Das romantische Drama und Spaniens literarische Wege in die ästhetische Moderne
0912
2012
978-3-8233-7742-9
978-3-8233-6742-0
Gunter Narr Verlag
Michaela Peters
Lange Zeit wurde die Gattung des spanischen romantischen Dramas wahlweise als Imitation von Modellen europäischer Provenienz gedeutet oder in die nationale tradition des Theaters des Siglo de Oro gestellt. Die Studie verfolgt hingegen das Ziel, die Implikationen einer Ästhetik der Moderne in den romantischen Dramen in Spanien aufzuzeigen und diese somit für neue Lesarten zu öffnen. Neben aspekten der literarischen Selbstreflexion wird der Fokus insbesondere auf drei Leitbegriffe der ästhetischen Moderne (Zeit, Subjekt und Freiheit) gelegt, deren ambivalenzen auf vielfältige Art und Weise in der Literatur inszeniert werden. Zum Textkorpus zählen ausgewählte Dramen der Hauptvertreter der spanischen Romantik (Larra, Martínez de laRosa, Hartzenbusch, Duque de Rivas und Zorrilla).
<?page no="0"?> Das romantische Drama und Spaniens literarische Wege in die ästhetische Moderne Michaela Peters <?page no="1"?> Das romantische Drama und Spaniens literarische Wege in die ästhetische Moderne <?page no="3"?> Michaela Peters Das romantische Drama und Spaniens literarische Wege in die ästhetische Moderne <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Titelabbildung: Antonio María Esquivel y Suárez de Urbina: Los poetas contemporáneos. Una lectura de Zorrilla en el estudio del pintor (1846) © Museo Nacional del Prado - Madrid - (España) (nº P4299). © 2012 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISBN 978-3-8233-6742-0 <?page no="5"?> INHALT Vorwort..............................................................................................................7 1 Einleitung ............................................................................................9 2 Die Romantik in Spanien ................................................................27 2.1 Zum historischen Kontext ..............................................................27 2.2 Ursprung und Entwicklung romantischer Ideen ........................30 2.2.1 El debate literario entre siglos.............................................................30 2.2.2 Die romantische Debatte: Böhl de Faber vs. Mora ......................34 2.2.3 Zwischen historischer und liberaler Romantik ...........................39 2.3 Ästhetische und poetologische Neuerungen im romantischen Drama .......................................................................46 2.4 Die romantischen Dramen des Textkorpus’ ................................52 3 Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen ........63 3.1 Die Leitbegriffe Religion, Wahrheit und Liebe............................63 3.2 Religion..............................................................................................65 3.2.1 Zur Legitimation der Rebellion im göttlichen Auftrag ..............65 3.2.2 Liberale Kritik am religiösen Aberglauben ..................................69 3.2.3 Der romantische Held .....................................................................73 3.2.4 Zur göttlichen Gerechtigkeit und Erlösung .................................81 3.3 Das romantische Streben nach Wahrheit und Erkenntnis .........84 3.3.1 Wahrheit und Erkenntnis im romantischen Drama ...................84 3.3.2 Zur Frage nach der wahren Identität ............................................86 3.3.3 Zur Dialektik von engaño und desengaño ......................................91 3.3.4 Die Suche nach der göttlichen Wahrheit ....................................105 3.4 Der romantische Liebesdiskurs....................................................108 3.4.1 Der Liebesdiskurs als Medium des Schönen .............................108 <?page no="6"?> 3.4.2 Zwischen höfischer Galanterie und romantischer Leidenschaft............................................................109 3.4.3 Die romantische Liebe im Zeichen einer Synthese von Liebe und Tod .........................................................................118 3.4.4 Die Sakralisierung der Liebe ........................................................126 3.4.5 Das Medium Liebe - Zur literarischen Selbstreflexion ............130 3.4.6 Die Reflexion der romantischen Liebe ........................................143 3.5 Zwischenfazit..................................................................................145 4 Die Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit .............................................................147 4.1 Die romantische Zeitwahrnehmung ...........................................147 4.1.1 Zeitkonzeption in der Romantik..................................................147 4.1.2 Die Metapher des Zeitflusses .......................................................149 4.1.3 Die knappe Zeit ..............................................................................153 4.1.4 Der rechte Augenblick: Kairos .....................................................164 4.1.5 Lebenszeit vs. Weltzeit ..................................................................167 4.2 Das romantische Subjekt ...............................................................177 4.2.1 Das Subjekt als Individuum .........................................................177 4.2.2 Der romantische Held als Subjekt ...............................................178 4.2.3 Die romantische Heldin: vom Objekt zum Subjekt ..................191 4.3 Das romantische Streben nach Freiheit.......................................210 4.3.1 Die romantische Freiheit im Zwiespalt.......................................210 4.3.2 Freiheit im Privaten und Politischen...........................................212 4.3.3 Räume der (Un)Freiheit ................................................................216 4.3.4 Grenzen der Freiheit ......................................................................224 4.4 Zwischenfazit..................................................................................239 5 Schlussbemerkungen.....................................................................243 6 Bibliographie...................................................................................253 6.1 Primärliteratur ................................................................................253 6.2 Forschungsliteratur........................................................................254 <?page no="7"?> Vorwort tú eres la sola flor que brotar hizo en mi camino Dios José Zorrilla y Moral, Traidor, inconfeso y mártir (1846) Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um die im Jahr 2005 an der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster eingereichte Fassung einer Habilitationsschrift. Unter Berücksichtigung der in den Folgejahren zum Thema erschienenen wissenschaftlichen Beiträge wurde diese anlässlich der Drucklegung überarbeitet. Es schließt sich nun ein Kreis, der mit dem vorangestellten Zitat José Zorrillas seinen Ausgang genommen hatte. Was motiviert einen zur intensiven Beschäftigung mit einem Thema? Wie wird das Interesse am wissenschaftlichen Gegenstand über Jahre hinweg wach gehalten? Viele Komponenten spielen hier gewiss eine Rolle. Zu Beginn steht oftmals die Neugier, die ein womöglich zufällig entdecktes Zitat bei der Lektüre erweckt. Wenn der Protagonist in Zorrillas Drama im zweiten Akt die Geliebte als "einzige Blume, die Gott auf seinem Weg aufkeimen ließ" bezeichnet, wirft dies die Frage auf, wie die im Zitat zunächst evozierte tiefe Religiosität mit dem rebellischen Gestus des pastelero de madrigal vereinbar ist. Diese Frage, die am Beginn meiner Beschäftigung mit der spanischen Romantik stand, deutet bereits auf die Ambivalenzen hin, die eng verknüpft sind mit dem Spannungsfeld, welches das Verhältnis von Romantik und Moderne im Allgemeinen generiert. Von der Idee bis zur Verschriftlichung der im Laufe der Jahre gewonnenen Erkenntnisse haben zahlreiche Wegegefährten im beruflichen wie privaten Umfeld meine Arbeit bereichert. Ihnen möchte ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen. Im akademischen Bereich war meine Zeit am Romanischen Seminar in Münster in Lehre und Forschung von einer konstruktiven Arbeitsatmos- phäre geprägt. Christoph Strosetzki gilt mein besonderer Dank für die kontinuierliche Förderung meiner wissenschaftlichen Tätigkeit an der Universität Münster. Über Jahre hinweg hat seine Freude an der Diskussion innovativer Gedanken nicht nur die Arbeit an der Habilitationsschrift maßgeblich geprägt. Für die Bereitschaft zur Erstellung der Gutachten zur vorliegenden Studie und die darin enthaltenen, anregenden Kommentare danke ich ihm ebenso wie Ulrich Prill († 2010), Wolfram Krömer und Andreas Gelz. Darüber hinaus danke ich Christiane Holler, Gesine Müller und Sebastian Thies für die kritische Durchsicht einzelner Kapitel und ein für das Entstehen der Arbeit äußerst insprierendes Umfeld. <?page no="8"?> 8 In den folgenden Jahren hatte ich das Glück mit Ursula Trappe und Martin Baxmeyer Kollegen an meiner Seite zu haben, die in idealer Weise einen kreativen und ungemein produktiven Austausch in unserem kleinen, aber feinen Büro am Romanischen Seminar ermöglichten. Danken möchte ich auch den Studierenden, die in verschiedenen Seminaren meine Begeisterung für die spanische Romantik geteilt und die Texte mit mir lebhaft diskutiert haben. Abschließend danke ich Katharina Kienker für die aufmerksame und sorgfältige Lektüre des Manuskriptes vor der Drucklegung. Ein ganz besonders herzlicher Dank gilt meiner Familie, die mir im Pri- vaten einen wohltuenden Gegenpol zur wissenschaftlichen Welt bot und es immer verstanden hat, mich zur rechten Zeit von meinem Schreibtisch wegzulocken. Gelassenheit, Lebensfreude und Humor sind eine wesentliche Basis für Kreativität. In diesem Sinne danke ich meinen Eltern, meinem Mann Wolfgang Engelhardt und meinen beiden Kindern Fabian und Julian. Wenn die beiden mich in ihre spielerischen Welten entführen, ist das eine der kostbaren Formen der Kunst zu leben. Michaela Peters Hamburg, im August 2012 <?page no="9"?> 1 Einleitung Romantik und Moderne in einem dialogischen Verhältnis zu einander zu denken, stellt eine aktuelle Tendenz literatur- und kulturwissenschaftlicher Forschungen dar. 1 Lange Zeit waren die beiden Begriffe eher als Oppositionspaar gehandelt worden: die Romantik definiert als vergangenheitsorientiert und fortschrittsfeindlich erschien gar als Gegenpol zur Moderne. Neuere Studien zeigen hingegen, inwiefern der kulturelle Transformationsprozess, welcher Europa von der Mitte des 18. Jahrhunderts an erfasste, eine von Ambivalenzen geprägte Phase darstellt, die konstitutiv für unser heutiges Kunst- und Kulturverständnis ist. Lothar Knatz erläutert dies folgendermaßen: Es gehört dabei zu den Paradoxien der Geschichte, dass die Romantik, die oft als Gegenbewegung der Aufklärung missverstanden wird und m.E. eher eine Komplementärbewegung dazu ist, in der Kunsttheorie wegbereitend für die Moderne wird. 2 Zum "Gründungsmythos einer Europäischen Kulturgeschichte der Zukunft" 3 hat in diesem Zusammenhang Paul Geyer die Epoche der Romantik jüngst deklariert und auf die Bedeutung der Literatur im Zusammenhang mit der Konstituierung der Identität des modernen europäischen Subjekts hingewiesen. Damit rekurriert die Forschung auf eine in der Romantik bereits verbreitete Auffassung der Zeitgenossen, welche Charles Baudelaire im Salon de 1846 prägnant formulierte: Pour moi, le romantisme est l'expression la plus récente, la plus actuelle du beau. […] Qui dit romantisme dit art moderne, c'est à dire intimité, spiritualité, couleur, aspiration vers l'infini, exprimées par tous les moyens que contiennent les arts. 4 1 Neben den im Folgenden noch zu erwähnenden jüngsten Publikationen zum Forschungskomplex Romantik und Moderne sei an dieser Stelle auf die im Sommersemester 2012 veranstaltete interdisziplinare Ringvorlesung des Forschungszentrum Laboratorium Aufklärung und der Forschungsstelle Europäische Romantik der Universität Jena zum Thema: Romantik und Moderne. Denkprozesse kultureler Transformation zwischen 1750 und 1850 verwiesen. 2 Lothar Knatz, "Romantik und Moderne", in: Ders., Tanehissa Otabe (Hg.), Ästhetische Subjektivität. Romantik und Moderne, Würzburg: Königshausen & Neumann 2005, S. 106-123, hier: S. 106. 3 Paul Geyer, "Literaturgeschichte als Gründungsmythos einer Europäischen Kulturgeschichte der Zukunft", in: Anja Ernst, Paul Geyer (Hg.), Die Romantik: ein Gründungsmythos der Europäischen Moderne, Göttingen: V&R unipress 2010, S. 36-52. 4 Charles Baudelaire, "Qu'est-ce que le romantisme? ", In: Oeuvres complètes, texte établi, présenté et annoté par Claude Pichois, Band 2, Paris: Gallimard 1976 (Bibliothèque de la Pléiade), S. 420f. <?page no="10"?> Einleitung 10 Ein Blick auf die Etymologie des Wortes 'modern' 5 zeigt, dass der Begriff auf ein differentes Zeitbewusstsein verweist, welches auf der Abgrenzung von dem Vorhergehenden basiert und mit einer selbstbewussten Bewertung der Höherwertigkeit des eigenen Zeitalters korreliert. Dieser Gedanke führte bei Montesquieu bereits zur These der Anerkennung der Eigenart verschiedener Völker und Zeiten und bei Herder zur Einsicht in die Gleichwertigkeit unterschiedlicher Epochen. 6 In der Romantik wurde dieser Gedanke weiter ausgeführt. Friedrich Wolfzettel betont, dass die romantische Geschichtskonstruktion auf dem mentalitätsgeschichtlichen Bruch zwischen der christlichen Moderne und der heidnischen Antike gründete, den A.W. Schlegel und Germaine de Staël gleichermaßen postulierten. 7 In der Abgrenzung von der klassizistischen Epoche suchte die Romantik ihre eigene Modernität zu betonen. Diesen Gedanken griff Stendhal bereits in Racine et Shakespeare (1823-25) auf: "Le romantisme est l'art de présenter aux peuples les oeuvres littéraires qui, dans l'état actuel de leurs croyances, sont susceptibles de leur donner le plus de plaisir possible." 8 Eine zeitlose Normativität wurde folglich in der Romantik nicht mehr anerkannt, sondern die Romantik setzte "Kultur in Relation zu ihrer Zeit und ihrem Ort […] und [verstand] sich selbst als Beginn einer im ewigen Werden befindlichen Moderne […]." 9 Wenn modern sich aber stets auf das Gegenwärtige bezieht, dann steckt in diesem Konzept eine ungeheure Dynamik, die schließlich in der Baudelaireschen Definition des Modernen als etwas Flüchtigem kulminiert: "La modernité, c'est le transitoire, le fugitif, le 5 Der Begriff entsteht an der Epochenschwelle der Spätantike in Italien. Vgl. Silvio Vietta, Dirk Kemper, "Vorwort", in: Dies. (Hg.), Ästhetische Moderne in Europa: Grundzüge und Problemzusammenhänge seit der Romantik, München: Fink 1997, S. 1-52, hier: S. 3. Zur Wortgeschichte vgl. auch Hans Robert Jauß, "Literarische Tradition und gegenwärtiges Bewusstsein der Modernität", in: Ders., Literaturgeschichte als Provokation, Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1970, S. 11-66. Einen Überblick zur Geschichte der Verwendung des Begriffes von der Antike bis heute liefert: Ulrich Klein, "Moderne", in: Dieter Krywalski (Hg.), Handlexikon zur Literaturwissenschaft, München: Ehrenwirth 1974, S. 328-335. 6 Vgl. Cornelia Klinger, "Modern/ Moderne/ Modernismus", in: Karlheinz Barck, u.a. (Hg.), Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Band 4, Stuttgart: Metzler 2003, S. 121-167, hier: S. 127f. 7 Vgl. Friedrich Wolfzettel, "Zur historischen Konstruktion der Romantik um 1830: romantische Manifeste im Vergleich (Frankreich, Spanien, Italien)", in: Michaela Peters, Christoph Strosetzki (Hg.), Interkultureller Austausch in der Romania im Zeichen der Romantik. Akten der Sektion 14 des Deutschen Romanistentages 2003 in Kiel, Bonn: Romanistischer Verlag 2004, S. 73-84, hier: S. 73. 8 Stendhal, Racine et Shakespeare, hg. von Roger Fayolle, Paris: Garnier-Flammarion 1970, S. 71 (Kap. III: "Ce que c'est le romantisme"). 9 Herbert Uerlings, "Einleitung", in: Ders. (Hg.), Theorie der Romantik, Stuttgart: Reclam 2000, S. 9-42, hier: S. 14. <?page no="11"?> Einleitung 11 contingent, la moitié de l'art, dont l'autre moitié est l'éternel et l'immuable." 10 Trotz der Gleichsetzung durch die Zeitgenossen galt der Bezug zwischen Romantik und Moderne wie eingangs erwähnt lange Zeit als umstritten. Solange man Modernität mit dem Prozess der Rationalisierung aller Gesellschafts- und Wissensbereiche in Verbindung brachte, konnte die Romantik nur als anachronistisch und reaktionär und somit als der Moderne entgegenstehend aufgefasst werden. Romantik bedeutete dann Negation der Moderne, insofern als sie rückwärtsgewandt ist, für Rationalismus- und Fortschrittskritik steht und im Ergebnis zu einer Flucht aus der Wirklichkeit führt. Hier ist jedoch einzuwenden, dass der romantische Blick in die Vergangenheit weniger im Kontext einer Rekonstruktion der vergangenen Epoche stand, sondern in erster Linie einen heuristischen Wert darstellte. So galt der Rückbezug auf die eigenen, im Mittelalter anzusiedelnden Wurzeln der Konstitution der nationalen Identität und zielte somit auf einen Erkenntnisgewinn für die Gegenwart. 11 Eine erste Annäherung zwischen Romantik und Moderne konstatierte von philosophischer Seite Cornelia Klinger bereits 1995. 12 Sie gelangt in ihrer Studie zu dem Fazit, dass die romantischen Gegenwelten der Moderne zugleich Teil eines Prozesses der Moderne sind, der auf den ersten Blick ganz unterschiedliche Faktoren vereint: die Remythologisierung des Denkens, die Rationalitäts- und Fortschrittskritik und den Prozess der Subjektivierung, der zu einer Ästhetisierung der Welt ebenso führt wie zu einer Hinwendung zur Natur und die Fragen nach Ganzheit, Einheit und Sinn rehabilitiert. In jüngster Zeit konnten die seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts im Kontext der Moderneforschung geführten Debatten daher zu einer Neubewertung der Romantik beitragen, die den Bezug der Romantik zur Moderne im neuen Licht erscheinen lässt. Rainer Warning weist zwar zu Recht darauf hin, dass die These: "Mit der Romantik […] habe die Moderne begonnen." 13 der Erklärung bedürfe, welche Romantik respektive welche Moderne man denn dabei im Sinn habe. Schließlich plädiere unter den Germanisten in diesem Zusammenhang Manfred Frank 14 für die Frühro- 10 Charles Baudelaire, "La modernité", in: Ders., Curiosité esthétiques. L'Art moderne et autres oeuvres critiques, textes établis avec introduction, relevé de variantes, notes et bibliographie par Henri Lemaitre, Paris: Garnier 1962 (Classiques Garnier), S. 467. 11 Vgl. Karl Mannheim, Konservatismus. Ein Beitrag zur Soziologie des Wissens, hg. von David Kettler, Volker Meja, Nico Stehr, Frankfurt: Suhrkamp 1984, S. 86. 12 Cornelia Klinger, Flucht - Trost - Revolte, S. 7ff.. 13 Vgl. Rainer Warning, "Das Paradigma der Romantik: Einführung" in: Henrdik Birus (Hg.), Germanistik und Komparatistik. DFG-Symposion 1993, Stuttgart: Metzler 1995, S. 141-143, hier: S. 141. 14 Manfred Frank, 'Unendliche Annäherung': die Anfänge der philosophischen Frühromantik, Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1997. <?page no="12"?> Einleitung 12 mantik, während Karl Heinz Bohrer 15 eher die Spätromantik meine. Zur Lösung der definitorischen Frage haben aber inzwischen u.a. Silvio Vietta und Dirk Kemper beigetragen. Sie postulieren eine Abgrenzung der ästhetischen von der rationalistischen Moderne, die als gemeinsamer Nenner der Studien zur Moderne gelten darf. 16 Während der Beginn der rationalistischen Moderne mit der Renaissance anzusetzen ist und mit der Rationalisierung aller Wissensbereiche einhergeht, von der Idee der Beherrschung der Natur ausgeht und den Glauben an den Fortschritt der Menschheit betont sowie die absolute Produktivität des Ichs, bricht das Zeitalter der ästhetischen Moderne in Europa um das Jahr 1800 herum an. Diese Phase einer Bewusstseinskrise wurde schon von den Zeitgenossen als Umbruchsituation wahrgenommen und in schriftlichen Zeugnissen reflektiert. 17 Es ist eine Zeit, die geprägt ist von der Suche nach Antworten auf die religiösen, gesellschaftlichen und politischen Veränderungen, die Europas Staaten im Zeitalter der Vernunft ergriffen hatten und spätestens mit der Französischen Revolution Erschütterungen im Wertesystem und System der Wahrheiten zeitigten. 18 Nicht nur von Seiten soziohistorischer Forschungen ist diese Epochenschwelle als solche skizziert worden, sondern auch aus diskursarchäologischer und systemtheoretischer Sicht. So spricht Foucault in diesem Zusammenhang von einem epistemologischen Bruch, der sich in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts vollzieht. 19 Im Zentrum dieser Entwicklung steht die Wendung auf das Subjekt. Da die Wendung auf das Subjekt jedoch schon in der Neuzeit zu verorten ist, präzisiert Cornelia Klinger diesen Wandel in der Formel der "Wendung auf das Individuum" 20 , das bedeutet eine Akzentverschiebung von der seit Beginn der Neuzeit postulierten Selbstbestimmung des Subjektes zur Selbstentfaltung des Individuums. 21 Mit der errungenen Freiheit des Subjekts ging jedoch in dem neuen Gesellschaftssystem auch das Gefühl der Haltlosigkeit der modernen Welt einher, die dem Einzelnen die Erfahrung der Kontingenz seines Daseins vermittelte. Im Sinne Niklas Luhmanns ist kontingent, was weder notwendig noch unmöglich ist oder anders formuliert: die Kontingenzer- 15 Karl Heinz Bohrer, Die Kritik der Romantik. Der Verdacht der Philosophie gegen die literarische Moderne, Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1989. 16 Vgl. Silvio Vietta, Dirk Kemper, "Vorwort", S. 41 und Karl Maurer, Winfried Wehle (Hg.), Romantik - Aufbruch zur Moderne, München: Fink 1991. 17 Vgl. dazu auch: Silvio Vietta, Dirk Kemper, "Vorwort", S. 14. 18 Vgl. Cornelia Klinger, "Modern/ Moderne/ Modernismus", S. 126 19 Vgl. Michel Foucault, Les mots et les choses. Une archéologie des sciences humaines, Paris: Gallimard 1966, S. 13. 20 Cornelia Klinger, Flucht - Trost - Revolte, S. 109f. 21 Von systemtheoretischer Seite hat Niklas Luhmann die Epochenschwelle in Hinblick auf die Ebene der Differenzierung des Gesellschaftssystems in den Blick genommen und konstatiert eine Verschiebung von einer stratifikatorischen zu einer funktional differenzierten Gesellschaft. Vgl. Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 2 Bde, Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1999, Bd. 2, S. 634f. <?page no="13"?> Einleitung 13 fahrung resultiert aus dem "Zurverfügungstehen einer Vielfalt von Möglichkeiten (in einer Umwelt)." 22 Die Erfahrungen, welche das Subjekt als Individuum in der epochalen Umbruchphase erlebt, sind folglich äußerst ambivalent. Vietta/ Kemper weisen daher zu Recht darauf hin, dass sich die ästhetische Moderne von der Romantik an "als eine Epoche krasser Widersprüche und innerer Zerrissenheit [konstituiert]." 23 Es stellt sich nun die Frage, welche Relevanz die Erkenntnisse der zuvor erwähnten methodischen Ansätze für die Literatur der ästhetischen Moderne haben. Vietta zu Folge kristallisieren sich in der als Makroepoche zu verstehenden ästhetischen Moderne drei philosophische Leitbegriffe heraus, die mit dem Wandel in der Ästhetik der modernen Literatur in enger Verbindung stehen: Zeit, Subjekt und Freiheit. Diese drei Begriffe werden in der Literatur nicht nur reflektiert, sondern sind maßgeblich an der Ausbildung einer neuen Ästhetik beteiligt. 1) Das neue Zeitbewusstsein ist ambivalent: einerseits ergreift eine beschleunigte Zeiterfahrung die Menschen, andererseits ist diese gepaart mit der Sehnsucht nach Dauer, Bleibendem und Vergangenem, d.h. ein in die Zukunft gerichtetes Zeitempfinden konkurriert mit einer historisierenden Denkform. 24 Welche Auswirkungen dieses neue Zeitbewusstsein in Hinblick auf die literarische Ästhetik hat, wird einen zentralen Aspekt der vorliegenden Studie bilden. Einerseits wird die Zeit als ästhetisches Strukturelement betrachtet, andererseits der Zusammenhang zwischen der Erinnerung an zeitlich zurückliegende Ereignisse und der sinnlichen Wahrnehmung erörtert. Dies führt u.a. zu der Frage, in welchem Verhältnis Memoria und Imagination im Konstitutionsprozess der Literatur stehen. 2) Die für die ästhetische Moderne signifikante Subjektivierungstendenz führt nicht nur zur Reflexion der neuen Stellung des Subjekts in der Literatur, sondern auch zu einem veränderten Selbstverständnis des Schriftstellers, das auf ästhetischer Ebene in der Verabsolutierung der Einbildungskraft gipfelte. Auf poetologischer Ebene treten die Konzepte von Wahrheit, Aufrichtigkeit und Authentizität an die Stelle des klassizistischen Postulats der Wahrscheinlichkeit. Nicht mehr die klassische Idealität der Wirklichkeit wird angestrebt, vielmehr ist mit Franz Penzenstadler von einer "individualisierenden Mimesis" 25 zu sprechen, d.h. die Wirklichkeit wird über die Sicht des empfindenden Subjekts reflektiert, das Poetische verlagert sich somit in das erkennende Subjekt. Wie manifestiert sich dies in der Literatur? 22 Vgl. Walter Hoering, "Kontingenz", in: Joachim Ritter und Karlfried Gründer (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4, Basel/ Stuttgart: Schwabe & Co 1976, S. 1027-1038, hier: S. 1034. Insofern schließt Luhmann an Aristoteles an, dessen Akzidenz-Begriff das meint, was auch anders möglich ist. 23 Silvio Vietta, Dirk Kemper, "Vorwort", S. 15. 24 Vgl. zu dem Folgenden ebd., S. 14-17. 25 Franz Penzenstadler, Romantische Lyrik und klassizistische Tradition. Ode und Elegie in der französischen Romantik, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2000, S. 336. <?page no="14"?> Einleitung 14 3) Das individuelle Streben nach Freiheit, das seine Wurzeln in der Aufklärung hat, steht in der Moderne ebenfalls unter dem Stigma der Ambivalenz, denn die Freiheit wird nicht nur gesellschaftlich sanktioniert, sondern durch die sich zeitgleich verbreitende Angsterfahrung vor dem Verlust der alten - auch Halt gebenden - Ordnungen in seine Schranken verwiesen. Im Hinblick auf die Kunst und das Kunstverständnis führt der Diskurs der Freiheit einerseits zur Frage nach der sozialen Verantwortung des Schriftstellers und andererseits zu Positionen zur ästhetischen Autonomie. Damit verbunden ist die Loslösung der poetischen Sprache von ihrer konkreten Mitteilungsfunktion. Wie entwickeln sich daraus Formen der literarischen Selbstreflexion? Der Wandel in der Ästhetik basiert insbesondere auf der Neubewertung, die der Begriff des Schönen in der romantischen Literatur erfuhr. Während die klassizistische Ästhetik auf der Unauflösbarkeit der platonischen Triade des Guten, Wahren und Schönen beruhte, man in der künstlerischen Darstellung nach Einheit, Harmonie und Universalität strebte, 26 das Kunstwerk nach den Regeln der klassizistischen Poetik in sich geschlossen sein sollte, zielt man in der Romantik - der Schlegelschen progressiven Universalpoesie folgend - auf die Unabgeschlossenheit, die den Charakter des Fragmentarischen, des offenen Kunstwerkes, favorisiert. 27 Die Literatur fokussiert nicht mehr die moralische Schönheit, sondern das Interessante, d.h. das Charakteristische und Individuelle. Bei Victor Hugo führt dies zur Darstellung auch des Grotesken, welches das Hässliche und Unheimliche bereits mit einschloss und später bei Baudelaire auf das Böse ausgeweitet werden sollte. Je weiter sich aber die literarische Ästhetik von der Einheit des (moralisch) Guten, Wahren und Schönen entfernte, desto mehr entwickelte sich die Literatur zum Medium der Selbstreflexion. Klinkert umschreibt diesen Prozess mit den Worten: Die Literatur transportiert keine Information mehr, sie wird selbstreferentiell, […] Die literarische Rede richtet sich entweder an sich selbst als 'subjectivité écrivante', oder sie versucht, in ihrem eigenen Entstehungsvorgang die Essenz des Literarischen zu erfassen. Der Fluchtpunkt, auf den die Literatur sich zubewegt, ist der Akt des Schreibens. 28 Wenngleich Vietta/ Kemper zu bedenken geben, dass einige der neuen ästhetischen Postulate erst durch die literarische Moderne am Ausgang des 19. Jahrhunderts eingelöst wurden, bleibt festzustellen, dass die ästhetischen Grundlagen der Moderne ihren Ursprung in den theoretischen 26 Vgl. Michel Brix, Le romantisme français. Esthétique platonicienne et modernité littéraire, Louvain-Namur: Ed. Peeters 1999, S. 31 und 108. 27 Vgl. Silvio Vietta, Dirk Kemper, "Vorwort", S. 23. 28 Vgl. Thomas Klinkert, Medium der Liebe. Untersuchungen zur Liebessemantik bei Rousseau und in der europäischen Romantik, Freiburg im Breisgrau: Rombach 2002, S. 29. <?page no="15"?> Einleitung 15 Schriften der Frühromantik haben. 29 Die romantische Theorie verlangte insbesondere vom Drama die Einlösung der neuen poetologischen und ästhetischen Postulate. Eine Analyse des spanischen romantischen Dramas im Hinblick auf die Merkmale der ästhetischen Moderne dürfte besonders erhellend sein, wenn man bedenkt, dass die Dramen der spanischen Romantik bislang mehr als Fortsetzung der Theatertradition des Siglo de Oro betrachtet wurden. Die spanische Romantik steht daher im Ruf der für die spanische Literatur oft konstatierten zeitlichen "Verspätung" im Vergleich mit den anderen europäischen Nationalliteraturen. Finden sich auch in den spanischen romantischen Dramen bereits Merkmale der ästhetischen Moderne, so widerspräche dies nicht nur einer "Verspätung" der spanischen Literatur, sondern müsste in letzter Konsequenz zu einer Neubewertung der spanischen Romantik führen. Die These eines spanischen Sonderweges in die Moderne galt lange als Konsens hispanistischer Forschungen, bis in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts neue Studien zur Aufklärungsforschung in Angriff genommen wurden, die das Bild eines "Spanien ohne Aufklärung" oder einer allenfalls "katholischen Aufklärung" mehr als nur korrigieren konnten. In zunehmendem Maße ist die 'Sattelzeit' zwischen 1750 und 1830 in den Blick geraten, um sowohl Kontinuitäten als auch Brüche in der Entwicklung von der Aufklärung zur Romantik präziser herausarbeiten zu können. 30 In Spanien hat die hispanistische Forschergruppe zu Ilustración y Romanticismo ihre Ergebnisse bereits in zahlreichen Kongressakten zusammengestellt, die belegen, dass Spanien an den in Europa geführten philosophischen, ästhetischen wie poetologischen Debatten durchaus Anteil hatte. 31 Bekannte, die spanische Kulturgeschichte prägende Topoi, denen zu Folge Spanien als katholisch, traditionell und konservativ defniert wird, grenzten es gemeinhin allzu leichtfertig aus dem europäischen Diskurs der Moderne aus. 32 In nicht unwesentlichem Maße hängt dies mit der Stilisie- 29 Vgl. Silvio Vietta, Dirk Kemper, "Vorwort", S. 30. 30 Vgl. dazu auch Helmut C. Jacobs, Schönheit und Geschmack. Die Theorie der Künste in der spanischen Literatur des 18. Jahrhunderts, Frankfurt/ M: Vervuert 1996, S. 9ff. 31 Die jüngste Tagung der Forschergruppe (XV. Congreso de la Ilustración al Romanticismo: Cádiz, América y Europa ante la Modernidad) fand unter der Leitung von Fernando Durán López vom 18.-20. Mai 2012 in Cádiz statt, zum Rahmenthema: "Obscenidad, Vergüenza, Tabú. Contornos y retornos de los reprimidos entre los siglos XVIII y XIX". 32 U.a. weist Andreas Gelz in seiner Studie zu den tertulias in Spanien darauf hin, dass "diese und andere Bilder [...] auch wenn sie im Einzelfall zutreffen mögen, sich bei einfacher Addition in ein Zerrbild verwandeln müssen, angesichts des Einblicks in die lebhaften, streitlustigen, mehr als einmal grundsätzlichen Debatten, die die Spanier in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sowie der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der tertulia führen […]." Andreas Gelz, Tertulia. Literatur und Soziabilität im Spanien des 18. und 19. Jahrhunderts, Frankfurt/ M.: Vervuert 2006, S. 363. <?page no="16"?> Einleitung 16 rung Spaniens zum Objektland der Romantik durch die deutschen Romantiker zusammen, denen Spanien als das romantische Land par excellence galt. Das euphorische Bekenntnis für Spanien als Wiege der romantischen Literatur führte in der literaturwissenschaftlichen Forschung zu der These einer Kontinuitätslinie, derzufolge die gesamte spanische Literatur seit dem Siglo de Oro als romantisch zu bezeichnen sei. Diese These, die vorrangig von Edgar Allison Peers 33 und Russel Sebold 34 vertreten wurde, verwischt jedoch in unzulässiger Weise die literarästhetischen Differenzen zwischen dem Siglo de Oro und der Romantik, zudem wird die Definition der Romantik als kulturgeschichtlicher Epoche verkannt. Dieser Erkenntnis ist von Seiten der Forschung seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts teilweise Rechnung getragen worden. Einer der Vertreter ist Ricardo Navas-Ruiz, der konstatierte: "Es necesario rechazar de una vez para siempre la imagen de una España romántica a la busca de su esencia en los valores del siglo XVI o XVII e intentar otro camino." 35 Den Fokus legte der spanische Hispanist auf die Herausarbeitung des Gegensatzes zwischen einer konservativen und einer liberalen Romantik in Spanien. Im Kontext der soziologischen Literaturtheorie stellte man verstärkt die Frage des Bezuges zum Liberalismus ins Zentrum der Romantikforschung. Vicente Llorens 36 hat die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Aspekte der romantischen Literatur in Analogie zur liberalen Ideologie erörtert und damit die Bezüge zwischen Romantik und Liberalismus in Spanien unter besonderer Berücksichtigung des englischen Exils der spanischen Liberalen aufgezeigt. 37 Iris Zavala 38 beleuchtete im folgenden Jahrzehnt die bürgerlichen Themen der Romantik vor dem Hintergrund soziologischer Studien. Sie postulierte ebenfalls einen direkten Zusammenhang zwischen Liberalismus und Romantik, der sie zu der Schlussfolgerung führte, dass die Romantik in Spanien erst nach der Rückkehr der Liberalen aus dem Exil ihren Ausgang nahm. Diese These, derzufolge die spanischen Liberalen erst nach dem Tod des absolutistischen Herrschers die im Ausland erfahrenen romantischen 33 Edgar Allison Peers, A Short History of the Romantic Movement in Spain, Liverpool 1949. 34 Russel Sebold, Trayectoria del romanticismo español, Barcelona: Crítica 1983. 35 Ricardo Navas-Ruiz, El romanticismo español. Historia y crítica, Madrid: Ed. Anaya 1970, S. 8. 36 Vicente Llorens, El romanticismo español, Madrid: Ed. Castalia 2 1989. 37 Diesen Spuren folgt auch der von der Sociedad Estatal de Conmemoraciónes Culturales herausgegebene Band Liberalismo y Romanticismo en tiempos de Isabel II. Madrid: Museo Arqueológico Nacional, del 21 de abril al 6 de junio de 2004, Madrid: SECC 2004. Die neueste Publikation zum Thema: García Castañeda, Salvador, "Los emigrados liberales españoles (1814-1834) y el teatro", in: Raquel Gutiérrez Sebastián, Borja Rodríguez Gutiérrez (Hg.), Desde la platea. Estudios sobre el teatro decimonónico. Estudios sobre el teatro decimonónico, Santander: Universidad de Cantabria 2010, S. 13-22 38 Iris Zavala, "La Literatura: Romanticismo y Realismo", in: AA.VV., Historia de España, Bd. XXXV, II, Madrid: Espasa Calpe 1989, S. 5-183. <?page no="17"?> Einleitung 17 Ideale nach Spanien importierten, ist jedoch nicht haltbar. Die Forschungen von Hans Juretschke 39 und Derek Flitter 40 belegen, dass die romantischen Debatten seit den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts schon den Boden für den Erfolg der Romantik auf dem Theater bereitet hatten, als die Liberalen aus ihrem Exil zurückkehrten. Während Zavala folglich den ausländischen Einfluss überbewertet, betont der englische Hispanist Derek Flitter die Bedeutung Böhl de Fabers und der durch ihn vermittelten historischen Romantik 41 gegenüber dem liberalen, aus Frankreich kommenden Einfluss, der ihm vernachlässigenswert erscheint. Die vermittelnde Position Hans Juretschkes, der wir im zweiten Kapitel der vorliegenden Studie folgen, trifft die Sachlage hingegen genauer. Die Phase der historischen Romantik wird von einer kurzen liberalen Phase abgelöst, der eine letzte Phase der konkurrierenden Diskurse der beiden Romantik-Modelle folgt. Innerhalb dieser Debatte um eine Einordnung der spanischen Romantik zwischen einer konservativen historischen und einer liberalen stellte David Th. Gies die These auf, die spanische Romantik sei nur eine Imitation des französischen Modells. 42 Wenn man die Romantik allerdings als eine gesamteuropäische Epoche in den Blick nimmt, so dürfte deutlich werden, dass die nationalen Literaturen sich wechselseitig inspirierten und von einer einseitigen Imitation keine Rede sein kann. Ein Kaprizieren auf nationale Vorreiterschaft steht zudem im Widerspruch zur Haltung der romantischen Schriftsteller, die sich vielmehr als Weltbürger verstanden. Durch die Beiträge Hans Juretschkes zum Ursprung der romantischen Ideen in Spanien in den letzten Jahrzehnten des 18. und ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts konnte zudem geklärt werden, dass parallel zu der Entwicklung in den anderen europäischen Ländern die gleichen romantischen Postulate in ganz ähnlicher Weise debattiert wurden. Auch Wolfram Krömer hat schon 1968 mit seiner Studie auf die zeitnahe Diskussion romantischer Postulate im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert hingewiesen und die These eines Eklektizismus überzeugend widerlegt. 43 39 Vgl. die zahlreichen Aufsätze von Hans Juretschke, die inzwischen in drei Bänden zusammengestellt vorliegen: Miguel Ángel Vega Cernuda (Hg.), España y Europa. Estudios de Crítica Cultural. Obras Completas de Hans Juretschke, Madrid: 2001-2002. 40 Derek Flitter, Spanish Romantic literary theory and criticism, Cambridge: University Press of Cambridge 1992. 41 Unter den Begriff der historischen Romantik subsumiert man die den Schlegelschen romantischen Postulaten verpflichtete Romantik. Vgl. hierzu Kap. 2.2.3 der vorliegenden Studie. 42 Vgl. David Th. Gies, El Romanticismo, Madrid: Taurus 1989. Schon Edgar Allison Peers (A Short History of the Romantic Movement in Spain) hatte in seinen in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts verfassten Studien den eklektizistischen Charakter der spanischen Romantik hervorgehoben. 43 Vgl. Wolfram Krömer, Zur Weltanschauung, Ästhetik und Poetik des Neoklassizismus und der Romantik in Spanien, Münster: Aschendorff 1968. <?page no="18"?> Einleitung 18 Eine Aufarbeitung der interkulturellen Beziehungen der europäischen Literatur im Zeitalter der Romantik bleibt weiterhin eines der vorrangigen Desiderate der Romantik-Forschung. 44 Wenn man die interkulturelle Vernetzung der romantischen Literatur in Europa in den Blick nimmt, so wird deutlich werden, dass die gesamte europäische Literatur von einem mentalitätsgeschichtlichen wie literarästhetischen Umbruch erfasst wurde, der mit dem Umbruch auf der Ebene der soziohistorischen Gegebenheiten korreliert. Die wechselseitige Inspiration beruht auf dem der Romantik inhärenten Prinzip der Anerkennung der Kultur anderer Völker und Zeiten und dem Versuch, auf der Grundlage der nationalen Besonderheiten eine Literatur zu verfassen, die als modern zu bezeichnen wäre. Während sich die eingangs erwähnte These eines Dialogs zwischen Romantik und Moderne in Bezug auf den germanistischen und frankoromanistischen Bereich zunehmend als Konsens der Forschung heraukristallisiert hat, lassen sich im hispanistischen Kontext allenfalls erste Anklänge in dieser Richtung vernehmen. Auf den Zusammenhang zwischen Romantik und Moderne haben im Hinblick auf den spanischen Literaturkontext Iris Zavala und Leonardo Romero Tobar hingewiesen, ohne dies jedoch tiefer zu verfolgen. 45 Erst in den letzten Jahren richtet auch die hispanistische Forschung den Blick auf den Aspekt des Bezugs zwischen Romantik und Moderne. 46 2006 hat Michael Iarocci einen Band zum Dialog der spani- 44 Erste wegweisende Studien in dieser Richtung bilden: Gerhart Hoffmeister, Deutsche und europäische Romantik, Stuttgart: Metzler 2. durchgesehene und erweiterte Auflage 1990; Ders. (Hg.), European Romanticism. Literary Cross-Currents, Modes, and Models, Detroit: Wayne State University Press 1990; Christain Wentzlaff-Eggebert (Hg.), Spanien in der Romantik, Köln: Böhlau 1994; Udo Schöning, Frank Seemann (Hg.), Madame de Staël und die Internationalität der europäischen Romantik. Fallstudien zur interkulturellen Vernetzung, Göttingen: Wallstein 2003. Diesem Desiderat widmen sich auch die Beiträge in dem von der Verf. und Christoph Strosetzki herausgegebenen Band Interkultureller Austausch in der Romania im Zeichen der Romantik. Akten der Sektion 14 des Deutschen Romanistentages 2003 in Kiel, Bonn: Romanistischer Verlag 2004. 45 Iris Zavala (Hg.), Historia y crítica de la literatura española, Bd. V: Romanticismo y realismo,Barcelona: Ed. Crítica 1982, S. 5-22 und Leonardo Romero Tobar, Panorama crítico del romanticismo español, Madrid: Castalia 1994, S. 111. Vgl. hierzu auch L. Romero Tobars Beitrag: "El romanticismo español, cien años después", in: Bulletin Hispanique, Nr. 1, Juni 2004, S. 375-399. Darin weist er darauf hin, dass man im intellektuellen Horizont der 20er Jahre in Spanien bereits den paradigmatischen Bruch in den poetologischen Konzepten und die Wendung zur Genie-Ästhetik erkannt habe. Daneben ist der von Esteban Tollinchi veröffentlichte Band zu Romanticismo y modernidad (Puerto Rico: Universidad de Puerto Rico 1989) zu erwähnen, der jedoch nur in sehr allgemeinen kulturgeschichtlichen Zügen den Bezug zwischen Romantik und Modern in Europa vermittelt. 46 Im XI. Band der Forschergruppe zu Ilustración y Romanticismo wird z.B. auf den die Romantik als Ursprung der Moderne verwiesen. Die Tagung widmete sich den für die Romantik und die Moderne konstitutiven Begriffen pueblo, patria und nación. Alberto Ramos Santana (Hg.), La ilusión constitucional: pueblo, patria, nación. De la ilustración al Romanticismo. Cádiz, América y Europa ante la Modernidad. 1750-1850, XI Encuentro en Cádiz, 8-10 de mayo de 2002, Cádiz: Universidad de Cádiz 2004. <?page no="19"?> Einleitung 19 schen Romantik mit der Moderne vorgelegt, der in eine ähnliche Richtung wie die vorliegende Studie weist. 47 So stellt er u.a. heraus: "Spain was in this sense, not simply the recipient of this discourse; in many regards it was integral to its very formulation." 48 Iarocci erläutert seine These der Modernität spanischer romantischer Literatur am Beispiel der Werke dreier Autoren: Cadalso, Larra und Duque de Rivas, und fordert einen stärkeren Einbezug der spanischen Romantik in den Kontext der europäischen Romantik-Studien. In der Tat stellt dies weiterhin ein Desiderat der Forschung dar. Die meisten Studien fokusieren auf den deutschen, französischen sowie englischen und italienischen Kontext, während die spanische Romantik wenn überhaupt dann nur am Rande erörtert wird. 49 Ein anderer Aspekt, der in der gesamteuropäischen Romantikforschung von zentraler Bedeutung war, ist die Abgrenzung der Romantik vom Klassizismus. Studien zur Romantik in Frankreich haben die lange Zeit unangefochtene These eines Bruchs zwischen Klassizismus und Romantik in den Blick genommen und aufgezeigt, dass der Bruch mit den ästhetischen Postulaten nicht durchgängig zu verzeichnen ist, sondern auf der literarästhetischen Ebene romantischer Theoriebildung in vielen Punkten eine Transformation klassizistischer Postulate zu konstatieren ist. In diesem Sinne vertritt Penzenstadler die These einer Kontinuitätslinie vom Klassizismus zur Romantik. 50 Hier bleibt jedoch einzuwenden, dass auch eine Transformation in gewisser Hinsicht einen Bruch darstellt, insofern als bestimmte Konzepte grundlegend verändert werden. Dennoch hilft dieser Ansatz, die 47 Michael Iarocci, Properties of Modernity. Romantic Spain, Modern Europe, and the Legacies of Empire, Nashville: Vanderbilt University Press 2006, S. XVI. 48 Ebd., S. 23. 49 Dies trifft auch auf den w.o. zitierten, von Anja Ernst und Paul Geyer herausgegebenen Band Die Romantik: ein Gründungsmythos der Europäischen Moderne zu. Hier beschäftigt sich nur der Beitrag von Helmut C. Jacobs ("Zwischen Vernunft und Wahnsinn - Die Phantasie in der ästhetischen Diskussion der spanischen Romantik", S. 415- 436) explizit mit dem spanischen Kontext. Die deutsch-italienischen Filiationen nimmt u.a. der von Dirk Kemper und Eugenio Spedicato herausgegebene Band Das Europa-Projekt der Romantik und die Moderne: German-Italian Encounters in the History of Mentality, Tübingen: Niemeyer 2005 in den Blick. Einen ebenfalls auf Lateinamerika ausgeweiteten - aber auf die Exilthematik konzentrierten - Blickwinkel nimmt der von Frank Estelmann und Olaf Müller herausgegebene Band Exildiskurse der Romantik in der europäischen und lateinamerikanischen Literatur, Tübingen: Narr 2011 ein. Neben Beiträgen, die sich auf Frankreich und Italien beziehen, finden sich hier auch fünf Aufsätze zum spanischen, brasilianischen, argentinischen und karibischen Kontext. 50 Franz Penzenstadler hat diesen Transformationsprozess in Bezug auf die französische Lyrik der Romantik nachgewiesen. Franz Penzenstadler, Romantische Lyrik und klassizistische Tradition. Ode und Elegie in der französischen Romantik, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2000. In seiner zeitgleich erschienenen Studie erläutert Michel Brix die Rezeption des Platonismus innerhalb der französischen Romantik. Die Frage nach der Bewertung des Schönen in seinem Verhältnis zum Guten und Wahren wird zum Dreh- und Angelpunkt der Romantik als moderner Literatur. Vgl. Michel Brix, Le romantisme français. <?page no="20"?> Einleitung 20 facettenreichen Nuancen der Literaturtheorie am Übergang vom Klassizismus zur Romantik schärfer herauszufiltern. 51 Auch in dieser Hinsicht hat Wolfram Krömer mit seiner 1968 erschienenen hispanistischen Studie bereits Pionierarbeit geleistet, insofern als er schon damals für die spanische Literatur eher einen fließenden Wandel vom neoclasicismo zur Romantik konstatierte. 52 Der Wandel lässt sich Krömer folgend in besonderem Maße im Bereich der sinnlichen Wahrnehmung feststellen. Der romantische Individualismus und eine veränderte Vorstellung von der Wirklichkeitsdarstellung verlangten nach einer neuen Literatur, die in der romantischen Exaltation und Melancholie ihren Ausdruck erfuhr. Dadurch kam es zu einem gattungsspezifischen Paradigmawechsel: die idealisierende Schäferliteratur war an ihrem Endpunkt angelangt und das romantische Drama sollte künftig die Gattung der modernen Literatur repräsentieren. Während Wolfram Krömer in seiner Studie den Übergang vom neoclasicismo zur Romantik in den Blick genommen hat, um den Wandel in der ästhetischen und poetologischen Konzeption auf der Ebene der theoretischen Erörterungen in Spanien zu skizzieren, ist bislang versäumt worden, die mit diesem Wandel verbundenen ästhetischen Implikationen im romantischen Drama als Ursprung der modernen Literatur zu untersuchen. Mit der Romantik vollzog sich ein grundlegender Wandel im Literaturverständnis, der sich an den veränderten poetologischen und ästhetischen Postulaten ablesen lässt. Die Abkehr von der aristotelischen Regelpoetik ging in der europäischen Romantik mit der Konzeption einer individuellen Ästhetik einher, welche die Kreativität des künstlerischen Genies zum Prinzip der Dichtung erhob und sich vom imitatio-Prinzip löste. In Frankreich sah Victor Hugo mit der Romantik die Zeit des Dramas gekommen. 53 Diese Gattung sollte wie keine andere dazu geeignet sein, das Genre der modernen Literatur zu repräsentieren. Das Drama bilde einen konzentri- 51 Einen Beitrag hierzu leistet auch der Band von Carmen María Cremades Griñán herausgegebene Band De la ilustración al romanticismo, Murcia: DM 2003. Klassizismus und Romantik im europäischen Kontext hat auch das Giessener DFG-Graduierten- kolleg in den Jahren 1997-2006 unter besonderer Berücksichtung des Bezugs zur ästhetischen Erfindung der Moderne erforscht. Vgl. hierzu u.a.: Markus Dauss, Ralf Haekel (Hg.), Leib/ Seele - Geist/ Buchstabe: Dualismen in der Ästhetik und den Künsten um 1800 und 1900 (Abschlusstagung des Graduiertenkollegs im November 2006), Würzburg: Königshausen & Neumann 2009. 52 Seine Erkenntnisse sind jedoch von Seiten der deutschen Hispanistik, die sich bislang in nur geringem Umfang der spanischen Romantik gewidmet hat, nicht weiter verfolgt worden. Auf spanischer Seite wurde Krömers These nur in begrenztem Maße im Umfeld der Romantikforschung Hans Juretschkes rezipiert. 53 Vgl. Victor Hugo, Préface de Cromwell (1827), hg. von Michel Cambien, Paris: Larousse 1972, S. 60: "La poésie née du christianisme, la poésie de notre temps est donc le drame; le caractère du drame est le réel; le réel résulte de la combinaison toute naturelle de deux types, le sublime et le grotesque, qui se croisent dans le drame, comme ils se croisent dans la vie et dans la création. Car la poésie vraie, la poésie complète, est dans l'harmonie des contraires." <?page no="21"?> Einleitung 21 schen Spiegel der Wirklichkeit und vereine so Gegensätzliches wie das Groteske und Sublime. 54 Im Frankreich des 19. Jahrhunderts sollte sich jedoch nicht das Drama, sondern der Roman zur vorrangigen Gattung der modernen Literatur aufschwingen. Während in Frankreich - und ebenso in Deutschland - die meisten romantischen Dramen nicht aufführbar waren und somit weitgehend nur als Lesedramen rezipiert wurden, verhält sich die Situation in Spanien geradezu diametral. Dort stellt das Drama die Gattung dar, in welcher sich die romantische Theorie am deutlichsten manifestierte. 55 Anders als in den anderen europäischen Ländern beherrschte das romantische Drama während einer Zeitspanne von immerhin zwei Jahrzehnten die spanischen Bühnen. Trotz dieser herausragenden Stellung hat sich die hispanistische Forschung dem romantischen Drama meist nur in Einzelstudien gewidmet, die sich im Wesentlichen auf zwei Dramen konzentrierten: Don Álvaro o la fuerza del sino des Duque de Rivas auf der einen und José Zorrillas Don Juan Tenorio auf der anderen Seite. 56 Erst Ermanno Caldera hat eine literaturgeschichtliche Monographie 57 veröffentlicht, in der er das gesamte Panorama des romantischen Theaters skizziert, das er in Komödie und romantisches Drama untergliedert. Doch auch das dem romantischen Drama gewidmete Kapitel streift nur in kurzen Einzelstudien verschiedene thematische und poetologische Aspekte dieser Gattung. Eine literaturwissenschaftliche Studie, die das romantische Drama in Spanien insgesamt unter einer spezifischen Fragestellung in den Blick nähme, steht daher noch aus. Die Gattung des Theaters bietet sich in besonderem Maße zur Analyse des Wandels in den ästhetischen Grundfesten an. In Spanien unterstreicht der ungeheure Erfolg des romantischen Dramas die Bedeutung der romantischen Dichtungstheorie. Anders als in Frankreich, wo die Auseinandersetzungen zwischen classiques und romantiques zwar auf dem Theater ausgefochten, aber in Lyrik und Roman entschieden wurden, waren in Spanien der Roman und die Lyrik weniger bedeutend. Die erstaunliche Tatsache, dass das spanische Publikum der neuen Gattung wohlwollender 54 Vgl. ebd., S. 82. 55 Wolfram Krömer sieht im Entstehen des romantischen Dramas den eigentlichen Wert der romantischen Theorie. Vgl. Wolfram Krömer, Zur Weltanschauung, Ästhetik und Poetik des Neoklassizismus und der Romantik in Spanien, S. 181. 56 Insgesamt haben nur sechs Werke die Aufnahme in den Kanon des romantischen Dramas erreicht. Siehe hierzu Kap. 1.3 Zielsetzung, Methode und Textkorpus. Zorrilas Werk wurde im Jahre 1993 anlässlich seines 100. Todestages gleich durch zwei Bände geehrt: zum einen der von Richard Cardwell herausgegebene Band José Zorrilla. Centennial Readings, University of Nottingham 1993, zum anderen die umfagnreichen Kongressakten Javier Blasco Pascual, Ricardo de la Fuente Ballesteros, Alfredo Mateos Paramio (Hg.), Actas del Congreso sobre José Zorrilla. Una nueva lectura, Valla- dolid, 18-21 de octubre de 1993, Valladolid: Universidad de Valladolid/ Fundación Jorge Guillén 1995. Zudem würdigte auch die Zeitschrift Ínsula in Nr. 564 (1993) den spanischen Dichter durch mehrere Artikel. 57 Ermanno Caldera, El teatro español en la época romántica, Madrid: Castalia 2001. <?page no="22"?> Einleitung 22 begegnete als das Publikum in den anderen europäischen Ländern, erklärt sich dadurch, dass die spanischen Zuschauer aufgrund der tradierten Theaterpraxis des Siglo de Oro den poetologischen Neuerungen der Romantik offener gegenüber standen. Welche Konsequenzen sich hieraus für die Frage nach den Paradigmen der ästhetischen Moderne ergeben, wird einen Aspekt der vorliegenden Studie bilden. Das Theater bietet als literarisches Genre zudem beste Möglichkeiten zur Darstellung eines Wandels in der Konzeption des Subjekts. Der romantische Held ist Dreh- und Angelpunkt des neuen Weltbildes, das auf der Bühne zur Darstellung kommt: ein Subjekt, das die neue Zeitdimension ebenso reflektiert wie seine neu gewonnene Freiheit und die damit verbundene Erfahrung der Kontingenz. Im Allgemeinen werden von der Forschung nur sechs Theaterstücke zum literarischen Kanon des romantischen Dramas gezählt, deren Erscheinungsdaten die Phase dieser Gattung auf nur ein Jahrzehnt beschränken. 58 Die Tatsache, dass fünf der sechs zum Kanon 59 zählenden romantischen Dramen in nur drei Jahren (von 1834-37) aufgeführt wurden, erweckt den Eindruck, die neue dramatische Gattung habe sich recht schnell überlebt. 60 Die neben Francisco Martínez de la Rosas La Conjuración de Venecia bedeutendsten romantischen Dramen der Anfangsphase waren Macías von Mariano José de Larra, ebenfalls 1834 aufgeführt, und Don Álvaro o la fuerza del sino von Ángel de Saavedra, Duque de Rivas, aus dem Jahr 1835. 61 Ein Jahr später kommt El Trovador von Antonio García Gutiérrez zur Aufführung, das einige Parallelen zu Macías aufweist, mit dem es nicht nur die Troubadour-Thematik verbindet. 1837 folgt Los Amantes de Teruel von Juan Euge- 58 Detlef Kremer kommt hinsichtlich der deutschen Romantik zu einem ähnlichen Ergebnis, wenn er unterstreicht, dass nur wenige romantische Dramen - sowohl auf den Theaterbühnen als auch als literarische Lesedramen - tatsächlich erfolgreich waren. Vgl. Detlef Kremer, Romantik. Lehrbuch Germanistik, Stuttgart: Metzler 2001, S. 209. Ähnliches lässt sich für Frankreich konstatieren, wo den romantischen Dramen ebenfalls nur relativ wenig Erfolg beschieden war. 59 Zum Kanon zählen: Conjuración de Venecia, Macías, Don Álvaro o la fuerza del sino, El Trovador, Los Amantes de Teruel und Don Juan Tenorio. 60 Auch Romero Tobar weist darauf hin, dass die Publikumsreaktionen in den Jahren von 1834-37 den literarhistorischen Wandel bestätigen, der mit den im Folgenden erwähnten Stücken eingeleitet wurde. Vgl. Leonardo Romero Tobar, Panorama crítico del Romanticismo español, Madrid: Castalia 1994, S. 274. 61 Im gleichen Jahr wurde ein ebenfalls zur Gattung des romantischen Dramas zu zählendes Stück aufgeführt, das zwar keine Aufnahme in den literaturgeschichtlichen Kanon gefunden hat, aber deutliche Parallelen zu Don Álvaro aufweist: Alfredo von Joaquín Francisco Pacheco. Aufgrund der Nähe zu Don Álvaro und in Anbetracht der weniger ausgefeilten literarästhetischen Qualität, bleibt dieses Werk hier jedoch unberücksichtigt. Vgl. Die Studie von Piero Menarini, "Un drama romántico alternativo: ‘Alfredo’, de Joaquín Francisco Pacheco", in: Actas del I Coloquio de SLES. Del Romanticismo al Realismo, Barcelona: Publicacions de la Universitat de Barcelona 1998, S. 167-176. <?page no="23"?> Einleitung 23 nio Hartzenbusch, mit dem die recht kurze Hochphase des romantischen Dramas zunächst an ihrem Endpunkt angelangt zu sein scheint. Inzwischen hat Ermanno Caldera jedoch hinsichtlich der Datierung der literaturgeschichtlichen Phase des romantischen Dramas in Spanien Korrekturen vorgenommen. Er schlägt vor, hinsichtlich der zum drama romántico zu zählenden Werke von einem Zeitraum von etwa zwei Jahrzehnten auszugehen: 1830 bis 1849, gerechnet vom Abfassen der Conjuración de Venecia von Martínez de la Rosa an, der dieses Stück im Pariser Exil zu dem Zeitpunkt verfasste, als Victor Hugo mit der bataille d´Hernani (1830) den Siegeszug der Romantik in Frankreich einläutete, bis hin zu José Zorrillas Traidor, inconfeso y mártir (1849). 62 Gegen Ende der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts verlagerte sich die Gunst des Publikums verstärkt auf die comedia. Für diese Phase sind nur fünf Dramen erwähnenswert, die der Gattung des romantischen Dramas jedoch keine neuen Impulse zu geben vermögen, sondern - wie Caldera ausführt - nur Variationen der bekannten Themen und Motive bilden. 63 Schon 1841 verschärft sich die Kritik am romantischen Drama, das als unmoralisch abgewertet wird, und der Dramaturg Juan del Peral gelangt sogar zu der Schlussfolgerung: "el exagerado drama romántico ha sido una llamarada que sólo ha brillado por un momento". 64 Das Ende des romantischen Dramas wird häufig bereits mit der Inszenierung des Don Juan Tenorio im Jahre 1844 angesetzt. Verbreitet ist die These, Zorrillas Drama habe der Romantik den Todesstoß versetzt. Dies wird Kampel zufolge damit begründet, dass das Stück in einer Zeit geschrieben wurde, in der Spanien gesellschaftspolitisch im Zeichen der bürgerlichen Restauration stand, welche zu Werten wie Familie, Vaterland und Ehre zurückkehrte. 65 Es wird zu prüfen sein, ob die Deutung des Don Juan Tenorio als moralisch-religiöses Drama, das die bürgerlichen Werte der Restuaration vermittelt, einer eingehenden Analyse der Ästhetik des romantischen Dramas standhält. Von einem Endpunkt des romantischen Dramas kann man jedenfalls 1844 noch nicht sprechen. Tatsächlich gelangten auch in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts zahlreiche weitere romantische Dramen zur Aufführung - u.a. kommt es zu Wiederaufnah- 62 Dazu zählen: Amor venga sus agravios von Eugenio Moreno López Espronceda, Doña Mencía von Hartzenbusch, El astrólogo de Valladolid von José García de Villalta, El conde don Julián von Miguel Agustín Príncipe und Vellido Dolfos von Bretón de los Herreros. Vgl. Piero Menarini, El teatro romántico español (1830-50). Autores, obras, bibliografía, Bologna: Atesa Editrice 1982. 63 Vgl. Ermanno Caldera, El teatro español en la época romántica, S. 159. 64 Juan del Peral, "Reforma teatral", in: Revista de Teatros, I, 1841, zitiert nach Romero Tobar, Panorama crítico del romanticismo español, S. 299. 65 Vgl. z.B. Beatrix Kampel, "Verführer und Rebell. Zur romantischen Ausprägung der Don-Juan-Figur bei Lenau und Zorrilla", in: Germanisch-Romanische Monatsschrift, 37, 1987, S. 68-89. <?page no="24"?> Einleitung 24 men der bekannten, zum Kanon gerechneten Werke 66 - und noch Mitte des Jahrhunderts werden romantische Konzepte in den literarischen Zeitschriften und Zirkeln Spaniens diskutiert. 67 In der Spätphase des romantischen Dramas beherrschten vor allem die Stücke des José Zorrilla y Moral die spanischen Bühnen. Neben den zum Kanon zählenden - weiter oben bereits erwähnten - romantischen Dramen La Conjuración de Venecia, Macías, Don Álvaro o la fuerza del sino, El Trovador und Los Amantes de Teruel erweitert sich der Textkorpus der vorliegenden Studie daher um zwei romantische Dramen Zorrillas: Don Juan Tenorio (1844) und Traidor, inconfeso y mártir (1849). Eine Beschränkung auf sieben Dramen erscheint zum einen im Hinblick auf vertiefende Textanalysen sinnvoll, zum anderen wiederholen sich in den weiteren zwischen 1830 und 1850 veröffentlichten romantischen Dramen die Themen und die literarischen Verfahrensweisen. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts führten zudem veränderte Rezeptionsbedingungen beim Publikum sowie die literarästhetische Weiterentwicklung der Autoren zu einer Verschiebung des literarischen Interesses von der Gattung des Dramas hin zu der des Romans, wobei mit der Veröffentlichung von La Gaviota (1849) von Fernán Caballero das Zeitalter des Realismus eingeleitet wird. 68 Das romantische Drama, das in einer epochalen Umbruchsituation entsteht, prägt in literarischer Hinsicht folglich eine Übergangszeit hin zur Dominanz der Romanform in der europäischen Literatur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. 69 Für die Tatsache, dass Mitte des 19. Jahrhunderts die Produktion und Inszenierung romantischer Dramen spürbar rückläufig ist, lässt sich ein weiteres nicht zu vernachlässigendes Argument anführen. Es erweist sich 66 Vgl. die Ergebnisse der Studie von Irene Vallejo, und Pedro Ojeda (El teatro en Madrid a mediados del siglo XIX. Cartelera Teatral (1854-64), Valladolid: Universidad de Valladolid 2002), die in akribischer Detailarbeit die Theaterregister in Madrid von 1854-64 ausgewertet haben. Sie belegen, dass viele der romantischen Dramen von Hartzenbusch, García Gutiérrez u.a. auch noch nach dem vermeintlichen Ende der Romantik aufgeführt wurden. 67 Vgl. Leonardo Romero Tobar, "1854, el Romanticismo reexaminado", in: Centro Interdisciplinare di Studi Romantici (Hg.), Romanticismo 8: Los románticos teorizan sobre sí mismos. S. 193-203, hier: S. 197. 68 Vgl. Wolfram Krömer, Zur Weltanschauung, Ästhetik und Poetik des Neoklassizismus und der Romantik in Spanien, S. 230: La Gaviota setzte dem Gefühls- und Originalitätskult ein Ende. J. Marco konstatiert ebenfalls eine Veränderung des Publikumsgeschmacks zur Mitte des 19. Jahrhunderts, der sich in der Gattung des Romans widerspiegelt, und nennt als Zäsur ebenfalls die Veröffentlichung von La Gaviota. Vgl. J. Marco, "Ultimas fronteras del romanticismo en España", in: Marisa Siguán (Hg.), Romanticismo/ Romanticismos, Barcelona: PPU 1988, S. 163-176. 69 Bezüglich der deutschen Romantik hat Gerhard Schulz ebenfalls auf die Bedeutung des romantischen Dramas in der Übergangszeit zur Romanform hingewiesen. Vgl. Gerhard Schulz, "Romantisches Drama. Befragung eines Begriffes", in: Uwe Japp, Stefan Scherer, Claudia Stockinger (Hg.), Das romantische Drama. Produktive Synthese zwischen Tradition und Innovation, Tübingen: Niemeyer 2000, S. 1-19, hier: S. 18. <?page no="25"?> Einleitung 25 als sinnvoll, hier die Veränderungen in den Zensurbestimmungen in den Blick zu nehmen. Zwar stellt die Geschichte der Zensur in der spanischen Romantik neben der Frage nach den Modalitäten der konkreten Aufführungspraxis weiterhin ein Desiderat der Forschung dar, 70 dennoch hat aber Miguel Artola 71 in diesem Zusammenhang bereits auf einen wichtigen Aspekt hingewiesen: Mit dem Ende der Fernandinischen Ära waren die Zensurbestimmungen im Bereich der Literatur liberalisiert worden. So hatte man im Dekret zur Befreiung der Literatur von der Zensur vom 4.1.1834 den Autoren wesentlich mehr Freiheit zugestanden. Schon 1844 hatte dieses Dekret durch die moderados (die gemäßigten Liberalen) jedoch erste Korrekturen erfahren. Gegen Mitte des Jahrhunderts wurde im Zeichen der bürgerlichen Reaktion am 7.2.1849 die censura previa für Theaterstücke wiedereingeführt. Dies hatte zur Folge, dass die Zensurbestimmungen sich für den Roman wesentlich günstiger als für das Theater erweisen sollten. Signifikanterweise ist somit die Phase der liberalen Zensur deckungsgleich mit der Blütezeit des romantischen Dramas in Spanien. Die folgenden Ausführungen verfolgen das Ziel, die These eines spanischen Sonderweges in die Moderne 72 zu hinterfragen, um zu prüfen, in welcher Hinsicht auch das romantische Drama Spaniens bereits Aspekte der ästhetischen Moderne aufweist. Der ästhetische Wandel vollzieht sich einerseits auf der Ebene der veränderten Bewertung des Schönen. Die europäische Romantikforschung konstatiert diesbezüglich eine Ausdifferen- zierung der platonischen Triade des Guten, Wahren und Schönen, die in der Antike, der Klassik und dem Klassizismus eine Einheit bildeten. 73 Es wird zu klären sein, ob sich ein solcher Wandel in der Ästhetik des Schönen auch im spanischen romantischen Drama vollzieht und in letzter Konsequenz zur literarischen Selbstreflexion führt. Der Hauptteil der Studie fokussiert auf die Analyse der ästhetischen Merkmale der sieben zum Textkorpus zählenden romantischen Dramen. Geleitet werden die Textanalysen von der Frage, inwiefern sich eine Ablö- 70 Jesús Rubio Jiménez ("La censura teatral en la época moderada. Ensayo de aproximación", in: Segismundo, Nr. 39/ 40, 1984, S. 193-231) hat sich zwar mit der Zensur in der Isabellinischen Ära befasst, es fehlen jedoch insbesondere Studien zu den Zensurbedingungen in den 30er und 40er Jahre des 19. Jahrhunderts. 71 Vgl. Miguel Artola, "El gusto burgués y sus manifestaciones artísticas", in: Iris Zavala (Hg.), Romanticismo y realismo (= Bd. V der Historia y crítica de la literatura española, hg. von Francisco Rico), Barcelona: Ed. Crítica 1982, S. 84-90, hier: S. 89. 72 Zur spanischen Sonderstellung im Kontext der Moderne vgl. Jochen Mecke, "Aus- Ein-Ander-Setzung: Die agonale Modernität von Miguel de Unamunos Roman Niebla (1914)", in: Silvio Vietta, Dirk Kemper (Hg.), Ästhetische Moderne in Europa, S. 395-424. Hinsichtlich Unamunos Werk spricht Mecke von einem spanischem Sonderweg in die Moderne. Bezogen auf die Subjektproblematik sei das Autonomieprinzip in Niebla brüchig, denn eine Öffnung von Assoziationsspielräumen der Phantasie (Töne, Bilder, Worte) treten gerade da auf, wo die bestimmende, strukturierende Kraft des autonomen Subjekts nachlässt. 73 Vgl. Michel Brix, Le romantisme français, S. 83ff. <?page no="26"?> Einleitung 26 sung von der (neo)platonischen Triade des Guten, Wahren und Schönen hin zu Konzepten des Interessanten, Hässlichen und Bösen abzeichnet. Konkret werden die romantischen Dramen im dritten Kapitel hinsichtlich der Aspekte von Religion (als ethischer Kategorie), der Wahrheit (als Streben nach Erkenntnis) und der Liebe (als Medium des Schönen) erörtert. In Kapitel 4 folgt eine Analyse der romantischen Dramen im Hinblick auf die für die ästhetische Moderne weiter oben angeführten Leitbegriffe Zeit, Subjekt und Freiheit. Im Spannungsfeld dieser Begrifflichkeiten soll die Modernität der romantischen Dramen greifbar werden. Bevor jedoch mit der Analyse der Dramen begonnen wird, folgt im zweiten Kapitel der vorliegenden Studie ein Überblick über die Entwicklung der spanischen Romantik von ihren Anfängen in den 80er Jahren des 18. bis in die Blütezeit der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts, von den frühen theoretischen Debatten über die querella calderoniana bis hin zu den romantischen Manifesten in Vorworten. Im Vordergrund wird hier der Wandel in der ästhetischen und poetologischen Konzeption vom neoclasicismo zur Romantik stehen. <?page no="27"?> 2 Die Romantik in Spanien 2.1 Zum historischen Kontext Das Zeitalter der Romantik fällt in Spanien in eine historisch turbulente Umbruchphase, wie in anderen europäischen Staaten, die ebenfalls den Weg vom Ancien Régime zu einem bürgerlichen Klassenstaat eingeschlagen hatten. Spaniens Weg in die Moderne prägt im Verlauf des 19. Jahrhunderts der beständige Widerstreit zwischen Tradition und Fortschritt. Beginnend mit dem Unabhängigkeitskrieg gegen Napoleon bis zur Restauration ist die Lage Spaniens gezeichnet von politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen, als deren trauriger Höhepunkt die Karlistenkriege zu werten sind. Der Unabhängigkeitskrieg (1808-13) zwang Fernando VII. zwar vorübergehend ins Exil und ermöglichte so zunächst eine Stärkung der liberalen Kräfte in Spanien, die in der von den Cortes de Cádiz 1812 erstellten Verfassung - der Magna Charta des Liberalismus, wie Bernecker konstatiert 1 - ihren höchsten Ausdruck erfuhr. Nach der Rückkehr aus dem Exil im Jahre 1814 wies der absolute Herrscher indessen die liberalen Kräfte in ihre Schranken, als er sein ultrakonservatives Regime in Spanien wieder etablierte. 1820 erreichten die Liberalen dann infolge eines pronunciamiento erste Zugeständnisse, Fernando VII. musste den Eid auf die Verfassung von 1812 leisten und die Cortes einberufen. Diese als trienio liberal in die Geschichte eingegangene liberale Phase währte allerdings nur bis 1823. Die liberale Ära scheiterte an unüberwindbaren Differenzen in den Cortes und so konnte Fernando VII. eine absolutistische Restauration einleiten, die als década ominosa (1823-33) in die Geschichtsbücher einging und ihr Ende erst mit dem Tod des absoluten Monarchen fand. In dieser Phase der Repression sahen sich die führenden Liberalen erneut - nach 1814 nun zum zweiten Mal - gezwungen, ins Exil zu gehen. 2 Mit dem Tod des Herrschers 1833 ging - dank der Änderung des Salischen Gesetzes, die Fernando 1830 noch zu Lebzeiten veranlasst hatte - die Krone an seine noch minderjährige Tochter Isabel über, die zunächst von ihrer Mutter María Cristina de Borbón als Regentin vertreten wurde. Dies führte zum Ausbruch des ersten Karlistenkrieges (1833-39), dem zwei weitere von 1846-49 und von 1872-76 folgen sollten, da Fernandos Bruder Carlos eben- 1 Vgl. Walter Bernecker, Geschichte Spaniens von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, Stuttgart: Kohlhammer 3 2000, S. 210. Das Prinzip der Volkssouveränität wurde hier bereits angestrebt! 2 Zum europäischen Exil spanischer Romantiker vgl. Jean-René Aymes, Los españoles en Francia. 1808-1814. La deportación bajo el Primer Imperio, Madrid: Siglo XXI 1987; Gerhart Hoffmeister, España y Alemania. Historia y documentación de unas relaciones literarias, Madrid: Gredos 1980, S. 169-212; Vicente Llorens, Liberales y Románticos. Una emigración española en Inglaterra (1823-1843), México: Colegio de México 1954; Rafael Sánchez Mantero, Liberales en el exilio: la emigración política en Francia en la crisis del Antiguo Régimen, Madrid: Gredos 1975. <?page no="28"?> Die Romantik in Spanien 28 falls Ansprüche auf die Thronfolge stellte. Der dynastische Erbstreit war jedoch nur Fassade für den Kampf zwischen den Vertretern eines reaktionären Absolutismus und den liberalen Vertretern einer konstitutionellen Monarchie. 3 Letztere wird durch das Estatuto Real von 1834 institutionalisiert und hatte in Spanien bis 1931 Gültigkeit. Mit Beginn der Isabellinischen Ära (1834-68) folgte ein liberales Jahrzehnt (1834-44), wobei es interessant ist, dass sich die politische Zäsur hier bezeichnenderweise mit der für das romantische Theater oft postulierten Blütezeit deckt. Während Isabels Herrschaftszeit hatten die gemäßigten Liberalen (moderados) in den Flügelkämpfen mit den exaltados den größten politischen Einfluss, setzten 1837 die Kirchensäkularisierung durch, in deren Folge im Zuge der desamortización vor allem die Kirchengüter verkauft wurden, und konnten 1845 durch General Narváez sogar eine liberale Verfassungsreform verwirklichen, wobei die Souveränität jedoch bei der Königin blieb. Nur ein Jahr später brach der zweite Karlistenkrieg (1846-49) aus, nach dessen Ende eine Phase der Restauration einsetzte, die Spaniens Weg in eine liberale Gesellschaft weiter verzögern sollte. Verantwortlich hierfür war allerdings auch die Tatsache, dass in der Isabellinischen Ära 51 Regierungschefs einander ablösten und insgesamt 24 Putschversuche zu verzeichnen waren, was jeglicher politischer Kontinuität den Boden entzog. Die Karlistenkriege, die eine Umsetzung der Reformbestrebungen verhinderten, sind Zeugnis zweier sich in Spanien seit dem 18. Jahrhundert unversöhnlich gegenüberstehender politischer und gesellschaftlicher Gruppierungen, von denen eine rückwärtsgewandt, alten Traditionen und Werten verbunden für ein monarchisches und katholisches Spanien eintrat, die andere, liberale den Blick in die Zukunft gerichtet für Fortschritt und Religionsfreiheit und eine republikanische Staatsform plädierte. Es handelt sich folglich um jene beiden Parteien, die den Topos der Dos Españas verkörpern. 4 Seit dem Ende der Fernandinischen Ära hatte sich in Spanien ein politischer Wandel hin zu einem parlamentarischen Staat vollzogen, mit dem die ökonomische und soziale Entwicklung des Landes jedoch nicht Schritt halten konnte. 5 Die politischen Entwicklungen führten nicht wie in anderen 3 Vgl. hierzu und zum Folgenden Walter Bernecker, Geschichte Spaniens, S. 220. Dies hatte bereits Larra erkannt. Vgl. Hans Juretschke, "Die Ursprünge der spanischen Romantik und ihre Darstellung in der Literaturgeschichte. Eine Untersuchung über den Einfluß August Wilhelm Schlegels in Spanien", in: Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens, hg. von Johannes Vincke, Münster: Spanische Forschungen der Görresgesellschaft 1954, Bd. 9, S. 224-242, hier: S. 233. 4 Vgl. Russel P. Sebold, "Cronología y continuidad del Romanticismo", in: Víctor García de la Concha (Hg.), Historia de la literatura española, Bd. 8, Siglo XIX, I, Madrid: Espasa Calpe 1997, S. 84-89 und Russel P. Sebold, De Ilustrados y Románticos, Madrid: Ediciones del Museo Universal 1992. 5 Vgl. Carlos Marichal, La revolución liberal y los primeros partidos políticos en España: 1834-1844, Madrid: Cátedra 1980, S. 272. <?page no="29"?> Die Romantik in Spanien 29 europäischen Ländern eine industrielle Revolution herbei. Der Triumph über den Absolutismus gelang den liberalen Kräften nur durch die Allianz mit der landbesitzenden Oligarchie. Nach der kurzen Regierungsphase der progresistas (1840-43) kam es zur Konsolidierung einer zwar liberalen, aber praktisch doch autoritären Regierung. 6 Die folgende Regierungszeit der moderados (1844-68) basierte somit zwar auf dem liberalen Bürgertum, das in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts politisch tonangebend war, 7 zum Zwecke des Machterhaltes aber eine Allianz mit der Oligarchie (Andalusien, Kastilien, Aragón), dem Madrider Finanzbürgertum, den bürgerlichen Industriellen in Barcelona und dem Militär schloss. Die im Exil in Frankreich weilende Regentin María Cristina wurde von den Liberalen dazu bewegt, mit ihrer Tochter Isabel nach Spanien zurückzukehren. 8 Die Allianz zwischen Bürgertum und Aristokratie wurde durch familiäre Bande noch verstärkt und führte im Ergebnis zum bürgerlichen Streben nach aristokratischem Verhalten, weshalb das Volk in Bezug auf die jungen Herren der oberen Gesellschaft abfällig von "el señorito" sprach. 9 In der folgenden reacción conservadora wurden vor allem das Wahlrecht stark eingeschränkt und Zensurbestimmungen verschärft. Das Bürgertum versuchte in dieser historischen Situation seine eigene Machtposition zu sichern, indem es Vertreter der eigenen Schicht in zentralen politischen Positionen unterbrachte. In den Recuerdos del tiempo viejo schildert Zorrilla u.a. wie ihm ein diplomatischer Posten in der Spanischen Botschaft in Paris angeboten wurde, den er jedoch mit folgenden Worten ausschlug: ¿puedes tú probarme lógicamente que, por haberlos [los versos, die Verf.] hecho, debo y soy capaz de ir á desempeñar la secretaría de una embajada? Mira, Luis; yo temo que nuestra revolución va á ser infructífera para España por creernos vanidosamente todos los españoles buenos y aptos para todo, y meternos todos á lo que sabemos. Yo no sé nada ni sirvo para nada más que para hacer versos; 10 Die gesellschaftlichen Entwicklungen stießen ganz augenscheinlich nicht auf Zorrillas Zustimmung, was ihn dazu bewegte, Spanien zu verlassen, um sich auf längere Reisen nach Frankreich und Mexiko zu begeben. Welche Bedeutung diese gesellschaftliche Situation der bürgerlichen Reaktion für die Romantik in Spanien haben sollte, wird im Folgenden bei der Analyse der romantischen Dramen noch zu prüfen sein. Der Blick auf die histo- 6 Vgl. ebd., S. 297. 7 Vgl. zur clase media als clase dominante: Jean Le Bouill, "Etimologías: La clase media", in: Iris Zavala (Hg.), Historia y crítica de la literatura española, Bd. V: Romanticismo y Realismo,: Barcelona: Ed. Crítica 1983, , S.76-80, hier: S. 78. 8 Vgl. Carlos Marichal, La revolución liberal, S. 270. 9 Vgl. Enrique Tierno Galván, "Tópicos de la burguesía: lo cursi y el señorito", in: Iris Zavala (Hg.), Historia y crítica de la literatura española, Bd. V: Romanticismo y Realismo,: Barcelona: Ed. Crítica 1983, S.95-97, hier: S. 96. 10 José Zorrilla, Recuerdos del tiempo viejo, Barcelona: Ramírez 1880, S. 25f. <?page no="30"?> Die Romantik in Spanien 30 rische Situation hat jedoch bereits gezeigt, dass die politische Landschaft in Spanien ebenso wie in anderen Ländern Europas von politischen Unruhen (Unabhängigkeitskrieg gegen Napoleon, Karlistenkriege, etc.) gezeichnet war. Zudem stand den Liberalen nicht nur die rigide absolutistische Politik des Königs entgegen, sondern sie verloren ihre Wirkkraft auch in den internen Grabenkämpfen zwischen den moderaten und den extremen Gruppierungen der eigenen Partei. Im Folgenden soll die Entwicklung der romantischen Postulate unter besonderer Berücksichtigung der Auswirkungen des politischen Kontextes auf die Theoriebildung betrachtet werden. Denn eine einfache Gleichsetzung von Romantik mit Liberalismus ist für Spanien nicht möglich. Die Romantik war nicht konservativ oder liberal ausgerichtet, sondern die politischen Vertreter unterschiedlicher Couleur versuchten die kulturellen Werte der Romantik für jeweils eigene Zwecke nutzbar zu machen. 2.2 Ursprung und Entwicklung romantischer Ideen 2.2.1 El debate literario entre siglos Das in vielen Literaturgeschichten verbreitete Bild einer verspäteten spanischen Romantik, die erst nach dem Tod Fernando VII. Fuß fasste und nur eine Imitation ausländischer Modelle sei, konnte - wie wir in der Skizzeriung der Forschungslage in der Einleitung aufzeigten - inzwischen korrigiert werden. Ein Dissens besteht allerdings weiterhin hinsichtlich der Frage nach der zeitlichen Einteilung und der Entwicklung der spanischen Romantik. Ist es sinnvoll, in Bezug auf die Situation in Spanien von einem preromanticismo im Sinne der deutschen oder englischen Frühromantik zu sprechen? Martínez Torrón ist einer der Verfechter dieser These. 11 Die Romantik gelangte demzufolge - entgegen der Auffassung Allison Peers oder Ángel del Ríos 12 - früh nach Spanien, wenngleich die Verwendung des Begriffes romántico sich erst 1821 in einem Artikel Alberto Listas in El Censor nachweisen lässt und im gleichen Jahr eine Referenz bei Quintana zu finden ist. 13 Hans Juretschke weist auf die Wurzeln der spanischen Romantik im Empfindsamkeitskult des 18. Jahrhunderts hin, der sich bis weit in die erste 11 Vgl. Diego Martínez Torrón, El alba del romanticismo español (Con inéditos recopilados de Lista, Quintana y Gallego), Sevilla: Alfar 1993. 12 Edgar Allison Peers, A History of the Romantic Movement in Spain, 2 Bd., Cambridge 1940 und Angel del Río, "Una historia del movimiento romántico en España", in: RHM, Nr. 9, 1943, S. 229-48. 13 Diego Martínez Torrón, "Fundamentos teóricos acerca del Romanticismo español", in: Ders. (Hg.), Los romanticos y Andalucia, Córdoba: Universidad de Córdoba 1997, S.31- 37, hier: S. 32. <?page no="31"?> Die Romantik in Spanien 31 Hälfte des 19. Jahrhunderts ausdehnt. 14 Hinsichtlich der spanischen Frühromantik spricht Martínez Torrón von einer "fraternidad liberal internacional" 15 , die sich in den Zeitschriften der Epoche dokumentieren lasse. Die zahlreichen Veröffentlichungen der beiden Hispanisten werfen ein neues Licht auf die Wurzeln der spanischen Romantik und die interkulturellen Beziehungen spanischer Schriftsteller und Theoretiker mit ihren europäischen Zeitgenossen. Juretschke hat nachgewiesen, dass die romantische Doktrin schon lange vor 1833 in Spanien verankert war, und bezeichnet die frühe Phase der spanischen Romantik aufgrund ihrer theoretischen Nähe zur deutschen Frühromantik als historische Romantik. 16 Diese Phase wurde gegen Mitte der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts von der unter französischem Einfluss stehenden liberalen Romantik abgelöst, die jedoch schon bald erste Brüche aufweisen sollte. Doch werfen wir zunächst einen Blick auf die Ursprünge der spanischen Romantik: Erste romantische Postulate wurden Checa Beltrán zufolge bereits seit den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts in den literarischen Zirkeln in Spanien diskutiert. In diesem Zusammenhang spricht der spanische Hispanist vom "debate literario entre siglos" 17 , den er auf die Jahre von 1782 bis 1807 datiert. Insbesondere literaturtheoretische Schriften, die in Zeitschriften erschienen, Prologe zu literarischen Werken, aber auch einzelne Kapitel literarischer Werke geben Aufschluss über die teilweise polemisch geführten Debatten und ihre jeweiligen Vertreter. So ist bezeichnend, dass bereits in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts Begriffe fielen, die im Rest Europas etwa zeitgleich auf die Opposition von románticos und clásicos verwiesen: So forderten "los modernos" [sic! ] bereits in den 80er Jahren eine Lösung von den Vorbildautoren der Renaissance und eine damit einhergehende Hinwendung zu zeitgenössischen Autoren als Modellen, mit dem Ziel eine philosophische Literatur anzustreben, in der die Inhalte Vorrang vor der Form hätten. 18 Damit stellen sie eine Forderung auf, die auch von A.W. Schlegel, Germaine de Staël, Victor Hugo und Stendhal gestellt wird. Die in verschiedenen Zeitschriften als "nueva secta" definierten Vertreter romantischer Postulate wurden wegen ihres neuen Geschmacks kritisiert. So u.a. von Padre Andrés in seinem Buch Origen, progresos y estado 14 Vgl. Hans Juretschke, "Randglossen zur Beurteilung der spanischen Romantik in Vergangenheit und Gegenwart", in: Frank Baasner (Hg.), Spanische Literatur - Literatur Europas: Wido Hempel zum 65. Geburtstag, Tübingen: Niemeyer 1996, S. 371-78. 15 Diego Martínez Torrón, "Fundamentos teóricos acerca del Romanticismo español", S. 35. 16 Vgl. Hans Juretschke, "Die Ursprünge der spanischen Romantik und ihre Darstellung in der Literaturgeschichte", hier: S. 233. 17 José Checa Beltrán, Razones del Buen Gusto Poetica española del Neoclasicismo, Madrid: CSICF 1998, S. 283. 18 Vgl. ebd., S. 299. <?page no="32"?> Die Romantik in Spanien 32 actual de toda la literatura. 19 Der Vorwurf entstand im Zusammenhang mit der von Manuel José Quintana - einem revolutionären Dichter, der sich für die politischen und sozialen Belange Spaniens einsetzte und auch die Inquisition nicht scheute 20 - initiierten Debatte um den verso suelto, an der sich auf Seiten der antiguos Leandro Fernández de Moratín engagierte. Moratíns Kritik richtete sich an die Vertreter der nueva secta, zu denen er neben Quintana auch Cienfuegos und Mor de Fuentes zählte. Kritisiert wurde in erster Linie der estilo filosófico, espiritoso, der für die freie Imagination des Genies stand. Bemängelt wurden ein mal gusto, der auf die Negierung der klassizistischen Regeln zurückzuführen sei, die auf juicio und razón basierten. 21 Im Oppositionspaar von imitación und imaginación kristallisierten sich die Gegensätze der beiden Gruppen heraus. Die Initiatoren des neuen Geschmacks vermutete man zwar zunächst vorrangig in Frankreich, 22 Checa Beltrán weist jedoch darauf hin, dass die Wurzeln eher in England zu suchen seien: Dort hatte sich H. Blair, dessen Schriften zuerst von Jovellanos übersetzt worden waren, bereits gegen das Postulat der klassischen imitatio gewandt und für einen neuen Geschmack auf der Grundlage der Imagination des Künstlers plädiert. Es ist allerdings noch nicht die auf einer völlig freien Imagination beruhende Kreativität des Künstlers, die angestrebt wird, sondern ein eher assoziatives Schreiben. Dieser Gegensatz von assoziativ vs. kreativ prägt den Übergang vom neoclasicismo zur Romantik. Neben dem bereits erwähnten Quintana werden u.a. von Leandro Fernández de Moratín auch Meléndez Valdés und Cienfuegos für die Korruption des Stils in der Literatur verantwortlich gemacht. 23 Auf Seiten der Vertreter des neoclasicismo standen neben den bereits erwähnten Padre Andrés und Moratín auch Estala, Forner, Arriaza, Tineo und Gómez Hermosilla. Wenn man auch einschränkend darauf hinweisen muss, dass es in der Phase des debate literario entre siglos nicht zur Ausbildung einer gefestigten Literaturtheorie kam, es kein wirkliches Manifest einer Gruppe gegen den neoclasicismo gab, so ist doch bemerkenswert, dass sich innovative Tendenzen herauskristallisierten, die auf einen neuen literarischen Geschmack fern des klassizistischen Regelkanons deuteten und damit das Dogma des imitatio-Prinzips in Zweifel zogen und für eine Literatur plädierten, die sich an den Gegebenheiten der Zeit orientierte. 24 19 Zur Nähe des Padre Andrés zur deutschen Kultur (er erwähnt Schlegel, Chateaubriand, Staël und dt. Schriftsteller) vgl. Hans Juretschke, "La recepción de la cultura y ciencia alemana en España durante la época romántica", in: Miguel Ángel Vega Cernuda (Hg.), España y Europa. Estudios de Crítica Cultural. Obras Completas de Hans Juretschke, II, Madrid: Ed. Complutense 2001 S. 813-842, hier: S. 815. 20 Diego Martínez Torrón, "Fundamentos teóricos", S. 33. 21 Vgl. hierzu und zu dem Folgenden: Checa Beltrán, Razones del Buen Gusto, S. 289-292. 22 In diesem Zusammenhang werden Thomas, Diderot, La Harpe und Voltaire genannt. Vgl. Checa Beltrán, Razones del Buen Gusto, S. 303. 23 Vgl. ebd., S. 299 und 301. 24 Vgl. ebd., S. 307 und 309. <?page no="33"?> Die Romantik in Spanien 33 Checa Beltrán ist zuzustimmen, wenn er einerseits zwar feststellt, dass noch keine explizite romantische Literaturtheorie existierte, dies andererseits aber auch nicht ausschließt, dass eine romantische Dichtung verfasst wird, schließlich gingen Theorie und Praxis der Dichtkunst nicht immer Seite an Seite. Auch in Frankreich wurden schon romantische Werke verfasst, bevor Stendhal und Hugo diese auf poetologische Grundfeste stellten. Hierzu bemerkte schon Germaine de Staël in De l'Allemagne: "La littérature allemande est peut-être la seule qui ait commencé par la critique; partout ailleurs la critique est venue après les chefs-d'œuvre; mais en Allemagne elle les a produits." 25 Diese Ausführungen belegen, dass romantische Postulate in Spanien schon lange vor der querella calderoniana debattiert wurden, und verweisen auf einen interkulturellen Austausch zwischen den europäischen Ländern, der weiterhin einer grundlegenden Erörterung entbehrt. Dieser Austausch erstreckt sich gleichermaßen auf Deutschland, Frankreich, England und Italien. Schon 1807 rezensiert beispielsweise der junge Alberto Lista ein Buch von Lord Holland über Lope de Vega (Some Account on Life and Writings of Félix Lope de Vega Carpio, 1806), in dem die romantischen Züge des Theaters des Siglo de Oro hervorgehoben werden. 26 Im gleichen Jahr hatte Manuel José Quintana gefordert, die Literatur solle nicht der Mode folgen, sondern der Auseinandersetzung mit den Problemen der Zeit entspringen. Damit postulierte er eine These Germaine de Staëls, lange bevor diese in Spanien rezipiert wurde, schließlich erschien eine spanische Ausgabe von De la littérature dans ses rapports avec les institutions sociales (1800) erst 1830 in Paris. 27 Als im Jahr 1808 mit der Besatzung durch die napoleonischen Truppen der spanische Unabhängigkeitskrieg ausbrach, sollten die Bestrebungen nach einer Erneuerung der Literatur deutlich zurückgestellt werden. Krieg und Tod als alltägliche Begleiterscheinungen ließen die literarästhetische Debatte in den Hintergrund treten. Allerdings weist Martínez Torrón in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass man den Unabhängigkeitskrieg auch als romantischen Krieg, als eine liberale Revolution bezeichnen könnte, und zieht eine Verbindungslinie zwischen dem nationalen Freiheitsstreben und der später virulent werdenden Forderung nach einer Regelfreiheit i.S. der romantischen Dichtungskunst. 28 Das spätere romantische Freiheitsstreben sieht er im Zusammenhang mit den revolutionären Kämpfen des Unabhängigkeitskrieges gegen Napoleon und stellt fest, dass bereits in den Cortes de Cádiz (1812) der Geist der bürgerlichen und sozialen Freiheit herrschte: 25 Germaine de Staël, De l'Allemagne, hg. von Simone Balayé, Paris: Garnier-Flammarion 1968, 2 Bde, Bd. 1, Kap. VI, S. 182. 26 Vgl. Martínez Torrón, "Fundamentos teóricos", S. 32. 27 Vgl. Checa Beltrán, Razones del Buen Gusto, S. 305. 28 Vgl. Diego Martínez Torrón, "Fundamentos teóricos", S. 35. <?page no="34"?> Die Romantik in Spanien 34 [...] que al sentimiento de defensa del territorio nacional perseguida por los serviles, unió el diseño de todo un proyecto de nación completamente nuevo por parte de los liberales. Si la Revolución Francesa actúa contra la aristocracia, la Revolución española lo hace contra el invasor, y [...] es un nacionalismo revolucionario y progresista. 