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Die Formenvielfalt des langage SMS im Wechselspiel zwischen Effizienz, Expertise und Expressivität

Eine Untersuchung der innovativen Schreibweise in französischen SMS

0313
2013
978-3-8233-7743-6
978-3-8233-6743-7
Gunter Narr Verlag 
Anja Reinkemeyer

Schreibweisen wie >>dsl g pa 2 rézo<< (désolé(e) j(e n)'ai pas de réseau) sind in französischen SMS-Texten weit verbreitet. Sie bilden den Kern des langage SMS, der sich neben einer Reihe von graphostilistischen Verfahren durch einen beachtlichen Variantenreichtum auszeichnet, etwa für das Wort demain: 2m1, 2min, 2main, demin, dmain, dem1, dem, dmin, 2Main, dm1. Dieser Variantenreichtum steht im Zentrum der Untersuchung. Mittels einer kommunikationstheoretischen Charakterisierung der SMSKommunikation sowie einer qualitativ-quantitativen Analyse des langage SMS werden konkrete Einflussfaktoren herauskristallisiert, die das Auftreten bestimmter Schreibweisen wahrscheinlicher werden lassen. Hierbei wird neben den medial-technischen Bedingungen zur Textproduktion und den persönlichen Vorlieben der Verfasser auch die kommunikativ-funktionale Nutzung eine entscheidende Rolle spielen.

<?page no="0"?> Schreibweisen wie „dsl g pa 2 rézo“ (désolé(e) j(e n)’ai pas de réseau) sind in französischen SMS-Texten weit verbreitet und überraschen den geübten französischen SMS-Leser nur wenig. Sie bilden den Kern des langage SMS, der sich neben einer Reihe von innovativen graphostilistischen Verfahren durch einen beachtlichen Variantenreichtum auszeichnet. Allein für das Wort demain lassen sich zehn unterschiedliche graphische Varianten nachweisen: 2m1, 2min, 2main, demin, dmain, dem1, dem, dmin, 2Main, dm1. Dieser Variantenreichtum steht im Zentrum der Untersuchung. Mittels einer komplexen kommunikationstheoretischen Charakterisierung der SMS-Kommunikation sowie einer qualitativen und quantitativen Analyse des langage SMS auf der Basis eines umfangreichen Korpus werden konkrete Einflussfaktoren herauskristallisiert, die das Auftreten bestimmter Schreibweisen tendenziell wahrscheinlicher werden lassen. Hierbei wird neben den medial-technischen Bedingungen zur Textproduktion und den persönlichen Vorlieben der Verfasser auch die kommunikativ-funktionale Nutzung eine entscheidende Rolle spielen. Reinkemeyer Die Formenvielfalt des langage SMS Die Formenvielfalt des langage SMS im Wechselspiel zwischen Effizienz, Expertise und Expressivität von Anja Reinkemeyer 003713 ScriptO. 139 - Reinkemeyer_003713 ScriptO. 139 - Reinkemeyer Umschlag 19.02.13 16: 12 Seite 1 <?page no="1"?> Die Formenvielfalt des langage SMS 003713 ScriptO. 139 - Reinkemeyer_003713 ScriptO. 139 - Reinkemeyer Titelei 19.02.13 16: 11 Seite 1 <?page no="2"?> 139 Herausgegeben von Paul Goetsch und Wolfgang Raible 003713 ScriptO. 139 - Reinkemeyer_003713 ScriptO. 139 - Reinkemeyer Titelei 19.02.13 16: 11 Seite 2 <?page no="3"?> Anja Reinkemeyer Die Formenvielfalt des langage SMS im Wechselspiel zwischen Effizienz, Expertise und Expressivität Eine Untersuchung der innovativen Schreibweise in französischen SMS 003713 ScriptO. 139 - Reinkemeyer_003713 ScriptO. 139 - Reinkemeyer Titelei 19.02.13 16: 11 Seite 3 <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT. © 2013 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Druck und Bindung: Laupp & Göbel, Nehren Printed in Germany ISSN 0940-0303 ISBN 978-3-8233-6743-7 003713 ScriptO. 139 - Reinkemeyer_003713 ScriptO. 139 - Reinkemeyer Titelei 19.02.13 16: 11 Seite 4 <?page no="5"?> 5 Dank Mein herzlicher Dank gilt Prof. Dr. Isabel Zollna für die kompetente Betreuung meiner Arbeit, Prof. Dr. Gabriele Beck-Busse für die wertvollen Anregungen, der Philipps-Universität Marburg für die finanzielle Förderung meines Projektes, sowie ganz besonders meiner Schwester Simone Püschel und meinen Eltern für die sprachliche und moralische Unterstützung über die Monate hinweg. <?page no="7"?> 7 Inhaltsverzeichnis Einleitung .............................................................................................................11 1 SMS im medien- und kommunikationsgeschichtlichen Kontext ............15 1.1 Terminologische Abgrenzung ............................................................15 1.2 Das Medium Handy ............................................................................20 1.2.1 Verfügbare Kommunikationsformen.................................20 1.2.2 Stellenwert des Handys in der Gesellschaft ......................22 1.3 Die Kommunikationsform SMS .........................................................29 1.3.1 Ursprung und Entstehungsgeschichte der SMS- Kommunikation ....................................................................29 1.3.2 Gesellschaftliche Bedeutung und Gebrauchsweisen der SMS-Kommunikation ....................................................31 2 Stand der Forschung .....................................................................................37 2.1 Internationale Forschung ....................................................................39 2.2 Frankophone Forschung .....................................................................51 3 Kommunikationstheoretische Charakterisierung der SMS- Kommunikation.............................................................................................60 3.1 Grundlagen und Funktionsweisen der SMS-Kommunikation ......62 3.1.1 Mediale Rahmenbedingungen ............................................62 3.1.2 Kommunikativ-relevante Bedingungen: harte, flexible und weiche Faktoren..............................................................67 3.2 SMS-Kommunikation zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit ...................................................................................................84 3.2.1 Das Modell von Koch/ Oesterreicher .................................86 3.2.2 SMS-Kommunikation im Modell von Koch/ Oesterreicher ..............................................................87 3.2.3 Sprachliche Besonderheiten der SMS-Kommunikation zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit: ein kurzer Überblick................................................................................90 3.2.4 Ein erweitertes Kommunikationsmodell zwischen Nähe und Distanz .................................................................96 3.2.5 SMS-Kommunikation im erweiterten Nähe/ Distanz- Modell ..................................................................................109 4 SMS-spezifischer Schriftkode: der langage SMS ......................................112 4.1 Entstehung und Funktionen des langage SMS................................112 4.2 Das untersuchte Korpus ....................................................................119 <?page no="8"?> 8 4.3 Die langage SMS-Verschriftungsstrategien .....................................121 4.3.1 Primär effiziente Verschriftungsstrategien .....................122 4.3.2 Primär enigmatische Verschriftungsstrategien...............137 4.3.3 Primär expressive Verschriftungsstrategien ...................141 4.3.4 Die Verschriftungsstrategien im Überblick .....................150 4.4 Weitere formale Beobachtungen ......................................................151 4.4.1 Orthographiefehler und Tippfehler .................................151 4.4.2 Interpunktion ......................................................................152 4.4.3 Groß- und Kleinschreibung...............................................152 4.4.4 Sonstige formale Auffälligkeiten ......................................153 4.5 Heterogenität des langage SMS.........................................................154 4.5.1 Variantenreichtum..............................................................154 4.5.2 Homonymenproblematik ..................................................157 4.6 Erste Einblicke in den Umgang mit dem Variantenreichtum ......159 4.6.1 Generelle Automatisierungstendenzen: erwartbare Stilelemente des langage SMS ............................................159 4.6.2 Scheinbar resistente Bereiche ............................................170 4.6.3 Erste Einblicke in mögliche Einflussfaktoren bei der Wahl einer Schreibweise ....................................................172 5 Ein Quantifizierungsmodell für den langage SMS ..................................177 5.1 Eine an der Optimalitätstheorie (OT) orientierte Auswertungsmethode ...............................................................................................177 5.1.1 Struktureller Aufbau ..........................................................178 5.1.2 Erstes Beispiel: der lexikalische Input mais .....................181 5.1.3 Weiterführendes Beispiel: der lexikalische Input demain ...................................................................................203 5.2 Reichweite der Auswertungsmethode ............................................211 5.3 Kontinuum der Verfasserintentionen..............................................215 6 Kommunikativ-funktionale Nutzungsdimensionen der SMS- Kommunikation...........................................................................................221 6.1 Die SMS zwischen Textlinguistik und Gesprächsanalyse ............221 6.2 Zur Analyse der Kommunikationsfunktion ...................................229 6.3 Abgrenzung der kommunikativ-funktionalen Nutzungsdimensionen und deren Charakteristika ........................................232 6.4 Kontinuum der kommunikativ-funktionalen Nutzungsdimensionen........................................................................................249 <?page no="9"?> 9 7 Der langage SMS in Korrelation mit der kommunikativ-funktionalen Nutzung ........................................................................................................253 7.1 Einleitende Vorbemerkungen zur kommunikativen Gliederung einer SMS........................................................................253 7.1.1 Begrüßungsphase ...............................................................254 7.1.2 Verabschiedungsphase ......................................................259 7.1.3 Hauptphase .........................................................................263 7.2 Die Wechselbeziehung von langage SMS-Schreibweise und zugrunde liegender Kommunikationsfunktion................................ 265 7.2.1 Tendenzielle Auffälligkeiten innerhalb der praktischorganisatorischen Nutzung ...............................................266 7.2.2 Tendenzielle Auffälligkeiten innerhalb der Kontaktnutzung ..................................................................278 7.2.3 Tendenzielle Auffälligkeiten bei kommunikativfunktionalen Mischformen ................................................299 7.2.4 Erkennbare Tendenzen auf benutzerspezifischer Ebene ....................................................................................305 8 Fazit ...............................................................................................................317 9 Anhang..........................................................................................................324 9.1 Konventionen für die Transkription................................................324 10 Bibliographie ................................................................................................329 <?page no="11"?> 11 Einleitung Die SMS-Kommunikation hat als Phänomen in der heutigen Gesellschaft nicht nur ein erhebliches Maß an Aufmerksamkeit und Anerkennung erlangt, sondern ist aus dem kommunikativen Alltag einiger Interaktanten kaum mehr wegzudenken. Wo man auch hinkommt wird ‚getippt’: in der Bahn, im Restaurant, in der Oper, im Bundestag und selbst vor Kirchen wird kein Halt gemacht. Darüber hinaus dringt die SMS-Kommunikation in ständig neue Lebensbereiche vor, denn sie dient längst nicht mehr nur dem Austausch von kurzen schriftlichen Botschaften zwischen zwei Privatpersonen, sondern warnt Inselbewohner vor heranziehenden Taifuns, informiert Bauern über den Trächtigkeitszustand ihrer Kühe oder hilft bei der Gestaltung einer kollektiv zusammengestellten ‚SMS-Oper’. Ärzte fürchten sogar um den Gesundheitszustand des Daumens, der nicht dafür gebaut sei, ununterbrochen Informationen in ein Gerät zu tippen und dass es daher zu schmerzhaften Gelenkschäden kommen könnte. 1 Auch im privaten Bereich werden die verschiedenen Einsatzmöglichkeiten immer weit-reichender, da es beispielsweise kein ‚Tabu’ mehr zu sein scheint, eine Affäre per SMS zu beenden. Jedem Nutzer wird im Zuge der SMS- Kommunikation die Möglichkeit geboten, sich frei und losgelöst von der Unmittelbarkeit eines direkten Gesprächs mitzuteilen, da sie eine schriftliche und Distanz überbrückende Interaktion darstellt, die in Sekundenschnelle direkt, aber dennoch diskret an den gewünschten Gesprächspartner übermittelt wird. Dabei ist ein teils erheblicher Einfluss der spezifischen, vor allem technischen Produktionsbedingungen auf die Kommunikation zu verzeichnen, der veränderte Sprachbzw. Schreibmuster zum Vorschein bringt, um möglichst ein Maximum an Informationen durch ein Minimum an graphischen Zeichen übersenden zu können. Allerdings resultieren die veränderten Schreibmuster nicht nur aus dieser ‚rationalen’ Reaktion auf die unkomfortablen Produktionsbedingungen, sondern auch aus dem Bedürfnis, sich selber in Szene zu setzen und somit bewusst von der restlichen Kommunikationsgemeinschaft abzuheben. Daraus ergibt sich in französischen SMS-Texten ein von unkonventionellen Schreibweisen geprägter Kode, der so genannte langage SMS 2 , in dessen Rahmen Graphien wie „spr ksava! ? “ für j’espère que ça va! ? (dt.: ich hoffe, dass es dir gut 1 Vgl. dazu Thompson (2005, 249). 2 Langage texto ist eine alternative Terminologie, die unter anderem von Anis (2001) verwendet wird. Obgleich das Wort texto in Frankreich sehr geläufig ist, scheint die Bezeichnung langage SMS zu überwiegen, da sie auch in Zeitungsartikeln oder von offizieller Seite bei der Veröffentlichung nationaler Umfrageergebnisse für das hier untersuchte Phänomen verwendet wird (beispielsweise von TNS Sofres). <?page no="12"?> 12 geht), „Tu fai kwa ojrd8? “ für Tu fais quoi aujourd’hui (dt.: Was machst du heute? ), „7 semain jaV D exam sa C bi1 paC“ für Cette semaine j’avais des examens, ça c’est bien passé (dt.: Diese Woche hatte ich Prüfungen, es ist gut gelaufen) oder auch „dsl g pa 2 rézo“ für désolé(e) j(e n)’ai pas de réseau (dt.: entschuldige, ich habe kein Netz) keine Ausnahme darstellen. Den ungeübten Leser mag dieser Schriftkode vielleicht überraschen, wenn nicht sogar vor ein Rätsel stellen, französische Jugendliche und junge Erwachsene hingegen verwenden ihn täglich bzw. erfinden ihn unaufhörlich neu, so dass sich im Laufe der Zeit ein beachtlicher Variantenreichtum entwickeln konnte, der auf den ersten Blick jeder Regelmäßigkeit entbehrt. Allein für das französische Wort demain (dt.: morgen) lassen sich ohne Weiteres zehn unterschiedliche graphische Varianten angeben, die jeweils in originalen SMS-Texten nachgewiesen werden können: 2m1, 2min, 2main, demin, dmain, dem1, dem, dmin, 2Main, dm1. Das Neuartige liegt dabei weniger in der speziellen Verwendung der Schriftzeichen in einer anderen Bedeutung, als vielmehr in der Kombination und Ballung verschiedener, oftmals altbekannter Verschriftungsstrategien auf sehr engem Raum. Möchte man der Verteilung der verschiedenen langage SMS-Varianten auf den Grund gehen, so scheint die Wahl einer bestimmten Schreibweise zunächst recht willkürlich zu geschehen, zumal sich innerhalb ein und derselben SMS teilweise mehrere unterschiedliche Varianten auffinden lassen. In der Forschung wurde der Frage nach tatsächlichen Beweggründen, die bei der Entscheidung für eine spezielle Verschriftung eine Rolle spielen können, allerdings noch kaum nachgegangen. Eine ausführliche Untersuchung dessen wird jedoch umso wünschenswerter angesichts der Tatsache, dass den Nutzern oftmals voreilig und, wie sich später herausstellen wird, unberechtigterweise eine Art Beliebigkeit im Umgang mit den graphischen Realisierungsmöglichkeiten des langage SMS bzw. mit schriftlichen Konventionen generell unterstellt wird. Eben an dieser Stelle knüpft die vorliegende Arbeit an, indem sie sich zum Ziel setzt, konkrete Einflussfaktoren herauszukristallisieren, die das Auftreten einer bestimmten Schreibweise tendenziell wahrscheinlicher werden lassen. Dabei wird die Hypothese verfolgt, dass sich eine erkennbare Korrelation zwischen der zugrunde liegenden kommunikativ-funktionalen Nutzung und der gewählten Schreibweise im langage SMS feststellen lässt. Um dem nachgehen zu können, soll die SMS-Kommunikation zunächst aus sozialer Perspektive beleuchtet und in einen klaren kommunikationstheoretischen Rahmen gefasst werden, damit wir geeignete Erklärungsansätze für die später im Zentrum stehenden sprachlichen bzw. kommunikativ-funktionalen Eigenschaften der Kommunikationsform herausarbeiten und interpretieren können. Hierfür soll zu Beginn eine klare terminologische Abgrenzung der Begriffe „Medium“ und „Kommunikationsform“ vollzogen werden, um anschließend einen kurzen Überblick über die tech- <?page no="13"?> 13 nischen Möglichkeiten bzw. die gesellschaftliche Bedeutung des Handys zu geben, welches die SMS-Kommunikation überhaupt erst ermöglicht und dessen weite Verbreitung und Anerkennung ihren Erfolg entscheidend mitbestimmt hat. Ferner werden wir die verschiedenen gesellschaftlichen Aneignungsformen der SMS-Kommunikation sowie die damit einhergehenden Repräsentationen überblickartig darstellen (Kap. 1), bevor ein ausführlicher Forschungsbericht bezüglich bereits erschienener Arbeiten zum Thema SMS im Allgemeinen bzw. zum langage SMS im Speziellen folgen wird (Kap. 2). Im Anschluss daran soll die SMS-Kommunikation anhand ihrer medialen Eigenschaften zunächst rein technisch gegenüber anderen Kommunikationsformen abgegrenzt werden, um sodann eine Art ‚außersprachliches Profil’ der SMS-Kommunikation, bestehend aus ihren konstitutiven Kommunikationsbedingungen einschließlich deren Implikationen und Auswirkungen, zu erarbeiten. Dieses außersprachliche Profil wird eine solide Basis darstellen, um die in SMS-Texten zu beobachtenden sprachlichen Charakteristika zwischen Nähe und Distanz einordnen zu können, wobei wir hierfür zunächst das Kommunikationsmodell von Koch/ Oesterreicher heranziehen werden, um es anschließend in angemessener, den Herausforderungen der digitalen Schriftkommunikation gerecht werdender Weise zu erweitern (Kap. 3). Nach dieser recht umfassenden gesellschaftlichen und kommunikationstheoretischen Einbettung der SMS-Kommunikation im Allgemeinen werden wir uns den sprachlichen, insbesondere den graphostilistischen Besonderheiten in französischen SMS-Texten zuwenden: dem langage SMS. Im Anschluss an die Beschreibung der konstitutiven Verschriftungsstrategien und deren Typologisierung hinsichtlich Effizienz, Expertise und Expressivität, werden wir uns dem Umgang mit dem beträchtlichen Variantenreichtum zuwenden (Kap. 4). Dabei wird sich herausstellen, dass sich für einige französische Ausdrücke sehr divergente langage SMS-Varianten beobachten lassen, die nahezu gegensätzliche Verfasserintentionen verfolgen: Während die Schreibweise „dsl“ für désolé (dt.: es tut mir leid) beispielsweise von Effizienz und aufgrund des Verschlüsslunggrads von einer gewissen Expertise gekennzeichnet ist, scheint bei der Variante „dééésolée“ das Bestreben nach Expressivität im Vordergrund zu stehen. Um diesen teils widerstrebenden Verfasserintentionen gezielt auf den Grund gehen zu können und die einzelnen Varianten nicht nur separat und deskriptiv hinsichtlich ihres strukturellen Aufbaus erfassen zu können, sondern auch vergleichend mit den alternativen Varianten hinsichtlich ihrer impliziten Eigenschaften beurteilen zu können, werden wir anschließend eine an der Optimalitätstheorie orientierte Auswertungsmethode für den langage SMS erarbeiten. Sie wird es uns erlauben, die alternativen Schreibweisen parallel anhand von speziell entwickelten Beschränkungs- <?page no="14"?> 14 anforderungen bezüglich des Vorhandenseins bestimmter Strukturmerkmale auszuwerten und bietet zugleich die Möglichkeit, die in den Varianten verankerten Eigenschaften sowie die damit einhergehenden Verfasserintentionen zu analysieren und miteinander zu vergleichen (Kap. 5). Damit anschließend der tatsächliche Einfluss der Kommunikationsabsicht auf die Wahl einer bestimmten Schreibweise aufgezeigt werden kann, wird es sich als notwendig erweisen, die unterschiedlichen kommunikativfunktionalen Nutzungen, die sich im Rahmen der SMS-Kommunikation feststellen lassen, zu ermitteln und in geeignete Kategorien zusammenzuführen (Kap. 6). Dabei werden sich drei unterschiedliche kommunikativfunktionale Nutzungsdimensionen als sinnvoll erweisen, die wir als praktischorganisatorische Nutzung, Kontaktnutzung und Unterhaltungsnutzung begreifen werden. Dieses Verfahren wird es uns schließlich erlauben, die einzelnen Schreibweisen vor dem Hintergrund der jeweiligen kommunikativen Funktion zu untersuchen, in deren Rahmen sie auftreten (Kap. 7). Im Zuge dessen wird sich herausstellen, dass die Wahl einer Graphie keineswegs vollkommen beliebig vollzogen wird und dass neben der Kommunikationsfunktion durchaus noch weitere Faktoren Einfluss nehmen können. Dazu gehören vor allem die Ernsthaftigkeit der Themengestaltung, die individuelle Verfasserkompetenz und die soziale Beziehungsstruktur zwischen Sender und Empfänger, so dass sich insgesamt ein äußerst komplexes Gefüge von miteinander verknüpften und interagierenden Faktoren ergeben wird, die jeweils auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichem Ausmaß Einfluss auf die graphische Realisierung nehmen. <?page no="15"?> 15 1 SMS im medien- und kommunikationsgeschichtlichen Kontext 1.1 Terminologische Abgrenzung Unsere Gesellschaft ist geprägt von einem scheinbar unentbehrlichen multimedialen Umfeld, in dem Begriffe wie elektronische Medien, digitale Medien, Kommunikationsmedien, Medienkommunikation, Kommunikationstechnologien, Kommunikationsformen, mobile Kommunikation, Online- Kommunikation, Chat, SMS und seit neuestem Twitter 3 in aller Munde sind. Ständig kommen technische Innovationen hinzu, die mit noch umfassenderen Funktionen ausgestattet sind und einen Teil der ‚Mängel’ vorheriger Geräte ausmerzen bzw. spezifische mediale Funktionen in nur einem Endgerät zusammenführen. 4 Eine E-Mail ist damit längst nicht mehr an den häuslichen Computer gebunden, sondern kann frei von räumlichen und zeitlichen Grenzen verschickt, empfangen und gelesen werden. Ebenso kann eine ursprünglich als mobile Schriftkommunikation konzipierte SMS nicht nur von einem Handy empfangen werden, sondern auch von einem Festnetztelefon, indem der Text als mündliche Botschaft von einem Sprachautomaten übertragen wird. Die Kommunizierenden können zwischen einer Vielzahl an Möglichkeiten wählen, um ihre Information zu übermitteln: sie können einen traditionellen Brief oder eine Postkarte schreiben, sie können ein Telefonat führen oder eine Videokonferenz anberaumen, sie können eine E-Mail oder eine SMS verschicken, und so weiter. Für all diese Varianten stehen ihnen jeweils verschiedene technische Hilfsmittel zur Verfügung, die oftmals gleich mehrere kommunikative Möglichkeiten eröffnen. Auffälligerweise spricht man mal davon, eine Nachricht ‚per’ E-Mail oder ‚per’ SMS zu versenden und mal sendet man sie ‚per’ Computer oder ‚per’ Handy. Nur wann handelt es sich um ein Medium und wann um eine Kommunikationsform? Welche Kommunikationsform ‚gehört’ zu welchem Medium bzw. in welcher Wechselbeziehung stehen die Begriffe zueinander? Lassen sich Faktoren benennen, anhand derer sie eindeutig beschrieben und voneinander abgegrenzt werden können? Um verwirrende Doppeldeutigkeiten zu vermeiden und einen kompetenten Umgang mit den Begriffen zu gewährleisten, sollte man sich zunächst um klare Abgrenzungskriterien und eine möglichst ausdifferenzier- 3 Nähere Ausführungen zu Twitter vgl. Abschnitt 1.2.1. 4 Ein aktuelles Beispiel dafür sind die so genannten Smartphones, eine Mischung aus Handy und Mini-Computer. <?page no="16"?> 16 te Terminologie bemühen. Entsprechend der Auffassungen von Holly und Dürscheid werden wir grundsätzlich zwischen Medium, Zeichensystem und Kommunikationsform trennen. 5 Der Begriff Medium ist semantisch vielfach besetzt und wird weder in der Alltagssprache noch in der Fachliteratur einheitlich gebraucht. Steht er im gängigen Sprachgebrauch häufig als Kurzform für den gesamten Bereich der Massenmedien bzw. in spezifizierter Form für Printmedien, Telekommunikationsmedien oder audiovisuelle Medien, kann er sich in den Kommunikations- und Sprachwissenschaften auf jede mögliche Art der Informationsübermittlung beziehen. 6 Allerdings kann er sich hier ebenso auf die technischen Hilfsmittel für die Kommunikationsübermittlung beschränken oder gar auf die verschiedenen Repräsentationsformen von Sprache (primär schriftlich vs. mündlich). Posner beklagt eine regelrechte „terminologische Inflation des Medienbegriffs in der Fachliteratur“ 7 und definiert in diesem Zusammenhang zunächst allgemein Medium als „ein System von Mitteln für die Produktion, Distribution und Rezeption von Zeichen, das dem mit seiner Hilfe ablaufenden Zeichenverhalten bestimmte gleichbleibende Beschränkungen auferlegt“. 8 Entsprechend der Art von Mitteln unterscheidet er zwischen einem (a) biologischen, (b) physikalischen, (c) technologischen, (d) soziologischen, (e) kulturbezogenen und (f) kodebezogenen Medienbegriff, wobei das zugrundeliegende Medienkonzept sich jeweils an den Kriterien (a) Sinnesmodalität (etwa audiovisuelle Medien), (b) Kontaktmaterie (z.B. akustische Medien), (c) verwendete Apparate und ihre Produkte (z.B. Telekommunikationsmedien), (d) Institution (z.B. Rundfunkanstalt), (e) Textsorte (z.B. Roman) und (f) Kode (eine bestimmte Sprache) orientiert. 9 Ohne die einzelnen Medienkonzepte im Detail darstellen zu wollen, wird für unsere Betrachtung der technologische Medienbegriff im Zentrum stehen, bei dem der Fokus auf den technischen Hilfsmitteln, die für Produktion und Rezeption benötigt werden, liegt bzw. auf der Art und Weise, wie die Verbindung zwischen Produktionsorgan des Senders und Rezeptionsorgan des Empfängers hergestellt wird. 10 Selbst in diesem eingeschränkten Rahmen bleibt der Medienbegriff ein recht weit gefasster Begriff, denn auch Füllfederhalter und Papierbogen sind darin als Medien aufzufassen. Vor dem Hintergrund der technologischen Medien bemüht sich Holly um eine umfassende Typologisierung und definiert Medien als „konkrete, materielle Hilfsmittel, mit denen Zeichen verstärkt, hergestellt, gespeichert 5 Vgl. dazu Holly (1997) bzw. Dürscheid (2003). 6 Dazu gehören auch die Stimme im Allgemeinen und auch Gestik und Mimik. 7 Vgl. Posner (1986, 296). 8 Ebd., 293. 9 Ebd., 293ff. und Bezug nehmend darauf auch Habscheid (2000). 10 Vgl. Posner (1986, 294). <?page no="17"?> 17 und/ oder übertragen werden können“. 11 Er schließt bei seiner Definition bewusst sprachliche und nichtsprachliche Zeichentypen mit ein, um einer Vielzahl von unterschiedlichen Medien gerecht werden zu können. Zudem beinhaltet seine Auffassung reine Hervorhebungsmedien wie den Overhead- Projektor oder das Pult und reine Speichermedien wie den USB-Stick. In der Erkenntnis, dass mediale Kommunikation maßgeblich durch das Repertoire an Zeichen beschränkt wird, das das Medium zu verarbeiten vermag, bezieht Holly für die Typologisierung von Medien nebst der jeweiligen Kommunikationsrichtung (dialogisch, monologisch) und dem Verhalten zu Raum und Zeit (d.h., ob es sich um ein Speicher- oder um ein Direktübertragungsmedium handelt) als wichtiges Merkmal die vom Medium unterstützten Zeichentypen mit ein. Für eine angemessene Klassifizierung der Zeichentypen unterscheidet er zunächst zwischen körperlich und technisch gesendeten Zeichen, dann nach dem Kanal (insbesondere optisch und akustisch), auf dritter Ebene zwischen Dynamik vs. Statik und schließlich bezüglich ihrer raumzeitlichen Anordnung (räumlich, flächig oder linear). Damit erreicht er eine systematische Erfassung aller möglichen Zeichentypen, die unter anderem Körperbildzeichen, starre Raumartefakte, Stimmzeichen oder aber Schriftartefakte mit einbezieht. Gleichzeitig stellt er dadurch die verschiedenen Strukturen heraus, die Zeichensystemen jeweils zugrunde liegen können. Mit dieser Auffassung kann Holly einem recht weit gefassten Spektrum an technischen Medien gerecht werden, das sich allerdings im Wesentlichen auf sekundäre Medien bezieht, d.h. auf solche, die auf Seite des Produzenten, nicht aber auf Seite des Rezipienten ein Hilfsgerät erfordern. In der heutigen Zeit handelt es sich im Bereich der Übertragungsmedien für sprachliche Zeichen jedoch zunehmend um tertiäre Medien, die auf Sender- und Empfängerseite ein technisches Gerät erfordern. Speziell für unseren Untersuchungsschwerpunkt sind reine Hervorhebungsmedien, die körperlich produzierte Zeichen lediglich verstärken (beispielsweise ein Mikrophon), vernachlässigbar. Aus diesem Grund legen wir im Rahmen des technologischen Medienkonzepts prinzipiell Hollys Definition von Medium zugrunde, konzentrieren uns indes auf monologisch und/ oder dialogisch ausgelegte technische Hilfsmittel zur Speicherung und Übertragung von sprechsprachlichen bzw. schriftsprachlichen Zeichen. 12 Die betroffenen Zeichentypen sind damit vornehmlich akustische Stimmzeichen oder optische, statisch lineare Schriftzeichen, wobei am Rande auch optische, dynamisch flächige und statisch flächige Zeichen eine Rolle spielen können (etwa Filme, Videos oder Fotos im Bereich der Computer- und Handy- 11 Vgl. Holly (1997, 69f.) 12 Dürscheid (2003, 4) definiert vor diesem Hintergrund speziell „Kommunikationsmedien“ als „materielle Hilfsmittel, die der Kommunikation über räumliche Entfernung hinweg dienen“. <?page no="18"?> 18 kommunikation). Vor diesem Hintergrund sind die Hilfsmittel ‚Computer’ und ‚Handy’ zur Speicherung und Übertragung sprachlicher Kommunikation eindeutig als Medien aufzufassen. Die Schrift hingegen stellt kein eigenständiges Medium dar, sondern ist vielmehr als spezielle Repräsentationsform eines Zeichensystems zu verstehen. Wie unterscheidet sich nun die Kommunikationsform vom Konzept des Mediums, insbesondere vom soeben eingeführten Medienbegriff? Vereinfacht, aber sehr veranschaulichend beschreibt es Schmitz: „Medien (z.B. Rundfunk) sind Kommunikationsmittel. Ihre technischen Bedingungen ziehen jeweils bestimmte Kommunikationsformen (z.B. Rundfunksendung) nach sich […]“. 13 Das Medium gibt also den technischen Rahmen vor, innerhalb dessen bestimmte Kommunikationsformen entstehen können. Ursprünglich stammt der Begriff Kommunikationsform aus der Textlinguistik und wurde als ein kontextuelles Kriterium bei der Textsortenanalyse konzipiert. Es soll den Aspekt der Medialität dergestalt betonen, dass Kommunikationsformen durch die besonderen situativen Merkmale der einzelnen Medien begründet werden, die zur Übermittlung eingesetzt werden und damit „allein durch situative bzw. mediale Merkmale definiert“ werden, in kommunikativ-funktionaler Hinsicht aber (im Unterschied zu den Textsorten) nicht festgelegt sind. 14 Vor diesem Hintergrund beschreibt Holly Kommunikationsformen als „virtuelle Konstellationen von einem bestimmten Zeichenspeicherungs- oder Übertragungspotential in eine oder beide Richtungen“. 15 In Übereinstimmung mit seiner Definition von Medien ist die Auffassung sehr technikbezogen. Um auch der faceto-face-Kommunikation gerecht werden zu können, fasst Dürscheid in Anlehnung daran Kommunikationsformen konkreter auf als „kommunikative Konstellationen, die über ein Hilfsmittel erst möglich gemacht werden, aber auch solche, die ohne ein Hilfsmittel auskommen“. 16 Damit wird die Überbrückung von Distanz ein zentrales Merkmal der medienvermittelten Kommunikation, in deren Rahmen nicht gegebene Komponenten der direkten Kommunikation möglichst treu ersetzt werden sollen, um Abwesendes zu vergegenwärtigen. 17 Medien stellen dafür grundsätzlich gewisse technische Möglichkeiten zur Verfügung, die im Rahmen von konkreten Kommunikationsformen spezifisch zusammengestellt werden. Merkmale wie verwendete Zeichentypen, Speicherung oder Übertragung der Kommunikation bzw. monologisch oder dialogisch spie- 13 Vgl. Schmitz (2004, 57). 14 Vgl. Brinker (1997, 134f.) 15 Vgl. Holly (1997, 69). 16 Vgl. Dürscheid (2005, 3). 17 Es wird sich später allerdings zeigen, dass sich die Überbrückung von Distanz nicht immer als primäres Nutzungsmotiv für die Wahl von medienvermittelter Kommunikation herausstellt. <?page no="19"?> 19 len dabei eine entscheidende Rolle. Damit sind das mobile Telefonat, SMS, MMS 18 , Twitter 19 , mobile E-Mail, mobiler Chat, SMS-Chat 20 , etc. Kommunikationsformen, die dank des Handys ermöglicht werden, wobei einige von ihnen in sehr verwandter Form ursprünglich in der computervermittelten Kommunikation entstanden sind (insbesondere E-Mail und Chat). Teilweise lässt sich nicht unmittelbar erkennen, welches Medium für die Produktion und Übermittlung der Kommunikation verwendet wurde, da das benutzte Übertragungsnetzwerk von unterschiedlichen Quellen aus zugänglich ist. Smartphone-Benutzern beispielsweise steht der Zugang zu Internet-Chatrooms auch problemlos über ihr mobiles Gerät zur Verfügung, so dass sie ohne den konventionellen Computer an der Kommunikation teilnehmen können. Selbst wenn einige kommunikative Konstellationen mittlerweile durch unterschiedliche technische Hilfsmittel ermöglicht werden, darf nicht leichtfertig davon ausgegangen werden, dass wir es automatisch mit identischen Kommunikationsformen zu tun haben, da das verwendete Medium entscheidenden Einfluss auf die Art der Kommunikation nehmen kann. 18 Multimedia Messaging Service (MMS) stellt eine Weiterentwicklung des Short Message Service (SMS) dar und bietet die Möglichkeit, mit dem Handy multimediale Nachrichten (simple Texte, komplexe Dokumente, Bilder oder auch kurze Videosequenzen) an andere mobile Endgeräte oder an E-Mail-Adressen zu verschicken. Nur wenige deutschen Handybenutzer benutzen mit ihrem Handy den MMS-Dienst, was sicherlich mit den vergleichsweise hohen Versandkosten zusammenhängt (oft das Vierfache einer SMS). 19 Twitter ist ein seit 2006 existierendes soziales Netzwerk, das eine weitere Schnittstelle zwischen Mobiltelefonie und Internet darstellt. Es ermöglicht angemeldeten Benutzern aus den verschiedensten Ländern der Welt, SMS (maximal 140 Zeichen) über eine länderspezifische Handynummer direkt an die Twitter-Internetseite zu senden, die dort sofort öffentlich einsehbar sind und als eine Art Online-Tagebuch (Mikro-Blog) geführt werden können. Damit können Informationen (beispielsweise aus der Politik) schnell an die breite Öffentlichkeit gelangen, ohne dass man über eine besondere Internetverbindung oder sonstige technische Hilfsmittel (neben dem Handy) verfügen müsste. Die Kommunikationsform wird in der Tabelle in Klammern aufgeführt, da die abonnierten „Tweets“ (die veröffentlichten Beiträge) nicht in jedem Land auch per SMS auf dem Handy empfangen werden können (derzeit nur in den USA, Kanada und Indien), d.h., dass man zum Einsehen der Nachrichten die Internetseite konsultieren muss. Um einen ersten Eindruck zu erhalten, lassen sich einige der öffentlich einsehbaren Tweets ohne Anmeldung bei Twitter unter http: / / www.twitterfall.com/ verfolgen (18.08.2009). 20 Ähnlich wie bei der herkömmlichen Chat-Kommunikation erhält man bei einer Teilnahme am SMS-Chat jegliche von den SMS-Chat-Teilnehmern an die gesamte Gruppe gesendeten Kurzmitteilungen und kann sich entsprechend per SMS an alle (oder nur einige) Teilnehmer am Kommunikationsgeschehen beteiligen. Die einzelnen gesendeten und empfangenen Botschaften bleiben SMS im ursprünglichen Sinn, wobei die Kommunikation in der Regel unter sich unbekannten Interaktanten stattfindet. <?page no="20"?> 20 Eine mit dem Smartphone verfasste E-Mail beispielsweise wird selten mehrere Seiten lang sein, da ihre Eingabe über die ‚ Miniatur-Computertastatur’ des Geräts einen erheblichen Komfortnachteil gegenüber der computervermittelten E-Mail birgt. Damit bestätigt sich der bereits bestehende Konsens, dass „Medien nicht nur der Übermittlung von Botschaften dienen, vielmehr am Gehalt der Botschaft - irgendwie - selbst beteiligt sein müssen“: 21 Die jeweiligen Produktionsbedingungen, und damit das Medium, hinterlassen unbeabsichtigte Spuren an der Botschaft, die nur im Idealfall unsichtbar sind. Demzufolge sind Kommunikationsformen stets vor dem Hintergrund der jeweiligen Kommunikationsmedien zu betrachten, dank derer sie genaugenommen erst entstehen konnten. Inwiefern sich das Medium Handy auf die Kommunikation auswirken kann und damit konstitutiv für die Kommunikationsform SMS ist, werden wir im Folgenden noch detailliert herausstellen. 22 Es darf allerdings keinesfalls gefolgert werden, dass es ‚die’ handyvermittelte SMS gibt, da sich die einzelnen SMS-Texte nicht nur rein sprachlich, sondern auch inhaltlich erheblich voneinander unterscheiden können. 1.2 Das Medium Handy 1.2.1 Verfügbare Kommunikationsformen Betrachtet man aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive die Entwicklung der technischen Möglichkeiten, von den ersten Mobiltelefonen im analogen B-Netz Anfang der 70er Jahre hin zu den digitalen Smartphones und dem Mobilfunkstandard Universal Mobile Telecommunications System (UMTS) mit seinen erweiterten Techniken zur Datenkomprimierung und -übermittlung, so ist eine erhebliche Diversifizierung der handyvermittelten Kommunikationsformen zu beobachten: 23 Beginnend mit dem Telefonat bzw. der Anrufbeantworterfunktion wurde mit der Einführung der SMS die erste mobile Schriftkommunikation ermöglicht. Damit erlaubte das Handy im Bereich der privaten Kommunikation bereits ein synchrones und asynchrones mündliches sowie ein asynchrones schriftliches Kommunizieren. Das Spektrum an Kommunikationsmöglichkeiten erweiterte sich dank neuer Kodierungsmöglichkeiten seit Ende der Neunziger Jahre in fortgeschrittenem Tempo, so dass in GSM- 21 Zitat aus Krämer (1998, 73). Vgl. auch Dittmann et al. (2007, 1). 22 Sollte ‚SMS’ nicht weiter spezifiziert werden, so handelt es sich stets um den prototypischen Fall der handyvermittelten SMS. 23 Einen Überblick über die technische Entwicklung des Handys geben etwa Thompson (2005): Hero Handy; Pott (2000): Handy total; Schumacher (1999): Handy-Story: Die wahre Geschichte der Telekommunikation (humorvolle Darstellung). <?page no="21"?> 21 Netzen 24 bereits nicht mehr nur alphanumerische Schriftzeichen übermittelt werden konnten, sondern auch Bild- und Musikdateien. Verfügte das Handy zudem über einen entsprechenden Browser, war ferner der Zugriff auf speziell für Mobiltelefone angepasste Internetseiten bzw. das Senden und Empfangen von E-Mails möglich. 25 Dank der inzwischen zunehmenden Verschmelzung von Mobiltelefonie und Internet sowie der Verbreitung von internationalen System- und Übertragungsstandards (UMTS) lässt sich mittlerweile auf beinahe alle vielfältigen Möglichkeiten des Internets zugreifen. Damit wird das mobil verfügbare Kommunikationsangebot noch komplexer und eine eindeutige Abgrenzung von computerbzw. handybasierten Kommunikationsformen zunehmend schwerer. Möchte man dennoch den Versuch anstellen, die bislang über das Handy verfügbaren Kommunikationsformen möglichst vollständig abzubilden, so sollte man zwischen solchen Handymodellen unterscheiden, die einen nahezu unbegrenzten Zugriff auf das Internet gewährleisten (werden) und solchen, die lediglich einen begrenzten Teil der HTML-Seiten anzeigen können: 24 GSM steht für Global System for Mobile Communications. Die entsprechenden Netze stellten vor UMTS die ersten volldigitalen Mobilfunknetze mit internationalen Standards dar. 25 Hierbei handelte es sich zumeist um WAP-Seiten, wobei WAP (Wireless Application Protocol) eine Sammlung von Techniken und Protokollen darstellt, die Internetinhalte unter anderem für die langsame Übertragungsgeschwindigkeit und die kleinen Handydisplays zugänglich macht, sie überträgt und darstellt. <?page no="22"?> 22 sehr begrenzte Zugriffsmöglichkeit auf das Internet nahezu unbegrenzte Zugriffsmöglichkeit auf das Internet privat öffentlich privat öffentlich schriftlich asynchron SMS, mobile E-Mail SMS, mobile E-Mail Foren, Newsgroups quasisynchron 26 Instant Messaging (Twitter), SMS-Chat Instant Messaging Twitter, SMS-Chat, Online-Chat mündlich asynchron privater Anrufbeantworter öffentlich zugänglicher Anrufbeantworter privater Anrufbeantworter öffentlich zugänglicher Anrufbeantworter synchron privates Telefonat öffentliches Telefonat privates Telefonat öffentliches Telefonat multimedial asynchron MMS Visual Voicemail, Dateien beliebiger Art Blog, (E-Mailunterstütztes Twitter) synchron Bildtelefonie (Skype) Videokonferenz Einige dieser Kommunikationsformen werden im Folgenden vor allem in Abgrenzung zur SMS-Kommunikation immer wieder relevant werden (darunter Instant Messaging, Chat und E-Mail), andere hingegen wurden nur der Vollständigkeit halber aufgelistet (Visual Voicemail, Blog, Bildtelefonie, Twitter und Videokonferenz). 1.2.2 Stellenwert des Handys in der Gesellschaft Kaum waren die ersten Handys auf dem Markt und wurden in der Öffentlichkeit benutzt (oder nur zur Schau getragen), galten sie bei Nicht- Handybesitzern als Unruhestifter Nummer eins. Ständig klingelte es irgendwo oder man wurde unfreiwillig einer lautstarken Konversation ausgesetzt, der man sich nur schwerlich entziehen konnte. Privates und Intimes wurde vor ein Publikum getragen, das nie die Wahl hatte, als solches 26 Zum Konzept synchroner, quasi-synchroner und asynchroner Schriftkommunikation vgl. unter anderem Dürscheid (2004, 149ff.) oder Heinemann/ Viehweger (1991, 219) sowie die Ausführungen in Kap. 3.1.2 zum Aspekt „Asynchron“. <?page no="23"?> 23 zu fungieren. Schluss mit ruhigen Bahnfahrten, unbehelligten Theaterbesuchen und ungestörten Candle-Light-Dinners. Das aufdringliche Medium sorgte täglich für unzählige Reibungspunkte im öffentlichen Leben, so dass der ungebetene ‚Störenfried’ eine dauerhafte Belästigung zu werden drohte. Hinzu kamen die offenkundigen Vorbehalte gegenüber möglichen gesundheitlichen Schäden, die mit der anfangs sehr hohen Strahlenbelastung einhergingen. Selbst wenn die Vorteile der Mobilität und der ständigen Erreichbarkeit auf der Hand lagen, war die öffentliche Nutzung des Handys in Deutschland und Frankreich zu Beginn potenziell konfliktiv. Eine solche auf das Medium projizierte Skepsis, wenn nicht sogar Feindseligkeit, ist nicht unüblich bei der Einführung neuer Technologien in die Gesellschaft. Sie werden als Fremdkörper betrachtet, die die bestehende Ordnung durcheinander bringen und eine Gefahr für gewohnte Abläufe darstellen. Ein zuweilen langwieriger Prozess der Medienaneignung beginnt, der sich als „aktiver Prozess des ‚Nutzbarmachens’ medialer Inhalte und Formen“ 27 verstehen lässt. Hierbei handelt es sich um einen Teilprozess des Medienumgangs, bei dem der Rezipient individuell selektiert, wie er das Medium in seiner Form gebraucht und wie er die Medieninhalte, d.h. die enthaltenen Zeichen, interpretiert und damit Bedeutungen konstruiert. Der individuell-selektive Prozess der Medienverwertung ist nicht nur in Abhängigkeit vom individuellen Interesse zu betrachten, sondern auch vor dem Hintergrund des kollektiven Interesses, der Situation der potenziellen Nutzung und vor allem des komplexen soziokulturellen Kontextes, auf den er gegebenenfalls zurückwirkt. Durch Ausprobieren, Gelingen und Fehlschlagen wird der Gebrauch des Mediums auf der Basis des eigenen soziokulturellen Kontextes optimiert, ohne dabei das kollektive Interesse zu verletzen. Eben dieser Prozess musste sich auch im Umgang mit dem Handy vollziehen, so dass nach und nach kollektiv ausgehandelte ‚Regeln’ entstanden, die eine sozialverträgliche Mediennutzung gewährleisteten. Nachdem sich ab der Jahrtausendwende ein Großteil der Bevölkerung den Nutzungsvorteilen des Mediums für den privaten Gebrauch öffnete, wandelte sich die anfängliche Skepsis sukzessive in ein breites Spektrum an Repräsentationen, das von einem nüchtern-rationalen Medienbild mit entsprechend abgeklärtem Medienumgang bis hin zu einem euphorisch positiven Medienbild mit beinahe symbiotischem Umgang reichte. Bevor im Folgenden detailliert auf die Repräsentationen, Gebrauchskonventionen und Nutzungsgewohnheiten in Frankreich eingegangen wird, sollen auf länderspezifische Gratifikationen 28 hingewiesen sowie nutzer- 27 Vgl. dazu Kähler (2001, 191ff.) 28 Der Begriff „Gratifikation“ ist im Folgenden vor dem Hintergrund des „Uses and Gratifications Approach“ zu verstehen (vgl. dazu etwa Katz/ Blumler/ Gurevitch <?page no="24"?> 24 spezifische Gebrauchsweisen in Abhängigkeit von Alter bzw. privatem oder beruflichem Nutzungskontext aufgezeigt werden. Angesichts der unterschiedlichen soziokulturellen Hintergründe wurde das Handy in den einzelnen Ländern unterschiedlich angeeignet und erlangte jeweils verschiedene Stellenwerte. Auch wenn sich länderübergreifende Universalien feststellen lassen (etwa das Handy als Helfer in der Not, als praktisches Hilfsmittel zur Alltagsorganisation oder als allgegenwärtiger Freund für Jugendliche), fallen einige länderspezifische Gratifikationen auf. In Frankreich stand man dem Neueindringling ‚Handy’ vergleichsweise lange recht kritisch gegenüber. Zum Schutz der eigenen Kultur, Lebensart und Gesundheit waren sie das erste europäische Land, das im Jahr 2002 einen Gesetzesvorschlag zur autorisierten Installierung von Handy-Störgeräten in Restaurants, Theatern, Kinos und anderen öffentlichen Einrichtungen vorlegte. Diese reserviert konservative Einstellung steht gleichzeitig der Beobachtung gegenüber, dass ein beachtlicher Teil der französischen Bevölkerung schon kurz darauf auf den Nutzen des Mediums zur Weiterentwicklung einer Protestkultur aufmerksam wurde, indem er sich mittels SMS-Streiks gegen Preiserhöhungen der Mobilfunkanbieter wehrte. In anderen Kulturen scheint das Medium in ‚heilige Sphären’ aufgestiegen zu sein, da religiöse SMS-Dienste zu einer Art „Mensch-Gott- Kommunikation“ animieren. 29 In diesem Sinn bieten einige Handymodelle eine Zusatzfunktion, die fünf Mal am Tag dazu aufruft, sich betend gen Mekka zu richten und mit Hilfe eines integrierten Kompasses die Richtung anzeigt. 30 Neben den gesellschaftsspezifischen Gratifikationen lassen sich bestimmte nutzerspezifische Repräsentationen beobachten, die nicht zuletzt vom Alter und den vorherigen kommunikativen Gewohnheiten abhängen. In den meisten Ländern war es gerade die junge Generation, die sich sehr (1973-1974), Katz/ Foulkes (1962)), eine Forschungsperspektive, die den Mediennutzer als aktives, rationales und intentional handelndes Individuum in den Mittelpunkt stellt (vgl. Zillien/ Lenz (2006, 438)). In diesem Sinn verfolgt der Mediennutzer mit dem Mediengebrauch konkrete Ziele, die auf bestimmten Interessen und Motiven basieren. Insbesondere soll die Verwendung eines Mediums seine Bedürfnisse befriedigen. Der Begriff der Gratifikation umfasst dabei gerade die im Zuge der Mediennutzung befriedigten Bedürfnisse. Auf die Problembereiche, die der „Nutzen-Ansatz“ aufwirft (darunter etwa die Fragestellung, wie die Bedürfnisse sinnvoll ermittelt werden können, um die Gratifikationen eines Mediums in einer Studie erfragen zu können), weist unter anderem Teichert (1975) hin. Die im Folgenden überblickartig dargestellten Erkenntnisse aus anderen Studien basieren keineswegs alle auf dem Nutzen-Ansatz. Er wurde hier primär zur Begriffsklärung herangezogen. 29 Erstmals auf den Philippinen. Vgl. dazu im Detail Kap. 2 „Stand der Forschung“. 30 Thompson (2005, 16ff.) beispielsweise bietet einen ausführlichen Überblick über verschiedene länderspezifischen Gratifikationen. Eine detaillierte Darstellung internationaler Studien zur Bedeutung des Handys folgt in Kap. 2. <?page no="25"?> 25 offen und neugierig gegenüber dem neuen Medium zeigte. Sieht man einmal von Amerika ab, wo sich die Nutzung recht lange auf die Geschäftswelt beschränkte, bestätigen die Jungendlichen und jungen Erwachsenen auch hier ihren Ruf als Triebkraft neuer Technologien. Es ist daher wenig verwunderlich, dass sich die meisten technischen Innovationen der Hersteller speziell an sie richten. Dennoch haben Jugendliche gemäß einer Studie von Höflich et al. (2003) eine durchaus kritische Haltung gegenüber ihrer eigenen Mediennutzung und steigen nicht unreflektiert auf alle Angebote der Telekommunikationstechnologie ein. 31 Die tatsächlichen Gebrauchsweisen werden neben nüchtern-kalkulierenden Abwägungen, die die Hersteller zu antizipieren versuchen, nicht unwesentlich von Emotionen und spielerischer Herausforderung motiviert. Mittlerweile wurde die soziale Bedeutung des Handys für Jugendliche und deren Nutzungsverhalten in vielen Ländern anhand von Feldstudien analysiert. 32 Konkret ergaben sich oftmals ganz ähnliche Ergebnisse: Jugendliche haben eine sehr enge Beziehung zu ihrem Handy, der Stellenwert ist dementsprechend hoch und die Aneignung des Mediums vollzieht sich, entgegen voreiliger Unterstellungen, unter Rücksichtnahme auf die soziokulturellen Rahmenbedingungen. Für viele Jugendliche ist das Handy mehr als nur ein nützliches Gerät: es symbolisiert Unabhängigkeit, Freiheit und Selbstbestimmtheit gegenüber der elterlichen bzw. gesellschaftlichen Kontrolle, es ermöglicht permanente soziale Vernetzung mit dem Freundeskreis sowie schnelle Ablenkung in Momenten der Langeweile. Es ist ein treuer Begleiter, rund um die Uhr, und wird stets ganz nah am Körper getragen. In vielen Fällen kann sich eine derartig hohe Intimität zu dem Gerät entwickeln, dass es personalisiert und mit der Präsenz eines oder mehrerer Freunde gleichgesetzt wird. 33 Allerdings liegt der Preis für die hinzugewonnene Freiheit und die dauerhafte soziale Vernetzung in der ständigen Erreichbarkeit, die mit dem Besitz des Gerätes einhergeht. Die Jugendlichen sind damit nicht nur dem erheblichen Erwartungsdruck ausgesetzt, tatsächlich ständig erreichbar zu sein, sondern unterliegen zusätzlich der dauerhaften Kontrollmöglichkeit seitens der Eltern (oder Freunde). Diese Ambivalenz zwischen Freiheit bzw. Unabhängigkeit einerseits und sozialer Kontrolle andererseits ist den Jugendlichen durchaus bewusst, jedoch werden sie in der Regel durch die sozioemotionale Bindung zu ihrem Handy über die negativen Implikatio- 31 Vgl. Höflich/ Gebhardt/ Steuber (2003, 286). 32 Vgl. dazu im Detail Kap. 2. 33 Martin (2004) befragt Jugendliche im Zuge von Interviews explizit nach der Bedeutung, die ein möglicher Verlust des Mediums für sie hätte. Eine der Befragten begründet ihre Aussage, dass sie einen Verlust nicht ertragen könnte, folgendermaßen: „Eh puis, […] pour moi ça veut dire que je suis avec tout le monde, lui c’est tout le monde, voilà“ (Martin 2004, 326). „Lui“ meint in dem Fall das Handy, was die bestehende, affektive Beziehung zum personalisierten Medium deutlich hervorhebt. <?page no="26"?> 26 nen der ständigen Erreichbarkeit hinweggetäuscht. 34 Nur selten überwiegen die negativ konnotierten Assoziationen, wenngleich es sich insgesamt um ein mehrschichtiges Gefüge an Bedeutungszuweisungen handelt, das in seiner Interaktion betrachtet werden muss. Im Gegensatz dazu stehen der berufliche Gebrauch und der Gebrauch der vermeintlich ‚alten’ Generation, die die Technologie von der anderen Seite der ‚Alterskluft’ aus betrachtet. In der Arbeitswelt erlangte das Handy grundsätzlich schon lange vor der jugendlichen Masseneuphorie breite Anerkennung. Die hohe Nützlichkeit war vor allem aus Unternehmersicht offensichtlich, wodurch Visitenkarten ohne Mobilnummer schon bald zur Rarität wurden. Anders als bei Jugendlichen rief die ständige Erreichbarkeit über die regulären Arbeitszeiten hinaus bei einigen Angestellten durchaus ein zwiespältiges Verhältnis zum Medium hervor, da aufgrund des beruflichen Kontextes weniger eine emotionale Bindung zu ihrem Handy entstand, als vielmehr objektiv-nüchterne Assoziationen bezüglich dessen Zweckmäßigkeit bzw. der medieninhärenten Verpflichtungen. Aus globaler Perspektive schließt das Medium in der Geschäftswelt längst beklagte Lücken im Bereich der kommunikativen Möglichkeiten (Mobilität und ständige Erreichbarkeit, sowohl mündlich als auch schriftlich) und fördert somit die berufliche Schnelllebigkeit durch wachsende Effizienz. 35 Aufgrund dieser Errungenschaft lässt es sich aus der Arbeitswelt kaum mehr wegdenken. Einen vollkommen anderen Stellenwert nimmt das Handy bei der älteren Generation ein. Erste Studien wiesen zunächst darauf hin, dass sie beachtliche Vorbehalte gegenüber dem neuen Medium hatte und dass der Abstand zwischen der jüngeren, neugierigen Generation und der älteren, ‚technikskeptischen’ Generation größer zu werden drohte. Aktuelle Umfragen deuten indes auf einen Wandel hin. Zumindest die klassischen Telefonfunktionen scheinen zunehmend von älteren Menschen benutzt zu werden, selbst wenn sie in einer wenig mediatisierten Welt aufgewachsen sind. Sie möchten von den Vorzügen mobiler Kommunikation profitieren, ohne dabei dem Druck der ständigen Erreichbarkeit und der undurchschaubaren Kostenoptimierung ausgesetzt zu sein. Vor diesem Hintergrund haben sie sich das Medium auf sehr individuelle Art angeeignet und ihre eigenen Regeln im Medienumgang entwickelt. Sie sind keineswegs ununterbrochen erreichbar, geschweige denn tragen sie das Gerät in direkter Körpernähe. Häufig schalten sie es erst dann ein, wenn sie unterwegs 34 Jauréguiberry (2005) analysiert die verschiedenen Umgangsformen und Repräsentationen in Bezug auf das Handy und geht detailliert auf die Auswirkungen der ständigen Erreichbarkeit ein. Arlt (2008) konzentriert sich vor diesem Hintergrund speziell auf die Nicht-Erreichbarkeit und deren Auswirkungen. Nähere Ausführungen dazu vgl. Kap. 2. 35 Ähnliches gilt für die gesellschaftliche Schnelllebigkeit im Allgemeinen. <?page no="27"?> 27 sind und telefonieren möchten. Sie nutzen es eben als ‚Mobiltelefon’ in Ergänzung zu ihrem Festnetztelefon. Die restlichen technischen Möglichkeiten, die das Handy zur Verfügung stellt, blenden sie bewusst aus und konzentrieren sich ausschließlich auf die für sie relevanten (und nachvollziehbaren) Dienste. Das Verfassen einer Kurzmitteilung wird oftmals schon als umständliches Unterfangen empfunden und möglichst vermieden, wenn nicht sogar gänzlich abgelehnt. Mittlerweile gibt es weltweit über vier Milliarden Mobilfunkanschlüsse und bis 2013 wird mit einem Anstieg auf sechs Milliarden gerechnet. 36 In Frankreich besaßen 2008 bereits 78% der Bevölkerung ein persönliches Handy. 37 Bei den über Sechzigjährigen lag die Quote bei 54%, wobei die Befragten gleichzeitig angaben, nicht alle der zur Verfügung stehenden Funktionen aktiv zu benutzen. Grundsätzlich waren 87% der Franzosen der Meinung, dass das Handy etwas Gutes für die Gesellschaft sei. 38 Konkret beschrieben französische Handybesitzer den Stellenwert des Handys unterschiedlich: 71% hielten es für nützlich; 68% erhielten durch das Handy ein Gefühl der Sicherheit, wobei der Anteil bei den weiblichen Befragten bei 75% lag; für 48% war das Handy unabkömmlich, wobei auch hier die Quote bei den weiblichen Handybesitzern speziell zwischen 12 und 24 Jahren auf 65% anstieg 39 ; 31% gaben an, dass das Handy verpflichtet und ein Stück Freiheit raubt, wohingegen 49% der weiblichen 12 bis 24- Jährigen einen persönlichen, affektiven Wert mit dem Medium assoziierten. Allgemein betrachtet ergab die Umfrage, dass sich 16 Jahre nach der Einführung des Handys in Frankreich (1992) gemeinsame Gebrauchsgewohnheiten erkennen lassen, die unabhängig von Geschlecht und Alter bestehen und jeweils in Abhängigkeit vom gewünschten Empfänger variie- 36 Quelle: swissinfo.ch, URL: http: / / www.swissinfo.ch/ ger/ news/ newsticker/ TECH_Mobilfunkmesse_Weiterer_Anstieg_der_Mobilfunk_Anschluesse_erwartet.ht ml? siteSect=146&sid=10335785&cKey=1234783216000&ty=ti&positionT=2 (16.02.2009). 37 Die folgenden auf Frankreich bezogenen Angaben entstammen einer Umfrage, die TNS Sofres im Auftrag der Association Française des Opérateurs Mobiles (AFOM) anhand von 1200 Befragten im Jahr 2008 durchgeführt hat. (http: / / www.afom.fr/ v4/ TEMPLATES/ contenus_l2.php? rubrique_ID=226&rubLimit=226 (27.08.2009)). Teilweise beziehen sie die SMS-Kommunikation als spezielles Anwendungsbeispiel des Mediums Handy bereits mit ein. 38 Selbst diejenigen, die kein Handy besitzen, messen dem Handy zu 71 Prozent einen positiven Wert bei. 39 Hinsichtlich der Beziehung zum Handy differierten die Aussagen innerhalb der Altersklasse zwischen 12 und 24 Jahren entschieden zwischen den Geschlechtern, da nur 51% der männlichen Befragten das Handy für unabkömmlich hielten. Lediglich 39% der männlichen Befragten sprachen dem Handy einen affektiven Wert zu, gegenüber 49% bei den weiblichen Informanten. <?page no="28"?> 28 ren. Die tolerierte Anrufzeit bei einem Freund beispielsweise geht wesentlich weiter in die Abendstunden hinein als bei einem entfernten Bekannten. Es wird für wenig angemessen befunden, ein Telefonat in einem Wartezimmer (73%), während eines Familienessens (75%) oder während eines direkten Gesprächs mit einer zweiten Person (79%) entgegenzunehmen. Im privaten Bereich bemühen sich die Franzosen demnach um einen respektvollen und schützenden Umgang mit der Intimsphäre des anderen. Eine Ausnahme stellt diesbezüglich das Telefonieren in öffentlichen Verkehrsmitteln dar, wo sich die Geister zwischen Handybesitzern und Handyverweigerern scheiden. Allerdings besteht auch hier Einigkeit darüber, dass man auf Höflichkeitsregeln aufmerksam machen dürfe. Selbst in Bezug auf den SMS-Versand haben sich gewisse Konventionen herausgebildet: Insgesamt waren 62% der Franzosen der Meinung, dass die Verwendung von unkonventionellen, phonetischen Schreibweisen in einer SMS an einen Freund angemessen sei (sogar 93% der 12 bis 24-Jährigen), während 60% der Befragten es für wenig angemessen hielten, sobald die SMS an ein Elternteil gerichtet ist (selbst bei den 12 bis 24-Jährigen liegt die Quote noch bei 50%). 40 Des Weiteren meinten 56% der Befragten, dass eine Liebeserklärung via SMS unangemessen sei, wohingegen 52% der 12 bis 17-Jährigen es als durchaus geeignet befanden. Hieran lässt sich erkennen, dass es zwar Unterschiede zwischen den Generationen gibt, dass sich innerhalb gleichaltriger Paar- oder Freundschaftsbeziehungen aber sehr wohl Konventionen beobachten lassen: Beraumen ältere Generationen einen angemessenen abendlichen Anruf auf dem Handy eines Freundes zwischen 19 und 22 Uhr an (ähnlich wie beim Festnetztelefon), verschiebt sich dieser Zeitraum bei den 12 bis 24-Jährigen relativ einheitlich um zwei Stunden nach hinten (wohingegen sie nach 22 Uhr nicht mehr auf dem Festnetz anrufen würden). Dennoch lassen sich in einigen Bereichen des sozialen Zusammenlebens noch Uneinigkeiten insbesondere zwischen den Generationen erkennen, die einer Klärung bedürfen. Das Lesen von SMS während eines Familienessens beispielsweise hielten 56% der Befragten für völlig unangemessen, wohingegen 58% der 12 bis 24-Jährigen der Meinung waren, dass sie durchaus mehrere SMS pro Mahlzeit lesen dürften. Hier entsteht nach wie vor ein tägliches Reibungspotential im familiären Zusammenleben, das möglichst allgemein gelöst werden will. Wendet man sich von den allgemeinen Gebrauchsgewohnheiten hin zur konkreten Nutzung, so weisen die Ergebnisse in Bezug auf neuere Handyfunktionen wie Fotografieren, Videos aufnehmen und Musik hören eine progressive Entwicklung in Frankreich auf. Während sich die SMS- 40 Der langage SMS bleibt damit primär den jugendlichen Nutzern vorbehalten. Diese Beobachtung wird zusätzlich durch das Umfrageergebnis unterstützt, dass die über Sechzigjährigen den langage SMS als regelrechte Fremdsprache empfinden. <?page no="29"?> 29 Funktion bereits als fester Bestandteil der Nutzungsgewohnheiten etabliert hat (79% der Handybesitzer schreiben und empfangen wenigstens manchmal Kurzmitteilungen), benutzen 61% ihr Handy auch zum Fotografieren, 37% zum Filmen, 33% zum Musik hören und immerhin 22% zum Surfen im Internet. 41 Die prozentualen Anteile liegen in der Altersklasse der 12 bis 24-Jährigen jeweils erheblich höher. 42 Neue Funktionen wie die mobile E-Mail werden noch wenig angenommen (9% derjenigen, die die technischen Möglichkeiten dazu haben) und auch das Herunterladen von Spielen als potenzielle Einnahmequelle für die Mobilfunkanbieter hat bislang nur wenig Anklang gefunden. Zwar ist das Instant Messaging als computerbasierte Kommunikationsform in Frankreich sehr bekannt und beliebt, jedoch sind noch wenige Mobilfunkteilnehmer als Abonnenten des mobilen Instant Messagings registriert. Es bedarf offensichtlich noch einiger technischer Verbesserungen, um die Nutzerzahlen zu steigern. Auch das mobile Fernsehen weist eine marginale Nutzung auf, wobei der Anteil der Interessierten bei 27% liegt. Ähnlich verhält es sich mit der Navigationsfunktion, die in Frankreich auf ein breites Interesse zu stoßen scheint (bereits 33% im Jahr 2007), jedoch noch wenig Anwendung findet. Zukünftige Umfragen werden zeigen, ob die technischen Entwicklungen adäquate Antworten auf die Interessen und Bedürfnisse der Endverbraucher gefunden haben, um auch die neuesten Funktionen in die Gebrauchsgewohnheiten der Nutzer einzubinden. 1.3 Die Kommunikationsform SMS 1.3.1 Ursprung und Entstehungsgeschichte der SMS- Kommunikation Der ‚SMS-Boom’ ist wohl der überraschendste Nebeneffekt der Handytechnologie. Ursprünglich als Randprodukt anderer mobiler Kommunikationsdienste konzipiert, sollte der SMS-Dienst hauptsächlich den Netzbetreibern dazu dienen, interne Netzwerküberprüfungen zu erleichtern und Kunden über versäumte Anrufe zu benachrichtigen bzw. ihnen sonstige Informationen zukommen zu lassen. Die Vorstellungskraft der Telefongesellschaften reichte nicht bis hin zu einer tatsächlichen Durchsetzung des Dienstes auf breiter Basis, denn sie waren davon ausgegangen, dass 41 Laut einer internationalen Studie von TNS Sofres zu den Nutzungsgewohnheiten des Handys hatten im November 2007 bereits 60% der europäischen Handys Internetzugang, jedoch belief sich der Anteil der Nutzer auf nur 18% (vgl. http: / / www.tnssofres.com/ espace-presse/ news/ A3CD55433CBF425EBE508CC414640D3E.aspx (27.08.2009)). 42 97% der 12 bis 24-Jährigen schreiben SMS, 91% fotografieren, 69% filmen Videos, 76% hören Musik, 66% spielen Spiele und 34% benutzen die Internetfunktion. <?page no="30"?> 30 SMS viel zu kompliziert seien. Umso erstaunlicher erschien es, dass die Kunden plötzlich nach einem eigenen Dienst verlangten, zumal die Telefongesellschaften bis dahin nicht annähernd voraussahen, welches kommerzielle Potential für sie darin verborgen lag. Von der ersten Idee eines Dienstes zur Übermittlung von Textnachrichten im Jahr 1984 bis hin zur Grundlage des SMS-Dienstes wie er heute funktioniert, vergingen fünf Jahre. Der anfangs auf 128 Zeichen begrenzte Zusatzdienst sollte über einen zweiten Kanal stattfinden, der ohnehin als Teil der GSM-Standards für die Übermittlung gelegentlicher Informationen bezüglich Signalstärke oder andere Diensteigenschaften geplant war. 43 Endgültig einsatzbereit war der SMS-Dienst beim Start der GSM-Netze Anfang der neunziger Jahre, so dass die erste SMS (vermutlich) im Dezember 1992 bzw. am Neujahrstag 1993 im britischen Vodaphone-Netz zwischen einem Personal Computer und einem Mobiltelefon verschickt werden konnte. 44 Der technische Ablauf war dabei noch wesentlich umständlicher als in der heutigen Zeit, denn der Absender musste mit dem Handy im Service-Center des Mobilfunkbetreibers anrufen, um einem Mitarbeiter seinen Text zu diktieren, der seinerseits die Nachricht per Hand in einen Computer eingab und an den Empfänger weiterleitete. Entsprechend überschaubar war daher in der Anfangszeit die Zahl der gesendeten SMS. 45 Ein entscheidender Entwicklungsschritt bestand diesbezüglich in der standardmäßigen Integration der automatisierten SMS-Funktion auf den Mobilfunkkarten, die in Deutschland im Jahr 1995 vorgenommen wurde und infolge derer die Zahl der gesendeten SMS erheblich anstieg. Da das Handy anfangs noch überwiegend von Geschäftspersonen genutzt wurde, beschränkte sich auch die Nutzung des SMS-Dienstes entsprechend auf diesen Personenkreis. Mit der Entwicklung des Handys zu einem Medium der Alltagskommunikation gelang den Kurzmitteilungen ab 1999 ein wahrer Durchbruch, beginnend in Finnland und den skandinavischen Ländern, dann in Deutschland und ab dem Jahr 2000 auch in Frankreich. Im Jahr 2008 wurden dort bereits über 35 Milliarden SMS verschickt und die Zahlen steigen unermüdlich: im Juni 2009 waren es knapp 5 Milliarden, das bedeutet monatlich durchschnittlich 86 SMS pro aktivem französischem 43 Vgl. dazu Lischka (2009). 44 Dieses Datum wurde im Jahr 2000 von Simon Buckingham auf der Homepage von GSM veröffentlicht (www.gsmworld.com/ tchnology/ sms_success.html.), ist allerdings nicht mehr abrufbar. Einige Arbeiten, darunter Höflich (2001; 2003) und Schlobinski et al. (2001), beziehen sich auf diesen Artikel, wobei im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit geprüft werden kann, ob es sich hierbei tatsächlich um die erste gesendete SMS gehandelt hat. 45 Vgl. dazu einen Beitrag vom WDR: „Vor 15 Jahren: Erstes SMS-Service-Center geht in Betrieb“ (http: / / www.wdr.de/ themen/ kultur/ stichtag/ 2008/ 01/ 01.jhtml (12.08.2009)). <?page no="31"?> 31 Handy (ein Zuwachs von 85% im Vergleich zum Vorjahr). 46 Berücksichtigt man die altersspezifischen Nutzungspräferenzen, dann lässt sich die monatliche Durchschnittszahl an gesendeten SMS pro Handybesitzer zwischen 12 und 24 Jahren gewiss verdoppeln. Da insgesamt vier von fünf Handybesitzern in Frankreich wenigstens manchmal den SMS-Dienst nutzen, lässt sich von einer breiten Anerkennung in der Gesellschaft sprechen. Mittlerweile dient die Kommunikationsform längst nicht mehr nur der Alltagskommunikation, sondern wird zur Unterhaltung genutzt, Informationsdienste werden abgerufen, Bankgeschäfte werden getätigt und die Alarmanlage des Hauses wird aktiviert. Damit ist aus der Informationstechnologie ‚SMS-Dienst’ eine multiple Kommunikationstechnologie geworden, was nochmals hervorhebt, dass sich die Nutzung einer neuen Technologie nur selten an die vorgegebenen Strukturen der Erfinder hält. 47 1.3.2 Gesellschaftliche Bedeutung und Gebrauchsweisen der SMS- Kommunikation Es wurde bereits ansatzweise deutlich, dass die Art der SMS-Kommunikation an Komplexität hinzugewonnen hat und dass vor allem jugendliche Nutzer eine besondere Affinität zu dieser Form des mobilen, schriftlichen Austausches haben. 48 Im Folgenden soll ein kurzer Einblick in den allgemeinen gesellschaftlichen Stellenwert der Kommunikationsform für die verschiedenen Nutzergruppen und in die unterschiedlichen Gebrauchsweisen gegeben werden, die mit ihr einhergehen. 49 Entsprechend der quantitativen Nutzungsverteilung wird das Augenmerk zunächst auf der jüngeren Generation als Hauptnutzergruppe liegen. Aus einer zweckorientierten Überlegung zur Kosteneinsparung heraus lautete das Motto der Jugendlichen anfangs „kommuniziere anders, um 46 Als Quelle dient hier L’Autorité de Régulation et des Communications électroniques et des Postes (ARCEP). Vgl. http: / / www.arcep.fr/ index.php? id=35 (12.08.2009). 47 Bezeichnenderweise sind es nicht allein die Nutzer, die die Anwendungsbereiche neuer Technologien spezifisch gestalten und verändern, sondern parallel dazu die neuen Technologien, die das Leben und das Verhalten der Nutzer beeinflussen. Gerade in Bezug auf Jugendliche verändern SMS ihre Art, sich in der Schule zu benehmen (es werden keine „Zettelchen“ mehr herumgereicht, sondern SMS geschrieben), ihren Freundeskreis zu erweitern, zu flirten oder aber andere zu hänseln. Thomson sieht jedoch nicht nur negative Auswirkungen, da Jugendliche beispielsweise nachweislich stetig mehr Taschengeld für ihr Handy anstatt für Zigaretten ausgeben und ihrer Meinung nach darin der Grund für den Rückgang der Rate der rauchenden Jugendlichen liegt (vgl. dazu Thompson (2005), sie beruft sich auf einen Artikel im British Medical Journal des Jahres 2002). 48 Neben den statistischen Informationen aus Frankreich bestätigen auch andere Arbeiten die Jugendlichen als Hauptnutzergruppe, darunter Höflich (2001; 2003), Höflich/ Rössler (2001), Ito (2001), Ling (2001), Kasesniemi/ Rautiainen (2002). 49 Detaillierte und international ausgerichtete Darstellungen folgen im nächsten Kapitel. <?page no="32"?> 32 mehr kommunizieren zu können.“ 50 Recht bald bemerkten sie parallel dazu den Vorteil, dass im Zuge der SMS-Kommunikation weder das eigene Umfeld, noch das des Anderen gestört wird, so dass selbst dann kommuniziert werden kann, wenn ein Telefonat unmöglich erscheint. Zudem kann die Interaktion größtenteils außerhalb der elterlichen Kontrolle stattfinden, womit sich nicht nur das Handy als erstes ‚eigenes’ und ‚persönliches’ Medium emanzipatorisch gegen die Eltern zeigt, sondern insbesondere die Kommunikationsform SMS. Sie bietet Jugendlichen zahlreiche Möglichkeiten zur freien, unabhängigen und selbstständigen Gestaltung privater Freiräume und kann damit entscheidenden Einfluss auf die Identitätsbildung nehmen. Allein die permanente körperliche Nähe des Mediums und der beinahe reflexartige Blick auf den Bildschirm in der Hoffnung, eine Nachricht erhalten zu haben, weisen auf eine verinnerlichte Gewohnheit hin. Über die individuelle Identitätsbildung hinaus unterstützt SMS- Kommunikation die Herausbildung einer kollektiven Identität, da sie einerseits als kollektive Selbstbestätigung nach innen fungiert (ist man aktiv an der SMS-Kommunikation seines engen sozialen Netzwerkes beteiligt, so bleibt man nicht nur ununterbrochen auf dem Laufenden, sondern erhält ebenfalls ein Gefühl der Zugehörigkeit), andererseits eine Art Abgrenzungsmöglichkeit gegenüber anderer Generationen darstellt (sowohl im formalen als auch im inhaltlichen Medienumgang). Hieran lässt sich bereits ablesen, dass neben den anfänglichen, vernünftig kalkulierten Beweggründen wie Kostenersparnis und Diskretheit auch soziale Motivationsfaktoren für die Nutzung der SMS-Kommunikation relevant werden. Sie ist zunächst ganz allgemein ein entscheidender Träger von Gemeinschaftlichkeit und Sozialisierung, da die Anzahl der stattfindenden Kontakte zwischen den Jugendlichen seither zugenommen hat. Die Möglichkeit der dauerhaften Kontaktaufrechterhaltung mit dem engsten Freundeskreis schon zehn Minuten nach dem Verlassen des Schulhofs gibt dem sozialen Netzwerk eine noch intensivere Bedeutung. Impulsen zur Kontaktaufnahme kann spontan nachgegangen werden, so dass neue Wege zur Aufrechterhaltung und Kreierung sozialer Netzwerke geschaffen werden und die Herausbildung einer kollektiven Identität dadurch explizit gefördert wird. Dieser Prozess wird zusätzlich durch die Freiheit bei der sprachlichen Gestaltung eines SMS-Textes unterstützt, die sich den Jugendlichen bietet: Sie entwickeln auf konzeptioneller und formalschriftlicher Ebene ihren 50 Es sollte kurz bemerkt werden, dass eine einzelne Kurzmitteilung nicht zwangsläufig kostengünstig war, denn laut den Angaben von Liénard (2005, 58) kostete sie in Frankreich zu Beginn ungefähr 15 Cent, wohingegen sie den Anbieter nur circa drei Cent kostete. Für sich betrachtet ist sie damit relativ teuer und gewinnt erst im Vergleich zu den Kosten für ein mobiles Telefonat einen finanziellen Anreiz. Inzwischen lässt sich der Durchschnittspreis nur noch schwer beziffern, da sich vermehrt Pauschalangebote für einen unbegrenzten SMS-Versand durchsetzen. <?page no="33"?> 33 eigenen Kode, der ihnen eine gruppenspezifische Konversation erlaubt und stets das Gefühl verleiht, innerhalb eines für die restliche Gesellschaft unzugänglichen Personenkreises zu kommunizieren. Um diesen eigenen Kode zu kreieren setzen sie maßgeblich auf die Verfremdung oder neuartige Zusammensetzung des Altbekannten und verleihen ihrer Generation im Allgemeinen bzw. ihrer Gruppe im Speziellen dadurch ein eigenes Gesicht. Sicherlich dürfen der Spaß und die Lust am Erfinden von originellen und kreativen Formen bzw. am Dekonstruieren des Althergebrachten dabei nicht unterschätzt werden. Auf inhaltlicher Ebene reicht die Bandbreite bei Jugendlichen von organisatorischen Informationen und emotionalen Liebesbekundungen über wichtige Ereignisse aus dem Dorf und komische Wortspiele bis hin zu künstlerisch gestalteten „Textgeschenken“. 51 Bezeichnend ist dabei, dass viele Nachrichten wenigstens am Rande mit Emotionen gespickt sind und dass dank der Geheimhaltungsmöglichkeit selbst intime Botschaften ausgetauscht werden. Kurzmitteilungen scheinen generell eine zeitnahe und authentische Offenlegung von sowohl positiven als auch negativen Emotionen und Intimitäten zu begünstigen, da sie deren kontrollierte und kanalisierte Übermittlung gewährleisten, ohne jedoch zu emotional auffälligem Verhalten in der Öffentlichkeit zu führen. 52 Darüber hinaus ist man der Reaktion des Gesprächspartners nicht unmittelbar ausgesetzt und kann die Dinge mutiger beim Namen nennen, so dass SMS auch insofern eine ‚befreiende’ Wirkung zu haben scheinen. 53 Vor diesem Hintergrund greifen auch Jugendliche teilweise bewusst auf die Kommunikationsform zurück, um eine mündliche, synchrone Konversation zu vermeiden und somit dem unmittelbaren Kontakt und dessen Auswirkungen auszuweichen. Der Kraftaufwand einer direkten Konfrontation sowie deren Herausforderungen und Gefahren, die sich primär aus der Unmittelbarkeit der Interaktion ergeben und aufgrund der vorherrschenden physischen Nähe, der Syn- 51 Nähere Ausführungen zu den kommunikativ-funktionalen Eigenschaften vgl. Kap. 6. 52 Damit bietet sich in der SMS-Kommunikation eine diskrete Form, Privatheit in der Öffentlichkeit zu organisieren. Zur Bedeutung der SMS-Kommunikation vor dem Hintergrund der Höflichkeitstheorie von Brown/ Levinson bzw. zum Aspekt der Diskretheit vgl. Kap. 3.1.2. 53 Rivière (2002) verbindet mit zunehmendem Gebrauch der SMS-Kommunikation speziell für die Offenlegung von Emotionen den Rückzug der eigenen Person in die Einsamkeit (verstärkt durch den Schriftmodus) sowie den Rückzug von Intimitäten aus dem öffentlichen Leben. Ihrer Meinung nach führt das zu einem Wandel der gesellschaftlichen Regeln hin zu einem neuen savoir-vivre, das von erhöhtem Schutz des eigenen Umfelds (bzw. das des anderen) und von dem Streben nach Gesichtsbewahrung geprägt ist. Nähere Erläuterungen zu den Begriffen ‚Territorium’ bzw. ‚Gesichtsbewahrung’ und deren Bedeutung in Zusammenhang mit der SMS- Kommunikation folgen in Kap. 3.1.2 unter den Aspekten „Diskretheit auf der Seite des Senders möglich“ bzw. „Diskretheit auf der Seite des Empfängers möglich“. <?page no="34"?> 34 chronizität und der Spontaneität gesichtsbedrohende 54 Wirkungen haben können, werden mittels der schriftlichen Kommunikation über die Distanz hinweg geschickt umgangen. SMS können daher als eine Art Filter verstanden werden, um Komplikationen des direkten Gesprächs zu vermeiden und Reflektionsmöglichkeiten während der Interaktion zu ermöglichen. Eine weitere soziale Nutzungsmotivation für den Einsatz von SMS sehen Jugendliche in der Möglichkeit, gesellschaftliche Konventionen zu umgehen. Tolerierte Anrufzeiten für ein häusliches Telefonat in den Abendstunden können beispielsweise dank der diskreten und direkten Kommunikationsform SMS unbemerkt ausgedehnt werden, ohne zwangsläufig zu einem Konflikt mit den Eltern zu führen. Gleichwohl gelingt es den Jugendlichen nicht, sich mittels der SMS-Nutzung gänzlich der elterlichen Überwachung zu entziehen, da allein der Besitz des Handys automatisch ihre Erreichbarkeit und damit Kontrollierbarkeit durch die Eltern impliziert. In diesem Zusammenhang assoziieren sie mit der SMS- Kommunikation nicht mehr überwiegend Freiheit, Autonomie, direkten Zugang zur peergroup und Spiel, sondern vielmehr Verpflichtung und soziale Kontrolle. Berücksichtigt man zudem die Erwartungen der Jugendlichen untereinander, die sich aus der ständigen Erreichbarkeit und der Reziprozität 55 ergeben, so erhält man hinsichtlich der jugendlichen Nutzung der SMS-Kommunikation ein komplexes Gefüge an Bedeutungszuweisungen, das sehr vielschichtig strukturiert ist und stets im Spannungsfeld der sich daraus ergebenden Wechselwirkungen betrachtet werden muss. Im Vergleich dazu verbindet die Elterngeneration im familiären Rahmen vornehmlich Zusammenhalt, Rückversicherung und Kontrolle mit der Kommunikationsform SMS. Sie ermöglicht ihnen eine Art Mikrokoordination der Familienmitglieder im Alltag, die sich nicht nur auf die Organisation der häuslichen Pflichten bzw. auf die Koordinierung von Beruf und Haushalt bezieht, sondern auch auf die Kontrolle über das Freizeitverhalten der Kinder. Dank der funktionalen Eigenschaften der SMS-Kommunikation kann das jederzeit direkt und lautlos geschehen, ohne ein kosten- und zeitintensives Telefonat führen zu müssen. Mit der ständigen Erreichbarkeit der Kinder geht jedoch keineswegs nur deren permanente Kontrollierbarkeit einher, sondern auch die Mög- 54 Zum Begriff „gesichtsbedrohend“ im Rahmen des Höflichkeitsmodells von Brown/ Levinson vgl. ebenfalls den Aspekt „Diskretheit auf Seite des Senders möglich“ in Kap. 3.1.2. 55 Höflich (2003, 57f.) beschreibt die Reziprozität als „eine soziale und kommunikative Grundkategorie des interpersonalen Austausches“ und formuliert sie in Bezug auf die SMS-Kommunikation vereinfacht folgendermaßen: „Wer viel kommuniziert, der bekommt auch viele Rückantworten […]. Aber das gilt auch anders herum: Wer viele Botschaften bekommt, der steht auch unter Druck, auf viele antworten zu müssen.“ <?page no="35"?> 35 lichkeit, sie in (emotional) schwierigen Situationen zu unterstützen. Dessen sind sich im Übrigen auch die Kinder bewusst und greifen teils gezielt via SMS auf den ständig ‚abrufbereiten’ elterlichen Rat oder gar deren aktive Hilfe zurück, wodurch die zuvor eher als negativ beschriebenen Repräsentationen, die Jugendliche mit der SMS-Kommunikation im familiären Kontext verbinden, zumindest auszugsweise relativiert werden. Im Hinblick auf den generationsinternen Stellenwert der Kommunikationsform SMS im Erwachsenenalter bietet sie einen schnellen und relativ wenig engagierten Interaktionsweg für die Aufrechterhaltung und Pflege des sozialen Netzwerkes. Sie eignet sich hervorragend für das Management des zunehmend komplex werdenden Alltagslebens und füllt oftmals in Form einer „Lightweight-Kommunikation“ 56 die Lücken des strengen Zeitplans. Zwar könnte eine solche Handhabung aufgrund der technisch begrenzten kommunikativen Möglichkeiten zunächst abkühlend auf die interpersonale Beziehung wirken, jedoch kann sie ebenso eine solide Basis für das nächste direkte Aufeinandertreffen schaffen. In diesem Zusammenhang lässt sich kaum bestreiten, dass SMS- Kommunikation das soziale Miteinander in mancher Hinsicht entscheidend verändert hat: Aufgrund der ständig bestehenden Möglichkeit zur Kontaktaufnahme werden Termine nicht mehr über einen längeren Zeitraum hinweg verbindlich festgelegt und soziale Kontakte können mit größerer Effizienz bzw. weniger persönlichem Einbringen erfolgreich gemanagt werden, was oftmals ein oberflächliches, aber weit verzweigtes Beziehungsgeflecht zur Folge hat. 57 Auszunehmen sind in diesem Kontext jedoch Personen, die die Kommunikationsform erst im höheren Erwachsenenalter kennengelernt haben und sie daher nur bedingt als tägliche Form der Interaktion ansehen. Zwar lehnen sie sie nicht zwangsläufig ab, jedoch spielt die Kommunikationsform in ihrem Alltag häufig eine zu vernachlässigende Rolle, da sie sich nur selten mit der umständlichen Texteingabe abmühen wollen, sondern eher ein mobiles Telefonat bevorzugen. Einzig in Situationen, in denen Diskretion und Asynchronizität einen entscheidenden Vorteil für sie birgt, ziehen sie das Senden einer SMS in Betracht. Wenngleich der private SMS-Gebrauch im Mittelpunkt dieser Untersuchung steht, soll kurz auf die zunehmende Bedeutung der Kommunikationsform in der Öffentlichkeit hingewiesen werden. Dass sie etwa für Werbezwecke verwendet und teilweise missbraucht wird, ist kein neues Phänomen. Auch ihr Einsatz in der Welt der Unterhaltungsmedien beispielsweise für die Stimmabgabe zur Wahl des nächsten Musikstars oder für die Teilnahme an (mehr oder weniger anspruchsvollen) TV-Rätseln wird von den Produzenten aus kommerziellen Motiven heraus stark for- 56 Zum Begriff „lightweight messages“ vgl. Ito (2004, 10). 57 Allein die Anzahl der gespeicherten Kontakte im Telefonspeicher sagt viel über die wachsende Anzahl an Kontakten aus. <?page no="36"?> 36 ciert. Jedoch zeigt sich inzwischen zudem eine andersartige, nicht kommerzielle Gebrauchsweise der Kommunikationsform als ‚Sprachrohr in der Öffentlichkeit’. So wurden SMS gezielt zur Ausweitung einer öffentlichen Debatte über die Reformierung der Oberstufe in Frankreich eingesetzt, indem den persönlich anwesenden Teilnehmern (vor allem Eltern, Schüler und Lehrer) eine Mobilfunknummer mitgeteilt wurde, an die sie konstruktive Diskussionsbeiträge per Kurzmitteilung übersenden konnten, falls sie sich aus jedweden Gründen nicht direkt in die Diskussion einbringen konnten bzw. wollten. Die SMS-Texte wurden anschließend auf eine Leinwand projiziert und somit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, um gegebenenfalls im Plenum diskutiert zu werden. 58 Mit diesem Vorgehen wurde eine Möglichkeit geschaffen, die ansonsten schweigende Mehrheit in die Debatte einzubeziehen und den Redeanteil gleichmäßiger zu verteilen. Dank ihrer quasi-synchronen Übertragung, ihrer ständigen Zugänglichkeit für einen Großteil der Bevölkerung und ihrer Anonymität auf Wunsch 59 eignet sich die SMS-Kommunikation ideal für solche Zwecke, wobei die Überwindung von Distanz in diesem Fall als Nutzungsmotiv entschieden an Bedeutung verliert zugunsten ihrer Eigenschaften als medial vermittelte und anonyme Kommunikation. Die bisherigen Ausführungen haben verdeutlicht, dass sich die unterschiedlichen Gebrauchsweisen und Repräsentationen der SMS-Kommunikation maßgeblich aus den verschiedenen ‚Nutzbarmachungen’ der für sie charakteristischen Rahmenbedingungen durch die verschiedenen Nutzergruppen ergeben haben. Allerdings wurden diese Rahmenbedingungen einschließlich der Charakteristika des Kommunikationsablaufs bislang nur ansatzweise bzw. aus einer primär sozialen Perspektive beleuchtet. Um den Gebrauchsmotivationen und dem augenscheinlichen Erfolg der Kommunikationsform auch aus kommunikativer Sicht auf den Grund gehen zu können bzw. um fundierte Erklärungsansätze für die im Zentrum dieser Arbeit stehenden sprachlichen Auswirkungen innerhalb der SMS- Kommunikation zu erhalten, bedarf es einer detaillierten Analyse der spezifischen Kommunikationsbedingungen einschließlich deren Implikationen, die in Kapitel 3 folgen wird. Zuvor soll jedoch ein Gesamtüberblick über den untersuchten Forschungsbereich gegeben werden. 58 Vgl. Baumard (2009). 59 Nimmt der Absender der SMS seinen eigenen Namen nicht unmittelbar in den SMS- Text auf, so bleibt er anonym. Zwar wird seine Handynummer automatisch an die Organisatoren übertragen, jedoch müssen diese die Regelungen des Datenschutzes beachten. <?page no="37"?> 37 2 Stand der Forschung Die frankophone Forschung hat sich trotz rasant wachsender Beliebtheit der SMS-Kommunikation seit 2000 zunächst nur stiefmütterlich und oberflächlich diesem neuen Thema angenommen. Der Interessenschwerpunkt wissenschaftlicher Arbeiten lag vielmehr auf den vielseitigen linguistischen und soziolinguistischen Besonderheiten schriftbasierter Internetkommunikation, im Speziellen E-Mails, Chats und Diskussionsforen. Sprachliche Charakteristika der SMS-Kommunikation wurden höchstens am Rande erwähnt oder gar in einem Zuge mitbehandelt, was sicherlich daran lag, dass kaum Originaldaten für eine fundierte Analyse zur Verfügung standen. Dementsprechend spricht Dejond beispielsweise von der „cyberlangue française“ 60 und bemüht sich, alle bestehenden Kommunikationspraktiken inklusive mobiler Schriftkommunikation in einem Modell zu beschreiben. Jacques Anis seinerseits verwendet die Umschreibung „communication éléctronique scripturale“ 61 und vergleicht die sprachlichen Besonderheiten der unterschiedlichen Kommunikationsformen. Dabei stellt er eine für die Chat- und SMS-Kommunikation gleichermaßen geltende Typologisierung der graphischen Variationen („les néographies“) und der morpholexikalischen Merkmale vor, geht jedoch teilweise nur oberflächlich auf die jeweiligen Unterschiede ein. Das von ihm herausgegebene Buch „Parlezvous texto? “ 62 , eine an ein breites Leserpublikum gerichtete Einführung in die Sprache digitaler französischer Texte, widmet er zwar überwiegend den Besonderheiten der SMS-Kommunikation und unterstreicht damit die Notwendigkeit einer eigenständigen Betrachtung, misst allerdings der internetbasierten Schriftkommunikation (vornehmlich dem Chat) in vielen Bereichen einen grundlegenden Vorbildcharakter bei und orientiert sich bei den angeführten Beispielen oftmals an ihr. Indes wurde in zahlreichen Zeitungsartikeln, Werbekampagnen und der Jugendliteratur 63 bereits das Bestehen eines eigenen „langage SMS“ popularisiert. Überschriften wie „Parlez-vous le SMS? “ 64 , „Le ‚langage SMS’ contamine-t-il la langue écrite? “ 65 oder „C koi 7 drôle 2 langue“ 66 60 Dejond (2002). 61 Anis (2002; 2003). 62 Anis (2001). 63 Vgl. etwa Phil Marso (2004; 2005b). Nähere Ausführungen dazu vgl. weiter unten. 64 Bernaert, Laurence: „Parlez-vous le SMS? “. In: Le Monde interactif (30.05.2001). 65 Vgl. http: / / www.futura-sciences.com/ fr/ news/ t/ high-tech-4/ d/ le-langage-smscontamine-t-il-la-langue-ecrite_6353/ (15.04.2009). <?page no="38"?> 38 zogen Aufmerksamkeit auf sich. Ein großer französischer Mobilfunkdienstleister warb vor den Sommerferien mit „60 SMS GRAT8 EN éT“ bzw. kurz vor Weihnachten mit „30 SMS EN DÉC = 30 SMS GRAT8 EN JANV ; -)“ und folgendes Werbeplakat versprach spielerisches Durstlöschen: 67 Im Internet erhielt man Zugang zu (meist wenig wissenschaftlichen) Beiträgen, die sich dem Phänomen aus soziolinguistischer Perspektive annäherten und oftmals vorschnelle Pauschalurteile über dessen Auswirkungen auf die Schreibgewohnheiten der Nutzer fällten. Der prognostizierte bevorstehende Verfall der französischen Orthographie und die damit verbundene Panikverbreitung sollte recht bald im Rahmen der ersten online veröffentlichten Fachartikel, häufig aus dem Fachgebiet der Pädagogik, relativiert werden. 68 Darin wurde nicht nur mehr Klarheit in die besondere Art der Verschriftung gebracht, sondern es wurden teilweise auch produktive Vorschläge für einen kreativen Einbau in den Französischunterricht unterbreitet, um Schülern etwa den Zugang zur Orthographie zu erleichtern (beispielsweise durch das Aufzeigen der Vorteile einer homonymendifferenzierenden Schreibweise). In diesem Kontext wurde gleichzeitig das Comité de lutte contre le langage SMS et les fautes volontaires sur Internet 69 ge- 66 Richard, Alexandra (2004): „C koi 7 drôle 2 langue“. URL: http: / / www.swissinfo.ch/ fre/ societe/ C_koi_7_drole_2_langue.html? siteSect=604&sid=4879550&cKey=1082550 289000&ty=st (15.04.2009). 67 Vgl. http: / / www.lareunion4science.org/ userfiles/ file/ Quotidien2.pdf (24.03.2009). 68 Vgl. dazu etwa Marty (2001): „Les textos, un danger pour l’orthographe? “; Vilarasau, (2002): „Le retour de l’écrit“ oder auch Anis (2002): „Communication électronique scripturale et formes langagières: chats et SMS“. Für spätere Artikel vgl. etwa Brandt (2005): „Parlez-vous textos? “; Jalabert (2006): „MoliR, rev1 vit... il son 2vnu foo! („Molière, reviens vite... ils sont devenus fous! “); Pétillon (2006): „Le discour SMiste, un nouveau corpus? “ oder Pouilloux (2006): „Question de norme, question d’affects“. 69 Vgl. http: / / sms.informatiquefrance.com/ index.htm (30.12.2008). <?page no="39"?> 39 gründet, das sich für die Respektierung der bestehenden orthographischen Norm einsetzte. Nichtsdestoweniger blieb eine intensive Analyse der speziellen sprachlichen Besonderheiten der SMS-Kommunikation zunächst ein Forschungsdesiderat. 2.1 Internationale Forschung Bevor wir den Fokus auf die Entwicklung der frankophonen Forschung zur SMS-Kommunikation bzw. zu der darin verwendeten Sprache richten, sollen einige Forschungsrichtungen aus den Bereichen der digitalen bzw. mobilen Kommunikation im Allgemeinen sowie der SMS-Kommunikation im Speziellen aus anderen Ländern vorgestellt werden, die oftmals schon früher als in Frankreich verfolgt wurden und deren Erkenntnisse für die vorliegende Arbeit von Relevanz sind. Zu Beginn entstanden vor allem im Breich der Internetkommunikation erste Überblickswerke, die in die theoretischen Grundlagen von Sprache in modernen Medien einführten und neue Kommunikationsformen wie E-Mail, Chat, Diskussionsforen, Instant Messaging, SMS, etc. deskriptiv analysierten. 70 Später kam eine Vielzahl an Arbeiten hinzu, die sich insbesondere auf die sprachlichen Besonderheiten konzentrierten. 71 Mit wachsender Verbreitung und Popularität der Mobilkommunikation stieg auch hier das Forschungsinteresse und es erschienen erste überblickartige Werke zu möglichen Forschungsfeldern und Perspektiven. 72 Konkreter wurde sich in Bezug auf das Medium Handy dann mit verschiedenen Untersuchungsschwerpunkten beschäftigt, darunter etwa die unterschiedlichen Gebrauchsweisen des Handys im internationalen Vergleich 73 , die gesellschaftlichen Konventionen der Handynutzung 74 , die Auswirkungen der ständigen Erreichbarkeit 75 , die benutzerspezifische Aneignung des Handys durch die Jugendlichen 76 oder aber die Handynutzung im familären Kontext. 77 70 Vgl. etwa Anis (1999), Bittner (2003), Crystal (2001), Dejond (2002), Höflich (1996), Höflich/ Gebhardt (2005; 2003), Kallmeyer (2000), Reichwald (2002), Ruhnkehl/ Schlobinski/ Siever (1998), Schmitz (2004), Siever/ Schlobinski/ Runkehl (2005), Weingarten (1997). 71 Eine ausführliche Bibliographie zur Sprache im Internet mit derzeit über 3000 Publikationen wird unter www.mediensprache.net (05.05.2010) zur Verfügung gestellt. 72 Vgl. etwa Brown et al. (2002), Harper/ Palen/ Taylor (2005), Höflich/ Gebhardt (2005), Katz/ Aakhus (2002), Ling/ Pedersen (2005), Nyíri (2002). 73 Vgl. etwa Thomson (2005). 74 Vgl. etwa Ling (2005c), Höflich/ Gebhardt (2005). 75 Vgl. etwa Arlt (2008), Burkart (2007), Jauréguiberry (1997; 2003; 2005), Laursen (2005). 76 Vgl. etwa Cadéac/ Lauru (2002), Höflich/ Gebhardt (2001; 2003), Kasesniemi/ Routiainen (2002), Katz/ Aakhus (2002), Ling/ Yttri (2002), Puro (2002), Skog (2002). 77 Vgl. etwa Feldhaus (2005), Martin (2002; 2003b; 2007), Martin/ De Singly (2002). <?page no="40"?> 40 Auch die SMS-Funktion als klassische Anwendung des Mobiltelefons ist sowohl in den Sozialwissenschaften als auch in den Kommunikations- und Sprachwissenschaften zum Gegenstand der Forschung geworden. Einige Erkenntnisse daraus werden im Folgenden, nach Ländern geordnet, etwas ausführlicher vorgestellt. Die ersten Studien entstanden in Finnland, dem damaligen „Eldorado der Mobilkommunikation“ 78 , in dem bereits 2002 kaum ein Jugendlicher über kein Handy verfügte. Dementsprechend führt Kopomaa im Jahr 1999 in Helsinki die erste explorative Studie zur Nutzung von SMS durch und befragt hierfür Schüler und Studenten im Alter zwischen 15 und 22 Jahren. 79 Neben praktischen Nutzungsmotivationen wie Verabredungen treffen und Informationen austauschen stehen primär Unterhaltung und Kontaktaufrechterhaltung im Vordergrund, wobei Mädchen eher zu emotionaler Kommunikation neigen als Jungen. 80 Tiefergreifende Diskussionen bleiben generell die Ausnahme, obwohl die Befragten bestätigten, dass Spaß haben nicht immer im Vordergrund steht. Die Befragten heben ferner den Vorteil der Diskretion hervor, den die SMS-Kommunikation gegenüber einem Telefonat in der Öffentlichkeit bietet. Sie erkennen bereits in der Anfangszeit eine „Sphäre der Freiheit“ 81 im Austausch von SMS, die sich der Kontrolle der Eltern bzw. der Lehrer entzieht. Insgesamt scheint die Koordination jeglicher Bedürfnisse mit dem Mobiltelefon, und insbesondere mit der SMS-Funktion, zu einem „kontinuierlichen Projekt“ 82 zu werden. Neben Kopomaa stellen Kasesniemi und Rautiainen eine über den Zeitraum von 1997 bis 2000 angelegte Studie vor, die im Rahmen eines Projektes der Universität Tampere durchgeführt wurde und das Nutzungsverhalten finnischer Kinder und Jugendlicher untersucht. 83 Knapp 1000 Teilnehmer wurden hierfür befragt und die erstellte SMS-Datenbank umfasst gut 9000 Kurzmitteilungen. Bereits im Frühjahr 1998 stellte sich heraus, dass die Anzahl der versendeten SMS die Menge der getätigten Telefonate übertrifft, was abermals den besonderen Stellenwert der SMS-Kommunikation hervorhebt. Die Autoren sprechen aufgrund der SMS-bezogenen Kommunikationspraktiken unter finnischen Jugendlichen von der Herausbildung einer „SMS-Kultur“, die über eigene Sprachstile, Gewohnheiten 78 Vgl. Höflich/ Gebhardt/ Steuber (2003, 268). 79 Kopomaa (2000; 2005). 80 Es wird sich im Folgenden zeigen, dass dieser geschlechterspezifische Unterschied in Bezug auf die Gebrauchsweisen aus einer Vielzahl an (internationalen) Studien hervorgeht. Auch die Bedeutung der SMS-Kommunikation zur Kontaktaufrechterhaltung wird immer wieder betont werden. 81 Vgl. Kopomaa (2000, 71). 82 Ebd., 158. 83 Vgl. Kasesniemi/ Rautiainen (2002, 2003). Das Forschungsprojekt wurde am Information Society Research Center (INSOC) der Universität Tampere durchgeführt. <?page no="41"?> 41 und soziale Normen verfügt. Der wohl aussagekräftigste Faktor in Bezug auf diese SMS-Kultur ist ihrer Erkenntnis nach der Inhalt der Kurzmitteilungen, was sich vor allem in der kollektiven Dimension der SMS- Praktiken zeigt: SMS-Botschaften werden gesammelt, in SMS-Notizbüchern archiviert, Freunden gezeigt, untereinander ausgetauscht, gemeinsam verfasst, gemeinsam gelesen und passende Ausdrücke oder ganze Texte werden voneinander übernommen. Sprachlich talentierte und sensible Mitglieder des Freundeskreises werden als „SMS-Virtuosen“ zur qualitativen Verbesserung der SMS-Texte zu Rate gezogen, was die Gruppensolidarität untereinander stärkt. Die SMS-Texte werden somit nicht nur materiell, sondern auch symbolisch geteilt. All diese Praktiken, die es den finnischen Jugendlichen erlauben, einen spezifischen Lebensstil zu führen, bildeten sich erst in Bezug auf das Schreiben und Versenden von SMS heraus. Ähnlich früh wie in Finnland begann auch die norwegische Forschung auf das Phänomen ‚SMS’ aufmerksam zu werden, was sicherlich mit der vergleichbar schnellen Verbreitung der Kommunikationsform unter den jugendlichen Nutzern zusammenhängt. Einer der Hauptvertreter ist Ling, der sich vor allem mit der gesellschaftlichen Bedeutung des Handys bzw. der SMS-Kommunikation beschäftigt. Er hebt insbesondere die Rolle des Mobiltelefons zur Aufrechterhaltung sozialer Kontakte bzw. Netzwerke und damit dessen (vor-)sozialisatorischen Einfluss auf die (geschlechtsspezifische) Identitätsbildung Jugendlicher hervor. Jugendliche Mädchen stellen, neben jungen erwachsenen Männern, schon früh die Hauptnutzergruppe in Norwegen dar und wissen zweifelsohne den Vorteil des Mediums zur Organisation des Alltags und zur Vermittlung eines Sicherheitsgefühls zu schätzen. Jedoch stellt dieser praktische Aspekt laut Ling nicht den zentralen Punkt für dessen Bedeutung in ihrem Leben dar. Vielmehr wird das Handy vor allem als Hilfsmittel für Netzwerkarbeit eingesetzt, eine in der finnischen Gesellschaft zumeist Frauen vorbehaltene Aktivität, und kann somit als ein Element zur Vorsozialisierung in ihre spätere gesellschaftliche Rolle als Frau gesehen werden. SMS-Kommunikation reiht sich optimal in diese sozio-emotionale, kommunikative Nutzung des Handys ein, da das Versenden einer Kurzmitteilung den Kontakt bestätigt und „auffrischt“. 84 84 Vgl. dazu Ling (2001), Ling/ Yttri (1999; 2002). Neuere Arbeiten von Ling behandeln vor dem Hintergrund eines sich verbreitenden Gebrauchs der SMS-Kommunikation etwa dessen geschlechterspezifische Nutzung von Erwachsenen in intakten bzw. geschiedenen Familien (Ling (2006)). Darüber hinaus untersuchte er in Zusammenarbeit mit Julsrud und Yttri aus soziolinguistischer Perspektive die entstandenen und sich noch in der Entwicklung befindenden Gattungen im Rahmen der SMS- und MMS-Kommunikation (vgl. Ling et al. (2005)). <?page no="42"?> 42 Neben den skandinavischen Ländern war auch in Japan eine vergleichsweise schnelle Verbreitung des Handys und damit eine rasant wachsende Beliebtheit der mobilen Schriftkommunikation zu beobachten. Im Jahr 2000 besaßen bereits gut 75% der japanischen Bevölkerung ein Handy und weit über 80% der Anfang 20-Jährigen, die im näheren Umkreis von Tokio lebten, nutzten den mobilen E-Mail-Dienst 85 regelmäßig (bei den weiblichen Nutzern lag die Rate sogar bei 94%). 86 Analog zu europäischen Herangehensweisen fokussiert Hashimoto in seiner im November 2000 durchgeführten, explorativen Studie den Umgang Jugendlicher und junger Erwachsener mit dem Handy und fragt dabei gezielt nach dem Einfluss des Handys bzw. der mobilen Schriftkommunikation auf Psychologie, Verhalten und Beziehungen der Benutzer. Er gelangt dabei zu ganz ähnlichen Erkenntnissen wie vorherige Arbeiten: das Mobiltelefon, und speziell der mobile E-Mail-Dienst, verleiht ein Gefühl von Sicherheit dank der als unaufhörlich empfundenen Verbindung zur Familie, zum Partner und zu Freunden, es reduziert das Gefühl des Alleinseins, es erlaubt dank der Überwindung räumlicher und zeitlicher Grenzen ein effektiveres Zeitmanagement, es unterstützt Beziehungsarbeit bzw. lässt enge Freundschaften noch tiefer werden und erlaubt Jugendlichen eine permanente Kontaktaufrechterhaltung zu ihren „fulltime-intimate-friends“ 87 . Andere japanische Arbeiten bestätigen, dass die mobile E-Mail-Kommunikation auch in ihrer Kultur den jugendlichen Nutzern vorbehalten zu sein scheint, vor allem weil sie wenig aufdringlich, schwer durch Dritte kontrollierbar, kostengünstig und prädestiniert für soziale Netzwerkarbeit sei. 88 Hinzu kommt, dass durch sie keine ortsbezogenen Beschränkungen verletzt werden (etwa ein störender Anruf in öffentlichen Verkehrsmitteln) 89 , sondern dank eines Weitere finnische Studien beziehen sich etwa auf die Aneignung der Kommunikationsform SMS und deren Bedeutung für Gehörlose (vgl. etwa Bakken (2005), Guitteny (2007), Power/ Power (2004)). 85 In Japan können SMS, so wie wir sie kennen, grundsätzlich nur zwischen solchen Kommunikationspartner verschickt werden, die den gleichen Mobilfunknetzbetreiber nutzen. Dank der Einführung eines mobilen Internetdienstes können seit 1999 jedoch mobile E-Mails unabhängig vom gewählten Mobilfunknetz versendet werden, die nicht auf 160 Schriftzeichen begrenzt sind. Zwar sind mobile E-Mails teurer als SMS, aber wesentlich billiger als ein mobiles Telefonat, da sie für gewöhnlich im Grundpreis enthalten sind. Der Begriff ‚mobile E-Mails’ wird, bezogen auf Japan, im Folgenden sowohl die SMS-Kommunikation als auch die Schriftkommunikation via mobilem Internetdienst umfassen. 86 Vgl. Hashimoto (2002, 97f.) 87 Vgl. Hashimoto (2002, 106). 88 Vgl. dazu etwa die Beiträge von Habuchi (2005) und Matsuda (2005). Einen Überblick über die japanische Forschung zur mobilen Kommunikation bieten Ito et al. (2005). 89 In Japan wird allein das Klingeln des Telefons an öffentlichen Plätzen als Verletzung angesehen (vgl. Ito/ Okabe (2005, 136)). <?page no="43"?> 43 geschickten Gebrauchs des Mediums umgangen bzw. bewältigt werden können, ohne die soziale Integrität zu gefährden. Ob sich das Handy als sozial konservatives oder transformatives Medium herausstellt, hängt von seinem Status als sozio-technisches Gerät ab. Am eindrucksvollsten wird das am Beispiel der Philippinen deutlich, „the texting capital of the world“ 90 , wo die SMS-Kommunikation unter anderem gezielt für politische Propaganda eingesetzt wurde. 91 So brachten politische Gerüchte und Propagandatexte, die via SMS in Windeseile verbreitet wurden, die gesamte Bevölkerung Ende 2000 in Aufruhr gegen den damaligen philippinischen Präsidenten Joseph Estrada. Hier wird deutlich, dass der Handygebrauch bzw. der Gebrauch der SMS-Kommunikation zwar einerseits kulturspezifisch geprägt und eingebunden ist, andererseits aber auch kulturelle Gegebenheiten radikal verändern und neu formieren kann. Pertierra et al. geben einen illustrativen Gesamteinblick in die Bedeutung und Nutzungsweisen der SMS-Kommunikation in den Philippinen und beschreiben, wie der historische und kulturelle Kontext die sozialen Auswirkungen des Mediums auf die philippinische Gesellschaft mit beeinflusst. 92 Dabei stellen sie unter anderem fest, dass sich bislang keine Konvention zur Nutzung des Handys in der Öffentlichkeit entwickelt hat: weder Bus, noch Kino, noch Kirche stellen ein Tabu dar. Auch auf inhaltlicher Seite gelangen sie zu dem überraschenden Ergebnis, dass Jugendliche teilweise sehr schmutzige „Ketten-Sexwitze“ per SMS an ihre Eltern weiterleiten, die sie in der Form vermutlich nicht von Angesicht zu Angesicht erzählen würden. Eine Parallele zu den europäischen Ländern und Japan stellt indes die Handynutzung zur Vertiefung der bestehenden Beziehungen und zur Schaffung von intimen, privaten Momenten dar. Erstaunlich wiederum erscheint der Umgang mit Fremden in Verbindung mit der SMS-Kommunikation: das gegenseitige Kennenlernen geschieht auf sehr private und wenig zurückhaltende Art, was bei einseitiger Beendigung des Kontakts zu unerfreulichen Beschimpfungen führen kann. In diesem Zusammenhang untersucht Elwood-Clayton explizit die dunkle Seite der privaten SMS-Kommunikation auf den Philippinen und konzentriert sich auf den Austausch von Feindseeligkeiten unter engen Vertrauten. 