines ihrer Kommunikationspartners hatten und ihm signalisieren mussten, er solle seinen eigenen Fehler korrigieren, um sich verständlich zu machen. Auszug 49 ist ein Beispiel für die Unterkategorie 1.2 Fremdinitiierte Selbstkorrektur. Dieser Auszug zeigt, wie die Nachfrage der Tutorin G den Chat-Teilnehmer Biba dazu führt, seinen Fehler im Bereich der Ausdrucksform selbst zu korrigieren. <?page no="170"?> 170 Auszug aus dem Chat-Protokoll G/ 24.10.07 (17: 24: 32) Biba: sind die Namen Elke und silke sehr volkslieb mit Eltern in Deutschland? (…) (17: 25: 35) Tutorin G: Blitz, ich verstehe deine Frage leider nicht? (…) (17: 26: 26) Biba: Gibt es viele Frauen mit Name Elke und Silke in Deutschland? (17: 27: 42) Tutorin G: Blitz, nein, eigentlich nicht → Fehler im Bereich der Ausdrucksform → Nachfrage/ Initiierung der Korrektur → Fremdinitiierte Selbstkorrektur Auszug 49: Beispiel für die Unterkategorie 1.2 Fremdinitiierte Selbstkorrektur in den tutorierten Stunden In den untutorierten Stunden gab es nur einen Fall der Kategorie 1.2 Fremdinitiierte Selbstkorrektur. Auszug 50 zeigt, wie die Korrektur zwar fremdinitiiert wurde, jedoch nicht aufgrund einer Verständnisschwierigkeit, sondern weil der Chat-Teilnehmer seinem Kommunikationspartnern lediglich signalisieren will, dass ein Fehler im Chat vorlag und verbessert werden sollte. In diesem Auszug bringt die Nachfrage des Chat-Teilnehmers Estrela die Chat-Teilnehmerin Tatiana dazu, ihren grammatischen Fehler selbst zu berichtigen. Estrela tippt nach der fehlerhaften Äußerung drei Fragezeichen und initiiert damit die Korrektur. Durch diese Nachfrage merkt Tatiana ihren Fehler und korrigiert ihn selbst. Auszug aus dem Chat-Protokoll nach H/ 05.10.07 (19: 48: 20) Tatiana: ich war in Thailand studiert (19: 48: 26) Estrela: ? ? ? (19: 48: 31) Estrela: war oder habe? (19: 48: 37) Tatiana: hatte (19: 48: 41) Tatiana: habe* (19: 48: 44) Tatiana: oh (19: 48: 47) Estrela: lol → Grammatischer Fehler → Nachfrage/ Initiierung der Korrektur → Nachfrage/ Initiierung der Korrektur → Direkte Selbstkorrektur (falsch→ falsch) → Direkte Selbstkorrektur (falsch→ richtig) Auszug 50: Beispiel für die Unterkategorie 1.2 Fremdinitiierte Selbstkorrektur in den untutorierten Stunden <?page no="171"?> 171 Auszug 50 ist darüber hinaus ein Beispiel für die von Ellis (1997: 17 ff.) vorgeschlagene Unterscheidung in errors und mistakes (vgl. Kap. 7.2). Hier testet Estrela die Kenntnisse von Tatiana, um zu wissen, ob sie sprachlich in der Lage ist, ihren eigenen Fehler zu berichtigen. Da Tatiana durch diesen „Test“ ihren Fehler bemerkt und ihn korrigieren kann, handelt sich in diesem Fall um einen mistake im Sinne von Ellis. Die Zahl der Fälle der Kategorie 1.3 Selbstinitiierte Fremdkorrektur war im untersuchten Korpus nicht hoch (vgl. Tab. 12). In den tutorierten Stunden, in denen 8 % aller Korrekturvorgänge selbstinitiierte Fremdkorrekturen waren, haben ausschließlich die Tutorinnen diese Korrekturen vorgenommen und somit auf die Korrekturwünsche reagiert. Folgende Gründe können möglicherweise diese häufigen Korrekturübernahmen seitens der Tutorinnen erklären: (i) Bei einer Bitte um Korrektur gingen die anderen Chat-Teilnehmer davon aus, dass Korrekturen zu den Aufgaben der Tutorinnen gehören und dass solche Bitten immer an die Tutorinnen gerichtet sind. Sie reagierten daher nicht auf die geäußerten Bitten um Korrektur; (ii) Die Chat-Teilnehmer konnten selbst keine Hilfe leisten und beantworten daher die im Chat gestellten Fragen nicht; (iii) Die Tutorinnen fühlten sich ihrerseits bei expliziten Korrekturwünschen immer direkt angesprochen und reagierten deshalb schnell darauf. Auszug 51 ist ein Beispiel für die Unterkategorie 1.3 Selbstinitiierte Fremdkorrektur in den tutorierten Stunden. Der Chat-Teilnehmer Diego macht einen grammatischen Fehler und fragt selbst nach einer Korrektur. Dazu setzt er am Ende seiner Äußerung ein Fragezeichen und signalisiert der Tutorin dadurch, dass er sich Korrektur wünscht. Hierdurch initiiert die Fremdkorrektur, die anschließend von der Tutorin A vorgenommen wird. Auszug aus dem Chat-Protokoll A/ 26.11.07 (09: 52: 11) Diego: Gestern haben wir auf diesen Chat die Witze geerzält (? ) (09: 52: 22) Tutorin A: erzählt (09: 52: 28) Tutorin A: ohne (ge) (09: 52: 35) Diego: ohne ge (09: 52: 40) Tutorin A: ja (09: 52: 59) Tutorin A: Wir haben gestern in diesem Chat Witze erzählt → Fehler im Bereich der Grammatik/ Initiierung der Korrektur → Fremdkorrektur Auszug 51: Beispiel für die Unterkategorie 1.3 Selbstinitiierte Fremdkorrektur in den tutorierten Stunden <?page no="172"?> 172 Während in den tutorierten Stunden 8 % der Korrekturfälle selbstinitiierte Fremdkorrekturen waren, war dies lediglich bei 3,2 % der Korrekturen in den untutorierten Stunden der Fall. Möglicherweise rechnen die Chat-Teilnehmer, die in den untutorierten Stunden Fehler machen und sprachliche Hilfe benötigen, nicht damit, dass seine Kommunikationspartner im Chat bereit oder sprachlich in der Lage sind, sie zu korrigieren. Sie initiieren bzw. fragen daher selbst nicht häufig in den untutorierten Stunden nach einer Fremdkorrektur. Ohne die Anwesenheit der Tutorinnen wollen diejenigen, die Fehler machen und sich dessen bewusst sind, vielleicht nicht den Kommunikationsfluss wegen ihrer Fehler unterbrechen. Auszug 52 ist ein Beispiel für selbstinitiierte Fremdkorrektur in einer untutorierten Stunde. Der Chat-Teilnehmer Nelson macht einen grammatischen Fehler und versucht, ihn selbst zu korrigieren. Damit initiiert er die Korrektur, die jedoch danach vom Chat-Teilnehmer Tadeu vorgenommen wird. Auszug aus dem Chat-Protokoll nach C/ 23.10.07 (21: 04: 55) Tadeu: ich gehe auch, jetzt ist auf Polsat gut Film mit Sandra Bullock : D (21: 05: 04) Nelson: : ( (21: 05: 07) Nelson: und ich? ? (21: 05: 08) Tadeu: sorry (21: 05: 12) Tadeu: geh auch : D (21: 05: 12) Danilo: ich komme später (21: 05: 18) Nelson: was hat ich machen? ? (21: 05: 25) Nelson: habe (21: 05: 29) Tadeu: soll* → Fehler im Bereich der Grammatik → Selbstkorrektur (falsch → falsch) → Fremdkorrektur (falsch → richtig) Auszug 52: Beispiel für die Unterkategorie 1.3 Selbstinitiierte Fremdkorrektur in den untutorierten Stunden Die zweithäufigste Korrekturform im untersuchten Korpus ist die fremdinitiierte Fremdkorrektur (Unterkategorie 1.4) (vgl. Tab. 12). In den tutorierten Stunden, in denen 24 Korrekturvorgänge (25 %) dieser Form identifiziert wurden, haben Tutorinnen im Vergleich zu den Chat-Teilnehmern häufiger fremdkorrigiert (die Tutorinnen korrigierten 18 Fehler, die Chat-Teilnehmer 6). Die Tutorinnen erfüllten mit diesen Fremdkorrekturen ihre Rolle als Korrekturgeberinnen in dem untersuchten Chat. Auch die Teilnehmer haben sich <?page no="173"?> 173 gegenseitig korrigiert und diese Rolle der Tutorinnen übernommen. Dieses Verhalten der Chat-Teilnehmer kann auf den kooperativen Charakter der Interaktion im JETZT Deutsch lernen-Chat verweisen, da sich die Lernenden möglicherweise dessen bewusst sind, dass sie sich in einem didaktisierten Chat befinden und sich daher gegenseitig unterstützen sollten (vgl. Tudini 2003, Rebelo 2006, Araújo e Sá/ Melo 2009). Dieses Verhalten kann jedoch auch darauf verweisen, dass die Kommunikation zwischen den Chat-Teilnehmern und den Tutorinnen kein großes hierarchisches Gefälle aufweist, wie Platten (2003: 166) feststellt. Die Chat-Teilnehmer können in diesem Chat die Rolle der Tutorinnen als Korrekturgeberinnen übernehmen und selbst Fremdkorrekturen vornehmen. Wie sie dies machen und wie diejenigen, die korrigiert werden, reagieren, werde ich in den Kapiteln 7.8.5 und 7.8.6 diskutieren. Auszüge 53 und 54 sind Beispiele für die Unterkategorie 1.4 Fremdinitiierte Fremdkorrektur in den tutorierten und untutorierten Stunden. Auszug 53 zeigt, wie die Tutorin E einen grammatischen Fehler der Chat-Teilnehmerin Sara fremdkorrigiert. Sara entschuldigt sich für ihren Fehler und nennt die Tutorin „Lehrerin“, weil sie die Tutorin aufgrund ihres Korrekturverhaltens als Lehrerin wahrnimmt. Auszug aus dem Chat-Protokoll E/ 27.09.07 (20: 15: 16) Sara: PAISA HAT "BISS- HEN" GESCHRIBT (…) (20: 15: 22) Tutorin E: geschrieben (20: 15: 33) Sara: SORRY (20: 15: 40) Sara: LEHRERIN → Fehler im Bereich der Grammatik → fremdinitiierte Fremdkorrektur Auszug 53: Beispiel für die Unterkategorie 1.4 Fremdinitiierte Fremdkorrektur in den tutorierten Stunden Auch in den untutorierten Stunden ist die Unterkategorie 1.4 Fremdinitiierte Fremdkorrektur die zweithäufigste Kategorie mit 15,8 % der Korrekturfälle. Obwohl in den untutorierten Stunden keine Person anwesend ist, die offiziell korrigieren soll, nehmen die Chat-Teilnehmer fremdinitiierte Fremdkorrekturen vor. Mit diesem Verhalten wollen die Chat-Teilnehmer eventuell einander helfen und/ oder sie wollen im Chat ihr Wissen über die deutsche Sprache demonstrieren. Darüber hinaus streben die Chat-Teilnehmer durch das gegenseitige Korrigieren sprachliche Korrektheit an. Auszug 54 zeigt, wie die Chat-Teilnehmerin Rose den grammatischen Fehler des Chat-Teilneh- <?page no="174"?> 174 mers Mario direkt fremdkorrigiert (vgl. zu den Korrekturformen auch Kap. 7.8.5). Auszug aus dem Chat-Protokoll nach E/ 19.11.07 (10: 29: 05) Mario: hamburg sehr schön (10: 29: 41) Mario: als was studirst du (10: 29: 42) Rose: "hamburg ist sehr schön" musst du schreiben → Grammatischer Fehler → Direkte Fremdkorrektur (falsch→ richtig) Auszug 54: Beispiel für die Unterkategorie 1.4 Fremdinitiierte Fremdkorrektur in den untutorierten Stunden Berücksichtigt man einige der wichtigsten Merkmale der Chat-Kommunikation wie Synchronizität und Länge der Äußerungen (vgl. Kap. 3.1), würde man in der Äußerung von Mario in diesem Auszug keinen Fehler erkennen. Mario wollte eventuell seinen Kommunikationspartner nicht warten lassen und hat deswegen einfach schnell und kurz seine Äußerung getippt. Um den Aufwand der Äußerungsproduktion zu verringern, schreibt er den Satz „hamburg sehr schön“ ohne Verb. Das toleriert Rose nicht, die ihn direkt korrigiert. Rosen schreibt, wie der Satz von Mario mit Verb lauten sollte. Dieses Verhalten von Rose ist ein Zeichen dafür, dass die Chat-Teilnehmer in den untutorierten Stunden Wert auf Korrektheit legen. Der JETZT Deutsch lernen-Chat ist ein Ort, an dem die Besucher die deutsche Sprache lernen können, und daher wollen sie sich in richtigen und kompletten Sätzen austauschen. Fehlerhafte oder fragmentarische Äußerungen können das Verständnis zwischen den Chat-Teilnehmer erschweren und entsprechen nicht den Normen der Grammatik. Sie sollen nach Meinung einiger Chat-Besucher - wie für Rose in diesem Auszug - daher vermieden und korrigiert werden. 7.8.4 Korrekturbereich Um die 156 Korrekturvorgänge im analysierten Korpus weiter auszuwerten, wurde die Oberkategorie 2 Korrekturbereich entwickelt, die aus drei Unterkategorien besteht: 2.1 Orthographie, 2.2 Grammatik und 2.3 Ausdrucksform. Die Analyse der Daten zeigt, dass die meisten korrigierten Fehler sowohl in den tutorierten als auch in den untutorierten Stunden aus dem Bereich der Orthographie und der Grammatik sind. Die Unterkategorie 2.1 Orthographie bezieht sich hauptsächlich auf Korrekturen von Tippfehlern bzw. Flüchtig- <?page no="175"?> 175 keitsfehlern oder anderen orthographischen Fehlern. 13 Zur Unterkategorie 2.2 Grammatik gehören Korrekturen syntaktischer Fehler, die u.a. mit folgenden grammatischen Themen zusammenhängen: Konjugation, Deklination, Genus, Tempus, Präpositionen und Satzstruktur. Der letzten Unterkategorie 2.3 Ausdrucksform werden Korrekturen von Fehlern zugeordnet, die im Bereich der Lexik und Semantik gemacht werden. Von den 93 identifizierten Korrekturfällen in den tutorierten Stunden waren 61,3 % Korrekturen orthographischer Fehler (57 Fälle), 31,2 % grammatischer Fehler (29 Fälle) und 7,5 % von Fehlern im Bereich der Ausdrucksform (7 Fälle). Von den 63 Korrekturvorgängen in den untutorierten Stunden waren 52,4 % Korrekturen orthographischer Fehler (33 Fälle), 39,7 % grammatischer Fehler (25 Fälle) und 7,9 % Korrekturen von Fehlern im Bereich der Ausdrucksform (5 Fälle) (vgl. Tab. 13). Oberkategorie 2: Korrekturbereich Tutorierte Stunden Untutorierte Stunden Häufigkeit % Häufigkeit % 2.1 Orthographie 57 61,3 33 52,4 2.2 Grammatik 29 31,2 25 39,7 2.3 Ausdrucksform 7 7,5 5 7,9 Gesamt 93 100 63 100 Tab. 13: Häufigkeit der Oberkategorie 2 Korrekturbereich in den tutorierten und untutorierten Stunden Dieses Ergebnis zeigt, dass die Tutorinnen und die Chat-Teilnehmer intensiv auf die Korrektur der orthographischen und grammatischen Formen der im Chat verwendeten Sprache achten. Das bedeutet, dass die Chat-Tutorinnen und Chat-Teilnehmer trotz aller eventuellen Schwierigkeiten mit der Kommunikationsdynamik des Chats - lesen, schnell denken, antworten und tippen, wieder lesen und weiter tippen (vgl. Kap. 3.1) - großen Wert auf die 13 Hierbei wird darauf verzichtet, zwischen Tippfehlern und orthographischen Fehlern zu unterscheiden. Beißwenger (2001) erklärt, dass Tippfehler häufig wegen der Anschlagsdynamik der Tastatur gemacht werden. Dabei bezieht er sich auf eine Untersuchung mit Probanden aus Deutschland, die mit einer deutschen Tastatur chatten. Aufgrund der Internationalität der Besucher des Chat-Raums der vorliegenden Studie kann man nicht erahnen, was für eine Tastatur sie zur Verfügung haben und ihre Tippfehler mit der Schlagdynamik ihrer Tastatur begründen. Ob die hier analysierten orthographischen Fehler Tippfehler oder eine Wissenslücke der Chat-Teilnehmer sind, wird hier nicht näher untersucht. <?page no="176"?> 176 Orthographie legen, um Korrektheit und/ oder Verständlichkeit anzustreben. Darüber hinaus weist dieses Ergebnis in dieselbe Richtung wie die Resultate anderer Chat-Studien in der Fremdsprachendidaktik, deren Autoren zu dem Schluss kommen, dass Interaktionen in didaktisierten Chat-Räumen die Lernenden dazu führen, ihre eigenen Fehler zu bemerken und sich auf ihre Schwierigkeiten über die Formen und Struktur der Zielsprache zu konzentrieren (vgl. Blake 2000; Pellettieri 2000). Tudini (2003: 156) zeigt in ihrer Studie, dass die Lernenden im Chat viel Wert auf die korrekte Nutzung der Formen der Sprache legen („focus on form“) und deswegen viele Korrekturen im Bereich der Orthographie und Grammatik vornehmen. Für die Besucher des JETZT Deutsch lernen Chat-Raums ist das möglicherweise auch ein Grund, warum sie so häufig ihre orthographischen und grammatischen Fehler berichtigen. Obwohl sie sich in einem freien Chat befinden, wo sie nicht benotet werden, finden sie es wichtig, die formellen Regeln der deutschen Sprache richtig anzuwenden. Auch wenn medienbedingte Aspekte der Chat-Kommunikation vielleicht diese Anwendung etwas erschwert, versuchen sie, weiterhin Korrektheit anzustreben. Tabelle 14 zeigt, wie die im Korpus identifizierten Fehler auf unterschiedliche Weise korrigiert werden. Während Fehler aus der Unterkategorie 2.1 Orthographie in den untutorierten Stunden ausschließlich selbstkorrigiert werden, werden sie in den tutorierten Stunden sowohl selbstkorrigiert als auch fremdkorrigiert. Fehler aus den Unterkategorien 2.2 Grammatik und 2.3 Ausdrucksform werden in den tutorierten und untutorierten Stunden nicht nur selbstkorrigiert, sondern auch fremdkorrigiert. <?page no="177"?> 177 Oberkategorie 2: Korrekturbereich 2.1 Orthographie 2.2 Grammatik 2.3 Ausdrucksform Tu. 14 Un. 15 Tu. Un. Tu. Un. 1.1 Selbstinitiierte Selbstkorrektur 44 T: 9/ TN: 35 33 13 T: 5/ TN: 8 14 - 3 1.2 Fremdinitiierte Selbstkorrektur 4 T: 2/ TN: 2 - - 1 1 T: -/ TN: 1 - 1.3 Selbstinitiierte Fremdkorrektur - - 4 T: 4/ TN: - 2 3 T: 3/ TN: - - 1.4 Fremdinitiierte Fremdkorrektur 9 T: 9/ TN: - - 12 T: 6/ TN: 6 8 3 T: 3/ TN: - 2 Gesamt 57 T: 20/ TN: 37 33 29 T: 15/ TN: 14 25 7 T: 6/ TN: 1 5 Tab. 14: Oberkategorie 2 Korrekturbereich in den tutorierten Stunden Tabelle 14 zeigt darüber hinaus, dass die Tutorinnen nicht nur orthographische und grammatische Fehler, sondern auch Ausdrucksformfehler der Chat-Teilnehmer korrigieren. Die Chat-Teilnehmer hingegen berichtigen lediglich Fehler von anderen Chat-Teilnehmern, die im Bereich der Grammatik gemacht wurden. Orthographische Fehler werden in den tutorierten Stunden nicht von den Chat-Teilnehmern fremdkorrigiert. Auch in den untutorierten Stunden werden orthographische Fehler nur von denjenigen korrigiert, die die Fehler selbst gemacht haben. Dieses Analyseergebnis ist ein Indiz dafür, dass die Chat-Teilnehmer sowohl in den tutorierten als auch in den untutorierten Stunden eine erhöhte Toleranz gegenüber orthographischen Fehlern haben oder dass sie keine Notwendigkeit für eine Korrektur solcher Fehler sehen. Dieses Ergebnis weist in dieselbe Richtung wie die Er- 14 „Tu.“ bezeichnet die tutorierten Stunden. 15 „Un.“ bezeichnet die untutorierten Stunden. <?page no="178"?> 178 gebnisse von Beißwenger (2000) und Bittner (2003), die ausführen, dass in freien Chats die Toleranz gegenüber Fehlern hoch ist (vgl. Kap. 7.3). Die Chat-Teilnehmer korrigieren lediglich ihre eigenen orthographischen Fehler, jedoch keine der anderen Chat-Teilnehmer. Wie Desgranges (1990) in ihrer Studie gezeigt hat, räumen die Nicht-Muttersprachler bzw. die Lernenden- aber in der vorliegenden Studie auch die Tutorinnen - mit diesem Verhalten in beiden untersuchten Kontexten der eigenen orthographischen Korrektheit Vorrang ein, um ihr eigenes Image zu pflegen, Wissen zu demonstrieren und eventuelle Missverständnisse zu vermeiden. Orthographische Fehler scheinen angesichts dieses Ergebnisses nicht oft ein Grund für Fremdkorrektur zu sein. Dieses Verhalten wurden von den Tutorinnen in den Fragebögen erklärt (vgl. Kap. 7.6): Die Tutorinnen wollen auf einer Seite orthographische Fehler korrigieren, weil sie ihre Rolle als Korrekturgeberin erfüllen möchten und/ oder weil sie im Chat nicht herausfinden können, ob es sich um einen Fehler oder ein „mistake“ im Sinne von Ellis (1997) handelt (vgl. dazu Kap. 7.2). Auf der anderen Seite wollen die Tutorinnen so wenig orthographische Fehler wie möglich berichtigen, weil sie den Redefluss in der Interaktion nicht unterbrechen möchten. Die Chat-Teilnehmer korrigieren keine orthographischen Fehler der anderen Kommunikationspartner, weil sie - wie die Tutorinnen - nicht die Interaktion unterbrechen wollen. Desgranges (ebd.) erklärt darüber hinaus, dass Lernende einander oft nicht korrigieren, weil sie lieber ihr Image als freundlicher Kommunikationspartner pflegen wollen als die Beziehung mit dem Kommunikationspartner wegen einer Fremdkorrektur zu riskieren. Viele orthographische Fehler werden vielleicht von den Chat-Teilnehmern gar nicht bemerkt und deswegen nicht fremdkorrigiert. Aufgrund der Synchronizität und des Produktionsaufwands der Chat-Kommunikation beschäftigen sich die Chat-Teilnehmer mehr mit der Produktion ihrer eigenen Äußerungen als mit den Äußerungen der anderen Kommunikationspartner (vgl. Kap. 3.1.2). Ferner ist es im JETZT Deutsch lernen-Chat auch möglich, dass sich die Chat-Teilnehmer aufgrund des didaktischen Rahmens dieses Angebotes nicht als Korrekturgeber sehen und sich deswegen gegenüber den orthographischen Fehlern ihrer Kommunikationspartner völlig zurückhalten (vgl. Kap. 7.8.3). 7.8.5 Korrekturform Die 156 im Korpus identifizierten Korrekturvorgänge wurden in unterschiedlichen Formen vorgenommen. Um diese Vorgänge zu beschreiben, wurden fünf verschiedene Unterkategorien entwickelt: 3.1 Direkte Korrektur (+ Entschuldigung), 3.2 Direkte Korrektur + Absprache, 3.3 Bitte um Korrektur + Direkte Korrektur (+ grammatische Erklärung), 3.4 Nachfrage + Direkte Korrek- <?page no="179"?> 179 tur (+ Entschuldigung oder + grammatische Erklärung) und 3.5 Indirekte Korrektur. Von den 93 Vorgängen in den tutorierten Stunden sind 70 Fälle der Kategorie 3.1 Direkte Korrektur (+ Entschuldigung) identifiziert worden, sechs Fälle der Kategorie 3.2 Direkte Korrektur + Absprache, sieben Fälle der Kategorie 3.3 Bitte um Korrektur + Direkte Korrektur (+ grammatische Erklärung), sieben Fälle der Kategorie 3.4 Nachfrage + Direkte Korrektur (+ Entschuldigung oder + grammatische Erklärung) und drei Fälle der Kategorie 3.5 Indirekte Korrektur (vgl. Tab. 15). Die 63 Korrekturvorgänge aus den untutorierten Stunden wurden hingegen lediglich in zwei verschiedenen Formen durchgeführt. Insgesamt wurden 62 Fälle der Kategorie 3.1 Direkte Korrektur (+ Entschuldigung) und ein Fall der Kategorie 3.4 Nachfrage + Direkte Korrektur (+ Entschuldigung oder + grammatische Erklärung) gefunden (vgl. Tab. 15). 1.1 Selbstinit. Selbst. 1.2 Fremdinit. Selbst. 1.3 Selbstinit. Fremd. 1.4 Fremdinit. Fremd. Oberkategorie 3: Korrekturform Tu. Un. Tu. Un. Tu. Un. Tu. Un. 3.1 Direkte Korrektur 57 T: 14/ TN: 43 50 - - - 2 13 T: 8/ TN: 5 10 3.2 Direkte Korrektur + Absprache - - - - - - 6 T: 6/ TN: - - 3.3 Bitte um Korrektur + Direkte Korrektur - - - - 7 T: 7/ TN: - - - - 3.4 Nachfrage + Direkte Korrektur - - 5 T: 2/ TN: 3 1 - - 2 T: 1/ TN: 1 - 3.5 Indirekte Korrektur - - - - - - 3 T: 3/ TN: - Tab. 15: Häufigkeit der Oberkategorie 3 Korrekturform in den tutorierten und untutorierten Stunden <?page no="180"?> 180 Bezüglich der Unterscheidung zwischen Selbstkorrekturen und Fremdkorrekturen lässt sich aus Tabelle 15 ersehen, dass Selbstkorrekturen in den tutorierten und in den untutorierten Chat-Stunden lediglich direkt (107 Fälle) oder nach einer Nachfrage (6 Fälle) vorgenommen wurden. Die Formen der Fremdkorrekturen in den untutorierten Stunden variieren weniger als die in den tutorierten Stunden, d.h. während in den untutorierten Stunden alle Fremdkorrekturen ausschließlich direkt vorgenommen werden (12 Fälle), gibt es in den tutorierten Stunden unterschiedliche Korrekturformen. Fremdkorrekturen in den tutorierten Stunden erfolgten direkt (13 Fälle), mit Absprache (6 Fälle), nach einer expliziten Bitte um Korrektur (7 Fälle), nach einer Nachfrage (2 Fälle) und indirekt (3 Fälle). Aus Tabelle 15 geht darüber hinaus hervor, dass ausschließlich die Tutorinnen Fremdkorrekturen mit Absprachen, nach einer expliziten Bitte um Korrektur und indirekt vorgenommen haben. Dieses Ergebnis zeigt, dass sich die Tutorinnen beim Fremdkorrigieren vorsichtiger als die Chat-Teilnehmer verhalten, um ihr Image zu pflegen und eventuelle Konflikte bei unerwünschten Korrekturen zu vermeiden. Damit versuchen die Tutorinnen ebenfalls, eine kooperative und freundliche Interaktion im Chat zu schaffen (vgl. Kap. 7.6). Zu der Tatsache, dass Fremdkorrekturen nur in den tutorierten Stunden explizit erwünscht sind (Unterkategorie 3.3), lässt sich ausführen, dass die Anwesenheit der Tutorinnen im Chat den didaktischen Charakter des Kommunikationsangebots des Projektes JETZT Deutsch lernen verstärkt. Die Chat-Teilnehmer sehen die Tutorinnen als Ansprechperson für Korrekturen und nutzen die Gelegenheit im Chat, ihre sprachlichen Hypothesen zur deutschen Sprache zu überprüfen und ihre Sprachkenntnisse zu verbessern (vgl. Kap 1). In den analysierten untutorierten Stunden äußern die Chat-Teilnehmer keinen expliziten Korrekturwunsch, weil sie möglicherweise ihre Kommunikationspartner nicht in erster Linie als Korrekturgeber sehen. Wie bereits gezeigt wurde, gibt es in den untutorierten Stunden zwar Fremdkorrekturen, aber sie werden nicht explizit von demjenigen erbeten oder initiiert, der den Fehler gemacht hat. Aus den 132 Korrekturvorgängen der Unterkategorie 3.1 Direkte Korrektur (+ Entschuldigung) sind 107 der Fälle Selbstkorrekturen und 25 Fremdkorrekturen. Der Unterkategorie 3.1 Direkte Korrektur (+ Entschuldigung) sind Daten zuzuordnen, in denen eine direkte Korrektur vorgenommen wird. Eine direkte Korrektur im Chat ist ein einfacher Ersetzungsvorgang, dessen Kennzeichnung höchstens mit einem oder mehreren Asterisken (*) erfolgt. Eventuell entschuldigt sich der Chat-Teilnehmer für den Fehler oder er erklärt, warum er ihn gemacht hat. Auszüge 55 und 56 sind Beispiele für Selbstkorrekturen, die direkt von der Person vorgenommen wurden, die einen <?page no="181"?> 181 Fehler gemacht hat und ihn direkt im Anschluss durch das Tippen der korrekten Form ersetzt. In Auszug 55 korrigiert die Tutorin D schnell ihren orthographischen Fehler bei dem Wort „Celkius“ und entschuldigt sich dafür. Auszug aus dem Chat-Protokoll D/ 26.09.07 (17: 01: 42) Tutorin D: das Wetter? Das spinnt! HEute Nacht war es nur 4 Grad Ceksius! Ich habe heute meine Winterjacke angehabt! (…) (17: 01: 48) Tutorin D: Celsius, entschuldigung → Orthographischer Fehler → Direkte Selbstkorrektur + Entschuldigung (falsch→ richtig) Auszug 55: Beispiel für die Unterkategorie 3.1 Direkte (Selbst-)Korrektur in einer tutorierten Stunde Auszug 56 ist ein Beispiel für die Selbstkorrektur eines grammatischen Fehlers in einer untutorierten Stunde. Die Chat-Teilnehmerin Sandra verbessert die Verbposition in ihrer Äußerung. Auszug aus dem Chat-Protokoll nach C/ 02.10.07 (20: 06: 38) Sandra: aber kannst du sehr stolz auf dich sein Astar (20: 06: 44) Michel: ich beneide dich wegen der Prüfung (20: 06: 45) Sandra: du kannst ** → Grammatischer Fehler → Direkte Selbstkorrektur (falsch→ richtig) Auszug 56: Beispiel für die Unterkategorie 3.1 Direkte (Selbst-)Korrektur in einer untutorierten Stunde Auszüge 57 und 58 sind Beispiele für Fremdkorrekturen, die direkt vorgenommen wurden. In Auszug 57 korrigiert die Tutorin E den orthographischen Fehler der Chat-Teilnehmerin Sara direkt, obwohl es keine Äußerung eines Korrekturwunsches bzw. keiner Absprache über den Korrekturvorgang gab. <?page no="182"?> 182 Auszug aus dem Chat-Protokoll E/ 20.09.07 (20: 27: 20) Sara: ICH STIDIERE DEUTSCH (20: 27: 26) Tutorin E: studiere (20: 27: 27) Sara: JA → Orthographischer Fehler → Direkte Fremdkorrektur (falsch→ richtig) Auszug 57: Beispiel für die Unterkategorie 3.1 Direkte (Fremd-)Korrektur in einer tutorierten Stunde Auszug 58 zeigt, wie ein Chat-Teilnehmer eine Korrektur selbst initiiert und daraufhin eine Fremdkorrektur bekommt. Dabei kommentiert der Teilnehmer Gert, dass die Tutorin, die vorher im Chat anwesend war, „[e]in[e] nette Deutsche [war]“. Er selbst initiiert die Korrektur seines Fehlers. Trotzdem gelingt ihm nicht, den Fehler völlig zu korrigieren. Infolgedessen bekommt er eine Fremdkorrektur von zwei anderen Chat-Teilnehmern, Klaus und Jonas. Auszug aus dem Chat-Protokoll nach H/ 07.09.07 (21: 01: 10) Gert: sie war in nette Deutsche (21: 01: 14) Gert: ein* (…) (21: 01: 58) Klaus: --->> sie war eine nette Deutsche <<------ (…) (21: 02: 21) Jonas: sie ist immer noch eine nette deutsche (21: 02: 51) Jonas: : -P weiterhin → Orthographischer Fehler → Selbstverbesserung/ Initiierung der Korrektur (falsch→ falsch) → Direkte Fremdkorrektur (falsch→ richtig) → Fremdkorrektur Auszug 58: Beispiel für die Unterkategorie 3.1 Direkte (Fremd-)Korrektur in einer untutorierten Stunde Der Unterkategorie 3.2 Direkte Korrektur + Absprache sind Korrekturvorgänge zuzuordnen, in denen jemand zwar einen Fehler direkt korrigiert, aber vor oder nach der Korrektur fragt, ob derjenige, der den Fehler gemacht hat, mit der Korrektur einverstanden ist bzw. ob eine Korrektur erlaubt ist. Für diese Unterkategorie wurden sechs Fälle ausschließlich in den tutorierten Stunden gefunden, in denen fremdinitiiert und fremdkorrigiert wurde. Auszug 59 zeigt, wie die Tutorin C, nachdem sie den Ausdrucksformfehler des <?page no="183"?> 183 Chat-Teilnehmers Estrela korrigiert hat, fragt, ob Estrela mit der Korrektur einverstanden sei. Auszug aus dem Chat-Protokoll C/ 13.09.07 (18: 25: 17) Tutorin C: hallo Estrela! (18: 25: 20) Estrela: : ) (18: 25: 24) Tutorin C: Schön, dich wieder zu 'sehen' (18: 25: 36) Estrela: gleich bei mir. (18: 25: 38) Estrela: : D (18: 26: 01) Estrela: Worum geht es hier? (18: 26: 16) Tutorin C: gleichfalls* oder mir geht es genau so* : ) (18: 26: 33) Tutorin C: du willst doch immer noch, dass ich dich korrigiere, oder? (18: 26: 36) Tutorin C: : ) (…) (18: 26: 58) Estrela: LOL dtimmt → Ausdrucksformfehler → Direkte Fremdkorrektur → Absprache Auszug 59: Beispiel für die Unterkategorie 3.2 Direkte Korrektur + Absprache in einer tutorierten Stunde Der Unterkategorie 3.3 Bitte um Korrektur + Direkte Korrektur (+ grammatische Erklärung) gehören Korrekturvorgänge an, in denen jemand um eine Korrektur bittet und dazu eine direkte Korrektur bekommt. Eventuell fügt der Korrekturgeber noch eine grammatische Erklärung hinzu. Für diese Unterkategorie wurden sieben Fälle, ebenfalls nur in den tutorierten Stunden, identifiziert. Zu dem Zeitpunkt, an dem der Chat-Teilnehmer bemerkt, dass er einen Fehler gemacht hat und ihn nicht berichtigen kann, bemerkt er auch, dass er Hilfe benötigt. Der Chat-Teilnehmer initiiert daher mit einer Frage bzw. einer Bitte die Korrektur, die von einem seiner Kommunikationspartner vorgenommen wird. Bei der Initiierung der Korrektur kann der Chat- Teilnehmer sprachliche Hypothesen aufstellen. Dabei spricht er an einen Kommunikationspartner, um eine Bestätigung für seine Hypothese zu bekommen oder von ihm direkt korrigiert zu werden. Auszüge 40 und 41 zeigen den Ablauf einer solchen Korrekturform. In Auszug 60 signalisiert der Teilnehmer Benjamin durch das Tippen von zwei sprachlichen Hypothesen <?page no="184"?> 184 und drei Fragezeichen, dass er die richtige Form für den Ausdruck „betrunken sein“ nicht kennt und deswegen Hilfe braucht. Danach fragt er noch explizit, ob er richtig formuliert habe, und die Tutorin C antwortet gleich danach mit den richtigen Formen des Ausdrucks. Auszug aus dem Chat-Protokoll C/ 04.09.07 (19: 05: 35) Benjamin: du hast recht ,gleichzeitig singe ich gerne wenn ich zu viel betrunken hab (19: 05: 49) Benjamin: oder zu vile betrunken bin ? ? ? (19: 05: 50) Tutorin C: und im Badezimmer? (19: 05: 59) Benjamin: hab ich richtig gesagt ? (19: 06: 17) Tutorin C: * wenn ich betrunken bin oder * wenn ich zu viel getrunken habe (19: 06: 28) Benjamin: ok danke danke → Ausdrucksformfehler → Initiierung der Korrektur/ Bitte um Korrektur → Bitte um Korrektur → Direkte Korrektur Auszug 60: Beispiel für die Unterkategorie 3.3 Bitte um Korrektur + Direkte Korrektur (+ grammatische Erklärung) in einer tutorierten Stunde In Auszug 61 macht der Teilnehmer Marcelo einen grammatischen Fehler, woraufhin er die Tutorin G fragt, ob sie ihn trotz seines Fehlers verstehen könne. Dabei äußert er explizit seinen Korrekturwunsch. Die Tutorin korrigiert den grammatischen Fehler und gibt noch dazu eine nähere grammatische Erklärung. <?page no="185"?> 185 Auszug aus dem Chat-Protokoll G/ 02.09.07 (11: 39: 25) Marcelo: er denkt nur an selbst (11: 39: 49) Marcelo: verstehst du mich? (11: 40: 07) Tutorin G: Der Chef? (11: 40: 39) Marcelo: du kannst mich korrigieren wenn ich fehler schreibe (11: 40: 53) Marcelo: ja der chef Bush (11: 41: 26) Tutorin G: Okay, denn es heißt richtig: Er denkt nur an sich selbst. (11: 41: 57) Tutorin G: Denken ist ein reflexives Verb. (11: 41: 57) Marcelo: seine politik macht wennig sinn (11: 41: 57) Marcelo: danke → Grammatischer Fehler → Initiierung der Korrektur/ Bitte um Korrektur → Direkte Korrektur → nähere Erklärung Auszug 61: Beispiel für die Unterkategorie 3.3 Bitte um Korrektur + Direkte Korrektur (+ grammatische Erklärung) in einer tutorierten Stunde Der Unterkategorie 3.4 Nachfrage + Direkte Korrektur (+ Entschuldigung oder + grammatische Erklärung) gehören Korrekturvorgänge an, in denen jemand durch eine Nachfrage signalisiert, dass ein Fehler im Chat vorliegt. Derjenige, der den Fehler gemacht hat, nimmt die Selbstkorrektur vor oder bekommt eine direkte Fremdkorrektur. Eventuell entschuldigt sich der Chat-Teilnehmer für den Fehler, oder jemand im Chat gibt ihm eine grammatische Erklärung zum gemachten Fehler. Für diese Unterkategorie wurden fünf Fälle in den tutorierten Stunden und 1 Fall in den untutorierten Stunden identifiziert. Auszug 62 zeigt, wie die Chat-Teilnehmer einen grammatischen Fehler berichtigen. Dabei korrigieren die Chat-Teilnehmer den Fehler von Tatiana, der schreibt: „ich habe ein gute Zähne“. Der Chat-Teilnehmer Estrela initiiert die Fremdkorrektur, indem er den Chat-Teilnehmer Tatiana fragt, ob er wirklich nur „ein“ Zahn meint. Tatiana versteht die kurze Nachfrage als einen Hinweis dafür, dass ein Fehler in ihrer Äußerung vorliegt, den sie berichtigen soll, was sie jedoch nicht kann. Daher fragt Tatiana gleich danach, wie sie den Fehler korrigieren könne. Die Teilnehmer Estrela und Teo erklären Tatiana, wo der Fehler war, und Teo nimmt schließlich eine Fremdkorrektur vor. <?page no="186"?> 186 Auszug aus dem Chat-Protokoll H/ 28.09.07 (18: 34: 20) Tatiana: aber ich habe ein gute Zähne (18: 34: 26) Estrela: ein? (…) (18: 35: 20) Tatiana: was muss ich schreiben? estrela (…) (18: 36: 25) Tatiana: wie kann ich schreiben? star. eine oder einen (18: 36: 47) Teo: zähne sind Plural (…) (18: 37: 03) Estrela: warum brauchst du ein oder einen oder eine? (…) (18: 37: 22) Teo: du brauchst kein Artikel vor Zähne (18: 38: 00) Estrela: Zaehne ist doch plural. : D (18: 38: 16) Tatiana: " ich habe ein guten Zähne" (…) (18: 38: 27) Teo: ich habe gute Zähne (18: 38: 34) Kai: Ich hab zweiunddreißig Zähne → Grammatischer Fehler → Nachfrage/ Initiierung der Korrektur → Frage nach Hilfe → Frage nach Hilfe → Erklärung → Erklärung → Erklärung → Wiederholung des Fehlers → Direkte Fremdkorrektur Auszug 62: Beispiel für die Unterkategorie 3.4 Nachfrage + Direkte Korrektur (+ Entschuldigung oder + grammatische Erklärung) in einer tutorierten Stunde Auszug 62 ist darüber hinaus ein Beispiel dafür, dass die Tutorin nicht die einzige Person in einer tutorierten Stunde ist, die eine Fremdkorrektur übernehmen kann. Die anderen Chat-Teilnehmer zeigen sich in diesem Auszug hilfsbereit und sprachlich kompetent, um einander zu helfen und zu korrigieren. Die Unterkategorie 3.5 Indirekte Korrektur bedeutet, dass die Berichtigung des falschen Elementes in einer indirekten Weise stattfindet. Derjenige, der den Fehler gemacht hat, muss in der Äußerung desjenigen, der die Korrektur vornimmt, die Korrektur erkennen. Die Korrektur erfolgt nicht gesondert in <?page no="187"?> 187 einer einzelnen Äußerung, und es wird kein expliziter Hinweis auf sie gegeben. Für diese Unterkategorie wurden 3 Korrekturvorgänge, ausschließlich im Korpus der tutorierten Stunden, identifiziert. Auszug 63 zeigt eine indirekte Fremdkorrektur durch Tutorin A. Der Teilnehmer Nicolas macht einen grammatischen Fehler, und die Tutorin korrigiert diesen, indem sie in ihrer Äußerung dasselbe Verb in der richten Form verwendet. Nicolas bemerkt die indirekte Korrektur in der Äußerung der Tutorin, wiederholt die richtige Form des Verbs und entschuldigt sich schließlich für seinen Fehler. Auszug aus dem Chat-Protokoll A/ 19.09.07 (09: 18: 52) Nicolas: bist du in 'pink taxi' gefahrt ? (…) (09: 19: 19) Tutorin A: Wenn man keine Freunde und Bekannte in Moskau hat, dann bezahlt man fuer das Hotelzimmer ungefaehr 100 Euro pro Nacht (…) (09: 19: 50) Tutorin A: Nein, ich bin mit dem Taxi ueberhaupt nicht gefahren (…) (09: 20: 20) Nicolas: gefahren... entschuldigung → Grammatischer Fehler → Indirekte Fremdkorrektur → Bemerken, Entschuldigung Auszug 63: Beispiel der Unterkategorie 3.5 Indirekte Korrektur in einer tutorierten Stunde Die hier analysierten Auszüge haben gezeigt, dass sprachliche Fehler im JETZT Deutsch lernen-Chat in unterschiedlicher Form korrigiert werden können. 7.8.6 Reaktion auf die Korrekturen Um die Reaktionen auf die vorgenommenen Korrekturen im JETZT Deutsch lernen-Chat-Raum zu untersuchen, wurden drei verschiedene Unterkategorien entwickelt: 4.1 Keine Reaktion, 4.2 Positive Reaktion und 4.3 Ablehnung der Korrektur. Die erste Unterkategorie 4.1 Keine Reaktion bedeutet, dass im Chat keine Indizien dafür vorliegen, dass die Chat-Teilnehmer auf die vorge- <?page no="188"?> 188 nommene Korrektur reagieren. Die Unterkategorie 4.2 Positive Reaktion wird für Indizien verwendet, die darauf hinweisen, dass die Chat-Teilnehmer die Korrektur bemerkt haben und daraufhin eine kurze Reaktion äußern, wie z.B. durch die Verwendung von Smileys, durch einen Dank, eine Interjektion oder einen kurzen Kommentar. Die Unterkategorie 4.3 Ablehnung der Korrektur bedeutet, dass es im Chat Indizien gibt, aus denen geschlossen werden kann, dass die Chat-Teilnehmer die gegebene Korrektur ablehnen bzw. dass diese Korrektur nicht erwünscht war. Die Analyse der Reaktionen auf die vorgenommenen Korrekturen im untersuchten Chat zeigt, dass meist in den Chat-Protokollen der tutorierten und der untutorierten Stunden keine Indizien für eine Auseinandersetzung mit der gegebenen Korrektur gefunden wurde, d.h. anhand der Analyse der Chat- Protokolle war meisten nicht ersichtlich, ob und wie die Chat-Teilnehmer die gegebenen Korrekturen aufgenommen haben. Aus Tabelle 16 geht hervor, dass die Unterkategorie 4.1 Keine Reaktion am häufigsten besetzt ist (130 Fälle). Die zweithäufigste Kategorie ist die Kategorie 4.2 Positive Reaktion (22 Fälle), durch die die Chat-Teilnehmer dem Korrekturgeber signalisieren, dass sie die Korrektur bemerkt haben. Für die Kategorie 4.3 Ablehnung wurden 4 Fälle im untersuchten Korpus identifiziert. Oberkategorie 4: Reaktion auf Korrekturen 4.1 Keine Reaktion 4.2 Positive Reaktion 4.3 Ablehnung der Korrektur Tu. Un. Tu. Un. Tu. Un. 1.1 Selbstinitiierte Selbstkorrektur 57 50 - - - - 1.2 Fremdinitiierte Selbstkorrektur 5 - - 1 - - 1.3 Selbstinitiierte Fremdkorrektur 2 2 5 - - - 1.4 Fremdinitiierte Fremdkorrektur 6 8 16 - 2 2 Gesamt 70 60 21 1 2 2 Tab. 16: Häufigkeit der Oberkategorie 4 Reaktion auf Korrekturen in den tutorierten und untutorierten Stunden Vergleicht man Selbstkorrekturen mit Fremdkorrekturen, kommt man zu einem weiteren interessanten Ergebnis. Bei 113 Fällen von Selbstkorrekturen gab es bei 112 Fällen keine Reaktion und bei einem Fall aus einer untutorier- <?page no="189"?> 189 ten Stunde eine positive Reaktion, d.h. auf durchgeführte Selbstkorrekturen reagierten die Chat-Teilnehmer sowohl in den tutorierten als auch in den untutorierten Stunden überwiegend nicht. Bei den Fremdkorrekturfällen wurden sowohl in den tutorierten als auch in den untutorierten Stunden häufiger Indizien für eine Reaktion im Korpus gefunden. Dabei gab es unter den 43 Fremdkorrekturfällen 18 Fälle, in denen keine Reaktion in den Chat-Protokollen ersichtlich war. Bei 21 Fremdkorrekturfällen gab es positive Reaktionen sowie in vier Fällen Ablehnungen. Dieses Ergebnis zeigt, dass, wenn die Korrektur von einem Kommunikationspartner - und nicht von demjenigen, der den Fehler gemacht hat - vorgenommen wird, sich derjenige, der die Korrektur bekommt, in vielen Fällen entweder mit einer positiven Reaktion oder mit einer Ablehnung äußert. Diese Reaktionen auf Fremdkorrekturen sind eine explizite Demonstration der Wahrnehmung des Vorgangs, die zwar in insgesamt 26 Fällen der analysierten Daten erfolgte, wovon jedoch 21 in tutorierten Stunden stattfanden. Dies zeigt, dass die Chat-Teilnehmer in den tutorierten Stunden häufiger als in den untutorierten Stunden dem Korrekturgeber - meist war dies eine Chat-Tutorin - signalisieren, dass sie die Korrektur bemerkt haben. Der Mangel an ersichtlichen Reaktionen in den untutorierten Stunden kann mit verschiedenen Gründen erklärt werden: (i) Die Chat-Teilnehmer bemerken möglicherweise die Korrektur nicht; (ii) Sie bemerken zwar die Korrektur, wollen jedoch den Redefluss im Chat nicht unterbrechen; (iii) Sie bemerken die Korrektur, haben jedoch keine Zeit zum Reagieren, da die Diskussion des behandelten Themas schnell weitergeht. Auszug 64 zeigt, wie ein Chat-Teilnehmer nicht auf die Fremdkorrektur der Tutorin reagiert (Unterkategorie 4.1 Keine Reaktion). In der Äußerung von der Chat-Teilnehmerin Marisa sind mehrere grammatische Fehler zu erkennen. Die Tutorin E korrigiert ohne Absprache oder Bitte um Korrektur einen dieser Fehler. Aus dem Chat-Protokoll ist nicht ersichtlich, ob Marisa die Korrektur gesehen hat, da keine Reaktion erfolgt. In diesem Fall könnte einerseits die Chat-Teilnehmerin möglicherweise so beschäftigt mit der Produktion ihrer weiteren Äußerungen im Chat sein, dass sie die Fremdkorrektur der Tutorin nicht wahrnehmen konnte. Anderseits hätte Marisa vielleicht die Korrektur bemerken können, wollte sich jedoch bewusst diesbezüglich nicht äußern. <?page no="190"?> 190 Auszug aus dem Chat-Protokoll E/ 20.09.07 (20: 32: 14) Marisa: so ab nächte montag gehe ich zum die Sprache schule! (20: 32: 18) Tatiana: Deutsch als Fremdsprache (…) (20: 32: 30) Tatiana: die Prüfung tutorin (20: 32: 41) Tutorin E: in die Sprachschule (…) (20: 32: 49) Marisa: hey Tatiana es ist VHS eine gute schule? (20: 33: 40) Tutorin E: wer von euch hat schonmal in Deutschland Deutschkurse besucht, wenn ja in welchen Institutionen? (20: 33: 40) Sara: WILLST DU MIR HELFEN,TUTORIN? (20: 33: 40) Tatiana: also,in Düren nicht gut (20: 33: 40) Tutorin E: hallo Veronika (20: 33: 40) Tatiana: und Teo auch → Grammatischer Fehler → Fremdinitiierte Fremdkorrektur → Keine Reaktion Auszug 64: Beispiel der Unterkategorie 4.1 Keine Reaktion in einer tutorierten Stunde Auszug 65 ist ein Beispiel für die Unterkategorie 4.2 Positive Reaktion. Dabei entschuldigt sich die Chat-Teilnehmerin Sara für ihren Fehler, der von der Tutorin direkt fremdkorrigiert worden ist. <?page no="191"?> 191 Auszug aus dem Chat-Protokoll E/ 20.09.07 (20: 15: 16) Sara: PAISA HAT "BISSHEN" GESCHRIBT (…) (20: 15: 22) Tutorin E: geschrieben (20: 15: 33) Sara: SORRY (20: 15: 40) Sara: LEHRERIN → Grammatischer Fehler → Fremdinitiierte Fremdkorrektur → Einfache Reaktion/ Entschuldigung Auszug 65: Beispiel der Unterkategorie 4.2 Positive Reaktion in einer tutorierten Stunde Folgende Auszüge sind Beispiele für die Unterkategorie 4.3 Ablehnung der Korrektur. In Auszug 66 korrigiert die Tutorin G zunächst die Äußerung des Chat-Teilnehmers Alex. Das wird der Auslöser für eine weitere Korrektur, die vom Chat-Teilnehmer Danilo vorgenommen wird. Der Chat-Teilnehmer Danilo nimmt eine Korrektur der Äußerung der Tutorin G vor, obwohl diese richtig war. Die Tutorin ihrerseits korrigiert ihn, und er lehnt ihre Korrektur ab. Aus der Aussage von Danilo lässt sich ausschließen, dass er die Korrektur der Tutorin für unnötig hält und daher vorschlägt, die Korrektur nicht durchzuführen. Es scheint ihm das Verständnis zwischen den Kommunikationspartnern wichtiger als die Korrektur zu sein und er wollte deswegen den Redefluss im Chat nicht weiter unterbrechen. Auszug aus dem Chat-Protokoll G/ 28.11.07 (18: 57: 46) Alex: Also, dann war es ein bisschen später als ich (…) (18: 57: 48) Alex: Obwohl ich ab un dann nach Frankfurt fahre (18: 58: 28) Tutorin G: ab und an (18: 58: 32) Tutorin G: Zum Einkaufen? (18: 58: 45) Danilo: ab und zu (18: 58: 47) Danilo: : ) (…) (18: 58: 59) Tutorin G: Beides kann man sagen. (18: 59: 20) Danilo: lass das ..wir verstehen uns... egal LOL → Fehler im Bereich der Ausdrucksform → Fremdinitiierte Fremdkorrektur → Fremdinitiierte Fremdkorrektur (richtig→ richtig) → Fremdkorrektur → Ablehnung der Korrektur Auszug 66: Beispiel der Unterkategorien 4.3 Ablehnung der Korrektur in einer tutorierten Stunde <?page no="192"?> 192 In diesem Auszug lässt sich auch den Aspekt der Hierarchie in der Beziehung zwischen Tutorin und Chat-Teilnehmer diskutieren, der von Platten (2003: 166) eingeführt wird. Der Chat-Teilnehmer Danilo fühlt sich frei bzw. stellt sich mit der Korrektur auf die gleiche Ebene mit der Tutorin, übernimmt ihre Rolle und nimmt eine direkte Fremdkorrektur vor. Zu erfahren, dass seine Korrektur nicht richtig war, gefällt ihm nicht oder er hält die folgende Korrektur nicht mehr für nötig. Die Analyse der Daten aus den untutorierten Stunden hat darüber hinaus gezeigt, dass manche Ablehnungen von Korrekturen in einer aggressiven Art geäußert wurden. Wie Auszug 67 zeigt, kann eine Fremdkorrektur den weiteren Verlauf der Kommunikation stören und zu Konflikten zwischen den Chat-Teilnehmern führen. Auszug aus dem Chat-Protokoll E/ 19.10.07 (19: 14: 53) Lili: Sergio: ich ja nicht so schlimm oder? ) (19: 15: 00) Lili: *ist (19: 15: 34) Sergio: nee. ich wusste es eigentlich schon - und es gibt auch schlechtere maniere : ) (19: 15: 36) Nuno: ich bin* (19: 15: 54) Lili: Nuno: halt deine klappe ok? (19: 16: 00) Nuno: er ist* (19: 16: 07) Nuno: ich schreibe ich spreche nicht (…) (19: 16: 26) Nuno: dazu lehre ich dich kostenlos → Fehler → Direkte Selbstkorrektur → Fremdkorrektur → Ablehnung der Korrektur → Provokation → Provokation Auszug 67: Beispiel der Unterkategorie 4.3 Ablehnung der Korrektur in einer untutorierten Stunde Auszug 67 ist ein Beispiel für die Ablehnung einer nicht gewünschten Fremdkorrektur. Die Chat-Teilnehmerin Lili initiiert die Korrektur ihres eigenen Fehlers. Der Chat-Teilnehmer Nuno nimmt eine Fremdkorrektur vor, die jedoch inhaltlich nicht zu der korrigierten Äußerung passt. Das führt zu Aufregung seitens Lili, die die Korrektur in einem aggressiven Ton ablehnt: „halt deine Klappe“. Nuno setzt im Nachhinein die Korrektur trotzdem fort, indem er das Verb „sein“ im Chat konjugiert. Darüber hinaus schreibt er, dass <?page no="193"?> 193 er im Chat nicht spreche, sondern schreibe; dies bezieht sich auf die Äußerung „halt deine klappe“ von Lili, die Nuno als semantisch falsch empfindet. Damit provoziert Nuno Lili und meint schließlich, dass er mit der Fremdkorrektur „kostenlos“ im Chat lehrt. Auszug 67 zeigt, dass Fremdkorrekturen nicht immer gewünscht werden und dass der Korrekturgeber durch das Korrigieren die weitere aktive Teilnahme der Chat-Teilnehmer und somit den weiteren Verlauf der Interaktion behindern kann. Wie Desgranges (1990: 96 ff.) ausführt, können Fremdkorrekturen nicht nur das Image des Korrigierten gefährden, sondern auch eine Gefahr für den Korrekturgeber bedeuten (vgl. Kap. 7.4). Der Korrekturgeber kann im Voraus nicht ahnen, ob sein Kommunikationspartner mit der Korrektur einverstanden ist und wie er auf die Korrektur reagieren wird. Fremdkorrekturen sind - und bleiben - im untersuchten Chat-Raum trotz der geringeren Zahl von Ablehnungen ein heikles Thema. Ferner muss bedacht werden, wie relevant die im untersuchten Chat-Raum durchgeführten Korrekturen für die Interaktion und für die jeweiligen Lernenden im Chat sind. Das Verständnis zwischen den Kommunikationspartnern und der Verlauf der Interaktion scheinen wichtiger als die Äußerungen zu den Korrekturvorgängen zu sein. Wenn die Chat-Teilnehmer kaum auf Korrekturen reagieren, sich nicht mit weiteren grammatischen Erklärungen, die die Korrektur begründen könnten, beschäftigen und Korrekturen manchmal sogar ablehnen, wäre es einerseits wichtig, darüber nachzudenken, ob Korrekturen - insbesondere die Fremdkorrekturen, die ohne einen expliziten Wunsch erfolgen - so häufig in der Interaktion im untersuchten Chat vorgenommen werden sollten. Andererseits soll dieses Ergebnis nicht den Eindruck erwecken, dass Korrekturen im JETZT Deutsch lernen-Chat-Raum überflüssig wären. Angesichts des Ergebnisses zu den Reaktionen auf die Fehlerkorrekturen lässt sich zunächst feststellen, dass Korrekturen im untersuchten Chat ein wichtiger Bestandteil des fremdsprachlichen Lehr-Lerndialogs sind. Die Analyse der Reaktionen auf die vorgenommen Korrekturen gilt - wie Königs (2007) ausführt - vielmehr als ein Anlass zur Reflexion und Diskussion über Korrekturmaßnahmen (vgl. Kap. 7.7). Fragen etwa nach der Wirkung dieser Korrekturen auf den Lernprozess der jeweiligen Lernenden und der Relevanz bleiben offen, da dies in der vorliegenden Studie nicht untersucht werden konnte. 7.8.7 Zusammenfassung Die Analyse der Fehlerkorrekturen im JETZT Deutsch lernen-Chat zeigt, dass Korrekturen in den tutorierten Stunden häufiger vorkommen als in den untutorierten Stunden. Die tutorierten Stunden sind daher für diejenigen, die <?page no="194"?