29 Hiermit scheinen bereits in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts die Wurzeln einer Verbindung zwischen Liberalismus und Romantik gelegt zu sein. Was verhindert bzw. verzögert aber nach Beendigung des spanischen Unabhängigkeitskrieges den Durchbruch der liberalen Romantik in Spanien? Zunächst ist hier wieder ein Verweis auf die historisch-politische Situation Spaniens notwendig: Nach der Rückkehr Fernando VII. aus dem Exil wird recht bald deutlich, dass der Herrscher wenig Interesse an der politischen Umgestaltung seines Landes hat, sondern umgehend den status quo vor dem Unabhängigkeitskrieg wiederherstellen will und somit eine restaurative Politik verfolgt, die solche repressiven Züge annimmt, dass zahlreiche liberale Politiker und Schriftsteller ins Exil gezwungen werden. Der englische Hispanist Derek Flitter hat jedoch überzeugend herausgearbeitet, dass trotz des Exils der liberalen Politiker und Schriftsteller die romantischen Ideen auch unter der década ominosa (1823-33), dem repressiven Jahrzehnt der Herrschaft Fernando VII., weiter Verbreitung fanden. 30 Der Verlauf der romantischen Debatte unter den hier skizzierten Vorzeichen soll im Folgenden näher erörtert werden. 2.2.2 Die romantische Debatte: Böhl de Faber vs. Mora Einen neuen, entscheidenden Impuls zur Verbreitung romantischen Gedankenguts gab die als querella calderoniana in die Literaturgeschichte eingegangene romantische Debatte zwischen dem Hamburger Kaufmann Nicolás Böhl de Faber, der seit Anfang des 19. Jahrhunderts als Repräsentant der Hansestädte in Cádiz lebte, 31 und dem Liberalen José Joaquín de Mora. Später beteiligte sich auch noch der Liberale Antonio Alcalá Galiano. 32 Die Polemik zwischen Böhl de Faber und Mora sieht Juretschke in zwei Phasen unterteilt: die erste prägt die Jahre von 1805-1814, die zweite, be- 29 Diego Martínez Torrón, "Fundamentos teóricos", S. 35. 30 Vgl. Derek Flitter, Spanish romantic literary theory and criticism, Cambridge: University Press 1992, Kap. II. 31 Vgl. Hans Juretschke, "Acerca de los conocimientos españoles sobre historia y literatura alemanas en el siglo XIX", in: Miguel Ángel Vega Cernuda (Hg.), España y Europa. Estudios de Crítica Cultural. Obras Completas de Hans Juretschke, Bd. II, Madrid: Ed. Complutense 2001, S. 977-87, S. 981. 32 Vgl. hierzu auch: Guillermo Carnero, "La polémica romántica en España: Nicolás Böhl de Faber", in: Víctor García de la Concha (Hg.), Historia de la literatura española, Bd. 8: Siglo XIX, I, Madrid: Espasa Calpe 1997, S. 110-122. <?page no="35"?> Die Romantik in Spanien 35 deutendere Phase verläuft von 1814-20. 33 Nicolás Böhl de Faber weist im November 1805 in einem Artikel (Reflexiones sobre la poesía) in der Zeitschrift Variedades de Ciencias, Literatura y Artes auf die Einheit von Christentum und Mittelalter hin und erwähnt die Bedeutung der Gattung des Romancero als Beleg für eine frühe Ausprägung nationaler, volkstümlicher Literatur in Spanien. 34 Die folgenden Jahre von 1806-1813 verbringt Böhl de Faber in Deutschland, wo er sich ausgeprägten Literaturstudien widmet und eine religiöse Krise überwindet, die ihn schließlich zum Katholizismus konvertieren lässt. Nach seiner Rückkehr nach Spanien beginnt am 16. September 1814 dann die eigentliche Debatte, als er in Cádiz in der Zeitschrift El Mercurio Gaditano (Nr. 121) einen zunächst anonym verfassten Artikel über Reflexiones de Schlegel sobre el teatro, traducidas del Aleman veröffentlicht. 35 Diese Überlegungen stellen eine Teilübersetzung der Wiener Vorlesungen August Wilhelm Schlegels über dramatische Kunst und Literatur dar, die Josef Körner einst als "Botschaft der deutschen Romantik an Europa" 36 titulierte. Insbesondere berücksichtigt Böhl de Faber Schlegels Ausführungen zum Theater des Siglo de Oro. Schlegel postulierte eine enge Beziehung zwischen der Romantik und dem spanischen Wesen: "Wenn Religionsgefühl, biederer Heldenmut, Ehre und Liebe die Grundlage der romantischen Poesie sind, so mußte sie in Spanien [...] wohl den höchsten Schwung nehmen." 37 Diese Spanienbegeisterung Schlegels, der in Spanien das romantische Land par excellence sah, sprach den Nationalstolz an und stieß in Spanien auf fruchtbaren Boden. In den Reflexiones de Schlegel sobre el teatro bemüht sich Böhl de Faber unter Berufung auf Schlegels Vorlesungen um eine Rehabilitierung des Calderónschen Werkes, das er gegen die Regeln des neoclasicismo zu verteidigen sucht. Die dem Vorwurf des afrancesamiento ausgesetzte Strömung entspreche nicht der für den spanischen Volksgeist typischen Literatur, die er im Siglo de Oro verankert sieht. Böhl de Faber greift einzelne Aspekte der 33 Vgl. Hans Juretschke, "Die Deutung und Darstellung der deutschen Romantik durch Böhl de Faber in Spanien", in: Miguel Ángel Vega Cernuda (Hg.), España y Europa. Estudios de Crítica Cultural. Obras Completas de Hans Juretschke, Bd. I, Madrid: Editorial Complutense 2001, S. 259-274, hier: S. 264. Osdrowski nennt hingegen noch den Zeitraum von 1814-34 als erste ausschließlich theoretische Phase der spanischen Romantik. Beate Osdrowski, "Die Brüder Schlegel und die Poetik des romantischen Dramas in Spanien", in: Dietrich Briesemeister, Harald Wentzlaff-Eggebert (Hg.), Von Spanien nach Deutschland und Weimar-Jena. Verdichtung der Kulturbeziehungen in der Goethezeit, Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2003, S. 35 Fußnote 3. 34 Vgl. Hans Juretschke, "El Romanticismo decimonónico: teoría y polémica. La polémica romántica en España", in: Guillermo Carnero (Hg.), Historia de la literatura española. Siglo XIX, Bd. I, Madrid: Espasa Calpe 1996, S. 110-138, hier: S. 112f. 35 Vgl. Guillermo Carnero, Los orígenes del Romanticismo reaccionario español: El Matrimonio Böhl de Faber, Valencia: Universidad de Valencia 1978, S. 166f. 36 Josef Körner, Die Botschaft der deutschen Romantik an Europa, Augsburg: Benno Filser 1929 (Nachdruck Frankfurt/ M.: Lang 1969). 37 August Wilhelm Schlegel, "30. Berliner Vorlesung" Zitiert nach Gerhart Hoffmeister, Spanien und Deutschland, S. 123-126. <?page no="36"?> Die Romantik in Spanien 36 Schlegelschen Vorlesungen heraus - beschränkt sich auf dessen Ausführungen zum Theater -, erläutert den Schlegelschen Gegensatz zwischen klassischer und romantischer Literatur und fokussiert auf die Bedeutung der spanischen Vergangenheit hinsichtlich der Ursprünge romantischer Literatur. 38 Bezeichnenderweise geht er nie näher auf literarästhetische Konzepte ein, erwähnt nur beiläufig Begriffe wie naturaleza, imitación und verosimilitud. 39 Hinsichtlich der Differenzierung zwischen klassischer und romantischer Literatur greift er die Schlegelschen Begriffe des Plastischen und Pittoresken auf, ohne jedoch geeignete Übersetzungen zu finden. Germaine de Staël hatte hingegen treffend zwischen "génie statuaire" und "génie pittoresque" differenziert. Die literarästhetische Seite der romantischen Theorie interessiert Böhl de Faber weniger, vielmehr nutzt er Schlegels Lob der Werke des Siglo de Oro zu einer konservativen Deutung der Romantik, indem er die religiöse und ideologische Botschaft der Literatur des Siglo de Oro hervorhebt. 40 Damit vertritt er bereits die These der Romantik als historischer Konstante, der später - wie im einleitenden Kapitel dieser Arbeit geschildert - einige Literaturwissenschaftler folgen sollten. Dies ist - nimmt man die literarästhetische Seite der Literatur der Romantik und des Siglo de Oro in den Blick - so jedoch nicht schlüssig. Von der Eloge der Literatur gelangt Böhl de Faber sodann zum Lob der monarchischen Herrschaft: Die Habsburger- Monarchie gereicht ihm zum Vorbild für Fernando VII. Die politische Botschaft Böhl de Fabers liegt nun darin, dass er das liberale Denken mit Revolution und afrancesamiento gleichsetzt und so auf der Basis literarästhetischer Positionen eine Ideologiekritik betreibt. 41 Erstaunlicherweise ist es aber Böhl de Faber, der seinen Gegnern politische Einmischung zum Vorwurf macht, d.h. konkret sie würden sich gegen die Regierung Fernando VII. wenden. Wenn Mora und Galiano hingegen Calderóns Werk kritisierten, geschah dies von der literarästhetischen und poetologischen Warte aus. Sie stützten ihre Kritik auf die Regeln des neoclasicismo und wandten sich allenfalls gegen eine zu rigide Imitation der Vergangenheit, die sie als ungeeigneten Weg zu einer Regeneration Spaniens verwarfen. 42 38 Vgl. Hans Juretschke, "Acerca de los conocimientos españoles sobre historia y literatura alemanas en el siglo XIX", hier: S. 981 39 Hans Juretschke, "El mensaje del romanticismo alemán según Böhl de Faber y la respuesta española", S. 581. 40 Vgl. Hans Juretschke, "El mensaje del romanticismo alemán según Böhl de Faber ", S. 576. 41 Vgl. Hans Juretschke, "El Romanticismo decimonónico", S. 123. Dies hatte Juretschke zufolge Alcalá Galiano bereits 1845 durchschaut, als er schrieb "[Böhl de Faber] casábase en este caso la crítica con ciertas ideas religiosas y políticas, por donde venía en el llamado Romanticismo a venerarse en un mismo culto de la España antigua, a la par el gobierno, la religión y el gusto literario." 42 Vgl. ebd., S. 121f. <?page no="37"?> Die Romantik in Spanien 37 Die Repliken von José Joaquín de Mora (1783-1864) und Antonio Alcalá Galiano (1789-1865) zeigen, dass sich beide Autoren in ihrer Argumentation treu an den Regelkanon des neoclasicismo halten. Die Replik Moras - unter dem Pseudonym Mirtilo - findet sich bereits in Nr. 127 des Mercurio Gaditano (1814). Dort kritisiert der spanische Liberale die romantischen Gedanken aus Deutschland unter Berufung auf den Regelkanon des neoclasicismo und diskreditiert polemisch die literarischen Neuerungen aus Deutschland. In einer weiteren Replik (Los mismos contra los propios, November 1818 im Mercurio Gaditano), die José Joaquín de Mora gemeinsam mit Antonio Alcalá Galiano verfasst, wird die gleiche Kritik wiederholt. Noch im Jahre 1820 sollte Mora behaupten: "el gusto clásico se conserva en Europa". 43 Bedenkt man die Gleichsetzung von Liberalismus und Romantik im Hugoschen Dictum, so ist mehr als erstaunlich, dass zwei liberale Vertreter hier für den neoclasicismo Position beziehen, während der konservative Böhl de Faber für die Romantik Partei ergreift. Friedrich Wolfzettel spricht in diesem Zusammenhang sogar "von einem merkwürdigen Phänomen verkehrter Rezeption […]" 44 . Juretschke hat in zahlreichen Beiträgen darauf hingewiesen, dass die auf eine Studie des französischen Hispanisten Camille Pitollet 45 zurückgehende Bezeichnung der querella calderoniana irreführend ist. Schließlich verfolgte Böhl de Faber mit dieser Debatte eher politische denn literarästhetische Interessen, es ging ihm weniger um eine Rehabilitierung Calderóns, als vielmehr um eine restaurative Erneuerung Spaniens. 46 Juretschke sieht in der Debatte daher vielmehr einen Beleg für die Auseinandersetzung der Dos Españas: einerseits das ultrakonservative, monarchistische Spanien, für das Böhl de Faber steht, das die Französische Revolution und ihre Ideale verwarf, für die Einheit von Staat und Kirche plädierte; andererseits das liberale Spanien der Cortes de Cádiz, für das Mora und Alcalá Galiano stehen. Die liberalen Vertreter der Doktrin des neoclasicismo wurden mit der neuen politischen Ordnung in Frankreich, welche die Französische Revolution hervorgebracht habe, identifiziert. Der Calderóns poetologischen Konzepten entgegen stehenden Poetik warf man vor, sie negiere 43 Vgl. Guillermo Carnero, Los orígenes del Romanticismo reaccionario español, S. 225. 44 Vgl. Friedrich Wolfzettel, "Zur historischen Konstruktion der Romantik um 1830: romantische Manifeste im Vergleich", in: Michaela Peters, Christoph Strosetzki (Hg.), Interkultureller Austausch in der Romania im Zeichen der Romantik. Akten der Sektion 14 des Deutschen Romanistentages 2003 in Kiel, Bonn: Romanistischer Verlag 2004, S. 73-84, hier: S. 78. 45 Camille Pitollet, La querelle caldéronienne de Johan Nikolas Böhl de Faber et José Joaquín de Mora, reconstituée d'après les documents originaux, Paris: Félix Alcan 1909. 46 Vgl. Hans Juretschke, "El Romanticismo decimonónico", S. 112. Horst Nitschak hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass dadurch auch eine adäquate Rezeption Germaine de Staëls in Spanien verhindert wurde. ("Die Rezeption Mme de Staëls in Spanien und Hispanoamerika", in: Udo Schöning und Frank. Seemann (Hg.), Madame de Staël und die Internationalität der europäischen Romantik. Fallstudien zur interkulturellen Vernetzung, Göttingen: Wallstein 2003, S. 135-172). <?page no="38"?> Die Romantik in Spanien 38 das Wesen des spanischen Nationalcharakters und richte sich zugleich gegen die katholische Religion wie gegen die Monarchie, die ihren höchsten Glanz zu Zeiten Calderóns erfahren habe. Die Strömung des neoclasicismo wurde folglich mit republicanismo gleichgesetzt und die Liberalen als colaboracionistas und revolucionarios diffamiert, da sie sich angeblich gegen Spaniens Ruhm und Geschichte richteten, keine Patrioten seien und Spanien mit französischen Ideen infizieren wollten. Böhl de Faber wurde in diesem Zusammenhang von Seiten der Forschungsliteratur gelegentlich der Vorwurf gemacht, er habe zu einer verzögerten Rezeption der Romantik in Spanien beigetragen, insofern als die spanischen Liberalen durch die querella calderoniana den romantischen Ideen zunächst negativ gegenüber standen. Harald Wentzlaff-Eggebert gelangt zu folgendem Fazit: en el sexenio de 1814-1820, las ideas de Schlegel no llegaron realmente a España. Fueron tergiversadas por su mediador Böhl y pervertidas por la polémica entre conservadores y liberales. Veinte años más tarde, y amalgamadas esta vez por los románticos franceses, entraron por segunda vez para vivir, finalmente, su momento histórico en España. 47 Dem ist unter Verweis auf die Studien zur spanischen Frühromantik, auf die wir im vorhergehenden Abschnitt verwiesen haben, jedoch entgegenzuhalten, dass die romantischen Postulate nicht erst über die teilweise verquere Rezeption Böhl de Fabers nach Spanien gelangt waren, sondern bereits seit Ende des 18. Jahrhunderts theoretisch erörtert wurden. Böhl de Faber hat mit seinen Artikeln der romantischen Debatte zwar einen weiteren Impuls verliehen und dem Ganzen einen wesentlich politischeren Charakter gegeben. Nichtsdestotrotz ist es - wie Derek Flitter aufgezeigt hat - bereits in der década ominosa (1823-33) zu einer Konsolidierung der romantischen Konzepte in der spanischen Geisteswelt gekommen. 48 Auch der Einfluss Friedrich Schlegels auf das spanische Geistesleben wird im Allgemeinen übersehen. Neben Hans Juretschke, der A.W. Schlegels älterem Bruder gar einen "carácter catalizador" 49 im philosophisch/ historischen Bereich zugesteht, hat in jüngster Zeit Beate Osdrowski die Rezeption Friedrich Schlegels in Spanien genauer unter die Lupe genommen. Sie gelangt nach einem Vergleich der Romantiktheorien der Brüder Schlegel und einer Analyse der spanischen Beiträge zur romantischen Theoriedebatte zu folgender These: August Wilhelm Schlegels historisie- 47 Harald Wentzlaff-Eggebert, "August Wilhelm Schlegel, Juan Nicolás Böhl de Faber y José Joaquín de Mora: Intento de una aportación alemana a la identidad cultural de España", in: Jean-René Aymes (Hg.), Le Métissage culturel en Espagne, Paris: Presse de Sorbonne Nouvelle 2001, S. 139-150, hier: S. 150. 48 Vgl. Derek Flitter, Spanish romantic literary theory and criticism, S. 184. 49 Vgl. Hans Juretschke, "El problema de los orígenes del romanticismo español", in: Ramón Menéndez Pidal (Hg.), Historia de España, Bd. XXXV: La época del Romanticismo (1808-1874), Nr. I: Orígenes. Religión. Filosofía. Ciencia, Madrid: Espasa Calpe 1989, S. 61. <?page no="39"?> Die Romantik in Spanien 39 rende Sicht der Romantik - d.h. die literarhistorische Gegenüberstellung von klassischem und romantischem Drama - sei in der ersten Phase der spanischen Romantik wesentlich stärker rezipiert worden, als Friedrich Schlegels progressive Sicht der Romantik, innerhalb derer er für ein zukünftiges transzendentales Drama als Synthese aus griechischem und modernem Drama plädierte. 50 Für die zweite Phase der Romantik gelangt man jedoch mit Juretschke zu einem anderen Ergebnis: In den Jahren 1843/ 44 wird Friedrich Schlegels in Barcelona übersetzt. Lange Zeit wurde die Bedeutung von Friedrich Schlegels Geschichte der antiken und modernen Literatur, die großen Einfluss auf Milá y Fonanal ausübte, übersehen. 51 Schlegels Gedanke der Autonomie der inneren und formalen Werte der Völker in ihren literarischen Manifestationen wurde von Alcalá Galiano ebenso aufgegriffen, wie die Idee des Spontanen in der Dichtkunst. 52 Einen weiteren Hinweis auf die Rezeption Friedrich Schlegels in Spanien hat Juretschke in der Revista Española de Ambos Mundos gefunden, in der neben Friedrich Schlegel auch Herder, Vico, Hegel, Bossuet, Krause und Kant rezipiert werden, was ihn zu der Schlussfolgerung führt, dass gegen Mitte des 19. Jahrhunderts die Durchdringung des spanischen Geisteslebens durch die Romantik nicht abnimmt, wie zumeist in der Forschung konstatiert wird, sondern im Gegenteil ansteigt, auch wenn der Begriff der Romantik vielleicht weniger Verwendung findet als zuvor. Im Hauptteil der vorliegenden Studie wird daher auch zu prüfen sein, wie diese These einer weiterhin virulenten Romantikdebatte mit der Proklamation des Endes romantischer Theaterproduktion in Einklang zu bringen ist, die oft mit der Aufführung des Don Juan Tenorios (1844) gleichgesetzt wird. 2.2.3 Zwischen historischer und liberaler Romantik Die romantische Debatte zwischen Böhl de Faber und Mora sollte das spanische Geistesleben noch bis in die 20er Jahre des 19. Jahrhunderts prägen. Insbesondere im katalanischen Umfeld wurden Böhl de Fabers Thesen rezipiert. So greift López Soler einige seiner Gedanken in der von ihm mit herausgegebenen Zeitschrift El Europeo (1823-24) auf, dessen Titel sich an Friedrich Schlegels Zeitschrift Europa (1803-05) anlehnte. 53 Die Zeitschrift rezipierte zentrale Texte der deutschen Romantiker. Neben López Soler war Carlos Ernesto Cook, der in der Forschungsliteratur fälschlicherweise lange Zeit als Engländer firmierte, Mitherausgeber. In dieser Zeitschrift 50 Beate Osdrowski, "Die Brüder Schlegel", S. 45. 51 Vgl. Hans Juretschke, "La recepción de la cultura y ciencia alemana en España durante la época romántica", S. 831. 52 Vgl. Hans Juretschke, "El problema de los orígenes del romanticismo español", S. 59f. 53 Vgl. Hans Juretschke, "Aspectos fundamentales de la presencia alemana en la España del siglo XIX (1). Primeros contactos entre dos sociedades espiritualmente alejadas", in: Miguel Ángel Vega Cernuda (Hg.), Obras Completas de Hans Juretschke, II, S. 621- 652, hier: 628. <?page no="40"?> Die Romantik in Spanien 40 werden im Jahre 1823 zwei Artikel veröffentlicht, die erneut die Schlegelschen Ideen aufgreifen: Zum einen der Artikel "Romanticismo" von Luigi Monteggia, einem im spanischen Exil lebenden Italiener, 54 zum anderen der Artikel "Análisis de la cuestión agitada entre románticos y clasicistas" und die folgende "Conclusión" 55 von López Soler. Während Monteggia einen eher gegenwartsbezogenen, an den europäischen Debatten orientierten Romantik-Begriff vertritt, stellt sich López Soler eher auf die Seite der historischen Romantik, wenn er erneut - literarhistorisch motiviert - die Schlegelschen Ideen rezipiert. 56 Auch Enrique Rubio Cremades sieht daher López Soler als "pieza clave para el análisis de la polémica entre clasicistas y románticos." 57 Aber auch in der Hauptstadt Madrid werden die romantischen Postulate in der década ominosa weiter debattiert. Alberto Lista (1775-1848), der als einflussreichster Literaturkritiker in Madrid galt, verfasste bereits 1825 ein historisches Drama, Roger de Flor, in dem Martínez Torrón "el alma romántica en cuerpo neoclásico" 58 erkennt. Als katholischer Geistlicher war der Literaturkritiker und Dichter Anhänger des neoclasicismo, wandte sich so zunächst zugunsten des imitatio-Prinzips gegen das Prinzip der Inspiration des Künstlers. Dennoch lässt sich ein Wandel in seiner Literaturkonzeption feststellen. In seinen Ensayos literarios (1815) wandte er sich zwar noch nicht gänzlich gegen die tradierte Regelpoetik, aber bereits von 1821-28 folgte er den Schlegelschen Ideen. Lista übernahm sowohl die Bewertung Calderóns als auch die romantische Geschichtsauffassung von Böhl de Faber in seinem 1828 erschienenen Discurso sobre la importancia de nuestra historia literaria 59 . Damit gelangten die Schlegelschen Ideen auch in die spanische Hauptstadt und beeinflussten die literarische Produktion des folgenden Jahrzehnts. 60 Listas Einfluss konnten sich später Intellektuelle und Schriftsteller von Alcalá Galiano bis Donoso Cortés und vom Duque de Rivas bis zu Larra nicht entziehen. In seinem im Jahre 1834 veröffentlichten Artikel "Del romanticismo" sollte Lista die Gedanken dann weiter ausführen. 61 An dieser Stelle konstatiert er aber auch kritisch, dass die Romantik den Regeln den Krieg erklärt 54 Luigi Monteggia, "Romanticismo (1823)", in: Luis Guarner (Hg.), El Europeo (Barcelona 1823-1824), Madrid: Instituto Miguel de Cervantes del Consejo Superior de Investigaciones Científicas 1953, S. 98-102 55 Ramón López Soler, "Conclusión", in: Luis Guarner (Hg.), El Europeo (Barcelona 1823- 1824), S. 75-80. 56 Vgl. Beate Osdrowski, "Die Brüder Schlegel", S. 48. 57 Enrique Rubio Cremades, "Ramón López Soler. El romanticismo en la teoría y la práctica", in: Centro Interdisciplinare di Studi Romantici (Hg.), Romanticismo 8: Los románticos teorizan sobre sí mismos. Actas del VIII Congreso (Saluzzo, 21-23 de Marzo de 2002), Bologna: Il Capitello del Sole 2002, S. 209-214, hier: 214. 58 Diego Martínez Torrón, "Fundamentos teóricos ", S. 32. 59 Vgl. Hans Juretschke, "El mensaje del romanticismo alemán",: S. 585. 60 Vgl. Hans Juretschke, "El Romanticismo decimonónico", S. 123. 61 Vgl. ebd. <?page no="41"?> Die Romantik in Spanien 41 habe, Regeln, die er hier noch verteidigt, da sie auf der Natur der Dichtung gründeten. Die Romantik wird von ihm kritisiert, da sie sich gegen die Regeln des guten Geschmacks richte. Zu diesem Zeitpunkt verwirft er die liberale Romantik zugunsten einer historischen Romantik, mit der er hinsichtlich der Idealisierung der Habsburger Epoche (Siglo de Oro) in Spanien konform geht. Hinsichtlich der ästhetischen Ideale der Literatur zeigt sich Lista der auf Aristoteles zurückgehenden Renaissancepoetik, insbesondere dem Prinzip der imitatio, treu. Lista bezeichnet Horaz als "gran maestro" und folgt dessen Prinzip des ut pictura poesis. Die Verbindung zwischen dem Guten, Wahren und Schönen interessierte ihn in besonderem Maße, dennoch zeigt er sich andererseits auch offen für neue Konzepte romantischer Theoriebildung, wie das des Sublimen. 62 Dies steht sicherlich in Zusammenhang mit seinem Aufenthalt in Paris von 1828-32, zu einer Zeit, als die liberale Romantik in Frankreich ihren Sieg feierte und Hugo in seiner Préface de Cromwell (1827) die Ästhetik des Grotesken und des Sublimen als Kernstück romantischer Dichtkunst erläutert hatte. Neben Lista las auch sein Schüler Agustín Durán die französischen Übersetzungen der Schlegelschen Vorlesungen und erwähnte Schlegel explizit in seinem 1828 erschienenen literaturkritischen Werk El Discurso sobre el influjo que ha tenido la crítica moderna en la decadencia del teatro antiguo español y sobre el modo con que debe ser considerado para juzgar convenientemente de su mérito peculiar. 63 In seiner Studie betont Durán nochmals den deutschen Einfluss: "a principio de este siglo algunos sabios alemanes se atrevieron en fin a proclamar la emancipación literaria de la Europa, y al elogiar y admirar las grandiosas creaciones de los dramáticos españoles" 64 . Er verweist auf den Grundsatz der romantischen Geschichtstheorie, derzufolge verschiedene Gesellschaften zu unterschiedlichen Zeiten geradezu zwangsläufig andere Formen von Literatur hervorbrächten und hebt - in Anlehnung an Böhl de Faber - die Verbindung von Christentum und Monarchie seit dem Mittelalter hervor. 65 Schwierig gestaltet sich die Bewertung bzw. Einordnung des Discurso von Durán. Während Osdrowski betont, Durán ginge es "lediglich um die Rehabilitierung des spanischen Dramas des Siglo de Oro als spanische Nationalliteratur sowie um eine theoretisierende Charakterisierung desselben, nicht aber um ein zukünftiges neues ('romantisches') Drama", 66 konstatiert Juretschke, viele hätten in Duráns Discurso das wahre Manifest der spani- 62 Vgl. Hans Juretschke, "Reflexiones al bicentenario de Alberto Lista", in: Miguel Ángel Vega Cernuda (Hg.), España y Europa. Estudios de Crítica Cultural. Obras Completas de Hans Juretschke, II, Madrid: Ed. Complutense 2001, S. 907-924, hier: S. 917ff. 63 Vgl. Hans Juretschke, "Aspectos fundamentales de la presencia alemana", S. 627. 64 Vgl. ebd. 65 Vgl. Hans Juretschke, "El Romanticismo decimonónico", S. 124. 66 Vgl. Beate Osdrowski, "Die Brüder Schlegel", S. 49. <?page no="42"?> Die Romantik in Spanien 42 schen Romantik gesehen. 67 Juretschkes Folgerung, das Bemühen um eine Rehabilitierung des Calderónschen Theaters stelle nur einen Vorwand dar - wahrscheinlich als Schutzfunktion vor der fernandinischen Zensur -, um dahinter die Forderung nach einer romantischen Literatur für Spanien zu verstecken, ist überzeugend. Auch die beiden anfänglichen Gegner der Romantik, Mora und Alcalá Galiano sollten Jahre später ihre Sichtweise ändern. So veröffentlichte Alcalá Galiano im Londoner Exil (1834) in der Zeitschrift The Aethenaeum ein Panorama der spanischen Literatur und vertritt dort - ohne weiter auf die romantische Debatte einzugehen - die von Böhl vertretenen Schlegelschen Ideen. 68 Die letzte bedeutende Äußerung Alcalá Galianos stammt aus dem Jahr 1834, als er im Prolog zu El moro expósito vom Duque de Rivas die romantischen Postulate - ähnlich Victor Hugo in dessen Préface de Cromwell (1827) - verteidigt. 69 Lista setzte seine Ausführungen in seinen 1836 erschienenen Lecciones del Ateneo fort. Durán unterstützte seinen Lehrer mit Forschungen zum spanischen Theater Tirso de Molinas und Lope de Vegas, sowie mit der Herausgabe der Romanceros in der Biblioteca de Autores Españoles, die sich interessanterweise neben Schlegel auf Grimm, Bouterwek, Ferdinand Wolf und andere deutsche Hispanisten stützte. 70 Um Durán gruppierte sich neben anderen romantischen Schriftstellern auch Juan Eugenio Hartzenbusch, 71 der sich nicht nur als Übersetzer der Werke von Lessing und Schiller hervortat, sondern neben dem Kritiker Manuel Milá y Fontanals einer der größten Förderer der Arbeiten der deutschen Hispanisten aus der Zeit von 1840-60 wurde. 72 Ab den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts erfuhr die romantische Debatte in Spanien dann durch die Rezeption des liberalen Gedankenguts romantischer Vertreter aus Frankreich wie Hugo und Dumas', aber auch erneut durch Vertreter deutscher Provenienz wie Heinrich Heine, 73 der ab 1850 67 Vgl. Hans Juretschke, "El Romanticismo decimonónico", S.125. 68 Vgl. Guillermo Carnero, Los orígenes del Romanticismo reaccionario español, S. 26f. 69 Vgl. hierzu die Ausführungen in Kap. 2.3 der vorliegenden Arbeit. 70 Vgl. Hans Juretschke, "Aspectos fundamentales de la presencia alemana", S. 627. Diese Rezeption der Studien der frühen deutschen Hispanisten in Spanien stellt weiterhin ein Forschungsdesiderat dar. Vgl. hierzu u.a. Christoph Strosetzki, "Ludwig Tieck und das Spanieninteresse der deutschen Romantik", in: Walter Schmitz (Hg.), Ludwig Tieck. Literaturprogramm und Lebensinszenierung im Kontext seiner Zeit, Tübingen: Niemeyer 1997, S. 235-252. 71 Vgl. Hans Juretschke, "La recepción de la cultura", S. 818. 72 Vgl. ebd., S. 838f. 73 Auch in Deutschland teilte sich die Gesellschaft in zwei Gruppen, konservative Vertreter wie die Brüder Schlegel und liberale Vertreter wie Heine. Vgl. zur Bedeutung Heines auch Hans Juretschke, "Del romanticismo liberal en Cataluña", in: Miguel Ángel Vega Cernuda (Hg.), Obras Completas de Hans Juretschke, Bd. I, S. 167-180, hier bes. S. 177f. <?page no="43"?> Die Romantik in Spanien 43 dann gemeinsam mit Hegel zum Wortführer romantischer Theoriebildung in Spanien gerierte, neue Impulse. 74 Wie schon an anderer Stelle erwähnt, stellt die Frage nach der Bedeutung der aus dem französischen und englischen Exil zurückkehrenden liberalen Schriftsteller weiterhin einen strittigen Punkt in der Forschung dar. Während Derek Flitter deren Einfluss weitgehend negiert, er gar die Werke von Rivas und Espronceda als nicht repräsentativ betrachtet und behauptet, die liberale Romantik sei in Spanien auf breiter Front zurückgewiesen worden, was sich insbesondere in der dramatischen Praxis zeige, 75 hat Juretschke nachgewiesen, dass die liberale Romantik in Spanien mit einer zeitlichen Verzögerung die historische Romantik ablöst. 76 Während der gleiche Prozess sich in Frankreich in den Jahren von 1825-30 vollziehe, geschehe dies in Spanien erst nach dem Tod Fernando VII. (1833). Ab Mitte der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts beherrscht Juretschke zufolge dann die liberale Romantik - wenn auch nur für kurze Zeit - das literarische Leben in Spanien: Es lassen sich neben Larra und Rivas auch Pacheco, García Gutiérrez und Gil y Zárate vom Theater Hugos und Dumas inspirieren und verfassen mit Macías, Don Álvaro, Alfredo und El rey monje Dramen im Geiste der liberalen Romantik, die an die Dramen A. Dumas' wie z.B. Anthony erinnerten. 77 Im Prolog der Zeitschrift El Artista wird zwischen 1835 und 1836 ein Romantikkonzept vertreten, das darum bemüht ist, beide Tendenzen der Romantik in Einklang miteinander zu bringen: Se abraza así el romanticismo histórico con la evolución que la escuela ha experimentado en Francia, con ese romanticismo de tono humanitario y 74 Vgl. Hans Juretschke, "Du rôle médiateur de la France dans la propagation des doctrines littéraires, des méthodes historiques et de l´image de l´Allemagne en Espagne au cours du XIX e siècle", in: Miguel Ángel Vega Cernuda (Hg.), España y Europa. Estudios de Crítica Cultural. Obras Completas de Hans Juretschke, II, Madrid: Ed. Complutense 2001 S. 955-974, hier: S. 969. 75 Vgl. Derek Flitter, Spanish romantic literary theory and criticism, S. 184. 76 Vgl. Hans Juretschke, "Die Ursprünge der spanischen Romantik und ihre Darstellung in der Literaturgeschichte", S. 233f. 77 Vgl. Hans Juretschke, "Origen doctrinal y génesis del Romanticismo español", in: Miguel Ángel Vega Cernuda (Hg.), Obras Completas de Hans Juretschke, Madrid: Ed. Complutense 2001, Bd. I, S. 139-156, hier: S. 149. Als Theaterkritiker hatte Larra sich mit den Werken Hugos und Dumas’ eingehend beschäftigt, sowohl inhaltlich als auch in poetologischer Hinsicht. Vgl. Luis Lorenzo Rivero, "Mariano José de Larra y sus opiniones sobre el teatro de V. Ducange, V. Hugo y A. Dumas", in: Jean-René Aymes, Javier Fernández Sebastián (Hg.), La imagen de Francia en España (1808-1850), Paris: Presses de la Sorbonne Nouvelle 1997, S. 189-199. Vgl. Hierzu auch: Hazel Cazorla, "Larra, crítico y creador teatral, en busca del héroe", in: Hispania, Bd. 72, Nr. 3, 1989, S. 491-497. <?page no="44"?> Die Romantik in Spanien 44 más exaltado que la revista, particularmente, defiende con entusiasmo y desea dar a conocer a sus lectores. 78 Das Exil hatte die romantische Generation doch entscheidend geprägt. 1814-20 und 1823-33 hatte die politische Situation in Spanien, die restaurative, absolutistische Politik Fernando VII., die Liberalen gezwungen ins Exil nach Frankreich oder England zu gehen. Dort kamen sie in den literarischen Zirkeln in Kontakt mit politisch Gleichgesinnten und mit den zeitgenössischen europäischen Vertretern der Romantik wie Hugo und Dumas. In Paris erlebten sie die Auseinandersetzungen zwischen Klassikern und Romantikern und 1830 gar den Sieg der Romantik auf dem Theater. In diesem geistigen Umfeld verfasste Martínez de la Rosa, der schon seit 1823 in Paris weilte, 1830 das erste spanische romantische Drama La Conjuración de Venecia. 79 Im gleichen Jahr wird sein Theaterstück Aben Humeya in Paris auf französisch uraufgeführt. 80 In den entscheidenden Jahren der romantischen Debatte in Frankreich hielt sich auch Espronceda von 1829-30 in Paris auf, ebenso Alcalá Galiano, der 1830 in Paris die bataille d'Hernani mitverfolgen konnte. Auch der Duque de Rivas weilte 1820 kurze Zeit in Paris, bevor er 1823 nach London übersiedelte. Zudem ist bekannt, dass er anlässlich der bataille d'Hernani ebenfalls in Paris weilte. 81 Mariano José de Larra hatte in der Zeit von 1814-18 in Paris gelebt, als Germaine de Staëls Werk De l'Allemagne kontrovers diskutiert wurde, und 1835 reiste er erneut durch Frankreich. Diese Hinweise auf persönliche Kontakte zwischen den spanischen und französischen Romantikern, die weiterhin einer grundlegenden Erforschung bedürfen, sollen an dieser Stelle als Zeichen eines interkulturellen Austausches zwischen der französischen und spanischen Romantik genügen. Sie erklären, warum nach dem Ende des Exils im spanischen kulturellen Leben verstärkt der Einfluss der liberalen Romantik spürbar ist. Irene Vallejo González erläutert in welcher Weise Larra in den Jahren von 1832- 78 María de los Ángeles Ayala, "La defensa de lo romántico en la revista literaria El Artista", in: Centro Interdisciplinare di Studi Romantici (Hg.), Romanticismo 8: Los románticos teorizan sobre sí mismos, S. 38. Im Folgenden definiert die Verfasserin die Zeitschrift El Artista sogar als "verdadera revista militante, como auténtica abanderada del romanticismo en España." Ebd., S. 42. 79 Michael Mc Gaha relativiert zwar den Status der Conjuración als romantisches Drama durch einen Vergleich mit Jovellano' Delirante honrado, dabei übersieht er jedoch, dass die Romantik zweifellos ihre Wurzeln im Empfindsamkeitskult des 18. Jahrhunderts hat. Siehe Michael Mc Gaha, "The 'romanticism' of La Conjuración de Venecia", in: Kentucky Romance Quarterly, Bd. XX, Nr. 1, 1973, S. 235-242. 80 Vgl. María José Alonso Seoane, "Introducción", in: Francisco Martínez de la Rosa, La conjuración de Venecia, año de 1310, Madrid: Cátedra 1993 (Letras Hispánicas, 344), S.9- 162, hier: S. 25. 81 Vgl. Harald Wentzlaff-Eggebert, "August Wilhelm Schlegel, Juan Nicolás Böhl de Faber y José Joaquín de Mora: Intento de una aportación alemana a la identidad cultural de España", in: Jean-René Aymes (Hg.), Le Métissage culturel en Espagne, Paris: Presse de Sorbonne Nouvelle 2001, S. 137-150. <?page no="45"?> Die Romantik in Spanien 45 35 als Kritiker der Zeitschrift Revista de España den Wandel im spanischen Theaterleben reflektierte. 82 Die in Barcelona publizierte, progressiv liberale Zeitschrift El Propagador de la Libertad (1835-38) ist ein weiteres Beispiel für die Bedeutung, die dem Exil im Kontext der Verbreitung romantischer Postulate zukam. Der Mitherausgeber der Zeitschrift hatte im Exil in Frankreich den deutschen Dichter Heinrich Heine nicht nur persönlich kennen gelernt hatte, sondern in ihm gewissermaßen sein Vorbild gefunden. 83 Auszüge aus Heines Werk Die Romantische Schule wurden in der Barceloneser Zeitschrift zwischen 1835 und 1838 veröffentlicht, ohne dass der Herausgeber Fontcuberta jedoch auf den deutschen Autor als Urheber verweisen würde. 84 Ab 1838 kommt es dann jedoch bereits zu einer Reaktion gegen die liberale Romantik, die in erster Linie von Alberto Lista auf den Weg gebracht wird, der als mächtigster Vertreter des spanischen Kulturbetriebes auf andere Kritiker und Schriftsteller wie Durán und Alcalá Galiano sowie Donoso Cortés und Gil y Carrasco einwirkt, die dann entsprechende Äußerungen hinsichtlich einer Distanzierung von den Ideen der liberalen Romantik, die mit "mal gusto" und "inmoralidad" in Zusammenhang gebracht wurden, vornehmen. 85 Dennoch werden bis 1850 weitere romantische Dramen verfasst, wie Caldera herausgestellt hat. 86 Allerdings verfügen nur noch wenige über die Wirkkraft der romantischen Dramen, die in der Blütezeit von 1834-37 auf spanischen Bühnen inszeniert wurden. Die Betrachtung der Entstehung der romantischen Ideen und deren Verbreitung hat gezeigt, dass die spanische Romantik in ihrer Frühphase - dem Modell der deutschen Frühromantik folgend - die Konzepte der historischen Romantik vertritt. Aufgrund der politisch-ideologischen Vereinnahmung der Romantik durch Böhl de Faber freunden sich die Liberalen erst während ihres Exils im Ausland mit den romantischen Postulaten an. Die Phase der Dominanz der liberalen Romantik bleibt allerdings nur eine 82 Vgl. Irene Vallejo González, "Larra, crítico teatral de La Revista Española", in: Amaya de Miguel de Sanz, Monique Lambie (Hg.), Larra. Actas de conferencias. Bicentenario (1809-2009), Facultad de Ciencias de la Información, Universidad Complutense de Madrid, 2- 6 de marzo de 2009, S. 299-314. Auf die Bedeutung des mit einer Rede des Duque de Rivas am 6.12.1835 eröffneten Ateneo de Madrid für Schriftsteller wie Larra hat J. L. Abellán hingewiesen. Vgl. José Luis Abellán, "El Ateneo de Madrid", in: ebd., 87-95 83 Vgl. Hans Juretschke, "El mensaje del romanticismo alemán", S. 585 und "Aspectos fundamentales de la presencia alemana", S. 628. Weitere Unterstützung in der Überwindung der Sprachbarriere zu Deutschland erfuhren die Herausgeber des Propagador de la libertad durch Juan Eugenio Hartzenbusch und Julio Kühn, der später catedrático de alemán in Madrid wurde, als Mitarbeiter der Zeitschrift. Vgl. Hans Juretschke, "La recepción de la cultura y ciencia alemana", S. 819f. 84 Vgl. Hans Juretschke, "El problema de los orígenes del romanticismo español", S. 51. Neben Heine inspirierten die Herausgeber sich bei Dumas und Hugo. Vgl. Hans Juretschke, "Origen doctrinal y génesis del Romanticismo español ", S. 153. 85 Vgl. Hans Juretschke, "Origen doctrinal y génesis del Romanticismo español ", S. 151. 86 Vgl. Ermanno Caldera, El teatro español en la época romántica, S.7. <?page no="46"?> Die Romantik in Spanien 46 kurze Episode (1834-37). Ende der 30er Jahre konkurrieren die Vertreter der historischen und der liberalen Romantik, wobei sich hier bereits eine konservative Tendenz abzeichnet, die sich in den vierziger Jahren durch die verschärften Zensurbedingungen noch verstärkt. Weiterhin zu erforschen gilt die Frage nach dem Einfluss, den die Romantiker in Spanien ab der Mitte des 19. Jahrhunderts hatten. Juretschke hat darauf hingewiesen, dass auch noch Mitte des 19. Jahrhunderts weiterhin Postulate der liberalen Romantik vertreten werden. Dies geschieht nicht nur in kleinen Enklaven wie z.B. der Barceloneser Zeitschrift El Propagador de la Libertad, sondern auch in anderen Bereichen des kulturellen Lebens in Spanien. Ayala ist der Hinweis zu verdanken, dass 1847 allein 13 neu gewählte Vertreter der Real Academia Española Romantiker waren. 87 Und Leonardo Romero Tobar bringt mit dem Jahr 1854 einen weiteren Schlüsselmoment der romantischen Bewegung ins Spiel. Dies begründet er mit der relativen Dichte an theoretischen Reflexionen, die insbesondere in Literaturkritiken der einschlägigen Zeitschriften des Jahres 1854 zu finden sind. Darin wird deutlich, dass die Romantik im Bewusstsein der Zeitgenossen bereits mehr als nur eine romantische Schule darstellte. 88 Dieses Schlüsseljahr, das zugleich den Zeitpunkt bildet, zu dem Gustavo Adolfo Bécquer nach Madrid kommt, definiert den Beginn der Herausbildung einer spanischen "bohemia artística" in Madrid. 89 Auch J.L. González Subías unterstreicht die These eines Fortbestehens der Romantik in Spanien bis in die 70er Jahre des 19. Jahrhunderts hinein. 90 Seine Analyse des spanischen Theaters zwischen 1854 und 1868 führt zu dem Ergebnis, dass die Romantik während der Herrschaft Isabel II. weiter das spanische Kulturleben prägte. Damit widerlegt er Juan Valeras These, der 1854 die Romantik bereits "como cosa pasada, y perteneciente a la historia" 91 bezeichnet hatte. 2.3 Ästhetische und poetologische Neuerungen im romantischen Drama Mit der Romantik vollzieht sich ein grundlegender Wandel im Literaturverständnis. Dieser Wandel ist von der Forschung lange Zeit in erster Linie als Bruch mit der klassizistischen Ästhetik und Regelpoetik definiert worden. In jüngster Zeit konnten Studien zur französischen Romantik jedoch 87 Vgl. Ana María Freire, "El Romanticismo y los románticos en la Real Academia Española", in: Centro Interdisciplinare di Studi Romantici (Hg.), Romanticismo 8: Los románticos teorizan sobre sí mismos, S.121-131, hier: S. 122. 88 Vgl. Leonardo Romero Tobar, "1854, el Romanticismo reexaminado", S. 197. 89 Vgl. ebd., S. 195. 90 Vgl. González Subías, José Luis, "La pervivencia del Romanticismo en el teatro español de 1850 a 1868", in: Decimonónica, Bd. 7, Nr. 2, Sommer 2010, S. 31-49. 91 Juan Valera, "Del Romanticismo en España y de Espronceda", in : Revista Española de Ambos Mundos II, 1854, S. 610-630, hier: S. 613. <?page no="47"?> Die Romantik in Spanien 47 aufweisen, dass es sich in der theoretischen Konzeption nicht um einen durchgängigen Bruch handelt, sondern in vielfacher Hinsicht eine Transformation der klassizistischen Regeln zu konstatieren ist. 92 In Bezug auf die spanische Literatur hat Wolfram Krömer bereits auf den fließenden Übergang vom neoclasicismo zur Romantik hingewiesen. 93 Da seine Studie den Blick auf die 'Sattelzeit' von 1750-1830 richtet, spart Krömer das romantische Drama aus, dessen Wert in Bezug auf die romantische Theoriebildung er indessen betont. Daher soll hier nun ein kurzer Überblick über die ästhetischen und poetologischen Grundlagen des romantischen Dramas in Spanien erfolgen. Eine Theorie des romantischen Dramas gibt es streng genommen zwar nicht, wie Gerhard Schulz treffend bemerkt. 94 Der Begriff des romantischen Dramas ist äußerst vieldeutig, insbesondere hinsichtlich seines Gebrauchs in den einzelnen Nationalliteraturen. Dennoch lassen sich allgemeine Charakteristika, sowie poetologische und ästhetische Kriterien nennen, die das romantische Drama als Gattung definieren. Wenngleich die theoretischen Schriften der spanischen Dramatiker weniger Aufsehen erregt haben als Victor Hugos Préface de Cromwell (1827), so lassen sich dennoch mit Alberto Lista, Agustín Durán, Antonio Alcalá Galiano und Francisco Martínez de la Rosa gleich vier Vertreter nennen, die romantische Postulate in theoretischen Schriften diskutierten und somit auch zu deren Verbreitung beitrugen. Weitgehender Konsens herrschte unter den 'Theoretikern' der spanischen Romantik in Bezug auf die poetologische Ebene. Sowohl Alcalá Galiano 95 als auch Martínez de la Rosa 96 kritisierten einhellig die Regel der drei Einheiten von Ort, Zeit und Handlung. In den meisten Fällen wurde auch die für das neoklassizistische Theater typische 5-Akt-Struktur aufgehoben. Die aus der Aufhebung der Einheit des Ortes resultierenden zahlreichen Schauplatzwechsel, die durch detaillierte Bühnenanweisungen beschrieben wurden, an denen sich die romantische Forderung nach einer historisch getreuen Wiedergabe des Lokalkolorits abzeichnet, stellten gelegentlich hohe Anforderungen an die Bühnentechnik, weshalb die romantischen Dramen oftmals auch als unaufführbar galten und verstärkt als Le- 92 Vgl. hierzu Franz Penzenstadler, Romantische Lyrik und klassizistische Tradition. Ode und Elegie in der französischen Romantik, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2000. 93 Vgl. Wolfram Krömer, Zur Weltanschauung, Ästhetik und Poetik des Neoklassizismus und der Romantik in Spanien, Münster: Aschendorff 1968. 94 Vgl. Gerhard Schulz, "Romantisches Drama. Befragung eines Begriffes", in: Uwe Japp, Stefan Scherer, Claudia Stockinger (Hg.), Das romantische Drama. Produktive Synthese zwischen Tradition und Innovation, Tübingen: Niemeyer 2000, S. 1-19, hier: S. 10. 95 Vgl. Alcalá Galiano, "Prólogo", in: Duque de Rivas, El Moro expósito o Córdoba y Burgos en el Siglo Décimo, hg. von Ángel Crespo, Madrid: Espasa Calpe 1982, S. 7-32, hier: S. 25. 96 Francisco Martínez de la Rosa, "Apuntes sobre el drama histórico", in: Ders., La conjuración de Venecia, año de 1310, hg. von María José Alonso Seoane, Madrid: Cátedra 1993 (Letras Hispánicas, 344), S. 299-306, hier: S. 305f. <?page no="48"?> Die Romantik in Spanien 48 sedramen rezipiert wurden. In diesem Zusammenhang steht auch die Aufhebung der rigiden Gattungsgrenzen (Epik/ Drama, Tragödie/ Komödie). Schon Durán hatte lo romancesco mit lo novelesco gleichgesetzt und das Theater als "novelas puestas en acción" 97 definiert. Bezeichnend ist hierbei, dass u.a. Larra den Stoff einer mittelalterlichen Legende sowohl im Drama Macías als auch in dem Roman El doncel Don Enrique el Doliente verarbeitete. 98 Ihm wurde im Hinblick auf sein romantisches Drama auch der Vorwurf gemacht, einen für die Bühnengattung zu weitläufigen Stoff ausgewählt zu haben. 99 Während die klassizistische Poetik Aristoteles folgend für die Tragödie die Regel der Stiltrennung forderte, plädieren sowohl Alcalá Galiano als auch Martínez de la Rosa im Hinblick auf das romantische Drama für eine Stilmischung: der Stil solle sich der Handlung anpassen und den jeweiligen Personen entsprechend modifiziert werden. 100 Die Vermischung der Stilebenen geht einher mit der Mischung von Vers und Prosa sowie der Polymetrie, d.h. dem Wechsel verschiedener Versmaße. In gewisser Weise knüpft das romantische Drama somit in poetologischer Hinsicht an das Theater des spanischen Siglo de Oro an, das anders als das zeitgenössische Theater Frankreichs im siècle classique zugunsten des Publikumsgeschmacks für eine größere Regelfreiheit eingetreten war. Dennoch bedeuten die poetologischen Veränderungen keine simple Rückkehr zur Theaterkonzeption des Goldenen Zeitalters, sondern stehen im engen Zusammenhang mit dem Wandel in der Auffassung von Literatur und dem Selbstverständnis des Schriftstellers in der Romantik. Die romantische Wendung auf das erkennende Subjekt gestand den Autoren ein wesentlich größeres Maß an künstlerischer Freiheit zu. Der Schriftsteller positionierte sich neu in der Gesellschaft, die eigene Kreativität, das Genie des Künstlers, seine freie Imagination traten an die Stelle des in der Klassik verankerten Prinzips der imitatio. 101 Wenngleich die Genieäs- 97 Vgl. Leonardo Romero Tobar, Panorama crítico del romanticismo español, Madrid: Castalia 1994, S. 316. 98 Vgl. Gregorio Torres Nebrara, "Mácías de Lope a Larra. Tratamiento teatral de un mito", in: Cuadernos para Investigación de la literatura hispánica, Nr. 17, 1993, S. 104-114. Zur Verarbeitung des Legendenstoffes in Macías Werken vgl. auch: Vega Rodrígeuz, Pilar, "La leyenda de Macías en la obra de Larra", in: Amaya de Miguel de Sanz, Monique Lambie (Hg.), Larra. Actas de conferencias. Bicentenario (1809-2009), Facultad de Ciencias de la Información, Universidad Complutense de Madrid, 2-6 de marzo de 2009, S. 281-296. 99 Vgl. Ermitas Peñas Varela, Macías y Larra. Tratamiento de un tema en el drama y en la novela, Santiago de Compostela: Universidade de Santiago de Compostela 1992 (Monografías da Universidade de Santiago de Compostela, N o 171). 100 Alcalá Galiano, "Prólogo", S. 31 und Francisco Martínez de la Rosa, "Apuntes sobre el drama histórico", S. 306. 101 Vgl. Michaela Peters, Christoph Strosetzki, "Vorwort", in: Dies. (Hg.), Interkultureller Austausch in der Romania im Zeichen der Romantik. Akten der Sektion 14 des Deutschen Romanistentages 2003 in Kiel, Bonn: Romanistischer Verlag Bonn 2003, S. 9-18, hier: S. 12. <?page no="49"?> Die Romantik in Spanien 49 thetik im spanischen Kontext nicht so ausgeprägt war wie in der deutschen Frühromantik bzw. der französischen Romantik, so wurde dennoch bereits im debate literario entre siglos - wie wir unter Kapitel 2.2.1 ausgeführt haben - der Vorrang der imaginación vor der imitación betont. Agustín Durán, der 1828 in seiner literartheoretischen Schrift El Discurso sobre el influjo que ha tenido la crítica moderna en la decadencia del teatro antiguo español y sobre el modo con que debe ser considerado para juzgar convenientemente de su mérito peculiar 102 über die Verteidigung des Theaters des Siglo de Oro zu einer Eloge romantischer Postulate gelangt, hebt ebenfalls die kreative Einbildungskraft des Schriftstellers hervor. Im romantischen Sinne betont er, das Werk solle den Volksgeist widerspiegeln und somit die kulturellen Werte des Volkes vermitteln. 103 Die Bedeutung des Konzeptes der Imagination bei Alcalá Galiano hat Romero Tobar herausgearbeitet. Innerhalb der romantischen Kunsttheorie gelte es zwar noch das Konzept der imaginación zu erforschen, dennoch weist er aber in seiner Studie detailliert den Stellenwert nach, den dieses Konzept bereits bei den frühen Romantikern hatte. 104 Aus dem Postulat der Freiheit des künstlerischen Genies leitete sich die Absage an das Prinzip der imitatio ab. So votierte Alcalá Galiano für die romantischen Prinzipien der Originalität und der Freiheit der schöpferischen Kraft des Dichters und sah den Auslöser für die Dekadenz der spanischen Literatur gar in der Befolgung der zum Vorbild stilisierten klassizistischen Modelle. 105 In seinem Prolog zum Moro expósito (1834) plädierte er somit gegen eine blinde Autoritätsgläubigkeit und für eine Loslösung vom Prinzip der imitatio. 106 Alcalá Galiano stellt zudem fest: "[...] se ha de observar siempre la regla de que sólo es poético y bueno lo que declara los vuelos de la fantasía y las emociones del ánimo." 107 Dem klassischen Wahrscheinlichkeitspostulat wird eine Absage erteilt, vielmehr hat die verdad poética Vorrang vor der verdad histórica. 108 Martínez de la Rosa führt hierzu weiter aus, der Künstler solle sich auf seinen "buen gusto" verlassen "o mejor decir, el instinto del genio". 109 Alberto Lista, der insgesamt eine recht unentschiedene Position zwischen Klassik und Romantik einnimmt - was in der Forschung zu recht konträren Positionen geführt hat 110 - stimmt dem 102 Vgl. Hans Juretschke, "Aspectos fundamentales de la presencia alemana", S. 627. 103 Vgl. Romero Tobar, Panorama crítico del romanticismo español, S. 301. 104 Vgl. Leonardo Romero Tobar, "Sobre fantasía e imaginación en los primeros románticos españoles", in: Ders., La lira de ébano. Escritos sobre el romanticismo español, Málaga: Universidad de Málaga 2010, S. 31-47. 105 Vgl. Alcalá Galiano, "Prólogo", S. 13 und 15. 106 Vgl. ebd., S. 26-27. 107 Ebd., S. 11. 108 Vgl. Leonardo Romero Tobar, Panorama crítico, S. 311. 109 Vgl. Martínez de la Rosa, "Apuntes sobre el drama histórico", S. 306. 110 Lista war zunächst von der neoklassizistischen Dichtungstheorie geprägt, öffnete sich dann für die romantischen Postulate, um schließlich Ende der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts kritisch Position zur Romantik zu beziehen. Daher wird Lista gelegentlich als Gegner der Romantik stilisiert, was bei näherer Betrachtung jedoch nicht haltbar <?page no="50"?> Die Romantik in Spanien 50 zu, formuliert es aber weniger scharf, wenn er das Prinzip der imitatio mit der dichterischen Einbildungskraft in Einklang zu bringen versucht. 111 Auch hinsichtlich der Funktion des Künstlers nimmt er Korrekturen am romantischen Bild des Dichters vor, wenn er dessen Mission entgegen der Auffassung Hugos nicht als die eines Propheten sieht. 112 Während im neoclasicismo noch das Postulat der Einheit der auf Platon zurückgehenden Triade des Guten, Wahren und Schönen vorherrschte, der Literatur ein eminent moralischer Charakter beigemessen wurde, kommt es in der europäischen Romantik zur Ausdifferenzierung der Bereiche des Religiösen, Moralischen und Ästhetischen. Es wird zu prüfen sein, inwiefern die Ausdifferenzierung der Bereiche des Guten, Wahren und Schönen sich auch auf das romantische Drama in Spanien erstreckte. Im Vergleich zum Siglo de Oro, das in der Forschung oft als Ausdruck des Romantischen gehandelt wird, weist das Theater der spanischen Romantik einen entscheidenden Unterschied auf: Während die mythischen Landschaften in Zeiten der Barockliteratur noch von der Einheit "un orden, una belleza, una verdad" 113 geprägt waren, zerfällt diese in der Romantik infolge der Brüchigkeit, welche der Diskurs der Vernunft am Ende der Epoche der Aufklärung schließlich aufweist. Obwohl der heilige Dialog zwischen dem Menschen und dem Schöpfer in Folge der Aufklärung erhebliche Fissuren aufwies, wurde der Glaube im spanischen Kulturkontext jedoch nicht gänzlich aufgekündigt. Spätestens mit Goyas Caprichos: El sueño de la razón produce monstruos wird zudem deutlich, dass der aufklärerische Diskurs der Vernunft sich nicht zum neuen Heilsbringer aufschwingen konnte. 114 Alberto Lista forderte in seinen Studien zur Literatur explizit, das Gute vom Schönen zu trennen. 115 Die Schönheit ist ihm zufolge nicht im Bereich der Ideen, sondern der Empfindungen angesiedelt. 116 Diese aus dem Sensualismus entspringende Vorstellung prägt auch Antonio Alcalá Galianos Bemerkungen zur Ästhetik in seinem Prolog zum Moro Expósito (1834) des Duque de Rivas. 117 Ziel der Dichtung, die sich der Erprobung der Leidenist, denn er hat wesentlich zur Verbreitung der romantischen Postulate unter seinen Schülern beigetragen. Vgl. hierzu Diego Martínez Torrón, Ideología y literatura en Alberto Lista, Sevilla: Alfar 1993. 111 Vgl. María del Carmen García Tejera, Conceptos y teorías literarias españolas del siglo XIX: Alberto Lista, Cadiz: Universidad de Cadiz 1989, S. 99. 112 Vgl. ebd., S. 110. 113 Vgl. Javier Herrera, "La teología romántica: el amor, la muerte y el más allá", in: Iris Zavala (Hg.), Historia y crítica de la literatura española, Bd. V: Romanticismo y Realismo: Supl. I, Barcelona: Ed. Crítica 1994, S. 46-57, hier: S. 56. 114 Siehe hierzu die detaillierte Studie von Susanne Schlünder, Karnevaleske Körperwelten. Francisco de Goya, Tübingen: Stauffenburg Verlag 2002. 115 Vgl. María del Carmen García Tejera, Conceptos y teorías literarias españolas del siglo XIX: Alberto Lista, S. 110. 116 Vgl. ebd., S. 89. 117 Vgl. Antonio Alcalá Galiano, "Prólogo", S. 11. <?page no="51"?> Die Romantik in Spanien 51 schaften und inneren Gefühlswelt widmen sollte, 118 ist ihm zufolge "empeñar los afectos y la curiosidad de los lectores" 119 . Auch Martínez de la Rosa stellt als Hauptanliegen der Dichtung heraus, sie solle "conmover el corazón" 120 . Das Schöne wird somit in erster Linie in den Dienst des Empfindens gestellt und nicht mehr vorrangig zur moralischen Belehrung des Menschen herangezogen. Das Erhabene, das Lista von dem Schönen dadurch unterscheidet, dass es in seiner Wahrnehmung zwar kurzlebiger, dafür aber intensiver ist, beeindruckt die Sinne des Menschen durch einen "mayor grado de impresión" 121 . Die Ästhetik des Erhabenen und Sentimentalischen trat somit an die Stelle der platonischen Triade des Guten, Wahren und Schönen. Die Vermischung des Grotesken mit dem Sublimen, die in Hugos Préface de Cromwell das Kernstück der romantischen Ästhetik bildet, postuliert Martínez de la Rosa in seinen Apuntes sobre el drama histórico, die er der Conjuración de Venecia nachstellt. Zwar steht dieser Aspekt nicht unbedingt im Zentrum der romantischen Theoriebildung in Spanien, dennoch findet er aber in den romantischen Dramen stärkeren Einfluss, als von der Forschung bislang konstatiert. Dem neuen künstlerischen Anspruch korrespondierte die Öffnung neuer literarischer Märkte: Die Institutionen der Kirche und des Adels wichen als literarische Auftragsgeber dem sich zunehmend nach ökonomischen Prinzipien gestaltenden Literaturbetrieb der bürgerlichen Schichten. Artola preist zwar den neu gewonnen Status der Autoren als ökonomisch unabhängig, 122 dennoch sollte sich der neue Status in der Gesellschaft alsbald als von nicht minder großen Zwängen belastet erweisen. Insbesondere die Dramaturgen standen am unteren Ende der Skala des sich neu formierenden Literaturbetriebes, sie wurden noch wesentlich schlechter bezahlt als die Schauspieler. 123 Zudem zwang sie der häufige Wechsel im Repertoire der Spielpläne der Theaterhäuser zu einer enormen Produktivität, die den Stücken nicht immer zum Vorteil gereichte. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass zwischen dem Theater des Siglo de Oro und dem romantischen Drama zwar thematische Bezugspunkte (Ehre, Religion, Heldenmut, etc.) und poetologische Gemeinsamkeiten (Lösung vom aristotelischen Regelkanon) bestehen. Dennoch verändert der geistesgeschichtliche Bezugsrahmen der Romantik die Perspektive in we- 118 Vgl. ebd., S. 27. 119 Ebd., S. 31 120 Francisco Martínez de la Rosa, "Apuntes sobre el drama histórico", S. 304 121 Vgl. María del Carmen García Tejera, Conceptos y teorías literarias españolas del siglo XIX: Alberto Lista, S. 104. 122 Vgl. Miguel Artola, "El gusto burgués y sus manifestaciones artísticas", in: Iris Zavala (Hg.), Historia y crítica de la literatura española, Bd. V: Romanticismo y Realismo,: Barcelona: Ed. Crítica 1982, S. 84-90, hier: S. 88. 123 Vgl. Jean Canavaggio, Historia de la literatura española, Bd. V: El Siglo XIX, Barcelona: Ariel 1995, Kap. IV, S. 81. <?page no="52"?> Die Romantik in Spanien 52 sentlichen Bereichen. Man mag zwar in der Literatur des Siglo de Oro romantische Themen entdecken, dennoch werden diese Themen in der Epoche der Romantik in ganz anderer Weise reflektiert, wie wir im Folgenden durch die Textanalysen noch zeigen werden. Daneben stellen auch die poetologischen Neuerungen der Romantik keine simple Rückkehr zur Dichtungstheorie des Siglo de Oro dar, sondern müssen im Kontext der kulturgeschichtlichen Umbruchsituation verortet werden, die sich an der Epochenschwelle vom 18. zum 19. Jahrhundert vollzieht und in deren Folge die ästhetischen Grundlagen der Dichtung sich neu formieren. 2.4 Die romantischen Dramen des Textkorpus’ a) La conjuración de Venecia 124 (1830/ 34) Das romantische Drama La conjuración de Venecia, año de 1310 aus der Feder des liberalen Autors und Politikers Francisco Martínez de la Rosa (1787- 1862) wird am 23.4.1834 in Madrid im Teatro del Príncipe aufgeführt. Den Erfolg des Stückes dokumentieren sowohl die hohe Zahl von 30 Aufführungen in nur zwölf Monaten, als auch überlieferte Rezensionen von Zeitgenossen, die den Beginn einer neuen Theater-Ära erkannten. 125 Einen Schlusspunkt unter die Frage der Einordnung des Werkes zwischen neoclasicismo und Romantik setzt Víctor Cantero García in seiner jüngsten Studie. 126 Darin erläutert er überzeugend, dass Martinez de la Rosa in der Conjuración die Schlegelschen Regeln des historischen Dramas umgesetzt hat. In dem Drama wird eine politische Verschwörung mit einer tragisch endenden Liebesgeschichte im Venedig des Mittelalters verknüpft. Der Held Rugiero - unbekannter Herkunft - ist Anführer einer zur Karnevalszeit geplanten Verschwörung gegen den tyrannischen Zehner-Rat, der die Stadt beherrscht. Im ersten Akt wird das letzte Treffen der Verschwörer vor der geplanten Revolte dargestellt. Der zweite Akt ist geprägt von der Liebesgeschichte Rugieros mit der adligen Nichte des Senators Morosini, die der romantische Held heimlich kirchlich geheiratet hat. Bei einem nächtlichen Treffen mit Laura in der Familiengruft der Morosinis wird Rugiero verhaftet, vor das Tribunal gestellt und wegen der Verschwörung zum Tode verurteilt. 124 Francisco Martínez de la Rosa, La conjuración de Venecia, año de 1310, hg. von María José Alonso Seoane, Madrid: Cátedra 1993 (Letras Hispánicas, 344). 125 Vgl. José María Ferri Coll, "Los dramas históricos de Martínez de la Rosa: memoria de un gran éxito", in: Raquel Gutiérrez Sebastián, Borja Rodríguez Gutiérrez (Hg.), Desde la platea. Estudios sobre el teatro decimonónico, Santander: Universidad de Cantabria 2010S. 23-33. 126 Víctor Cantero García, "Francisco Martínez de la Rosa y el romanticismo en el drama histórico: análisis, estudio y consideraciones sobre La conjuración de Venecia", in: Dicenda. Cuadernos de Filología Hispánica, Nr. 22, 204, S. 5-26. <?page no="53"?> Die Romantik in Spanien 53 Im dritten Akt spielt im Palast der Familie Morosini, wo Laura ihrem Vater die heimliche Heirat gesteht und ihn bittet, Rugiero zu retten. Die Revolte der Verschwörer bildet den Handlungskern des vierten Aktes, der am Karnevalsdienstag auf dem Markusplatz spielt und zeigt, wie die Revolte von den ebenfalls maskierten Wachen des tyrannischen Rates vereitelt wird. Der letzte Akt spielt schließlich im Gerichtssaal, in dem den anwesenden Verschwörern der Prozess gemacht wird. In einer der Schluss-Szenen erkennt der Vorsitzende Morosini in Rugiero seinen eigenen Sohn, von dem er annahm, er sei einst bei einem Schiffsunglück ertrunken. Die Anagnorisis führt jedoch zu keinem glücklichen Ausgang, sondern Morosinis Ohnmacht verhindert eine Rettung Rugieros, der ergriffen, aber gottergeben dem Vollzug der Todesstrafe entgegensieht, während Laura den Verstand verliert und vor Entsetzen stirbt. b) Macías 127 (1834) "Macías es un hombre que ama, y nada más." - Dies ist Larras eigene Charakterisierung des - trotz der neoklassizistischen Struktur - romantischen Dramas Macías, das am 24.9.1834 erstmals im Teatro del Príncipe in Madrid aufgeführt wurde. 128 Das Stück wurde zwar bereits 1833 verfasst und veröffentlicht, zunächst jedoch von der Zensur verboten. 129 Ähnlich wie in der Conjuración de Venecia wird hier eine Liebesgeschichte mit einer politischen Intrige verknüpft, wobei der Schwerpunkt jedoch auf der Liebesthematik liegt. Schauplatz der Handlung ist Andújar im Jahre 1406. 130 Die Exposition im ersten Akt beginnt damit, dass der hidalgo Fernán Pérez de Vadillo binnen der Frist eines Jahres um die Hand Elviras anhält, der Tochter des Bürgerlichen Nuño Hernández. Elvira hatte den Vater hinsichtlich ihrer Vermählung mit dem Adligen um den Aufschub eines Jahres gebeten. Innerhalb dieser Frist erwartete sie die Rückkehr ihres 127 Mariano José Larra, Macías, hg. von Luis Lorenzo-Rivero und George P. Mansour, Madrid: Espasa Calpe 1990 (Colección Austral). 128 An fünf aufeinander folgenden Tagen wurde das Stück bei seiner Erstaufführung gezeigt, bevor es im November (7., 9. und 10.11.) und Dezember (15., 16. und 27.12.) erneut aufgelegt wurde und auch in den Jahren 1835 und 1837 weitere Aufführungen folgen sollten. Vgl. hierzu Luis Lorenzo-Rivero und George P. Mansour, "Introducción", in: Mariano José Larra, Macías, 9-55, hier: S. 33. Zum Erfolg des Stückes, das in den Jahren 1834-37 wiederholt aufgelegt wurde, siehe Hazel Cazorla, "Larra, crítico y creador teatral, en busca del heroe", in: Hispania, Nr. 72, September 1989, S. 491-497. 129 Caldera zufolge wurde das Stück kurz vor seiner geplanten Aufführung wegen der negativ besetzten Rolle der tyrannischen Adligen verboten. Ermanno Caldera, El teatro español en la época romántica, S. 69. Peñas Varela hat in diesem Zusammenhang auf die nicht unwichtige Tatsache hingewiesen, dass das Drama folglich vor dem - den gleichen Stoff behandelnden - Roman El Doncel verfasst wurde. Ermitas Peñas Varela, Macías y Larra, S. 21. 130 Vgl. zur Entwicklung des Macías-Stoffes in der spanischen Literatur: Gregorio Torres Nebrera, "Macías, de Lope a Larra: Tratamiento teatral de un mito", in: Literatura hispánica", Nr. 17, 1993, S. 104-114. <?page no="54"?> Die Romantik in Spanien 54 Geliebten Macías, der ausgezogen war, um zu Reichtum und Ruhm zu gelangen. Mittels einer Intrige gelingt es Fernán jedoch, Elvira zur Hochzeit zu bewegen, die noch am Morgen des gleichen Tages gefeiert wird. Zu Beginn des zweiten Aktes kehrt Macías nach Andújar in dem Moment zurück, als das Hochzeitspaar aus der Kapelle tritt. Ein Versuch, den Rivalen tödlich zu treffen, scheitert. Im dritten Akt gelangt Macías heimlich in Elviras Zimmer, um sie - allerdings vergeblich - zur Flucht zu bewegen. Als sie von Fernán und don Enrique überrascht werden, beschließt man, Macías bis zum folgenden Tag, an dem das Duell stattfinden soll, in einem Turm gefangen zu halten. Als Elvira Zeuge einer geplanten Intrige gegen Macías wird, setzt sie alles daran, ihren Geliebten aus dem Gefängnis zu befreien. Im vierten Akt versucht nun Elvira Macías zur Flucht zu überreden, sie selbst will ins Kloster gehen. Mitten im Gespräch, während dessen sie sich ihre gegenseitige Liebe bekunden, werden die beiden erneut von Fernán und Villena überrascht. Nachdem Fernán Macías tödlich verletzt hat, ergreift Elvira das Schwert und tötet sich selbst. c) Don Álvaro o la fuerza del sino 131 (1835) War bereits in der Conjuración von dem zeitgenössischen Publikum der innovativ romantische Charakter des Stückes erkannt worden, so gilt dies trotz der durch den Titel des Werkes geweckten Assoziationen zur griechischen Tragödie in nicht geringerem Maße für Don Álvaro o la fuerza del sino. Das romantische Drama des Ángel Saavedra, Duque de Rivas, wurde am 25. März 1835 ebenfalls im Teatro del Príncipe in Madrid aufgeführt. Drei Jahre zuvor hatte der Duque de Rivas bereits in Tours eine erste - leider nicht tradierte - Prosaversion des Stückes, das vermutlich zur Aufführung auf den Pariser Bühnen verfasst worden war, fertig gestellt. 132 Das Stück greift die Liebesgeschichte zwischen dem reichen aus Peru stammenden Don Álvaro und der adligen Doña Leonor auf, die mit dem Thema des gesellschaftlichen Ehrkonflikts verknüpft wird. Don Álvaro, dessen Herkunft zunächst im Dunkeln bleibt, verliebt sich in die adlige Tochter des Marqués de Calatrava. Dieser weist das Heiratsbegehren ob der unbekannten Herkunft des Prätendenten jedoch zurück, woraufhin Don Álvaro mit Leonor zu fliehen versucht. Hierbei kommt es zur Duellsituation mit dem Vater der Braut. Als Don Álvaro sich dem Duell zu entziehen trachtet und seine Waffe zu Boden wirft, löst sich unglücklicherweise ein Schuss, der den Marqués tödlich trifft. Auf der sich anschließenden Flucht verlieren die beiden Liebenden sich aus den Augen. 131 Duque de Rivas, Don Álvaro o la fuerza del sino (1835), hg. von Alberto Sánchez, Madrid: Cátedra 1996 (Letras Hispánicas, 33) 132 Vgl. Christian Wentzlaff-Eggebert, "Ángel Saavedra, Duque de Rivas. Don Álvaro o la fuerza del sino", in: Volker Roloff, Harald Wentzlaff-Eggebert, (Hg.), Das spanische Theater. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Düsseldorf: Schwann Bagel 1988, S.241-249, hier: S. 244. <?page no="55"?> Die Romantik in Spanien 55 Don Álvaro begibt sich auf eine rastlose Reise durch Europa, um seinem vermeintlichen Schicksal zu entgehen, während Doña Leonors Brüder auf Rache und Wiederherstellung der Familienehre sinnen. In Italien rettet Don Álvaro, wo er während des Österreichischen Erbfolgekrieges unter falscher Identität als Soldat weilt, Leonors ebenfalls incognito auftretendem Bruder Carlos das Leben, wird dabei aber selbst schwer verletzt und überantwortet seinem vermeintlichen Freund geheime Dokumente, die seine wahre Identität und seine Liebe zu Leonor preisgeben. Als der Bruder Don Álvaros Identität entdeckt, fordert er ihn nach dessen Genesung zum Duell, das der romantische Held natürlich gewinnt. Daraufhin beschließt Don Álvaro als Pater Rafael in ein Kloster nahe Sevilla einzutreten, um für seine Sünden zu büßen. Kurze Zeit zuvor hatte bereits Doña Leonor in einer in der Nähe des Klosters gelegenen Eremitenklause Zuflucht gesucht, ohne jedoch Don Álvaro je zu begegnen. Der zweite Bruder Leonors spürt Don Álvaro schließlich im Kloster auf, um ihn zum Duell zu fordern. Nicht jedoch, ohne diesen zuvor darüber aufzuklären, dass seine Eltern inzwischen begnadigt und vom König Felipe rehabilitiert worden sind. Obwohl diese Nachricht den eigentlichen Ehrkonflikt aufheben könnte, provoziert Don Alfonso Don Álvaro weiter zum Duell. Als Don Álvaro in einer nahe gelegenen Klause Hilfe für den verwundeten Don Alfonso sucht, entdeckt er Leonor, die vom sterbenden Bruder daraufhin getötet wird. Don Álvaro bleibt nichts weiter, als sich unter den Donnerschlägen des Himmels und begleitet von den Misericordia-Gesängen des Chors der Mönche in den Abgrund einer Schlucht zu stürzen. d) El Trovador 133 (1835) Mit dem romantischen Drama El Trovador, das später in der Vertonung der Oper Guiseppe Verdis Il trovatore zu Weltruhm gelangen sollte, 134 wurde dem Autor Antonio García Gutiérrez bereits bei der Erstaufführung ein unbeschreiblicher Erfolg zu Teil. Erstmals in der Geschichte des spanischen Theaters verlangte das Premierenpublikum am 1.3.1835 das Erscheinen des Autors auf der Bühne, damit er die Verehrung der Zuschauer persönlich entgegen nähme. 135 Infolge der Aufführungen der romantischen Dramen Don Álvaro und Alfredo im Jahr zuvor war das Publikum bereits vom romantischen Theater eingenommen, als der Trovador auf der Bühne inszeniert wurde. Die Romantik hatte sich auch in Spanien auf dem Theater 133 Antonio García Gutiérrez, El Trovador, hg. von Carlos Ruiz Silva, Madrid: Cátedra 1997 (Letras Hispánicas, 221). 134 Eine interessante Studie zu einem Vergleich zwischen der Oper und dem romantischen Drama hat José Carlos Ruiz Silva ("El Trovador, de García Gutiérrez, Drama y Melodrama", in: Cuadernos Hispanoamericanos, Nr. 335, 1958) vorgelegt. 135 Vgl. José María Díez Borque, u.a. (Hg.), Historia del teatro en España, Bd. II: Siglo XVIII. Siglo XIX, Madrid: taurus 1998, S. 464 <?page no="56"?> Die Romantik in Spanien 56 längst etabliert. García Gutiérrez entsprach so dem Erwartungshorizont des spanischen Publikums. 136 Das Thema der Liebe dominiert die Handlung des Stückes, allein im Hintergrund steht eine politische Verschwörung. Das Drama verknüpft auf der Handlungsebene zwei Leidenschaften miteinander: die Liebe und der Hass. Der Liebe zwischen dem Troubadour Manrique und der adligen Leonor de Sesé stehen die konträren Interessen von Leonors Bruder Guillén de Sesé entgegen, der seine Schwester mit dem reichen Adligen Don Nuño de Artal, Conde de Luna verheiraten will. Manrique erscheint ihm nicht nur aufgrund des Paritätsunterschiedes als Gemahl ungeeignet, sondern ist zudem Anhänger des Conde de Urgel, der Ansprüche auf den Thron von Aragón stellt, während Don Nuño und Guillén auf Seiten des Königs von Aragón stehen. Im Verlauf des Stückes eskaliert der Konflikt zwischen Don Nuño und Manrique zwei Mal. Im ersten Akt treffen die beiden im Werben um die Gunst Leonors aufeinander, die Don Nuño und ihrem Bruder deutlich zu verstehen gibt, dass sie den Troubadour liebt. Im folgenden Duell verletzt Manrique Don Nuño schwer, bevor dieser die Flucht ergreift. Da Leonor ein Jahr lang nichts von ihrem Geliebten gehört hat und das Gerücht umgeht, er sei in einer Schlacht gestorben, ist sie mit Beginn des zweiten Aktes ins Kloster eingetreten, um sich der vom Bruder geplanten Heirat mit Don Nuño zu entziehen. Kurz bevor sie den Schleier nimmt, treffen Manrique und einige Diener Don Nuños im Kloster aufeinander, die Leonor von ihrem Schritt abhalten und entführen wollen. Als Leonor den Geliebten erblickt, der die Diener verjagt hat, fällt sie in Ohnmacht. Der dritte Akt wirft ein Licht auf Manriques Herkunft: In einer Höhle erzählt die Zigeunerin Azucena ihrem Sohn den Ursprung ihrer Rachegefühle gegenüber der Familie Don Nuños. Der alte Conde de Artal hatte einst Azucenas Mutter auf dem Scheiterhaufen als Hexe verbrennen lassen. Azucena entführte daraufhin aus Rache den älteren der beiden Söhne des Conde, um ihn ebenfalls den Feuertod sterben zu lassen. In ihrer Schilderung lässt die Zigeunerin erkennen, dass sie versehentlich den falschen Jungen ins Feuer stieß, so dass den Zuschauern schon hier klar wird, dass Manrique offensichtlich Nuños Bruder sein muss. Manrique kehrt daraufhin erneut ins Kloster zurück, um gemeinsam mit Leonor zu fliehen. Auf der Flucht (im 4. Akt) werden sie von Don Nuño und seinen Anhängern ertappt, können aber fliehen, während dessen Azucena gefangen genommen wird. Im Turm von Castellar, in den sich die Rebellen des Conde de Urgel zurückgezogen haben, enthüllt Manrique Leonor die Wahrheit über seine Herkunft, bevor er sich auf den Weg macht, um seine Mutter zu befreien. Der fünfte und damit letzte Akt zeigt, dass Manrique ebenfalls gefangen genommen wurde und Don Nuño plant, ihn und seine Mutter zu töten. Während Don Nuño und Don Guillén erneut über Leonor sprechen, 136 Vgl. Ermanno Caldera, El teatro español en la época romántica, S. 89. <?page no="57"?> Die Romantik in Spanien 57 macht diese sich auf den Weg zu dem Turm, in dem Manrique gefangen ist. Ihr Plan, Don Nuño ihre Liebe vorzuspielen, um im Gegenzug die Freilassung Manriques zu erwirken, scheitert schließlich an der Leidenschaft des Geliebten, der den Tod einem Leben ohne seine Herzensdame vorzieht. Leonor, die zuvor bereits einen Giftbecher genommen hatte, um ihr Don Nuño gegebenes Heiratsversprechen nicht einlösen zu müssen, stirbt in den Armen des Geliebten. Daraufhin lässt Don Nuño Manrique vom Henker abführen. Erst im Moment des Vollzuges der Hinrichtung gelingt es Azucena Don Nuño mitzueilen, dass Manrique in Wahrheit sein Bruder war. Mit den Worten "Ya estás vengada.", die den Schlusspunkt des Dramas bilden, richtet sich Azucena abschließend an ihre verstorbene Mutter. e) Los Amantes de Teruel 137 (1837/ 49) Das romantische Drama Los Amantes de Teruel, das der Autor über einen Zeitraum von 40 Jahren mehrfach veränderte, erschien bereits 1836 im Druck, bevor es am 19. Januar 1837 erstmals aufgeführt wurde. 138 In der Epoche der Romantik erfuhr das Stück 30 Aufführungen. 139 Ursprünglich bestand es aus fünf Akten, Hartzenbusch überarbeitete es jedoch im Laufe der Jahre mehrfach. In der vorliegenden Version, die sich auf die Ausgabe des Autors aus dem Jahre 1849 stützt, wurden die letzten beiden Akte zu einer Einheit zusammengezogen, um eine größere Dramatik zu erzielen. Diese Ausgabe wurde seit der Veröffentlichung am meisten verwendet, wie Carmen Iranzo bemerkt. 140 Los Amantes de Teruel spielt in Valencia im Jahre 1217 und basiert auf einer mittelalterlichen Legende, derzufolge das Liebespaar Isabel de Segura und Diego Marcilla aus Teruel sich seit ihrer Kindheit liebten. Ihrer Liebe entgegen stand ein Paritätsproblem: Isabels Vater wollte dem armen Diego einen reichen Prätendenten seiner Tochter vorziehen. Dennoch gab er Diego eine Chance: sofern dieser innerhalb einer bestimmten Frist zu Reichtum gelangen sollte, erhielte er die Hand Isabels. Der Legende nach kehrte Diego kurz vor Ablauf der Frist an dem Tag nach Teruel zurück, als Isabel auf Veranlassung ihrer Eltern den reichen Prätendenten heiratete. In Anbetracht der für ihn schrecklichen Nachricht starb Diego zu Isabels Füßen, 137 Juan Eugenio Hartzenbusch, Los Amantes de Teruel, hg. von Carmen Iranzo, Madrid: Cátedra 6 1996 (Letras Hispánicas, 126) 138 Caldera führt die Tatsache, dass Hartzenbusch schon 1834 das Drama konzipierte, aber erst 1836/ 37 veröffentlichte, auf die thematische Nähe zu Larras Macías und García Guitérrez' El Trovador zurück. Vgl. Ermanno Caldera, El teatro romántico, S. 103. 139 Vgl. Ermanno Caldera, El teatro español en la época romántica, S. 102. 140 Vgl. Carmen Irranzo, "Introducción", in: Juan Eugenio Hartzenbusch, Los Amantes de Teruel, S. 11-78, hier: S. 77. <?page no="58"?> Die Romantik in Spanien 58 welche sodann auch ohnmächtig in sich zusammen sank und ebenfalls verschied. 141 In der Exposition des ersten Aktes erfährt das Publikum von Marsillas Schicksal, der im Alcázar de Valencia gefangen gehalten wird. Zulima - vom König vernachlässigte erste Haremsdame verliebt sich in den gefangenen Christen, den sie durch einen geschickten Rollenwechsel aushorcht. Marsilla berichtet der als Dienerin verkleideten Zulima offen von seiner Liebe zu Isabel und von der Frist, innerhalb derer er nach Teruel zurückkehren muss, um seine Geliebte heiraten zu dürfen. Sechs Jahre sind bereits vergangen, so bleibt Marsilla nur mehr eine Woche, um den plazo einzuhalten. Auch hier wird thematisch eine Liebesgeschichte mit einer politischen Verschwörung verknüpft. Marsilla verrät dem maurischen König von Valencia eine gegen ihn geplante Verschwörung, woraufhin der König ihm zum Dank die Freiheit schenkt. Währenddessen schwinden im zweiten in Teruel spielenden Akt Isabels Hoffnungen auf eine rechtzeitige Rückkehr Marsillas vor Ablauf der Frist. Sowohl der Vater als auch die Mutter offenbaren Isabel die dunklen Schatten ihrer respektiven Lebensgeschichten, die es notwendig erscheinen lassen, dass die Tochter den reichen Prätendenten Don Rodrigo de Azagra heiraten muss. Inzwischen verbleiben nur noch drei Tage bis zum Ablauf der Frist. Die Mutter, Doña Margarita, erklärt ihrer Tochter nach 15 Jahren erstmals die Gründe für ihre unnachgiebige Strenge. Da sie einst eine unglückliche Vernunftehe mit Isabels Vater einging, will sie nun ihre Tochter vor einem solchen Schritt bewahren. Don Rodrigo de Azagra intrigiert aber, indem er Doña Margarita mit den alten Liebesbriefen an Roger, in deren Besitz er zufällig gelangt war, erpresst. Zudem intrigiert auch die in Männerkleider gehüllte Zulima, indem sie in Teruel die Nachricht von Marsillas vermeintlichem Tod verbreitet. Im dritten Akt wird die trauernde Isabel auf ihre Hochzeit mit Rodrigo vorbereitet. In den letzten Stunden vor Ablauf des plazo erreicht Zulimas Dienerin Adel Marsillas Vater, um ihn über die Intrige aufzuklären. Don Martín kommt jedoch zu spät zur Kirche - das Paar ist inzwischen verheiratet. Im vierten Akt trifft Marsilla, den Zulimas Gefährten zur Verzögerung seiner Ankunft an einen Baum gefesselt hatten, in Teruel ein. Isabel jedoch verweigert dem Geliebten in treuer Pflichterfüllung ihrer Rolle als ehrbare Ehefrau Don Rodrigos eine letzte Umarmung, woraufhin zuerst Marsilla und dann auch Isabel den Liebestod sterben. 141 Zu den Quellen der Legende siehe: Carmen Iranzo, "Introducción", in: Juan Eugenio Hartzenbusch, Los Amantes des Teruel, hg. Von Carmen Iranzo, Madrid: Cátedra 6 1996, S. 34-62. <?page no="59"?> Die Romantik in Spanien 59 f) Don Juan Tenorio 142 (1844) Don Juan Tenorio, ein Stück, das nach Aussage des Autors in nur drei Wochen entstand, 143 wurde am 28.3.1844 im Teatro de la Cruz in Madrid uraufgeführt. Erst mit der Wiederaufnahme des Stückes im November des gleichen Jahres war dem romantischen Drama jedoch sein unglaublicher Erfolg beschieden. Das romantische Drama Don Juan Tenorio gliedert sich in zwei Teile (zu je vier bzw. drei Akten). Der erste Teil zeigt in Anlehnung an den Burlador de Sevilla von Tirso de Molina die Geschichte Don Juans, der gegen Gott und die Gesellschaft rebelliert. Im zweiten Teil, der fünf Jahre nach dem ersten spielt, wird die Rettung Don Juans durch Doña Inés dargestellt. Das Stück beginnt mit einer Szene in einem Gasthaus, in dem Don Juan auf Don Luís treffen wird, um den Sieger einer Wette zu ermitteln: "quien ha obrado peor con mejor fortuna". Kurz vor Eintreffen seines Gegenspielers verfasst Don Juan noch einen Liebesbrief an Doña Inés, Tochter Don Gonzalo de Ulloas, der mit Don Juans Vater die Heirat der Kinder beschlossen hatte. Die Listen der Schandtaten und Eroberungen Don Juans und Don Luís' sind lang, und obwohl Don Juan seinen Gegner bei weitem übertroffen hat, erneuern sie die Wette, da in der Liste der Don Juanschen Verführungen noch eine Novizin und die Braut eines Freundes fehle. Im Gasthaus zugegen sind zahlreiche Schaulustige, unter ihnen auch Don Gonzalo de Ulloa und Don Diego Tenorio - angeblich um die Wahrheit über Don Juans Taten zu erfahren. Beide stellen Don Juan zur Rede, der jedoch auf sein Seelenheil pfeift. Den Liebesbrief an Doña Inés lässt Don Juan ins Kloster bringen, während er zugleich alles vorbereitet, um die Wette um Doña Ana einzulösen. Es folgt ein turbulenter Handlungsverlauf, während dessen Don Juan im Kloster im Angesicht Doña Inés' Schönheit erste Züge einer Wandlung zeigt. Er entführt sie in sein Landhaus, verführt dann Doña Ana - die Verführung bleibt im Drama jedoch eine Leerstelle -, um dann, zurück in seinem Landhaus, Don Gonzalo reumütig um Gnade zu bitten, die dieser ihm jedoch verwehrt. Im folgenden Duell tötet Don Juan sowohl den Vater seiner Auserwählten als auch seinen Freund Don Luís, bevor er die Flucht ergreift. Doña Inés kehrt ins Kloster zurück, wo sie an gebrochenem Herzen. Im zweiten Teil kehrt Don Juan fünf Jahre später nach Sevilla zurück, wo er erfahren muss, dass sein Vater den Palast der Familie Tenorio nach seinem Tod in einen Pantheon der Opfer hat umbauen lassen. Dort weint Don Juan am Grab der Doña Inés und begegnet zwei alten Freunden, die 142 José Zorrilla, Don Juan Tenorio, hg. von Aniano Peña, Madrid: Cátedra 17 1995 (Letras Hispánicas, 114). 143 Vgl. Dietrich Briesemeister, "José Zorrilla. Don Juan Tenorio", in: Volker Roloff, Harald Wentzlaff-Eggebert, (Hg.), Das spanische Theater. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Düsseldorf: Schwann Bagel 1988, S. 250 -263, hier: S. 250. Bühnenrechte hatte der unter notorischer Geldnot leidende Autor gegen kleines Geld an Verleger verkauft daher gespaltenes Verhältnis zu seinem erfolgreichsten Werk? <?page no="60"?> Die Romantik in Spanien 60 ihn provozieren, die Statue des Don Gonzalo de Ulloa zum gemeinsamen Festmahl zu laden. Die Statue erscheint, um ihn - wie einst den burlador de Sevilla - in den Abgrund der Hölle zu ziehen. Zuvor war Don Juan aber bereits der Schatten der Doña Inés begegnet, um ihm die Erlösung zu bringen. In letzter Sekunde bereut Don Juan seine Taten, bevor er Inés’ Hand ergreift und die Seelen der beiden als Flammen gen Himmel fahren. g) Traidor, inconfeso y mártir 144 (1849) Das letzte romantische Drama aus der Feder José Zorrillas, das auch den Endpunkt unserer Analysen zum Theater im Zeitalter der Romantik bildet, wertete der Autor selbst als sein am besten konzipiertes Stück. Hierfür - und nicht für den in seinen Augen überbewerteten Don Juan Tenorio - verdiene er die Aufnahme in den Reigen der berühmtesten Schriftsteller seines Jahrhunderts. 145 Das Stück wurde am 3. März 1849 im Teatro de la Cruz mit großem Erfolg aufgeführt: sieben Aufführungen folgten aufeinander. 146 Mit Traidor, inconfeso y mártir, das Hadassah Ruth Weiner als "the most cerebral and spiritual of spanish Romantic dramas" 147 bezeichnet, greift Zorrilla die historischen Umstände auf, die zum Ende der Dynastie des portugiesischen Königs Don Sebastián führten, der bei einem Feldzug in Marokko im Jahre 1578 fiel. Da der portugiesische König keine Nachkommen hinterließ, erhob das spanische Königshaus Anspruch auf die Erbfolge, welcher mit der engen familiären Verbundenheit beider Königshäuser begründet wurde. Dennoch konnte Spanien die Übernahme der portugiesischen Krone nur militärisch durchsetzen. 148 Während dies die historischen Fakten sind, hat sich bereits unter den Zeitgenossen die Legende gebildet, König Don Sebastián sei nicht in Marokko gestorben, sondern auf mysteriöse Weise verschwunden und führe sein Leben unter dem Deckmantel eines Bäckermeisters namens Gabriel Espinosa in dem kleinen Ort Madrigal fort. Zorrilla greift diese Legende, die bereits zuvor mehrfach literarisch verarbeitet wurde, 149 auf und stellt den Bäckermeister, der zuvor stets nur als Betrüger galt, als den echten König Don Sebastián dar. Die Figur wird in dem Drama zum romantischen 144 José Zorrilla, Traidor, inconfeso y mártir, hg. von Ricardo Senabre, Madrid: Cátedra 1982 (Letras Hispánicas, 37). 145 Dies betonte José Zorrilla in seinen Recuerdos del tiempo viejo. Vgl. Ermanno Caldera, El teatro español en la época romántica, S. 193. 146 Vgl. Ermanno Caldera, El teatro español en la época romántica, S. 194. 147 Hadassah Ruth Weiner, "A note on Zorrilla's Traidor, inconfeso y mártir", in: Romance Notes, Bd. XVIII, Nr. 3, Frühjahr 1978, S. 343-348. 148 Vgl. Walther Bernecker, Spanische Geschichte. Vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 1999, S, 33. 149 Vgl. Ricardo Senabre, "Introducción", in: José Zorrilla, Traidor, inconfeso y mártir, S. 23ff. Um nur einige Beispiele zu nennen: El pastelero de Madrigal des barocken Dramatikers Jerónimo de Cuéllar, und Ni rey ni roque, 1835, historischer Roman von Patricio de la Escosura, siehe Ermanno Caldera, El teatro español en la época romántico, S. 194. <?page no="61"?> Die Romantik in Spanien 61 Helden par excellence stilisiert, der sein Schicksal gläubig in Gottes Hand legt und seine wahre Identität im Sinne der romantischen Ironie erst durch ein nach seinem Tod zu öffnendes Schriftstück offenbart. In der Verarbeitung der Legende hält Zorrilla sich weitgehend an die Regel der Einheit von Ort, Zeit und Handlung. Das romantische Drama gliedert sich in drei Akte: die ersten beiden spielen in einer Herberge in Valladolid, der letzte Akt im Gerichtssaal von Madrigal. Die Handlung spielt 16 Jahre nach dem vermeintlichen Tod des portugiesischen Königs in Marokko und beschränkt sich auf wenige Monate. Der erste Akt beginnt in den Abendstunden eines nicht näher bestimmten Tages im Jahre 1594, der zweite in den Morgenstunden des folgenden Tages, der dritte spielt drei Monate später im Gerichtssaal von Medina. Auch in diesem romantischen Drama wird eine Liebesgeschichte mit der Geschichte einer politischen Verschwörung verknüpft, deren Tragik sich wie in Los Amantes de Teruel erst in den letzten Szenen des Stückes vollends enthüllt. Im ersten Akt treffen kurz nacheinander drei adlige Herren (Marqués de Tavira, Capitán Don César de Santillana und dessen Vater, der Bürgermeister Don Rodrigo de Santillana) in der Herberge Burgoas ein, um unabhängig voneinander und mit unterschiedlichen Motivationen das gleiche Anliegen vorzubringen. Alle drei kündigen die Ankunft eines Gastes an, der zuvorkommend zu bewirten sei und dessen Zeche sie im Voraus begleichen wollen. Es handelt sich um Gabriel de Espinosa, in dessen Gefolge sich auch dessen Tochter Aurora befindet, in welche sich Don César unsterblich verliebt hat. Am Ende des ersten Aktes nimmt Don Rodrigo den pastelero in Gewahrsam, der ihm ohne jegliche Gegenwehr sein Schwert übergibt, das als dasjenige des Königs Don Sebastián erkannt wird. Im zweiten Akt, der am Morgen des folgenden Tages spielt, erfährt Don César durch seine hartnäckigen Fragen, dass Aurora in Wahrheit nicht Gabriels Tochter ist. Im folgenden Verhör durch Don Rodrigo erhält dieser von Gabriel nur zweideutige Antworten hinsichtlich der Frage nach seiner wahren Identität. Der hinzu gerufene Marqués de Tavira erkennt in Gabriel Espinosa schließlich den portugiesischen König Don Sebastián, an dessen Seite er im Marokko-Feldzug gekämpft hat. Gabriel hingegen betont weiterhin, nur Bäckermeister zu sein. Aurora bekennt gegenüber Gabriel ihre Liebe und sagt ihm, dass er ihr im Schlaf verraten habe, sie sei nicht seine Tochter. Gabriel bestätigt dies, jedoch lässt er sie über ihre wahre Abstammung weiterhin im Unklaren. Als Don Rodrigo beschließt, ihn mit seiner Tochter ins Gefängnis nach Medina del Campo zu bringen, bietet Don César aus Liebe zu Aurora den beiden an, ihnen zur Flucht zu verhelfen, was Gabriel jedoch ausschlägt. Der dritte Akte spielt im Gerichtssaal des Gefängnisses von Madrigal, in dem Don Rodrigo den von der Folter gezeichneten Gabriel erneut zu verhören versucht, während er auf die Nachricht des Königs aus Madrid wartet, welche das Todesurteil enthält. In einem weiteren Verhör durch Don Rodrigo lässt Gabriel erkennen, dass er über Informationen verfügt, <?page no="62"?> Die Romantik in Spanien 62 die einen dunklen Schatten im Leben des Bürgermeisters enthüllen könnten. Im Gespräch mit Aurora versucht Don Rodrigo daraufhin, sich Klarheit zu verschaffen. Er verspricht ihr und Gabriel die Freiheit, sofern Aurora ihm die Wahrheit über ihre geheimnisvolle Abstammung verriete. Aurora gibt nach bestem Gewissen Auskunft über ihre Kindheit. Doch erst Gabriel vermag die tragischen Verbindungen zwischen den handelnden Figuren zu entschlüsseln. Es zeigt sich, dass Don Rodrigo einst Auroras Mutter Doña Inés im Kloster vergewaltigte. Zur Wiederherstellung der Ehre suchte Gabriel als Maskierter zusammen mit der geschändeten Doña Inés und einem Priester den Adligen im Schlaf in dessen Palast auf, wo er ihn zur Eheschließung mit Doña Inés zwang. Nach diesem kurzen Überfall habe Doña Inés dann ihr Leben im Kloster fortgeführt, in dem auch Aurora die ersten Jahre ihres Lebens verbrachte. Don Rodrigo hielt die Ereignisse hingegen für einen bösen Traum. Während der Bürgermeister in Anbetracht der Enthüllungen geistig verwirrt ist, wird Gabriel vom Henker abgeführt. Zu spät versucht Don Rodrigo seinem Aurora gegebenem Wort - der er ja beider Freilassung versprochen hatte - gerecht zu werden und die Hinrichtung zu verhindern. Nach Gabriels Tod übergibt Don César weisungsgemäß seinem Vater die ihm von Gabriel anvertrauten Dokumente, die zum einen enthüllen, dass Aurora in Wahrheit Don Rodrigos Tochter ist und der pastelero Gabriel Espinosa tatsächlich König Don Sebastián war. In Anbetracht dieser Enthüllungen verwünscht Aurora ihren entsetzten Vater und schreitet fort. <?page no="63"?> 3 Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 3.1 Die Leitbegriffe Religion, Wahrheit und Liebe Im Denken der Antike war die Idee des Schönen untrennbar mit der Idee des Guten im Sinne des moralisch Richtigen verbunden. Platon und Aristoteles verknüpften darüber hinaus das Schöne und Gute mit dem Wahren. 