93 Während andere Arbeiten zumeist darauf hinweisen, dass SMS-Texte vornehmlich von positiv konnotierten Gesprächsthemen geprägt seien und dass Konflikte gerade durch das Senden einer SMS abgewehrt werden könnten 94 , hebt Elwood-Clayton die zweischneidige Natur dieser Kommu- 90 Vgl. Elwood-Clayton (2005a, 199). Auf den Philippinen werden mit täglich bis zu 150 Millionen Kurzmitteilungen die meisten SMS auf der Welt verschickt. 91 Vgl. Agar (2003, 107ff.), Pertierra et al. (2002) oder Elwood-Clayton (2005a). 92 Pertierra et al. (2002). 93 Elwood-Clayton (2005a). 94 Vgl. etwa Licoppe/ Rivière (2005), Höflich/ Rössler (2001), Gaglio (2004), Krause/ Schwitters (2002), Desjeux (2005). <?page no="44"?> 44 nikationsform hervor, da sie sowohl romantisches Hilfsmittel als auch rachsüchtige Waffe sein könne. Die Autorin unterstreicht, dass mit weit verbreiteter SMS-Nutzung Fehlinterpretationen, Eifersucht, ständige Überwachung innerhalb der Paarbeziehung, Gerüchteverbreitung, Rufmord und wiederholte Belästigung zunehmen. 95 In Europa ist man auch im deutschsprachigen Raum recht früh auf die SMS-Kommunikation als Forschungsfeld aufmerksam geworden. Ein Grund hierfür ist vermutlich die Tatsache, dass der ‚SMS-Boom’ hierzulande relativ früh eingesetzt hat und Deutschland im europäischen Vergleich lange Zeit die meisten versendeten SMS im Jahr aufweisen konnte. 96 Neben den gesellschaftlichen Bedeutungen des Mediums Handy interessierte man sich vor allem für die Auswirkungen der SMS-Kommunikation auf das kommunikative Verhalten der Nutzer und für die sprachlichen Charakteristika der SMS-Texte. So führten Höflich und Rössler im Jahr 2000 die erste explorative Studie mit kommunikationswissenschaftlichem Schwerpunkt durch. 97 Vor dem Hintergrund einer Uses and Gratifications- Perspektive bestimmen sie mit Hilfe einer mündlichen Befragung von 204 Handy-Nutzern im Alter zwischen 14 und 18 Jahren fünf relevante Gratifikationsdimensionen, die mit dem Gebrauch der SMS-Kommunikation assoziiert werden: Rückversicherung, Kontaktpflege, Verfügbarkeit, Lebenshilfe und Nutz-Spaß. Als dominante Nutzungsmotive werden neben Verabredungen treffen hauptsächlich der Austausch über persönliche Befindlichkeiten und Kontaktaufrechterhaltung genannt, wobei ständige Erreichbarkeit gleichzeitig einen hohen Stellenwert einnimmt. Wie von den Autoren erwartet, ergeben sich geschlechterspezifische Nutzungsmotive: während Mädchen eher den sozio-emotionalen Gebrauch präferieren und kaum Informationen abrufen, steht bei Jungen die instrumentelle Nutzung im Vordergrund. Hinzu kommt, dass Mädchen häufiger und längere SMS versenden. Ferner stellen sie fest, dass SMS zumeist von zu Hause aus geschrieben und empfangen werden, wodurch der vielseits betonte Aspekt der Mobilität an Gewicht verliert und die Aufmerksamkeit sich mehr auf das Handy als „eigenes“ und „persönliches“ Medium richtet. 95 Ein weiterer kulturspezifischer Anwendungsbereich des Handys in den Philippinen sind religiöse SMS-Dienste, vgl. dazu etwa die Arbeiten von Bell (2006), Elwood- Clayton (2005b; 2006), Pertierra (2002; 2008), Roman (2005). 96 Vgl. Thomson (2005, 30ff.): „Die Deutschen sind anerkannte SMS-Weltmeister. Die Anzahl der verschickten SMS überrundet die aller anderen Länder um den Faktor 3“. Laut Gurly (2006, 319) befindet sich Deutschland mit 25 Milliarden verschickten SMS im Jahr 2003 an der europäischen Spitze, während die Philippinen die wahren „SMS- Weltmeister“ seien. 97 Höflich/ Rössler (2001). In Deutschland sind die Anfänge der Handy- und SMS- Forschung speziell in Bezug auf die jugendliche Nutzergruppe eng mit dem Namen Höflich verbunden. <?page no="45"?> 45 In einem gesonderten Artikel untersucht Höflich unter anderem die eingeschätzte Eignung von Brief, E-Mail, SMS und häuslichem Telefon für vorgegebene Nutzungsgründe. 98 Da sich der traditionelle Brief nur schlecht zur Rückversicherung („schauen, wie es dem anderen geht“) und zum Verabredungen treffen eignet, entstehen gemäß Höflich nutzentheoretische „Nischen“, die den anderen Medien größere Gratifikationsmöglichkeiten versprechen. Für persönliche und vertrauliche Mitteilungen scheinen Brief und Telefon indes noch als weitaus geeigneter beurteilt zu werden, was Höflich darauf schließen lässt, dass E-Mail und SMS (zugegebener Maßen in deren Anfangszeit) noch keineswegs in die mit der persönlichen Kommunikation verbundene Domäne der telefonischen oder direkten Kommunikation eingedrungen sei. 99 Gerade in den Anfängen der SMS-Forschung entstanden in Deutschland Arbeiten, die sich dem neuartigen Phänomen vor dem Hintergrund (alt-)bekannter Strukturen annäherten und mit Hilfe einer komparativen Herangehensweise die distinktiven und damit spezifischen Kennzeichen analysierten. Dabei wurden vor allem die computervermittelten Kommunikationsformen E-Mail und Chat herangezogen, wobei auch das Telegramm als Vergleichsbasis diente. 100 Die erste explorative Studie aus dem Bereich der Linguistik, die speziell die SMS-Kommunikation untersuchte, wurde von Androutsopoulos und Schmidt im Jahr 2000 durchgeführt. 101 Sie interessierten sich insbesondere für die Nutzung dieser Kommunikationsform innerhalb eines bestimmten Freundeskreises und baten fünf Mitglieder einer Kleingruppe, ihren SMS- Gebrauch über einen begrenzten Zeitraum hinweg unter Angabe von Datum, Uhrzeit, Aufenthaltsort sowie sämtlicher erhaltener und gesendeter SMS zu protokollieren. Dank dieser ausführlichen Angaben wurde eine Beschreibung der via SMS übermittelten kommunikativen Akte vor dem Hintergrund des unmittelbaren dialogischen Kontexts und des soziokulturellen Rahmens der Kommunikation ermöglicht. Die Untersuchung ergab, 98 Vgl. Höflich (2003, 52f.) Als Gratifikationen standen beispielsweise zur Auswahl „zeigen, dass ich an jemanden denke“; „wissen, was der andere gerade tut“; „persönliche/ vertrauliche Mitteilung“; „Konflikte austragen“; „Langeweile vertreiben“ oder „Verabredungen/ Termine“. 99 Des Weiteren stellen Höflich/ Gebhardt/ Steuber (2003) eine Studie basierend auf 19 explorativen Gruppendiskussionen vor, die die qualitativen Momente der SMS- Nutzung unter Vielmedienbedingungen analysiert. 100 Vgl. dazu etwa Dürscheid (2002a): „E-Mail und SMS ein Vergleich“; die bereits erwähnten Beiträge von Höflich (2003): „Vermittlungskulturen im Wandel: Brief, E- Mail, SMS“ und Höflich/ Rössler (2001): „Mobile schriftliche Kommunikation oder: E-Mail für das Handy“; Schwitalla (2002): „Kleine Botschaften - Telegramm- und SMS-Texte“; Siever (2004): „Von MfG bis cu l8er: Sprachliche und kommunikative Aspekte von Chat, E-Mail und SMS“; Ortner (2002): „SMS-Botschaften: Texttypologie aus der Perspektive der SMS-Ratgeberliteratur“. 101 Androutsopoulos/ Schmidt (2002). <?page no="46"?> 46 ähnlich wie vorherige Studien aus anderen Ländern, dass SMS-Kommunikation vornehmlich innerhalb der vertrauten Sphäre von Kleingruppen stattfindet, vorrangig der Kontakterhaltung und -festigung dient und eher belanglose Textinhalte enthält. Die prototypische Dialogstruktur besteht aus zwei Zügen und folgt hoch standardisierten elementaren Mustern (etwa Frage-Antwort oder Vorschlag-Reaktion). 102 Auf binnenstruktureller Ebene beobachten sie in den SMS-Texten „Vertextungstrategien konzeptioneller Mündlichkeit“ 103 , die vor allem durch den kontextabhängigen Aufbau vieler Nachrichten sowie durch gesprächsorganisatorische, lexikalischsemantische und orthographische Elemente gekennzeichnet sind. Neben der Tendenz zur Reduktion, die unter anderem von den technischen Produktionsbedingungen geprägt wird, erkennen die Autoren in der Binnenstruktur eine Tendenz zu spielerischem Freiraum, dessen individuelle Gestaltung auf eine enge Beziehung unter den Interaktanten hindeutet, die sich ihres kontextabhängigen und gruppenspezifischen Schreibstils sehr bewusst zu sein scheinen. Fast zeitgleich erschien die Pilotstudie von Schlobinski et al., die sich ebenfalls auf kommunikative und sprachliche Aspekte der SMS-Kommunikation bezieht. 104 In diesem Fall stehen jedoch weniger die dialogischen Strukturen im Vordergrund, als vielmehr die besondere Verwendung graphostilistischer Mittel, morphosyntaktischer, lexikalischer und syntaktischer Reduktionen sowie sonstiger lexikalischer Phänomene. Ein typisches Merkmal ist dabei der aus der Chat-Kommunikation übernommene Gebrauch des Asterisk zur Markierung von Inflektiven (*freu*) 105 oder Abkürzungen (*g* für grins), der sich sprachraumübergreifend nicht ohne Weiteres nachweisen lässt. In Bezug auf das kommunikative Nutzungsverhalten bestätigen ihre Ergebnisse in weiten Zügen die Feststellungen von Höflich und Rössler, wobei sie sich auf eine breitere Nutzergruppe beziehen und damit nicht nur geschlechterspezifische, sondern auch altersspezifische Gratifikationen ermitteln. Ein überraschendes Ergebnis bei den über 30-jährigen Befragten ist beispielsweise, dass alle Frauen angeben, 102 Diese „Minimaldialoge“ können auf mehrzügige Sequenzen ausgeweitet werden, deren generalisierende Beschreibung sich dann als zunehmend schwierig gestaltet (vgl. Androutsopoulos/ Schmidt (2002, 62f.)) 103 Vgl. Androutsopoulos/ Schmidt (2002, 66). 104 Vgl. Schlobinski et al. (2001). 105 Die Verwendung von Verbstämmen kommt ursprünglich aus der Comic-Sprache, in der sie dazu dient, sound-words aus englischen Comics ins Deutsche übersetzen zu können. Von dort aus wurden sie dann vermutlich in die Chat-Kommunikation übertragen und in Verbindung mit Asterisken eingesetzt (vgl. dazu Schlobinski et al. (1998, 106ff.)) Beißwenger (2000, 105ff.) geht in seinem Kapitel „Handlungs- und Zustandsbeschreibungen in Asterisken“ noch detaillierter auf die spezielle Verwendung des Asterisken in der Chat-Kommunikation ein. <?page no="47"?> 47 gerne SMS zu schreiben, während die Hälfte der Männer es für umständlich und unpersönlich befindet. Im Gegensatz zu den vorherigen Ansätzen untersucht Döring die kommunikativen Funktionen von SMS nicht gemäß subjektiver Nutzeräußerungen, sondern wertet ein im Jahr 2001 erstelltes SMS-Korpus unter Rückgriff auf die kommunikativ-funktionale Textsortenlehre inhaltsanalytisch aus. 106 Dabei stehen fünf kommunikative Grundfunktionen im Zentrum: Kontaktfunktion, Informationsfunktion, Appellfunktion, Obligationsfunktion und Deklarationsfunktion. Es zeigt sich, dass die Kontaktfunktion (mit konkreten Textsorten wie „Verabredungen“ und „Grüße“) dominiert, gefolgt von der Informationsfunktion (vornehmlich „Lageberichte“), wohingegen Appell- und Obligationsfunktion nur gering vertreten sind und die Deklarationsfunktion, vermutlich aufgrund des zumeist institutionellen Charakters dazugehöriger Textsorten, vollständig fehlt. Ergänzend dazu interessieren sich Krause und Schwitters dafür, ob im Rahmen der SMS-Kommunikation eine Präferenz für bestimmte Themen und Motive besteht. 107 Zu diesem Zweck führen sie eine standardisierte Inhaltsanalyse auf der Basis eines zuvor entwickelten Kategoriensystems durch und stellen fest, dass über die Hälfte der kodierten SMS rein funktionalistisch und äußerst zweckzentriert eingesetzt werden, während knapp ein Drittel der Beziehungs- und Freundschaftspflege dient. Nüchternfunktionelle Nutzungsmotive stehen somit dem Motiv eines schnellen Herstellens von persönlichen Momenten gegenüber. Analog dazu erweisen sich „Freizeitplanung/ Termin“ und „Liebe/ Partnerschaft/ Freundschaft“ als wichtigste Themen. Ein weiterer Blickwinkel auf die sprachlichen und orthographischen Besonderheiten in deutschen SMS-Texten ergibt sich aus sprachökonomischer Perspektive. Döring geht in diesem Zusammenhang der Häufigkeit und Funktion von Kurzformen auf den Grund. 108 Sie stellt fest, dass lexikalische Kurzformen rein quantitativ eine überraschend geringe Rolle spielen und deutsche SMS-Texte „nur bedingt durch einen besonderen Verknappungszwang geprägt“ sind. 109 Qualitativ stellen erstaunlicherweise „Adhoc-Abkürzungen“ wie „he“ für heute den Hauptanteil der lexikalischen Reduktionen dar. Auch wenn sich die „These der Ausbildung eines durch Kurzformen geprägten, identitätsstiftenden kollektiven Sprachstils“ 110 zumindest in Deutschland widerlegen lässt, so scheinen die restriktiven technischen Produktionsbedingungen einige Nutzer doch zu einer spielerischen, kreativen Sprachgestaltung anzuregen. 106 Döring (2002b). 107 Krause/ Schwitters (2002). 108 Döring (2002a). 109 Ebd., 111. 110 Ebd., 111. <?page no="48"?> 48 Dittmann et al. untersuchen gezielt die medialen Produktionsbedingungen der SMS-Kommunikation und die sich aus deren Änderungen ergebenden Auswirkungen auf die SMS-Texte. 111 Dank einer zeitversetzten Datenerhebung in den Jahren 2002 und 2005 ist es ihnen gelungen, die Entwicklungen sprachlicher Merkmale zu analysieren. Die vermehrte Verwendung des automatischen Worterkennungssystems T9 erwies sich dabei als ein maßgeblicher Faktor bezüglich der geänderten Produktionsbedingungen. 112 Überraschenderweise wurden trotz der Tatsache, dass T9 an sich ausschließlich normgerechte und grammatikalisch korrekte Schreibweisen beinhaltet, Apokopen wie „ich geh“ oder kreative Ad-hoc- Abkürzungen für Ortsnamen realisiert, deren Eingabe unter diesen Umständen mit einem zeitlichen Mehraufwand verbunden sind. Dittmann et al. folgern, dass man das „Prinzip der Sprachökonomie“ 113 nicht überbewerten darf, da in vielen Fällen eine bewusste und individuelle Gestaltung der SMS zu beobachten sei, die vor dem Hintergrund der jeweiligen kommunikativen Funktion zu betrachten ist. 114 Anders als in deutschsprachigen SMS-Texten scheint der verstärkte Gebrauch von Abkürzungen und Akronymen in englischsprachigen Kurzmitteilungen ein typisches Merkmal zu sein. Crystal zufolge stellen sie sogar eine signifikante Abweichung zur computerbasierten Kommunikation dar. 115 Gerade die durch spätere Datenerhebungen 116 bestätigten, un- 111 Dittmann et al. (2007). 112 T9 („text on 9 keys“) wird von Nuance Communications vertrieben und stellt mittlerweile Erkennungsprogramme für über 75 Sprachen zur Verfügung (http: / / www. nuance.com/ t9/ t9language.asp (07.01.2009)). Die Erleichterung bei der Texteingabe entsteht dadurch, dass man für die Buchstaben eines Wortes jede entsprechend zugeordnete Buchstabentaste nur noch einmal drücken muss und die Software dann aus einem implementierten Wörterbuch die für die Eingabe wahrscheinlichste Buchstabenkombination (und damit das jeweilige Wort) auswählt. Jeder Nutzer kann das Wörterbuch individuell erweitern, so dass das Wort beim nächsten Mal automatisch erkannt wird. Dies geschieht durch die klassische „Multitap-Eingabe“ (auf je einer Zifferntaste herkömmlicher Mobiltelefone ohne Touchscreen sind mehrere Buchstaben in alphabetischer Reihenfolge hinterlegt, die durch mehrfaches Drücken derselben Taste in entsprechender Reihenfolge angezeigt und ausgewählt werden können). 113 Vgl. Dittmann et al. (2007, 45). 114 Weitere Arbeiten zur Sprachökonomie in der deutschen SMS-Kommunikation vgl. etwa Gurly (2006), Siever (2006) sowie aus didaktischer Perspektive Dürscheid (2002b). 115 Vgl. Crystal (2001, 228ff. und 2006, 262f.) Allerdings stützt er diese Einschätzung, bedingt durch das Fehlen eines Referenzkorpus, auf anekdotische Beispiele sowie die SMS-Ratgeberliteratur und zitiert etwa „BTDT“ (Been there, done that) oder „ru2cnmel8r“ (are you two seeing me later), deren reale Verwendung quantitativ offen bleibt. Seine Einschätzung indes, dass der verstärkte Gebrauch von Abkürzungen und Akronymen, teilweise über ganze Satzsequenzen hinweg, ein spezifisches Merkmal von englischen SMS-Texten darstellt, bestätigt sich in Crystal (2008, 35ff.) und wird durch quantitative Befunde von Frehner (2008) bekräftigt. 116 Vgl. etwa Crystal (2008, 53ff.); Frehner (2008, 52ff.) <?page no="49"?> 49 konventionellen Kombinationen aus (Anfangs-)Buchstaben, Ziffern und Piktogrammen, die teilweise über keinerlei trennendes Leerzeichen verfügen, lassen in der anglophonen Öffentlichkeit den Glauben entstehen, dass das Verfassen von SMS etwas Schlechtes sei. 117 Prophezeiungen wie „Texting will inevitably erode children’s ability to spell, punctuate, and capitalize correctly an ability already thought to be poor“ oder „A new generation of adults will inevitably grow up unable to write proper English“ waren keine Einzelfälle. 118 Vor diesem Hintergrund analysiert Thurlow ein 544 SMS umfassendes Korpus, um herauszufinden, bis zu welchem Ausmaß Jugendliche tatsächlich mit sprachlichen Konventionen experimentieren. 119 Er zeigt, dass sich die typographischen Besonderheiten sechs allgemeinen Verschriftungskategorien zuordnen lassen, die zumeist altbekannt sind, und relativiert damit die propagierte Unverständlichkeit und Exklusivität des SMS-Kodes. Ferner untersucht er die kommunikativen Funktionen der SMS-Kommunikation und gelangt ebenfalls zu der Erkenntnis, dass die „Kontaktfunktion“ bzw. die soziale Interaktion hervorsticht, weshalb er das Handy und den SMS-Dienst als „technologys of sociability“ bezeichnet. 120 Ganz ähnlich verfährt Crystal in seinem ausführlichen und interkulturell angelegten Überblickswerk zur SMS-Kommunikation. 121 Er geht speziell den Fragen nach, welche typographischen Besonderheiten englische SMS-Texte tatsächlich aufweisen, ob diese revolutionär neu sind, welche Auswirkungen sie möglicherweise auf den alltäglichen Sprachgebrauch und die Sprachkompetenzen haben und welche Charakteristika SMS-Texte in anderen Ländern aufweisen. Auch er betont, dass die meisten Verschriftungsmethoden altbekannt sind und dass vor allem Akronyme in konventionalisierter Form einen festen Bestandteil des allgemeinen Sprachgebrauchs ausmachen. Unter Rückgriff auf ausgewählte Studien, die die tatsächlichen Auswirkungen des ‚SMS-Textens’ auf die Sprachkompetenz englischer Schüler untersuchen 122 , relativiert er die „moralische Panik“ und 117 Vgl. Crystal (2008) und Thurlow (2002). 118 Vgl. Crystal (2008, 151). 119 Vgl. Thurlow (2002). 120 Auch Grinter und Eldridge (2001) beschäftigen sich mit den Nutzungsgratifikationen speziell jugendlicher SMS-Benutzer in England. Weitere Aufsätze zur sozialen Bedeutung der englischen SMS-Kommunikation wurden von Harper (2003) oder Harper/ Gosset (2005) veröffentlicht. 121 Crystal (2008). 122 Darunter Untersuchungen der Scottish Qualifications Authority aus dem Jahr 2006 (http: / / www.sqa.org.uk/ files_ccc/ CourseReportEnglish2006.pdf (12.05.2009); http: / / www.sqa.org.uk/ files_ccc/ PAReportEnglishStandardGrade2006.pdf (12.05.2009)), eine Studie der City University London unter der Leitung von Veenal Raval (Teilergebnisse sind online veröffentlicht in dem Artikel „Cell phone texting ‘no bar to literacy’”, vgl. http: / / www.articlearchives.com/ mediatelecommunications/ telecommu nications/ 128837-1.html (12.05.2009)), der Aufsatz von Plester/ Wood/ Bell (2008): <?page no="50"?> 50 schlussfolgert: „Yet all the evidence suggests that belief in an impending linguistic disaster is a consequence of a mythology largely created by the media“. 123 Frehner untersucht, ebenfalls auf England bezogen, die Kommunikationsformen E-Mail, SMS und MMS vor dem Hintergrund der Mündlichkeits-/ Schriftlichkeitsdebatte. 124 Auf der Basis einer zunächst qualitativen Analyse der jeweiligen sprachlichen Besonderheiten, die sie mit detaillierten quantitativen Befunden aus ihrem Datenmaterial 125 stützt und teils vergleichend gegenüberstellt, kommt sie zu dem Schluss, dass SMS-Texte, mehr noch als E-Mails, zwar durch einen höheren Anteil an konzeptionell mündlichen Stilelementen charakterisiert sind, sich jedoch keine der beiden Kommunikationsformen vollständig in dem von Koch und Oesterreicher konzipierten Nähe/ Distanz-Kontinuum positionieren lässt. Aufgrund der Feststellung, dass sich in beiden Fällen sprachliche Merkmale nachweisen lassen, die weder für das Nähesprechen noch für das Distanzsprechen typisch sind (etwa das häufige Auftreten der Personalpronomen der ersten und zweiten Person), plädiert sie für eine Erweiterung des Nähe/ Distanz- Kontinuums um eine zusätzliche Dimension zwischen den Polen konzeptionell digital vs. konzeptionell analog. Private SMS-Texte wären damit nicht mehr nur medial schriftlich und konzeptionell eher mündlich, sondern auch konzeptionell digital. Weitgehend ungeklärt bleibt indes, welche konkreten Kommunikationsbedingungen typisch digital bzw. analog sind und welche spezifischen Versprachlichungsstrategien dazugehören bzw. wie und ob sie sich immer eindeutig gegen konzeptionell mündliche/ schriftliche Versprachlichungsstrategien abgrenzen lassen. 126 Die Erforschung der SMS-Kommunikation hat mittlerweile auch in solchen Ländern eingesetzt, in denen der Handymarkt aus wirtschaftlichen oder infrastrukturellen Gründen im Gegensatz zu einigen europäischen Ländern noch längst nicht gesättigt ist. Vold Lexander untersucht bei- „Txt Msg N School Literacy: Does Texting and Knowledge of Text Abbreviations Adversely Affect Children’s Literacy Attainment? “ sowie die Arbeit von Plester/ Wood/ Joshi (2009): „Exploring the Relationship between Children’s Knowledge of Text Message Abbreviations and School Literacy Outcomes“. 123 Vgl. Crystal (2008, 173). 124 Frehner (2008). 125 Das von ihr im Jahr 2002-2003 bzw. 2004-2005 erstellte SMS-Korpus umfasst knapp 1000 SMS. 126 Aus dem amerikanischen Raum lassen sich kaum Arbeiten zu den sprachlichen Besonderheiten in SMS-Texten beobachten, was Frehner (2008, 19) mit der geringen Popularität der Kommunikationsform gegenüber dem Instant Messaging bzw. dem mobilen Telefonat in Amerika begründet. Bezogen auf die europäische Forschung sind auch in Spanien und Italien die ersten Artikel aus dem Bereich der SMS-Forschung ab dem Jahr 2001 entstanden (vgl. dazu etwa Almela Pérez (2001), Bazzanella (2003), Betti, (2006), Galan Rodríguez (2001), Kaddour (2006), Pietrini (2001), Pistolesi (2004), Ursini (2005). <?page no="51"?> 51 spielsweise das Phänomen des code-switchings in senegalesischen SMS- Texten mit der Ausgangshypothese, dass sich dank der mobilen Schriftkommunikation die Verwendung afrikanischer Sprachen (vornehmlich Wolof) in schriftlichen Kontexten ausdehnen wird. 127 Donner beschäftigt sich mit der allgemeinen Bedeutung und den Gebrauchsweisen des Mobiltelefons in Entwicklungsländern wie Indien, Mosambik und Tansania. 128 Er fokussiert dabei unter anderem die soziale und kommunikative Aneignungsweise des Mediums durch Unternehmer in Ruanda. 129 2.2 Frankophone Forschung Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass die SMS-Forschung international etabliert ist und eine Vielzahl an Arbeiten mit ganz unterschiedlichen Interessenschwerpunkten hervorgebracht hat. Vor diesem Hintergrund soll nun speziell die frankophone Forschung beleuchtet werden. Eine der ersten explorativen Studien mit primär soziolinguistischem Schwerpunkt führt Rivière in den Jahren 2000 und 2001 anhand einer qualitativen Nutzerbefragung durch. 130 Dabei untersucht sie unter anderem die sprachliche Form der SMS-Kommunikation sowie deren Einfluss auf die Entstehung einer sozialen Praxis und stellt fest, dass die spezifischen Kommunikationsbedingungen unterschiedliche Gebrauchsweisen hervorgerufen haben, die sie in spielerische, praktische bzw. soziale Aneignungsweise einteilt. Insbesondere analysiert sie fünf übergeordnete soziale Motivationskategorien für die Wahl der SMS-Kommunikation: Vermeiden eines Telefonats, Verhindern einer Störung seines Umfelds bzw. das des Kommunikationspartners, Weiterführen einer aufgrund des Kontexts unmöglich gewordenen telefonischen Konversation, Offenlegen und Ausdrücken seiner Gefühle und schließlich Zeitvertreib, Amüsement und Ablenkung. In einer späteren, komparativ angelegten Studie untersuchen Rivière und Licoppe die kulturspezifischen Gebrauchsweisen der SMS-Kommunikation in Japan und Frankreich. 131 Basierend auf Gruppendiskussionen mit 30 SMS-Nutzern in Frankreich (2001 und 2002) bzw. 40 SMS-Nutzern in Japan (2002) interessieren sie sich speziell für die Konventionen der SMS- 127 Vgl. Vold Lexander (2007). 128 Er erstellt unter anderem einen Forschungsbericht über ca. 200 durchgeführte Studien zur Mobilkommunikation in Entwicklungsländern, vgl. Donner (2008). Eine Liste seiner Artikel findet sich unter http: / / jonathandonner.com/ papers-and-presentations (13.05.2009). 129 Vgl. Donner (2003). 130 Rivière (2002). 131 Rivière/ Licoppe (2005). <?page no="52"?> 52 Nutzung bzw. der mobilen E-Mail-Nutzung, die spezifischen Nutzungssituationen und die jeweiligen Gesprächspartner, wobei sie systematisch einen Vergleich zwischen SMS und mobilem Telefonat anstreben. In Bezug auf Frankreich stellen sie analog zu ihren europäischen Kollegen fest, dass die SMS-Kommunikation innerhalb eines engen Freundeskreises stattfindet und der Inhalt zumeist auf den Ausdruck von Emotionen ausgerichtet ist. Selbst primär praktische Nachrichten enthalten häufig emotionale Teile, so dass SMS-Texte generell von hoher Intimität geprägt zu sein scheinen. Nach Angaben der französischen Nutzer ist die Begrenzung einer SMS auf 160 Zeichen eine positive Beschränkung, die dazu animiert, linguistisch so kreativ zu werden, dass die Form bedeutender werden kann als der Inhalt. Gaglio zeichnet anhand von 20 Nutzerbefragungen aus dem Jahr 2001 rückblickend das Aufkommen der SMS-Kommunikation und die Entwicklung sozialer Gebrauchsweisen in Frankreich nach. 132 Er beschreibt hierfür zunächst die anfängliche, rein rationale Nutzungsmotivation der Kosteneinsparung und die gewonnene Wertschätzung des SMS-Dienstes für die soziale Netzwerkarbeit, um anschließend auf die sich daraus ergebenden Formen der Aneignung einzugehen. Nach Angaben der Nutzer vollzieht sich der erste Kontakt mit der ‚neuen’ Kommunikationsform dabei zumeist über einen engen Freund, den Partner oder ein Familienmitglied. Das breite Spektrum an Inhalten, das sich im Laufe der Zeit aufgrund der vielen unterschiedlichen Alltagssituationen, aus denen heraus SMS gesendet werden, entwickelt hat, teilt Gaglio in die vier Klassen „spielerische Nutzung“, „praktische und funktionelle Nutzung“, „Nutzung unter der Einflussnahme von Affekt“ und „Kontaktnutzung“ ein. Eine ebenfalls komparative Herangehensweise hinsichtlich Gebrauchsweisen und Bedeutung der SMS-Kommunikation in China, Polen und Frankreich verfolgt Desjeux. 133 Auf mikrosozialer Ebene stellt er entscheidend mehr interkulturelle Gemeinsamkeiten als Unterschiede in der Nutzung fest, wobei er gleichzeitig betont, dass in allen drei Kulturen die jeweils impliziten sozialen Normen der interpersonalen Kommunikation respektiert werden (etwa die soziale Hierarchie der betroffenen Gesellschaft und die affektive Nähe bzw. Distanz zwischen den Kommunikationspartnern). Desjeux misst dem Faktor ‚Reduktion’ bei der Verwendungsweise der SMS-Kommunikation eine zentrale Rolle bei und beschreibt dessen Einflussnahme auf drei unterschiedlichen Ebenen: Kostenreduzierung bei gleichzeitiger Kontaktaufrechterhaltung zum sozialen Netzwerk, Reduzierung des persönlichen Energieaufwands gegenüber einer synchronen Kommunikation (im Fall von Konfliktmanagement oder distanzüberbrückender Beziehungspflege) und Reduzierung der Sprache bzw. des 132 Gaglio (2004). 133 Desjeux (2005). <?page no="53"?> 53 Inhalts (bedingt durch kurze, simple und flüchtige Botschaften, die reduziert verschriftet werden). Die erste Arbeit mit explizit sprachbzw. kommunikationswissenschaftlichem Schwerpunkt stellt das bereits erwähnte, von Anis herausgegebene Buch „Parlez-vous texto? “ dar. 134 Darin wird auf die besondere Form der Verschriftung und auf deren mögliche Auswirkung auf die Orthographiekompetenz der jugendlichen Nutzer eingegangen, wobei der befürchtete Orthographieverfall ebenfalls relativiert wird: „D’abord, transgresser les règles suppose de les avoir parfaitement maîtrisées au preálable“. 135 Das Buch richtet sich insbesondere auch an Eltern, die die SMS-Texte ihrer Kinder nicht mehr verstehen und bezieht gleichzeitig andere Formen digitaler Schriftkommunikation mit ein. Trotz der heterogenen Herangehensweise 136 ist Anis damit der erste französische Forscher, der sich dem Phänomen SMS systematisch annähert und eine Typologie der Verschriftungsmethoden vorstellt, wobei einschränkend hinzugefügt werden muss, dass er über kein umfangreiches SMS-Korpus für die Analyse verfügt und sich deshalb vornehmlich auf Originaldaten der Chat- Kommunikation stützen muss. Erst Mitte des letzten Jahrzehnts erschienen die ersten sprachwissenschaftlich ausgerichteten Arbeiten, die auf ausführlichen Korpusanalysen beruhen. Das wohl umfangreichste frankophone SMS-Korpus stellte ein Forscherteam um Fairon, Klein und Paumier im Jahr 2004 zusammen. 137 Das Projekt wurde an der Université Catholique de Louvain als Gemeinschaftsarbeit der beiden Forschungszentren Centre de traitement automatique du langage (CENTAL) und Centre d’étude des lexiques romans (CELEXROM) durchgeführt. Mit Hilfe von drei Privatsponsoren (unter anderem ein Mobilfunkdienstleister) haben sie eine Gratishandynummer einrichten lassen, an die angemeldete SMS-Nutzer ihre zuvor real verschickten Botschaften ohne einen zusätzlichen Aufpreis weiterleiten konnten. Sie tauften ihr Projekt „Faites don de vos SMS à la science“ und gelangten dank ausreichender Öffentlichkeitsarbeit in einem Zeitraum von zwei Monaten an mehr als 75000 SMS, die vornehmlich aus dem französischsprachigen Teil von Belgien stammten. Gleichzeitig haben sie unter den Teilnehmern eine soziolinguistische Online-Befragung anhand eines umfangreichen Fragebogens durchgeführt und konnten somit von über 85% der 3200 Teilnehmer ein Benutzerprofil erstellen. 138 134 Anis (2001). 135 Ebd., 66. 136 Bereits der Untertitel seines Buchs „Guide des nouveaux langages du réseau“ weist auf diese Heterogenität hin. 137 Vgl. Fairon/ Klein/ Paumier (2006a, 2006b). 138 Dieser Fragebogen diente als maßgebliche Grundlage für die von uns durchgeführte Befragung (vgl. Kap. 4.2). <?page no="54"?> 54 Ihr Untersuchungsschwerpunkt lag zunächst auf einer formalen Beschreibung der Verschriftungsstrategien des langage SMS bzw. deren Systematik und Regelmäßigkeit vor dem Hintergrund der französischen Orthographie. Sie entwarfen eine rein deskriptiv angelegte Typologisierung der Strategien, die nach den verschiedenen linguistischen Bereichen gegliedert ist, in die sich die jeweiligen Strategien maßgeblich einordnen lassen: Phonologie (insbesondere lautschriftähnliche Schreibweisen und die Phonetisierung von Buchstaben und Ziffern), Graphie, Semiotik, Lexik, Morphosyntax und Syntax. Darauf aufbauend wurde am CENTAL eine Art Übersetzungsprogramm entwickelt, das ein orthographisch korrekt geschriebenes Wort in eine langage SMS-Schreibweise umwandelt. 139 An der Studie waren ferner Soziolinguisten und Psychologen beteiligt, die insbesondere bei der Entwicklung und Auswertung der Fragebögen mitgewirkt haben. 140 Aufbauend auf diesem Projekt ist eine internationale Kooperation unter dem Namen „sms4science“ entstanden, an der sich neben dem belgischen Koordinatorenteam die Partnerländer Frankreich (insbesondere La Réunion), Québec, Großbritannien, Spanien (insbesondere das Baskenland), Griechenland und die Schweiz beteiligen. 141 In Frankreich hat sich nach Anis auch Liénard sehr intensiv mit den graphostilistischen Besonderheiten der SMS-Texte beschäftigt und sich um eine Systematisierung der Verschriftungsverfahren in Abhängigkeit vom jeweiligen Schwierigkeitsgrad der Schreibweisen, d.h. vom nötigen kognitiven Aufwand für Kodierung und Dekodierung, bemüht. 142 Er unterscheidet dabei drei Kategorien, wobei die erste Kategorie das Vereinfachen der Sprache (primär graphische Kürzungen), die zweite Kategorie das Spezialisieren der Formen (etwa das Phonetisieren von Buchstaben und Ziffern oder das Auslassen von Leerzeichen) und die dritte Kategorie das graphische Realisieren von Emotionen (Smileys oder Buchstabenbzw. Zeichen- 139 Auf der Seite http: / / www.smspourlascience.be/ existierte im Juli 2005 noch ein Link zu diesem Programm, der jedoch deaktiviert wurde (15.01.2009). Weitere Studien zum langage SMS aus dem Bereich der automatischen Sprachverarbeitung werden im Folgenden noch vorgestellt (vgl. etwa Barthélemy (2007), Beaufort et al. (2008), Bove (2005)). 140 Teilergebnisse der Auswertung werden etwa von Moise (2008) vorgestellt (vgl. dazu weiter unten). Eine wesentliche Zielsetzung des Gesamtprojektes bestand in der öffentlichen Bereitstellung eines umfangreichen Referenzkorpus für allgemeine Forschungszwecke, weshalb alle SMS inklusive soziolinguistischer Informationen und zugehöriger Bearbeitungssoftware käuflich erhältlich sind. Da sich die geographische Herkunft der Daten fast ausschließlich auf Belgien beschränkt, wurde die Option der Miteinbeziehung des Korpus in die vorliegende Arbeit zunächst ausgeschlossen. In einem anderen Kontext kann eine vergleichende Gegenüberstellung der Daten etwa für die Untersuchung regionaler Unterschiede und Vorlieben jedoch durchaus vielversprechend sein. 141 Vgl. http: / / www.sms4science.org/ ? q=de (25.05.2009). 142 Liénard (2005; 2006; 2007). <?page no="55"?> 55 iteration) darstellt. Mittels dieser Einteilung lässt sich der erreichte Aneignungsstatus eines jeden SMS-Nutzers bezüglich der verschiedenen Verschriftungspraktiken beurteilen. Die von ihm verfolgte Hypothese, dass sehr spezialisierte Schreibweisen gezielt zur Konstruktion einer virtuellen Identität eingesetzt werden und damit als identitätsstiftender Faktor wirken (eine in Bezug auf die Chat-Kommunikation häufig verfolgte Hypothese), muss er im Zuge einer Studie zum SMS-Chat jedoch relativieren. 143 Er schlussfolgert, dass die verschiedenen Kommunikationsmedien ganz unterschiedlichen Einfluss auf die Formation einer Sprachgemeinschaft nehmen und dass die jeweils geltenden technischen Rahmenbedingungen zwar bestmöglich ausgenutzt werden, dass die Interaktanten dabei jedoch keinesfalls das gegenseitige Verständnis in Gefahr bringen. Extensives Sprachspiel durch den vermehrten Gebrauch von kreativen Schreibweisen scheint auf den kommunikativen Austausch innerhalb einer bereits im Vorfeld bestehenden Sprachgemeinschaft begrenzt zu sein. Diese Erkenntnis unterstreicht nochmals die Notwendigkeit einer eigenständigen Analyse der SMS-Kommunikation, um voreilige Analogieschlüsse zu vermeiden. Ähnlich wie Liénard interessiert sich auch Moise nicht nur für die formale Typologisierung der Verschriftungsverfahren, sondern fragt aus ethnolinguistischer Perspektive gezielt nach deren Funktionen. 144 Zu diesem Zweck betrachtet sie die kommunikativen SMS-Praktiken jugendlicher Nutzer und die damit verbundenen Repräsentationen und gelangt unter anderem zu der Erkenntnis, dass die Integration in die peergroup durch die Verwendung gemeinsamer, identitätsstiftender Schreibweisen und das Einhalten kollektiv entwickelter Kommunikationskonventionen ebenso relevant beim Verfassen einer SMS sind, wie die Ausarbeitung individueller Strategien, um sich selbst in Szene zu setzen und von der Gemeinschaft zu distanzieren. Die französische Forschung begann ganz allgemein Interesse an der zuvor ungewöhnlichen Kombination von medialer Schriftlichkeit mit konzeptioneller Mündlichkeit sowie deren Auswirkungen auf die Verschriftung bzw. Verschriftlichung zu gewinnen. 145 Insbesondere konzentrieren sich die Untersuchungen auf die Übermittlungsmöglichkeiten paraverbaler und nonverbaler Informationen einer äquivalenten direkten Interaktion, wobei vor allem die Rolle des Smileys im Mittelpunkt steht. Erste Arbeiten hierzu entstanden im Zusammenhang mit der Internetkommunikation schon sehr früh und können aufgrund der Vergleichbarkeit, bis auf einige funktionale 143 Vgl. Liénard (2007). 144 Moise (2007). 145 Zu den Konzepten „mediale Schriftlichkeit“, „konzeptuelle Mündlichkeit“ bzw. „Verschriftung“ und „Verschriftlichung“ vgl. Kap. 3.2. <?page no="56"?> 56 Unterschiede, in die SMS-Kommunikation übertragen werden. 146 Mourlhon-Dallies und Colin analysieren bereits mit dem Aufkommen der ersten Diskussionsforen im Internet die Bedeutung und Verwendungsweise der von ihnen als „visages informatiques“ bezeichneten elektronischen Gesichter. 147 Ihren Erkenntnissen nach können sie erstens den Seelenzustand des Verfassers widerspiegeln und zweitens Ambiguitäten in der Deutung der Nachricht aufheben, indem sie sowohl die Gesichtszüge des Verfassers figurativ darstellen als auch die paraverbalen Eigenschaften seiner Stimme (in Teilen) substituieren. In einer erweiterten Perspektive interpretieren sie den Einsatz von Smileys als eine Art Eigenkommentar in Bezug auf das Geschriebene und sprechen von „didascalies“, kraft derer sich der Autor der Nachricht selbst in Szene setzt. Marcoccia betrachtet die Verwendung von Smileys, expressiver Interpunktion und Großschreibung als eine spezielle, durch die Nutzer herbeigeführte Rahmung der Konversation mit Hilfe der zur Verfügung stehenden technischen Mittel, die er als „faire du face à face avec l’écrit“ definiert. 148 In Zusammenarbeit mit Gauducheau fokussiert er später die spezielle Rolle des Smileys für die Produktion und Interpretation der Nachricht. 149 Ihre Ergebnisse unterstreichen dabei insgesamt die Grenzen der Vergleichbarkeit von Smileys und nonverbaler Kommunikation, da sich die Interpretation einer schriftbasierten Nachricht primär auf den verbalen Teil der Nachricht stützt und die graphischen Substitute nonverbaler und paraverbaler Merkmale eine vergleichsweise schwache Rolle für das Verständnis der Nachricht spielen. Pierozak interessiert sich vor dem Hintergrund der unzähligen Smileyvarianten, die dem Verfasser mittlerweile zur Verfügung stehen, einerseits für Faktoren, die bei der Wahl einer bestimmten Smileyform Einfluss nehmen können, und andererseits für die syntaktische Position des Smileys innerhalb der Aussage. Sie gelangt zu der Erkenntnis, dass die Kohärenz der Smileyverwendung unter den Kommunikationspartnern umso höher ist, je größer die kommunikative Nähe zwischen ihnen ist und umgekehrt. Der Einsatz und die Wahl von Smileys variiert demnach zwischen Nähe und Distanz. Ferner stellt sie fest, dass die syntaktische Position keineswegs willkürlich ist, sondern dass Smileys zumeist in finaler Position ste- 146 Ein entscheidender Unterschied in der Gebrauchsweise von graphostilistischen Kompensationsmitteln für paraverbale und nonverbale Informationen zwischen der Chat-Kommunikation bzw. Diskussionsforen und der SMS-Kommunikation ist etwa das Bedürfnis, sich im ersten Fall unter den übrigen Kommunikationsteilnehmern durch einen verstärkten Gebrauch in Szene zu setzen. 147 Mourlhon-Dallies/ Colin (1995). Als Beispiele nennen sie etwa [: -D]; [: -(] oder [: ^)], wobei die eckigen Klammern jeweils die Begrenzung der Smileys darstellen sollen und folglich nicht als Teil des elektronischen Gesichts aufzufassen sind. 148 Marcoccia (2004). 149 Vgl. Marcoccia/ Gauducheau (2007a, b). <?page no="57"?> 57 hen und eine recht große inhaltliche Redundanz zu dem vorausgehenden verbalen Element aufweisen. Unabhängig von der kommunikativen Funktion oder der Bedeutung, die mit der Wahl einer bestimmten Schreibweise oder eines Smileys verbunden werden können, stellt der langage SMS formal sprachlich eine große Herausforderung für den Forschungsbereich der automatischen Sprachverarbeitung dar. Gerade die offensichtliche Formenvielfalt erschwert die unmittelbare Zuordnung zwischen langage SMS-Schreibweise und orthographisch korrekter Form erheblich. 150 Speziell für die erfolgreiche synthetische Phonetisierung von SMS-Texten, die beispielsweise auch Gehörlosen Zugang zur SMS-Kommunikation verschaffen soll, ist eine detaillierte Analyse der auftretenden Probleme sehr wichtig. Vor diesem Hintergrund untersucht Bove in Zusammenarbeit mit France Télécom Recherche et Développement (FT R&D) Verbesserungsmöglichkeiten eines im Rahmen des Projekts „SMS2Voice“ entwickelten automatischen Vokalisierungsprozesses. 151 Auf der Basis eines an der Université de Provence zusammengestellten SMS-Korpus fokussieren sie die drei Problembereiche „Rebusschreibweise, konsonantische Skelette und Agglutination“ 152 , die in dem Verarbeitungsprozess häufig noch fehlerhaft konvertiert werden. 153 Eine alternative Herangehensweise für die automatische Transkription von SMS-Texten in die korrekte Orthographie stellen Beaufort, Roeckhaut und Fairon vor. 154 Mittels 30000 SMS aus dem belgischen Korpus, die bereits manuell ins Standardfranzösisch transkribiert wurden, konnte eine automatische „Abgleichmethode“ (méthode d'alignement) entwickelt werden, die konkrete SMS-Schreibweisen mit dem jeweils orthographisch korrekten Pendant in Beziehung setzt. Diese Methode schlägt selbst dann adäquate Zuordnungen zwischen Sequenzen des SMS-Textes und der entsprechenden Transkription vor, wenn der SMS-Text über keinerlei Leerzeichen verfügt bzw. wenn innerhalb einer Schreibweise verschiedene Verschriftungsstrategien angewendet werden. Einen weiteren Ansatzpunkt für die Verbesserung der automatischen Sprachverarbeitung von SMS-Texten schlägt Barthélemy vor, indem er eine Parallele zwischen der akkadischen Version der Keilschrift, für die bereits ein automatisches Transkriptionsverfahren entwickelt wurde, und dem langage SMS herstellt. 155 150 Eine ausführliche Analyse des langage SMS folgt in Kap. 4. 151 Bove (2005). 152 Zu den einzelnen Verschriftungsstategien vgl. Kap. 4. 153 Für weitere Details dazu vgl. Guimier de Neef/ Debeurme/ Park (2007). 154 Beaufort et al. (2008). 155 Barthélemy (2007). <?page no="58"?> 58 Ganz unabhängig vom jeweils fokussierten Forschungsschwerpunkt herrscht in allen Arbeiten Einigkeit darüber, dass sich der langage SMS zwar aus systematisierbaren und typologisierbaren Strategien zusammensetzt, er sich aber gleichzeitig durch eine beträchtliche Formenvielfalt auszeichnet. Problemlos findet man für einen signifiant sechs oder mehr verschiedene langage SMS-Varianten. Dieses Problem konnte bislang selbst im Bereich der automatischen Sprachverarbeitung nicht adäquat gelöst werden. Dennoch gab es einige, oftmals wenig wissenschaftliche Versuche, eine Art Regelwerk für die Verschriftung französischer SMS aufzustellen. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Wörterbücher, die eine eineindeutige Relation zwischen orthographisch korrektem signifiant und langage SMS-Schreibweise unterstellen. 156 Die darin proklamierten Varianten sind in der Realität teilweise kaum oder gar nicht attestiert und bleiben somit artifiziell: „fR“ (faire), „vi“ (oui), „100“ (sans), „5pa“ (sympa) oder „6né“ (ciné) sind nur wenige der angegebene „Übersetzungen“ in den langage SMS, die in dem hier untersuchten Korpus nicht erscheinen. 157 Phil Marso geht mit seiner Normierung des langage SMS noch einen Schritt weiter, indem er eine regelrechte Grammatik für ihn entwirft, die man im Zuge von 29 Lektionen erlernen kann. 158 Darin sind die Funktionsweise seiner Verschriftungsstrategien und die für ihre Umsetzung notwendigen Gedankengänge erläutert. Es geht nicht mehr primär um das Verkürzen der Sätze durch kodifizierte, ausschließlich von Kennern entschlüsselbare Schreibweisen, sondern um das Durchschauen der subtilen, vor allem phonetischen Verwendung von Ziffern, Buchstaben und (in seinem Fall) Apostrophen. Dadurch will er der SMS-Kommunikation einen pädagogischen Aspekt verleihen und Ansatzpunkte bei Schwierigkeiten im Umgang mit der französischen Sprache liefern. Darüber hinaus kreiert er eine Art écriture „SMS littéraire“, die er P.M.S. (Phonétique Muse Service) nennt. Sie hält Einzug in das traditionelle Papierschriftformat und versteht sich als eine Art Übergang zwischen der französischen Sprache und der verkürzenden Schreibweise in SMS-Texten. Marso veröffentlicht Bücher durchgängig in P.M.S., darunter auch die Fabeln von La Fontaine sowie bilinguale Romane französisch-P.M.S., die unter pädagogischem Blickwinkel Schülern mit Orthographieschwierigkeiten helfen sollen. 159 Die von ihm in seinem langage SMS-Wörterbuch vorgeschlagenen Schreibweisen lassen 156 Vgl. unter anderem Skyrock (2002). 157 Die Schreibweise „vi“ lässt sich zwar einmalig nachweisen, wird jedoch in der Bedeutung von la vie (frz.: das Leben) verwendet, was die Tauglichkeit der Wörterbücher um so mehr in Frage stellt. 158 Marso (2005a): CP SMS. Vgl. auch seine Homepage unter http: / / www.mobilou.info (11.02.2009). 159 Marso (2005b): la font'N j'M ! und Marso (2004): Frayeurs „SMS“. <?page no="59"?> 59 sich allerdings ähnlich selten in dem hier untersuchten Korpus auffinden wie die oben angeführten Fälle. 160 Wovon hängt nun aber die in französischen SMS-Texten feststellbare Formenvielfalt ab? Wann wählt der Verfasser einer SMS die ökonomische Variante und unter welchen Umständen bevorzugt er die orthographisch korrekte Form? Lassen sich Präferenzen zwischen verschiedenen Verschriftungsstrategien feststellen? Handelt es sich stets um einen bewussten Auswahlprozess oder spielen auch Faktoren wie Gewohnheit und Unbedachtheit eine Rolle? All diese Fragen mussten bislang weitgehend unbeantwortet bleiben und Ziel dieser Arbeit ist es gerade, in einigen dieser Bereiche für mehr Aufklärung zu sorgen. Um das gewährleisten zu können, sollen im Folgenden die besonderen Stielelemente des langage SMS vorgestellt und mit Hilfe einer speziell entwickelten Auswertungsmethode analysiert werden. Insbesondere für die Darstellung der graphostilistischen Merkmale werden die im Forschungsbericht geschilderten Ergebnisse immer wieder vergleichend herangezogen, wobei nicht nur die ausführlichen Arbeiten von Anis, Liénard oder Fairon/ Klein/ Paumier entscheidend sein werden, sondern auch übertragbare Ergebnisse aus der Internetforschung etwa zur Verwendung von Smileys und sonstigen nonverbalen und paraverbalen Kompensationsmitteln. Anschließend werden die ausgewerteten langage SMS-Varianten vor dem Hintergrund der kommunikativ-funktionalen Nutzung betrachtet, um weiterführende Antworten auf die obigen Fragen zu erhalten. In diesem Bereich wird ebenfalls auszugsweise auf Befunde vorheriger Studien zurückgegriffen, die nicht zwangsläufig auf die frankophone Forschung beschränkt bleiben. Es wird sich vielmehr herausstellen, dass neben einigen europäischen oder asiatischen Studien vor allem die vorgestellten deutschen Arbeiten gute Anhaltspunkte für eine angemessene Herangehensweise liefern. Bevor wir aber in die Spezifika des langage SMS vordringen, sollen nach der nunmehr abgeschlossenen sozialen und forschungsgeschichtlichen Einbettung der SMS-Kommunikation zunächst ihre medial-technischen und kommunikativ-relevanten Rahmenbedingungen charakterisiert werden, um eine theoretisch fundierte Interpretation der graphischen Besonderheiten garantieren zu können. 160 Auszüge daraus sind online zugänglich unter http: / / www.mobilou.info/ 10kosms.htm (11.02.2009). Gerade die systematische Verwendung des Apostrophen in Kombination mit obligatorischer Großschreibung zur eindeutigen Markierung eines Buchstaben- oder Ziffernhomophons (etwa „kont’S’T“ für contester) oder aber die vielfache Verwendung größerer Zahlen (etwa „100’té“ für santé) entspricht schon wegen der umständlichen Eingabe nicht der Sprachwirklichkeit alltäglicher SMS. <?page no="60"?> 60 3 Kommunikationstheoretische Charakterisierung der SMS-Kommunikation Zu Beginn des ersten Kapitels wurden bereits die zugrunde gelegten Konzeptionen von ‚Medium’ und ‚Kommunikationsform’ dargelegt und es wurde verdeutlicht, dass das Handy als technisches Hilfsmittel zur Speicherung und Übertragung von sprechbzw. schriftsprachlichen Zeichen fungiert (Medium), während die Kommunikationsform SMS erst mittels des Handys ermöglicht wird. 161 Damit wird sie durch eine spezifische kommunikative Konstellation definiert, die ihrerseits von bestimmten technischen, über das Handy zur Verfügung gestellten Komponenten gekennzeichnet ist. Vor diesem Hintergrund wird es im folgenden Kapitel darum gehen, die Kommunikationsform SMS in einen konkreten Rahmen zu fassen und die für sie charakteristischen Eigenschaften auf zwei verschiedenen Ebenen zu beschreiben: einerseits sollen die außersprachlichen, für die SMS-Kommunikation konstitutiven Bedingungen einschließlich deren Implikationen analysiert werden, um die Kommunikationsform eindeutig zu kennzeichnen und gegen andere abgrenzbar zu machen; andererseits sollen die rein sprachlichen Besonderheiten überblickartig dargestellt und varietätenlinguistisch eingeordnet werden, um ein theoretisches Fundament für die spätere Detailanalyse zu schaffen. Für die außersprachliche Ebene sollen in einem ersten Schritt zunächst die rein medialen Merkmale der SMS-Kommunikation beschrieben werden, ohne schon gleichzeitig deren kommunikativen Implikationen zu berücksichtigen, da es im Vorfeld sinnvoll erscheint, die vom Medium vorgegebenen Rahmenbedingungen ausführlich zu beleuchten. Sie stehen bereits vor Kommunikationsbeginn fest und stellen das erste grobe Gerüst dar, mit dem sich die Kommunizierenden arrangieren müssen. Daher können sie als starre Rahmenbedingungen aufgefasst werden, die einheitlich vom Übertragungsmedium vorgegeben werden und von den Kommunizierenden (bis auf eine Ausnahme) nicht ohne Weiteres umgestaltet werden können. In einem zweiten Schritt sollen, ebenfalls auf außersprachlicher Ebene, diejenigen Aspekte analysiert werden, die in Anbetracht der kommunikativen Möglichkeiten gerade die Wahl der SMS-Kommunikation begünstigen, d.h. die die Funktionsweise des kommunikativen Ablaufs einschließlich dessen Implikationen bestimmen und damit die charakteristischen Rahmenbedingungen der Kommunikationsform darstellen (darunter etwa die permanente Verfügbarkeit der Kommunikationsform oder die 161 Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass wir stets von handyvermittelter SMS- Kommunikation ausgehen, wenn keine näheren Angaben gemacht werden. <?page no="61"?> 61 physische Distanz der Kommunikationsteilnehmer). Anhand dessen soll eine Art außersprachliches Profil der SMS-Kommunikation erstellt werden, das von kommunikativ-relevanten Faktoren gekennzeichnet sein wird, die sich im Hinblick auf ihre Variabilität unterscheiden lassen in harte, flexible und weiche Faktoren. Um den theoretischen Rahmen auf zweiter Ebene zu vervollständigen, werden im Anschluss daran die rein sprachlichen Besonderheiten auszugsweise fokussiert mit dem Ziel, die verwendete Sprache zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit einzuordnen. Das Kommunikationsmodell von Koch und Oesterreicher 162 wird hierfür den maßgeblichen Ausgangspunkt darstellen, wobei sich nach dessen kurzer Vorstellung recht bald herausstellen wird, dass es für eine adäquate Erfassung der SMS- Kommunikation bzw. für die Erklärung der darin auftretenden sprachlichen Merkmale kaum mehr ausreichend ist. Aufgrund dessen wird ein abgewandeltes und erweitertes Modell vorgestellt, das den Herausforderungen der digitalen Schriftkommunikation, insbesondere der Kombination von Schriftlichkeit und Nähekommunikation, gerecht werden kann und eine angemessene Erfassung der sprachlichen Besonderheiten in SMS- Texten erlaubt. Die außersprachliche und die innersprachliche Untersuchungsebene werden dahingehend zusammenhängen, dass die zuerst analysierten, kommunikativ-relevanten Faktoren einen maßgeblichen Bestandteil des anschließend präsentierten Kommunikationsmodells darstellen werden: ähnlich wie im Modell von Koch/ Oesterreicher werden sie als außersprachliche Kommunikationsbedingungen begriffen, die direkt oder indirekt Einfluss auf die Wahl gewisser sprachlicher Ausdrucksmittel nehmen können. Da sich einige von ihnen eng am Originalmodell von Koch/ Oesterreicher orientieren, werden Aspekte wie „Vertrautheit der Kommunikationspartner“, „Privatheit“, „physische Distanz“ oder aber „Spontaneität“ bereits im Zuge der außersprachlichen Faktoren zum Tragen kommen, selbst wenn die Kurzdarstellung des Originalmodells erst in Abschnitt 3.2.1 folgen wird. Auch die von Koch und Oesterreicher geprägten Begriffe „Nähe“ und „Distanz“ bzw. „Nähekommunikation“ und „Distanzkommunikation“ werden bereits vor dem Originalmodell vereinzelt verwendet, um etwa die kommunikativen Implikationen der außersprachlichen Rahmenbedingungen zu verdeutlichen. Im Bedarfsfall sei auf die Erläuterungen in Abschnitt 3.2.1 verwiesen. 162 Vgl. unter anderem Koch/ Oesterreicher (1990). <?page no="62"?> 62 3.1 Grundlagen und Funktionsweisen der SMS- Kommunikation 3.1.1 Mediale Rahmenbedingungen Im Folgenden sollen die konstitutiven medialen Komponenten der Kommunikationsform dargestellt werden, ohne zugleich deren kommunikative Auswirkungen zu berücksichtigen. Sie erlauben eine erste Charakterisierung der SMS-Kommunikation aus rein technischer Perspektive und machen sie dadurch gegenüber anderen medial vermittelten Kommunikationsformen objektiv abgrenzbar. (a) Digitalisierte Schriftzeichen Das über die Handysoftware standardmäßig zur Verfügung gestellte Repertoire an digitalisierten Zeichen besteht vornehmlich aus alphanumerischen Schriftzeichen und richtet sich nach der entsprechenden Landessprache bzw. dessen Repräsentationsform (es kann sich beispielsweise um das lateinische Alphabet in Kombination mit den arabischen Ziffern handeln). Hinzu kommen einige Sonderzeichen wie Satzzeichen, mathematische Zeichen, Logogramme aus der Finanzwelt (€ oder $) und der Websprache (@ und \), sowie die berühmten Smileys 163 . Damit besteht ein SMS-Text im klassischen Sinn aus technisch übermittelten, optischen, (zumeist noch) statischen und linearen Schriftzeichen, die in Bezug auf Schriftart, Schriftgröße oder sonstige Effekte größtenteils uniform sind. Die über Smartphones erstellten und gesendeten SMS-Texte können zwar von der Textgestaltung her differenzierter ausfallen (etwa variierende Schriftfarbe), allerdings können diese Sondereffekte nicht von jedem Empfängerhandy entsprechend angezeigt werden. Generell besteht die Möglichkeit, das Zeichenrepertoire der Handysoftware durch Downloads aus dem Internet in begrenztem Maß zu vergrößern, wobei es sich hierbei zumeist um Smileys oder sonstige, häufig belustigende Logogramme handelt. Damit sehen sich die Kommunizierenden mit einem relativ reduzierten Inventar an zur Verfügung stehender Schriftzeichen für eine möglichst individuelle Gestaltung ihrer Nachricht konfrontiert. 163 Ursprünglich waren das aus Schriftzeichen zusammengesetzte Piktogramme zur Darstellung eines lachenden oder weinenden, aber liegenden Gesichts: [: -)]. Mittlerweile sind es farbige, digitalisierte Gesichtsbilder, die teilweise sogar blinken oder sonstige sich wiederholende Veränderungen aufweisen. Vgl. dazu im Detail Kap. 4.3.3. <?page no="63"?> 63 (b) Dialogisch bei nur einseitig geöffnetem Kommunikationskanal Die Kommunikation kann in beide Richtungen stattfinden, allerdings nicht gleichzeitig, sondern ausschließlich nacheinander. Eine SMS kann nur dann verschickt werden, wenn man nicht gerade eine eingehende SMS empfängt und umgekehrt. 164 (c) Direkte Übermittlung ausschließlich an den Adressaten Die SMS-Kommunikation wird durch das Versenden eines SMS-Textes an die Handynummer des gewünschten Kommunikationspartners initiiert und per Funkübertragung direkt und ausschließlich an eben diese gewählte Nummer bzw. an das zugehörige Endgerät gesendet. Da das Mobiltelefon zumeist als persönliches Individualmedium verwendet wird, erreicht die Kurznachricht direkt den gewünschten Gesprächspartner. Die Einbindung von Dritten für das Senden, Vermitteln oder Entgegennehmen der Nachricht ist nicht erforderlich. (d) Ein benötigtes Medium Für die Gesamtheit des Kommunikationsablaufs, d.h. für Produktion, Distribution und Rezeption des SMS-Textes wird sowohl auf Senderseite als auch auf Empfängerseite lediglich ein Handy benötigt. (e) Standortungebundene, mobile Verfügbarkeit Da die SMS-Kommunikation mittels des Mobiltelefons stattfindet, das mittlerweile an vielen Orten der Welt über ein ausreichend starkes Funksignal für das Versenden und Empfangen von Textbotschaften verfügt, kann die Kommunikation zeit- und ortsungebunden stattfinden. (f) Texteingabe über eine mehrfachbelegte, vom Bildschirm getrennte Zifferntastatur Prototypisch muss ein SMS-Text über die Zifferntastatur des Handys eingegeben werden, bei der jede Zifferntaste mit durchschnittlich drei bis vier nacheinander geordneten Buchstaben belegt ist. 165 Um beispielsweise den 164 In der Chat-Kommunikation hingegen ist der Kommunikationskanal von beiden Seiten geöffnet, d.h., dass die Kommunikationspartner simultan ihre Chat-Beiträge absenden können bzw. dass auch dann ein Beitrag gesendet werden kann, wenn gerade ein anderer Beitrag eingeht. 165 Zum Zeitpunkt der Untersuchung stellten Smartphone, die über ein Touchscreen oder eine intergrierte ‚Miniatur-Computertastatur’ verfügten, noch die Ausnahme dar, so dass hier noch von einer klassischen Zifferntastatur ausgegangen wird. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich die Eingabemodalitäten mit zunehmender Verbreitung der Touchscreens in den kommenden Jahren verändern werden. <?page no="64"?> 64 recht häufigen Buchstaben <s> zu realisieren, muss der Verfasser vier Mal hintereinander in kurzen Abständen auf die Zifferntaste „7“ drücken. Möchte er danach ein <p> schreiben, so muss er eine kurze Tipppause einlegen, bevor er über dieselbe Taste „7“ durch einmaliges Drücken den gewünschten Buchstaben erhält. Ein Procedere, das zunächst sehr umständlich und mühsam zu sein scheint, jedoch nach kurzer Zeit durch etwas Übung von den meisten Nutzern problemlos beherrscht wird. 166 Ungeachtet dessen bleibt die Zifferntastatur vergleichsweise klein und kann mit maximal zwei Fingern gleichzeitig bedient werden. Erschwerend kommt hinzu, dass der Schreibort (Tastatur) und das Lesefeld (Bildschirm) optisch voneinander getrennt sind. (g) Hohe Übertragungsgeschwindigkeit Verfügen sowohl das absendende als auch das empfangende Handy über einen starken Funkempfang, so verstreichen vom Sendebefehl bis hin zu dem Hinweis, dass eine neue Kurzmitteilung eingegangen ist, nur wenige Sekunden. Im Einzelfall hängt die Zeitspanne von der zu übertragenden Datenmenge (Größe der SMS) und der Signalstärke von Senderbzw. Empfängerhandy ab. (h) Begrenzte Zeichenübertragungskapazität (160 Zeichen) Bei der Konzipierung der SMS-Kommunikation im Rahmen einer GSM- Arbeitsgruppe wurde eine maximale Übertragung in Datenbündeln von 1120 Bits vereinbart bzw. ermöglicht. Je nach Zeichenkodierung des SMS- Textes ergeben sich daraus unterschiedlich viele zur Verfügung stehende Zeichen. Bei einem klassischen Text bestehend aus lateinischen Buchstaben, griechischen Großbuchstaben und arabischen Ziffern, die jeweils 7 Bit pro Zeichen beanspruchen, erhält man die bereits erwähnten 160 Zeichen. Einige Logogramme wie das Eurozeichen (€) benötigen jedoch die doppelte Bitmenge. Mittlerweile können auch längere Texte eingegeben und durch nur einen Befehl als zusammengehörige Nachricht versendet und empfangen werden. In den meisten GSM-Netzen findet jedoch im Hintergrund nach wie vor die klassische Bündelung in 160 Zeichen-Pakete für das Übersenden (und Abrechnen) der Nachricht statt. 166 Dieses anfängliche „Multitap-Verfahren“ wurde zwischenzeitlich durch das bereits beschriebene System T9 zwecks automatischer Worterkennung vereinfacht, das jedoch nicht bei allen Nutzergruppen breite Anerkennung findet. In der von uns durchgeführten Befragung (vgl. Kap. 4.2) gaben lediglich knapp ein Viertel der Informanten an, dass sie (gelegentlich) T9 benutzen würden. Nähere Ausführungen zum Funktionieren von T9 vgl. Kap. 2, speziell Anmerkung 112. <?page no="65"?> 65 (i) Begrenzte Zeichenspeicherungskapazität Der im Handy integrierte Speicher sowie der Speicherplatz auf der SIM- Karte sind begrenzt, so dass nicht unendlich viele Kurzmitteilungen im Mobiltelefon gespeichert werden können. Ist die Speicherkapazität des Kurzmitteilungseingangs erschöpft, kann keine weitere SMS empfangen werden, solange nicht (mindestens) eine der zuvor empfangenen Nachrichten gelöscht wurde. (j) Frei wählbarer Rezeptionszeitpunkt Der Empfänger einer SMS erhält auf dem Display seines Handys zunächst nur den Hinweis, dass eine neue Nachricht eingegangen ist, ohne nähere Angaben zum Absender bzw. zum eigentlichen SMS-Text zu bekommen. Um die Kurzmitteilung zu lesen und Informationen über die Handynummer des Absenders bzw. den Sendezeitpunkt zu erfahren, muss er mindestens eine Taste betätigen. (k) Automatische Empfangsbestätigung möglich Einige Netzanbieter stellen ihren Kunden den Service zu Verfügung, sie per Kurzmitteilung über die erfolgreiche bzw. erfolglose Ausführung von SMS-Sendeaufträgen zu informieren. Dadurch erhält der Absender Gewissheit darüber, dass seine Nachricht das Mobiltelefon des Empfängers erreicht hat und kennt zudem den Zeitpunkt, an dem sie auf dem Display angekündigt wurde (mehr aber auch nicht). (l) Keine Rezeptionsbestätigung möglich Der Absender einer SMS hat keine Möglichkeit in Erfahrung zu bringen, ob und wann der gewünschte Empfänger seine Kurzmitteilung gelesen hat. Selbst wenn er eine Empfangsbestätigung im Sinne einer erfolgreichen Übermittlungsbestätigung von seinem Netzbetreiber erhalten hat, kann er noch nicht mit Gewissheit davon ausgehen, dass der Empfänger die ihm auf dem Bildschirm angekündigte, neu eingegangene SMS auch gelesen hat (die Wahrscheinlichkeit dafür ist jedoch hoch). (m) Variable Lautstärke des Kommunikationsakts Die technischen Möglichkeiten des Mediums Handy stellen hier in aller Regel verschiedene Optionen zur Verfügung: wählt man insgesamt den lautlosen Modus des Mobiltelefons und unterdrückt gleichzeitig den Vibrationsalarm, so dass weder Tastendrücke noch Sende- oder Empfangsbestätigungen von einem Tonsignal bzw. einem Vibrationsgeräusch begleitet werden, so ist ein leises Kommunizieren möglich. Entscheidet man sich <?page no="66"?> 66 für entgegengesetzte Einstellungen, so kann der Kommunikationsakt durchaus geräuschintensiv sein. Veranschaulichen wir uns abschließend die konstitutiven technischen Rahmenbedingungen im Überblick: Allgemeine medial-technische Merkmal der SMS-Kommunikation Repräsentationsform des Zeichensystems Sprache (vornehmlich) digitalisierte Schriftzeichen Ausrichtung des Kommunikationskanals dialogisch, aber nur einseitig geöffnet Übermittlungsart direkt und ausschließlich an den Adressaten Anzahl benötigter Medien eins Mobilität der Kommunikationsform standortungebundene, mobile Verfügbarkeit technische Modalitäten zur Spracheingabe Texteingabe über mehrfachbelegte, vom Bildschirm getrennte Zifferntastatur Übertragungsgeschwindigkeit hoch Zeichenübertragungskapazität begrenzt (klassisch: 160 Zeichen) Zeichenspeicherungskapazität begrenzt Zeitpunkt der Rezeption frei wählbar automatische Empfangsbestätigung möglich automatische Rezeptionsbestätigung keine Lautstärke des Kommunikationsakts variabel, von lautlos bis laut Anhand der medialen Rahmenbedingungen lässt sich die SMS-Kommunikation bezüglich der grundsätzlich zur Verfügung stehenden, spezifisch arrangierten medialen Komponenten grob im Feld der übrigen vermittelten Kommunikationsformen positionieren. Vor diesem Hintergrund stellt sie sich als schriftbasierte Kommunikationsform mit ihrer ständigen Verfügbarkeit, sekundenschnellen Übertragung direkt und ausschließlich an den gewünschten Kommunikationspartner, rigorosen Begrenzung der Textlänge und dem nur einseitig geöffneten Kommunikationskanal bislang als einzigartig heraus. Zwar wurde sie in früheren Arbeiten bereits der E-Mail- oder der Chat-Kommunikation gegenübergestellt, jedoch besteht eines ihrer konstitutiven Merkmale darin, dass sie handyvermittelt ist und dadurch ortsbzw. zeitungebunden stattfinden kann. Hinzu kommen die umständliche Texteingabe über die Zifferntastatur und die Zeichenbegrenzung einer Nachricht, so dass die kommunikativen Auswirkungen dieser <?page no="67"?> 67 medialen Rahmenbedingungen nicht ohne Weiteres mit den Implikationen einer elektronischen E-Mail oder dem Chat zu vergleichen sind. 167 3.1.2 Kommunikativ-relevante Bedingungen: harte, flexible und weiche Faktoren Wollen wir uns im folgenden Abschnitt auf die kommunikativ-relevanten Faktoren der SMS-Kommunikation und deren Auswirkungen auf die Interaktion konzentrieren, um die Kommunikationsform SMS auf außersprachlicher Ebene benutzer- und situationsübergreifend zu charakterisieren, wird es nicht ausreichen, sich auf die kommunikativen Implikationen der zuvor beschriebenen technischen Rahmenbedingungen und deren verschiedenen Aneignungsweisen zu beschränken. Es müssen zusätzliche Aspekte herangezogen werden, die nicht allein vom Übertragungsmedium hervorgerufen werden, sondern auf anderen kontextuellen Komponenten beruhen. Wie bereits zu Beginn des Kapitels erwähnt, werden sich einige der im Folgenden angeführten Merkmale eng an den Kommunikationsbedingungen von Koch/ Oesterreicher orientieren, da sie unter anderem als eine Art Vorarbeit für die spätere Einordnung der sprachlichen Besonderheiten zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit verstanden werden können. 168 Abgesehen von den Auswirkungen auf rein sprachlicher Ebene, die erst im nächsten Abschnitt behandelt werden, ermöglichen sie auf außersprachlicher Ebene gemeinsam mit den übrigen kommunikativ-relevanten Faktoren nicht nur eine stichhaltige Abgrenzung der Kommunikationsform SMS in Bezug auf Funktionsweise, Kommunikationsablauf und deren Implikationen, sondern liefern gleichzeitig Erklärungsansätze für die hohe Anzahl an divergenten Erscheinungsformen innerhalb der SMS-Kommunikation sowie deren großer Beliebtheit bei den Kommunizierenden. Es wird sich im Folgenden herausstellen, dass einige der kommunikativ-relevanten Faktoren unveränderlich sind und von den Interaktanten als gegeben akzeptiert werden müssen. Andere Faktoren hingegen lassen sich durchaus in unterschiedlichem Ausmaß verändern: weisen sie in einigen Fällen trotz theoretisch möglicher Variierbarkeit nur wenige alternative Erscheinungsformen auf (etwa theoretisch mögliche physische Nähe im Gegensatz zu beinahe ausnahmslos vorherrschender physischer Distanz), zeichnen sie sich in anderen Fällen durch ein erhebliches Variationsspektrum aus (etwa bezüglich der Diskretheit des kommunikativen Ablaufs für 167 In Bezug auf die E-Mail-Kommunikation weisen Höflich/ Rössler (2001, 456) sogar explizit darauf hin, dass sich im Hinblick auf die Gratifikationen kein Zusammenhang zwischen E-Mail- und SMS-Kommunikation feststellen lässt. 168 Nähere Ausführungen zu Koch/ Oesterreicher bzw. konkrete Gründe, warum die SMS-Kommunikation nicht vollends anhand ihres Modells erfasst werden kann, folgen im nächsten Abschnitt. <?page no="68"?> 68 Sender bzw. Empfänger). Dementsprechend wird im Folgenden unterschieden zwischen harten, flexiblen und weichen Faktoren. Die harten Faktoren ergeben sich zumeist aus den bereits beschriebenen, rein technischen Eigenschaften der SMS-Kommunikation, die bei jedem Austausch erneut vorzufinden sind und damit den festen, unumgänglichen Rahmen des kommunikativen Akts darstellen. Ihre Einflussnahme auf die Kommunikation kann sich sowohl direkt auf die sprachliche Konzeption beziehen (etwa die Faktoren schriftlich, dialogisch oder asynchron), als auch indirekt auf die Art der Versprachlichung bzw. auf die inhaltliche Komponente (beispielsweise die begrenzte Textlänge). Für die Nutzer repräsentieren die harten Faktoren insgesamt spezifische Vorgaben, die in sehr unterschiedlichen situativen Kontexten und aus ganz unterschiedlichen kommunikativen Motivationen heraus in besonderer Form angeeignet bzw. nutzbar gemacht werden. Dementsprechend hängt die Komplexität der Gebrauchsweisen maßgeblich von bestimmten, die medialen Rahmenbedingungen ergänzenden kontextuellen Faktoren ab, die im Gegensatz zu den harten Faktoren bis zu einem gewissen Grad variierbar sind und damit die flexiblen und weichen Faktoren ergeben. Erstere spiegeln eine naheliegende, intuitive und damit generations- und gesellschaftsübergreifende Aneignung der medialen Bedingungen wider. Die konkreten, sich daraus ergebenden Erscheinungsformen sind relativ konstant im Sinne von ‚prototypisch’ für die SMS-Kommunikation, allerdings kann es im Gegensatz zu den vorher geschilderten harten Faktoren zu bestimmten Ausnahmefällen kommen (beispielsweise die Privatheit der Kommunikation, die in wenigen Fällen aufgehoben sein kann). Die weichen Faktoren schließlich haben sich aus einer Logik des praktischen Nutzbarmachens der medialen Bedingungen für die persönlichen, individuellen Bedürfnisse heraus ergeben, werden teilweise situationsbedingt angepasst und können daher ein beachtliches Spektrum an möglichen Optionen aufweisen (etwa der Planungsgrad oder die Spontaneität). Betrachten wir im Folgenden die konkreten kommunikativ-relevanten Faktoren, so wird sich ferner herausstellen, dass einige von ihnen streng genommen aus einem der anderen (zumeist harten) Faktoren resultieren. Würde man jedoch nur diejenigen Aspekte als eigenständigen Faktor zulassen, die unabhängig von anderen Eigenschaften der Kommunikationsform bestehen, und die übrigen Merkmale als entsprechende Implikation des jeweils vorbedingten Faktors beschreiben, so würde sich ein sehr reduziertes Bild an Faktoren ergeben, das nur unbefriedigend die charakteristischen Eigenschaften der Kommunikationsform widerspiegeln würde. Da wir uns im Hinblick auf die außersprachlichen Aspekte jedoch zum Ziel gesetzt haben, ein möglichst aussagekräftiges Profil der SMS-Kommunikation zu erstellen, das eine eindeutige Abgrenzung gegen andere Kommunikationsformen erlaubt und eine nuancierte Beschreibung derjenigen <?page no="69"?> 69 Aspekte gewährleistet, die entscheidenden Einfluss auf den kommunikativen Ablauf nehmen können, wäre eine solch reduzierte Auflistung wenig ergiebig. Aus diesem Grund werden wir im Folgen auch solche Eigenschaften als eigenständige Faktoren behandeln, die zwar an sich aus einem anderen Faktor folgen, jedoch einen wesentlichen Beitrag zu den kommunikativ-relevanten Merkmalen der SMS-Kommunikation leisten. Im Rahmen der Erläuterungen wird jeweils deutlich werden, ob bzw. welche Faktoren unter Umständen die Vorbedingung darstellen. 3.1.2.1 Harte Faktoren (a) Schriftlich Aus den medialen Bedingungen ergibt sich unmittelbar eine schriftbasierte Kommunikation, die dank der Digitalität, d.h. der Losgelöstheit von einem festen Trägermedium, in Windeseile räumliche und zeitliche Grenzen überwinden kann. Dadurch stehen weniger die traditionellen Funktionen von Schrift im Sinne von Aufbewahrung der Kommunikation und Konservierung von Wissen im Vordergrund als vielmehr die Übernahme von bislang der fernmündlichen Kommunikation vorbehaltenen Funktionen. Unverbindlicher Informationsaustausch, kurzfristige Verabredungen oder verspätete Geburtstagsgrüße sind nur einige Beispiele. Damit einher geht oftmals die Tatsache, dass die Kommunikation trotz Schriftmodus nicht völlig unabhängig vom Gedächtnis und vom Hier und Jetzt der Interaktionsteilnehmer bzw. von der Alter-Ego-Situation stattfindet. Sie wird nicht vollständig enttemporalisiert, sondern kann teilweise durch kurze sprachliche Rückbezüge (etwa in Form von Deiktika) in Abhängigkeit von der Sprecher-origo formuliert werden und ist bei zeitverzögerter Rezeption unter Umständen nicht mehr in vollem Ausmaß nachvollziehbar. Gleichwohl bewahrt sich die digitale Schrift ihre Eigenschaft als Konservierungsmöglichkeit von Kommunikation, da Kurzmitteilungen im Gegensatz zu fernmündlicher Kommunikation wiederholt rezipiert und bei Bedarf untereinander ausgetauscht werden können. Die mit der Schrift einhergehende Abwesenheit nonverbaler und paraverbaler Informationen kann mit Hilfe der uniformen typographischen Gestaltung der Schriftzeichen sicherlich nur sehr beschränkt kompensiert werden, führt aber dennoch zu kreativen Innovationen im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten (wie wir später noch sehen werden). (b) Asynchron Bedingt durch die Tatsache, dass der Kommunikationskanal jeweils nur einseitig geöffnet ist, haben wir es mit einer asynchronen, zeitversetzten Kommunikation zu tun. Selbst wenn sich SMS-Kommunikation dank sekundenschneller Übertragung im Fall einer gleichzeitigen Gesprächsbereit- <?page no="70"?> 70 schaft der Interaktionspartner erstaunlich nah an quasi-synchrone Kommunikation annähern kann, bleibt sie doch asynchron: Die Kommunikationspartner befinden sich in der Regel nicht in einem gemeinsamen (realen oder virtuellen 169 ) Kommunikationsraum (es sei denn es herrscht physische Nähe), die Rezeption der Mitteilung geschieht stets nach deren Produktion und zudem hat der Empfänger die Möglichkeit, eine Nachricht ungelesen zu übergehen. 170 Aus kommunikativer Perspektive bietet sich den Gesprächspartnern damit die Möglichkeit der Reflektiertheit innerhalb einer dennoch recht zügigen SMS-Abfolge (vgl. dazu auch den Aspekt „Vermittelte, teilweise inszenierte Spontaneität“). (c) Dialogisch Die Botschaft wird direkt an einen bestimmten Empfänger adressiert in der Annahme, dass dieser sie auch (relativ zeitnah) liest. Damit handelt es sich um dialogische Kommunikation, die aufgrund des stets nur einseitig geöffneten Kommunikationskanals streng geregelt ist. Der Absender einer Initial-SMS erwartet häufig eine (ebenfalls recht zeitnahe) Reaktion, wobei diese Erwartungshaltung in Abhängigkeit vom Kommunikationszweck gesehen werden kann. Handelt es sich etwa um eine praktische Kurzmitteilung zur Organisation des Alltags, die zudem eine Frage beinhaltet, so wird eine respondierende SMS beinahe zwingend erforderlich (es sei denn, die erfragte Information wird über einen anderen Kommunikationsweg mitgeteilt). Dient die SMS hingegen primär der interpersonalen, aber phatischen Beziehungspflege etwa in Form von unverbindlich übersendeten Grüßen, erhofft sich der Absender zwar einen respondierenden Zug als Zeichen der Gegenseitigkeit, erwartet bzw. fordert ihn aber nicht. 171 Ähnliches gilt für solche Kurzmitteilungen, die aus einem Moment der Langeweile heraus entstanden sind und beispielsweise ein belustigendes Wortspiel oder den weitergeleiteten Inhalt einer Ketten-SMS beinhalten. 172 Damit gilt in Bezug auf das Antwortverhalten in weiten Teilen das Prinzip der Reziprozität, ist jedoch nicht verpflichtend, denn der Adressat kann die übersendete Information auch nur entgegennehmen, ohne im Gegenzug ebenfalls eine SMS zu schicken. Der respondierende Zug stellt folglich trotz dialogischem Charakter keinen zwingenden Bestandteil der SMS-Kommunikation dar. 169 Ein Merkmal der Chat-Kommunikation ist beispielsweise, dass die Kommunikationspartner zwar physisch voneinander getrennt sind, sich aber dennoch in einem gemeinsamen virtuellen Kommunikationsraum befinden (vgl. dazu etwa Thimm (2001, 257), Storrer (2001, 439)). 170 Vgl. dazu Heinemann/ Viehweger (1991, 219). 171 Nähere Erläuterungen zum Begriff „phatisch“ folgen in Kap. 6.3. 172 Vgl. dazu auch Dittmann et al. (2007). <?page no="71"?> 71 (d) Sehr begrenzter Umfang der Kommunikationsschritte Eines der konstitutiven Merkmale der SMS-Kommunikation ist die rigorose Begrenzung im Hinblick auf ihre maximale Datengröße und damit auf die Zeichenmenge, die sie höchstens enthalten darf. Anders als beim früheren Telegramm erfolgt die Abrechnung nicht pro Wort, sondern pro Datenbündel (unabhängig davon, ob es vollständig ausgeschöpft wurde oder nicht). Damit werden umschweifende Ausführungen kostspielig und lassen sich eher selten finden. Eine auffällige Strategie zur Verdichtung der Information besteht in einem möglichst schnellen und zielstrebigen Hinlenken der Kommunikation auf die eigentliche Angelegenheit. Die für eine mündliche Konversation typische Rahmung gemäß den allgemeinen Höflichkeitskonventionen (etwa umfassende Begrüßung, Erkundigung nach dem Befinden, ausführliche Verabschiedung, etc.) werden oftmals knapp gehalten oder vollkommen übergangen. 173 In welcher Form die Zeichenbegrenzung tatsächlich einschränkend wirkt und welche kommunikativen Auswirkungen damit einhergehen, wird unter dem Aspekt „Planungsgrad“ bzw. in den Kapiteln 4 und 7 deutlich werden. (e) Kodierung der sprachlichen Zeichen mittels einer ‚Miniaturtastatur’ Erschwerend hinzu kommt die umständliche Texteingabe zumeist noch über eine mehrfachbelegte Zifferntastatur des Handys. Selbst wenn sich sukzessive ein technischer Wandel in Richtung Touchscreens mit einer kleinen integrierten Computertastatur vollzieht, die einen Zuwachs an Eingabekomfort mit sich bringen soll, bleibt die Kodierung recht „fummelig“ und zeitaufwendig, was die Nutzer unter anderem dazu animiert hat, effiziente und kreative Strategien für die Texteingabe zu entwickeln. Nähere Ausführungen dazu folgen insbesondere in Kap. 4. (f) Eingeschränkte Interaktivität möglich Die bestehende Asynchronizität impliziert, dass Produktion und Rezeption nicht unmittelbar miteinander verzahnt sind, sondern voneinander „abgekoppelt“ 174 . Folglich sind begleitende sprachliche oder nichtsprachliche Reaktionen, direktes Rückfragen oder Eingreifen in den Produktionsakt nicht möglich. Dennoch kann direkt und wechselseitig über stets nur sehr kurze und schnell übermittelte Sequenzen miteinander kommuniziert 173 Damit zeichnet sich die SMS-Kommunikation nicht nur durch eine direkte Übermittlung an den gewünschten Gesprächspartner aus, sondern auch durch eine gewisse sprachliche Direktheit. Inwiefern sich in SMS-Texten ein veränderter Umgang mit den Höflichkeitskonventionen einer entsprechenden mündlichen Konversation beobachten lässt, ohne dabei gesichtsbedrohend für einen der Kommunikationspartner zu handeln, wird in Kap. 7.1 noch näher ausgeführt. 174 Vgl. Koch/ Oesterreicher (1985, 20). <?page no="72"?> 72 werden, so dass auf die jeweiligen Beiträge mit nur minimaler zeitlicher Verzögerung reagiert werden kann. Sicherlich lässt schon der Schriftmodus grundsätzlich an Interaktivität als wesentliches Charakteristikum der direkten, mündlichen Kommunikation verlieren, jedoch gelingt es dank der rasanten Überwindung der raumzeitliche Grenzen ortsungebunden ein gewisses Maß an Interaktivität in Bezug auf den Verlauf der Kommunikation und deren inhaltliche Entwicklung beizubehalten - ein Novum für die schriftbasierte Kommunikation. 3.1.2.2 Flexible Faktoren (g) Permanent verfügbar Dank der Mobilität des Übertragungsmediums und dessen Charakter als persönliches Individualmedium ist die SMS-Kommunikation für jeden Handybesitzer allzeit zugänglich. Theoretisch sind wir damit allerorts kommunikativ „zu Hause“ 175 und stehen quasi losgelöst vom Kontext in dauerhafter Verbindung mit unserem sozialen Netzwerk. Allerdings hängt diese dauerhafte Verfügbarkeit von Faktoren wie einem bestehenden Funksignal oder aber einem aufgeladenen Akku ab, so dass sie durchaus für eine begrenzte Zeit unterbrochen sein kann. Abgesehen davon suggeriert permanente Verfügbarkeit zugleich ständige Erreichbarkeit, was aus Senderbzw. Empfängerperspektive mit unterschiedlichen Repräsentationen verbunden ist. Die Möglichkeit, orts- und zeitungebunden eine Kurzmitteilung versenden zu können, hat für den Sender primär positive Auswirkungen, da es ihm ein Gefühl von dauerhafter Sicherheit, sozialer Vernetzung und Unabhängigkeit, aber auch von Abwechslung und Spaß gibt. Aus seiner Perspektive sind damit kaum Verpflichtungen verbunden. Etwas anders verhält es sich aus der Sicht des Empfängers, dem aufgrund der (theoretisch) permanenten Verfügbarkeit der Kommunikationsform zugleich ständige Erreichbarkeit unterstellt wird. Einerseits kann sich für ihn daraus ebenfalls ein Gefühl von Sicherheit ergeben, denn sein soziales Umfeld kann ihn bei auftretenden Problemen jederzeit erreichen (etwa im Kreis der Familie). Andererseits kann sich daraus ein gewisser Druck oder gar Zwang entwickeln, ständig erreichbar sein zu müssen, was als sehr störend für die eigene Freiheit und Unabhängigkeit empfunden werden kann. Auf Empfängerseite ergeben sich damit divergente Repräsentationen, die nicht nur positiv gewertet werden. (h) Privat Begünstigt durch die Tatsache, dass Kurzmitteilungen direkt und ausschließlich an den gewünschten Adressaten übermittelt werden, findet die 175 Vgl. Roos (1993, 14). <?page no="73"?> 73 SMS-Kommunikation in der Regel privat und individuell zwischen einem Sender und einem Empfänger statt. Damit kann sie sich als besonders reizvolle Möglichkeit für den verdeckten Austausch von Intimitäten herausstellen, was durch den Schriftmodus noch zusätzlich unterstützt wird. Prototypisch verläuft die Kommunikation unter völligem Ausschluss der Öffentlichkeit, jedoch werden SMS-Dialoge vor allem bei Jugendlichen nicht selten im Beisein von Dritten geführt, so dass Verlauf und Inhalt der Kommunikation unmittelbar mit parallel anwesenden Freunden geteilt werden können. 176 In Ausnahmefällen kann sich der Kreis der tatsächlich Kommunizierenden auf mehrere Teilnehmer ausdehnen, etwa zwecks Koordination eines abendlichen Treffens im Freundeskreis. Die Akteure versenden ihre Kurzmitteilungen dabei teilweise an den gesamten Teilnehmerkreis, wobei einer der Teilnehmer zumeist eine Art Organisatorfunktion innehat, so dass ein Großteil der Kommunikation über ihn läuft und nicht jeder Kommunikationsteilnehmer stets alle Beiträge erhält. Der Vollständigkeit halber sind in diesem Zusammenhang mittlerweile drei Sonderfälle zu nennen, in denen sich die Privatheit auflöst und die kommunikative Reichweite erheblich vergrößert wird. Erstens haben sich in vielen Ländern die so genannten SMS-Dienste etabliert, die abonnierte oder nicht abonnierte (Werbe-)Informationen oder Nachrichten in Form von Kurzmitteilungen an eine breite Empfängermasse versenden und generell keine respondierende SMS vorsehen. Unter diese massenmedialen SMS-Formate fallen auch Werbe- oder Benachrichtigungs-SMS von Netzanbietern an ihre Kunden. Einen zweiten Sonderfall stellt der bereits erwähnte SMS-Chat dar, der jedoch prinzipiell als eigene Kommunikationsform aufgefasst werden sollte, selbst wenn die einzelnen gesendeten und empfangenen Botschaften SMS im ursprünglichen Sinn bleiben. 177 Als Drittes ist die recht junge Kommunikationsform Twitter zu nennen, bei der zwar ebenfalls eine herkömmliche SMS verschickt wird, diese jedoch nicht an ein oder mehrere Handys, sondern direkt an eine Online-Website und damit einem unbegrenzten oder begrenzten Personenkreis zur Verfügung gestellt wird. Eine verschickte SMS kann demnach direkt an die Öffentlichkeit gelangen, wobei Twitter, ähnlich wie die SMS-Dienste, aufgrund des einwegigen Kommunikationskanals keine Antwort-Nachricht vorsieht. (i) Physische Distanz Entsprechend der charakteristischen Merkmale von vermittelter Kommunikation befinden sich die Kommunizierenden zumeist in keinem gemeinsamen (realen oder virtuellen) Kommunikationsraum, sondern sind physisch voneinander getrennt. Damit ermöglicht SMS-Kommunikation weder 176 Vgl. dazu die Ausführungen von Androutsopoulos/ Schmidt (2002). 177 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 1.2.1. <?page no="74"?> 74 visuellen noch akustischen oder taktilen Kontakt zwischen den Interaktionspartnern und gewährt folglich keine Einsicht in Gestik, Mimik oder Körpersprache bzw. in Prosodie, Sprechgeschwindigkeit oder Sprechpausen. Ist der Aufenthaltsort des jeweils anderen jedoch bekannt, so können zumindest deiktische Bezüge ähnlich der fernmündlichen Kommunikation gut gelingen. 178 Einhergehend mit dem Aspekt der Mobilität und der ständigen Verfügbarkeit lassen sich allerdings einige Ausnahmefälle nennen, in denen SMS-Kommunikation nicht primär zur schnellen Überwindung der räumlichen Grenzen eingesetzt wird, sondern etwa aufgrund ihrer Lautlosigkeit. Schüler beispielsweise, die sich im selben Klassenzimmer befinden, führen ihre ‚versteckte Kommunikation’ nicht mehr mittels Zettelchen sondern schreiben sich SMS. Trotz physischer Kopräsenz der Kommunikationspartner kann diskret kommuniziert werden. Ähnliches gilt für den Einsatz von SMS zur Äußerung der eigenen Gedanken in öffentlichen Debatten, bei denen sich die Adressaten zwar ebenfalls im selben Raum befinden, der Sprecher jedoch eine indirekte Kommunikation bevorzugt, um seine Anonymität zu wahren. 179 (j) Eingeschränkte Situations- und Handlungseinbindung sowie eingeschränkter Referenzbezug Analog zu den obigen Ausführungen ist eine Situations- und Handlungseinbindung bei physischer Distanz der Kommunizierenden sowie der bestehenden Asynchronizität nur bedingt möglich. Ist der Aufenthaltsort bzw. der situative Kontext des Gesprächspartners nicht bekannt, muss er für die Einbeziehung zuvor explizit versprachlicht werden. Anhand der SMS-Texte lässt sich jedoch beobachten, dass nicht selten ein Bezug zur Äußerungssituation hergestellt wird und selbst die Rezeptionssituation des Empfängers thematisiert wird. 180 Folglich wird nicht nur der sprachlichkommunikative Kontext im Sinne von Kotext eingebunden, sondern auch der gemeinsame Wissenskontext, der durchaus ein geteiltes Wissen über den situativen Kontext des jeweils anderen beinhalten kann. Voraussetzung hierfür ist ein hoher Bekanntheitsgrad und eine schnelle, dialogähnli- 178 Ein Beispiel aus dem untersuchten Korpus wäre etwa „ici c'est la somalie la je tuerai pour un morceau 2 viande“ (ici c'est la somalie là je tuerais pour un morceau de viande; auf deutsch: „Hier ist es wie in Somalia, ich würde gerade töten für ein Stück Fleisch“). Vor allem Deiktika wie ici und là, die Kenntnisse über den momentanen Aufenthaltsort des Gesprächspartners voraussetzen, treten recht häufig im Korpus auf. 179 Zu Erläuterungen der Handynutzung als „Sprachrohr in der Öffentlichkeit“ vgl. Abschnitt 1.3.2. 180 Bespiele hierfür wären deiktische Ausdrücke wie je suis là (deutsch: „ich bin da“) oder Fragen der Form ça s’est bien passé? (deutsch: „ist es gut gelaufen? “). <?page no="75"?> 75 che SMS-Abfolge, die dank der ständigen Verfügbarkeit der Kommunikationsform gut möglich ist. Damit kann eine starke Situationseinbindung trotz physischer Distanz erstaunlich gut gelingen. Ähnliches gilt für den Referenzbezug, der zwar real genauso wenig möglich ist, bei geteiltem Wissen über den außersprachlichen Kontext des anderen jedoch imaginiert gut funktionieren kann und dadurch sprachlich entsprechend umgesetzt wird. (k) Eher flüchtige Kommunikation Obgleich es sich um einen schriftlichen Austausch handelt, ist die SMS- Kommunikation nicht primär auf Langlebigkeit ausgelegt. SMS-Texte sind nicht ohne Weiteres archivierbar, da die Speicherkapazität des Mediums begrenzt ist und die Übertragung auf ein anderes Speichermedium nur mit erhöhtem Aufwand möglich ist. Eingehende SMS werden standardmäßig im Kurzmitteilungseingang des Handys gespeichert und rutschen bei neu hinzukommenden Nachrichten chronologisch nach unten. Wenn es sich nicht gerade um außergewöhnliche SMS handelt, die in Ehren gehalten werden sollen, kommt es in aller Regel nicht zu einer zweiten Lektüre und sie werden spätestens bei überfülltem Handyspeicher gelöscht. Damit werden sie zu kurzzeitigen, nahezu flüchtigen Mitteilungen, die an eine mündliche Kommunikation erinnern lassen. Besonders liebevoll oder kreativ gestaltet ‚Text-Geschenke’ können hingegen über eine lange Zeitspanne hinweg im Speicher überleben und bei Bedarf jederzeit erneut gelesen werden. 3.1.2.3 Weiche Faktoren (l) Diskretheit auf der Seite des Senders möglich Im Unterschied zu einem Telefonat kann das Verfassen und Senden einer SMS lautlos und damit unbemerkt bzw. unaufdringlich für gleichzeitig anwesende Dritte vonstatten gehen. Jedoch lohnt sich in diesem Zusammenhang ein Blick hinter die Kulissen, da man auf den ersten Blick nicht zwangsläufig alle Betrachtungsebenen berücksichtigt, die bei der Frage nach der Diskretheit der SMS-Kommunikation mit einbezogen werden müssen. Der Akt des Verfassens und Sendens kann sich für weit über die Sender-Empfänger-Beziehung hinausgehende Beziehungsrelationen als gesichtsbedrohender FTA im Sinne von Brown/ Levinson erweisen. 181 Ver- 181 Die folgenden Ausführungen sind vor dem Hintergrund des Höflichkeitsmodells von Brown/ Levinson (1987) zu verstehen, was darauf basiert, dass jeder sozial agierende Mensch ein negatives und ein positives Gesicht besitzt (negative and positive face). Beide existieren komplementär zueinander, wobei das negative face als „the basic <?page no="76"?> 76 gleichweise unbedrohlich kann das Kommunizieren in einem anonymen Kontext stattfinden, in dem der Sender in keiner näheren Beziehung zu seinem Umfeld steht. Weder das negative Gesicht der anwesenden Dritten wird durch potenziellen Territoriumsverlust in Form von akustischer Belästigung bedroht, noch das positive Gesicht bzw. das öffentliche Selbstbild des Senders. Er handelt in völligem Respekt zu seinem unmittelbaren Umfeld, erhält dadurch dessen Anerkennung und strahlt zusätzlich nach außen hin aus, dass er über ein intaktes, jederzeit aktivierbares soziales Netzwerk verfügt, das ihm in einsam empfundenen Situationen ein Gefühl der Zugehörigkeit bietet (aus seiner Sicht ein erstrebenswerter Luxus). 182 Entscheidend anders verhält es sich, sobald der Sender einer SMS innerhalb eines ihm bekannten Umfelds aktiv oder passiv in eine Kommunikation eingebunden ist (sei es als reiner Zuhörer oder als gewünscht interaktives Kommunikationsmitglied). Sowohl im privaten als auch im schulischen oder beruflichen Kontext kann das vermeintlich diskrete Verfassen einer Kurzmitteilung eine ernstzunehmende Bedrohung für das negative (und teilweise gleichzeitig das positive) Gesicht der anwesenden Dritten darstellen, denn der SMS-Kommunikator verhält sich durch mangelnde Aufmerksamkeit, fehlende kommunikative Beteiligung und damit geringe Anerkennung der übrigen Anwesenden offensichtlich unkooperativ. Er bringt, ob bewusst oder unbewusst, zum Ausdruck, dass er sich nicht für die Belange der negativen oder positiven Gesichter seines Umfeldes interessiert. Gleichzeitig gefährdet er durch sein auffallend unhöfliches Verhalten sein eigenes positives Gesicht, was gerade bei guten Freunden nicht seinem Bestreben entsprechen kann. Demzufolge bedarf es in solchen Situationen einem beträchtlichen Maß an Sensibilität und Taktgefühl, um claim to territories, personal preserves, rights to non-distraction - i.e. to freedom of action and freedom from imposition” zu verstehen ist und das positive face als „the positive consistent self-image or ‘personality’ (crucially including the desire that this self-image be appreciated and approved of) claimed by interactants“ (ebd., 61, die Konzeption der beiden Begriffe wurde vornehmlich von den durch Goffman (u.a. 1997) geprägten Begriffen „territory“ und „face“ abgeleitet). In der Annahme, dass miteinander Kommunizierende darauf bedacht sind, ihre Gesichter und die des anderen zu bewahren, beschreiben sie so genannte face-threatening acts (bekannt als FTAs), die eine potenzielle Bedrohung für jeweils vorwiegend eines der in der Interaktion relevanten „Gesichter“ darstellt, wobei sie betonen, dass es auch häufig zu Überschneidungen kommen kann. In einem Gespräch zwischen einem Sprecher und einem Hörer sind dementsprechend das negative und positive Gesicht des Sprechers sowie das negative und positive Gesicht des Hörers potenziell bedroht. Die aktive Bedrohung und die damit verbundene Verletzung eines der Gesichter durch einen FTA (etwa eine bedrohliche Aussage oder Handlung im Allgemein) entspricht in ihrem Modell gerade einem Verstoß gegen die Höflichkeit. 182 Ferner werden keine persönlichen und intimen Informationen aus seinem Nahbereich ungewollt in die Öffentlichkeit getragen, wie etwa bei einem mobilen Telefonat, das in akustischer Reichweite von unbekannten Dritten geführt wird. <?page no="77"?> 77 diskret und gleichzeitig höflich eine parallele SMS-Kommunikation führen zu können. Unter Umständen ist sogar eine ausdrückliche Entschuldigung oder Rechtfertigung des Senders vonnöten, die zwar gesichtsbewahrend für sein Umfeld wirkt, jedoch sein eigenes positives Gesicht potenziell bedroht. 183 Für den Initiator einer Kommunikation genügt es darüber hinaus nicht, sein eigenes Umfeld zu beobachten und abzuschätzen, ob der Kommunikationsakt aus seiner Sicht diskret und höflich geschehen kann. Ähnlich wie bei anderen direkten und distanzüberbrückenden Kommunikationsformen sollte er zusätzlich antizipieren, wie es auf den Empfänger wirkt und in welcher Form dessen Umfeld involviert ist. Auf dieser Ebene stellt sich die SMS-Kommunikation als durchaus diskret heraus, da der Sender nicht unmittelbar in das Territorium seines Gesprächpartners eindringt, ihn zu keiner synchronen Reaktion auffordert und damit zunächst keine potenzielle Bedrohung für dessen negative face darstellt (im Unterschied etwa zu einem Anruf). Abgesehen von dem in der SMS vollzogenen Sprechakt, der durchaus gesichtsbedrohend sein kann, bietet sich für den Sender eine Möglichkeit der Informationsübermittlung, die ohne aufdringliche Störung des Empfängers und dessen Umfelds bei deren Aktivität vonstatten gehen kann. Damit schützt der Sender neben seinem positiven Gesicht nicht nur das negative Gesicht des Empfängers bzw. das seines Umfelds, sondern zusätzlich dessen positives Gesicht, da es ihn vor peinlichen Anrufen oder klingelnden Handys in unpassenden Momenten bewahrt. (m) Diskretheit auf der Seite des Empfängers möglich Wenngleich das Handy an sich ein aufdringliches Medium ist, das eng am Körper getragen wird und jederzeit unmittelbar in den persönlichen Nahbereich einzugreifen droht, ermöglicht es in Bezug auf die SMS- Kommunikation grundsätzlich die Wahl zwischen lautem, lautlosem oder gar keinem SMS-Empfang (bei ausgeschaltetem Handy). Damit kann der Empfänger bestimmen, ob er und sein Umfeld von einer eingehenden Kurzmitteilung in Kenntnis gesetzt bzw. von ihr gestört werden oder nicht. Allgemein sollte man sich auch hier vor der Annahme hüten, dass mit der möglichen Geräuschlosigkeit des Empfangens und Lesens schon Unaufdringlichkeit und Rücksichtnahme in Bezug auf anwesende Dritte einhergeht, da selbst das leise Lesen einer SMS in kleiner Runde als störend und damit bedrohender FTA empfunden werden kann. Dementsprechend muss nicht nur vom Sender die Verfügbarkeit des Empfängers antizipiert 183 Ob bzw. ab wann die öffentliche oder private Nutzung des Handys allgemein als FTA anzusehen ist, hängt selbstverständlich von den geltenden soziokulturellen Konventionen und den darin ausgehandelten Bereichen ab, die jeweils zum persönlichen Territorium gehören und damit potenziell einer Bedrohung ausgesetzt sind oder eben nicht (etwa im Wartezimmer oder in öffentlichen Verkehrsmitteln). <?page no="78"?> 78 werden, sondern auch der Empfänger muss abwägen, ob die stille Teilnahme an der SMS-Kommunikation eine potenzielle Bedrohung für sein positives Gesicht bzw. die Gesichter der anderen darstellt. Die Option des freien Entscheidens über die persönliche Disponibilität besteht analog bei eingehenden mobilen Telefonaten jedoch mit dem Unterschied, dass sich für den Sender nichts an der Art der Kommunikation verändert. Werden Anrufende aufgrund von Nicht-Erreichbarkeit des gewünschten Gesprächspartners auf die Mailbox weitergeleitet, müssen sie ihre kommunikative Absicht mittels anderer Versprachlichungsstrategien als im direkten Gespräch zum Ausdruck bringen (allein der Faktor der ‚ungebetenen’ Asynchronizität nimmt entscheidenden Einfluss). 184 Der Sender einer SMS hingegen hat bereits beim Verfassen des Textes einkalkuliert, dass der Empfänger seine Botschaft theoretisch zwar jederzeit an seinem kommunikativ erreichbaren Aufenthaltsort erhalten kann, dass ihm aber gleichzeitig ein gewisser Spielraum hinsichtlich Rezeptionszeitpunkt, Antwortzeit und Antwortmedium zugestanden werden muss. Die Kenntnis über eine eingegangene Kurzmitteilung impliziert nicht zwangsläufig das unmittelbare Lesen der Nachricht und schon gar nicht eine zeitnahe (geschweige denn synchrone) Reaktion. Damit wird dem Empfänger ein Stück geschützte Privatsphäre zugesichert 185 und es liegt in seiner Verantwortung, wann er das in seinen persönlichen Nahbereich geschickte „SMS- Paket“ per Knopfdruck öffnet bzw. ob und wann er darauf reagiert. 186 Vor diesem Hintergrund kann die Kommunikationsform auch als Möglichkeit betrachtet werden, auf diskrete, d.h. für das negative face des Empfängers unbedrohliche Art dessen Erreichbarkeit zu überprüfen. (n) Bekannte bis sehr vertraute Kommunikationspartner Wie die Ausführungen in Kap. 2 gezeigt haben, ist die SMS-Kommunikation inzwischen in weite Schichten der Gesellschaft vorgedrungen und zeichnet sich durch vielseitige Anwendungsbereiche aus, die ständig an Komplexität hinzugewinnen. Bis auf wenige Ausnahmen, darunter SMS- Gewinnspiele, Abfragen von SMS-Diensten oder Informationsaustausch mit Kommunen bzw. Radiosendern, findet sie unter sich zumindest persönlich bekannten, wenn nicht sogar gut befreundeten Kommunikationspartnern statt, die dem sozialen Nahraum des jeweils anderen angehören. 184 Eine detaillierte Analyse des Sprachproduktionsprozesses im Fall eines Anrufbeantworters liefern Jakobs/ Merker-Melcher (2004). 185 Vgl. dazu auch Döring (2002b, 17). 186 Der zugestandene Reaktionsspielraum in Bezug auf gesendete SMS ist allerdings nicht immer groß. Aus den Fragebögen geht hervor, dass zwei Drittel der Befragten bereits innerhalb von zehn Minuten eine Antwort erwarten bzw. dass die Hälfte der Befragten nach zwei Stunden bereits nicht mehr mit einer Reaktion rechnet. Nähere Angaben zu den Fragebögen vgl. Kap. 4.2. <?page no="79"?> 79 Obgleich sich SMS auch im beruflichen Kontext bis zu einem gewissen Grad als legitimer Kommunikationsweg durchsetzen konnten (etwa für die Kommunikation zwischen Sekretärin und Chef), scheinen sich hier zwecks effizienter Kommunikation vermehrt funktionierende E-Mail-Systeme über mobile Multifunktionsgeräte durchzusetzen, die eine Überwindung der begrenzten Datenübertragungskapazität ermöglichen. 187 Auch die Interaktion zwischen Privatpersonen und öffentlichen Stellen wie Schulen oder Arztpraxen, deren Vertretern man zwar persönlich schon begegnet ist, das Verhältnis jedoch einseitig beruflich und damit relativ distanziert bleibt, stellt bei der SMS-Kommunikation (noch) eine Randerscheinung dar. 188 Folglich findet ein Großteil der SMS-Kommunikation im privaten Bereich statt und die häufig wiederkehrenden Kommunikationspartner beschränken sich in der Regel auf einen recht kleinen Kreis sich bereits im Vorfeld persönlich nah stehender und vertrauter Personen. 189 Allerdings sollte in diesem Zusammenhang bemerkt werden, dass der Aspekt der Vertrautheit unter den Kommunikationspartnern durchaus zweischneidig ist, denn einerseits setzt der Rückgriff auf SMS-Kommunikation ein gewisses Minimum an Vertrautheit unter den Kommunikati- 187 Die Firma Blackberry beispielsweise stellt mit ihren Geräten und deren Betriebssystemen bereits seit geraumer Zeit eine mobile und funktionierende Teilnahme am E- Mail-Verkehr zur Verfügung. 188 Es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, dass sich diesbezüglich in den nächsten Jahren bzw. Jahrzehnten ein Vorzeichenwechsel vollziehen wird. Gut zwei Drittel der 126 an der Umfrage im Frühjahr 2008 teilgenommenen Befragten zwischen elf und 28 Jahren (nähere Angaben vgl. Kap. 4.3) haben das Versenden einer SMS an einen Arzt oder einen Lehrer nicht explizit ausgeschlossen. Das übrige Drittel hat neben Ärzten und Lehrern unter anderem auch die Eltern von Freunden oder Vorgesetzte als mögliche Kommunikationspartner ausgeschlossen bzw. solche, die die Kommunikationsform offensichtlich nicht beherrschen (z.B. Großeltern). Sicherlich wird damit von einem kleineren Teil der Nutzergruppe die jeweils bestehende soziale (oder berufliche) Hierarchie sowie die damit einhergehende Distanz bzw. Nähe zum entsprechenden Kommunikationspartner noch respektiert, jedoch gilt das nicht für die Mehrheit der Befragten. Gut ein Sechstel geben sogar an, dass sie ihre Handynummer an jede beliebige Person weitergeben würden, so dass selbst eine SMS-Kommunikation mit Unbekannten offensichtlich nicht als bedrohlich empfunden wird. Insgesamt weist das untersuchte Datenmaterial jedoch darauf hin (ähnlich wie in anderen Studien auch), dass Kurzmitteilungen zwischen Unbekannten bzw. zwischen Privatpersonen und Vertretern einer öffentlichen Institution, wenn überhaupt, nur eine marginale Rolle spielen. 189 Hierin besteht einer der maßgeblichen Unterschiede zur Chat-Kommunikation, denn dort herrscht Anonymität, die ein risikoloses Experimentieren mit sozialen Rollen, Konventionen und Sanktionen ermöglicht. Zwar weisen Kasesniemi/ Rautiainen (2003, 302f.) darauf hin, dass man auch im Rahmen der SMS-Kommunikation eine „extrovertierte SMS-Identität“ bei gleichzeitig eher schüchterner, realweltlicher Identität beobachten kann, jedoch bezieht sich diese Beobachtung primär auf Jugendliche. Ihrer Meinung nach dient ein solches Vorgehen als Strategie, um via SMS das auszudrücken, wofür einem im wirklichen Leben der Mut fehlt. <?page no="80"?