> 194 Korrekturen erhalten möchten und Wert auf Korrektheit und Verständlichkeit legen, attraktiver. Die Anwesenheit der Tutorinnen spielt dabei eine wichtige Rolle, weil sie diejenigen sind, die als Lehrperson und sprachliches Vorbild im Chat fungieren und am häufigsten auf Korrekturwünsche reagieren (vgl. Kap. 7.8.3). Lernende haben im JETZT Deutsch lernen-Chat durch die Korrekturen die Möglichkeit, ihre Outputs zu überprüfen, die Inputs der Tutorinnen und der anderen Teilnehmer zu verarbeiten und somit kollaborative Aushandlungsprozesse im Sinne von Swain (2000) durchzuführen (vgl. Kap. 1). Am häufigsten wurden in den tutorierten und in den untutorierten Chat- Stunden Selbstkorrekturen vorgenommen. Das ist ein Zeichen dafür, dass Tutorinnen und Chat-Teilnehmer überwiegend eigene Korrektheit und Verständlichkeit anstreben sowie Wissen demonstrieren wollen. Fremdkorrekturen werden seltener durchgeführt. Die Chat-Teilnehmer und die Chat-Tutorinnen erwarten im untersuchten Chat-Raum zwar Korrektheit in den Äußerungen der anderen Chat-Teilnehmer, korrigieren sich jedoch aus verschiedenen Gründen nicht häufig gegenseitig. Die Tutorinnen und die Chat-Teilnehmer scheuen sich aufgrund des Zeitdrucks der Chat-Kommunikation, den Redefluss zu unterbrechen, um Fremdkorrekturen vorzunehmen. Da den Tutorinnen und den Chat-Teilnehmern nicht immer klar ist, ob eine Fremdkorrektur gewünscht wird, werden Fremdkorrekturen nicht häufig durchgeführt. Unerwünschte Fremdkorrekturen können die freundliche Atmosphäre im untersuchten Chat gefährden und zu Missverständnissen führen. Fremdkorrekturen werden nur in den tutorierten Stunden explizit erwünscht (vgl. Kap. 7.8.5). Das bedeutet, dass die Anwesenheit der Tutorinnen im Chat den didaktischen Charakter des Kommunikationsangebots des Projektes JETZT Deutsch lernen verstärkt. Die Chat-Teilnehmer sehen die Tutorinnen als Ansprechpersonen für Korrekturen und nutzen daher die Gelegenheit im Chat, ihre sprachlichen Hypothesen und Fragen zur deutschen Sprache zu überprüfen und ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. In dieser Hinsicht zeigt dieses Ergebnis, dass die Chat-Besucher eine Art Sprach- und Sprachlernberatung im untersuchten Chat suchen, indem sie explizit nach Fehlern und Hilfe fragen. Es wäre für die untutorierten Stunden im untersuchten Chat durchaus anzunehmen, dass die Chat-Teilnehmer ohne die Anwesenheit der Tutorinnen nicht auf Korrektheit achten und einander nicht korrigieren. Diese Vermutung kann angesichts der Ergebnisse der vorliegenden Studie nicht bestätigt werden, da die Chat-Teilnehmer auch in den untutorierten Stunden Korrektheit anstreben sowie Korrekturen initiieren und vornehmen. Die Chat-Teilnehmer wollen auch in den untutorierten Stunden ihre sprachlichen Kenntnisse verbessern und versuchen, trotz der eventuellen Schwierigkeiten mit der <?page no="195"?> 195 Chat-Kommunikation Fehler zu vermeiden und sich so korrekt und verständlich wie möglich zu äußern. Korrekturen sind also ein wichtiger Bestandteil der fremdsprachlichen Interaktion im JETZT Deutsch lernen-Chat sowohl in den tutorierten als auch in den untutorierten Stunden. Bezüglich des Bereichs der Korrekturvorgänge zeigt die Analyse der für die vorliegende Studie erhobenen Daten, dass die meisten korrigierten Fehler aus dem Bereich der Orthographie und der Grammatik sind. Die Tutorinnen und die Chat-Teilnehmer legen mehr Wert auf die Korrektur orthographischer und grammatischer Formen als auf die Korrektur der im Chat geäußerten Ausdrucksformen. Bezüglich der unterschiedlichen Korrekturformen zeigt die Analyse der Selbstkorrekturen, dass diese in den tutorierten und in den untutorierten Chat-Stunden entweder direkt oder nach einer Nachfrage vorgenommen wurden. Während das Gleiche für Fremdkorrekturen in den untutorierten Stunden gilt, wurden sie in den tutorierten Stunden direkt, mit Absprache, nach einer expliziten Bitte um Korrektur, nach einer Nachfrage oder indirekt durchgeführt. Ausschließlich die Tutorinnen nahmen Fremdkorrekturen mit Absprachen, nach einer expliziten Bitte um Korrektur und indirekt vor. Dieses Ergebnis zeigt, dass sich die Tutorinnen beim Fremdkorrigieren vorsichtiger als die Chat-Teilnehmer verhalten, um ihr Image zu pflegen und Konflikte bei unerwünschten Korrekturen zu vermeiden. Die Tatsache, dass die Chat-Teilnehmer nicht nur in den tutorierten, sondern auch in den untutorierten Stunden Korrekturen vornehmen, zeigt, dass sie in beiden Kontexten den didaktischen Rahmen dieses Angebots ernst nehmen. Wie Desgranges (1990) zu den Funktionen von fremdsprachlichen Korrekturen ausführt (vgl. Kap. 7.4), beabsichtigen die Chat-Teilnehmer mit diesem Verhalten die Pflege des eigenen Images als sprachlich kompetente Lernende. Sie demonstrieren dadurch ihre Kenntnisse der deutschen Sprache und fordern eigene und fremde Korrektheit sowie Verständlichkeit (vgl. Kap. 7.8.3). Die Tatsache, dass die Chat-Teilnehmer sich gegenseitig fremdkorrigieren, kann m.E. als eine Kooperationsform der Chat-Teilnehmer verstanden werden. Derjenige, der eine Korrektur vornimmt, übernimmt die Lehrfunktion und hilft dem Kommunikationspartner, indem er den Fehler markiert und ihn verbessert. Damit zeigt er seine Bereitschaft, dem Anderen sprachliche Hilfe zu geben. Ein weiteres Ergebnis zu den hier analysierten Fremdkorrekturen seitens der Chat-Teilnehmer weist in dieselbe Richtung wie die Ergebnisse von Platten (2003: 166) und zeigt, dass in den Interaktionen im JETZT Deutsch lernen-Chat keine große Hierarchie zwischen den Tutorinnen und den Chat-Teilnehmern herrscht. Die Chat-Teilnehmer fühlen sich so frei, dass sie die Tutorinnen korrigieren und somit einen Rollentausch realisieren (vgl. Kap. 7.8.3 und 7.8.6). <?page no="196"?> 196 Ferner zeigt die Analyse der Fehlerkorrekturen, dass bei den meisten Korrekturfällen keine Reaktion in den Chat-Protokollen ersichtlich war. Die Chat-Teilnehmer äußerten sich sehr selten über durchgeführte Selbstkorrekturen. Auf Fremdkorrekturen reagierten die Chat-Teilnehmer etwas häufiger, entweder mit positiven Äußerungen, um sich zu bedanken oder dem Korrekturgeber zu signalisieren, dass sie die Korrektur bemerkt haben, oder mit Ablehnungen, weil sie mit der Korrektur nicht einverstanden waren (vgl. Kap. 7.8.6). Fremdsprachliche Fehlerkorrekturen sind ein fester Bestandteil der Interaktionen im JETZT Deutsch lernen-Chat, obwohl die Kommunikationsbedingungen in diesem elektronischen Kontext die Lernenden und die Tutorinnen vor schwierige Situationen stellen können (vgl. Beißwenger 2007; Crystal 2001; Thaler 2005; Kap. 3). <?page no="197"?> 197 8 Sprachbezogene Fragen 8.1 Sprachbezogene Fragen im Fremdsprachenunterricht Fragen wie „Sagt man der, die oder das Haus? “, „Wie dekliniert man dieses Adjektiv? “ oder „Was bedeutet das? “ sind sprachbezogenen Fragen, die häufig in Interaktionen im Fremdsprachenunterricht vorkommen. Lehrende und Lernende stellen im Unterricht unterschiedliche Fragen zur Grammatik und zur Bedeutung von Wörtern und Ausdrücken der Zielsprache. Während Lehrende damit beispielsweise beabsichtigen, Lernstoffe in Erinnerung zu rufen oder den Spracherwerb der Lernende zu überprüfen, wollen Lernende mit sprachbezogenen Fragen z.B. eine Bestätigung ihrer Hypothesen oder eine weitere bzw. vertiefende Erklärung zu einem bestimmten Thema erhalten. Für Araújo e Sá/ Melo-Pfeifer (2009: 227 ff.) signalisieren Lernende durch sprachbezogene Fragen nicht nur, dass sie ein Problem lösen oder dass sie auf ihre sprachlichen Kenntnisse erweitern möchten, sondern auch, dass sie die sprachliche Kompetenz und Bereitschaft ihrer Kommunikationspartner vertrauen. Der Lernende, der im Unterricht eine sprachbezogene Frage stellt, spricht ein individuelles sprachliches Problem an, für das er im Plenum eine Lösung sucht. Gleichzeitig wird dieses Problem ein Thema im Unterricht, auf das Lehrende - aber manchmal auch alle anderen Lernenden - aufmerksam gemacht und wodurch sie aufgefordert werden, das Problem zu lösen bzw. eine Antwort auf die Frage zu geben. Araújo e Sá/ Melo-Pfeifer (ebd.) heben den kollaborativen Charakter beim Umgang mit einer solchen Fragestellung im Fremdsprachenunterricht hervor. Für sie erwartet der Lernende, der die Frage stellt, dass sein Problem in einer kollaborativen Art im Unterricht gelöst wird. Er möchte nicht, dass sein Image wegen der Frage gefährdet wird, und erwartet von den anderen Unterrichtsteilnehmern Verständnis und Kollaboration. Darüber hinaus geht es davon aus, dass seine Kommunikationspartner sprachlich in der Lage sind, ihm erfolgreich zu helfen. Eine Frage im Unterricht zu stellen, kann eine Schwierigkeit für schüchterne Lernende darstellen. Mit der Äußerung im Plenum riskieren die Lernenden ihr Image gegenüber dem Lehrenden und den anderen Unterrichtsteilnehmern. Derjenige, der die Frage stellt, muss dabei seine Schwäche zeigen und geht das Risiko ein, von den anderen als schlechter Lernender betrachtet zu werden. Entscheidend ist in einer solchen Situation, wie Lehrende und Lernenden im Unterricht mit den gestellten Fragen umgehen. Araújo e Sá/ Melo-Pfeifer sehen die Tatsache, dass der Lernende sich traut, eine Frage im <?page no="198"?> 198 Plenum zu stellen, als eine Folge der Aktivierung einer gesellschaftlichen Strategie für Kommunikation und Lernen an. Der Lernende weiß, dass der Fremdsprachenunterricht der Ort ist, wo er Kommunikationspartner findet, mit denen er sich über seine Schwierigkeiten austauschen und etwas Neues lernen kann. Der Lernende rechnet mit der Bereitschaft des Lehrenden und der anderen Lernenden zu Kommunikation und gemeinsamem Lernen. Diese Bereitschaft ist zwar nicht offiziell schriftlich im Unterrichtsplan eingetragen, sie ist jedoch im Unterricht immer implizit. Aus diesem Grund trägt das Stellen sprachbezogener Fragen nach Araújo e Sá/ Melo-Pfeifer (2009.: 245) zur linguistischen Wissenskonstruktion und dem Spracherwerb der Lernenden bei. Die Autorinnen sehen das sprachliche Handeln in didaktisierten Chats als trampolines cognitivos (kognitive Sprungbretter), mit Hilfe dessen die Lernenden mit ihrem Vorkenntnissen sprachliche Hypothesen testen, Verständnisschwierigkeiten überwinden, kollaboratives Wissen konstruieren und somit in ihrem eigenen Lernprozess einen Sprung nach vorne machen können. Araújo e Sá/ Melo-Pfeifer (ebd.: 228) fassen wie folgt die drei Funktionen der hier behandelten sprachlichen Aktivität „sprachbezogene Fragen stellen“ zusammen: (i) Sprachbezogene Fragen können verschiedene Probleme lösen; (ii) Sie verstärken den sozialen Rahmen der Interaktion, da sie als Mittel der Sozialisation und der Interdependenz zwischen den Unterrichtsteilnehmern fungieren; (iii) Darüber hinaus präzisieren sie die Beziehung zwischen ihnen, da die Lernenden mit der Aufmerksamkeit und Hilfe ihrer Kommunikationspartner rechnen, um eine Antwort zu bekommen. Die Untersuchung des Umgangs mit sprachbezogenen Fragen im Unterricht ist ein wichtiger Forschungsschwerpunkt für die Fremdsprachendidaktik, weil eine Analyse zeigen kann, wie Lehrende und Lernende beim Beantworten der Fragen eine metalinguistische Reflexion über die Zielsprache durchführen. Nach Araújo e Sá/ Melo-Pfeifer kann der Fremdsprachenunterricht aus einer sozio-interaktionellen Perspektive als ein natürlicher Ort für metalinguistische Reflexionen über die Zielsprache betrachtet werden, denn man unterhält sich im Fremdsprachenunterricht in der Zielsprache und man redet dort gleichzeitig über sie. Diese Reflexion wird nach den Autorinnen meist durch eine sprachbezogene Frage ausgelöst und ist besonders ersichtlich, wenn sich Lehrende und Lernende im Unterricht über die gestellte Frage austauschen. Ferner ermöglicht die Untersuchung eines solchen sprachlichen Austauschs nicht nur die Bestimmung der Bereiche, bei denen die Lernenden Schwierigkeiten oder eine Wissenslücke in der Zielsprache haben, sondern auch die Untersuchung der Strategien, die die Lernenden verwenden, um ihre sprachlichen Probleme zu lösen. <?page no="199"?> 199 In der vorliegenden Studie wird der Umgang mit sprachbezogenen Fragen als wichtiges Ereignis im Rahmen des sprachlichen Handelns im Unterricht verstanden, weshalb der Umgang mit sprachbezogenen Fragen im JETZT Deutsch lernen-Chat in den folgenden Kapiteln untersucht wird. 8.2 Sprachbezogene Fragen im Chat Wie im Präsenzunterricht können Lernende in didaktisierten Chats mit sprachbezogenen Fragen beabsichtigen, bestimmte Formen, Wörter oder Ausdrücke in der Zielsprache zu verstehen, ihre Kenntnisse zu erweitern und ihre sprachlichen Hypothesen zu überprüfen und/ oder zu bestätigen. Wie in Kapitel 3.2.3 diskutiert, können für die Behandlung sprachbezogener Fragen in didaktisierten Chats vier relevante Unterschiede zwischen letzteren und dem Präsenzunterricht genannt werden: (i) Lernende haben im Chat etwas mehr Zeit nachzudenken, wenn ihnen eine sprachbezogene Frage gestellt wird. Trotz des Zeitdrucks der Chat-Kommunikation können Lernende nach dem Lesen der Frage auf dem Bildschirm sich entspannter überlegen, welche Antwort sie geben; (ii) Lernende können parallel zum Chatten kurze Recherchen im Internet durchführen, um bestimmte Fragen beantworten zu können; (iii) Das Image des Lernenden, der die sprachbezogene Frage stellt, ist im Chat weniger gefährdet, weil man weder die Kommunikationspartner noch ihre Reaktionen auf die gestellten Frage sieht. In didaktisierten Chats können sich Lernende darüber hinaus auch anonym unterhalten, was für schüchterne Lernende von Vorteil sein kann; (iv) Im Chat kann jeder sich jederzeit äußern und dadurch die gestellte Frage beantworten. Wenn die Frage nicht explizit an eine bestimmte Person gerichtet ist, können alle im Chat sie beantworten. Dadurch können sich Lernende in didaktisierten Chats unabhängig vom Lehrenden gegenseitig unterstützen. Die Behandlung sprachbezogener Fragen im Chat kann im Vergleich zum Präsenzunterricht defizitär sein. Aufgrund des Zeitdrucks der elektronischen Kommunikation kann die Behandlung der im Chat gestellten Frage recht kurz erfolgen. Die Chat-Teilnehmer wollen ihre Kommunikationspartner nicht lange warten lassen und geben daher kurze Antworten, die zum Lösen des Problems nicht ausreichend sein können. Darüber hinaus können diese Antworten ihrerseits aufgrund der Synchronizität der Kommunikation, der gleichzeitigen Behandlung verschiedener Themen und der eventuellen Fluktuation von Chat-Besuchern unklar werden. Wenn dies der Fall ist, ist es für Chat-Teilnehmer schwierig zu unterscheiden, welche Antwort ihre Frage beantwortet und welche nicht. Darüber hinaus kann man nicht ausschließen, dass in manchen Chat-Situationen Fragen unbeantwortet bleiben können. <?page no="200"?> 200 Aus diesen Gründen kann nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass die Behandlung sprachbezogener Fragen in didaktisierten Chats immer Vorteile für das Fremdsprachenlernen bietet. Die Behandlung von Fragen sowie Fehlerkorrekturen stellen keine Garantie für den Wissenserwerb dar. Wie sich der Lernende individuell mit der Frage und der dazu passenden Antwort auseinandersetzt, ist schwer zu erforschen und in den Chat-Protokollen nicht immer - und auch nicht immer vollständig - ersichtlich. Die Untersuchung der Behandlung sprachbezogener Fragen in didaktisierten Chats kann angesichts dieser Tatsache zwar die Fortschritte im Lernprozess nicht in Detail zeigen. Sie kann jedoch wichtige Hinweise geben, wie Lernende mit ihren sprachlichen Problemen umgehen und welche Strategien sie dabei anwenden. Es ist daher Ziel der vorliegenden Studie zu untersuchen, wie Tutorinnen und Chat-Teilnehmer im untersuchten Chat-Raum mit sprachbezogenen Fragen umgehen. In der Analyse soll zunächst gezeigt werden, wie die Fragen der Chat-Teilnehmer entstanden: Entweder haben die Lernenden eine Frage, die sich aus der Interaktion ergeben hat, oder sie bringen Fragen aus einem anderen Kontext, wie z.B. aus einer Lektüre oder aus einem Präsenzunterricht, in den Chat mit. Es soll darüber hinaus mit der Analyse erforscht werden, wie die Tutorinnen und die Chat-Teilnehmer die im Chat gestellten sprachbezogenen Fragen beantworten. Dabei soll unterschieden werden, ob die Tutorinnen und die Chat-Teilnehmer überhaupt auf die Frage reagieren und, wenn ja, welche Strategien sie dabei anwenden, ob sie z.B. direkt auf die Frage antworten oder ob sie mit Übersetzungen, Synonymen, Umschreibungen, Beispielen und/ oder mit Verweisen auf eine Internetseite die Frage beantworten. 8.3 Analyse der sprachbezogenen Fragen im Chat In diesem Kapitel werden 80 Chat-Stunden (40 aus den tutorierten und 40 aus den nicht-tutorierten Stunden), die auch für die Analyse der Fehlerkorrekturen ausgewählt wurden, quantitativ und qualitativ analysiert (siehe Kap. 5.3 für die Auswahlkriterien). Das Ziel dieser Analyse ist es, der Umgang mit sprachbezogenen Fragen im untersuchten Chat zu erfassen. Dazu werden zunächst in Kapitel 8.3.1 ein Kategoriensystem und der zu erwartende Erkenntnisgewinn dargestellt. In den darauf folgenden Kapiteln werden die Analyseergebnisse zu den für die vorliegende Arbeit entwickelten Oberkategorien präsentiert und diskutiert. Dabei werden die im Korpus der vorliegenden Studie identifizierten Fragen aus den tutorierten Stunden mit denen aus den untutorierten Stunden verglichen und ausgewertet. Bevor ich mit der <?page no="201"?> 201 Analyse dieser Fragen beginne, möchte ich hier die Forschungsfragen in Erinnerung rufen (vgl. Kap. 4.3): Forschungsfrage zum Schwerpunkt 2: Sprachbezogene Fragen 2.1 Nutzen die Chat-Teilnehmer den JETZT Deutsch lernen-Chat-Raum, um sprachbezogene Fragen zu stellen? 2.2 Welche sprachbezogenen Fragen stellen die Chat-Teilnehmer im Chat? Wie oft tun sie das? 2.3 Entstehen die Fragen spontan während der Interaktion im Chat, oder bringen die Chat-Teilnehmer Fragen aus anderen Kontexten wie z.B. einer Lektüre oder einem Sprachkurs mit? 2.4 Wie antworten die Tutorinnen und die anderen Chat-Teilnehmer auf diese Fragen? Werden alle Fragen beantwortet? 8.3.1 Kategoriensystem und zu erwartender Erkenntnisgewinn Für die Analyse der im JETZT Deutsch lernen-Chat identifizierten sprachbezogenen Fragen wurden insgesamt drei weitere Oberkategorien entwickelt. Die Oberkategorie 5 Inhalte sprachbezogener Fragen dient der Differenzierung der Chat-Sequenzen, in denen Fragen zu sprachbezogenen Themen gestellt werden. Dabei wird in zwei Unterkategorien unterschieden: 5.1 Frage nach Form und 5.2 Frage nach Bedeutung. Diese erste Differenzierung wird zur Vorstrukturierung der Daten vorgenommen. Die auf diese Weise vorstrukturierten Daten mit Fragen werden weiter in die Oberkategorien 6 und 7 ausdifferenziert. Die Oberkategorie 6 Auslöser der Frage dient der Differenzierung der Auslöser der im Chat gestellten Fragen. Dabei wird unterschieden, ob sich die Fragen thematisch auf die erfolgte Interaktion beziehen oder nicht. Oberkategorie 6 besteht aus zwei Unterkategorien: 6.1 Interaktionsbezogene Frage und 6.2 Nicht-interaktionsbezogene Frage. Die Oberkategorie 7 Antworten auf sprachbezogene Fragen dient der Differenzierung der verschiedenen Formen, wie die Chat-Tutorinnen und Chat-Teilnehmer die im Chat gestellten Fragen beantworten. Anders als bei den anderen Kategorien schließen die Unterkategorien der Oberkategorie 7 einander nicht aus, d.h. manche Antworten können gleichzeitig mit verschiedenen Unterkategorien der Oberkategorie 7 klassifiziert werden, da Tutorinnen und Chat-Teilnehmer beim Beantworten einer Frage verschiedene Strategien gleichzeitig verwenden können. Die Unterkategorien der Oberkategorie 7 Antworten auf sprachbezogene <?page no="202"?> 202 Fragen sind: 7.1 Keine Antwort; 7.2 Direkte Antwort (+ grammatische Erklärung); 7.3 Übersetzung; 7.4 Synonym; 7.5 Umschreibung; 7.6 Beispiel; und 7.7 Verweis auf eine Internetseite. Tabelle 17 gibt ein Überblick über die entwickelten Oberkategorien und ihre jeweiligen Unterkategorien für die Analyse der sprachbezogenen Fragen im Chat. Dabei wird Bezug auf die im Kapitel 4.3 aufgestellten Forschungsfragen genommen. Oberkategorie Unterkategorien Zu erwartender Erkenntnisgewinn Oberkategorie 5: Inhalte sprachbezogener Fragen 5.1 Frage nach Form Identifikation der Inhalte der einzelnen Fragen (Forschungsfrage 2.1 und 2.2) und Vorstrukturierung der Daten für die weitere Analyse der sprachbezogenen Fragen nach den Oberkategorien 6 und 7 5.2 Frage nach Bedeutung Oberkategorie 6: Auslöser sprachbezogener Fragen 6.1 Interaktionsbezogene Frage Identifikation des Auslösers der gestellten sprachbezogenen Fragen (Forschungsfrage 2.3) 6.2 Nicht-interaktionsbezogene Frage Oberkategorie 7: Antworten auf sprachbezogene Fragen 7.1 Keine Antwort Identifikation der Art der Antworten auf die gestellten sprachbezogenen Fragen (Forschungsfrage 2.4) 7.2 Direkte Antwort (+ grammatische Erklärung) 7.3 Übersetzung 7.4 Synonym 7.5 Umschreibung 7.6 Beispiel 7.7 Verweis auf eine Internetseite Tab. 17: Überblick über das Kategoriensystem für die Analyse der sprachbezogenen Fragen im Chat Jede in der Tabelle 17 präsentierte Unterkategorie wird in den jeweiligen kommenden Analysekapiteln zu den Oberkategorien definiert und mit Beispielen vorgestellt. Dabei werden die Ergebnisse der Analyse der sprachbezo- <?page no="203"?> 203 genen Fragen aus den tutorierten Stunden mit den Analyseergebnissen aus den untutorierten Stunden verglichen und diskutiert. 8.3.2 Inhalte sprachbezogener Fragen Um die im Korpus identifizierten sprachbezogenen Fragen auszuwerten, wurde zunächst die Oberkategorie 5 Inhalte sprachbezogener Fragen entwickelt. Diese Oberkategorie besteht aus zwei Unterkategorien 5.1 Frage nach Form und 5.2 Frage nach Bedeutung. Der Kategorie 5.1 Frage nach Form werden Fragen zugeordnet, die sich auf die grammatisch-lexikalische Ebene der deutschen Sprache beziehen. Die Chat-Teilnehmer fragen z.B. nach den Regeln der Adjektivdeklination oder nach der Übersetzung eines Wortes, das sie nur in einer anderen Sprache kennen, ins Deutsche. Der Kategorie 5.2 Frage nach Bedeutung werden Fragen zugeordnet, die sich auf die semantische Ebene der deutschen Sprache beziehen, also auf die Bedeutungen von Wörtern oder Ausdrücken in deutscher Sprache. Auszug 68 ist ein Beispiel für die Unterkategorie 5.1 Frage nach Form. In diesem Auszug stellt der Chat-Teilnehmer Michel eine Frage zur Grammatik. Er möchte wissen, wie sich das Indefinitpronomen „viel“ vor einem Substantiv im Plural deklinieren lässt, und stellt folgende Frage im Chat: „wie soll ich sagen? wie viele Studenten oder wie viel Studenten“. Die Tutorin gibt ihm eine kurze Antwort und die Interaktion im Chat läuft weiter. Auszug aus dem Chat-Protokoll E/ 27.09.07 (20: 08: 23) Michel: wie soll ich sagen? wie viele Studenten oder wie viel Studenten (…) (20: 10: 29) Michel: Tutorin! Kannst du auch nicht meine Frage beantworten? (…) (20: 11: 48) Tutorin E: Wie viele Studenten lernen zum Beispiel Deutsch (…) (20: 12: 17) Michel: danke Tutorin → Frage nach Form → Kurze Antwort Auszug 68: Beispiel für die Unterkategorie 5.1 Frage nach Form in einer tutorierten Stunde <?page no="204"?> 204 Auszug 69 ist ein Beispiel für die Unterkategorie 5.2 Frage nach Bedeutung. Dabei unterhalten sich die Tutorin E und der Chat-Teilnehmer Robin über ihre Pläne für das Wochenende. Die Tutorin erzählt, dass sie auf eine Ausstellung geht. Der Chat-Teilnehmer Robin versteht nicht, was Ausstellung heißt, und fragt daher nach der Bedeutung dieses Wortes. Die Tutorin erklärt mit ihren eigenen Worten, was eine Ausstellung ist. Schließlich möchte Robin sein Verständnis überprüfen und fragt nach einer Bestätigung seiner Hypothese. Auszug aus dem Chat-Protokoll E/ 19.10.07 (18: 51: 35) Tutorin E: ich gehe auf eine Ausstellung (…) (18: 52: 06) Robin: was heisst "Ausstellung"? (18: 52: 33) Tutorin E: Eine Ausstellung (auch '"Exposition") ist eine öffentliche Veranstaltung, bei der Ausstellungsobjekte ("Exponate") einem Publikum gezeigt werden. (18: 52: 45) Robin: wie eine Messe? (18: 53: 08) Tutorin E: ähnlich → Auslöser → Frage nach Bedeutung → Antwort (Umformulierung + Synonyme) → Nachfrage (Verständnisüberprüfung) Auszug 69: Beispiel für die Unterkategorie 5.2 Frage nach Bedeutung in einer tutorierten Stunde Zur Unterkategorie 5.1 Frage nach Form gehören auch Fragen nach Übersetzungen, in denen ein Chat-Teilnehmer lediglich eine Übersetzung oder einen Begriff eines ihm bereits in einer anderen Sprache bekannten Wortes oder Ausdrucks sucht und keine Bedeutungserklärung braucht. Diese Fälle werden in Auszug 70 deutlich. Der Chat-Teilnehmer Miro sucht lediglich eine Übersetzung ins Deutsche für einen Ausdruck, den er bereits auf Englisch kennt. Dabei schreibt Miro den englischen Ausdruck und die Tutorin C gibt ihm die Übersetzung auf Deutsch. Am Ende bedankt sich Miro für die sprachliche Hilfe und die Diskussion im Chat wird fortgesetzt. <?page no="205"?> 205 Auszug aus dem Chat-Protokoll C/ 04.09.07 (19: 45: 54) Miro: Tutorin, sprichst du englisch? ? (…) (19: 46: 21) Tutorin C: hmm, ich würde eher sagen, dass ich Englisch verstehe, Miro : ) (19: 46: 42) Miro: koentesst du mir etwas ubersetzen? ? (…) (19: 47: 30) Tutorin C: ich könnte es versuchen, Miro (…) (19: 47: 35) Miro: ok (…) (19: 48: 32) Miro: "now is your turn" (…) (19: 49: 17) Tutorin C: 'jetzt bist du dran', Miro (…) (19: 49: 22) Miro: danke (19: 49: 40) Tutorin C: bitte : ) → Einleitung auf die Frage → Einleitung auf die Frage → Frage nach Form/ Übersetzung → Antwort, Übersetzung Auszug 70: Beispiel für die Unterkategorie 5.1 Frage nach Form in einer tutorierten Stunde Die Analyse der sprachbezogenen Fragen im untersuchten Korpus zeigt, dass sprachbezogene Fragen in den tutorierten und untutorierten Stunden des JETZT Deutsch lernen-Chats unterschiedlich häufig gestellt werden. Es wurden im gesamten Korpus 54 Fragen identifiziert. Während es in den tutorierten Stunden 44 Fälle identifiziert wurden, gab es in den untutorierten Stunden lediglich 10. Das bedeutet, dass (rein) statistisch gesehen in jeder analysierten tutorierten Stunde eine sprachbezogene Frage gestellt wurde. In den untutorierten Stunden kam dies hingegen seltener vor; statistisch gesehen wurde nur eine Frage wurde in einer von vier untutorierten Stunden gestellt (vgl. Kap 6.2). Dieses Ergebnis kann einerseits ein Indiz dafür sein, dass die Chat-Besucher, die sprachbezogene Fragen haben, lieber den untersuchten Chat-Raum besuchen, wenn eine Tutorin anwesend ist. Die Chat-Besucher wissen, dass die Tutorinnen ihnen sprachlich helfen können. Anderseits kann der Grund für die höhere Frequenz an sprachbezogenen Fragen in den tutorierten Stun- <?page no="206"?> 206 den darin liegen, dass die in diesen Stunden verwendete Sprache bei den Chat-Teilnehmern - häufiger als in den untutorierten Stunden - zu Verständnisschwierigkeiten führt und sie dazu bringt, Fragen zu stellen, um diese Schwierigkeiten zu überwinden und weiter an der Interaktion teilzunehmen. Aus Tabelle 18 geht hervor, dass in den tutorierten Stunden Fragen nach Bedeutung häufiger als Fragen nach Form gestellt wurden. Während in diesem Kontext 55 % der identifizierten Fälle Fragen nach Bedeutung waren, waren 45 % Fragen nach Form. In den untutorierten Stunden waren die Fragen nach Form (60 %) hingegen häufiger als die Fragen nach Bedeutung (40 %). Oberkategorie 5: Inhalte sprachbezogener Fragen Tutorierte Stunden Untutorierte Stunden Häufigkeit % Häufigkeit % 5.1 Frage nach Form 20 45 6 60 5.2 Frage nach Bedeutung 24 55 4 40 Gesamt 44 100 10 100 Tab. 18: Häufigkeit der Oberkategorie 5 Inhalte sprachbezogener Fragen in den tutorierten und untutorierten Chat-Stunden Dieses Ergebnis zeigt, dass die Teilnehmer des JETZT Deutsch lernen-Chats - wie beispielsweise auch die Chat-Teilnehmer in den Studien von Blake (2000), Pellettieri (2000) sowie Jepson (2005) - im Allgemeinen beide der hier untersuchten Kontexte nutzen, um sowohl Fragen nach Form als auch Fragen nach Bedeutung zu klären und somit ihre sprachliche Hypothesen zu überprüfen und ihre Kenntnisse der deutschen Sprache zu erweitern. Tudini (2007) zeigte in ihrer Studie, in der sie Chat-Interaktionen mit Muttersprachlern und Chat-Interaktionen nur mit fremdsprachlichen Lernenden verglich, dass die Aushandlungen von Bedeutungen und Formen in den Interaktionen mit Muttersprachlern nicht nur häufiger, sondern auch breiter gefächert waren. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie weisen in dieselbe Richtung wie die Ergebnisse von Tudini (2007), weil es in den tutorierten Stunden des JETZT Deutsch lernen-Chats - Stunden, in denen eine (fast) Muttersprachlerin immer anwesend ist - häufiger Aushandlungsprozesse als in den untutorierten Stunden gibt. Auch die Themen der Fragen in den tutorierten Stunden sind breiter gefächert als in den untutorierten Stunden. In ersteren werden Fragen zu Tempus, Deklination, Konjugation, Übersetzung <?page no="207"?> 207 von Wörtern und Ausdrücken, Definition von Begriffen usw. gestellt. In den untutorierten Stunden erscheinen hingegen lediglich Fragen zur Deklination und Definition von Begriffen. 8.3.3 Auslöser sprachbezogener Fragen Um die im untersuchten Chat identifizierten sprachbezogenen Fragen weiter auszuwerten, wurde die Oberkategorie 6 Auslöser sprachbezogener Fragen entwickelt. Diese Oberkategorie besteht aus den zwei Unterkategorien 6.1 Interaktionsbezogene Frage und 6.2 Nicht-interaktionsbezogene Frage. Der Kategorie 6.1 Interaktionsbezogene Frage werden Fragen zugeordnet, deren Auslöser immer im Chat-Protokoll ersichtlich ist, d.h. zu dieser Kategorie gehören Fragen, die im Verlauf der Interaktion entstehen und zum Thema der Interaktion passen. Die Chat-Teilnehmer benötigen meist eine Antwort auf diese Fragen, um ihre Verständnisschwierigkeiten zu beheben und weiter an der Interaktion teilnehmen zu können. Interaktionsbezogene Fragen sind dadurch immer an denjenigen adressiert, der das Problem ausgelöst hat bzw. eine Form oder ein Wort verwendet hat, die oder das für seinen Kommunikationspartner neu und unbekannt ist. Durch das Nachfragen wird also der Versuch unternommen, die neu verwendete Form oder das neu verwendete Wort zu verstehen. Interaktionsbezogene Fragen können auch Fragen sein, durch die die Chat-Teilnehmer seine eigene sprachliche Hypothese überprüfen möchten. Der Kategorie 6.2 Nicht-interaktionsbezogene Frage werden hingegen Fragen zugeordnet, deren Auslöser nicht aus dem Chat-Protokoll ersichtlich ist. Zu dieser Kategorie gehören Fragen, die die Chat-Teilnehmer bereits mit in den Chat bringen und zusammen mit der Tutorin und den anderen Chat-Teilnehmern klären wollen. Die gestellte Frage hat also nicht mit dem behandelten Thema der Interaktion im Chat zu tun. Woher genau die Chat-Teilnehmer diese Fragen haben und wozu sie eine Antwort benötigen, lässt sich meist aus dem Chat-Protokoll nicht ersehen. Die Chat- Teilnehmer bringen ihre Fragen aus anderen Kontexten mit, wie z.B. aus einer Lektüre oder aus ihrem Präsenzkurs, und suchen dazu im Chat sprachliche Hilfe. Auszug 71 ist ein Beispiel für die Unterkategorie 6.1 Interaktionsbezogene Frage. In diesem Auszug unterhalten sich die Tutorin A und die Chat-Teilnehmerin Joana über ihre Studienpläne in Deutschland. Die Tutorin freut sich, dass Joana schon eine Zulassung für ein Studium hat und sagt „dann ist es toll“. Das Wort „toll“ wird zum Auslöser einer von Joanas Frage nach der Bedeutung, da sie diese nicht kennt. Die Tutorin erklärt ihr die Bedeutung von „toll“ anhand der Synonyme „schön“ und „sehr gut“. <?page no="208"?> 208 Auszug aus dem Chat-Protokoll A/ 19.11.07 (09: 12: 53) Tutorin A: Hast du schon eine Zulassung von der Universität? (09: 13: 04) Joana: ja (09: 13: 11) Tutorin A: Dann ist es toll (09: 13: 41) Tutorin A: Warum hast du Muenster zum Studium gewählt? (09: 13: 42) Joana: was bedutung toll? (09: 14: 07) Tutorin A: Toll bedeutet in diesem Satz "schoen" (09: 14: 17) Tutorin A: Das ist sehr gut (09: 14: 25) Tutorin A: Ich freue mich für dich (09: 14: 37) Joana: ja,danke → Auslöser/ Motiv der Frage nach Bedeutung → Interaktionsbezogene Frage nach Bedeutung → Antwort, Synonym → weitere Antwort Auszug 71: Beispiel für die Unterkategorie 6.1 Interaktionsbezogene Frage Auszug 72 ist ein Beispiel für die Unterkategorie 6.2 Nicht-interaktionsbezogene Frage. Allein aus der Länge dieses Auszuges lässt sich ersehen, wie es aufgrund der Synchronizität der Kommunikation und der hohen Zahl von Chat-Teilnehmern schwierig sein kann, eine Frage zu stellen, die mit dem Thema der Interaktion nicht zu tun hat. Für die Behandlung einer nichtinteraktionsbezogen Frage ist es nötig, dass derjenige, der die Frage stellt, den Verwendungskontext der Frage beleuchtet, damit seine Kommunikationspartner eine passende Antwort geben und somit eine bessere sprachliche Hilfe leisten können. In Auszug 72 stellt der Chat-Teilnehmer eine Frage zur Grammatik. Um diese zu kontextualisieren, sagt Marcio, dass er gerade in der Schule Konjunktiv Perfekt lerne und es nicht verstehe. Aus seinen Äußerungen ist ersichtlich, dass er die Form des behandelten Modus zwar beherrscht, jedoch nicht versteht, in welcher Situation diese Form zur Anwendung kommt und was sie bedeuten soll. Die Tutorin erklärt ihrerseits, welche Bedeutung diese Form hat und wann sie verwendet werden kann. Schließlich hält Marcio diese Form für „komisch“ und erhält dabei Unterstützung von der Tutorin. Danach betreten neue Chat-Teilnehmer den Chat-Raum, und das Thema der Interaktion wechselt erneut. <?page no="209"?> 209 Auszug aus dem Chat-Protokoll C/ 23.10.07 (19: 26: 57) Ken: Tutorin du bringst doch deutsch bei kannst du mir auch bischen helfen (…) (19: 27: 12) Tutorin C: ja, gern, Ken! (19: 27: 36) Tutorin C: hast du bestimmte Fragen, Ken? (…) (19: 27: 58) Marcio: ich habe eine Tutorin (…) (19: 28: 16) Tutorin C: ja, gern, Marcio (19: 28: 21) Marcio: ich lerne zur Zeit Konjunktiv bei der Schule (…) (19: 28: 44) Marcio: konjunktivperfekt (…) (19: 29: 14) Marcio: ich kann es nicht verstehen (…) (19: 29: 43) Marcio: was bedutet es, konjunktivperfekt (…) (19: 30: 22) Marcio: oder konjunktivplusquamperfekt? (19: 31: 40) Tutorin C: das sind verschiedene Formen von Konjunktiv (19: 31: 40) Vitor: eigentich glaube ich konjuntivperfekt oder so was , es ist nicht notwendig (19: 31: 40) Tutorin C: also Vergangenheit in diesem Fall (…) (19: 32: 17) Marcio: was bedeuja und es finde ich bisschen kompliziert → Teilnehmer sucht sprachliche Hilfe im Chat → Bereitschaft der Tutorin zu helfen → Teilnehmer äußert seinen Wunsch nach Hilfe → Kontextualisierung der Frage → Nicht-interaktionsbezogene Frage nach Form → Fortsetzung der Frage → Erklärung (Kurze Antwort) → Erklärung <?page no="210"?> 210 (…) (19: 34: 22) Tutorin C: ja, das stimmt (19: 34: 24) Marcio: kannst du es mir erklären Tutorin. was bedeutet das ZB: "er habe gefragt". (19: 34: 29) Tutorin C: ach so (19: 34: 42) Tutorin C: in diesem Fall geht es die indirekte Rede (19: 34: 55) Marcio: das ist konjunktivperfekt (19: 35: 08) Tutorin C: um zu zeigen, dass es nicht meine Worte sind, sondern von jemandem, benutze ich Konjunktiv (…) (19: 35: 44) Marcio: wo kann man es benutzen? (…) (19: 35: 55) Marcio: schriftlich oder mündlich? (…) (19: 36: 05) Marcio: oder beide geht es? (…) (19: 36: 07) Tutorin C: meistens kommt es in der schriftlichen Sprache vor (…) (19: 37: 21) Marcio: sag mal bitte Tutorin. findest du auch es nicht komisch; "er habe " (…) (19: 37: 32) Tutorin C: ja, schon ; ) (19: 37: 40) Marcio: ; D (19: 38: 43) Tutorin C: es gibt schon ein paar komischen Sachen im Deutschen : D → Beispiel zur Verdeutlichung der Frage → Erklärung (kurze Antwort) → Erklärung → weitere Frage (Frage nach dem Verwendungskontext ) → Erklärung → Eigene Meinung zum Thema → Unterstützung Auszug 72: Beispiel für die Unterkategorie 6.2 Nicht-interaktionsbezogene Frage <?page no="211"?> 211 Die Analyse des Auslösers der Fragen im untersuchten Chat-Raum zeigt, dass die Chat-Teilnehmer interaktionsbezogene Fragen und nicht-interaktionsbezogene Fragen unterschiedlich häufig stellen. Insgesamt wurden 26 interaktionsbezogene Fragen und 28 nicht-interaktionsbezogene Fragen im analysierten Korpus identifiziert (vgl. Tab. 19). Oberkategorie 6 Auslöser sprachbezogener Fragen 6.1 Interaktionsbezogene Frage 6.2 Nicht-interaktionsbezogene Frage Tu. Un. Tu. Un. 5.1 Frage nach Form 6 1 13 5 5.2 Frage nach Bedeutung 16 3 9 1 Gesamt 22 4 22 6 Tab. 19: Häufigkeit der Oberkategorie 6 Auslöser sprachbezogener Fragen in den tutorierten und untutorierten Chat-Stunden Die Häufigkeit der Unterkategorien 6.1 und 6.2 ist fast gleich. Dieses Ergebnis weist darauf hin, dass der hier untersuchte Chat nicht nur ein Ort für Interaktion zwischen Lernenden und Tutoren ist, sondern ebenfalls ein Ort ist, der zur Sprach- und Sprachlernberatung genutzt wird. Aus Tabelle 19 geht hervor, dass die Mehrheit der Fragen nach Form sowohl in den tutorierten als auch in den untutorierten Stunden nicht-interaktionsbezogen sind, d.h. die Chat-Teilnehmer stellen meist im Chat Fragen nach einer Form, die sie aus anderen Kontexten haben und die sich nicht auf eine im Chat verwendete Form bezieht. Dieses Ergebnis kann ein Indiz dafür sein, dass die Chat-Teilnehmer kaum Verständnisschwierigkeiten mit den im Chat verwendeten sprachlichen Formen haben oder dass sie zumindest eventuell auftretende neue Formen aus dem Interaktionskontext verstehen können, ohne eine explizite Frage nach Form stellen zu müssen. Die Chat-Teilnehmer nutzen also den JETZT Deutsch lernen-Chat als sprachliche Hilfe bzw. sie betrachten das hier untersuchte Interaktionsangebot als einen Ort, an dem sie schnell und synchron ihre Fragen zur deutschen Sprache klären können. Tabelle 19 zeigt darüber hinaus, dass die Fragen nach Bedeutung sowohl in den tutorierten als auch in den untutorierten Stunden meist interaktionsbezogen sind. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Fragen nach Bedeutung eine wichtige Rolle für die weitere Teilnahme an der Interaktion spielen. Die Chat- Teilnehmer sind erst während der Interaktion im Chat mit neuen Begriffen und Ausdrücke in der deutschen Sprache konfrontiert, die sie vorher nicht kannten. <?page no="212"?> 212 Sie können also die Bedeutung des neuen Wortes oder Ausdrucks nicht aus dem Kontext verstehen. Diese Verständnisschwierigkeit verhindert die weitere Teilnahme an der Interaktion und führt die Chat-Teilnehmer dazu, eine Frage zu stellen. Um ihre Verständnisschwierigkeiten in der Interaktion zu überwinden bzw. diese Wissenslücken zu füllen, stellen die Chat-Teilnehmer Fragen nach den Bedeutungen dieser neuen Wörter und/ oder Ausdrücke und haben mit der Behandlung dieser Fragen die Chance, ihre sprachlichen Kenntnisse der deutschen Sprache zu erweitern. Die nicht-interaktionsbezogenen Fragen nach Bedeutung sind in beiden Kontexten hingegen seltener. Derjenige, der eine nicht-interaktionsbezogene Frage nach Bedeutung stellt, muss zunächst im Chat den Kontext seiner Frage darstellen, damit seine Kommunikationspartner die Bedeutung des Wortes bzw. des Begriffes besser verstehen und erklären können. Das kann aufgrund der Synchronizität der Chat-Kommunikation und des schnellen Themenwechselns schwierig sein und lange dauern. Aus diesen Gründen zeigt sich, dass nicht-interaktionsbezogene Fragen nach Form schneller und einfacher im untersuchten Chat zu klären sind als nichtinteraktionsbezogene Fragen nach Bedeutung und daher häufiger vorkommen. Unabhängig davon, ob der Auslöser der hier analysierten Fragen interaktionsbezogen oder nicht-interaktionsbezogen ist, ist es wichtig festzuhalten, dass Lernende im hier untersuchten JETZT Deutsch lernen-Chat - wie Lernende aus anderen Chat-Studien (vgl. exemplarisch Pellettieri 2000 und Shekary/ Tahririan 2006) - die Möglichkeit haben, sich ihrer fremdsprachlichen Lücken bewusst zu werden (vgl. Kap. 3.2.3.4). Die für sie neuen Begriffe oder Ausdrücke können als Impulse für ihren Lernprozess betrachtet werden; sie können als ein erster Schritt im Prozess der Bewusstwerdung ihrer fremdsprachlichen Lücken verstanden werden. Lernende merken während der Interaktion, was sie bereits können und nicht. Sie realisieren die Lücke zwischen der Zielsprache und ihrer eigenen Interlanguage bzw. ihren eigenen Kenntnisse über die Zielsprache (vgl. Kap. 1.1). Die Interaktion im Chat bietet den Lernenden durch die Aushandlungen sprachbezogener Fragen die Chance, ihre Sprachkompetenz zu verbessern und ihre Kenntnisse über die Zielsprache zu erweitern. Im Licht der Interaktions-Hypothese zum Fremdsprachenlernen lässt sich daher ausführen, dass sich die Interaktion im Chat als geeignete Form zum Fremdsprachenlernen ausweist (vgl. Kap. 1.2). 8.3.4 Antworten auf sprachbezogene Fragen Die im Korpus identifizierten sprachbezogenen Fragen wurden in unterschiedlichen Formen beantwortet. Um diese Variation der Antworten auszuwerten, wurde die Oberkategorie 7 Antworten auf sprachbezogene Fragen entwickelt, die aus sieben verschiedenen Unterkategorien besteht. Die Unter- <?page no="213"?> 213 kategorie 7.1 Keine Antwort bedeutet, dass im Chat keine Indizien für eine Antwort auf die gestellte Frage vorliegen. Die Unterkategorie 7.2 Direkte Antwort (+ grammatische Erklärung) wird für Indizien verwendet, die darauf hinweisen, dass die Chat-Teilnehmer eine direkte Antwort auf die gestellte Frage bekommen haben. Zu dieser Unterkategorie gehören auch grammatische Erklärungen, die die Beantwortung der Frage ergänzen. Zu Unterkategorie 7.3 Übersetzung gehören Antworten, die eine reine Übersetzung sind. Die Unterkategorie 7.4 Synonym wird für Antworten verwendet, in denen der Chat-Teilnehmer Gebrauch von Synonymen macht. Zu Unterkategorie 7.5 Umschreibung gehören Antworten, in denen die Chat-Teilnehmer Wörter, Begriffe oder Ausdrücke umschreiben. Der Unterkategorie 7.6 Beispiel werden Antworten zugeordnet, in denen die Chat-Teilnehmer Beispiele verwenden, um die gestellte Frage besser zu erklären. Zu Kategorie 7.7 Verweis auf eine Internetseite gehören Antworten, in denen die Chat-Teilnehmer einen Verweis auf eine Internetseite machen bzw. einen Link zu einer Internetseite, wodurch die gestellte Frage besser beantwortet werden kann. Tabelle 20 zeigt, wie unterschiedlich häufig die im Korpus identifizierten sprachbezogenen Fragen in beiden untersuchten Kontexten beantwortet werden. Es lässt sich aus der Tabelle ersehen, dass es in den tutorierten Stunden im Vergleich zu den untutorierten Stunden eine reichere Variation an Formen von Antworten gibt. Oberkategorie 7: Antworten auf sprachbezogene Fragen 5.1 Frage nach Form 5.2 Frage nach Bedeutung Gesamt 7.1 Keine Antwort 4 Tutoriert - 2 Untutoriert 2 - 7.2 Direkte Antwort 20 Tutoriert 14 1 Untutoriert 4 1 7.3 Übersetzung 9 Tutoriert 5 4 Untutoriert - - 7.4 Synonym 8 Tutoriert - 8 Untutoriert - - 7.5 Umschreibung 20 Tutoriert - 16 Untutoriert - 4 7.6 Beispiel 4 Tutoriert 2 2 Untutoriert - - 7.7 Verweis auf eine Internetseite 1 Tutoriert - 1 Untutoriert - - Tab. 20: Häufigkeit der Oberkategorie 7 Antworten auf sprachbezogene Fragen in den tutorierten und untutorierten Chat-Stunden <?page no="214"?> 214 Während in den tutorierten Stunden Formen von Antworten aller Unterkategorien identifiziert worden sind, kamen in den untutorierten Stunden lediglich die Unterkategorien 7.2 Direkte Antwort (+ grammatische Erklärung) und 7.5 Umschreibung vor. Dieses Ergebnis zeigt, dass die Tutorinnen und die Chat-Teilnehmer in den tutorierten Stunden eine reichere Form von Strategien verwenden, um die gestellten sprachbezogenen Fragen zu beantworten. Die Gründe für dieses Ergebnis können möglicherweise darin liegen, dass die Tutorinnen aufgrund ihrer Sprachkompetenzen besser in der Lage sind, verschiedene Strategien zu verwenden und dass sich die Chat-Teilnehmer in den tutorierten Stunden mehr in den Aushandlungsprozessen engagieren, um Wissen zu demonstrieren und/ oder sprachliche Hilfe zu leisten. Aus Tabelle 20 geht darüber hinaus hervor, dass die Zahl der Antworten aus der Unterkategorie 7.1 Keine Antwort sowohl in den tutorierten Stunden als auch in den untutorierten Stunden im Vergleich zu der Zahl der gesamten identifizierten Fragen gering ist. Die meisten gestellten Fragen werden im JETZT Deutsch lernen-Chat beantwortet. Von den 54 identifizierten Fragen im untersuchten Chat blieben lediglich vier Fragen unbeantwortet. Die höhere Anzahl an Besuchern und der schnelle Themenwechsel im untersuchten Chat- Raum scheinen dabei, kaum ein Problem für Aushandlungsprozesse darzustellen, die mit einer sprachbezogenen Frage initiiert werden. Die Besucher des JETZT Deutsch lernen-Chats können daher meist damit rechnen, dass sie in diesem Lernangebot sprachliche Hilfe erhalten werden. Auszug 73 ist ein Beispiel für die Unterkategorie 7.1 Keine Antwort. In diesem Auszug befindet sich die Tutorin A fast am Ende ihrer Chat-Stunde. Der Chat-Teilnehmer Diego hat einen Witz erzählt und die Tutorin A möchte eine Fehlerkorrektur seiner Äußerungen vornehmen. Ein anderer Chat-Teilnehmer Arno kennt das Wort „Witz“ nicht und fragt nach dessen Bedeutung. Trotz der Frage setzt die Tutorin A die Fremdkorrektur fort, ohne Antwort auf die gestellte Frage nach Bedeutung von Arno zu geben. Daraufhin verabschiedet sich die Tutorin A von den Chat-Teilnehmern und Arno verlässt den Raum, ohne eine Antwort auf seine Frage bekommen zu haben. Dieser Auszug ist daher ein Beispiel dafür, wie eine Frage übersehen werden kann und wie jemand sich so sehr mit seiner eigenen Äußerungsproduktion im Chat beschäftigt kann - in diesem Fall die Tutorin A mit ihrer Fremdkorrektur -, dass andere Äußerungen im Chat von anderen Chat-Teilnehmern nicht wahrgenommen werden (vgl. Kap. 3.1.2). Auszug aus dem Chat-Protokoll A/ 26.11.07 (09: 59: 20) Tutorin A: Das finde ich toll, dass du Witze erzählen kannst (…) → Auslöser der Frage nach Bedeutung <?page no="215"?> 215 (10: 00: 05) Arno: kann ich fragen was witz ist? (…) (10: 01: 48) Diego: Was war schlecht in meiner Witz? (10: 02: 19) Tutorin A: Es ist gut dass du Witz erzählt hast (10: 02: 34) Tutorin A: Ich wollte ein paar grammatische Sachen korrigieren (10: 03: 34) Tutorin A: Wohin hat der Vogel gekackt? (10: 03: 35) Arno: Tutorin bitte schrieb witz in richtig und sollen wir lesen (10: 03: 39) Tutorin A: auf den Kopf (10: 03: 46) Tutorin A: (das ist Akk.) (10: 04: 07) Tutorin A: Ich muss leider gehen (10: 04: 21) Tutorin A: Aber Diego kann das noch einmal machen (10: 04: 30) Diego: OK, danke (10: 04: 48) Tutorin A: Der Vogel war ganz bestimmt oben (10: 04: 58) Tutorin A: dann hat er das auch von oben gemacht (10: 05: 37) Tutorin A: Aber ich finde , dass es sehr gut ist , Diego, dass du dich traust (10: 05: 44) Tutorin A: und Witze erzählst (10: 05: 50) Tutorin A: Das finde ich ganz toll (10: 05: 54) Diego: Alle müssen die einige Witze vorbereiten zu nächsten MAl (10: 06: 01) Tutorin A: Ich muss jetzt leider zum Seminar (…) (10: 06: 40) Tutorin A: Tschüsssssssssssss → Frage nach Bedeutung → Anfang der Korrektur → Fremdkorrektur <?page no="216"?