1 Die ontologische Frage nach dem Schönen ist im Denken Platons eröffnet worden: Das Schöne selbst ist von der Seinsart der Idee; und es ist der Eros, der den Menschen beglückend über alle Stufen des Schönen hinaus zum Schauen der immerwährenden Schönheit bewegt. 2 Die Einsicht in die Schönheit ist folglich der sinnlichen Erfahrung geschuldet. So wie das Schöne "klar, rein, hell, sauber, blank anzusehen ist" 3 , so steht es in engem Zusammenhang mit der "Unverdecktheit des Wahren“ und der "Tauglichkeit des Guten" 4 . Diese Verbindung stand noch im Zentrum der klasizistischen Poetik. Für die ästhetische Moderne konstatiert die Forschung hingegen eine Ausdifferenzierung dieser Bereiche. In der Romantik unterschied man - wie Brix für den französischen Kontext ausgeführt hat - eine ideale von einer moralischen Schönheit. 5 Das Schöne wandelt sich zum rein Ästhetischen, das Gute zum Gesollten und das Wahre zum bloß Wirklichen, " [...] so dass das unbedingte Gesolltsein des Guten, die positive Wirklichkeit des Wahren und das Schein-Spiel des Schönen einander widerstreiten. " 6 Blickt man mit Jacobs auf die Geschichte der Schönheit in der spanischen Literatur, so ist festzustellen, dass man im Siglo de Oro zwischen innerer und äußerer Schönheit differenzierte. Das angestrebte Ideal lag jedoch in der Übereinstimmung der äußeren Schönheit mit der inneren, welche sich aus dem Befolgen der ethisch-moralischen Regeln der Gesellschaft ergab, worin sich eine Nähe zur platonischen Triade zeigt. Im barocken Spanien lässt sich aber auch schon der modern anmutende Gedanke finden, der die Schönheit von der moralischen Zweckgebundenheit löst, wenn der Conde Bernardino de Rebolledo in seinem Discurso de la hermosu- 1 Vgl. Helmut Jacobs, Schönheit und Geschmack. Die Theorie der Künste in der spanischen Literatur des 18. Jahrhunderts, Frankfurt/ M: Vervuert 1996, S. 105. 2 Wolfgang Janke, "Das Schöne", in: Hans Michael Baumgartner, Christoph Wild (Hg.), Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Bd. III, München: Kösel-Verlag 1974, S. 1260-1276, hier: S. 1268 3 Ebd. S. 1270. 4 Ebd. 5 Vgl. Michel Brix, Le romantisme français, S. 202. 6 Vgl. Wolfgang Janke, "Das Schöne", S. 1274. <?page no="64"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 64 ra y el amor (1652) postuliert, man solle die Schönheit um ihrer selbst willen betrachten. 7 Im 18. Jahrhundert galt die Wahrheit noch als primäre Quelle der Schönheit. Im aufklärerischen Sinne wurde die Vernunft zum Wertmaßstab des Schönen. Der Vertreter der klassizistischen Poetik, Ignacio de Luzán, betont das Verhältnis von Schönheit und Wahrheit und verweist auf die Wirkung, die das Schöne auf den Verstand ausübt. Das Schöne, Gute und Wahre bilden somit auch für Luzán eine Einheit. 8 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts lässt sich aber bereits ein Wandel in der Auffassung des Schönen bei Gaspar Melchor de Jovellanos feststellen, der sich von der Konzeption der "belleza ideal" 9 distanziert, die er gar als Gespenst bezeichnet. Im Gegensatz zum neoclasicismo, der einem rationalen Schönheitsbegriff verpflichtet war, das Gefühl als zu vernachlässigende Kategorie erachtete, richtet die Romantik den Blick auf die Wirkung, welche die Schönheit auf die menschlichen Empfindungen hat. Sogar Alberto Lista, der - wie im zweiten Kapitel der vorliegenden Studie aufgezeigt wurde - phasenweise eine recht unentschiedene Position zwischen neoclasicismo und Romantik einnahm, siedelt die Schönheit nicht im Bereich der Ideen, sondern der Empfindungen an. 10 In seinen Studien zur Literatur forderte Lista, das Gute vom Schönen zu trennen, und zeigte sich auch offen für neue Konzepte romantischer Theoriebildung, wie das des Sublimen. 11 Lista unterscheidet in der Wirkung drei Formen von Schönheit: eine belleza sensual, die den Gesichts- und Hörsinn anspricht, eine belleza moral, die auf tugendhaften Taten beruht, und eine belleza intelectual, die aus der Erkenntnis der Wahrheit resultiere. 12 Die Wahrnehmung des Schönen verlagert Lista in das Innere des Subjekts, d.h. in dessen Einbildungskraft. Im Hinblick auf die Kunsttheorie der Romantik bedeuete dies, dass der Autor als Übersetzer seiner Ideen fungierte. Diese resultierten aus dem Zusammenspiel von Imagination und Memoria, denn "inventer c’est se ressouvenir." 13 Und dieses erinnernde Erfinden entwickelte sich über die Sinne. Die aus dem Sensualismus entspringende Vorstellung prägte - wie wir unter Kapitel 2.3 bereits ausgeführt haben - auch Antonio Alcalá Galianos Bemerkungen zur Ästhetik in seinem Prolog zum Moro Expósito (1834) des Duque de Rivas. Martínez de la Rosa löste das Schöne aus der Verpflichtung zur moralischen Belehrung und stellte es in den Dienst des Empfin- 7 Vgl. hierzu Helmut Jacobs, Schönheit und Geschmack, S. 110-113. 8 Vgl. Jacobs, S. 113. 9 Vgl. ebd., S. 164. 10 Vgl. María del Carmen García Tejera, Conceptos y teorías literarias españolas del siglo XIX: Alberto Lista, Cadiz: Universidad de Cadiz 1989, S.89. 11 Vgl. Hans Juretschke, "Reflexiones al bicentenario de Alberto Lista", in: Miguel Ángel Vega Cernuda (Hg.), España y Europa. Estudios de Crítica Cultural. Obras Completas de Hans Juretschke, II, Madrid: Ed. Complutense 2001, S. 907-924, hier: S. 917ff. 12 Vgl. Helmut Jacobs, Schönheit und Geschmack, S. 167. 13 Michel Brix, Le romantisme français, S. 227. <?page no="65"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 65 dens, und Lista führte diese Gedanken im Kontext der Ästhetik des Sublimen weiter aus. Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass der Schönheitsbegriff auch in Spanien innerhalb der romantischen Theoriebildung eine Transformation erfuhr. Es wird im Folgenden nun zu prüfen sein, welche Konsequenzen die Verschiebung im Verhältnis des Guten, Wahren und Schönen für das romantische Drama in Spanien hatte. Da Platon aus der Triade keine konkreten Postulate für die Dichtkunst ableitete, sollen im Folgenden - im heuristischen Sinne - die Religion (als ethische Kategorie), die Wahrheit (als Streben nach Erkenntnis) und die Liebe (als Medium des Schönen) als zentrale Leitbegriffe in der literaturwissenschaftlichen Analyse der romantischen Dramen fungieren. 3.2 Religion 3.2.1 Zur Legitimation der Rebellion im göttlichen Auftrag Die Religion stellt bereits in der Frühromantik einen zentralen Aspekt theoretischer Überlegungen dar. Wenn das Christentum aber als Ursprung der europäischen romantischen Kultur betrachtet wird, so geschieht dies meist außerhalb eines immanent theologischen Bezugsrahmens. Hier spielt die Tatsache mit hinein, dass die Romantik - von Aufklärung und Liberalismus geprägt - zugleich Säkularisierungstendenzen aufwies, die einem profunden christlichen Verständnis widersprachen. Vielmehr wird die Religion philosophisch aufgefasst und in die Sphären der Natur überführt. Das Streben nach einem Austausch mit dem Transzendentalen lässt die Natur zunehmend zum Refugium werden, in dem das romantische Subjekt die Aufgehobenheit sucht, die ihm durch die Zwänge in der Gesellschaft verwehrt bleiben. Gerhard Schulz betont, dass die Religion in der Romantik oft weit von dem entfernt war, was man im theologischen Sinne noch als christlich bezeichnen konnte. 14 Im Zusammenhang mit der Naturmethaphorik mündete die in der Romantik ebenfalls vorhandene Tendenz zur Sakralisierung in der Literatur in Formen der Ästhetisierung. Diese resultierten wiederum aus dem romantischen Kunstverständnis, innerhalb dessen die freie Imagination des Künstlers das Konzept der Genie-Ästhetik begründet. Im Folgenden gilt es zu betrachten, welche Antworten die romantischen Dramen in Spanien auf diese mit der Religion konnotierten Fragen geben. Die Forschung hat in Bezug auf den religiösen Themenkomplex schwerpunktmäßig den Begriff des Schicksals im romantischen Theater erörtert, das vordergründig eine dominante Stellung einnimmt. 14 Vgl. ebd., S. 9f. <?page no="66"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 66 a) Conjuración de Venecia In der Conjuración de Venecia 15 (1830/ 34) kreist die Handlung um die Frage nach der Legitimation einer politischen Revolte gegen eine tyrannische Herrschaft. Die Verschwörer treffen sich im Palast des Botschafters von Genua in Venedig, um ihren geplanten Aufstand gegen den tyrannischen Zehnerrat zu besprechen. Sie erörtern die Frage der Rechtmäßigkeit ihrer Revolte, die auf der Wiedererlangung der Freiheit Venedigs basiert. Diese a priori als gut angesehene Sache - der Einsatz für die Freiheit des Volkes - wird deklariert als gerechter Kampf im göttlichen Auftrag, wenn Mafei, einer der Verschwörer, feststellt: "Nuestra causa es la causa de Dios; y Él volverá por ella." (CV, 197) Während die Verschwörer durch ihre Berufung auf und ihren Glauben an Gott als positive Aktanten einer gerechten Sache auf der Bühne erscheinen, konterkariert die Berufung auf Gott von Seiten des Tribunals die Vertreter des tyrannischen Rates. So verlangt das Tribunal von den Verschwörern, bei ihren Zeugenaussagen auf Gott zu schwören, und versucht die Angeklagten unter Verweis auf das Jüngste Gericht weiter einzuschüchtern. (CV, 5, IV) Dies verstärkt sich noch dadurch, dass die Zuschauer bereits in einer der ersten Szenen des Stückes erfahren, dass der tyrannische Rat auch die Kirche unterdrückt hatte. Mafei erwähnt in der Unterredung mit den anderen Verschwörern: [...] ni aun nos queda el recurso, en medio de tantas desdichas, de recibir los consuelos de la religión y llorar siquiera en los templos! ... Cerradas sus puertas, prófugos sus ministros, interrumpidos los cánticos y sacrificios, en vano tendemos los brazos al Pastor santo de los fieles… (CV, 191) Generell treten der Held Rugiero und die anderen Verschwörer als gläubige Christen auf. (CV, 197) In ihrem Kampf für die Befreiung Venedigs wissen sie die kirchlichen Vertreter auf ihrer Seite: So entgegnet Mafei, nachdem er zunächst die Vertreter des Staates als Feinde Gottes bezeichnet hatte, in seiner Befragung vor Gericht dem dritten Vorsitzenden auf die Frage, wer ihm denn die Feinde Gottes benannt habe, recht deutlich: "Quien le representa en la tierra." (CV, 279) Dennoch sind die Verschwörer aber nicht völlig frei von jeglicher Form des Aberglaubens: So bezeichnet Mafei die Unterdrückung Venedigs als "maldición del cielo" (CV, 191), die über Venedig hereingebrochen sei, und Rugiero bemerkt: "Aun cuando la suerte nos fuese adversa, antes quiero perecer con las víctimas que no triunfar con los verdugos." (CV, 196f.) Die Schuld an den irdischen Unwägbarkeiten weisen sie somit einer nicht näher definierten Schicksalsmacht zu, die mit der Dogmatik des christlichen Glaubens jedoch unvereinbar ist. 15 Zitiert wird im Folgenden nach der von M. a José Alonso Seoane herausgegebenen Ausgabe La conjuración de Venecia, Madrid: Cátedra 1993 (Letras hispánicas, 344). Im Text verweisen die nach den Zitaten stehenden Seitenzahlen in Klammern auf diese Ausgabe, für die das Kürzel CV verwendet wird. <?page no="67"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 67 Aus einem Glauben an die Machbarkeit des eigenen Schicksals heraus, sind sie bereit zu kämpfen, vertrauen aber in ihrer Revolte auch auf den göttlichen Beistand, wenn beispielsweise Marcos Querini im Schlusssatz des ersten Aktes verkündet: "Vamos a poner todos los medios que pendan de nosotros…¡y cúmplase después la voluntad del cielo! " (CV, 197) Die Verschwörer nehmen somit eine vermittelnde Haltung ein zwischen der göttlichen Vorsehung und der freien Willenswahl. Wenn der dritte vorsitzende Richter während der Verhandlung zur Verurteilung der Verschwörer behauptet: "que hay una Providencia que vela por la conservación de los imperios." (CV, 268), so klingt das für den Zuschauer ebenso wenig überzeugend, wie Rugieros - in der Befragung vor Gericht geäußerte - Bekundung: "Yo no he tenido, desde que nací, más amparo que el de la Providencia." (CV, 288) Man möchte entgegnen, eine Providentia, die ihn als Kind die Eltern verlieren, ihn in Gefangenschaft fallen und als Mitglied einer Verschwörung den Tod vor dem Henker erwarten lässt, ist wohl kaum ein hilfreicher Schutz in seinem Leben gewesen, sondern verweist eher auf die romantische Ironie des Schicksals. Auch durch diese Äußerung Rugieros wird die These des Gerichtspräsidenten, Gott schütze die irdische Herrschaftsgewalt, weiter entwertet. In den Äußerungen der Verschwörer wird deutlich, dass der Glaube an einen wohlwollenden Gott, der die Geschicke des Menschen auf Erden leitet, erste tiefe Brüche aufweist. Der Glaube wird zwar noch nicht gänzlich über Bord geworfen, dennoch zeigt sich aber, dass die irdische Ordnung längst nicht mehr im göttlichen Sinne verläuft. Anders als noch im Theater des Siglo de Oro greift im romantischen Theater kein deus ex machina mehr für die gerechte Sache in die Handlung ein. Martínez de la Rosa zeigt in der Conjuración de Venecia das Drama des modernen Menschen, dessen innerer Kampf schließlich in den Freitod mündet. 16 Der Held löst sich jedoch noch nicht von seinem grundsätzlichen Glauben an Gott, der als Gott der Barmherzigkeit und Liebe angerufen wird. b) Los Amantes de Teruel In Los Amantes de Teruel 17 lässt sich eine ähnliche Tendenz feststellen. Zu den gesellschaftlichen Wertvorstellungen, die ins Wanken geraten sind, zählt auch der religiöse Glaube. So stehen die Glaubensäußerungen der handelnden Figuren auch hier im Kontrast zu dem nicht mehr konstatierbaren göttlichen Einfluss auf Erden. Die religiösen Äußerungen sind geprägt von einem gewissen Aberglauben, der das Geschehen auf Erden als Ausdruck des göttlichen Willens deutet, wohingegen der Betrachter in 16 Vgl. M. a José Alonso Seoane, "Introducción", in: Francisco Martínez de la Rosa, La conjuración de Venecia, S. 89. 17 Juan Eugenio Hartzenbusch, Los Amantes de Teruel, hg. von Carmen Iranzo, Madrid: Cátedra 6 1996 (Letras Hispánicas, 126). Im Text verweisen die nach den Zitaten stehenden Seitenzahlen in Klammern auf diese Ausgabe, für die das Kürzel LAT verwendet wird. <?page no="68"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 68 zunehmendem Maße erkennt, dass nicht Gott oder die Macht des Schicksals für die tragischen Ereignisse die Verantwortung trägt, sondern der Mensch selbst. So erklärt Don Pedro seiner Tochter Isabel die Eheschließung mit Don Rodrigo als Ausdruck des göttlichen Willens, um welches er Gott indirekt gebeten habe, um sein Rodrigo gegebenes Heiratsversprechen nicht einlösen zu müssen: Si la muerte puede sola mi palabra desatar, lléveme el Señor, y quede Isabel en libertad. (LAT, 107) Als Don Pedro das lebensbedrohliche Zusammentreffen mit Roger überlebt, sieht er sich umso mehr in der Verpflichtung, sein Wort einzulösen. (LAT, 108) Auch Marsillas Vater Martín prägt noch der Glaube an die göttliche Vorsehung. So wartet er die ganze Zeit über vergeblich auf ein Zeichen, das ihm vom Schicksal seines Sohnes künde. In großer Sorge zeigt er sich, da er sich daran erinnert, dass seinem Sohn bereits bei der Geburt sein tragisches Schicksal ins Gesicht geschrieben war. (LAT, 145) Bei der verspäteten Rückkehr des Sohnes verfällt Martín ebenfalls in eine gottergebene resignative Haltung, wenn er den Sohn damit zu beruhigen versucht, dass Gott es nicht anders gewollt habe und seine Eltern da seien, um den Verlust mit ihm zu beweinen. (LAT, 146) Diese gottergebene Haltung prägt schließlich auch die Figur der Isabel, die nach kurzem Aufbegehren ihre Entscheidung, sich zur Rettung der Ehre ihrer Mutter zu opfern, indem sie den ungeliebten Don Rodrigo heiratet, als göttlich motiviert deklariert: Sí, madre: mi vida es vuestra: dárosla me manda Dios, lo manda naturaleza. (LAT, 128) Diese Entscheidung verlangt hingegen weder ein Naturgesetz, noch hat der als barmherzig bezeichnete Gott sie Isabel direkt auferlegt, sondern sie entspringt der nüchternen Kasuistik des rigiden gesellschaftlichen Ehrenkodexes. Dies wird auch in der Szene der Begegnung Zulimas 18 mit Isabel deutlich, als letztere der als männlicher Bote verkleideten maurischen Königin im Sinne der romantischen Ironie entgegnet: "Os trajo Dios a mi puerta." (LAT, 123) Nicht der barmherzige Gott hat die Maurin zu Isabels Tür geschickt, sondern Zulimas Rachegelüste veranlassten sie dazu, Isabel 18 Christine L. Blackshaw ("It is the East and Zulima is the Sin: Shifting Representations of Muslim Spain in Hartzenbusch’s Los amantes de Teruel", in: Decimonónica, Bd. 6, Nr. 1, Winter 2009, S. 1-18) erläutert in ihrem Beitrag, inwiefern Zulima den gängigen Topoi des 19. Jahrhunders folgend als Anthithese zum christlichen Spanien inszeniert wird. <?page no="69"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 69 persönlich mit der falschen Nachricht vom Tod und der Untreue des Geliebten zu konfrontieren. Die romantischen Helden vertreten zwar noch in Personalunion das Gute und Schöne, sie sind nicht nur optisch erhabene Gestalten, sondern treten wie Rugiero für eine gerechte Sache ein oder kämpfen wie Marsilla um ihr Recht auf Realisierung ihrer Liebe. In der Conjuración de Venecia und Los Amantes de Teruel lässt sich eine dem liberalen Verständnis der beiden Autoren - Martínez de la Rosa und Hartzenbusch - entsprechende Religionsauffassung ablesen. Zugunsten der freien Willenswahl wird der Glaube an die göttliche Vorsehung in zunehmendem Maße eingeschränkt und eine abergläubige Schicksalsergebenheit erfährt eine erste kritische Sichtweise, die in den Dramen Macías und Trovador noch deutlichere Züge tragen sollte, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. 3.2.2 Liberale Kritik am religiösen Aberglauben Der Liberale Mariano José de Larra, der - wie Benjamin Kloss konstatiert - ein Deist war, d.h. "kein antiklerikal eingestellter Katholik, sondern Anhänger einer natürlichen Religion" 19 , zeigt in seinem romantischen Drama Macías 20 die Welt in einem säkularisierten Gewand. Gott wird zwar in emphatischen Ausrufen häufig erwähnt, in nur wenigen Ausnahmefällen hingegen von den Figuren tatsächlich direkt angesprochen, oftmals sind es nur Floskeln wie: ¡Vive Dios! (4x), ¡Dios mío! (2x), ¡por Dios! (1x), ¡Santo cielo! (1x), ¡Vive el cielo! (2x), ¡Cielos! (2x), ¡Dios santo! (1x) Wendungen, die zwar religiösen Ursprungs sind, wie Peñas Varela bemerkt, jedoch keineswegs von der Gläubigkeit des jeweiligen Sprechers Zeugnis ablegen. 21 Das romantische Heldenpaar Macías und Elvira ruft speziell in seinen respektiven Monologen zwar den Himmel an, doch während Elvira diesen noch um Beistand bittet: "¡Dios mío, dadme amparo, dadme fuerza y virtud! (M, 158) und "¡Cielos, amparadme! " (M, 188) verwandelt sich der glei- 19 Benjamin Kloss, Die Abhängigkeit und Loslösung Larras und Escosuras vom Modell des historischen Romans Walter Scotts, Berlin: Erich Schmitt Verlag 2003, S. 177. Zu Larras Religionsverständnis vgl. auch Ricardo Navas Ruiz, "La religión de Larra", in: Iris Zavala (Hg.), Historia y Crítica de la literatura española, V, Primer suplemento, Barcelona: Ed. Crítica 1994, S 123-127. Navas Ruiz zeichnet die religiöse Entwicklung des liberalen Schrifstellers nach, der nach einer spirituellen Krise im Jahre 1834 zu tieferer Gläubigkeit zurückgefunden habe und den religiösen Fanatismus ebenso wie die staatlichen Übergriffe gegen Klöster und Kirchen im Zuge der desamortización kritisierte. 20 Mariano José Larra, Macías, hg. von Luis Lorenzo-Rivero und George P. Mansour, Madrid: Espasa Calpe 1990 (Colección Austral). Im Text verweisen die nach den Zitaten stehenden Seitenzahlen in Klammern auf diese Ausgabe, für die das Kürzel M verwendet wird. 21 Vgl. Ermitas Peñas Varela, Macías y Larra: tratamiento de un tema en el drama y en la novela, Santiago de Compostela: Universidad de Santiago de Compostela 1992, S. 137. <?page no="70"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 70 che Ausruf in Macías' lyrischem Monolog mehr in eine Klage: "¡Cielo! ¿Y tu consientes una falsedad, / / que semeja tanto la propia verdad? " (M, 197), die deutlich macht, dass Gott sich aus dem irdischen Einflussbereich zurückgezogen hat und der Mensch nun in seinem Handeln auf sich allein gestellt ist. Elvira hingegen tritt als gläubige Christin auf, die jeden Morgen zum Gebet in die Kapelle des Palastes geht (M, 74), und auch in der dritten Szene des letzten Aktes verlangt sie von Macías, ihr bei Gott zu schwören, dass er ihr bei ihrem Freitod helfen werde: "Jura sobre esta cruz." (M, 206) Wenn man bedenkt, dass für den Christen der Freitod eine Sünde darstellt, dann zeigen sich in Elviras Haltung bereits erste Auflösungserscheinungen hinsichtlich des religiösen Glaubens. Im aufklärerischen Sinne steht die im Stück geäußerte Kritik am verbreiteten Aberglauben des Volkes, die innerhalb der sozialkritischen - unter dem Pseudonym des Figaro veröffentlichen - Artikel des Autors eine vorrangige Stellung einnimmt. 22 Im Gespräch Nuños mit Fernán erwähnt letzterer, dass den König in der Kathedrale von Sevilla ein Blitz getroffen habe, den man als "mala estrella del rey" (M, 85) gedeutet habe und dass zwei bekannte Astrologen dem König ein schlechtes Jahr vorausgesagt hätten. Diese Szene verdeutlicht schon, dass neben dem Verschwinden der göttlichen Vorsehung, die prägender Bestandteil der klassizistischen Tragödie war, auch das heidnische Schicksal seine Wirkkraft eingebüßt hat, wenn man sieht, in welch ironischem Licht die erwähnte Szene beleuchtet wird. Dies wird in den Worten Nuños deutlich: "¿Y tal rayo hirió algún hombre, / / o hizo por ventura daño? ", dem Fernán nur knapp entgegegnet: "Hizo poco." (M, 85) Auch Elvira spricht nur einmal von ihrem vermeintlich bösen Schicksal, wenn sie ihre Schönheit - Ursache für Fernáns Liebeswerben um sie - verwünscht: "Maldita belleza. Estrella / / maldita mía." (M, 90) Eine vom Volk in seiner Unkenntnis häufig vorgenommene Gleichsetzung von Astronomie mit Astrologie gipfelt in dem Reflexions-Monolog Don Enrique de Villenas in einer Verunglimpfung des Volkes. In einem Brief rät ihm der Schlüsselmeister des Calatrava-Ordens: pero tu con fácil traza podrás saber de la muerte de Macías nuevas claras antes que yo las remita, pues tanto en la judiciaria eres docto, si en tus líneas por su horóscopo las sacas ... (M, 112f.) Unwirsch entgegnet Don Enrique daraufhin: ¡Vulgo estúpido, ignorante! ¿Yo dado a la nigromancia? 22 Vgl. Benjamin Kloss, Die Abhängigkeit und Loslösung Larras und Escosuras, S. 172. <?page no="71"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 71 ¿Yo astrólogo? ¿Yo adivino? ¿Yo docto en la judiciaria? ¿Sólo porque ven más libros reunidos en mi casa que en todo el reino? (M, 113) Doch nicht nur im Volk ist das Unwissen weit verbreitet, auch bei Hofe ist die Lage kaum erfreulicher, wenn Don Enrique in seinem Monolog über den Analphabetismus klagt: "Gracias / / si seis u ocho cortesanos / / en toda la corte se hallan / / que sepan firmar, o dicten / / en mal romance una carta." (M, 114) Die Kritik über den vulgo mündet in den Ausruf: "Pueblo bárbaro, ¿me infamas? / / ¿De un caballero cristiano / / tan necias hablillas andan? / / ¿Porque sé de astronomía? " und gipfelt schließlich in der Drohung: "Algún día, vulgo necio, / / me servirá tu ignorancia." (M, 114) Im aufklärerischen Sinne wird hier einerseits Unbildung als Ursache für Machtlosigkeit, andererseits Wissen als Mittel zum Machtmissbrauch kritisiert. Wie verbreitet der Aberglaube auch am Hofe ist, zeigt das Gespräch des Kammerdieners Rui Pero mit dem Pagen Don Enrique de Villenas. Letzterer fürchtet um sein Seelenheil aus Angst vor Macías, der hier dämonisiert als "hechicero" bezeichnet wird. Und wieder einmal ist es wie im soeben geschilderten Fall des Don Enrique das Volk, das diese Gerüchte lanciert und den Pagen in Angst versetzt: Porque si el es hechicero, como la gente lo dice, y si sabe alzar figura, no doy por mi alma un cornado. (M, 127) Die Kritik am Volk wird im Wechsel zur nächsten Szene deutlich, wenn durch die Situationskomik die Angst des Pagen karikiert wird. So verkündet der Page, Macías werde "armado de punta en blanco, / / que parece un matasiete" (M, 128) erscheinen. Als Macías dann in der folgenden dritten Szene aber auftritt, erscheint er "armado a uso del siglo XIV, todo de negro." (M, 129) Der Kampf gegen Unbildung und Aberglauben des Volkes war eines der vorrangigen Ziele, die sich die Liberalen, zu denen Mariano José de Larra ebenso zählte wie Antonio García Gutiérrez, auf die Fahnen geschrieben hatten. Daher erweist sich in diesem Kontext auch ein Blick auf den Trovador 23 als erhellend. Die Grenzen zwischen dem religiös fundierten Glauben und dem Aberglauben des Volkes verschwimmen auch im Trovador. Negative Entwicklungen im eigenen Leben werden gerne mit einem bösen Stern, der das menschliche Schicksal bestimme, in Beziehung gesetzt. So bezeichnet Leonor die Tatsache, ohne Mutter aufgewachsen zu sein, als 23 Antonio García Gutiérrez, El Trovador, hg. von Carlos Ruiz Silva, Madrid: Cátedra 1997 (Letras Hispánicas, 221). Im Text verweisen die nach den Zitaten stehenden Seitenzahlen in Klammern auf diese Ausgabe, für die das Kürzel Tr verwendet wird. <?page no="72"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 72 "mi negra estrella enemiga" (Tr, 119), und Don Nuño spricht, als er Manrique erblickt, von "mi negra fortuna" (Tr, 123). In signifikanter Weise kommt der Aberglaube des Volkes in der expositorischen Szene des ersten Aktes des Stückes zum Ausdruck, in dem einige Diener des Conde de Luna im Palast in Zaragoza die Vorgeschichte erzählen. Ihre Schilderung ist geprägt vom typischen Volksaberglauben in Bezug auf Hexen und ihre vermeintlichen Fähigkeiten. So berichtet Jimeno, dass einst, vierzig Jahre zuvor, eine alte Zigeunerin in den Palast des Conde eindrang und Don Nuños Bruder Juan verhexte, so dass dieser immer weiter an Gewicht verlor und apathisch wurde. Nachdem die Zigeunerin auf Veranlassung des Conde als Hexe auf dem Scheiterhaufen endete, habe sich der gesundheitliche Zustand des Jungen zusehends verbessert. Wenig später sei er jedoch von der Tochter der Zigeunerin entführt worden, und man habe sein Skelett schließlich in der Feuerstelle entdeckt, auf der die Hexe verbrannt wurde. (Tr, 113) Animiert von dieser Geschichte erzählen die anderen Diener ebenfalls von übernatürlichen Ereignissen: Fernando glaubt, des Öfteren die umherirrende Seele der Zigeunerin gesehen zu haben, die sich in einen schwarzen Raben oder eine Eule verwandelt hätte. Diese Beschreibungen der in Tiere - vorzugsweise Vögel - verwandelten Hexen entspringen dem typischen abergläubischen Denken des Volkes. Fernando krönt seine Geschichten mit der Erzählung, dass ihm nachts einmal eine Hexe mit glühenden Augen begegnete, die er nur durch den Ausruf "¡Jesús! " (Tr, 114) habe verjagen könne, als sie ihn gerade mit ihren kalten Lippen küssen wollte. Über Manrique wissen die Diener ebenfalls zu berichten, dass er angeblich unter einem bösen Stern geboren wurde. (Tr, 117) Dieser verbreitete Aberglauben, der das Denken der handelnden Figuren prägt, vermischt sich mit deren religiöser Gläubigkeit. Die beiden romantischen Helden rufen zwar nicht mehr - wie noch ihre Vorgänger - ständig Gott um Hilfe an, erweisen sich aber dennoch als gläubige Christen. Im Falle Leonors, die vor den Plänen des Bruders im Kloster Zuflucht gesucht hat, zeigt sich dies in ihrem Gewissenskonflikt, der sich ihr daraus ergibt, dass sie nicht aus überzeugtem Glauben die Berufung als Nonne annimmt, sondern weil ihre Liebe zu Manrique ihr es verbietet, einen anderen Mann zu ehelichen und das Kloster der einzige Fluchtpunkt der Frau in der Gesellschaft der damaligen Zeit war. (Tr, 138) Auch Manrique wird von Gewissensbissen geplagt, ob er eine Frau, die kurz davor ist, den Schleier zu nehmen, aufgrund seiner Liebe aus dem Kloster entführen darf: "ya olvidarte debo yo, / / esposa de Jesucristo." (Tr, 140) Bei der Begegnung mit Leonor erkennt er jedoch: "No, Leonor, tus votos indiscretos / / no complacen a Dios; ellos le ultrajan." (Tr, 153) In dieser Szene widerspricht Leonor ihm noch. Unter Berufung auf den allmächtigen Gott, der ihr Schutz gewähre, bittet sie den Geliebten zu gehen. (Tr, 155) In ihrem Monolog in Szene V des vierten Aktes erkennt Leonor jedoch: "¿Esposa yo <?page no="73"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 73 de Dios? No puedo serlo." (Tr, 167), denn ihre Liebe zu Manrique stehe dem gläubigen Versprechen der Braut Christi entgegen: [...] tengo un amante que me adora sin fin, y yo le adoro, que no puedo olvidar sólo un instante. Ya con eternos vínculos el crimen a su suerte me unió... nudo funesto, nudo de maldición que allá en su trono enojado maldice un Dios terrible. (Tr, 167) Wie selbstverständlich reflektiert Leonor hier ihre eigene Entscheidung, ob sie die Berufung als Braut Christi guten Gewissens annehmen kann. Deutlich bekennt sie, dass ihr Glaube im Prinzip zu solch einem Schritt nicht ausreiche, das Kloster für sie aber den einzigen noch verbleibenden Zufluchtsort darstellte. Die ersten Säkularisierungstendenzen im Hinblick auf die religiöse Gläubigkeit der Protagonisten der zuvor diesbezüglich analysierten Dramen und die Kritik am verbreiteten Aberglauben des Volkes stehen im Einklang mit der liberalen Auffassung der romantischen Dramatiker. Letzteres war zentrales Anliegen der in diesem Sinne noch in der Tradition der Aufklärung stehenden Liberalen. Die romantischen Dramatiker waren nicht nur Anhänger der liberalen Doktrin, sondern wurden wie Martínez de la Rosa, Larra, Alcalá Galiano und der Duque de Rivas auch politisch aktiv. Infolgedessen überrascht es nicht, dass die genannten Autoren in ihren Werken liberale Diskurse einfließen ließen, die auch von einem im Wandel befindlichen religiösen Diskurs Zeugnis ablegen. Welche Wirkung dieser Wandel auf die Figur des Helden hatte, werden wir im Folgenden näher beleuchten. 3.2.3 Der romantische Held Die romantischen Helden verfügen ausnahmslos über einen erhabenen Charakter, sie sind tugendhaft, tapfer, mutig und in der Regel auch gläubig. Dennoch legen sich über ihre erhabenen Charaktere dunkle Schatten, die wie im Falle Rugieros (CV), Don Álvaros (DA), Marsillas (LAT) und Gabriels (TIM) mit ihrer ungewissen Herkunft zusammenhängen. Rugiero erfährt erst im Tod, dass er doch adliger Abstammung war, somit kein Paritätskonflikt einer Heirat mit Laura entgegenstand. Marsillas wahre, adlige Herkunft, die ihm eine Heirat mit Isabel ermöglicht hätte, wird erst im Moment des Vollzugs der Todesstrafe durch seinen Bruder von der Zigeunerin Azucena enthüllt. Don Álvaro und Gabriel hingegen wissen zwar um ihre adlige Herkunft, politische Umstände verhindern jedoch, dass sie ihr Wissen preisgeben. Der Troubadour Manrique (Tr) stammt zwar eindeutig aus der unteren Gesellschaftsschicht, doch gelangt er durch seine Taten zu Ruhm und Reichtum. Dennoch führt ihn dies nicht zu sei- <?page no="74"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 74 nem begehrten Ziel einer Eheschließung mit Leonor. Don Juan Tenorio (DJT) ist schließlich der einzige Held des spanischen romantischen Dramas, dessen Herkunft von Beginn an geklärt ist, der aber den an ihn gestellten gesellschaftlichen Erwartungen nicht gerecht wird. Die gesellschaftliche Wertschätzung wird den romantischen Helden allein dadurch nicht zu teil, dass sie einem - in den oben genannten Fällen oftmals auch nur vermuteten - niedrigeren Stand entstammen. Im Sinne der romantischen Ironie erfahren einige der Helden erst im Tod, andere hingegen gar nicht, dass sie doch adliger Abstammung sind und somit der Paritätskonflikt de facto gar keinen Bestand hatte. Während Rugiero (CV), Macías und Manrique (Tr) sich dem vermeintlichen Schicksal beugen und die Erfüllung ihrer Liebessehnsucht im gläubig angenommenen Tod suchen, rebellieren Marsilla (LAT), Don Álvaro (DA) und Don Juan (DJT) nicht nur gegen die gesellschaftlichen Wertvorstellungen, sondern auch gegen den Schöpfer, was zur Dämonisierung ihrer Charaktere führt, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. a) Los Amantes de Teruel In Los Amantes de Teruel wird Marsilla zunächst als gläubiger Christ beschrieben, der für die Reconquista heldenhaft sein Leben einsetzt. Bei seiner - von ihm unverschuldet - verspäteten Rückkehr eröffnet ihm sein Vater Martín, dass Isabel bereits den Rivalen geheiratet habe, und verlangt resigniert von ihm, den göttlichen Willen zu akzeptieren: "Dios lo ha querido así" (LAT, 146), "castigue Dios al culpable" (LAT, 149). Marsilla hingegen ist nicht gewillt, die Ehe zwischen Isabel und Don Rodrigo als göttliche Bande anzuerkennen. So rächt der Trovador sich selbst im Duell an Rodrigo, woraufhin beide von Teresa, die zufällig Zeugin des Duells wird, als "ánimas del infierno" (LAT, 152) bezeichnet werden. Trotz dieser für den romantischen Helden typischen gesellschaftlichen Ausgrenzung, die mit fortschreitender Romantik in die Stilisierung des romantischen Helden als Dämon mündete, erweist sich Marsilla aber bis zum Schluss als gläubig. Mehrfach ruft der Held Gott direkt an, den er als "Dios de la clemencia" (LAT, 158) bzw. "Gran Dios" (LAT, 164) bezeichnet. Die Tatsache, dass Marsilla bis zum Schluss trotz der Dämonisierung seiner Person der positiv besetzte Held des Dramas bleibt und die Gesellschaftskritik am Beispiel der Figuren Don Rodrigos und Don Pedros, sowie das vermeintlich Gott ergebene, passive Verhalten Martíns deuten darauf hin, dass der Mensch zunehmend für sein Dasein verantwortlich zeichnet und die göttliche Macht nicht mehr die Geschicke der Welt leitet. <?page no="75"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 75 b) Don Álvaro o la fuerza del sino 24 Auch Don Álvaro verkörpert die Figur des ambivalenten romantischen Helden. Ihn prägen sowohl die erhabenen Charakteristika des positiven Helden, der gläubig, heldenhaft und tugendhaft ist, auf der anderen Seite aber aufgrund des dunklen Schattens, der sich über seine Abstammung legt, von gewissen Kreisen der Gesellschaft ausgegrenzt wird. Während Teile der Gesellschaft ihm für seine ruhmreichen Taten Anerkennung zollen, wird er von den Söhnen des Marqués, den Vertretern der adligen Schicht, verfolgt. Beide nötigen ihn zum Duell, aus dem er jeweils siegreich hervorgeht. In Szene III des fünften Aktes erscheint Don Alfonso im Convento de los Ángeles, um sein Lebensziel zu erfüllen und den vermeintlichen Mörder seines Vaters zu töten. Durch den Einsatz biblischer Metaphorik - der Dämon als Inkarnation des Bösen - wird die Dramatik des Stückes in den letzten Szenen noch erhöht, wobei die Zuweisungen ihre Eindeutigkeit verlieren und am Ende beide Rivalen mit den Metaphern des Bösen belegt werden. Hatte schon Hermano Melitón in Padre Rafael den in den Ordenschroniken angekündigten Dämon vermutet (DA, 151), so sieht Don Álvaro in seinem Rivalen Don Alfonso die Inkarnation des Teufels ("monstruo del infierno" DA, 166), der ihn erneut auf die Probe stellen will: Y vos, hombre o ilusión, ¿sois, por ventura, un tentador que renueva mis criminales angustias para perderme? (DA, 159) In dieser grotesk anmutenden Szene im Kloster, die zum Vollzug des Duells schließlich in die erhaben anmutende Natur verlagert wird, zeigt sich, dass die Welt längst aus dem Gleichgewicht geraten ist. Eindeutige Zuweisungen sind nicht mehr möglich. Schließlich definiert sich der Held selbst als: "Yo soy un enviado del infierno, soy el demonio exterminador..." (DA, 189), um sich sodann mit einem diabolischen Lächeln und den Worten "¡Infierno, abre tu boca y trágame! " (DA, 169) in den Abgrund einer Schlucht zu stürzen. Die romantische Szenerie der rauen Bergkulisse inmitten des stürmenden Gewitters, von Donnerschlägen und Blitzen erschüttert, gemahnt biblische Anspielungen und erinnert so an das Jüngste Gericht des zürnenden Gottes. Das Groteske und Erhabene gehen in der Schluss-Szene eine eindrucksvolle Synthese ein: der romantische, erhabene Held, muss nicht nur auf sein weltliches Glück (seine Liebe zu Leonor) verzichten, sondern bezichtigt sich selbst - in Anbetracht einer aus den Fugen geratenen Welt - als Dämon. Während Ernest Grey die Schluss-Szene in der ikonographischen Tradition des Gefallenen Engels Luzifer deutet, d.h. dass Don Álvaro am Ende 24 Duque de Rivas, Don Álvaro o la fuerza del sino (1835), hg. von Alberto Sánchez, Madrid: Cátedra 1996 (Letras Hispánicas, 33). Im Text verweisen die nach den Zitaten stehenden Seitenzahlen in Klammern auf diese Ausgabe, für die das Kürzel DA verwendet wird. <?page no="76"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 76 Opfer seines eigenen Stolzes wurde, 25 sieht Casalduero in der Selbstbezichtigung als Dämon einen Hinweis darauf, dass der romantische Held sich in Anbetracht seiner ausweglosen Situation der absoluten Resignation ausliefert. 26 Wenn alle Gewissheiten in Frage gestellt werden, so erscheint auch Don Álvaros Gott ergebenes Leben im Kloster im Schein der Absurdität des Lebens schlechthin. Die romantische Form der Weltentsagung des Helden, die dieser in Anspielung auf die Dämonisierung seiner eigenen Person am Ende durch seinen Sturz in den Abgrund vollzieht, steht in der ikonographischen Tradition der Romantik. Die Metapher des Abgrundes 27 wurde bereits in der deutschen Frühromantik verwendet (z.B. Novalis' Hymnen an die Nacht und Hölderlins Empedokles). Dort wird wie im Don Álvaro die Erhabenheit des der Welt entsagenden Helden durch den Kontrast mit der grotesk anmutenden Todessehnsucht unterstrichen. Im Don Álvaro untermalen dies zudem akustisch noch die erhabenen Misericordia- Gesänge der Mönche. c) Don Juan Tenorio 28 Im Vergleich zu den anderen romantischen Helden tritt Don Juan Tenorio von Beginn an - wie seine literarischen Vorgänger (Burlador de Sevilla, etc.) - als gesellschaftlicher Rebell auf die Bühne, der die traditionellen Werte wie Ehre und Tugend negiert. Zahlreich sind die Anspielungen auf eine Analogie zwischen Don Juan und dem Teufel: Don Luis nennt Don Juan "satanás" und glaubt: "Más lleva ese hombre consigo / / algún diablo familiar." (DJ, 116) Eine Einschätzung, die Doña Inés' Vertraute Brígida im Kloster durchaus teilt: "Preciso es que tu amo tenga algún diablo familiar." (DJ, 154) Nichtsdestotrotz preist Don Juans Diener Ciutti seinen Herrn als "franco", "noble" und "bravo […] Como un pirata." (DJ, 81) und rühmt seinen Mut 29 und seine Kühnheit: "No he visto hombres / / de corazón más audaz; […]" (DJ, 155) Durch diese Skizzierung und sein Handeln erweist sich Don Juan als typischer romantischer outlaw, ein Held, der gegen die gesellschaftlichen Wertvorstellungen opponiert und dem ob seines Mutes auch die Verehrung der Gesellschaft zu Teil wird. 25 Vgl. den Beitrag von Ernest Grey, "Satanism in Don Álvaro", in: Romanische Forschungen, Bd. 80, 1968, S. 292-302. 26 Vgl. Joaquín Casalduero, "Don Álvaro o el destino como fuerza", in: Ders. (Hg.), Estudios sobre el teatro español, Madrid: Gredos 1974, S. 237-272, hier: S. 258. 27 Vgl. Karl-Heinz Bohrer, Der romantische Brief. Die Entstehung ästhetischer Subjektivität, München: Carl Hanser Verlag 1987, S. 144. Bohrer erläutert in dieser Studie das literarische Empfindsamkeitsmotiv des 'hohen Menschen' und die Metapher des Abgrunds am Beispiel von Kleists Briefen vom 19. und 20.1.1811. 28 José Zorrilla, Don Juan Tenorio, hg. von Aniano Peña, Madrid: Cátedra 17 1995 (Letras Hispánicas, 114). Im Text verweisen die nach den Zitaten stehenden Seitenzahlen in Klammern auf diese Ausgabe, für die das Kürzel DJ verwendet wird. 29 Don Juans Mut unterstreicht auch Don Luis in folgendem Zitat: "el valor es proverbial / / en la raza de Tenorio" (117), als er zu Recht den Verlust seiner Ehre befürchtet. <?page no="77"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 77 So kamen die zum Ablauf des plazo im Gasthaus zahlreich erschienenen Sevillaner nicht allein aus Neugier zu dem Treffen zwischen den beiden Kontrahenten, sondern um ihnen ihren Respekt zu zollen. Dies bezeugen die Freunde der beiden Rivalen Don Rafael de Avellaneda und der Capitán Centellas, die sich nicht scheuen, einen Wetteinsatz auf Don Juan respektive Don Luis zu setzen, so als wären Heldentaten Gegenstand der Wette. (DJ, 93) Tatsächlich ging es bei der Wette aber darum, "quién de ambos sabría obrar / / peor, con mejor fortuna." (DJ, 99) Don Juan und Don Luis haben ein Jahr lang versucht, sich gegenseitig bei ihren Schandtaten zu übertreffen. Ihre respektiven Berichte zeugen von zahlreichen Grenzüberschreitungen, ähneln sich aber nur auf den ersten Blick: Por donde quiera que fui, la razón atropellé, la virtud escarnecí, a la justicia burlé, y a las mujeres vendí. Yo a las cabañas bajé, yo a los palacios subí, yo los claustros escalé, y en todas partes dejé memoria amarga de mi. (DJ, 101) Denn während Don Juans Schandtaten im Sinne des romantischen outlaw Kühnheit und Heldenmut vermitteln, steht Don Luis ihm zwar in nichts nach, aber bei genauerer Betrachtung wird doch deutlich, dass Don Luis nicht den Spiegel Don Juans bildet, sondern vielmehr nur ein schwaches Abbild, das von Feigheit und Niedertracht geprägt ist: y me uní a unos bandoleros. Lo hicimos bien, ¡voto a tal! , y fuimos tan adelante, con suerte tan colosal, que entramos a saco en Gante el palacio episcopal, [...] juróles yo amistad franca: pero a la noche siguiente huí, y les dejé sin blanca. Yo me acordé del refrán de que quien roba al ladrón ha cien años de perdón, y me arrojé a tal desmán mirando a mi salvación. (DJ, 102-103) Don Luis berichtet, wie er sich aus dem Gefängnis freikaufte, auf seiner Flucht anschließend einen Priester tötete, um in Paris schließlich zahlreiche Frauen zu verführen. Nachdem er dreimal sein Vermögen verloren hatte, traf er bei seiner Rückkehr nach Sevilla die Vereinbarung, die reiche Doña <?page no="78"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 78 Ana zu ehelichen, um fortan sein Auskommen zu sichern. (DJ, 104) Bereits in dieser Selbstdarstellung offenbart der Adlige Don Luís seine Abhängigkeit von materiellen Werten. Nicht der romantische Heldenmut eines Don Juan lässt ihn die Schandtaten begehen, sondern der materielle Wert des Geldes ist sein einziger Motivationsgrund. Dem Vergleich mit Don Juan hält Don Luis auch in der quantitativen Erhebung der Schandtaten nicht Stand. Seine Liste weist 23 Tote im Vergleich zu 32 auf Seiten Don Juans auf, sowie 56 verführte Frauen im Vergleich zu 72. (DJ, 105) Zudem ist Don Juans Liste auch "qualitativ" höherwertig: Desde una princesa real a la hija de un pescador, ¡oh! , ha recorrido mi amor toda la escala social. (DJ, 105f.) Wie schon sein Vorgänger, der Burlador de Sevilla, macht Don Juan Tenorio keinen Unterschied zwischen den einzelnen Ständen der Gesellschaft. Während seine Schandtaten heldenhafte Züge tragen, er die romantische Idealisierung des nach absoluter Freiheit strebenden outlaw verkörpert, die Espronceda in der Canción del pirata (1840) so treffend zum Ausdruck brachte, sind diejenigen Don Luis' von Niedertracht und geldwertem Vorteil geprägt. Trotz der Dämonisierung der Figur des Don Juan lässt sich somit an derjenigen des Don Luis eine Kritik an der zunehmenden Kapitalisierung der Gesellschaft ablesen. Im Don Juan Tenorio wird der bürgerlichen und adligen Schicht der Gesellschaft der Spiegel vorgehalten. Beim ersten Auftreten der jeweiligen Vertreter werden Don Gonzalo de Ulloa (comendador de Calatrava) und Don Pedro Tenorio als "par de hombres de piedra" (DJ, 91) bezeichnet, die unnachgiebig auf den Prinzipien der Ehre und Gerechtigkeit beharren. Die Symbolik des Steins verweist auf die Kälte und Gefühllosigkeit der Väter, mit der sie ihre Kinder behandeln. So stellt Inés, die im Kloster fern der Gesellschaft einen dornröschenhaften Schlaf führt, 30 für ihren Vater Gonzalo de Ulloa nur einen Warenwert dar: sein Besitztum ("mi tesoro"), Symbol seiner Ehre ("mi honor") und er will sie lieber tot, denn als Frau Don Juans wissen: Porque antes que consentir en que se case con vos, el sepulcro, ¡juro a Dios! , por mi mano la he de abrir. (DJ, 108) 30 Vgl. Richard Cardwell, "Especula(riza)ción en la otra mujer: La Inés de 'Don Juan Tenorio'", in: Javier Blasco Pascual, Ricardo de la Fuente Ballesteros, Alfredo Mateos Paramio (Hg.), Actas del Congreso sobre José Zorrilla. Una nueva lectura, Valladolid: Universidad de Valladolid/ Fundación Jorge Guillén 1995, S. 25-43, hier: S. 33. <?page no="79"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 79 Ähnlich wie Gonzalo de Ulloa, der dem schließlich unterwürfigen Don Juan am Ende des ersten Teils die Vergebung verwehrt, bricht Don Pedro Tenorio mit seinem Sohn ("mas nunca vuelvas a mí; / / no te conozco, Don Juan." DJ, 109). Auch Don Luís, als weiterer Vertreter der bürgerlichen Schicht, ist keine sonderlich positiv besetzte Figur im Drama. Im Wetteifern mit Don Juan bildet er weniger dessen Spiegelbild als vielmehr den kritischen Spiegel der Gesellschaft: nachdem er seinen Besitz dreimal durchgebracht hat, will er nun durch die Heirat mit der reichen Doña Ana sein Auskommen sichern. Im Duell um die Ehre der Unehrenhaftigkeit zögert er nicht, seine Braut aufs Spiel zu setzen, um sich anschließend umso bitterlicher bei Don Juan zu beklagen. In allen drei Fällen zeigt sich eine Verabsolutierung des Ehrbegriffes, der dem Menschen für den Fall der Verletzung der Ehre kasuistisch eine determinierte Handlungskette auferlegt. Der Ehrverletzung folgt die Forderung nach Satisfaktion, d.h. nach einem Duell. Weder Don Gonzalo noch Don Luis stellen ihr eigenes Handeln und ihre tradierten Wertvorstellungen in Frage. Für beide stellt die Frau den Garant ihrer persönlichen Ehre und einen Warenwert dar. Ihre Ehre beruht allein auf der adligen Abstammung, nicht auf guten Taten bzw. einem edlen Charakter. Diese durchweg negative Charakterisierung der bürgerlichen Gesellschaft deutet darauf hin, dass in dem Stück eine andere als die allgemein postulierte Lesart der christlichen Erneuerung zu suchen ist. Der ungeheure Erfolg des Stückes wird von Seiten der Forschungsliteratur auf die christliche Deutung des Dramas zurückgeführt. So argumentiert Beatrix Kampel der Don Juan Tenorio habe der Romantik in Spanien ein Ende bereitet, in dem Drama "spiegel[e] sich Zorrillas Einverständnis mit einer nationalen Erneuerung Spaniens aus dem Geiste katholischer Dogmen." 31 Das Stück reflektiere die Rückkehr der bürgerlich-liberalen Kräfte zu traditionellen Werten wie Vaterland, Familie und Ehre in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts. Tatsächlich triumphierte in dem durch die Karlistenkriege erschütterten Land 1843 zwar die Konterrevolution, welche die progressistische Opposition zerbrach, dennoch bleibt aber fraglich, ob der Autor, der nie politisch Stellung bezog und sein Leben ganz in den Dienst der Künste stellte, in dieser Form zu vereinnahmen ist und ob man dem Drama mit einer solch eindimensionalen Deutung im Sinne einer bürgerlichen Reaktion tatsächlich gerecht wird. Die vorangegangene Analyse zeigte demgegenüber, dass die Figuren, welche die bürgerlich-adligen Schichten repräsentieren, keineswegs als vorbildhaft skizziert, sondern im Gegenteil kritisch beleuchtet werden. Werfen wir daher einen Blick auf Don Juan und insbesondere auf Doña Inés, denn ihr hat der romantische Held seine Erlö- 31 Beatrix Kampel, "Verführer und Rebell. Zur romantischen Ausprägung der Don- Juan-Figur bei Lenau und Zorrila", in: Germanisch-Romanische Monatssschrift 37, 1987, S. 68-89. <?page no="80"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 80 sung zu verdanken. Doña Inés wird von ihrer Dienerin Brígida als tugendhaft und unschuldig dargestellt: ¡Dichosa, sí, doña Inés, que no conociendo el mundo, no le debéis de temer. [...] pues ignorando lo que hay tras esa santa pared, lo que tras ella se queda jamás apeteceréis. (DJ, 138) ¡Ay! En verdad que os envidio, venturosa doña Inés, con vuestra inocente vida, la virtud del no saber. (DJ, 139) Ihren unschuldigen Charakter, der auf ihrer fehlenden Lebenserfahrung basiert, sucht der Vater Don Gonzalo de Ulloa dadurch zu bewahren, dass er sie zeit ihres Lebens in der Abgeschiedenheit eines Klosters hat aufwachsen lassen, um sie im heiratsfähigen Alter an einen geeigneten Ehemann zu vermitteln. Welche Interessen Don Diego Tenorio und Don Gonzalo de Ulloa bei ihrer Übereinkunft, eine Hochzeit ihrer Kinder zu arrangieren, geleitet haben, bleibt im Drama eine Leerstelle. Als dieses Projekt in Anbetracht des wenig ehrenvollen Handelns Don Juans scheitert, plant der Vater die Berufung seiner Tochter zur Braut Christi zu beschleunigen. Ihre Tugend hat Inés derweil kaum unter Beweis stellen können, sie beruht anscheinend allein auf ihrer Unschuld, die sicherlich auch Grundlage dafür ist, sie später in den Bereich des Göttlichen zu stellen. Die Tatsache, dass Doña Inés und auch Don Juan - der Dämonisierung seiner Person zum Trotz - die positiv besetzten Helden des Stückes sind und die Vertreter der adligen Schicht - Don Gonzalo de Ulloa, Don Luís und Don Pedro Tenorio - im negativen Licht beleuchtet werden, widerspricht bereits einer Vereinnahmung des Don Juan Tenorio unter eine Lesart der bürgerlichen Restauration. In den Vertretern des Adels werden gerade das bürgerliche Machtstreben und die Kapitalisierungstendenzen der Gesellschaft kritisch beleuchtet, während die Liebe der Doña Inés, die Don Juans Wesen zu verändern vermag, hingegen positiv erscheint. 32 Die Wandlung Don Juans wurde von Seiten der Forschungsliteratur generell in den Kontext der religiösen Ethik gestellt, die Rettung seiner Seele im Sinne der göttlichen Gnadenlehre verstanden, als deren Instrument Doña Inés gedeutet wurde. 33 Betrachten wir daher im Folgenden die Frage der Erlösung Don Juans. 32 Vgl. hier das Kapitel 3.4 zum Liebesdiskurs. 33 So z.B. David Th. Gies, "José Zorrilla and the Betrayal of Spanish Romanticism", in: Romanistisches Jahrbuch, Bd. XXXI, 1980, S. 339-346, hier: S. 346. Schon Ermanno Caldera hegte jedoch Zweifel daran, dass Zorrilla mit diesem Drama ein religiöses Er- <?page no="81"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 81 3.2.4 Zur göttlichen Gerechtigkeit und Erlösung a) Don Juan Tenorio Während in den anderen romantischen Dramen die göttliche Gerechtigkeit auf Erden von den Helden am Ende nicht mehr erwartet wird, die Erfüllung des Glücksstrebens sich ins Jenseits verlagert, steht das Thema der göttlichen Erlösung des Menschen im Don Juan Tenorio zunächst im Mittelpunkt. Den innovativen Kern des Dramas bildet die gläubige Wandlung Don Juans, die Grundlage seiner späteren Erlösung sein wird. Diese Wandlung ist von Beginn an im Stück angelegt und eng mit der Figur der Doña Inés verbunden. Bereits in der ersten Szene, verfasst Don Juan den Liebesbrief an Doña Inés, der seine Wandlung bewirken wird. 34 Bereits beim ersten Treffen mit Brígida in Sevilla zeigt Don Juan in Folge der Beschreibung von Doña Inés' Schönheit erste Anzeichen dieser Wandlung, wenn er geradezu geistig entrückt seine Geliebte mit den Worten anbetet: Oh! Hermosa flor, cuyo cáliz al rocío aún no se ha abierto, a trasplantarte va al huerto de sus amores Don Juan. (DJ, 131) Brígida scheint ihren Geldgeber kaum wiederzuerkennen und glaubt, ihren Ohren nicht zu trauen: "yo os creía un libertino / / sin alma y corazón." (DJ, 131, VV 1322-1324) Zwar setzt Don Juan danach die Liste seiner Schandtaten fort, indem er Inés in sein Landhaus bringen lässt und derweil die Zeit zur Verführung Doña Anas nutzt, aber zurück im Landhaus vollzieht sich die Wandlung des Don Juan vom Saulus zum Paulus. In der viel zitierten Sofa-Szene (I, 4, III) besingt er Doña Inés gegenüber in lyrischem Ton seine Liebe, die er nun auch erstmals in Beziehung zu Gott stellt, wenn er das Bekenntnis seiner Wandlung ablegt: ¡Alma mía! Esa palabra cambia de modo mi ser. [...] No es, Doña Inés, Satanás quien pone este amor en mí: es Dios que quiere por ti ganarme para él quizás [...] no es un amor terrenal. (DJ, 166) Diese Wandlung des romantischen Helden ist jedoch nur von kurzer Dauer. Als Don Gonzalo de Ulloa, der Vertreter der alten Werte und Traditionen, im Landhaus auftaucht, verweigert er dem reuigen Sünder, der sogar bauungsstück geschrieben hätte. Vgl. Ermanno Caldera, El teatro español en la época romántica, Madrid: Castalia 2001, S. 192. 34 Vgl. zum Diskurs des Liebesbriefes und zum Aspekt der Wandlung des Don Juan auch das Kap. 3.4.5. <?page no="82"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 82 dazu bereit ist, sich seinem Schwiegervater in spe zu unterwerfen, 35 seine Vergebung und Don Juans Bekenntnis der Wandlung führt ins Leere: Lo que justicias ni obispos no pudieron de mí hacer con cárceles y sermones, lo pudo su candidez. Su amor me torna en otro hombre, regenerando mi ser, y ella puede hacer un ángel de quien un demonio fue. (DJ, 175, Doch Gonzalo will Inés lieber tot als in Don Juans Händen wissen, wirft ihm Feigheit vor. Den Comendador interessiert die religiöse Rettung Don Juans nicht im Geringsten: "¿Y qué tengo yo, Don Juan, / / con tu salvación que ver? " (176) Don Juan macht ihn sodann für das Geschehen verantwortlich: Y venza el infierno, pues. Ulloa, pues mi alma así vuelves a hundir en el vicio, cuando Dios me llame a juicio, tú responderás por mí. (DJ, 178) Die so naheliegende Wandlung Don Juans scheitert an der Arroganz und dem Starrsinn der Vertreter der alten Ordnung, und so bleibt die christliche Gläubigkeit des Helden - die zu diesem Zeitpunkt zudem noch wenig glaubwürdig erscheint - zunächst nur Episode: Llamé al cielo y no me oyó, y pues sus puertas me cierra, de mis pasos en la tierra responda el cielo, y no yo. (DJ, 179) Die endgültige Wandlung vollzieht sich somit erst, als Don Juan fünf Jahre nach dem Duell mit Don Gonzalo de Ulloa und Don Luis nach Sevilla zurückkehrt und den Palast des Vaters aufsucht, der inzwischen in einen Pantheon für die Toten, die Don Juan auf dem Gewissen hat, umgewandelt wurde. Es erscheinen ihm die Schatten der Vergangenheit, um ihm eine letzte Möglichkeit zur Rettung seiner Seele anzubieten. Doch erst der Schatten der Doña Inés, die nach ihrem Tod ihr Seelenheil Gott zum Pfand anbot, um die Seele des Geliebten zu retten, 36 vermag dem Sünder den nötigen Glauben an Gott zu vermitteln. In letzter Sekunde bekennt Don 35 "Yo seré exclavo de tu hija, / / en tu casa viviré, / / tú gobernarás mi hacienda, / / dieciéndome esto ha de ser. / / El tiempo que señalares, / / en reclusión estaré; " (DJ, 175) usw. "yo la daré un buen esposo / / y ella me dará el Edén." (DJ, 176) 36 Inés knüpft ihre Erlösung an Don Juan: "mas si obras mal, causarás / / nuestra eterna desventura." (DJ, 196) <?page no="83"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 83 Juan sich mit der Formel "yo santo Dios, creo en Ti," (224) zu seinem Glauben. Doña Inés fügt dem noch hinzu: y sólo en vida más pura los justos comprenderán que el amor salvó a Don Juan al pie de la sepultura. (225) Das Drama schließt mit den Worten Don Juans "es el Dios de la clemencia, / / el Dios de Don Juan Tenorio." (226) Der Gott Don Juan Tenorios ist folglich nicht mehr der strafende Gott des Alten Testaments, für den Gonzalo de Ulloa stellvertretend steht, der Don Juan in den Abgrund der Hölle ziehen will, sondern ein Gott der Liebe und Barmherzigkeit. Trotz der kundigen Versuche Aniano Peñas, die religiösen Aspekte dieser Wandlung herauszustellen, 37 ist Ermanno Caldera beizupflichten, der schon konstatierte: "Es que ni por asomo quiso el autor escribir un tratado teológico, […]" 38 Der romantischen Liebe entsprechend wird die religiöse Dimension der Wandlung entsakralisiert, während die Liebe des Heldenpaares sakralisiert wird. 39 b) Traidor, inconfeso y mártir In Zorrillas Traidor, inconfeso y mártir 40 wird der sich als pastelero de Madrigal ausgebende Gabriel Espinosa als gläubiger Mensch dargestellt, der sich gottergeben in sein vermeintliches Schicksal fügt. ("yo accepto mi fortuna / / la que el cielo me dé" TIM, 137 und "Mártir me quiere Dios y obedecerle / / es fuerza." TIM, 145) Bereits zu Beginn des romantischen Dramas sieht er sich selbst als einen zum Tode verurteilten Gefangenen, der bereit ist, zum Wohle des Staates den Märtyrertod zu sterben. Die Liebe zu seiner angeblichen Tochter Aurora, die - wie sich später herausstellen soll - nicht seine, sondern die Tochter einer mit ihm befreundeten adligen Dame ist, versieht er mit einer sakralen Aura. Als er in Szene IV des letzten Aktes schließlich als Verräter und Betrüger zum Tode verurteilt wird, nimmt er dies mit den Worten hin: "Que Dios me la tome en cuenta / / cuando su juicio me llame." (TIM, 164) Obwohl er sich zuvor nie, wie man es ihm vorwarf, als der angeblich verstorbene portugiesische König ausgab, wird Gabriel Espinosa mit der Begründung, dass er es auch nicht verneint habe, verurteilt. 37 Vgl. Aniano Peña, "Introducción", in Ders. (Hg.), José Zorrilla, Don Juan Tenorio, Madrid: Cátedra 1995 (Letras Hispánicas, 114), S. 130, S. 193ff., Fußnote 2995. 38 Vgl. Ermanno Caldera, El teatro español en la época romántica, S. 192. 39 Diese These wird unter Kapitel 3.4.4 weiter ausgeführt. 40 Zitiert wird im Folgenden nach der Ausgabe: José Zorrilla, Traidor, inconfeso y mártir, hg. von Ricardo Senabre, Madrid: Cátedra 1982 (Letras Hispánicas, 37). Im Text verweisen die nach den Zitaten stehenden Seitenzahlen in Klammern auf diese Ausgabe, für die das Kürzel TIM verwendet wird. <?page no="84"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 84 Hierin und in der zu Beginn geäußerten Feststellung, er sei ein Gefangener dieser Welt, liegt zugleich aber - trotz aller Gläubigkeit des Helden - auch die romantische Anklage des modernen Menschen, der zuvor u.a. schon Don Álvaro Ausdruck verliehen hatte. Seinen Antagonisten und Richter, Don Rodrigo hat er durch seine stoische Gelassenheit, mit der er auf das monatelange Verhör reagierte, zur Verzweiflung gebracht. Der Richter nennt Gabriel, der ihm geradezu unwirklich erscheint: "la sombra de otro ser / / que sale a la tierra a ver / / nuestra sepultura abrir." (TIM, 170) Damit stellt er ihn ebenfalls in die Tradition des Teufels, der als Racheengel auf die Erde niederfährt. Die Rehabilitierung des eigentlich erhabenen Helden wird in Traidor, inconfeso y mártir Gabriel Espinosa jedoch erst postum zu Teil, als sich herausstellt, dass er tatsächlich der portugiesische König Don Sebastián war. 3.3 Das romantische Streben nach Wahrheit und Erkenntnis 3.3.1 Wahrheit und Erkenntnis im romantischen Drama In der Romantik erhalten historische Diskurse in verschiedenen Wissens- und Lebensbereichen einen neuen, zentralen Stellenwert. Im Zuge der Beschäftigung mit Geschichte von wissenschaftlicher Seite - hier sei z.B. die Historische Schule von Nibuhr und Ranke erwähnt - entstehen auch die nationalen Philologien als historisch orientierter Sprach- und Literaturwissenschaft. 41 Die gesellschaftspolitischen Transformationsprozesse in der Sattelzeit zwischen 1770 und 1830 verändern auch die geschichtsphilosophischen Perspektiven: die Antike verliert in diesem Zusammenhang ihre Vorreiterrolle, während das christliche Mittelalter favorisiert wird. 42 In Bezug auf das Kunstverständnis wird das Verhältnis von Geschichte und Fiktion - in Abgrenzung von den Postulaten der Wahrheit und Wahrscheinlichkeit im neoclasicismo - neu gedacht. Die Literatur soll keineswegs Nachahmung der Wirklichkeit sein, sondern über die Imagination historischer Ereignisse den Bezug zur Gegenwart reflektieren. Neben dem Genre des historischen Romans, innerhalb dessen in Spanien jedoch nur wenige Werke hervorgebracht wurden, stellt das romantische Drama die Gattung dar, in der sich die Themenwahl in besonderem Maße an historischen Ereignissen bzw. tradierten Legenden orientiert. Dies hängt, wie unter Punkt 2.2.3 mit der Rezeption der Schlegelschen Ideen im Kontext der historischen Romantik zusammen. 43 41 Vgl. Detlef Kremer, Prosa der Romantik, Stuttgart: Metzler 1996, S. 158. 42 Vgl. ebd., S. 159-160. 43 Das romantische Drama wird in Spanien von Martínez de la Rosa, der mit der Conjuración de Venecia das erste spanische romantische Drama schuf, nicht von ungefähr als drama histórico tituliert. Vgl. Francisco Martínez de la Rosa, "Apuntes sobre el drama <?page no="85"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 85 Auf poetologischer Ebene wird nicht mehr das Postulat der historischen Wahrheit vertreten, sondern die romantischen Dramatiker betonten den Vorrang der poetischen vor der historischen Wahrheit. 44 Zwar galt es, über das Bühnendekor eine möglichst realistische Wiedergabe des Lokalkolorits der dargebotenen historischen Zeit zu vermitteln, dennoch wurde den Autoren im Bühnengeschehen eine größere dichterische Freiheit zugestanden. Oftmals inspirierten sich die Dramatiker zwar durch mittelalterliche Legenden, historische Daten mussten jedoch nicht exakt widergegeben werden, sondern trotz der genauen Quellenlage, über welche die Autoren verfügten, waren sogar zeitliche Verschiebungen möglich, wenn dies für die Darstellung auf der Bühne von Vorteil war. Dies ist z.B. der Fall in der Conjuración de Venecia, in der Martínez de la Rosa das historisch verbürgte Geschehen der Revolte in Venedig vom Januar 1310 in die Karnevalszeit verlagert. Auf die ästhetische Wirkung, die sich hieraus ergibt, werden wir im Folgenden noch eingehen. Es bleibt an dieser Stelle jedoch zu betonen, dass die romantischen Dramatiker weder eine strenge Imitation der historischen Vorlage noch eine absolute Freiheit der Imagination postulierten, sondern das Genie des Autors sollte sich vielmehr vom historischen Gegenstand inspirieren lassen und Kraft seiner Imagination das Kunstwerk erschaffen. Auf die besondere Verknüpfung von Geschichte und Dichtung weist Martínez de la Rosa in seinen Apuntes sobre el drama histórico hin: Apenas hay en la historia asunto importante y extraordinario que no encierre en sus propias entrañas un tesoro de poesía, que el genio del autor sabrá descubrir y mostrar: no hay trozo de mármol, decía un escritor ingenioso, que no encierre en su seno una hermosa estatua; sólo falta un artista que la saque a luz. 45 Die literarische Auseinandersetzung mit historischen Sujets führte neben den Veränderungen auf der poetologischen Ebene zur Reflexion über die Wahrheit auf philosophischer Ebene. Der in den Dramen eingeschriebene historische Diskurs greift verschiedene zur Entstehungszeit der Stücke virulente Themen und gesellschaftliche Problemkomplexe auf: So wird über die Legitimität von Herrschaft und das Recht auf Rebellion gegen Tyrannei - wie wir unter Punkt 3.2.1 bereits gesehen haben - ebenso reflektiert, wie über die Relation zwischen Adel und Bürgertum, sowie über die Frage der Religion. Diese Analyse legt die anders gearteten Wertvorstellungen der aufstrebenden bürgerlichen Schicht und die sich daraus ergebende gesamtgesellschaftliche Problematik offen. Zunächst werden wir in diesem Kontext der Frage des Paritätskonfliktes nachgehen, der sich zu Beginn fast aller hier behandelten romantischen Dramen ergibt. So befindet sich die Mehrzahl histórico", in: Ders., La conjuración de Venecia, año de 1310, hg. von María José Alonso Seoane, Madrid: Cátedra 1993 (Letras Hispánicas, 344), S. 299-306, hier: S. 299. 44 Vgl. ebd., S. 303. 45 Ebd. <?page no="86"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 86 der romantischen Helden zunächst in Unkenntnis über die eigene Herkunft. Die Erkenntnis der Wahrheit über die eigene Abstammung erlangen die Helden erst zu spät. Welche Rolle bei der Verdeckung der Wahrheit spielt hierbei die Gesellschaft? Diese Frage steht in enger Relation zur Dialektik von engaño und desengaño, die bereits das barocke Drama bestimmte. Welche Formen nimmt diese Thematik der Suche nach der hinter dem Schein der Welt verborgenen Wahrheit im romantischen Drama an? Von dort ist es nur ein Schritt zur religiösen Dimension der Wahrheit, die in die Frage nach der göttlichen Wahrheit mündet. 3.3.2 Zur Frage nach der wahren Identität a) La Conjuración de Venecia In der Conjuración de Venecia enthüllt sich Rugiero als typischem romantischen Helden erst im letzten Akt des Stückes die Wahrheit über seine eigene Herkunft. Als Kind soll er bei einem Schiffsunglück seine Eltern verloren haben und selbst in Gefangenschaft geraten sein. Heldenhaft und tugendhaft bewährt er sich sodann in seinem Leben, erträgt das Unwissen über die eigene Herkunft geradezu stoisch. Erst durch seine Teilnahme an der Verschwörung zur Befreiung Venedigs wird ihm die Wahrheit über seine Person offenbart. Im Sinne der romantischen Ironie erfährt er dies jedoch erst kurz vor seinem unabwendbar gewordenen Tod. Als die Verschwörer der Revolte sich vor dem Tribunal verantworten müssen, rekurrieren sie und die Richter gleichermaßen auf den Diskurs der Wahrheit. Während das Gericht die Wahrheit über die Verschwörung zu eruieren versucht und verlangt, dass der Angeklagte bei seinen Aussagen auf Gott schwört, (CV, 286) interessiert Rugiero nach der Erkenntnis der Tatsache, dass er der Sohn des ersten Vorsitzenden des Tribunals (Morosini) ist, nur noch die Frage nach der Wahrheit über die eigene Person. Die Tragik der Situation kommentiert er mit den Worten: "¡Y tal vez él mismo ha contribuido a mi ruina… y ha reconocido a su hijo, para verle expirar en un cadalso! ..." (CV, 292) In Anbetracht seines bisher wenig glücklich verlaufenen Lebens und im Sinne der romantischen Ironie gelangt Rugiero zu der Erkenntnis, dass Morosini tatsächlich sein Vater ist: "¡De cierto es mi padre... es mi padre.... cuando no logro, ni al morir, el consuelo de verle! " (CV, 296) Das authentische Verlangen des romantischen Helden, den Vater ein letztes Mal zu treffen, wird vom Gericht jedoch unter Verweis auf die Gesetze mit gefühlloser Kälte beantwortet. Durch den so konstruierten Gegensatz in der Darstellung des erhabenen Helden und der ihn umgebenden unmenschlichen Gesellschaft offenbart sich bereits das Drama des in der Gesellschaft isolierten modernen Menschen. Die Darstellung einer von Kommunikationslosigkeit geprägten romantischen Welt erstreckt sich auch auf die Befragung der anderen Verschwörer vor Gericht. Der Diskurs der Wahrheit wird hier in der sensualistischen Tradition der Aufklärung zu den Empfindungen in Bezug gesetzt. So be- <?page no="87"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 87 kundet der Verschwörer Rossi bei seiner Befragung vor Gericht: "No me acuerdo, a fe mía; pero si he dicho que haría cuanto mi capitán me mandase, es la pura verdad: yo nunca niego lo que siento." (CV, 273) Die Bemerkung "nunca niego lo que siento" entbehrt jedoch nicht einer gewissen Ironie, schließlich hat Rossi das Geständnis erst unter dem Einfluss der massiven Folter abgelegt. In der Anagnorisis-Szene wird ebenfalls ein Zusammenhang zwischen Empfindung und Erkenntnis hergestellt, wenn der Vorsitzende Morosini seinen Sohn fragt: "Mírame, Rugiero, mírame... ¿no te dice nada tu corazón? " Rugiero jedoch antwortet nüchtern: "Que vais a firmar mi sentencia." (CV, 290) "No, hijo, no... ¡ten piedad de tu padre! "(CV, 291) Angesichts der Erkenntnis über die familiären Bande mit Rugiero und ob der Tatsache, dass er zum Richter seines Sohnes bestimmt ist, wird Morosini bewusstlos. Diese physische Ohnmacht verweist auf die den Charakter Morosinis prägende Ohnmacht, seinen politischen Einfluss menschlich einzusetzen. Auf übertragener Ebene deutet dies auf die Kluft zwischen politischem und ethischem Denken hin. 46 Die Sprache als Mittel auf der Suche nach Wahrheit und Erkenntnis offenbart in der Berfragung der Verschwörer eine Ambivalenz, die dem Subjekt die Möglichkeit der Evasion bietet. Während Pedro Morosini in familiären Angelegenheiten verstummt und ganz offensichtlich der eigenen Sprachlosigkeit erliegt, werden Lauras Äußerungen vor Gericht als wahn- sinnig deklariert und somit ausgegrenzt. Ihr Auftritt vor Gericht führt zu einem flammenden Bekenntnis ihrer Liebe zu Rugiero, das im Grunde genommen durchaus klarsichtig formuliert ist, aber ob der Leidenschaftlichkeit der Äußerungen als unzurechnungsfähig ausgegrenzt wird. So entgegnet der zweite vorsitzende Richter Laura, als diese ihre Vision einer gemeinsamen Zukunft mit ihrem Ehemann Rugiero schildert: "Procurad serenar vuestra imaginación, para que podáis responder acorde a las preguntas que es forzoso haceros." - Laura: "Yo responderé a todo... ya no lo niego... " (CV, 282) Obwohl Laura sich nur zur Wahrheit bekennt, bricht ihr Onkel Morosini - vielleicht um seine Nichte zu schützen? - die Befragung mit den Worten ab: "El juicio de esa infeliz parece perturbado; y juzgo inútil atormentarla más." (CV, 283) Über die Darstellung der Wahrheitssuche durch die Richter des Tribunals im fünften Akt des Stückes werden einerseits die durch das Unrechtsregime zur Erlangung der Wahrheit gewählten Mittel der Folter als wenig probat kritisiert, andererseits zeigen die Verschwörer, inwiefern sie mittels der Sprache die Wahrheitssuche der Richter unterlaufen können und äußern auf diese Weise implizit Kritik an der Gesellschaft. Im Verhör mit Rossi droht der zweite vorsitzende Richter: "¿Sabes la pena que te aguarda, si faltas en un ápice a la verdad? " (CV, 273) Das Geständnis Mafeis, das im 46 Siehe hierzu das Kapitel 3.3.2 der vorliegenden Studie. <?page no="88"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 88 Folgenden dann verlesen wird, ist erst unter der Anwendung von Folter zustande gekommen: Acedió el juez a su demanda, amenazándole con aumentar el rigor de la prueba, si faltaba a la verdad que de él se exigía; y hallándose en el mismo potro, nombró como principales conspiradores a los patricios Marcos y Jacobo Querini a Boemundo Thiépolo, a Andrés Dauro, y al llamado Rugiero... Visto lo cual, y que a los pocos instantes perdió el conocimiento, se suspendió la prueba y se dio aquel acto por fenecido. (CV, 277) Auf die Frage des zweiten vorsitzenden Richters, ob dieser Wortlaut der Wahrheit entspreche, antwortet Mafei: "No sé." - "No lo recuerdo." (CV, 277) "Mi boca puede ser... yo no." (CV, 278) Nicht das Gewissen habe ihn die Namen der vermeintlichen Verschwörer nennen lassen, sondern die Schmerzen der Folter. Morosini schaltet sich daraufhin ein und appelliert an Mafei, die Wahrheit zu sagen, so als stünde er bereits vor Gottes Gericht. (CV, 278) Der Verschwörer fürchtet indessen nicht die irdische Strafe, sondern vertraut auf die Barmherzigkeit Gottes. (CV, 179) Die Selbstgerechtigkeit der Richter wird am Ende schließlich offensichtlich, wenn der zweite Vorsitzende die Richter des Tribunals vor der Urteilsfindung belehrt: Ministros de este tribunal, a quienes ha confiado la república la balanza y la espada, ¿juráis pronunciar el fallo según lo que vuestra conciencia os dictare, sin miramiento humano, atendiendo sólo a la vindicta pública y al desagravio de las leyes? " ... "Poned la mano derecha sobre el corazón... el corazón libre de temor y esperanza, y la mano limpia de sangre inocente. [Hervorhebungen der Verf.] (CV, 293) ¡Y si así no lo hiciereis, Dios os lo demande estrechamente, en el día que no tendrá fin! (CV, 293) In Anbetracht dessen, dass die Richter hier einen Rebellen gegen eine tyrannische Herrschaft zum Tode verurteilen und ihm unter Berufung auf die Gesetze ("no somos sino ministros de los leyes") seinen einzigen Wunsch abschlagen, den Vater, dem er erst in der Stunde des Todes begegnet war, noch ein letztes Mal zu sehen, mutet dieser Gedankengang des Richters zynisch an. Die vermeintliche Objektivität in der Urteilsfindung ("sin miramiento humano") wird ebenso wie "la mano limpia de sangre inocente" ironisch gebrochen. Zwischen den Zeilen lässt sich hier eine Sprachkritik ablesen, die vom Missbrauch der Zeichen durch die Machthaber zeugt und eine wahre Kommunikation zwischen den Menschen im Keim erstickt. Das Gericht, das vorgibt, die Wahrheit suchende Instanz auf Erden zu vertreten, demaskiert sich in den hier analysierten Szenen selbst. Die Wahrheit, welche die Richter ermitteln wollen, glauben sie bereits zuvor zu kennen. Die Verschwörer sind schon vorverurteilt, sollen - um den Gesetzen genüge zu leisten - aber ein Geständnis ablegen, das zur Not auch unter Folter herbeigeführt werden kann. Durch diese Darstellung der die <?page no="89"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 89 Gerechtigkeit der Gesellschaft symbolisierenden Instanz - im Gericht prangt über den Richtern symbolisch das Wort Justicia - wird einer der Grundpfeiler der Gesellschaft im Kern kritisiert. b) El Trovador Der Held des romantischen Dramas El Trovador teilt das Schicksal des Helden Rugiero aus der Conjuración de Venecia: Manrique, der eigentlich Juan heißt und der älteste Sohn des Conde de Artal ist, wächst bei einer Zigeunerin auf, die er in Unkenntnis seines wahren Ursprungs für seine Mutter hält. Die Zigeunerin Azucena hatte ihn einst als Kind entführt, um ihn in Erfüllung des Rachewunsches ihrer Mutter, die auf Veranlassung des Conde als Hexe verbrannt wurde, ebenfalls den Flammentod sterben zu lassen. Als Azucena aber in ihrem Wahn versehentlich den eigenen Sohn ins Feuer stieß, beschloss sie, in Anbetracht der tragischen Verwechslung den Sohn des Conde als eigenen Sohn anzunehmen. Dieser Entschluss führt zu der Lebenslüge der Zigeunerin, welche für ihren angenommen Sohn Manrique zu einem tragischen Ende führen sollte. Nun hat man von Seiten der Forschung Azucena in diesem Zusammenhang eine extreme Form der Rachsucht unterstellt. 47 Anstatt sich um Versöhnung zu bemühen und die Wahrheit zu bekennen, habe sie ihr ganzes Leben in den Dienst der Rache gestellt, um Genugtuung für den Tod ihrer Mutter zu erlangen - so die Meinung der älteren Forschung. 48 Ernest A. Siciliano hat jedoch in einer detaillierten Studie zu einer Neubewertung der Figur der Zigeunerin beigetragen, die ihr Handeln in einem anderen Licht erscheinen lässt. 49 Demnach hat Azucena den Sohn des Conde zwar aus Rache entführt, als sie vor den Flammen aber versehentlich den eigenen Sohn ins Feuer stösst, versucht sie den tragischen Verlust dadurch zu kompensieren, dass sie Juan de Artal an Sohnes statt annimmt. Als sie Manrique einmal von dem Ereignis der Vergangenheit berichtet, offenbart sie in der ersten Szene des dritten Aktes unbewusst bereits die Wahrheit, korrigiert sich allerdings sofort wieder selbst und gibt vor, sich versprochen zu haben. (Tr, 170) Auf diese Weise verhindert sie eine mögliche Peripetie des Dramas, denn in Kenntnis der wahren Begebenheiten hätten die handelnden Figuren im Zeichen der Versöhnung noch ein glückliches Ende finden können. 47 Zu Zulimas Rolle siehe die Studie von Christine L. Blackshaw" "It is the East and Zulima is the Sin: Shifting Representations of Muslim Spain in Hartzenbusch’s Los amantes de Teruel", in: Decimonónica, Bd. 6, Nr. 1, Winter 2009, S. 1-18 48 Diese Deutungsebene hat Mariano José de Larra bereits in seinen Artículos de crítica literaria y artística, Madrid 1923 (Clásicos Castellanos), S. 227f. eingeleitet. Die Forschung folgte seiner Sichtweise, wie auch Allison Peers, A history of the romantic moment in Spain, Cambridge 1940, S. 274. Auf die politischen Konnotationen des Werkes verweist: Carlos Ruiz Silva, "García Gutiérrez: política y guerras civiles", in: Cuadernos Hispanoamericanos, Nr. 415, Januar 1985, S. 91-100. 49 Vgl. hierzu die Ausführungen von Ernest A. Siciliano, "La verdadera Azucena de El Trovador", in: Nueva Revista de Filología Hispánica, XX, 1971, S. 107-113. <?page no="90"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 90 Die Wahrheit aber opfert Azucena hier nicht den Interessen eines selbstsüchtigen Individuums, sondern aus einer überzogenen Mutterliebe, mit der sie den fehlgeleiteten Racheakt, der das Leben ihres eigenen Sohnes kostete, zu kompensieren sucht, und aus Angst vor Einsamkeit und Isolation will sie verhindern, dass Manrique je die Wahrheit über seine Herkunft erfährt, da er sie dann verständlicherweise verlassen würde. Es mögen zweifelsohne egoistische Interessen sein, von denen Azucenas Handeln geleitet ist, das Motiv der Rache, welche letztendlich aber zum tragischen Ende führt, geht indessen von Don Nuño, Conde de Luna, dem Bruder Manriques, aus. Aus verletzter Eitelkeit darüber, dass er Leonors Herz nicht erlangen konnte, übergibt er Manrique dem Henker. Als die Zigeunerin ihm ihr tragisches Geheimnis offenbaren will, verhindert Don Nuño in seinem Sinnen auf Rache dies, indem er ihr das Wort verbietet und sie zwingt, der Hinrichtung ihres vermeintlichen Sohnes beizuwohnen. (Tr, 197) Die tragische Erkenntnis der Wahrheit enthüllt sich erst in dem Moment, da Don Nuño zum Henker seines eigenen Bruders wird. Somit trifft der Schmerz, den er durch seine Rache der Zigeunerin zufügen will, am Ende ihn selbst. Auch dieses Drama steht im Zeichen der Kommunikationslosigkeit der Gesellschaft. Hier wird jedoch anders als in der Conjuración de Venecia nicht eine gesellschaftliche Institution wie die Justiz zum Objekt der Kritik, sondern es sind die egoistischen Interessen der Individuuen, die im Trovador zum Zielpunkt der Gesellschaftskritik werden. c) Traidor, inconfeso y mártir Hinsichtlich der tragischen Dimension des Stückes scheint Zorrillas Traidor, inconfeso y mártir an den Trovador anzuknüpfen. Auch in diesem romantischen Drama der Spätphase dominiert die ungeklärte Identität des romantischen Helden Gabriel Espinosa die Handlung. Der pastelero aus Madrigal wird vom Richter Don Rodrigo de Santillana aufgrund seiner Ähnlichkeit mit dem tot geglaubten portugiesischen König Don Sebastián verhaftet. Die Frage der geheimnisumwobenen Identität erstreckt sich auf zwei Handlungsebenen, die in der Figur des Protagonisten zusammenlaufen. So verweigert der pastelero Auskünfte über seine Person. Da die portugiesische Krone mit dem Tod Don Sebastiáns an Spanien gefallen war, würde die Tatsache, dass der König doch noch am leben ist, die spanische Monarchie in ihren Grundfesten erschüttern. Warnend bezeichnet Don Rodrigo den Angeklagten als "cabeza proscrita / / que puede hacer la desgracia de toda una monarquía." (TIM, 134) Der Aufbau der Handlung ist so geschickt konstruiert, dass den Zuschauern bis zuletzt Zweifel an der wahren Identität des pastelero aus Madrigal bleiben. Neben dieser politischen Handlungsebene, ist auf einer zweiten, privaten Handlungsebene die ungeklärte Identität der jungen Frau angesiedelt, die sich in Gabriels Begleitung befindet und angeblich seine Tochter sein soll. Im Verlauf des Stückes kristallisiert sich heraus, dass sie Pfand des <?page no="91"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 91 Rachefelzuges von Gabriel ist, mit dem er die Vergewaltigung von Auroras Mutter vergelten will. 3.3.3 Zur Dialektik von engaño und desengaño a) Aberglaube vs. klarsichtiger Verstand des Volkes: Don Álvaro Ähnlich wie in Macías wird in Don Álvaro o la fuerza del sino die barocke Thematik des engaño und desengaño mit den zeitgenössischen Verhältnissen in Verbindung gesetzt. Auf die sich im Umbruch befindende Welt und den Wandel gesellschaftlicher Wertvorstellungen reagiert das Volk weiter mit einem ausgeprägten Hang zum Aberglauben, während die adligen Gesellschaftsschichten ihren eigenen Wert auf ihre limpieza de sangre stützen und das liberale Bürgertum freiheitliche Werte für sich in Anspruch nimmt. Die Frage nach der Wahrheit erfasst sowohl die zwischenmenschlichen Beziehungen als auch die Frage nach einer übergeordneten Macht, welche die Geschicke des Menschen lenkt. Das Volk zeigt in Don Álvaro andererseits aber auch ein Gespür, die Wahrheit hinter dem trügerischen Schein einer Person zu erkennen. In der ersten Szene des Stückes zeigt der Oficial als Vertreter des liberalen Bürgertums wenig Interesse daran, sich von Preciosilla die Zukunft aus der Hand lesen zu lassen. Bezeichnenderweise erklärt sich seine Abneigung nicht aus dem Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Prognosen: "Aunque efectivamente tuvieras la habilidad de decirme lo que me ha de suceder, no quisiera oírtelo… Si casi siempre conviene el ignorarlo." (DA, 52) Der Majo hingegen, als Vertreter des Volkes, ist sofort bereit, der Zigeunerin seine Hand zu reichen, damit sie ihm die Zukunft daraus läse. (DA, 52) Auf der anderen Seite verfügt das Volk offensichtlich über einen besonderen Zugang zur Wahrheit im Hinblick auf die Verstellung oder Verhüllung tatsächlicher Gegebenheiten oder Charakterzüge. So lässt sich Hermano Melitón nicht von der Rolle Don Álvaros als Padre Rafael täuschen. Dessen auffälliges Verhalten ("Pero tiene de cuando en cuando unas salidas, y se da unas palmadas en la frente… y habla solo, y hace visajes como si viera algún espíritu." DA, 150) und äußeres Erscheinungsbild ("parece un mulato", "parecía entre los riscos un indio bravo", DA, 151) nähren beim Ordensbruder Zweifel 50 hinsichtlich der offiziellen Variante des Padre Guardián, derzufolge man Padre Rafael schwer verletzt als Opfer eines Überfalls ins Kloster gebracht habe, wo er sodann seine Berufung zum Pater erfahren habe. Als Leonors Bruder Don Alfonso plötzlich vor den Klostermauern auftaucht, durchschaut Hermano Melitón rasch dessen wahre Beweggründe. Dies wird deutlich, wenn er Don Alfonso mit den Worten beschreibt: 50 "El pueblo el que tiene ojos para lo exótico [...] es el pueblo también el que prefiere ponerle a todo y a todos un halo extraordinario." Joaquín Casalduero, "Don Álvaro o el destino como fuerza", S. 270. <?page no="92"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 92 dice que es un caballero y me parece un mal hombre. Él, muy bien portado, viene, y en un andaluz rocín; pero un genio muy ruin y un tono muy duro tiene. [...] No es un pecador contrito. (DA, 154) Der klarsichtige Verstand des Volkes wird jedoch von dessen Hang zum Aberglauben überlagert und so ist Hermano Melitón schnell bereit, in Padre Rafael die Personifkation des Teufels zu sehen, als dieser zum Duell mit Don Alfonso in die Berge schreitet. No me oyen: vano es gritar, demonios son, es patente. [...] Avisar será mejor al prelado. Sepa que en esta ocasión, aunque refunfuñe luego, no el padre guardián, el lego tuvo la revelación. (DA, 162) Schon zu Beginn des Stückes war es die Stimme des Volkes, welche die Wahrheit über die Familie Calatrava aufdeckte, während der Canónigo den falschen Schein des Adels zu bewahren suchte. Der romantische Held ist hingegen nicht in der Lage, den falschen Schein zu entlarven. Zwar erscheint es ihm beim Zusammentreffen mit Don Carlos alias Don Félix wenig angemessen, dass ein Mann seines Standes sich mit solch zwielichtigen Gestalten zum Kartenspiel trifft, doch ist er zugleich von dessen vermeintlicher Offenheit beeindruckt, als dieser sich als Don Félix vorstellt: "¡Qué franco es y qué expresivo! / / Me cautiva el corazón." (DA, 111) Auch Don Carlos ist zunächst nicht in der Lage, die wahre Identität Don Álvaros zu entlarven, erst allmählich verdichten sich für ihn die Spuren, die darauf hindeuten, dass es sich bei dem vermeintlichen Freund um seinen Feind handeln könnte: […] hombre singular, y en el corto tiempo que le trato, rasgos noté que son dignos de extrañar. […] ¡Cielos! ¡Qué rayo de luz sobre mi habéis derramado en este momento! ... Sí. ¿Podrá ser éste el traidor, de mi sangre deshonor, el que a buscar vine aquí? (DA, 119f.) Die schon im Siglo de Oro bekannte Kunst der Verstellung beherrscht der Vertreter des Adels exzellent. So versteht er es, die wahren Beweggründe <?page no="93"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 93 seines Interesses an der Genesung Don Fadriques zu verbergen und pflegt den Feind mit geradezu aufopfernder Hingabe gesund, wie Don Fadrique (alias Don Álvaro) bemerkt: "Sois excelente enfermero; ni una madre por un hijo muestra un afán más prolijo, [...]" (DA, 125) Ironischerweise erfahren die romantischen Helden ihre wahre Identität nie bzw. zu spät, um noch handelnd in das Geschehen eingreifen zu können. Das Volk hingegen verfügt zwar in einzelnen Situationen über den sprichwörtlichen klarsichtigen Verstand des vulgo, verfällt jedoch in den entscheidenden Momenten in ein abergläubisches Denken, das ein handelndes Eingreifen in das Geschehen ebenfalls verhindert. Diese Kritik steht im Einklang mit der Auffassung der Liberalen, die sich den Kampf gegen Unbildung und Aberglauben auf ihre Fahnen geschrieben hatten. 