> 80 onspartnern voraus (zumindest noch, vgl. die obigen Ausführungen), andererseits insinuiert er ein bereits bestehendes Bekanntheits- und Vertrauensverhältnis, das nicht zwangsläufig auf Gegenseitigkeit beruht und deshalb als aufdringliches Eindringen in den persönlichen Nahbereich empfunden werden kann. (o) Geringer bis mittlerer Planungsgrad Angelehnt an den von Koch/ Oesterreicher geprägten Aspekt des Planungsgrads bezieht sich der Untersuchungsschwerpunkt primär auf die konzeptionelle Ebene des Textes, wobei inzwischen nicht nur rein stilistische Faktoren zu betrachten sind, sondern auch graphostilistische Besonderheiten bezüglich der Kodierung im langage SMS. Im Allgemeinen zeichnen sich SMS-Texte durch einen eher geringen Planungsgrad aus, was nicht zuletzt in deren linearer und aggregativer Gestaltung sowie deren Prozesshaftigkeit bzw. relativer Vorläufigkeit innerhalb von SMS-Dialogen zum Ausdruck kommt. In vielen Fällen erinnern die einzelnen Nachrichten an entsprechende Beiträge aus phonisch realisierten Gesprächen und weisen ähnliche Versprachlichungsstrategien auf, allerdings mit der Einschränkung, dass es sich jeweils nur um relativ kurze Beiträge handelt. 190 Theoretisch findet vor Beginn der Texteingabe eine gewisse Vorkonzeption statt, die im Hinblick auf die zur Verfügung stehenden 160 Zeichen unter Umständen einen erhöhten Planungsaufwand erfordern kann. Diesbezüglich weist die in den untersuchten Daten festgestellte Durchschnittslänge von nur 92 Zeichen pro SMS grundsätzlich darauf hin, dass sich ein Großteil der Kommunizierenden sehr gut mit der potenziellen Einschränkung arrangiert hat und sie bei der Textplanung intuitiv und ohne großen Zeitaufwand mit einbezieht. Abweichungen davon können sich etwa in Abhängigkeit von der Routine des Verfassers oder dem verfolgten Kommunikationszweck ergeben, denn emotionale „Liebes-SMS“ mit teils poetischen Stilelementen sind sicherlich planungsaufwendiger als rein funktionale, praktisch angelegte SMS-Texte. Hinzu kommt die graphostilistische Gestaltungsebene, d.h. die Wahl einer konkreten Verschriftung der Nachricht, die den Planungsgrad zusätzlich erhöhen kann. In welcher Form das geschieht und welche Einflussfaktoren dabei unter anderem relevant wer- 190 SMS-Texte weisen viele der typischen lexikalischen und grammatischen Merkmale konzeptioneller Mündlichkeit auf, wie etwa jugendsprachliche oder umgangssprachliche Wendungen, Anglizismen, Interjektionen, reduzierte Verneinungen, Ausfall von Subjektpronomen, Intonationsfragen, Topikalisierungen, etc. Im folgenden Abschnitt werden sie nochmals kurz thematisiert, wobei darauf hingewiesen sei, dass sie nicht den Untersuchungsschwerpunkt dieser Arbeit darstellen. Ihr Auftreten wird später vielmehr als sich aus den kommunikativ-relevanten Faktoren der SMS- Kommunikation ergebende Eigenschaft von SMS-Texten behandelt. <?page no="81"?> 81 den, wird ein Untersuchungsschwerpunkt der folgenden Kapitel darstellen. (p) Vermittelte, teilweise inszenierte Spontaneität Aufgrund des asynchronen Charakters und der physischen Distanz der Kommunikationspartner ist eine spontane Reaktion auf Inhalte der Kommunikation nur in begrenztem Maß möglich. Anders als in der direkten Kommunikation lässt sich ein spontaner Ausruf nur zeitversetzt und vermittelt übersenden. Dadurch geht ein erheblicher Teil an tatsächlicher Spontaneität verloren, zumal der Sender einige der schriftlich zum Ausdruck gebrachten Reaktionen real nicht unbedingt zeigt und sie damit nur typographisch inszeniert (ein Lachen oder einen Ausruf). 191 Dennoch wird dank der schnellen Übermittlungszeit eine recht zeitnahe Reaktion ermöglicht, die im Vergleich zu traditioneller Schriftkommunikation von einem nicht zu verachtenden Maß an Spontaneität geprägt sein kann und sich um Mündlichkeit bemüht, ohne den Verfasser zugleich unter Zeitdruck zu setzen (wie es etwa bei der quasi-synchronen Chat-Kommunikation häufig der Fall ist). Dem Verfasser wird ein flexibler Reaktionsspielraum zugestanden, so dass sich eine Art Reflektiertheit innerhalb der vermittelten Spontaneität ergeben kann. 192 Das Resultat kann ein höherer Grad an Schlagfertigkeit, Humor oder Sprachgewandtheit sein bzw. bei ernsteren Gesprächsthemen entsprechend ein höherer Grad an Diplomatie und Feingefühl, jedoch ist das nicht zwangsläufig der Fall. Hieran wird deutlich, dass Spontaneität und Planungsgrad in enger Relation zueinander stehen und man vereinfacht sagen könnte: je spontaner eine Kurzmitteilung verfasst wird desto weniger hoch ist der Planungsgrad und je reflektierter die Nachricht zustande kommt desto elaborierter ist sie stilistisch gestaltet. Hohe Spontaneität, geringer Planungsgrad und vor allem Vertrautheit der Kommunikationspartner können ferner eine hohe emotionale Beteilung nach sich ziehen, die sowohl auf den Inhalt (Expressivität und „Involvement“ 193 ) als auch auf die Beziehung zum Kommunikationspartner (Affektivität) zurückgehen kann. Jedoch ist auch das nicht als logische Folgerung aus den genannten Komponenten zu verstehen, sondern vielmehr bilden letztere, gemeinsam mit anderen Faktoren wie dem Kommunikationszweck, begünstigende Rahmenbedingungen, die das Hervorbringen von 191 Vgl. dazu Gauducheau/ Marcoccia (2007c). 192 Vgl. dazu auch Androutsopoulos/ Schmidt (2002, 75): „Medial schriftliche Medienkommunikation, sei es E-Mail, Chat oder SMS, bietet zudem die Möglichkeit einer Überlegtheit innerhalb der Spontaneität, da die Interaktanten grundsätzlich mehr Zeit zur Ausformulierung ihrer Beiträge haben als bei direkter mündlicher Kommunikation.“ 193 Zum Begriff involvement vgl. Koch/ Oesterreicher (1985, 23). <?page no="82"?> 82 emotional markierten Äußerungen in SMS-Texten wahrscheinlicher werden lassen (nähere Ausführungen dazu vgl. insbesondere in Kap. 6). Betrachten wir abschließend einen Überblick der harten, flexiblen und weichen Faktoren: Kommunikativ-relevante Faktoren der SMS-Kommunikation Harte Faktoren Sprachliche Repräsentationsform schriftlich Zeitlichkeit asynchron Kommunikationsrichtung dialogisch Umfang der Kommunikationschritte stark begrenzt Modalitäten zur Produktion der sprachlichen Zeichen Kodierung über eine Miniaturtastatur Interaktivität eingeschränkt möglich Flexible Faktoren Mobilität permanent verfügbar kommunikative Reichweite privat Räumliche Konstellation physische Distanz Situations- und Handlungseinbindung eingeschränkt möglich Referenzbezug eingeschränkt möglich Verdauerung kurzzeitig Weiche Faktoren Performanz des Kommunikationsaktes auf der Seite des Senders Diskretheit möglich Performanz des Kommunikationsaktes auf der Seite des Empfängers Diskretheit möglich Vertrautheit der Kommunikationspartner bekannt bis sehr vertraut Planungsgrad zumeist gering bis mittel, selten hoch Spontaneität vermittelt (inszeniert) Es stellt sich heraus, dass die verschiedenen Faktoren auf sehr unterschiedlichen Ebenen kommunikative Auswirkungen zeigen. Während einige bereits auf den Auswahlprozess der Kommunikationsform als geeigneten Weg für das bestehende Kommunikationsbedürfnis Einfluss nehmen, wirken andere eher auf konzeptioneller bzw. graphostilistischer Gestaltungsebene. Anhand der bisherigen Ausführungen ist die tatsächliche Reichwei- <?page no="83"?> 83 te der Einflussnahme nur schwer vorstellbar, da die obigen Darstellungen recht allgemein gehalten sind und kaum konkrete Beispiele enthalten. Erst die Detailanalyse der SMS-Texte wird verdeutlichen, dass nicht nur sprachliche, sondern auch kommunikativ-funktionale Eigenschaften immer wieder auf wenigstens einen der beschriebenen Faktoren zurückgeführt werden können. Für sich betrachtet stellt keiner der charakteristischen Faktoren eine so entscheidende Neuheit im Vergleich zu anderen Kommunikationsformen dar, dass er allein als Ursprung für den beachtlichen Erfolg der SMS- Kommunikation herangezogen werden könnte. Worin liegt nun aber der Grund für deren besonderen Erfolg? Betrachtet man die Entwicklungsrichtung digitaler Kommunikationsmedien und die sich daraus ergebenden Kommunikationsformen, so scheint eine unermüdliche Motivation zu existieren, ein möglichst getreues Abbild direkter Kommunikation mit all ihren charakteristischen Eigenschaften auch über die Distanz hinweg zu schaffen. Insbesondere im Bereich privater Kommunikation scheint ein Maximum an kommunikativer Nähe, unter anderem gekennzeichnet durch Synchronizität, hohe Situations- und Handlungseinbindung, häufige Referenzbezüge, physische Nähe der Kommunikationspartner, hohen Kooperationsgrad, Dialogizität, Spontaneität, freie Themenentwicklung, etc. auf den ersten Blick sehr erstrebenswert zu sein. Es bleibt jedoch stark zu bezweifeln, dass ein ständiger Zugang zu all diesen Aspekten tatsächlich im Interesse der Kommunizierenden liegt, denn sie bergen erhebliche Zwänge und Gefahren. Der synchrone Charakter etwa erfordert von den Kommunikationspartnern stets eine unmittelbare Reaktion, die ungefiltert und direkt zugänglich ist. Hinzu kommt die physische Nähe, die zwar Zugang zur nonverbalen und paraverbalen Informationsebene bietet, jedoch zugleich potenzielle Bedrohungen für das persönliche Territorium impliziert. Ein traditionelles Mittel gegen diese Art von Gefahren der Nähekommunikation bietet sich in der Schrift. Sie ermöglicht physische Distanz und ist asynchron, d.h. sie bietet die Möglichkeit der Reflektiertheit, ohne dass die unmittelbare Reaktion direkt zugänglich wäre. Zudem ist sie tendenziell langlebig und stellt keine unmittelbare Bedrohung für den persönlichen Nahbereich dar. Allerdings verwehrt sie sich im traditionellen Sinn wesentlichen Eigenschaften der angestrebten kommunikativen Nähe, unter anderem bedingt durch ihre Situations- und Handlungsentbindung, die fehlenden Bezugsmöglichkeiten oder auch die fehlende Kooperationsmöglichkeit. Genau vor diesem Zwiespalt ist nun das durchgreifend Neue der SMS- Kommunikation zu sehen, denn sie bietet als Schriftkommunikation die Möglichkeit der Distanz und der Asynchronizität unter gleichzeitiger Gewährleistung wesentlicher Aspekte der Nähekommunikation. Mit der se- <?page no="84"?> 84 kundenschnellen Übertragung einer Kurzmitteilung in den unmittelbaren Nahbereich des Kommunikationspartners kann sich der Verlauf der Kommunikation an Quasi-Synchronizität annähern und ermöglicht zügige Dialogwechsel, vermittelte Interaktivität im Sinne von kooperativer Inhalts- und Themenentwicklung, Referenzbezüge, inszenierte Spontaneität und hohe emotionale Beteiligung. Darüber hinaus verläuft die Kommunikation ohne potenzielle Gefahren für das persönliche Territorium, denn Kurzmitteilungen werden zwar direkt in den Nahbereich des Kommunikationspartners geschickt, allerdings geschieht das auf diskrete Art und Weise. Der Empfänger wird nicht etwa durch eindringende Perzeption gestört oder bedroht, sondern erhält die Botschaft zeitversetzt und lautlos. Daraus ergeben sich beidseitig Vorteile, denn aus Sendersicht kann der gewünschte Adressat unmittelbar erreicht werden, ohne jedoch in direkten Kontakt mit ihm treten zu müssen und aus Empfängersicht kann die Kurzmitteilung schlichtweg entgegengenommen werden, ohne gleichzeitig seine Erreichbarkeit oder eine Reaktion preisgeben zu müssen. Zuvor war es nur schwer möglich, direkt in den kommunikativen Nahbereich des Partners einzudringen, ohne eine potenzielle Gesichtsbedrohung zu bewirken. SMS- Kommunikation bietet diese Möglichkeit, orts- und zeitungebunden. Es ist wie ein Spiel mit dem Feuer: der Emittent wagt sich ohne Erlaubnis auf ‚sehr heißes Gebiet’, ist jedoch von einer Schutzhülle umgeben, die sowohl ihn selbst als auch den Rezipienten vor direktem, womöglich herausforderndem und bedrohlichem Kontakt schützt. Geboren ist damit eine Art diskrete Aufdringlichkeit, die jederzeit mobil verfügbar ist. 3.2 SMS-Kommunikation zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit Das besondere Zusammenspiel aus schriftlicher Realisierungsform und konzeptioneller Mündlichkeit, wie wir es bei der SMS-Kommunikation und, in etwas anderer Form, im Bereich der privaten quasi-synchronen Computerkommunikation vorfinden, hat in sprachwissenschaftlichen Untersuchungen schon zu einer ganzen Reihe von illustrativen Beschreibungen geführt: „konzeptioneller ‚Hybrid’“ (Beißwenger 2000, 44), „So-tun-alsob“ (Rosenau 2001, 9), oder „Zwitter“ (Meise-Kuhn 1998, 213) sind nur wenige davon. Ferner wurde die verwendete Sprache als „Sondersprache des Internets“ (Haase et al. 1997, 53), „vermündlichte Schriftlichkeit“ (Schmidt 2000, 126) oder aber „geschriebene Mündlichkeit“ (Kilian 2001, 61) bezeichnet, ohne gleichzeitig allgemeingültige und stichhaltige Erklärungsansätze für das Auftreten der jeweils kennzeichnenden sprachlichen Merkmale zu liefern. Indes scheint ein neues materiell schriftliches, das heißt aus graphischen Sprachzeichen bestehendes Varietätenspektrum entstanden zu sein, das bislang noch nicht zufriedenstellend in ein allgemeines, <?page no="85"?> 85 den digitalen Kommunikationsformen gerecht werdendes Kommunikationsmodell eingegliedert worden ist. Die Tatsache, dass einerseits altbekannte Eigenschaften konzeptioneller Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit innovativ kombiniert werden, andererseits in Anpassung an die technischen Rahmenbedingungen des Kommunikationsmediums neuartige sprachliche Merkmale entstanden sind, die konzeptionell weder als typisch mündlich noch als typisch schriftlich klassifiziert werden können, stellt dabei sicherlich eine der entscheidenden Hürden dar. Vor diesem Hintergrund wird es im folgenden Abschnitt darum gehen, die konkreten sprachlichen Besonderheiten, die sich in französischen SMS- Texten beobachten lassen, überblickartig vorzustellen und in einen geeigneten kommunikationstheoretischen Rahmen zu fassen. Ausgangspunkt wird dabei das bereits mehrfach erwähnte, sehr differenzierte und wohl am meisten erfolgsversprechende Kommunikationsmodell von Koch/ Oesterreicher sein. 194 Es stellt nicht nur eine fundierte Behandlung der bereits verwendeten Begriffe ‚Mündlichkeit’ und ‚Schriftlichkeit’ bzw. ‚kommunikative Nähe’ vs. ‚Distanz’ sicher, sondern ermöglicht zudem eine erste Grobeinschätzung der zu erwartenden sprachlichen Merkmale im Spannungsfeld zwischen Nähe und Distanz. Trotz der Entstehungszeit des Modells weit vor dem Durchbruch digitaler Kommunikationsformen wird es auch in jüngeren Arbeiten noch häufig für die Klassifizierung des in deren Rahmen untersuchten Sprachgebrauchs herangezogen. Seine Zweckdienlichkeit gilt als weitgehend unbestritten und in einigen Kreisen hat es durchaus Grundlagenstatus erreicht. 195 Inzwischen wurde jedoch mehrfach seine Unzulänglichkeit insbesondere für die digitalen Kommunikationsformen und deren sprachlichen Charakteristika bemängelt, obgleich es nach wie vor an einer ähnlich weitreichenden und ergiebigen Alternative fehlt. 196 Auch in Bezug auf die SMS- Kommunikation wird sich herausstellen, dass die konkrete Einstufung der Kommunikationsform innerhalb des Modells einige Problembereiche aufwirft. Um die bestehenden Schwachstellen detailliert aufzeigen zu können, werden im Anschluss an eine kurze Erinnerung an die Grundzüge des Modells die in den SMS-Texten auftretenden, sprachlichen Besonderheiten auszugsweise dargestellt und im Rahmen des Modells zu erfassen versucht. Ziel dabei ist es, zu einer modifizierten und erweiterten Version zu gelangen, die den Herausforderungen der digitalen Schriftlichkeit gerecht werden kann und eine angemessene Positionierung der SMS-Kommunika- 194 Vgl. unter anderem Koch/ Oesterreicher (1985; 1990; 1994). 195 Vgl. Dürscheid (2003, 37). Zu den bezugnehmenden Arbeiten gehören beispielsweise Bader (2001), Frehner (2008), Frank-Job (2008), Maiworm (2003), Storrer (2001), Thaler (2003). 196 Vgl. dazu etwa Dürscheid (2003, 2004) Dürscheid/ Brommer (2009), Frehner (2008), Frank-Job (2008), Androutsopoulos (2007), etc. <?page no="86"?> 86 tion zwischen kommunikativer Nähe und Distanz ermöglicht. Die bereits zuvor dargelegten kommunikativ-relevanten Faktoren werden einen entscheidenden Beitrag dazu leisten. 3.2.1 Das Modell von Koch/ Oesterreicher Ausgehend von der Beobachtung, dass Sprache diverse stilistische Varietäten besitzt und sprachliche Äußerungen ganz verschiedenartige Formen annehmen können, haben sich Koch/ Oesterreicher um eine systematische Klassifizierung von Sprache anhand konkreter Parameter bemüht. Hierfür unterscheiden sie zunächst grundsätzlich zwischen „Medium“ und „Konzeption“, wobei sie ersteres ausschließlich auf die Realisierungsform der Äußerung beziehen (phonisch vs. graphisch), letzteres auf den in der Äußerung gewählten sprachlichen Duktus (gesprochen vs. geschrieben). 197 Handelt es sich bei dem ersten Gegensatzpaar „medialer“ Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit um eine strikte Dichotomie, fassen Koch/ Oesterreicher die zweite Gegenüberstellung „konzeptioneller“ Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit als ein Kontinuum zwischen zwei extremen Ausprägungen auf, wovon sich die eine durch den größten Grad an Informalität auszeichnet (Pol der „kommunikativen Nähe“), die andere hingegen durch den größten Grad an Formalität (Pol der „kommunikativen Distanz“). Gleichzeitig betonen sie die starken „Affinitäten, die einerseits zwischen dem allein schon materiell ‚verdinglichenden’ graphischen Medium und konzeptioneller Schriftlichkeit (Distanz), andererseits zwischen dem materiell ‚flüchtigen’ phonischen Medium und konzeptioneller Mündlichkeit (Nähe) bestehen“. 198 Um konkrete Äußerungsformen relativ zueinander in dem „Nähe- Distanz-Kontinuum“ einordnen zu können, nennen sie ferner konstitutive Bedingungen, die größtenteils gradueller Natur sind und in ihren extremen Ausprägungen gerade die Kommunikationssituation der „Nähesprache“ bzw. „Distanzsprache“ charakterisieren. Zu diesen kommunikativen Parametern zählen sie unter anderem Privatheit bzw. Öffentlichkeit des Kommunikationsgeschehens, Vertrautheit bzw. Fremdheit der Kommunikationspartner, Situations- und Handlungseinbindung bzw. -entbindung oder auch raumzeitliche Nähe bzw. Distanz der Kommunikationspartner (vgl. dazu weiter unten). Die konstitutiven Bedingungen setzen Koch/ Oesterreicher, je nach Variation, in enge Verbindung mit bestimmten 197 Damit unterscheidet sich ihre Auffassung von Medium entscheidend von dem in dieser Arbeit zugrunde gelegten Begriffverständnis, das Medium als technisches Hilfsmittel zur Speicherung und Übertragung von sprechbzw. schriftsprachlichen Zeichen auffasst (vgl. Kap. 1.1). Sollte im Folgenden an bestimmten Stellen das Medienverständnis von Koch/ Oesterreicher gemeint sein, wird explizit darauf hingewiesen. 198 Vgl. Koch/ Oesterreicher (1990, 12). <?page no="87"?> 87 Versprachlichungsstrategien, da die Kommunizierenden mit einem an die außersprachliche Kommunikationssituation angepassten sprachlichen Verhalten reagieren. Das „Nähesprechen“ etwa als Folge nähesprachlicher Kommunikationsbedingungen stützt sich stärker auf die verschiedenen Kontexttypen und kennzeichnet sich durch geringe Planung bzw. sparsame Sprachgestaltung. Die universalen Kommunikationsbedingungen und Versprachlichungsstrategien ziehen schließlich je nach Konstellation gewisse sprachliche Merkmale nach sich, die einzelsprachlich zu betrachten sind und den eingangs angeführten Varietätenreichtum hervorrufen. Damit stellen Koch/ Oesterreicher ein gut handhabbares Instrumentarium an kommunikativen Parametern für die Erfassung stilistischer Vielfalt zur Verfügung und betonen gleichzeitig, dass mit medialer Schriftlichkeit nicht schon automatisch konzeptionelle Schriftlichkeit einhergehen muss, jedoch eine gewisse Affinität zwischen ihnen besteht. 3.2.2 SMS-Kommunikation im Modell von Koch/ Oesterreicher Bemüht man sich um eine Positionierung der SMS-Kommunikation im Rahmen des Modells, wird man unmittelbar mit den vielseitigen Einsatzmöglichkeiten der Kommunikationsform konfrontiert, die einer eindeutigen, möglichst allgemeingültigen Beurteilung der Kommunikationsbedingungen hinsichtlich Nähe/ Distanz entgegenstehen. Eine „Urlaubsgruß- SMS“ unter Freunden beispielsweise zeichnet sich nicht zwangsläufig durch dieselbe emotionale Beteiligung aus wie eine „Liebesgruß-SMS“ unter Verliebten. Die vielen Variationsmöglichkeiten ergeben sich nicht zuletzt aus den verschiedenen Verfasserprofilen und den flexiblen bzw. weichen Faktoren, die im vorherigen Abschnitt beschrieben wurden. Demzufolge erscheint es problematisch, ‚die SMS’ als allgemeingültigen Vertreter der Kommunikationsform im Nähe/ Distanz-Kontinuum lokalisieren zu wollen und nicht etwa bestehende, besser ausdifferenzierte Unterkategorien. 199 Dennoch eignet sich das Modell ungeachtet seiner bestehenden Schwachstellen, die später noch ausführlich erläutert werden, sehr gut als erste 199 Dürscheid (2003, 11) hebt in diesem Zusammenhang den Unterschied zwischen Kommunikationsform einerseits und Textsorte bzw. Diskursart andererseits hervor und betont in Bezug auf das Modell von Koch/ Oesterreicher: „Eingeordnet werden können nur Textsorten bzw. Diskursarten, nicht aber Kommunikationsformen. […] Mit anderen Worten: Die beiden Textsorten, E-Mail-Liebesbrief und E-Mail- Geschäftsbrief, können im Kontinuum von Mündlichkeit und Schriftlichkeit relativ zueinander positioniert werden, nicht aber die E-Mail als solche“. Ob es sich in unserem Fall bei den einzelnen Kurzmitteilungen um Textsorten oder um Diskursarten handelt, spielt dabei zunächst keine Rolle (Androutsopoulos/ Schmidt (2001) sprechen in diesem Zusammenhang von „kommunikativen Gattungen“, nähere Ausführungen dazu vgl. Kap. 6.1 „Die SMS zwischen Textlinguistik und Gesprächsanalyse“). <?page no="88"?> 88 Orientierungshilfe hinsichtlich der zu erwartenden sprachlichen Merkmale in SMS-Texten, so dass wir in Bezug auf einige Kommunikationsbedingungen prototypische Annahmen anstellen werden, um in dem Bewusstsein eines gewissen Maßes an Vagheit dennoch zu einer Grobeinschätzung zu gelangen. Sie wird für das weitere Vorgehen, insbesondere für die überblickartige Darstellung der sprachlichen Besonderheiten, durchaus aufschlussreich sein und veranschaulicht zudem die Funktionsweise des Modells. Konkret ergibt sich unter Berücksichtigung gewisser Spielräume für die privat-informelle SMS-Kommunikation unter sehr guten Freunden folgendes konzeptionelle Relief. Distanzpol Nähepol Öffentlichkeit ● Vertrautheit ● Emotionale Beteiligung ● Situations- und Handlungseinbindung ● Referenzbezug ● physische Distanz ● Grad der Kooperation ● Dialogizität ● Spontaneität ● Themenentwicklung ● Offensichtlich finden wir ein sehr heterogenes konzeptionelles Relief vor, das sowohl aus Merkmalen der kommunikativen Nähe als auch aus Eigenschaften der kommunikativen Distanz konstituiert ist. Insgesamt scheint die SMS-Kommunikation dem Nähepol jedoch wesentlich näher zu stehen als dem Distanzpol und es fällt auf, dass dieses uneinheitliche Profil primär aufgrund der physischen Distanz zwischen den Kommunikationspartnern zustande kommt. Eingeschränkte Situations- und Handlungs-einbindung, eingeschränkte referentielle Bezugsmöglichkeit, vermittelte Kooperation und inszenierte Spontaneität hängen eng mit der räumlichen Distanz zusammen und können nur dank der schnellen Übertragung und des relativ großen gemeinsamen Wissenskontexts bzw. des sprachlichen Kontextes teilweise in Richtung Nähekommunikation kompensiert werden. Haben Koch/ Oesterreicher den Nähepol aufgrund hoher sozialer, referentieller und physischer Nähe als solchen benannt, finden wir in diesem Fall hohe soziale Nähe in Kombination mit physischer Distanz vor, im Rahmen derer mittels der technischen Gegebenheiten dennoch eine indirekte referentielle und kooperative Nähe gewährleistet wird. Folglich kann die raumzeitliche <?page no="89"?> 89 Trennung in begrenztem Maß durch eine Art medial vermittelte Nähe überbrückt werden. Die damit einhergehenden Versprachlichungsstrategien sind in der Regel von einer nicht zu verachtenden kontextuellen Stützung, einem zumeist geringen Planungsgrad sowie recht hoher Prozesshaftigkeit und Vorläufigkeit geprägt. Damit sind sie eindeutig dem Bereich des Nähesprechens zuzuordnen und müssten folgerichtigerweise sprachliche Merkmale bedingen, die sich durch eine beachtliche Informalität auszeichnen, die bestehende soziale Nähe bestärken bzw. sie als Ausgleich für die physische Distanz zusätzlich ausbauen, die abwesenden sprachlichen Gestaltungsebenen der mündlichen Konversation wie Gestik, Mimik oder prosodische Merkmale in irgendeiner Form kompensieren und die bestehenden situativen oder kontextuellen Bezugsmöglichkeiten optimal ausnutzen. Allerdings wurde eine entscheidende Eigenschaft der SMS-Kommunikation bislang außer Acht gelassen: es handelt sich eindeutig um Schriftkommunikation. In den Worten von Koch/ Oesterreicher ist sie folglich als medial schriftlich und konzeptionell mündlich einzustufen, eine Kombination, die in dem Modell zwar theoretisch vorgesehen ist, praktisch indes als Ausnahme behandelt wird. Koch/ Oesterreicher insistieren auf den Affinitäten zwischen schriftlicher Realisierung und Distanzsprache bzw. mündlicher Realisierung und Nähesprache. Dementsprechend vermag ihr Modell die SMS-Kommunikation und die darin zu erwartenden sprachlichen Ausdrucksmittel nur sehr bedingt abzubilden, da die von ihnen unterstellten Affinitäten von der Kommunikationsform durchbrochen werden. Kurzmitteilungen bieten die Möglichkeit der Nähekommunikation im Bereich der Schriftlichkeit. Vor diesem Hintergrund stellt sich nun die Frage nach den konkreten sprachlichen Ausdrucksmitteln, die sich im Rahmen der unlängst noch wenig verbreiteten Kombination ergeben: werden vollkommen neuartige sprachliche Gestaltungsressourcen entwickelt oder wird sich an bekannten Äußerungsformen orientiert und falls Letzteres der Fall sein sollte, schöpfen sie tatsächlich vornehmlich aus dem Bereich der Nähesprache oder lässt sich ebenso eine gewisse Einflussnahme der Distanzsprache erkennen? Um dem nachgehen zu können, sollen im Folgenden die sprachlichen Besonderheiten auszugsweise vorgestellt werden mit dem Ziel, einen Gesamtüberblick zu erhalten und speziell diejenigen Äußerungsformen etwas genauer zu analysieren, die im Modell von Koch/ Oesterreicher unzureichend oder gar nicht erfasst werden können und insofern konkrete Ansatzpunkte für notwendige Verbesserungen an dem Originalmodell eröffnen. Es wird sich um eine recht knappe Darstellung handeln, die keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit oder quantitative Signifikanz erhebt, da die konzeptionellen Besonderheiten der SMS-Kommunikation im Rahmen dieser Arbeit nicht den primären Untersuchungsschwerpunkt darstellen. <?page no="90"?> 90 3.2.3 Sprachliche Besonderheiten der SMS-Kommunikation zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit: ein kurzer Überblick Ausgehend von der Fragestellung, welche Stilelemente der Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit in SMS-Texten vorzufinden sind, werden wir nachfolgend zunächst auf die gemäß des konzeptionellen Reliefs eher zu erwartenden nähesprachlichen Ausdrucksmittel eingehen, bevor wir uns der Distanzsprache bzw. den bislang eher ungewöhnlichen Äußerungsformen zuwenden. Die ersten offenkundigen Merkmale von Nähesprache in SMS-Texten lassen sich auf lexikalischer Ebene beobachten. Ausdrücke der Jugendsprache und aus Substandardregistern (Anglizismen, Verlan, Argot, Fäkalausdrücke oder pejorative Personenbezeichnungen) sind keine Seltenheit (yo, hey, miss, cool, new, cimer für merci, kifer, tafer, truc de ouf, meuf, mec, pute, merde, etc.) Gängige Wendungen aus dem français familier wie faire biper, faire dodo, zapper, bosser oder être crevé und lexikalische Kürzungen der Form aprèm für après-midi lassen sich ebenfalls nachweisen. 200 Des Weiteren sind typische Interjektionen der gesprochenen Sprache, Abtönungspartikel und in Einzelfällen sogar Überbrückungssignale als Imitation mündlicher Konversation feststellbar (alors, en fait, ah, ah bon? , ben, même, pas trop, euh, etc.). 201 Sie stehen in enger Verbindung mit dem Dialogcharakter der SMS- Kommunikation bzw. den kontextuellen Bezugsmöglichkeiten, die zudem antwortende Formen im Allgemeinen oder auch den Einsatz von Deiktika nach sich ziehen (oui, non, je [ne] sais pas, celui-là, là-bas). Neben dem Lexikon ist auch die grammatikalische Ebene der SMS- Texte von nähesprachlichen Merkmalen geprägt. Beispiele hierfür sind der 200 Es gibt quantitativ-vergleichende Studien aus dem englischsprachigen Raum, die in Bezug auf die type-token-Relation belegen, dass die quasi-synchrone computervermittelte Schriftkommunikation eine noch geringere lexikalische Variation aufweist als der Nähediskurs (vgl. etwa Ko (1996)). Vergleichbare Daten für den französischsprachigen Raum liegen indes nicht vor. Ferner weist Thaler bezüglich der lexikalischen Charakteristika der Chat-Kommunikation auf einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Anglizismen, Begrüßungs- und Verabschiedungssequenzen sowie Elementen aus dem Sexual- und Liebeswortschatz hin. Zwar erscheint ein analoges Ergebnis für die SMS-Kommunikation eher unwahrscheinlich, zumindest in überdurchschnittlich hohem Ausmaß, jedoch liegen auch hierfür keine konkreten Analysen vor. 201 Es sollte jedoch berücksichtigt werden, dass die relative Häufigkeit solcher gesprächsorganisatorischer Elemente in der Chat-Kommunikation wesentlich höher liegt als in SMS-Texten, was sicherlich auf die Zeichenbegrenzung und die umständliche Eingabe letzterer zurückzuführen ist. Vor allem Überbrückungsphänomene, die aufgrund der Asynchronizität an sich überflüssig sind, stellen eher eine Ausnahme dar. Sollten sie dennoch verschriftet werden, um etwa eine gefüllte Pause oder eine phonische Verzögerung graphisch abzubilden (euh oder beh), dann bezwecken sie eine bewusst inszenierte Annäherung an den gesprochensprachlichen Duktus. <?page no="91"?> 91 Wegfall des Negationspartikels ne 202 , reduzierte Subjektpronomen (t’as), der Ausfall des Subjektpronomens in unpersönlichen Wendungen ([il] faut, [il] y a), Intonationsfragen bzw. Konstruktionen mit dem Interrogativpronomen quoi (le chat va mieux? , tu fais quoi? ) oder auch Topikalisierungen (c’est toi qui…). Wiederum bedingt durch den zügigen dialogischen Austausch lassen sich nicht nur grammatische sondern auch situative Ellipsen feststellen, die sich häufig aus Frage-Antwort-Sequenzen ergeben, in denen anaphorische Bezüge auf das Referenzobjekt überflüssig werden (etwa Je pense aussi). 203 Dittmann et al. unterscheiden in diesem Zusammenhang zudem „Adjazenzellipsen“, bei denen sowohl Subjekt als auch finites Verb ausgelassen werden (Alors demain? ), bzw. „Adjazenzkonstruktionen“, die eine eindeutige Rekonstruktion der ausgelassenen Konstituenten kaum mehr ermöglichen, wie zum Beispiel Aah ok. 204 Spielten derartige Ellipsen noch vor dem Aufkommen digitalisierter Schriftkommunikation eine marginale Rolle in graphischen Kontexten, stellen sie mittlerweile eine rekurrente Erscheinung dar und lassen nochmals auf eine beachtliche situative und kontextuelle Einbindung schließen. Es soll jedoch nicht der falsche Eindruck erweckt werden, SMS-Texte seien aufgrund der angesprochenen Phänomene agrammatisch. Insgesamt respektieren sie einen Großteil der syntaktischen Regeln und erinnern bei lautem Vorlesen durchaus an äquivalente mündliche Äußerungen. 205 Verstärkt wird der Eindruck von Mündlichkeit durch die oftmals unterlassene Interpunktion, die Satzgrenzen nicht mehr klar erkennen lässt. Darüber hinaus lassen sich ganz allgemeine Präferenzen nennen, die typisch für den code parlé sind und erwartungsgemäß auch in SMS-Texten nachzuweisen sind. Darunter fallen etwa die Abwesenheit des passé simple, 202 Die monomorphe Verneinung ist im Bereich der gesprochenen Sprache inzwischen kaum noch als stilistisches Kennzeichen zu interpretieren, da es auch von sehr kultivierten Sprechern bzw. solchen aus einer sozialen Oberschicht weggelassen wird. Es scheint sich um eine sprachliche Realität zu handeln, die von 95% der Sprecher durchgeführt wird und damit Unmarkiertheit erreicht (vgl. dazu Guimier de Neef/ Véronis (2006)). Allerdings war dieses Phänomen lange Zeit auf den medial mündlichen Sprachgebrauch begrenzt. 203 Es wird sich hier auf die Unterscheidung von Zifonun et al. (1997) zwischen „Strukturellipsen“ und „situativen Ellipsen“ berufen. Nähere Ausführungen zu Ellipsen und deren Beschaffenheit in deutschsprachigen SMS oder Chats, wo vor allem Strukturellipsen schon aufgrund der häufigen Subjekt(pronomen)auslassung eine wichtigere Rolle zu spielen scheinen, finden sich unter anderem bei Androutsopoulos/ Schmidt (2002), Dittmann et al. (2007), Dittmann (2006), Dürscheid (2002a), Schlobinski et al. (2001), Thaler (2003). 204 Vgl. dazu auch Runkehl et al. (1998, 38). 205 Im Gegensatz zu den Feststellungen von Schlobinski et al. (2001) oder Döring (2002a) bezüglich deutschsprachiger SMS bzw. Thaler (2003) bezüglich französischsprachiger Chats sind Subjekttilgungen („faite quoi? “ für vous faites quoi? ), Verbalellipsen oder ungesättigte Verbvalenzen („tu connais? “) kaum anzutreffen. <?page no="92"?> 92 die Präferenz des futur proche, der vernachlässigte Gebrauch des subjonctif, der vielseitige Gebrauch des Personalpronomens on oder aber die bevorzugte Verwendung von ça anstellen von cela. Auch der Wegfall des e-caduc oder Enklisen wie chai pas für je (ne) sais pas dienen als „phonologisch beschreibbare allegrosprachliche Formen“ 206 zur Repräsentation informeller Sprechsprache. Gemeinsam mit den bereits angesprochenen Charakteristika suggerieren sie Mündlichkeit, Schnelligkeit und Spontaneität sowie Unmittelbarkeit, Vertrautheit und Informalität zugunsten eines „gesteigerten Erlebens von psychosozialer Nähe“ 207 . Sie bilden den Übergang von lexikalisch-semantischen Besonderheiten hin zu graphostilistischen Merkmalen konzeptioneller Mündlichkeit, ein Variationsspektrum, das es im Rahmen der normierten Orthographie kaum gibt. Zwar stellen Arbeiten von Elspaß oder Kilian 208 heraus, dass sich auch in einigen literarischen bzw. fiktionalen Texten Ende des 19. Jahrhunderts bereits eine Reihe von graphostilistischen Phänomenen nachweisen lassen, die ein möglichst getreues Abbild mündlicher Sprache schaffen sollen, jedoch ist das eher als Ausnahme zu betrachten. 209 Androutsopoulos/ Schmidt sprechen übergreifend von „Vertextungsstrategien konzeptioneller Mündlichkeit“, die man in Anlehnung an die Unterscheidung von Oesterreicher funktional aufgliedern sollte in Verschriftlichungs- und Verschriftungsstrategien. 210 Ersteres bezieht sich primär auf die bereits angesprochenen Merkmale der konzeptionellen Umsetzung im Sinne von Koch/ Oesterreicher, Letzteres hingegen auf die speziel- 206 Vgl. Dittmann et al. (2007, 18). Zum Terminus „allegrosprachlich“ vgl. Spiekermann (2006, 46). Darunter zählen beispielsweise die angeführte Enklise oder aber Elisionen. 207 Vgl. Döring (2002a, 102). 208 Elspaß (2002), Kilian (2001). 209 Auch Mitte des letzten Jahrhunderts lassen sich Autoren finden, die sich bewusst der orthographischen Norm widersetzen und eigene, an der Phonie orientierte Schreibweisen entwickeln. Queneau (1965) beispielsweise schlägt eine an der Aussprache orientierte Orthographie vor und setzt sie in seinem Roman Zazie dans le métro gezielt ein. Es soll demnach nicht in Abrede gestellt werden, dass einige der graphischen Verfahren heutiger SMS- oder Chat-Texte nicht auch in früheren Texten schon Anwendung gefunden hätten und folglich keine Erfindung digitaler Schriftsprache sind. Nähere Ausführungen dazu vgl. Kap. 4. 210 Zur terminologischen Abgrenzung zwischen Verschriftung und Verschriftlichung vgl. Oesterreicher (1993, 271f.): „a) Vorgänge und deren Resultate, die im Medialen zentriert sind und keine direkten konzeptionellen Implikationen aufweisen - also etwa das einzelsprachliche Verhältnis zwischen Phonie und Graphie oder die Umsetzung von Äußerungen vom phonischen ins graphische Medium -, sollte man mit dem Terminus Verschriftung fassen. b) Prozesse mit ihren Resultaten wären demgegenüber dann als Verschriftlichung zu bezeichnen, wenn sie auf Verschiebungen im konzeptionellen Kontinuum in Richtung auf Schriftlichkeit qua Distanzsprachlichkeit zielen, wenn also das konzeptionelle Relief von Äußerungen, von Sprachmitteln oder Gattungen, aber auch Aspekte der dabei erforderlichen Aktivitäten des Sprechens betroffen sind.“ <?page no="93"?> 93 le graphische Repräsentation der entsprechend phonisch realisierbaren Äußerung. Besondere Verschriftungsstilmittel in SMS-Texten sind unter anderem Buchstabeniterationen, Satzzeicheniterationen, der expressive Gebrauch von Großbuchstaben (Ohhh MERDE mais nooooon! ! ! ) oder der Einsatz von onomatopoetischen Elementen (sniiif bzw. in spezieller Ausprägung als Lachpartikel 211 bwahahahaha). Sie sollen die Abwesenheit der suprasegmentalen Elemente gesprochener Sprache bestmöglich kompensieren und dem stummen SMS-Text eine Art virtuelle Melodie verleihen, die der Rezipient in seinem inneren Ohr wahrnehmen kann. 212 Häufig treten diese graphischen Merkmale in Verbindung mit Interjektionen, Überbrückungssignalen oder in Begrüßungsbzw. Verabschiedungssequenzen auf. 213 Ohne näher ins Detail zu gehen ist an dieser Stelle zunächst nur entscheidend, dass sich sowohl auf der Verschriftlichungsebene, als auch auf der Verschriftungsebene Merkmale konzeptioneller Mündlichkeit feststellen lassen. Im Rahmen des Modells von Koch/ Oesterreicher ist auf Verschriftungsebene jedoch keine Konzeptualisierungsmöglichkeit vorgesehen: sie unterscheiden auf der medialen Ebene, d.h. auf der rein materiellen Äußerungsebene, lediglich zwischen phonisch und graphisch, ohne jedoch weiterführend zu berücksichtigen, dass auch die Grapheme und Graphemkombinationen bzw. Phoneme und Phonemkombinationen in ihrer Materialität konzeptualisierbar sind. Im Rahmen einer verbesserten Modellierung muss demzufolge auch in Bezug auf die materielle Realisierungsebene der sprachlichen Zeichen eine Konzeptualisierungsmöglichkeit eingeräumt werden. Alle bislang angeführten Charakteristika lassen sich auf bekannte Versprachlichungsstrategien des Nähesprechens zurückführen und unterstreichen den Wunsch nach Informalität und kommunikativer Nähe. Wie bereits anhand des vorläufig erstellten konzeptionellen Reliefs erläutert, ist ihr Auftreten größtenteils vorhersehbar und damit wenig verwunderlich. Es wäre jedoch falsch zu behaupten, dass sich sämtliche Merkmale der Nähekommunikation in SMS-Texten nachweisen lassen oder dass die syntaktischen Strukturen identisch wären, denn es gibt eine Vielzahl an 211 Zum Begriff „Lachpartikel“ vgl. unter anderem Thaler (2003, 82). 212 Haase et al. (1997) führen in diesem Zusammenhang den Begriff der „emulierten Prosodie“ ein (vgl. dazu auch Kap. 4), die in SMS-Texten insgesamt jedoch in geringerem Umfang vorkommt als etwa im Rahmen der E-Mail- oder Chat- Kommunikation (nicht zuletzt aufgrund des begrenzten Textumfangs und der umständlichen Texteingabe). 213 Es wird sich im Laufe des Abschnitts noch zeigen, dass die graphostilistische Gestaltungsebene darüber hinaus von einer ganzen Reihe verkürzender Verfahren geprägt ist, die vor Einführung der digitalisierten zeitnahen Schriftkommunikation nicht in dem Ausmaß zu beobachten waren und nicht primär das getreue Abbilden der Phonie zum Ziel haben. Die Gesamtheit der Stilelemente der Verschriftung wird den Mittelpunkt der nachfolgenden Analyse darstellen und in Kap. 4 ausführlich erläutert. <?page no="94"?> 94 charakteristischen Eigenschaften einer spontanen mündlichen Konversation, die in SMS-Texten nicht vorzufinden sind. Dazu zählen beispielsweise Anakoluthe, unvollständige, frühzeitig abgebrochene Sätze, häufige Wiederholungen oder umfangreiche Überbrückungssignale. 214 Pétillon betont zudem, dass der für das gesprochene Französisch typische cumul thématique, die regelrechte Anhäufung von Elementen, die das Thema bilden, bevor zum Rhema übergegangen wird, nicht in SMS-Texten vorzufinden ist. 215 Selbst wenn sich Kurzmitteilungen aus recht einfach strukturierten, parataktisch aufgebauten Sätzen zusammensetzen, bestehen diese zumeist nur aus Subjekt, Prädikat und Komplement, bleiben damit relativ kurz und weisen eine vergleichsweise höhere Informationsdichte auf als mündliche Äußerungen. Diesbezüglich nähern sie sich sogar leicht der schriftlichen Konzeption an. Zudem lassen sich vereinzelt konkrete Stilmittel konzeptioneller Schriftlichkeit wie Inversionsfragen oder versähnliche Reime nachweisen, die nicht zuletzt in Abhängigkeit vom dazugehörigen Kommunikationszweck bzw. -inhalt gewählt werden (etwa ein Liebesgedicht per SMS) und in Ausnahmefällen zu einer starken Annäherung an die Distanzsprache führen können. Das Bemerkenswerte an den Stilelementen der SMS-Kommunikation ist allerdings nicht allein deren spezielle Mischung aus konzeptionell mündlichen und schriftlichen Merkmalen, sondern das Auftreten solcher Charakteristika, die sich gemäß dem Modell von Koch/ Oesterreicher weder dem einen noch dem anderen zuordnen lassen. Hierunter fallen insbesondere sprachliche Merkmale, die erst im Zuge der digitalen Schriftkommunikation, und damit nach der Entstehung des Modells, breite Anwendung gefunden haben. Die extreme Häufung von konsonantischen Rumpfformen kombiniert mit lautschriftähnlichen, agglutinierten Schreibweisen (chui dsl anstelle von je suis désolé(e)) und innovativen Strategien wie der Rebusschreibweise (koi29 für quoi de neuf) lassen sich in so geballter Form auch heute noch in keinem anderen graphischen Kontext als in SMS-Texten nachweisen. Für sich betrachtet stellen die Verfahren zwar ebenfalls keine Erfindung der SMS-Kommunikation dar, allerdings ist ihr scheinbar willkürlicher und konzentrierter Einsatz durchaus neuartig und konstituiert einen Teil des unverwechselbaren Verschriftungsstils. Schwierigkeiten bei der Einordnung bezüglich Mündlichkeit/ Schriftlichkeit ergeben sich vor allem daraus, dass das Vorkommen der einzelnen 214 Zu Satzabbrüchen kommt es in direkter Kommunikation vor allem dann, wenn der Sprecher merkt, dass er mit einer anderen Satzkonstruktion fortsetzen muss als ursprünglich geplant, wenn er unterbrochen wird oder wenn der Hörer signalisiert, dass er den Äußerungsgehalt bereits verstanden hat. Nur der erste Fall könnte während einer SMS-Kommunikation eintreten, allerdings wird der Fehlstart dann einfach gelöscht und korrigiert, so dass er nicht mehr an der Oberfläche erscheint. 215 Pétillon (2006, 2). Sie führt folgendes Beispiel an: „Moi, Pierre, il m’a dit que son père, enfin je veux dire son frère, il avait changé de voiture“. <?page no="95"?> 95 Verschriftungsstrategien einerseits durch typisch nähesprachliche Kommunikationsbedingungen wie hoher zeitlicher Druck, Privatheit und hoher Bekanntheitsgrad unter den Interaktanten motiviert ist, andererseits jedoch streng an die Realisierungsform Schrift gebunden ist, womit sich die Kommunizierenden im Rahmen des Distanzmediums Schrift nähesprachlich verhalten. Hinzu kommt, dass es sich jeweils um reine ‚Verschriftungsstrategien’, nicht jedoch ‚Verschriftlichungsstrategien’ handelt, das heißt, dass die einzelnen Schreibweisen sich nicht auf der Ebene der stilistischen Konzeption im Sinne einer bestimmten Sprachregisterwahl auswirken, sondern auf der Ebene der Verschriftungsart. Sie stellen eine Konzeptualisierung auf der materiellen Äußerungsebene dar, die im Modell von Koch/ Oesterreicher, wie bereits erwähnt, nicht erfasst werden kann: ihr mediales Gegensatzpaar graphisch/ phonisch lässt keine Stilisierungsmöglichkeit zu. Ferner bringen die Verschriftungsvarianten zumeist einen intendierten Ökonomisierungseffekt mit sich, der in unmittelbarem Zusammenhang mit der strikten Zeichenbegrenzung und der umständlichen Texteingabe gesehen werden muss. Um ihr potenzielles Auftreten anhand eines Modells vernünftig herleiten und begründen zu können, d.h. um eine Konzeptualisierung der Grapheme bzw. Phoneme in Abhängigkeit von bestimmten Parametern abbilden zu können, müssen daher einerseits die sprachliche Realisierungsform (schriftlich vs. mündlich), andererseits die medial-technischen Aspekte Berücksichtigung unter den außersprachlichen Kommunikationsbedingungen finden. Neben den bereits illustrierten Verfahren verwehren sich auch Smileys und andere logogrammähnliche Schreibweisen wie lol, mdr oder <3 einer problemlosen Zuordnung. 216 Offensichtlich entspringen auch sie vornehmlich nähesprachlichen Kommunikationsbedingungen wie Privatheit, hoher Vertrautheit, hoher Emotionalität oder auch hoher Spontaneität, sind jedoch als typisch schriftlich zu bezeichnen, da sie in mündlich realisierter Sprache nicht vorkommen. Die Kommunizierenden nutzen die Symbolhaftigkeit der Schrift bewusst aus, indem sie die arbiträren Buchstabenzeichen umgehen und den jeweiligen Sinngehalt mittels ikonisch verwendeter 216 „lol“ (laughing out loud) und „mdr“ (mort de rire) sind Lachakronyme, die aufgrund ihres inzwischen automatisierten Gebrauchs nicht mehr auf die Ursprungsbedeutung der einzelnen Konstituenten zurückgeführt werden und damit Ideogrammcharakter erhalten. Die Kombination „<3“ soll ein liegendes Herz symbolisieren und ist demnach als Piktogramm bzw. als Ikon im Sinne von Pierce zu deuten (nähere Ausführungen dazu folgen in Kap. 4). Insgesamt sollen auch sie Elemente der abwesenden nonverbalen und paraverbalen Kommunikationsebene inszenieren, wodurch der Ikonizitätsgehalt der Schrift erheblich zunimmt. In deutschsprachigen SMS-Texten und Chats lassen sich des Weiteren Inflektive (*würg*) feststellen, die ebenfalls im Rahmen der digitalisierten Schriftkommunikation entstanden sind und weder konzeptioneller Schriftlichkeit noch Mündlichkeit zugeordnet werden können (vgl. dazu etwa Schlobinski et al. (2001)). <?page no="96"?> 96 Schriftzeichen direkt abbilden. Ikonizität wird von dem Wunsch nach Unmittelbarkeit motiviert und dient einer Intensivierung der empfundenen kommunikativen Nähe, ohne jedoch ein typisches Merkmal direkter mündlicher Kommunikation zu sein. Dadurch scheinen die logogrammähnlichen Schreibweisen gemeinsam mit Verfahren wie der emulierten Prosodie die Entstehung einer Art schriftlichen Nähesprache voranzutreiben, die auch über physische Distanz hinweg und trotz des Schriftmodus zunehmend mehr Kommunikationsebenen der direkten Nähekommunikation innovativ zu kompensieren vermag. Die schriftlichen Kompensationsmittel müssen dabei keineswegs deckungsgleich mit den sprechsprachlichen Originalen sein. Es genügt vielmehr ein assoziativ evozierender Charakter im Sinne einer symbolischen oder ‚virtuellen’ physischen Nähe über die Distanz hinweg. Dank der technischen Entwicklung werden der vermittelten Kommunikation ständig neue Spielräume für ein gesteigertes Erleben dieser virtuellen Unmittelbarkeit geboten. Allein die Tatsache, dass Kurzmitteilungen direkt im persönlichen Nahbereich empfangen werden, obwohl der Kommunikationspartner nicht anwesend ist, leistet diesbezüglich einen wesentlichen Beitrag. 3.2.4 Ein erweitertes Kommunikationsmodell zwischen Nähe und Distanz Es gilt nun die beschriebenen Phänomene mit Hilfe eines brauchbaren Modells in einem Varietätenspektrum zu verankern, das über das bereits sehr differenzierte Nähe-Distanz-Kontinuum von Koch/ Oesterreicher hinausgeht. Vor allem Dürscheid hat sich umfassend mit einer möglichen Erweiterung des Modells von Koch/ Oesterreicher beschäftigt und plädiert unter anderem für eine zusätzliche Unterteilung in elektronisch- und nichtelektronisch übermittelte, medial schriftliche Äußerungsformen, um dem Einfluss des Übertragungswegs besser gerecht werden zu können. Sie erreicht damit zwar eine leichte Erweiterung des eng gefassten Medienbegriffs von Koch/ Oesterreicher, um die spezifischen Kommunikationsbedingungen der Chat-, E-Mail- und SMS-Kommunikation etwas besser berücksichtigen zu können, allerdings führt sie neben dieser recht allgemeinen Unterteilung in elektronisch vs. nicht-elektronisch keine weiteren medial technischen Kommunikationsbedingungen an, die Einfluss auf den Sprachgebrauch nehmen können. Ferner misst Dürscheid dem Aspekt der Interaktivität im kommunikativen Geschehen eine wesentliche Bedeutung für die sprachliche Gestaltung bei, der in engem Zusammenhang mit der vorherrschenden (A-)Synchronie der Kommunikation zu sehen ist. Dementsprechend schlägt sie eine grundsätzliche Einteilung sprachlicher Äußerungen in „medial mündliche, synchrone“ Kommunikation, „medial mündliche, asynchrone“ Kommunikation, „medial schriftliche, quasisynchrone“ Kommunikation und „medial schriftliche, asynchrone“ Kom- <?page no="97"?> 97 munikation vor. 217 Jedoch bleibt auch hier weitgehend unberücksichtigt, ob ein Hilfsmittel für die Übermittlung der Kommunikation verwendet wurde bzw. welchen Einfluss dieses medial technische Hilfsmittel im Einzelnen auf Produktion und Rezeption der Äußerung nimmt. 218 Insgesamt lässt sich feststellen, dass auch im Zuge der anderen Verbesserungsversuche keine adäquate, allgemein anerkannte Alternativlösung zum Originalmodell von Koch/ Oesterreicher entwickelt wurde und sie damit weiterhin ein Forschungsdesiderat bleibt. Bevor das im Rahmen dieser Arbeit entwickelte Modell vorgestellt wird, sollen die bereits in Ansätzen aufgezeigten Problembereiche des Originalmodells zusammenfassend dargestellt werden um sicherzustellen, dass sie angemessen berücksichtigt werden. Zunächst bereitet der sehr eng gefasste Medienbegriff von Koch/ Oesterreicher vor dem Hintergrund der heutigen Komplexität an ‚medial’ vermitteltem Kommunikationsangebot beachtliche Schwierigkeiten. Die uneinheitliche Begriffsverwendung führt nicht nur zu Unklarheiten in der Formulierung, sondern versperrt darüber hinaus den assoziativen Zugang zu weiteren relevanten Kommunikationsbedingungen wie den technischen Eigenschaften des Kommunikationsmediums. Aus diesem Grund wurde gleich zu Beginn der Arbeit ein Medienverständnis zugrunde gelegt, das sich auf das technische Hilfsmittel zur Speicherung und Übertragung von sprechbzw. schriftsprachlichen Zeichen bezieht und nicht auf die Realisierungsform der Äußerung (phonisch vs. graphisch) beschränkt. In diesem Sinn wird auch das Adjektiv ‚medial’ auf das technische Hilfsmittel und dessen Eigenschaften bezogen (in unserem Fall das Handy) und nicht etwa auf die sprachlichen Realisierungsformen ‚gesprochen’ und ‚geschrieben’. Falls wir im Folgenden hervorheben wollen, dass wir die Ebene der Realisierungsform fokussieren, wenn von schriftlicher bzw. mündlicher Kommunikation in der Bedeutung von graphisch vs. phonisch gesprochen wird, dann werden wir das durch die Bezeichnungen materiell schriftlich vs. materiell mündlich spezifizieren, wobei sich ‚materiell’ auf die Materialität der geäußerten Sprachzeichen (Grapheme und Phoneme) bezieht. Vereinfacht könnte man sagen, dass ‚medial schriftlich’ gemäß Koch/ Oesterreicher in unserem Verständnis als ‚materiell schriftlich’ zu bezeichnen ist. Des Weiteren sehen Koch/ Oesterreicher keine Konzeptualisierungsmöglichkeiten auf der materiellen Realisierungsebene vor, da sie die Un- 217 „Medial“ ist hier im Sinn von Koch/ Oesterreicher zu verstehen, d.h. als mündlich bzw. schriftlich realisiert (Dürscheid 2002; 2003). 218 In einem späteren Artikel plädieren Dürscheid und Brommer (2009) für eine theoretische und methodische Erfassung dynamischer, getippter Dialoge im Rahmen der interaktionalen Linguistik. Jedoch öffnen sie lediglich den Blick für einen neuen Forschungsansatz, ohne dabei konkreter ins Detail zu gehen. <?page no="98"?> 98 terscheidung zwischen graphisch/ phonisch bewusst vorziehen und anschließend nicht mehr aufgreifen. Sie konzentrieren sich auf die Registerwahl bei der sprachlichen Gestaltung und lassen die materielle Seite des Äußerungsakts unberücksichtigt, wodurch sie sich den Blick für mögliche konzeptuelle Stilisierungen auf der Graphembzw. Phonemebene versperren. Die dargestellten sprachlichen Besonderheiten in SMS-Texten deuten indes darauf hin, dass das ‚Medium’ in der Terminologie von Koch/ Oesterreicher ebenfalls stilisierbar ist, d.h., dass es auch auf konzeptueller Ebene hinsichtlich Nähesprachlichkeit und Distanzsprachlichkeit stilisiert werden kann (insbesondere durch unkonventionelle Schreibweisen, emulierte Prosodie und Ikonizität). Diese Konzeptualisierungsmöglichkeit darf in einem modifizierten Modell nicht gleichermaßen ausgegrenzt werden, sondern sollte im Rahmen von variabel gestaltbaren Verschriftungsstrategien (bezüglich der Graphie) und Verlautlichungsstrategien (bezüglich der Phonie) integriert werden. 219 Hinzu kommt, dass Koch/ Oesterreicher aufgrund der bewusst vorgezogenen Betrachtung der Realisierungsform und dessen strikter Trennung von den außersprachlichen Kommunikationsbedingungen außer Acht lassen, dass auch die Frage, ob geschrieben oder gesprochen wird, entscheidenden Einfluss auf die konkrete Wahl der sprachlichen Äußerungsmittel nehmen kann (wir gehen sogar davon aus, dass es sich um unterschiedliche Varietätenspektren handelt, siehe unten). 220 Darüber hinaus haben wir festgestellt, dass die von Koch/ Oesterreicher angeführten Kommunikationsbedingungen nur sehr begrenzt dem Einfluss der medial technischen Aspekte auf die Sprachgestaltung gerecht werden können. Das Auftreten von extrem verkürzenden Schreibweisen beispielsweise wird maßgeblich von den technischen Modalitäten zur Spracheingabe und von der begrenzten Datenübertragungskapazität motiviert. Um solche Stilisierungen auf Realisierungsebene adäquat erklären zu können, müssen auch kommunikativ-relevante Aspekte des Mediums unter den außersprachlichen Kommunikationsbedingungen berücksichtigt werden. Da nur schwer vorhergesehen werden kann, welche technischen Entwicklungen sich diesbezüglich noch ergeben werden, wird es sich bei den medialen Kommunikationsbedingungen um eine offene Liste handeln müssen. Schließlich bereiten die von Koch/ Oesterreicher angenommenen Affinitäten zwischen Graphie und Distanzsprache bzw. Phonie und Nähesprache in der heutigen Sprachwirklichkeit erhebliche Schwierigkeiten hinsichtlich einer Lokalisierung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Es lassen sich Gestaltungsressourcen beobachten, die von nähesprachlichen Kom- 219 Zu den Terminologien vgl. Oesterreicher (1993, 271f.) 220 Die mangelnde Berücksichtigung der sprachlichen Realisierungsform als einflussnehmenden Faktor auf die Sprachgestaltung kritisieren unter anderem auch Dürscheid (2003), Henning (2001) und Häcki Buhofer (2000). <?page no="99"?> 99 munikationsbedingungen hervorgerufen werden, jedoch streng an die Realisierungsform Schrift gebunden sind. Zwar hat uns Koch/ Oesterreichers strikte Trennung zwischen Realisierungsform und Konzeption erfolgreich dazu verholfen, dass wir das Auftreten von konzeptioneller Mündlichkeit in materiell schriftlichen Kontexten beschreiben können, allerdings erlaubt uns ihr Modell keine geeignete Erfassung von nähesprachlichen Ausdrucksmitteln, die zwar über eine materiell schriftliche, nicht aber über eine äquivalente mündliche Form verfügen. Demzufolge müssen die unterstellten Affinitäten zwischen Graphie und kommuni-kativer Distanz bzw. Phonie und kommunikativer Nähe in einem erweiterten Modell aufgelöst und in angemessener Weise neu in Beziehung gesetzt werden, um auch das Auftreten speziell graphischer Nähekommunikation erfassen zu können. Die Tatsache, dass sich sprachliche Ausdrucksmittel finden lassen, die streng an eine der beiden materiellen Realisierungsformen gebunden sind und dennoch hinsichtlich Nähesprachlichkeit und Distanzsprachlichkeit stilisierbar sind, deuten bereits auf die Notwendigkeit von mindestens zwei unterschiedlichen Nähe/ Distanz-Kontinua hin. Der nachfolgende Ansatz versucht den genannten Kritikpunkten und Denkanstößen Rechnung zu tragen, ohne jedoch ein vollkommen neuartiges Modell vorzuschlagen. Er basiert maßgeblich auf der Herangehensweise von Koch/ Oesterreicher und bemüht sich um geeignete Umstrukturierungen und Ergänzungen in Bezug auf den Einfluss des Kommunikationsmediums (direkte vs. medial vermittelte Kommunikation einschließlich medialer Wirkungsgrößen), den Einfluss der Realisierungsform (schriftlich vs. mündlich) und die möglichen strukturellen Auswirkungen auf Realisierungs- und Konzeptionsebene (Verschriftung und Verschriftlichung bzw. Verlautlichung und Vermündlichung). 221 Ziel dabei ist es, den vielfach diskutierten Stilmix digitaler Schriftkommunikation zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit sowie die neu hinzugekommenen Ausdrucksmittel zweckmäßig beschreiben und erklären zu können. Zunächst scheint die Frage, ob es sich um medial vermittelte oder direkte und damit unvermittelte Kommunikation handelt, grundlegenden Einfluss auf die gesamte Kommunikation zu nehmen und infolgedessen auf das Varietätenspektrum, in dem man sich bewegt. Ein vorhandenes Medium trägt nicht nur zur Wahl der kommunikativen Gestaltungsressourcen bei, sondern beeinflusst den Prozess der Sprachproduktion, steuert den globalen Kommunikationsablauf und trägt (direkt oder indirekt) zum Äußerungsgehalt der Kommunikation bei. Gerade vor dem Hintergrund der mittlerweile zu beobachtenden medialen Diversifizierung ist eine adäquate 221 Es sei nochmals explizit darauf hingewiesen, dass wir nicht den eng gefassten Medienbegriff von Koch/ Oesterreicher zugrunde legen (vgl. Kap. 1.1). ‚Medial’ wird demnach in der Bedeutung von ‚mittels eines (technischen) Hilfsmittels’ verwendet, sofern keine abweichenden Angaben gemacht werden. <?page no="100"?> 100 Erfassung des fein abgestuften Systems an kommunikativen Möglichkeiten nur noch schwer möglich, wenn sie allein auf einer vergleichenden Gegenüberstellung mit den charakteristischen Eigenschaften direkter Kommunikation basiert. Die in medialem Kontext entstehenden Gestaltungsformen haben teilweise eine Art Eigenständigkeit gegenüber direkter Kommunikation entwickelt und sollten eher untereinander in Relation gesetzt werden. Deshalb wird auf einer ersten Differenzierungsebene für die Unterscheidung zwischen medial vermittelter und direkter Kommunikation plädiert. Damit wird in aller Regel schon gleichzeitig die Frage nach physischer Distanz bzw. Nähe beantwortet, da vermittelte Kommunikation hauptsächlich zur Überbrückung raumzeitlicher Grenzen eingesetzt wird, während direkte Kommunikation zumeist physische Nähe impliziert. Die nächstfolgende Unterscheidungsebene betrifft die Art der sprachlichen Realisierung aus materieller Sicht. Es wurde bereits mehrfach erläutert, dass auch sie entscheidenden Einfluss auf die Wahl der sprachlichen Gestaltungsmittel nimmt. Generell können Medien sowohl mündliche als auch schriftliche Kommunikation übertragen, wohingegen direkte Kommunikation stets mündlich verläuft. 222 Graphisch lässt sich das folgendermaßen darstellen: 222 In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass wir uns ausschließlich auf die Kommunikation mittels verbaler Zeichensysteme und deren Einordnung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit konzentrieren und damit andere Zeichensysteme wie die Gebärdensprache oder nonverbale Kommunikation, die ebenfalls direkt stattfinden können, bewusst ausschließen. Damit soll indes keinesfalls in Abrede gestellt werden, dass die direkte mündliche Kommunikation neben der verbalen Informationsebene (einschließlich deren prosodischen Eigenschaften) nicht auch über eine nonverbale Informationsebene verfügt, die erstere im Hinblick auf die jeweilige Sinngebung vervollständigt. In aller Regel sind neben den lautsprachlichen Zeichen weitere visuelle (Körperhaltung, Mimik, Gestik, etc.), taktile, olfaktorische oder sonstige akkustische Informationen (Seufzer, etc.) zugänglich, die die direkte Kommunikation mehrdimensional werden lassen. Die bewusste Einbeziehung nonverbaler Information in den Äußerungsakt war lange Zeit an die physische Nähe der Kommunikationspartner gebunden und wird unter anderem deshalb von Koch/ Oesterreicher als prototypische Strategie des Nähesprechens angeführt. Mittlerweile können Teile dieser nonverbalen Kommunikation auch im Rahmen medial vermittelter Kommunikation einbezogen werden, etwa wenn die medialen Bedingungen neben dem akkustischen auch den visuellen Kontakt zwischen den Interaktanten ermöglichen (die taktile und die olfaktorische Ebene bleiben allerdings weitgehend der direkten (und damit physisch kopräsenten) Kommunikation vorbehalten). Im Gegensatz zu verbaler Kommunikation lässt sich nonverbale Kommunikation jedoch nur schwer in (mehr oder weniger) diskrete Einheiten fassen und systematisch in einem Varietätenspektrum bezüglich Mündlichkeit/ Schriftlichkeit bzw. Informalität/ Formalität erfassen. Aus diesem Grund wird sie nicht als eigenständiger Bereich in unserem Modell aufgenommen, was nicht ihre Bedeutung für die Wahl bestimmter sprachlicher Gestaltungsressourcen mindern soll (vgl. dazu weiter unten). <?page no="101"?> 101 Damit gelangen wir zu drei unterschiedlichen Kategorien sprachlicher Äußerungen: I. medial vermittelte schriftliche Kommunikation, II. medial vermittelte mündliche Kommunikation, III. direkte mündliche Kommunikation. Innerhalb dieser drei Kategorien ergibt sich nun, ähnlich wie im Modell von Koch/ Oesterreicher, jeweils ein gewisses Spektrum an möglichen sprachlichen Gestaltungsmitteln, das in Abhängigkeit von noch näher zu bestimmenden Kommunikationsbedingungen zu sehen ist (siehe unten). Wichtig ist dabei, dass die drei verschiedenen Bereiche zunächst unabhängig voneinander betrachtet werden müssen, d.h., dass zuerst entschieden werden muss, innerhalb welcher Kategorie eine sprachliche Äußerung einzuordnen ist, bevor man die konkreten, darin vorkommenden Ausdrucksmittel untersuchen und in Relation zu alternativen Äußerungsformen derselben Kategorie (und später auch der anderen Kategorien) setzen kann. Befolgt man dieses Vorgehen, so ergibt sich in allen drei Bereichen ein eigenes Varietätenspektrum, das von spezifischen Gestaltungsressourcen geprägt ist. Ähnlich wie Koch/ Oesterreicher gehen wir davon aus, dass die spezifischen Ausdrucksmittel in Abhängigkeit von den außersprachlichen Kommunikationsbedingungen zu sehen sind, in deren Rahmen sie entstanden sind, d.h., dass eine bestimmte Konstellation außersprachlicher Bedingungen spezielle sprachliche Gestaltungsressourcen hervorruft oder sie wahrscheinlich werden lässt. Daher stellen die Kommunikationsbedingungen auch in dem hier beschriebenen, erweiterten Modell einen wesentlichen Bestandteil dar. Sie sind größtenteils zwischen zwei oppositionellen Erscheinungsformen skalierbar (etwa Öffentlichkeit ↔ Privatheit) und lassen sich ferner funktional einteilen in mediale, interpersonelle, situative und thematische Bedingungen. Wenn wir uns gleich eine Auflistung der maßgeblichen Kommunikationsbedingungen vor Augen führen, so wird auffallen, dass die einzelnen Bedingungen teils aus dem Originalmodell von Koch/ Oesterreicher über- Sprachliche Äußerungen medial vermittelt direkt schriftlich mündlich mündlich <?page no="102"?> 102 nommen wurden, teils ergänzt wurden durch einige der im vorherigen Abschnitt beschriebenen, kommunikativ-relevanten Faktoren. Da die übernommenen Parameter von Koch/ Oesterreicher jeweils konstitutive Bestandteile der von ihnen definierten kommunikativen Nähe bzw. Distanz sind, werden sie auch hier Nähe bzw. Distanz evozieren. Bei genauer Betrachtung wird deutlich, dass ein Großteil der ergänzten Bedingungen eine Art unterstützende Wirkung auf die bereits bestehende Nähe bzw. Distanz hat und dass sich lediglich die medialen Bedingungen einer eindeutigen Zuordnung zu einem der Konzepte entziehen. 223 Die nachfolgende Tabelle wird daher in der Form aufgebaut sein, dass die jeweils am linken Rand stehenden Erscheinungsformen kommunikative Distanz evozieren (mit Ausnahme der medialen Bedingungen), während die rechts stehenden Merkmale konstitutiv für kommunikative Nähe sind: Kommunikationsbedingungen und ihr Variationsspektrum Mediale Bedingungen Zeitlichkeit asynchron quasisynchron synchron Mobilität mobil ortsgebunden visueller Kontakt zwischen den Kommunizierenden nicht vorhanden vorhanden Spracheingabeart technisch kodiert natürlich direkt Übertragungskapazität begrenzt unbegrenzt Speicherkapazität unbegrenzt begrenzt Diskretheit des Kommunikationsablaufs diskret indiskret Interpersonelle Bedingungen Vertrautheit fremd vertraut Emotionalität gering hoch Involvement gering hoch gemeinsamer Wissenskontext gering hoch 223 Das ist sicherlich dadurch bedingt, dass Nähekommunikation in Anlehnung an die direkte Kommunikation konzipiert wurde und deshalb keinerlei medial technischen Bedingungen unterliegt. Nähekommunikation zeichnet sich stets durch dieselben Produktions-, Übertragungs- und Rezeptionsbedingungen aus (vgl. unten) und lässt in diesem Bereich keine Variabilität zu. <?page no="103"?> 103 Situative Bedingungen Anzahl der Teilnehmer/ Publikum öffentlich privat Kommunikationsrichtung monologisch dialogisch Kooperation gering hoch Spontaneität gering hoch Situations-/ Handlungseinbindung Entbindung Einbindung Referenzbezug nicht möglich möglich Thematische Bedingungen Themenentwicklung vorgegeben frei wählbar Ernsthaftigkeit der Themengestaltung hoch gering Problematisierung des Themas hoch gering … 224 Um sprachliche Äußerungen in einen soliden Rahmen zu fassen, der die verwendeten Ausdrucksmittel profund erklärt und gegen alternative Gestaltungsmittel abzugrenzen vermag, ist es also erforderlich, zunächst die übergeordnete Kategorie zu bestimmen, innerhalb derer die Äußerung zu deuten ist (I, II oder III), um dann ein konzeptionelles Relief anhand der verschiedenartigen Kommunikationsbedingungen zu erstellen, das anschließend mit den festgestellten Äußerungsformen in Korrelation gesetzt werden kann. In Bezug auf das konzeptionelle Relief einer direkten mündlichen Äußerung ist dabei auffallend, dass sie über keinerlei Variationen hinsichtlich der medial technischen Eigenschaften verfügt, da kein Medium zur Speicherung und Übertragung der Kommunikation benötigt wird. Zwar lassen sich die medialen Kommunikationsbedingungen auch für ein direktes Gespräch bestimmen (insbesondere ist es synchron, ortsgebunden, 224 Es sei darauf hingewiesen, dass es sich um eine offene Liste handelt, die keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Ferner sollte bemerkt werden, dass wenn im Distanzbereich von „geringer Emotionalität“ gesprochen wird, dass sich das prototypisch auf eine neutrale, sachliche und distanzierte Einstellung zum Text bzw. zum Inhalt selbst bezieht. Es soll allerdings nicht in Abrede gestellt werde, dass der Aspekt der Emotionalität durchaus Schwierigkeiten bei der Einschätzung hinsichtlich Nähe/ Distanz mit sich bringt, da es theoretisch gut vorstellbar ist, dass eine förmliche und sehr distanzierte sprachliche Äußerung gleichzeitig von hoher Emotionalität geprägt ist (etwa ein offener Beschwerdebrief in einer Tageszeitung oder eine Rede bei einer Trauerfeier). Gerade Ärger, Wut und Trauer können im Distanzbereich sehr gut zum Ausdruck gebracht werden, wobei Emotionalität hier zumeist in spezieller Form in die Sprache eingeht, beispielsweise durch Ironie, Sarkasmus oder „Überdistanzierung“. <?page no="104"?> 104 visuell übertragen, natürlich direkt produziert, theoretisch in unbegrenztem Umfang übertragbar, nur in begrenztem Umfang „speicherbar“ und indiskret), jedoch handelt es sich hierbei um kein Variationsspektrum im eigentlichen Sinn. Folglich sind die medialen Bedingungen im Bereich der direkten mündlichen Kommunikation zu vernachlässigen. Wie bereits beschrieben gehen wir davon aus, dass die Grundeigenschaften der drei Kategorien sprachlicher Äußerungen (medial vermittelt vs. direkt bzw. schriftlich vs. mündlich) zusammen mit der jeweiligen Beschaffenheit des konzeptionellen Reliefs entscheidenden Einfluss auf die zu beobachtenden Versprachlichungsstrategien nehmen und folglich auch auf die konkreten sprachlichen Gestaltungsressourcen. Je nach dem, ob es sich um schriftliche oder mündliche Kommunikation handelt, sind die Versprachlichungsstrategien zu untergliedern in Verschriftungs- und Verschriftlichungsstrategien (Kategorie I) bzw. Verlautlichungs- und Vermündlichungsstrategien (Kategorie II und III). Diese bewusste Unterteilung ist erforderlich, um die Aufmerksamkeit nicht nur auf die Ebene der stilistischen Sprachregisterwahl zu lenken (Verschriftlichung bzw. Vermündlichung), sondern ebenso auf die Konzeptualisierung der materiellen Realisierungsebene (Verschriftung bzw. Verlautlichung). Damit wird sichergestellt, dass auch hinsichtlich der realisierten Grapheme bzw. Phoneme Stilisierungen abgebildet werden können. Falls die Versprachlichungsstrategien vornehmlich von Merkmalen der kommunikativen Nähe hervorgerufen werden, so bezeichnen wir sie analog zu Koch/ Oesterreicher als „Nähesprechen“, in entsprechend entgegengesetzter Form als „Distanzsprechen“. Analog zum ursprünglichen Nähe/ Distanz-Kontinuum von Koch/ Oesterreicher fassen wir die verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten an tatsächlich vorherrschenden außersprachlichen Bedingungen als Kontinuum zwischen zwei „Polen“ auf, die sich jeweils aus den äußersten nähesprachlichen bzw. distanzsprachlichen Ausprägungen der Kommunikationsbedingungen konstituieren. Im Unterschied zum Originalmodell ergeben sich in unserem Fall allerdings nicht nur ein Kontinuum, sondern entsprechend der obigen Vorabeinteilung in die verschiedenen Kategorien sprachlicher Äußerungen drei unterschiedliche Kontinua, die sich gemäß der obigen Terminologie folgendermaßen beschreiben lassen: <?page no="105"?> 105 Distanzpole Nähepole I. Kontinuum mediatisierter Schriftlichkeit 1. mediatisierte schriftliche Distanz 4. mediatisierte schriftliche Nähe (↓) (↑) II. Kontinuum mediatisierter Mündlichkeit 2. mediatisierte mündliche Distanz 5. mediatisierte mündliche Nähe (↓) (↑) III. Kontinuum direkter Mündlichkeit 3. direkte mündliche Distanz 6. direkte mündliche Nähe Zur Veranschaulichung lassen sich verschiedene Gesprächsbzw. Textsorten nennen, die jeweils im Bereich einer der sechs Pole zu lokalisieren wären: 1. ein per E-Mail übersendeter Gesetzestext; 2. die Neujahrsansprache des Bundespräsidenten im Radio; 3. eine universitäre Vorlesung; 4. Chat oder Instant Messaging unter guten Freunden; 5. ein Telefonat unter guten Freunden; 6. ein spontanes Gespräch unter guten Freunden. Die Konstellationen 1. und 6. stellen in dem Originalmodell von Koch/ Oesterreicher die Urtypen der Distanzsprache bzw. der Nähesprache dar. In dem hier vorgestellten Konzept werden sie sich nicht mehr unmittelbar gegenübergestellt, sondern bilden Teile von unterschiedlichen Kontinua, die parallel, aber nicht gänzlich unabhängig voneinander bestehen. Nach einer Vorabcharakterisierung in vermittelt schriftliche, vermittelt mündliche oder direkt mündliche Kommunikation, kann für jede Gesprächsart bzw. Textsorte anhand der vielseitigen Kommunikationsbedingungen individuell ein konzeptionelles Relief erstellt werden, um sie anschließend innerhalb des entsprechenden Nähe/ Distanz-Kontinuums einordnen zu können. Je nach dem, ob die Lokalisierung eher in Richtung Nähe bzw. eher in Richtung Distanz ausfällt, ist eine gewisse Einflussnahme durch die verwandten ‚Urtypen’ der Nähebzw. Distanzkommunikation zu erwarten (ausgehend von 1. symbolisiert durch (↓) und ausgehend von 6. durch (↑)). Denn wie bereits anhand der sprachlichen Merkmale der <?page no="106"?> 106 privat-informellen SMS-Kommunikation verdeutlicht wurde, die innerhalb des Kontinuums 1. ↔ 4. eher im Bereich der mediatisierten schriftlichen Nähe einzuordnen ist (siehe dazu weiter unten), lässt sich eine Vielzahl anverwandter Merkmale der direkten mündlichen Kommunikation feststellen. Teilweise werden sie unverändert verschriftet (etwa die lexikalischen und grammatischen Besonderheiten), teilweise werden sie aber auch an die im Rahmen der Kommunikationsform geltenden medialen Bedingungen angepasst (Stichwort emulierte Prosodie und weitere Strategien zur Kompensierung nonverbaler und paraverbaler Ausdrucksformen). Ähnliches gilt für die sprachlichen Stilmittel der privat-informellen Chat- Kommunikation, die noch enger am mediatisierten schriftlichen Nähesprechen lokalisiert werden kann. Wichtig ist dabei, dass die Kommunizierenden die ursprüngliche Herkunft der Stilmittel keineswegs kaschieren, sondern die direkte Orientierung an den sprachlichen Charakteristika von 6. ganz bewusst und möglichst klar markieren, um sie identifizierbar zu machen: Die entlehnten, medial angepassten Ausdrucksformen verleihen der Kommunikation einen nähesprachlichen Interpretationsrahmen und suggerieren Vertrautheit und Situationseinbindung, womit ihnen eine bedeutende kontextualisierende Funktion zuteil wird. Sie lösen Assoziationen zu vergleichbaren kommunikativen Situationen des Nähediskurses aus, die dem Rezipienten vertraut sind. Etwas allgemeiner lässt sich daraus schließen, dass sich einige Komponenten der mediatisierten schriftlichen Nähesprache allein aufgrund der Orientierung an direkter mündlicher Nähe ausprägen und somit ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis besteht. 225 Ohne den Urtyp direkter Nähekommunikation würde die Assoziationsgrundlage fehlen und die sprachlichen Versatzstücke würden kommunikativ nicht mehr funktionieren bzw. wären gar nicht erst entstanden (wodurch nicht in Abrede gestellt werden soll, dass sich andere Sprachformen der mediatisierten schriftlichen Nähekommunikation unabhängig von 6. aus dem schriftbasierten Kontinuum 1. ↔ 4. ergeben). Demzufolge haben sich auf der Basis mündlicher Nähekommunikation kommunikativ-funktionale Schriftsprachvarianten entwickelt, die gewissen Verschriftungs- und Verschriftlichungsstrategien folgen und in Bezug auf die medialen Bedingungen optimiert sind. Ein wesentlicher Faktor für die Einflussnahme zwischen den drei Kontinua („vertikal“) auf der Seite der drei Nähepole ist der Grad der Kooperation bzw. der Interaktivität, die wiederum in engem Zusammenhang mit der vorherrschenden Zeitlichkeit der Kommunikation stehen. Je mehr sich schriftlich vermittelte Kommunikation an Synchronizität annähert, desto mehr Merkmale von direkter mündlicher Nähesprache weist die Kommunikation tendenziell auf. 226 Damit kommt der Zeitlichkeit eine wichtige 225 Ähnliches gilt im Übrigen für die mediatisierte mündliche Nähesprache. 226 Vgl. dazu auch Dürscheid (2004, 154f.) <?page no="107"?> 107 Rolle unter den Kommunikationsbedingungen zu und sie nimmt einen etwas erhöhten Einfluss auf die „horizontale“ Lokalisierung einer Gesprächsart bzw. einer Textsorte in dem entsprechenden Nähe/ Distanz- Kontinuum. Auf der Seite der Distanzpole findet die vertikale Einflussnahme ausgehend von mediatisierter schriftlicher Distanz statt, dem Urtyp kommunikativer Distanz. Hier ist es jedoch weniger die Zeitlichkeit als vielmehr die Fremdheit, die Öffentlichkeit oder auch weitere situative und thematische Faktoren, die das Auftreten distanzsprachlicher Stilmittel in adaptierter Form wahrscheinlicher werden lassen. Ungeachtet der bestehenden Verwandtschafts- und Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den sechs Polen darf indes nicht außer Acht gelassen werden, dass sie für sich betrachtet durchaus ihre Existenzberechtigung haben. Jede der Extremkonstellationen bringt spezifische sprachliche Gestaltungsformen zum Vorschein, die im Feld der gesamten kommunikativen Ausdrucksmöglichkeiten einzig unter diesen Bedingungen auftreten und damit konstitutiv für sie sind. Abschließend lässt sich das konzipierte Wirkungsgefüge in folgender vereinfachter Form darstellen: 227 227 Die Unterbrechung des Pfeils zwischen den medialen Kommunikationsbedingungen der Distanz bzw. Nähe soll zum Ausdruck bringen, dass die direkte mündliche Äußerung gerade keinen veränderlichen medialen Einflussfaktoren unterliegt. <?page no="108"?> 108 Die Pfeile zwischen den verschiedenen Kontinua am unteren Rand der Grafik bilden die beschriebene Einflussnahme ausgehend von den Urtypen der Distanzbzw. Nähekommunikation ab (1. und 6.) In der vorherigen Grafik wurden sie durch (↓) und (↑) symbolisiert. III. Kontinuum direkter Mündlichkeit 3. 6. I. Kontinuum mediatisierter Schriftlichkeit 1. 4. sprachliche Äußerung medial vermittelt, schriftlich medial vermittelt, mündlich direkt, mündlich Distanzsprachliche Kommunikationsbedingungen: medial interpersonell situativ thematisch Nähesprachliche Kommunikationsbedingungen: medial interpersonell situativ thematisch Verschriftungs-/ Verschriftlichungsstrategien Verlautlichungs-/ Vermündlichungsstrategien Verlautlichungs-/ Vermündlichungsstrategien II. Kontinuum mediatisierter Mündlichkeit 2. 5. <?page no="109"?> 109 3.2.5 SMS-Kommunikation im erweiterten Nähe/ Distanz-Modell Das vorgestellte Modell genügt einer differenzierten Einordnung von Äußerungen in Bezug auf Nähe/ Distanz und vermag einige der inzwischen aufgetretenen Schwachstellen der Modellierung von Koch/ Oesterreicher zu beheben. 228 Bemüht man sich um eine möglichst allgemeingültige Erfassung der SMS-Kommunikation in dem Modell, stößt man abermals auf ihre vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten, die sich nur schwer einheitlich beurteilen lassen. Um sie dennoch umfassend und zutreffend abbilden zu können, müssen alle potenziell möglichen Gebrauchsweisen und Nutzungskontexte berücksichtigt und anhand der Kommunikationsbedingungen charakterisiert werden. Im Zuge einer solchen Herangehensweise ergeben sich für das konzeptionelle Relief keine eindeutigen punktuellen Positionierungen, sondern offene Bereich zwischen den Nähe- und Distanzmerkmalen. Das folgende Relief soll vor diesem Hintergrund ungefähr die Spannbreite der SMS-Kommunikation spiegeln, wobei die grau unterlegten Felder den möglichen Variationsbereich andeuten und die konkreten Punkte die privat-informelle SMS-Kommunikation unter guten Freunden abbilden. Bei der Einschätzung wird maßgeblich auf die bereits geleisteten Vorarbeiten des vorherigen Abschnitts zurückgegriffen (Kap. 3.1.2), in dessen Rahmen ein Großteil der geltenden außersprachlichen Bedingungen charakterisiert und in Bezug auf eventuell auftretende Variationsmöglichkeiten beschrieben wurde (in Form von harten, flexiblen und weichen Faktoren sowie deren Implikationen). Da es sich bei der betrachteten Kommunikationsform um medial vermittelte schriftliche Kommunikation handelt, ist das Relief innerhalb des Kontinuums mediatisierter Schriftlichkeit einzubetten: 228 Es muss jedoch eingeräumt werden, dass es eine recht statische Darstellung ist, die den Prozess der schriftlichen bzw. mündlichen Kommunikationsaktivität weitgehend unberücksichtigt lässt. Hierunter fallen etwa Aspekte wie die Organisation des Sprecherwechsels oder der gemeinsame, schrittweise konstruierte Sinngehalt als Ergebnis einer interaktionalen Handlung. <?page no="110"?> 110 Kontinuum mediatisierter Schriftlichkeit Distanzpol Nähepol MedialeBedingungen Zeitlichkeit ● Verfügbarkeit (Mobilität) ● Spracheingabeart ● Übertragungskapazität ● Speicherkapazität ● Diskretheit des Kommunikationsablaufs ● Interpersonelle Bedingungen Vertrautheit ● Emotionalität ● Involvement ● gemeinsamer Wissenkontext ● Situative Bedingungen Anzahl der Teilnemer/ Publikum ● Kommunikationsrichtung ● Kooperation (Interaktivität) ● Spontaneität ● Situations-/ Handlungseinbindung ● Referenzbezug ● Thematische Bedingungen Themenentwicklung ● Ernsthaftigkeit der Themengestaltung Problematisierung des Themas ... Damit ist die SMS-Kommunikation prinzipiell im Bereich der mediatisierten schriftlichen Nähekommunikation einzuordnen. Gemäß dieser Einschätzung sind an der konkreten sprachlichen Oberfläche Verschriftungs- und Verschriftlichungsmerkmale zu erwarten, die sowohl Ausdrucksformen direkter Nähekommunikation einschließlich medial angepasster, nähesprachlicher Verschriftungsvarianten enthalten (in Orientierung an den <?page no="111"?> 111 Nähepol direkter Mündlichkeit), als auch Elemente, die sich aus dem Kontinuum mediatisierter Schriftlichkeit ergeben. Diese Prognose stimmt mit den zusammenfassend dargestellten sprachlichen Besonderheiten der SMS- Kommunikation überein, so dass die obige Einschätzung durchaus aussagekräftig in Bezug auf eine varietätenlinguistische Beurteilung der Kommunikationsform zwischen Nähe und Distanz zu sein scheint. Abschließend fällt bei genauer Betrachtung des konzeptionellen Reliefs auf, dass die thematischen Parameter keine spezifische Einschätzung hinsichtlich der privaten SMS-Kommunikation unter guten Freunden aufweisen. Ausschlaggebend dafür ist die beträchtliche Komplexität dieses Bereichs, denn ähnlich wie bei einem spontanen Gespräch im Freundeskreis, können Themen und Inhalte unterschiedlichster Art vorkommen, wodurch sich dieser Bereich selbst bei ansonsten stabil bleibenden Kommunikationsbedingungen durch ein erhebliches Variationsspektrum auszeichnet. Jeder Versuch einer näheren Bestimmung wäre irreführend und würde zu einer ungenauen Charakterisierung der Kommunikationsform führen. Da der Untersuchungsschwerpunkt im Folgenden auf den spezifischen Verschriftungsstrategien innerhalb der SMS-Texte liegen wird bzw. auf möglichen Einflussfaktoren, die das Auftreten der oftmals sehr verschiedenartigen Schreibweisen bedingen, scheint die gleichermaßen vorhandene Vielfältigkeit bezüglich der thematischen Bedingungen durchaus einen vielversprechenden Ansatzpunkt darzustellen. Sie legt die Vermutung nahe, dass die Wahl einer bestimmten Schreibweise unter anderem von kommunikativ-funktionalen Parametern der Kommunikation beeinflusst werden kann. Dementsprechend werden wir diesen Bereich zu einem späteren Zeitpunkt detaillierter analysieren und mit den jeweiligen Schreibweisen in Relation setzen. Zuvor werden wir uns jedoch ausführlich den Verschriftungsbesonderheiten französischer SMS-Texte widmen und sie einer objektiv vergleichbaren Quantifizierung unterziehen, damit der im Fokus stehende langage SMS einen fundierten theoretischen Rahmen erhält. <?page no="112"?> 112 4 SMS-spezifischer Schriftkode: der langage SMS 4.1 Entstehung und Funktionen des langage SMS Bislang haben wir nur ansatzweise einen Eindruck davon erhalten, was der langage SMS ist und wodurch er sich maßgeblich auszeichnet. Der Begriff ist zunächst generell auf die Gesamtheit aller Verschriftungs- und Verschriftlichungsstrategien zu beziehen, die sich in SMS-Texten beobachten lassen, wobei das vorherige Kapitel bereits verdeutlicht hat, dass sich die Verschriftlichungsstrategien in aller Regel auf die bereits bekannten und erwartbaren Versprachlichungsstrategien des Nähesprechens beschränken und demnach keineswegs auf eine ‚SMS-Sprache’ als eigenes Idiom schließen lassen. Die entscheidenden sprachlichen Neuheiten sind vielmehr auf Verschriftungsebene anzusiedeln, als eine spezielle Art der graphischen Darstellung von zumeist phonisch Realisierbarem. Aufgrund dessen bezieht sich der Terminus langage SMS hauptsächlich auf die Charakteristika des besonderen Schriftkodes in SMS-Texten und ist im Folgenden in eben diesem Sinne zu verstehen. 229 Geht man der Frage nach den entscheidenden Einflussfaktoren für die Entstehung des langage SMS auf den Grund, so wird man zuerst auf die technischen Einschränkungen stoßen, die mit der unkomfortablen Handytastatur und der Begrenzung einer SMS auf ursprünglich 160 Zeichen einhergehen. 230 Vor allem Letzteres steht dem Bedürfnis entgegen, eine Fülle an Informationen zu übermitteln, die semantisch profund ist und möglichst viele Bedeutungsebenen der Sprache involviert. Keine andere digitale und schriftbasierte Kommunikationsform wies beim Aufkommen der 229 Vgl. dazu etwa Fairon et al. (2006a, 55): „Le langage SMS est essentiellement un code écrit strict a-t-on jamais entendu quelqu’un parler SMS! qui permet de transcrire tous les types de messages, des plus normés aux plus ‚débridés’. Ce sont les procédés graphiques utilisés, mais dont certains ne sont même pas nés avec les SMS, qui constituent la vraie originalité de cette communication écrite. Il ne s’agit donc en aucune façon d’une ‚nouvelle langue’ qui aurait besoin d’être ‚traduite’; en revanche, elle peut être ‚transcrite’ en graphie standard.” Und Anis (2001, 30) dazu: „Précisons d’emblée qu’il ne s’agit pas vraiment d’un ‚néo-français’, mais d’une série de procédés qui ne peuvent être utilisés de manière systématique, car les repères de lecture et d’écriture seraient alors totalement perdus.” Auch im Deutschen kann nicht von einer SMS-Sprache die Rede sein, da sich lediglich die graphische Gestaltung der SMS-Texte durch die Verwendung von Kurzformen ändert, nicht jedoch beispielsweise ihre syntaktische Struktur (vgl. dazu Dürscheid, 2002). 230 Heute variiert diese Begrenzung je nach Anbieter und Vertragsart sehr stark zwischen 90 und über 2000 Zeichen. <?page no="113"?> 113 SMS-Kommunikation eine solche Zeichenbegrenzung auf, so dass der unbedarfte Verfasser im Prozess der Textproduktion schnell an die medialen Grenzen zu stoßen drohte. 231 Allerdings scheint sich die Adaptionsphase recht schnell vollzogen zu haben, da eine durchschnittliche SMS gerade mal gut 92 Zeichen beansprucht. 232 Mit dem Akzeptieren dieser Einschränkung schwindet jedoch nicht zwangsläufig das restriktive Empfinden diesbezüglich: über ein Drittel der von uns befragten SMS-Nutzer erleben die Einschränkung häufig oder sehr häufig als belastend. Hinzu kommt die umständliche Texteingabe über die primär alphanumerische Tastatur des Handys. Zwar vollzieht sich mit dem vermehrten Aufkommen von Touchscreens bei der aktuellen Handygeneration gerade ein Wandel hinsichtlich der Texteingabe, jedoch sieht sich ein Großteil der SMS-Nutzer, vor allem im Alter zwischen 12 und 25 Jahren, nach wie vor mit dem Umstand konfrontiert, dass das gesamte graphische Zeichenrepertoire auf durchschnittlich nur 12 Tasten verteilt ist. Diese Einschränkung wird jedoch im Gegensatz zu der Zeichenbeschränkung häufig nicht als solche empfunden. 233 Drei von vier Befragten verweigern sich sogar der Verwendung des automatischen Worterkennungssystems T9, das die Texteingabe über die Handytastatur erheblich erleichtern soll. 234 Mögliche Erklärungsansätze lassen sich etwa darin finden, dass die Erkennungssoftware zu Beginn nicht zufriedenstellend funktioniert hat und der Algorithmus oftmals nicht unmittelbar das gewünschte Wort vorgeschlagen hat. Zudem enthält das implementierte Wörterbuch beinahe ausschließlich orthographisch korrekte Schreibweisen, weshalb graphische Kurzformen und kreative Ad-hoc-Varianten nicht erkannt werden. Dennoch sollte die 231 Es lassen sich in meinen Daten tatsächlich einige SMS auffinden, bei denen die Produzenten den zur Verfügung stehenden Zeichenvorrat offensichtlich falsch eingeschätzt haben und gegen Ende verstärkt graphische Kurzformen einsetzen. 232 Diese Angabe bezieht sich auf das hier untersuchte Referenzkorpus und stimmt weitgehend mit den Ergebnissen aus anderen Arbeiten überein. Nähere Angaben zum untersuchten Korpus und der parallel zur Datenerhebung durchgeführten Umfrage folgen in Abschnitt 4.2. 233 Knapp drei Viertel der Befragten empfinden sie nie oder selten als Komfortmangel, während nur gut ein Achtel die Texteingabe als erheblichen Mangel an Komfort erlebt. 234 In Deutschland stellen Dittmann et al. im Rahmen einer Umfrage ganz andere Ergebnisse fest: bereits im Jahr 2001/ 2002 gaben über 80% der Befragten an, das Worterkennungsprogramm fast immer zu benutzen, während nur 15% mit „(fast) nie“ antworteten. Im Zuge einer weiteren Studie im Jahr 2005 wurden dann schon über 90% der SMS mit Hilfe von T9 geschrieben (vgl. Dittmann et al. (2007, 31ff.)) Damit ist T9 in Deutschland wesentlich erfolgreicher als in Frankreich und scheint den Bedürfnissen der Nutzer besser gerecht zu werden. (Gründe hierfür könnten die eindeutigere Phonem-Graphem-Korrespondenz im Deutschen sein und die Tatsache, dass vor dem Aufkommen von T9 kaum Abkürzungen und Akronyme verwendet wurden, die nicht im implementierten Wörterbuch enthalten sind, so dass die Software mit größerer Wahrscheinlichkeit unmittelbar das gewünschte Wort vorschlägt.) <?page no="114"?> 114 Tatsache, dass sich ein Großteil der Nutzer offensichtlich an das umständliche Eingabeverfahren gewöhnt hat und es ergonomisch nicht (mehr) als Komfortmangel empfindet, nicht darüber hinwegtäuschen, dass es wesentlich zeitraubender bleibt als etwa die Texteingabe über eine Computertastatur und somit einer schnellen Textproduktion im Weg steht. Die formale Restriktion der Zeichenbeschränkung kombiniert mit der umständlichen Texteingabe gewinnt im Französischen durch die offenkundige Diskrepanz zwischen Phonie und Graphie zusätzlich an Brisanz: Die französische Orthographie wird als „phonologisch tiefes“ Schriftsystem bezeichnet, das zahlreiche ideographische und grammatikalische Informationen enthält, die über keinerlei Repräsentanten an der phonischen Oberfläche verfügen. 235 Somit steht sie in direktem Konflikt mit einer kurzen und schnellen Textproduktion: „A fortiori sur le clavier de son téléphone portable où, même avec des doigts de fée, envoyer un texte en règle avec l’Académie relève de l’exploit“. 236 Folglich sind Platz- und Zeitökonomie vorherrschende Bedürfnisse beim Erstellen einer informationsreichen Nachricht und schlagen sich, wie wir im Rahmen des langage SMS gleich sehen werden, in einer teilweise extrem verkürzenden graphischen Textgestaltung nieder. Neben formal-technischen Beweggründen für die Entstehung des langage SMS lassen sich auch kulturspezifische Einflussfaktoren nennen, die wiederum in engem Zusammenhang mit der Eigenschaft der französischen Orthographie als phonologisch tiefes Schriftsystem zu sehen sind. Die kühne Missachtung der orthographischen Norm, wie wir sie im Fall des langage SMS vorfinden, konnte sich in Frankreich unter anderem deshalb so schnell durchsetzen, weil sich bereits im Vorfeld eine Art allgemeine Abkürzungstradition feststellen ließ. Handschriftliche Mitschriften von Schülern und Studenten beispielsweise wiesen (und weisen noch heute) oftmals eine bezüglich der Orthographie fehlerhafte und defizitäre Schreibung auf, was den kreativen Umgang mit schriftlichen Konventionen grundsätzlich fördert. 237 Hinzu kommt, dass die normwidrige Schreibweise in Frankreich schon weit vor dem Aufkommen der SMS-Kommunikation Einzug in die technisch vermittelte Schriftkommunikation erhalten hat: gemeint ist die zwischenzeitlich sehr populär gewordene Kommunikation via Minitel, eine Art computervermittelte Schriftkommunikation über die 235 Vgl. Meisenburg (1996, 27). Den tiefen Schriftsystemen stehen so genannte „flache“ Graphien gegenüber, die als reine phonologische Transkriptionen aufgefasst werden können. Sie sparen nicht nur morphosemantische Bezüge bzw. lautliche Redundanz aus, sondern realisieren auch Homophone als Homographe. 236 Vgl. Anis (2001, 29). 237 Solche für den nicht initiierten Leser unverständlichen Abkürzungen lassen sich nicht nur im Bereich des privaten Gebrauchs finden, sondern auch beispielsweise in öffentlichen Zeitungsannoncen, wenn es etwa um die Öffnungszeiten eines Restaurants geht: „Ouv.TLJ […]“ ( Ouvert tous les jours […]). <?page no="115"?> 115 häusliche Telefonleitung, die bereits Abkürzungen wie „c“ ( c'est ), „med“ ( médecin ) oder „div“ ( divorcé ) aufwies. 238 Da SMS-Kommunikation zudem der Nähekommunikation zuzuordnen ist, werden Normen und Regeln mit noch größerer Leichtigkeit übergangen, um auf die reduzierten technischen Rahmenbedingungen zu reagieren. Die Verfasser befinden sich außerhalb des staatlichen Sanktionsbereichs, so dass ihre unkonventionelle Schreibweise lediglich gewährleisten muss, dass sie vom Empfänger verstanden wird. Androutsopoulos/ Schmidt sprechen in diesem Zusammenhang von zwei Haupttendenzen: Reduktion einerseits, kreativer Freiraum andererseits. 239 Man kann sogar den Eindruck gewinnen, dass es gerade die formale Restriktion der Zeichenbeschränkung ist, die eine zusätzlich kreative und spielerische graphische Gestaltung anregt. 240 Aus dieser Perspektive gewinnt der langage SMS neben der formal-technischen Motivationsdimension eine soziale hinzu: es geht nicht mehr allein darum, Platz und damit Kosten einzusparen, Zeit zu gewinnen und die motorische Anstrengung zu minimieren, sondern auch um individuelle, teils poetische Gestaltung der Nachricht, Herstellung einer Gruppenidentität, spielerisch kreativen Umgang mit der Sprache und um Regelbzw. Normverstoß. 241 Daraus lassen sich nun unmittelbar verschiedene Funktionen des langage SMS ableiten, allen voran die Ökonomiefunktion , die mit dem offenkundigen Interesse der Verfasser einhergeht, auf begrenztem Raum in minimaler Zeit ein Maximum an Informationen zu übermitteln. Ganz nüchtern betrachtet stellt der langage SMS somit ein aus finanzieller Sicht vernünftiges Verschriftungsverfahren dar. Jedoch geht aus den vorherigen Ausführungen hervor, dass es unzureichend wäre, allen auftretenden Kurzformen ausschließlich ökonomische Zwecke zu unterstellen. Vielmehr kann dem langage SMS zudem eine kollektive Identitätsfunktion 242 zugeschrieben werden, die vor dem Hintergrund zu betrachten ist, dass SMS-Neulinge, die zuvor noch keinen Kontakt mit dieser oder anderen schriftbasierten digitalen Kommunikationsformen hatten, zweifelsohne Schwierigkeiten beim 238 Vgl. Anis (1994). Er nennt derartige Schreibweisen „les néogrammes“ und stellt vor allem in Bezug auf die Interpunktion fest, dass redundante Zeichen häufig vernachlässigt oder weggelassen werden, während solche mit starkem semantischem oder expressivem Wert beibehalten werden. Er schlussfolgert unter anderem, dass „[l]es conditions matérielles de la production graphique pèsent sans les déterminer mécaniquement sur les idio-systèmes“ (Anis (1994, 96)). 239 Vgl. Androutsopoulos/ Schmidt (2002, 74). Auch wenn die Autoren diese Beobachtung hauptsächlich auf die Binnenstruktur der Kurznachrichten und damit auf die konzeptionelle Ebene beziehen, trifft sie in unserem Kontext in gleichem Maß auf die graphische Realisierungsebene zu. 240 Vgl. Döring (2002a, 112). 241 Einige Autoren sehen in der Kreation eigener Schriftkodes sogar das Streben nach einer Gegenkultur bzw. den intendierten Ausschluss aus der Gesellschaft (vgl. dazu etwa Anis (2001)). 242 Zum Begriff „kollektive Identitätsfunktion“ vgl. Döring (2002a). <?page no="116"?> 116 Entschlüsseln einer im langage SMS verfassten Nachricht haben werden. Ihnen fehlt das spezielle, unter den initiierten SMS-Nutzern sozial geteilte Wissen um den sachkundigen Gebrauch der Verschriftungsverfahren. Eltern beispielsweise werden teilweise bewusst von der Nutzergruppe ferngehalten, indem man ihnen ausschließlich orthographisch korrekt verfasste SMS sendet, damit die Jugendlichen „ihre eigene Sprache“ behalten. 243 Regeln und Normen werden ganz bewusst gebrochen, um sich über den kollektiv entstehenden Schriftkode zu identifizieren und von den Außenstehenden abzugrenzen. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass sich einige Schreibweisen ebenso gut im Rahmen der Chat-Kommunikation wiederfinden lassen und somit kein spezielles Kennzeichen mehr für die Zugehörigkeit zur Gruppe der SMS-Nutzer sind. Auch die Tatsache, dass SMS-Kommunikation zumeist innerhalb eines vertrauten Kreises von Personen stattfindet, die nur selten ihre Gruppenzugehörigkeit demonstrieren müssen, weist der kollektiven Identitätsfunktion nur eine untergeordnete Rolle zu. 244 Anders verhält es sich jedoch mit der persönlichen Identitätsfunktion , denn mit der kompetenten Anwendung des langage SMS geht ein gewisses Selbstbild einher: korrekte Orthographie gilt als spießig, kreative Abweichungen hingegen als jugendlich, innovativ oder ‚cool’. Im Rahmen dieser Funktion kommt noch eine zweite Ebene hinzu, da dem kompetenten und einfallsreichen Nutzer die Gelegenheit geboten wird, seine eigenen, unter Umständen sehr ausgefeilten Verschriftungsvarianten zu kreieren und sich durch deren Gebrauch von den Übrigen abzugrenzen. Neben dem Bedürfnis nach kollektiver Gruppenzugehörigkeit zu den kompetenten SMS- Verfassern spielt folglich das Bedürfnis nach individueller Anerkennung eine große Rolle: „[...] le scripteur va pouvoir tendre vers ‘le sommet de la pyramide’ via la réalisation de soi dans la situation de communication“. 245 Jeder eignet sich den kreativen Freiraum, den die SMS-Kommunikation 243 Vgl. Anis (2001, 71). Er verwendet diesbezüglich den Begriff der groupalité . 244 Döring wiederlegt in ihren Ausführungen sogar die These der Ausbildung eines durch Kurzformen geprägten, identitätsstiftenden kollektiven Sprachstils für die (deutschsprachige) SMS-Kommunikation: „Alle anderen beobachteten lexikalischen und syntaktischen Kurzformen waren entweder allgemein verständlich oder bezogen sich auf das Insiderwissen von sozialen Gruppen, die unabhängig von der SMS- Kommunikation bestehen [...]. Wenn Kurzformen eine kollektive Identitätsfunktion erfüllen, dann geht es um eine kollektive Identität realweltlich verankerter sozialer Gruppen. [...] Die soziale Bedeutung einer kollektiven Identitätskonstruktion als SMS-Nutzer/ in ist ohnehin fraglich: Zum Einen ist die Partizipation an der SMS- Kommunikation in kurzer Zeit ubiquitär geworden und somit kein soziales Distinktionsmerkmal mehr. Zum Anderen kommuniziert man per SMS überwiegend mit Menschen aus dem nahen sozialen Umfeld, so dass sich als Verständnisgrundlage diverse kollektive Identifikationen anbieten und kein Zuordnungsvakuum auftritt.“ (Döring (2002a, 17)). 245 Vgl. Liénard (2007, 273). <?page no="117"?> 117 bietet, auf seine eigene Art und Weise an, so dass einige Autoren sogar von der Ausbildung einer individuellen „SMS-Identität“ 246 sprechen. Die schöpferische Tätigkeit im Rahmen des langage SMS impliziert ein kreatives Spiel mit der Sprache und die Lust auf etwas Neues, womit wir zusätzlich von einer spielerischen Funktion sprechen können. Der Empfänger soll vor ein Rätsel gestellt werden, wobei Spaß an Innovation mit Spaß an Entschlüsselung einhergeht. Voraussetzung für die teils sehr phantasievolle graphische Gestaltung ist ein fundiertes Wissen über die (ortho-) graphischen Regeln und deren Zweideutigkeiten, damit innovative Wege gefunden werden können, um Letztere geschickt für eigene Zwecke auszunutzen. Schließlich kann dem Einsatz von langage SMS -Varianten eine Interpretationsfunktion zugeschrieben werden. 247 Die gezielte Verwendung von devianten Formen bietet Anhaltspunkte für den Interpretationsrahmen einer Kurzmitteilung und kann bei medialer Schriftlichkeit Informalität, Vertrautheit, emotionale Beteiligung und Nähe markieren. So kann der verstärkte Gebrauch von kreativ-phantasievollen Kurzformen spielerische Modalität indizieren, während die strikte Einhaltung schriftsprachlicher Konventionen Ernsthaftigkeit hervorheben kann. Emulierte Prosodie 248 in expressiven Verabschiedungssequenzen wie bizouzoux 249 beispielsweise kann hohe emotionale Beteiligung zum Ausdruck bringen und durch den Einsatz von Interjektionen wie ben kann der Nachricht zudem ein Interpretationsrahmen geprägt von Unmittelbarkeit, Ungezwungenheit und Spontaneität verliehen werden. Damit lässt sich nicht nur die Wahl bestimmter grammatikalischer und lexikalischer Ausdrucksmittel, sondern auch die Wahl bestimmter Verschriftungsformen als „Kontextualisierungshinweis“ im Gumperz’schen Sinn auffassen. 250 Der Sender liefert durch seine spezielle Verschriftung, die er aus dem Repertoire an langage SMS -Varianten auswählt, neben dem propositionalen Gehalt der Botschaft zugleich auch den 246 Liénard verfolgt in diesem Zusammenhang die Hypothese einer „construction identitaire virtuelle en CMO [communication médiatisée par ordinateur] et CMT [communication médiatisée par téléphone mobile]“, die sich jedoch nur in Teilen bestätigt (vgl. dazu Liénard (2007) und die Ausführungen in Kap. 2 „Stand der Forschung“). 247 Döring (2002a). 248 Vgl. dazu Haase et al. (1997, 68) sowie die Ausführungen in Kap. 3.2.3. 249 Konkrete Beispiele aus den SMS-Texten werden von nun an in dieser Schriftart realisiert, um die langage SMS -Varianten bewusst vom restlichen Text abzuheben. 250 Vgl. dazu etwa Gumperz (1992a, 231). Er fokussiert in seinem Kontextualisierungsansatz zwar vornehmlich die direkte mündliche Interaktion, jedoch betont er, dass jede interpretierbare sprachliche Struktur gerade durch Variabilität ein indexikalisches Element in sich tragen kann, so dass auch die gewählten sprachlichen (Schrift-) Zeichen ein kontextaufbauendes Potential besitzen können. Im Zuge der nachfolgenden Ausführungen und der abschließenden Datenauswertung in Kap. 7 werden noch einige Beispiele genannt, die das kontextaufbauende Potential des langage SMS explizit verdeutlichen. <?page no="118"?> 118 Rahmen mit, in den sie sich einbettet. Generell lässt sich bei vielen SMS- Texten eine gewisse Freude am Imitieren informeller gesprochener Sprache erkennen und das Bedürfnis, den Botschaften durch die Verwendung von emulierter Prosodie, sprechsprachlichen Abkürzungen, Adjazenzellipsen oder auch Ausdrücken aus Substandardregistern den Eindruck von Mündlichkeit zu verleihen. Döring spricht in diesem Zusammenhang von einer „bewussten Verletzung schriftsprachlicher Normen zugunsten eines gesteigerten Erlebens von psycho-sozialer Nähe zwischen Text-Autor/ in und Text-Leser/ in“. 251 Die hohe Affinität der SMS-Kommunikation zur kommunikativen Nähe soll bei gleichzeitiger graphischer Realisierung und physischer Distanz deutlich zum Ausdruck gebracht werden. 