> 216 (10: 06: 46) Diego: Aber nicht mit Vogeln (10: 06: 57) Tutorin A: Ich wünsche euch auch einen guten Tag (10: 07: 08) Arno verlässt den Raum (10: 07: 23) Diego: Danke noch mal (…) (10: 07: 43) Tutorin A verlässt den Raum → Chat-Teilnehmer verlässt den Raum ohne eine Antwort auf seine Frage nach Bedeutung zu bekommen Auszug 73: Beispiel für die Unterkategorie 7.1 Keine Antwort in einer tutorierten Stunde Von den 20 Fällen der Unterkategorie 7.2 Direkte Antwort sind 18 Fälle solche von Fragen nach Form und zwei Fälle solche von Fragen nach Bedeutung. Auszug 74 ist ein Beispiel für diese Unterkategorie. Dabei unterhält sich der Teilnehmer Walter mit der Tutorin E über Ereignisse in der deutschen Politik. Da der Chat-Teilnehmer die weibliche Form von „Kanzler“ nicht kennt, formuliert er seine Äußerung wie folgt: „erstenmal in Deutschegesichte ist Kanzler eine Frau“. Daraufhin stellt er eine Frage nach der richtigen weiblichen Form des Begriffes „Kanzler“ und die Tutorin E gibt ihm eine direkte Antwort. Auszug aus dem Chat-Protokoll E/ 04.10.07 (20: 54: 42) Walter: Tutorin, aber den kanzler Schröder,war in seiner zeit sehr erfolgreich,und er hatte eine gute Stelle gegenüber USAü (…) (20: 55: 10) Tutorin E: Walter, da hast du Recht. (20: 56: 42) Walter: Tutorin, erstenmal in Deutschegesichte ist Kanzler eine Frau.Sagt man ihr Kanzlerin oder Kanzler (…) (20: 58: 11) Tutorin E: Kanzlerin → Auslöser der Frage → Frage nach Form → Direkte Antwort Auszug 74: Beispiel für die Unterkategorie 7.2 Direkte Antwort in einer tutorierten Stunde <?page no="217"?> 217 Dieser Auszug zeigt darüber hinaus, wie der Chat-Teilnehmer Walter während der Interaktion merkt, dass er eine fremdsprachliche Wissenslücke hat. Er nutzt die Gelegenheit im Chat, um mit Hilfe seines Kommunikationspartners - in diesem Fall mit der Hilfe der Tutorin E - sein sprachliches Problem unmittelbar zu lösen und somit seine Kenntnisse der deutschen Sprache zu erweitern (vgl. Kap. 3.2.3.4). Auszug 75 ist ein weiteres Beispiel für die Unterkategorie 7.2 Direkte Antwort (+ grammatische Erklärung) aus einer untutorierten Stunde. In diesem Auszug sucht der Chat-Teilnehmer Charly sprachliche Hilfe für einen Aufsatz. Charly stellt eine Frage nach der richtigen Deklinationsform des unbestimmten Artikels „ein“ und des Adjektivs „jüdisch“ in dem Satz „Er wurde in einer jüdischen Familie geboren“. Die Chat-Teilnehmerin Sara gibt Charly eine Antwort mit einer kurzen grammatischen Erklärung. Auszug aus dem Chat-Protokoll Nach G/ 18.11.07 (19: 30: 59) Charly: können sie mir helfen mit meine aufsatz? (…) (19: 32: 39) Charly: ja ist das richtig, Er wurde in einer jüdischen familie geboren. oder eine jüdische familie? (…) (…) (19: 38: 28) Katja: Er wurde in einer judischen familie geboren (19: 41: 10) Charly: meine Professor sagt das, das ist nicht ganz falsch, aber besser ist ein anderer Fall nach ’in“: (19: 41: 25) Charly: was sollte ich machen? (…) (19: 46: 02) Charly: asamantah weißt du die antwort ? (19: 46: 44) Sara: welche? (19: 47: 08) Charly: in einer judischen oder in eine judische? (19: 47: 16) Sara: familie (19: 47: 28) Sara: ist weiblich (19: 47: 32) Charly: mein professor → Bitte um Hilfe → Frage nach Form → Direkte Antwort → Weiterer Kommentar → Frage nach Hilfe → Wiederholung der Frage → Anfang der Antwort, die fragmentarisch folgt <?page no="218"?> 218 sag "das ist nicht ganz falsch, aber besser ist ein anderer Fall nach ’in“: (19: 47: 35) Sara: die familie (19: 47: 37) Charly: was bedeutet das? (19: 47: 43) Sara: in der familie (19: 48: 10) Sara: in + dat (19: 48: 19) Sara: kapiert? (19: 48: 34) Charly: ok vielen dank → kurze grammatische Erklärung Auszug 75: Beispiel für die Unterkategorie 7.2 Direkte Antwort (+ grammatische Erklärung) in einer untutorierten Stunde Unter den neun Fällen der Unterkategorie 7.3 Übersetzung gibt es fünf Fälle von Fragen nach Form und 4 Fälle von Fragen nach Bedeutung. In Auszug 76 unterhalten sich die Tutorin H und die Chat-Teilnehmer über eine Stadt in Polen. Dabei verwendet die Tutorin H den Ausdruck „eine ganze Menge“, den der Chat-Teilnehmer Nelson nicht versteht. Die Chat-Teilnehmerin Veronika, die ihrerseits den Ausdruck verstanden hat, versucht Nelson zu helfen und übersetzt den deutschen Ausdruck ins Polnisch. Am Anfang der Chat-Stunde haben Nelson und Veronika festgestellt, dass beide aus Polen sind, und daher wusste Veronika bereits, dass eine Übersetzung ins Polnische seinem Kommunikationspartner Nelson helfen könnte. Auszug aus dem Chat-Protokoll H/ 04.10.07 (09: 46: 38) Tutorin H: Was gibt es da zu sehen? (09: 46: 38) Nelson: Heilige Katarzyna (09: 46: 55) Nelson: die Flugzeugplatz in Masów (09: 47: 53) Tutorin H: Na, das ist ja eine ganze Menge! (…) (09: 48: 27) Nelson: was ist die ganze Menge? ? (…) (09: 48: 45) Tutorin H: Bei dir gibt es ja eine ganze Menge Sehenswuerdigkeiten. (09: 48: 47) Veronika: "kupa" → Auslöser → Frage nach Bedeutung → Übersetzung (Deutsch ins Polnisch) <?page no="219"?> 219 zabytków o to jej chodzio (09: 48: 49) Veronika: : D (09: 49: 35) Nelson: aha dziêki : ) (09: 49: 41) Nelson: bo nie skapowaam : D (09: 49: 43) Veronika: nie ma za co (09: 49: 45) Veronika: : D (09: 50: 41) Nelson: : D Auszug 76: Beispiel für die Unterkategorie 7.3 Übersetzung in einer tutorierten Stunde Von den acht Antworten der Unterkategorie 7.4 Synonym sind alle Fälle Antworten auf Fragen nach Bedeutung. Auszug 77 zeigt, wie der Chat-Teilnehmer Jorge eine Frage nach Bedeutung im JETZT Deutsch lernen-Chat stellt. Dabei sucht er eine Erklärung für den deutschen Ausdruck „einen drauf machen“. Die anderen im Chat anwesenden Teilnehmer und die Tutorin E versuchen, ihm sprachliche Hilfe zu leisten. Der Chat-Teilnehmer Vini verwendet einen anderen Ausdruck, nämlich, „sich besoffen“, als Synonym für „einen drauf machen“. Daraufhin fragt die Nicht-Muttersprachlerin Tutorin E den muttersprachlichen Chat-Teilnehmer Jonas, den sie schon von anderen Chat-Interaktionen kennt, ob die beiden Ausdrücke tatsächlich Synonyme seien, weil sie auch nur dieses eine Synonym kenne. Jonas zeigt sich bereit zu helfen, und erklärt, dass der gemeinte Ausdruck eine weitere Bedeutung haben kann: „(…) ausgelassen zu feiern (…) ohne besoffen zu sein“. Auszug aus dem Chat-Protokoll E/ 27.09.07 (20: 43: 15) Jorge: was bedeutet: "einen drauf machen"? Kann mir jemand erklären? (…) (20: 44: 01) Vini: ich glaube "einen drauf machen" ist sich besoffen (20: 44: 07) Jorge: ok, danke (…) (20: 45: 17) Tutorin E: Jonas, stimmt das? Ich kenne das auch nur so (20: 45: 34) Jonas: was Tutorin? ? ? ? (…) (20: 45: 53) Tutorin E: einen Drauf machen = sich besaufen → Frage nach Bedeutung, nichtinteraktionsbezogen → Synonym → Frage nach Hilfe <?page no="220"?> 220 (20: 45: 54) Jonas: die Definition für "einen drauf machen"? ? ? ? (…) (20: 46: 00) Jonas: nein........ (…) (20: 46: 36) Jonas: im Prinzip ja....- ...aber bedeutet auch ausgelassen zu feiern......ohne besoffen zu sein (…) (20: 47: 00) Tutorin E: ok, vielen Dank Jonas → Synonyme Auszug 77: Beispiel für die Unterkategorie 7.4 Synonym in einer tutorierten Stunde Auszug 77 ist also ein Beispiel dafür, wie Tutorin und Chat-Teilnehmer versuchen, gemeinsam auf einer gleichen hierarchischen Ebene ein sprachliches Problem zu lösen. Der erste, der sich in diesem Auszug zu Wort meldet, ist ein anderer Lernender, der mit den anderen Teilnehmern im JETZT Deutsch lernen-Chat sprachlich zu kooperieren möchte. Dieses Verhalten verstärkt laut Araújo e Sá/ Melo (2009) den didaktischen und den sozialen Rahmen des Lernkontexts, da der Aushandlungsprozess über eine gestellte sprachbezogene Frage als Mittel der Sozialisation und der Interdependenz zwischen den Lernenden fungiert (vgl. Kap. 8.1). Im JETZT Deutsch lernen- Chat wissen die Chat-Teilnehmer, dass sie sprachliche Hilfe bekommen können und dass sich dort andere Lernende befinden, die ebenfalls diese Hoffnung auf sprachliche Hilfe haben. Dadurch verdeutlichen solche Aushandlungsprozesse über sprachbezogenen Frage den didaktischen und kooperativen Charakter, der den Interaktionen in diesem Kontext zugrunde liegt. Ferner ist Auszug 77 ein Beispiel dafür, wie eine Tutorin, die nicht Muttersprachlerin ist, mit der Teilnahme eines Muttersprachlers im Chat umgeht und von seiner muttersprachlichen Kompetenz profitiert. In diesem Fall fragt die Tutorin selbst nach Hilfe. Das ist einerseits ein Zeichen dafür, wie eine Kooperation zwischen Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern in den Interaktionen im untersuchten Chat möglich ist. Andererseits zeigt dieses Verhalten der Tutorin, was Platten (2003: 166) über die Hierarchie zwischen den Chat-Teilnehmern und den Tutorinnen im JETZT Deutsch lernen-Chat feststellte: Im untersuchten Chat weist die Kommunikation zwischen den Lernenden und den Tutorinnen kein großes hierarchisches Gefälle auf. Die Tutorin selbst versteht sich als Lernende, was dazu führt, dass ein Rollentausch stattfindet. In Auszug 58 ist die Tutorin E nicht die einzige, die nach sprachlicher Hilfe fragt. <?page no="221"?> 221 Auszug 78 ist ein weiteres Beispiel für die Verwendung eines Synonyms bei der Beantwortung einer Frage nach Bedeutung und für den kooperativen Charakter zwischen den Lernenden im JETZT Deutsch lernen-Chat. Hier fragt die Chat-Teilnehmerin Mary nach der Bedeutung von „unverfälscht“ und der Teilnehmer Jonas schreibt als Antwort die beiden Synonyme „pur“ und „echt“. Der Teilnehmer Ivan antwortet ebenfalls mit dem Synonym „echt“ und der Umschreibung „das nicht gefälscht ist“. Auch hier lässt sich beobachten, wie die Chat-Teilnehmer einander helfen, um eine Verständnisschwierigkeit zu beheben. Obwohl die Tutorin H im Chat anwesend ist, lösen die Chat-Teilnehmer das Problem unter sich und zeigen damit eine unter ihnen herrschende kooperative Haltung. Auszug aus dem Chat-Protokoll H/ 07.09.07 (20: 46: 57) Mary: unverfälscht? ? ? was bedeutet das? (20: 47: 18) Jonas: pur=unverfälscht Mary.........echt (20: 47: 36) Ivan: Mary, dass echt ist, das nicht gefälscht ist (…) (20: 48: 07) Mary: danke schön : )) (…) (20: 48: 15) Jonas: ; -) (…) (20: 48: 38) Walter: unverfälschen ist das originel → Frage nach Bedeutung, → Synonyme → Synonym, Umschreibung → Synonyme Auszug 78: Beispiel für die Unterkategorie 7.4 Synonym in einer tutorierten Stunde Von den 20 Antworten der Unterkategorie 7.5 Umschreibung sind alle Fälle Antworten auf Fragen nach Bedeutung, da diese Form von Antwort eine übliche Form aus der Bedeutungsvermittlung ist. In Auszug 79 unterhält sich die Tutorin A mit der Chat-Teilnehmerin Bela über ihre Pläne für das Wochenende. Die Tutorin sagt: „ich bin jetzt gespannt“. Dabei bezieht sie sich auf die Planung von Bela für das Wochenende. Der andere Chat-Teilnehmer Andrea versteht die Bedeutung von „gespannt“ nicht und fragt nach. Die Tutorin paraphrasiert bzw. umschreibt, was sie in ihrem Satz mit „gespannt“ gemeint hat. <?page no="222"?> 222 Auszug aus dem Chat-Protokoll A/ 06.10.07 (11: 17: 18) Tutorin A: Ich bin jetzt gespannt (…) (11: 18: 04) Andrea: Tutorin (11: 18: 14) Andrea: spannen wbededet (11: 18: 15) Tutorin A: ja, Andrea (11: 18: 16) Andrea: heh (…) (11: 18: 25) Andrea: ich habe vergessen (…) (11: 18: 44) Andrea: spannen welche bedeutung hat diese wort (…) (11: 19: 21) Tutorin A: Du meinst "gespannt" Andrea (11: 19: 32) Andrea: ach ja (…) (11: 19: 43) Andrea: gespannt (…) (11: 21: 57) Tutorin A: In meinem Satz bedeutete "gespannt", dass ich sehr gerne wissen moechte, was Bela am Wochenende macht (Andrea) (…) (11: 23: 37) Andrea: : < (11: 23: 51) Andrea: : -) → Auslöser → Frage nach Bedeutung → Wiederholung der Frage nach Bedeutung → Umschreibung Auszug 79: Beispiel für die Unterkategorie 7.5 Umschreibung in einer tutorierten Stunde Auszug 80 ist nicht nur ein weiteres Beispiel für die Unterkategorie 7.5 Umschreibung, sondern auch ein Beispiel für die Unterkategorie 7.6 Beispiel. In diesem Auszug unterhalten sich die Chat-Teilnehmer auch über das Thema Studium. Jonny fragt Ikaro, ob er Germanistik studiert. Die andere Chat-Teilnehmerin Joana kann diesen Begriff nicht verstehen und fragt nach dessen Bedeutung. Ikaro und Jonny versuchen das Wort, durch Umformulie- <?page no="223"?> 223 rungen und Beispiele aus den Inhalten des Studienfachs „Germanistik“ zu erklären, so dass Joana die Bedeutung am Ende verstehen kann. Auszug aus dem Chat-Protokoll Nach H/ 16.11.07 ( 19: 23: 39) Jonny: prima! Germanistik oder was anderes? (…) (19: 26: 18) Joana-: was bedauten germanistik (19: 26: 21) Joana-: ? (19: 27: 18) Ikaro: studium, das sich um Deutsch beschäftigt, oder so ähnlich Joana (…) (19: 29: 28) Joana-: ich verstehn nicht (19: 29: 30) Jonny: bedeutet alles was mit Deutschen zu tun hat, Landeskunde,Literatur, Sprachwissenschaft ...usw (…) (19: 29: 48) Ikaro: Joana, hoffentlich verstehst du es jetzt..... (…) (19: 30: 34) Joana-: jaaaaaaaaaaa (19: 31: 15) Matheus: alles was die Deutsche Spache und die Literatur angeht ,würde ich sagen: : )) → Auslöser → Frage nach Bedeutung → Umformulierung → Beispiel → Umformulierung Auszug 80: Beispiele für die Unterkategorie 7.5 Umschreibung und 7.6 Beispiel in einer untutorierten Stunde Von allen analysierten sprachbezogenen Fragen aus dem untersuchten Korpus ist nur ein Fall für die Unterkategorie 7.7 Verweis auf eine Internetseite identifiziert worden. In Auszug 81 ist ein Beispiel für eine Frage nach Bedeutung, die nicht-interaktionsbezogen ist. Der Chat-Teilnehmer Lukas fragt nach der Bedeutung des Begriffes „Arbeitermacht“. Die Tutorin H sagt, sie hätte davon noch nichts gehört, und schickt ihm jedoch einen Link zu einem Artikel aus der Online-Enzyklopädie Wikipedia, in dem er selbst Informationen zu diesem Thema finden kann. <?page no="224"?> 224 Auszug aus dem Chat-Protokoll H/ 16.11.07 (18: 27: 26) Lukas: eine Frage fuer deutschen Leute? (18: 27: 33) Lukas: was ist Arbeitermacht? (…) (18: 29: 50) Tutorin H: Ich hatte davon noch nichts gehoert, aber ich habe folgenden Artikel finden koennen: http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Arbeitermach → Einleitung zur Frage → Frage nach Bedeutung → Antwort, Link Auszug 81: Beispiele für die Unterkategorie 7.7 Verweis auf eine Internetseite in einer tutorierten Stunde Dieser Auszug zeigt darüber hinaus, wie praktisch und schnell ein Lernender mittels eines einfachen Links im Chat Hilfe erhalten kann. Obwohl die Tutorin in diesem Fall dem Lernenden nicht selbst weiterhelfen konnte, verfügte sie gleichzeitig über einen synchronen Zugang zu anderen Internetseiten und zum JETZT Deutsch lernen-Chat. Dieser Zugang ermöglichte der Tutorin, dem Lernenden zu helfen. Das Verschicken eines Links kann daher als eine einfache Form dienen, den Lernenden im Chat eine erste Hilfe zu geben, wenn derjenige, der gefragt wird, selbst nicht helfen kann, oder als eine zusätzliche Form, den Lernenden weitere Informationen zu den gestellten Fragen zu vermitteln. Der Verweis auf eine Internetseite, wo sich der Lernende weiter über das Thema seines Interesses informieren kann, kann ferner als eine Form der Förderung der Autonomie betrachtet werden. Der Lernende, der den Link bekommt, kann selbst nach weiteren Informationen zu seiner Frage suchen, sich damit beschäftigen und seine Kenntnisse vertiefen. Wenn dabei Fragen entstehen, hat der Lernende weiterhin die Chance, diese synchron mit einer Tutorin im JETZT Deutsch lernen-Chat zu klären und weiter um Hilfe zu bitten. Dadurch kontrolliert der Lernende nicht nur sein eigenes linguistisches Repertoire im Sinne von Andrade et al. (2002), sondern steuert auch die Art und Weise, wie er seinen Lernprozess gestalten möchte (vgl. Kap. 3.2.3.4). Die unterschiedlichen Formen, sprachbezogene Fragen im Chat zu beantworten, wurden nicht immer einzeln angewendet, d.h. auf die identifizierten sprachbezogenen Fragen gab es Antworten, in denen die Tutorinnen und die Chat-Teilnehmer verschiedene Formen wie Synonyme, Umschreibungen und Übersetzungen gleichzeitig verwendet haben, um die Frage zu beantworten. Auszug 82 zeigt, wie mehrere Formen von Antworten verwendet wurden, um Bedeutung im Chat zu vermitteln. Hier unterhält sich die Tutorin B mit den <?page no="225"?> 225 Chat-Teilnehmern Abdula und Leo über Essen und Trinken. Abdula sagt, dass er aus religiösen Gründen keinen Wein trinken darf. Die Tutorin B, die vorher erwähnt hat, dass sie auch aus religiösen Gründen keinen Wein trinkt, erklärt, dass sie statt Wein Traubensaft trinkt. Abdula seinerseits kennt das Wort „Traubensaft“ nicht und fragt nach dessen Bedeutung. Die Tutorin und der andere Teilnehmer Leo geben daraufhin Abdula sprachliche Hilfe, indem sie als Antwort zunächst das Wort „Traubensaft“ umschreiben. Danach übersetzt die Tutorin B den Begriff ins Französische und Leo gibt ein Beispiel. Auszug aus dem Chat-Protokoll B/ 18.11.07 (19: 08: 53) Tutorin B: Aber das ist nicht schlimm, ich trinke dann Traubensaft : -D (19: 09: 15) Abdula: was ist traubensaft (19: 09: 35) Tutorin B: Saft von Weintrauben (…) (19: 10: 04) Leo: das ist ein Getränk , das aus TRauben entsteht ? (19: 10: 08) Abdula: ich weiss nichts (19: 10: 10) Leo: kann ich das sagen (19: 10: 39) Abdula: das getrank (19: 10: 39) Tutorin B: Ja, man muss die Trauben pressen, damit der Saft raus kommt (…) (19: 11: 57) Tutorin B: Weintraube heisst "grappe" auf Franzoesisch (…) (19: 12: 19) Leo: oh, in meiner Stadt gibt es eine bekannte TRaubensaft (19: 12: 24) Leo: Federweiser (…) (19: 12: 27) Leo: oder sowas (…) → Auslöser → Frage nach Bedeutung → Umschreibung → Umschreibung → Übersetzung (Deutsch→ Französisch) → Beispiel <?page no="226"?> 226 (19: 12: 56) Tutorin B: Aber Federweiser ist mit Alkohol, Traubensaft ist ohne Auszug 82: Beispiel für mehrere Bedeutungsvermittlungsformen in einer tutorierten Stunde Die Aushandlungen sprachbezogener Fragen bieten den Besuchern des JETZT Deutsch lernen-Chats eine Möglichkeit, neue Formen und neue Begriffe der deutschen Sprache kennenzulernen, über sie zu diskutieren und authentische Antworten in Echtzeit zu erhalten. Die Chat-Teilnehmer stellen nicht nur Fragen nach bestimmten Formen der deutschen Sprache (wie Deklinations-, Konjugationregeln), sondern sie wollen im Chat ihre lexikalischen Kenntnisse des Deutschen erweitern. Darüber hinaus nutzen die Chat- Teilnehmer den Chat-Raum, um die Bedeutung verschiedener Begriffe und (umgangssprachlicher) Ausdrücke zu verstehen. Bei den Aushandlungsprozessen über sprachbezogene Fragen erhalten die Chat-Teilnehmer Antworten in verschiedenen Formen. Keine der analysierten Fragen wurde von den Tutorinnen und den Chat- Teilnehmern als überflüssig behandelt oder als dumme Frage betrachtet. Die analysierten Daten zeigten darüber hinaus, dass sich Tutorinnen und Chat- Teilnehmer engagiert und kooperativ verhalten, um einander im untersuchten Chat sprachlich zu helfen. Der didaktische Rahmen des JETZT Deutsch lernen-Chat-Raums wird dadurch verstärkt. Derjenige, der nach Hilfe fragt bzw. eine bestimmte Frage zur deutschen Sprache stellt, findet im untersuchten Chat engagierte Tutorinnen und andere Chat-Teilnehmer, die bereits sind zu helfen. Die Besucher des JETZT Deutsch lernen-Chat-Raums wissen, dass sie sich in einem didaktisierten Chat-Raum für das Erlernen der deutschen Sprache befinden, also an einem technologiebasierten Ort, an dem Aushandlungsprozesse über sprachbezogene Fragen Bestandteil der Interaktion sind. 8.3.5 Zusammenfassung Die Analyse der Daten in den Kapiteln 8.3.2 8.3.4 zeigt, dass die Besucher des JETZT Deutsch lernen-Chats durch die Behandlung sprachbezogener Fragen Gelegenheiten erhalten, neue Formen und neue Begriffe der deutschen Sprache kennenzulernen, über sie zu diskutieren und authentische Antworten in Echtzeit zu bekommen. Die Chat-Teilnehmer stellen Fragen nach bestimmten Formen der deutschen Sprache sowie nach der Bedeutung verschiedener Begriffe und (umgangssprachlicher) Ausdrücke. <?page no="227"?> 227 In Kapitel 8.3.2 wurde gezeigt, dass tutorierte Stunden häufiger als untutorierte von den Chat-Besuchern dafür genutzt werden, um sprachbezogene Fragen zu klären. Einerseits kann dieses Ergebnis bedeuten, dass, wenn die Chat-Besucher eine sprachbezogene Frage haben, sie lieber den untersuchten Chat-Raum besuchen, wenn eine Tutorin anwesend ist. Die Chat-Besucher wissen, dass die Tutorinnen ihnen behilflich sein können. Andererseits lässt sich die höhere Frequenz an sprachbezogenen Fragen in den tutorierten Stunden so erklären, dass die in diesen Stunden verwendete Sprache den Chat- Teilnehmern - häufiger als die in den untutorierten Stunden verwendete Sprache - Verständnisschwierigkeiten bereitet und sie dazu bringt, Fragen zu stellen, um die Schwierigkeiten zu überwinden und an der Interaktion weiter teilzunehmen. In den tutorierten Stunden wurden häufiger Fragen nach Bedeutung als Fragen nach Form gestellt. Während in diesem Kontext 55 % der identifizierten Fälle Fragen nach Bedeutung waren, waren 45 % Fragen nach Form. In den untutorierten Stunden hingegen waren die Fragen nach Form häufiger als die Fragen nach Bedeutung. Insgesamt waren 60 % der Fragen in den untutorierten Stunden Fragen nach Form und 40 % Fragen nach Bedeutung (vgl. Kap. 8.3.2). Die Analyse der Auslöser der im Chat gestellten sprachbezogenen Fragen zeigt, dass 48 % der Fragen interaktionsbezogen und 52 % nicht-interaktionsbezogen waren, d.h. die Chat-Teilnehmer stellen fast in gleichem Maße Fragen, die sie aus den Interaktionen hatten oder die sich aus anderen Kontexten, wie z.B. aus einem Präsenzkurs oder aus ihren Hausaufgaben, ergaben (vgl. Kap. 8.3.3). Dieses Ergebnis bestätigt, dass DaF-Lernende im untersuchten Chat Antworten auf ihre Fragen zur deutschen Sprache suchen und finden. Der JETZT Deutsch lernen-Chat erweist sich also nicht nur als ein interessantes Interaktionsangebot für Lernende, sondern ebenfalls als ein nützliches Angebot zur Sprach- und Sprachlernberatung. Das unterstreicht die Besonderheit dieses kostenlosen Interaktionsangebotes des Projektes JETZT Deutsch lernen, das m.W. einmalig im Internet ist. Interaktionsbezogene Fragen nach Bedeutung waren häufiger als interaktionsbezogene Fragen nach Form. Die Chat-Teilnehmer versuchten im Verlauf der Interaktion, die Bedeutungen von im Chat verwendeten Wörtern, Ausdrücken und Begriffen mit direkten Fragen an diejenigen Personen, die sie geäußert hatten, zu klären, um ihre Verständnisschwierigkeiten zu beheben und weiterhin an der Interaktion teilnehmen zu können. Interaktionsbezogene Fragen nach Form waren hingegen seltener, weil die in der Interaktion im Chat verwendeten Formen den Chat-Teilnehmern selten Verständnisschwierigkeiten bereitet haben. Nicht-interaktionsbezogene Fragen nach Bedeutung sind im untersuchten Korpus seltener als die nicht-interaktionsbezogenen Fragen nach Form, d.h. <?page no="228"?> 228 wenn die Chat-Teilnehmer eine Frage, die sie aus anderen Kontexten hatten, zum Chat mitgebracht haben, waren diese Fragen häufiger zur Grammatik als zur Bedeutung. Fragen zur Grammatik ließen sich im Chat schneller beantworten als Fragen zur Bedeutung, weil die Beantwortung der Fragen nach Bedeutung für ein besseres Verständnis eine Kontextualisierung erforderte. Die Synchronizität der Chat-Kommunikation, die Fluktuation und somit die Menge an Chat-Besuchern erschwerte häufig die ausführliche Kontextualisierung von nicht-interaktionsbezogenen Fragen nach Bedeutung. Von den 54 identifizierten Fragen im untersuchten Chat blieben lediglich fünf Fragen unbeantwortet (vgl. Kap. 8.3.4). Trotz der Schnelligkeit der Chat- Kommunikation, die zu eventuellen Missverständnissen und/ oder zu einer Verflochtenheit der Äußerungen führen kann (vgl. Beißwenger 2007; Crystal 2001; Thaler 2005; Kap. 3), erhalten die Chat-Teilnehmer des JETZT Deutsch lernen-Chats meist Antworten auf ihre Fragen. Die Art und Weise, wie die Tutorinnen und die Teilnehmer die im Chat gestellten Fragen beantworteten, variierten häufiger in den tutorierten Stunden. Bei der Behandlung der Fragen verwendeten Tutorinnen und Teilnehmer Übersetzungen, Synonyme, Umschreibungen, Beispiele, Verweise auf Internetseiten und gaben direkte Antworten. In den untutorierten Stunden hingegen beantworteten die Teilnehmer die gestellten Fragen lediglich direkt oder mit Umschreibungen. Dieses Ergebnis zeigt, dass Tutorinnen und Teilnehmer auf ihre linguistischen Repertoires im Sinne von Andrade et al. (2002) zurückgreifen, um Fragen im Chat zu beantworten, d.h. sie verwenden bei den Aushandlungsprozessen verschiedene Strategien und zeigen sich durch dieses Verhalten sprachlich kompetent, in der Interaktion engagiert und dem Kommunikationspartner gegenüber hilfsbereit (vgl. Kap. 3.2.4.4). Ferner zeigte die Analyse in Kapitel 8.3.4, wie Tutorinnen und Teilnehmer gemeinsam versuchen, auf einer gleichen hierarchischen Ebene sprachliche Probleme zu lösen und so miteinander zu kooperieren. Wie Araújo e Sá/ Melo-Pfeifer (2009: 228) erklären, verstärkt dieses kooperative Verhalten den didaktischen und den sozialen Rahmen des JETZT Deutsch lernen-Chats, da die Aushandlungsprozesse über eine sprachbezogene Frage als Mittel der Sozialisation und der Interdependenz zwischen den Tutorinnen und Lernenden betrachtet werden können (vgl. Kap. 8.1). In der Analyse des Kapitels 8.3.4 wurde gezeigt, wie eine Kooperation zwischen Muttersprachlern und Nicht- Muttersprachlern unabhängig von ihren Rollen im untersuchten Chat möglich ist. Tutorinnen, die keine Muttersprachlerinnen des Deutschen sind, gehen problemlos mit der Tatsache um, dass deutsche Muttersprachler den JETZT Deutsch lernen-Chat besuchen und sich für diesen Lernkontext interessieren. Die Tutorinnen fragen diese Personen selbst nach sprachlicher Hilfe; dies weist nicht nur auf eine wenig hierarchisierte Interaktion hin, sondern <?page no="229"?> 229 auch auf einen Rollentausch, der sich für alle Interaktionsteilnehmer positiv auswirken kann (vgl. Platten 2003) Aus diesen Ergebnissen lässt sich schlussfolgern, dass DaF-Lernende im JETZT Deutsch lernen-Chat durch die Behandlung sprachbezogener Fragen die Chance erhalten, ihre sprachlichen Hypothesen zu überprüfen, ihre Kenntnisse der deutschen Sprache zu erweitern und somit ihre Interlanguage zu entwickeln (vgl. Ellis 1997, Kap. 1). Wie ebenfalls in den Studien von Blake (2000), Pellettieri (2000), Jepson (2005) und Tudini (2007) gezeigt wurde (vgl. Kap. 3.2), können Lernende im JETZT Deutsch lernen-Chat in kollaborativen Dialogen bzw. in Polyalogen im Sinne von Araújo e Sá/ Melo (2003, Kap. 3.1.1) die Bedeutung und die Form ihrer Äußerungen aushandeln (Swain 2000, Kap. 1.4) und im Rahmen ihrer fremdsprachlichen Lernprozesse einen Sprung nach vorne machen (Araújo e Sá/ Melo-Pfeifer 2009, Kap. 8.1). <?page no="230"?> 230 9 Kulturbezogene Fragen 9.1 Zum Verhältnis zwischen Sprache und Kultur Sprache und Kultur sind auf vielfältige und komplexe Weise miteinander verbunden. Durch Sprache können Menschen sowohl an verbaler Interaktion teilnehmen als auch ihrer Kultur Ausdruck verleihen. Sprache selbst ist eine Realisationsform von Kultur, sie ist „the principal means whereby we conduct our social lives” (Kramsch 1998: 3), „a tool of human interaction” (Wierskbicka 1991: 1) und „an instrument for conveying meaning” (Wierskbicka 1996: 3). Für den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER) ist Sprache nicht nur ein besonders wichtiger Aspekt einer Kultur, sondern auch ein Mittel des Zugangs zu kulturellen Erscheinungsformen und Produkten (vgl. GER 2001: 18). Für Kramsch (1998) ist Sprache [...] not a culture-free code, distinct from the way people think and behave, but, rather, it plays a major role in the perpetuation of culture, particularly in its printed form.” (ebd.: 8) Kramsch (1998) beschreibt drei Ebenen des Verhältnisses von Sprache und Kultur. Für die Autorin wird durch die Sprache kulturelle Realität ausgedrückt, indem Mitglieder einer Gesellschaft Ideen, Erfahrungen und Fakten äußern. Einzelne Wörter reflektieren die Einstellungen, Meinungen und Werte derjenigen, die sie verwenden. Gleichzeitig drücken Mitglieder einer Gesellschaft nicht nur ihre Erfahrungen durch die Sprache aus, sondern schaffen mit der Sprache neue Erfahrungen. Sie geben der Sprache neue Bedeutungen, indem sie mit anderen Menschen durch verschiedene Medien (wie z.B. Telefon, Brief, Zeitung) kommunizieren. Die Art und Weise, wie Menschen geschriebene und gesprochene Sprache oder visuelle Medien nutzen, erfindet kulturspezifische Bedeutungen, die innerhalb der Gruppe verständlich sind, der diese Menschen angehören, wie z.B. der Ton der Stimme, Gestik und Mimik. Durch alle diese verbalen und nicht-verbalen Aspekte verkörpert Sprache kulturelle Realität. Schließlich ist Sprache ein Zeichensystem, das einen kulturellen Wert an sich hat. Sprecher einer bestimmten Sprache identifizieren sich selbst und den Anderen durch die Sprache, die sie benutzen. Sie betrachten ihre Sprache als ein Symbol ihrer sozialen Identität. Insofern symbolisiert Sprache kulturelle Realität. Kultur ist ein komplexer Begriff. Spricht man von der Kultur eines bestimmten Landes, dann handelt es sich um eine Abstraktion und um eine bloße Hilfskonstruktion, um bestimmte Aspekte einer sozialen Gruppe von <?page no="231"?> 231 Menschen zu beschreiben. Für Altmayer (2006) sollte Kultur wie folgt betrachtet werden: Kultur […] sollte im Rahmen der Kulturwissenschaft des Faches Deutsch als Fremdsprache nicht als homogene und in sich abgeschlossene, insbesondere auf ethnische-nationale ‚Kollektive’ bezogene Größe, sondern eher als ein Vorrat an vorgängigem, in Tradition und Sprache gespeichertem und überliefertem Wissen (Deutungsmuster) verstanden werden, das innerhalb sozialer Gruppen zirkuliert und auf das die Individuen zum Zweck der deutenden Herstellung einer gemeinsamen Welt und Wirklichkeit und einer gemeinsamen Handlungsorientierung zurückgreifen können und müssen. (ebd. 191) Wichtig für den DaF-Unterricht ist es daher, dass sich Lehrende und Lernende bewusst sind, dass es nicht um eine konkrete deutsche Kultur geht. Eine Abstraktion ist laut Altmayer nötig um sich mit landeskundlichen Themen im Unterricht zu beschäftigen. Dabei ist es jedoch ebenfalls nötig zu bedenken, dass es bei Abstraktionen immer Differenzen und Widersprüche gibt, die offen und dynamisch sind. Jeder Mensch hat ein eigenes Bild über eine bestimmte Kultur bzw. über einen bestimmten Aspekt einer Kultur, und jeder Mensch beschreibt mit seinen eigenen Worten dieses individuelle Bild. Diese Beschreibung ist daher eine Abstraktion und kein konkreter Beweis, dass die behandelte Kultur so ist, wie es das Individuum äußert. Kultur ist für Altmayer (2006) kein empirisches Phänomen, sondern bildet sich im Diskus der Menschen. Um Kultur zu erforschen, sind daher rekonstruktiv-qualitative Forschungsmethoden nötig, die der Komplexität der Abstraktion eines Individuums in seinem Diskurs Rechnung tragen. In der vorliegenden Studie wird der Versuch unternommen, mit einem diskursiven Ansatz die Komplexität der Abstraktionen der Tutorinnen und der Besucher des JETZT Deutsch lernen-Chats über bestimmte Kulturen zu untersuchen und ihren Umgang damit zu erfassen. 9.2 Kultur im Fremdsprachenunterricht: ein historischer Überblick Die Art und Weise, wie Philosophen, Kulturwissenschaftler, Sprachwissenschaftler u.a. das Verhältnis von Sprache und Kultur gesehen haben, hat stets Auswirkungen auf die Methoden des Fremdsprachenunterrichts gehabt. Daher lassen sich viele Parallelen in der Entwicklung der sprachwissenschaftlichen Reflexion des Verhältnisses von Kultur und Sprache und der des Fremdsprachenunterrichts feststellen. Die Behandlung interkultureller Themen war nicht immer in der Geschichte des Fremdsprachenunterrichts Bestandteil des Unterrichts, wie sie das heute ist. Diskussionen über interkulturelle Fragen <?page no="232"?> 232 sind heute in internetbasierten Projekten zum Erlernen einer Fremdsprache selbstverständlich. Daher soll in diesem Kapitel diskutiert werden, wie sich der Umgang mit Kultur im Fremdsprachenunterricht im Laufe der Zeit verändert hat und wie sich die gegenwärtige Situation darstellt. Um einen Überblick über die Entwicklung des Verhältnisses von Fremdsprachenunterricht und Kultur zu geben, werden im Folgenden Methodenkonzepte dargestellt, die in der Geschichte des Fremdsprachenunterrichts eine wichtige Rolle gespielt haben und bis heute Diskussionsthemen in der Fremdsprachendidaktik sind. 16 Diese Darstellung kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, da es noch weitere Methoden des Fremdsprachenunterrichts gibt als die hier dargestellten. Außerdem geht es hier nicht darum, eine globale Methodendiskussion zu führen. Am Anfang des 19. Jahrhunderts war die Behandlung kulturbezogener Inhalte im Fremdsprachenunterricht sehr begrenzt. Das Erlernen einer Fremdsprache war nur wenigen Privilegierten möglich, die öffentliche Eliteschulen besuchen konnten. Auch wenn es um das Erlernen „lebender“ Sprachen ging, orientierte sich der Fremdsprachenunterricht an der Methode der „toten“ Sprachen Latein und Griechisch (vgl. Neuner 2007: 227). Primäres Lernziel dieser Methode war, dass die Lernenden in die Lage versetzt wurden, fremdsprachliche Texte korrekt in die Muttersprache und andersherum zu übersetzen. Korrekte Übersetzungen und das Beherrschen grammatikalischer Regeln galten als Nachweis eines erfolgreichen Lernprozesses. Aus diesem Grund erhielt diese Methode den Namen „Grammatik-Übersetzungsmethode“. In dieser Methode eine Fremdsprache zu lernen heißt, Literatur in dieser Sprache lesen zu können. Im Vergleich zur gesprochenen Sprache wird der literarischen Sprache ein höherer Wert beigemessen. Daher spielen Hör-Verstehensübungen bei dieser Methode keine Rolle (vgl. Rösler 1994: 101; Larsen- Freeman 1986: 10). Für Erklärungen der Grammatik und für inhaltliche Diskussionen wurde immer die Muttersprache verwendet. Die Beschäftigung mit der fremden Kultur war in der Grammatik-Übersetzungsmethode auf höhere Literatur und Kunst begrenzt. Kramsch (1995: 55) führt aus, dass das Erlernen moderner Fremdsprachen im 19. Jahrhundert vom Interesse an allgemeingültigen Wahrheiten abhängig war. Die Autorin erläutert, dass z.B. die gebildete Oberschicht in Frankreich das Deutsche dem Englischen oder Spanischen vorzog, weil das Deutsche als die Sprache tiefer philosophischer Wahrheiten betrachtet wurde. „Für alle modernen Sprachen galt, dass der Weg zur Universalität über die Literatur verlief“ (ebd.), d.h. dem 16 Eine ausführliche Darstellung der Geschichte der Methoden des Fremdsprachenunterrichts mit praktischen Beispielen ist in Neuner/ Hunfeld (1993) und in Larsen- Freeman (1986) zu finden. <?page no="233"?> 233 ästhetischen Kulturkonzept des 19. Jahrhunderts zufolge dienen Fremdsprachenkenntnisse der Lektüre der großen Werke der Weltliteratur und nicht der direkten Kommunikation mit Mitgliedern fremder Kulturgemeinschaften. Trotz des begrenzten Kulturbegriffs der Grammatik-Übersetzungs-Methode kann nicht behauptet werden, dass kulturelle Inhalte in dieser Methode völlig ausgeblendet worden wären. Mitte des 19. Jahrhunderts entstand eine Gegenbewegung zur starken Grammatikorientierung im Fremdsprachenunterricht, die im 20. Jahrhundert in der Reformbewegung innerhalb der Fremdsprachendidaktik ihre volle Entfaltung erfuhr (Neuner/ Hunfeld 1993: 33). In den 1860er und 70er Jahren entwickelten sich für den Fremdsprachenunterricht neue Konzeptionen, die die Förderung eines „direkten“ Kontakts zur gelernten Fremdsprache anstrebten (Neuner 2007: 228). Hauptziel dieses als „Direkte Methode“ bezeichneten Konzepts war die fremdsprachliche Kommunikation. Anstelle von Übersetzungs- und Grammatikübungen werden mündliche Aufgaben zur Verbesserung der Aussprache bevorzugt. Grammatik und neue Vokabeln wurden nicht mit Regeln und Listen isoliert auswendig gelernt, sondern induktiv durch das Zeigen der Objekte und im Zusammenhang kompletter Sätze erschlossen. Die konstante Verwendung der Muttersprache wurde bei dieser Methode weitgehend aus dem Unterricht ausgeklammert. Kultur wurde nicht mehr ausschließlich als hohe Literatur und Kunst verstanden. Daher spielte die Beschäftigung mit Alltagsthemen des Zielsprachenlandes eine wichtigere Rolle (vgl. Larsen-Freeman 1986: 22). Trotz dieser neuen Konzeption kann man nicht von einer Methodenwende sprechen, da die Grammatik-Übersetzungs-Methode noch lange im 20. Jahrhundert, teilweise bis heute, Anwendung gefunden hat. Verschiedene gesellschaftliche, bildungspolitische, fachwissenschaftliche und lerntheoretische Faktoren beeinflussen die Konzeption von Fremdsprachenunterricht. Im 20. Jahrhundert wuchs das Interesse an Fremdsprachen und an der Rolle der Kultur im Fremdsprachenunterricht. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde in den USA die Audiolinguale Methode (ALM) entwickelt. Der Hauptgrund hierfür war das Bedürfnis des Militärs nach möglichst schnellem Fremdsprachenerwerb. Viele Elemente der Direkten Methode wurden in die Audiolinguale Methode integriert, wie z.B. der Umgang mit Grammatik und die Nutzung visueller Materialien (vgl. Rösler 1994: 102; Neuner/ Hunfeld 1993: 61). Ziel des Fremdsprachenunterrichts war, wie in der Direkten Methode, die Kommunikation. Die Konzepte von Sprache und Lernen bekamen jedoch neue Impulse aus der Entwicklung der linguistischen (Strukturalismus) und lernpsychologischen (Behaviorismus) Forschung. Der Spracherwerb wird als Verhaltenskonditionierung betrachtet, d.h. das Ziel des Sprachenlernens ist „die Entwicklung der Sprechfertigkeit <?page no="234"?> 234 durch Nachahmung (Reiz-Reaktions-Schema) und kontinuierliches Einüben von Satzmustern (pattern drills)“ (Neuner 2007: 229). Dem Mündlichen wird dabei Vorrang vor dem Schriftlichen eingeräumt. Die Lernenden wiederholen Satzmuster in vielen Variationen, lernen Dialoge auswendig und müssen auf Aufforderungen des Lehrers automatisch reagieren können. In den 1960er Jahren entwickelte sich aus dieser Methode die Audiovisuelle Methode (AVM). In dieser Zeit beginnt im Fremdsprachenunterricht die Nutzung von Technologie in größerem Umfang (vgl. Rösler 1994: 103). Auditive und visuelle Medien wie Dias, Filmstreifen, Overhead-Projektor, Film und Fernsehen sowie die Arbeit im Sprachlabor gehörten zum Lehrprogramm. Im Gegensatz zur Grammatik-Übersetzungsmethode, die ausschließlich das Ziel der Förderung des Lesens und Schreibens verfolgte, lag der Schwerpunkt der Direkten, der Audiolingualen und der Audiovisuellen Methode auf den Fertigkeiten des Hörens und Sprechens. Anhand von Bildern und Videos sollten Lernende vorgegebene Sätze mechanisch wiederholen, ohne sich dabei frei äußern zu können. Das Sprachlabor diente dafür als modernes technisches Medium. Trotz dieses Versuchs, die Fertigkeiten des Hörens und Sprechens der Lernenden zu verbessern, wurden die mechanische Wiederholung von Strukturen, die mangelnde Äußerungsflexibilität und der völlige Ausschluss der Muttersprache aus der Unterrichtsgestaltung stark kritisiert. Im deutschen Sprachraum übte vor allem Piepho mit seinen Arbeiten Kritik an der Audiolingualen und der Audiovisuellen Methode und gab damit entscheidende Impulse für die „Kommunikative Wende“: Im Fremdsprachenunterricht, der auf kommunikative Kompetenz ausgerichtet ist, sind diskursive und kursive Faktoren stets gekoppelt. Ein nur imitativmechanisches Sprechen, automatisierte Verhaltensweisen bleiben selbst in schlichten Verständigungen wirkungslos und nicht verfügbar, wenn der Schüler nicht auch eine distanzierte Kenntnis der Verständigungsvorgänge überhaupt erworben hat. (Piepho 1974: 13 f.) In der ersten Hälfte der 70er Jahre wuchs aufgrund der veränderten gesellschaftlich-politischen Situation das Interesse an Fremdsprachen. Mit zunehmender Mobilität der Menschen, die aus beruflichen oder privaten Gründen verstärkt in Kontakt mit Sprechern anderer Sprachen kamen, wuchs auch das Fremdsprachenangebot sowohl in den Schulen als auch im Bereich der außerschulischen Bildung, woraus die Notwendigkeit der Entwicklung neuer geeigneter Unterrichtskonzepte entstand. In dieser Zeit lieferten außerdem die im Entstehen begriffene Pragmalinguistik, Soziolinguistik und Psycholinguistik der Fremdsprachendidaktik neue Impulse. Nicht nur die Betrachtung des Kulturkonzepts änderte sich, sondern auch das Verständnis von Sprache. <?page no="235"?> 235 Sprache wurde nicht mehr wie im Strukturalismus als formales System von Regeln angesehen, sondern als ein Aspekt des menschlichen Handelns, das mit verschiedenen sozio-kognitiven Funktionen zusammenhängt. Diese neue Betrachtung des Sprachkonzepts trug zu der sogenannten „Kommunikativen Wende“ und zu der Entwicklung des „Kommunikativen Ansatzes“ bei. Impulse aus der ALM hinsichtlich der Authentizität der Lernmaterialien wurden im Kommunikativen Ansatz aufgenommen und weiterentwickelt. Im Gegensatz zu den von der ALM und AVM geprägten Lernzielen des Fremdsprachenunterrichts sollten Lernende nicht nur auswendig gelernte Satzmuster mechanisch wiederholen, sondern in die Lage versetzt werden, sich frei und spontan in verschiedenen Alltagssituationen auszudrücken. Die Lernenden sollten die kommunikativen Absichten des Gesprächspartners erkennen lernen, auch wenn sich diese Absichten in zahlreichen Verhaltens- und Sprachvarianten äußern. Sie sollten sich verschiedenen Redesituationen anpassen und aus dem gelernten sprachlichen Arsenal geeignete Redemittel auswählen, um erfolgreich zu kommunizieren. Die Grammatikvermittlung musste an diese neuen Zielsetzungen angepasst werden, indem ihre Progression gemäß den kommunikativen Bedürfnissen der Lernenden neu angeordnet wurde. Auf diese Weise determinieren stets bestimmte Sprechabsichten die Einführung grammatischer Regeln im Lernprozess. Die Grammatik steht somit im Dienste der Entwicklung von Kommunikationsfähigkeit. Mit dem Kommunikativen Ansatz verlagerte sich das Hauptziel des Fremdsprachenlernens vom Erlernen einzelner Wörter und grammatischer Regeln auf die Entwicklung kommunikativer Kompetenz, die von Piepho (1974) wie folgt definiert wird: […] die Fähigkeit, sich ohne Ängste und Komplexe mit sprachlichen Mitteln, die man durchschaut und in ihren Wirkungen abschätzen gelernt hat, zu verständigen und kommunikative Absichten auch dann zu durchschauen, wenn sie in einem Code ausgesprochen werden, den man selbst nicht beherrscht und der nur partiell im eigenen Idiolekt vorhanden ist. (ebd.: 9) Piepho betont, dass die Grammatikvermittlung im Fremdsprachenunterricht hinter der Vermittlung der Sprechabsichten und deren Bedeutungen zurückstehen muss, wenn im Unterricht kommunikative Kompetenz gefördert werden soll. Wenn Lernende nur mit der Form einer Sprache und nicht mit ihrer kontextgebundenen und sozialen Bedeutung konfrontiert werden, werden sie kaum die Fähigkeit erlangen, in Alltagssituationen erfolgreich zu kommunizieren. Daher soll den Lernenden bewusst werden, auf welche Weise sprachliche Formen mit Mitteilungsabsichten verknüpft sind. Aus diesem Verständnis von kommunikativer Kompetenz leitet Piepho eine besondere Bildungsverantwortlichkeit des Fremdsprachenunterrichts <?page no="236"?> 236 her. Für den Autor soll der Fremdsprachenunterricht Lernende dazu befähigen, besser und bewusster in der Gesellschaft zu agieren. Sie sollen im Unterricht Gelegenheit haben, ihre Ansprüche, Schwierigkeiten und Erwartungen eigenständig zu artikulieren. Darüber hinaus sollen Lernende die Chance haben, in zunehmender kritischer Distanz zusammen mit dem Lehrenden über die Lernangebote zu diskutieren und diese zu revidieren (ebd.: 35). Wenn den Lernenden bewusst wird, welche Ziele sie beim Lernen erreichen wollen und welche Wege sie dahin bringen können, werden sie in der Lage sein, ihren eigenen Lernprozess zu reflektieren und ihn somit mitzugestalten. Um die allgemeinen didaktischen und methodischen Prinzipien des kommunikativen Ansatzes zu erläutern, werden im Folgenden in einer sprachlich leicht veränderten Fassung die Ideen von Neuner/ Hunfeld (1993) wiedergegeben, die für den Deutschunterricht entwickelt wurden und je nach Lernergruppe zusammengestellt werden müssen - Der Lernprozess orientiert sich an Inhalten, die dem Lernenden etwas bedeuten, d.h. die ihm helfen, sich in der fremden Welt zurechtzufinden und gleichzeitig einen neuen Blick auf die eigene Welt zu entwickeln; - Lernende werden im Lernprozess selbst aktiv. Sie lernen, bewusst (kognitiv) und kreativ mit der Fremdsprache umzugehen; - Die Sozialformen des Unterrichts ändern sich. Neben die Sozialform des Frontalunterrichts treten zunehmend Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit; - Die Perspektive auf die Lehrerrolle verändert sich. Die Lehrer werden als Helfer im Lernprozess und nicht als Wissensvermittler angesehen; - Die Lernmaterialien sind offener angelegt, als es in früheren Konzepten der Fall war, d.h. sie werden den Zielen und Bedürfnissen der jeweiligen Lerngruppe angepasst, indem sie abgewandelt, erweitert und vervollständigt werden. (ebd.: 104 f.) Auf diese Weise lässt sich ausführen, dass der kommunikative Ansatz pragmatischer, offener und flexibler als die oben präsentierten Ansätze ist. Grundlage des kommunikativ ausgerichteten Fremdsprachenunterrichts sind sprachliche Äußerungen alltäglicher Situationen im Zielsprachenland. Diese einseitige Alltagsorientierung des kommunikativen Ansatzes blieb jedoch nicht ohne Kritik. Dabei wurde bemängelt, dass es Lernende in zielsprachenfernen Ländern gibt, die keinen Aufenthalt im Zielsprachenland beabsichtigen und deren Absicht daher nicht die Kommunikationsfähigkeit im Alltag des Zielsprachenlandes, sondern im eigenen Land ist (z.B. in der Tourismusbranche). Außerdem lässt sich Alltagskommunikation nicht ohne weiteres in <?page no="237"?> 237 andere Länder „exportieren“, als ob der Alltag des Zielsprachenlandes der aller Menschen der Welt wäre. Weitere Aspekte des kommunikativen Konzepts von Fremdsprachenunterricht werden von Sprachdidaktikern kritisiert. Neuner/ Hunfeld (1993) fassen diese Kritik folgendermaßen zusammen: die Betonung des mündlichen vor dem schriftlichen Sprachgebrauch, der Vorrang des Sprechens vor dem Lesen/ Schreiben und die Ausrichtung des Lehrgangs an Sprechsituationen, wenn weder ein unmittelbares Bedürfnis noch die Möglichkeit zu einer Kommunikation mit einem Partner aus dem Zielland besteht; die allzu einseitige Orientierung an ‚Alltagssituationen’ und ‚Alltagsthemen’ der Zielsprachenländer, zu denen man keinen unmittelbaren Zugang hat; die Beschränkung des Lesens auf Alltagstexte unter weitgehender Vernachlässigung literarischer Texte; die Ausklammerung der Muttersprache bei der Anlage des Lernprogramms und der Lernprogression; die Nichtberücksichtigung von eigenkulturellen Rahmenbedingungen des Lernens, angefangen bei der Sprachenfolge, den äußeren Bedingungen (Schulsystem, Klima usw.) bis hin zu kulturspezifischen Lerntraditionen und Wertorientierungen bzw. Tabu-Themen. (ebd.: 106) Die Autoren veranschaulichen diese Kritik anhand des Beispiels von Deutschunterricht an thailändischen Oberschulen, um zu verdeutlichen, dass ein ausschließlich kommunikatives Konzept den Anforderungen an den Unterricht im thailändischen Lernkontext nicht gerecht wird. Die Ziele des Fremdsprachenunterrichts müssen als Teil eines lokalen pädagogischen Konzepts formuliert werden, das den spezifischen Bedürfnissen der Lernenden Rechnung trägt, und können nicht als universal gültig vorausgesetzt werden (vgl. Neuner/ Hunfeld 1993: 108 ff.). Die Autoren stellen zur Untermauerung ihrer Argumentation die Schwierigkeit der Arbeit mit Lehrwerken dar, die die Kultur und den Alltag deutschsprachiger Länder präsentieren, jedoch in großer räumlicher Distanz zu diesen Ländern verwendet werden. Der kommunikative Ansatz vermag es oft nicht, die Distanz zwischen der in den Lehrwerken präsentierten Realität und der Lebenswelt der Lernenden zu überbrücken. Die Auseinandersetzung mit dieser Diskrepanz markiert den Beginn des interkulturellen Ansatzes. Trotz dieser Schwäche ist der Kommunikative Ansatz weltweit verbreitet und übt nach wie vor einen großen Einfluss auf die Entwicklung von Lehrwerken aus. <?page no="238"?