51 b) engaño als Kunst der Verstellung oder Lebenslüge: Macías, Don Álvaro, Los Amantes de Teruel Die Kunst der Verstellung wandte der romantische Held Macías an, um überhaupt noch rechtzeitig nach Andújar zurückkehren zu können. So fingierte er gegenüber dem Schlüsselmeister des Calatrava-Ordens, der ihn auf Geheiß des Don Enrique gefangen hielt, neue Liebschaften, über die er Elvira schon längst vergessen habe. (M, 137) Während Macías' Lüge jedoch im Lichte seiner Liebe zu Elvira noch gerechtfertigt erscheint - der Zweck heiligt die Mittel - gründen Verstellung und Heuchelei der adligen Schicht auf materiellem Eigennutz. Auch Don Enrique ist hiervon nicht frei und spricht mit gespaltener Zunge, als Macías ihn wegen der von Enrique bewilligten Hochzeit zwischen Elvira und Fernán zur Rede stellt: Nunca en la amistad mudé que algún tiempo os prometí; si hoy distintos os parecí, por vuestros desmanes fue. Sabed en fin que la mano que me demandáis de Elvira, sólo porque el plazo expira venís a pedirla en vano. (M, 145) Das Publikum entlarvt diese Worte Enriques aufgrund seines Vorwissens jedoch schlicht als Lüge, war es doch der Adlige, der alle Hebel in Gang setzte, um Macías fern von Andújar zu halten. Doch nicht nur auf Seiten der Gesellschaft herrscht die Dialektik von Schein und Sein, auch die Liebe der beiden romantischen Helden prägt das Prinzip der Ver- und Enthüllung, von Täuschung und Ent-Täuschung. Im dritten Akt entlarvt Macías die wahren Gefühle Elviras, die sich verpflichtet fühlt, zu dem Fernán gegebenen Heiratsversprechen zu stehen und 51 Vgl. Carlos Marichal, La revolución liberal y los primeros partidos políticos en España: 1834-1844, Madrid: Cátedra 1980, S. 274. <?page no="94"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 94 daher ihre Liebe zu Macías leugnet. Letzterer schenkt ihren Worten hingegen keinen Glauben, sondern folgt seinem Gefühl, in dem die Seelenverwandtschaft der romantischen Helden zum Ausdruck kommt: No; tus ojos, tu llanto, tus acentos, tu agitación, tu fuego, en que me abraso, dicen al corazón que tus palabras mienten ahora; (M, 163) Die Wahrhaftigkeit der wechselseitigen Liebe wird im Folgenden jedoch weiter auf die Probe gestellt, bis beide am Ende bereit sind, für ihre Liebe zu sterben. Im Don Álvaro erweist sich für Leonor die Kunst der Verstellung - um ihre wahre Identität zu verbergen, hüllt sie sich in Männerkleider - als lebensnotwendig, um der Blutrache ihres Bruders zunächst zu entgehen. Hierbei handelt es sich zwar auch um einen typischen Rekurs auf die Theatertradition des Siglo de Oro - auch Rosaura, wie zahlreiche Heldinnen des Goldenen Zeitalters, in Calderón de la Barcas La vida es sueño hüllt sich in Männerkleider, um unerkannt zu dem untreuen Astolfo zu reisen und ihn an sein Heiratsversprechen zu erinnern. Allerdings dient Leonors Verkleidung nicht dem Bemühen um Wiederherstellung ihrer Ehre, sondern in dem romantischen Drama Don Álvaro wendet sich die Heldin resigniert von dem weltlichen Leben ab, um als büßende Sünderin den Rest des Lebens in der Eremitenklause zu fristen, wo sie am Ende - im Sinne der romantischen Ironie - dann doch der Tod durch den auf Blutrache sinnenden Bruder ereilt. Während das Mittel der Verstellung im Siglo de Oro als probates Mittel zur Wiederherstellung der gesellschaftlichen Ordnung galt, dient es hier zur Unterstreichung der sich im Umbruch befindenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen, die in der Weltflucht bzw. Weltentsagung der romantischen Helden kulminieren. In Los Amantes de Teruel steht die Wahrheit im ständigen Widerstreit mit den anders gearteten Interessen verschiedener Vertreter der Gesellschaft. Verstellung und Lüge werden ohne Umschweife zur Realisierung persönlicher Zielsetzungen eingesetzt. Bereits zu Beginn des romantischen Dramas, in der vierten Szene, bedient sich die maurische Königin Zulima des Mittels der Verstellung, um Marsilla über seine wahren Empfindungen auszuhorchen. Ähnlich wie in Marivaux' Drama Le jeu de l'amour et du hasard (1730) verkleidet sich Zulima als ihre eigene Dienerin, um mittels dieser Maske eine größere Offenheit bei Marsilla zu erzielen. Als dieser aus seinen Gefühlen für Isabel jedoch keinen Hehl macht, beschließt Zulima, sich ob der erfahrenen Zurückweisung an ihm zu rächen, indem sie nach Teruel reist, um dort Isabel mit der Lüge von der Nachricht vom Tod des Geliebten und seiner Untreue zu quälen. Verstellung und Lüge kulminieren in der versuchten Tötung des von Marsilla zuvor ausgesandten Boten (LAT, 143), der Isabel die gegenteilige Nachricht von seiner baldigen Rückkehr bringen sollte. Isabel schenkt den Lügen der Maurin zunächst Glauben, um <?page no="95"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 95 kurz darauf aber diese unvorstellbare Aussage mehr und mehr in Frage zu stellen, da ihr Gefühl dem verstandesgemäß Gehörten nicht folgen will: Pero, ¿cómo ha sido, cómo fue que no lo presintiera mi corazón? No es verdad; imposible que lo sea. (LAT, 126) Das leidenschaftliche Gefühl ihrer Liebe gewinnt über den Verstand und lässt Isabel umso vehementer gegen eine Heirat mit Rodrigo kämpfen: "No he de ser esposa yo / / de Azagra: primero muerta." (LAT, 127) Isabels Vorahnung wird am Ende schließlich bestätigt, als Zulimas Dienerin Adel im Dienste der Wahrheit Marsillas Geliebte über die Intrige der maurischen Königin aufklärt: "Y airada con él / / vino, y se vengó villana / / contando su falso fin." (LAT, 156) Welche dramatischen Folgen eine Lüge auf das Leben des Menschen haben kann, zeigt sich in Margaritas Lebenslüge. Ihre heimliche Liebschaft mit Roger belastet sowohl ihre Beziehung zu ihrem Ehemann Don Pedro, als auch zu ihrer Tochter Isabel. Die Schuldgefühle gegenüber dem Ehemann sucht Margarita durch ein übertrieben unterwürfiges Verhalten zu kompensieren. So kniet sie vor Don Pedro nieder und bittet ihn: "Déjame el suelo besar / / que pisas." (LAT, 103) Ihre Dienerin Teresa kommentiert dies trocken mit den Worten: "Vaya, señora, ya es vicio tanta humildad." und auch Don Pedro hält dieses Verhalten für übertrieben: "Pedazos del corazón, / / no es ese vuestro lugar." (LAT, 103) Der gesellschaftliche Ehrenkodex, der die Keuschheit der Frau zum Garanten der männlichen Ehre bestimmt, verbietet Margarita jedoch eine Offenbarung der Wahrheit. Tragischerweise greift Margaritas Lebenslüge durch Don Rodrigos Erpressung auch auf das Leben ihrer Tochter über, die als Pfand der Rettung der Familienehre nun auf ihr eigenes Glücksstreben verzichten muss. Am Ende muss die wahrheitsliebende Isabel, die gegenüber Don Rodrigo aus ihren Gefühlen für Marsilla keinen Hehl gemacht hatte, (LAT, 126) dem Geliebten den wahren Grund für ihre Heirat mit dem Rivalen verschweigen. (LAT, 161) Der engaño findet somit einerseits in seiner negativen Bedeutung als Hinweis auf die Selbsttäuschung des Menschen durch eine von ihm etablierte Lebenslüge Eingang in die romantischen Dramen, andererseits stellt der engaño die Kunst der Verstellung dar, die in einer vom Schein regierten Welt dem Individuum einen Handlungsspielraum eröffnet. Anders als im barocken Drama mündet die Dialektik von Täuschung und Ent-Täuschung im romantischen Drama jedoch nicht in ein harmonisches Ende, sondern legt das Scheitern des romantischen Individuums in der vom engaño dominierten Welt nur umso deutlicher offen. <?page no="96"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 96 c) gesellschaftlicher Schein: Macías In Macías zeigt sich, inwiefern in der Kommunikation die Sprache ein bisweilen ambivalentes Medium ist. Zwar gelingt es dem hidalgo Fernán durch sein Auftreten beim criado Nuño nachhaltig Eindruck zu hinterlassen, jedoch vermag er nur durch die Verbreitung einer Lüge Elvira zur Hochzeit zu gewinnen. Diese willigt erst in die Heirat ein, als sie von ihrem Vater erfährt, Macías habe bereits eine andere Frau geheiratet. In dieser Szene zeigt sich, welche Bedeutung den Worten beigemessen wird. Nur aufgrund eines nicht verifizierten Gerüchtes, das sodann ihre Eifersucht schürt, ist Elvira bereit, Fernán aus Rache zu heiraten. Auch im Hinblick auf Don Enrique wird dessen Charakterisierung von in der öffentlichen Meinung kursierenden Gerüchten geprägt. Als gebildeter Adliger wird er zunächst positiv beleuchtet, doch liegen auch Schatten auf seinem Charakter, die sich aus seinem übertriebenen Ehrgeiz ergeben. Bereits in der ersten Szene des Stückes erfahren wir von Fernán, dass Don Enrique danach strebt, zum Ordensmeister des Calatrava-Ordens ernannt zu werden. Um seinem Ehrgeiz zum Erfolg zu verhelfen, ließ er sich von seiner Ehefrau scheiden, mit der er sich - wieder einmal der öffentlichen Meinung zufolge [sic! ] - eh nur schlecht verstanden habe. (M, 82) Sein Knappe Macías ist nun bei ihm in Ungnade gefallen, weil er Partei für Enriques Ehefrau ergriffen hat. Don Enrique will sich daraufhin Macías' entledigen, indem er ihn in die Schlacht gegen die Mauren schickt, auf dass er dort zu Tode komme. (M, 119) Dieses Stück kreist somit um die Frage nach der Wahrheit sprachlicher Äußerungen und um die Authentizität der Selbstdarstellung der Personen. Macías, der als doncel Don Enriques treu den ihm auferlegten Pflichten nachkommt, nimmt - ähnlich wie Elvira die öffentlichen Gerüchte des Volkes - die Adligen zu sehr beim Wort. So glaubt er an die Integrität und Authentizität des adligen Standes, dem Fernán ja angehört, wenn er erwartet, dieser werde sich ihm im geforderten Duell als Ehrenmann stellen: Aunque fuera mi enemigo, fuéralo por nobles medios. El hará que remitamos nuestros agravios al duelo el hidalgo y yo. (M, 138) Währenddessen sucht Fernán hingegen Mittel und Wege, um sich dem Duell zu entziehen, indem er Macías zuvor beseitigen (lassen) will. In der Charakterisierung des hidalgo paart sich folglich die Heuchelei mit der Feigheit - von den einst edlen Tugenden wie Mut, Tapferkeit oder gar Aufrichtigkeit bleibt nichts zu sehen. Wenngleich die soziale Entwertung des Adels schon im Siglo de Oro ihren Ursprung genommen hatte - man denke an die Verarmung weiter Teile des Landadels wie sie u.a. im Lazarillo de Tormes geschildert wird - so erfährt diese im Zeitalter der Romantik doch eine andere Qualität. In der <?page no="97"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 97 ersten Szene des ersten Aktes des Macías wirkt Fernáns Werben um Nuños Tochter für seinen Stand nur wenig galant als vielmehr recht hölzern in der Wortwahl. Recht unverfroren wirft er seine guten Beziehungen zu Don Enrique in die Waagschale und verweist mit Blick auf den Standesunterschied auf den Gewinn, den eine Vermählung Elviras mit ihm auch für deren Vater Nuño bedeutete: y el que a vos os está bien tal boda, ¿quién lo dudara? Vos sois tan sólo un criado que a Don Enrique servís; si de cerca le asistís lo debéis a mi cuidado. (M, 76) Schon hier wird deutlich, dass Fernán de facto auf der gleichen Stufe wie Nuño steht, ist er doch ebenfalls ein Diener Don Enriques. Im Folgenden verweist er allerdings auf seinen adligen Stand: "Yo, además, soy caballero, / / hidalgo de alta nobleza" (M, 76), der jedoch durch das Paradox von hidalgo - dem verarmten, niederen Adel - und alta nobleza ironisch entlarvt wird. Seine Standesdünkel werden schon im nächsten Satz weiter entwertet, wenn er hervorhebt, dass Don Enrique ihm für seine Dienste als Schildknappe immerhin eine Schlafstätte gewähre. Im Gespräch mit Nuño über eine Vermählung mit dessen Tochter macht Fernán deutlich, dass Nuño zwar reicher ist als der hidalgo, aber über ein geringeres Maß an Ehre verfüge: Si sois más rico de hacienda, justo es que compréis con oro lo que ganáis en decoro, y que yo caro me venda. Porque con villana y pobre, por mujer, no he de casarme, que mujer no ha de faltarme mientras el poder me sobre. (M, 77) Sein Ansehen und seine Macht schätzt er gemäß der Tradition des gesellschaftlichen Ehrenkonzeptes fast schon selbstbewußt als einen Warenwert ein, den Nuño nur noch zahlenmäßig zu bestimmen habe. Bereits hier lässt sich eine erste Kritik an der Kapitalisierung der spanischen Gesellschaft erkennen. Der Diener ist zu bürgerlichem Reichtum gelangt, der sein gesellschaftliches Aufstiegsstreben weiter anreizt und ihn veranlasst, einen Pakt mit dem - wenn auch am unteren Ende der adligen Skala stehenden - hidalgo einzugehen, ein Pakt, bei dem er das Wohl seiner Tochter bewusst übergeht. Fernán beschönigt nichts, wenn er abschließend die gemeinsame Interessenlage mit den Worten "Y ahora, pues, que convenidos / / estamos, y están unidos / / nuestros intereses" (M, 81) auf den Punkt bringt. Daneben greift das Drama auch die Mittel des engaño als Techniken der bewussten Täuschung auf, zielorientiert werden Verstellung und Maske im <?page no="98"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 98 positiven Sinne eingesetzt, um den Figuren einen gewissen Handlungsspielraum zu eröffnen. So enthüllen Manrique und Leonor gegenüber dem Conde de Luna in zwei unterschiedlichen Szenen ihre wahre Identität. Selbstbewusst tritt Manrique Don Nuño mit den Worten "¿Me conocéis? " (M, 124) entgegen, als dieser ihn beim erneuten Stelldichein mit Leonor überrascht, um ihn sodann zum Duell herauszufordern. Die Seelenverwandschaft der beiden Helden unterstreicht die Szene, in der Leonor mit den Mitteln der Verstellung versucht, Don Nuño zu täuschen, um die Freiheit Manriques auszuhandeln. In Szene V des letzten Aktes enthüllt sie - wie zuvor Manrique - ihr Gesicht mit der Frage: "¿Me conocéis? " (185) Beide nutzen den Überraschungseffekt, der ihnen einen gewissen Handlungsspielraum eröffnet. Im letzten Akt nutzt Leonor die Kunst der Verstellung bzw. Lüge gegenüber dem Conde de Luna als letztes Mittel zur Rettung des Geliebten. In Szene V gaukelt sie - wohl wissend um ihren durch die Einnahme eines Giftes bereits bevorstehenden Freitod - dem Conde ihre Liebe vor, um Manrique die Freiheit zu ermöglichen. Diese Lüge führt jedoch ins Leere, da der Troubadour nicht gewillt ist, das Opfer anzunehmen - ein Leben ohne seine Geliebte erscheint ihm nicht lebenswert. Das Wahrheitsstreben des romantischen Subjekts scheitert letztlich an der Verstellung der Gesellschaft. Der romantische Held tritt als Idealsucher auf die Bühne; sein Glücksstreben mündet jedoch ins existentielle Scheitern, das zur Welftflucht und Weltentsagung führt. d) Das wahre Bildungsideal? - Don Álvaro Die intertextuellen Verweise auf Cervantes' Novelle El licenciado Vidriera legen einen weiteren gesellschaftskritischen Aspekt in Don Álvaro o la fuerza del sino offen. Wie Tomás in Cervantes' Novelle schweift der Licenciado Pereda nach Beendigung seines Studiums ("graduado por Salamanca, in utroque", DA, 81) vom rechten Weg eines Gelehrten ab, um seinen Freund, den Licenciado Alfonso Vargas, auf der abenteuerlichen Suche nach dem vermeintlichen Mörder seines Vaters, des Marqués de Calatrava, zu begleiten. 52 Wie Tomás sucht Pereda in der Herberge Monipodios die Anwesenden durch lateinische Apophtegmen und gebildete Wörter zu beeindrucken: So vergleicht er das von der Mesonera kredenzte Essen überschwänglich mit "ambrosía" (DA, 77), der Speise der Götter, und dankt ihr für das Essen mit einem Vergilzitat: "tu das mihi epulis accumbere divum" (DA, 78) (übersetzt: Du lässt mich an einem Festmahl der Götter teilhaben). Der Alcalde nennt ihn gar einen "hombre de bien […] que dice verdad" (DA, 82). Das Volk hingegen zeigt sich wenig beeindruckt von dem Wissen des Licenciado und auch Tio Trabuco, der die als Mann ver- 52 Auf den Kern der cervantinischen Novelle - die locura des Licenciado und die damit einhergehende Vorstellung, er sei aus Glas - wird in dem Theaterstück jedoch nicht rekurriert. <?page no="99"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 99 kleidete Leonor in die Herberge brachte, will lieber bei den Eseln schlafen, "que no saben latín ni son bachilleres" (DA, 81), als sich weiter den klugen Reden des Licenciado aussetzen. Ähnlich wie der Licenciado Tomás verfügt Pereda jedoch auch über einen scharfen Verstand, hat er doch sogleich die in Männerkleider gehüllte Person als Frau erkannt. Es zeigt sich eine Diskrepanz zwischen den Vertretern des Volkes und den Gebildeten, die nicht die gleiche Sprache sprechen. Zwar tritt Pereda als Verkünder der Wahrheit auf, das Volk hingegen hört nicht auf seine Rede. Somit heben die intertextuellen Bezüge zu Cervantes' Novelas ejemplares in besonderem Maße die gesellschaftskritischen Implikationen des romantischen Dramas Don Álvaro hervor und lassen den Schein und die Täuschung der gesellschaftlichen Verhältnisse umso offensichtlicher werden. e) Topos der Verkehrten Welt: Don Álvaro, Traidor, inconfeso y mártir Wie bereits im barocken Kontext von engaño und desengaño kulminiert die Scheinhaftigkeit der Welt schließlich im Rekurs auf den Topos der Verkehrten Welt, der seit der Antike ein geeignetes Mittel zur Gesellschaftskritik in der Literatur darstellt. 53 Im Kontext dieses Topos' lassen sich in Don Álvaro o la fuerza del sino intertextuelle Bezüge zu den Novelas ejemplares des Miguel de Cervantes de Saavedra herausarbeiten. Auf drei der cervantini- schen Novellen rekurriert das romantische Drama des Duque de Rivas namentlich: La Gitanilla, El licenciado Vidriera und Rinconete y Cortadillo. In der kostumbristischen Eingangsszene des Dramas taucht die Zigeunerin Preciosilla auf, die dem spanischen Publikum aus La Gitanilla bestens bekannt ist. Es ist jedoch nicht nur die bildliche Szene der Hand lesenden Zigeunerin Preciosa, die dem Soldaten in der Novelle tatsächlich aus der Hand liest, die ein intertextuelles Bezugssystem zwischen den beiden literarischen Texten aufbaut, sondern es lassen sich weitere inhaltliche Parallelen aufzeigen, die auf der übergeordneten Deutungsebene eine interpretatorische Einordnung des romantischen Dramas ermöglichen. Mit La Gitanilla rekurriert Cervantes auf den Topos der Verkehrten Welt, insofern als hier ein adliger Soldat um die Hand eines überaus hübschen und gebildeten Zigeunermädchens anhält, diese aber nun nicht sogleich beglückt die Hand des adligen Prätendenten ergreift, sondern eine Bewährungsprobe des zukünftigen Ehemannes im Zigeunermilieu einfordert, worauf jener sich tatsächlich einlässt. Am Ende wird jedoch auch hier die Ordnung restituiert, stellt sich doch heraus, dass Preciosa die verschollene Tochter des adligen "Don Fernando de Azevedo, caballero del hábito 53 Zum Topos der Verkehrten Welt s. die Aufsätze in dem Sammelband: Jean Lafond, Augustin Redondo, (Hg), L'image du monde renversé et ses représentations littéraires et para-littérarires de la fin du XVe siécle au milieu du XVle, Paris: Librairie Philosophique J. Vrin, 1979. <?page no="100"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 100 de Calatrava" 54 ist. Während die Gesellschaft in dieser Novelle von Schein und Täuschung beherrscht wird - worin der gesellschaftskritische Aspekt des Textes liegt -, steht das Liebespaar für das Ideal der Wahrheit schlechthin. In Don Álvaro o la fuerza del sino wird der reiche Don Álvaro, von dessen adliger Abstammung man zunächst nichts erfährt, nicht als Prätendent der adligen Leonor anerkannt, obwohl die adlige Familie bereits völlig verarmt ist und das Ideal der limpieza de sangre nur zur Wahrung des Scheins der einstigen Größe dient. 55 Auch hier prägt folglich der Topos der Verkehrten Welt die gesellschaftliche Realität. Während der Glanz vergangener Größe, den das Landhaus des Marqués repräsentieren soll, bereits abblättert, wie man den Bühnenanweisungen in Szene V des ersten Aktes entnehmen kann, muss Don Álvaro als Abkömmling des Vizekönigs von Peru und der Inka-Prinzessin seine wahre Größe verbergen, da seine Eltern beim spanischen König in Ungnade gefallen sind. In der zweiten kostumbristischen Szene des Stückes, zu Beginn des zweiten Aktes, die in der Herberge des señor Monipodio und seiner Frau, der señora Colasa, spielt, wird zugleich auf zwei cervantinische Novellen angespielt: 56 Rinconete y Cortadillo und El licenciado Vidriera. Erstere spielt im Gaunermilieu in der Nähe Alcudias, wo Monipodio als strenger und ordnungsliebender Chef einer Räuberbande auftritt, die sich durch eine extreme Religiösität auszeichnet. Auch hier rekurriert Cervantes auf den Topos der Verkehrten Welt zur satirischen Kritik der zeitgenössischen Gesellschaft. 57 Die Namensgleichheit des Mesonero in Don Álvaro o la fuerza del sino mit dem Chef der Räuberzunft und der Hinweis des Alcalde "no hay una persona más limpia que la señora Colasa ni un mesón como el del señor Monipodio" (DA, 76f.), sowie die Tatsache, dass Monipodio ebenfalls recht gläubig wirkt, dürfen somit als deutliches Zeichen einer satirischen Kritik an den Herbergsleitern gelten. Sieht man genau hin, dann verbirgt - ähnlich wie im Fall des adligen Marqués, in dessen Haus alles "deteriorado" erscheint - die Reinheit von Person und Ort, Mesonera und mesón, hier den trügerischen Schein der vermeintlich integeren bürgerlichen Schicht. Dies belegt die Tatsache, dass Monipodio seine Frau mehrfach auffordert, nicht so neugierig zu sein - "¿Quién diablos te mete en hablar de los huéspedes? " (DA, 80) und "¿Quién te mete a ti en saber vidas ajenas? ¡Maldita sea tu curiosidad! " (DA, 82), und dass sie, als sie die Flucht der unbekann- 54 Miguel de Cervantes Saavedra, Novelas ejemplares I, hg. von Harry Sieber, Madrid: Cátedra 1997 (Letras Hispánicas, 105), S. 127. 55 Vgl. hierzu auch die Novelle La fuerza de la sangre und die intertextuellen Parallelen zwischen Rodolfo und Don Alfonso, deren Charakter kaum adligen Ansprüchen gerecht wird, sondern eher als brutal, oberflächlich und egoistisch zu bezeichnen wäre. 56 Hierbei handelt es sich um mehr als eine "homenaje a Cervantes", wie Casalduero dies nennt. Vgl. Joaquín Casalduero, "Don Álvaro o el destino como fuerza", S. 263. 57 Vgl. Christoph Strosetzki, Miguel de Cervantes. Epoche - Werk - Wirkung, München: Beck 1991, S. 68. <?page no="101"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 101 ten Person (Leonor) entdecken, in erster Linie daran interessiert sind, zu sehen, ob irgendwelche materiellen Dinge fehlen. Von der Sorge um die unbekannte Person ist nichts zu bemerken. Als sie feststellen, dass der unbekannte Gast sogar seine Zeche bezahlt hat, zeigen sie sich hocherfreut und die Szene schließt mit Monipodios Worten: Pues con bien la lleve dios, y vámonos a acostar, y mañana no charlar; que esto quede entre los dos. Echa un cuarto en el cepillo de las ánimas, mujer, y el duro véngame a ver; échamelo en el bolsillo. (DA, 84) Über den Rekurs auf den Topos der Verkehrten Welt und die eingearbeiteten intertextuellen Verweise zu Cervantes' Novellen wird in dem romantischen Drama Don Álvaro o la fuerza del sino eine Gesellschaftskritik an der adligen und bürgerlichen Schicht evident, die einerseits den falschen Schein des auf seiner vergangenen Größe beharrenden Adels offenbart, andererseits die aufstrebende bürgerliche Schicht ob ihrer Orientierung an materiellen Werten bloßstellt. In dieser Skizzierung lassen sich erste Anzeichen der beginnenden Verbürgerlichung gewisser Teile der spanischen Gesellschaft im Zeitalter der Romantik erkennen, die zur Wahrung ihres Besitzstandes zum Schein religiöse Gläubigkeit signalisiert. Ähnliches trifft auf Traidor, inconfeso y mártir zu. Hier rekurriert Zorrilla sehr facettenreich auf den Topos der Verkehrten Welt. Nach der Verhaftung Gabriels bemüht sich der Richter Don Rodrigo drei Monate lang, mit allen Mitteln die Wahrheit über den pastelero aus Madrigal ans Licht zu bringen, der so große Ähnlichkeit mit dem tot gewähnten portugiesischen König Don Sebastián hat. Hier, wie in der Conjuración de Venecia wird der Einsatz von Folter bei der angebllichen Wahrheitsfindung kritisiert. Stattdessen erfolgt die Verurteilung, weil der Angeklagte den Vorwurf nicht negiert habe. Bereits hier dürfte den Zuschauern klar sein, dass dem Angeklagten vor diesem Gericht keine Gerechtigkeit widerfähren wird. Dem standfesten pastelero gelingt es indessen, den Spieß umzudrehen: In Szene zwei des dritten Aktes nimmt Gabriel den Richter ins Kreuzverhör. Die karnevaleske Situation der Umkehrung der Machtstrukturen zwischen Richter und Angeklagtem umschreibt er mit den Worten: "Me ahorcáis, / / y se concluyó la fiesta." (TIM, 156) Gabriel verhöhnt den Richter, indem er sein Wissen um die dunklen Schatten der Vergangenheit in Don Rodrigos Leben ausspielt. Gabriel verlangt vom Richter, dass er vor Gabriel auf die Knie gehe, bevor er ihn auf die unwürdige Geschichte anspricht, die sich einst in einem Kloster in Portugal abgespielt habe: "un monasterio habéis visto / / cuya sagrada vivienda / / fue teatro de una horrenda / / profanación? " (TIM, 159f.) In dieser Anspielung auf eine Ver- <?page no="102"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 102 gewaltigung in einem Kloster kann man einen weiteren Rekurs auf den Topos der Verkehrten Welt erkennen. Deutliche Kritik wird über dieses Stilmittel an der für die gesellschaftliche Institution der Gerechtigkeit stehenden Instanz des Richters geübt. Im Folgenden wird zu zeigen sein, wie der romantische Held Gabriel Espinosa die Lebenslüge des Richters Schritt für Schritt über die Techniken des desengaño entlarvt. f) Der Traum als Medium der Erkenntnis: El Trovador, Traidor, inconfeso y mártir Der Traum ist nicht erst seit der Romantik ein tradiertes literarisches Motiv für das Medium, das den Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit führen kann. 58 Schon im Siglo de Oro war der Traum das Medium zur Selbsterkenntnis, über das sich dem Helden aber auch die universelle menschliche Wahrheit erschloss. Im Trovador stellt Manriques Traum in gewisser Weise eine Vorausdeutung auf das tragische Ende des Stückes dar. Seine romantische Liebe wird in dem Traum unter Bezug auf die Natur metaphorisch untermalt. Die liebliche Schilderung wird abrupt von einem herannahenden Gewitter unterbrochen, das die Berge erzittern lässt. Ein Fantasma erscheint vor seinem geistigen Auge, welches das Begehren nach Rache symbolisch zum Ausdruck bringt. Als Manrique im Traum neben sich greift, weilt dort nicht mehr seine geliebte Leonor, sondern un esqueleto, y al tocarle osado en polvo se deshizo, que violento llevóse al punto retronando el viento. (Tr, 169) Ein Traum verhilft ihm somit zu der Erkenntnis, dass er Leonor die Wahrheit schuldet. Die gesellschaftlichen Wertvorstellungen zwangen den Helden Manrique, seine wahre Herkunft vor der Geliebten zu leugnen. Als Troubadour und Soldat sucht der als Sohn der Zigeunerin Azucena aufgezogene Sohn des Conde de Artal zu Ruhm zu gelangen, um sich seiner adligen Herzensdame Leonor als würdig zu erweisen. Erst als seine Mutter Azucena in Lebensgefahr gerät, offenbart er seine vermeintlich wahre Abstammung aus dem Pflichtgefühl des Sohnes. Das Motiv des zu Staub zerfallenden Skelettes, das in Manriques Traum auftaucht, verweist in der Literatur einerseits traditionell auf die Vergänglichkeit des menschlichen Daseins - das in der barocken Dichtkunst beliebte vanitas-Motiv -, andererseits darf dies auch als Vorausdeutung auf Leonors Freitod am Ende des Stückes gedeutet werden. Manrique gelingt es jedoch nicht, aus diesem Traum eine Erkenntnis abzuleiten. Wohl bekennt er sich gegenüber Leonor zu seiner (angeblichen) Herkunft als Sohn der Zigeunerin Azucena (Tr, 171) und deutet den Traum als Verpflichtung, seine Mutter zu rächen. (Tr, 172) In Kenntnis des gesamten Dramas gelingt 58 Vgl. Christine Walde, Traumdarstellungen in der griechisch-römischen Dichtung, München, Leipzig: De Gruyter 2001. <?page no="103"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 103 es dem Leser bzw. Zuschauer hingegen, in dem im Traum gehörten Ausruf "¡Véngame! " einen Verweis auf die am Beginn des Stückes stehende Rachsucht der Mutter Azucenas zu erkennen. Die tragischen Auswirkungen dieser Aufforderung zur Rache vermag das Publikum spätestens mit dieser Szene zu erahnen. Während der Traum in der Literatur des Siglo de Oro generell als Medium der Erkenntnis in Erscheinung tritt, ist dem Helden im romantischen Drama El Trovador der Zugang zur Wahrheit auch über dieses Medium verwehrt. Das Schicksal des romantischen Helden kulminiert scheinbar unausweichlich in dessen Tod. Damit wird die pessimistische Grundhaltung der Romantik, die aus der Betrachtung einer ins Ungleichgewicht geratenen, disharmonischen Welt resultiert, auch in diesem romantischen Drama unterstrichen. Auch im Traidor, inconfeso y mártir führt die Erkenntnis des engaño über den Rekurs auf die Traummetaphorik. So enthüllt Gabriel seiner angeblichen Tochter Aurora im Schlaf, dass sie es gar nicht ist. Die zufällig mitgehörten Worte des schlafenden Gabriel erwecken in Aurora leidenschaftliche Gefühle der Liebe. Auf einer anderen Ebene wird die aus Calderóns La vida es sueño bekannte Metaphorik aufgegriffen, um dem Richter Don Rodrigo den Blick auf seine Lebenslüge zu öffnen. Beunruhigt von Gabriels Anspielungen bemüht sich Don Rodrigo, die Wahrheit über Aurora und ihren angeblichen Vater herauszufinden, der anscheinend Kenntnis von einem weit zurückliegenden Ereignis im Leben des Richters hat. Aurora kann dem Richter jedoch nur bruchstückhaft das Wissen widergeben, das Gabriel ihr mitgeteilt hat. (TIM, 172) In Anpielung auf die griechische Mnemosyne, die als Göttin der Erinnerung galt, wird sie so zum Medium der Erinnerung auf dem Weg zur Wahrheitsfindung. Doch auch sie kennt nicht die ganze Wahrheit: "una horrible infernal leyenda / / que conserva Gabriel en su memoria […]" (TIM, 179) Den Schlüssel zur Wahrheit behält der pastelero aus Madrigal indessen bis zum Schluss in seinen Händen. Er wird für den Richter schließlich zu einem Fantasma, das diesen in seiner Wirklichkeitswahrnehmung beeinträchtigt und ihm Alpträume verursacht; folglich ist er nicht mehr in der Lage, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden. Als der Richter - unter der Bedingung, dass Aurora ihm über ihre Herkunft Bericht erstatte - Gabriel die Freilassung gewähren will, konfrontiert ihn dieser mit einer "historia divertida" (TIM, 185), die zum dramatischen Ende des Stückes führen wird. Durch Andeutungen lässt er vor Don Rodrigos geistigem Auge die Erinnerung an eine Geschichte wach werden, von der dieser geglaubt hatte, sie sei nur ein böser Traum gewesen. Gabriel hatte einst nachts den jetzigen Richter überfallen, um durch den ebenfalls anwesenden Pfarrer die Ehe mit der adligen Dame zu vollziehen, die Don Rodrigo einst im Kloster entehrt hatte. Auf diese Weise enthüllt Gabriel zum einen die Lebenslüge des Richters, der eine Frau vergewaltigte, und entlarvt zugleich den angeblichen Traum als reales Geschehen. Hierin kann man <?page no="104"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 104 auf poetologischer Ebene eine Verschränkung von Memoria und Imagination erkennen. Der metapoetische Diskurs des Dramas lässt sich auch am Beispiel der Spiegelung der beiden Handlungsstränge erkennen. So wird der pastelero aus Madrigal zum Richter des eigentlichen Richters. Das Geheimnis seiner Identität nimmt er indessen mit ins Grab, denn der eintreffende Henker wird nicht mehr von der verabredeten Freilassung Gabriels unterrichtet. Zu spät erhebt Don Rodrigo seine Stimme, um das tragische Geschehen noch zu verhindern. Ein Schriftstück, das Gabriel Don Rodrigos Sohn César anvertraut hatte, enthüllt abschließend, dass der pastelero tatsächlich der portugiesische König Don Sebastián ist. Rückblickend wird über die Figur des Gabriel Espinosa eine metapoetische Komponente des Stückes deutlich. Der so standfeste Held, der am Ende den tragischen Tod vor dem Henker erfährt, hat die ganze Zeit die Fäden des Geschehens in seinen Händen gehalten. Unter Rekurs auf den Topos des theatrum mundi hat Zorrilla mit dem pastelero eine Figur geschaffen, die als Autor auf die Bühne tritt und den anderen Figuren ihre Rollen zuweist. Er allein kennt die Wahrheit: "la llave tengo solo yo" (TIM, 109). Wie ein Regisseur lenkt Gabriel Aurora, César und Don Rodrigo; lässt ihnen jeweils nur soviel Wissen der Wahrheit zu Teil werden, wie für den nächsten Handlungsabschnitt notwendig ist. Aurora hat er - wie wir weiter oben gezeigt haben - als Medium benutzt, das seine Erinnerung gezielt an Don Rodrigo weitergibt. Für Don Rodrigo inszeniert Gabriel - wie gezeigt werden konnte - das ganze Bühnengeschehen. Gabriels Gerichtsverhandlung wird zum Spiegel der Enthüllung der Lebenslüge des Richters. Abschließend händigt er schließlich noch dessen Sohn César ein Schriftstück aus, das die ganze Wahrheit aufdecken wird, aber erst nach dem Tod des pastelero zu öffnen sei. César folgt seiner zugewiesenen Rolle und so enthüllt sich erst nach der Hinrichtung Gabriels die Tatsache, dass Aurora die Tochter des Richters ist, die aus der Vergewaltigung der adligen Dame im Kloster hervorgegangen ist. Das barocke Motiv der Welt als Bühne, auf der die Menschen nur eine ihnen von Gott zugewiesene Rolle zu spielen haben, wird in dem romantischen Drama Zorrillas unter einem neuen metapoetischen Diskurs reflektiert: Autor ist nicht mehr Gott, sondern ein Mensch, der jedoch sein Lebenslicht mit dem Ende des Bühnenstückes aushaucht. In beiden romantischen Dramen verstellen Heuchelei und Scheinhaftigkeit den Blick auf die Realität, und das Streben nach Wahrheit steht in Analogie zur barocken Thematik des engaño und desengaño, die hier unter Rückgriff auf die Metapher des Traums versinnbildlicht wurde. Während im Siglo de Oro aber die Scheinhaftigkeit noch durch ein auf der göttlichen Ordnung beruhendes, fest gefügtes Gesellschaftssystem aufgefangen wurde, steht der moderne Mensch ohnmächtig vor dem Scherbenhaufen einer erschütterten Welt, die jeglicher Werte oder Ordnungen verlustig gegangen ist. <?page no="105"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 105 3.3.4 Die Suche nach der göttlichen Wahrheit Das Streben nach Wahrheit und Erkenntnis greift in dem romantischen Drama Don Juan Tenorio von weltlichen Bereichen auf die religiöse Dimension über. Zu Beginn des Stückes kommen Don Gonzalo de Ulloa und Don Diego Tenorio in das Wirtshaus Butarellis, um die Wahrheit über Don Juans Schandtaten zu erfahren. Um ihre Identität nicht vorzeitig preiszugeben, verbergen die beiden adligen Väter ihre Gesichter hinter einer Maske. Ziel dieser Wahrheitssuche ist jedoch allein die Frage, inwiefern Don Juan durch sein Verhalten die Ehre der beiden Familien schädigt. Vergebung oder gar der Versuch der Bekehrung des Sünders im Sinne des christlichen Glaubens ist nicht die Sache der beiden hochmütig auftretenden Adligen. Im zweiten Teil tritt Don Gonzalo de Ulloa dann zwar als Vertreter der göttlichen Wahrheit auf: Y heme que vengo en su nombre a enseñarte la verdad; y es: que hay una eternidad tras de la vida del hombre. [...] Dios, en su santa clemencia, te concede todavía, Don Juan, hasta el nuevo día para ordenar tu conciencia. (DJ, 212) Es wird jedoch bald deutlich, dass sein Bestreben, Don Juans Seele zu retten, recht zweifelhaft ist, schließlich versucht er im letzten Akt den romantischen Rebellen in den Abgrund der Hölle zu ziehen. Don Juan erkennt noch rechtzeitig, dass in der Handreichung des Comendador de Calatrava kein Freundschaftsbeweis zu sehen ist, wie dieser bekundet: "Sí: que injusto fui contigo, / / y Dios me manda tu amigo / / volver a la eternidad." (DJ, 224), sondern vielmehr das Bestreben, Don Juan mit in die Hölle zu ziehen, in der er aufgrund seines Hochmutes - eine der sieben Todsünden - gelandet ist: Ahora, Don Juan, pues desperdicias también el momento que te dan, conmigo al infierno ven. (DJ, 224) In letzter Sekunde erkennt Don Juan dann aber doch noch die göttliche Wahrheit und ergreift seine Chance zur Errettung seiner Seele, indem er ein Glaubensbekenntnis ablegt: yo, Santo Dios, creo en Tí: si es mi maldad inaudita, tu piedad es infinita... ¡Señor, ten piedad de mí! (DJ, 224) Zu der Erkenntnis der Wahrhaftigkeit Gottes gelangte Don Juan in der schrittweisen Entlarvung des die Welt prägenden Scheins. Auf diesem Weg <?page no="106"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 106 zur Erkenntnis übernahm Doña Inés - analog zu Beatrice in Dantes Divina Commedia - die leitende Funktion. Als Don Juan fünf Jahre nach dem Duell mit Don Gonzalo de Ulloa und Don Luis nach Sevilla zurückkehrt, wird er in dem zum Pantheon umgewandelten Palast der Teonorios mit den Skulpturen des Bildhauers konfrontiert, der diese Auftragsarbeit dem Willen des Don Pedro Tenorio zu Folge ausgeführt hat. Mit dem Bildhauer führt Don Juan ein Gespräch über das Wesen der Kunst. 59 Wahrheit, Aufrichtigkeit und Authentizität sind die Schlagworte, die in der Romantik das klassische Prinzip der Wahrscheinlichkeit als poetologisches Postulat der Dichtung ablösen. Die Wirklichkeitswahrnehmung folgte nicht mehr der antiken idealisierenden Mimesis, sondern verlagerte sich in das erkennende und empfindende Subjekt. 60 Dabei wird die Wiedergabe der Wahrnehmung der Welt gesteuert von erinnernden wie imaginierenden Komponenten. Genau dieses Wechselspiel zwischen Imagination und Memoria lässt sich im Don Juan Tenorio nachvollziehen. Die Kunstwerke rufen ihm die in Vergessenheit geratenen Erinnerungen an die Personen und Ereignisse in Sevilla zurück, die ihn zur Flucht veranlasst hatten. Im Sinne der antiken Gedächtniskunst, derzufolge loci und imagines agentes als Gedächtnisstützen fungieren, wecken die Skulpturen Don Juans Erinnerung. Zugleich inspirieren die Figuren aber auch seine Vorstellungskraft und werden scheinbar zum Leben erweckt. In der griechischen Antike hingen die Konzepte von Memoria und Imagination eng zusammen, worauf schon das mythologische Figurenarsenal symbolisch hinweist: Mnemosyne, die Göttin der Erinnerung, war zugleich Mutter der Musen, die den Dichter zu seinen Kunstwerken inspirierten. 61 Im zweiten Teil des romantischen Dramas, das Zorrilla im Untertitel drama religioso-fantástico nennt, trägt die Darstellungsebene Züge des Fantastischen. Da Don Juan jedoch die einzige der dramatischen Personen ist, die die Skulpturen in Bewegung sieht - weder der Bildhauer, der Don Juan aufgrund seiner Visionen für verrückt erklärt, noch seine ebenfalls anwesenden Freunde Avellaneda und Centellas sind in der Lage, dies zu sehen, sie fallen währenddessen in Ohnmacht -, wird deutlich, dass der fantastische Teil des Stückes allein ein Produkt der Imagination Don Juans darstellt. Don Juans Wahrnehmung der Wirklichkeit ist gestört, er hält die sich bewegenden Skulpturen zunächst für eine Sinnestäuschung und appelliert an Doña Inés, ihm dabei behilflich zu sein, zwischen Schein und Sein zu unterscheiden. Über die Mittel des Fantastischen, das zwar einerseits irreal, 59 Vgl. hierzu Kap. 3.4.5 der vorliegenden Studie. 60 Vgl. Franz Penzenstadler, Romantische Lyrik und klassizistische Tradition. Ode und Elegie in der französischen Romantik, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2000, S. 336. Penzenstadler spricht in diesem Zusammenhang von einer "individualisierenden Mimesis". 61 Vgl. hierzu: Aleida Assmann, "Zur Metaphorik der Erinnerung", in: Dies., Dietrich Harth (Hg.), Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung, Frankfurt/ M. Suhrkamp 1991, S. 13-35. <?page no="107"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 107 andererseits aber durchaus greifbar erscheint, wird die endgültige Wandlung Don Juans herbeigeführt, die ihn zur Erkenntnis der göttlichen Wahrheit führen soll. Hierin liegt ein intertextueller Bezug zu Calderóns La vida es sueño. In der barocken comedia seria gelangt der Protagonist Segismundo erst dadurch zur Erkenntnis des moralisch richtigen Handelns, dass man ihn vorübergehend in einen künstlichen Schlaf versetzt und ihn die Wirklichkeit für einen Traum halten lässt. Wie Segismundo hält Don Juan die zu ihm sprechenden Skulpturen des Comendador und der Doña Inés für eine Illusion und bezichtigt seine beiden zum Gastmahl geladenen Freunde, ihn mit einem Schlafmittel betäubt zu haben. (2. Teil, 2. Akt, Szene V) Durch den Einsatz rationaler Argumente versucht er den Auftritt des Comendador, der über die Fähigkeit verfügt, durch die Wand zu gehen, als Illusion zu entlarven: ¿No me dijo: 'El mármol toca de mi estatua'? ¿Cómo, pues, se desvanece una roca? ¡Imposible! Ilusión es. (DJ, 213) Auf der realen Darstellungsebene erliegt Don Juan schließlich im Duell dem Capitán Centellas, dem er vorgeworfen hatte, zusammen mit Avellaneda die fantastisch anmutenden Ereignisse fingiert zu haben. 62 Das akustisch wie visuell fantastische Züge annehmende Bühnendekor und von der düsteren Friedhofsszenerie, dem Klang der Kirchenglocken und dem Anblick der Skelette verunsichert, hält Don Juan die Erscheinung der Doña Inés zwar für einen Traum, sucht aber dennoch die Statue des Comendador auf, um die Wahrheit herauszufinden. Der drohende Vertreter der alten Ordnung mahnt den zweifelnden Don Juan, sich um sein Seelenheil zu kümmern. (DJ, 220) Die Rettung kommt am Ende aber der Figur der Inés zu: DJ: La voluntad de Dios es: de mi alma con la amargura, purifiqué su alma impura y Dios concedió a mí afán la salvación de Don Juan al pie de la sepultura. (DJ, 225) 62 In der Wahl der Namensgebung dieser beiden Figuren lässt sich eine Anspielung auf Miguel de Cervantes erkennen, der insbesondere im Don Quijote und in den Novelas ejemplares poetologische Aspekte metafiktional reflektierte. Avellaneda war der Autor, der eine unautorisierte Fortsetzung des Don Quijote schrieb, bevor Cervantes selbst den zweiten und letzten Teil seines Romanwerkes vollendete. Strosetzki, Christoph, Miguel de Cervantes. Epoche - Werk - Wirkung, München: Beck 1991 <?page no="108"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 108 Schließlich unterstreicht sie, dass es die Liebe war, welche Don Juan an der Schwelle zum Grab gerettet habe, und Don Juan stimmt in seinem Monolog in der Schluss-Szene ein Loblied auf den barmherzigen Gott an, der dem reuigen Sünder in letzter Sekunde seine Gnade erwiesen habe. 3.4 Der romantische Liebesdiskurs 3.4.1 Der Liebesdiskurs als Medium des Schönen In der Literatur stellt der Liebesdiskurs das Medium dar, über welches das Schöne literarisch reflektiert wird. Wie Umberto Eco konstatiert, war "Schönheit nie etwas Absolutes und Unveränderliches […], sondern [hatte] je nach der historischen Epoche und dem Land verschiedene Gesichter […]". 63 Der kursorische Blick über die Geschichte der Schönheit in der abendländischen Kultur zeigt, dass die Vorstellung von der Schönheit bei unterschiedlichen Völkern zu unterschiedlichen Zeiten mehr oder weniger stark differiert. In der Bewertung dessen, was wir als schön empfinden, orientieren wir uns - so Eco - an dem, was wir selbst zu besitzen wünschen. 64 Der Diskurs des Begehrens prägt folglich in besonderem Maße die menschliche Vorstellung des Schönen. Eine der augenscheinlichsten Neuerungen, welche man mit der Epoche der Romantik in Verbindung bringt, ist der Wandel in der Konzeption der Liebe in der Literatur. Eine leidenschaftliche Liebe verbindet den Helden und seine Auserwählte. Die Besonderheit dieser Beziehung liegt in der Exklusivität ihrer wechselseitigen Liebe begründet. Die leidenschaftliche Liebe verabsolutiert das Gefühl, behauptet - mit den Worten Detlef Kremers gesprochen - "die Autonomie des Gefühls, das sich nur durch sich selbst begründen lässt, und seine Absolutheit, die durch kein anderes Gefühl relativiert wird." 65 Obwohl die Ehe als Ziel der gemeinsam empfundenen Liebe erstrebt wird, ist der romantischen Liebe keine irdische Erfüllung vergönnt. Erst im Tod sind die Geliebten vereint, ein irdisches Glück hingegen ist ihnen nicht beschieden. In den hier analysierten romantischen Dramen lässt sich der Wechsel vom galanten zum romantischen Liebesdiskurs am signifikantesten in drei Dramen nachvollziehen, in denen der romantische Held ein mittelalterlicher Troubadour ist: Macías, El Trovador und Los Amantes de Teruel. Welche Konsequenzen der Wandel zum romantischen Liebesdiskurs für die Ästhetik hat, soll dabei im Folgenden betrachtet werden. Desweiteren wird die Liebe im Spannungsfeld von individuellem Begehren und gesellschaftlicher Verpflichtung, in den romantischen Dramen erörtert. Hier stellt sich 63 Umberto Eco, Die Geschichte der Schönheit, aus dem Italienischen von Friederike Hausmann und Martin Pfeiffer, München: Carl Hanser Verlag 2004, S. 14. 64 Vgl. ebd., S. 9. 65 Detlef Kremer, Prosa der Romantik, S. 103. <?page no="109"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 109 u.a. die Frage nach der Konzeption des modernen Menschen, der in Konflikt mit den gesellschaftlichen Wertvorstellungen gerät. In diesem Zusammenhang ist das Verhältnis der antagonistischen Leidenschaften - Liebe und Hass - im Falle der Nicht-Erwiderung der Gefühle besonders erhellend. Der zweite thematische Aspekt dieses Unterkapitels zum romantischen Liebesdiskurs wird die romantische Liebe im Zeichen der Synthese von Liebe und Tod behandeln. Wie sich dies auf der ästhetischen Ebene auswirkt, wird unter Punkt 3.3.3 zu zeigen sein. Als dritter Aspekt wird in diesem Unterkapitel der Frage einer sich abzeichnenden Sakralisierung der Liebe in den romantischen Dramen nachgegangen, um aufzuzeigen, inwiefern die Liebe in Zeiten der gesellschaftlichen Desakralisierung zu einer Art Ersatzreligion mutiert. Auch hier wird zu klären sein, welche Folgen sich aus diesem Wandel im Liebesdiskurs für die Ebene der Ästhetik ergeben. Lässt sich eine Analogie zwischen dem Wandel in der Konzeption des Liebesdiskurses und der Konzeption der Literatur feststellen, wie er für die Moderne signfikant ist? Mit anderen Worten: Wandelt sich die Liebe im romantischen Drama zum Medium der literarischen Selbstreflexion? 3.4.2 Zwischen höfischer Galanterie und romantischer Leidenschaft a) Macías In Mariano José de Larras Drama stehen sich der Held Macías und sein Antagonist Fernán nicht nur als Rivalen um die Zuneigung ihrer Herzensdame Elvira gegenüber, sondern zugleich als Repräsentanten zweier gegensätzlicher Liebesdiskurse. 66 Beide Rivalen rühmen die Schönheit der Dame, die jeweiligen Prämissen und Zielsetzungen ihrer respektiven Liebe zu Elvira sind jedoch grundverschieden. Fernán übt sich - wenn auch nur wenig glücklich - in den Floskeln der höfisch-galanten Liebe, mit welcher die Troubadoure im Mittelalter die höfischen Damen umgarnten. Während der galante Liebesdiskurs jedoch auf eine Sublimierung der Liebe abzielte, der Troubadour das Loblied auf die begehrte Dame dem Eros der Ferne entsprechend mehr als Ausdruck der männlichen Ehrerbietung anstimmte, denn nach Erfüllung des männlichen Begehrens strebte, setzt Fernán sein Liebeswerben ohne Umschweife zielorientiert ein. Es wird sehr bald deutlich, dass sein Interesse an Elvira eher auf dem materiellen Tauschwert gründet, den er in seiner zukünftigen Ehefrau sieht, wie er im Gespräch mit deren Vater Nuño zu erkennen gibt. Es ist weniger die Schönheit der Frau - wie noch in der höfisch-galanten Liebe - als vielmehr der schnöde Mammon, der hier zwischen Vater und Gemahl verhandelt wird. Fernán erläutert dies wie folgt: 66 Zu den Liebediskursen vgl. Niklas Luhmann, Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, Frankfurt/ M: Suhrkamp 1999. <?page no="110"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 110 justo es que compréis con oro lo que ganáis en decoro, y que yo caro me venda. (M, 77) Man sieht, dass die Ausläufer der galanten Liebe hier an ihr Ende gelangt sind und die romantische Liebe in Konflikt mit der von der aufklärerischen Gesellschaft propagierten Vernunftehe gerät. So zeigt sich Elviras Vater Nuño den "razones" (M, 78), die Fernán hinsichtlich einer Eheschließung mit Elvira äußert durchaus offen. (M, 78) Letzterer hatte nicht nur seinen adligen Stand und seine Beziehungen in die Waagschale geworfen, sondern auch auf seine Machposition hingewiesen, die er nutzen würde, sofern Nuño seinem Heiratsbegehren nicht zustimmen sollte. Ihre leidenschaftliche Liebe für Macías macht es Elvira zunächst unmöglich, eine Ehe mit Fernán auch nur in Erwägung zu ziehen. Im Widerstreit zwischen ihren Gefühlen und der Verpflichtung zum Gehorsam gegenüber der väterlichen Entscheidung, bei Ablauf der Frist den ungeliebten Prätendenten zu ehelichen, bittet sie den Vater um Verständnis für ihre Lage: Yo más fuerzas encontrar en mí propia presumía cuando el plazo pedí: mas, ¡ay! , yo nunca pensé que de él mi amor se olvidaría. Mira mi corazón, débil juguete de una pasión tirana, inextringuible, […] (M, 96) Als romantisch liebende Frau erscheint es ihr unmöglich, einem Mann, für den sie nur Hass empfindet, vor Gott ewige Treue zu schwören. Zudem wirft sie ihre vermeintliche weibliche Schwäche in die Waagschale, die verhindere, dass sie ihre große leidenschaftliche Liebe zu Macías vergessen könne. Ihr Vater Nuño schlägt sie nun jedoch mit ihren eigenen Waffen, indem er ihr vorhält, durch die Setzung der Frist hätte sie eine andere Entscheidung unmöglich gemacht. Elvira zeigt sich erst bereit, diese Vernunftehe einzugehen, als sie infolge der von Fernán vorgetragenen Lüge, Macías liebe bereits eine andere Frau, in Eifersucht verfällt und die Ehe mit dem Rivalen Macías' als Möglichkeit der Rache gegenüber dem vermeintlich untreuen Geliebten erachtet. Der Institution der Ehe wird von den Dramenfiguren - abhängig vom jeweiligen Liebesdiskurs - eine unterschiedliche Bedeutung beigemessen. Zwischen Elvira und Fernán besteht ein Dissens über die Bedeutung ihrer Eheschließung. Während Fernán darauf beharrt, dass sie als seine Ehefrau an seiner Seite zu leben habe: "Mi esposa sois, y viviendo, / / mi mujer habréis de ser, / / que no hay quien pueda romper / / tal lazo." (M, 184), stellt Elivra die ehelichen Bande doch mehr als in Frage, wenn sie Fernán entgegnet: "[...] pues con vos casada estoy; / / mas ya que aún vuestra no soy, [...]" (M, 182) <?page no="111"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 111 Im Eintreten für die romantische Liebe wird an der gesellschaftlichen Institution der Vernunftehe gerüttelt. Dies unterstreicht Macías, wenn er im folgenden Zitat Ehe und Liebe im Sinne des romantischen Liebesdiskurses untrennbar miteinander verknüpft: Los Amantes son solos los esposos Su lazo es el amor: ¿cuál hay más santo? su templo el universo: dondequiera el Dios los oye que los ha juntado Si en las ciudades no, si entre los hombres ni fe, ni abrigo, ni esperanza hallamos, las fieras en los bosques una cueva cederán al amor. (M, 163) Die Verknüpfung der Liebe mit der Ehe stellt Luhmann zufolge das Novum des romantischen Liebesdiskurses dar. 67 Dieser Gedanke ist die Folge des Bemühens die wandelbaren menschlichen Gefühle der Zuneigung auf den Zustand der Dauer umzustellen. Zwar wird den romantischen Liebenden letzten Endes nicht das irdische Glück zu Teil, dennoch verlagert sich ihr Streben aber ganz auf diesen Aspekt der ewigen Dauer der Liebe. Elvira und Macías diskutieren im Drama über diesen Aspekt des romantischen Liebesdiskurses. Während Elviras Gefühle der Liebe offensichtlich wandelbar sind, sie ihre eigene Unbeständigkeit beklagt, erscheint Macías als Held der romantischen Liebe, der seine Gefühle zum Maßstab seines Handelns werden lässt und so die Exklusivität seiner Liebe unterstreicht. Er betont die Wahrhaftigkeit seiner Liebe (M, 142) und nennt Elvira "la hermosa que idolatro" (M, 163). Diese Ausschließlichkeit betont auch Elvira, als sie im letzten Akt Macías gegenüber ihre Liebe bekennt: "Sí; yo también sé amar. Mujer ninguna / / te amó cual te amo yo." (M, 203) Die Exklusivität der Liebe wird geknüpft an die Leidenschaftlichkeit der Liebe. welche Macías mit folgender sensualistisch anmutender Liebeserklärung zum Ausdruck bringt: 68 Mas si te llego a ver, mi alma se arroba, y me siento morir, cuando en tus ojos clavo los míos; si por suerte toca a la tuya mi mano, por mis venas siento un fuego correr que me devora vivo, voraz, inmenso, inextringuible, y abrasado y pendiente de tu boca, anhelo oírte hablar; (M, 199f.) 67 Vgl. Niklas Luhmann, Liebe als Passion, S. 163. 68 Caldera weist darauf hin, dass Macías Leidenschaft durch eine intensive Sinnlichkeit geprägt ist. Ermanno Caldera, El teatro español en la época romántica, S. 71. Vgl hierzu auch: Joaquín Casalduero, "Larra. La sensualidad en el Romanticismo: Sobre el Macías", in: Ders., Estudios sobre el teatro español, Madrid: Gredos 3 1972, S. 224-236, hier: S. 230. <?page no="112"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 112 Mit all seinen Sinnen nimmt Macías' Körper die Liebe zu Elvira wahr. Dieser Ausdruck der Körperlichkeit der Liebe stellt ein weiteres Novum im romantischen Liebesdiskurs dar. 69 Dies wird auch in der von Macías' Eifersucht dominierten dritten Szene des dritten Aktes deutlich, als der romantische Held von Elvira erfahren muss, dass sie ihre Hand bereits Fernán gab. Macías plagt insbesondere der Gedanke der körperlichen Vereinigung der Geliebten mit dem Rivalen: ¡gozando otro estará de tu beldad! ¡Y entonces tú gozarás también, y con halagos a los halagos suyos respondiendo! [...] Primero he de morir o he de estorbarlo. (M, 165) Durch ihre Liebe geraten die romantischen Helden in einen unlösbaren Konflikt zwischen individuellem Begehren auf der einen und gesellschaftlicher Verpflichtung auf der anderen Seite. Dieser Konflikt gestaltet sich auf verschiedenen Ebenen: Da die Ehe in der Romantik untrennbar mit der leidenschaftlichen Liebe verknüpft wird, ergeben sich Spannungen zwischen dem Liebespaar und den Eltern, deren Liebes- und Ehekonzeption derjenigen der romantischen Helden diametral entgegensteht, sowie mit dem jeweils ungeliebten Prätendenten, der auf Erfüllung seiner Interessen dringt. b) El Trovador In seinem zwei Jahre nach Larras Macías erschienenem Werk El Trovador führt García Gutiérrez eine neue Dimension in den Diskurs der Liebe im romantischen Drama ein. Am Beispiel des Liebespaares Manrique und Leonor sowie ihrer sie respektive liebenden Antagonisten, legt er die Dialektik der leidenschaftlichen Gefühle der Liebe und des Hasses offen. Während die Liebe zwischen dem Troubadour und seiner adligen Herzensdame mit allen Insignien des romantischen Liebesdiskurses versehen wird, schlägt die Liebe der Antagonisten des Heldenpaares ob der erfahrenen Zurückweisung in blanken Hass um. Leonors Gefühle erweckt der Troubadour seiner Profession folgend über die ästhetische Ansprache ihrer sinnlichen Wahrnehmung. Durch den musikalischen Klang seiner Stimme und seiner Laute findet er in erster Linie über den Hörsinn Zugang zu Leonors Herzen: Era tu voz, tu laúd, era el canto seductor de un amante trovador leno de tierna inquietud. (Tr, 121) 69 Vgl. Susan Kirkpatrick, "Liberal Romanticism and the Female Protagonist in Macías", in: Romance Quarterly, Bd. 35, Nr. 1, Februar 1988, S. 51-58, hier: S. 51. <?page no="113"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 113 Als romantisches Liebespaar betonen beide die Exklusivität ihrer wechselseitigen Liebe. In der Befreiungsszene im Kloster erinnert Manrique Leonor an ihre Liebesbekenntnisse: "Nadie puede separarme de ti", an das Versprechen "Nadie cual yo te amó." (Tr, 153) und unterstreicht die Totalität seiner Liebe zu ihr: "Mi amor, mis esperanzas, / / tú para mí eres todo, ángel hermoso." (Tr, 155) Ihre romantische Liebe ist von großer Leidenschaft geprägt, wie Leonor bekennt: Mas no puedo en mi inquietud arrancar del corazón esta violenta pasión que es mayor que mi virtud. (Tr, 151) Demgegenüber schlägt die Liebe des Conde de Luna (Don Nuño) ob der Zurückweisung durch Leonor bald in Hass um. Als Nuño klar wird, dass er Leonors Liebe unmöglich erzwingen kann (Tr, 132), gelangt er zu der Erkenntnis: "o ha de ser mía su hermana o por ella he de morir." (Tr, 133) Seine Leidenschaft unterscheidet sich jedoch dadurch von der aufrichtigen Liebe des Troubadour, dass Nuños Gefühle von seinem Stolz angefacht werden. Der Conde liebt Leonor umso mehr, umso deutlicher sie ihn zurückweist. (Tr, 133) Seine Rachegefühle erreichen den Höhepunkt als ihm klar wird, dass Leonor - auch nach dem vermeintlichen Tod Manriques - ein Leben im Kloster einer Ehe mit ihm vorziehen wird. 70 Schließlich verfolgt er nur noch ein Ziel, durch Manriques Tod will er sich für die durch Leonors Zurückweisung erfahrene Kränkung rächen: Al fin en su sangre impura a saciar voy mi rencor: también yo puedo, Leonor, gozarme en tu desventura. Fatal tu hermosura ha sido para mí, pero fatal también será a mi rival. (Tr, 182) c) Los Amantes de Teruel In Hartzenbuschs Los Amantes de Teruel verkörpert der romantische Held und Troubadour Marsilla zunächst den höfisch-galanten Liebesdiskurs des fino amor, demzufolge die Troubadoure die höfische Liebe besangen, die 70 Ähnlich besitzergreifend wie Nuños Liebe ist die Liebe Azucenas für Manrique, den sie stellvertretend für ihren eigenen Sohn aufzieht, welchen sie im Wahn selbst versehentlich ins Feuer gestoßen hatte. Mit einer Wendung, die in der romantischen Literatur in der Regel Liebespaaren vorbehalten war, unterstreicht sie ihre leidenschaftlichen Gefühle für Manrique: "¿No te he prodigado una ternura sin límites? " (Tr, 148) Für ihre grenzenlose Mutterliebe fordert sie jedoch Dankbarkeit: "Porqué le perdoné la vida sino para que fuera mi hijo? " (Tr, 150) Diese Dankbarkeit vermißt sie in der Distanznahme Manriques von seiner Mutter und damit verbunden von seinem - de facto falschen - Ursprung. <?page no="114"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 114 auf der leidenschaftlichen Verehrung der respektiven Herzensdame beruhte. Dem höfischen Liebesdiskurs entspricht hier die dem Eros der Ferne verpflichtete leidenschaftliche Liebe Marsillas für Isabel, die daraus resultiert, dass sie aufgrund des Standesunterschiedes für ihn unerreichbar ist, was er dadurch zu kompensieren sucht, dass er sich im Sinne des Minnesängers oder Ritters ihre Gunst erst durch Taten verdienen muss. Anders als in der Literatur des Mittelalters ist es hier aber nicht die Herzensdame, die solche Taten für unabdingbar hält, sondern vielmehr die Gesellschaft, die dem Prätendenten durch das Erwerben von Reichtum eine gewisse soziale Aufstiegsmöglichkeit bietet. Während im höfischen Liebesdiskurs die Liebe sublimiert wird, der Diskurs sich mehr im sehnsuchtsvollen Lieben erstreckt, da die Frau zwar begehrt aber unerreichbar ist, zielt der romantische Liebesdiskurs auf die Verschmelzung der Liebenden ab. Der amour passion schafft aber auch in der Romantik mehr Leiden denn erfüllende Liebe und so kulminiert das Streben nach der Vereinigung mit dem Geliebten letztendlich im Tod des Liebespaares. Verantwortlich hierfür zeichnet jedoch nicht - wie Kreutzer 71 und Engler 72 konstatieren - das widrige Schicksal, das den tödlichen Ausgang der romantischen Liebe heraufbeschwört, sondern die widrigen gesellschaftlichen Umstände - genauer gesagt: die selbstsüchtigen Interessen der anderen Vertreter der Gesellschaft - führen dazu, dass dem Liebespaar diese Vereinigung erst im Tod zu teil wird. Marsillas' Rivale Don Rodrigo verkörpert den höfisch-galanten Liebesdiskurs, der ihm im Liebeswerben um Isabels Gunst als Maske zur Kaschierung seines Besitzstrebens dient. Im direkten Gespräch mit seiner Herzensdame in Szene II des dritten Aktes beginnt der adlige Prätendent sein Werben um Isabel, indem er deren Schönheit evoziert und auf den Renaissance-Topos des amare amaro rekurriert: Mis ojos por fin os ven a solas, ángel hermoso. Siempre un amargo desdén y un recato riguroso me han privado de este bien. (LAT, 133) Im Sinne des galanten Liebesdiskurses schildert er sich zunächst als unterwürfigen Diener der schönen Königin: "Esclavo diréis mejor. / / soberana es la beldad / / en el reino del amor." (LAT, 134) Als Isabel ihn der Lüge bezichtigt, behauptet Rodrigo, sein Stolz und seine Rache seien nur eine Seite seines Charakters, dessen edlere Seite Isabel noch zu entdecken habe. (LAT, 134) Offenherzig beschreibt er, wie die Tatsache, dass Isabel ihn zunächst nicht heiraten wollte, sein Ehrgefühl provoziert und seine wilde 71 Vgl. Winfried Kreutzer, Spanische Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts in Grundzügen, Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1991, S. 23. 72 Vgl. Kay Engler, "Amor, muerte y destino: La psicología de Eros en Los Amantes de Teruel", in: Hispanófila. Literatura - Ensayos, Nr. 68, Januar 1980, S. 1-15, hier: S. 2. <?page no="115"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 115 Leidenschaft für Isabel noch weiter angefacht habe. (LAT, 135) Sodann greift er wieder den galanten Liebesdiskurs auf und beschreibt, wie er seine schöne Herzensdame allabendlich auf ihrem Balkon heimlich betrachtet habe und hoffte, ihre Gunst eines Tages zu erlangen. Als Isabel ihm offen entgegnet, ihre Liebe für Marsilla werde nicht aufhören, wechselt Don Rodrigo den Liebescode gegen den der Freundschaft. Dies entspricht der von Luhmann für das 18. Jahrhundert konstatierten Tendenz, "den Code für Intimität von Liebe auf 'innige' Freundschaft umzustellen." 73 Eine eher rationale Liebe proklamiert Rodrigo, wenn es ihm in erster Linie um das Ansehen geht, das er durch die Heirat mit der schönen Isabel zu erlangen glaubt: yo, mi bien, yo necesito el nombre de vuestro esposo. No más que el nombre, y concluyo de desear y pedir: todas mis dichas incluyo en la dicha de decir: Me tienen por dueño suyo. (LAT, 136) In letzterer Bemerkung sieht Carmen Iranzo 74 zwar einen deutlichen logischen Bruch mit dem zuvor geäußerten Liebeswerben, betrachtet man jedoch die Fortsetzung der Gedanken Don Rodrigos, so geht es ihm allein um den äußeren Schein einer Ehe mit Isabel, denn er wäre sogar bereit, ihr getrennte Schlafzimmer zu gewähren, bis hin zu unterschiedlichen Wohnorten ("vos en Teruel viviréis, / / yo en la corte de Aragón." (LAT, 136) Deutlich bringt er zum Ausdruck, dass es ihm in erster Linie daran gelegen ist, ihr Freund zu sein: "¿Es porque muestro digno de ser vuestro amigo? " (LAT, 137) Zweifel bleiben jedoch an der Glaubwürdigkeit an Don Rodrigos Liebesdiskurs der Freundschaft: schließlich behauptet er, dass er seinem Rivalen Marsilla, den er tags zuvor noch ohne Mitleid getötet hätte, nun den Vortritt ließe, sofern er noch vor der Eheschließung auftauche. Der über die im Hintergrund gesponnenen Intrigen gut informierte Zuschauer weiß indessen, dass Rodrigo diese Aussage nur macht, weil er sich zu diesem Zeitpunkt sicher sein kann, dass Marsilla nicht mehr rechtzeitig in Teruel eintreffen wird. Diese Einschätzung wird am Ende bestätigt, wenn das Publikum von Marsilla erfährt, dass dieser Don Rodrigo im Duell schwer verletzt habe, jedoch nicht ohne dass der Rivale zuvor noch seine Drohung ausstoßen konnte, er werde sich durch die in seinem Besitz befindliche Briefe, welche den Ehebruch Doña Margaritas (Isabels Mutter) dokumentieren, an Isabel und ihren Eltern rächen. (LAT, 163) Rodrigos Liebe basier- 73 Niklas Luhmann, Liebe als Passion, S. 102. 74 Vgl. Carmen Iranzo (Hg.), Juan Eugenio Hartzenbusch. Los Amantes de Teruel, Madrid: Cátedra 1996 (Letras Hispánicas, 126), S. 136, Fußnote 27. <?page no="116"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 116 te folglich nur auf egoistischen Interessen, der galante Liebesdiskurs war ebenso wie der Diskurs der Freundschaft allein ein Mittel zum Zweck. Wenn Isabel in der Schluss-Szene auch die Verantwortung für das Geschehen an den Himmel verweist, so wird im Stück doch deutlich, dass weder die göttliche Vorsehung noch das Schicksal die Fäden zu dem tragischen Ausgang der Liebesgeschichte geführt haben, sondern dass der Mensch selbst die Verantwortung für das Geschehen trägt. Zwar ist Englers These zuzustimmen, dass die göttliche Liebe zwischen Isabel und Marsilla sich in der dämonischen und zerstörerischen Leidenschaft Zulimas und Rodrigos als jeweiligem Gegenpart spiegelt, aber dennoch sind die beiden Figuren nicht wie Engler konstatiert: "[…] los instrumentos del destino." 75 Denn die Tatsache, dass Rodrigo und Zulima gegen die Liebe Marsillas zu Isabel intrigieren, ist nicht die logische Folge eines determinierten Schicksals, sondern entspringt ihrem aus der Zurückweisung durch den/ die Geliebte/ n verletzten Ehrgefühl, das die Liebe im Falle Zulimas sogar in Hass umschlagen lässt. Die Frage des Umgangs mit der unerwiderten Liebe, der zumeist ein egoistisches Besitzstreben zugrunde liegt, das unter dem Deckmantel der Liebe verschleiert wird, prägt in der Tat die beiden Antagonisten des romantischen Liebespaares. Zulima und Rodrigo repräsentieren einerseits die wilde, ungezügelte, andererseits die zivilisierte, kontrollierte Leidenschaft, die zur Maske erstarrt, wenn Rodrigo sich zur Legitimation seines Heiratsbegehrens heuchlerisch auf den Ehrenkodex beruft. In Folge der Zurückweisung ihrer Liebe durch Marsilla wandelt sich die feurige Leidenschaft der maurischen Königin in die unkontrollierbare Kraft des Hasses, mittels derer sie in das Geschehen intrigiert, Isabel vom vermeintlichen Tod des noch dazu untreuen Geliebten berichtet und so in entscheidender Weise dazu beiträgt, dass in ihr der Entschluss reift, in die Ehe mit Rodrigo einzuwilligen. Über das Liebeswerben der beiden Rivalen wird ein deutlicher Gegensatz zwischen den als Maske des Scheins enthüllten Liebesdiskursen Don Rodrigos, das allein auf egoistischen Interessen beruht, auf der einen Seite und dem authentischen romantischen Liebesdiskurs Marsillas auf der anderen Seite unterschieden. Nicht nur die passionierte Liebe ist aber Gegenstand des Dramas, sondern Hartzenbusch verarbeitet daneben auch weitere Facetten des Liebesdiskurses in seinem Stück, die sich in der Liebe der Eltern zu ihrer Tochter zeigen und ebenfalls Momente sind, die das tragische Ende der Liebesgeschichte heraufbeschwören. Die väterliche Liebe Don Pedros zu Isabel ist geprägt von einem patriarchalischen Denken, das die Tochter zum verhandelbaren Objekt werden lässt: die Tochter gilt als Besitz, über den der Vater frei verfügen kann, im Gegenzug ist die Tochter dem Vater gegenüber zu 75 Kay Engler, "Amor, muerte y destino: La psicología de Eros en Los Amantes de Teruel", S. 13. <?page no="117"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 117 Gehorsam verpflichtet. Die Liebe der Mutter wird Isabel erst zu Teil, als Margarita sich in Anbetracht der bevorstehenden Hochzeit der Tochter mit Don Rodrigo bewusst wird, dass Isabel das gleiche Schicksal ereilen wird, unter dem sie selbst jahrelang gelitten hat. Margaritas Ehe mit Don Pedro war eine Vernunftehe im Sinne des für das 18. Jahrhundert typischen Liebesdiskurses. Zwischen Isabels Eltern mangelt es am Gefühl der Liebe ("un matrimonio sin cariño", LAT, 128), so sieht Margarita ihren Ehemann, für den sie offensichtlich keine tieferen Empfindungen hat, als "dueño" an, vor dem sie unterwürfig niederkniet. Ihre leidenschaftlichen Gefühle hatte sie hingegen einst in einer außerehelichen Affäre mit Roger ausgelebt. Die daraus entstandenen Schuldgefühle versuchte sie durch die Ausübung von Nächstenliebe zu kompensieren, welche sie heimlich ohne Wissen der Familie ausübt. (LAT, 111) Die Liebe zur Tochter entdeckt Margarita hingegen erst in dem Moment, als sie erkennt, dass Isabel durch die Verheiratung mit Don Rodrigo ein ähnliches Schicksal ereilen wird, wie das, unter dem sie selbst jahrelang gelitten hat: Conóceme, y no te ahuyente la faz severa que ves; máscara forzosa es que dio el pesar a mi frente; pero tras ella te espera, para templar tu dolor, el tierno, indulgente amor de una madre verdadera. (LAT, 117) Margarita bekundet, sie habe ihre wahren Gefühle 15 Jahre lang unter dem Büßergewand versteckt, nun sei sie aber entschlossen der Tochter zu helfen und wolle verhindern, dass Rodrigo Isabels Herr werde: "Hoy madre tuya será, / / quien no lo fue tantos años." (LAT, 119) In der folgenden Szene (2, VII) versucht Margarita Isabels ungeliebten Prätendenten Don Rodrigo von seinem Heiratsbegehren abzubringen, indem sie ihm erklärt, er werde nie Isabels Zuneigung gewinnen: "¿se satisfarían con la posesión de una mujer cuyo cariño no fuese vuestro? " (LAT, 120) Im Gegenzug erpresst Don Rodrigo jedoch Margarita mit seinem Wissen um ihre Affäre mit Roger, die er durch kompromittierende Liebesbriefe, in deren Besitz er sich zufällig befindet, beweisen kann. (LAT, 121) Diese Tatsache nötigt Isabel dazu, der Heirat zuzustimmen, um die Ehre ihrer Mutter nicht zu gefährden: De mí vuestra fama pende: la conservaréis ilesa. Yo me casaré: no importa, no importa lo que me cuesta. (LAT, 129) Die vorangegangene Analyse hat gezeigt, dass es in erster Linie gesellschaftliche Zwänge und individuelle Interessen der potentiellen Antagonisten des romantischen Liebespaares sind, die ein glückliches Ende des Dramas verhindern. Während Marsilla mit äußeren Faktoren zu kämpfen <?page no="118"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 118 hat - Standesunterschied, Unwägbarkeiten von Raum und Zeit -, resultiert Isabels Kampf aus dem Zwiespalt zwischen der verinnerlichten Verpflichtung als Tochter dem väterlichen Willen zu folgen bzw. der Mutter zur Wahrung ihrer Ehre zu verhelfen und dem Gefühl der leidenschaftlichen Liebe für Marsilla. 76 Über das Medium Liebe werden hier die gesellschaftliche Umbruchsituation und deren Folgen für das Individuum verhandelt. In all ihren Schattierungen erscheint die Liebe so von äußeren Zwängen determiniert, dass der wahren romantischen Liebe offensichtlich kein Platz in der Gesellschaft gewährt wird. 3.4.3 Die romantische Liebe im Zeichen einer Synthese von Liebe und Tod Das Streben der romantischen Helden, ihre Liebe in ein dauerhaftes irdisches Glück zu verwandeln, ist in allen romantischen Dramen von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Erst der Blick auf das Jenseits eröffnet den Helden die Erfüllung ihres auf Erden versagten Glücksstrebens. Damit gehen Liebe und Tod im romantischen Liebesdiskurs eine unauflösbare Synthese ein. Im Folgenden wird die Frage nach der ästhetischen Darstellung dieser Synthese von Liebe und Tod im Mittelpunkt des Interesses stehen. a) La Conjuración de Venecia In Martínez de la Rosas Conjuración de Venecia darf das Liebespaar Laura Morosini und Rugiero als Paradebeispiel der im Zeichen der Synthese von Liebe und Tod stehenden romantischen Liebe gelten. Im gesamten Drama begegnet sich das Liebespaar nur zweimal: zum einen im zweiten Akt bei ihrem heimlichen Treffen im Pantheon der Familie Morosini, zum anderen in der letzten Szene des fünften Aktes im Gerichtssaal im Moment der Verurteilung Rugieros zum Tode. Beide Orte suggerieren dem Publikum bereits den tragischen Ausgang des Dramas: der Pantheon als Ruhestätte der verblichenen Familienmitglieder der Morosinis ebenso wie der Gerichtssaal des tyrannischen Rates von Venedig, der in der Schluss-Szene zudem den Blick auf das Schafott freigibt. Bereits bei der ersten auf der Bühne inszenierten Begegnung mit Rugiero legt Laura allen Todesassoziationen zum Trotz, welche der für das Bühnengeschehen gewählte Ort des Pantheons der Familie suggeriert, zunächst ein emphatisches Bekenntnis der Ausschließlichkeit ihrer Liebe ab: "Yo no vivo sino por tí." (CV, 209) Die Exklusivität seiner Liebe betont auch Rugiero im Gegenzug, wenn er versichert, dass nicht einmal der Tod sie beide trennen könne. (CV, 211) 76 Vgl. Kay Engler, "Amor, muerte y destino: La psicología de Eros en Los Amantes de Teruel", S. 6. <?page no="119"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 119 Die beiden Protagonisten Laura und Rugiero prägt eine ausgesprochene Seelenverwandtschaft, die zunächst einmal von ihrem ähnlichen Lebenslauf ausgeht: während Lauras Mutter früh verstarb, lebt Rugiero seit der Kindheit in dem Glauben Vollwaise zu sein. So scheint ihr Schicksal wechselseitig miteinander verbunden zu sein. Hieraus resultiert ein besonderes Gefühl der Vertrautheit, die Laura mit den Worten bekundet: "en tu cara estoy leyendo lo que pasa en tu corazón." (CV, 215) Diese Vertrautheit führt im Folgenden dazu, dass Rugiero die geplante Verschwörung unwissentlich vor den versteckt anwesenden Spionen verrät. Alle düsteren Vorahnungen Lauras schreibt Rugiero hingegen in den Wind und bekundet sein Glück mit den Worten: "¡a mí me parece a tu lado la mansión de los cielos! " (CV, 208) Sein Gefühl trügt ihn jedoch, und so sind seine zur Beruhigung Lauras geäußerten Worte: "[…] mi corazón me anuncia que van a cesar nuestras penas." (CV, 211) für die Zuschauer als ironische Vorausdeutung zu verstehen. Zahlreiche weitere Hinweise in diese Richtung finden sich in den Szenen des zweiten Aktes. So scheint der Gesang des gondolieri, der Rugiero zu dem nächtlichen Stelldichein bringt, Laura hoffnungsvoll von der Ankunft ihres Geliebten zu künden. Betrachtet man jedoch den Wortlaut der Gondelserenade, die von der verbotenen Liebe zwischen Leandro und der Priesterin Hero aus der griechischen Mythologie handelt, so erkennt man die verhängnisvoll auf das Ende des Dramas verweisende Botschaft: En hora fatal Leandro Cruzaba una noche el mar, Diciendo a las recias olas: Dejadme llegar allá, Que la prenda de mi alma Esperándome estará; ¡Si queréis mi triste vida, A la vuelta la tomad! (CV, 206) In der Tat wird die nächtliche Verabredung mit Laura Rugiero zum Verhängnis. Bereits der für das nächtliche Stelldichein gewählte Ort des schaurigen Pantheons evoziert die romantische Ästhetik des Grotesken und Sublimen. Hatte Rugiero verkündet, nicht einmal der Tod könne ihn von Laura trennen, so stimmt Laura in diese Synthese von Liebe und Tod ein, wenn sie Rugiero gegenüber bekennt: "¡El día que te sucede una desgracia, será el último de mi vida! " (CV, 218) Am Ende des Stückes sind die beiden Liebenden, denen im Leben nur wenige gemeinsame Stunden vergönnt waren, schließlich im Tod vereint, denn in dem Moment, in dem Rugiero dem Henker übergeben wird, stirbt Laura vor Entsetzen. Auf die romantische Synthese von Liebe und Tod hatte auch schon ein weiterer Intertext des Dramas hingewiesen, der die Erhabenheit der beiden Helden noch zu unterstreichen vermag. Rugiero sucht in dem Pantheon der Morosinis Laura ausgerechnet an dem Ort zu trösten, an dem sich die <?page no="120"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 120 Ruhestätte des erhabensten Liebespaares der Weltliteratur findet, das ebenfalls erst im Tod vereint war: Romeo und Julia. Zwar werden die beiden nicht namentlich genannt, dennoch verweist Lauras Beschreibung auf das Shakespearesche Theaterstück als Intertext: "¡Si supieras la historia de esos esposos! ... Se amaron muchos años, llenos de desdichas; el mismo día de sus bodas los separó la suerte; y sólo lograron reunirse en ese sepulcro..." (CV, 209f.) b) Macías Auch in Macías lässt sich das Problem, die leidenschaftliche Liebe der beiden Helden vom innigen Augenblick in ein dauerhaftes Glück zu verwandeln, aufgrund der differierenden Interessen der Gesellschaft nicht realisieren. Und so kündigt sich bereits im zweiten Akt (Szene 11) das fatale Ende des Dramas an, wenn Macías sein Leben an die Liebe zu Elvira knüpft und gegenüber Don Enrique in pathetischem Ton verkündet: ¡Trágueme antes el abismo! Yo de aquí no he de moverme sin que a Elvira por esposa me concedan. […] Recuerda que hoy es el día que el plazo expiró; y que vine sabe, en fin, a ser de Elvira o a morir; [...] (M, 143) Künftig folgen zahlreiche Anspielungen auf die Symbiose der romantischen Liebe mit dem Tod. Bereits im dritten Akt (Szene 4) weist Macías Elvira den Tod als möglichen Weg in die gemeinsame Zukunft aus, als er sie zur Flucht zu überreden sucht: Huyamos, ¿qué otro asilo pretendes más seguro que mis brazos? Los tuyos bastaránme, y si en la tierra asilo no encontramos, juntos ambos moriremos de amor. ¿Quién más dichoso que aquel que amando vive y muere amado? (M, 164) Der Gedanke, dass Elvira den Tod als Option zur Realisierung der gemeinsamen Liebe wählt, löst bei Macías' Rivalen Fernán größtes Erstaunen aus: "Un bien, un triunfo sería / / la muerte para ellos dos." (M, 185) Elvira ist schließlich entschlossen, ihrem Leben ein Ende zu setzen, falls Macías bei der von ihr geplanten Flucht sterben sollte. So plädiert auch sie gegen ein Leben in Lüge und für den gemeinsamen Tod: "Primero que ser suya, entrambos juntos / / muramos." (M, 206) Die Todesfurcht, die das Drama zweifellos auf das zeitgenössische Publikum ausgestrahlt haben muss, wird von der Todessehnsucht der beiden Helden in den folgenden Worten Elviras überlagert: <?page no="121"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 121 Calla: la muerte ya tiende sus sombras sobre nosotros. ¿No oyes? ... ¿Y a este punto ha de venir la muerte rigurosa? ¡Con tanto amor morir! (M, 210) Geradezu beflügelt von dem tödlichen Liebesschwur will Macías zum Duell mit dem Rivalen Fernán schreiten: "Deja: corro a su encuentro; más gloriosa / / sea mi muerte." (M, 210) Das fatale Ende des Stückes folgt der sich in den vorgehenden Zitaten bereits angedeuteten Ästhetik der Vermischung des Grotesken und Sublimen. Als Macías von Fernán in der Schluss-Szene tödlich getroffen wird, wählt Elvira den Freitod, um sich den Fängen des Ehemannes zu entziehen. Dabei gehen Tod und Hochzeit des Liebespaares in Elviras Worten eine grotesk anmutende Symbiose ein: La tumba será el ara donde pronta la muerte nos despose. [...] Llegad... ahora..., llegad.., y que estas bodas alumbren... vuestras ... teas... funerales. (M, 214) c) Don Álvaro o la fuerza del sino In Duque de Rivas' Don Álvaro o la fuerza del sino steht dem romantischen Liebespaar ein Paritätskonflikt im Weg, der - anders als im Macías - in Wahrheit keiner ist. Don Álvaro muss jedoch seine adlige Abstammung - als Sohn einer Inka-Prinzessin und des Vizekönigs von Peru - zunächst leugnen, da seine Eltern aufgrund des Vorwurfs einer geplanten Verschwörung beim spanischen König in Ungnade gefallen waren. Da der Marqués de Calatrava Don Álvaro die Hand seiner Tochter Leonor verweigert, trachtet der romantische Held in der Liebesszene mit Doña Leonor in Szene VII des ersten Aktes danach, seine Angebetete zu entführen. In seiner Ansprache rekurriert er ebenfalls auf die typischen Merkmale des romantischen Liebesdiskurses. Er betont die Einzigartigkeit der Geliebten und die Exklusivität ihrer gemeinsamen Liebe und ist bemüht, den Moment des innigen Glücks zum Zustand ewiger Dauer zu erheben, indem er Doña Leonor seine Liebe bis in den Tod versichert: ¿Estamos abrazados para no vernos nunca separados? ... Antes, antes la muerte que de ti separarme y que perderte." (DA, 67) Die Bande der Ehe gelten hier, wie in den anderen romantischen Dramen, als Symbol der innigen Liebe der Protagonisten. Die Exklusivität der wechselseitigen Liebe wird dadurch unterstrichen, dass Leonor bereit ist, mit ihrer Familie zu brechen, um ihren Geliebten zu ehelichen. In diesem Opfer sieht Leonor einen Beweis ihrer Liebe zu Don Álvaro: <?page no="122"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 122 ¿Yo a su amor no correspondo? Que le correspondo sabes... por él, mi casa y familia, mis hermanos y mi padre voy a abandonar, y sola.... (DA, 64) Leonors Zögern bei der gemeinsam geplanten Flucht deutet Don Álvaro sodann als Zeichen ihrer mangelnden Liebe, nennt sie "hechicera engañosa" und "¡Pérfida! ¿Te complaces / / en levantarme al trono del Eterno / / para después hundirme en el infierno? " (DA, 70) In der romantischen Liebe zwischen Leonor und Don Álvaro gehen das Erhabene und Groteske somit eine Synthese ein, die auch durch die Analogie von Liebe und Tod zusätzlich unterstrichen wird. In der erwähnten Liebesszene kontrastiert Don Álvaros leidenschaftlicher Liebesdiskurs mit der körperlichen Kälte Doña Leonors - Symbol ihrer inneren Ängste: Me parece la mano de una muerta… Frío está tu semblante como la losa de un sepulcro helado. (DA, 70f.) Don Álvaro deutet diese Kälte schließlich als göttliches Zeichen: Dios no permita que por debilidad en tal momento sigas mis pasos y mi esposa seas. Renuncio a tu palabra y juramento; hachas de muerte las nupciales teas fueran para los dos ... Si no me amas como te amo yo a ti .. Si arrepentida... (DA, 71) Dies läßt Leonor jedoch nicht gelten, sondern sie fasst den Entschluss, mit dem Geliebten in der Einheit der Ehe aufzugehen: "Mi dulce esposo, con el alma y vida / / es tuya tu Leonor, mi dicha fundo / / en seguirte hasta el fin del ancho mundo. / / Vamos; resuelta estoy, fijé mi suerte, / / separarnos podrá sólo la muerte." (DA, 71) Mit diesen Worten setzt Leonor ihre Liebe in Analogie zum Tod und macht unwissentlich - im Sinne der romantischen Ironie - eine Vorausdeutung auf das dramatische Ende. Nach dem tragischen Zwischenfall, bei dem der Marqués, der sich dem flüchtenden Liebespaar entgegenstellte, getötet wurde, sucht Don Álvaro - im Glauben Leonor sei bereits tot - ebenfalls den Tod und zieht nach Italien in den Krieg. In seinem lyrischen Monolog in der dritten Szene des dritten Aktes evoziert er erneut eine Überhöhung seiner Liebe zu Leonor, die er in Analogie zur Jungfrau Maria setzt, von der er sich seine Rettung verspricht: Socórreme, mi Leonor, gala del suelo andaluz, que ya eres ángel de luz junto al trono del Señor. <?page no="123"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 123 Mírame desde tu altura sin nombre en extraña tierra, empeñado en una guerra por ganar mi sepultura. (DA, 107) Liebe und Tod gehen hier erneut eine Synthese ein, die über die Vermischung des Grotesken ("sepultura") mit dem Erhabenen ("altura") versinnbildlicht wird und in der zehnten Szene des letzten Aktes des Dramas kulminiert. Die Erkenntnis, dass sie jahrelang unwissentlich sehr nahe bei einander gelebt haben - Don Álvaro im convento de los Ángeles, Doña Leonor in der Eremitenklause -, koinzidiert mit dem durch Blutrache vollzogenen Tod Leonors, und so fällt die freudige Erkenntnis mit dem grausamen Schrecken zusammen: "Ángel de mi vida…, vive, vive; yo te adoro… ¡Te hallé, por fin …, sí, te hallé … muerta! " d) El Trovador Im Trovador von García Gutiérrez betonen die romantischen Helden Leonor und Manrique ebenfalls die Exklusivität ihrer wechselseitigen Liebe. Leonor weist zudem auf die inspiratorische Kraft der Liebe hin, als sie ihrer Dienerin Jimena schildert, wie sie im Kloster stets von Neuem von den Erinnerungen an den Geliebten heimgesucht wird, Erinnerungen, die eine solche Wirkkraft entfalten, dass ihr die Illusion sogar real erscheint: Y siempre viéndole estoy amante, dichoso y tierno… Mas no existe; es ilusión que imagina mi deseo. (Tr, 138) Die musische Kraft der Liebe zeigte sich auch in Manriques lyrischem Gesang, zu dem ihn Leonors Schönheit inspirierte. Als Manrique vor dem Kloster sein Liebeslied anstimmt, untermalt der auf der Bühne nicht sichtbare Ausrufer mit den Worten "Dispierta, Leonor, Leonor." den Gesang des Troubadours. Doch diese Erweckung Leonors, die gerade dabei ist, den Schleier zu nehmen, schlägt - der Ästhetik des Grotesken und Sublimen entsprechend - alsbald in das Gegenteil um. So erweist sich die Liebe des romantischen Heldenpaares als Abgrund, der den Tod der beiden hervorrufen wird. In den lyrischen Diskurs des Begehrens mischte sich von Beginn an ein melancholischer Tonfall, der auf die romantische Synthese von Liebe und Tod verweist. Die Geliebte ist bereit, sich für den Troubadour zu opfern: Yo opondré mi pecho al hierro que tu vida amenazare; sí, y a falta de otro muro, muro será mi cadáver. [...] Si tú partes iré contigo; la muerte a tu lado ha de encontrarme. (Tr, 173) <?page no="124"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 124 Die Inversion der Kloster-Szene, in der Manrique seine Geliebte zu befreien sucht, bildet die Szene II des fünften Aktes, in der Leonor vor dem Turmgefängnis, in dem Manrique gefangen gehalten wird, ihren Wunsch bekundet, für die Freiheit des Geliebten ihr eigenes Leben zu geben. Im Turm nimmt Manrique derweil Abschied von Leonor - untermalt von den Rufen des Chors "¡Ay! Adiós, Leonor, Leonor." und einer Stimme, die murmelt: "Hagan bien para hacer bien / / por el alma de este hombre." (Tr, 180) Diese formelhafte Wendung entspricht den Worten, mit welchen die Brüder der Madrider Cofradía de Paz y Caridad gewöhnlich eine Spende erbaten, um für die zum Tode Verurteilten eine Messe halten zu können. 77 Hierdurch wird die Hoffnungslosigkeit der Situation des romantischen Helden akustisch unterstrichen. Die ästhetische Wirkung dieser unter klarem Himmel spielenden Szene wird zudem dadurch verstärkt, dass die melancholische Stille zusätzlich vom Rasseln der Ketten Manriques, die symbolisch auf die Welt als Gefängnis der conditio humana verweisen, untermalt wird. Leonors Rettungsbemühen wird von ihrem Geliebten vereitelt. Unwissend, dass Leonor bereits ein tödliches Gift geschluckt hat, willigt Nuño zwar ob ihres vorgetäuschten Heiratsbegehrens in Manriques Freilassung ein, der romantische Held hingegen weigert sich, eine solch prosaische Lösung zu akzeptieren und wird daraufhin von Don Nuño - tragischerweise seinem eigenen Bruder, wie sich Minuten später herausstellen soll - dem Henker übergeben. Die von Manrique hoffnungsvoll ausgesprochene Feststellung - "Muramos juntos los dos." (Tr, 191) unterstreicht auch in diesem Drama die für die romantische Liebe signifikante Synthese von Liebe und Tod. e) Los Amantes de Teruel Auch in Los Amantes de Teruel wird wie in den anderen romantischen Dramen die Liebe zum existentiellen Prinzip, das schließlich in den Tod mündet. Die auf Exklusivität der Geliebten beruhende Liebe des Helden führt in Anbetracht der Unmöglichkeit einer irdischen Realisierung der Liebe zu einer Form der Weltflucht, die Marsilla kurz vor seinem Liebestod - in Anbetracht der von Isabel verweigerten letzten Umarmung stirbt der romantische Held, wie zuvor schon Laura in der Conjuración de Venecia ohne weitere Fremdeinwirkung - mit den Worten kommentiert: "¡Padre! , sin Isabel, para Marsilla / / no hay en el mundo nada." (LAT, 146) Als das Liebespaar sich nach der Trauung Isabels mit Rodrigo wiedersah, rühmte Marsilla noch Isabels Schönheit: ¡Oh! , ¡qué hermosa a mis ojos te presentas! Nunca te vi tan bella, tan galana… y un pesar sin embargo indefinible 77 Vgl. Carlos Ruiz Silva (Hg.), Antonio García Gutiérrez. El Trovador, Madrid: Cátedra 1997 (Letras Hispánicas, 221), S. 179, Fußnote 10. <?page no="125"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 125 me inspiran esas joyas, esas galas. [...] Mi amor se asusta de riqueza tanta. (LAT, 159) Auf der Ebene der romantischen Ästhetik vermischen sich in dieser Szene die Momente des Grotesken und Sublimen, die schließlich zur Erkenntnis der für das Liebespaar erschütternden Wahrheit führen. Marsilla zeigt sich ergriffen von der äußeren Schönheit Isabels, die in grotesker Weise jedoch auf der Tatsache beruht, dass das erhabene Kleid und der edle Schmuck auf ihre soeben vollzogene Eheschließung mit dem Rivalen verweisen. Interessant ist nun, dass Isabel in ihrer Reaktion auf den überraschend, aber zu spät eintreffenden Geliebten, ihre reine romantische Liebe vom gesellschaftlichen Diskurs der Ehe trennt: "Ya lo ves, no soy mía; soy de un hombre que me hace de su honor depositaria, y debo serle fiel." (LAT, 162) Durch die Eheschließung ist Isabel nicht mehr frei, ihren Gefühlen zu folgen, sondern differenziert in sachlich anmutender Weise zwischen ihren Pflichten als Ehefrau und ihren wahren Gefühlen der Liebe für Marsilla: "Nuestros amores mantuvo la virtud libres de mancha: su preza de armíño conservemos. Aquí hay espinas, en el cielo palmas. Tuyo es mi amor y lo será: tu imagen siempre en el pecho llevaré grabada, [...]" (LAT, 162) Die Exklusivität ihrer Liebe zu Marsilla, die auch mit dem Tod des Geliebten kein Ende findet, hatte Isabel zuvor bereits gegenüber ihrem Ehemann Rodrigo bekundet: "¿Qué? ¿Pensáis que cesará / / mi pasión, muerto mi amante? / / No; lo que yo vivirá." (LAT, 136) Bei seiner zu spät erfolgten Rückkehr gesteht Isabel Marsilla zwar ihre Liebe, trotz des Liebesbekenntnisses fordert sie Marsilla jedoch in grenzenloser Pflichterfüllung ihrer Rolle als Ehefrau auf, sie nun freizugeben: "Libértame de ti, sé generoso: libértate de mí." (LAT, 162) Auch Marsilla ist erstaunlicherweise bereit, seine romantisch-leidenschaftlichen Gefühle in der Weise zu steuern, dass er sie auf Gefühle der Freundschaft reduziert. So fordert er von seiner einstigen Geliebten zum Abschied nur eine freundschaftliche Umarmung als Zeichen ihrer unschuldigen Liebe: Será el abrazo de un hermano dulcísimo a su hermana, el ósculo será que tantas veces cambió feliz en la materna falda nuestro amor infantil. (LAT, 162) Marsilla unternimmt den Versuch, die romantische Liebe ihrer Leidenschaftlichkeit zu entkleiden und diese so zu einer reinen Form der kindlichen Liebe zu sublimieren. Isabel jedoch verweigert ihm die Umarmung als Zeichen der Liebe - wohl aus Angst vor ihrem erpresserischen Gatten -, woraufhin Marsillas Leidenschaft neu entflammt, und er Isabel zur Flucht bewegen will. Ihre durch den Ausspruch "¡Te aborrezco! " untermalte Weigerung lässt ihn indessen die Aussichtslosigkeit seines Unterfangens erkennen: <?page no="126"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 126 Ya no hay amor allí. Mortal veneno su boca me arrojó, que al fondo pasa de mi seno infeliz, y una por una, rompe, rompe, me rompe las entrañas! Yo con ella, por ella, para ella viví... Sin ella, sin su amor, me falta aire que respirar... ¡Era amor suyo el aire que mi pecho respiraba! Me le negó, me le quitó: me ahogo, no sé vivir. (LAT, 164) und mündet in seinen aus Isabels Liebesentzug resultierenden Tod. In Erkenntnis ihrer Verantwortung für das Geschehen wird Isabel emotional ebenso tief getroffen und stirbt daraufhin ebenfalls an gebrochenem Herzen: ¡Mi bien, perdona mi despecho fatal. Yo te adoraba. Tuya fui, tuya soy: en pos del tuyo mi enamorado espíritu se lanza. (LAT, 166) Im romantischen Drama wird dem romantischen Heldenpaar auf Erden folglich keine Erfüllung gewährt, sondern das Glücksstreben verlagert sich ins Jenseits, so dass die romantische Liebe stets in einer tödlich verlaufenden "Katastrophengeschichte" endet. 78 Fünf der romantischen Helden und eine Heldin sterben den Tod durch den Henker bzw. den Feind (Rugiero, Macías, Leonor (aus DA), Manrique, Don Juan und Gabriel), zwei romantische Heldinnen und ein Held sterben den Freitod (Elvira, Don Álvaro und Leonor (Tr)), drei Heldinnen und ein Held sterben den ungewöhnlichen Liebestod (Laura, Marsilla und Isabel und Doña Inés) und nur eine Heldin (Aurora) überlebt. Die für die romantische Liebe typische Synthese von Liebe und Tod wird auf der ästhetischen Ebene über die Grundstimmung der Melancholie vermittelt, welche die für die Romantik prägende Ästhetik des Grotesken und Sublimen untermalt. 