252 Bevor wir uns den konkreten Charakteristika des langage SMS widmen, sollten wir uns abschließend bewusst machen, dass jugendliche Nutzer heutzutage in eine komplexe Landschaft an kommunikativem Angebot integriert sind und dieses auch vielseitig wahrnehmen. Es muss demnach von einer gegenseitigen Beeinflussung der jeweils auftretenden sprachlichen Phänomene ausgegangen werden, die eine Untersuchung des speziellen Schriftkodes in SMS-Texten ausschließlich im gesamten Bereich der zur Verfügung stehenden digitalen Kommunikationsformen sinnvoll erscheinen lässt. Vornehmlich handelt es sich hierbei um internetbasierte Kommunikationsformen wie Chat, Instant Messaging und E-Mail, deren Kommunikationsbedingungen analog zur SMS-Kommunikation ebenfalls zumeist dem Bereich der mediatisierten schriftlichen Nähekommunikation zuzuordnen sind. Auch für sie wird teilweise die Existenz eines eigenen Schriftkodes postuliert („langage des chats“, „cyberlangue“ oder gar „cyberl@ngue“ 253 ), die sich in ihrer Beschaffenheit auszugsweise durchaus mit dem langage SMS vergleichen lassen. 254 Für einige der graphostilistischen Phänomene des langage SMS konnte sogar eine explizite Entlehnung aus einem der anderen Bereich nachgewiesen werden, darunter etwa das ikonographische Gesicht „: -)“, das ursprünglich im Zuge der Internetkommunikation erfunden wurde. 255 Bemühen wir uns im Folgenden also um eine Charakterisierung des langage SMS , muss die Koexistenz und wechselseitige Einflussnahme der anderen digitalen Kommunikationsformen berücksichtigt werden, damit kein verzerrtes Bild entsteht. Gleichzeitig ist eine separate Detailanalyse von großer Wichtigkeit, um übereilte Verallgemeinerungen zu vermeiden, denn wie wir später noch sehen werden, lassen 251 Vgl. Döring (2002a, 101). 252 Für detaillierte Ausführungen zur Einbettung der SMS-Kommunikation im erweiterten Nähe/ Distanz-Kontinuum vgl. Kap. 3.2. 253 Vgl. Dejond (2002). 254 Gründe hierfür sind sicherlich in den teilweise identischen Kommunikationsbedingungen und in vergleichbaren formalen und sozialen Funktionen zu suchen. 255 Für nähere Ausführungen vgl. Kap. 4.3.3. <?page no="119"?> 119 sich durchaus qualitative und quantitative Unterschiede zwischen den Kommunikationsformen feststellen. 4.2 Das untersuchte Korpus Dieser Arbeit liegt ein Gesamtkorpus bestehend aus zwei Teilkorpora zugrunde, die im Abstand von drei Jahren an unterschiedlichen Orten erhoben wurden. Der erste Teil stammt größtenteils aus der Umgebung von Montpellier und wurde im Juni 2005 im Zuge eines Kurzaufenthalts erfasst („Montpellier-Korpus“). Dabei wurden Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 13 und 25 Jahren an öffentlichen Plätzen oder am Strand persönlich angesprochen, mit der Bitte, einige der im Posteingang ihres Handys gespeicherten Kurzmitteilungen zur Verfügung zu stellen. Voraussetzung war, dass die SMS tatsächlich im Vorfeld versendet wurden und nicht etwa speziell für die Studie angefertigt wurden. Zwecks Archivierung wurden die SMS-Texte derzeit noch handschriftlich auf Papier übertragen und anschließend in eine entsprechende Datei übernommen, wodurch Übertragungsfehler nicht gänzlich ausgeschlossen werden können. Zudem wurde im Juni 2005 ein kleines Netzwerk französischer Studenten dazu animiert, eine Auswahl ihrer gespeicherten Kurzmitteilungen originalgetreu per E-Mail zu übermitteln, so dass insgesamt ein Korpus von gut 350 SMS zusammengestellt werden konnte. Das zweite Teilkorpus wurde im April 2008 in Paris erhoben und umfasst weitere 570 Kurzmitteilungen („Paris-Korpus“). Hierfür wurden ebenfalls Jugendliche und junge Erwachsene an beliebten Freizeitstätten (Parks, Spielplätze oder Einkaufszentren) bzw. an Orten wie Universitätsbibliotheken, Cafés oder Bars angesprochen, um sie auf das vorliegende Forschungsprojekt aufmerksam zu machen. Bei dieser Befragung wurde explizit nach Kurzmitteilungen aus dem eigenen Postausgang gefragt, d.h. nach solchen, die der Informant eigens verfasst und versendet hat. Allerdings werden die ausgehenden Kurzmitteilungen nur bei bestimmten Handykonfigurationen automatisch gespeichert, so dass in einigen Fällen auf die von anderen Absendern erhaltenen Nachrichten im Posteingang zurückgegriffen werden musste. Die konkreten SMS wurden diesmal mit einer Digitalkamera abfotografiert, so dass sie zumeist inklusive Datum, Uhrzeit, Empfängerbzw. Absenderinformationen sowie vollständigem Text digital archiviert werden konnten. Im Zweifelsfall können somit jederzeit die Originaldaten zur Verifizierung herangezogen werden. Zum Paris-Korpus wurden im Rahmen eines Fragebogens zusätzlich soziolinguistische Informationen erhoben, die nicht nur allgemeine Angaben zum Benutzerprofil wie Alter, Beruf, Herkunft, etc. beinhalten, sondern auch spezielle Ein- <?page no="120"?> 120 schätzungen zu den persönlichen SMS-Verschriftungsgewohnheiten. 256 Er liegt von insgesamt 120 Teilnehmern in ausgefüllter Form vor, wovon 66 Informanten zugleich Kurzmitteilungen zur Verfügung gestellt haben. Somit lassen sich insbesondere die aus den Postausgängen der jeweiligen Teilnehmer stammenden SMS vor dem Hintergrund des individuellen Benutzerprofils untersuchen (vgl. dazu auch die Einzelanalysen in Kap. 7). Die Informanten waren im Alter zwischen 11 und 28 Jahren, davon 71 weiblich und 49 männlich: Anzahl der Teilnehmer pro Alter 0 5 10 15 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 Alter Anzahl Bevor mit der Datenauswertung begonnen werden konnte, mussten die beiden Korpora zunächst zu einem Gesamtkorpus von gut 930 SMS zusammengeführt und angemessen aufbereitet werden. Hierfür wurden die SMS-Texte in einem ersten Schritt anonymisiert, d.h. Personennamen, E-Mail- oder Postadressen, Telefonnummern und sonstige Nummern- oder (Web-) Adressangaben wurden durch ausgewählte, im Gesamtkorpus einheitlich verwendete Angaben ersetzt. Um die SMS-Länge nicht zu beeinflussen und um eine möglicherweise erforderliche liaison weiterhin anzeigen zu können, wurde eine Liste unterschiedlich langer, vokalisch und konsonantisch anlautender, weiblicher und männlicher Vornamen erstellt (vgl. dazu „Konventionen für die Transkription“ im Anhang). Anschließend wurden die Originaltexte ins orthographisch korrekte Französisch transkribiert, wodurch sie einerseits auch für Leser verständlich werden, die nicht mit all den Raffinessen des langage SMS vertraut sind, und andererseits eine geeignete Grundlage für die nachfolgende Auswertung darstellen. Im Zuge der Transkription mussten bestimmte Regeln aufgestellt werden, die bei der Übertragung in die korrekte Orthographie einzuhalten waren. So wurde etwa entschieden, dass die vorkommenden Smileyvarianten, die aus konventionellen Texten nicht bekannt sind, in der Transkription unverändert beibehalten werden. Die Formulierung von konkreten Regeln gestaltete sich im Einzelfall nicht immer leicht, da beispielsweise entschieden werden musste, wie mit der Groß- und Kleinschreibung verfahren wird, die in 256 Für die Konzeption des Fragebogens wurde sich maßgeblich an der von Fairon/ Klein/ Paumier (2006a) im Rahmen des Projekts „Faites don de vos SMS à la science“ durchgeführten Online-Befragung orientiert. <?page no="121"?> 121 vielen SMS-Texten nicht normgerecht eingehalten wird. Auch der Umgang mit Grammatikfehlern (etwa fehlerhafte Genusangleichungen) oder mit der häufig vorkommenden eingliedrigen Verneinung musste einheitlich geregelt werden. Tendenziell wurde sich dafür entschieden, so wenig Veränderungen wie möglich am Originaltext vorzunehmen, da der Untersuchungsschwerpunkt in dieser Studie nicht auf der Verschriftlichung, sondern auf der Verschriftung liegt. Ein ausgelassenes Negationsmorphem ne oder sonstige syntaktische Ellipsen, deren Inhalt aus dem Kontext erschließbar ist, werden daher in unveränderter Form transkribiert. 4.3 Die langage SMS-Verschriftungsstrategien Im Folgenden wird es nun darum gehen, die Charakteristika des langage SMS vorzustellen, zu systematisieren und speziell für die weitere Herangehensweise zu typologisieren. Dabei werden wir teilweise auf bereits in anderen Arbeiten vorgestellte Kategorien zurückgreifen, an einigen Stellen jedoch bewusst Abstand von ihnen nehmen, da sie andere Untersuchungsschwerpunkte verfolgen. In Kapitel 3.2 sind wir bereits ausführlich auf die Einordnung privat-informeller SMS unter guten Freunden in das von uns erweiterte Nähe/ Distanz-Kontinuum eingegangen und haben überblickartig die erwartbaren und tatsächlich auffindbaren Stilelemente auf konzeptioneller Ebene vorgestellt. Im folgenden Kapitel werden wir das Augenmerk entsprechend der obigen Auffassung des Begriffs langage SMS auf die materiell graphische Realisierungsebene richten. Die Art der Verschriftung im Sinne eines spezifischen ‚Verschriftungsstils’, also die jeweilige graphische Repräsentation der phonisch realisierbaren Äußerung, wird im Zentrum des Interesses stehen, während konzeptionelle Beobachtungen im Sinne einer speziellen Sprachregisterwahl nur sehr vereinzelt relevant sein werden. Im Zuge dessen wird sich herausstellen, dass die wenigsten der konstitutiven Verschriftungsstrategien eine Erfindung des langage SMS sind, sondern vielmehr altbekannte Verfahren aus anderen kommunikativen Produktionskontexten bzw. Schriftkulturen, die innovativ miteinander kombiniert werden. So weisen handschriftliche Notizen oder gar Zeitungsanzeigen nicht selten Abkürzungen der Form „bcp“ für beaucoup oder „tt“ für tout auf und auch das Lachakronym „lol“ für laughing out loud ist aus der internetbasierten Schriftkommunikation bereits hinreichend bekannt. Gleichwohl werden sich einige „Ad-hoc-Abkürzungen“ 257 und geballt auftretende Kombinationen aus verschiedenen Verschriftungsstrategien beobachten lassen, die kennzeichnend für den langage SMS sein werden. Die nachfolgende Typologisierung der Verschriftungsstrategien ist speziell für die weitere Vorgehensweise konzipiert und wird sich an drei 257 Zum Terminus Ad-hoc-Abkürzung vgl. etwa Dittmann et al. (2007, 20). <?page no="122"?> 122 Haupttendenzen orientieren, die den Schreibweisen jeweils zugrunde liegen können: Wie im Rahmen der Ökonomiefunktion des langage SMS bereits dargestellt, besteht ein maßgebliches Interesse der Verfasser darin, möglichst ökonomisch zu verschriften, d.h. hinsichtlich Platz- und Zeiteinsparung effizient zu sein. Neben dieser ökonomischen Bemühung um Effizienz lässt sich ein weiteres Bestreben nach möglichst ‚ausgereiften’, weitgehend verschlüsselten langage SMS -Varianten erkennen, die eine gewisse Professionalität oder Expertise des Verfassers im spielerischen Umgang mit der Sprache bezeugen. Die daraus resultierenden enigmatischen Schreibweisen sind oftmals gleichzeitig effizient, so dass sich die Verfasserintentionen ‚Effizienz’ und ‚Expertise’ durchaus überlagern können. Hinzu kommt das Bedürfnis der Kommunikationspartner, trotz physischer Distanz und uniformer digitaler Schriftlichkeit möglichst hohe kommunikative Nähe herzustellen, so dass ein gewisses Verlangen nach Expressivität entsteht, das sich entsprechend in expressiven Schreibungen äußert. Letztere stehen zwar nicht zwangsläufig in Opposition zu dem Bestreben nach Effizienz, sind jedoch im Regelfall wenig ökonomisch. Die jeweils angeführten Beispiele stammen aus dem vorliegenden Gesamtkorpus und werden parallel in ihrer entsprechenden orthographisch korrekten Form angegeben, wobei nochmals darauf hingewiesen sei, dass sich die Transkriptionsregeln in ausführlicher Form im Anhang befinden. 4.3.1 Primär effiziente Verschriftungsstrategien 4.3.1.1 Ideogramme Ein bereits von den Ägyptern verwendetes Verschriftungsverfahren besteht in der Verwendung eines sprachübergreifenden Schriftzeichens für die Repräsentation einer ganzen Äußerung oder einer Idee. 258 Ideogramme stellen neben den so genannten Piktogrammen eine besondere Art von Logogrammen dar. Ihre jeweilige Bedeutung ist nicht etwa aufgrund einer Ähnlichkeit mit dem bezeichneten Objekt zu erschließen (so verhält es sich bei den Piktogrammen), sondern lediglich aufgrund einer mehr oder weniger künstlich hergestellten, sprachübergreifend geltenden Konvention. In der Peirce’schen Terminologie für mögliche semiotische Beziehungen des Repräsentamens zum Objekt verhält sich das Ideogramm demnach als Symbol zur repräsentierten Äußerung. 259 Ideogramme begegnen uns in der Alltagswelt sehr häufig, etwa auf Preisschildern in Form von Numeralia oder auf anderen Hinweisschildern. Sie stellen ein wenig innovatives, aber sehr effizientes Verschriftungsverfahren dar, das leicht verstanden wird: 258 Bußmann (2002, 414 und 289). 259 Vgl. Trabant (1989, 35). Im Gegensatz zu den Ideogrammen sind Piktogramme im Peirce’schen Sinn als „Icons“ aufzufassen (vgl. dazu weiter unten). <?page no="123"?> 123 In den Originaldaten lassen sich auch Ideogramme finden, die nicht universell sprachübergreifend konventionalisiert sind, sondern aufgrund ihrer Entstehung (unter anderem) in der französischen Sprache auf eben diese begrenzt sein können. So ist „kg“ ursprünglich eine Abkürzung des französischen Wortes kilogramme , die sich durch regelmäßigen, einheitlichen Gebrauch konventionalisiert hat. Eine Rekonstruktion der vollständigen Graphie zur Identifikation der Bedeutung ist nicht mehr nötig, da die Kurzform unmittelbar wie ein Ideogramm auf diese verweist. Zwar sind Ideogramme für die schriftliche Kommunikation grundsätzlich eine sehr ökonomische Methode, jedoch muss im Rahmen der SMS- Kommunikation berücksichtigt werden, dass ihre Eingabe über die alphanumerische Tastatur zumeist sehr kompliziert und zeitaufwendig ist. Das Euro-Zeichen ist beispielsweise in den wenigsten Fällen direkt über eine der Zifferntasten zugänglich, sondern muss umständlich im Repertoire der Sonderzeichen gesucht werden. 260 Auch Ziffern sind den Buchstaben im Schreibmodus nachgeordnet, so dass man beispielsweise vier Mal auf die Taste „2“ drücken muss, um tatsächlich die Ziffer 2 zu erhalten. Vor diesem Hintergrund verkörpert die Verwendung von Ideogrammen im langage SMS nur bedingt eine effiziente Verschriftungsstrategie, da sie zwar Platzökonomie, aber nicht immer Zeitökonomie mit sich bringt. 260 Es hängt von der jeweiligen Handysoftware ab, ob ein direkter Zugriff auf das jeweilige Schriftzeichen ermöglicht wird bzw. welche Sonderzeichen ganz grundsätzlich für die Textproduktion zur Verfügung stehen. Als Referenz für die vorliegende Arbeit dient das lange Zeit gängige NOKIA-Modell 6230i. <?page no="124"?> 124 4.3.1.2 Graphische Reduktionen Eine graphische Reduktion liegt immer dann vor, wenn das von der Orthographie geforderte graphische Zeichenmaterial eines signifiant um einzelne Grapheme oder Graphemketten gekürzt wird, ohne die verbleibenden Grapheme in ihrer Qualität zu verändern. Dabei kann die Reduktion des Zeichenkörpers in unterschiedlich starkem Ausmaß, an unterschiedlichen Positionen der Äußerung und mit unterschiedlichen Auswirkungen auf die resultierende Kurzform vorgenommen werden. Kobler-Trill unterscheidet grundsätzlich zwischen Abkürzungen , die rein graphischer Natur sind (im Französischen abréviation : „cmt“ für comment ) und Kurzwörtern , die phonetisch als solche realisiert werden ( abrègement : „appart“ für appartement ). 261 Es wird sich herausstellen, dass sich in SMS-Texten auch eine Art Mischform finden lässt, die zwar in der Theorie phonetisch realisiert werden könnte, in der Sprachpraxis jedoch nicht attestiert ist und damit als nicht-konventionelle Abkürzung aufgefasst werden kann (etwa „dem“ für demain ). Eine trennscharfe Abgrenzung derartiger Ad-hoc-Abkürzungen gegenüber Kürzwörtern ist zwar nur schwer möglich, jedoch sind es gerade diese spontanen Reduktionen, die typisch für die SMS-Kommunikation sind. Um eine bessere Übersichtlichkeit und eine klare typologische Abgrenzung der Verschriftungsstrategien gewährleisten zu können, bietet sich eine weitere Unterteilung der graphischen Reduktionen an: (a) Kurzwörter In Kapitel 3.2 haben wir bereits erläutert, dass gängige Kurzwörter aus dem français familier und der französischen Jugendsprache in SMS-Texten zu erwarten sind, da sich der in den Texten verwendete Sprachgebrauch aufgrund der nähesprachlichen Kommunikationsbedingungen vornehmlich an der direkten mündlichen Nähekommunikation orientiert. Es handelt sich dabei jeweils um mehr oder weniger konventionalisierte lexikalische Kürzungen, die sich in Abhängigkeit vom syntaktischen Ort der Tilgung in Aphärese, Synkope und Apokope (der weitaus häufigere Fall in der französischen Sprache) einteilen lassen (vgl. nachfolgende Tabelle). Betrachten wir zunächst einige vollständig konventionalisierte Kurzwörter, die zwar in ihrer gekürzten Form abermals einer Verschriftungsstrategie unterzogen werden können, jedoch im Vergleich zu ihrer lexikalischen 261 Vgl. Kobler-Trill (1994). Doppagne (2007, 63ff.) gibt einen kurzen Überblick über die definitorische Entwicklung der Bezeichnung abréviation in französischen Enzyklopädien und kommt ähnlich wie Kobler-Trill zu dem Schluss, dass es sich um einen primär graphischen Prozess handelt, dessen abgekürztes Ergebnis keine spezielle phonetische Realisierung besitzt, sondern wie die korrespondierende Vollform ausgesprochen wird. <?page no="125"?> 125 Vollform bereits jetzt einen teils beachtlichen Ökonomieeffekt mit sich bringen: Neben den allgemeinsprachlichen Kurzwörtern lassen sich im Korpus auch weniger konventionalisierte Kurzformen finden, die eher an diversen Kürzungsphänomenen der informellen gesprochenen Sprache orientiert sind. Auffälligerweise treten vermehrt Aphäresen auf, ein typisches Merkmal französischer Jugendsprache. 262 Hinzu kommt, dass sich speziell im Fall einer Apokope die Qualität des nunmehr neuen Auslautkonsonanten verändern kann (zumeist handelt es sich um einen Wechsel von stimmhaft in stimmlos oder umgekehrt). Da die Verfasser stets an der Aussprache orientiert sind, bemühen sie sich um eine entsprechend treue Wiedergabe. Bei einigen Beispielen ist indes nicht ganz sicher, ob sie tatsächlich eine entsprechende phonetische Realisierung besitzen (markiert durch *): 263 262 Vgl. Goudaillier (2001, 27). 263 Bei der lautschriftlichen Wiedergabe der langage SMS -Varianten im IPA wird sich im Folgenden jeweils am code parlé orientiert, so dass durchaus Abweichungen von der normierten Aussprache entstehen können. Wir werden später sehen, dass bei einigen Beispielen nicht eindeutig beurteilt werden kann, welche entsprechende lautliche Realisierung der langage SMS -Verschriftung zugrunde liegt, so dass verschiedene Möglichkeiten angegeben werden müssen (vgl. Abschnitt „Phonetische Varianten“). <?page no="126"?> 126 Im Gegensatz zu den konventionalisierten Kurzwörtern, die bereits über eine normierte Schriftform verfügen (ersatzlose Tilgung von Wortbestandteilen), ist von den Verfassern im Fall der nicht-konventionalisierten, rein sprechsprachlichen Kurzwörter etwas mehr Kreativität gefordert. Es entstehen graphische Formen, die sowohl bei der Kodierung, als auch bei der Dekodierung etwas mehr Energieaufwand erfordern und teilweise enigmatische Züge aufweisen. Auch wenn ihre Entstehung, wie bereits erwähnt, auf konzeptioneller Ebene anzusiedeln ist und nicht erst im Kontext der SMS-Kommunikation hervorgerufen wird, bringen sie dennoch einen Zugewinn an Effizienz durch Platz- und Zeitersparnis mit sich. (b) Konsonantische Skelette Eine weitere, sehr verbreitete Abkürzungsmethode, die auch außerhalb des langage SMS ihre Anwendung findet, besteht in der Tilgung der Vokalgrapheme einer Äußerung. Die so entstehenden konsonantischen Skelette 264 , oder auch konsonantischen Rumpfformen 265 , lassen sich nicht nur in handschriftlichen Notizen von Schülern und Studenten vermehrt auffinden, sondern auch in Zeitungsannoncen und auf öffentlichen Hinweisschildern. In den meisten Fällen sind stark verbreitete Wörter davon betroffen, so dass die gekürzte Form dank des häufigen Gebrauchs schnell zur Konvention wird, ohne dabei das Verständnis zu gefährden („bcp“ für beaucoup ). Im langage SMS werden nun nicht nur beinahe konventionalisierte Kurzformen verwendet, sondern auch weniger frequente Varianten. Vereinzelt können neben den Vokalen auch Konsonanten in schwacher Position eines Konsonantenclusters getilgt werden, wobei Anfangs- und Endkonsonant in der Regel beibehalten werden. 266 Teilweise entstehen nur schwer entschlüsselbare Abkürzungen, die sich auf mehrere verschiedene orthographische Grundformen zurückführen lassen und somit zu Zweideutigkeiten bei der Bedeutungszuweisung führen können. Folglich kann das Bestreben nach Effizienz durch eine enigmatische Dimension ergänzt werden (vgl. die Beispiele, für die zwei verschiedene Transkriptionen angegeben sind): 264 Zum Terminus squelettes consonantiques vgl. etwa Anis (1999, 88). 265 Vgl. Thaler (2003, 62). 266 Davon betroffen sind vorwiegend die Konsonanten l, r, und h in zweiter Position des Silbenonsets (problème → pb) oder n, m in erster Position einer komplexen Silbenkoda, die an der phonetischen Oberfläche die Nasalisierung des vorangehenden Vokals bewirken (quand → qd). Vgl. dazu Anis (2006). <?page no="127"?> 127 Die Beispiele in der rechten Spalte verdeutlichen, dass zum Einen eine gewisse Kompetenz des Empfängers für die Dekodierung vorausgesetzt wird und zum Anderen der Kontext für das eindeutige Verständnis erforderlich sein kann. (c) Ad-hoc-Abkürzungen Neben den Abkürzungen in Form von konsonantischen Skeletten weist das Korpus eine Vielzahl von Kurzformen auf, die sich zwar, ähnlich wie die Kurzwörter, durch Tilgung von graphischem Zeichenmaterial an einer bestimmten Stelle der Äußerung auszeichnen, nicht jedoch automatisch die Tilgung der entsprechenden phonischen Konstituenten bedingen oder gar voraussetzen. Es handelt sich vielmehr um Teilkürzungen, die im Schreibprozess spontan entstehen und nur auf graphischer Ebene ihre Auswirkungen zeigen, d.h. gesprochen in dieser Form nicht vorkommen. Da solche Ad-hoc-Abkürzungen von den Empfängern aufgrund ihres unregelmäßigen Auftretens isoliert nur schwer verstanden werden, muss auch hier zur Erschließung auf den Kontext zurückgegriffen werden. In den meisten Fällen handelt es sich um wortfinale Tilgungen: Die Verwendung solcher Ad-hoc-Abkürzungen bezeugt einen kompetenten und spielerischen Umgang mit der Sprache, der aber nach wie vor primär effiziente Ziele bezüglich Platz- und Zeitökonomie verfolgt. (d) Reduktionen auf den Anfangsbuchstaben (Initialabkürzungen) Bei dieser radikalsten Form der Abkürzung repräsentiert einzig der Anfangsbuchstabe eines graphischen signifiant die gesamte semantische Information der Vollversion, so dass sich der verbleibende Anfangsbuchstabe <?page no="128"?> 128 als eine Art Logogramm oder „Paralogogramm“ auffassen lässt. 267 In den meisten Fällen handelt es sich dabei um grammatische Funktionswörter wie Präpositionen, Artikel, Pronomen und Konjunktionen, die im Rahmen des gesamten SMS-Textes „sozusagen semantisch entlastet sind, das heißt sie können aufgrund des grammatischen Zusammenhangs auch dann interpretiert werden, wenn ihr Zeichenkörper stark reduziert ist“. 268 (e) Akronyme (Buchstabier-/ Lautsprachliche Akronyme) Falls die inhaltlich zusammenhängenden Wörter einer Wortgruppe derart gekürzt werden, dass jeweils nur die Anfangsbuchstaben beibehalten werden, so spricht man von Akronymen. 269 Im Französischen wird hierbei zusätzlich zwischen acronymes und sigles unterschieden: 270 Erstere zeichnen sich dadurch aus, dass die beibehaltenen Anfangsbuchstaben zu einer phonetischen Einheit zusammengefügt werden, eine Lexikalisierung erfahren und anschließend durch Derivation weitere Neologismen hervorbringen können ( sida 271 und sidéen , zuvor sidatique ). Im Deutschen spricht Döring hier von Lautwert-Akronymen. 272 Im zweiten Fall der sigles werden die verbleibenden Anfangsbuchstaben ausbuchstabiert („Buchstabier- Akronyme“ 273 ) und durch so genannte Abkürzungspunkte in der Graphie markiert ( S.N.C.F. oder H.L.M. ). Im Unterschied zu den Abkürzungen im engeren Sinn werden die Buchstabier-Akronyme in ihrer gekürzten Form 267 Anis (2006). 268 Vgl. Schlobinski et al. (2001, 18). 269 Hier ist zu beachten, dass die Abgrenzung von Akronymen und Abkürzungen teilweise unterschiedlich vorgenommen wird (vgl. etwa Dürscheid (2002a) und Döring (2002a)). 270 Vgl. etwa Doppagne (2007, 83ff.) 271 SIDA (oder sida) ist das französische Akronym von Syndrome de l'Immunodéficience Acquise (Übersetzung aus dem Englischen für Acquired Immune deficiency Syndrome mit dem entsprechenden Akronym AIDS), das aufgrund der vollzogenen Lexikalisierung bekannter ist als die zugrunde liegende Vollversion. Im Deutschen hat ebenfalls eine Lexikalisierung stattgefunden (AIDS), wobei hier keine weiteren Wortbildungsprozesse stattgefunden haben (etwa „Aidsler“ analog zum französischen Wort sidéen ). 272 Vgl. Döring (2002a, 106). 273 Ebd. <?page no="129"?> 129 ausgesprochen und bilden teilweise sogar Derivate (vgl. „érémiste“ für bénéficiaire du R.M.I. ). Im Französischen findet man solche Kurzformen sehr häufig für die Benennung wirtschaftlicher und politischer Organisationen bzw. Abteilungen. Sie können aber auch für direktive Sprechakte aus dem alltäglichen Leben wie beispielsweise t.s.v.p. für tournez s’il vous plaît stehen. In SMS- Texten werden neben den allgemeinsprachlichen Akronymen auch Kurzformen verwendet, die nicht konventionalisiert sind, sondern größtenteils aus englisch- oder französischsprachigen Chats übernommen wurden und zumeist feste Ausdrücke repräsentieren. Bei Entlehnungen aus dem Englischen kann man davon ausgehen, dass der ursprüngliche englische Ausdruck bzw. dessen Bedeutung nicht allen Benutzern im Detail bekannt ist (vgl. etwa „lol“ für laughing out loud ). Solche Akronyme können nur dann funktionieren, wenn sie regelmäßig und beinahe konventionalisiert verwendet werden, so wie es sich bei dem Lautwertakronym „lol“ beobachten lässt, das dank seiner Popularität im digitalen Schriftverkehr eine Lexikalisierung erfahren hat und in manchen Fällen sogar einer Konversion unterzogen wird. 274 4.3.1.3 Pseudophonetische Schreibungen Es wurde bereits angedeutet, dass die französische Orthographie ein phonologisch tiefes Schriftsystem ist, das sich unter anderem durch mehrdeutige, teils unregelmäßige und kontextabhängige Graphem-Phonem- Korrespondenzen auszeichnet, deren Ursprung maßgeblich in seinem historischen Charakter begründet ist. Graphische Morphemkonstanz und homonymendifferenzierende Schreibungen prägen die ideographischen und grammatikalischen Teilbereiche der Orthographie, was sich vor allem auf die Relation Phonem → Graphem auswirkt. So kann beispielsweise der Laut [o] durch das einzelne Graphem <o> repräsentiert werden, aber eben auch durch den Digraphen <au>, den Trigraphen <eau> oder gar den Tetragraphen <eaux>. 275 Da der Verfasser einer SMS an Platz- und Zeiterspar- 274 Etwa „sa lol plu“ für ça lol plus im Sinne von ce n'est plus rigolo . 275 Für nähere Ausführungen zu den Charakteristika des französischen Schriftsystems vgl. etwa Bally (1965), Blanche-Benveniste/ Cherval (1974), Meisenburg (1996). <?page no="130"?> 130 nis interessiert ist und zudem das offenkundige Bedürfnis hat, in seiner Verschriftung ein möglichst treues Abbild der phonetischen Oberfläche zu realisieren, entscheidet er sich in den meisten Fällen für eine kurze Buchstabenkombination und reduziert damit die Orthographie auf die Phonie. Allerdings darf man keine mit dem IPA vergleichbare Lautschrift erwarten, sondern eher eine „pseudophonetische“ Verschriftung, da es im Französischen Vokal- und Konsonantenphoneme gibt, für die sich kein unmittelbar korrespondierender Buchstabe finden lässt (vgl. / u/ oder / ∫/ ). In diesen Fällen sind die Verfasser gezwungen, auf einen Digraphen zurückzugreifen. Auch für die pseudophonetischen Schreibungen erscheint eine zusätzliche Unterteilung sinnvoll: (a) Tilgung wortinitialer oder -finaler stummer Buchstaben Grapheme, die weder über ein korrespondierendes Phonem an der lautsprachlichen Oberfläche verfügen, noch Einfluss auf die Qualität des vorangehenden oder nachfolgenden Vokalphonems nehmen, werden im langage SMS häufig getilgt. So können beispielsweise ein wortinitiales h oder aber stumme Auslautkonsonanten weggelassen werden. Der zweite Fall hat oftmals eine Missachtung der Verbalflexion oder der Numerusmarkierung des Nomens bzw. des Adjektivs zur Folge. Es kann sich bei der Tilgung jedoch auch um einen etymologisch begründeten, in der heutigen Aussprache indes verstummten Endkonsonanten handeln. 276 Neben den Auslautkonsonanten wird auch das wortfinale e-instable gerne getilgt, wobei hier ungeklärt bleibt, ob sich der Verfasser bewusst an der Phonie orientiert oder ob ihm unbewusst ein Fehler (im Sinne eines Rechtschreibfehlers) unterlaufen ist. Formal betrachtet liegt bei dieser Verschriftungsstrategie eine graphische Reduktion gemäß der obigen Beschreibung vor. Aufgrund des deutlichen Einflusses der phonischen Oberfläche fassen wir diese Kürzungen allerdings als erste Stufe der pseudophonetischen Schreibweisen auf, deren Ausmaß zwar quantitativ noch recht eingeschränkt ist und deren Kodierung nur wenig, wenn nicht gar keinen kognitiven Aufwand erfordert, die jedoch hinsichtlich Platz- und Zeitökonomie durchaus effizient sind: 276 Anis (2006, 5) spricht in diesem Zusammenhang von „chute des mutogrammes en finale“. <?page no="131"?> 131 (b) Reduktion von Doppelkonsonanten Ein weiteres pseudophonetisches Verfahren stellt die Vereinfachung der Doppelkonsonanten dar: Allerdings betrifft die Reduktion primär solche Konsonanten, deren graphische Dopplung keine Auswirkungen auf die Phonie hat. Der einfachen bzw. doppelten Verwendung des Buchstabens <s> kommt beispielsweise durchaus eine distinktive Funktion bezüglich dessen Stimmhaftigkeit zu (vgl. etwa <*paser> vs. <passer>), so dass eine simple Reduktion in diesem Fall die verfälschte Wiedergabe der Phonie zur Folge hätte. Tatsächlich sind die meisten SMS-Nutzer in diesem Bereich sensibilisiert und greifen tendenziell auf eine andere Strategie zurück (etwa durch die Verschriftung pacé für passer , vgl. dazu weiter unten „Reduktion von <ss> → <c>“). (c) Vereinfachung von Dibzw. Trigraphen In den SMS-Texten lässt sich eine generelle Präferenz für möglichst kurze Buchstabenkombinationen beobachten, die die jeweiligen Laute möglichst <?page no="132"?> 132 originalgetreu wiedergeben sollen. In diesem Sinn bemühen sich die Verfasser darum, für jedes Phonem möglichst einen einzelnen korrelierenden Buchstaben zu finden, der den Einsatz von Di- und Trigraphen überflüssig werden lässt. Dabei wird auch das Potential von diakritischen Zeichen kompetent und innovativ ausgenutzt. Infolge der engen Orientierung an der jeweils vertrauten phonetischen Realisierung ist es zudem wenig verwunderlich, dass sich regionale Aussprachefärbungen an der graphischen Oberfläche erkennen lassen. Ferner wird anhand der Beispiele deutlich, dass es sich in vielen Fällen streng genommen um eine Kombination aus „Tilgung stummer Buchstaben“ und „Vereinfachung von Digraphen“ handelt (etwa bei forfé für forfait ), allerdings ist fraglich, ob die beiden Strategien bewusst nacheinander angewendet werden. Vielmehr scheint der stumme Buchstabe als eine Einheit mit dem vorangehenden Digraphen behandelt zu werden, so dass wir vereinfacht von einer Reduktion eines Trigraphen ausgehen: 277 277 An der Schreibweise é für die Buchstabenkombinationen ai, ais und ait lässt sich erkennen, dass ein Teil des Korpus aus dem Gebiet des Languedoc stammt, wo der Laut / e/ die standardisierte Aussprache für die entsprechende Graphie darstellt. Der tatsächliche Grund für die Wahl eines Accent aigu anstelle des Accent grave bleibt jedoch Spekulation: Es könnte durch die im Raum Montpellier vorherrschende Aussprache bedingt sein, allerdings wäre auch eine bewusste Falscheingabe zwecks Zeitökonomie denkbar (die Eingabe des é erfordert einen Tastendruck weniger als die Eingabe von è), da auch im Paris-Korpus in knapp 30% der Fälle das von der Norm geforderte Auslautphonem / ε/ durch é realisiert wurde. Die Nutzer scheinen die dadurch entstehende Homophonie zwischen seré für serai und seré für serais gerne für den Zugewinn an Ökonomie in Kauf zu nehmen. Lediglich 5% der Nutzer entscheiden sich für è. <?page no="133"?> 133 (d) Reduktion von <qu> zu <k> und <ss> zu <c> Während das Phonem / k/ in der französischen Sprache recht häufig vertreten ist, weist das Graphem <k> nur eine vergleichsweise niedrige Frequenz auf. 278 Es kommt fast ausschließlich in entlehnten Äußerungen (engl.: kidnapping ) bzw. Fachtermini (gr.: kinétoscope ) vor und nimmt daher im Rahmen des französischen Schriftsystems eine eher exotische Stellung ein. 279 Dementsprechend auffällig ist es, dass <k> im langage SMS eine recht hohe Frequenz aufweist. Es stellt eine ökonomische Verschriftungsmethode des Phonems / k/ dar, die zudem eine detailgetreue Abbildung der Phonie ermöglicht. Die Reduktion von <ss> zu <c> wird in der Regel nur vor <e> und <i> durchgeführt und zeugt daher von einer recht hohen graphematischen Kompetenz der Nutzer: (e) Substitution von <c> durch <k> und <s> durch <z> Neben <k> ist auch das Graphem <z> auffällig oft im SMS-Schriftbild vertreten. Ihm wird scheinbar, ähnlich wie im vorherigen Fall, ein eindeutigerer phonetischer Wert zugeschrieben. Zwar wird durch die Verwendung der beiden Grapheme die Länge der SMS nicht reduziert (<k> bringt gegenüber <c> lediglich die Einsparung eines Tastendrucks mit sich, <z> gegenüber <s> gar keinen), allerdings verändert sich das Schriftbild der 278 Für den Laut / k/ lassen sich nicht nur zwei oder drei graphischen Varianten findet, sondern gleich zehn: <c> ( sac , col ), <cc> ( accord , occasion ), <q> ( coq , cinq ), <qu> ( quand , barque ), <cq> ( Ourcq ), <cqu> ( acquitter ), <k> ( polka ), <ck> ( ticket ), <ch> ( chlore , chrétien ), <cch> ( saccharine ), etc., wobei die komplemtären Grapheme <c + Konsonant, a, o, u> bzw. <qu + e, i> bereits 98% der Fälle ausmachen. Die Grapheme <k> und <ck> kommen lediglich in wenigen isolierten Entlehnungen vor (weit unter 1% der Fälle, vgl. dazu Catach (1986, 147ff.) und Moreau (1977, 215)). 279 Die Ursache dafür liegt im klassischen Latein, wo das Graphem <k> auch nur eine marginale Rolle einnahm, etwa zur Benennung von Städten ( Kilonia für Kiel) oder als latinisierte Schreibweise des griechischen chi in Entlehnungen wie kilogramme (vgl. dazu Catach (1986, 154)). <?page no="134"?> 134 SMS-Texte durch ihr vermehrtes Vorkommen erheblich, so dass Fairon et al. von einem spezifischen „look SMS“ sprechen. 280 Beide Grapheme nehmen im französischen Schriftsystem eine eher exotische Stellung ein, während sie in identischer Form als Bestandteile des französischen Phonemsystems (/ k/ und / z/ ) eine sehr wichtige Position einnehmen (man denke nur an die Bedeutung des Phonems / z/ für die Liaison und seine unter anderem damit verbundene Häufigkeit). 281 An den folgenden Beispielen wird deutlich, dass sich das Schriftbild des langage SMS mit der Verwendung von <k> und <z> noch stärker an die IPA-Transkription anlehnt. Die beiden Buchstaben besitzen eine beachtliche Symbolkraft und können insofern als Kontextualisierungshinweis im Gumperz’schen Sinn gedeutet werden. 282 Mittels graphostilistischer Variation wird sich von der Konvention, und damit von der breiten Masse abgehoben, so dass für die Interpretation der Äußerung ein von Oralität und spielerisch-kreativem Sprachumgang geprägter Rahmen hervorgerufen wird. Einschränkend muss hinzugefügt werden, dass das Graphem <z> sein häufiges Vorkommen in den SMS-Texten maßgeblich den vielfach verwendeten Varianten von biz bzw. bizous zu verdanken hat und ansonsten eher unregelmäßig eingesetzt wird. Gerade in den intimen Verabschiedungsphasen scheint <z> die Stimmhaftigkeit des Frikativs noch prägnanter, vielleicht auch sinnlicher wiederzugeben, als das normgerechte Graphem <s>, das eher Stimmlosigkeit und damit Härte symbolisiert. Der gezielte Einsatz eines bestimmten Graphems kann demnach einen entscheidenden Beitrag zur Kontextaktivierung, und damit zum Interpreta- 280 Vgl. Fairon et al. (2006a, 34). 281 Das Phonem / z/ wird in 90% der Fälle durch das Graphem <s> dargestellt und entspricht lediglich in den restlichen 10% der Fälle dem Graphem <z>. Dabei handelt es sich überwiegend um einige Zahlenwörter ( onze , onzième ), um die Verbendung der 2. Person Plural ( vous aimez ) sowie um Entlehnungen aus dem Arabischen oder Hebräischen ( azur , bizarre ) bzw. als Doppelkonsonant aus dem Italienischen ( pizza , mezzo ) (vgl. Catach (1986, 171f.)) 282 Vgl. dazu unter anderem Gumperz (1992a) und zur Veranschaulichung das unter (f) angeführte Beispiel. <?page no="135"?> 135 tionsrahmen der Nachricht leisten, wodurch nochmals das kontextaufbauende Potential des langage SMS hervorgehoben wird. Dank der graphischen Gestaltungsfreiheit im Rahmen der SMS-Kommunikation kann auf einer bislang wenig ausgenutzten sprachlichen Ebene gezielt Variation eingesetzt werden, um in Abgrenzung zu anderen Schreibweisen bestimmte Kontexte zu evozieren. Die Symbolkraft der Buchstaben leistet dabei einen entscheidenden Beitrag. (f) Substitution von <oi> durch <wa> oder <oa> Aus ökonomischer Perspektive erzielen die Verfasser wiederum nur einen Zugewinn an Zeit (im Vergleich erspart <wa> vier und <oa> zwei Tastendrücke), allerdings spielen auch hier phonetische Exaktheit und vor allem das Erzielen eines fremdartigen Schriftbilds eine Rolle: das Graphem <w> ist in französischen Standardtexten beinahe ausschließlich in entlehnten Äußerungen vertreten und beeinflusst das Schriftbild bei verstärktem Einsatz noch gravierender als die zuvor genannten Grapheme <k> und <z>. 283 Mit einem prozentualen Anteil von nur 0,14% aller vorkommenden Zeichen im Gesamtkorpus bleibt <w> zwar eine Randerscheinung, jedoch sticht es gerade dadurch bei Mehrfachverwendung innerhalb einer SMS als ungewöhnlich hervor. Wird es zusätzlich in einem ungewohnten graphischen Umfeld verwendet (etwa mwa für moi ), so erkennt das ungeübte Auge nicht direkt den entsprechenden phonischen signifiant , wodurch die Varianten enigmatische Züge erhalten. Neben Effizienz kommen hier also die Demonstration von kompetentem Sprachumgang, der Wunsch nach Originalität durch Normbruch und das Bedürfnis nach Exklusivität durch die Verwendung von besonders seltenen Graphemen zum Tragen. Der Einsatz einer solchen „Dekonstruktion“ des Digraphen <oi> beschränkt sich auf nur 28 Nutzer, die sie jeweils unterschiedlich konsequent durchführen. 284 Am häufigsten treten sie in Verbindung mit moi und toi auf, allerdings lassen sich auch andere Wörter im Korpus nachweisen: 283 Das Graphem <w> als Verschriftung für das Phonem / w/ ist lediglich in vereinzelten Entlehnungen aus dem Englischen ( water-closet , western ) vorhanden. In seltenen Fällen kann es bei Entlehnungen oder Eigennamen auch eine Verschriftung für das Phonem / v/ sein ( wagon , wagnérien ) (vgl. Catach (1986, 134ff. und 160)). 284 Die Verschriftung <wa> tritt insgesamt 33 Mal auf und wird von 19 verschiedenen Nutzern eingesetzt, wovon 12 parallel auch <oi> (und selten <oa>) verwenden. Zumeist wird das häufige Personalpronomen moi als mwa verschriftet (insgesamt 21 Mal), während weniger frequente Wörter wie voir in derselben SMS den Digraphen <oi> aufweisen können. Immerhin sechs Nutzer führen eine konsequente Substitution durch. Die Verschriftung durch <oa> kommt nur 19 Mal zum Einsatz und verteilt sich auf 9 Nutzer. <?page no="136"?> 136 Anhand der gezielten Verwendung von <wa> bzw. <oa> soll nochmals kurz verdeutlicht werden, inwiefern graphostilistische Variationen als konkrete Kontextualisierungshinweise fungieren können: 285 langage SMS Transkription nn mai tu savai jte lai di troa mill fwa [...] Non mais tu savais je te l’ai dis trois mille fois [...] Vordergründig lässt sich folgende zentrale Information entnehmen: „Aber du hast es doch gewusst, ich hab’s dir 3000 Mal gesagt“. Der propositionale Inhalt der Nachricht ist damit klar formuliert. Er erhält jedoch durch die besondere Art der Verschriftung eine kontextuelle Rahmung, die als eine Art „informational penumbra“ 286 gedeutet werden kann und der Äußerung einen bestimmten interpretativen Hintergrund verleiht: Nicht nur, dass sich der Sender dieser SMS dazu entschließt, die Zahl 3000, entgegen aller Erwartungen, 287 auszuschreiben und damit einen signifikant höheren Energieaufwand in Kauf zu nehmen, er verwendet zudem die Graphemkombinationen <wa> und <oa> anstatt <oi>. Zum Einen wird der Akzent dadurch nahezu dramatische auf die Anzahl des wiederholten Sagens und damit auf die Enttäuschung des Senders gelegt, zum Anderen verleiht der variierende Einsatz von <wa> und <oa>, der nur von wenigen kompetenten Nutzern vollzogen wird, der Nachricht einen exklusiven „Expertenrahmen“, der eine Art Überlegenheit des Verfassers gegenüber dem Empfänger zum Ausdruck bringt. Vor eben diesem Hintergrund ist die Kurzmitteilung zu interpretieren. 285 Betrachtet man die Verschriftungsstrategien des langage SMS , so erfüllen sie einen Großteil der formalen und inhaltlichen Eigenschaften von Kontextualisierungshinweisen (vgl. Levinson 2003, 36f.): sie gehören nicht zu der vordergründigen, lexikosyntaktischen Information; sie sind kontextaufbauend und können folglich nicht direkt beantwortet werden; sie gehören nicht zum propositionalen Inhalt der Nachricht; sie neigen dazu, einen umfassenden Interpretationsrahmen hervorzurufen, der entscheidenden Einfluss auf die Interpretation der Äußerung nimmt. 286 Vgl. Levinson (2003, 35). 287 Gerade im Rahmen der SMS-Kommunikation wäre aufgrund der bestehenden Ökonomiebestrebungen die Schreibweise 3000 zu erwarten. <?page no="137"?> 137 4.3.2 Primär enigmatische Verschriftungsstrategien Bei einigen der bislang vorgestellten Verschriftungsmethoden wurde bereits angedeutet, dass neben dem Bestreben nach Effizienz eine weitere Dimension relevant werden kann, die auf kreativen Umgang mit der Sprache, Originalität der Schreibweise und damit Demonstration einer gewissen Expertise im Hinblick auf den langage SMS abzielt. Im Rahmen welcher Möglichkeiten diese Dimension zur Schau gestellt werden kann, d.h. auf welche Strategien die gewandten langage SMS -Nutzer zurückgreifen, um möglichst verschlüsselte und damit enigmatische Formen zu kreieren, werden wir im folgenden Abschnitt genauer untersuchen. Dabei wird sich herausstellen, dass eine Vielzahl der Schreibweisen zugleich platz- und zeitökonomisch sind, das Bedürfnis nach Effizienz allerdings nicht mehr im Vordergrund stehen kann, da sich für einige Varianten alternative pseudophonetische Schreibweisen im Korpus nachweisen lassen, die für den jeweiligen signifiant effizienter wären, jedoch aufgrund der zu schnellen Durchschaubarkeit offensichtlich verschmäht werden. Darüber hinaus erfordern sowohl die Kodierung als auch die Dekodierung einen kognitiven Mehraufwand, der die Zeitersparnis beim Tippen zumindest teilweise relativiert. In Bezug auf die jeweils angeführten Beispiele wird auffallen, dass sie auch in anderen Veröffentlichungen häufig als eine Art „Paradebeispiel“ für den langage SMS genannt werden und aufgrund des vielfachen Zitierens schon beinahe Logogrammcharakter besitzen (vgl. etwa 2m1 für demain ). Zwar haben sie dadurch ihren enigmatischen Charakter für den routinierten SMS-Schreiber größtenteils verloren, jedoch eignen sie sich auch weiterhin sehr gut zur Verdeutlichung der jeweiligen Strategie und deren Funktionsweise. 4.3.2.1 Semiophonologische Schreibungen 288 Das Prinzip dieser Verschriftungsstrategie besteht darin, den Lautwert von Buchstaben oder Ziffern in der Form auszunutzen, dass jeweils homophone Silben oder Silbenbestandteile einer Äußerung graphisch durch eben diese Buchstaben bzw. Ziffern repräsentiert werden. Ein sehr bekanntes Beispiel stammt aus dem Englischen: „c u“ für see you . Der eingesetzte Buchstabe wird durch die spezielle Verwendung mit einer neuen Bedeutung belegt und falls er die ersetzte Äußerung vollständig zu repräsentieren vermag, wie es im genannten Beispiel der Fall ist, so kann er sogar Logogrammcharakter erhalten (ähnliches gilt für die Ziffer <9> im franzö- 288 Zum Terminus vgl. etwa Liénard (2005, 54). Er fasst unter den Begriff notation sémiophonologique allerdings auch phonetische Schreibweisen, die im Rahmen unserer Typologisierung als „pseudophonetische Schreibungen“ erfasst werden. <?page no="138"?> 138 sischen Beispiel „koi de 9“). 289 Anis spricht in diesem Zusammenhang von „syllabogrammes“ 290 , wobei er anmerkt, dass die für die Graphie typischen Wortgrenzen dabei nicht immer berücksichtigt werden (etwa g für j'ai ). Teilweise wird die semiophonologische Verwendung eines Buchstabens durch dessen Großschreibung bewusst angezeigt. Allerdings ist das in keinem Fall die Regel, vielmehr ist ein Rückgang dieser ‚Dekodierungshilfe’ vom Montpellier-Korpus hin zum Paris-Korpus zu verzeichnen. Lediglich Buchstabenhomophone, die innerhalb eines zusammenhängenden Syntagmas auftreten, werden teilweise noch angezeigt ( jaV für j'avais ). Untersucht man die Qualität der verwendeten Buchstabenhomophone, so stellt man fest, dass es sich beinahe ausschließlich um Konsonanten handelt, da Vokale aufgrund ihrer Eigenschaft als Selbstlaut meist als „pseudophonetische Schreibungen“ interpretiert werden können. Liénard führt in seiner Typologisierung dennoch ein vokalisches Beispiel an („rezO“), wobei man für dessen Interpretation als semiophonologische Schreibweise (in Abgrenzung zu dessen Interpretation als pseudophonetische Schreibung) einzig die bewusste Großschreibung des Vokals als Begründung heranziehen könnte. Für den Verfasser impliziert eine solche Kodierung jedoch einen unnötigen Mehraufwand. Daher lassen sich im vorliegenden Korpus auch nur zwei Beispiele finden, die eine ähnliche Hervorhebung des Vokals aufweisen ( KDO für cadeau und laEne für la haine 291 ), so dass wir als semiophonologisch verwendete Buchstaben im Folgenden ausschließlich Konsonanten betrachten werden. Neben einzelnen Wörtern oder Wortbestandteilen können auch gesamte Ausdrücke durch eine Mischung aus homophonen Buchstaben, Ziffern oder sonstigen Zeichen ersetzt werden, wobei das daraus resultierende, extrem verschlüsselte Ergebnis an die Rebusschreibweise erinnern lässt: „a+“ für à plus oder aber „a12c4“ für à un de ces quatre . Befinden sich innerhalb einer SMS vermehrt solch kryptische Schreibweisen, so zeugt das von einem sehr hohen Kompetenzgrad im spielerischen Umgang mit den Verschriftungsmöglichkeiten und fordert den Empfänger indirekt zum ‚Mitspielen’ auf. Liénard schlägt für die semiophonologischen Schreibweisen eine zusätzliche Unterteilung entsprechend der Anzahl der betroffenen Silben vor, die innerhalb einer Äußerung durch ein Buchstabenbzw. Zeichenhomophon ersetzt werden. 292 Allerdings sollte an dieser Stelle berück- 289 Haase et al. verwenden in diesem Zusammenhang den Terminus „phonologisches Ideogramm“ (Haase et al. (1997, 72)). 290 Vgl. Anis (2002). 291 Im zweiten Fall könnte die Verwendung der Majuskel auch als bewusste Markierung der Wortgrenze bzw. des Glottisschlags interpretiert werden. 292 Vgl. Liénard (2005, 54): notations sémio-phonologiques monosyllabiques , notations sémiophonologiques bisyllabiques und notations sémio-phonologiques totales . <?page no="139"?> 139 sichtigt werden, dass nicht immer eine vollständige Silbe ersetzt wird, sondern teilweise nur Nukleus bzw. Nukleus und Koda: 293 4.3.2.2 Agglutination Bereits bei den letztgenannten Beispielen wird deutlich, dass phonologisch Zusammengehöriges unter Missachtung der normgerechten Apostrophierung oftmals auch graphisch als Einheit realisiert wird. Wiederum dient die Phonie als maßgebliche Orientierungshilfe, wobei die Verschmelzung auch über die Gruppe „Lexem plus ein oder mehrere von ihm abhängige (apostrophierte) Klitika“ hinausgehen kann. Auf suprasegmentaler Ebene kann es beinahe die gesamte Intonationseinheit betreffen, so dass Spatien und Apostrophe vollständig ausgelassen werden. Allerdings stellt eine solch rigorose Verschmelzung die Ausnahme dar. In aller Regel beschränkt 293 Der Umgang mit den Halbkonsonanten bzw. -vokalen ist unterschiedlich: teilweise werden sie durch den Vokal, dem sie sich phonetisch annähern und der sie in der Graphie häufig repräsentiert, ersetzt ( bi1 für bien ), teilweise werden sie ungeachtet eliminiert ( r1 für rien ). Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. 5. <?page no="140"?> 140 sich die Agglutination auf phonologische Phrasen, also auf semantisch und syntaktisch sehr eng zusammengehörige Einheiten, innerhalb derer prosodische Kohäsionsphänomene wie Assimilation, Resyllabierung, Elision, Liaison und Schwa-Tilgung greifen. 294 Da die phonologische Phrase die nächst niedrigere Gliederungsebene unterhalb der Intonationseinheit darstellt, wird sie in deren Grenzen als phonologisch zusammengehörig realisiert. Dementsprechend bemühen sich die SMS-Verfasser, sie auch graphisch als semiologische Einheit wiederzugeben. Anhand der nachfolgenden Beispiele wird deutlich, dass sich die Besonderheit dieser Strategie nicht allein in der Verschmelzung von zwei oder mehreren Äußerungen ausdrückt, sondern in der zusätzlichen Anwendung einer oder mehrerer der bereits vorgestellten Verschriftungsmethoden innerhalb des verschmolzenen Syntagmas: „verschluckte“ Wortbestandteile werden getilgt, die Liaison wird graphisch bewusst hervorgehoben, pseudophonetische und semiophonologische Schreibungen werden beliebig kombiniert. Erst durch die Kombination verschiedener Strategien wird der enigmatische Charakter deutlich: 294 Zu den prosodischen Einheiten und deren Abgrenzung vgl. etwa Meisenburg/ Selig (1998). <?page no="141"?> 141 Besonders häufig verschmilzt das Personalpronomen je bei gleichzeitiger Schwa-Tilgung mit dem Folgewort, was sicherlich auch an dessen relativer Häufigkeit im Vergleich zu den anderen Personalpronomen liegt. Androutsopoulos und Schmidt oder auch Döring 295 stellen in diesem Zusammenhang bereits fest, dass trotz starker Verbreitung der Pronomenellipse in deutschen SMS-Texten die Personalpronomen ich und du die beiden häufigsten Wörter in ihren untersuchten Korpora darstellen, was sie durch den privat-interpersonellen Kontext der SMS-Kommunikation und deren Dialogcharakter erklären. Ganz ähnlich verhält es sich in französischen Kurznachrichten, so dass sich aufgrund des häufigen Vorkommens von „je + Verb“ eine gewisse Regelmäßigkeit bei der Verschmelzung einspielen kann (vgl. dazu weiter unten). Insgesamt scheinen die morphosyntaktischen Sequenzen „Klitika + Verb“ bzw. „Determinante + Nomen“ bevorzugt der Agglutination unterzogen zu werden. Aber auch die Präposition de und die Konjunktion que gemeinsam mit dem Folgewort sind vielfach von diesem Phänomen betroffen. Häufen sich solche ‚externen Kontraktionen’, d.h. Kontraktionen über die Wortgrenze hinaus, so wird dadurch einerseits das Schriftbild der SMS auf einzigartige Weise geprägt, andererseits erschwert es die Chiffrierung bzw. Dechiffrierung der Nachricht, so dass der enigmatische Charakter entscheidend zunimmt. 4.3.3 Primär expressive Verschriftungsstrategien Schon bei der Charakterisierung der SMS-Kommunikation anhand ihrer technischen Gegebenheiten und im Rahmen der Ausführungen zu ihren sprachlichen Besonderheiten auf konzeptioneller Ebene (vgl. Kap. 3) wurde deutlich, dass SMS-Dialoge trotz schneller Übertragungsgeschwindigkeit und ständiger mobiler Erreichbarkeit weder durch Synchronizität, noch durch physische Nähe geprägt sind und ohne prosodische, mimische und gestische Informationen zurechtkommen müssen. Um dennoch möglichst hohe kommunikative Nähe zu erreichen, weisen SMS-Texte neben den 295 Androutsopoulos/ Schmidt (2002, 69) und Döring (2002a, 107). <?page no="142"?> 142 typischen stilistischen Charakteristika des Nähesprechens (wie beispielsweise eingliedrige Negation, Ausfall des präverbalen Subjektpronomens in unpersönlichen Wendungen oder Ausdrücke aus dem Substandardregister) auch Überbrückungsphänomene, Interjektionen, Onomatopoetika oder Lachpartikel auf, die die wesentlichen Merkmale der direkten mündlichen Nähekommunikation möglichst zutreffend inszenieren sollen. Darüber hinaus lassen sich gewisse graphostilistische Kompensationsstrategien ausmachen, die auf sehr phantasievolle, kreative und vor allem expressive Art nonverbale und paraverbale Informationen eines entsprechenden direkten Dialogs simulieren. Gesten, mimisches Ausdrucksverhalten, Sprachtempo und Lautstärke sowie Intonation und Sprechpausen, die jeweils Rückschlüsse auf die emotionale und intentionale Einstellung des Verfassers zulassen, werden mittels bestimmter Symbol- und Ikonkonventionen geäußert oder gar „porträtiert“. 296 Sie schöpfen maßgeblich aus dem Repertoire an Ausdrucksmitteln der Chat-Kommunikation bzw. der Comicsprache. Trotz technischer Einschränkungen haben die Verfasser für das unmissverständliche Funktionieren der Kommunikation großes Interesse daran, ihre emotionale Beteiligung und Emphase möglichst mit Nachdruck zu äußern und ihre Gefühle individuell und originalgetreu zu übermitteln. Das Bestreben nach Effizienz bzw. besonders hoher Expertise spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Vielmehr scheinen zeitlicher Mehraufwand und leichte Dekodierung gerne toleriert zu werden, wenn nicht sogar intendiert zu sein, um die kommunikative Nähe zwischen den Kommunizierenden möglichst erfolgreich zu vergrößern. 4.3.3.1 Iteration von Buchstaben und anderen typographischen Zeichen Die Wiederholung von Buchstaben oder Zeichen (vor allem Satzzeichen) wurde aus der Comicsprache übernommen und hat vornehmlich eine emphatische Funktion. Teilweise kann die Buchstabenreduplikation als Dehnung des betreffenden Lautes gedeutet werden (etwa bei aaah ), jedoch entspricht der graphischen Dehnung nicht zwangsläufig eine lautliche (vgl. etwa bisouxxx ). Demnach handelt es sich um ein sprachspielerisches Element 297 , das den Grad der emotionalen Beteiligung widerspiegeln und der Nachricht eine gewisse Affektivität verleihen soll. Häufig tritt es in Verbindung mit Interjektionen und Onomatopoetika oder aber in Verabschiedungssequenzen auf, wobei darauf hingewiesen werden sollte, dass dieses graphostilistische Mittel in der Chat-Kommunikation bedeutend häufiger auftritt, als in der SMS-Kommunikation. Die Ursache dafür liegt nicht zuletzt in der umständlichen Texteingabe und dem streng begrenzten Um- 296 Zum Terminus „porträtieren“ vgl. Wirth (2005). 297 Vgl. Thaler (2003, 87). <?page no="143"?> 143 fang einer SMS, denn diese primär expressive Verschriftungsstrategie steht in direkter Opposition zum Bestreben nach Effizienz. Neben Emphase kann die Reduplikation von Satzzeichen eine zusätzliche Hervorhebungsfunktion und eine Insistenzfunktion haben: 298 Eine Sonderstellung nimmt die Reduplikation von Punkten („...“) ein, die ganz unterschiedliche Funktionen annehmen kann. Zunächst kann sie rein formal zur Gliederung der Äußerung beitragen und stellt damit eine Art Substitution der oftmals fehlenden konventionellen Interpunktion dar (F1). Dadurch wird der SMS-Text in kurze, leicht verständliche Teilstücke unterteilt. Ferner kann sie zur Markierung einer kurzen Verzögerung oder Sprechpause dienen und somit ein Indiz für das Sprachtempo sein (F2). Die direkte Abfolge von Punkten kann darüber hinaus ein Verweis auf eine weiterreichende Bedeutungsebene oder auf Ironie sein und den Leser indirekt dazu auffordern, für die Interpretation der reduzierten graphischen Information alle ihm zugänglichen kontextuellen und außersprachlichen Implikationen mit einzubeziehen (F3). In wenigen Fällen kann die Punktiteration schließlich das bewusste Auslassen einer Äußerung oder einer Wendung anzeigen, die vom Empfänger mittels des sprachlichen Kontextes und des gemeinsamen Wissenskontextes erschlossen werden kann (F4). 298 Vgl. dazu (R2) der Transkriptionsregeln im Anhang: „Der wiederholte Gebrauch von Satzzeichen wird gegebenenfalls auf drei Satzzeichen reduziert“. <?page no="144"?> 144 Interessanterweise hat im Rahmen dieser expressiven Verschriftungsmethode ein schleichender Ökonomieprozess stattgefunden: Wurden im Montpellier-Korpus noch in über 90% der Fälle drei Punkte realisiert, so halten sich im Paris-Korpus die beiden Varianten „...“ und „..“ bereits die Waage. Optisches Hervorstechen aus dem Gesamtbild der SMS scheint dem Ökonomieprinzip zu unterliegen, so dass die verkürzte Version, noch in klarer Abgrenzung zum einfachen Punkt, die gesamte Funktion tragen muss. 4.3.3.2 Expressive Großschreibung Bereits aus dem Umgang mit Comics ist uns bekannt, dass die typographische Gestaltung von lautmalerischen Ausdrücken und deren Platzierung innerhalb eines Bildes die jeweilige Lautstärke und die Geräuschquelle angeben. 299 Kleine Schriftgröße entspricht sehr leisen Geräuschen während große Schriftgröße hohe Lautstärke widerspiegeln soll. Letzteres kann zudem durch Großschreibung unterstützt werden, so dass das Zerbrechen einer Scheibe beispielsweise durch „KLIRRRR“ abgebildet werden könnte. Analog dazu wird auch lautes Sprechen oder Schreien durch Großschreibung repräsentiert, was als graphostilistisches Mittel in die Chatbzw. SMS-Kommunikation transferiert wurde. Neben der Verwendung von Majuskeln als Parameter der Lautstärke können sie, gerade in Verbindung mit romantischen Inhalten oder aber bei hoher emotionaler Beteiligung, bewusst diejenigen Teile der Botschaft hervorheben, auf die der Leser sein Augenmerk richten soll. Bisweilen wird eine solche Extrapositionierung durch die gehäufte Verwendung von Ausrufezeichen untermauert. 299 Vgl. dazu Grünewald (1991, 27). <?page no="145"?> 145 4.3.3.3 Phonetische Varianten Über die bereits bekannten pseudophonetischen Schreibungen hinaus lässt sich an den Varianten teilweise das Bedürfnis erkennen, den suprasegmentalen Informationsgehalt der Nachricht durch die Realisierung individueller und expressiver Aussprachevarianten zusätzlich zu erhöhen. So kann die Wiedergabe einer Art vernachlässigter Phonie die Expressivität und die Aussagekraft einer Botschaft steigern und für höhere Vertrautheit unter den Kommunikationspartnern sorgen ( tampis ). 300 Für die Realisierung dieser phonetischen Varianten wird wiederum ein zeitlicher und räumlicher Mehraufwand in Kauf genommen, so dass die expressive Dimension bei der Wahl der Verschriftung im Vordergrund zu stehen scheint. Es kann jedoch auch Effizienz oder Expertise mit einhergehen: die Substitution der französischen Graphemkombination <ou> durch den aus dem Englischen stammenden Digraphen <oo> beispielsweise zeugt einerseits von einer gewissen Fremdsprachen- und Transferkompetenz im Sinne von Expertentum. Andererseits repräsentiert sie eine expressive und individuelle Schreibweise, die die artikulatorische Lippenrundung bei der Produktion des Lautes [u] bildlich darzustellen scheint und auffällig an die Lippenstellung bei einem Kuss erinnert. Unterstützt wird diese Interpretation von der Tatsache, dass die Verwendung von <oo> vornehmlich in intimen Begrüßungs- und Verabschiedungssequenzen anzutreffen ist ( bizoo ), was den ausgeprägten Ikonizitätscharakter des langage SMS explizit zum Ausdruck bringt. 301 300 Ob das jeweils graphisch Realisierte tatsächlich einer phonetischen Variante entspricht, kann nicht immer mit absoluter Sicherheit gesagt werden. Sollte es aber so sein, dann kann neben der besonderen Art der Verschriftung auch die Art der Verschriftlichung als Kontextualisierungshinweis gemäß Gumperz aufgefasst werden: Auf konzeptioneller Ebene erfährt die Äußerung eine Stilisierung im Sinne von Informalität. 301 Insgesamt bleibt die Anzahl der französischen Wörter, in denen der Digraph <oo> verwendet wird, jedoch sehr gering. Zumeist wird er orthographisch korrekt in Anglizismen wie cool verwendet. <?page no="146"?> 146 4.3.3.4 Emotikons Eine letzte Strategie, nonverbales Verhalten zu markieren und Informationen hinsichtlich einer expressiven Dimension zu spezifizieren, besteht in der Verwendung so genannter Emotikons. Der ursprünglich aus dem Englischen stammende Terminus emoticon ist eine Kontraktion aus emotion und icon 302 , der die Idee widerspiegeln soll, dass Emotionen in Form von Ikonen dargestellt werden. Im Französischen findet man neben émoticônes vereinzelt auch die Bezeichnungen binettes oder frimousses . 303 Die berühmtesten Emotikon-Varianten scheinen neben dem seitwärts liegenden lachenden Gesicht [: -)] 304 das traurige [: -(] und das zwinkernde, ironische Gesicht [; -)] mit den dazugehörigen reduzierten Varianten [: (] und [; )] zu sein. Durch Iteration der rechtsstehenden Zeichenkomponente [: -)))] oder aber [: -(((] kann zudem Emphase markiert werden. Wie die Tabellen in einigen SMS-Ratgebern und die im Korpus nachgewiesene Emotikon-Vielfalt verdeutlichen, ist die Möglichkeit des Schaffens neuer Varianten praktisch unbegrenzt. 305 Neben der Verwendung typographischer Zeichen als Bestandteil von piktographischen Gesichtern wurden sie schon bald auch für die Kreation anderer Emotikons eingesetzt. Die Kombination [<3] beispielsweise soll ein liegendes Herz darstellen. Bei den langage SMS -Varianten kikoo und bizoo ist es sehr wahrscheinlich, dass zusätzlich eine expressive Dehnung des Auslautphonems mit zum Ausdruck gebracht werden soll, was in der IPA-Transkription entsprechend durch Doppelpunkte abgebildet wird.. 302 Vgl. etwa Haase et al. (1997, 64). 303 Zur Entstehungsgeschichte vgl. Lischka (2007) und den Originalbericht des Erfinders Fahlman unter http: / / www-2.cs.cmu.edu/ ~sef/ sefSmiley.htm (21.01.2009). 304 Die eckigen Klammern markieren hier jeweils den Anfang bzw. das Ende des Emotikons im Fließtext. 305 Vgl. etwa Skyrock (2002). <?page no="147"?> 147 Anfangs war die Eingabe solcher Emotikons über die Handytastatur noch sehr umständlich und zeitaufwendig, jedoch wurde sie mit der Verbreitung von T9 erheblich erleichtert, da hierin ein Repertoire an vorgefertigten Smileys (d.h. in eine Art Grafik umgewandelte Gesichter) zur Verfügung gestellt wird. 306 Nichtsdestoweniger sind sie auch weiterhin eher als ein typisches Merkmal der Chat-Kommunikation bzw. des Instant Messagings zu bezeichnen, da sie in der SMS-Kommunikation wesentlich seltener zum Einsatz kommen und es stark benutzerabhängig ist, ob sie überhaupt auftreten (vgl. dazu die Detailanalyse in Kap. 7). Allgemein gelten Emotikons als Kompensierungsmittel für das Fehlen verbaler und nonverbaler Merkmale aus der direkten Kommunikation, insbesondere Mimik, Gestik und Prosodie. Beißwenger beschreibt sie in diesem Zusammenhang sehr treffend als „ikonografische Rekonstruktion typisierter Gesichtsausdrücke“ 307 , die dank der erzielten Ähnlichkeit als Icons im Peirce’schen Sinn aufgefasst werden können. Ihnen kann eine Funktion als Kompensierungsmittel für abwesende prosodische Merkmale (etwa zur Markierung von Ironie) bzw. für die menschliche Stimme allgemein zugewiesen werden. Wirth 308 geht sogar noch einen Schritt weiter, indem er die semiotische Funktion von Emotikons als „degenerierten Index“ beschreibt, der wie ein Zeigefinger auf die emotionale und intentionale Einstellung des Verfassers hinweist: „Sie fungieren als autoreflexive Geste, bzw. als Selbstkommentar des Schreibenden“. Ähnlich verfahren Mourlhon-Dallies und Colin, wenn sie in Bezug auf derartige Selbstkommentare über sein eigenes Geschriebenes bemerken: „on peut être tenté de parler de ‚didascalies’, en vertu de laquelle l’auteur du message est l’artisan de sa propre mise en scène“. 309 An dieser Stelle wird deutlich, dass ein entscheidender Unterschied zwischen Mimik und Gestik der direkten Kommunikation bzw. der Verwendung von Emotikons in SMS darin besteht, dass Ersteres immer vorhanden ist und keineswegs zwangsläufig der intentionalen Steuerung unterliegt, während Letzteres bewusst und reflektiert eingesetzt wird. 310 306 Je nach Handysoftware bieten sich dem Verfasser mittlerweile unterschiedlich viele farbige, teilweise animierte Smileys. Es besteht darüber hinaus die Möglichkeit, unter Zuzahlung eine noch größere Menge an Emotikons aus dem Internet herunterzuladen. Inzwischen werden weit über 500 verschiedene Varianten gezählt (Liénard, 2005). 307 Vgl. Beißwenger (2000, 97). 308 Vgl. Wirth (2005, 81f.) 309 Vgl. Mourlhon-Dallies/ Colin (1995, 172). 310 Im Chat ist zusätzlich eine Tendenz zu erkennen, seine eigenen Beiträge im Vergleich zu den übrigen, simultan angezeigten Beiträgen anderer Chat-Teilnehmer in den Vordergrund zu drängen. Daher kommen Emotikons und andere expressive Schreibungen, unter Beachtung bestimmter Höflichkeitskonventionen (bekannt als „Netiquette“), im Chat verstärkt zum Einsatz. SMS-Kommunikation findet zumeist nur <?page no="148"?> 148 Höflich und Rössler geben in diesem Zusammenhang jedoch zu bedenken, dass die Funktionalität von Emotikons zur Verständnisförderung nicht überschätzt werden dürfe, da SMS-Kommunikation ohne ihr Auftreten nicht notgedrungener Maßen zusammenbricht. 311 Ferner betonen Marcoccia und Gauducheau, dass sich die Empfängerinterpretation einer Nachricht vornehmlich auf den verbalen Teil der SMS stützt und dass Verstehbarkeit bzw. Kohärenz der Nachricht durch die Anwesenheit von Emotikons nur bedingt beeinflusst wird. 312 Dennoch heben Höflich und Rössler die kommunikationsökonomische Bedeutung von Emotikons hervor: „Angesichts des begrenzten Zeichenrepertoires lässt sich schlicht mehr und präziser kommunizieren, wenn auf solche parasprachlichen Zeichen zurückgegriffen wird“. 313 Darüber hinaus unterstreicht die Verwendung von Emotikons die Gewandtheit des Senders im Sinne eines professionellen Umgangs mit den graphischen Ressourcen und verleiht den SMS-Texten einen informellen Charakter. 314 Die nachfolgende Auflistung soll einige Beispiele einschließlich ihrer Bedeutung aufführen. Dabei wird unmittelbar deutlich, dass sowohl die Augenals auch die Mundpartie des „elektronischen Standardgesichts“ auf persönliche und kreative Weise umgestaltet werden können: Entgegen der Ergebnisse aus anderen Korpusanalysen 315 stellen die eingangs vorgestellten Standardemotikons [: -)] und [: -(] keineswegs die häufigsten Varianten dar. Es ist vielmehr zu beobachten, dass sich das Korpus zwischen zwei Interaktanten statt, so dass kein akuter Bedarf besteht, aus der Menge hervorzustechen. 311 Vgl. Höflich/ Rössler (2001, 445). 312 Vgl. Marcoccia/ Gauducheau (2007b, 48 und 51). 313 Vgl. Höflich/ Rössler (2001, 445). 314 Runkehl et al. (1998, 98f.) beschäftigen sich diesbezüglich mit den kommunikativen Funktionen, die Emotikons auf Mikroebene haben können und arbeiten eine expressive, eine evaluative und eine kommunikativ-regulative Funktion heraus. Marcoccia/ Gauducheau (2007a; 2007b) unterscheiden zusätzlich eine Höflichkeitsfunktion. 315 Vgl. dazu etwa Schlobinski et al. (2001). <?page no="149"?> 149 insgesamt durch eine recht große Menge an vereinzelt auftretenden Varianten auszeichnet, zumal sich die wenigen rekurrenten Formen zumeist auf einen spezifischen Benutzer beschränken, was das Bedürfnis nach individuell und originell ausgedrückter Expressivität explizit unterstreicht. <?page no="150"?> 150 4.3.4 Die Verschriftungsstrategien im Überblick <?page no="151"?> 151 4.4 Weitere formale Beobachtungen 4.4.1 Orthographiefehler und Tippfehler Möchte man den in SMS-Texten auftretenden Fehlern genauer auf den Grund gehen, so scheint eine zusätzliche Unterscheidung in Performanzfehler und Kompetenzfehler sinnvoll: 316 Als Performanzfehler sind im Rahmen der SMS-Kommunikation vornehmlich Tippfehler zu verstehen, die aufgrund von erhöhter Schreibgeschwindigkeit, unkomfortabler Handytastatur und zu kleinem, schwer entzifferbarem Bildschirm entstehen. Sie unterscheiden sich grundlegend von solchen, die bei der Texteingabe über die Computertastatur produziert werden, da beispielsweise Buchstabendreher in SMS dank der streng geregelten sukzessiven Eingabe kaum anzutreffen sind. Es handelt sich vielmehr um Tippfehler, die durch die versehentlich falsch getätigt Anzahl an Tastendrücken entstanden sind: mahs anstelle von mais (h und i befinden sich beide auf der Taste „4“ und unterscheiden sich bei der Eingabe lediglich durch die Anzahl der Tastendrücke). Solche Tippfehler sind im Gesamtkorpus allerdings nur sehr vereinzelt anzutreffen und spielen daher für die weitere Betrachtung eine vernachlässigbare Rolle. Kompetenzfehler hingegen haben ihren Ursprung in der mangelnden Beherrschung der Orthographienorm, insbesondere der ideographischen und grammatikalischen Teilbereiche. Zwar fehlt es derzeit an einer systematischen Studie, jedoch konstatiert Véronis, dass sich keine SMSspezifischen Kompetenzfehler finden lassen, die nicht bereits aus anderen graphischen Kontexten bekannt wären. 317 Ein möglicher Grund für das Fehlen fundierter Analysen ist sicherlich darin zu finden, dass es im Einzelfall jeweils außerordentlich schwierig ist zu entscheiden, ob es sich tatsächlich um einen unbeabsichtigten Orthographiefehler handelt oder ob der Verfasser die von der Norm geforderte Schreibweise ganz bewusst „dekonstruiert“. Ohne zusätzliche Informationen der Sender gestaltet sich eine eindeutige Diagnose dieser ‚potenziellen Kompetenzfehler’ als sehr problematisch. Da es im Rahmen der vorliegenden Arbeit weniger um Fehleranalysen im Sinne von richtig oder falsch als um die Untersuchung der Verschriftungsmöglichkeiten und -gewohnheiten geht, soll uns diese Frage im Folgenden nicht mehr beschäftigen. Hinzu kommt, dass mit dem Gebrauch des Mediums grundsätzlich eine gewisse Fehlertoleranz verbunden wird. 318 Crystal merkt in Bezug auf potenzielle Kompetenzfehler in E-Mails sogar an, dass „the reader [is not] going to make a social judge- 316 Vgl. dazu Véronis (2006, 5ff.): „Il serait bon de distinguer également [...] les erreurs de performance et les erreurs de compétence “. 317 Ebd. 318 Vgl. Höflich (2001, 14). <?page no="152"?> 152 ment about the writer’s educational ability [...] a contrast with what would happen if someone wrote a traditional letter containing such errors“. 319 4.4.2 Interpunktion Typischerweise zeichnen sich SMS-Texte neben den zuvor beschriebenen Verschriftungsstrategien durch eine gewisse Missachtung der orthographischen Konventionen hinsichtlich der Zeichensetzung bzw. der Groß- und Kleinschreibung aus. Ähnlich wie Runkehl et al. den Chat als „schriftlich kodifizierten Modus des Sprechens“ 320 beschreiben, orientieren sich auch SMS-Texte an gesprochener Sprache, wie die Ausführungen in Kap. 3.2 verdeutlicht haben. Die daraus resultierende Annäherung an die phonetische Repräsentation führt zu einer Aufweichung der Wort- und Satzgrenze, so dass der Wort- und der Satzbegriff als Kategorien der traditionellen Schriftsprache entscheidend an Bedeutung verlieren. Auswirkungen davon konnten wir bereits im Bereich der Agglutination beobachten, was nun noch um die regelmäßige Verletzung der Interpunktionskonventionen ergänzt wird. Einige SMS verfügen über keinerlei Satzzeichen, selbst wenn sie aus mehreren Aussagen bestehen. Dadurch entfällt nicht nur eine maßgebliche Strukturierungshilfe für den Leser, sondern es können auch semantische und paralinguistische Informationen verloren gehen. In diesem Zusammenhang lässt sich feststellen, dass Fragezeichen und Ausrufezeichen recht häufig anzutreffen sind, während Punkte und Kommata gerne eliminiert werden. Ein Grund dafür ist sicherlich in der Tatsache zu suchen, dass etwa die Ergänzung eines Fragezeichens zur eindeutigen Markierung des Satztyps von größerer Bedeutung für das Gelingen der Kommunikation ist als ein satzfinaler Punkt. Hinzu kommt, dass Punkte und Kommata relativ neutral hinsichtlich der Übermittlung von zusätzlicher Emphase sind und deshalb häufiger als überflüssig erachtet werden. Ferner zeichnet sich die SMS-Kommunikation generell durch syntaktisch wenig komplexe Sätze aus, so dass die Verständigung auch ohne normgerechte Interpunktion gewährleistet ist. 4.4.3 Groß- und Kleinschreibung Mit der reduzierten Interpunktion geht die Vernachlässigung der Groß- und Kleinschreibung einher: wird der satzfinale Punkt ausgespart, so folgt in den meisten Fällen auch keine satzinitiale Majuskel. Nur selten wird sie gerade dann zur bewussten Markierung des Satzbeginns gesetzt. 321 Allgemein zeichnet sich jedoch eine Tendenz in Richtung genereller Kleinschrei- 319 Vgl. Crystal (2006, 116). 320 Vgl. Runkehl et al. (1998, 100). 321 Ganz anders verhält es sich bei Nutzern, die zur Texteingabe T9 verwenden, da die Software nach einem Satzzeichen automatisch auf Großschreibmodus umschaltet. <?page no="153"?> 153 bung ab, was sicherlich auch damit zusammenhängt, dass die graphische Realisierung eines Großbuchstabens mit nachfolgendem Kleinbuchstaben zwei zusätzliche Tastendrücke erfordert. Neben Zeitersparnis bei der Texteingabe bringt konsequente Kleinschreibung sicherlich auch eine kognitive Entlastung mit sich. Es wäre jedoch falsch zu schlussfolgern, dass Großbuchstaben gänzlich aus SMS-Texten zu verschwinden drohen. Vielmehr werden sie, ähnlich wie Satzzeichen, mit erweiterten Funktionen in der Schriftkommunikation unterlegt: Binnenmajuskeln beispielsweise können als Markierung für den semiophonologischen Gebrauch oder als Aufmerksamkeitssignal fungieren, wohingegen vollständige Großschreibung einer Äußerung oder einer Wendung zusätzliche Emphase zum Ausdruck bringen kann. Auch die konventionellen Satzzeichen können eine ganze Reihe zusätzlicher Funktionen erfüllen, die man aus der Standardsprache nicht in solch ausgeprägter Form kennt. Neben der Gestaltung von Emotikons können sie der Übermittlung von Emphase dienen, indem sie durch Iteration Aufmerksamkeit auf sich lenken und eine Verstärkung der kommunikativen Absicht des Senders erzielen. Wie schon erwähnt, nimmt die Folge von Punkten dabei eine Sonderstellung ein. 4.4.4 Sonstige formale Auffälligkeiten Im Rahmen der Agglutination konnten wir bereits beobachten, dass die Worttrennung durch Leerzeichen teilweise aufgehoben wird. Entgegen einiger Behautungen stellen SMS-Texte, die über gar kein Leerzeichen verfügen, allerdings die Ausnahme dar. In dem untersuchten Gesamtkorpus lässt sich tatsächlich nur eine SMS nachweisen, die über keinerlei Leerzeichen verfügt, allerdings wurden die Spatien in diesem Fall durch Asteriske substituiert, so dass dennoch eine klare Trennung der Wörter vorgenommen wurde. 322 Auffällig ist zudem die weitgehende Absenz normgerecht verwendeter diakritischer Zeichen. Accent circonflexe und cédille beispielsweise werden nur in wenigen Fällen realisiert, da ihre Eingabe sehr zeitaufwendig ist. Selbst wenn der entsprechende Laut im Fall der cédille nicht durch eine pseudophonetische Variante ersetzt wird (etwa ça durch sa ), sondern lediglich das diakritische Zeichen eliminiert wird ( ca anstatt ça ), kann die entsprechende Bedeutung mühelos aus dem Kontext erschlossen werden, 322 Die technische Eingabe eines Leerzeichens kann von Handymodell zu Handymodell variieren. In aller Regel ermöglicht die Handysoftware jedoch einen direkten Zugang zur Leertaste, so dass nur ein Tastendruck für die Eingabe eines Leerzeichens nötig ist. Der Asterisk hingegen erfordert in seiner Eigenschaft als Sonderzeichen eine wesentlich zeitaufwendigere Eingabe, so dass in dem angeführten Beispiel keinerlei Ökonomieeffekte erzielt wurden. <?page no="154"?> 154 was sie in den Augen der Verfasser zu einem „zeitraubendem Beiwerk“ 323 werden lässt. Auch der accent grave auf a und u, der phonetisch keine Auswirkungen hat, wird aus Ökonomiegründen zumeist ausgespart. Seine in diesen Fällen primär bedeutungsdifferenzierende Funktion (etwa là vs. la oder où vs. ou ) muss ebenfalls durch Rückgriff auf den Kontext kompensiert werden. Ähnlich verhält es sich mit dem Apostroph, dessen langwierige Eingabe entweder durch ein Leerzeichen ersetzt wird oder aufgrund der ohnehin engen semantischen Zusammengehörigkeit der Konstituenten als überflüssig erachtet wird, so dass das apostrophierte Wort graphisch mit dem Folgewort verschmilzt. Der zweite Fall lässt sich im Korpus wesentlich häufiger beobachten, was nochmals auf die grundlegende Motivation einer möglichst treuen Wiedergabe der Phonie hindeutet. 4.5 Heterogenität des langage SMS Liest man mehrere SMS in Folge, so wird man unwillkürlich mit einer Art „doppelter Formenvielfalt“ konfrontiert: einerseits kann derselbe signifié durch verschiedene graphische Formen repräsentiert werden, andererseits entstehen durch die Anwendung der Verschriftungsstrategien zahlreiche neue Homonyme, so dass dasselbe graphische Zeichen wiederum unterschiedliche signifiés repräsentieren kann. 4.5.1 Variantenreichtum Der Frage nach einer einheitlichen Schriftnorm innerhalb des langage SMS wurde schon verschiedentlich nachgegangen, jedoch mit wenig Aussicht auf Erfolg, da schon die obige Vorstellung der Verschriftungsstrategien einige Beispiele hervorgebracht hat, die auf einen gewissen Variantenreichtum innerhalb des langage SMS schließen lassen: Diese kurze Auflistung verdeutlicht indes nur ansatzweise das mögliche Ausmaß der Formenvielfalt. Die Tatsache, dass einige Basislexeme aufgrund ihrer phonischen und graphischen Eigenschaften Angriffsfläche für mehrere Verschriftungsstrategien gleichzeitig bieten, kann die Anzahl der 323 Vgl. Thaler (2003). <?page no="155"?> 155 Varianten entscheidend erhöhen. Zudem kann der Verfasser in einigen Fällen individuell wählen, in welchem Umfang er die jeweilige Strategie anwendet, solange das oberste Ziel der gegenseitigen Verständigung gewährleistet bleibt. So stellen die Varianten problem , probl und pb jeweils graphische Reduktionen für problème dar. Zur Illustration des Variantenreichtums seien im Folgenden einige häufig vorkommende Äußerungen des Gesamtkorpus mit ihren jeweiligen langage SMS -Varianten vorgestellt: 324 Obgleich die französische Konjunktion mais aus nur einer offenen Silbe besteht, lassen sich im Korpus zehn unterschiedliche Varianten nachweisen, die sich in Bezug auf den ergonomisch und kognitiv notwendigen Aufwand durchaus unterscheiden. Aufgrund der regional bedingten Aussprachevariation des wortfinalen, betonten e als offenes [ε] bzw. geschlossenes [e] ergeben sich entsprechend zwei unterschiedliche pseudophonetische Schreibungen mè und mé . Hinzu kommen die der Orthographienorm folgende Form mais , die graphische Reduktion um den latenten Auslautkonsonanten mai und das konsonantische Skelett ms . Die Variante me ist im Korpus zwar sieben Mal attestiert, wurde jedoch nur von zwei unterschiedlichen Verfassern gewählt, was sicherlich an ihrer Mehrdeutigkeit liegt: theoretisch haben wir es zwar mit einer pseudophonetischen Schreibung zu tun, jedoch entspricht die graphische Realisierung des Vokals in wortfinaler Position (wenn überhaupt) der phonetischen Realisierung des e-instable [ ə ]. Zur eindeutigen Markierung eines offenen bzw. geschlosse- 324 Da ein Teil des Gesamtkorpus aus Montpellier stammt, müssen bei der Aussprache des Wortes mais die Varianten von Nord- und Südfrankreich berücksichtigt werden. In der Tabelle richtet sich die Reihenfolge der verschiedenen Schreibweisen jeweils nach der in Klammern angegebenen Häufigkeit im Gesamtkorpus. <?page no="156"?> 156 nen e bedarf es im Französischen zumindest eines diakritischen Zeichens. Außerdem verhindert die Homographie mit dem Personalpronomen me das unverzügliche Verständnis, so dass der Leser zuerst auf den Kontext zurückgreifen muss, um eine graphische Variante der Konjunktion mais eindeutig identifizieren zu können. Die letzten vier Varianten stellen jeweils Unikate im Korpus dar: met und ma sind Ad-hoc-Kreationen, die sich aufgrund der unwillkürlichen Assoziation mit den Bedeutungen von (il) met bzw. ma nicht durchsetzen konnten. Schließlich lässt sich neben der expressiv markierten Variante MaiiS die fehlerhafte Schreibweise mahs nachweisen. 325 Dank der hohen Flüchtigkeit der Kommunikationsform geraten die unbefriedigenden Varianten unmittelbar in Vergessenheit, ohne ein zweites Mal an der Oberfläche zu erscheinen. Das aus zwei offenen Silben bestehende Wort demain weist im Vergleich dazu sogar elf unterschiedliche Schreibweisen auf. Dabei fällt auf, dass die Verfasser offenbar nicht davor zurückschrecken, mehrere Verschriftungsstrategien innerhalb eines Wortes zu kombinieren. Vielmehr scheint für jede Silbe erneut entschieden zu werden, wie man sie graphisch realisiert, so dass sich die Schreibweise 2min beispielsweise durch einen semiophonologischen und einen pseudophonetischen Teil auszeichnet. Infolgedessen lässt sich selbst innerhalb einzelner langage SMS -Varianten von Heterogenität der Verschriftungsstrategien sprechen. An zusätzlicher Komplexität gewinnt der Variantenreichtum aufgrund des selbst verfasserindividuell feststellbaren Variantenreichtums - teilweise sogar in ein und derselben SMS: Die Ursache hierfür kann ganz unterschiedlicher Natur sein: Unbewusstes bzw. unreflektiertes Verschriften kann dazu führen, dass sich der Verfasser nicht im Klaren darüber ist, dass er dasselbe Wort einen kurzen Moment zuvor andersartig kodiert hat. Umgekehrt kann es gerade Ausdruck von Expertise sein, um dem Leser gegenüber Einfallsreichtum und Kompetenz zu demonstrieren, wobei die Betonung zusätzlicher Emphase in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle spielen kann. So erhält ein 15jähriger Junge von seiner Freundin innerhalb von drei Minuten unter anderem diese beiden Kurznachrichten: 325 Verursacht durch erhöhten Zeitdruck und erhöhte Tippgeschwindigkeit wurde eine zu geringe Anzahl an Tastendrücken getätigt (zwei anstatt drei Drücke auf die Taste „4“). <?page no="157"?> 157 Der langage SMS ist demzufolge weit entfernt von einer durchgängigen Regelmäßigkeit, geschweige denn von einer einheitlichen Schriftnorm. Einem signifié können häufig mehrere graphische signifiants zugeordnet werden, was die Nutzer mit einer beachtlichen Formenvielfalt konfrontiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass verschiedene Verfasser denselben SMS-Text identisch kodieren, sinkt damit theoretisch auf ein Minimum. In der Praxis wird sich jedoch herausstellen, dass sich bestimmte Faktoren finden lassen, die Einfluss auf den Auswahlprozess nehmen können und das Auftreten bestimmter Varianten tendenziell wahrscheinlicher werden lassen (vgl. dazu Kap. 7). 4.5.2 Homonymenproblematik Neben dem offenkundigen Variantenreichtum geht aus der obigen Beispieltabelle eine gewisse Homonymenproblematik hervor. Betrachtet man die langage SMS -Schreibweisen von c'est und sais , so stellt die semiophonologische Schreibung c in beiden Fällen die häufigste Variante dar. Das hat sicherlich Effizienzgründe bei der Eingabe, jedoch impliziert es für den Leser einen kognitiven Mehraufwand bei der semantischen Zuordnung: Dieselbe Verfasserin verwendet c noch in anderen Bedeutungen: <?page no="158"?> 158 Das semiophonologisch verwendete c repräsentiert demnach die Bedeutungen c'est , s'est , sais , sait und ces . Des Weiteren kann es eine graphische Reduktion des Demonstrativpronomens ce sein. Eine Ausnahme stellt die eher als pseudophonetisch zu interpretierende Verwendung von c für das Reflexivpronomen se dar, die sich im Gesamtkorpus nur ein Mal nachweisen lässt. 326 Interessanterweise bleibt das homonyme Possessivpronomen ses von einer semiophonologischen Schreibweise durch c verschont, so dass in diesem Fall semantische Eindeutigkeit gegenüber ökonomischer Eingabe zu dominieren scheint. Die Homonymenproblematik begrenzt sich indes nicht auf die langage SMS -Varianten untereinander, sondern kann vor allem zu semantischen Mehrdeutigkeiten in Verbindung mit orthographisch korrekten Äußerungen führen. Betrachtet man die Spalte der langage SMS -Varianten für mais etwas genauer, so fällt neben dem bereits angesprochenen Einzelfall me auch die recht häufige Schreibweise mai auf, die offensichtlich ein Homonym zu dem Substantiv (le) mai darstellt. Wiederum kann nur der Kontext zur eindeutigen Bedeutungszuweisung verhelfen, was in diesem Fall aufgrund der unterschiedlichen Wortartzugehörigkeit vollkommen unproblematisch sein dürfte. Ganz ähnlich verhält es sich mit der Variante fer in der Bedeutung von faire , die neben der bereits bestehenden Homophonie nunmehr auch zu Homographie mit dem Substantiv (le) fer führt. Die Dimension der Homonymenproblematik wird erst dann deutlich, wenn man sich die Auswirkungen der pseudophonetischen Schreibungen auf der Ebene der Numerus- und Genusmarkierung des Nomens, des Adjektivs und des Partizips vor Augen führt. Phonetisch nicht realisierte Morphemendungen, die ihren Ursprung in der von der Grammatik geforderten Kongruenz haben, werden im langage SMS eliminiert und führen zu einer Aufweichung der homonymendifferenzierenden Schreibweise. Auch die Verbalflexion wird kaum noch normgerecht durchgeführt, so dass das Personalpronomen, ähnlich wie in der gesprochenen Sprache, für die semantische und grammatikalische Zuordnung erheblich an Bedeutung hinzugewinnt: 326 Die Interpretation der Graphie c als eher pseudophonetisch anstelle von semiophonologisch basiert auf der Annahme, dass sich die Verfasserin an der um das e-instable reduzierten phonetischen Realisierung / sasfepa/ orientiert hat und aufgrund der Homophonie von se und ce die zeitsparendere Realisierung c anstatt s gewählt hat (die Eingabe von s benötigt vier Tastendrücke, wohingegen c nur drei erfordert). Im Regelfall findet man im Korpus eine Agglutination zwischen Klitika und Folgeverb vor: sa sfé pa . <?page no="159"?> 159 Das gehäufte Auftreten homonymer Formen kann den Leser zu einer zweiten Lektüre zwingen und kombinatorische Rekonstruktionsschlüsse erfordern, um den Inhalt der Botschaft verstehen zu können. Größtenteils gelingt dies jedoch binnen sehr kurzer Zeit, so dass keine Verständnisrückfragen per SMS nötig werden. 327 4.6 Erste Einblicke in den Umgang mit dem Variantenreichtum 4.6.1 Generelle Automatisierungstendenzen: erwartbare Stilelemente des langage SMS Zwar lassen sich die Verschriftungspraktiken in SMS-Texten in keinen strengen normativen Rahmen fassen, der von allen Nutzern gleichermaßen eingehalten wird, jedoch sind einige quantitativ hervorstechende Tendenzen belegbar, die in bestimmten Bereichen auf eine gewisse Regelmäßigkeit schließen lassen. Führt man etwa eine Häufigkeitsanalyse der jeweiligen langage SMS -Varianten für eine Äußerung durch, so ergeben sich in den meisten Fällen erhebliche Unterschiede: während ein Teil der Varianten mehrfach auftritt, kommt ein anderer Teil nur sehr vereinzelt und benutzerspezifisch zum Einsatz. Diese selten wiederkehrenden Formen machen letztendlich erst die Fülle an Varianten aus. Sie stellen eine Art von Adhoc-Kreationen dar, die kurzzeitig ihren Zweck erfüllen, bevor sie aufgrund mangelnder Konkurrenzfähigkeit im Vergleich zu den übrigen Varianten hinsichtlich Effizienz, Expertise oder Expressivität wieder von der Bildfläche verschwinden. Lässt sich hingegen feststellen, dass eine bestimmte Variante die mit Abstand häufigste Schreibweise darstellt, so wird sie benutzerübergreifend eingesetzt und erfreut sich großer Bekanntheit und Beliebtheit. Sie wird beinahe unreflektiert und aus Gewohnheit eingesetzt, so dass man von einer „tendenziellen Automatisierung“ sprechen kann. Sicherlich sind solche Aussagen gerade vor dem Hintergrund des Variantenreichtums mit großer Vorsicht zu treffen. Daher sei explizit dar- 327 Tatsächlich weist das untersuchte Gesamtkorpus keine SMS mit Verständnisrückfragen auf. <?page no="160"?> 160 auf hingewiesen, dass es sich jeweils nur um Tendenzen handelt, die sich stets durch eine gewisse Anzahl an Ausnahmen auszeichnen. In den meisten Fällen sind es recht kurze und frequente Äußerungen der französischen Sprache, die aufgrund ihres häufigen Auftretens selbst von den wenig kreativen langage SMS -Nutzern in dieser Form verschriftet werden. In wenigen Fällen lassen sich jedoch auch für längere Äußerungen Beobachtungen bezüglich bestimmter Verschriftungsgewohnheiten anstellen, die in den allgemeinen Usus überzugehen scheinen. 4.6.1.1 Erwartbare graphische Reduktionen: (a) Konsonantische Skelette Die hier aufgelisteten Abkürzungen werden in weit über 50% der Fälle realisiert und weisen eine mindestens 20 Prozentpunkte höhere Gesamthäufigkeit auf, als die jeweils zweithäufigste Variante. Mindestens jedes zweite Mal werden diese konsonantischen Skelette demnach für das entsprechende Wort realisiert. Die Tatsache, dass es sich um recht frequente Wörter des Gesamtkorpus handelt ( pour beispielsweise lässt sich durchschnittlich 10,9 Mal pro 1000 Wörter nachweisen), unterstützt den Automatisierungsprozess. Sowohl Verfasser als auch Leser werden häufig mit den Wörtern konfrontiert und es kann sich eine gewisse Verschriftungsgewohnheit einstellen. Im Bereich der konsonantischen Skelette wird diese Entwicklung zweifelsohne durch den bereits recht hohen Bekanntheitsgrad einiger Abkürzungen aus anderen schriftlichen Kontexten begünstigt (beispielsweise „bcp“), jedoch trifft das nicht für solche Äußerungen zu, die eher im Rahmen des Nähesprechens zu erwarten sind und erst mit dem Aufkommen der digitalen Nähekommunikation vermehrt Einzug in die Schrift erhalten haben. Für sie musste sich zunächst eine aus verschiedenen Perspektiven optimale 328 graphische Form entwickeln, die dann unter den Nutzern breite Zustimmung und Anwendung finden konnte. 328 Zum Begriff optimal vgl. Kap. 5. <?page no="161"?> 161 Dank der zeitversetzten Datenerhebung in den Jahren 2005 und 2008 lässt sich in einigen Fällen der laufende Automatisierungsprozess deutlich nachzeichnen: Untersucht man die langage SMS -Varianten von désolé(e) im Gesamtkorpus, so stellt man einen recht hohen Variantenreichtum geprägt von sechs nur einmalig vorkommenden Formen fest. Die weitaus häufigste Variante ist dsl , ein effizientes konsonantisches Skelett. Begrenzt man die Betrachtung jedoch auf das Korpus 2008, so verliert der Variantenreichtum sein Ausmaß. Es lassen sich nur noch drei unterschiedliche Formen feststellen und die relative Häufigkeit von dsl steigt auf über 85%. Im Vergleich zum Korpus 2005 lässt sich also von einem eindeutigen Automatisierungsprozess sprechen, der im Laufe der Zeit stattgefunden hat. Es ist erwartbar und wahrscheinlich, dass ein Verfasser das konsonantische Skelett wählt, wodurch dsl im Kontext des langage SMS eine gewisse Neutralität bzw. Unmarkiertheit erlangt. Wird eine davon abweichende Variante realisiert, kann oftmals davon ausgegangen werden, dass ein zusätzlicher Informationsgehalt übermittelt werden soll. Die orthographisch korrekte und damit ausführliche Form désolé kann etwa als Kontextualisierungshinweis für einen ernsthaften und respektvollen Interpretationsrahmen gedeutet werden. Eine weitere interessante Entwicklung lässt sich bei den Varianten von toujours beobachten: <?page no="162"?> 162 Auch wenn die Häufigkeit von toujours im Gesamtkorpus recht gering bleibt, lässt sich doch feststellen, dass das konsonantische Skelett tjs , bekannt aus anderen schriftbasierten Kontexten, langsam abgelöst wird von der ökonomischeren Variante tjr . Die Verschriftungsstrategie bleibt identisch, es wird lediglich ein Tastendruck eingespart. Gemeinsam stellen sie 74% der vorkommenden Schreibweisen dar und es wird zu beobachten bleiben, ob sich die Tendenz in Richtung tjr fortsetzen wird. Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass sich im Laufe der drei Jahre neue konsonantische Skelette herausgebildet haben, die dank ihrer Effizienz gute Aussichten auf eine mögliche Automatisierung haben. Die Possessivpronomen mon und ton beispielsweise besitzen im Korpus 2008 die konsonantischen Verschriftungen mn und tn , die im Korpus 2005 nur einmalig bzw. noch gar nicht attestiert sind: <?page no="163"?> 163 Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Negationsmorphem non und dem neu entstandenen konsonantischen Skelett nn , das im Korpus 2008 bereits in einem Drittel der Fälle auftritt. Obgleich sich bei diesen Beispielen bestenfalls von einer sich in den Anfängen befindenden Automatisierungstendenz sprechen lässt, so wird doch abzuwarten bleiben, ob sich die konsonantischen Skelette künftig gegenüber der orthographisch korrekten Formen durchsetzen werden. Neben bereits nachweisbaren und aufkeimenden Automatisierungen lassen sich indes auch solche Fälle belegen, in denen man eine Automatisierung der konsonantischen Skelette erwarten könnte, die relative Häufigkeit aber teilweise weit unterhalb der 50% Marke bleibt. Es seien an dieser Stelle nur einige Beispiele genannt: (b) Initialabkürzungen und Akronyme Das lexikalisierte Akronym stp , dessen Höflichkeitsform S.V.P. für s'il vous plaît sogar im Petit Robert erscheint 329 , wird erwartungsgemäß in gut 90% der Vorkommen verwendet. Die unteren drei Syntagmen werden als Ausdruck des Lachens ausschließlich in reduzierter Form gebraucht, was ihren Logogrammcharakter erheblich verstärkt. Sie haben sich als „Lachakronyme“ in der Form ritualisiert, dass eine Rekonstruktion der Ursprungsbedeutung zur eindeutigen Verständigung nicht mehr nötig ist. Abgesehen von diesen standardisierten Varianten sind Initialabkürzungen nur bei kurzen und sehr häufig verwendeten Äußerungen zu er- 329 Vgl. Robert, Paul (2000, 1895). <?page no="164"?> 164 warten, die schon aufgrund des Kontextes leicht identifiziert werden können und damit semantisch entlastet sind. Tatsächlich weist nur das gekürzte Personalpronomen j eine ausreichende Häufigkeit auf, um auf eine Automatisierungstendenz hinzudeuten. Wiederum lässt sich eine Entwicklung innerhalb des Gesamtkorpus feststellen: Wurde die Initialabkürzung im Korpus 2005 in 35,1% der Fälle realisiert, so lässt sie sich im Korpus 2008 schon in 58,8% nachweisen. In den meisten Fällen verschmilzt sie mit dem semantisch eng verbundenen Folgewort, wodurch sie zwar ihre Eigenständigkeit, nicht aber ihre Eigenschaft als Initialabkürzung verliert. 4.6.1.2 Erwartbare pseudophonetische Schreibungen (a) Tilgung stummer Buchstaben Aufgrund der Tatsache, dass das Subjekt wesentlich häufiger in der 1. bzw. 2. Person Singular steht als in der 3., treten Tilgungen der stummen Auslautkonsonanten <-s> und <-x> entsprechend häufiger auf als etwa die Tilgung von <-t>. Auch die Pluralmarkierung des Nomens und des Adjektivs durch <-s> bzw. <-x> wird oftmals ausgelassen. Hinzu kommen sehr frequente Wörter wie das Negationsmorphem pas , das selbst im Fall einer obligatorischen Liaison zumeist als pa realisiert wird, so dass <-s> der am häufigsten getilgte Auslautkonsonant ist. Wortfinales <-x> ist zwar quantitativ etwas seltener, wird jedoch ebenfalls in über 70% der Fälle ausgespart. Ergänzend sind hier die graphisch reduzierten Formen tro und kan anzuführen, die jeweils in über 55% der Vorkommen nachgewiesen werden können. <?page no="165"?> 165 (b) Reduktion von Doppelkonsonanten Die quantitative Verteilung der jeweiligen Konsonantengrapheme fällt im Korpus sehr unterschiedlich aus: während Wörter, die gemäß der orthographischen Norm den Doppelkonsonanten <gg> aufweisen, nur selten vorkommen, lassen sich Wörter, die konventionell mit <ll> verschriftet werden, vergleichsweise häufig nachweisen. Aufgrund dieses Ungleichgewichts können nur schwer allgemeine Aussagen über Automatisierungstendenzen in diesem Bereich getroffen werden. Die folgende Auflistung soll das verdeutlichen: <?page no="166"?> 166 Wie bereits im Zuge der Verschriftungsstrategie beschrieben, werden hier nur solche Doppelkonsonanten berücksichtigt, die im Vergleich zu ihrem einfachen Auftreten keinerlei Auswirkungen auf die phonetische Oberfläche haben, so dass <ss> und <cc> nicht in der Tabelle enthalten sind. 330 Auch im Bereich des Doppelkonsonanten <ll> müssen Wörter wie billet (phonetisch: [bijε], nicht etwa [bilε]) unberücksichtigt bleiben, während sal für salle (phonetisch [sal]) mitgezählt wird. Die Lateraldopplung müsste nach den Anforderungen der Orthographie dennoch das mit Abstand häufigste Vorkommen unter den Doppelkonsonanten aufweisen, was sicherlich durch die Verbformen von aller und (r-)appeler sowie durch die Pronomen elle und elles bedingt ist, die aufgrund der spezifischen Thematik innerhalb der SMS-Kommunikation recht häufigen auftreten. Sie weisen im langage SMS zumeist nur ein <l> auf, so dass die reduzierte Variante insgesamt in knapp zweidrittel der Fälle realisiert wird. Da auch hier ein Anstieg von 2005 zu 2008 in Richtung Reduktion zu verzeichnen ist (im Kor- 330 Die von der Orthographienorm geforderte Buchstabendopplung <-ss-> zur Markierung von Stimmhaftigkeit wird nur in knapp 15% der Fälle reduziert, was durchaus auf eine bewusste Verschriftung und eine gewisse Sprachkompetenz schließen lässt. <?page no="167"?> 167 pus 2008 wird bereits in 73% der Fälle <l> anstatt <ll> realisiert), lässt sich von einer Automatisierungstendenz sprechen. Noch eindeutiger verhält es sich mit dem Doppelkonsonanten <pp>, der in knapp 70% der Vorkommen zum Monographen reduziert wird. Der Umgang mit den übrigen Doppelkonsonanten <ff>, <gg>, <mm>, <nn>, <rr> und <tt> lässt kaum verallgemeinernde Aussage zu. Zwar stößt man für beinahe jeden Buchstaben auf bestimmte Wörter, die durch häufiges Vorkommen hervorstechen und damit eine potenzielle Automatisierung vorantreiben könnten (etwa comme und comment im Bereich des Doppelkonsonanten <mm> oder bonne(s) für <nn>), jedoch verfahren die Verfasser auch hierauf begrenzt nicht einheitlich. Die korrekte Verwendung des Doppelkonsonanten <mm> hat im Jahr 2008 sogar wieder zugenommen. Benutzerübergreifende Tendenzen sind demnach nicht erkennbar, allerdings herrscht benutzerindividuell eine recht große Kongruenz, d.h., dass innerhalb einzelner SMS selten zwischen einfacher bzw. doppelter Verwendung der Konsonanten gewechselt wird. (c) Sonstige pseudophonetische Substitutionen Die Substitution des Digraphen <qu> durch das einfache Graphem <k> ist über das Gesamtkorpus hinweg auffällig und wird in knapp 70% der Fälle durchgeführt. Es lässt sich hier von einer generellen Automatisierungstendenz über das Einzelwort hinaus sprechen, da das eng an der Phonie orientierte <k> nicht nur in sehr frequenten Wörtern wie que , qui und quand , sondern auch beispielsweise in manquer ( manké ), quelle ( kel ) oder quelqu'un ( kelkun ) auftritt und erwartbar ist. 4.6.1.3 Kombinationen aus konsonantischem Skelett und pseudophonetischer Schreibung <?page no="168"?> 168 Die Substitution von <qu> durch <k> hat sich in dem Ausmaß verfestigt, dass sie sich selbst in Kombination mit einer graphischen Reduktion durchsetzen konnte. Im Korpus 2008 tritt die Variante pk bereits in knapp 85% der Fälle auf. 4.6.1.4 Erwartbare semiophonologische Schreibungen Die folgenden jeweils vollständig semiophonologischen Schreibungen konnten sich dank ihres häufigen Vorkommens und ihrer Kürze weitgehend durchsetzten: 331 Das Buchstabenhomophon c wird sogar in über 90% der Fälle realisiert und weist damit auf der Ebene des Gesamtkorpus die eindeutigste Automatisierungstendenz auf. Die sehr regelmäßige Verwendung verleiht den semiophonologischen Varianten in allen vier Fällen Logogrammcharakter, der einen bewussten Kodierungsbzw. Dekodierungsschritt beinahe überflüssig werden lässt. Einschränkend muss jedoch berücksichtigt werden, dass bei c aufgrund der existierenden langage SMS -Homonyme der Rückgriff auf den SMS-Kontext zur eindeutigen Bedeutungsidentifikation notwendig werden kann. 332 Streng genommen müsste man bei den drei Buchstabenhomophonen ein Zusammenspiel von Agglutination und semiophonologischer Schreibweise annehmen, da für die Anwendung der Verschriftungsstrategie bereits die Wortgrenze überschritten werden muss. Allerdings handelt es sich jeweils um sehr kurze und vor allem apostrophierte Syntagmen, die semantisch eng zusammengehören und lautlich nur als Einheit realisiert werden können, so dass es wohl übertrieben wäre, von zwei unterschiedlichen kognitiven Schritten ausgehen zu wollen, zumal die Phonie maßgeblich als Orientierung für die Verschriftung dient. Das semiophonologisch verwendete + verdankt seine Regelmäßigkeit der häufig auftretenden Verabschiedungssequenz a+ und ist auch in anderen schriftbasierten Kontexten wie Werbeplakaten oder Postkarten weit 331 Die graphisch realisierte Enklise t'es (Standardfranzösisch: tu es ) ist in der informellen, gesprochenen Sprache weit verbreitet und wird hier entsprechend als solche übernommen. 332 Vgl. Abschnitt „Variantenreichtum“. <?page no="169"?> 169 verbreitet. Für die homographe aber heterophone Form [ply] lässt sich im langage SMS hingegen keine Aussage über erwartbare Varianten treffen. Erlangen semiophonologische Schreibweisen durch ihre relativ regelmäßige Verwendung eine bestimmte Erwartbarkeit innerhalb des langage SMS , so wird der ihnen ursprünglich zugesprochene Grad an Expertise zweifelsohne in Frage gestellt, da nur noch sehr bedingt von Kreativität und Originalität ausgegangen werden kann. Jedoch stellen Automatisierungstendenzen in diesem Bereich eher die Ausnahme dar, denn selbst funktional effiziente Formen wie d für des oder 1 für un / une konnten sich (noch) nicht durchsetzen. Ihre Verwendung bleibt überwiegend den sehr kompetenten und „verschriftungsgewandten“ Nutzern vorbehalten, deren SMS grundsätzlich eine gewisse Expertise bezüglich des langage SMS unter Beweis stellen. 