> 238 In den Chat-Studien in der Fremdsprachendidaktik wird oft auf die Ziele des kommunikativen Ansatzes hingewiesen, da sie meist das Ziel verfolgen, den Lernenden im Chat mehre Äußerungschancen als im Präsenzunterricht zu ermöglichen. In den Chat-Studien wird darüber hinaus auf die Aspekte der veränderten Sozialformen im Unterricht und der Lehrerrolle Bezug genommen. Lernende können sich in didaktisierten Chats sowie in einem kommunikativen Fremdsprachenunterricht in Gruppen austauschen. Der Lehrende spielt in diesem Austausch eine weniger zentrierte Rolle, indem er eher die Interaktion zwischen den Lernenden moderiert und den Lernprozess der Lernenden fördert (vgl. Kap. 3.2.3.4). Didaktisierte Chats wie der JETZT Deutsch lernen-Chat können als Ergänzungsangebot für den kommunikativen Ansatz betrachtet werden, da die Lernenden durch den realen synchronen Kontakt mit Menschen aus anderen Kulturen eine Form finden, in der sie sich persönlich austauschen und die Distanz zwischen den in den Lehrwerken präsentierten statischen Merkmalen einer Kultur und dem realen dynamischen Alltagsleben überbrücken können. Für die vorliegende Studie ist die Frage wichtig, wie die Tutorinnen und die Besucher des JETZT Deutsch lernen-Chats dieses Interaktionsangebot nutzen, um diese Distanz zu überbrücken bzw. um über die Informationen aus den Lehrwerken hinaus zu diskutieren und die Realität ihrer Kommunikationspartner durch einen persönlichen Austausch besser kennen zu lernen. Dieser Frage werde ich in der Analyse der Daten in Kapitel 9.9 näher nachgehen. 9.3 Der interkulturelle Ansatz Im Zuge der zunehmenden Arbeits- und Flüchtlingsmigration in den 60er und 70er Jahren stellte sich in verstärktem Maße die Frage nach dem Zusammenleben von Menschen verschiedener kultureller Prägungen. Angesichts eines nicht immer reibungslos verlaufenden Integrationsprozesses und des teilweise konfliktträchtigen Nebeneinanders von Einheimischen und Ausländern entstanden neue Herausforderungen im Erziehungs- und Bildungsbereich (vgl. Gnutzmann 1994: 63 ff.; Krumm 2007: 139 ff.). Es entwickelte sich die so genannte Ausländer- und Migrantenpädagogik, welche Konzepte zur Lösung dieser Konflikte entwickeln sollten. Der Begriff „Ausländerpädagogik“ geriet wegen seiner polarisierenden Trennung von Deutschen und Ausländern in die Kritik und wurde durch das Konzept der „interkulturellen Pädagogik“ ersetzt. Die Diskussion um interkulturelles Lernen griff auch auf die Fremdsprachendidaktik über. Im Zuge einer stärkeren Betonung des pädagogischen Auftrags des Fremdsprachenunterrichts wurden als Ziele des Fremdspra- <?page no="239"?> 239 chenunterrichts nicht mehr nur die Vermittlung von Sprachkenntnissen, sondern auch die Begegnung verschiedener Kulturen und die Reflexion darüber formuliert. Dazu gehörte unter anderem die konsequente Einbeziehung der Fremdperspektive in den Lernprozess. Diente die Landeskunde im Fremdsprachenunterricht zuvor überwiegend der Vermittlung von Informationen über das Zielsprachenland, so wurde sie nun in den Dienst der Völkerverständigung gestellt. Sie sollte nicht mehr nur enzyklopädisches Wissen vermitteln, sondern eine Reflexion der eigenen und der fremden Kultur ermöglichen. Ziel dieser Neubestimmung der Landeskunde war die Sensibilisierung der Lernenden für Unterschiede zwischen den Kulturen, der Abbau von Vorurteilen und Klischees, sowie die Entwicklung einer kritischen Toleranz. Im Jahr 1982 wurden die so genannten „Stuttgarter Thesen“ für den Französischunterricht in Deutschland formuliert. 17 In ihnen wird die Entwicklung und Verbreitung eines Konzepts für eine vergleichende und kulturrelativierende Landeskunde gefordert. Diese Thesen plädieren für die Völkerverständigung als politische Aufgabe des Fremdsprachenunterrichts (vgl. Robert Bosch Stiftung/ Deutsch-Französisches Institut 1982: 6ff). Im Bereich des Deutschen als Fremdsprache wurden im Jahr 1990 von Vertretern der Deutschlehrerverbände aus Österreich, der Schweiz, der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik in den so genannten „ABCD-Thesen zur Rolle der Landeskunde im Deutschunterricht“ (Fachverband Moderne Fremdsprachen und Goethe-Institut 1990) Grundsätze formuliert, die die Rolle der Landeskunde neu definierten. Die Verfasser der Thesen strebten einen interkulturell ausgerichteten Deutschunterricht an, der die Entwicklung von Wahrnehmungs- und Empathiefähigkeit und von Strategien und Fertigkeiten im Umgang mit fremden Kulturen und Gesellschaften beabsichtigt (vgl. Pauldrach 1992: 8). Folgende Definition des Begriffs „Landeskunde“ liegt diesen Thesen zugrunde: Landeskunde im Fremdsprachenunterricht ist ein Prinzip, das sich durch die Kombination von Sprachvermittlung und kultureller Information konkretisiert und durch besondere Aktivitäten über den Deutschunterricht hinaus wirken soll, z.B. durch Austausch und Begegnung. Insofern ist Landeskunde kein eigenes Fach. Landeskunde ist nicht auf Staaten- und Institutionenkunde zu reduzieren, sondern bezieht sich exemplarisch und kontrastiv auf den 17 Die „Stuttgarter-Thesen“ wurden im Rahmen des von der Robert-Bosch-Stiftung geförderten Projektes „Frankreichkunde im Französischunterricht“ am Deutsch- Französisch-Institut Ludwigsburg entwickelt. Gleichzeitig wurde in Frankreich das Projekt „Deutschlandkunde im Deutschunterricht“ am Centre d’Information et de Recherche pour l’Enseignement et l’Emploi des Langues durchgeführt. Daher sind diese Thesen ein konkretes Beispiel für den politischen Willen zur internationalen Zusammenarbeit im Bereich der Fremdsprachendidaktik. <?page no="240"?> 240 deutschsprachigen Raum mit seinen nicht nur nationalen, sondern auch regionalen und grenzübergreifenden Phänomenen. (ABCD-Thesen 1990: 60) Sowohl die Stuttgarter als auch die ABCD-Thesen räumen der subjektiven Erfahrung der Lernenden im Fremdsprachenunterricht Vorrang ein und betrachten diese als Ausgangspunkt für den Lernprozess. Darüber hinaus plädieren beide für einen Fremdsprachenunterricht, der nicht exklusiv auf die Kultur des Zielsprachenlands ausgerichtet ist, sondern diese mit der Ausgangskultur der Lernenden in Beziehung setzt und kontrastiert. In zwei DaF-Lehrwerken wurde der Versuch unternommen, den interkulturellen Ansatz in die Praxis umzusetzen. Die Lehrwerke „Sprachbrücke“ und „Sichtwechsel“ gelten in der Fremdsprachendidaktik als „vorbildlich“ (Krumm 1994: 122) und verfolgen das Ziel, „die Ausbildung von Fremd- und die Eigenperspektive systematisch mit dem Sprach-Lernen und der Landeskunde zu verbinden“ (Müller 1994: 96). Die Zielgruppe des kulturkontrastiv konzipierten Grundstufenlehrwerks „Sprachbrücke“ (Mebus et al. 1987) sind Erwachsene und Jugendliche aller Ausgangsprachen, die Deutsch als erste, zweite oder weitere Fremdsprache außerhalb der deutschsprachigen Länder lernen. Die deutsche Sprache und Kultur werden aus der Perspektive der Bewohner eines fiktiven Landes - des Lilalands - dargestellt. Stilisierte Figuren übernehmen die Rolle der Deutschlernenden und kommentieren und bewerten Texte, in denen landeskundliche und sprachliche Informationen, Verhaltensweisen und Werte der Deutschen dargestellt werden. Mit dem Einbezug dieser dritten Perspektive wird das Ziel angestrebt, eine Reflexion der Lernenden über die eigene und die fremde Kultur anzuregen und Polarisierungen, die beim interkulturellen Vergleich zwischen zwei Kulturen oft stattfinden, zu vermeiden. Das Lehrwerk geht also von den Deutschlernenden und ihrem kulturellen Hintergrund aus, um „den Lernprozess ‚vom Bekannten zum Fremden’ kognitiv und affektiv zu erfahren“ (Rall 1994: 11). Bereits der Titel „Sichtwechsel“ (Hog et al. 1983) bzw. die Neubearbeitung „Sichtwechsel neu“ (Bachman et al. 1995a) bezeichnen den Schwerpunkt des Lehrwerks: Die Lernenden müssen sich „ihrer eigenkulturellen Lern- und Handlungsvoraussetzungen bewusst werden, […] Einsichten in die Mechanismen der Wahrnehmung und Interpretation von Realität gewinnen und […] die eigene Realität als eine Realität neben anderen begreifen lernen. Nur im ständigen, bewussten Bezug auf die eigene Sprache und Kultur ist Verstehen des anderen - ist ‚Sichtwechsel’ - möglich“ (Bachmann et al. 1995b: 9). In diesem Lehrwerk geht es prinzipiell um die Schulung der Wahrnehmung und die Sprachsensibilisierung von DaF-Lernenden der Mittelstufe. Anhand von Texten und Aufgaben sollen die Lernende dazu geführt werden, „neben der sprachbezogenen Arbeit die eigenen Äußerungen, das eigene Verhalten, Den- <?page no="241"?> 241 ken und Fühlen zu reflektieren und deren Kulturbedingtheit zu erkennen, sowie Strategien zum Umgang mit dem Fremden (Erschließungsstrategien, Verständigungsstrategien) zu entwickeln“ (Bachmann et al. 1995b: 9). Zahlreiche fachtheoretische und -didaktische Veröffentlichungen sowie Sektionsthemen auf Kongressen und Fortbildungsveranstaltungen lassen erkennen, wie sich die Diskussion um den interkulturellen Ansatz 18 und um die neue Rolle der Landeskunde entwickelt hat (vgl. Abendroth-Timmer 1998, Krumm 1994). Innerhalb dieser Diskussion entwickelte sich das Konzept des interkulturellen Lernens, das in den folgenden Kapiteln definiert und ausführlicher diskutiert wird. Dieses Konzept ist für die vorliegende Studie von großer Bedeutung, da in der Analyse des dritten Schwerpunktes dieser Arbeit Kulturbezogene Fragen darum geht, den Austausch über Verhalten, Denken, Gefühle, Werte und Erfahrungen, der zwischen den Besuchern des JETZT Deutsch lernen-Chats und den Tutorinnen stattfinden, zu untersuchen. 9.4 Zum Begriff des interkulturellen Lernens Die Diskussion um den Begriff des interkulturellen Lernens ist im deutschen Sprachraum breit gefächert. Schon seit über 20 Jahren wird der Begriff in verschiedenen Zusammenhängen verwendet. Während in der Fremdsprachendidaktik einige Wissenschaftler die Rolle des interkulturellen Lernens im Fremdsprachenunterricht in Frage stellen (Gnutzmann 1994) und sogar für die Abschaffung des Begriffes plädieren (Edmondson/ House 1998), versuchen andere den inhärenten Bezug des interkulturellen Lernens zum Fremdsprachenunterricht zu verdeutlichen (Bleyhl 1994, Müller 1994, Hu 1999, Krumm 2007). Unter dem Titel „Interkulturelles Lernen: Auch noch im Fremdsprachenunterricht? “ hebt Gnutzmann (1994: 63) zwei Probleme bei der Überbetonung der interkulturellen Dimensionen im Fremdsprachenunterricht hervor. Das erste bezieht sich auf die Gefahr einer Vernachlässigung der spezifischen Aufgabe des Fremdsprachenunterrichts. Da viele Schüler oft sprachliche Probleme erleben und der Grund für Verständigungsprobleme in der Regel 18 Dieser Ansatz wird oft als neue Methode für den Fremdsprachenunterricht betrachtet. Rösler (1993) führt jedoch aus, dass der interkulturelle Ansatz kein neues Paradigma für das Fremdsprachenlernen darstellt. Für den Autor manifestiert sich der interkulturell orientierte Ansatz in allen Aspekten des Fremdsprachenlernens, ohne diese zu dominieren und ohne Selbstzweck zu werden. Der interkulturelle Ansatz unterstützt das Lernen von Grammatik, Lexik, Aussprache usw. und ist gekennzeichnet von dem Versuch, „dem Bekannten einen ungewohnten Blickwinkel hinzufügen“ (Rösler 1993: 99). <?page no="242"?> 242 weder in fremdkulturellen Defiziten in der Zielsprache noch in eventuellen unterschiedlichen nationalen oder ethnischen Hintergründen der Schüler liegt, stellt der Autor die Frage, ob es beim Fremdsprachenlernen nicht zunächst um die Vermittlung und um den Erwerb einer Fremdsprache geht. Mit dieser Frage (und auch mit dem Titel seines Beitrags) vermittelt der Autor den Eindruck, dass das interkulturelle Lernen im Fremdsprachenunterricht keinen Platz hat. Daneben führt Gnutzmann (ebd.) ein weiteres Problem an. Der Autor weist auf die Gefahr hin, dass, wenn interkulturelles Lernen bereits in anderen Schulfächern in Deutschland wie Sozialkunde, Geschichte und Politik stattfindet, ein „Übersättigungseffekt“ bei den Schülern provoziert werden. Dabei stellen sich für Gnutzmann die Fragen, inwieweit durch interkulturelles Lernen in der Schule, das ja in besonderem Masse abhängig ist von den in einer Gesellschaft vertretenen und z.T. miteinander konfligierenden Einstellungen, Normen und Werten, die angestrebten Lernziele überhaupt erreicht werden können und wie die Wirkung bzw. der Erfolg interkulturellen Lernens erforscht werden kann. (ebd.: 68) Edmondson/ House (1998) plädieren in ihrem Beitrag „Interkulturelles Lernen: eine überflüssiger Begriff“ für die Abschaffung der Bezeichnung. Die Autoren sind der Auffassung, dass postulierte Ziele des interkulturellen Lernens wie z.B. „Veränderung der eigenen Standpunkts“ und „friedliches Zusammenleben“ nicht konkretisiert oder getestet werden können (ebd.: 161). Für die Autoren ist die ganze Diskussion um den Begriff „interkulturelles Lernen“ aus verschiedenen Gründen fragwürdig. Der Begriff vermittelt keine objektive Definition. In der gesamten Diskussion im deutschsprachigen Raum sei unklar, ob interkulturelles Lernen ein bestimmter Lernprozess, ein bestimmtes Lernziel oder eine Sonderform der Kommunikation sei. Es gebe keine „interkulturellen“ psycholinguistischen Prozesse oder Lernstrategien, die sich von anderen fremdsprachlichen Lernprozessen unterscheiden. Die Autoren setzen „interkulturelle Kommunikation“ mit „fremdsprachiger Kommunikation“ gleich. Für diese Gleichsetzung ist die Tatsache, dass in einer Interaktion einer der Kommunikationspartner eine Sprache spricht, die nicht seine Muttersprache ist, ausreichend, um sie als eine interkulturelle Kommunikation zu charakterisieren. Diese Gleichsetzung ist für Hu (1999) nicht befriedigend. Hu argumentiert, dass der Grund für das Stattfinden einer interkulturellen Interaktion nicht nur in der Tatsache liegen kann, dass einer der Kommunikationspartner nicht seine Muttersprache verwendet. Um ihre Argumentation zu untermauern, diskutiert Hu zwei Interaktionssituationen, in denen Fremdsprachen zwar verwendet werden, der Autorin nach jedoch keine interkulturelle Inter- <?page no="243"?> 243 aktion stattfindet. In ihrem ersten Beispiel formuliert Hu folgende hypothetische Situation: Wenn ich als jemand, der mit Deutsch als Erstsprache aufgewachsen ist, z.B. auf Französisch zu einer Person mit Französisch als Erstsprache sage: „Quelle heure est-il? “ und diese Person antwortet mir mit „Il est cinq heures cinq! “, muss ich mich fragen, was an diesem Dialog eigentlich interkulturell ist. (ebd.: 295) Dabei reflektiert die Autorin die übliche Annahme, dass jede fremdsprachliche Interaktion direkt als interkulturelle Interaktion angesehen wird. Für Hu ist die Frage, worüber man sich unterhält, wichtiger und entscheidender für die Bezeichnung einer interkulturellen Interaktion als die Frage, ob eine Fremdsprache in der Interaktion verwendet wird. In ihrem zweiten Beispiel geht es um eine andere Situation, in der sie sich mit einem chinesischsprachigen Kollegen über ihre Unterrichtsfächer unterhält. Auch in dieser Situation sieht Hu keine Interkulturalität, da das Thema der Interaktion zu keinen interkulturellen Aushandlungsprozessen führt, sondern lediglich zu einer Unterhaltung über die Arbeit. Hu stellt anhand dieser Beispiele eine weitere wichtige Frage: Wer kann eigentlich feststellen, wann es sich um eine interkulturelle Kommunikation handelt und wann nicht? Jemand, der eine Innenperspektive der Interaktion hat oder jemand, der eine Interaktion von außen betrachtet? Das Problem bei diesen und bei den bereits ausgeführten Fragen zu interkulturellem Lernen besteht Hu zufolge darin, dass das Konzept von Kultur traditionell herkunftsbezogen betrachtet wird. In diesem Sinne wird die Kultur einer Person direkt mit ihrem Herkunftsland verbunden, obwohl es in einem Land verschiedene Kulturen gibt und jemand von außen die kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede eines bestimmten Landes nicht erkennen kann. Die Biographien vieler Menschen sind durch Globalisierungsprozesse, Migration und Multikulturalismus sehr komplex. Die Kultur einer Person lässt sich nicht so einfach durch das Bekanntgeben ihres Herkunftslands erkennen. Laut Hu haben kulturwissenschaftliche und ethnologische Studien gezeigt, dass Kulturen von Heterogenität, Umstrittenheit und Widersprüchlichkeit gekennzeichnet sind. Aus diesem Grund werden Überlappungen von Sprache, Kultur, Nation und Identität weniger häufig und können Kultur und Kulturen „nicht mehr als naturgegebene, fixierbare Realitätsbereiche“ betrachtet werden (Hu 1999: 297). Nehmen wir hier meine Erfahrungen in Deutschland als Beispiel für diese Problematik. Als Brasilianerin in Deutschland werde ich immer wieder gefragt, wie es sein kann, dass ich aus Brasilien komme, nicht dunkelhäutig bin und keine Samba tanzen kann. Meine Kultur wird in solchen Unterhaltungssituationen direkt mit meinem Herkunftsland und dessen allgemein verbreiteten Bildern assoziiert. Wenn so <?page no="244"?> 244 eine Situation vorkommt, erkläre ich - wann immer möglich - die historischen Migrationsprozesse Brasiliens in den letzten Jahrhunderten, die zur Entwicklung einer multikulturellen Gesellschaft beigetragen haben. Damit versuche ich, die automatische Assoziation „Nation: Brasilien gleich Schwarz- und Samba-Kultur“ zu dekonstruieren. Für die Dekonstruktion des traditionellen herkunftsbezogenen Konzepts plädiert auch Hu, um die Vielfältigkeit der Kulturen nicht aus dem Auge zu verlieren. Andererseits stellt Hu die Frage, ob man dieses traditionelle herkunftsbezogene Konzept von Kulturen überhaupt aus dem Fremdsprachenunterricht ausklammern kann. Sie beantwortet diese Frage wie folgt: Ich denke, man kann dies aus dem Grunde nicht tun, weil die traditionelle Vorstellung von abgrenzbaren und objektiv beschreibbaren Kulturen und das Bedürfnis nach kultureller Verortung und kultureller Identität alltagssprachig verankert und zumindest zurzeit unhintergehbar sind. Gerade auch der Fremdsprachenunterricht kann diese Aspekte nicht ausblenden. (ebd.: 297) Ferner führt Hu aus, dass sie für die Ersetzung des herkunftsbezogenen und damit zur Essentialisierung neigenden Konzepts von Kultur durch ein narrativ-konstruktivistisches Konzept ist. Die Autorin versteht damit Kulturen als diskursive Ereignisse. Interkulturelle Kommunikation sei dann in diesem Sinne nur so zu verstehen, wenn ein sprachlicher Austausch über „kulturelle Entwürfe, Abgrenzungen, Werte oder Normen“ unter den Gesprächspartnern stattfindet. Interkulturelle Kommunikation findet also nicht automatisch statt und der Fremdsprachenunterricht ist ebenfalls nicht automatisch interkulturell. Sie betont, dass die ethnische Herkunft der Beteiligten nicht das entscheidende Kriterium für interkulturelle Kommunikation ist, „sondern die Qualität des stattfindenden Diskurses“ (ebd.: 298). Im Fremdsprachenunterricht findet interkulturelle Kommunikation statt, wenn Lehrende und Lernende sich zu kulturbezogenen Themen äußern und wenn sie sich über die Interpretationen und Stellungnahmen zu diesen Themen austauschen. „Kultur“ ist eine „unhintergehbare Kategorie“, die nicht aus dem fremdsprachlichen Unterrichtkontext ausgeblendet werden kann, weil sie sich in der Alltagssprache der Lernende präsent zeigt und somit auch in ihrer Mentalität eine Rolle spielt (ebd.: 299). Die Beteiligten an einem interkulturellen fremdsprachlichen Lernprozess sollen sich daher Hu zufolge der Interdependenz von Sprache und kultureller Bedeutung bewusst werden. Sie sollen sich darüber hinaus mit den Klärungen, Begründungen und Erläuterungen von Werten und Normen in Bezug auf die Regionen, deren Sprache gelernt wird, beschäftigen, um sich auch ihrer eigenen Normen bewusst zu werden. Anhand der Auseinandersetzung mit kulturellen Normen und Werten sollen Lernende einer Fremdsprache z.B. die Problematik um Stereotypen und Vorurteile <?page no="245"?> 245 diskutieren (ebd.: 298 f.). Diese Auseinandersetzung fordert jedoch von Lehrenden und Lernenden viel Zeit und Bereitschaft für eine gemeinsame Reflexion über die behandelten kulturbezogenen Themen. Ausgangspunkt der Diskussion sollte die Klärung der individuellen Kulturkonzepte sein. Jeder Lernende und Lehrende bringt seine Vorstellung von Kultur und vom interkulturellen Lernen mit sich zum Unterricht. Viele, die sich vorher mit dem Thema nicht beschäftigen haben, gehen meist von einem herkunftsbezogenen Konzept für das interkulturelle Lernen aus. Besonders das Verständnis der Lehrenden vom Konzept des interkulturellen Lernens spielt in dieser Diskussion eine wichtige Rolle, weil sie im Unterricht diejenige sind, die die Lernenden zum Reflektieren und zu einem vertieften Austausch über kulturbezogene Themen führen können. Das bedeutet für die vorliegende Studie, dass es wichtig ist herauszufinden, welches Konzept vom interkulturellen Lernen die Tutorinnen des JETZT Deutsch lernen-Chats haben und wie sie den interkulturellen Austausch in diesem Chat betrachten, damit ihr Verhalten bei der Behandlung kulturbezogener Fragen besser erläutert werden kann. Sind die Interaktionen im untersuchten Chat interkulturell allein aufgrund der Tatsache, dass sich in diesem Chat Menschen aus verschiedenen Ländern austauschen? Wie beantworten die Tutorinnen diese Frage? Wie wichtig sind für sie die Herkunft dieser Menschen und die Qualität des Austauschs? Diesen Fragen möchte ich in Kapitel 9.8 näher nachgehen. In diesem Kapitel ist es jedoch noch wichtig festzuhalten, dass die Neugier der Besucher des JETZT Deutsch lernen-Chats zu wissen, aus welchem Land ihre Kommunikationspartner kommen, nicht zu unterschätzen ist. Anders als in anderen Chats, in denen sich man in der Muttersprache unterhält, ist es verständlich, dass die Besucher des JETZT Deutsch lernen-Chat wissen wollen, wer sich für Deutsch als Fremdsprache interessiert und woher er kommt. Eine der häufigsten Fragen am Beginn einer Unterhaltung lautet daher „woher kommst du? “. Auf dieser Weise kann das Konzept der Nation für diesen Kontext nicht ausgeschlossen werden, da die Besucher diese Antwort mit den Namen ihrer Länder beantworten. Darüber hinaus sollte - wie Hu plädiert - nicht jede Interaktion im JETZT Deutsch lernen-Chat automatisch als interkulturell betrachtet werden. Es ist wichtig, den Inhalt und die Qualität des Austauschs zu untersuchen. Aus diesem Grund gehe ich in Analysekapitel 9.9 der Frage näher nach, wie interkulturelles Lernen im Sinne von Hu im didaktisierten JETZT Deutsch lernen-Chat möglich ist. <?page no="246"?> 246 9.5 Ziele des interkulturellen Fremdsprachenlernens Nach einer Diskussion der Begrifflichkeit und des unterschiedlichen Verständnisses zum Konzept des interkulturellen Lernens möchte ich in diesem Kapitel die Ziele des interkulturellen Fremdsprachenlernens erläutern. Der interkulturelle Fremdsprachenunterricht strebt hauptsächlich vier Ziele an: (i) das Kennenlernen einer Fremdkultur; (ii) die Reflexion über die eigene und über die fremde Kultur; (iii) die Entwicklung einer Sensibilisierung für Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der eigenen und der fremden Kultur; (iv) und die Förderung eines Perspektivenwechsels. Im interkulturellen Fremdsprachenunterricht sollen Lernende mehr als eine fremde Sprache lernen. Sie sollen durch die Sprache die fremde Kultur kennen lernen. In diesem Kennlernprozess sollen die Lernenden dazu befähigt werden, nicht nur über die neue fremde Kultur zu reflektieren, sondern auch über ihre eigene. Die Lernenden sollen im Fremdsprachenunterricht die Chance haben, ihre eigenen Normen in Fragen zu stellen sowie ihre Sprach- und Verhaltensformen in Vergleich mit den Sprach- und Verhaltensformen der fremden Kultur zu setzen (vgl. Krumm 2007: 141). Wenn die Lernenden im Fremdsprachenunterricht eigene und fremde Kulturen kontrastieren, sollen sie in die Lage versetzt werden, ihre Wahrnehmungs- und Beurteilungsprozesse zu erkennen und darüber zu reflektieren. Bei dieser Reflexion und diesem Vergleichsprozess ist es unerlässlich, dass die Lernenden sich dessen bewusst werden, dass die eigene Kultur und ihre fremdkulturelle Wahrnehmungen relativ sind, um eine automatische Bewertung zu vermeiden. Eine Kultur bzw. ein Aspekt einer Kultur soll nicht als besser oder schlechter als der einer anderen Kultur betrachtet werden. Es geht mit dem Kontrastieren der eigenen und der fremden Kultur im Unterricht viel mehr um die Förderung einer neutralen Sensibilisierung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Inhalt des interkulturellen Fremdsprachenunterrichts ist „das Entdecken des Fremden durch die reflektierte Auseinandersetzung mit dem Eigenen“ (Bechtel 2003: 55). Für Krumm (2007) erfordert interkultureller Fremdsprachenunterricht also die Entwicklung der Fähigkeit […] unterschiedliche kulturelle Wertsysteme in Beziehung zu setzen (vergleichen, nicht gleichsetzen), andere soziale Erscheinungen innerhalb des fremden kulturellen Systems ohne ethnozentrische Wertung zu interpretieren sowie mit Missverständnissen, Brüchen und Widersprüchen, wie sie für interkulturelle Kommunikation charakteristisch sind, umgehen zu können. (ebd.: 141) Beim Umgang mit Missverständnissen und Unterschieden sollen die Lernenden versuchen, die Perspektive der Anderen zu verstehen. Sie sollen versu- <?page no="247"?> 247 chen, die Gründe der Missverständnisse und unterschiedlichen Sichtweisen kennen zu lernen, um einen Perspektivenwechsel zu ermöglichen. Das ist für eine respektvolle Kommunikation mit Menschen aus anderen Kulturen ein wesentlicher Aspekt. Außerdem wird die Rolle der Lernende im interkulturellen Fremdsprachenunterricht unterstrichen. Sie sind dafür verantwortlich, die fremd- und eigenkulturellen Wahrnehmungen affektiv zu verarbeiten und selbst zu reflektieren, und stehen daher sie im Zentrum des interkulturellen Lernens. Bechtel (2003: 54) erklärt, dass für das Konzept des interkulturellen Lernens die Lernenden als „erlebendes und verstehendes Subjekt mit seinen Erwartungen und Erfahrungen“ zu betrachten sind. Die eigenkulturellen und eigensprachlichen Erfahrungen der Lernenden sollen mit in den Unterricht integriert werden, damit sie Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit der fremden Kultur werden (vgl. Bredella/ Delanoy 1999b: 15). Erst wenn eigenkulturelle und eigensprachliche Erfahrungen im Fremdsprachenunterricht betrachtet werden, können sich Lernende vertiefend über interkulturelle Themen austauschen und einander von ihren subjektiven Bildern der eigenen und fremder Kulturen erzählen. Diese subjektiven Bilder sind oft reine Stereotypen, die aus dem Fremdsprachenunterricht kaum ausgeschlossen werden können. Für die vorliegende Studie ist wichtig zu untersuchen, ob die Lernenden im JETZT Deutsch lernen-Chat die Möglichkeit haben, sich über ihre eigenkulturellen und eigensprachlichen Erfahrungen auszutauschen und somit interkulturelle Themen zu vertiefen. Können sich die Lernenden im untersuchten Chat trotz der Anonymität, der Synchronizität der Chat-Kommunikation und der erhöhten Fluktuation von Besuchern vertiefend austauschen? Haben sie dort Zeit, sich ausführlich zu äußern? Werden sie von den Tutorinnen zum Austauschen der eigenkulturellen und eigensprachlichen Erfahrungen aufgefordert? Können sie sich in diesem Kontext über ihre subjektiven Bilder über die eigene und fremde Kultur austauschen? Wie geschieht dieser Austausch? Bevor ich diesen Fragen anhand der Auswertung der Daten näher nachgehe, möchte ich im folgenden Kapitel das Konzept von Stereotypen und Vorurteile diskutieren, um ihre Rolle im interkulturellen Fremdsprachenunterricht besser zu erläutern. 9.6 Stereotypen und Vorurteile Die Auseinandersetzung mit Stereotypen ist immer wieder Gegenstand vieler Diskussionen in geisteswissenschaftlichen Disziplinen. Die Fremdsprachendidaktik räumt sowohl dem Problem des praktischen Umgangs mit Stereoty- <?page no="248"?> 248 pen als auch der Frage nach ihrer Rolle im Unterricht Vorrang ein. In der fremdsprachendidaktischen Diskussion werden häufig folgende Fragen hervorgehoben: Sollen Stereotypen aus dem Fremdsprachenunterricht ausgeklammert werden? Ist der Fremdsprachenunterricht der Ort für Diskussionen über Stereotypen? Wie kann der Umgang mit Stereotypen einen Beitrag zum Erlernen einer Fremdsprache leisten? Wie soll dieser Umgang in der Praxis aussehen? Welche Rolle spielen die Lehrenden bei diesem Prozess? Bevor ich diese Fragen aus der Nähe betrachte, werden einige Aspekte der Begrifflichkeit erläutert. Danach wird der Versuch unternommen, die oben formulierten Fragen zu erörtern und die Frage nach einem möglichen Beitrag des in dieser Studie untersuchten Chat-Raums zu diskutieren. Der Begriff „Stereotyp“ wird oft als Synonym für den Begriff „Vorurteil“ verwendet. In der Fremdsprachendidaktik geht es in Untersuchungen über „Stereotypen“ und „Vorurteile“ häufig um die gleichen Probleme (vgl. Hu 1995: 406). Während „Vorurteil“ für O’Sullivan (1992: 65) stärker mit Gefühlen besetzt ist, so eher zu einem diskriminierenden Verhalten führen kann und dann eine von vornherein feindselige Haltung ausdrückt, versteht sie „Stereotyp“ eher als eine gefühlsmäßig neutrale, kognitive Form der Verallgemeinerung. Stereotypen werden in Autostereotyp und Heterostereotyp unterteilt, je nachdem, ob man die eigene Gruppe oder eine fremde Gruppe betrachtet. Heterostereotypen bezeichnen das „Fremdbild“ einer Gruppe, Autostereotypen das „Selbstbild“, das man von der eigenen Gruppe hat. Für Bausinger (1988: 160) sind Stereotypen unkritische Verallgemeinerungen, die gegen Überprüfung abgeschottet und gegen Veränderungen relativ resistent seien. „Stereotyp“ sei der wissenschaftliche Begriff für eine unwissenschaftliche Einstellung. Die Frage, ob Stereotypen und Vorurteile aus dem Fremdsprachenunterricht ausgeklammert werden sollen, ist umstritten. Durch die besondere historische Vorbelastung der Diskussion um Vorurteile in Deutschland wurde nach dem Zweiten Weltkrieg insbesondere die negative und zerstörerische Seite von Verallgemeinerung hervorgehoben. Diese Verallgemeinerung von Stereotypen wurde stark als falsch und realitätsfern bemängelt. Im Fremdsprachenunterricht waren Stereotypen über fremde Nationen, besonders die negativen, nicht willkommen, weil sie zu Missverständnissen und politischen Konflikten führen könnten. Erst in den 70er Jahren entwickelte sich die Diskussion um das Stereotypen-Konzept und den Vorurteilsbegriff in eine andere Richtung. Impulse aus der Sozialpsychologie trugen dazu bei, Stereotypisierung als Grundbestandteil menschlicher Kognition zu betrachten (vgl. Six 1987). Diese Reevaluierung des Stereotypen-Konzepts betrachtete Stereotypen als unabdingbare Voraus- <?page no="249"?> 249 setzungen menschlicher Wahrnehmung, oder wie Bausinger (1988: 160) formuliert, als einen gängigen Erfahrungsmodus. Nach dieser Perspektive wird Stereotypen eine kognitive Leistung zugeschrieben, die darin besteht, Menschen im Alltagsdenken eine erste Orientierungshilfe zu geben. Die Leistungen von Stereotypen sind für Bausinger (ebd.) folgende: (1) Stereotypen entstehen nicht immer, aber in der Regel aus der Überallgemeinerung tatsächlicher Merkmale; es ist ihnen also ein relativer Wahrheitsgehalt zuzusprechen; (2) Stereotypen ordnen diffuses Material und reduzieren Komplexität; darin liegt eine wichtige Orientierungsfunktion; (3) Stereotypen bieten Identifikationsmöglichkeiten an, über die neue Realbezüge entstehen können; es ist also mit einer realitätsstiftenden Wirkung von Stereotypen zu rechnen. (ebd.: 161) Die Frage, ob Stereotypen einen wahren Kern haben oder nicht, ist immer wieder Gegenstand kontroverser Diskussionen. Während Bausinger von einem relativen Wahrheitsgehalt spricht, führt Steinmann (1992: 221) aus, dass Vorurteile und Stereotypen mehr über den verraten, der sie äußert, als über denjenigen, der durch sie beurteilt wird. Ähnlich postuliert Krumm (1992: 16), dass „die Bilder, die einer vom fremden Land hat, […] oft mehr mit dem eigenen Kopf zu tun als mit der fremden Wirklichkeit [haben]“. Die Frage nach einem Wahrheitsgehalt hält Bredella (1988) jedoch für nicht beantwortbar. How might it be possible to verify or falsify stereotypes such as “Germans are diligent”, “Italians are passionate”, “Americans are friendly”? Apart from the problem of defining “diligence, passion, and friendliness” in operational terms, how many people must correspond to the stereotype in order for it to be considered accurate? Must it be correct for 30 %, 50 % or 70 % or for all people of culture? (ebd.: 8) Trotzdem kann diese Diskussion um den Wahrheitsgehalt von Stereotypen Bredella zufolge nicht ignoriert werden, besonders wenn diejenigen, die Stereotypen äußern, überzeugt sind, dass sie mit ihnen etwas Wahres über andere und über sich selbst äußern können. Die Welt wäre für die Menschen sinnlos, wenn sie die Dinge nicht kategorisieren und sie mit dem verbinden könnten, was sie schon kennen und erfahren haben. Stereotypen reduzierten nicht nur die Komplexität der Welt, sondern verbänden das Neue mit vorhandenen Wissen und Erfahrungen. We could not make sense of the world we live in if we were not “categorizing” things and events and thus connecting them with what we already know and have experienced. Thus stereotyping does not only reduce the complexity of our environment but also connects it with our prior knowledge and <?page no="250"?> 250 experience. This is, of course, a risky process because things and events can be interpreted in various ways. (ebd.: 8) Lippmann (1949: 96), der sich bereits seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts mit diesen Themen beschäftigt hat, erklärt, dass Stereotypen nicht nur einen epistemologischen Aspekt haben, sondern auch einen psychologischen, der mit Gefühlen verbunden ist: A pattern of stereotypes is not neutral. It is not merely a way of substituting order for the great blooming, buzzing confusion of reality. It is not merely a short cut. It is all these things and something more. It is the guarantee of our self-respect; it is the projection upon the world of our own sense of our own value, our own position and our own rights. The stereotypes are, therefore, highly charged with the feelings that are attached to them. They are the fortress of our tradition, and behind its defences we can continue to feel ourselves safe in the position we occupy. (ebd.: 96) Die Auseinandersetzung mit positiven und negativen Stereotypen sei unerlässlich, da beide aus unserer selektiven Wahrnehmung stammen und mit Gefühlen zu tun haben. Dennoch scheint in der Diskussion um Stereotypen und Vorurteile in der Fremdsprachendidaktik Konsens darüber zu herrschen, dass diese im Unterricht behandelt werden sollten (Bausinger 1988; O’Sullivan 1992; Steinmann 1992; Hu 1995; Bechtel 2003). Stereotypen seien eine Art schematische Denk- und Wahrnehmungshilfen, deren sich jeder bedient, um die Vielfalt der Erscheinungen für sich zu ordnen und zu vereinfachen (vgl. O’Sullivan 1992: 65). Der Tatsache, dass Lernende einer Fremdsprache schon fast immer vorhandene Informationen und ein bestimmtes Bild des Zielsprachenlandes in den Unterricht mitbringen, können wir nicht entrinnen. Ob dieses Bild realistisch ist oder nicht, soll nicht die Frage sein. Für Rösler (1998: 225) gilt es, an dieses Bild anzuknüpfen und es „als Vor-Urteil, nicht als Vorurteil“ aufzunehmen. Für Steinmann (1992: 218) sind die Vorurteile, die Lernende im Anfängerunterricht äußern, das Material, das „zur Kommunikation anregt und sprechmotivierend wirkt“. Hu (1995) bemängelt die enthusiastische Ausführung von Steinmann (1992) „Vorurteile, ja bitte“. Die Autorin, die zwar ebenfalls für den Umgang mit Stereotypen im Fremdsprachenunterricht plädiert, hinterfragt jedoch, ob wirklich alle negativen Stereotype im Unterricht willkommen sind. Schließlich stellt Hu drei didaktische Konsequenzen für den Fremdsprachenunterricht dar: (i) Vorurteile sollen auf keinen Fall aus dem Unterricht ausgeschlossen werden; (ii) Die Urteile sollen in ihren empirischen und normativen Prämissen bewusst, diskutierbar, kritisierbar und in ihrer Entstehung für an- <?page no="251"?> 251 dere nachvollziehbar gemacht werden; (iii) Ein erfolgreicher Umgang mit Stereotypen findet dann statt, wenn die Gesprächsteilnehmer die Relativität ihrer Urteile und ihrer zugrundegelegten Normen erkennen, aber dennoch nicht in Orientierungslosigkeit verfallen, sondern nach diesen Erkenntnissen die eigene kulturelle und historische Lebenssituation wieder neu reflektieren. (ebd.: 411) Nach O’Sullivan (1992) müssen Lehrbücher und Lehrende notwendigerweise mit Stereotypen arbeiten, um ihren Lernenden trotz knapper Zeit und begrenzter Sprachkenntnisse eine Vorstellung von der Zielkultur und den Sprechern der Zielsprache zu vermitteln. Für die Autorin ist dies ohne Vereinfachung nicht möglich. Je besser die Schüler die Fremdsprache beherrschen, desto besser sei die Möglichkeit, die andere Kultur kennen zu lernen und die vorhandenen Stereotype durch eigene Wahrnehmung zu überprüfen. Diese vorhandenen Stereotype über das Zielland und die Rolle der Stereotypen im Wahrnehmungsprozess sollen im Unterricht diskutiert werden. Es sei unerlässlich, sich mit der Verschiedenartigkeit anderer Kulturen zu beschäftigen und sich diese bewusst zu machen. Die Anerkennung von Verschiedenheit muss zur Grundlage von Verständigung gemacht werden. Darüber hinaus ist nach O’Sullivan (1987) die Auseinandersetzung mit literarischen Texten ein sinnvoller Weg für den Umgang mit Stereotypen im Fremdsprachenunterricht. Literarische Texte können auf einer Meta-Ebene das Stereotypbild des fremden Lands behandeln und zum Verständnis von Eigenbild oder Fremdbild beitragen. O’Sullivan postuliert: Über die Kenntnis von Eigenbild, Fremdbild und von dem bei der anderen Gruppe vermuteten Fremdbild über die eigene Gruppe hinausgehend, sollte daher auch der Prozess der Wahrnehmung durch Stereotype jeweils zum landeskundlichen Thema gemacht werden, nicht nur per Tabelle und Prozentzahl, sondern z.B. auch im Kontext der Auseinandersetzung mit literarischen Texten, in denen man über die Beschäftigung mit den Stereotypen im jeweiligen Text nicht nur das jeweils vorhandene Bild, sondern auch die verschiedenen Funktionsweisen von Stereotypen thematisieren kann. (ebd.: 219) Weiterhin können literarische Texte neue Bilder einer bestimmten Kultur konstruieren, neue Situationen entlarven oder bekannte Bilder dekonstruieren. Je nach der Absicht des Autors können dem Leser bekannte oder sogar erwartete Bilder geliefert werden. Für O’Sullivan sollte im Fremdsprachenunterricht Anlass für Diskussionen über verschiedene Interpretationen literarischer Texte geben, und dies wäre ein guter Beitrag zur Entwicklung einer Differenzierungsfähigkeit für den Umgang mit verschiedenen Kulturen (vgl. ebd.: 220). <?page no="252"?> 252 Aber wie lassen sich diese Forderungen und Vorschläge für den Umgang mit Stereotypen und Vorurteilen auf das Erlernen einer Fremdsprache in einem elektronischen Kontext wie z.B. in didaktisierten Chats übertragen? Eine Chat-Studie, deren Ergebnisse für die vorliegenden relevant sein können, ist die Studie von Wilden (2008). Die Autorin widmet sich der Erforschung von Selbst- und Fremdwahrnehmungen in interkulturellen Kommunikationsprozessen via Voice-Chat und Text-Chat. 19 Die Ergebnisse ihrer Studie zeigen, dass der Fokus des in den interkulturellen Onlinekommunikationsprozessen initiierten Austauschs mehr auf der Selbstwahrnehmung als auf der Fremdwahrnehmung lag, d.h. die Forschungsteilnehmer tauschten sich in dieser Studie häufiger über sich als über die fremde Kultur ihrer Kommunikationspartner aus. Aus diesem Grund plädiert Wilden für die Förderung der Aushandlung von Fremdwahrnehmung, „damit ein auf Wechselseitigkeit ausgerichteter Austausch […] nicht bei der Darstellung der eigenen Person bzw. des eigenen kulturellen Hintergrunds verbleibt“ (ebd.: 219). Ein weiteres Ergebnis von Wilden, das für die vorliegende Studie von Bedeutung ist, zeigt, dass die Aushandlungen bezüglich kulturbezogener Selbst- und Fremdwahrnehmungen auf einer oberflächlichdeskriptiven Ebene stattfanden. Der Au- 19 Als Grundlage der Studie von Wilden (2008) fungiert das Modell der ABC’s of Cultural Understanding and Communication, dessen ursprüngliches Hauptziel es ist, das interkulturelle Lernen in der Ausbildung und Fortbildung von Lehrenden zu fördern. Wilden adaptiert das ursprünglich für den Präsenzlernen konzipierte ABC’s-Modell für die Fortbildung von Fremdsprachenlehrenden aus England und Deutschland mittels Voice- und Text-Chats. Anhand dialogischer Daten untersucht sie, ob im reziproken ABC’s-Online-Austausch die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Lehrenden und ihre Aushandlungen der Selbst- und Fremdwahrnehmung auf einer analytisch-interpretativen Ebene identifizierbar sind. Darüber hinaus analysiert die Autorin anhand von Interviewdaten, wie die an der Studie beteiligten Lehrenden den Austauschprozess reflektieren und was sie unter „Kultur“ verstehen. Dieses Modell wurde von Schmidt (1998) in den 1980er Jahren in den USA entwickelt und dann in Europa von Finkbeiner/ Koplin (2002) und Schmidt/ Finkbeiner (2006) adaptiert und in der Praxis eingesetzt. Wie auch in der im deutschsprachigen Raum etablierten Forschung über das Fremdverstehen wird in diesem amerikanischen Modell der Versuch unternommen, durch interkulturelles Lernen einerseits eine Auseinandersetzung mit dem Anderen und dessen kultureller Prägung auszulösen, andererseits jedoch auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und Kultur zu ermöglichen (vgl. Kap. 9.3 und 9.4). Nach diesem Modell soll zunächst das Bewusstsein der Lehrenden durch das Verfassen von Autobiographien, den Austausch mit anderen Lehrenden und den Vergleich von Lebenserfahrungen für kulturell geprägte Gemeinsamkeiten und Unterschiede gefördert werden. In einer weiteren Phase entwickeln Lehrende Konzepte für den Einsatz des ABC’s-Modells im eigenen Unterricht und reflektieren damit, wie sie der interkulturellen Vielfalt ihrer SchülerInnen im Unterricht besser Rechnung tragen können. <?page no="253"?> 253 torin nach sollte es im Austausch stärker um über Wertvorstellungen, Denkmuster und Einstellungen der Teilnehmer gehen, damit sich die Forschungsteilnehmer mehr auf einer analytisch-interpretativen Ebene austauschen. Dieses Ergebnis muss jedoch je nach Kommunikationsform differenziert betrachtet werden. Während bei den Voice-Chat-Daten ein größerer Anteil an analytisch-interpretativen Aussagen zu finden war, verblieben die Aussagen in Text-Chats auf einer oberflächlich-deskriptiven Ebene. Aus diesem Grund hebt die Autorin die Rolle der Medienwahl für die Durchführung interkultureller Online-Projekte hervor. Der Text-Chat erweist sich in der Studie von Wilden im Vergleich zum Voice-Chat als weniger geeignet für die Förderung des interkulturellen Austauschs. Die Frage, ob der Grund dafür ausschließlich in der besonderen Art der Text-Chat-Kommunikation liegt, lässt sich allerdings erst beantworten, wenn weitere qualitativ-empirische Untersuchungen zu Text-Chats durchgeführt worden sind, deren Schwerpunkt auf dem interkulturellen Austausch liegt. Mit der Analyse der Daten aus dem JETZT Deutsch lernen-Chat wird in der vorliegenden Studie der Versuch unternommen, diesen Fragen näher nachzugehen und somit einen Beitrag zur Erforschung von Chats für die Förderung des interkulturellen Lernens zu leisten (vgl. Kap. 9.9). An dieser Stelle ist es jedoch wichtig, festzuhalten, dass der Umgang mit Stereotypen und Vorurteile und der Austausch über Selbst- und Fremdwahrnehmungen in didaktisierten Chats mit vielen anderen Faktoren zusammenhängt, wie beispielsweise das Ziel des Chat-Einsatzes, das Sprachniveau der Lernenden sowie das Thema und die Moderation der Interaktion. Wie zu jedem Fremdsprachenunterricht und zu jedem didaktisierten Chat-Raum bringen die Lernenden zum JETZT Deutsch lernen-Chat ihre Stereotypen über Deutschland und über andere Kulturen zu den Chat-Interaktionen mit. Auch die Tutorinnen haben ihre Stereotypen über Deutschland und über die Länder der Chat- Teilnehmer. Es ist wichtig, zu erforschen, ob die Tutorinnen und die Chat- Teilnehmer explizit über diese Stereotypen miteinander reden und wenn ja, wie sie es tun. Sind sie in der Lage, ihre eigenen Stereotypen als Stereotypen zu sehen, oder halten sie ihre individuellen Bilder über eine Kultur für richtig und allgemeingültig? Wie kritisch gehen sie mit Stereotypen um? Wie beeinflussen die Merkmale der Chat-Kommunikation und der Rahmen des JETZT Deutsch lernen-Chats den Verlauf des Austauschs? Bevor ich versuche, diese Fragen anhand der Datenanalyse in den Kapitel 9.9.3 und 9.9.4 zu beantworten, möchte ich in den nächsten Kapiteln das Potenzial von Chats für das interkulturelle Lernen diskutieren und die Meinungen der Tutorinnen von JETZT Deutsch lernen-Chat zu diesem Thema erörtern. <?page no="254"?> 254 9.7 Interkulturelles Lernen im Chat Seit der Entwicklung des Internets verbinden Fremdsprachenlehrende und Lernende mit diesem zahlreiche Hoffnungen für den Fremdsprachenunterricht. Insbesondere die neuen internetbasierten Kommunikationsformen werden als große Chance nicht nur für einen kommunikativen Fremdsprachenlernprozess wahrgenommen, sondern auch für die Förderung des interkulturellen Lernens. Die zunehmende Zahl an Publikationen in dem Bereich zeigt das große Interesse am Einsatz des Internets im Fremdsprachenunterricht und die Forschungsentwicklung in diesem Bereich (vgl. exemplarisch die zahlreichen Beiträge in Belz/ Thorne 2006; Barber/ Zhang 2008; O’Dowd 2007). Für Krumm (2007: 143) eröffnen die neuen Medien neue Perspektiven für interkulturelles Lernen, wie z.B. die Erweiterung der Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Schülern. Durch die Einbeziehung des Internets haben die Lernenden die Möglichkeiten, interkulturelle Recherchen durchzuführen und somit mehr Kontakt zu authentischen Materialen aus dem Zielsprachland zu haben. Auch Rösler (2004: 142) sieht den schnellen und breiteren Zugang zu authentischen Materialien und die Durchführung von Rechercheaufgaben als Vorteile des Internets für das interkulturelle Lernen. Der Autor unterstreicht jedoch die Gefahr, dass sich die Arbeit mit diesen Materialien im Unterricht lediglich auf die Rezeption und Vermittlung faktischer Informationen beschränken kann. Bei Rechercheprojekten ist dem Autor zufolge wichtig, dass sie nicht zu einer reinen Sammlung von Fakten werden, sondern dass die unterschiedlichen Wahrnehmungsweisen des recherchierten Themas im Unterricht diskutiert werden. Zu beachten ist darüber hinaus die Gefahr einer Demotivation aufgrund einer Informationsflut ohne Qualitätskontrolle, die den Lernenden im Internet begegnen kann, sowie einer sprachlichen Überforderung auf bestimmten Internetseiten, die nicht didaktisiert und nicht für das Sprachniveau der Lernenden geeignet sind. Neben den Möglichkeiten des Zugangs zu unerschöpflichen Informationen, die das Internet den Lernenden bietet, sieht Rösler (2006) besonders in den neuen Kommunikationsmöglichkeiten das größte Potenzial des Internets für die Förderung des interkulturellen Lernens. Die verschiedenen Interaktionsformen im Internet ermöglichen Lernenden schneller als vor der Internetzeit, Kontakt mit Menschen aus dem Land der Zielsprache aufzunehmen und dadurch die Zielkultur kennenzulernen. Sie ermöglichen in diesem Sinne einen persönlichen Zugang zur Zielkultur. Für Rösler können Lernende in einem persönlichen Austausch mit Menschen aus der Zielkultur nicht nur über kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen ihren Kulturen <?page no="255"?> 255 diskutieren, sondern auch versuchen, ihre eigene Kultur und die Perspektive des Anderen besser zu verstehen. Mit dem persönlichen Interagieren mit einem Gegenüber aus dem Land der Zielsprache wird es für Lernende möglich, in im weitesten Sinne narrativen Kontexten die Komplexität eines anderen Stücks Welt zu erfahren [...]