3.4.4 Die Sakralisierung der Liebe Die zuvor skizzierte romantische Synthese von Liebe und Tod steigert sich in den romantischen Dramen zu einer Sakralisierung der Liebe. In der 78 Zu einer ähnlichen Feststellung gelangt Detlef Kremer in seiner Studie zur deutschen Romantik. Aus der Ambivalenz zwischen der Idealisierung des Partners, aus der eine narzisstische Überlagerung und eine Übverlastung des Gefühls resultiert, auf der einen Seite und einem ausgeprägten Hang zu Spiritualisierung und Überprojektion, welche dem gemeinsamen Tod als Erfüllung der Liebe in Erwägung zieht, ergeben sich zwei Richtungen der romantischen Liebe: "1. Ein friedliches androgynes Projekt der erotischenn Versöhnung der Geschlechter, in Verbindung mit zwangloser Geselligkeit, 2. Die romantische Liebe als tödliche Katastrophengeschichte", vgl. Detlef Kremer, Prosa der deutschen Romantik, S. 103. <?page no="127"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 127 Regel stilisieren die romantischen Helden ihre respektiven Geliebten zum Trost spendenden Engel, der wie im Falle Doña Leonors im Don Álvaro sogar in Analogie zur Jungfrau Maria gesetzt wird: "que ya eres ángel de luz / / junto al trono del Señor." (DA, 107) In der Conjuración de Venecia und im Trovador nennen die Helden Rugiero und Manrique ihre Geliebten Laura und Leonor gleichermaßen "ángel consolador". Der Held Macías spricht im gleichnamigen Stück von Elvira als seinem "bien celestial" (M, 166) und in Los Amantes de Teruel erhält die Liebe des Heldenpaares eine göttliche Aura. Don Juan schließlich greift den Gedanken Don Álvaros auf, der seine Leonor zu einer Art Jungfrau Maria stilisiert, entwickelt diese Idee jedoch zudem in der Hinsicht weiter, dass Doña Inés die Funktion der Erlöserin zugewiesen wird, die mit Gott über die Rettung des Sünders verhandelt. a) La conjuración de Venecia und Macías Die romantischen Heldinnen entsprechen generell dem von ihren Geliebten gezeichneten Idealbild des Trost spendenden Engels. In der Conjuración wird nicht nur Lauras äußere Schönheit evoziert, sondern diese korrespondiert mit ihren inneren Werten, ihren moralisch-ethischen Qualitäten. In der Darstellung der Liebe der beiden romantischen Helden Laura und Rugiero, die durch den göttlichen Segen geadelt wird, verbindet sich somit die Idee des Schönen mit dem Guten. Laura, die nicht nur von Rugiero, sondern auch von ihrem Vater als Engel tituliert wird (CV, 213, 228), ist sehr gläubig und sucht im Gebet insbesondere den Beistand der Jungfrau Maria. Optisch wird ihre sakrale Aura noch durch ihr weißes Kleid betont - Symbol ihrer Unschuld und Tugendhaftigkeit. Im Gegenzug rühmt Laura Rugiero, der in einem prunkvollen Ballkostüm auftritt, ob seines Heldenmutes und seines Großmutes: "pero cuando oía referir tus desgracias y escuchaba los elogios que de ti hacían, tu valor en los combates y tu clemencia con los vencidos... yo no sé lo que sentía; ¡pero antes de conocerte ya te amaba! " (CV, 213) Laura versichert ihm: "Yo nací para tí, para consolarte! " (CV, 213) Und Rugiero greift dies auf, wenn er ihr entgegnet: "¡el cielo te ha enviado para hacerme sobrellevar la vida! " (CV, 213) Lauras Liebe zu Rugiero ist vom religiösen Bezug kaum zu lösen: So hatte Laura sich selbst als Pfand Rugiero versprochen, wenn Gott sie von ihrer schweren Krankheit heilen sollte. (CV, 232) Die heimliche Heirat im nahe gelegenen Kloster stellt somit allein die Umsetzung ihres Versprechens gegenüber Gott dar, die Ehe mit Rugiero die Erfüllung des göttlichen Willens. Auch im Folgenden dramatischen Verlauf des Stückes gewinnt Laura aus dieser Episode eine ganz besondere Willenskraft, die soweit geht, Rugiero - "mi esposo a los ojos de Dios" (CV, 226) - um den Preis ihres eigenen Lebens retten zu wollen. Auch im Macías werden die Bande der Liebesehe sakralisiert, insofern als Gott die Liebenden erst zusammenbrachte. Dies bringt Macías in der vierten Szene des vierten Aktes nochmals zum Ausdruck, als Elvira sich schließlich doch ihrer Liebe zu ihm bekennt, und ihr Geliebter ihr entgeg- <?page no="128"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 128 net: "¡Un bálsamo divino / / es para el corazón! " (M, 199f.) Zuvor hatte Macías bereits gegenüber Fernán geklagt: "es al bien celestial que me has robado." (M, 166) und ihn zum Duell aufgefordert. b) Don Álvaro o la fuerza del sino und El trovador Im Don Álvaro sucht der Held, der sich in Spanien in geheimer Mission befindet, um die Ehre seiner Eltern wiederherzustellen, die in Peru wegen des Vorwurfs der Verschwörung im Gefängnis weilen, in der Geliebten in erster Linie den Trost spendenden Engel: "¡Ángel consolador del alma mía. ..." (DA, 67) Auch Don Álvaro setzt seine Geliebte in Analogie zur Jungfrau Maria, zugleich sieht er seine Liebe zu Doña Leonor als göttliche Fügung an: "¿Van ya los santos cielos / / a dar corona eterna a mis desvelos? ... / / Me ahoga la alegría.../ / " (DA, 67) Die Sakralisierung der Liebe 79 kulminiert in der Gleichsetzung der Geliebten mit Gott: "Mi bien, mi Dios, mi todo." (DA, 67) Don Álvaro verknüpft sein Dasein mit seiner Liebe zu Leonor und sieht die Zukunft im Licht der göttlichen Fügung: protege nuestro amor el santo cielo y una carrera eterna de ventura, próvido, a nuestras plantas asegura. (DA, 68) Die Liebe der romantischen Helden wird jedoch nicht nur mit einer sakralen Aura versehen, sondern durch die Eheschließung vor Gott zusätzlich geadelt. So erfährt das Publikum, dass der Pfarrer bereits in der Kirche auf das Liebespaar wartet, um die Verbindung der beiden unter den göttlichen Segen zu stellen: Dios nos bendecirá desde su esfera. y cuando el nuevo sol en el Oriente, protector de mi estirpe soberana, numen eterno en la región indiana, la regia pompa de su trono ostente, monarca de la luz, padre del día, yo tu esposo seré; tu esposa mía. (DA, 69) Im Trovador weist der Held Manrique Leonor die für die Romantik charakteristische Rolle der Frau als Trost spendendem Engel zu, wenn er der Geliebten, die ihn im Gefängnis aufsucht, um ihn von der für ihn ausgehandelten Freiheit zu unterrichten, entgegnet: "ven, Leonor, a consolar / / amorosa mi martirio." (Tr, 191) Das Opfer Leonors ist Manrique indessen nicht gewillt anzunehmen. Und so mündet Manriques Aufforderung "Muramos juntos los dos." (Tr, 191), welche noch einmal die romantiche Synthese von Liebe und Tod unterstreicht, zudem in eine Sakralisierung der Liebe, wenn Leonor bekennt: "¡perder tan pronto una vida / / para amarte consagrada! " (Tr, 194) Leonor stirbt an dem zuvor eingenommen Gift, noch bevor der Henker Manrique zur Hinrichtung geleitet. 79 Vgl. Joaquín Casalduero, "Don Álvaro o el destino como fuerza", S. 261. <?page no="129"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 129 c) Los Amantes de Teruel In Hartzenbuschs Los Amantes de Teruel erreicht die Liebe zwar nicht den leidenschaftlichen Ausdruck wie im Don Álvaro, wird jedoch in besonderem Maße als göttlicher Wille dargestellt, demzufolge die Liebenden von Gott als komplementäre Wesen erschaffen wurden, deren Ziel in der Vereinigung ihrer Seelen liege. 80 Das Heldenpaar Isabel und Marsilla wird als seelenverwandt beschrieben, als ein Liebespaar, das die göttliche Vorsehung für einander bestimmt habe. Marsilla erzählt während seiner Gefangenschaft der maurischen Königin Zulima von der Liebe zwischen ihm und Isabel, die er wie folgt in fast biblischem Tenor beschreibt: Yo creo que al darme ser, quiso formar el Señor modelos de puro amor, un hombre y una mujer; y para hacer la igualdad de sus afectos cumplida, les dio un alma en dos partida, y dijo: Vivid y amad. Al son de la voz creadora Isabel y yo existimos y ambos los ojos abrimos en un día y una hora. (LAT, 94f.) Die Sakralisierung der romantischen Liebe zu einer reinen Liebe erfährt in Los Amantes de Teruel ihren höchsten Ausdruck, als Isabel in der Schluss- Szene nach dem Tod des Geliebten verkündet: "El cielo que en la vida nos aparta, / / nos unirá en la tumba." (LAT, 166) Die Erfüllung der Liebe wird in den göttlichen Bereich des Jenseits deligiert. Isabel folgt Manrique, indem sie bei der Umarmung des toten Körpers ihres Geliebten selbst den letzten Atem aushaucht. Die Liebenden von Teruel sind das einzige Heldenpaar, dem diese Form des Liebestodes gemeinsam zu Teil wird. Zuvor war bereits Laura in der Conjuración de Venecia den Liebestod gestorben und später sollte auch Doña Inés im Don Juan Tenorio das gleiche Schicksal ereilen - auch sie stirbt an gebrochenem Herzen. Die romantische Liebe, welche unter dem Signum der Leidenschaft die Liebe an das Primat der ewigen Dauer knüpfte, muss in Anbetracht der irdischen Widrigkeiten, welche die Gesellschaft dem Liebespaar entgegenstellt, ins Jenseits verlagert werden. Die Idealisierung der Geliebten verlagert sich in den romantischen Dramen zu einer Sakralisierung der Geliebten, die als tröstender Engel zugleich in Analogie zur Jungfrau Maria gesetzt wird. Diese Sakralisierung der Liebe entkleidet die romantische Liebe schließlich ihrer ursprünglichen physischen Leidenschaft, indem sie 80 Jean-Louis Picoche, "El trovador y Los Amantes de Teruel", in: Iris Zavala (Hg.), Historia y crítica de la literatura española, V, Primer suplemento, Barcelona: Ed. Crítica 1983, S. 226-232, hier: S. 231. <?page no="130"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 130 diese ins Transzendente verlagert. In Zeiten der Säkularisation der Religion wird die romantische Liebe so zu einer Art Ersatzreligion stilisiert, mittels derer das romantische Glücksstreben der Helden sublimiert wird. Zugleich lässt sich in diesem Prozess der Sakralisierung eine Tendenz zur Ästhetisierung feststellen, welche die leidenschaftliche romantische Liebe ins Spirituelle verlagert. 81 3.4.5 Das Medium Liebe - Zur literarischen Selbstreflexion Die in den zuvor analysierten Dramen konstatierte Sakralisierung der romantischen Liebe zu einer göttlichen Verbindung, deren Erfüllung nicht im irdischen Bereich zu suchen sei, sondern ins Jenseits verlagert wird, setzt sich mit Zorrillas Don Juan Tenorio fort. Doña Inés wird von Don Juan zum "ángel de amor" (DJ, 163) stilisiert, dem er seine Rettung zu verdanken habe. Eine erhabene Liebe, deren Erfüllung im Tod des romantischen Heldenpaares gipfelt, vermutet man zunächst wohl bei der ersten Lektüre des Don Juan Tenorio nicht. Als Kenner des Burlador de Sevilla und seiner variantenreichen literarischen Nachfolger in der europäischen Literatur mag man an den Rebellen gegen gesellschaftliche Wertvorstellungen, den Libertin bei Molière, denken, aber eine Wandlung des Don Juan zum reuigen Sünder, dessen Seele diesmal nicht in der Hölle endet, sondern vielmehr in den Himmel aufsteigt, war eine grundlegende Wandlung, mit der das zeitgenössische spanische Publikum auf der zuvor gezeichneten Rezeptionsfolie nicht rechnen konnte. Dennoch führt diese Wandlung des Don Juan die Entwicklung der Figur fort, wie sie bei Alexandre Dumas' Don Juan de Marana ou la chute d'un ange und E.T.A. Hoffmanns Don Juan. Eine fabelhafte Begebenheit, die sich mit einem reisenden Enthusiasten zugetragen (1912) in Ansätzen bereits angelegt war. Während Dumas erstmals Don Juans Seele rettete, 82 stilisierte Hoffmann in seiner Erzählung Don Juan zum Idealsucher, der große Ähnlichkeiten mit Faust aufwies. Im Don Juan Tenorio des José Zorrilla tritt Don Juan zunächst als allseits bekannter Rebell gegen die christlichen Wertvorstellungen der Gesellschaft auf. Bereits im ersten Akt schildert er seinem Freund und Rivalen Don Luís analog zu Don Giovanni in der Registerarie in Mozarts gleichnamiger Oper die Liste seiner Eroberungen, die deutlich macht, dass Don Juan zu roman- 81 Vgl. hierzu Michaela Peters, "Das romantische Drama in Spanien zwischen Religion und Rebellion", in: Franz Norbert Mennemeier, Bernhard Reitz (Hg.), Amusement und Schrecken. Studien zum Drama und Theater des 19. Jahrhunderts, Tübingen: Narr 2006, S. 303-327. 82 Vgl. zum interkulturellen Bezug zwischen Dumas und Zorrilla im Hinblick auf die Figur des Don Juan: María Paz-Yañez, "Figuras donjuanescas en el Romanticismo: España-Francia, ida y vuelta", in: Michaela Peters, Christoph Strosetzki (Hg.), Interkultureller Austausch in der Romania im Zeichen der Romantik. Akten der Sektion 14 des Deutschen Romanistentages 2003 in Kiel, Bonn: Romanistischer Verlag 2004, S.31-39. <?page no="131"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 131 tischer Liebe, deren besonderes Merkmal ja in der Einzigartigkeit der Geliebten lag, allem Anschein nach nicht berufen ist. Auch der Liebesbrief, den Don Juan bereits zu Beginn des ersten Aktes im Wirtshaus verfasst, während er auf seinen Kontrahenten Don Luis wartet, scheint zunächst nur eines der probaten Mittel zu sein, das der rhetorisch versierte Don Juan schon im Burlador de Sevilla und in Molières Don Juan o le festin de pierre angewandt hatte. Der im Wirtshaus verfasste und an die Novizin Doña Inés gerichtete Brief, den diese in Szene III des dritten Aktes laut vorliest, mag zwar formal auf die Gattung des galanten Liebesbriefes verweisen, insofern als er in der Tradition der Liebeslyrik stehend ein der Geliebten Verehrung zollendes Gedicht repräsentiert. Doch während in der galanten Liebeslyrik die Einlösung des Eros nie Thema war, ist der an Doña Inés gerichtete Brief in seiner Intention jedoch extrem zweckorientiert - dient die Verführung der Novizin doch zu diesem Zeitpunkt noch der Einlösung der mit Don Luis geschlossenen Wette. In seinem Liebesbrief wählt Don Juan eine emphatische Anrede: "Doña Inés del alma mía", womit er bereits seine enge Verbundenheit mit der Angebeteten zum Ausdruck bringt. Es folgt eine metaphorische Beschreibung der Geliebten als aufgehendes Licht, als wunderschöne, ihrer Freiheit beraubten Taube. Der captatio benevolentiae entsprechend bittet er die Adressatin unterwürfig: si os dignáis por estas letras pasar vuestros lindos ojos, no los tornéis con enojos sin concluir, acabad. (DJ, 144) Im Hauptteil des Briefes unterstreicht er, dass ihre Verbindung sowohl durch irdische als auch göttliche Fügung bestätigt werde: Nuestros padres de consuno nuestras bodas acordaron, porque los cielos juntaron los destinos de los dos. (DJ, 144) Don Juan beschreibt im Folgenden seine Liebe, an die allein er seine Zukunft knüpft, und welche - nur durch einen Funken geweckt - inzwischen zu einem lodernden Feuer der Leidenschaft entbrannt sei. Weder die Zeit noch die Abwesenheit der Geliebten vermögen das Feuer zu löschen. Sein Schicksal macht er von Inés abhängig ("suspendido en él [el cráter, die Verf.] me hallo / / entre mi tumba y mi Inés." (DJ, 145) Im Aufbau des Gegensatzes zwischen "mi tumba" und der engelsgleichen Inés zeigt sich die romantische Ästhetik des Grotesken und Erhabenen. Der Schlussteil evoziert metaphorisch die magische Kraft, 83 die von der Geliebten ausgeht ("perpetuo imán de mi vida" ebd.), und die Einzigartig- 83 Harriet S. Turner ("Romanticismo y meta-textualidad: El caso de Don Juan Tenorio", in: Pierre Civil (Hg.), Actas del XVI Congreso de la Asociación Internacional de <?page no="132"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 132 keit ("perla sin concha escondida / / entre las algas del mar" ebd.), die Unerfahrenheit ("garza que nunca del nido / / tender osastes el vuelo," ebd.) und den Wunsch nach Freiheit: "y por el mundo suspiras / / de libertad con afán," (ebd.), den Don Juan bereit ist zu erfüllen. Abschließend unterstreicht er nochmals die innigliche Verbundenheit mit der Geliebten: "acuérdate de quien vive / / sólo por ti, ¡vida mía! " (ebd.). Zum Schluss vergleicht er das Kloster mit einem Grab, aus dem er Inés befreien möchte und appelliert an sie, über das Gesagte mit Gott zu sprechen. Allein die Wortwahl und der Tenor des Briefes zeigen deutlich, dass es sich hierbei nicht mehr um einen Liebesbrief in der Tradition der Galanterie handelt, sondern um einen Brief, der alle Register des romantischen Liebesdiskurses zieht. Unter Rückgriff auf die Naturmetaphorik wird die Einzigartigkeit der Geliebten zum Ausdruck gebracht, die Auslöser für die romantische Leidenschaft des Verfassers Don Juan ist, der für seine Liebe bereit ist zu sterben. Zwar mag der Zuschauer in Kenntnis der literarischen Figur des Don Juan zunächst berechtigte Zweifel an der Wahrhaftigkeit der im Brief geäußerten Liebesbotschaft hegen, aber schon beim ersten Auftauchen Don Juans im Kloster war im Gespräch mit Brígida deutlich geworden, dass Don Juans Charakter sich offensichtlich im Wandel befindet. Allein durch Brígidas Beschreibung der engelshaften Schönheit von Doña Inés gerät Don Juan dermaßen in Verwirrung, dass er sich von einer glühenden Leidenschaft entflammt zeigt: Tan incentiva pintura los sentidos me enajena, y el alma ardiente me llena de su insensata pasión. (DJ, 130f.) Das crescendo der Liebe bringt er mit den Worten zum Ausdruck: "Empezó por una apuesta, / / siguió por un devaneo, / / engendró luego un deseo, / / y hoy me quema el corazón." (DJ, 131) Die Symbolik des Feuers, welche die Tiefe der leidenschaftlichen Gefühle Don Juans versinnbildlichen soll, ist insgesamt für den romantischen Liebesdiskurs im Don Juan Tenorio prägend. 84 Don Juan führt sein Loblied auf die Geliebte fort, indem er seinen Wagemut bekundet, demzufolge er bereit sei, nicht nur die Klostermauern zu erklimmen, sondern Doña Inés sogar dem Teufel persönlich zu entreißen. Abschließend greift er in der Anbetung der Geliebten auf die romanti- Hispanistas: Nuevos caminos del hispanismo, Paris, del 9 al 13 de julio de 2007, Bd. 2, Madrid: Iberoamericana 2010 (CD-ROM), S. 206f.) hat in diesem Zusammenhang von der Metamagie Don Juans gesprochen und in Bezug auf die Verdoppelungsstrategien gezeigt, inwiefern sich die Wandlung des romantischen Helden auf der Ebene der Sinne abspielt. 84 David Th. Gies ("Todos los fuegos el fuego: Zorrilla, Don Juan y el amor romántico", in: Javier Blasco Pascual, u.a. (Hg.), Actas del Congreso sobre José Zorrilla. Una nueva lectura, S. 81-95, hier: S. 94) konstatiert hierzu zusammenfassend: "El brillante uso de imágenes pirotécnicas de chispa, fuego, llama y volcán en Don Juan Tenorio revela un coherente sistema icónico [...]" <?page no="133"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 133 sche Naturmetaphorik zurück, wenn er Doña Inés mit einer Blume vergleicht, deren Knospe sich noch nicht geöffnet hat - womit er metaphorisch auf ihre Unschuld verweist: Oh! Hermosa flor, cuyo cáliz al rocío aún no se ha abierto, a trasplantarte va al huerto de sus amores Don Juan. (DJ, 131) Das Erstaunen, welches das Publikum in Anbetracht solch tiefgründiger Gefühle empfinden muss, bringt Brígida 85 in ihrer Replik auf Don Juans Eloge zum Ausdruck: Os estoy oyendo, y me hacéis perder el tino yo os creía un libertino sin alma y corazón. (DJ, 131f.) Der zuvor bereits erwähnte Liebesbrief Don Juans nimmt im Hinblick auf die Wandlung des Helden eine signifikante Stellung ein, auf die wir im Folgenden noch näher eingehen werden. Zunächst sei jedoch ein Blick auf die Rezeption des Briefes innerhalb des Dramas geworfen. In der Tradition der Gattung des Briefes stellt dieser eine Form des Dialogs zwischen dem Verfasser und dem Adressaten dar. 86 In Szene 3 des dritten Aktes liest Doña Inés Don Juans Liebesbrief laut vor und tritt so selbst in Dialog mit dem Gelesenen, indem sie die Verse kommentiert. Doña Inés' Rezeption des Briefes wird auf diese Weise dramaturgisch inszeniert: die Rezipientin des Briefes rezitiert den Brief selbst. Ihre Zofe Brígida übernimmt den Part der interpretatorischen Instanz, die sowohl Don Juans Worte erläutern, als auch die Wirkung des Briefes auf die Novizin kommentiert. Während Doña Inés ihre durch das dichterische Werk hervorgerufenen Gefühle kaum einzuordnen vermag, deutet Brígida diese als Zeichen ihrer Liebe zu Don Juan. Das Ende der Lektüre des Briefes fällt mit dem Auftauchen Don Juans im Kloster, d.h. seiner realen Präsenz zusammen. In dieser metapoetischen Szene wird folglich der literarische Rezeptionsvorgang literarischer Werke gespiegelt und die Wirkung der Literatur im Sinne der Gefahren, die sich aus der Lektüre ergeben können, reflektiert. Die Verführung durch die Dichtung ist nicht erst seit der Romantik prägender Bestandteil des Wesens der Literatur. Schon Don Quijote erlag beim Lesen der Ritterromane der literarischen Verführung, die ihn die Grenzen von Fiktion und Wirklichkeit nicht mehr erkennen ließ und ihn 85 Zur Rolle und Funktion der Figur der Brígida siehe: Joseph T. Snow, "La Brígida de José Zorrilla y su celestinaje", in: Revista Canadiense de Estudios Hispánicos, Nr. 32, 1, 2007, S. 137-148. 86 Vgl. Luis Fernández Cifuentes, "Don Juan y las palabras", in: Iris Zavala (Hg.), Historia y crítica de la literatura española, V, Primer suplemento, S. 167-172. <?page no="134"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 134 veranlasste, in einer Zeit als fahrender Ritter loszuziehen, in der die Ritter längst ihre Bedeutung eingebüßt hatten. Am Übergang von der Romantik zum Realismus kommt dann der romantischen Literatur die Gefährlichkeit des Lesens zu, die im extremsten Fall zum Verlust des Wirklichkeitsbezuges führt, wofür Flauberts Madame Bovary (Emma Bovary) und Claríns La Regenta (Doña Ana) nur zwei Beispiele sind. 87 Im Don Juan Tenorio lässt sich diese Tendenz zur Reflexion der Romantik bereits in Ansätzen erkennen. Allerdings reflektiert das Drama nicht allein über die Gefährlichkeit des Lesens für den Adressaten der Dichtkunst, sondern im Don Juan Tenorio ist auch der Autor der Dichtkunst - in diesem Fall der Verfasser des Briefes, Don Juan - von der Wirkung der eigenen Dichtkunst auf ihn selbst nicht frei. 88 Das Produkt seiner Imagination verändert nicht nur die Novizin Doña Inés, sondern auch Don Juan selbst. Diese Tendenz, die sich schon im bereits erwähnten Gespräch mit Brígida gezeigt hatte, setzt sich nach der Entführung der Doña Inés aus dem Kloster auf den Landsitz des Don Juan fort: Esa armonía que el viento recoge entre esos millares de floridos olivares, que agita con manso aliento; ese dulcísimo acento con que trina el ruiseñor de sus copas morador llamando al cercano día, ¿no es verdad, gacela mía, que están respirando amor? (DJ, 164) In Anlehnung an die romantische Naturmetaphorik wird hier eine Analogie zwischen dem Seelenleben der Helden und der Natur hergestellt. Die Schönheit der Doña Inés führt die Wandlung des romantischen Helden herbei. Aniano Peña hat diesen Aspekt bereits kurz in einer Fußnote zu seiner Edition des Don Juan Tenorio umrissen: So schrieb bereits León He- 87 Vgl. hierzu die Artikel von Sabine Schlickers, "Kunst der Verführung oder leichtes Spiel? Die Darstellung des Ehebruchs bei Eça de Queirós, Maupassant, Flaubert, Zola und Leopoldo Alas ('Clarín')", in: Frank Wanning, Anke Wortmann (Hg.): Gefährliche Verbindungen: Verführungen und Literatur, Berlin: Weidler 2001, S. 111-122 und Jing Xuan, "'Les ironies mauvaises de l'adultère triomphant': Die romantische Liebe bei Flaubert, Clarín und Eça de Queiros", in: Michaela Peters, Christoph Strosetzki (Hg.), Interkultureller Austausch in der Romania im Zeichen der Romantik. Akten der Sektion 14 des Deutschen Romanistentages 2003 in Kiel, Bonn: Romanistischer Verlag 2004, S. 61-69. 88 Vgl. zur Verdoppelung der Figur des Don Juan, der sich in seiner eigenen Schöpfung spiegelt: Harriet S. Turner, "Romanticismo y meta-textualidad: El caso de Don Juan Tenorio", S. 206 und zur Theatermetapher im Don Juan Tenorio: Ricardo de la Fuente Ballesteros, "El Tenorio de Zorrilla: juego y teatralidad", in: Raquel Gutiérrez Sebastián, Borja Rodríguez Gutiérrez (Hg.), Desde la platea. Estudios sobre el teatro decimonónico, S. 77-92. <?page no="135"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 135 breo in seinem Diálogo de amor, dass die Schönheit die Liebe hervorrufe. 89 Hierbei konnte er sich zum einen auf Platon stützen, der die Einheit von Schönheit und Liebe betonte, zum anderen auf Aristoteles, der die Einheit der Liebe und des Guten hervorhob. Die Figur der Doña Inés vereinigt als Idealbild der romantischen Frau in der Dichtung nun sowohl die Schönheit als auch die Güte. Hebreo schrieb, dass das spirituelle Wesen der Schönheit nicht über die materiellen Sinne wahrgenommen werde, sondern über die spirituellen Sinne: hören und sehen. Auf die Bedeutung des Hörsinn für die Ästhetik der Romantik hat bereits Günter Oesterle hingewiesen. 90 Im Don Juan Tenorio stellt der Hörsinn das Medium dar, über welches nicht nur Don Juans Wesen gewandelt wird, der sich allein von Brígidas Beschreibung der Schönheit der Doña Inés emotional bewegen lässt, sondern dies trifft auch auf Doña Inés zu, welche die Schönheit der Dichtkunst auf sich wirken lässt, indem sie den Liebesbrief Brígida laut vorliest: [...] Las dos con la carta entretenidas, olvidamos nuestras vidas, yo oyendo, y leyendo vos. (DJ, 158) Zahlreich sind die Stimmen in der Forschungsliteratur, die Don Juans Wandlung als unglaubwürdig kritisierten, da sie sich erst in letzter Sekunde vollziehe. 91 Schon Alonso Cortés aber hat erkannt: "La redención por el amor se ha verificado ya desde este instante y mucho antes de llegar a la famosa apoteosis final." 92 Diese Wandlung ist bereits von Beginn an im Stück angelegt und vollzieht sich über die Wirkung der Schönheit. Aniano Peña wies in diesem Kontext schon auf die Intertextualität zwischen Don Juan und Segismundo hin. Don Juans Wandlung steht demnach auf der gleichen philsosophischen Grundlage wie diejenige des Helden aus Calderóns La vida es sueño: Die Schönheit verfüge über eine zivilisierende Wirkung, die dazu führe, dass Segismundo im Angesicht Rosauras menschlichere Züge annehme. 93 Über diesen intertextuellen Verweis, den Peña bemerkt hat, steht die menschliche Wandlung durch die Schönheit im Don 89 Aniano Peña (Hg.), José Zorrilla, Don Juan Tenorio, Madrid: Cátedra 1995 (Letras Hispánicas, 114), S. 130, Fußnote 1306. 90 "Seit der Antike war die rhetorische Wiedererinnerung leidenschaftlicher Erlebnisse okular ausgerichtet, denn das Auge galt als der leidenschaftlichste Sinn. Nun treten auch andere, niedere Sine als Erinnerungsstimuli auf. Der Hörsinn gewinnt gegenüber dem Gesichtssinn in der Romantik an Bedeutung." Günter Oesterle, "Erinnerung in der Romantik. Einleitung", in: Ders. (Hg., in Verbindung mit Alexander von Bormann, Gerhart von Graevenitz, Walter Hinderer, Gerhard Neumann und Dagmar Ottmann), Erinnern und Vergessen in der Europäischen Romantik, Würzburg: Königshausen & Neumann 2001, S. 8. 91 Vgl. u.a. Dietrich Briesemeister, "José Zorrilla. Don Juan Tenorio", in: Volker Roloff, Harald Wentzlaff-Eggebert, (Hg.), Das spanische Theater. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Düsseldorf: Schwann Bagel 1988, S. 250 -263, hier: S. 251. 92 Narciso Alonso Cortés, Zorrilla, su vida y obra, Valladolid: Santarén 1943. 93 Vgl. Aniano Peña (Hg.), José Zorrilla, Don Juan Tenorio, S. 132, Fußnote 1325. <?page no="136"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 136 Juan Tenorio darüberhinaus im Zusammenhang mit dem für die Romantik signifikanten metapoetischen Diskurs. Die Schönheit der Doña Inés fasst Don Juan zu einem Zeitpunkt in Worte, als er seine Geliebte und Muse, die ihn zum Abfassen des Liebesbriefes inspiriert, noch nicht persönlich gesehen hat. Seine Dichtung besingt folglich einen Gegenstand, der noch Produkt seiner Imagination ist. Nach der Entführung aus dem Kloster, als Don Juan in der berühmten Sofaszene (4. Akt, Szene III) seine Liebe bekennt, entwickelt sich Doña Inés zur Blauen Blume der Romantik, die Don Juans Wesen verwandelt. Don Juan besingt in der Sofaszene die Liebe zu Inés unter Rückgriff auf die Naturmetaphorik: ¡Ah! ¿No es cierto, ángel de amor, en esta apartada orilla más pura la luna brilla y se respira mejor? (DJ, 163) Die ästhetische Wirkung, welche die Natur auf das Liebespaar ausübt, wird über das rhetorische Mittel der Synästhesie zum Ausdruck gebracht, als Synthese aller fünf Sinneswahrnehmungen. In der an den Topos des locus amoenus gemahnenden Idylle, in der Don Juans Landhaus gelegen ist, herrscht eine absolute Harmonie, die selbst der Wind aufgreift ("armonía que el viento / / recoge entre los millares / / de floridos olivares,"). Das sanfte Rauschen des Windes wird sodann mit dem lieblichen Klang der Nachtigall verknüpft, so dass insgesamt der Eindruck erweckt wird, als wäre die gesamte Natur von einem harmonischen Gleichklang der Liebe des Heldenpaares erfasst. Leitmotivisch unterbricht Don Juan sein lyrisches Liebeslied mit der Frage: "¿no es verdad, gacela mía, / / que están respirando amor? " (DJ, 164) Das Seelenleben der Protagonisten korrespondiert folglich mit der Atmosphäre der Natur, alles zeigt sich von der Liebe durchdrungen. Metaphorisch beschreibt Don Juan seine Geliebte als Herrin der Natur ("mira aquí a tus plantas, pues", DJ, 165) und die in seinem Innersten aufkeimenden Gefühle als beginnendes Feuer der Leidenschaft, das gerade in ihm entfacht wird: cuyas ideas van inflamando en su interior un juego germinador no encendido todavía (DJ, 164) Auch auf die Novizin bleiben Don Juans Worte der Liebe nicht ohne Wirkung. Keimte bereits bei der Lektüre des Liebesbriefes ihre Liebe zu Don Juan auf, so entfachen Don Juans Worte in der Sofaszene die ungeahnte Kraft der Leidenschaft: No, Don Juan, en poder mío resistirte no está ya: yo voy a ti como va sorbido al mar ese río. (DJ, 165) <?page no="137"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 137 Die Liebe erscheint hier nicht nur als eine Macht der Natur - was auf der stilistischen Ebene durch den Bruch des Versmaßes betont wird - , welcher der Mensch sich nicht entziehen kann. In der Metapher des Flusses, der ungewöhlicherweise vom Meer angezogen wird, anstatt selbsttätig ins Meer zu fließen, soll die außerordentliche Macht der Liebe noch unterstrichen werden. 94 Doña Inés' Liebe ist hier weit entfernt davon, rein spiritueller Natur zu sein, 95 sie gibt sich der physischen Anziehungskraft Don Juans mit den folgenden Worten hin, die ebenfalls eine Synästhesie der Sinneswahrnehmungen evozieren: Tu presencia me enajena, tus palabras me alucinan, y tus ojos me fascinan, y tu aliento me envenena. […] o arráncame el corazón, o ámame, porque te adoro. (DJ, 165f.) Die Novizin, die ihr Leben hinter Klostermauern fernab des wirklichen Lebens fristete, entdeckt nun ihre Sinnlichkeit, die auch ihr Wesen weiter verwandeln wird und sie zur romantischen Heldin aufsteigen lässt. 96 Doch nicht nur Doña Inés wirkt wie verwandelt. Auch Don Juan wird durch die romantische Liebe gewandelt. In Doña Inés, die zunächst nur Muse und Gegenstand seiner Dichtkunst war, erkennt er nun einerseits seinen Spiegel, andererseits die Macht, welche den Rebellen verwandelt hat: "¡Alma mía! Esa palabra cambia de modo mi ser, que alcanzo que puede hacer hasta que el Edén se me abra. No es doña Inés, Satanás quien pone este amor en mí: es Dios, que quiere por ti ganarme para él quizás. [...] no es un amor terrenal como el que sentí hasta ahora; [...] (DJ, 166f.) Das Produkt seiner Imagination hat sich in ein reales Wesen verwandelt, das erstmals wahre Gefühle in dem rebellischen Außenseiter wecken konnte. Doch auch im Don Juan Tenorio wird der romantischen Liebe keine irdische Erfüllung zu Teil. Bereits in dieser Szene sublimiert Don Juan die wechselseitige Liebe: er sakralisiert ihre Liebe, indem er diese als göttliche 94 Vgl. Marina Mayoral, "El concepto de la feminidad en Zorrilla", in: Javier Blasco Pascual, Ricardo de la Fuente Ballesteros, Alfredo Mateos Paramio (Hg.), Actas del Congreso sobre José Zorrilla. Una nueva lectura, Valladolid: Universidad de Valladolid/ Fundación Jorge Guillén 1995, S. 125-140, hier: S. 137. 95 Vgl. ebd. 96 Vgl. hierzu Kap. 3.2.3 der vorliegenden Studie. <?page no="138"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 138 Fügung ansieht, derzufolge Doña Inés' Liebe als göttliches Medium zur religiösen Rettung des Rebellen erscheint. Dies ist die allgemeine Rezeption, der nicht nur die Zeitgenossen Zorrillas folgten, sondern die auch den generellen Tenor der Forschungsliteratur wiedergibt. 97 Der erste Teil des Dramas endet bekanntermaßen damit, dass Don Juans Rivale Don Luís und Doña Inés' Vater Don Gonzalo de Ulloa auf dem Landsitz erscheinen, um Don Juan zum Duell zu fordern. Die Selbstunterwerfung des durch die Liebe geläuterten Don Juan wird von Don Gonzalo jedoch hochmütig zurückgewiesen, und so tötet Don Juan seine beiden Gegner in gewohnter Manier im Duell. Der metapoetische Diskurs, mit dem - wie wir gezeigt haben - die Liebe bereits im ersten Teil verknüpft wurde, wird im zweiten Teil erneut aufgegriffen und fortgeführt. Die wechselseitige Beeinflussung von Kunst und Leben, die bereits in der Verführung der Doña Inés durch den literarischen Liebesdiskurs Don Juans und der Wandlung Don Juans durch die Schönheit der Doña Inés im ersten Teil des romantischen Dramas zum Ausdruck gebracht wurde, wird bereits im ersten Akt des zweiten Teils des Stückes durch die Begegnung Don Juans mit dem Bildhauer und den von diesem geschaffenen Skulpturen reflektiert. Nach fünfjähriger Abwesenheit muss Don Juan bei seiner Rückkehr nach Sevilla feststellen, dass dem Vermächtnis seines Vaters zufolge der Familienpalast der Tenorios in einen Pantheon der Opfer Don Juans umgewandelt wurde. Don Juan trifft in dem Moment ein, als der Bildhauer seine vollendeten Skulpturen ein letztes Mal betrachtet, bevor er im Morgengrauen die Stadt zu verlassen beabsichtigt. (DJ, 189) In dem Gespräch mit dem Bildhauer, dem Don Juans wahre Identität zunächst verborgen bleibt, philosophiert der Künstler über das Wesen der Kunst im Allgemeinen und sein Verhältnis zu seinen Werken. Wir erfahren, dass die reichen Bürger Kunstwerke in Auftrag geben, um so der Nachwelt ewiges Gedenken an sie zu bescheren: "todos los ricos que mueren / / que su voluntad cumplieren / / los vivos, como esta vez." (DJ, 182) Der Gedanke, dass nicht nur dem Künstler, sondern auch dem Gegenstand der Kunst postumer Ruhm sicher ist, mag zwar nicht neu sein - man denke nur an den Topos der armas y letras 98 - aber hier soll der Nachruhm den reichen Auftraggebern gelten, die sich durch die Finanzierung des Kunstwerkes ein Denkmal schaffen wollen. Hierin mag man bereits eine leise Kritik an den Kommerzialisierung des Kulturbetriebes ablesen, welche die Literatur seit der Romantik prägten. Neben der Frage des literarischen Ruhmes reflektiert der Bildhauer über die Rezeption der Kunst durch die Nachwelt. Nach Vollendung des 97 Hans Mattauch, "El Tenorio muerto por Zorrilla? Über Fakten und Fiktionen der Rezeption von 'Don Juan Tenorio'", in: Karl-Hermann Körner, Günther Zimmermann (Hg.), Homenaje a Hans Flasche. Festschrift zum 80. Geburtstag am 25.November 1991, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 1991, S. 335-347. 98 Vgl. Christoph Strosetzki, Literatur als Beruf. Zum Selbstverständnis gelehrter und schriftstellerischer Existenz im spanischen Siglo de Oro, Düsseldorf: Droste 1987, S. 61-83. <?page no="139"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 139 Kunstwerkes überlässt er seine Skulpturen einerseits dem Blick der Zeitgenossen - wobei er jedoch deutlich Distanz zum vulgo nimmt, dadurch dass er den Skulpturenpark erst in dem Moment verlässt, in dem am Eingang zum Pantheon ein Gitter installiert wurde: "pues he querido impedir / / que pueda el vulgo venir / / este sitio a profanar." (DJ, 189) - andererseits dienen die Kunstwerke aber im Sinne der romantischen Geschichtsphilosophie als bleibendes Zeugnis der Zeit zur Wertschätzung durch die nachfolgenden Generationen. (DJ, 182) Nach der Frage der Rezeption des Kunstwerkes reflektiert der Bildhauer im Sinne der romantischen Genie-Ästhetik über seine Funktion als Schöpfer: ¡Oh! Frutos de mis desvelos, peñas a quien yo animé [...] el que forma y ser os dio, va ya a perderos de vista; velad mi gloria de artista, pues viviréis más que yo! (DJ, 182f.) Kurz ist das Leben - lang ist die Kunst. Der Aphorismus des Hypokrates mag bei diesem Gedanken Pate gestanden haben. Jedenfalls übergibt der Künstler im Augenblick der Vollendung sein schöpferisches Werk, dem er selbst Leben einhauchte, an die Gesellschaft, die über seinen bzw. den Ruhm des Kunstwerkes entscheiden wird. Der metapoetische Diskurs wird im Anschluss auf eine weitere Ebene ausgeweitet, in der es um die Wahrheit der Kunst geht. Der Bildhauer bekennt: "Es una famosa historia, / / a la cual debo mi gloria." (DJ, 184) Dies war schon die Grundlage der ersten literarischen Zeugnisse, in denen die Dichter historische Heldentaten besangen. Die Frage nach der Wahrheit war in den Theoriedebatten der Romantik eine eminent poetologische. Wie unter Kapitel 2.3 gezeigt wurde, favorisierten die Romantiker die verdad poetica. Der Bildhauer erzählt Don Juan die ganze, in seinen Augen wahre Geschichte und betont: "Oíd / / la verdad pura." (DJ, 184) Gemeinsam mit Don Juan diskutiert der Künstler im Folgenden über die Wahrheit der Kunst. (DJ, 186) Der Bildhauer folgt dem Horazschen ut pictura poesis- Prinzip, d.h. der Analogie zwischen bildender Kunst und Dichtung. Dem Abbildcharakter der Kunst folgend, war es ihm nicht möglich, eine Skulptur Don Juans anzufertigen, da er von ihm kein Bildnis, sondern nur eine Umschreibung hatte, die diesen mit dem Teufel gleichsetzte. 99 Don Juan bestätigt dem Bildhauer, er halte die Kunstwerke für sehr gelungen, da sie das reale Vorbild ideal repräsentierten. Da es sich bei den vom Bildhauer geformten Skulpturen um die Figuren des romantischen Dramas Don Juan Tenorio handelt, gleicht diese Szene einer mise en abyme: Das romantische Drama wird in den Skulpturen des 99 "Un Lucifer / / dicen que era el caballero / / Don Juan Tenorio." (DJ, 186) <?page no="140"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 140 Pantheon gespiegelt. Schon in den ersten Szenen des Dramas ist uns eine ähnliche mise en abyme begegnet: Der Tag der Einlösung der Wette zwischen Don Juan und Don Luis wird im Gasthaus wie auf der Bühne eines Theaters inszeniert. Butarelli platziert einen Tisch mit zwei Stühlen in der Mitte des Raumes, versieht den Tisch mit Requisiten wie z.B. einer guten Flasche Wein, und die anwesenden maskierten Gäste verfolgen - wie auch Don Gonzalo de Ulloa und Don Diego Tenorio im Verborgenen - als Zuschauer das Geschehen. In der metapoetischen Eingangsszene des zweiten Teils kommt es zu einer weiteren mise en abyme: Die Skulpturen, welche zugleich die Figuren des romantischen Dramas Don Juan Tenorio repräsentieren, wecken in Don Juan die Erinnerung an sein vergangenes Leben. Als der Bildhauer die Bühne verlässt und Don Juan schließlich allein zurück bleibt, verkündet dieser kühn, seine einstigen Feinde müssten ihm eigentlich zu Dank verpflichtet sein, schließlich habe er ihnen zu unsterblichem Ruhm verholfen: No os podéis quejar de mí, vosotros a quien maté; si buena vida os quité, buena sepultura os di. Magnífica es, en verdad, la idea de tal panteón. (DJ, 190) Don Juan setzt sich hier mit dem Autor als geistiger Urheber der Kunst gleich, der dem Bildhauer die Idee zu seinen Kunstwerken geliefert habe. Der metapoetische Diskurs wechselt im Folgenden von der Thematik der Memoria - durch die Skulpturen bleiben die sie repräsentierenden Figuren der Nachwelt in Erinnerung und verleihen dem Bildhauer ewigen Ruhm - zur Frage des Verhältnisses von Imagination und Memoria. Denn die Kunstwerke verdanken Don Juan nicht nur als Stoffreservoir ihre materielle Entstehung, sondern dank Don Juans Imagination im Folgenden auch ihre Belebung. Hierbei gehen die durch die Statuen geweckten Erinnerungen und die Imagination, die durch die schaurig-schöne Kulisse gefördert wird, eine Symbiose ein. Don Juan ist jedoch die einzige Bühnenfigur, die in der Lage ist, die Statuen in Bewegung zu erleben - somit dürfen diese als Produkte seiner Vorstellungskraft zu werten sein. Die Bühnendekoration entspricht dem romantischen Postulat der Vermischung des Grotesken mit dem Sublimen. Der schaurige Assoziationen weckende Pantheon darf laut Bühnenanweisungen nichts Furcht erregendes repräsentieren, sondern wird durch den als Zeitpunkt gewählten friedlichen Sommerabend und das klare Leuchten des Mondes sublimiert. (DJ, 181) Die durch die Statuen geweckten Erinnerungen an seine schrecklichen Taten fördern in Don Juan ein Gefühl der Melancholie. Am Grab der Doña Inés weckt die Erinnerung schließlich sein Gefühl der Liebe. In seinem Monolog in Szene III (1. Akt, 2. Teil) knüpft Don Juan an das Ende des <?page no="141"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 141 ersten Teils an, wenn er Doña Inés' Schönheit und Tugend hervorhebt und bekundet: Dios te crió por mi bien, por ti pensé en la virtud, adoré su escelsitud, y anhelé su santo Edén. (192) Als Don Juan ein Zeichen des Himmels erbittet, wird die Statue der Inés von Nebel umhüllt und löst sich im Nichts auf. Don Juan ist erstmals in seiner Wahrnehmung der Wirklichkeit verunsichert: "¿Aquella figura / / fue creación de mi afán? " (DJ, 193) Aus den Blumen und der Trauerweide neben Ines' Grabmahl entsteht plötzlich der Schatten der Doña Inés, die ihm verkündet, sie habe ihre Seele Gott als Pfand für Don Juans unreine Seele angeboten und ihr Schicksal mit seinem verbunden, da ihr Seelenheil nun von Don Juan abhänge. (DJ, 194f.) Noch deutet Don Juan das Geschehen als fantastisches Produkt seiner Imagination, der er nicht nachgeben will. Als seine alten Freunde Capitán Centellas und Avellaneda auftauchen, findet er aber zu seiner bekannten Selbstsicherheit zurück: "que yo soy siempre Don Juan, / / y no hay cosa que me espante." (DJ, 201) und "¿Duda en mi valor ponerme, / / cuando hombre soy para hacerme platos de sus calaveras? " (DJ, 202) War er zuvor kurzzeitig von der menschlichen Furcht vor der Rache der Toten erfasst worden, so bittet er nun - in der Tradition der literarischen Figur des Don Juan stehend - die Statue des Don Gonzalo de Ulloa zum Gastmahl. 100 In dem gesamten zweiten Teil lassen sich in Bezug auf die Figur des Don Juan zwei unterschiedliche Diskurse feststellen: wenn Don Juan allein auf dem Friedhof weilt und seine Imagination die steinernen Figuren zum Leben erweckt, ist er der zur Reue tendierende, gewandelte Don Juan der am Ende des ersten Teils schon um Vergebung bat, in Gegenwart seiner Freunde aber spielt er die Rolle des kühnen Don Juan, der alle gesellschaftlichen Regeln überschreitet, zumal seine Freunde nicht in der Lage sind, Don Juans Erscheinungen zu sehen, da sie jedes Mal in Ohnmacht fallen. Don Juan wird folglich als gespaltene Persönlichkeit dargestellt, als romantischer Mensch, der in seinem Innersten ein Idealsucher bleibt, nach außen aber die der gesellschaftlichen Erwartungshaltung entsprechende Rolle annimmt. In den Schluss-Szenen des Stückes beschäftigt Don Juan beständig die Frage der Grenzziehung zwischen Schein und Sein. 100 Luis Fernández Cifuentes ("Don Juan y las palabras", S. 169) betrachtet diese Szene in seiner diskursanalytisch und gelangt zu der These der Auflösungserscheinungen sprachlicher Eindeutigkeiten. Die Sprache verliere ihre Funktion als Wahrheit vermittelnde Instanz und Instrument des Wissens. <?page no="142"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 142 Tente, doña Inés, espera; y si me amas en verdad, hazme al fin la realidad distinguir de la quimera. (DJ, 214) Im Widerstreit zwischen Realität und Imagination versucht Don Juan die fantastischen Erscheinungen rational als Folge eines Schlafmittels zu deuten, das ihm seine Freunde verabreicht hätten. (DJ, 216) Im dritten Akt des Stückes ergreift die Transgression der Realität auch die Wahrnehmungsebene des Publikums. Es ist nicht mehr möglich, das Bühnengeschehen als real oder fantastisch einzuordnen, es fehlen Informationen, ob Don Juan zu diesem Zeitpunkt bereits tot ist oder sich erst an der Schwelle des Todes befindet. Es lässt sich aber rekonstruieren, dass Don Juan offenbar - außerhalb des Bühnengeschehens - im Duell von seinem Freund, dem Capitán, getötet wurde. Die Szenerie hat nun nichts mehr von dem lieblich anmutenden Ort zu Beginn des zweiten Teils, sondern ist insgesamt schaurig: Schlangen, Knochen der Toten, Feuer und Asche, sowie eine Sanduhr deuten symbolisch darauf hin, dass Don Juan sich bereits mehr im Jenseits, denn noch im Leben befindet. Diese Tatsache wird allein durch eine Bühnenanweisung des Autors am Ende der letzten Szene des Stückes in Frage gestellt, derzufolge Don Juan und Doña Inés erst jetzt beide sterben. (DJ, 226) Dies deutet darauf hin, dass der letzte Akt des Stückes allein der Imagination Don Juans entspringen muss. Ein letztes Mal erscheinen die Statuen Don Gonzalo de Ulloas und der Schatten der Doña Inés, um den endgültigen Kampf um Rettung oder Verwerfung der Seele Don Juans auszutragen. In dem Moment, als Don Juan seinen Glauben bekennt, erscheint Doña Inés, um die Rettung des Sünders durch die Liebe zu verkünden: y sólo en vida más pura los justos comprenderán que el amor salvó a Don Juan al pie de la sepultura. (DJ, 225) Die von der Forschung generell als christlich deklarierte Wandlung ist jedoch eher im ästhetischen denn religiösen Bereich angelegt zu sein. Die Wandlung wird durch eine als romantische Heldin auftretende Frau, die der Leidenschaftlichkeit ihrer Gefühle Ausdruck verleiht und die als Muse und Gegenstand der Dichtkunst Don Juans erscheint, herbeigeführt. Doña Inés als Fantasma der Imagination Don Juans bewirkt am Ende seine Rettung. Anstatt sich von Don Gonzalos Hand in die Hölle ziehen zu lassen, ergreift Don Juan die Hand der Doña Inés und erhebt die Stimme zu einem Loblied auf den mildtätigen Gott, der ihm in letzter Sekunde noch die Erlösung zu Teil werden lässt. In der ästhetisierten Schluss-Szene umschwirren kleine Engel die Häupter des romantischen Liebespaares, verstreuen über ihnen Blumen und Düfte und zum Klang einer lieblichen Melodie wird das Theater von einer <?page no="143"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 143 Morgenröte erleuchtet. Schließlich sinkt Don Juan an Doña Inés' Blumen beranktem Grab nieder und ihren Mündern entfahren Flammen, die zum Klang der Musik gen Himmel aufsteigen und sich im Nichts auflösen. Zwar dankt Don Juan abschließend Gott für seine Rettung. "Clemente Dios, gloria a Ti! " (DJ, 226), doch wird der religiöse Tenor der Schlussverse, der bereits durch den zuvor erläuterten metapoetischen Diskurs, der das gesamte Drama durchzieht, unterlaufen wurde, gebrochen. Indem Don Juan den "Dios de la clemencia" abschließend als "Dios de Don Juan Tenorio" tituliert, deutet er - auch durch die Kursvisetzung, die metonymisch auf das literarische Werk Don Juan Tenorio verweist - darauf hin, dass die Rettung Don Juans eher im Ästhetischen denn im Religiösen zu suchen ist. Es ist die ästhetisch schöne Sprache der Dichtung und die Schönheit des Gegenstandes der Dichtkunst, auf der die Erlösung Don Juans beruht, die sich noch dazu allein in der Imagination des Protagonisten abspielt. Der Dreiklang von Natur, Religion und sakralisierter Liebe wird zum Schluss zum ästhetischen Fluchtpunkt des romantischen Dramas und offenbart die Liebe als Medium der literarischen Selbstreflexion. 3.4.6 Die Reflexion der romantischen Liebe In Zorrillas Traidor, inconfeso y mártir erlangt die Darstellung der romantischen Liebe eine neue Dimension. Das romantische Heldenpaar Aurora und Gabriel Espinosa wird zu Beginn des Dramas als Vater und Tochter vorgestellt - von leidenschaftlicher Liebe ist folglich zunächst keine Rede. Beide verbindet zu Beginn eine - in Anbetracht der Inzest-Problematik - reine, sublimierte Form der Liebe. Erst als Gabriel im Schlaf verrät, dass Aurora nicht seine Tochter ist, lässt diese leidenschaftliche Gefühle für den angeblichen Vater zu, Gefühle, die auf beiden Seiten offensichtlich bereits zuvor vorhanden waren und nun vollends erweckt werden. In Szene 11 des zweiten Aktes verleihen beide unter Rückgriff auf die Naturmetaphorik ihren Gefühlen Ausdruck. Anders als Aurora ist Gabriel jedoch darum bemüht, diese leidenschaftliche Liebe zu sublimieren: tú eres la sola flor que brotar hizo en mi camino Dios… Dios que al ponerme sobre la tierra, me alfombró de espinas la senda que mis pies recorrer deben; pero yo no merezco tu amor santo; (TIM, 142) und stilisiert Aurora zum "ángel de los cielos" (TIM, 143). Die implizierte Sakralisierung der Liebe wird im vorangegangenen Zitat jedoch zugleich ironisch unterlaufen und hinterfragt somit die dargestellte Religiosität Gabriels, wenn auf den dornigen Weg verwiesen wird, den der Schöpfer ihm im Leben bereitet hat. Auroras symbolische Darstellung als Blume auf dem von Dornen übersäten Lebensweg karikiert den religiösen Diskurs eines von Gott bestimmten Lebens. In (parodistischer) Anlehnung an die <?page no="144"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 144 Mystiker ist zudem das Bekenntnis "yo no merezco tu amor santo" (s.o.) zu sehen. Die Inzest-Problematik, welche zunächst in Bezug auf Aurora und Gabriel angedeutet wurde, stellt sich jedoch vielmehr auf einer anderen Ebene. Don Rodrigos Sohn César hat sich unsterblich in Aurora verliebt und folgt den Spuren der beiden nun schon seit einem Jahr. Als er Gabriel jedoch seine Gefühle für Aurora gesteht, warnt ihn dieser davor, einem "amor fatal" (TIM, 98) zu verfallen. Die Andeutung der Unmöglichkeit einer Liebesbeziehung zwischen César und Aurora, wird jedoch erst am Ende des Dramas zur tragischen Gewissheit, als sich herausstellt, dass Don Rodrigo auch Auroras Vater ist. Zuvor hatte Aurora jedoch bereits die Gefühle Cesars zurückgewiesen und den romantischen Liebesdiskurs des Prätendenten als maßlos und übertrieben verlacht. Tatsächlich offenbart sich in der Steigerung der Umschreibung seiner Gefühle für Aurora, Césars Unfähigkeit, als Protagonist der erhabenen romantischen Liebe aufzutreten. Beliebig und belanglos reiht er als Ausdruck seiner Gefühle Phrasen aneinander, die jedoch nicht das Gefühl einer authentischen romantischen Liebe zu vermitteln vermögen. Porque es mi pasión más que amor, veneración; idolatría quizás. Es un amor que no tiene en su vil naturaleza: amor que del cielo viene. (TIM, 84f.) Aurora verlacht ihn indessen nur: "¡Jesús, qué amor tan horrendo! / / ¿Dónde adquirido lo habéis? " (TIM, 85) In dieser Bemerkung liegt ein Verweis auf die zur Entstehungszeit des Dramas verbreitete Romantisierung der Gesellschaft, in deren Folge der literarische Diskurs der romantischen Liebe von der profanen Lebenswirklichkeit vereinnahmt wurde. 101 Stück für Stück analysiert die romantische Heldin die Phrasen seines Liebesdiskurses und weist es strikt von sich, Objekt einer solchen Verehrung zu werden: "No soy más que una mujer, / / y del Criador hechura; / / sólo como criatura / / estimado quiero ser." (TIM, 86) In der Bewertung des leidenschaftlichen Ausdrucks der Liebe Césars wird deutlich, dass der romantische Liebesdiskurs hier bereits in Ansätzen die Stufe der Reflexion der Romantik erreicht hat. Noch geht aber hier die Negation der romantischen Liebe mit der ästhetischen Feier derselben einher, für die Gabriels und Auroras Liebe ein Beispiel sind. 101 Vgl. Gerhard Schulz, Romantik, S. 114f. <?page no="145"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 145 3.5 Zwischenfazit Durch die Analyse der Leitbegriffe Religion, Wahrheit und Liebe wurde in diesem ersten Kapitel des Haupteils der Frage nachgeganen, welchem Wandel die platonische Triade des Guten, Wahren und Schönen im romantischen Drama in Spanien unterlag. Zwar hat Platon wie eingangs erwähnt keine dichtungstheoretischen Konsequenzen aus dem Postulat der Einheit dieser drei Bereiche gezogen, dennoch setzten sich die Literatur - und speziell auch die Poetiken - mit der platonischen Triade über die Jahrhunderte hinweg auseinander. Die Abstrakta des Guten, Wahren und Schönen wurden in den vorangegangenen Analysen in die heuristischen Kategorien von Religion, Wahrheit und Liebe übersetzt. Hinsichtlich der Diskurse zur Religion, die sich in den romantischen Dramen manifestieren, konnte gezeigt werden, dass die gesellschaftlichen Säkularisierungstendenzen die Literatur nicht nur insofern erfassen, als sich die liberale Religionsauffassung der Autoren in den Text einschreibt (Postulierung der Willensfreiheit, Kritik am religiösen Aberglauben), sondern ebenso Veränderungen auf der ästhetischen Ebene zeitigten. So führt die Darstellung des romantischen Helden von der Idealisierung zur Dämonisierung desselben. Während die ersten Helden - Rugiero (CV) und Macías - als positiv besetzte Helden ihren Tod im Sinne der Erlösung akzeptieren, betritt mit Don Álvaro die Figur des romantischen Empörers die Bühne, in dessen Skizzierung die Ambivalenz zwischen dem erhaben anmutenden, idealen Helden und dem Dämon versinnbildlicht wird. In abgeschwächterer Form trifft dies auch noch auf Manrique (Tr) und Marsilla (LAT) zu. Mit dem Don Juan Tenorio wird dann die Figur des romantischen outlaw aufgegriffen, den von Beginn an dämonisierte Züge prägen. Bei Zorrilla wird dem dämonisierten Helden am Ende jedoch noch die göttliche Gnade zu Teil, die er der Liebe der weiblichen Heldin verdankt. Gabriel Espinosa (TIM) ist schließlich eine gespaltene Persönlichkeit: seine Darstellung prägt ein hohes Maß an Ambivalenz, wird er doch von dem Vertreter der irdischen Justiz (Don Rodrigo) als Satan und Fantasma bezeichnet, während er seine Identität hingegen bewusst leugnet und sich zum Wohl der Monarchie opfert. In Bezug auf die Frage nach den poetologischen Bezügen zur Wahrheit wurde betont, dass die spanischen Romantiker der poetischen Wahrheit den Vorzug vor der historischen Wahrheit gaben. Über die Frage der Identität wird der gesellschaftliche Wahrheitsdiskurs verhandelt: die romantischen Helden prägt oft die Unkenntnis der eigenen Herkunft (Rugiero (CV), Manrique (Tr)) oder sie müssen ihre wahre Identität aus übergeordneten Gründen verschleiern (Don Álvaro und Gabriel Espinosa). Zumindest aber befinden sie sich zu Beginn in einem Paritätskonflikt (Macías und Marsilla (LAT)), der ihr persönliches Glücksstreben einschränkt. Über die in den Dramen dargestellten Beziehung zwischen dem romantischen Helden und der Gesellschaft wird deutlich, dass die Welt in der <?page no="146"?> Zerbrechen der Einheit des Guten, Wahren und Schönen 146 Epoche der Romantik von Illusion und Täuschung geprägt ist. Unter Rekurs auf den barocken Topos des engaño/ desengaño wird die Scheinhaftigkeit der Welt jedoch nicht mehr durch ein auf der göttlichen Ordnung beruhendes Gesellschaftssytem aufgefangenen, sondern das romantische Streben nach Wahrheit bleibt eine offene Gleichung der menschlichen Existenz. So erfahren die Helden oftmals erst im Tod von ihrer wahren Herkunft. Wenngleich dadurch der vermeintliche Paritätskonflikt postum aufgehoben wird, lässt sich das tragische Ende indessen nicht mehr abwenden. Die Analyse des Liebesdiskurses in den romantischen Dramen zeigte einen Wandel in der Konzeption der Liebe, die als Medium des Schönen einst Eingang in die Literatur gefunden hatte, nun aber in Bezug auf andere Bereiche funktionalisiert wird. Zwar lässt sich noch keine Verschiebung hin zu einer Ästhetik des Hässlichen konstatieren, dennoch hat sich aber gezeigt, dass über die Ästhetik des Grotesken und Erhabenen die Melancholie des in die Welt geworfenen romantischen Menschen, der seine Ideale ins Jenseits transzendiert, zum Ausdruck gebracht wird. Über die Sakralisierung der Liebe wandelt sich diese zu einer Art Ersatzreligion, die dem Menschen in seinem Weltschmerz Trost spendet. Dies geht einher mit der Ästhetisierung der romantischen Literatur: ein metapoetischer Diskurs durchzieht den Don Juan Tenorio, in dem am Ende die Liebe zum Medium der literarischen Selbstreflexion aufsteigt. <?page no="147"?> 4 Die Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 4.1 Die romantische Zeitwahrnehmung 4.1.1 Zeitkonzeption in der Romantik Der moderne Mensch befindet sich seit der Romantik in einem scheinbar unauflösbaren Dilemma der Zeit. Einerseits richtet sich der Blick - in der Tradition der Aufklärung stehend, einem linearen Zeitkonzept folgend - in die Zukunft. Hierbei wird diese als "Realisierungszeit von Handlungen" 1 aufgefasst, in dem Sinne, dass sich der Mensch der Kontingenz bewusst wird und die Zukunft als Raum-Zeit-Kontinuum für sein Handeln begreift. Mit den Worten Zimmerlis gesprochen, ist Zeit dann zu verstehen als "Prozess der Ermöglichung einer Verfestigung möglicher Alternativen zur Wirklichkeit" 2 . Andererseits steht diesem linearen in die Zukunft gerichteten Zeitverständnis der idealisierende Blick der Romantik in die Vergangenheit als einer heroischen Epoche kontrapunktisch gegenüber. Dieser rückwärtsgewandte Blick ist den veränderten Lebensbedingungen infolge der politischen Umwälzungsprozesse nach der Französischen Revolution geschuldet und führt zu der den romantischen Menschen prägenden Haltlosigkeit in der Welt. In Spanien verstärkt sich diese Situation politischer und gesellschaftlicher Unbeständigkeit noch weit ins 19. Jahrhndert hinein durch die Phase des Unabhängigkeitskriegs gegen Napoleon und später auch durch die Karlistenkriege. 3 Wenn der Blick in die Vergangenheit gerichtet wird, steht die erinnernde Evokation der Geschichte stets in einem direkten Bezug zur Gegenwart. Dies bedeutet, dass die Vergangenheit zum Ort der Reflexion wird. Auch in der Romantik wird die Zeitwahrnehmung den drei wesentlichen Zeitstufen - Vergangenheit/ Gegenwart/ Zukunft - folgend, bestimmt, die das 1 Walter Mesch, Reflektierte Gegenwart. Eine Studie über Zeit und Ewigkeit bei Platon, Aristoteles, Plotin und Augustinus, Frankfurt/ M.: Klostermann 2003 (Philosophische Abhandlungen, hg. von Rolf-Peter Horstmann und Andreas Kemmerling), S. 389. 2 Vgl. Walther Ch. Zimmerli, "Zeit als Zukunft", in: Ders., Antje Gimmler, Mike Sandbothe (Hg.), Die Wiederentdeckung der Zeit. Reflexionen - Analysen - Konzepte, Darmstadt 1998, S. 126-133, hier: S. 133. Heidegger spricht in diesem Zusammenhang von Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart und bezeichnet die drei Zeitformen als Extasen, insofern als sie der Charakter des ekstatikón (Aristoteles) präge, als etwas, das sich von etwas anderem trennt und über dieses hinausgehen kann. Die Zukunft wird hierbei zum Raum der Möglichkeit, "als Zeit des unbestimmt bevorstehenden Seins". Vgl. Günter Figal, Martin Heidegger. Zur Einführung, Hamburg: Junius 1992, S. 81 3 Vgl. zum historischen Kontext in Spanien Kap. 2.1 der vorliegenden Studie. <?page no="148"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 148 menschliche Dasein definieren. 4 Die Gegenwart ist demzufolge nur erfahrbar als Zeitspanne zwischen dem Vergangenem und dem Zukünftigen. 5 Sobald man aber versucht, die Gegenwart zu erfassen, hat sich diese bereits in der Zeitstufe der Vergangenheit verflüchtigt. Dieser Aspekt der Zeit wird seit jeher mit der Metapher des Fließens zum Ausdruck gebracht. Zwar ist häufig genug der Einwand gemacht worden, Zeit sei nicht gleich Bewegung. Der von den Menschen wahrgenommene Fluß der Zeit soll jedoch die Messung der Dauer der Bewegung versinnbildlichen. In der Romantik verstärkt sich nun die Wahrnehmung der Zeit als eines sich stetig beschleunigenden Flusses; der Mensch gerät zunehmend in einen Wettlauf mit der Zeit. 6 In Anbetracht der leeren, als sinnlos erachteten Zeit entsteht das die Epoche bestimmende Gefühl des fastidio universal (mal du siècle), welches den Menschen im Hinblick auf das Missverhältnis zwischen eigener Lebenszeit und Weltzeit ergreift. 7 Darunter versteht man im Sinne Blumenbergs die zunehmend auseinander klaffende Schere der Zeit, die bildich die Diskrepanz zwischen der weltlichen Unendlichkeit und der Endlichkeit des eigenen, kurz erscheinenden Lebens erfasst. 8 Die Erkenntnis der "puren Zeitlichkeit" 9 seines Daseins wird dem Menschen der Romantik auch und vor allem wegen der Säkularisierungstendenzen in besonderer Weise bewusst, insofern als die transzendente göttliche Ewigkeit als Bezugspunkt verloren geht. Zwar blickt die Metapher des Flusses der Zeit auf eine lange Tradition zurück. So klagte schon Horaz: "Eheu fugaces, Postume, Postume, labuntur anni… [Weh uns, im Fluge gleiten, ach Postumus, die Jahre hin…]" 10 , doch lässt sich im Hinblick auf das Zeitbewusstsein des modernen, romantischen Menschen eine Potenzierung dieser Wahrnehmung konstatieren. Während Horaz dem Lauf der Jahre wehmütig hinterblickt, sind es in der Romantik vielmehr die dahin rinnenden Minuten, die das menschliche Dasein begrenzen. 4 Silvio Vietta, Dirk Kemper, "Vorwort", in: dies. (Hg.), Ästhetische Moderne in Europa: Grundzüge und Problemzusammenhänge seit der Romantik, München: Fink 1997, S. 1-52, hier: S. 7. 5 Vgl. ebd., S. 386f. 6 Vgl. Bruno Hillebrand, "Die sinnlose und die drängende Zeit. Die Romantiker und die Zeitangst", S. 39. 7 Vgl. ebd., S. 38. 8 Vgl. Teil II: Die Zeitschere in: Hans Blumenberg, Lebenszeit und Weltzeit, Frankfurt/ M.: Suhrkamp 2001. 9 Bruno Hillebrand, "Die sinnlose und die drängende Zeit. Die Romantiker und die Zeitangst. Blüchner und die Langeweile. Kleist und die Ekstase des Blicks", in: Ders. (Hg.), Äshtetik des Augenblicks. Der Dichter als Überwinder der Zeit - von Goehte bis heute, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999, S. 35-53, hier: S. 35. 10 Zitiert nach Norbert Elias, Über die Zeit. Arbeiten zur Wissenssoziologie II, hg. von Michael Schröter, Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1988, S. XXXI. <?page no="149"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 149 Schon Ermanno Caldera konstatierte, dass die Zeit im romantischen Drama in Spanien eines der zentralen Themen darstellt. 11 Da Caldera jedoch nur einzelne Aspekte der Zeit in verschiedenen Theaterstücken erörtert, fehlt weiterhin eine systematische Darstellung, welche die Ästhetik der Zeit im romantischen Drama erläutert. Im Folgenden sollen daher die ästhetischen Bedingtheiten der Zeitkonzeption im romantischen Drama beispielhaft erörtert werden. Im Zentrum steht die Frage nach den Formen, in denen die Literatur das veränderte Zeitbewußtsein reflektiert. Lässt sich innerhalb der spanischen Romantik ein Wandel in der ästhetischen Darstellung des Phänomens der Zeit erkennen? 4.1.2 Die Metapher des Zeitflusses Die romantischen Dramen sind insgesamt von einer Dynamik geprägt, die u.a. auf poetologische Veränderungen beruhen, wie dem Aufbrechen der Regel der drei Einheiten, in deren Folge ein wesentlich breiteres zeitliches Spektrum in den Stücken dargestellt werden konnte. Doch nicht nur die zeitliche Dichte des Erzählten führt beim Zuschauer respektive Leser zu einer beschleunigten Zeitwahrnehmung, sondern die Zeit wird zu einem das Dasein des Menschen bestimmenden Faktor, wie Heidegger später in Sein und Zeit (1927) betonen sollte, als er die Zeit als fundamenale Struktur menschlichen Daseins definierte. Diese Tendenz, die sich in allen hier behandelten romantischen Dramen abzeichnet, wird im Folgenden exemplarisch am Beispiel des Don Álvaro o la fuerza del sino und von Los Amantes de Teruel erläutert. a) Don Álvaro o la fuerza del sino Don Álvaro o la fuerza del sino spielt Larra zufolge, der das Stück schon kurz nach dem Erscheinen versuchte historisch einzuordnen, zur Zeit des Österreichischen Erbfolgekrieges. 12 Die Zeit nimmt in diesem romantischen Drama eine dominante Rolle ein, insofern als das Stück von einer erstaunlichen Dynamik geprägt ist, die u.a. aus dem häufigen Wechsel der Schauplätze resultiert. Die Einheiten von Zeit und Ort werden deutlich überschritten, allein die Einheit der Handlung wird aufrechterhalten. Die Dynamik des Stückes resultiert, wie Caldera herausgestellt hat, aus dem steten Wechsel zwischen statisch wirkenden kostumbristischen und dynamischen handlungsgeladenen Szenen. 13 Während die erzählte Zeit in diesem romantischen Drama insgesamt mehrere Jahre umfasst, folglich deutlich mit der Einheit der Zeit bricht, beschränkt sich die erzählte Zeit jedes 11 Vgl. Ermanno Caldera, "Los temas del teatro romántico", in: Iris Zavala (Hg.), Historia y Crítica de la literatura española, V, Primer suplemento, Barcelona: Ed. Crítica 1983, S. 205-214. 12 Vgl. J. Dowling, "Time in Don Álvaro", in: Romance Notes, XVIII, 1978-79, S. 355-361. 13 Vgl. Ermanno Caldera, El teatro español en la época romántica, S. 83. <?page no="150"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 150 einzelnen Aktes auf wenige Stunden respektive wenige Tage, die wiederum in der Erzählzeit dicht gedrängt erscheinen. Der erste Akt spielt am Abend und in der Nacht des - wahrscheinlich - 20. Juli 1743 zunächst im Gasthaus am Guadalquivir und im Palast des Marqués de Calatrava und umfasst nur wenige Stunden. Die Spannung steigert sich rasant von der kostumbristischen Szene im Gasthaus des Tío Pepe bis zum tragischen Tod des Marqués in Doña Leonors Zimmer. Der zweite Akt spielt ca. ein Jahr später am 1. August 1744 zunächst in der Herberge Monipodios und vor dem Convento de los Ángeles. Die Szenen des zweiten Aktes umfassen erneut nur wenige Stunden, spielen am Abend bis in die Morgenstunden des darauf folgenden Tages. Die Handlung des dritten Aktes verläuft in etwa parallel zu den im zweiten Akt geschilderten Ereignissen in Velletri in Italien in der Nacht des 9. August 1744 und dem darauf folgenden Tag in der Offiziersunterkunft, einem nahe gelegenen Wäldchen, auf dem Schlachtfeld nahe Velletri und in der Unterkunft des Don Félix (alias Don Carlos). Der vierte Akt spielt um den 20. September 1744 in einer Unterkunft des Militärs, auf einem öffentlichen Platz in Velletri und in der Unterkunft des diensthabenden Offiziers. Die Erzählzeit umfasst hier wenige Tage. Der fünfte Akt spielt schließlich vier Jahre nach den tragischen Ereignissen im Hause der Calatravas im September oder Oktober des Jahres 1748 im Kloster von Hornachuelos während der abendlichen Essensausgabe an die Armen, in Don Álvaros Klosterzelle, als Don Alfonso auftaucht, um ihn zum Duell zu fordern, und schließlich in den nahe gelegenen Bergen zum Zeitpunkt des Sonnenuntergangs, d.h. der letzte Akt umfasst nur wenige Stunden. Die Zeit gewinnt in Don Álvaro o la fuerza del sino zwar nicht die tragische Dimension wie in den Stücken, in denen ein plazo die Handlungsdynamik determiniert, dennoch wird im Verlauf des gesamten Stückes die Bedeutung des Faktors Zeit, die beängstigende Ausmaße im Leben des Menschen annimmt, mehr als deutlich. Zunächst wird die Zeit zu einer beunruhigenden Größe, als Leonor in der sechsten Szene des ersten Aktes zum für die gemeinsam geplante Flucht verabredeten Zeitpunkt auf Don Álvaros Eintreffen wartet: "Las doce han dado… ¡'Qué tarde / / es ya, Curra! No, no viene." (DA, 66) In der folgenden Szene entschuldigt sich Don Álvaro für seine Verspätung, die zwar allein auf der Tatsache beruht, dass er abwarten musste, bis der Marqués Leonors Zimmer wieder verlassen hatte, welche er aber auch schon als Zeichen seines widrigen Schicksals zu deuten bereit ist. Das ständige Fließen der Zeit betont der romantische Held, wenn er im Verlauf der Diskussion um einen zeitlichen Aufschub der Flucht, den Leonor in Erwägung zieht, diese zweimal auffordert: "El tiempo no perdamos" und "¿Por qué tiempo perder? " (DA, 68) Die Zeit stellt folglich eine nicht zu vernachlässigende Größe in der Frage nach der Kontingenz des Menschen dar. Der Charakter des Fließens der Zeit und der beschleunigten Zeitwahrnehmung wird noch von Leonor angesprochen, als sie, nachdem sie sich im <?page no="151"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 151 zweiten Akt in Szene III heimlich aus der Herberge Monipodios geschlichen hat, am Tor des Klosters ankommt und beruhigt feststellt: "Nadie me ha seguido / / ni mi fuga veloz notada ha sido." (DA, 85) Die Hetze der Flucht wird hier nur verbal geäußert, war sie doch nicht Teil des Bühnengeschehens. Die Zeit bleibt weiter eine beängstigende Größe für Leonor, die trotz der unchristlichen Uhrzeit - um 1 Uhr morgens - im Kloster vorsprechen möchte: Mas ¿como a tales horas? ... No puedo dilatarlo más, hiélame el miedo de encontrarme aquí sola. En esa aldea hay quien mi historia sabe. En lo posible cabe que descubierta con la aurora sea. (DA, 87) Die beiden romantischen Helden des Dramas werden gleichermaßen als gehetzte Subjekte dargestellt, die aus den Widrigkeiten einer unter dem Primat der Zeit stehenden Welt fliehen, um in der Abgeschiedenheit der Natur bzw. in der zeitlosen Idylle des Klosters ihr Dasein zu fristen. Über Leonor, die in der Eremitenklause fern jeglichen zivilisierten Lebens Schutz sucht, erfährt das Publikum nach ihrem Gespräch mit Padre Guardián zunächst nichts weiter. Don Álvaro verabschiedet sich nach kurzer Zeit aus den täglichen Aufgaben im Kloster: nur eine Woche beteiligt er sich an der Essensausgabe an die Armen, bevor er sich in seine Zelle zurückzieht und sein Leben der Kontemplation widmet. Die Tage sind von der ewigen Wiederkehr des Gleichen geprägt, bis zu dem Tag, an dem Leonors Bruder Don Alfonso vor den Toren des Klosters auftaucht, um sein Verlangen nach Rache zu stillen. In die klösterliche Idylle der Zeitlosigkeit bricht Don Alfonso als Vertreter der Gesellschaft somit zerstörerisch ein. Die folgenden Szenen sind erneut von einer ungeheuren Dynamik geprägt. Binnen weniger Minuten erfolgt das Duell in den Bergen, bei dem Don Alfonso tödlich verletzt wird, noch sterbend Leonor tötet und Don Álvaro in Anbetracht der tragischen Ereignisse den Freitod wählt. Die Ereignisse vollziehen sich in einem Rausch der Zeit, die mit der erhabenen, auf die Ewigkeit verweisenden Natur kontrastiert. Im Don Álvaro steht die Wahrnehmung einer ständig schneller fortschreitenden Zeit im weltlichen Bereich im Gegensatz zur zeitlose Ewigkeit suggerierenden Zeitwahrnehmung im Kloster bzw. der Natur. 14 b) Los Amantes de Teruel Auch in Los Amantes de Teruel wird die Zeit als im ständigen Fluss befindlich begriffen, als etwas, das unaufhaltsam vorwärts läuft. Caldera hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass trotz der geringen Anzahl an handelnden Figuren das Stück durch eine ungeheure Dynamik 14 Vgl. hierzu Kapitel 4.1.5 der vorliegenden Studie. <?page no="152"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 152 geprägt wird, die aus der schnellen Abfolge der an unterschiedlichen Orten spielenden Szenen resultiere. Mit ihm kann man von einem Spiel zwischen inneren und äußeren Orten sprechen. 15 Diese Dynamik wird bereits zu Beginn des Stückes durch Marsillas Äußerung gefördert: Seis años y una semana me dieron: los años ya se cumplen hoy; cumplirá el primer día mañana. (LAT, 96) Das bedeutet, dass sich die dichte Handlung des Stückes auf nur fünf Tage konzentriert. Auch an Hand des folgenden Beispiels lässt sich die Dynamik des Dramas veranschaulichen. Als Don Martín von der Intrige gegen seinen Sohn erfährt, berichtet er dies Isabels Mutter Margarita, die zeitgleich die frohe Botschaft durch Jaime Celladas erfahren hatte. Während Margarita sich in der Hoffnung wähnt, ihre Tochter sei so gerettet, macht Martín mit den Worten "Ya es tarde." (LAT, 142), die er zeitgleich mit dem Läuten der Glocken ausspricht, deutlich, dass die Nachricht zu spät eintrifft, um noch etwas an den Ereignissen zu ändern. Der schnelle Fluss der Zeit wird auch von verschiedenen Figuren bewusst empfunden: In Anbetracht der ablaufenden Frist erkennt Isabel: "Ya veis que en rápida fuga / / el tiempo desaparece." (LAT, 118) Metaphorisch wird der Fluss der Zeit im Verschwinden der Zeit potenziert. Ebenso steigert sich der Fluss der Zeit in der Metapher der fliehenden Zeit im Monolog, den der an den Baum gefesselte Marsilla hält: "Pero las horas pasan, huye el día." (LAT, 142) Das Statement der dahin fließenden Zeit kontrastiert hier mit der örtlichen Gebundenheit des romantischen Helden. Seine verspätete Rückkehr hofft er noch durch einen voraus geschickten Boten erklären zu können. In der folgenden Szene macht die maurische Herscherin Zulima all seine auf die Zukunft gerichteten Hoffnungen jedoch zu Nichte, als sie ihm gegenüber ihre Intrige entlarvt und berichtet, Isabel habe Rodrigo bereits geheiratet. (LAT, 143) Als der Hochzeitstermin mit Rodrigo immer näher rückt, verliert Isabel schließlich jedes Zeitgefühl. Kurz vor der Hochzeit fragt sie ihre Zofe Teresa verwirrt: "¿Qué hora es ya? " (LAT, 132) Die im stetigen Fluss befindliche Zeit kontrastiert hier mit der räumlichen Stagnation: während die Frist abläuft bleibt der Ort der gleiche, allein die voranschreitende Zeit ändert die Situation für die Protagonistin: "No tardarán en tocar a vísperas ahí al lado, en San Pedro. Es la hora en que salió de Teruel Don Diego, y hasta que pase, mi señor no se considera libre de su promesa." (LAT, 132) Als sich das Liebespaar nach Ablauf der Frist und nachdem Isabel den Rivalen geehelicht hat, trifft, ist beiden klar, dass es für ihre Liebe zu spät ist: während Isabel ihren Geliebten nicht einmal mehr sehen will - "ya no le puedo ver" (LAT, 157), erkennt Marsilla resignierend: "Llegué tarde." (LAT, 160) 15 Vgl. Ermanno Caldera, El teatro español en la época romántica, S. 106. <?page no="153"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 153 Der gemeinsam gefasste Schwur "Hasta la dicha o hasta la tumba, me dijo. Tuya o muerta, le dije yo; " (LAT, 133), findet am Ende des Dramas seine tragische Erfüllung, als Isabel ihrem toten Geliebten die geschuldete Umarmung mit den Worten zu Teil werden lassen will: 16 Mi bien, perdona mi despecho fatal. Yo te adoraba. tuya fui, tuya soy: en pos del tuyo mi enamorado espíritu se lanza. (LAT, 166) In beiden romantischen Dramen wird die beschleunigte Zeitwahrnehmung metaphorisch zum Ausdruck gebracht, und der Fluss der Zeit wird durch die Figuren als das Dasein bedrohlicher Faktor empfunden, dem zu entfliehen sinnlos erscheint. Don Álvaro wählt in Anbetracht dieser Erkenntnis den Freitod, während Marsilla aufgrund seines verspäteten Eintreffens resignativ den Liebestod stirbt. Im Bemühen, die Zeit für sich verfügbar zu machen, scheitern die Helden. 4.1.3 Die knappe Zeit Das Problem der knappen Zeit stellt ein verbreitetes Motiv in der Betrachtung des modernen Menschen dar. Die Setzung einer Frist ist in der Literatur von Beginn an ein beliebtes Motiv gewesen, das sich bestens zur Strukturierung des Spannungsbogens der Handlung eignete. In der Romantik gewinnt der plazo allerdings eine neue Dimension, die von der Forschung als Schicksalsmacht definiert wurde. 17 Damit wird ein wesentlicher Aspekt des romantischen Dramas in enge Verbindung zur klassischen Tragödie gesetzt, in der die Frist vom Schicksal determiniert war. 18 Es wird im Folgenden durch die Analyse der einzelnen Dramen zu zeigen sein, inwiefern die Position des plazo im romantischen Drama dennoch innovativ ist und sich diametral zur Auffassung des neoclasicismo verhält. In vier der ausgewählten romantischen Dramen bestimmt ein plazo den Handlungsverlauf: In der Conjuración de Venecia setzen sich die Verschwörer eine Frist, bis zur Durchführung der Revolte am Karnevalsdienstag, im Macías und in Los Amantes de Teruel wird die Idee des plazo als Frist, binnen derer der Held zu Reichtum gelangen soll, um sich seiner Auserwählten als würdig zu erweisen, aufgegriffen und im Don Juan Tenorio wird der plazo einerseits in Bezug auf die profane Wette zwischen Don Juan und Don Luís bezogen, an- 16 Die Dramatik des Endes wird in der hier berücksichtigten, 14 Jahre nach der ersten Fassung geschriebenen Version noch dadurch gesteigert, dass Isabel, noch bevor sie den toten Körper Marsillas erreicht, ebenfalls tot zusammenbricht. (LAT, 166) 17 Vgl. Ermanno Caldera, "Los temas del teatro romántico", in: Iris Zavala (Hg.), Historia y Crítica de la literatura española, V, Barcelona: Ed. Crítica 1983, S. 205-214. 18 Vgl. Ermitas Peñas Varela, Macías y Larra. Tratamiento de un tema en el drama y en la novela, Santiago: Universidad de Santiago de Compostela 1992, S. 122. <?page no="154"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 154 dererseits auf die Frist, die Don Juan noch zur Bereuung seiner Sünden bleibt. a) Macías Im Macías stellt die Zeit die zentrale Achse des Dramas dar. 19 Dem Helden Macías war von Elviras Vater eine Frist von einem Jahr und einer Woche gewährt worden, innerhalb derer der Prätendent um Elviras Hand zu Reichtum gelangen sollte. Sollte er dies nicht bewerkstelligen, galt die Hochzeit zwischen Elvira und Macías' Rivalen Rodrigo als vereinbart. Das Stück spielt an einem der ersten Januartage des Jahres 1406 im Palast des Don Enrique de Villena in Andújar, womit im Sinne der klassizistischen Regeln die Einheit des Ortes gewahrt wird. Die Handlung beschränkt sich auf weniger als 24 Stunden, erfüllt folglich auch die Forderung nach Einheit der Zeit. Das Drama beginnt in den frühen Morgenstunden mit dem Gespräch zwischen Nuño und Fernán, noch am Vormittag findet die Hochzeit zwischen Elvira und Fernán statt, wenig später trifft Macías ein und fordert Fernán zum Duell. Die zeitliche Dynamik des Stückes steigert sich weiter. Bis zum für den nächsten Tag festgesetzten Duell wird Macías im Turm gefangen gehalten, wo ihn Elvira am Abend desselben Tages aufsucht, um ihn zur Flucht zu überreden, kurz bevor sie von Don Enrique und Fernán überrascht werden und das tragische Ende seinen Lauf nimmt. In dieses enge Zeitraster drängt sich eine dichte Handlung, die mehrere Ebenen miteinander verbindet: So ist die Liebesgeschichte zwischen Elvira und Macías verknüpft mit der politischen Intrige um das Machstreben Don Enriques. Diese Handlungsdichte verleiht dem Stück eine zusätzliche Dynamik und erfüllt aufgrund der engen personalen Verbindung der beiden zentralen Handlungsebenen auch die aristotelische Einheit der Handlung. Im Macías erfahren wir bereits im ersten Akt, dass Elvira die Frist selbst gesetzt hatte, das Individuum folglich im Sinne seines nach Autonomie strebenden Wesens, die Zeit selbstbestimmt zu gestalten sucht. So entgegnet Nuño seiner Tochter im morgendlichen Gespräch über das Ende der Frist und die sich daraus ergebende Eheschließung mit Fernán: Nuño (¿Qué es esto? ¡Pardiez! ) Elvira, vos misma el plazo os pusisteis de un año, y ... (M, 91) Elvira (¡Ay! ¡Quién creyera que en un año no volviera! ) (M, 91) Die Zeit entgleitet dem Menschen folglich; die Zeit eröffnet so nicht Spielräume zum Handeln, sondern limitiert diese. Im Gespräch zwischen Macías und seinem Diener Fortún wird der Einbruch der Zeitlichkeit in das 19 Vgl. Caldera, El teatro romántico, S. 73. Das Wort wird zwar insgesamt nur neun Mal erwähnt, jedoch weitere zeitliche Anspielungen heben die Bedeutung des plazo zusätzlich hervor. <?page no="155"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 155 Leben des Menschen deutlich. Auf Fortúns Frage: "¿Mas hoy no se cumple el plazo? " (M, 135) antwortet Macías noch unbesorgt: "Hoy cumplió, ¿mas que? , ¿tan presto / / casarse dejara Elvira? / / ¿Pudiera olvidarme? " (M, 136) Während Macías sich dieser Bedeutung noch nicht bewusst zu sein scheint, muss er zwei Szenen später (2. Akt, Szene XI) schon erfahren, dass er nicht rechtzeitig zurückgekommen ist, als Don Enrique ihm entgegnet: "[…] sólo porque el plazo expira / / venía a pedirla en vano." (M, 145) Die Dimension der Zeit wird durch die Koinzidenz dieser Aussage Don Enriques mit dem Heraustreten des Brautpaares aus der Kapelle zusätzlich unterstrichen. Die Simultaneität der Ereignisse fördert die Wahrnehmung des schnelleren Fließens der Zeit und die damit verbundene Unfähigkeit des Menschen noch handelnd einzugreifen. Diesen Aspekt unterstreicht Macías im Gespräch mit Elvira, wenn er ihr vorwirft: "¿Qué profieres, Elvira? ¿Es tarde / / el mismo día que se cumple el plazo? " (M, 161) Die Zeit gewinnt folglich eine das Dasein des Menschen determinierende Position, die der zuvor geschilderten Freiheit des Subjektes diametral entgegensteht. Der Versuch Elviras eine neuerliche Fristverlängerung zu erwirken, scheitert jedoch und führt den Zuschauern den begrenzten Handlungsspielraum des Individuums vor Augen, als Nuño den Wunsch Elviras die Hochzeit mit Fernán einen weiteren Monat aufzuschieben, mit den Worten "¡Imposible! ¿Mas plazos me pedís? Hoy, sin remedio…" (M, 100) ablehnt. Für Fernán stellt die Zeit ein kostbares Gut dar, den Verlust von Zeit beklagt er gegenüber Elvira, die ihn darum bittet, sie frei zu geben, damit sie ins Kloster gehen könne: "¡Mal reprimo ya mi furia! / / ¿Y para oír tal injuria / / un año entero esperé? " (M, 183) Die Zeit stellt folglich auf der einen Seite einen Faktor dar, dessen sich der Mensch entweder autonom bedienen kann, auch um sich beispielsweise durch einen zeitlichen Vorsprung einen gewissen Spielraum zu eröffnen, auf der anderen Seite kann Zeit aber auch einen lähmenden Charakter haben, insofern als das - durch verspätetes Eintreffen einer Person bedingte - Warten den anderen zur Passivität verurteilt oder den Gerüchten über die Motive der Verspätung Tür und Tor öffnet. Die Bedeutung der Verspätung wird bereits durch die zahlreiche Erwähnung des Wortes "tardar" (bzw. "tardanza") im Stück belegt. Schon im ersten Akt deutet Elvira die Verspätung Maciás' als Beleg seiner Untreue, während die Zuschauer in Szene IX des zweiten Aktes erfahren, dass Macías' Verspätung daher rührt, dass er im Auftrag Don Enriques vom Schlüsselmeister des Calatrava- Ordens gefangen gehalten wurde, um die Rückkehr zu verzögern. (M, 137) Die Freiheit, den der Faktor Zeit dem modernen Menschen eröffnet, versucht Elvira in der zweiten Szene des letzten Aktes für Macías zu erwirken. Sie sucht ihn im Turm auf, um ihn vor Fernáns und Don Enriques Intrige zu warnen und ihn zur Flucht zu bewegen, die ihm zumindest einen gewissen zeitlichen Vorsprung eröffnete. Elvira weist darauf hin, dass die Zeit drängt und warnt ihn vor dem durch den Rivalen nahenden Tod. (M, 200) <?page no="156"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 156 Der Versuch des modernen Menschen, Herr seiner Zeit zu werden, führt zu einem gnadenlosen Wettlauf mit der Zeit, den er am Ende jedoch nur verlieren kann, schließlich bildet der Tod den Endpunkt der im modernen Verständnis linear verlaufenden Zeit. Wie Niklas Luhamn in seiner Studie zum Liebesdiskurs hervorgehoben hat, wird in der Romantik das Phänomen der Liebe unter den Aspekt der Zeitlichkeit gestellt. 20 Im Zentrum des romantischen Liebesdiskurs steht das Bemühen die Zeit der Liebe vom Zustand des vergänglichen Glückes in den Zustand ewiger Dauer zu überführen. Dieses Thema steht auch im Mittelpunkt der Liebe zwischen Elvira und Macías. Zunächst wird der Topos der Wankelmütigkeit des weiblichen Wesens - das später auch in Verdis Oper Rigoletto (1851) mit La donna è mobile besungen wird - herangezogen. Hierauf rekurriert Nuños Feststellung in Bezug auf seine Tochter: "si es mujer mi hija, / / fuerza es que mudable sea; " (M, 79). Die Tatsache, dass Elvira noch am Tag des Ablaufs der gesetzten Frist, den Rivalen geehelicht hat, stößt bei Macías auf Unverständnis, definiert er doch seine Liebe dem romantischen Liebesideal entsprechend als von ewiger Dauer geprägt. "¡Ay infeliz del que creyó que amado / / de una mujer sería eternamente! " (M, 162) Für Macías ist die Liebe keine Frage der Zeit, und so reagiert er auch auf Elviras Erklärungsversuche, dass ihre Liebe der Vergangenheit angehöre, nur mit Unverständnis. Während Elvira den Unterschied zwischen gestern und heute hervorhebt - "Era entonces amante: esposa de otro / / soy ahora; " (M, 161) - und betont "Que os amaba / / sólo os quise decir, mas no que os amo." (M, 163), ist Macías nicht gewillt an die Endlichkeit ihrer Liebe zu glauben, bis er schließlich enttäuscht ausruft: "No, tú no me amas, no, ¡ni me amaste nunca jamás! " (M, 165) In seiner Enttäuschung stellt er nun Elviras Liebe grundsätzlich in Frage. Die Bedeutung der Dauer im Kontext der romantischen Liebe wird dann am Ende nochmals evoziert, wenn Macías den Selbstmord Elviras mit den Worten kommentiert: "Es mía / / para siempre…" (M, 215) und somit auf die Transzendenz der den Tod überdauernden Liebe hinweist, was durch Fernáns Feststellung "¡Ya no es tiempo! " (M, 215) noch unterstrichen wird. Zusätzlich wird der schnelle Fluss der Zeit noch visuell durch die - in den Bühnenanweiungen erwähnte - Präsenz einer Sanduhr unterstrichen. b) Los Amantes de Teruel Auch in Los Amantes de Teruel, in dem ebenfalls ein plazo den Handlungsverlauf bestimmt, wird die Liebe unter den Aspekt der Zeitlichkeit gestellt. Da Don Pedro de Segura den reichen Prätendenten Don Rodrigo de Azagra dem armen Marsilla vorzieht, einigt man sich auf eine Frist von sechs Jahren und einer Woche, innerhalb derer Marsilla sein Glück versuchen soll. Sollte er innerhalb der Frist zu Reichtum gelangen, würde Pedro sich einer Heirat zwischen Marsilla und Isabel nicht mehr widersetzen. Die Kirchen- 20 Vgl. Niklas Luhmann, Liebe als Passion, S. 169. <?page no="157"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 157 glocken werden akustisch das Ende des plazo besiegeln. 21 Der Ablauf der Frist wird somit ästhetisch über den Hörsinn, der in der Romantik an Bedeutung gewinnt, zum Ausdruck gebracht. 22 Don Pedro erhebt die Zeit zum über das Leben der Tochter entscheidenden Faktor. Nüchtern unterstreicht er: "Estos caballeros podrán atestiguar que se esperó hasta el cabal vencimiento del plazo." (LAT, 139), um seinen Anteil an den darauf folgenden Ereignissen herunterzuspielen: El plazo otorgado dura todavía, Un [sic! ] hora, un instante le basta al Eterno: y mucho me holgara si fuera mi yerno quien a mi Isabel tan fino quería. Pero si no viene, y cúmplese el día, y llega la hora.... por más que me pesa, me tiene sujeto sagrada promesa: si fuera posible, no la cumpliría. (LAT, 113) In der Forschungsliteratur lassen sich zahlreiche Stimmen finden, die wie Díez Taboada der Auffassung Don Pedros folgend die Zeit zu einer fatalen Gottheit stilisieren: Zudem wird der Faktor Zeit infolge der Verzögerungen und widrigen Umstände zu einer Art fatalen Gottheit, die grausam mit der Existenz und dem Schicksal der Menschen spielt, bis sich ihnen als den Hinfälligen die ewige Vereinigung in der Unzeit, in der unüberwindbaren und endgültigen Widrigkeit des Todes auftut. 23 Andere wie Ermanno Caldera weisen der Zeit eine handlungstragende Funktion 24 zu oder sehen wie Casalduero die Zeit gar als den Faktor an, der das Liebespaar mehr noch als ihre Liebe vereint: "Aun más que el amor, les une el tiempo, ese momento fatal al cual se dirigen sus vidas." 25 In einer anderen Studie geht Caldera gar soweit, die Zeit mit dem Schicksal gleichzusetzen: El tiempo, pues, ya sea plazo, recuerdo o presentimiento, es siempre agobiante, misterioso y fugitivo; no sólo no coincide nunca con la dimensión temporal soñada por el hombre, sino que se manifiesta como una fuerza exterior al hombre mismo hasta el punto de identificarse 21 "Al toque de vísperas de un domingo salió de su patria el malogrado joven, seis años y siete días hace: hasta que suene aquella señal en mi oído, no tengo libertad de disponer de mi hija." (LAT, 138) 22 Günter Oesterle, "Erinnerung in der Romantik. Einleitung", in: Ders. (Hg., in Verbindung mit Alexander von Bormann, Gerhart von Graevenitz, Walter Hinderer, Gerhard Neumann und Dagmar Ottmann), Erinnern und Vergessen in der Europäischen Romantik, Würzburg: Königshausen & Neumann 2001, S. 8. 23 Juan María Diez Taboada, "Das spanische Theater des 19. Jahrhunderts", in: Klaus Pörtl (Hg.), Das spanische Theater: von den Anfängen bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1985, S. 392-423, hier: S. 413. 24 Ermanno Caldera, El teatro español en la época romántica, S. 105. 25 Joaquín Casalduero, Estudios sobre el teatro español, Madrid: Gredos 2 1967, S. 233. <?page no="158"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 158 fisicamente con las campanadas de las horas, y metafísicamente con la fatalidad. 26 Die Tatsache, dass Marsilla nicht vor Ablauf der Frist nach Teruel zurückkehren kann und Isabel so genötigt wird, den reichen Prätendenten Don Rodrigo zu ehelichen, mag zwar tragisch sein, doch finden sich im Stück zahlreiche Belege, die darauf hinweisen, dass hier nicht wie noch in den klassischen Tragödien die Macht des Schicksals die Fäden führt, sondern gesellschaftliche Faktoren und das Handeln der Menschen für den tragischen Ausgang des Dramas verantwortlich zeichnen. Zunächst muss erwähnt werden, dass nicht das Schicksal den plazo vorgab, sondern Don Pedro hierdurch eine bequeme Lösung eines Konfliktes herbeiführen wollte, den er selbst heraufbeschworen hatte. In patriarchalischer Manier hatte er die Hand seiner Tochter Isabel dem reichen Don Rodrigo versprochen, obwohl einige Zeichen darauf hindeuteten, dass Marsilla und Isabel von Gott füreinander bestimmt waren. 27 Nach einem Streit entgegnete der wütende Don Pedro dem künftigen Schwiegersohn: "¿Ha de ser este hombre dueño / / de lo que quiero más? " (LAT, 106) Don Pedro war in diesem Moment sogar bereit zu sterben, sofern er auf diese Weise sein Wort nicht einlösen müsste und seine Tochter frei bliebe. Als er sodann in eine lebensgefährliche Situation geriet - von Roger, dem ehemaligen Liebhaber seiner Frau, bedroht wurde -, deutete er sein Überleben als göttliches Zeichen, das die Ehe zwischen Rodrigo und Isabel besiegele. (LAT, 107) Nicht die Zeit erhebt sich folglich zum Schicksal des Menschen, sondern der Mensch bedient sich des Faktors der Zeit zur Rechtfertigung seines Handelns. Der Kampf Marsillas scheint zwar in erster Linie ein Kampf gegen die ablaufende Uhr zu sein, de facto muss er aber mit den Widrigkeiten kämpfen, die ihm von einzelnen Vertretern der Gesellschaft bewusst in den Weg gelegt werden. Zunächst gerät er nach seiner Abreise aus Teruel im Verlauf der kämpferischen Auseinandersetzungen zur Zeit der Reconquista in maurische Gefangenschaft. Als die maurische Königin Zulima sich in den gefangenen Christen verliebt, verhindert sie in Kenntnis des plazo aus zunächst eigennützigen dann rachsüchtigen Gründen eine rechtzeitige Rückkehr Marsillas. Zudem eilt Zulima Marsilla voraus, um in Teruel die Botschaft von seinem vermeintlichen Tod zu überbringen, während ihre Schärgen Marsillas Rückkehr weiter verzögern, indem sie ihn an einen Baum binden. Zulimas Intrige führt - neben anderen Motiven, die weiter unten geschildert werden - dazu, dass Isabel sich noch vor Ablauf des eigentlichen plazo auf die Hochzeit mit Don Rodrigo vorbereitet. Nicht die Zeit verhindert einen glücklichen Ausgang des Stückes, sondern die egoi- 26 Ermanno Caldera, "Los temas del teatro romántico", in: Iris Zavala (Hg.), Historia y Crítica de la literatura española, V, S. 205-214, hier: S. 207. 