4.6.1.5 Eliminierung des Apostrophs Wie bereits erwähnt, lässt sich der Apostroph als zeitraubendes Beiwerk beim Verfassen einer SMS beschreiben, dessen umständliche Eingabe zur Markierung der Wortgrenze aufgrund der semantischen und phonetischen Zusammengehörigkeit als überflüssig erachtet wird. Dem Verfasser bieten sich für die Realisierung ohne Apostroph drei verschiedene Möglichkeiten: Er kann den Apostroph durch ein Leerzeichen ersetzen ( j ai ), er kann die Konstituenten ohne weitere Änderungen graphisch verschmelzen lassen ( jai ) oder er kann sie nach graphischer Verschmelzung einer weiteren Strategie unterziehen ( g ). Die erste Variante ist aufgrund der beschriebenen Zusammengehörigkeit am wenigsten intuitiv und wird lediglich von solchen Nutzern realisiert, die sich insgesamt noch stark an der orthographischen Norm orientieren. Die beiden letzten Möglichkeiten stellen, gemeinsam betrachtet, den mit Abstand häufigsten Fall im Gesamtkorpus dar, so dass von einer tendenziellen Eliminierung des Apostrophs bei gleichzeitiger graphischer Verschmelzung der Konstituenten zu einer Einheit gesprochen werden kann. Gerade die sehr häufig in apostrophierter Form auftretenden Klitika werden regelmäßig agglutiniert: Neben den erwartbaren semiophonologischen Varianten c , g und t , die als konkrete Einzelfälle ebenfalls zur tendenziellen Automatisierung der Apost- <?page no="170"?> 170 ropheliminierung beitragen, lassen sich zwei pseudophonetische Varianten finden, die in über 70% der Fälle als Einheit realisiert werden: 333 Insgesamt lässt sich folglich feststellen, dass trotz zuvor konstatiertem Variantenreichtum einige Schreibweisen mit auffälliger Rekurrenz verwendet werden und sukzessiv in den allgemeinen Usus überzugehen scheinen. Die Verknüpfung von Phonie mit entsprechender Graphie geschieht nahezu automatisch und es entstehen benutzerübergreifend verfestigte Verschriftungsvarianten, die im Rahmen des langage SMS eine gewisse Erwartbarkeit erlangt haben. Abweichende Schreibweisen werden immer unwahrscheinlicher und damit auch ungewöhnlicher, was dazu führen kann, dass sie beim Leser besondere Aufmerksamkeit erwecken und eine Suche nach einem eventuell vorhandenen, zusätzlichen Informationsgehalt im Sinne eines Kontextualisierungshinweises auslösen. Verglichen mit den tendenziell automatisierten Formen sind sie damit in gewisserweise „markiert“, während die erwartbaren Schreibweisen innerhalb des langage SMS als neutral oder „unmarkiert“ aufgefasst werden können. Damit entsteht in dem gegenüber der orthographischen Norm sehr stark markierten SMS-Schriftkode ein kleiner, sich fortwährend stabilisierender Bereich der Unmarkiertheit. 4.6.2 Scheinbar resistente Bereiche Neben Äußerungen, die mit wachsender Konstanz durch eine bestimmte langage SMS -Variante repräsentiert werden, lassen sich auch solche finden, die nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit einer Verschriftungsstrategie unterzogen werden. Sie scheinen gegenüber einem „Befall“ durch den langage SMS resistent zu sein und folgen beständig der Orthographienorm. Fairon et al. sprechen in diesem Zusammenhang von einer „’zone de résistance’ échappant aux réflexes de simplification et d’abrégement“. 334 Der erste Resistenzbereich, den sie in ihrem Korpus ausfindig machen, betrifft den Umgang mit Doppelkonsonanten in Verbindung mit bestimmten Wörtern. Sie stellen fest, dass attraper in ihrem Korpus zwar relativ selten, aber stets in orthographisch korrekter Form vorkommt. Zudem wird der Doppelkonsonant in anniversaire in ihrem Korpus nur zwei Mal reduziert („anif“ und „aniv“), während die Vollversion des Wortes die 333 Wiederum finden wir im Fall von t'as (Standardfrz.: tu as ) eine Enklise aus der gesprochenen Sprache vor, die graphisch als solche umgesetzt wird. 334 Vgl. Fairon et al. (2006b, 4). <?page no="171"?> 171 weitaus häufigste Variante darstellt. Diese beiden Beobachtungen bestätigen sich im Hinblick auf unser Gesamtkorpus nicht. Zwar lässt sich attraper nur ein Mal nachweisen, jedoch weist es in diesem Fall die Graphie atrapé auf. 335 Auch anniversaire wird in dieser Form nur in gut 20% der Fälle gewählt, wohingegen der Doppelkonsonant <nn> durchschnittlich jedes zweite Mal reduziert wird. Es wird abermals deutlich, dass allgemeingültige Aussagen in Bezug auf den langage SMS mit größter Vorsicht zu treffen sind. Obwohl die Forschergruppe aus Belgien über ein entscheidend größeres Korpus als das hier vorliegende verfügt, das allgemeine Tendenzen mit wesentlich größerer Sicherheit aufzeigen müsste (sie analysierten 30000 SMS), lassen sich eindeutige Gegenbeispiele finden, die jeweils keine Einzelfälle darstellen. Der langage SMS entzieht sich immer wieder einer strikten Regelmäßigkeit und es sei nochmals darauf hingewiesen, dass alle dargestellten Beobachtungen Momentaufnahmen in Form von Tendenzen bleiben müssen, deren tatsächliche Gültigkeit zu einem späteren Zeitpunkt anhand von neuem Datenmaterial überprüft werden muss. Nichtsdestoweniger zeigen Fairon et al. auch Resistenzbereiche auf, die sich mit unserem Korpus decken. Die etymologisch bedingten und vornehmlich in gelehrten Wörtern vorkommenden Digraphen <ph>, <rh> und <th>, werden laut ihren Ausführungen mit großer Wahrscheinlichkeit beibehalten. Zwar lässt sich bezüglich <rh> mangels Auftreten im hier untersuchten Korpus keine Aussage treffen, jedoch werden <ph> und <th> in rund 70% der Vorkommen als solche realisiert. Reduktionen zu <f> bzw. <t> sind zumeist in gängigen Substantiven der Alltagskommunikation wie foto ( photo ), fone ( téléphone ) oder mat ( maths ) anzutreffen, wohingegen Wörter wie philosophie oder orthopediste mit normgerechtem Digraphen verschriftet werden. Es lässt sich allerdings nicht ausschließen, dass auch gelehrte Wörter mit der Zeit eine Art „Profanierung“ durch langage SMS - Schreibweisen erleiden werden, da sich vereinzelt bereits Varianten wie alfaB ( alphabet ) oder entousiasme ( enthousiasme ) nachweisen lassen. Unabhängig von den Erkenntnissen anderer Arbeiten weist das hier untersuchte Korpus weitere Bereiche auf, die scheinbar resistent sind. Im vorherigen Abschnitt haben wir festgestellt, dass eine generelle Automatisierungstendenz von graphisch <qu> → <k> besteht. Eine entsprechende Aussage lässt sich jedoch nicht auf die Phonemabfolge „[k] + beliebiges Vokalphonem“ verallgemeinern, da die Graphemketten <ca>, <co> und <cu> (phonetisch [ka], [ko] und [ku]) jeweils in über 80% der Fälle beibehalten werden. Für <cu> ist die Sachlage mit nur einer Ausnahme am eindeutigsten: skuze moi für excuse-moi ist die einzige Substitution von <cu> 335 Selbst wenn man die Suche auf das Wort rattraper erweitert, das sich drei Mal im Korpus nachweisen lässt, trifft die Beobachtung von Fairon et al. nicht zu: die Varianten rattraP , ratrapé und ratraP führen dazu, dass wir in drei von vier Fällen eine Reduktion des Doppelkonsonanten vorfinden. <?page no="172"?> 172 durch <ku>. Sieht man von der semiophonologischen Variante k für cas ab, so bleibt auch <ca> in 96% der Fälle unverändert. Etwas weniger resistent ist die Graphemkette <co>, was maßgeblich an den recht häufigen Fragewörtern comme und comment liegt, die sich vereinzelt in den graphischen Hüllen kom und komen nachweisen lassen, so dass sich für sie keine eindeutigen Tendenzen erkennen lassen. Teilweise haben die Nutzer zwar den Ökonomieeffekt erkannt ( ko erspart gegenüber co einen Tastendruck), allerdings scheint der Einfluss des traditionellen Schriftbilds noch recht groß zu sein und es wird zu beobachten bleiben, ob sich der Resistenzbereich zugunsten des effizienten und der Phonie entsprechenden ko aufweichen wird. 4.6.3 Erste Einblicke in mögliche Einflussfaktoren bei der Wahl einer Schreibweise Im Zuge der letzten beiden Abschnitte konnte aufgezeigt werden, dass sich vor dem Hintergrund des großen Variantenreichtums einige Automatisierungstendenzen und Resistenzbereiche erkennen lassen, innerhalb derer stetig wiederkehrende Verschriftungen beobachtet werden können. Dennoch bleiben auch sie von einer gewissen Anzahl an Ausnahmen geprägt, die den langage SMS bislang in nur wenig vorhersehbaren Bahnen verlaufen lassen. Die Nutzer verfolgen nur selten eine über das Gesamtkorpus hinweg geltende Systematik bei der graphischen Abbildung einzelner Phoneme oder Phonemketten und entscheiden sich vor allem bei mehrsilbigen, wenig frequenten Äußerungen recht spontan für eine individuelle Verschriftung. Daraus ergibt sich die Frage, ob die Wahl einer Schreibweise vollkommen beliebig und unreflektiert geschieht oder ob sich bestimmte Einflussfaktoren benennen lassen, die den Verfasser zu einer (mehr oder weniger) bewussten Entscheidung kommen lassen. Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden mit dem Ziel, eine Arbeitshypothese für die weitere Vorgehensweise zu formulieren. Die ersten offensichtlichen Faktoren, die das Auftreten bestimmter Schreibweisen beeinflussen können, hängen eng mit den individuellen Eigenschaften des Verfasserprofils zusammen, darunter etwa Alter, sozialer Status, regionale Herkunft, allgemeine Sprachkompetenz, Erfahrung und Übung im Umgang mit der SMS-Kommunikation bzw. mit der digitalen Schriftkommunikation allgemein, spezielle Kompetenzen im Rahmen des langage SMS oder auch besondere Gewohnheiten innerhalb des Freundeskreises bzw. der Partnerschaft. So leuchtet es schnell ein, dass ein wenig kreativer Verfasser, der bislang nur einen niedrigen Kompetenzgrad hinsichtlich des langage SMS erreicht hat, seine SMS-Texte vornehmlich mit Hilfe von einfachen Abkürzungen, pseudophonetischen Schreibweisen und benutzerübergreifend automatisierten Varianten gestaltet, wohingegen kompetente Nutzer vermehrt enigmatische Varianten verwenden. <?page no="173"?> 173 Während sich im ersten Fall häufig eine nicht zu verachtende Einflussnahme des traditionellen Schriftbildes erkennen lässt, wirkt das Schriftbild im zweiten Fall oftmals befremdend. In Abhängigkeit vom Verfasserprofil und dessen Kompetenzgrad können sich individuelle Vorlieben für bestimmte langage SMS -Varianten herauskristallisieren, die deren kontinuierlichen Einsatz bewirken und keineswegs auf einzelne Äußerungen beschränkt bleiben müssen, sondern wortübergreifend eine gewisse Präferenz für bestimmte Verschriftungsstrategien beinhalten können, wie etwa der regelmäßig wiederkehrende Einsatz von wa anstatt oi oder die systematische semiophonologische Verwendung der Ziffer 1 in Äußerungen wie bien ( b1 ), rien ( r1 ), quelqu’un ( kelk1 ), etc. Die Verfasser scheinen nicht jedes Mal erneut nach adäquaten Verschriftungsmöglichkeiten zu suchen, sondern greifen auf bereits vorgeformte Strukturen zurück, die sie individuell präferieren und die in ihren SMS-Texten folglich bis zu einem gewissen Grad erwartbar sind. Ähnlich wie im Fall der Automatisierungstendenzen kann daher von benutzerspezifischen Verschriftungsgewohnheiten gesprochen werden, die sich im Laufe der Zeit einpendeln und stetig verfestigen. Je nach dem, wie regelmäßig die individuellen Gewohnheiten Anwendung finden und wie ausgefallen bzw. exklusiv die jeweiligen Schreibweisen sind, desto deutlicher scheint sich ein individueller Verschriftungsstil herauszubilden, der das Auftreten bestimmter Verschriftungsvarianten noch wahrscheinlicher werden lässt. Die konkreten Schreibweisen bzw. regelmäßig wiederkehrenden Verschriftungsstrategien fungieren dabei als langage SMS - Stilelemente , wobei auch diesmal nicht davon ausgegangen werden darf, dass es sich um einen durchweg systematischen Gebrauch handelt oder dass sich für jeden SMS- Verfasser problemlos ein individueller Verschriftungsstil beschreiben lässt, der ihn eindeutig von den übrigen Nutzern abhebt. 336 Nur wenige Nutzer setzen ihre spezifischen, im Gesamtkorpus nur selten attestierten langage SMS -Varianten relativ konstant ein und heben sich damit durch rekurrente, individuell kombinierte ‚Verschriftungsstilelemente’ von den übrigen Nutzern ab. Insofern ist es sicherlich noch ein wenig früh, um von eindeutig erkennbaren, individuellen Verschriftungsstilen sprechen zu können, die sich als feste Muster innerhalb der benutzerspezifischen Verschriftungsgewohnheiten beschreiben lassen. Dennoch wird davon ausgegangen, dass sich der individuelle Verschriftungsstil bei einigen Nutzern wenigstens in statu nascendi befindet und die Wahl bestimmter Schreibweisen damit nicht unerheblich beeinflusst (konkrete Beispiele dazu werden in Kap. 7 „Der langage SMS in Korrelation mit der kommunikativ-funktionalen Nutzung“ folgen). 336 Vielmehr wird sich herausstellen, dass sich eine bestimmte Kombination gewisser Verschriftungsstrategien oftmals gleich bei mehreren, voneinander unabhängigen Nutzern feststellen lässt. <?page no="174"?> 174 Im Gegensatz dazu lässt sich bei einigen Nutzern auszugsweise ein klarer Stilbruch hinsichtlich der Verschriftungsstrategien erkennen, der sich nicht nur auf die Übergänge von einer SMS zur nächsten beschränkt, sondern durchaus im Rahmen einer einzigen SMS stattfinden kann. Ein Beispiel hierfür wäre etwa die Kurzmitteilung „ O chui dsl javé plu 2 bateri sniiif “ ( Oh je suis désolé j’avais plus de batterie snif ), bei der sich ein Großteil der Verschriftung durch primär effiziente und enigmatische Schreibweisen auszeichnet, während der letzte Ausdruck unter Verletzung von platz- und zeitökonomischen Bedürfnissen eine primär expressive Schreibweise darstellt. Allgemein können solche stilistischen Variationen von orthographisch korrekten Schreibweisen bis hin zu enigmatischen oder expressiven langage SMS -Varianten reichen und deuten darauf hin, dass neben den bereits beschriebenen verfasserindividuellen Faktoren noch weitere Komponenten bei der Wahl der Verschriftung relevant werden können, denn individuelle Verschriftungskompetenzen und -gewohnheiten erklären nur unbefriedigend die Tatsache, dass sich die SMS-Texte von einzelnen Verfassern durch einen auffallenden Variantenreichtum auszeichnen können. Im Zuge der Ausführungen in Kap. 3.2 wurde bereits verdeutlicht, dass die verwendeten Versprachlichungsstrategien, insbesondere die Verschriftungs- und Verschriftlichungsstrategien, in SMS-Texten entscheidend von der Beschaffenheit bestimmter Faktoren abhängen, die sich als mediale, interpersonelle, situative und thematische Kommunikationsbedingungen beschreiben lassen. Die konkreten Verschriftlichungsstrategien, die sich im Rahmen der SMS-Kommunikation ergeben können, wurden in dem genannten Kapitel bereits überblickartig vorgestellt, während die Verschriftungsstrategien, d.h. die spezifischen Merkmale des langage SMS als besondere Art der graphischen Realisierung, in diesem Kapitel fokussiert wurden. Auch sie werden von den jeweils vorzufindenden Kommunikationsbedingungen mitbestimmt, wobei die mögliche Einflussnahme der interpersonellen Faktoren, insbesondere die des Verfasserprofils, auf die Entstehung benutzerspezifischer Verschriftungsgewohnheiten bereits angedeutet wurde. Hinzu kommen die medialen Aspekte, deren Bedeutung im Zuge der Darstellung der einzelnen Verschriftungsverfahren immer wieder hervorgehoben wurden: das allgemeine Bedürfnis nach Platz- und Zeitökonomie beispielsweise resultiert maßgeblich aus medialen, technikbedingten Einschränkungen und hat unter anderem die Entstehung der primär effizienten Verschriftungsstrategien mitbewirkt. Um jedoch weitere Erklärungsansätze für die verfasserindividuell feststellbaren, stark variierenden Verschriftungsvarianten zu erhalten, ist die Aufmerksamkeit auf die thematischen Kommunikationsbedingungen zu richten, die ebenfalls Einfluss auf die Art der Verschriftung nehmen können. Erinnern wir uns an das konzeptionelle Relief, das für die private SMS-Kommunikation unter guten Freunden erstellt wurde, so ließen die <?page no="175"?> 175 thematischen Komponenten aufgrund der komplexen kommunikativfunktionalen Einsatzmöglichkeiten der SMS-Kommunikation keine konkrete Einordnung zu, die „prototypisch“ für den privat-informellen SMS- Gebrauch stehen könnte. Sowohl ein problematisierendes Streitgespräch als auch ein belustigender „Smalltalk“ zwecks Zeitvertreibs sind in diesem Zusammenhang denkbar und nachweisbar, so dass pauschale Einschätzungen lediglich einen verfälschten Eindruck hinterlassen würden. Die Feststellung, dass dieser Bereich einen beträchtlichen Variationsspielraum zwischen Nähe und Distanz aufweist, gewinnt entscheidend an Relevanz bei der Suche nach möglichen Einflussfaktoren hinsichtlich der Wahl einer Schreibweise und legt die Vermutung nahe, dass die zugrunde liegende Kommunikationsfunktion einschließlich der thematischen Aspekte beim Verschriften eines SMS-Textes von den Nutzern berücksichtigt wird und in einigen Fällen durchaus ausschlaggebend sein kann. Dementsprechend wird für die weitere Herangehensweise folgende Hypothese formuliert: „Es besteht eine Korrelation zwischen der gewählten Verschriftung im langage SMS und der dazugehörigen kommunikativen Nutzung.“ Konkret wird es bei der Hypothesenverifizierung darum gehen, die vielfältigen kommunikativen Einsatzmöglichkeiten der SMS-Kommunikation anhand des Korpus zu analysieren, möglichst sinnvoll zu kategorisieren und anschließend die darin auftretenden Schreibweisen bezüglich ihrer Charakteristika zu untersuchen. Um geeignete Interpretationsansätze für ein solches Inbeziehungsetzen zu schaffen, wird es im Vorfeld vonnöten sein, die multiplen, für den langage SMS charakteristischen Verschriftungsvarianten objektiv und exakt gegeneinander abzugrenzen, denn bislang sind wir lediglich dazu in der Lage, die den Varianten zugrunde liegende Verschriftungsstrategie qualitativ zu erkennen und beispielsweise graphische Reduktionen ( bcp für beaucoup ) von pseudophonetischen Schreibungen ( boku für beaucoup ) zu unterscheiden. Allerdings fehlt es noch an einer geeigneten Analysemethode, um etwa graphische Reduktionen untereinander sowohl quantitativ als auch qualitativ auszudifferenzieren (etwa beaucou und bcp ) und sie dadurch, möglichst parallel zu den pseudophonetischen Schreibungen, bezüglich ihrer konstitutiven Merkmale zu charakterisieren. 337 Eine solche Auswertung würde gleichzeitig mehr Aufschluss darüber geben, inwiefern sich die medialen Rahmenbedingungen tatsächlich auf die Verschriftung auswirken, welche Intentionen der Verfasser jeweils bei der Wahl einer Schreibweise verfolgt, wo er seine Prioritäten setzt bzw. ob es noch weitere relevante Faktoren gibt, die sich auf das Schreibverhalten auswirken. Erst wenn sich für jede einzelne langage SMS -Variante, ein spezifisches Merk- 337 Noch schwieriger wird es, wenn man etwa einen Ausschnitt der graphischen Reduktionen von longtemps betrachtet: longtemp , lontem , longtps , lgtps , lgtp , etc. <?page no="176"?> 176 malprofil erstellen lässt, das eine eindeutige Abgrenzung von den alternativen Varianten erlaubt und zudem deren charakteristischen Eigenschaften herausstellt, kann die Schreibweise vor dem Hintergrund der dazugehörigen kommunikativ-funktionalen Nutzung angemessen analysiert werden. Demgemäß wird es im folgenden Kapitel zunächst darum gehen, ein geeignetes Auswertungsmodell für den langage SMS zu entwickeln, um anschließend dem Spektrum an möglichen kommunikativen Funktionen der SMS-Kommunikation und dessen Einfluss auf die Wahl einer Verschriftung nachzugehen. <?page no="177"?> 177 5 Ein Quantifizierungsmodell für den langage SMS Bei der Entwicklung des für den langage SMS entwickelten Quantifizierungsmodells wurde sich maßgeblich an der Funktionsweise der Optimalitätstheorie (OT) orientiert. Im Folgenden wird daher zunächst verdeutlicht, in welcher Form das geschehen ist, wo es Gemeinsamkeiten gibt und an welchen Stellen es zu grundsätzlichen Abweichungen kommt, bevor wir uns konkrete Auswertungsbeispiele vor Augen führen. Es darf jedoch keinesfalls erwartet werden, dass wir eine Art Grammatik für den langage SMS aufstellen und OT im klassischen Sinn betreiben. Dieses Vorhaben wäre angesichts der im vorherigen Kapitel beschriebenen Formenvielfalt, die sich in SMS-Texten beobachten lässt, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Es wird vielmehr darum gehen, die Vorzüge der Modellierung grammatischer Prozesse, wie sie die Ursprungstheorie vorsieht, für die Darstellung des Auswahlprozesses einer bestimmten langage SMS- Schreibweise auszunutzen. 338 5.1 Eine an der Optimalitätstheorie (OT) orientierte Auswertungsmethode Die Hauptmotivation für unsere Herangehensweise besteht darin, die konkurrierenden Schreibweisen, die sich an der SMS-Oberfläche beobachten lassen, bezüglich Effizienz, Expertise und Expressivität quantifizierbar und somit vergleichbar zu machen. Ähnlich wie es das Modell der OT vorsieht, lässt sich die Wahl einer bestimmten SMS-Schreibweise als Input-Output- Mechanismus auffassen, bei dem einer zugrunde liegenden, orthographisch korrekten Inputform mit entsprechender phonetischer Realisierung (etwa <pas> mit [pa]), unter dem Einfluss spezifischer Beschränkungen, ein an der SMS-Oberfläche beobachteter graphischer Output zugeordnet wird (z.B. pa). Der entscheidende Unterschied zwischen der Grammatik einer Sprache und dem langage SMS ist dabei bereits unmittelbar in der 338 Leser, die mit der Standardtheorie nicht vertraut sind, seien etwa auf das Überblickswerk von Kager (1999) verwiesen, das mit sehr veranschaulichenden Beispielen arbeitet. Ferner sei darauf hingewiesen, dass mittlerweile eine Vielzahl von Arbeiten im Zusammenhang mit der OT geschrieben wurden, die nicht nur die ursprünglichen Bereiche der Phonologie und Morphologie bzw. deren Beziehung untereinander betreffen, sondern auch die Bereiche Syntax, Semantik, Pragmatik, Intonationsforschung oder auch Spracherwerb. Das Rutgers-Optimalitätsarchiv hat sich vor diesem Hintergrund zum Ziel gesetzt, möglichst viele Texte zur OT zu sammeln und frei zugänglich zu machen (vgl. http: / / roa.rutgers.edu/ index.php3 (05.05.2010)). <?page no="178"?> 178 Ausgangssituation verankert: aufgrund der beachtlichen Formenvielfalt in den SMS-Texten ist die ‚optimale’ Oberflächenform, die mithilfe der spezifischen Beschränkungsanordnung evaluiert wird und Letztere in der Standardtheorie dadurch eindeutig mitbestimmt, nicht bekannt. Daher kann sich auch keine starre (und damit grammatikähnliche) Dominanzhierarchie unter den Beschränkungen ergeben, so dass das Augenmerk gerade auf der Neuanordnung der Beschränkungen und dem sich daraus ergebenden optimalen Outputkandidaten liegen wird. Bevor die für uns relevanten Beschränkungen hergeleitet und deren möglichen Anbzw. Umordnungen anhand konkreter Beispiele verdeutlicht werden, soll der strukturelle Aufbau des abgewandelten Modells einschließlich der beteiligten Komponenten vorgestellt werden, um mehr Einsicht in die Prizipien der Methode zu gewährleisten. 5.1.1 Struktureller Aufbau Ähnlich wie in der klassischen OT lässt sich der Mechanismus zur Wahl einer langage SMS-Schreibweise als Abfolge der zwei Funktionen Gen (Generator) und Eval (Evaluator) beschreiben, wobei Eval den Hauptbestandteil darstellt: Zuerst wird nach der Eingabe eines Inputs eine Menge an möglichen Outputkandidaten generiert (in unserem Fall langage SMS- Varianten), die dann mittels bestimmter, hierarchisch angeordneter Beschränkungen ausgewertet, d.h. miteinander verglichen werden, um den realen, optimalen Outputkandidaten zu bestimmen. Die einzelnen Beschränkungen fungieren dabei als eine Art Filter, den die jeweiligen langage SMS-Varianten nur dann passieren, wenn sie die Beschränkungsanforderung mindestens so gut erfüllen, wie die restlichen, konkurrierenden Varianten. Formal lässt sich das folgendermaßen darstellen (B i steht dabei abkürzend für eine bestimmte Beschränkung): 339 Gen Eval B 1 >> B 2 >> ... B n Variante 1 Variante 2 Input Variante 3 Variante 4 Output Variante... Abb. 1 339 Vgl. Kager (1999, 8). <?page no="179"?> 179 Im Folgenden werden die einzelnen Komponten und deren Funktionsweise kurz vorgestellt, um den gesamten Ablauf anschließend anhand von Beispielen zu veranschaulichen. 5.1.1.1 Input Als Inputform nehmen wir die orthographisch korrekte Form eines Ausdrucks mit der (den) dazugehörigen phonetischen Realisierung(en) an. Das Zugrundelegen der normgerechten Schreibweise ist hier von großer Bedeutung, um bei der Auswertung adäquate Aussagen hinsichtlich erzielter Platz- und Zeitökonomie erhalten zu können. 340 In Bezug auf die phonetische Realisierung wird bewusst auf die tatsächliche Existenz verschiedener Phonien Rücksicht genommen. Da ein Teil des Korpus aus dem südlichen Teil Frankreichs stammt, wo sich speziell im Bereich der Vokalqualitäten starke Variationen zum Norden ergeben können, die an der SMS- Oberfläche entsprechende Auswirkungen zeigen, müssen verschiedene phonische Inputformen im Auswertungsprozess zugelassen werden. 341 5.1.1.2 Generator (Gen) Anhand des Inputs wird dann vom Generator eine theoretisch unendlich große Menge an langage SMS-Schreibweisen generiert, die jeweils mit dem Input konsistent sein müssen. Konsistent heißt in diesem Fall, dass sich eine mehr oder weniger offensichtliche Beziehung zum Input herstellen lässt, die auf einer dem Empfänger direkt oder nach Rücksprache zugänglichen Systematik beruht. In der Regel liegt ihr eine der im vorherigen Kapitel beschriebenen Verschriftungsmethoden zugrunde (für den Input <pas> einschließlich der phonetischen Realisierung [pa] könnten das etwa die langage SMS-Varianten pas, pa, ps, etc. sein). Allerdings kann die Systematik im äußersten Grenzfall auch darin bestehen, dass benutzergruppenspezifisch eine eindeutige Zuordnung zwischen Input und willkürlich gewähltem, aber festem Output vereinbart wird, die nicht auf einer der beschriebenen Verschriftungsverfahren beruht und damit nicht für jedermann verstehbar ist. 342 340 An dieser Stelle muss aufgrund mangelnder Informantenaussagen unberücksichtigt bleiben, ob die korrekte Orthographie tatsächlich bekannt war (etwa bei Numerus- und Genusangleichungen oder bei Fremdwörtern). 341 Vornehmlich wird es sich hierbei um die Qualität des Lauts / E/ in offener, betonter Endposition und die (Nicht-)Realisierung des e-instable handeln. 342 Bezogen auf die spezifische Nutzergruppe wäre ein derartiger Output dann ein neues Symbol im Peirce’schen Sinn. Jedoch lässt sich in den untersuchten Daten kein vergleichbarer Fall nachweisen. Selbst die individuell gestalteten Begrüßungen, Verabschiedungen oder Smileyvarianten folgen einer gewissen Systematik, die von geübten Außenstehenden durchschaut werden kann. <?page no="180"?> 180 Die Forderung nach einer für den Empfänger zugänglichen Systematik stellt die erste harte Beschränkung dar, die der Generator befolgen muss. Eine weitere besteht etwa darin, dass die graphischen Zeichen der generierten Outputkandidaten Bestandteile des über die Handysoftware zur Verfügung gestellten Zeicheninventars sein müssen. 343 Erfolgt die Zeichenkodierung über den ASCII (American Standard Code for Information Interchange) bzw. leichten Erweiterungen davon, so können lediglich Buchstaben des lateinischen und griechischen Alphabets sowie einige Sonderzeichen verschriftet werden. Zwar kann das Zeicheninventar mittlerweile mit Hilfe von Downloads aus dem Internet erweitert werden, jedoch wird dies vornehmlich für Bilder und außergewöhnliche Smileyvarianten genutzt, nicht jedoch für Schriftzeichen etwa aus dem Hebräischen oder Arabischen. Des Weiteren dürfen keine besonderen Formatierungen wie hochgestellte, tiefgestellte, unterstrichene, kursive oder sonstige Schriftarten generiert werden, die vom Unicode-Standard abweichen. Die Menge der langage SMS-Outputkandidaten ist in unserem Fall eine offene Menge, die jederzeit um zusätzliche Kandidaten erweitert werden kann. Da wir uns analog zu den optimalitätstheoretischen Prinzipien an der Oberfläche orientieren, beinhaltet die Kandidatenmenge vorerst nur die im vorliegenden Korpus beobachteten langage SMS-Realisierungen für einen betrachteten Input. Allerdings wird damit keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit hinsichtlich möglicher Varianten erhoben. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass wir im Zuge einer Korpuserweiterung auf weitere Outputkandidaten stoßen würden, die von den bislang befragten Nutzern noch nicht ‚gefunden’ wurden. So kann die Kandidatenmenge ständig um neue Formen erweitert werden, wodurch sie theoretisch zwar unbegrenzt bleibt, praktisch jedoch immer begrenzt sein wird. Es wird bewusst davon abgesehen, eigenständig langage SMS-Varianten hinzuzufügen, da auch bei diesem Vorgehen keine Aussicht auf Vollständigkeit besteht. Zudem wäre es anmaßend, die kreativen Schreibweisen der Verfasser antizipieren zu wollen. 5.1.1.3 Eval Der entscheidende Schritt für die Analyse der langage SMS-Varianten ist der Auswertungsprozess der verschiedenen Outputkandidaten. Um die Evaluation durchführen zu können, müssen zunächst allgemeingültige Beschränkungen definiert werden, die bestimmte Anforderungen an die Outputkandidaten stellen. Anders als bei der traditionellen OT kann je- 343 In der Regel beinhaltet die Handysoftware nur einen kleinen Auszug des Unicode- Zeichensatzes (USC = Universal Character Set), da selbst Textverarbeitungsprogramme mit wesentlich mehr Speicherkapazität nicht alle im Rahmen des Unicode digital kodierten Schriftzeichen enthalten, die in bekannten Schriftkulturen und Zeichensystemen vorhanden sind. <?page no="181"?> 181 doch nicht erwartet werden, dass es sich um universelle Beschränkungen handelt, die sprachübergreifend gelten und Bestandteil einer universalen ‚SMS-Grammatik’ sind, da die besondere Art der Verschriftung in französischen Kurzmitteilungen häufig an die Verwendung des lateinischen Alphabets gebunden ist. Einige Beschränkungen können jedoch auch in anderen europäischen Sprachen beim Verschriften eines SMS-Textes aktiv sein, da sich die Verschriftungsmethode „konsonantisches Skelett“ beispielsweise auch in englischen Kurzmitteilungen nachweisen lässt. Insgesamt werden sich die konkreten Beschränkungen an den Verschriftungsstrategien und an den allgemeinen Verfasserintentionen wie Platz- und Zeitökonomie orientieren. Sobald das Inventar an langage SMS-Beschränkungen definiert ist, müssen die für den Auswertungsprozess der generierten Outputkandidaten relevanten Beschränkungen herangezogen werden, um sie anschließend hierarchisch anzuordnen. 344 Entscheidend ist dabei, dass es kein starres Ranking gibt, das für jede beliebige Menge an Outputkandidaten Gültigkeit hat. Hier tritt nochmals der maßgebliche Unterschied zur OT hervor: an der Oberfläche der SMS-Texte lassen sich viele verschiedene Formen für einen gegebenen Input feststellen, die jeweils mehr oder weniger bewusst als optimale Schreibweise ausgewählt wurden. Es kann demnach keine feste, benutzerübergreifend geltende Beschränkungshierarchie geben, die sich aufgrund der eindeutigen Oberflächenformen konstituiert. Vielmehr scheinen die Nutzer die Beschränkungen teilweise sehr individuell anzuordnen. Angesichts dessen ist zu analysieren, unter welcher speziellen Beschränkungsanordnung eine bestimmte Outputform als optimal evaluiert wird bzw. ob sich womöglich mehrere Neuanordnungen finden lassen, die denselben Output bestimmen. Gleichzeitig wird sich die Frage stellen, welche Interpretationsansätze die jeweilige Anordnung der Beschränkungen bietet und ob sich anhand dessen Aussagen über die Verfasserkompetenzen im Rahmen des langage SMS bzw. spezifische Präferenzen und Intentionen sowie über die Sender-Empfänger-Beziehung treffen lassen. Es wird sich zeigen, dass die Herangehensweise zu sehr weitreichenden Ergebnissen führt, die auch verfasserübergreifende Tendenzen zum Vorschein bringen können. 5.1.2 Erstes Beispiel: der lexikalische Input mais Verdeutlichen wir den konkreten Ablauf an einem Beispiel, anhand dessen wir auch die ersten konstitutiven Beschränkungsanforderungen herleiten 344 Auch im Hinblick auf das Beschränkungsinventar muss es sich um eine offene Liste handeln, da sich die Beschränkungen an der SMS-Oberfläche orientieren, die ständig neue Verschriftungsvarianten aufweisen kann. <?page no="182"?> 182 werden. Wie bereits aus dem vorherigen Kapitel bekannt ist, weist die französische Konjunktion mais in den SMS-Texten zehn verschiedene graphische Hüllen auf. Im Französischen lassen sich einige Homonyme von mais finden, die aufgrund der Aussprachevariante des Südens [me] zahlenmäßig noch zunehmen. Im Zuge des langage SMS und der ihn konstituierenden Verschriftungsverfahren können die Homonyme gleichzeitig homograph werden, wodurch das Verstehen der SMS ohne Rückgriff auf den Kontext erheblich erschwert werden kann. In der nachfolgenden Tabelle sind nicht nur die unterschiedlichen langage SMS-Varianten von mais aufgeführt, sondern auch die grundsätzlich existierenden Homonyme sowie die nachweisbaren bzw. theoretisch möglichen Verwendungen der einzelnen Varianten in abweichender Bedeutung. 345 345 Der Vollständigkeit halber werden zunächst alle existierenden Homonyme aufgelistet, ungeachtet ihres eventuell regional begrenzten oder inzwischen veralteten Gebrauchs. Details dazu und die deutschen Übersetzungen werden jeweils in den Anmerkungen aufgeführt: le mai: der Mai; la maie: (rustikaler) Brotkasten; la maye: steinerner Auffangtrog einer Ölpresse; le mets: das Gericht, die Speise; (il) met, (je/ tu) mets (finite Formen des Verbs mettre): u.a. setzen, stellen, legen; mes (Possessivpronomen, adjektivisch, Plural): meine. Im Bereich der denkbaren, nicht attestierten Bedeutungen: le mess: Offiziersmesse (auf See) bzw. Offizierskantine (an Land); la messe: die Messe; le message: die Botschaft. <?page no="183"?> 183 Die Substantive unter den Homonymen führen in der Regel zu keiner fehlerhaften Bedeutungszuweisung beim Lesen einer SMS, da sie einerseits einer anderen Wortart angehören und andererseits in der Alltagssprache eher selten gebraucht werden bzw. teilweise der gehobenen Sprache angehören und regional begrenzt sind. Weniger eindeutig hingegen verhält es sich mit den homophonen konjugierten Verben bzw. den Pronomen. Sobald eine langage SMS-Variante nachweislich polysem ist und zudem für sehr frequente Funktionswörter des Französischen eingesetzt wird, kann sich die Bedeutungszuweisung durchaus als problematisch erweisen. Besonders schwierig wird es dann, wenn die SMS-Schreibweise der korrekten Orthographie einer anderen homophonen Äußerung entspricht, so dass der Leser den graphischen Repräsentanten intuitiv mit dem gewohnten signifié assoziiert. Trifft man in einem SMS-Text etwa auf das Wort met, so verbindet man es automatisch mit der gewohnten Bedeutung als finite Verbform von mettre. Selbst im Rahmen des langage SMS, in dem unkonventionelle und fehlerhafte Schreibweisen üblich sind und der Leser mit Abweichungen von der Orthographie rechnet, lässt sich die zugrunde liegende Form mais nur über die Phonie und unter Einbezug des SMS- Kotextes erschließen. Ähnlich verhält es sich mit den Varianten me und ma, die spontan mit dem homographen Personalbzw. Possessivpronomen in Zusammenhang gebracht werden. Neben der Tatsache, dass uns die drei Varianten in konventionellen Texten regelmäßig in einer anderen Bedeutung als mais begegnen, erschweren die geringe optische Entsprechung mit der zugrunde liegenden Form und in den beiden letzten Fällen zusätzlich die abweichende Aussprache die unmittelbare Bedeutungszuweisung. Aus optimalitätstheoretischer Perspektive verletzen sie demnach entscheidend die Treue zum lexikalischen Input. Wie sehen nun aber die konkreten Beschränkungen für das obige Beispiel aus? Zunächst lässt sich aufgrund der technischen Rahmenbedingungen ein allgemeines Bestreben nach Platz- und Zeitökonomie konstatieren, das in folgenden Beschränkungen formuliert werden kann: 346 E CON (place): Der Output darf höchstens eine Platzeinheit beanspruchen. E CON (time): Der Output darf höchstens eine Zeiteinheit beanspruchen. 346 In Bezug auf die Beschränkungsbezeichnungen wird sich an den Konventionen der OT orientiert, d.h., dass sie in zumeist abgekürzter Form die in der Beschränkung gestellte Forderung wiedergeben und sich weitgehend an der englischen Sprache orientieren. Sie stammen nicht aus der Standardtheorie, sondern wurden speziell für unsere Bedürfnisse entwickelt und formuliert, so dass die Forderung nach maximaler Einsparung (Economy → E CON ) von Platzeinheiten (place) etwa als E CON (place) dargestellt wird. <?page no="184"?> 184 Jede darüber hinausgehende Platzbzw. Zeiteinheit wird mit einer Verletzung markiert, wobei eine Zeiteinheit einem Tastendruck entspricht. Kommt es beim Tippen zu einem kurzen Wartemoment aufgrund der Tatsache, dass der nächst folgende Buchstabe auf der gleichen Taste liegt wie der vorherige (bei de etwa liegen beide Buchstaben auf der Taste „3“), so wird die systembedingte Tipppause mit drei Zeiteinheiten berechnet. Für die Realisierung von Ziffern werden vier Zeiteinheiten veranschlagt. 347 Die Einschränkung der erlaubten Platzbzw. Zeiteinheiten auf höchstens eine entspricht der Annahme, dass für eine erfolgreiche Kommunikation wenigstens ein (in unserem Fall graphisches) Zeichen gesendet werden muss. Zwar kann die Anzahl der Verletzungen je nach Outputkandidat entsprechend hoch sein, jedoch bleibt das Prinzip der Universalität damit gewahrt. Eine Trennung in zwei unterschiedliche Ökonomiebeschränkungen bietet sich aus dem Grund an, dass noch tiefere Einblicke in die Verfassermotivationen gegeben werden können: betrachtet man etwa mé und mai für mais, so beansprucht die erste Form zwar weniger Platzeinheiten (2 vs. 3), jedoch benötigt sie mehr Zeiteinheiten (6 vs. 5). Je nach gewählter Form steht demnach das Bestreben nach Platzbzw. nach Zeitökonomie im Vordergrund. Die Fälle, in denen E CON (place) und E CON (time) in Konflikt zueinander stehen, sind jedoch relativ gering. Des Weiteren kommen neben den allgemeinen Ökonomiebeschränkungen Forderungen nach möglichst hoher Entsprechung mit der Inputform hinzu, um gegenseitiges Verständnis zu garantieren bzw. dem Leser die eindeutige Bedeutungszuweisung zu erleichtern: I DENT -IO(graph): Die Qualität eines Inputgraphems muss in seinem Outputkorrespondenten beibehalten werden. M AX -IO(graph): Jedes Inputgraphem muss einen Korrespondenten im Output haben (keine Tilgung). 347 Zwar liegen einige Ziffern erst an fünfter Stelle (7 und 9), jedoch gelangt man durch langes Drücken auf die entsprechende Taste direkt zu der Ziffer, was in Relation zu den Tastendrücken ebenfalls vier Zeiteinheiten entspricht. Yi Jue (2004) hat im Zuge einer Studie zur Verbesserung der Buchstabenverteilung auf der Handytastatur ein Zeitmessungssystem für die Texteingabe entwickelt, das wesentlich präziser ist. Er berechnet beispielsweise ein eigenes zeitliches Intervall für die Bewegung des Cusors innerhalb der Sonderzeichen, um eine Smileyvariante auszuwählen. Da es bei unserer Herangehensweise nicht darum geht, den Eingabekomfort zu analysieren und gegebenenfalls zu verbessern, sondern darum, objektiv einschätzen zu können, wie groß der zeitliche Aufwand für die Kodierung der einzelnen langage SMS-Varianten in Relation zueinander ist, wird von einer konkreten Zeitangabe abgesehen. Jeder Benutzer tippt unterschiedlich schnell, aber recht kontinuierlich in seinem persönlichen Rhythmus. Aus diesem Grund werden die benötigten Tastendrücke und die systembedingten Pausen gezählt, ohne jedoch Rücksicht auf den unterschiedlich großen Abstand zwischen nacheinander gebrauchten Tasten zu nehmen. <?page no="185"?> 185 D EP -IO(graph): Jedes Outputgraphem muss einen Korrespondenten im Input haben (keine Epenthesis). Grundsätzlich sind alle Beschränkungen der Form „I DENT -IO(feature)“ Treubeschränkungen, die die Beibehaltung eines bestimmten Inputmerkmals im Output fordern. Jede Änderung des angegebenen Merkmals wird mit einer Verletzung markiert. Die Beschränkungen „M AX -IO“ und „D EP - IO“ verhindern das Tilgen bzw. Hinzufügen von Segmenten oder Merkmalen und sind somit ebenfalls klassische Treuebeschränkungen im Sinne der OT. Treuebeschränkungen stellen ihre Anforderungen an die Input- Output-Beziehung in Form von Korrespondenzen, wobei sich der ‚Korrespondent’ im Rahmen unseres Modells vereinfacht und informell auffassen lässt als dasjenige Outputsegment, das die Realisierung eines Inputsegments darstellt. Die folgende Pfeilzuweisung dient der Veranschaulichung: graphische Inputform m ai s m ai s ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ Outputform m ai s m é Wird ein Inputsegment auf die leere Menge abgebildet, wie es bei mais→mai für das Imputgraphem <s> der Fall ist (s→Ø), kommt es zu keiner Verletzung von I DENT -IO(graph), da die leere Menge jegliche Anforderung bezüglich eines bestimmten Merkmals erfüllt. 348 Die drei obigen Beschränkungen setzen die graphische Form des lexikalischen Inputs in Beziehung zum Output und fordern damit Treue zum normgerechten code graphique. Einzig die orthographisch korrekte Schreibweise kann jede dieser Beschränkungen unverletzt erfüllen. Jedoch liegt die Priorität beim Verfassen einer SMS nicht immer auf der Respektierung der Orthographieregeln, wie das vorherige Kapitel gezeigt hat, sondern häufig auf einer möglichst originalgetreuen Abbildung der lautlichen Oberfläche, d.h. des code phonique. Aufgrund der mehrdeutigen Phonem-Graphem- Korrespondenzen des Französischen kann dies jedoch oftmals nur unter Missachtung der Rechtschreibung erreicht werden, so dass sich ein unmittelbarer Konflikt zwischen den obigen Beschränkungen und dem Streben nach einer pseudophonetischen Schreibweise ergibt. Der Kandidat mé beispielsweise verletzt sowohl I DENT -IO(graph), da er die Qualität des Vokalgraphems verändert, als auch M AX -IO(graph), da das stumme Aus- 348 Ursprünglich ist die leere Menge ein grundlegender Begriff aus der Mengenlehre. Eine wichtige Eigenschaft für ihre Kohärenz besteht darin, dass beliebige Anforderungen an Elemente aus dieser leeren Menge immer wahr sind, da sich kein Element finden lässt, für das die Eigenschaft überprüft werden müsste (etwa ‚für alle Elemente der Menge gilt, dass sie die Qualität des Inputgraphems haben’). <?page no="186"?> 186 lautgraphem getilgt wird, jedoch kommt er der phonetischen Realisierung des Inputs wesentlich näher als die Outputform mais. Das Verlangen nach möglichst hoher Entsprechung zwischen in diesem Fall phonischem Input und graphischem Output lässt sich in folgender Treuebeschränkung formulieren: I DENT -IO(phon): Inputphoneme, zu denen ein in Form und Aussprache identischer Buchstabe existiert, müssen durch diesen realisiert werden. Der Rückgriff auf Diakritika für eine eindeutige Aussprachezuordnung ist erlaubt. Existiert kein solcher Buchstabe, so muss eine Buchstabenfolge realisiert werden, die dem Inputphonem phonetisch möglichst eindeutig entspricht und ihn regelmäßig repräsentiert. Um überprüfen zu können, ob die Beschränkung erfüllt wird oder nicht, benötigen wir eine weitgehend eindeutige Zuordnung zwischen Phonemen und Graphemen, die im Sinne der Beschränkungsanforderung ist. Vor diesem Hintergrund definiert Catach im Zuge ihrer Analysen zur französischen Orthographie 33 archigraphèmes im Einklang mit den existierenden Phonemen der französischen Sprache. 349 Anhand dieser Archigrapheme untersucht sie anschließend in Abhängigkeit vom französischen Phonemsystem die tatsächlich existierenden Grapheme, die sie gemäß ihrer Frequenz zusätzlich unterteilt in graphèmes de base, graphèmes und sousgraphèmes. Es stellt sich heraus, dass die Phoneme zumeist in weit über 90% der Vorkommen durch eines der Basisgrapheme repräsentiert werden, so dass sich letztere sehr gut als Orientierungshilfe für eine Zuordnung im Sinne der obigen Beschränkung eignen. Daraus ergibt sich folgende, teilweise mehrdeutige Phonem-Graphem-Zuweisung: 349 Vgl. Catach (1986, 10ff.) <?page no="187"?> 187 Phonem Graphem Phonem Graphem Vokale A 350 a Konsonanten p p e é, e 351 b b ɛ è, e 352 t t i i d d O o k k y u g g; gu+e,i Œ eu f f ә e v v u ou s s; c+e,i 353 ᾶ an z z ɛ  in, im 354 ks x, ks ɔ  on gz x, gz œ  un ʃ ch ʒ j; g+e,i Halbvokale j i, y, il(le) 355 l l w w, oi 356 ʀ r wɛ  357 win, oin m m ɥ u n n ɲ gn ŋ ng 350 Die Großbuchstaben markieren das entsprechende Archiphonem. 351 Ausschließlich im Wortinneren als Graphie für das Allophon E. 352 Ausschließlich im Wortinneren als Graphie für das Allophon E. 353 Ausschließlich intervokalisch zur Abgrenzung vom stimmhaften [z]. 354 Ausschließlich im Präfix im-. 355 Zwar weist das Alphabet für das Phonem / j/ einen von der Form her gleichen Buchstaben <j> auf, jedoch dient dieser nur in sehr wenigen entlehnten Wörtern als Verschriftung für den betrachteten Laut [j] (etwa in fjord). Wesentlich häufiger wird er durch das Graphem <i> (vor allem nach Konsonanten: bien, diable), durch das Graphem <y> (zumeist intervokalisch: payer, grassayer) oder aber durch die Buchstabenkombination <il(le)> (zumeist am Wortende nach den Vokalen a, e, eu, œ, ou: réveil, feuille) dargestellt. Für die Kombination [ij] lässt sich darüber hinaus die Buchstabenkombination <i+ll(e)> finden (etwa bei billet, fille). Bereits Catach weist auf die beachtliche Komplexität des graphischen Inventars zur Abbildung des Halbvokals hin und gibt allein 14 verschiedene Verschriftungsmöglichkeiten an (vgl. Catach (1986, 134)). Daher lassen wir drei verschiedene graphische Darstellungen zu. 356 Das Graphem <w> dient zwar ebenfalls nur in vereinzelten Entlehnungen aus dem Englischen als Verschriftung für das Phonem / w/ (etwa in western), jedoch wird es in den SMS-Texten teilweise in eben dieser Funktion verwendet und entspricht zudem der Beschränkungsanforderung von I DENT -IO(Phon). Da / w/ in der Orthographie jedoch fast ausschließlich durch das Graphem <oi> dargestellt wird, lassen wir hier beide Optionen zu. Nähere Erläuterungen dazu folgen im Text. 357 Die Phonemkombination / wɛ  / wird hier separat aufgelistet, da sich bei unbedarfter Zusammensetzung der für die einzelnen Phoneme angegebenen Grapheme unter anderem die Graphie <oiin> ergeben würde, die keineswegs der Beschränkungsanforderung von I DENT -IO(Phon) entsprechen würde. Weitere Details folgen im Text. <?page no="188"?> 188 Die Zuordnung ist im Bereich der Vokalphoneme, vor allem bei den Nasalvokalen, und der Halbvokale weniger eindeutig als bei den Konsonantenphonemen. Das in unbetonter Position bezüglich des Öffnungsgrads neutralisierte Archiphonem / E/ kann beispielsweise durch den einfachen Buchstaben <e> repräsentiert werden, während es in betonter Position durchaus einer eindeutigen Markierung als geschlossenes bzw. offenes e bedarf. Aus diesem Grund sind sowohl <e>, als auch <é> und <è> zugelassen. Betrachtet man den Nasal / ᾶ/ , so fällt eine eindeutige Zuordnung nicht leicht, da es durch die beiden miteinander konkurrierenden, beinahe gleich frequenten Graphien <an> und <en> wiedergegeben werden kann. Catach entscheidet sich diesbezüglich für das Archigraphem <AN> und begründet ihre Wahl damit, dass <an> bezüglich der Aussprache eindeutig ist, 358 dass es in der Gesamtheit der Partizipien der Gegenwart erscheint und dass es deshalb einen eindeutigen Bezug zum Phonem / ᾶ/ herstellt. Gleichzeitig gesteht sie dem Graphem <en> eine besondere Stellung zu, da es allein durch das sehr produktive Suffix <-ment> sowohl in Substantiven, als auch in Adverbien häufig auftritt. Analog zu Catach ordnen wir dem Phonem / ᾶ/ die pseudophonetische Realisierung <an> zu, in dem Wissen, dass dadurch in beinahe der Hälfte der Fälle eine Verletzung von I DENT - IO(phon) provoziert wird. Für den Nasal / ɛ  / werden zwei unterschiedliche Graphien zugelassen, wobei <im> vornehmlich auf das Präfix <im-> (zum Beispiel impossible) beschränkt ist. In den restlichen Fällen wird eine Repräsentation durch <in> gefordert, da auch hier aufgrund der Homonymie Abstand genommen wird von der Graphie <en>. Allgemein kann davon ausgegangen werden, dass den Sprechern die Nasalisierungsfunktion des Buchstaben <n> nach einem Vokal und vor einem Konsonantengraphem bzw. am Wortende in der Regel aus ihren graphematischen Grundkenntnissen bekannt ist (das zeigt sich auch in den SMS-Texten). Der Vollständigkeit halber werden beide Nasalvokalen / ɛ  / und / œ  / aufgeführt, da nicht überprüft werden kann, ob die SMS-Verfasser eine Opposition zwischen ihnen machen oder nicht. In Bezug auf den Halbvokal / w/ wurde bereits im vorherigen Kapitel darauf hingewiesen, dass er zwar in einigen Fällen tatsächlich durch den für das französische Graphemsystem ungewöhnlichen Buchstaben <w> realisiert wird, dass es sich hierbei jedoch um Ausnahmefälle handelt, die sich hauptsächlich auf die Personalpronomen moi und toi beschränken (in den SMS-Texten entsprechend durch mwa und twa verschriftet). Noch seltener lässt sich die pseudophonetische Verwendung von <w> im Korpus vor dem Nasalvokal [ɛ  ] nachweisen (tatsächlich in nur einem Fall: 358 Im Gegensatz zu <an> kann <en> nicht nur [ᾶ] repräsentieren, sondern auch [ɛ  ], [ɛn] oder das Nullphonem (im Rahmen der graphischen Kombination <-ent>). <?page no="189"?> 189 rejwindr für rejoindre, phonetisch [ʀ(ә)ʒwɛ  dʀ]), was sicherlich damit zusammenhängt, dass das Phonem / w/ in der Orthographie zu fast hundert Prozent durch das Graphem <oi> dargestellt wird und deshalb automatisch mit der korrekten Graphie in Verbindung gebracht wird. Aus diesem Grund ordnen wir dem Halbvokal / w/ sowohl den von der Form her identischen Buchstaben <w> als auch das der orthographischen Gewohnheit folgende Graphem <oi> zu. Analog verfahren wir mit der Phonemkombination / wɛ  / , die wir alternativ den Graphemen <win> und <oin> zuordnen. Das Konsonantenphonem / s/ stellt eine Ausnahme dar, da es neben dem gleichnamigen Buchstaben <s> in intervokalischer Position vor e und i durch <c> realisiert werden darf. Die korrekte Orthographie sieht in diesen Fällen eine Konsonantendopplung vor, um die Stimmlosigkeit des Frikativs eindeutig abbilden zu können (vgl. passer für [pase]). Zur Vermeidung zusätzlicher Zweideutigkeiten wird die kontextabhängige Variante <c> zugelassen, so dass [pase] im SMS-Text durch pace verschriftet werden darf, ohne die Beschränkung I DENT -IO(phon) zu verletzen. Einen letzten Sonderfall bildet die graphische Zuordnung für die Phonemkombinationen / ks/ bzw. / gz/ , da sie zwar durch die optisch und lautlich identischen Buchstabenkombinationen <ks> bzw. <gz> realisiert werden könnte, standardmäßig jedoch dem einfachen Buchstaben <x> entsprechen. Beide Varianten sind für die Phonem-Graphem-Zuordnung zugelassen. Entsprechend der Treuebeschränkungen zum graphischen Input lassen sich zudem quantitative phonische Treuebeschränkungen formulieren, die das Tilgen bzw. Hinzufügen von Segmenten verbieten: Max-IO(phon): Jedes Inputphonem muss einen graphischen Korrespondenten im Output haben (keine Tilgung). Dep-IO(phon): Jedes Outputgraphem muss einen phonischen Korrespondenten im Input haben (keine Epenthesis). Entsprechend der Korrespondenzen zwischen graphischer Input- und Outputform lässt sich eine Beziehung zwischen phonischer Input- und Outputform herstellen, die wiederum auf der ‚naiven’ Auffassung basiert, dass der Korrespondent dasjenige Outputsegment ist, das die Realisierung eines Inputsegments darstellt: phonische Inputform m E m E ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ Outputform m ai s m s <?page no="190"?> 190 Die bislang eingeführten Beschränkungen sind noch nicht ausreichend, um den in unserem Beispiel mais auftretenden langage SMS-Varianten gerecht zu werden. Betrachtet man etwa die Schreibweise mai, so fällt auf, dass sie weder orthographisch korrekt ist, noch die Beschränkung I DENT -IO(phon) ohne Verletzung erfüllt. Durch die Tilgung des stummen Auslautkonsonanten <-s> erhalten wir zwar ebenfalls eine pseudophonetische Variante, jedoch bleibt eine relativ hohe Treue zum graphischen Input gewahrt, so dass der kognitive Aufwand für den Verfasser geringer ist als beispielsweise bei mè. Die entsprechende Beschränkung lässt sich wie folgt formulieren: MGP: Inputgrapheme ohne korrespondierendes Inputphonem sind im Output verboten („Mute Grapheme Prohibition“). Analog zum Korrespondenzverhältnis zwischen Input und Output lässt sich eine Korrespondenz zwischen Inputgraphem und Inputphonem herstellen: Inputgraphem m ai s m ai s ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ Inputphonem m ɛ m e An dieser Pfeilzuweisung lässt sich unmittelbar ablesen, welche Inputgrapheme ohne korrespondierendes Inputphonem bleiben und damit von MGP betroffen sind. Outputkandidaten, die MGP verletzen, verletzen gleichzeitig D EP -IO(phon) und es gilt, dass MGP eine schwächere Teilforderung von D EP -IO(phon) darstellt (MGP ist kontextsensitiv, wohningegen D EP -IO(phon) kontextunabhängig ist). Die Notwendigkeit bzw. der Nutzen einer zusätzlichen Beschränkung, die direkt Aufschluss über den tieferen phonologischen Grund für die Verletzung der phonischen Treue gibt, wird anhand späterer Ausführungen noch deutlich. Für dieses Beispiel würde streng genommen die Beschränkung D EP -IO(phon) genügen. Wie bereits geschildert, können langage SMS-Varianten, die dasselbe Schriftbild aufweisen wie sehr frequente, der orthographischen Norm folgende Äußerungen, das oberste Ziel der gegenseitigen Verständigung durchaus behindern (in unserem Beispiel gilt das für die Varianten me, met, ma und in wesentlich geringerem Ausmaß für mai). Der Leser identifiziert sie aufgrund ihrer Homographie zu bekannten Äußerungen aus dem Lexikon nicht unmittelbar als eine von der orthographischen Konvention abweichende SMS-Schreibweise und startet demnach nicht direkt die Suche nach der entsprechenden zugrunde liegenden Form. Um die Entstehung zusätzlicher homographer Formen zu verhindern und somit die Be- <?page no="191"?> 191 deutungszuordnung zu erleichtern, lässt sich folgende Beschränkung formulieren: *H OMOGRAPH : Der Output darf keinen Homographen in der Orthographie besitzen. Die Homonymenproblematik der französischen Sprache wird im Zuge dieser Beschränkung sicherlich nicht gelöst (darin kann auch nicht die Intention der Herangehensweise bestehen), jedoch wird der Entstehung zusätzlicher homographer signifiants entgegengewirkt. *H OMOGRAPH fordert keine universelle Heterographie im gesamten Bereich des langage SMS, sondern lediglich in Bezug auf den normierten code graphique. Hier lässt sich mit allgemeingültiger Sicherheit prüfen, ob die Beschränkung verletzt wird oder nicht. Eine auf den gesamten langage SMS ausgeweitete Beschränkungsanforderung könnte nur dann mit Sicherheit überprüft werden, wenn er ein geschlossenes Inventar repräsentieren würde, innerhalb dessen bereits alle theoretisch möglichen Verschriftungsvarianten bekannt wären. Darüber hinaus würde eine Ausweitung der Beschränkung einen verfälschten Eindruck der Verfasserintentionen geben, denn wie sich später noch zeigen wird, kann das Evozieren von Mehrdeutigkeit durchaus einen Anreiz beim spielerisch-kreativen Verschriften darstellen. Die Beschränkung *H OMOGRAPH ist streng genommen dem Bereich der Leserbedürfnisse zuzuordnen. Der Verfasser einer Nachricht wird dazu aufgefordert, beim Kodieren seines Textes Rücksicht auf mögliche fehlerhafte Leserinterpretationen zu nehmen, indem er sich in die Rezipientensituation hineinversetzt und prüft, ob der Leser die intendierte lexikalische Basis und damit die Bedeutung erkennen kann. Sollte die Variante optimalerweise einer anderen zugrunde liegenden Form zugeordnet werden, so muss sie „geblockt“ werden. 359 359 In diesem Zusammenhang beschäftigt sich Blutner (1998, 2006, 2007) im Zuge einer Erweiterung der Optimalitätstheorie mit den Schnittstellen zwischen Semantik und Pragmatik und plädiert für eine „bidirektionale Optimalitätstheorie“, die eine gleichzeitige Optimierung von Produktion und Interpretation innerhalb eines Modells vorsieht. Vereinfacht lässt sich darunter verstehen, dass der Produzent bei der Wahl einer Form Rücksicht auf die Rezipientenperspektive nehmen muss, genauso wie der Rezipient bei der Interpretation die Produzentenperspektive mit einbeziehen muss. Eine solche bidirektionale Sichtweise impliziert gleichzeitig, dass ein Rezipient, wenn er eine bestimmte Form in einem bestimmten Kontext mit einer bestimmten Bedeutung assoziiert, in der Rolle des Produzenten in demselben Kontext dieselbe Form wählen würde, um eben diese Bedeutung zum Ausdruck zu bringen. Eine generelle Miteinbeziehung der Empfängerperspektive in die hier vorgestellte Analysemethode würde daher bedeuten, dass man die allgemeinen Bedürfnisse und Anforderungen der SMS-Rezipienten in Bezug auf die langage SMS-Schreibweisen kennen müsste, was oftmals nicht der Fall ist (bevorzugen sie stets die neutrale (gewohnte) Orthographie, um den kognitiven Aufwand bei der Interpretation minimal <?page no="192"?> 192 Unter den auftretenden SMS-Schreibweisen unseres Beispiels lässt sich schließlich noch eine eher exotische Variante nennen, die in keines der bisherigen Beschränkungskonzepte passt. Die expressive Variante MaiiS entzieht sich jeglichen Forderungen nach Ökonomie oder phonetischer Treue. Allgemein scheint hier das Bedürfnis nach Originalität, Sprachspiel und graphisch übermittelter Emphase im Vordergrund zu stehen, was sich nur bedingt durch eine nüchtern objektive Beschränkung zum Ausdruck bringen lässt. Insbesondere lässt sich nur schwer erahnen, welche der expressiven langage SMS-Strategien wann bevorzugt wird bzw. unter welchen Umständen sie in Kombination auftreten. Um der Besonderheit dieser Schreibweisen im Auswertungsprozess dennoch gerecht werden zu können, wird zunächst pauschal die Forderung nach möglichst expressiven Outputkandidaten gestellt: Exp(emotion): Der Output muss von der orthographischen Konvention abweichende Buchstabeniterationen, Großschreibungen oder phonetische Varianten enthalten. Bei der Formulierung dieser Beschränkung wird keine Rücksicht darauf genommen, ob ein Verfasser bei der Wahl seiner Schreibweise tatsächlich explizit Emotionen oder Emphase jeglicher Art zum Ausdruck bringen wollte oder nicht. Es wird aber davon ausgegangen, dass keine SMS vollständig emotionslos verfasst werden kann, so dass das Prinzip der Universalität der Beschränkungen gewahrt bleibt. Sollten sich in der Kandidatenmenge mehrere, qualitativ unterschiedliche expressive Schreibungen befinden (wie bei der Verabschiedung bises etwa die Varianten bisousss, biisous, bzououx oder bisOux), so lassen sich diese nur umständlich anhand von allgemeingültigen Beschränkungen zu halten oder verlangen sie nach möglichst vielen suprasegmentalen Informationen etwa in Form von expressiven Schreibungen? ) Sehr erschwerend käme die Implikation hinzu, dass ein Rezipient, wenn er eine bestimmte langage SMS-Schreibweise in einem bestimmten Kontext mit einer bestimmten lexikalischen Basis assoziiert, in der Rolle des Produzenten in demselben Kontext dieselbe Schreibweise wählen würde, um eben diese lexikalische Inputform darzustellen. Angesichts des (durchaus beidseitig intendierten) Variantenreichtums des langage SMS würde das große Schwierigkeiten hervorrufen und den Evaluationsprozess nicht nur unnötig verkomplizieren, sondern unter Umständen auch den Zugang zu einigen Interpretationsansätzen versperren. Ferner scheinen SMS-Verfasser sehr häufig auf ihre Situation und ihre Bedürfnisse fixiert zu sein, ohne die Leserbedürfnisse mit einzubeziehen, denn ansonsten würden Varianten wie me, ma und met nicht an der Oberfläche erscheinen können. Von einer generellen Integration der Leserperspektive wird daher abgesehen, wobei nicht in Abrede gestellt werden soll, dass es eine zweite Sichtweise auf die Schreibweisen gibt und diese von den Verfassern teilweise in Betracht gezogen wird. <?page no="193"?> 193 miteinander vergleichen. 360 Das Modell stößt hier an seine Grenzen und die expressiven Schreibweisen müssten in einem zweiten Schritt unter Ausschluss der übrigen Outputkandidaten genauer untersucht werden. Mit Hilfe der bislang hergeleiteten Beschränkungen soll nun der Evaluationsprozess betrachtet werden. Dabei werden nicht alle Beschränkungen in dem betrachteten Teilausschnitt enthalten sein, da sie nicht unmittelbar aktiv sind und mehr aus dem Kontext heraus mit entwickelt wurden (D EP - IO(phon)). Um das erste Tableau aufstellen zu können, muss zunächst die Beschränkungshierarchie festgelegt werden, unter der die Outputkandidaten miteinander verglichen werden sollen. Da uns die Grammatik keine eindeutige Anordnung vorgibt und die ‚optimale’ Oberflächenform in der SMS-Realität nicht existiert, wird in einem ersten Schritt ganz allgemein davon ausgegangen, dass die Verfasser an möglichst hoher Ökonomie interessiert sind. Dementsprechend werden Platz- und Zeitökonomie als undominiert angeordnet gefolgt von *H OMOGRAPH und den übrigen relevanten Beschränkungen. Die punktierte Linie zwischen den Beschränkungen drückt aus, dass die durch sie getrennten Beschränkungen noch nicht in direktem Konflikt zueinander stehen und daher zunächst als gleichrangig in der Hierarchie behandelt werden: 361 360 Hier sei nochmals auf die Graphiesymbolik verwiesen, die von den Verfassern bewusst und sehr individuell eingesetzt wird (vgl. dazu den Abschnitt 4.3.3 „Primär expressive Verschriftungsstrategien“) und die im Rahmen der Einzelanalysen erneut aufzugreifen sein wird. Bislang lassen sich die expressiven Schreibweisen mittels unseres Auswertungsverfahrens lediglich anhand der Ökonomiebeschränkung vergleichen. 361 Streng genommen müsste man für die beiden möglichen phonischen Inputformen [mε] und [me] zwei separate Evaluationsprozesse betrachten. Da hier jedoch primär die Illustration der Herangehensweise im Vordergrund steht und sich das Austauschen der Formen lediglich in Bezug auf die beiden Varianten mé und mè auswirkt (vgl. weiter unten), werden der Einfachheit halber beide Inputformen parallel zugelassen. Die Anzahl der begangenen Verletzungen bei E CON (time) wird zwecks Übersichtlichkeit numerisch in runden Klammern angegeben anstatt durch entsprechend viele „*“, da die Anzahl der Verletzungen hier sehr hoch sein kann. Die Konventionen für das Lesen einer Tabelle lassen sich in Anlehnung an die OT folgendermaßer zusammenfassen: Die Spalten geben von links nach rechts die Dominanzreihenfolge der Beschränkungen an; Erfüllung der Beschränkung wird durch eine leere Zelle gezeigt; Verletzungen werden durch * markiert; Das Ausrufezeichen ! zeigt die Stelle an, an der die Variante Nicht-Optimalität erreicht - es kennzeichnet also eine fatale Verletzung, die zum Ausschluss aus dem Evaluationsprozess führt, so dass die nachfolgenden Zellen in der Zeile grau hinterlegt werden; Das Symbol zeigt auf den optimalen Kandidaten (vgl. dazu auch Féry (2001a, 193)). <?page no="194"?> 194 Es stellt sich heraus, dass unter rein ökonomischer Perspektive die Variante ma optimal ist, unabhängig davon, ob eine eindeutige Bedeutungszuordnung gewährleistet ist oder nicht. Stellen wir einen Zusammenhang zur jeweiligen Frequenz der Varianten her, so erinnern wir uns, dass ma lediglich ein einziges Mal gewählt wurde. Die Priorität der Verfasser kann demnach nicht allein auf Platz- und Zeitökonomie liegen, es scheinen andere Beschränkungsanforderungen wichtiger und damit höher angeordnet zu sein. Bevor wir die Beschränkungen aber neu anordnen um festzustellen, welche spezifische(n) Hierarchie(n) zu den jeweiligen SMS-Schreibweisen gehören, sollen die begangenen Verletzungen für dieses einführende Beispiel einmal ausführlich erläutert werden: E CON (place): Jeder Outputkandidat, der mehr als eine Platzeinheit benötigt, wird pro zuviel begangener Platzeinheit mit einer Verletzung markiert. Kein Kandidat erfüllt diese Beschränkung ohne Verletzung. Aus diesem Grund werden diejenigen Kandidaten durch den Filter der ersten Beschränkung gelassen, die E CON (place) ‚am besten’ erfüllen. Da das auftretende Minimum eine Verletzung beträgt, werden alle Kandidaten, die mehr als eine Verletzung begehen, aus dem Evaluationsprozess ausgeschlossen und die ‚fatalen’ Verletzungen werden durch „! “ markiert. E CON (time): Wiederum erfüllt kein Outputkandidat die Beschränkungsanforderung ohne Verletzung und das auftretende Minimum beträgt eine Verletzung. Markiert man die fatalen Verletzungen, so bleibt lediglich ma als optimaler Kandidat übrig. *H OMOGRAPH : Anhand der Häufigkeitstabelle von mais lassen sich die Homographen ablesen. Jeder Outputkandidat, zu dem gemäß Orthographie ein homographes Wort existiert, wird mit einer Verletzung <?page no="195"?> 195 markiert (unabhängig davon, ob der Homograph tatsächlich im Korpus attestiert ist oder nicht). I DENT -IO(phon): Wird ein Inputphonem nicht durch eines der in der Phonem-Graphem-Zuordnungstabelle angegebenen Grapheme wiedergegeben, sondern durch einen anderen Buchstaben bzw. durch eine andere Buchstabenkombination, so wird eine Verletzung pro Inputphonem markiert. Wird ein Inputphonem auf eine leere Graphemposition abgebildet, so kann keine Verletzung markiert werden (besondere Eigenschaft der leeren Menge). Outputgrapheme, die keinen Korrespondenten im Input haben, sind von dieser Beschränkung nicht betroffen. MGP: Jeder Outputkandidat, der das Inputkonsonantengraphem <s> aufweist, das über kein korrespondierendes Inputphonem verfügt, wird mit einer Verletzung markiert. D EP -IO(phon): Diese Beschränkung wurde nicht separat aufgeführt, da sie in Teilen bereits von MGP abgedeckt wird. Jedes Outputgraphem, das kein korrespondierendes Inputphonem besitzt, wird mit einer Verletzung bestraft. Für eine leichtere Korrespondenzzuweisung werden die Outputgrapheme durch „·“ voneinander getrennt. Das Verletzungsprofil wäre bis auf drei Ausnahmen (met, MaiiS und mahs), in denen es je eine zusätzliche Verletzung aufweisen würde, mit dem Profil von MGP identisch. I DENT -IO(graph): Jedes Outputgraphem, das in der Qualität nicht mit seinem korrespondierenden Inputgraphem übereinstimmt, wird mit einer Verletzung markiert. Wird ein Inputgraphem auf eine leere Graphemposition im Output abgebildet, so kann keine Verletzung markiert werden (besondere Eigenschaft der leeren Menge). Hinzugefügte Outputgrapheme, die keinen Korrespondenten im graphischen Input haben, sind von dieser Beschränkung nicht betroffen. D EP -IO(graph): Jedes hinzugefügte Outputgraphem, das keinen Korrespondenten im graphischen Input hat, wird mit einer Verletzung markiert. M AX -IO(graph): Jedes Inputgraphem, das auf eine leere Position im Output abgebildet wird, wird mit einer Verletzung markiert. E XP (emotion): Outputkandidaten, die weder über Buchstabeniterationen, noch über expressive Großschreibung oder eine phonetische Variante verfügen, werden pauschal mit einer Verletzung markiert. Erfüllt ist die <?page no="196"?> 196 Beschränkung, sobald eine der Strategien angewendet wurde, unabhängig von Qualität und Quantität. 362 Ausgehend von der Annahme, dass die Forderung nach Platzökonomie aufgrund der Zeichenbegrenzung einer SMS prioritär bleibt, belassen wir E CON (place) an undominierter Position. Das Bedürfnis nach Zeitökonomie stufen wir jedoch in der Wichtigkeit herunter und werten im Gegenzug dazu das Verlangen nach semantischer Eindeutigkeit durch *H OMOGRAPH auf, so dass sich folgender Evaluationsprozess ergibt: Unter dieser Beschränkungsanordnung ist ms der optimale Outputkandidat, da er nicht nur platzökonomisch und heterograph ist, sondern zudem die Forderung nach Zeitökonomie besser erfüllt als die beiden restlichen, aussichtsreichen Kandidaten. Diese spezielle Anordnung der Beschränkungen ist nicht die einzig mögliche, unter der das konsonantische Skelett als optimal evaluiert wird. Bei genauerem Hinsehen fällt unmittelbar auf, dass eine Umordnung der beiden höchstrangigen Beschränkungen in *H OMOGRAPH >> E CON (place) 363 keine Auswirkungen auf die Auswertung 362 Als phonetische Varianten haben wir im vorherigen Kapitel Schreibweisen eingeführt, die den suprasegmentalen Informationsgehalt einer Äußerung durch die Realisierung individueller und expressiver Aussprachevarianten erhöhen und damit die kommunikative Nähe unter der Kommunizierenden intensivieren (etwa ouep für [wɛp] in der Bedeutung von oui). Vor diesem Hintergrund könnte man in unserem Beispiel überlegen, ob die nur ein Mal im Korpus vertretene Schreibweise ma entsprechend als phonetische Variante zu werten wäre und die Beschränkung E XP (emotion) damit erfüllt. Allerdings erscheint uns ma keine in der Sprachwirklichkeit eines mündlichen Gesprächs beobachtbare Oberflächenform für die Bedeutung von mais zu sein, so dass wir von einem solchen Vorgehen absehen. 363 Das Zeichen >> wird in der OT dazu verwendet, Dominanzverhältnisse unter den Beschränkungen anzuzeigen. Hier heißt es entsprechend, dass *H OMOGRAPH über E CON (place) dominiert. <?page no="197"?> 197 hätte. 364 Hinzu kommt, dass ms trotz Platzökonomie noch eine gewisse Treue zum graphischen Input aufweist. Zwar ist das Vokalgraphem im Output getilgt, jedoch sind Anfangs- und Endbuchstabe qualitativ identisch zu ihrem Korrespondenten, so dass ms auch unter den Beschränkungsanordnungen E CON (place) >> [M AX -IO(graph), I DENT -IO(graph), D EP -IO(grap)] als optimal evaluiert werden würde, wobei es egal ist, in welcher Reihenfolge man die drei graphischen Treuebeschränkungen untereinander anordnet. Anhand dieser Feststellung lässt sich ablesen, welche Motivationen der Verschriftungsstrategie „konsonantisches Skelett“ tatsächlich zugrunde liegen: In Orientierung an der graphischen Inputform wird durch Tilgung der Vokalgrapheme nach möglichst viel Platz- und Zeitökonomie gestrebt, ohne dabei die Wiedererkennung aufgrund mangelnder optischer Treue zu gefährden. Dies soll ausschließlich durch (einen Teil der) Konsonantengrapheme gewährleistet werden, was sich in manchen Fällen als durchaus schwierig herausstellen kann (für temps und trop findet man etwa das konsonantische Skelett tp). Eine besondere Herausforderung scheint die Identifizierung der zugrunde liegenden Form insbesondere dann zu sein, wenn der Anfangs- oder der Endkonsonant getilgt wurde, da gerade die Wortränder einen entscheidenden Beitrag zur optischen Wiedererkennung leisten. In einigen Fällen können konsonantische Skelette damit enigmatische Züge annehmen, die vor allem bei der Dekodierung einen kognitiven Mehraufwand erfordern. Um später untereinander konkurrierende konsonantische Skelette auswerten zu können (etwa tp und tps für temps) und um diese im Evaluationsprozess von den übrigen graphischen Reduktionen abgrenzen zu können, erweist sich eine explizite Beschränkung als sehr nützlich: N O V OW : Der Output darf keine Vokale (Vokalbuchstaben) enthalten. Jeder einzelne Vokal im Output wird mit einer Verletzung markiert. Diese Beschränkung bezieht sich gerade nicht auf vollständige Vokalgrapheme, die auch der Form <-ain> sein können, sondern tatsächlich auf einfache Buchstaben. N O V OW stellt keinen Bezug zwischen Input und Output her, sondern fordert universell das Verbot von Vokalen im SMS-Text und steht damit in direktem Konflikt zu M AX -IO(phon). Die Verfassermotivation spiegelt sich unmittelbar in der Beschränkung wider, wobei sie aufgrund der teils anspruchsvollen und kniffligen Entschlüsslung den Übergang zu geforderter Expertise bezüglich des langage SMS darstellt. In dem für mais betrachteten Auswertungsprozess sind die zuvor eingeführten Beschrän- 364 Die Beschränkung *H OMOGRAPH schließt drei der eher seltenen Outputkandidaten direkt aus dem Evaluationsprozess aus. <?page no="198"?> 198 kungen jedoch hinreichend, um Aufschluss über Eigenschaften und implizite Verfassermotivationen der einzelnen Schreibweisen zu erhalten. Setzt man die Variante ms mit ihren spezifischen Hierarchieprofilen in Beziehung zu ihrer auftretenden Häufigkeit, so stellt man fest, dass nur knapp 15% der Verfasser ihre Priorität auf Ökonomie unter Berücksichtigung der graphischen Inputform legen. Demgegenüber lassen die beiden Varianten mé und mè erahnen, dass sich beinahe 40% der Verfasser an einer möglichst originalgetreuen Abbildung der lautlichen Oberfläche orientieren und damit ihre Priorität eher auf die phonischen Treuebeschränkungen legen: Es wird deutlich, dass mé und mè als einzige Outputkandidaten beide phonischen Treuebeschränkungen erfüllen. Gleichzeitig darf man das Bedürfnis nach Effizienz nicht unterschätzen, denn auch unter dem Dominanzverhältnis Econ(place) >> [Ident-IO(phon), MGP] wäre der optimale Output derselbe. Interessanterweise ist es die Forderung nach Zeitökonomie, die den einzigen Unterschied im Verletzungsprofil der beiden Kandidaten ausmacht. 365 Der eine zusätzliche Tastendruck hat fatale Folgen für mè, denn er lässt ihn nicht nur unter dieser Beschränkungshierarchie gegenüber mé aus dem Evaluationsprozess ausscheiden, sondern er führt dazu, dass mè ‚in sich’ suboptimal ist, d.h. dass mè unabhängig vom Ranking gegenüber mé immer suboptimal ist. 366 Die einzige Möglichkeit, mè als optimalen Kandidaten aus dem Auswertungsprozess hervorgehen zu 365 An dieser Stelle muss einschränkend darauf hingewiesen werden, dass nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass es Handys auf dem Markt gibt, deren Software den Buchstaben è vor é auf der Zifferntaste „3“ platziert hat. In diesem Fall würde das Verletzungsprofil entsprechend umgekehrt ausfallen. Allerdings lassen die relativen Häufigkeiten der Varianten darauf schließen, dass dies, wenn überhaupt, nur selten der Fall ist. 366 Die Variante mè verletzt jede Beschränkung mindestens so oft wie mé. <?page no="199"?> 199 lassen besteht darin, die Form [mε] entsprechend den Anforderungen der Académie Française als eindeutige phonische Inputform zu wählen, denn dann würde mé schon die Beschränkung I DENT -IO(phon) verletzen. Die Tatsache, dass weitaus häufiger die regional markierte, südfranzösische Aussprachevariante mé realisiert wird, obwohl knapp zwei Drittel des Korpus aus Nordfrankreich stammt, lässt allerdings darauf schließen, dass Zeitökonomie und Tippkomfort gegenüber einer streng normgerechten Abbildung der Phonie Priorität haben. In gut einem Fünftel der Fälle wird die orthographisch korrekte Form verschriftet, was wiederum auf Dominanz der graphischen Treuebeschränkungen hinweist, denn abgesehen von diesen lassen sich keine weiteren Beschränkungen finden, die von mais besser erfüllt werden als von den anderen konkurrierenden Kandidaten: Alternativ dazu könnte man das Dominanzverhältnis *H OMOGRAPH >> [I DENT -IO(graph), M AX -IO(graph), D EP -IO(grap)] wählen, das ebenfalls als optimalen Output die Form mais evaluieren würde. Hierin spiegelt sich die Eigenschaft der französischen Orthographie wider, Homographie möglichst zu vermeiden. Ein weiteres Fünftel der Verfasser entscheidet sich für das einfachste Verfahren unter den pseudophonetischen Schreibungen, das sich durch Tilgung des stummen Auslautkonsonanten <-s> auszeichnet und streng genommen auch als graphische Reduktion aufgefasst werden könnte. Damit nimmt mai eine Art Zwischenposition ein, die sich sowohl an der phonetischen Oberfläche orientiert als auch eine gewisse Treue zum graphischen Input bewahren will: <?page no="200"?> 200 Eben diese besondere Mischung spiegelt sich auch in der dazugehörigen Dominanzhierarchie wider, denn in undominierter Position steht eine Kombination aus einer an der Aussprache orientierten Forderung und dem Verlangen nach hoher Treue hinsichtlich der Graphemqualität. Die beiden primär auf die Phonie bezogenen Beschränkungen I DENT -IO(phon) und MGP sind nicht mehr in unmittelbarer Nähe voneinander und beinahe gleichrangig, sondern werden klar hierarchisch getrennt. MGP rückt dabei an die Spitze der Hierarchie, wohingegen I DENT -IO(phon) an Bedeutung verliert. Gleichzeitig lässt die sehr spezifische Beschränkung MGP sofort erkennen, welche Art von Graphemen im Output vermieden wird. 367 Auch die graphischen Treuebeschränkungen sind nicht mehr gleichrangig. I DENT - IO(graph) ist eindeutig dominierend, wodurch sich die Möglichkeit ergibt, dass die beiden höchstrangigen Beschränkungen umgeordnet werden können in I DENT -IO(graph) >> MGP, ohne das Ergebnis des Evaluationsprozesses zu verändern. Diese besondere Konstellation erklärt nochmals, warum die Einordnung der Verschriftungsstrategie „Wegfall stummer Buchstaben“ entweder als graphische Reduktion oder als pseudophonetische Schreibweise nur schwer eindeutig möglich ist. Ökonomiegründe scheinen hier zunächst keine Rolle zu spielen, allerdings sind diese untergründig in MGP enthalten, denn das Tilgen stummer Buchstaben bringt nicht nur ein treueres Abbild der Phonie mit sich, sondern erspart auch Platz und Zeit gegenüber der normgerechten Schreibweise. Dementsprechend lässt sich eine Hierarchisierung der Beschränkungen finden, die wenigstens eine der Ökonomiebeschränkungen relativ hoch ansiedelt und ebenfalls mai als 367 Würde man die Beschränkung MGP im Evaluationsprozess durch D EP -IO(phon) ersetzen, würde man zwar ebenfalls mai als optimal bestimmen, jedoch gibt D EP - IO(phon) keinerlei Aufschluss darüber, ob das zu vermeidende epenthetische Graphem im graphischen Input verankert ist oder nicht. MGP hingegen verbietet lediglich diejenigen Outputgrapheme, die im graphischen Input vorhanden sind, jedoch keinen Korrespondenten im phonischen Input haben. <?page no="201"?> 201 Output evaluiert: I DENT -IO(graph) >> E CON (time) >> MGP. Unterstellt man dem Streben nach Zeitökonomie und damit dem Zugewinn an Schreibkomfort diesen hohen Stellenwert, so wird gleichzeitig das Dominanzverhältnis zwischen I DENT -IO(graph) und MGP festgelegt, denn eine Umordnung der Form MGP >> E CON (time) >> I DENT -IO(graph) würde ma als Output evaluieren. Vor dem Hintergrund einer solchen Verfassermotivation wäre die Schreibweise mai eher als graphische Reduktion zu interpretieren denn als pseudophonetische Schreibung. Betrachten wir schließlich die unteren und damit seltenen, teils exotischen Outputkandidaten des Auswertungsprozesses. Um die expressive Schreibweise MaiiS als optimal bestimmen zu können, muss die Beschränkung E XP (emotion) möglichst weit oben in der Dominanzhierarchie angesiedelt werden. Es dürfen lediglich solche Beschränkungen höher angeordnet werden, die von der expressiven Schreibweise nicht verletzt werden (I DENT -IO(graph), M AX -IO(graph) und *H OMOGRAPH ). Die Ökonomiebeschränkungen sind nachrangig, woran sich nochmals verdeutlichen lässt, dass die Verfasserintention bei expressiven Schreibungen gerade nicht in Effizienz, sondern in Individualität und Emphase durch Mehraufwand sowie in leichtem Verständnis durch graphische Treue begründet ist. Der Outputkandidat me kann nicht als optimaler Kandidat evaluiert werden, da er gegenüber ma ‚in sich’ suboptimal ist. Bei detaillierter Analyse der Originaldaten fällt auf, dass sich die sieben Fälle, in denen me gewählt wird, auf nur vier Nutzer beschränken, wovon einer den Buchstaben <e> regelmäßig als pseudophonetische Schreibung für das Phonem [e] verwendet (etwa in che für chez: [ʃe]). Auch wenn der pseudophonetische Gebrauch des <e> untypisch für einen französischen Muttersprachler ist und wir diese Phonem-Graphem-Zuordnung nicht grundsätzlich zulassen wollen, ist sie doch zeitökonomischer als [e] → é oder [e] → è und entspricht der Forderung I DENT -IO(phon), sobald nutzergruppenspezifisch die Phonem-Graphem-Zuordnung [e] → <e> im Wortauslaut eingeführt wurde. 368 Ist das der Fall, so würde die Variante me unter den Dominanzverhältnissen I DENT -IO(phon) >> E CON (place) >> E CON (time) als optimal evaluiert werden und mé als optimale pseudophonetische Schreibung ablösen. Der Outputkandidat met weist die geringste qualitative graphische Treue auf (er begeht bezüglich I DENT -IO(graph) zwei von drei möglichen Verletzungen), er verletzt I DENT -IO(phon) und verstößt, ähnlich wie ma, gegen die Forderung *H OMOGRAPH . Daher ist es eher verwunderlich, dass 368 Eine solche Einführung geschieht in der Regel durch ein initiierendes Gruppenmitglied, das die Schreibweise -e erstmals in einem semantisch leicht zu interpretierenden Wort einsetzt (wie etwa che), damit die pseudophonetische Verwendung eindeutig erkannt werden kann. Anschließend muss der Initiator diese Strategie mit einer gewissen Regelmäßigkeit anwenden, so dass sie von den anderen Gruppenmitgliedern eindeutig durchschaut und eventuell übernommen werden kann. <?page no="202"?> 202 er überhaupt an der Oberfläche erscheint. Zwar würde er unter der Beschränkungsanordnung M AX -IO(graph) >> MGP bzw. MGP >> M AX - IO(graph) tatsächlich als optimal evaluiert werden, jedoch lässt eine solche Konstellation nur wenig sinnvolle Rückschlüsse über zugrunde liegende Verfassermotivationen zu. Damit stellt er keine ernsthafte Konkurrenz für die vorherigen Outputkandidaten dar, was durch das einmalige (vielleicht versehentliche) Vorkommen bestätigt wird. Die ebenfalls nur einmalig nachgewiesene Variante mahs zeichnet sich schließlich durch einen Tippfehler aus und lässt sich nur im Rahmen der SMS-Kommunikation eindeutig auf den lexikalischen Input mais zurückführen. Die Nutzer des Mediums wissen, dass der Buchstabe h auf derselben Taste liegt wie der gewünschte Buchstabe i, nur dass i einen zusätzlichen Tastendruck erfordert. In einem anderen schriftlichen Kontext wäre die semantische Zuordnung nicht ohne Weiteres möglich. Es lassen sich zwar auch hier wieder zwei Dominanzhierarchien finden, die mahs als optimal evaluieren (M AX -IO(graph) >> *H OMOGRAPH >> E CON (time) bzw. *H OMOGRAPH >> M AX -IO(graph) >> E CON (time)), jedoch scheint die Einsparung eines Tastendrucks gegenüber der orthographisch korrekten Form mais den Verlust an qualitativer graphischer Treue nicht aufzuwiegen, was sich unmittelbar in dem nur einmaligen Vorkommen widerspiegelt. Anhand der obigen Ausführungen wird deutlich, dass mit Hilfe des nüchtern-objektiven Evaluationsprozesses konkrete Rückschlüsse auf Verfassermotivationen und -präferenzen möglich sind, die zuvor nur ansatzweise oder intuitiv gezogen werden konnten. Gerade die parallele Betrachtung von nachgewiesener Häufigkeit und Konstitution der entsprechenden Beschränkungsanordnungen lässt fundierte Interpretationen zu und bringt allgemeine Tendenzen zum Vorschein, die bei der Wahl einer Schreibung eine Rolle spielen. So ließ sich die Unterstellung, dass die effiziente Kombination aus Platz- und Zeitökonomie stets oberste Priorität haben würde, recht schnell widerlegen, da die effizienteste Variante ma lediglich ein Mal vorkommt. Qualitative graphische oder phonische Treue und vor allem die Vermeidung von in der Orthographie existierenden Homographen scheinen den Kommunizierenden wichtiger zu sein. Eine Trennung der beiden Ökonomiebeschränkungen stellt sich als sinnvoll heraus und es scheint sogar der Fall zu sein, dass Platzökonomie gegenüber Zeiteinsparung bei mais Vorrang hat. Betrachtet man zur Verdeutlichung einen Teilausschnitt des Auswertungsprozesses, der auf die fünf häufigsten Kandidaten begrenzt ist und sich ausschließlich auf die Ökonomiebeschränkungen bezieht, so wird unabhängig von der Beschränkungsanordnung das konsonantische Skelett als optimal bestimmt: 369 369 Gemäß den Prinzipien der OT ist es zwar nicht erlaubt, Outputkandidaten aus dem Evaluationsprozess auszuschließen, jedoch geht es hier nur noch darum, Tendenzen bezüglich des Nutzungsverhaltens aufzuzeigen, weshalb nur diejenigen Varianten <?page no="203"?> 203 Allerdings weist ms nur eine relative Häufigkeit von knapp 15% auf, wohingegen die zeitlich aufwändigeren Formen mé und mè insgesamt in knapp 40% der Fälle gewählt werden. Die pseudophonetischen Schreibungen können jedoch nur an der Oberfläche erscheinen, wenn das strenge Dominanzverhältnis E CON (place) >> E CON (time) herrscht. Betrachtet man rückblickend nochmals die konkreten Beschränkungsanordnungen, die mé bzw. mè evaluieren, lässt sich ebenfalls erkennen, dass die Verfasser eine lautschriftähnliche Kodierung gegenüber einer konsonantischen Schreibung, die häufig einen stummen Auslautkonsonanten als Bestandteil aufweist, bevorzugen. 370 Imitation der phonischen Oberfläche scheint damit Priorität vor Platz- und Zeitökonomie zu haben und es wird im Folgenden unter anderem darum gehen, derart verallgemeinernde Feststellungen auch in andere Kontexte zu übertragen und auf Richtigkeit zu überprüfen. 5.1.3 Weiterführendes Beispiel: der lexikalische Input demain Einige der relevanten Beschränkungen für das Quantifizierungsmodell wurden im Zuge der Analyse von mais bereits eingeführt, jedoch fehlen für die Gesamtbetrachtung noch weitere Anforderungen an die Outputkandidaten. Im vorherigen Kapitel wurde dargelegt, dass SMS-Verfasser teilweise bewusst ihren Kompetenzgrad unter Beweis stellen wollen, indem sie besonders einfallsreiche oder bilderrätselhafte langage SMS-Varianten wählen. Dementsprechend bedarf es im Evaluationsprozess Beschränkungen, die diesen Verfasserintentionen gerecht werden und Forderungen nach möglichst hoher Professionalität stellen. Ähnlich wie im vorherigen Beispiel werden sich die konkreten Beschränkungen an den in diesem Fall primär enigmatischen Verschriftungsstrategien orientieren, für deren Anwendung es grundsätzlich einer gewissen Expertise bedarf. Als geeignetes betrachtet werden, die entsprechend der qualitativen Verteilung der Oberflächenformen im langage SMS am aussichtsreichsten sind. 370 Der Outputkandidat ms verletzt als einziger alle phonischen Treuebeschränkungen I DENT -IO(phon), M AX -IO(phon) und D EP -IO(phon). <?page no="204"?> 204 Beispiel erscheint der lexikalische Input demain, der im Korpus sowohl primär effiziente als auch enigmatische Varianten aufweist: Es lassen sich gleich elf unterschiedliche Schreibweisen für demain finden, die jeweils aus verschiedenen Verschriftungsverfahren resultieren. Die Angabe der denkbaren, aber nicht attestierten Mehrdeutigkeit im langage SMS dient wiederum zur Verdeutlichung des möglichen, noch offenen Interpretationspotentials einiger Schreibweisen. 371 Entscheidend neu sind im Vergleich zu den Varianten von mais die semiophonologischen Schreibungen, die in quantitativ unterschiedlichem Ausmaß Anwendung finden und in Kombination mit pseudophonetischen und orthographisch korrekten Graphien auftreten. Eine entsprechende Beschränkung für die Verwen- 371 Für die langage SMS-Variante dem könnte man im Bereich der zusätzlich denkbaren, nicht attestierten Bedeutungen theoretisch auch die Inputformen demander, démarrer, démarquer, demeurer, demi(e), etc. angeben, da ein so beachtlicher Teil des graphischen Materials gekürzt wurde, dass jedes französische Wort beginnend mit den Buchstaben demals Input in Frage kommen könnte. Die Angabe konkreter Wörter wäre jedoch von erheblich mehr Spekulation geprägt als etwa bei „deux minutes“ für 2min, weshalb keine der alternativen Bedeutungsmöglichkeiten in den Evaluationsprozess mit einbezogen wird. <?page no="205"?> 205 dung der Ziffernhomophone und damit die Forderung nach kompetenter und kreativer Verschriftung, lässt sich folgendermaßen formulieren: S EMIOPHON : 372 Inputphonemketten bestehend aus mindestens einem Glied, zu denen ein auf lautlicher Seite homophones Ideogramm existiert, müssen im Output durch dieses realisiert werden. Entsprechende Inputphonemketten, die diese Beschränkung nicht erfüllen, werden jeweils mit einer Verletzung markiert. Zu den Ideogrammen zählen maßgeblich Ziffern und Buchstaben 373 , jedoch fordert die Beschränkung auch andere graphische Zeichen wie etwa € für [øʀo], so dass S EMIOPHON sowohl den semiophonologischen Schreibungen als auch den Ideogrammen als Verschriftungsstrategie gerecht werden kann. Eine eindeutige, normgerechte Identifizierung von Homophonie ist im Französischen nicht immer ganz einwandfrei möglich, da es gerade in Bezug auf das Vokalphonemsystem unterschiedliche Interpretationen gibt. Meisenburg und Selig unterscheiden diesbezüglich zwischen einem Maximalsystem, das 16 Vokalphoneme enthält und einem Minimalsystem, das auf zehn Einheiten reduziert ist. 374 Einige kritische Oppositionen wie etwa / œ  / : / ɛ  / , / ø/ : / œ/ oder das in seinem Status als Phonem umstrittene / ә/ , das artikulatorisch einem zentralen [Œ] sehr nah kommt und häufig als solches realisiert wird 375 , werden dabei zu Archiphonemen zusammengefasst. Diese lautlichen Überschneidungen an der sprachlichen Oberfläche nutzen die SMS-Verfasser zu ihren Gunsten, indem sie die ohnehin gefährdeten Oppositionen zusammenfassen und an sich heterophone Silben wie [dә] (für de) und [dø] (für deux) als Homophone interpretieren. Häufig kommt die Beschränkung S EMIOPHON erst dank dieser ‚leichtfertigen’ Auslegung zum Einsatz, denn würde man der phonetischen Norm folgen, dürfte keine der Lautketten von [dәmɛ  ] durch eine Ziffer ersetzt werden, da auch das Zahlwort un ([œ  ]) für 1 heterophon zum Auslautvokal [ɛ  ] ist. Neben dem Einsatz von semiophonologischen Schreibungen wird die Bedeutungszuweisung bei einigen Varianten dadurch erschwert, dass der Leser ohne Rückgriff auf den SMS-Kotext bzw. auf die syntaktische Struktur nicht mit eindeutiger Sicherheit entscheiden kann, auf welchen lexikalischen Input er die Varianten zurückführen soll, da der Output das Resultat verschiedener Verschriftungsverfahren sein kann. Betrachtet man etwa die 372 Die Bezeichnung S EMIOPHON geht auf die im vorherigen Kapitel eingeführten „semiophonologischen Schreibungen“ zurück. 373 Entsprechend der Annahme, dass Vokale in ihrer Eigenschaft als Eigenlaut pseudophonetisch eingesetzt werden, kommen als semiophonologisch verwendete Buchstaben genau genommen nur Konsonanten in Frage. 374 Vgl. Meisenburg/ Selig (1998, 80ff.). 375 Vgl. dazu auch Catach (1986, 101ff.). <?page no="206"?> 206 Variante 2min, so könnte sie nicht nur aus dem Input demain durch Anwendung der Verschriftungsstrategien ‚semiophonologische Schreibung’ und ‚pseudophonetische Schreibung’ entstanden sein, sondern auch aus dem Input deux minutes durch sukzessive Anwendung von ‚semiophonologische Schreibung’, ‚graphische Reduktion’ und ‚Agglutination’. Ähnliches gilt für 2main und 2Main. Etwas weniger verwirrend, aber theoretisch dennoch denkbar ist die Zweideutigkeit von dmain und dmin, die ebenso auf des mains bzw. des minutes zurückgeführt werden können. Für diese Bedeutungszuweisung wird die semiophonologische Verwendung des Buchstaben <d> mit anschließender Agglutination unterstellt. 376 Gerade bei den noch recht häufigen Varianten 2min und 2main erhält man den Eindruck, dass der Verfasser bewusst mit dieser ‚langage SMS-Homonymie’ spielt und den Leser zum Nachdenken anregen möchte. Da demain und deux minutes zudem beides Zeitangaben sind, kann eine falsche Interpretation durchaus zu belustigter Verwunderung führen. Neben spielerisch-kreativem Umgang mit der Sprache wird durch das bewusste Hervorrufen von mehrfachen Bezugsmöglichkeiten ein gewisser Grad an Kompetenz zum Ausdruck gebracht. Anders als bei der leserfreundlichen Beschränkung *H OMOGRAPH , die das Entstehen zusätzlicher Homographie in Bezug auf die orthographische Konvention verbietet, fordert die nachfolgende Beschränkung explizit die Existenz einer mehrdeutigen Output-Input-Beziehung, um den Grad der Verschlüsslung zu erhöhen und die Interpretation der Schreibweise zu erschweren: SMS-H OMONYM : Der Output muss sich auf mindestens zwei semantisch unterschiedliche lexikalische Inputs zurückführen lassen. Jeder Outputkandidat, der nur eine theoretisch mögliche Inputform besitzt, wird mit einer Verletzung markiert. Ein Outputkandidat, der diese Beschränkung erfüllt, verletzt nicht zwangsläufig die Beschränkung *H OMOGRAPH . Die aus dem vorherigen Beispiel bekannte Variante mé lässt sich beispielsweise sowohl auf mais als auch auf mes oder met(s) zurückführen, besitzt indes keinen der Orthographie entsprechenden Homographen. Ein Outputkandidat, der *H OMOGRAPH verletzt, erfüllt jedoch automatisch die Beschränkung SMS-H OMONYM . Der für die Inputform mais nachgewiesene Outputkandidat mai etwa lässt sich aufgrund der entstehenden Homographie zum Substantiv (le) mai automatisch auf eben dieses Substantiv als 376 Die semiophonologische Schreibung d für den Input des wird im Korpus in weit über einem Drittel der Vorkommen durchgeführt, so dass eine solche Interpretation durchaus realistisch ist. <?page no="207"?> 207 Input beziehen. 377 Damit erhalten wir folgende Implikationen: Wird *H OMOGRAPH verletzt, so folgt, dass SMS-H OMONYM erfüllt wird; wird SMS-H OMONYM erfüllt, so folgt im Allgemeinen jedoch noch nicht, dass *H OMOGRAPH verletzt wird. Die zweite Schlussfolgerung gilt nur dann, wenn die graphische Hülle des Outputkandidaten einer anderen orthographisch korrekten Äußerung entspricht. Erst dadurch werden die bereits für ma, me und met beschriebenen Schwierigkeiten bei der Bedeutungszuweisung hervorgerufen, da sie spontan mit ihrem konventionellen signifié in Verbindung gebracht werden. Gilt die zweite Implikation nicht, dann gleicht der Output graphisch keiner orthographisch korrekten Äußerung und lässt sich daher als ‚echte’ langage SMS-Schreibung bezeichnen. Dadurch können spielerisch-kreative SMS-Homonyme wie 2min entstehen, die den Leser aufgrund der orthographiefremden Schreibweise unmittelbar zum Dekodieren bzw. zur Suche nach alternativen Bedeutungen animieren. Allerdings bewirkt das nicht generell die Entstehung von besonders einfallsreicher Mehrdeutigkeit. Im Bereich der Verbalkonjugation beispielsweise trifft die zweite Implikation in vielen Fällen nicht zu und die entsprechenden Varianten zeichnen sich dennoch nicht durch besonders hohe Professionalität aus. Vielmehr scheint Effizienz die maßgebliche Verfassermotivation zu sein (vgl. etwa vien für viens oder vient). Genau genommen ist die Überprüfung der Beschränkung SMS- H OMONYM allgemeingültig nicht möglich, da wir alle existierenden langage SMS-Schreibweisen mit ihren möglichen Inputformen kennen müssten, um mit Sicherheit „universell“ urteilen zu können. Die bislang im Korpus nachweisbaren Homonyme stellen jedoch längst nicht alle möglichen Varianten dar. Im Laufe der Zeit können stets weitere Homonyme (speziell ‚SMS-Homographe’) entstehen, die nach unseren bisherigen Kenntnissen höchstens als theoretisch denkbar eingestuft werden können (beispielsweise die Verwendung der Form mè für die Inputform met). Obwohl wir bei der Überprüfung von SMS-H OMONYM bereits die aus unserer Perspektive denkbaren, alternativen Bedeutungen berücksichtigen, die in den Häufigkeitstabellen aufgeführt sind, bleibt der Unsicherheitsfaktor, dass sehr exotische und vereinzelt auftretende Schreibweisen nur schwer vorhersagbar sind. Wollte man den Prinzipien der Optimalitätstheorie vollständig gerecht werden, müsste ein möglichst geschlossenes Inventar aller gegenwärtig und zukünftig auftretenden Varianten für das gesamte französische Lexikon erstellt werden. Ein solches Vorhaben ist angesichts des unabseh- 377 Theoretisch hätte die Beschränkung SMS-H OMONYM auch schon im Zuge des vorherigen Beispiels eingeführt werden können, jedoch wäre die zugrunde liegende Verfasserintention nur bedingt klar geworden, da sich die Variante mé zwar auf unterschiedliche Inputformen zurückführen lässt, die angewandte Verfasserstrategie aber jeweils die gleiche ist (pseudophonetische Schreibung), so dass Einfallsreichtum und Kreativität nur bedingt zum Ausdruck kommen. <?page no="208"?> 208 baren Wachstums des langage SMS jedoch kaum realisierbar. Die Beschränkung SMS-H OMONYM stellt damit eine Ausnahme unter den übrigen Beschränkungen dar, denn ihr Verletzungsprofil ist unter Umständen nicht vollständig. Zwar ist es unwahrscheinlich, dass eine Verletzung aufgrund falscher Vermutungen zuviel markiert wurde 378 , jedoch kann es passieren, dass im Laufe der Zeit noch weitere Verletzungen hinzukommen. Diese Unzulänglichkeit in der Konzeption der Beschränkung mindert allerdings nicht ihre Aussagefähigkeit bezüglich des Interpretationspotentials einzelner Varianten und möglicher kognitiver Anforderungen für die Entschlüsselung der angewandten Verschriftungsstrategien. Ferner lässt sich mit ihrer Hilfe objektiv am Beschränkungsprofil erkennen, ob die Verfasser das Entstehen von Homographie zwischen echten langage SMS-Varianten evozieren bzw. unter welchen Umständen sie ihre Priorität gerade auf Vermeidung von Homographie legen. Aus diesem Grund wird SMS- H OMONYM trotz eventueller Unvollständigkeit in den Auswertungsprozess mit aufgenommen. Betrachten wir nun die verschiedenen Auswertungsprozesse für demain, wobei wiederum nur die aktiven Beschränkungen betrachtet werden und zunächst maximale Ökonomie als dominierende Motivation unterstellt wird: 379 378 Die in den Häufigkeitstabellen aufgelisteten Möglichkeiten an homonymen Verwendungen, die nicht im Korpus nachgewiesen sind, orientieren sich eng an den Prinzipien der allgemeinen Verschriftungsstrategien, so dass ihr tatsächliches Vorkommen durchaus realistisch ist. 379 Bezüglich des phonischen Inputs von demain wird zunächst davon ausgegangen, dass das e-instable an der lautlichen Oberfläche realisiert wird und im Bewusstsein der Verfasser verankert ist. Um die Eigenschaft Richness of the base nicht zu missachten, müssten wir in einem separaten Evaluationsprozess die phonische Inputform [dmɛ  ] annehmen, die ebenfalls in der Alltagssprache anzutreffen ist. Da das Beispiel nur zur Verdeutlichung der Herangehensweise dient, wird dieser Schritt analog zum vorherigen Beispiel ausgelassen. Im Hinblick auf das Verletzungsprofil der semiophonologischen Schreibungen sei in Bezug auf die phonische Treuebeschränkung I DENT -IO(phon) erwähnt, dass sich die Korrespondenzzuweisung zwischen dem phonischem Inputsegment und dem graphischem Outputsegment nicht ganz eindeutig verhält. Streng genommen haben die phonischen Segmente, die durch ein Ideogramm realisiert werden, keinen eindeutigen graphischen Korrespondenten im Output, genauso wie die Ideogramme kein eindeutiges korrespondierendes Segment im phonischen Input besitzen (vgl. [dә] → 2). Es entspricht jedoch nicht der Verfasserintention, den Segmenten jeweils leere Positionen als Korrespondenten zuzuordnen und damit die begangenen Verletzungen bezüglich phonischer Tilgung und Epenthesis zu erhöhen. Aus diesem Grund wird dem Ideogramm das erste Phonem der Inputphonemkette, die es repräsentiert, als Korrespondent zugeordnet, während weitere Bestandteile der Phonemkette jeweils der leeren Menge gegenüberstehen. Für 2 als graphische Abbildung von [dә] würde damit folgende Zuweisung gelten: d → 2; ә → Ø. <?page no="209"?> 209 Auch bei dem lexikalischen Input demain wird eine im Gesamtkorpus nur einmalig auftretende Schreibweise als maximal ökonomisch evaluiert. Bezeichnenderweise lässt sich für die Variante dm1 kein weiteres Ranking finden, unter dem sie als optimal bestimmt werden würde, da alle übrigen Beschränkungen von ihr verletzt werden und sich für jede Beschränkung ein anderer Kandidat finden lässt, der die jeweilige Beschränkung erfüllt. Obwohl die Variante effizient ist, der Phonie nicht ganz untreu ist 380 und Züge von Professionalität aufweist, wird die Schreibweise 2m1 wesentlich häufiger gewählt. Die Verfasserintentionen scheinen mehr auf Expertise ausgerichtet zu sein: 380 Würde man [dmɛ  ] als Input wählen, dann wäre die phonische Treue von dm1 noch höher, da M AX -IO(phon) nicht verletzt werden würde. <?page no="210"?> 210 Die drei höchstrangigen Beschränkungen können ohne Veränderung des Ergebnisses vertauscht werden, solange S EMIOPHON >> E CON (time) gilt. Die Verfasserintention von 2m1 lässt sich demzufolge auf eine Kombination aus Ökonomie und Expertentum zurückführen, wobei ein höherer zeitlicher Tippaufwand für einen Zugewinn an demonstrierter Professionalität gerne akzeptiert wird. Wiederum scheint das Streben nach Platzökonomie eine stärkere Forderung zu sein als effizientes Tippen. Auch wenn gut ein Drittel der Verfasser mit der Schreibweise demain das höchste Maß an graphischer Treue einhalten 381 , so zeichnet sich ein Großteil der restlichen Kandidaten durch einen gewissen Grad an Kreativität und phonischer Treue aus. Betrachten wir zur Veranschaulichung noch den ausführlichen Evaluationsprozess von 2min und 2main: Gerade die undominierte Paarung SMS-H OMONYM >> S EMIOPHON lässt spielerisch-kreative Varianten an der Oberfläche erscheinen, die den Leser vor ein kleines Rätsel stellen können. Vergleicht man die unter diesen Umständen aussichtsreichsten Varianten 2min und 2main bzw. 2Main untereinander, so fällt zunächst auf, dass 2min platz- und zeitökonomischer ist. Hinzu kommt, dass sie in der zweiten Silbe qualitative phonische Treue zum Ausdruck bringt, während 2main und 2Main sich an graphischer Treue orientieren. Das Verletzungsprofil gibt hier keinerlei Aufschluss darüber, ob die zweite Silbe von 2min primär aus Ökonomiegründen oder zwecks getreuer Abbildung der Phonie entstanden ist, da die entsprechen- 381 Um demain als optimalen Outputkandidaten evaluieren zu können, müssen die Beschränkungen [I DENT -IO(graph), M AX -IO(graph), M AX -IO(phon)] unabhängig von ihrer Rangordnung untereinander undominiert sein, wobei das Verbot von Inputphonemtilgung in diesem Fall wenig aussagekräftig ist. Die Beschränkung *H OMOGRAPH ist in diesem Beipiel nicht relevant, da sie von keinem der Outputkandidaten verletzt wird. <?page no="211"?> 211 den Beschränkungen innerhalb der Hierarchie vertauscht werden können, ohne das Ergebnis der Auswertung zu verändern. Daraus wird nochmals deutlich, dass pseudophonetische Schreibung und Effizienz häufig einhergehen, auch wenn nicht zwangsläufig maximale Effizienz erreicht wird. Dieser doppelte Effekt ist vermutlich ein Grund dafür, dass sich die Verfasser eher für 2min als für 2main bzw. 2Main entscheiden. 