. In den Austauschprozessen […] kommt es immer wieder zu Sequenzen von Unterhaltungen, bei denen eine Mischung aus Erfahrungsbericht, subjektiver Einschätzung, erstaunten Rückfragen usw. dazu führt, dass ein Gegenstand nicht nur vertieft und kontextualisiert, sondern dass auch versucht wird, die Position des Anderen mitzubedenken und zu antizipieren und auf den jeweils eigenen kulturellen Kontext zu beziehen. (ebd.: 76) Die von Rösler genannten Aspekte - Erfahrungsberichte, subjektive Einschätzung und erstaunte Rückfragen - sind typische Äußerungsformen in interkulturellen Austauschprozessen. In einer narrativen Weise erzählen Lernende und ihre Partner aus der Zielkultur sich gegenseitig frei aus ihrem alltäglichen Leben, von ihren Wertvorstellungen und ihre Ansichten kulturrelevanter Themen. Tamme (2001: 116 ff.) 20 zeigt anhand einer Analyse eines E-Mail- Austauschs zwischen Tutoren aus Deutschland und DaF-Lernenden aus China, wie lebendig und authentisch die Behandlung kulturbezogener Fragen in der Interaktion sein kann. Anders als die Arbeit mit Texten im Unterricht stellen Lernende in einem persönlichen Austausch via E-Mail aus ihren eigenen Interessen heraus Fragen zu den deutschsprachigen Ländern. Tamme zeigt darüber hinaus, dass Grammatik selten das Thema der E-Mail-Interaktionen ist. Die Tutoren und die Lernenden tauschen sich häufiger über Fakten, Alltagsphänomene, kulturelle Einstellungen und persönliche Einschätzungen aus. Tamme (2001) unterstreicht besonders den persönlichen Charakter der Interaktionen über Landeskunde und verwendet dafür den Begriff der personalisierten Landeskunde. Damit meint die Autorin, dass die Lernenden in Interaktionen mit Tutoren aus dem Zielsprachland die Möglichkeit haben, sich über landeskundliche Themen in einer persönlichen und freundschaftlichen Atmosphäre auszutauschen und somit einen kleinen Mentalitätsausschnitt eines Individuums der anderen Kultur kennenzulernen. Lernende und Tutoren zeigen in den ausgetauschten E-Mails viel von ihren Emotionen, eigenen Werten und Meinungen. Diese Art von persönlichem Austausch ist der Autorin zufolge als ein erster erfolgreicher Schritt auf dem langen Weg des Fremdverstehens und somit des interkulturellen Fremdsprachenlernprozesses zu verstehen (vgl. ebd.: 130). Obwohl Rösler (2004) das Potenzial von Interaktionen im E-Mail-Austausch oder in didaktisierten Chats für das interkulturelle Lernen ausführt, 20 Mehr zu dieser Studie siehe Kap. 2.5. <?page no="256"?> 256 betont er, dass der Austausch in diesen elektronischen Kontexten nicht zwangsläufig zu einem besseren Verstehen des anderen beiträgt und somit nicht automatisch interkulturelles Lernen fördert. Besonders zu den Interaktionen in Chats warnt der Autor vor der Gefahr, dass die Lernenden sich im Chat lediglich über Banalitäten unterhalten (vgl. ebd.: 63). Auch Krumm (2007: 143) unterstreicht, dass internetbasierte Austauschprozesse nicht automatisch zur Entwicklung einer interkulturellen Wahrnehmungsfähigkeit der Lernenden führen, sondern eine Wahrnehmungsschulung als Voraussetzung für die Durchführung interkulturellen Austauschs im Internet anzusehen ist. Krumm erklärt, dass damit Anforderungen an die Aus- und Fortbildung der Lehrenden gestellt sind, die selbst interkulturelles Lernen in ihrer Aus- und Fortbildung praktizieren müssen, um einen interkulturellen Lernprozess bei den Lernenden anleiten zu können. Interkulturelle Austauschtauschprozesse können im Chat aus verschiedenen Gründen sehr variieren. Nicht nur Aspekte zu Kommunikationsbedingungen wie z.B. die Synchronizität und der Sprecherwechsel (vgl. Kap. 3.1) können den Verlauf des Austauschs direkt beeinflussen, sondern auch die Personen, die sich an der Interaktion beteiligen, sind für einen erfolgreichen Austausch entscheidend. Für die Durchführung eines interkulturellen Austauschs in Chats ist es daher nötig zu analysieren, was für eine Ausbildung die Lehrpersonen bzw. die Tutoren haben, mit denen sich die Lernenden unterhalten sollen, und was sie unter interkulturellem Austausch verstehen. Sind diese Lehrpersonen für einen interkulturellen Austausch im Chat ausgebildet und sich der Chat-Kommunikationsbedingungen sowie deren Einfluss auf den Verlauf des Austauschs bewusst? Diese und weitere Fragen zur Rolle und Ausbildung der Lehrperson im interkulturellen Austausch werden in vielen Chat-Studien aus der Fremdsprachendidaktik hervorgehoben. Bevor ich im nächsten Kapitel die Ansichten der Tutorinnen über ihre Rolle und das interkulturelle Lernen im JETZT Deutsch lernen-Chat präsentiere, möchte ich hier noch Ergebnisse aus vier Chat-Studien aus der Fremdsprachendidaktik diskutieren, die für die Analyse der für die vorliegende Arbeit erhobenen Daten relevant sind. Melo (2006) untersuchte das Bild der unterschiedlichen romanischen Sprachen, die in den Chat-Interaktionen des Projektes GALANET (dazu siehe Kap. 2.5) verwendet wurden, und stellte fest, dass die Muttersprache der Chat-Teilnehmer eine privilegierte Funktion im mehrsprachigen Kontext spielte. Wenn es um interkulturelle Fragen und Gefühle ging, bevorzugten die Lernenden im GALANET die Nutzung ihrer eigenen Muttersprache (ebd.: 481). Der Autorin zufolge fühlen sich Lernende freier, wenn sie bei Diskussionen interkultureller Themen ihre Muttersprache verwenden können. Melo unterstreicht die Rolle der kulturellen und sprachlichen Vergleiche, die die <?page no="257"?> 257 Lernenden häufig im Chat machen. Denn laut Melo führen solche Äußerungen „in meinem Land/ in meiner Sprache ist das so und wie ist das denn in deinem Land/ in deiner Sprache? “ zu intensiveren Aushandlungen zu kulturbezogenen Themen und fordern von den Teilnehmern Aufmerksamkeit und Bereitschaft, um Fragen zu beantworten, Probleme zu beheben und somit Wissen zu konstruieren. (ebd.: 482). Stickler (2008) untersuchte in ihrer Studie über das Projekt LITERARIA (dazu siehe Kap. 3.2.3.3) die Rolle von Chat-Interaktionen im Vergleich zu Interaktionen via E-Mail, Forum und Wiki. Der Autorin zufolge spielten die Chat-Interaktionen im untersuchten Projekt nicht nur eine soziale Funktion, in der der Kontakt zwischen den Teilnehmern gepflegt und gefördert werden kann, sondern auch eine interkulturelle Funktion, in der die Teilnehmer die Kultur der anderen Teilnehmer kennen lernen können (ebd.: 74). Obwohl in Sticklers Studie das Potenzial der Chat-Interaktionen für interkulturelles Lernen unterstrichen wird, wird in den diskutierten Auszügen aus den Chat- Protokollen nicht ersichtlich, wie die Teilnehmer kulturelle Fragen aushandeln und wie die Kommunikationsbedingungen den Austausch im Chat beeinflusst. In der Studie von Tudini (2007) werden hingegen zahlreiche Beispiele aus Chat-Interaktionen gegeben, die den interkulturellen Austausch beleuchten. Die Autorin untersucht nicht nur Aushandlungen über kulturbezogene Fragen wie z.B. eine Diskussion über Nationalfeiertage in Italien, sondern auch Aushandlungen zur italienischen Sprache, die von der Pragmatik und somit von der italienischen Kultur geprägt sind, wie z.B. Begrüßungsformen, Gesprächseröffnungen und Danksagungen. Für Tudini zeigt die Art und Weise, wie Lernende und ihre Kommunikationspartner Missverständnisse beheben und sprachliche Probleme lösen, ihre interkulturelle Kompetenz. Chat-Interaktionen können für Lernende, die einen Austausch im Zielsprachland planen, als eine geeignete Form der virtuellen Immersion und sozialer Erfahrung für die Vorbereitung auf den Kontakt mit der fremden Kultur und Sprache betrachtet werden. Chat-Interaktionen eignen sich daher nicht nur für die sprachliche Arbeit, sondern auch für das interkulturelle Fremdsprachenlernen (ebd.: 596). Bezüglich des in der vorliegenden Studie untersuchten Chats ist es ebenfalls möglich, von seinem Potenzial für interkulturelles Lernen zu sprechen. Platten (2003: 175) führt aus, dass die interkulturellen Begegnungen im JETZT Deutsch lernen-Chat Raum für interkulturelle Lernprozesse geben. Angesichts der in Kapitel 9.4 ausgeführten Diskussion um den Begriff des interkulturellen Lernens lässt sich jedoch die Frage stellen, ob die Interaktionen im JETZT Deutsch lernen-Chat automatisch als interkulturelle Interaktionen verstanden werden können. Es lässt sich bedenken, ob allein die Tatsa- <?page no="258"?> 258 che, dass die Besucher des JETZT Deutsch lernen-Chats aus verschiedenen Nationen kommen, genügt, um zu behaupten, dass der stattgefundene Austausch interkulturell sei, und ob es nicht zunächst nötig ist, eine Analyse vorzunehmen, die die Qualität des Austauschs in diesem Chat vertiefend untersucht. Für Platten (2003) sowie für Melo (2006), Stickler (2008) und Tudini (2007) scheint das Kriterium der unterschiedlichen Nationen, die sich in den von ihnen untersuchten Chat-Räumen treffen, ausreichend zu sein, um die stattgefundenen Interaktionen unmittelbar als interkulturelle Interaktionen zu betrachten. Eine weitere wichtige Frage ist es, ob ich als Forscherin bzw. als jemand, der sich nicht an den zu analysierenden Chat-Interaktionen beteiligt hat, in der Lage bin, die Chat-Interaktionen interkulturell oder nichtinterkulturelle zu charakterisieren. Um diese Fragen zu beantworten, wurden für die Analyse der Interaktionen im JETZT Deutsch lernen-Chat folgende theoretische und methodische Entscheidungen getroffen: (i) Trotz der Problematik der Gleichsetzung „Eine Nation gleich eine Kultur“ wird in der vorliegenden Arbeit bewusst das herkunftsbezogene Kulturkonzept im Sinne von Hu (1999) verwendet (vgl. Kap. 9.4), obgleich interkulturelle Interaktionen hier als diskursive Ereignisse verstanden werden, bei denen sich Lernende einer Fremdsprache über ihre Erfahrungen, Werte und Gefühle austauschen; (ii) Der Erkenntnisgewinn der vorliegenden Arbeit wird nicht von der Überprüfungsfrage abgeleitet, ob es interkulturelles Lernen im JETZT Deutsch lernen-Chat stattfindet oder nicht, sondern, wie von Hu (1999) empfohlen, eher von der Frage nach der Qualität des Umgangs mit kulturbezogenen Fragen, die im untersuchten Chat-Raum behandelt werden. Bevor ich zu den Analyseergebnissen komme, möchte ich zunächst im nächsten Kapitel anhand der individuellen Meinungen der Tutorinnen des JETZT Deutsch lernen-Chats die Frage weiter diskutieren, ob die Interaktionen in diesem Chat automatisch als interkulturelle Interaktionen angesehen werden können. 9.8 Interkulturelles Lernen im Chat: die Perspektive der Tutorinnen In ihren Antworten auf den ersten Fragebogen erwähnten die Tutorinnen des JETZT Deutsch lernen-Chats den interkulturellen Aspekt der Interaktionen in diesem Chat. Um diesen Aspekt genauer zu verstehen, wurde im zweiten Fragebogen (siehe A2.3.4 im Anhang) folgende Frage formuliert und an die Tutorinnen weitergegeben: „In den Fragebögen wurde der kulturelle Aspekt des Chats hervorgehoben. Der Chat wurde als interkultureller Chat bezeichnet. <?page no="259"?> 259 Bist Du mit dieser Bezeichnung einverstanden? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht? “ Die Tutorinnen äußerten unterschiedliche Meinungen. Wie die folgenden Auszüge zeigen, waren viele Tutorinnen mit der Bezeichnung, dass der JETZT Deutsch lernen-Chat ein interkultureller Chat sei, einverstanden. Für die Tutorinnen I, C und M genügt die Tatsache, dass die Chat-Teilnehmer aus verschiedenen Ländern der Welt kommen, um diesen Chat als interkulturell zu bezeichnen. In den Interaktionen werden laut der Tutorinnen oft Vergleiche durchgeführt, womit die Lernenden die Kultur der Anderen kennen lernen und von ihrer eigenen Kultur erzählen können. Auszug aus dem zweiten Fragebogen an die Tutorinnen Tutorin C: Allein die Tatsache, dass in diesem Chat Teilnehmer aus der ganzen Welt chatten, spricht dafür, dass der Chat dieser Kennzeichnung gerecht ist. Ausserdem werden oft verschiedene Heimatländer, eigene Traditionen und Gewohnheiten zum Gegenstand der Gespräche gemacht. Auszug 83: Antwort der Tutorin C zum interkulturellen Aspekt im Chat Aus Auszug 84 lässt sich ersehen, wie die Tutorin I am Ende ihrer Antwort die unterschiedlichen Formen, landeskundliches Wissen zu erwerben, relativiert. Die Tutorin behauptet in ihrer Antwort, dass kulturelle Vergleiche zwischen den unterschiedlichen Ländern der Welt gezogen werden, wobei jedoch jeder Chat-Teilnehmer diese Vergleiche und somit diesen Austausch individuell wahrnimmt, was sie am Beispiel des Deutschland-Bildes der Lernenden erläutert. Auszug aus dem zweiten Fragebogen an die Tutorinnen Tutorin I: Da sich dieser Chat an alle Deutschlerner der Welt richtet, trifft diese Bezeichnung meiner Meinung nach zu. Der interkulturelle Aspekt ist in vielen Gesprächen zu finden, da es sich aufgrund der unterschiedlichen Herkünften der Teilnehmer oft und spontan zu kulturellen Vergleichen kommt. Die Nutzer erzählen z.B. wie es in ihrem Land ist und fragen andere Nutzer, ob es in anderen Ländern auch so ist. Es findet ein Austausch statt, welcher sehr interessant und auch lehrreich für die Teilnehmer ist, da sie dadurch vieles über die deutsche Kultur erfahren und den anderen Kulturen auch. Spannend ist meiner Meinung nach auch zu beobachten, was Lerner über die deutsche Kultur bereits wissen und was sie über die Deutschen kennen. Dies zeigt das Bild was sie von Deutschland <?page no="260"?> 260 haben. Wie jedoch jeder Nutzer seinen Eindruck über das Land bekommen hat, ist eine andere Frage (eigene Erfahrungen, Erzählungen von Familienmitgliedern, Einflüsse vom Deutschunterricht, …). Auszug 84: Antwort der Tutorin I zum interkulturellen Aspekt im Chat Für die Tutorin M sind alltägliche Themen wie Lebensmittel- und Benzinpreise, Verkehr usw. Themen, die Vergleiche zwischen den unterschiedlichen Kulturen im Chat ermöglichen (vgl. Auszug 85). Andere Themen, die den Chat-Teilnehmer zeitlich und/ oder physisch näher sind, wie Umzug oder Putzen, nennt die Tutorin neutrale Themen. Sie lösen zwar keinen kulturellen Vergleich aus, führen jedoch die anderen Chat-Teilnehmer dazu, Tipps zu geben oder sich frei und kreativ darüber auszutauschen. Auszug aus dem zweiten Fragebogen an die Tutorinnen Tutorin M: Der Chat ist interkulturell, da das Thema Kultur eines der häufigstens ist und auch bei anderen Gesprächen unterschwellig kontinuierlich präsent ist. Häufig werden verschiedene Aspekte der unterschiedlichen Länder miteinander verglichen (Lebensmittel- und Benzinpreise, Verkehr, Supermärkte und deren Angebote (In Japan z.B. sind Lebensmittel am Wochenende billiger), Wohnen, Essen…). Insgesamt wird nur selten über ein neutrales Thema gesprochen. Meist passiert es nur in dem Zusammenhang, dass ein Chatter schreibt: Ich bin umgezogen, mein Teppich ist dreckig, ich versuche ihn zu säubern. Dann geben andere Chatter Tipps, oder spinnen gemeinsam Witze um den Teppich zusammen. Auszug 85: Antwort der Tutorin M zum interkulturellen Aspekt im Chat Aus der Äußerung der Tutorin D in Auszug 86 lässt sich ersehen, wie diese Tutorin im Gegensatz zu den anderen Tutorinnen nicht ganz mit der Bezeichnung des JETZT Deutsch lernen-Chats als interkultureller Chat einverstanden ist. Der Autorin zufolge bleiben die Diskussionen über interkulturelle Themen im Chat auf einer oberflächlichen und persönlichen Ebene, und dies sei ein Grund, um den Chat nicht als interkulturell zu bezeichnen. Die Tutorin D erklärt, dass die große Fluktuation von Chat-Teilnehmern und das Fehlen des visuellen Kontaktes mögliche Gründe für den niedrigeren Grad an Interkulturalität im Chat seien. Eine Interaktion wird der Autorin nach erst interkulturell, wenn ein Chat-Teilnehmer aus einem „exotischen“ Land kommt. Damit meint die Tutorin möglicherweise, dass es erst, wenn jemand <?page no="261"?> 261 aus einem weit von Deutschland entfernten Land kommt, Vergleiche oder mehr kulturbezogene Fragen im Chat gibt. Auszug aus dem zweiten Fragebogen an die Tutorinnen Tutorin D: Hmm, teilweise […] Es wird schon über kulturelle Aspekte gesprochen, aber dies bleibt zu 90 % aus einer sehr oberflächlichen, persönlich bezogenen Ebene. Außerdem werden derartige Themen meist nur vom Admin oder von Chattern, die schon sehr lange dabei sein angestoßen. Durch den häufigen Wechsel der Personen und vielleicht auch durch das Fehlen der face-to-face-Kommunikation bauen sich nur selten zwischen den Chattern Freundschaften auf oder ist intensives Interesse an der Kultur des anderen vorhanden. Vielleicht denken auch viele, dass sie sich mit Kulturen aus ihrer näheren Umgebung gut auskennen, denn meistens wurde es interkulturell, wenn ein Chatter aus einem „Exotischen“ Land anwesend war. Auszug 86: Antwort der Tutorin D zum interkulturellen Aspekt im Chat Auszug 87 zeigt, warum die Tutorin G nicht mit der Bezeichnung einverstanden ist. Das Verständnis der Tutorin vom Begriff „interkulturell“ ist ein anderer als das oben diskutierte Verständnis der Tutorinnen I, C und M. Für die Tutorin G ist die Herkunft der Teilnehmer kein Kriterium für die Bezeichnung des Chats als interkulturell. Offenbar hat die Tutorin G ein begrenztes Verständnis des Kulturbegriffs. Für sie ist der JETZT Deutsch lernen- Chat nicht interkulturell, weil dort selten über Literatur und Kultur diskutiert wird. Themen, die junge Leute interessieren, sind in den Interaktionen zwar häufig, aber der Tutorin nach nicht stark kulturbezogen. Auszug aus dem zweiten Fragebogen an die Tutorinnen Tutorin G: Ich bin nicht mit dieser Bezeichnung einverstanden, da "interkulturell" ja ein bisschen mehr bedeutet als einfach nur im Chat miteinander zu plaudern, auch wenn man aus unterschiedlichen Kulturen kommt. Darüber hinaus geht es ja vor allem um die Spracharbeit und um Themen, die junge Leute in der Regel interessieren. Den interkulturellen Austausch finde ich nicht so stark, da oft über Themen gesprochen wird, die kulturell unabhängig sind. Den Chat interkulturell zu nennen finde ich einfach zu hochgegriffen, da ja nicht immer über Literatur, Kultur etc. gesprochen wird. Auszug 87: Antwort der Tutorin G zum interkulturellen Aspekt im Chat <?page no="262"?> 262 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Tutorinnen ein unterschiedliches Verständnis vom Begriff der Kultur und des interkulturellen Lernens haben. Während für manche die unterschiedlichen Nationalitäten und Vergleiche über kulturelle Aspekte entscheidende Kriterien sind, um den JETZT Deutsch lernen-Chat als interkulturell zu bezeichnen, sehen andere Tutorinnen die Qualität, die Kommunikationsbedingungen und die Themen der Unterhaltungen als wichtige Kriterien für diese Bezeichnungen. Für eine weitere Diskussion über die Bezeichnung des hier untersuchten Chats als interkulturell arbeitet die vorliegende Studie mit einem breiteren Verständnis des interkulturellen Begriffs (vgl. Kap. 9.4) und berücksichtigt gleichzeitig die Kommunikationsbedingungen und den Rahmen des JETZT Deutsch lernen- Chats (vgl. Kap. 3.1 und 4.2). In der Analyse werden alle diese Aspekte zusammen betrachtet, um Aussagen über die Qualität des Austauschs im untersuchten Chat treffen zu können. 9.9 Analyse der kulturbezogenen Fragen im Chat In diesem Kapitel werden fünf Sequenzen aus unterschiedlichen Chat-Protokollen des Projektes JETZT Deutsch lernen quantitativ und qualitativ analysiert (siehe Kap. 5.3.1 für die Auswahlkriterien). Das Ziel dieser Analyse ist es, den Umgang mit kulturbezogenen Fragen im untersuchten Chat zu erfassen. Dazu werden zunächst in Kapitel 9.9.1 das Kategoriensystem und der zu erwartende Erkenntnisgewinn dargestellt. In Kapitel 9.9.2 wird ein zusammenfassender Überblick über die ausgewählten Sequenzen gegeben. In den darauf folgenden Kapiteln 9.9.3 und 9.9.4 werden die Analyseergebnisse der für die vorliegende Arbeit entwickelten Oberkategorien präsentiert und diskutiert. Bevor ich mit der Analyse der kulturbezogenen beginne, möchte ich hier die Forschungsfragen in Erinnerung rufen (vgl. Kap. 4.3): Forschungsfragen zum Schwerpunkt 3: Kulturbezogene Fragen 3.1 Nutzen die Chat-Teilnehmer den JETZT Deutsch lernen-Chat-Raum, um kulturbezogene Fragen zu stellen? 3.2 Was für kulturbezogene Fragen stellen die Chat-Teilnehmer im Chat? 3.3 Wie antworten die Tutorinnen und die anderen Chat-Teilnehmer auf diese Fragen? <?page no="263"?> 263 9.9.1 Kategoriensystem und zu erwartender Erkenntnisgewinn Für die Analyse der im JETZT Deutsch lernen-Chat identifizierten kulturbezogenen Fragen wurden insgesamt zwei weitere Oberkategorien entwickelt. Die Oberkategorie 8 Art der Frage dient der Differenzierung der identifizierten Fragen in den Chat-Sequenzen. Dabei wird nach zwei Unterkategorien unterschieden: 8.1 Frage, die zu kurzen Antworten einlädt und 8.2 Frage, die zu langen Antworten einlädt. Die Oberkategorie 9 Inhalt der Antwort dient der Differenzierung zwischen den verschiedenen Formen, mit denen die Chat-Tutorinnen und Chat-Teilnehmer die im Chat gestellten Fragen beantworten und sich zum behandelten Thema äußern. Die Unterkategorien der Oberkategorie 9 sind: 9.1 Gefühl und Eindruck; 9.2 Beurteilung menschlichen Verhaltens; 9.3 Bild von einem Land oder einem Ort. In Tabelle 21 wird ein Überblick über die entwickelten Oberkategorien und ihre jeweiligen Unterkategorien für die Analyse der kulturbezogenen Fragen im Chat gegeben. Dabei wird Bezug auf die in Kapitel 4.3 aufgestellten Forschungsfragen genommen. Oberkategorie Unterkategorien Zu erwartender Erkenntnisgewinn Oberkategorie 8: Arten kulturbezogener Fragen 8.1 Frage, die zu kurzen Antworten einlädt Identifikation der Art der einzelnen Fragen (Forschungsfrage 3.1 und 3.2) 8.2 Frage, die zu langen Antworten einlädt Oberkategorie 9: Inhalte der Antworten auf kulturbezogene Fragen 9.1 Gefühl und Eindruck Identifikation der Inhalte der Antworten auf die gestellten sprachbezogenen Fragen (Forschungsfrage 3.3) 9.2 Beurteilung menschlichen Verhaltens 9.3 Bild von einem Land oder einem Ort Tab. 21: Überblick über das Kategoriensystem für die Analyse der kulturbezogenen Fragen im Chat Jede in Tabelle 21 präsentierte Unterkategorie wird in den jeweiligen kommenden Analysekapiteln zu den Oberkategorien definiert und mit Beispielen diskutiert. <?page no="264"?> 264 9.9.2 Überblick über die ausgewählten Sequenzen Es wurden insgesamt fünf Sequenzen aus tutorierten Chat-Stunden ausgewählt. 21 In Tabelle 22 werden Informationen zu diesen fünf Sequenzen gegeben. Die Themen der Sequenzen umfassen Beruf und Reisen, Politik, Feste, Deutschland sowie Religion und Glaube. Jede Sequenz trägt einen Titel, der eine originelle Äußerung eines Chat-Teilnehmers oder einer Chat-Tutorin ist und zum Thema der Interaktion passt (vgl. Tab. 22). Sequenz Thema Titel Teilnehmer Logs Dauer A aus dem Chat- Protokoll G/ 02.09.07 Beruf und Reisen „ic war damals ein seeman“ 3 10 Ca. 18 Min. B aus dem Chat- Protokoll G/ 02.09.07 Politik „ich finde unser praesident hammerbloed“ 3 15 Ca. 30 Min. C aus dem Chat- Protokoll H/ 23.11.07 Feste „am morgen ist ein Festtag in Thailand“ 6 29 Ca. 30 Min. D aus dem Chat- Protokoll D/ 10.11.07 Autos „Deutschland ist ein Autoland“ 4 21 Ca. 46 Min. E aus dem Chat- Protokoll E/ 04.09.07 Religion und Glaube „oh wie kann man an Gott nicht glauben“ 7 29 Ca. 34 Min. Tab. 22: Informationen zu den ausgewählten Sequenzen für die Analyse der kulturbezogenen Fragen im Chat Die Zahl der Teilnehmer, die sich in den jeweiligen Sequenzen unterhielten, variiert von 3 bis 7 Personen. Die Häufigkeit der Logs zeigt, wie die Fluktuation der Besucher während der untersuchten Interaktion im Chat ist. 21 Wie in Kap. 5.3.1. bereits erläutert wurde, wurden diese Sequenzen ausschließlich aus tutorierten Stunden entnommen, da davon ausgegangen wurde, dass die Anwesenheit der Tutorinnen eine entscheidende Rolle für die Entwicklung interkultureller Diskussionen spielt. <?page no="265"?> 265 Logs sind die sogenannten automatisch generierten Informationen, die im Hauptchat-Raum zu lesen sind und zeigen, wer den Raum betritt und/ oder verlässt. Aus Tabelle 18 lässt sich ersehen, dass diese Fluktuation in den jeweiligen Sequenzen unterschiedlich ist. Während in der Sequenz A beispielsweise lediglich 10 Logs identifiziert worden sind, sind in den Sequenzen C und E 29 Logs gefunden worden. Die Sequenzen dauerten darüber hinaus unterschiedlich lang. Die kürzeste Sequenz ist die Sequenz A mit ca. 18 Minuten Diskussion zum untersuchten Thema, die längste Sequenz die Sequenz D mit 46 Minuten. Im Folgenden möchte ich die fünf ausgewählten Sequenzen zusammenfassen, um einen einführenden Überblick über sie zu geben. Es lässt sich zunächst ausführen, dass die Sequenzen A, B und D, die am wenigsten Chat- Teilnehmer und Logs hatten, nach deutscher Zeit vormittags stattfanden. Der Austausch in diesen Sequenzen verlief intensiver zwischen den Tutorinnen und einem einzigen Chat-Teilnehmer, während der Austausch in den Sequenzen C und E, die am meisten Chat-Teilnehmer und Logs hatten und nach deutscher Zeit abends stattfanden, weniger auf die Tutorinnen zentriert war. In der Sequenz A „ic war damals ein seeman“ geht es um den Anfang einer tutorierten Stunde. Wie üblich an einem Gesprächsanfang im JETZT Deutsch lernen-Chat handelt es sich zunächst um eine Kennlernphase der Chat-Besucher. Die Chat-Teilnehmer fragen sich gegenseitig nach ihren Herkunftsländern bzw. Herkunftsstädten. Daraus entwickelt sich hier das Thema, da einer der Chat-Teilnehmer bereits im Land seines Kommunikationspartners war. Sie erzählen sich gegenseitig, was sie beruflich machen und welche persönlichen Erfahrungen und Eindrücke im Rahmen der erzählten Reise gemacht wurden. Der Austausch in dieser Sequenz findet lediglich zwischen der Tutorin G und zwei anderen Chat-Teilnehmer statt, weswegen der Schwerpunkt dieser Unterhaltung auf den Erfahrungen eines einzelnen Chat-Teilnehmers liegt. Diese Sequenz fand nach deutscher Zeit um 11 Uhr statt und hatte innerhalb von ca. 18 Minuten 10 Logs. In der Sequenz B „ich finde unser praesident hammerbloed“ geht es zunächst um die Pläne eines Chat-Teilnehmers zum Deutschlernen. In dieser Sequenz, die von der Mitte einer tutorierten Stunde bis zum Ende dieser Stunde geht, erklärt ein Chat-Teilnehmer, warum er nach Deutschland gehen möchte und warum er mit der politischen Situation seines Landes unzufrieden ist. Seine Äußerungen veranlassen die Tutorin dazu, die anderen der Chat-Teilnehmer zu fragen, welche Meinung sie zum behandelten Thema haben. Die Chat-Teilnehmer und die Tutorin tauschen sich über politische Ereignisse aus bis die Tutorin die Unterhaltung unterbricht, weil ihre Arbeitszeit beendet ist. Wie in der Sequenz A findet der Austausch in der Sequenz B <?page no="266"?> 266 lediglich zwischen der Tutorin G und zwei anderen Chat-Teilnehmer statt, so dass der Schwerpunkt dieser Unterhaltung auf den persönlichen Äußerungen über die Politik des Landes eines einzelnen Chat-Teilnehmers liegt. Diese Sequenz fand nach deutscher Zeit um 11.30 Uhr statt und hatte innerhalb von ca. 30 Minuten 15 Logs. In der Sequenz C „am morgen ist ein Festtag in Thailand“ erfolgt eine Diskussion über Feste und Feiertage in den unterschiedlichen Ländern der Chat-Teilnehmer. Ein Teilnehmer berichtet, dass es am nächsten Tag in seinem Land ein Fest geben wird, und sowohl die Tutorin als auch die anderen anwesenden Chat-Teilnehmer stellen Fragen über dieses Fest. Daraufhin erzählen sie sich gegenseitig von ähnlichen Festen aus ihren eigenen Ländern. Der Austausch in dieser Sequenz findet zwischen der Tutorin H und fünf anderen Chat-Teilnehmer statt, wobei der Schwerpunkt dieser Unterhaltung auf einem Vergleich zwischen Festen in den Ländern der einzelnen Chat- Teilnehmer liegt. Bemerkenswert ist die höhere Fluktuation von Besuchern in dieser Sequenz, die nach deutscher Zeit um 18 Uhr stattfand und innerhalb von ca. 30 Minuten 29 Logs hatte. In der Sequenz D „Deutschland ist ein Autoland“ geht es um einen Austausch über deutsche Automarken. Die Tutorin I eröffnet ihre Stunde und erzählt, dass sie aufgrund des schlechten Wetters in ein Automuseum gehen möchte. Obwohl einer der Chat-Teilnehmer sagte, dass er sich für das Thema Autos nicht interessiert, stellt die Tutorin viele Fragen zu diesem Thema im Chat. Trotz des Desinteresses dieses einen Chat-Teilnehmers unterhält er sich mit der Tutorin darüber. Andere Chat-Teilnehmer betreten den Raum und werden von der Tutorin befragt. Die Interaktion ähnelt durch die zahlreichen Fragen der Tutorin einem Quiz über Autos, durch das die Tutorin versucht, die Besucher zum Teilnehmen animieren. Die Tutorin beantwortet selbst viele ihrer Fragen und wird von diesem einen Chat-Teilnehmer, der nicht mit der Auswahl des Themas zufrieden war, wegen ihres Verhaltens bzw. ihrer Äußerungen kritisiert. Obwohl sich an dieser Sequenz vier Personen beteiligen, findet der Austausch intensiver zwischen der Tutorin und dem Chat- Teilnehmer statt, der die Tutorin kritisiert. Der Schwerpunkt dieser Unterhaltung liegt daher auf dem von der Tutorin ausgewählten Thema „Autos“ und auf der Kritik des Chat-Teilnehmers über die Äußerungsformen der Tutorin. Die Sequenz fand nach deutscher Zeit um 11 Uhr statt und hatte innerhalb von ca. 46 Minuten 21 Logs. In der Sequenz E „oh wie kann man an Gott nicht glauben“ findet ein intensiver Austausch über Religion und Glaube statt. Die Sequenz beginnt mit der Frage der Tutorin darüber, was die Teilnehmer machen würden, wenn sie richtig viel Geld hätten. Die Chat-Teilnehmer äußeren ihre unterschiedlichen Vorstellungen und begründen diese. Bei der Begründung ihrer Antworte <?page no="267"?> 267 kommen die Chat-Teilnehmer dazu, sich über Gott und Glauben zu unterhalten. In der Diskussion stellen die Chat-Teilnehmer Gemeinsamkeiten und Unterschiede in ihrem Verständnis von Gott und Glauben fest. Während manche Chat-Teilnehmer versuchen, die Perspektive der Anderen zu verstehen, zeigen andere Chat-Teilnehmer eine gewisse religiöse Intoleranz. Der Austausch in dieser Sequenz findet zwischen der Tutorin C und sechs anderen Chat-Teilnehmer statt, und der Schwerpunkt der Unterhaltung liegt auf dem Vergleich der unterschiedlichen Meinungen und Glaubenseinstellungen. Die Sequenz fand nach deutscher Zeit um 19 Uhr statt und hatte innerhalb von ca. 34 Minuten 29 Logs. 9.9.3 Arten kulturbezogener Fragen Um die in den ausgewählten Sequenzen identifizierten kulturbezogenen Fragen auszuwerten, wurde zunächst die Oberkategorie 8 Arten kulturbezogener Fragen entwickelt. In Anlehnung an die Studie von Belz (2007: 144ff.) wird zwischen zwei Unterkategorien zu dieser Oberkategorie unterschieden: 8.1 Frage, die zu kurzen Antworten einlädt und 8.2 Frage, die zu langen Antworten einlädt. Der Unterkategorie 8.1 werden Fragen zugeordnet, die die Chat-Teilnehmer dazu bringen, kurze Antworte zu allgemeinen Fakten, Ereignissen oder Erfahrungen zu geben. Der Unterkategorie 8.2 werden im Vergleich zur Kategorie 8.1 Fragen und Aufforderungen zugeordnet, die die Chat-Teilnehmer eher dazu bringen, ihre Antworten ausführlicher zu formulieren sowie ihre Erfahrungen oder Meinungen vertieft zu erläutern. In Auszug 88 sind Beispiele für die Fragen aus der Unterkategorie 8.1 Frage, die zu kurzen Antworten einlädt und ein Beispiel aus der Unterkategorie 8.2 Frage, die zu langen Antworten einlädt zu lesen, wobei es sich in diesem Beispiel eher um eine Aufforderung zum Erzählen handelt. In dieser Sequenz lernen sich die Teilnehmer kennen, weswegen sich die Chat-Teilnehmer gegenseitig Fragen stellen wie „woher kommst du? “, „wo wohnst du? “, „was hast du beruflich gemacht? “ usw. Auszug aus der Sequenz A „ic war damals ein seeman“ (10: 57: 40) Marcelo: woher kommst du? (10: 57: 55) Rafaello: aus istanbul (10: 58: 04) Rafaello: und du? (10: 58: 11) Marcelo: aus amerika (10: 58: 37) Rafaello: gut (10: 58: 37) Rafaello: gut → Frage, die zu kurzen Antworten einlädt → Frage, die zu kurzen Antworten einlädt <?page no="268"?> 268 (10: 59: 31) Rafaello: welcshem platz wohtsdu? (10: 59: 52) Marcelo: ich wohne im nordwesten (11: 00: 24) Rafaello: und weschem stadt? (…) (11: 00: 53) Marcelo: ich wohne in portland, das ist ungefaehr 3 stunden suedlich von seattle (11: 01: 31) Rafaello: ich war ein mal in portland mit schiff (11: 02: 01) Marcelo: echt? in oregon? (11: 02: 30) Rafaello: welsche nasionalitet bit du? (11: 02: 36) Marcelo: amerikaner (11: 02: 45) Rafaello: ja wiklich (11: 03: 06) Marcelo: und was hast du hier gemacht? (11: 03: 18) Rafaello: ich bin türke (…) (11: 03: 44) Rafaello: ic war damals ein seeman (…) (11: 06: 05) Tutorin G: Du bist einmal ein Seemann gewesen, Rafaello? (11: 06: 14) Tutorin G: Erzähl uns davon! (11: 06: 56) Tutorin G: Warst du ein Matrose bei der Armee? (11: 07: 13) Rafaello: die zeit ist besten zeit in meinem leben (11: 07: 51) Tutorin G: Ja, das glaube ich dir. (…) (11: 08: 28) Rafaello: ich habe allem lender am meer gereizen (11: 08: 34) Marcelo: bist du zur Roseparade in portland gegangen? → Frage, die zu kurzen Antworten einlädt → Frage, die zu kurzen Antworten einlädt → Frage, die zu kurzen Antworten einlädt → Frage, die zu kurzen Antworten einlädt → Frage, die zu kurzen Antworten einlädt → Frage, die zu kurzen Antworten einlädt → Aufforderung, die zu langen Antworten einlädt → Frage, die zu kurzen Antworten einlädt → Frage, die zu kurzen Antworten einlädt <?page no="269"?> 269 (…) (11: 09: 37) Rafaello: ich glaube nein (…) (11: 10: 00) Diego.: Hallo Tutorin (11: 10: 32) Rafaello: ich habe fillen stadte in usa besuhen (…) (11: 10: 46) Marcelo: normaleweise kommen alle die matrosen waehrend der Roseparade (…) (11: 11: 17) Tutorin G: Was ist denn die Roseparade, Marcelo? → Frage, die zu langen Antworten einlädt Auszug 88: Beispiele für die Unterkategorie 8.1 Frage, die zu kurzen Antworten einlädt Aus Auszug 88 lässt sich ersehen, dass der Chat-Teilnehmer Rafaello von seinem Beruf erzählt und dass er um 11: 07: 13 sagt, dass die Zeit, als er noch berufstätig war, die beste Zeit seines Lebens war. Die Tutorin G zeigt Interesse an seiner Geschichte und fordert Rafaello auf, mehr von seinem beruflichen Leben zu erzählen. Diese Aufforderung der Tutorin fungiert wie eine Frage, die zu langen Antworten einlädt. Nach der Aufforderung der Tutorin G erzählt der Chat-Teilnehmer Rafaello von seinen Lebenserfahrungen, Gefühlen und Erlebnissen. Die Tutorin und die anderen Chat-Teilnehmer stellen ihm weitere Fragen und damit entwickelt sich ein persönlicher Austausch. Die Tutorin G, die diese Interaktion moderiert und in ihrer Position als Tutorin eine zentrale Rolle für die Förderung des interkulturellen Lernens spielt, stellt jedoch im Nachhinein sehr wenige Fragen, die die Teilnehmer dazu bringen könnten, ihre Berichte zu vertiefen. Es wäre daher von der Tutorin bzw. von der Lehrperson zu erwarten, dass sie mehr Wie- oder Warum-Frage stellen würde, um beispielsweise Rafaello dazu zu bringen, mehr von seinen Gefühlen und Eindrücke aus seiner beruflichen Zeit zu erzählen und damit einen interkulturellen Austausch zu ermöglichen (vgl. Krumm 2007, Kap. 9.7). Wie Belz (2007: 144) ausführt, sollen Wie- und Warum-Fragen im interkulturellen Austausch häufiger vorkommen, weil diese Art von Fragen die Lernenden über einen reinen Austausch von Fakten hinausbringen. Bei diesen Fragen können die Lernenden sich gegenseitig ihre persönliche Meinungen, Glauben und Vorurteile erzählen, und dies sei für die Förderung des interkulturellen Austauschs unerlässlich. Die Tutorin G ist diejenige Tutorin, die sich explizit gegen die Bezeichnung des JETZT Deutsch lernen-Chats als interkultureller <?page no="270"?> 270 Chat positionierte (vgl. Kap. 9.8). Für diese Tutorin sind die Themen, die im untersuchten Chat diskutiert werden, nicht kulturbezogen genug, d.h. für diese Tutorin ist ein Austausch über Reisen, Erfahrungen und Erlebnisse - auch wenn er kurz wie in dieser Sequenz ist - kein interkultureller Austausch. Der Tutorin G zufolge wäre z.B. ein Austausch über Literatur ein richtiger interkulturelle Austausch. Diese Position der Tutorin zeigt, dass sie ein engeres Verständnis des Konzepts von interkulturellem Lernen hat und trotz ihrer Funktion die Möglichkeit verpasst, den Austausch vertiefend zu führen (vgl. Kap. 9.4). In Auszug 89 sind drei Beispiele für Fragen aus der Unterkategorie 8.2 Frage, die zu langen Antworten einlädt wie Wie- und Warum-Fragen. Hier geht es um eine Diskussion über Gläubige und Ungläubige. Der Chat-Teilnehmer Miro möchte besser verstehen, warum manche Chat-Teilnehmer meinen, dass Ungläubige in die Hölle gehen müssen. Auszug aus der Sequenz E „oh wie kann man an Gott nicht glauben“ (19: 26: 59) Mary: doch wie wenig lassen sie sich Mahnen! sag ihnen,die an Mich nicht glauben dass es für sie eine schlechte Passion gibt (19: 27: 02) Mary: Miro (19: 27: 24) Mary: es gibt für diese menschen schon die Hölle (19: 27: 27) Mary: das ist genug (19: 27: 27) Clementina: Hoelle ist Platz wo menschen leiden (19: 27: 39) Miro: warum? ? (19: 27: 41) Benjamin: es ist sehr sinnvoll,nicht zu sein (19: 27: 44) Clementina: wegen suende (19: 27: 46) Miro: das ist nicht gut (19: 27: 59) Silvio: Der Mensch der in die Hoelle kommt der will nicht anders denn der will nicht an Gott glauben (19: 28: 13) Clementina: oder Sein wille machen (19: 28: 35) Mary: ja Silvio hast Recht... sie glauben an Gott nicht obwohl Gott sie warnt → Frage, die zu langen Antworten einlädt <?page no="271"?> 271 (19: 29: 00) Clementina: sie glauben an Gott denn sie stolz sind (19: 29: 01) Silvio: Danke Mary dass du mir einverstanden bist! (19: 29: 06) Miro: die nicht glaubende sind manchmal besser als die glaubende (19: 29: 11) Clementina: nein (19: 29: 14) Clementina: wieso? (19: 29: 15) Mary: : ) ich bedanke mich auch bei dir! (19: 29: 36) Silvio: Ich haette nicht erwartet dass wir hier so einen tiefsinnigen Gespraech haben sollten (19: 29: 45) Tutorin C: ich moechte trotzdem nicht das ihr Bekehrungseifer macht (19: 30: 01) Mary: Miro manchen machen nach! ! ! ! ! ! ! (19: 30: 05) Benjamin: trotz mir haben wir so tief gesprochen : ) (19: 30: 23) Silvio: Tutorin ich bekehre keinen Menschen (19: 30: 28) Mary: es ist zu schwer zu verstehen wer Gläubige und wer Ungläubige ist (19: 30: 32) Miro: so warum mussen sie auch ins Hoelle gehen? ? (…) (19: 30: 55) Silvio: Also habe keine Angst aber ich erzaehel Leuten gerne die schoenste Botschaft die moeglich ist (19: 31: 00) Clementina: Denn sie machen Suende, sie machen keine Busse und Beichte! (19: 31: 08) Silvio: Genau (19: 31: 14) Mary: ja (19: 31: 18) Miro: nein → Frage, die zu langen Antworten einlädt → Frage, die zu langen Antworten einlädt Auszug 89: Beispiele für die Unterkategorie 8.2 Frage, die zu langen Antworten einlädt <?page no="272"?> 272 Aus Auszug 89 lässt sich ersehen, dass in einem Austausch über Werte, Glauben und Vorurteile Fragen, die zu langen Antworten einladen, häufiger vorkommen, da die Chat-Teilnehmer die Perspektive und die Meinung ihrer Kommunikationspartner verstehen und hinterfragen wollen. Der Austausch wird durch diese Fragen intensiver und vertiefend, da diese Art von Fragen die Lernenden dazu bringen, ihre Äußerungen und Meinungen besser zu erläutern. Die Chat-Teilnehmerin Mary zeigt mit ihrer Äußerung um 19: 27: 24 „es gibt für diese menschen schon die Hölle“ eine gewisse religiöse Intoleranz gegenüber denjenigen, die nicht an Gott glauben. Einer ihrer Kommunikationspartner Miro ist mit dieser Denkweise nicht einverstanden und fragt um 19: 27: 39 „warum“. Andere Chat-Teilnehmer wie Benjamin, Clementina und Silvio äußern ihre Meinungen dazu. In diesem Meinungsaustausch freut sich der Chat-Teilnehmer Silvio um 19: 20: 01 darüber, dass er im Chat Leute findet, die wie er denken. Er äußert um 19: 29: 36 seine Überraschung, ein vertieftes Gespräch im Chat durchführen zu können. Bezüglich des Verhaltens der Tutorin C in dieser Sequenz lässt sich ausführen, dass sie sich meistens während des ganzen Austauschs weitgehend zurückhält, wenige Fragen stellt und lediglich um 19: 29: 45 sagt, dass sie nicht möchte, dass die Chat-Teilnehmer „ein Bekehrungseifer machen“. Trotz dieses zurückhaltenden Verhaltens der Tutorin C, die den JETZT Deutsch lernen-Chat als interkulturell allein aufgrund der unterschiedlichen Nationalitäten der Chat-Besucher betrachtet (vgl. Kap. 9.8), werden die Chat-Teilnehmer dazu gebracht, ihre unterschiedlichen Antworten besser zu erläutern und zu begründen. Das geschieht aufgrund des erhöhten Engagements der Chat- Besucher und nicht aufgrund des Verhaltens dieser Tutorin. Dieses Ergebnis weist in dieselbe Richtung wie die Ergebnisse aus den Kapiteln 7.8.3, 7.8.6 und 8.3.4, in denen ein Rollenwechsel im untersuchten Chat-Raum festgestellt wurde (vgl. Platten 2003: 166). Die Interaktion im JETZT Deutsch lernen-Chat zwischen den Tutorinnen und den Chat-Teilnehmern ist wenig lehrerzentriert bzw. tutorzentriert, und die Chat-Teilnehmer fühlen sich frei, nicht nur einander zu korrigieren, sondern auch einander Fragen zu stellen und ohne den Einfluss der Tutorinnen eine vertiefende Diskussion miteinander zu führen. Aus Auszug 89 sowie der ganzen Sequenz E lässt sich ersehen, wie die Chat-Teilnehmer diejenigen sind, die einander zur Reflexion bringen und versuchen, fremde Perspektiven zu verstehen und ihre eigenen Perspektiven besser zu erklären. Der interkulturelle Lernprozess wird daher im JETZT Deutsch lernen-Chat nicht nur von den Tutorinnen initiiert und gefördert, sondern auch von engagierten Lernenden, die sich gegenseitig Fragen stellen und ihre Antworten erklären. Auszug 90 aus der Sequenz B ist ein Beispiel dafür, wie, trotz des Versuchs der Tutorin G, die Chat-Teilnehmer zu langen Antworten einzuladen, andere <?page no="273"?> 273 Faktoren den Meinungsaustausch im untersuchten Chat beeinflussen können. Hier unterhält sich die Tutorin G mit den Chat-Teilnehmern über amerikanische Politik. Die Tutorin möchte die Meinung der Chat-Teilnehmer zu diesem Thema kennen lernen und stellt daher die Frage „Was denkt ihr über die amerikanische Politik? “. Auszug aus der Sequenz B „ich finde unser praesident hammerbloed“ (11: 38: 02) Marcelo: dann muessen wir ueber die amerikanische politik reden (11: 38: 46) Marcelo: ich finde unser praesident hammerbloed (11: 38: 49) Tutorin G: Das habe ich mir fast gedacht... (11: 39: 09) Tutorin G: : -) (…) (11: 39: 25) Marcelo: er denkt nur an selbst (11: 39: 49) Marcelo: verstehst du mich? (11: 40: 07) Tutorin G: Der Chef? (11: 40: 39) Marcelo: du kannst mich korrigieren wenn ich fehler schreibe (11: 40: 53) Marcelo: ja der chef Bush (11: 41: 26) Tutorin G: Okay, denn es heißt richtig: Er denkt nur an sich selbst. (11: 41: 57) Tutorin G: Denken ist ein reflexives Verb. (11: 41: 57) Marcelo: seine politik macht wennig sinn (11: 41: 57) Marcelo: danke (11: 42: 06) Tutorin G: Die anderen Chatter: Was denkt ihr über die amerikanische Politik? (11: 44: 18) Tutorin G: Hui, ein schwieriges Thema, über das niemand sprechen will. (…) (11: 45: 11) Justus: ich denke nicht so gut über die amerikanische politik → Frage, die zu langen Antworten einlädt <?page no="274"?> 274 (…) (11: 45: 46) Marcelo: bush gibt so viel geld fuer den krieg aus, und es gibt so viele kinder in die usa, die keine gesundversicherung haben (11: 46: 11) Marcelo: ich finde das wahnsinnig (11: 46: 25) Tutorin G: Ja, darüber kam letztens ein interessanter Bericht im Fernsehen! (11: 46: 58) Tutorin G: Kinder aus normalen Arbeiterfamilien haben Zahnschmerzen, weil sie kein Geld für den Zahnarzt haben! (11: 47: 30) Marcelo: genau, und bush will mehr geld fuer den krieg haben Auszug 90: Beispiele für die Unterkategorie 8.2 Frage, die zu langen Antworten einlädt Der Austausch in diesem Auszug verläuft praktisch nur zwischen der Tutorin G und Marcelo. Die Tutorin versucht mit ihrer Frage um 11: 42: 06 „Was denkt ihr über die amerikanische Politik“, alle anwesenden Teilnehmer zum Austausch zu gewinnen. Der Austausch erfolgt weiterhin lediglich über Marcelo und die Tutorin G. Obwohl der Chat-Teilnehmer Justus seine Meinung dazu um 11: 45: 11 kurz äußert, fragt die Tutorin nichts Weiteres. Sie übersieht möglicherweise die Äußerung von Justus und verpasst folglich die Gelegenheit, seine Meinung besser zu verstehen und ihn für den Austausch zu gewinnen. Auch die anderen anwesenden Chat-Teilnehmer reagieren nicht auf die Frage der Tutorin, die eigentlich zu langen Antworten einladen sollte. Die Tutorin selbst wundert sich über die Ruhe im Chat, die nach ihrer Frage für über 2 Minuten herrscht und sagt um 11: 44: 18 „Hui, ein schwieriges Thema, über das niemand sprechen will“. Wie Crystal (2001) erklärt, kann das lange Schweigen bzw. die lange Ruhe im Chat mehrere Bedeutungen haben (vgl. Kap. 3.1.2). Die Chat-Teilnehmer können laut Crystal zum Zeitpunkt der Frage entweder nicht genug aufmerksam sein, oder sie sind tatsächlich physisch nicht präsent, obwohl sie den Chat-Raum nicht verlassen haben. Aber in einem didaktisierten Chat für das Erlernen einer Fremdsprache können auch andere Gründe dieses ruhige Verhalten bzw. das Schweigen erklären. Wie die Tutorin selbst in ihrer Äußerung vermutet, reagieren die Chat-Teilnehmer nicht auf ihre Frage, weil sie ein schwieriges Thema - nämlich Politik - an- <?page no="275"?> 275 spricht und/ oder, weil sie sprachlich nicht in der Lage sind, sich über ein dieses Thema zu äußern. Die genaueren Gründe sind jedoch aus dem Chat- Protokoll nicht ersichtlich. Auszug 91 ist ein weiteres Beispiel dafür, wie eine Frage der Tutorin H zu langen Antworten und zu einem interkulturellen Vergleich einlädt. In dieser Sequenz erzählt die Chat-Teilnehmerin Tatiana über ein Fest in ihrem Land und sagt, dass es sich ihrer Meinung nach um das „bezauberndste Fest“ in ihrem Land handelt. Die Tutorin H zeigt Interesse an ihrer Aussage und fragt, was genau dieses Fest ist. Danach fragt die Tutorin H, ob die Chat-Teilnehmerin Tatiana den Grund für ein Fest in ihrem Land erläutern kann. Tatiana erklärt ihrerseits, dass das Fest aufgrund des Vollmonds im November veranstaltet wird. In diesem Auszug erzählt die Chat-Teilnehmerin Tatiana um 18: 11: 31, dass das Fest in ihrem Land das bezauberndste Fest des Jahres ist. Obwohl die Tutorin eine Frage stellt, die zu kurzen Antworten einlädt, erzählt Tatiana mehr von ihrem Fest. Danach fragt die Tutorin weiter, warum auf diesem Fest mit Kerzen-Körbchen gefeiert werde. Die Chat-Teilnehmerin äußerte ihre Schwierigkeit, weitere Details über dieses Fest auf Deutsch zu geben. Die Tutorin ihrerseits fragt einen anderen Chat-Teilnehmer über Feste in seinem Land. Damit versucht die Tutorin, einen interkulturellen Vergleich zu initiieren. Sie verpasst jedoch auch die Chance, Tatiana weitere Fragen über ihre Erfahrungen und Eindrücke von diesem Fest in ihrem Land zu stellen und ihr sprachlich zu helfen. Die anderen Teilnehmer im Chat erzählen über ähnliche Feste in ihren Ländern und so gelingt der Vergleichsversuch der Tutorin. Die Chat-Teilnehmer berichten kurz über Feste in ihren Ländern und ihre Traditionen und Geschichte. Dabei erzählen sie auch, wie sie diese Feste wahrnehmen und erfahren - ebenso wie Tatiana meinte, dass das Fest in ihrem Land für sie das bezauberndste Fest des Jahres wäre. In diesem Austausch der Sequenz C liegt der Schwerpunkt der Diskussion auf der Vermittlung von Fakten und dem Vergleich zwischen den Ländern. Damit erfahren die Chat-Teilnehmer Näheres über die Kultur ihrer Kommunikationspartner und sammeln Erfahrungen mit Fremden und fremden Sachen im Sinne von Byram (1997: 70, „experience[s] of otherness“ im Original), was für die Förderung des interkulturellen Lernens wichtig ist. Wie in der Studie von Melo (2006: 482) zeigt dieses Beispiel darüber hinaus, dass Vergleiche über kulturbezogene Themen zu einem vertiefenden Austausch individueller Meinungen und Erfahrungen führen können (vgl. Kap. 9.7). <?page no="276"?