27 Als göttliches Zeichen wird auch die Tatsache gewertet, dass sie am gleichen Tag, zur gleichen Stunde auf die Welt gekommen sind. (LAT, 94) <?page no="159"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 159 stischen Interessen einzelner Figuren, die sich den Faktor Zeit für ihre Zwecke zu Nutze machen wollen. Denn innerhalb des gesetzten plazo gelangte Marsilla tatsächlich zu Reichtum, da er den Emir von Valencia vor einer Verschwörung warnt, wie Adel Marsillas' Vater Don Martín erläutert: "Tu hijo libró de un asesinato pérfido al amir de Valencia, y el Amir le ha colmado de riquezas y honores. Herido en un combate, no se le permitió caminar hasta reponerse." (LAT, 141) Signifikanterweise lautet der Name des maurischen Königs Zeit Abenzeit. Er war der letzte maurische Herrscher in Valencia, der schließlich sogar zum Christentum konvertierte. Verschiedene Abwandlungen seines Namens sind tradiert, wie z.B. Ceit Abu Ceit, die alle auf das arabische "El sayyid Abú Zayd" zurückgehen. In der Verwendung der an das deutsche Wort Zeit erinnernden Schreibweise mag man einen symbolischen Verweis darauf erkennen, dass der Herrscher der Zeit dem romantischen Helden keine Hindernisse in den Weg legte, sondern ihn mit dem notwendigen Reichtum ausstattete, um die an den plazo gestellten Forderungen zu erfüllen. Die Tragik resultiert nun daraus, dass Marsilla es aufgrund Zulimas Intrigen nicht schafft, rechtzeitig vor Ablauf der Frist nach Teruel zurückzukehren. Die zeitliche Dynamik steigert sich so, dass zunächst noch 6 Tage, dann nur noch 3 Tage, schließlich nur noch wenige Stunden und dann nur noch wenige Minuten verbleiben. Zusätzlich gesteigert wirde dies durch die symmetrische Struktur des Dramas: simultan verlaufen die Szenen, in denen der Held an den Baum gefesselt ist und die Hochzeit der Geliebten mit dem Rivalen ab. 28 c) Don Juan Tenorio Auch im Don Juan Tenorio wird der Faktor Zeit eng mit dem Thema der Liebe in Verbindung gesetzt, was letztendlich in der Ineinssetzung von Liebe und Tod kulminiert. 29 Aber werfen wir zunächst einen Blick auf die Zeitkonzeption in der Exposition des Stückes, die wie zahlreiche andere romantische Dramen zuvor von einem plazo bestimmt wird. Das romantische Drama beginnt kurz vor Ablauf einer Wette zwischen Don Juan und Don Luis, die dem Ziel galt, innerhalb eines Jahres herauszufinden, welcher der beiden Protagonisten mehr unehrenhafte Taten begangen habe. In karnevalesker Weise wird hier der traditionelle plazo - der romantische Held musste sich innerhalb einer bestimmten Frist durch heldenhafte Taten oder das Erlangen von Reichtum für seine Braut verdient machen - schlicht umgekehrt. Das Stück spielt zur Zeit des Karnevals, der - wie schon in La conjuración de Venecia - mehr als nur kostumbristisches Beiwerk des Dramas im Sinne des romantischen Lokalkollorits darstellt. Die Zeit des Karnevals ermöglicht die Zeitstrukturen umzukehren oder die 28 Vgl. Jean-Louis Picoche, "El trovador y Los amantes de Teruel", in: Iris Zavala (Hg.), Historia y Crítica de la literatura española, V, S. 232. 29 Emanno Caldera, El teatro españo en la época romántica, S. 16. <?page no="160"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 160 Einheit der Zeit vorübergehend außer Kraft zu setzen. 30 Dies erklärt, warum Don Juan Tenorio einige zeitliche Ungenauigkeiten bzw. Unwahrscheinlichkeiten enthält, über die der Autor Zorrilla sich später selbst mokierte. 31 Rechnet man die im Stück vorgegebene Zeitstruktur konkret nach, so gelangt man zwar zu der Erkenntnis, dass eine Stunde in Don Juans Zeitrechnung mindestens 200 Minuten umfassen müsste, aber durch die Wahl des Karnevals als Zeitpunkt wird dies aufgehoben, wie G. Pérez Firmat erklärt. 32 Der Karneval als eine Zeit der Inversion, in der die gesellschaftlichen (Macht)Strukturen umgekehrt werden, führt auch zu einer Aufhebung der gängigen Zeistrukturen. Eine ungeheure zeitliche Dynamik prägt das Stück von Beginn an. Nach Ablauf der Frist zur ersten Wette, die immerhin ein Jahr umfasste, schließen die beiden Kontrahenten eine neue Wette, für deren Einlösung Don Juan nur einen Tag beansprucht. Das Leben des romantischen outlaw ist von extremer Rastlosigkeit geprägt. Don Luis erklärt er die Zahl von 72 verführten Frauen in nur einem Jahr folgendermaßen: Partid los días del año entre las que ahí encontrás. Uno para enamorarlas, otro para conseguirlas, otro para abandonarlas, dos para sustituirlas y una hora para olvidarlas. (DJ, 106) Don Juan füllt mit dieser Rechnung 363 Tage des Jahres - es bleiben, wie Caldera lakonisch bemerkt - immerhin zwei Tage der Ruhe. 33 Im Stück wird der Wettlauf mit der Zeit, der in das Bemühen nach einer Überwindung der Zeit kulminiert, geradezu mit Besessenheit verfolgt. Don Juan erhält nach zwei gewonnenen Wetten einen letzten göttlichen plazo, der ihm nur einen Tag zur Bereuung seiner Sünden gewährt. Zwar hält er, der sich in der Setzung seiner eigenen Fristen - wie wir gesehen haben - einem nicht minder großen Zeitdruck aussetzte, die göttliche Frist für ungerecht, zweifelt er doch daran dass sich all seine in 30 Jahren angesammelten Missetaten in nur einem Tag bereuen ließen. Im letzten Moment versteht er es aber noch, seine Chance zu ergreifen, um mit Doña Inés in der transzendenten Ewigkeit in Liebe vereint zu sein. 30 Gustavo Pérez Firmat, "Carnival in Don Juan Tenorio", in: Hispanic Review, Bd. 51, 1983, 269-281, hier: S. 276. 31 Zorrilla hatte wohl nie verwunden, dass er die Rechte an dem Stück, das seinen Ruhm bereits zu Lebzeiten begründen sollte, so günstig abgetreten hatte. Vgl. Dietrich Briesemeister, "José Zorrilla. Don Juan Tenorio“, in: Volker Roloff, Harald Wentzlaff-Eggebert, (Hg.), Das spanische Theater. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Düsseldorf: Schwann Bagel 1988, S. 250 -263, hier: S. 250. 32 Vgl. Gustavo Pérez Firmat, "Carnival in Don Juan Tenorio", S. 275f. 33 Vgl. Richard Cardwell, "Don Álvaro or the Force of Cosmic Justice", in: Studies in Romanticism, Nr. XII, 1973, S. 559-579. <?page no="161"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 161 Caldera sieht daher zu Recht im Don Juan Tenorio ein Paradebeispiel der romantischen Literatur. 34 Zwar bildeten auch in den anderen romantischen Dramen in Spanien Liebe und Tod der Helden einen Synthese, 35 aber meist brach die Handlung der Stücke noch im Bereich des Irdischen ab, während mit dem Don Juan Tenorio erstmals eine transzendente Vereinigung der Helden evoziert wird. Von Beginn des Dramas an spielt die Zeit, der Verlust von Zeit bzw. die zeitliche Verspätung eine zentrale Rolle. Kurz vor Ablauf des plazo häufen sich unter den Schaulustigen im Gasthaus die Äußerungen zum ungeduldigen Warten auf den Beginn der "Vorstellung" der beiden Kontrahenten. Don Juans Diener Buttarelli weckt die Erwartungshaltung, indem er den zeitlichen Aspekt der Spielregeln der Wette betont: "Cierra el plazo, y es asunto / / de perder, quien no esté a punto / / de la primer campanada." (89, V. 197f.) Noch bevor die Uhr acht schlägt, strömen die neugierigen Sevillaner in das Gasthaus. Don Juans Freunde Centellas und Avellaneda heben in Anbetracht des großen Andrangs im Gasthaus hervor, dass offensichtlich ganz Sevilla neugierig den Ausgang der Wette verfolgen will. (DJ, 96) Punkt acht Uhr sitzen die beiden Kontrahenten am Tisch und Don Juan drängt darauf, nicht weiter Zeit zu verlieren, um den Sieger der Wette zu ermitteln. (DJ, 97) Die beschleunigte Zeitwahrnehmung und die das Dasein des Menschen bestimmende Dimension der Zeit erfasst nicht nur Don Juan, sondern auch die anderen Figuren des Stückes: So stellt für Don Luis sein Hochzeitstermin einen plazo dar, den er durch die Wette mit Don Juan verliert. Doña Inés hingegen versetzt die bevorstehende Berufung zur Braut Christi in große Unruhe: y sentí del corazón acelerarse el vaivén, y teñirseme el semblante de amarilla palidez. (DJ, 140) denn dieser plazo bedeutet zugleich den Abschied von ihrer Vertrauten (Brígida): porque la voy a perder, que en profesando es preciso renunciar a cuanto amé. (DJ, 140) Don Gonzalo de Ulloa trifft schließlich zu spät im Kloster ein, um die Äbtissin davon zu überzeugen, die Berufung seiner Tochter zeitlich vorzuziehen. (DJ, 152) Don Juan ist seinen Gegenspielern stets einen Moment voraus, ihm gelingt es, den Faktor Zeit für seine Ziele einzusetzen. Die Zeit wird für die Figuren zu einer ihr Dasein bestimmenden Größe, die in der zweiten Wette zwischen Don Luis und Don Juan mit dem Einsatz des Le- 34 Vgl. Ermanno Caldera, El teatro español en la época romántica, S. 193. 35 Vgl. Kapitel 3.4.3 der vorliegenden Studie. <?page no="162"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 162 bens vergolten werden soll. Somit spielt hier die Verfügbarkeit der Zeit eine wesentliche Rolle. d) Traidor, inconfeso y mártir In Zorrillas Traidor, inconfeso y mártir, steigert sich die zuvor bereits skizzierte Dynamik des romantischen Dramas weiter. Die Handlung und damit der Blick der Figuren sind von dem Moment der Verhaftung des romantischen Helden Gabriel Espinosa an auf einen plazo gerichtet, der von der Entscheidung des Königs abhängt. Das Stück setzt nach einer expositorischen Szene, in der drei Männer nacheinander - und in offensichtlicher Unkenntnis voneinander - einen Gast ankündigen, dessen Zeche sie übernehmen wollen. Durch die Wiederholung des immer gleichen Anliegens wird eine Stagnation der Zeit suggeriert. In den ersten beiden Akten wird die Spannung dann allmählich durch Anspielungen auf die geheimnisumwobene Geschichte um den pastelero de Madrigal gesteigert. Zeitlich richtet sich der Blick auf die Übermittlung eines Dokumentes, das die Identität Auroras belegen soll und dringend erwartet wird. In seiner Funktion als Richter setzt Don Rodrigo dem pastelero die Frist von einem Tag, innerhalb derer er seine Identität aufklären solle, ansonsten drohe ihm das Gefängnis. Der zweite Akt endet mit der Verhaftung Gabriel Espinosas, der zur Klärung seiner Identität in ein Turmgefängnis gebracht wird. Es folgen drei Monate des Verhörs und der Folter, die im Stück jedoch eine Leerstelle bleiben. Mit dem dritten Akt steigt die Dynamik des Stückes sukzessive an. Der Richter befristet die Zeit zur Aufklärung der Identität nun erneut auf einen Tag. Während in den ersten beiden Akten die Erzählzeit mit der erzählten Zeit weitgehend deckungsgleich war, führt in den letzten beiden Akten die Befristung des Geschehens zu einer enormen Zeitraffung, die aus der Dichte der noch aufzuklärenden Mysterien resultiert. Für die Zuschauer verstärkt sich so der Eindruck des beschleunigten Zeitflusses. Mit dem Eintreffen des königlichen Briefes, in dem Gabriel als Betrüger und Verräter bezichtigt wird, wandelt sich der plazo in seiner Bedeutung: aus der Frist zur Aufklärung der Identität des Angeklagten wird die Befristung des Lebens des pastelero, die der Richter Don Rodrigo eigenmächtig auf nicht einmal eine Stunde begrenzt. Innerhalb dieser Frist verhandelt Aurora jedoch noch die Freilassung Gabriels. Durch die Erzählung des eigenen Lebensberichtes erwirkt sie diese. Man kann hierin einen intertextuellen Verweis auf das Märchen aus 1001 Nacht sehen, in dem Sheherazade Geschichten erzählt, um einen Aufschub der Befristung des eigenen Lebens zu erwirken, und sich so am Ende sogar vor dem Tod bewahren kann. Aurora gibt in dem Lebensbericht bruchstückhaft die Erinnerungen wieder, die Gabriel ihr zuvor erzählt hatte. Die unerwartete Befreiung von der Befristung des eigenen Lebens wendet Gabriel jedoch zur "hora del martirio y del castigo" (TIM, 181) um. Es wird die Stunde der Abrechnung mit dem Richter, der einst eine dem por- <?page no="163"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 163 tugiesischen König nahe stehende adlige Dame entehrt hatte. Auf diesen Moment hatte Gabriel die ganzen Jahre gewartet. Die Stilisierung des rechten Augenblicks, der in der Romantik generell als Moment des erfüllten Glückes gedacht wurde, wird hier in Zorrillas Drama umgewendet zum rechten Moment der Rache. Gabriel alias Don Sebastián erfüllt die Mission seines Lebens als pastelero de Madrigal, indem er nicht wie Goethes Faust den Moment des höchsten Glückes in der Begegnung mit der jungen Geliebten sucht, sondern den rechten Moment zur Entschlüsselung des engaño der Lebenslüge des Richters nutzt. Der Preis, den er zu zahlen bereit ist, liegt indessen in seinem eigenen Leben, denn traumatisiert vom desengaño durch den Angeklagten vermag Don Rodrigo nicht mehr rechtzeitig die Worte auszusprechen, die Gabriel Espinosa vor dem Henker gerettet hätten. Der pastelero hingegen nimmt seinen Tod als Erfüllung des eignen Lebenszieles hin. Zwar legte er von Beginn an sein Schicksal in Gottes Hand, doch in Wahrheit hat er sein Leben für diese Mission selbst befristet - wohl wissend, dass die Nachricht seiner wahren Identität die spanische Monarchie in arge Bedrängnis gebracht hätte. Die Tatsache, dass seine Identität nun postum enthüllt wird, indem Don Rodrigo die päpstliche Bulle öffnet, die Gabriel zuvor César übergeben hatte, lässt auch die Institution der Kirche in einem nicht gerade positiven Licht erscheinen. Denn der Papst, der in diesem Schriftstück Gabriel als Don Sebastián identifiziert, hatte den tot geglaubten portugiesischen König einst angewiesen, seine Identität niemals Preis zu geben. Weder der spanische König als weltlicher Herrscher, noch der Papst, als Stellvertreter Gottes auf Erden, handelten im Sinne der Gerechtigkeit. Beide opferten Don Sebastián übergeordneten staatlichen Interessen. Somit wendet Zorrilla, der wie wir gesehen haben schon im Don Juan Tenorio der bürgerlichen Schicht einen kritischen Spiegel vorhält, seine Gesellschaftskritik nun gegen die höchsten gesellschaftlichen Instanzen: die Kirche, den Monarchen und die Justiz. Aus den vorangegangenen Ausführungen lässt sich folgern, dass die beschleunigte Zeitwahrnehmung des Menschen in der Romantik einerseits dazu führt, dass der Mensch die Zeit als verhandelbaren Faktor erkennt. Im Macías wird die Zeit zwar in dieser Form erkannt, allein durch die Widrigkeiten der dem Heldenpaar entgegenstehenden Gesellschaft geht die sich eröffnende Freiheit für das Subjekt wieder verloren. Für Los Amantes de Teruel lässt sich Ähnliches konstatieren: allen Widrigkeiten zum Trotz erfüllt der Held zwar inhaltlich die Anforderungen des plazo und gelangt zu Reichtum, die Gesellschaft hingegen durchkreuzt seine Pläne und so verliert er unmittelbar nach Ablauf der Frist die Erfüllung seines Zieles. Im Don Juan Tenorio schließlich wird dieser Aspekt der Zeit noch pointierter dargestellt: sowohl im irdischen als auch im transzendenten Bereich gelingt es dem Helden, den plazo für seine Zwecke einzusetzen, die Erlösung vom Fluss der Zeit wird ihm hingegen erst in der transzendenten Ewigkeit zu <?page no="164"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 164 Teil. In Traidor, inconfeso y mártir schließlich nutzt der romantische Held den ihm gesetzten plazo am Ende zur Rache am Richter Don Rodrigo als Vertreter der irdischen Gerechtigkeit. 4.1.4 Der rechte Augenblick: Kairos Wenn die Zeit zum lebensbestimmenden Faktor des Menschen wird, fokussiert der Blick des Menschen zunehmend auf die Realisierung des Lebenszieles im rechten Augenblick. Im Griechischen bedeutet "kairos" der günstige Augenblick. In der Mythologie verkörpert Kairos den Gott, der die rechte Zeit repräsentiert. Harald Weinrich definiert ihn wie folgt: Dieser jugendliche Gott trägt Flügel an seinen Schultern und an seinen Fersen und hält sich tänzelnd im Gleichgewicht selbst auf eines Messers Schneide.[…] Doch als sein auffälligstes Merkmal trägt er den Kopf fast kahl geschoren. Nur an der Stirnseite ist ein Haarschopf stehengeblieben. Will ein Irdischer diesen behänden Gott fassen und festhalten, so muß er ihn frontal annehmen und versuchen, ihn beim Schopf zu ergreifen. Wenn dieser Zugriff misslingt, dann findet die Hand an dem glatten Schädel keinen Halt, und schon ist die rechte Zeit verpasst und entglitten. 36 Bruno Hillebrand bemerkt ergänzend hierzu, dass ein Verpassen des rechten Augenblicks von Kairos durch den Stich mit dem Messer, das er in seinen Händen hält, gesühnt wird. 37 In der Mythologie verwies Kairos auf die kurze Zeitspanne, die dem Menschen nur zum Handeln bleibt. Quantitativ verweist er auf die bedrohliche Knappheit der Frist, qualitativ auf die Gunst der Gelegenheit, die der Mensch aufgefordert ist zu nutzen. In der Vor- und Frühromantik kommt es zur Auffassung, diesen kurzen Augenblicks als Chance zu begreifen. 38 a) La Conjuración de Venecia Trotz seiner genauen Kenntnis der exakten Daten des Aufstandes, auf den Martínez de la Rosa sich in der Conjuración de Venecia bezieht - die historische Legende einer Revolte in Venedig im Jahre 1310 -, verlagert der Autor diesen um ein paar Wochen in die Zeit des venezianischen Karnevals. Hinsichtlich der poetologischen Regel der drei Einheiten bricht das romantische Drama bereits mit der Einheit der Zeit, insofern als die Handlung sich über vier Tage erstreckt. Um 1 Uhr nachts des ersten Tages treffen die Verschwörer im Palast des Botschafters von Genua zusammen, um den geplanten Aufstand ein letztes Mal zu besprechen. Der zweite Akt 36 Harald Weinrich, Knappe Zeit. Kunst und Ökonomie des befristeten Lebens, München: Beck: 2004, S. 108. 37 Vgl. Bruno Hillebrand, "Die sinnlose und die drängende Zeit. Die Romantiker und die Zeitangst", S. 44. 38 Vgl. Harald Weinrich, Knappe Zeit, S. 110. <?page no="165"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 165 knüpft zeitlich direkt an den ersten an: Im Anschluss an das Treffen mit den Verschwörern trifft Rugiero Laura um 2 Uhr nachts im Pantheon der Familie Morosini. Der dritte Akt trägt sich nach der Festnahme Rugieros und der Ohnmacht Lauras am nächsten Morgen im Palast der Familie Morosini zu. Schauplatz des vierten Aktes ist am Abend desselben Tages der Plaza San Marco kurz vor Mitternacht. Zwei Tage später tagt schließlich das Gericht über die Verurteilung Rugieros. Die Akte eins, zwei und vier spielen somit nachts, verstärken durch die Wahl dieses Zeitpunktes die Wirkung des Schreckens der Handlung auf das Publikum. Doch nicht nur visuell spricht der Autor damit das ästhetische Empfinden des Publikums an, sondern er erreicht zusätzlich durch akustische Effekte das Empfinden der Zuschauer. So begleitet das Schlagen der Uhren die wichtigen Szenen des Stückes. Beim Treffen der Verschwörer schlägt die Kirchturmuhr einmal und verweist damit auf 1 Uhr nachts (CV, 182). Die Verschwörer erwarten ungeduldig den noch fehlenden Rugiero. Der Botschafter ruft beunruhigt aus: "¡Cuánto tarda la hora! " (CV, 182) Durch ihre Erwartungshaltung kommen ihnen die wenigen Minuten der Wartezeit viel länger vor als Rugiero, der sich mit den Worten "No ha sido culpa mía el haber tardado pocos momentos" (CV, 186) entschuldigt. Diese Formen der Zeitraffung bzw. Zeitdehnung verdeutlichen das Problem der Messbarkeit der Zeit im subjektiven Empfinden. Im Folgenden diskutieren die Verschwörer die Beweggründe und die Rechtfertigung ihres geplanten Aufstandes, bis Badoer ungeduldig ausruft: "¿Porqué tardamos en señalar su última hora? " (CV, 187) Die Revolte darf nicht weiter aufgeschoben werden, sondern muss zum exakt richtigen Zeitpunkt erfolgen: "al momento preciso" (CV, 189). Dieser geeignete Zeitpunkt scheint den Verschwörern der Karnevalsdienstag zu sein (CV, 194), der letzte Tag des Karnevals vor Beginn der Fastenzeit. 39 Die ausgelassene Stimmung des Volkes erreicht dann ihren Höhepunkt und zudem findet im Dogenpalast ein Ball statt, bei dem die allgemeine Verwirrung den Verschwörern zum Nutzen sein soll. Dieser Augenblick führt jedoch nicht den gewünschten politischen Umbruch herbei, sondern leitet das tragische Ende ein, bei dem Pedro Morosini zum Richter seines eigenen Sohnes wird. Dahinter scheint die ambivalente Figur des Kairos auf, der einerseits auf die Gunst des rechten Augenblicks verweist, andererseits lässt sich im hinunterschnellenden Beil des Henkers eine Analogie zu Kairos' Messer erkennen, mit dem er den Menschen im Falle des Versagens droht. b) El trovador Die für die Romantik charakteristische beschleunigte Zeitwahrnehmung prägt auch das Drama El trovador, das von einem in der Vergangenheit liegendem Ereignis, das 40 Jahre zurück liegt (1390), dominiert wird. In der 39 An dem Tag wird im Dogenpalast ein großes Fest gefeiert, an dem seine Berater und zahlreiche Mitglieder des Senats teilnehmen. (CV, 194) <?page no="166"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 166 Exposition des ersten Aktes wird über dieses Ereignis, das die Umstände des (angeblichen) Todes des älteren Sohnes des Conde de Artal schildert, berichtet. Um den Tod der Mutter auf dem Scheiterhaufen, für den der Conde de Artal verantwortlich zeichnet, zu rächen, will Azucena den älteren Sohn des Conde de Artal ins Feuer stoßen. Versehentlich fällt aber ihr eigener Sohn den Flammen zum Opfer, so dass sie den Sohn des Conde an Kindes statt großzieht. Auch nach dem tragischen Verwechslungstod lässt sie der Gedanke, dem Wunsch der Mutter entsprechend Rache an der Familie des Conde zu nehmen, nicht los. Das Problem, den rechten Augenblick zum Handeln zu nutzen, prägt gleichermaßen die Figur des romantischen Helden wie die seiner Geliebten. Bevor der Held Manrique selbst auf der Bühne erscheint, wird er in den ersten Äußerungen anderer Figuren als Troubadour beschrieben, der zu Unzeiten den anderen mit seinen Liebesgesängen für Leonor den Schlaf raubte. (Tr, 115) Sein Leben scheint von den Momenten der verpassten Chancen bestimmt zu sein, die jeweils auf seinem verspäteten Eintreffen an den Orten der Entscheidungen beruhen. Durch seine Verwicklung in die aufständischen Kämpfe gegen den König von Aragón trifft Manrique erst in dem Moment im Kloster ein, als Leonor bereits ihr Gelübde abgelegt hat. (Tr, 2. Akt, 2. Szene) Dennoch gelingt es ihm, Leonor zur Flucht zu bewegen. Kaum sind sie in der sicheren Festung angelangt, muß Manrique aber schon wieder gehetzt aufbrechen, um seine Mutter Azucena zu befreien, welche von den Anhängern des Conde de Luna gefangen genommen wurde. Bereits hier gelangt er in Anbetracht der dahin eilenden Zeit zu der Erkenntnis: Sí; yo no debía engañarte por más tiempo… vete, vete: soy un hombre despreciable. (Tr, 171) Die Tragik seiner Figur findet ihren Höhepunkt schließlich am Ende des Dramas: Manrique entgeht die Wahrheit über seine Identität nur um den Bruchteil von Sekunden. Erst im Moment seiner Hinrichtung verkündet Azucena, dass Manrique nicht ihr leiblicher Sohn, sondern der ältere Bruder Don Nuños ist. Der romantische Held läuft somit beständig der Zeit hinterher, ist jeweils einen Moment im Hintertreffen. In der Conjuración de Venecia scheitert die Wahl des rechten Augenblicks für die Revolte daran, dass der Anführer Rugiero beim nächtlichen Treffen mit seiner Geliebten Laura die Revolte unwissentlich verrät. Kairos' Rache trifft die Verschwörer daraufhin unerbittlich. Den Trovador prägen die Momente der verpassten Chancen. Durch die Intrigen der Gesellschaft wird der Held daran gehindert zur rechten Zeit zu handeln. Im Don Álvaro sucht der Held vergeblich den rechten Augenblick zum Sterben, stets finden nur die anderen Figuren den Tod, angefangen von der ungewolten <?page no="167"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 167 Tötung des Marqués, über dessen im Duell getöteten Söhne, bis hin zu Leonors Tod durch den auf Blutrache sinnenden eigenen Bruder. 40 4.1.5 Lebenszeit vs. Weltzeit Die Endlichkeit des menschlichen Daseins (Lebenszeit) steht in Kontrast zur Unendlichkeit der Weltzeit. Im Sinne Blumenbergs ist die Weltzeit "ein offener Horizont von Möglichkeiten und Virtualitäten, der sich den Menschen als Projektionsfläche [...] anbietet oder anzubieten scheint." 41 Auf die Erkenntnis dieser Diskrepanz finden die Protagonisten der romantischen Dramen unterschiedliche Antworten, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. a) La Conjuración de Venecia In der Conjuración de Venecia wird durch die Ungeduld der Verschwörer beim Warten auf Rugiero und in Erwartung des Beginns des Aufstandes eine Dynamik erweckt, die im zweiten Akt beim Treffen des Liebespaares im Pantheon zunächst einmal nachlässt. Voller Ungeduld harrt Laura auf die Ankunft des Geliebten; der schaurige Ort und der Zeitpunkt des nächtlichen Treffens wecken bei ihr Ängste, welche durch das Echo ihrer eigenen Worte und das Pfeifen des Windes, welche die unheimliche Atmosphäre des Pantheons akustisch untermalen, zusätzlich geschürt wird. Im Warten auf Rugiero hat Laura das Gefühl: "cada instante me parecía un siglo" (CV, 208). Dem Gefühl der sich dehnenden Zeit, das durch den symbolisch auf die Ewigkeit verweisenden Ort des Pantheons noch verstärkt wird, steht der Gedanke der Zeitlichkeit des Lebens diametral gegenüber. So zögert Laura, ihrem Vater die Wahrheit zu sagen, u.a. im Hinblick auf sein bereits fortgeschrittenes Lebensalters: "voy a hacerle infeliz en los últimos años de su vida." (CV, 208) Das Gespräch über die gemeinsame Zukunft ist geprägt von dem Blick auf die eigene Vergänglichkeit. Laura knüpft ihr Leben an dasjenige Rugieros: "¡El día que te suceda una desgracia, será el último de mi vida! " (CV, 218) Die Verknüpfung des Schicksals in einer für die Romantik symptomatischen Synthese von Liebe und Tod greift Laura wenig später erneut auf, 42 wenn sie bekundet: "tu Laura te salvará o morirá contigo" (CV, 226) Die von Zeitlosigkeit geprägte 40 Im Don Álvaro o la fuerza del sino bemüht sich der Held in Velletri vergeblich darum, den richtigen Zeitpunkt zum Sterben zu finden - ein Bemühen, das beständig scheitert, sowohl in der Schlacht des Krieges als auch im Duell mit den Brüdern Leonors. Auch bringt er die Zeit in Verbindung mit dem Schicksal und nennt in seinem Monolog die Stunde der ersten Begegnung mit Leonor: "Hora de maldición, aciaga hora / / fue aquella en que te vi la vez primera [...]" (DA, 141-142). 41 Harald Weinrich, Knappe Zeit, S. 160. 42 Vgl. Ermanno Caldera, El teatro romántico en la época romántica, Madrid: Castalia 2001, 54. <?page no="168"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 168 Stille des nächtlichen Treffens wird plötzlich durch die Verhaftung Rugieros zerstört. Der folgende dritte Akt wirkt insgesamt retardierend, die Gespräche zwischen Laura und ihrem Vater und letzterem mit seinem Bruder Pedro Morosini fesseln die Zuschauer ob der emotional gefärbten Thematik, auf der Handlungsebene passiert jedoch nichts, was einen besonderen zeitlichen Charakter hätte. Erst der Wechsel der Szenerie im vierten Akt zum belebten Markus- Platz reißt die Zuschauer aus der kontemplativen Stimmung des vorhergehenden Aktes heraus und strahlt eine Dynamik aus, die auf die beschleunigte Zeitwahrnehmung im Zeitalter der Romantik verweist. Unter der fröhlich tanzenden Menschenmenge, die jegliches Zeitgefühl verloren zu haben scheint, drängen die Verschwörer auf eine Umsetzung ihres Plans: "ya no es tiempo de volver atrás." (CV, 253) Der Gedanke des ständigen Fließens der Zeit wird ebenso hervorgehoben wie der Verweis auf die Zeit als Zukunft, die den Raum der Möglichkeit neuer Handlungsspielräume eröffnet. 43 Die besondere Koinzidenz des Beginns der Verschwörung mit dem Beginn des Karnevalsfestes im Dogenpalast wird akustisch durch das Schlagen der Kirchturmuhr auf dem Markus-Platz unterstrichen. Zugleich fällt aber der mit dem Ausruf "¡Venecia y libertad! " geäußerte Beginn der Revolte mit dem Ende derselben zusammen, denn die Soldaten erwidern sogleich: "¡Mueran los traidores! " (CV, 260) Die auf das tragische Ende der Aufdeckung der Verschwörung gerichtete Dynamik des vierten Aktes wird auf ästhetischer Ebene durch die Vermischung von Elementen des Grotesken und Erhabenen noch verstärkt. So spricht das auf der Bühne inszenierte bunte Lokalkolorit des venezianischen Karnevals das Publikum in seiner visuellen Wahrnehmung an, erscheint als erhabenes Dekor, das sich jedoch im Verlauf des Aktes zunehmend in Schrecken verkehrt und in der grotesken Schluss-Szene der Verhaftung der maskierten Verschwörer durch maskierte Spione kulminiert. 44 Die Gleichzeitigkeit des Privaten und des Politischen, die wir auch im Zusammenhang mit der Figur des Vorsitzenden Morosini herausgestellt haben, 45 wird auch hier - wie schon im zweiten Akt beim privaten Liebestreffen zwischen Rugiero und Laura, dem die Spione beiwohnen - evoziert: in der zeitlichen Verknüpfung des Karnevalsfestes mit der politischen Revolte verwischen die Grenzen zwischen dem Privaten und dem Politischen. Im Vordergrund des fünften Aktes steht die Frage nach der Zeitlichkeit menschlichen Daseins in Verbindung mit der zeitlosen Ewigkeit nach dem Tod. Schon im Bühnenbild lassen sich deutliche Verweise auf die verschiedenen Zeitformen erkennen. So strukturieren drei Schlagworte symbolisch 43 Vgl. Walther Ch. Zimmerli, "Zeit als Zukunft", S. 133. 44 Vgl. Ermanno Caldera, El teatro español en la época romántica, S. 63. 45 Vgl. Kap. 4.3.2 der vorliegenden Studie. <?page no="169"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 169 den Gerichtssaal: über den Richtern prangt die Gerechtigkeit, über der zur Folterkammer führenden Tür die Wahrheit und über der zum Schaffott führenden Tür die Ewigkeit. Die Eindeutigkeit dieser sprachlichen Zeichen wird jedoch durch den Verlauf der Gerichtsverhandlung mehr als nur in Frage gestellt, man könnte sogar sagen invertiert. Denn die Wahrheit soll über den Einsatz von Gewalt ans Licht gebracht werden und die Gerechtigkeit der Richter erweist sich arbiträr, da sie im Gegensatz zur gerechten Sache der Verschwörer steht. Unter Verweis auf die Vergänglichkeit ihres Daseins und die in der Ewigkeit sie erwartende Strafe Gottes ("y si fuereis perjuro, ni evitaréis el castigo de los hombres, ni otro mayor en la eternidad! " CV, 287) versuchen die Richter die Angeklagten einzuschüchtern. Diese hingegen legen ihr Schicksal im Vertrauen auf Gott in dessen Hand und bemühen sich nicht um eine Rechtfertigung vor dem irdischen Gericht. Vergeblich weisen die Richter Rugiero, der soeben erstmals seinen Vater erkannt hat, mit Blick auf die seit Beginn des fünften Aktes im Bühnenbild präsente Sanduhr - als emblematisches Objekt der "angustia temporal" 46 bezeichnet, zugleich aber auch auf das barocke vanitas-Motiv verweist - darauf hin, "[…] que los momentos son preciosos; y que no volverán si los pierdes! " (CV, 292) Das auf seine Hinrichtung gerichtete Fließen der Zeit ("No pierdas el tiempo en vano … ¡cada grano de arena que ves caer, es un instante de tu vida! " CV, 296) wird von Rugiero nicht mehr wahrgenommen. Er scheint im Zustand der Zeitlosigkeit nur an der Begegnung mit dem Vater im Jetzt interessiert zu sein, so dass ihm das ihn erwartende Schicksal in Anbetracht dieser privaten Angelegenheit gleichgültig zu sein scheint. ("Ya lo sé… ¿Creéis que es el temor de la muerte el que me hace derramar estas lágrimas? " CV, 296) Rugieros einziger Wunsch, vor seinem Tod besteht darin: "recibir la bendición de mi padre, y entregar mi alma a Dios! " (CV, 296) Das Jenseits hat für den Menschen in der Romantik folglich an Schrecken verloren. Der Glaube an einen barmherzigen Gott hat den strafenden Gott des Alten Testaments endgültig abgelöst. So erscheint das Tribunal als ein antiquiertes System, das seine Tyrannei auf Erden vergeblich auf die göttliche Macht zu stützen versucht. Wenn in der letzten Szene des Stückes Laura ihrem Geliebten doch noch ein letztes Mal gegenüber tritt und ihm ihr Bildnis in die Hand drückt, dann wird die innigliche Verbindung des romantischen Liebespaares erneut evoziert, das erst im Tod vereint ist. Den Schlussakkord bildet schließlich der Moment, in dem Rugiero zur Hinrichtung geführt wird und Laura im Anblick des Schaffotts vor Entsetzen stirbt. Die Kontrastierung der erhaben anmutenden Liebe der beiden Helden mit dem plötzlich hinter dem Vorhang sichtbar werdenden Schaffott verdeutlicht abschließend die 46 M.a José Alonso Seoane, "Introducción", in: Francisco Martínez de la Rosa, La conjuración de Venecia, S. 141. <?page no="170"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 170 Ästhetik der Synthese des Grotesken und Sublimen im romantischen Drama. b) Don Álvaro o la fuerza del sino Im Don Álvaro o la fuerza del sino bemühen sich die Helden darum, der rastlosen Zeit des Diesseits zu entfliehen, indem sie in der Abgeschiedenheit der Natur - Leonor - bzw. in der Zeitlosigkeit suggerierenden Idylle eines Klosters - Don Álvaro - Zuflucht suchen. Bereits im melancholischen Monolog in Szene drei des dritten Aktes, in dem Don Álvaro über sein Schicksal reflektiert, beklagt der Held, dass sich die Gegenwart seines doch eigentlich kurzen menschlichen Lebens von dem Moment an zu einer Ewigkeit zu dehnen scheint, seitdem er nach dem Verlust der Geliebten und dem ungewollten Tod des Marqués nur noch den eigenen Tod herbeisehnt: ¡Qué eternidad tan horrible la breve vida! Parece, sí, que a medida que es más dura y más amarga, más extiende, más alarga el destino nuestra vida. (DA, 105) In dem zeitlose Ewigkeit suggerierenden Kloster nahe Hornachuelos lebt Don Álvaro dann im fünften Akt ein vom weltlichen Tagesablauf, aber auch vom klösterlichen Alltag abgeschiedenes Leben, das vom kontemplativen Gebet in seiner bescheidenen Klosterzelle geprägt ist. Ein Totenschädel auf seinem Tisch darf als ständige Mahnung an die Vergänglichkeit des diesseitigen Lebens gewertet werden. (DA, 154) In diesen zeitlosen Ort bricht die Gesellschaft in Gestalt von Leonors Bruder Don Alfonso zerstörerisch ein, und holt Don Álvaro in die lineare Zeitrechnung zurück. Zwar hat er den weltlichen Leidenschaften als Mönch entsagt und will sich daher nicht von dem auf Rache sinnenden Don Alfonso herausfordern lassen, aber die Zeitlichkeit hält unerbittlich Einzug in sein Mönchsleben. Er betont die Abgeschlossenheit der Vergangenheit für sein gegenwärtiges Leben als Mönch: Antes, como caballero, supe vengar las injurias; hoy, humilde religioso, darles perdón y disculpa." (DA, 158) Damit stößt er bei Don Alfonso jedoch auf taube Ohren, hat er doch die letzten Jahre stets nur in die Zukunft geblickt, die für ihn nur ein Ziel bereit zu halten schien: den Tod des Vaters zu rächen und die Familienehre wieder herzustellen. Und so bricht der Tod als auf die Endlichkeit verweisendes Symbol im Leben der Menschen bedrohlich in das Geschehen ein. Don <?page no="171"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 171 Álvaro erkennt: "Hora es de muerte, de muerte. / / El infierno me confunda." (DA, 160) Einzig seine Liebe zu Leonor vermag trotz der dramatischen zeitlichen Dynamik noch die Zeitdimension der Ewigkeit zu evozieren, wenn Don Álvaro bekennt: Leonor… ¡ay! ¡la que absorbía toda mi existencia junta! La que en mi pecho por siempre... Por siempre, sí, sí... que aún dura una pasión... (DA, 158) Die zeitliche Dramatik wird durch äußere, die sinnliche Wahrnehmung der Zuschauer ansprechende Aspekte zusätzlich gefördert. So findet der dramatische Höhepunkt des Stückes mit dem Duell der beiden Rivalen, der Tötung Leonors durch die Hand des Bruders und Don Álvaros Freitod durch den Sturz in den Abgrund einer Schlucht in einer extremen zeitlichen Dichte statt. Diese Schlußszene wird zudem durch die Zeichen des Sturms, den von Donnern und Blitzen begleiteten Sonnenuntergang in den sonst so idyllischen Bergen, geprägt. (DA, 161) Akustisch wird die Dramatik noch durch das Läuten der Klosterglocken durch Hermano Melitón unterstrichen und von den Misericordia-Gesängen des Chors der Mönche entsprechend untermalt - ganz im Sinne der Ästhetik des Grotesken und Sublimen. c) El trovador Im Don Álvaro war bereits auffällig, dass sich der Blick des Helden entgegen den sonstigen menschlichen Gepflogenheiten nicht auf auf die zukünftige Lebenszeit richtete, sondern nur auf den ersehnten Endpunkt des irdischen Lebens. Einen entgegen gesetzten Blickwinkel nehmen Caldera zufolge die Helden in El Trovador ein: sie schauen resigniert in die Vergangenheit, bis Leonor schließlich ihre eigene Lebenszeit durch die Einnahme eines Giftes bewusst verkürzt. Die Liebe des Heldenpaares erreiche - so Caldera - nicht mehr die Handlungsebene, sondern bliebe allein in der erinnernden Projektion des bzw. der Geliebten existent. 47 Dies ist zwar für den Beginn des Stückes noch zutreffend, der Verlauf des Dramas hingegen gestaltet sich anders. Die erste Begegnung der Liebenden in dem Stück liegt in der Tat nicht in der Gegenwart, sondern es wird die Erinnerung an die vorangegangene Nacht evoziert, in der Leonor im Schatten der Dunkelheit versehentlich den Conde de Luna umarmte. (I, 4) Manrique zeigt sich darüber aus verletzter Eitelkeit gekränkt und weist seine Liebe zeitlich der Vergangenheit zu: "No vengo lleno de amor / / cual un tiempo........" (Tr, 121) Leonor hingegen bemüht sich um Aufklärung der Verwechslung und bekennt ihre überzeitliche Liebe: 47 Ermanno Caldera, El teatro español en la época romántica, S. 88f. <?page no="172"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 172 ¡Quién dijo, Manrique, quién, que yo olvidarte pudiera infiel, y tu amor vendiera, tu amor que es sólo mi bien! (Tr, 121) Im dritten Akt des Stückes hat Leonor im Kloster im Gespräch mit Jimena jegliche Hoffnung auf eine Zukunft ihrer Liebe verloren, weil der Geliebte im Kampf gestorben sein soll. (Tr, 138) Während ihre Vertraute Jimena sich noch davon überzeugt zeigt, dass die Zeit alle Wunden heilen werde, richtet Leonor ihren Blick nur noch auf den Zeitpunkt ihres Todes. Die Zukunft wird von ihr nur mit Blick auf die Endlichkeit des eigenen Daseins wahrgenommen. Leonor ist nicht mehr gewillt, ihre bis dahin verbleibende Lebenszeit noch mit Sinn zu füllen, sondern wählt den zeitlosen Ort des Klosters als geeignete Stätte, um dem Leben und der Welt in Erwartung des eigenen Todes zu entfliehen. In der Realität sieht Leonor nicht mehr die Möglichkeit des Glücks. Die rationalen Argumente stehen im Kontrast zu ihren sehnsuchtsvollen Visionen des Geliebten. Ihre Gedanken kehren trotz aller Vernunft beständig zu Manrique zurück. Rational spricht sie diesen Visionen jedoch jegliche Berechtigung ab, da sie die vor ihrem geistigen Auge entstehenden Bilder allein als Illusion deutet. (Tr, 138) In ihrem Reflexionsmonolog in Szene IV des dritten Aktes zeigt sich Leonor aber weiterhin von den Illusionen ihrer Liebe zu Manrique geprägt. Die Gefühle scheinen ihr stärker als ihre Tugend zu sein. (Tr, 151) In dem Moment der leidenschaftlichen Gedanken an ihren Geliebten erscheint Manrique vor dem Kloster. Bevor Leonor ihn tatsächlich sieht, nimmt sie seine Stimme wahr, die dem galanten Liebesdiskurs entsprechend die Braut als Preis für seinen auf der politischen Ebene errungenen Sieg verlangt. (Tr, 152) Auch hier zeigt sich eine ästhetische Verlagerung auf den Hörsinn, wie er für die Romantik signifikant ist. 48 Die Visionen verwandeln sich in eine reale Begebenheit. Manrique erscheint als Ritter, der seine Herzensdame aus dem Gefängnis des Klosters befreien möchte: Vengo a salvarte, a quebrantar osado los grillos que te oprimen, a estrecharte en mi seno, de amor enajenado. (Tr, 152) Für Leonor hingegen trifft der Geliebte zu spät ein - sie hat ihr Leben bereits Gott versprochen. Daraufhin versucht der Troubadour seine Geliebte durch die erinnernde Evokation ihrer Liebe und mit Blick auf die drängende Zeit umzustimmen. Manrique erinnert sie an den vor ihren "votos religiosos" geleisteten Liebesschwur: ¿No me juraste amarme eternamente por el dios que gobierna el firmamento? Ven a cumplirme, ven, tu juramento. (Tr, 156) 48 Vgl. Günter Oesterle, "Erinnerung in der Romantik. Einleitung", S. 8. <?page no="173"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 173 Nach der gemeinsamen Flucht ist ihr Glück jedoch nur von kurzer Dauer. Als Manrique erfährt, dass Azucena von dem Conde gefangen genommen wurde, bricht er auf, um sie zu befreien, wird jedoch von den Schärgen des Conde gefasst. Erst im Gefängnis trifft er erneut auf die Geliebte, nachdem Leonor dem Conde ihr Heiratsversprechen gegeben hat, um Manrique die Freiheit zu schenken. Ihr Liebesopfer wird vom Troubadour indessen nicht angeommen. Als Leonor in Manriques Zelle erscheint, erblickt er in ihr nicht mehr die Geliebte, sondern sie wandelt sich der Situation entsprechend zum tröstenden Engel. ("a consolar / / amorosa mi martirio." Tr, 191) Vergeblich gemahnt nun Leonor den Geliebten, keine Zeit mehr zu verschenken. Der von Leonor zu zahlende Preis - den Rivalen zu ehelichen - scheint diesem aber für seine Freiheit zu hoch. (Tr, 192) Stattdessen wertet er Leonors Liebesbeweis als Verrat, der ihn zur resignativen Weltentsagung führt: "Ya no hay amor / / en el mundo, no hay virtud." (Tr, 192) Erst die Kenntnis der Tatsache, dass Leonor das Ende ihrer Lebenszeit bereits durch ein zuvor eingenommenes Gift befristet hat, lässt ihn die Kraft ihrer Liebe erkennen. Leonor bekundet mit dem vergangenheitsorientierten Blick des nahenden Todes ein letztes Mal ihre Liebe: "¿no sabes que te quería / / con todo mi corazón? " (Tr, 193) In Anbetracht des Todes der Geliebten blickt Manrique nun auch erwartungsvoll dem eigenen Tod durch den Henker entgegen: "ya entregaré / / mi cuello sin resistir: / / lo quiero, anhelo morir… / / muy pronto te seguiré" (Tr, 194) War ihre Liebe zu Lebzeiten von der räumlichen Trennung dominiert, so erscheint nun der Weg bis zur Vereinigung im Tod räumlich wie zeitlich begrenzt: "Corta es la distancia, vamos, / / que ya el suplicio me espera." (Tr, 195) Im Zusammenfall des Raum-Zeit-Kontinuums spiegelt sich die romantische Synthese von Liebe und Tod. d) Don Juan Tenorio Das Verhältnis von Lebenszeit und Weltzeit stand bereits im Burlador de Sevilla im Zentrum der Handlung, insofern als der Protagonist Don Juan versäumt, zu Lebzeiten im rechten Moment zu bereuen und sich so nicht nur um sein Seelenheil, sondern dadurch auch um die Aufnahme in das Reich der göttlichen Ewigkeit bringt. Im Don Juan Tenorio wird der reuige Sünder am Ende jedoch dank der Liebe der Doña Inés gerettet. Daher sieht Caldera das Novum in der Thematisierung der Zeit im Don Juan Tenorio in der Verknüpfung der Themen von Liebe und Zeit. 49 Über eine Analyse des Zeitfaktors in Zorrillas romantischem Drama lässt sich Caldera folgend Don Juan als moderner Mensch skizzieren, 50 der nicht mehr wie noch der 49 Vgl. Ermanno Caldera, "El amor y el tiempo en el Don Juan Tenorio", in: Javier Blasco Pascual, Ricardo de la Fuente Ballesteros, Alfredo Mateos Paramio (Hg.), Actas del Congreso sobre José Zorrilla. Una nueva lectura, Valladolid, 18-21 de octubre de 1993, Valladolid: Universidad de Valladolid/ Fundación Jorge Guillén 1995, S. 13-23, hier: S. 13. 50 Vgl. ebd. <?page no="174"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 174 mittelalterliche Mensch in einer von der göttlichen Vorsehung determinierten Zeit aufgehoben war, sondern nunmehr dem Drama einer beschleunigten Zeit ausgesetzt ist. Im Stück betont Don Juans Diener Ciutti: "Para el tiempo en que se vive, / / es un hombre extraordinario." (Tr, 81) Die Wandlung dieses "außerordentlichen" Menschen vollzieht sich in einem Raum-Zeit-Kontinuum, das sich in drei Bereiche untergliedert. Zunächst wird das Kloster als Ort der friedlichen Ruhe und scheinbaren Zeitlosigkeit dargestellt, in das Don Juan als Verkörperung des rastlosen modernen Menschen einbricht. Dies geschieht über das Medium des Liebesbriefes, den Doña Inés in dem Buch der Stunden entdeckt, das Brígida ihr von Don Juan zukommen ließ. Wie das Breviario der Kleriker ist dieses Buch, das Gebete an die Jungfrau Maria enthält, in Stunden unterteilt: matines, laudes, prima, tercia, sexta, nona, vísperas y completas. 51 Aniano Peña sieht in dem Orario auch einen intertextuellen Verweis auf Dantes Divina Commedia: Francesca und Paolo lesen in El libro de Galeoto, das die Liebe zwischen Lanzarote und der Königin von Ginebra besingt und bei der Lektüre das Paar in Liebe entflammen lässt. 52 Obwohl sich Don Juan im Kloster bereits von der Liebe der Doña Inés ergriffen zeigt, hält ihn dies nicht davon ab, den anderen Teil der Wette - die Verführung der Braut seines Freundes - zu vollziehen, währenddessen er die Novizin in sein Landhaus bringen lässt. Der Landsitz Don Juans befindet sich auf einer im Guadalquivir gelegenen Insel, die als irdisches Paradies beschrieben wird. Auch hier scheint die Zeit zunächst still zu stehen. Als Doña Inés in der quinta erwacht, hat sie ihr Zeitgefühl verloren: "Loca estoy: ¿qué hora será? " (DJ, 157, V. 2003) In die idyllische Stille, in der Don Juan und Doña Inés einander ihre Liebe bekennen, bricht nun die Gesellschaft zerstörerisch ein. Don Luis drängt Ciutti, er müsse seinen Herrn in einer dringenden Sache sprechen, die keinen Aufschub gewähre. (DJ, 168) Die Aufforderung zum folgenden Duell begründet Don Luis mit der verlorenen Wette, deren Einsatz das Leben selbst darstelle. In den Worten: "y el tiempo no malgastemos, / / don Juan: los dos no cabemos ya en la tierra." (DJ, 169) liegt ein intertextueller Verweis zu Don Álvaro, der mit Blick auf Don Carlos sagte: "ambos en el mundo, imposible." Der zweite Vertreter der menschlichen Zeit, der Don Juans Leben ein Ende zu setzen trachtet, ist Don Gonzalo de Ulloa. Hochmütig verweigert er dem unterwürfigen Don Juan in den letzten Szenen des vierten Aktes seine Gnade: "¿Y qué tengo yo, don Juan, / / con tu salvación que ver? " (DJ, 176, V. 2545f.) Die vollständige Wandlung vollzieht sich daher erst, als Don Juan nach fünfjähriger Abwesenheit nach Sevilla zurückkehrt und den Familienpalast in einen Pantheon verwandelt vorfindet. Der Pantheon als Symbol für die 51 Vgl. Aniano Peña (Hg.), José Zorrilla, Don Juan Tenorio, Madrid: Cátedra 17 1995 (Letras Hispánicas, 114), S. 81, Fußnote 40. 52 Vgl. ebd., S. 82. <?page no="175"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 175 Endlichkeit des Lebens und Zeichen des weltlichen Nachruhmes der Menschen steht zugleich für die Schwelle zur göttlichen Ewigkeit. Im Don Juan Tenorio wird die Friedhofsatmosphäre laut Bühnenanweisungen durch eine blumenberankte, friedliche Idylle ästhetisch sublimiert, die mehr an den Topos des locus amoenus oder des Beatus ille erinnert, als an den Schrecken erregenden Ort des Friedhofs. Auch an diesem Ort bleibt die Zeitwahrnehmung ambivalent: einerseits suggeriert der Pantheon den Stillstand der Zeit, andererseits sind Glocken zu hören, die von Don Juans Beerdigung künden, zudem mahnt eine Sanduhr an die Vergänglichkeit des Daseins, an die ablaufende Zeit des Lebens. (DJ, 223) Die angustia temporal 53 , wie Caldera es nennt, d.h. die Angst erregende Unruhe, die von dem Faktor der Zeit ausgeht und Teil des für die Romantik typischen Gefühls des Weltschmerzes ist, erfasst schließlich auch den Protagonisten des romantischen Dramas Don Juan Tenorio, das von Beginn an eigentlich nur auf den göttlichen plazo Don Juans ausgerichtet ist, d.h. die Frage nach der Rettung seines Seelenheils vor seinem Tod. Allerdings vollzieht sich dieser Weg in mehreren Etappen, die von der dynamischen, weltlichen Zeit in die zeitlose Ewigkeit Gottes führt. Zwischen die Orte, in denen die irdische Zeit herrscht (Gasthaus, Haus der Doña Ana, Plätze Sevillas, etc.) werden andere Orte geschaltet, die symbolisch bereits auf die göttliche Zeit verweisen. Hatte Don Juan im ersten Teil noch die Ermahnung seines Vaters, der ihn zu Lebzeiten verstieß, ihm aber seine Vergebung vor Gottes Gericht versicherte, noch mit den Worten in den Wind geschrieben: Largo el plazo me ponéis […] de aquí en adelante por mí, que como vivió hasta aquí, vivirá siempre don Juan. (DJ, 110) so wirkt er im zweiten Teil doch verunsichert, in Anbetracht der ihm nur noch verbleibenden Zeit zur Reue: "¡Y breves las horas son / / del plazo que nos augura! " (DJ, 198) Doña Inés und Don Gonzalo de Ulloa wirken mit dem Versprechen auf die göttliche Erlösung bzw. mit der Drohung der Hölle gleichermaßen auf Don Juan ein. Inés: Un punto se necesita para morir con ventura; elígele con cordura, porque mañana, don Juan, nuestros cuerpos dormirán en la misma sepultura. (DJ, 214) Estatua: concluyendo tu existencia y el plazo de tu sentencia está cumpliéndose ya. (Dj, 221) 53 Ermanno Caldera, "El amor y el tiempo en el 'Don Juan Tenorio', S. 13. <?page no="176"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 176 Erst jetzt glaubt Don Juan an die göttliche Wahrheit auf ein Leben nach dem Tod. Der Comendador erläutert ihm ungnädig die Funktion der Sanduhr als Messinstrument der Zeit: "Sí; en cada grano se va / / un instante de tu vida." (DJ. 222) In Anbetracht der Tatsache, dass nur noch wenige Körner in der Sanduhr verbleiben, macht Don Juan Gott den Vorwurf, ihm zu spät über die Möglichkeit der Reue informiert zu haben. Durch den Comendador erfährt er aber, dass die göttliche Erlösung bis zum letzten Sandkorn offenbleibt: "un punto de contrición / / da a un alma la salvación / / y ese punto aún te le dan." (DJ, 222) Im Angesicht des Schreckens der steinernen Figur des Don Gonzalo de Ulloa und in Erinnerung an die Zuversicht aussprechenden Worte seiner geliebten Inés gelangt Don Juan in letzter Sekunde zur Reue und bittet Gott um Gnade. (DJ, 224) Als ästhetisches Zeichen dessen, dass nun die irdische Zeit von der göttlichen Zeit abgelöst wird, hören die Totenglocken auf zu schlagen und die Totenmusik der Beerdigung Don Juans verstummt. (DJ, 225) Die Skelette und Statuen - symbolische Zeichen der Vergänglichkeit des Lebens - wandern zu ihren Grabmählern zurück. Als Symbol der göttlichen Zeitstufe öffnen sich die Blumen, aus denen angenehme Düfte strömen und kleine Engel entsteigen. Zum Klang lieblicher Musik und im Zeichen der aufgehenden Sonne steigen aus den Mündern des Liebespaares zwei leuchtende Flammen auf, die sich zum Takt der Musik im Raum verlieren. Das auf die göttliche Ewigkeit verweisende Ende des romantischen Dramas evoziert über alle Sinneswahrnehmungen eine zeitlose Idylle, die sich der Liebe der beiden Protagonisten verdankt, wie Inés bekundet. (DJ, 225) Die Erlösung Don Juans beruht zwar vordergründig auf den Grundlagen der christlichen Religion, dennoch wird diese Erlösung erst durch die romantische Liebe vollzogen, die selbst einen gesellschaftlichen outlaw wie Don Juan zu verzaubern vermag und ihn im Tod mit seiner Geliebten vereint. 54 Die Schluss-Szene des Stückes steht ganz im Lichte der romantischen Ästhetik der Universalpoesie, derzufolge die Dichtung das Leben des Menschen nicht nur zu erfassen vermag, sondern direkt zu wandeln versteht. Die Erkenntnis der Endlichkeit der eigenen Existenz lässt sich an allen hier vorgestellten romantischen Dramen ablesen. Unterschiedlich sind die Formen, in denen die Protagonisten diesem Bewusstein begegnen. Zunächst prägt sie der Glaube an die Verfügbarkeit der Zeit zur Gestaltung eigener Lebensziele - sei es im Privaten, sei es im Politischen. Im Moment des Scheiterns betrachtet Rugiero (CV) das göttlich Jenseits als Refugium, Manrique (Tr) richtet den Blick in die Vergangenheit, Don Álvaro erkennt das Ende der Lebenszeit als Erlösung, die Lebenszeit war ihm zur Ewigkeit geworden, und Don Juan, der am stärksten in der Gegenwart verankerte Held, entflieht im letzten Moment in die zeitlose Ewigkeit eines durch die Liebe sublimierten Jenseits. 54 Vgl. hierzu das Kapitel 3.4.5 der vorliegenden Studie. <?page no="177"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 177 4.2 Das romantische Subjekt 4.2.1 Das Subjekt als Individuum Hatte die Wendung zum Subjekt bereits seit Descartes die Philosophie der rationalistischen Moderne gekennzeichnet, so vollzieht sich mit der Romantik und dem Beginn der ästhetischen Moderne ein Bruch, der zur Wendung auf das Subjekt als Individuum führen sollte. Dies konstatiert Cornelia Klinger und betont in dem Zusammenhang, eine Verschiebung vom Prinzip der Selbsterhaltung und Selbstbestimmung, das sie als innovatives Potential der frühen Neuzeit bezeichnet, zu der für die Romantik signifikanten Idee der Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung. 55 Der Wunsch, in der von Unwägbarkeiten erfüllten Welt Halt zu suchen, führte in der Romantik zu einer Wendung des Individuums zur Gemeinschaft und Natur und - trotz aller Säkularisierungsbestrebungen - zu einer Wendung zur Religion. 56 Die Natur wurde zum Echo des menschlichen Gefühls. Einst Spiegel des Göttlichen gerierte die Natur zum pseudoreligiösen Zufluchtsort der menschlichen, vom Weltschmerz gezeichneten Seele, in der sich dieser aber nur noch deutlicher der Ausweglosigkeit seiner Situation bewusst wurde. Die Erlösung von der Subjektivität wird schließlich in der sakralisierten Harmonie des Universums angestrebt. Die Kunst galt nicht mehr als Mimesis der Natur im aristotelischen Sinne, sondern als ästhetisches Terrain der Reflexion über das Sein des Menschen. Wenngleich Gott die Instanz war, auf der das Antiguo Régimen aufbaute und somit nicht als Fundament für die neue freiheitliche, bürgerliche Gesellschaft dienen konnte, so war es in Spanien dennoch nicht möglich, alle religiösen Bande vollständig über Bord zu werfen. 57 Die Natur wurde zum Spiegel des unendlichen Begehrens und der Andere in Form der Geliebten des romantischen Helden zum Symbol des irdischen Paradieses und zum Medium der Erkenntnis der Wahrheit. 58 Auch in der Romantik war die Subjektkonstitution nicht frei von Gender-Unterschieden. Während die Frau als das Andere zum Objekt männlichen Erkenntnisstrebens wurde, somit nur als unvollständiges Subjekt konfiguriert war, wies der romantische Held drei Varianten männlicher Subjektivität auf: als prometheischer Rebell gegen die Grenzen seines Begehrens, als sozial entfremdetes aber der Gesellschaft überlegenes Indivi- 55 Vgl. Cornelia Klinger, Flucht - Trost - Revolte. Die Moderne und ihre ästhetischen Gegenwelten, München Wien: Carl Hanser Verlag 1995, S. 108 und Georges Gusdorf, L'homme romantique, Paris: Payot 1984, S. 110. 56 Vgl. ebd., S. 157. 57 Vgl. Javier Herrera, "La teología romántica: el amor, la muerte y el más allá", in: Iris Zavala (Hg.), Historia y crítica de la literatura española, V, Primer suplemento, Barcelona: Ed. Crítica 1994, S. 46-53, hier: S.50. 58 Vgl. Iris Zavala, "Introducción: Nuevas tareas y lecturas al filo de la modernidad", in: Dies. (Hg.), Historia y crítica de la literatura española, V, Primer suplemento, Barcelona: Ed. Crítica 1994, S. 5-22, hier: S. 24. <?page no="178"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 178 duum und als in seinem Bewusstsein gespaltenes Subjekt. 59 Die Rebellion gegen gesellschaftliche Hierarchien war männlich konfiguriert und somit ein Spiegel der liberalen Gesellschaftsauffassung in der Romantik. Auf der Ebene der gesellschaftlichen Bedingtheiten galt die Frau weiterhin - beschränkt auf den häuslichen Bereich - als Hüterin der Tugend, ihr gesellschaftlicher Aktionsradius war somit wesentlich eingeschränkter. Es wird im Folgenden zu prüfen sein, ob die Literatur tatsächlich nur den sozialen Diskurs reflektiert oder ob auf literarästhetischer Ebene nicht auch ein sich davon differierender Diskurs der weiblichen Subjektkonstitution ablesbar ist. Welche Funktion nehmen die Heldinnen neben den Helden in den romantischen Dramen in Bezug auf die Frage der Subjektivität ein? Zeichnen sich gar erste Brüche mit den gesellschaftlich determinierten Entwürfen weiblicher Subjektivität in den zu behandelnden romantischen Dramen ab? 4.2.2 Der romantische Held als Subjekt Zunächst treten die männlichen Protagonisten der romantischen Dramen stets als autonom handelnde Subjekte in Erscheinung, die zumeist auf zwei verschiedenen, aber miteinander korrelierenden Handlungsebenen agieren: einerseits auf einer politischen Ebene, indem sie für eine gerechte Sache eintreten, andererseits auf einer emotionalen, insofern als für die Erfüllung der Leidenschaft zu einer Auserwählten gekämpft wird. Im Hinblick auf den Kampf dieser romantischen Subjekte erhält die Frage nach den Funktionen, welche dem männlichen Helden in den romantischen Dramen zukommen, ihre Berechtigung. a) La Conjuración de Venecia In der Conjuración de Venecia begegnet uns ein Held, der die charakteristischen Merkmale des romantischen Subjektes in sich vereint: Rugiero tritt sowohl in politischer als auch in privater Hinsicht für seine Ideale ein. Auf der politischen Handlungsebene des Stückes ist er Anführer der Verschwörung gegen den tyrannischen Rat in Venedig, im privaten Bereich ist er der idealisierte Geliebte Laura Morosinis. Rugiero tritt als romantisches Individuum für eine gerechte Sache ein - die Freiheit Venedigs -, und wird mit den Charaktermerkmalen eines Helden belegt: mutig, tapfer, gnädig zu seinen Feinden, tugendhaft. Laura beschreibt ihn im Gespräch mit ihrem Vater gar als "alma tan noble! " (CV, 231) und weiter als "[…] tan honrado, tan compasivo, tiene un corazón tan hermoso! " (CV, 233) Seine inneren Werte korrespondieren mit seiner äußeren Schönheit, zudem setzt er sich im Kampf um eine gerechte Sache ein und strebt nach der Erkentnnis der Wahrheit. Somit repräsentiert Rugiero als Held noch die platonische Einheit des Guten, Wahren und Schönen. 59 Vgl. Susan Kirkpatrick, "Problemas de subjetividad femenina", S. 59. <?page no="179"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 179 Ein Schatten liegt indessen über seinem erhabenen Charakter: Die Unkenntnis über seine Herkunft verleiht ihm das gewisse tragische Moment des romantischen Helden, der in der Freundschaft und Treue zu den Mitverschwörern und seiner Liebe zu Laura dem Schmerz über den Verlust der Eltern zu entkommen versucht: "solo, huérfano, sin amparo ni abrigo… sin saber a quiénes debo el ser, ni siquiera la tierra en que nací… ¿Por qué me amas, Laura, por qué me amas? ¡Basta que seas mía, para que seas desgraciada! " (CV, 213) In der Anagnorisis-Szene (5. Akt, Szene IX), in der Rugiero erst langsam erkennt, dass der vorsitzende Richter und Senator Morosini sein Vater ist, verliert der romantische Held jedoch seine das Subjekt kennzeichnende Tatkraft. Im Begehren, seinen Vater - der ob der Tragik der Situation, in der er selbst zum Richter seines Sohnes wird, in Ohnmacht fällt und hinaus getragen wird - ein letztes Mal zu sehen, gibt Rugiero den gerechten Kampf auf, und der Resignation seines angeblich determinierten Schicksals hin. Da die Vorsehung sein gesamtes Leben begleitet hat, scheint ihm die Tatsache, dass er dem Vater erstmals in der Stunde seines Todes begegnet, als Erfüllung seines Schicksals. Neben dem Kampf um die gerechte Sache der Befreiung Venedigs vergisst er zudem seine Geliebte, die ihm zwar noch ein Bildnis ihrer selbst in die Hand zu drücken vermag, doch der Held schreitet nur noch resignativ dem Henker entgegen. Der Verlust seines Subjekt-Charakters wird abschließend deutlich, wenn er Laura - von sich in der dritten Person redend - bittet: "¡No olvides a tu Rugiero, y pide a Dios por él! " (CV, 298) Die Verschwörer eint das Prinzip der Freundschaft, ein romantisches Motiv, in dem die Sehnsucht des Subjektes nach Gemeinschaft zum Ausdruck kommt. Vor Gericht bekundet beispielsweise Julián Rossi seine Freundschaft und Treue gegenüber Rugiero: "[…] le quería como si fuese mi hijo." (CV, 271) Die freundschaftlichen Bande, derentwegen Rossi Rugiero auch unter der Folter nicht verrät, beruhen auf der Tatsache, dass Rugiero ihm einst unter Einsatz des eigenen Lebens das Leben rettete, und er sich ihm gegenüber nun bis in den Tod verpflichtet sieht. (CV, 272) Der romantische Held stellt in der Conjuración de Venecia zwar zu Beginn das prometheische Subjekt dar, das auf privater und politischer Ebene zugleich in den Kampf gegen die Widrigkeiten der Gesellschaft zieht. In Anbetracht der Enthüllung seiner wahren Identität und im Angesicht der Tragik der Situation verfällt der Held jedoch in resignative Untätigkeit. In diesem Drama steht der Protagonist somit noch in der Tradition des scheiternden Ödipus der klassischen Tragödien. 60 60 Vgl. Wolfram Krömer, "Der aristokratische Paria als typischer Held romantischer Literatur", in: Michaela Peters, Christoph Strosetzki (Hg.), Interkultureller Austausch in der Romania im Zeichen der Romantik. Akten der Sektion 14 des Deutschen Romanistentages 2003 in Kiel, Bonn: Romanistischer Verlag 2004, S. 21-29, hier: S. 22. <?page no="180"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 180 b) Macías In Larras romantischem Drama Macías steht das private Glücksstreben des romantischen Helden im Zentrum seiner Subjektkonstitution. Die politische Dimension der Geschichte erstreckt sich darauf, dass Macías bei seinem Herren Don Enrique in Ungnade gefallen ist, weil er sich für die Interessen von Don Enriques Ehefrau einsetzte. Aus machtpolitischem Kalkül hatte sich dieser ihrer entledigen wollen, um die Möglichkeit zu haben, den Vorsitz des mächtigen Calatrava-Ordens anzustreben. In seinem Glücksstreben, die leidenschaftliche Liebe zu Elvira zu realisieren, wird der Held von der Gesellschaft behindert. Im Auftrag des adligen Don Enrique wird Macías durch den Schlüsselmeister des Calatrava-Ordens daran gehindert, rechtzeitig vor Ablauf der gesetzten Jahresfrist nach Andújar zurückzukehren. Reine Machtinteressen von Seiten des Adligen liegen dieser Intrige zugrunde. In erster Linie will Don Enrique Macías fern halten, solange nicht die Vergabe der Position des Meisters des Calatrava-Ordens geklärt ist. Zur Realisierung seines Machtstrebens bedarf Don Enrique zudem der Hilfe des hidalgo Fernán Pérez und seines Dieners Nuño, dem Vater Elviras. Fernáns Bestreben, die reiche Elvira zu ehelichen, stellt weiteres Konfliktpotential in Bezug auf den romantischen Helden dar. Mit der Bedeutung des Beziehungsgeflechtes geht die Frage nach der Wichtigkeit sozialer Hierarchien einher. Das Stück spielt zwar im Jahre 1406, folglich zu einer Zeit, als die gesellschaftlichen Ständestrukturen noch gefestigt waren, dennoch ist es - wie schon Peñas Varela konstatierte - als Metapher der spanischen Gesellschaft zur Entstehungszeit des Dramas zu werten. 61 Der romantischen Geschichtsauffassung entsprechend gilt das historische Thema als Referenzebene der aktuellen gesellschaftlichen Situation. Reflektiert wird infolgedessen eine Zeit des Wandels der sozialen Strukturen, der für das Individuum wegweisende Konsequenzen zeitigen sollte. Bereits in der ersten Szene des ersten Aktes wird auf die Bedeutung der Standesunterschiede hingewiesen. In Fernáns Werben um die Hand Elviras weist er zum einen auf seine soziale Stellung als Adliger und die damit verbundenen guten Beziehungen zu einflussreichen Leuten wie Don Enrique hin. Weiter oben haben wir ausgeführt, dass sich in diesem Gespräch bereits die ersten Auflösungserscheinungen der Ständegesellschaft ablesen lassen. Der adlige Fernán baut zwar die Hierarchie zwischen noble und villano auf, allerdings wird in dem Gespräch schon deutlich, dass Fernáns Bedeutung allein auf der äußeren Standeszugehörigkeit basiert. Als hidalgo, der seit jeher schon am untersten Ende der adligen Hierarchie stand, ist sein adliger Wert allein äußerer Schein, zumal der Begriff des hidalgo schon im Siglo de Oro Synonym des verarmten Adels war. In der Tat ist auch er wie Nuño ein Diener Don Enriques, der ihm Kost und Logis gewährt, und 61 Vgl. Ermitas Peñas Varela, Macías y Larra, S. 145. <?page no="181"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 181 so bietet Fernán den Schein seines "decoro" Nuño zum Kauf an: "yo caro me venda." (M, 77) - wie es der hidalgo selbst formuliert. Für den zu bürgerlichem Reichtum aufgestiegenen Diener Nuño stellt die Verheiratung seiner Tochter mit dem hidalgo einen weiteren gesellschaftlichen Aufstieg dar, und so sucht er, den Geliebten seiner Tochter im Sinne der traditionellen Ständehierarchie als "mal trovador" und "aventurero" zu diffamieren. (M, 101) Seine Tochter zeigt jedoch schon hier erste Züge von Subjektivität und Selbstbewusstsein, wenn sie den Vater darauf hinweist, dass sie nun auch nicht als Prinzessin zur Welt kam und auf der Kritik des Vaters am Stand Macías dessen innere Werte entgegenhält: "sus virtudes, / / su ingenio, su valor, sus altos hechos […] ¿Dónde están muchos / / que a Macías se igualen, o parezcan? " (M, 101) Peñas Varela hat in diesem Zusammenhang hervorgehoben, dass sich auch hier die liberale Doktrin abzeichne, insofern als das Individuum nicht durch seine Abstammung, sondern durch seine Taten geadelt werde. 62 Diese liberale Sicht der gesellschaftlichen Strukturen bringt der Held Macías noch deutlicher zum Ausdruck, wenn er im Streitgespräch mit seinem adligen Herrn Don Enrique diesem geradezu rebellisch entgegnet: ¿Pensáis acaso que soy menos que vos? […] Coged la lanza y conmigo venid; presto ese ufano orgullo abatiré. (M, 173) Damit betont Macías die liberale Sicht, welche die Ehre durch Verdienst vor der Ehre dank Geburt favorisierte. 63 Wenig später wirft er Don Enrique zudem dessen reines Machtstreben vor, dem er bereitwillig einen treuen Vasallen opfert und appelliert an ihn seinem adligen Stand in Taten gerecht zu werden: Si en vuestra cuna y en honores vanos tanto orgullo fundáis, eso os obliga a proceder mejor. Sois inhumano, injusto sois conmigo, don Enrique, porque en la cumbre os veis; porque ese infando poder gozáis, con que oprimís vilmente, en vez de proteger al desdichado, [...] (M, 173) Die soziale Sprengkraft, die in dem Stück liegt, wird im folgenden Dialog der beiden noch deutlicher, als Macías Don Enrique nicht mehr nur verbal droht, sondern sogar bereit wäre, eine Waffe gegen ihn zu richten, sofern er darüber verfügte: "[…] que si espada tuviera, presto el labio / / yo os hiciera sellar! ..." (M, 174) 62 Vgl. Ermitas Peñas Varela, Macías y Larra, S. 145 63 Vgl. Luis Lorenzo-Rivero und George P. Mansour, "Introducción", in: Dies. (Hg.), Mariano José de Larra, Macías, Madrid: Espasa Calpe 1990 (Colección Austral), S. 9-55, hier: S. 47. <?page no="182"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 182 Macías kritisiert den absoluten Herrschaftsanspruch des Adligen und fordert gleiches Recht ein: "Excusadme; entrando aquí / / Usé de mi propio fuero." (M, 140) Die Tatsache, dass der romantische Held in diesem Kontext das Wort fuero benutzt, das im Mittelalter die Vorrechte einer Gemeinschaft von Vasallen bezeichnete, sieht Kirkpatrick als Hinweis auf Macías' Eintreten für seine Rechte als Individuum. 64 Der Klassenkonflikt wird durch das leidenschaftliche Eintreten für das Recht auf die Realisierung des privaten Glücksanspruches - Macías Liebe zu Elvira - ausgelöst. Eine Liebe, die nicht nur einzigartig, sondern auch als authentisch bezeichnet wird ("que es veraz mi pasión / / Y nadie igual la ha sentido." M, 142) und die adlige Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttern sollte - schließlich ist der romantische Held als autonomes Subjekt in seinem Eintreten für seine Liebe bereit, mit den kirchlichen wie gesellschaftlichen Institutionen und Werten (Ehe und Ehrenkodex) zu brechen. Die Ehrenproblematik - schon zentrales Thema des Siglo de Oro, insbesondere der Dramen Calderón de la Barcas - wird in Larras romantischem Drama differenziert reflektiert. Wie wir bereits gesehen haben, wird die Frage der Ehre zunehmend von der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stand gelöst und in Zusammenhang mit den Taten des Individuums gebracht. Die durch Geburt oder Heirat erworbene Ehre sieht zwar Fernán noch als Wert an sich an. So betont er im Gespräch mit Elviras Vater: "Yo os prometo que a mi lado / / será honrada mi mujer." (M, 79), was Nuño begeistert aufgreift und seiner Tochter gegenüber schwärmt: "Aquí estáis viendo / / al noble hidalgo que os sube / / a tanto honor." (M, 89) Nicht ganz uneigennützig legt er seiner Tochter den Adligen ans Herz, schließlich verspricht er sich von dem Handel Ruhm, Ehre und Glück. 65 An dieser selbst inszenierten Abhängigkeit des Bürgertums vom Adel lässt sich eine weitere Sozialkritik des Stückes ablesen. Über die als autonomes Subjekt auftretende Figur des Macías, der als romantischer Held ebenso wie Rugiero in der Conjuración de Venecia die platonische Einheit des Guten, Wahren und Schönen verkörpert, manifestiert sich in Larras Drama eine Gesellschaftskritik, die Larras liberale Handschrift nicht leugnen kann. Bezeichnend ist, dass sich in diesem Drama zeigt, inwiefern die barocken Diskurse zum Ehrbegriff, die bereits im Kern die Grundproblematik der spanischen Gesellschaft im Siglo de Oro erfassten, weiterhin virulent sind. Der Kampf des Helden nach Erfüllung seines in der Tradition der Romantik stehenden persönlichen Glücksstrebens wird wie in der Conjuración von der Gesellschaft torpediert. Anders 64 Vgl. Susan Kirkpatrick, "Liberal Romanticism and the Female Protagonist in Macías", S. 52f. 65 "Serás de Fernán Pérez; a él mis dichas, / / mi gloria, mi favor, mi honra y mi suerte / / todo en fin, se lo debo; y Don Enrique / / me hospeda en su palacio, y dondequiera / / me distingue por él. […] No más rebozo ya; tú de ese hidalgo / / hoy la mujer serás." (M, 103f.) <?page no="183"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 183 als Rugiero tritt Macías bis zum Schluss für seine Ideale eine, wird jedoch Opfer der Intrigen der Gesellschaft - am Ende erwartet den wehrlos im Gefängnis sitzenden Helden der Tod durch die feige Hand des Rivalen. c) Don Álvaro o la fuerza del sino Mit Don Álvaro betritt im Anschluss an Macías eine erhabene Empörergestalt par excellence die spanische Bühne. Der romantische Held tritt von Beginn an als autonomes Subjekt auf: Don Álvaro, Abkömmling eines Spaniers und einer Inka-Prinzessin, ist nach Spanien gekommen mit dem Ziel, sich beim spanischen König für eine Freilassung seiner Eltern einzusetzen, die in Lima wegen des Verdachts einer Konspiration gegen die spanische Krone im Gefängnis sitzen. Don Álvaro tritt als selbstbestimmtes Subjekt auf, das seine Ziele autark formuliert und deren Einlösung zielstrebig verfolgt. Als karitativ wirkender und im Stierkampf erfahrener Mann beweist er die Tugendhaftigkeit eines Ehrenmannes. Dennoch steht er nicht mehr repräsentativ für eine spezifische Gesellschaftsschicht oder den Menschen im Allgemeinen, sondern weist Charakteristika eines romantischen, in sich zerrissenen Individuums auf, das am Zwiespalt zwischen seinen eigenen Idealen, der gesellschaftlichen Realität und dem Glauben an Gott zerbricht. 66 Don Álvaro befindet sich in dem Stück im ständigen Widerstreit mit den anderen Figuren (Marqués de Calatrava, Don Carlos, Don Alfonso), mit sich selbst und mit seinem vermeintlichen Schicksal bzw. mit Gott. Als romantischer Held vereinigt er innere und äußere Schönheit - Tugend und Kraft -, doch werden seine Züge im Vergleich zum Helden der klassischen Tragödien um einiges menschlicher: über die Attribute des Helden legt sich der Schatten der Melancholie, da sein Streben nach Glück am Widerstreit zwischen Liebe und Vernunft scheitert. Don Álvaro tritt nicht nur als sinnlicher Held auf, der bereit ist, für seine Liebe zu sterben, sondern zudem als geistreiches Individuum, insofern als er in vier Monologen über sein Dasein in der Welt reflektiert. In besonderem Maße offenbart sich dies im viel zitierten Monolog 67 der dritten Szene des dritten Aktes: Ähnlich wie Segismundo - La vida es sueño bildet den zentralen Intertext zu Don Álvaro o la fuerza del sino - reflektiert Don Álvaro über die Unwägbarkeiten des Lebens, das ihm als "carga tan insufrible" (DA, 105) erscheint. Er beklagt sein schreckliches Schicksal ("hombre desdichado", "sino terrible" (DA, 105) und ruft emphatisch aus: „¡terrible cosa es nacer! " (DA, 106) Hiermit wird intertextuell auf Segismundos Klage im Turm in der zweiten Szene des ersten Aktes verwiesen, in der er konstatiert, des Menschen größtes Vergehen sei, dass er geboren wurde: "pues el 66 Vgl. Joaquín Casalduero, "Don Álvaro o el destino como fuerza", in: Ders., Estudios sobre el teatro español, S. 237-272. 67 Don Álvaros Monolog weist einige intertextuelle Parallelen zu Don Juans Monolog am Ende des Don Juan Tenorio auf. <?page no="184"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 184 delito mayor / / del hombre es haber nacido." (La vida es sueño, 1, II, V. 111, S. 90) Wie Segismundo beklagt er sein Unglück: "y yo, que infelice soy" (DA, 106) vs. "Ay, mísero de mí, ay, infelice" 68 Ähnlich wie Segismundo, dem man, nachdem er jahrelang gefangen im Turm aufgewachsen war, zunächst nur einen Tag der Freiheit gönnte, beklagt Don Álvaro das Schicksal habe ihm, dessen Wiege das Gefängnis und dessen Schule die Einöde war, nur einen Tag des Glücks gestattet. (DA, 105 und 107) Es sind die Erinnerung an den Ort Sevilla und die damit verbundenen Ereignisse, die ihn zwar das Leben erneut als Last bezeichnen lässt, zugleich jedoch zu einem lyrischen Diskurs inspirieren. (DA, 107) Am Ende verleiht Don Álvaro seiner Todessehnsucht Ausdruck: Mírame desde tu altura sin nombre en extraña tierra, empeñado en una guerra por ganar mi sepultura. (VV 971-974, DA, 107) Que en ella reina la muerte, y a la muerte busco yo. (VV. 979-980, DA, 108) pues busco ansioso el morir por no osar el resistir de los astros el furor. (VV 988-990, DA, 108) Das Klagelied über das menschliche Dasein erhält in Don Álvaros Monolog die individuellen Züge des romantischen Subjektes, während Segismundo über das menschliche Dasein im Allgemeinen und die Frage nach der Freiheit reflektiert und noch zu einer ganz anderen Erkenntnis gelangt. Letzteren führt die Reflexion über das Dasein nicht wie Don Álvaro zu einer Absage an die Welt im Sinne einer resignativen Weltflucht oder Weltentsagung. 69 Don Álvaro hingegen hat den Glauben an eine göttliche Ordnung oder Providenz verloren und sieht sich - wie Sánchez und Cardwell feststellen - als Opfer der Ungerechtigkeit Gottes. 70 Segismundo gelangt zu der moralischen Erkenntnis, dass trotz der Scheinhaftigkeit der Welt der Mensch zum moralisch guten Handeln aufgerufen ist: 71 "Que estoy soñan- 68 Pedro Calderón de la Barca, La vida es sueño, hg. von Ciriaco Morón, Madrid: Cátedra 1994 (Letras Hispánicas, 57), S. 90, 1, II, Vers 102. 69 "Segismundo se plantea un problema -¿por qué tiene menos libertad? -; su 'yo' es el hombre en general y se compara con 'los demás' - aves, brutos, pez, arroyo - para dilucidar el enigma de la libertad humana dentro del universo todo. Su discurrir tiene una forma arquitectónico-musical, la décima calderoniana desarrolla una melodía mental, que arranca del primer verso, de la primera palabra: 'Apurar, cielos, pretendo'." Joaquín Casalduero, "Don Álvaro o el destino como fuerza", S. 263. 70 Vgl. Roberto G. Sánchez und Richard Cardwell, "Don Álvaro: escenografía y visión del mundo", in: Iris Zavala (Hg.), Historia y crítica de la literatura española, V, Barcelona: Ed. Crítica 1983, S. 214-226, hier: 223. 71 Bernhard Teuber, "Pedro Calderón de la Barca. La vida es sueño - comedia", in: Volker Roloff, Harald Wentzlaff Eggebert (Hg.), Das spanische Theater. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Düsseldorf: Schwann Bagel 1988, S. 146-162, hier: S. 158. Vgl. eine konzise <?page no="185"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 185 do, y que quiero / / obrar bien, pues no se pierde / / obrar bien, aun entre sueños." 72 Während Segismundos Reflexionen über das Dasein philosophischer Natur sind, erscheint der Monolog Don Álvaros als Klagelied des Herzens, das die innere Gefühlswelt des Helden nach Außen kehrt. Casalduero hat den entscheidenden Wandel vom barocken zum romantischen Theater mit den Worten auf den Punkt gebracht: "La generalidad barroca se convierte en la individualidad romántica." 73 Don Álvaro trifft in seinem Monolog in Szene IV des dritten Aktes nach dem Duell mit Leonors Bruder Carlos die typische Entscheidung des romantischen Subjektes der Welt zu entfliehen, falls er nicht in der folgenden Schlacht sein Leben lassen sollte: volaré a la muerte y si es vivir mi suerte, y no la logro en tanto desconcierto, yo os hago, eterno Dios, voto profundo de renunciar al mundo y de acabar mi vida en un desierto. (DA, 145) Während seine Entscheidung fast rational anmutet, zeigt Don Carlos in seinem Monolog in Szene VIII des dritten Aktes, wie seine Gefühle sich rationalen Argumenten zunehmend verschließen und ihn außer sich geraten lassen. Der Monolog drückt seinen Zwiespalt aus, in dem er sich befindet, zwischen seiner Verpflichtung - er hatte Don Fadrique alias Don Álvaro sein Ehrenwort gegeben, die geheimnisvolle Schachtel nicht zu öffnen - und seiner Befürchtung, die "caja fatal de pandora" (DA, 122) könnte einen Beweis seiner verlorenen Familienehre enthalten: "si en su centro voy hallar / / los pedazos de mi honor." (DA, 120) Im oberflächlichen Abwägen, ob sein dem Freund gegebenes Ehrenwort mehr wiegt als sein Bedürfnis nach Rache und Wiederherstellung der Familienehre, steigert sich Don Carlos in einen emotionalen Rausch, der - wie Casalduero betont - nichts mehr mit der Ehre des barocken Caballero zu tun hat, sondern sich in ein Delirium mündet: "[…] se llega a un estado monstruoso: la venganza produciendo la suprema felicidad." 74 So zeigt sich Don Carlos mehr als erfreut darüber, dass Don Álvaro den chirurgischen Eingriff überlebt hat: Feliz me hacéis; por ver bueno al capitán tengo, amigo, más afán del que imaginar podéis. (DA, 123) Darstellung der verschiedenen Deutungsansätze zu La vida es sueño in der Monographie von Christoph Strosetzki, Calderón, Stuttgart: Metzler 2001, S. 25-40. 72 Pedro Calderón de la Barca, La vida es sueño, III, 2402ff. 73 Joaquín Casalduero, "Don Álvaro o el destino como fuerza" S. 263. 74 Vgl. Joaquín Casalduero, "Don Álvaro o el destino como fuerza", S. 267. Casalduero weist unter Verweis auf das Versmaß darauf hin, dass auch die typisch barocke symmetrische Form hier aufgegeben wird, um über die unregelmäßigen Strophen um so deutlicher die leidenschaftliche Rache des Don Carlos zu evozieren. (S. 265) <?page no="186"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 186 Die überzogene Darstellung des von dem Gedanken auf Wiederherstellung der Ehre ergriffenen Don Carlos führt den Zuschauern nochmals mehr als deutlich den Wandel der zeitgenössischen Wertvorstellungen vor Augen, schließlich erachtet die zum Racheengel stilisierte Figur das dem Freund gegebene Ehrenwort geringer als den rigiden barocken Ehrenkodex. Don Álvaro aber bestätigt in der Schluss-Szene mit seiner Geste des romantischen Empörers die von Jochen Schmitt für die deutsche Romantik vertretene These: "Die Absage an den transzendenten Gott ist ebenso wie die Absage an die bisher übergeordneten gesellschaftlichen Autoritäten ein Akt der Selbstbefreiung und ein Ausdruck des Selbstbewusstseins, das folgerichtig nach Selbstbestimmung strebt." 75 Mit der Figur des Don Álvaro vollzieht sich folglich ein Wandel in der Konzeption des romantischen Helden als autonom handelndes Subjekt. Zwar steht er in der Tradition des Archetyps der erhabenen Empörergestalt für den Ödipus das tragende Beispiel ist, 76 jedoch steht dem in der Schluss-Szene sich deutlich manifestierender Diskurs der Absage an das Schicksal als höherer Macht ein anderer Diskurs entgegen, der sich zugleich subversiv in das Drama einschreibt und die Gesellschaft als wahren Antagonisten des romantischen Subjektes entlarvt. Einige Indizien evozieren einen arbiträren Schicksals-Diskurs, in dem der Zufall regiert: der sich zufällig lösende tödliche Schuss auf den Marqués de Calatrava aus Don Álvaros Waffe, das zufällige Aufeinandertreffen des den Tod auf den Schlachtfeldern des Krieges suchenden Helden mit dem auf Rache sinnenden Sohn des Marqués und die zufällige Begegnung des Helden mit der zufällig in der in den Bergen nahe des Klosters gelegenen Doña Leonor im Anschluss an das Duell mit dem zweiten, ebenfalls auf Rache sinnenden Sohn des Marqués, bei der die Geliebte vom eigenen Bruder in Ausübung der familiären Blutrache getötet wird. Dennoch bleibt in Anbetracht dieser Häufung an Zufälligkeiten, die durch den Diskurs des Protagonisten noch betont wird, dem reflektierenden Zuschauer nicht verborgen, wer tatsächlich die Fäden des angeblichen Schicksals in den Händen hält: die Gesellschaft, die für einen antiquierten Ehrenkodex eintritt, dessen kalte Mechanik das romantische Glücksstreben des Subjektes erfolgreich torpediert. d) El trovador Im Trovador strebt der romantische Held Manrique in Unkenntnis seiner wahren Abstammung als autonomes Subjekt danach, in seinem Leben individuellen Ruhm und Ehre zu erlangen. Offensichtlich ist dieses Thema aber im Theater der spanischen Romantik zum Zeitpunkt des Entstehens des Trovador bereits erschöpfend erörtert worden. Manriques Streben nach Subjektivität steht nicht mehr im Zentrum des Stückes. In einer Szene wird 75 Jochen Schmidt, Die Geschichte des Genie-Gedankens, S. 6. 76 Vgl. Wolfram Krömer, "Der aristokratische Paria als typischer Held romantischer Literatur", S. 25. <?page no="187"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 187 diese bereits zum romantischen Topos verfestigte Thematik aber dennoch angesprochen. Als der Troubadour seine Mutter Azucena erneut verlässt, erklärt er ihr den Grund dafür mit den Worten: "Mi objeto era el de haceros feliz… las montañas de Vizcaya no podían suministrar a mi ambición recursos para elevarme a la altura de mis ilusiones." (Tr, 146) Sein vorrangiges Ziel bestehe darin, sein Ideal des gesellschaftlichen Aufstiegs zu realisieren. Ähnlich wie Rugiero in der Conjuración de Venecia plagt ihn die ungeklärte Frage seiner Identität: "Mil veces dentro de mi corazón, os lo confieso, he deseado que no fueseis mi madre, no porque no os quiera con toda mi alma, sino porque ambiciono un nombre, un nombre que me falta." (Tr, 148) Dieses Streben nach äußerer Ehre - verkörpert in einem ruhmvollen Namen - sieht Manrique daneben als Voraussetzung für die ersehnte Erfüllung seiner Liebe zur adligen Leonor. Den Wunsch nach Erfüllung des privaten Glücks teilt der Troubadour mit seinem Rivalen Don Nuño, Conde de Luna, der seine Liebe zu Leonor als "colmo de la felicidad suprema" (Tr, 116) bezeichnet. Der Troubadour Manrique entspricht folglich der von Wolfram Krömer aufgestellten Definition des aristokratischen Paria: er ist adlig, ohne es zu wissen, erfährt durch die Gesellschaft Unrecht, seine Liebe zu einer engelhaften Frau setzt ihn in Konflikt zu einer höher gestellten Persönlichkeit, die zu seinem Antagonisten wird und die Entdeckung seiner Identität endet in einer Katastrophe. 77 Im Fall des Troubadours wird die Tragik der Situation noch dadurch gesteigert, dass die wahre Identität des Helden erst im Moment des Vollzuges der Todesstrafe durch den Henker enthüllt wird. Wie Rugiero sieht Manrique dem bevorstehenden Tod, der für ihn die transzendente Vereinigung mit der zuvor bereits verstorbenen Geliebten bedeutet, gefasst entgegen. Das irdische Streben nach Selbstverwirklichung verlagert sich ins Transzendente. e) Los Amantes de Teruel In Hartzenbuschs Los Amantes de Teruel durchleben die Figuren den typisch romantischen Zwiespalt des Subjektes zwischen individuellem Begehren auf der einen und gesellschaftlicher Verpflichtung auf der anderen Seite. Marsilla verkörpert den romantischen Helden, der durch sein leidenschaftliches Begehren in den Konflikt mit der äußeren Welt tritt. 78 Für seine Liebe zu Isabel akzeptiert er den plazo auf sich, zieht in die Welt hinaus, um sein Glück zu machen und sich seiner Herzensdame als würdig zu erweisen. Vielfältige Hindernisse stellen sich dem Glücksstreben des romantischen Subjektes entgegen: Paritätsunterschied, maurische Gefangenschaft, Verrat - dies sind die zeitlichen bzw. räumlichen Faktoren der Hinderungsmomente. 77 Vgl. zur Figur des aristokratischen Paria: Wolfram Krömer, "Der aristokratische Paria als typischer Held romantischer Literatur", S. 28. 78 Vgl. Kay Engler, "Amor, muerte y destino", S. 3. <?page no="188"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 188 Der romantische Held tritt von Beginn an als autonomes Subjekt auf, das für die ihm gestellten Hindernisse eine Lösung sucht bzw. gegen diese offen opponiert. Marsilla muss als Subjekt nicht erst über seine Handlungsmöglichkeit reflektieren, er ist der promethische Mann der Tat. Intrigen durch verschiedene Vertreter der Gesellschaft (Zulima, Don Rodrigo) verhindern jedoch die Realisierung seines Glücksstrebens. In seinem reflektierenden Monolog (3, VI), in dem er der "angustia", die ihn in Anbetracht der bevorstehenden Begegnung mit Isabel ergreift, Ausdruck verleiht, ruft Marsilla - wie später Don Juan Tenorio - den "Dios de clemencia" (LAT, 158) um Hilfe an. In einem weiteren reflektierenden Monolog zeigt sich, dass der romantische Held seine Existenz allein an die Liebe zu Isabel knüpft. Metaphorisch unterstreicht er dies in der Gleichsetzung der Liebe mit dem lebensnotwendigen Atem. Die erfahrene Zurückweisung durch die Geliebte lässt ihn metaphorisch gesprochen ersticken: ¡Era amor suyo el aire que mi pecho respiraba! Me le negó, me le quitó: me ahogo, no sé vivir." (LAT, 164) In Anbetracht der Zerstörung des privaten Glücksstrebens des Subjektes verliert der Held seine Lebenskraft und stirbt den romantischen Liebestod. Sein Empörertum beschränkte sich darauf, den Konventionen der Gesellschaft zum Trotz, die Geliebte in Kenntnis ihres Standes als Ehefrau des Rivalen dennoch zu Hause aufzusuchen, um eine Erklärung für den Wandel in ihrer Liebe zu verlangen. f) Don Juan Tenorio Während in den vorhergehenden Stücken die romantischen Helden allein in Anbetracht ihrer nicht adäquaten sozialen Stellung aus der Gesellschaft ausgegrenzt wurden, betritt mit Don Juan Tenorio der erste typisch romantische outlaw die spanischen Bühnen, der den gesellschaftlichen Konventionen zum Trotz nur seinem individuellen Impuls folgend handelt. Don Juan ist ein allein auf seine Freiheit pochendes Subjekt, das sich zum Individuum wandelt, insofern als er nicht nur ein selbst bestimmtes, von der Gesellschaft freies Leben verfolgt, sondern sich diese Haltung zu einer Form der Selbstentfaltung hin steigert, die auf gesellschaftliche Hierarchien oder Konventionen keine Rücksicht nimmt. Bereits im ersten Akt betont Don Juan seine Individualität in der selbstbewussten Beschreibung seiner Person, die auch vor sozialen Hierarchien nicht Halt machte: Aquí está don Juan Tenorio, y no hay hombre para él. Desde la princesa altiva a la que pesca en ruin barca, no hay hembra a quien no suscriba; <?page no="189"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 189 y a cualquier empresa abarca, si en oro o valor estriba. (DJ, 100) Don Juan rühmt sich damit, dass er allen gesellschaftlichen Wertvorstellungen eine Absage erteilte und aller Orten die Vernunft, die Tugend und gesellschaftlichen Institutionen wie Kirche und Justiz düpiert habe. Als Empörer gegen Gott und die Gesellschaft ist er der aus Mozarts/ Da Pontes Oper Don Giovanni bekannte Libertin: "Por donde quiera que fui, la razón atropellé, la virtud escarnecí, a la justicia burlé, y a las mujeres vendí. Yo a las cabañas bajé, yo a los palacios subí, yo los claustros escalé, y en todas partes dejé memoria amarga de mi. (DJ, 101) Während Don Juans Beschreibung seiner Missetaten jedoch noch trotz allem erhaben wirken - er in Höhlen, Palästen und Klöstern gleichermaßen seine Handschrift hinterließ - und somit als romantischer Empörer gegen Gott und die Welt auftritt, wirkt Don Luis' Liste seiner Taten wesentlich profaner. Seine Geschichte gereicht ihm nicht dazu, das Abbild des erhabenen outlaw zu sein, sondern wirkt vielmehr wie eine Gaunergeschichte auf pikareskem Niveau. Nicht als autonomes Subjekt zeichnet er sich aus - schließlich schloss er sich einer Gaunerbande an, die den Schatz des bischöflichen Palastes in Gent raubte. Anschließend stahl er den Banditen das Diebesgut, woraufhin er sich durch den Kauf einen Ablassbriefes von seiner Schuld freikaufte. 79 Danach tötete er auf dem Weg einen Mönch und verführte in Paris zahlreiche Frauen. Drei Mal hat er sein Vermögen verloren, so dass er nun beschließt, sein Auskommen in der Heirat mit einer reichen Frau zu suchen. 