2Main ist die einzige expressive Schreibung unter den Outputkandidaten. Würde man E XP (emotion) nicht im Evaluationsprozess berücksichtigen, würde 2Main gegenüber 2main ‚in sich’ suboptimal sein. Positioniert man die Beschränkung aber undominiert vor SMS-H OMONYM und S EMI- OPHON , dann wird 2Main als optimal bestimmt. Anhand dieser speziellen Beschränkungsanordnung wird deutlich, dass es nicht nur Verschmelzungen aus effizienter und enigmatischer Schreibweise gibt (wie etwa bei 2m1), sondern auch aus kreativ-enigmatischer und expressiver Schreibweise. Die bewusste Großschreibung des Buchstaben M steigert einerseits die Verschlüsselung der Variante, da sie beim Leser die Vermutung auslöst, der Verfasser wolle innerhalb eines agglutinierten Ausdrucks den Beginn eines neuen Wortes markieren, und dadurch zusätzliche Verwirrung bei der Bedeutungszuweisung provoziert. Andererseits bringt der Großbuchstabe im Gesamtschriftbild der SMS Emphase zum Ausdruck. Analog lassen sich auch für die restlichen Outputkandidaten bestimmte Beschränkungsanordnungen finden, unter denen sie als optimal evaluiert werden. Da ihre relative Häufigkeit im Gesamtkorpus weit unterhalb der Zehn-Prozent-Marke liegt, wird hier auf eine ausführliche Darstellung des Auswertungsprozesses mit anschießender Detailanalyse der Hierarchien verzichtet. Allein anhand der beiden häufigen Wörter des Französischen mais und demain konnte ein Großteil der relevanten Beschränkungen für die allgemeine Quantifizierung des langage SMS hergeleitet werden. Von nun an werden sie ohne ausführliche Erläuterungen als bekannt vorausgesetzt und bei der Datenauswertung entsprechend ihrer Relevanz herangezogen. 5.2 Reichweite der Auswertungsmethode Es hat sich gezeigt, dass der spezielle Aufbau des Auswertungsprozesses und seine Prinzipien für unseren Interessenschwerpunkt einige Vorteile bieten. Anhand der Beschränkungen, die im Einklang mit den konkreten Schreibweisen und den darin implizit enthaltenen Verfasserintentionen definiert wurden, und anhand deren individueller Rangordnung lassen sich die signifikanten Merkmale der verschiedenen Varianten direkt an der Beschränkungshierarchie ablesen und objektiv interpretieren. Dank der parallelen Auswertung, die alle Outputkandidaten gleichzeitig einbezieht, lässt sich jeder einzelne Outputkandidat in unmittelbarem Vergleich mit <?page no="212"?> 212 den übrigen Kandidaten beurteilen. Selbst selten auftretende, exotische Varianten können in den Untersuchungsmittelpunkt gerückt werden. Hinzu kommt die uneingeschränkte Modifizierbarkeit der Dominanzverhältnisse, die nicht nur Einblicke in die offensichtlichen Merkmale der einzelnen Varianten gewährleistet, sondern auch in latent vorhandene Vorzüge bzw. in theoretisch denkbare Konstitutionen der Verfasserpriorität. Gerade durch das systematische Vertauschen der Beschränkungen und die parallele Auswertung der Kandidaten können auch sekundär aktive Anforderungen an die Schreibweisen ersichtlich werden, die bei isolierter Betrachtung der SMS-Oberfläche nicht ohne Weiteres identifiziert werden können. Denn oftmals ergibt sich erst im Vergleich zu den übrigen Kandidaten eine Verkettung von mehreren Beschränkungen und damit eine Kombination gemeinsam wirksamer Verfasserintentionen für die Wahl eines Kandidaten. Mit Hilfe des Auswertungsprozesses können wir die Varianten daher nüchtern quantifizieren und gleichzeitig qualitativ eindeutig gegeneinander abgrenzen. Wie das Beispiel mais bzw. die Outputkandidaten mé und mè gezeigt haben, ist es nicht ausgeschlossen, dass eine Variante bezüglich der aktiven Beschränkungen als in sich suboptimal bewertet wird, obwohl sie in den SMS-Texten nachgewiesen wurde. Diese Situation stellt keine grundsätzliche Lücke in der Methodik dar, sondern kann ganz im Gegenteil spannende Interpretationsansätze bieten. Sollte es sich um eine seltene Variante handeln, deren Auftreten aufgrund ihrer befremdenden Form ohnehin Verwunderung auslöst, dann deutet das auf generell mangelnde Konkurrenzfähigkeit bezüglich der anderen Outputkandidaten hin. Ein direkter Vergleich mit dem stets als ‚optimaler’ evaluierten Kandidaten kann Aufschluss über die Ursache der mangelnden Konkurrenzfähigkeit geben. Wird jedoch eine Variante als suboptimal bestimmt, die isoliert betrachtet einen aussichtsreichen Kandidaten für die Wahl der Schreibung darstellt, so kann es nicht auf generell mangelnde Konkurrenzfähigkeit hindeuten. Die Variante mè beispielsweise, die dem häufig verfolgten Ziel einer lautschriftähnlichen Verschriftung gerecht wird und zudem platzökonomisch ist, stellt auf den ersten Blick durchaus einen aussichtsreichen Kandidaten dar, wird jedoch relativ selten gewählt. Sie muss ein Defizit haben, das jedoch erst im Vergleich zu demjenigen Kandidaten eindeutig zu Tage tritt, bezüglich dessen mè suboptimal ist (mé). Die speziellen Verletzungsprofile der beiden Varianten und insbesondere diejenigen Beschränkungen, die von mè schlechter erfüllt werden als von mé (in diesem Fall E CON (time)), bringen den generellen Nachteil objektiv zum Vorschein und liefern Erklärungsansätze für die seltene Wahl der Schreibweise. Zwar lassen sich auch für mè die Variablen des Quantifizierungsmodells so bestimmen, dass sie als optimal evaluiert wird (durch die Wahl des Inputs [mɛ]), jedoch weist <?page no="213"?> 213 die Häufigkeit der Variante darauf hin, dass die Verfasserpriorität in diesem Fall nicht primär auf der Abbildung der Sprachrealität liegen würde. Generell bietet die kombinierte Analyse von möglichen Dominanzverhältnissen und Häufigkeit der Schreibweise fundierte Interpretationsansätze für allgemeine Tendenzen der Verfasserpräferenzen und -prioritäten. Untersucht man etwa bezogen auf eine bestimmte Beschränkung die jeweiligen Hierarchiepositionen, die sie für die verschiedenen Outputkandidaten eines festen Inputs annehmen kann und setzt das in Verbindung mit den jeweiligen Häufigkeiten der Kandidaten, so lassen sich Rückschlüsse auf die Relevanz dieser Beschränkung ziehen. Sollte sich dabei herausstellen, dass die Beschränkung bis auf wenige Ausnahmen tendenziell niedrig angeordnet wird, so lassen sich die genauen Umstände benennen, unter denen sie ‚ausnahmsweise’ an Wichtigkeit hinzugewinnt. Erweitert man die Untersuchung auf weitere Inputformen und betrachtet auch hier die möglichen Hierarchiepositionen der Beschränkung, so lassen sich ganz allgemeine Rückschlüsse auf ihren tendenziellen Einfluss beim Verschriften ziehen. Die Beschränkung *H OMOGRAPH beispielsweise kann je nach lexikalischem Input bzw. je nach Beschaffenheit der Outputkandidaten ganz unterschiedlich gewichtet werden und es hat sich gezeigt, dass sie im Evaluationsprozess unter gewissen Umständen entscheidend an Gewicht zunehmen kann. Ähnlich verallgemeinernde Rückschlüsse lassen sich ziehen, wenn man zunächst die möglichen Dominanzverhältnisse bzw. die möglichen Beschränkungsgefüge für die verschiedenen Outputkandidaten in Relation zu den jeweiligen Häufigkeiten der Kandidaten betrachtet, um dann diejenigen Anforderungsgefüge bestimmen zu können, die tendenziell wahrscheinlicher für den zugrunde liegenden Input sind. Stellt man auch hier eine Beziehung zu den entsprechenden Ergebnissen von anderen lexikalischen Inputformen her, so werden allgemeine Aussagen über tendenziell häufiger auftretende Beschränkungsverkettungen möglich. Da die Beschränkungen implizit die beim Verschriften verfolgten Intentionen enthalten, bieten eben solche rekurrente Paarungen vielerlei Einblicke in allgemeine Verfasserpräferenzen und -prioritäten. Zur ansatzweisen Verdeutlichung dieses allgemeinen Interpretationspotenzials bieten sich diejenigen Schreibweisen an, die im langage SMS bereits eine Automatisierungstendenz aufweisen (vgl. Kap. 4). Die Mehrzahl der Verfasser scheint sich hier bereits auf eine bestimmte Schreibweise festgelegt zu haben, so dass allgemeine Rückschlüsse bezüglich Verfasserintentionen und -prioritäten mit relativ hoher Sicherheit getroffen werden können. Betrachten wir das recht einfache Beispiel pas: <?page no="214"?> 214 Knapp drei Viertel der Verfasser wählen die pseudophonetische Variante pa, so dass von einer eindeutigen Automatisierungstendenz gesprochen werden kann. Immerhin knapp ein Viertel der Nutzer entscheidet sich für die korrekte Orthographie, wohingegen nur ein marginaler Teil das konsonantische Skelett verschriftet. Sicherlich erfordert seine Dekodierung mehr Aufwand und Kompetenz als die lautschriftliche Schreibweise und wird zudem durch die attestierten langage SMS-Homonyme erschwert, allerdings wird der Verschlüsselungsgrad dadurch gemindert, dass es sich um eine recht geläufige Abkürzung aus handschriftlichen Notizen handelt. Es wäre daher theoretisch durchaus erwartbar, dass sich mehr Nutzer für das konsonantische Skelett entscheiden, zumal es aus ökonomischer Perspektive auf den ersten Blick effizient zu sein scheint. Der Evaluationsprozess bietet diesbezüglich Aufschluss: Selbst wenn der Kandidat ps hinsichtlich Platzökonomie noch konkurrenzfähig ist, so gestaltet sich seine Eingabe als vergleichsweise mühsames Unterfangen, da die Buchstaben auf derselben Taste liegen und eine lästige Tipppause entsteht. Der minimale Zugewinn an kreativer Herausforderung verliert angesichts des beachtlichen zeitlichen Mehraufwands entscheidend an Attraktivität. Die pseudophonetische Variante pa hingegen ist überaus effizient (sowohl platzals auch zeitökonomisch), sie folgt exakt der Phonie (sie erfüllt alle drei phonischen Treuebeschränkungen) und <?page no="215"?> 215 verletzt die graphische Treue nur geringfügig. 382 Damit stellt sie auch in Bezug auf den kognitiven Aufwand eine ökonomische Variante dar. Die Tatsache, dass sie gleich mehrere Verfasserintentionen gleichzeitig gut erfüllt, lässt sie im Auswertungsprozess unter ganz unterschiedlichen Dominanzverhältnissen als aussichtsreichen Kandidaten dastehen. Vor diesem Hintergrund ist auch die erkennbare Automatisierungstendenz zu erklären, denn die Schreibweise scheint eine Art ‚Universallösung’ zu sein. Die wahren Vorzüge der Variante liegen jedoch in der überragenden Platz- und Zeitökonomie kombiniert mit einer optimalen Abbildung der Phonie. Der obigen Häufigkeitsanalyse zufolge entsprechen diese Merkmale sehr oft den Verfasserbedürfnissen und es wird im Folgenden zu prüfen sein, ob sich diese Konstellation auch in anderen Fällen als häufige Zielsetzung beim Verschriften herausstellen wird. 5.3 Kontinuum der Verfasserintentionen Im Zuge der deskriptiven Analyse der Verschriftungsverfahren wurde bereits deutlich, dass die unterschiedlichen Schreibweisen keineswegs willkürlich gewählt werden, sondern dass sie von übergeordneten Verfasserintentionen motiviert sind, die sich in primär effizient, primär enigmatisch und primär expressiv unterteilen lassen. Allerdings war diese Grobeinteilung nur anhand oberflächlicher, offensichtlich erkennbarer Merkmale der Varianten möglich und konnte nur eingeschränkt auf fundierte Argumente zurückgeführt werden. Das entwickelte Evaluationsmodell ermöglicht in diesem Zusammenhang eine weitaus präzisere Beurteilung, da es die Kandidaten nicht nur quantitativ auswertet, sondern auch qualitativ bezüglich deren Charakteristika ausdifferenziert. Die Beschränkungen bilden dabei eine entscheidende Komponente, da sie gemäß ihrer spezifischen Konstitution stets die Einhaltung von einzelnen Verschriftungsabsichten fordern, die nicht in weitere Unterabsichten aufgeteilt werden können. Somit lässt sich in Bezug auf jede Beschränkung unmittelbar die dazugehörige Verfasserzielsetzung formulieren (für I DENT -IO(phon) wäre das beispielsweise die qualitativ möglichst identische Wiedergabe der lautlichen Oberfläche). Gleichzeitig stehen die konkreten Beschränkungsanforderungen, und damit die impliziten Verfasserabsichten, in einem bestimmten Verhältnis zu den drei übergeordneten Verfasserintentionen effizient, enigmatisch und expressiv. Die Forderung nach Platz- und Zeitökonomie etwa entspricht eindeutig dem Verlangen nach effizienter Verschriftung und die Anzahl der begangenen Verletzungen gibt unmittelbar Aufschluss darüber, wie ökonomisch der Kandidat tatsächlich ist. 382 Bis auf M AX -IO(graph), N O V OW und E XP (emotion) erfüllt pa alle existierenden Beschränkungen. <?page no="216"?> 216 Auch das Bestreben nach möglichst hoher phonischer Treue entspricht oftmals dem Wunsch nach Effizienz, da es für den Verfasser eine kognitive Entlastung implizieren kann: anstatt die komplexen grammatikalischen und ideographischen Anforderungen der Orthographie zu beachten, ordnet er jedem Phonem beinahe eindeutig ein festes Graphem zu und erspart sich somit aufwändige Analogieschlüsse. Selbst für den Leser erfordert die Dekodierung phonisch treuer Varianten keine speziellen Kompetenzen bezüglich des langage SMS. Bei genauer Betrachtung fällt jedoch auf, dass einige Verschriftungsanforderungen nicht nur einer übergeordneten Verfasserintention gerecht werden, sondern gleich mehreren. Die Einhaltung der primär auf Expertise ausgerichteten Beschränkung S EMIOPHON beispielsweise bringt zumeist gleichzeitig einen gewissen Ökonomieeffekt mit sich, der vom Verfasser sicherlich intendiert ist. Dieses Ineinandergreifen spiegelt sich in der Regel auch in der Beschränkungsanordnung wider, da die Anforderungen E CON (place), E CON (time) und S EMIOPHON in diesen Fällen meist recht hochrangig sind. Anhand der konkreten Dominanzverhältnisse untereinander lässt sich dann im Einzelfall ablesen, ob das Verlangen nach Professionalität oder die Forderung nach Effizienz im Vordergrund steht, oder ob womöglich Gleichrangigkeit und damit ein kombiniertes Streben nach beidem vorliegt. Demnach lassen sich die jeweils verfolgten Verschriftungsabsichten direkt an den ‚relevanten’ Beschränkungen in der Hierarchie ablesen, d.h. an denjenigen, die tatsächlich zum Ausschluss der konkurrierenden Kandidaten führen. Die bislang eingeführten Beispiele haben gezeigt, dass es sich dabei tatsächlich häufig um Kombinationen aus mehreren einflussnehmenden Beschränkungen handelt und dass die verfolgten, übergeordneten Verfasserintentionen nicht immer einheitlich effizient, enigmatisch oder expressiv sind, sondern dass sie durchaus unterschiedlicher Natur sein können. Der bereits bekannte Outputkandidat po beispielsweise ist effizient und expressiv zugleich, da die Beschränkungen E CON (place) und E XP (emotion) in der entsprechenden Hierarchie gleichrangig an undominierter Position anzuordnen sind. Aufgrund der Tatsache, dass viele Varianten nur durch kombinierte Anforderungen aus mehreren Beschränkungen als optimal evaluiert werden können und dass diese Beschränkungen oftmals heterogene übergeordnete Verfasserintentionen verfolgen, wäre eine streng getrennte Auffassung von rein effizienten, rein enigmatischen und rein expressiven Absichten für die Wahl einer Schreibung irreführend. Weitaus angemessener erscheint ein interagierendes Wirkungsgefüge zwischen diesen drei Größen, das sowohl effizienten, enigmatischen und expressiven Reinformen als auch jeglichen Mischformen gerecht werden kann (das Korpus weist selbst expressiv-enigmatisch-effiziente Schreibungen wie bxbx für bisous bisous auf). Für die Modellierung der drei wirkenden Verfasserinten- <?page no="217"?> 217 tionen nehmen wir daher ein dreidimensionales Kontinuum entlang der Achsen effizient, enigmatisch und expressiv an, innerhalb dessen sich die verschiedenen Varianten entsprechend einordnen lassen: Basierend auf den Ergebnissen des Evaluationsprozesses und der Aussagekraft der Beschränkungen können die konkreten Outputkandidaten bezüglich dieser drei Wirkungsgrößen objektiv und zuverlässig in dem dreidimensionalen Raum lokalisiert werden. Die konkreten Schreibweisen sind dabei jedoch nicht als diskrete Punkte im Kontinuum aufzufassen, sondern vielmehr als offene Mengen. Eine solche Auffassung beruht auf der Überlegung, dass es bei theoretisch gleichrangigen Beschränkungen an undominierter Position der Hierarchie (etwa E CON (place) und S EMIOPHON ) durchaus wahrscheinlich ist, dass manche Verfasser mit der Wahl der Schreibweise entweder bewusst effizient oder bewusst enigmatisch verschriften wollen und damit eine klare Rangordnung zwischen den dominierenden Beschränkungen konstituieren. Dieser individuelle Spielraum in der Gewichtung muss bei der Beurteilung der Schreibweise bezüglich der verfolgten Verfasserintentionen flexibel berücksichtigt werden und wird graphisch durch die Konzipierung als offene Mengen verdeutlicht. Lokalisieren wir zur Veranschaulichung die Outputkandidaten des bereits bekannten Beispiels pas: <?page no="218"?> 218 Im Ursprung des Kontinuums befindet sich kugelförmig die orthographisch korrekte Form als neutrale Variante. Der Verfasser verfolgt bei ihrer Wahl keine speziellen Absichten im Rahmen des langage SMS, wobei nicht generell ausgeschlossen werden kann, dass er dennoch einen zusätzlichen Informationsgehalt übermitteln will. Handelt es sich beispielsweise um einen kompetenten Sender, der durchaus einen SMS-Text mit kreativen Schreibweisen gestalten könnte, kann die bewusste Wahl der konventionellen Schreibweise Aussagekraft bezüglich des Sender-Empfänger-Verhältnisses, der Empfänger-Kompetenz oder der Ernsthaftigkeit des Inhalts haben. 383 Entsprechend der obigen Ausführungen wird die pseudophonetische Variante pa als rein effiziente Schreibweise im Kontinuum lokalisiert. Sie verletzt beide Ökonomiebeschränkungen nur ein Mal, was selbst im Vergleich zu anderen Inputformen aus dem Gesamtkorpus auffallend effizient ist. Da die zu repräsentierende Inputform pas dank Einhaltung der phonischen Treuebeschränkungen ohne zusätzlichen Dekodierungsschritt erkennbar ist und die Variante aufgrund fehlender Expressivität E XP (emotion) verletzt, kann die Variante auf der Achse effizient platziert werden (dargestellt durch eine recht flache, ovalförmige und wenig tiefe Form). Die Schreibweise po ist in Relation zu pas und ps noch recht effizient (sie begeht insgesamt vier Verletzungen der Ökonomiebeschränkungen). Des Weiteren erhält sie durch die Abbildung der lautlichen Variation und des dadurch übermittelten suprasegmentalen Informationsgehalts expressive Züge und bekommt angesichts der qualitativen phonischen Untreue zum lexikalischen Input einen Hauch von Expertise. Das konsonantische Skelett ps hingegen erweist sich bei Vereinigung der Ökonomiebeschränkungen als weniger effizient als die orthographisch korrekte 383 Allgemein kann überwiegendes Respektieren der orthographischen Norm sowohl mangelnde Kompetenz im Bereich des langage SMS als auch bewusstes Abkehren von einer ‚Orthographieverstümmelung’ bedeuten. <?page no="219"?> 219 Form, was das seltene Vorkommen im Gesamtkorpus erklärt. Aufgrund der langage SMS-Homonyme und der Tilgung des silbentragenden Nukleus entsprechend der Forderung N O V OW , kann die Dekodierung für den ungeübten Leser schwieriger ausfallen als bei den übrigen Varianten. Jedoch darf der enigmatische Charakter nicht überschätzt werden, da ps eine gängige Abkürzung aus Schüler- und Studentenmitschriften ist. Das konsonantische Skelett ist ebenso wenig expressiv wie die pseudophonetische Variante, so dass es entlang der Achse enigmatisch zu lokalisieren ist. Entsprechend ließe sich auch für mais und demain verfahren, wobei sich die verschiedenen Varianten aufgrund der höheren Formenvielfalt noch weitläufiger im Kontinuum verteilen würden (jeweils vornehmlich zwischen den Achsen effizient und enigmatisch). Dabei käme es durchaus zu Überschneidungen zwischen verschiedenen Varianten, wobei völlige Deckungsgleichheit schon wegen der offensichtlich unterschiedlichen graphischen Gestalt ausgeschlossen ist. Es zeigt sich, dass die Beurteilung in Bezug auf die erste Achse effizient objektiv und sehr kalkulierend vorgenommen werden kann, da jede zuviel begangene Platzbzw. Zeiteinheit anhand der Ökonomiebeschränkungen abgelesen und in Relation zu den anderen Varianten auf der x-Achse angeordnet werden kann. Ähnlich eindeutig verhält es sich mit der intendierten Expressivität, die ihren Zweck verfehlen würde, wenn sie nicht unmittelbar erkennbar und relativ zu den anderen Kandidaten angeordnet werden könnte. Jedem zusätzlichen Buchstaben, jeder unkonventionellen Großschreibung und jeder phonetischen Variante wird dabei ein Mehrwert an Expressivität zugeordnet. Etwas weniger eindeutig quantifizierbar ist hingegen die intendierte Professionalität, da sie nur schwer anhand einzelner Komponenten abgelesen werden kann. Häufig ergibt sich der enigmatische Charakter erst durch die spezifische Kombination verschiedener Beschränkungsanforderungen wie hohe Ökonomie und geringe graphische bzw. phonische Treue (etwa bei der Variante me für mais). Eine allgemeingültige Beurteilung des erreichten Verschlüsselungsgrads wird zusätzlich dadurch erschwert, dass er selbst bei eindeutig erscheinenden Beschränkungen wie S EMIOPHON durch externe Faktoren wie nachweisbare Automatisierungstendenzen entschieden gemindert werden kann. Für die Positionierung auf der Achse enigmatisch muss folglich die gesamte Dominanzhierarchie auf Beschränkungskonstellationen hin untersucht werden, die höhere Kompetenzen im Bereich des langage SMS erfordern, wobei stets berücksichtigt werden muss, dass weitere, nicht direkt forminhärente Umstände die Einordnung relativieren können. Dass diese Faktoren einer bestimmten Varianz unterliegen, unterstreicht nochmals die Angemessenheit der offenen Mengen zur Abbildung der Kandidaten im Kontinuum. <?page no="220"?> 220 Mit Hilfe der speziell für den langage SMS entwickelten Analysemethode lässt sich für jeden beliebigen französischen Ausdruck untersuchen, welche Eigenschaften seine bislang nachweisbaren Varianten jeweils erfüllen bzw. nicht erfüllen, worin sich die Varianten im Detail unterscheiden, welche ihrer konkreten Merkmale die Verfasser dazu bewogen haben könnten, gerade die eine Schreibweise zu wählen und welche übergeordneten Verfasserintentionen dabei in welchem Ausmaß verfolgt wurden. Die Lokalisierung der Outputkandidaten im dreidimensionalen Kontinuum und das in Beziehung setzen mit der jeweils auftretenden Häufigkeit im Gesamtkorpus verdeutlichen graphisch sehr anschaulich, welche maßgeblichen Absichten ein Großteil der Verfasser verfolgt hat und wie die Verteilung ausfällt. Damit werden die groben Tendenzen auch für verschiedene Inputformen vergleichbar, denn bei paralleler Betrachtung der entsprechenden Kandidatenmengen im Kontinuum wird sofort ersichtlich, ob und wo es bei den spezifischen Verteilungen zu Kongruenzen und damit zu Gemeinsamkeiten bezüglich der verfolgten Verfasserzielsetzungen kommt. Der mögliche Vergleich zwischen verschiedenen Inputs stellt indes nicht den einzigen Vorteil dieser graphischen Abstraktion dar. Es wird sich im Folgenden vielmehr zeigen, dass die Beurteilung der Schreibweisen in Bezug auf die übergeordneten Verfasserintentionen auch für die gemäß unserer Hypothese bestehenden Korrelation mit den zugrunde liegenden Kommunikationsfunktionen einen vielversprechenden Ausgangspunkt darstellt. Zwar werden dabei nicht mehr jedes Mal im Detail die einzelnen Auswertungstabellen einschließlich möglicher Änderungen in der Dominanzhierarchie angeben, jedoch werden wir die jeweils relevanten und für die übrigen Kandidaten folgeschweren Beschränkungen heranziehen, um eine fundierte Beurteilung der verfolgten Verfasserintentionen und damit eine solide Lokalisierung der einzelnen Schreibweisen im Kontinuum gewährleisten können. <?page no="221"?> 221 6 Kommunikativ-funktionale Nutzungsdimensionen der SMS-Kommunikation In Bezug auf die Frage nach möglichen Einflussfaktoren auf die Wahl einer bestimmten langage SMS-Schreibweise vor dem Hintergrund des bestehenden Variantenreichtums haben wir die Vermutung formuliert, dass eine Korrelation zwischen der gewählten Verschriftung und der dazugehörigen kommunikativ-funktionalen Nutzung besteht. Um dieser Hypothese nachgehen zu können, sind zwei unterschiedliche Arbeitsschritte vonnöten: zum Einen müssen die Besonderheiten des langage SMS sowie die konkreten Eigenschaften der einzelnen Verschriftungsvarianten analysiert werden, zum Anderen sind die kommunikativen Funktionen zu bestimmen, die sich anhand der SMS-Texte feststellen lassen. Den ersten Teil haben wir im Zuge der beiden vorherigen Kapitel bereits abgeschlossen. Im Folgenden werden die vielfältigen kommunikativ-funktionalen Einsatzmöglichkeiten der SMS-Kommunikation im Fokus stehen, um sie anschließend mit den darin vorkommenden Schreibweisen in Beziehung setzen zu können. Hierfür muss zunächst geklärt werden, im Rahmen welcher linguistischen Disziplin SMS-Kommunikation bzw. SMS-„Texte“ kommunikationstheoretisch zu behandeln sind. Auf den ersten Blick scheinen es zwar Texte zu sein, allerdings bleibt fraglich, ob eine vollständige Erfassung im Rahmen der Textlinguistik tatsächlich realisierbar und zweckdienlich ist. Danach werden wir anhand des konkreten Korpus die vorkommenden Kommunikationsabsichten analysieren und in geeigneten Kategorien zusammenführen. Neben der konkreten Kommunikationsfunktion wird dabei die Nutzungsmotivation als Zuordnungskriterium eine zentrale Rolle spielen. 6.1 Die SMS zwischen Textlinguistik und Gesprächsanalyse In Bezug auf die kommunikationstheoretische Verortung von SMS zwischen Textlinguistik und Gesprächsanalyse lassen sich in der Literatur unterschiedliche Herangehensweisen beobachten. Döring beispielsweise orientiert sich an der kommunikativ-funktionalen Textsortenlehre und fasst Kurzmitteilungen textlinguistisch als Gebrauchstexte auf. 384 Sie übernimmt dabei Brinkers Klassifikation in die fünf textuellen Grundfunktionen „Information“, „Appell“, „Obligation“, „Kontakt“ und „Deklarati- 384 Vgl. Döring (2002b). <?page no="222"?> 222 on“ 385 und ordnet die analysierten SMS-Texte je einer dieser Grundfunktionen zu. Anschließend verfeinert sie die Unterteilung innerhalb der Klassen in Anlehnung an die gesammelten Gebrauchstextsorten von Rolf. 386 Auch Ortner behandelt SMS als Texte und bemüht sich unter Rückgriff auf die SMS-Ratgeberliteratur bzw. den darin verwendeten „textindizierende Äußerungen“ um eine angemessene Typologie. 387 Einschränkend gibt sie jedoch zu bedenken, dass die von ihr beschriebenen „SMS-Muster“ nicht für solche Kurzmitteilungen geeignet seien, die der individuellen Organisation des Alltags (städtischer Jugendlicher) dienten und bezeichnet SMS angesichts ihrer Wandlungsfähigkeit als „Textsortenchamäleons“. 388 In Anbetracht dieser beiden Vorgehensweisen sollte zunächst ganz grundsätzlich die Frage gestellt werden, welches Textverständnis bzw. welche Definition von Textsorte sich als Grundlage eignet, damit die Untersuchung von SMS im Rahmen der Textlinguistik theoretisch profund angelegt ist und realitätskonforme, aussagekräftige Ergebnisse erzielen kann. Dabei stößt man unmittelbar auf die Komplexität des Textbegriffs, der aus historischer Perspektive bereits einen beachtlichen Wandel durchlaufen hat: In den Anfängen der Textlinguistik wurde er noch sehr weit gefasst, wie etwa bei Coseriu, der „[a]lles was Redeakt oder Gefüge von zusammenhängenden Redeakten“ ist, das von einem bestimmten Sprecher in einer bestimmten Situation in mündlicher oder schriftlicher Form realisiert wird, als Text auffasst, „ob es sich um eine Begrüßungsformel wie Guten Tag oder die Divina Commedia handelt“. 389 Im Laufe der Zeit kamen eine ganze Reihe an Spezifizierungen hinzu, die mal auf der Grundlage strukturalistischer Voraussetzungen argumentierten, mal aus pragmatischer Perspektive die funktionalen Eigenschaften in den Vordergrund rückten, bevor unter anderem Brinker einen integrativen Textbegriff vorschlug, der sowohl strukturelle als auch funktionale Merkmale berücksichtigt: „Der Terminus ‚Text’ bezeichnet eine begrenzte Folge von sprachlichen Zeichen, die in sich kohärent ist und die als Ganzes eine erkennbare kommunikative Funktion signalisiert“. 390 Ohne im Rahmen dieser Arbeit näher auf die Geschichte des Textbegriffs eingehen zu können, verdeutlichen schon die beiden angeführten Definitionen, dass der herangezogene Textbegriff je nach Perspektive und Untersuchungs- 385 Vgl. dazu Brinker (1997, 100ff.) Seine Klassifikation ist weitgehend konsistent mit Searles klassischer Einteilung in „assertive“, „direktive“, „kommissive“, „expressive“ und „deklarative“ Sprechakttypen (vgl. Searle (1971, 31ff.) Details dazu folgen weiter unten. 386 Vgl. dazu Rolf (1993), der in seiner Sammlung über 2000 Gebrauchstextsorten typologisiert. 387 Vgl. Ortner (2002). 388 Ebd., 217. 389 Vgl. Coseriu (1994, 10). 390 Vgl. Brinker (1997, 17f.) <?page no="223"?> 223 schwerpunkt erheblich variieren kann, so dass man sich im Vorfeld unbedingt um ein klares Verständnis bemühen sollte. 391 Da in unserem konkreten Fall die Analyse der Kommunikationsfunktionen von SMS im Vordergrund steht, müsste zumindest ein integrativer Textbegriff gewählt werden, der den kommunikativ-pragmatischen Ansatz als Bezugsgrundlage heranzieht und folglich die Kommunikationsfunktion als zentrales Kriterium für eine adäquate Textsortendifferenzierung zulassen würde. Eben diesen Anspruch verfolgt Brinker mit der obigen Textdefinition und formuliert in Übereinstimmung dazu folgendes Textsortenverständnis: „Textsorten sind konventionell geltende Muster für komplexe sprachliche Handlungen und lassen sich als jeweils typische Verbindungen von kontextuellen (situativen), kommunikativ-funktionalen und strukturellen (grammatischen und thematischen) Merkmalen beschreiben.“ 392 Für den Aufbau einer Texttypologie und die dafür relevanten Kriterien definiert er die Textfunktion als dominantes Basiskriterium und unterscheidet in Analogie zu den oben angeführten textuellen Grundfunktionen die fünf Textklassen „Informationstexte“, „Appelltexte“, „Obligationstexte“, „Kontakttexte“ und „Deklarationstexte“. Innerhalb dieser Klassen lassen sich dann mittels der kontextuellen („Kommunikationsform“ und „Handlungsbereich“) bzw. strukturellen Kriterien („Art des Textthemas“ und „Form der thematischen Entfaltung“) die einzelnen Textsorten abgrenzen. Versucht man nun die verschiedenen SMS-Texte im Rahmen dieses kommunikationsorientierten Forschungsansatzes zu betrachten, so lassen sie sich in einem ersten Schritt sicherlich als „Text“ auffassen und entsprechend der geltenden kommunikativ-funktionalen, strukturellen und kontextuellen Merkmale innerhalb spezifischer „SMS-Textsorten“ klassifizieren (wie etwa Döring es exemplarisch durchführt), allerdings wird dabei außer Acht gelassen, dass es sich bei der SMS-Kommunikation zumeist um dialogische Kommunikation handelt, die eine relativ zeitnahe Reaktion des Gesprächpartners ermöglicht bzw. erfordert und damit ein gewisses Maß an Interaktivität beibehält. Nur selten werden einzelne Kurzmitteilungen streng monologisch konzipiert oder zeichnen sich insofern durch vollständige Situations- und Handlungsentbindung aus, dass ihre gesamte Bedeutungsreichweite auch nach geraumer Zeit noch von einem beliebigen Dritten verstanden werden könnte (selbst wenn eine wiederholte Rezeption zweifelsohne möglich ist). Häufig beziehen sich Kurzmitteilungen aufeinander und können nur in originalgetreuer Produktions- und Rezeptionsabfolge aus dem dazugehörigen situativen Kontext heraus vollständig ver- 391 Einen Überblick über die verschiedenen Textbegriffe geben unter anderem Adamzik (2000), Rolf (1993) und die in Brinker (2000) unter „I. Forschungsphase und Forschungsansätze“ erschienenen Aufsätze. 392 Vgl. Brinker (1997, 132f.) <?page no="224"?> 224 standen werden. 393 Dem Phänomen der interaktiven Kommunikation kann die Textlinguistik indes nicht gerecht werden, da sie selbst in ihrem modernen Verständnis nur solche Formen sprachlicher Kommunikation umfasst, bei der Produktion und Rezeption nicht interaktiv-zeitgleich (oder „beinahe zeitgleich“), sondern zeitlich und räumlich versetzt stattfinden. Selbst wenn wir SMS-Kommunikation in Kap. 3 als asynchron charakterisiert haben, so wurde doch eine starke Annäherungsmöglichkeit an (Quasi-) Synchronizität eingeräumt und damit ein streng dialogischer Kommunikationsablauf beschrieben, der viele sprachliche und kontextuelle Bezugsmöglichkeiten offeriert. Daher würde eine streng an den beschriebenen textlinguistischen Analysekriterien orientierte Kategorisierung der Kommunikationsfunktionen wesentliche Eigenschaften der SMS-Kommunikation übergehen und sie fälschlicherweise als zeitlich und räumlich ungebundene, monologische und vom sprachlichen Kontext unabhängige Äußerungsform darstellen. Storrer stellt vor diesem Hintergrund sehr treffend die Frage „Getippte Gespräche oder dialogische Texte? “ 394 und bemüht sich in ihrer Arbeit um die kommunikationstheoretische Verortung der Chat-Kommunikation im Spannungsfeld von Text und Gespräch. Zwar untersucht sie eine andere Kommunikationsform, jedoch können die angeführten Argumente in teilweise ähnlicher Form auf die SMS-Kommunikation übertragen werden. Ausgehend von dem Textverständnis der funktionalen Pragmatik, worin alle Äußerungsformen als Text eingestuft werden, „bei denen eine raumzeitlich versetzte Reproduktion grundsätzlich intendiert ist, unabhängig von ihrem Trägermedium (Gedächtnis, Schriftrolle, Kodex, Buch) und unabhängig davon, ob sie medial schriftlich oder medial mündlich reproduziert werden“ 395 , legt Storrer dar, dass die einzelnen Chat-Beiträge an die aktuelle Äußerungssituation gebunden sind, direkt Bezug aufeinander nehmen und dabei den typischen Handlungssequenzen und -mustern eines Gesprächs folgen. Aus diesem Grund sei der Chat als schriftlich konstituiertes Gespräch anhand der für letzteres entwickelten Kategorien zu 393 Auch andere Arbeiten setzen in Bezug auf die SMS-Kommunikation dialogischen Charakter voraus und erfragen etwa das „Dialogverhalten“ (Schlobinski et al., (2001)), analysieren die Dialogstruktur (Androutsopoulos/ Schmidt, (2002)) oder sprechen von „Dialogstil“ (Kasesniemi/ Routiainen (2003)). 394 Vgl. Storrer (2001). Sie verwendet in ihrem Artikel die Begriffe „Gespräch“ und „Diskurs“ scheinbar synonym und bezieht sich damit in beiden Fällen auf die Gesprächsanalyse und nicht etwa, wie es im zweiten Fall wünschenswert wäre, auf die traditionelle Diskursanalyse, wie sie unter anderem von Michel Foucault geprägt wurde. Von diesem Vorgehen wenden wir uns bewusst ab und werden im Folgenden ausschließlich den Begriff „Gespräch“ verwenden, den wir stets im Rahmen der Gesprächsanalyse interpretieren (unseres Erachtens nach in Storrers Sinn). Diese zweideutige Verwendung lässt sich im Übrigen auch bei anderen Autoren feststellen, wie sich im Folgenden noch zeigen wird. 395 Vgl. Storrer (2001, 18). <?page no="225"?> 225 analysieren und nicht etwa als situationsentbundener, zwecks raumzeitlich versetzter Reproduktion erstellter Text. Dieser Argumentation schließt sich unter anderem Dürscheid an und formuliert ganz allgemein: „Liegt der Äußerung eine wechselseitige Kommunikation zu Grunde, handelt es sich um einen Diskurs, wenn nicht, um einen Text - und zwar unabhängig davon, ob gesprochen oder geschrieben wird“. 396 Damit stellt sie sich der Auffassung entgegen, dass die Implikationen „aus mündlich konstituiert folgt Gespräch“ bzw. „aus schriftlich konstituiert folgt Text“ weiterhin zweckmäßig seien und betont, dass das Unterscheidungskriterium nicht medialer (im Sinne von Koch/ Oesterreicher) sondern kommunikativfunktionaler Art sein sollte. 397 Als Beispiele computervermittelter Kommunikation führt sie einerseits den Chat als Gegenstand der Gesprächsanalyse an, da hierbei Produktion und Rezeption unmittelbar aneinander gekoppelt sind, andererseits die E-Mail-Korrespondenz als Gegenstand der Textlinguistik. Auch Thaler 398 behandelt die Chat-Kommunikation im Rahmen der Gesprächsanalyse und es scheint weitgehend Einigkeit darüber zu herrschen, dass es sich zwar um einen schriftlichen Austausch handelt, er jedoch eindeutig „Paar-Charakter“ hat und damit gesprächsanalytischen Betrachtungen unterzogen werden sollte. 399 Wie verhält es sich in diesem Zusammenhang nun mit der SMS- Kommunikation? Streng genommen lässt sie sich nicht, ebenso wenig wie der Chat, als Gespräch einordnen, da sie weder mündlich realisiert, noch synchron stattfindet. Allerdings weist sie durchaus den angesprochenen Paar-Charakter eines Gesprächs auf, der auf Wechselseitigkeit beruht und regelrechte SMS-Dialoge zum Vorschein bringen kann, welche aufeinander bezogen sind und zeitlich nur leicht zerdehnt stattfinden. Bestärkt wird diese Behauptung durch die Studie von Androutsopoulos/ Schmidt, die 396 Vgl. Dürscheid (2004, 150f.) Sie beschreibt „wechselseitige Kommunikation“ als eine Äußerungsform, bei der Produktion und Rezeption unmittelbar aneinander gekoppelt sind, d.h. synchron oder quasi-synchron und damit (eingeschränkt) interaktiv realisiert werden. Im obigen Zitat fällt auf, dass auch Dürscheid den Begriff „Diskurs“ nicht im Sinne der Diskursanalyse, sondern der Gesprächsanalyse verwendet, so dass er in ihrer Aussage entsprechend zu interpretieren ist. 397 Von der (allgemeinsprachlichen) Annahme, dass mündlich konstituierte Kommunikation und Gespräch bzw. schriftlich konstituierte Kommunikation und Text eng zusammengehören, gehen etwa Zifonun et al. (1997, 160ff. und 246 ff.) oder Brinker (2000, XVII) aus. 398 Thaler (2003). 399 „Paar-Charakter“ als zentrales Charakteristikum eines Gespräch führen beispielsweise Henne/ Rehbock (2001, 7) an und berufen sich dabei insbesondere auf Goffman, für den jegliches Sprechen von Dualismus gekennzeichnet ist (Paarsequenzen wie Frage-Antwort, etc.) und der für die Konstituenten des dialogischen Formats die Oberbegriffe „’statements’ and ‚replies’“ (Goffman (1981, 13)) geprägt hat. Indirekt ergibt sich daraus ein weiteres hervorstechendes Merkmal des Gesprächs: die bestehenden „Wechselbeziehung“ etwa von Produzenten- und Rezipientenrollen. <?page no="226"?> 226 sich gezielt der charakteristischen Dialogstruktur der SMS-Kommunikation widmet und den zweizügigen „Minimaldialog“ als deren Prototyp herausstellt (Frage-Antwort; Vorschlag-Reaktion; Wunsch/ Dank-Gegenwunsch; etc.) 400 Geht man also davon aus, dass es sich (zumeist) um einen dialogischen Austausch handelt, so stellt sich beinahe zwangsläufig die Frage, ob er bereits verfestigten Handlungsmustern folgt. In diesem Sinn führen Androutsopoulos/ Schmidt ihre Analyse im Hinblick auf die kommunikative Gattungstheorie durch, die die Untersuchung von Alltagsgesprächen und deren spezifischen strukturellen Merkmale fokussiert. 401 Dabei legen sie das Gattungsverständnis von Luckmann zugrunde, der kommunikative Gattungen definiert als „mehr oder minder wirksame und verbindliche ‚Lösungen’ von spezifischen kommunikativen ‚Problemen’“, die als orientierungsstiftende Gesamtmuster „zu Bestandteilen des gesellschaftlichen Wissensvorrats geworden sind und im konkreten kommunikativen Handeln typisch erkennbar sind.“ 402 Androutsopoulos/ Schmidt interpretieren Kurzmitteilungen vor diesem Hintergrund als eine bestimmte Kommunikationsstruktur, auf deren Basis sich in der sozialen Praxis einzelne (Sub-) Gattungen entwickeln können. Für die Abgrenzung von gattungsähnlichen Mustern sind die Aspekte des kommunikativen Zwecks und der sozialen Konstellation zentral, die unter anderem von den kommunikativen Bedürfnissen der spezifischen Sozialwelten und den medialen Bedingungen der Kommunikationsform beeinflusst werden. Sie können unabhängig von 400 Vgl. Androutsopoulos/ Schmidt (2002, 61). 401 Die kommunikative Gattungsanalyse baut auf der Konversationsanalyse auf, die ihrerseits aus der Ethnomethodologie entstanden ist. (Zur Ethnomethodologie vgl. etwa Ayaß (2004) oder Bergmann (2006, 1995a). Die Entstehungsgeschichte der Konversationsanalyse aus der Ethnomethodologie heraus beschreiben etwa Bergmann (2000b) oder Schegloff (1992)). Es gibt einige Artikel, die den Unterschied zwischen der (linguistischen) Gesprächsanalyse und der (ethnomethodologischen) Konversationsanalyse hervorheben, darunter etwa Ayaß (2004). Indes wird an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass eine enge Verbindung zwischen beiden Disziplinen bestehe (Schegloff et al. (2002)) und dass „eine genauere Abgrenzung unnötig sei“ (Selting/ Couper-Kuhlen (2001, 281)). Ohne im Zuge dieser Arbeit näher auf die Diskussion eingehen zu wollen, wird im Folgenden „unbedarft“ auf die für uns als aussichtsreich erscheinenden Teilbereiche der beiden Theorien zurückgegriffen, ohne im Einzelfall explizit auf deren Ursprung einzugehen. 402 Vgl. Luckmann (1986, 202). Neben der primär soziologischen Rahmung unterscheidet Luckmann auf struktureller Ebene weiterführend zwischen „Binnen- und Außenstruktur“, wobei sich ersteres auf die gattungskonstituierenden verbalen und nonverbalen Bestandteile des Kommunikationsakts bezieht, letzteres auf die Beziehung zwischen der kommunikativen Handlung und der bestehenden Sozialstruktur (kontextuelle Faktoren). Günthner und Knoblauch (1994, 708ff.) fügen nachwirkend eine intermittierende, „situative Realisierungsebene“ hinzu, die solche Verfestigungen umfasst, die sich aus dem interaktiven Kontext des dialogischen Austauschs ergeben (Abfolge der einzelnen Äußerungen, Sprecherwechselorganisation, Paarsequenzen, etc.) <?page no="227"?> 227 ihrer materiellen sprachlichen Realisierungsform (schriftlich/ mündlich) als kommunikative Handlungsmuster betrachtet werden, bei denen der Blick nicht auf die einzelne Äußerung (oder den einzelnen Text) gerichtet werden darf, sondern auf den gesamten Interaktionszusammenhang, in dem sie stehen. Die Autoren betonen jedoch abschließend, dass die SMS- Kommunikation noch von keinerlei verbindlichen Richtlinien geleitet werde und man allenfalls von Gattungen in statu nascendi sprechen könne (wie etwa „SMS unter Politikern“ oder „SMS-Gottesdienste“, die jeweils in ganz unterschiedlichen Rollenkonstellationen stattfinden und verschiedene kommunikative Probleme bearbeiten). Insgesamt bleibt damit noch recht ungewiss, ob die Kommunizierenden im Rahmen der alltäglichen SMS-Kommunikation tatsächlich nach vorgefertigten Gesamtmustern vorgehen oder ob sie nicht doch, entsprechend der von Luckmann dargestellten Alternative zu gattungsspezifischem Sprachverhalten, wesentlich häufiger „spontan“ handeln, indem sie weitgehend selbstständig aus den ihnen in ihrem subjektiven Wissensvorrat zur Verfügung stehenden sprachlichen Mitteln auswählen. 403 Um dem nachgehen zu können, sollte man sich zunächst von der Vorstellung einheitlicher Konventionen entfernen und der „lokalen“ Nutzung der Kommunikationsform annähern. 404 Dadurch wird einerseits verhindert, dass bereits bestehende, ausführlich beschriebene Handlungsmuster der Alltagskommunikation voreilig auf die SMS-Kommunikation ‚gepresst’ werden und womöglich deren spezifischen Besonderheiten verdecken, andererseits wird der Blick geöffnet für die vielfältigen individuellen Nutzungsmöglichkeiten der SMS-Kommunikation und die sich daraus ergebende Diversität an sprachlichen Ausgestaltungen. Ferner wird man damit auch solchen SMS-Texten gerecht, bei denen ganz grundsätzlich fraglich bleibt, ob sie sich als wechselseitiges Gespräch auffassen lassen und damit im Rahmen der kommunikativen Gattungstheorie analysiert werden können. Poetisch gestaltete Kurzmitteilungen beispielsweise, die eine romantische Liebeserklärung enthalten, erfordern nicht zwangsläufig einen (zeitnahen) respondierenden Zug. Sie sind als eine Art ‚SMS-Geschenk’ konzipiert und darauf ausgelegt, wiederholt rezipiert werden zu können und einen besonderen Platz im SMS-Speicher des Empfängerhandys zu erhalten. Selbst wenn sie eine „Dankes-SMS“ als Reaktion hervorrufen sollten, sind die initiierenden Kurzmitteilungen eher textlinguitisch, als gesprächs- oder konversationsanalytisch zu betrachten. 405 Unklar bleiben aus systemtheoretischer Sicht auch solche Fälle, in denen ein dialogischer Austausch ange- 403 Vgl. Luckmann (1986, 201). 404 Vgl. Androutsopoulos/ Schmidt (2002, 75). 405 Das gilt im Übrigen auch für kommerzielle SMS oder Netzwerkinformationen, die von den Betreibern an eine breite Empfängermasse verschickt werden, im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht näher untersucht werden. <?page no="228"?> 228 sichts der aus jedweden Gründen ausbleibenden Reaktion des Empfängers nicht zustande kommt. Sind die einzelnen Kurzmitteilungen als Text oder als Gespräch aufzufassen und falls letzteres der Fall sein sollte, folgen sie einem vorgefertigten, beschreibbaren Gesamtmuster? Aus dieser komplexen Situation heraus kann und sollte man nicht allgemeingültig entscheiden, ob die SMS-Kommunikation entweder im Rahmen der Textlinguistik oder der Gesprächsanalyse zu behandeln ist. Zwar handelt es sich zumeist um einen dialogischen, relativ zeitnahen Austausch, der zudem viele sprachliche Merkmale eines nähesprachlichen Gesprächs aufweist, allerdings ist das nicht immer der Fall. Daher scheint sich ganz grundsätzlich die Frage zu stellen, ob eine definitive Zuordnung zu einer der Analysemethoden, die jeweils speziell für Texte bzw. Gespräche entwickelt wurden, tatsächlich Vorteile mit sich bringt, oder ob es nicht hinderlich ist, sich auf einen theoretischen Ansatz zu fixieren und dadurch die Erträge, die sich aus einer offeneren Herangehensweise ergeben würden, auszugrenzen. Die klassische Gesprächslinguistik etwa sieht Analyseebenen vor, die im Rahmen der SMS-Kommunikation irrelevant sind bzw. anhand der vorhandenen Daten nicht untersucht werden können, darunter etwa die Organisation des Sprecherwechsels oder die komplexen Segmentierungsebenen „Gesprächssequenz“ bzw. „Gesprächsphase“. 406 Gleichzeitig bleiben andere Aspekte, wie etwa die Möglichkeit eines monologisch konzipierten Textes mit einer deutlich erkennbaren Kommunikationsfunktion, unberücksichtigt, so dass eine vollständige und ausschließliche Erfassung der SMS-Kommunikation im Rahmen der Gesprächsanalyse eher aufgezwungen und wenig aussagekräftig wäre. Bemüht man sich also um die Darstellung bereits bestehender kommunikativ-funktionaler Regelmäßigkeiten oder gar Handlungsmuster im Rahmen der SMS-Kommunikation, plädieren wir für eine offene Herangehensweise, die sich nicht hypothesengeleitet an vorgegebenen Strukturen orientiert, sondern ausgehend von den originalen SMS-Texten eine eigene Methode entwickelt, die den entsprechenden Bedürfnissen gerecht werden kann. Dabei kann es durchaus hilfreich sein, sich an einzelnen Vorgehensweisen der ‚verwandten Nachbardisziplinen’ zu orientieren, ohne jedoch exklusiv entscheiden zu müssen, ob die einzelnen Kurzmitteilungen nun als Text oder Gespräch aufzufassen sind und dementsprechend behandelt werden müssen. 406 Vgl. dazu Brinker/ Sager (2001, 57ff.) Eine SMS würde grundsätzlich einem Gesprächsschritt als Grundeinheit der Gesprächsanalyse entsprechen, jedoch mit der Besonderheit, dass sie die drei Strukturierungsebenen Eröffnungs-, Kern- und Beendigungsphase in einem enthalten kann. <?page no="229"?> 229 6.2 Zur Analyse der Kommunikationsfunktion Im Folgenden soll darauf eingegangen werden, wie die verschiedenen Kommunikationsfunktionen, die sich im Rahmen der SMS-Kommunikation nachweisen lassen, ermittelt und anhand von geeigneten Kriterien in angemessenen Kategorien zusammengeführt werden können. Entsprechend der obigen Ausführungen wird dabei nicht versucht, eine bereits bestehende Gliederung, etwa aus dem Bereich der Textlinguistik, als gegeben vorauszusetzen und das Korpus auf die beschriebenen Strukturen hin zu untersuchen. 407 Vielmehr wird von den einzelnen SMS-Texten ausgegangen, um aus den Daten heraus Regelmäßigkeiten erkennen zu können, die gegebenenfalls adäquate Strukturhypothesen bezüglich der beobachteten Merkmale zulassen. Dabei wird es nicht darum gehen, eine ausführliche Kategorisierung in „SMS-Gattungen“ oder ähnliches anzustreben, geschweige denn einen ausführlichen Kriterienkatalog mit entsprechenden Analyseebenen für eine umfassende Taxonomie zu entwickeln, da unser primäres Ziel darauf hinausläuft, die unterschiedlichen kommunikativfunktionalen Nutzungen mit den dazugehörigen Schreibweisen in Relation zu setzen, um eine eventuell vorhandene wechselseitige Beeinflussung herauszustellen. Insofern darf nicht erwartet werden, dass etwa eine ausführliche Methode der „SMS-Gattungsanalyse“ vorgestellt wird, die vergleichbar zur Textbzw. Gesprächsanalyse ein ausformuliertes methodisches Regelwerk vorschlägt. Bemüht man sich um die Erfassung der Kommunikationsfunktion einzelner SMS-Texte, sollte im Vorfeld geklärt werden, was darunter zu verstehen ist. Brinker beispielsweise definiert die „Textfunktion“ in Anlehnung an Große 408 als „die im Text mit bestimmten, konventionell geltenden, das heißt in der Kommunikationsgemeinschaft verbindlich festgelegten Mitteln ausgedrückte Kommunikationsabsicht des Textproduzenten oder - allgemeiner ausgedrückt - des Emittenten“. 409 Analog dazu wäre die „SMS-Textfunktion“ vorläufig als kommunikative Absicht aufzufassen, die der Sender dem Empfänger mittels des Textes zu verstehen gibt, ohne damit jedoch implizit unterstellen zu wollen, dass es innerhalb der SMS- Kommunikation bereits verbindlich festgelegte Mittel gäbe, um eine bestimmte Kommunikationsabsicht zum Ausdruck zu bringen (vgl. den vorherigen Abschnitt). Brinker und Große unterscheiden die Textfunktion 407 Neben der bereits vorgestellten Taxonomie von Brinker, die sich an den fünf Sprechakttypen von Searle orientiert und die Kommunikationsfunktion als zentrales Zuordnungskriterium wählt, wurden im Bereich der Textlinguistik noch einige andere Versuche durchgeführt, eine Textsortendifferenzierung anhand bestimmter Kriterien zu erstellen, darunter etwa Dimter (1981), Isenberg (1983), Rolf (1993) oder Sandig (1972). 408 Vgl. dazu den textfunktionalen Ansatz von Große (1976). 409 Vgl. Brinker (2000, 175f.), Brinker (1997, 93f.). <?page no="230"?> 230 grundsätzlich von der „wahren Absicht“ des Produzenten, der „geheimen Intention“, die nicht zwangsläufig mit ersterer konform sein muss. Sie wird zumeist nicht direkt geäußert und kann in der Regel nur hypothetisch bestimmt werden, weshalb sich Brinker und Große im Rahmen ihrer Analyse auf die Textfunktion bzw. auf Verfahren für deren Ermittlung konzentrieren. In unserem Fall wird sich indes herausstellen, dass diese geheime Intention bzw. der tatsächliche Zweck der Kommunikation aus motivationspsychologischer Perspektive einen entscheidenden Beitrag zur umfassenden Analyse der kommunikativ-funktionalen Nutzungen leisten kann. Bevor wir darauf jedoch näher eingehen können, sollten wir uns in einem ersten Schritt, ähnlich wie Brinker und Große, an den konkreten Informationen orientieren, die uns der Text für die Bestimmung der Kommunikationsabsicht zur Verfügung stellt. Brinkers Herangehensweise folgt dabei dem handlungstheoretischen Forschungsansatz, vor dessen Hintergrund ‚Text’ verstanden wird als „eine komplexe sprachliche Handlung, die in eine konkrete Kommunikationssituation eingebettet ist und für die eine bestimmte kommunikative Funktion konstitutiv ist“ 410 , so dass er sowohl „innertextliche“ als auch „außertextliche“ (kontextuelle) Kriterien für die Bestimmung der Textfunktion mit einbezieht. Als methodisches Vorgehen schlägt er, anlehnend an die Illokutionsindikatoren der Sprechakttheorie, ein Indikatorenkonzept vor, das nicht nur sprachliche Indikatoren als Hinweis auf eine bestimmte Funktion vorsieht, sondern auch kontextuelle. 411 Die Suche nach bestimmten sprachlichen Indikatoren, die auf eine spezifische Kommunikationsabsicht des Produzenten hinweisen, sowie die Einbeziehung gewisser kontextueller Faktoren scheint auch in un- 410 Vgl. Brinker (2000, 175). 411 Unter den sprachlichen Indikatoren fasst Brinker vor allem konventionell geltende sprachliche bzw. grammatische Mittel zusammen, die den Typ der sprachlichen Handlung anzeigen (etwa performative Formeln wie ‚ich verspreche’ als Indikator für die im vorherigen Abschnitt bereits erwähnte Obligationsfunktion oder aber Imperativsätze als Indikator für die Appellfunktion). Kontextindikatoren können etwa das jeweilige Rollenverhältnis unter den Kommunizierenden, der institutionelle Rahmen oder das Hintergrundwissen sein. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass wir nicht die fünf textuellen Grundfunktionen von Brinker zugrunde legen oder gar versuchen werden, die einzelnen SMS- Texte jeweils einer dieser Funktionen zuzuordnen, da in unserem Fall nicht der Sprachhandlungstyp im Vordergrund steht (etwa die Frage, ob es sich bei einer Äußerung um eine Information oder einen Befehl handelt) geschweige denn die Bedingungen bzw. Regeln, die für dessen „Glücken“ eingehalten werden müssen. Wir fokussieren lediglich die aus dem Handlungskontext heraus entstehende kommunikative Absicht (etwa ‚Verabredung organisieren’), wobei zunächst sekundär ist, ob die Terminvereinbarung in Form einer Mitteilung (assertiv, etwa „Wir treffen uns um drei Uhr.“), in Form eines Befehls (direktiv bzw. appellativ gemäß Brinker, etwa „Du bist um drei Uhr da! “) oder in Form eines Versprechens (kommissiv, etwa „Ich verspreche, um drei Uhr da zu sein.“) erfolgt. <?page no="231"?> 231 serem Fall eine sinnvolle Vorgehensweise zu sein. Dabei werden auf innertextlicher Ebene Aspekte wie Satztyp, propositionaler Gehalt 412 , grammatische Informationen (Modus, Tempus, Numerus, etc.), die Verwendung von Abtönungspartikeln und Modalwörtern oder aber emulierte Prosodie relevant sein, jedoch mit dem entscheidenden Unterschied, dass die konkreten Erscheinungsformen nicht schon im Vorfeld als Indikator für eine bestimmte, bereits vordefinierte kommunikativ-funktionale Kategorie gelten. Zusätzlich zu den rein sprachlichen Indikatoren kann neben der Betrachtung des SMS-Textes als Ganzes dessen Einbettung in den dazugehörigen SMS-Dialog, falls existent, erforderlich sein sowie die Berücksichtigung weiterer Informationen zum Senderprofil, zur Sender-Empfänger-Beziehung bzw. zur gesamten sozialen Konstellation (ersichtlich aus den Angaben der Fragebögen bzw. aus anderen SMS, die zwischen den betreffenden Kommunikationsteilnehmern ausgetauschten wurden und im Korpus vorhanden sind). 413 Ferner sollte stets mit einbezogen werden, dass der kommunikative Ablauf, bedingt durch die medial-technischen Eigenschaften der Kommunikationsform, in relativ festen Bahnen verläuft und gewissen zeitlichen und räumlichen Restriktionen unterliegt, die sich entscheidend auf die Kommunikation bzw. die Ausdrucksweise der Kommunikationsabsicht auswirken können (vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 3). Beginnt man vor diesem Hintergrund mit einer ersten Korpusanalyse, so gelangt man recht schnell zu einem breiten Spektrum an kommunikativfunktionalen Nutzungen, die sich innerhalb von alltagssprachlichen Kategorien etwa der Form „Verabredung organisieren“, „um Rat bitten“, „Grüße senden“, etc. zusammenfassen lassen. 414 Bevor wir jedoch eine vollständige Inventarisierung anstreben, sollten wir uns unser nächstes Ziel vor Augen führen: weiterführend intendieren wir in Bezug auf die SMS- Kommunikation herauszufinden, ob sich eine reduzierte Anzahl an übergeordneten Kommunikationsabsichten extrahieren lässt, die mittels geeigneter Kriterien klar voneinander abgegrenzt werden können und in deren Rahmen sich die konkreten Kommunikationsfunktionen sinnvoll erfassen lassen. Um jedoch zu einer solchen Abgrenzung gelangen zu können, sollte man von einer voreiligen Einteilung der Kommunikationsfunktionen in zu feine Unterkategorien absehen, da sie nur schwer auf objektive Kriterien 412 Searle unterteilt Sprechakte in vier Teilakte: den Äußerungsakt, den propositionalen Akt, den illokutionären Akt und den perlokutionären Akt. Den propositionalen Akt unterteilt er wiederum in Referenz (der Verweis auf ein bestimmtes Objekt) und Prädikation (das, was über das Objekt prädiziert wird). Die Proposition bzw. der propositionale Gehalt kann damit vereinfacht beschrieben werden als das, wonach in einer Frage gefragt wird, was in einer Behauptung behauptet wird oder was in einer Aussage ausgesagt wird (vgl. Searle (1971, 38ff.)). 413 Vgl. dazu die Detailanalysen im folgenden Kapitel. 414 Auf die Bezeichnungen der einzelnen Untergruppen wird im Folgenden noch näher eingegangen. <?page no="232"?> 232 schließen lassen, die auf einer abstrakteren Ebene die Ausdifferenzierung von grundlegenden Kommunikationsabsichten der SMS-Kommunikation erlauben. Es würde eine sehr große Variationsbreite an kommunikativfunktionalen Kategorien entstehen, die kaum mehr auf homogene Kriterien für eine zweckmäßige Zusammenführung in übergeordnete Nutzungsdimensionen hindeuten würden. Hinzu kommt, dass eine solche Feingliederung nicht mit Sicherheit gewährleistet, dass innerhalb der einzelnen Kategorien auch weiterhin eine beachtliche Heterogenität besteht (etwa auf inhaltlicher Ebene): die Kategorie „Rat erteilen“ beispielsweise würde sowohl Kurzmitteilungen enthalten, die dem Adressaten zum Geldsparen anstatt zum Kauf eines neuen Handys raten, als auch Kurzmitteilungen, die Ratschläge hinsichtlich des angemessenen Verhaltens gegenüber eines Freundes, eines Familienmitglieds oder des Partners erteilen. Auch wenn an späterer Stelle eine feinere Gliederung angestrebt wird, werden wir vorläufig von einem solchen Vorgehen absehen, um den Blick für eventuell vorhandene, grundlegende Gemeinsamkeiten zwischen und innerhalb der kommunikativ-funktionalen Kategorien nicht schon im Vorfeld einzuschränken. 6.3 Abgrenzung der kommunikativ-funktionalen Nutzungsdimensionen und deren Charakteristika Tatsächlich weisen die Daten darauf hin, dass sich die im Rahmen der SMS-Kommunikation zu beobachtenden Kommunikationsabsichten im Wesentlichen auf drei Hauptmotivationen zurückführen lassen, wobei zwei davon quantitativ eine größere Rolle spielen als die dritte. Im Folgenden werden wir exemplarisch darlegen, wie man zu dieser Unterteilung gelangt und welche grundlegenden Eigenschaften dabei als Unterscheidungskriterien fungieren. Dafür ziehen wir die zunächst „naiv“ zusammengestellten Grobkategorien „Informationserfragung“ bzw. „-mitteilung“ heran, denen wir sämtliche Kurzmitteilungen zuordnen, die in irgendeiner Form eine Information jedweder Art erfragen oder mitteilen. Angesichts dieser offenen Konzeption und der sich daraus ergebenden Komplexität eignen sich die Kategorien sehr gut, um die Beschaffenheit der drei Hauptmotivationen angemessen zu veranschaulichen. Bei einer ersten Korpusanalyse stößt man im Hinblick auf die beiden Grobkategorien „Informationserfragung“ bzw. „-mitteilung“ unter anderem auf die folgenden SMS: (1) Un doc sur foucault sur fr inter maintenant.bisou Un documentaire sur Foucault sur France Inter maintenant. Bisou 415 415 An dieser Stelle sei nochmals auf die Transkriptionsregeln verwiesen, die sich im Anhang befinden. <?page no="233"?> 233 (2) C sur koi le Ctrl 2 mat 2min? C’est sur quoi le contrôle de maths demain? (3) Jve etre en rtar doi emner masoeur a lecole. Je vais être en retard dois emmener ma sœur à l’école. (4) Jariv 2m1 à 16h10 à la gar Montparnasse J'arrive demain à 16 h 10 à la gare Montparnasse (5) jsui en h pass kn tu ve Je suis en H passe quand tu veux Unabhängig davon, ob die SMS bei dem jeweiligen Empfänger eine Wirkung erzielt oder ihn womöglich zu einer bestimmten (sprachlichen oder nichtsprachlichen) Handlung animiert, lässt sich anhand der einzelnen Texte auf erster Ebene recht eindeutig erkennen, dass eine Information übermittelt bzw. erfragt wird. Man könnte nun in einem zweiten Schritt eine feinere Gliederung anstreben, etwa der Form ‚Mitteilung machen’ (1), ‚Information erfragen’ (2) und ‚Zusammentreffen organisieren’ (3, 4 und 5). Abgesehen jedoch von den bereits dargestellten Einwänden, die uns bislang von einer Feingliederung abhalten, bräuchte man in einigen der hier betrachteten Fälle bereits zusätzliche kontextuelle Informationen für eine solche Differenzierung. Im vierten Beispiel etwa kann allein aufgrund des Textes nicht mit Sicherheit beurteilt werden, ob es sich tatsächlich um die Organisation eines Zusammentreffens handelt. Es könnte ebenso gut auf eine Verabredung zu einem späteren Telefonat abzielen, das zum Zeitpunkt des SMS-Austauschs aufgrund des schlechten Empfangs im Zug noch nicht möglich ist. 416 Da kontextuelle Informationen jedoch nicht in jedem Fall vollständig vorliegen, werden wir es vorläufig bei unserer eher allgemein gehaltenen Zuteilung belassen und später, im Rahmen von Einzelanalysen, eine feinere Differenzierung vornehmen. Dessen ungeachtet weisen die bisherigen Beispiele eine entscheidende Gemeinsamkeit auf: die erfragte bzw. mitgeteilte Information betrifft vornehmlich die praktische „Koorientierung“ 417 individueller Tagesabläufe bzw. die Bewältigung von alltäglichen Situationen. Das ist im Rahmen unserer vorläufigen Grobkategorien „Informationserfragung“ bzw. „-mitteilung“ keineswegs immer der Fall: (6) Coucou! Sa va? ka tu fai 2 tn week end alor! ? Coucou! Ça va? Qu'as-tu fait de ton week-end alors! ? (7) jarete pa dpencé a toi =( tme manke J'arrête pas de penser à toi =( tu me manques 416 Tatsächlich liegen in diesem Fall weitere SMS vor, die eindeutig darauf hinweisen, dass es sich um die Organisation eines Zusammentreffens handelt. 417 Vgl. Döring (2002b, 19). <?page no="234"?> 234 (8) Mais tu t arrete jamais t un grand malade...Ce qui me dérange c ce comportement devant la femme... Mais tu t'arrêtes jamais t'es un grand malade...Ce qui me dérange c'est ce comportement devant la femme... Offensichtlich steht in diesen Kurzmitteilungen nicht die Organisation des Alltags im Vordergrund, sondern der Kontakt bzw. die Beziehung zum Gesprächspartner. Während es sich in Beispiel (6) eher um freundschaftliche Beziehungspflege in Form einer unverbindlichen Erkundigung nach dem Befinden des Adressaten und dessen letzten Wochenendaktivitäten handelt, stehen in Beispiel (7) die sehnsüchtigen Gefühle für den Freund bzw. Partner im Vordergrund. In Beispiel (8) sind es weniger positive als negative Emotionen, die hinsichtlich der interpersonalen Beziehung thematisiert und kritisch geäußert werden. Das von den Sendern im Rahmen des Kommunikationsakts verfolgte Ziel entspricht folglich nicht mehr primär dem ‚Informationsaustausch zwecks praktischer Alltagsorganisation’, sondern dem ‚Informationsaustausch zwecks interpersonaler Beziehungspflege’. Damit finden wir in den beiden Beispielblöcken unterschiedliche Kommunikationsabsichten vor, die uns eine grundlegende Unterscheidung in zwei verschiedene Teilbereiche der kommunikativ-funktionalen Nutzungen der SMS-Kommunikation erlauben: die praktisch-organisatorische Nutzung einerseits und die Kontaktnutzung andererseits. 418 Beide Bereiche zeichnen sich durch eine beachtliche Komplexität an Erscheinungsformen aus, die es im Folgenden noch näher zu charakterisieren gilt. Im Rahmen der praktisch-organisatorischen SMS-Nutzung liegt die hauptsächliche Kommunikationsabsicht des Verfassers darin, einem aus alltäglichen Aktivitäten oder Koordinationsarbeiten entstandenen kommunikativen Bedürfnis nachzugehen. Dabei kann es sich um die Organisation einer Verabredung, die Übermittlung eines kurzen Lageberichts, einer Meinungsäußerung, einer Bitte, eines Ratschlags, einer Aufforderung oder auch einer Erinnerung an etwas Bestimmtes handeln. Thematisch lässt sich kaum ein konkreter Rahmen abstecken, da sämtliche Bereiche betroffen sein können, die von den verschiedenen Benutzerprofilen geregelt oder lediglich mitgeteilt werden wollen. Charakteristisch ist dabei, dass der übermittelte Inhalt der SMS im Vordergrund steht und dem Empfänger möglichst eindeutig zugänglich gemacht werden soll, wohingegen Form und Stil bzw. die Wahrung gewisser Höflichkeitskonventionen der direkten Kommunikation eher zweitrangig sind. Die Nachricht entsteht somit maßgeblich aus einer kommunikativen, interpersonal zweckorientierten Motivation zur Bewältigung des Alltags heraus, was in aller Regel unmittelbar anhand des Textes erkennbar ist. 418 Auch Krause/ Schwitters (2002) gelangen im Zuge ihrer Analyse zu zwei Hauptmotivationen der SMS-Kommunikation: „Organisation und Strukturierung des Alltags“ und „Beziehungspflege“ (vgl. Krause/ Schwitters (2002, 27)). <?page no="235"?> 235 Bei der Kontaktnutzung hingegen steht die Herstellung einer Verbindung (sowohl technisch-physisch als auch sozial-psychisch) bzw. die Thematisierung der interpersonalen Beziehung im Vordergrund, während die Bedeutung der übermittelten Information graduell abnehmen kann. 419 Dieser Bereich zeichnet sich durch eine noch größere Komplexität aus als die praktisch-organisatorische Nutzung, da die Festigung und Pflege sozialer Kontakte auf sehr vielen verschiedenen Ebenen stattfinden kann. Die Art der Beziehung bzw. die Intensität der damit verbundenen Gefühle können direkt geäußert werden (7. Beispiel) oder aber indirekt in der Botschaft enthalten sein (wie etwa in Beispiel 6). Ferner kann die Beziehungspflege sowohl freundschaftliche als auch familiäre und partnerschaftliche Paarkonstellationen (im Sinne eines Liebespaars) betreffen und inhaltlich sowohl positiv als auch negativ konnotiert sein. Damit gelangen wir zu einem sehr breiten Spektrum an Nutzungsmöglichkeiten: angefangen bei einer ersten Annäherungsphase (nach dem Empfinden erkundigen) reicht die Spannbreite von einer höflichrespektvollen Kontaktaufnahme zur Pflege des sozialen Netzwerkes (Glückwünsche oder Grüße senden), über eine verbindliche Kontaktaufnahme zur Vertiefung und Festigung der freundschaftlichen Beziehung (Erkundigung nach Hobbies und anderen Interessen oder die Bestätigung der freundschaftlichen Verbindung), sowie über eine primär affektive Kontaktpflege zur Rückversicherung 420 und Vertiefung der bestehenden Liebesbeziehung (romantische Gefühle äußern oder Liebesbekundungen) und über emotionale Unterstützung in schwierigen Situationen (Verständnis für den anderen ausdrücken und bestärkende Worte senden) bis hin zu einer kritischen Thematisierung bzw. Problematisierung der bestehenden Beziehung (Beziehungsklärung in Form von Aussagen über die Art der interpersonalen Beziehung und deren Entwicklung oder aber Streitaussagen, Vorwürfe und Beschimpfungen). 421 Einige der Kommunikationsfunktionen lassen sich dabei unmittelbar am Text ablesen, darunter etwa das Übersenden von Glückwünschen, Grüßen, Danksagungen, Liebeserklärungen, emotionale Unterstützung durch Mutzusprechungen sowie jede explizite, positiv oder negativ konnotierte Thematisierung der interpersonalen Beziehung. Andere Formen der Kontaktnutzung hingegen verbergen sich implizit in zunächst praktisch-organisatorisch wirkenden SMS-Texten und geben sich erst unter Einbeziehung von weiteren kontex- 419 Vgl. dazu die phatische Funktion bei Jakobson (1960). Sie wird hier leicht erweitert, wobei wir darauf im Folgenden noch näher zu sprechen kommen. 420 Der Begriff „Rückversicherung“ wurde im Zusammenhang mit der Nutzung der SMS-Kommunikation vor allem von Höflich/ Rössler (2001) geprägt, indem sie von Rückversicherung der gegenseitigen Zuneigung und von perpetueller Kontaktpflege sprechen. 421 Für eine konkrete Einteilung der verschiedenen Erscheinungsformen in bestimmte kommunikativ-funktionale Unterkategorien der Kontaktnutzung vgl. weiter unten. <?page no="236"?> 236 tuellen Informationen eindeutig zu erkennen. Die Erkundigung nach der momentanen Tätigkeit des Adressaten und dessen Aufenthaltsort beispielsweise kann dazu dienen, das Bestehen der passenden Umstände zu überprüfen, um den Adressaten anschließend um einen Gefallen bitten zu können (praktisch-organisatorische Nutzung). Sie kann aber auch dazu dienen, unverbindlich den Kontakt herzustellen und indirekt die Gesprächsbereitschaft des Adressaten zu überprüfen, um anschließend einen oberflächlichen SMS-Dialog über die jeweiligen Alltagserlebnisse zu führen. In vielen Fällen lässt sich dabei beobachten, dass der ausgetauschte Inhalt nur von geringer Relevanz für die Kommunikation ist und eher eine sekundäre Rolle spielt, wohingegen die reine Kontaktaufrechterhaltung zentral ist. Der Wunsch nach einer ununterbrochenen Verbindung zum anderen und der ständigen Teilhabe an seinem Leben ist vorherrschender Beweggrund für die Kommunikation und äußert sich maßgeblich in belanglosen Momentaufnahmen oder inhaltlich nebensächlichen Frage- Antwort-Sequenzen, wie die folgenden Beispiele verdeutlichen: (9) Rien du tou xD et toi keske ta fai ? (22: 16 Uhr) Rien du tout xD et toi qu'est-ce que t'as fait? 422 (10) La ba jregarde la télé et jpence a toi et toi? (22: 18 Uhr) Là bah je regarde la télé et je pense à toi et toi? (11) Medium sur la 6 xD piouf chui krevé mn frere ma réveillé a 9H lol (22: 22 Uhr) Medium sur la 6 xD piouf je suis crevée mon frère m'a réveillé à 9 h lol (12) Tjr la télé et toi ? (am Vortag, 22: 50 Uhr) Toujours la télé et toi? Die Kurzmitteilungen stammen von nur einer Absenderin und sind stets an denselben Adressaten gerichtet. Zudem wurden die Beispiele (9) bis (11) binnen kurzer Zeit zwischen 22: 16 Uhr und 22: 22 Uhr gesendet und stellen eine zusammenhängende Beitragsfolge der Senderseite eines SMS-Dialogs dar, die aufgrund ihrer Beschaffenheit recht leicht auf den Ablauf des gesamten Dialogs schließen lässt: offensichtlich handelt es sich um eine Art „SMS-Smalltalk“, in dem über die (nicht vorhandenen) Aktivitäten des zurückliegenden Tages berichtet wird, um sich anschließend über die gerade rezipierte Fernsehsendung auszutauschen. Die als Überbrückungsphänomen eingesetzte Interjektion bah in Beispiel (10) untermauert den nebensächlichen Charakter der ausgetauschten Information zusätzlich, da sie den Anschein erweckt, dass sich der Kommunikationsteilnehmer selbst über die inhaltlich irrelevante Frage wundert und deshalb mit leichter 422 Eine ausführliche Auflistung der verschiedenen Smiley-Varianten befindet sich in Kap. 4.3.3 „Emotikons“. <?page no="237"?> 237 Verzögerung antwortet. 423 Da es sich in Beispiel (12) abermals um einen rezeptionsbegleitenden SMS-Austausch während einer Fernsehsendung handelt, der am Vorabend gegen 22: 50 Uhr gesendet wurde, scheint es sich bei dem spätabendlichen SMS-Smalltalk um keinen Einzelfall zu handeln. Ein solcher kommunikativer Austausch lässt sich in Anlehnung an das Kommunikationsmodell von Jakobson als „phatisch“ bezeichnen. Der Begriff bezieht sich dabei auf diejenige Funktion von Sprache (bzw. von Redeakten), die aus der von Jakobson eingeführten Kommunikationskomponente „contact“ („Kontaktmedium“ 424 ) entsteht und die vor allem dazu dient, „to establish, to prolong, or to discontinue communication, to check wether the channel works (‚Hello, do you hear me? ’), to attract the attention of the interlocutor or to confirm his continued attention (‚Are you listening’ or in Shakespeareans diction, ‚Lend me your ears! ’ - and on the other end of the wire ‘umhum’). This set of CONTACT, or in Malinowski’s terms PHATIC function […], may be displayed by a profuse exchange of ritualized formulas, by entire dialogues with the mere purport of prolonging communication”. 425 Unser Beispiel folgt eben diesem Ziel, nämlich die bestehende Kommunikation zu verlängern, sich des perpetuellen Bestehens bzw. der Offenheit des Kommunikationskanals zu vergewissern und somit den sozialen Kontakt bzw. die psychologische Verbindung zum Gesprächspartner sowie die damit assoziierte physische und psychische Nähe aufrechtzuerhalten. Der abendliche SMS-Smalltalk kann demzufolge als eine besondere Art der phatischen Kommunikation innerhalb der SMS-Kommunikation bezeichnet werden. 423 Die Tatsache, dass der Sender diese Verzögerung bewusst mittels graphischer Zeichen abbildet, obwohl er sich im Rahmen eines kommunikativen Ablaufs befindet, in dem leichte zeitliche Verzögerungen während der sprachlichen Produktion an sich nicht ersichtlich sind, hebt die Bedeutungslosigkeit des ausgetauschten Inhalts nahezu dramatisch hervor. 424 Die Übersetzung der englischen Termini wird jeweils aus der deutschsprachigen Version des Aufsatzes von Jakobson in Ihwe (1972) übernommen (vgl. Jakobson (1972)). Nähere Ausführungen zu den Eigenschaften des Kontaktmediums vgl. weiter unten. 425 Vgl. Jakobson (1960, 355). Er bezieht sich mit seiner Terminologie „phatic“ auf Malinowski (1960, Ersterscheinung 1923), der in Bezug auf das „Phatische“ eher von der sozialen Situation her argumentiert, die im phatischen Zeichengebrauch hervorgebracht wird. Die „phatische Gemeinschaft“ (phatic communion) ist für ihn ein „type of linguistic use“ (ebd., 315), die in einem bestimmten Kontext zustande kommt und das Produkt von Kommunikation ist. Damit ist das Phatische als Teil des Handlungscharakters von Sprache zu verstehen und lässt durch die besondere Art der Zeichenverwendung (bzw. der Symbolverwendung allgemein) soziale Nähe entstehen. Malinowski zufolge dient der phatische Aspekt am menschlichen Zeichengebrauch dazu, „to establish bonds of personal union between people brought together by the mere need of companionship and does not [necessarily] serve any purpose of communicating ideas“ (ebd., 316). <?page no="238"?> 238 Die maßgebliche Kommunikationsabsicht innerhalb der Kontaktnutzung besteht folglich in der Pflege des individuellen sozialen Netzwerkes und kann von oberflächlichen Bekanntschaften über gute Freundschaften bis hin zu intimen Partnerschaften jede Beziehung betreffen. Kontaktherstellung, -aufrechterhaltung und -pflege über die Distanz hinweg stehen im Vordergrund, während der tatsächlich ausgetauschte Inhalt entschieden an Bedeutung verlieren kann. Form, Stil und die Respektierung gewisser Höflichkeitskonventionen, wie etwa die Aufnahme von Begrüßung und Verabschiedung als Rahmung einer „Glückwunsch-SMS“, können im Vergleich zur praktisch-organisatorischen Nutzung an Relevanz hinzugewinnen und wichtige Bestandteile für das zweckmäßige Funktionieren der Kommunikation sein, denn eine als aufdringlich und unhöflich empfundene SMS dient kaum der erfolgreichen Kontaktpflege. Auch wenn sich die grundlegende Kommunikationsabsicht nicht immer unmittelbar anhand des Textes erkennen lässt, entsteht die Interaktion doch aus einer kommunikativen, interpersonal zweckorientierten Motivation zur Pflege der sozialen Kontakte heraus. Vor allem die letztgenannten Beispiele haben verdeutlicht, dass es sich im Rahmen der Kontaktnutzung um phatische Kommunikation handeln kann, die den sozialen Kontakt auf minimale Weise pflegt, indem sie die Kommunikation lediglich herstellt und weiterführt. Auf der Suche nach einer angemessenen Terminologie für sämtliche Formen der innerhalb der Kontaktnutzung auftretenden Kommunikation erscheint es daher sinnvoll, den von Jakobson geprägten Begriff „phatisch“ zu übernehmen und in angemessener Weise zu erweitern. Jakobson bezieht die phatische Funktion in seinem Kommunikationsmodell, wie bereits erwähnt, auf das Element „contact“, das er beschreibt als „a physical channel and psychological connection between the adresser and the adressee, enabling both of them to enter and stay in communication“. 426 Er fasst also eine physisch-technische Perspektive bezogen auf den Kommunikationskanal mit einer psychischsozialen Perspektive bezogen auf die Verbindung zwischen den Kommunikationspartnern in nur einem Begriff zusammen. Unter gegebenen Umständen könnte man diese heterogene Betrachtungsweise sicherlich kritisieren 427 , jedoch scheint sich im Rahmen unserer Kontaktnutzung eine ganz ähnliche Heterogenität abzuzeichnen: zum Einen lässt sich die Bemühung feststellen, eine möglichst ununterbrochene, virtuell-technische Verbindung zu seinem Kommunikationspartner zu generieren, die dank des stets geöffneten Kanals möglichst jederzeit aktiviert werden kann und die es von Zeit zu Zeit zu überprüfen gilt (etwa durch „Et là, tu fais quoi? “), zum 426 Vgl. Jakobson (1960, 353). 427 Es lassen sich in der Literatur durchaus Vorschläge finden, die für eine Differenzierung der phatischen Funktion plädieren, darunter etwa Gröschel, der eine kontaktive (oder mediale) und eine soziative Teilfunktion vorschlägt (vgl. Gröschel (1983, 32)). <?page no="239"?> 239 Anderen zielt sie darauf ab, eine gewisse soziale Gemeinschaft oder Nähe unter den Kommunikationsteilnehmern herzustellen bzw. aufrechtzuerhalten (im Sinne einer „phatischen Gemeinschaft“ 428 ). Darüber hinaus kann sie, und darin besteht die maßgebliche Erweiterung, eine konkrete Thematisierung der bestehenden interpersonalen Beziehung beinhalten (sei es positiv oder negativ), weshalb wir im Folgenden im Rahmen der Kontaktnutzung von phatisch-relationaler Kommunikation sprechen werden. Im Gegensatz zur praktisch-organisatorischen Kommunikation zwecks Alltagsbewältigung liegt sie immer dann vor, wenn die Art des Kontaktes zum Gesprächspartner im weitesten Sinn vorrangig ist, unabhängig davon, ob es lediglich um die Überprüfung der psychischen Bereitschaft für eine Interaktion geht bzw. um die Fortführung der Kommunikation als soziale Handlung, oder ob die bezüglich des Kontaktes ausgetauschte Information in Form einer konkreten Thematisierung der Beziehung im Vordergrund steht. 429 Es wird sich im Folgenden als hilfreich erweisen, innerhalb der Kontaktnutzung weitere Unterkategorien zu differenzieren, die etwas homogener in Bezug auf die bestehende Beziehungskonstellation und die verfolgten Kommunikationsabsichten sind. Zwar werden sie für sich betrachtet auch weiterhin eine gewisse Spannbreite an unterschiedlichen Erscheinungsformen aufweisen, aber sie werden eine wesentlich differenziertere Basis für die angestrebte Untersuchung der Wechselbeziehung zwischen Kommunikationsabsicht und langage SMS-Schreibweise bieten. Sie wurden im Rahmen der obigen Ausführungen bereits angedeutet und sollen an dieser Stelle mittels einer kurzen Erläuterung nochmals klar voneinander abgegrenzt werden. Die Differenzierung beruht dabei auf der Frage, welche Art des Kontaktes hergestellt wird bzw. welche Wirkungen auf die interpersonale Beziehung erzielt werden soll, wobei einschränkend bemerkt werden muss, dass die Übergänge zwischen den einzelnen Kategorien teilweise fließend sind: 428 Entsprechend der von Malinowski (1960) geprägten phatic communion. 429 Damit soll indes nicht in Abrede gestellt werden, dass die Nachricht nicht zugleich weiteren Sprachfunktionen des Jakobsonschen Kommunikationsmodells dienen kann, etwa der „emotiven“ Funktion mit dem Ziel, die Haltung des Senders zum Gesagten auszudrücken, der „konativen“ Funktion als Aufforderung an den Adressaten oder der „referentiellen“ Funktion zur Darstellung des Kontextes. Das gilt im Übrigen für sämtliche Kurzmitteilungen, denn Jakobson selbst betont, dass man nur schwerlich Äußerungen finden wird, die nur eine seiner sechs Sprachfunktionen erfüllen. Es handelt sich vielmehr um eine Art hierarchisches Verhältnis zwischen den verschiedenen Funktionen, die jeweils spezifisch angeordnet sind (vgl. Jakobson (1960, 353)). Im Rahmen der von uns bezeichneten phatisch-relationalen Kommunikation nimmt gerade der Kontakt zum Gesprächspartner eine vorherrschende Position ein und lässt die phatische Funktion im Vordergrund stehen. <?page no="240"?> 240 (a) Annäherungsphase: Sie dient primär der Herstellung einer soliden Grundlage zwischen den Kommunizierenden für die nachfolgende Interaktion und kann in freundschaftlichen, familiären oder auch partnerschaftlichen Beziehungskonstellationen als einleitende Phase eingesetzt werden. Beispiele: nach dem Empfinden erkundigen, sein eigenes Befinden mitteilen, sich für die späte Störung bzw. die verspätete Antwort entschuldigen, etc. (b) Phatische Kontaktnutzung: Entsprechend der phatischen Funktion von Jakobson dient sie primär der Herstellung und Aufrechterhaltung der Kommunikation und soll den Eindruck einer perpetuellen Verbindung zwischen den Kommunizierenden vermitteln, ohne jedoch aktiv zur Festigung oder Vertiefung der Beziehung beizutragen. Oftmals ist sie wenig zielgerichtet und erinnert an einen „Smalltalk“ via SMS. Ähnlich wie die Annäherungsphase kann auch sie sowohl in freundschaftlichen und familiären, als auch in partnerschaftlichen Paarkonstellationen zum Einsatz kommen. Beispiele: nach der aktuellen Tätigkeit erkundigen, eigene Tätigkeit mitteilen, belanglosen Bericht über die zurückliegenden Tagesaktivitäten erstatten, etc. (c) Höflich-respektvolle Kontaktnutzung: Sie dient hauptsächlich der punktuellen Pflege des sozialen Netzwerkes oftmals zu bestimmten Anlässen (Geburtstag, besondere Ereignisse, etc.) und soll einen positiven Ausgangspunkt für zukünftige direkte oder medial vermittelte Interaktionen schaffen. In den meisten Fällen findet sie innerhalb des Bekanntenkreises statt, kann aber auch im Rahmen des sehr vertrauten Freundeskreises zum Einsatz kommen (etwa in Form einer „Glückwunsch-SMS“). Beispiele: Dank aussprechen, (Glück-)Wünsche senden, Grüße senden, Hoffnung äußern, etc. (d) Festigend-vertiefende Kontaktnutzung: Innerhalb dieser Nutzung steht die aktive Festigung und Vertiefung der bereits bestehenden Beziehung im Vordergrund. Sie findet zumeist in freundschaftlichen Paarkonstellationen statt und setzt ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen den Kommunizierenden voraus bzw. baut dieses bewusst auf. In der Regel zeichnet sie sich im Vergleich zur phatischen Nutzung durch eine gewisse Verbindlichkeit aus, ist zielgerichteter und der ausgetauschte Inhalt nimmt an Relevanz zu. <?page no="241"?> 241 Beispiele: Erkundigung nach Hobbys und anderen Interessen, Vorschlag zu einer gemeinsamen Aktivität, Mitteilung einer erfreulichen Neuigkeit, Bestätigung der freundschaftlichen Verbindung, etc. (e) Affektiv-amouröse Kontaktnutzung: „Affektiv-amourös“ bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die für den Kommunikationspartner empfundenen, positiven Gefühle, die im Rahmen der Interaktion mitgeteilt werden sollen und den entscheidenden Ausschlag für die Kontaktaufnahme geben. Folglich dient diese Art der Kontaktnutzung maßgeblich dem Aufbau, der Vertiefung oder der Rückversicherung einer bereits bestehenden bzw. in den Anfängen befindenden Liebesbeziehung. Beispiele: Flirten, romantische Gefühle äußern, Liebesbekundungen, etc. (f) Unterstützend-bestärkende Kontaktnutzung: Zu dieser Art der Kontaktnutzung gehören Kurzmitteilungen, die zwecks aktiver Anteilnahme und psychischer Unterstützung des Kommunikationspartners in emotional schwierigen Situationen gesendet werden. Sie setzen ein recht hohes Vertrauensverhältnis zwischen den Kommunizierenden voraus und stärken deren emotionale Verbindung. Hinsichtlich der Beziehungskonstellation kann sie sowohl in freundschaftlichen und familiären, als auch in partnerschaftlichen Paarkonstellationen auftreten. Beispiele: Zuspruch, Trost, Bedauern, Verständnis für den anderen ausdrücken, etc. (g) Konfliktiv-problematisierende Kontaktnutzung: Im Rahmen der konfliktiv-problematisierenden Kontaktnutzung steht die kritische Hinterfragung der bestehenden Beziehung bzw. die aktive Thematisierung und Auseinandersetzung mit bestimmten, die Beziehung betreffenden Sachverhalten im Vordergrund, die (zumeist) als Missstand empfundenen werden. Hierbei kann es sich sowohl um partnerschaftliche als auch um freundschaftliche Beziehungskonstellationen handeln, die in irgendeiner Form einer Klärung bedürfen. Beispiele: Klärung der Art der Beziehung, Vorwürfe, Beschimpfungen, Rechtfertigungen, etc. Binnen der praktisch-organisatorischen Nutzung und der Kontaktnutzung, bzw. deren Unterkategorien, kann jetzt eine Feingliederung in weitere kommunikativ-funktionale Untergruppen vorgenommen werden, wobei letztere wiederum einem einheitlichen, etwas konkreteren Kommunikationszweck folgen wie etwa „Verabredung organisieren“, „um Rat bitten“, <?page no="242"?> 242 „Berichterstattung“, „nach Befinden erkundigen“, „romantische Gefühle äußern“, „Beziehungsklärung“, etc. Die vorherigen Ausführungen lassen bereits vermuten, dass sich einige Rubriken in beiden Nutzungsdimensionen wiederfinden lassen, darunter insbesondere „Information erfragen“ bzw. „Information mitteilen“. Die Bezeichnungen richten sich dabei vornehmlich nach alltäglichen Benennungen für Sprachaktivitäten, die sich an den Bedürfnissen der Alltagskommunikation orientieren und keinesfalls mit dem Konzept von kommunikativen Gattungen gleichgesetzt werden dürfen. 430 Letztere sind von einer strikten Systematik geprägt, wohingegen in unserem Fall nicht davon ausgegangen werden darf, dass SMS-Texte aus der Untergruppe „Verabredung organisieren“ stets demselben verfestigten Muster folgen. Ihre Gemeinsamkeit besteht (zunächst) nur darin, dass sie ausnahmslos die Organisation eines Zusammentreffens bezwecken. Die Tatsache, dass wir uns im Rahmen mediatisierter Kommunikation bewegen, bringt zudem kommunikativ-funktionale Untergruppen wie etwa „Organisation eines Medienwechsels“ hervor. Dabei darf nicht angenommen werden, dass sich jede Kurzmitteilung stets nur einer der beiden übergeordneten Nutzungsdimensionen zuordnen ließe bzw. dass es sich bei den SMS immer um monofunktionale „Reinformen“ handele (etwa „Verabredung organisieren“ im Rahmen der praktisch-organisatorischen Nutzung). Vielmehr treten sehr häufig multifunktionale Mischformen auf, die sowohl einen praktisch-organisatorischen Teil, als auch einen phatisch-relationalen Teil beinhalten. Als Analyseeinheit sollte daher nicht ausschließlich der gesamte SMS-Text herangezogen werden, sondern seine funktionsbezogenen semantischen Teilsequenzen. In einigen Fällen lässt sich sogar beobachten, dass die beiden Nutzungsdimensionen sehr stark ineinander übergreifen und sich gegenseitig beeinflussen: (13) Ça fait plaisir d'avoir de tes nouvelles, écoute si tu veux. On se donne rendez vous où? Ça fait plaisir d'avoir de tes nouvelles, écoute si tu veux. On se donne rendez-vous où? (14) sava? Mwa c cool la chui en kour. On sfé 1 ti resto se swar rpd mwa stu pe gro bsx a+ Ça va? Moi c'est cool là je suis en cours. On se fait un petit resto ce soir réponds-moi si tu peux gros bisous à plus 430 Insbesondere handelt es dabei um Ethnobegriffe bzw. „Ethnokategorien, das heißt alltägliche Kategorien, die bestimmte kommunikative Vorgänge bezeichnen“ (vgl. Günthner (1995, 199)). Zur ethnomethodologischen Konversationsanalyse vgl. auch Günthner (2000, 22ff.). <?page no="243"?> 243 (15) Kikou biquette alor ta dmd pr la fete à emilie? ? ? jespR ke tu viendra! Bisousous et bone nui. Coucou biquette alors t’as demandé pour la fête à Emilie? ? ? J’espère que tu viendras! Bisousous et bonne nuit. In Beispiel (13) beginnt die SMS mit einer freudigen Reaktion auf die zuvor vom Adressaten initiierte Kontaktaufnahme (vermutlich nach längerer Zeit) und geht dann beinahe abrupt in einen praktisch-organisatorischen Teil zur Vereinbarung eines Treffens über. Im nächsten Beispiel handelt es sich auf den ersten Blick um eine unverbindliche Kontaktaufnahme, in dessen Rahmen sich der Sender zunächst nach dem Befinden des Adressaten erkundigt und sein eigenes Befinden sowie seinen Aufenthaltsort mitteilt. Anschließend teilt er auf ebenso unverbindliche Art mit, dass sie am Abend in ein Restaurant gehen werden und fordert den Adressaten dazu auf ihm mitzuteilen, ob er Zeit hat mitzukommen. Damit geht die kommunikativ-funktionale Nutzung scheinbar fließend von einer oberflächlichen Kontaktnutzung in eine (mehr oder weniger verbindliche) praktischorganisatorische Nutzung über. 431 In Beispiel (15) schließlich scheint der umgekehrte Fall vorzuliegen, denn es beginnt mit einer organisatorischen Frage und geht über in eine ausdrücklich geäußerte Hoffnung hinsichtlich eines baldigen Zusammentreffens, um in einer ausführlichen Verabschiedung zu enden. 432 Folglich wäre es irreführend, die beiden übergeordneten kommunikativen Nutzungsdimensionen als vollkommen disjunkte Teilbereiche aufzufassen, die parallel voneinander und gänzlich unabhängig bestehen. Vielmehr weisen die Originaldaten darauf hin, dass es sich um einen fließenden Übergang zwischen den „reinen“ Erscheinungsformen 431 Die Tatsache, dass die Kommunikation offensichtlich während des Unterrichts initiiert wurde, deutet darauf hin, dass die Kontaktaufnahme aus einem Moment der Langeweile bzw. zwecks Zeitvertreibs entstanden ist. Dieser Aspekt sollte bei der Beurteilung der Kommunikationsabsicht unbedingt Berücksichtigung finden und wird im Folgenden noch detaillierter ausgeführt. 432 Gerade Kurzmitteilungen, die „Verabredungen“ im weitesten Sinn zum Thema haben, entziehen sich häufig einer eindeutigen Zuordnung. Selbst wenn es um die praktisch-organisatorische Vereinbarung der konkreten Uhrzeit geht, wird ein bevorstehendes Aufeinandertreffen geplant und könnte damit indirekt der Kontaktpflege zugeschrieben werden. Dementsprechend zweideutig wird es in der Literatur behandelt: Döring (2002b) führt „Verabredung“ allgemein im Rahmen ihrer „Kontaktfunktion“ auf; Gaglio (2004) nennt „prise de rendez-vous“ als Beispiel für „Usages pratiques et fonctionnels“, wohingegen er unverbindliche Vorschläge wie „passe à la maison boire un café“ innerhalb seiner „Usages de contact“ erfasst; Krause/ Schwitters (2002) sehen in dem Nutzungsmotiv „sich verabreden“ ein funktionales Bedürfnis zur „Organisation und Strukturierung des Alltags“. Wir plädieren in Anbetracht der eben angeführten Beispiele dafür, dass jeweils individuell untersucht werden sollte, welche der beiden Nutzungsdimensionen tatsächlich aktiv ist und dass die Kurzmitteilung gegebenenfalls als eine kommunikativ-funktionale Mischform aufzufassen ist. <?page no="244"?> 244 der praktisch-organisatorischen Nutzung und den Reinformen der Kontaktnutzung handelt, innerhalb dessen sich eine Vielzahl an heterogenen Mischformen nachweisen lässt, so dass wir konsequenterweise von einer Art kommunikativ-funktionalem Kontinuum ausgehen können (vgl. dazu auch den folgenden Abschnitt). Im Fall einer Mischform ist für uns dabei zumeist unerheblich, ob bzw. welche der beiden auftretenden Nutzungsdimensionen „vorrangig“ ist. 433 Der Versuch einer eindeutigen Dominanzzuweisung würde sich schon aus dem Grund als wenig realistisch erweisen, dass sich in einigen SMS ein nahezu gleichberechtigtes Auftreten beider Nutzungsdimensionen beobachten lässt und sich im Nachhinein nur noch schwer beurteilen lässt, welche grundlegende Kommunikationsabsicht zuerst bestand und damit aus der ursprünglichen Handlungsmotivation heraus entstanden ist: (16) Jfini a 18h 2m1 soir,si t sur pari contact moi..tu m mank tèlemen si tu savè jespèr vrmt kon va svoir ..jtm jtembrass Je finis à 18 h demain soir, si t'es sur Paris contacte-moi...tu me manques tellement si tu savais j'espère vraiment qu'on va se voir...je t'aime je t'embrasse Unabhängig davon, ob im Einzelfall ein Dominanzverhältnis vorliegt oder nicht, können die verschiedenen kommunikativen Teilfunktionen separat analysiert und erfasst werden, wobei für deren adäquate Bestimmung auch weiterhin darauf geachtet werden muss, dass der SMS-(Dialog-)Kontext Einfluss nehmen kann und gegebenenfalls mit einbezogen werden muss. Infolge eines solchen Vorgehens entsteht ein sehr vielschichtiges Bild an mehrdimensionalen und unterschiedlich kombinierten Nutzungsmöglichkeiten der SMS-Kommunikation, das wiederum Aussagen darüber zulässt, welche spezifischen Kombinationen an Kommunikationsfunktionen bzw. welche quantitativen Mischverhältnisse auftreten, um Aufschluss über eventuell bereits bestehende kommunikative „SMS-Muster“ zu erhalten. Ferner ermöglicht die Mikroerfassung der funktionsbezogenen semantischen Teilsequenzen eine noch genauere Überprüfung unserer Hypothese, denn hierfür muss unter anderem untersucht werden, ob sich der Schreibstil gegebenenfalls auch dann an die zugehörige (Teil-)Kommunikationsfunktion anpasst, wenn sie innerhalb der SMS wechselt. Obgleich sich mit der bislang konzipierten kommunikativ-funktionalen Zweiteilung in praktisch-organisatorische Nutzung und Kontaktnutzung bereits ein Großteil der SMS angemessen hinsichtlich ihrer grundlegenden Kommunikationsabsichten beurteilen lässt, stößt man vereinzelt noch auf 433 Damit grenzen wir uns abermals bewusst von Verfahren der Textlinguistik ab, die jedem Text eine dominante Kommunikationsfunktion zusprechen, die sie dann als Textfunktion bezeichnen (vgl. dazu Brinker (1997, 81)). <?page no="245"?> 245 Fälle, die sich einer zufriedenstellenden Zuordnung zu einer der beiden Nutzungsdimensionen verweigern. Zwar lassen sie sich in einem ersten Schritt unserer anfangs konzipierten Grobkategorie „Informationsmitteilung“ zuordnen und können oberflächlich mit einigen Eigenschaften der beiden Nutzungsdimensionen übereinstimmen, allerdings scheint die der Interaktion zugrunde liegende Motivation eine vollkommen andere zu sein: sie scheint weniger auf eine ‚interpersonal zweckorientierte Kommunikation’ hin abzuzielen, als vielmehr auf ein ‚intrapersonal stimmungsregulierendes Tätigwerden’. 434 Damit liegt ihr kein richtiges Kommunikationsbedürfnis zugrunde (weder zur Kontaktpflege noch zur Alltagsorganisation), sondern vielmehr ein Bedürfnis nach Aktivierung der eigenen Sinne, das aus einem bestimmten situativen Kontext heraus entsprungen ist und positive Auswirkungen auf die eigene Stimmungslage haben soll (beispielsweise belustigend zur Überwindung von Langeweile): (17) J'ai rien a faire je t'envoi ce texto en attendan ke mon caca arrive! N'importe quoi. J'ai rien à faire je t'envoie ce texto en attendant que mon caca arrive! N'importe quoi. Sicherlich stellt sich in diesem Zusammenhang unmittelbar die Frage, wie man dieser ‚nicht-kommunikativen’ Handlungsmotivation allein anhand des SMS-Textes eindeutig auf den Grund gehen kann, wo es sich doch bei einer versendeten Kurzmitteilung stets um eine Art der „Kommunikation“ handelt. Eine solche Beurteilung kann sich in der Tat sehr problematisch gestaltet und ist häufig von einem nicht geringen Maß an Spekulation geprägt. Zwar leuchtet es schnell ein, dass SMS-Kommunikation immer ein Tätigwerden bedeutet und dass dieser Aspekt unter gewissen Umständen als Nutzungsmotivation in den Vordergrund rücken kann - allein schon aufgrund des spielerischen Umgangs mit der (neuen) Technologie und dem daraus resultierenden Nutz-Spaß kann SMS-Kommunikation zur Stimulierung des eigenen Gemütszustands als positiv erlebt werden. Allerdings kann diese Nutzungsmotivation in sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen an der SMS-Oberfläche erscheinen und teils kaum noch auf die ursprüngliche, nicht-kommunikative Motivation des Verfassers hindeuten. Es ist beispielsweise gut vorstellbar, dass ein Jugendlicher, etwa während er auf die Metro wartet, aus einem Moment der Langeweile heraus zu seinem Handy greift, um sich damit unterhaltsam die Zeit zu vertreiben. Das Resultat könnte eine aufgrund der technischen Texteingabe und des unkonventionellen Umgangs mit der Sprache als spielerisch emp- 434 Auch Döring plädiert im Hinblick auf SMS-Motive für eine Unterscheidung zwischen zwei Bezugsebenen: eine „interpersonal zweckzentrierte Perspektive“, bei der sie zusätzlich nach situationsspezifischen und situationsübergreifenden Zielen differenziert, und eine „stärker selbstbezogene tätigkeitszentrierte Perspektive“ (vgl. Döring (2002b, 22)). <?page no="246"?> 246 fundene, unverbindliche SMS an einen seiner Freunde sein, in der er sich nach dessen Befinden und momentaner Beschäftigung erkundigt. Im Zuge unserer Analyse müssten wir eine solche SMS zunächst der Kontaktnutzung zuordnen, da wir keinerlei Informationen über den konkreten situativen Entstehungskontext haben. Gleichzeitig sollten wir uns jedoch im Klaren darüber sein, dass die Kommunikation möglicherweise nicht allein der reinen Kontaktpflege dient, sondern zusätzlich aus einem stärker selbstbezogenen Bedürfnis nach Aktivierung entstanden sein könnte. Aus motivationspsychologischer Perspektive kann der Einsatz der SMS-Kommunikation folglich auf einem kommunikativen, interpersonal zweckorientierten Bedürfnis basieren (praktisch-organisatorische Nutzung bzw. Kontaktnutzung) oder aber auf einer stimmungsregulierenden, intrapersonal tätigkeitsorientierten Motivation zur spielerischen Unterhaltung (Unterhaltungsnutzung). Neben solchen Fällen, die sich anhand des konkreten SMS-Textes und der uns zugänglichen kontextuellen Faktoren allenfalls implizit der Unterhaltungsnutzung zuordnen lassen (vgl. die eben geschilderte Situation), weist das Korpus wesentlich eindeutigere Beispiele auf, darunter etwa witzig formulierte Anekdoten oder humoristische, teils poetische „Ketten- SMS“ 435 , die nicht nur der Unterhaltung des Verfassers dienen, sondern auch eine belustigende Wirkung auf den Empfänger haben. Interessant ist dabei, dass solche Ketten-SMS nicht nur passiv aus der dafür vorgesehenen SMS-Ratgeber-Literatur übernommen werden, sondern dass die Nutzer offensichtlich selber kreativ werden und eigenständig Texte formulieren, die dem typischen Muster von Ketten-SMS folgen. Anzeichen dafür sind neben den vorliegenden Informationen aus den Fragebögen formale Ungenauigkeiten bzw. individuelle sprachliche und graphostilistische Besonderheiten: (18) Msg : ALERTE SÈRIEUSE! Attention des extraterrestres viennent pour enlever tous les etres INTELLIGENTS, BEAUX et SEXY de la terre... Ne t'inquiète SURTOUT pas, tu n'es pas en danger! Je t'envoies juste ce Sms pour te dire adieu...ils m'emmènent... Message: Alerte sérieuse! Attention des extraterrestres viennent pour enlever tous les êtres intelligents, beaux et sexy de la terre... Ne t'inquiète surtout pas, tu n'es pas en danger! Je t'envoie juste ce SMS pour te dire adieu... ils m'emmènent... 435 In Anlehnung an die bekannten Kettenbriefe handelt es sich bei Ketten-SMS um vorgefertigte Textbotschaften, die in der Regel unverändert an einen oder mehrere Freunde weitergeleitet werden (etwa „Schicke diese SMS an zehn Personen, wenn du sie von fünf Personen zurückerhälst, dann wird dir in drei Tagen etwas Gutes widerfahren“). Inhaltlich können Ketten-SMS somit teils als eine Art Text-Geschenk gedeutet werden (vgl. Thurlow (2002, 12) oder Ling/ Yttri (2002, 159)). <?page no="247"?> 247 (19) SFR info: un nouveau forfait est mis en place. Plus vous etes belle plus il sera cher. Mais rassurer vous pour vous il sera gratuit... Merci de votre fidelité SFR info: un nouveau forfait est mis en place. Plus vous êtes belle plus il sera cher. Mais rassurez-vous pour vous il sera gratuit... Merci de votre fidelité (20) Tu viens de recevoir un cyber-doigt dans le cul. Cela déclare ouvert la bataille des doigts dans le cul de la saison! Une seul règle...Vous ne pouvez pas attaquer quelqu un qui vous a déjà doigté! Maintenant...Allez-y et doigtez autant de personnes que vous pouvez,avant qu il ne le fassent. Tu viens de recevoir un cyber-doigt dans le cul. Cela déclare ouvert la bataille des doigts dans le cul de la saison! Une seule règle... Vous ne pouvez pas attaquer quelqu'un qui vous a déjà doigté! Maintenant... Allez-y et doigtez autant de personnes que vous pouvez, avant qu'ils ne le fassent. (21) Jte regar2 jpense a toi jtapel jte parle jtècoute jtadmire jtembète mé je taime ! envoie ce sms au pers ktaime a moi osi si jen fè parti si tu l envoi a pers c ktu naime pa lè gen è ktu pense k toi si 5 sms te reviene c ke c gen tm è tu pe comptè sur eu ( come moi) ! Je te regarde je pense à toi je t'appelle je te parle je t'écoute je t'admire je t'embête mais je t'aime! Envoie ce sms aux personnes que t'aimes à moi aussi si j'en fais partie si tu l'envoies à personne c'est que tu n'aimes pas les gens et que tu penses qu'à toi si 5 sms te reviennent c'est que ces gens t'aiment et tu peux compter sur eux (comme moi)! (22) "Aimer" Se ConJuGue A Tous Les Temps. MaiiS Il N'est Beau Qu'au Présent Car Au Futur Il Fait Réver Et Au PaSsé Il Fait Pleurer .. EnvOiis Sa Aux Personnes Que Tu N'as Pas EnViie De PerDre Et A Moii Sii J'en FaiiS ParTiie. Sii 5 MesSages Te Reviennent C'est Que Tu Es Aiimé(e), 10 C'est Que Tu Es A CrOquer "Aimer" se conjugue à tous les temps. Mais il n'est beau qu'au présent car au futur il fait rêver et au passé il fait pleurer... Envoie ça aux personnes que tu n'as pas envie de perdre et à moi si j'en fais partie. Si 5 messages te reviennent c'est que tu es aimé(e), 10 c'est que tu es à croquer (23) DaNs le ciEl é dePui Que j'Ai Faiis ta cOnnAisSance il mAnké une étoile... C TOI ! ! ! OjR8 Tu bRiiiLLe dAns mOn cOeuR. é Pour tOujOur.. Dans le ciel et depuis que j'ai fait ta connaissance il manquait une étoile... C'est toi! Aujourd'hui tu brilles dans mon cœur. Et pour toujours... 436 436 In Anbetracht des Kommunikationsmodells von Jakobson und der darin postulierten Sprachfunktionen ließe sich hier sogar behaupten, dass die poetische Funktion dominant ist, da die Gestaltung der Nachricht auf graphostilistischer und konzeptioneller Ebene gegenüber den anderen Sprachfunktionen im Vordergrund zu stehen scheint. <?page no="248"?