> 276 Auszug aus der Sequenz C „am morgen ist ein Festtag in Thailand“ (18: 11: 31) Tatiana: Loi-Kratong - Das bezauberndste Fest des Jahres- Körbchen mit brennenden Kerzen werden zu Wasser gelassen (18: 11: 38) Tutorin H: Was ist Loi Kratong? (18: 11: 42) Tutorin H: Hi Nelson! (18: 11: 48) Bruno: Die ersten Siedler war dankbar fuer gutes Ernte im Jahre 1621 (18: 11: 49) Nelson: hi Tutorin : ) (18: 12: 05) Tatiana: hi Nelson ; ) (18: 12: 12) Nelson: hallo Tatiana : D (18: 12: 29) Tutorin H: Oh, hoert sich schoen an? Gibt es einen Grund fuer die Kerzen-Koerbchen? (18: 12: 41) Tatiana: es ist Vollmond im November in Thailand (18: 12: 48) Tutorin H: Bruno, bei euch war Erntedankfest? (18: 13: 45) Tatiana: kerzen -körbchen es ist aus Bananen blätter und baum (18: 14: 03) Tatiana: oder aus Lotus (…) (18: 14: 34) Tatiana: aber es ist sehr schwer zu erklären..... Tutorin (18: 14: 39) Tutorin H: Hallo Christian! Gibt es bei euch auch ein Erntedankfest? (18: 15: 00) Christian: Hallo. Ja. Das haben wir auch. → Frage, die zu langen Antworten einlädt Auszug 91: Beispiel für die Unterkategorie 8.2 Frage, die zu langen Antworten einlädt Es lässt sich in diesem Kapitel noch die Frage stellen, wie häufig die entwickelten Unterkategorien für die Analyse der Arten der Fragen in den ausgewählten Sequenzen vorkommen. Aus Tabelle 23 geht hervor, dass für die Unterkategorie 8.1 Frage, die zu kurzen Antworten einlädt 81 Fälle und für die <?page no="277"?> 277 Unterkategorie 8.2 Frage, die zu langen Antworten einlädt 22 Fälle identifiziert wurden. Sequenz Oberkategorie 8: Arten kulturbezogener Fragen 8.1 Frage, die zu kurzen Antworten einlädt 8.2 Frage, die zu langen Antworten einlädt A: „ic war damals ein seeman“ 15 1 B: „ich finde unser praesident hammerbloed“ 4 4 C: „am morgen ist ein Festtag in Thailand“ 12 1 D: „Deutschland ist ein Autoland“ 26 1 E: „oh wie kann man an Gott nicht glauben“ 24 15 Gesamt 81 22 Tab. 23: Häufigkeit der Oberkategorie 8 Arten kulturbezogener Fragenn Die höhere Häufigkeit der Unterkategorie 8.1 zeigt, dass die analysierten Sequenzen überwiegend von einem Austausch von Informationen, Fakten und Vergleichen über die Länder und Kulturen der jeweiligen Chat-Teilnehmer charakterisiert sind. Im Vergleich zu diesem Ergebnis ist die Unterkategorie 8.2 weniger häufig, d.h. die Chat-Teilnehmer werden in den analysierten Sequenzen seltener dazu gefragt, welche Meinungen und/ oder Erfahrungen sie zum behandelten Thema haben und ob sie mehr davon erzählen können. Aus diesen Ergebnissen lassen sich Rückschlüsse auf die Qualität des Diskurses in den untersuchten Chat-Sequenzen ziehen. Für Hu (1999) findet interkulturelle Kommunikation statt, wenn ein Austausch über die Vermittlung von Fakten hinausgeht und zu einem Austausch von Interpretationen und Stellungnahmen zu kulturbezogenen Themen wird (vgl. Kap. 9.4). Aus diesem Grund ist für die Autorin wichtig, auf die Inhalte des Austauschs zu achten, um beurteilen zu können, wie ideal der in diesem Austausch stattfindende Diskurs für die Förderung des interkulturellen Lernens ist. Einerseits lässt sich als Ergebnis der vorliegenden Auswertung ausführen, dass die Qualität des Diskurses in den analysierten Sequenzen aufgrund der häufigen Vermittlung von Fakten und der Durchführung von nur kurzen Vergleichen zu kulturbezogenen Themen nicht als ideal für das interkulturelle Lernen im <?page no="278"?> 278 Sinne von Hu betrachtet werden kann. Die Tutorinnen und die Chat-Teilnehmer versuchen zwar, die Erfahrungen und Gefühle von denjenigen, die im Chat etwas erzählen, kennen zu lernen und zu verstehen. Sie verpassen jedoch gleichzeitig die Chance, sich vertiefend über diese Berichte auszutauschen (vgl. beispielsweise die Auszüge 83 aus der Sequenz A und 86 aus der Sequenz C). Fast alle analysierten Sequenzen bestehen aus kurzen Aussagen über persönliche Erfahrungen, die jedoch kaum begründet und ausführlicher beleuchtet werden. Die Fragen und Aufforderungen der Tutorinnen, die zu langen Antworten einladen, sind nicht häufig genug und so beziehen sich die meisten Äußerungen der Chat-Teilnehmer auf Fakten und nicht auf die Erläuterung von Bewertungen, Gefühlen und Erfahrungen. Die Sequenz E „oh wie kann man an Gott nicht glauben“ ist die einzige analysierte Sequenz, die anders verläuft, und der Diskurs ist dadurch qualitativ ein anderer. Wie Auszug 89 aus dieser Sequenz zeigt, tauschen sich die Chat-Teilnehmer trotz des zurückhaltenden Verhaltens der Tutorin intensiv über ihre Werte, Glauben und Meinungen aus. Fragen, die zu langen Antworten einladen, sind in dieser Sequenz im Vergleich zu allen anderen Sequenzen am häufigsten (vgl. Tab. 19). Es lässt sich daher ausführen, dass die Qualität des stattfindenden Diskurses in der Sequenz E im Sinne von Hu besser für das interkulturelle Lernen ist, da sich die Chat-Teilnehmer sehr interessiert am Thema der Interaktion zeigen. Betrachtet man andererseits die Tatsache, dass in den hier analysierten Interaktionen überhaupt gefragt und geantwortet wird und die Chat-Teilnehmer die Möglichkeit erhalten, sich persönlich über kulturbezogene Themen auszutauschen sowie über Glauben, Werte und Vorstellungen in einer freundschaftlichen Atmosphäre zu äußern, kann man das narrative Potenzial des JETZT Deutsch lernen-Chats erkennen, was für Rösler (2006: 76) einer der wichtigsten positiven Beiträge der technologischen Entwicklung für das interkulturelle Fremdsprachenlernen ist (vgl. Kap. 9.7 sowie Biebighäuser/ Marques-Schäfer 2011: 211f.). Belz (2007: 144) betont, dass das Fragen und das Antworten sehr wichtig für die Etablierung interpersoneller Beziehungen im interkulturellen Austausch sind. Der Erfolg eines interkulturellen Austauschs liegt der Autorin zufolge in der konsequenter Beantwortung der gestellten Fragen. Daher sollen Lehrende Lernenden zeigen, wie sie in solchen Austauschprozessen Fragen stellen können, und sie sollen alle Lernenden ermutigen, häufiger Fragen zu stellen, die zu langen Antworten einladen wie Wie- und Warum-Fragen, um ein intensiverer Meinungsaustausch zu ermöglichen. Auch Tamme (2001: 130) ist der Meinung, dass das Fragen und Antworten in einem fremdsprachlichen Austausch als ein positiver Schritt auf dem langen Weg des interkulturellen Fremdsprachenlernens angesehen werden kann. <?page no="279"?> 279 Wenn man darüber hinaus die spezifischen Bedingungen der Chat-Kommunikation (vgl. Kap. 3.1) und den Rahmen des hier analysierten Chat- Raums (vgl. Kap. 4.2) berücksichtigt, kann man weitere Rückschlüsse auf die Qualität des stattfindenden Diskurses ziehen. Der Austausch im JETZT Deutsch lernen-Chat ist wie in jedem anderen frei zugänglichen Chat-Raum von der Synchronizität der Kommunikation geprägt. Manche Äußerungen können übersehen und andere fragmentarisch und kurz getätigt werden. Die Chat-Teilnehmer können so sehr mit der Produktion ihrer eigenen Äußerungen beschäftigt sein, dass sie wenige Fragen stellen. Sie haben möglicherweise keine Zeit, weitere Fragen zu stellen, die ihre Kommunikationspartner zu einer Begründung seiner Meinung bringen würden, weil die anderen Chat- Teilnehmer schneller mit der Produktion ihrer Äußerungen waren und bereits andere Fragen zum Chat geschickt haben. Das führt zu einem schnellen Austausch von Äußerungen und zu einem ständigen Themenwechsel. Möglicherweise fragen die Lernenden nicht so häufig und begründen ihre Äußerungen nicht so vertiefend, weil sie sprachlich nicht in der Lage sind, es zu tun. Das Verhalten der Tutorinnen kann ebenfalls die Qualität des Diskurses in diesem Chat erklären. Die Tutorinnen versuchen gleichzeitig, alle Teilnehmer zu begrüßen, den Austausch allgemein zu moderieren und mit der höheren Fluktuation von Besuchern im JETZT Deutsch lernen-Chat umzugehen. Sie sind sich außerdem möglicherweise nicht dessen bewusst, wie wichtig Fragen, die zu langen Antworten einladen, wie die Wie- und Warum-Fragen, für die Entwicklung eines vertiefenden interkulturellen Austauschs sein können und wie wichtig ihre Rolle für diese Vertiefung des Austauschs ist. 9.9.4 Inhalte der Antworten auf kulturbezogene Fragen Die im Korpus identifizierten kulturbezogenen Fragen wurden unterschiedlich beantwortet. Um diese Variation der Antworten auszuwerten, wurde die Oberkategorie 9 Inhalte der Antworten auf kulturbezogene Fragen entwickelt, die aus drei verschiedenen Unterkategorien besteht: 9.1 Gefühl und Eindruck, 9.2 Beurteilung menschlichen Verhaltens, 9.3 Bild von einem Land oder einem Ort. Der Unterkategorie 9.1 Gefühl und Eindruck werden Äußerungen zugeordnet, in denen die Chat-Teilnehmer direkt oder indirekt ihre Gefühle und/ oder Eindrücke bezüglich des behandelten Themas zeigen wie z.B. Überraschung, Bewunderung, Enttäuschung, Liebe/ Hass, Interesse/ Desinteresse, Hochschätzung/ Geringschätzung, Glück/ Pech, Sympathie/ Antipathie usw. Diese Gefühle und Eindrücke können sich auf Personen, Erfahrungen, Ideen oder Sachen beziehen, über die sich die Chat-Teilnehmer austauschen. Die <?page no="280"?> 280 Auszüge 87 bis 90 zeigen beispielsweise, welche Äußerungen aus den ausgewählten Chat-Sequenzen zu dieser Unterkategorie gehören. Auszug 92 ist aus der Chat-Sequenz A, in der der Chat-Teilnehmer Rafaello von seinen beruflichen Erfahrungen erzählt. In seiner Äußerung um 11: 07: 13 sagt er, dass die Zeit als Seemann die beste Zeit seines Lebens war. Diese Äußerung ist eine persönliche und affektive Äußerung zum behandelten Thema. Um 11: 12: 31 erzählt Rafaello, dass er auf dem Fest Mardigras in New Orleans, in den USA war. Es handelt sich um eine Art Karneval, der nach seinem persönlichen Eindruck das beste Fest war. Auszug aus der Sequenz A „ic war damals ein seeman“ (11: 05: 18) Rafaello: ich war damals ein seeman (11: 06: 05) Tutorin G: Du bist einmal ein Seemann gewesen, Rafaello? (11: 06: 14) Tutorin G: Erzähl uns davon! (11: 06: 56) Tutorin G: Warst du ein Matrose bei der Armee? (11: 07: 13) Rafaello: die zeit ist besten zeit in meinem leben (11: 07: 51) Tutorin G: Ja, das glaube ich dir. (…) (11: 08: 28) Rafaello: ich habe allem lender am meer gereizen (11: 08: 34) Marcelo: bist du zur Roseparade in portland gegangen? (…) (11: 09: 37) Rafaello: ich glaube nein (…) (11: 10: 00) Diego: Hallo Tutorin (11: 10: 32) Rafaello: ich habe fillen stadte in usa besuhen (…) (11: 10: 46) Marcelo: normaleweise kommen alle die matrosen waehrend der Roseparade (11: 11: 02) Tutorin G: Hallo Diego! → affektive Äußerung <?page no="281"?> 281 (11: 11: 17) Tutorin G: Was ist denn die Roseparade, Marcelo? (11: 11: 26) Rafaello: am bestensist florida (11: 11: 46) Tutorin G: Ja, Florida, warm und schön. (11: 11: 50) Rafaello: ich denke ein disco (11: 12: 02) Marcelo: die Roseparade ist ein festival wo ich wohne (11: 12: 13) Tutorin G: Und wo wohnst du, Marcelo? (11: 12: 25) Marcelo: in portland (11: 12: 31) Rafaello: ich war mardigras in neworleans (11: 12: 52) Rafaello: das ist der beste → persönlicher Eindruck Auszug 92: Beispiel der Unterkategorie 9.1 Gefühl und Eindruck Auszug 93 aus der Sequenz C ist ein weiteres Beispiel zu der Unterkategorie 9.1 Gefühl und Eindruck. Hier unterhalten sich die Chat-Teilnehmer über verschiedene Feste in ihren Ländern, und der Chat-Teilnehmer Christian erzählt, dass er Erntedankfest gefeiert hat und dass es „sehr nett“ war. Auszug aus der Sequenz C „am morgen ist ein Festtag in Thailand“ (18: 15: 17) Bruno: Genau, wir haben Dankfest feirert (…) (18: 15: 59) Peter: hi an alle (18: 16: 02) Tutorin H: Christian, aus welchem Land bist du? (18: 16: 09 Telvio: hallo (18: 16: 12) Tutorin H: Hallo Telvio! (18: 16: 20) Christian: Ich wohne in Los Angeles und komme aus den USA. (18: 16: 54) Tutorin H: Aha, deshalb hast du gestern Erntedankfest gefeiert. ; ) (…) <?page no="282"?> 282 (18: 17: 31) Christian: Genau. Es war sehr nett. Es ist immer gut dankbar zu sein. → persönlicher Eindruck Auszug 93: Beispiel der Unterkategorie 9.1 Gefühl und Eindruck Auszug 94 ist ein Beispiel für ein persönliches Desinteresse seitens eines Chat- Teilnehmers für das behandelte Thema im Chat und somit auch ein Beispiel für die Unterkategorie 9.1 Gefühl und Eindruck. Hier unterhält sich die Tutorin I mit der Chat-Teilnehmerin Giselle über Autos. Die Chat-Teilnehmerin sagt um 11: 34: 31, dass sie früher von Autos begeistert war, jetzt habe sie jedoch andere Gefühle: Jetzt seien ihr Autos egal. Auszug aus der Sequenz D „Deutschland ist ein Autoland“ (11: 34: 31) Giselle: Fruher begeistern mich die Autos jetzt es ist mir egal. (11: 34: 32) Tutorin I: Giselle... und ich geh auch gleich im AUDI FORUM (das Museum von Audi) und sehe den S1 Pikes Peak! : ) (11: 35: 18) Giselle: Für mich S1 Pikes Peak konnte irgendeine Sache sein. Der Name bedeutet mir nichts → persönliches Desinteresse Auszug 94: Beispiel der Unterkategorie 9.1 Gefühl und Eindruck Mit Auszug 95 aus der Sequenz E, in dem es sich um eine Äußerung von Unterschätzung geht, soll hier das letzte Beispiel für die Unterkategorie 9.1 gezeigt werden. Hier unterhalten sich die Chat-Teilnehmer über Geld, und der Chat-Teilnehmer Silvio sagt, dass es für ihn wertvolle Dinge im Leben gibt als Geld. Auszug aus der Sequenz E „oh wie kann man an Gott nicht glauben“ (19: 12: 31) Clementina: wie denkt ihr, wie viel geld ist schon VIEL? (19: 12: 36) Silvio: Und es ist ja nicht notwendig <?page no="283"?> 283 (19: 12: 47) Clementina: es ist notwendig (19: 12: 47) Benjamin: es tut mir sehr sorry ,silvester (19: 12: 59) Benjamin: dann sage ich nie wider verdammt (19: 13: 01) Tutorin C: verstehe, Silvester, aber es ist eigentlich kein Schimpfwort (19: 13: 01) Silvio: Es gibt fuer mich Sachen die wertvoller sind als Geld → persönliche Geringschätzung Auszug 95: Beispiel der Unterkategorie 9.1 Gefühl und Eindruck Die hier präsentierten Beispiele für die Unterkategorie 9.1 beweisen, dass die Chat-Teilnehmer im JETZT Deutsch lernen-Chat die Gelegenheit erhalten, sich über ihre Emotionen und individuellen Eindrücke zu bestimmten Themen auszutauschen. Die hier analysierten Äußerungen zeigen, dass der Austausch in diesem Chat über die reine Vermittlung von Fakten und Informationen hinausgeht und dass er persönlich und emotiv wird. Die Chat-Teilnehmer erzählen einander, wie sie sich fühlen, wie sie bestimmte Ereignisse erlebt haben und was ihnen im Leben wichtig ist. Dieses Ergebnis bestätigt das narrative Potenzial des JETZT Deutsch lernen-Chat für die Förderung des persönlichen interkulturellen Lernens im Sinne von Hu (1999), Rösler (1996) und Tamme (2001) (vgl. Kap. 9.4 und 9.7). Der Unterkategorie 9.2 Beurteilung menschlichen Verhaltens werden Äußerungen zugeordnet, in denen die Chat-Teilnehmer direkt oder indirekt das Verhalten anderer Menschen positiv oder negativ beurteilen. Dazu gehören Äußerungen, in denen die Chat-Teilnehmer aus ihrer Sicht bestimmte Verhaltensweise für gut/ schlecht oder richtig/ falsch halten. In Auszug 96 ist auch ein Beispiel für einen Austausch mit Kritik und Meinungsunterschiede: In diesem Auszug geht es um eine Unterhaltung zwischen der Tutorin I und der Chat-Teilnehmerin Giselle über Autos. Wie in Auszug 94 bereits gezeigt wurde, interessiert sich Giselle nicht für das von der Tutorin I gewählte Thema. Trotz der Äußerung von Giselle über ihr Desinteresse zum Thema stellt die Tutorin weitere Fragen über Automarken. Um 11: 24: 45 beginnt die Chat-Teilnehmerin Giselle, das Verhalten der Tutorin indirekt zu kritisieren. Sie sagt zunächst, sie hätte nicht gewusst und nicht von der Tutorin erwartet, dass sie sich „derart“ für Autos interessiert. Die Tutorin übersieht die Kritik (oder empfindet das nicht als Kritik) und sagt um 11: 25: 09, dass die Chat-Teilnehmer mit dem Austausch über Namen von <?page no="284"?> 284 Automarken etwas über Deutschland lernen können. Giselle ist ihrerseits mit dieser Aussage nicht zufrieden und kritisiert die Tutorin noch einmal, jedoch etwas expliziter. Giselle sagt in belehrenden Ton, dass in den letzten Jahren versucht werde, keine Klischees mehr zu lehren, d.h. für Giselle ist die Art und Weise, wie die Tutorin das Thema Auto im Chat anspricht und wie sie dieses Thema für Deutschlernende für wichtig hält, eine unmoderne Form, Deutsch zu unterrichten. Für Giselle ist dies eine Form, die von der Vermittlung von Klischees geprägt ist und deswegen ungeeignet für die Interaktion im untersuchten Chat ist. Giselle meint möglicherweise, dass heute in der Fremdsprachendidaktik Konsens darüber herrscht, dass Lehrende vorsichtig im Umgang mit Klischees über eine bestimmte Kultur sein sollen. Auszug aus der Sequenz D „Deutschland ist ein Autoland“ (11: 23: 55) Tutorin I: Welche deutsche Austomibilhersteller kennt ihr außer Audi und BMW? (11: 23: 56) Giselle: bmw bedeutet "bayern motor wagen", oder? (11: 24: 22) Tutorin I: BMW bedeutet Bayrische Motorenwerke (…) (11: 24: 37) Tutorin I: Hallo Jentzsch! (11: 24: 45) Giselle: Ich wusste nicht, dass du dich derart fur Autos interessierst. Ich erwarte es nicht von dir. (11: 25: 09) Tutorin I: Da lernt ihr auch etwas über Deutschland! : ) (11: 25: 10) Giselle: Volkswagen, Mercedes (11: 25: 34) Tutorin I: richtig, welche noch? (11: 25: 57) Giselle: In den letzten Jahren wird versucht, kein Klischee zu lehren → indirekte Kritik am großen Interesse der Tutorin an Autos → indirekte Kritik an den Aussagen der Tutorin Auszug 96: Beispiel der Unterkategorie 9.2 Beurteilung menschlichen Verhaltens aus der Sequenz D <?page no="285"?> 285 Die Kritik von Giselle weist auf die in Kapitel 9.6 ausgeführte Diskussion über Stereotypen und Vorurteile hin. Offenbar ist diese Chat-Teilnehmerin nicht einverstanden, dass die Tutorin I den Chat-Teilnehmern etwas über Deutschland durch einen reinen Austausch über Namen von Automarken beibringen möchte. Deutschland als „Autoland“ im Chat zu präsentieren bzw. die Überzeugung der Tutorin, dass eine Diskussion über Automarken interessant für den Lernprozess der im Chat anwesenden Lernenden ist, stört die Teilnehmerin Giselle, die im weiteren Verlauf der Stunde das Verhalten und die Aussagen der Tutorin mehrfach hinterfragt und kritisiert. Giselle erwartet möglicherweise im JETZT Deutsch lernen-Chat eine vertiefende Diskussion über andere Themen aus Deutschland und nicht einen Austausch über Namen von Automarken. Die Tutorin beabsichtigte möglicherweise ihrerseits mit dieser Diskussion, die Chat-Besucher zunächst zum Chat zu motivieren, und dies insbesondere mit einem Thema wie deutsche Autos, das vielen Menschen auf der Welt bekannt ist. Die Tutorin wollte eventuell die Lernenden da abholen, wo sie gerade sind, d.h. wenn es sich um Anfänger im Chat handelt, könnte die Tutorin davon ausgehen, dass sie mit diesen eine Diskussion über ein Thema beginnen könnte, das eventuell vielen Menschen bekannt und deswegen anregend ist. Für Steinmann (1992: 218) sowie für Rösler (1998: 225) sind Vorurteile, die Lernende zum Unterricht bringen, ein geeignetes Material, um eine kulturbezogene Diskussion zu beginnen (vgl. Kap. 9.6). Hu (1995: 411) bemängelt jedoch, dass das Ansprechen von solchen Vorurteilen problematisch sein kann. Das Risiko bei einer Diskussion über Vorurteile beispielsweiser in so einem Chat wie dem JETZT Deutsch lernen- Chat, wo die Tutorinnen nicht ahnen können, mit welchen Lernenden sie in ihren unterschiedlichen Stunden chatten, liegt das Risiko darin - wie Auszug 96 aus dieser Sequenz zeigt -, dass manche Besucher nicht gerne anhand allgemeiner Bilder, Vorurteile und Klischees eine Diskussion beginnen möchten. Liest man die Sequenz D weiter, stellt man fest, dass die Tutorin vollkommen überzeugt ist, dass ihre Art über Deutschland zu sprechen - nämlich um 11: 43: 29 als „Autoland“, weil in Deutschland viele Autos produziert werden (vgl. Auszug 97 folgend) - kein Klischee, sondern die richtige Form ist. Die Chat-Teilnehmerin Giselle reagiert um 11: 44: 28 kritisch auf diese Position der Tutorin mit einer Frage an den Rest der Chat-Teilnehmer, ob alle dieses Klischee mögen. Wie Hu (ebd.) erklärt, kann die Tatsache, dass manche Menschen im Umgang mit Stereotypen nicht in der Lage sind, ihre Urteile und ihre Positionen zu relativieren, Probleme für den Austausch verursachen. Genau dieses Problem ist in der Sequenz D zu sehen. Die Tutorin hält ihre Meinung für richtig und allgemeingültig. Sie sieht nicht ein, dass es andere Meinungen geben kann, wie man generell über Deutschland reden kann. Das führt dann <?page no="286"?> 286 zu einer Unzufriedenheit seitens der Chat-Teilnehmerin Giselle, die, um ihre Schwierigkeit mit dem Verhalten der Tutorin besser zu erklären, ein anderes Beispiel über ihr Land einführt. Giselle schreibt daher um 11: 46: 02, dass sie auch nicht zufrieden ist, dass die Leute ihr Land Spanien nur als ein Land „mit Sonne und Strand“ sehen. Für sie ist das eine sehr vereinfachte Form, ihr Land zu betrachten. Spanien ist nach ihrer Ansicht mehr als nur Strand und Sonne, genauso wie Deutschland mehr ist als Autos. Betrachtet man die ganze Diskussion in dieser Sequenz, sieht man den Versuch von Giselle, der Tutorin zu zeigen, dass die Art, wie sie über Deutschland schreibt, den Eindruck erwecken kann, man rede im Chat in einer sehr vereinfachten Form über eine Kultur, die sich durch viel mehr als Autos charakterisieren lässt. Die Tutorin nimmt die Kritik nicht an und behält ihre Art bei, im Chat so zu fragen wie in einem Quiz. Um 11: 51: 32 fragt sie, ob die Chat-Teilnehmer deutsche Schriftsteller kennen, und um 11: 57: 17, ob die Chat-Besucher nicht Namen von Philosophen nennen wollen. Diese Art der Tutorin, Fragen zu stellen, ist im Sinne des kommunikativen Ansatzes zum Fremdsprachenlernen wenig dynamisch (vgl. Kap. 9.2). Damit geschieht eine reine Wiederholung von Fakten und Informationen über Deutschland, wie es in einem Lehrwerk oder einer Zeitschrift zu finden ist. Mit diesem Verhalten verpasst die Tutorin die Gelegenheit, das narrative Potenzial des JETZT Deutsch lernen-Chats - wie es bereits anhand von anderen Auszügen gezeigt wurde - auszunutzen (vgl. Biebighäuser/ Marques-Schäfer 2011: 112). Statt zu versuchen, einen persönlichen Austausch über Meinungen, Werte und Vorstellungen zu initiieren - der durchaus auch über Autos sein könnte -, vermittelt die Tutorin hier lediglich Informationen über Namen von deutschen Marken und Philosophen. Darüber hinaus lässt sich in Auszug 96 ebenfalls der bereits in der vorliegenden Untersuchung behandelte Aspekt der Hierarchie und des Rollenwechsels im JETZT Deutsch lernen-Chat ersehen (vgl. Platten 2003: 166 sowie Kap. 7.8.3, 7.8.6 und 8.3.4). Auszug 96 zeigt, wie die Interaktion im untersuchten Chat kein großes hierarchisches Gefälle aufweist und wie das dazu führt, dass manche Chat-Teilnehmer wie hier Giselle sich so frei fühlen, die Tutorin zu hinterfragen und zu kritisiert. Zu der letzten Unterkategorie 9.3 Bild von einem Land oder einem Ort gehören Äußerungen, in denen die Chat-Teilnehmer ihre persönlichen Vorstellungen über ein bestimmtes Land oder einen bestimmten Ort zeigen. Auszug 97 aus der Sequenz D sind drei Beispiele dieser Kategorie zu sehen. Dabei unterhalten sich die Chat-Teilnehmer und die Tutorin über Autos in Deutschland. Die Tutorin I erklärt um 11: 48: 29, warum sie ein Bild von Deutschland als „Autoland“ hat und ihr Bild nicht für ein Klischee hält, sondern für eine Tatsache. Die Chat-Teilnehmerin Giselle ist unzufrieden mit <?page no="287"?> 287 diesem allgemeinen Bild von Deutschland und begründet dies mit einem Vergleich zu ihrem eigenen Land, Spanien. Daraufhin äußern die anderen Chat-Teilnehmer ihre persönlichen Bilder von Spanien. Auszug aus der Sequenz D „Deutschland ist ein Autoland“ (11: 43: 29) Tutorin I: Deutschland ist ein Autoland. Daher ist es auf jeden Fall ein Statussymbol. (11: 43: 51) Sidy: ja (11: 44: 15) Tutorin I: Findet ihr das gut? Welche ist eure Meinung darüber? (11: 44: 28) Giselle: Mögt ihr dieses Klischees? (11: 45: 11) Tutorin I: ? (11: 45: 32) Giselle: Ich kenne Leute, die sich über Klischees aufregen. (11: 46: 02) Giselle: Ich mag nicht, dass die Leute Spanien für ein Land nur mit Sonne und Strand halten. (11: 47: 07) Nuno: Giselle bist du aus spanien also (11: 47: 13) Giselle: ja (11: 47: 27) Nuno: ich hallte Spanien fuer land von tomatina (11: 47: 38) Nuno: und toro ole (11: 47: 49) Giselle: was fur eine Art, Tomaten zu verschwenden. Es tut weh. (11: 48: 09) Giselle: Ausserdem sehen sie ausgezeichnet aus, um Tomatensosse zu bereiten (11: 48: 29) Tutorin I: Das ist aber so. In einem Land wo Autos produziert werden, sieht man viele Leute mit teuren autos. In einem Land wo viel Kleidung produziert wird tragen die Leute teure Klamotten und haben nicht so teure Autos, wie z. B. bei Italien. → persönliches Bild von Deutschland → persönliches Bild von Spanien → Begründung des persönlichen Bildes <?page no="288"?> 288 (11: 49: 09) Sidy: wenn ich über spanien denke,dann denke ich an LORCA (11: 49: 13) Tutorin I: Deswegen finde ich dass es kein Klischee ist. (11: 49: 50) Giselle: Lorca mag ich mehr. Möglicherweise stellt er viel besser Spanien dar. → persönliches Bild von Spanien Auszug 97: Beispiel der Unterkategorie 9.3 Bild von einem Land oder einem Ort Während Giselle schreibt, sie möge nicht, dass Leute Spanien als „ein Land nur mit Sonne und Strand“ sehen, erzählt Nuno, dass für ihn Spanien das Land von tomatina, einem Tomatenfest bei Valencia, und toro (in Bezug auf die Stierkämpfe) sei. Giselle zeigt sich nicht zufrieden mit diesem Bild und sagt um 11: 47: 49, dass dieses Fest eine Verschwendung von Tomaten ist. Der Chat-Teilnehmer Sidy äußert seinerseits sein Spanienbild und sagt um 11: 49: 09, dass er Spanien mit dem Schriftsteller Lorca assoziiert. Damit ist Giselle zufriedener, da ihrer Meinung nach der Schriftsteller ein besseres Bild von Spanien vermittelt als das Tomatenfest und die Stierkämpfe. Trotz des bereits diskutierten Problems in dieser Sequenz D über die Art und Weise der Tutorin, ihr Bild von Deutschland vorzustellen, und die darauf folgende Kritik des Chat-Teilnehmers Giselle lässt sich feststellen, dass die Initiative der Tutorin, in einer einfachen Form über Deutschland zu sprechen, letztendlich auch zu einem vergleichenden Austausch von individuellen Bildern von Ländern beitrug. Obwohl die Chat-Teilnehmer aufgrund des schnellen Themenwechsels und des Mangels an Fragen, die zu langen Antworten einluden, die Gründe ihrer persönlichen Vorstellungen nicht ausführlich erläutert haben - was jedoch für die Vertiefung des Austauschs sehr wichtig wäre -, lässt sich ausführen, dass die hier analysierte Sequenz ein Beispiel für den interkulturellen Austausch ist, der im JETZT Deutsch lernen- Chat stattfinden kann. Dieser Austausch erfolgt lediglich durch einen Vergleich, der jedoch aus verschiedenen Gründen (wie beispielsweise die Kommunikationsbedingungen im Chat und die Art des Moderierens der Tutorinnen) nicht vertieft wird. Eine vertiefende Diskussion über die individuellen Bilder der Chat-Teilnehmer wäre sehr wichtig, um wichtige Ziele des interkulturellen Lernens zu erreichen, wie z.B. die Sensibilisierung für kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie einen Perspektivenwechsel (vgl. Krumm 2007: 141 sowie Kap. 9.5). Bezüglich der Häufigkeit der Unterkategorien zu den Inhalten der Antworten aus den hier analysierten Sequenzen lässt sich ausführen, dass die <?page no="289"?> 289 Unterkategorie 9.2 Beurteilung menschlichen Verhaltens die häufigste Kategorie mit 24 Fällen ist. Die zweithäufigste Kategorie ist 9.1 Gefühl und Eindruck mit 22 Fällen, und die dritthäufigste Kategorie ist 9.3 Bild von einem Land oder einem Ort mit 5 Fällen (vgl. Tab. 24). Sequenz Oberkategorie 9: Inhalte der Antworten auf kulturbezogene Fragen 9.1 Gefühl, Eindruck 9.2 Beurteilung menschlichen Verhaltens 9.3 Bild von einem Land oder einem Ort A: „ic war damals ein seeman“ 2 - 2 B: „ich finde unser praesident hammerbloed“ 1 6 - C: „am morgen ist ein Festtag in Thailand“ 2 1 - D: „Deutschland ist ein Autoland“ 7 7 3 E: „oh wie kann man an Gott nicht glauben“ 10 10 - Gesamt 22 24 5 Tab. 24: Häufigkeit der Oberkategorie 9 Inhalte der Antworten auf kulturbezogene Fragen Die höhere Häufigkeit der Unterkategorien 9.1 und 9.2 weist auf die Tatsache hin, dass die Interaktionen im JETZT Deutsch lernen-Chat überwiegend über persönliche konkrete Erfahrungen, Erlebnisse und aktuelle Alltagsereignisse der Chat-Teilnehmer sowie über Personen, die sie kennen, geführt werden. Die Tutorinnen und die Chat-Teilnehmer unterhalten sich kaum über die Bilder, die sie von einem Land oder einem Ort haben. Diese Bilder sind Altmayer (2006) zufolge Abstraktionen bzw. Hilfskonstruktionen, die jeder Mensch hat, um sich auf bestimmte Aspekte einer Kultur und auf eine bestimmte Gruppe von Menschen einer Kultur zu beziehen (vgl. Kap. 9.1). Ebenso wie Altmayer (2006) sind andere Didaktiker, wie z.B. Hu (1995), O’Sullivan (1987) und Steinmann (1992), der Meinung, dass sich Fremdsprachenlernende im Unterricht mit ihren Bildern über die fremde Kultur ausei- <?page no="290"?> 290 nandersetzen sollten, um Stereotypen und Vorurteile zu erkennen und sie zu reflektieren (vgl. Kap. 9.6). Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass sich die Tutorinnen und die Besucher des JETZT Deutsch lernen-Chats kaum über ihre Stereotypen, Vorurteile und Wahrnehmungen über andere Kulturen austauschen und dass, wenn es geschieht, dies mit sehr kurzen und fragmentarischen Antworten passiert, die die Abstraktionen der Tutorinnen und Besucher nicht vertiefend erläutern (vgl. dazu Auszug 97 zu den Bildern der Chat-Teilnehmer über Spanien). Diese Ergebnisse weisen auf dieselbe Richtung wie die Ergebnisse von Wilden (2008: 219), bei denen die Autorin feststellt, dass die Vertiefung von Diskussionen kulturbezogener Fragen von der Medienwahl abhängt. Sie vergleicht in ihrer Studie Austauschprozesse im Text-Chat und im Voice-Chat und kommt zu dem Ergebnis, dass der Text-Chat sich im Vergleich zum Voice-Chat als weniger geeignet für die Förderung eines interkulturellen Austauschs erweist. Während Aussagen im Text-Chat nach ihrer Analyse auf einer oberflächlich-deskriptiven Ebene verblieben, waren die Aussagen im Voice-Chat eher analytisch-interpretativ, was zu einem tieferen Austausch führte (vgl. Kap. 9.6). Die Bedingungen der Text-Chat-Kommunikation wie Synchronizität, Zeitdruck und schneller Themenwechsel (vgl. Kap. 3.1) können als Gründe für den oberflächlich-deskriptiven Austausch in der Studie von Wilden und für die kurzen und seltenen Austauschprozesse über kulturbezogene Fragen in der vorliegenden Studie angesehen werden. Andere medienbedingte Aspekte können jedoch auch diese niedrigere Häufigkeit der Unterkategorie 9.3 Bild von einem Land oder einem Ort in der vorliegenden Studie erklären. In face-to-face-Interaktionen über Stereotypen sind die Intentionen des Kommunikationspartners aufgrund unmittelbarer audio-visueller Kommunikationsmittel wie z.B. Mimik (Augenzwinkern, Kopfschütteln, Kopfnicken) und Stimmlage leichter und schneller erkennbar. In Text-Chat-Aushandlungen ist dies aufgrund der nicht vorhandenden bzw. mangelhaften audio-visuellen Kommunikationsmittel nicht möglich. Die anonymen Besucher eines Chats können in einem ersten Kontakt - wie im JETZT Deutsch lernen-Chat - nicht ahnen, mit wem sie sich austauschen. Äußerungen über Stereotypen, Vorurteile und Wahrnehmungen fremder Kulturen können daher in Interaktionen in einem frei zugänglichen Text- Chat-Raum - wie dem hier untersuchten - schnell falsch interpretiert werden und zu Konflikten führen, weil sie sich aufgrund der Synchronizität, des Zeitdrucks, des Themenwechsels und der höheren Fluktuation von Besuchern in diesem elektronischem Kontext nicht unmittelbar erläutern lassen. Die Äußerung eines Stereotyps, eines Vorurteils oder einer Fremdwahrnehmung in einem frei zugänglichen Text-Chat kann beispielsweise negativ angenommen werden und schnell zu Konflikten führen, da die wirklichen Intentionen des <?page no="291"?> 291 Kommunikationspartners mit der Äußerung von Abstraktionen über eine Kultur ober über Menschen einer Kultur in diesem Kontext schwer vertiefend erklärt werden können. Dies wurde mit Auszug 97 aus der Sequenz D „Deutschland ist ein Autoland“ gezeigt. Dabei unterhalten sich die Tutorin I und Chat-Teilnehmer über ihre Bilder von Deutschland und Spanien. Als der Chat-Teilnehmer Nuno um 11: 47: 27 sagte, dass er Spanien für ein Land von Tomatina hält, reagiert die spanische Chat-Teilnehmerin Giselle wenige Sekunden später - nämlich um 11: 47: 49 - unzufrieden mit dem Bild seines Kommunikationspartners über ihr Land. Giselle kritisiert das Tomatenfest und somit das Bild von Nuno, obwohl Nuno keine Zeit gehabt hat, sein Bild genauer zu erläutern. Es hätte sein können, dass Nuno tolle Erfahrungen bei diesem Tomatenfest gesammelt und deswegen ein gutes Bild von Spanien hat. Giselle, die das Fest offenbar nicht mag, weil sie es für eine Verschwendung hält, kritisiert die Äußerung, ohne die Hintergründe der Abstraktion von Nuno genauer zu erfahren. Dieser Austausch ist ein Beispiel dafür, wie eine Äußerung über ein persönliches Bild einer fremden Kultur in einem frei zugänglichen Chat schnell (und eventuell falsch) interpretiert und kritisiert werden kann, ohne dass derjenige, die sich geäußert hat, Zeit findet, sich genauer zu erklären. Wie in Tabelle 24 gezeigt wurde, sind Äußerungen über Bilder von einem Land oder einem Ort in den analysierten Sequenzen selten. Das bedeutet, dass die Tutorinnen und die Besucher in ihren ersten Kontakten im JETZT Deutsch lernen-Chat eher einen persönlichen Austausch über ihre eigenen Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke vorziehen, statt sich über abstrakte Bilder eines Landes oder eines Ortes zu äußern. Damit versuchen sie, nicht nur ihr Image und die freundliche Atmosphäre im untersuchten Chat zu pflegen, sondern auch Konflikte und falsche Interpretationen zu vermeiden. 9.9.5 Vergleich der Art der Fragen und der Inhalte der Antworten Vergleicht man die Häufigkeit der Oberkategorie 8 Arten kulturbezogener Fragen (Kap. 9.9.3) mit der von der Oberkategorie 9 Inhalte der Antworten auf kulturbezogene Fragen (Kap. 9.9.4), stellt man fest, dass in den Sequenzen A und C, in denen der Schwerpunkt der Unterhaltungen auf einem Austausch von Fakten lag, mehr Fragen, die zu kurzen Antworten einladen gestellt wurden als Fragen, die zu langen Antworten einladen (vgl. Tab. 25). In diesen Sequenzen tauschen sich die Chat-Teilnehmer kaum über persönliche Gefühle, Meinungen, Werte und Eindrücke aus (vgl. Auszüge 83, 86, 87 und 88). <?page no="292"?> 292 Sequenz Oberkategorie 8: Arten kulturbezogener Fragen Oberkategorie 9: Inhalte der Antworten auf kulturbezogene Fragen 8.1 8.2 9.1 9.2 9.3 A: „ic war damals ein seeman“ 15 1 2 - 2 B: „ich finde unser praesident hammerbloed“ 4 4 1 6 - C: „am morgen ist ein Festtag in Thailand“ 12 1 2 1 - D: „Deutschland ist ein Autoland“ 26 1 7 7 3 E: „oh wie kann man an Gott nicht glauben“ 24 15 10 10 - Gesamt 81 22 22 24 5 Tab. 25: Häufigkeit der Oberkategorien 8 und 9 im Vergleich In der Sequenz C wurde zwar der Versuch unternommen, einen interkulturellen Vergleich über Feste in den unterschiedlichen Ländern der Chat- Teilnehmer durchzuführen, dieser endete jedoch relativ bald, da das Thema schnell gewechselt wurde (vgl. Auszug 91 und 93). Der interkulturelle Vergleich ist zwar Teil des interkulturellen Lernprozesses, aber allein der Vergleich und der Austausch über Fakten, ohne Fragen und Äußerungen über die individuellen Erfahrungen und Werte, reichen für das Erreichen einiger Ziele des interkulturellen Lernens im Sinne von Bechtel (2003) und Bredella/ Delanoy (1999b) nicht aus (vgl. Kap. 9.5). Es fehlen ein vertiefendes Kennenlernen des Fremden, eine reflektierte Auseinandersetzung mit dem Eigenen und das Einbeziehen der eigenkulturellen und eigensprachlichen Erfahrungen. In der Sequenz B, in der im Vergleich zu den Sequenzen A und C mehr Fragen, die zu langen Antworten einladen, gestellt wurden, wurden mehr Äußerungen identifiziert, in denen die Chat-Teilnehmer häufiger menschliches Verhalten beurteilt und ihre Meinungen begründet haben (vgl. Auszüge 85 und 91). In der Sequenz D, in der am häufigsten Fragen, die zu kurzen Antworten einladen, gestellt wurden, gab es im Vergleich zu den Sequenzen A und C nicht nur einen reinen Austausch von Fakten wie etwa die Namen deutscher Automarken, sondern auch einen Austausch über persönliche Eindrücke und unterschiedliche Meinungen. Der Grund für diesen Unter- <?page no="293"?> 293 schied liegt an der Art der Moderation der Tutorin I der Sequenz D: Sie moderierte ihre Stunde durch viele Fragen und berücksichtigte das fehlende Interesse seitens des Chat-Teilnehmers für das Thema nicht. Sie setzte die Diskussion über Autos mit immer neuen Fragen fort. Das führte zu Kritik und zur Äußerung von Meinungsunterschieden (vgl. Auszüge 89, 91 und 92). In der Sequenz E wurde am häufigsten Fragen gestellt, insbesondere Fragen, die zu langen Antworten einladen, wie Wie-Fragen und Warum-Fragen. Das führte die Teilnehmer dazu, sich intensiver auszutauschen. Sie haben in dieser Sequenz am häufigsten von ihren Gefühlen und Eindrücke erzählt und ihre Meinungen zum behandelten Thema begründet, d.h. je häufiger Wie- und Warum-Fragen gestellt wurden, desto mehr mussten die Chat-Teilnehmer ihre Äußerungen erläutern und begründen (vgl. Auszüge 84 und 90), was für das interkulturelle Lernen von großer Bedeutung ist (vgl. Hu 1999 und Belz 2007). Mit diesen Ergebnissen lassen sich darüber hinaus Rückschlüsse auf die Aussagen der Tutorinnen über die Themen, die im JETZT Deutsch lernen- Chat leichter und schwieriger zu diskutieren sind, ziehen, die als Auswahlkriterien für die hier analysierten Sequenzen genutzt wurden (vgl. Kap. 5.3.1). Anhand der vorliegenden Auswertung konnte bestätigt werden, dass sich, wie die Tutorinnen es geäußert haben (siehe Kap. 9.8), alltägliche Themen wie Beruf und Reisen (Sequenz A) und Feste (Sequenz B) tatsächlich leichter diskutieren lassen. Das Thema Auto (Sequenz D), das auch als ein alltägliches Thema betrachtet werden kann und somit den Tutorinnen nach (vgl. Kap. 9.8) auch als ein leichtes Thema zu diskutieren wäre, kann nach den Ergebnissen der vorliegenden Studie hingegen eher als schwieriges Thema angesehen werden. Gründe dafür sind, dass in der analysierten Sequenz D die Tutorin ein bestimmtes Bild von Deutschland geäußert hat und jemand im Chat anwesend war, der weder mit dem Thema noch mit diesem Bild der Tutorin einverstanden war. Die Analyse der Sequenz D zeigt also, dass alltägliche Themen wie Auto und Automarken genauso schwierig im Chat zu diskutieren sein können, je nachdem, was für Leute den JETZT Deutsch lernen-Chat besuchen und was für Interessen und Erwartungen sie mitbringen. Obwohl die Tutorinnen in den Fragebögen behaupteten (vgl. Kap. 9.8), dass Diskussionen über Politik und Religion häufig zu Meinungsunterschiede führen und alltägliche Themen keine Konflikte hervorrufen, kann die Analyse der Sequenz D nicht als Bestätigung ihrer Aussagen gesehen werden. Das Thema Politik, das von den Tutorinnen als schwieriges Thema gesehen wird (vgl. Kap. 9.8), wurde in der Sequenz B ohne Meinungsunterschiede und ohne Konflikte diskutiert. Der Austausch verlief praktisch lediglich zwischen der Tutorin und einem Chat-Teilnehmer, der von der politischen Si- <?page no="294"?> 294 tuation in seinem Land erzählte. Die anderen anwesenden Chat-Teilnehmer äußerten sich wenig zum Thema, und die Tutorin fragte auch nicht nach den Gründen der geäußerten Meinungen. Das sind möglicherweise die Gründe, warum sich in dieser Sequenz das Thema Politik leicht diskutieren ließ. Die Diskussion über Gott, Glauben und Religion in der Sequenz E, was von den Tutorinnen ebenfalls als schwieriges Thema angesehen wird (vgl. Kap. 9.8), führte tatsächlich zu einem vertiefenden Austausch mit vielen Meinungsunterschieden. Der Austausch war jedoch nur so intensiv, weil viele Chat- Teilnehmer in der Tat interessiert waren, sich dazu zu äußern und die Perspektive der anderen zu verstehen und zu kritisieren. Der Vergleich zwischen den Aussagen der Tutorinnen über die Schwierigkeiten, bestimmte Themen zu diskutieren (Kap. 9.8), und den hier festgestellten Ergebnissen zeigt, dass es für den JETZT Deutsch lernen-Chat nicht einfach ist, „schwierige“ und „leichte“ Themen zur Diskussion zu benennen. Ein Thema kann nur als schwierig oder als einfach zu diskutieren betrachtet werden, wenn man gleichzeitig die Komplexität des Rahmens des hier untersuchten Interaktionsangebots, der Kommunikationsbedingungen und der Individuen, die an den Interaktionen teilnehmen, unter die Lupe nimmt. Die Fluktuation, die Anonymität und das heterogene Sprachniveau der Besucher beeinflusst das individuelle Engagement an den Interaktionen und die Art und Weise, wie bestimmte Themen diskutiert werden. Alltägliche Themen können im JETZT Deutsch lernen-Chat sowohl zu vertiefenden Diskussionen führen als auch lediglich oberflächlich diskutiert werden. Das Thema ist also nicht das entscheidende Kriterium für eine vertiefende interkulturelle Interaktion in diesem Chat, stattdessen beeinflussen die gleichzeitige Zusammensetzung von medienbedingten, rahmenbedingten und persönlichen Aspekten den gesamten Austausch. 9.9.6 Zusammenfassung Die Analyse der ausgewählten Sequenzen in den Kapiteln 9.9.3 und 9.9.4 zeigt, dass die Besucher des JETZT Deutsch lernen-Chats durch die Behandlung kulturbezogener Fragen Gelegenheit erhalten, sich über ihre eigene Kultur, über die Kultur ihrer Kommunikationspartner und über die deutsche Kultur auszutauschen. Die in diesen Kapiteln analysierten Äußerungen zeigen, dass die Austauschprozesse in diesem Chat über die reine Vermittlung von Fakten und Informationen hinausgehen und auf einer persönlichen und emotiven Ebene stattfinden können. Die Chat-Teilnehmer erzählen einander, wie sie sich fühlen, wie sie bestimmte Ereignisse erleben und was ihnen im Leben wichtig ist. Sie tauschen sich in einer freundschaftlichen und persönlichen Atmosphäre über ihre eigenen Meinungen und individuellen Vorstel- <?page no="295"?> 295 lungen aus. Dieses Ergebnis bestätigt die Annahme von Rösler (2006) und Tamme (2001), dass internetbasierte Interaktionsformen - wie der hier untersuchte JETZT Deutsch lernen-Chat - den persönlichen interkulturellen Austausch zwischen Lernenden unterstützen können (vgl. Kap. 9.4 und 9.7). In Kapitel 9.9.3 wurde gezeigt, dass in den analysierten Sequenzen im JETZT Deutsch lernen-Chat überwiegend Fragen gestellt werden, die zu kurzen Antworten einladen und somit oft zum Austausch von Informationen und Fakten sowie zu Vergleichen über die Länder und Kulturen der jeweiligen Chat-Teilnehmer führen. Fragen, die zu langen Antworten einladen und die Chat-Teilnehmer dazu veranlassen, ihre Aussagen und Positionen zu begründen, werden hingegen weniger häufig gestellt. Die Chat-Teilnehmer werden also in den analysierten Sequenzen seltener darum gebeten, von ihren Meinungen, Erfahrungen und Gefühlen zu behandelten Themen ausführlicher zu berichten, was - wie auch in der Studie von Belz (2007) gezeigt wurde - den Hintergrund der einzelnen Perspektiven verdeutlichen und damit mehr zu einem vertiefenden interkulturellen Austausch beitragen könnte. Aus dem Ergebnis des Kapitels 9.9.4 geht hervor, dass sich die Inhalte der Antworten auf die im Chat gestellten kulturbezogenen Fragen überwiegend auf persönliche Erfahrungen, Erlebnisse und Alltagsereignisse der Chat-Teilnehmer sowie auf ihre allgemeinen Meinungen über menschliches Verhalten beziehen. Die Tutorinnen und die Chat-Teilnehmer unterhalten sich kaum über die Bilder, die sie von einem Land oder einem Ort haben. Diskussionen über Stereotypen und Vorurteile über andere Kulturen sind in den untersuchten Sequenzen des JETZT Deutsch lernen-Chats selten. Bilder einer Kultur sind nach Altmayer (2006) Abstraktionen bzw. Hilfskonstruktionen, die jeder Mensch hat, um sich auf bestimmte Aspekte einer Kultur und auf eine bestimmte Gruppe von Menschen einer Kultur zu beziehen (vgl. Kap. 9.1). Diskussionen über diese Bilder können daher Lernenden helfen, die fremde Kultur kennen zu lernen, Stereotypen zu erkennen und über sie zu reflektieren (vgl. Steinmann 1992 und Kap. 9.6). Sie erfolgen im hier untersuchten Chat lediglich durch kurze und fragmentarische Äußerungen, die die Meinungen und die Komplexität der Abstraktionen der Tutorinnen und Chat- Teilnehmer nicht vertiefend erläutern. Das bedeutet, dass die Tutorinnen und die Chat-Teilnehmer in ihren ersten Kontakten im JETZT Deutsch lernen- Chat eher einen persönlichen Austausch über ihre eigenen Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke vorziehen, statt sich über abstrakte Bilder eines Landes oder eines Ortes auszutauschen. Diese Beobachtung erklärt sich vermutlich einerseits dadurch, dass die Tutorinnen und die Besucher des untersuchten Chats eine freundliche und respektvolle Atmosphäre pflegen wollen. Die mangelhaften audio-visuellen Kommunikationsmittel in der Text-Chat-Kommunikation - wie z.B. das <?page no="296"?> 296 Fehlen von Veränderungen in Mimik (Augenzwinkern, Kopfschütteln, Kopfnicken) und Stimmlage - können die schnelle Erkennung der Äußerungsintentionen eines Kommunikationspartners erschweren. In Text-Chats wie im JETZT Deutsch lernen-Chat können die Teilnehmer in einem ersten Kontakt nicht ahnen, mit wem sie sich austauschen und wie ihre Kommunikationspartner auf eine Äußerung zu einem Stereotyp reagieren. Äußerungen über Stereotypen, Vorurteile und Fremdwahrnehmungen können dann in Text- Chats schnell falsch interpretiert werden (vgl. Auszug 97 aus der Sequenz D). Das ist vielleicht ein Grund, warum diese Themen in den analysierten Daten selten identifiziert wurden. Tutorinnen und Chat-Besucher äußern sich selten zu Stereotypen, um Konflikte und falsche Interpretationen zu vermeiden. Medienbedingte Aspekte der Text-Chat-Kommunikation wie Synchronizität, Zeitdruck und schneller Themenwechsel (vgl. Araújo e Sá/ Melo 2003; Beißwenger 2007; Cristal 2001; vgl. auch Kap. 3.1) können andererseits die kurzen Äußerungen und die seltenen Austauschprozesse über kulturbezogene Fragen begründen. Tutorinnen und Chat-Teilnehmer haben im untersuchten Chat weder Zeit noch viel Gelegenheit, sich ausführlich zu einer bestimmten kulturbezogenen Frage zu äußern. Kulturbezogene Fragen sowie Diskussionen zu Stereotypen werden zwar gestellt bzw. geführt, sie werden jedoch wahrscheinlich aus den oben genannten Gründen nicht vertieft. Bezüglich der Qualität des Diskurses der in den Kapiteln 9.9.4 und 9.9.5 analysierten Austauschprozesse lässt sich zusammenfassend ausführen, dass sie aufgrund der häufigen Fragen, die zu kurzen Antworten einladen, der darauf folgenden intensiven Vermittlung von Fakten sowie der Durchführung von kurzen Vergleichen zu kulturbezogenen Themen nicht als ideal im Sinne von Hu (1999) für das interkulturelle Lernen (vgl. Kap. 9.4) betrachtet werden kann. Die Tutorinnen und die Chat-Teilnehmer versuchen zwar, die Erfahrungen und Gefühle derjenigen, die im Chat etwas erzählen, kennen zu lernen und zu verstehen. Sie verpassen jedoch gleichzeitig die Chance, sich vertiefend über diese Berichte auszutauschen, was Hu (1999) zufolge unerlässlich für interkulturelles Lernen ist. Fast alle analysierten Sequenzen bestehen aus kurzen Aussagen über persönliche Erfahrungen, die jedoch kaum begründet oder ausführlicher beleuchtet werden. Fragen und Aufforderungen der Tutorinnen, die zu langen Antworten einladen, sind nicht häufig genug, und so beziehen sich die meisten Äußerungen der Chat-Teilnehmer auf Fakten und nicht auf die Erläuterung von Gefühlen und Erfahrungen. Das Bewusstsein der Tutorinnen über die Wichtigkeit von Fragen, die zu langen Antworten einladen (wie Wie- und Warum-Fragen), sowie die Art der gesamten Moderation und ihr Verhalten im Chat spielen eine zentrale Rolle für die Vertiefung des interkulturellen Austauschs (vgl. Krumm 2007) und können dazu beitragen, wichtige Ziele des interkulturellen Lernens zu erreichen, wie z.B. <?page no="297"?