80 Zwar betonen beide Figuren zunächst ihren Subjekt-Charakter und definieren ihre Selbstverwirklichung über die Zahl ihrer Eroberungen. Luis Mejía bemerkt: "no habría nadie que hiciera / / lo que hiciera Luis Mejía.", was Don Juan mit den Worten beantwortet: "Nadie ha de hacer / / lo que hará don Juan Tenorio." (DJ, 98) Ein Vergleich der Listen bringt hingegen schnell das Ergebnis ans Licht: 23 vs 32 Tote und 56 vs. 72 verführte Frauen (DJ, 105). Zudem ist Don Juans Liste „höherwertig“, da er mit seinen Schandtaten die gesamte gesellschaftliche Skala bedachte: 79 "Yo me acordé del refrán / / de que quien roba al ladrón / / ha cien años de perdón, / / y me arrojé a tal demán / / mirando a mi salvación." (DJ, 102-103) 80 "me convida / / mi boda comprometida / / con doña Ana de Pantoja. / / Mujer muy rica me dan, / / y mañana hay que cumplir / / los tratos que hechos están; " (DJ, 104) <?page no="190"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 190 Desde una princesa real a la hija de un pescador, ¡oh! , ha recorrido mi amor toda la escala social. (DJ, 105f.) Trotz seines Auftretens als romantischer outlaw ist Don Juan am Ende des ersten Teils (4, IX) bereit, sich als Zeichen seiner aufrichtigen Liebe zu Doña Inés deren Vater zu unterwerfen und den Status eines autonomen Subjektes aufzugeben. Don Juan betont, ihre Liebe habe sein Wesen verwandelt: "Su amor me cambia en otro hombre, / / regenerando mi ser, / / y ella puede hacer un ángel / / de quien un demonio fue." (DJ, 175) In einem metaphorischen Akt der Inversion wird aus dem gefallenen Engel Lucifer ein geläuterter Engel. Nach der Weigerung der verzeihenden Geste tötet Don Juan Don Gonzalo ebenso wie Don Luís im Duell, um danach fünf weitere Jahre - die im Bühnengeschehen jedoch eine Leerstelle bleiben - in gewohnter Manier als burlador zu verbringen. Im zweiten Teil des romantischen Dramas zeigt sich dann der romantische Held Don Juan als gespaltenes Subjekt. Zunächst tritt er weiterhin als das bekannte Empörer-Subjekt auf, das selbst Gott und das Jenseits nicht fürchtet und seine Reue im Sinne des Tan largo me lo fiáis des Burlador de Sevilla stets auf einen späteren Zeitpunkt verlegt. Auch das Motiv des Steinernen Gastes wird hier wieder aufgegriffen. Die fantastischen Traumwelten, denen er im Pantheon begegnet, erschüttern sein nach Individualität strebendes Subjekt aber im Innersten. Provoziert von seinen Freunden lädt er die Statue des Don Gonzalo de Ulloa zwar den Motivstrukturen des Mythos entsprechend zum Gastmahl (DJ, 202), aber dennoch verunsichern die fantastischen Erscheinungen ihn derart, dass er in letzter Sekunde die Chance zur Rettung seiner Seele nutzt. (DJ, 224) Sein Streben nach exzessiver Selbstentfaltung mündet am Ende durch die Sakralisierung der Liebe der beiden romantischen Helden in der der ästhetisierten Sphäre der Entsubjektivierung. 81 g) Traidor, inconfeso y mártir In Zorrillas Traidor, inconfeso y mártir verlagert sich das für den romantischen Helden typische Glücksstreben auf eine andere Ebene. In seiner Überlegenheit erinnert Gabriel - wie H.R. Weiner konstatiert - an die romantischen Helden Don Álvaro oder den Troubadour Manrique, verfügt über eine starke Persönlichkeit und neigt zu psychologischem Scharfsinn insbesondere in der Begegnung mit seinem Richter Don Rodrigo. 82 Nur vordergründig handelt das Stück von dem Gerichtsverfahren gegen den pastelero aus Madrigal, der sich angeblich als portugiesischer König Don Sebastián ausgegeben habe. Tatsächlich nutzt Gabriel Espinosa dies jedoch 81 Vgl. hierzu die Kapitel 4.3, 4.2 und 4.3 der vorliegenden Studie. 82 Vgl. Hadassah Ruth Weiner, "A note on Zorrilla's Traidor, inconfeso y mártir", in: Romance Notes, Bd. XVIII, Nr. 3, Frühjahr 1978, S. 343-348. <?page no="191"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 191 als Vorwand, um dem Richter selbst den Prozess zu machen und auf diese Weise die Vergewaltigung einer hochstehenden portugiesischen Adligen, deren Tochter Aurora ist, zu vergelten. Indem er sich so zum Autor der eigentlichen Handlung des Stückes macht, der den einzelnen Figuren konkrete Handlungsanweisungen zukommen lässt, kommt es zu einer mise en abyme, in der sich das romantische Drama Traidor, inconfeso y mártir in dem von Gabriel Espinosa inszenierten Stück spiegelt. Als "Autor" hatte er auch seinen eigenen Tod bereits in das Geschehen eingeplant. Von Beginn des Stückes an, ist sein Blick auf seine eigene Hinrichtung gerichtet, die in Anbetracht der weltlichen Interessen der Kirche und der spanischen Monarchie ausweglos erscheint. Blickt man auf die Zusammenschau der Helden in den hier behandelten romantischen Dramen, so zeigt sich, dass ihr individuelles Glücksstreben, das diese als autonome Subjekte auszeichnet, stets von der Gesellschaft torpediert wird. Einzig Don Juan vermag die Inkarnation des romantischen Rebellen darzustellen. Das Aufbegehren der anderen beschränkt sich hingegen im Falle Rugieros auf seine heimliche Eheschließung mit der adligen Laura, bei Macías auf sein Auflehnen gegen die feudalistischen Gesellschaftsstrukturen. Manrique verstößt im Grunde genommen nur gegen gesellschaftliche und religiöse Gesetze, indem er seine Geliebte, die bereits den Schleier genommen hat, aus dem Kloster entführt, und Marsillas Rebellion beschränkt sich auf die Nichtanerkennung der Institution der Ehe, wenn er seine verheiratete Geliebte dennoch zu Hause aufsucht. Es sind insgesamt doch keine Handlungen, die als rebellische Akte zu deuten wären. Don Álvaro, der sich selbst am Ende des Dramas zwar im Sinne der romantischen Empörergestalt gegen die irdische Welt und die göttliche Transzendenz ästhetisch inszeniert, hatte sich zu Beginn des Dramas dem Marqués bereits unterwerfen wollen und entschied sich letztlich dafür, sein Leben in der Abgeschiedenheit eines Klosters zu fristen. Auch Don Juans rebellisches Streben wird - zwar nicht im Sinne des christlichen Glaubens - aufgefangen, so aber doch ästhetisch sublimiert. 83 Gabriel Espinosa schließlich ist ein romantischer Empörer, der seiner Kritik an Gott und der Welt auf eher subtile Art und Weise Ausdruck verleiht - resignativ akzeptiert er in Anbetracht der irdischen Gegebenheiten seinen zuvor durch den Akt der Rache zugleich gesühnten Tod. 4.2.3 Die romantische Heldin: vom Objekt zum Subjekt Die Protagonistinnen der romantischen Dramen werden von Seiten der Forschungsliteratur generell nicht als Heldinnen gesehen. Vielmehr wird ihr Objektcharakter in den Stücken betont. 84 Der soziohistorischen Referenzebene der zeitgenössischen Gesellschaft entsprechend erscheinen die 83 Vgl. hierzu das folgende Kapitel. 84 Vgl. u.a. Susan Kirkpatrick, "Problemas de subjetividad femenina", S. 58-63. <?page no="192"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 192 weiblichen Figuren auf den ersten Blick als Repräsentantinnen des patriarchalischen Diskurses, der den Frauen eine untergeordnete Position in der Gesellschaft zuwies und ihren Status als autonome Subjekte weitgehend negierte. 85 Diese These soll im Folgenden am Beispiel des ausgewählten Textkorpus’ beleuchtet werden. Verhalten sich die weiblichen Figuren de facto genderkonform oder eröffnet ihnen die Literatur einen Raum zum spielerischen Aushandeln von Handlungsmöglichkeiten? a) La conjuración de Venecia In der Conjuración de Venecia wird Laura vom romantischen Helden Rugiero bereits anlässlich ihrer ersten Bühnenpräsenz im zweiten Akt des Dramas als Objekt seiner Liebe zum "ángel consolador" stilisiert. Während Rugiero aktiv die Geschicke der Verschwörung leitet, wird Laura in Erwartung des verspätet zum nächtlichen Stelldichein eintreffenden Geliebten von der Angst um den Verlust Rugieros gepeinigt. Dort unterstreicht sie selbst ihren eigenen Objektcharakter, wenn sie emphatisch ausruft: "Yo nací para tí, Rugiero, para consolarte en tus penas, para hacerte olvidar tu orfandad y llenar el vacío de tu corazón! " (CV, 213) Hiermit stellt sie sich selbst in Analogie zur Trost spendenden Jungfrau Maria, deren Zuspruch Laura in ihrer Angst beständig selbst sucht. Die passionierte Liebe der beiden prägt eine für die Romantik typische Seelenverwandtschaft: Die Absolutheit ihrer wechselseitigen Liebe lässt sie den erfüllten Augenblick in seiner Zeitlosigkeit genießen, während die ihre Liebe bedrohende Gefahr aufgehoben scheint in der Erkenntnis ihrer über den Tod hinaus währenden Liebe, die auf die romantische Synthese von Liebe und Tod verweist. 86 Der Schritt zur heimlichen Hochzeit mit Rugiero in einem nahe gelegenen Kloster erweist sich dabei weniger als Akt eines autarken Subjektes - gar als Rebellion gegen die patriarchalische Autorität -, denn vielmehr als Ausführung des göttlichen Willens. So hatte sich Laura während einer Krankheit im Handel mit Gott Rugiero als Gemahlin versprochen, wenn sie denn wieder genesen sollte. (CV, 232) Folglich stellt ihre heimliche Eheschließung mit einem Mann unbekannter Herkunft kein Auflehnen gegen den gesellschaftlichen Ehrenkodex oder den väterlichen Willen dar - schließlich befand sich der Vater zu diesem Zeitpunkt zudem fern Venedigs in einer Schlacht -, sondern erscheint vielmehr als Erfüllung des göttlichen Willens. Dennoch werden Laura gerade durch die Verknüpfung ihres eigenen Schicksals mit demjenigen Rugieros erste Züge von Subjektivität zu teil. 85 Den Topos des "ángel del hogar", der das Frauenbild in Spanien im 19. Jahrhundert prägte, erläutert Bridget Aldaraca in ihrem Aufsatz "El ángel del hogar: the cult of domesticity in nineteenth-century spain", in: Gabriela Mora, Karen S. Van Hooft (Hg.), Theory and practice of feminist literary criticism, Ypsilanti: Michigan University Bilingual Press 1982, S. 62-87. 86 Vgl. das Kapitel 3.4.4 der vorliegenden Studie. <?page no="193"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 193 Aus der göttlichen Bestimmung: "es mi esposo a los ojos de Dios y yo debo salvarle a costa de mi vida…" (CV, 226) leitet Laura ihr folgendes Handeln ab, das erstmals Anzeichen eines nach Selbstentfaltung strebenden Individuums zeigt. Während sie im Pantheon beim Treffen mit Rugiero noch der passive Part war, verängstigt die Nähe des Geliebten suchte, tritt sie nun zunächst gegenüber ihrem Vater, dann aber auch gegenüber der Gesellschaft, die durch das Gericht repräsentiert wird, für ihre Liebe ein. Während der Vater unter Verweis auf den göttlichen Willen sofort bereit ist, seiner Tochter zu helfen, grenzt das Gericht Lauras Worte als wahnsinnig aus. Als sie ihre eigene Identität über ihre Eigenschaft als Ehefrau Rugieros definiert, den sie um jeden Preis noch einmal sehen möchte, bricht der vorsitzende Richter, ihr Onkel Morosini, das Verhör mit den Worten ab: "El juicio de esa infeliz parece perturbado; y juzgo inútil atormentarla más." (CV, 283) Der Diskurs des weiblichen Subjektes wird folglich als wahnsinnig ausgegrenzt. Obwohl Laura in ihrem Bemühen um die Rettung Rugieros zunehmend selbstbewusster wird und zum Subjekt aufsteigt, kommt es in der Liebesbeziehung der beiden Helden nicht zu einer wahren Begegnung mit dem Anderen. Denn während Lauras Denken und Handeln bis zum Ende des Dramas nur um Rugiero kreist, verliert letzterer zunehmend seinen Status als Subjekt und ist von der Anagnorisis-Szene an allein von dem Wunsch nach einer letzten Begegnung mit dem Vater beseelt. (CV, 292) b) Macías In Larras romantischem Drama Macías führt der Wunsch nach Realisierung des eigenen Glücksanspruches im Gespräch mit dem Vater zur leidenschaftlichen Parteinahme Elviras für ihren Geliebten Macías. Selbstbewusst bekennt sie: Padre mío, si eso no es ser cumplido caballero, si eso es ser villano yo villano a los más nobles le prefiero. (M, 103) Damit äußert Elvira eine für die Entstehungszeit des Stückes progressive Ansicht, die von der liberalen Handschrift des Autors Mariano José de Larra zeugt. Die Auflösungserscheinungen des Ehrbegriffs lassen sich in differenzierter Weise an der Person Elviras aufzeigen. Zwar hat - wie Susan Kirkpatrick bereits konstatierte - Elviras Begehren auf Einlösung ihres individuellen Glücksanspruches nicht die gleiche Dimension wie bei Macías, was im Wesentlichen mit der gesellschaftlichen Rolle der Frau zusammenhängt. 87 Dennoch durchlebt Elvira aber im Verlauf des Stückes eine Wandlung hin zu einem selbst bestimmten Subjekt und tritt so als differenziertere Persönlichkeit auf. Zu Beginn des Stückes definiert sie sich 87 Vgl. Susan Kirkpatrick, "Liberal Romanticism", S. 54. <?page no="194"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 194 noch im Gespräch mit dem Vater unterwürfig als das schwache Geschlecht. (M, 97) gerät dann aber zunehmend in den Konflikt zwischen Ehre und Liebe, zwischen Gehorsam gegenüber der väterlichen Entscheidung und der Treue gegenüber dem Geliebten. So ist sie sich als verheiratete Frau ihrer Pflicht, ihre Ehre zu schützen, durchaus bewusst und betont gegenüber Macías - selbst als sie schon die Täuschung durch Fernán entlarvt hat - die Bedeutung der Ehre: "¿está la dicha / / donde el honor no está? " (M, 164) Auch gegenüber Fernán hebt sie hervor, dass sie sich als Garant seiner Ehre keine Verfehlungen erlauben werde, womit sie an dieser Stelle ihren eigenen Objektcharakter in der Beziehung zum Ehemann unterstreicht: Sé mis deberes muy bien, y aunque noble no nací, segura tenéis en mi vuestra honra. (M, 181) Elvira erkennt folglich in der Ehre ein bewahrenswertes Gut, einen Wert in sich. Zudem wird über ihre Definition des Ehrbegriffs der Objektcharakter der Frau in der Gesellschaft unterstrichen. Nicht nur dass ihr Vater im Gespräch mit Elvira deutlich macht: "En mi casa / / nadie manda más que yo." (M, 95), sondern auch dadurch, dass Elvira ihre Eheschließung mit Fernán mit den Worten umschreibt: "Juré ser de otro dueño" (M, 164) Beides belegt, dass die Frau in der damaligen Gesellschaft weit davon entfernt war, ein selbst bestimmtes Dasein zu führen. Erst als es Macías gelingt, Elvira das Bekenntnis ihrer wahren Liebe zu entlocken, wandelt sie sich zur romantischen Heldin, die eben nicht mehr - wie zunächst vertreten - bereit ist, auf ihr Glück zu verzichten: "si no dichosa, / / honrada moriré; " (M, 164). Stattdessen bekennt sie aber Fernán gegenüber ihre Liebe zu Macías und in Anbetracht dessen, dass sie wegen ihrer Liebe zu Macías unmöglich als Ehefrau an der Seite Fernáns leben könne, fällt sie selbst bestimmt die Entscheidung zur Wahrung ihrer Ehre und derjenigen ihres Mannes ins Kloster zu gehen. (M, 182) Einen weiteren Schritt hin zu einem autonom handelnden Individuum vollzieht Elvira, als ihr Ehemann sich wenig konziliant verhält und deutlicht macht, er wolle Macías nun auf für einen Adligen recht unehrenhafte Weise beseitigen lassen, indem er sich dem Duell entzieht und gedungene Mörder auf den Rivalen ansetzt. (M, 188) In ihrem dramatischen Monolog in Szene XI des dritten Aktes vollzieht Elvira ihre Wandlung zum Subjekt dann vollends: ¡Monstruo! ¿Y piensas que mi vida ti he de pasar unida? Nunca! ¡Jamás! ¡Imposible! Bárbaro! [...] En balde te halaga mi esperada posesión, que la desesperación sabrá prestarme una daga! (M, 189) <?page no="195"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 195 Ähnlich wie Macías entlarvt sie, die zunächst gutgläubig dem adligen Ehrkonzept vertraute, die Scheinhaftigkeit der adligen Wertvorstellungen, was ihr zur moralischen Rechtfertigung ihres künftigen Handelns gereicht. Auch Macías ging fehl in der Annahme, Fernán werde sich als Ehrenmann dem Duell stellen. (M, 138) Stattdessen suchte jener von Beginn an nach Möglichkeiten, sich dem von Macías geforderten Duell feige zu entziehen. (M, 178) In den letzten beiden Szenen des vierten Aktes, wandelt sich Elvira schließlich zur "mujer heroica" (M, 206), die den Freitod einer ehrenvollen, aber unglücklichen Ehe vorzieht und ihrem Gatten gegenüber in einem Akt rebellischer Emanzipation entgegnet: "No; nunca seré tuya; te aborrezco." (M, 214) und so den Schritt vom passiven Objekt zum handelnden Subjekt vollzieht. Fernán hingegen bleibt seiner auf dem tradierten Ehrbegriff basierenden Selbstdefinition treu und kommentiert das tragische Ende gemäß den Calderónschen Ehrendramen mit den Worten: "Ya se lavó en su sangre mi deshonra." (M, 217), welche auch den Endpunkt des Dramas bilden und zeigen, wie Fernán zum Opfer seiner eigenen sozialen Wertvorstellungen wird. 88 c) Don Álvaro o la fuerza del sino Analog hierzu ist auch die Entwicklung der Doña Leonor im Don Álvaro o la fuerza del sino zu sehen. Ist sie zunächst im ersten Akt noch das Symbol weiblicher Unentschlossenheit, so beweist sie schon im zweiten Akt erste Züge von Autonomie, die in Ansätzen das Streben des Subjekts nach Selbstentfaltung anklingen lassen. 89 Im Gespräch mit dem Vater in Szene V des zweiten Aktes hat sie ihm, der sie als Objekt, über dessen Leben er frei verfügen kann, wenig entgegen zu setzen. Der Marqués ignoriert nicht nur die Gefühle, sondern erliegt einer völligen Fehleinschätzung, wenn er feststellt: Veo la tranquilidad que con la campestre vida va renaciendo en tu pecho, y, me satisfecho; (DA, 61) An seiner Tochter schätzt er in erster Linie ihren Gehorsam. Als er das Liebespaar schließlich in flagranti bei der geplanten Flucht ertappt, entgegnet der Marqués seiner Tochter wütend: "No soy tu padre…" (DA, 73) und entzieht der Tochter mit diesen Worten den väterlichen Schutz. Leonors Wandlung hin zum Subjekt wird über die intertextuelle Anspielung auf La vida es sueño angedeutet. Auch Leonor greift die Worte Segismundos "¡Infeliz de mí! " (DA, 62) auf, die eine Initialzündung zur weiteren Schilderung ihrer inneren Gefühlslage bilden. Zwischen der Ver- 88 Vgl. hierzu Luis Lorenzo-Rivero und George P. Manour, "Introducción", in: Mariano José Larra, Macías, S. 45. 89 Vgl. Joaquín Casalduero, "Don Álvaro o el destino como fuerza", S. 254. <?page no="196"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 196 pflichtung ihrer Rolle als Tochter, den väterlichen Anordnungen zu folgen, und dem Begehren ihrer leidenschaftlichen Liebe zu Don Álvaro Ausdruck zu verleihen, ist Leonor hin- und hergerissen: "¡ay, el alma se me parte! ..." (DA, 62) Noch zeichnet sie die vermeintlich typisch weibliche Schwäche aus: "Fuerza / / me falta hasta para alzarme / / de esta silla." (63) und sie hegt Zweifel an der geplanten Flucht mit dem Geliebten: "No tengo bastante / / resolución." (DA, 66) Wenig später lässt sie sich jedoch vom oberflächlichen Geschwätz der Curra - in der sie typisch für die Romantik gar eine Freundin (DA, 63) sieht - und von Don Álvaros leidenschaftlichen Worten eines anderen belehren. In dieser siebten Szene des zweiten Aktes wird Leonor wieder in die Objektrolle gedrängt, gar zum Spielball der egoistischen Interessen Don Álvaros und der Curra - die Antonio, den Diener des romantischen Helden, heiraten will. So leidenschaftlich die Liebe der Protagonisten auch geschildert wird, so sehr ihre melancholische Seelenverwandtschaft betont wird - Leonor ist Waise, Don Álvaro wuchs ohne Eltern, die in Lima im Gefängnis weilten, auf - so wenig kommt es zu einer tatsächlichen Kommunikation, zu einem Austausch zwischen Ich und Du. Don Álvaro sieht in Leonor nicht das eigenständige Subjekt, sondern macht ihre Funktion als Trostspenderin mit den Worten "Ángel consolador del alma mía! " (DA, 67) zu Beginn der siebten Szene des zweiten Aktes mehr als deutlich. Im Folgenden überhöht er sie zu "Mi bien, mi Dios, mi todo." (DA, 67), doch diese Übersteigerung unterstreicht ihren Objektcharakter nur weiter. Als er ihre körperliche Gefühlskälte wahrnimmt, deutet er dies nicht als Ausdruck ihrer subjektiven Ängste, sondern vielmehr als göttliches Zeichen. (DA, 71) Zugleich verbindet er dies mit dem Vorwurf: "Si no me amas / / como te amo a tí …" (DA, 71), womit er Leonor nun doch zur Flucht provoziert. Die Tatsache, dass ihre Entscheidung weniger die eines autonomen Subjektes war, wird in der Wahl der dritten Person deutlich: "Mi dulce esposo, con el ama y vida / / es tuya tu Leonor; " (DA, 71). Im gleichen Atemzug verleiht sie dann der Entscheidung einen subjektiven Charakter, indem sie ihr Schicksal an das Don Álvaros knüpft: mi dicha fundo en seguirte hasta el fin del ancho mundo. Vamos; resuelta estoy, fijé mi suerte, separarnos podrá sólo la muerte. (DA, 71) Nach ihrer Flucht, bei der sie Don Álvaro aus den Augen verlor, verbrachte Leonor ein Jahr bei ihrer Tante in Córdoba, ein Jahr, in dem sie geistig gereift, nicht mehr Spielball der anderen ist, sondern sich in der Begegnung mit Padre Guardián als selbstbestimmtes Subjekt präsentiert. In dieser Szene (2, III) zeigt sich auch die für die Romantik typische Vereinigung des Menschen mit der Natur, die zur Korrespondenzlandschaft der menschlichen Seele wird. Die beeindruckende, raue Bergkulisse kontrastiert mit dem fruchtbaren Flusstal und wird vom klaren Mondschein erleuchtet. Die <?page no="197"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 197 Natur symbolisiert hier einerseits den beschwerlichen Weg, den Leonor auf sich genommen hat, um zum Kloster zu gelangen, wo sie das ersehnte Refugium in der Eremitenklause aushandeln will, andererseits kündet die karge Berglandschaft im Vergleich zu dem blühenden Tal, das sie hinter sich gelassen hat, bereits von der entsagungsreichen Zeit, die Leonor erwartet. In ihrem Monolog stellt sie dies mit den Worten fest: Este refugio es sólo el que me queda en la tierra más asilo y resguardo que los áridos riscos de esta sierra; (DA, 85) Leonor hat sich als romantisches Subjekt für die Weltflucht entschieden, zumal sie sich von Don Álvaro allein gelassen fühlt: "Sí, es verdadera, / / lo es mi resolución." (DA, 86) Ihr Entschluss wird gefestigt durch den Glauben an Gott und die Jungfrau Maria. Auch in dieser Szene wird die Ästhetik des Grotesken und Erhabenen evoziert, wenn die Landschaft die oben geschilderten Gegensätze in sich vereint, Leonor zwischen der Angst entdeckt zu werden und der Hoffnung auf Erlösung schwankt und der erhabene Chor der Mönche das Leid der Protagonistin akustisch untermalt und ihre Gemütslage durch diese ästhetische Ansprache positiv zu beeinflussen weiß: Los sublimes acentos de ese coro de bienaventurados y los ecos pausados del órgano sonoro, del cual de incienso vaporosa nube al trono santo del Eterno sube, difunden en mi alma bálsamo dulce de consuelo y calma. (DA. 86-87) Leonor macht sich im Folgenden mit rationalen Argumenten und der Anbetung der Jungfrau Maria selbst den nötigen Mut, um ihr Anliegen im Kloster vorzubringen. Im folgenden Gespräch mit Padre Guardián macht Leonor deutlich, dass ihre Entscheidung in einem Jahr des gründlichen Nachdenkens gereift ist und sie nicht, wie es für Gleichgesinnte schon im Siglo de Oro üblich war, in der Gemeinschaft des Klosters, sondern allein in der Abgeschiedenheit der Natur leben könne. Leonors Weltflucht führt sie in die in den Bergen gelegene Eremitenklause, die zum Kloster De los Ángeles gehört. Mit dieser Wahl geht jedoch keineswegs ein romantisches Aufgehen des Menschen in der Natur einher, sondern sie sieht durchaus die Kehrseite des selbst gewählten Refugiums, wenn sie bekennt: "Vengo resuelta, lo he dicho, / / a sepultarme por siempre / / en la tumba de estos riscos." (DA, 93) Es ist nicht mehr der Topos des locus amoenus, der hier evoziert wird - die idyllische Natur als Ort der Kontemplation -, sondern die erhaben anmutende Natur wird zum Spiegel des melancholischen Sub- <?page no="198"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 198 jektes, das dem Tod im Sinne der romantischen Weltentsagung als Erlösung vom Dasein entgegenblickt. Als Akt eines autonomen Subjektes ist Doña Leonors Entscheidung für die Eremitenhöhle zu werten, in der bereits eine andere Sünderin unter dem Schutz der Jungfrau Maria ihr Leben gefristet hatte. Nicht ein erfülltes Leben erwartet sie hier, sondern sie entscheidet sich für den Ort, an dem sie nur den Tod erwartet. (DA, 95) Sollte der Padre ihr diesen Schutz verwehren, so ist sie entschlossen, allein in der Natur bei den wilden Tieren zu leben - was ihren sicheren Tod bedeuten würde. (DA, 96) Mit dieser Szene ist Leonors Bühnenpräsenz vorläufig beendet. Sie bleibt nur im Denken und im Herzen Don Álvaros präsent, womit sie erneut zum Objekt der Liebe des romantischen Helden bzw. zur Idee der Liebe reduziert wird, bis sie in der letzten Szene ihren kurzen, tödlichen Auftritt hat. Ihr Leben in der Abgeschiedenheit der Natur bleibt in dem romantischen Drama eine Leerstelle. Dennoch verkörpert Doña Leonor - weit mehr als Don Álvaro - das romantische Subjekt: Sie stellt sich infolge ihrer Entscheidung zur Flucht mit dem Geliebten nicht nur gegen ihre Familie, sondern kehrt sich auch von der Gesellschaft - selbst derjenigen der Nonnen im Kloster - ab, während der Held Don Álvaro nicht nur bereit ist, sich dem Marqués zu unterwerfen, sondern zugleich im Kloster ein gottgefälliges kontemplatives Leben zu führen. In ihren Monologen zeigt sich Doña Leonor der Introspektion fähig, und so sind alle ihre Entscheidungen das Ergebnis eines reflektierenden Subjektes. d) El trovador Als wahre Heldin hat Ermanno Caldera bereits die Protagonistin Doña Leonor im Trovador definiert, die ebenfalls den Status des Subjekts erreicht, wie der italienische Hispanist im folgenden Zitat treffend bemerkt: Verdadera heroina romántica en su dedicación total y transgresiva al amor, Leonor se apropia el lenguaje y los sentimientos de rebeldía que habían caracterizado a los protagonistas masculinos del Don Álvaro y del Macías. 90 Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Heldinnen des romantischen Theaters in Spanien steht das Streben nach Subjektivität nicht erst am Ende einer Entwicklung, sondern Leonor begehrt von Beginn an gegen die patriarchalischen Strukturen auf, die der Frau die Objektrolle in der Gesellschaft zuweisen. Ihrem Bruder Guillén de Sesé, der eigenmächtig über ihre Zukunft entscheiden will, um durch ihre Verheiratung mit dem Conde de Luna das Ansehen der Familie und seine persönliche Ehre zu vergrößern, entgegnet sie selbstbewusst: Hablar, don Guillén, podéis, que pronta estoy a escucharos. si a hablar del conde venís 90 Vgl. Ermanno Caldera, El teatro español en la época romántica, S. 91. <?page no="199"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 199 que será en vano os advierto, y me enojaré por cierto si en tal tema persistís. (Tr, 117) Als Manrique nach dem Duell mit Don Nuño flieht und das Gerücht umgeht, er sei in den kriegerischen Auseinadersetzungen des Conde de Urgel mit dem Conde de Luna gefallen, fasst sie den Entschluss, ins Kloster zu gehen. Nicht der romantische Held führt in diesem Drama die für die Romantik typischen Monologe, sondern Leonor reflektiert als Subjekt die Tragweite ihrer Entscheidung, indem sie die rationalen und emotionalen Argumente miteinander abwägt. (Tr, 150) In romantischer Manier bringt sie ihre leidenschaftlichen Gefühle für Manrique zum Ausdruck. Als die rationalen Argumente schließlich die Oberhand gewinnen, sie ihre Liebe als Illusion (ent)wertet, erscheint plötzlich Manrique. Im Widerstreit zwischen der Ratio und den Emotionen wird deutlich, dass das Drama des modernen Menschen, der Kampf zwischen Gefühl und Verpflichtung hier im Innern der weiblichen Figur ausgefochten wird. (Tr, 155f.) Sabine Schlickers konstatiert daher: Leonor ist die wahre Heldin des Stückes, eine leidenschaftlich liebende Frau, die sich der Verdammnis Gottes und der gesellschaftlichen Verachtung aussetzt, weil sie 'sogar' den Sohn einer Zigeunerin liebt. Sie ist es, die zwei Monologe hält (II, 6 + IV, 4), in der sie erotische Leidenschaft mit spiritueller Sehnsucht koppelt, wohingegen der Prototyp des romantischen Helden jeglicher Introspektion entbehrt. 91 Als Doña Leonor und Manrique auf der Flucht aus dem Kloster von ihrem Verehrer Don Nuño überrascht und beide daraufhin gefangen genommen werden, ergreift Leonor - wie später Doña Inés - mit den Worten: "¡Piedad, piedad! " (Tr, 158) Partei für Manrique. Im Anschluss verfolgt die romantische Heldin allein das Ziel, ihren Geliebten aus dem Gefängnis zu befreien. In ihrem zweiten - diesmal vor dem Turmgefängnis gehaltenen - Monolog verkündet Leonor ihre als Subjekt gefällte Entscheidung gegen ein Leben als Braut Christi. Analog zu den romantischen Helden wie Don Álvaro sieht sie sich als von Gott ob ihrer verbrecherischen Liebe verstoßenes Individuum: Ya con eternos vínculos el crimen a su suerte me unió… nudo funesto, nudo de maldición que allá en su trono enojado maldice un Dios terrible. (Tr, 167) In den letzten Szenen des romantischen Dramas ist Leonor dann aber die handlungstragende Figur. Der Troubadour hingegen sehnt - im Gefängnis 91 Sabine Schlickers, "Leidenschaft, saudade, Rebellion: Konstruktionen nationaler Identität im romantischen Theater Spaniens und Portugals", in: Michaela Peters, Christoph Strosetzki (Hg.), Interkultureller Austausch in der Romania im Zeichen der Romantik, S. 85-96, hier: S. 89. <?page no="200"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 200 zur Untätigkeit verdammt - resigniert den Tod herbei und nimmt Abschied von seiner Geliebten, wobei er seinem Selbstmitleid freien Lauf lässt, wenn er beklagt, dass die Liebe zu ihr sein einziges Vergehen war, und bekundet, dass "en el amar no hay baldón." (Tr, 180) Leonor hingegen bestärkt dies in ihrer vom Subjekt getragenen Entscheidung, den Geliebten unter Einsatz des eigenen Lebens zu retten: No, no morirás; yo iré a salvarte: del tirano feroz la sangrienta mano con mi llanto bañaré. (Tr, 180) Der letzte Kampf des Subjektes mündet jedoch in der Selbstaufgabe - Leonor opfert ihr Leben, um Manrique zu retten. Als sie dem Conde de Luna ihre Hand als Heiratsversprechen reicht, hat sie ihr Leben bereits durch die Einnahme eines Giftes befristet. Der Troubadour indes kann das Opfer Leonors nicht annehmen, er erwartet passiv seinen Henker. Längst hat sich die Melancholie seines Wesens in die romantische Weltentsagung gesteigert: "Ya no hay amor / / en el mundo, no hay virtud." (Tr, 192) Erst im Angesicht des Todes der Geliebten, die in seinen Armen stirbt, wird seine Subjektivität erneut geweckt. In lyrischen Tönen stimmt der Troubadour ein letztes Mal ein Loblied auf seine Herzensdame an, in dem er deren Schönheit und Tugend besingt, um sich sodann selbstbewusst dem Henker zu stellen. (Tr, 195) Erst im Tod werden die beiden romantischen Helden, die nie den Schritt vom Ich zum Du wirklich vollzogen hatten, vereint. e) Los Amantes de Teruel Auch in Los Amantes de Teruel lassen sich in der Subjektkonstitution genderspezifische Unterschiede festmachen. Analog zum Trovador stellt Isabel in Hartzenbuschs romantischem Drama die eigentliche Heldin dar. Während Marsilla zwar zunächst gegen die von der Gesellschaft entgegengebrachten Widrigkeiten in der Manier eines Sisiphos ankämpft, spielt sich Isabels Konflikt eher in der Introversion ab. Ihr Konflikt besteht zwischen dem subjektiven Begehren, ihre Liebe zu Marsilla zu realisieren und der Verpflichtung zum Gehorsam als Tochter nachzukommen. Anders als der bereits ein Subjekt repräsentierende Held Marsilla muss Isabel den Weg zur Subjektkonstitution erst noch durchlaufen, sie reflektiert in Monologen oder in Gesprächen mit den anderen Figuren offen ihre Gedanken, die auf die Objektrolle der Frau in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts rekurrieren. Für Don Pedro stellt die Tochter ein Objekt dar, das ihm zu blindem Gehorsam verpflichtet ist, Don Rodrigo betrachtet sie als zukünftige Ehefrau, die ob ihrer Schönheit und ihres Standes sein Ansehen bereichern wird, Marsilla sieht in Isabel das Objekt seiner Liebe, den komplementären Teil seiner Seele, mit der gemeinsam er erst eine Einheit bilden kann. <?page no="201"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 201 Der für die Epochenschwelle typische Konflikt des Subjektes, das auf Realisierung seiner persönlichen Glücksansprüche pocht, wird in diesem Drama in die weiblichen Figuren verlagert. Margarita und Isabel reflektieren ihre Möglichkeiten der Subjektkonstitution und die Grenzen, die ihnen durch die gesellschaftliche Rollenverteilung auferlegt werden. Traditionell wird den Frauen in der patriarchalischen Gesellschaft der damaligen Zeit die Objektrolle zugeschrieben: als Tochter sind sie dem Vater gegenüber zu blindem Gehorsam verpflichtet, als Ehefrau unterliegen sie dem Mandat des Ehemannes. Margarita beschreibt am Beispiel ihres eigenen Lebens die sich aus dieser Genderverteilung für die Frauen ergebenden Konsequenzen einer Verheiratung der Frau gegen ihren Willen und den daraus resultierenden Ehebruch, in dem sie ihre wahre Leidenschaft auslebte: Matrimonio sin cariño crímenes tal vez engendra. Yo sé de alguna infeliz que dio su mano violenta... y ... después de larga lucha... desmintió su vida honesta. Muchos años lleva ya de dolor y penitencia... y al fin le toca morir de oprobio justo cubierta. (LAT, 127) Die Ehe war bis ins 19. Jahrhundert hinein ein patriarchalischer Kontrakt, der auf rationalen Motiven basierend die Interessen der Frauen auf eine freie Wahl des Ehepartners negierte. Dieser gesellschaftliche Diskurs wird in folgendem Zitat angesprochen: "ni hay más voluntad en ella / / que la que tenga su padre. (LAT, 114) Die Frau ist als Objekt folglich frei verfügbare Verhandlungsmasse des Mannes. Begründet wird dieser Zustand allein mit der Tradition: Hoy día, Isabel, así / / se conciertan nuestras bodas: / / así nos casan a todas, / / y así me han casado a mí." (LAT, 114) Mit der Romantik gewann die Gefühlswelt jedoch gegenüber der ratio an Gewicht, was auch bei den Frauen zur Selbstreflexion und ersten Bekundungen des freien Willens des Subjektes führte. In Los Amantes de Teruel klagt Isabel ihren Vater an, indem sie dessen Entscheidung über ihre Verheiratung metaphorisch mit der sakralen Opferung ihres freien Willens am Altar gleichsetzt und den patriarchalischen Diskurs kritisiert, der das Denken der Frau als Frevel bezeichnet. 92 Bei Isabel, die sich sechs Jahre lang in dem Glauben wähnte, ihren Glücksanspruch auf ein Leben mit Marsilla realisieren zu können, löst die Rede der Mutter über ihr eigenes unglückliches Leben einen paralysierenden Schock aus. Resigniert beschreibt sie die bevorstehende Heirat mit Meta- 92 Mi padre, por no faltar / / a la palabra tremenda, / / le rendirá por ofrenda / / mi albedrío en el altar. / / Vuestras razones imprimen en su alma la persuasión: / / en mí toda reflexión / / fuera desacato, crimen. (LAT, 118) <?page no="202"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 202 phern des Todes, das Brautkleid geriert zum Leichenhemd, die Hochzeit zur Totenfeier: pero en vez de preparar las galas del himeneo, que a tenerme se limite una cruz y una mortaja; que esta gala y esta alhaja será lo que necesite. (LAT, 118) Das Groteske und Sublime gehen in dieser Beschreibung der bevorstehenden Hochzeit Isabels mit Rodrigo eine für die Romantik typische Synthese ein. Für den Diskurs des weiblichen Subjektes bedeutet diese resignative Erkenntnis, dass der Körper der Frau symbolisch entlebendigt zum Objekt des patriarchalischen Diskurses wird. Die Selbstaufgabe der Tochter führt im Anschluss jedoch bei Margarita, die nach ihrem Ehebruch ein unterwürfiges Leben neben ihrem Mann Don Pedro geführt hatte, zu ersten Anzeichen einer Subjektkonstitution. Die Todesassoziationen weckende Zukunftsvision der Tochter lässt Margarita erstmals die Autonomie des weiblichen Subjektes erkennen: No, no, Isabel: cesa, cesa; yo en tu defensa me empeño: no será Azagra tu dueño, yo anularé la promesa. [...] Hoy madre tuya será quien no lo fue tantos años. (LAT, 119) Als Subjekt tritt sie im Gespräch mit Rodrigo zunächst selbstbewusst auf, bemüht, die Interessen der Tochter zu vertreten. So appelliert sie rhetorisch geschickt an Rodrigos Ehre: "¿se satisfarían con la posesión de una mujer cuyo cariño no fuese vuestro? " (LAT, 120) Doch dieses Argument weiß Rodrigo zu entkräften, glaubt er doch, dass die Zuneigung mit der Zeit entstehen würde, denn: "Isabel es virtuosa, es el espejo de las doncellas: cumplirá lo que jure, apreciará mi rendida fe, y será el ejemplo de las casadas." (LAT, 120) Als Margarita dann die nächste Karte zieht und unter Verweis auf Gott dieser Ehe die Berechtigung abspricht: "Tengo, pues, que deciros, como cristiana y madre; tengo que suplicaros por nuestro señor y nuestra señora, que desistáis de un empeño, ya poco distante de la temeridad." (LAT, 121) begegnet Rodrigo ihren Bedenken mit schnödem patriarchalischem Machtgehabe. Er weist auf das kompromittierende Material (Margaritas Liebesbriefe an Rodrigo) hin, in dessen Besitz er sich befindet, um eine Hochzeit mit Isabel notfalls auch durch die Erpressung Margaritas mit ihrer Vergangenheit zu erzielen. Als weiteres, der Subjektkonstitution Isabels entgegen stehendes Moment kommt die Rache der maurischen Königin Zulima hinzu. Diese verfolgt ihr Ziel der Rache in Männerkleider gehüllt, womit sie in der für das Siglo de Oro typischen Tradition steht, welche der Frau den Kampf für ihre <?page no="203"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 203 Rechte allein unter dem Deckmantel des männlichen Äußeren erlaubte. Isabel lässt sich aber von Zulimas Auftritt nicht in die Irre führen, umso überzeugter ist sie, dass Zulima sich getäuscht habe: "No he de ser esposa yo / / de Azagra: primero muerta." (LAT, 127) Erneut liegt hier ein Hinweis auf die der Frau zugewiesene Objektrolle im patriarchalischen Diskurs. Dennoch rebelliert Isabel aber gegen diese Zuweisung, indem sie bekundet, dass sie zwar eine körperliche Vereinnahmung nicht verhindern, wohl aber eine affirmative Willensäußerung verweigern kann. Dem Diskurs einer Märtyrerin entsprechend konstatiert sie: Mil veces no. Podrán enhorabuena, de los cabellos asida, arrastrarme hasta la iglesia; podrán maltratar mi cuerpo, cubrirle de áspera jerga, emparedarme en un claustro donde lentamente muera: todo esto podrán, sí, pero lograr que diga mi lengua un sí perjuro, no. (LAT, 127) Als sie jedoch erkennt, in welche Lage sie ihre Mutter Margarita durch ihre Rebellion bringt, ist Isabel schließlich doch dazu bereit, sich zur Wahrung der Familienehre zu opfern. Isabel rechtfertigt ihre Entscheidung zwar als gottgewollt und als der Natur entsprechend - es ist jedoch klar, dass das Gegenteil des Gesagten gemeint ist, denn tatsächlich sind es gesellschaftliche Zwänge, welche dieses Opfer von ihr verlangen. (LAT, 129) Sie opfert ihre eigene Subjektivität und Individualität, wandelt sich in den Objektkörper - was über die Todesmetaphorik verdeutlicht wird - der gänzlich entlebendigt keinen subjektiven Willen mehr zu äußern imstande ist. Gegenüber Marsilla kommentiert sie die seelische Selbstaufgabe mit den folgenden Worten: "Ya lo ves, no soy mía; soy de un hombre / / que me hace de su honor depositaria / / y debo serle fiel." (LAT, 162), die den Status der Frau in der spanischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts unterstreichen: die Frau ist als Besitz des Mannes zugleich Garant seiner Ehre. 93 Als Isabel am Schluss des Dramas dann doch noch einmal die Kraft aufbringt, ein Zeichen ihrer Subjektivität zu zeigen, indem sie den toten Körper Marsillas zu umarmen sucht, um in der transzendenten Ewigkeit doch noch die Einheit mit dem Geliebten zu realisieren - "Tuya fui, tuya soy: en pos del tuyo / / mi enamorado espíritu se lanza." (LAT, 166) -, bleibt ihr die körperliche Umarmung indessen verwehrt. Isabel stirbt in ihrem Bestreben. Dadurch bildet diese abschließende Geste des sehnsuchtsvollen Strebens nach der Vereinigung mit dem Geliebten, welches das gesamte Drama durchzogen hat, den Schlussakkord unter die Tragik 93 Vgl. Susan Kirkpatrick, "Problemas de subjetividad femenina", S. 58-63. <?page no="204"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 204 des modernen Menschen, der sein Glücksstreben vom Diesseits ins Jenseits verlagern muss. Engler sieht in dieser transzendenten Vereinigung der Liebenden einen Verlust an Individualität: "solo pueden realizar su amor por trascender la contingencia humana. […] Los amantes no pueden tolerar su propia multiplicidad." 94 Diese Einschätzung verkennt jedoch das Wesen der romantischen Individualität, welche im Streben nach der Vereinigung mit dem Anderen erst die Realisierung des Glücks erkennt. Anders als der Held in Los Amantes de Teruel erweist sich Isabel als reflektierendes Subjekt, das die gesellschaftlichen Gender-Diskurse präzise analysiert und in Kenntnis der realen Gegebenheiten ihre Subjektentscheidungen trifft. Trotz ihrer Selbstaufgabe ist auch sie die wahre Heldin des Stückes, denn diese ist wie die Entscheidung Don Álvaros, der Welt durch den Sturz in den Abgrund zu entsagen, der Akt eines autonomen Subjektes. Allerdings verliert Isabel durch das rationale Abwägen und die reflektierte Entscheidung zur Bewahrung der Ehre ihrer Mutter die leidenschaftliche Aura der romantischen Heldin. Hierdurch wird der patriarchalischen Gesellschaft jedoch nur umso deutlicher ein kritischer Spiegel entgegen gehalten. Am Ende weist die Heldin die Schuld am tragischen Geschehen zwar dem Himmel zu, der aber zugleich die Erlösung des Liebespaares im Tod verkündet. f) Don Juan Tenorio Die im 19. Jahrhundert für die Frau typische Zuweisung des Objektstatus ist auch hinsichtlich der Protagonistin im Don Juan Tenorio betont worden. Analog zu den gesellschaftlichen Gegebenheiten zur Entstehungszeit des Stückes ist die Gesellschaft insgesamt durch patriarchalische Strukturen geprägt. Die als handelnde Subjekte auftretenden Figuren sind in erster Linie männliche Vertreter der Gesellschaft, die in den Frauen wahlweise Objekte ihrer Begierde, Garanten ihrer Ehre oder einen Tauschwert sehen. Für Don Juan und Don Luis stellen die Verführungen der Frauen mehr einen Zeitvertreib dar, der ihnen ihre Männlichkeit zu bestätigen scheint. Die Heirat mit Doña Ana entspringt nicht einer leidenschaftlichen Liebe Don Luis', sondern sie wird in der Tradition des 18. Jahrhunderts stehend vielmehr als Handel zwischen den Eltern und dem zukünftigen Schwiegersohn geschlossen. Dieser Pakt hindert Don Luis aber nicht daran, seine zukünftige Braut als Wetteinsatz aufs Spiel zu setzen. Wenig glaubwürdig ist Don Luis' Bekenntnis gegenüber Don Juan, nachdem dieser sie entehrt hat: Don Juan, yo la amaba, sí; mas con lo que habéis osado, imposible la hais dejado para vos y para mí. (DJ, 170) 94 Kay Engler, "Amor, muerte y destino", S. 8. <?page no="205"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 205 Zu Recht wendet Don Juan ein, warum Don Luis sie, wenn er sie so inniglich liebe, dann überhaupt in der Wette aufs Spiel gesetzt habe. Don Juan hält seinem Kontrahenten somit den kritischen Spiegel vor und verdeutlicht, dass dieser in Doña Ana allein das Objekt seiner Ehre sieht. Analog hierzu ist die Haltung Don Gonzalo de Ulloas zu bewerten, der in seiner Tochter ebenfalls nur einen materiellen Wert: "Yo guardé hasta hoy un tesoro / / de más quilates que el oro, / / y ese tesoro es mi Inés." (DJ, 151) bzw. Garant seiner Ehre sieht. Als er im Kloster Don Juans Liebesbrief entdeckt, macht er sich auf die Jagd nach seiner verlorenen Ehre: "tras de mi honor, / / que os roban a vos de aquí." (DJ, 153) Im Gegensatz zu den Vertretern der patriarchalischen Ordnung hat Geld für Don Juan nur wenig Bedeutung. So kommentiert er die Tatsache, vom Vater enterbt zu werden, mit den Worten: "Ha sido / / para don Juan poco daño / / ése, porque la fortuna va tras él desde la cuna. (DJ, 186) Doña Inés wird in diesem Zusammenhang u.a. von Richard Cardwell als Objekt betrachtet, insofern als sie nur das Medium darstelle, über welches Gott die Bekehrung des Sünders vollziehe. 95 Auch hier wollen wir das romantische Drama mit Blick auf die weibliche Subjektkonstitution einer relecture unterziehen. Als Idee ist Doña Iñés - wie das Publikum erst später gewahr wird - bereits zu Beginn des ersten Aktes präsent: in den Gedanken Don Juans, der einen Liebesbrief an sie verfasst. Im Folgenden erscheint sie aber durch den Blick der Vertreter der patriarchalischen Gesellschaft eher als Objekt, denn als Subjekt. Für ihren Vater repräsentiert sie - wie wir weiter oben gesehen haben - die Werte Geld und Ehre, für die Äbtissin eine zukünftige Nonne ihres Ordens, die sie von den weltlichen Einflüssen fernhalten will, um ihre Berufung nicht zu gefährden. Somit verhindert sie bewusst eine Subjektwerdung der Doña Inés. Für Don Juan schließlich stellt Doña Inés zunächst nur einen Wetteinsatz dar, verwandelt sich aber im Sinne der romantischen Liebe zu seiner einzigartigen Geliebten, für die er bereit ist, sein Leben als Libertin aufzugeben. Zum Schluss wird sie für Don Juan zum Tauschobjekt, dem er seine Seelenrettung verdankt. Dennoch ist Doña Inés nicht nur das Medium, durch welches Don Juan seine Rettung erzielt, wie Richard Cardwell konstatiert, 96 sondern sie verfügt bereits über erste Anzeichen von Subjektivität. So wie die ästhetische Evokation der Schönheit der Geliebten Don Juans Wesen verändert, so verändern Don Juans Worte der Liebe über die ästhetische Ansprache das Wesen der Doña Inés. Auch ist die Liebe zwischen Don Juan und Doña Inés nicht rein spirituellen Charakters, sondern zeichnet sich durchaus durch die Leidenschaftlichkeit der romantischen Liebe aus. In der Sofaszene (1, 4, III) hat Don Juans Liebeswerben um Doña Inés ihre im Folgenden geäußerten leiden- 95 Vgl. Richard Cardwell, "Especul(ariza)ción en la otra mujer: La Inés de 'Don Juan Tenorio', S. 25-43. 96 Vgl. ebd., S. 32. <?page no="206"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 206 schaftlichen Gefühle erweckt. Die Liebe wird hier - wie Marina Mayoral feststellte 97 - konzipiert als eine Naturgewalt, der man sich nicht widersetzen kann: No, don Juan, en poder mío resistirte no está ya: yo voy a ti como va sorbido al mar ese río. (DJ, 165) In einem crescendo der Liebe betont Doña Inés ihre sinnlichen Empfindungen in Anbetracht der physischen Anwesenheit Don Juans: Tu presencia me enajena, tus palabras me alucinan, y tus ojos me fascinan, y tu aliento me envenena. (DJ, 165f.) So ist Mayoral zuzustimmen, wenn sie feststellt: "Fijemonos de nuevo en que no hay nada de espiritual en la pasión que don Juan despierta." (DJ, 137) Dies ist keine spirituelle Liebe, die Don Juan in der Geliebten weckt, sondern die für die Romantik charakteristische leidenschaftliche Liebe. Diese Leidenschaft, die Don Juan in Doña Inés zu wecken vermag, löst auch ihre kurz zuvor noch geäußerten Bedenken im Nichts auf. Die Wandlung vom Objekt zum Subjekt wird hier besonders deutlich: Als sie im Landhaus erwacht, erkennt sie, dass dies kein angemessener Ort für eine Novizin und Dame ihres Standes ist. Doña Inés ist sich zudem ihres adligen Standes und der daraus erwachsenden Verpflichtung zum Erhalt der Ehre bewusst: mas tengo honor noble soy, Brígida, y sé que la casa de Don Juan no es buen sitio para mí me lo está diciendo aquí no sé qué escondido afán. (DJ, 160) Die verinnerlichte gesellschaftliche Erwartungshaltung "mi honor y mi obligación." (DJ, 161) lassen Doña Inés noch zögern. Doch schließlich kulminiert ihre Leidenschaft in dem Ausruf: "o arráncame el corazón, / / o ámame, porque te adoro." (DJ, 166) Wie das Publikum im zweiten Teil des Stückes erfährt, ist die Protagonistin nach dem Tod des Vaters und Don Juans Flucht zurück ins Kloster gegangen, wo sie an gebrochenem Herzen stirbt. Auch hier zeigt sie Züge von Subjektivität, da sie selbst ihre Seele Gott zum Tausch angeboten hat. Folglich ist Cardwells These, Inés sei nur ein Tauschobjekt im Handel Got- 97 Vgl. hierzu und zum Folgenden: Marina Mayoral, "El concepto de la feminidad en Zorrilla", S. 136. <?page no="207"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 207 tes mit Don Juan nicht zutreffend. 98 Wie Mayoral betont war es gemäß der religiösen Doktrin möglich, dass der Sünder durch besondere Fürsprache eines Gerechten vor Gott doch noch seine Seelenrettung erlangen konnte. Zorrilla verbindet dies jedoch erstmals mit einer Frau, die aus freien Stücken den Handel mit Gott eingeht. 99 Der gängige Tenor der Forschungsliteratur sieht in der Seelenrettung Don Juans durch Doña Inés eine Domestizierung des romantischen Helden durch eine spirituelle Form der Liebe und deutet das Stück als Endpunkt der Romantik in Spanien: "el final efectivo de la genuina protesta Romántica, social y metafísica en el teatro." 100 Diese These beruht insbesondere auf einer religiösen Deutung des zweiten Teils des Stückes, in dem Don Juan durch die fantastischen Erscheinungen aus dem Jenseits geläutert wird und am Ende seine Rettung erfährt. Zudem legt die spirituell anmutende Atmosphäre im zweiten Teil im Kontext der Romantik eine andere Deutungsebene nahe, die im Folgenden zu zeigen sein wird. In der Tradition der romantischen Heldinnen - Laura, Leonor, etc. - stehend bekennt Doña Inés sich zu ihrer Liebe. Bereits nach der Duellszene am Ende des ersten Teils, bei der ihr Vater getötet wurde, ergreift Doña Inés sogar Partei für Don Juan. Als die Gesellschaft: "¡Justicia por doña Inés! " fordert, erwidert sie selbstbewusst: "Pero no contra don Juan." (DJ, 180) Diese Schlussworte des ersten Teils deuten bereits die sich im Verlauf des Stückes vollziehende Wandlung der Protagonistin an. Auch im zweiten Teil kommt der Figur der Doña Inés eine zentrale Rolle zu, wenngleich Cardwell die Tatsache, dass sie hier nur noch als Schatten auftritt, als "más allá de la representación" 101 deutet. Im Anblick der Statue der Geliebten zeigt Don Juan erstmals Anzeichen von Reue. Die Erinnerung an sie evoziert den Schatten der Doña Inés, die ihm verkündet, ihr beider Seelenheil hänge nur von Don Juans Entscheidung ab. Als Don Juan schließlich sein Bekenntnis für Gott ablegt, ergreift Doña Inés seine Hand, um ihn vor dem Griff des Comendador, der ihn in die Hölle ziehen will, zu bewahren. Doña Inés betont, dass es die Liebe war, die Don Juan an der Schwelle zum Grab gerettet habe. (DJ, 225) Dies lässt Don Juan ein Loblied auf den barmherzigen Gott singen, den er abschließend als "Dios de Don Juan Tenorio" (DJ, 226) bezeichnet. In den vorhergehenden romantischen Dramen zeichnete sich bereits eine für die Romantik typische Sakralisierung der Liebe ab, die im Don Juan Tenorio weiter fortgeführt wird. Die zeitgenössische Rezeption, von der sich die heutige Forschung auch weiterhin stark beeinflusst zeigt, hat in dem Stück eine Rückkehr zu den bürgerlichen Werten wie Familie, Ehre und Religion sehen wollen. Der Don Juan Tenorio wurde im Zeichen der zur 98 Vgl. Richard Cardwell, "Especul(ariza)ción en la otra mujer", S. 37. 99 Vgl. Marina Mayoral, "El concepto de la feminidad en Zorrilla", S. 138. 100 Vgl. Richard Cardwell, "Especul(ariza)ción en la otra mujer", S. 26. 101 Ebd. <?page no="208"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 208 Entstehungszeit des Stückes einsetzenden bürgerlichen Reaktion in Spanien gedeutet. In Anbetracht der negativen Gestaltung der für die bürgerlichen Werte eintretenden Figuren wie Don Gonzalo de Ulloa, Don Luis, die Äbtissin als Vertreterin der Kirche, sowie der ansteigenden Bedeutung der Macht des Geldes in der spanischen Gesellschaft, wirkt diese Einordnung des Stückes wenig überzeugend. Cardwell stellt zwar in seiner detaillierten Studie zur Figur der Doña Inés wichtige und richtige Thesen in Bezug auf die gesellschaftliche Stellung der Frau im Spanien des 19. Jahrhunderts vor, die er mit dem romantischen Drama in Relation setzt. 102 Da sind zum einen die doppelte Moral im Hinblick auf die Frau als Subjekt zu nennen, woraufhin schon Kirkpatrick 103 hingewiesen hatte, zum anderen die Rolle der Frau als "ángel doméstico" 104 und die Frau als Spiegel und Beschützerin des spirituellen Lebens des Mannes. Dies mag alles übertragbar sein auf die Figur der Doña Inés, aber die Liebe der romantischen Helden stellt keine spirituelle Form der Liebe dar, sondern eine Sakralisierung der Liebe im Bereich des Ästhetischen. In den beiden Schluss-Szenen werden in den Bühnenanweisungen alle Sinne der Zuschauer ästhetisch angesprochen, um diese Sakralisierung der Liebe zu evozieren: "Las flores se abren y dan paso a varios angelitos que rodean a Doña Inés y a Don Juan, derramando sobre ellos flores y perfumes, y al son de una música dulce y lejana, se ilumina el teatro con luz de aurora." (DJ, 225f.) Diese synästhetische Wahrnehmung wird in der letzten Szene noch gesteigert, wenn aus den Mündern des Liebespaares zwei leuchtende Flammen aufsteigen, die sich zum Takt der Musik im Nichts auflösen. (DJ, 226) Cardwell deutet die Flamme als "imagen perfecta, intangible y pura de la autoreflexión, la contemplación egoísta del hombre en el espejo de la mujer, del hombre del siglo XIX en sí mismo." 105 Don Juan mag in Doña Inés tatsächlich nur seinen Spiegel sehen, was unter Berücksichtigung der Gender-Verhältnisse im 19. Jahrhundert auch nicht Wunder nehmen darf. Dennoch verweist die Symbolik der Flamme neben der religiösen Deutung auf die reinigende Kraft des Feuers auch noch auf die Leidenschaftlichkeit der Liebe. Im Don Juan Tenorio wird die Symbolik des Feuers von Beginn an mit der Liebe des romantischen Heldenpaars in Bezug gesetzt. Der Funken der Liebe entwickelt sich zu einem leidenschaftlichen Feuer, das in der metaphorischen Sprache Brígidas zum Brand im Kloster geführt hat und schließlich in die aufsteigenden Flammen mündet, die von einer Vereinigung des Liebespaares in der Ewigkeit evozierenden Natur künden. Dies führt zu einer Sublimierung des Feuers und der Leidenschaft. 102 Vgl. ebd., S. 25-43. 103 Vgl. Susan Kirkpatrick, "Problemas de subjetividad femenina", S. 55. 104 Ebd., S. 30. 105 Vgl. Richard Cardwell, "Especul(ariza)ción en la otra mujer", S. 41. <?page no="209"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 209 Die Vermischung von Naturmetaphorik, Religiösem und einer sakralisierten Form der Liebe zeugen von der ästhetisierenden Tendenz des Dramas. Hierauf deutet schon der Beginn des letzten Teils hin, in dem sich in einer Art mise en abyme das Stück in den Skulpturen des Bildhauers spiegelt. 106 Der Schaurigkeit evozierende Pantheon wird durch die idyllische Darstellung der Natur sublimiert und die romantische Weltflucht verlagert sich ins Ästhetische. Zorrilla bricht zwar mit dem fatalen Charakter der romantischen Liebe, wie Mayoral bemerkt, aber nicht die bürgerliche Gesellschaft trägt hier den Sieg davon - hiervon könnte man allenfalls am Ende des ersten Teils sprechen, als Don Juan sich dem Comendador unterwirft. Der Gesellschaft wird hingegen der kritische Spiegel vorgehalten, die Doppelmoral kritisiert, der Ehrbegriff in Frage gestellt, die Macht des Geldes vorgeführt. Dieser Gesellschaft wird eine Absage erteilt, die in die ästhetische Feier der romantischen Liebe mündet, die zum ästhetischen Fluchtpunkt des Dramas wird. 107 g) Traidor, inconfeso y mártir In Zorrillas Traidor, inconfeso y mártir weist die Protagonistin Aurora einige Parallelen zu Doña Inés auf. Wie die Heldin des Don Juan Tenorio wird Aurora zunächst mehr als Objekt denn als Subjekt dargestellt. Für César stellt sie allein das Ziel seines leidenschaftlichen Begehrens dar, was Aurora jedoch mit den Worten beantwortet: "mas no quiero ser objeto / / de una torpe idolatría […]"(TIM, 85) In ihrem Betonen, nur als Frau, nicht als Objekt des Begehrens geschätzt werden zu wollen, bringt sie bereits ihren Subjektcharakter zum Ausdruck. Insgesamt tritt Aurora als autarke Frauenfigur auf, die sich wie die anderen romantischen Heldinnen auch für das Leben des Geliebten einsetzt. So unterstreicht sie zum einen, dass ihre Liebe unberührt bleibt von der Frage der Ehre Gabriels und verhandelt am Ende die Befreiung des bereits zum Tode verurteilten Geliebten. (TIM, 144) Gabriel Espinosa sucht in Aurora jedoch mehr das Objekt seines Rachefeldzuges gegen Don Rodrigo ("prenda de venganza" TIM, 110), als das Subjekt, mit dem er in Liebe vereint sein wollte. Dennoch legt er - wie Aurora - ein Bekenntnis der leidenschaftlichen Liebe ab. Diese wird dem Diskurs der romantischen Liebe der Spätphase des romantischen Dramas entsprechend mit einer sakralen Aura versehen und so sublimiert: Reconozco / / en tu amor la piedad omnipotente. / / Tienes razón, Aurora; Dios del cielo / / te envía..., un ángel de los cielos eres. (TIM, 143) 106 Vgl. hierzu das Kapitel 3.4.5 der vorliegenden Studie. 107 Diese Erkenntnis bestätigt Wolfram Krömers These, dass die "Romantik keine Zeit der unproblematischen Frömmigkeit und Religiosität" ist, zumal diese Epoche nicht unbedingt Ausdruck des Bürgertums ist, wenn man bedenkt, dass in der Regel ein Aristokrat als Sympathieträger des romantischen Dramas fungiert. Vgl. Wolfram Krömer, "Der aristokratische Paria als typischer Held romantischer Literatur", S. 28. <?page no="210"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 210 4.3 Das romantische Streben nach Freiheit 4.3.1 Die romantische Freiheit im Zwiespalt Das romantische Streben nach Freiheit findet seine Wurzeln in der Aufklärung. Die Freiheit bildete mit den Postulaten der Gleichheit und Brüderlichkeit die Trias des aufklärerischen Sendungsbewusstseins. Im politischen Bereich äußerte sich dies im Wunsch nach einer Veränderung der als ungerecht empfundenen Strukturen des Antiguo Régimen, im privaten Bereich geriet der Gedanke des individuellen Glücksstrebens zunehmend in den Blick. In beiden Bereichen ließ sich das Streben nach Freiheit jedoch nicht komplikationslos umsetzen. Während im privaten Bereich das Verlangen nach Realisierung der eigenen Glücksvorstellungen dort an seine Grenzen stieß, wo es die Freiheit des Anderen bzw. der Gesellschaft tangierte, war die Situation auf der gesellschaftspolitischen Ebene noch komplexer. Das Fundament des alten Regimes hatte die katholische Religion gebildet, die dem Einzelnen einen fest determinierten Platz in der Gesellschaft zuschrieb. Künftig sollte jeder verstärkt selbst die Fäden seines Schicksals in die Hand nehmen. Die autonome Selbstbestimmung korrelierte jedoch zwangsläufig mit dem Verlust der auch Sicherheit gewährenden Ordnungen des tradierten Wertesystems. 108 Die Haltlosigkeit der modernen Welt vermittelte dem Einzelnen die Erfahrung der Kontingenz seines Daseins. In der Philosophie bedeutet Kontingenz die das menschliche Leben prägende schicksalshafte Zufälligkeit. 109 In der soziologischen Bedeutung des Begriffes, wie ihn Niklas Luhmann für seine Systemtheorie nutzbar gemacht hat, ist kontingent das, was weder notwendig noch unmöglich ist oder anders formuliert: die Kontingenzerfahrung resultiert aus dem "Zurverfügungstehen einer Vielfalt von Möglichkeiten (in einer Umwelt)". 110 Eine solche Form der Kongingenz hat jedoch zur Folge, dass die Unwägbarkeit der Möglichkeiten dazu führt, dass soziale Systeme Strukturen entwickeln müssen, die dem Einzelnen doch wieder Halt geben können. Geschieht dies nicht, führt es dazu, dass der Einzelne in der Natur nach dem Verlust des Sinns sucht. Nun war die Entwicklung in Spanien - wie wir im historischen Überblick in Kapitel 2.1 gezeigt haben - insofern speziell, als die absolutistische Monarchie Fernando VII. bis zu seinem Tod im Jahre 1833 fortgeführt wurde. Im Anschluss setzte eine moderatere Phase ein, als es den Liberalen gelang, bei der Regentin María Crístina Einfluss zu erlangen. Doch nicht 108 Vgl. Friedrich Wolfzettel, "Autonomie", in: Ders., u.a. (Hg.), Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 1, Stuttgart: Metzler 2001, S. 431-458, hier: S. 432. 109 Vgl. Walter Hoering, "Kontingenz", in: Joachim Ritter und Karlfried Gründer (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4, Basel/ Stuttgart: Schwabe & Co 1976, S. 1027-1038, hier: S. 1034. 110 Ebd. <?page no="211"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 211 erst seit diesem Moment, wurde der aufklärerische Freiheitsbegriff im Spanien des 19. Jahrhunderts diskutiert. Bereits im Jahre 1812 hatten die Liberalen dieses Postulat in die Verfassung der Cortes de Cádiz eingeschrieben. Es wird daher von Interesse sein, zu sehen, wie die Dramatiker die unterschiedlichen Facetten des Freiheitsbegriffes in ihren romantischen Dramen verarbeitet haben, die nach dem Ende der absolutistischen Herrschaft auf Spaniens Bühnen Erfolge feierten. Auf der Ebene der Kunst führte das Postulat der Freiheit zu poetologischen Neuerungen. Wie unter Kap. 2.2.3 referiert wurde, folgten die spanischen Romantiker insbesondere in der Blütezeit des romantischen Dramas der von Victor Hugo im Préface de Cromwell (1827) verkündeten Gleichsetzung von Romantik und Liberalismus. In poetologischer Hinsicht erwirkte das Prinzip der künstlerischen Autonomie eine Befreiung vom klassizistischen Regelkanon, welche die spanischen Dramatiker insgesamt jedoch nicht derart konsequent umsetzten, wie es von Hugo gefordert wurde. So folgen die Conjuración de Venecia und Macías noch weitgehend den poetologischen Regeln des neoclasicismo und Zorrilla und Hartzenbusch verfassen mit dem Don Juan Tenorio auf der einen und Los Amantes de Teruel auf der anderen Seite Versdramen, folgen also nicht dem Postulat der Mischung von Vers und Prosa. Für die spanischen Romantiker hatte die Regelfreiheit in der Literatur - aufgrund dessen, dass bereits das barocke Theater eine poetologische Regelfreiheit postuliert hatte - nicht die Bedeutung, wie für französische Dramatiker, die sich gegen die große Tradition des Theaters im siècle classique abgrenzen mussten. Daher wird die Frage der poetologischen Regelfreiheit im Folgenden nicht weiter von Interesse sein. Hinsichtlich der Frage nach der Mimesis vollzog sich in der europäischen Literatur ebenfalls ein entscheidender Wandel, der im Kontext des Postulats der Freiheit in der Kunst steht: So stellte die Abbildung der Wirklichkeit nicht mehr das primäre Ziel der Literaten dar, sondern die Kunst löste sich zunehmend aus einem ideologischen Funktionszusammenhang, der schließlich "in der gegenstandslosen Selbstreferentialität von Kunst/ Literatur in der Moderne [gipfelte]." 111 Im ersten Teil des Hauptteils der vorliegenden Studie konnte gezeigt werden, dass die platonische Triade des Guten, Wahren und Schönen auch in Spanien ihre Einheitlichkeit verliert. Im Sinne der neuen nach Autonomie strebenden Dichtungstheorie wird das Schöne zunehmend vom moralisch Guten und einzig Wahren getrennt. 111 Friedrich Wolfzettel, "Autonomie III: Infragestellung und Rezeption der Autonomieästhetik von der Romantik bis zum Vormärz", in: Ders. u.a. (Hg.), Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 1, Stuttgart: Metzler 2001, S. 453-458, hier: S.434. Erst nach 1830 sollte sich jedoch aus diesen Postulaten in Frankreich eine reine Kunstlehre entwickeln, die im Prinzip des l'art-pour-l'art des Ästhetizismus ihren höchsten Ausdruck erfuhr. Vgl. Michael Einfalt, "Autonomie IV: Die Anfänge des Autonomisierungsprozesses nach 1830", in: Ästhetische Grundbegriffe, S. 458-479, hier: S. 458. <?page no="212"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 212 Im Folgenden soll der Leitbegriff der Freiheit hinsichtlich der Frage nach den Folgen für das Subjekt in Bezug zur gesellschaftspolitischen und privaten Dimension erörtert werden. Im Blickpunkt des Interesses wird dabei die ästhetische Darstellung dieser Bereiche stehen. In den weiteren Unterpunkten dieses Kapitels werden die metaphorischen Räume, in denen sich die Freiheit entfaltet ebenso erörtert wie die Grenzen derselben. 4.3.2 Freiheit im Privaten und Politischen Das romantische Freiheitsstreben richtete sich in der Literatur sowohl auf die Ebene des Politischen wie des Privaten. Einer der beiden die Conjuración de Venecia prägenden Handlungsstränge kreist um die Frage nach der Legitimation der revolutionären Beendigung von Gewaltherrschaft. 112 Bereits im ersten Akt des Dramas erfahren die Zuschauer, dass der Stadtstaat Venedig von einem tyrannischen Rat beherrscht wird. Beim Treffen der Verschwörer zur Besprechung des umstürzlerischen Plans in der dritten Szene des Stückes erörtern die Beteiligten in aufklärerischer Attitude diese Frage der Legitimation einer Revolte und der daraus resultierenden Problematik der Rechtmäßigkeit ihrer eigenen folgenden Herrschaft. So gründen sie mit Dauro die Rechtfertigung ihres Plans auf die Befreiung von der Herrschaft des consejo de los diez, der Venedig in das dunkle Zeitalter der Tyrannei stürzte: "Todos conocemos a fondo las malas artes de ese tribunal, digno apoyo de la tiranía mina la tierra que pisamos; oye el eco de las paredes; sorprende hasta los secretos que se escapan en sueños..." (CV, 187) Jacobo Querini wendet daraufhin zwar ein: "siempre es aventurado encomendar su triunfo al incierto trance de las armas, y es mala lección para los pueblos enseñarles a reclamar justicia, desplegando la fuerza..." (CV, 188) Doch diesen Einwand lässt Thiépolo nicht gelten, schließlich seien sie bereits mit allen juristisch probaten Mitteln gescheitert und sehen in der Revolte die einzige Möglichkeit zur Wiedererlangung der politischen Freiheit Venedigs. (CV, 188) Mit ihrer geplanten Revolte stoßen die Verschwörer zudem auf eine große Unterstützung sowohl auf Seiten des Klerus und der aristokratischen Familien als auch des Volkes. In der Frage der Freiheit entscheiden sich die Verschwörer für die Wahlmöglichkeit auch unter Einsatz ihres eigenen Lebens für die in ihren Augen gerechte Sache des Umsturzes der tyrannischen Herrschaft des Tribunals in Venedig einzutreten, anstatt den düsteren Machenschaften weiterhin tatenlos zu begegnen. Ihre Zuversicht in die Machbarkeit des eigenen Schicksals gründen die Verschwörer zwar noch auf ihren Glauben an Gott, doch wird im Verlauf des Dramas deutlich, dass Gottes Einfluss auf Erden doch ziemlich eingeschränkt wirkt. Rugieros Konstatierung, er 112 Víctor Cantero García ("Francisco Martínez de la Rosa y el romanticismo en el drama histórico: análisis, estudio y consideraciones sobre La conjuración de Venecia", in: Dicenda. Cuadernos de Filología Hispánica, Nr. 22, 204, S. 5-26) deutet die Freiheit als “finalidad misma de la conjuración”. Ebd., S. 18. <?page no="213"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 213 habe in seinem Leben keinen anderen Schutz als die göttliche Providenz gehabt, muss in seiner Wirkung auf die romantische Ironie hin gedeutet werden, schließlich gewährt ihm die göttliche Vorsehung auch in der Revolte wenig Beistand und verhilft ihm am Ende des Dramas nicht zu der ersehnten Wiederbegegnung mit dem Vater. Die Entscheidung Martínez de la Rosas, den historisch belegten Beginn der Verschwörung vom 15. Januar auf die Karnevalszeit zu verlegen, ist gewiß nicht zufällig gewesen oder gar als dekoratives Beiwerk im Sinne des romantischen Lokalkolorits zu verstehen, sondern stellt vielmehr einen zentralen Aspekt der Konzeption seines Dramas dar. 113 Karneval als integrativer Bestandteil der Kultur ist im Wesentlichen geprägt von einer Phase der Umkehr der Herrschaftsstrukturen oder mit Bachtin gesprochen: "Der Karneval ist die umgestülpte Welt." 114 Tatsächlich planen die Verschwörer in der Conjuración de Venecia, die Situation der Verwirrung im Karneval Venedigs für ihre Revolte gegen den tyrannischen Rat der Stadt und damit verbunden für eine dauerhafte Umkehr der Herrschaftsstrukturen zu nutzen. Der Karneval feiert den Wechsel jedoch nur scheinhaft und für eine begrenzte zeitliche Dauer, somit verweist bereits der für die Revolte geplante Zeitpunkt auf die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns derselben. Im rituellen Karnevalslachen vereinigen sich die Gegensätze: Tod und Wiedergeburt, Verneinung und Bejahung, denn schon dem Prinzip der Erhöhung - Verleihung der Insignien der Macht an den Karnevalskönig - ist zugleich das Prinzip der Erniedrigung inhärent. 115 Leben und Tod sowie das Erhabene und das Groteske gehen im Karneval folglich eine Synthese ein. Der universelle Charakter des Karnevals, der Volk und Herrscher gleichermaßen zu erfassen weiß, prägt auch die Wahl des Schauplatzes: Der Ort des Karnevals ist in der Regel ein öffentlicher Platz, ebenso kommen öffentliche Straßen oder Gasthäuser in Frage. Dementsprechend gestaltete Martínez de la Rosa den Schauplatz des vierten Aktes seines Dramas. Das alle Klischees Venedigs im Karneval erfüllende - weiter oben bereits geschilderte - erhaben anmutende Bühnenbild weist inmitten des Markus- Platzes aber auch die Säulen auf, die der Hinrichtung von Gefangenen dienten. Außerdem sind unter der Menschenmenge auch Soldaten der Regierung zu erkennen, die über die vermeintliche Unordnung wachen. Somit verweist bereits das Bühnenbild auf die Ästhetik des Sublimen und Grotesken. Der Ort des öffentlichen Platzes deutet auf eines der vier Kriterien hin, die Bachtin als für die Karnevalisierung typisch erachtet hat: die Familiarität. 116 Mit der Aufhebung der Standesgrenzen, die durch die Maskierung 113 Vgl. Ermanno Caldera, El teatro romántico en la época romántica, S. 58. 114 Michail Bachtin, "Der Karneval und die Karnevalisierung der Literatur", in: Ders., Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur, Frankfurt/ M. Fischer 1990, S. 47-60, hier: S. 48. 115 Vgl. ebd., S. 51f. 116 Vgl. ebd., S. 48f. <?page no="214"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 214 und Verkleidung ihren signifikanten Ausdruck erhielt, geht eine Verwischung der Bereiche des Politischen und Privaten einher - im Fall der Conjuración die Verknüpfung einer politischen Revolte mit einer Liebesgeschichte in der Figur Rugieros. Die Autonomie der Entscheidung der beiden Helden hinsichtlich der Selbstbestimmung ihrer Liebeswahl wird zwar durch den bereits erwähnten Verweis auf Gottes Willen nivelliert, dennoch zeigt sich in dieser Thematik aber die zwiespältige Erfahrung der Kontingenz des modernen Menschen. Im Folgenden wollen wir in Bezug auf die Ästhetik des Sublimen und Grotesken insbesondere den vierten Akt der Conjuración de Venecia herausgreifen, da er in eindrucksvoller Weise ein Beispiel für die ästhetische Wirkung auf das Publikum belegt. Nach dem dritten Akt, der auf die Spannung des Stückes retardierend wirkte - hier offenbart Laura im Gespräch mit ihrem Vater Juan Morosini ihre heimliche Liebe - verlagert sich im vierten Akt die Szenerie auf den erhaben anmutenden Markus-Platz in Venedig zur Zeit des Karnevals. Die Stimmung ist ausgelassen, maskierte Menschenmassen bevölkern den Platz, das Bühnenbild insgesamt prunkvoll und hell erleuchtet, die Musik untermalt das fröhliche Ambiente. Das Publikum, das nach der Gefangennahme Rugieros im zweiten Akt, in dem der schaurig dunkle Ort Todesassoziationen evozierte, und Lauras Sorge um ihren Geliebten im dritten Akt sich noch in einem emotional unruhigen Zustand befindet, wird mit Beginn des vierten Aktes in all seinen Sinnen positiv angesprochen. Doch das Vorwissen der Zuschauer über den Zeitpunkt der von den Spionen bereits aufgedeckten Verschwörung lässt die ausgelassene Stimmung sogleich in banges Entsetzen umschlagen. Folglich geht das Erhabene der Situation in der Synthese mit dem Grotesken auf. Besonders deutlich wird die Vermischung des Privaten mit dem Politischen am Beispiel der Figur Pedro Morosinis, dem im Stück eine tragende Rolle als Vorsitzender des tyrannischen Rates und Vater Rugieros bzw. Onkel Lauras zukommt, da er folglich das Bindeglied zwischen beiden Bereichen darstellt. Laura beschreibt ihn mit den Worten: "justo y virtuoso, pero mirando hasta la piedad como una flaqueza, trata a los demás hombres con la misma severidad que a sí propio... No amó nunca, [...]" (CV, 214) In seiner Selbstdarstellung hebt Pedro Morosini besonders den uneigennützigen Einsatz für das Wohl der Republik hervor: "Ellos [mis mayores] me enseñaron a velar noche y día por la salud de la República." (CV, 200) Die Stärke auf der öffentlichen, politischen Ebene korreliert mit seiner Handlungsunfähigkeit in privaten Belangen. So verfällt er in ohnmächtiges Schweigen, als er in der Szene im Pantheon bei der Verhaftung Rugieros erfährt, dass eines seiner Familienmitglieder offensichtlich in die Verschwörung verwickelt ist. (CV, 201) Schließlich sieht er Laura "unos momentos en silencio" (CV, 221) an, was seine Passivität noch unterstreicht. Die für das romantische Subjekt typische innere Zerrissenheit prägt neben Rugiero - wegen der Unwissenheit über seine Herkunft - in besonde- <?page no="215"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 215 rem Maße Pedro Morosini. Der Vorsitzende des tyrannischen Rates wird von Laura als gerecht und tugenhaft beschrieben, hat seine Gefühlswelt jedoch - infolge des Verlustes seiner Frau und seines Sohnes - völlig ausgeblendet, so dass sein Inneres über die Metapher des Steins verdeutlicht wird. (CV, 214) In privaten Angelegenheiten verfällt er in Sprachlosigkeit und leere Gesten - wie im Gespräch mit dem Bruder in Szene drei des dritten Aktes und zeigt sich unfähig zu echter Kommunikation. Eloquent ist er allein, wenn es um politische Belange geht: "Aquí no tenemos más testigos que los restos de mis mayores. Ellos me enseñaron a velar noche y día por la salud de la República." (CV, 200) Erst als ihm bei der Befragung Rugieros vor Gericht immer deutlicher bewusst wird, dass der Angeklagte sein Sohn ist, lässt Morosini seinen Gefühlen freien Lauf. Seine innere Zerrissenheit zwischen der Freude über die Wiederkehr des Sohnes und der Tragik, den tot gewähnten Sohn nun zum Tode verurteilen zu müssen, raubt ihm schließlich jedoch die Sinne. Im letzten Akt fällt Morosini in Anbetracht der Erkenntnis der familiären Bande zu Rugiero in Ohnmacht, entzieht sich so der Verantwortung, politisches und privates Handeln miteinander in Einklang zu bringen. Auf der Ebene der Liebesgeschichte wird die innere Zerrissenheit des Subjektes beim nächtlichen Treffen Rugieros und Lauras im zweiten Akt des Stückes deutlich. Während Laura beim Treffen mit Rugiero ängstlich über die Folgen ihrer Entscheidung, Rugiero heimlich zu ehelichen, klagt, sie vom Gefühl der Traurigkeit und "angustia" ergriffen wird (208), ist auch Rugiero, der wie wir weiter oben gesehen haben, doch insgesamt als autonomes Subjekt auftritt, ebenso wenig frei vom Gefühl des Weltschmerzes. Die Freiheit seiner Wahlmöglichkeiten, jenseits vom gesellschaftlich konnotierten äußeren Ehrbegriff, durch heroischen und tugendhaften Einsatz zu Ehre zu gelangen, beruht ja gerade auf der Bedingung seiner vermeintlich ungewissen Herkunft. Damit verweist er geradezu metonymisch auf die Situation des modernen Menschen, der angesichts der Kontingenz in einer haltlosen Welt von der Ambivalenz seiner Gefühle ergriffen wird. Als Rugiero sich dann schließlich in der Anagnorisis-Szene des letzten Aktes seiner eigenen Abstammung und familiären Bande zum Vorsitzenden Pedro Morosini bewusst wird, versagt seine Autonomie endgültig, und er legt sein Schicksal - wie er meint - in Gottes Hand. De facto überlässt er aber - indem er auf eine Verteidigung seiner eigenen Person verzichtet - der Gesellschaft in Form des Tribunals die Bestimmung über sein künftiges Dasein bzw. seinen Tod. Während Rugiero und sein Vater ob ihrer Emotionen ihre Handlungsfähigkeit als autonome Subjekte verlieren, zeigt ein Blick auf das Vorgehen der Richter des Tribunals, dass diese gerade aufgrund des Ausblendens ihrer Emotionen die freie Wahlmöglichkeit, menschliches Handeln zu zeigen, nicht erkennen (wollen). So verweigern die Richter unter Verweis auf die Gesetze, Rugiero das Recht, seinen Vater vor der Hinrichtung noch einmal zu sehen und sehen sich analog zu Gott als Richter auf Erden. Es ist <?page no="216"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 216 am Ende jedoch unübersehbar, dass es nicht das Schicksal oder die göttliche Vorsehung ist, die den tragischen Ausgang des Dramas zu verantworten hat, sondern vielmehr das Tribunal des tyrannischen Rats. 4.3.3 Räume der (Un)Freiheit a) Macías Von der Forschung wurde gelegentlich kritisiert, dass Larra sein Drama Macías streng an den formalen Regeln des klassizistischen Dramas ausgerichtet habe. 117 Zwar stimmt dies in Bezug auf das Befolgen der drei Einheiten von Ort, Zeit und Handlung. Dennoch ist Macías inhaltlich stark an den Themen der Romantik orientiert, zu denen auch das der Freiheit zählte. Als ein der Aufklärung verpflichteter Liberaler interessierte Larra weniger das Postulat poetologischer Regelfreiheit, als vielmehr das Ideal der Freiheit im Sinne der liberalen Doktrin. 118 Diese Frage der Freiheit des Menschen und des Konfliktes zwischen dem Streben des Subjekts nach Selbstentfaltung und den diesem entgegenstehenden gesellschaftlichen Normen und Konventionen werden in Larras Drama differenziert erörtert. Bereits unter Punkt 4.2.2 und 4.2.3 wurde aufgezeigt, inwiefern die beiden romantischen Helden Macías und Elvira für ihr Recht nach Autonomie, d.h. ihr Recht auf ein selbst bestimmtes Dasein eintreten und welche Hindernisse die Gesellschaft diesem Streben nach Freiheit entgegenstellte. Das Subjekt erfuhr in der Romantik erstmals die Gewissheit der Kontingenz des eigenen Daseins. Diese Erfahrung, über einen die Zukunft verändernden Handlungsspielraum war ebenso abhängig von der Gesellschaft wie von dem Faktor der Zeit. Unter Punkt 4.1.3 haben wir gesehen, dass der plazo nun nicht mehr eine vom Schicksal willkürlich bestimmte zeitliche Frist darstellte, sondern einen vom Subjekt frei gewählten, zeitlich limitierten Handlungsspielraum. In diesem Kontext ist es insbesondere die romantische Heldin Elvira, die nicht nur den ersten plazo definiert hatte, sondern im letzten Akt auch Macías einen Zeitvorsprung vor seinen Verfolgern einzuräumen trachtet, indem sie ihm zur Flucht verhelfen will, bevor Fernán mit den gedungenen Mördern eintrifft. Die der Freiheit des Individuums entgegenstehenden Hindernisse werden in dem Stück über die Metapher des Gefängnisses verbildlicht. Dieses Gefängnis kann in unterschiedlichen Varianten in Erscheinung treten: einerseits im konkret räumlichen Sinne des Eingeschlossenseins, andererseits im abstrakten Sinne des Beraubens der seelischen bzw. geistigen Freiheit des Menschen. Die beiden romantischen Helden erweisen sich als Gefan- 117 Vgl. Luis Lorenzo-Rivero und George P. Mansour, "Introducción", in: Dies. (Hg.), Mariano José de Larra, Macías, S. 69f. 118 Kirkpatrick zeigt in ihrer Studie auf, inwiefern Larra die liberalen Ideale von Freiheit und Gleichheit in seinem Drama einfordert, indem er sie mit den Privilegien und dem absoluten Machtanspruch des Adels kontrastiert. Vgl. Susan Kirkpatrick, Larra: El laberinto inextricable de un romántico liberal, Madrid: Gredos 1977, S. 124f. <?page no="217"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 217 gene und Opfer eines sozialen Systems, das den Wert seiner Mitglieder gemäß der sozialen Schicht, der sie entstammen, bestimmt. 119 Während Macías zweimal seiner Freiheit im konkret körperlichen Sinne beraubt wird - zunächst durch den Schlüsselmeister des Calatrava-Ordens, später durch Don Enriques Anweisung, Macías bis zum Duell mit Fernán in den Turm des Palastes einzuschließen - versinnbildlicht Elvira eher die zweite, metaphorische Variante. Zunächst sieht sie ihre leidenschaftliche Liebe zu Macías als fesselnde Ketten an, derer sie sich durch die Eheschließung mit Fernán zu entledigen gedenkt: "Mas no importa: mis cadenas / / ya rompí: ¡fuera mis penas! / / Yo me caso también hoy." (M, 109) Im räumlichen Sinne werden in dem romantischen Drama das Kloster und der Turm als Gefängnis evoziert. 120 Als Elvira den Entschluss fasst, ihr Leben nicht an der Seite des verhassten Ehemannes fristen zu können, erwägt sie den Rückzug ins Kloster als Möglichkeit, ihr Leben in Abgeschiedenheit von der Gesellschaft fortführen zu können. Die Kehrseite des Klosters als Refugium, das dem Individuum ein gewisses Maß an zumindest geistiger Freiheit zugesteht, ist jedoch zugleich die Tatsache des - im physischen Sinne - Eingesperrtseins. (M, 183) Für Fernán scheint dies hingegen keine wirkliche Option darzustellen, weiß er doch um die Tatkraft des Helden Macías, der - metaphorisch gesprochen - alle Schlösser und Ketten aufzubrechen und alle Mauern zu überwinden vermag. 121 Während Elvira den Rückzug ins Kloster hier als frei gewähltes Gefängnis umschreibt, wird Macías von Seiten der Gesellschaft seiner Freiheit beraubt und in den Turm des Palastes gesperrt. Bezeichnenderweise gewinnt Elvira erst im Gefängnis an geistiger Stärke. Im Sinne der romantischen Ironie korreliert der Diskurs über die innere Freiheit des Menschen räumlich mit dem materiellen Gefängnis des Turms. 122 Macías beklagt die Grausamkeit der Welt: "¿Qué es la vida? / / Un tormento insufrible, si a tu lado / / no he de pasarla ya." (M, 166) 119 Vgl. Luis Lorenzo-Rivero und George P. Mansour, "Introducción", in: Dies. (Hg.), Mariano José de Larra, Macías, S. 46 und Ermitas Peñas Varela, Macías y Larra, S. 145. 120 Kloster und Kerker gelten als symbolische Orte der Romantik: Kloster als vorübergehender Zustand, Kerker als Symbol des Weltzustandes Vgl. Winfried Kreutzer, Spanische Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts in Grundzügen, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1991, S. 24. Einen Hinweis darauf, dass in der Romantik nicht nur Klosterzellen, sondern auch die Gefängniszelle als privilegierte Orte des Schreibens angesehen wurden, liefert Edoardo Costadura, "Im Licht der Vergangenheit. Chateaubriands Umgang mit der italienischen Literatur am Beispiel Pellicos", in: Michaela Peters, Christoph Strosetzki (Hg.), Interkultureller Austausch in der Romania im Zeichen der Romantik. Akten der Sektion 14 des Deutschen Romanistentages 2003 in Kiel, Bonn: Romanistischer Verlag 2004, S. 175-187, hier: S. 183. 121 "Sé que para ese doncel / / tan osado no hay seguros / / ni cerrojos, ni altos muros, / / que puedan guararos de él." (M, 183) Auch hier zeigt sich eine intertextuelle Parallele zu Don Juan, der in seiner Selbstbeschreibung genau auf diese Metaphorik zurückgreift. 122 Vgl. Luis Lorenzo-Rivero und George P. Mansour, "Introducción", in: Dies. (Hg.), Macías, S. 48. <?page no="218"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 218 Ähnlich wie bereits im Don Álvaro o la fuerza del sino lässt sich hier eine intertextuelle Parallele zu Calderóns Drama La vida es sueño erkennen, in dem der Held Segismundo von seinem Vater Basilio infolge einer verhängnisvollen Weissagung, derzufolge er ein tyrannischer Herrscher werden soll, in einen Turm gesperrt wird, um dem Lauf des Schicksals entgegenzuwirken. Segismundo erlebt im Turm eine Lektion der Weltentschlüsselung im Sinne des barocken Topos des engaño/ desengaño, die in den viel zitierten Schlussworten seines Monologs kulminiert: ¿Qué es la vida? Un frenesí. ¿Qué es la vida? Una ilusión, una sombra, una ficción, y el mayor bien es pequeño, que toda la vida es sueño, y los sueños sueños son. 123 Während ihn diese Erkenntnis der Scheinhaftigkeit der Welt jedoch zur Anerkennung der bestehenden gesellschaftlichen Ordnungen führt, verhält sich Macías' Lektion im Turm geradezu diametral hierzu. Der romantische Held entschlüsselt die Scheinhaftigkeit der Gesellschaft, insbesondere der adligen Schicht, und vermag auch die wahren Gefühle Elviras, trotz ihres Bemühens, diese zu verhüllen, zu entlarven. Seine Erkenntnis ihrer Liebe und der Täuschung der Gesellschaft führt ihn jedoch nicht wie Segismundo in La vida es sueño zur Anerkennung der bestehenden Gesellschaftsordnung, sondern kulminiert vielmehr in der Erkenntnis, dass der Mensch in Anbetracht der gesellschaftlichen Missstände unmöglich sein Glück auf Erden finden kann. Dies führt ihn zu der für die Romantik typischen Weltentsagung, die sich in der Sehnsucht nach dem gemeinsamen Liebestod mit Elvira entfaltet. Metaphorisch wird der romantische Konflikt des nach Freiheit und Erfüllung seines Glückbedürfnisses strebenden Subjektes im Macías über die Räume des Klosters und des Gefängnisses zum Ausdruck gebracht. b) Don Álvaro o la fuerza del sino Die Erfahrung der neu gewonnenen Freiheit des eigenen Handelns ist für das Subjekt in der Romantik durchaus ambivalent. In Don Álvaro o la fuerza del sino ist die Welt aus den Fugen, verlässliche Ordnungen sind ins Wanken geraten. Wie gestaltet sich diese Erfahrung im romantischen Drama des Duque de Rivas? Als autonomes Subjekt trifft Leonor ein Jahr nach dem tragischen Tod des Vaters die Entscheidung ("Desengaños de este mundo / / y un año ¡ay, dios! , de suplicios, / / de largas meditaciones, […] mi intención ha madurado […]" "mi resolución es firme" DA, 95), in der Abgeschiedenheit der Natur, im Schutze eines Klosters ihr Dasein zu fristen. Das Kloster 123 Pedro Calderón de la Barca, La vida es sueño, S. 165, V. 2182-2187. <?page no="219"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 219 symbolisiert für sie zunächst die Befreiung von der seelischen Last, d.h. ein Refugium, und ist doch zugleich auch Metapher des Gefängnisses, in das die Gesellschaft sie seit dem Tod des Marqués gedrängt hat. Stigmatisiert als Geliebte des Mörders ihres Vaters und verfolgt von den auf Blutrache sinnenden Brüdern, bleibt ihr kein anderer Ausweg, als sich in die Abgeschiedenheit eines Klosters zurückzuziehen. Die Freiheit Leonors liegt nun darin, dass sie sich gegen die für die Zeitgenossen gängige Möglichkeit, in der Gemeinschaft der Nonnen zu leben, entscheidet und zielstrebig ihren Wunsch umsetzt, in der nahe dem Kloster gelegenen Eremitenklause Zuflucht zu suchen, um unerschrocken dem Tod entgegen zu sehen: "Vengo resuelta, lo he dicho, / / a sepultarme por siempre / / en la tumba de estos riscos." (DA, 93) Ein Leben in Erwartung des Todes ist Leonors freie Wahl, die sie zudem als göttlichen Auftrag deklariert. (DA, 97) Deutlicher könnte die romantische Weltentsagung nicht ausfallen. Die Natur wird hier jedoch nicht zum Trost spendenden idyllischen Ort der Ruhe, sondern metaphorisch mit dem Tod gleichgesetzt. Auf der ästhetischen Ebene wird dies im vorangegangenen Zitat durch die Kargheit der Felslandschaft der Natur, die mit dem Grab gleichgesetzt wird, unterstrichen. Während Doña Leonor freiwillig die in der kargen Natur gelegene Eremitenklause als Gefängnis wählt, stimmt Don Álvaro in seinem ersten Monolog in Szene drei des dritten Aktes in Mitten eines dunkles Waldes ein Klagelied über sein Schicksal an: Así en la cárcel sombría mete una luz el sayón, con la tirana intención de que un punto el preso vea el horror que lo rodea en su espantosa mansión. (DA, 107) Hier wird das Leben des Menschen metaphorisch mit dem Gefängnis gleichgesetzt. Allein der Tod vermag Erlösung zu versprechen: "pues busco ansioso el morir / / por no osar el resistir / / a los astros el furor." (DA, 108) Zugleich wird in diesem Monolog die Erinnerung in der Metapher des Gefängnisses ausgedrückt. Trotz der Distanz, die er räumlich gesehen, zu den Ereignissen in Sevilla gesucht hatte, wird er von den Erinnerungen an die Geliebte heimgesucht. Don Álvaro setzt seinen am Ende des vierten Aktes geäußerten Entschluss, in der Schlacht den Tod zu suchen oder, falls er überleben sollte, der Welt in der Einöde zu entsagen, am Beginn des fünften Aktes um: yo os hago, eterno Dios, voto profundo de renunciar al mundo y de acabar mi vida en un desierto. (DA, 105) Diese Wahlfreiheit, von der er hier Gebrauch macht, indem er sich in das nahe Sevilla gelegene Kloster zurückzieht, zeichnet ihn als romantisches Subjekt aus. Doch auch an diesem christlichen Ort ist ihm die Ruhe nicht <?page no="220"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 220 vergönnt. Vier Jahre nach dem Tod des Marqués sucht ihn Don Alfonso im Kloster auf, um ihn zum Duell zu fordern, nicht ohne ihn zuvor mit seinem Wissen über dessen wahre Identität zu konfrontieren. In der Figur des Don Alfonso vermischen sich Züge des Grotesken mit dem Erhabenen, ist er doch zugleich der Bote erfreulicher Neuigkeiten - Don Álvaros Eltern wurden begnadigt und suchen ihren Sohn nun verzweifelt, damit er einst ihr Erbe antrete - und dämonischer Racheengel, der auf Wiedergutmachung sinnt: "¿Eres monstruo del infierno, / / prodigio de atrocidades? " (DA, 166f.) - ruft Don Álvaro aus. Vergeblich versucht er auch diesen Bruder Leonors von der Kontingenz der Situation zu überzeugen. Gefangen in der Sucht Rache zu üben, ist er an Don Álvaros Worten indes nicht interessiert: "¡todo puede repararse! " / / Si Leonor existe, todo. / / ¿Veis lo ilustre de mi sangre? ..." (DA, 165). Denn zur Reflexion bleibt keine Zeit. Wie schon der Marqués weigert sich Don Alfonso im Zeichen der Arroganz, den Abkömmling der Inka-Herrscher als ebenbürtig anzuerkennen: "que no te jactes / / de noble… Eres un mestizo, / / fruto de traiciones…" (DA, 167) 124 Die Analyse hat gezeigt, dass in diesem romantischen Drama selbst die Natur zum grabähnlichen Gefängnis wird - in diesem Fall für Leonor. Auch das Kloster als tradierter Topos des menschlichen Refugiums bedeutet für die romantische Heldin keinen Schutz mehr. Analog dazu sieht der romantische Held in einer Form der Inversion die Welt als Gefängnis, das für ihn jedoch zum Inspirationsort lyrischer Monologe wird, und so auf poetologischer Ebene die Verschränkung von Imagination und Memoria verdeutlicht. Auch für Don Álvaro wird das Kloster nicht zum ersehnten Refugium, sondern zu einem Ort der von den Insignien des Todes und der Vergänglichkeit geprägt ist: hierauf deutet u.a. der auf das vanitas-Motiv verweisende Totenkopf in seiner Klosterzelle hin. c) El trovador Das Streben nach Freiheit vollzieht sich im Trovador ebenfalls in den für die Romantik charakteristischen Topoi des Klosters und des Gefängnisses. Wie für die anderen romantischen Heldinnen stellt das Kloster für Leonor eine Art Refugium dar, das ihr vor den Übergriffen der patriarchalischen Gesellschaft Schutz bietet. Es ist der einzige Ort, an dem Leonor sich dem Willen des Bruders und damit einer Heirat mit dem Conde de Luna entziehen kann, der einzige Ort, der ihr ein freies Handeln ermöglicht. Don Nuño zeigt sich angesichts dieser Entscheidung Leonors in seiner Eitelkeit verletzt: "ha preferido encerrarse con su orgullo en un claustro [...]" (Tr, 134) Während die anderen Heldinnen zuvor aber durch diese Entscheidung nicht in Gewissenskonflikte gerieten, reflektiert Leonor im Trovador darüber, dass sie beim bevorstehenden Gelübde ihre wahre Liebe zu Manrique leugnen muss und Gott gegenüber nur ein heuchlerisches Versprechen 124 Vgl. hierzu auch die Analyse des Don Álvaro in Kap. 4.2.3 Grenzen der Freiheit. <?page no="221"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 221 ablegen kann. (Tr, 151f.) Das Kloster erweist sich somit als ein dem Individuum nur begrenzte Freiheit ermöglichender Ort. Manrique fasst dies treffend in die Worte: "[…] todo en silencio está como el sepulcro." (Tr, 152) Die metaphorische Gleichsetzung der Stille der klösterlichen Ruhe, die den Menschen eigentlich zur Kontemplation einladen soll, mit der Todesassoziationen suggerierenden Stille der Metapher des Grabes deutet auch hier die romantische Sehnsucht nach Weltentsagung an. Das Gefängnis steht im Trovador einerseits als im konkreten Sinne die Freiheit des Individuums einschränkender Ort, andererseits verweist Manriques Turmgefängnis metonymisch auf die universelle Ebene des in seiner conditio humana gefangenen Individuums. Das Rasseln der Ketten versinnbildlicht akustisch die Welt als Gefängnis des Menschen. (Tr, 180) Im Kerker evoziert Leonor bei ihrer Begegnung mit Manrique zudem die Liebe als inneres Gefängnis des Menschen, wenn sie den Geliebten auffordert, sie von der Last seiner Liebe zu befreien: "Si aún amas a Leonor, huye, te ruego, / / libértame de ti." (Tr, 154) Die Natur als typisch romantischer Zufluchtsort, als einziger Ort, an dem das Individuum sein Selbst entfalten kann, wird im Trovador nur mit der Figur der Zigeunerin Azucena in Verbindung gebracht. Diese Figur ist von der Forschung einseitig negativ als Inkarnation der dem leidenschaftlichen Gefühl der Liebe entgegenstehenden Rache gedeuet worden, wie Ernest A. Siciliano treffend bemerkt: Creemos, en efecto, que los críticos han sido injustos con ella, quizá por no haber leído con la debida atención sus palabras ni considerado con la debida ponderación sus acciones, y quizá también porque una vez establecido un juicio literario, éste tiende a perpetuarse casi sin cambio. 