> 248 Neben den beiden ersten Nutzungsdimensionen stellt sich die Unterhaltungsnutzung zweifelsohne als nicht ganz unproblematisch dar, da sie sich nicht immer mittels nüchterner Kriterien direkt anhand des Textes analysieren lässt. Dennoch weisen die Daten eindeutig darauf hin, dass sie ihre Existenzberechtigung hat: im Gegensatz zur praktisch-organisatorischen Nutzung und zur Kontaktnutzung entspringt die Kommunikation vornehmlich aus einem stärker selbstbezogenen Verlangen nach unterhaltsamer Aktivierung der eigenen Sinne. Die Tätigkeit des Schreibens als eine Art Auseinandersetzung mit der neuen Technik und als eine Form des spielerischen Experimentierens mit den sprachlichen Konventionen steht im Vordergrund, wohingegen der propositionale Gehalt der Nachricht sekundär ist. Die bewusste und individuelle Gestaltung des Textes, sowohl auf stilistischer als auch auf graphostilistischer Ebene, kann dabei entscheidend an Bedeutung hinzugewinnen, wobei der dafür benötigte Tippaufwand zweitrangig ist. Dadurch kann der Planungsaufwand bei gleichzeitig abnehmender Spontaneität entsprechend hoch werden, was eine Annäherung an konzeptionelle Distanzsprachlichkeit zur Folge haben kann (etwa in Form von poetischen Texten). Die Auswirkungen des erhöhten Planungsaufwands können sich aber auch auf die Gestaltung der graphischen Realisierungsebene beschränken und konzeptionell eher nähesprachliche Texte zum Vorschein bringen, die aus einem Moment der Langeweile oder der Einsamkeit heraus entstanden sind und sich durch besonders innovative und kryptische Verschriftungsvarianten auszeichnen. Demzufolge leistet die Unterhaltungsnutzung einen wesentlichen Beitrag zur umfassenden Darstellung aller im Rahmen der SMS-Kommunikation zu beobachtenden Kommunikationszwecke. Hinsichtlich der Unterscheidungskriterien, die dieser kommunikativfunktionalen Dreiteilung zugrunde liegen, sei abschließend nochmals verdeutlicht, dass sie sich nicht nur auf eine Betrachtungsebene beziehen, sondern auf zwei unterschiedliche: während eine erste, motivationsanalytische Ebene differenziert, ob die der SMS-Kommunikation zugrunde liegende Handlungsmotivation vornehmlich kommunikationsorientierter oder tätigkeitsorientierter Natur ist, wird auf einer zweiten, kommunikativfunktionalen Ebene unterschieden, welche Kommunikationsabsicht sich aus zweckzentrierter Perspektive anhand des Textes bzw. der für uns zu- Jakobson definiert die poetische Funktion als diejenige Sprachfunktion, die auf die Kommunikationskomponente „message“ bezogen ist und die Gestaltung der Nachricht fokussiert: „The set (Einstellung) toward the MESSAGE as such, focus on the message for its own sake, is the POETIC function of language“ (Jakobson (1960, 356)). Ihretwegen hat Jakobson die Erweiterung des Bühlerschen Modells in seinem Artikel „Linguistics and Poetics“ überhaupt erst vorgenommen, betont aber in diesem Zusammenhang, dass die „[p]oetic function is not the sole function of verbal art but only its dominant, determining function, whereas in all other verbal activities it acts as a subsidiary accessory constituent.“ (ebd.) <?page no="249"?> 249 gänglichen kontextuellen Faktoren erkennen lässt. Dabei lässt sich zwischen den beiden Ebene keine strenge Systematik in Form von eindeutigen Implikationen postulieren, da aus einer primär tätigkeitsorientierten Handlungsmotivation neben spielerischen SMS mit unterhaltenden Inhalten auch phatische SMS zur Kontaktpflege entspringen können, ebenso wie aus einer kommunikativen Motivation heraus phatische SMS entstehen können, die im Wesentlichen zur Belustigung der Kommunikationsteilnehmer beitragen. Tendenziell kann jedoch davon ausgegangen werden, dass aus interpersonal kommunikationsorientierter Motivation zumeist praktisch-organisatorische oder phatisch-relationale Nutzungen hervorgehen, während eine überwiegend intrapersonal tätigkeitsorientierte Motivation häufig spielerische Unterhaltungsnutzung zur Folge hat. 6.4 Kontinuum der kommunikativ-funktionalen Nutzungsdimensionen Es hat sich gezeigt, dass wir insgesamt drei unterschiedliche Nutzungsdimensionen unterscheiden können, die jeweils verschiedene Ziele verfolgen und nicht zwangsläufig aus einer rein kommunikativen Motivation heraus entspringen. Dabei wurde deutlich, dass es sich bei den konkreten SMS- Texten keineswegs stets um Reinformen der praktisch-organisatorischen, phatisch-relationalen oder spielerischen Nutzung handelt, sondern dass es durchaus zu Überschneidungen zwischen den verschiedenen Bereichen kommen kann. Praktisch-organisatorische SMS weisen nicht selten phatische Teile auf, genauso wie spielerische SMS zugleich phatische Absichten verfolgen können. Im Hinblick auf die spielerische Nutzungsdimension könnte sogar behauptet werden, dass sie in minimaler Ausprägung nahezu jeder SMS-Kommunikation unterliegt, da der Rückgriff auf die Kommunikationsform als geeignetes Mittel zur Befriedigung des (kommunikativen) Handlungsbedürfnisses stets ein Tätigwerden in Form von spielerischer Auseinandersetzung mit den technischen Gegebenheiten bedeutet. Infolgedessen kann es sich bei den Nutzungsdimensionen nicht um eine strikte Trichotomie handeln, sondern vielmehr um ein mehrdimensionales Gefüge aus interagierenden Nutzungsmöglichkeiten, die einen komplexen Raum an multifunktionalen Erscheinungsformen entstehen lassen. In diesem Sinn lässt sich das Beziehungsgefüge der grundlegenden kommunikativfunktionalen Nutzungsdimensionen als dreidimensionales Kontinuum entlang der Achsen praktisch, phatisch und spielerisch auffassen: 437 437 Die gekürzten Bezeichnungen ‚praktisch’ und ‚phatisch’ dienen hier nur der vereinfachten Darstellung im Kontinuum und sollen keineswegs auf eine reduzierte Bedeutung hinweisen. <?page no="250"?> 250 Innerhalb dieses dreidimensionalen Raumes können nun die konkreten SMS-Texte bzw. deren funktionsbezogenen semantischen Teilsequenzen entsprechend der jeweils verfolgten Kommunikationsziele lokalisiert werden. Die Lokalisierung lässt sich dabei nicht ganz so nüchtern-kalkulierend und zielsicher vornehmen wie im Fall der Verschriftungsvarianten, die mittels eines objektiven Evaluationsprozesses beurteilt und im Kontinuum der Verfasserintentionen eingeordnet werden können. Vielmehr wird sie von einem gewissen Maß an Vagheit bestimmt bleiben, die keine punktgenaue Erfassung der verfolgten Kommunikationsabsichten erlaubt. Eine präzise, der Realität entsprechende Einordnung könnte ohnehin nur von den Kommunikationsteilnehmern selbst vorgenommen werden, da sie als einzige mit Sicherheit beurteilen können, welche Ziele sie mit der Interaktion tatsächlich verfolgt haben. Aufgrund dessen bietet es sich auch für das Kontinuum der Nutzungsdimensionen an, die einzelnen SMS bzw. deren Teilsequenzen in Form von offenen Mengen abzubilden, die einen gewissen Spielraum bei der Erfassung vorsehen. Bezüglich der multifunktionalen Kurzmitteilungen wird sich im Rahmen der nachfolgenden Detailanalyse noch genauer herausstellen, ob es immer sinnvoll ist, jede noch so kleine semantische Teilsequenz, die sich in ihrer Kommunikationsfunktion von den benachbarten Teilsequenzen unterscheidet, separat zu erfassen. Teilweise scheinen sie im Hinblick auf die Gesamt-SMS eine so marginale Rolle zu spielen, dass sie sich eindeutig der (bzw. den) übrigen Kommunikationsfunktion(en) unterordnen. Gleichzeitig sollte jedoch davon abgesehen werden, voreilige Pauschallokalisierungen der gesamten SMS vorzunehmen, da wir die Kommunikationsfunktionen im Folgenden mit den jeweils in den SMS-Texten auftretenden langage SMS-Verschriftungen korrelieren wollen, so dass sich eine möglichst differenzierte Darstellung zumindest in einem ersten Schritt als durchaus zweckmäßig erweisen wird. <?page no="251"?> 251 Zur Veranschaulichung sollen exemplarisch zwei der oben genannten Beispiele im Kontinuum der Nutzungsdimensionen lokalisiert werden, bevor wir im nächsten Kapitel ausführlich auf die Korpusanalyse eingehen werden. Der Einfachheit halber werden wir uns hier auf monofunktionale SMS beschränken, die sich relativ eindeutig erfassen lassen: (24) Jve etre en rtar doi emner masoeur a lecole Je vais être en retard dois emmener ma sœur à l’école (25) Coucou! Sa va? ka tu fai 2 tn week end alor! ? Coucou! Ça va? Qu'as-tu fait de ton week-end alors! ? Im ersten Fall handelt es sich um eine praktisch-organisatorische Kurzmitteilung, die den Adressaten über die zu erwartende Verspätung des Absenders informiert und gleichzeitig den dafür ausschlaggebenden Grund angibt. Die zweite SMS stellt eine unverbindliche Kontaktaufnahme dar, in deren Rahmen sich nach dem Befinden des Adressaten und dessen letzten Wochenendaktivitäten erkundigt wird, ohne jedoch eine explizite Beziehungspflege anzustreben. Vielmehr scheint sie einen phatischen SMS- Smalltalk zu beabsichtigen, der durchaus aus einem Moment der Langeweile heraus entstanden sein könnte, so dass parallel eine tätigkeitsorientierte Motivation des Senders in Richtung spielerische Unterhaltungsnutzung angenommen werden sollte: 438 Die Lokalisierung entlang der spielerischen Achse bleibt im zweiten Fall relativ vage, da nicht mit Sicherheit behauptet werden kann, dass die Unterhaltungsnutzung aus motivationspsychologischer Perspektive tatsächlich aktiv war. Folglich kann die Einordnung nur unter Vorbehalt von einigen Vermutungen vorgenommen werden und es sei nochmals darauf 438 Die Zahlenangaben in den offenen Mengen geben die jeweilige Nummer des Beispiels an. <?page no="252"?> 252 hingewiesen, dass wir keineswegs Anspruch auf absolute Endgültigkeit bei den Lokalisierungen erheben. Sie sollen vornehmlich der groben Veranschaulichung dienen und die verschiedenen kommunikativ-funktionalen Nutzungsmöglichkeiten in Relation zueinander abbilden. Darüber hinaus wird sich im folgenden Kapitel zeigen, dass die graphische Darstellung einen entscheidenden Beitrag zur Offenlegung erster Tendenzen bei der Gegenüberstellung mit den jeweils verfolgten Verfasserintentionen bezüglich des langage SMS leisten wird. <?page no="253"?> 253 7 Der langage SMS in Korrelation mit der kommunikativ-funktionalen Nutzung Nachdem wir in den vorangegangenen Kapiteln die Methodik zur Erfassung der kommunikativ-funktionalen Nutzung und zur Analyse der mit einer langage SMS-Variante verfolgten Verfasserintention vorgestellt haben, wollen wir im Folgenden gemäß unserer Hypothese untersuchen, ob bzw. inwiefern ein Zusammenhang zwischen den beiden Komponenten besteht. Dafür werden wir einerseits versuchen, allgemeine und benutzerübergreifend feststellbare Tendenzen ausfindig zu machen, andererseits werden wir anhand von Einzelanalysen untersuchen, wie deutlich diese Tendenzen im konkreten Fall hervortreten können und wie sie vor diesem Hintergrund zu deuten sind. Bevor wir jedoch mit der Detailuntersuchung beginnen, sollen einige quantitative und qualitative Vorbemerkungen gemacht werden. Hierfür ist es hilfreich, die Kurzmitteilungen allgemein in verschiedene, terminologisch klar voneinander abgegrenzte „Mitteilungsphasen“ zu gliedern, deren Charakteristika wir vorab vorstellen werden. Im Zuge dessen wird sich unter anderem zeigen, inwiefern die aus einem direkten Gespräch bekannten Höflichkeitskonventionen abgewandelt und an die medialen Kommunikationsbedingungen adaptiert werden. 7.1 Einleitende Vorbemerkungen zur kommunikativen Gliederung einer SMS Ähnlich wie in der Gesprächsanalyse erscheint eine Differenzierung zwischen drei verschiedenen Mitteilungsphasen sinnvoll: „Begrüßungsphase“, „Verabschiedungsphase“ und „Hauptphase“. 439 Dabei sollte jedoch von voreiligen Analogieschlüssen abgesehen werden, da bereits in Bezug auf die Terminologie auffällt, dass wir uns nicht für die etwas allgemeineren Kategorien „Eröffnungsphase“ und „Beendigungsphase“ entschieden haben, sondern uns ausschließlich auf die Spezialfälle Begrüßung und Verabschiedung konzentrieren, was sich darauf zurückführen lässt, dass wir innerhalb einer Kategorie „Eröffnungsphase“ beispielsweise auch „Wohlergehenssequenzen“ 440 der Form „nach dem Befinden erkundigen“ betrachten müssten, die wir im vorherigen Kapitel als einen wesentlichen 439 Vgl. dazu etwa Brinker/ Sager (2001, 96ff.), die ein Gespräch in Eröffnungs-, Kern- und Beendigungsphase gliedern. Henne/ Rehbock (2001, 14) sprechen in diesem Zusammenhang statt „Kernphase“ von „Gesprächsmitte“. 440 Vgl. dazu Brinker/ Sager (2001, 98). <?page no="254"?> 254 Bereich der Kontaktnutzung aufgefasst haben und sie deshalb innerhalb der Hauptphase analysieren wollen. Auch hinsichtlich der Hauptphase einer SMS fällt auf, dass sie sich als Analysekategorie lediglich auf einzelne Kurzmitteilungen beschränkt, wohingegen sich die Kernphase eines direkten Gesprächs aus mehreren Gesprächsschritten bzw. -sequenzen zusammensetzen kann und dadurch teilweise sehr komplexe Strukturen aufweist. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass sich mehrere aufeinander folgende Hauptphasen verschiedener SMS in der Funktion von Gesprächsschritten zu regelrechten Gesprächssequenzen zusammenfügen und Bestandteile eines längeren SMS-Dialogs werden, die dann in ihrem Verbund als eine Art „Kernphase“ des gesamten SMS-Dialogs interpretiert werden können (ausgenommen der eventuell vorhandenen Begrüßungs- und Verabschiedungsphasen). Das Besondere der Hauptphase einer SMS im Vergleich zu einem einzelnen Gesprächsschritt innerhalb der Gesprächsanalyse besteht darin, dass die Hauptphase als monologischer Text konzipiert sein kann, der losgelöst vom weiteren sprachlichen Kontext seine vollständige Aussagekraft entfaltet und sich damit durch eine gewisse kommunikativ-funktionale Unabhängigkeit auszeichnen kann. Daraus ergibt sich, dass eine SMS sowohl über eine Hauptphase als auch über eine Begrüßungs- und eine Beendigungsphase verfügen kann, ohne dass ein wechselseitiger SMS-Austausch mit dem Kommunikationspartner hätte stattfinden müssen. Diese Eigenschaft kann mittels der Kategorien der Gesprächsanalyse kaum dargestellt werden. 441 Darüber hinaus hat das vorherige Kapitel gezeigt, dass die Hauptphase einer SMS aus kommunikativ-funktionaler Perspektive keinesfalls stets monofunktional ist, sondern aus verschiedenen, separat analysierbaren Teilphasen bestehen kann. Bevor wir nun etwas detaillierter auf die Besonderheiten der einzelnen Mitteilungsphasen eingehen werden, sei noch darauf hingewiesen, dass keine der drei Phasen verpflichtender Bestandteil eines SMS-Textes ist, da selbst Kurzmitteilungen, die lediglich aus einer einfachen Begrüßung bestehen, theoretisch denkbar wären. 7.1.1 Begrüßungsphase Weitgehend unabhängig von der nachfolgenden Kommunikationsfunktion weisen nur knapp 25% aller im Korpus auftretenden SMS eine Begrüßung auf. Das lässt sich unter anderem darauf zurückführen, dass es sich bei der 441 Henne/ Rehbock (2001, 14) unterscheiden für die Gesprächsanalyse verschiedene Betrachtungsebenen, auf denen sie jeweils bestimmte Analysekategorien ansiedeln: die Makroebene (mit den Kategorien Gesprächseröffnung, Gesprächsbeendigung, Gesprächs-„Mitte“ und Gesprächs-„Ränder“), die mittlere Ebene (mit den Kategorien Gesprächsschritt, Sprecher-Wechsel, Gesprächssequenz, Sprechakt/ Hörverstehensakt, Gliederungssignal, back-channel-behavior) und die Mikroebene (mit den sprechaktinternen Elementen). <?page no="255"?> 255 SMS-Kommunikation um einen zumeist mehrzügigen dialogischen Austausch handelt, der eine ständig wiederkehrende Rahmung der einzelnen Gesprächsschritte (bzw. der einzelnen SMS) in Form von Begrüßung und Verabschiedung redundant werden lässt. Neben dem Dialogcharakter könnte hierfür auch die Begrenzung einer SMS auf 160 Zeichen als ausschlaggebender Faktor herangezogen werden, allerdings scheint dieses Argument aufgrund der (in diesem Korpus) feststellbaren Durchschnittslänge von nur knapp 92 Zeichen pro SMS weitgehend entkräftet zu werden, da die verbleibenden freien Zeichen eine minimale Rahmung etwa der Form slt und biz durchaus zulassen würden. In diesem Zusammenhang sollte jedoch auf die Anfangszeit der SMS-Kommunikation zurückgeblickt werden, in der sich die Kommunizierenden noch an die strikte Beschränkung gewöhnen mussten und aktiv nach Strategien gesucht haben, um das benötigte Zeichenmaterial minimal zu halten. Eine Möglichkeit lag gerade in der Unterlassung der Begrüßungsphase und es hat sich scheinbar stillschweigend eine Art Konvention entwickelt, die bis heute ihre Nachwirkungen zeigt: Unter vertrauten Freunden darf man ohne rahmende Floskeln direkt in den kommunikativen Hauptteil der Nachricht einsteigen, ohne dass es beim Kommunikationspartner unhöflich oder ‚kurz angebunden’ wirken würde. Es wird keineswegs eine akute Bedrohung der interpersonalen Beziehung oder des negative face des Adressaten provoziert, da man sich aufgrund der in Kapitel 3 beschriebenen Kommunikationsbedingungen in beidseitiger Übereinkunft „störungsfrei kurz fassen“ darf. 442 Ferner wird von einigen Autoren das Argument herangezogen, dass das Handy, und insbesondere die Kommunikationsform SMS, eine Art ständige Verbindung zwischen den Kommunizierenden ermögliche, so dass eine Begrüßung bei ohnehin empfundener Kopräsenz überflüssig sei. 443 In Bezug auf die sprachliche Ausgestaltung der Begrüßungsphase sehen Androutsopoulos/ Schmidt einen klaren Unterschied zwischen „gruppeninternen“ SMS, die ihrer Erkenntnis nach oftmals ungerahmt bleiben oder informelle Begrüßungen wie „Hey Mausi“ aufweisen, und „gruppenexternen“ SMS, die von Begrüßungen wie „Hallo + Vorname“ geprägt sind. 444 Auch das hier untersuchte Korpus weist sprachliche Unterschiede im Bereich der Begrüßungsphase auf, die sich im Hinblick auf die damit zum Ausdruck gebrachte kommunikative Nähe differenzieren lassen: gut die Hälfte der Begrüßungen folgen der Form ‚Begrüßungswort’ (zumeist bonjour oder salut), ‚Begrüßungswort + Name des Empfängers’ oder nur 442 Vgl. dazu Döring (2002a, 100) sowie Schmidt (2006, 323). 443 Vgl. dazu etwa Thurlow (2003), der von einem „sense of perpetual contact“ spricht oder aber Frehner (2008, 91), die es als „a certain always-here-never-away attitude“ beschreibt. 444 Vgl. Androutsopoulos/ Schmidt (2002, 57f.) Unter gruppeninterner Kommunikation verstehen sie dabei private Botschaften unter Beteiligten, die sich gut kennen und häufig Nachrichten austauschen (ebd., 57). <?page no="256"?> 256 ‚Name des Empfängers’. In Anbetracht der vorwiegend nähesprachlichen Kommunikationsbedingungen ist eine Gesprächseröffnung durch bonjour beinahe als förmlich-distanziert zu bewerten, während salut eher unmarkiert erscheint. Gut ein Viertel der Begrüßungsphasen stellen bewusst etwas mehr Nähe her, indem sie mittels des informellen Begrüßungswortes ‚coucou’ bzw. ‚coucou + Name des Empfängers’ ein erhöhtes Vertrauensverhältnis zwischen den Kommunizierenden evozieren. Knapp ein Fünftel der Begrüßungen schließlich beinhalten neben dem nähesprachlichen Ausdruck coucou einen zumeist liebevollen Kosenamen des Empfängers und deuten damit auf hohe Intimität unter den Kommunizierenden hin. 445 Stellt man vor diesem Hintergrund einen Bezug zu den verschiedenen Nutzungsdimensionen her, so fällt unter anderem auf, dass die Verwendung eines Kosenamens im Rahmen der phatisch-relationalen Nutzung wesentlich häufiger auftritt als im Rahmen der praktisch-organisatorischen Nutzung, wohingegen formellere Varianten wie ‚bonjour + Name’ eher im zweiten Fall zu erwarten sind. Allerdings stellt diese Beobachtung keine absolute Regel dar, denn eine höfliche „Geburtstags-SMS“ zwecks Kontaktpflege kann ebenso gut eine distanzsprachliche Rahmung aufweisen, wie eine praktisch-organisatorische SMS unter Ehepartnern mit einem Kosenamen beginnen kann. Bevor wir jedoch weitere Detailbeobachtungen durchführen wollen, soll zunächst eine Übersicht über die vorkommenden Begrüßungswörter einschließlich ihrer langage SMS-Varianten gegeben werden, sortiert nach den verschiedenen lexikalischen Inputformen: 446 445 Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass insgesamt nur knapp ein Viertel der im Korpus enthaltenen SMS eine Begrüßung aufweisen. 446 Begrüßungsphasen, die kein konkretes Begrüßungswort enthalten, werden in dieser Tabelle nicht erfasst (insgesamt 43 SMS). <?page no="257"?> 257 Vor allem der untere Teil der Tabelle verdeutlicht, dass sich ein Großteil der lexikalischen Begrüßungswörter nur sehr vereinzelt im Korpus nachweisen lässt, was auf den Wunsch nach Originalität und einer individuellen Ausgestaltung der Kurzmitteilung hindeutet. Allerdings lassen sich für sie keine auffälligen Tendenzen im Hinblick auf die jeweiligen kommunikativ-funktionalen Nutzungen erkennen, in deren Rahmen sie auftreten. Zudem unterscheidet sich ihre Schreibweise im langage SMS kaum von ihrer konventionellen Graphie, so dass sie für unsere weitere Analyse eher zu vernachlässigen sind. Hinsichtlich der restlichen Begrüßungswörter fällt auf, dass das zuvor als „unmarkiert“ bezeichnete Begrüßungswort salut am häufigsten gewählt wird, dicht gefolgt von der informellen Variante coucou, wobei sich in diesem Zusammenhang beobachten lässt, dass salut universell in allen kommunikativ-funktionalen Nutzungen auftritt, wohingegen coucou in seiner Verwendung weniger vielseitig zu sein scheint, da es in Texten mit einer ernsthaften Thematik kaum vorkommt und auch im Be- <?page no="258"?> 258 reich der praktisch-organisatorischen Nutzung seltener gewählt wird. Es scheint eindeutig in Richtung kommunikative Nähe markiert zu sein und einen informellen, wenig ernsthaften Interpretationsrahmen zu evozieren. Hinzu kommt, dass sich in keinem kommunikativ-funktionalen Bereich eine eindeutige Präferenz für coucou gegenüber salut feststellen lässt, da sich die beiden Begrüßungswörter selbst im Rahmen der freundschaftlichen oder partnerschaftlichen Beziehungspflege die Waage halten, was nochmals die Vielseitigkeit von salut hervorhebt: einerseits kann es in einem sehr vertrauten Kontext verwendet werden, auch wenn es hier nicht aktiv zur Förderung des Vertrauensverhältnisses beiträgt, andererseits bietet es die Möglichkeit, einen gewissen förmlichen Rahmen zu schaffen. 447 Letzteres kann die Alternative coucou aufgrund ihrer nähesprachlichen Markiertheit offensichtlich nicht leisten, was ihr selteneres Auftreten erklärt. Betrachtet man die langage SMS-Varianten der beiden Begrüßungswörter so fällt auf, dass sich für salut eine Automatisierungstendenz in Richtung slt beobachten lässt. Damit kann diese Variante im langage SMS als unmarkiert bezeichnet werden und es wird im Folgenden gerade auf die von slt abweichenden Schreibweisen ein Augenmerk zu legen sein. Das Begrüßungswort coucou hingegen zeichnet sich durch einen erheblich höheren Variantenreichtum aus, wobei die am wenigsten effiziente, orthographisch korrekte Schreibweise in über der Hälfte der Fälle auftritt. Die Verfasser scheinen hier erhöhten Wert auf die Begrüßungsphase zu legen und realisieren sie dementsprechend in ungekürzter Form. Das Bemühen um eine stabile und vertrauensvolle Grundlage für die nachfolgende Kommunikation steht im Vordergrund und schlägt sich bereits in der semantischen Wahl des Begrüßungswortes coucou nieder. Eine extreme Kürzung seiner Schreibweise würde in Anbetracht der intendierten kommunikativen Nähe zum Gesprächspartner beinahe kontradiktorisch erscheinen und wird vermutlich deshalb eher selten gewählt. Im Rahmen der Einzelanalysen wird sich jeweils herausstellen, ob im Hinblick auf die individuellen Schreibweisen ein Zusammenhang zur nachfolgenden kommunikativfunktionalen Nutzung besteht bzw. ob noch weitere Faktoren wie etwa der individuelle Verfasserstil im langage SMS relevant werden können. 447 Wenn hier von der Herstellung eines gewissen „förmlichen Rahmens“ die Rede ist, darf sicherlich nicht von distanzsprachlichen Bedingungen im eigentlichen Sinn ausgegangen werden, sondern nur von einem etwas höheren Maß an sprachlicher Förmlichkeit, hervorgerufen durch gewisse situative und thematische Aspekte, die innerhalb der ansonsten durch Nähesprache gekennzeichneten SMS-Kommunikation eher unüblich sind. <?page no="259"?> 259 7.1.2 Verabschiedungsphase Im Rahmen der Verabschiedungsphase lässt sich eine erheblich größere Vielfalt beobachten als bei der Begrüßung und es zeichnet sich ab, dass ihr eine höhere Bedeutung beigemessen wird: immerhin 42,5% aller im Korpus enthaltenen Kurzmitteilungen weisen eine Verabschiedung auf, wohingegen nur in knapp 25% der Fälle eine Begrüßung festgestellt wurde. Darin spiegelt sich das Bedürfnis wider, die bestehende Beziehungsstruktur zwischen den Kommunizierenden zu stärken und als positive Basis für künftige kommunikative Austausche zu festigen. Die zu beobachtende lexikalische Variationsbreite, die wiederum dem Wunsch nach Originalität entspringt, akzentuiert dabei den besonderen Stellenwert dieser Gesprächsphase in Bezug auf die gesamte SMS. Der Adressat soll erkennen können, dass es sich nicht nur um eine belanglose Floskel handelt, sondern um eine ernst gemeinte Adressatenhonorierung, weshalb die Verfasser zusätzlich auf individuell gestaltete Verschriftungsvarianten zurückgreifen. Angesichts der lexikalischen und graphostilistischen Komplexität fällt es zunächst schwer, eine ähnlich klare Struktur wie im Fall der Begrüßung zu erkennen. Dennoch stechen einige Regelmäßigkeiten hervor, die sich in den folgenden, teils deskriptiven Kategorien zusammenfassen lassen: 1. Signatur (Name des Senders), 2. Hinweis auf ein in (naher) Zukunft liegendes Zusammentreffen (z.B. à demain), 3. neutraler Abschiedsgruß (z.B. bonne nuit), 4. intimer Abschiedsgruß (z.B. bisous) sowie beliebige Kombinationen daraus. Aus quantitativer Perspektive ist dabei auffällig, dass die einfache Namensnennung in nur knapp 5% der vorkommenden Verabschiedungen gewählt wird, was sich unter anderem darauf zurückführen lässt, dass die Kontaktdaten des Absenders in aller Regel im Telefonspeicher des Empfängerhandys enthalten sind und deshalb schon beim Öffnen der SMS angezeigt werden, so dass sie im SMS-Text für unnötig befunden werden. Des Weiteren stellen Verabschiedungswörter wie ciao eher eine Ausnahme dar. Sie scheinen in Bezug auf die Beendigung der Interaktion etwas Endgültiges zum Ausdruck bringen, das dem intendierten perpetuellen Kontakt zwischen den Kommunizierenden entgegensteht. Wesentlich häufiger lassen sich Verabschiedungen der Form ‚à…’ (z.B. à demain) beobachten, die zum Abschluss der Interaktion nochmals das Fortbestehen der Beziehung hervorheben, indem sie auf einen in naher Zukunft stattfindenden Kontakt verweisen. Die weitaus häufigste Form der Verabschiedung stellt indes mit über 40% die Verwendung eines freundschaftlichintimen Abschiedsgrußes ohne weitere Ergänzung dar (etwa bisous). Aufgrund der lexikalischen und graphostilistischen Formenvielfalt kann nicht im Einzelnen auf die individuell kombinierten Varianten eingegangen werden. Jedoch seien zur Illustration alle Formen des freundschaftlichintimen Verabschiedungsgrußes einschließlich deren langage SMS-Varianten aufgelistet, unabhängig davon, ob sie isoliert auftreten oder Bestandteil <?page no="260"?> 260 einer umfangreicheren Verabschiedungsphase etwa der Form bisous fais de beaux rêves sind: Da es sich hierbei um die häufigste Form der Verabschiedung handelt ist es kaum verwunderlich, dass sich die Verfasser um eine möglichst kreative <?page no="261"?> 261 und individuelle Ausgestaltung bemühen und die wenig originelle Variante bisous zu vermeiden versuchen, um sich von den übrigen Nutzern abzuheben. Eine zu phrasenhaft wirkende Verabschiedung würde unter Umständen ihren Zweck zur Herstellung eines Momentes der Nähe, der Vertrautheit und der Intimität verfehlen. Dennoch bleiben bisous und gros bisous mit Abstand die häufigsten Varianten, wobei die zum Ausdruck gebrachte Intimität in einigen Fällen durch die Reduplikation intensiviert wird (bisous bisous). Stellt man einen Zusammenhang zwischen der kommunikativfunktionalen Nutzung der gesamten SMS und dem Auftreten einer Verabschiedungsphase her, so fällt auf, dass sich die Verabschiedungsphasen zunächst recht gleichmäßig auf die praktisch-organisatorische Nutzung und die Kontaktnutzung verteilen, wobei sich im zweiten Bereich eine etwas detailliertere Untersuchung lohnt. Kurzmitteilungen etwa, die vornehmlich der höflich-respektvollen Kontaktnutzung dienen („Dankes- SMS“, „Glückwunsch-SMS“ oder lediglich „Grüße senden“) und von hohem gegenseitigem Respekt bzw. geringer Vertrautheit unter den Kommunizierenden geprägt sind, weisen in über drei Viertel der Fälle eine Verabschiedung auf. Es scheint beinahe eine Art Konvention innerhalb der höflich-respektvollen Kontaktnutzung zu geben, die das Anhängen einer Verabschiedung verlangt und an den traditionellen Briefverkehr erinnert. 448 Daraus lässt sich schließen, dass die Interaktion weniger auf die phatische Aufrechterhaltung einer ständigen Verbindung zwischen den Kommunikationspartnern abzielt als vielmehr auf eine punktuelle Nutzung zur Beziehungspflege. Auch Kurzmitteilungen zwecks emotionaler Unterstützung weisen in knapp drei Viertel der Fälle eine Verabschiedungsphase auf und unterstreichen damit deren bestärkende Wirkung auf die bestehende Beziehungsstruktur zwischen den Kommunizierenden. Handelt es sich jedoch um eine konkrete Thematisierung der interpersonalen Beziehung, so weisen nur ein Viertel der Kurzmitteilungen eine Verabschiedung auf, was sich unter anderem dadurch erklären lässt, dass es hierbei oftmals mehreren Gesprächszügen zur Erreichung des Kommunikationsziels bedarf. Bei den längeren Verabschiedungsphasen fällt generell auf, dass sie sich durch einen recht einheitlichen Verschriftungsstil auszeichnen. Letzterer kann beispielsweise von primär effizienten Verschriftungsvarianten geprägt sein (a 2m1 bsx für à demain bisous; jte fé d gro bisou jtador für je te fais 448 Interessanterweise gilt das nicht für die Begrüßung, die im Rahmen der höflichrespektvollen Kontaktnutzung mit einem Vorkommen von knapp 20% sogar noch unter dem Gesamtdurchschnitt liegt. Diese Beobachtung verdeutlicht nochmals, dass der Verabschiedung im Rahmen der SMS-Kommunikation eine höhere Bedeutung beigemessen wird als der Begrüßung (im Gegensatz zur Chat-Kommunikation, wo die Begrüßung als eine Schlüsselsequenz für den weiteren kommunikativen Ablauf gedeutet werden kann). <?page no="262"?> 262 de gros bisous je t’adore) oder auch von primär expressiven Schreibweisen (Pleins de bisouxxx... COKinOu damOur : p für Pleins de bisous... coquin d’amour : p), wobei der erste Fall wesentlich häufiger auftritt. Expressive Varianten lassen sich weniger in komplexen Verabschiedungsphasen als vielmehr in einfachen Verabschiedungsgrüßen etwa der Form kissoux finden. Versucht man vor diesem Hintergrund einen Zusammenhang zwischen der gewählten Schreibweise in der Verabschiedungsphase und der bzw. den vorherigen kommunikativ-funktionalen Nutzung(en) herzustellen, so lässt sich etwa für das Verabschiedungswort bisous beobachten, dass die Varianten bsx, bisx, bx größtenteils im Anschluss an eine praktischorganisatorische Hauptphase realisiert werden. Sie entsprechen einer primär effizienten Verfasserintention, die von einem gewissen Maß an Expertise und Expressivität überlagert wird, da der Buchstabe x im anglophonen Raum ideographisch in der Bedeutung von kiss verwendet wird. 449 Sehr expressive und individuelle Varianten wie etwa bisousous, bisOux oder bisousss folgen indes weniger häufig auf eine praktisch-organisatorische Hauptphase, was auf den ersten Blick für die Präferenz effizienter Schreibweisen im Anschluss an diese Nutzungsdimension spricht. Allerdings sollte man voreilige Pauschalurteile bezüglich der Verabschiedungsphase vermeiden, denn sie scheint sich insgesamt eine Art Eigenständigkeit vorzubehalten. Zwar kann eine ausschließlich praktisch-organisatorische SMS sowohl im kommunikativen Hauptteil als auch in der Verabschiedung von primär effizienten Verschriftungsverfahren gekennzeichnet sein, so dass eine gewisse Einflussnahme der Hauptphase durchaus plausibel erscheint, jedoch wäre es falsch anzunehmen, dass sich die Verschriftungsstrategie der Verabschiedungsphase nach der kommunikativ-funktionalen Nutzung der Hauptphase richten würde. Einige Verfasser greifen unabhängig vom restlichen SMS-Text auf ganz individuelle Varianten zurück, die keiner festen Systematik folgen und somit separat zu betrachten sind. Aus kommunikativ-funktionaler Sicht kommt der Verabschiedung eine wesentliche, durchaus eigenständige Bedeutung für die bestehende und zukünftige Beziehungsstruktur zwischen den Kommunizierenden zu, so dass sie in einem ersten Schritt losgelöst analysiert werden sollte. Im Rahmen der Einzelanalysen wird sich jeweils herausstellen, welche Eigenschaften die Verabschiedung vor dem Hintergrund des restlichen SMS-Textes tatsächlich aufweist und welche Rückschlüsse sich möglicherweise daraus ziehen lassen. 449 In englischsprachigen SMS findet man nicht selten die Buchstabendopplung xx als Verabschiedung (vgl. dazu Frehner (2008, 93)). <?page no="263"?> 263 7.1.3 Hauptphase Im Unterschied zur Begrüßungs- und Verabschiedungsphase scheint die Hauptphase ein nahezu obligatorischer Bestandteil von Kurzmitteilungen zu sein, da sie in keiner der hier untersuchten SMS ausgelassen wurde. Zudem zeichnet sie sich im Vergleich zu den beiden anderen Mitteilungsphasen durch ein wesentlich höheres Maß an Komplexität aus und lässt sich nur schwer innerhalb von festen Strukturen beschreiben. Nicht nur aus graphostilistischer, sondern auch aus kommunikativ-funktionaler Perspektive weist sie eine beträchtliche Spannbreite an Erscheinungsformen auf und wird daher den Schwerpunkt der nachfolgenden Analyse darstellen. Bevor wir jedoch mit der konkreten Untersuchung der langage SMS- Schreibweisen vor dem Hintergrund der jeweiligen kommunikativfunktionalen Nutzung beginnen, soll ein kurzer Überblick über die quantitative Verteilung der verschiedenen Nutzungsdimensionen im Gesamtkorpus gegeben werden. Wie im vorherigen Kapitel bereits dargelegt, lassen sich drei grundlegende Nutzungsdimensionen differenzieren, die jeweils allein (als Reinform) oder kombiniert (als Mischform) auftreten können: die praktisch-organisatorische Nutzung, die Kontaktnutzung und die Unterhaltungsnutzung. Wenn in diesem Zusammenhang von „kommunikativ-funktionalen Reinformen“ gesprochen wird, darf keineswegs von inhaltlich und thematisch vollkommen homogenen Kurzmitteilungen ausgegangen werden. Die kommunikative Hauptphase bzw. ihre Teilphasen lassen sich in diesen Fällen lediglich auf eine einheitliche Nutzungsdimension zurückführen, d.h., dass Kurzmitteilungen, deren Hauptphase sich in eine Teilphase zwecks Organisation eines Treffens und eine Teilphase zwecks Erinnerung an eine wichtige Besorgung gliedern lässt, insgesamt als Reinformen der praktisch-organisatorischen Nutzung aufgefasst werden. Damit ergibt sich vor allem im Rahmen der Kontaktnutzung ein sehr komplexes Bild an kommunikativ-funktionalen „Reinformen“, da sich eine phatisch-relationale Kurzmitteilungen durchaus aus einer Teilphase mit Geburtstagsglückwün- <?page no="264"?> 264 schen (höflich-respektvolle Kontaktnutzung), einer Teilphase zwecks emotionaler Unterstützung für eine bevorstehende Prüfung (unterstützendbestärkende Kontaktnutzung) und einer Teilphase zum Ausdruck der freundschaftlichen Gefühle (festigend-vertiefende Kontaktnutzung) zusammensetzen kann. Die variationsreichen Erscheinungsformen ergeben sich dabei nicht zuletzt aus den verschiedenen Verfasserprofilen, den unterschiedlichen Beziehungskonstellationen und den vielschichtigen Möglichkeiten der Beziehungspflege. Aus diesem Grund ist die in der obigen Tabelle angeführte quantitative Verteilung der ausschließlich phatischrelationalen Hauptphasen nur eingeschränkt aussagekräftig und es erscheint sinnvoll, die im vorherigen Kapitel vorgenommene Binnendifferenzierung der Kontaktnutzung in die sieben phatisch-relationalen Unterkategorien in der Auflistung zu berücksichtigen. Insbesondere handelt es sich dabei um die Annäherungsphase (z.B. sich nach dem Befinden erkundigen), die phatische Kontaktnutzung (z.B. einen belanglosen Bericht erstatten), die höflich-respektvolle Kontaktnutzung (z.B. Glückwünsche senden), die festigend-vertiefende Kontaktnutzung (z.B. die freundschaftliche Verbindung bestätigen), die affektiv-amouröse Kontaktnutzung (z.B. romantische Gefühle äußern), die unterstützend-bestärkende Kontaktnutzung (z.B. Trost aussprechen) und die konfliktiv-problematisierende Kontaktnutzung (z.B. Beziehungsklärung). Zwar weisen sie für sich betrachtet auch weiterhin eine gewisse Spannbreite an unterschiedlichen Erscheinungsformen auf, jedoch sind sie in Bezug auf die bestehende Beziehungskonstellation und die verfolgten Kommunikationsabsichten etwas homogener und gewährleisten dadurch exaktere Einblick in die tatsächlich auftretenden, kommunikativ-funktionalen „Reinformen“. In der nachfolgenden Tabelle werden wir dementsprechend zwischen solchen Kurzmitteilungen unterscheiden, deren Hauptphase ausschließlich einer der phatisch-relationalen Unterkategorien zuzuordnen ist (Reinformen innerhalb der Kontaktnutzung) und solchen, deren Hauptphase sich in mehrere Teilphasen gliedern lässt, die jeweils unterschiedlichen phatisch-relationalen Unterkategorien angehören (Mischformen innerhalb der Kontaktnutzung): <?page no="265"?> 265 Daraus ergibt sich in Bezug auf das Gesamtkorpus, dass knapp 40% der SMS ausschließlich aus einer praktisch-organisatorischen Hauptphase bestehen (vgl. die erste Tabelle), gut 25% eine Hauptphase aufweisen, die ausschließlich einer der phatisch-relationalen Unterkategorien zuzuordnen ist und weitere 2% der Unterhaltungsnutzung angehören. Insgesamt sind damit gut zwei Drittel des Korpus als kommunikativ-funktionale Reinformen zu bezeichnen und es wird sich im Folgenden zeigen, inwiefern sich die kommunikativ-funktionale Konstitution der Hauptphase auf die Wahl der Verschriftungen auswirkt. 7.2 Die Wechselbeziehung von langage SMS- Schreibweise und zugrunde liegender Kommunikationsfunktion Die in Kap. 4 durchgeführte Analyse des langage SMS hat gezeigt, dass sich die SMS-Nutzer sehr verschiedene, systematisch beschreibbare Verschriftungsstrategien zu eigen gemacht haben, mit deren Hilfe sie ihre SMS- Texte möglichst kreativ gestalten, um ein Maximum an verbalen, paraverbalen und teils nonverbalen Informationen (Gestik und Mimik) übermitteln zu können. Da die lexikalischen Inputformen zumeist Anknüpfungspunkte für mehrere unterschiedliche Strategien bieten, die jeweils zu verschiedenen Schreibweisen im langage SMS führen, konnte sich ein beachtlicher Variantenreichtum herausbilden, der auf den ersten Blick keinerlei Hin- <?page no="266"?> 266 weise auf eine erkennbare Systematik bei der Wahl einer Schreibweise gibt. Bei genauerer Untersuchung wurde indes deutlich, dass sich im Umgang mit dieser Formenvielfalt durchaus einige allgemeine, benutzerübergreifend geltende Erkenntnisse gewinnen lassen. Dazu gehören unter anderem die beschriebenen Automatisierungstendenzen, die die Wahl einer bestimmten Schreibweise, ungeachtet der bestehenden kontextuellen Faktoren, wahrscheinlich werden lassen (etwa c für c’est) sowie die scheinbar resistenten Bereiche (vgl. Kap. 4.6). Um in diesem Zusammenhang noch mehr Aufschluss über den Umgang mit dem beschriebenen Variantenreichtum zu erhalten, werden wir uns im Folgenden um den Einfluss der Kommunikationsfunktion auf die Wahl der Verschriftung bemühen und untersuchen, ob sich eindeutige, benutzerübergreifend feststellbare Tendenzen beobachten lassen. Dabei sind Schreibweisen mit festgestellter Automatisierungstendenz bzw. Varianten, die sonstigen kontextunabhängigen Einflüssen unterliegen, entsprechend separat zu behandeln, da sie beinahe spontan in der automatisierten Form realisiert werden und sich eine Detailanalyse erst dann als sinnvoll erweist, wenn der tatsächliche Outputkandidat von der erwartbaren und damit im Rahmen des langage SMS „unmarkierten“ Schreibweise abweicht. In Bezug auf das konkrete Vorgehen werden wir zunächst generelle Regelmäßigkeiten hinsichtlich der zu beobachtenden Verfasserintentionen vor dem Hintergund der jeweiligen kommunikativ-funktionalen Nutzungsdimension aufzeigen, bevor wir auf die Analyse konkreter Einzelfälle eingehen werden. Wir werden mit der praktisch-organisatorischen Nutzung beginnen, um anschließend auf die Besonderheiten der Kontaktnutzung, insbesondere auf die verschiedenen phatisch-relationalen Unterkategorien einzugehen, wobei explizit darauf hingewiesen sei, dass es sich bei den Beobachtungen stets nur um Tendenzen handeln kann, die zumeist von einer gewissen Anzahl an Ausnahmen begleitet werden. 7.2.1 Tendenzielle Auffälligkeiten innerhalb der praktischorganisatorischen Nutzung Entstehend aus einer kommunikativen, interpersonal zweckorientierten Motivation zur Bewältigung des Alltags heraus dienen praktischorganisatorische SMS vornehmlich der Organisation und Koordination alltäglicher Abläufe und Tätigkeiten. Dazu gehören beispielsweise die Planung einer Verabredung, die Übermittlung eines kurzen Lageberichts, einer Meinungsäußerung, einer Bitte oder einer Erinnerung an etwas Bestimmtes, wobei die vordergründige Kommunikationsabsicht im Übersenden der Information liegt (vgl. dazu Kap. 6). Knapp 40% der im Gesamtkorpus enthaltenen SMS weisen eine ausschließlich praktisch-organisatorische Hauptphase auf, weitere zehn Prozent lassen sich übergeordnet dieser Nutzung zuordnen, selbst wenn sie innerhalb ihrer Hauptphase <?page no="267"?> 267 begleitende phatisch-relationale Teilphase aufweisen. 450 Daraus ergibt sich, dass beinahe die Hälfte der Daten primär der praktisch-organisatorischen Nutzungsdimension zuzuordnen sind, was sich in unterschiedlichem Ausmaß auf die Art der Verschriftung auswirken kann. Bevor wir jedoch mit der Analyse beginnen, ist es hilfreich, sich aus rein quantitativer Perspektive die Einsparung an verwendeten Zeichen vor Augen zu führen, die im Vergleich zu der orthographisch korrekten Verschriftung erzielt wurde. Hinsichtlich der ausschließlich praktischorganisatorisch genutzten Kurzmitteilungen ergibt sich bei einer Durchschnittslänge von 69,1 Zeichen pro SMS eine durchschnittliche Einsparung von 11,7 Zeichen (das Maximum liegt im Rahmen der hier untersuchten Daten bei 58 Zeichen für eine SMS, die gemäß der Orthographie 186 Zeichen einschließlich Leerzeichen beanspruchen würde). Prozentual betrachtet benötigt ein praktisch-organisatorischer SMS-Text damit durchschnittlich 85% der von der Orthographie geforderten Zeichenmenge, wobei das auftretende Minimum bei nur 33,3% liegt. 451 Demnach ist zu erwarten, dass sich einige effiziente Varianten in den SMS-Texten beobachten lassen, die einen entsprechenden Ökonomieeffekt mit sich bringen. Betrachtet man vor diesem Hintergrund die im Rahmen der Nutzungsdimension verwendeten Schreibweisen, so fällt ganz allgemein auf, dass sich nur wenige Kurzmitteilungen durch eine beinahe korrekte Orthographie auszeichnen. Darunter fassen wir solche SMS-Texte, die anstatt eines Apostrophs ein Leerzeichen setzen, die Groß- und Kleinschreibung missachten, einen Teil der Akzente und Bindestriche eliminieren und sehr vereinzelt einen stummen Buchstaben tilgen, aber ansonsten die orthographische Norm respektieren. Die Anzahl an Kurzmitteilungen, die sich im Rahmen der praktisch-organisatorischen Nutzung auf diese Verschriftungsverfahren beschränken, beläuft sich auf 43 SMS (selbst auf der Ebene des Gesamtkorpus bleiben es 55 SMS, was einem Anteil von gut fünf Prozent entspricht). Ein Großteil der Kurzmitteilungen greift auf unkonventionelle Verschriftungsverfahren zurück und weist wenigstens einige effiziente langage SMS-Varianten auf. Folglich kann eine sehr enge Orientierung an der Orthographie, die sich über den gesamten SMS-Text erstreckt, als „markiert“ im Rahmen des langage SMS bezeichnet werden, da sie in Anbetracht der vorherrschenden Kommunikationsbedingungen kaum zu erwarten ist und quantitativ eine auffallend geringe Rolle spielt. Ein bewusster Rückgriff auf orthographisch korrekte und folglich markierte Schreibweisen kann somit eine zusätzliche Informationsebene hervorrufen, insbesondere dann, wenn der Verfasser ein versierter SMS-Schreiber 450 Anhand der Beispiele wird im Folgenden deutlich werden, dass die begleitenden, phatisch-relationalen Teilphasen in diesen Fällen aufgrund ihres geringen Ausmaßes eher eine zu vernachlässigende Rolle spielen. 451 Konkret handelt es sich dabei um die SMS „Pk? “ für „Pourquoi? “. <?page no="268"?> 268 ist. Es könnte etwa als Verschriftungsstilmittel zur Herstellung von kommunikativer Distanz eingesetzt werden oder aber als bewusste Demonstration seiner Abneigung gegen den langage SMS bzw. eine die Orthographie missachtende Schreibweise. Diesbezüglich lassen die Daten kein pauschales Urteil zu. Es scheint vielmehr vom Verfasserprofil und von der Sender- Empfänger-Beziehung abzuhängen, ob der unkonventionelle Schriftkode grundsätzlich abgelehnt wird oder ob situationsspezifisch entschieden wird, in welcher Form der Text verschriftet wird (im Zuge der benutzerspezifischen Einzelanalysen werden wir darauf noch näher eingehen). Für die benutzerübergreifend feststellbaren Tendenzen im Umgang mit dem langage SMS werden die nahezu korrekten SMS-Texte jedoch zu vernachlässigen sein, da wir uns vornehmlich auf die sich aus den unkonventionellen Schreibweisen ergebende Formenvielfalt konzentrieren wollen bzw. auf mögliche Einflussfaktoren, die zur Wahl einer bestimmten langage SMS- Variante führen können. Im Gegensatz zu den beinahe korrekten SMS-Texten stellen Kurzmitteilungen, die zumindest einige effiziente Schreibweisen enthalten, den wesentlich häufigeren Fall dar. Weit über 90% der praktisch-organisatorischen SMS beinhalten (wenigstens) einfache konsonantische Skelette, automatisierte Akronyme, einfache pseudophonetische Schreibweisen oder auch agglutinierte Artikel und Pronomen, so dass hier von einer gewissen Erwartbarkeit ausgegangen werden kann. Inwieweit sich die Verschriftungsverfahren auswirken, mit welcher Stetigkeit sie in Bezug auf den gesamten SMS-Text angewendet werden bzw. ob zudem noch weitere enigmatische Verschriftungsverfahren zum Einsatz kommen, kann im Rahmen der rein praktisch-organisatorischen Nutzung sehr stark variieren. Die Daten legen in diesem Zusammenhang nahe, in der nachfolgenden Analyse drei Abstufungen an langage SMS-Stilen zu differenzieren, die sich jeweils im Hinblick auf die Art der eingesetzten Verschriftungsstrategien, primär bezüglich Effizienz und Expertise, sowie im Hinblick auf die Regelmäßigkeit, mit der die Verschriftungsstrategien angewendet werden, unterscheiden. Es fällt auf, dass gut 60% der auftretenden Kurzmitteilungen neben orthographisch korrekten Äußerungen eine gewisse Anzahl an effizienten langage SMS-Varianten aufweisen, die mit einigen nahezu automatisierten Schreibweisen bzw. einfachen Agglutinationen versehen sind, ohne dabei jedoch einen besonders hohen Grad an Expertise unter Beweis zu stellen (erste Abstufung). Knapp 20% der praktisch-organisatorischen SMS stellen neben effizienten Varianten zumindest bei einigen Äußerungen eine gewisse Expertise unter Beweis, indem sie auf die Verwendung von Buchstaben- und Ziffernhomophonen bzw. vermehrt auf agglutinierte Schreibweisen zurückgreifen, wobei weiterhin noch einige orthographisch korrekte Schreibweisen auftreten können, die auf eine noch etwas unregelmäßige Anwendung der primär effizienten bzw. enigmatischen Verschriftungsver- <?page no="269"?> 269 fahren hindeuten (zweite Abstufung). Schließlich lässt sich bei gut fünf Prozent der Kurzmitteilungen beobachten, dass nahezu jede Äußerung einer Verschriftungsstrategie unterzogen wird und dass der Grad an Professionalität ein sehr hohes Maß erreicht. Häufig sind die Schreibweisen effizient und enigmatisch zugleich und es scheint sich eine Automatisierungstendenz für agglutinierte Schreibweisen bestehend aus Artikel und Nomen, Pronomen und Verb bzw. Präposition und Folgewort entwickelt zu haben (dritte Abstufung). Es erweist sich als aufschlussreich, die einzelnen Abstufungen etwas genauer zu beschreiben und anhand von einigen Beispielen zu verdeutlichen. Die erste Abstufung zeichnet sich vornehmlich durch recht leicht durchschaubare, schnell erlernbare und damit im Rahmen der SMS-Kommunikation erwartbare Stilelemente der Verschriftung aus. In aller Regel sind sie primär effizient, wobei sie nicht immer den maximal möglichen Ökonomieeffekt erzielen, der sich für die entsprechende Inputform im Gesamtkorpus beobachten lässt. In Relation zur jeweiligen Gesamtlänge des SMS- Textes sind nur selten enigmatische Schreibweisen vorhanden, die sich dann zumeist auf sehr häufige und beinahe automatisierte Varianten etwa der Form 2m1 für demain oder g für j’ai beschränken. In Bezug auf die Regelmäßigkeit der Anwendung lässt sich für die Verschriftungsstrategien beobachten, dass noch einige Äußerungen der orthographischen Norm folgen, selbst wenn sie unter Umständen in derselben SMS bereits einer effizienten Strategie unterzogen wurden. Die Verschriftung scheint demnach nicht über den gesamten SMS-Text hinweg vollkommen bewusst und reflektiert vonstatten zu gehen, sondern von einem gewissen Maß an Spontaneität geprägt zu sein bzw. einem teils noch beachtlichen Einfluss der orthographischen Gewohnheiten zu unterliegen, so dass sich der Verschriftungsstil im Laufe des SMS-Textes durchaus ändern kann. Bei dieser ersten Abstufung handelt es sich um SMS-Texte, die lediglich ein gewisses „Minimum“ an erwartbaren langage SMS-Stilelementen aufweisen und die im Rahmen der Kommunikationsform wenig überraschen bzw. kaum innovativ sind. Daher lassen sie nur bedingt Rückschlüsse auf die zugrunde liegende Verfasserintention zu. Sie bilden eine Art neutralen Standard an langage SMS-Schreibweisen, der relativ erwartbar und damit weitgehend „unmarkiert“ hinsichtlich einer ausgeprägten Verfasserintention bleibt. Als Beispiele lassen sich unter anderem die folgenden Kurzmitteilungen nennen: (1) Oui mais pa lundi la mé lundi prochin (37) 452 Oui mais pas lundi là mais lundi prochain (41) 452 Die Zahlen in den runden Klammern am Ende der SMS geben von nun an die für den SMS-Text beanspruchten Platzeinheiten an. <?page no="270"?> 270 (2) dsl jvien de me reveiller jarive le plu vite! (45) Désolé je viens de me réveiller j'arrive le plus vite! (54) (3) Kel prof ? C cool mai on fait coment pour lan prochain? (55) Quel prof? C'est cool mais on fait comment pour l'an prochain? (62) (4) Je te rapl ds 10min (19) Je te rappelle dans 10 minutes (30) Bei den meisten Schreibungen handelt es sich entweder um graphische Reduktionen (häufig einfache konsonantische Skelette) oder um pseudophonetische Schreibweisen (Tilgung stummer Buchstaben bzw. Reduktion von Doppelkonsonanten), die jeweils unterschiedliche Ökonomieeffekte mit sich bringen. Allerdings lassen sich auch orthographisch korrekte Äußerungen finden, die beispielsweise als konsonantisches Skelett hätten realisiert werden können (etwa pr für pour in Beispiel (2)) oder deren stummer Auslautkonsonant nicht getilgt wurde (fait und coment ebenfalls in Beispiel (2), wobei comment auch als konsonantisches Skelett der Form cmt realisiert werden könnte). In Beispiel (1) scheint der Verschriftungsstil zu wechseln, da sich die Schreibweisen anfangs noch an der orthographisch korrekten Inputform orientieren, bevor sie ab dem dritten Wort die phonische Inputform abbilden. Würde man für jede einzelne Variante der obigen Beispiele den dazugehörigen Auswertungsprozess betrachten, der sie unter den möglichen Outputkandidaten für den dazugehörigen lexikalischen Input als optimal evaluieren würde, so ergäbe sich ein gewisses Ökonomiebestreben kombiniert mit entweder phonischer oder graphischer Treue, wobei das Verlangen nach Platz- und Zeitökonomie, enthalten in den Beschränkungen E CON (place) und E CON (time), in der Hierarchie keineswegs immer dominant ist. 453 Im Hinblick auf das Kontinuum der Verfasserintentionen wären die Schreibweisen folglich, je nach erzieltem Ökonomieeffekt, primär auf der Achse effizient zu lokalisieren, wohingegen die Dimensionen expressiv und enigmatisch kaum eine Rolle spielen würden. Kurzmitteilungen, die der zweiten Abstufung zuzuordnen sind, können ebenfalls die bereits beschriebenen, primär effizienten Verschriftungsstrategien des erwartbaren langage SMS-Standardstils aufweisen, jedoch werden sie hier mit größerer Regelmäßigkeit angewendet. Das Auftreten orthographisch korrekter Schreibweisen wird wesentlich seltener und es lässt sich im Vergleich zur vorherigen Kategorie ein gewisser Zuwachs an Expertise feststellen, der sich in einem zwar nicht systematischen, aber doch 453 Dass die Ökonomiebeschränkungen in der Hierarchie teilweise nach hinten rücken, lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass sich unter den Outputkandidaten oftmals noch effizientere Varianten finden lassen. <?page no="271"?> 271 wesentlich häufigeren Rückgriff auf semiophonologische Schreibungen äußert: (5) Coucou c lola chui o lycè tu vien ou pa? Ya louise mé el rest pa lgtps (70) Coucou c'est Lola je suis au lycée tu viens ou pas? Y a Louise mais elle reste pas longtemps (92) (6) Nn mé y en a 2 a pio pa loin de ché nous (40) Non mais y en a 2 à Pio pas loin de chez nous (45) (7) On a eu 1 pti souci ac le scoot 2 mn pote la c bn on la dmaré biz a tte (71) On a eu un petit souci avec le scooter de mon pote là c'est bon on l'a démarré bise à toute (91) (8) Oui c sur c le 19! Je c pa ce ke je ve pour mon anif sa tétone lol! bisoux! (75) Oui c’est sûr c’est le 19! Je sais pas ce que je veux pour mon annif ça t’étonne lol! Bisous! (93) Es lässt sich nach wie vor ein recht hoher Anteil an graphischen Reduktionen und pseudophonetischen Schreibweisen erkennen, allerdings werden sie hier mit größerer Konsequenz angewendet. Orthographische Treue wird seltener und tritt in der Regel nur noch dann auf, wenn graphische und phonische Inputform nahezu identisch sind, so dass neben graphischer zugleich phonische Treue gewährleistet werden kann, wie etwa bei loin in Beispiel (6). Sicherlich lassen sich diesbezüglich auch weiterhin Ausnahmen feststellen (etwa nous (6) oder pote (7)), jedoch scheinen die SMS-Texte insgesamt wesentlich reflektierter verschriftet zu werden. Die abnehmende Einflussnahme der orthographischen Gewohnheiten lässt sich unmittelbar an den jeweiligen Auswertungsprozessen für die einzelnen Varianten ablesen, da die graphischen Treuebeschränkungen in der Beschränkungshierarchie auf nachrangige Positionen rücken. Demgegenüber gewinnt beispielsweise die Beschränkung S EMIOPHON bei einzelnen Schreibweisen an Bedeutung hinzu (etwa in Beispiel (7) bei den Varianten 1 für un, 2 für de, c für c’est und dmaré für démarré), es werden SMS- Homonyme provoziert (wie in Beispiel (8) c für c’est und sais) und der an sich im Wortauslaut stumme Buchstabe e wird bewusst als pseudophonetische Schreibweise für den Laut [ø] eingesetzt (ve in Beispiel (8)). Demzufolge lässt sich bei den Kurzmitteilungen der zweiten Abstufung neben einem bewussten und auszugsweise recht systematischen Streben nach Effizienz auch der Wunsch erkennen, wenigstens teilweise eine gewisse Expertise hinsichtlich des langage SMS unter Beweis zu stellen. Die Expertenschreibweisen sind dann nicht nur hinsichtlich der Achse effizient zu bewerten, sondern auch hinsichtlich der Achse enigmatisch, so dass sich bei der Lokalisierung im Kontinuum der Verfasserintentionen ein zweidimensionales Bild in der Ebene effizient-enigmatisch ergibt. <?page no="272"?> 272 Gut fünf Prozent der rein praktisch-organisatorischen SMS sind der dritten Abstufung zuzuordnen, die sich durch ein sehr hohes Maß an Effizienz und Expertise zugleich auszeichnet. Kaum eine Äußerung entspricht ihrem orthographisch korrekten Pendant, es sei denn es handelt sich um eine sehr kurze Äußerung, die kaum Anwendungsmöglichkeiten für eine Verschriftungsstrategie bietet (etwa der bestimmte Artikel la oder das Pronomen on). Semiophonologische Schreibweisen werden mit größerer Regelmäßigkeit eingesetzt und bei einigen sehr kompetenten Verfassern lässt sich sogar eine recht klare Systematik erkennen. Auch agglutinierte Schreibweisen bestehend aus einem Lexem und einem oder mehreren von ihm abhängigen (apostrophierten) Klitika treten mit einer gewissen Kontinuität auf, wobei entsprechend der phonischen Realisierung oftmals eine Schwa-Tilgung mit einhergeht (etwa bei jpe für je peux). Teilweise werden auch längere Passagen miteinander verschmolzen, wie etwa bei pas+2dtails für pas plus de détails. Die Folge davon sind SMS-Texte, die nur von kompetenten Lesern entschlüsselt werden können und deren Schriftbild kaum noch an einen französischen Standardtext erinnert: (9) Satdi dvenir boir 1pti cou ac emilie é moi dsl jpepa taplé pu dcrédi (68) Ça te dit de venir boire un petit coup avec Emilie et moi désolée je peux pas t'appeler plus de crédit (102) (10) gar en fait g revé kan g vu la list d prof, a jussieu ke la list d pers ki pass. par contr le tp 2m1 é a 10h30 dan le couloir 2 julie. (134) Gars en fait j'ai rêvé quand j'ai vu la liste des profs, à Jussieu que la liste des personnes qui passent. Par contre le temps demain est à 10 h 30 dans le couloir de Julie. (173) (11) dsl jaV plu 2 batteri.mtn c bon je lai branché.par contr encor dsl mai g peu 2 credi dc jpe pa te rapelé... (108) Désolé j'avais plus de batterie. Maintenant c'est bon je l'ai branchée. Par contre encore désolé mais j'ai peu de crédit donc je peux pas te rappeler... (152) (12) G pa 2 rézo tn slim jle pase a louise on é alé mé yavé r1 dsl (61) J'ai pas de réseau ton slim je le passe à Louise on est allé mais y avait rien désolée (86) Es wird deutlich, dass die Verfasser jede Äußerung bzw. jede Intonationseinheit ganz bewusst verschriften. Dadurch können sie insgesamt einen wesentlich höheren Ökonomieeffekt erzielen als die Verfasser der vorherigen Kategorien: sie benötigen durchschnittlich nur 72% der gemäß der Orthographie erforderlichen Zeichenmenge, während es im Rahmen der ersten Abstufung durchschnittlich 86% sind, im Rahmen der zweiten Abstufung 79%. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die häufig gewählten enigmatischen Varianten zumeist auch sehr effizient sind, insbesondere die semiophonologischen Schreibweisen. Allerdings scheint in <?page no="273"?> 273 dieser Kategorie nicht nur Effizienz eine Folge von Expertise zu sein, sondern auch Expertise eine Folge von sehr hoher Effizienz. Einige graphische Reduktionen beispielsweise werden so stark gekürzt, dass sie nur noch unter Rückgriff auf den Kontext eindeutig entschlüsselt werden können, wie es etwa für das konsonantische Skelett tp (temps gegenüber trop als alternative lexikalische Inputform) in Beispiel (10) der Fall ist. Damit lässt sich im Hinblick auf die zugrunde liegenden Verfasserintentionen sagen, dass die Schreibweisen möglichst maximal effizient und sehr enigmatisch zugleich sein sollen. In der Beschränkungshierarchie spiegelt sich das in einer sehr hohen Anordnung der Ökonomiebeschränkungen kombiniert mit enigmatischen Anforderungen wie etwa S EMIOPHON wider, wobei die graphischen Treuebeschränkungen an Relevanz verlieren. Bis auf wenige Schreibweisen, die ausschließlich effizient sind, wären die einzelnen Varianten folglich in der Ebene effizient-enigmatisch im Kontinuum der Verfasserintentionen zu lokalisieren, wobei der maßgebliche Unterschied zur vorherigen Abstufung darin besteht, dass der Anteil an effizient-enigmatischen Schreibweisen pro SMS sowie der jeweils erzielte Wert auf den beiden Achsen höher ist. Im Hinblick auf die bisherigen Ausführungen fällt auf, dass die im Rahmen der rein praktisch-organisatorischen Nutzungsdimension zu beobachtenden Schreibweisen bislang ausschließlich auf den Achsen effizient und enigmatisch einzuordnen waren. Tatsächlich stellen expressive Schreibungen in dieser Nutzungsdimension eine Ausnahme dar. Selbst wenn der SMS-Text auf eine erhöhte emotionale Beteiligung oder eine gewisse Nachdrücklichkeit hindeutet, scheinen verbale Ausformulierungen ohne den Rückgriff auf weitere graphostilistische Kompensationsstrategien bevorzugt zu werden: (13) Je te di si tu ne vien pa je te tue.vien stp (44) Je te dis si tu ne viens pas je te tue. Viens stp (49) Die aus der mündlichen Kommunikation bekannten prosodischen Merkmale wie etwa die Variation der Lautstärke oder der Einsatz von Vokaldehnungen als zusätzliche Möglichkeit der suprasegmentalen Informationsübermittlung werden bei praktisch-organisatorischen SMS nur selten durch die Verwendung von Großbuchstaben oder Buchstabenwiederholungen zu imitieren versucht. 454 Auch die Reduplikation von Satzzeichen tritt nur selten auf: (14) T'etais pas ds la cour ya 2sec ? ? (33) T'étais pas dans la cour y a deux secondes? ? (41) Lediglich die Abfolge von mehreren Punkten zur Symbolisierung einer kurzen Gesprächspause „…“ lässt sich in insgesamt 34 der 368 rein prak- 454 Zu den expressiven Schreibungen und ihren Funktionen vgl. Kap. 4.3.3. <?page no="274"?> 274 tisch-organisatorischen SMS beobachten und kommt somit etwas häufiger vor: (15) Ah ok.. prtan me sui deco kan jsui parti dlordi. (64) Ah ok...pourtant me suis déconnecté quand je suis parti de l'ordi. (85) Expressive Großschreibungen, Buchstaben- und Wortwiederholungen oder die bewusste Iteration eines der anderen Satzzeichen lassen sich hingegen nur in 24 SMS nachweisen. Das entspricht einem Anteil von 6,5% der rein praktisch-organisatorisch genutzten Kurzmitteilungen und deutet auf eine eher geringe Bedeutung der expressiven Schreibungen im Rahmen dieser Nutzungsdimension hin. Schon die sprachliche Konzeption des Textes lässt nur selten auf eine erhöhte emotionale Beteiligung schließen. Vielmehr weisen die Kurzmitteilungen zumeist einen recht nüchternen Sprachstil auf, der nur selten auf besondere Emphase hindeutet. Die Gesamtkonzeption des Textes scheint auf eine recht kurze und zielstrebige Übermittlung der eigentlichen Information angelegt zu sein. Ein solches Sprachverhalten ist in engem Zusammenhang mit den Charakteristika der kommunikativfunktionale Nutzungsdimension zu sehen und schlägt sich offenbar auch in der Wahl der ‚Verschriftungsstilmittel’ nieder. Daraus ergibt sich bezüglich unserer anfangs aufgestellten Hypothese, dass eine Korrelation zwischen praktisch-organisatorischer Nutzungsdimension einerseits und der Wahl von primär effizienten, teilweise zugleich enigmatischen langage SMS-Schreibweise andererseits besteht. Ob bzw. inwieweit hier ein gewisser Grad an Expertise zum Ausdruck kommt, hängt maßgeblich von der Kompetenz des Verfassers und, wie sich später noch genauer herausstellen wird, von der bestehenden Sender-Empfänger- Beziehung ab. Strebt man eine Lokalisierung der einzelnen SMS-Texte bzw. der darin auftretenden Varianten sowohl im Kontinuum der kommunikativfunktionalen Nutzungsdimensionen als auch im Kontinuum der mit einer langage SMS-Schreibweise verfolgten Verfasserintentionen an, so nimmt ein Großteil der Konstituenten in beiden Kontinua eine sehr ähnliche Position ein: Aus kommunikativ-funktionaler Perspektive sind die Hauptphasen bzw. ihre gegebenenfalls vorhandenen Teilphasen auf der Achse praktisch, d.h. auf der x-Achse des entsprechenden Kontinuums einzuordnen. Hinsichtlich der Verfasserintentionen haben wir in den obigen Ausführungen festgestellt, dass gut 60% der rein praktisch-organisatorischen SMS beinahe ausschließlich effiziente Verschriftungsverfahren aufweisen, wobei eine teils noch recht starke Einflussnahme der orthographischen Gewohnheiten zu beobachten ist. Weitere 20% zeichnen sich durch eine zunehmend regelmäßige Anwendung der effizienten, in Auszügen zugleich enigmatischen Verschriftungsstrategien aus, wohingegen gut fünf Prozent der praktisch-organisatorischen SMS mit ihren Schreibweisen ein sehr hohes Maß an Effizienz erreichen, das gleichzeitig ein nicht zu verachtendes Experten- <?page no="275"?> 275 tum voraussetzt. Demzufolge wäre ein recht großer Anteil der im Rahmen der praktisch-organisatorisch genutzten SMS-Texte auftretenden Schreibweisen auf der Achse effizient und damit ebenfalls auf der x-Achse des Kontinuums der Verfasserintentionen zu lokalisieren, wobei sich diese Einordnung durch das Hinzukommen von Expertise in die Ebene effizientenigmatisch verschieben kann. Veranschaulichen wir uns diese Wechselbeziehung anhand eines kurzen Beispiels: (16) Jdor ché julie (14) Je dors chez Julie (18) Die Schreibweise Jdor bringt im Vergleich zu alternativen Outputkandidaten einen recht hohen Ökonomieeffekt mit sich, 455 zeichnet sich durch große phonische Treue aus und beweist durch die Agglutination von Klitikon und Folgeverb bei gleichzeitiger Schwa-Tilgung ein minimales Maß an Expertise. Die Variante ché ist ebenfalls eine effiziente, pseudophonetische Schreibweise, die allerdings einen etwas geringeren Ökonomieeffekt erzielt und sehr leicht zu entschlüsseln ist. Der Eigenname julie schließlich bringt nur die Einsparung eines Tastendrucks durch die unterlassene Großschreibung mit sich und ist damit minimal effizient. Eigennamen sollten allerdings separat betrachtet werden, da sie eine wichtige Rolle für die eindeutige Informationsübermittlung spielen und aufgrund ihrer Identifikationsfunktion bzw. der damit einhergehenden Symbolhaftigkeit nicht unbedarft einer Verschriftungsstrategie unterzogen werden. Daher bleibt der Eigenname in der folgenden Auswertung unberücksichtigt: 456 455 Alternative Outputkandidaten wären beispielsweise je dors, je dor, j dors oder j dor, wovon in diesem Korpus nur die Variante je dor vertreten ist. 456 In Bezug auf den Aufbau der graphischen Darstellung sei nochmals daran erinnert, dass es sich jeweils um dreidimensionale Räume handelt, innerhalb derer die Kurzmitteilungen bzw. die einzelnen langage SMS-Varianten als offene Mengen abgebildet werden. Die Position der offenen Mengen richtet sich dabei nach der zugrunde liegenden kommunikativ-funktionalen Nutzung bzw. der verfolgten Verfasserintention, d.h. es wird für jede Achse einzeln entschieden, ob bzw. inwieweit sie relevant ist und dementsprechend lokalisiert. Ist eine langage SMS-Variante beispielsweise sehr effizient und sehr enigmatisch im Vergleich zu alternativen Outputkandidaten, nicht aber expressiv, so ist sie als ‚kreisförmige Scheibe’, d.h. weitgehend ohne räumliche Tiefe zwischen den Achsen effizient und enigmatisch zu lokalisieren. Die Dreidimensionalität des Schemas wird erst dann deutlich, wenn die Achse expressiv relevant wird (im Zuge späterer Beispiele wird das noch deutlicher werden). Die Form der offenen Mengen kann sich einerseits dadurch verändern, dass eine Variante etwa ausschließlich effizient ist (um die ‚Nicht-Aktivität’ der Achsen enigmatisch und expressiv abbilden zu können, wird die Kreisform dann eher zu einer Ellipse ‚abgeflacht’), andererseits dadurch, dass nicht mit eindeutiger Sicherheit beurteilt werden kann, ob eine Dimension aktiv ist oder nicht (falls wir bei einer phatisch genutzten SMS beispielsweise eine parallel aktive spielerische Dimension vermuten, uns ihrer aber nicht sicher sind, dann müssen wir beide Möglichkeiten im Kontinuum der <?page no="276"?> 276 Die Positionierung der beiden Schreibweisen im Kontinuum der Verfasserintentionen stimmt demnach ungefähr mit der Positionierung der SMS im Kontinuum der kommunikativ-funktionalen Nutzungsdimension überein und bildet die Korrelation zwischen praktisch-organisatorischer Nutzungsdimension und effizienten Schreibweise illustrativ ab. Zugegebenermaßen handelt es sich um ein sehr kurzes Beispiel, das lediglich eine monofunktionale Hauptphase bestehend aus vier Wörtern aufweist, jedoch wird die Detailanalyse in Abschnitt 7.2.3 zeigen, dass es auch bei längeren, kommunikativ-funktional heterogenen Kurzmitteilungen auszugsweise zu einer tendenziellen Deckungsgleichheit der Lokalisierungen in den beiden Kontinua kommen kann. Dabei kann sicherlich nicht erwartet werden, dass ausnahmslos jede Äußerung einer praktisch-organisatorischen Haupt- oder Teilphase von effizienten oder effizient-enigmatischen Verschriftungsstrategien geprägt ist, da schon die vorherigen Beispiele verdeutlicht haben, dass vereinzelt immer wieder orthographisch korrekte Äußerungen oder gar expressive Schreibweisen auftreten können. Dennoch weisen die Daten auf eine offensichtliche Affinität zwischen praktisch-organisatorisch und effizient hin, so dass hier zumindest tendenziell von einer Korrelation ausgegangen werden kann. Erweitert man die Untersuchung der rein praktisch-organisatorisch genutzten Kurzmitteilungen wiederum auf den Bereich der SMS, die sich Nutzungsdimensionen entlang der Achse spielerisch durch eine entsprechend ‚nach oben gestreckte Ellipse’ abdecken). Die folgenden Ausführungen werden das zunehmend veranschaulichen. Die Zahlenangaben in den offenen Mengen entsprechen jeweils der Nummer des Beispiels. <?page no="277"?> 277 zwar übergeordnet dieser Nutzungsdimension zuordnen lassen, deren Hauptphase aber begleitende phatisch-relationale Teilphasen aufweist, so lässt sich im Hinblick auf den Schreibstil trotz heterogener Nutzung eine gewisse Uniformität beobachten. Entsprechend der obigen Ausführungen lässt sich in der (mehr oder weniger dominanten) praktisch-organisatorischen Teilphase jeweils eine der drei beschriebenen Abstufungen des langage SMS-Stils beobachten. Der Stil in den begleitenden phatisch-relationalen Teilphasen unterscheidet sich in der Regel kaum vom Stil der praktischorganisatorischen Phase, wobei einschränkend hinzugefügt werden muss, dass es sich zumeist um sehr kurze Teilphasen etwa in Form einer Annäherungsphase handelt, die nur bedingt eindeutige Rückschlüsse zulassen: (17) Cc! sa va? t la la1 ere semaine 2 vac? bsx (39) Coucou! Ça va? T'es là la première semaine de vacances? Bisous (62) 457 Schließt sich die phatisch-relationale Teilphase an den praktischen Hauptteil an, so handelt es sich oftmals um einen kurz Dank etwa durch merci bcp (merci beaucoup) als höflicher Abschluss einer zuvor geäußerten Bitte. Ausführlichere phatisch-relationale Teilphasen, wie wir sie in den folgenden Beispielen beobachten können, kommen eher selten vor: (18) Slt lou c eva! dsl 2 te fer chié si t o cheval (tu monte ki! ? ) c pr savoir si vs pouvé mamené ce soir? (lucie vien ac son per) bisous! (134) Salut Lou c’est Eva! Désolée de te faire chier si t’es au cheval (tu montes qui! ? ) c’est pour savoir si vous pouvez m’amener ce soir? (Lucie vient avec son père) Bisous! (169) Interessanterweise fällt im Bereich der kommunikativ-funktional heterogen genutzten Kurzmitteilungen auf, dass der Anteil an expressiven Schreibweisen leicht zunimmt. Der Rückgriff auf rahmende, der Kontaktnutzung zuzuordnende Teilphasen scheint die bestehende Nähe unter den Kommunizierenden in gewisser Weise zu steigern und lässt den Einsatz von expressiven Schreibweisen wahrscheinlicher werden. Konkret handelt es sich hierbei zumeist um die Iteration von Satzzeichen, insbesondere von Punkten, die wesentlich häufiger innerhalb der phatisch-relationalen Teilphase auftreten, als im praktisch-organisatorischen Teil. Hinzu kommt, dass sich in diesen Fällen oftmals auch eine Verabschiedungsphase vorfinden lässt, die ebenfalls durch expressive Verschriftungsstrategien untermalt sein kann: 457 In diesem Beispiel sind neben der pseudophonetisch verschrifteten Annäherungsphase sogar Begrüßungs- und Verabschiedungsphase durch einen primär effizienten Schreibstil gekennzeichnet. <?page no="278"?> 278 (19) bonsoir bel damoizel en détress je ne vai pa prendr tro 2 ten (parceke tu doi surmen etr en kompagnie de Lucas ..) just si 2m1 tu pouvai mamené un pull col V noir tt kon sa sré mega top hyper super big cool ! mercii.gro bibi et bone nui ma biboo (244) Bonsoir belle demoiselle en détresse je ne vais pas prendre trop de temps (parce que tu dois sûrement être en compagnie de Lucas…) juste si demain tu pouvais m'amener un pull col V noir tout con ça serait méga top hyper super big cool! Merci. Gros bisou et bonne nuit ma biboo (276) Diese Beobachtung sollte allerdings durch das jeweilige quantitative Ausmaß der expressiven Stilelemente relativiert werden, da es in vielen Fällen so gering bleibt, dass die expressive Schreibweise kaum aus dem Gesamtschriftbild des SMS-Textes hervorsticht, sondern eines zweiten Blickes bedarf, um bemerkt zu werden. 7.2.2 Tendenzielle Auffälligkeiten innerhalb der Kontaktnutzung Die Kontaktnutzung beruht vornehmlich auf einer kommunikativen, interpersonal zweckorientierten Motivation zur Pflege des sozialen Netzwerkes und kann von oberflächlichen Bekanntschaften über gute Freundschaften bis hin zu intimen Partnerschaften jede Beziehung betreffen. Die Art der Beziehungspflege reicht dabei von einer recht unverbindlichen und oberflächlichen Kontaktaufnahme mit rein phatischen Absichten bis hin zu einer sehr verbindlichen Kontaktaufnahme zwecks konkreter Thematisierung der bestehenden interpersonalen Beziehung und kann damit sowohl positive als auch negative Emotionen implizieren. Im vorherigen Unterkapitel haben wir innerhalb der Kontaktnutzung sieben phatisch-relationale Unterkategorien differenziert: die Annäherungsphase, die phatische Kontaktnutzung, die höflich-respektvolle Kontaktnutzung, die festigendvertiefende Kontaktnutzung, die affektiv-amouröse Kontaktnutzung, die unterstützend-bestärkende Kontaktnutzung und die konfliktiv-problematisierende Kontaktnutzung. Gut 42% des Gesamtkorpus lassen sich grundsätzlich der phatisch-relationalen Nutzungsdimension zuordnen, wobei sich diese Menge nochmals unterteilen lässt in Kurzmitteilungen, deren Hauptphase ausschließlich einer der sieben Unterkategorien zuzuordnen ist (Reinformen innerhalb der Kontaktnutzung, insgesamt 25%) und Kurzmitteilungen, deren Hauptphase sich in mehrere Teilphasen jeweils verschiedener phatisch-relationaler Unterkategorien untergliedern lässt (Mischformen innerhalb der Kontaktnutzung, insgesamt 17%). Im Hinblick auf die nachfolgende Analyse erscheint es auch für diese Nutzungsdimension vorab hilfreich zu sein, einige allgemeine Beobachtungen aus quantitativer Perspektive anzustellen. Zunächst ergibt sich für die Gesamtmenge der phatisch-relational genutzten SMS eine Durchschnittslänge von 92,8 Zeichen pro SMS, was im Vergleich zu den praktisch-organisatorisch genutzten Kurzmitteilungen mit durchschnittlich nur <?page no="279"?> 279 69,1 Zeichen ein deutlicher Zuwachs ist. Hinsichtlich der orthographisch korrekten Form ergibt sich daraus eine Einsparung von durchschnittlich 16,6 Zeichen, womit eine SMS auch in dieser Nutzungsdimension knapp 85% der von der Orthographie geforderten Platzeinheiten benötigt. 458 Der prozentuale Ökonomieeffekt scheint demnach über das Gesamtkorpus hinweg relativ konstant zu sein, was die Vermutung nahe legt, dass auch in der phatisch-relationalen Nutzungsdimension einige effiziente Verschriftungsstrategien auftreten werden. Ob sich hauptsächlich effiziente Schreibweisen beobachten lassen oder ob noch weitere Verfasserintentionen relevant werden bzw. welche Rolle die kommunikativ-funktionale Nutzung dabei spielt, wollen wir im Folgenden genauer analysieren. Zunächst fällt in Bezug auf die phatisch-relational genutzten SMS auf, dass sich der verwendete Schreibstil bei etwa der Hälfte der Kurzmitteilungen auf den ersten Blick dem im vorherigen Abschnitt beschriebenen, erwartbaren langage SMS-Standardstil anzunähern scheint, der hauptsächlich von effizienten Verschriftungsstrategien gekennzeichnet ist, auszugsweise enigmatische Züge annehmen kann, aber dennoch eine teils beachtliche Treue zur orthographischen Norm aufweist (erste Abstufung). Es lässt sich jedoch beobachten, dass gut ein Viertel davon neben den genannten Stilelementen auch expressive Schreibweisen aufweist, darunter nicht nur die Wiederholung von Punkten oder anderen Satzzeichen, sondern vereinzelt auch Buchstabenreduplikationen, Lachakronyme oder Smileys, wie die folgenden primär phatischen Kurzmitteilungen zeigen: (20) Pcke.. Je vais péter un cableee.. T'es en boite ou à un squat! ? (63) Parce que...Je vais péter un câblé...T'es en boîte ou à un squat! ? (66) (21) Sisi tu dormais.. Regarde l'heure d'envoi ptdr.. Tva faire quoi ojd? .. (70) Si si tu dormais...Regarde l'heure d'envoi ptdr...Tu vas faire quoi aujourd'hui? (80) In Orientierung an den beiden anderen Abstufungen, die wir bezüglich des Verschriftungsstils innerhalb der praktisch-organisatorischen Nutzung unterschieden haben und die aufgrund eines zunehmend regelmäßigen Einsatzes von graphischen Reduktionen, semiophonologischen Schreibungen und Agglutinationen auf einen erhöhten Kompetenzgrad schließen ließen, können wir ganz ähnliche Kategorien mit vergleichbaren Verschriftungsmerkmalen auch im Rahmen der phatisch-relationalen Nutzungsdimension feststellen. Insgesamt können ihnen knapp ein Viertel der SMS zugeordnet werden, wobei sich wiederum ein erhöhter Anteil an expressiven Verschriftungselementen beobachten lässt, wie das mittels Großschreibung 458 Das Maximum an eingesparten Zeichen liegt in dieser Nutzungsdimension bei 117 Zeichen für eine SMS, die damit genau im Rahmen der systembedingten 160- Zeichen-Grenze bleibt. Der dazugehörige Ökonomieeffekt im Vergleich zur Orthographie beläuft sich auf 42,2%. <?page no="280"?> 280 realisierte Lachakronym in der folgenden, ansonsten effizient-enigmatisch verschrifteten SMS verdeutlicht: (22) MDR t koi toi t pa blon? sa tva bi1 2 dire ca! (46) MDR t’es quoi toi t’es pas blond? Ça te va bien de dire ça! (59) Hinzu kommt, dass sich im Rahmen der Kontaktnutzung verstärkt der Einsatz von Überbrückungsphänomen oder Interjektionen, häufig in Form von deskriptiven Onomatipoetika, beobachten lässt, um die kommunikative Nähe zwischen den Gesprächspartner mittels einer Art inszenierter mündlicher Nähekommunikation zu vergrößern. Immerhin knapp ein Fünftel der phatisch-relational genutzten SMS weisen eine Form der emulierten Prosodie auf (etwa „snif“ als Ausdruck von Traurigkeit, „euh“ als Ausdruck des Zögerns oder „ah“ als Ausdruck der Einsicht bzw. des Verstehens). Genaugenommen handelt es sich hierbei um Stilelemente der Verschriftlichung, die auf konzeptioneller Ebene anzusiedeln sind, jedoch treten gerade sie häufig in Kombination mit expressiven Verschriftungsstrategien auf: (23) Aah ok. I tariv koi? (20) Ah ok. Il t'arrive quoi? (24) Unabhängig von den bisher beschriebenen phatisch-relational genutzten Kurzmitteilungen, deren Verschriftungsstil sich als primär effizient bzw. primär effizient-enigmatisch zuzüglich einiger expressiver Varianten bezeichnen lässt, fallen eine beachtliche Anzahl an SMS auf, die sich nur noch schwerlich einem dieser Verschriftungsstile zuordnen lassen, da der Anteil an expressiven Schreibweisen erheblich steigt. Teilweise kann auch hier eine Kombination aus effizient-enigmatischen und expressiven Varianten beobachtet werden, jedoch lässt sich zuweilen eine eindeutige Dominanz primär expressiver Verschriftungen feststellen: (24) Rolalaaa t'es pas drooolee : (.. (31) Rolala t'es pas drôle : (.. (26) (25) Ohhh MERDE mais nooooon! Pk la vie est el injuste a ce point? ! Bah il reste + ke le réunionnais.... (98) Oh merde mais non! Pourquoi la vie est-elle injuste à ce point? ! Bah il reste plus que le Réunionnais… (102) (26) Ptdr.. Ouai ouai.. Stu ldi.. Ya koi à la télé.. ? (49) Ptdr...Oui oui...Si tu le dis...Y a quoi à la télé...? (54) <?page no="281"?> 281 (27) Pk isè pasè koi ? ? ? Donc on pe resortir ensembl com avan lol =D XD si tu maim encor? ? ? ? Nn mè san rir i c pasè koi! ! ! ! ? ? ? ? ? ? (116) Pourquoi il s'est passé quoi? ? ? Donc on peut ressortir ensemble comme avant lol =D XD si tu m'aimes encore? ? ? Non mais sans rire il s'est passé quoi! ! ! ? ? ? (160) Bezeichnenderweise benötigt die langage SMS-Schreibung im ersten Beispiel mehr Platzeinheiten als die korrekte Orthographie und ist damit als primär expressive Verschriftung zu bezeichnen, die keinerlei effiziente Verfasserintentionen verfolgt. Die restlichen Beispiele hingegen greifen sowohl auf effizient-enigmatische Varianten als auch auf expressive Verschriftungsverfahren zurück und verdeutlichen damit den Unterschied, der sich zwischen den Verschriftungsstilen innerhalb der phatischrelational genutzten SMS und den beschriebenen Charakteristika der praktisch-organisatorischen Nutzung ergeben kann. Um in Anbetracht dessen voreilige Analogieschlüsse bezüglich der verschiedenen Verschriftungsstile zu vermeiden und detaillierte Einblicke in die Merkmale der phatisch-relationalen Nutzungsdimension bzw. in die damit verfolgten Verfasserintentionen zu erhalten, werden wir die verschiedenen Schreibweisen im Folgenden vor dem Hintergrund der einzelnen phatisch-relationalen Unterkategorien betrachten, in deren Rahmen sie jeweils auftreten. Auf der Suche nach erkennbaren und aussagekräftigen Tendenzen, werden wir dabei nur diejenigen Unterkategorien separat berücksichtigen, die entweder eine gewisse quantitative Häufigkeit aufweisen oder aufgrund von offensichtlichen Regelmäßigkeiten fundierte Rückschlüsse zulassen. In Erinnerung an die quantitative Verteilung der phatisch-relationalen Unterkategorien (vgl. obige Tabelle in Abschnitt 7.1.3) werden wir vor allem auf die phatische und auf die konfliktivproblematisierende Kontaktnutzung eingehen, bevor wir die übrigen Auffälligkeiten in einem zusammenfassenden Abschnitt ergänzen. 7.2.2.1 Phatische Kontaktnutzung Innerhalb der Kontaktnutzung dient die rein phatische Nutzung vornehmlich der Herstellung und Aufrechterhaltung des Kontaktes zu seinem sozialen Netzwerk mittels einer als fortdauernd empfundenen physischen (über den offenen Kommunikationskanal) und psychischen Verbindung. Primäres Ziel ist dabei die oberflächliche Kontaktpflege, wobei aus motivationspsychologischer Perspektive noch weitere Beweggründe für die Interaktion möglich sind. Sie kann beispielsweise aus einem Moment der Einsamkeit heraus entstanden sein, um zumindest virtuell eine Art Zugehörigkeitsgefühl hervorzurufen, oder aber aus einem Moment der Langeweile zwecks positiver Aktivierung der eigenen Sinne. Im ersten Fall scheint das Zustandekommen der Kommunikation durch eine antwortende SMS ent- <?page no="282"?> 282 scheidend zu sein, damit die ersehnte Zugehörigkeit ihre Bestätigung erhält und das Einsamkeitsgefühl gemindert wird. Im zweiten Fall hingegen scheint der respondierende Zug eher sekundär zu sein, da es eher um ein intrapersonales Tätigwerden geht als um die zwischenmenschliche Kommunikation. Die ausgetauschte Information verliert in beiden Fällen erheblich an Relevanz zugunsten der Form des SMS-Textes und es wird im Folgenden zu untersuchen sein, auf welche Verschriftungsstrategien die Verfasser vermehrt zurückgreifen, welche grundlegenden Absichten sie damit verfolgen bzw. welche zusätzlichen Informationen sie dadurch übermitteln. Nur drei der 69 rein phatischen SMS sind durch eine enge Orientierung an der Orthographie markiert. Die restlichen zeichnen sich wenigstens durch minimal erwartbare Stilelemente des langage SMS aus, was in diesem Bereich für eine bewusste Verschriftung möglichst losgelöst von der rigiden Norm spricht. Pseudophonetische Schreibungen, einfache konsonantische Skelette, die Agglutination von apostrophierten Klitika oder aber beinahe automatisierte semiophonologische Schreibungen wie g für j’ai lassen sich in fast allen Kurzmitteilungen dieser Nutzungskategorie mehr oder weniger regelmäßig nachweisen. Die Folge ist unter anderem ein gewisser Ökonomieeffekt, der jedoch aufgrund seiner noch geringen Ausprägung nicht auf besonders effiziente Verschriftungsabsichten hindeutet. Knapp die Hälfte der rein phatisch genutzten SMS zeichnen sich vornehmlich durch eben diese minimal erwartbaren Stilelemente aus, d.h., dass der Grad an Effizienz und Expertise relativ gering bleibt. Gleichzeitig kann sich jedoch, wie oben bereits angedeutet, eine gewisse Expressivität beimischen, denn wiederum die Hälfte dieser Kurzmitteilungen, weisen zumindest in geringem Ausmaß expressive Varianten auf. Darunter fallen etwa der Einsatz von Emotikons, Lachakronymen, Satzzeichenreduplikationen oder aber die Verwendung von pseudophonetischen Varianten zur Herstellung kommunikativer Nähe: (28) Lol je c je lai vu lol (22) Lol je sais je l'ai vu lol (26) (29) Oki ! ! J tenvéré un SMS ! Tu fé koi ? (37) Ok! ! Je t'enverrai un SMS! Tu fais quoi? (40) Abgesehen davon weisen knapp ein Drittel der ausschließlich phatischen SMS einen recht hohen Grad an Effizienz und Expertise auf. In diesen Fällen entspricht kaum eine Äußerung der korrekten Orthographie, die effizienten Verschriftungsverfahren werden mit einer auffallenden Regelmäßigkeit angewendet und semiophonologische Schreibweisen bzw. längere Agglutinationen lassen sich wesentlich häufiger beobachten. Es scheint, als würde für jede Äußerung bzw. jede phonologische Phrase bewusst die geeignete Schreibweise gewählt, was sich in einer relativ konstanten und <?page no="283"?> 283 damit erwartbaren Anwendung bestimmter Verschriftungs-strategien niederschlägt (etwa die regelmäßige Substitution von <qu> durch <k>). Auch hier lassen sich sehr vereinzelt expressive Stilelemente wiederfinden: (30) Tu ma enkor fé chialé! fou...nn jbose pa 2m1-ca c la fille ki parle kome lé gran! a ton proch1 msg donk a toute (111) Tu m’as encore fait chialer! Fou...non je bosse pas demain - ça c’est la fille qui parle comme les grands! A ton prochain message donc à toute (142) (31) Ouè jmamuz bi1 premieR journé 2 Gnial i fé bo on C klate tp! Biz a + mabikette. (79) Oui je m’amuse bien première journée de géniale il fait beau on s’éclate trop! Bise à plus ma biquette. (103) (32) Kikou ta lu le livr 2 fr.? sa ta plu? moi bof. Ta fé koi 2 T vacs? moi chui alé ché ma marN pui a la mer. je me sui HAT 2 nvx abi é le KDO demilie. kuss! (154) Coucou t’as lu le livre de français? Ça t'a plu? Moi bof. T’as fait quoi de tes vacances? Moi je suis allé chez ma marraine puis à la mer. Je me suis acheté de nouveaux habits et le cadeau d’Emilie. Kuss! (204) Die Verfasser stellen ganz bewusst ihren individuellen Schreibstil bzw. ihre Kompetenz bezüglich des langage SMS unter Beweis und scheinen Spaß am Verschriften der Nachricht zu haben. Spielerisches Kodieren des Textes im Sinne von technischer und sprachspielerischer Unterhaltung sowie der bestehende Kontakt zum Gesprächspartner stehen im Vordergrund, während die eigentliche Information der Botschaft zweitrangig wird. Bis zu einem gewissen Ausmaß kann inhaltlich eine unterhaltende Dimension hinzukommen, wie es etwa in Beispiel (30) der Fall ist, jedoch bleibt die emotionale Beteiligung hier relativ gering und die Kommunikation behält den für die phatische Nutzung typischen oberflächlichen und beiläufigen Charakter weitgehend bei. In Beispiel (32) erhält man aufgrund der übergangslosen Aneinanderreihung eher belangloser und inhaltlich wenig zusammenhängender Fragen und Informationen sogar den Eindruck, dass das Experimentieren mit den zur Verfügung stehenden Verschriftungsmöglichkeiten wichtiger wird als die Kontaktaufnahme. Der effizientenigmatische Schreibstil kombiniert mit der inhaltlich spontan konzipierten, parataktischen Konstruktion des Textes legt die Vermutung nahe, dass die SMS aus einem Moment der Langeweile heraus entstanden ist und nicht nur der Kontaktnutzung, sondern infolge eines intendierten Tätigwerdens auch der Unterhaltungsnutzung zuzuordnen ist. Ein unter Umständen paralleles Mitwirken der primär spielerischen Nutzungsmotivation sollte im gesamten Bereich der rein phatischen Kontaktnutzung verstärkt berücksichtigt werden, da phatische und damit wenig informative Kommunikation stets das Vorhandensein einer spielerischen Dimension im Sinne eines unterhaltenden Tätigwerdens nahelegt. <?page no="284"?> 284 Insbesondere spiegelt sich das in den wenigen Kurzmitteilungen wider, deren Hauptphase ausschließlich aus einer phatischen Annäherungsphase besteht: (33) Eh mec sa va ou kwa? Koi dneuf? (31) Eh mec ça va ou quoi? Quoi de neuf? (35) (34) Kikou elisa é twa? koi 29? (25) Coucou Elisa et toi? Quoi de neuf? (34) Es entsteht der Eindruck, dass die Verfasser bewusst mit den Verschriftungsmöglichkeiten experimentieren und dadurch ihre Kompetenz hinsichtlich alternativer Varianten unter Beweis stellen, wie es etwa in Beispiel (33) mit den unmittelbar aufeinander folgenden Varianten kwa und koi der Fall ist. Schließlich zeichnen sich gut ein Fünftel der rein phatischen SMS durch ein vermehrtes Auftreten von expressiven Varianten aus, die teilweise von sehr effizient-enigmatischen Verschriftungen begleitet sein können: (35) Lucaaasss...? (13) Lucas...? (9) (36) : ) okok baaah je bosse.. Et toi? (32) : ) ok ok bah je bosse...Et toi? (31) (37) Euuuuhhhh.....2 jcroi me je lé coné pa lol et ni eux sniifff (60) Euh… deux je crois mais je les connais pas lol et ni eux snif (61) (38) SAYÉ I RVIENNE! ! ! ma soeur sfé D film et penC con va ns bombarD. lol. bisous à 2min. (84) Ça y est ils reviennent! ! ! Ma sœur se fait des films et pense qu’on va nous bombarder. Lol. Bisous à demain. (108) (39) Tu la vu brice 2 nice? Louise ma di ke tu lavé vu jlé vu ossi il è tro for! Ciao! ! ! ! ………………. (91) Tu l’as vu Brice de Nice? Louise m’a dit que tu l’avais vu je l’ai vu aussi il est trop fort! Ciao! ! ! ... (104) Neben der Zurschaustellung des individuell erreichten Kompetenzgrads durch den Einsatz von effizient-enigmatischen Varianten wird in diesem Bereich der phatischen Nutzungskategorie offenbar versucht, mittels expressiver Schreibweisen ein Maximum an kommunikativer Nähe herzustellen. Aufgrund der vorherrschenden Kommunikationsbedingungen befinden wir uns im Bereich der mediatisierten schriftlichen Nähekommunikation, so dass in Orientierung an den Pol der direkten mündlichen Nähe auf Verschriftungsverfahren zurückgegriffen wird, die gerade der möglichst originalgetreuen Abbildung bzw. der Kompensierung bestimmter Charakteristika des direkten Gesprächs dienen: zur Simulation eines Momentes des Zögerns oder Überlegens werden Interjektionen und Überbrü- <?page no="285"?> 285 ckungsphänomene graphisch realisiert („bah“, „…“), Gefühle werden durch Empfindungswörter oder Symptominterjektionen abgebildet („snif“), dem Parameter der Lautstärke wird durch expressive Großschreibung Rechnung getragen, Gestik und Mimik werden durch ikonisch verwendete Schriftzeichen porträtiert („: )“) und intonatorische Hervorhebungen werden durch Satzzeichenreduplikationen markiert. All diese Stilelemente lassen sich als Kontextualisierungshinweise im Gumperz’schen Sinn auffassen, die einen nähesprachlichen Interpretationsrahmen, geprägt von Informalität, Vertrautheit und einer teils recht hohen emotionalen Beteiligung mit sich bringen. 459 Das kontextaufbauende Potential der langage SMS-Schreibweisen, insbesondere der expressiven Varianten, wird im Rahmen der phatischen Kontaktnutzung bewusst eingesetzt, um positiven Einfluss auf die bestehende Beziehung zu nehmen. Die Kommunikation soll dadurch möglichst lange aufrechterhalten werden, um den Kontakt zumindest oberflächlich zu pflegen. Bezeichnenderweise ist der prozentuale Anteil an Emotikons pro SMS in der rein phatischen Nutzungskategorie am höchsten. Insgesamt lässt sich in knapp jeder siebten SMS mindestens ein Emotikon nachweisen, während innerhalb der gesamten phatisch-relationalen Nutzungsdimension nur gut jede neunte SMS wenigstens ein Emotikon enthält, innerhalb der praktisch-organisatorischen Nutzungsdimension nur jede 36. SMS. Die technische Kodierung der primär expressiven Verschriftungsstrategien ist mit einem teils beachtlichen Mehraufwand verbunden (vgl. etwa „Euuuuhhhh.....“) und lässt darauf schließen, dass ein vergleichsweise hoher Energieaufwand gerne in Kauf genommen wird, um möglichst hohe kommunikative Nähe herzustellen und den Kontakt zum Gesprächspartner erfolgreich aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig darf im Rahmen der rein phatischen Kontaktnutzung die Bedeutung des möglicherweise parallel vorhandenen spielerischen Moments bei der Texteingabe nicht außer Acht gelassen werden. Es scheint hier explizit erwünscht zu sein, die Möglichkeiten, die sich dem Verfasser aufgrund der sprachlichen Besonderheiten des Französischen und der ihm zur Verfügung stehenden Schriftzeichen bieten, ungehemmt auszunutzen, um zu möglichst unkonventionellen Schreibweisen zu gelangen. Der Zugewinn an Effizienz und Schreibkomfort ist dabei weniger relevant als die Kreation von innovativen und verschlüsselten Formen, die den Empfänger spielerisch herausfordern und ihn überraschen sollen. 459 Von nun an verwenden wir den Begriff „Interpretationsrahmen“ im Sinn eines von bestimmten Kontextualisierungshinweisen geprägten Rahmens, der dem Leser bestimmte Optionen zur Interpretation bietet. Falls wir also im Folgenden etwa von einem ‚nähesprachlichen’, ‚spielerischen’ oder ‚ernsthaften’ Interpretationsrahmen sprechen, dann ist das immer zu verstehen als eine durch bestimmte Kontextualisierungshinweise evozierte Interpretationsmöglichkeit im Sinne von „es ist ernsthaft“ (bzw. nähesprachlich oder spielerisch). <?page no="286"?> 286 Demzufolge scheint sich die rein phatische Nutzungskategorie sowohl aus phatischer als auch aus spielerischer Kommunikation zusammensetzen zu können und lässt in ihrem Rahmen das Auftreten von enigmatischen und expressiven Verschriftungsstrategien tendenziell wahrscheinlicher werden. Zwar kann nicht bei allen Nutzern ein hoher Grad an Expertise festgestellt werden, jedoch scheint es eine Art indirekte Aufforderung zu geben, sein persönliches Können unter Beweis zu stellen bzw. es zu erweitern. Im Gegensatz zu der praktisch-organisatorischen Nutzungsdimension scheint Effizienz als Verfasserintention dabei eine sekundäre Rolle zu spielen und nur als Nebeneffekt der enigmatischen Schreibweisen zur Kenntnis genommen zu werden. Auf inhaltlicher Ebene kann es sich auf den Austausch belangloser Lageberichte beschränken, die primär der Kommunikationsaufrechterhaltung dienen und deren unterhaltende Funktion sich auf die technische Eingabe bzw. das Experimentieren mit den Verschriftungsmöglichkeiten beläuft. Es kann jedoch auch hier eine unterhaltende Funktion hinzukommen, ohne dass der Informationsgehalt dadurch erheblich zunehmen würde, so dass die Unterhaltungsfunktion gegenüber der Kontaktfunktion insgesamt wichtiger wird. In diesen Fällen kann auch die emotionale Beteiligung erheblich steigen, so dass das Auftreten expressiver Verschriftungsstrategien, neben den enigmatischen Schreibweisen, die gemäß dem persönlichen Kompetenzgrad des Verfassers maximal erwartbar sind, tendenziell noch wahrscheinlicher wird. Sie fungieren als zusätzliche nähesprachliche Verschriftungselemente, die einen möglichst informellen, spielerisch-vertrauten Interpretationsrahmen schaffen sollen. Bemühen wir uns auch für die phatische Nutzungskategorie um eine Lokalisierung der langage SMS-Schreibweisen bzw. der Kommunikationsabsichten im entsprechenden Kontinuum, so ist das Beziehungsgefüge zwischen den beiden Komponenten weniger eindeutig, als im Fall der praktisch-organisatorischen Nutzung, da bezüglich der Verfasserintentionen sowohl Effizienz und Expertise, als auch Expressivität aktiv sein können. Daraus ergibt sich, dass es bei der Lokalisierung zu Kongruenzen kommen kann, aber nicht muss. Die Kurzmitteilung (35) „Lucaaasss...? “ beispielsweise, scheint der Überprüfung des Bestehens der Kommunikation bzw. des Funktionierens des Kanals zu dienen und soll einen respondierenden Zug des Adressaten bewirken. 460 Damit handelt es sich um eine phatische Kontaktaufnahme bzw. Wiederherstellung der Kommunikation, an deren erfolgreichem Zustandekommen der Sender scheinbar reges Interesse hat. Die expressive Schreibweise kombiniert mit der Tatsache, dass es sich bereits um die zweite SMS zwecks Kontaktherstellung handelt, lässt auf ein gewisses Insistieren und eine recht hohe emotionale Beteiligung schließen. Gleichzeitig sollte die Unterhaltungsnutzung zumindest latent 460 Uns ist bekannt, dass nur wenige Minuten zuvor die folgende SMS an denselben Adressaten gesendet wurde: „Lol. Hey lucas? ? ? “. <?page no="287"?> 287 unterstellt werden, da ein bewusstes Tätigwerden durch spielerischen Umgang mit der Technik und den sprachlichen Konventionen sowie eine Unterhaltungsfunktion auf inhaltlicher Ebene als Handlungsmotivationen nicht auszuschließen sind, auch wenn die Unterhaltungsfunktion insgesamt weniger von Bedeutung zu sein scheint, als die Kontaktherstellung zum Adressaten. Für die konkrete Lokalisierung ergibt sich daraus folgendes Bild: Somit lässt sich in diesem Fall eine Korrelation zwischen phatisch und expressiv erkennen. In Beispiel (33) „Eh mec sa va ou kwa? Koi dneuf? “ hingegen treten keine expressiven Verschriftungsverfahren auf, obwohl es sich ebenfalls um eine (wenn auch tatsächlich initiierende) phatische Kontaktaufnahme handelt. Allerdings behält sie im Vergleich zum vorherigen Beispiel eine gewisse Oberflächlichkeit und Unverbindlichkeit bei, ist weniger insistierend und die emotionale Beteiligung scheint, wenn auch nicht vollkommen abwesend, dann doch geringer zu sein. Hinzu kommt, dass eine gleichzeitig vorhandene spielerische Dimension noch wahrscheinlicher wird, da die Interaktion durchaus aus einem Moment der Langeweile heraus entstanden sein könnte. Zwar erhofft sich der Verfasser sicherlich auch in diesem Fall eine antwortende SMS, jedoch sollte der Unterhaltungsnutzung als Aktivierung der eigenen Sinne gegenüber der dennoch dominant bleibenden Kontaktnutzung eine etwas größere Bedeutung beigemessen werden. Hinsichtlich der Verschriftungen lassen sich mit Ausnahme der Anrede „Eh mec“, die als Begrüßungsphase gedeutet werden kann, vornehmlich effiziente Varianten mit teils enigmatischem Charakter <?page no="288"?> 288 beobachten, wobei der Verfasser offenbar alternative Verschriftungsmöglichkeiten „ausprobiert“ bzw. demonstriert, dass er sie beherrscht (kwa und koi für quoi) und somit sein bisheriges Können bewusst unter Beweis stellt. 461 Folglich lässt sich in diesem Fall keine Deckungsgleichheit zwischen den beiden Kontinua feststellen und es zeichnet sich entsprechend der obigen Ausführungen ab, dass phatische Kommunikation nicht immer expressive Verschriftungen implizieren muss, sie jedoch tendenziell wahrscheinlicher werden lässt. Insgesamt ist die phatische Kontaktnutzung also von einem vermehrten Einsatz enigmatischer Verschriftungsstrategien geprägt, der bei zunehmender Bedeutung der Unterhaltungsnutzung noch steigen kann. Kommt parallel dazu eine erhöhte emotionale Beteiligung bzw. Emphase hinzu, so werden auch auffallend expressive Stilelemente tendenziell erwartbarer. 462 461 Streng genommen müssten wir jede Variante einzeln im Kontinuum der Verfasserintentionen einordnen. Da wir hier jedoch nur Tendenzen aufzeigen wollen, soll eine Grobeinschätzung an dieser Stelle ausreichen. 462 Es wird sich im Folgenden noch herausstellen, dass sich eine erhöhte emotionale Beteiligung in anderen kommunikativ-funktionalen Nutzungsbereichen nicht primär in expressiven Verschriftungen niederschlägt, sondern eher in verbalen Ausformulierungen. <?page no="289"?> 289 7.2.2.2 Konfliktiv-problematisierende Kontaktnutzung Im Gegensatz zur recht oberflächlichen, teils spielerisch eingesetzten Kommunikation innerhalb der phatischen Kontaktnutzung dient die Interaktion innerhalb der konfliktiv-problematisierenden Kontaktnutzung primär der kritischen Hinterfragung der bestehenden Beziehung bzw. der Thematisierung und Klärung von bestimmten, die Beziehung betreffenden Umständen oder Sachverhalten, die häufig als Missstand empfunden werden. Insbesondere kann es sich dabei um Anschuldigungen, Vorwürfe und Beschimpfungen handeln, aber auch um kritische Meinungsäußerungen, Rechtfertigungen und Entschuldigungen. Die Themengestaltung verläuft demzufolge mit einer wesentlich höheren Ernsthaftigkeit und kann zudem von einem recht hohen Problematisierungsgrad geprägt sein. Insgesamt lassen sich 69 Kurzmitteilungen ausschließlich dieser Unterkategorie zuordnen, das entspricht immerhin gut sieben Prozent des Gesamtkorpus und es wird im Folgenden zu untersuchen sein, welche Tendenzen sich in diesem Bereich bezüglich der Verschriftung beobachten lassen. Nur vier der 69 SMS weisen eine beinahe orthographisch korrekte Schreibweise auf, während sich knapp die Hälfte durch den unterschiedlich regelmäßigen Einsatz von minimal erwartbaren langage SMS-Stilelementen auszeichnet. Dabei fällt im Vergleich zu den vorherigen Beobachtungen auf, dass expressive Schreibweisen in diesen Kurzmitteilungen eher die Ausnahme darstellen, da sie nur in fünf Fällen auftreten. Davon stammen allein drei von derselben Absenderin und beschränken sich auf den Einsatz von Punktiterationen; eine weitere SMS greift bewusst auf Anführungszeichen zurück, um den Akzent auf eine bestimmte Äußerung im SMS-Text zu legen: (40) T une vrai grande gueule...bouffon tocard idiot bete... (55) T'es une vraie grande gueule...bouffon tocard idiot bête... (59) (41) Salu paul, c lola, la cop à ton frangin. Je tenvoi une spécial dédicac en ce matin „je“ è 1 person à par entier. (112) Salut Paul, c’est Lola, la copine à ton frangin. Je t’envoie une spéciale dédicace en ce matin „je“ est une personne à part entier. (131) Im Gegensatz zur vorherigen Nutzungskategorie handelt es sich hierbei offensichtlich keineswegs um den Einsatz expressiver Schreibweisen zur Herstellung eines informellen und spielerisch-vertrauten Interpretationsrahmens, sondern vielmehr um eine sehr reflektierte Verwendung von teils aus traditionellen Schriftkontexten bekannten Verfahren, die die Dramatik des Gesagten gezielt hervorheben, ohne dabei dessen Ernsthaftigkeit in Gefahr zu bringen. Häufig geht eine erhöhte emotionale Beteiligung einher, die sich in diesem Kontext aber nicht in verspielten Emotikons oder sonstigen nähesprachlichen Versprachlichungsstrategien niederschlägt, sondern vielmehr in der Wortwahl bzw. im Einsatz von Ironie oder Sarkasmus, um <?page no="290"?> 290 keinesfalls einen Verlust an inhaltlicher Relevanz durch allzu verspielt wirkende Schreibweisen zu bewirken. Die restlichen 45% der konfliktiv-problematisierend genutzten SMS stellen einen erhöhten Kompetenzgrad unter Beweis, indem sie zunehmend primär enigmatische Verschriftungsverfahren einsetzen: 463 (42) perso sa menerveré 2 te perdr mé si tu rest com sa lés tombé en+ si ta hont2 resté ac moi sa ser a r1 é si tu maid pa a changé pareil mé si t pret a sa ouè (155) Perso ça m'énerverait de te perdre mais si tu restes comme ça laisse tomber en plus si t'as honte de rester avec moi ça sert à rien et si tu m'aides pas à changer pareil mais si t'es prête à ça oui (197) (43) C pa parske jparl avk 1 ga ke jss obligè 2 lkifè (48) C'est pas parce que je parle avec un gars que je suis obligée de le kiffer (74) (44) cc alr c toa ki v taP ma reus. Vazi vi1 c moa ki taten. tu toucha ma reus jle di a ma reum. (91) Coucou alors c’est toi qui veux taper ma reus [Verlan: sœur]. Vas-y viens c’est moi qui t’attends. Tu touches à ma reus je le dis à ma reum [Verlan: mère]. (124) Der Einsatz von sehr professionellen Verschriftungen scheint die inhaltliche Relevanz bzw. die Ernsthaftigkeit der Aussage keineswegs zu mindern, da sich die Verschriftungsvarianten nicht durch übermäßig sprachspielerischen Einfallsreichtum auszeichnen, sondern vorwiegend durch nüchtern kalkulierte Effizienz kombiniert mit nahezu Respekt einflößender Expertise. Besonders deutlich kommt das in Beispiel (44) zum Vorschein, bei dem es sich inhaltlich immerhin um eine Gewaltandrohung (taper ma sœur) handelt. Die Interaktanten scheinen nicht regelmäßig per SMS zu kommunizieren, was den Verfasser in diesem Fall jedoch nicht dazu bewegt, aus höflicher Rücksichtnahme einen weniger enigmatischen Schreibstil zu verwenden, um das gegenseitige Verständnis zu garantieren. Vielmehr scheint er bewusst demonstrieren zu wollen, dass er den Kode beherrscht und damit ein ‚ernstzunehmender Gegner’ ist, nicht nur in Bezug auf einen professionellen Umgang mit dem langage SMS, sondern auch hinsichtlich der Verteidigung seiner Schwester. Selbst das ansonsten durch freundschaftliche Nähe markierte coucou verschriftet er durch das sehr effiziente konsonantische Skelett cc, was zweifelsohne als ‚kurz angebunden’ gedeutet werden kann. Hinzu kommt, dass unmittelbar ein weiterer 463 In Bezug auf den recht hohen Prozentsatz sollte relativierend hinzugefügt werden, dass sich gut die Hälfte davon auf nur zwei verschiedene Nutzer zurückführen lässt, deren Verschriftungsstil sich als relativ konstant erweist und für eine sehr bewusste Kodierung der Nachrichten spricht. Von den drei folgenden Beispielen stammen die ersten beiden jeweils von einem dieser Nutzer. <?page no="291"?> 291 Konsonantencluster alr folgt, der gemeinsam mit dem ersten gegenüber der ansonsten recht häufig vorkommenden, harmonisch wirkenden Abfolge von Konsonant und Vokal in der französischen Phonie eine gewisse Härte zum Ausdruck bringt. Unterstützt wird dieser Eindruck durch die semiophonologische Verwendung des Konsonanten p (vgl. taP für / tape/ ), die den Akzent gerade auf den konsonantischen Kopf der offenen Silbe, und damit auf den für die Artikulation kennzeichnenden Verschluss legt, den der Luftstrom in abrupter Form durchbrechen muss. Es kann hier durchaus unterstellt werden, dass der Verfasser die mit der Verwendung des Plosivs einhergehende Lautsymbolik bewusst eingesetzt, um die Wirkung der Härte noch zu verstärken. Aufgrund dessen evozieren die Schreibweisen in den genannten Beispielen nur bedingt kommunikative Nähe zwischen den Kommunizierenden. Sie tragen eher dazu bei, eine gewisse Distanz beizubehalten, um die Ernsthaftigkeit der Interaktion nicht zu gefährden bzw. die Relevanz nicht in Frage zu stellen. Der prozentuale Anteil an zumindest teilweise effizient-enigmatisch verschrifteten SMS innerhalb der konfliktiv-problematisierenden Nutzungskategorie ist mit 45% im Vergleich zum Gesamtkorpus durchaus hoch (dort beläuft er sich auf knapp 30%). Der Kompetenzgrad bezüglich des langage SMS scheint bei einem beachtlichen Teil der Absender, die im Rahmen der SMS-Kommunikation auf diese Nutzungskategorie zurückgreifen, relativ hoch zu sein. Eine mögliche Erklärung könnte darin liegen, dass die regelmäßige Verwendung der Kommunikationsform (und daraus resultierend der kompetente Umgang mit dem langage SMS) sowie deren vollständige Integration in die alltäglichen Kommunikationsgewohnheiten vonnöten sind, um SMS als geeigneten Kommunikationsweg für eine mehrzügige dialogische Auseinandersetzung zu befinden. Die strikte Zeichenbegrenzung und die technische Eingabe können die Kommunikation durchaus zu einem zeitaufwendigen und kostspieligen Unterfangen werden lassen. Erschwerend hinzu kommen die Asynchronizität und die physische Distanz, die eine erfolgreiche und schnelle Klärung des Problems unter Umständen behindern können. 464 Weniger routinierte Nutzer würden die Kommunikationsform für eine konfliktiv-problematisierende Interaktion vermutlich nicht in Erwägung ziehen, so dass der Kompetenzgrad in dieser Nutzungskategorie insgesamt steigt. Bemühen wir uns vor diesem Hintergrund wiederum um eine parallele Lokalisierung der kommunikativ-funktionalen Nutzung und der jeweiligen Verfasserintentionen, so ergibt sich ein etwas eindeutigeres Bild, als im 464 Zweifelsohne können es gerade die Asynchronizität und die physische Distanz sein, die die Wahl der SMS-Kommunikation als geeigneten Weg für das Ansprechen von kritischen Inhalten begünstigen, da sie Momente zur Reflektion schaffen und man der direkten Reaktion des Gesprächspartners nicht unmittelbar ausgesetzt ist. <?page no="292"?> 292 Bereich der rein phatischen Nutzung. Je nach Kompetenzgrad des Verfassers zeichnen sich die SMS-Texte durch den minimal erwartbaren langage SMS-Verschriftungsstil bzw. durch den vermehrten Einsatz von effizientenigmatischen Schreibweisen aus, wobei der Einsatz von verspieltenigmatischen oder allzu expressiven Schreibungen weitgehend ausbleibt, um die Ernsthaftigkeit der Interaktion nicht zu gefährden. Im Hinblick auf die kommunikativ-funktionale Nutzung stehen die interpersonale Beziehung und deren Beschaffenheit im Vordergrund, während die praktischorganisatorische und die spielerische Nutzungsdimension kaum von Bedeutung sind. 7.2.2.3 Weitere Beobachtungen zur phatisch-relationalen Nutzungsdimension Da es sich hinsichtlich der übrigen phatisch-relationalen Unterkategorien aufgrund der zahlenmäßig wenig repräsentativen Vorkommen im Gesamtkorpus nicht als sinnvoll erweist, eine explizite Einzelanalyse durchzuführen, seien hier nur einige allgemeine Bemerkungen zu tendenziellen Auffälligkeiten ergänzt. Innerhalb der höflich-respektvollen Kontaktnutzung beispielsweise lassen sich, ähnlich wie in der konfliktiv-problematisierenden Nutzung, nur wenig expressive Stilelemente nachweisen. Es scheint eine eindeutige Präferenz für verbale Ausformulierungen zu geben, die selbst bei hoher emotionaler Beteiligung zu liebevoll ausformulierten Geburtstagsglückwünschen oder Ähnlichem führen, nicht aber zum Einsatz von besonders <?page no="293"?> 293 expressiven Verschriftungsverfahren. Es wird Wert darauf gelegt, die Adressatenhonorierung nicht zu spielerisch und folglich wenig ernsthaft zu gestalten. Bei etwas geringerem Bekanntheitsgrad kann sich der Verschriftungsstil sogar an die korrekte Orthographie annähern, um eine gewisse Seriosität zum Ausdruck zu bringen. Ansonsten beläuft sich die Verschriftung zumeist auf die minimal erwartbaren langage SMS-Stilelemente: (45) Jesper ke vs ete bien rentré. merci de mavoir déposée. Ciao a tré tré biento et bone nuit (89) J’espère que vous êtes bien rentrés. Merci de m’avoir déposée. Ciao à très très bientôt et bonne nuit (101) Betrachtet man die im Rahmen der festigend-vertiefenden Kontaktnutzung einzuordnenden SMS so fällt auf, dass sie sich aus kommunikativfunktionaler Perspektive teilweise sehr stark an die rein phatische Kontaktnutzung annähern, da sich eine oberflächliche Kontaktaufrechterhaltung etwa durch den Austausch von Klatsch und Tratsch teils nur schwer von einem aus der Sicht der Jugendlichen inhaltlich relevanten Austausch zwecks freundschaftlicher und Vertrauen aufbauender Teilhabe am Leben des anderen unterscheiden lässt. Dieser fließende Übergang zwischen den beiden Unterkategorien lässt hinsichtlich der zu erwartenden Verschriftungen entsprechend ähnliche Merkmale vermuten. Tatsächlich finden wir auch in der festigend-vertiefenden Kontaktnutzung einen erhöhten prozentualen Anteil von expressiven Stilelementen zur Steigerung der kommunikativen Nähe, die zumeist von erhöhter emotionaler Beteiligung und geringer Ernsthaftigkeit bei der Themengestaltung begleitet werden (immerhin die Hälfte der SMS weisen wenigstens eine minimal expressive Schreibweise auf). Teilweise sind die expressiven Stilelemente sehr aufwendig gestaltet und deuten wiederum darauf hin, dass kein Energieaufwand gescheut wird, um einen spielerisch-vertrauten Interpretationsrahmen zu schaffen. Buchstabeniterationen in Verbindung mit emulierter Prosodie beispielsweise sind keine Seltenheit und stechen in der Regel durch eine aufwendige Verschriftung aus dem gesamten Schriftbild der SMS hervor. Interessanterweise bleiben sehr enigmatisch verschriftete SMS-Texte aus und es lässt sich lediglich in knapp einem Viertel der Fälle ein leichter Zuwachs an Expertise durch den nahezu regelmäßigen Einsatz von primär effizienten, teils etwas enigmatischen Schreibungen erkennen. Eine mögliche Erklärung könnte darin liegen, dass es sich bei unseren Daten vergleichsweise häufig um einen kommunikativen Austausch zwecks besseren gegenseitigen Kennenlernens handelt, bei dem der Bekanntheitsgrad, und dementsprechend das Vertrauensverhältnis unter den Interaktanten, noch nicht sehr groß ist, so dass von einer allzu verschlüsselten Verschriftung abgesehen wird. Hinzu kommt, dass der ausgetauschte Inhalt gegenüber der Form an Bedeutung hinzugewinnt, so dass der Schwer- <?page no="294"?> 294 punkt nicht mehr auf dem Kreieren von besonders elaborierten Schreibweisen liegt, sondern vielmehr auf der Vertiefung der interpersonalen Beziehung. Es bleibt jedoch zu prüfen, ob sich diese Tendenz auch bei einem häufigeren Vorkommen der festigend-vertiefenden Kontaktnutzung bestätigen lässt: (46) Si si ; ) t écoute quoi comme musique (36) Si si ; ) t'écoutes quoi comme musique (37) (47) looseuse... Bah on peut toujours faire un paris by night and pubs à minuit... (77) Looseuse... Bah on peut toujours faire un Paris by night and pubs à minuit... (77) (48) Bwahahahaha.je c mon mail étai terrible...je suis fière de mwa ΛΛ (commen ca g meme pa regardé lé article? héhé.a mercredi poulette (yihaaa)bisous (145) Bwahahahaha. Je sais mon mail était terrible...je suis fière de moi ΛΛ (comment ça j'ai même pas regardé les articles? Héhé. A mercredi poulette (yihaaa) bisous (160) 465 (49) G sui deg ke tu parte! Tu va bocou me manké : _-(bouin (58) Je suis dégoûté que tu partes! Tu vas beaucoup me manquer : _-(bouin (67) 466 Ähnlich wie bei der höflich-respektvollen Kontaktnutzung lässt sich im Bereich der affektiv-amourösen Kontaktnutzung eine eindeutige Präferenz für verbale Ausformulierungen anstelle des Einsatzes von übermäßig expressiven Verschriftungsverfahren für den Ausdruck von Emotionen erkennen. Lediglich jüngere Nutzer zwischen 13 und 15 Jahren, die ihrem Freund bzw. ihrer Freundin Liebesbekundungen oder sonstige romantische Gedanken senden, greifen auszugsweise auf Buchstaben- und Satzzeichenreduplikationen bzw. den Einsatz von Emotikons zurück. Ältere, und damit im Umgang mit affektiv-amourösen Gefühlen ‚reifere’ Nutzer scheinen diese Art der Kodierung als zu verspielt und wenig ernsthaft in Bezug auf die Tiefe und Aufrichtigkeit ihrer empfundenen Emotionen anzusehen, so dass sie allenfalls auf Wortwiederholungen (etwa „très très“), Satzzeichen- oder Punktiterationen als Hinweis auf eine weiterreichende Bedeutung zurückgreifen (Funktion (F3) der Punktiteration, vgl. Kap. 4.3.3). Im 465 Die Abfolge der Grapheme „ΛΛ“ fungiert hier als Emotikon und soll die geschlossenen Augen eines lachenden Gesichts symbolisieren. 466 Auch hier lässt sich eine sehr individuelle Variante eines Emotikons beobachten, die nicht nur ein weinendes Gesicht symbolisieren soll, sondern zusätzlich die „Plärrgeräusche“ onomatopoetisch zu umschreiben versucht: „: _-(bouin“. <?page no="295"?> 295 Hinblick auf den zur Schau gestellten Kompetenzgrad sind auch hier eher selten sehr enigmatische Schreibweisen anzutreffen: (50) Hihi =D tou dun coup jai le sourir jveu tenbrassé san marété (60) Hihi =D tout d'un coup j'ai le sourire je veux t'embrasser sans m'arrêter (73) 467 (51) Tu me mank petit coeur! Ton noux ki pense très très fort à toi! ! (64) Tu me manques petit cœur! Ton noux qui pense très très fort à toi! ! (67) (52) Mon bébé si tu savais comme je t aime tu es la prunelle de mes yeux..-tu es ma joie mon coeur mes larmes..de bonheur..mon sourire..je taime pour ce que tu es... (160) Mon bébé si tu savais comme je t'aime tu es la prunelle de mes yeux...tu es ma joie mon cœur mes larmes...de bonheur...mon sourire...je t'aime pour ce que tu es... (163) Im Rahmen der unterstützend-bestärkenden Kontaktnutzung stechen kaum besondere Verschriftungsmerkmale hervor, was sicherlich auf das vergleichsweise seltene Vorkommen dieser Kategorie in unserem Korpus zurückzuführen ist. In Anbetracht der bisherigen Ausführungen kann demnach insgesamt behauptet werden, dass sich bei genauerer Analyse der auftretenden Verschriftungsstrategien in Zusammenhang mit den jeweiligen kommunikativ-funktionalen Nutzungen durchaus Regelmäßigkeiten in Bezug auf tendenziell erwartbare Schreibweisen erkennen lassen. Als grundsätzliches Kriterium scheint hierfür vorab der individuell erreichte Kompetenzgrad hinsichtlich des langage SMS relevant zu sein, da sehr enigmatische Schreibweisen erst dann im SMS-Text auftreten können, wenn der Verfasser einen gewissen Expertengrad erreicht hat. Der Kompetenzgrad spiegelt sich allerdings nicht nur im vermehrten Einsatz von enigmatischen Schreibweisen als eine Art Zuwachs an Kompetenz auf der Achse enigmatisch wider, sondern ebenso auf der Achse expressiv etwa durch den kompetenten Einsatz von verspielten Emotikons oder emulierter Prosodie in Kombination mit expressiver Großschreibung und Buchstabenreduplikationen. Hierbei sollte jedoch bemerkt werden, dass ein Zuwachs an Kompetenz hinsichtlich Expressivität schneller erreicht werden kann, als die Beherrschung eines zunehmend enigmatischen Schreibstils, da der Einsatz von bilderrätselähnlichen, womöglich zudem agglutinierten Varianten wie etwa „ms8“ für me suis mehr Sprach- und insbesondere Verschriftungskompetenz erfordern, als der Einsatz sehr expressiver Schreibweisen etwa der Form „Ohhh NOOOON! ! ! “. Graphisch lässt sich der 467 Diese SMS stammt von einer 13-jährigen Schülerin. <?page no="296"?> 296 erreichte Kompetenzgrad mit Hilfe unseres Kontinuums der Verfasserintentionen folgendermaßen verdeutlichen: Je nach dem, in welchem Bereich sich der Hauptanteil an Verschriftungsvarianten eines Verfassers einordnen lässt, kann sein Kompetenzgrad hinsichtlich der jeweiligen Verfasserintention beurteilt werden: Befinden sich seine Schreibweisen vornehmlich im Bereich der ersten Abstufungen, d.h. unterhalb des inneren „Segels“, das von den drei Verbindungslinien zwischen den Achsenpunkten I, i und 1 eingegrenzt wird, so beläuft sich seine Verschriftung maßgeblich auf die minimal erwartbaren langage SMS- Stilelemente. Dazu gehört vor allem der unregelmäßige Einsatz von primär effizienten Varianten, die sehr vereinzelt enigmatische Züge annehmen können, aber zumeist eine teils noch beachtliche Treue zur orthographischen Norm aufweisen. Demzufolge ist der Kompetenzgrad, den der Verfasser in seinen SMS-Texten zur Schau stellt, eher gering. Lassen sich mit zunehmender Regelmäßigkeit Schreibweisen feststellen, die auf den entsprechenden Achsen zumindest zwischen der ersten und der zweiten Achsenabstufung, vereinzelt sogar zwischen der zweiten und der dritten Ab- Kontinuum der Verfasserintentionen enigmatisch effizient expressiv 1 2 3 i ii II I III iii <?page no="297"?> 297 stufung anzusiedeln sind, so hat der Verfasser bereits einen erhöhten Kompetenzgrad erreicht. Bei häufigem Auftreten von Schreibweisen, die sich knapp unterhalb des äußersten Segels lokalisieren lassen, das von den drei Verbindungslinien zwischen den Achsenpunkten III, iii, und 3 eingegrenzt wird, so ist der Kompetenzgrad als sehr hoch zu bewerten, wobei hier einschränkend hinzugefügt werden muss, dass sehr kompetente Verfasser ihr Können, wie die obigen Ausführungen bereits verdeutlicht haben, nicht bei jedem kommunikativen Anlass unter Beweis stellen. Gleichwohl bleibt es eine Art Vorbedingung dafür, ob von einem Verfasser Schreibweisen zu erwarten sind, die über den minimal erwartbaren langage SMS-Stil hinausgehen oder nicht. Sollte ein Verfasser grundsätzlich eine über die erste Abstufung hinausgehende Verschriftungskompetenz erreicht haben, so lässt sich in Abhängigkeit von der jeweiligen Kommunikationsabsicht tendenziell durchaus eine gewisse Häufung von bestimmten Verschriftungsstrategien beobachten. Im Rahmen der praktisch-organisatorischen Nutzungsdimension beispielsweise besteht eine offensichtliche Präferenz für sehr effiziente, teils zugleich enigmatische langage SMS-Varianten, wohingegen expressive Verschriftungsverfahren eher die Ausnahme darstellen. Innerhalb der phatisch-relationalen Nutzungsdimension nimmt die Bedeutung von expressiven Verschriftungsverfahren erheblich zu, wobei sich die zusätzliche Einteilung in die kommunikativ-funktionalen Unterkategorien als sehr aufschlussreich im Hinblick auf ein differenziertes Ergebnis erwiesen hat: lässt sich im Rahmen der rein phatischen Kontaktnutzung eine Vorliebe für einfallsreiche, effizient-enigmatische Schreibungen teilweise in Kombination mit sehr expressiven Varianten erkennen, die einen spielerisch-kreativen und gegebenenfalls von emotionaler Beteiligung geprägten Interpretationsrahmen schaffen, bleibt der Einsatz von übermäßiger Sprachspielerei innerhalb der konfliktiv-problematisierenden Kontaktnutzung aus, um die Ernsthaftigkeit der Interaktion nicht zu gefährden. Zwar kann in Abhängigkeit vom Kompetenzgrad der Nutzer und ihren gemeinsamen SMS- Verschriftungsgewohnheiten ein gewisser Verschlüsslungsgrad erreicht werden, jedoch wird der Schwerpunkt dabei keineswegs auf Einfallsreichtum und Innovation gelegt, sondern vielmehr auf Effizienz und beinahe distanziert wirkende Expertise. Die festigend-vertiefende Kontaktnutzung wiederum zeichnet sich, ähnlich wie die phatische Nutzung, durch einen recht hohen Anteil an expressiven Stilelementen aus, ohne jedoch auf allzu innovative, effizient-enigmatische Varianten zurückzugreifen, um den Fokus nicht auf die Form des SMS-Textes bzw. auf den individuell erreichten Expertengrad zu lenken, sondern auf die Erhöhung des bestehenden Bekanntheits- und Vertrauensverhältnisses unter den Kommunikationspartnern. <?page no="298"?> 298 Bislang haben wir die Wechselbeziehung zwischen kommunikativfunktionaler Nutzung und Verfasserintention bei der Wahl einer Schreibweise nur aus der Sicht einer bereits bestehenden Kommunikationsabsicht betrachtet. Es stellt sich jedoch heraus, dass sich ausgehend von der zugrunde liegenden Verfasserintention ganz ähnliche Tendenzen erkennen lassen. Der zunehmend regelmäßige Einsatz von effizient-enigmatischen Schreibweisen, die über den erwartbaren langage SMS-Verschriftungsstil hinausgehen, lässt sich in weit über der Hälfte der Fälle im Bereich der praktisch-organisatorischen Nutzungsdimension nachweisen, während sich gut ein Drittel jeweils zu gleichen Teilen innerhalb der rein phatischen bzw. der konfliktiv-problematisierenden Kontaktnutzung beobachten lässt. In den übrigen Nutzungskategorien kommt der vermehrte Einsatz von effizient-enigmatischen Schreibweisen nur sehr vereinzelt vor. Knapp 40% der auffallend expressiv verschrifteten Kurzmitteilungen sind jeweils zur Hälfte der rein phatischen bzw. der festigend-vertiefenden Kontaktnutzung zuzuordnen, während sich die restlichen Fälle recht gleichmäßig, aber nur vereinzelt auf die übrigen Nutzungskategorien verteilen. Die Kombination aus auffallend vielen effizient-enigmatischen und expressiven Schreibweisen schließlich tritt in Bezug auf das Gesamtkorpus mit Abstand am häufigsten in der rein phatischen Nutzung auf (50% der Vorkommen), während sie sich in den anderen kommunikativ-funktionalen Nutzungskategorien ebenfalls nur vereinzelt nachweisen lässt. Gleichwohl illustrieren die vereinzelt auftretenden Abweichungen auch hier eindeutig, dass es sich jeweils nur um Tendenzen handeln kann, die sich kaum als verbindliche Regel auffassen lassen und stets von einem gewissen Maß an Vagheit gekennzeichnet sind. Vor diesem Hintergrund werden wir im Folgenden untersuchen, inwieweit sich diese Tendenzen auch in konkreten Einzelfällen beobachten lassen, d.h. wie bewusst die Verfasser bei wechselnder Kommunikationsabsicht tatsächlich verschriften: Sind sie sich der zusätzlichen Bedeutungsebene, die sie ihren Schreibweisen im Sinne von Kontextualisierungshinweisen verleihen können, stets im Klaren und setzen sie reflektiert ein? Um dem nachgehen zu können, werden wir in einem ersten Schritt einige kommunikativ-funktionale Mischformen betrachten und untersuchen, ob die tendenziell eher zu erwartenden Stilelemente der Verschriftung selbst bei wechselnder Kommunikationsabsicht innerhalb eines SMS-Textes für jede kommunikativ-funktionale Teilphase separat adaptiert werden oder ob die beschriebenen Tendenzen in dieser Hinsicht zu relativieren sind. Dabei werden wir nicht nur heterogene Mischformen innerhalb der phatisch-relationalen Nutzungsdimension betrachten, etwa bestehend aus einer Teilphase zur höflich-respektvollen Kontaktnutzung und einer Teilphase zur festigend-vertiefenden Kontaktnutzung, sondern auch Mischformen bestehend aus praktisch-organisatorischen und phatisch-relationalen <?page no="299"?> 299 Teilphasen. In einem zweiten Schritt werden wir benutzerspezifisch vorgehen, indem wir gezielt analysieren, ob die Absender, die mehrere SMS- Texte für die Korpusanalyse zur Verfügung gestellt haben, ihren Verschriftungsstil in jeder SMS entsprechend der dazugehörigen kommunikativfunktionalen Nutzung anpassen bzw. ob noch weitere Faktoren Einfluss auf die Wahl einer Schreibweise nehmen können. Dafür werden wir exemplarisch zwei Nutzer herausgreifen, für die zusätzlich Informationen aus den soziolinguistischen Fragebögen vorliegen und deren SMS-Texte ein relativ breites Spektrum an kommunikativ-funktionalen Nutzungen abdecken. 7.2.3 Tendenzielle Auffälligkeiten bei kommunikativ-funktionalen Mischformen Am Ende des Abschnitts 7.2.1 zu den tendenziellen Auffälligkeiten im Rahmen der praktisch-organisatorischen Nutzungsdimension sind wir bereits kurz auf heterogene Mischformen eingegangen, die neben der praktisch-organisatorischen Teilphase auch begleitende, eher untergeordnete phatisch-relationale Teilphasen aufwiesen. Dabei wurde deutlich, dass sich der Verschriftungsstil zumeist über den gesamten SMS-Text hinweg als effizient oder, je nach Verfasserkompetenz, effizient-enigmatisch erwiesen hat und demzufolge relativ konstant blieb. In Anbetracht der zu untersuchenden Korrelation zwischen Kommunikationsabsicht und Verfassermotivation ließe sich in diesen Fällen demnach nicht von einer sehr differenzierten, an die jeweilige kommunikativ-funktionale Teilphase angepassten Verschriftung ausgehen, sondern vielmehr von einer sich nach der dominanten Kommunikationsabsicht der Kurzmitteilung richtenden Schreibweise. Diese Beobachtung sollte jedoch nicht voreilig verallgemeinert werden, da es sich zumeist um sehr kurze Annäherungsphasen oder einrahmende Höflichkeitsfloskeln handelte, die im Vergleich zur praktischorganisatorischen Hauptinformation nur eine sekundäre, nahezu beiläufige Rolle spielten. Um aussagekräftige Ergebnisse erhalten zu können, sollte das Augenmerk vielmehr auf solche Mischformen gelegt werden, deren heterogenen Teilphasen zumindest annähernd gleichbedeutend sind bzw. nicht in einem so eindeutigen Dominanzverhältnis zueinander stehen. Dabei erscheint es sinnvoll, dass wir vornehmlich diejenigen Bereiche untersuchen, die sich entsprechend der oben aufgezeigten Tendenzen durch einen speziellen Verschriftungsstil auszeichnen und damit potenziell eine im Vergleich zu den übrigen Teilphasen abweichende Verschriftung aufweisen. Hierzu zählen beispielsweise rein phatische Teilphasen, die mit erhöhter Wahrscheinlichkeit expressive Stilelemente beinhalten, im Gegensatz zu praktisch-organisatorischen Teilphasen, die nur selten expressive Varianten aufweisen. <?page no="300"?> 300 Betrachten wir dementsprechend zuerst solche Kurzmitteilungen, deren Hauptphase sich aus einem praktisch-organisatorischen und einem phatisch-relationalen Teil zusammensetzt. Tatsächlich lassen sich einige Beispiele nachweisen, bei denen die Verschriftung sehr reflektiert und in Anpassung an die jeweilige Kommunikationsabsicht von statten zu gehen scheint: (53) go! ! ! mdr bon tu di a paul ke c samedi a 8h ché toi ok? (54) Go! ! ! Mdr bon tu dis à Paul que c’est samedi à 8 h chez toi ok? (63) Die kommunikativ-funktionale Nutzung geht in diesem Fall von einer phatischen oder festigend-vertiefenden Kontaktnutzung, beschreibbar als spielerisch-neckende Ermutigung, über in einen praktisch-organisatorischen Teil, der ein in naher Zukunft liegendes Zusammentreffen organisieren soll. Die expressive Satzzeicheniteration ! ! ! und das anschließende Lachakronym mdr werden dabei bewusst eingesetzt, um der phatisch-relationalen Teilphase einen von geringer Ernsthaftigkeit und spielerischem Sprachumgang geprägten Interpretationsrahmen zu verleihen, der anschließend mittels der Interjektion bon und des primär effizienten Verschriftungsstils in einen nüchtern-informativen und von mehr Ernsthaftigkeit geprägten Interpretationsrahmen überführt wird. Eine Wiederholung der expressiven Satzzeicheniteration am Ende des SMS-Textes, etwa durch „? ? ? “, oder sonstige expressive Stilelemente wären in Anbetracht der kommunikativfunktionalen Nutzung der zweiten Teilphase vollkommen irreführend, da sie dem praktischen Teil fälschlicherweise ein Stück seiner inhaltlichen Relevanz absprechen würden. Dessen ist sich der Verfasser offensichtlich bewusst und verschriftet entsprechend. Betrachten wir ein weiteres Beispiel: (54) Et ce que tu as fais référence ou citations aux textes ds ta synthèse? bisous SpR ke sport éT cool (97) Est-ce que tu as fait référence ou citations aux textes dans ta synthèse? Bisous espère que sport était cool (108) Hier finden wir zunächst eine praktisch-organisatorische Hauptphase zwecks Informationserfragung zu den Konventionen einer universitären Hausarbeit vor, die scheinbar von einer nähesprachlichen Verabschiedungsphase beendet wird, bevor sie nachträglich um eine phatischrelationale, insbesondere rein phatische Teilphase in Form einer kurzen, oberflächlichen Erkundigung nach den zurückliegenden Sportaktivitäten ergänzt wird. Im Hinblick auf den gewählten Schreibstil fällt auf, dass sich die erste Teilphase durch hohe orthographische Treue auszeichnet und damit indirekt die Seriosität des Themas bzw. dessen offiziellen Charakter widerspiegelt, wohingegen sich die ergänzte phatische Teilphase durch einen unkonventionellen, von enigmatischen Stilelementen geprägten Schreibstil auszeichnet, der auf eine spielerisch-kreative Art die Bezie- <?page no="301"?> 301 hungspflege unterstützen soll. Bei einer Detailanalyse der einzelnen Varianten lässt sich sogar erkennen, dass für die lexikalische Inputform que, je nach kommunikativ-funktionaler Nutzung, erst der orthographisch korrekte Outputkandidat que und dann die pseudophonetische Varianten ke gewählt wird. Diese Beobachtung unterstützt nachdrücklich unsere Hypothese zur bestehenden Korrelation zwischen Kommunikationsabsicht und langage SMS-Schreibweise, da der Verfasser einen klaren Unterschied zwischen den verschiedenen kommunikativ-funktionalen Nutzungen und den in Abhängigkeit davon in Frage kommenden Verschriftungsstrategien zu machen scheint. Das Thema der praktisch-organisatorischen Teilphase, und insbesondere sein eher offizieller Charakter, könnte in diesem Fall ausschlaggebend dafür sein, dass sich nicht einmal minimal erwartbare langage SMS-Stilelemente in dieser Teilphase nachweisen lassen, obwohl der Verfasser offensichtlich den dafür nötigen Kompetenzgrad erreicht hat. Das ist in einer inhaltlich weniger ernsthaften praktischen Teilphase keineswegs immer der Fall, wie der nachfolgende SMS-Text verdeutlicht: (55) coucou(l)sava? Cet aprem jvoi emma&ju. T a pari? jpense pa ms si ui apel me pr ns rejwindr! G mi 1nouvo articl sur mn blog, de TOI ! yen a 2 psk ds le 1ère jarivè pa a metr ta foto dnc g fè un 2eme.tira voir.jtmjtmbsx.tu me mank! Ps: la nouvel photo 2 twa sur mn blog, t tp bel ! ! (l)(k) (285) Coucou (l) ça va? Cet aprèm je vois Emma et Ju. T'es à Paris? Je pense pas mais si oui appelle-moi pour nous rejoindre! J'ai mis un nouveau article sur mon blog, de toi! Y en a 2 parce que dans le 1ère j'arrivais pas à mettre ta photo donc j'ai fait un 2ème. T'iras voir. Je t'aime je t'aime bisous. Tu me manques! Ps: la nouvelle photo de toi sur mon blog, t'es trop belle! ! (l)(k) (381) 468 Das Beispiel zeichnet sich nicht nur in Bezug auf die Länge des Textes bzw. die gewählten Verschriftungsstrategien, sondern auch in Bezug auf die kommunikativ-funktionalen Nutzungen durch eine beachtliche Komplexität aus. Es wurde von einer zwölfjährigen Schülerin verfasst, die im Rahmen der soziolinguistischen Befragung neben dem Französischen auch das Spanische als Muttersprache angegeben hat, was eine mögliche Erklärung für die zu beobachtenden Grammatikfehler sein könnte. Sie nutzt die SMS- Kommunikation gemäß eigener Angaben maßgeblich aus spielerischen 468 Im Internet lassen sich „Smiley-Wörterbücher“ als Hilfestellung für den Gebrauch von Emotikons im Instant Messaging finden, die (l) als „red heart icon“ beschreiben, wobei der Buchstabe l vermutlich abkürzend für love steht. Analog dazu führen sie das Emotikon (k) als „red lips icon“ ein, bei dem der Buchstabe k abkürzend für kiss stehen könnte (vgl. dazu etwa http: / / elouai.com/ msn-emoticons.php (25.03.2010)). In Bezug auf die Transkription sei nochmals darauf hingewiesen, dass offensichtliche Grammatikfehler nicht verbessert werden. Dementsprechend werden „nouveau article“ und „le 1ère“ unverändert übernommen. <?page no="302"?> 302 Motiven heraus zur Überbrückung von Langeweile oder zwecks interpersonaler Beziehungspflege. Hinsichtlich der in diesem Beispiel zugrunde liegenden Sender-Empfänger-Beziehung lassen die restlichen von der Informantin zur Verfügung gestellten SMS darauf schließen, dass die beiden Schülerinnen eine sehr enge Freundschaftsbeziehung pflegen. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, die genannte SMS etwas genauer zu analysieren. Hinsichtlich des kommunikativ-funktionalen Aufbaus der Nachricht folgt nach einer intimen Begrüßungsphase (coucou(l)) eine kurze, phatischrelationale Annäherungsphase (sava), bevor die kommunikativ-funktionale Nutzung zunächst übergeht in einen praktisch-organisatorischen Teil: Cet aprem jvoi emma&ju. T a pari? jpense pa ms si ui apel me pr ns rejwindr! Die Schreibweisen basieren in dieser etwas längeren Teilphase vornehmlich auf der Anwendung von primär effizienten Verschriftungsverfahren, wobei die Verwendung des Anglizimus me für moi und die pseudophonetische Variante rejwindr bereits darauf schließen lassen, dass die Verfasserin eine gewisse Kompetenz im sprachspielerischen Umgang mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten erreicht hat, da der Buchstabe w in französischen Texten beinahe ausschließlich in entlehnten Wörtern vorkommt und dem Schriftbild dadurch bewusst einen fremdartigen, beinahe exotischen Charakter verleiht. Trotz phonetischer Exaktheit (vgl. [ʀ(ә)ʒwɛ  dʀ], was in unserem Auswertungsprozess gemäß der Beschränkung I DENT - IO(phon) gerade zu der Schreibung rejwindr führen würde) erkennt das ungeübte Auge nicht unmittelbar den dazugehörigen signifiant, wodurch die Variante innovativ-enigmatische Züge erhält. Sie soll die Empfängerin überraschen und dem Verfasserwunsch nach Exklusivität bzw. Demonstration ihrer spielerischen Sprachkompetenz gerecht werden. In Anbetracht des oben beschriebenen Verfasserprofils einschließlich der vermehrten SMS-Nutzung aus spielerischen Motiven heraus erscheint es wenig verwunderlich, dass diese Verfasserintention bereits in der praktischorganisatorischen Teilphase ansatzweise zum Ausdruck kommt, wohingegen expressive Schreibweisen noch bewusst ausbleiben. Im Anschluss an die erste Teilphase folgt eine ausführliche Phase zwecks festigend-vertiefender Kontaktnutzung: G mi 1nouvo articl sur mn blog, de TOI ! yen a 2 psk ds le 1ère jarivè pa a metr ta foto dnc g fè un 2eme.tira voir. Entsprechend dem individuell erreichten Kompetenzgrad der Verfasserin lassen sich sowohl effiziente als auch effizient-enigmatische Varianten erkennen, die nunmehr durch die expressive Großschreibung des Personalpronomens toi ergänzt werden. Letztere wird von der Verfasserin bewusst als Stilmittel der Hervorhebung eingesetzt, wobei sie diesen Effekt durch die Isolierung des präpositionalen Attributs am Ende des Satzes <?page no="303"?> 303 noch zu verstärken versucht. Demnach lässt sich wiederum von einer sehr reflektierten Verschriftung (und Verschriftlichung) sprechen, die mit den von uns herausgearbeiteten Tendenzen durchaus übereinstimmt. Gefolgt wird diese Teilphase von einer recht kompakten, auf den ersten Blick kaum aus dem Gesamtschriftbild hervorstechenden Verabschiedungsphase, die auch in diesem Beispiel um einen festigend-vertiefenden Nachtrag ergänzt wird: jtmjtmbsx.tu me mank! Ps: la nouvel photo 2 twa sur mn blog, t tp bel ! ! (l)(k) In Bezug auf die Verabschiedung fällt auf, dass sie sich durch eine ansonsten eher ungewöhnliche, beinahe widersprüchliche Kombination aus effizienten und expressiven Verschriftungsverfahren auszeichnet (jtmjtmbsx.). Die Wahl eines konsonantischen Skeletts gemeinsam mit expressiver Wortdopplung und Agglutination über das konsonantisch verschriftete Folgewort hinaus lässt sich als eine Art ‚ökonomische Expressivität’ beschreiben, die sich fast schon ideal in den Zeitgeist der Schnelllebigkeit und der möglichst effizienten Kontaktpflege einzubetten scheint. Allerdings wird ihr dank der phatisch-relationalen Ergänzung nachträglich eine gewisse Tiefe und Ernsthaftigkeit verliehen, die durch das anschließende freundschaftliche Kompliment noch bekräftigt werden. Wiederum lassen sich am Ende der festigend-vertiefenden Ergänzung expressive Stilelement entdecken, die der Emphase der Verfasserin Ausdruck verleihen sollen. Insgesamt scheint sie demzufolge ihrem persönlichen, von verspielter Expertise geprägten Verschriftungsstil zu folgen, den sie entsprechend der von uns aufgezeigten Tendenzen in gewissen kommunikativ-funktionalen Teilphasen durch zusätzliche expressive Stilelemente untermalt. Letztere nehmen in den hier auftretenden festigend-vertiefenden Teilphasen bezeichnenderweise keine Überhand, sondern werden von verbalen Ausformulierungen dominiert, um dem Inhalt, insbesondere dem Bekunden der freundschaftlichen Gefühle, keinen allzu unbedeutenden Interpretationsrahmen zu verleihen. In anderen, rein phatisch genutzten SMS-Texten derselben Verfasserin, die parallel auf eine beachtliche spielerische Nutzungsmotivation hindeuten, kann das Ausmaß an expressiven Stilelementen entscheidend zunehmen, so dass die zuvor analysierten Tendenzen auch hier deutlich hervortreten. 469 Indes lässt sich der bewusste Einsatz von expressiven Stilelementen keineswegs in allen SMS-Texten erkennen, da sich im Korpus auch eine Viel- 469 Zur Veranschaulichung sei das folgende Beispiel genannt, auf das wir hier nicht näher eingehen wollen: ss ptdr. Devine ce ke ss entrin de fair..g kité msn pr fair..Haha ss vmt grve..sui en train de fair MON EX DE LATIN A FAIRE PR JEUDI! jc pa javè envi M.D.R jtm (Suis ptdr. Devine ce que suis en train de faire... j'ai quitté msn pour faire... Haha suis vraiment grave... suis en train de faire mon exercice de latin à faire pour jeudi! Je sais pas j'avais envie MDR je t'aime). <?page no="304"?> 304 zahl an kommunikativ-funktional heterogenen Mischformen nachweisen lässt, die ihre Schreibweisen nicht in Abhängigkeit von der jeweiligen Kommunikationsabsicht anpassen. Lediglich im Hinblick auf die Verbschiedungsphase fällt bei genauerer Betrachtung auf, dass eine als Verabschiedung fungierende Liebesbekundung mittels expressiver Großbuchstaben realisiert werden kann. Das Phänomen, dass die Verschriftungsstrategien erst in der Verabschiedungsphase bewusst angepasst werden, während sich der restliche SMS-Text unabhängig von den jeweiligen kommunikativ-funktionalen Nutzungen durch eine gewisse Gleichmäßigkeit auszeichnet, lässt sich im Gesamtkorpus häufiger beobachten: (56) Coucou! Comen ça va? moi je déteste ces cours, en + je fini les exam hyper tard! &cet été, tu travaille? Tu me mank vrémen bocou! ENORME BISOU! (141) Coucou! Comment ça va? Moi je déteste ces cours, en plus je fini les examens hyper tard! Et cet été, tu travailles? Tu me manques vraiment beaucoup! Enorme bisou! (162) (57) demain soir à la télé y a1spécial Birmanie,ca peut t'intéresser... bonne continuation stage,mémoire etc. Vien qd tu veux à Nancy! BI- SOUS & b.soirée. Justine. (156) Demain soir à la télé y a un spécial Birmanie, ça peut t’intéresser...bonne continuation stage, mémoire etc. Viens quand tu veux à Nancy! Bisous et bonne soirée. Justine (169) (58) Ju! Tkt, jessairai dc de me débrouiller pr venir en début de soirée a votre fete,pis jen ferai ptete une moi ossi le samedi dla 1ere semaine! Bisx, et dsl davoir cosé des soucis! Jtaime alexiiiiiis (197) Ju! T'inquiète, j'essayerai donc de me débrouiller pour venir en début de soirée à votre fête, puis j'en ferai peut-être une moi aussi le samedi de la 1re semaine! Bisous, et désolé d'avoir causé des soucis! Je t'aime Alexis (224) (59) Kikou C lou. jyx Paques. mange pa tp de Choco. Bisousous Biquette (65) Coucou c’est Lou. Joyeux Pâques. Mange pas trop de choco. Bisousous Biquette (74) Teilweise kann von einem regelrechten Bruch zwischen dem Verschriftungsstil der Hauptphase bzw. deren Teilphasen und dem Verschriftungsstil der Verabschiedungsphase gesprochen werden, was darauf schließen lässt, dass sich die Verfasser durchaus im Klaren über die Bedeutung der Verabschiedungsphase für die interpersonale Beziehungspflege sind. Darüber hinaus legt es die Vermutung nahe, dass den Verfassern der kommunikativ-funktionale Unterschied zwischen Haupt- und Verabschiedungsphase bewusster ist, als die Divergenz zwischen den einzelnen Teilphasen der Hauptphase, weshalb sie hier mit größerer Wahrscheinlich- <?page no="305"?> 305 keit eine Veränderung des Schreibstils hin zu mehr Expressivität durchführen. Allerdings lässt sich auch hier keine Regelmäßigkeit auf Gesamtkorpusebene feststellen, da sich umgekehrt einige SMS-Texte nachweisen lassen, deren Hauptphase expressive Stilelemente enthält, während die Verabschiedung eher von Effizienz geprägt ist (etwa durch die Form „biz“). Im Falle der kommunikativ-funktionalen Mischformen lässt sich demnach nur schwerlich behaupten, dass die Nutzer ihren Verschriftungsstil stets bewusst in Abhängigkeit von der dazugehörigen Kommunikationsabsicht wählen würden, obgleich einige Mischformen nachgewiesen werden konnten, bei denen die Verfasser scheinbar sehr reflektiert auf bestimmte Verschriftungsstrategien zurückgegriffen haben, um die damit einhergehende, zusätzliche Bedeutungsebene bewusst auszunutzen. Die Wahl der jeweiligen Schreibweise erfolgte dabei häufig in Übereinstimmung mit den zuvor herausgearbeiteten Tendenzen und belegt, dass Letztere sogar auf Mikroebene einzelner SMS-Texte hervortreten können. In diesem Zusammenhang werden wir abschließend untersuchen, bis zu welchem Ausmaß sie sich benutzerspezifisch beobachten lassen bzw. mit welcher Beständigkeit sich einzelne Verfasser um eine an die kommunikativ-funktionale Nutzung angepasste Verschriftung bemühen. 7.2.4 Erkennbare Tendenzen auf benutzerspezifischer Ebene 7.2.4.1 Erstes Fallbeispiel Bei der ersten Informantin, deren langage SMS-Gewohnheiten wir etwas genauer untersuchen wollen, handelt es sich um eine 17-jährige Schülerin aus Paris (20. Arrondissement), die laut eigener Angaben eine sehr enge Beziehung zu ihrem Handy aufgebaut hat und empfangene SMS selbst dann sofort liest, wenn sie nachts auf ihrem Handy eingehen. Durchschnittlich verschickt sie 20-50 SMS pro Woche, vorzugsweise an Freunde, Mitschüler oder Familienmitglieder. Die Begrenzung einer SMS auf 160 Zeichen empfindet sie durchaus als einschränkend und es stellt sich anhand der 21 von ihr zur Verfügung gestellten SMS-Texte heraus, dass sie tatsächlich durchschnittlich 159 Zeichen in Anspruch nimmt, was weit über dem Korpusdurchschnitt von nur knapp 92 Zeichen liegt. Als maßgebliche Nutzungsmotivationen für den Einsatz der SMS-Kommunikation gibt sie mit gleich hoher Relevanz die Übermittlung von wichtigen Informationen, die interpersonale Beziehungspflege und die Überbrückung von Langeweile an. Bei der Beurteilung ihrer eigenen Fähigkeiten, langage SMS-Varianten problemlos zu entschlüsseln, räumt sie ein, dass sie gelegentlich Schritt für Schritt dekodieren müsse, letztendlich jedoch jede unkonventionelle Schreibweise verstehe. Ihren persönlichen Verschriftungsstil schätzt sie als <?page no="306"?> 306 eine Mischung aus korrekter Orthographie und langage SMS-Varianten ein, wobei sie Wert auf eine sorgfältige Kodierung zu legen scheint, da sie ihre verfassten SMS-Texte oft ein zweites Mal liest und schon während des Schreibprozesses regelmäßig Wortteile oder ganze Äußerungen löscht, um sie gegebenenfalls geeigneter zu verschriften (bzw. zu verschriftlichen). Das hängt vermutlich zudem mit der 160-Zeichen-Begrenzung einer SMS zusammen, an deren Grenzen die Verfasserin bei der Durchschnittslänge von 159 Zeichen wohl häufiger stoßen wird, was das Augenmerk nochmals auf die vorherrschenden, teils strikten Produktionsbedingungen lenkt, vor deren Hintergrund die entstehende SMS-Kommunikation stets zu interpretieren ist. Diese Verfasserin scheint sich nach wie vor konstruktiv mit den Produktionsbedingungen auseinanderzusetzen und sie sich in idealer Weise zu Eigen zu machen. Beginnt man in diesem Kontext mit der Analyse ihrer SMS, so fällt unmittelbar auf, dass die Unterhaltungsnutzung eine vergleichsweise wichtige Rolle spielt, da sich unter den 21 Kurzmitteilungen allein vier primär dieser Nutzungskategorie zuordnen lassen. 470 Das entspricht einem prozentualen Anteil von knapp 20% und liegt damit deutlich über dem Korpusdurchschnitt von nur zwei Prozent. Die zuvor von der Informantin geschilderte Einschätzung, dass sie die SMS-Kommunikation häufig zur Überbrückung von Langeweile einsetze, findet ihre Bestätigung und wird zusätzlich von einem recht großen Anteil an phatisch-relational genutzten SMS-Texten untermauert, die zumindest indirekt auf eine parallel vorhandene spielerische Nutzungsmotivation hindeuten (etwa über die Art der Themengestaltung). Neben den primär spielerisch genutzten SMS sind über die Hälfte der Kurzmitteilungen im Bereich der rein phatischen oder der festigend-vertiefenden Kontaktnutzung anzusiedeln, wobei nicht immer mit absoluter Sicherheit beurteilt werden kann, ob es sich lediglich um den Austausch von Klatsch und Tratsch handelt (phatisch) oder ob es als vertraulicher Informationsaustausch indirekt zur Vertiefung der interpersonalen Beziehung beiträgt (festigend-vertiefend). 471 Bei einigen der rein phatisch genutzten SMS zwecks unverbindlicher Kontaktaufnahme lässt sich die eben bereits erwähnte, parallel vorhandene Unterhaltungsnutzung im Sinne eines aktivierenden Tätigwerdens unmittelbar am Text bzw. am Sendeverhalten erkennen, da die vereinzelte Kurzmitteilungen binnen kurzer Zeit in unveränderter Form an verschiedene Adressaten gesendet wurden. Dieses kommunikative Verhalten spricht für eine Kontaktauf- 470 Drei der vier spielerisch genutzten SMS-Texte treten in Form von unterhaltsamen Ketten-SMS auf, die wir bei der nachfolgenden Analyse nicht berücksichtigen werden, da nicht sichergestellt werden kann, dass sie tatsächlich von der Informantin selbst verfasst wurden. 471 Hieran wird nochmals deutlich, dass die verschiedenen kommunikativ-funktionalen Unterkategorien der Kontaktnutzung nicht streng voneinander abgegrenzt werden können, sondern teils fließend ineinander übergehen. <?page no="307"?> 307 nahme aus einem Moment der Langeweile heraus und lässt auf die Hoffnung der Absenderin schließen, zumindest mit einem der Adressaten erfolgreich einen SMS-Smalltalk zu beginnen, der nicht zuletzt ihrer eigenen Unterhaltung dient. Die Zweitrangigkeit der Informationsübermittlung gegenüber dem Bestreben nach Ablenkung wird durch inhaltliche Redundanz noch zusätzlich unterstrichen: (60) Slt toi cava,lé cour,lé zamour? Moi b1 tu voi g du crédi c 1 exploi lol et g pensé a toi mé fo dir ke sfr ma menacé juska y mom envoyé 1 lettre c D ouf! Voila cété pr te fer 1 pti coucou pck jte voi plu.Bisou a+ bone journé (221) Salut toi ça va, les cours, les amours? Moi bien tu vois j'ai du crédit c'est un exploit lol et j'ai pensé à toi mais faut dire que SFR m'a menacé jusqu'à ils m'ont envoyé une lettre c'est des oufs! Voilà c'était pour te faire un petit coucou parce que je te vois plus. Bisou à plus bonne journée (292) 472 (61) Slt sava? Alor koi 2 bo? Sa fé lontem. Bon tu fè koi tu taf + c sa? Jtenvoi ce mesage pour te dir ke je pense kan mm a toi! Bn pa besoin 2 dir ki je sui mè jte fé 2 gros bisou mathis.Lol. (187) Salut ça va? Alors quoi de beau? Ça fait longtemps. Bon tu fais quoi tu taffes plus c'est ça? Je t'envoie ce message pour te dire que je pense quand même à toi! Bon pas besoin de dire qui je suis mais je te fais de gros bisous Mathis. Lol. (235) Beide SMS-Texte zeichnen sich durch einen primär effizienten, teils effizient-enigmatischen Schreibstil aus, wobei auffällt, dass nur wenige Äußerungen der korrekten Orthographie entsprechen. Die Verfasserin scheint sehr reflektiert vorzugehen und sich primär an der phonischen Oberflächenform des Inputs zu orientieren, da pseudophonetische Schreibweisen gegenüber konsonantischen Skeletten bevorzugt werden (etwa mé anstatt ms für mais oder aber lontem anstatt beispielsweise lgtp für longtemps). Auch semiophonologische Schreibweisen treten mit einer gewissen Regelmäßigkeit auf, wie sich etwa an der Präposition de, durchgehend realisiert durch 2, erkennen lässt. Insgesamt deutet das auf eine sehr sorgfältige Verschriftung hin, die sich um eine möglichst effiziente, primär an der Phonie orientierte, teils zugleich enigmatische Schreibweise bemüht, ohne jedoch allzu verschlüsselte Varianten zu wählen, die vom Adressaten unter Umständen nicht verstanden werden. Es soll eine angenehme Gesprächsatmosphäre geschaffen werden, um das Zustandekommen des angestrebten SMS-Smalltalks wahrscheinlicher werden zu lassen und der Verfasserin bietet sich gleichzeitig die Möglichkeit zur spielerischen Unterhaltung mit der Technik. 472 Diese SMS wurde binnen einer Minute unverändert an zwei verschiedene Adressaten geschickt. <?page no="308"?> 308 Abgesehen von den phatisch genutzten SMS zur unverbindlichen Kontaktaufnahme lassen sich einige Interaktionen nachweisen, die unterhaltsame Informationen bzw. Gerüchte über Personen aus dem Bekanntenkreis enthalten. In diesen Fällen lässt sich oftmals eine erhöhte emotionale Beteiligung erkennen, was sich unter anderem mit dem Alter der Nutzerin erklären lässt, in dem die Verbindung zum sozialen Umfeld im Sinne einer kollektiven Identitätsbildung eine wichtige Rolle spielt. Darüber hinaus lassen sich vereinzelt Beispiele finden, die dem besseren gegenseitigen Kennenlernen dienen: 473 (62) Ohhh MERDE mais nooooon! Pk la vie est el injuste a ce point? ! Bah il reste + ke le réunionnais.... (98) Oh merde mais non! Pourquoi la vie est-elle injuste à ce point? ! Bah il reste plus que le Réunionnais… (102) (63) Euuuuhhhh.....2 jcroi me je lé coné pa lol et ni eux sniifff (60) Euh… deux je crois mais je les connais pas lol et ni eux snif (58) (64) Ptdr c pr sa ke kan tu ri ta les yeux bridès? ! Ki es asiatik chez toi? (69) Ptdr c'est pour ça que quand tu ris t'as les yeux bridés? ! Qui est asiatique chez toi? (86) Die ersten beiden Beispiele richten sich an dieselbe Adressatin, zu der offenbar eine sehr enge Freundschaftsbeziehung gepflegt wird, da allein neun der 21 SMS an sie adressiert sind und beinahe ausschließlich der phatisch-relationalen Nutzung zuzuordnen sind. Die Verfasserin scheut in den angeführten Fällen keinen Energieaufwand, um ihrer Emphase mittels expressiver Schreibweisen gebührlich Ausdruck zu verleihen, vor allem dann nicht, wenn es um Jungen geht. Durch die Mehrfachwiederholung der Schriftzeichen, teilweise kombiniert mit der Verwendung von Großbuchstaben, stechen die expressiven Stilelemente unverkennbar aus dem Gesamtschriftbild hervor. Sie sollen die prosodischen Eigenschaften einer äquivalenten mündlichen Äußerung möglichst originalgetreu abbilden und der Nachricht somit einen von hoher Vertrautheit und emotionaler Beteiligung geprägten Interpretationsrahmen verleihen. Das dritte Beispiel richtet sich schließlich an eine andere Adressatin und lässt sich zwischen einem phatischen SMS-Smalltalk und der festigend-vertiefenden Kontaktnutzung ansiedeln. Auch hier setzt die Verfasserin zu Beginn ein Lachakronym ein, was insgesamt auf eine gewisse Vorliebe für expressive Varianten in diesen beiden kommunikativ-funktionalen Nutzungsbereichen hindeutet. Tatsächlich weisen knapp drei Viertel ihrer phatisch oder festigend-vertiefend genutzten Kurzmitteilungen wenigstens ein Lachakronym, wenn nicht sogar auffällige Großschreibungen oder Buchstabeniterationen auf. Damit treten die von uns herausgearbeiteten Tendenzen hinsichtlich 473 Teilweise sind die Beispiele schon aus den vorherigen Ausführungen bekannt. <?page no="309"?> 309 erwartbarer langage SMS-Stilelemente, infolge derer expressive Schreibweisen gerade in diesen Nutzungsbereichen verstärkt auftreten können, bei dieser Nutzerin besonders offensichtlich hervor. Neben den ausgeprägt expressiven Varianten kommen in den Beispielen wiederum primär effiziente, der Phonie folgende Schreibweisen vor, die durch einige enigmatische Varianten ergänzt werden können. Sie entsprechen in weiten Zügen den bereits zuvor beschriebenen, von der Verfasserin bevorzugt eingesetzten Stilelementen und lassen darauf schließen, dass sie maßgeblich ihren persönlichen langage SMS-Stil konstituieren. Allerdings lassen sich bei diesen drei Beispielen bereits einige Unregelmäßigkeiten bei der Verschriftung bzw. bei der Wahl der Verschriftungsstrategie feststellen: es wird nicht immer eine pseudophonetische Variante gewählt, wenn es möglich ist (etwa chez anstelle von ché), les wird nicht automatisch durch lé verschriftet und im Wortauslaut tritt häufiger ein einstable auf (vgl. etwa injuste und reste). Der Inhalt scheint gegenüber der Form an Relevanz zuzunehmen, so dass der Fokus nicht mehr allein auf der sorgfältigen und reflektierten Verschriftung liegt, sondern auch auf der Informationsübermittlung sowie der Erzeugung eines nähesprachlichen, von hoher Emotionalität und Vertrautheit geprägten Interpretationsrahmens. Dennoch stimmt ein Großteil der Verschriftungen mit den im vorigen Abschnitt aufgezeigten, tendenziellen Erwartbarkeiten innerhalb dieser Nutzungskategorien überein. Des Weiteren gehören drei Kurzmitteilungen dieser Informantin dem Bereich der konfliktiv-problematisierenden Kontaktnutzung an. Grundsätzlich zeichnen sie sich ebenfalls durch einen vornehmlich pseudophonetischen Verschriftungsstil zuzüglich einiger professioneller Varianten aus, wobei sich im Unterschied zu den benutzerübergreifend festgestellten Tendenzen auch hier vereinzelt expressive Schreibweisen beobachten lassen. Allerdings belaufen sie sich nunmehr auf moderat verschriftete, weniger spielerisch eingesetzte Varianten, die nicht so eklatant aus dem Gesamtschriftbild des SMS-Textes hervorstechen, wie im Rahmen der phatischen Kontaktnutzung. Sie sollen primär das Gesagte in seiner Aussagekraft unterstützen, ohne dabei jedoch Assoziationen zu übertrieben expressiven Intonationskonturen hervorzurufen: (65) Tu te fou 2 ma gueule tu ma pa di sa avan kom par hasar kan on parle sérieu pfff absurde (88) Tu te fous de ma gueule tu m'as pas dit ça avant comme par hasard quand on parle sérieux pff absurde (100) <?page no="310"?> 310 (66) Mé vazy toi g ke sa fer en + tu pe envoyé D sms sur fixe je croi? ! Et si tapel chez lui il va commencé a beugé au tél et il va tremblé pui fer tombé le tél! (155) Mais vas-y toi j'ai que ça à faire en plus tu peux envoyer des sms sur fixe je crois? ! Et si t'appelle chez lui il va commencer à beugler au téléphone et il va trembler puis faire tomber le téléphone! (200) Die Verfasserin verschriftet gemäß ihrer persönlichen Vorliebe wiederum in Orientierung an der phonischen Ausdrucksseite der Inputform und greift bewusst auf einige ständig wiederkehrende Varianten wie etwa g für j’ai, D für des oder auch fer für faire zurück, die inzwischen auf eine gewisse Regelmäßigkeit schließen lassen. Erweitert man die Analyse auf die restlichen, von ihr zur Verfügung gestellten SMS-Texte, so stößt man auf weitere, ständig wiederkehrende Schreibweisen wie beispielsweise 2 für de, pck für parce que, ke für que, el für elle oder auch b1 für bien. Zwar lassen sich nach wie vor einige Äußerungen finden, für die unterschiedliche Outputkandidaten verschriftet werden, jedoch handelt es sich hierbei zumeist um eine Art ‚Rückfall’ in die orthographischen (bzw. pseudophonetischen) Verschriftungsgewohnheiten (etwa bn und bon in Beispiel (61)). Folglich weisen die Schreibweisen darauf hin, dass wir es mit einer sehr reflektierten und erwartbaren Verschriftung zu tun haben, die entgegen aller Behauptungen bezüglich der undurchsichtigen Formenvielfalt des langage SMS auf eine nicht zu unterschätzende Regelmäßigkeit schließen lässt. Der einzige Input, der in vier unterschiedlichen graphischen Hüllen auftritt, ist die bereits in Kap. 5 ausführlich analysierte Konjunktion mais, so dass sich abschießend die Frage stellt, ob es sich hierbei um eine bewusste Verschriftung in Abhängigkeit von der jeweiligen Kommunikationsfunktion handelt. Führen wir uns dafür der Einfachheit halber nochmals die konkreten SMS-Texte vor Augen, in denen sie auftreten: (67) Ohhh MERDE mais nooooon! Pk la vie est el injuste a ce point? ! Bah il reste + ke le réunionnais.... (98) (68) Mé vazy toi g ke sa fer en + tu pe envoyé D sms sur fixe je croi? ! Et si tapel chez lui il va commencé a beugé au tél et il va tremblé pui fer tombé le tél! (155) (69) Slt toi cava,lé cour,lé zamour? Moi b1 tu voi g du crédi c 1 exploi lol et g pensé a toi mé fo dir ke sfr ma menacé juska y mom envoyé 1 lettre c D ouf! Voila cété pr te fer 1 pti coucou pck jte voi plu.Bisou a+ bone journé (221) (70) Slt sava? Alor koi 2 bo? Sa fé lontem. Bon tu fè koi tu taf + c sa? Jtenvoi ce mesage pour te dir ke je pense kan mm a toi! Bn pa besoin 2 dir ki je sui mè jte fé 2 gros bisou mathis.Lol. (187) (71) Euuuuhhhh.....2 jcroi me je lé coné pa lol et ni eux sniifff (60) <?page no="311"?> 311 Es fällt unmittelbar auf, dass die ausführliche, orthographisch korrekte Variante mais (67) im Rahmen der rein phatischen Nutzung auftritt und von sehr expressiven Schreibweisen umgeben ist. Eine ökonomische, pseudophonetische Variante würde innerhalb dieses emotionalen „Ausrufs“ der Wut und der Enttäuschung beinahe einen Bruch zum graphischen Umfeld bzw. zu der dazugehörigen Kommunikationsabsicht provozieren, da die Verfasserin scheinbar aktiv Energie freisetzen will, um ihrer inneren Aufregung entgegenzuwirken. Folglich ist es nicht verwunderlich, dass die am wenigsten ökonomische Variante mais gerade in diesem Umfeld verschriftet wird, denn im Hinblick auf die drei alternativ verwendeten Varianten mé, mè und me wäre hier noch eher ein vollkommen anderer, primär expressiver Outputkandidat etwa der Form „maiiis“ zu erwarten, selbst wenn die Betonung bei einem äquivalenten phonischen Ausruf nicht speziell auf der Äußerung mais läge. Demzufolge findet die Wahl des Outputkandidaten in Übereinstimmung mit der kommunikativ-funktionalen Nutzung und den diesbezüglich aufgezeigten Tendenzen bei der Verschriftung statt. Im Hinblick auf die drei übrigen Varianten ist es für eine angemessene Interpretation ihres Auftretens zunächst hilfreich, sich ganz allgemein das Verschriftungsverhalten der Verfasserin im Falle eines / E/ im Wortauslaut vor Augen zu führen, um fundiert argumentieren zu können. Sieht man einmal von den semiophonologischen Schreibungen ab, bei denen sie das Allophon gemeinsam mit dem dazugehörigen konsonantischen Silbenkopf durch einen homophonen Buchstaben realisiert (insbesondere handelt es sich dabei um die Varianten g für j’ai [ʒe], c für c’est [sɛ] und d für des [de]), verschriftet sie das / E/ im Wortauslaut 38 Mal durch das Graphem <é>, was gut drei Viertel der Fälle entspricht. Nur dreimal kommt die Schreibweise <è> vor, weitere zweimal das einfache <e>. Folglich realisiert die Informantin den Auslautvokal mit einer gewissen Regelmäßigkeit durch das Graphem <é>, so dass hier von einer benutzerspezifischen Automatisierungstendenz ausgegangen werden kann. Die Präferenz für das Graphem <é> gegenüber <è> ist angesichts der Tatsache, dass es einen Tastendruck weniger benötigt, im Rahmen der SMS-Kommunikation durchaus erwartbar und legt in Bezug auf unsere Verfasserin, die eine Vorliebe für möglichst hohe phonische Treue unter Beweis stellt, grundsätzlich die Vermutung nahe, dass sie, vorerst ungeachtet der dazugehörigen Kommunikationsfunktion, mit einer gewissen Konstanz den Output mé verschriftet. Ziehen wir an dieser Stelle zusätzlich die Erkenntnisse aus Kap. 5 hinsichtlich der konkurrierenden Outputkandidaten mé und mè heran, gemäß derer mè gegenüber mé aufgrund des einen ‚fatalen’ Tastendrucks stets suboptimal ist, so bestärkt das unsere Vermutung. Neben dieser kontextunabhängigen Analyse verdeutlichen die obigen Erläuterungen zum Auftreten der Variante mais indes, dass es in Anleh- <?page no="312"?> 312 nung an die kommunikativ-funktionale Nutzung zu Abweichungen von diesem erwartbaren, vermeintlich ‚optimalen’ Output kommen kann und es bleibt zu untersuchen, unter welchen Umständen die Outputformen mè und me an der Oberfläche erscheinen, obwohl sie doch beide gemäß des Auswertungsprozesses in Kap. 5 als ‚in sich’ suboptimal evaluiert wurden. Betrachten wir zunächst das Beispiel (70), in dem neben der Variante mè als pseudophonetische Realisierung für / mE/ auch die Outputformen fè sowie zweimal fé für die phonische Inputform / fE/ auftreten. Damit kommen gleich zwei der insgesamt drei realisierten Grapheme <è> für das Allophon / E/ in dieser Kurzmitteilung vor, was in Anbetracht der Tatsache, dass das Graphem <é> ebenfalls zweimal auftritt, die Annahme zulässt, dass die Verfasserin bewusst mit den verschiedenen Möglichkeiten spielt. Unterstützt wird diese Vermutung von der kommunikativfunktionalen Nutzung, in der die alternativen Schreibweisen vorkommen: die Kombination aus phatischer Kontaktnutzung und Unterhaltungsnutzung stellt gemäß der obigen Ausführungen einen sehr geeigneten Rahmen für das Experimentieren mit den verschiedenen Verschriftungsmöglichkeiten dar und lädt scheinbar ausdrücklich zur bewussten Demonstration des persönlichen Könnens ein, das sich auch in der Verwendung unterschiedlicher, nahezu ‚gleichwertiger’ Formen äußern kann. Gleichwohl kann nicht ausgeschlossen werden, dass die ansonsten sehr sorgfältig kodierende Verfasserin das Graphem <è> schlichtweg unbewusst oder infolge eines in der Eile des Schreibprozesses zuviel getätigten Tastendrucks realisiert hat. Die Variante me in Beispiel (71) schließlich geht beinahe unmittelbar den pseudophonetischen Varianten lé coné voraus, die das Allophon / E/ durch das tendenziell erwartbare Graphem <é> darstellen. Das lässt die Wahrscheinlichkeit dafür steigen, dass es sich zumindest bei dieser Schreibweise um einen Tippfehler handelt. Hinzu kommt, dass das Graphem <e> nur zweimal als Verschriftung des Lauts / E/ auftritt, was die Deutung dieser Schreibweise als Tippfehler noch überzeugender werden lässt. Insgesamt bleibt unsere erste Informantin jedoch eine langage SMS- Nutzerin, die ihre Texte sehr bewusst und in Abhängigkeit ihres persönlichen Verschriftungsstils bzw. der jeweiligen kommunikativ-funktionalen Nutzung verschriftet und nicht etwa vollkommen unvorhersehbar eine Variante aus dem Repertoire an zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auswählt. Vor diesem Hintergrund wird das folgende Fallbeispiel, bei dem wir etwas weniger in die Tiefe gehen werden, verdeutlichen, dass neben der persönlichen Verschriftungskompetenz bzw. dem persönlichen Verschriftungsstil sowie der vorzufindenden Kommunikationsfunktion noch weitere, zuvor nur angedeutete Aspekte bei der Wahl einer Schreibung von Relevanz sein können. <?page no="313"?> 313 7.2.4.2 Zweites Fallbeispiel Der nächste Informant ist ein 15-jähriger Schüler, ebenfalls wohnhaft in Paris (17. Arrondissement), der erst seit einem Jahr aktiv an der SMS- Kommunikation teilnimmt und durchschnittlich 10-20 Kurzmitteilung pro Woche verschickt. Seiner Einschätzung zufolge hat er bereits eine enge Beziehung zu seinem Handy aufgebaut und versucht, tagsüber möglichst ununterbrochen per SMS erreichbar zu sein. Als häufigste Adressaten nennt er in absteigender Reihenfolge Familienmitglieder, Freunde und Mitschüler, wobei er sich darum bemüht, das verwendete Sprachregister jeweils an den entsprechenden Adressaten anzupassen. Im Hinblick auf den langage SMS gibt er an, dass er sämtliche Schreibweisen problemlos verstehe, seine eigenen Texte jedoch eher in Anlehnung an die orthographische Konvention zuzüglich einiger abkürzender Schreibweisen gestalte. Im Gegensatz zur vorherigen Informantin empfindet er die Begrenzung einer SMS auf 160 Zeichen nicht als störend. Er scheint keine Probleme damit zu haben, seine Nachricht entsprechend dem begrenzten Platz zu konzipieren, was sich unter anderem in der Durchschnittslänge seiner Kurzmitteilungen von nur 69 Zeichen widerspiegelt. 474 Als häufigste Nutzungsmotive für die SMS-Kommunikation gibt er die Überbrückung von Langeweile und, etwas weniger häufig, die interpersonale Beziehungspflege an, wohingegen er für die Organisation des Alltags bzw. die Übermittlung von wichtigen Informationen eher ein Telefonat bevorzugt. In Anbetracht dessen erscheint es wenig verwunderlich, dass er stets eine zügige Antwort-SMS binnen weniger als fünf Minuten erwartet, um sein primäres Kommunikationsziel der eigenen Ablenkung und Beschäftigung erreichen zu können. Ein erster Blick in seine SMS-Texte lässt unmittelbar darauf schließen, dass er seinen persönlichen Verschriftungsstils sehr zutreffend eingeschätzt hat, da sich knapp zwei Drittel der 30 von ihm zur Verfügung gestellten Kurzmitteilungen auf den Einsatz von minimal erwartbaren langage SMS-Stilelementen beschränken, ohne dabei eine besonders große Expertise unter Beweis zu stellen. Gut ein Viertel seiner Texte zeichnet sich sogar durch eine nahezu korrekte Orthographie aus. Darüber hinaus lässt sich eine sehr expressiv verschriftete Ketten-SMS beobachten, die wir allerdings wiederum aufgrund der Unkenntnis über den tatsächlichen Urheber der Nachricht von der Analyse ausschließen müssen. Vor diesem Hintergrund wird primär zu untersuchen sein, in welchem Kontext unser Informant orthographisch korrekte Verschriftungen wählt und wann er gemäß dem minimal erwartbaren langage SMS-Stil mit erhöhter Regelmäßigkeit auf 474 Darin bestätigt sich die von Höflich (2003) gewonnene Erkenntnis, dass Jungen nicht nur seltener SMS schreiben als Mädchen, sondern auch weniger Platz in Anspruch nehmen. <?page no="314"?> 314 effektive, teils leicht enigmatische oder gar expressive Verschriftungsverfahren zurückgreift. Gut die Hälfte seiner SMS sind der praktisch-organisatorischen Nutzungsdimension zuzuordnen, wovon vier Kurzmitteilungen nahezu korrekt verschriftet wurden, während die restlichen zumindest einige minimal erwartbare langage SMS-Stilelemente aufweisen. 475 Geht man der Frage nach, ob sich für diese SMS außersprachliche Gemeinsamkeiten finden lassen, die den Verfasser dazu bewogen haben könnten, keine oder kaum abkürzende Varianten einzusetzen, so stellt sich heraus, dass drei der vier betroffenen Kurzmitteilungen an seine Mutter bzw. seinen Vater adressiert sind. In Verbindung mit den Eltern scheint eine unkonventionell verschriftete Kurzmitteilung offensichtlich als unpassend erachtet zu werden, so dass der Verfasser die Orthographie respektiert, obwohl er zum Einsatz von langage SMS-Varianten in der Lage wäre. 476 Neben den praktisch-organisatorisch genutzten Kurzmitteilungen sind gut ein Drittel der SMS der rein phatischen Kontaktnutzung zuzuordnen. Auch sie weisen vorwiegend den persönlichen Verschriftungsstil des Verfassers auf, d.h. primär effiziente, vereinzelt enigmatische Varianten kombiniert mit einer gewissen orthographischen Treue, wobei sich bei drei der phatischen SMS zusätzlich ein Emotikon beobachten lässt: (72) Ba que ce passe t il ? Moi je vé bien et oui je par un pe pendan les vac a orléan. Gros bisous (94) Bah que se passe-t-il? Moi je vais bien et oui je pars un peu pendant les vacances à Orléans. Gros bisous (105) (73) C cool ! moi c 8h tt lé jour sauf mardi ! Mé tu va bientot commencé moi je c pa si je vé y allé =P (98) C'est cool! Moi c'est 8 h tous les jours sauf mardi! Mais tu vas bientôt commencer moi je sais pas si je vais y aller =P (120) 475 Entsprechend der Ausführungen in Abschnitt 7.2.1 zu den tendenziellen Auffälligkeiten innerhalb der praktisch-organisatorischen Nutzung verstehen wir unter einer nahezu orthographisch korrekten Verschriftung all die SMS-Texte, die bis auf Groß- und Kleinschreibung, Akzentsetzung und die Realisierung von Apostrophen oder Bindestrichen fast alle Orthgraphieregeln befolgen. 476 An dieser Stelle sei jedoch darauf hingewiesen, dass keineswegs alle Informanten so reflektiert und situationsangemessen verschriften, wenn sie mit ihren Eltern via SMS kommunizieren. Eine Schülerin schreibt beispielsweise folgende SMS an ihre Mutter: „Maman jtm osi et je ce ke tu ne ve ke mon bi1 je tapel tou a leur jtm“ (Maman je t'aime aussi et je sais que tu ne veux que mon bien je t'appelle tout à l'heure je t'aime). Sie wählt ungeachtet der Tatsache, dass die Adressatin nicht zur prototypischen Nutzergruppe des langage SMS gehört, unkonventionelle Schreibweisen. Vermutlich soll der verwendete Schreibstil hier eine nähestiftende Wirkung erzielen, allerdings bleibt fraglich, ob sich die Schülerin darüber im Klaren ist, dass ihre Verschriftung in anderen Kontexten (etwa in einer SMS an eine entfernte Bekannte) durchaus als unangemessen empfunden werden kann. <?page no="315"?> 315 Das zweite Beispiel ist Bestandteil eines SMS-Smalltalks, den der Verfasser während der Wartezeit beim Arzt mit einer Mitschülerin führt. Für seine Verhältnisse lassen sich hierin auffallend viele, von der Orthographie abweichende langage SMS-Varianten finden, was auf eine reflektierte Verschriftung zwecks spielerischer Ablenkung und Demonstration des persönlichen Könnens schließen lässt. Gemeinsam mit dem Emotikon am Ende der SMS bekräftigen sie folglich die zuvor herausgearbeiteten Tendenzen zu den erwartbaren Verschriftungsstrategien innerhalb der phatischen Kontaktnutzung. Gleichwohl stechen auch in dieser Nutzungskategorie zwei SMS-Texte des Informanten hervor, die fast in Übereinstimmung mit der orthographischen Konvention verschriftet wurden und es fällt auf, dass sie beide an dieselbe Adressatin gerichtet wurden. Anhand der restlichen Daten wird deutlich, dass sich alle Kurzmitteilung an eben diese Adressatin, unabhängig von der kommunikativ-funktionalen Nutzung, durch eine korrekte Verschriftung auszeichnen, was die Vermutung nahe legt, dass der Verfasser adressatenspezifisch abwägt, ob er den Einsatz von langage SMS- Verschriftungsstrategien für angemessen hält oder ob er sich eher an der Orthographie orientiert. Erst dann kann eine Einflussnahme der kommunikativ-funktionalen Nutzung auf die Wahl der Verschriftungsstrategie bzw. der langage SMS-Variante stattfinden. In den Daten lässt sich zumindest ein konkretes Beispiel des Informanten finden, dass diese Abfolge von Einflussfaktoren wenigstens annäherungsweise illustriert: Die Adressatin in Beispiel (73) gehört offenbar zu dem Kreis an Personen, für den der Informant den Einsatz von unkonventionellen Schreibweisen generell für legitim hält und bei dem er sogar vermehrt auf primär effiziente Varianten zurückgreift. Neben diesem Beispiel lassen sich noch acht weitere, sowohl phatisch-relationale als auch praktisch-organisatorische Kurzmitteilungen im Korpus nachweisen, die ebenfalls an diese Adressatin gerichtet sind. Bis auf eine Ausnahme zeichnen sie sich allesamt durch einen primär effizienten Verschriftungsstil aus, der im Fall der rein phatischen Kontaktnutzung vereinzelt mit expressiven Stilelementen untermalt sein kann. Die Ausnahme stellt eine „Entschuldigungs-SMS“ dar, die der konfliktiv-problematisierenden Kontaktnutzung zuzuordnen ist und von einer entsprechenden Ernsthaftigkeit begleitet wird. Sie weist mit Ausnahme eines konsonantischen Skeletts (dsl für désolé), für das wir in Kap. 4 eine Automatisierungstendenz festgestellt haben, eine orthographisch korrekte Verschriftung auf, die der Verfasser scheinbar bewusst gewählt hat, um die inhaltliche Relevanz der Interaktion nicht zu mindern: (74) Dsl pour hier je pouvais pas te parler bisous (45) Désolé pour hier je pouvais pas te parler bisous (48) Daraus ergibt sich, dass neben dem persönlichen Verschriftungsstil, der sich sukzessive entwickelt, und der teils komplexen kommunikativ- <?page no="316"?> 316 funktionalen Nutzungsdimension noch weitere Faktoren Einfluss auf die Wahl einer Schreibweise nehmen können. Dazu gehören insbesondere der Status der sozialen Beziehung zum Empfänger, das bestehende Vertrauensverhältnis, die Ernsthaftigkeit der Themengestaltung und die emotionale Beteiligung der Interaktanten. Aus diesen Faktoren kann sich ein äußerst komplexes Wirkungsgefüge ergeben, dass auf sehr verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichem Ausmaß Einfluss auf die Wahl einer Schreibweise nehmen kann. Somit konnte im Zuge der obigen Ausführungen verdeutlicht werden, dass nicht nur die verschiedenen langage SMS-Schreibweisen mittels bestimmter Verschriftungsstrategien beschrieben werden können und damit eine gewisse Systemhaftigkeit aufweisen, sondern dass sich auch in deren Verwendung eine gewisse Regelmäßigkeit erkennen lässt. Selbst wenn es sich hierbei stets nur um ‚tendenzielle’ Regelmäßigkeiten handeln kann, die von einer gewissen Anzahl an Ausnahmen geprägt sind und bei keinem der Benutzer mit durchgehender Konstanz beobachtet werden können, so lassen sich doch sowohl auf der Ebene des Gesamtkorpus, als auch auf benutzerspezifischer Ebene einige Erwartbarkeiten hinsichtlich der Verschriftung erkennen, die den vermeintlich beliebigen Umgang mit dem Variantenreichtum des langage SMS in einen wesentlich geordneteren Rahmen fassen. <?page no="317"?> 317 8 Fazit Ziel dieser Arbeit war es, die SMS-Kommunikation einerseits vor dem Hintergrund eines ständig komplexer werdenden Angebots an medial vermittelten Kommunikationsformen in einen fundierten kommunikationstheoretischen Rahmen zu fassen, andererseits die sprachlichen, primär graphostilistischen Besonderheiten in französischen SMS-Texten zu analysieren und auf eine bestehende Systematik bzw. Regelmäßigkeit in deren Anwendung hin zu untersuchen. Dabei konnte zunächst aus kommunikationstheoretischer Perspektive verdeutlicht werden, dass die charakteristischen Kommunikationsbedingungen der SMS-Kommunikation eine beachtliche kommunikative Nähe konstituieren und in Kongruenz dazu einen Großteil der bekannten Versprachlichungsstrategien des direkten mündlichen Gesprächs hervorrufen. Überdies scheinen sie jedoch sprachliche Stilelemente, insbesondere Verschriftungsstilelemente zu evozieren, die für die mündliche Interaktion untypisch sind und in dem Ausmaß zuvor in keinem anderen Kontext zu beobachten waren (etwa der häufige Gebrauch von konsonantischen Skeletten kombiniert mit lautschriftähnlichen, agglutinierten Schreibweisen wie „chui vrmt dsl“ für je suis vraiment désolé(e)). Angesichts dieser varietätenlinguistisch bislang nur unzulänglich erfassbaren sprachlichen Stilelemente ist es uns gelungen, ein erweitertes Kommunikationsmodell zu erarbeiten, in dessen Rahmen sie nicht mehr nur als eine Art ‚defizitäres Abbild’ der direkten mündlichen Kommunikation beschrieben werden können, sondern losgelöst davon innerhalb eines eigenen, materiell schriftlichen Varietätenspektrums. Um das möglichst allgemeingültig für eine Vielzahl sprachlicher Äußerungsformen gewährleisten zu können, haben wir zunächst unter Berücksichtigung eines eventuell vorhandenen Kommunikationsmediums (mediatisierte vs. direkte Kommunikation) und in Abhängigkeit von der materiellen Realisierungsform (schriftlich vs. mündlich) zwischen drei verschiedenen Varietätenspektren unterschieden: das Kontinuum direkter Mündlichkeit, das Kontinuum mediatisierter Mündlichkeit und das Kontinuum mediatisierter Schriftlichkeit. Je nachdem, in welchem Variationsbereich eine sprachliche Äußerung einzuordnen ist (im Fall der SMS-Kommunikation innerhalb des Kontinuums mediatisierter Schriftlichkeit) können die jeweils vorzufindenden sprachlichen Merkmale sodann angesichts der bestehenden medialen, interpersonellen, situativen und thematischen Kommunikationsbedingungen zwischen Nähe und Distanz lokalisiert werden. Damit konnte der Anforderung gerecht werden, die Kombination aus Schriftlichkeit und Nähekommunikation in einen kommunikationstheoretischen Rahmen zu fassen und die daraus resultie- <?page no="318"?> 318 renden Äußerungsformen der ‚schriftlichen Nähekommunikation’ in einem eigenständigen Varietätenspektrum zu untersuchen, das jedoch auch weiterhin unter einem gewissen Einfluss der direkten mündlichen Interaktion als ‚Urtyp’ der Nähekommunikation zu betrachten ist. Aus diesem kommunikationstheoretischen Kontext heraus konnten anschließend die Entstehungsmotivationen für den langage SMS erläutert sowie dessen Verschriftungsspezifika systematisch beschrieben und hinsichtlich der sich aus den Kommunikationsbedingungen ergebenden Verfassermotivationen Effizienz, Expertise und Expressivität typologisiert werden. Dabei stellte sich trotz der offenkundigen Heterogenität des langage SMS und entgegen voreiliger Pauschalurteile heraus, dass sich nicht nur in Bezug auf die Funktionsweise der einzelnen Verschriftungsstrategien eine klare Systematik erkennen lässt, sondern auch hinsichtlich des konkreten Gebrauchs vereinzelter Varianten, da sie teilweise mit einer merklichen Rekurrenz auftreten und somit auf klare Automatisierungstendenzen bei der Wahl einer Verschriftung hindeuten: Aufgrund ihrer ‚optimalen’ Eignung etwa als besonders effiziente und pseudophonetische Variante (vgl. „pa“ für pas), erfreuen sie sich großer Beliebtheit und werden daher selbst benutzerübergreifend mit einer gewissen Erwartbarkeit verschriftet. Dennoch bleiben wir insgesamt mit der Problematik konfrontiert, dass die Anzahl der Unregelmäßigkeiten bei der Zuordnung eines französischen Wortes zu einer langage SMS-Variante bei weitem die Menge der erkennbaren Automatisierungstendenzen übersteigt, was bei oberflächlicher Untersuchung einen nahezu willkürlichen Umgang mit den Verschriftungsstrategien vermuten lässt und zumindest ansatzweise den Widerstand erklärt, der dem langage SMS nicht nur von offizieller, sondern teils auch von inoffizieller, die Orthographie protegierender Seite entgegen gebracht wird. Gerade in Anbetracht dieser Unregelmäßigkeiten und des scheinbar beliebigen Umgangs mit dem Variantenreichtum haben wir mit der vorliegenden Arbeit die Hypothese verfolgt, dass sich die Wahl einer bestimmten Verschriftungsstrategie bzw. einer konkreten Schreibweise keineswegs vollkommen willkürlich, sondern in Abhängigkeit von gewissen Einflussfaktoren, und zwar insbesondere der Kommunikationsabsicht, vollzieht. Bevor wir dem jedoch detailliert auf den Grund gehen konnten, mussten wir sicherstellen, dass wir die vielfältigen Varianten, die sich für einen normgerechten französischen Ausdruck in den SMS-Texten nachweisen lassen, nüchtern und objektiv gegeneinander abgrenzen können. In diesem Sinn haben wir eine an der Funktionsweise der Optimalitätstheorie orientierte Auswertungsmethode für den langage SMS entwickelt, die es uns erlaubt, die verschiedenen langage SMS-Varianten für eine bestimmte lexikalische Inputform anhand von speziell erarbeiteten Beschränkungsanforderungen nicht nur quantitativ hinsichtlich Platz- und Zeitaufwand miteinander zu vergleichen, sondern auch qualitativ hinsichtlich der impliziten <?page no="319"?> 319 graphostilistischen Eigenschaften und der damit einhergehenden Verfasserintentionen auszuwerten. Daraus ergibt sich, dass wir die einzelnen Varianten fundiert in einem dreidimensionalen „Kontinuum der Verfasserintentionen“ entlang der Achsen effizient, enigmatisch und expressiv lokalisieren können, das die aktiven Verfasserintentionen adäquat als ‚interagierende’ Wirkungsgrößen abzubilden vermag. Darüber hinaus lassen sich dank dieser Herangehensweise selbst für verschiedene Inputformen benutzerübergreifende Beobachtungen hinsichtlich bestehender Verfasserpräferenzen bei der Wahl einer Schreibweise anstellen. Gemäß unserer Hypothese haben wir im Anschluss daran die unterschiedlichen kommunikativ-funktionalen Nutzungen extrahiert, die sich in SMS-Texten feststellen lassen. Dabei konnten wir drei übergeordnete Nutzungsdimensionen analysieren, die sich als praktisch-organisatorische Nutzung, Kontaktnutzung und Unterhaltungsnutzung beschreiben lassen und die aufgrund der Tatsache, dass sie durchaus parallel auftreten können, wiederum innerhalb eines dreidimensionalen „Kontinuums der kommunikativ-funktionalen Nutzungsdimensionen“ entlang der Achsen praktisch, phatisch und spielerisch erfasst werden können. Im Zuge der anschließenden Untersuchung der in diesem Rahmen jeweils vorkommenden Verschriftungen stellte sich tatsächlich heraus, dass die zugrunde liegende Kommunikationsabsicht bzw. die für die Interaktion ausschlaggebende Handlungsmotivation, die zuweilen kommunikativ zweckorientiert, zuweilen tätigkeitsorientiert ist, maßgeblichen Einfluss auf die Wahl einer bestimmten Verschriftungsstrategie nimmt. So lässt sich beispielsweise benutzerübergreifend eine eindeutige Affinität zwischen primär praktischorganisatorisch genutzten SMS und effizienten, teils effizient-enigmatischen Schreibweisen, nicht aber expressiven Varianten erkennen. Primär expressive Schreibweisen werden vielmehr im Rahmen der rein phatischen Kontaktnutzung erwartbar, die zumeist geprägt ist von inhaltlicher Oberflächlichkeit und einer wenig ernsthaften Themengestaltung. Eine zusätzlich begünstigende Wirkung scheinen hierbei eine hohe emotionale Beteiligung und ein parallel bestehendes sprachspielerisches Moment im Sinne der Unterhaltungsnutzung zu haben. Gemeinsam stellen sie die idealen Rahmenbedingungen für innovatives Experimentieren mit den Verschriftungsmöglichkeiten dar und rufen neben expressiven Varianten auch das vermehrte Auftreten von kreativ-enigmatischen Schreibweisen hervor, die einen gewissen Kompetenzgrad hinsichtlich des langage SMS erfordern. Daraus ergibt sich, dass neben kommunikativ-funktionalen Aspekten auch thematische Merkmale Einfluss auf die Wahl der Verschriftungsstrategien nehmen. Bekräftigt wird diese Vermutung durch die Feststellung, dass innerhalb der konfliktiv-problematisierenden Kontaktnutzung, die sich im Gegensatz zur phatischen Kontaktnutzung häufig durch eine erhöhte Ernsthaftigkeit in der Themengestaltung auszeichnet, kaum auffal- <?page no="320"?> 320 lend expressive oder innovativ-kreative Schreibweisen auftreten. Sie würden den Fokus fälschlicherweise auf die formale, graphostilistische Gestaltungsebene anstelle der inhaltlichen Ebene der Interaktion lenken, was die Kommunizierenden durch die gezielte Wahl einer entsprechenden Verschriftung in weiten Teilen zu verhindern versuchen. Sie scheinen sehr sensibel auf die genannten Einflussgrößen zu reagieren und sich der zusätzlichen Bedeutungsebene, die sie ihren Botschaften mittels der Wahl einer speziellen Schreibweise verleihen können, sehr bewusst zu sein. Folglich konnte im Zuge der Datenauswertung gezeigt werden, dass sich durchaus gewisse Einflussfaktoren benennen lassen, die bei der Wahl einer langage SMS-Verschriftung relevant werden und das Auftreten bestimmter ‚Verschriftungsstilelemente’ in Abhängigkeit von gewissen kontextuellen Bedingungen tendenziell wahrscheinlich und damit erwartbar werden lassen. Zu diesen Einflussfaktoren gehören neben den vom Medium Handy vorgegebenen Produktionsbedingungen, die als eine Art Ausgangsbasis für die Rahmen der SMS-Kommunikation entstehende Sprache gedacht werden sollten, maßgeblich die kommunikativ-funktionale Nutzungsdimension, die Ernsthaftigkeit der Themengestaltung, die emotionale Beteiligung, die individuelle Verfasserkompetenz, aber auch Faktoren wie die Sender-Empfänger-Beziehung und das bestehende Vertrauensverhältnis. Daraus ergibt sich, dass ein beachtlicher Bereich des langage SMS in wesentlich regelmäßigeren Strukturen verläuft als oftmals unterstellt. Allerdings bleiben diese benutzerübergreifend feststellbaren ‚Regelmäßigkeiten’ stets von einer gewissen Anzahl an Ausnahmen geprägt, bei denen die Verfasser unabhängig vom kommunikativ-funktionalen Kontext und ungeachtet der inhaltlichen Relevanz ihrem persönlichen Verschriftungsstil folgen und damit sehr augenscheinlich hervorheben, dass es sich stets nur um ‚tendenzielle Regelmäßigkeiten’ handeln kann, deren tatsächliche Reichweite erst im Rahmen von zukünftigen Untersuchungen, basierend auf einer größeren Datenmenge, geprüft werden kann. In diesem Zusammenhang wird sich ganz grundsätzlich die Frage stellen, welche der von uns herausgearbeiteten, kontextabhängigen Tendenzen bei der Wahl einer Verschriftung auch in anderen Datenkorpora zu beobachten sind. Wird der Anteil an effektiv-enigmatischen Schreibweisen im Rahmen der praktisch-organisatorischen Nutzung womöglich noch zunehmen oder wird sich, entgegen unserer Prognosen, ein Zuwachs an expressiven Schreibweisen in diesem Bereich feststellen lassen? Ferner stellt sich die Frage, ob der Anteil an ‚reflektierten’ Verfassern generell zunehmen wird und somit einen Rückgang derjenigen Kommunizierenden zur Folge haben wird, die scheinbar ungeachtet der Kommunikationsfunktion und der Ernsthaftigkeit des Themas bzw. der bestehenden Beziehung zum Empfänger auf ihren persönlichen Verschriftungsstil zurückgreifen, der durchaus von unkonventionellen, teils sehr verschlüsselten Varianten ge- <?page no="321"?> 321 prägt sein kann. Noch lässt sich in unserem Korpus eine begrenzte Anzahl an Verfassern nachweisen, die eher unreflektiert verschriften und selbst an ihre Eltern oder an entfernte Bekannte den individuell erreichten Kompetenzgrad hinsichtlich des langage SMS zur Schau stellen, was im Hinblick auf die funktionale Schreibkompetenz der Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen durchaus Bedenken auslöst. Zwar konnten die Einzelanalysen verdeutlichen, dass sich eine weitaus größere Menge an Nutzern finden lässt, die sich in Anpassung an die kontextuellen Faktoren situationsangemessen ausdrücken kann, und zwar nicht nur im Hinblick auf eine geeignete Verschriftlichung, sondern auch im Hinblick auf eine adäquate Verschriftung, allerdings ist ein solch reflektierter Sprachgebrauch offensichtlich nicht selbstverständlich. Indes wird eine hohe funktionale Schreibkompetenz gerade in Anbetracht des ständig komplexer werdenden Angebots an medial vermittelter Schriftkommunikation, die sich durch eine fortwährend steigende Variabilität der Kommunikationsbedingungen auszeichnet, nicht nur wünschenswert, sondern zunehmend unerlässlich für ein erfolgreiches Kommunizieren in allen Lebensbereichen. Abgesehen von der Herausforderung, sich auch innerhalb der SMS- Kommunikation situationsangemessen auszudrücken, wird im Hinblick auf die Weiterentwicklung des langage SMS zu beobachten bleiben, welche der aufgezeigten, bereits bestehenden Automatisierungstendenzen sich zunehmend verfestigen werden bzw. welche der sich seit 2005 abzeichnenden, noch in den Anfängen befindlichen Automatisierungstendenzen tatsächlich benutzerübergreifend und kontextunabhängig ihre Anwendung finden werden (vgl. etwa „mn“ (mon) und „tn“ (ton)). Zudem wird im Hinblick auf allgemeine Präferenzen für bestimmte Verschriftungsstrategien, die wir bislang nur benutzerspezifisch analysiert haben, zu untersuchen sein, ob beispielsweise die pseudophonetischen Schreibweisen gegenüber den graphischen Reduktionen, insbesondere den konsonantischen Skeletten, tendenziell bevorzugt werden. Eine solche Beobachtung würde darauf schließen lassen, dass sich eine grundsätzliche Tendenz hin zu möglichst hoher phonischer Treue gegenüber graphischer Untreue abzeichnen würde. Sprachübergreifend würde sich in diesem Zusammenhang außerdem die Frage stellen, ob sich die aus französischen SMS-Texten gewonnenen Erkenntnisse bezüglich tendenziell bestehender Verfasserpräferenzen auch in anderen Sprachen beobachten lassen, denn dank der universellen Formulierung der Beschränkungsanforderungen ist die von uns entwickelte Auswertungsmethode durchaus übertragbar: Falls sich in den SMS-Texten einer anderen Sprache ganz ähnliche Verschriftungsstrategien beobachten lassen wie im langage SMS, hätten die meisten der von uns definierten Beschränkungen auch dort Gültigkeit, da sie maßgeblich in Anlehnung an eben diese Verschriftungsstrategien entwickelt wurden. Universelle Verfasserintentionen wie etwa Platz- und Zeitökonomie lassen sich ohnehin in <?page no="322"?> 322 jeder beliebigen Sprache beobachten, so dass die Ökonomiebeschränkungen mühelos übertragen werden können. Aber auch andere Beschränkungen wie N O V OW oder S EMIOPHON beispielsweise lassen sich ins Englische übertragen, da anglophone SMS-Texte ebenfalls vermehrt konsonantische Skelette und semiophonologische Schreibweisen aufweisen. Dementsprechend lassen sich auch dort tendenziell bestehende, benutzerübergreifend geltende Verfasserpräferenzen analysieren und mit den Ergebnissen aus französischen SMS-Texten vergleichen. Damit haben wir eine Auswertungsmethode entwickelt, die zwar ursprünglich auf die Besonderheiten des langage SMS zugeschnitten war, jedoch aufgrund der Tatsache, dass die Verschriftungsstrategien des langage SMS zumeist keine Erfindung desselben sind und sich daher auch in den SMS- (bzw. Chat- oder Instant Messaging-)Texten anderer Sprachen nachweisen lassen, in eben diese anderen Sprachen übertragen werden kann. Bei allen Bemühungen, den langage SMS in zumindest teilweise regelmäßige Strukturen zu lenken und Einflussfaktoren zu benennen, die das Auftreten einer bestimmten Verschriftungsstrategie bzw. einer konkreteren Schreibweise erwartbar werden lassen, darf indes nicht außer Acht gelassen werden, dass er sich zugleich durch eine beachtliche sprachspielerische Dimension auszeichnet. Er bietet den Kommunizierenden einen reizvollen Gestaltungsfreiraum, der das Auftreten sehr innovativer, origineller und teilweise bewusst individueller Formen unterstützt bzw. auf eine gewisse Art sogar ‚verlangt’, um in der Kommunikationsgemeinschaft nicht als ‚Außenseiter’, sondern als initiierter ‚Könner‘ hervorzustechen. Daher ist keineswegs davon auszugehen, dass sich der langage SMS jemals durch eine rigorose, einheitliche Norm auszeichnen wird, die eine eindeutige Zuordnung zwischen lexikalischer Inputform und langage SMS-Schreibweise erlauben würde. Letztendlich hängt die Entwicklung des langage SMS von der technischen Weiterentwicklung medial vermittelter Kommunikationsformen einschließlich deren Kommunikationsbedingungen ab, denn es ist nur eine Frage der Zeit, bis die klassischen Zifferntastaturen gänzlich von Touchscreens abgelöst sein werden. Auch die Zeichenbegrenzung einer SMS wird im Zuge der wachsenden Verbreitung von „SMS-Flatrates“ bzw. sonstigen Pauschalangeboten der Netzwerkanbieter kaum mehr eine ernst zu nehmende Hürde bei der Konzeption eines Kommunikationsschritts sein, da es dann ohne einen finanziellen Mehraufwand möglich ist, mehrere Kurzmitteilungen aneinanderzuhängen. Folglich ist mit recht großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sich einige der konstitutiven medial-technischen Kommunikationsbedingungen entscheidend verändern werden und es bleibt fraglich, ob sich die SMS-Kommunikation weiterhin gegenüber anderen kommunikativen Konstellationen wie etwa dem mobilen Instant Messaging durchsetzen kann bzw. ob sich die medialen <?page no="323"?> 323 Rahmenbedingungen dergestalt verändern werden, dass letztlich nur noch der Name der Kommunikationsform fortbesteht. Dessen ungeachtet ist die SMS-Kommunikation dank ihrer großen Beliebtheit und ihrer breiten Anerkennung in nahezu allen Bevölkerungsschichten kaum mehr aus dem kommunikativen Alltag wegzudenken, so dass davon auszugehen ist, dass sie auch zukünftig ihre Spuren in den Kommunikationsgewohnheiten der Gesellschaft hinterlassen wird, nicht nur in Bezug auf die kommunikativfunktionalen Nutzungen, sondern auch im Hinblick auf die verwendeten Versprachlichungsstrategien. Dementsprechend wird auch der langage SMS seine Spuren hinterlassen und es wird eine durchaus lohnenswerte Herausforderung sein, seine graphostilistischen Charakteristika auch in anderen kommunikativen Kontexten wiederzufinden bzw. zu untersuchen, in welcher Form sie an die neuen Kommunikationsbedingungen adaptiert wurden. <?page no="324"?> 324 9 Anhang 9.1 Konventionen für die Transkription I. Anonymisieren der persönlichen Daten: (A1) Vornamen werden in Abhängigkeit von der Originallänge (Anzahl der Buchstaben) und je nach dem, ob sie konsonantisch oder vokalisch anlauten, durch einen der folgenden Vornamen ersetzt: - Weibliche Vornamen: Ju, Lou, Eva, Lola, Emma, Julie, Lucie, Elisa, Louise, Emilie, Justine, Juliette, Cassandra. - Männliche Vornamen: Lu, Al, Luc, Seb, Paul, Alex, Lucas, Mathis, Alexis, Mathias, Antoine, Baptiste, Sébastien, Kristopher. Bemerkungen dazu: - Um denjenigen Kurzmitteilungen gerecht werden zu können, die mehrere Namen in gleicher Länge aufweisen, enthält die obige Liste einige Doppelnennungen. - Insbesondere die sehr kurzen Vornamen sind in den Original-SMS zumeist abgekürzte Formen. In der obigen Liste wurde analog verfahren. - Kosenamen werden entsprechend ihrem strukturellen Aufbau in der Transkription analog gebildet (vgl. etwa „Juju“). (A2) Sonstige persönliche Angaben: - Einheitlicher Nachname: Lacroix - Einheitliche Straße: Rue de la République - Hausnummern und sonstige Nummern je nach Länge: 1, 12, 123, 1234, etc. - Einheitlicher Türkode: A123 - Einheitliche Telefonnummer: 0123456789 - Zusammensetzung der E-Mail-Adresse: anonymisierter Name mit dem Anhang „@aol.com“ II. Transkriptionsregeln: (R1) Groß- und Kleinschreibung: - Alle Eigennamen einschließlich der Städtenamen werden groß geschrieben: paris → Paris. - Durch Satzzeichen markierte Satzanfänge und insbesondere der Beginn einer SMS werden groß geschrieben: <?page no="325"?> 325 dsl jaV plu 2 batteri.mtn c bon → Désolé j'avais plus de batterie. Maintenant c'est bon - Konventionalisierte Akronyme aus der Standardsprache werden der Norm entsprechend transkribiert: clé usb → clé USB - Nicht-konventionalisierte Akronyme, die aus digitalen schriftlichen Texten bekannt sind, werden unverändert aus dem Originaltext übernommen: mdr → mdr [mort de rire]; Mdr → Mdr; MDR → MDR - Sollte ein Wort inmitten eines SMS-Textes mit einer Majuskel beginnen, ohne dass zuvor ein Satzendzeichen gesetzt wurde, wird das Wort in der Transkription klein geschrieben; es sei denn es handelt sich um einen der obigen Fälle: same fé plèz CT tp bi1 → ça me fait plaisir c’était trop bien - Kurzmitteilungen, die ausschließlich Majuskeln enthalten, werden entsprechend der Orthographie und der obigen Regeln transkribiert. (R2) Zeichensetzung: - Der korrekte Gebrauch von Gedankenstrichen und Apostrophen wird wiederhergestellt: rappel moi → rappelle-moi; je mendor → je m'endors - Ansonsten werden keine Satzzeichen hinzugefügt, die nicht schon im Originaltext vorhanden sind (weder Kommata, noch Punkte oder sonstige Satzendzeichen): salu ca va mwa oui → Salut ça va moi oui - Ausnahme: Sollte es sich um eine offensichtliche Aufzählung handeln, dann werden entsprechend der Norm Kommata hinzugefügt: ier je ss alé o ciné avec eva alex emma é justine. → hier je suis allée au ciné avec Eva, Alex, Emma et Justine. - Der wiederholte Gebrauch von Satzzeichen wird gegebenenfalls auf drei Wiederholungen reduziert: tu maim encor? ? ? ? → tu m'aimes encore? ? ? (R3) Sonstige Formatierungen: - Es werden keine Leerzeichen hinzugefügt, die nicht im Originaltext vorhanden sind. Das betrifft vor allem Leerzeichen vor Satzzeichen: I tariv koi? → Il t'arrive quoi? Insbesondere vor und nach der Abfolge von zwei oder mehr Punkten werden keine Leerzeichen eingefügt, die nicht im Original vorhanden sind: mais bon…Je sai pa → mais bon…Je sais pas <?page no="326"?> 326 - Ausgenommen sind agglutinierte Wörter oder die Verschmelzung von Wörtern mit mathematischen Zeichen. Sie werden durch ein Leerzeichen getrennt und orthographisch korrekt verschriftet. (R4) Mathematische Zeichen und Ziffern: - Sollten die Logogramme in ihrer mathematischen Bedeutung oder ihrem Zahlenwert verwendet werden, so werden sie in der Transkription zur eindeutigen Markierung bis einschließlich „zwölf“ ausgeschrieben: livre 3 part 2 section 7 en anglais → livre trois part deux section sept en anglais ansonsten werden sie durch das intendierte, zumeist homophone Wort ersetzt: fé pa 2 betis → fais pas de bêtises; a+ → à plus (R5) Buchstabendoppelungen: - Expressive Buchstabendoppelungen werden nicht aus dem Original übernommen, sondern der Orthographie angepasst: kissssss → kiss ; Lucaaas → Lucas (R6) Lautsprachliche Varianten: - Lautsprachliche Varianten, die pseudophonetisch verschriftet wurden und für die eine konventionelle Aussprache existiert, werden gemäß der normierten Aussprache und der Orthographie entsprechend verschriftet (unter Beachtung der übrigen Regeln): oué → oui; kikou → coucou (R7) Mehrsprachige SMS: - Sollten einzelne Wörter oder Passagen nicht der französischen Sprache entstammen, wird die Sprache des SMS-Textes übernommen. Dabei wird sich nach der korrekten Orthographie der entsprechenden Sprache gerichtet: en tt cas you are always in my mind → en tout cas you are always in my mind (R8) Neologismen, Verlan, Argot: - Neologismen und sonstige Ausdrücke aus Substandardregistern werden in der originalen Form beibehalten; unter Umständen wird die Form in eckigen Klammern erläutert: tu taf+ → tu taf [Argot: travailles] plus c toi ké vner → c'est toi qu'es véner [Verlan: énervée] (R9) Abkürzungen und Kurzwörter: - Falls der SMS-Text ein Kurzwort aus der Umgangssprache aufweist, das mit Sicherheit in entsprechender Form auch häufig phonisch realisiert wird, so wird die reduzierte Form beibehalten; ansonsten wird das vollständige Ursprungswort transkribiert: ciné → ciné; cet aprem → cet aprèm blem → problème <?page no="327"?> 327 - Gängige Abkürzungen aus konventionalisierten Texten sowie bekannte Akronyme aus der digitalen Schriftsprache werden in der Transkription beibehalten: stp → stp; rdv → rdv; 1er → 1er; mdr → mdr; lol → lol, etc. - Uhrzeitangaben werden entsprechend der Angaben im Petit Robert verschriftet: 4h30 → 4 h 30; 4h → 4 h Es sei denn, es handelt sich um einen konkreten Zeitraum, dann wird die abgekürzte Stundenangabe unter Berücksichtigung von (R4) ausgeschrieben. Die übrigen Substantive, die einen Zeitraum angeben, werden ebenfalls ausgeschrieben: Dan 24h cest fini! → Dans 24 heures c'est fini! T'etais pas ds la cour ya 2sec ? ? → T'étais pas dans la cour y a deux secondes? ? (R10) Smileys: - Smileys und sonstige Emotikons werden in unveränderter Form aus dem Original übernommen: : -D → : -D ; <3 → <3 [liegendes Herz] (R11) Offensichtliche Tippfehler: - Offensichtliche Tippfehler werden in der Transkription verbessert: mahs → mais (R12) Der Umgang mit Numerus- und Genusangleichungen: - Sollte die Numerus- oder Genusangleichung im Originaltext grob fehlerhaft sein, wird der Fehler beibehalten: nouvo article → nouveau article - Falls es sich jedoch um mangelnde Kongruenz aufgrund lautschriftähnlicher Verschriftungen handelt, so wird in der Transkription korrekt angeglichen: ma bel → ma belle - Falls nicht eindeutig aus der SMS oder aus den Absenderbzw. Empfängerinformationen hervorgeht, ob es sich um ein weibliches oder männliches Subjekt im Singular oder Plural handelt, wird die maskuline Form im Singular transkribiert. Sollte aus den Absender- oder Empfängerdaten hervorgehen, dass es sich um ein weibliches Subjekt handelt, wird entsprechend angeglichen: (R13) Der Umgang mit qui: - Sollte das i von qui im Originaltext elidiert worden sein, wird es in der Transkription ebenfalls elidiert und durch einen Apostroph angezeigt: C toa ka la beu? → C'est toi qu’a la beuh? (R14) Grammatische und lexikalische Ellipsen: - Grammatische und lexikalische Ellipsen werden unverändert aus dem Originaltext übernommen. Darunter fallen insbesondere das <?page no="328"?> 328 Negationsmorphem ne, das Personalpronomen il in unpersönlichen Ausdrücken und, wesentlich seltener, die Personalpronomen je und tu: jpe pa → je peux pas; fo dir ke → faut dire que; ya → y a Devine ce ke ss entrin de fair → Devine ce que suis en train de faire - Ausnahme: die Form chui wird durch je suis transkribiert. (R15) Unverständliche Formen und sonstige Zusatzinformationen, die nicht Teil der Original-SMS sind: - Sollten einzelne Wörter oder Sequenzen unverständlich sein, werden sie in unveränderter Form beibehalten und „fett“ markiert. Jegliche Zusatzinformationen werden in der Transkription in eckigen Klammern angegeben: Je sui fan biézo! → Je suis fan biézo; dè tof → des tofs [photos] <?page no="329"?> 329 10 Bibliographie Adamzik, Kirsten (Hrsg.) (2000): Textsorten: Reflexionen und Analysen. Tübingen: Stauffenburg. Agar, Jon (2003): Constant Touch: A Global History of the Mobile Phone. Cambridge: Icon Books. 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Chr.) ‚Die Schwestern Bacchis‘ nach dem (verlorenen) Vorbild ‚Der Doppelbetrüger‘ von Menander gedichtet. Seit 1968 kann eine längere Partie aus dem Original verglichen werden. Die Untersuchung zeigt, daß Plautus die griechische Weltanschauungskomödie in ein turbulentes Hetärenstück verwandelt hat, in dem zwei alte Herren und ihre Söhne verführerischen Hetären kläglich unterliegen. Es war für römische Verhältnisse unerhört, daß Familienväter, die Träger der Autorität, am Ende zu verspotteten Figuren werden. Der singspielhafte burleske Charakter der Bacchides ist auf den Einfluß des altitalischen Stegreifspiels zurückzuführen. Wie die Autoren improvisierter Spiele verkehrt Plautus Moral in Unmoral - worin nicht zum wenigsten die zündende Wirkung seiner Komödien besteht. Das ‚anarchische‘ Geschehen erfüllt gewissermaßen eine wohldosierte Ventilfunktion innerhalb der streng gefügten römischen Welt. <?page no="353"?> Schreibweisen wie „dsl g pa 2 rézo“ (désolé(e) j(e n)’ai pas de réseau) sind in französischen SMS-Texten weit verbreitet und überraschen den geübten französischen SMS-Leser nur wenig. Sie bilden den Kern des langage SMS, der sich neben einer Reihe von innovativen graphostilistischen Verfahren durch einen beachtlichen Variantenreichtum auszeichnet. Allein für das Wort demain lassen sich zehn unterschiedliche graphische Varianten nachweisen: 2m1, 2min, 2main, demin, dmain, dem1, dem, dmin, 2Main, dm1. Dieser Variantenreichtum steht im Zentrum der Untersuchung. Mittels einer komplexen kommunikationstheoretischen Charakterisierung der SMS-Kommunikation sowie einer qualitativen und quantitativen Analyse des langage SMS auf der Basis eines umfangreichen Korpus werden konkrete Einflussfaktoren herauskristallisiert, die das Auftreten bestimmter Schreibweisen tendenziell wahrscheinlicher werden lassen. Hierbei wird neben den medial-technischen Bedingungen zur Textproduktion und den persönlichen Vorlieben der Verfasser auch die kommunikativ-funktionale Nutzung eine entscheidende Rolle spielen. Reinkemeyer Die Formenvielfalt des langage SMS Die Formenvielfalt des langage SMS im Wechselspiel zwischen Effizienz, Expertise und Expressivität von Anja Reinkemeyer 003713 ScriptO. 139 - Reinkemeyer_003713 ScriptO. 139 - Reinkemeyer Umschlag 19.02.13 16: 12 Seite 1