> 297 die Sensibilisierung für kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie einen Perspektivenwechsel (vgl. Bechtel 2003, Bredella/ Delanoy 1999b und Kap. 9.5). Die Analyse des Verhaltens der Chat-Teilnehmer in den ausgewählten Sequenzen zeigt die wenig hierarchisierte Interaktion (vgl. Platten 2003, Rebelo 2006 und Kap. 3.2) zwischen Tutorinnen und Chat-Teilnehmern im JETZT Deutsch lernen-Chat (vgl. hierzu auch die Ergebnisse aus den Kapiteln 7.8.3, 7.8.6 und 8.3.4). Die Auszüge 84 und 90 aus der Sequenz E und 89, 91 und 92 aus der Sequenz D zeigen beispielsweise, wie nicht nur die Tutorinnen diejenigen im Chat sind, die die Perspektiven der Chat-Teilnehmer besser verstehen wollen. Auch die Chat-Teilnehmer stellen sich gegenseitig und den Tutorinnen Fragen, bringen einander zum Reflektieren und versuchen damit, die fremden Perspektiven zu verstehen. Der interkulturelle Lernprozess wird daher im JETZT Deutsch lernen-Chat nicht nur von den Tutorinnen initiiert und gefördert, sondern auch von engagierten Lernenden, die sich austauschen sowie Meinungen und Verhaltensweisen sowohl von anderen Chat-Teilnehmern als auch von den Tutorinnen hinterfragen und kritisieren. Schließlich weist die Analyse der ausgewählten Sequenzen darauf, dass es nicht einfach ist, zwischen schwierigen und leichten Themen für die Diskussion im JETZT Deutsch lernen-Chat zu unterscheiden (vgl. Kap. 6.1) Einige Themen lassen sich nur „schwierig“ oder „einfach“ nennen, wenn sie in Zusammenhang mit der Komplexität des Rahmens des hier untersuchten Interaktionsangebots, der Kommunikationsbedingungen und der Individuen, die an den Interaktionen teilnehmen, betrachtet werden. Die Fluktuation, die Anonymität und das heterogene Sprachniveau der Besucher beeinflussen das individuelle Engagement am Austausch und damit die Formen, wie bestimmte Themen interpretiert werden, d.h. die gleichzeitige Zusammensetzung all dieser medienbedingten, rahmenbedingten und persönlichen Aspekte hat einen Einfluss auf den gesamten interkulturellen Austausch. <?page no="298"?> 298 10 Fazit und Ausblick 10.1 Fremdsprachliches Handeln im JETZT Deutsch lernen-Chat Mit der vorliegenden Studie habe ich den Versuch unternommen, anhand der Schwerpunkte Fehlerkorrektur und Sprachbezogene Fragen das fremdsprachliche Handeln im Chat-Raum des Projektes JETZT Deutsch lernen zu untersuchen und somit das Potenzial dieses internetbasierten Angebotes für das Erlernen der deutschen Sprache zu erfassen. Die theoretische Hypothese zum Fremdsprachenlernen, die der Analyse der Daten dieser Arbeit zugrunde lag (vgl. Kap. 1.1), geht davon aus, dass der Fremdsprachenlernprozess am besten durch den Empfang fremdsprachlicher Inputs (Krashen 1985) und durch die Produktion fremdsprachlicher Outputs (Swain 1985) erfolgt, die im Rahmen fremdsprachlicher Interaktionen und Aushandlungsprozesse (Henrici 1995; Long 1983; Pica 1994; Varonis/ Gass 1994) sowie in kollaborativen Dialogen (Swain 2000) geäußert werden. Im Licht dieser Hypothese zeigt die Datenanalyse, dass die DaF-Lernenden im untersuchten Chat-Raum Gelegenheiten erhalten, ihre Kenntnisse der deutschen Sprache in die Praxis umzusetzen, in Echtzeit fremdsprachliche Inputs zu bekommen und Outputs zu produzieren. Die Lernenden können darüber hinaus im fremdsprachlichen Austausch mit den Tutorinnen und mit anderen Lernenden sprachliche Hypothesen aufstellen, ihre Äußerungen kontrollieren, Korrektur erhalten, neue Wörter und Ausdrücke lernen und somit ihre Deutschkenntnisse verbessern. Ferner können sie sich durch die Interaktion im JETZT Deutsch lernen-Chat ihrer fremdsprachlichen Lücken bewusst werden, indem sie sich in der Fremdsprache äußern und dabei merken, was sie bereits können und was nicht. Damit kann die Interaktion im untersuchten Chat einen positiven Beitrag zur Entwicklung der Interlanguage der Lernenden leisten. Die Auswertung der Daten in den Kapiteln 7.8 und 8.3 hat eine Reihe unterschiedlicher Erkenntnisse zutage gefördert. Es ist festzustellen, dass die Tutorinnen und die Chat-Teilnehmer in den Aushandlungsprozessen kooperativ miteinander umgehen. In den hier analysierten Daten des JETZT Deutsch lernen-Chats herrscht große Bereitschaft seitens der Tutorinnen und der Chat-Teilnehmer, DaF-Lernende bei ihrem Lernprozess zu unterstützen und beispielsweise Fehlerkorrekturen vorzunehmen. Damit beabsichtigen sie trotz der Herausforderungen der Kommunikationsbedingungen im Chat (vgl. Kap. 3.1), Korrektheit sowie Verständlichkeit anzustreben, ihr Wissen zu demonstrieren und sprachliche Hilfe zu leisten. In Hinblick auf die Proble- <?page no="299"?> 299 matik der Fremdkorrektur wurde in Kapitel 7.8.6 erläutert, dass es sich um ein heikles Thema handelt. Aus den in den Daten identifizierten unerwünschten Fremdkorrekturen und ihren jeweiligen Ablehnungen lässt sich schlussfolgern, dass Fehlerkorrekturen in didaktisierten Chats den Kommunikationsfluss stören können, da sie die Lernenden einschüchtern und ihre weitere (kooperative) Teilnahme an der Interaktion verhindern können. Wenn Korrekturen gewünscht werden, sollten Lehrende und Lernende gemeinsam eine Auswahl treffen, welche Fehler im Chat berichtigt werden sollen und welche nicht. Im Idealfall erfolgt dies durch eine Absprache über das Verfahren oder eine Vorbesprechung über den Umgang mit Fehlern, so wie es die Tutorinnen im JETZT Deutsch lernen-Chat praktizieren (vgl. Kap. 7.8.5). Nur dadurch können Lehrende und Lernende Klarheit darüber schaffen, ob eine Korrektur gewünscht und notwendig ist, und auf diese Weise etwaigen Missverständnissen und Enttäuschungen bezüglich der Fehlerkorrekturen vorbeugen. Im Hinblick auf die Aushandlungen sprachbezogener Fragen wurde mit der Auswertung der Daten in Kapitel 8.3 gezeigt, wie die Lernenden miteinander und mit den Tutorinnen in der Interaktion entstandene sprachliche Probleme sowie ihre sprachbezogenen Fragen, die in anderen Kontexten (z.B. einem Präsenzkurs) entstanden sind, im untersuchten Chat klären können. Fast alle Fragen wurden beantwortet und keine Frage wurde als überflüssig bezeichnet. Am häufigsten wurden die sprachbezogenen Fragen von den Tutorinnen beantwortet, was dafür spricht, dass die Tutorinnen ihre Rolle als fachlich kompetente Ansprechpartner für Fragen zur deutschen Sprache erfüllten (vgl. Kap. 2.4 und 8.3.4). Bei den Aushandlungen dieser Fragen verwendeten Tutorinnen und Chat-Teilnehmer verschiedene Strategien, wie z.B. Übersetzungen, Synonyme, Umschreibungen, Beispiele und Verweise auf Internetseiten, mit denen sie zum Lernprozess der Lernenden beitrugen. Auch die Teilnehmer engagierten sich im Chat, um sprachbezogene Fragen ihrer Kommunikationspartner zu klären. Dieses kooperative Verhalten verstärkt den didaktischen Rahmen des JETZT Deutsch lernen-Chats. Die Tutorinnen und die Chat-Teilnehmer sind sich dessen bewusst, dass sie sich in einem didaktisierten Chat-Raum für das Erlernen der deutschen Sprache austauschen, also an einem technologiebasierten Lernort, an dem sie sich gegenseitig sprachlich helfen können. Die Analyse des sprachlichen Handelns in den Chat-Sequenzen weist darüber hinaus auf die gemeinsame sprachliche Arbeit der Interaktionsteilnehmer im Hinblick auf das Lösen formaler und inhaltlicher Probleme hin. Die synchrone Interaktion im JETZT Deutsch lernen-Chat fördert die Aktivierung der Kenntnisse der Teilnehmer in der deutschen Sprache und das Üben kognitiver und sprachlicher Operationen, wie z.B. Übersetzen und Paraphrasie- <?page no="300"?> 300 ren. Das im JETZT Deutsch lernen-Chat stattfindende sprachliche Handeln unterstützt die soziale Verbindung zwischen den Tutorinnen und den Chat- Teilnehmern, obwohl sie sich nicht persönlich kennen. Die im Verlauf der Kommunikation entstehenden sprachlichen Probleme oder die zum Chat mitgebrachten Fragen fördern die Interaktion und ermöglichen die Entwicklung einer thematischen Diskussion. Dieses gemeinsame sprachliche Handeln zeigt, dass die Chat-Teilnehmer sowohl bei den Tutorinnen als auch bei ihren anderen Kommunikationspartner darauf vertrauen, dass diese sie auf dem langen Weg des Erlernens der deutschen Sprache unterstützen. Die untersuchten Schwerpunkte des sprachlichen Handelns im Chat, Fremdkorrekturen und Sprachbezogene Fragen, sind nach den Ergebnissen wichtige Bestandteile der interaktionalen Wissenskonstruktion, die im JETZT Deutsch lernen-Chat stattfindet. Dieses sprachliche Handeln kann als „kognitives Sprungbrett“ im Sinne von Araújo e Sá/ Melo (2009: 245) angesehen werden (vgl. Kap. 8.1), da die Lernenden bei den Aushandlungen ihre sprachlichen Hypothesen testen, Verständnisschwierigkeiten überwinden, kollaboratives Wissen konstruieren und somit in ihrem eigenen Lernprozess einen Sprung nach vorne machen können. Die Tutorinnen vom JETZT Deutsch lernen-Chat übernehmen bei dieser kognitiven Arbeit eine entscheidende Rolle. In ihrer Anwesenheit werden häufiger als in den untutorierten Stunden Korrekturen vorgenommen und sprachbezogene Fragen behandelt (vgl. Kap. 7.8.3 und 8.3.2). Ihre Präsenz im Chat kann daher als eine Attraktion für diejenigen DaF-Lernenden angesehen werden, die in ihrem Lernprozess des Deutschen als Fremdsprache einen kognitiven Schritt nach vorne machen wollen. Ferner lässt sich aus den Erkenntnissen dieser Studie schließen, dass didaktisierte Chats wie der JETZT Deutsch lernen-Chat als eine zusätzliche Chance außerhalb des Präsenzunterrichts angesehen werden können, die den Lernenden ermöglicht, in einer weniger hierarchisierten Interaktion ihre fremdsprachlichen Kenntnisse zu verbessern. Der hier untersuchte Chat ist daher nicht nur eine interessante Möglichkeit, mit Tutorinnen und anderen Lernenden zu interagieren, sondern er bietet Lernenden ebenfalls Sprach- und Sprachlernberatung an. Wie die Besucher des JETZT Deutsch lernen- Chats selbst beschrieben haben (vgl. Kap. 6.2), können DaF-Lernende im untersuchten Chat die im Unterricht erlernten Normen mit solchen des alltäglichen Sprachlebens vergleichen und sie je nach Kommunikationssituation erfolgreich in die Praxis umsetzen. Lernende müssen sich dessen bewusst werden, wie sich die Verwendung der deutschen Sprache in formellen Kontexten von der Verwendung in informellen Kontexten - wie im hier untersuchten Chat-Raum - unterscheidet. Für das kommunikative DaF-Lernen ist es jedoch ebenfalls von großer Bedeutung, dass die Lernenden mit non- und <?page no="301"?> 301 substandardsprachlichen Strukturen der deutschen Sprache konfrontiert werden. Daher ist der Einsatz von Chats im Fremdsprachenlernprozess zu befürworten und das Potenzial insbesondere des hier analysierten Chat-Angebots für das kommunikative DaF-Lernen zu unterstreichen. Lernende müssen auf verschiedenste Kommunikationssituationen vorbereitet werden, damit sie spontan, angemessen und erfolgreich in der Fremdsprache kommunizieren können. Diejenigen Lehrenden, die Chats aufgrund der oft nicht normgerechten bzw. zielsprachlich inadäquaten Formulierungen für den DaF-Unterricht für ungeeignet halten, sollen m.E. Normabweichungen nicht fürchten, da diese dem Lernprozess inhärent sind und im Präsenzunterricht, beispielsweise bei mündlichen Referaten, genauso vorkommen können wie im Chat (vgl. Kap. 7.1). Bei der Nachbesprechung einer Chat-Interaktion im Unterricht ist es wichtig, die aufgetretenen Fehler nicht zu stigmatisieren, sondern zu thematisieren (vgl. Kap. 7.5). Das traditionelle Verständnis von Korrektheit sollte in der Arbeit mit Chats relativiert bzw. erweitert werden, um das Motivationspotenzial dieser Kommunikationsform nicht zu verspielen. 10.2 Interkulturelles Handeln im JETZT Deutsch lernen-Chat Ein weiteres Ziel der vorliegenden Studie war es, anhand des Schwerpunktes Kulturbezogene Fragen das interkulturelle Handeln im Chat-Raum des Projektes JETZT Deutsch lernen zu untersuchen und somit das Potenzial dieses internetbasierten Angebotes für das interkulturelle Lernen zu erfassen. Die theoretischen Überlegungen zum interkulturellen Fremdsprachenlernen, die der Analyse der Daten dieser Arbeit zugrunde lagen, gehen davon aus, dass der interkulturelle Fremdsprachenlernprozess am besten durch kontrastiven Austausch über persönliche Erfahrungen und Erlebnisse sowie über Wahrnehmungen und Werte stattfinden soll. Lernende sollen in einem interkulturellen Austausch die fremde Kultur kennen lernen, sie mit ihrer eigenen Kultur vergleichen, über ihre und die fremde Kultur reflektieren und in die Lage versetzt werden, Perspektiven zu wechseln. Fremdsprachenlernende sollen für Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede zwischen den Kulturen sensibilisiert werden, und dies soll möglichst ohne eine automatisch erfolgende Bewertung geschehen (vgl. ABCD-Thesen; Bechtel 2003; Bredella 1988; Hu 1999; Krumm 2007). Im Sinne dieser Ziele des interkulturellen Lernens war es in der Datenanalyse möglich zu zeigen, dass die DaF-Lernenden im untersuchten Chat-Raum durch das Fragen und Antworten zu kulturbezogenen Themen Gelegenheiten erhalten, sich persönlich und emotiv über ihren Glau- <?page no="302"?> 302 ben sowie ihre Werte und Vorstellungen in einer freundschaftlichen Atmosphäre auszutauschen. Die Auswertung der ausgewählten Sequenzen weist auf die Tatsache hin, dass die Austauschprozesse im untersuchten Chat über die reine Vermittlung von Fakten und Informationen hinausgehen und auf einer persönlichen und emotiven Ebene erfolgen können (vgl. Kap. 9.9). Die Tutorinnen und die Besucher des JETZT Deutsch lernen-Chats unterhalten sich über ihre jeweils eigene Kultur, über die Kultur ihrer Kommunikationspartner und über die deutsche Kultur. Dabei vergleichen sie einige Aspekte dieser Kulturen und erzählen einander, wie sie sich fühlen, wie sie bestimmte Ereignisse erlebt haben und was ihnen im Leben wichtig ist. Sie tauschen sich in einer freundschaftlichen und persönlichen Atmosphäre über ihre eigenen Meinungen und individuellen Vorstellungen aus, was das narrative Potenzial des JETZT Deutsch lernen-Chats im Sinne von Rösler (2006) und Tamme (2001) bestätigt (vgl. Kap. 9.7). Die Tatsache, dass in diesem Chat zu interkulturellen Themen gefragt und geantwortet wird, kann m.E. als positiver Schritt auf dem langen Weg des interkulturellen Fremdsprachenlernprozesses angesehen werden (vgl. Kap. 9.9.3). In der Diskussion über Analysemethoden für interkulturelle Austauschprozesse wird dafür plädiert, einen Schwerpunkt auf die diskursiven Inhalte der Unterhaltungen zu setzen (Altmayer 2006, Kap 9.1) und nicht auf die Herkunft der Austauschteilnehmer (Hu 1999, Kap 9.4). Diesem Plädoyer zufolge wurden in der vorliegenden Studie die Äußerungen der Chat-Teilnehmer auf kulturbezogene Fragen qualitativ analysiert. Diese Analyse zeigt, dass die Chat-Teilnehmer sich bei den Chat-Interaktionen überwiegend auf persönliche Erfahrungen, Erlebnisse und aktuelle Alltagsereignisse sowie auf deren allgemeine Meinungen über menschliches Verhalten beziehen. Vertiefende Diskussionen über Stereotypen, Vorurteile und Fremdwahrnehmungen anderer Kulturen kommen in den untersuchten Sequenzen des JETZT Deutsch lernen-Chats selten vor. Tutorinnen und Chat-Teilnehmer bevorzugen in ihren ersten Kontakten im JETZT Deutsch lernen-Chat eher einen persönlichen Austausch über ihre eigenen Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke, anstatt sich auf eine Meta-Ebene über Stereotypen zu unterhalten. Diese Tatsache kann m.E. als ein Versuch angesehen werden, die im untersuchten Chat herrschende freundliche und respektvolle Atmosphäre zu pflegen und Konflikte zwischen Kulturen und Meinungen sowie falsche Interpretationen zu vermeiden. Die Empfehlungen aus der Fremdsprachendidaktik zur Behandlung von Stereotypen im Fremdsprachenunterricht (vgl. Hu 1995; Rösler 1998; Steinmann 1992, Kap. 9.6) müssen für synchrone elektronische Interaktionskontexte wie didaktisierte Text-Chats vorsichtig abgewogen werden. <?page no="303"?> 303 Medienbedingte Aspekte der Chat-Kommunikation und fehlende audiovisuelle Kommunikationsmittel in Chats erschweren ein schnelles Erkennen der Intentionen der Chat-Teilnehmer, wenn sie sich über ihre abstrakten Vorstellungen einer Kultur äußern, wie sie es tun, wenn sie sich über Stereotypen, Vorurteile und persönliche Fremdwahrnehmungen unterhalten. Lehrende und Lernende, die sich in einem didaktisierten Chat über ihre Stereotypen von und Vorurteile gegenüber einer Kultur unterhalten möchten, sollten, um falsche Interpretationen und Konflikte zu vermeiden, sich der Risiken und Schwierigkeiten bewusst werden, die in Chats nicht nur durch Meinungsunterschiede, sondern auch durch die spezifischen Kommunikationsbedingungen verursacht werden können. Die Qualität des Diskurses in den Aushandlungen über kulturbezogene Fragen im JETZT Deutsch lernen-Chat war nur in geringem Maße auf einer vertiefenden und reflektierenden Ebene nachzuweisen - entgegen den in den theoretisch formulierten Definitionen und Zielen des interkulturellen Lernens (vgl. Kap. 9.4 und 9.5). In der Auswertung der ausgewählten Sequenzen wurde festgestellt, dass die Tutorinnen und die Chat-Teilnehmer sich gegenseitig häufiger Fragen stellen, die zu kurzen Antworten einladen, als Fragen, die zu langen Antworten einladen, wie etwa Wie- und Warum-Fragen (vgl. Kap. 9.9.3 und 9.9.4). Dies fördert zwar den persönlichen Austausch und kurze Vergleiche über verschiedene Aspekte der Kulturen der Chat-Teilnehmer im untersuchten Kontext, reicht jedoch nicht aus, um weitere wichtige Ziele des interkulturellen Lerners zu erreichen, wie z.B. die Sensibilisierung für kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie einen Perspektivenwechsel. Daraus ergeben sich folgende Überlegungen: (i) In Bezug auf die Aushandlungen über persönliche Erfahrungen, Glauben, Werte und alltägliche Erlebnisse - zentrale Themen in der Diskussion über interkulturelles Lernen - hat sich gezeigt, dass Fragen, die zu langen Antworten einladen, im untersuchten Chat eine entscheidende Rolle für die Qualität des Austauschs spielen. In diesem Zusammenhang ist es m.E. wichtig, dass diese Fragen in künftigen Studien zu interkulturellen Themen in didaktisierten Chats intensiver berücksichtigt und erforscht werden, da sie dazu führen, dass einzelne Perspektiven und Meinungen erläutert werden, und somit zu einem vertiefenden interkulturellen Austausch beitragen können (vgl. Kap. 9.7). (ii) Bezüglich der Aushandlungen über abstrakte Bilder von einer Kultur ist durch die Ergebnisse der vorliegenden Studie deutlich geworden, dass bestimmte Faktoren einen direkten Einfluss auf die Entwicklung und somit auf die Vertiefung des interkulturellen Austauschs haben, wie z.B. der Rahmen des Chat-Angebots und seine Kommunikationsbedingungen. Darüber hinaus hat die Auswertung der Aushandlungen kulturbezogener Fragen im JETZT Deutsch lernen-Chat dazu beigetragen, dass eine Reihe unterschiedlicher Erkenntnisse über Faktoren, <?page no="304"?> 304 die die Qualität dieser Austauschprozesse beeinflussen, gewonnen werden konnte. Diese Faktoren sind verschiedener Natur: Medienbedingte Aspekte wie Synchronizität, Zeitdruck und ein hoher Grad an Themenwechseln in der Chat-Kommunikation können die Produktions- und Rezeptionsbedingungen der Äußerungen so beeinflussen, dass manche Lernende Schwierigkeiten haben können, sich - noch dazu in einer Fremdsprache - im Chat über kulturbezogene Themen zu äußern (vgl. 9.9.3). Tutorinnen und Chat-Teilnehmer äußern sich schnell, kurz und kontinuierlich, um den Kommunikationspartnern ihre Anwesenheit in der Interaktion zu zeigen und den Redefluss in der Interaktion nicht zu stören (vgl. 3.1). Der freie Zugang des JETZT Deutsch lernen-Chats kann m.E. als eine Schwierigkeit für die Entwicklung eines interkulturellen Austauschs betrachtet werden, da die höhere Fluktuation der Besucher in diesem Chat die Kontinuität und somit die Vertiefung der behandelten Themen erschwert. Die niedrige bzw. praktisch inexistente Verbindlichkeit zwischen Tutorinnen und Chat-Teilnehmern führt dazu, dass ein angefangenes Thema nicht in ausreichendem Maße ernst und vertiefend diskutiert wird. Die Tutorinnen und die Chat-Teilnehmer kennen sich persönlich nicht: Die Chat-Teilnehmer können jederzeit den Raum betreten, sich an der Diskussion beteiligen und auch plötzlich ohne weiteres den Raum verlassen. Die Tutorinnen können im Voraus nicht wissen, mit wie vielen Besuchern und für wie lange sie sich austauschen werden. In jeder neuen Stunde können neue Lernende mit unterschiedlichen Meinungen, Verhaltensweisen, Sprachniveaus, Erfahrungen, Erwartungen und unterschiedlicher Bereitschaft zur Teilnahme an den Diskussionen zum Chat kommen, und diese Tatsache hat natürlich einen direkten Einfluss auf die Qualität des Austauschs. Die Anonymität im Chat und die im Vergleich zum Präsenzunterricht weniger hierarchische Interaktion ermöglichen den Lernenden häufig, die Rolle der Tutorinnen zu übernehmen. Dies passiert nicht nur, weil Lernende andere Lernende und Tutorinnen korrigieren (vgl. Kap. 7.8.3 und 7.8.6) und Fragen beantworten (vgl. Kap. 8.3.4), sondern auch, weil Lernende im untersuchten Chat ohne Angst Kritik an den Tutorinnen und ihren Verhaltensweisen üben können (vgl. Kap. 9.9.4). Ferner ist die Art der Moderation bzw. Tutorierung ein weiterer Faktor, der für die Qualität des Austauschs entscheidend ist. Je nach den Erfahrungen, Denkweisen und dem Bewusstsein der Tutorinnen wird der Austausch anders initiiert und durchgeführt. Die Qualität und damit die Förderung des interkulturellen Austauschs in diesem Chat hängt von der Art ab, wie die Tutorinnen gleichzeitig Fragen stellen, die Diskussion steuern und den gesamten Raum moderieren (vgl. Kap. 9.9.3). Während sich manche Tutorinnen häufig äußern, verschiedene Fragen stellen und jeden neuen Chat-Besuchern begrüßen, halten sich andere Tutorinnen <?page no="305"?> 305 zurück, stellen wenige Fragen und moderieren die Diskussion kaum. Den Tutorinnen ist möglicherweise nicht bewusst, wie wichtig Fragen sind, die zu langen Antworten einladen, weil diese den interkulturellen Austausch eine tiefere Reflexion bestimmter Aspekte einer Kultur fördern. Trotz all dieser Herausforderungen diskutieren Tutorinnen und Chat- Teilnehmer im untersuchten JETZT Deutsch lernen-Chat zwar in einer recht kurzen Art, die jedoch persönlich, authentisch, kontrastiv und reziprok ist. Diese Diskussionen ermöglichen den Besuchern des JETZT Deutsch lernen- Chats Begegnungen mit Fremden und mit fremden Kulturen. Die Qualität des Diskurses in diesen Begegnungen variiert je nach den hier ausgeführten Faktoren. Obwohl es aufgrund der hier bereits diskutierten Herausforderungen nicht in jeder Stunde im JETZT Deutsch lernen-Chat automatisch einen interkulturellen Austausch gibt, bietet potenziell jede Interaktion eine Gelegenheit dazu. 10.3 Aus- und Fortbildung von Chat-Tutoren Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zum sprachlichen und interkulturellen Handeln zeigen, dass es bei didaktisierten Chats zum Erlernen einer Fremdsprache nötig ist, feste Ziele für die Interaktion zu definieren und klare Rollen für die Teilnehmer abzusprechen. Sprach- und kulturbezogene Fragen sollen seitens der Tutoren zwar kurz formuliert werden, aber sie sollten vor allem die Teilnehmer motivieren, sich an der Interaktion zu beteiligen und ihre Einsichten näher zu erläutern. Bei interkulturellen Diskussionen sollten Tutoren Fragen stellen, die die Teilnehmer dazu einladen, ihre Meinungen, Werte und Gefühle vertiefend zu erklären, damit wichtige Ziele des interkulturellen Lernens erreicht werden können, wie die Reflexion über die eigene und die fremde Kultur sowie ein Perspektivenwechsel. Ohne den Rhythmus der Kommunikation zu stören, sollten Chat-Tutoren darüber hinaus stets durch Nachfragen die Aufmerksamkeit der Teilnehmer wachhalten und das Verständnis zu im Chat besprochenen Themen überprüfen. Korrekturen sollten ausschließlich vorgenommen werden, wenn der Korrekturwunsch geäußert bzw. besprochen wurde. Sie sollten nicht nur explizit thematisiert werden, damit sie für die Lernenden im Chat ersichtlich wird, wo und warum eine Korrektur vorgenommen wird, sondern auch in einer freundlichen und hilfreichen Form erfolgen, damit Missverständnisse vermieden und Lernende nicht einschüchtert werden. Da Chat-Tutoren in interkulturellen Austauschprozessen eine entscheidende Rolle spielen, benötigen sie erfahrungsorientierte Aus- und Fortbildungen. Tutoren sollten durch Begleitseminare oder Fortbildungen die Möglichkeit erhalten, Erfahrungen sowohl als Lehrende als auch als Lernende <?page no="306"?> 306 einer Fremdsprache zu sammeln (vgl. Kap. 2.4). Dadurch sollten sie die Herausforderungen kennen lernen, die Lernende in einem Chat-Austausch zum Erlernen einer Fremdsprache begegnen können. Wie Erkenntnisse aus anderen Studien zeigen (vgl. Legutke 2000), ist es wichtig, dass Lehrende selbst interkulturelle Lernprozesse erfahren, um solche bei Lernenden initiieren und fördern zu können. Aus diesen Gründen sollte die Aus- und Fortbildung von Chat-Tutoren aus Erfahrung und Reflexion bestehen (vgl. Araújo e Sá/ Melo 2009, Rösler/ Würffel 2010), damit Tutoren professionell agieren, sich in ihrer Tätigkeit sicher fühlen und ihre Rollen bewusst ausfüllen können. Damit komme ich schließlich zu einer der wichtigsten Prämissen von Freire: Lehren erfordert kritische Reflexion der Praxis (vgl. Freire 2001). Lehrende können ihre zukünftige Praxis nur verbessern, wenn sie kritisch ihre Praxis von heute oder gestern überdenken. In Aus- und Fortbildungen sollten sie die Möglichkeit erhalten, über ihre Praxis nachzudenken und so einen Reflexionsprozess zu initiieren und zu entwickeln. Basierend auf dieser Prämisse von Freire gilt hier ebenfalls für Chat-Tutoren: Je mehr der Tutor sich annimmt, wie er ist, und die Gründe versteht, warum er so ist, desto eher ist er in der Lage, sich und seine Praxis zu verändern und zu verbessern. 10.4 Gestaltung weiterer frei zugänglicher didaktisierter Chat- Räume Bereits vorhandene Chat-Studien in der Fremdsprachendidaktik zeigen, dass sie alle entweder in Chats durchgeführt wurden, die exklusiv für die Lernenden und somit für die Forschung programmiert worden waren, oder in frei zugänglichen Chat-Räumen, die jedoch nicht didaktisiert und somit nicht speziell für das Erlernen einer Fremdsprache konzipiert waren. Mit der vorliegenden Studie wurde ein Chat-Raum untersucht, der als neuartiges Beispiel im Bereich der neuen Medien und in der Fremdsprachendidaktik betrachtet werden kann, da er frei zugänglich und gleichzeitig für das Erlernen des Deutschen als Fremdsprache konzipiert ist. Das Konzept, das dem JETZT Deutsch lernen-Chat zugrunde liegt, berücksichtigt die Intention, DaF-Lernenden und allen anderen an der deutschen Sprache und Kultur Interessierten, eine synchrone und authentische Kommunikationsform zu bieten, durch die Menschen aus der ganzen Welt miteinander in Kontakt treten können. Darüber hinaus ist es Teil des Konzeptes dieses Chats, DaF-Lernenden regelmäßig durch tutorierte Stunden kompetente Ansprechpartner aus Deutschland zur Verfügung zu stellen, mit denen sie ihre Fragen zu Sprache und Kultur diskutieren können. Dieses Konzept kann daher als Modell für Bildungsinstitutionen (wie z.B. Universitäten oder Schulen) angesehen werden, die beabsichti- <?page no="307"?> 307 gen, ihren Studierenden oder Schülern eine Möglichkeit zu bieten, durch die sie ihre fremdsprachlichen und interkulturellen Kenntnisse verbessern können. Als Chat-Tutoren könnten beispielsweise Fremdsprachenstudierende oder Schüler tätig werden, die sprachlich auf einem höheren Niveau sind und eventuell bereits Erfahrungen im Zielsprachland gesammelt haben. Wichtig für die Gestaltung eines solchen frei zugänglichen didaktisierten Chat-Raums - wie des JETZT Deutsch lernen-Chats - ist darüber hinaus die Berücksichtigung didaktischer, linguistischer, interaktionaler, medialer und interkultureller Aspekte. Zu den didaktischen Aspekten gehört die Überlegung, welche Rollen die Tutoren und die Lernenden im Chat übernehmen sollen, welche Ziele verfolgt und welche Aufgaben erfüllt werden sollen. Für den Erfolg des Chats ist es wichtig, dass sich alle Beteiligten ihrer Rolle bewusst sind, sich respektieren, miteinander kooperieren und versuchen, die geplante Aufgabe zu erfüllen. Die linguistischen Aspekte beziehen sich auf die sprachlichen Merkmale der Chat-Kommunikation. Es ist nötig, dass sowohl die Tutoren als auch die Lernenden wissen, wie sie am besten im Chat kommunizieren, um lange Wartezeiten auf eine Antwort und Missverständnisse zu vermeiden. Alle Teilnehmer sollen sich schnell und möglichst kurz und klar äußern. Für einen frei zugänglichen didaktisierten Chat zum Erlernen einer Fremdsprache ist es wichtig, auf Korrektheit zu achten und Abkürzungen zu vermeiden, die eventuell nicht für alle verständlich sein könnten. Zu den interaktionalen Aspekten gehört die Bereitschaft der Tutoren und der Lernenden, sich aktiv in der Interaktion zu engagieren, damit ein intensiver Austausch erfolgt. Anwesenheit im Chat wird durch eine aktive Teilnahme an der Interaktion gezeigt und nicht nur durch den reinen Besuch des Chats. Die medialen Aspekte beziehen sich auf die medienbedingten Eigenschaften der Chat-Kommunikation wie die Synchronizität, die dazu führt, dass mehrere Themen gleichzeitig im Chat behandelt werden können. Die Teilnehmer müssen wissen, dass sie Strategien brauchen, die die Produktion und Rezeption der Äußerungen erleichtern und den Rhythmus der Kommunikation nicht beeinträchtigen. Schließlich gehört zu den interkulturellen Aspekten die Bereitschaft der Tutoren und der Lernenden, respektvoll mit Menschen aus anderen Kulturen umzugehen. Wichtig für einen frei zugänglichen didaktisierten Chat-Raum zum Erlernen einer Fremdsprache ist, dass die Tutoren und die Lernenden Chancen haben, kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede wahrzunehmen, sie zu vergleichen und über sie zu reflektieren, ohne sie automatisch zu bewerten. Wenn der Versuch unternommen wird, all diese Aspekte gleichzeitig zu berücksichtigen, halte ich die Gestaltung weiterer frei zugänglicher didaktisierter Chat-Räume für das Erlernen anderer Sprachen in Bildungsinstitutionen für möglich und sinnvoll. <?page no="308"?> 308 Literaturverzeichnis ABCD-Thesen zur Rolle der Landeskunde im Deutschunterricht (1990): Fremdsprache Deutsch, 3. München: Klett, 60-61. Abendroth-Timmer, Dagmar (1998): Der Blick auf das andere Land: ein Vergleich der Perspektiven in Deutsch-, Französisch- und Russischlehrwerken. Tübingen: Narr. Abrams, Zsuzsanna Ittzes (2003): The effect of synchronous and ansynchronous CMC on oral performance in German. The Modern Language Journal, 87, 157-167. Allwright, R. (1984): The importance of Interaction in Classroom Language Learning. Applied Linguistics, 5, 2, 156-171. Almeida, Maria Elisa C./ Marques, Gabriela d. O. (2006). Lendo no papel e na tela. In: Zyngier/ Viana/ Spallanzani (Hrsg.), 41-52. Altmayer, Claus (2006): Landeskunde als Kulturwissenschaft. Ein Forschungsprogramm. Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache, 32, 181-199. Andrade, Ana Isabel/ Araújo e Sá, Maria Helena/ Melo, Silvia (2002): Beso em português diz-se beijo…; *. Stratégies d’intercompréhension en situation de chat plurilingue romanophone. In: Actas do 4°Seminário do Projecto Galanet, Madrid, 20-24 de Novembro de 2002. Araújo e Sá, Maria Helena/ Melo, Silvia (2003): Del caos a la creatividad: los chats entre lingüístas y didactas. In: López Alonso, Covadonga/ Séré, Arlette (Hrsg.). Nuevos géneros discursivos: los textos electrónicos. Madrid: Biblioteca Nueva, 45-61. Araújo e Sá, Maria Helena/ Melo-Pfeifer, Silvia (2009): Co-construcción de saberes lingüísticos en los chats plurilingües en lenguas románicas. In: López Alonso, Covadonga/ Barrio, María Matesanz del (Hrsg.). Las plataformas de aprendizaje. Madrid: Biblioteca Nueva, 225-251. Arena, Carla (2008): Blogging in the Language Classroom: It Doesn’t “Simply Happen”. TESL-EJ, 11, 4, 1-7. Arnold, Patricia (2001): Didaktik und Methodik telematischen Lehrens und Lernens. Münster; New York; München; Berlin: Waxmann. Bachmann, Saskia Gerhold, Sebastian/ Müller, Bernd-Dietrich/ Wessling, Gerd (1995a): Sichtwechsel neu 1. Textbuch und Arbeitsbuch. München: Klett. Bachmann, Saskia Gerhold, Sebastian/ Müller, Bernd-Dietrich/ Wessling, Gerd (1995b): Sichtwechsel neu 1, 2, 3. Allgemeine Einführung. München: Klett. Bakhtin, Mikhail ([1979]. 1992): Os gêneros do discurso. In: Bakhtin, M. Estética da criaç-o verbal. S-o Paulo: Martins Fontes, 277-326. <?page no="309"?> 309 Barber, Beth/ Zhang, Felicia (Hrsg.) (2008): Handbook of Research on Computer Enhanced Language Acquisition and Learning, IDEA. Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.) (1994): Interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 14. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr. Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.) (2007): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 5. Auflage. Tübingen und Basel: A. Francke. Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.) (2000): Interaktion im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Tübingen: Narr. Bausinger, Herrmann (1988): Stereotypie und Wirklichkeit. Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache, 14, 157-170. Beauvois, Margaret Healy (1997): Computer-mediated Communication (CMC): Technology for improving speaking and writing. In: Bush, Michael D./ Terry, Robert M. (Hrsg.). Technology-enhanced language learning. Lincolnwood, IL: National Textbook Company, 165-184. Bechtel, Mark (2003): Interkulturelles Lernen beim Sprachenlernen im Tandem. Eine diskursanalytische Untersuchung. Tübingen: Narr. Beißwenger, Michael (2000): Kommunikation in virtuellen Welten: Sprache, Text und Wirklichkeit. Stuttgart: Ibidem. Beißwenger, Michael (Hrsg.) (2001a): Chat-Kommunikation. Sprache, Interaktion, Sozialität & Identität in synchroner computervermittelter Kommunikation. Perspektiven auf ein interdisziplinäres Forschungsfeld. Stuttgart: Ibidem. Beißwenger, Michael (2001b): Das interaktive Lesespiel. Chat-Kommunikation als mediale Inszenierung. In: ders. (Hrsg.), 79-138. Beißwenger, Michael (2007): Sprachhandlungskoordination in der Chat-Kommunikation. Berlin, New York: Gruyter. Belz, Julie A./ Thorne, Steven L. (Hrsg.) (2006): Internet-Mediated Intercultural Foreing Language Education. Boston: Heinle. Belz, Julie A. (2007): The Development of Intercultural Communicative Competence in Telecollaborative Partnerships. In: O’Dowd (Hrsg.), 127-166. Biebighäuser, Katrin/ Marques-Schäfer, Gabriela (2009): DaF-Lernen online: Die Chat-Angebote des Goethe-Instituts in JETZT Deutsch lernen und Second Life. InfoDaF, 5, 36, 411-428. Biebighäuser, Katrin/ Marques-Schäfer, Gabriela (2011): Der narrative Zugang als ein Potenzial digitaler Medien für das interkulturelle Deutsch-als-Fremdsprachen-Lernen. In: Schmenk, Barbara/ Würffel, Nicola (Org.). Drei Schritte vor und manchmal auch sechs zurück. Tübing: Narr, 111-122. <?page no="310"?> 310 Biechele, Markus/ Rösler, Dietmar/ Ulrich, Stefan/ Würffel, Nicola (2003): Internet- Aufgaben Deutsch als Fremdsprache. Stuttgart: Klett. Bittner, Johannes (2003): Digitalität, Sprache, Kommunikation. Eine Untersuchung zur Medialität von digitalen Kommunikationsformen und Textsorten und deren varietätenlinguistischer Modellierung. Berlin (Philologische Studien und Quellen, 178). Blake, Robert (2000): Computer mediated communication: a window on L2/ LE spanish interlanguage. Language Learning & Technology, 4, 1, 120-136. Bleyhl, Werner (1994): Das Lernen von Fremdsprachen ist interkulturelles Lernen. In: Bausch/ Christ/ Krumm (Hrsg.), 9-20. Bortz, Jürgen/ Döring, Nicola (2003): Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler. Berlin: Springer. Böhlke, Olaf (2003): Adjective Production by Learners of German in Chatroom and Face-to-Face Discussions. Die Unterrichtspraxis/ Teaching German, 36, 1, 67-73. Bredella, Lothar/ Haack, Dietmar (Hrsg.) (1988): Perceptions and misperceptions: the United States and Germany. Studies in intercultural understanding. Tübingen: Narr. Bredella, Lothar (1988): How Is Intercultural Understanding Possible? In: Bredella/ Haack (Hrsg.), 1-25. Bredella, Lothar/ Delanoy, Werner (Hrsg.) (1999a): Interkultureller Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Narr. Bredella, Lothar/ Delanoy, Werner (Hrsg.) (1999b): Einleitung: Was ist interkultureller Fremdsprachenunterricht. In: dies. (Hrsg.), 11-31. Brinker, Klaus/ Sager, Sven F. (2001): Linguistische Gesprächsanalyse. Eine Einführung. Berlin: ESV. Byram, Michael (1997): Teaching and Assessing Intercultural Communicative Competence. Clevedon et al: Multilingual Matters. Cardoso, Teresa/ Melo, Silvia/ Rebelo, Ida M. (2006): Algumas configurações de didacticidade em chats como tarefa em aula de Língua Estrangeira. In: Da Investigaç-o às Práticas - Estudos de Natureza Educacional. Revista do Centro Interdisciplinar de Estudos Educacionais. ESE- Lisboa. V. VI., 79-102. Chaudron, Craig (1985): Comprehension, comprehensibility and learning in the second language classroom. Studies in Second Language Acquisition, 7, 216- 232. Chun, Dorothy M. (1994): Using computer networking to facilitate the acquisition of interactive competence. System, 22, 1, 17-37. Corder, Stephen Pit (1967): The significance of learner’s erros. International review of applied linguistics, 5, 161-170. Crystal, David (2001): Language and the Internet. Cambridge: C.U.P. <?page no="311"?> 311 Desgranges, Ilke (1990): Korrektur und Spracherwerb. Selbst- und Fremdkorrekturen in Gesprächen zwischen Deutschen und ausländischen Kindern. Frankfurt a.M..: Peter Lang. Dörnyei, Zoltán (2007): Research Methods in Applied Linguistics. Oxford: O.U.P. Doyé, Peter/ Meißner, Franz-Joseph (Hrsg.) (2010): Lernerautonomie durch Interkomprehension: Projekte und Perspektiven = Promoting learner autonomy through intercomprehension = Láutonomisation de l`apprenant par l´intercompréhension. Tübingen: Narr. Ducate, Lara/ Arnold, Nike (Hrsg.) (2006): Calling on CALL: From Theory and Research to New Directions in Foreign Language Teaching. Texas: CALICO. Dürscheid, Christa (2003): Medienkommunikation im Kontinuum von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Theoretische und empirische Probleme. Zeitschrift für Angewandte Linguistik, 38, 37-56. Edmondson, Willis/ House, Juliane (1998): Interkulturelles Lernen: ein überflüssiger Begriff. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung, 9, 2, 161-188. Edmondson, Willis/ House, Juliane (2007): Interaktion beim Lehren und Lernen fremder Sprachen. In: Bausch et al (Hrsg.), 242-247. Europarat/ Rat für kulturelle Zusammenarbeit (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. (Hrsg.) von Goethe Institut Inter Nationes, der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK), der Schweizerischen Konferenz der Kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) und dem österreichischen Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (BMBWK). Berlin, München, Wien, Zürich, New York: Langenscheidt. Ellis, Rod (1997): Second language acquisition. Oxford: O.U.P. Ellis, Rod (1999): Learnig a second language through interaction. Amsterdam/ Philadelphia: John Benjamins. Engler, Lela-Rose (2003): Einsatz eines didaktisch gelenkten Chatrooms im Fremdsprachenunterricht. Linguistik online, 15, 3. Fausto, Fabiana Macedo (2006): A interaç-o texto-imagem - papel ou tela? Um estudo sobre a leitura de textos literários por crianças. In: Zyngier/ Viana/ Spallanzani, (Hrsg.), 25-40. Finkbeiner, Claudia/ Koplin, C. (2002): A cooperative approach for facilitating intercultural education. Reading Online, 6, 3. Freire, Paulo (2001): Pedagogia dos sonhos possíveis. In: Freire, Ana M. (Hrsg.). S-o Paulo: Unesp. Gass, Susan M./ Varonis, Evangeline M. (1985): Variation in native speaker modification to nonnative speakers. Studies in Second Language Acquisition, 7, 37-58. Gass, Susan M./ Varonis, Evangeline M. (1994): Input, interaction, and second language production. Studies in Second Language Acquisition, 16, 283-302. <?page no="312"?> 312 Gnutzmann, Claus (1994): Interkulturelles Lernen: Auch noch im Fremdsprachenunterricht? In: Bausch et al. (Hrsg.), 63-72. Goffman, Erving (1971): Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Halliday, Michael A.K. (1978): Language as Social Semiotic. The Social Interpretation of Language and Meaning. London: Edward Arnold. Henrici, Gert (1995): Spracherwerb durch Interaktion. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Henrici, Gert (2000): “Wer (Fremd)sprachenerwerb sagt, muss auch Interaktion sagen.” Anmerkungen zu einer zentralen Kategorie bei der Erforschung des Fremdsprachenerwerbs. In: Bausch/ Christ/ Königs/ Krumm (Hrsg.), 104-110. Hog, Martin/ Müller, Bernd/ Wessling, Gerd (1987): Sichtwechsel. Elf Kapitel zur Sprachsensibilisierung, Handbuch für den Unterricht. München: Klett Edition Deutsch. Holly, Werner (1997): Zur Rolle von Sprache in Medien. Semiotische und kommunikationsstrukturelle Grundlage. In: Muttersprache, 1, 64-75. Hu, Adelheid (1995): Spielen Vorurteile im Fremdsprachenunterricht eine positive Rolle? In: L. Bredella (Hrsg.): Verstehen und Verständigung durch Sprachenlernen? Dokumentation des 15. Kongresses für Fremdsprachendidaktik, veranstaltet von der DGFF vom 4.-6. Oktober 1993 in Gießen. Bochum: Brockmeyer, 487-495. Hu, Adelheid (1999): Interkulturelles Lernen. Eine Auseinandersetzung mit der Kritik an einem umstrittenen Konzept. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung, 10, 2, 277-303. Huneke, Hans-Werner/ Steinig, Wolfgang (2005): Deutsch als Fremdsprache. Eine Einführung. 4. Auflage. Neuburg: ESV. Issing, Ludwig J./ Klimsa, Paul (Hrsg.) (2002): Information und Lernen mit Multimedia und Internet. 3., vollständig überarbeitete Auflage. Weinheim: Beltz. Iwasaki, Junko/ Oliver, Rhonda (2003): Chatline interaction and negative feedback. In: Australian Review of Applied Linguistics, 17, 60-73. Jepson, Kevin (2005): Conversations - and negotiated interaction - in text and voice chat rooms. Language Learning & Technology, 9, 3, 79-98. Kast, Bernd/ Neuner, Gerhard (Hrsg.) (1994): Zur Analyse, Begutachtung und Entwicklung von Lehrwerken für den fremdsprachlichen Deutschunterricht. Berlin/ München: Langenscheidt. Kern, Richard (1995). Restructuring classroom interaction with networked computers: Effects on quantity and characteristics of language production. Modern Language Journal, 79, 457-476. Kern, Richard (2000): Computers, language and literacy. In: Kern, Richard (Hrsg.). Literacy and language teaching. Oxford: O.U.P., 223-266. <?page no="313"?> 313 Kerres, Michael (2001): Multimediale und telemediale Lernumgebungen. Konzeption und Entwicklungen. 2., vollständig überarbeitete Auflage. München; Wien: Oldenbourg. Kilian, Jörg (2005): DaF im Chat. Zur Grammatik geschriebener Umgangsprache und ihrem interaktiven Erwerb in computervermittelten Gesprächen. In: Beißwenger, Michael/ Storrer, Angelika (Hrsg.) Chat-Kommunikation in Beruf, Bildung und Medien. Stuttgart: Ibidem, 201-220. Kleppin, Karin (1998): Fehler und Fehlerkorrektur. (Fernstudienprojekt zur Fort- und Weiterbildung im Bereich Germanistik und Deutsch als Fremdsprache, Teilbereich Deutsch als Fremdsprache, Fernstudieneinheit 19) Berlin u.a.: Langenscheidt. Kleppin, Karin (2006): Sprachlernberatung auf Distanz. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht, 11: 2, 6 S. [Online: http: / / zif.spz.tudarmstadt.de/ jg-11-2/ beitrag/ Kleppin1.htm]. Knierim, Markus (2004): Chatten im Fremdsprachenunterricht - Making the most of it. In: Mitteilungsheft des Fachverbands Moderne Fremdsprachen, Landesverband Hessen, 18, 47-59. Knopp, Matthias (2006): (Sprach-)didaktische Potenziale synchroner computervermittelter Kommunikation und ihre empirische Überprüfbarkeit. In: Androutsopoulos, Jannis K./ Runkehl, Jens/ Schlobinski, Peter/ Siever, Torsten (Hrsg.). Neuere Entwicklungen in der linguistischen Internetforschung. Zweites internationales Symposium zur gegenwärtigen linguistischen Forschung über computervermittelte Kommunikation. Universität Hannover. Oktober 2004. Hildesheim u.a.: Georg Olms Verlag, 297-322. Koch, Peter/ Oesterreicher, Wulf (1985): Sprache der Nähe - Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte. In: Romanistisches Jahrbuch, 36, 15-43. Königs, Frank G. (2007): Die Dichotomie Lernen/ Erwerben. In: Bausch/ Christ/ Krumm (Hrsg.), 435-439. Kost, Claudia (2004): An Investigation of the effects of synchronous computer-mediated communication (CMC) on interlanguage development in beginning learners of German: Accuracy, proficiency, and communication strategies. Dissertation. University of Arizona. Kötter, Markus (2002): Tandem learning on the Internet. Learner interactions in virtual online environments (Moos). Frankfurt a. M.: Peter Lang. Kramsch, Claire (1995): Context and Culture in Language Teaching. Oxford: O.U.P. Kramsch, Claire (1998): Language and Culture. Oxford: O.U.P. Krashen, Stephen D. (1985): The Input Hypothesis: Issues and Implications. London. <?page no="314"?> 314 Krumm, Hans-Jürgen (1994): Interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht. In: Bausch/ Christ/ Krumm (Hrsg.), 116-127. Krumm, Hans-Jürgen (2007): Curriculare Aspekte des interkulturellen Lernens und der interkulturellen Kommunikation. In: Bausch/ Christ/ Krumm (Hrsg.), 138-144. Kung, Shiao-Chuan (2004): Synchronous electronic discussion in an EFL reading class. ELT Journal, 58, 2, 164-173. Kuckartz, Udo (2007): Einführung in die computergestützte Analyse qualitativer Daten. 2. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag. Lai, Chun/ Zhao, Yong (2006): Noticing in text-based online chat. Language Learning and Technology, 10, 3, 102-120. Lantolf, James P. (Hrsg.): Socialcultural theory and second language learning. New York: O.U.P. Larsen-Freeman, Diane (1986): Techniques and principles in language teaching. New York: O.U.P. Lee, Lina (2001): Online Interaction: negotiation of meaning and strategies uses among learners of Spanisch. In: ReCALL, 13, 2, C.U.P., 232-244. Legutke, Michael (2000): Lehrer als Lerner. Fremdverstehen durch „entdeckende und erlebte Landeskunde“ in der Lehrerfortbildung. In: Bredella, Lothar/ Meißner, Franz-Joseph/ Nünning, Ansgar/ Rösler, Dietmar (Hrsg.). Wie ist Fremdverstehen lehr- und lernbar? Vorträge aus dem Graduiertenkolleg „Didaktik des Fremdverstehens“. Tübingen: Narr, 18-42. Legutke, Michael/ Rösler, Dietmar (Hrsg.) (2003): Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien. Tübingen: Narr Liang, Mei-Ya (2010): Using synchronous online peer response groups in EFL writing: revision-related discourse. Language Learning & Technology, 14, 1, 45-64. Lippmann, Walter (1949): Public Opinion. New York: Macmillan, 79-158. Long, Michael H. (1981): Input, interaction, and second-language acquisition. In: Winitz, H. (Hrsg.). Native language and foreign language acquisition. Annals of the New York Academy of Sciences, 379, 259-278. Long, Michael H. (1982): Native speaker/ non-native speaker conversation in the second language classroom. In: Long, M./ Richards,C. (Hrsg.). Methodology in TESOL: A Book of Readings. New York: Newbury House Publishers, 339-354. Long, Michael H. (1983): Linguistic and conversational adjustments to non-native speakers. Studies in Second Language Acquisition, 5, 177-193. Marcoccia, Michel (2004): La communication écrite médiatisée par ordinateur: faire du face à face avec de l'écrit. Comunicaç-o oral na Journée d'étude de l'ATALA "Le traitement automatique des nouvelles formes de communication écrite (e-mails, fórum, chats, SMS, etc)". [Letztes Abrufdatum 22.03.13; http: / / www.up.univ-mrs.fr/ ~veronis/ je-nfce/ Marcoccia.pdf] <?page no="315"?