125 Siciliano macht hingegen den überzeugenden Vorschlag, die Figur der Zigeunerin in Anlehnung an Quasimodo in Victor Hugos Notre-Dame de Paris (1833) im Kontext der romantischen Ästhetik des Grotesken und Erhabenen zu sehen. Azucena verbindet mit der Natur den Ort des eigenen Ursprungs, ihre Identität ist geknüpft an den Ort, an dem ihre als Hexe denunzierte Mutter den qualvollen Feuertod sterben musste. Die Zigeunerin lebt im Einklang mit der Natur und hat wenig Verständnis für das gesellschaftliche Aufstiegsstreben ihres Sohnes. Ihre Motivation, das grausame Geheimnis nicht zu verraten, liegt jedoch nicht - wie die Forschung lange konstatierte - in ihrem Streben nach Rache begründet, sondern beruht vielmehr auf der extremen Mutterliebe, die sie für den angenommenen Sohn empfindet. Somit vereint die Figur der Zigeunerin - wie Quasimodo - Züge des Grotesken und des Sublimen. Die Schluss-Szene, in der Azucena dem Conde erst im Moment des Vollzuges der Todesstrafe das Geheimnis enthüllte, wurde generell als Beleg 125 Vgl. Ernest A. Siciliano, "La veradera Azucena de El Trovador", S. 107. <?page no="222"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 222 ihrer Rachsucht herangezogen. Doch auch in der letzten Szene hat Siciliano überzeugend herausgearbeitet, welchen inneren Kampf Azucena austrägt, zerrissen zwischen dem Wunsch, dem Racheauftrag der eigenen Mutter zu entsprechen und den Muttergefühlen für den angenommenen Sohn. Als Azucena am Schluss ihre Entscheidungsfreiheit unter Beweis stellt, ist es der Conde, der in seinem Streben nach Rache, die Zigeunerin nicht anhört, sondern von ihr verlangt, der Hinrichtung des eigenen Sohnes beizuwohnen. Die Tragik Azucenas schlägt dann jedoch mit den Worten der Zigeunerin: "¡tu hermano, imbécil! " (Tr, 198) ins Groteske um, als Don Nuño erkennen muss, dass er soeben zum Henker seines eigenen Bruders geworden ist. Wie in Kapitel 4.3.4 ausgeführt wird, zeigt die Protagonistin Leonor ein wesentlich höheres Maß an Entscheidungsfreiheit. Sie trifft selbstbewusst den Entschluss, ins Kloster zu gehen und entschließt sich, dem Geliebten zum Preis des eigenen Lebens die Freiheit zu schenken. Im Gespräch mit Don Nuño, der als Vertreter des gerade abwesenden Königs von Aragón das Recht hätte, Manrique zu begnadigen, gelingt es ihr unter dem Einsatz der Mittel der Verstellung, die Freiheit des Geliebten auszuhandeln. Allein der Preis, den sie hierfür zu zahlen bereit ist, liegt in ihrem eigenen Leben. Diesem setzt sie durch die Wahl des - zeitlich durch die Einahme eines Giftes nur aufgeschobenen - Freitodes, ein Ende. Die erhabene Entscheidung für die Freiheit lässt sie den grotesken Schrecken des Todes gelassen ertragen: "ya no me aterra el infierno, / / pues que su vida salvé." (Tr, 188) Erst als Manrique erkennt, welch großes Opfer Leonor für ihn erbracht hat, erlangt auch er wieder seine Autonomie als romantischer Held zurück. Entschlossen macht er sich auf den Weg zum Henker, so dass die folgende Hinrichtung mehr den Charakter eines Freitodes erhält. Auf ein Leben in Freiheit ohne seine Geliebte verzichtet Manrique - wie zuvor die anderen romantischen Helden auch, zugunsten einer Vereinigung mit der Geliebten im Tod. d) Don Juan Tenorio Die Freiheit des Individuums wird von den gesellschaftlichen Institutionen auch im Don Juan Tenorio eingeschränkt. Als symbolische Räume dienen hier das Gefängnis, in dem Don Juan und Don Luis jedoch nur kurze Zeit weilen, da sie sich mit Geld freikaufen können, und das Kloster, in dem Doña Inés ihrer Freiheit beraubt wird. Dabei wird auf die beiden mit dem Kloster assoziierten Symbolebenen hingewiesen: Refugium und Gefängnis. Zeit ihres Lebens hat Doña Inés im Kloster verbracht, weil der Vater ihre Tugend, Unschuld und Ehre schützen wollte. Die Äbtissin hält Doña Inés im Zustand der absoluten Unwissenheit, die Novizin erfährt nichts vom wirklichen Leben außerhalb der Klostermauern, kann infolgedessen auch keine Subjektivität ausbilden. Zwar rühmt die Äbtissin diesen Zustand der Unwissenheit als erstrebenswertes Ziel: "la virtud del no saber" (DJ, 139) Schließlich sei sie in Unkenntnis der irdischen Versuchungen frei von dem <?page no="223"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 223 Verlangen, diesen nachzugeben. Zugleich wird in ihren Worten aber auch der Charakter des Gefängnisses evoziert: pues ignorando lo que hay tras esa santa pared, lo que tras ella se queda jamás apeteceréis. (DJ, 138) Diesen Charakter hatte Doña Inés' Zofe Brígida, die in vielen Zügen an Celestina erinnert, zuvor schon deutlicher ausgesprochen, als sie die Situation der Novizin über die Metapher des Vogels im Käfig beschrieb: Pobre garza enjaulada, dentro la jaula nacida, ¿qué sabe ella si hay más vida ni más aire en que volar? (DJ, 129) Seit ihrer Kindheit sei sie mit zu großer Strenge auf ihre spätere Berufung als Braut Christi erzogen worden: "que era el claustro su destino/ / y el altar era su fin" (DJ, 129) Diese Berufung sieht Brígida keineswegs als erstrebenswert an, da sie Doña Inés doch um die sinnliche Erfahrung der Welt bringe. (DJ, 130) In Szene IV des dritten Aktes tritt Don Juan im Kloster als Befreier auf, indem er an Doña Inés appelliert, nicht mehr Zeit zu verlieren, sondern die Chance zu nutzen: ¡Ea! No desperdiciemos el tiempo aquí en contemplarla, si perdernos no queremos. En los brazos a tomarla voy, cuanto antes, ganemos ese claustro solitario. (DJ, 149) Hatte Doña Inés bereits nach der Entführung aus dem Kloster erste Züge von Subjektivität gezeigt, so wird sie sich ihrer Autonomie als Subjekt erst nach dem Tod bewusst, als sie mit Gott um Don Juans Seele verhandelt. Sie setzt ihr eigenes Seelenheil zur Rettung des Geliebten ein. Nach dem Duelltod des Vaters bleibt Doña Inés - wie zahlreichen anderen romantischen Heldinnen - kein anderer Ausweg als ins Kloster zurückzukehren. Während das Kloster in diesem Moment das einzig mögliche Refugium darstellte, repräsentierte es zuvor das geistige Gefängnis, in dem die Novizin in Unfreiheit und absoluter Unwissenheit der wahren, außerhalb der Klostermauern gelegenen Welt, lebte. e) Traidor, inconfeso y mártir Auch in Zorrillas Traidor, inconfeso y mártir wird auf das Turmgefängnis als Ort der physischen Freiheitsberaubung des Menschen rekurriert. Der pastelero Gabriel Espinosa wird vom Richter Don Rodrigo dorthin verbracht, um seine unklare Identität herauszufinden. Doch der Ort, der als Topos des desengaño von der Welt in der spanischen Literatur schon festgeschrieben <?page no="224"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 224 war, wird hier zum Ort der physischen Qualen der Folter, mittels derer in Anbetracht der Standfestigkeit des Gefangenen letztlich nicht die Wahrheit ans Licht gebracht werden kann. Der romantische Held benötigt einen solchen Ort der Erkenntnis auch gar nicht mehr, hat er doch bereits den engaño des irdischen Lebens durchschaut, weshalb er nur noch danach trachtet, seinem Richter die Augen zu öffnen. Vermutlich bleibt deshalb der Ort des Turmgefängnisses auch eine Leerstelle im romantischen Drama der Spätphase. In diesem Werk taucht hingegen eine andere Metapher des Gefängnisses auf, die moderne Züge trägt. Erst rückblickend, am Ende des Dramas, lässt sich rekonstruieren, dass der portugiesische König Don Sebastián nicht wie angenommen im Kampf umgekommen, sondern nur eine Zeit lang verschollen war. Sein Land aber war nach seinem vermeintlichen Tod - da er kinderlos geblieben war - an Spanien gefallen. Als er in Rom den Pabst aufsucht, rät dieser ihm zum Wohl der Monarchie über seine Identität zu schweigen. Als pastelero de Madrigal führt Gabriel Espinosa fortan ein neues Leben im alten Körper. Im metaphorischen Sinne wird ihm dieser zum Gefängnis, aus dem ihn der Tod allein befreien kann. Somit verschärft sich die Todessehnsucht des romantischen Helden: Gabriel Espinosa hat seinen Lebenssinn von Beginn des Dramas an allein auf seinen Tod ausgerichtet. Im Hinblick auf seine Situation bedeutet erst das Ende des Lebens eine Befreiung aus dem Gefängnis des eigenen Körpers. 4.3.4 Grenzen der Freiheit Zwei Faktoren, welche der Freiheit des Individuums in den romantischen Dramen Grenzen auferlegten, sind die Ehre und die Macht des Geldes. Diese Aspekte bestimmten bereits die Literatur des Siglo de Oro, insofern als der gesellschaftliche Ehrenkodex in dieser Epoche literarisch viel diskutiert wurde und auch die Bedeutung des Geldes infolge der Merkantilisierung der Gesellschaft im Barock eine immer gewichtigere Rolle spielte. 126 Wenn diese beiden Themen von den romantischen Dramatikern verstärkt aufgegriffen werden, so ist dies nicht als Rekurs auf ein Themenrepertoire der als Bezugspunkt der Romantik stets bedeutenden kulturellen Blütezeit Spaniens zu verstehen, sondern zeugt von der Virulenz der Diskurse der Ehre und des Geldes in Spanien gegen Mitte des 19. Jahrhunderts. Im Folgenden wird der Blick auf vier Dramen gelenkt, in denen diese beiden Diskurse auf innovative Weise erörtert werden. 126 Vgl. hierzu die wegweisenden Studien von: Eberhard Geisler, Geld bei Quevedo. Zur Identitäskrise der spanischen Feudalgesellschaft im frühen 17. Jahrhundert, Frankfurt/ M.: Lang 1981 und Alfonso de Toro, Von den Ähnlichkeiten und Differenzen. Ehre und Drama des 16. und 17. Jahrhunderts in Spanien und Italien, Frankfurt/ M.: Vervuert 1993. <?page no="225"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 225 a) Don Álvaro o la fuerza del sino Eng verwoben sind im Werk des Duque de Rivas die Themen von Schicksal und Ehre. Schon Aristoteles zählte die Ehre zu den höchsten Werten des Menschen, wobei er zwischen der auf dem guten Ruf beruhenden und der durch vortreffliche Taten erworbenen Ehre differenzierte. 127 Alfonso de Toro zufolge kursierten in dieser Zeit zwei verschiedene Ehrkonzepte. 128 Beide Begriffe bezeichnen sowohl die innere als auch die äußere Ehre: honor/ honra-virtud und honor/ honra-opinión, d.h. einerseits die individuelle Ehre - erworben durch Tugendhaftigkeit und gute Taten -, andererseits die gesellschaftliche Ehre - erworben durch die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft (Gruppe, Klasse oder Stand). 129 Den Gegensatz zwischen diesen beiden Ehrauffassungen verkörpern in dem romantischen Drama des Duque de Rivas der Marqués de Calatrava und Don Álvaro. Bereits in der zweiten Szene des ersten Aktes, einer der kostumbristischen, in Prosa verfassten Szenen des Stückes wird dieser Gegensatz deutlich formuliert. In der an der Brücke des Triana gelegenen Schenke in Sevilla ist Don Álvaro Tagesgespräch. Es entwickelt sich ein Streit zwischen dem Canónigo und dem Oficial, an dem sich auch der Wirt Tío Paco, die Zigeunerin Preciosilla und ein namenloser Dorfbewohner (Habitante Primero) als Vertreter des Volkes beteiligen und dem Publikum so bereits eine erste Charakterisierung der Protagonisten des Stückes liefern. Preciosilla rühmt Don Álvaros Aussehen: "muy buen mozo" (DA, 54) und dessen Mut: "es el mejor torero que tiene España" (DA, 54), was der Majo noch mit den Worten unterstreicht: "Es verdad que es todo un hombre, muy duro con el ganado y muy echado adelante." (DA, 54) Don Álvaro verfügt somit über die Kennzeichen der inneren Ehre, er ist tugendhaft und mutig und hat sich zudem durch seine Wohltätigkeit einen guten Ruf erworben. Mit der inneren Ehre korrespondiert der öffentlichen Meinung zufolge jedoch nicht die äußere Ehre, da über Don Álvaros Herkunft nur Gerüchte kursieren. Tío Paco kolportiert, dass der Fremde seinen Reichtum als Pirat erworben habe, "hijo bastardo de un grande de España y de una reina mora" (DA, 55) und ein Nachfahre der Inka sei. Dieser dubiose Ursprung Don Álvaros ist der Grund für die ablehnende Haltung des Marqués de Calatrava. Während Tío Paco im Hinblick auf die Ehrenkonzeption die liberale Auffassung der Zeitgenossen des Autors Duque de Rivas’ vertritt: "Yo nada digo, ni me meto en honduras; para mí, cada uno es hijo de sus obras, y en siendo buen cristiano y caritativo..." (DA, 56) und wie Preciosilla aus- 127 Vgl. Alfonso de Toro, Von den Ähnlichkeiten und Differenzen. Ehre und Drama des 16. und 17. Jahrhunderts in Spanien und Italien, Frankfurt/ M.: Vervuert 1993, S. 86. 128 Im Spanischen existieren zwar zwei Begriffe - honor und honra - nebeneinander. Während im Mittelalter noch der Begriff onra/ ondra in den theoretischen Schriften weiter verbreitet war, aber als Synonym von honor galt, werden im Siglo de Oro beide Begriffe gleichermaßen verwendet. Vgl. ebd., S. 87. 129 Vgl. ebd., S. 51. <?page no="226"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 226 führt: "generoso y galán", stehen der Canónigo und der Marqués, als Vertreter des Klerus' und des Adels, für das Konzept der äußeren Ehre. 130 Dieses auf der äußeren Ehre beruhende Verständnis des Marqués wird jedoch durch das Aufdecken der Scheinhaftigkeit der adligen Familie ausgehöhlt. Denn während Don Álvaro über einen edlen Charakter und gewissen Reichtum verfügt, ist der Marqués eitel und arm. Der Oficial bemerkt hierzu scharf: "¿Y qué más podía apetecer su señoría que el ver casada a su hija (que, con todos sus pergaminos, está muerta de hambre) con un hombre riquísimo y cuyos modales están pregonando que es un caballero? " (DA, 54) Preciosilla bringt die Kritik am Adel mit folgenden Worten auf den Punkt: "¡Si los señores de Sevilla son vanidad y pobreza, todo en una pieza! " (DA, 54) 131 Sie erachtet Don Álvaro gar einer königlichen Herrscherin würdig, was erneut seine innere Ehre betont. Über die pointierte Kontrastierung der unterschiedlichen Ehrenkonzeptionen des liberalen Oficial und des Volkes auf der einen und des Canónigo auf der anderen Seite wird in dieser Szene der Topos der Dos Españas evoziert. Die Szene verweist auf die zur Überarbeitungszeit des Stückes in Spanien schwelenden Konflikte zwischen Konservativen und Liberalen. 132 Während die Konservativen weiter vergangenheitsorientiert für die Bewahrung der alten Wertvorstellungen und Ideale eintraten, plädierten die Liberalen für eine zukunftsorientierte Sichtweise und die liberalen Werte wie Freiheit und Gleichheit. 133 Dennoch bleibt bei dieser Interpretation aber unklar, weshalb der edle Held zugleich mit dämonischen Zügen charakterisisert wird. Diesen Einwand hat Silvia Arroyo zu einer Analyse der monstruosidad Don Álvaros bewegt, 134 in der sie auf die Ambivalenzen in der Figur hinweist. Die Vielschichtigkeit deutet sie zum einen als typisch für 130 Der Canónigo rechtfertigt hingegen vor den Anwesenden das Vorgehen des Marqués: "Don Álvaro llegó hace dos meses; nadie sabe quién es. Ha pedido en casamiento a doña Leonor, y el marqués, no juzgándolo buen partido para su hija, se la ha negado. Parece que la señorita estaba encaprichadilla, fascinada, y el padre la ha llevado al campo, a la hacienda que tiene en el Aljarafe para distraerla. " (DA, 56) 131 Durch die in der Dorfschenke vermittelten Informationen und die Bühnendekoration, die das Schloss des Marqués in Szene III des ersten Aktes zwar mit allen adligen Insignien, "pero todo deteriorado" (DA, 59) zeigt, wird die Ehrwürdigkeit der Familie Calatrava kritisch beleuchtet. Während in der Literatur des Siglo de Oro aber hingegen noch die Verarmung der hidalgos Thema war, wird über den Diskurs der Ehre im romantischen Drama die Verarmung auch des höheren Adels entlarvt. 132 Vgl. Christian Wentzlaff-Eggebert, "Ángel de Saavedra, Duque de Rivas. Don Álvaro o la fuerza del sino", in: Volker Roloff, Harald Wentzlaff-Eggebert (Hg.), Das spanische Theater. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Düsseldorf: Bagel 1988, S. 241-249. 133 Ein weiteres Beispiel hierfür ist die konträre Skizzierung der Söhne des Marqués. Dem in der Literatur des Siglo de Oro weit verbreiteten Topos der armas y letras entsprechend ist der eine Soldat, der andere Student. Dem Oficial zufolge neigt der Soldat dazu, seine Konflikte im Duell zu lösen, während Don Álvaro hingegen bemüht ist, dieses verbal zu lösen. 134 Vgl. Silvia Arroyo, "Don Álvaro: mestizo, monstruo, bárbaro, salvaje", in: The Colorado Review of Hispanic Studies, Bd. 4, Herbst 2006, S. 97-110. <?page no="227"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 227 die epischen Charaktere der Romantik, zum anderen als Zeichen dafür, dass die Konflikte auf gesellschaftspolitischer Ebene so prekär waren, dass eine Lösung derselben unvorstellbar war und auf der Ebene des Werkes in das apokalyptische Ende Don Álvaros mündet. Seinen monstruös anmutenden Charakter sieht Arroyo als Hinweis auf die grenzüberschreitende Funktion des Helden, der die Gesellschaft in Frage stellt und zur Reflexion herausfordert. In der Figur Don Álvaros wird zuden ein weiterer die spanische Gesellschaft zur Entstehungszeit des Stückes prägender Konflikt thematisiert: der Umgang mit dem kolonialen Erbe. Im Hinblick auf die Rechte der in den Kolonien lebenden Spanier hatten die Cortes de Cádiz zwar die Gleichheit mit den auf dem Festland lebenden Spaniern postuliert. Augeschlossen von der liberalen Gesellschaft blieben jedoch sowohl die indigene Bevölkerung als auch die Mestizen. Im Stück des Duque de Rivas liegt zum einen darin ein Verweis auf dieses Thema, dass Don Álvaro von einem indigenen Diener begleitet wird, zum anderen dass er seinen Stolz darüber nicht verhehlt, ein adliger Abkömmling der Inka zu sein. 135 Als sich der Ehrkonflikt gegen Ende des Dramas aufzulösen scheint, Don Alfonso das Geheimnis der Herkunft des romantischen Helden lüftet, beleidigt er ihn aufgrund seines mestizischen Ursprungs: "¿Y no lo anubla / / ningún cuartel de mulato? / / ¿De sangre mezclada, impura? " (DA, 160) Die Beleidigung kulminiert im Duell, das Don Álvaro mit den Worten einleitet: "os arrancará la lengua / / que mi clara estirpe insulta." (DA, 160). Somit wird in dem romantischen Drama auf einen weiteren Diskurs rekurriert, der bereits im Siglo de Oro zentral war und im 19. Jahrhundert weiterhin in gesellschaftlichen Debatten virulent ist - die limpieza de sangre. 136 Hinsichtlich der Deutung der sein Leben prägenden unheilvollen Ereignisse gibt der Held selbst zunächst zahlreiche Hinweise auf sein eigenes Schicksalsverständnis, das sich im Lauf des Stückes wandelt: Schon in der Szene der Begegnung mit Doña Leonor weist er auf "mi adversa estrella" (DA, 64) hin und greift damit die von der Zigeunerin Preciosilla zu Beginn des Stückes geäußerte Weissagung auf, dass ihn ein böses Schicksal erwarte. (DA, 48) Im Folgenden deutet Don Álvaro stetig die widrigen Ereignisse in seinem Leben als logische Folge seines vorbestimmten Schicksals ("para el mezquino mortal / / que nace en sino terrible! " (DA, 112)). Auch die verhängnisvolle Begegnung mit dem Bruder Leonors in Italien deutet er als solch ein Zeichen. (DA, 140) Im zweiten Teil seines Lebens, als Padre Rafael, folgt Don Álvaro vestärkt dem christlichen Schicksalsverständnis und führt ein Leben im Glauben an die göttliche Vorsehung. Die christliche Prädestinationslehre sah vor, dass Gott die Geschicke des Menschen lenke 135 José Valero und Stephanie Zighelboim führen dies weiter aus, wenn sie auf die Ausbeutung der Indígenas im Vizekönigreich Perus hinweisen. Vgl. José Valero und Stephanie Zighelboim, "Don Álvaro o la fuerza del signo", in: Decimonónica, Bd. 3, Nr. 1, Winter 2006, S. 53-71, hier: S. 63. 136 Vgl. ebd. <?page no="228"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 228 und dieser durch Buße für seine Sünden durch Gott erlöst werden könne. Im Kloster nahe Sevilla entscheidet sich Don Álvaro für ein Leben in Abgeschiedenheit von der Welt, widmet sich aber nicht wie Hermano Melitón der Ausübung christlicher Nächstenliebe, sondern dem meditativen Gebet, was von dem Ordensbruder, der Volkes Stimme verkörpert, mit folgenden Worten kommentiert wird: "Pues a fe, a fe, que el bendito padre Rafael a los ocho días se hartó de pobres, y de guiropa y se metió en su celda, y aquí quedó el hermano Melitón." (DA, 150) Padre Guardían rückt dieses Bild jedoch schnell zurecht: "Y, hermano Melitón, tenga más humildad y no se ofenda cuando prefieran al padre Rafael, que es un siervo de Dios a quien todos debemos imitar." (DA, 150) Diametral stehen sich hier die beiden christlichen Auffassungen hinsichtlich der Funktion der Religion gegenüber: einerseits die Meditation andererseits die Nächstenliebe. Während die religiöse Aufgabe zur Nächstenliebe in der Figur des Hermano Melitón parodiert wird, erscheint die Meditation Don Álvaros als erhabene Alternative. Hierin deutet sich bereits im Kern die romantische Weltflucht an, die den Bruch des Menschen mit der ihn umgebenden Gesellschaft evoziert. Innerhalb der Forschungsliteratur hat die Deutung des Schicksals im Don Álvaro zahlreiche Debatten hervorgerufen. Gemeinsamer Tenor der meisten Beiträge ist, dass Don Álvaro Opfer einer arbiträren Schicksalsmacht wird. 137 So definieren Cardwell und Gies 138 das Schicksal in Don Álvaro im metaphysischen Sinne symbolisch als "injusticia cósmica" 139 , die in Zusammenhang mit dem Zerfall des religiösen Wertesystems gebracht wird. Peers hatte das Schicksal hingegen als göttliche Providenz gedeuetet, welche Don Álvaro für die eingangs begangene Sünde (Tötung des Marqués und Flucht mit Leonor) bestraft. 140 Der politischen Lesart folgend wird Don Álvaro als Aufsteiger von der Gesellschaft des antiguo régimen zurückgewiesen. 141 Caldera schreibt der arbiträren, auf den Zufall gründenden Schicksalsmacht die Verantwortung am Geschehen zu. 142 Die Calatra- 137 Vgl. Juan María Díez Taboada, "Das spanische Theater im 18. Jahrhundert", in: Klaus Pörtl (Hg.), Das spanische Theater von den Anfängen bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1985, S. 392-423, hier: S. 402.. 138 David Thatcher Gies, El teatro en la España del siglo XIX, Cambridge: Cambridge University Press 1996, S. 154. 139 Richard Cardwell verweist in seinem Beitrag aber auch darauf, dass der Konflikt des Don Álvaro zwischen dem Glauben an die Macht des Schicksals und der Machbarkeit des eigenen Schicksals im Kontext des europäischen Empfindens des mal du siècle zu situieren ist. Vgl. Richard Cardwell, "Don Álvaro or the Force of Cosmic Justice", S. 559-579 140 Vgl. Edgar Allison Peers, "Don Álvaro", in: Revue Hispanique, Bd. LVIII, 1923, S. 379-- 470, hier: S. 393. 141 Vgl. René Andioc, "Sobre el estreno de Don Álvaro", in: José Amor y Vázquez y A. Kossof (Hg.), Homenaje a Juan López-Morillas: de Cadalso a Aleixandre, estudios sobre la literatura e historia intelectual españolas, Madrid: Castalia, 1982, pp. 63-86, hier: S. 79. 142 "La dimensión religiosa de la obra, que la crítica enfatiza tanto, existe en realidad para crear un contraste irónico con la visión de la vida dominada por una fatalidad <?page no="229"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 229 vas werden als Gesandte eines Schicksals gesehen, das sich hier zum "actante" erhebe. 143 Bereits der Titel des Dramas gibt einen Hinweis auf den zentralen Stellenwert des Schicksals, insofern als mit dem zweiten Teil la fuerza del sino auf die griechischen Tragödien rekurriert wird. Dort war das Schicksal nicht nur dramatischer Kern der Stücke, sondern eine Instanz, gegen die sich aufzulehnen letztlich sinnlos war. Der Held konnte in der Rebellion gegen sein vorbestimmtes Schicksal nur unterliegen und erst durch die Akzeptanz seiner eigenen Schuld und der damit einhergehenden Leiden erschloss sich ihm die Sinnhaftigkeit der Welt. Auffällig ist jedoch, dass zu den Helden der antiken Tragödien Don Álvaro die Erkenntnis der eigenen Schuld fehlt. Bis zum tragischen Ende weigert er sich beharrlich, seine Schuld am Tod des Marqués anzuerkennen: "Yo a vuestro padre no herí, le hirió sólo su destino." (DA, 130) So stellt sich die Frage, ob der Titel hier nicht irreführend ist, bzw. durch die gleiche Gewichtung des Protagonisten mit dem Schicksalsbegriff - Don Álvaro o la fuerza del sino - bereits eine Aufhebung der Bedeutung der antiken Schicksalsmacht angedeutet wird. Wenngleich die romantischen Helden auf Gott vertrauen, der auch weiterhin als gütig und gnädig geschildert wird, weist der Glaube daran, Gott leite die Geschicke des Menschen, doch deutliche Brüche auf. Vielmehr erweist sich der antiquierte adlige Ehrenkodex der Gesellschaft als Motor der tragischen Ereignisse. Bereits zu Beginn des romantischen Dramass ist es der Canónigo, der dem adligen Ehrenkodex folgend und im Glauben, ein Unheil verhindern zu können, Don Álvaros geplante Flucht mit Leonor an den Marqués verrät, und so zum eigentlichen Auslöser der verhängnisvollen Kette der Ereignisse wird: "Sería faltar a la amistad no avisar al marqués de que Don Álvaro le ronda la hacienda. Tal vez podemos evitar una desgracia." (DA, 59) Wenn man das gesamte Drama in den Blick nimmt, ist es weder das Schicksal im antiken, noch im christlichen Sinne, welches das zwanghaft kasuistische Handeln der Calatravas determiniert, sondern es sind die antiquierten Wertvorstellungen einer konservativen Gesellschaft, welche die liberalen Prinzipien von Freiheit und Gleichheit, die der romantische Held verkörpert, nicht anerkennen mag. Dies zeigt sich auch im Verhältnis zwischen Don Álvaro und Don Carlos bei ihrer Begegnung in Velletri, als der romantische Held seinem Gegner die Kontingenz i.S. der Handlungsmöglichkeiten des Subjekts zu vermitteln sucht. Nachdem beide sich wechselseitig das Leben gerettet und - injusta que, al final, reduce todo a un juego de azares sin sentido." Vgl. Ermanno Caldera, El teatro español en la época romántica, S.. 80. 143 Darin sieht Caldera einen Verweis auf die Virulenz des Themas in der europäischen Literatur zum Zeitpunkt der Entstehung des Don Álvaro. Insbesondere das Jahr 1835 habe unter dem Zeichen der Dramaturgie des Schicksals gestanden. Neben dem 24. Februar (1810) von Zacharias Werner, über das schon Germaine de Staël in De l'Allemagne berichtete, erwähnt Caldera Hugos Hernani (1830) und Dumas' Anthony (1831). Vgl. ebd., S. 77. <?page no="230"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 230 wenngleich in Unkenntnis ihrer wahren Identität - Freundschaft geschlossen hatten, kommt es dennoch zur Duellsituation. 144 Im Zwiespalt zwischen dem Wunsch, als Ehrenmann sein Wort zu halten, und dem instinktiven Verlangen nach Blutrache wirft Don Carlos schließlich alle Bedenken über Bord. 145 Vergeblich bemüht sich Don Fadrique (Don Álvaro), dem vermeintlichen Freund die Wahlfreiheit des eigenen Handelns, die zuvor - wie gezeigt - Doña Leonor für sich in Anspruch genommen hatte - vor Augen zu führen. Während Don Álvaro an die Freundschaft appelliert: "A buscarla juntos vamos, / / muy pronto la encontraremos, / / y en santo nudo estrechemos / / la amistad que nos juramos." (DA, 132), entgegnet Don Alfonso ihm nur mit der rhetorischen Frage: "¿Yo al matador / / de mi padre y de mi honor / / pudiera hermano llamar? " (DA, 132) Die Überzeugung, dem rigiden Ehrenkodex verpflichtet zu sein, verstellt Don Alfonso den Blick für den persönlichen Handlungsspielraum. War im Siglo de Oro die Handlungskette präzise vorgegeben, wie es die Ehrendramen Calderón de la Barcas belegen, so hätte Don Alfonso in diesem Fall durchaus anders handeln und die Kette durchbrechen können. Erst als er kund tut, auch seiner Schwester Leonor nach dem Leben zu trachten, willigt Don Álvaro in das Duell ein. Nicht die dem Ehrenkodex eingeschriebene Reaktion auf eine Ehrverletzung lässt den romantischen Helden folglich, die Entscheidung für das Duell treffen, sondern das Bemühen, Leonors Freiheit zu garantieren. Die beiden romantischen Helden, deren Glücksstreben von der Gesellschaft torpediert wird, bleiben im Tod schließlich die der Gesellschaft überlegenen erhabenen Seelen. Ihre sich auf Gott berufende wechselseitige Liebe und ihr religiöser Rückzug ins Kloster respektive die Abgeschiedenheit der Natur adeln ihren Charakter als romantische Helden. Dennoch kippt die Idealisierung des romantischen Helden aber am Ende des Dramas in dessen Dämonisierung um. 146 Liest man dies vor der Folie der Transformationsprozesse, die ab den 1830er Jahren auch Spanien erfassten, zeigt sich, dass die Modernisierung der Gesellschaft im Zeichen des Liberalismus keineswegs nur positive Auswirkungen hatte. Wie Juan Bautista Vilar konstatiert wandelten sich die Finanz- und Handelsstrukturen in Spanien entscheidend: 1829 wurde der Código de Comercio verabschiedet, die Börse in Madrid öffnete erstmals 1831 und das Königliche Dekret vom 144 Das Duell zwischen Don Álvaro und Don Carlos kann unter Verweis auf den Topos der Dos Españas als Metapher der auch als Bruderkrieg bezeichneten Kämpfe zwischen Liberalen und Karlisten im Verlauf des 19. Jahrhunderts gedeutet werden. 145 Dem adligen Ehrenkodex folgend ist er nur vordergründig an der Genesung seines Rivalen interessiert: "Guardad a ese hombre la vida / / para que yo se la quite." (DA, 123) 146 Vgl. zur Selbstbezichtigung Don Álvaros als Dämon in der Schluss-Szene das Kapitel 4.2.3 der vorliegenden Studie. <?page no="231"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 231 10.12.1833 lockerte die Regularien im Warenverkehr. 147 Konkret bedeutete dies einen Wandel hin zur aufsteigenden Bedeutung des Geldes, das die Produktions- und Arbeitsverhältnisse im 19. Jahrhnder zunehmend bestimmen sollte. 148 Die gewonnene Freiheit konnte, so Valero und Zighelboim, im Extremfall den Einsatz des Lebens fordern. Den Freitod Don Álvaros in den die Hölle symbolisierenden Abgrund der Schlucht deutet Stefan Schreckenberg als eine Form des Exils des modernen Menschen. 149 Nachdem alle traditionellen Asyle wie das Kloster und das Eremitendasein ihrer schützenden Funktion beraubt waren, "bleibt nur die Selbstvernichtung ohne jede utopische Perspektive.“ 150 Dem ist insofern zuzustimmen, als die Schlussformel Don Álvaros: "Yo soy un enviado del infierno, soy el demonio exterminador..." (DA, 189) selbstironisch dem Bewusstsein der eigenen Alterität des romantischen Helden in einer ihm feindlich gesonnenen Gesellschaft Ausdruck verleiht. b) El trovador Die Revison des adligen Ehrbegriffes, welche sich die Humanisten bereits im Siglo de Oro auf ihre Fahnen geschrieben hatten, wird auch im Trovador erneut aufgegriffen. Im Sinne des einst humanistischen - nun liberalen - Gedankengutes wird der inneren, auf tugendhaftem Handeln beruhenden Ehre der Vorzug vor dem auf nobleza und linaje begründeten adligen Ehrbegriff gegeben. Trotz der - vermeintlich - niederen Herkunft des Troubadour Manrique, bemerkt einer der Diener des Conde de Luna bereits zu Beginn des Stückes: "No negaréis sin embargo que es un caballero valiente y galán." (Tr, 116) Damit verbindet der romantische Held in diesem Drama dem Topos der armas y letras entsprechend literarische Kunstfertigkeit und Waffenkunst. Die aus dem Siglo de Oro tradierte Ehrenthematik steht auch im Trovador im Licht der scheinheiligen Gesellschaft, die ebenfalls von patriarchalischen Strukturen geprägt ist: Leonors Bruder handelt der sozialen Realität der Entstehungszeit des Stückes sowie der historischen Referenzebene entsprechend eigenmächtig für seine Schwester. Aus egoistischen Standesinteressen hat er diese bereits dem Conde de Luna versprochen. Als Leonor sich weigert und gar mit ihrem Geliebten aus dem Kloster flieht, konstruiert Guillén daraus einen caso de honor, der nur mit Blutrache zu sühnen sei: 147 Vgl. Juan Bautista Vilar, El despegue de la revolución industrial en España. 1827- 1869, Madrid: Ed. Istmo 1990, S. 14-15. 148 Vgl. José Valero und Stephanie Zighelboim, "Don Álvaro o la fuerza del signo", S. 60f. 149 Vgl. Stefan Schreckenberg, "Verbannung und Zuflucht - Spielarten des Exildis- kurses im Drama der spanischen Romantik", in: Frank Estelmann, Olaf Müller (Hg.), Exildiskurse der Romantik in der europäischen und lateinamerikanischen Literatur, S. 213-226, hier: S. 225. 150 Ebd., S. 226. <?page no="232"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 232 Entonces su torpe amor lavará con sangre impura… Sólo así el honor se cura, y es muy sagrado el honor. (Tr, 182) Mit dieser extremen Ehrenkonzeption steht Guillén in der Tradition der Figuren der Calderónschen Ehrendramen. Dem Conde de Luna hingegen erscheint dieses rigide Ehrkonzept übertrieben. Aufgrund seiner Liebe zu Leonor versucht er Guillén zu besänftigen. Im Streit mit dem Conde de Luna hatte Manrique noch gegen diese Ehrauffassung rebelliert und an die Ehre des Conde appelliert: "vuestro mismo honor de vos mismo me asegura, siempre fuisteis caballero" (Tr, 124). Doch der Conde verkehrt die Gleichheit der Ehrenmänner in eine seit ewigen Zeiten bestehende Feindschaft um: "siempre enemigos los dos hemos sido" (Tr, 124) Als der Conde ihm unter Verweis auf seinen Stand als "Hidalgo de pobre cuna" (Tr, 124) das geforderte Duell mit den Worten "no sois .... caballero como yo" (Tr, 125) verweigert, entgegnet Manrique ihm noch selbstbewusst: "que si vos sois caballero.... caballero también soy" (Tr, 125) und stellt so die gesellschaftlichen Hierarchien in Frage. In Szene X des vierten Aktes erkennt Manrique dann aber den auf dem Paritätsunterschied beruhenden Ehrkonflikt, der sich aus seiner Liebe zu Leonor ergibt, schließlich an: Llora si quieres, maldíceme porque infame uní tu orgullosa cuna con mi cuna miserable. (Tr, 171) Dem Ideal des heldenhaften caballero entsprechend bricht er indes anschließend auf, um seine Mutter vor ihrem feigen Mörder zur retten. Damit beweist er erneut seine innere Ehre - dass er zudem über die äußere Ehre verfügte, wird Manrique - anders als die anderen romantischen Helden - jedoch nicht mehr erfahren. Im Sinne der romantischen Ironie enthüllt Azucena ihr grausames Geheimnis den handelnden Figuren erst in dem Moment, als die Klinge des Henkers Manrique tötet. c) Los Amantes de Teruel Auch in Los Amantes de Teruel wird das Thema der Ehre in doppelter Hinsicht verhandelt, zum einen im Hinblick auf die äußere, durch Geburt erworbene Ehre, die es unter allen Umständen zu bewahren gilt, zum anderen die innere durch Tugendhaftigkeit erworbene Ehre, die durch gute Taten zu erzielen ist. Letztere entspricht der liberalen Konzeption. Den Kern dieses romantischen Dramas bildet ein Ehrkonflikt, in den sowohl die Ebenen der inneren als auch der äußeren Ehre hineinspielen und der infolge der durch die Ehrenkasuistik auferlegten Strukturen schließlich mit zum tragischen Ausgang des Stückes führt. Dabei lassen sich hinsichtlich des <?page no="233"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 233 Konzepts der Ehre genderspezifische Unterschiede feststellen, die im Folgenden am Beispiel des Dramas näher erläutert werden. Don Pedro ist Auslöser des Ehrkonfliktes, da er - Isabels Gefühle ignorierend - seine Tochter dem reichen Prätendenten Don Rodrigo versprochen hat. Als Ehrenmann sieht er sich auch noch nach einem Streit mit dem zukünftigen Schwiegersohn gezwungen, zu seinem Wort zu stehen. Im Gespräch mit Isabel versucht er seine Handlungsmotivation zu begründen. Einerseits verweist er auf seine Standesehre: En el honor de tu padre no se vio mancha jamás juventud honrada pide más honrada ancianidad. (LAT, 106) Andererseits hebt er den vermeintlichen göttlichen Willen hervor, den er an folgendem Ereignis zu erkennen glaubte: Nach dem Streit mit Don Rodrigo war Don Pedro nicht mehr gewillt, ihm seine Tochter zur Frau zu geben. Den einzigen Ausweg, sein Ehrenwort nicht einlösen zu müssen, sah er in der Möglichkeit seines eigenen Todes. Als er sodann in eine lebensbedrohliche Situation gerät - der ehemalige Liebhaber seiner Frau bedroht ihn mit einem Schwert -, legt er sein Schicksal in Gottes Hand und verübt keine Gegenwehr gegen den Angriff Rogers: Ya ves, hija: por no ir yo contra tu voluntad, por no cumplir mi palabra, quise dejarme matar, y Dios me guardó la vida: su decreto celestial es sin duda que esa boda se haga por fin... y se hará, si en tres días no parece tu preferido galán. (LAT, 108) Infolgedessen fordert Don Pedro seine Tochter auf, den ungeliebten Prätendenten nach Ablauf der Frist zu heiraten. Bevor Isabel jedoch bereit ist, sich dem Ehrenkodex entsprechend zu verhalten und das Bekenntnis ablegt: "Mis padres pueden mandar, / / yo tengo que obedecer, […]." (LAT, 134), trägt sie einen inneren Kampf aus, der ihre wahren Gefühle im Widerstreit mit ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung als Tochter zeigt. 151 Erst als Don Rodrigo Margarita mit den Liebesbriefen erpresst, erkennt Isabel, dass sie sich opfern muss, um die Ehre der Familie zu retten. ¿Veis? El sacrificio consumo, y estoy serena, tranquila ... como la tumba. [...] De mí vuestra fama pende: 151 Vgl. hierzu Kapitel 4.2.3 der vorliegenden Studie. <?page no="234"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 234 la conservaréis ilesa. Yo me casaré: no importa, no importa lo que me cuesta. (LAT, 129) Die nüchterne Mechanik der Ehrenkasuistik zwingt Isabel zu diesem Schritt, auf die persönliche Selbstentfaltung zu verzichten und sich als Unterpfand der Ehre der Mutter zu opfern. Ästhetisch wird dies hier erneut über die Evokation der Metapher des Grabes verdeutlicht. Im folgenden Monolog reflektiert Margarita über den rigiden Ehrenkodex, der die Frau zum Garanten der Ehre des Mannes macht. So wäre mit der Offenbarung ihrer heimlichen Liebschaft nicht nur ihre persönliche Ehre zerstört, sondern dies hätte zugleich Auswirkungen auf Don Pedros Ehre: Mala madre me hace ser mi buena reputación. A todo me resignara con ánimo ya contrito, si al saberse mi delito, yo sola me deshonrara. Pero a mi esposo manchara con ignominia mayor. ¡Hija infeliz en amor! ¡Hija desdichada mía! Perdona la tiranía de las leyes del honor. (LAT, 130) Margarita evoziert an dieser Stelle das Paradox, dass sie zur Wahrung ihres guten Rufes den Erwartungen an eine Mutter nicht gerecht werden kann. Im Bewusstsein, dass ein Bekenntnis ihres Vergehens die gesamte Familie in Unehre fallen ließe, verfügt sie nicht mehr über die Freiheit der Entscheidung. Im Schlussvers schreibt Margarita die Schuld an der tragischen Situation dem Ehrenkodex zu. Don Rodrigo ist neben Don Pedro der eigentliche Auslöser der Ehrenkasuistik. Im Wissen um die wahren Gefühle Isabels für Marsilla, strebt er umso mehr eine Heirat mit ihr an. Folglich negiert er die freie Wahl des Liebespartners und beharrt auf dem Liebesdiskurs des 18. Jahrhunderts, der in der Ehe einen Kontrakt sah, der zwischen dem Prätendenten und dem Vater der Braut zu schließen war. Den Marsilla auferlegten plazo zur Erlangung des notwendigen Reichtums nimmt Rodrigo zunächst still schweigend hin, um später aber deutlich zu bekennen, dass er selbst im Falle der rechtzeitigen Rückkehr Marsillas nicht gewillt sei, auf Isabel zu verzichten. Das Liebeswerben ist längst zu einer Frage der Ehre 152 stilisiert worden, über die allein die Sprache des Ehrenduells zu entscheiden habe: 152 "Este empeño es público, hace muchos años que dura, y se ha convertido para mí en caso de honor. Es imposible que yo desista. No os opongáis a lo que no podréis impedir." (LAT, 121) <?page no="235"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 235 "La mano que pretendemos ambos, no se compra con oro; se gana con hierro, se paga con sangre. " (LAT, 120) Im metaphorischen Gegensatz von Gold vs. Blut wird hier erneut auf die Differenz zwischen dem liberalen und adligen Ehrbegriff angespielt. Don Rodrigos Argumentation und sein erpresserisches Verhalten gegenüber Margarita offenbaren, dass die Attribute seiner adligen Abstammung zu verdankenden Ehre nicht mit den Kriterien der inneren Ehre im liberalen Sinne zu vereinbaren sind, insofern als er sich nicht an Absprachen gebunden fühlt und Margaritas Lage für seine egoistischen Interessen ausnutzt. Sein Gegenpart Marsilla hingegen erfüllt die typischen Charakteristika des erhabenen romantischen Helden: zwar ist er nicht adliger Abstammung, doch versucht er die fehlende äußere Ehre durch Attribute der inneren Ehre zu kompensieren. Isabel übernimmt ihrerseits die der Frau in der Ehrenkasuistik zugewiesene Rolle des Garanten der männlichen Ehre: Ya o ves, no soy mía; soy de un hombre que me hace de su honor depositaria, y debo serle fiel. (LAT, 162) Marsillas Kampfeswille stützt sich hingegen nicht auf den Ehrenkodex, sondern allein auf seine leidenschaftliche Liebe zu Isabel: ¡Padre! , sin Isabel, para Marsilla no hay en el mundo nada. Por eso en mi doliente desvarío sed bárbara de sangre me devora. (LAT, 146) Der Eros lässt ihn im Rausch der Wut gar gegen Gott rebellieren, wenn er die vor Gott geschlossenen ehelichen Bande zwischen Isabel und Rodrigo nicht anerkennt. (LAT, 147) Der Ehrenkodex verbietet Isabel, ihrem einstigen Geliebten den wahren Grund für die Hochzeit mit Rodrigo zu verraten, da dies die Ehre ihrer Mutter und damit der ganzen Familie in Gefahr bringen würde. (LAT, 161) Auch in Los Amantes de Teruel erfährt die Behandlung des Themas der Ehre somit eine andere Gewichtung als in den Calderónschen Ehrendramen. Während im Siglo de Oro der Ehrenkodex noch als Garant der gesellschaftlichen Ordnung zu verstehen war, die Wiederherstellung der Ehre mit gesellschaftlicher Stabilität gleichzusetzen war, erschüttert im romantischen Drama der rigide Ehrenkodex die Subjekte in ihrem Innersten. Das Novum ist nun, dass sie dieser Erschütterung im Gegensatz zu den Protagonisten des barocken Theater, welche den status quo letztlich anerkannten, sehr deutlich Ausdruck verleihen. Während Marsilla äußere Hindernisse in seinem freiheitlichen Handeln einschränken, erleidet Isabel den inneren Konflikt des Menschen in der Romantik mit den durch die gesellschaftlichen Konventionen auferlegten Zwängen. Zunächst entspricht ihr individuelles Streben nach Realisierung der freien Wahl des Ehepartners nicht der weiblichen Objektrolle, den die <?page no="236"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 236 Gesellschaft des 19. Jahrhunderts der Frau als Tochter und Ehefrau zuschrieb. Als Isabel dann jedoch durch das offene Bekunden der zerstörerischen Auswirkungen auf ihre Seele in der Mutter eine Mitstreiterin für die gerechte Sache findet, verhindert der Ehrenkodex die Realisierung ihres persönlichen Glücksstrebens. Damit spiegelt sie exemplarisch den für den modernen Menschen typischen Konflikt zwischen individuellen Freiheitsstreben und diesen entgegen stehenden gesellschaftlichen Konventionen, welche die Wahlfreiheit des Menschen einschränkten. Auch ihre Mutter Margarita verkörpert diesen typisch romantischen Konflikt. In der Schilderung ihrer Lebensbeichte wird deutlich, dass durch das Prinzip der Vernunftehe die emotionale Seite des Menschen ausgeblendet wird. Die Ehe mit dem ungliebten Gatten wird symbolisch zum Gefängnis, aus dem die Frau durch eine heimliche Liebesaffäre kurzzeitig ausbricht. Während Margarita nach dieser Episode ihre Leidenschaft durch karititative Tätigkeiten zu kompensieren sucht, wird ihr Geliebter, Roger wahnsinnig und wählt am Ende sogar den Freitod. In einem Fall gelingt es allerdings Don Pedro und Don Martín den Automatismus des Ehrenkodexes aufzuhalten, der ein Duell zwischen den beiden Vätern zunächst erforderlich gemacht hatte, weil Don Martín Don Pedro geizig nannte und ihm unterstellte, am Verlust seines Sohnes Marsilla Schuld zu sein. Beiden gelingt es jedoch, einen Handlungsspielraum i.S. der Kontingenz zu eröffnen. Aus der Tatsache, dass Don Pedros Ehefrau Don Martín einst incognito das Leben gerettet habe, ziehen beide die Rechtfertigung des Duellverzichtes und bekunden einander ewige Freundschaft: Pedro: ¡Feliz yo, que logro el duelo escusar con vos, por motivo que es tan lisonjero! [...] Ella me será desde hoy más preciosa, si ya vuestro amigo quereisme llamar. Amigos seremos. Siempre. (LAT, 112) Im Sinne der Romantik stellt der von den Helden am Ende gewählte Selbstmord eine Form der Freiheit dar. Die resignative Einsicht in die Unmöglichkeit der irdischen Realsierung des individuellen Glücksstrebens führt zur Idealisierung des Todes, der die extremste Form der romantischen Weltflucht und Weltentsagung symbolisiert. Isabel verdeutlicht dies mit den folgenden Worten, die von einer Stilisierung der reinen Liebe ins Sakrale künden: Nuestros amores mantuvo la virtud libres de mancha: su pureza de armiño conservemos. Aquí hay espinas, en el cielo palmas. Tuyo es mi amor y lo será: tu imagen siempre en el pecho llevaré grabada, <?page no="237"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 237 y allí la adoraré: yo lo prometo, yo lo juro; mas huye sin tardanza. (LAT, 162) Die Absage an eine irdische Realisierung ihrer wechselseitigen Liebe führt zu der paradox anmutenden Aufforderung an den Geliebten: "Libértame de ti, sé generoso: / / libértate de mí..." (LAT, 162), welche ihren Kulminationspunkt in Isabels Worten "Te aborrezco" findet, die Marsilla schließlich tödlich treffen. Mit dieser Absage befreit sich Isabel jedoch nicht - wie Engler konstatiert 153 - von dem sie belastenden Konflikt. Vielmehr liegt in der Absage an die irdische Liebe die Voraussetzung für die Idealisierung der reinen Form der Liebe, die ins sakrale übersteigert, eine Verschmelzung der beiden romantischen Helden erst in der transzendentalen Ewigkeit vorsieht: 154 "El cielo que en la vida nos aparta, / / nos unirá en la tumba." (LAT, 166) In Los Amantes de Teruel wird der Rolle des Geldes zunächst die Möglichkeit zu Ruhm und der damit verbunden freien Liebeswahl beigemessen, wenn dem Helden Marsilla in Aussicht gestellt wird, er könne auf materielle Art die Heirat mit der Geliebten erreichen. Der Diskurs des Geldes wird jedoch von dem weiterhin virulenten adligen Diskurs der Ehre durchkreuzt. Während Isabel und Margarita durch die Folgen des Ehrenkodexes in einen inneren Konflikt geraten, der die Unfreiheit ihrer Wahlmöglichkeiten zum Handeln offenbart, spielt sich Marsillas Konflikt eher in den äußeren Dimensionen ab, d.h. er hat mit der aus der Gefangennahme resultierenden Unfreiheit zu kämpfen. Die Unmöglichkeit der Realisierung des persönlichen Glücksstrebens führt in diesem Drama ein weiteres Mal zu der typisch romantischen Weltentsagung, die mit dem Liebestod des Heldenpaares ihren Höhepunkt erfährt. d) Don Juan Tenorio: Die Macht des Geldes wird im Don Juan Tenorio in vielerlei Hinsicht zum den Menschen in der Gesellschaft bestimmenden Faktor. Als Don Juan und Don Luis am Ende des ersten Aktes gefangen genommen werden, gelingt es ihnen, sich sofort wieder freizukaufen, um ihre zweite Wette weiter zu verfolgen. (DJ, 117) Geld ist für Don Juan auch der Türöffner zu Doña Anas Haus (DJ, 135), so dass Don Juan das Fazit ziehen kann: "Con oro nada hay que falle" (DJ, 136). Auch Doña Inés' Zofe Brígida 155 lässt sich - wie einst Celestina - vom Geld steuern und wirkt massiv auf Doña Inés ein, weil Don Juan ihr bei Erfolg Geld verspricht: 153 Vgl. Kay Engler, "Amor, muerte y destino", S. 7. 154 Vgl. hierzu das Kapitel 3.4.4 der vorliegenden Studie. 155 Eine vergleichende Leseart von Brígida und Inés auf der einen bzw. Celestina und Melibea auf der anderen Seite bietet Joseph T. Snow, "La Brígida de José Zorrilla y su celestinaje", in: Revista Canadiense de Estudios Hispánicos, Bd. 32, Nr. 1, Herbst 2007, S. 137-148. Snow unterstreicht, dass Brígida in Zorrillas Drama über einen begrenzteren Aktionsrahmen verfügt, d.h. dass sie allein das Medium Don Juans zur Verführung Doña Inés darstellt. <?page no="238"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 238 Y si acierto a robar tan gran tesoro, te he de hacer pesar en oro. (DJ, 132) Don Juan und Don Luis leben ihre Freiheiten exzessiv aus, sie ignorieren alle gesellschaftlichen Regeln und Gesetze. Während Don Juan sich jedoch von jeglichen Zwängen frei sieht, prägt Don Luis' Handeln die Macht des Geldes. Bereits in der Schilderung seiner Schandtaten wird deutlich, inwiefern er vom Geld abhängig ist. Für Don Luis begründete der Faktor Geld während des Jahres der Wette mit Don Juan seinen zu erlangenden Ruhm. Der Adlige verfiel dabei jedoch - wie bereits gezeigt - dem pikaresken Gaunertum: durch Raub und Mord versuchte er, zu Reichtum zu gelangen, den er jedoch sogleich wieder verlor. Auch die Ehe mit Doña Ana wird nur wegen des Geldes geschlossen, und als ihm seine Braut aufgrund der Entehrung durch Don Juan nicht mehr angemessen erscheint, bestürzt ihn dies in erster Linie wegen seiner materiellen Zukunft: "no sé qué va a ser de mí." (DJ, 115) Ähnlich wie Don Álvaro versucht Don Juan im letzten Akt des ersten Teils vergeblich, seinen Kontrahenten von der Freiheit seines Handelns zu überzeugen. Gefangen in den mechanistischen Denkstrukturen des rigiden Ehrenkodexes sinnt Don Luis in Anbetracht der Ehrverletzung Doña Anas, die er bewusst in Kauf genommen hatte, auf Rache, die nur im Duell zu stillen sei. Don Juan führt ihm indessen die Irrationalität des Ehrenkodexes vor Augen, indem er ihm erläutert, fair gespielt zu haben und Don Luis das Recht auf ein Duell abspricht. Don Juan selbst handelt frei von jeglichen Zwängen, führt dadurch aber auch ein rastloses und unstetes Leben. Dennoch zieht es ihn fünf Jahre nach dem Duell wieder zurück nach Sevilla. Im Pantheon des ehemaligen Familienpalastes erkennt er, dass die Freiheit des menschlichen Daseins in der bewussten Entscheidung für einen Weg liegt. So ergreift der geläuterte Don Juan in letzter Sekunde die Hand der Doña Inés, um seine Seele zu retten. Zorrillas Don Juan Tenorio reflektiert folglich auch die Bedeutung des Geldes in der spanischen Gesellschaft z.Z. der bürgerlichen Restauration. Der Faktor Geld verdeutlicht die Unfreiheit des Menschen in allen gesellschaftlichen Belangen, selbst die zwischenmenschlichen Beziehungen sind dem Primat des Geldes ausgesetzt. Somit lässt sich in diesem Punkt das romantische Drama Zorrillas auch in Bezug zur soziohistorischen Referenzebene setzen. Don Juan Tenorio beleuchtet kritisch die Kapitalisierungstendenzen der spanischen Gesellschaft im Zuge der bürgerlichen Restauration. <?page no="239"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 239 4.4 Zwischenfazit Wie werden im romantischen Drama in Spanien die Leitbegriffe der ästhetischen Moderne - Zeit, Subjekt und Freiheit - literarisch verarbeitet? Hierauf lag der Fokus des vorangegangenen Kapitels. Als Ergebnis der Textanalysen lässt sich festhalten, dass die romantischen Dramen diese Aspekte sowohl unter Bezug auf die Tradition der Begriffe, als auch auf die gesellschaftlichen Umformungsprozesse thematisieren. Die Metapher des Zeitflusses steigert sich in extremem Maße, so dass die Zeit schließlich nicht mehr nur das Dasein des Menschen bestimmt, sondern zu einer beängstigenden Größe aufsteigt. Dies ist eine Konstante, die sich in allen hier behandelten romantischen Dramen feststellen lässt. Der aus der Tragödientradition bekannte plazo, der dort metaphorisch für die Frist stand, die das Schicksal dem Menschen vorgibt, wird in der Romantik als Befristung des Lebens gedeutet. Die Endlichkeit des Menschen gerät gegenüber der Machbarkeit des eigenen Schicksals verstärkt in den Blick. Auf der ästhetischen Ebene der Wahrnehmung wird dies visuell durch das Motiv der Sanduhr (z.B. M, DJ, CV) angesprochen, aber auch der Hörsinn gewinnt in der Romantik an Bedeutung: das Schlagen von Kirchturmuhren (z.B. CV, LAT, DJ) betont akustisch das Ende des plazo, wodurch oftmals auch ein Verweis auf den Tod zu sehen ist. Leitmotivisch unterstreicht der Satz "Ya es tarde." das Gefühl der Ohnmacht gegenüber dem Faktor Zeit. Allein Don Juan Tenorio scheint zunächst Herr der Zeit zu sein - gelingt es ihm doch, eine geradezu unglaubliche Anzahl von Taten innerhalb dem als Wette deklarierten plazo unterzubringen. Doch bereits die Erneuerung des plazo mit Don Luis stellt eine Wette dar, bei der der Einsatz das Leben selbst ist. Don Juan nutzt hier seine Chance zur Rettung seines Seelenheils und zelebriert in einer zeitenthobenen Szenerie die ästhetische Feier der sakralisierten Liebe. Unter Rekurs auf den Mythos Kairos, der den rechten Augenblick versinnbildlicht, geht es für die romantischen Helden darum, den günstigen Moment für ihr Handeln zu nutzen. Doch ist ihr Unterfangen stets vom Scheitern begleitet - sowohl hinsichtlich des rechten Augenblicks für die Revolte (CV), als auch im Hinblick auf Don Álvaros Bemühen, den rechten Moment zum Sterben zu finden. Auch im Trovador läuft der Held beständig der Zeit und den verpassten Chancen hinterher. Kairos wird in den romantischen Dramen - anders als in der deutschen Frühromantik, weniger als erfüllter Augenblick gedacht, denn vielmehr - wie schon der plazo - mit dem Tod assoziiert. Die Antwort der romantischen Helden auf diese Formen der Zeitwahrnehmung ist zunächst Resignation, wie im Falle Rugieros (CV). Das Verhältnis von Lebenszeit und Weltzeit wird dabei durch die Ästhetik des Grotesken und Erhabenen untermalt. Dann steigert sich dies jedoch zur Form des Empörertums der Figur des Don Álvaro, in dessen Sturz in den <?page no="240"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 240 Abgrund metaphorisch - als Steigerung der zuvor erfolgten Weltflucht - die romantische Weltentsagung verbildlicht wird. Hinsichtlich des romantischen Subjektes lassen sich genderspezifische Unterschiede ablesen: Der romantische Held tritt zunächst als autarkes, prometheisches Subjekt auf, das an die Machbarkeit der gesetzten Ziele glaubt. (CV, M, LAT) In Anbetracht der Widrigkeiten, die ihm vor allem von der Gesellschaft entgegengebracht werden, resigniert er jedoch und blickt dem Tod hoffnungsvoll entgegen. Auch hinsichtlich der Subjektproblematik lässt sich eine Steigerung in den romantischen Dramen konstatieren, hin zu der Empörergeste der Weltentsagung eines Don Álvaro oder dem Don Juan als Rebell gegen die gesellschaftlichen Wertvorstellungen. Im Don Juan Tenorio führt die Weltentsagung zu einer Flucht ins Ästhetische. Schon in diesem Drama wird das Subjekt zum Spiegel metapoetischer Diskurse: hier, wie im Traidor, inconfeso y mártir verkörpern die beiden Helden auf metafiktionaler Ebene den Autor. Der Held des Traidor setzt mit seiner Lebensgeschichte zugleich die Geschichte des Rachefeldzuges gegen den Richter Don Rodrigo in Szene. Endpunkt dieser mise en abyme stellt dann der Tod des "Autors" dar, der von Beginn an mit einkalkuliert wurde. Die romantische Heldin hingegen wird zunächst als schwache Figur dargestellt. Im patriarchalen Diskurs nimmt sie die Objektposition ein. Anders als der romantische Held muss die Heldin die eigene Subjektkonstitution erst noch durchlaufen. Die Liebe wird für sie zum Medium der Inititation: die väterliche Weigerung, den Geliebten in Anbetracht des Paritätsunterschiedes zu akzeptieren, ist hierbei der Auslöser. Die Subjektkonstitution nimmt dann unterschiedliche Formen an: sie kann im Rückzug ins Kloster als Absage an die Gesellschaft gesehen werden, nimmt bei Leonor (DA) jedoch auch schon weitergehende Züge an, insofern als die Heldin der Welt völlig entsagt, indem sie sich in die Eremitenklause in der Natur zurückzieht. Zum anderen geraten die Heldinnen in ihrer Subjektkonstitution in einen religiösen Konflikt, den Doña Inés in ihrem Handel mit Gott bewältigt. Aurora schließlich schreitet als autarkes Subjekt am Ende des Traidor, inconfeso y mártir davon und verweigert dem Vater die Geste der Versöhnung. Hinsichtlich des romantischen Freiheitsstrebens stehen einerseits der Gegensatz von Politischem und Privatem im Mittelpunkt, wobei das private Glücksstreben eindeutig an Bedeutung gewinnt. Während in der Conjuración de Venecia die politische Verschwörungsgeschichte und die Liebesgeschichte zwei gleichwertige Handlungsstränge bilden, wird die politische Geschichte zunehmend zum Aufhänger der eigentlichen Handlung, die das private Glücksstreben des Individuums in den Vordergrund stellt (z.B. Tr, DA, LAT). Andererseits nimmt die Freiheitsproblematik auch existentielle Züge an. In Anbetracht der Widrigkeiten denen sich der Mensch in der sich im Umbruch befindenden Welt ausgesetzt sieht, gerät das romantische Freiheitsstreben zunehmend in einen Zwiespalt. Die tradierten Topoi der <?page no="241"?> Leitbegriffe der ästhetischen Moderne: Zeit, Subjekt und Freiheit 241 Natur und des Klosters als Refugium des Menschen wandeln sich zu Orten des Eingesperrtseins, die auf der symbolischen Ebene die Unfreiheit der menschlichen Existenz spiegeln sollen. Im Falle Don Álvaro bricht die Gesellschaft in Gestalt des nach Rache strebenden Sohnes des Marqués de Calatrava zerstörerisch in den Ort der Kontemplation und Ruhe ein. Im Trovador gerät Leonor durch ihre Flucht ins Kloster in einen unüberwindbaren religiösen Gewissenskonflikt, der in der Entscheidung für den Geliebten zur Absage an Gott führt. Im Don Juan Tenorio schließlich ist das Kloster symbolischer Ort des die Frau um ihre sinnlichen Erfahrungen beraubenden Gefängnisses. Der mit dem barocken Topos des desengaño in Zusammenhang stehende Ort des Turmgefängnisses, der in den Calderónschen Dramen für den Helden noch zum Ort der Sinnentschlüsselung wird, erfüllt diese Funktion in den romantischen Dramen nicht mehr. Den engaño der Welt hat der romantische Held in zunehmendem Maße bereits zuvor durchschaut, und so degeneriert das Gefängnis in der Conjuración de Venecia und im Traidor, inconfeso y mártir schließlich zum Ort der Folter. In letzterem Drama kommt noch eine neue Variante des Gefängnisses hinzu: für den pastelero de Madrigal wird sein eigener Körper zur Metapher des Eingesperrtseins des modernen Menschen. Diesem Zustand setzt er jedoch selbstbewusst die Befristung des eigenen Lebens entgegen. <?page no="243"?> 5 Schlussbemerkungen Den deutschen Romantikern galt Spanien als Projektionsfläche ihrer romantischen Theorien. So kulminierte August Wilhelm Schlegels Beschäftigung mit der spanischen Literatur des Mittelalters und des Siglo de Oro in der Eloge des katholischen Spaniens der Gegenreformation als Sehnsuchts- ort romantischer Ideale wie Rittertum, Heldenmut und Ehre. 1 Eine verquere Rezeptionslage romantischen Ideenguts ergab sich daraus für Spanien, das lange Zeit als Objektland der Romantik festgeschrieben war. Diese Eloge führte nicht nur zu der kuriosen Situation, dass in der romantischen Debatte in Spanien ein konservativer Vertreter wie Böhl de Faber für und ein liberaler Vertreter wie Mora gegen die Romantik Position bezogen. Die Aufwertung der großen spanischen Autoren - vor allen anderen Miguel de Cervantes' und Pedro Calderón de la Barcas - verstellte hingegen nachhaltig den Blick auf die romantische Literatur Spaniens. Lange hielten sich Thesen, die spanische Literatur des 19. Jahrhunderts habe gar keine Romantik hervorgebracht oder wenn das Vorhandensein der Romantik bejaht wurde, dann konstatierte man E.A. Peers folgend einen eklektizistischen Charakter 2 oder sah Sebold folgend eine Kontinutitätslinie vom Barock zur Romantik. 3 Auch die im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts einsetzenden Studien, die auf den Bezug zwischen Romantik und Liberalismus fokussierten, konnten die spanische Romantik nicht aus dem Schatten des kulturgeschichtlich scheinbar bedeutenderen Siglo de Oro lösen. Wenig erstaunlich ist daher, dass eine - den Zeitgenossen bereits vertraute, in der europäischen Romantikforschung sich aber erst seit den 1990er Jahren heraus kristallisierende - Tendenz innerhalb der Forschungen zur spanischen Romantik bislang kaum eine Rolle gespielt hat: der Dialog zwischen der Romantik und der (ästhetischen) Moderne. Die vorliegende Studie hat den Blick auf eben diesen Transformationsprozess gerichtet, um das - auch der spanischen - Romantik inhärente Modernitätspotential im gesamteuropäischen Kontext herauszuarbeiten. Während die ältere Forschung die offensichtlichen thematischen und poetologischen Parallelen zwischen der Literatur des Barock und der Romantik als Beleg für die Kontinuität literaturgeschichtlicher Entwicklungen in Spanien gewertet hat, konnte die vorliegende Studie den innovativen Charakter eines solchen Rekurses auf die eigene Theatertradition im Kon- 1 "Wenn Religionsgefühl, biederer Heldenmut, Ehre und Liebe die Grundlage der romantischen Poesie sind, so mußte sie in Spanien [...] wohl den höchsten Schwung nehmen." August Wilhelm Schlegel, Krtische Schriften und Briefe, hg. von Edgar Lohner, Bd. 6, Stuttgart: Kohlhammer 1967, S. 262f. 2 Vgl. Edgar Allison Peers, A Short History of the Romantic Movement in Spain. 3 Russel P. Sebold, Concurso y consorcio: Letras ilustrados, letras románticas, Salamanca: Universidad de Salamanca 2010. <?page no="244"?> Schlussbemerkungen 244 text der zeitgenössischen dichtungstheoretischen Debatten in Spanien seit den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts verorten. In Weiterentwicklung der Ansätze Hans Juretschkes und wegweisender Arbeiten spanischer Hispanisten (Martínez Torrón, Checa Beltrán) wurde aufgezeigt, dass Spanien seit den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts an den europäischen Theoriedebatten zur Romantik Anteil hatte. Die Schlegelschen romantischen Ideen wurden ungefähr zeitgleich in Spanien diskutiert, d.h. bereits zu einem frühen Zeitpunkt fand die - so genannte - historische Romantik Verbreitung. Von einer zeitlichen Verzögerung kann folglich keine Rede sein. Die Postulate der liberalen Romantik fanden über das Exil, in dem sich die spanischen Liberalen während der absolutistischen Ära Fernando VII. befanden, spätestens nach dem Tod des Monarchen ebenfalls Eingang in die literarischen Zirkel Spaniens. Als die Liberalen 1833 aus dem Exil zurückkamen - im Gepäck z.T. im Ausland verfasste romantische Dramen -, war der Boden für die Romantik folglich schon bereitet. Dies erklärt den Erfolg, der dem romantischen Drama insbesondere in der frühen Phase von 1834-37 beschieden war. Bereits Ende der 30er Jahre lässt sich eine von der Forschung lange konstatierte Trennung der Romantik in eine historische bzw. konservative auf der einen Seite und eine liberale auf der anderen Seite nicht mehr aufrecht erhalten. 4 Auch die These eines frühen Endes der Romantik, die generell mit dem als christlich gedeuteten Don Juan Tenorio Zorrillas korreliert, konnte durch eine relecture des Werkes widerlegt werden, in der sich die Modernität des Stückes abzeichnet. Die gesellschaftliche, politische und kulturelle Umbruchsituation beantwortete die Literatur in Spanien mit einem Wandel in den ästhetischen Grundfesten. Im Zuge der ästhetischen Moderne verändert sich die Bewertung des Schönen in der Literatur und es kommt zum Prozess der Ausdifferenzierung der Platonischen Triade des Guten, Wahren und Schönen. Diese Konzepte hatten zuvor im Barock einem christlichen und in der Aufklärung einem rationalistischen Verständnis folgend noch eine Einheit gebildet. Der sich auf dem Weg zur ästhetischen Moderne vollziehende Transformationsprozess wurde am Beispiel des romantischen Dramas in Spanien durch den systematischen Abgleich zentraler Begrifflichkeiten analysiert. Im ersten Teil des Hauptteils erfolgte die Analyse der Leitbegriffe Religion (als ethischer Kategorie), Wahrheit (als Streben nach Erkenntnis) und Liebe (als Medium des Schönen). Hinsichtlich des Konzeptes der Religion lassen sich auch für das spanische romantische Drama erste Säku- 4 Zu diesem Ergebnis gelangt auch María de los Ángeles Ayala, "La defensa de lo romántico en la revista literaria El Artista", in: Centro Interdisciplinare di Studi Romantici (Hg.), Romanticismo 8: Los románticos teorizan sobre sí mismos, S. 35-45, hier: S. 38: "Se abraza así el romanticismo histórico con la evolución que la esucela ha experimentado en Francia, con ese romanticismo de tono humanitario y más exaltado que la revista [El Artista], particularmente, defiende con entusiasmo y desea dar a conocer a sus lectores." <?page no="245"?> Schlussbemerkungen 245 larisierungstendenzen feststellen, die der These einer katholisch ausgerichteten Romantik in Spanien widersprechen. Gott stellt in den romantischen Dramen zwar noch eine Bezugsgröße dar, die um Hilfe angerufen wird, dennoch lässt sich der bisweilen floskelhafte Charakter dieser Wendungen nicht übersehen. Es war zu beobachten, dass sich die liberale Religionsauffassung der romantischen Dramatiker in die Werke eingeschrieben hat. Zudem ist eine Verschiebung vom guten, erhabenen Helden (CV, M) hin zum das Böse repräsentierenden, dämonischen Helden (DA, DJ, TIM) 5 zu bemerken. Mit Don Álvaro betritt die Gestalt des romantischen Empörers die spanische Bühne: er ist bereits mit dämonisierten Zügen ausgestattet, die sich in der Figur des Don Juan Tenorio noch verstärken sollten. Mit dem pastelero de Madrigal (Traidor, inconfeso y mártir) zeichnet Zorrilla schließich einen Helden, der sein Schicksal zwar vordergründig in Gottes Hand legt, zugleich aber auf subtile Weise gegen seinen Schöpfer rebelliert. Das Werk des als nationaler Dichterfürst in Spanien schon zu Lebzeiten gefeierten Autors wurde von der Forschungsliteratur zu sehr unter der Lesart der nationalen katholischen Erneuerung der bürgerlichen Schichten gedeutet. Anhand der Analyse zwei seiner Dramen im Hinblick auf die sechs hier ausgewählten Leitbegriffe konnte aufgezeigt werden, dass diese vordergründige Lesart wohl auf die Vereinnahmung insbesondere des Don Juan Tenorio durch die bürgerliche Rezeption im 19. Jahrhundert zurückzuführen ist. Mit seiner Studie zur Rezeptionsgeschichte des Don Juan Tenorio konnte Hans Mattauch bereits nachweisen, dass die in der Forschungsliteratur viel zitierte These, der Don Juan Tenorio werde seit 100 Jahren alljährlich zum Allerseelenfest aufgeführt, eine Fiktion der Rezeptionsgeschichte darstellt. 6 Hieraus sollte sich später eine weitere Fiktion bezüglich des Rezeptionsmodus' entwickeln, wie Mattauch weiter ausführt. Gestützt wird die religiöse Lesart des Don Juan Tenorio oftmals auf Zorrillas' Selbstinterpretation des Stückes in seinen Recuerdos del tiempo viejo, in denen er bemerkt: "Doña Inés es cristiana." Bedenkt man, dass die Recuerdos eine Auftragsarbeit waren, die dem oft unter Geldmangel leidenden Autor sein Auskommen sichern sollten, muss diese Äußerung jedoch kritisch hinterfragt werden. Zumindest scheint es wenig angebracht, ein Werk wie den Don Juan Tenorio aufgrund der Aussage in den Memoiren des Autors, der in seinen Texten moderne Verfahrensweisen literarischer Selbstreflexion anwandte, auf eine solch einseitige Deutung festzuschreiben. Hinsichtlich des Leitbegriffs der Wahrheit zeichneten sich im Streben der Helden nach Erkenntnis deutliche Zweifel an der Instanz Gottes ab. Während Wahrheit und Wahrscheinlichkeit im neoclasicismo noch wichtige Bezugsgrößen darstellten, wandelte sich dies in der Romantik. Auf poeto- 5 In Ansätzen trifft dies auch auf die Helden Manrique (Tr) und Marsilla (LAT) zu. 6 Vgl. Hans Mattauch, "El Tenorio muerto por Zorrilla? Über Fakten und Fiktionen der Rezeption von 'Don Juan Tenorio'", in: Karl-Hermann Körner, Günther Zimmermann (Hg.), Homenaje a Hans Flasche. Festschrift zum 80. Geburtstag am 25.November 1991, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 1991, S. 335-347. <?page no="246"?> Schlussbemerkungen 246 logischer Ebene deutet sich das z.B. in der Verarbeitung historischer Stoffe an: die historische Authentizität wird der freien Imagination des Autors untergeordnet. Im gesellschaftlichen Kontext zeigt sich diesbezüglich ein innovativer Umgang mit dem barocken Topos des engaño. Im Barock galt die literarische Verarbeitung der Scheinhaftigkeit der Welt (engaño) und der Darstellung der Techniken der Sinnentschlüsselung (desengaño) noch einer Stärkung einer auf die katholische Religion zu gründenden Weltsicht. In der Romantik hingegen wird der engaño aus dem religiösen Kontext herausgelöst: die Gesllschaft entpuppt sich als Produzent des Illusionären. Der Schein hat solche Ausmaße angenommen, dass eine Wiederherstellung der Ordnung im christlichen Verständnis nicht mehr denkbar ist. Nicht mehr die Religion bildet dem Menschen ein Trost spendendes Refugium, sondern hier kommt es zu einer Verschiebung hin zum Medium der Liebe. Den romantischen Liebesdiskurs prägen die Prinzipien der Einzigartigkeit des bzw. der Geliebten und die Ausschließlichkeit, mit der geliebt wird. Dennoch stehen dem Glücksstreben des romantischen Liebespaares gewichtige Hindernisse im Weg, die eine Erfüllung des irdischen Glückes vereiteln. Die romantische Liebe mündet in den Dramen der spanischen Romantik stets in ein tödliches Szenario, und so verlagert sich deren Erfüllung ins Jenseits. Die romantische Synthese von Liebe und Tod kulminiert dabei in eine Sakralisierung der Liebe, die zu einer Art Ersatzreligion aufsteigt. In letzter Konsequenz führt dies - wie im Don Juan Tenorio - dazu, dass die Liebe zum Medium der literarischen Selbstreflexion wird. Mit dem zweiten hier behandelten romantischen Drama Zorrillas ließ sich zudem auch ein Beispiel für den zur Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzenden Diskurs der Reflexion der Romantik anführen. Der beschriebene Prozess der Verschiebungen in den drei Leitbegriffen Religion, Wahrheit und Liebe, der von einem Zerfall der Platonischen Triade im romantischen Drama in Spanien kündete, lenkte die Blickrichtung auf drei Leitbegriffe, die für die ästhetische Moderne signifikant sind: Zeit, Subjekt, Freiheit. Die Zeit wird vom modernen Menschen als die sein Dasein bestimmende Größe angesehen. In den analysierten romantischen Dramen lässt sich das für die Moderne typische beschleunigte Zeitbewusstsein in allen hier analysierten Dramen aufzeigen. Unter Rekurs auf tradierte Topoi, Symbole und Metaphern, die im romantischen Kontext jedoch neu gestaltet werden, manifestiert sich eine Potentierung des Gefühls des immer schnelleren Ablaufes der Zeit in der Romantik. Dies trifft insbesondere auf die Metapher des Zeitflusses zu. Der plazo wird nicht mehr wie in den Tragödien vom Schicksal vorgegeben, sondern in der Romantik setzt der moderne Held die Frist zumeist selbst, und sie dient vordergründig dazu, innerhalb einer vorgegebenen Zeitspanne zu Ruhm und Reichtum zu gelangen. Häufig ist der plazo auch nur ein Vorwand des Vaters der Auserwählten, um sich des - wegen des Paritätsunterschiedes als unwürdig erachteten - Prätendenten zu entledigen. Am Ende kämpft der romantische Held jedoch nicht gegen die Macht <?page no="247"?> Schlussbemerkungen 247 der sich zum Schicksal erhebenden Zeit - so die gängige These der Forschungsliteratur -, sondern gegen die Widrigkeiten, die ihm von einzelnen Vertretern der Gesellschaft in den Weg gelegt werden. Der plazo wird zudem in den romantischen Dramen in Bezug zu einer Befristung des Lebens gesetzt und kulminiert im extremsten Fall im gemeinsam vollzogenen Liebestod des romantischen Heldenpaares. Diese auf den Tod gewandte Blickrichtung prägt auch den Rekurs auf Kairos, der nicht mehr in erster Linie den günstigen Augenblick des erfüllten Glückes darstellt, nach dem der Mensch strebt. In den romantischen Dramen lässt sich hingegen eine Verschiebung zum passenden Moment des Todes erkennen. Im Hinblick auf den dritten die ästhetische Moderne prägenden Leitbegriff konnten wir in den romantischen Dramen eine Tendenz konstatieren, die das romantische Subjekt als Individuum auffasste, insofern als es sich zunehmend der Kontingenz seines Handelns bewusst wird und nach der Erfüllung des individuellen Liebesglücks mit der bzw. dem Auserwählten strebt. Hier konnten genderspezifische Unterschiede aufgezeigt werden: Während der romantische Held zunächst als autarkes Subjekt die Bühne betritt, muss die romantische Heldin eine solche Subjektkonstitution erst durchlaufen. Das Scheitern des Helden führt entweder zur resignativen romantischen Weltentsagung oder wird in einem metapoetischen Diskurs sublimiert. Die romantische Heldin hingegen reflektiert oft in wesentlich stärkerem Maße als ihr Geliebter die Situation und die Möglichkeiten zum Handeln. Der Tod scheint auch hier fast immer die einzige Antwort auf die Unwägbarkeiten der Welt zu sein. Allein Aurora, die Heldin des letzten romantischen Dramas aus der Feder Zorrillas, schreitet am Ende des Traidor, inconfeso y mártir aufrecht fort und kündigt mit dieser Geste eine neue Haltung im Hinblick auf die Welt an. Die Analyse der romantischen Dramen in Bezug auf den dritten Leitbegriff der ästhetischen Moderne, die Freiheit, legte den Zwiespalt des modernen Menschen zwischen den Bereichen des Privaten und Politischen offen. In der Conjuración de Venecia wurde dies über die Ästhetik des Grotesken und Erhabenen verdeutlicht. Die unüberwindbaren Hindernisse, denen sich das romantische Heldenpaar in seinem Glücksstreben ausgesetzt sieht, führen dazu, dass sich der Diskurs der Freiheit in der Romantik eher zum Diskurs der Unfreiheit hin verlagert. Daraus folgt auch ein Bedeutungswandel der Topoi. Das Kloster kann nicht mehr als Refugium Schutz bieten, sondern wird zunehmend mit dem den Menschen seiner Freiheit beraubenden Ort gleichgesetzt. Das Gefühl des Eingesperrtseins kann sich dabei sowohl auf physische als auch geistige Gefangenschaft beziehen: so landen nicht alle Helden unbedingt tatsächlich hinter Gefängnisbzw. Klostermauern, sondern auch die nicht auf wechselseitiger Liebe beruhende Ehe kann metaphorisch zum Gefängnis stilisiert werden. Modern mutet auch der Gedanke des pastelero de Madrigal (TIM) an, der zum Gefangenen seines eigenen Körpers wird. <?page no="248"?> Schlussbemerkungen 248 Weitere die Freiheit einschränkende Themen sind die Ehre und das Geld. Zwar werden hier barocke Diskurse im romantischen Drama aufgegriffen, doch lässt sich ein innovatives Potential in der literarischen Verarbeitung dieser Themen erkennen. Anders als im Barock zielt die Darstellung des rigiden Ehrenkodexes im romantischen Drama nicht mehr auf eine Wiederherstellung der Ordnung, sondern die Ehrenkasuistik mündet in ein düsteres Ende, aus dem niemand mehr siegreich hervorgeht. Die Darstellung des Faktors Geld, der ebenfalls schon in den Diskursen des Barock eine Rolle spielte, erfährt eine Verschärfung, die in der Kritik an der zunehmenden Kapitalisierung der Gesellschaft deutlich zu Tage tritt. Die Analyse der Leitbegriffe Zeit, Subjekt und Freiheit konnte im zweiten Teil des Hauptteils der vorliegenden Studie folglich die romantischen Dramen im Kontext der ästhetischen Moderne verorten. Neben der um ein Vielfaches beschleunigten Zeitwahrnehmung im Allgemeinen, der Problematik des innerlich zerrissenen Subjektes und dem mehr von einem Diskurs der Unfreiheit überlagertem Streben nach Freiheit, sprechen auch die Ergebnisse auf der Ebene der ästhetischen Bedingtheiten für eine solche Verortung. So konnten neben dem Aufzeigen der Ästhetik des Grotesken und Erhabenen im romantischen Drama sowohl poetologische - die Verschränkung von Imagination und Memoria - als auch metapoetische Diskurse geltend gemacht werden. Diese Tendenzen stehen im Zusammenhang mit einem für die Romantik konstitutiven neuem Kunstverständnis, das im Prozess der Herausbildung der ästhetischen Moderne weiteren Transformationen unterliegt. Das schriftstellerische Selbstverständnis des Autors der Romantik gründet im Gegensatz zum (neo)klssizistischen Prinzip der imitatio auf der freien Imagination des Künstlers. Damit verbunden ist nicht nur eine Befreiung vom poetologischen Regelwerk, sondern zugleich ein Wandel in der Funktion der Kunst. Diese löste sich vom Mimesis-Prinzip, zielte nicht mehr auf die Abbildung der Wirklichkeit, sondern reflektierte in zunehmendem Maße über die Kunst und den Entstehungsprozeß des Kunstwerkes selbst. Letzteres eröffnete den Schriftstellern zugleich den Raum, den eigenen Prozess der Bildung zum Künstler literarisch zu inszenieren. Eben diesen Prozess spiegelt die Szene der Begegnung Don Juans mit dem Bildhauer im Pantheon. 7 Während Letzterer i.S. der von Germaine de Staël vorgenommenen Unterscheidung 8 als Repräsentant der alten Kunst zu deuten ist, dessen oberstes Gestaltungsprinzip die möglichst authenti- 7 Vgl. hierzu: Kap. 3.4.5. 8 So führt Germaine de Staël in De l’Allemagne aus: "On a comparé dans divers ouvrages allemands la poésie antique à la sculpture, et la poésie romantique à la peinture; […]" Germaine de Staël, De l'Allemagne, Bd. 1, II. Teil, Kap. XI (De la poésie classique et de la poésie romantique), S. 211. <?page no="249"?> Schlussbemerkungen 249 sche Imitation der realen Vorbilder war, 9 übernimmt Don Juan die Rolle des romantischen Schrifstellers, der die statischen Skulpturen kraft seiner Imagination in Bewegung versetzt. Wenn Don Juan den Bildhauer am Ende der Szene aus dem Pantheon als Reich seiner künstlerischen Gestaltung vertreibt, kann man darin symbolisch die Wachablösung der alten ((neo-) klassizistischen) durch die moderne (romantische) Kunst erkennen. Hinsichtlich der Kunstautonomie ließen sich weitere Studien an die vorliegende Arbeit anschließen. Insbesondere der spielerische Charakter der Literatur der Romantik eröffnet eine weitere Forschungsperspektive. In den Analysen der Leitbegriffe der ästhetischen Moderne in den romantischen Dramen Spaniens zeichnete sich eine spürbare Tendenz zur Inversion nicht nur bezüglich der Darstellung bestehender Ordnungen, sondern zugleich auch in Bezug auf den sprachlichen und ästhetsichen Bereich ab. Die Analyse der intertextuellen Bezüge, die hier insbsondere mit Blick auf das Verhältnis zwischen spanischem Barock und Romantik erörtert wurden, eröffnet weitere Fragenkomplexe. 10 So ließe sich beispielweise ein parodistisches Potential in der literarischen Verarbeitung der Liebesdiskurse in den romantischen Dramen thematisieren. Sind die intertextuellen Verweise auf die Troubadourlyrik nicht sogar als Parodie auf den darin verarbeiteten höfischen Liebesdiskurs zu lesen? So kann man die Szene in Los Amantes de Teruel (2. Akt, 1. Szene: "Déjame el suelo besar que pisas."), in der Margarita vor ihrem Ehemann als ihrem Herrn niederniet, als Parodie auf die in der mittelalterlichen Lyrik verankerte Geste des Troubardours gegenüber seiner Dame deuten. Auch die Liebesbrief-Szene im Don Juan Tenorio lädt durchaus zu einer parodistischen Lesart ein. Wenn Don Juan sich im Brief des religiösen Registers bedient, so mag das bei einer vordergründigen Lesart zur Deutung der Konversion des romantischen Helden führen. Einer modernen Lesart folgend parodiert die Szene aber den religiösen Diskurs und schließt eine Wandlung des Protagonisten vielmehr aus: Don Juan setzt den religiösen Duktus bewusst ein, "weil es die einzige Sprache der Verführung ist, die eine Novizin versteht." 11 Diese Lesart wird auch durch den verstärkten Einsatz der Naturmetaphorik und der Feuersymbolik, die deutliche Anleihen am Liebesdiskurs der Mystiker nimmt, untermauert. 9 Im Sinne Germaine de Staëls honoriert Don Juan in dieser Szene durchaus den Wert der antiken Kunst, wenn er bestätigt, dass die Skulpturen allesamt äußerst gelungen sind. (Don Juan Tenorio, II. Teil, 1. Akt, Szene 2). 10 Daneben harrt auch weiterhin eine eingehende Analyse des intertextuellen Bezugssystems zwischen den spanischen romantischen Dramen und denjenigen aus Frankreich und Deutschland einer eingehenden Bearbeitung. Auch die intertextuellen Bezüge zwischen den Werken der spanischen Romantik und der 98er Generation bzw. dem Modernismo wären es wert, vertiefend betrachtet zu werden. Hier ergeben sich insbesondere auch Ansatzpunkte hinsichtlich der metapoetischen Verfahrensweisen. 11 So pointiert formulierte es Ulrich Prill (†), der mich in der parodistischen Deutung der romantischen Dramen zugleich bestärkte, in seinem Gutachten. <?page no="250"?> Antonio María Esquivel y Suárez de Urbina, Los poetas contemporáneos. Una lectura de Zorrilla en el estudio del pintor (1846), © Museo del Prado (Madrid) <?page no="251"?> Schlussbemerkungen 251 Ein weiteres Thema, das im Kontext der Beschäftigung mit dem romantischen Drama ein Desiderat der Forschung darstellt, ist das Feld der Intermedialiät. Nicht nur die kostumbristischen Eingangsszenen im Don Álvaro und Don Juan Tenorio, sondern auch das Spiel mit den auf verschiedenen Wahrnehmungsebenen produzierten Bildern, ließen Rückschlüsse auf den mit der Romantik sich vollziehenden kulturellen Transformationsprozeß zu. Die Verschränkung der verschiedenen Kulturbereiche der spanischen Gesellschaft führte zu einer mannigfaltigen Interaktion zwischen Künstlern der unterschiedlichsten Provenienz. Der Begriff und das Selbstverständnis des Künstlers hatten sich gewandelt, und so verliefen die Grenzlinien zwischen den verschiedenen Formen der Kunst nicht mehr stringent. 1 Vielmehr vernetzten sich die Künstler zunehmend miteinander: Las reuniones de artistas fueron muy comunes durante el Romanticismo, que tenía entre sus metas la ruptura de las barreras que existían tradicionalmente entre las artes, creando así lo que podríamos llamar una comunidad fraternal entre artistas. 2 Auf diese Veränderungen im kulturellen Raum hat auch Andreas Gelz in seiner Studie zur tertulia hingewiesen: im 19. Jahrhundert zeichnet sich demzufolge eine Tendenz ab, innerhalb derer die tertulia zunehmend zum Repräsentationsraum der kulturellen Öffentlichkeit wird. 3 In der Kunst ist diese Vernetzung z.B. in Gemälden Antonio María Esquivels intermedial verarbeitet. Als Beispiel sei hier abschließend sein Bild Los poetas contemporáneos. Una lectura de Zorrilla en el estudio del pintor (1846) angeführt. Das 1,44 x 2,17 m große, heute im Besitz des Museo del Prado befindliche Werk, ist nicht nur das bekannteste des Malers, sondern wird sogar als "pieza capital del Romanticismo español" 4 tituliert. Das Motiv des Gemäldes ist eine - fiktive - Zusammenkunft zahlreicher bedeutender Dichter der Romantik im Atelier des Künstlers anlässlich der Lesung eines Werkes José Zorrillas. 5 1 Vgl. Joaquín Álvarez Barrientos, "Imagen y representación del artista romántico", in: Centro Interdisciplinare di Studi Romantici (Hg.), Romanticismo 8: Los románticos teorizan sobre sí mismos. Actas del VIII Congreso (Saluzzo, 21-23 de Marzo de 2002), Bologna: Il Capitello del Sole 2002, S. 25-34, hier: S. 28. 2 Begoña Torres González, Museo del Romanticismo. Guía, Madrid: Ministerio de Cultura 2009, S. 148. 3 Vgl. Andreas Gelz, Tertulia. Literatur und Soziabilität im Spanien des 18. und 19. Jahrhunderts, Frankfurt/ M.: Vervuert 2006, S. 366. 4 http: / / www.museodelprado.es/ coleccion/ galeria-on-line/ galeria-on-line/ obra/ lospoetas-contemporaneos-una-lectura-de-zorrilla-en-el-estudio-del-pintor. 5 Auf dem Gemälde Esquivels sind u.a. zahlreiche der bedeutendsten romantischen Dramatiker und Dramentheoretiker wie Juan Eugenio Hartzenbusch, Manuel Bretón de los Herreros, Joaquín Francisco Pacheco, Duque de Rivas, Francisco Martínez de la Rosa, Ventura de la Vega und José Zorrilla vertreten. Eine genaue Auflistung aller auf dem Gemälde vertretener Persönlichkeiten des spanischen Kulturlebens zur Mitte des 19. Jahrhunderts findet sich ebd. <?page no="252"?> Schlussbemerkungen 252 Einerseits darf das Bild als Symbol dessen gedeutet werden, dass die Malerei hier exemplarisch der Dichtung eine Bühne verleiht und metapoetisch zugleich die Produktion und Rezeption des Kunstwerkes spiegelt, indem Zorrillas Lektüre zum Gegenstand der Malerei wird. Andererseits ist es aber ein Zeugnis der wechselseitigen Inspiration der Künste, die sich in der Variation der Prinzipien des Horazschen ut pictura poesis zu ut poesis pictura offenbart. Es unterstreicht ein weiteres Mal die Bedeutung und Vitalität der Romantik in Spanien zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Zu einer Zeit, in der die Romantiker längst nicht am Ende, sondern vielmehr am Gipfel der Reflexion über ihre eigene Kunst angekommen waren. Einen Beleg hierfür sieht Leonardo Romero Tobar u.a. darin, dass sich mit der Ankunft Gustavo Adolfo Bécquers im Jahre 1854 in Madrid eine erste spanische Bohème- Bewegung bildete. 6 Auch in dieser Hinsicht lädt die Modernität der spanischen Romantik zur weiteren Erörterung ein. 6 Vgl. Leonardo Romero Tobar, La lira de Ébano. Escritos sobre el romanticismo español, Málaga: Universidad de Málaga 2010, S. 91. <?page no="253"?> 6 Bibliographie 6.1 Primärliteratur Alcalá Galiano, Antonio, "Prólogo", in: Duque de Rivas, El Moro expósito o Córdoba y Burgos en el Siglo Décimo, hg. von Ángel Crespo, Madrid: Espasa Calpe 1982, S. 7- 32 Baudelaire, Charles, "La modernité", in: Ders., Curiosité esthétiques. L'Art moderne et autres oeuvres critiques, textes établis avec introduction, relevé de variantes, notes et bibliographie par Henri Lemaitre, Paris: Garnier 1962 (Classiques Garnier) Baudelaire, Charles, "Qu'est-ce que le romantisme? 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Erika Fischer-Lichte Geschichte des Dramas Band 1: Von der Antike bis zur deutschen Klassik UTB S 3. Aufl. 2010, 412 Seiten, €[D] 19,90/ SFr 35,90 ISBN 978-3-8252-1565-1 Band 2: Von der Romantik bis zur Gegenwart UTB S 3. Aufl. 2010, VI, 306 Seiten, €[D] 19,90/ SFr 33,80 ISBN 978-3-8252-1566-8 <?page no="268"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.narr.de · E-Mail: info@narr.de Der Band Spanische Literaturwissenschaft aus der Reihe bachelor-wissen richtet sich als leserfreundliche Einführung speziell an die Studierenden und Lehrenden in den literaturwissenschaftlichen Modulen der hispanistischen Bachelor-Studiengänge. Die anschauliche Aufbereitung des fachlichen Grundwissens wird dabei von anwendungsorientierten Übungseinheiten gerahmt, die eine eigenständige Umsetzung des Erlernten ermöglichen und einen nachhaltigen Kompetenzerwerb unterstützen. Neben traditionellen Lerninhalten wird nicht zuletzt die besondere Rolle der neuen Medien berücksichtigt. Hinweise zur beruflichen Orientierung ergänzen die fachwissenschaftlichen Grundlagen. Maximilian Gröne Rotraud von Kulessa Frank Reiser Spanische Literaturwissenschaft Eine Einführung bachelor-wissen 2009, X, 262 Seiten, €[D] 16,90/ SFr 31,00 ISBN 978-3-8233-6475-7