> 315 Marcuschi, Luiz .A. (2004): Gêneros Textuais emergentes no contexto da tecnologia digital. In: Marcuschi, Luiz A./ Xavier, Antonio C. (Hrsg.). Hipertexto e Gêneros digitais: Novas formas de construç-o do sentido. Rio de Janeiro: Lucerna, 13-67. Marcuschi, Luiz .A. (2005): Gêneros textuais: definiç-o e funcionalidade. In: Dionisio, Angela P./ Machado, Anna R./ Bezerra, Maria A. (Hrsg.). Gêneros textuais e ensino. Rio de Janeiro: Lucerna, 19-36. Marques, Gabriela d. O. (2006): Tecnologia e internet no ensino de língua estrangeira: Avaliaç-o discursida de professores e alunos. Tese de Mestrado. Pontifícia Universidade Católica do Rio de Janeiro. Marques, Gabriela d. O./ Zibelius, Marja (2008): DaF-Lernen im Internet: Das Angebot des Projektes JETZT Deutsch Lernen. Projekt - Revista dos professores de alem-o no Brasil, 46, 26-31. Marques, Gabriela d. O. (2009): Praktische Überlegungen zum Einsatz von Chats im DaF-Unterricht am Beispiel der Angebote des Goethe-Instituts. Projekt - Revista dos professores de alem-o no Brasil, 47, 24-29. Marques-Schäfer, Gabriela/ Platten, Eva (2010): DaF-Lernen in Chat und Wiki: Der Umgang mit Normen in zwei interaktiven Lernangeboten. In: Dose, Stefanie/ Götz, Sandra/ Brato, Thorsten/ Brand, Christiane (Hrsg.). Norms in Educational Linguistics = Normen in Educational Linguistics. Linguistic, Didactic and Cultural Perspectives = Sprachwissenschaftliche, didaktische und kulturwissenschaftliche Perspektiven. Frankfurt a. M.: Peter Lang, 137-157. Marques-Schäfer, Gabriela (2010): Zur Rolle von Online-Tutoren in einem frei zugänglichen didaktisierten Chat-Raum. In: Altmayer, Claus; Mehlhorn, Grit; Neveling, Christiane; Schlüter, Norbert; Schramm, Karen (Hrsg.). Dokumentation zum 23. Kongress für Fremdsprachendidaktik der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung (DGFF). Leipzig, 2009. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren,155-165. Marterer, Julia J. (2006): Sprache und Neue Medien: Analyse des Sprachgebrauchs in den Kommunikationsformen E-Mail und Chat. Dissertation. Justus-Liebig- Universität Giessen. Mebus, Gudula/ Pauldrach, Marlene Rall/ Rösler, Dietmar (1987): Sprachbrücke. Bd. I, München: Klett. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest: JIM-Studie 2008. [Letztes Abrufdatum 22.03.13; http: / / www.mpfs.de/ fileadmin/ JIM-pdf08/ JIM-Studie_ 2008.pdf]. Mehlhorn, Grit/ Kleppin, Karin (2006): Sprachlernberatung. Einführung in den Themenschwerpunkt. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachen-unterricht, 11, 2, 12 S. [Letztes Abrufdatum 22.03.13; http: / / zif.spz.tu-darmstadt.de/ jg-11-2/ beitrag/ MehlhornKleppin1.htm] <?page no="316"?> 316 Melo, Silvia (2006): Emergência e Negociaç-o de Imagens das línguas em Encontros Interculturais Plurilingues em Chat. Dissertation. Universidade de Aveiro. Mishan, Freda (2007): Online Chat: “an emergent language variety” - but how usefull for language learning? In: Conacher, Jean E./ Kelly-Holmes, Helen (Hrsg.). New Learning Environments for Language Learning. Moving beyond the classroom? Frankfurt a. M.: Lang, 189-204. Motta-Roth, Désirée (2001): De receptador de informaç-o a construtor de conhecimento: o uso do chat no ensino de inglês para formandos de letras. In: Paula, M.R.B. de/ Paraense, S.C.L. Estudos em lingüística e literatura. Santa Maria: UFSM/ Pallotti. Müller, Bernd-Dietrich (1994): Fremdsprachenunterricht als Ausgangspunkt für interkulturelles Lernen. In: Bausch/ Christ/ Krumm (Hrsg.), 155-164. Netretti, Raffaella (1999): Web-based activities and SLA: a conversation analysis research approach. Language Learning & Technology, 3, 1, 75-87. Neuner, Gerhard/ Hunfeld, Hans (1993): Methoden des fremdsprachlichen Deutschunterrichts: Eine Einführung. (Fernstudienprojekt zur Fort- und Weiterbildung im Bereich Germanistik und Deutsch als Fremdsprache, Teilbereich Deutsch als Fremdsprache, Fernstudieneinheit 4). Berlin (u.a.): Langenscheidt. Neuner, Gerhard (2007): Vermittlungsmethoden: Historischer Überblick. In: Bausch/ Christ/ Krumm (Hrsg.), 225-234. O’Dowd, Robert (Hrsg.) (2007): Online Intercultural Exchange. Multilingual Matters. O’Dowd, Robert (2007): Foreign Language Education and the Rise of Online Communication: A Review of Promises and Realities. In: ders. (Hrsg.), 17-40. O’Sullivan, Emer (1987): Der produktive Umgang mit nationalen Stereotypen in der Kinder- und Judendliteratur als Teil landeskundlicher Bewusstmachung im Fortgeschrittenunterricht. Neusprachliche Mitteilungen, 4, 217-222. O’Sullivan, Emer (1992): Aktuelles Fachlexikon: Stereotyp und Vorurteil, Selbstbild und Fremdbild. Fremdsprache Deutsch - Zeitschrift für die Praxis Deutschunterrichts, 6, 65. Ollivier, Christian (2008): Der Einfluss von Anonymität in didaktischen Chats. In: Boeckmann, Klaus/ Rieder-Bünemann, Angelika/ Vetter, Eva (Hrsg.). eLernen/ eLearning/ Apprentissage en ligne in der sprachbezogenen Lehre: Prinzipien, Praxiserfahrungen und Unterrichtskonzepte. Frankfurt a. M.: Peter Lang, 51- 70. Payne, Scott J./ Whiney, Paul J. (2002): Developing L2 Oral Proficiency through Synchronous CMC: Output, Working Memory, and Interlanguage Development. CALICO Journal, 20, 1, 7-32. <?page no="317"?> 317 Payne, Scott J./ Ross, Brenda, M. (2005): Synchronous CMS, working memory, and L2 oral proficiency development. Language Learning & Technology, 9, 3, 35-54. Pauldrach, Andreas (1992): Eine unendliche Geschichte. Anmerkungen zur Situation der Landeskunde in den 90er Jahren. Fremdsprache Deutsch, 6, 4-15. Pellettieri, Jill (2000): Negotiation in cyberspace: the role of chatting in the development of grammatical competence. In: Warschauer/ Kern (Hrsg.), 59-86. Pica, Teresa/ Young, Richard/ Doughty, Catherine (1987): The impact of interaction on comprehension. TESOL Quarterly, 21, 4, 737-759. Pica, Teresa (1994): Research on negotiation: what does it reveal about secondlanguage learning conditions, processes and outcomes? Language Learning, 44, 3, 493-527. Piepho, Hans-Eberhard (1974): Kommunikative Kompetenz als übergeordnetes Lernziel im Englischunterricht. Dornburg-Frickhofen: Frankonius. Peuschel, Kristina (2009): Sprachliche Aktivitäten in Projekten - Radioprojekte für Deutsch als Fremdsprache aus der Lernendenperspektive, In: Baumann, Beate/ Hoffmann, Sabine/ Nied, Martina. (Hrsg.). Beiträge der Arbeitsgruppen der 3. Tagung Deutsche Sprachwissenschaft in Italien Rom 2008. (Deutsche Sprachwissenschaft international). Frankfurt a. M.: Peter Lang Verlag, 107- 121. Platten, Eva (2003): Chat-Tutoren Didaktischen Chat-Raum. Sprachliche Hilfen und Moderation. In: Legutke, Michael/ Rösler, Dietmar (Hrsg.). Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien. Tübingen: Narr, 145-177. Platten, Eva (2008): Gemeinsames Schreiben im Wiki-Web. Aktivitäten in einer untutorierten Schreibwerkstatt für fortgeschrittene Deutschlernende. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht, 13,1. Rall, Marlene (1994): Sprachbrücke 1. Handbuch für den Unterricht. München: Klett. Rebelo, Ida M. (2006): Interaç-o em ambientes virtuais: negociaç-o e contruç-o de conhecimento em Português como Segunda Língua. Dissertation. Pontifícia Universidade Católica do Rio de Janeiro. Rebelo, Ida M./ Mathias, Leila/ Marques, Gabriela de O. (2007): A intercompreens-o, os diferentes repertórios e sua gest-o - uma proposta de comparaç-o. In: Capucho, F., Aleves Martins, A., Degache, C./ M. Tost (Hrsg.). Atas do Colóquio Internacional Diálogos em Intercompreens-o. Lisboa: Universidade Católica Ed., 431-443. Robert Bosch Stiftung/ Deutsch-Französisches Institut (Hrsg.) (1982): Fremdsprachenunterricht und internationale Beziehung. Stuttgarter Thesen zur Rolle der Landeskunde im Französischunterricht. Gerlingen: Bleicher. Rösler, Dietmar (1993): Drei Gefahren für die Sprachlehrforschung im Bereich Deutsch als Fremdsprache: Konzentration auf prototypische Lernergruppen, <?page no="318"?> 318 globale Methodendiskussion, Trivialisierung und Verselbständigung des Interkulturellen. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache, 19, 77-99. Rösler, Dietmar (1994): Deutsch als Fremdsprache. Stuttgart/ Weimar: Metzler. Rösler, Dietmar (2004): E-Learning Fremdsprachen - eine kritische Einführung. Stauffenburg, Tübingen. Rösler, Dietmar (2006): Deutsch als Fremdsprache mit digitalen Medien - ‚Freund’ und ‚Feind’ des interkulturellen Lernens. In: Reeg, Ulrike (Hrsg). Interkultureller Fremdsprachenunterricht: Grundlagen und Perspektiven. Bari: edizioni di pagina, 67-77. Rösler, Dietmar (2008): Deutsch mit digitalen Medien - Versuch einer Zwischenbilanz im Jahr 2008. InfoDaF, 35, 4, 373-389. Rösler, Dietmar (2010): Die Funktion von Medien im Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache-Unterricht. In: Krumm, Hans-Jürgen/ Fandrych, Christian/ Hufeisen, Britta/ Riemer, Claudia (Hrsg). Deutsch als Fremd- und Zweitsprache: Ein internationales Handbuch (HSK 35.1-2): de Gruyter, 1199- 1213. Rösler, Dietmar/ Legutke, Michael/ Kamarouskaya, Volha/ Zibelius, Marja/ Neigert, Miriam/ Schäfer, Annika/ Schmidt, Inke (2009): Unveröffentlichter Arbeitsbericht über die Kooperationsprojekte mit dem Goethe-Institut, Deutschland. Justus-Liebig Universität Gießen. Rösler, Dietmar/ Würffel, Nicola (2010a): Blended Learning im Fremdsprachenunterricht. Fremdsprache Deutsch, 42, 5-11. Rösler, Dietmar/ Würffel, Nicola (2010b): Online-Tutoren. Kompetenzen und Ausbildung. Tübingen: Narr. Sabbag, Maria C. (2002): O chat e a percepç-o lingüística em um curso de inglês on-line. Tese de Mestrado. Pontifícia Universidade Católica de S-o Paulo. Satar, Müge H./ Özdener, Nesrin (2008): The Effects of Synchronous CMC on Speaking Proficiency and Anxiety: Text Versus Voice Chat. The Modern Language Journal, 92, 4, 595-613. Sauro, Shannon/ Smith, Bryan (2010): Investigating L2 Performance in Text Chat. Applied Linguistics, 31, 4, 554-577. Schnaithmann, Angelika (2008): Online-Sprachtutoren ausbilden. München: Langenscheidt. Schwerdtfeger, Inge Christine (2002): Neue Medien im Fremdsprachenunterricht ja! aber. In: Decke-Cornill/ Reichart-Wallrabenstein, Maike (Hrsg.). Fremdsprachenunterricht in medialen Lernumgebungen. Frankfurt a. M.: Peter Lang, 15-29. Selinker, Larry (1972): Interlanguage. IRAL,10, 209-231. Shekary, M./ Tahiririan, M.H. (2006): Negotiation of Meaning and Noticing in Text-Based Online Chat. The Modern Language Journal, 90, 4, 557-573. <?page no="319"?> 319 Schmidt, Patricia R. (1998). The ABC’s of cultural understanding and communication. Equity and Excellence, 31, 2, 28-38. Schmidt, Patricia R./ Finkbeiner, Claudia (Hrsg.) (2006): The ABC’s of Cultural Understanding and Communication. National and International Adaptations. Greenwich, CT: Information Age Publishing. Schmidt, Torben (2009): Mündliche Lernertexte auf der Zweinull-Bühne - Mediale Inszenierung im Englischunterricht am Beispiel eines Schulpodcast- Projekts. Forum Sprache, 1, 24-43. Shetzer, Heidi/ Warschauer, Mark (2000): An electronic literacy approach to network-based language teaching. In: Warschauer/ Kern (Hrsg.), 171-185. Six, Bernd (1987): Stereotype und Vorurteile im Kontext sozialpychologischer Forschung. In: Blaicher, Günther (Hrsg.). Erstarrtes Denken. Studien zu Klischee, Stereotyp und Vorurteil in englischsprachiger Literatur. Tübing: Narr, 41-54. Smith, Bryan (2003): Computer Mediated Negotiated Interaction: An Expanded Model. The Modern Language Journal, 87, 1, 38-57. Smith, Byram (2005): The relationship between negotiated interaction, learner uptake and lexical acquisition in task-based computer-mediated communication. TESOL Quarterly, 39, 1, 33-58. Smith, Bryan/ Gorsuch, Greta J. (2004): Synchronous computer mediated communication captured by usabiliity lab technologies: new interpretations. System, 32, 4, 553-575. Steinmann, Siegfried (1992): Vorurteil? Ja, bitte! Plädoyer für den redlichen Umgang mit Vorurteilen im Fremdsprachenunterricht. Zielsprache Deutsch, 23, 4, 217-224. Stickler, Ursula (2008): Chatting, Chatten or Chattare. Using a multilingual workspace for language and culture learning. International Journal of Emerging Technologies in Learning 3, 1, 69-76. Storrer, Angelika (2001): Sprachliche Besonderheiten getippter Gespräche. Sprecherwechsel und sprachliches Zeigen in der Chat-Kommunikation. In: Beißwenger (Hrsg.), 3-24. Swain, Merrill (1985): Communicative competence: some roles of comprehensible input and comprehensible output in its development. In: Gass, Susan/ Madden, Carolyn (Hrsg.). Input in second language acquisition. Rowley, MA: Newbury House, 235-253. Swain, Merrill (1995): Three functions of output in second language learning. In: Cook, Guy/ Seidlhoffer, Barbara (Hrsg.). Principles and practise in applied linguistics: studies in honour of H.G. Widdowson. Oxford: O.U.P., 125-144. Swain, Merrill (2000): The output hypothesis and beyond: Mediating acquisition through collaborative dialogue. In: Lantolf (Hrsg.), 97-114. <?page no="320"?> 320 Tamme, Claudia (2001): E-Mail Tutorien. Eine empirische Untersuchung E-Mailvermittelter Kommunikationen von Deutschstudierenden und Deutsch-als- Fremdsprache-Lehrenden in der Ausbildung. Dissertation. Justus-Liebig-Universität Gießen. [Letztes Abrufdatum 22.03.13; http: / / geb.uni-giessen.de/ geb/ volltexte/ 2003/ 1009/ ] Thaler, Verena. (2005): Zur Problematik der Synchronizität computervermittelter Kommunikation. Zeitschrift für Angewandte Linguistik, 43, 10, 79-101. Thomas, Michael (Hrsg.) (2009): Handbook of research on Web 2.0 and second language learning. Hershey: New York. Thorne, Steven L. (2003). Artifacts and Cultures-of-Use in Intercultural Communication. Language Learning & Technology 7, 2, 38-67. Toyoda, Etsuko/ Harrison, Richard (2002): Categorization of text chat communication between learners and native speakers of Japonese. Language Learning & Technology 6, 1, 82-99. Tudini, Vincenza (2003): Using native speakers in Chat. Language Learning and Technology, 7, 3, 141-159. Tudini, Vincenza (2007): Negotiation and intercultural learning in Italian native speaker chat rooms. Modern Language Journal, 91, 4, 577-601. Van Lier, Leo (2000): From input to affordance: Social-interactive learning from an ecological perspective. In: Lantolf (Hrsg.), 245-259. Varonis, Evangeline/ Gass, Susan (1985): Non-native/ non-native conversations: a model for negotiation of meaning. Applied Linguistics, 6, 71-90. Vygotsky, Lev S. (1978): Mind in Society: The Development of Higher Psychological Processes. Cambridge, MA: Harvard University Press. Warschauer, Mark. (1996): Comparing face-to-face and electronic communication in the second language classroom. CALICO Journal, 13, 7-26. Warschauer, Mark (1997): Computer-mediated collaborative learning: theory and practise. The Modern Language Journal, 81, 4, 470-481. Warschauer, Mark (2000): The changing global economy and the future of English teaching. TESOL Quarterly, 34, 3, 511-535. Warschauer, Mark/ Kern, Richard (Hrsg.) (2000): Network-based language teaching: concepts and practice. Cambridge. C.U.P. Warschauer, Mark (2003): Technology and social inclusion: rethinking the digital divide. Cambridge: The MIT Press. Wierzbicka, Anna (1991): Cross-cultural Pragmatics. Berlin: Mouton De Gruyter. Wierzbicka, Anna (1996): Semantics: Primes and unversals. Oxford: O.U.P. Wilden, Eva (2008): Selbst- und Fremdwahrnehmung in der interkulturellen Onlinekommunikation. Das Modell der ABC’s of Cultural Understanding and Communication Online. Eine qualitative Studie. Frankfurt a.M.: Peter Lang. <?page no="321"?> 321 Würffel, Nicola (2002): Elektronisches Praktikum an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Eine neue Form des lernenden Lehrens. ÖDaF- Mitteilungen, 1, 72-84. Zimmer, Peter (2009): Blogs im Unterricht für Deutsch als Zweitsprache - Anwendungen und Tipps für die Praxis. Deutsch als Zweitsprache, 1, 27-34. Zyngier, Sonia/ Viana, Vander/ Spallanzani, Alessandra (Hrsg.) (2006): Linguagens e Tecnologias: estudos empíricos. Rio de Janeiro: Publit. <?page no="322"?> 322 Anhang A1 Definitionen der Chat-Aufgabentypen An dieser Stelle werden die verschiedenen Aufgaben definiert, die in bereits erschienenen Chat-Studien zur Anwendung kamen und in Kapitel 3.2 ausgeführt worden sind: 1. Jigsaw : Bei diesem Aufgabentyp bekommt jeder Teilnehmer nur einen Teil der gesamten Informationen, die ausgetauscht werden müssen, um das Ziel der Aufgabe zu erreichen. Für Pica et al. (1993) sind „mutual request“ und „suppliance“ die wichtigsten Merkmale dieses Aufgabentyps, bei dem alle Teilnehmer gleichzeitig dieselben Rollen übernehmen: „information holders“, „suppliers“ und „requesters“. Am Ende der Aufgabe sollen die Lernenden eine gemeinsame Lösung erreichen. Nach den Autoren eignet sich dieser Aufgabentyp für eine intensive Aushandlung zwischen den Lernenden (siehe die Studien von Blake 2000; Smith 2003; Shekary/ Tahririan 2006; Satar et al. 2008). 2. Information Gap : Die Lernenden haben unterschiedliche Informationen und müssen diese austauschen (one-way oder two-way). Dieser Aufgabentyp, der in den Studien von Blake (2000) und Satar et al. (2008) ebenfalls angewendet worden ist, unterscheidet sich von Jigsaw-Aufgaben nach Pica et al. wie folgt: […] the information gap task differs from the jigsaw in the role assignments given to its interactants and their access to the information needed for task completion, whereby only one interactant (X) holds crucial, task-relevant information and the other (Y) must request this information. The gap in the distribution of information results in a one-way flow of information from the sending interactant (X) to the receiving interactant (Y). (Pica et al. 2003: 21) 3. Problem-solving : Die Lernenden müssen ein bestimmtes Problem lösen, z.B. Bilder einem Text zuordnen. Dieser Aufgabentyp hat meist nur ein korrektes Ergebnis (siehe die Studien von Kern 1995; Satar et al. 2008). 4. Decision-making : Alle Lernenden haben Zugang zu den relevanten Informationen der Aufgabe und müssen sich austauschen, um am Ende eine (gemeinsame) Entscheidung zu treffen, wie z.B. die Planung einer Reise oder eines Wochenendes (siehe die Studien von Blake 2000; Smith 2003; Satar et al. 2008). <?page no="323"?> 323 5. Opinion exchange : Die Lernenden tauschen ihre Meinung über ein vorgegebenes Thema aus. Dieser Aufgabentyp eignet sich für einen intensiven Austausch von Ideen. Die Themen stammen häufig aus dem im Unterricht verwendeten Lehrwerk, aus einer Lektüre, aus einem Video oder sie werden vom Lehrenden exklusiv für die Aufgabe formuliert (siehe die Studien von Beauvois 1997; Kung 2004; Cardoso et al. 2006; Rebelo 2006; Payne/ Whitney 2002). 6. Role Play : Die Lernenden müssen sich vorstellen, dass sie sich in einer bestimmten für die Aufgabe kreierten Situation befinden und ein Problem bewältigen müssen. Ein Beispiel wäre die Organisation eines Auslandssemesters im Zielsprachenland, für das sich die Lernenden eine Unterkunft suchen müssen. Dazu erhalten sie einige Internet-Adressen, unter denen sie sich über Unterkunftsmöglichkeiten informieren können (siehe die Studien von Payne/ Whitney 2002; Payne/ Ross 2005; Kost 2006). 7. Präsentation: Die Lernenden müssen einem Partner oder der Lerngruppe etwas präsentieren (siehe die Studie von Smith/ Gorsuch 2004). 8. Freie Diskussion: Die Lernenden müssen sich selbst für ein Thema entscheiden und darüber diskutieren. Bei diesem Aufgabentyp müssen die Lernenden am Ende der Diskussion zu keinem konkreten Ergebnis kommen, da das Ziel der Aufgabe die Interaktion an sich ist (siehe die Studien von: Platten 2003; Tudini 2003, 2007 22 ; Jepson 2005; Shekary/ Tahririan 2006; Biebighäuser/ Marques-Schäfer 2009). 9. Gemeinsames Schreiben: Die Lernenden müssen gemeinsam Texte schreiben. Sie können z.B. im Präsenzunterricht anfangen, ihre Texte zu verfassen, und diese im Chat besprechen, Fehler korrigieren und weitere Fragen klären (siehe die Studie von Liang 2010). 10. Dictogloss : Dieser Aufgabentyp umfasst drei Etappen. Zunächst hören die Lernenden einen kurzen Text (wie z.B. eine Passage einer Geschichte), ohne mitschreiben zu dürfen. Danach hören sie den Text ein zweites Mal, wobei sie sich nun Notizen machen sollen, ohne jedoch ganze Sätze zu schreiben. Am Ende müssen die Lernenden zusammen mit einem Partner ihre Notizen im Chat vergleichen, um zu versuchen, den Text zu rekonstruieren (siehe die Studie von Shekary/ Tahririan 2006). 22 In den Studien von Tudini (2003, 2007) wurden zwar vor der Chat-Interaktion allgemeine Themen für die Diskussion vorgeschlagen, die die Lernenden später selbst auswählen durften. Die Autorin nennt den von ihr angewendeten Aufgabentyp „open-ended task“, da die Lernenden am Ende des Austauschs kein konkretes Ziel erreichen mussten, sondern das Ziel der Austausch an sich war. <?page no="324"?> 324 A2 Anlagen zur Datenerhebung A2.1 Überblickstabelle Pilotstudie Erhebungsmethode Medien und Programme Umfang Erhebungszeitraum Chat- Protokolle Word ca. 27 Stunden/ ca. 270 Seiten (Times New Roman, 12; einfacher Zeilenabstand) Januar 2007 Test- Fragebogen für die Chat- Tutorinnen E-Mail und Word 24 Fragen Mai 2007 Test-Interview mit den Chat- Tutorinnen Privater Chat-Raum auf der Lernplattform der Universität Gießen 11 Fragen Juni 2007 Hauptstudie Chat- Protokolle Word ca. 8760 Stunden/ ca. 14.600 Seiten (Times New Roman, 12; einfacher Zeilenabstand) Februar 2007- Januar 2008 Fragebogen 1 an die Chat- Tutorinnen E-Mail und Word 28 Fragen September 2008 Fragebogen 2 an die Chat- Tutorinnen E-Mail und Word 3 Fragen Oktober 2008 <?page no="325"?> 325 Fragebogen an die Chat- Besucher WWW und LimeSurvey 14 Fragen Oktober- November 2007 Interview mit den Chat- Tutorinnen Skype 5 Fragen Oktober 2008 Interview mit den Chat- Teilnehmern Privater Chat-Raum von JETZT Deutsch lernen 5 Fragen November 2007 Tab. 26: Überblick über die Datenerhebung <?page no="326"?> 326 A2.2 Pilotstudie A2.2.1 Test-Fragebogen an die Tutorinnen Dieser Fragebogen gehört zu meiner Doktorarbeit-Untersuchung, die ich an der Universität Gießen durchführe. Es handelt sich im Grunde genommen um das Online-Fremdsprachenlernen und die DaF-Lehrerausbildung. Es ist wichtig, zu erwähnen, dass alle hier erhobenen Informationen nur für akademische Zwecke benutzt werden. Vielen Dank im Voraus für Ihre Teilnahme! Studienfächer: _____________________________ Semesterzahl: ________________ Altersgruppe: ( )18- 24 ( ) 25-34 ( ) 35- 44 ( ) über 45 Herkunftsland: ________________________ Muttersprache: _________________________ Welche Fremdsprachen können Sie? Sehr gut Gut Grundkenntnisse Deutsch Englisch Französisch Spanisch Sonstige: 1) Über Ihren Bildungshintergrund, was haben Sie gemacht? ( ) Voriges Studium: Studienfächer und Abschluss: _____________________________________________________ ( ) Studienkolleg ( ) Abitur oder vergleichbarer Schulabschluss ( ) Berufliche Ausbildung Welche? ___________________________________________ ( ) Andere Möglichkeiten: _______________________________ <?page no="327"?> 327 2) Haben Sie schon einen Informatikkurs besucht? ( ) ja ( ) nein/ Welche? ____________________________________ 3) Wann? Und wie lange hat der Kurs gedauert? _______________________________________________________ 4) Inwiefern haben die im Kurs gesammelten Kenntnisse Ihrer Lehrer geholfen? _____________________________________________ 5) Benutzen Sie bis heute diese Kenntnisse? ( ) ja ( ) nein 6) Wie? ________________________________________________ 7) War von den Kursen, die Sie schon an der Uni besucht haben, irgendein Kurs ein computergestützter Kurs? ( ) ja ( ) nein 8) Welcher Kurs? ______________________________________________________ 9) In welchem Semester und Jahr waren Sie? ______________________________________________________ 10) Wie haben Sie den Computer in diesem Kurs verwendet? 11) Haben Sie Internet zu Hause? ( ) ja ( ) nein 12) Wie oft verwenden Sie das Internet? Jeden Tag mehr als ein Mal (..) Jeden Tag, ein Mal (..) Manchmal unter der Woche (..) Nur am Wochenende (..) Nie (..) <?page no="328"?> 328 13) Haben Sie die Verwendung von Internet als Fremdsprachenlernerin schon erlebt? ( ) ja ( ) nein Wenn ja, was haben Sie gemacht? ___________________________________________________ 14) Seit wann arbeiten Sie als Chat Tutorin des Projekts JETZT Deutsch lernen? ____________________________________________ 15) Warum wollten Sie als Chat Tutorin an diesem Projekt mitmachen? __________________________________________________ 16) Was für Themen werden am meisten mit Ihrer Anwesenheit im Chat diskutiert? _________________________________________ 17) Wie sehen Sie Ihre Rolle als Chat-Tutorin? __________________________________________________ 18) Welche sind die positiven Aspekte des Chats des Projekts JETZT Deutsch lernen: __________________________________________________ 19) Und welches sind die negativen Aspekte? __________________________________________________ Vielen Dank! ! ! <?page no="329"?> 329 A2.2.2 Leitfaden für das Test-Interview via Chat - Seit wann arbeiten Sie als Chat Tutorin des Projekts JETZT Deutsch lernen? - Warum wollten Sie als Chat Tutorin an diesem Projekt mitmachen? - Was für Themen werden in Ihrer Anwesenheit im Chat am häufigsten diskutiert? - Wie sehen Sie Ihre Rolle als Chat-Tutorin? - Wie korrigieren Sie die Chat-Teilnehmer? Wie oft? Was für Kriterien haben Sie? Wie reagieren die Chat-Teilnehmer auf Ihre Korrekturhinweise? - Was ist das Schwierigste im Chat? - Wie würden Sie den Chat beschreiben? Und die Teilnehmer? - Was denken Sie, was lernen die Chat-Teilnehmer beim Chatten? Wenn Sie da sind und wenn Sie nicht da sind? - Würden Sie den Chat weiterempfehlen? - Welche sind die positiven Aspekte des Chats des Projekts JETZT Deutsch lernen: - Und welches sind die negativen Aspekte? <?page no="330"?> 330 A2.3 Hauptstudie A2.3.1 Anschreiben 1 an die Tutorinnen Liebe/ Lieber _______, hoffentlich kannst Du Dich noch an mich erinnern. Ich heiße Gabriela, komme aus Brasilien und promoviere seit einem Jahr an der Universität Gießen bei Herrn Rösler. Wie Du vielleicht schon weißt, beschäftige ich mich in meiner Promotion mit dem Chat des Projekts JETZT Deutsch lernen und deswegen schreibe ich Dir diese Email. Ich bin jetzt in einer Phase der Promotion, in der ich Kategorien für die Beschreibung der Interaktionen formuliere. Da Du in diesem Chat für lange Zeit als Tutorin gearbeitet hast, kann ich mir gut vorstellen, dass Du mir viel vom Chat erzählen kannst. Ich wollte Dich fragen, ob du mir vielleicht kurz helfen könntest, indem Du einen Fragebogen ausfüllst. Dafür würdest Du max. 20 Minuten benötigen. Wenn das für Dich in Ordnung ist, würde ich Dir dann nächste Woche den Fragebogen schicken. Alle Informationen, die Du in diesem Fragebogen eingeben wirst, werden selbstverständlich anonym und ausschließlich für wissenschaftliche Zwecke verwendet. Vielen Dank! Liebe Grüße, [Forscherin] <?page no="331"?> 331 A2.3.2 Fragebogen 1 an die Tutorinnen Dieser Fragebogen ist Teil meiner Promotion, die ich an der Justus-Liebig- Universität Gießen durchführe. Mit Deiner Hilfe möchte ich gerne die Kommunikation des Chats der Lernumgebung JETZT Deutsch lernen besser kennen lernen. Der Fragebogen besteht aus 28 Fragen. Um ihn auszufüllen, sind ca. 20-25 Minuten nötig. Alle Informationen werden selbstverständlich anonym und ausschließlich für wissenschaftliche Zwecke verwendet. Wenn Du weitere Fragen zu meiner Arbeit hast, stehe ich Dir gerne zur Verfügung. Vielen Dank im Voraus für Deine Teilnahme! Ein paar Informationen über Dich - Studienfächer: Semesterzahl: oder Abschluss am: - Altersgruppe: ( ) 20-25 ( ) 25-30 ( ) 30-35 ( ) über 35 - Herkunftsland: - Muttersprache: - Welche Fremdsprachen beherrschst Du? - Hast Du an der Uni je einen computergestützten Kurs besucht? ( ) ja ( ) nein - Welchen Kurs? In welcher Phase Deines Studiums war der Kurs? - Welche Rolle hat der Computer in diesem Kurs gespielt? - Hast Du Internet zu Hause? ( ) ja ( ) nein - Wie viele Stunden pro Woche verbringst Du im Internet? - Hast Du im Internet schon Angebote zur Verbesserung Deiner fremdsprachlichen Kenntnisse wahrgenommen? - Hast Du schon gechattet, bevor Du angefangen hast, als Chat-Tutorin zu arbeiten? Welche Erfahrungen hast Du gemacht? - Hast Du schon mal in einer Fremdsprache gechattet? Wie war das? Zum Chat der Lernumgebung JETZT Deutsch lernen (JDL) A) Zum Chat im Allgemeinen - Seit wann arbeitest Du als Chat-Tutorin des Projekts JDL? - Aus welchem Grund wolltest Du als Chat-Tutorin bei diesem Projekt mitmachen? <?page no="332"?> 332 - Warum ist Deiner Meinung nach der Chat das beliebteste Angebot des Projektes JDL? - Was können die Teilnehmer Deiner Meinung nach im Chat lernen? - Was findest Du gut am Chat vom JDL? Warum? - Was findest Du nicht so gut am Chat vom JDL? Warum? B) Zur Tutorierung - Wie siehst Du Deine Rolle als Chat-Tutorin? - Unter welchen Umständen korrigierst Du die Teilnehmer? Warum? - Welche Fehler korrigierst Du nicht? Warum? - Wie beeinflusst die Teilnehmerzahl den Chat und Deine Arbeit als Tutorin? - Gibt es Deiner Meinung nach eine ideale Teilnehmerzahl? Welche? Warum? - Was erwartest Du als Chat-Tutorin von den Chat-Teilnehmern? - Was erwarten die Chat-Teilnehmer Deiner Meinung nach von Dir? C) Zu den Gesprächsthemen - Welche Themen werden in Deiner Anwesenheit am häufigsten im Chat diskutiert? - Welche Themen lassen sich Deiner Meinung nach leichter diskutieren? Welche Themen sind schwieriger zu diskutieren? Warum? Vielen Dank! ! ! <?page no="333"?> 333 A2.3.3 Anschreiben 2 an die Tutorinnen Liebe _______, dank Deiner Hilfsbereitschaft sind mir neue Ideen zum Chat des Projektes JETZT Deutsch lernen eingefallen. Dafür bin ich Dir sehr dankbar! Könntest Du mir kurz weiterhelfen, indem Du mir noch 10 Minuten Deiner Zeit „spendest“ und diese Fragen beantwortest? Deine Perspektive ist für meine Arbeit von großer Bedeutung. Die Fragen befinden sich in der Word-Datei im Anhang. **Außerdem möchte ich dich gern zu einem Tutorinnen-Treffen einladen. Dieses Treffen wird von mir organisiert und soll dem Erfahrungsaustausch dienen. Hier sind weitere Details zum Treffen: Dauer: 1 Stunde Wo: an der Uni. Raum wird bekanntgegeben. Wer nimmt teil: Hoffentlich du und mindestens noch 3 weitere Tutorinnen Inhalt: Wichtige Aspekte des Chats Extra: Als Dankeschön für deine Teilnahme gibt es nach der Diskussion brasilianische Spezialitäten mit Kaffee und Tee. Da dieses Treffen nur mit mehreren Tutorinnen stattfinden kann, müssen wir einen gemeinsamen Termin finden. Ich schlage die vorletzte Septemberwoche vor (22.-27. September). Wann hättest du in dieser Woche Zeit? Bitte sag mir möglichst mehrere Termine in dieser Woche, an denen du Zeit hättest. [Forscherin] <?page no="334"?> 334 A2.3.4 Fragebogen 2 an die Tutorinnen Der Fragebogen 2 besteht aus 3 Fragen und um ihn auszufüllen, sind ca. 10 Minuten nötig. Wie beim Fragebogen 1 werden alle Informationen selbstverständlich anonym und ausschließlich für wissenschaftliche Zwecke verwendet. Wenn Du weitere Fragen zu meiner Arbeit hast, stehe ich Dir gerne zur Verfügung. Vielen Dank noch einmal für Deine Teilnahme! Weitere Fragen: 1) Zur Aktivität In den Fragebögen wurde erwähnt, dass viele Chat-Teilnehmer die Tutorinnen oft privat anschreiben. Passiert das auch bei Dir? Worüber wollen sich die Teilnehmer mit Dir privat unterhalten? 2) Zum Thema „Kultur“ In den Fragebögen wurde der kulturelle Aspekt des Chats hervorgehoben. Der Chat wurde als interkultureller Chat bezeichnet. Bist Du mit dieser Bezeichnung einverstanden? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht? 3) Zu Deinem beruflichen Leben Wie wichtig ist Deiner Meinung nach die Arbeit als Chat-Tutorin für Dein späteres berufliches Leben? <?page no="335"?> 335 A2.3.5 Fragebogen an die Chat-Besucher Dieser Fragebogen gehört zu einer Untersuchung, die an der Universität Gießen durchgeführt wird. Wir wollen ein bisschen mehr über Sie und Ihre Erfahrung in diesem Chat erfahren. Das Ausfüllen des Fragebogens dauert etwa 8 Minuten. Es ist wichtig zu erwähnen, dass alle hier erhobenen Informationen nur für akademische Zwecke benutzt werden. Vielen Dank im Voraus für Ihre Teilnahme! Wenn Sie weiter an dieser Untersuchung teilnehmen möchten, nehmen Sie an einem Chat-Interview teil. Für einen Termin schreiben Sie uns an: chatinterview@gmx.net - Erzählen Sie uns bitte ein bisschen von sich: (1) Ich bin ( ) männlich ( ) weiblich Ich bin ( ) Jahre alt Ich bin ( ) Schüler ( ) Student ( ) Berufstätiger Ich komme aus: ________________________ Meine Muttersprache ist: _________________________ - Erzählen Sie uns bitte ein bisschen von Ihren Deutschkenntnissen: Seit wann lernen Sie Deutsch? ______________________________ Wo lernen Sie Deutsch? ___________________________________ Warum lernen Sie Deutsch? ____________________________________ - Zu diesem Chat: Wie haben Sie von diesem Chat erfahren? ( ) Über die Internetseite des Goethe-Instituts ( ) Meine Lehrerin hat mir davon erzählt ( ) Meine Freunde haben mir davon erzählt ( ) Über Werbung ( ) _____________________ Sind Sie neu hier? ( ) ja ( ) nein Wie oft nehmen Sie an diesem Chat teil? ( ) jeden Tag mehr als ein Mal ( ) jeden Tag ein Mal ( ) 2 bis 4 Mal pro Woche <?page no="336"?> 336 ( ) Nur 1 Mal pro Woche ( ) Nur am Wochenende Warum möchten Sie an diesem Chat teilnehmen? ( ) Ich möchte nur sehen, wie der Chat ist. ( ) Ich möchte Deutsch lernen. ( ) Ich habe eine Frage, die ich den Tutorinnen stellen möchte. ( ) Ich möchte Leute kennen lernen. ( ) Ich bin oft hier und ich kenne schon viele Leute. Worüber möchten Sie gern chatten? ________________________ Hier haben Sie Platz für Anregungen und Vorschläge: ______________________________________________________________ ______________________________________________________________ ______________________________________________________________ ______________________________________________________________ <?page no="337"?> 337 A2.3.6 Leitfaden für das Chat-Interview mit den Tutorinnen Zur Aktivität als Chat-Tutor allgemein - In den Fragebögen wurde erwähnt, dass viele Chat-Teilnehmer die Tutorinnen oft privat anschreiben. Passiert das auch bei Dir? Worüber wollen sich die Teilnehmer mit Dir privat unterhalten? - Welche Strategien verwendest Du bei der Betreuung von Fragen im Chat? - Fällt es Dir schwer, korrekt im Chat zu schreiben? Zum Thema „Kultur“ - In den Fragebögen wurde der kulturelle Aspekt des Chats hervorgehoben. Der Chat wurde als interkultureller Chat bezeichnet. Bist Du mit dieser Bezeichnung einverstanden? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht? Zu Deinem beruflichen Leben - Wie wichtig ist Deiner Meinung nach die Arbeit als Chat-Tutorin für Dein späteres berufliches Leben? <?page no="338"?> 338 A2.3.7 Leitfaden für das Chat-Interview mit den Chat-Besuchern Zum Chat allgemein - Wie finden Sie den Chat allgemein? - Warum denken Sie, dass die Interaktion im Chat Ihnen helfen kann, Deutsch zu lernen? - Wie finden Sie die Diskussionen über kulturbezogene Themen? - Was würden Sie in diesem Chat verbessern? <?page no="339"?> 339 A3 Anlagen zur Datenauswertung A3.1 Kategoriensystem: eine Überblicksdarstellung Oberkategorie 1: Korrekturtyp 1.1 Selbstinitiierte Selbstkorrektur 1.2 Fremdinitiierte Selbstkorrektur 1.3 Selbstinitiierte Fremdkorrektur 1.4 Fremdinitiierte Fremdkorrektur Oberkategorie 2: Korrekturbereich 2.1 Orthographie 2.2 Grammatik 2.3Ausdrucksform Oberkategorie 3: Korrekturform 3.1 Direkte Korrektur (+ Entschuldigung) 3.2 Direkte Korrektur + Absprache 3.3 Bitte um Korrektur + Direkte Korrektur (+ grammatische Erklärung) 3.4 Nachfrage + Direkte Korrektur ( + Entschuldigung oder + grammatische Erklärung) 3.5 Indirekte Korrektur Oberkategorie 4: Reaktion auf Korrekturen 4.1 Keine Reaktion 4.2 Positive Reaktion 4.3 Ablehnung der Korrektur Oberkategorie 5: Inhalte sprachbezogener Fragen 5.1 Frage nach Form 5.2 Frage nach Bedeutung Oberkategorie 6: Auslöser sprachbezogener Fragen 6.1 Interaktionsbezogene Frage 6.2 Nicht-interaktionsbezogene Frage <?page no="340"?> 340 Oberkategorie 7: Antworten auf sprachbezogene Fragen 7.1 Keine Antwort 7.2 Direkte Antwort (+ grammatische Erklärung) 7.3 Übersetzung 7.4 Synonym 7.5 Umschreibung 7.6 Beispiel 7.7 Verweis auf eine Internetseite Oberkategorie 8: Arten kulturbezogener Fragen 8.1 Frage, die zu kurzen Antworten einlädt 8.2 Frage, die zu langen Antworten einlädt Oberkategorie 9: Inhalte der Antworten auf kulturbezogene Fragen 9.1 Gefühl und Eindruck 9.2 Beurteilung menschlichen Verhaltens 9.3 Bild von einem Land oder einem Ort <?page no="341"?> 341 A3.2 Kategoriensystem: Definitionen Oberkategorie 1: Korrekturtyp Benennung Definition 1.1 Selbstinitiierte Selbstkorrektur Nachdem der Chat-Teilnehmer in einer korrekturbedürftigen Äußerung seinen Fehler selbst festgestellt hat, korrigiert er sich selbst. 1.2 Fremdinitiierte Selbstkorrektur Wenn eine Chat-Tutorin oder ein Chat-Teilnehmer z.B. durch eine Frage signalisiert, dass ein Fehler vorliegt, korrigiert sich derjenige, der den Fehler gemacht hat, selbst. 1.3 Selbstinitiierte Fremdkorrektur Hierbei signalisiert der Chat-Teilnehmer durch eine Nachfrage oder eine Bitte um Korrektur, dass er selbst einen Fehler in seiner Äußerung wahrgenommen hat und um Korrektur bittet. Der Fehler wird dann von der Chat-Tutorin oder einem Chat-Teilnehmer korrigiert. 1.4 Fremdinitiierte Fremdkorrektur Hierbei macht jemand anders als der Produzent der korrekturbedürftigen Äußerung - also z.B. die Chat-Tutorin oder ein anderer Chat-Teilnehmer - darauf aufmerksam, dass ein Fehler vorliegt. Auch die Korrektur wird dann von der Chat-Tutorin oder einem Chat-Teilnehmer vorgenommen. <?page no="342"?> 342 Oberkategorie 2: Korrekturbereich Benennung Definition 2.1 Orthographie Die Kategorie bezieht sich hauptsächlich auf Korrekturen von Tippfehlern bzw. Flüchtigkeitsfehlern oder von anderen orthographischen Fehlern. 23 2.2 Grammatik Zu dieser Kategorie gehören Korrekturen syntaktischer Fehler, die u.a. mit folgenden grammatischen Themen zusammenhängen: Konjugation, Deklination, Genus, Tempus, Präpositionen und Satzstruktur. 2.3 Ausdrucksform Dieser Kategorie werden Korrekturen von Fehlern zugeordnet, die im Bereich der Lexik und Semantik gemacht werden. 23 Hierbei wird darauf verzichtet, zwischen Tippfehlern und orthographischen Fehlern zu unterscheiden; vgl. hierzu Kap. 7.8.4. <?page no="343"?> 343 Oberkategorie 3: Korrekturform Benennung Definition 3.1 Direkte Korrektur (+ Entschuldigung) Eine direkte Korrektur im Chat ist ein einfacher Ersetzungsvorgang, der höchstens mit einem Sternchen (*) erfolgt. Für den Fehler entschuldigt sich der Chat-Teilnehmer eventuell, oder er erklärt, warum er das getan hat. 3.2 Direkte Korrektur + Absprache Hierzu gehören Korrekturen, in denen jemand zwar einen Fehler direkt korrigiert, jedoch vor oder nach der Korrektur fragt, ob derjenige, der den Fehler gemacht hat, mit der Korrektur einverstanden ist bzw. ob eine Korrektur erlaubt ist. 3.3 Bitte um Korrektur + Direkte Korrektur (+ grammatische Erklärung) Zu dieser Kategorie gehören Korrekturen, in denen jemand um eine Korrektur bittet und dazu eine direkte Korrektur bekommt. Eventuell fügt der Korrekturgeber noch eine grammatische Erklärung hinzu. 3.4 Nachfrage + Direkte Korrektur (+ Entschuldigung oder + grammatische Erklärung) Zu dieser Kategorie gehören Korrekturen, in denen jemand durch eine Nachfrage signalisiert, dass ein Fehler im Chat vorliegt. Derjenige, der den Fehler gemacht hat, nimmt eine Selbstkorrektur vor oder bekommt eine direkte Fremdkorrektur. Für den Fehler entschuldigt sich der Chat-Teilnehmer eventuell, oder jemand im Chat gibt ihm eine grammatische Erklärung zum gemachten Fehler. 3.5 Indirekte Korrektur Die indirekte Korrektur erfolgt im Chat durch die Berichtigung des falschen Elementes durch einen Satz einer anderen Person, in dem diese den Fehler korrigiert. Derjenige, der den Fehler gemacht hat, muss in diesem neuen Satz die Korrektur erkennen, da sie nicht direkt als Korrektur in einem einzelnen Turn zu lesen ist oder weil der Korrekturgeber keinen expliziten Hinweis auf die Korrektur gibt. <?page no="344"?> 344 Oberkategorie 4: Reaktion auf Korrekturen Benennung Definition 4.1 Keine Reaktion Dieser Kategorie werden Fälle zugeordnet, wenn im Chat keine Indizien dafür vorliegen, dass die Chat- Teilnehmer auf die gegebene Korrektur reagieren. 4.2 Positive Reaktion Diese Kategorie wird für Indizien verwendet, die darauf hinweisen, dass die Chat-Teilnehmer die Korrektur bemerkt haben und eine positive Reaktion darauf äußern, wie z.B. durch die Verwendung von Smileys, durch einen Dank, eine Interjektion oder kurze Kommentare. 4.3 Ablehnung der Korrektur Die Kategorie bedeutet, dass es im Chat Indizien gibt, aus denen man schließen kann, dass die Chat-Teilnehmer die gegebene Korrektur ablehnen bzw. dass für den Chat-Teilnehmer keine Korrektur erwünscht war. Oberkategorie 5: Inhalte sprachbezogener Fragen Benennung Definition 5.1 Frage nach Form Die Kategorie Frage nach Form bezieht sich auf die grammatisch-lexikalische Ebene der deutschen Sprache. Die Chat-Teilnehmer fragen z.B. nach den Regeln der Adjektivdeklination oder nach der Übersetzung eines Wortes, das sie bereits aus einer anderen Sprache kennen, ins Deutsche. 5.2 Frage nach Bedeutung Die Kategorie Fragen nach Bedeutung bezieht sich hingegen auf die semantische Ebene der Sprache, also Fragen nach den Bedeutungen von Wörtern oder Ausdrücken in deutscher Sprache. <?page no="345"?> 345 Oberkategorie 6: Auslöser sprachbezogener Fragen Benennung Definition 6.1 Interaktionsbezogene Frage Dieser Kategorie werden sprachbezogene Fragen zugeordnet, die thematisch mit der Interaktion im Chat zusammenhängen. Die Chat-Teilnehmer benötigen meist eine Antwort, um ihre Verständnisschwierigkeiten zu beheben und weiter an der Interaktion teilnehmen zu können. Der Auslöser dieser Fragen ist immer aus den Chat-Protokollen ersichtlich, d.h. die Chat-Teilnehmer stellen Fragen, wenn sie in der Interaktion mit einer Form der Grammatik oder mit der Bedeutung eines Worts konfrontiert werden, die im Chat verwendet wird und die sie noch nicht kennen. Durch das Nachfragen versuchen sie, die für sie neue Form oder das neu verwendete Wort zu verstehen. Interaktionsbezogene Fragen können auch Fragen sein, durch die die Chat-Teilnehmer eigene sprachliche Hypothesen überprüfen möchten, die zum Thema der Interaktion passen. 6.2 Nichtinteraktionsbezogene Frage Zu dieser Kategorie gehören Fragen, die die Chat-Teilnehmer bereits mit sich zum Chat bringen und zusammen mit den Tutorinnen und den anderen Chat-Teilnehmern klären wollen. Diese gestellte Frage hat nichts mit dem behandelten Thema im Chat zu tun. Woher genau die Chat-Teilnehmer diese Fragen haben und wozu sie eine Antwort benötigen, wird meistens aus dem Chat-Protokoll nicht ersichtlich. Die Chat-Teilnehmer bringen ihre Fragen aus anderen Kontexten mit, wie z.B. aus einer Lektüre oder aus ihrem Präsenzkurs, und suchen dazu im Chat sprachliche Hilfe. <?page no="346"?> 346 Oberkategorie 7: Antworten auf sprachbezogene Fragen Benennung Definition 7.1 Keine Antwort Diese Kategorie bedeutet, dass im Chat keine Indizien dafür vorliegen, dass auf die gestellte Frage eine Antwort gegeben wurde. 7.2 Direkte Antwort (+ grammatische Erklärung) Diese Kategorie wird für Indizien verwendet, die darauf hinweisen, dass die Chat-Teilnehmer eine direkte Antwort auf die gestellte Frage bekommen haben. Das schließt auch grammatische Erklärungen ein, die die Beantwortung der Frage ergänzen. 7.3 Übersetzung Zu dieser Kategorie gehören Antworten auf Fragen nach Übersetzungen. Die Antwort auf die Frage ist eine reine Übersetzung. 7.4 Synonym Diese Kategorie wird für Antworten verwendet, in denen die Tutorinnen und Chat-Teilnehmer Gebrauch von Synonymen machen. 7.5 Umschreibung Zu dieser Kategorie gehören Antworten, in denen die Tutorinnen und Chat-Teilnehmer Wörter, Begriffe oder Ausdrücke umschreiben. 7.6 Beispiel Zu dieser Kategorie gehören Antworten, in denen die die Tutorinnen und Chat-Teilnehmer Beispiele verwenden, um die gestellte Frage besser zu erklären. 7.7 Verweis auf eine Internetseite Zu dieser Kategorie gehören Antworten, in denen die Tutorinnen und Chat-Teilnehmer einen Verweis auf eine Internetseite bzw. einen Link zu einer Internetseite geben, wodurch die gestellte Frage besser beantwortet werden kann. Oberkategorie 8: Arten kulturbezogener Fragen Benennung Definition 8.1 Frage, die zu kurzen Antworten einlädt Dieser Kategorie werden Fragen zugeordnet, die die Chat-Teilnehmer dazu bringen, kurze Antworten zu allgemeinen Fakten, Ereignissen oder Erfahrungen zu geben. 8.2 Frage, die zu langen Antworten einlädt Zu dieser Kategorie gehören im Vergleich zur Kategorie 8.1 Fragen, die die Chat-Teilnehmer eher dazu bringen, ihre Antworten ausführlicher zu formulieren sowie ihre Erfahrungen oder Meinungen vertiefend zu erläutern. <?page no="347"?> 347 Oberkategorie 9: Inhalte der Antworten auf kulturbezogene Fragen Benennung Definition 9.1 Gefühl und Eindruck Dieser Kategorie werden Äußerungen zugeordnet, in denen die Chat-Teilnehmer direkt oder indirekt ihre Gefühle und/ oder Eindrücke bezüglich des behandelten Themas zeigen, wie z.B. Überraschung, Bewunderung, Enttäuschung, Liebe/ Hass, Interesse/ Desinteresse, Hochschätzung/ Geringschätzung, Glück/ Pech, Sympathie/ Antipathie usw. Diese Gefühle und Eindrücke können sich auf Personen, Erfahrungen, Ideen oder Sachen beziehen, über die sich die Chat-Teilnehmer austauschen. 9.2 Beurteilung menschlichen Verhaltens Dieser Kategorie werden Äußerungen zugeordnet, in denen die Chat-Teilnehmer direkt oder indirekt das Verhalten anderer Menschen positiv oder negativ beurteilen. Dazu gehören Äußerungen, in denen die Chat- Teilnehmer aus ihrer Sicht bestimmte Verhaltensweise für gut/ schlecht oder richtig/ falsch halten. Diese Beurteilungen können in Form von Verallgemeinerungen, Kritik oder Ratschläge geäußert werden. 9.3 Bild von einem Land oder einem Ort Zu dieser Kategorie gehören Äußerungen, in denen die Chat-Teilnehmer ihre persönlichen Vorstellungen über ein bestimmtes Land oder einen bestimmten Ort äußern. <?page no="349"?> Die vorliegende Studie präsentiert eine empirische Untersuchung eines didaktisierten Chat-Raums, in dem sich Lernende des Deutschen als Fremdsprache aus der ganzen Welt miteinander, mit Muttersprachlern und mit Tutorinnen austauschen können. Sie schließt eine Forschungslücke, da in ihr zum ersten Mal ein Chat-Raum untersucht wird, der zum Erlernen einer Fremdsprache entwickelt wurde und jederzeit frei zugänglich ist. Die Arbeit fragt nach den Möglichkeiten und Grenzen des Deutschlernens im Chat des Projektes JETZT Deutsch lernen des Goethe-Instituts sowie nach der Rolle der Chat-Tutorinnen im Umgang mit Fehlern und sprach- und kulturbezogenen Fragen. Anhand zahlreicher Chat- Protokolle aus tutorierten und untutorierten Stunden werden die Daten im Licht der Interaktionstheorie und des interkulturellen Fremdsprachenlernens quantitativ und qualitativ analysiert. Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik