Der Erwerb des Subjekts in (Nicht-)Nullsubjektsprachen
Die Rolle des Spracheneinflusses und der Sprachdominanz bei bilingual deutsch-italienisch, deutsch-spanisch und französisch-italienisch aufwachsenden Kindern
0815
2012
978-3-8233-7750-4
978-3-8233-6750-5
Gunter Narr Verlag
Marisa Patuto
Der vorliegende Band untersucht den Erwerb des grammatischen(Null-)Subjekts bei bilingual aufwachsenden Kindern, die von Geburt an simultan zwei Erstsprachen erwerben, und greift aktuelle Forschungsergebnisse zum Spracheneinfluss und zur Sprachdominanz auf. Er geht insbesondere der Fragestellung nach, inwieweit bilinguale Kinder zwei separate Kompetenzen aufbauen und zwischen sprachspezifischen Strukturen unterscheiden können. Bei der Analyse des Subjekterwerbs in den Zielsprachen Deutsch, Französisch, Italienisch und Spanisch wird die Interaktion der beiden Sprachsysteme und die Einflussanfälligkeit der untersuchten Sprachkombinationen diskutiert. Dabei wird der Grad der sprachlichen Balanciertheit der bilingualen Population berücksichtigt und die bilinguale Studie durch monolinguale Langzeitstudien ergänzt. In einer empirischen Untersuchung wird spontan geäußertes Sprachmaterial von deutsch-italienisch, deutsch-spanisch und französisch-italienisch aufwachsenden Kindern im Rahmen der generativen Grammatiktheorie analysiert. Die Forschungsergebnisse zeigen deutlich, dass der Erwerb dieses bestimmten grammatischen Phänomens unabhängig von der sprachlichen Balance erfolgt und die syntaktischen Beschaffenheiten der koexistierenden Sprachsysteme für die Präsenz bzw.Absenz von Spracheneinfluss verantwortlich sind.
<?page no="0"?> Marisa Patuto Der Erwerb des Subjekts in (Nicht-)Nullsubjektsprachen Die Rolle des Spracheneinflusses und der Sprachdominanz bei bilingual deutsch-italienisch, deutsch-spanisch und französisch-italienisch aufwachsenden Kindern <?page no="1"?> Der Erwerb des Subjekts in (Nicht-)Nullsubjektsprachen <?page no="2"?> Tübinger Beiträge zur Linguistik herausgegeben von Gunter Narr 534 <?page no="3"?> Der Erwerb des Subjekts in (Nicht-)Nullsubjektsprachen Die Rolle des Spracheneinflusses und der Sprachdominanz bei bilingual deutsch-italienisch, deutsch-spanisch und französisch-italienisch aufwachsenden Kindern Marisa Patuto <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2012 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISSN 0564-7959 ISBN 978-3-8233-6750-5 <?page no="5"?> 5 Inhaltsverzeichnis Danksagung ....................................................................................... 9 0 Einleitung.................................................................................... 11 1 Bilinguismus .............................................................................. 21 1.1 Definitionen des Bilinguismus......................................................21 1.2 Bilinguismus und native competence .............................................25 1.3 Bilinguismus, Bilingualität und Diglossie ...................................28 1.4 Kindlicher Bilinguismus ................................................................30 1.5 Studien zum kindlichen Bilinguismus.........................................39 1.5.1 Die Hamburger und Wuppertaler Forschungsprojekte ........43 1.5.2 Der Subjekterwerb im Hamburger und Wuppertaler Forschungsprojekt ......................................................................47 1.6 Spracherwerbstheorien im generativen Grammatikmodell .....51 1.6.1 Computational Complexity Hypothesis ..................................51 1.6.2 Truncation Approach .................................................................52 1.6.3 Unique Checking Constraint .....................................................54 2 Sprachentrennung und Spracheneinfluss ............................ 56 2.1 Spracheneinfluss im bilingualen Erstspracherwerb ..................57 2.1.1 Kriterien für Spracheneinfluss ..................................................60 2.1.2 Komplexitätskriterien.................................................................62 2.1.3 Formen von Spracheneinfluss ...................................................64 2.2 Sprachmischungen und Sprachdifferenzierung.........................70 2.3 Sprachentrennung ohne Spracheneinfluss..................................73 2.4 Sprachentrennung mit Spracheneinfluss ....................................78 2.5 Das Konzept der Kompetenz und Performanz ..........................81 2.6 Spracheneinfluss: Performanz- oder kompetenzbasiert? ..........84 2.7 Vorhersagen für den bilingualen Erstspracherwerb..................88 3 Das Phänomen der Sprachdominanz..................................... 91 3.1 Sprachdominanz und der bilinguale Erstspracherwerb ...........92 3.1.1 Sprachdominanz und Sprachmischungen...............................93 3.1.2 Sprachdominanz und der sukzessive Spracherwerb ...........100 3.2 Kriterien zur Bestimmung der Sprachdominanz .....................104 <?page no="6"?> 6 3.3 Sprachdominanz und Spracheneinfluss ....................................108 3.4 Die Korrelation zwischen Input, Unbalanciertheit und Spracherwerb ................................................................................111 3.5 Vorhersagen für den bilingualen Erstspracherwerb................113 4 Theoretischer Rahmen: Grammatiktheorien und Zielsysteme ............................................................................... 116 4.1 Die generative Grammatik ..........................................................117 4.2 Das Prinzipien- und Parametermodell ......................................124 4.2.1 Der Spracherwerb und die Universalgrammatik .................126 4.2.2 Pro-drop in der generativen Grammatik.................................129 4.3 Das Minimalistische Programm .................................................138 4.4 Beschreibung der Zielsysteme ....................................................144 4.4.1 Das Subjekt im Italienischen....................................................145 4.4.2 Das Subjekt im Spanischen ......................................................164 4.4.3 Das Subjekt im Französischen.................................................190 4.4.4 Das Subjekt im Deutschen .......................................................207 4.4.5 Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Zielsysteme ........222 4.5 Subjektauslassungen und -realisierungen im Erwachsenensystem .....................................................................223 4.6 Vorhersagen für den bilingualen Erstspracherwerb................232 5 Methodik: Vorstellung und Auswahl der Daten .............. 235 5.1 Vorstellung der monolingualen Studie .....................................236 5.1.1 Monolingual italienisch aufwachsende Kinder ....................239 5.1.2 Monolingual spanisch aufwachsende Kinder.......................241 5.1.3 Monolingual französisch aufwachsende Kinder ..................244 5.1.4 Monolingual deutsch aufwachsende Kinder ........................247 5.2 Vorstellung der bilingualen Studie ............................................249 5.2.1 Sprachdominanz im bilingualen Erstspracherwerb.............252 5.2.2 Bilingual deutsch-italienisch aufwachsende Kinder ............256 5.2.3 Bilingual deutsch-spanisch aufwachsende Kinder ..............264 5.2.4 Bilingual französisch-italienisch aufwachsende Kinder......266 6 Quantitative Untersuchung der Longitudinalstudien: Die Realisierung der Subjektposition im monolingualen und bilingualen Erstspracherwerb............................................... 269 6.1 Der Subjekterwerb der monolingual italienischen Kinder .....270 6.1.1 Die Subjektposition der italienischen Kinder........................271 <?page no="7"?> 7 6.1.2 Subjektauslassungen der italienischen Kinder .....................277 6.2 Der Subjekterwerb der monolingual spanischen Kinder........279 6.2.1 Die Subjektposition der spanischen Kinder ..........................279 6.2.2 Subjektauslassungen der spanischen Kinder ........................282 6.3 Der Subjekterwerb der monolingual französischen Kinder ...283 6.3.1 Die Subjektposition der französischen Kinder......................284 6.3.2 Subjektauslassungen der französischen Kinder ...................287 6.4 Der Subjekterwerb der monolingual deutschen Kinder .........289 6.4.1 Die Subjektposition der deutschen Kinder............................289 6.4.2 Subjektauslassungen der deutschen Kinder .........................291 6.5 Ergebnisse der monolingualen Studie .......................................293 6.6 Der Subjekterwerb der deutsch-italienischen Kinder..............297 6.6.1 Realisierung der Subjektposition der deutsch-italienischen Kinder.........................................................................................298 6.6.2 Subjektrealisierungen der deutsch-italienischen Kinder.....303 6.6.3 Subjektauslassungen der deutsch-italienischen Kinder ......308 6.7 Der Subjekterwerb der deutsch-spanischen Kinder ................311 6.7.1 Realisierung der Subjektposition der deutsch-spanischen Kinder.........................................................................................311 6.7.2 Subjektrealisierungen der deutsch-spanischen Kinder .......314 6.7.3 Subjektauslassungen der deutsch-spanischen Kinder .........318 6.8 Der Subjekterwerb der französisch-italienischen Kinder .......321 6.8.1 Realisierung der Subjektposition der französischitalienischen Kinder..................................................................321 6.8.2 Subjektrealisierungen der französisch-italienischen Kinder....323 6.8.3 Subjektauslassungen der französisch-italienischen Kinder ..327 6.9 Ergebnisse der bilingualen Studie ..............................................330 7 Qualitative Untersuchung der Longitudinalstudien: Der personenspezifische Subjekterwerb im monolingualen und bilingualen Individuum ................................................ 344 7.1 Monolingual italienisch aufwachsende Kinder........................347 7.2 Monolingual spanisch aufwachsende Kinder ..........................351 7.3 Monolingual französisch aufwachsende Kinder......................353 7.4 Monolingual deutsch aufwachsende Kinder ............................357 7.5 Ergebnisse der monolingualen Studie .......................................359 <?page no="8"?> 8 7.6 Auslassungen der bilingualen Kinder in den Nullsubjektsprachen ....................................................................365 7.7 Auslassungen der bilingualen Kinder in den Nicht- Nullsubjektsprachen ....................................................................371 7.8 Ergebnisse der bilingualen Studie ..............................................376 8 Diskussion der Untersuchungsergebnisse: Der Subjekterwerb in den Zielsprachen .................................... 380 8.1 Realisierung der Subjektposition im monolingualen und bilingualen Individuum...............................................................382 8.1.1 Die Trunkations-Hypothese ....................................................383 8.1.2 Priming im Deutschen der bilingualen Kinder......................389 8.2 Personenspezifischer Subjekterwerb im monolingualen und bilingualen Individuum...............................................................394 8.2.1 Der Informationsgehalt der grammatischen Person ............396 8.2.2 Subjektpronomina im syntaktischen Rahmen ......................402 8.2.3 Subjektpronomina und agreement ...........................................418 8.3 Relevanz der Ergebnisse für die Diskussion von Spracheneinfluss und Sprachdominanz ....................................422 9 Zusammenfassung und Ausblick......................................... 429 10 Literatur ..................................................................................... 440 Anhang............................................................................................ 465 Appendix (A): Tabellen und Graphiken zur quantitativen und qualitativen Studie........................................................................465 Appendix (B): Statistische Signifikanzen nach der Pearson- Methode ( chi-square test ) in der quantitativen und qualitativen Studie..............................................................................................487 <?page no="9"?> 9 Danksagung Die vorliegende Studie zum bilingualen Erstspracherwerb stellt eine überarbeitete Fassung der ursprünglichen Dissertationsschrift dar, die ich im Dezember 2011 an der Bergischen Universität Wuppertal im Fachbereich A (Geistes- und Kulturwissenschaften) eingereicht habe. Die Gutachter meiner Arbeit waren Prof. Dr. Natascha Müller (Bergische Universität Wuppertal) und Prof. Dr. Aafke Hulk (Netherlands Institute for Advanced Studies in the Humanities and Social Sciences). An dieser Stelle möchte ich all denjenigen danken, die mich während meiner Promotionszeit unterstützt und mir die Möglichkeit des wissenschaftlichen Austausches gegeben haben. Besonderen Dank schulde ich meiner Doktormutter Natascha Müller, die mich während meines Hauptstudiums für die Mehrsprachigkeitsforschung begeistert und mich in allen Entstehungsphasen meiner Dissertation stets mit konstruktiver Kritik, weiterführenden Anregungen und sprachtheoretischen Ideen inspiriert hat. Außerdem möchte ich mich bei Aafke Hulk bedanken, die meine wissenschaftliche Arbeit ebenfalls mit großem Interesse und kompetenten Fachgesprächen begleitet hat. Auch möchte ich allen weiteren Mitgliedern meiner Prüfungskommission für die zahlreichen Kommentare danken, die ich im Rahmen meiner Disputation erhalten habe (Prof. Dr. Katja Cantone und Prof. Dr. Katrin Schmitz). Weiterer Dank gilt dem gesamten Forschungsprojekt und den Familien der bilingualen Kinder im In- und Ausland, die mit viel Engagement und Disziplin mein wissenschaftliches Anliegen unterstützt haben und maßgeblich bei der Datenerhebung involviert waren. Mein Dank gebührt ebenso den studentischen Hilfskräften, denen ich die sorgfältige und gewissenhafte Transkription der Longitudinalstudien zu verdanken habe. Ohne ihre Unterstützung wäre die Analyse des erhobenen Sprachmaterials nicht möglich gewesen. Meinen Kolleginnen, Laia Arnaus Gil, Nadine Eichler, Veronika Jansen, Jasmin Müller und Anika Schmeißer, möchte ich für die fruchtbare Zusammenarbeit im Forschungsprojekt danken. Für die Durchsicht des gesamten Manuskripts möchte ich mich bei Robert Külpmann bedanken, der seine Freizeit für die Korrektur meiner Dissertationsschrift aufgeopfert hat. Der DFG danke ich für die finanzielle Unterstützung bei der Teilnahme an nationalen und internationalen Tagungen und der Präsentation meiner Forschungsergebnisse vor einem Fachpublikum. Dem Narr Verlag spreche ich meinen Dank dafür aus, meinen wissenschaftlichen Beitrag in der Reihe „Tübinger Beiträge zur Linguistik (TBL)“ aufgenommen zu haben. <?page no="10"?> 10 Schließlich möchte ich von Herzen meiner Familie danken, die mich während dieser anstrengenden Zeit mit viel Geduld unterstützt und motiviert hat. Auch in schwierigen Phasen sind die richtigen Worte gefunden worden, dank welcher ich nie mein Ziel aus den Augen verloren habe. Insbesondere möchte ich meinem Mann danken, der trotz der großen Entfernung mir stets das Gefühl der Nähe und Zuversicht gegeben hat. Ich möchte mich bei meinen Eltern und meiner Schwester für die seelische Unterstützung bedanken und die vorliegende Dissertation meiner Familie widmen. a mamma, papà, Tina e Domenico <?page no="11"?> 11 0 Einleitung Die Mehrsprachigkeit gewinnt in einer globalisierten Welt und Gesellschaft aus ökonomischer und linguistischer Perspektive zunehmend an Bedeutung. Das Zusammentreffen vieler Ethnien und Sprachvarietäten hat das Phänomen des Sprachkontakts in den Mittelpunkt zahlreicher linguistischer Arbeiten gerückt. Aus einer mehrsprachigen Situation ergeben sich für den Linguisten interessante Forschungsfragen, die es im Rahmen der Sozio- und Psycholinguistik zu beantworten gilt. Die sprachliche Situation eines bestimmten geographischen Raums ist nicht nur von aktuellem Forschungsinteresse, sondern bereits in der Vergangenheit Gegenstand theoretischer Auseinandersetzungen gewesen. Die biblische Erzählung berichtet über die babylonische Sprachverwirrung (vgl. Gen 11, 1-9; Turmbau zu Babel) und im humanistischen Zeitalter beschäftigt die confusio linguarum viele einflussreiche Denker (vgl. Eco 6 2008). Die heutige Forschung konzentriert sich auf die sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten des mehrsprachigen Individuums aus sozio- und psycholinguistischer Sicht. Die Mehrsprachigkeit wird nicht nur in einem individuellen, sondern auch in einem sozialen Kontext untersucht, wobei deren Effekte im Hinblick auf bestimmte Erwerbsprozesse und sprachliche Innovationen herausgestellt werden. Das Zusammentreffen mehrerer Sprachsysteme hat die Frage nach der mentalen Repräsentation der einzelnen Sprachen im mehrsprachigen Individuum aufgeworfen. Die Bilinguismusforschung der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts hat die frühkindliche Mehrsprachigkeit vor dem Hintergrund der Sprachentrennung und des Spracheneinflusses sowie der Abrufbarkeit der koexistierenden Sprachen erforscht. In unterschiedlichen grammatischen Bereichen sind Belege für eine systematische Trennung bzw. Beeinflussung der simultan zu erwerbenden Sprachsysteme erbracht worden. Die vorliegende Arbeit liefert einen Forschungsbeitrag im Rahmen der frühkindlichen Mehrsprachigkeit und stellt das Konzept der Sprachdominanz und der Sprachentrennung bzw. des Spracheneinflusses in den Vordergrund der theoretischen Diskussion und empirischen Untersuchung. Deutsch-italienische, deutsch-spanische und französisch-italienische Kinder sind im Hinblick auf den Subjekterwerb in den jeweiligen Sprachkombinationen untersucht worden. Die Evaluation 1 der bilingualen Erwerbsverläufe 1 Patuto, Repetto und Müller (2011) weisen darauf hin, dass die Kindersprache von der Erwachsenensprache aufgrund unterschiedlichster Faktoren differieren kann. Der Vergleich zwischen monolingualem und bilingualem Individuum ermöglicht <?page no="12"?> 12 geschieht anhand einer monolingualen Kontrollgruppe in den jeweiligen Ziel- und Erwachsenensprachen. Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, im Rahmen der generativen Syntaxtheorie eine theoretische Erklärung für den Subjekterwerb bei bilingual aufwachsenden Kindern bereitzustellen und die Rolle der außersprachlichen Variablen, bspw. der Sprachdominanz, in Sprachkontaktsituation zu erfassen. In der einschlägigen Literatur wird der Zusammenhang zwischen sprachlicher Unausgeglichenheit und Balanciertheit bilingual aufwachsender Kinder und der Sprachentrennung bzw. dem Spracheneinfluss auf mangelnde Sprachkompetenz zurückgeführt. In der vorliegenden Arbeit wird diese Ansicht relativiert und die syntaktische Eigenschaft des grammatischen Phänomens als Auslöser für Spracheneinfluss interpretiert. Die Analyse deutsch-italienischer, deutsch-spanischer und französisch-italienischer Kinder, die von Geburt an simultan zwei Erstsprachen erwerben, soll Evidenz für diese Hypothese liefern. Zugleich soll eine bestimmte Sprachkombination in den Vordergrund gestellt werden: Bisher ist weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene die französisch-italienische Sprachkombination für den grammatischen Bereich des Subjekts untersucht worden. Die Relevanz der vorliegenden Arbeit liegt nicht nur in der theoretischen Klärung der Relation zwischen der Sprachdominanz und dem Spracheneinfluss in Bezug auf den Subjekterwerb, sondern auch darin, über die französisch-italienische Sprachkombination eine wissenschaftliche Lücke in der Bilinguismusforschung zu schließen. Der Bereich des Subjekterwerbs ist bezüglich der syntaktischen Option der Auslassung und allgemein der verbalen Argumentauslassung und ihrer morphologischen Entwicklung in mehreren Forschungsarbeiten thematisiert worden (vgl. Jakubowicz 1997, Tiedemann 1999, Hulk und Müller 2000, Kupisch 2006, 2007, Hauser-Grüdl und Arencibia Guerra 2007, Schmitz und Müller 2008, Schmitz, Patuto und Müller 2011 2 ). In diesem Zusammenhang sind auch solche Arbeiten zu erwähnen, die zwar stets den Subjekterwerb über die Tiefenstruktur analysieren, jedoch auch die Schnittstelleneigenschaft des Subjekts in (Nicht-)Nullsubjektsprachen berücksichtigt haben (vgl. u.a. Serratrice, Sorace und Paoli 2004, Patuto die Untersuchung der Sprachentrennung bzw. des Spracheneinflusses. Darüber hinaus wird der Vergleich unter den Sprachkombinationen Deutsch-Italienisch, Deutsch-Spanisch und Französisch-Italienisch von besonderem Interesse sein. 2 Die zitierten Studien diskutieren die Argumentauslassung aus einer syntaktischen Perspektive und rekurrieren auf die generative Syntaxtheorie (vgl. Chomsky 1986) ohne auf weitere sprachliche Komponenten einzugehen (vgl. Tomasello 2003). Die vorliegende Arbeit wird, wie bereits erwähnt, den bilingualen Erstspracherwerb ebenfalls ausschließlich unter Zugrundelegung des generativen und minimalistischen Ansatzes erläutern. <?page no="13"?> 13 2008, Müller und Patuto 2009, Sorace und Serratrice 2009, Patuto et al. 2011). Den theoretischen Rahmen der vorliegenden Arbeit stellt die generative Grammatik und als Weiterentwicklung dieser Sprachtheorie der minimalistische Ansatz dar, der für die Analyse von bilingualem Sprachmaterial auf das von MacSwan (1999, 2000) erarbeitete Konzept zur Architektur der bilingualen Sprachfähigkeit rekurriert. Darüber hinaus wird der Syntax-Pragmatik-Schnittstelle Rechnung getragen, da in den untersuchten Nullsubjektsprachen, dem Italienischen und dem Spanischen, die Auslassung bzw. Realisierung des Subjekts nicht syntaktisch, sondern diskurspragmatisch lizenziert ist. Die Möglichkeit der Subjektauslassung wird zwar als eine syntaktische Option interpretiert, unterliegt jedoch bestimmten pragmatischen Restriktionen. In den analysierten Nicht- Nullsubjektsprachen, dem Französischen und dem Deutschen, regeln nicht die Pragmatik, sondern andere grammatische Komponenten die Realisierung der Subjektposition. Im Französischen sind Subjektauslassungen lexikalisch restringiert, da diese nur in Verbindung mit unpersönlichen Verben zu grammatischen Konstruktionen führen. Im Weiteren signalisieren im Französischen ausgelassene Subjekte einen informellen Sprachstil, der für das Medium der gesprochenen Sprache typisch ist und ein familiäres Sprachregister widerspiegelt (vgl. Pillunat, Schmitz und Müller 2006). Im Deutschen sind Subjektauslassungen ausschließlich in satzinitialer Topik-Position grammatisch. Dazu muss das Subjekt bereits in den Diskurs eingeführt worden sein, damit es ausgelassen werden kann. Die Subjektauslassung ist im Deutschen sowie im Französischen Gegenstand der gesprochenen, jedoch nicht der geschriebenen Sprache. Inwieweit die Pragmatik als grammatisches Modul mit der Syntax interferiert, wird in der aktuellen sprachwissenschaftlichen Forschung kontrovers diskutiert. Das Zusammenspiel von Syntax und Pragmatik stellt einen zentralen Bereich der vorliegenden Arbeit dar. Die Schnittstelleneigenschaft und die Subjektauslassung und -realisierung als Schnittstellenphänomen per se werden in der einschlägigen Literatur für einflussanfällig erachtet. Daraus resultiert die Relevanz der Untersuchung bilingual aufwachsender Kinder, die simultan eine Null- und eine Nicht-Nullsubjektsprache erwerben. Aus diesem Grund werden deutsch-italienische, deutsch-spanische und französisch-italienische Kinder untersucht, die nicht nur eine Analyse in einer germanisch-romanischen (Deutsch- Italienisch und Deutsch-Spanisch), sondern auch in einer ausschließlich romanischen (Französisch-Italienisch) Konstellation ermöglichen. Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, das Auftreten von Spracheneinfluss unter Berücksichtigung der Bedingungen für Spracheneinfluss, der Sprachdominanz und der Sprachkombination zu erfassen (vgl. Müller und Patuto 2009). In Anbetracht dieser Zielsetzung werden auf der Basis <?page no="14"?> 14 der einschlägigen Literatur Hypothesen für die jeweiligen bilingualen Sprachentwicklungen formuliert, die es im Rahmen der empirischen Untersuchung zu bestätigen oder gegebenenfalls zu falsifizieren gilt. Die vorliegende Arbeit greift einige wichtige Konzepte des kindlichen Bilinguismus auf, die es in den ersten drei Kapiteln erforderlich machen, einige einflussreiche Arbeiten der Mehrsprachigkeitsforschung der letzten Jahrzehnte zu betrachten. Im Hinblick auf den Spracheneinfluss und die Sprachentrennung sind in den 80er und 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts unterschiedliche Standpunkte vertreten worden, die für eine angemessene Interpretation der bilingualen Spracherwerbsdaten berücksichtigt werden müssen. Von zentralem Interesse ist die Fragestellung gewesen, inwieweit bilingual aufwachsende Kinder ihre beiden Sprachen bereits in sehr frühen Erwerbsphasen trennen und somit keine Evidenz für eine Beeinflussung der koexistierenden Sprachsysteme liefern (vgl. Meisel 1989). Vertreter dieser Hypothese, die für den bilingualen Erstspracherwerb eine Sprachentrennung in den ersten Spracherwerbsphasen und über den gesamten Erwerbsprozess hinweg postulieren, schließen die Möglichkeit der Beeinflussung und die Existenz eines anfänglich fusionierten Sprachsystems nicht aus (vgl. Volterra und Taeschner 1978). Im Rahmen der ersten Forschungsarbeiten ist diese Spracherwerbstheorie entweder anhand der dokumentierten frühkindlichen Sprachmischungen oder der zeitweise auftretenden Sprachdominanz gerechtfertigt worden. Frühkindliche Sprachmischungen sind vornehmlich als ein Indiz für eine mangelnde Sprachentrennung und Sprachkompetenz 3 des bilingualen Kindes aufgefasst worden. Des Weiteren signalisieren gemischtsprachliche Äußerungen eine unausgeglichene Sprachentwicklung des mehrsprachig aufwachsenden Kindes, die sich durch die Existenz einer weniger und einer stärker entwickelten Sprache auszeichnet. Die sich schneller entwickelnde Sprache wird in der linguistischen Literatur als die „stärkere“ Sprache definiert, während die „schwächere“ Sprache dasjenige Sprachsystem ist, das von der dominanten Sprache beeinflusst wird. Die Ermittlung der Sprachdominanz und die Bestimmung adäquater Kriterien zum quantitativen und qualitativen Erfassen der Sprachdominanz haben sich als äußerst komplex herausgestellt und sind Gegenstand zahlreicher Studien gewesen (vgl. u.a. Cantone, Kupisch, Müller und Schmitz 2008, Arencibia Guerra 2008). Die vorliegende Arbeit wird der Korrelation zwischen der Sprachdominanz und den individuellen Spracherwerbsverläufen nachgehen sowie die Sprachdominanz der bilingualen 3 Die Diskussion zur Ermittlung der Sprachkompetenz wird in Kapitel 2 aufgegriffen. Der Spracherwerbsforschung stehen stets Performanzdaten zur Verfügung, die einen direkten Rückschluss auf die Sprachkompetenz nicht erlauben. <?page no="15"?> 15 Kinder in Anlehnung an Arencibia Guerra (2008) anhand des qualitativen Kriteriums des MLU 4 ermitteln. Die aktuelle Diskussion über Spracheneinfluss und Sprachentrennung geht zwar für den bilingualen Erstspracherwerb von einer frühen Trennung der beiden Zielsysteme aus, schließt jedoch die Möglichkeit des Spracheneinflusses in bestimmten grammatischen Bereichen nicht aus (vgl. Hulk und Müller 2000, Müller und Hulk 2000, 2001). Auf der Basis dieser Annahme kommt es im bilingualen Individuum aufgrund einer Überlappung von sprachlichen Analysen der koexistierenden Sprachsysteme zum Spracheneinfluss. Das Übertragen von sprachlichem Wissen erfolgt aufgrund einer zweideutigen strukturellen Analyse eines grammatischen Bereichs, der für das bilinguale Kind die Identifikation der sprachspezifischen und somit zielsprachlichen Struktur erschwert. Diese Hypothese geht von einer konsequenten Sprachentrennung aus, die das Auftreten von Spracheneinfluss nicht über die Sprachdominanz, sondern vielmehr über die syntaktische Beschaffenheit eines grammatischen Phänomens vorhersagt. In der vorliegenden Arbeit werden die Spracherwerbsdaten im Rahmen des generativen bzw. minimalistischen Grammatikmodells und vor dem Hintergrund dieser Spracherwerbshypothese interpretiert. Dieser Standpunkt ermöglicht die Evaluation der bilingualen Sprachfähigkeit unabhängig von außersprachlichen Variablen, wie bspw. der Sprachdominanz. Außerdem soll untersucht werden, inwieweit im Subjektbereich sprachlich unbalancierte bzw. balancierte Kinder von Spracheneinfluss betroffen sind. In Bezug auf frühkindliche Sprachmischungen haben mehrere Forschungsbeiträge aussagekräftige Evidenz dafür erbracht, dass Sprachmischungen sowohl in der starken als auch in der schwachen Sprache beobachtet werden können (vgl. Cantone 2007, Cantone et al. 2008). Im Weiteren werden Sprachmischungen nicht mehr als ein negatives Anzeichen für eine mangelnde Sprachkompetenz verstanden, sondern erfahren zunehmend eine positive Auslegung. Demnach sind Sprachmischungen ein Indiz dafür, dass mehrsprachige Kinder von ihrer Bilingualität insofern profitieren, als sie Elemente aus der starken in die schwache Sprache transferieren (vgl. Gawlitzek-Maiwald und Tracy 1996). Außerdem wendet sich die aktuelle Mehrsprachigkeitsforschung verstärkt dem Inhibitionsvorgang bei bilingualen Kindern und der generellen Annahme zu, dass letztere ihre beiden Sprachen kontrollieren können (vgl. Müller, Arnaus Gil, Eichler, Jansen, Patuto und Repetto in Vorb.). 4 Der MLU ( mean length of utterance ) gibt die durschnittliche Äußerungslänge, gemessen auf Lexem- oder Morphemebene, in einer Sprachaufnahme an. <?page no="16"?> 16 Der in der einschlägigen Literatur diskutierte Zusammenhang zwischen der Sprachdominanz und dem Spracheneinfluss wird in Kapitel 3 thematisiert. Im Hinblick auf die sprachliche (Un-)Ausgeglichenheit bilingual aufwachsender Kinder ist auch die Parallele zwischen der Sprachdominanz und dem sukzessiven Spracherwerb gezogen worden. Auf der Basis dieser Theorie entwickelt sich die schwache Sprache des mehrsprachigen Individuums im simultanen Erwerb zweier Sprachen wie die Zweitsprache (L2) im Zweitspracherwerb. Einige Arbeiten haben diese Hypothese widerlegt und gezeigt, dass die Parallele zwischen der schwachen Sprache und dem Zweitspracherwerb aufgrund unterschiedlicher Mechanismen unzulässig ist. Im bilingualen Erstspracherwerb manifestiert sich zwar eine verzögerte Entwicklung der schwachen Sprache, jedoch rechtfertigt diese Verlangsamung nicht die Parallele zwischen der schwachen Sprache im doppelten Erstspracherwerb und dem sukzessiven Erwerb einer Zweitsprache (vgl. u.a. Meisel 2007, Cantone et al. 2008). Während die Sprachdominanz anhand quantitativer und qualitativer Kriterien ermittelt werden kann, stellt sich die Interpretation des Spracheneinflusses und allgemein der Interferenzphänomene als äußert komplex heraus. Im Rahmen des generativen Grammatikmodells wird eine syntaktische Analyse erarbeitet, anhand welcher das Übertragungspotenzial von sprachlichen Strukturen aus der einen Sprache in die andere abgeleitet werden kann (vgl. Kapitel 4). Ausschlaggebend sind die strukturelle Komplexität und Ambiguität des grammatischen Phänomens der involvierten Zielsysteme für das Auftreten bzw. die Absenz von Spracheneinfluss (vgl. Jakubowicz 2000, Hulk und Müller 2000, Müller und Hulk 2000, 2001, Müller, Cantone, Kupisch und Schmitz 2002, Müller und Patuto 2009). Der Spracheneinfluss geht in Anlehnung an einige einflussreiche Forschungsarbeiten nicht nur auf die grammatische Beschaffenheit des untersuchten grammatischen Phänomens, sondern auch auf die Schwierigkeit, zwei Sprachen simultan verarbeiten zu können, zurück (vgl. u.a. Sorace und Serratrice 2009). Die Beeinflussung eines sprachlichen Systems beruht nicht nur auf den syntaktischen Eigenschaften der Zielsprachen, sondern auch auf der simultanen Abrufbarkeit der beiden Erstsprachen. Diese beiden unterschiedlichen Auslegungen des Spracheneinflusses sind Gegenstand zahlreicher Arbeiten gewesen und haben zur Erforschung von negativen und positiven Effekten der frühkindlichen Zweisprachigkeit beigetragen. Der Spracheneinfluss in Form des Transfers, d.h. der Übertragung von sprachlichem Wissen aus der einen Sprache in die andere auf der Kompetenzebene, wird in der Mehrsprachigkeitsforschung als Kompetenzmangel und somit als eine negative Auswirkung der frühkindlichen Zweisprachigkeit aufgefasst. Eine positive Interpretation des Spracheneinflusses erfolgt im Falle eines beschleunig- <?page no="17"?> 17 ten Erwerbs, der sich aus der Sprachkontaktsituation ergibt und für das mehrsprachige Kind einen sprachlichen Profit darstellt (vgl. Paradis und Genesee 1996). Während der Standpunkt der cross-linguistic influence sowohl negative als auch positive Effekte der Mehrsprachigkeit unterstreicht, ist die Schwierigkeit der simultanen Sprachverarbeitung und Abrufbarkeit zweier Sprachen im Sinne des processing stets negativ konnotiert. Die Diskussion, inwieweit der Spracheneinfluss ein kompetenz- oder ein performanzbasiertes Phänomen darstellt, wird in der vorliegenden Arbeit anhand einer quantitativen und qualitativen Fragestellung für den Subjektbereich erörtert. Vor diesem Hintergrund werden die bilingualen Spracherwerbsdaten interpretiert und die Validität der cross-linguistic influence hypothesis und des processing load für den grammatischen Bereich des Subjekts überprüft. In diesem Zusammenhang wird zu klären sein, inwieweit die sprachliche Entwicklung der bilingualen Kinder der Bilingualität, dem bilingual mode , geschuldet ist (vgl. Grosjean 1982). Die in der vorliegenden Arbeit analysierten Kinderdaten stammen aus Longitudinalstudien, die im Rahmen dreier Forschungsprojekte seit 1999 an der Universität Hamburg und an der Bergischen Universität Wuppertal unter der Leitung von Prof. Dr. Natascha Müller erhoben wurden. Kapitel 1 liefert einen Überblick über die Forschungsprojekte, deren Sprachmaterial für die Untersuchung des Subjekterwerbs im bilingualen Individuum herangezogen worden sind. Das zweite Kapitel widmet sich dem Phänomen der Sprachentrennung, während im dritten Kapitel die Sprachdominanz vordergründig thematisiert wird. In Kapitel 4 wird die theoretische Grundlage für die Interpretation der monolingualen und bilingualen Erwerbsdaten geliefert. Die Zielsystembeschreibungen geben die Diskussion über die syntaktische Position overt realisierter Subjekte und pro in den involvierten Zielsystemen wieder. Aus der sprachspezifischen syntaktischen Analyse ergeben sich weitere Hypothesen bezüglich des bilingualen Subjekterwerbs, die es im Laufe der empirischen Untersuchung zu überprüfen gilt. Auch wird zu untersuchen sein, inwieweit bilinguale Kinder zwei getrennte Kompetenzen aufbauen können. Unter Zugrundelegung des Parametermodells wird zu klären sein, ob der für das jeweilige Sprachsystem relevante Parameter fixiert oder optional unterschiedliche syntaktische Analysen verwendet werden. Während die ersten vier Kapitel eine Einführung in den Forschungsgegenstand und in die theoretische Diskussion zum Spracheneinfluss sowie zur Sprachdominanz darstellen, werden in Kapitel 5 das methodische Vorgehen und die untersuchten bilingualen und monolingualen Longitudinalstudien vorgestellt. Alle Kinder wurden in einem Alter zwischen eineinhalb und mindestens vier Jahren untersucht, wobei die bilingualen Kinder nach dem Prinzip one person one language (vgl. Ronjat <?page no="18"?> 18 1913) in bilingualen Familien entweder in Deutschland oder im romanischen Ausland aufwuchsen. Eine Ausnahme stellen die monolingualen, die deutsch-spanischen und französisch-italienischen Longitudinalstudien dar, deren Sprachdokumentation und Datenanalyse aufgrund mangelnder Transkriptionen oder einer wenig repräsentativen Datenmenge entweder vor oder nach dem vierten Lebensjahr abschließt. Darüber hinaus soll die Rolle der Sprachdominanz im bilingualen Erstspracherwerb und insbesondere für den grammatischen Bereich des Subjekts erfasst werden. Aus diesem Grund sind bilinguale Kinder mit unterschiedlichen Dominanzverhältnissen von stark balanciert bis extrem überlegen ausgewählt worden (vgl. Kapitel 5). Der deutsche bzw. romanische Geburtsort erlaubt zudem die Variable der Landessprache in die empirische Untersuchung einzubeziehen. Die Berücksichtigung der Umgebungssprache kann jedoch nur in einigen wenigen Einzelfällen erfolgen, sodass keine Generalisierungen im Hinblick auf die Rolle der Landessprache im bilingualen Erstspracherwerb formuliert werden können. Dennoch deuten die Erwerbsdaten auf eine fehlende Korrelation zwischen der Umgebungssprache und dem Erwerb eines grammatischen Phänomens hin. Die bilingualen Spracherwerbsdaten werden einem monolingualen Vergleich unterzogen, um Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten zwischen dem monolingualen und dem bilingualen Spracherwerb aufzeigen zu können. Die monolingual italienische, spanische, französische und deutsche Kontrollgruppe stammt nicht nur aus den Hamburger und Wuppertaler Forschungsprojekten, sondern auch aus der digitalen CHILDES Datenbank (vgl. MacWhinney 2 1995, 3 2000). Der Vorstellung der monolingualen und bilingualen Longitudinalstudien sowie der empirischen Untersuchung geht die Beschreibung der involvierten Zielsysteme voraus. Das Hauptanliegen der Mehrsprachigkeitsforschung der letzten Jahrzehnte besteht darin, die Mechanismen des bilingualen Spracherwerbs unter Berücksichtigung der syntaktischen Strukturen der Zielsprachen und des monolingualen Erwerb zu erfassen. Die vorliegende Arbeit greift dieses methodische Vorgehen auf und interpretiert die bilingualen Erwerbsverläufe anhand der syntaktischen Beschreibung der Zielsysteme und des monolingualen Erwerbs. Die empirische Untersuchung der monolingualen und bilingualen Spracherwerbsdaten erfolgt aus einer quantitativen (vgl. Kapitel 6) und schließlich aus einer qualitativen (vgl. Kapitel 7) Perspektive. Die quantitative Analyse der monolingualen und bilingualen Longitudinalstudien konzentriert sich auf die Realisierung der Subjektposition in den jeweiligen Sprachen und fokussiert lediglich den quantitativen Anteil an lexikalisch und pronominal realisierten sowie ausgelassenen Subjekten. Die qualitative Analyse hingegen beschäftigt sich mit den Subjektauslassun- <?page no="19"?> 19 gen und -realisierungen hinsichtlich der jeweiligen grammatischen Personen, um die Rolle der deiktischen und anaphorischen Subjektpronomina zu identifizieren. In beiden Teilen erfolgt ein Vergleich zwischen dem monolingualen und dem bilingualen Erwerb, um Ähnlichkeiten bzw. Unterschiede herauszustellen. Im Weiteren werden sowohl die monolingualen als auch die bilingualen Subjektauslassungen und -realisierungen mit den jeweiligen Erwachsenensprachen verglichen, damit Abweichungen von der zielsprachlichen Norm ermittelt werden können. Außerdem werden die bilingualen Kinderdaten untereinander verglichen, um die Relevanz der Sprachkombination in den Vordergrund zu stellen. Im Anschluss an die empirische Untersuchung werden in Kapitel 8 die hervorgebrachten Ergebnisse im Hinblick auf den bilingualen Erstspracherwerb diskutiert, indem auf den Spracheneinfluss und auf die individuelle Sprachdominanz eingegangen wird. Hierzu werden die in Kapitel 2, 3 und 4 formulierten Vorhersagen für den bilingualen Erstspracherwerb aufgegriffen und erörtert. In Bezug auf den Spracheneinfluss und die Sprachdominanz werden einige Vorhersagen, die auf der Basis der einschlägigen Literatur aufgestellt worden sind, im Laufe der empirischen Untersuchung bestätigt bzw. falsifiziert. Die Rolle der Pragmatik stellt sich als ausschlaggebend für den zielsprachlichen Gebrauch von Subjektauslassungen und -realisierungen in den jeweiligen Zielsprachen heraus. Darüber hinaus wird im Laufe der Interpretation der Kinderdaten dafür argumentiert werden, dass dem Sprache erwerbenden Kind aufgrund der simultan existierenden Sprachsysteme unterschiedliche Optionen zur Verfügung stehen, aus denen es für die jeweilige Zielgrammatik die zielsprachliche Variante wählen muss. Somit werden negative Einflusseffekte nicht nur über den Vorwand erklärt, dass das bilinguale Kind eine spezifische Analyse aus der einen Sprache in die andere transportiert, sondern auch über die Tatsache, dass es aufgrund seiner Bilingualität untereinander konkurrierende Analysen verarbeiten muss. Aus diesem Grund dürfen für den Spracherwerbsprozess nicht nur die syntaktischen Beschaffenheiten des gewählten grammatischen Phänomens, sondern auch die Verarbeitungsressourcen berücksichtigt werden. In der einschlägigen Literatur ist ebenfalls dafür argumentiert worden, dass bilinguale Kinder zwischen syntaktischen Analysen optional entscheiden und unterschiedliche Präferenzen entwickeln. Irrelevant sind hingegen außersprachliche Faktoren wie die Sprachdominanz und die Landessprache, die bezüglich des grammatischen Bereichs des Subjekts keine feststellbaren Auswirkungen aufweisen. In Kapitel 9 werden die wesentlichen Ergebnisse und Aspekte des Subjekterwerbs im bilingualen Individuum zusammengefasst und ein <?page no="20"?> 20 Ausblick für zukünftige Forschungsarbeiten für den in diesem Zusammenhang untersuchten grammatischen Bereich geliefert. <?page no="21"?> 21 1 Bilinguismus In diesem Kapitel werden der Begriff des Bilinguismus und einige notwendige theoretische Präzisierungen im Vordergrund stehen. Es wird die Problematik um eine adäquate Definition des Terminus Bilinguismus thematisiert und anhand verschiedener Ansichten verdeutlicht. Außerdem wird das Konzept des Bilinguismus als individuelles und gesellschaftliches Phänomen dargestellt und schließlich der kindliche Bilinguismus diskutiert, der in der vorliegenden Studie unter einer präzisen, grammatischen Fragestellung und anhand der Sprachkombinationen Deutsch-Italienisch, Deutsch-Spanisch und Französisch-Italienisch erforscht wird. 1.1 Definitionen des Bilinguismus Die in der Literatur zahlreich vorhandenen Versuche, den Begriff des Bilinguismus zu definieren, haben die Herausforderung einer Definitionsfindung und die damit verbundene Komplexität des Terminus verdeutlicht. Bringt man ihn lediglich mit dem simultanen Gebrauch und dem Wissen von zwei Sprachen eines Sprechers in Verbindung, so erscheint es nicht sonderlich schwierig, das Konzept des Bilinguismus zu charakterisieren. Stellt man sich jedoch die Frage, was genau unter Bilinguismus zu verstehen ist, schwindet die anfängliche Trivialität und die Begriffsklärung stellt sich als äußerst problematisch heraus. Kann man von einer bilingualen Person sprechen, wenn sie über ihre Muttersprache hinaus zwar eine weitere Sprache beherrscht, diese aber in einer gegebenen Kommunikationssituation nicht angemessen verwenden kann? Ist eine Person als bilingual zu bezeichnen, wenn sie die grammatischen und kommunikativen Anforderungen beider Sprachen zwar erfüllt, aber in einer ihrer Sprachen einen starken Akzent aufweist? Sind bilinguale Sprecher diejenigen, die von Geburt an mit zwei Muttersprachen aufwachsen? Reicht es aus, wenn im Grundschulalter die erste Fremdsprache gelernt wird, um ein Individuum als bilingual wahrzunehmen? Zeichnen bereits Grundkenntnisse in einer weiteren Sprache einen Menschen als einen bilingualen Sprecher aus? Die uns verfügbaren Definitionen zeigen die Suche nach präzisen Kriterien auf, die den bilingualen Sprecher angemessen charakterisieren. Aufgrund dieser theoretischen Problematik, die sich bei einer adäquaten Erläuterung des Begriffs abzuzeichnen scheint, sind viele Definitionen <?page no="22"?> 22 kaum miteinander kompatibel, da sie unterschiedliche Aspekte fokussieren. In diesem Abschnitt sollen einige wichtige Ansichten und Definitionen des Bilinguismus genannt werden, die in der Literatur zur Mehrsprachigkeit aufgeführt und immer wieder zitiert werden. Bei näherer Betrachtung der verschiedenen Definitionen lassen sich drei Ausrichtungen herausarbeiten, die die folgenden Standpunkte vertreten: • Nach minimalistischen Ansichten ist ein Sprecher als bilingual zu bezeichnen, wenn er über ein minimales Wissen in einer zweiten Sprache verfügt. • Der maximalistische Ansatz spricht von einem bilingualen Sprecher, wenn sich seine Performanz kaum von der eines Muttersprachlers unterscheidet. • Die Literatur verweist auf einen intermediären Standpunkt, der sich zwischen beiden Ansätzen lokalisieren lässt. Diebold (1961) zählt zu denjenigen, die bereits Sprecher mit einem Basiswissen in einer zweiten Sprache als bilinguale Individuen bezeichnen. Mit dem Begriff des incipient bilingualism gibt er eine „minimale“ Definition des Bilinguismus, welcher er mit den folgenden Worten beschreibt: […] contact with the possible models in a second language and the ability to use these in the environment of the native language. (Diebold 1961: 111) 5 Der gleichen Auffassung ist MacNamara (1967), der den bilingualen Sprecher über die Existenz einer minimalen Kompetenz in einer der vier sprachlichen Fähigkeiten definiert. 6 Diese minimalistische Auffassung der bilingualen Sprachfähigkeit scheint jedoch in der Mehrsprachigkeitsforschung wenig beständig gewesen, von vielen Soziolinguisten kritisiert und vom maximalistischen Ansatz überholt worden zu sein. Bereits Bloomfield (1933) scheint eine umfassendere Definition des Bilinguismus geliefert zu haben: In the cases of foreign language learning, the speaker becomes so proficient as to be indistinguishable from the native speaker around him. […] In the cases where this perfect foreign-language learning is not accompa- 5 Der Begriff des incipient bilingualism wird von Mackey (1987) in seinem entworfenen Lebenszyklus zweisprachiger Gemeinschaften aufgegriffen, um vom Übergang von der Monolingualität zur Bilingualität und wieder zurück zur Monolingualität auf die erste Etappe zu verweisen. Über die Dauer eines derartigen Lebenszyklus gibt es verschiedene Angaben, wobei Mackey von 10 bis 100 Jahren ausgeht. 6 Zu den sprachlichen Fähigkeiten gehören das Sprechen, Verstehen, Lesen und Schreiben. <?page no="23"?> 23 nied by loss of the native language, it results in bilingualism, the nativecontrol of two languages. (Bloomfield 1933: 56) Eine Vielzahl der nachfolgenden Studien berücksichtigt diese Beobachtungen und Marouzeau ( 3 1969) formuliert eine allgemeinere und in den sozialen Kontext einbettete Erklärung des Begriffs. La qualité d’un sujet ou d’une population qui se sert couramment de deux langues, sans aptitude marquée pour l’une plutôt que pour l’autre. (Marouzeau 3 1969: 39) Haugen (1953: 7) definiert Bilinguismus über den Zeitpunkt „[…] where a speaker can produce complete meaningful utterances in the other language.“ Hagège (1996) baut diese Definition über den Bilinguismus aus und misst die bilinguale Sprachfähigkeit an den vier sprachlichen Fähigkeiten, über die ein bilinguales Individuum verfügen sollte. Être vraiment bilingue implique que l’on sache parler, comprendre, lire et écrire deux langue avec la même aisance. (Hagège 1996: 218) Bloomfields (1933: 56) Standpunkt über das native Sprachverhalten wird in der Literatur häufig aufgegriffen und diskutiert. Das Konzept des native-control scheint wichtige Charakteristika des bilingualen Sprechers aufzudecken, über welche sich letzterer überhaupt definieren lässt. Die kurz angeführten Definitionen sollten die beiden unterschiedlichen Auffassungen zur bilingualen Sprachfähigkeit darstellen. Während in einigen Forschungsarbeiten bereits von einem bilingualen Individuum gesprochen wird, wenn dieses Basiskenntnisse in einer zweiten Sprache aufweist, zeichnet sich der bilinguale Sprecher für diejenigen, die den maximalistischen Standpunkt vertreten, erst durch eine nahezu muttersprachliche Performanz aus. Brooks (1960: 40) versucht die beiden recht distanzierten Positionen miteinander zu verbinden, indem er an die individuelle Sprachfähigkeit appelliert: Bilingualism is an individual’s ability to express himself in a second language, while faithfully using the concepts and structures of that language, rather than paraphrasing those of his own. Die bisher aufgeführten Definitionen spiegeln nur einen Bruchteil der zur Verfügung stehenden Begriffserklärungen wider. Die Problematik einer adäquaten Inhaltswiedergabe resultiert aus den Gegebenheiten der Realität, die uns das sprachliche Phänomen in meist heterogenen Formen präsentiert. Eine noch heute von vielen Spracherwerbsforschern geteilte Meinung wird in Baker (1998) thematisiert, dessen theoretischer Ansatz sich auf den Grad des Bilinguismus eines Individuums stützt. Er schlägt ein linguistisches Kontinuum vor, welches die vier genannten klassischen, <?page no="24"?> 24 sprachlichen Fähigkeiten ( reading, listening, speaking and writing ) von einer minimalen bis zu einer maximalen Kompetenz der beiden Sprachen markiert. Nach Baker (1998: 470) soll die Vorstellung eines Kontinuums erlauben, die unterschiedlichen Phänomene, die mit dem Bilinguismus einhergehen, aufzuzeigen. Die Idee, dass es sich beim Bilinguismus um ein graduelles Konzept handeln könnte, treffen wir jedoch schon in Mackey (1962) an, der nicht nur den Grad, sondern auch die Funktion, die Alternation und Interferenz zu den wesentlichen Charakteristika des Bilinguismus erhebt: We shall therefore consider bilingualism as the alternate use of two or more languages by the same individual. […] Bilingualism is a behavioural pattern of mutually modifying linguistic practices varying in degree, function, alternation and interference. It is in terms of these four inherent characteristics that bilingualism may be described. (Mackey 1962: 27) Wei ( 2 2007: 3) macht auf die Schwierigkeit der Ermittlung des bilingualen Grades aufmerksam und definiert den Bilinguismus als […] a product of extensive language contact (i.e., contrasts between people who speak different languages). There are many reasons for speakers of different languages to come into contact with one another. Some do so out of their own choosing, whereas others are forced by circumstances. Wei ( 2 2007) bettet das Phänomen des Bilinguismus in einen soziokulturellen Kontext ein und untersucht, unter welchen Gegebenheiten die beiden Sprachen in Berührung kommen und jeweils vom bilingualen Sprecher gebraucht werden. Der Bilinguismus kann folglich gesellschaftlicher oder individueller Natur sein, wobei der Begriff bilingual ein Individuum beschreibt, welches über zwei Sprachen verfügt, in denen es unterschiedliche degrees of proficiency aufweisen kann. Der bilinguale Sprecher macht die Wahl für eine Sprache zuungunsten der anderen von der kommunikativen Situation abhängig, in der er sich gerade befindet. The word ‘bilingual’ […] can, however, also be taken to include the many people in the world who have varying degrees of proficiency in and interchangeably use three, four or even more languages. […] It is important to recognize that a multilingual speaker uses different languages for different purposes and does not typically possess the same level or type of proficiency in each language. (Wei 2 2007: 5) Somit wird nicht nur die Existenz einer graduellen Sprachfertigkeit in den jeweiligen Sprachen in den Vordergrund gestellt, sondern auch interessante Aspekte einer soziolinguistischen Betrachtung und Interpretation des Bilinguismus angesprochen, die in den folgenden Abschnitten kurz erläutert werden. <?page no="25"?> 25 1.2 Bilinguismus und native competence Die bisher geführte Diskussion über die Interpretation des Bilinguismus hat verdeutlicht, dass es sich nicht lediglich um eine sprachliche Kompetenz in einer zweiten Sprache handeln kann, sondern um einen zielsprachlichen, kommunikativ angemessenen Gebrauch beider Sprachen. 7 Zahlreiche Studien haben sich mit der Schwierigkeit der Ermittlung der sprachlichen Kompetenz eines nativen und der eines bilingualen Sprechers auseinandergesetzt. Die Komplexität ergibt sich aus der individuellen Variation der monolingualen Sprecher, die es uns erschwert, den durchschnittlichen nativen Sprecher zu definieren. Taeschner (1983) schlägt vor, sich von der sprachlichen Kompetenz eines nativen Sprechers zu distanzieren und sich der Idee einer graduellen Sprachfähigkeit in der einen oder anderen Sprache zu nähern: In defining what a bilingual is, it is best not to make too many requirements as, for example, nativelike competence. Nor should one use such adjectives like ‘true’ or ‘false’ to describe bilinguals. What one must certainly do is to recognize the gradual nature of any person’s ability to express himself in one, two, or more languages. Like the monolingual, who may be good or not at understanding and speaking his own language, the bilingual may be quite good in one language and only fair in the second, fair in both, or excellent in both. (Taeschner 1983: 5) Das Konzept der native-like competence ist jedoch nicht gänzlich abzulehnen, da es auf empirischer Ebene den Vergleich zwischen monolingualen und bilingualen Sprechern erlaubt. Ein weiterer Gesichtspunkt ist die bereits erwähnte Möglichkeit, über die ein bilingualer Sprecher verfügt, beliebig zwischen der einen und der anderen Sprache zu entscheiden. Häufig macht der Sprecher seine Wahl von seinem Gesprächspartner oder dem gegebenen Kontext abhängig. 8 In 7 Nach Weinreich (1966: 1) stellt der Bilinguismus „ the practice of alternately using two languages “ dar. 8 Dies ist häufig der Fall, wenn es sich um einen monolingualen Gesprächspartner handelt. Der bilinguale Sprecher versucht, eine Situation der Gleichstellung aufzubauen, indem er die Sprache des Gesprächspartners verwendet. Grosjean (1982: 128f.) untersucht in seiner Studie den Grad der Aktivierung der beiden Sprachen in einer potenziell mehrsprachigen Gesprächssituation unter Berücksichtigung des Gesprächspartners. Im monolingualen Fall wird die zweite Sprache des bilingualen Sprechers deaktiviert und das Gespräch verfällt in einen monolingualen Modus. Handelt es sich jedoch um bilinguale Sprecher, werden beide Sprachen aktiviert und Sprachmischungen treten auf, die für einen bilingual mode sprechen. Es kommt zum Phänomen des Sprachenwechsels, welches in der linguistischen Literatur auch als code-switching bezeichnet wird. <?page no="26"?> 26 einigen Fällen kann sich die sprachliche Präferenz auch aus persönlichen Gründen ergeben, die den Sprecher dazu verleiten, die Sprache zu wählen, die ihm vertrauter erscheint. Sind bei der Entscheidungsfindung Minderheitensprachen involviert, kann festgestellt werden, dass der bilinguale Sprecher in familiären und informellen Kontexten eher diese und in anderen kommunikativen Situationen die Sprache mit einem höheren sozialen Prestige verwendet. 9 Kielhöfer und Jonekeit (1985) betonen das Ausmaß der bilingualen Sprachfähigkeit, die fast immer in einer der beiden Sprachen stärker ausgeprägt ist als in der anderen: Dabei muß festgehalten werden, dass das objektive Ausmaß der jeweiligen Sprachbeherrschung in den verschiedenen Fertigkeiten und Fähigkeiten (Sprechen, Verstehen, Schreiben, Lesen) sehr unterschiedlich sein kann. Nur selten kommt es vor, dass beide Sprachen in allen Bereichen gleich stark ausgeprägt sind. Fast immer existiert ein Ungleichgewicht zwischen den Sprachen: Eine dominiert die andere. (Kielhöfer und Jonekeit 1985: 11) Hier wird auf die wichtige Dichotomie des ausgeglichenen 10 und dominanten Bilinguismus angespielt, die von Romaine (1989) und Baker (1998) aufgegriffen und thematisiert wird. Man spricht von ausgeglichenem Bilinguismus, wenn ein Sprecher seine beiden Sprachen in ähnlichem Maße beherrscht, während es sich um einen dominanten Bilinguismus handelt, wenn der Sprecher über einen höheren Kompetenzgrad in einer der beiden Sprachen verfügt und er bevorzugten Gebrauch seiner stärkeren Sprache macht. Ähnliches ist auch bei bilingual aufwachsenden Kindern zu beobachten, die in den unterschiedlichen Entwicklungsphasen des Spracherwerbs ihre stärkere Sprache zuungunsten der schwächeren verwenden. 11 Kielhöfer und Jonekeit (1985) weisen auf die Schwierigkeit 9 Dieses Phänomen ist vorwiegend Gegenstand der soziolinguistischen Untersuchung des Bilinguismus, die die Entscheidungsfreiheit des Sprechers im kommunikativen Kontext beobachtet. In diesem Zusammenhang sind die einflussreichen Arbeiten von Fishman (1978) und Poplack (1980) anzuführen. 10 In einigen Studien wird der bilinguale Sprecher auch als ein Individuum verstanden, welches seine beiden Erstsprachen auf allen linguistischen Beschreibungsebenen symmetrisch und in Form einer Union zweier Monolinguismen entwickelt. Halliday et al. (1968) und Baetens-Beardsmore (1982) definieren diese Art von Bilinguismus als ambilingualism oder equilingualism . 11 In einigen Fällen verweigern mehrsprachige Kinder den Gebrauch einer Sprache, um ausschließlich die andere zu verwenden. Bei der Sprache, die das Kind aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr spricht, muss es sich nicht immer um die schwächere Sprache handeln (vgl. Müller et al. 2006). <?page no="27"?> 27 hin, eine perfekte Äquivalenz zwischen den beiden Sprachen anzutreffen, da mindestens in einer der sprachlichen Fertigkeiten Unterschiede anzunehmen sind. Studien, die diese Unterschiede im Gebrauch der beiden Erstsprachen erfassen, stehen lediglich Performanzdaten zur Verfügung, die keine direkten Rückschlüsse auf die sprachliche Kompetenz des bilingualen Sprechers erlauben. Die Mehrsprachigkeitsforschung der letzten Jahrzehnte hat die Rolle der Sprachdominanz und die Dichotomie des ausgeglichenen und dominanten Bilinguismus diskutiert. In den folgenden Kapiteln werden diese Zusammenhänge im Hinblick auf das Auftreten von Spracheneinfluss und das Übertragen von sprachlichen Analysen aus der einen Sprache in die andere erörtert (vgl. Meisel 1989, Genesee et al. 1995, Müller et al. 2002, Bernardini und Schlyter 2004, um nur einige wenige zu nennen). Das Konzept des balancierten und des dominanten Bilinguismus stellt einen zentralen Gegenstand der vorliegenden Studie dar, da in der einschlägigen Literatur aus dem unbalancierten Bilinguismus und der Existenz von Spracheneinfluss eine einseitige Implikation abgeleitet wird. Demnach sind alle sprachlich unausgeglichenen Kinder von Spracheneinfluss betroffen. Jedoch wird anhand der empirischen Untersuchung diese Implikation widerlegt und angenommen, dass auch sprachlich ausgeglichene Kinder in bestimmten grammatischen Bereichen, speziell im Subjekterwerb, einflussanfällig sind. Die bisherigen Ausführungen haben die Problematik einer adäquaten Definition des Terminus Bilinguismus herausgestellt und den Grad der bilingualen Sprachfähigkeit ( proficiency ) thematisiert. 12 In der einschlägigen Literatur werden im Rahmen der theoretischen Erfassung der bilingualen Sprachkompetenz minimalistische (vgl. Diebold 1961, MacNamara 1967, Döpke 1992, Edward 2004) und maximalistische Ansätze (Bloomfield 1933, Marouzeau 1969, Kielhöfer und Jonekeit 1983, Taeschner 1983, Baker 1998, Wei 2007) verfolgt. Für die empirische Untersuchung der bilingualen Kinderdaten scheint jedoch die von Wei (2007) vorgeschlagene Definition des bilingualen Sprechers den Ansprüchen der vorliegenden Arbeit gerecht zu werden. Diese Beschreibung des Terminus ist nicht nur vornehmlich linguistischer Natur, sondern berücksichtigt soziale sowie psychologische Aspekte und liefert eine kritische Stellungnahme bezüglich der in der Bilinguismusforschung aufgeworfenen Fragen. Im Hinblick auf die Sprachkompetenz des bilingualen Sprechers macht Wei (2007) auf den individuellen Grad an proficiency aufmerksam, der sich auf unterschiedlichste Weise im bilingualen Sprecher manifestieren kann. Im Rahmen der vorliegenden Studie werden bilingual aufwachsende Kinder 12 Für einen Überblick über die Definitionen vgl. Bialystok (2001). <?page no="28"?> 28 im Mittelpunkt der empirischen Analyse stehen, die ihre beiden Erstsprachen nicht sukzessiv, sondern von Geburt an simultan erwerben. Die Ermittlung eines Balanciertheitsgrads der bilingualen Kinder wird Aufschluss darüber geben, inwieweit es sich bei den untersuchten Individuen um sprachlich ausgeglichene oder sprachlich unausgeglichene Kinder handelt (vgl. Kapitel 5). Jedoch wird unabhängig vom ermittelten Balanciertheitsgrad im Falle einer sprachlichen Präferenz zugunsten einer der beiden Sprachen bewusst davon abgesehnen, von einer ersten bzw. zweiten Sprache zu sprechen. Vielmehr werden die Termini „schwächere“ bzw. „stärkere“ Sprache verwendet werden, um den Unterschied in der sprachlichen Entwicklung der koexistierenden Systeme darzulegen. Im Falle einer sukzessiv eintretenden Mehrsprachigkeit ist die Einteilung in eine erste bzw. zweite Sprache durchaus berechtigt. 1.3 Bilinguismus, Bilingualität und Diglossie Im vorangegangen Abschnitt ist gezeigt worden, wie der Bilinguismus als individuelles Phänomen verstanden und dem Individuum als sprachliche Eigenschaft zugeschrieben werden kann. Der Bilinguismus beschränkt sich jedoch nicht ausschließlich auf den Sprecher, sondern kann als sprachliche Gegebenheit in mehrsprachigen Ländern, wie beispielsweise in der Schweiz oder Luxemburg, angetroffen werden. Länder, in denen Minderheitensprachen und Sprachen immigrierter Menschen existieren und gesprochen werden, liefern Beispiele für einen gesellschaftlichen Bilinguismus. An dieser Stelle sollen nur die wichtigsten Aspekte des Bilinguismus unter gesellschaftlichem Gesichtspunkt angeführt und nicht exhaustiv diskutiert werden, da das Hauptaugenmerk dieser Studie auf dem individuellen Bilinguismus liegt. 13 Hamers und Blanc (1989) führen den Begriff der Bilingualität ein und grenzen diesen vom Bilinguismus ab, da sie unter Bilingualität den individuellen und unter Bilinguismus den gesellschaftlichen Bilinguismus 13 Um den gesellschaftlichen Bilinguismus in all seinen Facetten erfassen zu können, müssen alle psychologischen, psycho- und soziolinguistischen Faktoren in die Analyse des linguistischen Konzepts des Bilinguismus einbezogen werden. Der gesellschaftliche Bilinguismus wird an dieser Stelle nur erwähnt, ist jedoch für die vorliegende Arbeit nicht relevant, da alle untersuchten bilingualen Kinder in einer monolingualen Umgebung aufwachsen. Eine Bereicherung für die Mehrsprachigkeitsforschung bestünde sicherlich darin, ein grammatisches Phänomen nicht nur im Rahmen einer monolingualen, sondern auch in einer mehrsprachigen Gesellschaft zu untersuchen und die Forschungsergebnisse unter Berücksichtigung einer extralinguistischen Variablen, bspw. der Umgebungssprache, zu vergleichen. <?page no="29"?> 29 verstehen. Romaine (1989) greift das Konzept der Bilingualität auf und erklärt das Zusammenspiel zwischen individuellem und gesellschaftlichem Bilinguismus: The connection between individual and social bilingualism also becomes evident when we consider some of the reasons why certain individuals are or become bilingual. Usually the more powerful groups in any society are able to force their language upon the less powerful. (Romaine 1989: 23) Außerdem weisen Hamers und Blanc (1989) darauf hin, dass es aufgrund des borrowing und der jeweiligen Interferenzphänomene nicht möglich ist, den Bilinguismus als rein gesellschaftliches oder rein individuelles Phänomen zu beschreiben. Skutnabb-Kangas (1984) hat sich mit den unterschiedlichen Umständen beschäftigt, unter welchen Kinder bilingual aufwachesen können und unterscheidet dabei zwischen elite bilinguals , children from bilingual families , children from linguistic majorities und children from linguistic minorities . Bei der Analyse der soziolinguistischen Komposition mehrsprachiger Länder hat Ferguson (1966) festgestellt, dass die gleiche Sprache verschiedene Rollen und Funktionen in unterschiedlichen Ländern übernehmen kann. In seinen Untersuchungen berücksichtigt er die dialektale Diversität eines Landes und den individuellen Bilinguismus, wobei sich auch die Frage nach dem Unterschied zwischen einem Dialekt und einer Sprache stellt. An dieser Stelle setzt die interessante Diskussion über den Status eines sprachlichen Systems ein, die in der Vergangenheit nicht zuletzt am Beispiel des Haiti-Kreols und des Katalanischen geführt worden ist. Although linguists recognize that from a linguistic point of view there is sufficient systematic coherence, autonomy and distinctive history in varieties such as Haitian creole and Catalan to justify calling them languages, other would call them dialects of French and Spanish respectively. (Romaine1989: 28) 14 In diesem Zusammenhang sollte ein weiterer Begriff erwähnt werden, nämlich der der Diglossie. Ferguson (1972: 237) führt ihn bei der soziolinguistischen Analyse des Bilinguismus ein und erklärt ihn so, dass mindestens zwei Varietäten einer Sprache unterschiedliche Funktionen in einer kommunikativen Situation übernehmen können. Ferguson geht bei den Varietäten von einer Einteilung in eine high variety und eine low variety aus, da die funktionale Spezifizierung der Varietäten in H (high) und L (low) und die damit verbundene Prestigedifferenz typische Merkmale der 14 Mittlerweile ist das Katalanische zur Amtssprache Kataloniens erhoben worden. <?page no="30"?> 30 Diglossie darstellen. 15 Seine Ansicht, dass die unterschiedlichen Varietäten in funktionaler Distribution zueinander stehen, ist mehrmals kritisiert worden, da bezweifelt wurde, dass der Sprecher die jeweiligen kommunikativen Situationen oder Domänen bewusst mit einer bestimmten Varietät assoziiert. Dennoch wird sein Konzept der Diglossie bei der soziolinguistischen Betrachtung eines Sprachraumes aufgrund seiner außerordentlichen Bedeutung stets zitiert und berücksichtigt. Nach einer kurzen Einführung in die soziolinguistische Perspektive des Bilinguismus sei noch erwähnt, dass im Allgemeinen der Terminus Bilinguismus verwendet und mit den jeweiligen Adjektiven individuell und gesellschaftlich spezifiziert wird. 1.4 Kindlicher Bilinguismus Da noch nicht geklärt worden ist, wie ein Individuum überhaupt bilingual wird oder mehrsprachig aufwachsen kann, wird diese Überlegung im vorliegenden Teil nachgeholt, bevor der kindliche Bilinguismus vorgestellt wird. An dieser Stelle sollte zunächst erwähnt werden, dass eine Vielzahl unterschiedlichster Faktoren zum bilingualen Spracherwerb beitragen können. Aus diesem Grund werden drei denkbare Situationen dargestellt, in denen sich der bilinguale Spracherwerb vollziehen kann. Das Individuum kann sich von Geburt an in einem zweisprachigen Raum befinden, in dem mehrere Sprachen in Kontakt zueinander treten. Sprechen beide Elternteile unterschiedliche Sprachen, die nicht mit der Sprache der Gesellschaft übereinstimmen, kann das Kind sogar mit einer dritten Sprache aufwachsen. Ein Individuum kann auch bilingual oder mehrsprachig aufwachsen, wenn es in einem Land lebt, in dem mehrere Landessprachen existieren. 16 In einem zweiten Fall kann das Individuum mehrsprachig werden, wenn es in der Schule mit anderen Sprachen konfrontiert wird. Das Individuum wird nicht von Geburt an, sondern sukzessiv in einem gesteuerten Prozess eine weitere Sprache erwerben. 15 Das Konzept der Diglossie ist an der soziolinguistischen Situation Griechenlands, des arabischen Sprachraums und des Lateinischen von Ferguson verdeutlicht worden. 16 In der Schweiz ist dies beispielsweise der Fall. In Frankreich regelt die französische Verfassung (1995, Art. 2) den Gebrauch einer Nationalsprache: „La langue de la République est le Français“. <?page no="31"?> 31 Schließlich kann ein Individuum in fortgeschrittenem Alter eine zweite Sprache erwerben, wenn es sich für einen bestimmten Zeitraum im Ausland aufhält. Hier ist jedoch die Motivation des Sprechers, die Sprache des Landes zu lernen, ausschlaggebend. Bei hoher Lernbereitschaft, bedingt bspw. durch eine gewollte Integration in die Gesellschaft, können höhere Lernerfolge erzielt werden. Wird sich jedoch der Sprecher nur für kurze Zeit in diesem Land aufhalten, sind geringes Interesse für das Erlernen der Sprache und das Verfügen über Basiskenntnisse denkbar. Das soeben beschriebene Szenario spiegelt den traditionellen Zweitspracherwerb im Kindes- oder Erwachsenenalter wider, der nicht von sprachlichen, sondern vor allem von außersprachlichen Faktoren abhängig ist. Nach Oksaar (2003) spielen das Alter, die Sprachbegabung, die Motivation und sozio-psychologische Faktoren eine wesentliche Rolle im Zweitspracherwerb. Das Alter ist im Hinblick auf das Phänomen der Fossilisierung für das Erwerben einer Zweitsprache ausschlaggebend. An dieser Stelle sollte lediglich auf die Existenz außersprachlicher Faktoren des Zweitspracherwerbs aufmerksam gemacht werden, welche nicht weiter fokussiert werden, da in diesem Abschnitt der simultane Erstspracherwerb vordergründig behandelt werden soll. Während es im dritten Fall zur Bilingualität im Erwachsenenalter kommt, handelt es sich in den ersten beiden um Kinder, die in einer bilingualen Umgebung mehrsprachig aufwachsen und einen natürlichen Erwerb der beiden Sprachen durchlaufen. Im ersten Fall muss sich der erwachsene Sprecher mit seiner Situation auseinandersetzen und die Umgebungssprachen erlernen, um kommunikative Bedürfnisse befriedigen zu können. Krashen (1982: 65) unterscheidet zwischen acquisition , um sprachliches Bewusstsein auszuschließen, und learning , womit der häufig durch Unterricht gesteuerte Erwerb einer Sprache gemeint ist. In der vorliegenden Arbeit wird es um Bilinguismus im Sinne von acquisition gehen, da die sprachliche Entwicklung von Kindern, die von Geburt an bilingual aufwachsen, untersucht wird. Darüber hinaus zeichnen sich die in diesem Zusammenhang herangezogenen bilingualen Kinder über two mothertongues bzw. einen bilingualism as first language aus (vgl. Swain 1972). Eine weitere Dichotomie im Zusammenhang mit der Bestimmung des Bilinguismus, neben der des natürlichen und gesteuerten Erwerbs, ist die der simultanen und sukzessiven Mehrsprachigkeit. Der simultane Erwerb mehrerer Muttersprachen grenzt sich insofern von der sukzessiven Form ab, als sich letztere eher in frühen Grundschuljahren mit dem Erwerb einer ersten Fremdsprache manifestiert. An dieser Stelle sei De Houwers (1990: 3) Definition von Bilinguismus erwähnt, die erst dann von einem bilingualen Individuum spricht, wenn beide Sprachen simultan und nicht sukzessiv erworben werden und das Kind von Geburt an mit einem <?page no="32"?> 32 zweisprachigen Input versorgt wird. Diese Kinder wachsen mit mehreren Muttersprachen auf und durchlaufen den Prozess des simultanen, bilingualen Erstspracherwerbs. In der Mehrsprachigkeitsforschung sind jedoch nicht nur die externen Faktoren, die zur Bilingualität eines Individuums beitragen können, analysiert worden, sondern auch linguistische und psychologische Fragestellungen behandelt worden, die die sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten der bilingualen Sprecher erfassen. In diesem Zusammenhang sind folgende Fragen für eine umfangreiche Untersuchung des bilingualen Sprechers für äußerst bedeutend erachtet worden: Inwieweit unterscheidet sich der bilinguale Sprecher von einer monolingualen Person im Hinblick auf kognitive Fähigkeiten? Kann sich der simultane Erwerb und Gebrauch zweier Sprachen negativ auf die kognitive Entwicklung einer bilingualen Person auswirken? Kann der Bilinguismus aus psychologischer Sicht die Identitätsfindung einer mehrsprachigen Person erschweren? Inwieweit interagieren die koexistierenden Sprachsysteme untereinander? Wie werden die simultan erworbenen Sprachen mental abgebildet? Macht der bilinguale Sprecher von zwei getrennten Sprachsystemen oder von einem fusionierten System Gebrauch? Diese Fragestellungen heben die Interaktion zwischen linguistischen und psychologischen Aspekten hervor und liefern für eine adäquate Interpretation der kindlichen Daten überzeugende Evidenz dafür, dass die sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten berücksichtigt werden müssen. Die empirische Untersuchung erfolgt nicht nur aus einer linguistischen Perspektive, sondern verfolgt auch das Ziel, die aus der Theorie abgeleiteten Hypothesen zu bestätigen bzw. zu falsifizieren. Bialystok (2001) macht auf das Zusammenspiel zwischen der linguistischen Analyse und der Berücksichtigung der kognitiven und psychologischen Entwicklung aufmerksam. Bilingualism also carries a psychological dimension that can itself profoundly affect the children. The language we speak is instrumental in forming our identity, and being required to speak a language that is not completely natural may interfere with the child’s construction of self. (Bialystok 2001: 7) Aus dieser kognitiven und psycholinguistischen Sicht des individuellen Bilinguismus sind zahlreiche Forschungsbeiträge entstanden, die zunächst die negativen Effekte und erst in aktuelleren Studien positive Auswirkungen der Bilingualität erforscht haben (vgl. u.a. Jespersen 1922, Darcy 1953, Peal und Lambert 1962, Weinreich 1970, Cummins und Gulutsan 1974, Ausubel et al. 1980). Im Folgenden werden einige wenige Studien zitiert, die die kognitive Entwicklung des bilingualen Sprechers <?page no="33"?> 33 sowohl aus einer negativen als auch einer positiven Sicht darstellen. 17 Bereits in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts sind erste Beobachtungen zum bilingualen Erstspracherwerb dokumentiert worden, die für eine verzögerte Sprachentwicklung im bilingualen Individuum argumentieren. Diese Verzögerung manifestiert sich anhand eines Defizits im Rahmen der verbalen Intelligenz und ist der Bilingualität geschuldet. First of all the child in question hardly learns either of the two languages as perfectly as he would have done if he had limited himself to one. It may seem on the surface, as if he talked just like a native, but he does not really command the fine points of the language. […]. Secondly, the brain effort required to master the two languages instead of one certainly diminishes the child’s power of learning other things which might and ought to be learned. (Jespersen 1922: 148) Diese Beurteilung des individuellen Bilinguismus impliziert aufwendige Verarbeitungsprozesse des sprachspezifischen Materials im Sinne des processing load und eine oberflächige Kompetenz der koexistierenden Sprachen. Demnach muss der bilinguale Sprecher verglichen mit einem monolingualen Individuum einen größeren Arbeitsaufwand betreiben, da ihm nicht eine, sondern zwei Sprachen zur Verfügung stehen, die zielsprachlich verarbeitet werden sollen. Nach Jespersen (1992) stellt der Monolinguismus den Normalfall dar, während der Bilinguismus als ein doppelter Monolinguismus mit komplexen Verarbeitungsmechanismen interpretiert wird. 18 Die verzögerte Sprachentwicklung, die vornehmlich die lexikalische Entwicklung des bilingualen Kindes betrifft, wird von Ausubel et al. (1980: 78) ebenfalls auf die Bilingualität zurückgeführt. Bilingualism is a retarding factor in language development. [...]. Much of this language retardation reflects a loss of vocabulary in the first language that is not fully compensated for by a corresponding gain in the second language acquisition [...] Bilingual children possess below average vocabularies in both languages and even their combined vocabulary is ge- 17 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass nicht alle zu diesem Bereich existierenden Studien aufgeführt werden, sondern lediglich eine Auswahl einiger aussagekräftiger Zitate, die den Gegenstand der negativen und positiven Effekte der Bilingualität darstellen. Einen Überblick über die negative Auslegung des Bilinguismus liefert Baker (1998). 18 Diese Auslegung des processing load wird in der vorliegenden Arbeit diskutiert und dergestalt modifiziert, dass der Bilinguismus nicht einen doppelten Monolinguismus darstellt, sondern bestimmte Mechanismen verfolgt, die vom monolingualen Gebrauch differieren können. <?page no="34"?> 34 nerally inferior to the vocabulary of their monolingual counterparts. (Ausubel et al. 1980: 78) Während die Bilinguismusforschung verstärkt negative Effekte der kindlichen Mehrsprachigkeit aufgezeigt hat, hat sich im Laufe der Forschung gezeigt, dass bilinguale Kinder von ihrer Bilingualität profitieren können. Diese positiven Effekte der kindlichen Mehrsprachigkeit sind vornehmlich auf die Kompetenz zurückgeführt worden, zwei Sprachen simultan gebrauchen zu können. Daraus resultiert eine größere, mentale Flexibilität des bilingualen Individuums, die im Rahmen neurolinguistischer Untersuchungen bestätigt worden ist (vgl. Paradis 2004, Guasti 2007). Im Hinblick auf die Fragestellung nach einer erschwerten Identitätsfindung des bilingualen Sprechers zeigt die unten stehende Sequenz die metasprachliche Fähigkeit eines bilingual aufwachsenden Kindes, zwischen einer „mütterlichen“ und einer „väterlichen“ Sprache unterscheiden zu können: (1.1) Thomas (7; 4,5) 19 : Pavel spricht sehr gut Deutsch. Vater: Ja, und auch sehr gut Tschechisch. Das ist seine Muttersprache. Thomas: Ja, ich weiß. Vater: Was ist deine Muttersprache? Thomas: Deutsch. Nein, Englisch ist meine Muttersprache. Deutsch ist meine Vatersprache. (Saunders 1982: 138) Bilingual aufwachsende Kinder unterscheiden nicht zwischen einer ersten und einer zweiten Sprache, sondern assoziieren ihre Sprachen mit den jeweiligen Gesprächspartnern, die sie mit dem sprachspezifischen Input versorgen. Dieses Beispiel geht nicht nur auf die kognitiven Fähigkeiten des Kindes ein, sondern greift auch das Konzept der Muttersprache auf. Für das bilingual aufwachsende Kind konnotiert der Terminus „Muttersprache“ nicht diejenige Sprache, die monolinguale Kinder von Geburt an erwerben, sondern die Sprache der Mutter. Da der bilinguale Junge seine beiden Sprachen nicht als seine Muttersprachen identifiziert, ist dieses Sprachverhalten Auslöser und Motivation zahlreicher Studien gewesen, sich auf die negativen Auswirkungen des Bilinguismus zu konzentrieren. Diese Beobachtung geht auch mit der Fragestellung nach der mentalen 19 Die Altersangaben erfolgen in Jahren; Monaten,Tagen. <?page no="35"?> 35 Repräsentation 20 des sprachspezifischen Inputs im bilingualen Individuum einher. Das Hauptaugenmerk der aktuellen Mehrsprachigkeitsforschung liegt auf der empirischen Untersuchung der Organisation des sprachlichen Wissens im bilingualen Individuum. Diese Studien untersuchen verstärkt aus einer generativistischen Perspektive die Beeinflussung der koexistierenden Sprachsysteme und gehen der Frage nach, inwieweit die beiden Sprachen auf ein fusioniertes oder getrenntes Sprachsystem zurückgehen. 21 Inwieweit jedoch ein Kind mehrsprachig aufwachsen kann, hängt sowohl von außersprachlichen Faktoren als auch von der sprachlichen Situation der Familie, der Gesellschaft sowie den linguistischen Beziehungen zwischen diesen beiden sozialen Institutionen ab. Kielhöfer und Jonekeit (1983: 15) machen auf den Faktor der Umgebung aufmerksam und liefern eine positive Auslegung der kindlichen Bilingualität 22 . Kinder lernen in ihrer natürlichen Umgebung beide Sprache ‘von alleine’ […]. Um auf natürliche Weise zweisprachig zu werden, sind jedoch einige wenige Prinzipien zu beachten: die funktionale Sprachtrennung, emotionale und sprachliche Zuwendung, positive Spracheinstellung sind die wichtigsten. (Kielhöfer und Jonekeit 1983: 15) Nach Romaine (1989: 183ff.) existieren sechs unterschiedliche Sprecherziehungsmethoden, die zur kindlichen Mehrsprachigkeit führen und die die Eltern in Abhängigkeit ihrer sprachlichen und familiären Situation wählen (vgl. auch Müller et al. 2006). Romaine beschreibt sechs unterschiedliche Szenarien, die sich unter Einschluss der elterlichen Muttersprachen und des Einflusses der Umgebungssprache aus den einzelnen Methoden ergeben. Daraus leitet die Forscherin sechs Formen der kindlichen Bilingualität ab, die im Folgenden kurz vorgestellt und beschrieben werden. 20 Bezüglich der mentalen Repräsentation differenziert Weinreich (1970) zwischen dem koordinierten, dem subkoordinierten und dem zusammengesetzten Bilinguismus. Diese Einteilung geschieht auf semantischer Basis, während Chomsky (1965: 3) im Rahmen des generativen Grammatikmodels eine syntaktische Analyse des grammatischen Wissens des bilingualen Individuums vorstellt und von einer idealen Situation ausgeht. 21 Die Diskussion zur Sprachentrennung und zum Spracheneinfluss wird in Kapitel 2 aufgegriffen und tiefgründig erörtert. 22 Der Begriff der Bilingualität geht auf Hamers und Blanc (1989: 6) zurück und wird definiert als „the psychological state of an individual who has access to more than one linguistic code as means of social communication; the degree of access will vary along a number of dimensions which are psychological, cognitive, psycholinguistic, social, sociological, sociolinguistic, sociocultural, and linguistic“. <?page no="36"?> 36 Der erste Typ von Bilingualität zeichnet sich über die Methode eine Person - eine Sprache aus. In diesem Fall sprechen beide Elternteile unterschiedliche Muttersprachen, wobei eine von ihnen auch die Umgebungssprache ist. Da beide Eltern ihre jeweiligen Muttersprachen mit ihrem Kind verwenden, erwirbt das Kind beide Sprachen von Geburt an simultan. In der Mehrsprachigkeitsforschung scheint diese die meist angewandte und untersuchte Methode zu sein. Auch die Familien der in dieser Arbeit analysierten Kinder haben diese Form der Bilingualität gewählt, um einen bilingualen Erstspracherwerb ihrer Kinder zu gewährleisten. 23 Romaine (1989: 184) bezeichnet eine zweite Methode, die ebenfalls zur kindlichen Bilingualität führt, Nicht-Umgebungssprache zu Hause / eine Sprache - eine Umgebung . Ähnlich wie im ersten Fall beherrschen beide Elternteile unterschiedliche Muttersprachen, wobei eine mit der Umgebungssprache übereinstimmt. Die Eltern wählen für die Kommunikation mit ihrem Kind die Nicht-Umgebungssprache, mit welcher das Kind nur im familiären Rahmen in Kontakt kommt. Über die Gesellschaft und einen Elternteil erwirbt das Kind die Umgebungssprache. 24 Im Rahmen der dritten Sprecherziehungsmethode lernt das Kind die eine Sprache zu Hause durch seine monolingualen Eltern und die andere Sprache, die Umgebungssprache, wenn es auf Individuen aus der Gesellschaft trifft. Diese Form der kindlichen Bilingualität eine Sprache zu Hause - eine aus der Umgebung ist hauptsächlich bei immigrierten Familien zu beobachten, die mit ihren Kindern ihre Muttersprache sprechen. Die Umgebungssprache wird erst später, also sukzessiv, erworben. 25 Beim vierten Typ der Bilingualität zwei Sprachen zu Hause - eine aus der Umgebung scheint sich ein komplexeres sprachliches Bild abzuzeichnen, da das Kind nicht mit zwei, sondern mit drei Sprachen konfrontiert wird. Beide Elternteile verfügen über unterschiedliche Muttersprachen, die sie mit ihrem Kind im familiären Kontext sprechen. Das Kind erwirbt über 23 An dieser Stelle seien auch die empirischen Arbeiten von Ronjat (1913), Leopold (1939-1949) und Taeschner (1983) erwähnt, die nach dieser Methode den bilingualen Spracherwerb ihrer Kinder erforscht haben. Die in der vorliegenden Arbeit untersuchten bilingualen Longitudinalstudien gehen ebenfalls auf diese Methode zurück. 24 Nach dieser Methode sind bilingual aufwachsende Kinder in den Studien von Pavlovitch (1920) und Fantini (1985) untersucht worden. 25 Die Arbeiten von Haugen (1953) und Oksaar (1970) konzentrieren sich auf diese Form der Bilingualität. <?page no="37"?> 37 die Gesellschaft die Umgebungssprache und wächst nicht als bilinguales, sondern als trilinguales Individuum auf. 26 Die fünfte Form der kindlichen Bilingualität schildert eine eher monolinguale Situation, in der das Kind über einen monolingualen Elternteil die Nicht-Umgebungssprache erwirbt. In diesem Fall entscheidet sich dieser Elternteil dafür, mit seinem Kind die Sprache zu sprechen, die er in der Schule oder während eines längeren Auslandsaufenthalts gelernt hat. Ausreichende Kenntnisse in dieser Sprache seitens des Elternteils sind Voraussetzung für das Gelingen dieser Methode. Laut Romaine (1989: 185) handelt es sich hierbei um nicht-muttersprachliche Eltern und um einen künstlich geschaffenen Bilinguismus. 27 Die letzte und somit sechste Variante der Bilingualität nach Romaine (1989), gemischte Sprachen , ergibt sich aus einer bilingualen Situation mit bilingualen Eltern in einer mehrsprachigen Umgebung, die während der Kommunikation mit ihrem Kind mehrere Sprachen verwenden. Die Anzahl der Sprachen, mit denen das Kind in Kontakt kommen kann, ist in diesem Fall nicht eindeutig definierbar. Wächst ein Kind in einer mehrsprachigen Familie und Gesellschaft auf, ist der Erwerb von mindestens vier Sprachen denkbar. Jedoch muss das Kind mit genügend Input versorgt werden, damit der Mechanismus des Spracherwerbs aktiviert werden kann. Inwieweit ein Individuum mehrsprachig aufwächst, ist in Anbetracht dieser Sprecherziehungsmethode weniger von seiner angeborenen Sprachfähigkeit, sondern eher von der Quantität und Qualität des sprachspezifischen Inputs abhängig. 28 Die von Romaine (1989) vorgestellten Formen des Bilinguismus bzw. der Mehrsprachigkeit haben die Relation zwischen dem sprachlichen Input einerseits und der sprachlichen Konstellation der Familie sowie der Umgebung andererseits herausgestellt. Die Beschreibung der sechs unterschiedlichen Sprecherziehungsmethoden spiegelt die Dichotomie des 26 Im Hinblick auf diese Methode können die Forschungsarbeiten von Elwert (1959) und Hoffman (1985) zitiert werden. 27 Nach dieser Methode haben Saunders (1982) und Döpke (1992) die kindliche Mehrsprachigkeit untersucht. Diese Form der Bilingualität spiegelt jedoch eine künstlich geschaffene mehrsprachige Situation wider, da ein Elternteil in Interaktion mit seinem Kind eine Sprache verwendet, die nicht seine Muttersprache ist. Die Frage nach einer erfolgreichen bilingualen Erziehung ist von Saunders (1982) im Hinblick auf diese Methode und der sprachlichen Entwicklung seines deutsch-englischen Sohnes positiv beantwortet worden. 28 Nach Chomsky (1965) wird unter Zugrundelegung einer angeborenen Sprachfähigkeit der Spracherwerbsprozess über den Input in Gang gesetzt. Diese Form der Mehrsprachigkeit ist in den Arbeiten von Tabouret-Keller (1962) und Ellul (1978) erforscht worden. <?page no="38"?> 38 simultanen und des sukzessiven Bilinguismus 29 wider. Diese Distinktion zwischen simultanem und sukzessivem Erwerb zweier Erstsprachen stellt die Modalität des Erwerbs in den Vordergrund und weniger das Resultat der bilingualen Erziehung. Dieser Einteilung folgend ergibt sich aus der zweiten und dritten Form der Bilingualität ein sukzessiver Erwerb der beiden Erstsprachen. Die erste , fünfte und sechste Form hingegen sind auf die linguistische Situation der simultanen Zweisprachigkeit zurückzuführen. Eine intermediäre Position nimmt die vierte Form der zweisprachigen Erziehung ein, die sowohl einen simultanen als auch einen sukzessiven Erwerb der involvierten Zielsprachen suggeriert. Der Erwerb der jeweiligen Muttersprachen der Eltern schildert eine Situation der Simultanität, während der erst später eintretende Erwerb der Umgebungssprache für sukzessiv erachtet wird und zur Trilingualität des Kindes beiträgt. Darüber hinaus sind in der Literatur die fünfte und sechste Methode der kindlichen Mehrsprachigkeit im Hinblick auf die bilinguale Erziehung des Kindes als nicht zufriedenstellend eingestuft worden, da die Bilingualität nicht auf natürlichem Wege, sondern künstlich geschaffen wird. Ein weiterer Kritikpunkt liegt in der Vermischung der sprachlichen Zielsysteme, die insbesondere bei der sechsten Sprecherziehungsmethode auftritt. Zur ersten, dritten und vierten Methode der bilingualen Erziehung existiert aufgrund der hohen Anzahl an linguistischen und extralinguistischen Faktoren nur eine sehr eingeschränkte Anzahl an Forschungsarbeiten. Die Problematik dieser Typen der Bilingualität besteht darin, dass sie sich je nach sprachlicher Situation entweder einem monolingualen Erwerb oder dem Zweitspracherwerb annähern. Der jedoch meist untersuchte Fall des bilingualen Erstspracherwerbs stellt die erste Methode nach dem Prinzip eine Person eine Sprache dar. Zahlreiche Studien haben die Effizienz dieser Strategie bezüglich einer erfolgreichen bilingualen Erziehung mehrsprachig aufwachsender Kinder wissenschaftlich bestätigen können. Der vorteilhafte Effekt dieser Form der kindlichen Bilingualität hängt mit der elterlichen Sprachentrennung und der geringen Anzahl an Interferenzen zusammen. Der Sprachenwechsel ist in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts als ein Indiz für eine verzögerte Sprachentwicklung interpretiert worden. 30 In der vorliegenden Studie werden Äuße- 29 Nach MacLaughlin (1978) kann von einer simultanen Zweisprachigkeit ausgegangen werden, wenn das bilingual aufwachsende Kind von Geburt an und bis zum dritten Lebensjahr zwei Sprachen ausgesetzt ist. Der Erwerb einer zweiten Sprache ab dem dritten Lebensjahr wird demnach als sukzessive Mehrsprachigkeit verstanden. 30 Diese Ansicht wird in Kapitel 2 im Rahmen der Diskussion zur Sprachentrennung und zum Spracheneinfluss näher erläutert. <?page no="39"?> 39 rungen bilingualer Kinder analysiert, die ebenfalls nach dem Prinzip eine Person eine Sprache aufgewachsen sind (vgl. Romaine 1989). 31 Im folgenden Abschnitt werden einige einflussreiche Arbeiten vorgestellt, die diese Form der Bilingualität und somit den simultanen Erwerb zweier Erstsprachen erforscht haben. Die Präsentation dieser Forschungsbeiträge resultiert nicht nur aus einer methodischen Kompatibilität, sondern auch aus der Relevanz der hervorgebrachten Forschungsergebnisse. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind Mehrsprachigkeitsforscher der Fragestellung nachgegangen, inwieweit die kindliche Bilingualität die sprachliche und kognitive Entwicklung eines mehrsprachigen Kindes in Form einer Verzögerung (oder einer Beschleunigung) beeinflussen kann. 1.5 Studien zum kindlichen Bilinguismus In diesem Abschnitt sollen einige Studien vorgestellt werden, die sich mit der kindlichen Mehrsprachigkeit beschäftigen und die Bilinguismusforschung mit ihren Ergebnissen bereichert haben. Zu den ersten Forschern gehören Ronjat (1913) 32 und Leopold (1939-49) 33 , die den simultanen Erwerb zweier Sprachen dokumentiert und beschrieben haben. In beiden Fällen handelt es sich um Longitudinalstudien, die sich auf Ronjats Sohn Louis und Leopolds Tochter Hildegard konzentrieren. Louis ist von Geburt an zwei Sprachen ausgesetzt, dem Französischen, Muttersprache des Vaters, und dem Deutschen, Muttersprache der Mutter. Wie Louis wächst Hildegard bilingual auf, die das Deutsche über ihren Vater und das Englische über ihre Mutter erwirbt. Ronjat (1913) macht auf die strikte Sprachentrennung seitens der Eltern für eine erfolgreiche bilinguale Erziehung der mehrsprachigen Kinder aufmerksam. You must simply speak to him, when there is something to be said, in one of the two languages that you want him to learn. But there is a key factor, and that is that each language must be represented by a different person. (Ronjat 1913: 3) 31 Eine nähere Beschreibung der in der vorliegenden Arbeit untersuchten bilingualen Longitudinalstudien wird in Kapitel 5 erfolgen. 32 Diese Studie stellt den Beginn der bilingualen Spracherwerbsforschung dar und hat die Relevanz der Methode eine Person eine Sprache dergestalt hervorgehoben, dass aufgrund ihrer Effizienz vornehmlich diese Strategie für die bilinguale Erziehung gewählt worden ist. 33 Pavlovitch (1920) hat ebenfalls die sprachliche Entwicklung seines Sohnes dokumentiert und ist zu dem Ergebnis gekommen, das die Sprachmischungen auf das Prinzip eine Person eine Sprache zurückzuführen sind. <?page no="40"?> 40 Beide Studien fokussieren die phonetische, lexikalische und grammatische Entwicklung des Kindes bis zum Vorschulalter und stellen sprachliche Interferenzen heraus. Leopold (1939-49) weist im Hinblick auf den simultanen Erstspracherwerb auf den Einfluss der Umgebungssprache hin. Im Alter von fünf Jahren gehen Hildegards Deutschkenntnisse zurück und das Englische, offizielle Sprache der Gemeinschaft, wird als ihre stärkere Sprache angesehen. Es folgen eine Reihe weiterer Studien, die die sprachliche Entwicklung mehrsprachiger Kinder in unterschiedlichen Sprachkombinationen und auf morphosyntaktischer Ebene untersuchen (vgl. Elwert 1959, Raffler- Engler 1967, Imedadze 1967, Oksaar 1970, Burling 1959 34 ). In diesem Zusammenhang sei auch die viel zitierte Arbeit der Forscherinnen Volterra und Taeschner (1978) erwähnt, die im Hinblick auf den simultanen Erstspracherwerb von einem Drei-Phasen-Modell mit phasenspezifischen Charakteristika ausgehen. In der ersten Phase verfügt das Kind über ein einziges, fusioniertes Lexikon mit Wörtern aus beiden Sprachen. Die zweite Phase zeichnet sich durch die Existenz zweier getrennter Lexika aus und das Kind wendet in beiden Sprachen die gleichen syntaktischen Regeln an. Es vermeidet Sprachmischungen innerhalb eines Satzes und wechselt seine Sprache in Abhängigkeit seines Gesprächpartners. In der letzten Phase hat das Kind bereits zwei getrennte Systeme auf allen linguistischen Beschreibungsebenen erworben und assoziiert seine Sprachen mit bestimmten Kommunikationspartnern. Auch in diesem Fall handelt es sich um eine Longitudinalstudie, die Volterra und Taeschner (1978) 35 an ihren Töchtern Lisa und Giulia durchgeführt haben. In Anlehnung an die bereits zuvor vorgestellten Studien wird auch hier die Methode eine Person - eine Sprache angewandt und die Kinder wachsen bilingual deutsch-italienisch in Italien auf. Der simultane Erwerb der beiden Spra- 34 Die bisher aufgeführten Studien stellen jeweils die bilinguale Sprachfähigkeit der bilingualen Kinder der einzelnen Autoren in den Vordergrund und liefern generalisierende Anmerkungen im Hinblick auf die sprachliche Entwicklung bilingual aufwachsender Kinder und auf das Prinzip eine Person eine Sprache . Der Forscher Tabouret-Keller (1962) kritisiert dieses Vorgehen und vertritt den Standpunkt, dass individuelle Einzelfälle nicht für Generalisierungen herangezogen werden dürfen. Aus diesem Grund führt der Forscher eine Studie mit zwei bilingualen Individuen durch, die sowohl in der Variablen des Alters als auch aus soziologischer Sicht voneinander differieren. Das Ergebnis seiner Studie hat jedoch seine anfängliche Kritik redimensioniert, da seine Analyse die Möglichkeit der Generalisierung nicht ausschließt. 35 Diese Studie wird aufgrund der theoretischen Annahme, bilinguale Kinder verfügten über ein fusioniertes Sprachsystem, in Kapitel 2 erneut aufgegriffen und näher erläutert. <?page no="41"?> 41 chen wird mittels Audioaufnahmen im Abstand von ca. 14 Tagen dokumentiert. Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts ist jedoch die Hypothese eines anfänglich fusionierten Systems maßgeblich durch Meisel (1989) widerlegt worden, der den Standpunkt vertritt, dass das bilinguale Kind bereits von Beginn an über zwei getrennte sprachliche Systeme 36 verfügt. Diese These hat der Forscher durch seine Studien zur Wortstellung bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern belegen können. Unter der Annahme eines getrennten, sprachlichen Systems sind im Rahmen des Hamburger Forschungsprojekts „Frühkindliche Zweisprachigkeit: Deutsch/ Italienisch und Deutsch/ Französisch im Vergleich“ unter der Leitung von Prof. Dr. Natascha Müller von 1999-2005 bilinguale Erwerbsdaten erhoben worden. Im Abstand von ca. 14 Tagen werden Videoaufnahmen von bilingual aufwachsenden Kindern in Interaktion mit ihren Eltern, die jeweils ihre Muttersprache mit ihrem Kind sprechen, angefertigt und für linguistische Analysen transkribiert. Auch in diesem Fall handelt es sich um Longitudinalstudien, die den bilingualen Spracherwerb der Kinder bis zu einem Alter von fünf Jahren nach dem Prinzip eine Person eine Sprache dokumentieren. In der vorliegenden Arbeit sind die in diesem Projekt erhobenen Erwerbsdaten des deutschsprachigen Kindes Chantal und der bilingual deutsch-italienischen Kinder Aurelio, Carlotta, Jan-Philip, Lilli, Luca-Daniele, Lukas und Marta untersucht worden. Die Daten der französisch-italienischen Kinder Juliette und Siria sowie des deutsch-italienischen Jungen Valentin stammen ebenfalls aus einem Forschungsprojekt zur Mehrsprachigkeit, welches von 2005-2008 an der Bergischen Universität Wuppertal unter dem Titel „Die Architektur der frühkindlichen bilingualen Sprachfähigkeit. Italienisch/ Deutsch und Französisch/ Deutsch in Italien, Deutschland und Frankreich im Vergleich“ durchgeführt worden ist. 37 Ein weiteres Forschungsprojekt „Code-Switching bei bilingual aufwachsenden Kindern in Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien: Italienisch-Deutsch, Französisch- Deutsch, Spanisch-Deutsch, Italienisch-Französisch, Italienisch-Spanisch, Französisch-Spanisch“, ebenfalls unter der Leitung von Prof. Dr. Na- 36 Die Theorie der frühen Sprachentrennung ist ebenfalls wesentlicher Bestandteil des zweiten Kapitels. 37 Sowohl das Hamburger als auch die Wuppertaler Mehrsprachigkeitsprojekte sind von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert worden. Weitere Informationen zu den einzelnen Forschungsprojekten können Müller, Kupisch, Schmitz und Cantone (2007), Cantone, Kupisch, Müller und Schmitz (2008), Hauser-Grüdl, Arencibia Guerra, Witzmann, Leray und Müller (2009) sowie Müller, Arnaus Gil, Eichler, Jansen, Patuto und Repetto (in Vorb.) entnommen werden. <?page no="42"?> 42 tascha Müller und seit April 2009 an der Bergischen Universität Wuppertal durchgeführt, hat die empirischen Daten des in Italien aufwachsenden Mädchens Giorgia bereitgestellt. Schließlich sollte die international zugängliche CHILDES Datenbank (Child Language Data Exchange System) erwähnt werden, die Daten vieler internationaler Spracherwerbsprojekte enthält und diese unter einem einheitlichen Transkribierformat, CHAT, zusammenstellt. Die Datenbank geht auf den Linguisten MacWhinney ( 2 1995) zurück. In der vorliegenden Studie sind für das Italienische die monolingualen Kinder Raf- Raffaello, Martina und Rosa, für das Französische die monolingualen Kinder Philippe, Grégoire, Léonard und Max, und schließlich für das Deutsche das monolinguale Kind Cosima der CHILDES Datenbank entnommen und im Hinblick auf den Subjekterwerb untersucht worden. Die synthetische Vorstellung einiger einflussreicher Arbeiten des letzten Jahrhunderts hat die theoretische und methodologische Entwicklung der Mehrsprachigkeitsforschung dargestellt. Das Hauptaugenmerk dieser Studien hat auf dem simultanen Erwerb zweier Erstsprachen nach dem Prinzip eine Person eine Sprache und auf der gegenseitigen Beeinflussung der koexistierenden Zielsprachen in allen grammatischen Bereichen gelegen. In diesem Zusammenhang stehen Erwerbsstrategien und -modalitäten, die das bilinguale Kind für den simultanen Erwerb verwendet, im Mittelpunkt aktuellerer Studien. Daraus ergibt sich die vorläufige Hypothese eines fusionierten Sprachsystems, welche erst in fortgeschritteneren Studien bestritten und durch die Annahme einer frühen Sprachentrennung relativiert wird. Zwar liefern erste Studien wichtige Ergebnisse für die internationale Mehrsprachigkeitsforschung, dennoch sind sie sowohl aus theoretischer als auch aus methodologischer Sicht wenig zufriedenstellend. In vielen Fällen beschränkt sich die sprachliche Entwicklung auf ein einziges Individuum, in nur sehr wenigen Studien werden mehrere Kinder analysiert. Häufig handelt es sich bei den untersuchten Individuen um die Kinder der bereits erwähnten Forscher, die somit den gleichen Haushalt und die gleiche linguistische Konstellation teilen. Der Vergleich dieser Kinderdaten mit anderen stellt sich als äußerst schwierig heraus und die Analyse der Kinderdaten bleibt lediglich als isolierter Fall dokumentiert. Darüber hinaus liegen die kindlichen Äußerungen lediglich in Form von Tagebucheinträgen vor, während aktuelle Studien auf den technischen Fortschritt der Ton- und Videoaufzeichnung zurückgreifen können. Aus theoretischer Sicht ist der bilinguale Erstspracherwerb in seiner Ganzheit deskriptiv behandelt aber weniger interpretiert worden. Die fehlende Interpretation resultiert aus dem vorrangigen Interesse der generellen Beschreibung ohne auf spezifische Aspekte des bilingualen Erwerbsprozesses einzugehen. Dennoch haben diese Studien den Grund- <?page no="43"?> 43 stein der Mehrsprachigkeitsforschung gelegt und interessante Fragestellungen bezüglich der kindlichen Zweisprachigkeit aufgeworfen. Im Laufe der Jahre ist eine systematische Untersuchung der bilingualen Sprachfähigkeit unternommen worden, die sich sowohl theoretisch als auch methodologisch weiterentwickelt hat. 1.5.1 Die Hamburger und Wuppertaler Forschungsprojekte In diesem Abschnitt werden die Hamburger- und Wuppertaler-Studien zur frühkindlichen Mehrsprachigkeit im Hinblick auf die wichtigsten Forschungsabsichten und -ergebnisse dargestellt. Die Notwendigkeit und Berechtigung der Vorstellung dieser Forschungsprojekte ergibt sich nicht nur aus der Bereitstellung der untersuchten monolingualen und bilingualen Datenbasis für den in der vorliegenden Arbeit untersuchten grammatischen Bereich, sondern auch aus der Kompatibilität der im Rahmen der Forschungsprojekte und in der vorliegenden Studie vertretenen theoretischen Ansätze 38 zur bilingualen Sprachfähigkeit. Die in Hamburg und Wuppertal durchgeführten Untersuchungen zum frühkindlichen Bilinguismus sind vornehmlich der Sprachentrennung, dem Spracheneinfluss sowie der Bestimmung des Balanciertheitsgrads im bilingualen Individuum nachgegangen. Langzeit- und Querschnittstudien 39 haben das Ergebnis einer bereits früh einsetzenden Sprachentrennung und eine Korrelation zwischen dem Auftreten von Spracheneinfluss und den sprachspezifischen Beschaffenheiten der jeweiligen Zielsprachen hervorgebraucht. Den theoretischen Rahmen der Forschungsarbeiten bieten die generative Grammatik, das von Chomsky (1995) eingeführte Minimalistische Programm und die von MacSwan (2000) erarbeitete Architektur der bilingualen Sprachfähigkeit. In seinem generativen Sprachmodell geht MacSwan (1999: 146) bei bilingualen Sprechern von zwei sprachspezifischen Lexika und zwei phonologischen Systemen aus. Für das kindliche Sprachenmischen 40 verwirft der Forscher die 38 In Kapitel 4 wird der theoretische Rahmen der vorliegenden Arbeit im Detail präsentiert. 39 Langzeitstudien werden vornehmlich für die Untersuchung der sprachlichen Entwicklung monolingualer und bilingualer Individuen eingesetzt, erlauben jedoch aufgrund des spontanen Kommunikationsmaterials keine Schlussfolgerungen im Hinblick auf den tatsächlichen Erwerb einer bestimmten grammatischen Struktur. Die Absenz eines Phänomens gibt keinen Aufschluss darüber, ob dieses noch nicht erworben oder in der konkreten Gesprächssituation lediglich nicht realisiert worden ist. 40 In der vorliegenden Arbeit wird das von MacSwan (1999) erarbeitete Modell zur bilingualen Sprachfähigkeit für die theoretische Interpretation der empirischen Un- <?page no="44"?> 44 Annahme einer dritten Grammatik, da „nothing constraints code switching apart from the requirements of the mixed grammars“. Demnach wird der Sprachenwechsel als ein grammatisches Konstrukt verstanden, wenn es aus den involvierten Zielgrammatiken abgeleitet werden kann. Diese Auslegung enthält jedoch nicht die Implikation, dass alle gemischtsprachlichen Äußerungen auch grammatisch sind. Aus Ökonomieprinzipien ist der Sprachenwechsel nicht durch eine dritte Grammatik, sondern durch die zugrunde liegenden Grammatiken der respektiven Zielsprachen beschränkt. lexicon (L 1 ) lexicon (L 2 ) select (C HL ) numeration spell out overt component (C HL ) phonology (L 1 ) covert component (C HL ) phonology (L 2 ) PF LF Abb. 1.2: Die Architektur der bilingualen Sprachfähigkeit nach MacSwan (1999) Die sprachspezifischen Komponenten des Modells stellen die getrennten Lexika und die phonologischen Systeme dar, beide Sprachen gehen jedoch auf einen gemeinsamen Derivationsmechanismus zurück (C HL = computational system of human language ). Dieses Verarbeitungssystem (C HL ) ist für die Erzeugung syntaktischer Strukturen in den involvierten Sprachen verantwortlich und mündet in zwei Schnittstellen, in die Phonetischen Form (PF = phonetic form ) einerseits und in die Logische Form (LF = logical form ) andererseits. Der erste Derivationsschritt wird über numeratitersuchung zugrunde gelegt. Auch wenn das Modell primär für die Untersuchung gemischtsprachlicher Äußerungen konzipiert worden ist, können darüber Schnittstellen und somit das Übertragen von sprachlichem Wissen aus der einen Sprache in die andere vorhergesagt werden. <?page no="45"?> 45 on signalisiert und besteht aus einer undefinierten Menge an lexikalischen Einheiten, die für den jeweiligen Ausdruck noch selektiert werden müssen. Über den Vorgang select werden die sprachspezifischen Elemente aus dem mentalen Lexikon in die syntaktische Komponente überführt. Anhand des Zusammenspiels zwischen den Komponenten numeration und select wird die Lexikon-Syntax-Schnittstelle definiert. Die syntaktischen Operationen merge , move und agree erlauben die Produktion größerer grammatischer Einheiten, der Konstituenten. Über spell out vollzieht sich die sprachspezifische Produktion eines grammatischen Ausdrucks bzw. einer Lexemfolge, nachdem er/ sie anhand seiner/ ihrer phonetischen Form aus den restlichen items selektiert worden ist. Letztere verbleiben über covert component (C HL ) auf der interpretierbaren Ebene der Logischen Form. Dieses Modell lässt Vorhersagen über die sprachliche Entwicklung bilingual aufwachsender Kinder zu. Hulk und Müller (2000) sowie Müller und Hulk (2000, 2001) haben im Hinblick auf MacSwans Modell der bilingualen Sprachfähigkeit für solche grammatische Phänomene, die sich an der Schnittstelle zweier grammatischer Module befinden, für Erwerbsschwierigkeiten argumentiert. Aus dieser Überlegung heraus betrachten die Autorinnen den Spracheneinfluss als eine mögliche Manifestationsform der Erwerbsschwierigkeiten von Schnittstellenphänomenen. Die sprachspezifische Analyse des Auftretens von Spracheneinfluss ist, wie bereits angedeutet, eines der wesentlichen Forschungsabsichten der zuvor zitierten Forschungsprojekte. Die ersten Forschungsergebnisse haben die bereits in frühen Entwicklungsstadien existierende Sprachentrennung belegt und sind im Rahmen weiterer Studien bestätigt worden (vgl. Meisel 1994, Tracy 1995, Gawlitzek-Maiwald und Tracy 1996, Hulk 1997, Hulk und Müller 2000, Tracy und Gawlitzek-Maiwald 2000, Meisel 2001, Müller und Hulk 2001, Müller et al. 2002). In diesem Zusammenhang ist die von Grosjean (1982) und Taeschner (1983) angenommene Hypothese der Korrelation zwischen der Sprachdominanz und dem Sprachenmischen falsifiziert worden. Vielmehr sind für das Auftreten von Spracheneinfluss die sprachspezifischen Beschaffenheiten eines grammatischen Phänomens verantwortlich. Darüber hinaus ist der bilinguale Spracherwerb mit dem monolingualen verglichen und anhand von Elizitationstests im morphosyntaktischen Bereich evaluiert worden. Die untersuchten deutsch-italienischen und deutsch-französischen Kinder haben sich im Hinblick auf den Gebrauch von Objektklitika, die Position der klitischen Pronomina se / si , im Bereich der Produktion und des Verständnisses verschiedener Tempora sowie der reflexiven, passiven, medialen und ergativen Morphologie in Form einer verzögerten Sprachentwicklung von den monolingualen Kontrollgruppen <?page no="46"?> 46 unterschieden. Darüber hinaus haben erste Studien im Bereich der Subjektauslassungen die Hypothese bestätigt, dass sich die Sprachentrennung und der Spracheneinfluss nicht gegenseitig ausschließen und dass die Beeinflussung der Sprachsysteme nicht unidirektional, sondern bidirektional verlaufen kann. Für die Bestimmung des Spracheneinflusses sind in Anlehnung an das Minimalistische Programm (vgl. Chomsky 1995) Kriterien formuliert worden, die das Auftreten von Spracheneinfluss über die Komplexität ( computational complexity ) einer grammatischen Struktur definieren (vgl. Hulk und Müller 2000, Jakubowicz 2000). Aus dem Wuppertaler Forschungsprojekt sind einige empirische Studien zur Stellung des Adjektivs und der Kopulaauslassungen im deutschitalienischen Individuum hervorgegangen, die im Sinne der Spracheneinflusskriterien keine Beeinflussung identifizieren konnten (vgl. Repetto 2006, 2008, Witzmann und Müller 2007). Das Hauptaugenmerk dieser fortgeschritteneren Forschungsphase liegt auf der statistischen Bestimmung des Balanciertheitsgrads, der Untersuchung einer möglichen Korrelation zwischen dem Ausmaß von Spracheneinfluss und der Sprachdominanz sowie einer genaueren Evaluierung der Unterschiede zwischen dem monolingualen und bilingualen Erwerb in bestimmten Grammatikbereichen. Darüber hinaus sind die Variable der Umgebungssprache und ihre Relevanz für den bilingualen Erstspracherwerb verstärkt in den Vordergrund empirischer Analysen getreten. Bezüglich der Sprachdominanz haben Müller und Kupisch (2003) auf den Umstand der Sprachpräferenz hingewiesen, welcher nicht auf einen qualitativen, sondern auf einen quantitativen Unterschied im Gebrauch der koexistierenden Sprachen zurückzuführen ist. Die von Arencibia Guerra (2008) durchgeführte Studie zur Sprachdominanz im bilingualen Erstspracherwerb ermittelt anhand statistischer Berechnungen den Balanciertheitsgrad bilingualer Sprecher. Die Forscherin hat für eine objektive Bestimmung des Balanciertheitsgrads unterschiedliche Kriterien zugrunde gelegt und das einflussreiche Ergebnis hervorgebracht, dass alle Kriterien positiv mit dem Kriterium des MLU korrelieren. Daraus schließt die Autorin, dass die MLU-Entwicklung für die Bestimmung des Balanciertheitsgrads ausreichend ist. 41 41 Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Arbeit der Subjekterwerb stets in Abhängigkeit der MLU-Entwicklung abgebildet werden. <?page no="47"?> 47 1.5.2 Der Subjekterwerb im Hamburger und Wuppertaler Forschungsprojekt Im Hinblick auf die empirische Untersuchung des Spracheneinflusses hat der grammatische Bereich des Subjekts bereits in den zuvor zitierten Forschungsprojekten einen zentralen Gegenstand der frühkindlichen Mehrsprachigkeitsforschung dargestellt. Das Forschungsinteresse bezüglich des Subjekterwerbs im bilingualen Individuum geht vornehmlich auf die deutsch-italienische Sprachkombination zurück und ist den syntaktischen Beschaffenheiten der involvierten Zielsprachen geschuldet. Cantone und Schmitz (2001) haben das bilingual deutsch-italienisch aufwachsende Kind Lukas, dessen Sprachdaten auch in der vorliegenden Studie analysiert werden, mit dem monolingual deutschen und italienischen Subjekterwerb verglichen. Die Forscherinnen haben im Rahmen ihrer empirischen Untersuchung den Subjekterwerb zwischen 1; 7,12 und 2; 8,26 Jahren fokussiert, während in der vorliegenden Studie der Subjekterwerb bis zur Vollendung des vierten Lebensjahrs verfolgt wird. 42 Das Deutsche wird als eine topic-drop Sprache bezeichnet, in der in satzinitialer Position die bereits in den Diskurs eingeführte Konstituente ( topic ) ausgelassen werden darf. Die Auslassung des topic ist syntaktisch lizenziert und wird über die Pragmatik der Diskursreferenten identifiziert. In der gesprochenen Sprache betreffen diese Auslassungen nicht nur das Subjekt, sondern auch alle anderen Konstituenten, wie etwa Objekte, Adverbien etc., die für die Interaktionspartner bereits über den Diskurs bekannt sind. Die Argumentauslassung ist jedoch nur auf parataxischer Ebene grammatisch, da in eingebetteten Konstruktionen die Auslassung als nichtwohlgeformt erachtet wird. 43 Das Italienische hingegen wird als pro-drop Sprache klassifiziert, in der nicht kontrastiv gebrauchte Subjekte in Haupt- und Nebensätzen ausgelassen werden. Die Auslassung ist diskurspragmatisch lizenziert und über die reiche Morphologie des Verbparadigmas identifiziert. 44 Aufgrund der syntaktischen Beschaffenheiten des Deutschen und Italienischen wird das deutsch-italienisch aufwachsende Kind mit einer ambigen Analyse für das grammatische Subjekt, topic-drop einerseits und pro-drop andererseits, konfrontiert. Aus dieser strukturellen Ambiguität formulieren die Forscherinnen Cantone und Schmitz (2001) zwei Hypothesen für das Auftreten von Spracheneinfluss 42 Eine Kurzbeschreibung der in der vorliegenden Arbeit analysierten Kinderkorpora wird in Kapitel 5 erfolgen. 43 Eine syntaktische Beschreibung des Deutschen kann Kapitel 4 entnommen werden. 44 Auch für das italienische Zielsystem und die restlichen Zielsprachen wird eine syntaktische Analyse des grammatischen Subjekts in Kapitel 4 geliefert. <?page no="48"?> 48 für den Subjekterwerb im deutsch-italienischen Individuum, die im Folgenden zusammengefasst werden: • Wenn sich der Spracheneinfluss vom Deutschen auf das Italienische auswirkt, sollte im Deutschen des bilingualen Kindes eine höhere Anzahl an ausgelassenen Subjekten nachgewiesen werden können als im monolingual deutschen Subjekterwerb. • Wenn jedoch das Deutsche die romanische Sprache beeinflusst, sollten höhere Realisierungsraten des Subjekts im Italienischen der bilingualen Kinder als der monolingualen angenommen werden. Die Autorinnen haben im Vorfeld der Subjektanalyse die Sprachentwicklung des bilingualen Kindes im Hinblick auf die MLU-Entwicklung und der gebrauchten Verbformen in drei Erwerbsphasen eingeteilt, welche im Folgenden kurz vorgestellt werden. 1. Phase: Der MLU liegt in den ersten zehn Sprachaufnahmen (bis 2; 1,23 Jahren) unter 1,5 Wörtern. Es kann nur eine sehr geringe Anzahl an finiten Verbformen im Deutschen und Italienischen des Kindes nachgewiesen werden. 2. Phase: In dieser Phase, welche von 2; 3,6 bis 2; 6,18 Jahren reicht, liegen die MLU-Werte zwischen 1,5 und 3,0 Wörtern. In beiden Sprachen kann eine Zunahme der verbalen types und tokens beobachtet werden (zwischen 60 und 100). 3. Phase: Die dritte Phase setzt ab einem Alter von 2; 7,15 Jahren ein und die durchschnittliche Äußerungslänge liegt bei über 3,0 Wörtern. In beiden Sprachen sind 100 bis 170 tokens dokumentiert. Anhand der Phaseneinteilung der sprachlichen Entwicklung des deutschitalienischen Jungen Lukas haben die Forscherinnen folgende Ergebnisse im Hinblick auf den Subjekterwerb erhalten: • In der ersten Phase liegen die Subjektauslassungen im Italienischen bei 97% (n 45 = 28), im Deutschen bei 74% (n = 11). • Die zweite Phase zeichnet sich durch 65% (n = 201) Auslassungen im Italienischen und 38% (n = 38) Subjektauslassungen im Deutschen aus: Diese Entwicklung deutet für Cantone und Schmitz (2001) darauf hin, dass Lukas die Nullsubjekteigenschaft des Italienischen erworben und somit den parametrisierten Unterschied der koexistierenden Zielsprachen erfasst hat. Aus diesem Grund 45 Die Abkürzung „n“ steht für die absolute Anzahl der untersuchten Subjektauslassungen. <?page no="49"?> 49 haben die Autorinnen für eine bereits in frühen Entwicklungsphasen einsetzende Sprachentrennung argumentiert. • In der dritten Phase belaufen sich die italienischen Auslassungen auf 54% (n = 246), im Deutschen wird das Subjekt zu 9% (n = 44) ausgelassen. Um die sprachliche Entwicklung des bilingualen Kindes im Hinblick auf den Subjekterwerb evaluieren zu können, haben die Forscherinnen den Subjekterwerb im monolingual deutschen und italienischen Individuum untersucht. Eine Gegenüberstellung der monolingualen und bilingualen Sprachdaten im Deutschen und Italienischen hat als Ergebnis hervorgebracht, dass sich das bilinguale Kind im Deutschen wie die monolinguale Kontrollgruppe verhält. Lukas’ Subjektauslassungen belaufen sich im Deutschen auf 9% in der letzten Phase, im monolingual deutschen Erwerb liegen die dokumentierten Auslassungen bei 8,6%. Ein Unterschied konnte für die Subjektauslassungen im Italienischen der monolingual italienischen Kontrollgruppe und Lukas’ Auslassungen festgestellt werden: Während die monolingualen Kinder das Subjekt zu 64,7% im Italienischen auslassen, erreicht Lukas eine Auslassrate von 54%. Diese Differenz zwischen den monolingualen und bilingualen Auslassraten hat für den Erwerb des Subjekts im bilingualen Individuum darauf hingedeutet, dass der Spracheneinfluss vom Deutschen auf die italienische Sprache agiert. Diesen Zusammenhang gilt es in der vorliegenden Studie für die deutsch-italienische Sprachkombination anhand weiterer bilingual deutsch-italienisch aufwachsender Kinder zu überprüfen. Weitere Studien haben den Erwerb des Subjekts in anderen Sprachkombinationen und die vorläufigen Ergebnisse der bilingualen Untersuchung in diesem grammatischen Bereich reflektiert. Pillunat et al. (2006) haben für die deutsch-französische Sprachkombination keinen Spracheneinfluss feststellen können, da die grammatischen Beschaffenheiten der involvierten Zielsprachen keine Übertragung 46 von sprachlichen Analysen zulassen. Das Bestreben nach einer umfangreichen Klärung des beobachteten Sprachverhaltens im bilingualen Individuum geht vornehmlich auf solche Sprachkombinationen zurück, die die Subjektauslassungen aus unterschiedlichen Gründen zulassen und die Syntax-Pragmatik-Schnittstelle betreffen. Für die deutsch-italienische Sprachkombination ist bereits angedeutet worden, dass in beiden Zielsprachen zwar Subjektauslassun- 46 Die Überlappung von sprachlichen Strukturen ergibt sich aus einer ambigen Analyse der beiden Zielsprachen. Auf der Basis der Übertragung einer sprachspezifischen Eigenschaft aus der einen Sprache in die andere formulieren Hulk und Müller (2000) die Bedingungen für das Auftreten von Spracheneinfluss. <?page no="50"?> 50 gen möglich sind, diese jedoch auf unterschiedlichen Prinzipien basieren: Während im Italienischen das bereits in den Kontext eingeführte Subjekt ausgelassen werden kann, sind im Deutschen lediglich in Topik-Position stehende Subjekte von der Auslassung betroffen. Serratrice, Sorace und Paoli (2004: 201) haben im Rahmen einer englisch-italienischen Studie zeigen können, wie sich der Spracheneinfluss negativ auf die sprachliche Entwicklung im Italienischen der bilingualen Kinder auswirkt. Darüber hinaus haben Müller (2007, 2008) und Schmitz et al. (2011) die von Serratrice et al. (2004) hervorgebrachten Ergebnisse zum Subjekterwerb im bilingualen Individuum überprüft und im Hinblick auf die analysierten Kinderdaten für einen verzögerten Erwerb ( delay ) argumentiert. Die Verzögerung ist dem Spracheneinfluss geschuldet und beruht nach Müller (2007, 2008) und Schmitz et al. (2011) weniger auf Entwicklungsdefizite im pragmatischen Bereich, sondern vielmehr auf den invasiven Charakter der Pragmatik auf die syntaktische Komponente. Somit stellt vor allem für das Italienische die Syntax-Pragmatik-Schnittstelle eine Herausforderung für bilingual aufwachsende Kinder dar. Aktuelle Studien haben für die Untersuchung des Subjekterwerbs vornehmlich die Syntax-Pragmatik-Schnittstelle und das Operieren der Pragmatik auf die Realisierung von syntaktischen Regeln fokussiert. Patuto et al. (2011) haben für deutsch-italienisch und deutsch-spanisch aufwachsende Kinder Spracheneinfluss nachweisen können, während französisch-italienische Kinder im grammatischen Bereichs des Subjekts nicht von Spracheneinfluss betroffen sind (vgl. Patuto 2008). Die Untersuchung unterschiedlicher Sprachkombinationen stellt ein weiteres Bestreben in der Mehrsprachigkeitforschung dar, da der bilinguale Erstspracherwerb nicht nur mit den monolingualen Kontrollgruppen, sondern auch mit unterschiedlichen linguistischen Konstellationen verglichen werden soll. Die vorliegende Studie soll einen Beitrag zur Klärung des Spracheneinflusses im bilingual deutsch-italienischen, deutsch-spanischen und französisch-italienischen Individuum leisten. Hierzu wird eine sprachspezifische, syntaktische Analyse des Subjekts zugrunde gelegt, die für den bilingualen Subjekterwerb im Hinblick auf das Auftreten von Spracheneinfluss Vorhersagen ermöglicht, die in der empirischen Untersuchung bestätigt werden. In diesem Abschnitt sind einige zentrale Forschungsbeiträge der Hamburger und Wuppertaler Forschungsprojekte vorgestellt worden, die erste vorläufige Ergebnisse im Rahmen des Subjekterwerbs im bilingualen Individuum erarbeitet haben. Das folgende Unterkapitel wird einige bekannte Erwerbsstrategien präsentieren, die sich für die Diskussion der in der vorliegenden Arbeit erhobenen Kinderdaten als äußerst relevant erweisen werden. <?page no="51"?> 51 1.6 Spracherwerbstheorien im generativen Grammatikmodell Im Rahmen des generativen Grammatikmodells sind vor dem Hintergrund einer dem Sprache erwerbenden Kind zugänglichen Universalgrammatik und unter dem Gesichtspunkt der Kontinuität 47 einflussreiche Spracherwerbstheorien entstanden, anhand welcher nicht nur der individuelle Entwicklungsverlauf interpretiert werden kann, sondern auch Vorhersagen über die sprachliche Entwicklung formuliert werden können. Die Beobachtung, dass empirisches Sprachmaterial monolingual und bilingual aufwachsender Kinder von der involvierten Erwachsenensprache differieren kann, hat die Notwendigkeit und Relevanz theoretischer Erklärungsansätze für die Divergenz zwischen der Kinder- und Erwachsenengrammatik herausgestellt. In der einschlägigen Literatur haben sich diesbezüglich drei Standpunkte entwickelt, die diesem Phänomen im Wesentlichen Rechnung tragen: die Computational Complexity Hypothesis (vgl. Jakubowicz 2004, 2005), der Truncation Approach (vgl. Rizzi 1994a, 2000) und das Unique Checking Constraint (vgl. Wexler 1994, 1998, 2003). 1.6.1 Computational Complexity Hypothesis Ausgangspunkt dieser Theorie ist der von Bloom (1990) dokumentierte Befund, dass Sprache erwerbende Kinder verglichen mit erwachsenen Sprechern deutlich eingeschränkte Verarbeitungskapazitäten ( processing capacity ) aufweisen, die die Produktion kindlicher Äußerungen beeinflussen und strukturelle Unterschiede zwischen der Kinder- und Erwachsenengrammatik auslösen. Jakubowicz (2004, 2005) greift diese Beobachtung auf und führt anhand empirischer Evidenz das Ergebnis herbei, dass im Laufe der Sprachentwicklung komplexe Strukturen später erworben werden als weniger komplexe. Die Forscherin untersucht vordergründig den Erwerb des Französischen und stellt im Hinblick auf die strukturelle Komplexität 48 eine Skala auf, anhand welcher der Komplexitätsgrad bestimmter französischer Strukturen abgelesen werden kann. Dank dieser Skala können Vorhersagen über den Erwerb - sei er beschleunigt oder verzögert - in Abhängigkeit von dem jeweiligen Komplexitätsgrad des zu analysierenden Phänomens formuliert werden. Unter Komplexität versteht die Autorin die Anzahl der Applikation der syntaktischen Operation 47 Genauere Ausführungen zum theoretischen Konzept der Universalgrammatik und der Kontinuität werden in Kapitel 4 geliefert. 48 Auf den Begriff der Komplexität und dessen Relevanz für die Präsenz/ Absenz von Spracheneinfluss wird in Kapitel 2 tiefgründig eingegangen. <?page no="52"?> 52 merge 49 , d.h. wie häufig Einheiten und wie viele Elemente in einer Derivation bewegt werden müssen. Prinzipiell wird eine Derivation als weniger komplex erachtet, wenn sie möglichst wenige Bewegungsschritte benötigt und insgesamt eine reduzierte Anzahl an bewegten Elementen aufweist. Außerdem stellen sich für das Sprache erwerbende Kind Strukturen mit overten Bewegungen als komplex heraus, während coverte Bewegungen verhältnismäßig problemlos deriviert werden. In der minimalistischen Terminologie verbleibend sind merge und agree - eine Kette bildend - mit weniger Aufwand verbunden, als internal merge und die damit verbundene Kette. Im Hinblick auf internal merge weist Jakubowicz (2005) explizit darauf hin, dass external merge mit geringerem Verarbeitungsaufwand vor oder nach spell out verbunden ist. Auf der Basis ihrer Komplexitätsskala macht die Forscherin richtige Vorhersagen bezüglich des Erwerbsverlaufs bestimmter französischer Strukturen und schließt aus dem kindlichen Sprachmaterial, dass „less complex derivations are input convergent (i. e., correctly spelled out and pronounced at the interfaces) before more complex ones“ (Jakubowicz 2005: 6). 1.6.2 Truncation Approach Einen weiteren Erklärungsansatz bezüglich der Divergenz zwischen Kinder- und Erwachsenengrammatik führt Rizzi (1994a, 2000) zunächst auf der Basis der Maturationshypothese und schließlich eines kompetenzbasierten Modells an. Die Evolution dieses theoretischen Standpunktes setzt mit der Annahme an, dass in der kindlichen Derivation die Komplementierer-Phrase [CP] trunkiert und erst im Laufe der Sprachentwicklung zielsprachlich realisiert wird. Im Wesentlichen verfolgt der Autor die Annahme, dass der [CP]= root -Parameter noch nicht zielsprachlich fixiert ist und somit das Auftreten von vollständigen CPn verhindert wird. Die Struktur ist oberhalb der [TP] trunkiert und löst demzufolge den Wegfall aller höher angesiedelten funktionalen Kategorien und Projektionen aus. Eine weitere Konsequenz die sich unmittelbar aus der Trunkation ergibt, ist die Absenz von wh-Bewegungen und somit von wh-Fragen in infiniten Kontexten. Die theoretische Weiterentwicklung dieser Position liegt darin, dass prinziporientierte, strukturelle Gründe für die Auslassung bzw. obligatorische Realisierung der [CP] geliefert werden. Rizzi (2000: 278) kritisiert Modelle, in denen „performance can directly override competence“ und teilt die Ansicht, dass Sprache erwerbende Kinder für derivationell weniger komplexe Strukturen optieren, um den Verarbei- 49 Die aus dem Minimalistischen Programm entnommene Terminologie wird in Kapitel 4 detailliert beschrieben. <?page no="53"?> 53 tungsaufwand möglichst niedrig zu halten. Die strukturell simplifizierten Derivationen sind mit der Universalgrammatik konform und ebenfalls in der Erwachsenensprache dokumentiert: In diesem Zusammenhang rekurriert Rizzi (2000) auf Nullsubjekte, die nicht nur Gegenstand der Kindersprache, sondern auch der Erwachsenensprache sind. Haegeman (1990, 2000) bestärkt Rizzis Standpunkt insofern, als die Autorin dafür plädiert, dass deutsche Subjektauslassungen in Tagebucheinträgen nur anhand der Trunkations-Hypothese adäquat erfasst werden können. Da die vorliegende Arbeit den Erwerb von Nullsubjekten im Italienischen und Spanischen untersucht, wird sich die Trunkations-Hypothese im Hinblick auf die Interpretation der Erwerbsdaten als äußerst relevant herausstellen. Ihre Relevanz für den in diesem Zusammenhang analysierten grammatischen Bereich liegt darin, dass Rizzi (1994a) die Realisierung von infiniten Verbformen ( root infinitives ) und die Auslassung des Subjekts anhand dieser Theorie, d.h. anhand einer trunkierten [CP], erklärt. Das simultane Auftreten von Nullsubjekten und der Gebrauch von infiniten Verbformen resultieren aus der Möglichkeit, Phrasen zu trunkieren, und verleiten zur Annahme einer Nullkonstanten, die im Gegensatz zu PRO aufgrund der trunktierten [CP] - und somit fehlenden Antezedens-Position - antezedenslos ist. Dem Forscher folgend sind subjektlose Phrasen nicht das Resultat einer nicht-zielsprachlichen Fixierung des Parameters, sondern einer syntaktischen Option, die die Projektion funktionaler Kategorien regelt: der Mechanismus der phrasalen Trunkation. Die Hypothese einer trunkierten [CP] orientiert sich insofern an Jakubowicz (2004, 2005), als Rizzi (2000) die Trunkation als ein Ökonomieprinzip der kindlichen Grammatik auffasst. Aus diesem Grund formuliert Rizzi (2000: 273) zwei Prinzipien, die die Kindergrammatik in frühen Entwicklungsphasen charakterisiert. Structural Economy : Use the minimum of structure consistents with well-formed constraints. Categorial Uniformity : Assume a unique canonical structural realization for a given semantic type. Diese untereinander konkurrierenden Prinzipien implizieren, dass die [CP] bis zum Zeitpunkt des Erwerbs deklarativer Strukturen, die eine [CP] involvieren, in der Kindergrammatik optional ist. Solange die [CP] nicht obligatorisch realisiert werden muss, sind trunkierte Derivationen auf Satzebene möglich und Infinitive können an der Oberfläche erscheinen, wenn die Struktur von der Tense-Phrase, [TP], aufwärts der Trunka- <?page no="54"?> 54 tion unterliegt. Somit kann die leere Kategorie pro in der Spezifizierer- Position der restlichen Struktur gleichzeitig mit infiniten Verbformen erscheinen. Dieser Ansatz verfolgt das Ökonomieprinzip dergestalt, dass das phonologisch leere Element pro in einer Argumentposition erscheint und den sprachlichen Ausdruck einschließlich der [TP] und Agreement- Phrase, [AgrP], deriviert. Das Prinzip der categorial uniformity ist demnach erfüllt, da das erforderte [DP]-Argument durch das nicht overte Element pro in einer tiefen Projektionsschicht unter Ausschluss der [CP] realisiert wird. Coverte Elemente werden prinzipiell als die ökonomische Variante des overten Pendants erachtet, da sie die phonologische Komponente überspringen. Inwieweit dieser Ansatz die empirischen Befunde der vorliegenden Arbeit angemessen beschreiben kann, wird sich in Kapitel 8 im Rahmen der Diskussion über die erbrachten Forschungsergebnisse zeigen. 1.6.3 Unique Checking Constraint Dieser Ansatz versucht die Unterschiede zwischen der kindlichen Grammatik und der Erwachsenensprache auf der Basis der Maturation zu erklären. Damit ist vordergründig gemeint, dass bestimmte Prinzipien der Universalgrammatik zunächst unspezifiziert sind und erst im Laufe des Spracherwerbsprozesses „maturieren“. Mit dieser Überlegung ist unmittelbar die Annahme verbunden, dass sich mit zunehmender Maturation die kindliche Sprache an die Erwachsenengrammatik annähert. So nimmt Wexler (1994) an, dass in frühen Entwicklungsphasen der kindlichen Grammatik Tempus-Phrasen ausgelassen und erst im Laufe des Erwerbsprozesses realisiert werden. In Anlehnung an Rizzi (1994a, 2000) wird auch im Rahmen dieser Theorie die Parallele zwischen ausgelassenem Subjekt und die Präsenz von infiniten Verbformen bestätigt. Wexler (1998) definiert im Sinne von Jakubowicz (2004, 2005) solche Strukturen als derivationell weniger komplex, die keine Tempusbzw. Kongruenz- Phrase aufweisen. Diesbezüglich führt Wexler (1998: 54) eine syntaktische Beschränkung ein, die die kindliche Grammatik vor dem Hintergrund der Ökonomie und Komplexitätsreduzierung erfasst. Unique Checking Constraint : The D-feature (determiner feature) of DP can only check against one functional category. Diese Restriktion klassifiziert die kindlichen Derivationen als weniger komplex als die der jeweiligen Erwachsenensprache, da nach Wexler (1998) die Kategorien Tempus ( tense ) und Kongruenz ( agreement ) ausgelassen werden. Außerdem hat der Ausschluss von Tempus- und Kongru- <?page no="55"?> 55 enzmerkmalen zur Folge, dass infinite Verbformen - konform mit der Ökonomiebedingung - vorhergesagt werden können. Solange dieses Prinzip in der kindlichen Grammatik operativ agiert, sind Nullsubjekte nur in Verbindung mit infiniten Verbformen Gegenstand ökonomischer Derivationen (vgl. u.a. Hamann 2002, 2003, 2006) 50 . Auch dieser Standpunkt beruht auf der Annahme, dass Nullsubjekte und infinite Verbformen in frühen Erwerbsphasen parallel beobachtet werden können, jedoch strukturell als separate Phänomene behandelt werden müssen. Diese Schlussfolgerung kann für die in der vorliegenden Arbeit analysierten Kinderdaten und ihre Interpretation ausschlaggebend sein. Die vorgestellten Erwerbstheorien teilen die gemeinsame Annahme, dass die kindlichen Derivationen strukturell weniger komplex und somit ökonomischer sind als die der Erwachsenensprache. Dennoch können prinzipielle Unterschiede unter den einzelnen Standpunkten herausgestellt werden: Basierend auf dem Ökonomieprinzip sagt Wexler (1998) zwar voraus, dass komplexe Strukturen erst in fortgeschrittenen Entwicklungsstadien erworben werden, schließt jedoch nicht a priori die Realisierung erwachsenensprachlicher Strukturen, z.B. Nullsubjekte, in der kindlichen Grammatik aus. Darüber hinaus scheinen die Meinungen über den Ursprung der ökonomischen Struktur insofern auseinanderzugehen, als Jakubowicz (2004, 2005) diese auf den involvierten Verarbeitungsaufwand ( processing limitations ) zurückführt und Rizzi (1994a, 2000) bzw. Wexler (1998) bestimmte Mechanismen der kindlichen Grammatik für die Derivation ökonomischer Strukturen verantwortlich machen. Wexler definiert eine syntaktische Beschränkung, mittels welcher Sprache erwerbende Kinder weniger komplexe Strukturen realisieren als die Zielgrammatik. In eine ähnliche Richtung bewegt sich ebenfalls Rizzis (1994a, 2000) Ansatz ein, der sich im Wesentlichen an einer aus syntaktischen Prinzipien erwachsenen Ökonomiemaßnahme, der Trunkation der [CP], orientiert. Rizzis Verständnis von Ökonomie spiegelt sich auch im Gebrauch coverter Elemente, d.h. der Nullsubjekte, wider und impliziert, dass im Laufe der Entwicklung die kindlichen Strukturen durch die der Erwachsenensprache ersetzt werden. Schließlich argumentiert Rizzi (2000) dafür, dass die Wahl wenig komplexer Strukturen eine Strategie zur Minimierung des Verarbeitungsaufwands und eine Interaktion zwischen linguistischer Komplexität und Verarbeitungskapazität darstellt. 50 Der Gebrauch finiter Nullsubjekte impliziert bereits den Erwerb zielsprachlicher Strukturen in den jeweiligen Erwachsenensprachen. <?page no="56"?> 56 2 Sprachentrennung und Spracheneinfluss In der einschlägigen Literatur zum bilingualen Erstspracherwerb sind unterschiedliche Positionen im Hinblick auf die Sprachentrennung und den Spracheneinfluss eingenommen worden. 51 Die vorliegende Studie wird eine Analyse von bilingual aufwachsenden Kindern präsentieren, die von Geburt an simultan ihre beiden Muttersprachen erwerben. Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat die Vor- und Nachteile der kindlichen Mehrsprachigkeit diskutiert und ist der Frage nachgegangen, inwieweit die koexistierenden Sprachen getrennt voneinander erworben werden oder sich gegenseitig beeinflussen. Häufig wird die Meinung vertreten, dass der bilinguale, frühkindliche Spracherwerb Verzögerungen unterliegt, die ein vollständiges Erwerben der involvierten Sprachsysteme erschweren. In diesem Zusammenhang wird sogar die Befürchtung ausgesprochen, dass keines der Sprachsysteme so erworben wird, wie es bei monolingual aufwachsenden Kindern beobachtet werden kann (vgl. u.a. Jespersen 1922). Die aktuelle Mehrsprachigkeitsforschung verfolgt jedoch auch ihr Grundanliegen im Rahmen psycho- und neurolinguistischer Untersuchungen, Vorteile der kindlichen Mehrsprachigkeit aufzudecken. Diese Vorteile gegenüber monolingualen Sprechern lassen kognitive und sprachliche Fähigkeiten vermuten, die sich in Form eines beschleunigten Spracherwerbs manifestieren können (vgl. Brysbaert 1998, Kroll und Dijkstra 2002, Bialystok 2001, 2007, 2009, Martin-Rhee und Bialystok 2008, Bialystok und Feng 2009). Ziel der heutigen Mehrsprachigkeitsforschung ist es, nicht nur Nachteile des kindlichen Bilinguismus herauszustellen, sondern auch auf vorteilhafte Effekte des bilingualen Erstspracherwerbs hinzuweisen. Studien der letzten 20 Jahre haben das Phänomen der Sprachentrennung und des Spracheneinflusses anhand von Sprachmischungen in den ersten Lebensjahren bilingual aufwachsender Kinder diskutiert (vgl. Lanza 1992, Köppe und Meisel 1995, Deuchar und Quay 2000). Die Analyse frühkindlicher Sprachmischungen hat zu kontroversen Hypothesen und Diskussionen geführt, aus denen sich angesichts dieser Tatsache unterschiedliche Positionen herauskristallisiert haben. In den folgenden Abschnitten werden die wesentlichen Standpunkte, die in der Mehrsprachigkeitsforschung bezüglich der Spra- 51 Nach Paradis und Genesee (1996) ist unter Spracheneinfluss die systematische Beeinflussung der Grammatik der einen Sprache auf die Grammatik der anderen Sprache zu verstehen. <?page no="57"?> 57 chentrennung und des Spracheneinflusses eingenommen werden, vorgestellt. 2.1 Spracheneinfluss im bilingualen Erstspracherwerb Das zentrale Ergebnis der Mehrsprachigkeitsforschung der letzten Jahrzehnte beruht auf dem Umstand, dass es entweder zu einer frühen Sprachentrennung kommt, die Spracheneinfluss ausschließt (vgl. Genesee 1989, Meisel 1989, Paradis und Genesee 1996), oder dass sich aufgrund mangelnder Sprachentrennung die Sprachsysteme bereits ab den ersten Entwicklungsphasen gegenseitig beeinflussen (Volterra und Taeschner 1978, Vihman 1985). Die Entwicklung der theoretischen Diskussion zur Sprachentrennung setzt mit der Annahme eines zunächst fusionierten Sprachsystems an und wird im Laufe der 80er und 90er Jahre aufgrund einflussreicher Studien zum Spracheneinfluss relativiert (vgl. Gawlitzek- Maiwald und Tracy 1996, Döpke 1992, 1997, 1998). Die binäre Situation des fusionierten Sprachsystems einerseits und des autonomen Erwerbs zweier Sprachen andererseits wird im Laufe der Jahre um einen weiteren Standpunkt erweitert: Hulk und Müller (2000) und Müller und Hulk (2000, 2001) argumentieren zwar für eine frühe Sprachentrennung im bilingualen Erstspracherwerb, schließen jedoch das Auftreten von Spracheneinfluss in bestimmten grammatischen Bereichen nicht aus. Schematisch kann die Evolution 52 der theoretischen Diskussion zur Sprachentrennung und Beeinflussung der Erstsprachen wie folgt abgebildet werden: Frühe 80er Jahre : Spracheneinfluss ohne Sprachentrennung > 80er und frühe 90er Jahre : Sprachentrennung ohne Spracheneinfluss > 90er Jahre und Beginn 21. Jh. : Sprachentrennung mit Spracheneinfluss. Der Begriff des Spracheneinflusses hat in der einschlägigen Literatur keine einheitliche Auslegung erfahren. Paradis und Genesee (1996: 3) gehen bei Spracheneinfluss von einer systematischen Beeinflussung der Grammatik aus und geben in ihren Ausführungen drei unterschiedliche Interpretationen von Spracheneinfluss. Demnach kann sich Spracheneinfluss als transfer (Transfer), acceleration (Beschleunigung) oder delay (Verlangsamung, Verzögerung) manifestieren. Die Forscher lassen in ihren 52 Einen historischen Überblick über die theoretische Diskussion von Spracheneinfluss liefern Tracy und Gawlitzek-Maiwald (2000), Nicoladis (2006: 15-17) und Müller (2009, 2010). <?page no="58"?> 58 Überlegungen den Vergleich zwischen monolingualem und bilingualem Erstspracherwerb zu. Diese Methode eröffnet jedem Forscher die Möglichkeit, das potenzielle Auftreten von Spracheneinfluss nachzuweisen. In der vorliegenden Studie wird der Subjekterwerb im bilingualen Individuum untersucht und mit monolingualen Erwerbsverläufen verglichen. Diese Vorgehensweise ermöglicht die Ermittlung des Spracheneinflusses in den jeweiligen Sprachkombinationen und stellt im Rahmen der grammatischen Erklärung für das Auftreten oder die Absenz von Spracheneinfluss die Relevanz der Sprachkombination in den Vordergrund. Im Fall des Transfers wird grammatisches Wissen systematisch von der einen Sprache auf die andere übertragen. Bei der „beschleunigenden“ Variante des Spracheneinflusses weisen bilinguale Kinder gegenüber monolingualen einen fortgeschritteneren Erwerb in bestimmten sprachlichen Bereichen auf. Schließlich kann sich der Spracheneinfluss als eine Verzögerung im grammatischen Entwicklungsprozess herausstellen, die verursacht, dass bilinguale Kinder erst in späteren Entwicklungsphasen, also verzögert als im monolingualen Spracherwerb, bestimmte grammatische Strukturen erwerben. (a) Transfer ( transfer ): Transfer besteht aus der Eingliederung einer grammatischen Eigenschaft aus der einen Sprache in die andere Sprache, mit anderen Worten geht es hier um eine Übertragung von Eigenschaften. (b) Beschleunigung ( acceleration ): Beschleunigung bedeutet, dass eine Eigenschaft in der Grammatik der betreffenden Sprache früher auftritt, als dies im monolingualen Erwerb die Norm gewesen wäre. (c) Verlangsamung: ( delay ): Die Verlangsamung führt zum Gegenteil von (b), d.h. zu einem späteren Auftreten einer Eigenschaft in der Grammatik, als dies im monolingualen Erwerb die Norm gewesen wäre. (zitiert nach Müller et al. 2006: 112) Wie bereits zu Beginn dieses Kapitels erwähnt hat das Hauptaugenmerk vieler zitierter Studien auf der Suche nach negativen Auswirkungen der bilingualen Sprachfähigkeit gelegen. Häufig ist der Spracheneinfluss aus der Perspektive analysiert worden, dass er die Ursache eines verzögerten Erwerbsverlaufs sei und somit den Spracherwerb negativ beeinflusse. Im Gegensatz dazu haben einige wenige Forschungsarbeiten das Gegenteil belegen können und die positiven Effekte der kindlichen Bilingualität herausgestellt (vgl. u.a. Gawlitzek-Maiwald und Tracy 1996). Die Forscherinnen Gawlitzek-Maiwald und Tracy (1996) haben im Rahmen einer deutsch-englischen Studie festgestellt, dass bilinguale Kinder von ihrer Sprachkontaktsituation profitieren können. Das untersuchte bilingual deutsch-englisch aufwachsende Kind Hannah erwirbt unterschiedlich <?page no="59"?> 59 schnell die beiden Sprachsysteme und mischt in Abhängigkeit der auftretenden Sprachdominanz die zu erwerbenden Sprachen. Die Autorinnen behaupten, dass das lexikalische Material der sich schneller entwickelnden Sprache für das funktionale Skelett der sich langsamer entwickelnden Sprache zur Verfügung gestellt wird. Über die von ihnen definierte bilingual bootstrapping strategy haben Gawlitzek-Maiwald und Tracy (1996) die lexikalische und syntaktische Entlehnung als Hilfsstrategie für die Kompensation von Wissenslücken erkannt 53 : Something that has been acquired in language A fulfils a booster function for language B. In a weaker version, we would expect at least a temporary pooling of resources. (Gawlitzek-Maiwald und Tracy 1996: 903) In der einschlägigen Literatur zum Spracheneinfluss ist stets der Umstand der zeitweise auftretenden Sprachdominanz aufgeführt worden. Nach Romaine ( 2 1995) soll die stärkere Sprache eines bilingualen Individuums dessen schwächere beeinflussen, und zwar dergestalt, dass mehr lexikalisches und syntaktisches Material der stärkeren Sprache in der schwächeren nachgewiesen werden kann. Diese unidirektionale Beeinflussung der schwachen Sprache seitens der dominanten wird von Grosjean (1982) aufgegriffen und diskutiert: There are two reasons for a bilingual child to show dominance in one of the languages. The first, and a relatively minor one, is that certain linguistic structures are harder to internalize and produce in one of the languages. The second is that the child may be exposed to and may need one language more than the other. (Grosjean 1982: 187) Er formuliert zwei Ursachen für die Entstehung von Sprachdominanz: die Menge an Input einerseits und die Komplexität bestimmter sprachlicher Strukturen andererseits. Grosjeans Überlegungen folgend sollte sich Spracheneinfluss nur bei unbalancierten Kindern mit einer unausgeglichenen Menge an Input in beiden Sprachen zeigen. Diese Auffassung von Sprachdominanz leitet sich jedoch aus seiner psycholinguistischen Sicht des bilingualen Erstspracherwerbs ab und knüpft an den Umstand der Abrufbarkeit der koexistierenden Sprachen an. In seinem Modell ist die stärkere Sprache auch diejenige, die für das bilinguale Individuum schneller abgerufen und somit zugänglicher ist als die schwächere Sprache. Die Autorengruppe Müller et al. (2002) konnte jedoch für das soeben beschriebene Szenario den Gegenbeleg erbringen und Spracheneinfluss 53 An dieser Stelle soll lediglich auf die von Gawlitzek-Maiwald und Tracy (1996) durchgeführte Studie hingewiesen werden. Eine ausführliche Darstellung ihrer Forschungsergebnisse wird im nachfolgenden Kapitel zur Sprachdominanz erfolgen. <?page no="60"?> 60 sowohl in unbalancierten als auch in balancierten deutsch-italienisch aufwachsenden Kindern nachweisen. Darüber hinaus konnte Kupisch (2004) empirische Evidenz dafür liefern, dass sich der Spracheneinfluss nicht unidirektional von der stärkeren auf die schwächere Sprache vollzieht, sondern die stärkere Sprache gleichermaßen von der schwächeren beeinflusst werden kann. Daran knüpft die Überlegung an, worin das Auftreten von Spracheneinfluss begründet liegt, wenn sich der zunächst naheliegende Grund der Sprachdominanz als wenig überzeugend herausstellt. Müller und Hulk (2000: 228) haben für die Existenz von Spracheneinfluss zwei Kriterien formuliert, die die außersprachliche Komponente der Sprachdominanz ausklammern und die syntaktische Analyse der involvierten Sprachen in den Vordergrund stellen. Im Folgenden sollen anhand konkreter Beispiele aus der Mehrsprachigkeitsforschung die unterschiedlichen Manifestationen von Spracheneinfluss dargestellt werden. Zunächst werden jedoch die Kriterien für Spracheneinfluss nach Müller und Hulk (2000: 228) und die von Jakubowicz (2000) aufgestellten Komplexitätskriterien erläutert. 2.1.1 Kriterien für Spracheneinfluss Während Romaine ( 2 1995) und Grosjean (1982) das Phänomen des Spracheneinflusses in der zeitweise auftretenden Sprachdominanz begründet sehen, leisten Müller und Hulk (2000: 228) einen Beitrag zur grammatischen Erklärung von Spracheneinfluss. Im Gegensatz zu den bisher aufgeführten Studien zur Sprachdominanz und dem daraus resultierenden Spracheneinfluss versuchen Müller und Hulk (2000), Spracheneinfluss aus den grammatischen Beschreibungen der simultan zu erwerbenden Sprachen abzuleiten. Dabei konzentrieren sich die Autorinnen nicht auf das Sprachsystem als Gesamtheit, sondern suchen in den einzelnen grammatischen Bereichen nach sprachinternen Ursachen für Spracheneinfluss. Darüber hinaus spielt die Sprachkombination eine wesentliche Rolle bei dem Versuch, eventuell auftretenden Spracheneinfluss vorherzusagen (vgl. Müller und Patuto 2009). Diesen Studien liegt die Überlegung zugrunde, dass der Spracheneinfluss Aufschluss über die sprachliche Kompetenz der bilingualen Kinder im untersuchten grammatischen Bereich gibt. Vor diesem Hintergrund wird Spracheneinfluss nicht als ein performanz-, sondern eher als ein kompetenzbedingtes Phänomen interpretiert. Vorhersagen darüber, ob die eine oder die andere Sprache im untersuchten grammatischen Bereich von Spracheneinfluss betroffen ist, hängt von der syntaktischen Beschreibung der Zielsprachen ab. Der grammatischen Analyse der Kinderdaten bezüglich des Spracheneinflusses geht auch der Gedanke voraus, einen einflussanfälligen grammatischen Bereich zu defi- <?page no="61"?> 61 nieren. Auf diesen Grundannahmen beruhend stellen die Forscherinnen zwei Kriterien auf, nach denen Spracheneinfluss auftreten kann. Kommt es zur Überlappung eines bestimmen Phänomenbereichs in beiden Sprachen oder befindet sich das grammatische Phänomen an der Schnittstelle unterschiedlicher linguistischer Beschreibungsebenen, ist das Auftreten von Spracheneinfluss wahrscheinlich. I Cross-linguistic influence occurs at the interface between two modules of grammar, and more particularly at the interface between pragmatics and syntax in the so-called C-domain, since this is an area which has been claimed to create problems in L1 acquisition. II Syntactic cross-linguistic influence occurs only if language A has a syntactic construction which may seem to allow more than one syntactic analysis and, at the same time, language B contains evidence for one of these two possible analyses. In other words, there has to be a certain overlap of the two systems at the surface level. (Müller und Hulk 2000: 228) Inwieweit beide Kriterien für das Auftreten von Spracheneinfluss in einem bestimmten grammatischen Bereich erfüllt sein müssen, wird von den Autorinnen nicht spezifiziert. Vielmehr muss für die jeweilige Analyse definiert werden, welches Kriterium aussagekräftiger erscheint und eine Rangfolge unter den Bedingungen für Spracheneinfluss aufgestellt werden. Für den in diesem Zusammenhang untersuchten Bereich der Subjektauslassungen und -realisierungen im bilingualen Erstspracherwerb ist vor allem die zweite Bedingung von außerordentlicher Relevanz. Diese Schlussfolgerung ergibt sich aus der Tatsache, dass der Subjekterwerb als Schnittstellenphänomen das syntaktische und pragmatische Modul der Grammatik tangiert. Die aufgeführten Kriterien liefern jedoch keine Antwort auf die Frage, welche der beiden Sprachen tatsächlich beeinflusst wird, da die Kriterien nur die Möglichkeit des Auftretens von Spracheneinfluss eröffnen und keinen Aufschluss über dessen Richtung geben. Müller und Hulk (2000) zeigen, dass der Spracheneinfluss bei Sprachmischungen bidirektional von der schwachen in die starke Sprache und umgekehrt verlaufen kann. Aktuelle Studien aus der Mehrsprachigkeitsforschung haben jedoch die Notwendigkeit, die von Müller und Hulk (2000) aufgestellten Kriterien zu überdenken, signalisiert. Müller und Patuto (2009: 317) haben die zweite Bedingung für das Auftreten von Spracheneinfluss dahingehend modifiziert, dass sie nicht nur das potenzielle Auftreten, sondern auch das Fehlen von Spracheneinfluss vorhersagen kann. Die Analyse französisch-italienisch aufwachsender Kinder hat die anfängliche Annahme, im Subjektbereich einflussanfällig zu sein, nicht bestätigt. Die Umformulie- <?page no="62"?> 62 rung der zweiten Bedingung stellt die Oberflächenstruktur der involvierten Sprachen und deren syntaktische Derivation in den Vordergrund. II The surface strings of the two languages A and B are analyzable in terms of the syntactic derivation of one language (which is less complex). (Müller und Patuto 2009: 317) Im Rahmen der Spracherwerbsforschung ist der Fragestellung nachgegangen worden, inwieweit genaue Vorhersagen über das Auftreten oder das Ausbleiben von Spracheneinfluss formuliert werden können. Da nicht immer eindeutig zu bestimmen ist, welche Sprache tatsächlich von Spracheneinfluss betroffen ist, haben Jakubowicz (2000) und die Forschergruppe Müller et al. (2002) Komplexitätskriterien formuliert, die die Richtung des Spracheneinflusses vorhersagen. Der folgende Abschnitt soll die Diskussion über die Bestimmung der Richtung von Spracheneinfluss weiterführen und die Komplexitätskriterien vorstellen. 2.1.2 Komplexitätskriterien Nach Müller et al. (2002) kann die Richtung des Spracheneinflusses unter Einschluss der Verarbeitungskomplexität einer syntaktischen Analyse für einen bestimmten grammatischen Bereich in den jeweils involvierten Sprachen bestimmt werden. Dieser Ansatz geht auf die Annahme zurück, dass das bilingual aufwachsende Kind die weniger komplexe Analyse auf das komplexere Sprachsystem anwendet und diese übergeneralisiert. Demzufolge gehorchen monolinguale und bilinguale Kinder dem Prinzip der Ökonomie, indem sie die weniger komplexe Analyse wählen (vgl. Rizzi 1994, Roeper 1996 und Wexler 1998 bezüglich der Diskussion über Ökonomieprinzipien im Spracherwerb). Jakubowicz (2000: 171) definiert einen Komplexitätsbegriff und stellt Komplexitätskriterien auf, die von Müller at al. (2002) aufgegriffen werden. I The syntactic computation in a given language is less complex when an argument is canonically merged with a predicate (that is, merged in the lexical domain). […] II The syntactic computation is more complex when an argument is non-canonically merged with a functional category (that is merged in the functional domain). […] When an argument is non-canonically projected, its projection is delayed in the course of the computation, and the resulting structure is more complex. (Jakubowicz 2000: 171) Müller et al. (2002) rekurrieren auf Jakubowicz (2000: 171) und geben folgende Definition von struktureller Komplexität: <?page no="63"?> 63 I The syntactic computation in a given language is less complex when a merged functional category must be present in every sentence. […] II The syntactic computation is more complex if a merged functional category is present in some sentences. Such a functional category expresses semantic information and is added to the obligatory functional skeleton. […] In other words, the CCH claims that functional categories can be divided into those that are syntactically necessary and those that are semantically motivated. (Müller at al. 2002: 194) Die Forschergruppe weist darauf hin, dass zukünftige Forschungen die Komplexitätskriterien inhaltlich mit neuen Erkenntnissen bereichern sollten, damit die Direktionalität von Spracheneinfluss zuverlässig bestimmt werden kann. Dennoch können die soeben vorgestellten Kriterien den im Bereich der Wortstellung dokumentierten Spracheneinfluss bei bilingual deutsch-italienischen Kindern erklären (vgl. Müller et al. 2002). Während die bilingualen Kinder keine Erwerbsschwierigkeiten mit der Stellung des finiten Verbs in Hauptsätzen aufweisen, zeigen monolingual deutsche Kinder über einen längeren Zeitraum eine nicht-zielsprachliche Stellung des Verbs auf. Dieses paradoxe Verhältnis seitens der bilingualen und der monolingualen Kinder können die Autorinnen anhand des ersten Kriteriums nach Jakubowicz (2000) auflösen: It is assumed that SVO in German is the result of a merger of two functional categories, COMP and INFL. Thus, the finite verb in German main clauses is moved to that position that is occupied by the complementizer in subordinate clauses, i.e. COMP. Thus, the derivation of SVO in German requires not only purely syntactically motivated functional categories but also COMP, while Italian SVO is derived with purely syntactically motivated functional categories only. (Müller et al. 2002: 194) Aus dieser Beobachtung ergibt sich für die Forscherinnen die Schlussfolgerung, dass das Italienische im Hinblick auf die finite Verbstellung im Hauptsatz weniger komplex ist als das Deutsche. Repetto (2010) hat für die Stellung des finiten Verbs ebenfalls feststellen können, dass sich die bilingualen Kinder bezüglich der Stellung des Verbs zielsprachlicher verhalten als die monolingual deutsche Kontrollgruppe. In einem zweiten grammatischen Bereich, dem der Objektauslassung und -realisierung, können Müller et al. (2002) ebenfalls empirische Evidenz für Spracheneinfluss erbringen. In diesem Fall ist nicht das Deutsche, sondern das Italienische als einflussanfälliges System charakterisiert worden. Die bilingualen Kinder lassen Objekte über einen längeren Zeitraum aus als monolingual aufwachsende Kinder und distanzieren sich somit von der italienischen Zielsprache. Eine plausible Erklärung für diesen Erwerbsverlauf liefern die syntaktischen Eigenschaften der deut- <?page no="64"?> 64 schen und italienischen Objektklitika. Außerdem kann die Direktionalität des Spracheneinflusses anhand des zweiten Komplexitätskriteriums nach Jakubowicz (2000) vorhergesagt werden: Im Gegensatz zu den romanischen Sprachen besitzt das Deutsche keine genuinen Klitika. Das deutsche Zielsystem assoziiert Klitika mit dem Verb innerhalb der lexikalischen Domäne [VP]. Bei den italienischen Klitika geht man jedoch davon aus, dass sie innerhalb der funktionalen Domäne in die syntaktische Struktur eingefügt werden und somit für das nominale Merkmal [N] unterspezifiziert sind. Aufgrund dieser Eigenschaft können Objektklitika im Italienischen nicht eine Position innerhalb der lexikalischen Domäne besetzen (vgl. Müller et al. 2006: 139). Anhand dieser beiden syntaktischen Bereiche, die Verbstellung und die Objektklitika im deutsch-italienischen Erstspracherwerb, ist veranschaulicht worden, dass die grammatische Komplexität die Richtung des Spracheneinflusses bestimmt. Die von Hulk und Müller formulierten Kriterien sollten für das in der vorliegenden Arbeit untersuchte grammatische Phänomen Spracheneinfluss vorhersagen, da der grammatische Bereich des Subjekts an der Schnittstelle zwischen dem syntaktischen und dem pragmatischen Modul liegt. Jakubowicz (2000) und Müller et al. (2002) folgend spielt die Komplexität des grammatischen Phänomens in den jeweils involvierten Sprachen eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung der Einflussrichtung. Erst nach einer syntaktischen Analyse des Subjekts und dessen Position in den relevanten Zielsprachen werden Vorhersagen darüber formuliert, welches Sprachsystem als komplexer einzustufen ist und wie sich dieser Umstand auf die Anfälligkeit für Spracheneinfluss auswirkt. Die Beschreibung der syntaktischen Derivation der in diesem Zusammenhang untersuchten Zielsprachen wird in Kapitel 4 erfolgen. Darüber hinaus wird die Relevanz der Sprachdominanz im bilingualen Erstspracherwerb diskutiert werden. 2.1.3 Formen von Spracheneinfluss Die vorangegangenen Abschnitte haben die Kriterien für das Auftreten von Spracheneinfluss im doppelten Erstspracherwerb vorgestellt. Anhand einer Analyse der syntaktischen Beschaffenheit des grammatischen Phänomens können Vorhersagen über das einflussanfällige Sprachsystem formuliert werden. Die im Hinblick auf Spracheneinfluss aufgestellten Hypothesen gilt es an empirischen Kinderdaten zu überprüfen und gegebenenfalls zu bestätigen oder zu falsifizieren. Im Laufe der theoretischen Diskussion über den untersuchten grammatischen Bereich wird versucht, die Direktionalität und das potenzielle Auftreten von Spracheneinfluss für die jeweiligen Sprachkombinationen zu determinieren. Die nachste- <?page no="65"?> 65 henden Unterkapitel sollen zunächst einen Überblick über die Manifestationsformen von Spracheneinfluss - Transfer, Beschleunigung und Verzögerung - liefern. 2.1.3.1 Transfer Nach Müller et al. (2006: 162) ist Transfer nur in einem einzigen grammatischen Bereich attestiert, nämlich im Rahmen der finiten Verbstellung im deutschen Nebensatz. Die für diesen grammatischen Bereich untersuchten Sprachkombinationen, Deutsch-Italienisch und Deutsch-Französisch, führen zu einem einheitlichen Ergebnis: In beiden Sprachkombinationen konnte Spracheneinfluss nachgewiesen werden, der einen verzögernden Effekt auf den Erwerb der Verb-End-Stellung im deutschen Nebensatz ausgelöst hat. Studien zum monolingualen Erwerb der Endstellung des finiten Verbs im deutschen Nebensatz konnten keine Erwerbsschwierigkeiten in diesem grammatischen Bereich identifizieren (vgl. Mills 1986 und Rothweiler 1994). Zu einer entgegengesetzten Beobachtung kommen die von Fritzenschaft, Gawlitzek-Maiwald, Tracy und Winkler (1990) und Gawlitzek- Maiwald, Tracy und Fritzenschaft (1992) durchgeführten Studien. Die Analyse eines monolingual deutschen Kindes hat über einen Zeitraum von zehn Monaten nicht-zielsprachliche Stellungen des finiten Verbs in deutschen Nebensätzen hervorgebracht. Diese Feststellung konnte dahingehend relativiert werden, dass das Kind mit dialektalem Input (Schwäbisch und Hessisch) konfrontiert gewesen ist, welcher die Endstellung des finiten Verbs in subordinierten Sätzen nicht vorschreibt (vgl. Penner und Bader 1995). Taeschner (1983), Müller (1998) und Müller et al. (2002) haben einen weiteren Beitrag zur Verbstellung im deutschen Nebensatz im Rahmen des bilingualen Erstspracherwerbs geleistet. Die von den Forscherinnen durchgeführten Studien zu bilingual deutsch-italienisch und deutschfranzösisch aufwachsenden Kindern belegen nicht-zielsprachliche Stellungsmuster des finiten Verbs und bestärken die Vermutung, dass die romanische Sprache das Deutsche beeinflusst. Müller et al. (2002) machen jedoch für die Interpretation der deutsch-italienischen Kinderdaten darauf aufmerksam, dass der Grund für den dokumentierten Spracheneinfluss darin liegt, dass in deutschen Strukturen mit subordinierenden Konjunktionen die Verb-Zweit-Stellung ungrammatisch ist. Sowohl die deutsch-italienischen als auch die deutsch-französischen Daten haben ergeben, dass die fehlende Hauptsatz-Nebensatz-Asymmetrie der involvierten romanischen Sprachen für den festgestellten Transfer verantwortlich ist. Die bilingualen Kinder übertragen die syntaktische Analyse der <?page no="66"?> 66 romanischen Haupt- und Nebensätze auf das Deutsche und nehmen somit eine grammatische Eigenschaft der einen Sprache für die andere an. Dadurch, dass es sich in beiden Sprachkombinationen um einen negativen Transfer handelt, verzögert sich der Erwerb der zielsprachlichen Stellung des finiten Verbs im deutschen Nebensatz. 2.1.3.2 Beschleunigung In diesem Unterkapitel werden zwei grammatische Phänomene diskutiert, in denen beschleunigende Effekte der Mehrsprachigkeit festgestellt werden konnten. 54 Die Verbstellung im deutschen Hauptsatz und der Determinantenerwerb bei bilingual deutsch-italienisch und deutschfranzösisch aufwachsenden Kindern haben Anlass zur Vermutung gegeben, dass sich der von den romanischen Sprachen ausgehende Spracheneinfluss positiv auf den Erwerb der bereits erwähnten grammatischen Phänomene im Deutschen auswirken kann. Aus diesen Beobachtungen kann geschlussfolgert werden, dass das bilinguale Kind für den Erwerb des Deutschen von den grammatischen Eigenschaften des Italienischen und Französischen profitiert. Für den Erwerb der Verbstellung im deutschen Hauptsatz hat die Forschergruppe Müller et al. (2002) gezeigt, dass bilingual deutschitalienische Kinder früher zielsprachliche Stellungsmuster erwerben als monolingual deutsch aufwachsende Kinder. Während die monolinguale Studie die Schwierigkeit der deutschen Verb-End-Stellung hervorgehoben hat, bleiben in den bilingualen Kinderdaten derartigen Erwerbsschwierigkeiten 55 aus. Die Forscherinnen haben aus ihren Untersuchungen zur Verbstellung im deutschen Hauptsatz die Schlussfolgerung gezogen, dass bilinguale Kinder die Phase der nicht-zielsprachlichen Verb-End-Stellung überspringen und bereits in frühen Entwicklungsphasen die zielsprachliche Verbstellung im Deutschen erwerben. Repetto (2010) hat dieses Ergebnis für den deutsch-italienischen Spracherwerb bestätigen können und den attestierten beschleunigenden Effekt im Deutschen auf den Umstand der Bilingualität zurückgeführt. Die Forscherin spricht jedoch weniger von acceleration im Sinne von Spracheneinfluss, sondern unterstreicht vielmehr die Tatsache, dass bilinguale Kinder aus ihrer mehrsprachigen 54 Im Allgemeinen stehen die Forschungsergebnisse und die bilingual bootstrapping strategy von Gawlitzek-Maiwald und Tracy (1996: 903) im Mittelpunkt der Mehrsprachigkeitsforschung, die positive Effekte der kindlichen Bilingualität herausgestellt hat. 55 Bereits Clahsen (1982) hat darauf hingewiesen, dass sich der Wortstellungserwerb bei monolingual deutschen Kindern als durchaus problematisch darstellt. <?page no="67"?> 67 Situation heraus Erwerbsstrategien entwickeln und wählen, die im Sinne des processing load erforderlich sind. Diese Strategien resultieren aus der Notwendigkeit, zwei Sprachen simultan abrufen und kontextkonform aktivieren zu können. Für deutsch-französisch aufwachsende Kinder konnte Meisel (1986, 1989) ebenfalls einen positiven Einfluss der romanischen Sprache auf das Deutsche nachweisen. Im Bereich des Determinantenerwerbs konnte, wie bereits erwähnt, ein positiver Einfluss von den romanischen Sprachen auf den Erwerb des Deutschen festgestellt werden. 56 Eine Beschreibung des italienischen, französischen und deutschen Zielsystems stellt die sprachspezifischen Unterschiede auf morphologischer Ebene heraus. Während die deutschen Determinanten die morphologischen Merkmale [ Genus ], [ Numerus ] und [ Kasus ] kodieren, markieren die romanischen Determinanten ausschließlich [ Genus ] und [ Numerus ]. Das Deutsche kann im Hinblick auf die Formvielfalt und die Existenz von Formensynkretismen als das komplexere System klassifiziert und für einflussanfälliger als die romanischen Sprachen erachtet werden. Kupisch (2005b) untersucht den Determinantenerwerb monolingual deutsch, italienisch und französisch aufwachsender Kinder und kommt zu dem Ergebnis, dass die romanischsprachigen Kinder früher mit der Determinantenverwendung beginnen als monolingual deutsche Kinder zum gleichen Untersuchungszeitpunkt. Für den bilingualen Erstspracherwerb lässt sich daraus die Vorhersage formulieren, dass sich die romanischen Sprachen positiv auf den Determinantenerwerb des Deutschen auswirken. Zahlreiche Studien zum bilingualen Determinantenerwerb (vgl. Serratrice 2000, Bernardini 2001, Kupisch 2004, 2005a) haben diese Hypothese bestätigt und gezeigt, das sich der Determinantenerwerb im Deutschen der bilingualen Kinder schneller vollzieht als im monolingualen Individuum. Schließlich wird im folgenden Abschnitt die letzte Erscheinungsform des Spracheneinflusses, die Verzögerung, anhand der Objekt- und Subjektauslassungen im monolingualen und bilingualen Erstspracherwerb diskutiert. 2.1.3.3 Verzögerung Die Analyse bilingual deutsch-italienischer und deutsch-französischer Kinderdaten hat für den grammatischen Bereich der Objekt- und Subjektauslassungen einen sich auf den Erwerbsprozess negativ auswirkenden 56 Die Forschergruppe Lleó et al. (2003) hat für den simultanen Erwerb zweier phonologischer Systeme ebenfalls beschleunigende Effekte aufzeigen können. <?page no="68"?> 68 Spracheneinfluss ermittelt. 57 Die romanischen Sprachen der bilingualen Kinder, in diesem Fall das Italienische und Französische, weisen im Gegensatz zum Deutschen einen verzögerten Erwerbsverlauf auf. Die bisher vorgestellten grammatischen Phänomene haben Spracheneinfluss von den romanischen Sprachen auf das Deutsche dokumentiert. Der Erwerb der Objekt- und Subjektauslassungen liefert hingegen ein Beispiel dafür, dass sich Spracheneinfluss vom Deutschen auf die jeweilige romanische Sprache vollzieht. Unter Einschluss der Komplexitätskriterien und einer Beschreibung der involvierten Zielgrammatiken haben Müller et al. (2002: 196) die Hypothese formuliert, dass das Deutsche aus lexikalischen und syntaktischen Lizenzierungsgründen für Objektauslassungen komplexer ist als die in diesem Zusammenhang fokussierten romanischen Sprachen. Aus dieser Überlegung schließen die Forscherinnen auf die Einflussrichtung und postulieren die Einflussanfälligkeit der romanischen Sprachen für diesen grammatischen Bereich. Anhand monolingualer Studien konnten die Autorinnen ihre Vorhersage für den bilingualen Erwerb dahingehend bestätigen, dass die deutsch-italienischen und deutsch-französischen Kinder über einen längeren Zeitraum nichtzielsprachliche Objektauslassungen verwenden als monolinguale Kinder. Der grammatische Bereich der Subjektauslassungen und -realisierungen ist in den letzten Jahrzehnten stark diskutiert worden und Forschungsgegenstand zahlreicher Arbeiten zum bilingualen Erstspracherwerb gewesen (vgl. u.a. Hyams 1986, 1989, 1992, Valian 1990, Serratrice und Sorace 2003, Serratrice et al. 2004, Schmitz 2007, Schmitz, Patuto und Müller 2011, Patuto 2008, Müller und Patuto 2009). Müller et al. (2002) und Schmitz (2005) haben bilingual deutsch-italienische Kinder untersucht und einen verzögernden Effekt der deutschen Sprache auf das Italienische feststellen können. Im Hinblick auf die von Jakubowicz (2000) formulierten Komplexitätskriterien und unter Berücksichtigung der Kriterien für Spracheneinfluss nach Müller und Hulk (2000: 228) hat die Analyse der bilingualen Kinderdaten die anfänglichen Erwartungen der Autorinnen bestätigt. Die Forschergruppe hat für den Erwerb der Subjektauslassungen und -realisierungen angenommen, dass sich der Spracheneinfluss im Italienischen manifestiert und die bilingualen Kinder eine verzögerte Sprachentwicklung im Italienischen durchlaufen. Der Vergleich mit mo- 57 Da in der vorliegenden Studie die Subjektauslassungen im Vordergrund der empirischen Untersuchung stehen, werden lediglich die zu diesem grammatischen Bereich inhärenten Forschungsergebnisse zitiert. Grandfeldt (2000) und Hulk (2004) haben für den Determinantenerwerb ebenfalls verzögernde Effekte beobachten können. Einen weiteren Bereich, für den ein negativer Effekt im Spracherwerb geschlussfolgert wird, stellt der der Objektklitika dar (vgl. Hulk 1997, 2000). <?page no="69"?> 69 nolingual italienischen Kinderdaten hat ergeben, dass die bilingualen Kinder die Nullsubjekteigenschaft des Italienischen zwar erkennen, aber dennoch zu viele Subjekte overt realisieren. Die Komplexität des italienischen Zielsystems liegt nicht in der syntaktischen Beschreibung des grammatischen Phänomens, sondern in der pragmatischen Lizenzierung der Nullsubjekte. Die pragmatischen Bedingungen für Nullsubjekte stellen die strukturelle Komplexität einer Nullsubjektsprache dar, die sich in den untersuchten Kinderdaten niederschlägt. Im Hinblick auf den Subjekterwerb ist das Deutsche insofern weniger komplex als das Italienische, da die deutsche Subjektposition grundsätzlich besetzt sein muss. Dass das Deutsche die syntaktische Option bietet, Konstituenten in der ersten syntaktischen Position des Hauptsatzes auszulassen, bedeutet nicht, dass die Möglichkeit der Auslassung nur auf Subjekte bezogen ist. Im Deutschen können in Topik-Position Objekte, Subjekte oder aber auch andere Elemente ausgelassen werden, soweit diese über den Diskurs pragmatisch identifiziert sind. Im Italienischen markiert jedoch das Phänomen der Subjektrealisierung einen diskursbedingten Kontrast und die Einführung eines neuen Diskursreferenten. Aus diesem Grund kann das Italienische als das komplexere System angesehen werden, das in bestimmten Sprachkombinationen als einflussanfällig gilt und verzögert zielsprachlich erworben wird. Patuto (2008) hat ein französisch-italienisch aufwachsendes Kind untersucht und keinen Spracheneinfluss für den grammatischen Bereich der Subjektauslassung konstatieren können. Sowohl das Französische als auch das italienische Zielsystem liefern keine Evidenz für ambige Interpretationen des Subjektgebrauchs und geben somit keinen Anlass zur Annahme, dass das Italienische der bilingual französisch-italienischen Kinder einflussanfällig ist (vgl. die Zielsystembeschreibungen in Kapitel 4). In der vorliegenden Arbeit sollen die zentralen Thesen zum Subjekterwerb im französisch-italienischen Individuum aufgegriffen und eine weitere Sprachkombination herangezogen werden. Das Hauptaugenmerk der empirischen Untersuchung wird auf dem Vergleich zwischen dem deutsch-italienischen und dem deutsch-spanischen Subjekterwerb liegen. Im Mittelpunkt der Auswertung der kindlichen Äußerungen werden weniger die Subjektrealisierungen, sondern vielmehr die Subjektauslassungen der bilingualen Kinder stehen. Ziel wird sein, Ähnlichkeiten bzw. Unterschiede des Subjekterwerbs bei bilingual deutsch-italienisch, deutsch-spanisch und französisch-italienisch aufwachsenden Kindern herauszustellen. Angesichts der syntaktischen Eigenschaften der involvierten Zielsysteme wird zugunsten eines Erwerbsunterschieds zwischen den deutsch-italienischen und den deutsch-spanischen Kindern argumen- <?page no="70"?> 70 tiert werden. Eine weitere und bereits attestierte Beobachtung wird sein, dass französisch-italienische Kinder keinen Spracheneinfluss zeigen, während die romanischen Sprachen der deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Kinder einflussanfällig sind. 2.2 Sprachmischungen und Sprachdifferenzierung Wie bereits zu Beginn dieses Kapitels erwähnt sind im Rahmen der frühkindlichen Mehrsprachigkeitsforschung unterschiedliche Positionen angesichts der Sprachentrennung und des Spracheneinflusses eingenommen worden. In der einschlägigen Literatur werden in diesem Zusammenhang die einflussreichen Studien der Forscher Leopold (1970), Volterrra und Taeschner (1978), Vihman (1985) und Redlinger und Park (1980) zitiert, die in den ersten Entwicklungsphasen der kindlichen Zweisprachigkeit für ein fusioniertes Sprachsystem plädieren. Einen wichtigen Beitrag zur Sprachentrennung haben Volterra und Taeschner (1978) mit ihrem Drei-Phasen-Modell erbracht, das den bilingualen Erstspracherwerb in drei Entwicklungsphasen einteilt und untersucht. Die Autorinnen vertreten die Ansicht, dass sich die Sprachentrennung und der Spracheneinfluss gegenseitig ausschließen und sehen ihre These in der Existenz zahlreicher Sprachenwechsel begründet. In den Vordergrund ihrer Studie treten Sprachmischungen, die die Forscherinnen als Evidenz für fehlende Sprachdifferenzierung interpretieren. Sie verfolgen somit die unitary language system hypothesis , die sie in ihren Überlegungen darin bestärkt, in frühen Erwerbsstadien von einem fusionierten Sprachsystem auszugehen. Erst in fortgeschrittenen Entwicklungsphasen verfügt das bilinguale Kind über getrennte Sprachsysteme und kann zwischen seinen beiden Sprachen wählen. Erst wenn das Kind seine Sprachwahl unabhängig von seinem Gesprächspartner trifft, sprechen die Autorinnen von einem bilingualen Individuum. Only at the end of this stage, when the tendency to categorize people in terms of their languages decreases, can one say that a child is truly bilingual. (Volterra und Taeschner 1978: 311) In ihrer Studie untersuchen die Forscherinnen zwei deutsch-italienisch aufwachsende Kinder vom ersten bis zum vierten Lebensjahr und insgesamt über einen Zeitraum von drei Jahren. Hierbei handelt es sich um eine Longitudinalstudie, die die sprachliche Entwicklung der Kinder mittels Audioaufzeichnungen im Abstand von 30 Tagen dokumentiert. Die Kinder wachsen nach der Methode eine Person - eine Sprache mit ihrem italienischsprachigen Vater und ihrer deutschsprachigen Mutter auf. <?page no="71"?> 71 Die Forscherinnen gehen beim bilingualen Erstspracherwerb von drei Phasen aus, die den linguistischen Entwicklungsverlauf der Kinder erfassen sollen. Jede Phase spiegelt die unterschiedlichen Entwicklungsstadien wider und charakterisiert diese. In der ersten Entwicklungsstufe machen Volterra und Taeschner die Beobachtung, dass bilinguale Kinder zunächst über ein fusioniertes, lexikalisches System verfügen. Dieses von den Autorinnen postulierte, fusionierte Lexikon besteht aus Lexemen beider Sprachen, von denen die Kinder in gemischten Kontexten Gebrauch machen. Darüber hinaus geben die analysierten Kinderdaten Anlass zur Annahme, dass in dieser ersten Phase des bilingualen Spracherwerbs noch keine Verfügbarkeit und Anwendung syntaktischer Regeln bestehen. Die zweite Phase ihres Modells zeichnet sich dadurch aus, dass die bilingualen Kinder zwar zwischen zwei sprachspezifischen Lexika unterscheiden, jedoch auf den Gebrauch sprachspezifischer syntaktischer Regeln verzichten. Die von ihnen analysierten Kinderdaten enthalten lexikalische Äquivalente, die die Autorinnen dazu veranlassen, für zwei getrennte Lexika zu plädieren. Die Forscherinnen stellen somit fest, dass sich eine Sprachentrennung zwar im lexikalischen, jedoch nicht im syntaktischen Bereich vollzieht. Anhand der Passivkonstruktion, der Adjektivstellung und der Negation mit nicht und non erhalten die Autorinnen positive Evidenz dafür, dass die untersuchten deutsch-italienischen Kinder nicht ihre beiden Erstsprachen trennen, zumindest nicht in syntaktischer Hinsicht. Diese grammatischen Bereiche stellen nach Einschätzung von Volterra und Taeschner Erwerbsschwierigkeiten dar, die Auslöser eines verzögerten Erwerbs der eben genannten Strukturen sind. Ihre Studie und die daraus gefolgerten Konsequenzen für den bilingualen Spracherwerb sind insofern kritisiert worden, als die von der Zielnorm abweichenden Strukturen auch im monolingualen Erstspracherwerb dokumentiert werden können. So haben Wode (1977) für die Negation und Bernardini (2003) für die Adjektivstellung im Italienischen darauf hingewiesen, dass die im bilingualen Individuum herausgestellten Strukturen nicht durch die Bilingualität, sondern durch die jeweilige Zielgrammatik bedingt sind. Ein weiterer Kritikpunkt liegt darin, dass die Autorinnen über die Absenz von Übersetzungsäquivalenten und somit über negative Evidenz die bilinguale Sprachentwicklung beurteilen. Das Nicht-Auftreten von Äquivalenten muss nicht einer mangelnden Kompetenz geschuldet sein, sondern kann der konkreten Kommunikationssituation, in der das Äquivalent nicht benutzt wird, zugeschrieben werden. Die Existenz eines fusionierten Lexikons ist durch die Arbeiten von De Houwer (1990), Quay (1992,1995), Pearson et al. (1993) sowie Deucher und Quay <?page no="72"?> 72 (1998, 2000) widerlegt worden, die Übersetzungsäquivalente bereits in sehr frühen Entwicklungsphasen dokumentiert haben. In der dritten Phase ihres Modells nehmen die Forscherinnen zwei sprachliche Systeme an, die sich in lexikalischer und syntaktischer Hinsicht unterscheiden. In dieser Phase sinkt zwar die Anzahl der intra- und intersententialen Mischungen, die Autorinnen ermitteln jedoch die Existenz von Interferenzerscheinungen. Im Hinblick auf Interferenzen argumentieren Volterra und Taeschner dafür, dass letztere genau dann vermieden werden können, wenn das Prinzip eine Person - eine Sprache in diesem Entwicklungsstadium eingehalten wird. Die dritte Phase ist auch durch die Beobachtung charakterisiert, dass die bilingualen Kinder die jeweiligen Sprachen mit unterschiedlichen Personen assoziieren. Die Fähigkeit, personenbezogen eine Sprache verwenden zu können, schränkt nach Volterra und Taeschner die Möglichkeit des Sprachenwechsels ein. Erst an diesem Punkt der bilingualen Entwicklung stufen die Forscherinnen ein Individuum als wirklich bilingual ein. Neben Volterra und Taeschner (1978) sind noch zahlreiche Arbeiten entstanden, die von einer fehlenden Sprachentrennung zu Beginn des bilingualen Erstspracherwerbs ausgehen. So sollte auf die von Leopold (1939-1949) durchgeführten Studien aufmerksam gemacht werden, der seine bilingual deutsch-englisch aufwachsende Tochter Hildegard untersucht hat und zu der Schlussfolgerung gekommen ist, dass sie nicht zwischen ihren beiden Sprachsystemen unterscheidet. Auch in seinen Ausführungen sind die zahlreichen Sprachmischungen als Beleg für eine fehlende Sprachdifferenzierung herangezogen worden. Wenige Jahre vor den von Volterra und Taeschner (1978) publizierten Ausführungen zum bilingualen Erstspracherwerb hat Swain (1972) für ein fusioniertes Sprachsystem argumentiert. Die Annahme, dass bilingual aufwachsende Kinder über ein einziges Sprachsystem verfügen, hat Vihman (1985) nur wenige Jahre nach Volterra und Taeschner (1978) erneut betont. Die Untersuchung der Kinderdaten hat ergeben, dass ihr bilingual englischestnisch aufwachsender Sohn bis zu einem Alter von zwei Jahren eine hohe Anzahl an Sprachmischungen aufweist und somit die von Volterra und Taeschner (1978) postulierten Entwicklungsphasen widerspiegelt. Jedoch weist Vihman (1985) auf die Möglichkeit hin, dass das von Volterra und Taeschner aufgestellte Phasenmodell nicht einer stringenten Reihenfolge unterliegt und die zweite Phase nicht zwingend der ersten folgen muss. Vihman (1985) schließt somit eine Sprachentrennung nicht aus, obwohl die ersten Entwicklungsphasen ein noch zunächst fusioniertes Sprachsystem vermuten lassen: <?page no="73"?> 73 We can agree with Lindholm and Padilla (1978: 334) that ‘bilingual’ children are able, from an early age, to differentiate their two linguistic systems, we also see that the bilingual child may develop his own perspective on the use of language mixing well after differentiation has been achieved. (Vihman 1985: 317) Den bisher zitierten Arbeiten ist die Annahme gemein, dass sie in einer ersten Phase des bilingualen Erstspracherwerbs von einem fusionierten System ausgehen, welches erst in fortgeschrittenen Entwicklungsphasen empirische Evidenz für zwei getrennte Sprachsysteme liefert. Darüber hinaus stimmen sie in dem Punkt überein, dass sie einen gemeinsamen Zeitpunkt definieren, zu dem die bilingualen Kinder ihre Sprachmischungen reduzieren und somit die Trennung ihrer Sprachen signalisieren. Gegen Ende des zweiten Lebensjahres nehmen die zahlreich dokumentierten Sprachmischungen ab, die als ausschlaggebender Indikator für eine mangelnde Sprachkompetenz angesehen werden. Die unitary language system hypothesis schlägt sich in folgendem Zitat nieder, das erneut das Sprachenmischen für ein fusioniertes System zu Beginn des Spracherwerbs in den Vordergrund stellt. We find that the child was not really bilingual during the first two years. […] The more real bilingualism develops, the less interference of patterns was observable. (Leopold 1954: 24, 30) Studien, die die Hypothese eines fusionierten Sprachsystems mit zahlreichen Sprachmischungen und einer fehlenden Sprachdifferenzierung kritisiert haben, stellen in der kindlichen Mehrsprachigkeitsforschung eine theoretische Wende dar. Im folgenden Abschnitt werden Vertreter der Hypothese vorgestellt, die von einer Sprachentrennung ohne Spracheneinfluss ausgehen. 2.3 Sprachentrennung ohne Spracheneinfluss Die Forschung der späten 80er und der frühen 90er Jahre ist der Hypothese eines fusionierten Sprachsystems kritisch nachgegangen und konnte Evidenz dafür erbringen, dass bilingual aufwachsende Kinder ihre beiden Sprachen schon in frühen Erwerbsphasen trennen können. Die Spracherwerbsforscher Genesee (1989) und Meisel (1989) haben anhand bilingualer Kinderdaten eine frühe Sprachentrennung ohne Spracheneinfluss im bilingualen Erstspracherwerb belegen können. Young bilingual children are psycholinguistically able to differentiate two languages from the earliest stages of bilingual development and that they can use their two languages in functionally differentiated ways, thereby <?page no="74"?> 74 providing evidence of differentiated underlying language systems. (Genesee 1989: 161) Da sie in ihren Untersuchungen wenig Evidenz für Spracheneinfluss finden, sprechen sie sich zugunsten einer frühen Sprachdifferenzierung aus und kommen zu dem Ergebnis des gegenseitigen Ausschlusses der Sprachentrennung und des Spracheneinflusses. Somit wird die von Volterra und Taeschner (1978) eingenommene Position bezüglich eines fusionierten Sprachsystems in Frage gestellt und unter morphosyntaktischen und lexikalischen Gesichtspunkten versucht, Belege für eine frühe Sprachdifferenzierung zu erbringen. Die von Genesee (1989) und Meisel (1989) vertretene Theorie plädiert für eine frühe Trennung der simultan zu erwerbenden Sprachsysteme sowohl im grammatischen als auch im lexikalischen Bereich. Volterra und Taeschners Standpunkt ist jedoch nicht nur durch die von Genesee und Meisel durchgeführten Studien, sondern auch durch zahlreiche weitere linguistische Arbeiten geschwächt worden. So haben Lindholm und Padilla (1978), Redlinger und Park (1980), De Houwer (1990), Müller (1993), Genesee et al. (1995) sowie Gawlitzek-Maiwald und Tracy (1996) die von Volterra und Taeschner präsentierten Ausführungen als unzureichend erklärt und die Notwendigkeit weiterer Studien demonstriert. Während Volterra und Taeschner die Existenz von Sprachmischungen als grundlegendes Kriterium dafür anführen, dass bilingual aufwachsende Kinder ihre beiden Sprachen nicht voneinander trennen können, stellen Lindholm und Padilla (1978) nahezu das Gegenteil fest. Im Rahmen des Drei-Phasen-Modells der beiden Forscherinnen setzt die kindliche Bilingualität erst zu dem Zeitpunkt ein, zu dem es keine Evidenz für syntaktische und lexikalische Interferenzen gibt. Lindholm und Padilla (1978) argumentieren jedoch dafür, dass Sprachmischungen in frühen Erwerbsphasen nicht auf einen lexikalischen Mangel zurückzuführen sind. Vielmehr sei anzunehmen, dass bilinguale Kinder ihre beiden Sprachen sehr wohl voneinander unterscheiden können, da die Struktur der gemischten Äußerung konsistent bleibt. When these mixes occur, the structural consistency of the utterance is maintained. These findings strengthen our earlier conclusion that bilingual children are able, from an early age, to differentiate their two linguistic systems. (Lindholm und Padilla 1978: 334) Die in der Literatur aufgeführten Kritikpunkte zu der von Volterra und Taeschner präsentierten Studie sind unterschiedlichen Ursprungs. Zum einen wird die geringe Datenbasis bemängelt, auf der die von den Forscherinnen formulierte Hypothese zum fusionierten Sprachsystem beruht. Die beiden Longitudinalstudien der Töchter Lisa und Giulia seien <?page no="75"?> 75 nicht aussagekräftig genug, um allgemein gültige Tendenzen im bilingualen Erstspracherwerb herausstellen zu können. Es stellt sich die Frage der Repräsentativität der untersuchten Kinderdaten, die anhand weiterer Longitudinalstudien überprüft werden müssten. Zum anderen definieren die Autorinnen die Existenz von Sprachmischungen als ausschlaggebendes Kriterium für ein fusioniertes Sprachsystem, auf das sich die durchgeführte Analyse stützt. Genesee (1989) weist jedoch darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen kindlichen und elterlichen Sprachmischungen geben kann. Die Forscherinnen versäumen es, Sprachmischungen im elterlichen Input zu analysieren und bieten somit alternativen Theorien ihre Berechtigung. Wie bereits erwähnt vertreten Meisel (1989) und Genesee (1989) den Standpunkt, dass im simultanen Erstspracherwerb beide Sprachen getrennt voneinander erworben werden. Meisel (1989) geht in seinen Studien dem grammatischen Bereich der Wortstellung und der Verbflexion bei bilingual deutsch-französischen Kindern nach und kann die von Volterra und Taeschner erbrachten Ergebnisse nicht bestätigen. Während die Forscherinnen die untersuchten Sprachmischungen auf lexikalische und grammatische Wissenslücken in der einen oder anderen Sprache zurückführen, sieht Meisel (1989) den Grund für frühe Sprachmischungen in der pragmatischen und soziolinguistischen Inkompetenz des bilingualen Kindes begründet (vgl. auch Köppe 1997). In der Mehrsprachigkeitsforschung herrscht allgemeiner Konsens über das Auftreten von Sprachmischungen im bilingualen Erstspracherwerb, die Gründe für dieses Phänomen sind jedoch divers und diskussionsträchtig. Genesee (1989) weist auf den Erklärungsbedarf hin und fährt fort, dass Sprachmischungen nicht losgelöst vom Kontext analysiert werden sollten: […] the fact that mixing of two languages occurs during bilingual development has been reported and is accepted by all investigators. More questionable are the explanations for it. (Genesee 1989: 165) In der linguistischen Literatur zum systematischen Sprachenwechsel werden Sprachmischungen als Behelfsstrategien interpretiert, die aus der Komplexität der simultan zu erwerbenden Sprachen resultieren. Darüber hinaus wird die Salienz eines Sprachelements in der einen oder anderen Sprache als möglicher Grund für das Auftreten von Sprachmischungen angesehen (vgl. Vihman 1985). Aus dieser Vielzahl an plausiblen Gründen für das Auftreten von gemischten Äußerungen muss die Annahme eines zugrunde liegenden fusionierten Systems relativiert werden. Meisel (1989) schließt sich dieser Argumentation an und widerlegt das Drei- Phasen-Modell von Volterra und Taeschner. Sein Hauptkritikpunkt liegt in der Tatsache begründet, dass die Einteilung der sprachlichen Entwick- <?page no="76"?> 76 lung in drei Phasen unabhängig von qualitativen Kriterien vorgenommen wird und dass bestimmte Entwicklungen nicht eindeutig einer bestimmten Phase zugeordnet werden können. Trotz der von Volterra und Taeschner behaupteten Lexikontrennung können Genesee und Meisel noch Sprachmischungen zu einem Zeitpunkt der Sprachentwicklung beobachten, zu dem in Anlehnung an Volterra und Taeschner (1978) ein fusioniertes Lexikon nicht mehr angenommen wird. Ein weiterer Kritikpunkt, der von Meisel angeführt wird und somit die Hypothese eines fusionierten Sprachsystems schwächt, ist die geringe Datenbasis, die die Repräsentativität der Ergebnisse in Frage stellt. An dieser Stelle sei jedoch erwähnt, dass Meisels Analyse ebenfalls auf lediglich zwei Longitudinalstudien zum deutsch-französischen Erstspracherwerb beruht. Erst nachfolgende Studien haben die Ergebnisse unter Einschluss mehrerer Longitudinalstudien erhärten können. Außerdem bemängelt Meisel die Vorgehensweise der Forscherinnen Volterra und Taeschner im Hinblick auf die zeitweilig auftretende Sprachdominanz der untersuchten Individuen. Genesee et al. (1995) nehmen Meisels Argumentation auf und erklären die Sprachdominanz als einen einflussreichen Faktor für frühkindliche Sprachmischungen. Die Analyse fünf englisch-französischer Longitudinalstudien hat die Forschergruppe zu dem Ergebnis verholfen, dass die Sprachdominanz die Richtung der Sprachmischungen bestimmt: […] there is a general tendency for bilingual children to mix elements from their dominant language when using their non-dominant language, rather than vice versa […]. This version of the argument predicts that mixing will be largely unidirectional - from the dominant into the non dominant language. (Genesee et al. 1995: 614f.) Für den Bereich der Sprachmischungen vermag dieses Ergebnis auf allgemeine Zustimmung stoßen, obgleich Müller et al. (2006: 106) betonen, dass die Sprachdominanz keine generellen Rückschlüsse auf die Einflussrichtung gibt. Meisel (1989) und Genesee et al. (1995: 628) haben jedoch zugunsten einer Korrelation zwischen der Sprachdominanz und den kindlichen Sprachmischungen argumentiert: Children tended to mix more when using their non-dominant language than when using their dominant language. This was true in the case of inter-utterance mixing but not intra-utterance mixing. […]. The dominance effects we noted suggest that, like monolingual children, bilingual children make do with whatever linguistic resources they have available to express themselves - the only difference being that, unlike monolingual children who are limited to the resources of one language, bilingual children can draw on two. (Genesee et al. 1995: 628) <?page no="77"?> 77 In der vorliegenden Studie wird dieser Hypothese für den Subjekterwerb bei bilingualen Kindern nachgegangen und anhand einer grammatischen Analyse die Direktionalität des Spracheneinflusses determiniert. Meisel (1989: 36) kann über die Analyse von Subjekt-Verb-Kongruenzen und der Wortstellung im Deutschen und Französischen die simultane Existenz zweier grammatischer Systeme belegen: Bilingual children consistently use different word order in both languages no later than with the appearance of two - or more - words utterances. (Meisel 1989: 36) Im Bereich der Wortstellung kann Meisel die Abfolge SV(O) in beiden Sprachen beobachten, wobei die eben genannte Ordnung im Französischen eine höhere Frequenz aufweist als im Deutschen. Im Rahmen der von Meisel durchgeführten Wortstellungsanalyse ist diese Feststellung als ein Indiz für die frühe Trennung der beiden Sprachen im Hinblick auf die zielsprachliche Wortstellung im Deutschen und Französischen interpretiert worden. Dem Zielsystem entsprechende Wortstellungsmuster nehmen mit zunehmender Äußerungslänge zu und spiegeln im Deutschen die zielsprachliche Verb-Zweit-Stellung des finiten Verbs und die zielsprachliche Abfolge VO im Französischen wider. Diese Beobachtung festigt die Annahme getrennter Sprachsysteme und bestätigt die von Meisel vertretene language separation hypothesis . An dieser Stelle sollten noch die Forschungsbeiträge von De Houwer (1990) und Lanza (1997, 2 2004) erwähnt werden, die ebenfalls für eine autonome Entwicklung der beiden Sprachsysteme plädieren. De Houwers Analyse ist nicht rein grammatischer Natur und betont die Berücksichtigung außersprachlicher Faktoren, die für die sprachliche Entwicklung des Kindes nicht irrelevanten, sondern einflussreichen Charakter haben. Lanza (1997, 2 2004) teilt die von Meisel und Genesee vertretene Meinung, dass die Existenz von Sprachmischungen im bilingualen Erstspracherwerb nicht gänzlich auf ein fusioniertes Systems, sondern auf eine Vielzahl unterschiedlichster Gründe zurückzuführen sind. Nach einer kurzen Vorstellung der unitary language system hypothesis , die maßgeblich durch Volterra und Taeschners (1978) Studie geprägt worden ist, und der von Meisel (1989) und Genesee (1989) vorgeschlagenen language separation hypothesis soll nun ein intermediärer Standpunkt präsentiert werden, der sich theoretisch zwischen diesen beiden Ansätzen positioniert. Der grundlegende Unterschied dieser dritten in der bilingualen Spracherwerbsforschung vertretenen Position liegt darin, dass prinzipiell von einem getrennten Erwerb der involvierten Sprachsysteme aus- <?page no="78"?> 78 gegangen aber die Möglichkeit der gegenseitigen Beeinflussung nicht ausgeschlossen wird. Anhänger der sogenannten cross-linguistic influence hypothesis verfolgen die Annahme einer Sprachentrennung mit zeitweilig auftretendem Spracheneinfluss. Der sich anschließende Abschnitt soll die Grundüberlegungen der soeben erwähnten dritten Hypothese im Rahmen der Debatte zur Sprachentrennung und zum Spracheneinfluss präsentieren. 2.4 Sprachentrennung mit Spracheneinfluss Wie bereits im vorangegangenen Abschnitt deutlich geworden ist, hat sich in der bilingualen Spracherwerbsforschung des letzten Jahrzehnts ein weiterer Standpunkt im Hinblick auf das Phänomen der Sprachentrennung und des Spracheneinflusses herauskristallisiert. Während der von Genesee (1989) und Meisel (1989) vertretenen Position die Überlegung zugrunde liegt, dass sich die Sprachentrennung unabhängig vom Spracheneinfluss vollzieht, schließen Hulk und Müller (2000) und Müller und Hulk (2000, 2001) die Existenz von Spracheneinfluss nicht aus. Die Autorinnen nehmen in ihren Untersuchungen eine frühe Sprachentrennung mit Spracheneinfluss in bestimmten grammatischen Bereichen an. Ihre Theorie kann als eine Weiterentwicklung der Sprachentrennungshypothese verstanden werden, die von einer Trennung der Sprachsysteme bereits in frühen Erwerbsphasen ausgeht und unter bestimmten grammatischen und pragmatischen Bedingungen Spracheneinfluss vorhersagt. Die Kriterien, unter denen Spracheneinfluss auftreten kann, sind bereits erläutert worden (vgl. Kapitel 2.1.1 und 2.1.2). Diesen Kriterien folgend sollte Spracheneinfluss dann nachgewiesen werden können, wenn sich der zu untersuchende grammatische Bereich an einer Schnittstelle zweier grammatischer Module befindet. Die in diesem Zusammenhang durchgeführte Untersuchung zum bilingualen Subjekterwerb stellt die Analyse eines Schnittstellenphänomens dar, das aufgrund der grammatischen Eigenschaften der jeweiligen Zielsprachen einflussanfällig ist. Spracheneinfluss kann auch bei der Untersuchung bestimmter Sprachkombinationen beobachtet werden, die für eine grammatische Struktur zweideutige Analysen preisgeben. Konstruktionen, die eine bestimmte Überlappung an der Oberflächenstruktur aufweisen, sind einflussanfällig und ermöglichen dem bilingual aufwachsenden Kind den Weg des positiven oder negativen Transfers. In ihren Ausführungen machen die Forscherinnen darauf aufmerksam, dass sich der Spracheneinfluss unabhängig von der Sprachdominanz in der einen oder anderen Sprache vollziehen kann. Über das Phänomen der zeitweilig auftretenden <?page no="79"?> 79 Sprachdominanz kann der Spracheneinfluss nicht begründet werden, da die untersuchten Kinderdaten Spracheneinfluss sowohl in der schwachen als auch in der starken Sprache vermuten lassen: If language dominance was at work, we would expect that the respective Germanic language was the dominant language in the children studied during the period of investigation. This is not supported by the data. If language dominance was the reason for cross-linguistic influence, we would not expect cross-linguistic influence occur in reverse directions during the same developmental phase. (Hulk und Müller 2000: 229) Auch Cantone (2007) hat in ihrer Analyse deutsch-italienischer Kinderdaten Spracheneinfluss von der schwächeren in die stärkere Sprache beobachten können. Somit kann die Hypothese des unidirektionalen Spracheneinflusses, wie sie von Grosjean (1982) vertreten wird, verworfen werden. Cantone sucht den Grund für die Einflussanfälligkeit nicht in der Sprachdominanz, sondern in der grammatischen Beschreibung des untersuchten Phänomens. Ihre Interpretation der dokumentierten Sprachentwicklung bilingual aufwachsender Kinder schenkt dem in der Zeitabfolge heterogenen Erwerb der für Spracheneinfluss anfälligen Phänomene wenig Aufmerksamkeit. Inwieweit die sprachliche Balanciertheit für das Auftreten von Spracheneinfluss verantwortlich ist, stellt die Diskussion um die Relevanz der zeitweilig auftretende Sprachdominanz heraus. Im dritten Kapitel der vorliegenden Arbeit werden das Phänomen der Sprachdominanz ausführlicher behandelt und wichtige Ergebnisse aus der bilingualen Spracherwerbsforschung vorgestellt. Abschließend werden die von Hulk und van der Linden (1996) und Hulk (1997) geleisteten Forschungsbeiträge zum Spracheneinfluss in bilingual niederländisch-französisch aufwachsenden Kindern zusammengefasst. Ihre Studien haben das Ergebnis hervorgebracht, dass sich im Bereich der Wortstellung nicht-zielsprachliche Abfolgen im Französischen abzeichnen, die das Kind aus dem Niederländischen ins Französische transferiert. Die frequente und zielsprachliche Verb-Zweit-Stellung (OV) im Niederländischen beeinflusst die französische Wortstellung insofern, als OV-Sequenzen auch im französischen Korpus der bilingualen Kinder auftreten. This constitutes the basis of our argument that the presence of OV patterns in the Dutch input of this bilingual child may very well bet the factor that ‘pushes up’ the production of [XP, V] patterns in the child’s French. In other words, there is a form of interaction between the two languages: it is not mixing of the structure of one language into the other however, but rather ‘activation’ of a possible, but rare pattern in one language by the in- <?page no="80"?> 80 put of a superficially similar, frequent pattern in the other. (Hulk und van der Linden 1996: 100) Im Französischen sind OV-Sequenzen in Verbindung mit dem Objektklitikon ça immer zielsprachlich, da hier das Pronomen stets hinter dem finiten Verb steht. (2.1) Je regarde ça. Die niederländische Struktur verstärkt somit den Gebrauch der seltenen, aber dennoch möglichen OV-Ordnung im Französischen und enthüllt somit die Einflussanfälligkeit im Bereich der Wortstellung. Hulk und Müller (2000) haben bei niederländisch-französisch und deutsch-italienisch aufwachsenden Kindern Spracheneinfluss bezüglich der Objektauslassungen feststellen können. Beide für das Auftreten von Spracheneinfluss formulierten Kriterien sind unter Einschluss einer grammatischen Analyse des zu untersuchenden Bereichs erfüllt gewesen, so dass Spracheneinfluss vorhergesagt und schließlich bestätigt werden konnte. Auch in dieser Studie ist der Spracheneinfluss nicht über das Phänomen der Sprachdominanz, sondern über die Beschaffenheit des grammatischen Bereichs begründet worden. Die von Müller und Hulk (2001) durchgeführte Studie hat die Diskussion um die Sprachdominanz aufgegriffen und deren Bedeutung hinsichtlich des auftretenden Spracheneinflusses relativiert. Die Autorinnen plädieren für einen sprachdifferenzierten Erwerb der Sprachen und einen bidirektionalen Charakter des Spracheneinflusses, der sich unabhängig von der Sprachdominanz aber wohl in Abhängigkeit von sprachinternen Faktoren auswirkt. Die zentrale Aufgabe dieses inhaltlichen Abschnittes ist die Gegenüberstellung dreier wesentlicher Ansätze zur Sprachentrennung und zum Spracheneinfluss gewesen. In der einschlägigen Literatur zum bilingualen Erstspracherwerb der letzten drei Jahrzehnte wird die Theorie eines fusionierten Sprachsystems der Hypothese eines sprachdifferenzierten Erwerbs mit oder ohne Spracheneinfluss gegenüber gestellt. Die Frage, ob jemals ein Konsens darüber herrschen wird, welche Theorie eine adäquate Beschreibung für die in der Bilinguismusforschung untersuchten grammatischen Phänomene liefern kann, muss an dieser Stelle unbeantwortet bleiben. Ähnlich wie die Problematik einer klaren Definition des bilingualen Erstspracherwerbs und des daraus resultierenden bilingualen Sprechers, wird auch bezüglich der Sprachentrennung genügend Terrain für zahlreiche Diskussionen geboten. Vermutlich wird die zukünftige Mehrsprachigkeitsforschung, die auf eine repräsentativere Datenbasis <?page no="81"?> 81 zurückgreifen kann, die Relevanz der einen oder anderen Position bestätigen können. Der folgende Abschnitt soll unter Berücksichtigung der bisher vorgestellten theoretischen Ansätze zur Sprachentrennung und zum Spracheneinfluss mögliche Vorhersagen für den bilingualen Erstspracherwerb formulieren. In der vorliegenden Arbeit wird der Standpunkt vertreten, dass das bilinguale Individuum seine beiden Sprachen schon in frühen Erwerbsphasen trennt und dass der grammatische Bereich des Subjekts aufgrund seiner syntaktischen Beschaffenheiten in bestimmten Sprachkombinationen als einflussanfällig gilt. 2.5 Das Konzept der Kompetenz und Performanz Im Laufe des letzten Jahrhunderts hat die sprachwissenschaftliche Forschung mehrere Konzepte zur Erfassungen der sprachlichen Kompetenz und Performanz entwickelt, die im Folgenden kurz vorgestellt werden sollen. Einen ersten und in der einschlägigen Literatur viel zitierten Beitrag hat der Strukturalist Ferdinand de Saussure (1916) geleistet, der eine strukturalistische Unterscheidung in langue einerseits und in parole andererseits postuliert. In seinem sozial ausgerichteten Modell stellt die langue eine in der Gesellschaft institutionalisierte Sprache dar, während unter parole der tatsächliche Sprachakt zu verstehen ist. In seinen Ausführungen räumt der Linguist ein, dass das sprachliche Zeichen arbiträr 58 , die menschliche Sprachfähigkeit jedoch nicht gänzlich abstrakt ist. Seiner Auffassung der menschlichen Sprache folgend stehen die beiden Begriffe langue und parole in einer wechselseitigen Relation zueinander. Die langue ergibt sich aus der individuellen parole , die indirekte Aufschlüsse über die in einer Sprachgemeinschaft existierende, per Konvention etablierte langue gibt. Für sprachwissenschaftliche Untersuchungen wird eher die langue , das abstrakte Sprachsystem, und weniger die parole fokussiert, da vordergründig die Frage nach der mentalen Repräsentation von sprachlichem Wissen behandelt wird. Einen idealistischen Standpunkt vertritt 58 Nach Saussure (1916) ist die Denotation eines Gegenstandes und somit das sprachliche Zeichen insofern arbiträr, als die Relation zwischen der phonetischen Lautkette ( image acoustique , signifiant ) und der mentalen Repräsentation ( concept , signifié ) auf eine in der Gesellschaft eingeführte Konvention zurückgeht. In seinem Zeichenmodell herrscht das Prinzip der Arbitrarität und der Linearität des sprachlichen Zeichens. Demnach gehorchen komplexe Wörter bzw. Komposita nicht mehr dem Prinzip der Arbitrarität, da sie nach Saussure motivierte Zeichen darstellen. <?page no="82"?> 82 Hjelmslev (1935), der die menschliche Sprache anhand einer Zweiteilung in système und parole 59 definiert: Le système se définit comme une réalité abstraite et virtuelle [...] indépendant de la parole. Dans la parole on peut même constater des emplois qui ne sont pas possibles selon les exigences du système. (Hjelmslev 1935: 88) Die Annahme einer menschlichen Sprachfähigkeit mündet in Chomskys (1965) Theorie 60 einer idealisierten Sprecher-Hörer-Situation und in die grundlegende Unterscheidung zwischen Kompetenz und Performanz 61 : Linguistic theory is concerned primarily with an ideal speaker-listener, in a completely homogeneous speech-community, who knows its language perfectly and is unaffected by such grammatically irrelevant conditions such as memory limitations, distractions, shifts of attention and interest, and errors in applying his knowledge of this language in actual performance. […] We thus make a fundamental distinction between competence (the speaker’s knowledge of his language) and performance (the actual use of language in concrete situations). Only under the idealization [...] is performance a direct reflection of competence. In actual fact, it obviously could not directly reflect competence. A record of natural speech will show numerous false starts, deviations from rules, changes of plan in midcourse, and so on. (Chomsky 1965: 3 ff.) Im generativen Sprachmodell wird das unbewusste Sprachwissen als idealisiertes Modell verstanden, in dem aus einer biologischen Perspektive die Kompetenz das Sprachwissen eines Individuums und die Performanz die konkrete Anwendung des abstrakten und zugrunde liegenden Sprachwissens denotieren. 62 Der generative Ansatz unterscheidet sich 59 Diese Position wird auch von Coseriu (1972) vertreten. 60 Chomskys (1965) universalgrammatischer Ansatz ist im Hinblick auf seine Interpretation der menschlichen Kompetenz von Anhängern anderer Grammatiktheorien kritisiert worden. Aus einer soziolinguistischen Sicht hat Labov (1969) die Inkompatibilität des generativen Ansatzes mit variablen Grammatikregeln angeführt. Der Begründer der Prototyptheorie Ross (1973) bezweifelt die von Chomsky postulierte Wohlgeformtheit grammatischer Kategorien. Darüber hinaus bestreitet Lakoff (1973) aus einer kognitiven Sicht und in Anlehnung an die funktionale Grammatiktheorie, die semantisch-pragmatische Prinzipien in den Vordergrund stellt, die Dichotomie der Kompetenz und Performanz. 61 Das Begriffspaar Kompetenz-Performanz ist in zahlreichen Studien erörtert und auf vielseitige Weise ausgelegt worden. Die Relation zwischen der Kompetenz einerseits und der Performanz andererseits wird auch in Krämer (2001: 53) thematisiert. 62 Chomsky (2002) führt den Begriff der language faculty ein und bezeichnet die Kompetenz als internal language und die Performanz als external language . Der terminolo- <?page no="83"?> 83 insofern von der strukturalistischen Auslegung dieser beiden Termini, als die Kompetenz zunächst als eine rein sozialbedingte und erst mit Chomsky als eine biologische Komponente, die die kognitiven Fähigkeiten des Sprechers berücksichtigt, interpretiert wird. Die Analyse von Kinderdaten konfrontiert die Spracherwerbsforschung mit dem Problem, dass ausschließlich konkrete Sprechakte und somit Performanzdaten als Untersuchungsobjekte zur Verfügung stehen. Da dem Linguisten die Kompetenz eines Sprechers nicht unmittelbar zugänglich ist, stellt sich die Frage, inwieweit die Kompetenz eines Individuums anhand von Performanzdaten erfasst und von der Performanz auf die Kompetenz des Sprechers geschlossen werden kann. In der Forschung werden die Introspektion und die Erhebung von Sprachdaten als mögliche Methoden der Erfassung von Sprachwissen praktiziert. 63 Dennoch stehen beide Ansätze vor der soeben geschilderten Problematik und sind auf Kriterien angewiesen, die bei der Abgrenzung von Performanz- und Kompetenzphänomenen Hilfestellung leisten können. Platzack (2001) entwickelt ein qualitatives Kriterium, welches über die Frequenz einer Spracherscheinung Aufschluss über die Kompetenz eines Sprechers geben soll. Gabriel und Müller (2008) stellen ein quantitatives Kriterium vor, welches sich über die Systematik eines Sprachphänomens definiert. Im Rahmen der Mehrsprachigkeitsforschung ist das Konzept der Kompetenz und Performanz bezüglich des Spracheneinflusses von großer Bedeutung, letzterer führt die Termini des Transfers und der Interferenz ein. Beim Transfer handelt es sich um Spracheneinfluss auf der Kompetenzebene, wodurch das Sprachwissen einer Sprache auf die andere übertragen wird. Man unterscheidet in der Zweitspracherwerbsforschung zwischen negativem und positivem Transfer. Es kommt zu negativem Transfer, wenn die Mutter- und Zweitsprache in ihren jeweiligen grammatischen Bereichen unterschiedlich sind. Der Erwerber überträgt die grammatischen Regeln aus seiner Muttersprache auf die Zweitsprache und wendet sie dort an. Das Ergebnis dieses Prozesses sind ungrammatische Konstruktionen, da die transferierte Eigenschaft mit der Zielgrammatik der zu erwerbenden Sprache nicht übereinstimmt. Sind jedoch Mutter- und Zweitsprache in ihren grammatischen Bereichen äquivalent, gische Wechsel impliziert jedoch keine inhaltlichen Veränderungen seines universalgrammatischen Sprachmodells (vgl. Müller et al. 2006). 63 Die Introspektion hat sich im Laufe der Forschung als wenig zuverlässig herausgestellt, da der direkte Rückschluss von der Performanz auf die Kompetenz aufgrund stark voneinander divergierender Sprecherurteile nicht möglich ist. Vor diesem Hintergrund hat auch Adli (2006) auf die Problematik von Grammatikalitätsurteilen von Muttersprachlern hingewiesen. <?page no="84"?> 84 kommt es zum positiven Transfer, der das Erlernen der Zweitsprache erleichtert und gegebenenfalls beschleunigt. Es zeichnet sich ein problemloser Erwerbsverlauf der Zweitsprache ab, da die grammatischen Bereiche beider Sprachen miteinander kompatibel sind und grammatische Regeln aus der Erstsprache positiv für den Erwerb der Zweitsprache genutzt werden können. Unter Interferenz ist das Auftreten von Spracheneinfluss auf der Performanzebene zu verstehen, der mit dem Kontext variiert und nicht regelgeleitet auftritt. Dieses Performanzphänomen ist individueller Natur und beschreibt die Beeinflussung eines Sprachsystems durch ein anderes. Mackey (1962: 40) unterscheidet zwischen kultureller, phonologischer, syntaktischer, semantischer und lexikalischer Interferenz und grenzt sie vom borrowing , der Entlehnung, ab, die er als Kompetenzphänomen innerhalb einer Sprachgemeinschaft beschreibt. Im Hinblick auf den simultanen Erst- und den sukzessiven Zweitspracherwerb geben Müller et al. (2006: 19) im Rahmen einer zeitgleichen Mehrsprachigkeit eine neutrale Interpretation des Transfer- und Interferenzbegriffs. Sie plädieren für den Obergriff des Spracheneinflusses und rechtfertigen ihren Entschluss über die Schwierigkeit, erhobenes Sprachmaterial eindeutig als Performanz- oder Kompetenzphänomen klassifizieren zu können. Für den sukzessiven Zweitspracherwerb spricht sich die Forschergruppe für einen kompetenzgetriebenen Spracheneinfluss aus. Im Rahmen der frühkindlichen Zweisprachigkeit wird kontrovers diskutiert, inwieweit Spracheneinfluss performanzbzw. kompetenzbasiert sei. 2.6 Spracheneinfluss: Performanz- oder kompetenzbasiert? Die vorherigen Ausführungen zum thematischen Bereich der Sprachentrennung und des Spracheneinflusses haben gezeigt, dass sich letzterer in unterschiedlichen Formen manifestieren kann: als Transfer von grammatischen Strukturen aus der einen Sprache in die andere und als beschleunigender oder verzögernder Effekt im bilingualen Erstspracherwerb. In aktuellen Forschungsbeiträgen zum Spracheneinfluss ist untersucht worden, inwieweit die Beeinflussung der koexistierenden Sprachsysteme auf die Performanz oder auf die Kompetenz des bilingualen Sprechers zurückgeführt werden kann. Für den in diesem Zusammenhang untersuchten grammatischen Bereich wird die wissenschaftliche Diskussion über einen performanz- oder kompetenzbasierten Spracheneinfluss aufgegriffen und deren Inhalte im Folgenden skizziert. <?page no="85"?> 85 Bereits Serratrice, Sorace und Paoli (2004) haben das Phänomen des Spracheneinflusses anhand von processing limitations diskutiert. Die Forscherinnen haben in ihren Studien nicht nur bilingual aufwachsende Kinder, sondern auch erwachsene Sprecher im Hinblick auf Spracheneinfluss untersucht. Die Forschergruppe nimmt eine Default-Strategie an, die der Sprecher aufgrund seiner Unfähigkeit, mit zwei Sprachsystemen zeitgleich (grammatisch) umgehen zu können, verfolgt (vgl. auch Sorace und Filiaci 2006, Sorace und Serratrice 2009). In ihrem Ansatz gehen die Autorinnen von einem neu definierten Begriff der Komplexität aus, der sich aus einer performanzorientierten Sicht aus der Quantität der sprachspezifischen Restriktionen ergibt. Demnach ist diejenige Sprache als komplex einzustufen, die in einer konkreten Sprachkontaktsituation mehr Beschränkungen vorzuweisen hat als das andere koexistierende Sprachsystem. Serratrice et al. (2004) haben anhand einer Untersuchung zu Subjektauslassungen im englisch-italienischen Spracherwerb dafür argumentiert, dass sich der Spracheneinfluss unidirektional vom Englischen auf das Italienische auswirkt. Ihre Vorhersage über die Direktionalität des Spracheneinflusses in der englisch-italienischen Sprachkombination ergibt sich aus den grammatischen Restriktionen der Subjektauslassungen und -realisierungen der involvierten Zielsprachen: Das Englische ist bezüglich des Subjekts weniger komplex als das Italienische, das Subjektauslassungen und -realisierungen nicht syntaktisch, sondern diskurspragmatisch lizenziert. Der Gedanke, dass sich im Allgemeinen die Koordination von syntaktischem und pragmatischem Wissen im frühen Kindesalter als komplex darstellt, ist von Avrutin (1999) ebenfalls geäußert worden. Daraus ergibt sich für bilingual aufwachsende Kinder die Konsequenz, sich bereits in frühen Entwicklungsphasen zwischen untereinander konkurrierenden Lösungen für ein sprachspezifisches Problem entscheiden zu müssen. Für das Schnittstellenphänomen der Subjektauslassungen und -realisierungen formulieren Serratrice et al. (2004: 201) die Vorhersage, dass das Italienische, die komplexere Sprache, von Spracheneinfluss betroffen sein muss: Cross-linguistic influence will go unidirectionally from the language with fewer pragmatic constraints in the distribution of overt pronominal subjects (English) to the language where the appearance of pronominal subjects is regulated by pragmatically complex constraints, such as topic-shift and focus (Italian). The coordination of syntactic and pragmatic knowledge is a demanding task for young children in general, and even more so in the case of bilingual children since they have to evaluate competing solutions to the syntax-pragmatics problem from two different languages. <?page no="86"?> 86 Im Gegensatz dazu definieren Hulk und Müller (2000) sowie Müller und Hulk (2001) Spracheneinfluss anhand der sprachlichen Komplexität der Koordination von sprachlichem Wissen aus unterschiedlichen grammatischen Modulen (der Syntax und Pragmatik). Diesen Ausführungen folgend resultiert der Spracheneinfluss aus der Beobachtung, dass das bilinguale Kind für beide Sprachen die weniger komplexe Analyse für einen grammatischen Bereich auswählt. Der Begriff der sprachlichen Komplexität erhält in den zahlreich durchgeführten Untersuchungen zum Spracheneinfluss keine einheitliche Interpretation. Während Hulk und Müller (2000) und Müller und Hulk (2001) unter dem Terminus der Komplexität die Koordination von Sprachinformationen an unterschiedlichen grammatischen Modulen verstehen, verbindet Gavarró (2003) diesen Begriff mit der Existenz von syntaktischen Bewegungen. Demnach ist eine syntaktische Derivation als äußerst komplex einzustufen, wenn sie mehrere Bewegungseinheiten für die Derivation einer syntaktischen Konstruktion erfordert. Jakubowicz (2000) definiert die strukturelle Komplexität über die Präsenz oder Absenz von funktionalen Projektionen. Darüber hinaus kann der Begriff der Komplexität auch mit dem kanonischen Status eines Arguments in Verbindung gebracht werden: The syntactic computation in a given language is more complex if a merged functional category is present in some sentences. Such a functional category expresses semantic information and is added to the obligatory functional skeleton. […] The syntactic computation is more complex when an argument is non-canonically merged with a functional category. (Jakubowicz 2000: 170) In der vorliegenden Studie wird der Komplexitätsbegriff in Anlehnung an Hulk und Müller (2000) und Müller und Hulk (2000, 2001) mit der Analyse eines Schnittstellen-Phänomens assoziiert. Der Subjekterwerb schließt die Koordination sprachlicher Informationen an der Syntax-Pragmatik- Schnittstelle ein und rechtfertigt somit die Adaption dieser Begriffsinterpretation für fokussierten grammatischen Bereich. Für die zu untersuchenden bilingualen Longitudinalstudien wird dafür argumentiert werden, dass das Auftreten und das Ausmaß von Spracheneinfluss aus den grammatischen Beschaffenheiten der Zielsysteme und der damit verbunden strukturellen Komplexität resultieren. Im Gegensatz zu Serratrice et al. (2004), Sorace und Filiaci (2006) und Sorace und Serratrice (2009) wird nicht das processing load , sondern die Komplexität des grammatischen Phänomens als Ursprung der gegenseitigen Beeinflussung der Sprachsysteme gesehen. Im Einklang mit der generativen Grammatiktheorie wird für die deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Longitudinalstudien ein kompetenzbasierter Spracheneinfluss vorhergesagt werden, da <?page no="87"?> 87 die Nullsubjektsprachen, Italienisch und Spanisch, im Gegensatz zum Deutschen einen verzögerten Entwicklungsverlauf erfahren. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass die bilingualen Kinder die Oberflächenstrukturen der beiden romanischen Sprachen über die syntaktische Derivation der weniger komplexen Sprache, des Deutschen, analysieren. Die grammatische Beschreibung der Zielsysteme wird zeigen, dass sich die involvierten Nullsubjektsprachen, Italienisch und Spanisch, im Hinblick auf die Subjektposition unterschiedlich verhalten. Diese Unterschiede werden Auswirkungen auf das Ausmaß des Spracheneinflusses haben: Die Beeinflussung des Italienischen und des Spanischen durch das Deutsche wird nicht in gleicher Form erfolgen. Diese Vorhersage stützt das Argument, dass die Sprachkombination für die Bestimmung des Auftretens und des Ausmaßes von Spracheneinfluss relevant ist (vgl. Müller und Patuto 2009). Im Weiteren lässt die Interpretation eines kompetenzbasierten Spracheneinflusses die Annahme zu, dass die sprachliche (Un-)Ausgeglichenheit der bilingualen Kinder keine entscheidende Rolle spielt. Nicht die weniger entwickelte Sprache, sondern die sprachlich komplexere wird von Spracheneinfluss betroffen sein. Die vorliegende Studie wird anhand sprachlich ausgeglichener Kinder zeigen, dass auch diese in ihrer Nullsubjektsprache verzögernden Effekten unterliegen. Angesichts der Möglichkeit, im Rahmen des doppelten Erstspracherwerbs beschleunigende Effekte in der grammatischen Entwicklung bilingualer Kinder beobachten zu können, bleibt der Ursprung einer beschleunigten Sprachentwicklung zu klären. Da der Spracheneinfluss bereits für den verzögerten Erwerb einer bestimmten grammatischen Struktur verantwortlich ist, muss für die beschleunigte Variante ein anderer Auslöser bestimmt werden. Es erscheint wenig plausibel, sowohl verzögernde als auch beschleunigende Effekte auf denselben Ursprung, den Spracheneinfluss, zurückzuführen. Patuto et al. (2011) sehen den beschleunigten Erwerbsverlauf in der Bilingualität der Kinder begründet und beschreiben diese Beobachtung als einen Vorteil, von dem die bilingualen Kinder für ihre Sprachentwicklung profitieren: However, processing load seems to be the best explanation for what looks like an acceleration effect to the linguist. […] What has been observed as an acceleration effect should therefore be renamed as an effect of bilingualism (processing two languages). (Patuto et al. 2011: 256) Im Rahmen einer Wortstellungsanalyse zum finiten Verb im Italienischen und Deutschen hat Repetto (2010) für bilingual deutsch-italienisch aufwachsende Kinder demonstrieren können, dass sowohl die Sprachkombination als auch die sprachliche Balanciertheit für das Auftreten von beschleunigenden Effekten irrelevante Faktoren sind. Ihre Analyse hat <?page no="88"?> 88 gezeigt, dass das Italienische positive Auswirkungen auf die Stellung des finiten Verbs im Deutschen ausübt, auch wenn die Oberflächenstrukturen beider Sprachen nicht mit der syntaktischen Derivation der weniger komplexen Sprache, des Italienischen, kompatibel sind. Zusammenfassend kann noch auf die bereits erwähnten Studien von Bialystok (2001, 2007, 2009) verwiesen werden, die die positiven Effekte der Mehrsprachigkeit aus kognitiver Sicht herausgestellt haben. Verzögernde Effekte der bilingualen Sprachentwicklung sind auf sprachliche Gegebenheiten und die Existenz von Spracheneinfluss zurückzuführen, während beschleunigende Effekte nicht sprachlich motiviert sind und aus der Bilingualität der mehrsprachigen Individuen resultiert. 2.7 Vorhersagen für den bilingualen Erstspracherwerb Die Relevanz der wissenschaftlichen Diskussion über den Spracheneinfluss und dessen Kriterien resultiert aus der Notwendigkeit, die Ergebnisse der sich anschließenden empirischen Untersuchungen der hier vorliegenden Studie interpretieren zu können. Im Hinblick auf den Subjektbereich haben Pillunat, Schmitz und Müller (2006: 22) dafür argumentiert, dass das Italienische der bilingual deutsch-italienischen Kinder für Spracheneinfluss anfällig ist. Die Anfälligkeit des Italienischen liegt im Zusammenspiel zwischen Syntax und Pragmatik begründet, da Subjektauslassungen im Italienischen diskurspragmatisch motiviert sind. 64 Im Gegensatz dazu sind die Auswirkungen der Pragmatik auf den Subjektbereich im Deutschen und Französischen marginal. Das Kind klassifiziert das Deutsche als ein weniger komplexes System, legt die deutsche Struktur zugrunde und neigt im Italienischen zu höheren Subjektrealisierungen. Während für die Sprachkombination Deutsch-Italienisch das erste Kriterium für Einfluss erfüllt ist, können Pillunat et al. (2006) aus den bereits angeführten Gründen und anhand empirischer Analysen für den deutsch-französischen Erstspracherwerb Spracheneinfluss ausschließen. Nach Serratrice et al. (2004) sind processing limitations der Auslöser für Spracheneinfluss, der sich im bilingualen Individuum als verzögernder Effekt in der Sprachentwicklung äußert. Anhand eines performanzorientierten Komplexitätsbegriffs wird das Auftreten von Spracheneinfluss nicht auf die grammatischen Beschaffenheiten der involvierten Zielspra- 64 An dieser Stelle werden kurz die in der Literatur aufgestellten und belegten Hypothesen zum Einfluss im Subjektbereich erwähnt. Eine präzisere Beschreibung der Subjektauslassungen in den jeweiligen Zielsystemen wird im vierten Kapitel erfolgen. <?page no="89"?> 89 chen, sondern auf die Quantität von grammatischen Restriktionen zurückgeführt. Aus dieser Überzeugung heraus sagen die Forscherinnen Spracheneinfluss im Italienischen der bilingualen Kinder voraus. Im Rahmen der in der vorliegenden Arbeit durchgeführten Analyse zum bilingualen Erstspracherwerb wird für den Erwerb des Subjekts gegen die von Serratrice et al. (2004) angenommene Hypothese argumentiert werden. Während für die Forschergruppe die sprachspezifischen Beschränkungen für das Auftreten von Spracheneinfluss verantwortlich sind, werden die in diesem Zusammenhang analysierten Kinderdaten im Hinblick auf den Einfluss des pragmatischen Moduls auf syntaktische Optionen untersucht. Die sprachliche Komplexität ergibt sich somit nicht aus dem processing load , sondern aus der Komplexität, sprachliches Material an der Schnittstelle zweier Grammatikmodule zu verarbeiten ( computational complexity ). Die empirische Untersuchung orientiert sich an den von Müller und Hulk (2000) und Müller und Patuto (2009) formulierten Bedingungen für Spracheneinfluss und richtet sich im Sinne von syntaktischen Derivationen nach dem von Jakubowicz (2000) definierten Komplexitätsbegriff. Demnach formulieren Patuto et al. (2011) für den bilingualen Erstspracherwerb folgende Vorhersagen im Hinblick auf das Auftreten von Spracheneinfluss: The delay effect should be observable only in bilingual children with particular language combinations, i.e. it is not due to the fact that children acquire two languages, one with more, the other with fewer constraints, generally speaking. Only an approach to delay effects which takes into account the structure of the two languages involved will be able to account for the following observation: one and the same language A (in the case of Italian null-subjects) is affected by delay effects if and only if the surface strings of the two languages A and B are analyzable in terms of the syntactic derivation of language B (which is less complex, in the case of German null-subjects). The effect should be independent of language dominance, in the sense that the linguistically more complex language is affected, not the weak language. We will even be able to show that the effect is most visible in balanced children. (Patuto et al. 2011: 241) Die Analyse französisch-italienisch aufwachsender Kinder konnte die anfängliche Annahme der Existenz von Spracheinfluss nicht bestätigen (vgl. Patuto 2008). Da im Französischen Auslassungen ausschließlich nicht-referenzielle Elemente wie das Expletivum il betreffen und letztere nicht diskurspragmatisch motiviert sind, kommt es zu keiner Überlappung der sprachspezifischen Grammatiken an der Syntax-Pragmatik- Schnittstelle. Über den Input bekommt das französisch-italienische Kind keine Evidenz dafür, mehr als eine Analyse des hier untersuchten, gram- <?page no="90"?> 90 matischen Phänomens zugrundezulegen. Somit kann für die Sprachkombination Französisch-Italienisch das Auftreten von Spracheneinfluss ausgeschlossen werden. 65 Daraus ergibt sich schließlich die Vorhersage, dass französisch-italienische Individuen früher über einen zielsprachlichen Subjektgebrauch im Französischen und Italienischen verfügen als deutsch-italienisch aufwachsende Kinder in ihren respektiven Zielsprachen. Darüber hinaus soll im Rahmen der vorliegenden Studie untersucht werden, inwieweit die Sprachkombination Deutsch-Spanisch im Subjektbereich einflussanfällig ist. Es soll die allgemein vertretene Annahme, das Italienische und Spanische seien aufgrund ihrer Nullsubjekteigenschaft ähnlich, widerlegt und gezeigt werden, dass sich im deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Subjekterwerb Unterschiede aufzeigen, die derivationellen Ursprungs sind. Die zu präsentierenden Daten werden die Annahme, dass der deutsch-spanische Fall für Spracheneinfluss anfällig ist, bestätigen und die Hypothese erhärten, dass sich das Italienische und das Spanische aus syntaktischer Sicht unterscheiden. Letztere wird sich in den Erwerbsdaten der hier untersuchten deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Kinder niederschlagen. Wie bereits in diesem Kapitel zur Sprachentrennung und Beeinflussung der koexistierenden Sprachsysteme deutlich geworden ist, spielt die Sprachdominanz eine entscheidende Rolle bei der Untersuchung von einflussanfälligen Bereichen. Das folgende Kapitel wird sich ausschließlich mit der Sprachdominanz im bilingualen Erstspracherwerb beschäftigen und deren Relevanz im Hinblick auf den Spracheneinfluss thematisieren. Die in diesem Zusammenhang durchgeführte Studie zum Subjekterwerb im bilingual deutsch-italienischen, deutsch-spanischen und französisch-italienischen Individuum wird die Irrelevanz der Sprachdominanz für den Erwerb einer grammatischen Struktur demonstrieren. 65 Im Französischen sind Auslassungen nur mit einer Verbklasse, der der unpersönlichen Verben, und dem Expletivum il , welches semantisch leer ist und nicht als Argument klassifiziert wird, möglich. Somit kommt es nicht zu „Argumentauslassungen“, wie es im Italienischen, Spanischen und Deutschen der Fall ist. <?page no="91"?> 91 3 Das Phänomen der Sprachdominanz Während das vorangegangene Kapitel die theoretische Debatte um eine frühe Sprachentrennung und das potenzielle Auftreten von Spracheneinfluss dargestellt hat, soll in diesem Kapitel die Relevanz der Sprachdominanz im bilingualen Erstspracherwerb im Vordergrund stehen. Im Rahmen der Bilinguismusforschung ist der unausgeglichene Erwerb zweier Sprachen häufig mit dem Terminus der Sprachdominanz in Verbindung gebracht worden. Die vorliegende Studie geht der Fragestellung nach, ob die Sprachdominanz die Anfälligkeit für Spracheneinfluss im grammatischen Bereich des Subjekts determiniert. Die Sprachdominanz wird häufig als ein Indikator für unbalancierte Sprachentwicklungen und das Auftreten von Spracheneinfluss aufgefasst. Diesem augenscheinlich engen Zusammenhang zwischen Sprachdominanz und Spracheneinfluss gilt es genauer nachzugehen und für das Phänomen der Nullsubjekteigenschaft zu untersuchen. In diesem Kapitel soll der Begriff der Sprachdominanz anhand der zur Verfügung stehenden Studien, die in den letzten 40 Jahren zum bilingualen Erstspracherwerb durchgeführt worden sind, erläutert werden. Die Diskussion um eine adäquate Begriffsklärung wird die Problematik einer allgemein akzeptierten Definition des Terminus herausstellen. In der Literatur besteht bis heute kein Konsens darüber, welche Faktoren den (un-)balancierten bilingualen Erstspracherwerb charakterisieren. Außerdem bleibt ungeklärt, in welcher Alters- und Entwicklungsphase die ausgeglichene bzw. unausgeglichene Sprachentwicklung eines mehrsprachigen Kindes einsetzt. Die Distanz zwischen der stärkeren und der schwächeren Sprache kann anhand verschiedener Kriterien zwar ermittelt aber nicht objektiv interpretiert werden. Hierzu soll das von Arencibia Guerra (2008) erarbeitete Konzept zur Sprachdominanz kurz aufgeführt und erläutert werden. Das Kernstück dieses Kapitels bilden die Vorstellung bisheriger Arbeiten zum Phänomen des Spracheneinflusses, die Nennung der Kriterien zur Bestimmung der Sprachdominanz und die Beziehung zwischen Sprachdominanz und Spracheneinfluss. Im Anschluss daran sollen anhand der theoretischen Auseinandersetzung Vorhersagen über den bilingualen Erstspracherwerb formuliert und auf die in diesem Zusammenhang fokussierten Subjektauslassungen und -realisierungen im bilingualen Erstspracherwerb übertragen werden. <?page no="92"?> 92 3.1 Sprachdominanz und der bilinguale Erstspracherwerb Erste Studien, die das Phänomen der Sprachdominanz thematisiert und somit beschrieben haben, sind auf die späten 50er und die frühen 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurückzuführen. Die Arbeiten von Burling (1959), Leopold (1970) und Berman (1979) beruhen auf einer detaillierten Dokumentation des bilingualen Erstspracherwerbs und berichten von einer unausgeglichenen Sprachentwicklung der untersuchten Individuen. Zahlreiche Arbeiten, die der Fragestellung der Sprachdominanz nachgehen, untersuchen letztere vornehmlich in Verbindung mit auftretenden Sprachmischungen und sehen den Vergleich zum sukzessiven Spracherwerb. Die drei genannten Arbeiten stellen die Sprachdominanz anhand eines bestimmten sprachlichen Phänomens heraus. Burling (1959) hat die Sprachentwicklung seines zunächst monolingual englisch aufwachsenden Sohnes Stephen beobachtet. Ein Umzug in die Garo-Berge im Nordosten Indiens hat die sprachliche Entwicklung des Kindes insofern beeinflusst, als es bereits nach kurzem Aufenthalt erste Wörter in seiner neuen Umgebungssprache produziert hat. Obwohl das Englische seine Erstsprache gewesen und das Garoische erst später hinzugekommen ist, hat sich im Laufe der Entwicklung eine Dominanz zugunsten des Garoischen herausgestellt. In diesem Fall ist die wechselnde Umgebungssprache für die sprachliche Entwicklung des Kindes ausschlaggebend gewesen. Leopold (1970) dokumentiert den Spracherwerb seiner bilingual deutsch-englisch aufwachsenden Tochter Hildegard und beobachtet eine Präferenz für das Englische, die die Artikulation und die Wortstellung des Deutschen negativ beeinflusst. Erst ein längerer Aufenthalt in Deutschland führt zur Aktivierung der deutschen Sprache und zu einer Dominanz des Deutschen, die sich erneut an der Aussprache und der syntaktischen Komponente bemerkbar macht. Die Rückkehr in den englischsprachigen Raum hat die gleichen sprachlichen Auswirkungen gehabt, die Leopold zu Beginn des Spracherwerbs seiner Tochter feststellen konnte: Während sie im Deutschen eine nicht-zielsprachliche Artikulation bestimmter Laute und Schwächen im Bereich der Verbstellung zeigt, wird das Englische trotz einer kurzen Dominanz des Deutschen als ihre starke Sprache klassifiziert. Der von Leopold dokumentierte Fall stellt die Relevanz der Umgebungssprache und den Einfluss außersprachlicher Faktoren in den Vordergrund. Basierend auf Leopolds Beobachtungen hat sich im Rahmen der Mehrsprachigkeitsforschung die Meinung durchgesetzt, dass die Umgebungssprache für eine zeitweilig auftretende Sprachdominanz ausschlaggebend ist. Außerdem bringt Leopolds Studie das Ergebnis hervor, dass die dominante Sprache kontinuierlich die schwächere <?page no="93"?> 93 beeinflusst. Andere Studien, die in diesem Kapitel noch aufgeführt werden, haben diese Hypothese widerlegt und gezeigt, dass sich unabhängig der Stärke oder Schwäche der einen oder anderen Sprache die beiden Sprachsysteme gegenseitig beeinflussen können. Darüber hinaus kann die Rolle der Landessprache im Hinblick auf die Sprachdominanz redimensioniert werden (vgl. Kapitel 5, sprachliche Entwicklung des deutschitalienischen Jungen Aurelio). Berman (1979) hat in seiner englisch-hebräischen Studie die Sprachentwicklung des bilingualen Kindes Shelly untersucht und Sprachdominanz im Bereich der Sprachproduktion und des Sprachverständnisses feststellen können. Auch in diesem Fall hat die wechselnde Umgebungssprache großen Einfluss auf den Erwerb der beiden Sprachen genommen. Während Shelly in der ersten Phase des Spracherwerbs noch als Hebräisch-dominantes Kind eingestuft worden ist, hat sich im Laufe der sprachlichen Entwicklung eine Dominanz zugunsten des Englischen eingestellt. Aus dieser Studie kann geschlussfolgert werden, dass die Herausbildung einer sprachlichen Dominanz an kontextuelle Gegebenheiten gebunden ist. Im soeben geschilderten Fall hat sich die Sprachdominanz in Abhängigkeit von der Umgebungssprache entwickelt. Die Entstehung der Sprachdominanz ist an den jeweiligen sprachlichen Kontext gebunden und konnte in allen bisher skizzierten Fallstudien dokumentiert werden. Eine weitere Gemeinsamkeit, die Burlings, Leopolds und Bermans Untersuchungen teilen, manifestiert sich im Rahmen der Sprachkompetenz und des tatsächlichen Sprachgebrauchs. In der einschlägigen Literatur zur bilingualen Spracherwerbsforschung wird darüber berichtet, dass mehrsprachig aufwachsende Kinder Präferenzen zugunsten einer Sprache entwickeln bzw. eine ihrer Sprachen verweigern (vgl. Kupisch und Müller 2009). 3.1.1 Sprachdominanz und Sprachmischungen Wie bereits im zweiten Kapitel der vorliegenden Arbeit angemerkt worden ist, ist im Rahmen der Bilinguismusforschung die hohe Frequenz an kindlichen Sprachmischungen als ein Indiz für eine mögliche Unbalanciertheit im bilingualen Individuum interpretiert worden. In der Literatur wird die Annahme vertreten, dass die unausgeglichene Sprachentwicklung ein möglicher Auslöser für das Auftreten von Sprachmischungen sein kann. Seit Gumperz (1982) sind Sprachmischungen jedoch nicht lediglich ein Hinweis für eine sprachliche Inkompetenz des Sprechers, sondern vielmehr ein Beleg dafür, beliebig zwischen der einen und der anderen Sprache wählen zu können. Gumperz hat anhand von Erwachsenendaten den Sprachenwechsel untersucht und während seiner Studien fest- <?page no="94"?> 94 gestellt, dass das Phänomen der Sprachmischungen nicht auf mangelnde Kompetenz, sondern auf kommunikative Absichten zurückzuführen ist. Seiner Auffassung nach symbolisiert das Mischen von Sprache einen Sprachstil mit kommunikativen Intentionen, die der Sprecher über die Option des Sprachenwechsels an den Hörer adressiert. In der modernen Mehrsprachigkeitsforschung werden bilinguale Kinderdaten verstärkt unter dem Gesichtspunkt der pragmatischen Funktion des sprachlichen Mischens untersucht (vgl. Auer 1998, 1999, 2000, Auer und Wei 2007). Um jedoch auf den in der Literatur stark vertretenen Standpunkt zurückzukehren, dass die Sprachdominanz als ein Indikator für die Richtung der Sprachmischungen und somit des Spracheneinflusses verstanden werden kann, vollzieht sich der Einfluss stets von der starken auf die schwache Sprache. Dieser Annahme liegt zugrunde, dass bilinguale Kinder im Hinblick auf das Lexikon und die grammatische Entwicklung eine unbalancierte Sprachentwicklung durchlaufen. Petersen (1988) untersucht das Auftreten von Sprachmischungen in Abhängigkeit von der Sprachdominanz und kommt zu dem Ergebnis, dass letztere die Mischrichtung determinieren kann: The dominant-language hypothesis states that in word-internal code switching, grammatical morphemes of the dominant language may co occur with lexical morphemes of either the dominant or the non-dominant language. However, grammatical morphemes of the non-dominant language may co occur only with lexical morphemes of the non-dominant language. (Petersen 1988: 486) Ihrer dominant language hypothesis folgend sind funktionale Elemente aus der dominanten Sprache kombiniert mit lexikalischen Elementen der schwachen Sprache zu erwarten, wobei der umgekehrte Fall nicht möglich ist. Demnach können in der schwachen Sprache nie funktionale Kategorien auftreten, die ausschließlich in der dominanten Sprache zur Verfügung stehen. Demnach geht die Forscherin im Hinblick auf das intrasententiale Mischen von lexikalischen und funktionalen Kategorien von einer einseitigen Implikation aus. Neben Petersen (1988) sind noch die einflussreichen Arbeiten von Schlyter (1993), Lanza (1992, 1997) und Genesee et al. (1995) zu erwähnen, die ebenfalls den unausgeglichenen doppelten Erstspracherwerb in Relation zu Sprachmischungen fokussiert haben. In der von Schlyter (1993) durchgeführten Studie werden bilingual schwedisch-französisch aufwachsende Kinder analysiert und die Eigenschaften der schwächeren Sprache charakterisiert. Auch Schlyter schließt sich der Annahme an, dass die zeitweilig auftretende Sprachdominanz einen Einfluss auf die gemischten Elemente ausüben kann. In ihren Ausführungen wird die sich <?page no="95"?> 95 langsamer entwickelnde Sprache als die schwächere Sprache definiert, die sich durch das Fehlen von grammatischen Phänomenen und eine hohe Anzahl an Sprachmischungen auszeichnet. Darüber hinaus geschieht die Übertragung von sprachlichem Wissen ( transfer ) systematisch von der stärkeren in die schwächere Sprache, die ebenfalls über ein eingeschränktes Lexikon verfügt. Schlyter (1993) beschreibt die Distanz zwischen der starken und der schwachen Sprache im Hinblick auf den Erwerb bestimmter grammatischer Phänomene: The stronger language exhibits all characteristics of normal L1 development, as regards the central grammatical phenomena such as finiteness, word order, and placement of negation; whereas the weaker language exhibits great variation in these respects, from complete non-existence of the grammatical phenomena mentioned to a lower occurrence of them than in a corresponding sample of the stronger language. (Schlyter 1993: 305) Die Beobachtung, dass unbalancierte bilinguale Kinder funktionale Kategorien aus der starken Sprache und lexikalische Elemente aus der schwachen Sprache verwenden, konnte ebenfalls in den von Lanza (1992, 1997) durchgeführten Studien an norwegisch-englischen Kinderdaten bestätigt werden. Auch in diesem Fall hat die Forscherin den Schluss ziehen können, dass die Sprachdominanz die Mischrichtung bestimmt. Einen alternativen Forschungsbeitrag zum Verhältnis zwischen Sprachmischung und Sprachdominanz hat die Forschergruppe Genesee, Nicoladis und Paradis (1995) leisten können, die fünf bilingual englischfranzösisch aufwachsende Kindern im Alter von 1; 10 bis 2; 2 Jahren untersucht haben. Ihre Studie berücksichtigt die Relevanz der Sprachmischungen im elterlichen Input und erforscht die adäquate Sprachwahl der bilingualen Kinder. Die Forscher sind der Fragestellung nachgegangen, ob die mehrsprachig aufwachsenden Kinder ihre Sprachwahl bezüglich der kontextuellen Gegebenheiten angemessen treffen können. Hierzu haben die Autoren die bilingualen Kinder in Interaktion mit einem monolingual englischen Sprecher und in spontaner Gesprächssituation mit ihren Eltern beobachtet. Trotz einer frühen Sprachentrennung mischen die von Genesee et al. (1995) analysierten Kinder ihre Sprachen, sodass die Forscher ihre Untersuchung auf das Mischen im elterlichen Input ausweiten müssen. Aus ihrer Studie ist das Ergebnis hervorgegangen, dass mehrsprachige Kinder nicht nur in einer gewohnten Interaktion mit ihren Eltern, sondern auch in Interaktion mit einem fremden Gesprächspartner ihre Sprachen gezielt auswählen. Selbst die dominanten Kinder verwenden die schwächere Sprache, wenn sie ihre Sprachwahl nach dem Interaktionspartner ausrichten. Genesee et al. (1995) teilen dennoch die bereits aufgeführte Annahme, dass Sprachmischungen und die Sprachdominanz <?page no="96"?> 96 in einem direkten Bezug zueinander stehen. Ihre Kinderdaten haben die Tendenz herausgestellt, dass unbalancierte Kinder häufiger in ihrer schwachen Sprache mischen als in ihrer starken. Außerdem haben die Autoren beobachtet, dass das systematische Auftreten von Sprachmischungen im elterlichen Input die bilingualen Kinder dazu verführt, ihre Sprachen zu mischen. Gawlitzek-Maiwald und Tracy (1996) untersuchen die sprachliche Entwicklung eines deutsch-englischen Mädchens und argumentieren im Hinblick auf den Erwerb einiger syntaktischer Phänomene für eine frühe Sprachentrennung. Die empirische Untersuchung hat das Ergebnis hervorgebracht, dass das bilinguale Mädchen Hannah die Sprache A verwendet, um auf syntaktischer Ebene Entwicklungsdefizite in Sprache B zu kompensieren ( to bootstrap ). Die Forscherinnen formulieren die Hypothese, dass bilinguale Kinder von ihrer Sprachkontaktsituation dergestalt profitieren können, dass die weiterentwickelte Sprache die sich langsamer entwickelnde unterstützt und somit als temporäre Hilfsstrategie fungiert: Something that has been acquired in language A fulfils a booster function for language B. In a weaker version, we would expect at least a temporary pooling of resources. (Gawlitzek-Maiwald und Tracy 1996: 903) Die aus ihrer deutsch-englischen Studie hervorgegangene bilingual bootstrapping strategy unterstützt die Annahme, dass sich bilinguale Kinder ihre mehrsprachige Situation zunutze machen und aus ihren beiden Sprachen, die sie simultan erwerben, entlehnen. Somit interpretieren die Autorinnen das kindliche Mischen als eine Strategie und weniger als eine Inkompetenz, die beiden Sprachen zu trennen. In ihren Ausführungen gehen die Forscherinnen davon aus, dass sowohl die syntaktische als auch die lexikalische Ebene beim Sprachenwechsel involviert ist. Anhand der untersuchten Kinderdaten des bilingual deutsch-englischen Mädchens Hannah können Gawlitzek-Maiwald und Tracy trotz einer zeitlich heterogenen Sprachentwicklung der beiden Erstsprachen einen sprachlichen Profit beobachten. Die Analyse der monolingualen Äußerungen hat ergeben, dass Hannah mit 2; 4 Jahren die deutsche und englische Wortstellung (OV vs. VO) sowie die deutsche [IP] erworben hat, wobei diese erst im Alter von 2; 7 Jahren im englischen Korpus beobachtet werden kann. Die Autorinnen kommen zu der Schlussfolgerung, dass das Mädchen auf morphosyntaktischer Ebene im Deutschen weiter entwickelt ist als im Englischen. Den asymmetrischen Erwerbsverlauf der beiden Erstsprachen versucht Hannah anhand von Sprachmischungen zu bereinigen, indem sie deutsches Sprachmaterial in englische Strukturen überführt. Die gemischtsprachlichen Äußerungen interpretieren die Autorinnen als Evidenz für den Gebrauch der deutschen [IP] in englischen Konstruktionen <?page no="97"?> 97 und als Rekompensationsstrategie, Lücken im Englischen durch deutsches Material zu schließen. Das unten stehende Beispiel (3.1) zeigt, dass Hannah die englischen Auxiliar- und Modalverben noch nicht erworben hat und sich der deutschen Äquivalente bedient. (3.1) Kannst du move a bit Can you move a bit? (Hannah, 2; 4-2; 9, Gawlitzek-Maiwald und Tracy 1996: 915) Die Sprachmischung betrifft vor allem die linke Peripherie, die Hannah zwar im Deutschen aber noch nicht im Englischen erworben hat. Laut Gawlitzek-Maiwald und Tracy (1996) gibt dieses Sprachverhalten Aufschluss über die Mischrichtung unbalancierter Kinder. In diesem Fall vollzieht sich der Sprachenwechsel von der stärkeren Sprache in die schwächere, da deutsche Elemente, deren Äquivalente im Englischen nicht zugänglich sind, in die englische Struktur übernommen werden. Diese Studie hat im Rahmen der Mehrsprachigkeitsforschung dazu beigetragen, anhand der bilingual bootstrapping strategy positive Effekte der kindlichen Zweisprachigkeit aufzudecken und die bislang negative Konnotation des kindlichen code-mixing 66 zu redimensionieren. Diese Studie hat zahlreiche Forscher dazu animiert, sprachinterne Gründe für das frühkindliche Sprachenmischen und den damit verbundenen Spracheneinfluss zu analysieren. In einigen syntaktischen Bereichen konnte demonstriert werden, dass die koexistierenden Sprachsysteme unabhängig voneinander erworben werden (vgl. u.a. J. Müller 2009), während in anderen „influence of language B onto language A or vice versa was attested“ (Patuto et al. 2011: 233). Die Forschergruppe Bernardini und Schlyter (2004) untersuchen schwedisch-französisch und schwedisch-italienisch aufwachsende Kinder und kommen zu dem Ergebnis, dass in gemischtsprachlichen Äußerungen die stärkere Sprache das funktionale Skelett für die schwächere Sprache zur Verfügung stellt. In Anlehnung an Petersen (1988) gehen sie von einer Unidirektionalität des Mischens bei bilingual unbalancierten Kindern aus, die sich von der starken Sprache ausgehend in der schwachen Sprache manifestiert. Die von den Autorinnen formulierte ivy hypothesis berücksichtigt alle funktionalen Kategorien 67 und unterscheidet sich in 66 Der Gebrauch des Begriffs code-mixing geht vornehmlich auf die Zeit zurück, in der Sprachmischungen noch als ein Anzeichen von Kompetenzmangel interpretiert worden sind. In darauffolgenden Studien wird der Terminus zunehmend zugunsten des allgemein akzeptierten Begriffs des code-switching abgelöst. 67 Hierzu gehören die funktionalen Kategorien der [DP], [IP] und [CP]. <?page no="98"?> 98 dieser Hinsicht von der bilingual bootstrapping strategy . Bernardini und Schlyter (2004) folgend sind Sprachmischungen als Resultat einer zeitlich versetzten Sprachentwicklung zu verstehen: The code-mixing pattern where this Weaker Language, so to speak, ‘clings on the tree structure’ of the Stronger Language, at the time when both languages are continuously growing, is, in our view, a reflection of what happens when the child tries to supply with items from the Stronger Language that what is not yet developed in the Weaker Language. (Bernardini und Schlyter 2004: 67) Im Gegensatz zu Gawlitzek-Maiwald und Tracy (1996) vertreten Bernardini und Schlyter (2004) die Ansicht, dass sich in der stärkeren Sprache bestimmte syntaktische Phänomene nicht schneller entwickeln als andere. Diese Überzeugung basiert auf aussagekräftigen Forschungsergebnissen aus der monolingualen Spracherwerbsforschung, die ebenfalls diese Beobachtung dokumentiert hat. Die Autorinnen definieren sprachliche Stärke im Hinblick auf den zeitlichen Erwerb der jeweiligen Sprache: Das sprachliche System, das das bilinguale Kind früher erwirbt, wird als seine starke Sprache identifiziert. Nach Bernardini und Schlyter ist der Entwicklungsstand des Lexikons für die Unidirektionalität des Mischens verantwortlich. Die Forscherinnen kommen zu der Schlussfolgerung, dass Qualität und Quantität des sprachspezifischen Inputs für die Entwicklung des Lexikons in beiden Sprachen relevant sind. Die Gemeinsamkeit der bilingual bootstrapping strategy und der ivy hypothesis besteht darin, dass bilingual aufwachsende Kinder aufgrund ihrer Unbalanciertheit strategisch mischen und dass Sprachmischungen vornehmlich in der schwächeren Sprache zu erwarten sind. Inwieweit dieses unidirektionale Sprachverhalten auch auf das Auftreten von Spracheneinfluss zurückgeführt werden kann, gilt es in der vorliegenden Studie anhand unterschiedlicher Sprachkombinationen zu klären. In der einschlägigen Literatur wird angenommen, dass die schwächere Sprache von Spracheneinfluss betroffen ist. Im Hinblick auf den Spracheneinfluss und den Subjekterwerb ergäbe sich aus dieser Hypothese die Vorhersage, dass nicht-zielsprachliche Subjektauslassungen bzw. -realisierungen stets in der schwachen Sprache der unbalancierten Kinder beobachtet werden können. In diesem Zusammenhang sei auf das von Cantone (2007) hervorgebrachte Ergebnis hingewiesen, welches die Annahme, dass die stärkere Sprache die schwächere beeinflusst und die Sprachdominanz die Mischrichtung determiniert, relativiert. Die Auswertung bilingual deutsch- <?page no="99"?> 99 italienischer Longitudinalstudien hat die vorhergesagte Mischrichtung 68 nicht bestätigen und Sprachmischungen 69 unabhängig von der zeitweilig auftretenden Sprachdominanz belegen können. Diese Beobachtung hat die allgemein angenommene These, dass bilinguale Kinder tendenziell in ihrer schwachen Sprache mischen und kindliche Sprachmischungen über eine sprachliche Unausgeglichenheit erklärt werden können, geschwächt. Darüber hinaus haben die untersuchten Kinderdaten individuelle Unterschiede gezeigt, die weder mit dem Balanciertheitsgrad noch mit externen Faktoren (Umgebungssprache etc.) einhergehen. Vielmehr lässt die in Cantone (2007) aufgeführte Feststellung eine pragmatisch motivierte Interpretation kindlicher Sprachmischungen zu, wie sie bereits Gumperz (1982) für das Sprachenmischen im erwachsenen Individuum vorgeschlagen und durchgeführt hat. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Funktion der dokumentierten Sprachmischungen, die weniger einer sprachlichen Inkompetenz, sondern vielmehr einem Sprachstil oder einer pragmatischen Funktion, Sprache zu gebrauchen, zugesprochen werden sollte. Die von Poplack (1980) postulierte Einteilung in intra - und intersententiales code-switching 70 hat im Hinblick auf die Analyse frühkindlicher Sprachmischungen wichtige Ergebnisse hervorgebracht, die in erster Linie auf die von Arencibia Guerra (2008) durchgeführte Studie zur Sprachdominanz im bilingualen Erstspracherwerb zurückzuführen sind. Die Auswertung und Interpretation von insgesamt elf Longitudinalstudien unterschiedlicher Sprachkombinationen haben eindrucksvoll demonstriert, dass eine positive Korrelation zwar zwischen dem intersententialen Sprachenwechsel und der Sprachdominanz, jedoch nicht zwischen dem intrasententialen Mischen und dem individuellen Balan- 68 Cantone und Müller (2005) argumentieren auf der Basis von MacSwan (2000) dafür, dass das Mischverhalten bilingualer Kinder mit der syntaktischen Operation select einhergeht und dass die Mischrichtung undefiniert bleiben muss. Aus einer psycholinguistischen Perspektive impliziert diese Auslegung der kindlichen Mischungen, dass der Zugriff auf die sprachspezifischen Lexika zunächst unkontrolliert erfolgt und aufgrunddessen „verzögert“ erscheint. 69 Müller und Cantone (2009) haben deutsch-italienisch aufwachsende Kinder analysiert und festgestellt, dass balancierte Kinder ebenfalls gemischtsprachliche Äußerungen produzieren und dass das Füllen von lexikalischen Lücken ( lexical gapfilling ) nur eine von vielen Erklärungen für kindliche Sprachmischungen sein kann. Die Autorinnen haben den kausalen Zusammenhang zwischen der Sprachdominanz und dem Auftreten von Sprachmischungen widerlegt und die Relevanz individueller Faktoren betont. 70 Das intrasententiale code-switching meint den Sprachenwechsel innerhalb einer Äußerung, während sich beim intersententialen code-switching die Sprachmischung zwischen einer Äußerung A und einer Äußerung B ereignet. <?page no="100"?> 100 ciertheitsgrad besteht. Nach Arencibia Guerra (2008) gibt das intersententiale Mischen Aufschluss über die sprachlichen Fähigkeiten des bilingualen Kindes. Diese Überzeugung schließt auch die Untersuchung der Redebereitschaft und des Redeflusses ( fluency ) des unbalancierten Kindes ein, welches in einer bilingualen Gesprächssituation seine stärkere Sprache präferiert und seine schwächere verweigert. Die bisher zitierten Forschungsarbeiten haben die Relevanz der Sprachdominanz und der Sprachmischungen verdeutlicht. Welche Funktion kindlichen Sprachmischungen zukommt, sollte an dieser Stelle lediglich skizziert, aber keineswegs vertieft werden, da in der vorliegenden Arbeit monolinguale Äußerungen im Vordergrund der empirischen Untersuchung stehen. Dennoch sollte betont werden, dass der Sprachenwechsel weniger einen Kompetenzmangel, sondern vielmehr eine Strategie darstellt, die sich aus der Bilingualität und unabhängig von der Sprachdominanz ergibt. 3.1.2 Sprachdominanz und der sukzessive Spracherwerb Im vorangegangenen Abschnitt ist der Begriff der Sprachdominanz mit dem Konzept einer schwachen und einer starken Sprache vorgestellt worden. Die Mehrsprachigkeitsforschung ist bei der Untersuchung des unausgeglichenen doppelten Erstspracherwerbs von einer „Distanz“ zwischen der einen und der anderen Sprache ausgegangen. Die Analyse bilingualer Kinderdaten bringt unterschiedliche Erwerbsverläufe im lexikalischen und grammatischen Bereich hervor, die die Klassifizierung in eine schwächere und eine stärkere Sprache erlauben. Eindeutig feststellbare Diskrepanzen im Erwerbsverlauf der beiden Erstsprachen können auf einen unvollständigen bilingualen Erstspracherwerb hindeuten (vgl. Schlyter 1993). In diesem Fall werden parallele Prozesse und Eigenschaften zwischen der schwachen Sprache eines bilingualen Kindes und dem sukzessiven Spracherwerb angenommen (vgl. u.a. Clahsen und Muysken 1989, Pfaff 1992, Schlyter 1994). This indicates that the stronger language of a bilingual child is exactly like a normal first language in monolingual children, whereas the weaker language in these respects has similarities with a second langauge. (Schlyter 1993: 305) Dieser Annahme folgend vergleicht Schlyter (1994) bilingual französischschwedisch aufwachsende Kinder, die das Schwedische als ihre starke bzw. schwache Sprache erwerben. Stellt sich das Schwedische als die schwache Sprache der untersuchten Kinder heraus, teilt es Eigenschaften mit dem Schwedischen aus dem Zweitspracherwerb. Wird es im Gegen- <?page no="101"?> 101 satz dazu als die starke Sprache erworben, ist es dem monolingualen Erwerb gleichzusetzen. Swedish as the stronger language in these Swedish-French bilinguals had the same properties as Swedish in normal, monolingual children, whereas Swedish as the weaker language did not, but rather shared certain properties with Swedish acquired as a second language. (Schlyter 1994: 83) Die sprachliche Distanz zwischen den beiden Erstsprachen wird im Rahmen qualitativer und quantitativer Unterschiede untersucht und anhand zahlreicher grammatischer Phänomene überprüft. Dazu gehören die Wortstellung, die Negation, die Mischrichtung, die sprachliche Distribution von lexikalischen und funktionalen Elementen und viele weitere Bereiche, die hier im Einzelnen nicht weiter aufgezählt werden. Schlyter (1993, 1994) argumentiert dafür, dass der Erwerb der starken Sprache mit dem monolingualen Erstspracherwerb verglichen werden kann. Das bilinguale Kind wird somit als monolinguales Individuum verstanden, welches erst sukzessiv die Zweitsprache, in diesem Fall die schwache Sprache, erwirbt. Im Hinblick auf Sprachmischungen, die die lexikalischen und funktionalen Kategorien betreffen, wird in der Literatur angenommen, dass funktionale Elemente der starken Sprache in die schwächere transportiert werden. Dieses Verhalten ist nicht nur für den Zweitspracherwerb, sondern auch für bilingual aufwachsende Kinder mit einer sprachlichen Überlegenheit in einer der beiden Sprachen beobachtet worden. There is a tendency for speakers to resort more to Arabic than to French for grammatical items or function words, such as determiners, pronouns, prepositions and conjunctions. Even when they are speaking mainly in French, they often use Arabic for such items, and also for kinds of parenthetical clause used as fillers or discourse markers. On the other hand, when speaking mainly Arabic, they seem to resort to French for lexical items, particular for nouns, far more frequently than they have to resort to Arabic lexical items when speaking mainly French. […] These patterns of usage may perhaps be related to the fact that for all these bilinguals, Arabic is the first language, acquired in the earliest years, in the home, whereas French is learned at a later date, in school. (Bentahila und Davies 1983: 326) Dieses aus der Zweitspracherwerbsforschung stammende Ergebnis rechtfertigt den Zusammenhang zwischen dem simultanen und dem sukzessiven Erwerb einer zweiten Sprache. In beiden Konstellationen zeigen die intrasententialen Mischungen im Hinblick auf die lexikalischen und funktionalen Kategorien ein symmetrisches Sprachverhalten: Die funktionalen Kategorien werden aus der starken Sprache in die schwache überführt, <?page no="102"?> 102 welche die lexikalischen Kategorien zur Verfügung stellt. Eichler und Müller (im Druck) bestätigen diese Beobachtung und definieren das Mischen von funktionalen Kategorien als ein performanzgetriebenes Phänomen. Demnach erfolgt das Mischen von grammatischen Elementen nicht unidirektional von der starken Sprache in die schwache, sondern unabhängig von der Sprachdominanz und zu einem Entwicklungsstadium, in dem die bilingualen Kinder die funktionalen Äquivalente bereits erworben haben. Die postulierte Parallele zwischen der schwachen Sprache im bilingualen Erstspracherwerb und dem Zweitspracherwerb ist sehr kontrovers und in den Arbeiten von Meisel (2001), Müller und Kupisch (2003, im Druck) relativiert worden. In den soeben zitierten Studien wird die Meinung vertreten, dass der Erwerb der schwächeren Sprache zwar zeitlich verzögert ist, sich aber dennoch im Rahmen des doppelten Erstspracherwerbs vollzieht. Kupisch und Müller (2009) weisen darauf hin, dass Zweitspracherwerber über positiven Transfer bestimmte grammatische Phänomene früher erwerben, als monolinguale Erwerber. Diese Beobachtung führt zur Schlussfolgerung, dass Erst- und Zweitspracherwerb tendenziell gleiche Prinzipien im Erwerbsprozess verfolgen und nicht grundsätzlich unterschiedlich sind. Meisel (2007) greift diese Argumentation auf und betont den quantitativen Unterschied zwischen der schwachen Sprache im bilingualen Erstspracherwerb und dem sukzessiven Erwerb einer zweiten Sprache hin. More specifically, the question is whether acquisition of the WL might fail in at least some domains of grammar under such circumstances and, if yes, whether this might resemble second language acquisition. In brief, the foregoing discussion suggests that the rate of development can indeed be delayed, in some cases quite seriously. Whether this can ultimately lead to incomplete acquisition in that certain phenomena that are typically acquired late will not be acquired anymore, is a question that cannot be answered, based on the available research results. For the time being, delay must be regarded as a quantitative modification of the process of acquisition. As for possible qualitative effects, my conclusion is that the WL is certainly not acquired as an L2. (Meisel 2007: 510) Laut Meisel (2007) entspricht der Entwicklungsverlauf der schwachen Sprache im bilingualen Erstspracherwerb dem Zweitspracherwerb, wenn ein qualitativer Unterschied zwischen dem monolingualen und dem bilingualen Erstspracherwerb besteht. Verzögerungen, die im monolingualen Individuum dokumentiert sind, schwächen die Annahme einer parallelen Entwicklung der schwachen Sprache im simultan bilingualen bzw. <?page no="103"?> 103 sukzessiven Spracherwerb. Darüber hinaus kritisiert Meisel die WLH ( weak language hypothesis ) und führt an, […] that the tentative conclusion that the available evidence does not support the WLH ( weak language hypothesis ) obviously does not conclude the possibility of acquisition failure. […] What is unsatisfactory about the WLH is that it does not explain what the minimal conditions are, thus making it virtually impossible to falsify its claims. […] For the WLH to be empirically testable, it is necessary to state in a principled fashion exactly which areas of grammar are likely to be affected. […] the WLH can only be fruitfully explored if its proponents formulate theoretically motivated and empirically testable claims about the grammatical domains affected and the external factors causing such effects. (Meisel 2007: 510-512) Demnach stellt sich die Bestimmung einer schwachen und einer starken Sprache als äußerst problematisch heraus, da keine grammatisch motivierten Kriterien für die Ermittlung der weak language zur Verfügung stehen. Im Hinblick auf die grammatischen Bereiche, die nach Meisel (2007) für die Anfälligkeit einer schwachen Sprache definiert werden müssen, rekurriert der Forscher auf Sorace (2005) und stellt die Rolle des Inputs und der Schnittstellenphänomene heraus. […] the role of input depends crucially on the learner’s sensitivity to specific kinds of input at certain points during the course of acquisition, that is, we have to do with an interplay between amount of exposure and sensitive phases of the acquisition device. Conversely, Sorace (2005) suggested that quantitative differences, compared to monolinguals, will only cause a delay in acquisition, whereas qualitative differences in the input may indeed result in representation problems, at least for interfacephenomena. (Meisel 2007: 511) Aus den zitierten Studien lassen sich zwei Ansätze ableiten, die kurz zusammengefasst werden sollen: Der eine deckt einen parallelen Erwerbsverlauf zwischen der schwachen Sprache im bilingualen Erstspracherwerb und dem sukzessiven Spracherwerb auf, während der andere lediglich über eine zeitliche Verzögerung der schwächeren Sprache im bilingualen Erstspracherwerb berichtet. In diesem Zusammenhang ist die Unterscheidung zwischen quantitativen und qualitativen Effekten der frühkindlichen Zweisprachigkeit und des sukzessiven Erwerbs einer zweiten Sprache von zentraler Bedeutung, sodass die vorliegende Studie auch diesem Umstand Rechnung tragen wird. Die Bilinguismusforschung hat den unausgeglichenen Erstspracherwerb anhand grammatischer Phänomene überprüft und untersucht. Im Hinblick auf den Spracheneinfluss und die Sprachdominanz ist der Frage nach der mentalen Repräsentation der koexistierenden Sprachsysteme <?page no="104"?> 104 und der gegenseitigen Interaktion nachgegangen worden. Die Unterschiede im monolingualen und bilingualen Erstspracherwerb gilt es bezüglich der Unterschiede zu interpretieren und die Ursache für Spracheneinfluss zu definieren. Die Mehrsprachigkeitsforschung führt die Differenzen zwischen dem monolingualen und dem bilingualen Spracherwerb entweder auf den Umstand des Spracheneinflusses oder der Bilingualität zurück. Schließlich gilt es die Rolle der Sprachdominanz zu erfassen, um deren Relevanz im doppelten Erstspracherwerb und das Auftreten von Spracheneinfluss herausstellen zu können. In der vorliegenden Arbeit wird der Subjekterwerb im Hinblick auf den Spracheneinfluss und die Sprachdominanz untersucht. Der nachfolgende Abschnitt soll einen Überblick über die Kriterien liefern, anhand derer die Sprachdominanz bei bilingual aufwachsenden Kindern ermittelt werden kann. 3.2 Kriterien zur Bestimmung der Sprachdominanz Zentrale Aufgabe der vorangegangenen Abschnitte ist die Vorstellung einflussreicher Arbeiten zum Phänomen der Sprachdominanz im bilingualen Erstspracherwerb gewesen. An dieser Stelle werden nun die in der Literatur diskutierten Kriterien zur Bestimmung der Sprachdominanz aufgeführt und erläutert. Die unbalancierte Sprachentwicklung ist maßgeblich über die Präsenz von Sprachmischungen und den monolingualen Vergleich erforscht worden. Im Vorfeld sind jedoch einige Kriterien entwickelt worden, die die sprachliche Entwicklung in den beiden Erstsprachen eines bilingualen Kindes erfassen. Ziel dieser Kriterien ist es, herauszustellen, inwieweit ein bilinguales Individuum als balanciert oder sprachlich unausgeglichen mit einer messbaren Überlegenheit in einer der beiden Sprachen klassifiziert werden kann. Erst die Ermittlung des Balanciertheitsgrads ermöglicht eine Evaluation der Relevanz der Sprachdominanz für den Erwerb eines grammatischen Phänomens oder, in einem größeren Umfang, des gesamten sprachlichen Entwicklungsverlaufs. Auch in der vorliegenden Arbeit werden die Dominanzverhältnisse der zu untersuchenden bilingualen Kinder ermittelt werden, um den Zusammenhang zwischen der Sprachdominanz und dem Subjekterwerb bestätigen oder widerlegen zu können. Nach Müller et al. (2006: 68) müssen Kriterien für die Bestimmung der Sprachdominanz erarbeitet werden, die sowohl die Sprachkompetenz als auch die Sprachperformanz berücksichtigen. Aus dieser Überlegung heraus ist eine Einteilung in quantitative und qualitative Kriterien erfolgt, die in einigen Forschungsbeiträgen sehr kontrovers und wenig homogen diskutiert wird. In der Forschung herrscht kein Konsens darüber, ob ein Kriterium den tatsächlichen <?page no="105"?> 105 Sprachgebrauch oder eher das abstrakte Sprachwissen widerspiegelt. Den Ausführungen der Forschergruppe folgend kann anhand qualitativer Kriterien die Sprachkompetenz und über quantitative Kriterien die Sprachperformanz gemessen werden. Die nachstehende Tabelle der Sprachdominanzkriterien ist aus Müller et al. (2006: 69) entnommen und liefert einen Überblick über die hier thematisierten Kriterien. Kriterium Erläuterung Forscher MLU (in Wörtern, Morphemen oder Silben) durchschnittliche Äußerungslänge Brown (1973) Upper Bound (in Wörtern, Morphemen oder Silben) längste Äußerung in einer Aufnahme Brown (1973) MMU (multimorphemic utterances) Anzahl der aus mehr als einem Morphem bestehenden Äußerungen Genesee et al. (1995) Standardabweichung des MLU Streuung der MLU- Werte Kupisch et al. (2005) Lexikongröße Anzahl verschiedener Wörter (=Worttypen) Genesee et al. (1995) Lexikonanstieg Anstieg in der Anzahl verschiedener Wörter Müller und Kupisch (2003) Absolute Äußerungsanzahl Anzahl einsprachiger Äußerungen in der Zielsprache Loconte (2001) Anteil gemischtsprachlicher Äußerungen Petersen (1988) Döpke (1992) Mischrichtung Berman (1979) präferierte Sprache mit anderen Kindern Schlyter (1994) Erwerb funktionaler Kategorien Determinantenphrase (DP), Flexionsphrase (IP) und Komplementiererphrase (CP) Bernardini und Schlyter (2004) Traumsprache Burling (1959) Hesitationen De Houwer (1990) Tab. (3.1): Sprachdominanzkriterien bei bilingualen Kindern Müller et al. (2006) zählen zu den quantitativen Kriterien die absolute Anzahl der Äußerungen, die Mischrate, die Traumsprache und die unter Geschwistern bevorzugte Sprache. Der MLU, der Upper Bound, die multimorphemischen Äußerungen und die Lexikongröße sind qualitative <?page no="106"?> 106 Kriterien, die auf die Sprachkompetenz des bilingualen Kindes schließen lassen. Die vorliegende Studie wird den Subjekterwerb bei bilingual aufwachsenden Kindern MLU-basiert 71 abbilden bzw. interpretieren. Aus diesem Grund wird davon abgesehen, alle zuvor aufgezählten Kriterien zur Ermittlung der Dominanz näher zu beschreiben. Es wird lediglich das Kriterium des MLU erläutert, welches in monolingualen und bilingualen Untersuchungen eingesetzt wird. Zahlreiche Studien wählen den MLU als qualitatives Kriterium, um den Erwerb grammatischer Phänomene zu untersuchen und eine eventuelle Sprachüberlegenheit feststellen zu können. Der MLU gibt die durchschnittliche Länge einer Äußerung in der zuvor festgelegten Einheit an. Folglich kann der MLU silben-, morphem- oder wortbasiert berechnet werden. Der Hauptkritikpunkt an diesem Kriterium bezieht sich auf den Umstand, dass die zu vergleichenden Sprachen typologisch so unterschiedlich sind, dass ein direkter Vergleich über den MLU nicht möglich ist. Die Forschergruppe Müller et al. (2006: 70) hat diesbezüglich Strategien entwickelt, die die sprachspezifischen Unterschiede annähernd ausgleichen. Somit werden in deutschitalienischen Studien die italienischen Nullsubjekte (it. scrivo als io scrivo ) mitgezählt, damit sich die italienische Zählung der deutschen Struktur annähert ( ich schreibe ). Nicht nur im Bereich der Flexion, sondern auch im Hinblick auf die Wortbildung werden Konventionen eingeführt, die einen Vergleich der beiden Sprachen ermöglichen. Demnach bestehen deutsche Komposita (dt. Bügeleisen aus Bügel und Eisen; it. ferro da stiro ) nicht aus einer einzigen lexikalischen Einheit, sondern aus mehreren zusammengesetzten Lexemen. Dieses Verfahren erhöht die Vergleichbarkeit der deutschen und italienischen Zielsysteme auf morphosyntaktischer Ebene. Die Bestimmung einer eventuell vorhandenen Sprachdominanz geschieht jedoch nicht ausschließlich über eine MLU-Zählung, sondern erfordert eine möglichst umfangreiche Analyse der bilingualen Longitudinalstudien, um die Repräsentativität der Ergebnisse zu gewährleisten. Bei bilingualen Kindern mit einer unausgeglichenen Sprachentwicklung sollten die Kriterien zu einem eindeutigen Ergebnis führen. Letzteres sollte eine schnellere Entwicklung in der einen Sprache und einen langsameren Erwerbsprozess in der anderen dokumentieren. Müller et al. (2006) machen jedoch auf das Phänomen der Sprachpräferenz aufmerksam, das sich nicht unmittelbar aus der Analyse der quantitativen und qualitativen Kriterien ableiten lässt: 71 Nach Arencibia Guerra (2008) stellt das Kriterium des MLU ein zuverlässiges Instrument für die Bestimmung des Balanciertheitsgrads bilingual aufwachsender Kinder dar. <?page no="107"?> 107 Jedoch zeigt eine Vielzahl bilingualer Individuen einen Unterschied in der Entwicklung beider Sprachen, ohne dass man sie gleich als unbalancierte Kinder einstufen möchte. Hierzu wurde der Begriff der Sprachpräferenz eingeführt, der besagt, dass ein Kind zwar einen Sprache hat, in der es lieber kommuniziert, aber dass das Kompetenzniveau in beiden Sprachen gleich zu sein scheint. (Müller et al. 2006: 80) Die von Arencibia Guerra (2008) durchgeführte Studie zur Sprachdominanz im bilingualen Erstspracherwerb hat nicht nur die in Tabelle (3.1) aufgeführten Kriterien zur Ermittlung des Balanciertheitsgrads überprüft, sondern auch anhand anderer Kriterien und Bereiche die sprachliche Entwicklung analysiert. Dazu gehören Untersuchungen im Rahmen der Sprachproduktion und des Sprachverstehens sowie der Redebereitschaft bzw. des Redeflusses ( fluency ). Das letztgenannte Instrument zur Ermittlung der Sprachdominanz meint die Produktion sprachspezifischer Lexeme pro Minute. Dieses Kriterium ist bereits in anderen Studien angewandt worden (vgl. u.a. Paradis, Nicoladis und Genesee 2000, Loconte 2001, Müller und Kupisch 2003, Kupisch 2007, Hauser-Grüdl und Arencibia Guerra 2007, Cantone, Kupisch, Müller und Schmitz 2008, Müller und Pillunat 2008), wobei die Forscherin Arencibia Guerra (2008) eine konzeptuelle Veränderung vornimmt: Während in der Vergangenheit der Redefluss traditionell über die Anzahl der Äußerungen pro Minute ermittelt worden ist, schlägt die Autorin eine Zählung in Wörter pro Minute vor. Der Redefluss stellt ein quantitatives Kriterium dar, welches die Performanz des bilingualen Kindes und die Abrufbarkeit der jeweiligen Sprachen erfasst. Das aus ihrer Studie hervorgegangene Ergebnis besteht darin, dass der Redefluss sowohl mit dem MLU als auch mit den intersententialen Mischungen positiv korreliert. Die positive Korrelation zwischen einem quantitativen (Redefluss) und einem qualitativen Kriterium (MLU), stellt die in der Literatur postulierte starre Abgrenzung der Sprachquantität von der Sprachqualität in Frage und trägt zu einer innovativen Interpretation 72 der Sprachdominanz bei. Die Forscherin regt die Untersuchung bilingualer Kinder aus dieser Perspektive an und definiert das Kriterium des MLU als ein zuverlässiges Instrument für die Ermittlung der Dominanzverhältnisse. In der vorliegenden Studie wird der Erwerb des Subjekts anhand des qualitativen Kriteriums der durchschnittlichen Äußerungslänge untersucht und somit vom Alter des bilingualen Kindes abstrahiert. Diese Ver- 72 Dieses interessante Ergebnis ergibt sich natürlich nur dann, wenn die durchschnittliche Äußerungslänge, der MLU, als qualitatives Kriterium interpretiert wird (vgl. u.a. Müller et al. 2006). In Anlehnung an Müller et al. (2006) wird der MLU als qualitatives Instrument zur Ermittlung der Sprachdominanz verwendet. <?page no="108"?> 108 fahrensweise soll eine Analyse des grammatischen Bereichs unabhängig von einer möglichen Altersverzögerung und ausschließlich in Abhängigkeit der Äußerung und der zugrunde liegenden Sprachkompetenz ermöglichen. Im Anschluss an die bisherigen Ausführungen wird nun der Fragestellung nach einem möglichen Zusammenhang zwischen der Sprachdominanz und dem Spracheneinfluss nachgegangen. Da in der vorliegenden Studie dem Konzept der Sprachdominanz und des Spracheneinflusses eine besondere Bedeutung zukommt, gilt es die eventuell existierende Wechselwirkung beider Faktoren zu erläutern. 3.3 Sprachdominanz und Spracheneinfluss Im zweiten Kapitel der vorliegenden Arbeit sind bereits einige einflussreiche Arbeiten zum Phänomen der Sprachentrennung und des Spracheneinflusses erläutert worden. Die Mehrsprachigkeitsforschung der letzten Jahrzehnte hat wichtige Ergebnisse im Hinblick auf die Sprachbalance, die Sprachentrennung und den Spracheneinfluss hervorgebracht. Viele Forschungsbeiträge haben den Zusammenhang zwischen dem (un-) ausgeglichenen Spracherwerb und dem Spracheneinfluss im doppelten Erstspracherwerb erforscht. Im Laufe der Forschung haben sich zwei konträre Positionen herausgebildet, die die Abhängigkeitsbeziehung zwischen der Sprachbalance und dem Spracheneinfluss diskutieren. Den Grundstein für diese Debatte hat Grosjean (1982) gelegt, der den Spracheneinfluss als eine Konsequenz der Sprachdominanz interpretiert. Er teilt die Ansicht, dass die Sprachdominanz nicht nur ein Indiz für den unterschiedlichen Erwerbsverlauf der beiden Sprachen, sondern auch für das Auftreten von Spracheneinfluss verantwortlich ist. Die stärkere Sprache kann die schwächere in phonologischer, morphologischer, syntaktischer und semantischer Hinsicht beeinflussen und den Sprachentrennungsprozess verzögern. The main effect of dominance is not only that the stronger language is more developed than the weaker one (more sounds are isolated, more words are learned, more grammatical rules are inferred), bit also that the stronger language interferes with or influences the weaker language. In this sense, dominance retards differentiation by imposing aspects of the dominant language on the weaker one. (Grosjean 1982: 190) Diesen direkten Bezug zwischen der Sprachdominanz einerseits und dem Spracheneinfluss sowie der Sprachentrennung andererseits stellt er über das von ihm entwickelte Konzept des monolingualen und bilingualen <?page no="109"?> 109 Modus her. In seinem psycholinguistisch angelegten Modell schreibt er einem monolingual aufwachsenden Kind einen monolingualen Modus zu, in den bilinguale Kinder nie verfallen können. Seinen Ausführungen nach können bilinguale Kinder trotz Sprachentrennung und monolingualer Gesprächssituation ihren bilingualen Modus nicht vollständig deaktivieren. Demnach ist die deaktivierte Sprache in einer einsprachigen Interaktion unterschwellig präsent und kann sich über transferiertes Sprachwissen aus der einen Sprache in der anderen bemerkbar machen. Dieser Zustand rechtfertigt die von Grosjean (1982) vertretene Annahme, dass die Sprachdominanz, die Sprachentrennung und der Spracheneinfluss in einer wechselseitigen Abhängigkeit zueinander stehen. Die Sprachdominanz wird somit als Effekt oder als mögliche Ursache für das Auftreten von Spracheneinfluss und einer verzögerten Sprachdifferenzierung gesehen. Diesen Standpunkt vertreten u.a. Burling (1959), Fantini (1985), Oksaar (1970), Kinzel (1964) und Swain (1972), die in ihren Studien zum Erwerb grammatischer Phänomene ebenfalls die Beobachtung gemacht haben, dass die Sprachbalance mit dem Spracheneinfluss einhergeht. Dass Spracheneinfluss unabhängig von der zeitweiligen Sprachdominanz auftreten kann, wird in den Arbeiten von Müller und Hulk (2001), Cantone (2007) sowie Cantone et al. (2008) diskutiert. Das gemeinsame Ergebnis dieser Forschungsbeiträge besteht darin, dass Spracheneinfluss nicht auf eine fehlende Kompetenz, sondern vielmehr auf die Beschaffenheit des grammatischen Bereichs zurückzuführen ist. Die Analyse der Objektauslassungen und der Wortstellung bei bilingualen Kindern, die simultan eine romanische und eine germanische Sprache erwerben, kann die Einflussrichtung nicht eindeutig definieren (vgl. Müller und Hulk 2001). Während sich im Bereich der Objektauslassungen der Spracheneinfluss von der germanischen auf die romanische Sprache vollzieht, beeinflusst die Verbstellung in romanischen Nebensätzen die germanische Sprache. Die Richtung des Spracheneinflusses ist in den durchgeführten Studien nicht an die sprachliche Balanciertheit der bilingualen Kinder gebunden. Müller und Hulk (2001) haben von individuellen Konstellationen berichten können, in denen sich der Spracheneinfluss im Hinblick auf den Erwerb unterschiedlicher grammatischer Phänomene in entgegengesetzte Richtungen manifestiert hat. Diese Beobachtung ist ein Beleg dafür, dass bei der grammatischen Entwicklung des bilingualen Kindes von der Sprachdominanz abstrahiert werden muss, da letztere falsche Vorhersagen über die Richtung des Spracheneinflusses macht. Vielmehr muss die Beschaffenheit des grammatischen Phänomens für die Formulierung von Vorhersagen zugrunde gelegt werden. Folglich agiert der Spracheneinfluss unabhängig von der Sprachbalance aber in Abhängigkeit vom grammatischen Phänomen. Cantone et al. (2008) unterstützen diese An- <?page no="110"?> 110 nahme und argumentieren aus einer kompetenzgetriebenen Perspektive, dass bilinguale Kinder ihre beiden Erstsprachen auf ähnliche Weise erwerben und verglichen mit dem monolingualen Spracherwerb einen „normalen“ Erwerbsprozess durchlaufen. Die Autorinnen plädieren dafür, die Sprachdominanz als eine unabhängige Variable aufzufassen, die nicht zwingend mit der Sprachentrennung und dem Spracheneinfluss sowie den Sprachmischungen korrelieren muss. In der einschlägigen Literatur wird angenommen, dass bilinguale Kinder auf die grammatische Struktur von Sprache B zurückgreifen, wenn Sprache A gebraucht wird. Demnach erwirbt das bilinguale Kind die Sprache B als seine dominante, Sprache A als seine schwächere Sprache. Von dieser in der linguistischen Literatur weit verbreiteten Annahme ausgehend können Cantone et al. (2008) aussagekräftige Evidenz dafür liefern, dass nicht nur unbalancierte, sondern auch balancierte Kinder von Spracheneinfluss 73 betroffen sind und dass die Beeinflussung der Zielsprachen unidirektional erfolgen kann (vgl. u.a. Müller 1998, Müller et al. 2002, Müller et al. 2006, Schmitz 2006). Außerdem hat die Untersuchung der Sprachentwicklung unbalancierter Kinder das Ergebnis hervorgebracht, dass Kinder mit einer sprachlichen (Un-)Ausgeglichenheit nicht einflussanfällige Bereiche entwickeln, obwohl sie eine stärkere und eine schwächere Sprache besitzen (vgl. Müller 2004, Müller und Pillunat 2008). Kupisch (2006) hat im Rahmen einer empirischen Untersuchung zum Determinantenerwerb bei bilingual deutsch-französischen Kindern demonstrieren können, dass der Spracheneinfluss auch von der schwächeren Sprache ausgehen kann. Schließlich haben Müller et al. (2002) darauf hingewiesen, dass in einer bestimmten Entwicklungsphase Spracheneinfluss zwar in beiden Sprachen jedoch in unterschiedlichen grammatischen Bereichen nachgewiesen werden kann. Für den kindlichen Bilinguismus regt Müller (2008) an, dass Konzept der Sprachdominanz aus der Notwendigkeit der simultanen Verarbeitung zweier Sprachen zu interpretieren. Schließlich haben Cantone et al. (2008) die Rolle der Landessprache relativieren können, da sprachlich unbalancierte Kinder die Nicht-Umgebungssprache als ihre dominante Sprache erworben haben. Die Forschungsbeiträge von Müller und Hulk (2001), Cantone (2007) sowie Cantone et al. (2008) haben den kausalen Zusammenhang zwischen der Sprachdominanz einerseits und dem Auftreten von Spracheneinfluss sowie Sprachmischungen andererseits widerlegt. Im Hinblick auf das 73 In der Mehrsprachigkeitsforschung sind auch grammatische Bereiche untersucht worden, die nicht einflussanfällig sind und in denen bilinguale Kinder nicht auf Sprache B zurückgreifen, wenn sie Sprache A verwenden (vgl. u.a. Kupisch und Müller 2009, Schmitz und Müller 2005, 2008). <?page no="111"?> 111 Auftreten von Spracheneinfluss sind die grammatischen Eigenschaften der involvierten Zielsprachen ausschlaggebend, während Sprachmischungen auch durch pragmatische und außersprachliche Faktoren motiviert sein können. Bilinguale Kinder, die eine ihrer beiden Sprachen verweigern bzw. präferieren, müssen nicht zwingend unbalanciert sein. Gründe für eine sich einstellende Sprachpräferenz können in der sprachlichen Umgebung und der emotionalen Bindung zur jeweiligen Sprache liegen. Außerdem stellen die zuvor zitierten Studien die Inhibitionsfähigkeit bilingualer Kinder und den kontrollierten Gebrauch beider Erstsprachen unabhängig von der sprachlichen Balanciertheit heraus (vgl. auch Müller et al. in Vorb.). 3.4 Die Korrelation zwischen Input, Unbalanciertheit und Spracherwerb Ein aktueller Forschungsbeitrag zur Sprachdominanz ist im Wesentlichen der Rolle des erwachsenensprachlichen Inputs unter dem Gesichtspunkt einer unbalancierten Sprachentwicklung nachgegangen. La Morgia (2010) untersucht den Erwerb grammatischer Strukturen bilingual englischitalienisch aufwachsender Kinder, indem sie zunächst die in der Literatur aufgeführten Kriterien analysiert und schließlich auf die ausgewählten Longitudinal- und Querschnittstudien anwendet. Die zitierte Studie ist für die vorliegende Arbeit insofern von außerordentlichem Interesse, als die Forscherin die Hypothese aufstellt, dass diejenigen bilingualen Kinder, die das Italienische als ihre schwache Sprache erwerben, Erwerbschwierigkeiten mit der Realisierung postverbaler Subjekte aufweisen. Diese Argumentation basiert auf einem performanzorientierten Ansatz und stellt im Hinblick auf die Syntax-Pragmatik-Schnittstelle defizitäre Verarbeitungsressourcen der bilingualen Kinder heraus. Angesichts ihrer empirischen Untersuchung formuliert die Forscherin die Vermutung, dass eine Korrelation zwischen dem Erwerb von gewissen grammatischen Phänomenen und einer schwachen bzw. starken Sprache existiert. Bezüglich der Distribution von overten Subjekten in präbzw. postverbaler Position kommt die Autorin zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass sich die Italienisch-schwachen Kinder signifikant vom monolingualen Erwerb und von denjenigen Kindern unterscheiden, die die romanische Sprache als ihre starke Sprache erwerben. Die Divergenz liegt vornehmlich in der Beobachtung, dass die bilingualen Kinder mit einer sprachlichen Schwäche im Italienischen verhältnismäßig wenig postverbale Subjekte mit transitiven und unakkusativen Verben verwenden. Um die Repräsentativität des empirischen Befunds zu stärken, führt La Morgia (2010) einen <?page no="112"?> 112 Elizitationstest durch, der die Feststellung aus den Longitudinalstudien bestätigt: Wenn das Italienische als die schwache Sprache englischitalienischer Kinder erworben wird, wird das Subjekt aus diskurspragmatischen Gründen nicht zielsprachlich gebraucht und die Kinderdaten weisen eine signifikante Erwerbsschwierigkeit angesichts der Syntax- Pragmatik-Schnittstelle auf. Bezüglich des Inputs stellt La Morgia (2010: 145) fest, dass diejenigen bilingualen Kinder das Italienische als ihre starke Sprache erwerben, die regelmäßig quantitativen und qualitativen Input ausgesetzt sind. Dennoch macht die Autorin auf die Forschungslücke aufmerksam, dass even though there is not yet any indication in the literature as to how much input bilingual children need to develop the two languages equally (or almost equally), it emerges from the analysis presented in chapter 6 that both quantity and quality of input are necessary. (La Morgia 2010: 145) Die dokumentierte individuelle Variation der untersuchten Individuen deutet außerdem auf ein unterschiedliches Ausmaß an sprachlicher Schwäche in der einen oder anderen Sprache bilingual aufwachsender Kinder hin. Aus dieser Beobachtung formuliert die Forscherin Implikationen für den weiteren Erwerbsprozess und der bilingualen Sprachfähigkeit: Eine in zukünftigen Forschungen zu beantwortende Frage wird sein, inwieweit ein bilinguales Individuum mit einer signifikanten Schwäche in einer seiner beiden Sprachen eine muttersprachliche Kompetenz in seiner schwachen Sprache erreichen kann (vgl. La Morgia 2010: 146). Darüber hinaus muss weiterhin erforscht werden, ob tatsächlich die Quantität und Qualität des Inputs der ausschlaggebende Faktor für den Erwerb einer starken bzw. schwachen Sprache sein kann. Im Hinblick auf den erwachsenen Sprecher knüpft die Forscherin an die bereits durchgeführten heritage -Studien an, die in gewissen Sprachkontaktsituationen einen unvollständigen Erwerb der Zweitsprache oder sogar einen Sprachverlust dokumentieren (vgl. Polinski 1997, Montrul 2004, Rothman 2007). Schließlich fasst die Autorin zusammen, dass das Italienische der bilingualen Kinder als das schwächere Sprachsystem erachtet werden kann, wenn • die Kinderdaten auf einen verzögerten Erwerb hindeuten, • die MLU-Werte sehr niedrig sind und eine hohe Anzahl an Wortstellungs-, Kongruenz- und Flexionsfehler sowie ein limitiertes Lexikon und nicht-zielsprachliche Subjektauslassungen und -realisierungen beobachtet werden können, <?page no="113"?> 113 • die ausgelassenen und realisierten Subjekte sowie die Distribution der Subjekte, präbzw. postverbal, nicht mit der Erwachsenensprache übereinstimmen, • das bilinguale Kind nicht ausreichend quantitativen und qualitativen Input in der romanischen Sprache erhält. Der Forschungsbeitrag ist für den in der vorliegenden Studie analysierten grammatischen Bereich relevant und stellt eine Korrelation zwischen der Balanciertheit und der Distribution von prä- und postverbalen Subjekten heraus. Die Tatsache, dass sprachlich unausgeglichene Kinder eine geringe Anzahl an postverbalen Subjekten im Italienischen realisieren, führt La Morgia (2010: 148) auf kognitive Verarbeitungsdefizite ( processing limitations ) zurück, die im Wesentlichen die simultane Aktivierung von syntaktischem und pragmatischen Wissen involvieren. Den Ausführungen der Autorin folgend kann sich eine ausreichende Versorgung mit romanischem Input positiv auf den Erwerbsprozess auswirken, dergestalt, dass umfangreicher Input den Arbeitsaufwand für die Verarbeitung von grammatischem Wissen fördert. La Morgia verfolgt somit einen performanzbasierten Ansatz, der vielmehr die Verarbeitungsmechanismen des bilingualen Kindes in den Vordergrund und weniger die sprachliche Kompetenz im Hinblick auf syntaktische Optionen stellt. Schließlich regt die Autorin an, die bisher gewonnenen Erkenntnisse mittels weiterführender Studien zu überprüfen und gegebenenfalls zu untermauern bzw. zu revidieren. 3.5 Vorhersagen für den bilingualen Erstspracherwerb Aus der Diskussion der verschiedenen theoretischen Standpunkte zur Sprachdominanz kann für die vorliegende Studie folgende vorläufige Vorhersage abgeleitet werden: In Anlehnung an die unitary language system hypothesis werden Sprachmischungen als Indikator einer unausgeglichenen Sprachentwicklung im bilingualen Individuum interpretiert. Demnach impliziert die Theorie einer unbalancierten Entwicklung die Existenz einer schwachen und einer starken Sprache, die es anhand mehrerer Kriterien aus quantitativer und qualitativer Sicht zu ermitteln gilt. Zahlreiche Forschungsbeiträge, die die Sprachdominanz im Hinblick auf das frühkindliche Mischen fokussiert haben, haben dafür argumentiert, dass sich der Sprachenwechsel unidirektional von der starken Sprache in die schwächere vollzieht, wodurch eine systematische Beeinflussung der schwachen Sprache durch das weiterentwickelte System ausgelöst wird. Übertragen auf den Subjekterwerb macht diese Auslegung der kindlichen <?page no="114"?> 114 Sprachfähigkeit die Vorhersage, dass stets die schwächere Sprache von Spracheneinfluss betroffen ist: • Bei nachgewiesener Sprachdominanz ist die schwächere Sprache von Spracheneinfluss betroffen. • Die schwächere Sprache zeigt aufgrund ihrer verzögerten Entwicklung ungrammatische Subjektauslassungen und -realisierungen. • Sprachlich ausgeglichene Kinder, die keine sprachliche Überlegenheit in einer ihrer beiden Sprachen aufweisen, sind nicht von Spracheneinfluss betroffen und erwerben die beiden Zielsysteme bezüglich der Subjektposition zielsprachlich. Im Gegensatz dazu haben jedoch Cantone und Müller (2005), Cantone (2007) sowie Müller und Cantone (2009) die Unidirektionalität der Sprachmischungen relativiert, da letztere auch im ausgeglichen bilingualen Erstspracherwerb beobachtet werden können. Somit kann weder die Richtung des Spracheneinflusses noch die der Sprachmischungen über die Sprachbalance eindeutig bestimmt werden. Zusammenfassend deuten die von Müller und Hulk (2001) und von Cantone (2007) analysierten Longitudinalstudien darauf hin, dass Sprachdominanz und Spracheneinfluss als unabhängige Komponenten des doppelten Erstspracherwerbs zu verstehen sind. Diese Annahme stellt eine Opposition zu den bisher aufgeführten Ansätzen dar und führt in Anlehnung an die cross-linguistic influence hypothesis zu folgenden Vorhersagen: • Auch balancierte Kinder können in einem bestimmten grammatischen Bereich Spracheneinfluss zeigen. • Die Dominanzverhältnisse geben keinen Aufschluss darüber, ob der Erwerb eines grammatischen Phänomens in der starken oder schwachen Sprache von Spracheneinfluss betroffen ist. • Der Spracheneinfluss operiert unabhängig von der Sprachdominanz und tritt in Abhängigkeit der syntaktischen Beschaffenheit eines grammatischen Phänomens ein: In diesem Fall sind nichtzielsprachliche Subjektauslassungen und -realisierungen nicht a priori auf die Dominanzverhältnisse, sondern auf sprachinterne Faktoren zurückzuführen. Die in diesem Kapitel diskutierten Zusammenhänge zwischen der Sprachdominanz, den Sprachmischungen und dem Spracheneinfluss stellen somit die Relevanz einer Analyse der sprachinternen Faktoren in den Vordergrund. Demnach kann Spracheneinfluss nicht ausschließlich über die Sprachbalance, sondern vielmehr über die syntaktische Beschaffenheit eines grammatischen Phänomens vorhergesagt werden. <?page no="115"?> 115 Für die vorliegende Studie ergibt sich aus der wissenschaftlichen Diskussion über die Sprachdominanz die Notwendigkeit, die grammatischen Beschaffenheiten des Subjektbereichs in den hier involvierten Sprachen zu analysieren. Aus diesem Grund wird eine syntaktische Analyse des Subjektbereichs im Italienischen, Spanischen, Französischen und Deutschen im vierten Kapitel erfolgen. Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, die formulierten Vorhersagen für den Subjekterwerb im bilingualen Erstspracherwerb zu überprüfen und somit die Rolle der Sprachdominanz und des Spracheneinflusses aus syntaktischer Sicht herauszustellen. Schließlich soll anhand der Beschreibung der grammatischen Eigenschaften der jeweiligen Zielsysteme im Sinne der crosslinguistic influence hypothesis das Auftreten von Spracheneinfluss in der deutsch-italienischen, deutsch-spanischen und französisch-italienischen Sprachkombination interpretiert werden. <?page no="116"?> 116 4 Theoretischer Rahmen: Grammatiktheorien und Zielsysteme Im folgenden Kapitel soll die für die Interpretation der erhobenen Kinderdaten zugrunde liegende Grammatiktheorie in ihrer Entwicklung vorgestellt werden. Es werden einige Grundideen des Prinzipien- und Parametermodells und der in der Literatur stark diskutierte Nullsubjekt- Parameter erläutert. Darüber hinaus wird der Übergang vom generativen Prinzipien- und Parametermodell zum Minimalistischen Programm skizziert und dessen Auswirkungen für die syntaktische Analyse des Subjektbereichs thematisiert. Da der Erwerb des Subjekts sowohl im Rahmen der Prinzipien- und Parametertheorie als auch über den minimalistischen Ansatz erforscht worden ist, erfolgt die Interpretation der in dieser Studie erhobenen und analysierten Spracherwerbsdaten aus der traditionellen generativen und moderneren minimalistischen Perspektive. Die konzeptuellen Veränderungen der beiden Grammatikmodelle werden in der vorliegenden Arbeit berücksichtigt und für den untersuchten grammatischen Bereich des Subjekts dargestellt. Einige Vorbemerkungen und einleitende Grundideen der generativen Grammatik werden zu den wesentlichen Teiltheorien des hier zugrunde liegenden Grammatikmodells hinführen und die Relevanz für die syntaktische Analyse des in diesem Zusammenhang diskutierten grammatischen Bereichs herausstellen. Der Fokus dieses Kapitels liegt auf dem evolutionären Aspekt des generativen Standpunktes, der sich aus der anfänglichen Standardtheorie bis hin zur minimalistischen Phasentheorie weiterentwickelt hat und kontinuierlich kritisch hinterfragt wird. Die nachstehenden Unterkapitel werden zunächst das Prinzipien- und Parametermodell und schließlich den Spracherwerb im Hinblick auf die Universalgrammatik sowie den minimalistischen Ansatz erläutern. Im Anschluss wird eine syntaktische Beschreibung der involvierten Zielsysteme, dem Italienischen, Spanischen, Französischen und Deutschen erfolgen, die Ausgangspunkt für die theoretische Diskussion der erhobenen Erwerbsdaten sein wird. Dem aktuellen Forschungsstand über die zahlreich geführten Diskussionen bezüglich des Status des pro-drop -Parameters wird bei der Interpretation der Erwachsenen- und Kinderdaten ebenfalls Rechnung getragen. Das Kapitel wird mit einer Zusammenstellung der grammatischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der einzelnen Erwachsenensprachen abschließen und unter Berücksichtigung der grammatischen Beschaffenheiten der zu erwerbenden Zielsprachen Vorhersagen für den bilingualen <?page no="117"?> 117 Erstspracherwerb formulieren. Letztere gilt es anhand der empirischen Untersuchung in Kapitel 6 und 7 zu überprüfen oder gegebenenfalls zu revidieren. 4.1 Die generative Grammatik Das moderne Phasenmodell des minimalistischen Ansatzes leitet sich aus der Standardtheorie, aus der in Folge einer theoretischen Weiterentwicklung die generative Grammatiktradition erwachsen ist, ab. Die Standardtheorie, welche in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts den Grundstein des generativen Standpunktes gelegt hat, wird als grundsätzliche Abgrenzung vom Strukturalismus und als moderne Sprachtheorie interpretiert. Der generative Ansatz verfolgt das Ziel, primär die Sprachfähigkeit eines Individuums zu erfassen und sekundär sprachliche Strukturen zu beschreiben. Im Mittelpunkt der sprachwissenschaftlichen Forschung stehen die Sprachkompetenz eines Sprechers und dessen Performanz. Die von Chomsky (1965) präsentierte Syntaxtheorie erforscht den Zusammenhang zwischen Sprache, Spracherwerb und Kognition. Chomsky nimmt in seinen Ausführungen an, dass dem Sprecher aufgrund einer angeborenen Universalgrammatik der Erwerb einer natürlichen Sprache ermöglicht wird. Über den Input aktiviert das Sprache erwerbende Kind seine angeborene Sprachfähigkeit, die mit allgemeinen Prinzipien und sprachspezifischen Parametern ausgestattet ist. Einer dieser sprachspezifischen Parameter ist der sogenannte pro-drop - Parameter, der in der vorliegenden Studie von außerordentlicher Relevanz ist. Darüber hinaus fokussiert der Generativismus sprachliche Gesetzmäßigkeiten, die einen Rückschluss auf das menschliche Kenntnissystem und die Kognition liefern soll. Sowohl die Standardtheorie als auch später die generative Grammatik in ihren fortgeschritteneren Phasen führen wichtige Überlegungen zum sprachlichen Wissen eines Individuums und einige konzeptuelle Grundideen an, die im Folgenden dargestellt werden sollen. Die Anfänge der generativen Grammatik Chomsky (1965) macht auf die Existenz von Phrasenstrukturregeln und die Unterscheidung zwischen einer Tiefen- und einer Oberflächenstruktur aufmerksam. Über die Phrasenstrukturregeln lassen sich die Konstituentenstrukturen einzelner Phrasen ableiten und die Rekursivität von Strukturen präsupponieren. Über einen derartigen Regelapparat können syntaktische Strukturen aus lexikalischen und funktionalen Elementen zusammengesetzt werden: Elemente mit semantischem Inhalt stellen <?page no="118"?> 118 lexikalische Kategorien dar (Nomen, Verben, Präpositionen und Adjektive), während Elemente mit grammatischen Merkmalen der Klasse der funktionalen Kategorien (Person, Numerus, Kasus, Tempus, Konjunktionen und Determinanten) zugeordnet werden. 74 (4.1) S --> NP VP (4.2) NP --> Det N (4.3) VP --> V NP NP Die sich aus den Phasenstrukturregeln ableitenden Strukturen werden in binär verzweigenden Baumdiagrammen schematisch dargestellt, wobei die hierarchischen Beziehungen unter den einzelnen Komponenten berücksichtigt werden. Die Unterscheidung in eine Tiefen- und Oberflächenstruktur spielt in der generativen Grammatiktheorie eine zentrale Rolle und geht auf die Annahme zurück, dass alle Sätze einer natürlichen Sprache aus einer einzigen zugrunde liegenden Struktur deriviert sind. S NP VP Maria NP V einen Brief schreibt Abb.(4.4): Schematische Darstellung von Satzkonstituenten Demnach geht die lineare Abfolge der Konstituenten auf eine tiefstrukturell homogene Struktur zurück, die über den Mechanismus der Transformation verändert werden kann. Die Tiefenstruktur stellt somit eine abstrakte Ebene dar, die über Transformationen in die jeweilige Oberflächenstruktur überführt werden kann. Letztere entspricht zwar der tatsächlichen Wortfolge einer Phrase, lässt jedoch keinen direkten Rückschluss auf die Grammatik einer Sprache zu. 74 Die Einteilung in lexikalische und funktionale Kategorien entspricht der Klassifikation von Elementen nach Philippi und Tewes (2010). <?page no="119"?> 119 Im Rahmen der generativen Syntaxtheorie sind einige Teiltheorien entstanden, die im Folgenden kurz beschrieben werden. Wesentliche Bestandteile des theoretischen Apparats dieser Sprachtheorie sind die Government-Binding -Theorie (GB-Theorie), das Projektionsprinzip, das Theta-Kriterium und die Rektionstheorie. Die aus den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts stammende GB-Theorie schreibt eine syntaktische Regel vor, anhand welcher alle Transformationen beschrieben werden können. Move α : Bewege eine beliebige Konstituente α von einer Position x in eine Position y. Die Bewegung von Satzkonstituenten wird in der vorliegenden Arbeit von außerordentlicher Relevanz sein, da die (präverbale und postverbale) Subjektposition in den involvierten Sprachen diskutiert und aus der theoretischen Diskussion Vorhersagen für den bilingualen Erstspracherwerb abgeleitet werden sollen. Der soeben aufgeführten Transformationsregel folgend können entweder ganze Phrasen oder syntaktische Köpfe aus Gründen der Kasuszuweisung innerhalb einer Struktur bewegt werden. Eine Teiltheorie der GB-Theorie, die X-bar -Theorie, regelt die Phrasenstruktur und wird den Anforderungen der Universalität und der Lernbarkeit gerecht. Demnach müssen alle Phrasentypen aller natürlichen Sprachen erfasst und die Phrasenstrukturregeln im Spracherwerb gelernt werden (vgl. Ramers 2000: 42). 75 Teiltheorien im generativen Gesamtmodell Im Laufe der sprachtheoretischen Entwicklung distanziert sich das generative Sprachmodell zunehmend vom Strukturalismus und stellt eine Phrasenstrukturgrammatik zur Verfügung, mittels welcher sprachspezifische Phrasen ermittelt und im Hinblick auf ihre Wohlgeformtheit überprüft werden können. Das Prinzip der Rekursivität und der Transformation ermöglicht aus einem beschränkten Inventar an Kernsätzen eine unbegrenzte Anzahl von Phrasen. Das Ziel dieses Grammatikmodells liegt im Wesentlichen darin, anhand einiger Prinzipien und Teiltheorien des GB-Modells grammatische Sätze zu generieren. Demnach entscheidet ein Regelapparat darüber, ob es sich bei einem sprachlichen Ausdruck um eine grammatische oder nicht-wohlgeformte Konstruktion handelt. Der Begriff der Wohlgeformtheit impliziert die Unterscheidung zwischen grammatischen und akzeptablen Sätzen. Chomsky (1965) weist darauf hin, dass die Grammatikalität auf der Ebene der Kompetenz, die Akzeptabili- 75 Der Zusammenhang zwischen dem theoretischen Aufbau der generativen Grammatik und dem Spracherwerb sowie der Universalität wird in Kapitel 4.2 diskutiert. <?page no="120"?> 120 tät auf der Ebene der Performanz anzusiedeln sei. Die Legitimation für diese Dichotomie liefert die Beobachtung, dass grammatische Strukturen nicht zwingend akzeptabel sein müssen: Eine mangelnde Akzeptabilität kann entweder semantischer oder sprachverstehenstheoretischer Natur sein. Diese Erkenntnis kann vor allem psycholinguistischen Untersuchungen entnommen werden, die den Sprachverstehensprozess und dessen Störungen analysiert haben. Demnach wird der Sprachverstehensprozess bei grammatischen, jedoch nicht-akzeptablen Sätzen insofern gestört, als der Hörer die Verarbeitung des sprachlichen Materials als schwierig empfindet und folglich den sprachlichen Ausdruck nicht versteht (vgl. Platz-Schliebs, Schmitz, Müller und Merino-Claros 2011). Im psycholinguistischen Rahmen spricht man bei Störungen des Sprachverstehensprozesses 76 von sogenannten garden-path -Effekten (vgl. Dietrich 2007). Diese werden genau dann ausgelöst, wenn der Hörer bei der syntaktischen Kodierung und Analyse des sprachlichen Ausdrucks, beim Parsing , durch die syntaktische Struktur des Satzes irritiert wird. Nach Chomsky erreichen all solche Sätze einen hohen Akzeptabilitätsgrad, die möglichst natürlich sind. The more acceptable sentences are those that are most likely to be produced, more easily understood, less clumsy, and in some sense more natural. (Chomsky 1965: 11) Im generativen Ansatz besitzt jeder Satz eine strukturelle Beschreibung, die die strukturellen und hierarchischen Beziehungen der einzelnen Komponenten des sprachlichen Ausdrucks wiedergibt. Dabei ist die Phrasenstrukturtheorie der Ausgangspunkt des syntaktischen Geschehens, da sich aus dieser die Tiefen- und Oberflächenstruktur ergibt. Während die Tiefenstruktur mit lexikalischen Einheiten des Lexikons gefüllt und für die semantische Interpretation zur Verfügung gestellt wird, bildet die Oberflächenstruktur die Tiefenstruktur mittels Transformation auf der Ebene der phonologischen Interpretation und schließlich der phonetischen Repräsentation ab. Dieser Prozess involviert eine Reihe von Teiltheorien, die im Rahmen des generativen Modells entwickelt worden sind und einen theoretischen Fortschritt im Minimalistischen Programm (vgl. Chomsky, 1993, 1995) erfahren. 76 An dieser Stelle wird lediglich auf Störungen des Sprachverstehensprozesses hingewiesen. Für eine detaillierte Beschreibung des Phänomens vgl. Dietrich (2007). <?page no="121"?> 121 X-bar-Schema Lexikon D-Struktur move α S-Struktur Phonetische Form (PF) Logische Form (LF) Abb. (4.5): Das Government-Binding -Modell (vgl. Chomsky 1981: 17) Die wichtigsten Prinzipien, die den Regelapparat für die Derivation einer wohlgeformten Struktur erstellen, sind die Rektions -, Bindungs -, Theta -, Kasus -, Grenzknoten - und Kontroll theorie. Einige dieser Konzepte 77 werden im Weiteren vorgestellt und sind für den grammatischen Bereich des Subjekts von außerordentlicher Relevanz. So wird in der einschlägigen Literatur dafür argumentiert, dass Subjekte generell in einer Spezifizierer- Position der [VP] basisgeneriert werden und im Einklang mit der VP Internal Subject Hypothesis (vgl. Radford 1990) ihre Thetatrolle AGENS erhalten. Aus kasustheoretischen Gründen muss jedoch die Subjekt-DP aus der [VP] in die Spezifikator-Position der [IP] angehoben werden, damit sie dort mit dem Kasuswert Nominativ versehen werden kann. Über die syntaktische Operation der Bewegung kann das finite [I], [+Agr, + T], den Nominativ-Kasus an die Subjekt-DP vergeben. Das nachstehende Beispiel (4.6) gibt die Grundstruktur des italienischen Satzes Maria legge un libro nach der Anhebung der Subjekt-DP in die Spezifikator- Position der [IP] wieder. (4.6) [ IP [ Spec,IP=DP Maria] [ VP [ Spec,VP Maria][ V’ legge [ DP un libro]]]] Erst in einer [IP]-Position kann der Subjekt-DP der strukturelle Nominativ-Kasus durch ein finites [I] zugewiesen werden. Dieser Vorgang ist insofern notwendig, als eine nominale Konstituente nur dann in einem sprachlichen Ausdruck lizenziert ist, wenn sie eine Satzfunktion erfüllt. 77 In diesem Zusammenhang werden ausschließlich die Rektions- , Bindungs-, Theta-, Kasus- und Kontrolltheorie anhand weniger Beispiele erläutert. Für eine ausführliche Beschreibung aller Teiltheorien der GB-Theorie wird auf Müller und Riemer (1998) verwiesen. <?page no="122"?> 122 Ist dies nicht der Fall, kann die Konstituente nicht interpretiert werden und der sprachliche Ausdruck muss als insgesamt ungrammatisch erachtet werden. Der jeweilige Kasus wird von bestimmten Kategorien vergeben: So ist bspw. das Verb für die Akkusativ-Zuweisung an seine Komplemente und [I] für den Nominativ-Kasus nominaler Konstituenten in [Spec, IP] verantwortlich. Eng damit verbunden ist das Theta-Kriterium, welches besagt, dass jedes Argument genau eine Theta-Rolle besitzen muss. Für das italienische Verb leggere werden gemäß der Argumentstruktur und des Thetarasters die semantischen Rollen <AGENS, THE- MA> vorgeschrieben. Das nachstehende Beispiel (4.7) dient der Beschreibung der Rektions- und Bindungstheorie, die vornehmlich im Hinblick auf das Subjekt und das pronominalisierte Objekt erläutert werden soll. (4.7) a. Paolo i attende Gianni j . b. pro i lo j attende. In (4.7b) kann sich das leere Subjektpronomen pro sowohl auf Paolo als auch auf Gianni beziehen. Die Pronominalisierung des Objekt-Komplements mittels lo lässt hingegen zwei Interpretationsmöglichkeiten zu: Entweder bezieht sich lo auf Gianni, wenn pro auf Paolo referiert, oder es meint Paolo, wenn pro mit Gianni koindiziert ist. Aus dieser Beobachtung kann geschlussfolgert werden, dass es im Falle von Pronomina eine eingeschränkte Lesart gibt, die sich aus Rektions- und Bindungsprinzipien erklären lässt. Das Beispiel (4.7) macht deutlich, dass die Bindung eines Pronomens, in diesem Fall lo , in der für Rektion relevanten Domäne ausgeschlossen ist. In Anlehnung an die Bindungsprinzipien (vgl. u.a. Chomsky 1980, 1981, 1986) sind Pronomina in ihrer Rektionsdomäne ( government ) frei. Innerhalb der [IP], der in (4.7) relevanten Rektionskategorie, darf kein Bindungsverhältnis ( binding ) zwischen dem zu bindenden Element (in diesem Fall dem Pronomen lo ), seinem Regens (in diesem Fall dem Verb attende ) und dem Subjekt (in diesem Fall dem Nullsubjekt) entstehen. Die strukturelle Beziehung der Rektion ist in diesem sprachlichen Ausdruck zwischen dem regierenden Verb und den regierten Komplementen ausgeschlossen. Eine Bindung zwischen dem Regens und dem regierten Element findet hingegen bei Reflexivpronomina, sogenannten Anaphern, statt, die gemäß der Bindungsprinzipien in der für Rektion relevanten Domäne gebunden sein müssen. In Paolo i si i lava nel bagno werden beide Kriterien für Bindung erfüllt (vgl. Fanselow und Felix 1987: 100): <?page no="123"?> 123 Bindung : α bindet β genau dann, wenn 1. α mit β koindiziert ist (= den gleichen Index trägt) 2. α β c-kommandiert. Die folgende Abbildung (4.8) gibt die Rektionskategorie [IP], das Antezedens Paolo in [Spec, IP] und die von [I’] dominierten Knoten sowie die strukturellen Beziehungen unter den Komponenten wieder: Unter einem c-Kommando, einer hierarchischen Relation, ist das Subjekt mit dem Reflexivpronomen, der Anapher, koindiziert. IP Spec,IP c -Kommando I’ Paolo i si i lava nel bagno Bindung Abb. (4.8): Bindungsprinzip der Anapher (vgl. Gabriel und Müller 2008: 76) In Nullsubjektsprachen kann die [Spec, IP] entweder durch eine Nominalphrase, ein starkes Pronomen oder durch ein leeres Element pro gefüllt sein. Die diskurspragmatischen und syntaktischen Gründe, die im Italienischen und Spanischen zu einer pronominalen Subjektauslassung bzw. realisierung führen können, werden in Kapitel 4.4 erläutert. Dennoch kann aus syntaktischer Sicht die Subjektposition nur dann phonetisch leer sein, wenn pro durch finite Merkmale in [I], [+Agr, + T] lizenziert und identifiziert ist. Das nachstehende Beispiel (4.9) zeigt jedoch, dass die Subjektposition auch in infiniten Konstruktionen möglich ist. (4.9) Maria i ha deciso [ CP di [ IP PRO i comprare questa casa]]. In diesem sprachlichen Ausdruck ist die Subjektposition des Matrixsatzes lexikalisch gefüllt ( Maria i ), wobei diese im eingebetteten Infinitivsatz phonetisch unrealisiert bleibt (PRO i ). Die Koindizierung der beiden Subjektpositionen signalisiert, dass der Satz nur eine Interpretation zulassen kann: Das Subjekt aus dem eingebetteten Infinitivsatz muss sich auf das Subjekt aus dem Matrixsatz beziehen, d.h. die Person, die ein Haus kaufen möchte, ist auch diejenige, die im Vorfeld diese Entscheidung getroffen hat. Im Einklang mit der Kontrolltheorie wird dieser Prozess als Subjektkontrolle bezeichnet, die vom Kontrollverb der übergeordneten Phrase ausgelöst wird und die strukturelle Beziehung zwischen den invol- <?page no="124"?> 124 vierten Subjekten fordert. Im Gegensatz zu pro , welches durch ein starkes Pronomen oder eine lexikalische Nominalphrase ersetzt werden kann, muss PRO stets als leeres Element phonetisch unrealisiert bleiben. In (4.10) wird anhand der pronominal realisierten Subjektposition im untergeordneten Satz die ungrammatische Entsprechung des sprachlichen Ausdrucks in (4.9) dargestellt. (4.10) * Maria i ha deciso [ CP di [ IP ella i comprare questa casa]]. Die in diesem Zusammenhang vorgestellten Teiltheorien des GB-Modells sind für die theoretische Diskussion über die syntaktische Position des Subjekts in den involvierten Zielsprachen relevant und dienen der Formulierung von Vorhersagen angesichts des Subjekterwerbs im bilingualen Erstspracherwerb. Das nächste Unterkapitel widmet sich dem im Rahmen der generativen Grammatik entwickelten Prinzipien- und Parametermodell. 4.2 Das Prinzipien- und Parametermodell Das von Chomsky (1981, 1982, 1986) eingeführte Prinzipien- und Parametermodell basiert auf der Grundannahme, dass jedes Individuum mit einer angeborenen Sprachfähigkeit ausgestattet ist, die den Erwerb einer natürlichen Sprache ermöglicht ( Nativitätshypothese ). Chomsky fokussiert die kognitiven Fähigkeiten eines Individuums und stellt für die Spracherwerbsforschung ein theoretisches Modell zur Verfügung, welches den generativen Aspekt von Sprache in den Vordergrund stellt. Eine zentrale Frage, die die generative Grammatik zu beantworten versucht, ist die der mentalen Repräsentation von sprachlichem Wissen (Kompetenz) und dessen Erwerb. In diesem Zusammenhang wird häufig auf das bereits von Platon erkannte, logische Problem des Spracherwerbs hingewiesen, welches Grewendorf (2002: 12) anhand bestimmter Adäquatheitsbedingungen zu beheben versucht 78 . Chomskys Prinzipien- und Parametertheorie legt die Existenz einer Universalgrammatik zugrunde, die sich als Sprachmodul in weitere Teilmodule, in die einzelnen linguistischen Beschreibungsebenen, gliedern lässt: Syntax, Semantik, Morphologie und Phonologie. Der Spracherwerbsmechanismus wird anhand des Inputs, welchen das Kind über 78 Weitere Ausführungen zu „Platons Problem“ und den diesbezüglich von Grewendorf (2002: 12) aufgestellten Adäquatheitsbedingungen können Schmitz (2006: 10ff.) entnommen werden. <?page no="125"?> 125 seine Umgebung aufnimmt, aktiviert. Bezüglich der menschlichen Sprachfähigkeit wird angenommen, dass sie Prinzipien enthält, die eine mögliche natürlich-sprachliche Grammatik einer Sprache spezifizieren. Die Universalgrammatik ist über die Gesamtheit dieser Prinzipien konzipiert und der Spracherwerbsmechanismus verarbeitet den sprachlichen Input im Hinblick auf universale Prinzipien. Die Universalgrammatik (UG) ist die Charakterisierung eines spezifischen Systems mentaler Strukturen, das die Voraussetzung für den Spracherwerb bildet. Sie ist das, was die menschliche Sprach(erwerbs)fähigkeit ausmacht und wodurch sich der Mensch von anderen Lebewesen unterscheidet. […] Die UG charakterisiert also einen bestimmten Aspekt der biologischen Ausstattung des Menschen, d.h. jene genetisch determinierten Eigenschaften der menschlichen Kognition, die speziell für den Erwerb von Sprache die Voraussetzung bilden. Spracherwerb lässt sich also als ein Zusammenspiel von UG-Prinzipien und konkreter sprachlicher Erfahrung ansehen. (Fanselow und Felix 3 1993: 127) Damit jedoch die Existenz einzelsprachlicher Eigenschaften nicht unberücksichtigt bleibt und nicht der Eindruck entsteht, alle natürlichen Sprachen besäßen identische Grammatikstrukturen, stellt man die Universalgrammatik als parametrisiertes System dar. Diese Annahme ist insofern notwendig, als Parameter einzelsprachliche Variationen ermöglichen. Universale Prinzipien lassen eine finite Anzahl von Strukturen zu, aus denen das Kind aufgrund positiver Evidenz eine auswählen muss. Das Kind steht somit vor der Herausforderung, den zielsprachlichen Wert des jeweiligen Parameters durch positive Evidenz aus dem sprachlichen Input als binäre Option „+“ oder „-“ zu fixieren. Damit der zielsprachliche Wert eines Parameters festgelegt werden kann, muss letzterer so beschaffen sein, dass er anhand von Sätzen, die das Kind in seinem Input wahrnimmt, gesetzt werden kann. Sprache erwerbende Kinder leiten die Grammatik ihrer Sprachgemeinschaft über Performanzerscheinungen ab und bewältigen die Aufgabe des Spracherwerbs über ihre angeborene Sprachfähigkeit. Die Existenz einer angeborenen Sprachfähigkeit kann dadurch gerechtfertigt werden, dass Kinder auch solche Strukturen erwerben, die nur selten oder kaum in ihrem Input repräsentiert sind. Schlösse man die Existenz einer angeborenen Sprachfähigkeit aus, müsste man annehmen, dass Kinder lediglich Äußerungen imitieren und Strukturen nicht eigenständig produzieren können. Sobald das Kind die sprachspezifischen Regularitäten der zu erwerbenden Sprache erkannt hat, kann es über die Prinzipien und Parameter des jeweiligen Zielsystems die Kerngrammatik seiner Sprache ableiten. Das Prinzipien- und Parametermodell sieht außerdem den Erwerb von mehreren Teileigen- <?page no="126"?> 126 schaften eines Parameters und somit das Bündeln von grammatischen Phänomenen vor ( clustering of properties ). In der Literatur wird angenommen, dass Kinder bereits in frühen Erwerbsphasen zwischen einer Nullsubjekt- und einer Nicht-Nullsubjektsprache unterscheiden können, unabhängig von der Quantität und Qualität des Inputs. Auf den Zusammenhang zwischen Spracherwerb, Universalgrammatik und Parametrisierung wird im Folgenden detailliert eingegangen. 4.2.1 Der Spracherwerb und die Universalgrammatik Die Prinzipien der Universalgrammatik sind angeboren und stellen somit die Voraussetzung für den Spracherwerb dar. Im generativen Sprachmodell ist der sprachspezifische Input der Auslöser, der den Spracherwerbsprozess in Gang setzt, und Träger essenzieller Informationen für die Parametrisierung. In diesem Abschnitt soll der Zusammenhang zwischen dem Spracherwerb und einer angenommenen Universalgrammatik sowie die Plausibilität von angeborenen Prinzipien diskutiert werden. Chomsky (vgl. 1981, 1982, 1986, 1995) vertritt mit seiner generativen Sprachtheorie den Nativismus und postuliert die Existenz eines angeborenen Vorwissens. Seine Vorstellung des Spracherwerbs basiert auf der Annahme, dass „alle Kinder einer Sprachgemeinschaft dieselbe Grammatik in derselben Zeit erwerben“ (v. Stechow und Sternefeld 1988: 30) und „dass es eine Reihe von Prinzipien geben muss, mit denen das Kind ausgestattet ist und die es ihm ermöglichen, die Sprache(n) der jeweiligen Sprachgemeinschaft(en) zu erwerben“ (Müller et al. 2006: 27). Plausible Gründe für dieses Konzept liefert die Beobachtung, dass Kinder auch solche Strukturen erwerben, die in ihrem Input nur selten 79 auftreten oder die sie zuvor noch nie wahrgenommen haben. Zahlreiche Spracherwerbsstudien liefern positive Evidenz für das generative Grammatikmodell und stärken es anhand von Erkenntnissen aus der Spracherwerbsforschung, die universelle Tendenzen offenlegen und ausschließlich eine nativistische Interpretation zulassen. Unter Zugrundelegung der Nativitätshypothese ist das grammatische Wissen modular aufgebaut und nach eigenen Regeln organisiert, die eine innere Ordnung der Grammatik vermuten lassen: Demnach regelt die Syntax den Satzbau, die Morphologie den Wortaufbau und die Phonologie das Lautbild 80 . Die Begründung 79 In diesem Zusammenhang sind u.a. Passivkonstruktionen gemeint (vgl. Müller et al. 2006: 27). 80 An dieser Stelle werden nur einige wenige Grammatikmodule erwähnt. Die Semantik und Pragmatik sind ebenfalls Bestandteile des grammatischen Wissens, wobei in der Literatur über dessen Status kontrovers diskutiert wird: Es besteht kein Kon- <?page no="127"?> 127 für die Existenz einer allen Sprachen zugrunde liegenden Universalgrammatik liegt im Erwerb von unbewusstem Wissen, da Kinder Regularitäten erwerben, die den Erwachsenen nur unbewusst zugänglich sind (vgl. Müller und Riemer 1998). In der einschlägigen Literatur finden sich in diesem Zusammenhang die Begriffe des deduktiven und induktiven Lernens, die an dieser Stelle kurz erläutert werden sollen. Der Begriff des deduktiven Lernens wird als Synonym für den Vorgang der Aktivierung der Universalgrammatik über den Input gebraucht. Unter deduktives Lernen versteht man den Lernprozess, der sich vom Allgemeinen zum Spezifischen bewegt. Das Sprache erwerbende Kind muss deduktiv die Entscheidung treffen, ob es sich bei seiner Sprache um eine Nullsubjekt- oder eine Nicht-Nullsubjektsprache handelt und demnach den Parameter fixieren. Dass diese Entscheidungsfindung über ein deduktives Lernverfahren stattfindet, kann anhand einer bereits in sehr frühen Erwerbsphasen richtig getroffenen Entscheidung belegt werden. Diese Beobachtung lässt den Schluss zu, dass das Kind die generelle Eigenschaft seiner Sprache kennt und sein Vorwissen anhand des Input bestätigen muss. Im Gegensatz dazu beschreibt das induktive Lernen den Erwerbsverlauf von nicht in der Universalgrammatik gespeichertem Vorwissen. In diesem Fall muss das Kind einzelsprachliche Regeln aus dem Input filtern, die es nur induktiv erwerben kann. Gabriel und Müller (2008: 9) führen hierzu ein Beispiel aus dem Bereich der deutschen Genusmarkierung an und zeigen, dass bestimmte einzelsprachliche Regeln nur wenige Wörter betreffen können und dass das Kind diese Wortmenge erkennen muss, um ungrammatische Übergeneralisierungen zu vermeiden. In Rahmen der Spracherwerbsforschung kommt dem sprachspezifischen Input eine zentrale Rolle zu, aus der die Notwendigkeit erwachsen ist, die Eigenschaften des Inputs in den Vordergrund empirischer Studien zu stellen. Hornstein und Lightfoot (1981) haben die Qualität des Inputs fokussiert, ihn unter dem Begriff des logischen Problems des Spracherwerbs 81 diskutiert und diesbezüglich wesentliche Faktoren herausgearbeitet. In ihrer Studie definieren die Forscher drei Problembereiche des sprachspezifischen Inputs, die im Einzelnen kurz vorgestellt werden sollen. Das erste Problem, mit dem sich der Spracherwerb konfrontiert sieht, betrifft die Menge und die Qualität der Sprachdaten, die dem Kind zur Verfügung stehen. Der fehlerhafte oder begrenzte Input soll Kinder nicht dazu verleiten, nur für eine bestimmte Äußerungsmenge die richtige sens darüber, inwieweit die Pragmatik ein internes oder externes Grammatikmodul darstellt. 81 Die Autoren verwenden die Termini degenerate data, underdetermination und negative evidence. <?page no="128"?> 128 Generalisierung zu finden. Der Erwachsene macht nicht regelmäßig von seinem ganzen linguistischen Repertoire Gebrauch, sodass dem Kind nicht alle Strukturen über den Input ersichtlich werden. Das Kind erhält über den Input lediglich eine begrenzte Anzahl an möglichen Konstruktionen und muss anhand dieses sprachlichen Ausschnittes den sprachspezifischen Parameterwert fixieren. Ein weiteres Problem stellt nach Hornstein und Lightfoot die Schwierigkeit dar, von dem präsentierten Sprachmaterial auf sprachspezifische Generalisierungen zu schließen. Aus der Oberflächenstruktur lassen sich tiefenstrukturelle Eigenschaften nicht ableiten, wenn das Sprachwissen nicht offenkundiger Bestandteil des jeweiligen Inputs ist. Schließlich machen die Autoren auf das letzte Problem aufmerksam, welches das Auftreten oder Fehlen von Konstruktionen im elterlichen Input betrifft. Im Input ist keine negative Evidenz enthalten und das Fehlen einer Konstruktion darf keine für die Grammatik der zu erwerbenden Sprache relevante Interpretation tragen. Das Kind darf nur über positive Evidenz auf die Grammatikalität einer Konstruktion schließen und das Fehlen von bestimmten Konstruktionen darf nicht dahingehend interpretiert werden, dass diese ungrammatisch seien. Trotz der angeführten Problematik des sprachlichen Inputs gelingt es Kindern bereits in sehr frühen Erwerbsphasen, den sprachspezifischen Parameter festzulegen: Anhand der grammatischen Eigenschaften des Inputs entscheidet das Kind über das Fixieren des Parameters. Über den Sprachverarbeitungsprozess und die angeborenen kognitiven Fähigkeiten erkennt das Kind die grammatischen Beschaffenheiten des Zielsystems und legt infolgedessen den parametrisierten Wert fest. Die Universalgrammatik ist als ein parametrisiertes System zu verstehen, welches neben invarianten Eigenschaften auch der einzelsprachspezifischen Variation gerecht wird: Universale Prinzipien können Variablen enthalten, die in Abhängigkeit der Einzelsprache unterschiedliche Werte annehmen. Bei der Parametrisierung sind die Parameter auf unterschiedliche Werte festgesetzt, wobei im Laufe des Spracherwerbsprozesses der in den Prinzipien enthaltene Parameter anhand des Inputs - anhand positiver Evidenz - auf den zielsprachlichen Wert fixiert werden muss. Mithilfe bestimmter Spracheigenschaften, sogenannter trigger , wird der Lerner dazu veranlasst, einen Parameter auf den jeweils zielsprachlichen Wert zu setzen. Fodor (1998: 6) liefert eine Definition für trigger , indem er auf die dem Sprecher zugrunde liegende Universalgrammatik rekurriert. A trigger is a small piece of tree (a few nodes, perhaps only partially specified in features; in the limiting case a single feature) that is made available by UG and is adopted into a learner’s grammar if it proves essential for parsing input sentences. <?page no="129"?> 129 Nach Haider (1993) sind für die Parametersetzung einige Operationen erforderlich: Eine bestimmte Eigenschaft muss im Input identifiziert und als relevant für das Setzen des jeweiligen Parameters erkannt werden. Schließlich muss der Parameter auf einen Wert fixiert werden, der mit der bestimmten Eigenschaft des Inputs übereinstimmt. Die Identifikation und Verarbeitung der im Input enthaltenen Eigenschaften erfolgen aufgrund kognitiver Fähigkeiten und gehen der linguistischen Analyse zeitlich voran (vgl. Müller et al. 2006: 31). Die Mehrsprachigkeitsforschung der letzten Jahrzehnte hat eindrucksvoll gezeigt, dass die soeben aufgeführten Operationen mit vielen Problemen behaftet sind, die sich im Rahmen des Spracherwerbsprozesses bemerkbar machen. Dazu zählt auch die Fixierung des pro-drop - Parameters, der wesentlicher Bestandteil der theoretischen Grundlage der vorliegenden Arbeit ist. Unter Zugrundelegung des Parametermodells wird zu erforschen sein, inwieweit bilingual aufwachsende Kinder den jeweils zielsprachlichen Wert fixieren und separat zwei grammatische Kompetenzen aufbauen können. Diese Überlegung ist insbesondere für solche Parameter interessant, die in den jeweiligen Sprachen unterschiedliche Werte annehmen, Nullsubjektvs. Nicht- Nullsubjektsprachen. Diesbezüglich sind prinzipiell zwei Szenarien denkbar: Zum einen kann das bilingual aufwachsende Kind den gleichen parametrisierten Wert für beide simultan zu erwerbenden Sprachen festlegen. Zum anderen können die zielsprachlichen Werte nicht nur simultan, sondern auch sukzessiv, d.h. während des Erwerbsprozesses, fixiert werden. Inwieweit das bilinguale Kind die eine oder andere Möglichkeit der Parameterfixierung wählt, wird im Rahmen der empirischen Untersuchung zu überprüfen sein. 4.2.2 Pro-drop in der generativen Grammatik Im Rahmen der generativen Syntaxtheorie gehört der Nullsubjekt- Parameter zu den meistdiskutierten Parametern der sprachwissenschaftlichen Forschung. Zu den einflussreichsten Arbeiten diesbezüglich zählen Perlmutter (1971), Chomsky (1981), Jaeggli (1982), Jaeggli und Safir (1989), Rizzi (1982, 1986) Safir (1984), Müller und Rohrbacher (1989) und Haider (1994), um an dieser Stelle nur einige wenige zu nennen. Die theoretische Auseinandersetzung und die syntaktische Analyse dieses Phänomens sind durch die Existenz von Nullsubjekten in sogenannten Nullsubjektsprachen ausgelöst worden. Von vordergründigem Interesse sind in der vorliegenden Arbeit die romanischen Nullsubjektsprachen Italienisch und Spanisch. Beide Sprachen lassen phonetisch leere Subjektpronomen in finiten und eingebetteten Sätzen zu. Mit Chomsky <?page no="130"?> 130 (1982) nimmt man aufgrund des Erweiterten Projektionsprinzips (EPP) eine durch pro ersetzte Subjektposition an, in der pro ein basisgeneriertes Element darstellt, welches in der syntaktischen Funktion des Subjekts oder des Objekts operieren kann und argumentales pro-drop in den folgenden italienischen Matrixsätzen in (4.11) ermöglicht. (4.11) pro vedo pro vedi pro vede pro vediamo pro vedete pro vedono In Sprachen, die die Nullsubjekteigenschaft nicht teilen, führt die Auslassung des Subjektpronomens zu ungrammatischen Konstruktionen, wie es die nachstehenden englischen, deutschen und französischen Beispiele in (4.12) belegen. (4.12) a. *(She) sings. b. *(Sie) singt. c. *(Elle) chante. Die Auslassung eines referenziellen Arguments ist im Italienischen und Spanischen nicht nur im Matrixsatz wie in (4.11), sondern auch im eingebetteten Satz wie in (4.13) aufgeführt grammatisch. (4.13) Gianni i ha detto [che pro i, j ha parlato]. Das italienische Beispiel zeigt, dass pro nicht zwingend mit dem im Matrixsatz realisierten Subjekt koindiziert sein muss, sondern auf eine Identität außerhalb des Satzes referieren kann, deren Existenz über den Diskurs garantiert und somit den Gesprächspartnern als bekannt vorausgesetzt werden muss. Die Möglichkeit der Subjektauslassung im eingebetteten Satz besteht jedoch nur für Nullsubjektsprachen wie das Italienische und das Spanische und ist für das Englische bzw. Deutsche ausgeschlossen, wie die Beispiele in (4.14) verdeutlichen. (4.14) a. John said that *(he) spoke. b. Hans sagt, dass *(er) gesprochen hat. Perlmutter (1971) beschreibt die soeben aufgeführten Auffälligkeiten und kommt zu dem Ergebnis, dass in Nullsubjektsprachen sowohl im Mat- <?page no="131"?> 131 rixsatz als auch in eingebetteten Konfigurationen die Subjektauslassung möglich ist, während letztere in Nicht-Nullsubjektsprachen für beide Kontexte, Matrixsatz und eingebetteter Satz, aus Grammatikalitätsgründen ausgeschlossen werden muss. Außerdem beobachtet er, dass argumentales pro-drop , wie es in (4.11) dargestellt ist, mit zwei weiteren Phänomenen, nämlich mit der Möglichkeit der Subjektinversion 82 und dem Ausbleiben von thattrace-Effekten bei langer Subjektextraktion, korreliert. (4.15) Möglichkeit der Subjektinversion a. Mangia Gianni. b. Come Juan. c. *Eats John. d. *Isst Hans. (4.16) Ausbleiben von that-trace-Effekten bei langer Subjektextraktion a. Chi i credi [che t i verrà]? b. *Who i do you think [that t i will come]? c. ? Wer i glaubst du [dass t i kommt]? Nach Rizzi (1982, 1986) sind das Italienische und Spanische zwei romanische Sprachen, in denen das pronominale Subjekt in nicht-kontrastiv 83 gemeinten Kontexten unrealisiert bleiben kann. Dennoch gehört das Subjekt, welches an der reichhaltigen italienischen und spanischen Verbmorphologie abgelesen werden kann, zur syntaktischen Beschreibung des Satzes. Rizzi (1986) spricht von einem leeren nominalen Element pro in Subjektposition, welches alte Information kodiert und einem nicht realisierten Personalpronomen entspricht. Ferner beschreibt er die Nullsubjekteigenschaft über die Absenz von expletiven Subjekten, die Existenz von postverbalen Subjekten in VO-Sprachen und die Extraktionsmöglichkeit des Subjekts aus that -trace-Konstruktionen. Damit stimmen Rizzis Ausführungen mit den zuvor von Perlmutter (1971) gemachten Beobachtungen überein, die Rizzi (1982) dazu verleiten, ein parametrisches Clus- 82 In der Literatur wird den postverbalen Subjekten im Italienischen und Spanischen entweder eine Fokus- oder eine Topik-Interpretation - letztere durch Pause und fehlende Betonung markiert - zugesprochen (vgl. Steinhardt 2010: 135). Dieser Aspekt wird zunächst unberücksichtigt bleiben, da lediglich auf das Phänomen der Subjektinversion hingewiesen werden soll, ohne auf weitere syntaktische Konsequenzen einzugehen. 83 Zur Diskussion über den Gebrauch von kontrastiven Subjektpronomina in romanischen Nullsubjektsprachen vgl. Mayol (2010). <?page no="132"?> 132 ter mit implikationellen Beziehungen 84 unter Parametern anzunehmen ( cluster of properties ). Demnach ist die Subjektinversion in (4.15) die Voraussetzung für die Möglichkeit der Subjektextraktion in (4.16). Darüber hinaus führen Taraldsen (1978) und Rizzi (1982) argumentales pro-drop in (4.11) und die Möglichkeit der Subjektinversion auf die Natur der Verbflexionssysteme und somit auf die Reichhaltigkeit der Verbmorphologie in den involvierten Sprachen zurück. Da das Deutsche bzw. Englische im Gegensatz zum Italienischen bzw. Spanischen keine VO-Sprachen sind, führt die postverbale Stellung in (4.15) ausschließlich zu ungrammatischen Konstruktionen in Nicht-Nullsubjektsprachen. Grammatikalitätsurteile über Subjektextraktionen im Deutschen zeigen, dass die Inakzeptabilität in (4.16c) nicht unumstritten ist (vgl. Featherston 2005). In der Literatur werden Äußerungen wie Wer glaubst du, dass kommt? mitunter als grammatisch gewertet (vgl. u.a. Haider 1983, 1993, Fanselow und Felix 1987, Grewendorf 1988, Stechow und Sternefeld 1988, Bayer 1990). In einigen Arbeiten hingegen ist dafür argumentiert worden, dass eine Vielzahl von Nullsubjektsprachen die Subjektextraktion ermöglicht, die Subjektinversion jedoch zu ungrammatischen Ergebnissen führt (vgl. Gilligan 1987, Nicolis 2008). Die kontroverse Diskussion über eine mit weiteren syntaktischen Phänomenen korrelierende Nullsubjekteigenschaft, wie der Subjektinversion und -extraktion, hat zur grundsätzlichen Kritik 85 der Annahme einer implikationellen Beziehung unter Parametern geführt (vgl. u.a. Gilligan 1987, Newmeyer 2005, Nicolis 2008). Ein wesentlicher Kritikpunkt wird angesichts der VO-Abfolge und der Reichhaltigkeit der Verbmorphologie ausgesprochen. Diesbezüglich wird anhand überzeugender Gegenbeispiele die Irrelevanz der VO-Stellung und der reichen Verbflexion für das Auftreten von Nullsubjekten thematisiert. Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass die VO-Eigenschaft lediglich als eine hinreichende, jedoch nicht als eine notwendige Bedingung für prodrop interpretiert werden kann. Im Hinblick auf die Lizenzierung und Identifikation von pro formuliert Rizzi (1986) zwei Bedingungen, auf die sich im Laufe der Evaluation der generativen Syntaxtheorie die zuvor erwähnten Kritikpunkte berufen. 84 Unter einer implikationellen Beziehung ist in diesem Zusammenhang zu verstehen, dass die Subjektextraktion aufgrund der Subjektinversion, basierend auf das argumentale pro-drop , erlaubt ist. Schematisch lässt sich eine Hierarchie der implikationellen Beziehung unter den Parametern wie folgt abbilden: argumentales pro-drop (4.11) Subjektinversion (4.15) Subjektextraktion (4.16). 85 Die Annahme einer implikationellen Beziehung unter Parametern und einer daraus resultierenden Parameterhierarchie ist u.a. von Gilligan (1987), Baker (2001), Newmeyer (2005) und Nicolis (2008) kritisiert worden. <?page no="133"?> 133 I Formale Lizenzierung von pro : pro wird durch X 0 kasusmarkiert (Lizenzierungsparameter). II Inhaltliche Determination von pro : Wenn X 0 der lizenzierende Kopf eines Vorkommens von pro ist, dann hat pro die grammatische Spezifikation der Merkmale X 0 , mit denen es koindiziert ist (Identifikationsparameter). (nach Rizzi 1986: 520-524) Demnach muss pro syntaktisch über einen bestimmten Kopf lizenziert und identifizierbar sein. Was die syntaktische Identifizierbarkeit von pro betrifft, argumentiert Rizzi über die Präsenz einer reichen Verbmorphologie im Italienischen und Spanischen. In diesem Fall ist der lokale Kopf I°, welcher für die Lizenzierung verantwortlich ist, Träger der φ-Merkmale, die über agreement an pro zum Zweck der Identifikation weitergegeben werden. Zahlreiche Studien haben jedoch belegen können, dass Nullsubjekte nicht aufgrund einer reichen Verbmorphologie lizenziert sein müssen. So weist beispielsweise das Isländische zwar eine reiche Verbmorphologie, jedoch keine Nullsubjekte auf. In der Gruppe der chinesischen Sprachen wiederum sind Nullsubjekte trotz fehlender Verbmorphologie grammatisch. Die soeben zitierten Feststellungen rechtfertigen den Einwand, dass Nullsubjekte nicht über die Präsenz einer reichen Verbmorphologie motiviert werden können. Für das Galizische und die südasiatische Sprache Banga ist sowohl die Präsenz von Nullsubjekten als auch das Auftreten von expletiven Pronomina bestätigt worden (vgl. Raposo und Uriagereka 1990, Williams 1991). Nach dem Standpunkt des radical pro-drop (vgl. Neeleman und Szendröi 2007) gibt es offenkundig zwei Möglichkeiten, pro zu lizenzieren: Entweder anhand einer reichhaltigen oder gänzlich fehlenden Kongruenzmorphologie des lizenzierenden Kopfes. Eine Kompromisslösung für diejenigen Sprachen, die eine „verarmte“ Verbmorphologie aufweisen, wird dergestalt formuliert, dass für diese Sprachen die pro-drop -Eigenschaft ausgeschlossen wird. Pro-drop is licensed to occur either where a language has full agreement, or where a language has no agreement, but not where a language has impoverished partial agreement. (Huang 1984: 561) Dieser Auffassung schließen sich auch Jaeggli und Safir (1989) an, die diesbezüglich den Begriff der morphologischen Uniformität ( morphological uniformity ) einführen und pro-drop in Sprachen mit einheitlichem, morphologischem Paradigma annehmen. Die Autoren stellen die nachfolgenden, notwendigen Bedingungen für die grammatische Auslassung referenzieller Argumente auf. <?page no="134"?> 134 I An inflectional paradigm P in a language L is morphologically uniform iff P has either only derived inflectional forms or only derived inflectional forms. II Null subjects are permitted in all and only languages with morphologically uniform inflectional patterns. (Jaeggli und Safir 1989: 30) Auf der Basis dieser Kriterien führen die Forscher eine Klassifikation einiger Sprachen durch, nach welcher das Englische und Französische aufgrund eines nicht morphologisch uniformen Paradigmas argumentales pro-drop nicht zulassen. Im Gegensatz dazu werden die Sprachen Spanisch, Italienisch, Deutsch, Chinesisch, Japanisch und Koreanisch als Sprachsysteme mit morphologisch uniformen Verbparadigma und folglich grammatischen Argumentauslassungen kategorisiert (vgl. Jaeggli und Safir 1989). Problematisch und mit diesem Ansatz inkompatibel sind einige skandinavische Varietäten, die weder eine personenspezifische Morphologie noch Subjektauslassungen aufweisen. Jaeggli und Hyams (1988) umgehen diese Unstimmigkeit, indem sie die skandinavischen Sprachen, Schwedisch und Dänisch, als morphologisch nicht einheitlich erachten. Empirische Evidenz für diesen Standpunkt erhalten die Autoren anhand der morphologischen Merkmale des Stamms der Imperativformen der involvierten Sprachen. Zudem werden die folgenden Bedingungen, nach denen Subjektauslassungen lizenziert sind, formuliert. I A thematic null subject must be identified. II Agr can identify an empty category as (referential) pro iff the category containing Agr case-governs the empty category. (Jaeggli und Hyams 1988: 244) Weitere Evidenz dafür, dass pro nur mit reicher oder ohne Kongruenzmerkmale erscheint, führt Speas (1994, 2006) an. Leitende Idee dieses Ansatzes ist die Lizenzierung der Kongruenzmorphologie und nicht des leeren Elements pro . Demnach müssen partiell spezifizierte φ-Merkamale in I° (bspw. Englisch) durch ein Element in [Spec, IP] lizenziert werden, da pro keine inhärenten φ-Merkmale besitzt und demzufolge ein partiell spezifiziertes I° nicht lizenzieren kann. Daraus schließt die Forscherin, dass Sprachen mit verarmter Kongruenz kein pro-drop erlauben, während Sprachen mit einer reichen Morphologie aufgrund der soeben beschriebenen Lizenzierungsprozesse argumentales pro-drop zulassen (bspw. Italienisch und Spanisch). Die syntaktische Analyse solcher Sprachen, die keine Kongruenz in I° aufweisen (bspw. Japanisch, Chinesisch und Koreanisch), ist ebenfalls mit diesem Konzept kompatibel, da kein Lizenzierungszwang besteht und pro demnach erscheinen kann. Diese Ansicht der pro-drop -Eigenschaft stößt in der Literatur in Anbetracht der syntaktischen <?page no="135"?> 135 Beschaffenheit einiger skandinavischer und ozeanischer Sprachen auf Kritik: Im Schwedischen, Norwegischen und Afrikaans sowie in bestimmten Kreolsprachen wie dem Tok Pisin und dem Jamaica-Kreol führt die Absenz der Kongruenzmorphologie nicht zur Lizenzierung von pro . Umgekehrt ist in ozeanischen Sprachen in Anwesenheit verarmter Verbmorphologie pro gleichzeitig lizenziert (vgl. Neeleman und Szendröi 2007). Das grundlegende Problem einer angemessenen Analyse liegt in der Annahme einer strikten Korrelation zwischen Verbkongruenzsystemen und pro-drop . In der einschlägigen Literatur werden anhand ausgewählter grammatischer Phänomene 86 die Problematiken, die mit der traditionellen pro-drop -Theorie nach Rizzi (1986) assoziiert werden, diskutiert. Darüber hinaus haben Grewendorf (1986) und Adams (1987) den Beleg dafür erbracht, dass in bestimmten Nullsubjektsprachen die Platzierung des Subjekts am rechten Satzrand zu ungrammatischen Konstruktionen führt. Im Gegensatz dazu haben Müller und Rohrbacher (1989) anhand einer philippinischen Sprachvarietät, des Tagalogs, die Beobachtung gemacht, dass Sprachen mit postverbalem Subjekt nicht immer das Subjekt auslassen. Ein einheitliches Ergebnis liefern die untersuchten Nicht-Nullsubjektsprachen wie das Deutsche, Englische und Französische, die die Subjektextraktion aus that -trace-Konstruktionen an den Satzanfang nicht erlauben. Müller et al. (2006: 33) argumentieren dafür, dass das Fehlen von that-trace-Effekten mit der Nullsubjekteigenschaft verbunden ist und weisen darauf hin, dass that-trace-Effekte sowohl in Nullsubjektals auch in Nicht-Nullsubjektsprachen auftreten können. [+] that -trace [-] that -trace [+] pro-drop Russisch Finnisch Georgisch Quechua Italienisch [-] pro-drop Französisch Englisch ---------- Tab. (4.1): Nullsubjekteigenschaft und that -trace-Effekt 86 Hierzu kann u.a. die Diskussion über die Korrelation zwischen pro-drop und der Restrukturierung (vgl. Sabel 1996), pro-drop und postsyntaktischer Morphologie (vgl. Halle und Marantz 1993, Müller 2006) sowie agreement (vgl. Holmberg 2005) genannt werden. An dieser Stelle sind einige Kritikpunkte der syntaktischen Lizenzierung von pro nach Rizzi (1986) aufgeführt worden. Eine nähere Beschreibung dieser wird in diesem Zusammenhang jedoch nicht erfolgen. <?page no="136"?> 136 Ein Kind, welches italienischem oder spanischem Input ausgesetzt ist, sollte aufgrund der Extraktionsmöglichkeit im Italienischen und Spanischen einen positiven Wert für den sprachspezifischen Parameter setzen. Die grammatische Eigenschaft des italienischen und spanischen that trace-Effekts fungiert für den Erwerb der Nullsubjekteigenschaft als Auslöser für die Parametersetzung. Das Fixieren des Parameters wird jedoch durch die qualitativen und quantitativen Aspekte des Inputs sowie das Fehlen des clustering of properties erschwert. Das Kind kann nicht zwischen grammatischen und ungrammatischen Konstruktionen unterscheiden, sodass sichergestellt werden muss, dass das Kind aus dem „fehlerhaften“ Input keine parameterrelevanten Interpretationen zieht. Wenig Plausibilität erhält die Annahme, dass das Kind im Fall der Nullsubjekteigenschaft anhand einer frequenzbasierten Analyse der realisierten und ausgelassenen Subjekte zielgrammatische Entscheidungen trifft. Im Hinblick auf den Erwerb von Nullsubjektsprachen stellt sich die Frage nach der Relevanz der Eigenschaften der Inputdaten für das Setzen des Nullsubjekt-Parameters. Hyams (1986) bringt die Unmöglichkeit von Nullsubjekten mit dem Auftreten von expletiven Pronomina in Zusammenhang: Im Englischen, Deutschen und Französischen gibt es expletive Pronomina, die das Kind dazu verleiten, einen negativen Wert „-“ im Falle des pro-drop -Parameters zu setzen. Im Gegensatz dazu führt die Absenz von expletiven Pronomina u.a. im Italienischen und Spanischen zu einer positiven Parametersetzung „+“. Ein weiterer Ansatz, der das Fixieren von parametrisierten Werten betrifft, beschreibt die anfängliche Wahl eines Default -Wertes für einen bestimmten Parameter. Hyams (1986) bezeichnet den negativen englischen Wert „-“ als einen unmarkierten - also default - Wert. Wexler und Manzini (1987) definieren den unmarkierten Wert anhand der Markiertheitshierarchie in Anlehnung an das subset principle : Derjenige Wert, der die mengentheoretisch betrachtet kleinerer Sprache L (i) beschreibt, ist gegenüber dem Wert, der die größere Sprache L (j) wiedergibt, unmarkiert. Sätze, die in der kleineren Sprache vorhanden sind - übertragen auf die Nullsubjekteigenschaft sind damit Sätze mit phonetisch realisiertem Subjekt gemeint -, sind auch in der größeren Sprache grammatisch, da L (i) eine Teilmenge von L (j) darstellt. Der umgekehrte Fall ist ausgeschlossen, da der Lerner zunächst den Wert (i) der kleineren Teilmenge annehmen wird. Sollte sich jedoch aufgrund von positiver Evidenz zeigen, dass der anfänglich gewählte Wert zu Ungrammatikalitäten führt, kommt es zu einer neuen Parametersetzung auf den folglich zielsprachlichen Wert (j). Die Umsetzung des Parameters kann anhand einer einzigen Konstruktion aus L (j) , die nicht in L (i) enthalten ist, erfolgen. Der default -Wert bezeichnet demnach einen voreingestellten Zustand des Spra- <?page no="137"?> 137 che erwerbenden Kindes, der unabhängig davon, ob es sich um eine Nullsubjekt- oder eine Nichtnullsubjektsprache handelt, angenommen wird. (Müller et al. 2006: 34) Empirische Studien haben jedoch gezeigt, dass dieses Konzept der Parametersetzung falsche Vorhersagen für den Spracherwerb macht und sich somit als problematisch erweist: Die ersten Entwicklungsphasen sind sowohl in Nullsubjektals auch in Nicht-Nullsubjektsprachen von frequenten Subjektauslassungen gekennzeichnet (vgl. u.a. Bloom 1990, Patuto 2008). Valian (1990) greift die Problematik der Parametersetzung auf und beschreibt anhand von Nullsubjektphänomenen das Pendelproblem. Über einen widersprüchlichen Input würde das Kind dazu verleitet, den Parameter umzusetzen und ständig zwischen zwei Werten hin- und herzupendeln ohne den sprachspezifischen Wert fixieren zu können. Das Umsetzen von Parametern ist durch den von Clahsen (1989: 2) eingeführten parameter setting constraint untersagt und ermöglicht dem Sprache erwerbenden Kind, zunächst beide Werte für ein sprachspezifisches Phänomen auszuwählen. Erst nach einer Distributionsanalyse wird sich das Kind induktiv für den in der jeweiligen Sprache richtigen Wert entscheiden (vgl. Valian 1990). Mögliche Lösungsansätze für das Problem der Parametersetzung werden in der Literatur diskutiert und postulieren für das Setzen des Nullsubjekt-Parameters eine deduktive Herangehensweise (vgl. Roeper und Weissenborn 1990). Diesbezüglich werden im Hinblick auf die Festlegung des Parameters zwei grundlegende Gedanken verfolgt, die zum einen den Prozess des Parametersetzens und zum anderen gewisse Strategien für die Bearbeitung von ambigem Input fokussieren. Der Parameter wird entweder auf den unmarkierten und erst im Laufe des Erwerbsprozesses auf den zielsprachlichen Wert gesetzt oder der Erwerbsprozess setzt mit beiden Werten ein und schließt erst in fortgeschritteneren Phasen mit der zielsprachlichen Fixierung des Parameterwerts ab. Für die zweite Variante ist häufig die Mehrdeutigkeit des Inputs verantwortlich, die Forscher zur Annahme von Strategien der Satzverarbeitung 87 verleiten. 87 Gibson und Wexler (1994) argumentieren für eine serielle Satzverarbeitung, die die Revision einer zunächst angenommenen Analyse und somit ein Umsetzen des Parameters vorsieht. Valian (1990) ist Verfechterin einer parallelen Strategie der Verarbeitung, bei der mehrere Analysen herangezogen werden und erst der Erwerbsprozess dazu führt, dass die zielsprachliche Analyse ausgewählt wird. Schließlich vertritt Fodor (1998) den Standpunkt, dass der Lerner bei eingeschränktem Informationsmaterial keine parametrisierte Entscheidung trifft. Erst bei ausreichender <?page no="138"?> 138 Einen radikalen Ansatz zur Behebung der Parameterproblematik vertritt Haider (1993a), der sowohl den Parameterbegriff als auch die Universalgrammatik als grammatisches Konzept ablehnt. Seiner Auffassung folgend handelt es sich bei der Universalgrammatik um einen kognitiven Koprozessor, der genau dann aktiviert wird, wenn Sprachdaten zur Verfügung stehen. The UG-potential is a cognitive co-processor. It is activated whenever there is a data structure that suits the capacity. […] These data are processed effectively, subconsciously, and fast. Processing in this respect means that data with the given structure are easily recognized, stored, retrieved, modified, etc. (Haider 1993a: 13) In seinem Konzept wird ein Parameter als eine Subroutine definiert, die die Korrektur von fehlerhaften Parametersetzungen ermöglicht. Der Spracherwerb erfolgt kontinuierlich und ist mit nicht-zielsprachlichen Wertsetzungen versehen, die im Laufe des Erwerbsprozesses korrigiert werden. Für den bilingualen Erstspracherwerb bedeutet diese Auslegung der Universalgrammatik und des Parameterbegriffs, dass das bilinguale Kind über zwei Grammatiken verfügt und dass sprachspezifische Inputdaten mit dem jeweiligen „Sprachprogramm“ analysierbar sind. Das bilinguale Kind muss den zielsprachlichen Wert setzen und ggfs. die zunächst angenommene Subroutine ausbauen. Außerdem werden Phasen, in denen (nicht-)zielsprachliche Entscheidungen über das jeweilige Zielsystem getroffen werden, berücksichtigt, sodass der Entwicklungscharakter eines Erwerbsprozesses wiederhergestellt wird. Haiders Konzeption fokussiert weniger die Trennung der simultan zu erwerbenden Sprachsysteme, als vielmehr die Art und Weise der angemessenen Aktivierung der sprachspezifischen Subroutinen 88 . 4.3 Das Minimalistische Programm Das Minimalistische Programm (vgl. Chomsky 1993, 1995) greift weniger die anfänglichen Grundannahmen der generativen Grammatiktheorie bezüglich des Spracherwerbs und der Sprachfähigkeit auf als vielmehr Informationsmenge wird der sprachspezifische Wert gesetzt: Diese Strategie hat den positiven Effekt des nahezu fehlerfreien Spracherwerbs. 88 Diesem Modell liegt der Language Acquisition Device (LAD) nach Slobin (1973) zugrunde. Außerdem schlägt Roeper (1999) eine Minimal Default Grammar (MDG) vor, die die Sprache erwerbenden Kinder ohne jegliche Analyse des Inputs bereits zu Beginn des Spracherwerbs annehmen. In Anlehnung an Valian (1990) wird erst im Laufe des Spracherwerbs der zielsprachliche Wert fixiert. <?page no="139"?> 139 die Konzeption eines minimalistischen Modells zum Aufbau syntaktischer Strukturen. Die Derivation eines sprachlichen Ausdrucks ist insofern minimal, als lediglich die Existenz eines Lexikons und eines Verarbeitungssystems ( computational system ) vorausgesetzt wird. Anhand minimalistischer Operationen werden die lexikalischen Elemente zu komplexen Strukturen zusammengesetzt und auf der Beschreibungsebene der Phonetischen Form (PF) und der Logischen Form (LF) interpretiert. Die formale Beschreibung der menschlichen Sprachfähigkeit erfolgt im Rahmen eines Komponenten- und Schnittstellenmodells, dessen Grundlage die Komponenten des Performanzsystems und des Kognitiven Apparats bilden. Über die artikulatorisch-perzeptive und die semantisch-konzeptuelle Schnittstelle ( interface levels ) interagieren die Komponenten auf den zuvor erwähnten Beschreibungsebenen. Im minimalistischen Ansatz werden die aus der GB- Theorie stammenden Repräsentationsebenen getilgt, um der minimalistischen Auffassung der syntaktischen Analyse Rechnung tragen zu können. Die zunächst angenommene Existenz einer Oberflächenbzw. Tiefenstruktur wird abgelehnt und durch eine simplifizierte Verbindung der lautlichen und semantischen Informationen ersetzt. Die minimalistische Maxime dieses Grammatikmodells wird nicht nur durch eine strukturelle Simplifizierung, sondern auch durch die konkrete Anwendung von bestimmten Ökonomieprinzipien ( economy principles ) unterstützt. Die im Rahmen der GB-Theorie formulierten Bedingungen der Wohlgeformtheit von syntaktischen Strukturen werden durch das Konzept der vollständigen Interpretierbarkeit ( the principle of full interpretation ) abgelöst. Ein grammatischer Strukturaufbau muss demnach voll interpretierbar sein und wird nach Chomsky (1995) als computation of human language (C HL ) bezeichnet. Der Prozess ist derivationell und unterliegt einer syntaktischen Operation, der generalisierten Transformation ( generalized transformation ). Der Aufbau einer syntaktischen Struktur beginnt mit einer Auswahl von lexikalischen Einheiten, die im Lexikon enthalten sind ( select ). Unter dem Prinzip der Rekursivität werden anhand weiterer Operationen ( merge und move ) lexikalische Elemente zu einer größeren Einheit zusammengesetzt. Über merge entsteht eine Verkettung von Elementen aus der Liste der lexikalischen Einheiten, die im Rahmen der Phrasenstruktur als Verschmelzung der einzelnen Elemente zu einem Mutterknoten verstanden werden kann. <?page no="140"?> 140 DP {das, Mädchen} Det {das} N {Mädchen} Abb. (4.17): Merge im Phrasenstrukturaufbau Unter move sind notwendige Bewegungsoperationen gemeint, die uninterpretierbare Merkmale aus der Derivation löschen und somit die Grammatikalität der Struktur gewährleisten. Über das Lexikon gelangen phonologische, semantische und formale Merkmale in die Derivation, die im Hinblick auf das Prinzip der vollständigen Interpretierbarkeit überprüft werden. Ein uninterpretierbares Merkmal kann nur dann getilgt werden, wenn es zuvor an eine andere Position verschoben worden ist. Die durch merge generierte Struktur muss mittels Bewegungsoperationen dahingehend verändert werden, dass die Derivation nicht misslingt ( crash ) und alle Merkmale an solche Positionen im Strukturbaum bewegt werden, die eine Merkmalsüberprüfung ( feature-checking ) ermöglichen. Die Phrasenstruktur der früheren generativen Modelle erfährt eine radikale Überarbeitung in der minimalistischen Grammatiktheorie. Ausgangspunkt einer neuen syntaktischen Analyse sprachlichen Materials ist die von Pollock (1989) eingeführte Split-Infl -Theorie, nach welcher die Flexionskategorien in eine Tempusphrase [TP] und jeweils in eine Kongruenzphrase für das Subjekt [AgrSP] und das Objekt [AgrOP] aufgeteilt werden. Die Existenz dieser Phrasen ist nur dann berechtigt, wenn sie Träger semantischer Merkmale und somit Voraussetzung für die Interpretation an Schnittstellen sind. Merkmalsüberprüfung und Merkmalstheorie Anhand der derivationellen Operation move gelangen lexikalische Elemente und deren Merkmale an eine Position, an der innerhalb der Überprüfungsdomäne die Merkmale des relevanten Kopfes überprüft werden. In der einschlägigen Literatur findet sich eine Klassifikation der Merkmale, die sich in phonologische, semantische und formale Merkmale gliedern lässt. Die formalen Merkmale werden erneut in intrinsische und optionale Merkmale aufgeteilt: Unter einem intrinsischen Merkmal ist ein Merkmal zu verstehen, welches an einem lexikalischen Element aus dem Lexikon gebunden ist. Demnach kann es nicht über allgemeingültige Regeln oder sprachspezifische Prinzipien abgeleitet werden, wie es beispielsweise mit kategorialen Merkmalen der Fall ist. Im Gegensatz dazu sind optionale Merkmale kontextabhängige Merkmale, die dem jeweili- <?page no="141"?> 141 gen Element attribuiert 89 werden. Darüber hinaus wird eine weitere Einteilung der formalen Merkmale in semantisch interpretierbare und semantisch nicht-interpretierbare Merkmale vollzogen. Innerhalb der Derivation werden nicht-interpretierbare Merkmale gelöscht, da diese keine verwertbaren Informationen tragen und nach dem feature-checking auch nicht mehr zur Verfügung stehen. Interpretierbare Merkmale hingegen bleiben im Strukturaufbau bestehen und können in mehreren Bewegungsoperationen involviert sein. Vor diesem Hintergrund führt Grewendorf (2002: 155) eine Gegenüberstellung von (nicht-) interpretierbaren Merkmalen auf, die in der unten stehenden Tabelle (4.2) reproduziert wird. [+interpretierbare] Merkmale [-interpretierbare] Merkmale • φ-Merkmale von Nomina • [D]-Merkmale und [w]-Merkmale nominaler Kategorien, d.h. kategoriale Merkmale generell • φ-Merkmale funktionaler Köpfe (Kongruenzmerkmale des Verbs) • Kasusmerkmale • EPP-Merkmale funktionaler Köpfe Tab. (4.2): Für Bewegungsprozesse relevante Merkmale Eine grammatische Konstruktion ergibt sich aus korrespondierenden Merkmalen, aus einer Merkmalsübereinstimmung ( feature-matching ). Der komplexe Ausdruck besteht lediglich aus phonetischen und lexikalischen Informationen, die dem Prinzip der vollständigen Interpretierbarkeit genügen und auf der Beschreibungsebene der Phonetischen Form und der Logischen Form interpretiert werden können. Anhand der Merkmalstheorie und den damit verbundenen Bewegungsprozessen wird im Hinblick auf den Strukturaufbau ein zentraler Unterschied zwischen der GB- Theorie und dem minimalistischen Ansatz deutlich: Während die Anfänge der generativen Grammatik durch X-bar -Regeln gekennzeichnet sind, erfolgt der Strukturaufbau im Minimalistischen Programm mittels merge - Operationen. Darüber hinaus haben im GB-Modell einzelne Teiltheorien die Wohlgeformtheit eines sprachlichen Ausdrucks überprüft, während im minimalistischen Modell lediglich das Prinzip der vollständigen Interpretierbarkeit als Grammatikalitätsüberprüfung herangezogen wird. Die Überprüfung der einzelnen Merkmale erfolgt für alle Phrasen einheitlich in einer Kopf-Kopf- oder Spezifizierer-Kopf-Konfiguration 90 (vgl. Gre- 89 Dies erfolgt beispielsweise bei der Kasuszuweisung. 90 Eine Merkmalsüberprüfung in einer Kopf-Kopf-Konfiguration erfolgt bspw. bei Verben, die ihre Flexionsmerkmale an den jeweils relevanten Köpfen überprüfen. Die Tempusmerkmale werden am funktionalen Kopf T°, die Kongruenzmerkmale an Agr°-Köpfen überprüft. Eine Merkmalsüberprüfung in einer Spezifizierer-Kopf- Relation ist bspw. bei bewegten Nominalphrasen erforderlich. <?page no="142"?> 142 wendorf 2002: 160) und entspricht formal der vorläufigen m-Kommando- Beziehung aus der GB-Theorie. Im Hinblick auf die Flexionsmerkmale plädiert Chomsky (1993) für eine Klassifizierung in schwache und starke Merkmale, die sich aus Bewegungsgründen ergibt. Demnach werden schwache Verbmerkmale auf der Ebene der Logischen Form und im Anschluss einer logisch-semantischen Interpretation überprüft. Die anschließende Verbbewegung über eine Kopf-Kopf-Konfiguration findet zwecks Merkmalsüberprüfung covert an der Oberfläche statt. Starke Merkmale hingegen müssen anhand einer overten Bewegung, die bspw. das Verb in eine oberflächensyntaktisch andere Landeposition überführt, überprüft werden. Die sprachspezifische Unterscheidung in Sprachen, die eine coverte bzw. overte Verbbewegung zulassen, geht auf Pollock (1989) zurück, der das Englische und Französische untersucht: Im Englischen bleibt die Verbbewegung verdeckt, während sie im Französischen overt erfolgt. Anhand der nachstehenden Beispiele soll die von Pollock (1989) gewonnene Typisierung von Sprachen mit overten bzw. coverten Verbbewegungen diskutiert werden. (4.18) a. Jean embrasse souvent Marie. b. *Jean souvent embrasse Marie. (4.19) a. John often kisses Mary. b. *John kisses often Mary. Die Flexionskategorien [Agr] und [T] besitzen kategoriale [V]bzw. [N]- Merkmale, die sprachspezifisch entweder stark (Französisch) oder schwach (Englisch) sein können. Pollock (1989) argumentiert dafür, dass im Französischen die [V]-Merkmale von [T] stark sind und durch overte Verbanhebung getilgt werden müssen. Die englischen [V]-Merkmale sind hingegen schwach und auf der Phonetischen Form unsichtbar, was für eine coverte Verbbewegung spricht. In beiden Sprachen muss aufgrund starker [N]-Merkmale in [T] das Subjekt overt bewegt werden, während das Objekt wegen der schwachen [V]-Merkmale in [T] einer coverten Bewegung unterliegt. Sowohl die overte als auch die coverte move - Operation findet innerhalb des Verarbeitungssystems statt, wobei die Interpretationssysteme, die Phonetische Form und die Logische Form, im Derivationsprozess auf der Ebene des spell out auseinandergehen: Die Qualität der funktionalen Merkmale der lexikalischen Elemente, schwach vs. stark, entscheidet darüber, ob die Merkmalsüberprüfung auf der Phonetischen Form oder auf der Logischen Form erfolgt. Schwache Merkmale werden über coverte Bewegungen nach spell out , starke Merkmale anhand overter Bewegungen vor spell out bewegt. All diejenigen Operationen, die auf der Logischen Form und somit nach spell out aktiviert werden, sind <?page no="143"?> 143 für die Phonetische Form unsichtbar und stehen lediglich der logischsemantischen, jedoch nicht mehr der artikulatorischen Interpretation zur Verfügung. Die folgende Abbildung (4.20) gibt das minimalistische Modell mit den syntaktischen Operationen select , merge und move schematisch wieder. Lexikon Verarbeitungssystem (C HL ) Phonetische Form (PF) Logische Form (LF) Abb. (4.20): Das Minimalistische Programm (vgl. Chomsky 1995) Ökonomieprinzipien Alle bisher beschriebenen kognitiven Prozesse gehorchen dem Prinzip der Ökonomie und somit der tatsächlichen Notwendigkeit einer syntaktischen Operation. Der minimalistische Ansatz lehnt einige wesentliche Vorläufertheorien 91 der generativen Grammatik ab und versucht anhand weniger Prinzipien die Interpretierbarkeit und schließlich die Grammatikalität eines sprachlichen Ausdrucks zu gewährleisten. Maßgeblich für die Beurteilung darüber, ob es sich um eine grammatische oder ungrammatische Konstruktion handelt, ist das procrastinate - und greed -Prinzip. Beide Prinzipien gehen auf die Grundannahme zurück, dass eine Transformation nur aus absoluter Notwendigkeit durchgeführt werden muss. Darüber hinaus besagt das procrastinate -Prinzip, dass Bewegungen im Derivationsprozess möglichst spät stattfinden sollen. Außerdem sind solche Operationen nur dann zulässig, wenn sie unerlässlich ( last resort ) sind und möglichst kurze Bewegungsschritte ( shortest move ) enthalten. 91 Die minimalistische Syntaxtheorie lehnt das Konzept der Oberflächen- und Tiefenstruktur ab sowie das Projektionsprinzip, das Theta-Kriterium und den strukturellen Begriff der Rektion. Im Minimalistischen Programm bleibt lediglich das m- Kommando als Rektionsbeziehung für die Kasusüberprüfung bestehen. select merge move (overt) spell out move (covert) <?page no="144"?> 144 Das Verarbeitungssystem C HL entscheidet darüber, welche Derivationsmöglichkeit die ökonomischste ist und den Ökonomieanforderungen genügt. Demnach entspräche die Absenz von overten syntaktischen Bewegungen diesen Ökonomieprinzipen, wobei in bestimmten Konstellationen die Merkmalsüberprüfung oberflächensyntaktisch sichtbare Bewegungen von lexikalischen Elementen erfordert. Um diesen theorieinternen Widerspruch zu lösen wird die Umstellung von Konstituenten mittels des greed -Prinzips dergestalt legitimiert, dass das bewegte Element von der syntaktischen Operation profitiert. Der Profit liegt darin, dass das betroffene Element seine funktionalen Merkmale überprüft und schließlich in der Derivation bewegt werden kann. Die Ökonomieansprüche des Minimalistischen Programms sind jedoch auch Gegenstand theoretischer Kritik gewesen, wie das nachstehende Zitat beweist. Weitere Probleme ergeben sich bei der Berechnung der >ökonomischsten< Derivation. Hier müssen z. T. recht aufwendige, ihrerseits kaum >ökonomisch< zu nennende Vergleiche angestellt werden. So ist etwa die MLC (kürzeste Bewegung) nur durch recht komplexe Strukturbedingungen zu ermitteln. Auch die Annahme, die Derivation mit den wenigsten Arbeitsschritten sei vorzuziehen, erfordert m. E. die Berechnung aller qua Vergleichsmenge konkurrierenden Derivationen. Es muss nämlich 1.) festgestellt werden, welche Derivationen überhaupt konvergieren (d.h. grammatisch sind, und 2.) welche der konvergierenden gegen procrastinate oder ein etwaiges anderes Prinzip verstoßen und 3.) welche der übrigbleibenden konvergierenden mit der geringsten Anzahl an Ableitungsschritten auskommt. (Lenerz 1998: 109) Die Ökonomie wird bezweifelt sowie deren Überprüfung im gesamten Modell. Dennoch sollte an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass sich die generative Grammatik über die GB-Theorie und das Minimalistische Programm in einer fortlaufenden Entwicklung befindet. Die einschlägige Literatur zeigt, dass die wissenschaftliche Diskussion über den generativen Ansatz mit all seinen Ausprägungen noch längst nicht abgeschlossen ist. 4.4 Beschreibung der Zielsysteme Nach einer Einführung in die generative Grammatiktheorie und einer theoretischen Klärung des pro-drop Begriffs sollen nun die Zielsysteme der hier relevanten Sprachen, d.h. des Italienischen, Spanischen, Französischen und Deutschen, beschrieben werden. Auch wenn aus traditioneller Sicht nur dem Italienischen und Spanischen die pro-drop Eigenschaft zugeschrieben wird, kann gezeigt werden, <?page no="145"?> 145 dass sowohl das Französische als auch das Deutsche in bestimmten Kontexten Subjektauslassungen zulassen. Schließlich soll illustriert werden, worin der sprachspezifische Unterschied liegt und welcher grammatische Bereich für die Wahl zwischen den beiden Möglichkeiten, Realisierung vs. Auslassung, verantwortlich ist. Für die beiden Nullsubjektsprachen, Italienisch und Spanisch, wird ein besonderes Zusammenspiel zwischen Syntax und Pragmatik, der sogenannten Syntax-Pragmatik-Schnittstelle, angenommen, die die Wahl der beiden syntaktischen Optionen regelt (vgl. Pillunat et al. 2006). 4.4.1 Das Subjekt im Italienischen Das Italienische hat aufgrund seiner Nullsubjekteigenschaft das Interesse zahlreicher Forscher auf sich gezogen und wird in der einschlägigen Literatur im Hinblick auf eine angemessene syntaktische Beschreibung der overt realisierten bzw. phonetisch leeren Subjekte kontrovers diskutiert. Ausgangspunkt dieser Diskussion ist im Wesentlichen die Beobachtung, dass im Italienischen das Subjekt in einer präverbalen oder postverbalen Position erscheinen kann. (4.21) a. {Paolo} è arrivato {Paolo} b. { pro } è arrivato { pro } In diesem Sinne gilt es, die strukturelle Position prä- und postverbaler Subjekte wie in (4.21a) zu definieren und Klarheit über die syntaktische Position von phonetisch leeren Subjekten wie in (4.21b) zu schaffen. Angesichts der präverbal realisierten Subjekte wird in der theoretischen Forschung angenommen, dass sich präverbale Subjekte in Nullsubjekt- und Nicht-Nullsubjektsprachen erheblich voneinander unterscheiden. Demnach sind präverbale Subjekte wie in (4.21a) in einer satzperipheren A’-Position zu verorten oder als disloziierte Phrasen zu interpretieren (vgl. u.a. Benincà und Cinque 1985, Contreras 1991, Moro 1993, Barbosa 1994, Dobrovie-Sorin 1994). Im Gegensatz zu den phonetisch realisierten Subjekten wird für das leere Element pro sowohl für eine präverbale als auch für eine postverbale Position plädiert (vgl. u.a. Adams 1987, Bonet 1990, Burzio 1986, Rizzi 1987, Solà 1992). Cardinaletti (1997: 34) weist jedoch auf einige Gemeinsamkeiten zwischen Nullsubjekt- und Nicht- Nullsubjektsprachen hin und verfolgt die Maxime, dass „[...] it is methodologically sound to try to focalize on the similarities between languages rather than to maximize the differences“. <?page no="146"?> 146 • Die Autorin lehnt die Annahme einer satzperipheren A’-Position ab und ist der Ansicht, dass sich das Subjekt einer Nullsubjekt- und einer Nicht-Nullsubjektsprache in der kanonischen präverbalen Subjektposition [Spec, IP] befindet. • Aufgrund empirischer Evidenz plädiert die Autorin dafür, dass pro ausnahmslos eine präverbale Position besetzt. • Die Kasuszuweisung erfolgt stets in einer präverbalen Position über das specifier-head agreement . • Der einzige Unterschied zwischen Nullsubjekt- und Nicht- Nullsubjektsprachen liegt in der Natur des agreement -Kopfes, der aufgrund einer reichen morphologischen Spezifizierung pro legitimieren kann (vgl. Taraldsen 1978, Rizzi 1986). Demnach identifiziert und lizenziert die reiche Verbmorphologie das leere Element pro . Die syntaktische Position des leeren Elements pro kann ausschließlich anhand indirekter Evidenz bestimmt werden. Für das italienische Zielsystem ist allgemein bekannt, dass pragmatische und informationsstrukturelle Gründe die Realisierung des Subjekts in einer präverbalen oder postverbalen Position beeinflussen können. Empirische Studien haben das Ergebnis erbracht, dass overte Subjektrealisierungen in einer präverbalen Stellung alte Information, und postverbale Subjektrealisierungen neue Information (Fokus) kodieren (vgl. Repetto 2010). Diese Überlegung impliziert den Ausschluss einer postverbalen Stellung von pro , da postverbale Subjekte, die neue Information in den Diskurs einführen, fokussiert sind und folglich nicht ausgelassen werden können. Dennoch stellt sich die Frage nach der strukturellen Position der coverten Subjektrealisierung durch pro und schließlich nach einer angemessenen Beschreibung der Subjektauslassungen im Italienischen. Basierend auf der Annahme, dass pro entweder präverbal, postverbal oder in beiden Konfiguration erscheinen kann, führt Cardinaletti (1997) eine theoretische Diskussion darüber, dass pro nur in einer präverbalen Position lizenziert sein kann und stützt ihre theoretische Überzeugung auf empirische Evidenz aus der Erwachsenensprache. Der Ausgangspunkt ihrer Argumentation ist der syntaktische Status dieses Pronomens, welches in Anlehnung an Cardinaletti und Starke (1999) als defizitäres Element klassifiziert werden muss. Demnach steht pro in komplementärer Distribution zu starken Pronomina und wird als expletives Pronomen - oder Quasi-Argument - wie das Französische il in unpersönlichen Konstruktionen aufgefasst. Die nachstehenden Beispiele (4.22) verdeutlichen den ungrammatischen Gebrauch von starken Pronomina in Kontexten, in denen das expletive Pronomen pro im Italie- <?page no="147"?> 147 nischen bzw. das französische Pendant il verlangt wird (vgl. Chomsky 1981: 325ff.). (4.22) a. Il est arrivé trois filles. a’. Il pleut. a’’. *Lui est arrivé trois filles. a’’’. *Lui pleut. b. pro sono arrivate tre ragazze. b’. pro piove. b’’. *Loro sono arrivate tre ragazze. b’’’. *Lui piove. Cardinaletti und Starke (1999) klassifizieren das französische Expletivum il als ein schwaches Pronomen, welches als solches nicht als klitisches Pronomen interpretiert werden kann und distributionell sehr eingeschränkt ist: Es kann weder in seiner basisgenerierten Position noch satzperipher erscheinen. Aus dieser Beobachtung schließt Cardinaletti (1997: 36) ein syntaktisch paralleles Verhalten des expletiven Pronomens il aus dem Französischen und pro aus dem Italienischen. Anhand indirekter Evidenz und aus dem syntaktischen Status der involvierten Pronomina schlussfolgert die Autorin, dass sich pro im Italienischen in einer präverbalen A- Position in [Spec, AgrSP] 92 befinden muss. Die Autorin entwickelt folgende sprachübergreifende Analyse für starke, schwache und klitische Pronomina, die sich in Abhängigkeit ihrer Defizitarität in hierarchisch unterschiedlichen Positionen befinden: 92 In der Literatur werden weitere empirische Befunde aufgeführt, die im Sinne von Cardinaletti (1997) zugunsten einer präverbalen Analyse von pro argumentieren. Existenzialistische Konstruktionen (vgl. Burzio 1986), Quantifizierer (vgl. Burzio 1986, Rizzi 1987) und Kopulakonstruktionen (vgl. Moro 1993) liefern aussagekräftige Evidenz für die Annahme einer präverbalen Position des leeren Elements pro . <?page no="148"?> 148 (4.23) a. starke Pronomina C L P C L Ʃ L P Ʃ L I L P I L L P b. schwache Pronomina Ʃ L P Ʃ L P I L P I L L P c. klitische Pronomina I L P I L L P Abb. (4.23): Syntaktischer Status starker, schwacher und klitischer Pronomina (zitiert nach Prévost 2009: 125) Auch greift Cardinaletti (1997) die Diskussion über die syntaktische Position von lexikalisch realisierten Subjekten in Nullsubjektsprachen auf und lehnt den Standpunkt ab, dass sich Nullsubjekt- und Nicht-Nullsubjektsprachen insofern voneinander unterscheiden, als Subjekte in Nullsubjektsprachen als disloziierte Phrasen in A’-Position verstanden werden. Diese Analyse impliziert die Existenz eines satzperipheren Adjunkts und eines Nullsubjekts in jedem Satz einer Nullsubjektsprache. In der Literatur herrscht wenig Konsens darüber, welche A’-Position tatsächlich das lexikalisch realisierte Subjekt in Nullsubjektsprachen einnimmt: Die Meinungen gehen an dem Punkt auseinander, ob es sich um eine adjungierte Phrase an [Spec, Agr] oder um eine höhere Topik-Position handelt. Außerdem ist vorgeschlagen worden, dass lexikalisch realisierte Subjekte in präverbaler Position linksdisloziierte Phrasen darstellen können. In Anlehnung an Barbosa (1994) weisen präverbale Subjekte syntaktische Affinitäten vielmehr mit disloziierten Elementen als mit postverbalen Subjekten auf. Cardinaletti (1997: 43) zeigt anhand des schwachen Pronomens egli , dass die Hypothese des linksdisloziierten Subjekts falsche Vorhersagen über die italienische Zielgrammatik macht. Der Autorin folgend liefert der nachstehende Ausdruck indirekte Evidenz dafür, dass im Italienischen overte Subjektphrasen und Nullsubjekte in A-Position anzusiedeln sind. (4.24) *Egli a Gianni [ pro non gli ha parlato ancora]. <?page no="149"?> 149 Die Ungrammatikalität des Beispiels (4.24) ergibt sich aus der syntaktischen Eigenschaft der schwachen Pronomina des Italienischen: Letztere können weder disloziiert werden noch einer linksdisloziierten Konstituente, in diesem Fall dem Objekt des sprachlichen Ausdrucks, vorausgehen. Schließlich kommt Cardinaletti (1997: 45) zu dem Ergebnis, dass „[…] NSLs and non-NSLs behave essentially in a parallel way. In both types of language, the Case position is preverbal, weak subjects are preverbal, and full preverbal subjects pattern alike in that they occupy the structural subject position, which is standardly taken to be SpecAgrSP.“ Um jedoch sprachspezifischen Eigenschaften universell Rechnung tragen zu können, entwickeln Cardinaletti und Roberts (2002) eine Satzstruktur, die innerhalb der agreement -Phrase zwei 93 distinkte Subjektpositionen bereitstellt. Die Autoren nehmen in einer höheren syntaktischen Position, [Agr1P], starke Pronomina und overt realisierte Subjekte an, während schwache Pronomina und pro in einer in der Struktur tiefer gebetteten Position, [Agr2P], verortet werden. Die nachstehende Übersicht (4.25) gibt schematisch die beiden Subjektpositionen innerhalb der agreement -Phrase für das Italienische, Englische und Französische wieder (vgl. Cardinaletti 1997: 53). (4.25) stark schwach a. [Agr1P {Gianni, lui, egli} [Agr2P {pro} Vfin [… b. [Agr1P {John / he} [Agr2P {it} Agr2° [Vfin… c. [Agr1P {Jean / lui} [Agr2P {il} Vfin [… Aufgrund der sprachübergreifenden Distribution der schwachen Pronomina kommt Cardinaletti (1997: 56) zur Schlussfolgerung, dass sprachliche Variation nur anhand distinkter Subjektpositionen, die die Landeposition der syntaktisch unterschiedlichen Subjektrealisierungen darstellen, erklärt werden kann. Im Rahmen des minimalistischen Ansatzes werden in [Agr1P] das Subjekt des Prädikats angenommen und in [Agr2P] die φ- Merkmale überprüft sowie der Nominativ-Kasus vergeben. Generell schließt die Autorin die Hypothese, dass es sich im Italienischen um linksdisloziierte Subjektphrasen handeln könnte aus, da „[…] there is no 93 Die Autoren können aufgrund von Bewegungsmechanismen, die an dieser Stelle nicht im Detail aufgeführt werden, die Existenz zweier distinkter Subjektpositionen in [Agr, SP] legitimieren. Die zweite Position, [Agr, 2P], ist für die Merkmalsüberprüfung und Kasuszuweisung notwendig, während in [Agr, 1P] präverbale Subjektphrasen erscheinen. Diese Position wird für pro insofern ausgeschlossen, als pro und overt realisierte Subjekte in komplementärer Distribution zueinander stehen (vgl. Cardinaletti 1997: 55). <?page no="150"?> 150 strong principled reason as to why the subject should be left-dislocated. In other words nothing “requires” the subject to be left-dislocated in a NSL“ (Cardinaletti 1997: 43). Zusammenfassend kann auf Guasti (2004: 153) verwiesen werden, die für die italienische Subjektauslassung die nachstehende Struktur (4.26) vorschlägt. Demzufolge befindet sich pro in einer präverbalen Spezifizierer-Position der [IP], nachdem es aus seiner basisgenerierten Position, der Spezifizierer-Position der [VP], angehoben worden ist. Dennoch wird in der einschlägigen Literatur aus diskurspragmatischen Gründen dafür argumentiert, dass sich das Subjekt in einer abgeleiteten Argumentposition befindet. Diese Position wird vor allem unter dem Gesichtspunkt der Referenz von pro und dessen Eigenschaft im Diskurs vertreten (vgl. Trecci 2006). IP DP I’ pro i I° VP vedo j Spec V’ t i V° DP t j un aereo Abb. (4.26): Subjektauslassung im Italienischen (in Anlehnung an Guasti 2004: 153) In Anlehnung an Alexiadou und Anagnostopoulou (1998) werden Subjekte einer Nullsubjektsprache in einer A’-Position verortet und als topikalisierte Elemente interpretiert (vgl. u.a. die Zielsystembeschreibung des Spanischen in Kapitel 4.4.2). <?page no="151"?> 151 Weitere Evidenz für eine präverbale Subjektposition im Italienischen Cardinaletti (2007) diskutiert die Position des Subjekts im Italienischen anhand zahlreicher grammatischer Phänomene und rekurriert diesbezüglich auf einige einflussreiche Studien, die im Folgenden kurz vorgestellt werden. Der Autorin folgend wird im Italienischen das Verb weder in interrogativen noch in deklarativen Konstruktionen in eine C-Position angehoben, sondern verbleibt stets in der Tempus-Phrase (vgl. Cardinaletti 2007: 57). Die von Cardinaletti avancierte syntaktische Beschreibung des Subjekts ist jedoch mit einigen theoretischen Ansätzen aus der linguistischen Literatur inkompatibel: Sie steht weder mit dem dislokationsorientierten Ansatz ( the left-dislocation approach ) von Barbosa (2001) noch mit dem the subject-in-Comp approach von Poletto (2000) im Einklang. Genauso wenig zeigt Cardinalettis Analyse Gemeinsamkeiten mit dem von Zubizarreta (2009) geleisteten Beitrag zur theoretischen Klärung der syntaktischen Position des Subjekts im Italienischen ( the operator-subject analysis ). Barbosa (2001) vertritt den Standpunkt, dass in Nullsubjektsprachen - wie dem Italienischen und Spanischen - das Subjekt in einer linksdisloziierten Topik-Position erscheint. Diese Annahme ist in der Literatur dahingehend kritisiert worden, dass diese Analyse für bestimmte grammatische Bereiche der involvierten Nullsubjektsprachen falsche Vorhersagen macht. Cardinaletti (2007) zeigt eindrucksvoll, dass im Falle der wh- Fragen das schwache Pronomen egli und der Quantifizierer nessuno nicht linksdisloziiert sind, da sie dem wh-Element nicht in wohlgeformter Weise vorausgehen können. (4.27) *Egli chi ha invitato? (vgl. Cardinaletti 2007: 68) (4.28) *Nessuno chi ha invitato? (vgl. Cardinaletti 2007: 68) Daraus schließt die Autorin, dass sich das Subjekt in einer präverbalen, nicht-disloziierten Subjektposition, in [Spec, SubjP], befinden muss. Ähnlich verhält es sich mit Polettos Analyse, laut welcher die präverbale Subjektposition in der [CP] höher verankert ist als wh-Elemente (vgl. Poletto 2000: 160). Demnach sind Konstruktionen wie *Chi Gianni ha invitato? aus strukturellen Gründen ungrammatisch und stellen den Sachverhalt heraus, dass die Spezifizierer-Position der [AgrP], [Spec, AgrS], für das lexikalische Subjekt einer Nullsubjektsprache unerreichbar ist. Sowohl Barbosas Ansatz bezüglich der linksdisloziierten Subjektposition als auch Polettos Ausführungen sind nach Cardinaletti (2007) unzureichend, da in beiden Beschreibungen die sprachinterne Variation der lexikalischen und pronominalen Subjektrealisierung unberücksichtigt bleibt. Aus dem gleichen Grund kritisiert Cardinaletti auch den von Zubizarreta (2001) vertretenen Standpunkt, da er ebenso wenig dem Kontrast zwischen pronomi- <?page no="152"?> 152 nalem und lexikalischem Subjektgebrauch Rechnung tragen kann. Zubizarreta (2001: 186-193) nimmt für Sprachen mit einer reichhaltigen Verbmorphologie an, dass das Subjekt mittels der syntaktischen Operation merge mit der Projektion eines Cl-Operators, welches ein Argument innerhalb der [VP] variabel bindet, externalisiert wird. Im Laufe der Diskussion über die syntaktische Beschreibung des Subjekts wird sich das Argument der reichhaltigen Morphologie ebenfalls als problematisch erweisen. Außerdem stehen zunehmend die Referenzbeziehungen, die realisierte Subjekte bzw. pro ausdrücken, im Vordergrund theoretischer Überlegungen. Pro und Topikalisierung im Diskurs Im Gegensatz zu Cardinaletti (1997) wird aus einer informationsstrukturellen Perspektive vordergründig die Referenz der coverten bzw. overten Subjektrealisierung in Nullsubjektsprachen thematisiert. Trecci (2006) kritisiert die bisher in der Literatur avancierte Analyse von pro und des overten Pendants insofern, als sie auf Ökonomieprinzipien basierend lediglich syntaktischen Phänomenen Rechung trägt und informationsstrukturell unzureichend ist. Indeed, Economy can explain the distribution of pro in a number of syntactic contexts (coordination, distribution, range and so on), though not in relation with information structure requirements. (Trecci 2006: 321) Ausgangspunkt dieser Argumentation ist die Beobachtung, dass sich pro und overte Subjektrealisierungen nicht nur unter phonologischen, sondern auch unter diskurspragmatischen Gesichtspunkten unterscheiden. Pro und pronominale bzw. lexikalische Subjektrealisierungen stehen folglich in komplementärer Distribution zueinander, da pro lediglich für den Kontext bereits bekannte Informationen aufgreifen kann. Pronominale Subjektrealisierungen hingegen können sowohl alte als auch neue Information kodieren, während pro präsupponiert ist und aus dem Diskurs erschlossen werden muss. Aus diesem Grund wird pro als topikalisiertes Element verstanden, welches mit dem Merkmal [+TOP] versehen werden muss, damit es auf der Ebene der Logischen Form interpretiert werden kann. (vgl. Trecci 2006: 322). In Anlehnung an Rizzi (1986) kann pro aus Lizenzierungsgründen weder die [Spec, Agr]-Phrase, in der pro φ- Merkmale erhält, verlassen, noch in einer Topik-Projektion verortet werden. In diesem Sinne wird dafür argumentiert, dass das topikalisierte Element pro nicht aus einer [IP]-internen Position in eine Topik-Projektion verschoben wird, sondern in [TopP] generiert wird (vgl. u.a. Frascarelli 2000). Somit befindet sich pro zu keinem Zeitpunkt der Derivation in einer IP-internen Position, sondern wird über merge unmittelbar in eine Topik- <?page no="153"?> 153 Position überführt. Demnach kann die Interpretierbarkeit von pro als topikalisiertes Element nicht ausschließlich über das spec-head agreement in [Agr, SP] gewährleistet werden. Vor diesem Hintergrund plädiert Frascarelli (2005) dafür, dass AgrS° pro lediglich im Hinblick auf die Merkmale [ Person ], [ Numerus ] und [ Genus ] lizenzieren kann. Bezüglich der Interpretierbarkeit und Lizenzierung von pro im Diskurs erweist sich diese Position jedoch als wenig zufriedenstellend, da die Referenzbeziehungen unbestimmt bleiben. Das nachstehende Beispiel (4.29) soll diesen Zusammenhang verdeutlichen. (4.29) pro vede Ø sehen/ Präsens/ 3. Person Singular Der sprachliche Ausdruck in (4.29) ist unter kontextfreien Gesichtspunkten grammatisch, wobei der Adressat die Referenz von pro nicht identifizieren kann und somit kontextgebunden ungeklärt bleibt, welche Entität der Tätigkeit des Sehens nachgeht. Dieses Beispiel illustriert eindrucksvoll, dass pro zwar lizenziert, jedoch nicht interpretierbar ist. Es stellt sich somit die Frage, zu welchem Zeitpunkt in der Derivation sowohl die Interpretation als auch die referenziellen Beziehungen von pro zugänglich werden. Die Identifikation von pro stellt sich insofern als komplex heraus, als eine phonologisch leere Konstituente nicht anhand ihrer derivationellen Position, sondern mittels eines Antezedens 94 identifiziert werden kann. Aus diesem Grund wird für pro eine syntaktische Position zwischen zwei Schnittstellen, die C-I-Schnittstelle, vorgeschlagen. Therefore, I propose that [+TOP] ‘default’ feature of pro is made visible at the C-I interface through an index which links pro , in Spec-TP, with a specific TopP position in the sentence. […] The apparent contradiction is due to the fact that the lack of phonological material obliges pro to be licensed in Spec-TP, but such a lack also provides pro with a default [+TOP] feature available for interpretation. This feature must be checked through indices due to the impossibility for pro to be spelled out. […] the relevant relation is not between indices, but between edges of particular phases. (Trecci 2006: 323ff.) Trecci (2006) folgend kann pro nur mittels dieser Mechanismen vollständig interpretiert werden und grammatisch als referenzielles Element im 94 Ein Antezedens ist insofern für die Identifikation von pro notwendig, als pro nicht eigenständig voll referenziell innerhalb eines sprachlichen Ausdrucks agieren kann. Die Problematik der Identifizierung ist auf pro beschränkt, da overte Subjektpronomina vollständige Determinantenphrasen, [DP], darstellen, die nicht anhand einer vorausgehenden DP, eines Antezedens, identifiziert werden müssen. <?page no="154"?> 154 Diskurs agieren. Im Gegensatz zu Cardinaletti (1997, 2004) argumentiert die Autorin dafür, dass in Nullsubjektsprachen Subjekte vielmehr topikalisierte Elemente darstellen und innerhalb der C-Domäne erscheinen können. Dies impliziert jedoch nicht die kategorische Topikalisierung des Subjekts in Nullsubjektsprachen, sondern schließt lediglich die Existenz von topikalisierten Subjekten nicht aus (vgl. Poletto 1999). Dennoch wird im Rahmen dieser Theorie angenommen, dass pro ausschließlich mit einem Subjekt in abgeleiteter Argumentposition, in einer A’-Position, korreferent sein kann. Augenscheinlich sprechen diskurspragmatische Gründe für topikalisierte, präverbale Subjekte in Nullsubjektsprachen (vgl. Alexiadou und Anagnostopoulou 1998). Demnach erhält das leere Element pro nicht durch seine strukturelle Position, sondern durch ein Antezedens seine vollständige Interpretation und Identifizierung im sprachlichen Ausdruck. Laut Trecci (2006) kann dieser Zusammenhang nur anhand einer vorausgehenden [DP], dem Antezedens der involvierten Konfiguration, in Topik-Position idealerweise wiedergegeben werden. Die nachstehende Struktur (4.30) illustriert den Phrasenaufbau einer topikalisierten DP, eines präverbalen Subjekts, und des koreferenten pro (vgl. Trecci 2006: 323). (4.30) [ TopP DP i [ TopP [… [ TP [ vP ]] … ]]] [ TopP … [ TP pro i ] …] [+TOP] [+TOP (default)] Die Forscherin führt anhand verschiedener syntaktischer Phänomene empirische Evidenz für ihre Hypothese an und vertritt den Standpunkt, dass pro nur über das Merkmal [+TOP] auf ein topikalisiertes Subjekt im Diskurs referieren kann. Die Autorin untersucht die Referenz von pro vornehmlich in eingebetteten Konstruktionen, in Relativsätzen, und im Zusammenhang mit psychologischen Verben. Das nachstehende Beispiel (4.31) verdeutlicht die Ungrammatikalität von pro , die sich aus den Referenzbeziehungen der leeren Subjektphrase und dem Diskurstopik ergibt. (4.31) a. I quadri di Leo i che lui i/ j... ama sono molto costosi. b. I quadri di Leo i che pro *i/ j... ama sono molto costosi. (aus Trecci 2006: 329) Laut Trecci kann das overte Pronomen lui in (4.31a) entweder mit Leo korreferent sein oder neue Information kodieren und somit einen neuen Referenten in den Diskurs einführen. In (4.31b) hingegen kann pro nicht mit Leo koindiziert sein, da nicht Leo , sondern die Gemälde, i quadri , als Diskurstopik ( aboutness topic ) identifiziert werden. Demnach kann Leo nicht als Topik des sprachlichen Ausdrucks, sondern lediglich als eine <?page no="155"?> 155 modifizierende Variable des gesamten Konstrukts interpretiert werden. Aus diesem Grund misslingt die Referenzbeziehung zwischen pro und Leo , da „ pro has no possible binder“ (Trecci 2006: 329). Daraus schließt Trecci, das pro aus diskurstheoretischer Perspektive den unmarkierten Fall signalisiert und sich syntaktisch von overten, topikalisierten Subjekten unterscheiden muss. Weitere Evidenz für diese Annahme gewinnt die Autorin aus Kontexten, die psychologische Verben involvieren und im Hinblick auf die Referenzbeziehungen von pro ein symmetrisches Verhalten zu eingebetteten Konstruktionen aufweisen. Angesichts der psychologischen Verben plädieren Belletti und Rizzi (1988) zugunsten einer höheren Position des Experiencer innerhalb der Derivation als das Oberflächensubjekt der Struktur. Aufgrund der strukturellen Position kann die in (4.32) aufgeführte Präpositionalphrase a Giovanni als topikalisierte Konstituente charakterisiert werden, wobei die [DP] Giovanni das Thema der Prädikation darstellt. Trecci überträgt diese Argumentation auf die Interpretation der Referenzbeziehungen von pro und führt die Ungrammatikalität in (4.32a) auf den Umstand zurück, dass eine Korreferenz zwischen pro und dem syntaktischen Subjekt − sichtbar an der femininen Angleichung des Adjektivs − besteht. Demnach kann pro ausschließlich mit der [DP] innerhalb der Präpositionalphrase, jedoch niemals mit dem syntaktischen Subjekt korreferent sein. Calabrese (1986) merkt ebenfalls an, dass die in Verbindung mit psychologischen Verben realisierten Präpositionalphrasen keine Korreferenz mit pro eingehen, da sie nicht als Thema der Prädikation fungieren können. (4.32) a. *Poiché a Giovanni piace Maria j , pro *j è contentissima. b. Poiché a Giovanni piace Maria j , lei j è contentissima. (aus Trecci 2006: 331) Die Grammatikalität in (4.32b) ergibt sich aus der Tatsache, dass das Pronomen lei mit dem Subjekt koindiziert ist und sich generell auf alle Elemente im Diskurs beziehen kann, die nicht das Thema der Prädikation, d.h. topikalisierte Elemente sind. Die Forscherin argumentiert aus der Perspektive der Bindung und Koreferenz von pro , „since the function of pro is to allow Topic continuity, overt pronouns, as free elements, can be coreferent with any constituent“ (vgl. Trecci 2006: 335). Inwieweit diese Analyse richtige Vorhersagen über den Erwerb einer Nullsubjektsprache im simultan bilingualen Erstspracherwerb macht, muss an dieser Stelle unkommentiert bleiben und im Laufe der empirischen Untersuchung der vorliegenden Studie überprüft werden. <?page no="156"?> 156 Die Distribution und Interpretation der Subjekte im Italienischen Die Interpretation des Subjekts erschließt sich nicht nur anhand der syntaktischen Position, sondern auch anhand diskurspragmatischer und informationsstruktureller Faktoren. Eine für das italienische Zielsystem typische Konfiguration ist die Realisierung des Subjekts in postverbaler Stellung. In der einschlägigen Literatur werden zwei unterschiedliche Erklärungsansätze angesichts der postverbalen Subjektposition, der sogenannten Inversion des Subjekts, diskutiert. Zum einen spiegelt die postverbale Realisierung eine rechts-adjungierte Subjektposition der [VP] wider (vgl. Rizzi 1982, Burzio 1986) und zum anderen handelt es sich um eine von [INFL] regierte Subjektposition (vgl. Belletti 1988). Dabei ist das an die [VP] adjungierte Subjekt entweder durch die Kasuszuweisung des präverbalen pro oder unmittelbar durch [INFL] lizenziert. Nach Belletti (1988) ist dies die strukturelle Position, die Objektposition, in der das Subjekt unakkusativer und passiv gebrauchter Verben basisgeneriert wird. Darüber hinaus kommt Belletti zu dem Ergebnis, dass unakkusative Verben die Realisierung des postverbalen Subjekts nur unter Berücksichtigung der semantischen Bedingung erlauben, dass ausschließlich indefinite Subjekt-NPn in dieser Position erscheinen können. Die postverbale Stellung zeigt jedoch nicht nur syntaktische, sondern auch semantische Besonderheiten auf. So weist Benincà (1988) darauf hin, dass die Interpretation eines sprachlichen Ausdrucks von der Subjektposition (präbzw. postverbale Stellung) abhängig ist. Demnach ist die Inversion nicht mehr als ein freies, sondern als ein auf bestimmte Verbklassen beschränktes Phänomen der italienischen Zielgrammatik zu verstehen. Im Weiteren schlussfolgert Benincà (1988), dass die Präsenz bzw. Absenz von lokalen Präpositionalphrasen mit der Realisierung postverbaler Subjekte unmittelbar zusammenhängt. Die Autorin stellt die Generalisierung auf, dass die Subjektinversion nur mit solchen Verbtypen grammatisch ist, die implizite, lokale Präpositionalphrasen, gleichgültig ob overt oder covert realisiert, selegieren. Den Ausführungen der Forscherin folgend sind postverbale Subjekte in Verbindung mit unergativen und unakkusativen Verben möglich, während die postverbale Subjektrealisierung mit transitiven und unergativen Verben, die keine lokale Präpositionalphrase zulassen, ausgeschlossen ist. Das nachstehende Beispiel (4.33) liefert empirische Evidenz dafür, dass postverbale Subjekte lexikalisch restringiert sind und eine deiktische Interpretation tragen. (4.33) a. Maria è arrivata. (unakkusativ) a’. È arrivata Maria. b. Maria ha telefonato. (unergativ) b’. Ha telefonato Maria. <?page no="157"?> 157 c. Maria ha rubato la borsa. (transitiv) c’. * Ha rubato la borsa Maria. d. Maria ha riso. (unergativ) d’. * Ha riso Maria. Die in (4.33) aufgeführten Beispiele zeigen deutlich, dass die prä- und postverbale Subjektposition in Verbindung mit unakkusativen Verben stets zu grammatischen Konstruktionen führt. Die postverbale Subjektrealisierung ist mit transitiven Verben insofern ungrammatisch, als das Verb rubare kein lokales Argument subkategorisiert. Aus dem gleichen Grund ergibt sich die Ungrammatikalität der postverbalen Subjektrealisierung mit dem unergativen Verb ridere , welches ebenso wenig eine lokale Präpositionalphrase 95 als Verbkomplement fordert. Neben einer rein syntaktischen Analyse der postverbalen Subjektposition stellt Benincà (1988) einen interpretatorischen Unterschied zwischen prä- und postverbalen Subjekten fest. Während in (4.33b) Maria eine beliebige außersprachliche Entität anruft bzw. lediglich die Tätigkeit des Anrufens durchführt, lässt (4.33b’) ausschließlich die Interpretation 96 zu, dass Maria eine bestimmte Gruppe angerufen hat. Aus informationsstruktureller Perspektive kodiert das präverbale Subjekt in (4.33a) alte Information, d.h. das Subjekt ist im Diskurs bekannt und wird nicht kontrastiv gebraucht. In (4.33a’) hingegen vermittelt das postverbale Subjekt für den Diskurs neue, bisher unbekannte Information. Pinto (1994: 184) greift diese Beobachtung auf und formuliert die Generalisierung, dass in Verbindung mit transitiven und unergativen Verben die präverbale Stellung des Subjekts entweder neue oder alte Information kodiert. Im Falle der unergativen Verben, die ein lokales Verbkomplement selegieren, und der unakkusativen Verben wird die Vermittlung von neuer bzw. alter Information über die Subjektposition, präverbal vs. postverbal, disambiguiert. Die nachfolgende Übersicht (4.3) gibt die distributionelle Asymmetrie von invertierten Subjekten und deren Informationsgehalt im Diskurs wieder. 95 Benincà (1988) weist auf die Relevanz der lokalen Präpositionalphrase im Hinblick auf die prä- und postverbale Subjektposition hin. Der Zusammenhang zwischen lokaler Präpositionalphrase und präbzw. postverbaler Subjektrealisierung wird u.a. in Delfitto und Pinto 1992 diskutiert. 96 Damit ist gemeint, dass Maria und die Gruppe sich kennen, während dies in (4.33b) nicht der Fall ist. <?page no="158"?> 158 präverbal postverbal transitiv [-LOK] alt/ neu --unergativ [-LOK] alt/ neu --unergativ [+LOK] alt neu unakkusativ alt neu Tab. (4.3): Informationsgehalt in Abhängigkeit von der Subjektposition und Verbklasse (zitiert nach Pinto 1994: 184) Die interpretatorische Eigenschaft präbzw. postverbal realisierter Subjekte beschränkt sich jedoch nicht nur auf den informationsstrukturellen Gehalt der involvierten Subjekt-NP, sondern berücksichtigt auch deren diskursbezogenen Charakter. In diesem Zusammenhang wird das syntaktische Verhalten (in-)definiter Subjekte in präbzw. postverbaler Stellung analysiert. Calabrese (1991) kommt zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass weniger die (In-)Definitheit des Subjekts, sondern vielmehr dessen referenzieller Gehalt im Diskurs für die jeweilige Subjektrealisierung, prä- oder postverbal, ausschlaggebend ist. In Anlehnung an Pesetsky (1987) spielt das semantische Merkmal [+/ definit ] eine untergeordnete Rolle im Hinblick auf die präbzw. postverbale Subjektrealisierung. Analog zur Tabelle (4.3) des Informationsgehalts - in Abhängigkeit von Verbklasse und Subjektposition - sind Subjekte, die alte Informationen kodieren, diskursbezogen ( discourse-linked ), und Subjekte, die neue Informationen in den Diskurs einführen, nicht diskursbezogen. Es stellt sich somit vielmehr die Frage nach dem Bekanntheitsgrad eines in den Diskurs eingeführten Referenten als nach seiner (In-)Definitheit. Für die Teilnehmer eines kommunikativen Ereignisses muss der Referent bekannt sein, wobei das Subjekt, das darauf referiert, sowohl definit als auch indefinit sein kann (vgl. Pesetsky 1987). Aus der Diskussion über die präbzw. postverbale Subjektposition kann geschlussfolgert werden, dass die Syntax die erforderlichen Mittel zur Vermittlung von semantischen Informationen zur Verfügung stellt. Insgesamt betont dieser Sachverhalt die Komplexität des italienischen Zielsystems, die sich nicht nur auf die Nullsubjekteigenschaft, sondern auch auf das syntaktische Phänomen der Inversion ausweiten lässt. Der Konjunktiv im Italienischen In der Literatur wird allgemein die obligatorische Realisierung des Subjektpronomens tu in konjunktivischen Kontexten angenommen (vgl. Renzi und Vanelli 1983). Trotz einer bestehenden Homophonie im Singular des italienischen Verbparadigmas - in diesem Fall des Verbs partire - <?page no="159"?> 159 führt im Gegensatz zur 2. Person Singular die Auslassung der 1. und 3. Person Singular zu einer wohlgeformten Konfiguration. (4.34) 1. Sg. Ø parta 2. Sg. Ø parta 3. Sg. Ø parta Diese Beobachtung wird durch die Argumentation aufgegriffen, dass pro aufgrund der nicht-reichhaltigen Morphologie weder identifiziert noch lizenziert werden kann (vgl. Rizzi 1986). In Anlehnung an Renzi und Vanelli (1982) kann das nachstehende Beispiel (4.35) nur dann für grammatisch erachtet werden, wenn sich aus dem Kontext die Lesart der 1. und 3. Person Singular erschließen lässt. Sollte jedoch die 2. Person Singular intendiert sein (vgl. 4.36), so plädieren die Autoren für die phonetische Realisierung des Subjektpronomens tu . Inwieweit dieser Ansatz syntaktischen und pragmatischen Prinzipien gerecht wird, soll im Folgenden diskutiert werden. (4.35) È necessario che pro i parta i subito. [1./ 3. Person Singular] (4.36) È necessario che tu parta subito. [2. Person Singular] Der obligatorische bzw. fakultative Gebrauch der Subjektpronomina im spezifischen Kontext des Konjunktivs wird in Peverini (2004) in einer diatopisch angelegten Untersuchung unter Berücksichtigung einiger regionaler Varietäten der italienischen Halbinsel thematisiert. Die Autorin kommt zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass die analysierten italienischen Varietäten eine heterogene Distribution der pronominalen Subjektauslassung aufweisen. Hierzu untersucht die Forscherin vier norditalienische sowie sechs süditalienische Varietäten und schließt aus den Grammatikalitätsurteilen der befragten Sprecher, dass die norditalienischen Varietäten die obligatorische Realisierung des Subjektpronomens erfordern. Peverini (2004: 109) führt die obligatorische Realisierung der 2. Person Singular weder auf semantische noch auf morphologische Gründe zurück. Der Argumentation der Forscherin folgend liefert die nicht-spezifizierte Verbmorphologie keine zufriedenstellende Erklärung für den empirischen Befund: Wäre die Reichhaltigkeit der morphologischen Merkmale für den dokumentierten Sachverhalt verantwortlich, bliebe dennoch die Grammatikalität der Auslassung der 1. und 3. Person Singular ungeklärt. Schließlich betrifft die Homophonie alle Verbformen im Singular des Konjunktivparadigmas. Somit wird die Ansicht, dass die overte Realisierung von tu zur Aufhebung potenzieller semantischer Mehrdeutigkeit beiträgt, abgestritten und für einen syntaktisch motivier- <?page no="160"?> 160 ten Grund für das obligatorische Auftreten der 2. Person Singular in norditalienischen Varietäten plädiert. Angesichts einer möglichen strukturellen Erklärung des Phänomens rekurriert die Autorin auf den Umstand, dass in norditalienischen Varietäten das Subjektpronomen tu durch das oblique Pronomen te ersetzt wird. Darüber hinaus weist Peverini einerseits auf die unvollständigen Paradigmen der Subjektklitika und andererseits auf die regelmäßige Existenz des Subjektklitikons der 2. Person Singular in allen italienischen Dialekten hin. Daraus leitet sich ein besonderer syntaktischer Status der 2. Person Singular ab, der sich auch in der Distribution und schließlich in der obligatorischen Realisierung des Subjektklitikons niederschlägt. Diese Hypothese findet bereits in Renzi und Vanelli (1982) insofern ihre Bestätigung, als die Autoren aus distributioneller Sicht eine höhere Frequenz für die 2. Person Singular attestieren können als für die übrigen Subjektklitika. Unter diskurstheoretischen Aspekten kann weiter geschlussfolgert werden, dass tu äußerst salient ist und somit vor allem in konjunktivischen Kontexten overt realisiert werden muss. Diesbezüglich argumentiert Poletto (1997) für einen strukturellen Wandel des Subjektpronomens tu und dafür, dass es seinen Status als freies, starkes Pronomen in den norditalienischen Varietäten verloren hat. Diese Auslegung verleiht dem Subjektpronomen tu die Interpretation einer geschwächten pronominalen Form, die obligatorisch realisiert werden muss. Die nachstehenden Beispiele (4.37) aus Peverini (2004: 111) verdeutlichen diesen Statuswandel des Pronomens tu und dessen Gebrauch in den untersuchten norditalienischen Varietäten. (4.37) a. Voglio che venga * tu / te, non lui. b. Voglio che tu / *te venga, non lui. Die Grammatikalitätsurteile der befragten Sprecher zeigen außerdem, dass in kontrastiven Kontexten tu nur in präverbaler Position und te ausschließlich in postverbaler Stellung für grammatisch erachtet werden. Auf der Basis eines strukturellen Wandels des starken Pronomens tu schlägt Peverini (2004: 111) eine syntaktische Erklärung für die obligatorische Präsenz des Pronomens vor, die tu als partielle Einheit der Verbflexion interpretiert. Dabei vertritt die Forscherin den Standpunkt, dass das Pronomen tu in Verbindung mit dem lexikalischen Verb einen komplexen Kopf bildet und die Nullsubjekteigenschaft der norditalienischen Dialekte bewahrt. Formal stellt Peverini (2004: 111) diesen Zusammenhang wie folgt dar: (4.38) Voglio che pro i [ Infl tu-venga i ]. <?page no="161"?> 161 Für die süditalienischen Varietäten weist Peverini (2004) darauf hin, dass in der gesprochenen Sprache der Konjunktiv nahezu ausnahmslos durch den Indikativ 97 ersetzt und folglich nur sehr begrenzt gebraucht wird. Dadurch werden die Homophonie im Verbpardigma und die daraus resultierende Ambiguität aufgehoben, wobei vereinzelt der Konjunktiv beobachtet werden kann. Die qualitative Analyse des Subjektgebrauchs in den süditalienischen Varietäten hat ergeben, dass im Gegensatz zum norditalienischen Sprachraum das Subjektpronomen tu stets ausgelassen und somit keine obligatorische Realisierung erforderlich wird. Dieses Ergebnis erstaunt insofern, als sich aus diatopischer Perspektive ein distributioneller Unterschied im Subjektgebrauch kundtut: Während die norditalienischen Varietäten das Subjektpronomen der 2. Person Singular overt realisieren, kann letzteres in den süditalienischen Dialekten ausgelassen werden. Dennoch führt Peverini (2004) eine strukturelle Analyse des Pronomens tu durch und klassifiziert es in Anlehnung an Cardinaletti und Starke (1999) als ein freies, starkes Pronomen. Um den Gegensatz unter den fokussierten nord- und süditalienischen Varietäten aufheben zu können, plädiert Peverini für zwei distinkte Positionen des Pronomens tu : In den süditalienischen Varietäten besetzt tu die kanonische präverbale Spezifizierer-Position der [IP], [Spec, IP], während für die norditalienischen Varietäten angenommen wird, dass es sich bei tu um ein Klitikon handelt, welches in [INFL] gemeinsam mit dem lexikalischen Verb einen komplexen Kopf bildet. Die obligatorische bzw. fakultative Präsenz des Subjektpronomens tu orientiert sich zum einen an der diatopischen Variablen und zum anderen an einer distinkten syntaktischen Beschreibung der involvierten Varietäten. Der strukturelle Unterschied liegt in der Realisierung des Kopfes in [INFL], d.h., in der Inkorporation des Pronomens tu im norditalienischen Spracheraum. Formal kann diese Analyse wie folgt veranschaulicht werden (vgl. Peverini 2004: 113). (4.39) a. norditalienischer Sprachraum: Voglio che pro i [ Infl tu-venga i ]. b. süditalienischer Sprachraum: Voglio che pro i [ Infl venga i ]. Die ermittelten Erkenntnisse schwächen das Argument der reichhaltigen Verbmorphologie aus der traditionellen pro-drop -Theorie und bestätigen die Nullsubjekteigenschaft der italienischen Varietäten. Letzterer kann 97 Benincà (1999: 261) führt ohne jegliche qualitativ ausgerichtete Analyse diesen Umstand auf einen generellen Prozess der Simplifizierung in süditalienischen Varietäten zurück. <?page no="162"?> 162 insofern Rechnung getragen werden, als die Distribution der 2. Person Singular „is better explained in terms of the weakening (and possible cliticization) of the erstwhile subject pronoun, as amply shown by the contrast with […] southern varieties“(Peverini 2004: 112). Zwar kann der Konjunktiv nur vereinzelt in der Kindersprache - und wohl auch in der gesprochenen Erwachsenensprache - beobachtet werden, dennoch erscheint es im Hinblick auf die qualitative Analyse plausibel, Ergebnisse der bisherigen Forschung zu zitieren. Letztere liefern die Basis für die theoretische Diskussion der in der vorliegenden Arbeit analysierten Kinderkorpora. Außerdem ist die obligatorische bzw. fakultative Realisierung der italienischen Subjektpronomina nicht nur unter dem Gesichtspunkt einer bestimmten grammatischen Konstruktion, in diesem Fall des Konjunktivs, sondern auch aus einer diskurspragmatischen Perspektive von außerordentlicher Relevanz. Exkurs: Fokus im Sizilianischen Die Analyse einer süditalienischen Varietät, des Sizilianischen, hat zwei distinkte Fokus-Positionen innerhalb der linken Peripherie des sprachlichen Ausdrucks ergeben. Nach Cruschina (2006: 379) werden neue Informationen, die kontrastiv gebraucht werden, an einer anderen syntaktischen Position angenommen als emphatische, neue Information. Die Untersuchung des empirischen Sprachmaterials zeigt deutlich, dass informationeller Fokus in der C-Domäne eines eingebetteten Satzes absent ist. Darüber hinaus muss informationeller Fokus im Gegensatz zum kontrastiven Fokus stets adjazent zum Verb realisiert werden. Aufgrund der strukturellen Eigenschaften 98 nimmt der Forscher unterschiedliche Projektionen, die sich aus den distinkten prosodischen Merkmalen und der jeweiligen Intonationskurve ergeben, für informationellen und kontrastiven Fokus an. Für das Ungarische hat bereits Kiss (1998) für eine distinkte Beschreibung von informationellem und kontrastivem Fokus in der linken Satzperipherie plädiert. Auch in diesem Fall sprechen syntaktische, semantische und prosodische Gründe für unterschiedliche Projektionen der jeweiligen Fokus-Phrasen. In der sizilianischen Varietät führt hauptsächlich die Haupt-Nebensatz-Asymmetrie 99 zur Notwendigkeit, infor- 98 Die syntaktischen Unterschiede und Gemeinsamkeiten des informationellen bzw. kontrastiven Fokus werden in Rizzi (1997) anhand der folgenden Phänomene herausgestellt: „absence of resumptive clitics, weak-crossover effects, focalisation of bare quantifiers, uniqueness and incompatibility with wh-elements“ (vgl. Cruschina 2006: 373). 99 Für eine detaillierte Beschreibung dieses Sachverhalts vgl. u.a. Frascarelli (2000), Belletti (2004) und Haegeman (2004). <?page no="163"?> 163 mationellen und kontrastiven Fokus separat in der Struktur abzubilden. Demnach ist informationeller Fokus ausschließlich auf Matrixsätze beschränkt, da im Sizilianischen neue Information in eingebetteten Sätzen nicht fokussiert werden kann (vgl. Cruschina 2006: 370). Dennoch ist in der Literatur kontrovers diskutiert worden, inwieweit unter diskurspragmatischen Gründen der informationelle und kontrastive Fokus tatsächlich voneinander differieren. Diesbezüglich stellt Cruschina (2006: 377) zwei Hypothesen auf, wobei er im Laufe der theoretischen Diskussion über eine angemessene syntaktische Analyse des zu beschreibenden Phänomens zugunsten der letzteren argumentiert: • Informationeller und kontrastiver Fokus besetzen die gleiche syntaktische Position in der linken Satzperipherie. • Informationeller und kontrastiver Fokus erfordern zwei distinkte syntaktische Positionen in der linken Satzperipherie. Da sich jedoch in den empirischen Daten eine Inkompatibilität des informationellen und kontrastiven Fokus herauskristallisiert, nimmt Cruschina basierend auf Hypothese (II) berechtigterweise zwei unterschiedliche Projektionen der jeweiligen Fokus-Strukturen an. Letztere sind insofern inkompatibel, als sie sich gegenseitig ausschließen, in komplementärer Distribution zueinander stehen und nicht im gleichen Kontext lizenziert sind: Weder im Sizilianischen noch im Italienischen kann eine kontrastive Fokussierung auf eine wh-Frage antworten, die eindeutig neue Information kodiert und kein explizites Antezedens zur Kontrastbildung zur Verfügung stellt. Dennoch weist Rizzi (1997) darauf hin, dass solche Unterschiede nicht automatisch zur Generierung einer eigenständigen Fokus- Phrase berechtigen, sondern vielmehr semantisch-pragmatische Faktoren involviert sein müssen, die die Realisierung von fokussierten Phrasen auf eine einzige Fokus-Phrase innerhalb eines sprachlichen Ausdrucks beschränken. Einen intermediären und konfliktlösenden Standpunkt vertreten Benincà und Poletto (2004), indem sie zwar den jeweiligen Fokus- Strukturen eine eigenständige Position zuweisen, die Fokus-Phrase jedoch nicht als eine Projektion, sondern als einen Bereich von Projektionen verstehen. Cruschina (2006: 378) modifiziert diese Analyse dergestalt, dass eine Topik-Phrase zwischen die beiden Fokus-Phrasen der linken Satzperipherie geschaltet wird. Formal gibt der Autor die Sequenz der einzelnen Phrasen wie folgt wieder: (4.40) CFocP TopP IFocP Die Topik-Phrase darf nicht unberücksichtigt bleiben, da im Sizilianischen eine topikalisierte Konstituente zwar einer kontrastiven, aber nicht einer <?page no="164"?> 164 informationellen Fokus-Phrase folgen darf. Das nachstehende Beispiel (4.41) verdeutlicht diesen Zusammenhang und zeigt, dass die Auslassung des resumptiven Klitikons zu ungrammatischen Konstruktionen führt. Die Realisierung des klitischen Pronomens ist im Sizilianischen in allen Kontexten, in denen ein Argument disloziiert, topikalisiert und Träger alter Information ist, obligatorisch. (4.41) a. A SALVO ssu libbru *(u) detti. (vgl. Cruschina 2006: 378) b. A MARIA na littira *(a) scrissi. (vgl. Cruschina 2006: 378) Zusammenfassend lässt sich aus der syntaktischen Beschreibung des Fokus im Sizilianischen schlussfolgern, dass im Gegensatz zur Standardvarietät, in der eine fokussierte Konstituente nur dann in der linken Satzperipherie angenommen werden kann, wenn sie Trägerin einer kontrastiven Interpretation ist, im Sizilianischen die Fokus-Phrase sowohl postverbal als auch in der linken Satzperipherie erscheinen kann. Schließlich vermittelt die Fokus-Phrase in der linken Satzperipherie entweder informationelle oder kontrastive Merkmale an den Diskurs. 4.4.2 Das Subjekt im Spanischen Die syntaktische Beschreibung der Subjektposition im Spanischen ist in den letzten Jahrzehnten Forschungsgegenstand zahlreicher linguistischer Arbeiten gewesen. Ziel dieses Abschnitts wird sein, einige wesentliche Ansätze zur Klärung der Realisierung der Subjektposition vorzustellen. Unmittelbar damit verbunden ist die Fragestellung nach der Identifizierung und Lizenzierung von Nullsubjekten. Diesbezüglich argumentiert Contreras (1991: 69) in Analogie zum Italienischen, dass die reiche Verbmorphologie des Spanischen pro legitimiert und dass „ pro can be identified under government by a lexical AGR“. Der Autor weist jedoch darauf hin, dass Nullsubjekte in bestimmten syntaktischen Kontexten, wie etwa der Topikalisierung, ungrammatisch sind. (4.42) * Esa lección sabe muy bien pro . (vgl. Contreras 1991: 70) Darüber hinaus stellt der Autor im Hinblick auf die Subjektauslassung zwei basisgenerierte Strukturen für pro auf, die in der folgenden Abbildung illustriert sind. <?page no="165"?> 165 IP I VP VP NP pro IP I VP NP VP pro Abb. (4.43): Pro im Spanischen (vgl. Contreras 1991: 69) Inwieweit diese Strukturen die Subjektauslassung im Spanischen angemessen wiedergeben, wird sich noch im Laufe der theoretischen Diskussion zeigen. In der einschlägigen Literatur wird außerdem über eine angemessene Interpretation von pro debattiert. Bereits Suñer (1982: 74) hat eine Kategorisierung der Nullsubjekte für das spanische Erwachsenensystem vorgenommen, die sie über die nachfolgenden Beispiele motivieren kann: (4.44) a. PRO j comen j a las diez. b. Paco quiere PRO comer. c. Había mucha gente. d. Ø Hace mucho viento. e. [NP i/ j e] apareció j un hombre i . f. PRO i/ j se i premia j a los incompetentes. In (4.44a) und (4.44b) nimmt Suñer ein zugrunde liegendes Subjekt, PRO, an, welches die Autorin im Gegensatz zu Taraldsen (1978) nicht als basisgenerierte Nullanapher interpretiert. Die Motivation, sich gegen diese Annahme auszusprechen, ist darin begründet, dass nominale Spuren keine Merkmale für [ Numerus ], [ Person ] und [ Genus ] tragen. Diese Feststellung ist ebenfalls mit Chomskys (1981) Konzeption des subject-verbagreement inkompatibel, da hier overte, pronominale Subjekte oder PRO über die oben genannten Merkmale mit dem Verb verbunden sind. Weitere Evidenz dafür, dass es sich bei dem Nullelement in der Subjektposition um PRO und nicht um eine Nullanapher handeln kann, bringt Suñer (1982: 60) über eingebettete Sätze, deren Subjekte nicht notwendigerweise mit dem Subjekt des Matrixsatzes korreferent sein müssen. <?page no="166"?> 166 (4.45) Los hombres i dicen que comen i/ j a las diez. Die Eigenschaft [+/ korreferent ] wird pronominalen Ausdrücken auf der Ebene der Logischen Form zugesprochen, sodass die Existenz von PRO gerechtfertigt sein muss. Suñers Analyse für (4.44c) und (4.44d) impliziert ein Nullelement, welches nicht nur phonetisch, sondern auch semantisch leer ist. Sie postuliert für den oben aufgeführten Satz kein zugrunde liegendes Subjekt, da es sich um einen unpersönlichen Ausdruck mit invariabler Verbmorphologie, 3. Person Singular, handelt. Die Untersuchung infiniter Komplementsätze und Phrasen mit Gerundium haben ihre Annahme eines phonetisch und semantisch leeren Elements bestätigt. Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass weder PRO noch Nullanaphern potenzielle Nullelemente in unpersönlichen Konstruktionen mit haber sein können. Ein möglicher Kritikpunkt dieser Ausführung könnte aus der Subjekt-Verb- Kongruenz resultieren. Dieser Einwand kann jedoch dadurch relativiert werden, dass im Spanischen unpersönliche Konstruktionen immer mit der Verbmorphologie der 3. Person Singular auftreten und somit das Argument der Subjekt-Verb-Kongruenz an dieser Stelle irrelevant ist. Suñer (1982: 68) schließt die Analyse unpersönlicher Sätze im Spanischen mit der Aussage ab, dass es in diesem konkreten Fall keine fehlenden Nullelemente gibt, da letztere gar nicht existieren. Therefore, the question ‘What is the missing element in sentence (3) and (4)? should be given the answer, ’There is no missing element’. Schließlich ist das Beispiel in (4.44e) als postverbales Subjekt mit einer Spur in der Subjektposition zu interpretieren. Es wird angenommen, dass die Spur ihrem Antezedens vorangeht und über Verbflexion gebunden wird. Trotz der postverbalen Stellung des Subjekts, in diesem Fall der [NP], wird Kasus zugewiesen. Über die allgemein gültige Konvention der Kasuszuweisung erhält die lexikalische [NP] den Nominativ-Kasus und die thematische Rolle der vorangestellten Spur. Der letzte von Suñer diskutierte Fall beschäftigt sich mit unpersönlichen se -Konstruktionen, die sich im Hinblick auf ihre syntaktische Analyse von dem zuvor aufgeführten Beispiel in (4.44c) und (4.44d) unterscheiden. Der Unterschied liegt darin, dass das Beispiel in (4.44f) eine semantische Interpretation trägt und somit nicht als semantisch leeres Element kategorisiert werden darf. Unpersönliche se -Konstruktionen spiegeln Ereignisse wider, die in ihrer Referenz unspezifiziert bleiben und an das Merkmal [+/ menschlich ] gebunden sind. Die semantische Interpretation des oben genannten Beispiels ist somit Träger der semantischen Merkmale [unspezifisch ] und [+ menschlich ]. Diese Beobachtung veran- <?page no="167"?> 167 lasst zu der Annahme, dass es sich unter dem Zusatz der Merkmale [unspezifisch ] und [+ menschlich ] bei dem Nullelement um PRO handeln muss. Zusammenfassend hält Suñer fest, dass es im Spanischen drei potenzielle Kategorien von Nullelementen in Subjektposition geben kann: PRO, Spuren und die totale Absenz von Subjekten (Ø). Die syntaktischen Unterschiede liegen in der semantischen Interpretation von PRO, den syntaktischen Eigenschaften von letztgenanntem und den lexikalischen Spuren. Während PRO ein basisgeneriertes Element ist, handelt es sich bei Spuren um derivierte Subjekte mit vorangestelltem Antezedens. Die einzige Gemeinsamkeit, die PRO und Spuren zugesprochen werden kann, ist die Tatsache, dass beide in finiten Kontexten regierte Elemente sind. Außerdem können PRO und Spuren, abhängig von ihrem Kontext, in dem sie erscheinen, kasusmarkiert sein. Die von Suñer durchgeführte Analyse deckt Parallelen zwischen PRO und Spuren auf, macht jedoch auf kontextuelle Unterschiede aufmerksam. Die Autorin formuliert die Schlussfolgerung, dass im Spanischen Nullelemente in (in-)finiten Kontexten auftreten und distinkte Merkmale besitzen. Darüber hinaus teilen PRO und Spuren die Eigenschaft, kasusmarkiert oder nicht-kasusmarkiert, regiert oder nicht-regiert zu sein. Der Subjekterwerb im Spanischen Zur Realisierung der Subjektposition in Nullsubjektsprachen sind im Rahmen der monolingualen und bilingualen Spracherwerbsforschung zahlreiche Arbeiten entstanden (vgl. Hyams 1986, 1994, 1996, Valian 1991 und Rizzi 1994). Nach Bel (2003) stehen im Spanischen Nullsubjekte und präverbal overte Subjekte in der Spezifizierer-Position der [IP], [Spec, IP]. In ihren Ausführungen zum monolingual spanischen und katalanischen Spracherwerb spricht sie sich zugunsten der Kontinuitätstheorie nach Pinker (1984) aus, welche eine frühzeitige Konvergenz zwischen der kindlichen und erwachsenensprachlichen Grammatik vorhersagt. Demzufolge wird der Nullsubjektparameter bereits in frühen Erwerbsphasen richtig gesetzt und die Autorin formuliert für monolingual spanisch und katalanisch aufwachsende Kinder die unten stehende Hypothese. Spanish and Catalan children set the positive value of the pro-drop parameter early. (Bel 2003: 5) In ihrer Studie untersucht sie sechs monolingual aufwachsende Kinder, drei für das Spanische und drei für das Katalanische. Ihre quantitative Analyse zur Realisierung und Auslassung der Subjekte sowohl im Spanischen als auch im Katalanischen wird das in der vorliegenden Arbeit hervorgebrachte Ergebnis bestätigen: monolingual spanisch und mono- <?page no="168"?> 168 lingual katalanisch aufwachsende Kinder lassen zu 67% das Subjekt aus. Die prozentuale Verteilung der realisierten und ausgelassenen Subjekte überprüft Bel (2003: 8) anhand des spanischen und katalanischen Erwachsenensystems und führt Ergebnisse aus vier Studien an, die Silva- Corvalán (1977), Bentivoglio (1987), Enríquez (1984) und Casanovas (1999) durchgeführt haben. Alle Studien liefern eine durchschnittliche Auslassungsrate von 69%, die mit den Kinderdaten aus Bels Studie übereinstimmt. Die Realisierung der Subjektposition als overte oder coverte Subjekte hat pragmatische Gründe, die für den overten Gebrauch der spanischen und katalanischen Subjektpronomina ausschlaggebend sind. Während pronominale Subjekte in Nicht-Nullsubjektsprachen obligatorisch sind, können in Nullsubjektsprachen Pronomina ausgelassen werden, wenn letztere keinen diskurspragmatischen Kontrast ausdrücken sollen. Die zeitweilig auftretenden Erwerbsschwierigkeiten des pronominalen Subjektgebrauchs sieht Bel (2003: 15) darin begründet, dass sich die Kinderdaten von den untersuchten Erwachsensystemen insofern unterscheiden, als das pragmatische Wissen über den zielsprachlichen Pronomengebrauch noch erworben werden muss. If we compare this result […] with the adult use of subject pronouns […], we verify a lower use in child language. This finding suggests that Spanish and Catalan children show difficulties in their knowledge of the pragmatic conditions for pronouns. […] This fact supports the proposal that in the latter two languages the behaviour of subject pronouns is not a property that derives from the pro-drop parameter. Die Nullsubjekteigenschaft einer Sprache impliziert die Möglichkeit, postverbale Subjekte zu realisieren. Bel untersucht nicht nur die Realisierung der Subjektposition und den personenspezifischen, pronominalen Subjektgebrauch, sondern auch die Position des realisierten Subjekts. Ihre Ergebnisse für den Erwerb des Spanischen und Katalanischen zeigen eine deutliche Präferenz für präverbal realisierte Subjekte bis zu einem Alter von 2; 6 Jahren. Die Annahme, die SVO-Ordnung sei die kanonische Wortstellung im Spanischen und Katalanischen, kann die Autorin jedoch durch eine weitere Analyse, die die unterschiedlichen Verbklassen in den Vordergrund stellt, widerlegen. Die empirische Auswertung der Erwachsenendaten hat ergeben, dass in Kontexten mit unakkusativen Verben das Subjekt postverbal, in Kontexten mit transitiven und intransitiven Verben präverbal realisiert wird. Nach Koopman und Sportiche (1991) wird das externe Argument, das Subjekt, innerhalb der VP basisgeneriert. Folgt man der [VP]-internen Subjekthypothese muss angenommen werden, dass das Spanische eine VOS-geordnete Sprache ist. An diesem Punkt gehen die Meinungen vieler Linguisten und Forscher (vgl. Fernández <?page no="169"?> 169 Soriano (1989), Contreras (1991), Ordóñez und Treviño (1999)) auseinander, da das Spanische auch als eine SVO-Sprache charakterisiert wird. Vertreter dieser Position gehen von linksdisloziierten Subjekten aus, die ihre Basisposition verlassen und in die linke Peripherie des Satzes bewegt werden. In der Literatur wird zuungunsten der soeben angeführten Hypothese argumentiert, da es ihr misslingt, den hohen prozentualen Anteil an postverbalen Subjekten in der Erwachsensprache zu erfassen. Schon Bentivoglio und Weber (1986) haben für lexikalische NPn in Subjektposition eine verbbasierte Analyse für das Spanische durchgeführt. Ihre Studie hat das Ergebnis hervorgebracht, dass zu durchschnittlich 90% die postverbale Subjektposition mit den syntaktischen Eigenschaften der involvierten Verben korreliert. Die Forscher legen für ihre Ausführungen zwei wesentliche Merkmale zugrunde, die für die Variation innerhalb der spanischen Wortstellung verantwortlich sind: die Identifizierbarkeit des Subjektreferenten und die Verbklasse. Angesichts ihres Ergebnisses sehen Bentivoglio und Weber notwendigen Forschungsbedarf im Rahmen zukünftiger Analysen zur syntaktischen, kanonischen Subjektposition des Spanischen nicht nur im Hinblick auf lexikalisch realisierte Subjekte, sondern auch bezüglich des pronominalen Subjektgebrauchs. Darüber hinaus macht Bel (2003: 19) darauf aufmerksam, dass die Subjektinversion im Spanischen und Katalanischen nicht nur von den unterschiedlichen Verbklassen, sondern auch von der Informationsstruktur abhängig ist. Ist das Subjekt Träger neuer Information, folglich Rhema des Satzes, wird es postverbal in seiner basisgenerierten Position realisiert. Trägt das Subjekt wiederum alte Information und somit Thema des Satzes, wird es präverbal gebraucht. Die Linksdislokation des realisierten Subjekts erfolgt in den markierten Fällen, in denen das Subjekt diskursiven Fokus erfordert. Bel hält zusammenfassend fest, dass nicht nur die Nullsubjekteigenschaft des Spanischen und Katalanischen für die gewählte Subjektposition verantwortlich sein kann, sondern auch die syntaktischen Eigenschaften der gebrauchten Verben. Sowohl lexikalische (Verben) als auch pragmatische Faktoren (Kontrast, Fokus) sind für die Analyse der Subjektposition relevant. Die Linksdislokation der realisierten Subjekte hat informationsstrukturelle Gründe und stellt nach Bel (2003: 23) den markierten Fall im Spanischen und Katalanischen dar. Für letztere wird die postverbale Stellung des Subjekts als die kanonische Subjektposition angenommen. Der Subjekterwerb und Spracheneinfluss Im Rahmen der Mehrsprachigkeitsforschung sind zum grammatischen Bereich des Subjekts einige einflussreiche Arbeiten entstanden, die das Spanische in Kontaktsituation mit einer Nicht-Nullsubjektsprache unter dem Aspekt der syntaktischen Option der overten Subjektrealisierung <?page no="170"?> 170 und der Auslassung untersucht haben (vgl. u.a. Paradis und Navarro 2003, Serratrice et al. 2004, Tsimpli, Sorace, Heycock und Filiaci 2004, Sorace 2005). Die erhobenen Realisierungs- und Auslassungsraten des grammatischen Subjekts in den jeweils involvierten Nullsubjektsprachen sind stets als ein Interferenzphänomen, ausgelöst seitens der Nicht- Nullsubjektsprache, die die Nullsubjektsprache an der Syntax-Pragmatik- Schnittstelle negativ beeinflusst, interpretiert worden. Parallel zu dieser Fragestellung, die eine Nullsubjekt- und eine Nicht-Nullsubjektsprache in den Vordergrund stellt, sind in der Vergangenheit ebenfalls Forschungsbeiträge zum simultanen bzw. sukzessiven Erwerb zweier Nullsubjektsprachen entstanden. Margaza und Bel (2006) analysieren im Rahmen des Zweitspracherwerbs den Subjektgebrauch im Spanischen seitens griechischer Muttersprachler und stellen fest, „[…] that intermediate level learners used overt pronouns in contexts where both Spanish and Greek would use a null pronoun. This shows that non-target subject expression may not be due to L1 interference but rather may be a result of bilingualism itself“ (Barnes 2010: 14). Demnach können nicht-zielsprachliche Subjektrealisierungen, die aus einer Kontaktsituation zwischen dem Spanischen und dem Griechischen resultieren, nicht auf den Umstand des Spracheneinflusses, sondern auf die Bilingualität per se zurückgeführt werden. Diese Argumentation führt Barnes (2010) in ihrer Studie fort, in der sie Subjektauslassungen und -realisierungen einer bilingualen Gemeinschaft im mexikanischen Chipilo im Rahmen einer Querschnittstudie untersucht. Dabei handelt es sich um eine bilinguale Personengruppe zwischen 18 und 96 Jahren, die aus 16 bilingualen Sprechern des Spanischen und der venezianischen Varietät des Italienischen besteht. Die Querschnittstudie ist in Form von Erwachseneninterviews mit einer Dauer von 20 bis 90 Minuten in einer gewohnten Umgebung durchgeführt worden und gibt Alltagskonversationen wieder. Die Studie verfolgt das Ziel, den Subjektgebrauch vor dem Hintergrund der Beeinflussung in einer bilingualen Situation mit zwei Nullsubjektsprachen zu erforschen. Hierzu werden zunächst die linguistischen Zielsysteme, das Spanische einerseits und das Venezianische andererseits, beschrieben und als Nullsubjektsprachen klassifiziert, wobei die italienische Varietät die obligatorische Realisierung von Subjektklitika in der 2. und 3. Person vorschreibt (vgl. Poletto 2000 und Goria 2004 für den Gebrauch der Subjektklitika in norditalienischen Dialekten). Barnes (2010) wird mit der Problematik der Ermittlung einer erwachsenensprachlichen Norm für Subjektauslassungen und -realisierungen im Spanischen konfrontiert und bestätigt somit den von Otheguy, Zentella und Livert (2007) dokumentierten Befund. Die Schwierigkeit der Bestimmung eines normativen Referenzwerts liegt in der Absenz von zuverlässigen frequenzbasierten Analysen. Die bis zum <?page no="171"?> 171 heutigen Zeitpunkt vorhandenen Studien geben stark voneinander abweichende Einschätzungen über die Realisierung und die Auslassung des Subjekts im Spanischen und dessen Varietäten wieder. Dennoch können aus Barnes Studie einige relevante Beobachtungen für den bilingualen Erstspracherwerb entnommen werden: Zum einen schließt die Autorin aus den erhobenen Sprachdaten, dass das Subjekt im Spanischen der bilingualen Erwachsenen vornehmlich in der 1. Person ausgelassen wird und dass sich die Subjektauslassungen auf durchschnittlich 76% belaufen. Im Gegensatz dazu konnte die Forscherin einen höheren Prozentsatz an Subjektrealisierungen in der 3. Person feststellen, was auf die deiktische bzw. referenzielle Natur und auf ein syntaktisch pronomenbezogenes Verhalten der Subjekt-DP schließen lässt. Zum anderen weisen sowohl bilingual als auch monolingual spanische Individuen nicht-zielsprachliche Subjektrealisierungen in der 1. und 3. Person auf. Dieses Ergebnis wird dahingehend interpretiert, dass redundante Subjektrealisierungen auf das Phänomen des Priming oder auf die semantischen Eigenschaften der involvierten Verben zurückzuführen sind. A possible explanation for these redundant pronouns is priming, defined by Travis as ‘the process whereby the use of a certain structure in one utterance functions as a prime on a subsequent utterance, such that that same structure is repeated’ (2007: 101). Another factor known to condition the use of overt pronouns is the semantics of the verb. (Barnes 2010: 18) Die Autorin weist darauf hin, dass der verstärkte Gebrauch der overten Subjektpronomina in der 1. und 3. Person nicht unmittelbar der Kontaktsituation geschuldet, sondern auch in monolingual spanischen Kontexten dokumentiert ist. Dennoch können nicht-zielsprachliche Subjektrealisierungen der 3. Person auf einen Einfluss seitens des Venezianischen, welches den obligatorischen Gebrauch der Subjektklitika der 3. Person vorschreibt, auf das Spanische hindeuten. Die Forscherin distanziert sich jedoch von einer derartigen Auslegung ihrer Forschungsergebnisse und führt eine kognitive Erklärung im Sinne der Ökonomie an, indem sie die Bilingualität in den Vordergrund stellt. Setting aside the examples of overt pronouns occasioned by priming and verb semantics (which, as noted, are found also in monolingual varieties of Spanish), the overall increased rates of overt pronominal subjects in Chipilo Spanish can be explained by reference to the situation of language contact and bilingualism itself. […] In such case, speakers may draw on default strategies, reducing the syntactic option (null vs. overt). The result is an apparent loss of the pragmatic constraints on the distribution of null and overt forms. But the underlying mechanism is one of economy: the speaker lessens the cognitive load of bilingualism. (Barnes 2010: 20) <?page no="172"?> 172 Die von Barnes durchgeführte Studie zeigt deutlich, dass Spracheneinfluss auch im Fall der Koexistenz von zwei Nullsubjektsprachen nachgewiesen werden kann. Inwieweit dieser Einfluss tatsächlich auf den Umstand der Bilingualität oder auf die syntaktischen Eigenschaften der involvierten Zielsprachen zurückzuführen ist, muss in zukünftigen Studien erforscht werden. Barnes Auslegung und Interpretation der erhobenen Sprachdaten stehen in Einklang mit Serratrice et al. (2004) und Sorace (2004): Letztere vertreten die performanzbasierte Ansicht, dass nichtzielsprachliche Subjektrealisierungen aus einer pragmatischen und nicht aus einer syntaktischen Fehlentscheidung resultieren. Das Subjekt als disloziierte Phrase Die Diskussion darüber, ob präverbale Subjekte im Spanischen in einer Topik- oder Fokus-Phrase stehen, ist in den letzten Jahrzehnten Forschungsgegenstand zahlreicher Arbeiten gewesen (vgl. Suñer 1982, 2003, Alonso-Ovalle, Fernández-Solera, Frazier und Clifton 2002, Ordóñez 1997, Ordóñez und Teviño 1999). Goodall (2002: 98) greift die Debatte auf und weist in seinen Ausführungen darauf hin, dass im Spanischen präverbale Subjekte weder in einer Topiknoch in einer Fokusposition anzunehmen sind. Seiner Auffassung nach befinden sich topikalisierte und fokussierte Elemente in [Spec, CP]: eine Landeposition, die präverbalen Subjekten nur dann zugesprochen werden kann, wenn sie unter Linksdislokation und A’-Bewegung als topikalisierte oder fokussierte Elemente interpretiert werden können. In diesem konkreten Fall stimmt er Ordóñez (1997) Argumentation zu und sieht Parallelen zwischen realisierten präverbalen Subjekten im Spanischen und deutschen bzw. englischen Topik-Konstruktionen. Untersuchungen zu Skopus-Eigenschaften präverbaler Subjekte haben gezeigt, dass es durchaus plausibel ist, präverbale Subjekte in A’-Position anzunehmen. Goodall führt jedoch strukturelle Evidenz und Gründe herbei, die seine Hypothese stärken, dass sich präverbale Subjekte im Spanischen in [Spec, IP] befinden und somit strukturell unterhalb einer Topik- oder Fokusphrase in [Spec, CP]. Die Berechtigung für die Identifikation der syntaktischen Position präverbaler Subjekte im Spanischen motiviert er über die Stellung nackter Quantifizierer und der Tatsache, dass Fokus- und wh-Phrasen Inseln für wh-Bewegung und Extraktion darstellen, während präverbale Subjekte Extraktionsmöglichkeiten bieten und somit nicht den Status syntaktischer Inseln aufweisen. Die nachstehenden Beispiele in (4.46) führen zu der Schlussfolgerung, dass im Spanischen präverbale Subjekte und topikalisierte Konstituenten distinkte Positionen innerhalb der Derivation einnehmen. <?page no="173"?> 173 (4.46) a. *A nadie, Juan lo ha visto. a’. Nadie ha visto a Juan. b. Jugaban niños en el parque. b’. *Niños jugaban en el parque. c. Yo a él libros no le dejo. (Beispiele aus Goodall 2002: 99) Bereits (4.46a) schwächt die Annahme, dass nackte Quantifizierer die Funktion des Topiks übernehmen, da sie in topikalisierten Kontexten zu ungrammatischen Konstruktionen führen. Darüber hinaus zeigt (4.46a’), dass sie als nicht-topikalisierte, präverbale Subjekte einen grammatischen Ausdruck produzieren. Aus dieser Beobachtung wird die Kritik an dem Standpunkt ersichtlich, dass Topiks und präverbale Subjekte in der gleichen syntaktischen Position vermutet werden. Befänden sich präverbale Subjekte und topikalisierte Konstituenten in der gleichen syntaktischen Position, stünden sie in komplementärer Distribution zueinander. Im Spanischen können bare nouns als postverbale, jedoch nicht als präverbale Subjekte realisiert werden, wie es in (4.46b) und (4.46b’) veranschaulicht wird (vgl. u.a. Casielles Suárez 1998). Bezüglich der Komplementarität greift das Beispiel (4.46c) den Umstand auf, dass bare nouns als topikalisierte Phrasen interpretiert werden können und allgemein die Hypothese widerlegen, dass sich präverbale Subjekte und Topiks in derselben syntaktischen Position befinden. Schließlich illustrieren die folgenden Beispiele die syntaktische Inkompatibilität zwischen präverbalen Subjekten und Topiks. Im Spanischen können nackte Quantifizierer nicht in die linke Satzperipherie verschoben werden, wie der sprachliche Ausdruck in (4.47a) verdeutlicht. (4.47) a. *¿A quién crees que el premio se lo dieron? b. ¿A quién crees que Juan le dio el premio? (Beispiele aus Goodall 2002: 100) Ein weiterer Unterschied zwischen Topiks und präverbalen Subjekten liegt darin, dass topikalisierte Konstituenten syntaktische Inseln für wh- Bewegung aus eingebetteten Sätzen darstellen. Aus diesem Grund ergibt sich die Ungrammatikalität in (4.47a), während in Verbindung mit präverbalen Subjekten die wh-Bewegung möglich ist. Darüber hinaus liefert das Beispiel in (4.47b) positive Evidenz dafür, dass sich präverbale Subjekte unterhalb der [Spec, FocP] und somit in der kanonischen [Spec, IP] befinden müssen. Im Spanischen wird das EPP-Merkmal anhand der Kopfbewegung überprüft, während die Überprüfung der Kasus- und φ- Merkmale covert erfolgt. Demzufolge verbleibt das Subjekt in der VPinternen Position und somit innerhalb der IP-Ebene (vgl. Goodall <?page no="174"?> 174 2002: 106). Aus diesen strukturellen Zusammenhängen zieht Goodall (2002) den Schluss, dass präverbale Subjekte einerseits und Fokus-, Topiksowie wh-Phrasen anderseits nicht die gleiche syntaktische Position teilen. Präverbale Subjekte verlassen nicht die [IP]-Domäne, während wh-, Fokus- und Topik-Phrasen in einer strukturell höheren Domäne, der [CP], vermutet werden müssen. Die bisher zitierten Arbeiten machen deutlich, dass präverbale Subjekte sowohl in Aals auch in A’-Position landen können. Dieser Sachverhalt kann für die Einflussanfälligkeit, die Analyse und Interpretation der empirischen Kinderdaten von herausragender Bedeutung sein. Wie bereits im vorherigen Abschnitt deutlich geworden ist, haben vorläufige Studien die Schwierigkeit einer adäquaten syntaktischen Beschreibung der Subjektposition im Spanischen herausgestellt. Die zentrale Frage, die sich Forscher im Hinblick auf die präverbale und postverbale Subjektposition gestellt haben, ist, inwieweit overt realisierte Subjekte einer A-Bewegung oder eher einer A’-Bewegung unterliegen. An dieser Stelle soll die Debatte um die kanonische Subjektposition im Spanischen aufgegriffen und Prognosen für den bilingualen Erstspracherwerb formuliert werden. In der einschlägigen Literatur zur Nullsubjekteigenschaft herrscht kein Konsens darüber, ob starke Pronomina und pro die gleiche syntaktische Position einnehmen. Suñer (2003) liefert distributionelle, interpretatorische und bindungstheoretische Gründe dafür, dass sich im Spanischen overt realisierte Subjekte in einer A-Position befinden. Im Gegensatz dazu interpretieren Alexiadou und Anagnostopoulou (1998) sowie Ordóñez und Teviño (1999) overt realisierte Subjekte als disloziierte Elemente in A’-Position. Im Rahmen der theoretischen Diskussion über die syntaktische Position präverbaler Subjekte wird darüber debattiert, ob spanische Subjekte disloziierte Phrasen innerhalb der [CP]-Domäne oder Konstituenten in A-Position innerhalb der [IP] darstellen. Suñer (2003) greift den von Alexiadou und Anagnostopoulou (1998) avancierten Ansatz auf und lehnt die Argumentation zugunsten einer disloziierten Subjektphrase in A’-Position ab. Hierzu diskutiert die Autorin, inwieweit das Subjekt im Spanischen tatsächlich A’-Eigenschaften besitzt und kritisiert aus distributioneller und interpretatorischer Sicht den von Alexiadou und Anagnostopoulou vertretenen Standpunkt. Zwar schließt Suñer (2003: 342) nicht aus, dass das Subjekt wie jede beliebige Konstituente disloziiert werden kann, betont jedoch den Umstand, dass das Subjekt nicht notwendigerweise disloziiert sein muss. Diese Aussage impliziert bereits die Existenz von syntaktischen Optionen bzw. Präferenzen, die für die Interpretation der Erwerbsdaten von außerordentlicher Relevanz sein können. <?page no="175"?> 175 There is no question that subjects in NSLs can be left-dislocated, but from this it does not necessarily follow that such subjects must always be dislocated (cf. Cardinaletti 1997). Vor diesem Hintergrund relativiert die Forscherin die Hypothese, dass präverbale Subjekte ausnahmslos als linksdisloziierte Phrasen analysiert werden. Aus einer distributionellen Perspektive rekurrieren Alexiadou und Anagnostopoulou (1998: 502) auf das Griechische und formulieren die Parallele, dass das Spanische und Griechische präverbale Subjekte in der linken Satzperipherie realisieren. Suñer (2003: 343) hebt die postulierte Symmetrie zwischen dem Spanischen und dem Griechischen insofern auf, als sie auf eine strukturelle Missinterpretation des Subjekts in Verbindung mit Adverbien hinweist. Das nachstehende Beispiel (4.48) verdeutlicht die linksdisloziierte Subjektphrase im Griechischen, die im Sinne von Alexiadou und Anagnostopoulou (1998: 502) dem spanischen präverbalen Subjekt entspricht. (4.48) O Petros xtes meta apo poles prospathies sinandise ti Maria. In Anlehnung an Suñer (2003) liegt der Hauptkritikpunkt darin, dass es sich bei präverbalen Subjekten um disloziierte Phrasen handelt, darin, dass Alexiadou und Anagnostopoulou die Subjektstellung in Abhängigkeit von Adverbien und flektierten Verben interpretieren. In (4.47) erscheinen das Adverb xtes und die Adverbialphrase apo poles prospathies zwischen dem syntaktischen Subjekt und dem Verb des sprachlichen Ausdrucks. Alexiadou und Anagnostopoulou (1998: 501) nehmen diese Beobachtung zum Anlass, das Subjekt und das Verb in unterschiedlichen maximalen Projektionen anzunehmen. Für die Forscher wird somit ersichtlich, dass in einer SVO-Konfiguration sowohl das Spanische als auch das Griechische auf eine Spezifizierer-Kopf-Relation zwischen dem Subjekt und dem lexikalischen Verb verzichten. Daraus leitet sich die generelle Hypothese ab, dass in Nullsubjektsprachen [Spec, AgrSP] in Form einer A-Position nicht projiziert und das EPP parametrisiert überprüft wird: Die Autoren teilen die Ansicht, dass die EPP-Merkmale nicht anhand merge/ move XP , sondern merge/ move X° überprüft werden und somit die Absenz von [Spec, AgrSP] motiviert wird. Schließlich wird die Schlussfolgerung formuliert, dass „[…] on the basis of the relative positions of preverbal subjects and adverbs in Greek and Spanish, we can establish for both languages that preverbal subjects are in an A’-Position […]“ (Alexiadou und Anagnostopoulou 1998: 504). Suñer (2003) kritisiert die Plausibilität dieses Standpunktes und weist berechtigterweise darauf hin, dass die Stellung bestimmter Adverbien keinen Aufschluss über die syntaktische <?page no="176"?> 176 Position bzw. Interpretation präverbaler Subjekte gibt. In diesem Zusammenhang führt die Autorin sprachliche Ausdrücke an, die Adverbien innerhalb der funktionalen Kategorie [IP] enthalten und im Gegensatz zu Alexiadou und Anagnostopoulou (1998) eine parenthetische Lesart ausschließen und folglich als nicht-disloziierte Subjektphrasen zu definieren sind. (4.49) a. El maestro probablemente encontrará rápidamente el error. a’. *El maestro rápidamente encontrará probablemente el error. b. Francamente, mi vecino probablemente siempre vota por los republicanos. b’. ? ? *Francamente, mi vecino siempre probablemente vota por los republicanos. b’’. *Probablemente, mi vecino francamente siempre vota por los republicanos. Weitere Evidenz dafür, dass sich das Spanische und Griechische im Hinblick auf den Subjektbereich unterschiedlich verhalten und somit die Hypothese einer symmetrischen Analyse zwischen diesen beiden Varietäten falsifizierbar ist, liefert Suñer anhand der Interaktion zwischen indefinitem Subjekt und Modalverb. Im Griechischen wird die deontische Interpretation durch die präverbale Stellung des Subjekts ausgelöst, während die epistemische Lesart nur mit postverbalen Subjekten erzielt wird. Das Spanische hingegen besitzt diese Dichotomien, deontisch/ präverbal vs. epistemisch/ postverbal, nicht. Die aus Suñer (2003: 345) entnommenen Beispiele sind Testpersonen vorgelegt worden, um die Ambiguität der einzelnen Strukturen ermitteln zu können. (4.50) a. Un chico puede presentar su trabajo este viernes. b. Puede presentar un chico su trabajo este viernes. c. Puede presentar su trabajo este viernes un chico . Die Auswertung der Testergebnisse hat die vorläufige Einschätzung einer fehlenden Korrelation zwischen der Subjektposition und der Interpretation von poder bestätigt. Angesichts der Interpretation und des Skopus - der Möglichkeit (epistemisch) bzw. der Erlaubnis (deontisch) - empfinden alle befragten Personen die in (4.50) aufgeführten Konstruktionen als ambig. Die Ambiguität ergibt sich aus der Tatsache, dass der sprachliche Ausdruck unabhängig von der Subjektposition seine Interpretation erhält und die unterschiedlichen Skopusbeziehungen nicht anhand der Stellung der Subjektphrase determiniert werden können. Aus diesem Grund, vornehmlich aus Gründen der Inkompatibilität, kritisiert Suñer (2003) den <?page no="177"?> 177 Vergleich zwischen dem Griechischen und dem Spanischen. Weder in distributioneller noch in interpretatorischer Sicht teilen diese beiden Sprachsysteme für den grammatischen Bereich des Subjekts relevante Gemeinsamkeiten. In dieser Hinsicht formuliert Suñer (2003: 346) die Schlussfolgerung, dass „if Greek preverbal subjects are left-dislocated, Spanish ones are not“. Schließlich merkt die Forscherin an, dass die Distribution und Interpretation des spanischen Subjekts uneindeutig Evidenz für die Annahme einer linksdisloziierten präverbalen Subjektphrase liefern. Suñers Ausführungen folgend gilt der Ansatz, dass sich das präverbale Subjekt in einer A’-Position befindet, als allgemein falsifiziert. Darüber hinaus können Bindungsbeziehungen overter und coverter Subjekte dieses Ergebnis erhärten: Suñer diskutiert die Annahme, dass in eingebetteten Kontexten overt realisierte Subjektpronomina nicht vom Quantifizierer des Matrixsatzes gebunden sein können, wenn die Nullsubjektsprache die Alternation overt vs. covert zulässt (vgl. Montalbetti 1986). Alexiadou und Anagnostopoulou (1998) nehmen diesen Umstand als weiteres Indiz dafür auf, dass das Subjekt eine linksdisloziierte Phrase im Spanischen darstellt. Suñer (2003: 348) liefert jedoch den Beleg, dass im Spanischen sowohl präverbal als auch postverbal realisierte Subjektpronomina mit der im Matrixsatz realisierten Subjektphrase eine Bindungsbeziehung eingehen können. Die nachstehenden Testsätze in (4.51) sind von den befragten Personen jeweils so interpretiert worden, dass sich das overte Subjektpronomen des eingebetteten Satzes auf das Subjekt des Matrixsatzes bezieht. (4.51) a. Todos los jugadores piensan que ellos ganarán la copa. b. Todos los jugadores piensan que garanán ellos la copa. c. Todos los jugadores piensan que garán la copa ellos . Zagona (2002) diskutiert ebenfalls den syntaktischen Status der präverbalen Subjektphrase und rekurriert diesbezüglich auf Koopman und Sportiche (1991), die im Hinblick auf die romanischen Sprachen die Kasuszuweisung als eine mögliche Quelle der parametrisierten Variation definieren. Demzufolge wird im Spanischen über [INFL] der Nominativ- Kasus der VP-internen [DP] zugewiesen. Da die Kasuszuweisung in der Spezifizierer-Position der [IP] erfolgt, plädieren Koopman und Sportiche (1991) zuungunsten einer A-Position. Daraus schließen die Autorinnen, dass [Spec, IP] eine Landeposition für bewegte Konstituenten mit A’- Eigenschaften darstellt und die [IP] als mögliche Topik-Phrase fungiert. <?page no="178"?> 178 IP … I’ INFL VP DP V’ (Kasus) Abb. (4.52): Kasuszuweisung im Spanischen (zitiert nach Zagona 2002: 214) In der linguistischen Literatur geht diese Hypothese vornehmlich auf die Annahme zurück, dass die Bewegung einer Konstituente in [Sepc, IP] durch ein Topik-Merkmal ( trigger ) in [INFL] ausgelöst wird. Dieser Standpunkt impliziert jedoch, dass das Subjekt bzw. jede beliebige Konstituente in den Spezifizierer der [IP] bewegt werden muss, wenn es sich um ein „starkes“ Merkmal handelt. Abbildung (4.52) illustriert die Kasuszuweisung der in [Spec, VP] stehenden Determiniererphrase.Wird das Subjekt als topikalisierte Phrase eines sprachlichen Ausdrucks interpretiert, muss es in einer präverbalen Position realisiert werden, wie es in (4.53) schematisch aufgeführt ist. Wird jedoch eine andere Satzkonstituente als das Subjekt topikalisiert, verbleibt die Subjektphrase in ihrer basisgenierten Position wie in (4.54) ersichtlich (vgl. Zagona 2002: 215). (4.53) [ IP María i [ INFL [+ TOPIK] compró j ] [ VP t i t j el coche]] (4.54) [ IP Ayer [ INFL [+ TOPIK] compró j ] [ VP María t j el coche]] Im Einklang mit Suñer (2003) weist auch Zagona (2002) darauf hin, dass im Spanischen präverbale Subjekte nicht notwendigerweise mit dem Merkmal [+ Topik] versehen sein müssen. In diesem Sinne plädieren beide Forscherinnen für den Standpunkt, dass präverbale Subjekte nicht der A’-Bewegung unterliegen und somit keine A’-Eigenschaften besitzen. A preverbal subject may be a Topic, but it need not be. Thus, the hypothesis of [TOPIC] feature checking does not account satisfactorily for the order and interpretation of subjects. (Zagona 2002: 218) Demzufolge kann der Standpunkt der linksdisloziierten Subjektphrase aus distributioneller, interpretatorischer und bindungstheoretischer Sicht relativiert werden, wobei in der einschlägigen Literatur dieser Ansatz aus psycholinguistischer Perspektive weiterhin verfolgt wird. Carminati <?page no="179"?> 179 (2002) hat bereits für das Italienische syntaktische Präferenzen für Nullsubjekte und pronominale Subjekte herausgestellt, indem sie für pro ein notwendiges Subjektantezedens postuliert, für Subjektpronomina jedoch die Notwendigkeit eines Antezedens relativiert. In diesem Zusammenhang formuliert sie die Position of Antecedent Strategy , die die postulierten Referenzen für pronominale Subjekte und pro wiedergibt. The Position of Antecedent Strategy: The null pronoun prefers an antecedent which is in the SpecIP position (or in the AgrS position under Pollock’s split INFL hypothesis), while the overt pronoun prefers an antecedent which is not in the SpecIP position. (Carminati 2002: 33) Ihre psycholinguistischen Ausführungen über Präferenzen von Antezendenzien haben jedoch auch die Existenz von Präferenzen gezeigt, sodass overte Subjektpronomina sowohl in Aals auch in A’-Position angenommen werden können, wobei die A-Position die präferierte Position darstellt. Ein vergleichbares Ergebnis hat die Studie von Alonso-Ovalle et al. (2002) für das Spanische hervorgebracht. Ihre empirische Untersuchung hat ebenfalls ergeben, dass spanische Nullsubjekte ein Subjektantezedens fordern, während Subjektpronomina, häufiger als im Italienischen, nur zu 50% anaphorisch gebraucht werden. Für präverbale, lexikalische Subjekte wird ebenfalls die Korrelation zwischen präverbaler Stellung und der Topik-Artikulation der Subjektphrase bestätigt. Der Unterschied zwischen dem Italienischen und Spanischen liegt darin, dass overt realisierte Subjektpronomina im Spanischen eine weniger eindeutige Lesart zulassen, als es im italienischen Zielsystem der Fall ist. Versucht man die in diesem Zusammenhang untersuchten Nullsubjektsprachen Italienisch und Spanisch im Hinblick auf die Subjektposition zu vergleichen, kann geschlussfolgert werden, dass pro in beiden Sprachen in einer A-Position anzunehmen ist. Für die overt realisierten Subjekte kann dafür argumentiert werden, dass sie sich sowohl in einer Aals auch in einer A’-Position befinden können. Den Ausführungen von Suñer (2003), Alexiadou und Anagnostopoulou (1998) sowie Ordóñez und Teviño (1999) folgend ist die syntaktische Position der overten Subjekte davon abhängig, ob es sich um disloziierte oder nicht-disloziierte Subjekte handelt. Demnach sind disloziierte Subjekte immer in A’-Position, nicht-disloziierte Subjekte in A- Position platziert. Es stellt sich die zentrale Frage, ob das Italienische und Spanische tatsächlich syntaktische Unterschiede aufzeigen oder diese angenommenen Differenzen vielmehr auf syntaktische Präferenzen hindeuten. Während im Italienischen overte Pronomina bevorzugt mit A- Elementen assoziiert werden, können overt realisierte Subjekte im Spanischen auch als linksdisloziierte Einheiten interpretiert werden. Suñer <?page no="180"?> 180 (2003: 348ff.) diskutiert diese Fragestellung und geht der syntaktischen Natur präverbaler Subjekte im Italienischen und Spanischen nach, indem sie die von Cardinaletti (1997) postulierte specialization hypothesis zugrunde legt. Im Rahmen dieser Hypothese werden die italienischen Subjekte und Pronomina als starke bzw. schwache pronominale Elemente definiert. Cardinaletti und Starke (1999) folgend sind lexikalische Subjekte wie Gianni und Subjektpronomina wie lui / lei als starke Pronomina zu klassifizieren, während die Pronomina der Klasse egli / esso und das Nullsubjekt pro schwache Pronomina darstellen. Subjektklitika sind hingegen als die syntaktisch schwächste Kategorie zu interpretieren und befinden sich in einer Rangfolge von stark nach schwach bezüglich ihres syntaktischen Status am rechten Maximum: Gianni > lui/ lei > egli/ esso > pro > Klitikon. Der syntaktisch unterschiedliche Status der italienischen Subjekte bzw. Subjektpronomina führt in der Derivation zu strukturell divergenten Landepositionen der jeweiligen Subjektphrasen. Ähnlich wie Poletto (1999, 2000) für die norditalienischen Subjektklitika nimmt auch Cardinaletti unterschiedliche Landepositionen der Subjektpronomina der italienischen Standardsprache an. Demnach befinden sich präverbale Subjekte, die entweder lexikalischer oder pronominaler Natur sind, in [Spec, TP], schwache Pronomina und Nullsubjekte hingegen in hierarchisch tiefer gelegenen Positionen, folglich in einer A-Position. Suñer (2003: 352) adaptiert das für das italienische Zielsystem konzipierte Modell und plädiert für ein symmetrisches Verhalten der Nullsubjektsprachen. (4.55) Italienisch: [ TP { Gianni / lui/ egli } [ XP parenth. [ TP { pro } Vfin Spanisch: [ TP { Juan / él } [ XP parenth. [ TP { ello / pro }Vfin Auf der Basis dieser Beobachtung schlussfolgert die Autorin, dass „[…] preverbal overt subjects in Spanish (and Italian) are in A-position“ (Suñer 2003: 352). Evidenz dafür, dass die italienische Analyse auf das Spanische übertragbar ist, erhält die Autorin anhand der Bindungsprinzipien in den involvierten romanischen Sprachen. Die sprachlichen Ausdrücke in (4.56) zeigen, dass die kursiv gesetzten Elemente eine gebundene bzw. nichtgebundene Lesart erlauben. Das Bindungsprinzip C blockiert die Koreferenz zwischen dem nominalen Element und dem Pronomen (Beispiele aus Suñer 2003: 349). <?page no="181"?> 181 (4.56) a. [El novio de Lea ] la besó en la calle. a’. [Il ragazzo di Lea ] la baciò per strada. b. * La besó [el novio de Lea ] en la calle. b’. * La baciò per strada [il ragazzo di Lea ]. Diese Rekonstruktionsbeispiele bestärken die Forscherin in der Annahme, dass sich präverbale Subjekte im Italienischen und Spanischen nicht in einer A’-, sondern in A-Position befinden. Sie sollen der Distinktion zwischen Elementen in A’bzw. A-Position dienen und eine Antwort auf die Frage liefern, ob präverbale Subjekte tatsächlich in einer Topik-Phrase innerhalb der [CP]-Domäne anzusiedeln sind. Die in (4.56) aufgeführten Sätze belegen, dass die in diesen Nullsubjektsprachen präverbal realisierten Subjekte gegen Rekonstruktionen resistent sind und A-Eigenschaften besitzen. Im Gegensatz dazu weisen linksdisloziierte Phrasen in A’- Position auf Rekonstruktionsprozesse hin, wie es in (4.57) deutlich wird (aus Suñer 2003: 350). (4.57) a. *[La primer obra de un escritor ], pro siempre la escriba con placer. b. [La primer obra de un escritor ] siempre la escriba él con placer. Weitere syntaktische Evidenz für die Ansicht, dass im Spanischen präverbale Subjekte in einer A-Position zu verorten sind, kann der Subjekt- Verb-Kongruenz in Verbindung mit kollektiven Nomen entnommen werden. Die in einer abgeleiteten Argumentposition befindlichen Subjekte - disloziierte Subjekte in Topik-Position - kongruieren ad sensum mit dem syntaktischen Subjekt, während dies mit Subjekten in A-Position ausgeschlossen ist (Beispiele aus Suñer 2003: 350). (4.58) a. *La familia se pus ieron de acuerdo. b. La familia, Mara nos aseguró que finalmente se pus ieron de acuerdo. Die bisher aufgeführten Beobachtungen liefern den Beleg dafür, dass sich das präverbale Subjekt im Italienischen und Spanischen in der Spezifizierer-Position der [IP] bzw. [TP] befindet und nicht mit disloziierten Phrasen verglichen werden kann. Obwohl diese Ansicht für das Italienische als allgemein akzeptiert gilt, wird der syntaktische Status präverbaler Subjekte im Spanischen kontrovers diskutiert. Grundlage für diese theoretische Debatte ist in Anlehnung an Koopman und Sportiche (1991) die Tatsache, dass präverbale Subjekte im Romanischen mit einem Topik- Merkmal in [INFL] in Verbindung gebracht werden. Dieser Umstand <?page no="182"?> 182 bewirkt eine Reinterpretation der Spezifizierer-Position der [IP] dergestalt, dass letztere als eine Topik-Phrase für linksdisloziierte lexikalische Subjekte definiert wird. Darüber hinaus bleibt der experimentelle Befund bestehen, dass „[…] subject position in Spanish correlates with the topicfocus articulation of the sentences. […] There is a clear association between preverbal subjects and topichood. […] The data obtained […] square well with the fact that postverbal subjects are focused“ (Alonso- Ovalle et al. 2002: 11ff.). Vor diesem Hintergrund muss erforscht werden, inwieweit das Italienische und das Spanische tatsächlich auf syntaktisch divergierende Analysen zurückgreifen. Da Koopman und Sportiche (1991) eine äquivalente Beschreibung für die in der vorliegenden Arbeit diskutierten Nullsubjektsprachen liefern, können die in (4.53) und (4.54) aufgeführten spanischen Beispiele unter der prinzipiellen Annahme eines Topik-Merkmals auf das Italienische übertragen werden. (4.59) [ IP Maria i [ INFL [+ TOPIK] comprò j ] [ VP t i t j la macchina]] [+TOPIK] (4.60) [ IP Ieri [ INFL [+ TOPIK] comprò j ] [ VP Maria t j la macchina]] [+ TOPIK] Diese Beobachtung lässt die Vermutung eines topikalisierten präverbalen Subjekts im Italienischen und somit die Hypothese eines symmetrischen syntaktischen Verhaltens dieser Nullsubjektsprachen zu. Aufgrund dieser Erkenntnis sind im Rahmen psycholinguistischer Experimente u.a. die Referenzbeziehungen präverbaler Subjekte erforscht und der Befund ermittelt worden, dass im Spanischen präverbale Subjekte stärker Eigenschaften von A’-Elementen aufweisen, als es im Italienischen der Fall ist (vgl. Alonso-Ovalle et al. 2002). Die linguistische Literatur liefert Hinweise dafür, dass sich im Italienischen overte Subjektpronomina und pro präferiert auf Astatt auf A’-Elemente beziehen. Sorace und Filiaci (2006) haben einen wichtigen Beitrag im Hinblick auf die anaphorische Referenzbeziehung overter Subjekte und pro im Italienischen geleistet. Hierzu sind anhand komplexer Sätze, bestehend aus einem Haupt- und einem Nebensatz, die Antezedens-Präferenzen italienischer Muttersprachler untersucht und das Ergebnis formuliert worden, dass „[…] the preference of null pronouns for antecedents in Spec IP is very robust and almost exceptionless, the overt pronoun shows more flexibility in its antecedent preferences […]“ (Sorace und Filiaci 2006: 348). Aus dieser Feststellung leitet sich indirekt die Schlussfolgerung ab, dass die syntaktische Analyse des Subjekts im Spanischen und Italienischen vermutlich identisch ist, die Antezedens-Präferenzen jedoch auseinander gehen. Die folgenden Beispiele sind in Anlehnung an Sorace und Filiaci 2006: 352) konstruiert wor- <?page no="183"?> 183 den und geben in simplifizierter Form die Testsätze zur Bestimmung der Antezedens-Präferenzen 100 und die prozentualen Angaben der jeweiligen Präferenz wieder. (4.61) a. Maria i dorme, mentre lei i/ j lavora. 9% 11% b. Maria i dorme, mentre pro i/ j lavora. 51% 5% c. Mentre lei i/ j lavora, Maria i dorme. 12% 64% d. Mentre pro i/ j lavora, Maria i dorme. 84% 4% Subjekt i extral. j Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Italienischen und dem Spanischen liegt darin, dass im Spanischen das präverbale Subjekt vornehmlich mit A’-Elementen korreferent ist, während das Italienische eine anaphorische Präferenz mit Subjekten in A-Position aufzeigt. Die Autorinnen können diese Vermutung dahingehend bestätigen, dass die befragten muttersprachlichen Testpersonen vornehmlich Korreferenzen mit Subjekten in A-Position identifizieren. Die Identifizierung der anaphorischen Referenzen der overten Subjekte und pro ist anhand vier unterschiedlicher Testkonstruktionen überprüft worden ( forward anaphora und backward anaphora ). Anhand der prozentualen Verteilung kann für die italienische Zielgrammatik eine deutliche Präferenz zugunsten der in A-Position realisierten Subjekte abgelesen werden. Im Fall der forward anaphora ist das Nullsubjekt des eingebetteten Satzes zu 51% mit dem Subjekt des Hauptsatzes korreferent. Das pronominale Subjekt hingegen wird präferiert mit einem extralinguistischen Subjekt in Verbindung gebracht, wobei kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den Präferenzen besteht. Parallele Präferenzen zeichnen sich insofern zwischen den einzelnen Testsätzen ab, als auch im Kontext der backward anaphora das pronominale Subjekt des untergeordneten Satzes präferiert eine Referenzbeziehung mit einem extralinguistischen Subjekt eingeht. Das Nullsubjekt des Nebensatzes wird zu einem deutlich höheren prozentualen Anteil auf das lexikalische Subjekt des Matrixsatzes als auf ein extralinguistisches Subjekt bezogen. Aus diesen Beobachtungen schlussfolgern Sorace und Filiaci (2006), dass das Nullsubjekt präferiert mit dem Subjekt des Matrixsatzes, d.h. mit einem A-Element, korreferent ist. Im Gegensatz dazu lässt das pronomi- 100 In diesem Zusammenhang werden ausschließlich die Antezedens-Präferenzen mit dem Subjekt des Matrixsatzes bzw. einem extralinguistischen Subjekt aufgeführt. Die restlichen Fälle geben die Antezedens-Präferenzen im Hinblick auf das Komplement an, die jedoch an dieser Stelle unberücksichtigt bleiben, da sie nicht Gegenstand der theoretischen Diskussion sind und die anaphorischen Referenzbeziehungen bezüglich des Subjekts im Mittelpunkt stehen. <?page no="184"?> 184 nale Subjekt unterschiedliche Präferenzen zu, da es sich entweder auf das lexikalische Subjekt des Matrixsatzes oder auf ein außerhalb der fokussierten Phrase realisiertes Subjekt, d.h. auf ein A’-Element, beziehen kann. Dennoch plädieren die Forscherinnen für Präferenzen zugunsten des Subjekts in A-Position, die somit einen Unterschied zum spanischen Zielsystem aufdecken. Für den spanischen Subjektgebrauch haben Alonso- Ovalle et al. (2002) das Ergebnis erarbeitet, dass sich das präverbale Subjekt zu 82% auf disloziierte Subjektphrasen im Matrixsatz bezieht. Vor diesem Hintergrund kann für den grammatischen Bereich des Subjekts eine gewisse Ambiguität festgestellt werden, die sich bezüglich der anaphorischen Referenz vornehmlich mit overten Subjekten beobachten lässt. Aus diesem Grund deuten die Nullsubjektsprachen nicht auf einen rein syntaktischen Unterschied, sondern auf unterschiedliche Präferenzen, die mitunter Subjekte in Abzw. A’-Position vermuten lassen (vgl. Carminati 2002). Dass es sich weniger um eine syntaktisch divergierende Analyse der Nullsubjektsprachen handelt, sondern vielmehr um interpretatorische Unterschiede haben Sorace und Filiace (2006) anhand des Zweitspracherwerbs diskutiert. Demnach sind Zweitspracherwerber des Italienischen in der Lage, zwischen einer Nullsubjekt- und einer Nicht-Nullsubjektsprache (Englisch) zu unterscheiden, wählen jedoch aufgrund der optionalen Referenzbeziehungen der overten Subjektpronomina und des Nullsubjekts von der muttersprachlichen Norm abweichende Interpretationen. The results indicate that near-native speakers have acquired the syntactic constraints on pronominal subjects in Italian, but may have residual indeterminacy in the interface processing strategies they employ in interpreting pronominal forms. (Sorace und Filiaci 2006: 339) Diese Einschätzung des adulten Zweitspracherwerbs ist insofern von außerordentlicher Relevanz, als für die in der vorliegenden Arbeit analysierten Kinderdaten die Vorhersage formuliert werden kann, dass eventuelle Erwerbsschwierigkeiten vielmehr auf referenzielle Präferenzen als auf syntaktische Unterschiede zurückzuführen sind. In Anlehnung an Sorace und Filiaci (2006) sollten die bilingualen Kinder zwar die Nullsubjekteigenschaft im Italienischen und Spanischen sowie die obligatorische Subjektrealisierung im Deutschen und Französischen erfassen, jedoch bezüglich der referenziellen Interpretation Fehlanalysen durchführen. Diese Vermutung ist natürlich nur in solchen Kontexten zulässig, in denen es im Sinne von Hulk und Müller (2000) zu Spracheneinfluss kommt. Da die syntaktischen Analysen an der Syntax-Pragmatik-Schnittstelle nicht überlappen, ist die Einflussanfälligkeit in solchen sprachlichen Konstellationen nicht gegeben. Die in diesem Zusammenhang fokussier- <?page no="185"?> 185 ten Sprachkombinationen erfüllen diese Bedingung nicht, sodass die deutsch-italienische und deutsch-spanische Sprachkombination als einflussanfällig gelten und der Subjekterwerb in nicht-einflussanfälligen Sprachkombinationen Forschungsgegenstand zukünftiger Studien sein muss. Diese bis zu diesem Punkt präsentierten theoretischen Überlegungen zur syntaktischen Analyse des Subjekts im Italienischen und Spanischen sind im Hinblick auf potenzielle Vorhersagen zum bilingualen Erstspracherwerb von zentraler Bedeutung. Die ambige, syntaktische Analyse eines grammatischen Phänomens in den hier untersuchten Zielsystemen und Sprachkombinationen kann als Auslöser für das Auftreten von Spracheneinfluss fungieren. Ziel der vorliegenden Studie wird sein, Unterschiede im Subjekterwerb bei bilingual deutsch-italienisch und deutschspanisch aufwachsenden Kindern aufzuzeigen und die Relevanz der Sprachkombination herauszustellen. Für den bilingualen Erstspracherwerb kann für das untersuchte grammatische Phänomen die Vorhersage formuliert werden, dass sich Spracheneinfluss stärker im deutschspanischen als im deutsch-italienischen Individuum manifestieren wird. Das unterschiedliche Ausmaß an Spracheneinfluss wird nicht nur auf den Umstand der syntaktischen Beschreibung, sondern wie bereits angedeutet auf die referenziellen Präferenzen des overten Subjekts bzw. des Nullsubjekts in den jeweiligen Zielgrammatiken zurückgeführt werden. Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes zur Subjektposition im Spanischen In der Literatur werden unterschiedliche Standpunkte im Hinblick auf die Subjektposition im Spanischen vertreten. Die nachfolgenden Ausführungen liefern eine Zusammenfassung der einzelnen theoretischen Interpretationen bzw. syntaktischen Beschreibungen des Subjekts in der spanischen Zielgrammatik. Der Hauptunterscheidungspunkt der theoretischen Ansätze liegt in der Annahme, dass präverbale Subjekte im Spanischen entweder in einer A- oder einer A’-Position angenommen werden können. Aus der linguistischen Literatur lässt sich jedoch schlussfolgern, dass beide Positionen möglich sind, da psycholinguistische Studien lediglich Präferenz, jedoch keine gänzlich voneinander divergierenden Analysen aufgezeigt haben. Im Rahmen der empirischen Untersuchung werden beide Standpunkte verfolgt und deren Relevanz für die Formulierung von Prädiktionen über den bilingualen Erstspracherwerb überprüft werden. <?page no="186"?> 186 I) Traditionelle Analyse des Subjekts in [Spec, TP] Aus einer traditionellen Perspektive sind präverbale Subjekte, unabhängig von ihrer overten oder coverten Realisierung, in der Spezifizierer- Position der [TP] verortet. Demnach teilt die Subjektphrase in Nullsubjekt- und Nicht-Nullsubjektsprachen die gleiche syntaktische Position, die [Spec, TP]. In diesem theoretischen Rahmen sind postverbale Subjekte das Resultat einer freien Subjektinversion, welche mittels Bewegung die Subjekt-NP in eine rechts-adjungierte [VP]-Position und pro in die Spezifizier- Position der [TP] befördert (vgl. Rizzi 1980, 1982, 1986, Torrego 1984, Belletti 1988, Cardinaletti 1996, Goodall 2001, Ortega-Santos 2005, 2006, 2008, Camacho 2006). Darüber hinaus nimmt Zubizarretta (1999) die Existenz einer rechtsverzweigenden Spezifizierer-Position der [TP] an, in der sich postverbale Subjekte befinden. TP SUBJEKT T’ T° … CP … TP T’ SUBJEKT T° … Abb. (4.62): Prä- und postverbale Subjektposition aus traditioneller Sicht In Anlehnung an Rizzi identifiziert und lizenziert die reiche Verbmorphologie der spanischen Zielgrammatik phonetisch leere Subjekte. Für die postverbal realisierten Subjekte stellt Zubizarreta eine Analyse vor, in der der postverbalen Subjekt-NP der Nominativ-Kasus in einer rechtsverzweigenden Spezifizierer-Position der [TP] zugewiesen wird. II) Subjekte in der linken Peripherie Die traditionelle Annahme bezüglich der Subjektposition wird in der Literatur kontrovers diskutiert, da die Bewegung des Subjekts in eine Spezifizierer-Position der [TP] für die Erfüllung der EPP-Anforderungen als empirisch inadäquat erachtet wird. Empirische Evidenz stützt die Annahme, dass im Spanischen lexikalische Subjekte linksperiphere Elemente darstellen, die vornehmlich durch den diskurspragmatischen Kontext determiniert werden und somit Gegenstand der [CP]-Domäne sind. Aus diesem Grund müssen sich lexikalische Subjekte nicht notwendigerweise in [Spec, TP] befinden, da in Anlehnung an Baker (1996) diese Posi- <?page no="187"?> 187 tion entweder gar nicht den Projektionsmechanismen unterliegt oder die Landeposition von pro darstellt. Gemäß diesem Ansatz wird im überspitzten Sinne für die Elimination der leeren Kategorie pro plädiert (vgl. u.a. Taraldsen 1978, 1992, Alexiadou und Anagnostopoulou 1998, Ordóñez und Treviño 1999). Basierend auf der morphologisch reichhaltigen Subjekt-Verb-Kongruenz im Spanischen wird dafür argumentiert, dass der Flexion sowohl Kasus als auch thematische Rollen zugewiesen werden können (vgl. u.a. Manzini und Savoia 2002, Holmberg 2005, Barbosa 2009). Im Rahmen dieser theoretischen Beschreibung wird für präverbale Subjekte eine Spezifizierer-Position der [CP] vorgeschlagen, d.h. das Subjekt ist strukturell höher und außerhalb der [INFL]-Domäne angeordnet (vgl. u.a. Contreras 1991, Speas 1994, Olarrea 1996, Ordóñez 1997, Alexiadou und Anagnostopoulou 1998, Grinstead 1998, Ron 1998, Kato 1999, Ordóñez und Treviño 1999, Barbosa, Duarte und Kato 2005, Holmberg 2005, Barbosa 2009). … CP SUBJEKT … TP … Abb. (4.63): Das Subjekt innerhalb der [CP]-Domäne Obwohl die einzelnen theoretischen Ausführungen jeweils unterschiedliche Schwerpunkte setzen, kommen sie zur prinzipiellen Schlussfolgerung, dass präverbale Subjekte entweder als basisgenerierte klitische, linksdisloziierte Elemente oder als Topik-Phrasen verstanden werden sollten: Alle diese Untersuchungen teilen die Gemeinsamkeit und theoretische Position, dass präverbale Subjekte in einer höheren Domäne als der [TP], in der linken Satzperipherie, erscheinen und dass der Gebrauch lexikalischer Subjekte die Syntax-Pragmatik-Schnittstelle maßgeblich beeinflusst. Demnach wird das lexikalische Subjekt in präverbaler Position als Topik bzw. linksdisloziiertes Element interpretiert, während pro lediglich das grammatische Subjekt, d.h. die morphologischen Merkmale des Verbs, widerspiegelt (vgl. Rodríguez-Mondoñedo 2007). Empirische Evidenz, die diese Argumentation stützt, liefern Beobachtungen aus unterschiedlichen syntaktischen Bereichen: die Ellipse, die Extraktion von negativen quantifizierenden Elementen, wh-in-situ -Phänomene, Skopus, die Linksdislokation von Subjekten und Objekten sowie indirekte Objekte <?page no="188"?> 188 innerhalb elliptischer [VP]-Konstruktionen. Ausschlaggebend für die Hypothese der satzperipheren Position ist die Annahme, dass präverbale Subjekte einer A’-Bewegung, statt einer EPP-gesteuerten Bewegung mit Landeposition in [Spec, TP] unterliegen. In diesem Sinne behaupten Alexiadou und Anagnostopoulou (1998), dass präverbale Subjekte aufgrund der Gemeinsamkeit mit linksdisloziierten Phrasen A’-Eigenschaften besitzen. III) Strukturelle Position postverbaler Subjekte im Spanischen Im Hinblick auf die strukturelle Position postverbaler, lexikalischer Subjekte gehen die Meinungen an dem Punkt auseinander, ob sie in-situ (vgl. u.a. Olarrea 1996, Ordóñez 1997) oder als basisgenerierte in-situ - Konstituenten aufgefasst werden sollen (vgl. u.a. Barbosa et al. 2005, Barbosa 2009). Außerdem erhalten postverbale Subjekte in Analogie zur präverbalen Stellung, der hinsichtlich des Diskurses eine topikalisierte Interpretation zukommt, den informationsstrukturellen Gehalt fokussierter Phrasen (vgl. u.a. López 1999, Casielles 1999, 2001, 2004 für die Annahme, dass postverbale Subjekte Foki darstellen). Die Subjektposition ist für informationsstrukturelle Merkmale sensibel, wobei Eigenschaften der Lexikon-Syntax-Schnittstelle die strukturelle Realisierung des Subjekts ebenfalls beeinflussen: So ist die postverbale Stellung des Subjekts vornehmlich in Verbindung mit unakkusativen und psychologischen Verben dokumentiert (vgl. Contreras 1976, Barbosa 2009). Auch spielt die Präsenz von Lokaladverbien insofern hinsichtlich der Subjektposition eine entscheidende Rolle, als undeterminierte NPn ( bare nouns ) ausschließlich in Verbindung mit overt realisierten Lokaladverbien in einer postverbalen Konfiguration einen grammatischen Ausdruck produzieren. Diese Beobachtungen zur prä- und postverbalen Subjektrealisierung verdeutlichen die Interaktion zweier grammatischer Module, der Semantik und Syntax. In der einschlägigen Literatur wird neben der postverbalen Subjektposition auch die Wortstellung des Spanischen kontrovers diskutiert und dafür argumentiert, dass das Spanische sowohl die kanonische SVOals auch die VSO-Stellung aufweist, wobei letztere das Subjekt in [Spec, v P], also in-situ , verortet (vgl. Barbosa 2009). Schließlich weist diese Analyse auf die Dichotomien präverbal/ Topik und postverbal/ Fokus sowie die damit verbundenen semantischen Asymmetrien der präbzw. postverbalen Stellung des Subjekts hin. <?page no="189"?> 189 ... CP TP T’ T° v P SUBJEKT … Abb. (4.64): Die Subjektposition nach Barbosa (2009) IV) Intermediäre Position der bisher vorgestellten Hypothesen Wie bereits verdeutlicht werden im Hinblick auf die präverbale Subjektrealisierung zwei oppositionelle Standpunkte vertreten, die im Laufe der letzten Jahre zur Herausbildung einer intermediären Position beigetragen haben. Zwischen die beiden entgegengesetzten Theorien, die traditionellen [Spec, TP]-Position und die [CP]-Position präverbaler Subjekte, tritt die Hypothese einer [Spec, TP]-Position mit A’-Eigenschaften und topikalisierter Interpretation der präverbalen Subjekt-NP (vgl. u.a. Zubizarreta 1998, 1999, Masullo 1992, Uribe-Etxebarria (1991, 1995), die in diesem Zusammenhang nicht näher erläutert wird. Bezüglich der Analyse der bilingualen Erwerbsdaten wird für das spanische Zielsystem dafür argumentiert werden, dass sich das Subjekt sowohl in Aals auch in A’-Position befindet. Im Einklang mit Alonso- Ovalle et al. (2002) werden die Präferenzen der anaphorischen Referenzen der overten Subjekte und des Nullsubjekts für die Diskussion der Kinderdaten berücksichtigt. Aus den Kinderdaten sollte idealerweise die Unterscheidung zwischen Nullsubjekt- und Nicht-Nullsubjektsprache ersichtlich werden, die Interpretation des pronominalen Subjekts jedoch auf Abweichungen im Vergleich zur erwachsenensprachlichen Norm hindeuten. Diese Argumentation wird nicht nur für das Spanische, sondern auch für das Italienische geführt werden, und zwar dergestalt, dass das Spanische anaphorische Präferenzen zu Subjekten in A’-Position (vgl. Alonso-Ovalle et al. 2002) und das Italienische zu Subjekten in A-Position aufzeigt (vgl. Sorace und Filiaci 2006). Auf der Basis dieses Erklärungsansatzes können nicht-zielsprachliche Subjektrealisierungen in den Nullsubjektsprachen der bilingualen Kinder und die Subjektauslassungen erklärt werden, die im Romanischen zwar nicht den zielsprachlichen Wert erreichen, aber dennoch einen für die Nullsubjekteigenschaft der involvierten Zielgrammatik positiv gesetzten Wert vermuten lassen. Die syntaktische <?page no="190"?> 190 Affinität zwischen dem Deutschen und dem Spanischen ergibt sich aus der Tatsache, dass das Subjekt präferiert in A’-Position angenommen wird, während es im Italienischen Präferenzen mit A-Elementen aufzeigt. Diese vorläufigen Annahmen bezüglich der syntaktischen, referenzbezogenen Affinität werden in der Zielsystembeschreibung des Deutschen aufgegriffen (vgl. Kapitel 4.4.4) und den Vorhersagen für den bilingualen Erstspracherwerb zugrunde gelegt (vgl. Kapitel 4.6). 4.4.3 Das Subjekt im Französischen In der linguistischen Literatur werden im Hinblick auf die syntaktische Beschreibung des französischen Subjekts zwei prinzipiell unterschiedliche Standpunkte vertreten: zum einen cliticization und zum anderen die affix hypothesis . Bezüglich der syntaktischen Position werden Argumente zugunsten der jeweiligen Theorie vorgestellt, die im Folgenden anhand einiger Beispiele aus dem Standardfranzösischen bzw. der gesprochenen Varietät veranschaulicht werden. Prévost (2009: 120ff.) liefert einen Überblick über die theoretische Debatte und beschreibt das pronominale Inventar 101 des Französischen, welches in der Terminologie von Cardinaletti und Starke (1999) über starke und schwache Pronomina verfügt. Vertreter der cliticization hypothesis nehmen das Subjekt in der kanonischen Subjektposition, in [Spec, IP], an, wobei das Pronomen im Vorfeld auf der phonologischen Ebene klitisiert (vgl. Kayne 1975). Gründe dafür, dass sich das Subjekt in [Spec, IP] befindet, können aus der Tatsache abgeleitet werden, dass ein Subjektklitikon nicht in Verbindung mit einer Determinantenphrase erscheinen darf. Das Zusammentreffen des Subjektpronomens und der [DP] ist vor allem in den Kontexten untersagt, in denen keine Sprechpause zwischen dem Pronomen und der [DP] ersichtlich wird. Demnach deuten fehlende prosodische Merkmale zwischen dem Subjektpronomen und der [DP] darauf hin, dass beide Elemente bezüglich derselben syntaktischen Position konkurrieren. (4.65) *Le prof i il i donne beaucoup de travail. (Prévost 2009: 121) In der linguistischen Literatur wird der in (4.65) aufgeführte sprachliche Ausdruck, in dem das Subjektpronomen mit der vorausgehenden [DP] 101 Eine Übersicht über die französischen Subjektpronomina findet sich in Abschnitt 4.5. <?page no="191"?> 191 koindiziert ist, als Dislokation 102 interpretiert. Nach Prévost (2009: 121) besetzt das Subjektklitikon die kanonische Subjektposition in [Spec, IP], wobei die Determinantenphrase eine disloziierte und an die [IP] adjungierte Position einnimmt. Demnach können französische Dislokationen in Anlehnung an die in (4.66) abgebildete Struktur wiedergegeben werden. (4.66) [ IP Le prof [ IP il [ I donne] du travail]] (Prévost 2009: 121) Darüber hinaus untersucht Kayne (1975), inwieweit ein syntaktischer Unterschied zwischen klitischen Subjekt- und Objektpronomen vorliegt. Aus distributioneller Sicht erhält der Autor positive Evidenz dafür, dass sich im Französischen Subjekt- und Objektklitika syntaktisch unterschiedlich verhalten. Die nachstehenden Beispiele (4.67) belegen die Tatsache, dass in koordinierten Konstruktionen Subjektklitika nicht zwingend wiederholt werden müssen, während Objektklitika die obligatorische Wiederaufnahme fordern. (4.67) a. Il ira à Paris et Ø visitera la Tour Eiffel. b. Pierre le prend et *(le) jette à la poubelle. (Beispiele aus Prévost 2009: 121) Im Rahmen der affix hypothesis wird hingegen dafür argumentiert, dass Klitika in einer präverbalen Position als Affixe basisgeneriert werden (vgl. u.a. Borer 1984, Zribi-Hertz 1994). Dieser theoretische Standpunkt schließt nicht nur die Standardsprache ein, sondern basiert vornehmlich auf Beobachtungen aus der gesprochenen Sprache bzw. aus französischen Varietäten. Dem theoretischen Grundgedanken dieses Ansatzes folgend wird das Subjektklitikon unmittelbar in [INFL] eingesetzt, indem es als Kongruenz-Präfix interpretiert und als Verbanteil repräsentiert wird. (4.68) [ IP Le prof [ I il + donne] du travail]] (Prévost 2009: 122) Im Gegensatz zur cliticization hypothesis bietet diese Analyse die Möglichkeit, die lexikalische Subjekt-DP in der kanonischen Subjektposition, [Spec, IP], zu verorten. Darüber hinaus kann das französische Zielsystem 102 Auf Dislokationen wird im Rahmen der Zielsystembeschreibung des Französischen noch in detaillierter Form eingegangen. An dieser Stelle soll lediglich auf diese Konstruktion hingewiesen werden. <?page no="192"?> 192 auch als Nullsubjektsprache 103 , ähnlich wie das Italienische und das Spanische, aufgefasst werden, wenn das overte Subjekt ausgelassen wird. Die damit verbundene Nullsubjekteigenschaft des Französischen wird darüber motiviert, dass das Subjektklitikon als Flexions-Marker das Nullsubjekt pro in [Spec, IP] identifizieren kann. Dennoch wird die parallele Auslassung des overten Subjekts und des Subjektklitikons als ungrammatische Option gewertet, wie die folgenden Beispiele in (4.69) beweisen. (4.69) a. [ IP pro i [ I il i + donne] beaucoup de travail]] b. *[ IP pro [ I donne] beaucoup de travail]] (Beispiele aus Prévost 2009: 121) Die Subjektauslassung stellt jedoch im Sinne von Haegeman (1990) in Tagebuch-Kontexten, d.h. in bestimmten Sprachregistern, eine grammatische Option dar, wobei diesbezüglich Jakubowicz (2003) die obligatorische Realisierung der Subjektklitika anmerkt. In der gesprochenen Varietät muss das Subjektklitikon insofern overt repräsentiert sein, als das französische Verbparadigma aufgrund seiner defizitären Natur das Merkmal [+ nominal ] in [T] nicht überprüfen kann. In den Nullsubjektsprachen Italienisch und Spanisch hingegen ist diese Merkmalsüberprüfung dank der reichhaltigen Verbmorphologie gewährleistet. In diesem Zusammenhang argumentiert Matushansky (1998) zugunsten der affix hypothesis , da dieser theoretische Ansatz das Nullsubjekt in unpersönlichen Konstruktionen erklären kann. (4.70) a. Ø faut pas arriver. b. Ø reste à voir si Marie viendra. (Beispiele aus Matushansky 1998: 189) Dennoch muss darauf hingewiesen werden, dass eine Vielzahl der Gründe, die die affix hypothesis favorisieren, auf distributionellen Beobachtungen des nominativen Subjektpronomens basiert. Für die Analyse der kindlichen Erwerbsdaten ist die Feststellung relevant, dass sich das Subjekt in [Spec, IP] befindet und dass die Subjektauslassung in der gesprochenen Varietät das Expletivum il betrifft. Contrairement au point de vue traditionnellement accepté, le français possède des propositions finies sans sujet visible. […] Il existe en français 103 Inwieweit das Französische als eine Nullsubjektsprache aufgefasst werden kann, wird im Laufe der Diskussion aus einer diachronen Perspektive thematisiert werden. <?page no="193"?> 193 deux variantes de sujets nuls: le sujet nul impersonnelle (il/ ça) et le sujet nul contextuel écrit […]. (Matushansky 1998: 189) Für das französische Zielsystem wird die syntaktische Beschreibung des Subjekts im Rahmen der cliticization hypothesis erfolgen. Außerdem wird das Französische nicht als Nullsubjektsprache aufgefasst werden, gleichwohl aus diachronischer Perspektive die Nullsubjekteigenschaft als gesichert gilt. Plausible Gründe für die Zugrundelegung der cliticization hypothesis liefert das französische Erwachsenensystem: Zum einen sollten in Anlehnung an die affix hypothesis höhere Frequenzen an gedoppelten Konstruktionen bzw. Dislokationen ( le prof, il …; la fille, elle … etc.) beobachtet werden können. Zum anderen ist die Nullsubjekthypothese für die syntaktische Beschreibung französischer Varietäten aus dem frankophonen Raum erwachsen, die zwar richtige Vorhersagen für diese Varietäten, jedoch nicht für die in der vorliegenden Arbeit untersuchte Standardsprache macht (vgl. Prévost 2009: 122). Postverbale Subjekte im Französischen Im Rahmen der Spracherwerbsforschung ist vor allem die postverbale Stellung des Subjekts in den Vordergrund empirischer Untersuchungen gerückt. Im Hinblick auf die postverbale Realisierung des Subjekts werden zwei Standpunkte vertreten, die hier kurz erläutert und für die Interpretation der zu präsentierenden Kinderdaten in den nachfolgenden Kapiteln bereitgestellt werden sollen. Nach Déprez und Pierce (1993) sind im Französischen postverbale Subjekte linksverzweigende [VP]-interne Subjekte, die über Verbbewegung in [Spec, VP] gelangen und über [INFL] den Nominativ-Kasus erhalten. Der Ansatz scheint für die Analyse postverbaler Subjekte attraktiv, ist jedoch in der Literatur stark kritisiert worden (vgl. Labelle und Valois 1996). Auslöser der Kritik sind die englischträchtigen Ausführungen der Autoren gewesen, die zwar richtige Vorhersagen für die Nicht-Existenz postverbaler Subjekte im Englischen machen, die rechtsdisloziierten Subjekte im Französischen jedoch missinterpretieren. Labelle und Valois (1996: 58) äußern sowohl konzeptuelle als auch empirische Kritik an dem zuvor vorgestellten Ansatz. Aus der Tatsache, dass das Englische keine rechtsdisloziierten Subjekte besitzt, darf nicht der Schluss gezogen werden, dass es auch im Französischen keine rechtsdisloziierten Subjekte gibt. Die unmittelbare Übertragbarkeit der englischen Analyse auf das Französische gibt Anlass zur Kritik, zumal Französisch erwerbende Kinder einem an Rechtsdislokationen reichen Input ausgesetzt sind und die Argumentation auf negativer Evidenz basiert. <?page no="194"?> 194 Dem Ansatz der VP-internen Subjekthypothese folgt auch Friedemann (1993/ 1994), der in seinen Ausführungen das thematische Subjekt in der rechten Peripherie der [VP] versteht. Der Autor führt drei Argumente an, die seine These rechtfertigen: die Nicht-Existenz direkter Objekte in der stilistischen Inversion, die Möglichkeit der Kontrastierung durch den rechtsverzweigenden Spezifizierer und Quantifikatoren resultierend aus einer Extraktionsmöglichkeit innerhalb einer Subjektkonstituente. Auch diesen Ansatz kritisieren Labelle und Valois (1996), da die Autoren in ihren empirischen Daten keine Evidenz für [VP]-interne postverbale Subjekte erhalten. Die Forscher verfolgen die Grundidee, dass postverbale Subjekte [IP]-adjungierte Phrasen darstellen und nach Ferdinand (1993) wie Rechtsdislokationen zu analysieren sind. Die von Ferdinand (1993) vorgestellte Hypothese der Rechtsdislokation impliziert die Realisierung eines Nullsubjekts in [Spec, IP]. Das zeitweise Fehlen des klitischen Pronomens in rechtsdisloziierten Konstruktionen mit postverbalem Subjekt führen die Autoren auf das Phänomen der Subjektauslassung zurück, welches in zahlreichen Arbeiten zu Nullsubjekten in frühen Erwerbsphasen dokumentiert ist (vgl. Hyams 1986). Schließlich klassifizieren Labelle und Valois (1996) postverbale Subjekte als Rechtsdislokationen und liefern für ihre Annahme sowohl konzeptuelle als auch empirische Evidenz aus dem monolingualen Erstspracherwerb und dem erwachsenensprachlichen Input. Nullsubjekte im Erwerbsverlauf des Französischen Mit ihren Forschungsarbeiten liefern die Autorinnen Rasetti (2000, 2003) und Hamann (2008) einen Überblick über den Erwerb des Französischen im monolingualen Individuum. Im Hinblick auf den Subjekterwerb kommen die Forscherinnen zu einigen interessanten Ergebnissen, die im Folgenden kurz zusammengefasst und mit denen der quantitativen bzw. qualitativen Analyse der vorliegenden Studie verglichen werden sollen (vgl. Kapitel 6 und 7). Bezüglich der Subjektauslassungen kommen beide Forschungsbeiträge zu dem Ergebnis, dass monolingual französische Kinder eine Entwicklungsphase durchlaufen, in der sie das Subjekt zu durchschnittlich 35% auslassen (vgl. u.a. auch Pierce 1992, Phillips 1995, Plunkett und De Cat 2001, De Cat 2002). Im Gegensatz zu einigen theoretischen Ansätzen, wie beispielsweise der Trunkation (vgl. Kapitel 1.6), erfolgt die Subjektauslassung unabhängig von root infinitives . Im dritten Lebensjahr beläuft sich der Gebrauch von infiniten Verbformen auf durchschnittlich 30%. Die Autorinnen weisen darauf hin, dass sich das Französische vom Italienischen und Spanischen insofern unterscheidet, als letztere Infinitive zu einem signifikant niedrigeren Prozentsatz, zu durchschnittlich 5%, reali- <?page no="195"?> 195 sieren. Im Weiteren scheint das Französische nicht nur von anderen romanischen Sprachen zu divergieren, sondern auch von einigen germanischen Sprachen, die eine deutlich längere Erwerbsphase mit infiniten Verben aufweisen als das Französische (vgl. u.a. Radford 1990, Platzack 1990, Weissenborn 1990, Clahsen 1991). Das Französische ordnet sich somit bezüglich der Frequenz und Dauer von infiniten Formen zwischen den romanischen und germanischen Sprachen ein, wobei letztere den höchsten Prozentwert erreichen: Italienisch, Spanisch > Französisch > germanische Sprachen Rasetti (2000, 2003) macht außerdem darauf aufmerksam, dass französischsprachige Kinder mehr Subjektauslassungen als nicht-flektierte Verbformen produzieren. Die Autorin führt dieses Ergebnis auf die Beobachtung zurück, dass das Subjekt in Verbindung mit lexikalischen Verben, Kopulakonstruktionen sowie Modal- und Auxiliarverben ausgelassen wird, während root infinitives ausschließlich in lexikalischen Kontexten auftreten. Im Hinblick auf die Distribution von Nullsubjekten hat Phillips (1995) den empirischen Befund geliefert, dass ausgelassene Subjekte häufiger in infiniten als in finiten Konstruktionen dokumentiert werden können. Rasetti (2003) liefert weitere empirische Evidenz und gibt die folgenden prozentualen Anteile an Subjektauslassungen in den jeweiligen Kontexten an: In infiniten Sätzen wird das Subjekt zu durchschnittlich 24%, in finiten Äußerungen zu 76% ausgelassen. Erneut findet sich in der einschlägigen Literatur die Diskussion darüber, inwieweit Subjektauslassungen und infinite Verbformen miteinander zusammenhängen. Für eine signifikante Korrelation zwischen infiniten Strukturen und ausgelassenen Subjekten haben u.a. Haegeman (1996) sowie Hamann und Plunkett (1998) plädiert. Jedoch schwächen Subjektauslassungen in finiten Kontexten diesen Standpunkt insofern, als Subjekte auch unabhängig von infiniten Verbformen und als topic-drop in satzinitialer Position ausgelassen werden können. Für den Gebrauch der klitischen Pronomina können Rasetti (2000, 2003) und Hamann (2008) das bereits in der Spracherwerbsforschung bestehende Ergebnis bestätigen, dass Subjekt- und Objektklitika einen asymmetrischen Erwerbsverlauf erfahren. Es ist allgemein bekannt, dass Subjektklitika zeitlich vor Objektklitika erworben werden und dass der Gebrauch der klitischen Subjektpronomina deutlich höher ausfällt als das Klitisieren der Objektkomplemente. Die empirischen Kinderdaten deuten auf einen verzögerten Erwerb der Objektklitika hin, der sich nicht nur durch ein spätes Einsetzen im Erwerbsprozess, sondern auch durch die Auslassung der Objektklitika auszeichnet (vgl. u.a. Schmitz und Müller 2008). <?page no="196"?> 196 Auch wenn sich die vorliegende Arbeit ausschließlich dem Subjekterwerb in deklarativen Strukturen widmet, existieren einige einflussreiche Forschungsbeiträge, die die Subjektauslassung und -realisierung in interrogativen Phrasen fokussieren. Im Bereich der französischen Fragesätze weist Plunkett (2004) darauf hin, dass Nullsubjekte früher aus der kindlichen Grammatik weichen als in deklarativen Äußerungen. Eine qualitative Analyse der einzelnen Fragesatztypen des Französischen hat jedoch für die Altersphase zwischen 2; 4 und 2; 6 Jahren zeigen können, dass sich Nullsubjekte in Deklarativsätzen (39,6%) und in in-situ -Fragen (34,3%) auf ähnliche Prozentsätze belaufen (vgl. Hamann 2006: 166). Die Untersuchung des kindlichen Sprachmaterials hat für vorangestellte wh-Fragen den generellen Ausschluss von Subjektauslassungen ergeben. Allgemein kann geschlussfolgert werden, dass die Auslassung des Subjekts eher Gegenstand deklarativer als interrogativer Strukturen ist. Hamann (2008: 170) interpretiert diesen Befund dahingehend, dass das französische Zielsystem nicht als Nullsubjektsprache aufgefasst werden kann, obgleich dieser Standpunkt in einigen linguistischen Studien vertreten wird. The existence of a phase of infinitive use, the difference in developmental profiles of subjects andaccusative clitics and the non-occurrence of null subjects in fronted wh-questions all indicate that it is unlikely that French is a pro-drop language, as some analyses suggest. Subjektklitika und pro-drop im Französischen In der einschlägigen Literatur wird der besondere Stellenwert des Französischen, einer romanischen Sprache, die im kontrastiven Vergleich zum Italienischen und Spanischen die Nullsubjekteigenschaft nicht teilt, unter verschiedenen Geschichtspunkten diskutiert. Angesichts der französischen Subjektklitika greift Cabredo Hofherr (2004) die Diskussion über die syntaktischen Eigenschaften der Klitika des modernen bzw. gesprochenen Französischen auf und kommt aufgrund empirischer Evidenz zu dem Ergebnis, dass das moderne Französisch eine von der gesprochenen Sprache abweichende Distribution der klitischen Subjektpronomina aufweist. Der syntaktische Status der klitischen Pronomina wird in Zusammenhang mit bestimmten grammatischen Phänomenen, der Koordination, des Akzents, der Isolation und der verbalen Ellipse in (4.71) veranschaulicht. Die nachstehenden Beispiele illustrieren den ungrammatischen Gebrauch französischer Subjektklitika und rechtfertigen deren Klassifikation als klitische Pronomina gegenüber vollen Nominalphrasen (vgl. Cabredo Hofherr 2004: 99). <?page no="197"?> 197 (4.71) a. *je et tu (Koordination) b. *JE le dis (Akzent) c. Qui est venu en retard ? *Je. (Isolation) d. Jean a mangé des pommes et *je des dattes. (Ellipse) Zwicky (1977) führt aufgrund des syntaktischen Verhaltens der französischen Subjektklitika die Unterscheidung zwischen einfachen und speziellen Klitika 104 und somit den Gedanken einer heterogenen Klasse von klitischen Pronomina ein. Die Hypothese einer heterogenen Klasse der Subjektklitika ist Auslöser einer Vielzahl von Studien gewesen, die komparatistisch der Fragestellung des syntaktischen Status von Klitika im Französischen und in anderen romanischen Varietäten nachgegangen sind. Aus einer sprachvergleichenden Perspektive wird im Falle der norditalienischen Dialekte ( fiorentino und trentino ) dafür argumentiert, dass abweichend von der italienischen Standardsprache ein obligatorisches Subjektklitikon gefordert wird (vgl. Brandi und Cordin 1981, Renzi 1992). Cabredo Hofherr (2004: 100) zeigt weitere syntaktische Unterschiede zwischen dem Französischen und den bereits erwähnten norditalienischen Dialekten auf, die vor allem die Intonation bei Linksdislokationen und die Koordination 105 betreffen. Ein weiteres syntaktisches Phänomen, welches in Zusammenhang mit der Nullsubjekteigenschaft für die jeweils invol- 104 Nach Zwicky (1977) unterscheiden sich einfache und spezielle Klitika insofern, als einfache Klitika über den Vorgang der Klitisierung lediglich einen phonologischen Prozess durchlaufen und speziellen Klitika besondere syntaktische Eigenschaften zugesprochen werden, auf die jedoch an dieser Steller nicht weiter eingegangen wird. 105 Im Französischen ist der Gebrauch eines Klitikons in einer linksversetzten Phrase nur dann grammatisch, wenn zwischen der nominalen Phrase und dem Klitikon eine Sprechpause erfolgt. Ist dies nicht der Fall, wird durch die klitische Aufnahme der linksdisloziierten Nominalphrase der sprachliche Ausdruck ungrammatisch. (i) *Marie elle mange. (Klitische Aufnahme der [NP] ohne Sprechpause) Im Gegensatz zum Französischen zeigen die norditalienischen Dialekte auch ohne messbare Sprechpause zwischen der Nominalphrase und der klitischen Verdopplung grammatische Entsprechungen. (ii) El Gianni el magna. (Cabredo Hofherr 2004: 101) Im Falle der Koordination kann im Französischen das Subjektklitikon in präverbaler Position des koordinierten Verbs ausgelassen werden. (iii) Il chante et danse. (Cabredo Hofherr 2004: 101) In den norditalienischen Dialekten ist hingegen eine derartige Auslassung des Klitikons ungrammatisch. Die koordinierten Verbformen müssen jeweils durch das Subjektklitikon lexikalisch aufgegriffen werden. (iv) *La canta e balla. (Cabredo Hofherr 2004: 101) (v) La canta e la balla. (Cabredo Hofherr 2004: 101) <?page no="198"?> 198 vierte Sprache diskutiert wird, ist die freie Subjektinversion. Während in den norditalienischen Dialekten, im trentino und fiorentino , postverbale Subjekte 106 unabhängig vom Verbtyp, d.h. mit transitiven, intransitiven und unakkusativen Verben auftreten können, ist im modernen Französisch die Subjektinversion ausgeschlossen. Diese Beobachtung führt im Rahmen der traditionellen pro-drop -Theorie zu der Schlussfolgerung, dass das Französische im Sinne des clustering of properties (vgl. Rizzi 1982) nicht als eine Nullsubjektsprache klassifiziert werden kann. Nach Brandi und Cordin (1989) resultiert die Nullsubjekteigenschaft einer sprachlichen Varietät aus der syntaktischen Option der Subjektinversion. Den Forscherinnen folgend stellen die norditalienischen Dialekte, das trentino und fiorentino , insofern Nullsubjektvarietäten dar, als ihre Subjektklitika nicht als Subjekte, sondern vielmehr als kongruenzmarkierende Affixe interpretiert werden. Die Fragestellung, inwieweit die Subjektinversion konsequent mit der Nullsubjekteigenschaft einhergeht, ist in Safir (1986) kritisch thematisiert worden. Der Autor erörtert die implikationellen Beziehungen (vgl. Kapitel 4.2.2) der einzelnen syntaktischen Eigenschaften von Nullsubjektsprachen und belegt anhand des Portugiesischen, dass die Subjektinversion keine notwendige Bedingung für die Nullsubjekteigenschaft einer Sprache darstellt. Cabredo Hofherr schließt aus der theoretischen Diskussion, dass die syntaktischen Unterschiede zwischen dem Französischen und den untersuchten norditalienischen Dialekten syntaktischer Natur und konkret mit der Realisierung von postverbalen Subjekten verbunden sind. Darüber hinaus zeigt Poletto (1999, 2000) eindrucksvoll, dass sich Subjektklitika auch innerhalb einer einzigen sprachlichen Varietät heterogen verhalten und somit keine homogene Klasse bilden. Anhand einer qualitativen Analyse der florentinischen und venezianischen Subjektklitika argumentiert die Forscherin für ein heterogenes syntaktisches Verhalten von Subjektklitika, welches sich vor allem an den morphologischen Merkmalen [ Person ] und [ Numerus ] abzeichnet. Hierzu untersucht die Forscherin die Distribution der Subjektklitika im syntaktischen Umfeld der Negation bzw. Koordination und ermittelt drei unterschiedliche Koordinationsmöglichkeiten des Verbkomplexes. Das für die Forschung relevante Ergebnis dieser empirischen Studien liegt in der Feststellung, dass sich Subjektklitika der norditalienischen Varietäten in Abhängigkeit von der jeweiligen syntaktischen Struktur, in der sie gebraucht werden, heterogen verhalten. Unter Berücksichtigung der morphologischen Merkmale [ Person ] und [ Numerus ] besteht die Heterogenität der Klitika in ihrer Distribution in den zuvor genannten syntaktischen 106 Zur Definition von postverbalen Subjekten und deren syntaktischen Eigenschaften vgl. Suñer (1992). <?page no="199"?> 199 Umgebungen, der Negation und Koordination. Eine weitere Besonderheit der norditalienischen Dialekte und ein daraus resultierender weiterer Unterschied zum modernen Französischen liegen im Paradigma der Subjektklitika. Während das Französische über ein vollständiges Paradigma an klitischen Subjektpronomina verfügt, weist das Paradigma 107 der norditalienischen Varietäten Lücken und Synkretismen auf. Die sich aufgrund der Synkretismen einstellende Homophonie wird durch hierarchische Beziehungen unter den Subjektklitika rekompensiert. Angesichts der Distribution der Subjektklitika in den untersuchten norditalienischen Varietäten nimmt Heap (2002) einen hierarchischen Strukturaufbau an. Diese Annahme geht auf eine Dichotomie zurück, die die Subjektklitika im Hinblick auf die morphologischen Merkmale der [ Person ] und des [ Numerus ] in zwei distinkte Klassen aufteilt. Demnach verhalten sich Subjektklitika der 2. Person Singular und der 3. Person Singular/ Plural aus distributioneller Sicht anders als klitische Subjektpronomina der 1. Person Singular/ Plural und 2. Person Plural: [2. SG und 3. SG/ PL ≠ 1. SG/ PL und 2. PL]. Aus einer diachronen Perspektive ist für die soeben aufgeführte Dichotomie dafür argumentiert worden, dass die 1. Person Singular für die 1. und 2. Person Plural übergeneralisiert 108 wird (vgl. Hajek 1997, Vanelli 1997). Diese aus der Varietätenlinguistik und diachronen Sprachwissenschaft stammenden Beobachtungen zum syntaktischen Verhalten der Subjektklitika können für die qualitativen Fragestellungen der vorliegenden Arbeit insofern relevant sein, als der bilinguale Erstspracherwerb unter dem Gesichtspunkt des personenspezifischen Subjekterwerbs untersucht werden soll. Inwieweit sich zwischen dem empirischen Befund der Varietätenlinguistik und dem Erstspracherwerb parallele Tendenzen ergeben, muss an dieser Stelle zunächst unbeantwortet bleiben. Vor diesem Hintergrund sollten die syntaktischen Auffälligkeiten der 1. und 2. Person - in der vorliegenden Arbeit bleibt das morphologische Merkmal des [ Numerus ] unberücksichtigt - nicht in Vergessenheit geraten, sondern für die diskurspragmatische Analyse erneut aufgerufen werden (Kapitel 7 und 8). Die bisherigen Ausführungen zu den französischen bzw. norditalienischen Subjektklitika reflektieren die in der Literatur postulierte Heterogenität dieser Pronomina nicht nur innerhalb einer Varietät, eines norditalienischen Dialekts, sondern auch 107 Eine Aufstellung des Paradigma der klitischen Subjektpronomina findet sich u.a. in Brandi und Cordin (1981), Renzi und Vanelli (1982), Vanelli (1997) sowie Tosco (2003). 108 Diese Form der Übergeneralisierung findet sich auch in französischen Varietäten wie bspw. dem patois français wieder: j’avons , je sommes etc. (vgl. Nyrop 1925: 81-82). <?page no="200"?> 200 sprachübergreifend: modernes Französisch vs. norditalienische Varietäten. Für das Französische ist allgemein bekannt, dass sich der Gebrauch von Subjektklitika in der Standardsprache ( français moderne standard ) von dem in der gesprochenen Sprache ( français parlé ) erheblich unterscheidet und insgesamt heterogen gestaltet (vgl. u.a. Lambrecht 1984, Miller 1991, Zribi-Hertz 1994, Blanche-Benveniste 1997). Diesbezüglich führt Cabredo Hofherr (2004: 105) eine Fragebogenstudie durch und kann aufgrund ihres empirischen Befunds nur betätigen, dass „les clitiques sujets du français parlé ne forment pas une classe homogène“. Die Forscherin thematisiert den Gebrauch der klitischen Subjektpronomina in der Standardsprache bzw. gesprochenen Sprache anhand des syntaktischen Kontexts der Dislokation und Koordination. Im Hinblick auf Dislokationen wird für das Französische angenommen, dass es sich in der gesprochenen Sprache und im Gegensatz zur Standardsprache nicht um „reine Dislokationen“ handelt (vgl. Auger 1993, Hulk 1991). Plausible Gründe, die diese Annahme stützen, sind entweder pragmatischer Natur oder betreffen die Intonationskurve der disloziierten Phrase. In der gesprochenen Sprache spiegelt die klitische Wiederaufnahme der disloziierten Konstituente nicht den Effekt der Salienz wider, der in der Standardsprache aus pragmatischen Gründen durch die Dislokation bewirkt wird. Drüber hinaus ist beobachtet worden, dass im Falle von koordinierten Verbkomplexen das Klitikon stets präverbal realisiert werden muss, wobei letzteres in der Standardsprache ausgelassen werden kann. An dieser Stelle setzt Cabredo Hofherr mit ihrer Fragebogenstudie ein, mittels welcher der personenspezifische Klitikgebrauch in Anlehnung an Poletto (1999, 2000) im Kontext der Koordination erfasst werden soll. Dabei deuten die Grammatikalitätsurteile 109 der befragten Testpersonen auf einen distributionellen Unterschied der klitischen Subjektpronomina in der gesprochenen Sprache hin. In diesem Punkt ist die gesprochene Varietät des Französischen mit dem Gebrauch der klitischen Subjektpronomina norditalienischer Dialekte vergleichbar. Problematisch stellt sich erneut die Auslassung der Subjektklitika der 1. und 2. Person Singular heraus (vgl. Cabredo Hofherr 2004: 107), die bereits in den norditalienischen Varietäten im Hinblick auf ihren Gebrauch aufgefallen sind. Schließlich kann für die gesprochene französische Sprache die Schlussfolgerung formuliert werden, dass die 109 Die Problematik angesichts der Validität von Grammatikalitätsurteilen und generell der Introspektion ist bereits in Kapitel 2 diskutiert worden. An dieser Stelle wird lediglich das von Cabredo Hofherr (2004) ermittelte Ergebnis der Fragebogenstudie wiedergegeben und von jeglicher Kritik im Hinblick auf dessen Repräsentativität abgesehen. <?page no="201"?> 201 Subjektklitika keine homogene Klasse bilden und Parallelen mit anderen romanischen Varietäten aufzeigen. Für den monolingualen und bilingualen Erstspracherwerb ist die syntaktische Analyse der Subjektklitika insofern relevant, als das Sprache erwerbende Kind vornehmlich der gesprochenen Sprache und weniger der französischen Standardsprache ausgesetzt ist. Inwieweit sich die bisher in der Literatur thematisierten Eigenschaften der französischen Subjektklitika im Erwerb des Französischen niederschlagen, muss in Kapitel 7 anhand einer personenspezifischen Analyse illustriert und schließlich in Kapitel 8 diskutiert werden. Exkurs: Dislokationen in der gesprochenen Standardsprache Marchello-Nizia (1998) liefert den empirischen Beweis dafür, dass Dislokationen nicht nur in der modernen Sprache, sondern bereits im Altfranzösischen attestiert sind. Sie werden vornehmlich in der gesprochenen, nicht geplanten und eher informellen Sprache verwendet und verleihen dem sprachlichen Ausdruck bestimmte pragmatische Effekte. Rowlett (2007) macht auf die Unterscheidung zwischen Links- und Rechtsdislokation aufmerksam und spricht der disloziierten Struktur phonologischprosodische Merkmale zu, die in der Linksbzw. Rechtsdislokation jeweils voneinander differieren. Das nachstehende Beispiel (4.72) stellt die beiden Dislokationsformen gegenüber. (4.72) a. Moi, je t’aime. (Linksdislokation) b. Tu m’aimes, moi. (Rechtsdislokation) Bei der Linksdislokation befindet sich das starke Subjektpronomen moi in der linken Satzperipherie des sprachlichen Ausdrucks und wird klitisch durch das schwache Pronomen je innerhalb der [IP] aufgegriffen. Die Rechtsdislokation hingegen betrifft das direkte Objekt, welches durch das rechtsdisloziierte starke Pronomen moi hervorgehoben wird. Nach Rowlett (2007) erscheint die Dislokation außerhalb der [IP], wobei sie durch ein [IP]-internes Klitikon aufgegriffen wird. Im Hinblick auf den in der vorliegenden Arbeit untersuchten grammatischen Bereich macht der Forscher die interessante Feststellung, dass Dislokationen vornehmlich das Subjekt betreffen und dass sich linksdisloziierte Subjekt-Phrasen stets von nicht-disloziierten Subjekten unterscheiden. Lambrecht (1981) untersucht den pragmatischen Aspekt der Dislokation und kommt zu dem Ergebnis, dass die Links- und Rechtsdislokation distinkte pragmatische Effekte im Diskurs auslösen. Demnach stellen Linksdislokationen stets Topiks und Rechtsdislokationen - in seiner Terminologie verbleibend - Antitopiks dar. Außerdem greifen Rechtsdislokationen einen bereits salienten Referenten im Diskurs auf, während Linksdislokationen im Zu- <?page no="202"?> 202 sammenhang mit neuen, noch nicht im Diskurs eingeführten Elementen auftreten. De Cat (2002) führt empirische Evidenz dafür an, dass eine Phrase nur dann disloziiert sein kann, wenn sie ein Topik darstellt; d.h. die topikalisierte Information muss stets disloziiert sein. Dieser Auffassung folgend bleibt nicht weiter verwunderlich, dass hauptsächlich Subjekte im Gegensatz zu anderen Satzkonstituenten disloziiert werden. Dislokationen sind pragmatisch motiviert und die Kontrastfähigkeit von Subjekten wird aufgrund ihrer Topik-Eigenschaft erwartet. Außerdem hat die von De Cat (2002) durchgeführte Auswertung ergeben, dass Subjekte zu 74% in Matrixsätzen und zu 55% in untergeordneten Sätzen linksdisloziiert werden. Die Forscherin begründet ihr Ergebnis damit, dass in Matrixsätzen das Subjekt eher die Topik-Eigenschaft annimmt als in eingebetteten Strukturen. Angesichts der syntaktischen Beschreibung von Linksdislokationen wird der Standpunkt vertreten, dass die linksdisloziierte Phrase eine Spezifizierer-Position außerhalb der [IP], nämlich die Spezifizierer-Position einer Topik-Phrase [Spec, TopicP] und das comment eine Komplement- Position besetzen (vgl. Rizzi 1997). TopicP topic Topic’ moi Topic° comment je t’aime Abb. (4.73): Struktur einer Linksdislokation nach Rizzi (1997) De Cat (2002) führt plausible Gründe 110 dafür an, dass die Linksdislokation offenkundig der syntaktischen Operation merge und weniger einer Bewegung des Topiks aus der comment -Phrase geschuldet ist. Rowlett (2007) greift die von De Cat geführte Argumentation zugunsten der syntaktischen Operation merge auf und schließt aus der theoretischen Diskus- 110 In diesem Zusammenhang wird lediglich auf die Debatte hingewiesen; die Argumentation wird jedoch nicht im Detail wiedergegeben, da die Diskussion über die syntaktische Beschreibung von französischen Dislokationen nicht vordergründig thematisiert werden soll. <?page no="203"?> 203 sion, dass es sich bei Dislokationen um basisgenerierte Strukturen und nicht mittels Bewegung generierte Konfigurationen handeln muss. In der einschlägigen Literatur werden im Hinblick auf die syntaktische Beschreibung von französischen Linksdislokationen zwei unterschiedliche Positionen vertreten. Demnach werden Dislokationen über einen transformationellen Ansatz (vgl. Ross 1967) oder als basisgenerierte Strukturen interpretiert (vgl. Hirschbühler 1975). Cinque (1977) hebt diesen theoretischen Widerspruch dergestalt auf, dass er für das Französische zwei distinkte Formen der Linksdislokation, eine transformationelle und eine basisgenerierte, annimmt. Die syntaktische Distinktion der Linksdislokation führt Cinque auf den Umstand der pragmatischen Motivation der jeweiligen Dislokation zurück. Während die Linksdislokation transformationellen Ursprungs kaum pragmatisch motiviert ist, wird der basisgenerierten Dislokation ein hoher Grad an pragmatischer Motivation zugesprochen. Die folgende Übersicht stellt beide Dislokationsformen angesichts ihrer pragmatischen Motivation gegenüber (vgl. Cinque 1977). basisgenerierte Dislokation (hanging topic) transformationelle Dislokation (ordinary topic) • emphatische/ kontrastive Funktion • phonologisch markiert (Sprechpause, Tonlage) • Referent als Topik (neu in den Diskurs eingeführt) • tritt mit Interjektionen oder emphatischen Ausdrücken auf • weder emphatisch noch kontrastiv • phonologisch unmarkiert • Referent ist als alte Information im Diskurs kodiert • tritt ohne Interjektion auf Tab. (4.4): Gegenüberstellung der Dislokationsformen Da jedoch das Hauptanliegen der vorliegenden Arbeit nicht darin besteht, eine syntaktische Analyse der französischen Linksdislokationen bereitzustellen, wird im Folgenden vornehmlich der diskurspragmatische Effekt der Linksdislokation thematisiert werden. Die Diskurspragmatik ist insofern von primärem Interesse, als im Italienischen (und Spanischen) diskurspragmatische Prinzipien die Subjektauslassung regeln. Im Hinblick auf den bilingualen Erstspracherwerb und die in diesem Zusammenhang untersuchte französisch-italienische Sprachkombination darf der Aspekt der Pragmatik in der Zielsystembeschreibung des Französischen nicht unberücksichtigt bleiben. Vor diesem Hintergrund werden die pragmatischen Funktionen der Linksdislokation betrachtet und erste Beobachtungen diesbezüglich aus der Studie von Barnes (1986) zitiert. Die Forscherin <?page no="204"?> 204 untersucht Linksdislokationen der gesprochenen Standardsprache und deckt Schwachstellen der von Cinque aufgestellten Dichotomie basisgenerierte vs. transformationelle Linksdislokation auf. Die Schwierigkeit liegt in der fragwürdigen Beziehung zwischen der syntaktischen Beschreibung der Linksdislokation und deren Auswirkung auf den Grad an pragmatischer Motivation. Die Kritik an Cinques Modell und Beschreibung der distinktiven Merkmale der jeweiligen Linksdislokation ergibt sich bspw. aus der Beobachtung, dass basisgenerierte Dislokationen nicht zwingend kontrastiv oder phonologisch markiert sein müssen. Darüber hinaus wird bemängelt, dass der Begriff des Kontrasts sehr fahrlässig gebraucht wird und infolge einer Missinterpretation falsche Vorhersagen über den pragmatischen Effekt eines sprachlichen Ausdrucks formuliert werden. Zudem stellt die Autorin eine fehlende Korrelation zwischen der phonologischen Markierung und der Kodierung neuer Information fest. Cinques Ausführungen folgend signalisieren Linksdislokationen anhand phonologischer Merkmale die Einführung eines topikmarkierten Referenten in den Diskurs. Die neue Information wird als Topik des sprachlichen Ausdrucks interpretiert und ist im Sinne von Cinque (1977) mit einem hohen Grad an pragmatischer Motivation versehen. Darüber hinaus enthält das von Barnes analysierte Korpus auch solche Dislokationen, die zwar phonologisch markiert sind und einen neuen Referenten in den Diskurs einführen, jedoch nicht kontrastiv oder emphatisch gebraucht werden. Die von der Forscherin untersuchten Beispiele widerlegen die von Cinque (1977) postulierte Dichotomie und veranschaulichen die Möglichkeit der Vermengung der spezifischen Charakteristika der basisgenerierten und transformationellen Linksdislokation. Diese Erkenntnis führt allgemein zur Kritik und Revision der syntaktischen Beschreibung von Linksdislokationen im Französischen. Schließlich soll ein weiteres Ergebnis, welches für die qualitative Untersuchung der vorliegenden Arbeit relevant sein könnte, kurz erwähnt werden. Barnes (1986) nimmt im Rahmen ihrer personenspezifischen Analyse für die im Korpus enthaltenen Dislokationen an, dass disloziierte Strukturen einen Prozess der Grammatikalisierung darstellen. Die klitische Wiederaufnahme der linksdisloziierten Nominalphrase wird in der gesprochenen Sprache als obligatorisches, morphologisches Merkmal interpretiert, welches die phonologisch nichtrealisierten postverbalen Flexionsmerkale rekompensiert. The question of degree of pragmatic motivation is significant in relation to the question of the grammaticalization of the left dislocation structure which may have suggested is taking place with respect to subjects. That is, the subject clitic coreferent with the left dislocation is seen as an obligatory agreement marker, taking up the function of the post-verbal inflec- <?page no="205"?> 205 tions which are no longer realized in the spoken language. (Barnes 1986: 218) Die quantitative Auswertung des Korpus hat bezüglich der pronominalen Linksdislokationen mit der grammatischen Funktion des Subjekts ein prominentes Auftreten des Typs moi, je ... (69%) hervorgebracht. Aus einer pragmatischen Perspektive schließt die Autorin daraus, dass linksdisloziierte starke Pronomina einen topic shift 111 im Diskurs markieren und pragmatisch motiviert sind. Auch in diesem Zusammenhang fällt die 1. Person Singular auf, die in einer konkreten Gesprächssituation entweder die deiktische Perspektive des [+ Hörer ] oder [+ Sprecher ] einnehmen kann. Schließlich weist Barnes (1986: 221) darauf hin, dass die Syntax- Pragmatik-Korrelation weiterer empirischer Evidenz bedarf und die syntaktische Analyse der Dislokation nicht unmittelbar Aufschluss über pragmatische Funktionen gibt. Dennoch teilt die Autorin die Auffassung, dass Dislokation einen pragmatischen Effekt ausdrücken und ein essentiell pragmatisches Phänomen darstellen. Schließlich werden im Folgenden einige wenige Aspekte der Rechtsdislokation im Französischen genannt, die vornehmlich die phonologischen und syntaktischen Eigenschaften der rechtsdisloziierten Konfiguration betreffen. Es ist allgemein bekannt, dass sich Rechtsdislokationen in phonologischer, syntaktischer und pragmatischer Hinsicht von Linksdislokationen unterscheiden. Ein phonologischer Unterschied liegt darin, dass Rechtsdislokationen nicht prosodisch markiert sind, während Linksdislokationen eine typische Intonationsstruktur aufweisen (vgl. Rowlett 2007). Aus syntaktischer Sicht werden vor allem Subjekte linksdisloziiert, wobei die Rechtsdislokation entweder indirekte Objekte oder inhärent kasusmarkierte DPn betrifft. In Anlehnung an Lambrecht (1981) sind Rechtsdislokationen insofern beschränkter als Linksdislokationen, als sie im Diskurs stark präsuppositionierend wirken. Schließlich sind rechtsdisloziierte Konstituenten ausschließlich mit bereits bekannten Topiks kompatibel, während linksdisloziierte Elemente weder kontrastiv noch emphatisch sind. Im Hinblick auf die syntaktische Beschreibung der Rechts-dislokation ist zunächst der Standpunkt vertreten worden, das Links- und Rechtsdislokationen einen identischen syntaktischen Aufbau aufweisen. Cecchetto (1999) kritisiert diese Ansicht und geht von einer bewegungsbasierten Analyse der Rechtsdislokation aus. Hierbei findet eine Anhebung der [XP] aus einer basisgenerierten Position in die Spezifizierer-Position einer linksperipheren [VP]-Projektion statt, deren Kopf 111 Weitere pragmatische Funktionen von Dislokationen können anhand der topiccomment -Beziehung und des givenness-constraint beschrieben werden. <?page no="206"?> 206 das Klitikon enthält. Die rechtsdisloziierte Konstituente befindet sich somit in einer linksperipheren [VP]-Position, im Spezifizierer der Topik- Phrase. Die von Cecchetto (1999) vorgestellte Analyse, die lediglich bezüglich der Verzweigung der Topik-Phrase einen Unterschied zur Linksdislokation kundtut, rechtsvs. linksverzweigende Topik-Phrase, ist in der Literatur auf Kritik gestoßen, da sie Inkompatibilitäten mit der nichtbewegungsbasierten Beschreibung von Linksdislokationen aufzeigt. Pro-drop im Altfranzösischen Aus einer diachronen Perspektive ist für das Altfranzösische ebenfalls die Existenz von Nullsubjekten anhand der generativen pro-drop -Theorie diskutiert worden (vgl. u.a. Adams 1987, Alberton 1992). Das Hauptaugenmerk dieser sprachhistorischen Studien liegt auf dem Sprachwandelprozess, den das französische Sprachsystem im Hinblick auf die Nullsubjekteigenschaft durchlaufen hat. Adams (1987) stellt für das Altfranzösische ein asymmetrisches Auftreten von pro fest: Im Altfranzösischen kann pro zwar in Matrixsätzen, jedoch nicht in eingebetteten Sätzen beobachtet werden. Darüber hinaus stellt die Autorin die Nullsubjekteigenschaft des Altfranzösischen mit drei weiteren syntaktischen Phänomenen, dem V2-Effekt, der SVO-Stellung und einer auf germanischen Ursprung zurückzuführende Inversion, in Verbindung. Eindrucksvoll wird gezeigt, dass die Distribution von phonetisch realisierten bzw. ausgelassenen Subjekten weder mit pragmatischen noch mit phonologischen Aspekten einhergeht. Pragmatic factors cannot explain this distribution. […] Verbal inflection cannot account for the main/ subordinate clause asymmetry either. Inflection was rich in OF (Old French) and usually distinguished all six persons. (Adams 1987: 3) Insgesamt gelingt es Adams (1987: 23), die Absenz von Nullsubjekten im Mittel- und Neufranzösischen und schließlich den Sprachwandelprozess anhand einer Modifikation der von Rizzi (1986) aufgestellten Bedingungen für pro zu erklären. Den Ausführungen der Autorin folgend kann die Entwicklung der Nullsubjekteigenschaft im Französischen unter dem Gesichtspunkt des directional government betrachtet werden. Letzteres ist für die attestierten Subjektauslassungen und unter Einschluss des Vfronting für die Lizenzierung von pro im Altfranzösischen verantwortlich. Adams stellt einen Zusammenhang zwischen V2-Effekten und pro-drop insofern auf, als mit dem Wegfall der V2-Effekte die Subjektauslassungen durch die Realisierung ersetzt werden. The strict V2 effects of early OF began to break down in the late OF and Middle French periods. […] the breakdown of the V2 constraint had obvi- <?page no="207"?> 207 ous consequences for pro-drop. Under our theory V-fronting was the only means OF had of obtaining directional government; without it, pro could no longer be licensed. In effect, the texts show a steady decrease in the use of empty subjects throughout the Middle French period (approximately 1300-1500). (Adams 1987: 26) Schließlich weist die Forscherin auf einige norditalienische Dialekte hin, die sich in dieser mittelalterlichen Phase wie das Altfranzösische verhalten: Ein paralleles Szenario spielt sich im Rahmen der V2-Effekte, der Subjektauslassung in übergeordneten Sätzen und der SVO-Stellung ab. Daraus resultiert eine weitere Gemeinsamkeit des heutigen Französischen und der norditalienischen Dialekte: der obligatorische Gebrauch von Subjektklitika. Der Schwerpunkt der von Adams (1987: 30) durchgeführten Studie liegt zum einen darin, aus synchroner Perspektive die Distribution von realisierten und ausgelassenen Subjekten im Altfranzösischen und zum anderen, auf diachroner Ebene den Sprachwandelprozess von einem Sprachsystem mit grammatischen Subjektauslassungen (Altfranzösisch) zu einem Sprachzustand (Mittel- und Neufranzösisch), in dem pro-drop nicht mehr lizenziert ist, zu erfassen. 4.4.4 Das Subjekt im Deutschen Im generativen Rahmen ist die Subjektauslassung und -realisierung im Hinblick auf einige wesentliche Charakteristika der deutschen Zielgrammatik - die germanische Subjektinversion, die Hauptsatz-Nebensatz- Asymmetrie und die lineare V2-Restriktion - untersucht worden (vgl. u.a. Safir 1985, McKay 1986, Filip 1989, Cardinaletti 1990, 1990a, Haegeman 1990, Abraham 1991, Hoeing 1991, 1994, Hamann 1996, Berman 2003, Guasti 2004). Der aktuelle Forschungsstand gibt zahlreiche theoretische Ansätze wieder, die die deutsche Subjektposition und die Eigenschaft des topic-drop sowohl in der deutschen Zielgrammatik als auch im Erwerbsprozess erfassen. Die linke Satzperipherie im Deutschen Im Rahmen der minimalistischen Syntaxanalyse wird zugunsten einer Anhebung des lexikalischen Verbs in C° und einer Realisierung des Subjekts innerhalb der [C]-Domäne argumentiert. Demnach befindet sich das Subjekt aus Gründen der Kasuszuweisung und der Merkmalsüberprüfung in der Spezifizierer-Position der funktionalen Kategorie [C]. In der einschlägigen Literatur wird unumstritten dafür plädiert, dass die Vorfeldposition durch eine A’-Bewegung gefüllt wird. In Anlehnung an das generative Grammatikmodell erfolgt movement nicht aus arbiträren Gründen, sondern ergibt sich aus der Notwendigkeit, semantische bzw. prag- <?page no="208"?> 208 matische Merkmale des sprachlichen Ausdrucks zu lizenzieren (vgl. u.a. Rizzi 2004). CP Spec C’ Hans i C° IP liebt j Spec I’ t i I° AgrP t j Spec Agr’ Marie k Agr° VP Spec V’ t i Kompl V° t k t j Abb. (4.74): Die Subjektposition im Deutschen (in Anlehnung an Hamann 1996: 166) Im Deutschen wird das Subjekt in die Zielposition, die Spezifizierer- Position der [CP], bewegt, wobei zwischen Merkmal und funktionalem Kopf eine 1: 1-Relation herrschen muss. Involviert jedoch die Vorfeldbesetzung mehrere funktionale Projektionen, müssen unterschiedliche Landepositionen für die jeweiligen Phrasen zur Verfügung gestellt werden. Aus diesem Grund plädiert Frey (2005) für eine gesplittete [C]-Domäne des Deutschen, die in der nachfolgenden Struktur (4.75) illustriert ist. <?page no="209"?> 209 CP C’ KontrP Kontr’ FinP Fin’ TopikP Topik’ Abb. (4.75): [C]-Domäne im Deutschen nach Frey (2005: 156) Aus einer kartographischen Perspektive kann die Natur der linken Peripherie determiniert und Hypothesen darüber aufgestellt werden, welche Konstruktionen innerhalb der [C]-Domäne tatsächlich lizenziert sind. Vor diesem Hintergrund sind in der sprachwissenschaftlichen Forschung vornehmlich zwei Voranstellungskonstruktionen analysiert worden: die Linksversetzung und hanging-topic -Konstruktionen. In diesem Zusammenhang weist jedoch Frey (2005: 148) darauf hin, dass zunächst zu prüfen bleibt, „ob die jeweils vorangestellte XP tatsächlich strukturell in den folgenden Satz integriert ist. Ist dies der Fall, muss ihr eine Position in der Struktur der linken Peripherie des Deutschen zugewiesen werden.“ Im Hinblick auf die pragmatischen Effekte der vorangestellten Elemente rekurriert Frey (2005) auf Höhle (1982), der für die einzelnen Kontexte den Markiertheitsgrad ermittelt. Die Zielsystembeschreibung des Italienischen − und speziell die des Spanischen − hat bereits die Relevanz der Topik-Phrase in Verbindung mit der Diskussion über eine adäquate syn- <?page no="210"?> 210 taktische Analyse der Subjektposition herausgestellt. Für topikalisierte Elemente wird eine Position innerhalb der [CP] vorgesehen, die im sprachübergreifenden Vergleich eine Ähnlichkeit zum spanischen Erwachsenensystem erahnen lässt: Im Spanischen wird die Topik-Phrase ebenfalls unter A’-Bewegung in eine [CP]-Position befördert. Aus interpretatorischer Sicht haben die in der psycholinguistischen Literatur dokumentierten anaphorischen Referenzbeziehungen des pronominalen Subjekts auf eine mit A’-Elementen kompatible Präferenz hingedeutet (vgl. Alonso-Ovalle et al. 2002). Inwieweit diese syntaktische Affinität zwischen der deutschen und spanischen Zielgrammatik eine entscheidende Rolle im bilingualen Spracherwerbsprozess spielen wird, muss in der quantitativen und qualitativen Auswertung der in der vorliegenden Arbeit untersuchten Kinderdaten erforscht werden. Bezüglich der pragmatischen Effekte der im Vorfeld realisierten Entitäten schlussfolgert Frey (2005: 153) aus lang bewegten Phrasen, dass die in die linke Peripherie verschobenen Konstituenten einen kontrastiven Interpretationseffekt auslösen. Aus diesem Grund vertritt der Autor die Annahme einer gesplitteten linken Peripherie, die die Landeposition für die jeweils vorangestellten Elemente der [C]-Domäne bereitstellt. Außerdem widmet sich Frey (2005) der Fragestellung, ob die in (4.75) postulierte Struktur auch auf linksversetzte Phrasen und hanging-topic - Konstruktionen angewandt werden kann. Anhand einschlägiger Beispiele zeigt der Autor die wesentlichen strukturellen Unterschiede 112 zwischen Linksversetzungen und hanging-topic -Konstruktionen. Im Hinblick auf die strukturelle Einordung der in diesem Zusammenhang fokussierten Phrasen stellt Frey (2005: 169) das interessante Ergebnis heraus, dass hangingtopic -Konstruktionen im Gegensatz zu linksversetzten Phrasen keinen Aufschluss über die linke Satzperipherie des Deutschen geben. Diese Schlussfolgerung ergibt sich aus der Beobachtung, dass Linksversetzungen in den Folgesatz integriert sind, während hanging-topic -Konstruktionen als eigenständige Phrasen erachtet werden müssen. Evidenz für diese Annahme erhält der Forscher anhand der Bindungs- und Inseleffekte der involvierten Strukturen, welche wohl bei der Linksversetzung, aber nicht im Falle der hanging-topic -Konstruktion bestehen. Bezüglich der linksversetzten Phrasen vertritt Frey (2005: 168) den Standpunkt, dass letztere grammatisch durch [C] und thematisch durch das Resumptiv- 112 Diese Unterschiede betreffen vornehmlich die Prosodie, die pronominale Aufnahme durch den Folgesatz, Bindungs- und Inseleffekte zwischen der linken Peripherie und dem Mittelfeld, die Stellung des Resumptivpronomens ausschließlich in Topikposition des Mittelfeldes und spezielle Diskursbeziehungen. Für eine ausführliche Darstellung der Daten wird auf Frey (2004, 2005) verwiesen. <?page no="211"?> 211 pronomen - unter Einschluss der sich daraus ergebenen Kettenbeziehung - lizenziert werden. Darüber hinaus definiert er die Spezifizierer-Position der [CP] als die Landeposition der Linksversetzung, die durch [C] lizenziert ist, Bindungs- und Inseleffekte mit dem Folgesatz sowie besondere Diskursbeziehung zur restlichen Struktur aufweist. Aus diesen strukturellen Gegebenheiten leitet Frey ab, dass linksversetzte Phrasen in der folgenden Struktur integriert sind und den Phrasenaufbau der linken deutschen Satzperipherie im Sinne der Abbildung (4.75) widerspiegeln. Im Hinblick auf die strukturelle Verortung der hanging-topic -Konstruk-tionen gehen in der Literatur die Meinungen insofern auseinander, als kein Konsens über den Integrationsgehalt 113 der besagten Struktur in den Folgesatz herrscht. Frey (2005: 169) distanziert sich von der Annahme einer Integration in die folgende Struktur dergestalt, dass hanging-topic - Konstruktionen als eigenständige Einheiten aufgefasst werden müssen. Plausible Gründe für diese Annahme findet der Forscher bei näherer Betrachtung der Intonation, der Bindungs- und Inseleffekte sowie weiterer grammatischer Phänomene, die alle eindeutig auf diese Interpretation der hanging-topic -Konstruktionen hindeuten. Für den in der vorliegenden Arbeit diskutierten Bereich bleibt festzuhalten, dass die Analyse der linken Satzperipherie des Deutschen eine syntaktische Affinität mit dem Spanischen aufweist: In beiden Sprachen können sich unter Einfluss der A’-Bewegung Subjektphrasen in einer Landeposition der [CP] befinden. In Anlehnung an Frey (2005) scheint das Deutsche außerdem für diskurspragmatische Faktoren sensibel zu sein, zumindest im Hinblick auf die linke Satzperipherie und die darin verorteten Phrasen. Die Subjektauslassung im Deutschen Das Sprache erwerbende Kind ist der gesprochenen Varietät des Deutschen ausgesetzt und erhält über den elterlichen bzw. erwachsenensprachlichen Input positive Evidenz darüber, dass unter Anwendung des topic-drop -Parameters das Subjekt in satzinitialer Position ausgelassen werden kann. In V2-Sprachen erlaubt dieser diskursorientierte Parameter die Subjektauslassung unter der Bedingung, dass das Subjekt bereits in den Diskurs eingeführt und somit den Interlokutoren bekannt ist (vgl. u.a. Guasti 2004). Im Hinblick auf die syntaktische Option der Auslassung muss diese diskurspragmatische Anforderung für das phonetisch unrealisierte Element zwecks Zielsprachlichkeit erfüllt sein. Darüber hinaus ist die Auslassung in satzinterner Position, in wh-Fragen und eingebetteten 113 Ansätze, die die Annahme einer Integration der hanging-topic -Konstruktion in den Folgesatz vertreten, werden u.a. in Chomsky (1977), Grohmann (2003) sowie Benincà und Poletto (2004) vorgestellt. <?page no="212"?> 212 Konstruktionen ausgeschlossen; ebenso wenig können Quasi-Argumente und Expletiva ausgelassen werden (vgl. u.a. Safir 1985, McKay 1986, Filip 1989, Haegeman 1990, Abraham 1991, Hoeing 1991, 1994, Hamann 1996, Berman 2003). Die nachstehenden Beispiele (4.76) geben einen Überblick über den bisher geschilderten Sachverhalt. (4.76) a. Ø hat einen Apfel gegessen. b. * (Es) wird gelacht. c. * (Es) schneit. In der einschlägigen Literatur wird dafür argumentiert, dass ein phonetisch leerer, diskursgebundener Operator aus seiner ursprünglichen Position, in der aufgrund einer A’-Bewegung eine Spur verbleibt, in die Spezifizierer-Position der [CP] angehoben wird. Die Existenz von Nullsubjekten in der gesprochenen deutschen Sprache zieht die Frage nach dem Status von Nullsubjekten im Erwerbsprozess des Deutschen nach sich. Der aktuelle Forschungsstand zeigt, dass über eine adäquate theoretische Auslesung der kindlichen Nullsubjekte kontrovers debattiert wird. Vor diesem Hintergrund werden prinzipiell zwei Standpunkte vertreten, die vornehmlich der Fragestellung nachgehen, inwieweit ausgelassene Subjekte in der Kindersprache • tatsächlich topic-drop (vgl. De Haan und Tuijnman 1988, Verrips und Weissenborn 1992) oder vielmehr • antezedenslose Nullkonstanten in der Spezifizierer-Position der [IP] darstellen (vgl. Rizzi 1994a, Haegeman 1995). Die folgende Struktur (4.77) illustriert einen deutschen Deklarativsatz mit ausgelassenem Subjekt. <?page no="213"?> 213 CP OP j C’ C° IP hat Spec I’ A’-Bewegung t j I° VP Spec V’ DP V einen Apfel gegessen Abb. (4.77): Vereinfachte Struktur des Deutschen mit ausgelassenem Subjekt (in Anlehnung an Guasti 2004: 174) Der grundlegende Unterschied zwischen diesen beiden Annahmen liegt in der Tatsache, dass Ansatz b) im Sinne der Trunkations-Hypothese dem parallelen Auftreten von Nullsubjekten und root infinitives sowie dem synchronen Rückgang von Nullsubjekten und infiniten Verbformen in fortgeschrittenen Entwicklungsphasen Rechnung trägt. Im Gegensatz dazu verfolgt die unter Position a) zusammengefasste Theorie die Annahme, dass die anfänglichen, verhältnismäßig hohen Auslassungsraten ein allmähliches Fixieren des topic-drop -Parameters auf den zielsprachlichen Wert signalisieren. Der theoretische Nachteil dieses Erklärungsansatzes liegt darin, dass er die simultane Existenz von Nullsubjekten und root infinitives nicht erfassen kann. Einen intermediären Lösungsansatz liefert Guasti (2004: 177), indem die Autorin zwar für eine zielsprachliche Fixierung des topic-drop -Parameters argumentiert, jedoch die Möglichkeit nicht ausschließt, dass das Sprache erwerbende Kind die subjektlose Phrase als eine antezedenslose Nullkonstante interpretiert. Demnach können Subjektauslassungen entweder aus einer trunkierten Struktur mit <?page no="214"?> 214 einem Nullsubjekt in [Spec, IP] resultieren oder sprachliche Ausdrücke mit einem leeren, diskursgebundenen Operator in [Spec, CP] und einer Subjektspur in [Spec, IP] darstellen. Diese Analyse impliziert die Existenz der folgenden Strukturen, (4.78a) und (4.78b), für den subjektlosen Satz Ø lese ein Buch . (4.78a) Nullkonstante (NK) (4.78b) Operator in [Spec, CP] IP DP I’ NK I VP lese j Spec V’ V DP t j ein Buch CP OP i C’ C IP lese j DP I’ t i VP I DP V ein Buch t j Abb. (4.78): Subjektauslassungen in Anlehnung an Guasti (2004: 177) Der sich im Laufe des Spracherwerbs einstellende Rückgang der Subjektauslassungen lässt jedoch vermuten, dass die in (4.78a) angenommene Struktur durch die Analyse in (4.78b) abgelöst wird und die ausgelassenen Subjekte als topic-drop interpretiert werden können. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass die strukturelle Option der Nullkonstante zugunsten des leeren Operators in [Spec, CP] substituiert wird. Im Rahmen der monolingualen und bilingualen Spracherwerbsforschung ist jedoch die Existenz von Nullsubjekte in finiten und infiniten Konstruktionen beobachtet worden. Laut Rizzi (1994a) handelt es sich bei root inifinitives um trunkierte Strukturen auf der [VP]-Ebene, d.h. das Nullsubjekt muss sich in der Spezifizierer-Position der [VP] oder einer höheren funktionalen Kategorie befinden. Das ausgelassene Subjekt kann zwar in Analogie zu finiten Konstruktionen als Nullkonstante interpre- 0 <?page no="215"?> 215 tiert werden, dennoch stellt sich in Anbetracht der Erwachsenengrammatik die Frage, ob diese Klassifikation tatsächlich sinnvoll erscheint. Es ist allgemein bekannt, dass erwachsenensprachliche Grammatiken im Falle der Subjektauslassung PRO lizenzieren. Guasti (2004: 178) schlägt jedoch aus Gründen der Unterschiedsminimierung zwischen der kindlichen und adulten Grammatik vor, dass im kindlichen und erwachsenensprachlichen System PRO das Nullsubjekt darstellt. Dennoch schließt die Autorin die Existenz zweier Typen von Nullsubjekten im kindlichen Spracherwerbsprozess nicht aus: Demnach können ausgelassene Subjekte in infiniten Konstruktionen als PRO bzw. in finiten Strukturen als Nullkonstanten aufgefasst werden. Dieser Ansatz ist insofern problematisch, als PRO entweder über ein Antezedens kontrolliert wird oder unkontrolliert verbleibt und auf eine beliebige Entität referiert. Die theorieinterne Schwäche dieser Annahme liegt nun darin, dass PRO in infiniten Strukturen unkontrolliert sein und sich dennoch auf ein Element aus dem Diskurs beziehen muss. An dieser Stelle soll keine Lösung für den soeben geschilderten Konflikt herausgearbeitet, sondern lediglich auf Rasetti (2000) und Rizzi (2000) verwiesen werden, die basierend auf diesem Ausgangspunkt die Vor- und Nachteile der Kategorisierung von Nullsubjekten in der Kindersprache diskutieren. Guasti (2004: 166) schließt sich bezüglich des parallelen Gebrauchs von Nullsubjekten und (in-)finiten Verbformen Rizzis Trunkations-Hypothese insofern an, als im Erwerbsprozess keine Entwicklungsphasen ermittelt werden können, in denen root infinitives auftreten, aber Nullsubjekte ausbleiben. Aus diesem Grund formuliert die Autorin die Implikation, dass die Existenz von infiniten Formen auch das Auftreten von Nullsubjekten vorhersagt: root infinitives --> Nullsubjekte (vgl. Guasti 2004: 166). Trotz der angenommenen Korrelation zwischen Nullsubjekten und infiniten Verbformen weist Guasti darauf hin, dass es sich bei dem beobachteten Zusammenhang um eine einseitige Implikation handelt, die die Subjektauslassung nicht auf infinite Kontexte beschränkt und ihr Auftreten in Verbindung mit finiten Verben nicht ausschließt. Schließlich weist die Literatur eine Vielzahl von theoretischen Ansätzen auf, die den Erwerb von grammatischen Phänomenen, in diesem Zusammenhang des Subjekts, entweder aus einer kompetenz- oder einer performanzorientierten Perspektive erörtert. Im Hinblick auf kompetenzbasierte Annahmen wird der Subjekterwerb unter dem Gesichtspunkt der grammatischen Optionen, die dem Sprache erwerbenden Kind zur Verfügung stehen, thematisiert. Performanzbasierte Theorien hingegen fokussieren die kognitiven Verarbeitungsprozesse im Erwerbsprozess. <?page no="216"?> 216 Der Subjekterwerb im Deutschen Hamann (1996) resümiert die aus einer empirischen Studie hervorgegangenen Ergebnisse und stellt im Hinblick auf den Erwerbsprozess fest, dass sich das Deutsche in bestimmten grammatischen Bereichen als äußerst komplex für das Sprache erwerbende Kind herausstellt. Für den in der vorliegenden Arbeit diskutierten Bereich der Subjektauslassung macht die Forscherin die Beobachtung, dass das Subjekt zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr zu durchschnittlich 50% ausgelassen wird. Erst im Laufe der weiteren Sprachentwicklung nehmen die Auslassungen bis zum vierten Lebensjahr auf durchschnittlich 10 bis 20% ab. Im sprachübergreifenden Vergleich weist die Autorin darauf hin, dass es sich bei der Subjektauslassung vielmehr um ein sprachspezifisches Phänomen als um eine universelle Tendenz des Spracherwerbs handeln muss. Within the last 10 years of research, it has emerged that there may not be a universal child phenomenon, but a language specific behaviour from early on. In English and French the empty subject phenomenon occurs substantially (50%) between the ages 2; 0 to 3; 0 and then drops rapidly to under 5%. In German, the use of empty subjects does not drop from 50% to 5% in a very short space of time, but drops slowly from about 50% to between 10% and 20% and the phenomenon lingers well into the 4 th year. (Hamann 1996: 156) Hamann (1996: 156) argumentiert dafür, dass Subjektauslassungen nicht mit dem Erwerb der Verbmorphologie korrelieren, sondern im Rahmen des Erwerbsprozesses einen eigenständigen Bereich darstellen. In Anlehnung an die Trunkations-Hypthese (vgl. Rizzi 1994, 2000) und der Koexistenz infiniter Verbformen und ausgelassener Subjekte führt Hamann empirische Evidenz dafür an, dass trotz zielsprachlich erworbener Verbmorphologie sich die Subjektauslassungen auf einem dennoch verhältnismäßig hohen Prozentsatz belaufen. Die Forscherin schließt aus dieser Erkenntnis, dass die Subjektauslassung unabhängig vom Erwerb der Verbstellung bzw. -morphologie erfolgt und somit separat diskutiert werden muss. Vor diesem Hintergrund führt Hamann (1996: 157) aussagekräftige Gründe für die Annahme an, dass die deutsche Zielgrammatik für das Sprache erwerbende Kind ambige Strukturen enthält, die den Komplexitätsgrad der Erwachsenensprache charakterisieren. In any case, the problem of empty subjects is more complicated for German than it has appeared so far. Adult German not only has the possibility of topic-drop but also has an empty expletive in subordinate clauses. So the child has to acquire both these structures and licensing mechanisms, and the phase of late empty subjects can be seen as an interface between the early phase and the target. <?page no="217"?> 217 Demnach resultiert die Komplexität des Deutschen aus der Möglichkeit expletive Nullsubjekte zu lizenzieren und referenzielle Elemente in Topik-Position, welche das Subjekt eines sprachlichen Ausdrucks betreffen können, auszulassen. Die soeben aufgeführte Rechtfertigung dafür, das Deutsche als ein komplexes Sprachsystem aufzufassen, spielt auf einen weiteren Befund der Studie an. Hamann (1996) hat im Rahmen der qualitativen Auswertung des kindlichen Sprachmaterials Subjektauslassungen in postverbaler Position beobachtet, die sich im dritten Lebensjahr auf etwa 15% belaufen und unter Berücksichtigung der deutschen Zielgrammatik ausschließlich in satzinitialer Position als topic-drop grammatisch sind. In dieser Erwerbsphase scheint es der Fall zu sein, dass deutschsprachige Kinder insofern nicht-zielsprachliche Äußerungen produzieren, als sie das Subjekt zu einem verhältnismäßig hohen Prozentsatz auslassen und die Auslassung in einer nicht-zielsprachlichen Position, in der postverbalen Position, erfolgt. Aus dieser Beobachtung leitet Hamann (1992) zwei prinzipielle Konfigurationen für die Lizenzierung von postverbalen Auslassungen und präverbal ausgelassenen Subjekten in deklarativen Kontexten ab. Während letztere den kanonischen Fall des topic-drop darstellen, implizieren erstere die Lizenzierung von pro mittels Kasuszuweisung. Unter Rektionsbedingungen erhält das leere Element pro den Nominativ-Kasus in dieser Position (vgl. Koopman und Sportiche 1991). Die Erwerbsschwierigkeit für das deutschsprachige Kind liegt nun darin, dass referenzielles pro aufgrund der reichhaltigen Verbmorphologie des in C° befindlichen Verbs ebenfalls in dieser Position identifiziert werden kann (vgl. Hamann 1996: 189). Die Ungrammatikalität der Auslassung resultiert aus einer Missinterpretation der deutschen Morphologie als eine im Sinne der italienischen Zielgrammatik „reichhaltige Morphologie“. Demnach erfolgt die Lizenzierung von pro nicht anhand diskursgebundener Faktoren, wie es für die Auslassungen eines Topiks notwendig ist, sondern anhand der Spezifizierer-Kopf-Kongruenz, wie es im Italienischen der Fall ist. Hamann (1996) versucht anhand der generativen Grammatiktheorie die empirischen Kinderdaten zu interpretieren und zieht zu diesem Zweck unterschiedliche Ansätze aus der linguistischen Literatur heran. Aus der geführten theoretischen Diskussion wird ersichtlich, dass die kindlichen Produktionen unter dem Geschichtspunkt des pro-drop nicht angemessen erörtert werden können, sondern einer diskursorientierten Hypothese bedürfen. In diesem Sinne adaptiert die Autorin den von Weissenborn (1990) vertretenen Standpunkt bezüglich der Subjektauslassung und argumentiert dafür, dass „[…] the pragmatic conditions for discourse licensing are not acquired and are learned slowly, resulting in a gradual decrease in empty-subject use until the 5% of adult topic-drop are reached“ (Hamann 1996: 162). Die nachfolgenden Strukturen (4.79a) und <?page no="218"?> 218 (4.79b) illustrieren das soeben skizzierte Szenario der prä- und postverbalen Subjektauslassungen im Erwerbsprozess des Deutschen. (4.79a) präverbale Nullsubjekte (4.79b) postverbale Nullsubjekte CP Spec C’ OP TopP Spec Top’ Top° AgrSP Agr° V° CP TopP Spec Top’ Top° AgrSP Agr° Spec V° pro Abb. (4.79): Subjektauslassungen zitiert nach Hamann (1996: 189) Weissenborn (1990) plädiert dafür, Nullsubjekte des Deutschen - und Niederländischen - als leere Operatoren in der Spezifizierer-Position der [CP] aufzufassen und legt, rekurrierend auf Huang (1984), folgende Struktur zugrunde. (4.80) [ CP OP hab’ [ IP Hans schon angerufen]] (zitiert nach Hamann 1996: 162) Darüber hinaus untersucht Hamann die Stellung der ausgelassenen Subjekte, d.h. inwieweit die kindlichen Äußerungen prä- oder postverbale Auslassungen aufweisen. In der Erwerbsforschung wird das generelle Ergebnis festgehalten, dass im dritten Lebensjahr Nullsubjekte in präverbaler Position häufiger dokumentiert sind als in postverbaler Stellung sowie in interrogativen und eingebetteten Konfigurationen (vgl. Weissenborn 1990, Clahsen 1991). Dennoch argumentiert Hamann (1996: 190) zugunsten einer Erwerbsphase, in der das Deutsch erwerbende Kind ver- <?page no="219"?> 219 stärkt postverbale Subjekte, die nicht als Performanzphänomen oder phonologische Reduktion interpretiert werden können, auslässt. In order to establish that this is a genuine phase in the grammatical development of German children, I had to show that her (/ his) postverbal empty subjects are a grammatical phenomenon that cannot be explained by generalized topic-drop, or by simple performance errors, or by phonological reduction. Diesbezüglich führt Hamann empirische Evidenz dafür an, dass die Existenz postverbaler Subjekte und generell hoher Auslassraten nicht auf eine übergeneralisierte Strategie im Sinne des topic-drop zurückgeführt werden kann, sondern vielmehr ein syntaktischer Auslöser ( trigger ) für die Subjektauslassungen in prä- und postverbaler Position identifiziert werden muss. Die Auswertung ihrer Daten deutet darauf hin, dass die Identifizierung und Lizenzierung von Nullsubjekten mit dem Erwerb der Eigenschaften von Agr° und C° zusammenhängen. […] we assume at least two licensing and identification strategies in this period: licensing and identification via discourse binding topic-drop, and licensing and identification by Agr° and C° under Government. (Hamann 1996: 188) In Anlehnung an Clahsen (1991) führt der Erwerb der Kongruenzmerkmale des Deutschen, welches im Gegensatz zu Jaeggli und Safir (1989) als morphologisch nicht-uniformes System klassifiziert wird (vgl. Hamann 1996: 192), zum Rückgang postverbaler Subjektauslassungen. Clahsen (1991) bestimmt den Zeitpunkt des Erwerbs der funktionalen Kategorie Agr° anhand der Verbmorphologie der 2. Person Singular. Sobald diese morphologische Form, die Flexionsendung -st , erworben ist, kann der vollständige Erwerb der Kongruenzmerkmale geschlussfolgert werden. Hamann (1996) führt außerdem das Ergebnis an, dass die obligatorische Existenz von C° zum einen den Erwerb des expletiven Pronomens es und zum anderen zielsprachliches, expletives pro-drop auslöst. Das Sprache erwerbende Kind muss für die Verarbeitung der deutschen Zielgrammatik die syntaktische Eigenschaft erfassen, dass C° für pro den lizenzierenden Kopf darstellt. Damit hängen auch die Schlussfolgerungen zusammen (vgl. Hamann 1996: 194), dass in deutschen Matrixsätzen Expletiva nicht in einer [Spec, CP]-Position ausgelassen werden können. In eingebetteten Sätzen hingegen führt die Auslassung von Expletiva zu grammatischen Konstruktionen, ebenso wie die postverbale Auslassung in Hauptsätzen. Im Hinblick auf die Auslassung referenzieller Argumente ist diese ausschließlich im Sinne des topic-drop in präverbaler Position erlaubt. Schließlich führt der Erwerb der [CP] auch zur Ablösung der <?page no="220"?> 220 Trunkations-Hypothese und dazu, dass satzinitiales es und unbetonte Pronomina die Spezifizierer-Position der [CP] besetzen. Zusammenfassend kann für den Erwerb des Subjekts eine spezifische Entwicklungsphase 114 ermittelt werden, in der die syntaktischen Eigenschaften von [C°] erworben werden und damit einhergehend die postverbalen Subjektauslassungen zurückgehen. […] German children pass through a phase of postverbal empty subjects, which is explained by the nature of the fairly rich agreement system and which ends with the full recognition of the properties of the German Spec CP position, the discovery of the distribution of lexical and empty expletives, and the discovery of personal pronouns. Finally, the child knows that German C° is a licenser but not an agreement head and stops identifying referential pro in Government configurations. (Hamann 1996: 196) Basierend auf einer Topik-Analyse verbleiben dennoch einige unbeantwortete Fragen, die die Autorin an die zukünftige Forschung adressiert. Ihrer Auffassung folgend ist diese Analyse vor dem Hintergrund der relativ hohen Auslassungsraten insofern problematisch, als letztere nicht nur syntaktische, sondern vielmehr diskursbedingte und pragmatische Faktoren vermuten lassen. Außerdem macht Hamann (1996: 196) auf den Umstand aufmerksam, dass in wh-Fragen Nullsubjekte nicht dokumentiert sind. Für die vorliegende Arbeit sind die in der Literatur genannten prozentualen Anteile an ausgelassenen Subjekten in der kindlichen und erwachsenensprachlichen Grammatik interessant: Weissenborn (1990) kalkuliert für das deutsche Erwachsenensystem einen Auslasswert von etwa 5%, während sich im dritten Lebensjahr deutschsprachiger Kinder die Auslassungen auf durchschnittlich 50% belaufen und erst im Laufe des Erwerbsprozesses auf 10 bis 20% sinken. Diese Angaben liefern eine quantitative Basis, die es sowohl für die Erwachsenengrammatik als auch für die kindlichen Äußerungen zu überprüfen gilt. Schließlich soll eine weitere Gemeinsamkeit zwischen der deutschen und spanischen Zielgrammatik aufgeführt werden, die weitere Evidenz dafür liefert, dass die deutsch-spanische Konstellation im Subjektbereich einflussanfällig ist. 114 Die Annahme einer eigenständigen Entwicklungsphase, in der eine hohe Anzahl an postverbalen Subjekten ausgelassen wird und die Verbmorphologie noch nicht vollständig erworben ist, wird für das Deutsche ebenfalls von Clahsen und Penke (1991) sowie Duffield (1993) vertreten. <?page no="221"?> 221 Bare nouns im Deutschen und Spanischen Nach Casielles Suárez (1998) bestehen Gemeinsamkeiten zwischen der deutschen und spanischen Zielgrammatik, die im Hinblick auf den bilingualen Erstspracherwerb gemäß der Bedingungen für Spracheneinfluss zur Übertragung von sprachlichen Strukturen aus der einen Sprache in die andere führen können. Im Spanischen gelten sowohl präverbale als auch disloziierte Phrasen als Topik-Phrasen, die sich in einer abgeleiteten Argumentposition, in einer A’-Position, befinden. Diesen Standpunkt teilt Contreras (1991), indem er postverbalen Subjekten informationellen Fokus zuspricht und präverbale, disloziierte Subjekte in eine Adjunktposition - und somit nicht in einer Spezifizier-Position der [IP] - ansiedelt. Casielles Suárez (1998) plädiert hingegen für zwei distinkte Positionen für präverbale Subjekte und disloziierte Elemente, die in komplementärer Distribution zueinander stehen. However, I think there is evidence which suggests that this is not the case: that preverbal subjects do occupy a specifier position distinct from the position occupied by dislocated elements, and with different syntactic requirements. (Casielles Suárez 1998: 2) Die Distribution von spanischen bare nouns mit der grammatischen Funktion des Subjekts verleitet die Forscherin zu dieser Annahme, dass bare nouns in präverbaler Position, in [Spec, IP], im Spanischen ungrammatisch sind. Im Gegensatz dazu sind [VP]-interne bare nouns in postverbaler Position grammatisch, sodass für das Spanische im Hinblick auf bestimmte Bewegungsmechanismen für zwei unterschiedliche syntaktische Positionen argumentiert werden muss. (4.81) * Niños jugaban en el parque. (Casielles Suárez 1998: 2) (4.82) Jugaban niños en el parque. (Casielles Suárez 1998: 7) (4.83) ...weil ja doch Kinder auf der Straße spielen. (Diesing 1992: 37) Diese Feststellung führt zur Schlussfolgerung, dass sich bare nouns nur [VP]-intern lizenziert sind und mit einer existenziellen Lesart verbunden werden können. Eine generische Interpretation ist in dieser syntaktischen Position nicht möglich: Dazu müssten bare nouns aus der Verbphrase in [Spec, IP] bewegt werden, was nach Cinque (1990) aus Bewegungsgründen zu einer ungrammatischen Konstruktion führt. Laut Casielles Suárez (1998: 7) liegt die Gemeinsamkeit des Deutschen und Spanischen darin, dass beide Sprachsysteme über [VP]-interne bare nouns mit existenzieller Lesart verfügen. Für den bilingualen Erstspracherwerb stellt somit die deutsch-spanische Kombination aufgrund ihrer strukturellen Ambiguität <?page no="222"?> 222 eine Herausforderung im Rahmen des Spracherwerbsprozesses dar. Im Folgenden werden die im Rahmen der Zielsystembeschreibungen beobachteten Gemeinsamkeiten aufgeführt, um aus der Gegenüberstellung der syntaktischen Affinitäten bzw. Divergenzen Vorhersagen für den bilingualen Erstspracherwerb ableiten zu können. 4.4.5 Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Zielsysteme Die syntaktische Analyse der Subjektposition im Italienischen, Spanischen, Französischen und Deutschen hat bereits auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hingewiesen, die in Anlehnung an die Bedingungen für Spracheneinfluss den Spracherwerbsprozess insofern determinieren können, als sie sich positiv oder negativ auf letzteren auswirken können. Die nachstehende Übersicht (4.5) liefert einen Überblick über die mit der Subjektposition einhergehenden, diskutierten Phänomene. An dieser Stelle werden die in Verbindung mit der (Nicht-)Nullsubjekteigenschaft thematisierten Bereiche simplifiziert dargestellt, um möglichst eindeutig Überlappungen von sprachlichen Analysen zwischen den einzelnen Sprachsystemen identifizieren zu können. Italienisch Spanisch Französisch Deutsch Subjektposition A/ A’ A/ A’ A A/ A’ Subjektposition in der [C]-Domäne √ √ --- √ Diskurspragmatik √ √ --- --syntaktische Auslassung des Subj. √ √ --- √ lexikalische Auslassung des Subj. --- --- √ --- Subjektinversion √ √ --- √ starke Subjektpronomina √ √ √ --klitische Subjektpronomina --- --- √ --- Tab. (4.5): Syntaktische Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Zielsysteme Die Übersicht enthält einige Phänomene, die im Hinblick auf die Realisierung der Subjektposition der involvierten Zielsysteme interessant erscheinen. Die theoretische Diskussion über die Auslassung und Realisierung in den jeweiligen Erwachsenensystemen hat bezüglich der Lande- <?page no="223"?> 223 position der Subjekt-NP unterschiedliche syntaktische Positionen definiert. Darüber hinaus scheint die syntaktische Option der Auslassung bzw. Realisierung in den Nullsubjektsprachen diskurspragmatischen Faktoren zu unterliegen, während in den Nicht-Nullsubjektsprachen die Subjektauslassung entweder lexikalisch (Französisch) oder syntaktisch (Deutsch) restringiert ist. Zusammenfassend lässt sich aus der Gegenüberstellung der einzelnen Eigenschaften eine starke syntaktische Affinität zwischen dem Deutschen und dem Spanischen ableiten. Ähnlich verhält es sich mit dem deutschitalienischen Sprachpaar, wobei die syntaktische Position des Subjekts in dieser Konstellation weniger ambig erscheint als in der deutschspanischen Kombination (vgl. Zielsystembeschreibungen des Italienischen und Spanischen). Im Hinblick auf die italienische und französische Zielgrammatik kann aufgrund der dokumentierten syntaktischen Divergenz dafür argumentiert werden, dass die beiden Sprachsysteme im bilingualen Erstspracherwerb separat abgelegt werden und keinen Anlass zur Annahme einer Überlappung von grammatischen Analysen geben. Aus diesem Grund kann für den französisch-italienischen Spracherwerb die Vorhersage formuliert werden, dass sich die simultan zu erwerbenden Sprachsysteme im grammatischen Bereich des Subjekts nicht gegenseitig beeinflussen werden. Im Gegensatz dazu muss aus einer kompetenzorientierten Perspektive angenommen werden, dass die syntaktische Affinität zwischen dem Italienischen bzw. Spanischen und der germanischen Sprache zu Spracheneinfluss führt. Das Ziel der vorliegenden Studie liegt darin, die aus der theoretischen Diskussion über die Subjektposition abgeleiteten Hypothesen anhand des jeweils sprachspezifischen Entwicklungsverlaufs zu überprüfen. Inwieweit die Sprachdominanz für das Auftreten bzw. Ausbleiben von Spracheneinfluss relevant ist, stellt ebenfalls eine interessante Forschungsfrage dar. In Anbetracht des aktuellen Forschungsstandes wird in Anlehnung an Cantone et al. (2008) die Annahme vertreten, dass sich Spracheneinfluss unabhängig von der sprachlichen Balanciertheit der bilingualen Kinder manifestiert. D.h., eine sprachliche Stärke im einflussanfälligen System schließt nicht unmittelbar die Existenz von Spracheneinfluss in derselbigen aus. 4.5 Subjektauslassungen und -realisierungen im Erwachsenensystem Die Untersuchung des Subjektgebrauchs in den in diesem Zusammenhang fokussierten (Nicht-)Nullsubjektsprachen erfordert nicht nur einen Überblick über die theoretische Diskussion dieses grammatischen Be- <?page no="224"?> 224 reichs, sondern auch die Vorstellung einer Kontrollgruppe, anhand derer die monolingualen und bilingualen Kinderdaten verglichen werden sollen. Dieses Vorgehen ermöglicht eine Evaluierung der analysierten Kinderdaten und gibt Aufschluss darüber, inwieweit sich der kindliche Erwerb von der Erwachsenensprache unterscheidet. Weniger wird der Vergleich zwischen den monolingualen Kinderdaten und der erwachsenen Zielsprache im Vordergrund stehen. Vielmehr liegt das Hauptaugenmerk der empirischen Untersuchung auf dem bilingualen Erstspracherwerb, der eine Überprüfung sowohl mit den monolingualen Kinderdaten als auch mit den Erwachsenendaten der jeweiligen Zielsprachen erfährt. Im Folgenden wird die untersuchte Datenbasis der zur Verfügung stehenden Erwachsenendaten vorgestellt. Für das Italienische, Deutsche und Französische stehen Interviews zur Verfügung, die eine spontane Interaktion zwischen zwei erwachsenen Personen aufzeichnen. Dabei handelt es sich um Videoaufnahmen mit einer durchschnittlichen Länge von 32 Minuten, die im Rahmen der Hamburger und Wuppertaler Forschungsprojekte mit einigen Eltern der für die Longitudinalstudien aufgenommen Kinder durchgeführt worden sind. Für das spanische Erwachsenensystem konnte zum Zeitpunkt des Verfassens der vorliegenden Arbeit nur ein Erwachsenentranskript bereitgestellt werden. Um die Repräsentativität der spanischen Datenbasis zu gewährleisten, sind die Sprachdaten vier monolingual spanisch aufwachsender Kinder aus der CHILDES-Datenbank herangezogen worden. Den Auskünften der Datenbank zufolge wachsen alle Kinder in Madrid im Rahmen monolingualer Familien auf und sind zum Zeitpunkt der Videoaufzeichnung älter als zehn Jahre. Aus dem Korpus Becacesno , das im Forschungsprojekt „Psycholinguistic assessment of language abilities in children“ unter der Leitung von Maria Benedet angelegt worden ist, sind für die Analyse des Subjekterwerbs vier Querschnittstudien ausgewählt worden. Das Forschungsprojekt hat die Konversionsfähigkeiten monolingual spanischer, nicht-sprach-gestörter Kinder zwischen 3; 6 und 11; 6 Jahren untersucht. In Anbetracht der Tatsache, dass es sich um Sprachdokumentationen im fortgeschrittenen Lebensalter handelt, stellen die monolingual spanischen Studien zwischen 10; 0,14 und 10; 9,12 Jahren eine adäquate Kontrollgruppe für die bilinguale Datenbasis dar. Die Sprachaufnahmen der in Madrid aufwachsenden Kinder liefern jeweils 60minütiges Sprachmaterial, sodass die Auswahl von vier Kindern verglichen mit den anderen Zielsystemen als ausreichend erachtet wird. Die nachstehende Tabelle (4.6) liefert einen Überblick über die analysierte Datenmenge der jeweiligen Erwachsenensysteme. In die Auszählung der Erwachsenendaten sind alle Äußerungen mit einem finiten Verb <?page no="225"?> 225 eingeflossen, wozu auch Kopula- und Präsentationskonstruktionen zählen. Äußerungen, die abgebrochen worden oder undeutliche Stellen enthalten, sind für die Auswertung unberücksichtig geblieben. 115 Anzahl der untersuchten Aufnahmen Menge (Dauer) des Sprachmaterials Auslassungen Pronomen lex. NP Äußerungen insgesamt Italienisch 4 127 min 988 ( 66,5% ) 260 ( 17,5% ) 237 ( 16,0% ) 1485 Spanisch 5 268 min 978 ( 67,8% ) 312 ( 21,6% ) 152 ( 10,6% ) 1442 Französisch 2 58 min 31 ( 4,0% ) 720 ( 85,2% ) 84 ( 10,8% ) 774 Deutsch 8 234 min 89 ( 4,1% ) 1764 ( 81,3% ) 318 ( 14,6% ) 2171 Tab. (4.6): Übersicht über die untersuchten Erwachsenendaten Eine zunächst quantitativ angelegte Analyse der Erwachsenendaten ist der Fragestellung nach der Realisierung der Subjektposition in den in diesem Zusammenhang involvierten (Nicht-)Nullsubjektsprachen nachgegangen. Die nachstehende Abbildung (4.84) soll einen Überblick über die syntaktischen Optionen für die Realisierung der Subjektposition als lexikalische Nominalphrase, Pronomen oder Auslassung liefern. Sowohl die oben stehende Tabelle (4.6) als auch die Abbildung (4.84) geben ein differenziertes Bild der Nullsubjektsprachen einerseits und der Nicht- Nullsubjektsprachen andererseits wieder. Der quantitative Unterschied zwischen den Zielsprachen ist syntaktischer Natur und im Rahmen der generativen Grammatik als parametrisierter Unterschied formuliert worden. Das Italienische und Spanische sind pro-drop -Sprachen, während das Französische und das Deutsche nicht die Eigenschaft des pro-drop teilen. 115 Mit undeutlichen Stellen innerhalb einer Äußerung sind diejenigen Stellen gemeint, die von der transkribierenden Person als akustisch unklar und für die Analyse ungeeignet erachtet worden sind. Solche Äußerungen kommen seltener in den Erwachsenendaten als in den Kinderkorpora vor. <?page no="226"?> 226 Abb. (4.84) Für die jeweiligen Erwachsenensysteme kann geschlussfolgert werden, dass beide Nullsubjekt- und Nicht-Nullsubjektsprachen eine ähnliche Distribution von ausgelassenen und realisierten Subjekten aufweisen. Für die zu analysierenden Kinderdaten muss erforscht werden, inwieweit diese Ähnlichkeiten auch im monolingualen und bilingualen Erstspracherwerb beobachtet werden können. In einer weiteren Darstellung (Abbildung 4.85) soll die grammatische Qualität der ausgelassenen und realisierten Subjekte der hier beschriebenen Zielsysteme illustriert werden. Zunächst kann der Graphik entnommen werden, dass das Französische nach dem Italienischen, Deutschen und Spanischen den niedrigsten Gebrauch an lexikalischen Nominalphrasen mit der grammatischen Funktion des Subjekts aufweist. Im Gegensatz zum Italienischen, Spanischen und Deutschen verzeichnet das Französische den höchsten Klitikongebrauch, der fast obligatorisch und mit über 80% höher ist als die Subjektauslassungen im Italienischen und Spanischen. Darüber hinaus lässt sich die Anzahl der Klitika im Französischen mit dem Gebrauch der starken Pronomina im Deutschen vergleichen, die beide über 80% der Subjektrealisierungen ausmachen. Während sich das Französische über einen ausgeprägten Klitikongebrauch in Subjektposition auszeichnet, verfügen das Italienische, Spanische und Deutsche nicht über klitische Subjektpronomina. Im Deutschen ist zu etwa 5% das schwache Pronomen es vertreten. Um den grammatischen Status und den Gebrauch von starken, schwachen und klitischen Pronomina in den hier untersuchten Sprachen erfassen zu können, werden die Ausführungen 237 260 988 152 312 978 84 720 31 318 1764 89 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Subj. It. S ubj. Sp. S ubj. Frz . S ubj. Dt. Realisierung der S ubjektposition im italienischen, spanischen, französischen und deutschen Erwachsenensystem Auslassung P ronomen lex. NP <?page no="227"?> 227 von Cardinaletti und Starke (1999) aufgegriffen. Die Autoren lehnen die traditionelle Dichotomie in klitische und starke Pronomina ab und schlagen eine Dreiteilung des pronominalen Inventars in starke, schwache und klitische Pronomina vor. Ausgangspunkt dieser Annahme ist das Ziel, die Pronomina germanischer und romanischer Sprachen miteinander vergleichen zu können und anschließend zur Erkenntnis zu kommen, dass das deutsche Pronominalsystem mit dem der romanischen Sprachen Italienisch, Spanisch und Französisch übereinstimmt. Abb. (4.85) Klitika, starke und schwache Pronomina unterscheiden sich in semantischer, syntaktischer und morpho-phonologischer Hinsicht. Während starke und schwache Pronomina syntaktisch als XPn abgebildet werden, stellen Klitika Köpfe dar. Starke Pronomina sind als nicht-defizitär klassifiziert worden und verhalten sich wie lexikalische DPn. Schwache Pronomina sind defizitär und zwischen den starken und klitischen Pronomina zu positionieren, wie es der hierarchischen Anordnung der Defizität der Pronomina entnommen werden kann (Cardinaletti und Starke 1999: 175). Klitikon < schwaches Pronomen < starkes Pronomen Im Hinblick auf die bisher gewonnenen Ergebnisse ergibt sich eine unterschiedliche Distribution der schwachen, starken und klitischen Pronomina in den hier relevanten Sprachen. Im Französischen ist zwischen starken und klitischen Subjektpronomina zu unterscheiden, während das Italienische und Spanische über starke Pronomina im Subjektbereich und 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 % le x. NP Klitik stark s ch wach Au slassu ng Realisierung der S ubjektposition im italienischen, spanischen, französischen und deutschen Erwachsenensystem Sub. It . Sub. Sp. Sub. Frz. Sub. Dt. <?page no="228"?> 228 über klitische Objektpronomina verfügen. Nach Cardinaletti und Starke (1999) sind die deutschen Personalpronomina zwischen stark und schwach ambig, jedoch keinesfalls klitisch. Im Deutschen gibt es keine syntaktisch genuinen Klitika. Die nachfolgenden Tabellen liefern eine Übersicht der italienischen, spanischen, französischen und deutschen Subjektpronomina: Person/ Numerus starke Subjektpronomina klitische Subjektpronomina 1. Pers. Sg. io Ø 2. Pers. Sg. tu Ø 3. Pers. Sg. m/ f lui/ lei Ø 1. Pers. Pl. noi Ø 2. Pers. Pl. voi Ø 3. Pers. Pl. m/ f loro Ø Tab. (4.7): Italienische Subjektpronomina Person/ Numerus starke Subjektpronomina klitische Subjektpronomina 1. Pers. Sg. yo Ø 2. Pers. Sg. tú Ø 3. Pers. Sg. m/ f él/ ella Ø 1. Pers. Pl. m/ f nosotros/ nosotras Ø 2. Pers. Pl. m/ f vosotros/ vosotras Ø 3. Pers. Pl. m/ f ellos/ ellas Ø Tab. (4.8): Spanische Subjektpronomina Person/ Numerus Starke Subjektpronomina klitische Subjektpronomina 1. Pers. Sg. moi je 2. Pers. Sg. toi tu 3. Pers. Sg. m/ f lui/ elle il/ elle 1. Pers. Pl. nous nous 2. Pers. Pl. vous vous 3. Pers. Pl. m/ f eux/ elles ils/ elles Tab. (4.9): Französische Subjektpronomina <?page no="229"?> 229 Person/ Numerus Subjektpronomina 1. Pers. Sg. ich 2. Pers. Sg. du 3. Pers. Sg. m/ f/ n er/ sie/ es 1. Pers. Pl. wir 2. Pers. Pl. ihr 3. Pers. Pl. m/ f sie (die) Tab. (4.10): Deutsche Subjektpronomina Die Ambiguität zwischen starken und schwachen Pronomina im Deutschen resultiert aus der Tatsache, dass isomorphische Beziehungen zwischen Form und Funktion fehlen. Die Autoren sprechen dem Merkmal [ menschlich ] die Fähigkeit zu, schwache und starke Pronomina zu disambiguieren, da letztere auf [+ menschliche ] Entitäten und schwache Pronomina auf [+/ menschliche ] Entitäten referieren können. Im Italienischen und Spanischen stehen lexikalische Alternativen zur Verfügung, die eine derartige Ambiguität verhindern. Anschließend sind im Spanischen, gefolgt vom Italienischen, Deutschen und Französischen, die meisten Subjektauslassungen anzutreffen. Dieses Ergebnis ist für die Nullsubjektsprachen, Italienisch und Spanisch, zu erwarten, da sie die phonetische Realisierung des Subjekts nur unter bestimmten diskurspragmatischen Gegebenheiten vorsehen. Der quantitativen Analyse der Erwachsenendaten, die vornehmlich die Frage nach der Realisierung der Subjektposition klären soll, folgt die qualitative Analyse, die die Subjektauslassung und -realisierung im Hinblick auf die grammatische Person untersucht. Die nachstehende Tabelle (4.11) gibt die absolute Basis und die prozentualen Anteile der realisierten und ausgelassenen Subjekte in der 1., 2. und 3. Person der untersuchten Zielsysteme wieder. Im Laufe der Auszählung konnte festgestellt werden, dass die Nullsubjektsprachen zu mindestens 77% das Subjekt in allen Personen auslassen. Das Französische lässt Subjektauslassungen nur in der 3. Person, das Deutsche in der 1. und 3. Person zu. 1. Person 2. Person 3. Person Italienisch Realisierung Auslassung 73 ( 17,9% ) 334 ( 82,1% ) 30 ( 19,5% ) 124 ( 80,5% ) 157 ( 22,9% ) 530 ( 77,1% ) Spanisch Realisierung Auslassung 104 ( 20,8% ) 397 ( 79,2% ) 17 ( 20,2% ) 67 ( 79,8% ) 191 ( 27,1% ) 514 ( 72,9% ) <?page no="230"?> 230 Französisch Realisierung Auslassung 184 ( 100,0% ) 0 ( 0,0% ) 33 ( 100,0% ) 0 ( 0,0% ) 503 ( 94,2% ) 31 ( 5,8% ) Deutsch Realisierung Auslassung 514 ( 98,3% ) 9 ( 1,7% ) 97 ( 100,0% ) 0 ( 0,0% ) 1153 ( 93,5% ) 80 ( 6,5% ) Tab. (4.11): Der personenspezifische Subjektgebrauch Sowohl Tabelle (4.11) als auch die folgende Abbildung (4.86) dienen der Veranschaulichung der soeben aufgeführten Daten, die sich auf den personenspezifischen Subjektgebrauch in der 1., 2. und 3. grammatischen Person im italienischen, spanischen, französischen und deutschen Erwachsenensystem beziehen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass keine entscheidenden Unterschiede bezüglich der Subjektauslassungen und -realisierungen zwischen den jeweiligen Personen im Singular und Plural beobachtet werden konnten, ist auf die Numerus-Unterscheidung verzichtet worden. Die Auszählungen der ausgelassenen und realisierten Subjekte in der 3. Person schließen für die Erwachsenendaten, die monolingualen und bilingualen Kinderdaten stets die Realisierung der Subjektposition als lexikalische Nominalphrase aus. Dieses Vorgehen findet seine Berechtigung in der Beschaffenheit der involvierten Zielsysteme. Da in der vorliegenden Arbeit die qualitative Analyse des personenspezifischen Subjektgebrauchs die Realisierungen und Auslassungen pronominaler Subjekte in den Vordergrund stellt, müssen lexikalisch realisierte Subjekte unberücksichtigt bleiben. Darüber hinaus verzerrt der Einschluss der lexikalischen Nominalphrasen die Gewichtung der realisierten und ausgelassenen Subjekte in der 1., 2. und 3. Person. Die Verzerrung der Zahlen besteht darin, dass es für die 1. und 2. Person keine lexikalische Entsprechung zur 3. Person gibt. Aus diesem Grund werden für den personenspezifischen Subjektgebrauch in der Erwachsenen- und Kindersprache ausschließlich pronominale Auslassungen und Realisierungen in allen grammatischen Personen untersucht. 116 Weitere plausible Gründe für dieses Vorgehen werden sich aus der Empirie, aus der Analyse der monolingualen und bilingualen Kinderdaten ergeben (vgl. Kapitel 6 und 7). Die nachstehende Abbildung (4.86) bildet den personenspezifischen Subjektgebrauch in den involvierten Zielsystemen ab und verdeutlicht 116 Der Begriff der Subjektauslassung und -realisierung mag irreführend sein: In diesem Zusammenhang sind die Realisierung bzw. Auslassung von Subjektpronomen gemeint. <?page no="231"?> 231 das divergente Verhalten zwischen Nullsubjekt- und Nicht-Nullsubjektsprache. Abb. (4.86) Beide Nullsubjektsprachen, das Italienische und Spanische, lassen das Subjekt in allen grammatischen Personen aus, wobei der höchste Wert für ausgelassene Subjekte in Kontexten der 1. und 2. Person erzielt wird. Im Gegensatz dazu können in den analysierten Nicht-Nullsubjektsprachen Subjektauslassungen vornehmlich in der 3. Person dokumentiert werden. Das Französische lässt das Subjekt ausschließlich in der 3. Person im Zusammenhang mit unpersönlichen Konstruktionen und dem expletiven Pronomen il aus. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es sich im Französischen weniger um Argumentauslassungen handelt, wie es in den anderen Zielsystemen der Fall ist. Die Auslassung eines Expletivums kann nicht wie eine Argumentauslassung des Italienischen, Spanischen oder Deutschen interpretiert werden, da es keine semantische Information trägt und somit nicht referenziell ist. Für das Deutsche können Auslassungen in der 1. und 3. Person festgestellt werden, wobei vor allem die 3. Person für Auslassungen sensibel ist und mit 6,5% die höchste Auslassrate aufweist. Während im Italienischen und Spanischen die Subjektauslassungen auf diskurspragmatischen Gründen beruhen, sind im Deutschen und Französischen die Auslassungen diskurspragmatisch neutral. Die Auslassungen in der 3. Person, die sowohl in den französischen als auch in den deutschen Erwachsenendaten vorhanden sind, markieren nach Pillunat et al. (2006) einen familiären Sprachstil. Alle beteiligten Sprachen, das Italienische, Spanische, Französische und Deutsche erlauben Auslassungen in 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% 1. It. 2. It. 3. It. 1. Sp. 2. Sp. 3. Sp. 1. Frz. 2. Frz. 3. Frz. 1. Dt. 2. Dt. 3. Dt. Personenspezifischer S ubjektgebrauch im italienischen, spanischen, französischen und deutschen Erwachsenensystem Auslassung Realisierung <?page no="232"?> 232 der 3. Person. Sie teilen die gemeinsame Eigenschaft, in der 3. Person das Subjekt auszulassen, wobei Subjektauslassungen der 1. Person nur im Italienischen, Spanischen und Deutschen nachweisbar sind. In der 1. und 2. Person wird in den Nullsubjektsprachen die Subjektposition durch ein leeres pronominales Element pro gefüllt. Dies führt zur Annahme, dass die 1. und 2. Person vs. 3. Person unterschiedliche pragmatische Charakteristika besitzen. Die 1. und 2. Person unterscheiden sich insofern von der 3. Person, als sie immer mit dem Sprecher bzw. Hörer identifiziert werden. Die Referenz der 3. Person muss im Laufe des Diskurses festgelegt werden und wird als Anapher interpretiert, welche mit einem bereits in den Diskurs eingeführten Antezedens koindiziert ist. Folglich handelt es sich bei der 1. und 2. Person um deiktische Pronomina, die nicht mit der Syntax interagieren. Schmitz et al. (2011) stellen die Hypothese auf, dass es sich um einen modularen Aufbau der Pragmatik mit einer deiktischen und einer referenziellen Komponente handeln könnte und nur letztere mit der Syntax in Interaktion treten kann. Die Diskussion über die Natur der Pragmatik und deren Auswirkungen auf den Gebrauch von Subjektpronomina wird bei der Analyse der Kinderdaten erneut aufgegriffen und näher erläutert. Die Relevanz der Diskussion über die pragmatischen Eigenschaften der 1., 2. und 3. Person liegt in der Tatsache begründet, dass bilingual aufwachsende Kinder das Subjektpronomen der 1. Person mit einer finiten Verbform der 3. Person realisieren. Im Laufe der für die vorliegende Arbeit angefertigten Analyse ist diese Beobachtung bei deutsch-italienisch, deutsch-spanisch und französisch-italienisch aufwachsenden Kindern gemacht worden. 4.6 Vorhersagen für den bilingualen Erstspracherwerb Die syntaktische Beschreibung der zu erwerbenden Zielsysteme hat bereits angedeutet, dass es in bestimmten Sprachkombinationen zu Spracheneinfluss kommen kann. Die empirische Untersuchung wird Evidenz dafür liefern, dass die deutsch-italienische und deutsch-spanische Sprachkombination von Spracheneinfluss betroffen sind, wobei insbesondere die deutsch-spanische Konstellation einflussanfällig ist. Das Spanische der bilingualen deutsch-spanischen Kinder wird sich durch nicht-zielsprachliche Subjektrealisierungen auszeichnen, die auf die syntaktische Beschreibung des Deutschen und Spanischen zurückzuführen sind. Angesichts der syntaktischen Beschaffenheiten der in diesem Zusammenhang diskutierten Zielsysteme können für den bilingualen Erstspracherwerb folgende Vorhersagen formuliert werden, die es anhand der empirischen Untersuchung zu überprüfen gilt: <?page no="233"?> 233 • Die bilingualen Kinder können aufgrund der Absenz bzw. Präsenz der Nullsubjekteigenschaft zwischen einer Nullsubjekt- und einer Nicht-Nullsubjektsprache unterscheiden. Dies wird dadurch belegt werden können, dass die bilingualen Kinder in ihren Nullsubjektsprachen das Subjekt auslassen. • Im Sinne der Bedingungen für Spracheneinfluss sollte es in der französisch-italienischen Konstellation nicht zur Beeinflussung der involvierten Zielsysteme kommen, da nach Müller und Hulk (2000, 2001) die Überlappung von syntaktischen Analysen aus der einen in die andere Sprache ausgeschlossen ist. • Im Gegensatz zum französisch-italienischen Fall sollte im Einklang mit der Literatur (vgl. u.a. Müller et al. 2006) die deutschitalienische Sprachkombination von Spracheneinfluss betroffen sein. • Darüber hinaus wird angenommen, dass sich die Auswirkungen der syntaktischen Affinität der simultan zu erwerben Zielsysteme verstärkt (negativ) im deutsch-spanischen Individuum manifestieren: Die deutsch-spanische Kindergruppe ist von Spracheneinfluss betroffen, der sich verzögernd im Spanischen auswirkt, jedoch zu einem höheren Grad als im Italienischen der deutsch-italienischen Kinder. Die Gemeinsamkeit der deutsch-spanischen und deutschitalienischen Studie liegt in der Präsenz von Spracheneinfluss und der Unterschied im Ausmaß der Beeinflussung. Der Spracheneinfluss wird im Spanischen der bilingualen Kinder insofern ausgeprägter als im deutsch-italienischen Fall sein, als im Spanischen das Subjekt präferiert mit A’-Elementen und im Italienischen mit A-Elementen in Verbindung gebracht wird. • Da auch zielsprachliche Subjektauslassungen in den untersuchten Nullsubjektsprachen nachgewiesen werden können, wird der Standpunkt vertreten, dass bilinguale Kinder zeitweise zwischen syntaktischen Analysen entscheiden. • Bezüglich der Sprachdominanz wird für den syntaktischen Bereich des Subjekts dafür argumentiert, dass sowohl balanciert als auch sprachlich unausgeglichene Kinder Spracheneinfluss zeigen. Somit wird dafür plädiert, dass die Sprachdominanz für den Erwerb des Subjekts irrelevant ist: Unabhängig davon, welche der beiden Sprachen die bilingualen Kinder als ihre stärkere bzw. schwächere Sprache erwerben, kann es zur gegenseitigen Beeinflussung kommen. Die Sprachdominanz gibt keinen verbindlichen Aufschluss darüber, welches Sprachsystem von Spracheneinfluss betroffen ist. Vielmehr sind sprachinterne Faktoren, etwa die syntaktische Be- <?page no="234"?> 234 schaffenheit eines grammatischen Phänomens, für das Auftreten von Spracheneinfluss ausschlaggebend. Diese Prognose greift die bereits in Schmitz und Müller (2008) formulierte Schlussfolgerung zur Sprachdominanz und deren Auswirkungen auf den Erwerbsprozess auf. The interesting conclusion is that cross-linguistic influence seems to be determine only by linguistic characteristics of the grammatical phenomenon in question; language dominance (i.e., the situation when one language develops more quickly than the other one) or language preference (the situation when the readiness to speak a language is higher for one of the two languages) does not play any role for cross-linguistic influence. (Schmitz und Müller 2008: 20) Die theoretische Einführung in den Gegenstandsbereich des Spracheneinflusses, der Sprachdominanz und der syntaktischen Beschreibung der involvierten Zielsysteme hat den aktuellen Forschungsstand der Mehrsprachigkeitsforschung der letzen 40 Jahre aufgeführt. Die Diskussion über eine angemessene Erklärung der monolingualen und bilingualen Erwerbsdaten wird in Kapitel 8 erfolgen. An dieser Stelle sind die wesentlichen Aspekte der einzelnen Erwachsenensprachen diskutiert worden, die als Erklärungsgrundlage der empirischen Untersuchung dienen sollen. Die Studie ist in zwei Teile unterteilt, die jeweils den Subjekterwerb im monolingualen und bilingualen Individuum unter dem Gesichtspunkt der zunächst quantitativen (vgl. Kapitel 6) und schließlich qualitativen (vgl. Kapitel 7) Realisierung der Subjektposition darstellt. Der Präsentation der monolingualen und bilingualen Erwerbsdaten werden einige Informationen zur Methodik, die vor allem die Datenerhebung und -auswertung betrifft, vorausgehen (vgl. Kapitel 5). <?page no="235"?> 235 5 Methodik: Vorstellung und Auswahl der Daten Die vorliegende Studie ist im Rahmen der Wuppertaler Forschungsprojekte durchgeführt worden und diskutiert sowohl den monolingualen als auch den bilingualen Subjekterwerb anhand der generativen Grammatiktheorie. Das methodische Vorgehen und die Untersuchung der empirischen Kinderdaten stehen mit den in Kapitel 1 vorgestellten Forschungsprojekten nicht nur wegen der zur Verfügung stehenden Longitudinaldaten, sondern auch im Hinblick auf den theoretischen Hintergrund im Einklang. Die Interpretation der empirischen Studie geht auf den generativen Gedanken des Spracherwerbs und auf das von MacSwan (2000) erarbeitete Modell zur frühkindlichen Zweisprachigkeit zurück. Neben den zahlreichen Studien zum bilingualen Erstspracherwerb der letzten Jahrzehnte liefert die vorliegende Studie einen Beitrag zum monolingualen und bilingualen Subjekterwerb. Die unterschiedlichen Sprachkombinationen Deutsch-Italienisch, Deutsch-Spanisch und Französisch- Italienisch sollen Aufschluss darüber geben, welches Sprachpaar von Spracheneinfluss betroffen ist und welche Rolle die Sprachdominanz im bilingualen Erstspracherwerb spielt. Das Hauptaugenmerk der empirischen Studie liegt auf der französisch-italienischen Sprachkombination, die bezüglich des grammatischen Bereichs des Subjekts weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene erforscht worden ist. Darüber hinaus soll die Schnittstelleneigenschaft des Subjekts über das Zusammenspiel zwischen dem syntaktischen und dem pragmatischen Grammatikmodul herausgestellt und die bereits formulierten Vorhersagen für den bilingualen Erstspracherwerb überprüft werden. Um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten des monolingualen und bilingualen Subjekterwerbs erfassen zu können, sind in Kapitel 4 die involvierten Zielsysteme im Hinblick auf die Subjektposition beschrieben worden und die Auslassungen in der italienischen, spanischen, französischen und deutschen Erwachsenensprache ermittelt worden. Die vorliegende Studie ist jedoch nicht nur an einem Vergleich zwischen der Kinder- und der Erwachsenensprache, sondern generell am monolingualen und bilingualen Subjekterwerb interessiert. Aus diesem Grund werden zunächst die monolingualen Kinderdaten untereinander und schließlich mit den jeweiligen Erwachsenensprachen verglichen. Im Anschluss an die monolinguale Untersuchung werden die bilingualen Individuen in ihren beiden Erstsprachen analysiert. Anhand graphischer Darstellungen wer- <?page no="236"?> 236 den die individuellen und sprachspezifischen Erwerbsverläufe in Abhängigkeit der MLU-Entwicklung der untersuchten Kinder präsentiert. Die sprachspezifischen, nicht mehr individuellen Entwicklungen abstrahieren von der individuellen Komponente und stellen die sprachinternen Eigenschaften der untersuchten Sprachen heraus. Dieses Vorgehen ermöglicht, sprachspezifische Unterschiede und Gemeinsamkeiten im bilingualen Erstspracherwerb zu erfassen. Darüber hinaus werden die bilingualen Kinder untereinander verglichen, um die einzelnen Sprachkombinationen im Hinblick auf den Subjekterwerb und unter der Fragestellung der Präsenz bzw. Absenz von Spracheneinfluss evaluieren zu können. Das Ziel der vorliegenden Studie besteht darin, den monolingualen und bilingualen Subjekterwerb unter Berücksichtigung der einzelnen Sprachkombinationen zu analysieren. Die quantitative und qualitative Analyse der empirischen Untersuchung verfolgt die Zielsetzung eines Vergleichs zwischen dem monolingualen und dem bilingualen Individuum und einer unfassenden Interpretation im Rahmen der generativen Grammatiktheorie. Aus diesem Grund wird die Interaktion der syntaktischen und pragmatischen Komponente im Vordergrund der theoretischen Diskussion stehen, die sich mit der Beeinflussung der einzelnen Zielsprachen auseinandersetzt und in diesem Sinne die Besonderheiten des bilingualen Erstspracherwerbs hervorbringt. Im Folgenden werden die monolingualen und bilingualen Kinder vorgestellt, die die empirische Basis der vorliegenden Studie liefern. 5.1 Vorstellung der monolingualen Studie Für die quantitative und qualitative Analyse werden die Erwerbsdaten von zwölf monolingualen Kindern, vier italienischen, zwei spanischen, vier französischen und zwei deutschen Kindern ausgewertet. Die Daten der monolingual italienischen Kinder Martina, Raffaello und Rosa, die monolingual spanischen Kinder Emilio und Irene, die monolingual französischen Kinder Grégoire, Léonard, Max und Philippe sowie das monolingual deutsche Kind Cosima sind der CHILDES-Datenbank (MacWhinney 2 1995) entnommen. Die Sprachentwicklung der monolingualen Kinder Chantal und Giorgia ist im Rahmen zweier Forschungsprojekte anhand von Videoaufzeichnungen dokumentiert worden. Während das monolingual deutsche Kind Chantal aus dem Forschungsprojekt „Frühkindliche Zweisprachigkeit: Italienisch-Deutsch und Französisch-Deutsch im Vergleich“ stammt, ist das monolingual italienische Kind Giorgia im Forschungsprojekt „Code-Switching bei bilingual aufwachsenden Kindern in Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien: Italienisch-Deutsch, Fran- <?page no="237"?> 237 zösisch-Deutsch, Spanisch-Deutsch, Italienisch-Französisch, Italienisch- Spanisch, Französisch-Spanisch“ aufgenommen worden. 117 Alle monolingualen Kinder leben und wachsen in dem Land auf, in dem ihre Muttersprache die Landessprache ist. Aufgrund mangelnder Informationen zur Situation, in der die Aufzeichnungen der aus der CHILDES-Datenbank stammenden Kinder erfolgt sind, können keine genaueren Angaben zum Aufnahmeverlauf gemacht werden. Die monolingualen Kinder Chantal und Giorgia werden im zweiwöchigen Abstand etwa 30 bis 45 Minuten lang in der jeweiligen Muttersprache aufgenommen. Aufgrund familiärer Gegebenheiten kann das Bestreben nach einem regelmäßigen vierzehntägigen Aufnahmezyklus nicht immer eingehalten werden: Umzüge, Urlaub, Ausflüge, Krankheit und ähnliche Geschehnisse lassen ein konsequentes Aufzeichnen der Kinder nicht immer zu, sodass nur in einigen wenigen Fällen die tatsächliche Anzahl der Aufnahmen von der ursprünglich vorgesehenen abweicht. Die Aufzeichnungen finden in einer vertrauten Umgebung, vornehmlich im Elternhaus statt und werden von den Eltern durchgeführt. Der Interaktionspartner kann in der einen oder anderen Studie variieren, da für die monolingualen Longitudinalstudien keine starre Festlegung auf einen Interaktionspartner vorgesehen ist. Die Aufzeichnungen geben eine spontane Kommunikation zwischen dem Kind und dem Erwachsenen wieder und sehen von einer gesteuerten Form, wie sie in einer Testsituation geschaffen werden kann, ab. Für die grammatische Analyse der erhobenen Sprachdaten ist eine Transkription der Aufzeichnungen notwendig, die von Muttersprachlerinnen und Muttersprachlern im schriftlichen Format CHAT nach MacWhinney ( 3 2000) vorgenommen wird. Die Transkriptionen sehen nicht nur die Wiedergabe der Äußerungen des Erwachsenen und des Kindes vor, sondern auch die Rekonstruktion der tatsächlichen Kommunikationssituation, der Aktion und Reaktion des Kindes sowie seines Interaktionspartners. Durch eingeführte Konventionen werden die Referenzen im Diskurs und die Anwesenheit Dritter während der Aufnahme im Text markiert. Dadurch soll die Bearbeitung von pragmatisch angelegten Fragestellungen, die sich beispielsweise im deiktischen Bereich bewegen, gewährleistet werden. Schließlich werden die angefertigten Tran- 117 Das erstgenannte Forschungsprojekt ist im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 538 Mehrsprachigkeit von Prof. Dr. Natascha Müller an der Universität Hamburg von 1999 bis 2005 durchgeführt worden. Das zweite Forschungsprojekt geht ebenfalls auf die Leitung von Prof. Dr. Natascha Müller zurück und wird seit 2009 an der Bergischen Universität Wuppertal betrieben. <?page no="238"?> 238 skriptionen von einer zweiten Muttersprachlerin bzw. einem zweiten Muttersprachler nochmals abgehört und zur Analyse freigegeben. Der für den Subjekterwerb relevante Zeitraum liegt zwischen eineinhalb und vier Jahren. Die untersuchten Altersspannen der monolingualen Kinder können aufgrund verschiedenster Motivationen, die in den einzelnen Kinderbeschreibungen genannt werden, variieren. Für den Subjekterwerb liefert der Zeitraum zwischen zwei und vier Jahren repräsentative Zahlen und stellt aus Sicht der Sprachentwicklung den wichtigsten Alterszeitraum dar. Der Subjekterwerb der aus der CHILDES-Datenbank entnommenen monolingualen Kinder ist nur im Rahmen der zur Verfügung stehenden Transkriptionen untersucht worden. Die schriftliche Dokumentation der Sprachentwicklung dieser Kinder endet bereits wenige Monate nach der Vollendung des dritten Lebensjahres. In die Auszählung der monolingualen Korpora sind alle Äußerungen mit einem finiten Verb einschließlich Kopula- und Präsentationskonstruktionen eingeflossen. Äußerungen, die abgebrochen sind oder akustisch unklare Äußerungselemente enthalten, sind für die Auswertung unberücksichtigt geblieben. Insgesamt sind für die monolinguale Studie 31.580 Äußerungen analysiert worden. Die unten stehende Tabelle liefert einen Überblick über die Untersuchungszeiträume, die Anzahl der Aufnahmen sowie die untersuchten Äußerungen der monolingualen Korpora. Kind Geburtsland Sprache Untersuchungszeitraum untersuchte Aufn. untersuchte Äuß. Giorgia Italien IT 1; 10,16-3; 2,25 33 5.822 Martina Italien IT 1; 7,18-2; 7,15 13 831 Raffaello Italien IT 1; 7,7-2; 11,20 17 932 Rosa Italien IT 1; 7,13-3; 3,23 21 1.877 Emilio Spanien SP 1; 6,9-4; 8,16 29 1.728 Irene Spanien SP 1; 6,1-3; 2,19 39 4.011 Grégoire Frankreich FRZ 1; 9,18-2; 5,27 10 1.040 Léonard Frankreich FRZ 1; 8,9-3; 2,25 14 1.328 Max Kanada FRZ 1; 9,19-3; 2,23 39 2.467 Philippe Frankreich FRZ 2; 1,19-3; 3,12 18 3.086 Chantal Deutschland DT 2; 0,9-4; 0,19 44 4.705 Cosima Deutschland DT 1; 9,25-4; 0,10 43 3.753 Tab. (5.1): Überblick über die monolingualen Kinderdaten <?page no="239"?> 239 5.1.1 Monolingual italienisch aufwachsende Kinder Die Analyse des Subjekterwerbs im monolingual italienischen Individuum basiert auf der Auswertung der Sprachdaten der italienischen Kinder Giorgia, Martina, Raffaello und Rosa. Drei der vier involvierten Longitudinalstudien gehen auf die CHILDES-Datenbank zurück, die einige wichtige Informationen zu den erhobenen Kinderdaten bereitstellt, welche im Folgenden kurz wiedergegeben werden. Das monolinguale Kind Giorgia wird zum Zeitpunkt der Untersuchung und dem Verfassen der vorliegenden Arbeit noch aufgenommen und bis zu einem Alter von drei Jahren für den hier diskutierten grammatischen Bereich transkribiert. Die als Vergleichsgruppe herangezogenen italienischen Longitudinalstudien betreffen die Kinder Martina, Raffaello und Rosa und stammen aus dem Korpus Calambrone , welches im Rahmen des Forschungsprojekts „Fisiopatologia del linguaggio in età evolutiva“ von 1985 bis 1990 unter der Leitung von Paola Cipriani und Giuseppe Cappelli an der Universität Pisa erhoben worden ist. Die Datenerhebung erfolgte im Elternhaus und war von unregelmäßigen Zeitabständen zwischen den einzelnen Aufnahmen, die eine durchschnittliche Dauer von 30 bis 45 Minuten haben, gekennzeichnet. Martinas Longitudinalstudie beginnt bei dem Alter von 1; 7,0 Jahren und endet mit der 20. Aufnahme im Alter von 3; 0,0 Jahren. Da die Transkription der Aufnahmen nur bis zu einem Alter von 2; 7,15 Jahren reicht, können keine Auskünfte über den Erwerbsverlauf des restlichen Zeitraums gemacht werden. Laut Angaben aus der Datenbank wächst Martina als Einzelkind auf, wobei weder das Geburtsdatum noch der Wohnort bekannt gegeben werden. Das monolingual italienische Kind Raffaello wird mit 1; 7,8 Jahren erstmalig aufgenommen und die Dokumentation seiner Sprachentwicklung schließt wenige Monate nach der Vollendung seines dritten Lebensjahres mit 3; 3,0 Jahren ab. Seine Studie umfasst insgesamt 39 Aufnahmen, wobei nur die ersten 17 Transkriptionen für die Analyse des Subjekterwerbs zur Verfügung stehen. Ähnlich wie bereits für das Kind Martina geschildert muss die Untersuchung des grammatischen Bereichs des Subjekts aufgrund mangelnder Transkriptionen bereits im Alter von 2; 11,20 Jahren eingestellt werden. Raffaello ist das erstgeborene Kind der italienischen Familie. Auch in diesem Fall macht die Datenbank keine genaueren Angaben zum Geburtsdatum und dem Wohnort des Kindes. Das dritte aus der CHILDES-Datenbank entnommene Kind Rosa wird mit insgesamt 43 Aufzeichnungen ab dem Alter von 1; 3,0 bis 3; 3,23 Jahren aufgenommen. Der für die Analyse des Subjekterwerbs gewählte Untersuchungszeitraum setzt ab dem relevanten Alter von 1; 7,13 Jahren ein und schließt mit der letzten Aufnahme mit 3; 3,23 Jahren ab. Die im Rah- <?page no="240"?> 240 men dieser Longitudinalstudie angefertigten Aufzeichnungen liegen in schriftlicher Form vor und können für die Analyse grammatischer Phänomene herangezogen werden. Rosa wächst als zweitgeborenes Kind mit einem älteren Geschwisterkind auf. Wie bereits bei den vorangegangenen Longitudinalstudien angemerkt bleiben das Geburtsdatum und der Wohnort des Kindes wiederum unbekannt. Die Longitudinalstudie des vierten monolingual italienisch aufwachsenden Kindes Giorgia wird im Rahmen des Wuppertaler Forschungsprojekts erhoben (vgl. Kapitel 6.1). Die Dokumentation der Sprachentwicklung des italienischen Mädchens beginnt bei dem Alter von 1; 10,16 Jahren und kann aufgrund der zeitlichen Vorgaben für die Anfertigung der vorliegenden Arbeit nur bis wenige Monate nach der Vollendung des dritten Lebensjahres berücksichtigt werden. Dennoch soll das Mädchen weiterhin in regelmäßigen Zeitabständen bis zu seinem fünften Lebensjahr aufgenommen werden. Die Aufzeichnungen finden im Elternhaus statt und werden von der Mutter oder dem Vater durchgeführt, wobei die Aufnahmedauer etwa 30 Minuten beträgt. Giorgia wächst als zweitgeborene Tochter mit ihrer sieben Jahre älteren Schwester Chiara in Campobasso auf und ist im Juli 2007 geboren worden. Aufgrund der elterlichen Berufstätigkeit besucht Giorgia bereits seit ihrem vierten Lebensmonat eine Kinderkrabbelgruppe und seit ihrem zweiten Lebensjahr einen Kindergarten. Sie hat regelmäßigen Kontakt zu ihren Großeltern, Cousins, Tanten und Onkeln, die sie am Wochenende oder zu bestimmten Familienanlässen besucht. Nach einer kurzen Beschreibung der involvierten Longitudinalstudien werden nun die MLU-Entwicklungen der monolingual italienischen Kinder präsentiert. Da in der vorliegenden Arbeit Spracherwerbsdaten mehrerer Individuen miteinander verglichen werden sollen, wird der Subjekterwerb unabhängig von der Altersvariablen und anhand der MLU- Entwicklung der untersuchten Kinder visualisiert und erläutert. Für die monolingual italienischen, spanischen, französischen und deutschen Kinderdaten sind MLU-Graphiken erstellt worden, die die Zunahme der durchschnittlichen Äußerungslänge im Erwerbsverlauf darstellen sollen. 118 Um einen direkten Vergleich der italienischen Sprachdaten ermöglichen zu können, werden in der folgenden Abbildung (5.1) alle individuellen Erwerbslinien aufgeführt. Da die Aufnahmen der zu betrachtenden Kinderdaten nicht auf ein einheitliches Datum fallen, werden durch- 118 Für die Berechnung der durchschnittlichen Äußerungslänge, des MLU, sind Eigennamen und die Partikeln „ja“ sowie „nein“ für jedes Transkript nur einmalig in die Zählung eingegangen. Dies gilt sowohl für die monolingualen als auch für die bilingualen Erwerbsdaten. <?page no="241"?> 241 schnittliche Altersangaben ermittelt und diese mit den entsprechenden MLU-Werten der Kinder versehen. In der nachstehenden Graphik (5.1) sind die MLU-Werte der vier monolingual italienischen Kinder über den gesamten Untersuchungszeitraum abgebildet. Aus der Graphik wird ersichtlich, dass das Mädchen Giorgia über den gesamten Entwicklungsverlauf höhere MLU-Werte aufweist als die anderen monolingual italienischen Kinder. Mögliche Gründe für diese vermutlich beschleunigte Sprachentwicklung können individueller Natur oder situationsbedingt sein. Abb. (5.1) Darüber hinaus nimmt die durchschnittliche Äußerungslänge ähnlich wie bei den anderen Kindern bis zu einem Alter von 2; 8 Jahren stetig zu. Ab 2; 8 Jahren setzen Schwankungen in den MLU-Werten ein, die sich bis zum Ende der Dokumentation fortsetzen. Ab diesem Alter erreichen alle monolingual italienischen Kinder den niedrigsten Wert von 2,5 Wörtern, lediglich Giorgia und Rosa überschreiten den Höchstwert von 4,0 bzw. 5,0 Wörtern. Der Vorstellung der monolingual italienischen Kinder schließt die Präsentation der spanischsprachigen Kinder Emilio und Irene an. 5.1.2 Monolingual spanisch aufwachsende Kinder Die Analyse des Subjekterwerbs im monolingual spanischen Individuum beruht auf der Auswertung der Sprachdaten der spanischen Kinder Emilio und Irene, die aus der bereits erwähnten CHILDES-Datenbank stammen. Im Folgenden werden einige wichtige Informationen, die die MLU-Entwicklung der monolingual italienischen Kinder 0 1 2 3 4 5 6 1; 7,7 1; 8,2 1; 9,5 1; 11,1 2; 0,5 2; 0,28 2; 1,17 2; 2,15 2; 3,17 2; 4,26 2; 6,13 2; 7,0 2; 8,0 2; 9,20 2; 11,11 2; 11,25 3; 1,29 Alte r MLU Giorgia Martina Raffaello Rosa <?page no="242"?> 242 CHILDES-Datenbank zu den involvierten Longitudinalstudien bereitstellt, aufgeführt. Die aus der Datenbank herangezogene spanische Longitudinalstudie des Jungen Emilio geht auf das Korpus Vila zurück, das im Rahmen eines vom spanischen Bildungsministerium geförderten Forschungsprojekts unter der Leitung von Ignasi Vila an der Universität Barcelona erhoben worden ist. Die spanische Studie umfasst insgesamt 35 Aufnahmen, die die Sprachentwicklung des Kindes ab einem Alter von 0; 11,8 bis 4; 8,16 Jahren in unregelmäßigen Zeitabständen dokumentieren. Der für die grammatische Analyse des Subjekts relevante Untersuchungszeitraum ist zwischen 1; 6,9 und 4; 8,16 Jahren gewählt worden und schließt 29 Transkriptionen ein. Das Kind ist im Mai 1980 geboren worden und wächst in einer monolingual spanischen Familie auf. 119 Genauere Angaben zur familiären Situation sowie zum Wohnort bleiben aus. Das monolingual spanische Mädchen Irene ist dem Korpus Irene entnommen und im Rahmen des Forschungsprojektes „El desarollo de las categorías gramaticales: Análisis contrastivo de la adquisición lingüística temprana del inglés, castellano y catalán“ erstellt worden. Dieses Projekt ist vom spanischen Ministerium für Wissenschaft und Technologie finanziert und unter der Leitung von Mireia Llinàs-Grau an der Universität Barcelona durchgeführt worden. Das Kind ist in unregelmäßigen Zeitabständen ab einem Alter von 0; 11,4 bis 3; 2,19 Jahren von seinen Eltern über Videokamera aufgezeichnet worden. Im Rahmen der in der vorliegenden Arbeit diskutierten Fragestellung ist Irenes Sprachentwicklung erst ab einem Alter von 1; 6,1 Jahren bis zur letzten Aufnahme untersucht worden. Das Mädchen ist im August 1997 geboren worden und wächst in einem monolingual spanischen Umfeld auf. Der genaue Wohnort wird nicht genannt, die Datenbank belässt es bei der Bennennung der nordspanischen Region Asturien. Nach einer kurzen Beschreibung der involvierten Longitudinalstudien verschafft die nachstehende Graphik (5.2) einen Einblick in den Erwerbsverlauf der spanischsprachigen Kinder Emilio und Irene im Hinblick auf die durchschnittliche Äußerungslänge. Während Irene bereits wenige Monate nach ihrem zweiten Lebensjahr eine durchschnittliche Äuße- 119 Während der Recherchen der vorliegenden Arbeit ist der elektronische Kontakt mit Ignasi Vila gesucht und Klarheit über den Umstand geschaffen worden, inwieweit Emilio katalanischem Input ausgesetzt gewesen ist. Nach Auskunft der Projektleitung ist Emilio nur mit der spanischen Standardvarietät aufgewachsen. Diese Klärung ist insofern erforderlich gewesen, als Emilio in Barcelona, also einem katalanischsprachigen Gebiet, geboren und aufgewachsen ist. Mögliche Interferenzen zwischen dem Spanischen und dem Katalanischen, die sich eventuell im Subjekterwerb hätten manifestieren können, konnten somit a priori ausgeschlossen werden. <?page no="243"?> 243 rungslänge von vier Wörtern aufweist, belaufen sich Emilios Äußerungen über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg auf durchschnittlich drei Wörter. Erst in fortgeschritteneren Phasen gelingt es Emilio, sich einer durchschnittlichen Äußerungslänge von vier Wörtern zu nähern und in der letzten Aufnahme den Höchstwert von 3,95 Wörtern zu erreichen. Darüber hinaus verbleibt Emilio bis zu einem Alter von 2; 1 Jahren in einer Ein-Wort-Phase, um mit 2; 4 Jahren in die Zwei-Wort- und nach Vollendung des dritten Lebensjahres in die Drei-Wort-Phase überzugehen. Aufgrund unregelmäßiger Aufnahmen und somit fehlender Dokumentation kann die Sprachentwicklung des Jungen im Alter von 3; 1 bis 3; 10 Jahren nicht näher erläutert werden. Abb. (5.2) Die letzten Monate des hier dokumentierten Erwerbsverlaufs sind von Schwankungen der durchschnittlichen Äußerungslänge gekennzeichnet, die zwischen drei und vier Wörtern liegen. Im Unterschied zu Emilio verbleibt das monolingual spanische Mädchen Irene nur während der ersten Monate ihres Spracherwerbs in einer Ein-Wort-Phase und produziert Äußerungen, die aus mindestens zwei Wörtern bestehen, bereits vor ihrem zweiten Lebensjahr. Darüber hinaus unterscheidet sich ihre Erwerbskurve von der des spanischsprachigen Jungen über eine stetige Zunahme der durchschnittlichen Äußerungslänge ab einem Alter von 1; 9,10 Jahren. Erste Vier-Wort-Äußerungen treten im Alter von 2; 6,12 Jahren auf und gehen in den darauf folgenden Monaten auf einen durchschnittlichen Wert von 2,73 zurück. Der restliche Erwerbsverlauf, der von einem Alter von 2; 11,8 bis 3; 2,19 Jahren reicht, ist von Äußerungen einer durchschnittlichen Länge von drei Wörtern geprägt. Leider endet die MLU-Entwicklung der monolingual spanischen Kinder 0 1 2 3 4 5 1; 6,16 1; 7,5 1; 8,9 1; 8,26 1; 9,10 1; 10,16 1; 11,12 2; 0,2 2; 1 2; 2,29 2; 4,13 2; 5,24 2; 6,12 2; 7,9 2; 8,27 2; 11,8 3; 0,24 3; 1,22 3; 2,19 3; 10,1 3; 10,14 3; 11,26 4; 0,9 4; 1 4; 1,13 4; 6,1 4; 8,16 Alte r MLU Emilio Irene <?page no="244"?> 244 Dokumentation ihres Spracherwerbs nur wenige Monate nach dem dritten Lebensjahr, sodass ihre weitere Entwicklung im Hinblick auf die durchschnittliche Äußerungslänge umkommentiert bleiben muss. Hiermit ist sie mit den monolingual italienischen Longitudinalstudien vergleichbar, die alle kurz vor oder nur wenige Monate nach dem dritten Lebensjahr enden. Im Anschluss an die monolingual italienischen und spanischen Longitudinalstudien werden im folgenden Abschnitt die monolingual französischen Jungen Grégoire, Léonard, Max und Philippe vorgestellt. 5.1.3 Monolingual französisch aufwachsende Kinder Die Analyse des Subjekterwerbs im monolingual französischen Individuum beruht auf der Auswertung der Sprachdaten der französischen Kinder Grégoire, Léonard, Max und Philippe. Alle vier involvierten Longitudinalstudien gehen auf die CHILDES-Datenbank zurück, die einige wichtige Informationen zu den erhobenen Kinderdaten bereitstellt. Als Vergleichsgruppe der noch zu präsentierenden bilingualen Kinderdaten dienen die monolingual französischen Jungen Grégoire, Max, Léonard und Philippe, die aus unterschiedlichen Korpora entnommen worden sind und im Folgenden in Form von Kurzbeschreibungen vorgestellt werden. Die Longitudinalstudie des Jungen Grégoire stammt aus dem Korpus Champaud , welches unter der Leitung von Christian Champaud erhoben, transkribiert und kodiert worden ist. Die Studie umfasst insgesamt zehn Transkriptionen, wobei das Korpus die Sprachentwicklung des Kindes über einen Zeitraum von 28 Monaten hinweg dokumentiert. In unregelmäßigen Zeitabständen ist der Junge ab dem Alter von 1; 9,18 bis 2; 5,27 Jahren aufgenommen worden. Für die Bearbeitung linguistischer Fragestellungen stehen jedoch nur die ersten zehn Aufnahmen in schriftlicher Form zur Verfügung, da die übrigen Aufzeichnungen noch transkribiert und somit Dritten zugänglich gemacht werden müssen. Grégoire ist im April 1986 geboren worden und wächst mit seinen älteren Brüdern Adrien und Victor in Paris auf. Die Familiensprache ist Französisch und beide Elternteile haben eine akademische Hochschulausbildung absolviert. Grégoires Vater ist Linguist an der Universität Paris III, während seine Mutter nach der Geburt ihres letzten Kindes ihre Berufstätigkeit aufgegeben hat. Das monolingual französische Kind Léonard ist im Oktober 1990 in Paris geboren. Die Daten gehen auf das Korpus Paris der allgemein zugänglichen CHILDES-Datenbank zurück. Leider werden keine weiteren Informationen bezüglich der familiären und sprachlichen Situation des <?page no="245"?> 245 Kindes bereitgestellt. Die sprachliche Entwicklung dieses Kindes ist über Videoaufzeichnungen ab dem Alter von 1; 8,9 bis 3; 2,25 Jahren dokumentiert worden. In regelmäßigen Zeitabständen von etwa einem Monat ist das Kind aufgenommen und das Sprachmaterial im CHAT-Format transkribiert worden. Insgesamt stehen für den in diesem Zusammenhang fokussierten grammatischen Bereich 14 Aufnahmen von Léonard zur Verfügung. Die Longitudinalstudie ist im Rahmen des Forschungsprojekts „L’acquisition du langage et grammaticalisation“ unter der Leitung von Aliyah Morgenstern zwischen 2005 und 2008 in Paris erhoben worden. Das von der Agence Nationale de la Recherche finanzierte Projekt ist auch unter der Bezeichnung „Projet Léonard“ bekannt. Ziele dieses Forschungsprojekts sind das Erheben von monolingual französischem Sprachmaterial, die allgemeine Verbesserung der Datenerhebung und deren Verwaltung sowie die Klärung von noch offenen Forschungsfragen im Hinblick auf den monolingual französischen Spracherwerb gewesen. Die dritte für die Untersuchung des Subjekterwerbs herangezogene Longitudinalstudie stellt die sprachliche Entwicklung des monolingual französischen Jungen Max aus dem Korpus York dar, die im Rahmen einer Studie zur französischen Variationslinguistik unter der Leitung von Bernadette Plunkett an der Universität York erhoben worden ist. 120 Das entsprechende Forschungsprojekt „The syntactic acquisition of whquestions in French: a cross-dialectal comparison” ist vom Economic and Social Research Council gefördert worden und die dafür notwendige Datenerhebung ist im Jahre 1997 erfolgt. Aufgrund der variationslinguistischen Fragestellung teilt sich das Korpus in drei Studien auf, die jeweils das Französische in Paris, in Belgien und in Kanada fokussieren. Der Junge Max ist im Rahmen der kanadischen Untersuchung ab einem Alter von 1; 9,19 bis 3; 2,23 Jahren aufgezeichnet worden und sein Korpus besteht aus insgesamt 39 Aufnahmen. Für die Analyse des Subjekterwerbs sind alle Transkriptionen ausgewertet worden. Den Vorgaben des Forschungsprojekts folgend nehmen die Eltern, die native Sprecher des Französischen sind, ihren Sohn in nahezu regelmäßigen Zeitabständen auf. Den Ausführungen der Datenbank zufolge wächst Max monolingual französisch in Montréal mit seinem älteren Bruder Paul auf. Das genaue Geburtsdatum wird nicht bekannt gegeben. Eine weitere monolingual französische Longitudinalstudie dokumentiert die Sprachentwicklung des Jungen Philippe, die aus dem Korpus Leveillé entnommen worden ist. Das Korpus ist im Rahmen einer linguistischen Studie unter der Leitung von Madeleine Leveillé und Pat Suppes 120 Die CHILDES-Datenbank weist darauf hin, dass es sich bei diesem Kindernamen um ein Pseudonym handelt. <?page no="246"?> 246 an der Universität Stanford angelegt worden. Der Junge wird in regelmäßigem Wochenzyklus erstmalig im Alter von 2; 1,19 Jahren aufgenommen und die Dokumentation endet mit 3; 3,12 Jahren. Für die in der vorliegenden Arbeit zugrunde liegenden Fragestellungen sind von insgesamt 33 Aufnahmen nur 18 Aufzeichnungen ausgewertet worden. Dabei handelt es sich jeweils um die Transkriptionen, die die Sprachentwicklung im vierzehntägigen Abstand wiedergeben. Die Wissenschaftler besuchen die in Paris lebende Familie und geben Anweisungen zur Vorgehensweise, die die Eltern bei der Aufnahme ihres Kindes berücksichtigen sollen. Die angefertigten Videoaufnahmen haben eine durchschnittliche Dauer von einer Stunde und finden in einer vertrauten Umgebung, in Philippes Kinderzimmer, häufig nach dem Frühstück statt. Philippe ist im März 1969 in Paris geboren worden und wächst als Einzelkind von Akademikern auf, das ausschließlich Kontakt mit französischsprachigen Personen hat. Die Datenbank weist darauf hin, dass seine Eltern bereits zu Beginn des Spracherwerbsprozesses darauf geachtet haben, dass ihr Sohn ausgewählten sprachlichen Input erhält und somit intellektuell gefördert wird. Der kurzen Beschreibung der involvierten Longitudinalstudien schließen sich die MLU-Entwicklungen der monolingual französischen Kinder an. Die vier monolingual französischen Studien dienen vornehmlich als Vergleichsgruppe für die bilingualen Kinderdaten und signalisieren im Hinblick auf die durchschnittliche Äußerungslänge sehr ähnliche Erwerbsverläufe. Die monolingualen Jungen Grégoire, Léonard und Max durchlaufen eine sehr kurze Ein-Wort-Phase, die ausschließlich die ersten Monate der Dokumentation ihres Spracherwerbs betrifft. Ab einem Alter von zwei Jahren treten erste Zwei-Wort-Äußerungen auf, die nur wenige Monate nach Vollendung des zweiten Lebensjahres in die Drei-Wort- Phase übergehen. Der gesamte Untersuchungszeitraum ist im Hinblick auf die MLU-Entwicklung von einer stetigen Zunahme der durchschnittlichen Äußerungslänge gekennzeichnet. Eine Ausnahme stellt das französischsprachige Kind Philippe dar, dessen Spracherwerb erst ab einem Alter von 2; 1,19 Jahren über Videoaufnahmen festgehalten worden ist. Das Einsetzen der Studie zu diesem Zeitpunkt lässt den Erwerbsverlauf während der ersten Lebensmonate offen. Darüber hinaus lässt die Dokumentation des Spracherwerbs des französischsprachigen Kindes Grégoire keine näheren Beurteilungen seiner Entwicklung zu, da Sprachaufzeichnungen ausschließlich bis 2; 5,28 Jahren zur Verfügung stehen. In der Altersspanne zwischen 2; 2,24 und 2; 7,11 Jahren sind die Kinder Grégoire, Max und Philippe dem Jungen Léonard im Hinblick auf die durchschnittliche Äußerungslänge um etwa 0,7 Wörter voraus. Ab dem Alter von 2; 4,4 Jahren setzt sich in allen Longitudinalstudien die Existenz schwankender Äußerungslängen durch. Zwischen einem Alter von 2; 4,4 und 3; 3,12 Jah- <?page no="247"?> 247 ren treten Äußerungen auf, die aus entweder drei, vier oder sogar sechs Wörtern bestehen. Während die Kinder Grégoire und Max nur sporadisch Fünf-Wort-Äußerungen produzieren, hebt sich Philippe durch die Häufung von Sätzen mit dieser Äußerungslänge ab. Verglichen mit den Probanden anderer Longitudinalstudien ist Philippe dasjenige Kind, das nahezu über den gesamten Untersuchungszeitraum die höchsten MLU- Werte erzielt. Seine sprachliche Überlegenheit gegenüber den anderen Kindern könnte aus seiner familiären Situation resultieren. Abb. (5.3) Wie bereits in der Kurzbeschreibung dieser Longitudinalstudie angemerkt worden ist, haben seine Eltern, die einer akademischen Berufstätigkeit nachgehen, großen Wert auf ausgewählten sprachlichen Input gelegt. Es ist nicht auszuschließen, dass sich außersprachliche Faktoren, wie die Bildung und sprachliche Haltung seiner Eltern, positiv auf den Spracherwerbsprozess des Jungen auswirken. Der Vorstellung und Beschreibung der MLU-Entwicklung der monolingual französischen Kontrollgruppe schließt sich nun die Kurzbeschreibung der monolingual deutschen Kinderdaten an. 5.1.4 Monolingual deutsch aufwachsende Kinder Die Analyse des Subjekterwerbs im monolingual deutschen Individuum stützt sich auf die Auswertung der Sprachdaten der deutschsprachigen Kinder Chantal und Cosima. Eine der zwei involvierten Longitudinalstudien geht auf die CHILDES-Datenbank zurück, die einige wichtige In- MLU-Entwicklung der monolingual französischen Kinder 0 1 2 3 4 5 6 7 1; 9,18 1; 10,18 1; 11,22 2; 0,14 2; 1,19 2; 2,6 2; 2,24 2; 3,14 2; 4,4 2; 5,1 2; 5,28 2; 6,20 2; 7,11 2; 7,25 2; 8,8 2; 8,22 2; 9,13 2; 10,3 2; 10,24 2; 11,7 3; 0,10 3; 1,14 3; 2,6 3; 3,12 Alte r MLU Grégoire Max P hilippe Léonard <?page no="248"?> 248 formationen zu den erhobenen Kinderdaten enthält, die im Folgenden kurz wiedergegeben werden. Die Dokumentation der Sprachentwicklung des monolingual deutsch aufwachsenden Kindes Chantal erfolgt im Rahmen des zitierten Hamburger Forschungsprojektes, beginnt ab dem Alter von 1; 10,18 Jahren und schließt wenige Tage nach der Vollendung des fünften Lebensjahres ab. Insgesamt umfasst die Studie 58 Aufnahmen, wobei für die Analyse des Subjekterwerbs nur 48 Aufzeichnungen bis zu einem Alter von 4; 1,0 Jahren ausgewertet worden sind. Die Eltern nehmen ihre Tochter in einer gewohnten Umgebung regelmäßig in vierzehntägigem Abstand auf und die Aufnahmedauer variiert zwischen 30 und 45 Minuten. Chantal hat häufigen Kontakt zu ihren Großeltern, gelegentlich übernimmt ihre Großmutter die Aufzeichnungen. Das Mädchen wird im Oktober 1997 in Hamburg geboren und wächst als Einzelkind von Akademikern in Hamburg auf. Bei der zweiten monolingualen Longitudinalstudie handelt es sich um ein deutschsprachiges Mädchen namens Cosima, dessen Spracherwerb in der CHILDES-Datenbank dokumentiert worden ist. Diese Studie geht auf das Korpus Rigol zurück, die unter der Leitung von Rosemarie Rigol als Germanistin an der Universität Osnabrück erhoben worden ist. Das Korpus umfasst 129 Aufnahmen und gibt den Erwerbsverlauf zwischen einem Alter von 0; 0,13 und 7; 2,22 Jahren wieder. Die Transkription der Aufnahmen setzt jedoch erst ab einem Alter von 1; 8,22 Jahren ein und für die Analyse des Subjekterwerbs ist der relevante Untersuchungszeitraum von 1; 9,25 bis 4; 0,10 Jahren mit insgesamt 43 Aufzeichnungen ausgewertet worden. Die Aufnahmen werden in regelmäßigen Zeitabständen vornehmlich von seiner Mutter angefertigt. Das Mädchen verbringt viel Zeit mit seinen Großeltern, seinem älteren Bruder Niklas, seinen Cousins und anderen Familienangehörigen. Cosima unternimmt zahlreiche Tagesausflüge in die Natur, die ihr die Tier- und Pflanzenwelt näher bringen. Ab dem 18. Lebensmonat ist ihre Freundin Ina bei den Aufnahmen dabei. Zwischen drei und sechs Jahren besucht Cosima einen protestantischen Kindergarten und erhält Musikunterricht. Die Datenbank macht keine genaueren Angaben bezüglich ihres Geburtsdatums und ihres Wohnorts. Im Folgenden wird die MLU-Entwicklung der monolingual deutschen Kinder Chantal und Cosima erläutert. Die unten stehende Graphik (5.4) bildet die MLU-Werte der monolingualen Mädchen über den gesamten Untersuchungszeitraum ab. Der Graphik kann der erste Eindruck einer nahezu gleichen MLU-Entwicklung der beiden Mädchen entnommen werden. Die letztgenannten Kinder behalten die Ein-Wort-Phase bis zu einem Alter von 2; 5,15 Jahren bei. Darüber hinaus überschreiten Chantals und Cosimas Äußerungen nie den Höchstwert von durchschnittlich fünf <?page no="249"?> 249 Wörtern innerhalb einer Äußerung. Bis zu einem Alter von 2; 6 Jahren weisen die Kinder keine erheblichen Schwankungen in ihren MLU- Werten auf. In dieser ersten Phase nimmt die durchschnittliche Äußerungslänge stetig zu. Ab einem Alter von 2; 6 Jahren setzen verstärkt schwankende MLU-Werte ein, die einen konstant ansteigenden und weniger schwankenden Erwerbsverlauf abbilden. Ab der Vollendung des vierten Lebensjahres nehmen die Schwankungen erneut ab und der MLU- Wert scheint bei durchschnittlich 4,23 Wörtern zu stagnieren. Abb. (5.4) Im Folgenden werden die bilingualen Longitudinalstudien und die MLU- Entwicklung der deutsch-italienischen, deutsch-spanischen und französisch-italienischen Kinder vorgestellt bzw. erläutert. 5.2 Vorstellung der bilingualen Studie Im Hinblick auf den in der vorliegenden Arbeit thematisierten Forschungsgegenstand sind drei Sprachkombinationen analysiert worden. Der Erwerb des Subjekts soll anhand von deutsch-italienischen, deutschspanischen und französisch-italienischen Kindern untersucht werden. Die zur Verfügung stehenden bilingualen Kinderdaten gehen insgesamt auf zwölf Longitudinalstudien zurück, wobei acht bilingual deutschitalienisch (Aurelio, Carlotta, Jan-Philip, Lilli, Luca-Daniele, Lukas, Marta und Valentin), zwei deutsch-spanisch (Arturo und Teresa) sowie zwei französisch-italienisch (Juliette und Siria) aufwachsende Individuen analysiert worden sind. Das bilinguale Sprachmaterial ist im Rahmen der in Die MLU-Entwicklung der monolingual deutschen Kinder 0 1 2 3 4 5 6 1; 9,11 1; 10,25 1; 11,23 2; 1,10 2; 2,21 2; 4,3 2; 5,15 2; 6,24 2; 8,3 2; 9,13 2; 10,29 3; 0,0 3; 1,5 3; 2,17 3; 4,4 3; 5,14 3; 6,25 3; 8,6 3; 10,10 4; 0,10 Alte r MLU Chant al Cosima <?page no="250"?> 250 Kapitel 1 vorgestellten Forschungsprojekte zum bilingualen Erstspracherwerb erhoben worden. 121 Die untersuchten bilingualen Kinder werden im zweiwöchigen Abstand etwa 30 bis 45 Minuten in den jeweiligen Muttersprachen aufgenommen und die Eltern wenden in der Interaktion mit ihren Kindern die Sprecherziehungsmethode une personne - une langue an (vgl. Ronjat 1913). Aufgrund familiärer Gegebenheiten kann das Bestreben nach einem regelmäßigen vierzehntägigen Aufnahmezyklus nicht immer eingehalten werden: Umzüge, Urlaub, Ausflüge, Krankheit und Ähnliches lassen ein konsequentes Aufzeichnen der Kinder nicht immer zu. Die Aufzeichnungen finden in einer den Probanden vertrauten Umgebung und zwar vornehmlich im Elternhaus statt und werden von den Eltern durchgeführt. Die Videoaufzeichnungen geben hauptsächlich spontanes Kommunikationsmaterial zwischen dem Kind und dem Erwachsenen wieder, sodass von einer gesteuerten Form, wie sie in einer Testsituation geschaffen werden kann, bewusst abgesehen wird. Drei der in diesem Zusammenhang untersuchten Kinder (Valentin, Juliette und Siria) leben im romanischsprachigen Ausland und sind somit der monolingualen, romanischsprachigen Umgebung ausgesetzt. Die übrigen neun bilingualen Longitudinalstudien (Aurelio, Carlotta, Jan-Philip, Lilli, Luca- Daniele, Lukas, Marta, Arturo und Teresa) sind in Deutschland erhoben worden und stehen vorwiegend mit der deutschen Umgebungssprache im Kontakt. Im Hinblick auf die familiäre und sprachliche Situation muss darauf hingewiesen werden, dass die Familiensprache, die familiäre Situation, die Sprache jedes Elternteils, die Anzahl der Geschwister sowie die gesprochene Sprache untereinander und der Kontakt zur Nicht-Umgebungssprache unter den Familien variieren kann. Darüber hinaus ist die Wahl der bilingualen Kinderdaten in Abhängigkeit der Repräsentativität der durchgeführten Studie und der individuellen Sprachdominanz getroffen worden. Im Folgenden wird sich herausstellen, dass die bilingualen Kinder einen unterschiedlichen Balanciertheitsgrad aufweisen. Die Tatsache, dass einige der bilingualen Kinder nicht im deutschsprachigen Inland, sondern im romanischsprachigen Ausland aufwachsen, liefert ein weiteres Unterscheidungskriterium innerhalb der untersuchten bilingualen Population und ermöglicht die Berücksichtigung einer außersprachlichen Variablen, nämlich die der Umgebungssprache. Welche Rolle der Umgebungssprache im Rahmen des Subjekterwerbs zukommt, wird im Laufe der Interpretation der erhobenen Kinderdaten diskutiert. Im Hin- 121 Die zuvor aufgeführten Forschungsprojekte sind im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 538 Mehrsprachigkeit von Prof. Dr. Natascha Müller an der Universität Hamburg sowie an der Bergischen Universität Wuppertal geleitet und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft seit 1999 finanziert worden. <?page no="251"?> 251 blick auf die Transkription werden alle formalen Kriterien, die bereits für die monolingualen Studien erwähnt worden sind, eingehalten (vgl. Kapitel 5.1). Auch für die bilinguale Studie liegt der relevante Untersuchungszeitraum zwischen eineinhalb und vier Jahren. Für den Subjekterwerb liefert der Zeitraum zwischen zwei und vier Jahren repräsentative Zahlen und stellt aus Sicht der Spracherwerbsprozesse die wichtigste Altersspanne dar. In die Auszählung der bilingualen Korpora sind alle Äußerungen mit einem finiten Verb eingeflossen, eingeschlossen Kopula- und Präsentationskonstruktionen. Äußerungen, die abgebrochen oder in denen Sprachmischungen enthalten sind, sind für diese Auswertung unberücksichtigt geblieben. Kind Geburtsland Untersuchungszeitraum Anzahl der untersuchten Aufnahmen Anzahl der untersuchten Äußerungen Aurelio D 1; 9,27-4; 0,9 40 dt./ 41 it. 1.763 dt./ 4.079 it. Carlotta D 1; 8,28-4; 1,0 44 dt./ 45 it. 2.914 dt./ 2.476 it. Jan-Philip D 2; 0,11-4; 0,14 29 dt./ 31 it. 2.724 dt./ 1.122 it. Lilli D 2; 0,10-4; 0,1 39 dt./ 38 it. 2.607 dt./ 1.238 it. Luca-D. D 1; 6,5- 4; 0,5 52 dt./ 52 it. 3.404 dt./ 1.200 it. Lukas D 1; 7,12-4; 0,5 46 dt./ 45 it. 3.848 dt./ 1.848 it. Marta D 1; 6,26-4; 0,13 52 dt./ 52 it. 2.734 dt./ 3.540 it. Valentin I 1; 11,3-4; 0,7 55 dt./ 55 it. 48 dt./ 3.185 it. Arturo D 2; 2,23-5; 3,29 48 dt./ 49 sp. 3.743 dt./ 2.033 sp. Teresa D 1; 5,29-5; 0,29 56 dt./ 57 sp. 4.295 dt./ 2.626 sp. Juliette F 1; 8,16-4; 11,19 40 frz./ 42 it. 3.648 frz./ 2.261 it. Siria I 1; 6,12-4; 4,5 34 frz./ 58 it. 479 frz./ 4.681 it. Tab. (5.2): Überblick über die bilingualen Kinderdaten Insgesamt sind für die bilinguale Studie 25.630 italienische, 4.659 spanische, 4.127 französische und 28.080 deutsche Äußerungen analysiert worden. Der anschließende Abschnitt wird zunächst die Sprachdominanz im bilingualen Erstspracherwerb thematisieren. Darüber hinaus werden die deutsch-italienischen, deutsch-spanischen und französisch-italienischen Kinderdaten im Hinblick auf die MLU-Entwicklung und die daraus resultierende sprachliche (Un-)Ausgeglichenheit untersucht. <?page no="252"?> 252 5.2.1 Sprachdominanz im bilingualen Erstspracherwerb Dieser Abschnitt geht der Frage und Ermittlung einer zeitweilig auftretenden Sprachdominanz bei den untersuchten bilingualen Kinderdaten nach. In der vorliegenden Arbeit soll geklärt werden, ob nachweisbarer Spracheneinfluss mit einer zeitlich heterogenen Entwicklung der simultan zu erwerbenden Sprachsysteme einhergeht oder ob die Beeinflussung der involvierten Sprachen von der grammatischen Beschaffenheit letzterer abhängig ist. Die Messung einer sprachlichen (Un-)Ausgeglichenheit und die Analyse des Subjekterwerbs der bilingualen Kinder sollen Aufschluss darüber geben, ob es einen kausalen Zusammenhang zwischen der Sprachdominanz und dem Auftreten von Spracheneinfluss gibt. Darüber hinaus wird die syntaktische Analyse der respektiven Zielsysteme Klarheit darüber verschaffen, welche Rolle der Sprachkombination bezüglich des fokussierten Grammatikbereichs zukommt. Im Hinblick auf die Sprachkombination wird ein Rückgriff auf die von Müller und Hulk (2000) und Müller und Patuto (2009) formulierten Kriterien für Spracheneinfluss notwendig sein (vgl. Kapitel 2.1.1). In Anlehnung an Arencibia Guerra (2008) wird die Sprachdominanz der bilingualen Kinder ausschließlich über das Kriterium des MLU gemessen und in den nachstehenden MLU-Differenzgraphiken dargestellt. In der monolingualen und bilingualen Spracherwerbsforschung der vergangenen Jahrzehnte ist die Erhebung des MLU zunehmend eingesetzt und nach Scarborough, Rescorla, Tager-Flusberg, Flower und Sudhalter (1991) sowie Müller und Kupisch (2003) als qualitatives Instrument der Sprachdominanzmessung klassifiziert worden. Demnach geht die durchschnittliche Äußerungslänge in erster Linie mit der Sprachqualität ( linguistic proficiency ) und weniger mit der grammatischen Entwicklung des Kindes einher: […] however, confirming previous suggestions that MLU becomes less closely associated with grammatical development as linguistic proficiency increases. (Scarborough et al. 1991: 23) In der vorliegenden Arbeit ist die Errechnung des MLU nicht auf Morphem-, sondern auf Wortbasis erfolgt. Da der Erwerbsverlauf zweisprachiger Kinder, die mit einer Nullsubjekt- und einer Nicht-Nullsubjektsprache aufwachsen, kommentiert werden soll, muss die Vergleichbarkeit der Sprachpaare gewährleistet sein. Um die Problematik der Vergleichsmöglichkeit zu lösen, sind Maßnahmen getroffen worden, die die substanziellen Unterschiede der jeweiligen Sprachen möglichst ausgleichen. Die Ermittlung des MLU richtet sich nach den von MacWhinney ( 3 2000) vorgegebenen Konventionen und schließt auswendig gelerntes Sprach- <?page no="253"?> 253 material aus. Somit bleiben für die Berechnung des MLU Lieder, Gedichte, Wiederholungen und Imitationen sowie Interjektionen und Onomatopoetika unberücksichtigt. Außerdem gehen Sprachmischungen und abgebrochene Äußerungen nicht in die Erhebung der durchschnittlichen Äußerungslänge ein. Darüber hinaus werden die Partikeln „ja“ und „nein“ nur einmalig für die gesamte Sprachaufnahme gezählt. Die Verschmelzung von Determinanten und Präpositionen werden in den hier involvierten Sprachen als einzelne Einheiten gezählt. Ähnliches gilt für die Einbeziehung von Komposita, die im Deutschen einem synthetischen und in den romanischen Sprachen Italienisch, Spanisch und Französisch einem analytischen Bildungsmuster folgen. Im Hinblick auf die MLU- Zählung stellt das Kompositum nicht ein Wort, sondern eine Aneinanderreihung von Lexemen dar. Die Gesamtzahl der Bestandteile des Kompositums gibt die Anzahl der Wörter an, die in die MLU-Berechnung eingeht. Für die Analyse des Subjekterwerbs muss bezüglich des MLU ebenfalls nach einem Ausgleich gesucht werden. Um einen direkten Vergleich zwischen Nullsubjekt- und Nicht-Nullsubjektsprachen ermöglichen zu können, wird im Italienischen und Spanischen das nicht overt realisierte Subjekt mit in die Zählung aufgenommen. Die durchschnittliche Äußerungslänge wird für jede Sprachaufnahme sprachspezifisch erhoben und kann in Abhängigkeit vom Alter graphisch abgebildet werden. Da jedoch der Balanciertheitsgrad ermittelt werden soll, werden nach Arencibia Guerra (2008: 52) MLU-Differenzen (MLUD) berechnet. Letztere ergeben sich aus der Subtraktion der sprachspezifischen MLU-Werte in den jeweiligen Sprachkombinationen. Dieses Vorgehen ist im Rahmen der Bilinguismusforschung bereits praktiziert und von Romaine (1989) thematisiert worden: A balance score would be computed by subtracting the values obtained for one language from those of the other. If the difference is zero or close to zero, the bilingual is considered to be equally fluent in both languages, or a balanced bilingual. (Romaine 1989: 14) In der vorliegenden Arbeit gehen die erstellten MLU-Differenzgraphiken der untersuchten Sprachkombinationen auf folgende Berechnungen zurück: MLU-Differenz (MLUD) = MLU Deutsch - MLU Italienisch = MLU Deutsch - MLU Spanisch = MLU Französisch - MLU Italienisch Aus graphischen Gründen werden die Abbildungen in einen oberen Bereich mit positiven Werten und einen unteren Bereich mit negativen Werten geteilt. Die negativen MLU-Werte spiegeln jedoch nicht einen negati- <?page no="254"?> 254 ven Entwicklungsverlauf der jeweils betroffenen Sprachen wider, sondern sind mathematisch negativ. Diese Einteilung der Graphiken in zwei Bereiche ist für die Visualisierung der MLU-Entwicklung der beiden Erstsprachen notwendig. Im zentralen Bereich der Graphiken wird eine Nulllinie verlaufen, die den oberen, positiven Bereich von dem unteren, negativen abtrennt. Die graphische Darstellung sieht somit die Wiedergabe der sprachspezifischen MLU-Werte und die daraus resultierende MLU- Differenz vor. Je geringer die MLU-Differenzen ausfallen, desto näher siedeln sich diese Werte in der unmittelbaren Umgebung der sogenannten Nulllinie an. Dieser Entwicklungsverlauf tritt ein, wenn sich die beiden Erstsprachen des bilingual aufwachsenden Kindes homogen entwickeln. Eine sprachliche Überlegenheit kann konstatiert werden, wenn sich die MLU-Differenzen von der Nulllinie distanzieren. Der Vorteil der MLU-Differenzgraphiken besteht im direkten Vergleich der sprachspezifischen MLU-Werte. Nach Arencibia Guerra (2008: 70) können anhand eines Kontinuums, das sich an den MLU-Differenzen orientiert, die untersuchten bilingualen Kinder von stark balanciert bis extrem überlegen (dominant) eingestuft werden. Die Einteilung erfolgt nach folgendem Maßstab: Bezeichnung Balanciertheitsgrad balanciert stark balanciert 0,00 - 0,29 Wörter balanciert 0,30 - 0,59 Wörter balanciert mit Tendenz zu einer Sprache 0,60 - 0,89 Wörter unbalanciert überlegen 0,90 - 1,19 Wörter stark überlegen 1,20 - 1,49 Wörter extrem überlegen 1,50 und mehr Wörter Tab. (5.3): Einstufung bilingualer Individuen anhand der DMLU- Differenz 122 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die von Arencibia Guerra (2008) vorgenommene Einstufung bis einschließlich „stark überlegen“ vorgenommen worden ist. Die in diesem Zusammenhang analysierten Kinderdaten haben es jedoch erforderlich gemacht, den Maßstab zur Einstufung des Balanciertheitsgrads um die zusätzliche Stufe, „extrem überlegen“ zu erweitern. Den Ausführungen der Forscherin folgend kann eine 122 Im Anhang (vgl. Appendix (A), Tabelle (1)) werden alle bilingualen Kinder in Anlehnung an Arencibia Guerra (2008: 70) in die soeben aufgeführte Tabelle eingeordnet. <?page no="255"?> 255 sprachliche Unausgeglichenheit erst dann festgestellt werden, wenn die MLU-Werte in fünf aufeinander folgenden Aufnahmen um mindest 0,9 Wörter differieren. Liegen die ermittelten MLU-Werte unter dieser Grenze, kann von einer sprachlichen Tendenz zugunsten bzw. zuungunsten einer Sprache gesprochen werden. Da die MLU-Differenzgraphiken keine Auskunft über den gesamten Untersuchungszeitraum, sondern eine sprachliche Differenz zu jedem Alterspunkt geben, müssen nach Arencibia Guerra (2008: 65) durchschnittliche MLU-Differenzen ermittelt werden, die eine Beurteilung des gesamten Entwicklungsverlaufs ermöglichen. Hierzu werden die einzelnen MLU-Differenzen addiert und durch die Anzahl der Sprachaufnahmen dividiert. 123 Die Ermittlung dieses Mittelwerts gibt Auskunft darüber, inwieweit ein bilingual aufwachsendes Kind sprachlich balanciert oder nicht balanciert ist. Die von Arencibia Guerra (2008) vorgenommene und bereits zitierte Einteilung in balancierte und unbalancierte Kinder sieht weitere Unterkategorien vor, die eine detaillierte Einstufung der bilingualen Sprachentwicklung erlaubt. Der Tabelle (5.3) zur Einordnung der Kinder nach der DMLUD (vgl. Arencibia Guerra 2008: 70) kann der von der Forscherin definierte Grenzwert von 0,3 Wörtern entnommen werden. Anhand dieses Werts ist die Abgrenzung zu den einzelnen Klassifikationen von stark balanciert bis hin zu extrem überlegen vorzunehmen. Die bilingualen Entwicklungsverläufe werden im Hinblick auf den individuellen Balanciertheitsgrad in Anlehnung an Arencibia Guerra evaluiert und von stark balanciert bis extrem überlegen kategorisiert. Zudem sei noch erwähnt, dass Arencibia Guerra (2008) die sprachliche Entwicklung bilingual aufwachsender Kinder anhand unterschiedlicher Kriterien überprüft und eine positive Korrelation unter den gewählten Kriterien zugunsten des MLU festgestellt hat. 124 Aus diesem Grund kann die Berechung des MLU als ein zuverlässiges Kriterium für die Messung 123 Nähere Angaben und weitere Informationen zur Ermittlung der durchschnittlichen MLU-Differenz können Arencibia Guerra (2008) entnommen werden. 124 Zu den von Arencibia Guerra (2008) gewählten Kriterien für die Messung des Balanciertheitsgrads gehören der MLU, der Upper Bound, die Standardabweichung, der Lexikonanstieg, der Redefluss, Untersuchungen zum Sprachverstehen und zur grammatischen Entwicklung im Verhältnis zur Sprachdominanz. In der einschlägigen Literatur wird die Verwendung des MLU kontrovers diskutiert, da kein Konsens darüber besteht, inwieweit der MLU ein quantitatives (vgl. Bernardini und Schlyter 2004) oder ein qualitatives Kriterium (vgl. Müller und Kupisch 2003) darstellt. <?page no="256"?> 256 des Balanciertheitsgrads bilingual aufwachsender Kinder angesehen werden. 125 Nach einer kurzen Einführung in das methodische Vorgehen zur Ermittlung der Sprachdominanz bilingual aufwachsender Kinder werden zunächst die deutsch-italienischen Longitudinalstudien vorgestellt. Im Weiteren wird die Frage nach einer eventuell existierenden Sprachdominanz geklärt und die MLU-Entwicklung aller bilingualen Kinder visualisiert. 5.2.2 Bilingual deutsch-italienisch aufwachsende Kinder Wie bereits im vorangegangenen Abschnitt angedeutet wird an dieser Stelle eine kurze Beschreibung der involvierten deutsch-italienischen Longitudinalstudien erfolgen, die einige wesentliche Informationen zu den bilingualen Kinderkorpora liefern soll. Das deutsch-italienisch aufwachsende Kind Aurelio wird im Juni 1997 in Hamburg geboren und wächst dort bis kurz nach der Vollendung seines vierten Lebensjahres auf. Über seine aus Ligurien stammende Mutter erhält Aurelio italienischen Input und sein deutschsprachiger Vater spricht Deutsch mit ihm. Die Eltern verfahren nach dem Prinzip une personne une langue mit ihren Kindern Aurelio und Lorenz, sprechen jedoch untereinander Italienisch. Im Laufe der Longitudinalstudie konnte die Beobachtung gemacht werden, dass die Brüder gemeinsam auf Deutsch kommunizieren. Noch vor seinem zweiten Lebensjahr trennt sich das Paar und die Mutter übernimmt die Erziehung ihrer Kinder, die ab dem Zeitpunkt der Trennung hauptsächlich italienischem Input ausgesetzt sind. Die Kinder sehen ihren Vater nach Absprache und sprechen sowohl die eine als auch die andere Sprache mit ihm. Bis zu seinem dritten Lebensjahr ist die sprachliche Situation des Kindes von einem italienischen Umfeld geprägt, welches durch Besuche der deutschsprachigen Großmutter sporadisch aufgebrochen wird. Erst mit Eintritt in den Kindergarten, der im Alter von 3; 4 Jahren erfolgt, hat Aurelio verstärkten Kontakt zur Umgebungssprache. Aufgrund der familiären Gegebenheiten kommt es zu einer heterogenen Sprachentwicklung der beiden simultan zu erwerbenden Sprachen. Die Analyse seiner Longitudinalstudie hat ein sprachliches Ungleichgewicht herausgestellt, das bis zu einem Alter von drei 125 Die Abschnitte zur Sprachdominanz der bilingual deutsch-italienischen, deutschspanischen und französisch-italienischen Kinder schließen sich der oben genannten Forschungsfrage an. Über die MLU-Entwicklungen sollen für alle zweisprachig aufwachsenden Kinder MLU-Differenzgraphiken erstellt und anhand dieser der Balanciertheitsgrad ermittelt werden. <?page no="257"?> 257 Jahren auf eine nahezu monolingual italienische Situation zurückzuführen ist. In dieser ersten Phase seiner sprachlichen Entwicklung verweigert Aurelio das Deutsche und spricht ausschließlich Italienisch. Lange Aufenthalte in Italien und Besuche seiner italienischen Großmutter verstärken den Effekt einer monolingual italienischen Entwicklung. Erst der Kontakt zu deutschsprachigen Kindern im Kindergarten fördert die Entwicklung des Deutschen, die sich im Laufe der Datenerhebung zuungunsten des Italienischen durchsetzt. Mit der Auswanderung der Familie nach Italien endet die Dokumentation der Sprachentwicklung des bilingualen Kindes Aurelio im Alter von 4; 0,28 Jahren. Das bilinguale Mädchen Carlotta wird im Juli 1995 in Hamburg geboren und wächst als Einzelkind mit seiner italienischen Mutter, die aus Rom stammt, und ihrem deutschsprachigen Vater auf. Auch in diesem Fall erziehen die Eltern ihre Tochter nach der Methode une personne une langue und wählen das Italienische als Familiensprache. Zudem tragen Aufenthalte in Italien und Besuche italienischsprachiger Personen dazu bei, dass das in einer deutschen Umgebung lebende Kind umfassenden italienischen Input erhält. Darüber hinaus hat die Familie ein italienisches Kindermädchen eingestellt, das Carlotta in ihren ersten Lebensjahren sporadisch betreut. Mit Eintritt in einen deutschen Kindergarten im Alter von 3; 1 Jahren bekommt Carlotta verstärkten Kontakt mit deutschsprachigen Kindern. In der vorliegenden Arbeit wird die sprachliche Entwicklung des Mädchens von 1; 8,28 bis 4; 1,0 Jahre untersucht. Der deutsch-italienisch aufwachsende Junge Jan-Philip kommt im Juni 1996 zur Welt und wächst mit einem älteren und einem jüngeren Bruder in Hamburg auf. Seine Mutter kommt aus der norditalienischen Region Piemont und spricht ausschließlich Italienisch mit ihren Kindern. Der deutschsprachige Vater übernimmt die Vermittlung der deutschen Sprache, die als Familiensprache gewählt worden ist. Wie bei den zuvor beschriebenen Longitudinalstudien werden in der Interaktion zwischen Erwachsenem und Kind die elterlichen Muttersprachen gesprochen. Obwohl Jan-Philip bis zum Eintritt in den deutschen Kindergarten hauptsächlich italienischen Input erhält, wird die noch vorzustellende Analyse seiner Sprachentwicklung eine sprachliche Unausgeglichenheit zugunsten der deutschen Sprache herausstellen. Aufgrund der Berufstätigkeit seines Vaters ist Jan-Philip verstärkt der italienischen und weniger der deutschen Sprache ausgesetzt. Durch die Betreuung mit italienisch- und deutschsprachigen Kindermädchen soll eine möglichst homogene Vermittlung beider Sprachen gewährleistet werden, da die Kinder in den ersten Lebensjahren hauptsächlich italienischen Input erhalten. Die Quantität des sprachspezifischen Inputs scheint jedoch die Sprachentwicklung des Kindes nicht dahingehend zu beeinflussen, dass das Kind vornehm- <?page no="258"?> 258 lich Italienisch spricht. Die nachstehenden MLU-Differenzen werden seine sprachliche Überlegenheit im Deutschen bestätigen. Längere Aufenthalte in Italien können den Umstand nicht verhindern, dass Jan-Philip das Italienische verweigert und bevorzugt Deutsch spricht. Die in dieser Arbeit durchgeführte Analyse des kindlichen Spracherwerbs setzt bei dem Alter von 2; 0,11 Jahren ein und endet mit 4; 0,14 Jahren. Das im August 1999 in Hamburg geborene Mädchen Lilli wächst bilingual mit ihrer deutschsprachigen Mutter und ihrem italienischen Vater auf. Die Familie hat als gemeinsame Sprache im familiären Kontext das Italienische gewählt, wobei beide Elternteile darauf achten, mit ihren Kindern ihre jeweilige Muttersprache zu sprechen. Lilli hat eine 13 Jahre ältere Schwester und ihre Mutter spricht sehr gut Italienisch. Die Familie versucht ihre Weihnachts- und Sommerferien in Italien zu verbringen, damit ihre Kinder die Möglichkeit haben, mit der italienischen Gesellschaft in Kontakt zu treten. Lillis Spracherwerb ist dadurch gekennzeichnet, dass sie zu Beginn der Studie unabhängig von der Sprache ihrer Interaktionspartner kaum Italienisch und fast ausschließlich Deutsch spricht. Das Mädchen entwickelt eine sprachliche Präferenz zugunsten der deutschen Sprache, die anhand der erhobenen MLU-Werte bestätigt werden kann. Ab der 30. Aufnahme (3; 3,21 Jahre) erfolgt ein Wechsel der italienischen Interaktionspartnerin, welcher positive Auswirkungen auf Lillis Verhalten während der Sprachaufzeichnungen nimmt. Das Mädchen spricht verstärkt Italienisch in der italienischen Aufnahme und mischt ihre beiden Sprachen weniger häufig. Lilli gebraucht verstärkt die italienische Sprache und ihre ausgeprägte, sprachliche Unausgeglichenheit aus der ersten Erwerbsphase nimmt ab dem dritten Lebensjahr ab. Für die Analyse des Subjekterwerbs ist die Sprachdokumentation dieses Kindes von 2; 0,10 bis 4; 0,1 Jahren herangezogen worden. Luca-Daniele wird im Oktober 2000 in Hamburg geboren und wächst mit seinen Eltern und seiner 17 Jahre älteren Schwester, die nicht bilingual aufgewachsen ist, jedoch das Italienische sehr gut versteht, auf. Sein Vater ist Deutscher, während seine Mutter aus Norditalien kommt und aufgrund ihres jahrelangen Aufenthalts in Deutschland über sehr gute Deutschkenntnisse verfügt. Es gibt keine genauen Angaben über die Wahl der Familiensprache. Dokumentiert ist hingegen, dass Luca-Daniele hauptsächlich auf Deutsch mit seiner Schwester kommuniziert. Die Familie erhält in unregelmäßigen Abständen Besuch aus Italien, sodass Luca- Daniele auch mit monolingual italienischen Personen in Kontakt tritt. Die Familie legt großen Wert darauf, dass Luca-Daniele ausreichend italienischen Input erhält. Längere Italienaufenthalte während der Sommerferien unterstützen die Entwicklung und den Erwerb der romanischen Sprache. Der Junge tritt kurz nach der Vollendung seines zweiten Lebens- <?page no="259"?> 259 jahres in einen monolingual deutschen Kindergarten ein. Über den gesamten Untersuchungszeitraum konnte keine sprachliche Präferenz zugunsten der einen oder anderen Sprache festgestellt werden: Der Junge kann als sprachlich balanciert eingestuft werden; eine Einschätzung, die der nachstehende MLU-Vergleich bestätigen wird (vgl. Abbildung 5.7). Im Hinblick auf den Subjekterwerb sind seine monolingual deutschen und italienischen Äußerungen ab einem Alter von 1; 6,5 bis 4; 0,5 Jahren analysiert worden. Der bilingual aufwachsende Junge Lukas wird im Juni 1996 in Hamburg geboren und wächst zum Zeitpunkt der Datenerhebung als Einzelkind mit seiner italienischen Mutter und seinem deutschsprachigen Vater auf. Obwohl die Eltern untereinander Deutsch sprechen, wird im Gespräch mit ihrem Kind die jeweilige Muttersprache gewählt. Das Kind erhält den sprachspezifischen Input über die Interaktionen mit seinen Eltern, die längere Italienreisen mit ihrem Sohn organisieren. Vor seinem Eintritt in einen deutschen Kindergarten im Alter von 3; 1 Jahren erhält das Kind ausschließlich sprachlichen Input über seine Eltern und Familienangehörige, die die Familie zu bestimmten Anlässen besuchen. Die tägliche Begegnung mit deutschsprachigen Kindern im Kindergarten wirkt sich auf die sprachliche Entwicklung des Kindes aus und hat einen Rückgang in der Entwicklung der italienischen Sprache zufolge. Während Lukas bis zur Vollendung seines dritten Lebensjahres als sprachlich ausgeglichenes Kind angesehen werden kann, stellt sich ab einem Alter von 3; 3 Jahren eine deutliche Präferenz für das Deutsche heraus (vgl. Abbildung 5.7). Arencibia (2008) und Cantone et al. (2008) haben eine Normalisierung seiner Sprachentwicklung ab 4; 0,5 Jahren festgestellt. In der vorliegenden Studie zum Subjekterwerb steht der Untersuchungszeitraum zwischen 1; 7,12 und 4; 0,5 Jahren im Mittelpunkt der Analyse. Das deutsch-italienische Mädchen Marta kommt im April 2000 in Hamburg zur Welt und wächst gemeinsam mit seinem älteren Bruder Lorenz und seinen Eltern auf. Seine Mutter stammt aus der Region Venetien und ist bilinguale Sprecherin des Deutschen und Italienischen. Martas Mutter spricht ausschließlich Italienisch mit ihren Kindern, während der Familienvater in der Interaktion mit seinen Kindern das Deutsche verwendet. Als Familiensprache wählt die Familie die romanische Sprache, die auch die Geschwister untereinander sprechen. Durch längere Italienaufenthalte und Besuche des italienischen Großvaters versucht die Familie, die Nicht-Umgebungssprache, das Italienische, zu fördern. Bereits im Alter von zwei Jahren besucht Marta einen deutschen Kindergarten und lernt viele deutschsprachige Freunde kennen. Um die Förderung der romanischen Sprache aufrechtzuerhalten, entschließt sich Martas Vater dazu, mit ihr auf Italienisch zu kommunizieren. Diese Entschei- <?page no="260"?> 260 dung soll dazu beitragen, Marta mit einer verhältnismäßig homogenen Menge an italienischem und deutschem Input zu versorgen. Der für den Subjekterwerb festgelegte Untersuchungszeitraum beginnt ab einem Alter von 1; 6,26 Jahren und endet wenige Tage nach der Vollendung des vierten Lebensjahres. Der Entschluss, bei der sprachlichen Erziehung der Kinder nach dem Prinzip une personne une langue zu verfahren und die individuelle Kompetenz in der Nicht-Umgebungssprache des Vaters zu nutzen, haben zu einer ausgeglichenen Sprachentwicklung des Kindes geführt (vgl. Abbildung 5.7). Im Gegensatz zu den bisher vorgestellten deutsch-italienischen Longitudinalstudien wird Valentin im November 2003 in Italien, Trento, geboren und wächst gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Alex, seiner deutschsprachigen Mutter und seinem aus Rom stammenden Vater auf. Beide Elternteile sind Linguisten an den Universitäten von Verona und Bergamo und sprechen untereinander Italienisch. Die romanische Sprache hat die Familie als Familiensprache gewählt und die Zwillinge sprechen ebenfalls untereinander Italienisch. Noch kurz vor dem dritten Lebensjahr tritt Valentin in einen italienischsprachigen Kindergarten in Isera ein und besucht sporadisch einen deutschen Kindergarten in Meran. Der seltene Kontakt zur deutschen Sprache hat zufolge, dass Valentin das Italienische sehr schnell erwirbt und das Deutsche verweigert. Die MLU-Differenzen stellen eine deutliche Verzögerung im Erwerbsverlauf der deutschen Sprache heraus (vgl. Abbildung 5.7). Die Besuche seiner deutschsprachigen Großmutter mütterlicherseits und von Freunden aus Berlin können das sprachliche Ungleichgewicht nicht beheben. Erst ein längerer Aufenthalt im deutschen Kindergarten im Alter von vier Jahren fördert die Sprachentwicklung im Deutschen. Über den gesamten Untersuchungszeitraum, der sich für den diskutierten Forschungsgegenstand auf eine Altersspanne zwischen 1; 11,3 und 4; 0,7 Jahren beschränkt, ist Valentin hauptsächlich italienischem Input ausgesetzt. Sprachdominanz der deutsch-italienischen Kinder In Anlehnung an Arencibia Guerra (2008) werden die bilingualen Longitudinalstudien im Hinblick auf den Balanciertheitsgrad anhand der MLU-Differenz und der durchschnittlichen MLU-Differenz analysiert. Hierzu werden zunächst die sprachspezifischen MLU-Werte der bilingualen Kinder in Abbildung (5.5) über den gesamten Untersuchungszeitraum abgebildet. Nach Arencibia Guerra (2008) durchlaufen die bilingualen Kinder Aurelio und Lukas einen Phasenwechsel in ihrer sprachlichen Entwicklung. Dieser Phasenwechsel besteht darin, dass die bilingualen Jungen ab einem bestimmten Alter entweder die eine oder die andere Sprache als ihre <?page no="261"?> 261 stärkere bzw. schwächere Sprache erwerben. Der Übergang von einer ausgeglichenen in eine unausgeglichene Sprachentwicklung wird darüber definiert, dass die MLU-Differenz in fünf aufeinanderfolgenden Sprachaufnahmen um mindestens 0,9 Wörter differieren muss. Die Illustration der individuellen MLU-Differenzen in Abbildung (5.5) und der ermittelten durchschnittlichen MLU-Differenzen in Abbildung (5.6) werden diese Beobachtung bestätigen. Die nachstehende Abbildung (5.5) zeigt im oberen Bereich die MLU-Entwicklung im Deutschen und im unteren Bereich die Entwicklung der italienischen MLU-Werte der deutsch-italienischen Kinder Au relio, Ca rlotta, Ja n-Philip, Li lli, L uca- D aniele, Lu kas, Ma rta und Va lentin. Abb. (5.5) Den Entwicklungsverläufen und der Einteilung der bilingualen Kinder von Arencibia Guerra (2008: 70) folgend können die Kinder Carlotta, Luca-Daniele und Marta als stark balancierte Kinder klassifiziert werden. Diese Einstufung der sprachlichen Entwicklung ergibt sich aus der Beobachtung, dass die soeben erwähnten Kinder eine MLU-Differenz in unmittelbarer Nähe der Nulllinie aufweisen. Die bilingualen Kinder Aurelio und Lukas hingegen durchlaufen Entwicklungsphasen, in denen sich die MLU-Differenz entweder zugunsten oder zuungunsten der einen oder der anderen Sprache entwickelt. Im Weiteren stellen sich die bilingualen Kinder Jan-Philip und Lilli als unbalancierte Kinder heraus, die jeweils das Deutsche, ihre Umgebungssprache, als die sich schneller ent- MLU-Entwicklung der deutsch-italienischen Kinder -6 -4 -2 0 2 4 6 1 ; 6,0 1 ; 8,0 1 ; 1 0,0 2 ; 0,0 2 ; 2,0 2 ; 4,0 2 ; 6,0 2 ; 8,0 2 ; 1 0,0 3 ; 0,0 3 ; 2,0 3 ; 4,0 3 ; 6,0 3 ; 8,0 3 ; 1 0,0 4 ; 0,0 Alte r Italienisch Deutsch Au dt. Au it. Au Diff. C a dt. C a it. C a Diff. J a dt. J a it. J a Diff. Li dt. Li it. Li Diff. Ld dt. Ld it. Ld Diff. Lu dt. Lu it. Lu Diff. M a dt. M a it. M a Diff. Va dt. Va it. Va Diff. <?page no="262"?> 262 wickelnde Sprache erwerben. Schließlich kann anhand der MLU- Differenz des in Italien lebenden Jungen Valentin geschlussfolgert werden, dass seine sprachliche Entwicklung im Italienischen der im Deutschen extrem überlegen ist. Diese Einschätzungen der bilingualen Kinderdaten bezüglich des individuellen Balanciertheitsgrads können in der unten stehenden Abbildung (5.6), die ausschließlich die MLU-Differenzen der deutsch-italienischen Kinder darstellt, überprüft werden. Abb. (5.6) Wie bereits angedeutet können für die bilingualen Kinder Aurelio und Lukas Entwicklungsphasen mit unterschiedlichem Balanciertheitsgrad festgestellt werden (vgl. Arencibia Guerra 2008: 67): Aurelio wird in einer ersten Phase zwischen 1; 9,27 und 2; 1,23 Jahren als balanciertes Kind eingestuft, da seine durchschnittliche MLU-Differenz in dieser Altersspanne bei 0,38 Wörtern liegt. Ab einem Alter von 2; 1,23 Jahren entwickelt er eine starke Überlegenheit im Italienischen und weist bis zu einem Alter von 3; 5,2 Jahren eine durchschnittliche MLU-Differenz von 1,67 Wörtern in mehr als fünf aufeinander folgenden Sprachaufnahmen auf. Seine dritte Entwicklungsphase reicht von 3; 5,16 bis 4; 0,9 Jahren und ist erneut von einer balancierten Sprachentwicklung gekennzeichnet. Für die Forscherin stellt die zweite Entwicklungsphase aufgrund ihrer Dauer und Repräsentativität die aussagekräftigste Phase für die Ermittlung des Balanciertheitsgrads dar. Insgesamt wird Aurelio als ein unbalanciertes Kind mit einer starken Überlegenheit im Italienischen klassifiziert.Im Weiteren MLU-Differenzen der deutsch-italienischen Kinder -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 1; 6,0 1; 8,0 1; 10,0 2; 0,0 2; 2,0 2; 4,0 2; 6,0 2; 8,0 2; 10,0 3; 0,0 3; 2,0 3; 4,0 3; 6,0 3; 8,0 3; 10,0 4; 0,0 Alte r Italienisch Deutsch Au Diff. Ca Diff. Ja Diff. Li Diff. Ld Diff. Lu Diff. M a Diff. Va Diff. <?page no="263"?> 263 kann für den bilingualen Jungen Lukas eine Zweiteilung seiner MLU-Entwicklung festgestellt werden: In einer ersten Phasen von Untersuchungsbeginn bis zu einem Alter von 3; 3,2 Jahren gilt er mit einer durchschnittlichen MLU-Differenz von 0,06 Wörtern als stark balanciert. In einer sich anschließenden zweiten Phase von 3; 3,2 Jahren bis zur Vollendung seines vierten Lebensjahres stellt sich eine sprachliche Überlegenheit zugunsten des Deutschen heraus. In dieser zweiten Phase liegt die durchschnittliche MLU-Differenz bei 1,71 Wörtern, sodass Lukas als stark unbalanciertes Kind eingestuft werden kann. Der nachstehenden Abbildung (5.7) können die ermittelten durchschnittlichen MLU-Differenzen der deutsch-italienischen Kinder unter Berücksichtigung der individuellen Phasenwechsel entnommen werden. Abb. (5.7) Arencibia Guerra (2008: 67) macht jedoch für die bilingualen Kinder Aurelio und Lukas darauf aufmerksam, dass eine angemessene Beurteilung der Entwicklungsverläufe mit Phasenwechsel die Ermittlung von Durchschnittswerten erforderlich macht. Demnach ergibt sich die folgende Rangfolge der bilingualen Kinder von stark balanciert nach extrem überlegen: Carlotta > Marta > Luca-Daniele > Jan-Philip > Lilli > Aurelio > Lukas > Valentin . Durchschnittliche MLU-Differenz (DMLUD) der deutsch-italienischen Kinder 0 0,3 0,6 0,9 1,2 1,5 1,8 Lukas (2. P h.) Aurelio (2. P h.) Valentin Lilli Jan-P hilip Aurelio (3. P h. ) Aurelio (1. P h.) Luca-Daniele Mart a Carlott a Lukas (1. P h.) W örte r DMLUD <?page no="264"?> 264 Im nächsten Abschnitt werden die deutsch-spanischen Kinder Arturo und Teresa vorgestellt und der Balanciertheitsgrad der bilingualen Kinder anhand der MLU-Entwicklung ermittelt. 5.2.3 Bilingual deutsch-spanisch aufwachsende Kinder An dieser Stelle erfolgt die Beschreibung der involvierten deutschspanischen Kinder, deren Longitudinalstudien in Deutschland erhoben worden sind und im Folgenden kurz präsentiert werden sollen. Das deutsch-spanische Kind Arturo wird im August 2002 in Wuppertal geboren und wächst bis wenige Monate nach seinem zweiten Lebensjahr als Einzelkind mit seiner spanischen Mutter und seinem deutschsprachigen Vater auf. Seine jüngere Schwester Teresa stellt in der vorliegenden Arbeit die zweite analysierte deutsch-spanische Longitudinalstudie dar und wird im Anschluss an Arturos Kurzbeschreibung vorgestellt. Die Familie wählt die romanische Sprache als Familiensprache und verwendet in der Interaktion mit ihren Kindern die jeweilige Muttersprache. Im Laufe der Datenerhebung wird deutlich, dass die Geschwister untereinander beide Sprachen sprechen und die Sprachwahl von externen Faktoren abhängig ist. Die Sprachentwicklung des deutschspanischen Jungen ist von der Häufung und der Dauer der Spanienaufenthalte, der Besuche von deutsch- oder romanischsprachigen Personen und vom Eintritt in einen monolingual deutschen Kindergarten im Alter von 2; 1 Jahren geprägt. Die anfängliche Sprachentwicklung des deutschspanischen Kindes ist durch eine starke Präferenz zugunsten des Deutschen gekennzeichnet, obwohl es durch spanischsprachige Familienangehörige und mehrere Kindergartenaufenthalte in Spanien genügend spanischen Input erhält. In fortgeschritteneren Erwerbsphasen nimmt das Spanische zwar sporadisch zu, bleibt jedoch der Sprachentwicklung im Deutschen unterlegen. Die Untersuchung seiner deutsch-spanischen Kinderdaten erstreckt sich in der vorliegenden Arbeit über die Altersspanne von 2; 3,23 bis 5; 3,29 Jahren. Die Dokumentation der letzten Erwerbsmonate legen einen zunehmenden Gebrauch der spanischen Sprache nahe (vgl. Abbildung 5.8). Das bilingual aufwachsende Kind Teresa wird im Januar 2005 in Wuppertal geboren und wächst mit seinem älteren Bruder Arturo auf. Informationen zur sprachlichen und familiären Situation können der Kurzbeschreibung seines Bruders entnommen werden. Die anfängliche Phase des Spracherwerbs ist von Kongruenzfehlern und vornehmlich deutschen Sprachmischungen in den spanischen Aufnahmen geprägt. Außerdem wird ein geringer Lexikonanstieg verzeichnet, welcher ab 2; 4 Jahren allmählich zunimmt. Ebenso wie ihr Bruder Arturo verbringt Te- <?page no="265"?> 265 resa diverse Spanienaufenthalte bei ihren spanischen Großeltern und besucht während dieser Zeit einen spanischen Kindergarten. Ab ihrem zweiten Lebensjahr tritt sie in einen monolingual deutschen Kindergarten ein. Über den gesamten Untersuchungszeitraum kann eine sprachliche Überlegenheit zuungunsten der romanischen Sprache festgestellt werden. Im Hinblick auf den Subjekterwerb sind ihre Spontandaten in der Altersspanne zwischen 1; 5,29 und 5; 0,29 Jahren untersucht worden. Sprachdominanz der deutsch-spanischen Kinder In Anlehnung an die deutsch-italienischen Longitudinalstudien wird für die deutsch-spanischen Kinder Ar turo und Te resa der Balanciertheitsgrad ebenfalls anhand der (durchschnittlichen) MLU-Differenz ermittelt. Die unten stehende Abbildung (5.8) stellt im oberen Bereich das Deutsche und im unteren das Spanische der bilingualen Kinder dar. Abb. (5.8) Das Kind Arturo kann im Hinblick auf seine MLU-Differenz als unbalanciertes Kind mit einer sprachlichen Überlegenheit im Deutschen klassifiziert werden. Über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg entwickelt sich die ermittelte MLU-Differenz stets zugunsten seiner Umgebungssprache. Darüber hinaus beläuft sich seine durchschnittliche MLU- Differenz in mehr als fünf aufeinanderfolgenden Sprachaufnahmen auf 0,93 Wörter, sodass er als unbalanciertes Kind eingestuft werden kann. Seine Schwester Teresa hingegen kann mit einer durchschnittlichen MLU- Differenz von 0,62 Wörtern als ein sprachlich ausgeglichenes Kind mit leichter Tendenz zum Deutschen eingestuft werden. Ab dem Alter von 2; 11,13 Jahren nimmt die sprachliche Überlegenheit des Mädchens zu- MLU-Entwicklung der deutsch-spanischen Kinder -6 -4 -2 0 2 4 6 1; 6,0 1; 9,0 1; 11,0 2; 1,0 2; 3,0 2; 5,0 2; 7,0 2; 9,0 2; 11,0 3; 1,0 3; 3,0 3; 5,0 3; 7,0 3; 9,0 3; 11,0 4; 1,0 4; 3,0 4; 5,0 4; 7,0 4; 9,0 5; 2,0 Alte r Spanisch Deutsch Ar dt . Ar sp. Ar Diff. T e dt . T e sp. T e Diff. <?page no="266"?> 266 gunsten des Deutschen zwar zu, dennoch weist es insgesamt im Hinblick auf die durchschnittliche MLU-Differenz eine balancierte Sprachentwicklung auf. Für die deutsch-spanischen Kinder ergibt sich folgende Rangfolge von balanciert nach überlegen: Teresa > Arturo . Im Anschluss an die Ermittlung des Balanciertheitsgrads der deutschspanischen Kinder wird die Kurzbeschreibung der französischitalienischen Kinder erfolgen. 5.2.4 Bilingual französisch-italienisch aufwachsende Kinder Schließlich sollen die bilingual französisch-italienischen Studien vorgestellt werden, die im romanischsprachigen Ausland angefertigt worden sind und somit die Relevanz der Umgebungssprache in den Vordergrund stellen. Das französisch-italienische Kind Juliette wird im März 2004 in Paris geboren und wächst bis zu einem Alter von 1; 9 Jahren als Einzelkind auf. Im Dezember 2005 kommt der jüngere Bruder Mattias zur Welt, mit dem Juliette ausschließlich Französisch spricht. Ihre Mutter ist Französin und verfügt über keinerlei Italienischkenntnisse. Ihr Vater kommt aus einer norditalienischen Region und ist bilingualer Sprecher der involvierten romanischen Sprachen. Als Familiensprache hat die Familie das Französische gewählt, wobei die Eltern nach der Methode une personne une langue jeweils ihre Muttersprache mit ihren Kindern sprechen. Im Alter von 2; 6 Jahren besucht Juliette einen französischen Kindergarten und entwickelt über den gesamten Untersuchungszeitraum eine leichte Präferenz für das Französische. Ab ihrem vierten Lebensjahr nehmen die sprachliche Überlegenheit zuungunsten des Italienischen und die Präsenz von französischen Sprachmischungen während der italienischen Aufnahme zu. Juliettes Subjekterwerb wird ab dem Alter von 1; 8,16 Jahren bis kurz vor der Vollendung ihres fünften Lebensjahres untersucht. Mit 4; 11,19 Jahren endet die Dokumentation dieser in Paris durchgeführten Longitudinalstudie. Das zweite bilinguale Kind in der französisch-italienischen Sprachkombination ist das Mädchen Siria, welches im Mai 2004 in Rom geboren wird. Dort wächst es als Einzelkind mit seiner französischen Mutter und seinem italienischsprachigen Vater auf, die jeweils in ihren Muttersprachen mit ihrer Tochter interagieren. Als Familiensprache hat die Familie das Italienische gewählt. Seit ihrem fünften Lebensmonat wird Siria von einem italienischen Kindermädchen betreut, sodass sie vornehmlich italienischen Input erhält. Ausflüge zu ihren Großeltern in die französisch- <?page no="267"?> 267 sprachige Schweiz, ermöglichen ihr verstärkten Kontakt zu ihrer zweiten Muttersprache. Im September 2007 tritt Siria in einen monolingual italienischen Kindergarten ein und bildet eine deutliche Präferenz für die italienische Sprache aus. Die Studie wird mit der Vollendung des fünften Lebensjahres abgeschlossen und für die Analyse des Subjekterwerbs werden ihre Spontandaten zwischen 1; 6,12 Jahren und 4; 4,5 Jahren betrachtet. Im Folgenden wird die Ermittlung des Balanciertheitsgrads der französisch-italienischen Mädchen anhand der sprachspezifischen MLU- Entwicklungen ermittelt. Sprachdominanz der französisch-italienischen Kinder Die unten stehende Abbildung (5.9) liefert anhand der individuellen MLU-Differenzen einen Überblick über die sprachliche Entwicklung der französisch-italienischen Mädchen Ju liette und Si ria. Abb. (5.9) Für das bilinguale Mädchen Juliette lässt sich eine Zweiteilung der sprachlichen Entwicklung feststellen, wie sie bereits für das deutschitalienische Kind Lukas beobachtet werden konnte: In einer ersten Phase zwischen 1; 8,16 und 2; 11,19 Jahren durchläuft das Mädchen eine sprachlich ausgeglichene Entwicklung, in der die durchschnittliche MLU-Differenz bei 0,42 Wörtern liegt. Demnach kann Juliette bis zur Vollendung ihres dritten Lebensjahres als sprachlich balanciertes Kind klassifiziert werden. Ab einem Alter von 3; 0,10 Jahren bis zum Ende der Sprachdokumentation stellt sich jedoch eine deutliche Präferenz zugunsten des Französischen ein, die anhand der durchschnittlichen MLU-Differenz, welche in dieser zweiten Phase bei 1,27 Wörtern liegt, bestätigt werden MLU-Entwicklung der französisch-italienischen Kinder -6 -4 -2 0 2 4 6 1; 6,0 1; 8,0 1; 10,0 2; 0,0 2; 2,0 2; 4,0 2; 6,0 2; 8,0 2; 10,0 3; 0,0 3; 3,0 3; 5,0 3; 8,0 3; 10,0 4; 0,0 4; 3,0 4; 6,0 4; 11,0 Alte r Italienisch Französisch Ju Frz. Ju it . Ju Diff. Si Frz. Si It . Si Diff. <?page no="268"?> 268 kann. In Anlehnung an Arencibia Guerra (2008) stellt sich bei der Ermittlung einer durchschnittlichen MLU-Differenz aus beiden Entwicklungsphasen insgesamt eine balancierte Sprachentwicklung mit einer Tendenz zum Französischen heraus. Das bilinguale Kind Siria erwirbt das Italienische wie Juliette, wobei sich ab dem vierten Lebensjahr ein deutlicher Unterschied im Italienischen der beiden Mädchen abzeichnet. Während Sirias MLU-Werte stetig zunehmen, nehmen Juliettes kontinuierlich ab. Darüber hinaus kann Siria bis zu einem Alter von 3; 5,8 Jahren als stark balanciertes Kind eingestuft werden, da sich die durchschnittliche MLU- Differenz bis zu diesem Zeitpunkt auf 0,25 Wörter beläuft. Der starke Rückgang der französischen MLU-Werte ab einem Alter von 3; 7,2 Jahren lässt eine sprachliche Präferenz zugunsten des Italienischen erahnen. Jedoch kann die weitere Entwicklung des bilingualen Mädchens aufgrund fehlender MLU-Werte im Französischen nicht näher erläutert und beurteilt werden. Demnach kann für die französisch-italienischen Mädchen anhand der ermittelten MLU-Werte die Rangfolge von stark balanciert nach balanciert mit Tendenz im Französischen erstellt werden: Siria > Juliette . Die Vorstellung der monolingualen und bilingualen Studien hat vornehmlich die MLU-Entwicklung sowie den Balanciertheitsgrad der involvierten Kinder präsentiert. Das sich nun anschließende Kapitel wird den Subjekterwerb der monolingualen und bilingualen Kinder aus einer quantitativen Perspektive untersuchen. Die empirische Untersuchung schließt mit einer qualitativen Analyse der Longitudinalstudien in Kapitel 7 ab. Eine Interpretation der Untersuchungsergebnisse im Rahmen des generativen Grammatikmodells wird in Kapitel 8 erfolgen. <?page no="269"?> 269 6 Quantitative Untersuchung der Longitudinalstudien: Die Realisierung der Subjektposition im monolingualen und bilingualen Erstspracherwerb Nach einer Einführung in den fokussierten grammatischen Bereich und der Erläuterung theoretischer Zusammenhänge, die vornehmlich das Phänomen der Sprachentrennung, des Spracheneinflusses sowie der Sprachdominanz und die Beschreibung der Zielsysteme unter Einschluss des Subjektgebrauchs in den entsprechenden Erwachsenensystemen betreffen, soll in den nachstehenden Kapiteln die Analyse der erhobenen Kinderdaten vorgestellt und diskutiert werden. Während sich der erste Teil der vorliegenden Arbeit mit der theoretischen Auseinandersetzung der im Mittelpunkt stehenden Fragestellung beschäftigt, wird nun der Subjekterwerb im monolingualen und bilingualen Individuum analysiert. Die empirische Untersuchung geht sowohl dem Subjekterwerb bei monolingual und bilingual aufwachsenden Kindern als auch der Beschreibung und Interpretation der Kinderdaten aus quantitativer und qualitativer Sicht nach. Die quantitative Analyse des kindlichen Sprachmaterials befasst sich mit der Realisierung der Subjektposition im einfachen und doppelten Erstspracherwerb. Die gleichen Kinderdaten werden unter einer qualitativen Fragestellung, nämlich der des personenspezifischen Subjektgebrauchs, interpretiert sowie untereinander verglichen (vgl. Kapitel 7). Der Vergleich der bilingualen Kinderdaten erfolgt über die monolingualen Longitudinalstudien und die jeweiligen Zielsysteme. Dieses Vorgehen soll Aufschluss darüber geben, ob im Rahmen des bilingualen Erstspracherwerbs für den hier diskutierten grammatischen Bereich Spracheneinfluss nachgewiesen werden kann und welche Rolle die Sprachdominanz beim Erwerb des Subjekts übernimmt. Außerdem sollen anhand der im vierten Kapitel dargelegten syntaktischen Beschreibung der Subjektposition der involvierten (Nicht-)Nullsubjektsprachen die Auswirkungen der Sprachkombination auf den Erwerbsverlauf dieses grammatischen Phänomens erforscht werden. Vor dem Hindergrund eines modular angelegten Grammatikwissens soll mittels der Kinderdaten die Frage nach der Überschneidung von Grammatikmodulen und somit dem Auftreten von Spracheneinfluss in den herangezogenen Sprachkombinationen geklärt werden. Im Hinblick auf die Rolle der Sprachdominanz, der Sprachkombination und des Auftretens von Spracheneinfluss sollen die analysierten Kinderdaten die zuvor formulierten <?page no="270"?> 270 Hypothesen verifizieren oder falsifizieren. Aus diesem Grund sind im vorangegangenen Kapitel die MLU-Entwicklungen der monolingualen und die MLU-Differenzen sowie die daraus resultierenden Balanciertheitsgrade der bilingualen Kinder präsentiert bzw. ermittelt worden. In diesem Kapitel wird eine quantitativ angelegte Analyse der monolingualen und bilingualen Kinderdaten erfolgen, die die Realisierung der Subjektposition als Auslassung, lexikalische Nominalphrase oder Subjektpronomen in den Vordergrund stellt. Schließlich werden der monolinguale und der bilinguale Subjekterwerb evaluiert: Für den monolingualen Erwerb stehen die respektiven Erwachsenensprachen als Kontrollgruppe zur Verfügung. Im Rahmen des bilingualen Subjekterwerbs wird zunächst mit den monolingualen Longitudinalstudien und schließlich unter den Sprachkombinationen verglichen. Im Folgenden werden die Subjektauslassungen der monolingualen und bilingualen Kinder anhand einiger Graphiken in Abhängigkeit der MLU-Entwicklung vorgestellt. Die Präsentation der monolingualen Daten erfolgt im Italienischen, Spanischen, Französischen und Deutschen, während die bilingualen Kinderdaten in der Reihenfolge Deutsch-Italienisch, Deutsch-Spanisch und Französisch-Italienisch aufgeführt werden. 126 Die monolingualen und bilingualen Daten werden zunächst anhand einer Graphik, die einen Überblick der prozentualen Verteilung der Subjektauslassungen und der -realisierungen liefert, abgebildet. Schließlich werden MLU-basierte Entwicklungsgraphiken Aufschluss über den Subjekterwerb im gesamten Untersuchungszeitraum geben. 6.1 Der Subjekterwerb der monolingual italienischen Kinder Nach einer kurzen Vorstellung der in der vorliegenden Studie beteiligten monolingual italienischen Kinder wird nun der Fokus der weiteren Ausführungen auf der Realisierung der Subjektposition bei monolingual italienisch aufwachsenden Kindern liegen. Die quantitative Analyse des Subjektgebrauchs stellt den ersten Teil der empirischen Untersuchung dar und liefert ein quantitatives Verhältnis zwischen Subjektauslassungen einerseits und Subjektrealisierungen andererseits. Die qualitative Analyse der monolingualen und bilingualen Kinderdaten sowie deren Interpreta- 126 Die Präsentation der monolingualen und bilingualen Kinderdaten erfolgt in Analogie zu Kapitel 5. Diese Reihenfolge wird aus Gründen der Kohärenz ebenfalls in Kapitel 7 im Rahmen der qualitativen Analyse der monolingualen und bilingualen Kinderdaten beibehalten. <?page no="271"?> 271 tion wird an anderer Stelle thematisiert (vgl. Kapitel 7). Die Subjektauszählungen, die zu einem bestimmten Alter bzw. MLU-Wert unter dem absoluten Wert von fünf liegen, sind nicht in die graphische Darstellung eingegangen. 127 Dieses Vorgehen kann ein authentisches Abbilden der individuellen Sprachentwicklung gewährleisten und mögliche Verzerrungen vermeiden. Der Ausschluss dieser sehr geringen Datenbasis ist vor allem für die Graphiken relevant, die in Abhängigkeit der MLU- Entwicklung die ausgelassenen und realisierten Subjekte über den gesamten Untersuchungszeitraum präsentieren. 6.1.1 Die Subjektposition der italienischen Kinder Die unten stehende Abbildung (6.1) ermöglicht einen direkten Vergleich der Realisierungen der Subjektposition der untersuchten monolingualen Kinder. Abb. (6.1) Bei allen Kindern belaufen sich die Subjektauslassungen auf mindestens 60%, wobei Raffaello den Höchstwert von 79% erreicht. Zu etwa 9% wird in allen Longitudinalstudien die Subjektposition als lexikalische Nominalphrase realisiert. Dieser Prozentsatz steigt bei Giorgia auf bis zu 16% an und markiert somit den höchsten Wert an lexikalischen Realisierungen. Die pronominalen Realisierungen schwanken zwischen 9% und dem maximalen Wert von 35%. Letztere Werte sind für die Longitudinalstudien der Kinder Raffaello und Martina ermittelt worden. Die Mädchen 127 Dies gilt für alle in diesem Zusammenhang untersuchten Longitudinalstudien. 934 1135 3753 82 292 539 106 81 745 251 434 1192 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Giorgia Martina Raffaello Rosa Realisierung der S ubjektposition der italienischen Kinder Auslassung P ronomen lex. NP <?page no="272"?> 272 Giorgia und Martina realisieren das Subjekt als Pronomen zu durchschnittlich 21%. Die Anzahl der ausgelassenen, pronominal oder lexikalisch realisierten Subjekte differiert in den untersuchten Studien, sodass sich die Ermittlung einer monolingual italienischen Norm als problematisch erweist. Für die Kinder Giorgia und Rosa kann ein sehr ähnliches Erwerbsverhalten festgestellt werden, wobei sich die Kinder Martina und Raffaello im Hinblick auf die pronominalen und ausgelassenen Subjekte von den Mädchen Giorgia und Rosa unterscheiden. Um die sprachliche Entwicklung der monolingual italienischen Kinder näher beschreiben zu können, sind in Abhängigkeit des MLU, eines kompetenzbasierten Kriteriums, das die Altersvariable ausblendet, die Realisierungen der Subjektposition als lexikalische Nominalphrase, Pronomen oder Auslassung analysiert worden. Die nachstehenden Abbildungen (6.2) und (6.3) geben einen Überblick über die Entwicklungsverläufe der monolingual italienischen Kinder Giorgia und Martina. Abb.(6.2) Wie bereits angedeutet verhalten sich die Mädchen Giorgia und Martina in Bezug auf alle syntaktischen Optionen der Realisierung der Subjektposition unterschiedlich. 128 Aufgrund der zeitlich begrenzten Erwerbsdokumentation des Kindes Martina können bis zu einem Alter von 2; 7 Jahren maximale MLU-Werte ermittelt werden, die unterhalb der durchschnittlichen Äußerungslänge von drei Wörtern liegen. Die ausgelassenen 128 Giorgias Entwicklungsverlauf setzt erst ab der zweiten MLU-Phase ein, da sie bereits zu Beginn der Sprachdokumentation die erste MLU-Phase übersprungen hat. <?page no="273"?> 273 Subjekte nehmen von etwa 80% in den ersten MLU-Phasen auf nahezu erwachsenensprachliche 60% ab. Abb. (6.3) Ab einem MLU-Wert von 3,0 belaufen sich Giorgias Subjektauslassungen zwischen 62 und 70%. In den letzten MLU-Phasen, ausgehend von einer durchschnittlichen Äußerungslänge von 3,5 Wörtern bis zum Ende der Sprachdokumentation, reguliert das Kind die Anzahl der Subjektauslassungen auf 66% und spiegelt somit das italienische Erwachsenensystem wider. Martinas Subjektauslassungen nehmen bis zu einem MLU-Wert von 2,99 stetig ab, wobei ihr Erwerbsverlauf mit dem minimalen Wert von 56% Auslassungen abschließt. Darüber hinaus unterscheiden sich beide Mädchen bezüglich der pronominalen und lexikalischen Realisierung der Subjektposition: Während Giorgia pronominale und lexikalische Subjekte mit ähnlicher Frequenz realisiert, gehen die lexikalischen Nominalphrasen und Pronomina, die Martina für die phonetische Realisierung des Subjekts gebraucht, bis zu etwa 20% auseinander. Diese Beobachtung lässt die Vermutung einer Präferenz für pronominal realisierte Subjekte zwar bei Martina, jedoch nicht bei Giorgia zu. Im Gegensatz zu Martina realisiert Giorgia lexikalische und pronominale Subjekte in gleichem Maße, nämlich zu durchschnittlich 15%. Die nachstehenden Abbildungen (6.4) und (6.5) visualisieren die Realisierung der Subjektposition der monolingualen Kinder Raffaello und Rosa. Ähnlich wie bei den zuvor beschriebenen Longitudinalstudien zeichnen sich auch hier Unterschiede zwischen Raffaellos und Rosas Entwicklungsverlauf ab. Während Raffaello über den gesamten Untersuchungszeitraum das Subjekt zu durchschnittlich 80% auslässt und sich Realisierung der S ubjektposition: Martina 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0-1.49 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 MLU % lex. NP Pronomen Auslassung <?page no="274"?> 274 somit vom italienischen Erwachsenensystem unterscheidet, belaufen sich Rosas Subjektauslassungen ab einem MLU-Wert von 2,0 und bis zum Ende der Dokumentation auf etwa 60%. Abb. (6.4) Darüber hinaus erfährt Rosas Entwicklung im Hinblick auf die Subjektauslassungen eine deutliche Veränderung zwischen der zweiten und der dritten MLU-Phase: Der prozentuale Anteil der ausgelassenen Subjekte der ersten beiden MLU-Phasen nimmt von 95% auf 62% ab. Ab einem MLU-Wert von 2,0 schwanken Rosas Subjektauslassungen nur noch minimal zwischen 62% und 56%. Dennoch bleibt das Mädchen unter der zielsprachlichen Norm von 66%. Im Gegensatz dazu liegen Raffaellos Subjektauslassungen mit 80% deutlich über dem erwachsenensprachlichen Prozentsatz. Bezüglich der lexikalischen und pronominalen Subjektrealisierungen zeichnet sich wie im Vergleich der beiden Mädchen Giorgia und Martina ein präferierter Gebrauch von pronominalen Subjekten ab. Dies ist vor allem bei Rosa der Fall, die ab einem MLU-Wert von 2,0 zu durchschnittlich 30% Subjektpronomina verwendet. Ihre lexikalischen Realisierungen nehmen erst ab einem MLU-Punkt von 2,5 auf bis zu 10% zu, überschreiten jedoch nie 20%. Raffaello verhält sich im Rahmen der lexikalischen und pronominalen Subjekte wie Giorgia. Im Laufe der Sprachentwicklung schwanken sowohl die lexikalisch als auch die pronominal realisierten Subjekte zwischen 5% und maximal 15%. In diesem Fall kann keine Präferenz der syntaktischen Optionen der Subjektrealisierung, lexikalische Nominalphrase einerseits und Subjektpronomina andererseits, festgestellt werden. Die Analyse der Subjektauslassungen und -realisierungen in Abhängigkeit der MLU-Entwicklung hat den vorläufig aus Realisierung der S ubjektposition: Raffaello 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0-1.49 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 3.0-3.49 3.5-3.99 4.0-4.49 MLU % lex. NP P ronomen Auslassung <?page no="275"?> 275 Abbildung (6.1) gewonnenen visuellen Eindruck nicht bestätigen können: Die monolingualen Kinder Giorgia und Raffaello verhalten sich hinsichtlich der lexikalischen und pronominalen Subjektrealisierungen auf ähnliche Weise, während die Frequenz der Subjektauslassungen in Giorgias Fall zielsprachliche Werte, in Raffaellos Erwerbsverlauf hingegen vom Erwachsenensystem abweichende Werte aufweist. Abb. (6.5) Weitere Parallelen im monolingualen Erwerbsverlauf können bei den Kindern Martina und Rosa festgestellt werden. Beide Kinder präferieren den pronominalen Subjektgebrauch und realisieren, verglichen mit den Kindern Giorgia und Raffaello, Subjektpronomina bis zu 32%. Eine weitere Gemeinsamkeit bezüglich der lexikalischen und pronominalen Subjekte kann Giorgias und Raffaellos Entwicklung entnommen werden. Beide Kinder wählen die syntaktische Möglichkeit der Subjektrealisierung als lexikalische Nominalphrase oder Pronomen zu einem gleichen Maße. Während bei Martina und Rosa eine Präferenz für pronominale Subjekte beobachtet werden kann, machen die lexikalischen und pronominalen Subjekt-realisierungen der Kinder Giorgia und Raffaello keinen prozentualen Unterschied aus. Letztere geben somit keinen Anlass zur Vermutung einer syntaktischen Präferenz der lexikalischen oder pronominalen Subjekte. Schließlich kann für die italienischen Longitudinalstudien das Ergebnis festgehalten werden, dass alle Kinder in den ersten MLU-Phasen erhöhte Auslassungswerte aufweisen. Letztere können auf Ein-Wort- Äußerungen, die vornehmlich aus einer flektierten Verbform bestehen, Realisierung der S ubjektposition: Rosa 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0-1.49 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 3.0-3.49 3.5-3.99 4.0-4.49 MLU % lex. NP P ronomen Auslassung <?page no="276"?> 276 zurückgeführt werden. Im Sinne der Informationsstruktur lässt das Kind die bereits bekannte Information, in diesem Fall das Subjektpronomen, aus und realisiert Objekte, die neue Information kodieren. Mit der phonetischen Artikulation von Objekten ist eine Zunahme des MLU-Werts und der analoge Rückgang der hohen Auslassungswerte verbunden: In fortgeschritteneren MLU-Phasen nimmt der prozentuale Anteil an ausgelassenen Subjekten zugunsten der lexikalischen bzw. pronominalen Realisierungen ab, sodass die monolingualen Kinder im Laufe des Spracherwerbsprozesses den zielsprachlichen Wert erreichen. Diese Argumentation findet auch in fortgeschritteneren Entwicklungsphasen ihre Berechtigung, da weiterhin angenommen werden kann, dass alte Information, das Subjekt, ausgelassen und neue Information, ein Verbkomplement, realisiert wird. Diejenigen Kinder, die hauptsächlich in den ersten MLU- Phasen die syntaktische Option der Auslassung präferieren, realisieren vornehmlich pronominale Subjekte. Schmitz und Müller (2008) 129 haben eindrucksvoll gezeigt, dass nicht nur bilinguale, sondern auch monolinguale Kinder beim Erwerb des kategorialen Status und der internen syntaktischen Struktur starker und klitischer Pronomina Erwerbsschwierigkeiten aufweisen. Hierzu untersuchen die Autorinnen monolingual französische sowie italienische Kinder und vergleichen den monolingualen Spracherwerb mit Erwerbsdaten bilingual deutsch-französisch und deutsch-italienisch aufwachsender Kinder. Die empirische Untersuchung hat zu dem Ergebnis geführt, dass in beiden romanischen Sprachen Subjektklitika und starke Pronomina simultan erworben werden: Die Parallele zwischen den untersuchten romanischen Sprachen besteht vor allem im Bereich der starken Pronomina, da das Italienische keine klitischen Subjektpronomina besitzt. Für die Analyse des Subjekterwerbs bei monolin- 129 Die Autorinnen führen eine Untersuchung zu starken und klitischen Pronomina in Subjekt- und Objektposition im monolingualen und bilingualen Erstspracherwerb durch. Das empirische Sprachmaterial führt zu einer Modifikation der syntaktischen Analyse klitischer und starker Pronomina, die sich aus dem kategorialen Status und der syntaktischen Derivation der Pronomina ergibt. An dieser Stelle sei lediglich darauf hingewiesen, dass sich die Forscherinnen aufgrund der Inkompatibilität ihrer Forschungsergebnisse mit den bisher bestehenden theoretischen Modellen gegen Raposo (1998), Cardinaletti und Starke (1999, 2000) sowie Déchaine und Wiltschko (2002) äußern. Im Sinne von Gabriel und Müller (2005) lehnen Schmitz und Müller (2008: 34) die syntaktische Beschreibung von Klitika als eine homogene Klasse ab und postulieren eine weitere Einteilung letzterer, die aus quantitativen und qualitativen Gründen resultiert. Die Autorinnen führen syntaktische, semantische und phonologische Evidenz für ihre Hypothese an und machen im Hinblick auf den bilingualen Erstspracherwerb richtige Vorhersagen: „In other words, internal syntax not external syntax matters for acquisition.“ (Schmitz und Müller 2008: 37) <?page no="277"?> 277 gualen Kindern ist die Diskussion um den Status der Pronomina insofern relevant, als er Auswirkungen auf den monolingualen und bilingualen Erwerbsprozess zu nehmen scheint. Schmitz und Müller (2008) betonen, dass nicht nur das Französische, welches aufgrund seines doppelten Inventars an Subjektpronomina als komplex einzustufen ist, sondern auch die Nullsubjektsprachen Italienisch und Spanisch verzögert erworben werden können (vgl. Schmitz und Müller 2008: 40). Nach einer kurzen Vorstellung der Realisierung der Subjektposition der monolingual italienischen Longitudinalstudien soll im folgenden Abschnitt die syntaktische Option der Subjektauslassung in den hier untersuchten Longitudinalstudien fokussiert werden. 6.1.2 Subjektauslassungen der italienischen Kinder Schließlich werden für die monolingualen Longitudinalstudien die Subjektauslassungen, die das Kernstück der vorliegenden Arbeit darstellen, in der MLU-Entwicklung präsentiert. Die nachstehende Graphik (6.6) gibt ausschließlich die Subjektauslassungen der monolingualen Kinder Giorgia, Martina, Raffaello und Rosa wieder. Abb. 6.6 Die Entwicklungslinien der einzelnen Kinder ergeben sich aus der Subtraktion der Gesamtzahl der analysierten Subjektkontexte und der Subjektrealisierungen, gleichgültig ob es sich um lexikalische oder pronominale Subjekte handelt. Die Abbildung (6.6) zeigt, dass sich die Subjektauslassungen der monolingualen Kinder zwischen einem minimalen Wert von 56% und einem maximalen Wert von 98% über den gesamten Entwick- S ubjektauslassungen der monolingual italienischen Kinder 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 MLU % Giorgia Martina Raffaello Rosa <?page no="278"?> 278 lungsverlauf gesehen bewegen. Eine intermediäre Position nehmen die sprachlichen Entwicklungen der Kinder Giorgia und Rosa ein, deren Subjektauslassungen ab einem MLU-Wert vom 2,5 mit der zielsprachlichen Norm vergleichbar sind. Als problematisch für eine nähere Erläuterung der ausgelassenen Subjekte im monolingual italienischen Subjekterwerb stellen sich die Erwerbsdaten der Kinder Martina und Raffaello dar. Beide Kinder befinden sich an den untersten bzw. obersten Extrempunkten. Verglichen mit dem ermittelten prozentualen Anteil an Subjektauslassungen im italienischen Erwachsenensystem sind die letztgenannten Kinder diejenigen, die am stärksten von der erwachsenensprachlichen Norm abweichen. Inwieweit diese Schlussfolgerung für Martina berechtigt ist, muss hier offen bleiben, da ihr Spracherwerb nur bis zu dem Alter von 2; 7 Jahren dokumentiert ist und somit als noch nicht vollkommen abgeschlossen erachtet werden muss. Aus diesem Grund ist eine Zunahme der Subjektauslassungen ab einem MLU-Punkt von 2,5 nicht auszuschließen. Darüber hinaus scheint diese Phase ein für den Spracherwerb einflussreiches Stadium darzustellen, da bei allen Kindern die Subjektauslassungen bis zu einem MLU-Wert von 2,5 abnehmen und schließlich bei diesem Wert stagnieren. Eine Phase, in der die Kinder ihre Sprachen erwerben und die sprachspezifischen Mechanismen erkennen müssen, kann für den monolingual italienischen Fall für die ersten vier MLU-Phasen und bis zu einer durchschnittlichen Äußerungslänge von 2,99 definiert werden. Der Entwicklungsverlauf des monolingualen Mädchens Martina muss für weitere Ausführungen aus den bereits genannten Gründen unberücksichtigt bleiben. Die weiteren monolingualen Studien können für die Analyse der bilingualen Kinderdaten zugrunde gelegt werden. Auch wenn Raffaellos Subjektauslassungen deutlich über der erwachsenensprachlichen Norm liegen, müssen seine Erwerbsdaten aufgrund seiner fortgeschrittenen MLU-Entwicklung weiterhin in die Analyse des Subjekterwerbs integriert werden. 130 Ab einem MLU-Wert von 3,0 zeigen die monolingualen Kinder Giorgia, Raffaello und Rosa keine Entwicklung, sondern einen konstanten Wert an ausgelassenen Subjekten an. Aus der Beschreibung der monolingualen Subjektauslassungen kann für die bilingualen Kinderdaten geschlussfolgert werden, dass sich im Rahmen des 130 Eine Erklärung für diese Beobachtung kann dadurch motiviert sein, dass Kinder während der tatsächlichen Kommunikationssituation vornehmlich auf Gegenstände und Ereignisse referieren; ein Sprachverhalten, welches erwachsenen Sprechern eher weniger zugeschrieben wird. Somit scheint der Diskurstyp für die Frequenz von Subjektauslassungen und -realisierungen relevant zu sein. Diese Vermutung plädiert für einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Subjektgebrauch und dem Diskurs, der weniger im Rahmen der quantitativen, als vielmehr der qualitativen Analyse thematisiert wird. <?page no="279"?> 279 frühkindlichen Spracherwerbs die Subjektauslassungen zwischen 58% und 81% bewegen. 131 6.2 Der Subjekterwerb der monolingual spanischen Kinder In diesem Abschnitt wird die Realisierung der Subjektposition der monolingual spanischen Kinder Emilio und Irene zunächst in einer quantitativen Analyse vorgestellt. In Anlehnung an den strukturellen Aufbau der Präsentation der italienischen Kinderdaten wird auch in diesem Fall der Subjekterwerb in Abhängigkeit der MLU-Entwicklung diskutiert. Die Subjektauslassungen werden in einer separaten Abbildung näher erläutert und mit denen der italienischen Kontrollgruppe verglichen. Ebenso wird der Vergleich zwischen dem spanischen Erwachsenensystem und den monolingualen Kinderdaten erfolgen. 6.2.1 Die Subjektposition der spanischen Kinder Im Folgenden werden die Realisierungen der Subjektposition als ausgelassenes, pronominales oder lexikalisches Subjekt in den Vordergrund der Analyse des Subjekts rücken. Die unten stehende Abbildung (6.7) zeigt einen direkten Vergleich der monolingual spanischen Studien. Im Gegensatz zu den monolingual italienischen Kindern lässt die graphische Darstellung der quantitativen Auswertung der Realisierung der Subjektposition wenig Grund zur Annahme einer individuellen Variation zwischen den Longitudinalstudien zu. Beide Kinder lassen das Subjekt zu durchschnittlich 72% aus und reflektieren somit die zielsprachliche Norm. Die pronominalen und lexikalischen Realisierungen belaufen sich bei Emilio auf 18% bzw. 6%. Das spanische Mädchen realisiert etwa 16% der Subjekte als Pronomen und 15% als lexikalische Nominalphrasen. Aus der Auswertung der monolingualen Daten kann abgeleitet werden, dass der prozentuale Anteil an ausgelassenen, pronominalen und lexikalischen Subjekten mit dem des spanischen Erwachsenensystems übereinstimmt. Die individuellen Unterschiede liegen bei maximal 9% und können als marginal eingestuft werden. Aus den Subjektauszählungen kann für beide 131 Aufgrund der fortgeschrittenen MLU-Entwicklung stellt sich weniger die Frage inwieweit die monolingualen Kinder Giorgia, Raffaello und Rosa die sprachspezifischen Normen der italienischen Zielsprache noch nicht erworben haben. Vielmehr deuten der Entwicklungsverlauf und der hohe MLU-Wert darauf hin, dass sie im Gegensatz zu Martina für den grammatischen Bereich des Subjekts den Erwerbsprozess abgeschlossen haben. <?page no="280"?> 280 Longitudinalstudien ein sehr einheitliches Erwerbsverhalten abgeleitet werden. Abb. (6.7) Dieser vorläufige visuelle Eindruck soll nun anhand eines MLU- Vergleichs überprüft werden. Die nachstehenden Abbildungen (6.8) und (6.9) zeigen die Realisierung der Subjektposition der spanischen Kinder Emilio und Irene, wobei unterschiedliche Sprachentwicklungen beobachtet werden können. 132 Zum einen belaufen sich Emilios Subjektauslassungen auf über 70%, während Irenes Auslassungen ab einem MLU-Wert von 2,5 und bis zum Ende der Erwerbsdokumentation auf 62% sinken. Zum anderen zeigt Irene keine Präferenz für lexikalisch oder pronominal realisierte Subjekte. Im Unterschied dazu liegen Emilios pronominale Subjekte mit etwa 10% stets über den lexikalischen Realisierungen. Verglichen mit dem spanischen Erwachsenensystem spiegelt Emilio zielsprachliche Frequenzen der lexikalischen und pronominalen Realisierungen wider: Bleiben die ersten beiden MLU-Phasen unberücksichtigt, realisiert er zu durchschnittlich 20% Pronomina und zu etwa 9% lexikalische Subjekte, so wie es vom Zielsystem vorgesehen ist. Irene hingegen realisiert zunehmend Pronomina und lexikalische Subjekte in gleichem Maße. 132 Wie bei dem italienischen Mädchen Giorgia angeführt setzt auch Irenes Sprachdokumentation bereits ab einem MLU-Wert von 1,5 ein. 97 320 1331 601 661 2749 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Emilio Irene Realisierung der S ubjektposition der spanischen Kinder Auslassung P ronomen lex. NP <?page no="281"?> 281 Abb. (6.8) Abb. (6.9) Ein weiterer Unterschied im Rahmen der Subjektrealisierungen besteht darin, dass Emilios Entwicklung ab einer durchschnittlichen Äußerungslänge von 2,0 stagniert, während Irenes Entwicklung fortschreitet. Ihre Realisierungen nehmen über den gesamten Untersuchungszeitraum zu, die Auslassungen hingegen ab. Die Subjektauslassungen beider Longitudinalstudien werden im Anschluss näher beschrieben. Realisierung der S ubjektposition: Emilio 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0-1.49 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 3.0-3.49 3.5-3.99 MLU % lex. NP P ronomen Auslassung Realisierung der S ubjektposition: Irene 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 3.0-3.49 3.5-3.99 4.0-4.49 MLU % lex. NP P ronomen Auslassung <?page no="282"?> 282 6.2.2 Subjektauslassungen der spanischen Kinder Die Abbildungen (6.8) und (6.9) haben bereits einen Einblick in die individuellen Erwerbsverläufe der monolingual spanischen Kinder gewährt. An dieser Stelle sollen anhand der unten stehenden Abbildung (6.10) die Subjektauslassungen zunächst dargestellt und schließlich diskutiert werden. Abb. (6.10) Es wird deutlich, dass sich die beiden Kinder vor allem vor der vierten und nach der fünften MLU-Phase im Hinblick auf die Subjektauslassungen unterscheiden. Während sich die beiden Erwerbskurven zwischen einem MLU-Wert von 2,5 und 3,49 annähern, gehen sie sowohl in früheren als auch in späteren Phasen auseinander. Emilio weist über den gesamten Untersuchungszeitraum einen hohen Anteil an Subjektauslassungen auf, der von der zielsprachlichen Norm von 67% abweicht. Ein vergleichbares Bild hat sich beim monolingual italienischen Kind Raffaello ergeben, das sich bezüglich der Auslassung ebenfalls von der monolingual italienischen Norm distanziert. Irene scheint die sprachspezifischen Prinzipien ihrer Sprache erst in den letzten MLU-Phasen erkannt zu haben: Obwohl sie noch in den ersten MLU-Phasen das Subjekt bis zu 88% auslässt, stellt sich bei ihr nach einer intermediären Phase, in der sich die Subjektauslassungen auf durchschnittlich 70% belaufen, eine durchschnittliche Auslassungsrate von 65% ein. Damit erreicht sie ab einem MLU-Wert von 3,5 den zielsprachlichen Prozentsatz von 67%. Im Gegensatz dazu nehmen Emilios Auslassungen in der letzen MLU- Phase seiner Sprachentwicklung auf bis zu 80% zu. Abschließend sollte S ubjektauslassungen der monolingual spanischen Kinder 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0-1.49 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 3.0-3.49 3.5-3.99 4.0-4.49 MLU % Emilio Irene <?page no="283"?> 283 darauf hingewiesen werden, dass auch im monolingual spanischen Fall der MLU-Punkt von 2,5 für die Sprachentwicklung bedeutend ist: Ab dieser Phase trifft das Kind Entscheidungen über den restlichen Verlauf seines Spracherwerbs und nähert sich der zielsprachlichen Norm an. Aufgrund der unterschiedlichen Erwerbsverläufe der monolingual spanischen Kinder bedarf es für die bilingualen Kinderdaten des Vergleichs mit dem Erwachsenensystem. Schließlich sollte angemerkt werden, dass sich die monolingual spanischen Kinder ähnlich wie die italienischen verhalten: Auch die spanischen Longitudinalstudien erzielen hohe Auslassungsraten in den ersten MLU-Phasen des Spracherwerbs, sodass die Argumentation der Auslassungen von alter Information zu Beginn des Spracherwerbs und die Realisierung von neuer Information erst in fortgeschritteneren Entwicklungsphasen aus der italienischen Studie auch für den monolingual spanischen Erwerb aufgenommen werden kann. Die Kinder Raffaello und Emilio zeichnen sich in den ersten MLU-Phasen durch hohe Subjektauslassungen von über 80% aus und zeigen im restlichen Verlauf des Subjekterwerbs eine Präferenz zugunsten pronominal realisierter Subjekte. 133 Den monolingual spanischen Daten schließt sich nun die Vorstellung der monolingual französischen Sprachentwicklung im Rahmen der Realisierung der Subjektposition an. 6.3 Der Subjekterwerb der monolingual französischen Kinder In Anlehnung an die monolingual italienischen und spanischen Kinderdaten werden in der nachstehenden Abbildung (6.11) die Realisierungen der Subjektposition als Auslassung, Pronomen oder lexikalische Nominalphrase der monolingualen Kinder Grégoire, Léonard, Max und Philippe dargestellt. Die quantitative Analyse behandelt zunächst die Subjektrealisierungen, um schließlich in einem separaten Abschnitt auf die Subjektauslassungen der monolingual französischen Kinder eingehen zu können. Die monolingualen Kinderdaten werden mit dem französischen Erwachsenensystem und mit dem monolingual italienischen sowie spanischen Subjekterwerb verglichen. 133 An dieser Stelle kann die zuvor für die monolingual italienischen Longitudinalstudien zitierte Argumentation von Schmitz und Müller (2008) zum kategorialen Status von Pronomina und deren Erwerb aufgegriffen werden. <?page no="284"?> 284 6.3.1 Die Subjektposition der französischen Kinder Der Graphik (6.11) können im Hinblick auf den Subjektgebrauch sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede entnommen werden: Abb. (6.11) Eine Gemeinsamkeit der monolingualen Kinder besteht darin, dass sie das Subjekt zu durchschnittlich 70% pronominal realisieren und somit deutlich unter der zielsprachlichen Norm von 93% liegen. Die lexikalischen Subjektrealisierungen schwanken zwischen 2 und 21%, wobei Max dasjenige Kind ist, das den Höchstwert an lexikalisch realisierten Subjekten verzeichnet. Eine weitere Auffälligkeit, die erneut den Jungen Max betrifft, kann bezüglich der Subjektauslassungen beobachtet werden. Während der prozentuale Anteil der ausgelassenen Subjekte bei den anderen Kindern zwischen 10% und 23% liegt, lässt Max das Subjekt nur zu 2% aus. Mit diesem Wert stimmt er mit dem französischen Erwachsensystem überein, welches etwa 4% an Subjektauslassungen vorsieht. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich die Kinder Grégoire, Léonard und Philippe im Hinblick auf die Subjektposition ähnlich verhalten, während Max eine gesonderte Position einzunehmen scheint. 134 Anhand der folgenden MLU-Darstellungen soll dieser vorläu- 134 Inwieweit Max’ kanadische Umgebung und somit der variationslinguistische Aspekt eine entscheidende Rolle für den Subjekterwerb spielen, muss an dieser Stelle zunächst unkommentiert bleiben. Den Erwerbsdaten kann entnommen werden, dass die kanadische Varietät des Französischen die Realisierung der Subjektposition als lexikalische Nominalphrase präferiert. Diese Vermutung bleibt jedoch sehr 129 600 199 57 961 310 539 1680 57 358 2408 322 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Grégoire Léonard Max Philippe Realisierung der S ubjektposition der französischen Kinder Auslassung P ronomen lex. NP <?page no="285"?> 285 fige Eindruck der monolingual französischen Auswertung überprüft werden. Die Untersuchung der Subjektposition setzt für die Kinder Grégoire und Max ab der zweiten, für Philippe ab der fünften MLU-Phase ein. Abb. (6.12) Außerdem überspringt Grégoire die fünfte und achte MLU-Phase, Léonard die sechste. Die Beschreibung der Erwerbsdaten des Jungen Grégoire stellt sich als äußerst problematisch dar, da sein Erwerbsverlauf aufgrund nicht existierender MLU-Phasen unterbrochen wird. Dennoch kann ein sehr hoher und stetig bis zu 90% ansteigender Anteil an pronominal realisierten Subjekten erkannt werden. Die Kinder Léonard und Phillippe realisieren ebenfalls das Subjekt pronominal zwischen 88% und 90% in den letzten MLU-Phasen. Max fällt mit durchschnittlich 72% pronominalen Subjektrealisierungen aus dem Gesamtbild heraus und bestätigt somit den zuvor erhaltenen quantitativen Eindruck. Ein weiterer Unterschied kann im Hinblick auf die lexikalischen Subjektrealisierungen festgestellt werden: Während die Kinder Grégoire, Léonard und Philippe die lexikalischen Nominalphrasen in Subjektposition auf bis zu 0% minimieren können, liegen Max lexikalische Subjektrealisierungen in der fünften MLU-Phase bei 28%. spekulativ und sollte anhand variationslinguistischer Analysen, die in diesem Zusammenhang nicht geleistet werden können, verifiziert werden. Realisierung der S ubjektposition: Grégoire 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 MLU % lex. NP Pronomen Auslassung <?page no="286"?> 286 Abb. (6.13) Abb.(6.14) Damit unterscheidet er sich deutlich von den übrigen Longitudinalstudien und dem französischen Erwachsenensystem, in dem etwa 11% der Subjekte durch lexikalische Nominalphrasen realisiert werden. Darüber hinaus ist Max dasjenige Kind, das die Subjektauslassungen ab einem MLU-Wert von 3,0 auf unter 10% reduzieren kann und somit die zielsprachliche Norm bereits in der darauf folgenden MLU-Phase erreicht. Im Gegensatz zu den italienischen und spanischen Kindern kann für die monolingual französischen Kinder eine Entwicklung im Subjekterwerb konstatiert werden. Die italienischen und spanischen Kinderdaten signa- Realisierung der S ubjektposition: Léonard 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 MLU % lex. NP P ronomen Auslassung Realisierung der S ubjektposition: Max 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 MLU % lex. NP P ronomen Auslassung <?page no="287"?> 287 lisieren eher konstante, kaum schwankende Werte innerhalb der Realisierungsmöglichkeiten des Subjekts. Abb. (6.15) Die französischen Kinder verzeichnen hingegen eine deutliche Zunahme der pronominal realisierten Subjekte und einen starken Rückgang der Subjektauslassungen in späteren Entwicklungsphasen. Letztere werden im nächsten Abschnitt näher beschrieben und mit den monolingual italienischen und spanischen Erwerbsdaten sowie dem französischen Erwachsenensystem verglichen. 6.3.2 Subjektauslassungen der französischen Kinder Ein direkter Vergleich der Subjektauslassungen der untersuchten Kinderdaten ermöglicht eine Beurteilung des monolingual französischen Spracherwerbs. Die folgende Abbildung (6.16) stellt den starken Rückgang der Subjektauslassungen in allen Longitudinalstudien ab einem MLU-Punkt von 2,0 dar. Von einem maximalen Wert von 100% sinken letztere auf bis zu 30% bei Grégoire, Léonard und Philippe. Ab einem MLU-Wert von 3,0 verzeichnen die monolingualen Kinder, abgesehen von Max, Schwankungen. Während Léonard den zielsprachlichen Wert von 4% im Laufe seiner Entwicklung nicht erreicht, können die Kinder Grégoire, Max und Philippe bis zum Abschluss der Sprachdokumentation die Subjektauslassungen in zielsprachlichem Maße verwenden. Realisierung der S ubjektposition: Philippe 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 5.5- 5.99 MLU % lex. NP P ronomen Auslassung <?page no="288"?> 288 Abb. (6.16) Im Hinblick auf die Subjektauslassungen ist Max das Kind, das bereits in früheren Phasen Subjektauslassungen reduziert. In der oben stehenden Abbildung (6.16) wird deutlich, dass seine Erwerbslinie stets unterhalb der übrigen Kinder verläuft. Verglichen mit der italienischen und spanischen Kontrollgruppe geben die französischen Kinderdaten Anlass zur Annahme, dass sich der monolingual französische Spracherwerbsprozess über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg erstreckt. Während die italienischen und spanischen Kinder einen weitestgehend konstanten Entwicklungsverlauf aufzeigen, erkennen die französischen Kinder erst im Laufe ihres Spracherwerbs die sprachspezifische Beschaffenheit ihrer Sprache. Im italienischen und spanischen Erwerb nimmt der zielsprachliche Gebrauch der Subjektauslassungen kaum Zeit in Anspruch; Die Kinder erreichen bereits in sehr frühen Erwerbsphasen zielsprachliche Auslassungsraten. Der französische Erstspracherwerb scheint in dieser Hinsicht verzögert zu sein, da die Kinder erst in fortgeschrittenen Phasen erkennen, dass das Subjekt realisiert bzw. in eingeschränktem Maße ausgelassen werden darf. Darüber hinaus bleiben die Subjektauslassungen der in diesem Zusammenhang untersuchten monolingual französischen Kinder über der zielsprachlichen Erwachsenennorm (vgl. Léonard). Erst in der letzten MLU-Phase der individuellen Erwerbsverläufe wird der zielsprachliche Wert erreicht. Im Anschluss an die italienische, spanische und französische Kontrollgruppe werden die deutschsprachigen Kinder Chantal und Cosima im Hinblick auf den Subjekterwerb analysiert. S ubjektauslassungen der monolingual französischen Kinder 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 5.5- 5.99 MLU % Grégoire Léonard Max P hilippe <?page no="289"?> 289 6.4 Der Subjekterwerb der monolingual deutschen Kinder Um die quantitative Analyse des monolingualen Subjekterwerbs abschließen zu können, müssen die Auslassungs- und Realisierungsraten der Mädchen Chantal und Cosima untersucht werden, die als monolinguale Kontrollgruppe für den bilingualen Erstspracherwerb fungieren. Auch in diesem Fall werden zunächst die Realisierungen und schließlich die Auslassungen in einem separaten Abschnitt thematisiert. Die deutschen Kinder werden mit den übrigen monolingualen Kindern und dem deutschen Erwachsenensystem verglichen. Darüber hinaus werden die Ergebnisse der quantitativen Analyse zusammengefasst und für die bilinguale Untersuchung bereitgestellt. 6.4.1 Die Subjektposition der deutschen Kinder Die quantitative Auswertung der monolingual deutschen Kinderdaten kann den vorläufig aus der MLU-Entwicklung gewonnenen Eindruck einer parallelen Sprachentwicklung der Mädchen Chantal und Cosima bestätigen. Abbildung (6.17) visualisiert die Realisierung der Subjektposition als ausgelassenes, pronominales und lexikalisches Subjekt. Abb. (6.17) Im Hinblick auf die Distribution der Subjektauslassungen und -realisierungen verhalten sich die deutschsprachigen Kinder insofern ähnlich, als sie in etwa 20% der untersuchten Äußerungen das Subjekt auslassen. In der einschlägigen Literatur gilt die Existenz hoher Auslassungsraten im monolingual deutschen Spracherwerb als gut dokumentiertes Phäno- 1668 2113 924 1234 1912 607 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% C hantal C osi ma Realisierung der Subjektposition der deutschen Kinder Auslassung P ronomen lex. NP <?page no="290"?> 290 men (vgl. Weissenborn 1990, Hamann 1996). Chantals Subjektauslassungen belaufen sich auf 19% und Cosimas auf 16%. Damit unterscheiden sie sich, zumindest in dieser oberflächlichen Darstellung, deutlich vom deutschen Erwachsenensystem, in dem Subjektauslassungen zu maximal 4% beobachtet werden können. Bezüglich der overt realisierten Subjekte verzeichnen Chantal und Cosima ebenfalls nahezu identische Realisierungsraten. Chantal realisiert das Subjekt zu 45% pronominal. Cosimas Spracherwerbsdaten liefern das Ergebnis, dass sie zu 50%, also zur Hälfte der analysierten Äußerungen, das Subjektpronomen realisiert. Die lexikalischen Subjektrealisierungen machen etwa ein Drittel der kindlichen Äußerungen aus, da Chantal zu 35% und Cosima zu 32% die Option der lexikalischen Nominalphrase wählen. Im Weiteren soll der Subjekterwerb der beiden Mädchen in Abhängigkeit ihrer MLU-Entwicklung präsentiert und erläutert werden. Die Abbildungen (6.18) und (6.19) geben die ausgelassenen und realisierten Subjekte im MLU-Vergleich wieder. Abb. (6.18) Für beide Kinder kann die Beobachtung gemacht werden, dass der Beginn des Spracherwerbs von hohen Auslassungsraten gekennzeichnet ist. Im Gegensatz dazu nehmen die pronominalen Realisierungen mit der Abnahme der ausgelassenen Subjekte stetig zu. In beiden Longitudinalstudien schneidet die Auslassungsrate die pronominale Realisierungslinie bei einer durchschnittlichen Äußerungslänge von 3,0 bzw. 3,49 Wörtern. Sowohl Chantal als auch Cosima können den prozentualen Anteil an ausgelassenen Subjekten erst in der letzten MLU-Phase ihres Spracherwerbs auf den zielsprachlichen Wert regulieren. Diesbezüglich verhalten Realisierung der S ubjektposition: Chantal 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 MLU % lex. NP P ronomen Auslassung <?page no="291"?> 291 sich die deutschsprachigen Mädchen wie die französischen Kinder, deren Erwerbsverläufe ebenfalls von stetig abnehmenden Auslassungen bzw. zunehmenden pronominalen Realisierungen gekennzeichnet sind. Abb. (6.19) Für die Nicht-Nullsubjektsprachen scheint sich das Ergebnis zu konkretisieren, dass erst in fortgeschritteneren MLU-Phasen die Subjektauslassungen reduziert und Subjekte verstärkt realisiert werden. Die lexikalischen Subjektrealisierungen schwanken zwischen 19% und 42% bei Chantal, zwischen 0% und 39% bei Cosima. Ein Unterschied bezüglich der lexikalischen Realisierungslinie liegt darin, dass Chantals Werte weniger schwankend ausfallen, während Cosima in den ersten drei MLU- Phasen vornehmlich lexikalische Subjekte gebraucht, die im restlichen Erwerbsverlauf auf etwa 14% sinken. Generell kann ein Wechsel zwischen lexikalischen und pronominalen Subjektrealisierungen konstatiert werden: Während bis zu einem MLU-Punkt von 3,0 lexikalische Subjektrealisierungen dominieren, werden letztere ab dieser Erwerbsphase durch pronominale Subjekte ersetzt. Im folgenden Abschnitt werden ausschließlich die Subjektauslassungen der deutschen Mädchen Chantal und Cosima im direkten MLU- Vergleich vorgestellt. 6.4.2 Subjektauslassungen der deutschen Kinder Im Anschluss an die monolingual italienischen, spanischen und französischen Subjektauslassungen rücken nun die im deutschen Erstspracher- Re alisierung der S ubjektposition: Cosima 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 MLU % lex. NP P ronomen Auslassung <?page no="292"?> 292 werb dokumentierten Auslassungen in den Vordergrund der Untersuchung. Abb. (6.20) Abbildung (6.20) verdeutlicht zweierlei: zum einen den parallelen Rückgang der ausgelassenen Subjekte der deutschsprachigen Mädchen und zum anderen die Existenz hoher Auslassungsraten zu Beginn des Spracherwerbs. Wie bereits angedeutet nehmen die Subjektauslassungen zugunsten der pronominalen Subjektrealisierungen ab, die sich ab der fünften MLU-Phase in ausgeprägter Form bemerkbar machen. Demzufolge lässt sich für die deutschen Kinderdaten zusammenfassen, dass die zielsprachliche Norm erst in eher fortgeschrittenen Entwicklungsphasen, nämlich ab einer durchschnittlichen Äußerungslänge von 4,0 Wörtern, erreicht wird. Darüber hinaus zeichnen sich die Mädchen Chantal und Cosima, verglichen mit den übrigen monolingualen Longitudinalstudien, über einen deutlichen Rückgang der ausgelassenen Subjekte und eine Zunahme der pronominal realisierten Subjekte aus. Ein ähnlicher Entwicklungsverlauf ist bereits für die monolingual französischen Kinder beobachtet worden. Im Hinblick auf den monolingualen Subjekterwerb kann die generelle Tendenz geschlussfolgert werden, dass die Regulierung auf einen zielsprachlichen Subjektgebrauch in den Nicht-Nullsubjektsprachen mehr Zeit in Anspruch nimmt als in den Nullsubjektsprachen. Sowohl im französischen als auch im deutschen Erwerbsprozess können Entwicklungen konstatiert werden, die sich über schwankende Auslassbzw. Realisierungslinien auszeichnen. Im italienischen und spanischen Subjekterwerb hingegen bleiben Schwankungen in den Erwerbsdaten aus. Diese Be- Subjektauslas s ungen der monolingual deutschen Kinder 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 MLU % Chant al Cosima <?page no="293"?> 293 obachtung führt zu der These, dass im Italienischen und Spanischen der Subjektgebrauch nicht über einen längeren Zeitraum auf den erwachsenensprachlichen Wert reguliert werden muss. In einem abschließenden Abschnitt werden die Beobachtungen zum monolingual italienischen, spanischen, französischen und deutschen Erstspracherwerb zusammengefasst. In diesem Zusammenhang werden die MLU-Entwicklung in den jeweiligen Sprachen und die Subjektauslassungen im Mittelpunkt der Analyse stehen. 6.5 Ergebnisse der monolingualen Studie Dieser Abschnitt soll einen allgemeinen Überblick über die monolinguale Situation liefern und weniger die individuellen, als vielmehr die sprachspezifischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede gegenüber stellen. Zu diesem Zweck wird eine MLU-Graphik die MLU-Entwicklung und eine weitere Abbildung die Auslassungen in den jeweiligen Sprachen wiedergeben. Die graphischen Darstellungen (6.21) und (6.23) ignorieren die individuellen Sprachentwicklungen und geben den italienischen, spanischen, französischen und deutschen Spracherwerb in Form von Durchschnittswerten an. Zunächst soll die folgende Abbildung (6.21) die Entwicklung der durchschnittlichen Äußerungslänge der monolingualen Kinder präsentieren. Dabei stellt sich heraus, dass die französischen Kinder über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg die höchsten MLU-Werte zu verzeichnen haben. Bis kurz vor Vollendung des dritten Lebensjahres nehmen die italienischen und spanischen Kinder eine intermediäre Position ein, während die deutschsprachigen Kinder die niedrigsten Werte aufweisen. Ab dem dritten Lebensjahr nähern sich die monolingual deutschen Werte der französischen Entwicklungslinie an. Zwischen einem Alter von 3; 3 und 3; 10 Jahren sind lediglich die monolingual deutschen MLU-Werte vorhanden, sodass ein sprachspezifischer Vergleich nicht möglich ist. Erst ab 3; 10 Jahren kann für die letzten in diesem Zusammenhang untersuchten Erwerbsmonate ein deutlicher Unterschied zwischen den deutschen und den spanischen Kinderdaten beobachtet werden. Während in einer ersten Erwerbsphase die spanischen Kinder höhere MLU-Werte zu verzeichnen haben, liegen letztere in den letzen Monaten der Sprachdokumentation um durchschnittlich 0,78 Wörter unter den deutschen Werten. <?page no="294"?> 294 Abb. (6.21) Da alle sprachspezifischen Entwicklungen bis zu einem Alter von einschließlich 3; 3 Jahren einen direkten Vergleich ermöglichen, kann für diesen Zeitraum folgende Schlussfolgerung formuliert werden: Im Hinblick auf die durchschnittliche Äußerungslänge erreichen die französischen Kinder, gefolgt von den spanischen und italienischen, die höchsten MLU-Werte. 135 Der Anstieg der MLU-Werte der deutschen Kinder ist zeitlich verzögert und nimmt somit die letzte Position in der nachstehenden Rangfolge von maximalen bis minimalen MLU-Werten ein: Französisch > Spanisch > Italienisch > Deutsch . Die unten stehende Abbildung (6.22), die die individuellen Auslassungsraten der untersuchten Kinder darstellt, soll Klarheit darüber verschaffen, ob es einen Zusammenhang zwischen der MLU-Entwicklung und dem Subjekterwerb geben kann. Die individuellen Erwerbsverläufe werden in Abbildung (6.23) zu sprachspezifischen Auslassraten zusammengezogen. Dadurch soll der Subjekterwerb im italienischen, spanischen, französischen und deutschen Spracherwerb unabhängig von der individuellen Entwicklung dargestellt werden. Außerdem soll das aus der MLU- Entwicklung gewonnene Ranking für die Subjektauslassungen der mono- 135 Da die Ermittlung des MLU sprachspezifische Eigenschaften berücksichtigt und im Rahmen des Forschungsprojekts eine Konvention eingeführt worden ist, die die MLU-Zählung in eine einheitliche Form unabhängig von der jeweiligen Sprache bringt, können die abweichenden Werte unter den Sprachen nicht auf die sprachlichen Charakteristika der einzelnen Sprachsysteme zurückgeführt werden. Dennoch wird in der linguistischen Literatur auch dieser Standpunkt kritisch hinterfragt. MLU-Entwicklung der monolingualen Kinder (nicht individuell) 0 1 2 3 4 5 6 1; 6,16 1; 8,5 1; 9,14 1; 10,2 1; 11,2 2; 0,25 2; 1,20 2; 2,25 2; 3,20 2; 4,28 2; 5,25 2; 6,26 2; 7,10 2; 8,1 2; 8,28 2; 9,25 2; 11,1 3; 0,15 3; 1,15 3; 2,18 3; 3,12 3; 4,20 3; 5,21 3; 7,8 3; 8,30 3; 11,5 4; 1,0 4; 8,16 Alte r MLU Deut sch It alienisch Französisch Spanisch <?page no="295"?> 295 lingualen Kinder überprüft werden. Wie bereits angedeutet zeigt die folgende Abbildung (6.22) alle untersuchten monolingualen Kinder im Hinblick auf ihre Subjektauslassungen in Abhängigkeit von der MLU- Entwicklung. Abb. (6.22) Für die französischen und deutschen Kinder wird deutlich, dass die deutschen Kinderdaten die französischen überschreiten. Bis zu einer durchschnittlichen Äußerungslänge von 4,0 Wörtern liegen die Subjektauslassungen der französischen und deutschen Kinder deutlich über der erwachsenensprachlichen Norm. Ab einem MLU-Wert von 3,5 ist der französische Junge Max derjenige, der das Subjekt am seltensten auslässt. In Bezug auf die italienischen und spanischen Kinder kann das Ergebnis festgehalten werden, dass die italienischen Kinder stärker untereinander variieren als die spanischen Kinder Emilio und Irene. Die monolingual italienischen Auslassungsraten schwanken zwischen einem Minimum von 56% und einem Maximum von 95%. Dabei scheinen die Kinder Raffaello und Martina eine besondere Position einzunehmen, da sie entweder zu oft (Raffaello) oder zu selten (Martina) und somit vom italienischen Erwachsenensystem abweichend das Subjekt auslassen. Den italienischen Kindern gelingt es, ab einer durchschnittlichen Äußerungslänge von 2,5 die Subjektauslassungen auf einen zielsprachlichen Wert zu regulieren. Die spanischen Kinder lassen vergleichsweise häufiger als die italienischen Kinder das Subjekt aus, wobei Emilio und Irene den erwachsenensprachlichen Wert von 67% erst ab der sechsten MLU-Phase erreichen. S ubjektauslassungen der monolingualen Kinder im Vergleich 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 5.5- 5.99 MLU % Ch a n ta l DT Co s ima DT Gré g o ire FRZ Lé o n a rd FRZ Ma x FRZ P h ilip p e FRZ Emilio S P Ire n e S P Gio rg ia IT Ma rtin a IT Ra ffa e llo IT Ro s a IT <?page no="296"?> 296 Diese Feststellung kann zumindest für das Mädchen Irene bestätigt werden, da Emilios Auslassungen in dieser Phase erneut zunehmen. Die durchschnittlichen Auslassungsraten der monolingualen Kinder in den jeweiligen Sprachen zeigen deutlich, dass sich die Nullsubjektsprachen einerseits und die Nicht-Nullsubjektsprachen andererseits untereinander parallel entwickeln. Die französischen Kinder lassen das Subjekt zu einem deutlich niedrigeren Prozentsatz als die deutschsprachigen Kinder aus. Zwischen der zweiten und der fünften MLU-Phase liegt unter Anwendung der Pearson-Methode ein statistisch signifikanter Unterschied zwischen dem monolingual deutschen und französischen Subjekterwerb vor (vgl. Appendix (B), Tabelle (1)). Abb. (6.23) Die italienischen Kinder reflektieren ein zielsprachliches Sprachverhalten, da sie die italienische Norm bereits ab einem MLU-Wert von 2,5 erreichen. Im Gegensatz dazu scheinen die spanischen Kinder für die Regulierung der Subjektauslassungen auf einen normgerechten Wert mehr Zeit in Anspruch zu nehmen als die italienische Kontrollgruppe. In den spanischen Longitudinalstudien wird erst ab einem MLU-Punkt von 3,5 das Subjekt zu 69% ausgelassen. Das zuvor aufgestellte Ranking bezüglich der MLU-Entwicklung kann für den Subjekterwerb nicht bestätigt werden. Die monolingualen Kinderdaten können anhand der sprachspezifischen Auslassungsraten von sehr hoch nach niedrig in der nachstehenden Rangfolge angeordnet werden: Spanisch > Italienisch > Deutsch > Französisch . S ubjektauslassungen der monolingualen Kinder im Vergleich (sprachspezifisch) 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 5.5- 5.99 MLU % De u ts c h Fra n zö s is c h S p a n is c h Ita lie n is c h <?page no="297"?> 297 Die folgenden Abschnitte widmen sich dem bilingualen Erstspracherwerb und in diesem Zusammenhang dem Subjekterwerb bei bilingual aufwachsenden Kindern. Die Präsentation und Erläuterung des Subjekterwerbs im monolingualen Individuum soll der Interpretation der bilingualen Erwerbsverläufe dienen. 6.6 Der Subjekterwerb der deutsch-italienischen Kinder Während die vorangegangenen Abschnitte den Subjekterwerb im monolingualen Individuum anhand einiger Zahlen und Graphiken vorgestellt haben, wird das Hauptaugenmerk der folgenden Abschnitte auf dem Subjekterwerb im bilingualen Individuum liegen. Die empirische Untersuchung wird sich zunächst mit dem quantitativen Aspekt des Subjekterwerbs beschäftigen und die Frage nach der Realisierung der Subjektposition klären. Die quantitative Analyse des kindlichen Sprachmaterials befasst sich mit der Realisierung der Subjektposition bei bilingual aufwachsenden Kindern und der Rolle einer zeitweilig auftretenden Sprachdominanz. Die Untersuchung der Realisierung der Subjektposition unter Berücksichtigung einer eventuell vorhandenen, sprachlichen Unausgeglichenheit der bilingualen Kinder soll Aufschluss darüber geben, ob ein möglicher, ursächlicher Zusammenhang zwischen der Sprachdominanz und der Präsenz von Spracheneinfluss besteht. In der einschlägigen Literatur zum bilingualen Erstspracherwerb wird das Phänomen der Sprachdominanz u.a. für die Beeinflussung der Sprachsysteme verantwortlich gemacht. Das Ziel der quantitativen (und qualitativen) Analyse besteht darin, Klarheit über den soeben geschilderten Umstand zu verschaffen und Evidenz dafür zu erbringen, die bestehende Kausalität zwischen sprachlicher Unbalanciertheit und Spracheneinfluss zu untermauern bzw. abzustreiten. Hierzu ist die Ermittlung des sprachlichen Balanciertheitsgrads erforderlich gewesen, der anhand von MLU-Differenzgraphiken für alle untersuchten bilingualen Kinder errechnet worden ist (vgl. Kapitel 5). Schließlich werden die bilingualen Kinderdaten mit den monolingualen Longitudinalstudien und den jeweiligen Erwachsenensystemen verglichen. Dieses Vorgehen ermöglicht eine Interpretation der bilingualen Situation und eine Urteilsfindung darüber, ob im Rahmen des bilingualen Erstspracherwerbs für den hier diskutierten grammatischen Bereich Spracheneinfluss nachgewiesen werden kann und welche Rolle die Sprachdominanz beim Erwerb des Subjekts übernimmt. Vorläufige Ergebnisse werden über die syntaktische Beschreibung der Subjektposition der in diesem Zusammenhang untersuchten (Nicht- )Nullsubjektsprachen zusammengefasst und für die qualitative Analyse <?page no="298"?> 298 bereitgestellt. Im Mittelpunkt der quantitativen (und qualitativen) Analyse der bilingualen Kinderdaten stehen die Auswertung der bilingualen Kinderdaten, die Sprachdominanz, der Spracheneinfluss und die Sprachkombination. Es soll die Interaktion der letztgenannten Variablen erforscht und deren Auswirkungen auf den Subjekterwerb im bilingualen Individuum nachgegangen werden. Darüber hinaus sollen die zuvor formulierten Hypothesen zum Erwerbsverlauf des Subjekts bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern verifiziert oder gegebenenfalls falsifiziert werden. Im Folgenden werden die Subjektauslassungen und -realisierungen der deutsch-italienischen, deutsch-spanischen und schließlich der französisch-italienischen Kinder untersucht. Die Vorstellung der quantitativen Distribution ausgelassener und realisierter Subjekte erfolgt in allen Sprachkombinationen zunächst in der Nichtnullsubjekt- und schließlich in der Nullsubjektsprache. 6.6.1 Realisierung der Subjektposition der deutsch-italienischen Kinder Nach einer vorläufigen Vorstellung der deutsch-italienischen Entwicklung im Zusammenhang mit der sprachlichen (Un-)Ausgeglichenheit widmen sich die folgenden Ausführungen der Realisierung der Subjektposition der deutsch-italienischen Kinder im Deutschen und Italienischen. Um einen direkten Vergleich der bilingualen Kinderdaten ermöglichen zu können, werden die Subjektauslassungen und -realisierungen individuell abgebildet. Die nachstehende Abbildung (6.24) gibt einen Überblick über die prozentuale Verteilung der Subjektauslassungen und -realisierungen im Deutschen der untersuchten Kinder wieder. Die Subjektauslassungen belaufen sich zwischen einem Minimum von 3% und einem Maximum von 25%. Über die niedrigste Auslassungsrate verfügt der Junge Lukas, während den höchsten Prozentsatz an ausgelassenen Subjekten Valentin zu verzeichnen hat. Diese Diskrepanzen können zwar im Rahmen des bilingualen, jedoch nicht des monolingualen Subjekterwerbs beobachtet werden. Die deutschsprachigen Mädchen Chantal und Cosima lassen das Subjekt auf identische Weise zu 20% im Deutschen aus. Anhand der Untersuchung der bilingualen Kinderdaten kann folgende Rangfolge von maximalen nach minimalen Auslassungsraten im Deutschen aufgestellt werden: Valentin (25,0%) > Carlotta (12,4%) > Jan-Philip (10,6%) > Marta (8,9%) > Luca-Daniele (8,2%) > Aurelio (4,9%) > Lilli (3,8%) > Lukas (2,9%) . <?page no="299"?> 299 Die Anordnung der prozentualen Anteile der ausgelassenen Subjekte deckt einige Auffälligkeiten im Sprachverhalten der bilingualen Kinder auf. Abb. (6.24) Die sprachlich ausgeglichenen bzw. im Deutschen dominanten Kinder Carlotta, Marta, Luca-Daniele und Jan-Philip überschreiten die zielsprachliche Norm für Subjektauslassungen im Deutschen. Darüber hinaus spiegeln die sprachlich unbalancierten Kinder Aurelio, Lilli und Lukas einen zielsprachlichen Gebrauch der Subjektauslassungen wider. Eine Ausnahme stellt in diesem Zusammenhang Valentin dar, dessen sprachliche Überlegenheit im Italienischen sich auf den Subjekterwerb im Deutschen auszuwirken scheint. Valentin erreicht den höchsten Auslassungswert im Deutschen der bilingualen Kinder, wobei nicht eindeutig geklärt werden kann, ob diese hohe Auslassungsrate dem Einfluss oder der sprachlichen Unausgeglichenheit geschuldet ist. Aus diesem Grund kann bereits anhand der deutsch-italienischen Erwerbsdaten die Relevanz der Sprachdominanz für den Erwerb eines grammatischen Phänomens in Frage gestellt werden. Im Hinblick auf die pronominal realisierten Subjekte kann ebenfalls ein hoher Grad an individueller Variation unter den bilingualen Kinderdaten festgestellt werden. Die Realisierung der Subjektposition als Pronomen variiert zwischen einem minimalen Wert von 43,8% und einer maximalen Realisierungsrate von 85,4%. Letztere Werte gehen auf die bilingualen Kinder Valentin und Aurelio zurück. Aus den pronominalen Realisierungen ergibt sich folgende Rangfolge der bilingualen Kinder: 170 1506 87 358 2187 360 1104 1338 289 303 2204 98 407 2699 279 1589 2148 110 441 2041 243 15 21 12 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Aurelio Carlotta Jan-Philip Lilli Luca-Daniele Lukas Marta Valentin Realisierung der S ubjektposition im Deutschen Auslassung P ronomen lex. NP <?page no="300"?> 300 Aurelio (85,4%) > Lilli (84,6%) > Luca-Daniele (79,7%) > Carlotta (75,3%) > Marta (74,9%) > Lukas (55,8%) > Jan-Philip (49,0%) > Valentin (43,8%) . Verglichen mit der erwachsenensprachlichen Norm weichen die Kinder Lukas, Jan-Philip und Valentin deutlich von der deutschen Zielsprache ab. Erneut verhalten sich die im Deutschen sprachlich überlegenen Kinder Lukas und Jan-Philip auffällig. Ihre pronominalen Subjektrealisierungen liegen mit bis zu 30% deutlich unter dem zielsprachlichen Wert von 81%. Für den monolingual deutschen Erwerb stellt das Mädchen Chantal ein ebenfalls vom Zielsystem abweichendes Sprachverhalten dar. Wie bereits dokumentiert (vgl. Kapitel 6.4.1) belaufen sich ihre pronominal realisierten Subjekte auf 45%. Schließlich gibt die graphische Darstellung (6.24) den quantitativen Anteil der lexikalisch realisierten Subjekte im Deutschen der bilingualen Kinder wieder. Auch für die syntaktische Option der lexikalischen Realisierung des Subjekts kann kein einheitlicher Wert ermittelt werden. Vor allem die bilingualen Jungen Jan-Philip, Lukas und Valentin unterscheiden sich von den übrigen Longitudinalstudien aufgrund ihrer hohen Realisierungswerte. Die Realisierung des Subjekts als lexikalische Nominalphrase schwankt somit zwischen einem Höchstwert von 41,3% und einem Minimalwert von 9,6%. Die bilingualen Kinderdaten können im Hinblick auf die lexikalischen Realisierungen des Subjekts wie folgt angeordnet werden: Lukas (41,3%) > Jan-Philip (40,4%) > Valentin (31,3%) > Marta (16,2%) > Carlotta (12,3%) > Luca-Caniele (12,0%) > Lilli (11,6%) > Aurelio (9,6%) . Die bilingualen Kinder Lukas, Jan-Philip und Valentin sind zwar mit den monolingual deutschen Kindern Chantal und Cosima, jedoch nicht mit dem deutschen Zielsystem kompatibel. Da das deutsche Erwachsenensystem etwa 15% lexikalische Subjektrealisierungen vorsieht, liegen die soeben erwähnten bilingualen Kinder gemeinsam mit den deutschsprachigen Mädchen deutlich über der zielsprachlichen Norm. Die quantitative Analyse der deutschen Subjektauslassungen und - reali-sierungen haben bereits die Problematik der Sprachdominanz und einer eventuell existierenden Relation zwischen der sprachlichen Unbalanciertheit und dem Erwerb eines grammatischen Phänomens herausgestellt. Inwieweit der Sprachdominanz eine entscheidende Rolle im Subjekterwerb der bilingualen Kinder zukommt, wird im Laufe der empirischen Untersuchung zu klären sein. Im Anschluss an die Präsentation der bilingualen Kinderdaten im Deutschen wird die Untersuchung der Realisierung der Subjektposition im Italienischen erfolgen. Die nachstehende Abbildung (6.25) gibt den <?page no="301"?> 301 prozentualen Anteil der ausgelassenen, pronominal und lexikalisch realisierten Subjekte im Italienischen wieder. Abb. (6.25) Im Gegensatz zur deutschen Sprachentwicklung kann Abbildung (6.25) der visuelle Eindruck einer recht homogenen Entwicklung aller deutschitalienischen Kinder gewonnen werden. Der Subjekterwerb scheint im Italienischen weniger von der individuellen Variation betroffen zu sein und legt ein ähnliches Entwicklungsverhalten unter den untersuchten Kindern dar. Abweichungen können vor allem für die Jungen Jan-Philip, Luca-Daniele und Lukas im Rahmen der Subjektauslassung beobachtet werden. Bezüglich der ausgelassenen Subjekte kann festgestellt werden, dass alle Kinder das Subjekt zu mindestens 55,8% auslassen: Die Subjektauslassungen schwanken bis zu einem Höchstwert von 72,9%. Für die Auszählung der Subjektauslassungen im Italienischen ergibt sich folgende Anordnung der Longitudinalstudien: Luca-Daniele (72,9%) > Jan-Philip (70,2%) > Lukas (63,7%) > Valentin (61,7%) > Marta (60,6%) > Aurelio (57,2%) > Lilli (56,6%) > Carlotta (55,8%) . Der zielsprachliche Wert von 67% Subjektauslassungen wird weder von den sprachlich unausgeglichenen noch von den sprachlich balancierten Kindern erreicht. Die bilingualen Kinder liegen alle entweder wenige Prozentpunkte ober- oder unterhalb der italienischen Norm. Auffällig ist Jan-Philips Auslassungsrate, die trotz seiner sprachlichen Dominanz im Deutschen geringfügig vom erwachsenensprachlichen Subjektgebrauch abweicht. Darüber hinaus scheint Aurelio von seiner sprachlichen Domi- 403 1332 2318 331 747 1359 162 172 788 113 400 670 119 203 868 412 259 1178 453 929 2122 498 722 1966 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Aurelio Carlotta Jan-Philip Lilli Luca-Daniele Lukas Marta Valentin Realisierung der S ubjektposition im Italienischen Auslassung P ronomen lex. NP <?page no="302"?> 302 nanz im Italienischen nicht für den Subjekterwerb in der Nullsubjektsprache zu profitieren. Seine Auslassungen liegen mit 57% unter der zielsprachlichen Norm. Bezüglich der balancierten Kinder lassen sich keine einheitlichen Tendenzen ablesen. Während Lukas das Subjekt nahezu zielsprachengerecht auslässt, realisieren die Kinder Marta und Carlotta das Subjekt zu einem höheren Anteil. Im monolingual italienischen Spracherwerb wird das Subjekt zwischen 65% und 80% ausgelassen. Für das Italienische scheinen sich die vorläufigen Überlegungen im Hinblick auf die Relevanz der Sprachdominanz zu bestätigen: Der Subjekterwerb erfolgt unabhängig von der sprachlichen (Un-)Ausgeglichenheit der bilingualen Kinder. Das Sprachverhalten der bilingualen Kinder variiert bezüglich der pronominal realisierten Subjekte zwischen 14% und 33,8%. Das italienische Zielsystem sieht etwa 17% Pronomenrealisierungen vor, die von den Jungen Luca-Daniele, Jan-Philip und Lukas annähernd erreicht werden. Im monolingualen Spracherwerb ist dieser Wert von den Mädchen Giorgia und Rosa, jedoch nicht von den Kindern Martina und Raffaello erreicht worden. Die bilingualen Kinderdaten können anhand ihrer pronominalen Realisierungsraten wie folgt angeordnet werden: Lilli (33,8%) > Aurelio (32,9%) > Carlotta (30,7%) > Marta (26,5%) > Valentin (22,7%) > Luca-Daniele (17,1%) > Jan-Philip (15,3%) > Lukas (14,0%) . Erneut zeigen die Kinder, die entweder sprachlich ausgeglichen sind (Carlotta und Marta) oder eine sprachliche Überlegenheit zugunsten einer Sprache entwickeln (in diesem Fall Aurelio und Valentin zugunsten des Italienischen), ein vom italienischen Zielsystem abweichendes Verhalten. Schließlich kann für die lexikalischen Realisierungen der deutschitalienischen Kinder folgende Rangfolge aufgestellt werden: Lukas (22,3%) > Valentin (15,6%) > Jan-Philip (14,4%) > Carlotta (13,6%) > Marta (12,9%) > Luca-Daniele (10,0%) > Aurelio (9,9%) > Lilli (9,6%) . In Anbetracht der Tatsache, dass sich im italienischen Erwachsenensystem lexikalische Subjektrealisierungen auf 16% belaufen, kann für den bilingualen Erstspracherwerb kein homogenes Verhalten bezüglich der lexikalischen Subjekte geschlussfolgert werden. Besondere Aufmerksamkeit gehört Aurelios Anteil an lexikalisch realisierten Subjekten: Auch in diesem Fall ist ein Italienisch-dominantes Kind nicht mit der zielsprachlichen Norm kompatibel. Das Deutsch-dominante Kind Jan-Philip hingegen weicht nur marginal vom Erwachsenensystem ab. Die bisher aus einer quantitativen Übersicht gewonnenen Erkenntnisse zum deutsch-italienischen Subjekterwerb haben sowohl die Unter- <?page no="303"?> 303 schiede als auch die Gemeinsamkeiten zum monolingualen Spracherwerb und zu den jeweiligen Zielsystemen herausgestellt. Darüber hinaus ist die Beobachtung gemacht worden, dass kein systematischer Zusammenhang zwischen dem Balanciertheitsgrad und dem Subjekterwerb der bilingualen Kinder besteht. Kinder, die eine sprachliche Überlegenheit in einer der beiden Sprachen vorweisen, zeigen keine positiven Effekte im Spracherwerbsprozess (z.B. Aurelio und Valentin im Italienischen). Ebenso wenig wirkt sich die unterlegene Sprache nicht zwingend negativ auf den Subjekterwerb in der schwachen Sprache aus (z.B. Jan-Philip im Italienischen). Die Aufstellung der gerankten Kinderdaten hat verdeutlicht, dass sich die unbalancierten Kinder auch in ihrer schwachen Sprache zielsprachlich verhalten können. Im Gegensatz dazu weichen die sprachlich ausgeglichen Kinder aufgrund ihres Subjekterwerbs in ihrer dominanten Sprache vom jeweiligen Zielsystem ab (z.B. Carlotta im Italienischen). Diese Beobachtung hat für die zunächst quantitativ angelegte Analyse der Verteilung der syntaktischen Optionen der Realisierung der Subjektposition die Vermutung bestätigt, dass die Sprachdominanz und der Erwerb eines grammatischen Phänomens nicht miteinander korrelieren. Diese vorläufigen Erkenntnisse werden nun anhand der Subjektrealisierungen in Abhängigkeit der MLU-Entwicklung der deutsch-italienischen Kinder überprüft. Hierzu werden zunächst die pronominal und lexikalisch realisierten Subjekte im Deutschen und Italienischen der bilingualen Kinder dargestellt. Schließlich werden in einem sich daran anschließenden Abschnitt die Subjektauslassungen in den involvierten Sprachsystemen in den Vordergrund der Untersuchungen rücken. 6.6.2 Subjektrealisierungen der deutsch-italienischen Kinder Wie bereits angedeutet widmet sich dieser Anschnitt den pronominalen und lexikalischen Subjektrealisierungen der bilingualen Kinder im Deutschen und Italienischen. Während im vorangegangenen Abschnitt die quantitative Verteilung der syntaktischen Optionen der Realisierung der Subjektposition thematisiert worden ist, werden nun die Subjektrealisierungen anhand der MLU-Entwicklung und somit der Subjekterwerb mittels eines qualitativen Kriteriums erläutert. Die folgende Abbildung (6.26) präsentiert die individuellen Erwerbsverläufe der pronominalen Subjektrealisierungen der deutsch-italienischen Kinder im Deutschen. Alle Kinder zeigen einen stetig ansteigenden Gebrauch der Subjektpronomen, die bereits in den ersten MLU-Phasen zu über 20% verwendet werden. Eine Ausnahme stellen die Kinder Jan- Philip und Lukas dar, die sich über den gesamten Untersuchungszeit- <?page no="304"?> 304 raum hinweg deutlich von den übrigen Entwicklungskurven entfernen. Abb. (6.26) Während die restlichen Longitudinalstudien an einem MLU-Wert von 3,5 den zielsprachlichen Wert von etwa 80% Pronomenrealisierungen erreichen, liegen die pronominalen Realisierungsraten der Jungen Jan-Philip und Lukas bei durchschnittlich 50%. Darüber hinaus ist die Entwicklung der beiden Jungen von schwankenden Werten gekennzeichnet, vor allem zu Beginn und am Ende der Sprachdokumentation. Lukas reduziert den pronominalen Subjektgebrauch bei einer durchschnittlichen Äußerungslänge von 5,0 Wörtern auf bis zu 30%. Damit hebt er sich deutlich von allen bilingualen Kindern in der Verwendung der pronominalen Subjekte ab. Insgesamt nehmen die Pronomenrealisierungen zwischen einem MLU-Wert von 1,0 und 5,0 Wörtern zwischen durchschnittlich 21% und 85% zu. Für das Deutsche der bilingualen Kinder kann im Hinblick auf die pronominalen Subjektrealisierungen geschlussfolgert werden, dass ab einem MLU-Wert von 3,0 eine deutliche Zunahme der Pronomenrealisierungen erfolgt, die in den darauf folgenden Entwicklungsphasen zum Erreichen der zielsprachlichen Norm führt. Im Italienischen der bilingualen Kinder belaufen sich die pronominalen Subjekte zwischen 1% und maximal 60%. Der Höchstwert geht auf das sprachlich unbalancierte Kind Lilli zurück, welches das Italienische als seine schwache Sprache erwirbt. Darüber hinaus weckt die unten stehende Abbildung (6.27) den Eindruck einer recht homogenen Entwick- S ubjektrealisierungen (Pronomen) im Deutschen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 5.5- 5.99 MLU % Aurelio Carlott a Jan-P hilip Lilli Luca-Daniele Lukas Mart a Valentin <?page no="305"?> 305 lung der bilingualen Kinder. Die individuelle Variation verhält sich bezüglich der pronominalen Subjektrealisierungen im Italienischen weniger auffällig als im Deutschen und verursacht weniger stark schwankende Werte unter den einzelnen Longitudinalstudien. Abb. (6.27) Interessant ist erneut der sprachliche Erwerb der Jungen Jan-Philip und Lukas, die als einzige den zielsprachlichen Wert von 17% ab einem MLU- Punkt von 2,0 konstant halten. Die sprachlich ausgeglichen oder Italienisch-dominanten Kinder Aurelio, Carlotta, Valentin und Marta liegen deutlich oberhalb der italienischen Norm. Diese Beobachtungen erinnern an die in der Literatur stark diskutierte Relation zwischen der sprachlichen Balanciertheit und dem Erwerb eines grammatischen Phänomens. An dieser Stelle sollen die aus der MLU-Entwicklung gewonnenen Auffälligkeiten zunächst beschrieben und in Kapitel 8 diskutiert werden. Dennoch stellt sich bereits in diesem Zusammenhang die interessante Frage, inwieweit die sprachliche (Un-)Ausgeglichenheit den Subjekterwerb tatsächlich beeinflussen kann. Der zielsprachliche Gebrauch der pronominalen Subjektrealisierungen im Deutschen und Italienischen der unbalancierten Kinder gibt Anlass zur Annahme, dass die sprachlich unausgeglichenen Kinder nicht zwingend von ihrer fortgeschritteneren Sprache für den Erwerb einer grammatischen Eigenschaft profitieren. Darüber hinaus lässt die Untersuchung der pronominalen Subjektrealisierungen die Vermutung zu, dass hauptsächlich die sprachlich balancierten S ubjektrealisierungen (Pronomen) im Italienischen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0-1.49 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 3.0-3.49 3.5-3.99 4.0-4.49 4.5-4.99 5.0-5.49 5.5-5.99 6.0-6.49 6.5-6.99 MLU % Aurelio Carlot t a Jan-P hilip Lilli Luca-Daniele Lukas Mart a Valentin <?page no="306"?> 306 Kinder von der jeweiligen Erwachsenennorm abweichen oder erst in späteren Erwerbsphasen das pronominal realisierte Subjekt zielsprachlich gebrauchen. Insgesamt kann für das Italienische der Schluss gezogen werden, dass alle Kinder, abgesehen von Lilli in der vierten MLU-Phase, das Subjekt zu maximal 40% pronominal realisieren. Daraus kann die Erkenntnis abgeleitet werden, dass alle Kinder die Nullsubjekteigenschaft des Italienischen erkannt haben. Aus der zuvor aufgeführten Abbildung (6.27) ergibt sich das Ergebnis, dass das Subjekt zu etwa 57% von allen Kindern ausgelassen wird. Diese Beobachtungen gilt es im Rahmen der Untersuchung der Subjektauslassungen zu überprüfen. Schließlich werden die lexikalischen Subjektrealisierungen im Deutschen und Italienischen der bilingualen Kinder vorgestellt. Die Abbildung (6.28) stellt erneut einen deutlichen Unterschied zwischen den Jungen Jan-Philip und Lukas einerseits und den restlichen Longitudinalstudien andererseits heraus. Abb. (6.28) Während die Mehrheit der Kinder zu durchschnittlich 15% das Subjekt lexikalisch realisiert, liegen Jan-Philips und Lukas‘ Subjektrealisierungen deutlich über der zielsprachlichen Norm von 15%. Diese Diskrepanz macht sich vor allem zwischen den MLU-Punkten von 2,0 und 4,0 bemerkbar. Im Hinblick auf den bilingualen Jungen Lukas kann ein starker Rückgang der lexikalischen Subjekte bei einer durchschnittlichen Äußerungslänge von 4,5 Wörtern dokumentiert werden. In der darauf folgen- S ubjektrealisierungen (lex. NP) im Deutschen 0 10 20 30 40 50 60 70 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 5.5- 5.99 MLU % Aurelio Carlott a Jan-P hilip Lilli Luca-Daniele Lukas Mart a Valent in <?page no="307"?> 307 den MLU-Phase nehmen jedoch die lexikalischen Subjektrealisierungen von 12% auf bis zu 68% zu. Über den gesamten Untersuchungszeitraum betrachtet ist Lukas dasjenige Kind, welches die höchste Realisierungsrate an lexikalischen Subjekten verzeichnet. Für das Deutsche stellt sich bezüglich der pronominalen und lexikalischen Subjektrealisierungen ein heterogener Entwicklungsverlauf der bilingualen Kinder dar. Für beide syntaktische Optionen der Subjektrealisierung muss in dem einen oder anderen Fall für individuelle Variation argumentiert werden. Das wenig einheitliche Erwerbsbild ist vornehmlich auf die sprachliche Entwicklung der Jungen Jan-Philip und Lukas zurückzuführen. Die nachstehende Abbildung (6.29) liefert einen Überblick über die lexikalischen Subjektrealisierungen im Italienischen der deutsch-italienischen Kinder. Abb. (6.29) Der graphischen Darstellung kann ein ähnlicher Erwerbsverlauf der bilingualen Kinderdaten entnommen werden. Darüber hinaus scheint sich das Erwerbsverhalten, welches sich bereits im Zusammenhang mit den pronominal realisierten Subjekten herausgestellt hat, auch für die lexikalische Realisierung zu wiederholen. Im Gegensatz zum Deutschen sind die individuellen Erwerbslinien weniger von schwankenden Werten gekennzeichnet. Lediglich in den ersten MLU-Phasen manifestieren sich Unterschiede unter den Longitudinalstudien. Ab einem MLU-Punkt von 4,0 liegen alle Subjektrealisierungen der untersuchten Kinder unter 20% und S ubjektrealisierungen (lex. NP) im Italienischen 0 10 20 30 40 50 60 70 1.0-1.49 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 3.0-3.49 3.5-3.99 4.0-4.49 4.5-4.99 5.0-5.49 5.5-5.99 6.0-6.49 6.5-6.99 MLU % Aurelio Carlott a Jan-P hilip Lilli Luca-Daniele Lukas Mart a Valent in <?page no="308"?> 308 spiegeln somit die erwachsenensprachliche Norm von 16% wider. Die höchste Realisierungsrate der lexikalischen Subjekte geht auf die Jungen Valentin und Lukas zurück. Erneut handelt es sich um ein balanciertes Kind, Lukas, welches zwischen den MLU-Werten von 2,5 und 4,0 ein nicht-zielsprachliches Sprachverhalten aufweist. In den ersten MLU- Phasen sind es insbesondere die balancierten und die Italienischdominanten Kinder Carlotta, Luca-Daniele und Valentin. Im Hinblick auf die deutschen und italienischen Subjektrealisierungen kann das Ergebnis festgehalten werden, dass die deutsch-italienischen Kinder zwischen dem Deutschen mit obligatorischem Subjekt und dem Italienischen als Nullsubjektsprache unterscheiden können. Der Unterschied zwischen der germanischen und der romanischen Sprache kann anhand der sprachspezifischen Realisierungsraten der bilingualen Kinder abgeleitet werden. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass die deutsch-italienischen Kinder, auch wenn in fortgeschritteneren Erwerbsphasen, die pragmatischen Bedingungen für einen zielsprachlichen Subjektgebrauch im Italienischen erfasst haben. Schließlich weisen die bilingualen Kinder sowohl für die pronominalen als auch für die lexikalischen Subjektrealisierungen eine recht homogene Sprachentwicklung auf. Verglichen mit dem Deutschen können anhand der einzelnen Entwicklungslinien auffällige Diskrepanzen unter den bilingualen Longitudinalstudien beobachtet werden, welche auf eine mögliche individuelle Variation hindeuten, die sich im Deutschen der bilingualen Kinder stärker auszuwirken scheint als im Italienischen. Die Interpretation der bilingualen Erwerbsdaten wird in Kapitel 8 erfolgen, indem der monolinguale dem bilingualen Subjekterwerb gegenüber gestellt wird. Im Anschluss an die Untersuchung der Subjektrealisierungen im Deutschen und Italienischen der bilingualen Kinder werden nun die Subjektauslassungen der untersuchten Kinderdaten anhand einiger Abbildungen veranschaulicht. 6.6.3 Subjektauslassungen der deutsch-italienischen Kinder Abbildung (6.30) stellt die Subjektauslassungen der deutsch-italienischen Kinder in Abhängigkeit der MLU-Entwicklung im Deutschen vor. Zunächst kann der graphischen Darstellung der Kinderdaten der starke Rückgang der ausgelassenen Subjekte ab einem MLU-Wert von 2,5 entnommen werden. Im Weiteren beläuft sich, abgesehnen von den verhältnismäßig hohen Auslassungsraten der Kinder Aurelio und Lukas in der ersten MLU-Phase, der maximale prozentuale Anteil an Subjektauslassungen auf etwa 50%. Der Rückgang der Subjektauslassungen ist unmittelbar mit der Zunahme von pronominal bzw. lexikalisch realisierten <?page no="309"?> 309 Subjekten verbunden. Ab einem MLU-Punkt von 3,5 liegen die Subjektauslassungen aller Longitudinalstudien unter 10%, ein sich dem deutschen Zielsystem annähernder Prozentsatz. Während für die Subjektrealisierungen deutliche Unterschiede zwischen den individuellen Kinderdaten beobachtetet werden können, lässt sich für die Subjektauslassungen ein dazu entgegengesetzter Eindruck wahrnehmen: Allen Erwerbsverläufen ist der Rückgang der Subjektauslassungen bereits nach der ersten MLU-Phase ohne nennenswerte Ausnahme gemein. Abb. (6.30) Das Mädchen Carlotta, welches ein sprachlich balanciertes Kind ist, reduziert seine Subjektauslassungen erst ab der dritten MLU-Phase und wirkt somit verglichen mit den übrigen Kindern verzögert. Auch im Rahmen der Subjektauslassungen erstaunt diese Beobachtung im Hinblick auf die sprachliche Balanciertheit und das Sprachverhalten des Mädchens. Der allgemein vertretenen Auffassung folgend sollten unbalancierte, jedoch nicht sprachlich ausgeglichene Kinder Erwerbsschwierigkeiten aufweisen. Die folgende Abbildung (6.31) liefert einen Überblick über die Subjektauslassungen der deutsch-italienischen Kinder, die zwischen einem Minimalwert von 32% und einem Maximalwert von 94% schwanken. Im Gegensatz zur deutschen Sprachentwicklung, in der die bilingualen Kinderdaten ab einem MLU-Wert von 3,5 zusammenfallen, bleibt über den gesamten Untersuchungszeitraum ein gewisser Grad an individueller S ubjektauslassungen im Deutschen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 5.5- 5.99 MLU % Aurelio Carlot t a Jan-Philip Lilli Luca-Daniele Lukas Mart a Valent in <?page no="310"?> 310 Variation unter den Longitudinalstudien bestehen. Nach den ersten MLU-Phasen regulieren die bilingualen Kinder den Prozentsatz an ausgelassenen Subjekten zwischen 32% und 83%. Abb. (6.31) Die niedrige Auslassungsrate geht auf das sprachlich unausgeglichene Mädchen Lilli in der vierten MLU-Phase zurück. Den maximalen Wert erreicht Luca-Daniele in der letzten MLU-Phase seiner Sprachdokumentation. Insgesamt schwanken die Auslassungen der deutsch-italienischen Kinder zwischen einem MLU-Wert von 2,0 und 4,5 zwischen 32% und 83%. Der zielsprachliche Wert von 67% wird von nahezu keinem Kind erreicht, da die Subjektauslassungen entweder über oder unter der erwachsenensprachlichen Norm liegen. Ausschließlich das Italienischdominante Kind Valentin scheint ein mit dem italienischen Zielsystem kompatibles Sprachverhalten aufzuweisen. Zusammenfassend kann aus der quantitativen Untersuchung der Subjektauslassungen im Deutschen und Italienischen der bilingualen Kinder das Ergebnis formuliert werden, dass im doppelten Erstspracherwerb zwischen der Nullsubjekt- und der Nicht-Nullsubjektsprache unterschieden wird. Inwieweit die sprachspezifischen Auslassungs- und Realisierungsraten zielsystemkonform verlaufen, muss in Kapitel 8 diskutiert werden. Der vorläufige Eindruck, dass die bilingualen Kinder im Deutschen die Subjektauslassungen sehr rasant und zielsystemgerecht reduzieren, bleibt dennoch bestehen. Darüber hinaus kann für das Deutsche S ubjektauslassungen im Italienischen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0-1.49 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 3.0-3.49 3.5-3.99 4.0-4.49 4.5-4.99 5.0-5.49 5.5-5.99 6.0-6.49 6.5-6.99 MLU % Aurelio Carlott a Jan-P hilip Lilli Luca-Daniele Lukas Mart a Valent in <?page no="311"?> 311 der bilingualen Kinder ein bereits in frühen MLU-Phasen einsetzender Rückgang der ausgelassenen Subjekte beobachtetet werden. Im Italienischen zeigt sich die Tendenz der zunehmenden Subjektauslassung. Der Unterschied zwischen dem Deutschen und dem Italienischen liegt jedoch darin, dass die Kinderdaten im Deutschen ab einem MLU-Punkt von 3,5 auf einen konstanten Wert zurückgehen, während diese Konvergenz im Italienischen der bilingualen Kinder nicht festgestellt werden kann. Dieses Sprachverhalten gibt Anlass zu der Annahme, dass die bilingualen Kinder im Hinblick auf die Subjektauslassungen weniger Erwerbsschwierigkeiten im Deutschen als im Italienischen aufzeigen. Der Vergleich der bilingualen Kinderdaten mit dem monolingualen Erwerb wird diesen vorläufigen Eindruck bezüglich der Realisierung der Subjektposition überprüfen. Dies gilt nicht nur für das Italienische, sondern auch für das Deutsche der bilingualen Kinder. Im Anschluss an den deutsch-italienischen Subjekterwerb werden die Subjektauslassungen und -realisierungen der deutsch-spanischen Kinder vorgestellt. 6.7 Der Subjekterwerb der deutsch-spanischen Kinder Im Folgenden werden die bisher im Hinblick auf die Sprachdominanz untersuchten deutsch-spanischen Longitudinalstudien bezüglich des Subjekterwerbs analysiert. Hierzu werden ein allgemeiner Überblick über die Realisierung der Subjektposition und schließlich die Subjektauslassungen und -realisierungen im Deutschen und Spanischen thematisiert. Darüber hinaus werden die bilingualen Kinderdaten mit der monolingual deutschen bzw. spanischen Kontrollgruppe und der jeweiligen Erwachsenensprache verglichen. Im Weiteren soll eine vorläufige Gegenüberstellung der deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Kinderdaten Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede dieser beiden Sprachkombinationen im Hinblick auf den Subjekterwerb herausstellen. 6.7.1 Realisierung der Subjektposition der deutsch-spanischen Kinder Die Abbildungen (6.32) und (6.33) liefern einen quantitativen Überblick über die Subjektauslassungen sowie der pronominalen und lexikalischen Subjektrealisierungen der bilingualen Kinder. In Anlehnung an die deutsch-italienische Analyse wird zunächst der prozentuale Anteil der syntaktischen Optionen der Auslassung und Realisierung im Deutschen und schließlich im Spanischen der untersuchten Kinder erläutert. Die <?page no="312"?> 312 graphische Darstellung (6.32) der ermittelten prozentualen Verteilung der Subjektauslassungen und -realisierungen zeigt ein nahezu identisches Bild im Deutschen. Beide Kinder lassen das Subjekt im Deutschen zu etwa 9% aus. Abb. (6.32) Damit liegen sie zwar deutlich unter dem ermittelten monolingual deutschen Höchstwert von 19%, jedoch über dem erwachsenensprachlichen Prozentsatz von 4%. Darüber hinaus belaufen sich in beiden Fällen die pronominalen Subjektrealisierungen auf durchschnittlich 79%, wodurch die bilingualen Kinder einen weiteren Unterschied zum monolingual deutschen Erwerb aufzeigen. Schließlich liegen die lexikalischen Subjektrealisierungen der deutsch-spanischen Kinder bei 11%. Die monolinguale Analyse hat für den deutschen Spracherwerb einen Durchschnittswert von 24% ermitteln können. Insgesamt weisen die bilingualen Kinderdaten auf einen deutlichen Unterschied im Erwerbsverlauf des Deutschen hin: Wird das Deutsche simultan mit einer romanischen Sprache erworben, in diesem Fall mit dem Italienischen bzw. Spanischen, belaufen sich die Subjektauslassungen auf einen signifikant niedrigeren Prozentsatz, als es im monolingualen Individuum der Fall ist. Verglichen mit dem deutschen Erwachsenensystem ergibt sich nur eine marginale Abweichung von 5% bezüglich der Subjektauslassungen. Die bilingualen Kinder lassen das Subjekt um diesen geringen Anteil häufiger aus, als es vom Erwachsenensystem vorgesehen ist. Im Hinblick auf die pronominalen und lexikalischen Subjektrealisierungen können keine nennenswerten Unterschiede zum deutschen Zielsystem beobachtet werden. Damit spiegeln die 416 2930 369 471 3423 384 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Arturo Teresa Realisierung der S ubjektposition im Deutschen Auslassung P ronomen lex. NP <?page no="313"?> 313 deutsch-spanischen Kinderdaten weniger den monolingual deutschen Subjekterwerb als vielmehr das deutsche Erwachsenensystem wider. Abb. (6.33) Im Unterschied zu den deutschen Erwerbsdaten scheinen die bilingualen Kinder Arturo und Teresa bezüglich der spanischen Subjektauslassungen und -realisierungen untereinander zu variieren. Die Subjektauslassungen belaufen sich zwischen 47% und 62%, wobei Teresa im Hinblick auf die ausgelassenen Subjekte mit den monolingual spanischen Kindern und der spanischen Erwachsenensprache vergleichbar ist. Die pronominalen Subjektrealisierungen schwanken zwischen einem Maximalwert von 46%, der auf den Jungen Arturo zurückgeht, und einem minimalen Wert von 33%. Damit liegen die bilingualen Kinder zu mindestens 15% über dem monolingualen und dem zielsprachlichen Anteil an Pronomenrealisierungen. Die lexikalischen Subjektrealisierungen nehmen in beiden Longitudinalstudien einen sehr geringen Anteil an realisierten Subjekten ein. Arturo realisiert das Subjekt lexikalisch zu 2% und Teresa zu 4%. Damit liegen sie unter der monolingual spanischen Realisierungsrate von durchschnittlich 17% und der spanischen Zielsprache, für welche 10% lexikalische Subjektrealisierungen ermittelt worden sind. Insgesamt kann für die deutsch-spanischen Longitudinalstudien festgehalten werden, dass sich die bilingualen Kinder bezüglich der Subjektrealisierung von den monolingual deutschen Mädchen Chantal und Cosima unterscheiden. Die Geschwister lassen zu einem deutlich niedrigeren Prozentsatz das Subjekt im Deutschen aus. Aus der quantitativen Untersuchung der Verteilung der syntaktischen Möglichkeiten der Reali- 39 933 953 115 873 1635 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Arturo Tere sa Realisierung der S ubjektposition im S panischen Auslassung P ronomen lex. NP <?page no="314"?> 314 sierung der Subjektposition ist das Ergebnis hervorgegangen, dass Arturo und Teresa von den monolingual spanischen Kindern und dem spanischen Erwachsenensystem abweichen. Darüber hinaus divergieren die bilingualen Erwerbsdaten ebenfalls auf individueller Ebene im Romanischen. Inwieweit die Diskrepanz zwischen den bilingualen und den monolingualen Daten auf den Faktor der Sprachdominanz zurückgeführt werden kann, muss noch weiter diskutiert werden. Die quantitative Analyse der deutsch-spanischen Kinderdaten setzt sich im folgenden Abschnitt in Abhängigkeit von der MLU-Entwicklung fort. Anhand der MLU-Phasen soll der Subjekterwerb der bilingualen Kinder über den gesamten Untersuchungszeitraum im Deutschen und Spanischen fokussiert werden. 6.7.2 Subjektrealisierungen der deutsch-spanischen Kinder Während der vorangegangene Abschnitt einen Überblick über die prozentuale Verteilung der Subjektauslassungen und -realisierungen der deutsch-spanischen Kinder geliefert hat, wird nun verstärkt der Erwerbsverlauf der bilingualen Kinder im Vordergrund der quantitativen Analyse stehen. Dieses Unterkapitel widmet sich ausschließlich den pronominalen und lexikalischen Subjektrealisierungen im Deutschen und Spanischen. Zunächst sollen die Abbildungen (6.34) und (6.35) die pronominalen Realisierungsraten der deutsch-spanischen Kinder Arturo und Teresa darstellen. Abb. (6.34) S ubjektrealisierungen (Pronomen) im Deutschen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 5.0- 5.49 MLU % Arturo T eresa <?page no="315"?> 315 Im Deutschen verhalten sich die bilingualen Kinder insofern sehr ähnlich, als ihre Erwerbslinien nahezu konstant übereinander liegen. Die pronominalen Realisierungen nehmen bereits ab den ersten MLU-Phasen stetig zu und erreichen den Höchstwert von durchschnittlich 82% in der sechsten MLU-Phase. Für die deutschen Pronomenrealisierungen kann geschlussfolgert werden, dass sowohl der monolingual deutsche als auch der erwachsenensprachliche Wert von 81% erreicht werden. Im Hinblick auf die pronominal realisierten Subjekte im Deutschen können Schwankungen im Erwerbsverlauf der bilingualen Kinder lediglich in den ersten MLU-Phasen bis zu einer durchschnittlichen Äußerungslänge von 2,5 Wörtern beobachtet werden. Abb. (6.35) Im Gegensatz zum bereits beschriebenen Erwerbsverlauf im Deutschen zeigt die graphische Darstellung (6.35) der pronominalen Subjektrealisierungen im Spanischen deutliche Unterschiede zwischen Arturo und Teresa auf. Die individuellen Realisierungsraten der pronominalen Subjekte gehen weniger in den ersten MLU-Phasen als in fortgeschrittenen Entwicklungsstadien auseinander. Bis zur dritten MLU-Phase schwanken in beiden Longitudinalstudien die pronominalen Subjektrealisierungen zwischen 19 und 61%. Zwischen dem ersten und dem zweiten MLU- Punkt fällt Arturos Realisierungsrate von 61% auf 16%. Das bilinguale Mädchen Teresa hingegen verbleibt bei durchschnittlich 20% der pronominalen Subjektrealisierungen in den ersten beiden MLU-Phasen. Beide Kinder realisieren in der dritten MLU-Phase das Subjekt zu etwa 44% als Pronomen, wobei ab diesem MLU-Wert Teresas Subjektrealisierungen S ubjektrealisierungen (Pronomen) im S panischen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 1.0-1.49 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 3.0-3.49 3.5-3.99 MLU % Arturo T eresa <?page no="316"?> 316 deutlich abnehmen und Arturos bis auf 52% in der letzten MLU-Phase ansteigen. Ausschließlich Teresas Realisierungsrate der Pronomen sinkt mit Abschluss der Sprachdokumentation auf den zielsprachlichen Wert von 21%. Arturos Entwicklungsverlauf scheint im Hinblick auf die Subjektauslassungen verzögert zu sein. Die hohen Realisierungsraten deuten auf eine vom spanischen Zielsystem abweichende Menge an ausgelassenen Subjekten hin. Inwieweit Arturo und Teresa sich tatsächlich von der spanischen Norm distanzieren, wird noch an anderer Stelle näher erläutert werden. Die folgenden Abbildungen (6.36) und (6.37) präsentieren die lexikalischen Subjektrealisierungen im Deutschen und Spanischen der bilingualen Kinder. Abb. (6.36) Aus der graphischen Darstellung wird erneut ein individueller Unterschied deutlich, der im Folgenden kurz skizziert wird. Während Arturos lexikalische Realisierungsrate ab einem MLU-Wert von 1,5 Wörtern stetig ansteigt und keinerlei Schwankungen erfährt, ist Teresas Entwicklung von schwankenden Werten zwischen der ersten und fünften MLU-Phase gekennzeichnet. Arturos Realisierungen reichen von einem minimalen prozentualen Anteil an lexikalisch realisierten Subjekten von 8% bis zu einem zielsprachlichen Höchstwert von 15% in der letzten MLU-Phase. Das bilinguale Mädchen Teresa realisiert das Subjekt zu mindestens 4% in der ersten MLU-Phase und zu maximal 20% bei einer durchschnittlichen Äußerungslänge von 2,99 Wörtern. Erst ab diesem Entwicklungspunkt reduziert sie die lexikalischen NPn in Subjektposition auf bis zu 9%. Da- S ubjektrealisierungen (lex. NP) im Deutschen 0 5 10 15 20 25 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 5.0- 5.49 MLU % Arturo T eresa <?page no="317"?> 317 mit liegt sie unter der deutschsprachigen Norm von 15% und unter Arturos Erwerbslinie. Zusammenfassend können für die lexikalischen Subjektrealisierungen im Deutschen Arturos linearer Erwerbsverlauf und Teresas von Schwankungen gekennzeichnete Erwerbslinie festgehalten werden. Abb. (6.37) Abbildung (6.37) kann insofern ein sehr ähnliches Erwerbsmuster der bilingualen Kinder entnommen werden, als dass beide Individuen das Subjekt zu maximal 8% lexikalisch realisieren. Dieser Höchstwert geht auf den Jungen Arturo zurück und ist in der dritten MLU-Phase dokumentiert. Für beide Kinder kann die Tendenz zur Zunahme ab der zweiten MLU-Phase und die Tendenz zur Reduktion ab der dritten MLU-Phase konstatiert werden. Beide Kinder liegen zum Ende der Sprachdokumentation mit durchschnittlich 6% marginal unter dem erwachsenensprachlichen Wert von 10%. Im Hinblick auf die pronominalen und die lexikalischen Subjektrealisierungen im Deutschen und Spanischen der bilingualen Kinder sollte das Ergebnis festgehalten werden, dass im Deutschen beide Kinder das Subjekt früher zielsprachlich realisieren als die monolingualen Kinder. Der auffällige Anstieg der pronominalen Subjektrealisierungen gibt Anlass zu der Annahme, dass die bilingualen Kinder das Subjekt bereits in früheren Erwerbsphasen seltener auslassen als die monolinguale Kontrollgruppe. Ein quantitativer Vergleich der monolingualen und bilingualen Subjektauslassungen im Deutschen wird in einem weiteren Abschnitt erfolgen. Bezüglich der Subjektrealisierungen im Spanischen der bilingualen Kinder Arturo und Teresa sollte auf Artu- S ubjektrealisierungen (lex. NP) im S panischen 0 5 10 15 20 25 1.0-1.49 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 3.0-3.49 3.5-3.99 MLU % Art uro T eresa <?page no="318"?> 318 ros Realisierungen der pronominalen und lexikalischen Subjekte hingewiesen werden. Aus den hohen Pronomenrealisierungen wird ersichtlich, dass die Auslassungsrate im Spanischen nicht den zielsprachlichen Wert von 67% erreichen kann. Teresas Subjektrealisierungen liegen ebenfalls über der zielsprachlichen Norm, jedoch weniger ausgeprägt als es bei ihrem Bruder der Fall ist. Aus diesen Beobachtungen wird der Umstand der individuellen Variation ersichtlich, der in dem einen oder anderen Fall stärker oder weniger auffällig ausfällt. Inwieweit sich die deutschspanischen Kinder bezüglich der Subjektauslassungen untereinander und vom spanischen Zielsystem unterscheiden, wird Forschungsgegenstand des sich anschließenden Abschnitts sein. 6.7.3 Subjektauslassungen der deutsch-spanischen Kinder Während zunächst die Subjektrealisierungen der Geschwister Arturo und Teresa im Deutschen und Spanischen untersucht worden sind, werden nun die Subjektauslassungen in den involvierten Sprachen der bilingualen Kinder im Vordergrund der quantitativen Analyse stehen. Die hohen Realisierungsraten im Deutschen haben Grund zu der Annahme gegeben, dass sich die Subjektauslassungen im Deutschen der bilingualen Kinder nach einer anfänglichen Phase mit hohen Auslassungsraten auf einen zielsprachlichen Wert belaufen. Die folgende Abbildung (6.38) kann diese vorläufige Vermutung bestätigen und illustriert, dass die Subjektauslassungen beider Kinder von durchschnittlich 35% auf 8% in der letzten MLU-Phase ihrer Sprachdokumentation sinken. Abb. (6.38) S ubjektauslassungen im Deutschen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 5.0- 5.49 MLU % Arturo T eresa <?page no="319"?> 319 Verglichen mit den monolingual deutschen Kindern liegen die Geschwister unter der monolingualen Erwerbslinie (vgl. Kapitel 6.5.3). Im Weiteren fallen die Subjektauslassungen im Deutschen der deutsch-spanischen Kinder ab einem MLU-Punkt von 3,5 auf den erwachsenensprachlichen Wert von 4%. Der Erwerbsverlauf der bilingualen Kinder ist nur ansatzweise mit dem der deutschsprachigen Kinder vergleichbar, da sie niedrigere Auslassungswerte zeigen als die monolinguale Kontrollgruppe. Vergleicht man die bilingualen Kinder untereinander, kann für ein sehr ähnliches Erwerbsverhalten im Deutschen argumentiert werden. Ein direkter Vergleich der ausgelassenen Subjekte im Deutschen der monolingualen Kinder und der deutsch-spanischen Individuen wird im Anschluss an die französisch-italienische Studie sowohl für diese Sprachkombination als auch für die deutsch-italienischen Kinder bereitgestellt. Abb. (6.39) Die Abbildung (6.39) veranschaulicht die Subjektauslassungen der bilingualen Geschwister im Spanischen. Auffällig an den individuellen Auslassungsraten ist das Sprachverhalten bis und ab der dritten MLU-Phase, welche einen entscheidenden Punkt im Rahmen des Subjekterwerbs der deutsch-spanischen Kinder zu markieren scheint. Teresa lässt in den ersten beiden MLU-Phasen bis zu 80% und somit von der erwachsenensprachlichen Norm abweichend das Subjekt aus. Ihr Bruder kann von 38% in der ersten Phase die Subjektauslassungen auf 72% in der zweiten Phase erhöhen. An dem MLU-Wert von 1,99 nehmen die ausgelassenen Subjekte in beiden Longitudinalstudien ab und fallen auf einen prozentualen Anteil von durchschnittlich 50% zusammen. Der restliche Erwerbs- S ubjektauslassungen im S panischen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 1.0-1.49 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 3.0-3.49 3.5-3.99 MLU % Art uro T eresa <?page no="320"?> 320 verlauf ab dem MLU-Punkt von 2,0 bis zum Ende der Sprachdokumentation stellt sich individuell unterschiedlich dar: Während Teresas Subjektauslassungen stetig ansteigen und schließlich den Höchstwert von 71% erreichen, fällt Arturos Auslassungsrate auf bis zu 42% in der letzten MLU-Phase ab. Für Teresa kann die Tendenz eines zielsprachlichen Gebrauchs des Subjekts konstatiert werden, ihr Bruder hingegen zeigt ein dazu entgegengesetztes Sprachverhalten. Inwieweit die sprachliche Unausgeglichenheit der bilingualen Kinder eine plausible Erklärung für diese Beobachtung liefern kann, muss noch diskutiert werden. Da jedoch beide Kinder das Deutsche präferieren und Teresa im Spanischen das Subjekt zumindest in fortgeschritteneren Entwicklungsphasen erwachsenensprachlich auslässt, kann die Sprachdominanz nicht der Auslöser für Arturos Sprachverhalten sein. Vielmehr müssen sprachspezifische Eigenschaften für die niedrige Auslassungsrate des bilingualen Jungen verantwortlich sein. Der direkte Vergleich der bilingualen Kinderdaten mit der monolingual spanischen Kontrollgruppe wird Klarheit über das soeben beschriebene Erwerbsmuster schaffen. Zusammenfassend kann für die deutsch-spanischen Longitudinalstudien das Ergebnis festgehalten werden, dass die bilingualen Kinder zwischen ihrer Nullsubjekt- und ihrer Nicht-Nullsubjektsprache unterscheiden können. Wie bereits im monolingual deutschen Erstspracherwerb beobachtet wird im Deutschen das Subjekt zunächst mit einer sehr hohen Frequenz ausgelassen. Mit fortschreitendem Alter und ansteigendem MLU nehmen die hohen Auslassungsraten ab und die Subjektrealisierungen zu. Im Spanischen müssen aufgrund der individuellen Erwerbsverläufe unterschiedliche Tendenzen angenommen werden. Obwohl die bilingualen Daten bei dem MLU von 2,49 auf einen gemeinsamen Wert zusammenfallen, gehen die Erwerbslinien in den darauf folgenden MLU- Phasen deutlich auseinander. Es stellt sich für die deutsch-spanischen Kinder ein dazu entgegengesetztes Erwerbsbild dar. Inwieweit dieser Umstand über die Sprachdominanz erklärt werden kann, bleibt fraglich. Vielmehr können die syntaktischen Beschaffenheiten des deutschen und spanischen Zielsystems der Auslöser für dieses Sprachverhalten sein. Diese Perspektive wird an anderer Stelle erneut aufgegriffen und deren Relevanz für die soeben beschriebene Erkenntnis diskutiert. Im Weiteren wird ein direkter Vergleich der deutsch-spanischen und deutschitalienischen Kinderdaten Klarheit darüber verschaffen, ob substanzielle Unterschiede zwischen diesen beiden Sprachkombinationen existieren. Dieses Vorgehen geht hauptsächlich auf die Überzeugung zurück, dass sich das Italienische und das Spanische im Hinblick auf die Subjektposition unterschiedlich verhalten und diese strukturelle Divergenz zwischen <?page no="321"?> 321 den beiden Zielsystemen Auswirkungen auf den bilingualen Erstspracherwerb hat. Im Anschluss an die deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Kinderdaten werden nun die französisch-italienischen Longitudinalstudien vorgestellt und die Ermittlung des Balanciertheitsgrads sowie die Realisierung der Subjektposition der bilingualen Kinder Juliette und Siria thematisiert. 6.8 Der Subjekterwerb der französisch-italienischen Kinder Im Folgenden wird die quantitative Analyse zur Realisierung der Subjektposition im Französischen und Italienischen der bilingualen Mädchen Juliette und Siria erfolgen. Die quantitative Untersuchung der bilingualen Kinderdaten schließt mit dieser Sprachkombination ab, die sowohl mit dem monolingualen Subjekterwerb als auch mit den jeweiligen Erwachsenensystemen verglichen werden soll. Ein sprachübergreifender Vergleich der in diesem Zusammenhang untersuchten Sprachkombinationen soll die Anfälligkeit für Spracheneinfluss in den jeweiligen Sprachpaaren herausstellen. Das Ziel der quantitativen Studie besteht darin, die für Spracheneinfluss stärker oder weniger anfällige Konstellation zu identifizieren. 6.8.1 Realisierung der Subjektposition der französisch-italienischen Kinder In diesem Abschnitt werden die Auslassungsbzw. Realisierungsraten der französisch-italienischen Kinder aus einer zunächst rein quantitativen Perspektive vorgestellt. Die folgenden Graphiken (6.40) und (6.41) bilden die Realisierung der Subjektposition der bilingualen Mädchen Juliette und Siria im Französischen und Italienischen ab. Abbildung (6.40) liefert einen Überblick über die prozentuale Verteilung der syntaktischen Optionen für die Realisierung der Subjektposition im Französischen. Die graphische Darstellung der bilingualen Kinderdaten dokumentiert ein nahezu identisches Sprachverhalten der untersuchten Kinder. Beide Mädchen verwenden das Subjekt zielsprachengerecht: Die Auslassungen liegen bei durchschnittlich 5% und spiegeln somit die französischen Erwachsensprache wider. Die Subjektrealisierungen belaufen sich für die Pronomenrealisierungen auf durchschnittlich 86% und liegen somit nur marginal unter der zielsprachlichen Norm von 93%. Für die lexikalischen Subjektrealisierungen kann der Durchschnittswert von 3% ermittelt werden, <?page no="322"?> 322 welcher ebenfalls mit dem zielsprachlichen Anteil von 2% übereinstimmt. Aus der quantitativen Überblicksgraphik, welche die Realisierungen der Subjektposition in ihrer Totalität darstellt, kann für die bilingualen Mädchen Juliette und Siria ein zielsprachliches Verhalten im Französischen beobachtet werden. Abb. (6.40) Im Gegensatz zum Französischen variieren die prozentualen Anteile der Subjektauslassungen und -realisierungen in der Nullsubjektsprache der bilingualen Kinder. Abb. (6.41) 202 3136 227 11 419 21 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Juliette S iria Realisierung der S ubjektposition im Französischen Auslassung P ronomen lex. NP 403 145 1706 542 1080 2937 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Juliette S iria Realisierung der S ubjektposition im Italienischen Auslassung P ronomen lex. NP <?page no="323"?> 323 Im Hinblick auf die Subjektauslassungen ergibt sich ein prozentualer Anteil von 75% für Juliette und 63% für Siria. Verglichen mit der italienischen Erwachsensprache nähert sich Siria stärker der zielsprachlichen Norm von 66% an als Juliette, deren Auslassungen über dem erwachsenensprachlichen Anteil liegen. Dennoch kann Juliettes höhere Auslassungsrate nicht als nicht-zielsprachlich beurteilt werden, da das monolingual italienische Kind Raffaello ebenfalls mehr Subjektauslassungen vorweist als das italienische Zielsystem. Darüber hinaus wird die Illustration der Kinderdaten im Entwicklungsverlauf Klarheit darüber verschaffen, inwieweit die französisch-italienischen Longitudinalstudien tatsächlich voneinander differieren. Ein weiterer Unterschied liegt im Rahmen der pronominalen und lexikalischen Subjektrealisierungen vor. Während Juliette das Subjekt zu 6% pronominal realisiert, belaufen sich Sirias Pronomenrealisierungen auf 23%. Das Italienische sieht zu etwa 17% pronominal realisierte Subjekte vor, weder Juliette noch Siria weisen diesen Wert auf. Auch in diesem Fall weicht Juliette stärker von der italienischen Erwachsenensprache ab als das in Italien aufwachsende Mädchen Siria. Schließlich liegen Juliettes lexikalischen Subjektrealisierungen bei 18% und Sirias bei 12%. Juliette ist mit dem italienischen Zielsystem kompatibel, dessen lexikalische Realisierungsrate sich auf 16% beläuft. Dieser vorläufige Überblick des Subjektgebrauchs der französisch-italienischen Kinder hat sowohl für das Französische als auch für das Italienische ein nahezu zielsprachliches Verhalten der bilingualen Kinder gezeigt. Die individuellen Variationen unter den bilingualen Daten sind marginaler Natur und kaum nennenswert. Der Vergleich mit den monolingual französischen Daten legt nahe, dass sich die bilingualen Kinder zielsprachengerecht entwickeln. Für das Italienische kann das gleiche Ergebnis festgehalten werden, da die individuelle Variation der bilingualen Kinder mit der der monolingualen übereinstimmt. Im Hinblick auf die involvierten Erwachsenensprachen und die jeweiligen monolingualen Kontrollgruppen zeigen die bilingualen Kinder keine Auffälligkeiten auf. Schließlich sollen im folgenden Abschnitt die pronominalen und lexikalischen Subjektrealisierungen der französisch-italienischen Kinder in Abhängigkeit ihrer MLU-Entwicklung dargestellt werden. Der Vorstellung der bilingualen Kinderdaten im Italienischen wird stets die Analyse der Subjektrealisierungen im Französischen vorausgehen. 6.8.2 Subjektrealisierungen der französisch-italienischen Kinder Wie bereits angedeutet widmet sich dieser Abschnitt den Subjektrealisierungen der französisch-italienischen Mädchen Juliette und Siria im Französischen und Italienischen. Die folgenden Abbildungen (6.42) und (6.43) <?page no="324"?> 324 veranschaulichen die pronominalen Subjektrealisierungen der beiden Mädchen im Französischen und Italienischen. Abb. (6.42) Sowohl Juliette als auch Siria realisieren das Subjekt verstärkt pronominal ab der vierten MLU-Phase. Die individuellen Erwerbslinien fallen bei einer durchschnittlichen Äußerungslänge von 3,0 Wörtern zusammen und nehmen ab diesem Entwicklungsstadium einen ähnlichen Verlauf an. In den ersten vier MLU-Phasen gehen die jeweiligen Entwicklungen weit auseinander, da Juliette das Subjekt zu etwa 50% bis zu einem MLU-Wert von 2,49 realisiert und sich Sirias Pronomenrealisierungen auf durchschnittlich 80% belaufen. Den zielsprachlichen Wert von 93% Pronomenrealisierungen erreicht Siria bereits ab einem MLU-Punkt von 2,50, Juliette hingegen erst ab einem MLU-Wert von 4,5. Dieses Ergebnis ist insofern auffällig, als dass der Entwicklungsverlauf der beiden Mädchen Grund zur Annahme gibt, dass die Umgebungssprache keinen (positiven) Einfluss auf die Sprachentwicklung bilingualer Kinder nimmt. Entgegen jeder Erwartung zeigt das in Frankreich lebende Kind Juliette Schwierigkeiten, die zielsprachliche Norm zu erreichen. Darüber hinaus können die sprachlichen Entwicklungen der französisch-italienischen Kinder die Auswirkungen der Sprachdominanz relativieren. Siria erwirbt zwar das Französische als ihre schwache Sprache, dennoch kann sie das Subjekt bereits zu Beginn der Sprachdokumentation zielsprachlich verwenden. Dies trifft für Juliette, die das Französische als ihre stärkere Sprache erwirbt, jedoch nicht zu. S ubjektrealisierungen (Pronomen) im Französischen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 5.5- 5.99 MLU % Juliet t e Siria <?page no="325"?> 325 Graphik (6.43) können die pronominalen Auslassungen und Realisierungen im Italienischen der bilingualen Mädchen entnommen werden. Juliettes pronominal realisierte Subjekte liegen stets unter 10%, während Sirias Realisierungsrate zwischen einem MLU-Wert von 2,0 und 4,99 durchgehend die 20%-Linie überschreitet. Abb. (6.43) Interessant ist auch hier die Tatsache, dass die italienischen Erwerbslinien nahezu horizontal verlaufen und eine stagnierende Entwicklung aufzeigen. Während im Französischen die Subjektrealisierungen auf einen zielsprachlichen Wert reguliert werden müssen, geben diese Entwicklungsverläufe berechtigten Grund zur Annahme, dass die französischitalienischen Kinder bereits in den ersten MLU-Phasen einen zielsprachlichen Wert setzen und diesen beibehalten. In beiden Fällen kann für erwachsenensprachliche Realisierungsraten argumentiert werden, da auch die monolingualen Kinder zwischen den in Abbildung (6.43) präsentierten Höchst- und Mindestwerten schwanken. Neben den Pronomenrealisierungen werden in den Graphiken (6.44) und (6.45) die lexikalischen Realisierungen im Französischen und Italienischen der beiden Mädchen abgebildet. Im Französischen erreicht Juliettes Realisierungsrate in der zweiten MLU-Phase den Höchstwert von 26%, während Sirias lexikalische Realisierungen über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg einmalig 11% erreichen. Das in Italien lebende Mädchen realisiert das Subjekt zu durchschnittlich 4% und spiegelt somit die erwachsenensprachliche Norm wider. S ubjektrealisierungen (Pronomen) im Italienischen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 MLU % Juliett e Siria <?page no="326"?> 326 Abb. (6.44) Abb. (6.45) Im Weiteren ist Juliettes Entwicklungsverlauf von einem starken Rückgang der lexikalischen Realisierungen zwischen der zweiten und der sechsten MLU-Phase gekennzeichnet. Auch in diesem Fall ist Juliette dasjenige Kind, welches für einen zielsprachlichen Gebrauch der lexikalischen Subjektrealisierungen mehr Zeit in Anspruch nimmt als Siria. In beiden Longitudinalstudien steigen die lexikalisch realisierten Subjekte an einem MLU-Punkt von 4,0 auf bis zu 11% an. Juliettes Realisierungen sinken ab diesem Entwicklungsstadium erneut auf 3%. Sirias Entwick- S ubjektrealisierungen (lex. NP) im Französischen 0 5 10 15 20 25 30 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 5.5- 5.99 MLU % Juliet t e Siria S ubjektrealisierungen (lex. NP) im Italienischen 0 5 10 15 20 25 30 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 MLU % Juliett e Siria <?page no="327"?> 327 lung muss hingegen aufgrund des vorzeitigen Dokumentationsabschlusses ab einem MLU von 4,0 unkommentiert bleiben. Im Italienischen zeigen beide Mädchen ab einem MLU-Wert von 2,5 eine horizontal und parallel verlaufende Entwicklung. Der individuelle Unterschied liegt darin, dass Juliettes Realisierungsrate stets oberhalb der anderen Erwerbslinie verläuft. Die bilingualen Mädchen differieren in diesem Beriech ab der dritten MLU-Phase um durchschnittlich 8%. Insgesamt betrachtet bewegen sich jedoch sowohl Juliette als auch Siria in einem zielsprachlichen Bereich. Zusammenfassend kann für die Subjektrealisierungen im französischitalienischen Spracherwerb geschlussfolgert werden, dass sowohl im Französischen als auch im Italienischen zielsprachliche Erwerbsverläufe beobachtet werden können. Aus den zielsprachlichen Realisierungsraten ergibt sich die Vermutung eines ebenfalls zielsprachlichen Subjektgebrauchs im Hinblick auf die Subjektauslassung. Im Gegensatz zum deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Erstspracherwerb gibt diese Sprachkombination keinen Grund zur Beeinflussung der involvierten Sprachsysteme. Inwieweit sich die bilingualen Longitudinalstudien und somit die in diesem Zusammenhang untersuchten Sprachkombinationen im bilingualen Erstspracherwerb unterscheiden, muss an anderer Stelle aufgegriffen und diskutiert werden (vgl. Kapitel 8). Die sich anschließende Untersuchung der Subjektauslassungen im Französischen und Italienischen vermag diesen vorläufigen Eindruck bestätigen. Die Absenz von Spracheneinfluss in diesem grammatischen Bereich kann nicht über die extralinguistischen Faktoren der Umgebungssprache und der Sprachdominanz erklärt werden. Vielmehr kann der Subjekterwerb im französischitalienischen Individuum über die syntaktischen Eigenschaften der involvierten Zielsysteme und den damit verbundenen fehlenden Spracheneinfluss beschrieben werden. Schließlich wird die Darstellung der Subjektauslassungen im Französischen und Italienischen der bilingualen Kinder erste Evidenz für die Vermutung erbringen, dass sich diese Sprachkombination von der deutsch-italienischen und der deutsch-spanischen im Hinblick auf die Zielsprachlichkeit unterscheidet. 6.8.3 Subjektauslassungen der französisch-italienischen Kinder Wie bereits angedeutet stehen die Auslassungsraten im Französischen und Italienischen der bilingualen Mädchen Juliette und Siria im Vordergrund der quantitativen Untersuchung, die in den nachstehenden Abbildungen (6.46) und (6.47) graphisch wiedergegeben werden. <?page no="328"?> 328 Abb. (6.46) Abb. (6.47) Die Abbildung (6.46) liefert einen ersten Eindruck der Subjektauslassungen im Französischen und bestätigt die Vorhersage, dass die bilingualen Kinder nach einer anfänglichen Phase mit hohen Subjektauslassungen das Subjekt ab einem MLU-Punkt von 2,5 erneut zu über 90% realisieren. Bei einer durchschnittlichen Äußerungslänge von 3,0 Wörtern fallen die Erwerbslinien auf den zielsprachlichen Auslassungswert von 4% zusammen. Ab dieser MLU-Phase kann abgesehen von marginalen Schwankungen ein konstant zielsprachlicher Gebrauch der Subjektauslassungen S ubjektauslassungen im Französischen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 5.5- 5.99 MLU % Juliet t e Siria S ubjektauslassungen im Italienischen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 MLU % Juliett e Siria <?page no="329"?> 329 konstatiert werden. Die Frequenz der Subjektauslassungen ist mit dem monolingual französischen Erstspracherwerb vergleichbar. Erneut ist Siria diejenige, die in den ersten MLU-Phasen weniger zu Subjektauslassungen neigt als Juliette und sich somit dem französischen Zielsystem entsprechend verhält. Der direkte Vergleich mit den monolingual französischen Longitudinalstudien wird im Anschluss an diesen Abschnitt erfolgen und Klarheit darüber verschaffen, inwieweit die bilingualen Kinder tatsächlich von der monolingualen Kontrollgruppe differieren. Im Italienischen setzt abgesehen von einigen Schwankungen der individuellen Auslassungsraten in den ersten MLU-Phasen ab einer durchschnittlichen Äußerungslänge von 2,5 Wörtern ein zielsprachlicher Verlauf der Subjektauslassungen ein. Juliettes Auslassungslinie verläuft nahezu parallel zu Sirias und liegt abgesehen von der zweiten MLU- Phase über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg über Sirias Auslassungsrate. Im Weiteren belaufen sich an einem MLU-Punkt von 1,50 Juliettes Auslassungen auf durchschnittlich 77%. Somit liegt sie zwar über der italienischen Norm von 66%, spiegelt jedoch die hohe Auslassungsrate des monolingual italienischen Kindes Raffaello wider. Siria hingegen lässt das Subjekt in den ersten drei MLU-Phasen zwischen 54 und 88% aus. Diese Schwankungen kann sie jedoch im Laufe ihrer Sprachentwicklung auf durchschnittlich 65% regulieren. Ihre Auslassungsrate gibt den erwachsenensprachlichen Wert des italienischen Zielsystems wieder und ist mit dem monolingualen Kind Giorgia vergleichbar. Die Subjektauslassungen im Italienischen der französisch-italienischen und der deutsch-italienischen Kinder werden im Anschluss an die französisch-italienische Studie mit den monolingualen Auslassungen verglichen. Die Untersuchung der Auslassungen im französisch-italienischen Erstspracherwerb hat das Ergebnis hervorgebracht, dass sich die involvierten Sprachen in diesem grammatischen Bereich zielsprachlich entwickeln. Die in diesem Zusammenhang analysierten Kinderdaten haben die Vorhersage der Absenz von Spracheneinfluss bestätigt. Die sprachspezifischen Auslassungsraten geben keinen Grund zur Annahme, dass sich die involvierten Zielsysteme sobeeinflussen, wie es im deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Erstspracherwerb der Fall zu sein scheint. Wie bereits angedeutet wird für diese Beobachtung eine syntaktische Erklärung angeführt werden, die die divergierenden Erwerbsverläufe vorhersagt und begründet. An vereinzelten Stellen ist bereits darauf hingewiesen worden, dass weder die Umgebungssprache noch die Sprachdominanz für das jeweilige Erwerbsverhalten verantwortlich sein kann. Die Irrelevanz dieser beiden extralinguistischen Faktoren wird ebenfalls im sich anschließenden Abschnitt thematisiert werden. Die Analyse vornehmlich sprachlich balancierter Kinder wird das Ergebnis hervorbrin- <?page no="330"?> 330 gen, dass sich bei zunehmender sprachlicher Ausgeglichenheit vom Zielsystem divergierende Erwerbsverläufe ergeben. Inwieweit dieses Sprachverhalten den syntaktischen Beschaffenheiten der koexistierenden Zielsysteme oder dem Umstand der Bilingualität geschuldet ist, muss noch erforscht werden und wird Gegenstand des folgenden Abschnitts sein, welcher die Ergebnisse der bilingualen Studie zusammenfasst. 6.9 Ergebnisse der bilingualen Studie In diesem Kapitel sind die Subjektauslassungen und -realisierungen im deutsch-italienischen, deutsch-spanischen und französisch-italienischen Erstspracherwerb untersucht worden. Die Analyse der syntaktischen Option der Auslassung bzw. Realisierung des grammatischen Subjekts ist aus einer quantitativen Perspektive erfolgt. Im Weiteren ist hinterfragt worden, inwieweit die unterschiedlichen Sprachkombinationen ähnliche oder voneinander differierende Erwerbsmuster aufweisen. Die Annahme, dass das bilinguale Individuum im Rahmen des Subjekterwerbs quantitative, eventuell auch qualitative Differenzen aufzeigen kann, findet in den sprachspezifischen Eigenschaften der involvierten Zielsysteme ihre Berechtigung. Die Kombination einer Nullsubjektmit einer Nicht-Nullsubjektsprache fordert das Kind nicht nur aus syntaktischer, sondern auch aus pragmatischer Sicht heraus (vgl. Avrutin 1999). Das Zusammenspiel des syntaktischen und pragmatischen Grammatikmoduls steht im Vordergrund der quantitativen und der sich in Kapitel 7 anschließenden qualitativen Analyse des bilingualen Subjekterwerbs. Für die in diesem Kapitel durchgeführte Untersuchung müssen zunächst das Auftreten von Spracheneinfluss und die Relevanz der Sprachdominanz diskutiert werden. Im Hinblick auf die wechselseitige Beeinflussung der sprachlichen Systeme bei bilingual aufwachsenden Kindern müssen die Kriterien, die sowohl die Präsenz als auch die Absenz von Spracheneinfluss vorhersagen, für die jeweiligen Sprachkombinationen überprüft werden. Die in Kaptitel 2.7 formulierten Vorhersagen für den bilingualen Erstspracherwerb werden an dieser Stelle kurz zusammengefasst und um die in der bilingualen Studie gewonnenen Erkenntnisse erweitert: • Aufgrund der syntaktischen Natur der involvierten Zielsprachen, Nullsubjektsprache einerseits und Nicht-Nullsubjektsprache andererseits, verhalten sich die bilingualen Kinder bezüglich der Subjektauslassung und -realisierung zwar unterschiedlich, erreichen aber erst in fortgeschritteneren Entwicklungsphasen zielsprachliche Werte. <?page no="331"?> 331 • Die Kriterien für das Auftreten von Spracheneinfluss (vgl. Hulk und Müller 2000, Müller und Hulk 2000, 2001, Müller und Patuto 2009) sind in der deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Sprachkombination erfüllt: Das Deutsche beeinflusst die jeweilige Nullsubjektsprache dergestalt, dass sich Spracheneinfluss als verzögernder Effekt im Italienischen und Spanischen der bilingualen Kinder manifestiert. • Die Beeinflussung der Nullsubjektsprachen seitens des Deutschen geschieht an der Syntax-Pragmatik-Schnittstelle und ist derivationell begründet (vgl. Müller und Patuto 2009). • Die derivationellen Ähnlichkeiten des Deutschen und Spanischen (vgl. Kapitel 4) geben Anlass zu der Annahme, dass die deutschspanischen Kinder stärker von Spracheneinfluss betroffen sind als die deutsch-italienischen Kinder. • Die bilingualen Kinder sind in der von Spracheneinfluss betroffenen Sprache verglichen mit der jeweiligen monolingualen Kontrollgruppe im Subjekterwerb verzögert. • Die Kriterien für Spracheneinfluss sind für die französischitalienische Sprachkombination nicht erfüllt: Die sprachlichen Systeme zeigen keine Überlappung von grammatischen Eigenschaften an der Syntax-Pragmatik-Schnittstelle und sind derivationell unterschiedlich. Für die französisch-italienische Studie wird aufgrund dieser Tatsache ein zielsprachliches Sprachverhalten in beiden Sprachen vorhergesagt und empirisch belegt. • Die Sprachdominanz ist für das Auftreten von Spracheneinfluss irrelevant: Unbalancierte Kinder, die das Italienische als ihre schwache Sprache erwerben, sind im Hinblick auf die Auslassungsraten zielsprachlicher als balancierte Kinder (vgl. Patuto et al. 2011). Der Analyse des Subjekterwerbs im bilingualen Individuum ist die Bestimmung des Balanciertheitsgrads der bilingualen Kinder vorangegangen, um den jeweiligen Entwicklungsstand der untersuchten Kinder erfassen zu können. Die Ermittlung der sprachspezifischen MLU-Werte und der sich daraus ergebenen MLU-Differenzen haben im Hinblick auf die sprachliche (Un-)Ausgeglichenheit der bilingualen Individuen ein aussagekräftiges Bild ergeben. Somit ist die bilinguale Sprachentwicklung anhand des ermittelten Balanciertheitsgrads erfasst worden, welcher für die Bestimmung einer möglichen Korrelation zwischen sprachlicher Balanciertheit und dem Erwerb eines grammatischen Phänomens relevant ist. In diesem Abschnitt wird anhand ausgewählter Longitudinalstudien jedoch gezeigt werden, dass kein Zusammenhang zwischen dem Balanciertheitsgrad und dem Subjekterwerb besteht. <?page no="332"?> 332 Um die zuvor aufgeführten Vorhersagen für den bilingualen Erstspracherwerb überprüfen und schließlich bestätigen zu können, müssen die bilingualen Erwerbsverläufe mit den monolingualen verglichen werden. Dazu werden für die monolingualen und bilingualen Longitudinalstudien Durchschnittswerte der Subjektauslassungen in den involvierten Nullsubjekt- und Nicht-Nullsubjektsprachen ermittelt und in den folgenden Abbildungen (6.48) und (6.49) dargestellt. Abb. (6.48) In der vorliegenden Arbeit liegt das Hauptaugenmerk auf den Subjektauslassungen der monolingualen und bilingualen Kinder, die nicht altersbezogen, sondern stets in Abhängigkeit der MLU-Entwicklung illustriert und interpretiert werden. Die Realisierungsraten ergeben sich aus der Differenz der Gesamtzahl der analysierten Subjektkontexte und der Subjektauslassungen. Die Abbildungen (6.48) und (6.49) werden zunächst die Subjektauslassungen in den Nicht-Nullsubjektsprachen der monolingualen und bilingualen Kinder präsentieren. Abbildung (6.48) zeigt die Subjektauslassungen im Französischen der monolingualen und bilingualen Kinder. Im Weiteren werden die Auslassungsraten im Deutschen der monolingualen und der bilingualen Kinder in Abbildung (6.49) veranschaulicht. Bezüglich der bilingualen Kinderdaten werden die Subjektauslassungen im Französischen der französisch-italienischen Mädchen Juliette und Siria aufgeführt. Für die zweite Nicht-Nullsubjektsprache, das Deutsche, werden die Subjektauslassungen der deutsch-italienischen und der deutsch-spanischen Kinder im Deutschen abgebildet. Dieses Vorgehen ermöglicht nicht nur den direkten Vergleich zwischen den S ubjektauslassungen im Französischen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 5.5- 5.99 MLU % Mono. FRZ FRZ frz-it. Linear (Mono. FRZ) Linear (FRZ frz-it.) <?page no="333"?> 333 monolingualen und den bilingualen Longitudinalstudien, sondern auch einen sprachspezifischen Vergleich, der im Hinblick auf die Sprachkombination notwendig ist. Aus der Gegenüberstellung der monolingualen und bilingualen Kinderdaten wird ersichtlich, dass die bilingualen Auslassungsraten stets unterhalb der monolingual französischen bzw. deutschen Erwerbslinie verlaufen. Verglichen mit dem Französischen der monolingualen und der bilingualen Kinder kann für das Deutsche eine Tendenz zu hohen Subjektauslassungen abgeleitet werden. Abb. (6.49) Im Weiteren kann der graphischen Darstellung die Beobachtung entnommen werden, dass im Französischen der bilingualen Kinder das Subjekt zu einem niedrigeren Prozentsatz ausgelassen wird, als es im Deutschen der bilingualen Kinder der Fall ist. Die Anfälligkeit zu höheren Subjektauslassungen im Deutschen kann theoretisch über dessen Eigenschaft des topic-drop erklärt werden. Daraus ergibt sich die generell höhere Bereitschaft des Deutschen, das Subjekt, wenn in satzinitialer Position, auszulassen. Auffällig ist jedoch weniger die Tatsache, dass monolingual französische Kinder das Subjekt zu einem niedrigeren Prozentsatz auslassen als die deutschsprachigen Kinder, sondern vielmehr die Feststellung, dass die bilingualen Kinder unabhängig von ihrer Sprachkombination in der Nicht-Nullsubjektsprache das Subjekt eher zielsprachenkonform gebrauchen als die monolingualen Kinder. Diese Beobachtung beruht nicht nur auf einen durch die Abbildungen (6.48) und (6.49) vermittelten visuellen Eindruck, sondern ist auch statistisch signifikant (vgl. Appendix (B), Tabelle (1)). Inwieweit dieses Sprachverhalten auf einen positiven Ein- S ubjektauslassungen im Deutschen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 5.5- 5.99 MLU % Mono. DT DT dt-it. DT dt -sp. Linear (Mono. DT ) Linear (DT dt -it.) Linear (DT dt -sp.) <?page no="334"?> 334 fluss und somit auf einen beschleunigten Subjekterwerb der bilingualen Kinder in der jeweiligen Nicht-Nullsubjektsprache zurückgeführt werden kann, bleibt fraglich und muss in zukünftigen Forschungsarbeiten erörtert werden. Auch die Vermutung, dass die niedrigeren Auslassungsraten im bilingualen Individuum der Bilingualität geschuldet sind, kann an dieser Stelle nicht in zufriedenstellender Weise diskutiert werden. Repetto (2010) hat für die Stellung des finiten Verbs im Deutschen von deutschitalienisch aufwachsenden Kindern ein zum Subjekterwerb paralleles Verhalten beobachten können und den beschleunigten Erwerb der bilingualen Kinder anhand des processing load begründet. In questo senso quindi si può ipotizzare che l’apparente acceleration effect riscontrato nei bilingui sia effetto della bilingualità stessa, del bilingual mode e della necessità di gestire contemporaneamente due sistemi linguistici, la quale conduce i bilingui ad adottare la strategia che richiede meno sforzo in termini di processing load . (Repetto 2010: 234) Die Forscherin zieht für die Interpretation ihrer Forschungsergebnisse Grosjeans (2001) psycholinguistische Sicht der kindlichen Bilingualität heran und bezieht sich im Hinblick auf den beschleunigten Effekt im bilingualen Spracherwerb auf die unterschiedlichen language modes , die dem bilingualen Sprecher zur Verfügung stehen. Nach Grosjean richten sich die unterschiedlichen linguistischen Modi nach dem Grad der Aktivierung der beiden parallel existierenden Sprachen. Seinen Ausführungen folgend spricht man von einem monolingual mode , wenn eine der beiden Sprachen aktiviert ist, und von einem bilingual mode , wenn keine der beiden Sprachen deaktiviert wird. Vor allem der bilingual mode macht die Aktivierung bestimmter Mechanismen des processing notwendig, die für die Interpretation und Produktion beider Sprachen erforderlich sind. Dieser Prozess ist aus psycholinguistischer Sicht äußerst komplex und aufwendig, nicht nur im Falle der bilingualen Situation, sondern auch für den monolingualen Modus, während der bilinguale Sprecher konstant eine der beiden Sprachen unterdrücken muss. Demnach unterscheiden sich die bilingualen Kinder von den monolingualen insofern, als sie aufgrund der zweisprachigen Situation mit der kognitiven Herausforderung konfrontiert sind, zwei Sprachsysteme simultan zu verarbeiten. Daraus ergibt sich für die bilingualen Kinder die Konsequenz, eine linguistische Strategie zu wählen, die im Sinne des processing load weniger aufwendig ist und die Abrufbarkeit beider Sprachen gewährleistet. Die sprachlichen Entscheidungen der bilingualen Kinder sind nach Grosjean (2001) weniger den grammatischen Eigenschaften als vielmehr der Bilingualität geschuldet. Repetto (2010) weist darauf hin, dass der vermeidlich beschleunigte Effekt im bilingualen Erstspracherwerb nicht als eine Manifesta- <?page no="335"?> 335 tionsform von Spracheneinfluss, sondern vielmehr im Sinne der Bilingualität verstanden werden sollte. Inoltre, in questa interpretazione si sviluppa una concezione del fenomeno di processing non legata all’interferenza linguistica, differente da quella ipotizzata da Serratrice et al. (2004) e da Sorace e Serratrice (2009). (Repetto 2010: 337) Inwieweit diese Erklärung auf die sprachliche Entwicklung der bilingualen Kinder für den in diesem Zusammenhang analysierten Bereich übertragen werden kann, muss in weiteren Untersuchungen erforscht werden. Der Vergleich der Subjektauslassungen der bilingualen Kinder in ihren Nicht-Nullsubjektsprachen dokumentiert die Beobachtung, dass die deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Kinder nahezu identische Auslassraten aufweisen. Verglichen mit den Auslassungen der französisch-italienischen Kinder kann festgestellt werden, dass letztere niedrigere Auslassungsraten erzielen als die bilingualen Kinder in den anderen Sprachkombinationen. Zusammenfassend kann für die Subjektauslassungen in den Nicht-Nullsubjektsprachen der monolingualen und bilingualen Kinder geschlussfolgert werden, dass die monolingualen Auslassungsraten höher sind als die bilingualen. Unter den bilingualen Kindern lassen die deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Kinder das Subjekt öfter aus als die französisch-italienischen. Die folgenden Abbildungen (6.50) und (6.51) geben die Subjektauslassungen der monolingualen und bilingualen Kinder in ihren Nullsubjektsprachen wieder. Abb. (6.50) S ubjektauslassungen im Italienischen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 5.5- 5.99 6.0- 6.49 6.5- 6.99 MLU % Mono. IT IT dt -it . IT frz-it . Linear (Mono. IT ) Linear (IT dt -it.) Linear (IT frz-it .) <?page no="336"?> 336 Die graphischen Darstellungen bestätigen die vorläufige Vermutung, dass die bilingualen Auslassungsraten unter den monolingualen Werten liegen. Die Nullsubjektsprachen unterscheiden sich im Hinblick auf die Subjektauslassungen insofern, als die spanischsprachigen Kinder eine höhere Auslassungsrate vorweisen als die monolingual italienischen Kinder. Dieser Unterschied ist nicht nur visueller Natur, sondern auch statistisch signifikant (vgl. Appendix (B) Tabelle (1)). Für die bilingualen Kinder erhärtet sich der Eindruck, dass die deutsch-italienische und deutschspanische Sprachkombination für Spracheneinfluss anfällig ist. Die statistischen Berechnungen haben diese vorläufige Einschätzung bestätigt und ein höheres Ausmaß an Spracheneinfluss für die deutsch-spanischen Kinder ermitteln können (vgl. (Appendix (B), Tabelle (1)). Abb. (6.51) Für die französisch-italienische Sprachkombination kann Spracheneinfluss ausgeschlossen werden, da die bilinguale Linie in unmittelbarer Nähe der monolingual italienischen verläuft. Daraus lässt sich die Relevanz der grammatischen Eigenschaften der involvierten Zielsprachen ableiten, die für das Auftreten von Spracheneinfluss im bilingualen Erstspracherwerb verantwortlich sind. Aus den statistischen Berechnungen und den Abbildungen der Auslassungsraten der monolingualen und bilingualen Kinder kann für die untersuchten Nullsubjektsprachen geschlussfolgert werden, dass sie im deutsch-italienischen und deutschspanischen Erstspracherwerb einflussanfällig sind: Daraus ergibt sich gegenüber den monolingualen Entwicklungen eine verzögerte Sprachentwicklung der bilingualen Kinder im Italienischen und Spanischen. Im S ubjektauslassungen im S panischen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0-1.49 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 3.0-3.49 3.5-3.99 4.0-4.49 MLU % Mono. SP SP dt-sp. Linear (Mono. SP ) Linear (SP dt -sp.) <?page no="337"?> 337 Gegensatz dazu verhalten sich die französisch-italienischen Kinder sowohl im Französischen als auch im Italienischen zielsprachlich. Diese sprachliche Entwicklung ist für die letztgenannte Sprachkombination bereits aufgrund der grammatischen Beschaffenheit der jeweiligen Zielsprachen vorhergesagt und anhand der statistischen Berechnung bestätigt worden (vgl. Appendix (B), Tabelle (1)). Die Abbildung (6.52) liefert aussagekräftige Evidenz dafür, dass sich die untersuchten Sprachkombinationen in ihren Nullsubjektsprachen unterschiedlich entwickeln. Abb. (6.52) Die deutsch-spanische Sprachkombination ist vornehmlich in der Nullsubjektsprache von Spracheneinfluss betroffen. Die deutsch-italienischen Kinder nehmen eine intermediäre Position zwischen den französischitalienischen und den deutsch-spanischen Kindern ein. Der deutschitalienische Entwicklungsverlauf weist ebenfalls auf eine von Spracheneinfluss geprägte Situation hin, die verglichen mit der monolingual italienischen Norm statistisch signifikant ist. Insgesamt können für die Subjektauslassungen in den Nullsubjektsprachen die bereits formulierten Vorhersagen für den bilingualen Erstspracherwerb verifiziert werden: Die deutsch-spanischen Kinder deuten im Spanischen aufgrund ihrer hohen Realisierungsraten des Subjekts auf ein von Spracheneinfluss betroffenes Sprachverhalten hin, welches vom spanischen Erwachsenensystem abweicht. Im deutsch-italienischen Erst- S ubjektauslassungen der bilingualen Kinder 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 5.5- 5.99 6.0- 6.49 6.5- 6.99 MLU % SP dt -sp. IT dt -it. IT frz-it . Linear (SP dt -sp.) Linear (IT dt -it.) Linear (IT frz-it .) <?page no="338"?> 338 spracherwerb wirkt sich der verzögernde Effekt des Spracheneinflusses im Italienischen der bilingualen Kinder zwar weniger stark aus als im Spanischen, ist jedoch dennoch Auslöser für einen nicht-zielsprachlichen Subjektgebrauch. Für die französisch-italienischen Kinder hat die Untersuchung der Subjektauslassungen sowohl für das Französische als auch für das Italienische zielsprachliche Werte erbracht. Die für den bilingualen Erstspracherwerb gewonnenen Erkenntnisse finden in der theoretischen Beschreibung der fokussierten Zielsprachen eine syntaktische Erklärung, die mit den empirischen Ergebnissen übereinstimmt (vgl. Kapitel 4). Da das Spanische und das Deutsche syntaktische Ähnlichkeiten bezüglich der Landepositionen für das grammatische Subjekt aufweisen, werden die Kriterien für Spracheneinfluss nach Müller und Hulk (2000, 2001) erfüllt. Eine weitere Variable, die im Hinblick auf den Subjekterwerb im bilingualen Individuum berücksichtigt werden muss, stellt die Sprachdominanz dar. Das Ziel der vorliegenden Studie besteht darin, nicht nur den Spracheneinfluss aus syntaktischer Sicht vorhersagen und anhand der empirischen Untersuchung bestätigen zu können, sondern auch die Auswirkungen der Dominanzverhältnisse auf den Subjekterwerb zu erfassen. Im dritten Kapitel sind unterschiedliche Position, die in der einschlägigen Literatur bezüglich der Sprachdominanz eingenommen werden, diskutiert worden. Daraus haben sich vorläufige Vorhersagen ableiten lassen, die an dieser Stelle aufgegriffen und anhand der Analyse der Subjektauslassungen in den jeweiligen Sprachkombination verifiziert bzw. falsifiziert werden. Erste Studien in diesem Gebiet haben für einen engen Zusammenhang zwischen der Sprachdominanz und der Präsenz von Sprachmischungen sowie Spracheneinfluss plädiert. Die Distanz zwischen den beiden Erstsprachen ist von zahlreichen Forschern als ein Indiz dafür aufgefasst worden, dass das bilinguale Individuum über eine starke und eine schwache Sprache verfügt. Die Einteilung in eine stärkere und eine schwächere Sprache hat sich über den zeitlich versetzten Erwerb bestimmter grammatischer Phänomene ausgezeichnet. Darüber hinaus ist dafür argumentiert worden, dass sich der Einfluss ausgehend von der stärkeren Sprache unidirektional in der schwächeren Sprache vollzieht. Für den Subjekterwerb im bilingualen Individuum macht diese Auffassung der Sprachdominanz die Vorhersage, dass ausschließlich unbalancierte Kinder von Spracheneinfluss betroffen sein können. Im Weiteren sollte angenommen werden, dass die Sprachdominanz invasiv in den Erwerbsprozess eingreift, und zwar dergestalt, dass bestimmte grammatische Bereiche in der schwächeren Sprache später oder nicht zielsystemkonform erworben werden. Demnach sollten die Kinder, die eine sprachliche Überlegenheit in einer ihrer beiden Erstsprachen aufweisen, in ihrer schwachen Sprache nicht-zielsprachliche Auslassungen und Realisie- <?page no="339"?> 339 rungen produzieren. Außerdem stellt dieser Standpunkt die einseitige Implikation in den Vordergrund, dass die Sprachdominanz als der Auslöser für Spracheneinfluss in der schwachen Sprache zu verstehen ist. Dieser Vorhersage folgend sollten balancierte Kinder keinen Einfluss und ein zielsprachliches Erwerbsverhalten aufzeigen. Schließlich blendet diese Interpretation der Sprachdominanz die Relevanz sprachinterner Faktoren aus. Im Sinne der cross-linguistic influence hypothesis sind vielmehr sprachinterne Faktoren und somit die syntaktische Beschaffenheit eines grammatischen Phänomens und weniger die Balanciertheit für das Auftreten von Spracheneinfluss verantwortlich. Diese bezüglich der Sprachdominanz vertretenen Annahmen haben sich maßgeblich im letzten Jahrhundert durchgesetzt und sollen anhand der folgenden Abbildungen (6.53) und (6.54) kritisch hinterfragt werden. Abb. (6.53) Abbildung (6.53) zeigt die durchschnittlichen Subjektauslassungen aller bilingualen Kinder in den respektiven Nullsubjektsprachen, im Italienischen und Spanischen. Die Auslassungen werden in Abhängigkeit des individuellen Balanciertheitsgrads abgebildet, um feststellen zu können, ob diese beiden Parameter, die Subjektauslassungen einerseits und der Balanciertheitsgrad andererseits, wie in der Literatur angenommen, tatsächlich in Relation zueinander stehen. Die graphische Darstellung (6.53) der individuellen durchschnittlichen MLU-Differenzen und Subjektauslassungen liefert positive Evidenz dafür, dass die auf der Basis der unitary Balanciertheitsgrad und Auslassungen in den Nullsubjektsprachen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 Carlotta Marta Lu ca-D. Siria Teresa Arturo Juliette Jan-P. Lilli Aurelio Luk as Valentin Dursch sch nittlich e Au slassun g en in % 0 0,3 0,6 0,9 1,2 1,5 1,8 DMLUD (Balancierth eitsgrad ) DMLUD DAusl. Linear (DAusl.) <?page no="340"?> 340 language system hypothesis formulierten Vorhersagen für den Subjekterwerb widerlegt werden müssen. Die Subjektauslassungen korrelieren nicht mit dem Balanciertheitsgrad, wodurch ein Zusammenhang zwischen der Sprachdominanz und dem Subjekterwerb ausgeschlossen werden kann. Mit zunehmender DMLU-Differenz sollte sich die Koexistenz einer starken und einer schwachen Sprache dergestalt äußern, dass in der schwachen Sprache des sprachlich unausgeglichenen Kindes weniger Subjektauslassungen nachgewiesen werden können als im balancierten Individuum. Dies ist jedoch nicht der Fall, da die bilingualen Kinder Teresa, Juliette, Jan-Philip und Lukas, die als unbalancierte Kinder jeweils die Nullsubjektsprache als ihre schwache Sprache erwerben, höhere Auslassraten vorweisen als die Italienisch-dominanten Kinder Aurelio und Valentin. 136 Abb. (6.54) Schließlich führt Abbildung (6.54) zu der Schlussfolgerung, dass die Sprachdominanz und die Subjektauslassungen trotz Spracheneinfluss nicht positiv korrelieren. Aus diesem Grund sind nicht-zielsprachliche 136 In Anbetracht der Forschungsergebnisse kann die Vermutung geäußert werden, dass die Sprachdominanz das Auftreten von Spracheneinfluss blockieren kann. Erste Überlegungen zu dieser Auslegung einer positiven Auswirkung von Sprachdominanz finden sich bereits in Arencibia Guerra (2008). An dieser Stelle soll dieser Gedanke lediglich zitiert werden, wobei dieser noch weiterer empirischer Evidenz aus zukünftigen Forschungen bedarf. S ubjektauslassungen im Italienischen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0-1.49 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 3.0-3.49 3.5-3.99 4.0-4.49 4.5-4.99 5.0-5.49 MLU % Mono. IT IT Jan-Philip IT Juliet t e IT Carlot t a Linear (IT Jan-P hilip) Linear (IT Juliet t e) Linear (IT Carlot t a) <?page no="341"?> 341 Subjektrealisierungen nicht auf die Sprachdominanz, sondern auf den Spracheneinfluss, der nicht aus externen, sondern aus internen Faktoren resultiert, zurückzuführen. Die graphische Darstellung (6.54) soll diesen Zusammenhang aufgreifen und anhand einiger individueller Auslassungsraten im Italienischen aussagekräftige Evidenz dafür erbringen, dass die Sprachdominanz für den Erwerb des Subjekts irrelevant ist. Die Subjektauslassungen im Italienischen der unbalancierten Kinder Jan- Philip und Juliette sowie des balancierten Kindes Carlotta stellen den irrelevanten Faktor der sprachlichen Balanciertheit heraus. Das balancierte Kind Carlotta ist dasjenige Individuum, welches sich am stärksten von der monolingual italienischen Linie distanziert. Während die sprachlich unausgeglichenen Kinder Jan-Philip und Juliette trotz ihrer sprachlichen Schwäche im Italienischen die monolinguale Auslassungsrate kreuzen, nehmen Carlottas Auslassungen stetig ab. Dieses Sprachverhalten der bilingualen Kinder zeigt deutlich, dass die Sprachdominanz keinen Einfluss auf den Erwerb des in diesem Zusammenhang fokussierten grammatischen Phänomens nimmt. Darüber hinaus scheinen die balancierten Kinder stärker von Spracheneinfluss betroffen zu sein, als die unbalancierten; eine Beobachtung, die auf einem statistisch signifikanten Unterschied beruht (vgl. Appendix (B), Tabelle (2)). Anhand des Subjekterwerbs im bilingualen Individuum kann die allgemein existierende Annahme, dass unbalancierte Kinder Erwerbsschwierigkeiten in ihrer schwachen Sprache, in diesem Fall Jan-Philip und Juliette bezüglich ihrer Auslassungen im Italienischen, aufzeigen, falsifiziert werden. Vielmehr sind die syntaktischen Beschaffenheiten und die strukturelle Komplexität der simultan zu erwerbenden Sprachen für das Auftreten und das Ausmaß von Spracheneinfluss verantwortlich. Für den monolingualen und den bilingualen Erstspracherwerb können im Hinblick auf die Subjektauslassungen und -realisierungen die folgenden quantitativen Ergebnisse festgehalten werden: • Im monolingualen Erstspracherwerb entwickeln sich die Nullsubjektsprachen einerseits und die Nicht-Nullsubjektsprachen andererseits untereinender parallel, wobei das Spanische mehr Subjektauslassungen als das Italienische und das Französische weniger Subjektauslassungen als das Deutsche zu verzeichnen haben. • Die Gegenüberstellung der monolingualen und bilingualen Auslassungsraten in den Nicht-Nullsubjektsprachen hat gezeigt, dass die monolingualen Kinder das Subjekt häufiger auslassen als die bilingualen Kinder. Inwieweit dieser vermeidlich beschleunigende Effekt im bilingualen Individuum der Bilingualität und somit dem processing load geschuldet ist, ist diskutiert worden (vgl. Repetto <?page no="342"?> 342 2010). Dennoch gilt es dieses Ergebnis im Diskussionsteil der vorliegenden Arbeit aufzugreifen und im Hinblick auf dessen Implikationen zu interpretieren. • Die Darstellung der bilingualen Auslassungsraten in den jeweiligen Zielsprachen zeigen, dass die bilingualen Kinder bereits in sehr frühen Entwicklungsphasen zwischen einer Nullsubjekt- und einer Nicht-Nullsubjektsprache unterscheiden können. Somit muss der Beobachtung Rechnung getragen werden, dass in den Nullsubjektsprachen die bilingualen Kinder zwar nicht-zielsprachliche Realisierungen produzieren, das Subjekt jedoch durchschnittlich zu 50% auslassen. Inwieweit diese Feststellung auf die Annahme zurückgeführt werden kann, dass die deutsch-italienischen und die deutsch-spanischen Kinder zwischen zwei unterschiedlichen syntaktischen Analysen optional entscheiden, muss im Rahmen der theoretischen Diskussion tiefgründig erörtert werden (vgl. Kapitel 8). • Dennoch deuten die Auslassungsraten der bilingualen Kinder im Italienischen und Spanischen auf eine verzögernde Entwicklung, die den syntaktischen Eigenschaften der involvierten Zielsprachen geschuldet ist: Der Subjekterwerb stellt sich als Schnittstellenphänomen als äußerst komplex (Italienisch und Spanisch) im bilingualen Erstspracherwerb heraus. • Die empirische Untersuchung der Subjektauslassungen hat für den bilingualen Erstspracherwerb das Auftreten von Spracheneinfluss in Anlehnung an die linguistische Literatur verifiziert (vgl. u.a. Hulk und Müller 2000, Müller und Hulk 2000, 2001, Müller und Patuto 2009, Schmitz et al. 2002, Schmitz 2007, Serratrice et al. 2004, Patuto 2008, Patuto et al. 2011). • Die syntaktische Derivation des Deutschen hat das Auftreten von Spracheneinfluss im deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Erstspracherwerb vorhergesagt: Sowohl die Illustration der Auslassungsraten im Italienischen und Spanischen der bilingualen Kinder als auch die statistische Signifikanz haben diese vorläufige Vermutung bestätigt. • Darüber hinaus ist der Unterschied zwischen den deutschitalienischen und den deutsch-spanischen Auslassraten statistisch signifikant. Daraus ergibt sich die Bestätigung dafür, dass das Deutsche und das Spanische syntaktisch affin sind. Die syntaktische Affinität ist der Auslöser für Spracheneinfluss und dafür, dass sich letzterer stärker im deutsch-spanischen als im deutschitalienischen Subjekterwerb auswirkt. <?page no="343"?> 343 • Im Rahmen der französisch-italienischen Sprachkombination konnte kein Spracheneinfluss festgestellt werden: Die grammatischen Beschaffenheiten des Französischen und Italienischen geben dem bilingual aufwachsenden Kind keine Evidenz für das Übertragen einer sprachspezifischen Eigenschaft der einen Sprache auf die andere. • Für den bilingualen Erstspracherwerb hat sich die Irrelevanz der Sprachdominanz herausgestellt. Die schwächere Sprache muss nicht zwingend ein vom Zielsystem abweichendes Erwerbsverhalten aufzeigen. Die Analyse der Kinderdaten hat die vorläufigen Vorhersagen widerlegt und die Relevanz sprachinterner Faktoren, die syntaktische Beschaffenheit eines grammatischen Phänomens, bestätigt. Die Unidirektionalität des Spracheneinflusses, der sich im Hinblick auf die Sprachdominanz, von der stärkeren in die schwächere Sprache vollziehen sollte, ist revidiert worden. Der Spracheneinfluss operiert unabhängig von der Sprachdominanz und manifestiert sich sowohl im balancierten als auch im sprachlich unausgeglichenen Individuum. Die aus der quantitativen Analyse der monolingualen und bilingualen Subjektauslassungen gewonnenen Erkenntnisse zum bilingualen Erstspracherwerb gilt es nun anhand einer qualitativ angelegten Untersuchung zu überprüfen. Aus diesem Grund widmet sich Kapitel 7 dem personenspezifischen Gebrauch des Subjekts im monolingualen und bilingualen Individuum sowie in den in diesem Zusammenhang fokussierten Zielsprachen. <?page no="344"?> 344 7 Qualitative Untersuchung der Longitudinalstudien: Der personenspezifische Subjekterwerb im monolingualen und bilingualen Individuum Die Analyse der Realisierung der Subjektposition hat quantitative Unterschiede im Hinblick auf den monolingualen und bilingualen sowie unter den verschiedenen Sprachkombinationen herausgestellt. Für den bilingualen Erstspracherwerb konnte im Sinne von Müller und Hulk (2000, 2001) und Jakubowicz (2000) Spracheneinfluss dokumentiert werden. In diesem Kapitel sollen die monolingualen und bilingualen Kinder im Hinblick auf den personenspezifischen Subjekterwerb analysiert werden. Die sich nun anschließende qualitative Untersuchung der einbzw. mehrsprachig aufwachsenden Kinder soll der Frage nachgehen, inwieweit ein qualitativer Unterschied zwischen den involvierten pro-drop und den Nicht- Nullsubjektsprachen bezüglich des Subjekterwerbs existiert. Serratrice und Sorace (2003) haben den pronominalen Subjektgebrauch bilingual aufwachsender Kinder untersucht und dafür argumentiert, dass Schnittstellenphänomene für das Auftreten von Spracheneinfluss anfällig sind. Die Forschergruppe hat bilingual englisch-italienische Kinderdaten analysiert und anhand pragmatischer Faktoren einen unidirektionalen Spracheneinfluss vom Englischen auf das Italienische feststellen können. 137 Trotz Sprachentrennung ist Spracheneinfluss in bestimmten grammatischen Bereichen nicht auszuschließen, wie es bereits eindrucksvoll von Müller und Hulk (2000, 2001) anhand ihrer Studien und Bedingungen für das Auftreten von Spracheneinfluss geschildert worden ist. Serratrice et al. (2004) charakterisieren im personenspezifischen Subjektgebrauch die 1. und 2. Person als referenzielle Argumente mit niedrigem Informationsstatus und die 3. Person als ein referenzielles Argument mit hohem Informationsgehalt. Die Forschergruppe hat in ihren Untersuchungen zeigen können, dass eine höhere Auslassungsrate von Argumenten mit niedrigem Informationsstatus als mit hohem nachgewiesen werden kann. Auf ihrer Hypothese basierend sagen die Autorinnen mehr Subjektauslassun- 137 Als pragmatische Faktoren haben Serratrice und Sorace (2003: 745) absence , activation , contrast , differentiation in discourse , newness , query , predicate’s transitivity und person definiert. Diese Merkmale dienen der Ermittlung des Informationsgehalts der jeweiligen Argumente und werden in detaillierter Form in Kapitel 8 erneut aufgegriffen. <?page no="345"?> 345 gen in der 1. und 2. Person als in der 3. voraus, da letztere aus diskurspragmatischen Gründen komplexer ist. Die Forscherinnen gehen in ihrer pragmatischen Analyse von zwei Erwerbsphasen aus: Die erste zeichnet sich durch syntaktisch ungrammatische Auslassungen aus, während die zweite Phase aus pragmatischer Sicht nicht-zielsprachliche Subjektauslassungen aufweist. Diese sind für die Forschergruppe auf den existierenden Spracheneinfluss im bilingualen Erstspracherwerb zurückzuführen. Aus einer performanzorientierten Sicht betrachten die Autorinnen den pronominalen Subjekterwerb weniger aus einer syntaktischen Perspektive, welche die grammatischen Beschaffenheiten der involvierten Zielsysteme berücksichtigt. Vielmehr sind nach Serratrice et al. (2004) die dokumentierten Fehlleistungen der bilingualen Kinder kognitiver Natur und auf den Umstand des processing load zurückzuführen. Schmitz (2007) kritisiert die von Serratrice et al. (2004) vorgestellte Vorgehensweise und weist darauf hin, dass bilinguale Kinder Spracheneinfluss zwar im grammatischen, jedoch nicht im pragmatischen Bereich aufzeigen. Eine von der Autorin durchgeführte Studie zum deutsch-italienischen Spracherwerb hat demonstriert, dass bilinguale Kinder im Italienischen mehr pronominale Subjekte in der 1. als in der 3. Person realisieren, obwohl sie für die im Italienischen pragmatisch motivierten Auslassungen sensibel sind. Demnach sind nicht-zielsprachliche Auslassungen nicht dem Informationsgehalt der jeweiligen grammatischen Person, sondern der sprachspezifischen Beschreibung des grammatischen Phänomens geschuldet. Dieses Ergebnis verleitet zur Kritik der von Serratrice et al. (2004) vorgeschlagenen Analyse, die im Hinblick auf den Subjekterwerb und den damit verbundenen Spracheneinfluss wenig aufschlussreich zu sein scheint und deren Ergebnisse in Schmitz (2007) keine Bestätigung finden. Schmitz äußert sich in erster Linie gegen die pragmatischen Merkmale der Person und Transitivität und schließlich gänzlich gegen Serratrice et al. (2004), da ihre hervorgebrachten Ergebnisse mit dem Modell und den damit verbundenen Prädiktionen bezüglich des Spracheneinflusses im deutsch-italienischen Individuum nicht kompatibel sind. In der vorliegenden Studie ist bereits die Realisierung der Subjektposition im monolingualen und bilingualen Individuum diskutiert worden. Die im quantitativen Teil geschilderten Beobachtungen werden in der qualitativen Analyse, die den personenspezifischen Subjektgebrauch der monolingualen und bilingualen Kinder untersucht, berücksichtigt. Für den monolingualen Subjekterwerb wird ein Vergleich unter den kindlichen Erstsprachen und den einzelnen Erwachsenensprachen erfolgen. Die aus der quantitativen und qualitativen Studie gewonnenen Erkenntnisse werden in diesem Kapitel diskutiert und im Diskussionsteil der vorlie- <?page no="346"?> 346 genden Arbeit evaluiert. Erst der Zusammenschluss der aus der quantitativen und der qualitativen Analyse stammenden Ergebnisse erlaubt eine adäquate Interpretation des monolingualen und bilingualen Spracherwerbs. Die folgende Abbildung (7.1) soll in die qualitative Untersuchung der monolingualen und bilingualen Kinderdaten einführen. Die graphische Darstellung der Subjektauslassungen in der 1., 2. und 3. Person aller monolingualen Kinder gibt einen allgemeinen Überblick über den gesamten Untersuchungszeitraum. Abb. (7.1) Abbildung (7.1) kann das vorläufige Ergebnis entnommen werden, dass sich die Nicht-Nullsubjektsprachen im Hinblick auf die personenspezifischen Auslassungen anders verhalten als die Nullsubjektsprachen. Die monolingual deutschen und französischen Kinder lassen das Subjekt, unabhängig von der grammatischen Person, bis zu maximal 35% (Chantal) aus. Die italienisch- und spanischsprachigen Kinder erreichen Subjektauslassungen von bis zu 91% (Giorgia). Dieser Unterschied ergibt sich aus der parametrisierten Nullsubjekteigenschaft der involvierten Zielsprachen. Im Weiteren kann festgestellt werden, dass nicht alle grammatischen Personen in den Nicht-Nullsubjektsprachen von der syntaktischen Option der Auslassung betroffen sind. Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, den personenspezifischen Subjekterwerb bei deutsch-italienisch, deutsch-spanisch und französisch-italienisch aufwachsenden Kindern aus syntaktischer Sicht zu Personenspezifische Auslassungen in % 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Giorgia IT Martina IT Raffaello IT Rosa IT Emilio SP Irene SP Grégoire FRZ Léonard FRZ Max FRZ P hilippe FRZ Chant al DT Cosima DT 1. 2. 3. <?page no="347"?> 347 untersuchen und die Ergebnisse der quantitativen und qualitativen Untersuchung bezüglich des monolingualen und bilingualen Subjekterwerbs zu interpretieren. Darüber hinaus soll die Relevanz der Sprachkombination (vgl. Müller und Patuto 2009) herausgestellt und deren Einfluss auf das Auftreten von Spracheneinfluss im Sinne von Müller und Hulk (2000, 2001) diskutiert werden. Im Weiteren wird gezeigt, dass auch im Rahmen des personenspezifischen Subjekterwerbs die Sprachdominanz irrelevant ist. Die bilingualen Kinderdaten werden nicht nur mit dem monolingualen Erstspracherwerb, sondern auch mit der jeweiligen Erwachsenensprache sowie untereinander verglichen. Dieses Vorgehen ermöglicht sowohl Differenzen unter den Sprachkombinationen als auch im Hinblick auf das monolinguale Individuum zu identifizieren. Schließlich wird überprüft, inwieweit die aus der quantitativen Analyse gewonnenen Ergebnisse mit denen aus der qualitativen übereinstimmen oder ggf. abweichen. 7.1 Monolingual italienisch aufwachsende Kinder Im Anschluss an eine allgemeine Einführung in die qualitative Analyse des personenspezifischen Subjektgebrauchs werden zunächst die monolingual italienischen Pronomenauslassungen der 1., 2. und 3. Person in den folgenden Abbildungen (7.2) und (7.3) abgebildet. Abb. (7.2) Die individuellen Erwerbsverläufe weisen die Gemeinsamkeit auf, das Subjekt in allen grammatischen Personen zu mindestens 48% auszulassen. Diesen minimalen Wert verzeichnet Martina in der dritten MLU- Personenspezifische Auslassungen: Giorgia 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 3.0-3.49 3.5-3.99 4.0-4.49 4.5-4.99 5.0-5.49 MLU % 1. 2. 3. <?page no="348"?> 348 Phase im Hinblick auf die 1. Person. Darüber hinaus belaufen sich die Subjektauslassungen bis auf einzelne Ausnahmen auf einen durchschnittlichen Mindestwert von 60%. Abb. (7.3) Für das italienische Erwachsenensystem sind in der 1. Person 82,1%, in der 2. Person 80,5% und in der 3. Person 77,1% Subjektauslassungen ermittelt worden. In Einzelfällen spiegeln die monolingualen Kinder die erwachsenensprachlichen Werte wider, wobei auch Abweichung konstatiert werden können. Alle monolingualen Kinder weisen bis zu einem MLU-Wert von 2,5 Schwankungen auf, die sich erst im Laufe der weiteren Entwicklung einstellen. Die Zielsprachlichkeit setzt ab dieser MLU- Phase ein und wird von allen Kindern beibehalten. Giorgias Entwicklung ist weniger von schwankenden Werten als vielmehr von einer hohen Auslassungsrate in der 2. Person gekennzeichnet. Insgesamt kann für das monolinguale Mädchen ab einem MLU-Punkt von 2,5 ein zielsprachliches Sprachverhalten beobachtet werden. Die Zielsprachlichkeit liegt vor allem darin, dass sie in der 1. und 2. Person das Subjekt zu einem durchschnittlich höheren Prozentsatz auslässt als in der 3. Person. Die hohen Auslassungsraten der 1. und 2. Person ergeben sich aus dem niedrigen Informationsstatus der referenziellen Argumente der 1. und 2. Person in einer konkreten Kommunikationssituation. In einer spontanen Interaktion zwischen [ Sprecher ] und [ Hörer ] sind die Referenzen unter den Interlokutoren etabliert, während Referenzen der 3. Person aufgrund ihres höheren Informationsgehalts die overte Realisierung des Subjektpronomens erforderlich machen. Die informationsspezifischen Eigenschaften der jeweili- Personenspezifische Auslassungen: Martina 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0-1.49 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 MLU % 1. 2. 3. <?page no="349"?> 349 gen Subjektpronomina und das individuelle Sprachverhalten geben Aufschluss darüber, inwieweit monolinguale (und bilinguale) Kinder die pragmatischen Variablen der Deixis und Referenz erfassen können. Das zweite monolinguale Mädchen Martina zeigt im Hinblick auf den Informationsgehalt der personenspezifischen Argumente ein mit Giorgia vergleichbares Sprachverhalten. Auch in diesem Fall liegen die Auslassungen der 3. Person stets unter den Auslassungsraten der 1. und 2. Person. Eine Ausnahme stellt lediglich die dritte MLU-Phase dar, in der die Auslassungen der 3. Person die der 1. und 2. überschreiten. Die weitere Sprachentwicklung des monolingualen Mädchens lässt auf einen zielsprachlichen Erwerb der personenspezifischen Auslassungen schließen. Das Mädchen Rosa durchläuft eine ähnliche Sprachentwicklung mit einer ebenfalls durch hohe Auslassungsraten gekennzeichneten ersten Phase in allen grammatischen Personen, die im restlichen Entwicklungsverlauf auf die zielsprachlichen Werte reduziert werden. Ab einem MLU-Wert von 3,0 gehen die personenspezifischen Auslassungen auf die zielsprachlichen Werte zurück und zeigen einen konstanten Verlauf. Abb. (7.4) Im Unterschied zu den monolingual italienischen Mädchen weist Raffaellos Entwicklung eine hohe Auslassrate der Subjekte der 3. Person über den gesamten Untersuchungszeitraum auf. Die Auslassungen der 1. und 2. Person sind von durchgehend schwankenden Werten gekennzeichnet und reichen von einem minimalen Prozentsatz von 69% bis zu einer maximalen Auslassungsrate von 92%. Inwieweit das Kind die deiktischen und referenziellen Subjektpronomina zielsprachlich gebraucht, bleibt Personenspezifische Auslassungen: Raffaello 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0-1.49 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 3.0-3.49 3.5-3.99 4.0-4.49 MLU % 1. 2. 3. <?page no="350"?> 350 fraglich. Insgesamt lässt sein Entwicklungsverlauf auf ein vom italienischen Zielsystem eher abweichendes Sprachverhalten schließen. Als problematisch stellen sich weniger die schwankenden Werte als vielmehr die hohe Auslassungsrate der 3. Person heraus. Aus seiner sprachlichen Entwicklung kann geschlussfolgert werden, dass er den referenziellen Gebrauch der Subjektpronomina der 3. Person nicht beherrscht und nichtzielsprachliche Auslassungen produziert. Abb. (7.5) Zusammenfassend kann für den monolingual italienischen Subjekterwerb festgestellt werden, dass die Auslassungsraten der 1. und 2. Person stets die der 3. Person überschreiten. Eine Ausnahme stellt in diesem Zusammenhang der monolinguale Junge Raffaello dar, der das Subjekt in der 3. Person über die zielsprachliche Norm hinaus auslässt. Die individuelle Variation kann bis zu einem MLU-Punkt von 2,5 beobachtet werden und nimmt im restlichen Entwicklungsverlauf der monolingualen Kinder ab. Anhand der monolingualen Daten kann ein divergierender Gebrauch der deiktischen und referenziellen Subjektpronomina konstatiert werden. Diesbezüglich kann von einer anfänglichen Erwerbsschwierigkeit des zielsprachlichen Gebrauchs im Sinne von Serratrice et al. (2004) gesprochen werden. Im weiteren Verlauf der qualitativen Studie wird untersucht, ob diese augenscheinliche Erwerbsschwierigkeit tatsächlich dem Informationsgehalt der 3. Person und der damit verbundenen Komplexität oder vielmehr sprachinternen Gründen geschuldet ist. Darüber hinaus muss darauf hingewiesen werden, dass die personenspezifischen Subjektauslassungen im italienischen Zielsystem nur marginal voneinander dif- Personenspezifische Auslassungen: Rosa 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0-1.49 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 3.0-3.49 3.5-3.99 4.0-4.49 MLU % 1. 2. 3. <?page no="351"?> 351 ferieren. Demnach kann die Existenz einer homogenen Auslassungsrate von durchschnittlich 79,9% in allen grammatischen Personen nicht a priori ausgeschlossen werden. Leider hat sich die Ermittlung einer erwachsenensprachlichen Norm sowohl für das Italienische als auch für die weiteren Zielsprachen als äußert komplex herausgestellt. Im Weiteren werden in der Literatur zum erwachsenensprachlichen Subjektgebrauch in den hier involvierten (Nicht-)Nullsubjektsprachen keine zuverlässigen Frequenzangaben für realisierte und ausgelassene Subjekte bereitgestellt. Insofern gilt es die in diesem Zusammenhang ermittelten Auslassungsraten für alle Zielsysteme in zukünftigen Studien zu überprüfen. Die Notwendigkeit der Bestimmung einer erwachsenensprachlichen Norm resultiert weniger aus dem bilingualen als vielmehr aus dem monolingualen Spracherwerb. Die Ermittlung von allgemeingültigen Normen ist primär für das Erforschen von Sprachphänomenen im monolingualen Individuum erforderlich, damit sprachspezifische Unterschiede herausgestellt werden können. Für Sprachanalysen im Rahmen der Mehrsprachigkeitsforschung stellt die Ermittlung einer sprachspezifischen Norm nur ein sekundäres Bedürfnis dar, da nicht nur der Vergleich mit dem monolingualen Individuum, sondern auch unter bilingualen Individuen mit unterschiedlichen Sprachkombinationen interessiert. Die vorliegende Studie wird zwar den bilingualen Subjekterwerb mit den monolingualen Kinderdaten und den jeweiligen Erwachsenensprachen vergleichen, um der Frage des Spracheneinflusses nachgehen zu können, jedoch schließt dies einen Vergleich unter den Sprachkombinationen nicht aus. Dieses Vorgehen erlaubt eine adäquate Beurteilung der bilingualen Kinderdaten im Hinblick auf die Sprachdominanz und das Ausmaß von Spracheneinfluss. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, herauszufinden, welche Sprachkombination für das Auftreten von Spracheneinfluss anfälliger ist. Dieses Anliegen erfordert weniger den Vergleich mit der monolingualen Kontrollgruppe als vielmehr den direkten Vergleich der bilingualen Kinder mit unterschiedlichen Sprachkombinationen untereinander. Schließlich sollen die personenspezifischen Auslassungen darüber Aufschluss geben, welche grammatische Person aus diskurspragmatischer Sicht in Anlehnung an Serratrice et al. (2004) als tatsächlich komplex einzustufen ist. 7.2 Monolingual spanisch aufwachsende Kinder In diesem Abschnitt stehen die Subjektauslassungen der monolingual spanischen Kinder Emilio und Irene im Vordergrund der qualitativen Analyse. Die Abbildungen (7.6) und (7.7) geben die personenspezifischen Auslassungen in Abhängigkeit der MLU-Entwicklung über den gesamten <?page no="352"?> 352 Untersuchungszeitraum wieder. Im Gegensatz zu den monolingual italienischen Kindern belaufen sich die Auslassungen in allen grammatischen Personen auf mindestens 70%. Abb. (7.6) Das spanische Erwachsenensystem sieht für die 1. Person 79,2%, für die 2. Person 79,8% und für die 3. Person 72,9% Subjektauslassungen vor. Abb. (7.7) Ähnlich wie für das italienische Erwachsenensystem ist der Unterschied unter den personenspezifischen Auslassungsraten marginal, sodass in Personenspezifische Auslassungen: Emilio 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0-1.49 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 3.0-3.49 3.5-3.99 MLU % 1. 2. 3. Personenspezifische Auslassungen: Irene 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 3.0-3.49 3.5-3.99 4.0-4.49 MLU % 1. 2. 3. <?page no="353"?> 353 allen grammatischen Personen zu einem ähnlich hohen Prozentsatz das Subjekt ausgelassen wird. Die monolingualen Erwerbsverläufe stimmen bis zu einer bestimmten MLU-Phase mit den erwachsenensprachlichen Werten überein. Der spanischsprachige Junge Emilio lässt das Subjekt in der 1. und 2. Person bis zu einem MLU-Wert von 2,99 häufiger aus als in der 3. Person. Ab dieser MLU-Phase setzt jedoch insofern ein Wechsel der Auslassungsraten ein, als die Auslassungsrate der 3. Person stets über der der 1. und 2. Person liegt. In den letzten MLU-Phasen weist der monolingual spanische Junge höhere Auslassungen im Rahmen der deiktischen Subjektpronomina als mit referenziellen Subjekten auf. Demnach unterscheidet sich Emilio vom spanischen Zielsystem insofern, als die Erwachsenensprache einen prozentual höheren Anteil an Auslassungen in der 1. und 2. Person vorsieht als in der 3. Person. Das monolinguale Mädchen Irene hingegen spiegelt das spanische Erwachsenensystem wider, da die Auslassungen in der 3. Person kontinuierlich unter der Auslassungsrate der Subjekte der 1. und 2. Person verläuft. Insgesamt kann für die spanischen Kinder Emilio und Irene die bereits für die monolingual italienischen Kinder diskutierte Problematik der Fixierung einer zielsprachlichen Norm konstatiert werden. Jedoch können verglichen mit den italienischsprachigen Kindern für den monolingual spanischen Fall konsistente Übereinstimmungen mit der spanischen Erwachsenensprache konstatiert werden. Darüber hinaus variieren die monolingualen Kinder Emilio und Irene kaum, sodass der Faktor der individuellen Variation unberücksichtigt bleiben kann. Im Hinblick auf die 3. Person gehen die italienischen und spanischen Kinder auf die gemeinsame Feststellung zurück, dass sie zu einem, wenn auch nur marginal niedrigeren Prozentsatz das Subjekt in der 3. Person auslassen als in der 1. und 2. Person. Diese Beobachtung kann über den unterschiedlichen Informationsgehalt der Subjekte in der 1., 2. und 3. Person erklärt werden. Zusammenfassend kann für die Nullsubjektsprachen ein nahezu paralleles Erwerbsmuster der monolingual italienischen und spanischen Kinder geschlussfolgert werden. 7.3 Monolingual französisch aufwachsende Kinder In diesem Abschnitt bilden die graphischen Darstellungen (7.8) bis (7.11) die individuellen Erwerbsverläufe der monolingual französischen Kinder Grégoire, Léonard, Max und Philippe im Hinblick auf die personenspezifischen Auslassungen ab. Im französischen Erwachsenensystem belaufen sich die personenspezifischen Subjektauslassungen in der 3. Person auf 5,8%. Wie bereits in der Beschreibung des französischen Zielsystems the- <?page no="354"?> 354 matisiert sind Subjektauslassungen ausschließlich in der 3. Person mit unpersönlichen Konstruktionen und unter Einschluss des Expletivums il grammatisch. Abb. (7.8) Abb. (7.9) Für einen zielsprachlichen Spracherwerb der monolingual französischen Kinder sollten Subjektauslassungen in der 1. und 2. Person nicht auftreten. Den zum personenspezifischen Subjekterwerb erstellten Abbildungen kann jedoch die Beobachtung entnommen werden, dass die französischsprachigen Kinder auch in der 1. oder 2. Person das Subjekt aus- Personenspezifische Auslassungen: Grégoire 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 3.5-3.99 4.0-4.49 5.0-5.49 MLU % 1. 2. 3. Personenspezifische Auslassungen: Léonard 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0-1.49 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 3.0-3.49 4.0-4.49 4.5-4.99 MLU % 1. 2. 3. <?page no="355"?> 355 lassen. Diese Subjektauslassungen dokumentieren nicht-zielsprach-liche Auslassungen, die im französischen Zielsystem untersagt sind. Darüber hinaus kann für die monolingualen Jungen Grégoire und Léonard festgestellt werden, dass die Auslassungsraten der 3. Person unter dem prozentualen Anteil der Auslassungen in der 1. und 2. Person liegen. Abb. (7.10) Daraus kann geschlossen werden, dass sich bis zu einem MLU-Punkt von 4,0 die Auslassungen vornehmlich auf die 1. oder 2. Person beziehen und somit ungrammatisch sind. Der Junge Max weist für die dritte und vierte MLU-Phase ein ähnliches Sprachverhalten auf, da auch in diesem Untersuchungszeitraum die Subjektauslassungen der 1. Person die der 3. überschreiten. Im Gegensatz zu Grégoire und Léonard lässt Max jedoch das Subjekt in der 2. Person nie aus. Die sprachliche Entwicklung des Jungen Philippe kann verglichen mit den anderen französischsprachigen Jungen als die mit dem höchsten Grad an Zielsprachlichkeit aufgefasst werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Analyse des Spracherwerbs zu einer bereits fortgeschrittenen MLU-Entwicklung einsetzt. Ab einem MLU-Wert von 3,5 kann abgesehen von Grégoire ein sich an das Zielsystem annäherndes Sprachverhalten in den französischen Longitudinalstudien beobachtet werden. Die Subjektauslassungen gehen in der 1. und 2. Person zurück und es bleibt ein deutlich höherer Anteil an Subjektauslassungen in der 3. Person erhalten. Im Hinblick auf die ausgelassenen Subjekte in der 2. Person hebt sich Léonard aufgrund einer hohen Präsenz von Subjektauslassungen bei einem MLU-Punkt von 2,0 von den übrigen Entwicklungen ab. Bereits in der darauf folgenden MLU-Phase nehmen Personenspezifische Auslassungen: Max 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 3.0-3.49 3.5-3.99 4.0-4.49 4.5-4.99 MLU % 1. 2. 3. <?page no="356"?> 356 die ausgelassenen Subjekte in der 2. Person von 100% auf 13% ab. Darüber hinaus lassen nicht alle französischen Kinder in der 2. Person das Subjekt aus. Lediglich Philippe weist Subjektauslassungen der 2. Person in seiner ersten MLU-Phase auf, wobei diese im restlichen Entwicklungsverlauf von 11% auf 0% sinken. Neben Philippe lässt noch Léonard, wie bereits thematisiert, das Subjekt in der 2. Person aus. Die monolingualen Kinder Grégoire und Max sehen über den gesamten Untersuchungszeitraum davon ab, das Subjekt in der 2. Person auszulassen. Abb. (7.11) Insgesamt kann für den monolingual französischen Subjekterwerb das Ergebnis einer sich erst in fortgeschrittenen MLU-Phasen einstellenden Zielsprachlichkeit im Hinblick auf den Gebrauch von personenspezifischen Subjektauslassungen festgehalten werden. Im monolingual französischen Subjekterwerb sind vor allem die Subjekte der 1. und 3. Person, in Einzelfällen auch der 2. Person, von der syntaktischen Option der Auslassung betroffen. Die Beurteilung der kindlichen Subjektauslassungen stellt sich für den französischen Erstspracherwerb als weniger komplex heraus als im monolingual italienischen und spanischen Erwerb. Bereits aus der theoretischen Beschreibung des französischen Zielsystems sind Subjektauslassungen der 1. und 2. Person als ungrammatisch zu erachten. Die erwachsenensprachliche Norm für Subjektauslassungen in der 3. Person liegt zwar bei 5,8% kann jedoch je nach Kommunikationssituation variieren. Der tendenziell höhere Anteil der in der 3. Person ausgelassenen Subjekte der monolingualen Kinder reflektiert nicht zwingend ein ungrammatisches Sprachverhalten, sondern einen familiären Sprachstil, wie Personenspezifische Auslassungen: Philippe 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 3.0-3.49 3.5-3.99 4.0-4.49 4.5-4.99 5.0-5.49 5.5-5.99 MLU % 1. 2. 3. <?page no="357"?> 357 es für das Französische angenommen wird. Im Weiteren bestätigt die qualitative Analyse das aus der quantitativen Untersuchung gewonnene Ergebnis: Der personenspezifische Subjekterwerb der französischen Kinder scheinen verglichen mit den italienischen und spanischen Kindern verzögert zu sein. Die Regulierung der personenspezifischen Auslassungen auf einen zielsprachlichen Wert nimmt in einer Nicht-Nullsubjektsprache mehr Zeit in Anspruch, als es in den Nullsubjektsprachen der Fall ist. Dieses Ergebnis gilt es anhand der deutschen Longitudinalstudien zu überprüfen. Die qualitative Analyse der deutschsprachigen Mädchen Chantal und Cosima schließt sich an die monolingual französischen Kinderdaten an und wird im folgenden Abschnitt thematisiert. 7.4 Monolingual deutsch aufwachsende Kinder Die Abbildungen (7.12) und (7.13) stellen die personenspezifischen Auslassungen der monolingualen Mädchen Chantal und Cosima dar. Abb. (7.12) In der deutschen Erwachsenensprache sind Subjektauslassungen in allen grammatischen Personen möglich, sofern diese in den Diskurs eingeführt, den Interlokutoren bekannt und in satzinitialer Topik-Position befindlich sind. Für das Deutsche sind in der 1. Person 1,7%, in der 2. Person 0% und 5,2% in der 3. Person ermittelt worden. Damit teilt das Deutsche die Eigenschaft des Französischen, vornehmlich in der 3. Person das Subjekt auszulassen. Für die 2. Person sind keine Subjektauslassungen vorgese- Personenspezifische Auslassungen: Chantal 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0-1.49 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 3.0-3.49 3.5-3.99 4.0-4.49 4.5-4.99 MLU % 1. 2. 3. <?page no="358"?> 358 hen, in der 1. Person ist der prozentuale Anteil so marginal, dass sie ebenfalls als nicht-existent erachtet werden können. Im Hinblick auf die deutschen Kinderdaten kann die Feststellung gemacht werden, dass über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg das Subjekt in allen grammatischen Personen ausgelassen wird. Die Zielsprachlichkeit der monolingual deutschen Kinder liegt jedoch darin, dass sie vornehmlich in der 3. Person das Subjekt auslassen. Dies trifft vor allem auf das Mädchen Cosima zu, welches kontinuierlich die höchste Auslassungsrate in der 3. Person aufweist. Abb. (7.13) Cosima reduziert ihre hohen Auslassungsraten in allen grammatischen Personen bereits ab einer durchschnittlichen Äußerungslänge von 2,0 Wörtern und erreicht die zielsprachlichen Werte ab einem MLU-Punkt von 3,5. Im Unterschied dazu ist Chantals Entwicklungsverlauf von sehr hohen Auslassungsraten in allen grammatischen Personen gekennzeichnet. Bis zu einem MLU-Wert von 3,5 gehen die höchsten Auslassungsraten auf die 1. Person zurück, gefolgt von der 3. und 2. Person. Chantals Entwicklungsverlauf lässt aufgrund der vom deutschen Zielsystem abweichenden Auslassungsraten in allen grammatischen Personen auf einen verzögerten Subjekterwerb schließen. Darüber hinaus kann für das deutschsprachige Mädchen kein zielsprachliches Verhalten beobachtet werden, da es noch über die letzte MLU-Phase hinaus das Subjekt in allen Personen in ungrammatischer Weise auslässt. Zusammenfassend kann für die deutschsprachigen Mädchen ein stark von einander divergierender Subjekterwerb konstatiert werden, der sich Personenspezifische Auslassungen: Cosima 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0-1.49 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 3.0-3.49 3.5-3.99 4.0-4.49 4.5-4.99 MLU % 1. 2. 3. <?page no="359"?> 359 in einem Fall, Cosima, zielsprachlich und im anderen, Chantal, als weniger zielsprachlich herausstellt. Der Faktor der individuellen Variation ist somit aufgrund des unterschiedlichen Sprachverhaltens für den deutschen Subjekterwerb nicht auszuschließen. Die Erwerbsschwierigkeiten sind vor allem mit den sehr hohen Auslassungsraten in der 1. und 3. Person verbunden. Zwar werden auch Subjekte der 2. Person ausgelassen, mit Abschluss der Sprachdokumentation werden diese jedoch auf die zielsprachliche Norm reduziert. Verglichen mit den französischen Kindern kann auch für die deutschsprachigen Mädchen das Ergebnis einer verzögerten Sprachentwicklung geschlussfolgert werden. Die Verzögerung in der Sprachentwicklung liegt vor allem darin, dass das Mädchen Chantal zielsprachliche Werte gar nicht und Cosima erst in fortgeschrittenen MLU-Phasen erreichen. Im Weiteren ist der parallele Entwicklungsverlauf der Nullsubjektsprachen einerseits und der Nicht-Nullsubjektsprachen andererseits aus der quantitativen Studie auch im Rahmen der personenspezifischen Auslassungen bestätigt worden. 7.5 Ergebnisse der monolingualen Studie Die aus der qualitativen Studie zum personenspezifischen Subjektgebrauch der monolingual italienischen, spanischen, französischen und deutschen Kinder gewonnenen Ergebnisse gilt es an dieser Stelle zusammenzufassen und mit den Erkenntnissen der quantitativen Analyse zu ergänzen. Die folgende Abbildung (7.14) bildet die personenspezifischen Auslassungen im Italienischen und Spanischen der monolingualen Kinder über den gesamten Untersuchungszeitraum ab. Der graphischen Darstellung (7.14) der monolingualen Auslassungsraten kann die Beobachtung entnommen werden, dass das Subjekt in beiden Sprachen vornehmlich in der 1. und 2. Person ausgelassen wird. In den Nullsubjektsprachen werden Subjekte der 3. Person zwar weniger frequent als in der 1. und 2. Person, aber dennoch zu durchschnittlich 70% ausgelassen. Diese Feststellung steht mit der von Serratrice et al. (2004) durchgeführten Analyse zum personenspezifischen Subjektgebrauch im Einklang: Die Autorinnen haben aufgrund des niedrigen Informationsgehalts höhere Auslassungsraten mit deiktischen Elementen, mit Argumenten der 1. und 2. Person, vorhergesagt als mit referenziellen Argumenten der 3. Person. Diese Hypothese, welche aus diskurspragmatischer Sicht der 3. Person eine komplexere Struktur zuschreibt, kann im Rahmen der monolingualen Analyse der personenspezifischen Auslassungen bestätigt werden. Darüber hinaus deuten die personenspezifischen Auslassungsraten darauf hin, dass <?page no="360"?> 360 die monolingual italienischen und spanischen Kinder bereits in den ersten Entwicklungsphasen ihres Spracherwerbs im Hinblick auf die syntaktische Option der Subjektauslassung den zielsprachlichen Parameter setzen und diesen lediglich bezüglich der zielsprachlichen Norm regulieren. Zwar belaufen sich bereits in den ersten MLU-Phasen die Subjektauslassungen in allen grammatischen Personen auf über 70%, dennoch sind diese bis zu einem MLU-Punkt von 3,0 von schwankenden, weniger konstanten Werten gekennzeichnet. Ein horizontaler Verlauf der personenspezifischen Auslassungsraten kann ab der vierten MLU-Phase beobachtet werden. Abb. (7.14) Eine weitere Erkenntnis spiegelt sich in den sprachspezifischen Auslassungen der 2. Person wider. Sowohl die italienischen als auch die spanischen Kinder lassen in einer spontanen Kommunikationssituation bevorzugt das Subjekt in der 2. Person aus. Dieses Verhalten verleitet zur Annahme, dass Subjekte der 2. Person weniger kontrastiv gebraucht werden als Subjekte der 1. Person. Demnach verspürt das Kind das Bedürfnis, das deiktische Pronomen tu / tú und somit die kommunikationsrelevante Information [+ Hörer ] covert zu realisieren. Diese Annahme erweist sich an dieser Stelle als spekulativ und muss im Rahmen zukünftiger Studien erforscht werden. Die graphische Darstellung der Auslassungsraten der 1., 2. und 3. Person zeigen ausschließlich zielsprachliche Auslassungen, sodass sich dieser Eindruck nicht aus der Eventualität nicht-gramma- Personenspezifische Auslassungen in den Nullsubjektsprachen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 MLU % 1. IT 2 . IT 3 . IT 1. S P 2 . S P 3 . S P <?page no="361"?> 361 tischer Auslassungen ergibt, sondern aus dem individuellen Subjektgebrauch. Das aus der quantitativen Analyse gewonnene Ergebnis einer bereits in sehr frühen Entwicklungsstadien einsetzenden Zielsprachlichkeit der monolingual italienischen und spanischen Kinder ist im Rahmen der qualitativen Untersuchung zum personenspezifischen Subjektgebrauch bestätigt worden. Der horizontale, nur in den ersten MLU-Phasen von Schwankungen gekennzeichnete Verlauf der personenspezifischen Auslassungsraten spricht für eine zielsprachliche Parametersetzung bereits zu Beginn des Spracherwerbs. Der qualitativen Untersuchung der personenspezifischen Auslassungen in den Nullsubjektsprachen Italienisch und Spanisch schließt sich die Analyse der monolingual französischen und deutschen Kinderdaten an. Die folgende Abbildung (7.15) gibt die personenspezifischen Auslassungen der monolingualen Kinder unabhängig der individuellen Erwerbsverläufe wieder. Abb. (7.15) Im Gegensatz zu den personenspezifischen Auslassungsraten der in diesem Zusammenhang untersuchten Nullsubjektsprachen weisen die monolingual französischen und deutschen Kinder eine deutliche Veränderung im Sprachverhalten auf: Während die ersten MLU-Phasen von sehr hohen Auslassungsraten in allen grammatischen Personen gekennzeichnet sind, gehen diese ab einem MLU-Punkt von 3,5 auf bis zu durch- Personenspezifische Auslassungen in den Nichtnullsubjektsprachen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 5.5- 5.99 MLU % 1. FRZ 2 . FRZ 3 . FRZ 1. DT 2 . DT 3 . DT <?page no="362"?> 362 schnittlich 23% zurück. Die monolingual italienische bzw. spanische Sprachentwicklung hat aufgrund der nahezu erwachsenensprachlichen Auslassungswerte auf eine bereits zu Beginn des Spracherwerbs zielsprachliche Parametersetzung hingedeutet. Die französischen und deutschen Kinder unterscheiden sich von den italienischen und spanischen Kindern dergestalt, dass sie den zielsprachlichen Wert erst in fortgeschrittenen MLU-Phasen, ab einem MLU-Wert von 4,0, erreichen. Diese Entwicklung kann anhand der Linienverläufe beobachtet werden, die von einem sehr hohen prozentualen Anteil an personenspezifischen Auslassungen auf einen niedrigen, dem jeweiligen Erwachsenensystem entsprechenden Prozentsatz sinken. Während sich die deutschen und französischen Kinder erst im Laufe ihrer Sprachentwicklung den zielsprachlichen Werten annähern, setzt der Subjekterwerb der monolingual italienischen und spanischen Kinder mit zielsprachlichen Auslassungsraten ein. Im Hinblick auf die personenspezifischen Auslassungen sind Subjekte der 3. Person bis zu einem MLU-Punkt von 3,99 weniger von Auslassungen betroffen als Subjekte der 1. und 2. Person. Darüber hinaus werden in dieser ersten Entwicklungsphase vornehmlich Subjekte der 1. Person ausgelassen, während Subjekte der 2. Person den niedrigsten Auslassungswert aufweisen. In einer zweiten Phase ab einem MLU-Wert von 3,99 nehmen die Auslassungen der 1. und 2. Person auf bis zu 0 % ab, wobei Subjektauslassungen in der 3. Person bestehen bleiben. Zwar werden sowohl im deutschen als auch im französischen Erwachsenensystem bevorzugt Subjekte der 3. Person ausgelassen, dennoch erreichen weder die französischnoch die deutschsprachigen Kinder einen zielsprachlichen Prozentsatz. Im sprachspezifischen Vergleich wird deutlich, dass der Subjekterwerb in den Nicht-Nullsubjektsprachen verglichen mit den Nullsubjektsprachen verzögert voranschreitet. Darüber hinaus dokumentiert die Gegenüberstellung der französischen und deutschen Auslassungen das Ergebnis, dass das Deutsche für Subjektauslassungen anfälliger ist als das Französische. Diese Beobachtung ist bereits in der quantitativen Analyse zur Realisierung der Subjektposition in Erscheinung getreten und wird in der qualitativen Analyse der monolingualen Kinderdaten bestätigt. Eine Erklärung für die höheren Auslassungsraten im Deutschen kann in der strukturellen Komplexität der Nicht-Nullsubjektsprache gesucht werden. Während im französischen Zielsystem Auslassungen nur unpersönliche Verben mit expletivem il , einem nicht-referenziellen Element betreffen, und somit lexikalischer Natur sind, sind Subjektauslassungen im Deutschen syntaktisch lizenziert. Das deutsche Kind erhält über den Input positive Evidenz für Subjektauslassungen in Topik- Position, die über die Syntax abgebildet werden müssen. Bei anaphorischer Aufnahme eines bereits in den Diskurs eingeführten Referenten <?page no="363"?> 363 kann das deutsche Subjekt ausgelassen werden. Darüber hinaus müsste in zukünftigen Studien, wie bereits für den monolingual italienischen und spanischen Subjekterwerb suggeriert, untersucht werden, inwieweit das monolinguale Kind zwischen anaphorischem und deiktischem Subjektgebrauch differenzieren kann. Die Auslassungen im Französischen und Deutschen können dahingehend interpretiert werden, dass die monolingualen Kinder die deiktische Funktion der deutschen und französischen Subjektpronomina der 1. und 2. Person nicht erfasst haben. Die folgenden Sequenzen belegen exemplarisch für das Deutsche, dass monolinguale Kinder die deiktischen Pronomina ich/ du nicht mit den Informationen [+/ - Sprecher]/ [+/ - Hörer] kodieren können. (7.16) Erw.: hallo / geh ma zu papa / schnapp dir - schnapp dir mal den Luftballon / Ch.: tut nix / einfach tut nix / angst hat nur angst / Erw.: du hast nur angst ↑ / Ch.: ja / (Chantal_dt2; 5,3) (7.17) Erw.: soll ich den nehmen ? / Ch.: angst hat / biß angst hat / Erw.: du hast ein bisschen angst ↑ / Ch.: ja / (Chantal_dt2; 5s,17) Die Auszüge zeigen, dass Chantal das Subjekt auslässt und finite Verformen in der 3. Person realisiert. Dieses Verhalten ist bei monolingualen und bilingualen Kindern beobachtet worden und sollte nicht ausschließlich auf den bilingualen Spracherwerb zurückgeführt werden. Diese Feststellung wird im Rahmen der qualitativen Analyse der bilingualen Kinderdaten aufgegriffen und in Kapitel 8 diskutiert. Zusammenfassend können für die personenspezifischen Auslassungen und Realisierungen im monolingualen Erstspracherwerb die folgenden qualitativen Ergebnisse festgehalten werden: • Die aus der quantitativen Analyse der monolingualen Kinderdaten gewonnenen Erkenntnisse sind im Rahmen der qualitativen Untersuchung bestätigt worden. • Die Nullsubjektsprachen einerseits und die Nicht-Nullsubjektsprachen andererseits entwickeln sich im Hinblick auf die personenspezifischen Auslassungen parallel: In den Nullsubjektsprachen wird der sprachspezifische Parameter zu Beginn des Spracherwerbs zielsprachlich gesetzt. Die Nicht-Nullsubjektsprachen können im Anschluss an eine erste Phase mit hohen Auslassungsraten in allen grammatischen Personen den zielsprachlichen Para- <?page no="364"?> 364 meter fixieren und die Subjektauslassungen auf einen erwachsenensprachlichen Wert regulieren. Die monolingual spanischen Kinder lassen das Subjekt in der 1. und 3. Person zu einem höheren Prozentsatz aus als die italienischen Kinder. • Der monolingual italienische und spanische Subjekterwerb stellt sich verglichen mit dem französischen und deutschen als weniger problematisch heraus: Der Subjekterwerb gilt im monolingual französischen und deutschen Individuum als verzögert. In beiden Nicht-Nullsubjektsprachen wird das Subjekt in der 2. Person weniger häufig ausgelassen als in der 1.und 3. Person. • Das Französische weist niedrigere Auslassungsraten als das Deutsche auf: Das Deutsche gilt aufgrund der syntaktisch lizenzierten Subjektauslassungen als strukturell komplexer als das französische Zielsystem, da das Deutsche die argumenthafte Auslassung syntaktisch lizenziert, während es sich im Französischen um eine lexikalisch restringierte Option der Argumentauslassung handelt. • Im Hinblick auf die personenspezifischen Subjektauslassungen stellen in den Nicht-Nullsubjektsprachen die Auslassungen der 1. und 3. Person Erwerbsschwierigkeiten dar, während sich Subjektauslassungen der 2. Person als weniger komplex herausstellen. Nach Serratrice et al. (2004) geht die Komplexität in der 3. Person auf einen höheren Informationsgehalt zurück. Bezüglich der 1. Person können nicht-zielsprachliche Auslassungen nicht über den Informationsstatus der Argumente der 1. Person erklärt werden. Vielmehr muss anhand der syntaktischen Derivation der jeweiligen Subjektpronomina eine plausible Erklärung des dokumentierten Sprachverhaltens im Französischen und Deutschen geliefert werden. Die aus der monolingualen Studie gewonnenen Ergebnisse zum personenspezifischen Subjekterwerb dienen als empirische Grundlage für die bilingualen Longitudinalstudien. In den folgenden Abschnitten werden die Subjektauslassungen der 1., 2. und 3. Person in den (Nicht-)Nullsubjektsprachen thematisiert. Das Ziel der qualitativen Untersuchung der bilingualen Kinderdaten liegt darin, die jeweiligen Sprachkombinationen untereinander und die bilingualen Kinder mit der jeweiligen monolingualen Kontrollgruppe zu vergleichen. Neben dem sprachspezifischen Vergleich wird auch der Frage nachgegangen, welche grammatische Person im Hinblick auf die personenspezifischen Auslassungen und Realisierungen im Rahmen der frühkindlichen Bilingualität Erwerbsschwierigkeiten birgt. <?page no="365"?> 365 7.6 Auslassungen der bilingualen Kinder in den Nullsubjektsprachen In diesem Abschnitt stehen die personenspezifischen Auslassungen in den Nullsubjektsprachen, dem Italienischen und Spanischen, der bilingualen Kinder im Vordergrund der empirischen Untersuchung. Die qualitative Analyse der bilingualen Kinderdaten erfolgt nicht nur anhand eines Vergleichs zwischen dem monolingualen und bilingualen Erstspracherwerb, sondern auch über einen direkten Vergleich der Sprachkombinationen untereinander. Dieses Vorgehen ermöglicht es, sowohl Differenzen im Rahmen des einfachen und doppelten Erstspracherwerbs als auch sprachspezifische Unterschiede zu erfassen. Die folgenden Abbildungen (7.18) und (7.19) bilden die Subjektauslassungen in der 1., 2. und 3. Person der monolingual italienischen und spanischen sowie der deutsch-italienischen, deutsch-spanischen und französisch-italienischen Kinder in den respektiven Nullsubjektsprachen ab. Die unten stehende Abbildung (7.18) stellt die einzelnen Erwerbsverläufe der monolingualen und bilingualen Kinder in den genannten Sprachkombinationen für die Subjektauslassungen der 1. Person dar. Abb. (7.18) Den monolingualen Auslassungsraten kann ein signifikanter Unterschied in den ersten drei MLU-Phasen entnommen werden. Der weitere Verlauf der monolingualen Auslassungen weist im Hinblick auf die 1. Person eine Auslassungen in den Nullsubjektsprachen (1. Person) 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 5.5- 5.99 6.0- 6.49 6.5- 6.99 MLU % 1. IT 1. S P 1. IT d tit. 1. S P d ts p . 1. IT frzit. <?page no="366"?> 366 parallele, nahezu identische Sprachentwicklung auf. Die bilingualen Kinder hingegen unterscheiden sich nicht nur bezüglich der monolingualen Kinder, sondern auch untereinander. Die Auslassungsrate der bilingual deutsch-italienischen Kinder verläuft durchschnittlich 10% unter der monolingual italienischen Erwerbslinie. Dieser prozentuale Unterschied ist nicht nur auf visueller Ebene bemerkenswert, sondern auch statistisch signifikant (vgl. Appendix (B), Tabelle (3)). Darüber hinaus kann für die deutsch-spanischen Kinder die Beobachtung gemacht werden, dass sie am stärksten von der monolingualen Kontrollgruppe abweichen. Die bilingualen Kinder lassen das Subjekt zu durchschnittlich 51% aus und liegen somit deutlich unter der zielsprachlichen Norm von 79%. Sowohl die deutsch-italienischen als auch die deutsch-spanischen Auslassungsraten deuten im Vergleich mit den monolingualen Auslassungen auf die Präsenz von Spracheneinfluss hin. Anhand statistischer Berechnungen ist die Vermutung auf Spracheneinfluss in der 1. Person bestätigt und ein signifikanter Unterschied zwischen den monolingualen und bilingualen Kindern herausgestellt worden (vgl. Appendix (B), Tabelle (3)). Jedoch hat die empirische Untersuchung nicht nur einen stark voneinander differierenden Erwerbsverlauf zwischen den bilingualen Kindern und der jeweiligen monolingualen Kontrollgruppe, sondern auch einen Unterschied zwischen den deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Kindern hervorgebracht. Somit gibt die Gegenüberstellung der monolingualen und bilingualen Auslassungsraten in der 1. Person nicht nur Anlass zur Annahme, dass die bilingualen Kinder von Spracheneinfluss betroffen sind, sondern auch, dass die Sprachkombination für das Ausmaß von Spracheneinfluss relevant ist. Die qualitative Analyse der deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Kinderdaten dokumentiert die Vorhersage, dass sich der Spracheneinfluss in der deutsch-spanischen Sprachkombination in einem größeren Ausmaß manifestiert als im deutschitalienischen Individuum (vgl. Appendix (B), Tabelle (3)). Diese Beobachtung kann theoretisch über die syntaktische Affinität der involvierten Zielsprachen erklärt werden: Die syntaktische Derivation der Subjekte im Deutschen und Spanischen liefern für das deutsch-spanisch aufwachsende Kind positive Evidenz für die Übertragung von grammatischen Analysen und führt somit zur Erfüllung des zweiten Spracheneinflusskriteriums (vgl. Müller und Hulk 2000, 2001). Aus diskurspragmatischen Gründen ist das Spanische das komplexere Sprachsystem, sodass sich der Spracheneinfluss unidirektional vom Deutschen auf das Spanische auswirkt. Dieses Ergebnis ist aus performanzorientierter Sicht und im Hinblick auf Serratrice et al. (2004) insofern unerwartet, als sich die Subjektauslassungen der 1. Person im Spracherwerbsprozess als schwierig erweisen. Den Autorinnen folgend dürften Auslassungen und Rea- <?page no="367"?> 367 lisierungen der 1. Person keine Erwerbsschwierigkeiten darstellen, da die 1. Person auf Argumente mit niedrigem Informationsgehalt referiert und somit per se als weniger komplex eingestuft wird. Dennoch hat die qualitative Analyse der Subjektauslassungen für den deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Erstspracherwerb das Ergebnis hervorgebraucht, dass beide Sprachkombinationen und insbesondere die deutsch-spanische nicht-zielsprachliche Realisierungen in der 1. Person aufweisen. Somit kann der dokumentierte Spracheneinfluss nicht auf die pragmatische Komplexität des deiktischen Pronomens io / yo , sondern auf die syntaktische Analyse und die damit verbundene syntaktische Affinität der involvierten Zielsysteme zurückgeführt werden. Im Gegensatz dazu kann für den französisch-italienischen Subjekterwerb in der 1. Person ein zielsprachliches Sprachverhalten beobachtet werden. Die bilingualen Daten geben im direkten Vergleich mit der monolingualen Kontrollgruppe keinen Hinweis auf eventuell existierenden Spracheneinfluss. Der Verlauf der bilingualen Erwerbslinie befindet sich in unmittelbarer Nähe der monolingual italienischen, sodass auf visueller Ebene die Absenz von Spracheneinfluss plausibel erscheint. Statistische Untersuchungen haben einen nicht-signifikanten Unterschied zwischen der französisch-italienischen und der monolingualen Auslassungsrate bestätigt, sodass Spracheneinfluss in dieser Sprachkombination ausgeschlossen werden kann (vgl. Appendix (B), Tabelle (3)). Diese Beobachtung steht mit der in Müller und Patuto (2009) formulierten Bedingung für das Auftreten von Spracheneinfluss im Einklang und stellt die Relevanz der Sprachkombination heraus. Die Diversität der koexistierenden Sprachsysteme liefert für das französisch-italienisch aufwachsende Kind keine Evidenz für transferierbare syntaktische Analysen, sodass Spracheneinfluss aus theoretischer Sicht a priori ausgeschlossen werden kann. Diese Vermutung, basierend auf Müller und Hulk (2000, 2001) sowie Müller und Patuto (2009), kann im Rahmen der qualitativen Untersuchung in Analogie zur quantitativen Studie bestätigt werden. Insgesamt haben die Subjektauslassungen der 1. Person die Relevanz der Sprachkombination und das Ausmaß von Spracheneinfluss im bilingualen Erstspracherwerb herausgestellt. Während die französisch-italienischen Kinder keinen Spracheneinfluss in ihrer Nullsubjektsprache zeigen, sind die deutsch-italienischen und vornehmlich die deutschspanischen Kinder von Spracheneinfluss betroffen. Dieses Sprachverhalten kann aus syntaktischer Sicht erklärt werden, wobei sich der Spracheneinfluss, wie vorhergesagt, von der deutschen Sprache auf die romanische vollzieht (vgl. Kapitel 8). Dennoch muss an dieser Stelle erneut auf die Feststellung hingewiesen werden, dass die bilingualen Kinder die deutsche Grammatik nicht in einer 1: 1-Relation auf das Romanische übertra- <?page no="368"?> 368 gen. Die Interpretation der gewonnenen Ergebnisse aus quantitativer und qualitativer Sicht muss der Tatsache Rechnung tragen, dass das Subjekt im Romanischen der bilingualen Kinder, wenn auch nicht-zielsprachlich, ausgelassen wird. Der negative Einfluss des Deutschen ist somit nicht absolut zu verstehen, sondern führt zu höheren Realisierungsraten in den Nullsubjektsprachen. Dieser Mechanismus schließt jedoch die Option der Auslassung nicht gänzlich aus, wie die Erwerbsdaten eindeutig dokumentieren. Dennoch haben die Subjektauslassungen in der 1. Person die vorläufige Vermutung der Präsenz von Spracheneinfluss in der deutschitalienischen und deutsch-spanischen Studie bestätigt. Die folgende Abbildung (7.19) stellt die monolingualen und bilingualen Auslassungen in der 2. Person der involvierten Nullsubjektsprachen, dem Italienischen und Spanischen, dar. Abb. (7.19) Das bereits beschriebene Sprachverhalten der bilingualen Kinder bezüglich der Subjektauslassungen in der 1. Person wiederholt sich in der Analyse der ausgelassenen Subjekte der 2. Person. Auch in diesem Fall unterscheiden sich die deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Kinder von den monolingualen Kontrollgruppen. Im Weiteren kann im Hinblick auf die Zielsprachlichkeit der Subjektauslassungen ein Unterschied unter den Sprachkombinationen beobachtet werden. Während die französischitalienischen Longitudinalstudien keinen Grund zur Annahme von Spracheneinfluss geben, stellen die deutsch-italienischen und deutsch-spa- Auslassungen in den Nullsubjektsprachen (2. Person) 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 5.5- 5.99 6.0- 6.49 6.5- 6.99 MLU % 2 . IT 2 . S P 2 . IT d tit. 2 . S P d ts p . 2 . IT frzit. <?page no="369"?> 369 nischen Entwicklungen ein weniger zielsprachliches Sprachverhalten dar. Für diese Sprachkombinationen ist ein signifikanter Unterschied zum monolingualen Auslassungswert ermittelt worden, sodass auch in der 2. Person zugunsten einer sprachlichen Beeinflussung argumentiert werden muss (vgl. Appendix (B), Tabelle (3)). Darüber hinaus stellen die Subjektauslassungen der 2. Person, wie bereits für die 1. Person herausgestellt, für die deutsch-spanischen Kinder eine nennenswerte Erwerbsschwierigkeit dar. Diese Sprachkombination ist verglichen mit den übrigen bilingualen Studien am stärksten von Spracheneinfluss betroffen. Dieses Sprachverhalten ergibt sich aus der theoretischen Diskussion, die bereits für die Subjektauslassungen der 1. Person geführt worden ist. Demnach führt die syntaktische Affinität in der Analyse der Subjektauslassungen der 1. und 2. Person zu einem höheren Ausmaß an Spracheneinfluss in der deutschspanischen Sprachkombination als in der deutsch-italienischen und französisch-italienischen Konstellation. Somit stellen die Auslassungen der deiktischen Subjektpronomina sowohl für die deutsch-italienischen als auch für die deutsch-spanischen Kinder eine Erwerbsschwierigkeit dar, die sich anhand eines signifikanten Unterschieds zwischen dem monolingualen und dem bilingualen Spracherwerb äußert. Auch in diesem Fall wirkt sich das Deutsche negativ auf den zielsprachlichen Gebrauch der ausgelassenen Subjekte der 2. Person aus. Lediglich die französischitalienischen Kinder weisen zielsprachliche Auslassungsraten auf, welche sich aus den syntaktischen Beschaffenheiten der koexistierenden Zielsprachen ableiten lassen. Im Gegensatz zu Serratrice et al. (2004) hat die qualitative Analyse der Subjektauslassungen der deiktischen Pronomina im Italienischen und Spanischen der bilingualen Kinder das Ergebnis eines existierenden Spracheneinflusses hervorgebraucht, wobei sich dieser im deutsch-spanischen Individuum stärker auswirkt als im deutschitalienischen. Schließlich werden für die qualitative Analyse des personenspezifischen Subjektgebrauchs die Auslassungen der 3. Person im Italienischen und Spanischen der monolingualen und bilingualen Kinder in der unten stehenden Abbildung (7.20) vorgestellt. Der graphischen Darstellung der sprachspezifischen Auslassungsraten kann das interessante Ergebnis entnommen werden, dass sich alle bilingualen Sprachkombinationen im Gebrauch der Subjektpronomina der 3. Person zielsprachlich verhalten. Während für die deiktischen Subjektpronomina ein signifikanter Unterschied zwischen den deutsch-italienischen und den deutsch-spanischen Kindern, unter den bilingualen Kindergruppen <?page no="370"?> 370 sowie zwischen den bilingualen und den monolingualen Erwerbsverläufen festgestellt werden konnte, entwickeln sich im Hinblick auf den Gebrauch des referenziellen Subjektpronomens alle bilingualen Kinder zielsprachlich. Diese Beobachtung stellt insofern ein unerwartetes Ergebnis dar, als für die 3. Person ein höherer Informationsgehalt und eine damit verbundene Erwerbsschwierigkeit angenommen werden (vgl. Serratrice et al. 2004). Abb. (7.20) Alle bilingualen Auslassungsraten verlaufen in unmittelbarer Nähe der monolingualen Linie, sodass Spracheneinfluss sowohl visuell als auch statistisch ausgeschlossen werden kann (vgl. Appendix (B), Tabelle (3)). Im Hinblick auf die Subjektauslassungen der 1. und 2. Person muss dennoch auf die Existenz ausgelassener Subjekte hingewiesen werden, sodass zwar für Spracheneinfluss argumentiert werden kann, aber nur dergestalt, dass die deutsche Grammatik nicht in einer 1: 1-Relation in die Nullsubjektsprachen transferiert wird. Daraus folgt die Hypothese, dass die bilingualen Kinder simultan zwei unterschiedliche Analysen zugrunde legen, die ihnen für die Verarbeitung des Deutschen bzw. Romanischen optional zur Verfügung stehen. Das bilinguale Kind wählt aufgrund seiner bilingualen Situation zwischen diesen beiden Analysen aus, wobei die Wahl zugunsten der einen oder anderen Analyse getroffen wird, die entweder zu einem zielsprachlichen oder nicht-zielsprachlichen Subjektge- Auslassungen in den Nullsubjektsprachen (3. Person) 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 5.5- 5.99 6.0- 6.49 6.5- 6.99 MLU % 3 . IT 3 . S P 3 . IT d tit. 3 . S P d t.s p . 3 . IT frzit. <?page no="371"?> 371 brauch führen kann. Die empirische Auswertung gibt Anlass zur Annahme, dass die Subjektpronomina der 1. und 2. Person missinterpretiert werden und dass die deiktischen Pronomina mit der anaphorischen 3. Person konkurrieren. Inwieweit diese Erklärung für die dokumentierten Erwerbsverläufe plausibel erscheint, wird in Kapitel 8 erörtert. 138 Insgesamt kann für den personenspezifischen Subjektgebrauch im Italienischen und Spanischen das Ergebnis festgehalten werden, dass sich alle Kinder im Hinblick auf die referenziellen Pronomina zielsprachlich verhalten. Bezüglich der deiktischen Subjektpronomina sind die deutsch-spanischen Kinder im Spanischen stärker von Spracheneinfluss betroffen als die deutsch-italienischen Kinder im Italienischen. Im Anschluss an die Nullsubjektsprachen werden die personenspezifischen Auslassungen im Französischen und Deutschen der monolingualen und bilingualen Kinder thematisiert. Vornehmlich wird untersucht, inwieweit sich die bilingualen Kinder von den monolingualen unterscheiden und in welchem Maße die einzelnen Sprachkombinationen untereinander differieren. 7.7 Auslassungen der bilingualen Kinder in den Nicht- Nullsubjektsprachen Die personenspezifische Analyse der Subjektauslassungen in den involvierten Nullsubjektsprachen hat für den deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Erstspracherwerb Spracheneinfluss herausstellen können, der sich negativ auf die sprachliche Entwicklung der bilingualen Kinder auswirkt. Die Beeinflussung der Zielsysteme betrifft vornehmlich den Gebrauch der deiktischen Subjektpronomina des deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Individuums. Die französisch-italienische Sprachkombination hat weder in der quantitativen noch in der qualitativen Untersuchung Spracheneinfluss gezeigt. Anhand der folgenden Abbildungen (7.21), (7.22) und (7.23) sollen nun die personenspezifischen Auslassungsraten der monolingualen und bilingualen Kinder in den Nicht-Nullsubjektsprachen veranschaulicht werden. Die unten stehende Abbildung (7.21) stellt die Subjektauslassungen der monolingual französischen und deutschen sowie der bilingualen Kinder dar. 138 Eine syntaktische Analyse wird Evidenz dafür liefern, dass die deutsch-spanischen Kinder sowohl in der quantitativen als auch in der qualitativen Studie verstärkt von Spracheneinfluss betroffen sind. Der Grund liegt in der syntaktischen Affinität des Deutschen und Spanischen, die im Sinne von Müller und Hulk (2000, 2001) zu Spracheneinfluss führt. <?page no="372"?> 372 Abb. (7.21) Der Graphik kann das vorläufige Ergebnis entnommen werden, dass die bilingualen Kinder unabhängig von der jeweiligen Sprachkombination das Subjekt zu einem signifikant niedrigeren Prozentsatz auslassen als die monolingualen Kontrollgruppen (vgl. Appendix (B), Tabelle (4)). Dieses Sprachverhalten ist bereits im Rahmen der quantitativen Analyse zur Realisierung der Subjektposition beobachtet und auf die Bilingualität der mehrsprachig aufwachsenden Kinder zurückgeführt worden (vgl. Kapitel 6.9). Inwieweit die bilingualen Kinder tatsächlich von ihrer kindlichen Zweisprachigkeit profitieren können, muss im Laufe der qualitativen Analyse erörtert werden. Die Subjektauslassungen in der 1. Person stimmen jedoch mit dieser Annahme und dem aus der quantitativen Analyse gewonnenen Ergebnis überein. An dieser Stelle sei erneut darauf hingewiesen, dass es sich nicht um einen positiven Effekt im Sinne des Spracheneinflusses handelt, sondern um einen eventuellen Profit, der aus der Bilingualität und den zur Verfügung stehenden Verarbeitungsressourcen resultiert (vgl. Repetto 2010). Der signifikante Unterschied zwischen den monolingualen und den bilingualen Erwerbsverläufen liegt darin, dass sich die Auslassungen in der 1. Person in den bilingualen Studien bereits in den ersten MLU-Phasen auf einen niedrigeren Wert belaufen als in den monolingualen. Diese Differenz tritt vor allem zwischen der ersten und der sechsten MLU-Phase in Erscheinung. Ab einem MLU-Wert von 4,0 fallen die monolingualen und bilingualen Auslassungsraten zusammen, Auslassungen in den Nichtnullsubjektsprachen (1. Person) 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 5.5- 5.99 MLU % 1. DT 1. FRZ 1. DT d tit. 1. DT d ts p . 1. FRZ frzit. <?page no="373"?> 373 sodass von einer parallelen Entwicklung ausgegangen werden kann. Die Gemeinsamkeit der monolingualen und bilingualen Kinder besteht darin, dass der zielsprachliche Prozentsatz an ausgelassenen Subjekten in der gleichen MLU-Phase, nämlich ab einer durchschnittlichen Äußerungslänge von 4,0 Wörtern, erreicht wird. Der direkte Vergleich der bilingualen Auslassungsraten gibt Aufschluss darüber, welche Sprachkombination zu höheren Subjektauslassungen in der 1. Person tendiert. In den Nicht- Nullsubjektsprachen weisen die französisch-italienischen Kinder eine hohe Frequenz an ausgelassenen Subjekten auf, gefolgt von den deutschspanischen und den deutsch-italienischen Kindern. Dennoch rückt verglichen mit den monolingualen Kindern der vermeidlich beschleunigte Erwerb der bilingualen Kinder in den Vordergrund der qualitativen Analyse. In den ersten MLU-Phasen können für die monolingualen und die bilingualen Erwerbsverläufe ein verhältnismäßig hoher Anteil an ausgelassenen Subjekten und ein in fortgeschrittenen Erwerbsstadien eintretender Rückgang der Subjektauslassungen dokumentiert werden. Der zielsprachliche Subjektgebrauch setzt erst allmählich im Laufe der Sprachentwicklung ein und zeichnet sich über einen stetigen Rückgang der ausgelassenen Subjekte in der 1. Person aus. Die folgende Abbildung (7.22) liefert einen Überblick über die Subjektauslassungen der 2. Person im Französischen und Deutschen der untersuchten monolingualen und bilingualen Kinder. Die Graphik deckt in den ersten MLU-Phasen für die deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Kinder einen Maximalwert von 22% an Subjektauslassungen in der 2. Person auf. Beide Sprachkombinationen durchlaufen eine ähnliche Entwicklung, da die hohen Auslassungen der ersten und zweiten MLU- Phase bereits ab einem MLU-Wert von 2,0 auf bis zu 4% sinken. Damit unterscheidet sich der bilinguale Erwerbsverlauf deutlich von den monolingualen Entwicklungen, die einen Rückgang der Subjektauslassungen in der 2. Person erst ab einer durchschnittlichen Äußerungslänge von 3,5 erreichen. Auch in der 2. Person gelingt es den bilingualen Kindern den prozentualen Anteil an ausgelassenen Subjekten in früheren Erwerbsstadien zu reduzieren. Insgesamt belaufen sich die Auslassungen der bilingualen Kinder über den gesamten Untersuchungszeitraum auf einem niedrigeren Prozentsatz als im monolingualen Erstspracherwerb. Im Hinblick auf die französisch-italienischen Kinder führt Abbildung (7.22) zu der Erkenntnis, dass sie das Subjekt in der 2. Person gar nicht auslassen und somit erwachsenensprachliche Realisierungsraten aufweisen. Das Sprachverhalten der bilingualen Kinder bezüglich der Subjektauslassungen und -realisierungen in der 2. Person ist verglichen mit den monolingualen Kindern mit den Auslassungen in der 1. Person vergleichbar. Eine Ausnahme stellen die französisch-italienischen Kinder dar, die in der 1. <?page no="374"?> 374 Person das Subjekt auslassen, es in der 2. Person jedoch zu 100% realisieren. Abb. (7.22) Zusammenfassend kann für den deiktischen Subjektgebrauch dafür argumentiert werden, dass die bilingualen Kinder verglichen mit den monolingualen Kontrollgruppen ein zielsystemkonformeres Verhalten reflektieren als die einsprachig aufwachsenden Kinder. Der Unterschied zwischen dem monolingualen und dem bilingualen Subjekterwerb liegt nicht nur in der Tatsache, dass die bilingualen Kinder einen durchgehend niedrigeren Anteil an ausgelassenen Subjekten in der 1. und 2. Person zu verzeichnen haben, sondern auch in der Beobachtung, dass die bilingualen Kinder in früheren Erwerbsphasen als die monolingualen Kinder die ungrammatischen Subjektauslassungen reduzieren können. Diese ersten Ergebnisse bezüglich des personenspezifischen Subjektgebrauchs in den Nicht-Nullsubjektsprachen gilt es an den Subjektauslassungen in der 3. Person zu überprüfen. Die folgende Abbildung (7.23) zeigt die Auslassungsraten der monolingualen und bilingualen Kinder in der 3. Person. Für die Subjektauslassungen der 3. Person zeichnet sich ein mit den Auslassungsraten der 1. Person vergleichbares Bild ab. Erneut liegen die monolingualen Auslassungen der referenziellen Argumente oberhalb der bilingualen Frequenzen. Der Unterschied zwischen den ausgelassenen deiktischen und den referenziellen Subjektpronomina liegt darin, dass die monolingualen Auslassungen der 3. Person bereits ab einem MLU-Punkt Auslassungen in den Nichtnullsubjektsprachen (2. Person) 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 5.5- 5.99 MLU % 2 . DT 2 . FRZ 2 . DT d tit. 2 . DT d ts p . 2 . FRZ frzit. <?page no="375"?> 375 von 3,5, also eine MLU-Phase früher als für die Subjektauslassungen der 1. Person dokumentiert, mit den bilingualen konvergieren. Abb. (7.23) Ab der sechsten MLU-Phase belaufen sich die Auslassungen der referenziellen Pronomina in der monolingualen und der bilingualen Studie auf zielsprachliche Werte. Daraus kann abgeleitet werden, dass sowohl die einals auch die zweisprachigen Kinder in der 1. und 2. Person mit signifikanten Erwerbsschwierigkeiten konfrontiert sind. Dennoch kann anhand der qualitativen Analyse ein Unterschied im Erwerb der Subjektauslassungen der referenziellen Pronomina in den Nullbzw. Nicht- Nullsubjektsprachen abgelesen werden: Während in den Nullsubjektsprachen die monolingualen und bilingualen Erwerbsdaten keine Variation aufweisen, können die Auslassungen in den Nicht-Nullsubjektsprachen erst im Laufe des Erwerbsprozesses auf erwachsenensprachliche Werte reguliert werden. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass die 3. Person sowohl im monolingualen als auch im bilingualen Erwerb in den Nullsubjektsprachen früher zielsprachlich erworben wird als in den Nicht-Nullsubjektsprachen. Daraus leitet sich die Hypothese ab, dass im Italienischen und Spanischen das Nullsubjekt bereits zu Beginn des Spracherwerbs der zielsprachlichen Norm entsprechend gebraucht wird. Diese Vermutung kann anhand der Auslasslinien belegt werden, die im Italienischen bzw. Spanischen horizontal, im Deutschen bzw. Franzö- Auslassungen in den Nichtnullsubjektsprachen (3. Person) 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 5.5- 5.99 MLU % 3 . DT 3 . FRZ 3 . DT d tit. 3 . DT d ts p . 3 . FRZ frzit. <?page no="376"?> 376 sischen stetig fallend verlaufen und folglich eine Entwicklung im Spracherwerb der untersuchten Kinder markieren. Schließlich werden die Ergebnisse der qualitativen Analyse zum personenspezifischen Subjektgebrauch in den (Nicht-)Nullsubjektsprachen der bilingualen Kinder zusammengefasst. 7.8 Ergebnisse der bilingualen Studie Das Ziel der vorliegenden Arbeit liegt nicht nur in der quantitativen Untersuchung monolingualer und bilingualer Kinderdaten, sondern auch in der qualitativen Analyse des Subjekterwerbs. Der personenspezifische Gebrauch der deiktischen und referenziellen Subjektpronomina soll Aufschluss darüber geben, inwieweit sich die koexistierenden Sprachsysteme nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ beeinflussen. Darüber hinaus bestätigen sowohl die aus der quantitativen als auch der qualitativen Analyse hervorgebrachten Ergebnisse die zuvor formulierten Vorhersagen für den bilingualen Erstspracherwerb. Das Hauptaugenmerk der durchgeführten Studie liegt auf der theoretischen Erklärung für Spracheneinfluss in den fokussierten Sprachkombinationen und in der Demonstration der Irrelevanz der Sprachdominanz. Die Analyse der bilingualen Korpora hat die Untersuchung des monolingualen Erstspracherwerbs und die Ermittlung einer erwachsenensprachlichen Norm der Subjektauslassungen und -realisierungen erforderlich gemacht. Anhand der Erwachsenensprache und der monolingualen Kinderdaten ist der bilinguale Subjekterwerb evaluiert und im Hinblick auf eine eventuell existierende Einflussanfälligkeit überprüft worden. Die qualitative Analyse hat die Subjektauslassungen der 1., 2. und 3. Person sowohl im monolingualen als auch im bilingualen Individuum untersucht und dabei die deiktische bzw. referenzielle Natur der Subjektpronomina in den (Nicht-)Nullsubjektsprachen in den Vordergrund gestellt. Die dokumentierten Erwerbsverläufe sind mit den von Serratrice et al. (2004) und Müller und Hulk (2000, 2001) sowie Müller und Patuto (2009) formulierten Vorhersagen für den bilingualen Erstspracherwerb abgeglichen und in Anlehnung an deren Bedingungen für Spracheneinfluss diskutiert worden. Die Komplexität des Subjekterwerbs liegt in der Natur dieses Schnittstellenphänomens par excellence , welches das Zusammenspiel des syntaktischen und pragmatischen Grammatikmoduls herausstellt. Den invasiven Charakter der Pragmatik auf die syntaktische Abbildung einer Struktur gilt es im folgenden Kapitel näher zu erläutern. Dennoch ergibt sich aus der Schnittstelleneigenschaft des Subjekterwerbs in bestimmten Sprachkombinationen Spracheneinfluss, der sich in der <?page no="377"?> 377 einen oder anderen Konstellation stärker oder schwächer auswirken kann. Im Hinblick auf die Sprachkombination und den Spracheneinfluss haben sich für die personenspezifische Analyse der Subjektauslassungen der monolingualen und bilingualen Kinder in den (Nicht-)Nullsubjektsprachen folgende Ergebnisse ergeben: • In den Nullsubjektsprachen zeigen die französisch-italienischen Kinder, wie vorhergesagt, keinen Spracheneinfluss im Italienischen: Die Auslassungen der 1., 2. und 3. Person deuten auf ein zielsprachliches Erwerbsverhalten hin, sodass Spracheneinfluss auf theoretischer und empirischer Basis ausgeschlossen werden kann. • Die deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Kinder zeigen einen signifikanten Unterschied zu den monolingualen Kontrollgruppen und bestätigen somit die Vorhersage auf Spracheneinfluss: In den Nullsubjektsprachen wirkt sich der simultane Erwerb des Deutschen negativ auf den Erwerb der Nullsubjekteigenschaft des Italienischen und Spanischen aus. • Aufgrund der syntaktischen Affinität des Spanischen und Deutschen sind die deutsch-spanischen Kinder im Hinblick auf die deiktischen Subjektpronomina stärker von Spracheneinfluss betroffen als die deutsch-italienischen Kinder im Italienischen: Die syntaktische Affinität geht auf die Interpretation der deiktischen und anaphorischen Pronomina in beiden Sprachkombinationen zurück (vgl. Kapitel 8). • Die Subjektauslassungen der 3. Person zeigen in allen Sprachkombinationen ein zielsprachliches Verhalten: Die referenziellen Subjektpronomina geben Anlass zur Annahme, dass sich diese für den bilingualen Erstspracherwerb als weniger komplex herausstellen als die deiktischen Pronomina. • In den Nullsubjektsprachen kann sowohl ein Unterschied zwischen dem monolingualen und dem bilingualen Spracherwerb als auch unter den Sprachkombinationen festgestellt werden. Die nachstehende Rangfolge gibt das Ausmaß an Spracheneinfluss in der personenspezifischen Analyse von gar nicht bis stark betroffen wieder: Französisch-Italienisch > Deutsch-Italienisch > Deutsch-Spanisch • In den Nicht-Nullsubjektsprachen lassen die bilingualen Kinder in allen grammatischen Personen zu einem niedrigeren Prozentsatz das Subjekt aus als die monolingualen Kontrollgruppen: Dieses Ergebnis ist bereits im Rahmen der quantitativen Analyse hervor- <?page no="378"?> 378 gebracht worden und muss im Diskussionsteil der vorliegenden Arbeit tiefgründig analysiert werden. • Die bilingualen Kinder zeigen einen vermeidlich beschleunigten Spracherwerb, der jedoch nicht im Sinne des Spracheneinflusses als ein acceleration effect interpretiert werden darf: Eher geben die bilingualen Auslassungsraten Anlass zur Annahme, dass sich die Bilingualität der mehrsprachig aufwachsenden Kinder positiv auf den Subjekterwerb auswirkt. Dieser positive Effekt stellt einen Profit für das bilinguale Individuum dar und sollte nach Repetto (2010) auf den Verarbeitungsmechanismus zurückgeführt werden. Auch diese Hypothese wird im folgenden Kapitel unter der Annahme des syntaktischen Priming erörtert werden. • In den Nicht-Nullsubjektsprachen konnten die höchsten Auslassungsraten in der 1. Person, gefolgt von der 3. und 2. Person beobachtet werden. • Als problematisch haben sich die Auslassungen in der 1. und 2. Person herausgestellt, die weder im französischen noch im deutschen Erwachsenensystem vorgesehen bzw. nur zu einem sehr niedrigen Prozentsatz in der 3. Person dokumentiert sind. • Auch in den Nicht-Nullsubjektsprachen ist die 3. Person weniger von der syntaktischen Option der Subjektauslassung betroffen als die 1. Person: Die Komplexität des personenspezifischen Subjektgebrauchs liegt nicht in der diskurspragmatischen Eigenschaft der deiktischen und referenziellen Subjektpronomina, sondern in deren syntaktischen Derivation (vgl. Serratrice et al. 2004). Die in der quantitativen und qualitativen Analyse des monolingualen und bilingualen Subjekterwerbs gewonnenen Erkenntnisse gilt es nun anhand verschiedener theoretischer Ansätze zur syntaktischen Derivation der Subjekte in den involvierten Zielsystemen zu diskutieren. Das sich anschließende Kapitel erörtert die hervorgebrachten Ergebnisse und versucht, eine theoretische Erklärung für die im monolingualen und bilingualen Individuum beobachteten Sprachentwicklungen zu liefern. Im Rahmen der theoretischen Diskussion der Untersuchungsergebnisse werden die Bedingungen für Spracheneinfluss aufgegriffen und die Relevanz der Sprachdominanz redimensioniert. Darüber hinaus wird dem Ergebnis Rechnung getragen, dass die deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Kinder zwar nicht-zielsprachliche Subjektrealisierungen aufweisen, aber dennoch das Subjekt, abgesehnen von wenigen Ausnahmefällen, zu mindestens 50% auslassen. Somit muss im Rahmen der Interpretation der kindlichen Daten zweierlei berücksichtigt werden: die Erkenntnis der <?page no="379"?> 379 Nullsubjekteigenschaft und die Koexistenz zielsprachlicher bzw. nichtzielsprachlicher Subjektrealisierungen in den Nullsubjektsprachen. <?page no="380"?> 380 8 Diskussion der Untersuchungsergebnisse: Der Subjekterwerb in den Zielsprachen In diesem Kapitel werden die Kinderdaten der quantitativen und qualitativen Untersuchung diskutiert sowie ein theoretischer Ansatz, der den jeweiligen Entwicklungsverläufen Rechnung trägt, modelliert. Der empirische Teil der vorliegenden Arbeit hat die in der Literatur dokumentierten Beobachtungen bestätigt und bezüglich der französisch-italienischen Sprachkombination neue Erkenntnisse erbracht. Im Hinblick auf die Realisierung der Subjektposition als lexikalische Nominalphrase, Pronomen bzw. Nullsubjekt können die folgenden Ergebnisse zusammengefasst werden: 1. Der Nullsubjekt-Parameter wird im bilingualen Erstspracherwerb bereits in frühen Erwerbsphasen insofern gesetzt, als das Subjekt in Nullsubjektsprachen ausgelassen und in Nicht-Nullsubjektsprachen realisiert wird. Der zielsprachliche Gebrauch des overten Subjekts bzw. des Nullsubjekts kann jedoch erst in fortgeschrittenen Erwerbsphasen beobachtet werden. 2. Die französisch-italienischen Kinder verhalten sich wie die monolingualen Kontrollgruppen und liefern positive Evidenz dafür, dass die französisch-italienische Sprachkombination für den grammatischen Bereich des Subjekts nicht einflussanfällig ist. 3. Im Gegensatz dazu sind die deutsch-italienischen und deutschspanischen Kinder zu einem statistisch signifikanten Ausmaß von Spracheneinfluss betroffen. Interessant erscheint die Feststellung, dass die deutsch-spanischen Kinder stärker Spracheneinfluss ausgesetzt sind als die deutsch-italienische Kindergruppe. Auch dieser Unterschied ist unter den germanisch-romanischen Sprachkombinationen statistisch signifikant. 4. Ein erstaunliches Ergebnis der empirischen Studie stellt der Erwerb des Deutschen seitens der bilingualen Kinder dar. Während die frühkindliche Grammatik deutschsprachiger Kinder durch hohe Auslassungsraten des Subjekts gekennzeichnet ist, reduzieren die bilingualen Kinder die Subjektauslassungen im Deutschen in früheren Erwerbsphasen als die monolinguale Kontrollgruppe. 5. Im Hinblick auf den personenspezifischen Subjektgebrauch muss die Beobachtung diskutiert werden, dass in der bilingualen Studie die Subjektauslassungen und -realisierungen vornehmlich in der 1. <?page no="381"?> 381 und 2. Person von der monolingualen und erwachsenensprachlichen Norm abweichen. 6. Die Rolle der Sprachdominanz kann für den bilingualen Erstspracherwerb insofern relativiert werden, als sowohl sprachlich ausgeglichene als auch sprachlich unbalancierte Kinder einen nicht-zielsprachlichen Subjektgebrauch in ihren Erstsprachen aufweisen. Es kann somit die Hypothese ausgeschlossen werden, dass unbalancierte Kinder in ihrer starken Sprache stets von ihrer Dominanz für den Erwerb des in diesem Zusammenhang diskutierten grammatischen Bereichs profitieren. Im Folgenden werden theoretische Erklärungsansätze für die aus der quantitativen und qualitativen Analyse gewonnenen Erkenntnisse vorgestellt. Angesichts der Realisierung der Subjektposition wird die bereits im Vorfeld erwähnte Trunkations-Hypothese (vgl. Rizzi 1994a, 2000) aufgegriffen und ein psycholinguistischer Ansatz für den augenscheinlich „beschleunigten“ Erwerb des Deutschen seitens der bilingualen Population erörtert. Die bilingualen Erwerbsdaten werden außerdem vor dem Hintergrund der in der linguistischen Literatur dokumentierten Präferenzen hinsichtlich der anaphorischen Referenzen pronominaler Subjekte und Nullsubjekte in den Nullsubjektsprachen diskutiert. Diesbezüglich ist die Beobachtung, dass das Subjekt im Spanischen vornehmlich mit A’-Elementen und im Italienischen mit A-Elementen assoziiert wird, von außerordentlicher Relevanz (vgl. Alonso-Ovalle et al. 2002, Sorace und Filiaci 2006). Da das bilinguale Kind in der Nullsubjektsprache das Subjekt hauptsächlich auslässt und in der Nicht-Nullsubjektsprache letzteres realisiert, kann anhand dieser Feststellung für eine positive Parametersetzung zugunsten der pro-drop -Eigenschaft in den Nullsubjektsprachen argumentiert werden. Obwohl das Kind in der Nullsubjektsprache das Subjekt nicht-zielsprachlich gebraucht und von der erwachsenensprachlichen Norm abweicht, wird nicht die deutsche Grammatik umstandslos auf die romanische Varietät übertragen. Zwar ist die syntaktische Analyse der simultan zu erwerbenden Zielsysteme ambig, dennoch scheinen auch die referenziellen Präferenzen des pronominalen Subjekts bzw. Nullsubjekts auf mehrdeutige Analyse hinzudeuten. Vermutlich erfasst das bilinguale Kind die syntaktischen Eigenschaften seiner beiden Erstsprachen, missinterpretiert jedoch die präferierten Referenzbeziehungen des pronominalen Subjektgebrauchs bzw. des Nullsubjekts. Der Spracheneinfluss beruht somit nicht nur auf der syntaktischen Analyse, sondern auch auf den interpretatorischen Aspekten des Subjekts in den Nullsubjektsprachen. Aus diesem Grund muss angenommen werden, dass das bilinguale Kind zwei simultan konkurrierende Analysen verarbeiten muss, die op- <?page no="382"?> 382 tional zur Verfügung stehen und aufgrund der ambigen Sprachsituation Spracheneinfluss auslösen. In diesem Zusammenhang werden für die nicht-zielsprachlichen Subjektrealisierungen im Italienischen und Spanischen zwei Ansätze vorgestellt, die nicht nur dem negativen Erscheinungsbild der Realisierungen, sondern auch den Auslassungen in den romanischen Sprachen Rechnung tragen. Schließlich wird im Hinblick auf den personenspezifischen Subjektgebrauch die Relevanz des Informationsgehalts der jeweiligen grammatischen Person und die Referenzbeziehungen der deiktischen Pronomina der involvierten Zielgrammatiken erörtert (vgl. Serratrice und Sorace 2003, Serratrice et al. 2004). Hierzu werden ebenfalls die für die quantitative Analyse entwickelten Thesen zugrunde gelegt und anhand derer die Erwerbsverläufe der qualitativen Studie evaluiert. 8.1 Realisierung der Subjektposition im monolingualen und bilingualen Individuum Das Ziel der vorliegenden Arbeit liegt im Wesentlichen darin, eine syntaktische Analyse für die Realisierung der Subjektposition und den personenspezifischen Subjektgebrauch im bilingualen Erstspracherwerb bereitzustellen. Auf der Suche nach einer adäquaten theoretischen Position, die den Erwerbsdaten und dem gesamten Entwicklungsverlauf Rechnung trägt, hat die theoretische Diskussion über die syntaktische Landeposition der Subjekt-NP voneinander divergierende Ansätze aufgezeigt (vgl. Kapitel 4). Unter Berücksichtigung der Spracheneinflusskriterien (vgl. Hulk und Müller 2000, 2001), die den Erwerbsprozess aus einer kompetenzorientierten Perspektive interpretieren, muss ein theoretischer Standpunkt vertreten werden, der das Auftreten bzw. die Absenz von Spracheneinfluss vorhersagt. In diesem Sinne werden die einzelnen Sprachkombinationen aufgrund der unterschiedlichen Erwerbsprozesse individuell erörtert und mit dem gewählten theoretischen Rahmen abgeglichen. In der einschlägigen Literatur wird bezüglich des Subjekterwerbs für Spracheneinfluss argumentiert, wenn das zu untersuchende grammatische Phänomen an der Schnittstelle zweier grammatischer Module angesiedelt ist (vgl. u.a. Patuto 2008, Schmitz 2007, Serratrice und Sorace 2003, Serratrice et al. 2004, Serratrice 2007, Sorace und Filiaci 2006). Im Falle einer einflussanfälligen Sprachkombination, der deutsch-italienischen und deutsch-spanischen, bewirkt das Auftreten von Spracheneinfluss eine Verzögerung im Spracherwerbsprozess, die unidirektional von der germanischen Sprache in die romanische erfolgt (vgl. Hulk und Müller 2000, Müller und Hulk 2000, 2001). Im Gegensatz dazu liefert die fran- <?page no="383"?> 383 zösisch-italienische Sprachkombination das Ergebnis, das die sprachspezifische, syntaktische Derivation des Subjekts aufgrund der divergenten Eigenschaften die Beeinflussung des involvierten grammatischen Moduls ausschließt. Diese Beobachtungen lassen sich zum einen aus der empirischen Untersuchung ableiten und zum anderen können sie bereits im Vorfeld anhand theoretischer Ansätze zur syntaktischen Position des Subjekts in den involvierten Zielsprachen vorhergesagt werden (vgl. u.a. Cardinaletti 1997, Alexiadou und Anagnostopoulou 1998, Ordóñez und Treviño 1999, Poletto 2000, Alonso-Ovalle et al. 2002, Carminati 2002, Suñer 2003). Bezüglich der Natur des Spracheneinflusses wird mitunter kontrovers debattiert, ob letzterer der Bilingualität des Kindes (vgl. Grosjean 1982, Bialystok 2001, 2009, Sorace und Serratrice 2009) oder der syntaktischen Beschaffenheit des grammatischen Phänomens geschuldet ist (vgl. u.a. Rizzi 1994a, Haegeman 1996, Guasti 2004, Hulk und Müller 2000, 2001). Die Analyse und Interpretation der bilingualen Sprachentwicklungen haben die Relevanz der Sprachkombination und die Unabhängigkeit der Sprachdominanz herausgestellt. Aufgrund des dokumentierten verzögerten Erwerbsprozesses in der romanischen Sprache der deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Kinder werden im Folgenden diese letztgenannten Sprachkombinationen im Mittelpunkt der sich anschließenden Ausführungen stehen. Die französisch-italienische Konstellation ist hingegen von untergeordnetem Interesse, da diese keine Hinweise auf Spracheneinfluss gibt. Im Hinblick auf die bestehenden Erwerbstheorien können auf der Basis der Trunkations- Hypothese (vgl. Rizzi 1994a, 2000) richtige Vorhersagen über den bilingualen Erstspracherwerb formuliert werden, die in der empirischen Untersuchung statistisch bestätigt werden können. Die folgenden Abschnitte werden sich im Wesentlichen mit dem Subjekterwerb in den von Spracheneinfluss betroffenen Nullsubjektsprachen beschäftigen und den positiven Entwicklungsverlauf im Deutschen der bilingualen Kinder thematisieren. 8.1.1 Die Trunkations-Hypothese Im Rahmen der Trunkations-Hypothese definiert Rizzi (1994a, 2000) Nullsubjekte der frühkindlichen Grammatik als eine Nullkonstante mit den Eigenschaften [pronominal , anaphorisch , variabel ]. Gemäß den Ausführungen des Autors erfolgt die Identifizierung und Lizenzierung dieser leeren Kategorie anhand des Diskurses. Für die in frühen Entwicklungsphasen beobachteten Phänomene plädiert Rizzi für eine Trunkation der syntaktischen Struktur unterhalb der [C]-Domäne. Dennoch weist der Forscher darauf hin, dass die Struktur nicht an einer spezifischen Stelle, <?page no="384"?> 384 sondern auf zwei unterschiedlichen Ebenen trunkiert werden kann und infolge der Trunkations-Punkte die kindlichen Erwerbsdaten angemessen beschrieben werden können. Demnach kann die hierarchisch aufgebaute Struktur entweder bis zur Ebene der Tempus-, [TP], oder der agreement - Phrase, [AgrP], abgebildet werden. Die jeweilige Trunkations-Stelle hat strukturelle Konsequenzen für die gesamte Derivation, die im kindlichen Output produziert wird: Wird die Struktur auf der Ebene der Tempus- Phrase trunkiert, enthält sie root infinitives . Erfolgt hingegen die Trunkation auf der Ebene der agreement -Phrase wird das Verb in seiner finiten Form realisiert und eine syntaktische Position für das grammatische Subjekt bereitgestellt. Die folgende Abbildung (8.1) gibt die möglichen Trunkations-Punkte mittels gestrichelter Trennlinien ober- und unterhalb der Tempus-Phrase wieder. CP Subj i AgrP t i TP t i VP t i V Abb. (8.1): Trunkations-Punkte einer simplifizierten hierarchischen Struktur in Anlehnung an Rizzi (1994a) In beiden Trunkations-Szenarien befindet sich jedoch die Nullkonstante, die stets über den Diskurs identifiziert wird, in der höchsten strukturellen Position der Konfiguration. Dieser theoretische Ansatz macht Vorhersagen über die Distribution von overt gebrauchten bzw. leeren Subjekten in Abhängigkeit von der Finitheit des lexikalischen Verbs. Demzufolge unterscheidet Rizzi (1994a) zwischen zwei prinzipiellen Grundannahmen, die sich jeweils aus finiten bzw. infiniten Kontexten ergeben. Aus diesem Grund formuliert der Autor die Hypothese, dass im Falle einer infiniten Konstruktion die [TP]-Phrase nicht projiziert und somit die Überprüfung der φ-Merkmale der Subjekt-NP nicht gewährleistet wird. Der Argumen- <?page no="385"?> 385 tation des Forschers folgend sprechen diese Umstände zugunsten einer Nullkonstante, die in der höchsten strukturellen Position angenommen wird. Im Gegensatz dazu führt die Projektion der [TP]-Phrase in finiten Konstruktionen zur Merkmalsüberprüfung zwischen dem Kopf der Tempus-Phrase und der in einer Spezifizierer-Position, [Spec, TP], befindlichen overten bzw. leeren Subjekt-NP. Aus diesen Überlegungen schlussfolgert Rizzi (1994a, 2000), dass Nullsubjekte mit (in-)finiten Verbformen auftreten können, während overte Subjekte ausschließlich auf finite Konfigurationen restringiert sind. Dieser theoretische Ansatz kann insofern eine plausible Erklärung für die beobachteten frühkindlichen Subjektauslassungen und -realisierungen liefern, als er die Übertragung von grammatischen Analysen aus der einen Sprache in die andere ermöglicht. Die deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Erwerbsverläufe können nur dann aus einer kompetenzbasierten Perspektive interpretiert werden, wenn die zugrunde liegende Struktur der involvierten Zielsprachen Ambiguitäten enthält. Da die kindlichen Produktionen darauf hindeuten, dass sich der Einfluss von der germanischen Sprache auf das Italienische bzw. Spanische vollzieht, müssen das Deutsche und die involvierten romanischen Sprachen eine ambige, strukturelle Analyse des Subjekts aufzeigen, damit es zur Beeinflussung des romanischen Sprachsystems kommen kann. Die Zielsystembeschreibungen des Italienischen, Spanischen und Deutschen haben bereits den Eindruck einer für das Sprache erwerbende Kind ambige Analyse der Subjektposition geweckt. Zusammenfassend kann jedoch aus der spanischen und deutschen Grammatik geschlussfolgert werden, dass sich das Subjekt entweder in der Spezifizierer-Position der [IP] 139 oder unter bestimmten Umständen in der Spezifizierer-Position der [CP] befindet. Für die deutsche und spanische Zielgrammatik ist die Argumentation geführt worden, dass im Deutschen das Subjekt aus Gründen der Merkmalsüberprüfung in die Spezifizierer-Position der [CP] angehoben werden muss. Ähnlich verhält es sich mit den spanischen Subjekten, die in Anlehnung an Alonso-Ovalle et al. (2002) zu 82% als disloziierte Subjekte innerhalb der [CP] identifiziert werden. Die strukturelle Ambiguität herrscht für das bilinguale Kind, welches simultan das Deutsche und eine der beiden romanischen Sprachen erwirbt, in beiden Sprachkombinationen, wobei das Spanische eine verstärkte syntaktische Affinität zum Deutschen aufweist als das Italienische. Die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen dem Deutschen und dem Spanischen liegen nicht nur im syn- 139 Nach Pollock (1989) teilt sich die [IP] unter Berücksichtigung der Split-Infl - Hypothese in eine agreement - und Tempus-Phrase. Aus Gründen der Simplifizierung wird an dieser Stelle lediglich auf die [IP] zurückgegriffen. <?page no="386"?> 386 taktischen Bereich, sondern wie bereits in den Zielsystembeschreibungen diskutiert im Rahmen der präferierten anaphorischen Referenzen pronominaler Subjekte und pro in den Nullsubjektsprachen. Während das Spanische präferiert präverbale Subjekte mit A’-Elementen in Verbindung setzt, werden im Italienischen präverbale Subjekte als nicht-disloziierte Phrasen interpretiert und somit mit A-Elementen assoziiert (vgl. Alonso- Ovalle et al. 2002, Carminati 2002, Sorace und Filiaci 2006). Da die [C]- Domäne die Landeposition für disloziierte Subjekte im Spanischen bzw. die kanonische Position für deutsche Subjekte darstellt, ist für das Sprache erwerbende Kind die Wahrscheinlichkeit der Übertragung von grammatischen Analysen in der deutsch-spanischen Konstellation größer als in der deutsch-italienischen Sprachkombination. Diese Affinität spiegelt sich in den Erwerbsdaten insofern wider, als sich die deutschspanische Population statistisch signifikant vom deutsch-italienischen Erwerbsverlauf unterscheidet und sowohl in der quantitativen als auch in der qualitativen Studie eine erhöhte Realisierungsrate des Subjekts aufweist. Aus den Entwicklungen der deutsch-italienischen und deutschspanischen Kinder kann das unterschiedliche Ausmaß des Spracheneinflusses anhand der syntaktischen Beschaffenheit des untersuchten grammatischen Phänomens abgeleitet werden: Zum einen wirkt sich das Deutsche negativ, d.h. verzögernd, auf den Erwerbsprozess der romanischen Sprachen aus. Zum anderen unterscheiden sich die bilingualen Kindergruppen dergestalt, dass sich der Spracheneinfluss stärker im Spanischen als im Italienischen der mehrsprachigen Individuen manifestiert. Die Annahme der in (8.1) aufgeführten Struktur impliziert unmittelbar die Existenz von Nullsubjekten und infiniten Konfigurationen in der frühkindlichen Grammatik. Dass jedoch in den ersten Entwicklungsphasen sowohl phonetisch leere Subjekte als auch infinite Verbformen dokumentiert sind, zeigen die folgenden Äußerungen der untersuchten bilingualen und monolingualen Longitudinalstudien. Die Sprachdominanz scheint keine Rolle zu spielen, da auch in der weiter entwickelten Sprache der bilingualen Kinder Nullsubjekte in infiniten Kontexten gebraucht werden. (8.2) a. Ø prendere questo / (Carlotta, it. Kontext, 2; 3,17) b. Ø mangiare l’asino / (Aurelio, it. Kontext, 2; 7,30) c. Ø machen haus / (Lilli, dt. Kontext, 2; 10,2) d. Ø müssen gehen / (Arturo, dt. Kontext, 3; 1,2) e. Ø tener una barrita / (Teresa, sp. Kontext, 3; 3,4) f. Ø andare a scuola / (Giorgia, 2; 3,21) g. Ø comer una banana / (Irene, 2; 6,26) h. Ø kommen wieder / (Chantal, 2; 5,3) <?page no="387"?> 387 Die in der vorliegenden Studie ermittelten Ergebnisse haben für die quantitative Fragestellung die Validität der Trunkations-Hypothese herausgestellt, welche nicht nur die in (8.2) aufgeführten Beispiele angemessen erklärt, sondern auch die Realisierung des Subjektpronomens in infiniten Kontexten vorhersagt (vgl. Kapitel 8.2.2). Die Überlappung syntaktischer Analysen erfolgt aufgrund einer aus der bilingualen Situation resultierenden ambigen Struktur, die den einflussanfälligen Charakter der deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Kombination angemessen erklärt. Die folgende Abbildung (8.3) belegt, dass in frühen Erwerbsphasen Nullsubjekte in infiniten Kontexten erscheinen. Abb. (8.3) Die graphische Darstellung der in den Longitudinalstudien dokumentierten Nullsubjekte bestätigt das in der Literatur attestierte Ergebnis: Im Deutschen werden in frühen Erwerbsphasen leere Subjekte häufiger in infiniten Kontexten gebraucht als in den romanischen Sprachen - in diesem Fall Italienisch und Spanisch. Darüber hinaus kann anhand der illustrierten Erwerbsverläufe kein Urteil darüber gefällt werden, inwieweit sich die bilingualen Kinder in den romanischen Sprachen (nicht-)zielsprachlich entwickeln. Der erhöhte Anteil an Nullsubjekten der bilingualen Kinder im Italienischen und Spanischen lässt eher die Vermutung zu, dass die bilinguale Population bereits in sehr frühen Erwerbsphasen die Auslassbarkeit des syntaktischen Subjekts erfasst hat. Demnach sprechen die Erwerbsdaten vielmehr für eine positive Sprachentwicklung, zumin- Nullsubjekte in infinten Kontexten im monolingualen und bilingualen Individuum 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 1.0- 1.49 1.5- 1.99 2.0- 2.49 2.5- 2.99 3.0- 3.49 3.5- 3.99 4.0- 4.49 4.5- 4.99 5.0- 5.49 5.5- 5.99 MLU % IT monol. SP monol. DT monol. IT dt-it . SP dt-sp. DT dt -it. DT dt -sp. <?page no="388"?> 388 dest für die syntaktische Option der Auslassung im Romanischen. Auch im Deutschen der deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Kinder scheint sich aus der Bilingualität heraus ein sprachlicher Profit abzuzeichnen: Wie bereits in der quantitativen und qualitativen Studie ermittelt lassen die bilingualen Kinder verhältnismäßig seltener das Subjekt aus, zumindest zu einem niedrigeren Prozentsatz als es im monolingual deutschen Erwerb der Fall ist. Auch in diesem Zusammenhang decken die einzelnen Erwerbsverläufe einen interessanten Befund auf: Die bilingualen Kinder haben die Nullsubjekteigenschaft der romanischen Sprachen erworben und zwar unabhängig davon, ob letztere mit finiten oder infiniten Verbformen untersucht wird. Trotz der negativen Beeinflussung des Deutschen erfolgt die Parametersetzung insofern erfolgreich, als das Subjekt zwar nicht erwachsenensprachlich ausgelassen wird, aber dennoch abweichend von der deutschen Grammatik nicht zu 96% realisiert wird. Es sind somit erneut die bilingualen Kinder, die trotz einer negativen Beeinflussung seitens des Deutschen auf das Romanische augenscheinlich „beschleunigt“ die Subjektauslassungen durch das phonetisch realisierte Pendant im Deutschen ersetzen. Es stellt sich somit die Frage, inwieweit sich das Deutsche tatsächlich negativ auf den Subjekterwerb einer romanischen Sprache auswirken kann. Zwar ist das Deutsche für die nicht-zielsprachlichen Subjektrealisierungen in den Nullsubjektsprachen der bilingualen Kinder verantwortlich, dennoch sollte darauf hingewiesen werden, dass alle bilingualen Kinder das Subjekt im Italienischen bzw. Spanischen zu mindestens 50% auslassen. Diese Beobachtung gibt Anlass zur Annahme, dass die bilingualen Kinder aufgrund ihrer mehrsprachigen Situation untereinander konkurrierende Analysen verarbeiten müssen, die zwar zu den nicht gewünschten Realisierungen im Romanischen, aber zeitgleich zu verhältnismäßig hohen Auslassungsraten im Italienischen und Spanischen führen. Dieser Erklärungsansatz impliziert die Vermutung, dass das bilinguale Kind für den grammatischen Bereich des Subjekts zwei Analysen zugrunde legt, die ihm im Rahmen des Erwerbsprozesses optional zur Verfügung stehen und zwischen denen es sich vor dem Hintergrund der Auslassung bzw. Realisierung entscheiden muss. Diese These wird im Folgenden sowohl für die quantitative als auch für die qualitative Studie diskutiert werden, da sie einen attraktiven Lösungsansatz für die beobachtete Sprachentwicklung liefert: Das bilinguale Kind ist zwar von Spracheneinfluss betroffen, jedoch nicht dergestalt, dass es im Italienischen und Spanischen umstandslos die deutsche Grammatik anwendet. Diese Annahme hätte zur Konsequenz, dass sie in den Nullsubjektsprachen das Subjekt in Anlehnung an das deutsche Zielsystem viel häufiger realisierten. Dies ist jedoch nicht der Fall, da sie immerhin das Subjekt auslassen, wenn auch nicht zu ei- <?page no="389"?> 389 nem erwachsenensprachlichen Anteil. Obwohl weiterhin der Begriff des Spracheneinflusses gebraucht wird, soll sich dieser ausschließlich auf den statistisch signifikanten Umstand beziehen, dass die Subjektauslassungen der bilingualen Kinder nicht mit der zielsprachlichen Norm übereinstimmen. In diesem Sinne ist nicht eine kongruente Anwendung der deutschen Grammatik auf das Italienische bzw. Spanische intendiert, sondern das Auftreten der nicht-zielsprachlichen Subjektrealisierungen im Romanischen der bilingualen Kinder. 8.1.2 Priming im Deutschen der bilingualen Kinder In diesem Abschnitt soll vornehmlich die Beobachtung der wechselseitigen Beeinflussung der simultan zu erwerbenden Zielsysteme diskutiert werden. Im Wesentlichen gilt es einen möglichen Lösungsansatz für den Erwerbsverlauf der romanischen Sprachen bzw. des Deutschen der bilingualen Kinder bereitzustellen. Die im Rahmen der quantitativen Analyse untersuchten Kinderdaten haben das erstaunliche Ergebnis hervorgebracht, dass sich in einer Sprachkontaktsituation das Deutsche negativ auf den Subjekterwerb im Italienischen und Spanischen auswirkt. Dennoch scheinen die bilingualen Kinder von ihrer Bilingualität insofern zu profitieren, als sie in der germanischen Sprache nicht-zielsprachliche Subjektauslassungen früher im Erwerbsverlauf reduzieren als die monolinguale Kontrollgruppe. Dennoch erscheint wenig plausibel, für beide Szenarien die offensichtlich parallel existierenden Tendenzen auf einen und denselben Ursprung, nämlich den Spracheneinfluss, zurückzuführen. Die folgende Generalisierung (8.4) fasst den soeben beschriebenen Sachverhalt zusammen und gibt die auf den simultanen Subjekterwerb des Italienischen bzw. Spanischen und Deutschen einwirkenden Variablen wieder. (8.4) Deutsch > negativer Einfluss > It. / Sp. Italienisch / Spanisch > positiver Einfluss > Dt. Demnach müssen für den empirischen Bereich der quantitativen Auswertung der Realisierung der Subjektposition im bilingualen Erstspracherwerb die Variablen definiert werden, die einen verzögerten Erwerb im Romanischen bzw. eine augenscheinliche Beschleunigung im Germanischen auslösen. Für den Fall einer negativen Beeinflussung der romanischen Sprache seitens des Deutschen ist im Sinne von Müller und Hulk (2000, 2001) für Spracheneinfluss argumentiert worden, der im Wesentlichen die zur Verfügung stehenden syntaktischen Optionen betrifft. Aus einer kompetenzorientierten Perspektive wird aufgrund der bestehenden syntaktischen Affinitäten zwischen dem Deutschen und den involvierten <?page no="390"?> 390 romanischen Sprachen für eine zugrunde liegende trunkierte Struktur plädiert, die aus Ökonomiegründen zur Übertragung von grammatischen Analysen aus der einen in die andere Sprache führt. Für den umgekehrten Fall stellt sich die Frage, inwieweit der Spracheneinfluss tatsächlich positiv auf den Subjekterwerb im Deutschen agieren kann. Außerdem muss geklärt werden, ob der Auslöser für den beschleunigten Erwerb des Deutschen der mehrsprachigen Kinder dem kompetenzgetriebenen Spracheneinfluss oder der Bilingualität, d.h. den dem bilingual aufwachsenden Kind zur Verfügung stehenden Verarbeitungsressourcen, geschuldet ist (vgl. u.a. Grosjean 1982, Bialystok 2001, 2009, Sorace und Serratrice 2009, Repetto 2010). Die Erwerbsverläufe deuten darauf hin, dass die bilingualen Kinder im Deutschen die zielsprachlichen Generalisierungen schneller erwerben als die monolinguale Kontrollgruppe. In der Mehrsprachigkeitsforschung ist dieser Befund im Rahmen der Wortstellungsanalyse beobachtet worden (vgl. Repetto 2010). Inwieweit bilinguale Kinder auf Generalisierungen schneller zurückgreifen können als monolinguale Individuen, wird in diesem Abschnitt ebenfalls diskutiert werden. Eine mögliche Antwort auf die zuvor aufgeworfenen Fragen kann in psycholinguistischen Ansätzen gesucht werden, die ebenfalls im Hinblick auf bilinguale Individuen dem Umstand der separaten bzw. fusionierten Ablage syntaktischen Wissens nachgegangen sind (vgl. Hartsuiker, Pickering und Veltkamp 2004). Der aktuelle Forschungsstand konzentriert sich hauptsächlich auf erwachsene, mehrsprachige Individuen und auf den grammatischen Bereich des Lexikons, jedoch weniger auf das syntaktische Wissen. Die Art der mentalen Speicherung syntaktischen Wissens, separat oder fusioniert, hat Konsequenzen für den Gebrauch und Erwerb bestimmter syntaktischer Strukturen. In der Literatur wird zugunsten von syntaktischem Priming argumentiert, wenn das syntaktische Wissen nicht getrennt abgelegt, sondern zeitgleich beiden Sprachen zugänglich ist. The shared-syntax account predicts cross-linguistic syntactic priming, but the separate-syntax account does not. […] Hence, it might be that the syntax of a particular construction is shared between languages only if it is formed in the same way in both languages. (Hartsuiker, Pickering und Veltkamp 2004: 410ff.) Die Autorengruppe untersucht englisch-spanische Erwachsene, die 22 Monate in England verbracht haben und das Englische als Zweitsprache erwerben. Die Analyse des Sprachmaterials hat insofern auf sprachübergreifendes, syntaktisches Priming hingedeutet, als die Sprecher verhältnismäßig oft englische Passivkonstruktionen in Anlehnung an die spanische Struktur produzierten. In Anbetracht dieser Feststellung haben die <?page no="391"?> 391 Forscher die Schlussfolgerung formuliert, dass es sich bei der englischspanischen Konstellation um syntaktisches Priming handelt muss, ausgelöst durch die identische Wortstellung der involvierten Zielgrammatiken. Weitere aussagekräftige Evidenz haben Loebell und Bock (2003) erbracht, die für die deutsch-englische Sprachkombination und den gleichen grammatischen Bereich, die Passivkonstruktion, syntaktisches Priming ausschließen müssen. Der Priming -Effekt bleibt aufgrund divergierender syntaktischer Derivationen des involvierten grammatischen Phänomens in den betroffenen Zielsprachen aus. Demnach kann indirekt geschlussfolgert werden, dass Priming nur dann beobachtet werden kann, wenn die simultan existierenden Sprachen auf eine identische Struktur zurückgreifen. Für den in der vorliegenden Arbeit untersuchten grammatischen Bereich folgt daraus die Konsequenz, dass in der französisch-italienischen Konstellation syntaktisches Priming aufgrund mangelnder syntaktischer Übereinstimmung absent ist. In Anlehnung an die syntaktische Beschreibung des Italienischen, Spanischen und Deutschen kann jedoch aufgrund der ermittelten syntaktischen Affinität die Präsenz von syntaktischem Priming geschlussfolgert werden. Die durchgeführte Studie hat diese Annahmen insofern empirisch bestätigen können, als der simultane Subjekterwerb im Französischen und Italienischen auf eine separate Ablage syntaktischen Wissens hingedeutet hat. Im Gegensatz dazu sind die einflussanfälligen Sprachkombinationen Deutsch-Italienisch und Deutsch- Spanisch von nicht-zielsprachlichen Subjektrealisierungen in der romanischen Sprache gekennzeichnet. Die gegenseitige Beeinflussung des Italienischen bzw. Spanischen und Deutschen der bilingualen Kinder lässt Spracheneinfluss bzw. syntaktisches Priming vermuten. Aufgrund einer syntaktischen Übereinstimmung der syntaktischen Beschreibung des Subjekts befindet sich das mehrsprachige Kind in einer ambigen Situation und überträgt syntaktische Analysen aus der einen Sprache in die andere. Daraus folgt nicht nur ein verzögerter Erwerb der romanischen Sprachen, sondern auch ein positiver Priming -Effekt im Deutschen der bilingualen Kinder. Während die jeweilige Sprachkontaktsituation den Subjekterwerb im Romanischen benachteiligt, profitiert das mehrsprachige Kind von seiner Bilingualität hinsichtlich des Subjekterwerbs im Deutschen. Die romanischen Sprachen liefern die Analyse für die im Deutschen syntaktisch lizenzierten Subjektauslassungen und wirken sich somit insgesamt positiv auf den Subjekterwerb aus. Das deutschsprachige Kind hat aufgrund seiner monolingualen Umgebung nicht die Möglichkeit des syntaktischen Primings , da es lediglich ein Sprachsystem erwerben bzw. verarbeiten muss, sodass sich aus der gegebenen Sprachsituation kein Profit für den Erwerbsprozess ergeben kann. Darüber hinaus wirft diese Be- <?page no="392"?> 392 obachtung die Frage nach der strukturellen Komplexität des Deutschen auf: Angesichts der beobachteten Sprachentwicklungen der beiden deutschsprachigen Mädchen kann die Vermutung aufgestellt werden, dass sich das Deutsche als durchaus komplexes Sprachsystem und als interessanter Forschungsgegenstand zukünftiger, germanistischer Studien darstellt. Die Komplexität des Deutschen resultiert nicht wie im Italienischen und Spanischen aus dem Zusammenspiel zweier grammatischer Module, beispielsweise der Syntax und Pragmatik, sondern aus der syntaktischen Beschreibung des Subjekts (vgl. Kapitel 8.2.2). Der Einwand, es könne sich auch um negativ motiviertes Priming im Falle der Beeinflussung der romanischen Sprachen seitens des Deutschen handeln, kann insofern relativiert werden, als syntaktisches Priming ausschließlich das syntaktische Modul betrifft: Die im Italienischen und Spanischen grammatischen Subjektauslassungen sind nicht nur syntaktisch, sondern auch diskurspragmatisch lizenziert. Demnach besteht die strukturelle Affinität dieser Zielgrammatiken nur im syntaktischen, jedoch nicht im diskurs-pragmatischen Bereich. Für das Deutsche ist in der Literatur dafür argumentiert worden, dass Subjektauslassungen syntaktisch lizenziert sind und von pragmatischen Faktoren unberührt bleiben (vgl. Pillunat et al. 2006). Auf der Basis der Trunkations-Hypothese steht dem Sprache erwerbenden Kind eine sprachübergreifende Analyse zur Verfügung, die im bilingualen Erstspracherwerb für syntaktisches Priming seitens der romanischen Sprachen verantwortlich ist. Eine weitere Fragestellung, die in Verbindung mit syntaktischem Priming aufkommt, bezieht sich auf die Anwendbarkeit dieses Ansatzes. Bis zu diesem Punkt ist Priming ausschließlich auf die Realisierungen im Deutschen der bilingualen Kinder und somit auf eine positive Auswirkung der Bilingualität im Hinblick auf das Erwerben der deutschen Grammatik angewandt worden. Inwieweit syntaktisches Priming auch für die nicht-zielsprachlichen Subjektrealisierungen im Italienischen und Spanischen herangezogen werden kann, muss zukünftig untersucht werden, da die Realisierung bzw. Auslassung in den Nullsubjektsprachen sowohl das syntaktische als auch das pragmatische Modul involvieren. Im Italienischen und Spanischen erfolgt die Auslassung aus diskurspragmatischen Gründen, die das syntaktische Priming nicht erfassen kann. Außerdem wird in der linguistischen Literatur syntaktisches Priming in Verbindung mit overt realisierten Entitäten und nicht mit Nullelementen angenommen (vgl. Hartsuiker, Pickering und Veltkamp 2004). Aus diesem Grund können die Realisierungen im Deutschen der bilingualen Kinder als positiver Priming -Effekt, jedoch nicht die niedrigen Auslassungsraten im Romanischen als ein negativer Priming -Effekt inter- <?page no="393"?> 393 pretiert werden, da letztere auch das Pragmatik-Modul im Italienischen bzw. Spanischen beanspruchen. Bezüglich der unterschiedlichen Einflusseffekte ist bereits die Fähigkeit der bilingualen Kinder, schneller auf grammatische Generalisierungen zurückgreifen zu können, erwähnt worden. Die dokumentierten Erwerbsverläufe geben Grund zu der Annahme, dass die bilingualen Kinder die obligatorische Realisierung des Subjekts im Deutschen schneller erfassen als die monolinguale Kontrollgruppe. In der linguistischen Literatur findet sich dieser Befund in der von Repetto (2010) durchgeführten Studie wieder, in der die Wortstellung von sechs bilingual deutsch-italienisch aufwachsenden Kindern von eineinhalb bis vier Jahren untersucht worden ist. Die Autorin ist zu dem erstaunlichen Ergebnis gekommen, dass unabhängig von der sprachlichen Balance die bilingualen Kinder die satzfinale Verbstellung früher aufheben, als es im monolingual deutschen Erwerb dokumentiert ist (vgl. Clahsen 1982). Während monolingual deutsche Kinder Erwerbschwierigkeiten mit der zielsprachlichen Stellung des finiten Verbs aufweisen, profitieren die bilingualen Kinder von der italienischen Struktur, dergestalt, dass sie die Verbstellung in früheren Erwerbsphasen zielsprachlich beherrschen als die deutsche Kontrollgruppe (vgl. Repetto und Müller 2010: 178). Der positive Effekt des Italienischen auf die deutsche Verbstellung wird jedoch nicht auf den Erwerb der Finitheit, sondern auf die dem bilingualen Kind zur Verfügung stehenden Verarbeitungsressourcen zurückgeführt. We have already argued against the possibility of acceleration in bilingual German due to the earlier discovery of finiteness; French-German children also don’t use Vfinal pattern, although French cannot help the child to discover finiteness by mainly taking into account the verb’s morphology. (Repetto und Müller 2010: 176) Die Autorinnen erklären diesen Entwicklungsverlauf anhand der Hypothese, dass die bilingualen Kinder eine [-V2]-Grammatik zuungunsten einer [+V2]-Grammatik präferieren und somit vornehmlich SV fin O-Abfolgen produzieren. Aus diesem Grund plädieren Repetto und Müller (2010: 178) für einen sprachlichen Profit, der sich aus der bilingualen Situation des Kindes ergibt. We would like to argue that bilingual children who acquire a Romance language together with German avoid Vfinal-patterns due to what Weyers et al. (2002) have called the benefit of SV in the left-to-right parsing of a sentence. Dennoch merken die Autorinnen die Schwierigkeit an, das dokumentierte Sprachverhalten als eine performanzbzw. im Sinne des Spracheneinflus- <?page no="394"?> 394 ses als eine kompetenzbasierte Erscheinung zu klassifizieren. Für die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Kinderdaten bleibt jedoch das wichtige Ergebnis bestehen, dass die Sprachdominanz keinen Einfluss auf den Erwerb eines grammatischen Phänomens nimmt und dass das bilinguale Kind von seiner mehrsprachigen Umgebung sprachlich profitieren kann. Dieses Ergebnis bestätigen ebenfalls Patuto et al. (2011), indem der positive Effekt nicht als Spracheneinfluss, sondern als Resultat der Verarbeitungsmechanismen interpretiert wird. Da das Kind aufgrund seiner bilingualen Situation mit der Herausforderung konfrontiert wird, stets zwei Sprachsysteme simultan zu verarbeiten, können sich für die weniger komplexe Sprache, das Deutsche, positive Effekte ergeben. Das italienische Sprachsystem erleidet aufgrund seiner Komplexität - die Koordination von grammatischen Informationen an der Schnittstelle zweier Module - eine negative Beeinflussung seitens des Deutschen, da das bilinguale Kind die weniger komplexe Struktur für die Analyse des komplexeren Systems zugrunde legt. However, processing load seems to be the best explanation for what looks like an acceleration effect to the linguist. […] but because processing of a particular structure is not affordable due to the fact that the child constantly has to process two languages. What has been observed as an acceleration effect should therefore be renamed as an effect of bilingualism (processing two languages). (Patuto 2011: 256) Somit deutet der Erwerb des Deutschen der bilingualen Kinder auf einen positiven Effekt der frühkindlichen Mehrsprachigkeit hin, der sich in Form von schneller getroffenen Generalisierungen für das jeweilige Sprachsystem äußert. Schließlich kann der beschleunigte Subjekterwerb im Deutschen der bilingualen Kinder anhand dieses Ansatzes plausibel erklärt werden. Dennoch stellen diese Grundannahmen lediglich die theoretische Diskussion eines möglichen Lösungsansatzes dar, den es zukünftig anhand einer repräsentativen Datenbasis zu überprüfen gilt. 8.2 Personenspezifischer Subjekterwerb im monolingualen und bilingualen Individuum Bisher sind die monolingualen bzw. bilingualen Kinderdaten hauptsächlich anhand syntaktischer Ansätze interpretiert worden. In der einschlägigen Literatur werden jedoch nicht nur kompetenz-, sondern auch performanzbasierte Theorien angenommen, die den kindlichen Spracherwerb aus der Perspektive der kognitiven Verarbeitung von sprachlichem Material fokussieren. <?page no="395"?> 395 Die Forschergruppen Serratrice und Sorace (2003) sowie Serratrice et al. (2004) vertreten einen derartigen Standpunkt und führen nicht-zielsprachliche Subjektrealisierungen bzw. Nullsubjekte auf pragmatisch inadäquate Entscheidungen der Sprache erwerbenden Kinder zurück. In beiden Forschungsbeiträgen wird der Subjekterwerb englisch-italienisch aufwachsender Kinder und einer monolingual italienischen Kontrollgruppe untersucht. Um dem prinzipiellen Anliegen der Studien gerecht zu werden, stellen die Forscherinnen ein Modell zur Erfassung des Informationsgehalts von Subjekten auf, welches auf bestimmten pragmatischen Diskursmerkmalen basiert. Die folgende Übersicht (8.1) stellt die über den Informationsgehalt eines Subjekts informierenden Kriterien dar. Merkmal [+ informativ] [informativ] Präsenz , Absenz des Referenten der Referent ist absent der Referent ist präsent Aktiviertheitsgrad der Referent ist inaktiv der Referent ist aktiv Kontrast der Referent steht mit anderen Referenten im Kontrast der Referent steht nicht mit anderen Referenten im Kontrast Differenziertheit im Diskurs der Referent unterscheidet sich von anderen Referenten der Referent unterscheidet sich nicht von anderen Referenten Bekanntheit im Diskurs der Referent wird neu in den Diskurs eingeführt der Referent ist bereits im Diskurs bekannt Frage der Referent ist Bestandteil einer Frage oder einer Antwort auf eine Frage der Referent ist nicht Bestandteil einer Frage oder einer Antwort auf eine Frage Transitivität das Prädikat ist intransitiv das Prädikat ist transitiv Person der Referent ist die 3 . Person der Referent ist die 1 . oder 2 . Person Tab. (8.1): Diskusmerkmale nach Serratrice und Sorace (2003: 745) Angesichts der in der vorliegenden Studie durchgeführten empirischen Analyse sind das Merkmal [ Person ] und die damit verbundenen Einschätzungen bezüglich seines Informationsgehalts von außerordentlichem Interesse. Anhand dieser Kriterien soll die Wahrscheinlichkeit der Auslassung bzw. Realisierung des Subjekts determiniert werden. Die Au- <?page no="396"?> 396 torinnen teilen die Ansicht, dass das Subjekt in Kontexten ausgelassen wird, in denen das Subjekt den geringsten Informationsgehalt besitzt. Bei zunehmendem, informativem Status der Subjekt-NP wird die Auslassung ausgeschlossen und die Realisierung gefordert. Im folgenden Abschnitt soll das von Serratrice und Sorace (2003) konzipierte Modell auf die in diesem Zusammenhang erhobenen Kinderdaten angewandt werden. Darüber hinaus soll überprüft werden, inwieweit es für den grammatischen Bereich des Subjekts richtige Vorhersagen über den monolingualen und bilingualen Erstspracherwerb formuliert. 8.2.1 Der Informationsgehalt der grammatischen Person Der qualitativen Untersuchung der englisch-italienischen Kinderkorpora geht eine quantitative Analyse voraus, die die kindlichen Subjektauslassungen und -realisierungen im Hinblick auf den Erwerb der [CP] diskutieren. Hierzu teilen Serratrice et al. (2004) den Spracherwerbsprozess in zwei grundsätzlich voneinander divergierende Phasen ein, um den Erwerbsdaten angemessen Rechnung tragen zu können. 1. Die erste Phase geht dem Erwerb der funktionalen Kategorie [CP] voraus und ist durch ungrammatische Subjektauslassungen und realisierungen gekennzeichnet, die die Autorinnen auf eine Missinterpretation der zur Verfügung stehenden syntaktischen Optionen zurückführen. Die Forschergruppe sagt unidirektionalen Einfluss hervor, der sich vom Englischen auf das komplexere Sprachsystem, das Italienische, auswirkt. Demnach ist zu erwarten, dass bilinguale Kinder das Subjekt in Kontexten realisieren, in denen monolinguale Sprecher Nullsubjekte verwenden. In diesem Sinne schließen sie sich der kompetenzbasierten Analyse von Hulk und Müller (2000) an, die die dokumentierte frühkindliche Fehlentscheidung als ein Resultat von Spracheneinfluss deuten. 2. Die zweite Phase hingegen setzt zeitlich nach dem Erwerb der [CP]-Kategorie an und führt die Forscherinnen zur Annahme, dass der nicht-zielsprachliche Subjektgebrauch nicht mehr grammatischen, sondern vielmehr pragmatischen Faktoren geschuldet ist. Somit schlussfolgern Serratrice et al. (2004), dass syntaktische Optionen, in diesem Fall die syntaktische Option der Auslassung und Realisierung, von diskurspragmatischen Faktoren beeinflusst werden. Die Untersuchung referenzieller Ausdrücke hat die invasive Interaktion zwischen zwei grammatischen Modulen, der Syntax und Pragmatik, angesichts der ermittelten Distribution von overten bzw. phonetisch leeren Subjekten in den involvierten Zielsprachen der bilingualen Kinder herausgestellt. Im <?page no="397"?> 397 Hinblick auf die grammatische Person vertritt die Forschergruppe den Standpunkt, dass Subjekte der 1. und 2. Person einen niedrigeren Informationsgehalt aufweisen als Subjekte der 3. Person. Daraus leitet sich die Vorhersage ab, dass Subjektauslassungen vornehmlich in der 1. und 2. Person zu erwarten sind, während die 3. Person aufgrund des höheren informativen Status die Realisierung des Subjekts erfordert (vgl. Paradis und Marcon 2003). Die Diskussion der Kinderdaten basiert auf dem Prinzip des Informationsgehalts und postuliert die soeben beschriebene Korrelation zwischen grammatischer Person und informativem Status. (8.5) overte Subjekte > hoher Informationsgehalt (3. Person) Nullsubjekte > niedriger Informationsgehalt (1./ 2. Person) Jedoch werden die Autorinnen insofern mit einem unerwarteten Ergebnis konfrontiert, als im Einzelfall Subjektauslassungen verstärkt in der 3. Person anstatt wie zunächst angenommen in der 1. und 2. Person beobachtet werden. Aufgrund des Informationsgehalts der einzelnen grammatischen Personen verstößt dieses Ergebnis gegen die Hypothese, dass der diskursive Gehalt der jeweiligen grammatischen Person die Auslassung bzw. Realisierung letzterer determiniert. Dennoch liefert die Forschergruppe eine Erklärung für den mit der eigenen Theorie inkompatiblen empirischen Befund, indem sie auf den kommunikativen Kontext anspielt und auf die Möglichkeit hinweist, dass mehrere pragmatische Merkmale simultan aktiv sind und der Informationsgehalt eines Merkmals den informativen Status eines anderen dergestalt beeinflussen kann, dass die Auslassung bzw. Realisierung des Subjekts notwendig wird. The results from person show an unexpected trend: null subjects tend to be third person rather than first or second person. Although this finding goes against our predictions, it is important to remember that a referent as simultaneously associated with more than one informativeness feature at all times, and that the uninformative value of another feature, for example activation, might have overridden the informative value of person and resulted in an appropriate context for an overt subject. […] Once again the lack of significance of person is attributed to the overlap with other overriding features. (Serratrice et al. 2004: 196) Demnach kann der Informationsgehalt eines anderen pragmatischen Merkmals den hohen informativen Status der 3. Person insofern beeinflussen, als es in einer gegebenen Kommunikationssituation die Realisierung des Subjektpronomens auslöst. Die Annahme und Erklärung des geschilderten Sachverhalts impliziert jedoch einen hierarchischen Auf- <?page no="398"?> 398 bau 140 der einzelnen pragmatischen Faktoren, die Serratrice und Sorace (2003: 745) für die Evaluation des Subjekterwerbs zugrunde legen. Dennoch liefert die Interpretation der Kinderkorpora das Ergebnis, dass bilinguale Kinder auf gewisse pragmatische Faktoren sensibel reagieren und das Subjekt in informativ schwachen Kontexten auslassen bzw. in Kontexten mit hohem Informationsgehalt realisieren. Die Erfassung der pragmatischen und diskursiven Eigenschaften der Subjektauslassung bzw. -realisierung rechtfertigt einen performanzbasierten Ansatz, der die kognitiven Verarbeitungsressourcen des bilingualen Kindes in den Vordergrund stellt. Die in diesem theoretischen Rahmen aufgestellte Hypothese geht prinzipiell auf die Grundannahme zurück, dass der frühkindliche Subjektgebrauch primär Gegenstand pragmatischer Merkmale und sekundär syntaktischer Optionen ist. Nevertheless English-speaking children omit subjects to some degree in the early stages of acquisition, and our prediction was that they would do so whenever the pragmatic principle of informativeness overrides the overt subject syntactic requirement. Our cross-linguistic analysis of the relationship between informativeness status and argument realization did indeed show that, both in English and in Italian, null subjects and null objects were constrained by discourse pragmatics: null arguments were significantly more likely to be associated with uninformative than informative features. […] The grammatical constraint is thus NECESSARY to explain why null subjects are restricted to the root specifier position, but it is NOT SUFFICIENT to account for their distribution in the only position in which they are allowed to occur at all from a grammatical point of view. Only a proposal that takes into account discourse pragmatics can predict when a subject is more likely to be omitted at a stage when provision is not target-like yet. In essence a grammatical account will predict WHERE null subjects are permissible (i.e. in the specifier of the root), and a pragmatic account will predict WHEN a null subject is more likely to occur (i.e. when the argument is associated with uninformative discourse pragmatic features). (Serratrice et al. 2004: 199) Die Autorinnen sprechen sich somit gegen eine syntaktisch motivierte Analyse der Kinderdaten aus und legen prinzipiell die Existenz einer trunkierten Phrase ab (vgl. Rizzi 1994a, 2000). Für die in der vorliegenden Arbeit erhobenen Erwerbsdaten impliziert diese Auffassung, dass der Subjektgebrauch mit dem Informationsgehalt der jeweiligen grammatischen Personen korrelieren muss: In Kontexten mit niedrigem Informa- 140 Zumindest kann davon ausgegangen werden, dass der informative Status der einzelnen diskursiven Merkmale bedingt durch die gesamte Gesprächssituation variieren kann. <?page no="399"?> 399 tionsgehalt sind Subjektauslassungen lizenziert, während Pronomina mit einem hohen informativen Status stets realisiert werden müssen. Das Sprache erwerbende Kind muss somit den Informationsstatus erfassen, damit pragmatische Prinzipien die syntaktische Option der Auslassung bzw. Realisierung regeln. Demnach wird der Pragmatik ein invasives 141 Eingreifen in das syntaktische Modul zugeschrieben, eine Eigenschaft, welche bereits im Rahmen derivationell angelegter Studien thematisiert worden ist. The subject domain is particularly suitable to investigate the syntaxpragmatics interface and allows predictions regarding the invasiveness of pragmatics towards a grammatical phenomenon (here null subjects in bilingual language acquisition). For Italian, being a pro-drop language, pragmatics is invasive to the syntactic system; it impinges upon syntactic options. In German and French pragmatics is non invasive with respect to syntax and therefore derivationally neutral. (Patuto et al. 2011: 241) Den Autorinnen folgend muss das monolinguale bzw. bilinguale Kind die deiktische bzw. referenzielle Interpretation des jeweiligen Subjektpronomens erfassen. Aus einer diskurspragmatischen Perspektive muss abgeleitet werden, dass die 1. Person mit dem semantischen Merkmal [+ Sprecher ] assoziiert wird, während die 2. Person Träger der Information [+ Hörer ] ist (vgl. Poletto 1999). Die deutsch-italienischen und deutschspanischen Erwerbsverläufe stehen insofern mit der von Serratrice et al. (2004) vertreten Auffassung im Kontrast, als die bilingualen Kindergruppen entgegen dem Prinzip des informativen Gehalts verstärkt das Subjekt in der 1. und 2. Person realisieren. Generell lassen die in der vorliegenden Arbeit analysierten Kinderkorpora die Vermutung zu, dass die dokumentierte Sprachentwicklung ausschließlich auf pragmatische Faktoren zurückzuführen ist. Die Erwerbsschwierigkeiten, welche nicht die 3. Person betreffen, werden in informativ schwachen Kontexten offensichtlich. Rekurrierend auf die Einschätzung der Forschergruppe sollte die 3. Person aufgrund des erhöhten Informationsgehalts und der daraus resultierenden Komplexität eine Herausforderung im Rahmen des Spracherwerbsprozesses darstellen. Im Gegensatz dazu legt die qualitative Untersuchung die Schwierigkeit der Kodierung der deiktischen Subjektpronomina, weniger der referenziellen Subjekte, nahe. Eine Antwort auf den bisher erläuterten performanzorientierten Standpunkt liefert Schmitz (2007) angesichts der Argumentation und der damit verbundenen Relevanz der Ergebnisse im Rahmen der Mehr- 141 Diese Annahme wird u.a. in Epstein, Groat, Kawashima und Kitahara (1998), Epstein und Seely (2006) sowie López (2009) erörtert. <?page no="400"?> 400 sprachigkeitsforschung. Im Gegensatz zu Serratrice et al. (2004) kommt die Forscherin zur Feststellung, dass im Einzelfall monolingual italienische Kinder vermehrt Subjektrealisierungen der 1. Person aufweisen als es eigentlich von der Erwachsenengrammatik vorgesehen ist. Diese Beobachtung verleitet Schmitz (2007: 30) zur Kritik des pragmatisch motivierten Ansatzes, die aufgrund des empirischen Befunds, dass deutschitalienische Kinder dieser Tendenz folgen, weitere Bestätigung findet. Im Laufe der Diskussion wird zugunsten einer syntaktisch motivierten Erklärung für die nicht-zielsprachlichen Subjektrealisierungen der 1. und 2. Person argumentiert. Demnach sprechen weniger diskurspragmatische, sondern vielmehr syntaktische Gründe für eine Missinterpretation der involvierten Subjektpronomina. Um jedoch aussagekräftige Belege, die die Validität des pragmatischen Modells in Frage stellen, aufführen zu können, muss das pragmatische Wissen der monolingualen und bilingualen Kinder untersucht werden. Hierzu legt Schmitz (2007: 33) die pragmatischen Merkmale, die nach Serratrice und Sorace (2003: 745) die Auslassung bzw. Realisierung des Subjekts regeln, zugrunde und wendet es an einem balancierten, deutsch-italienischen Kind an. Die Autorin wählt Carlotta, eines der bilingualen Kinder, das in der vorliegenden Studie ebenfalls analysiert worden ist, und kommt zu dem Ergebnis, dass es verhältnismäßig sensibel auf alle pragmatischen Faktoren reagiert. Daraus schließt Schmitz (2007: 35), dass das Modell keine zuverlässigen Prognosen im Hinblick auf den Subjekterwerb ermöglicht: Obwohl Carlotta angesichts der pragmatischen Merkmale als ein Individuum zu klassifizieren ist, welches den pragmatischen und informativen Gehalt eines Referenten richtig einordnen kann, missinterpretiert sie den Gebrauch von Nullsubjekten und phonetisch realisierten Subjekten. Die folgenden Sequenzen geben den Gebrauch eines overt realisierten Subjekts in einem Kontext wieder, in dem es hätte ausgelassen werden müssen, bzw. den Gebrauch eines Nullsubjekts in einer Situation, in der der Referent nicht identifiziert ist und somit die Realisierung des Subjektpronomens erforderlich ist (zitiert nach Schmitz 2007: 31ff) 142 . (8.6) a. Subjektauslassung, obwohl Nullsubjekt erwartet Erw.: dov’ è il babbo ? / è fuori casa ? / Car.: è fuori casa babbo ? / Erw.: è fuori casa ! / 142 Beide Sequenzen hat das deutsch-italienische Mädchen Carlotta in einem Alter von 2; 2,19 Jahren produziert. <?page no="401"?> 401 b. Subjektrealisierung, obwohl Nullsubjekt gefordert Erw.: e poi cosa c’ è ? / Car.: fa la bagno / Erw.: due bimbi che fanno il bagno / Damit die Autorin ihren vorläufigen Eindruck empirisch belegen kann, führt sie die im Rahmen des pragmatischen Modells ermittelten Erwerbsdaten unter Berücksichtigung der über den Informationsgehalt informierenden Kriterien an. Tab. (8.2): Carlottas Nullsubjekte in Abhängigkeit von pragmatischen Merkmalen (entnommen aus Schmitz 2007: 33) Angesichts der prozentualen Angaben schlägt die Forscherin eine Typisierung der acht pragmatischen Faktoren vor: eine Klasse mit pragmatischen Faktoren, auf die sowohl monolinguale als auch bilinguale Kinder sensibel reagieren ( Absenz , Aktivierung , Kontrast , Bekanntheit und Differenzierung ), und eine Kategorie, deren pragmatische Faktoren individuelle Variation zulassen ( Person , Transitivität und Frage ). Da diese Merkmale im Spracherwerbsprozess der untersuchten Kinder kein homogenes Bild liefern, erklärt Schmitz (2007: 36) das Modell als insgesamt problematisch und plädiert für eine kompetenzbasierte Analyse der Spracherwerbsdaten im Sinne von Hulk und Müller (2000). Weder die monolingualen noch die bilingualen Entwicklungen können die von Serratrice et al. (2004) aufgestellten Behauptungen bestätigen, so dass der Ansatz als allgemein falsifiziert gelten kann. Die Subjektrealisierungen der 1. und 2. Person deuten auf die theoretischen Schwächen der performanzbasierten Annahme hin und müssen in Anlehnung an Schmitz (2007: 37) vielmehr in einem syn- <?page no="402"?> 402 taktischen Rahmen diskutiert werden. Die Kritik bezieht sich jedoch nicht nur auf die Tatsache, dass die kindlichen Sprachentwicklungen nicht mit dem Modell übereinstimmen, sondern auch auf die Auswahl der pragmatischen Faktoren. Schmitz merkt an, dass es sich nicht um genuine pragmatische Merkmale handelt, sondern um Merkmale, die Berührungspunkte mit anderen grammatischen Bereichen aufzeigen. So führt die Autorin aussagekräftige Evidenz dafür an, dass die Merkmale Transitivität und Frage auf die syntaktische Ebene und das Merkmal Person auf die Morphologie bezogen werden können. 8.2.2 Subjektpronomina im syntaktischen Rahmen Eine syntaktische Analyse des personenspezifischen Subjektgebrauchs führen Schmitz et al. (2011) für deutsch-italienisch, deutsch-französisch und französisch-italienisch aufwachsende Kinder durch. Die Autorinnen gehen im Wesentlichen den syntaktischen Eigenschaften der 3. Person und der Beobachtung nach, dass monolinguale und bilinguale Kinder die 1. und 2. Person mit der Verbmorphologie der 3. Person kombinieren. Die folgenden Beispiele (8.7) stammen aus den in der vorliegenden Arbeit analysierten Longitudinalstudien und illustrieren den soeben skizzierten Sachverhalt. (8.7) a. io ha tutto qui / (Giorgia, 2; 10,26) b. yo quiere / (Irene, 3; 1,22) c. je va arriver / (Grégoire, 2; 5,27) d. ich hammert doll / (Chantal, 3; 2,23) e. ich macht so / (Lukas, dt. Kontext, 2; 4,9) f. io va via un po’ / (Lukas, it. Kontext, 2; 9,18) g. yo compra / (Arturo, sp. Kontext, 2; 8,29) h. je va chercher / (Juliette, frz. Kontext, 2; 4,0) i. anche io vede peperone / (Juliette, it. Kontext, 2; 8,0) Die Forschergruppe schließt aus syntaktischen Gründen die Interpretation aus, dass es sich bei den aufgeführten kindlichen Produktionen um Kongruenzfehler handelt und verweist auf den Umstand, dass die Missinterpretation der 1. bzw. 3. Person nicht nur im Kontext der Realisierung, sondern auch der Auslassung erfolgt, wie die nachstehenden Äußerungen zeigen. (8.8) a. Ø ha tanta fame / (Rosa, 2; 11,30) b. Ø tiene pistola / (Emilio, 3; 10,1) c. Ø a presque fini / (Philippe, 2; 6,13) <?page no="403"?> 403 d. Ø will alles haben / (Cosima, 3; 0,38) e. Ø deve andare / (Lilli, it. Kontext, 3; 4,27) f. Ø ha sete / (Valentin, it. Kontext, 3; 0,28) g. Ø puede coger / (Teresa, sp. Kontext, 2; 8,23) h. Ø deve fare la barriera / (Juliette, it. Kontext, 2; 11,21) i. Ø va a scuola / (Siria, it. Kontext, 2; 9,7) Die aus den monolingualen und bilingualen Longitudinalstudien entnommenen Beispiele sind in eindeutigen Referenzkontexten eingebettet: In den gegebenen Gesprächssituationen steht der Referenten stets in der 1. Person und ist unmissverständlich als Realisierung oder Auslassung des Subjektpronomens ich bzw. io , yo und je zu deuten. Die Auffälligkeit dieser Beobachtung liegt im Wesentlichen darin, dass diese Art des Subjektgebrauchs unabhängig von der Verbflexion und der sprachlichen Balanciertheit der bilingualen Kinder auftritt. Die Auslassung bzw. Realisierung der 1. Person in Verbindung mit der Verbmorphologie der 3. Person kann mit (un-)regelmäßigen Paradigmen beobachtet werden. Im Rahmen der Spracherwerbsforschung sind zahlreiche Untersuchungen zum Flexionserwerb (un-)regelmäßiger Verben durchgeführt und angesichts der Forschungsergebnisse unterschiedliche Annahmen vertreten worden. Für den in diesem Zusammenhang dokumentierten Sachverhalt ist die Schlussfolgerung interessant, dass monolinguale und bilinguale Kinder nicht-produktive Verbformen, d.h. unregelmäßige Formen, eher übergeneralisieren als regelbasierte Formen (vgl. Clahsen, Aveledo und Roca 2002: 592). Dieses Ergebnis beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Distribution der Flexionsfehler im Hinblick auf die einzelnen Konjugationsklassen, sondern auch auf den personenspezifischen Subjektgebrauch. So wird in der einschlägigen Literatur der Standpunkt vertreten, dass die 3. Person eine unterspezifizierte Form, d.h. einen Default, darstellt, der in Kontexten, in denen die 1. oder 2. Person gefordert ist, aktiviert wird. Studies of child language development have indeed found that children learning Italian, Catalan, Spanish, and other languages with stem-based inflectional paradigms produce 3 rd singular forms in cases in which other forms are required (Hernández-Pina, 1984; Guasti, 1993; Serrat & Aparici, 1999). For Spanish, Radford & Ploennig-Pacheco (1995) found, for example, that 20% of the 3 rd singular forms produced by the Mexican child they studied appeared in contexts that required 1 st and 2 nd person forms, while on the other hand all the 1 st and 2 nd forms used by the child showed correct 1 st and 2 nd person agreement. Consequently, Radford & Ploennig- Pacheco (pp. 52f.) claim that 3 rd singular present tense forms may serve as a kind of default form in child Spanish. (Clahsen et al. 2002: 612) <?page no="404"?> 404 Bezüglich der einzelnen Konjugationsklassen sind Flexionsfehler dem Prinzip der Übergeneralisierung und bestimmten syntaktischen Anforderungen, bspw. der Finitheit, geschuldet. Demnach ist anzunehmen, dass zu Beginn des Spracherwerbs flektierte Verbformen als ganze Einheiten, ohne Verbstamm und Flexionssuffix zu differenzieren, abgelegt werden. Für die mentale Repräsentation flektierter Worteinheiten können zwei theoretische Positionen 143 unterschieden werden: dual mechanism vs. single mechanism account (vgl. Clahsen et al. 2002: 591ff.). Die Forscher argumentieren zugunsten des dual mechanism account , da dieser den dokumentierten Sachverhalt angemessen beschreibt. Laut Clahsen et al. (2002: 616) verfügen regelmäßige Verben über einen Lexikoneintrag, während unregelmäßige Verben mit einem Lexikoneintrag für den regelmäßigen Stamm und weiteren Untereinträgen für die unregelmäßigen Stämme versehen sind. (8.9) regelmäßig unregelmäßig parlare nascere parlnascnascenacqun- Abb. (8.9): Mentale Repräsentation (un-)regelmäßiger Verben Im Rahmen dieses theoretischen Ansatzes werden Flexionsfehler auf den Umstand zurückgeführt, dass im Falle einer unregelmäßigen Verbflexion kein Zugriff auf die unterspezifizierenden Knoten besteht. Aus diesem Grund greift das Sprache erwerbende Kind auf den hierarchisch höher gestellten Knoten mit dem regelmäßigen Stamm nasc zurück, der als Default agiert und die eigentlich geforderten unregelmäßigen Formen ersetzt. Die Forschergruppe kommt zu dem Ergebnis, dass in Langzeitstudien der Zugriff auf unregelmäßige Verbformen zu Beginn des Spracherwerbs (1; 6 Jahre) und gegen Ende der dokumentierten Sprachentwicklung (3; 1 Jahre) durch syntaktische Anforderungen erschwert wird. Schließlich werden Flexionsfehler auch als ein frequenzbasiertes Phänomen klassifiziert, da „[…] low-frequency irregular verb forms yiel- 143 Auf die unterschiedlichen Repräsentationstheorien wird lediglich hingewiesen. Auf eine detaillierte Darstellung wird insofern verzichtet, als diese nicht im Mittelpunkt der Argumentation stehen soll. <?page no="405"?> 405 ded more errors than high-frequency ones. This finding is compatible with the view that irregulars are stored in memory, since memory storage and retrieval are likely to be dependent on frequency of exposure“ (Clahsen et al. 2002: 618). Demnach können Kongruenzfehler darauf zurückgeführt werden, dass das Sprache erwerbende Kind das Verbparadigma unregelmäßiger Verben nicht erworben hat. Die nachstehenden Beispiele verdeutlichen jedoch, dass die Abfolge [1. Person Subjekt + 3. Person Verbmorphologie] auch mit regelmäßigen Verben auftritt. Dieser Befund schwächt die Annahme, dass die Abfolge lediglich auf einen unvollständigen Erwerb der Morphologie bzw. auf Kongruenzfehler hindeutet. Wäre diese Annahme richtig, sollten die folgenden sprachlichen Produktionen im kindlichen Output nicht enthalten sein. (8.10) a. ich macht den da / (Chantal, 3; 3,7) b. io parla tanto / (Giorgia, 2,9,23) c. io aiuta / (Aurelio, it. Kontext, 2,4,23) d. yo bebo / (Arturo, sp. Kontext, 2; 10,23) e. yo hablo / (Teresa, sp. Kontext, 2,6,14) Die Studie widmet sich zwar dem Erwerb der unterschiedlichen Konjugationsklassen und allgemein der Verbmorphologie im frühkindlichen Spracherwerb, liefert jedoch keine Erklärung für die Feststellung, dass monolinguale und bilinguale Kinder die Morphologie der 3. Person auf Kontexte der 1. und 2. Person beziehen. Diese Beobachtung macht Untersuchungen erforderlich, die die funktionale Kategorie agreement und somit die Subjekt-Verb-Kongruenz fokussieren. Torrens (1995) geht explizit dem Erwerb der funktionalen Kategorie agreement nach und kann für den monolingual katalanischen und spanischen Erwerb schlussfolgern, dass Kinder bereits in sehr frühen Erwerbsphasen für die Subjekt-Verb- Kongruenz sensibel sind. Die von dem Forscher dokumentierten Kongruenzfehler belaufen sich auf unter 3% 144 und stützen aufgrund des verhältnismäßig niedrigen Prozentsatzes die zuvor erwähnte Hypothese. If child’s grammar did not have Agreement, we probably would have observed a much higher percentage of errors in subject-verb agreement, or we might predict that children would have produced only one person or number. However, the data support the proposal that children’s grammar has the functional category Agreement. (Torrens 1995: 461) 144 Einen ähnlichen Prozentsatz (2,3%) berechnen u.a. Schmitz et al. (2011) sowie Pizzuto und Caselli (1992) für den bilingualen bzw. monolingualen Erstspracherwerb (4%). <?page no="406"?> 406 Unter den Kongruenzfehlern entdeckt der Wissenschaftler ebenfalls die Konstellation, dass das Subjekt der 1. bzw. 2. Person ausgelassen und das Verb in der 3. Person realisiert wird. Angesichts dieser Beobachtung argumentiert der Autor zugunsten einer diskurspragmatischen Erklärung, indem er die gesamte Gesprächssituation und die Sprache der Erwachsenen berücksichtigt. Da Erwachsene in der 3. Person von sich sprechen, führt Torrens (1995: 462) die kindlichen Produktionen auf die Möglichkeit der Imitation zurück. Demnach ahmen Kinder die Sprache der Erwachsenen dergestalt nach, dass sie im Einklang mit der Erwachsenensprache in der 3. Person auf sich referieren. Therefore, children could commit this error because their model is misleading, and they could simply be imitating adult speech. Diese Interpretation der kindlichen Äußerungen ist insofern wenig zufriedenstellend, als sie auf die in der vorliegenden Arbeit herausgestellten Kontexte nicht übertragen werden kann: Sie impliziert den regelmäßigen Fall, dass Kinder entweder ein Subjektpronomen der 3. Person oder eine Nominalphrase in Verbindung mit der Verbmorphologie der 3. Person realisieren. Wird diese Annahme für den kindlichen Erstspracherwerb zugrunde gelegt, müssten Kongruenzfehler prinzipiell ausgeschlossen werden. Die Entwicklungsverläufe deuten jedoch darauf hin, dass dies nicht der Fall ist und dass die Ursache für einen nicht-zielsprachlichen personenspezifischen Subjektgebrauch nicht im Bereich der Morphologie, sondern vielmehr in einem anderen grammatischen Modul liegen muss. Aussagekräftige Evidenz für diese Hypothese findet sich nicht nur im niedrigen Prozentsatz, sondern auch in der Feststellung, dass die Morphologie als vollständig erworben gilt. Eine syntaktische Beschreibung, die das in der vorliegenden Arbeit beobachtete Phänomen diskutiert, liefern Schmitz et al. (2011). Die Analyse des personenspezifischen Subjektgebrauchs fokussiert die folgenden Forschungsergebnisse und bettet sich im Sinne von Hulk und Müller (2000) in einen kompetenzbasierten Rahmen ein: • Im Deutschen lassen deutsch-italienische Kinder das Subjekt der 1. und 2. Person in Verbindung mit einer finiten Verbform der 3. Person aus. • Im Italienischen realisieren deutsch-italienische Kinder Subjektpronomina der 1. und 2. Person in Kontexten, in denen die Auslassung verlangt wird, und realisieren ein in der 3. Person flektiertes Verb. • Dennoch sollte auch dem Ergebnis Rechnung getragen werden, dass die bilingualen Kinder das Subjekt in der Nullsubjektsprache <?page no="407"?> 407 auslassen. Sie stehen zwar unter einem negativen Einfluss des Deutschen, identifizieren aber dennoch die pro-drop -Eigenschaft des Italienischen bzw. Spanischen. Für dieses Ergebnis spricht die Annahme, dass die bilingualen Kinder zwischen zwei syntaktische Analysen unterscheiden müssen, die ihnen zumindest in den ersten Erwerbsphasen optional zur Verfügung stehen. Dieser Standpunkt wird im Laufe der Diskussion der kindlichen Erwerbsdaten thematisiert und die Grundlage für eine syntaktische Lösung für das beobachtete Phänomen liefern. Prinzipiell erfordert diese Art des Subjektgebrauchs Klarheit darüber, ob die bilingual aufwachsenden Kinder pragmatisch angemessen in ihren beiden Erstsprachen reagieren. Dies impliziert die Fragestellung nach dem Erwerb der Pragmatik und der deiktischen bzw. referenziellen Pronomina in den involvierten Zielsprachen. Im Hinblick auf die Personaldeixis muss das Sprache erwerbende Kind die Rolle der einzelnen Gesprächspartner erfassen, die für die einzelnen grammatischen Personen jeweils unterschiedlich ausfällt. Demnach referiert die 1. Person auf den Sprecher, die 2. auf den Hörer und die 3. auf eine Entität außerhalb der spezifischen Gesprächssituation. Schmitz et al. (2011: 28) können für die untersuchten Longitudinalstudien ausschließen, dass die kindlichen Äußerungen einem unvollständigen Erwerb der Pragmatik geschuldet sind. Die Forschergruppe liefert Evidenz dafür, dass sich die bilingualen Kinder bereits in einer fortgeschrittenen Erwerbsphase befinden, in der der Erwerb des pragmatischen Moduls als abgeschlossen gilt: Demnach sind die Auslassungen im Deutschen bzw. Realisierungen im Italienischen nicht als Referenzfehler zu deuten, da die Kodierung [+/ - Sprecher ] bzw. [+/ - Hörer ] jeweils pragmatisch angemessen erfolgt. Angesichts dieser Feststellung können sowohl Kongruenzals auch Referenzfehler ausgeschlossen werden und die Interpretation der Kinderdaten darf weder morphologisch noch pragmatisch motiviert sein. Aus diesem Grund erarbeitet die Forschergruppe eine syntaktische Analyse der in diesem Zusammenhang vordergründig diskutierten kindlichen Äußerungen. Hierzu werden sprachübergreifend unterschiedliche Typen der Auslassung erörtert und für das deutsche topic-drop eine [NP]-Auslassung postuliert. It is quite plausible to assume that German topic-drop is analyzed in terms of a pro-NP whose content is recovered through a discourse antecedent. […] In other words, all topic-drop constructions in German contain an empty discourse topic which binds pro . German pro is thus of the NP-type, but for other reasons than in Japanese. (Schmitz et al. 2011: 21ff.) Die folgende Abbildung (8.11) stellt eine kindliche Äußerung dar, in der das Subjekt der 1. Person ausgelassen und mit der finiten Verbform der 3. <?page no="408"?> 408 Person realisiert wird. An dieser Stelle sei erneut darauf hingewiesen, dass das bilingual aufwachsende Kind trotz der Subjektauslassung zielsprachlich auf sich in der 1. Person referiert, das Verb jedoch syntaktisch in der 3. Person gebraucht. In diesem Zusammenhang argumentiert die Forschergruppe, dass es sich bei der deutschen Auslassung des grammatischen Subjekts nicht um topic-drop im traditionellen Sinne handelt, sondern um die Auslassung der deiktischen Subjektpronomina, d.h. um die Auslassung der 1. und 2. Person (vgl. Schmitz et al. 2011: 22). Abb. (8.11): Syntaktische Analyse für die deutsche Subjektauslassung der 1. und 2. Person in Verbindung mit finiten Verben der 3. Person (vgl. Schmitz et al. 2011: 26) In einer konkreten Gesprächssituation wird die Subjektauslassung in der 1. und 2. Person als grammatisch empfunden, während die Auslassung der referenziellen Subjektpronomina, d.h. der 3. Person, als ungrammatisch beurteilt wird. Die folgenden Sequenzen verdeutlichen die perso- <?page no="409"?> 409 nenspezifische Subjektauslassung bezüglich der Grammatikalität bzw. Akzeptabilität. (8.12) a. Sprecher A: Paul und Katrin gehen in den Zoo. Was ist mit Peter i ? Sprecher B: Der i / Er i / Peter i / *Ø kommt nicht mit. b. Sprecher A: Ich habe ein interessantes Buch gelesen. Wirst du i es auch lesen? Sprecher B: Ø glaube i eher nicht. Diese Beispiele legen die Vermutung nahe, dass das deutsche Zielsystem angesichts der Subjektauslassung zwischen deiktischen und referenziellen Pronomina unterscheidet. Offensichtlich führt die Auslassung der 1. Person zu grammatischen Konstruktionen, während in referenziellen Kontexten die phonetische Realisierung des Subjektpronomens erforderlich ist. In Anlehnung an die topic-drop -Theorie sollten auch Pronomina der 3. Person ausgelassen werden können, da letztere als in den Diskurs eingeführt den Interlokutoren bekannt ist. Die muttersprachlichen Äußerungen können diese Annahme jedoch nicht bestätigen, da wohl das Subjektpronomen der 1., jedoch nicht der 3. Person ausgelassen werden kann. Diese Beobachtung deckt Schwächen des traditionellen topic-drop -Gedankens auf und berechtigt zu der Hypothese, dass die Einführung eines Referenten in den Diskurs für dessen Auslassung bzw. Realisierung irrelevant ist. Darüber hinaus muss angenommen werden, dass sich die deutschen Subjektpronomina aufgrund ihrer deiktischen bzw. referenziellen Interpretation syntaktisch unterschiedlich verhalten müssen. Inwieweit diese Einschätzung der deutschen Subjektauslassung bzw. -realisierung angemessen ist, kann an dieser Stelle nicht tiefgründig diskutiert werden und muss Forschungsgegenstand zukünftiger germanistischer Studien sein. Dennoch muss explizit darauf hingewiesen werden, dass sich die Distinktion zwischen deiktischen und anaphorischen Pronomina auf die syntaktische Option der Auslassung bzw. Realisierung auswirkt. Aus diesem Grund vertreten Schmitz et al. (2011) den Standpunkt, dass im deutschen Zielsystem die Auslassung von Anaphern, somit des grammatischen Subjekts in der 3. Person, ausgeschlossen ist. Diese These unterstützt die bisherigen Ausführungen, da „anaphoric reference to previously mentioned discourse topics is the function of 3 rd person subjects […]“ (Schmitz et al. 2011: 21). Zusammenfassend kann für das deutsche Zielsystem argumenthaftes subject-drop im deiktischen Bereich geschlussfolgert werden, während pronominale Anaphern stets realisiert werden müssen. Im Italienischen bzw. Spanischen übertragen die bilingualen Kinder diese Analyse dergestalt, dass sie das Subjekt der 1. Person mit einem finiten <?page no="410"?> 410 Verb in der 3. Person realisieren. Dennoch sei erneut darauf hingewiesen, dass die Übertragung der deutschen Struktur nicht dazu führt, dass das Kind im Italienischen bzw. Spanischen das Subjekt stets realisiert. Letzteres wird in den Nullsubjektsprachen auch ausgelassen, jedoch zu einem nicht-zielsprachlichen Prozentsatz, sodass ein negativer Einfluss seitens des Deutschen anzunehmen ist. Dessen Ausmaß bewirkt jedoch nicht, dass der personenspezifische Subjektgebrauch im Italienischen bzw. Spanischen dem deutschen Zielsystem ähnelt. Die bilingualen Kinder lassen das Subjekt im Romanischen stärker als im Deutschen aus, sodass sie parametrisiert zwischen einer Nullsubjekt- und einer Nicht-Nullsubjektsprache unterscheiden. Für die italienischen Subjektrealisierungen des Typs io prende führt die Forschergruppe die unten stehende Struktur (8.13) an. Abb. (8.13): Syntaktische Analyse für die italienische Subjektauslassung der 1. und 2. Person in Verbindung mit finiten Verben der 3. Person (vgl. Schmitz et al. 2011: 27) Für den in der vorliegenden Arbeit dokumentierten Entwicklungsverlauf der bilingualen Kinder muss dieser theoretische Ansatz insofern weiterentwickelt werden, als dem folgenden empirischen Befund Rechnung getragen werden muss: 1. Die qualitative Analyse hat das Ergebnis geliefert, dass der Erwerbsprozess der französisch-italienischen Kinder einflussfrei ver- <?page no="411"?> 411 läuft: Die Kinder erwerben den grammatischen Bereich des Subjekts gemäß der monolingualen Norm. 2. Die deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Kinder hingegen zeigen einen statistisch signifikanten Einfluss seitens der germanischen Sprache auf den personenspezifischen Subjektgebrauch in den jeweiligen Nullsubjektsprachen Italienisch bzw. Spanisch. 3. Der Einfluss wirkt sich vornehmlich im deiktischen Bereich negativ auf den Subjektgebrauch im Italienischen und Spanischen der bilingualen Kinder aus. Der Erwerb der referenziellen Subjektpronomina hingegen verläuft nahezu einflussfrei und ist mit den monolingualen Kinderdaten vergleichbar. 4. Augrund der Einflussanfälligkeit im deiktischen Subjektgebrauch wird das von Serratrice et al. (2004) postulierte Konzept insofern geschwächt, als die bilingualen Kinderdaten vermuten lassen, dass weniger der Informationsgehalt, sondern vielmehr die syntaktische Natur der deiktischen bzw. referenziellen Subjektpronomina Einfluss auf die Option der Auslassung bzw. Realisierung nimmt. 5. Schließlich sollte in Anlehnung an Serratrice et al. (2004) angenommen werden, dass die 3. Person aufgrund ihres komplexeren Informationsgehalts Erwerbsschwierigkeiten birgt. Die bilingualen Erwerbsverläufe deuten jedoch darauf hin, dass sich der Gebrauch der 3. Person in allen Sprachkombinationen als zielsprachlich erweist. Generell deutet die qualitative Analyse auf Spracheneinfluss hin, vornehmlich im Hinblick auf den deiktischen Subjektgebrauch. Vor diesem Hintergrund muss die Frage beantwortet werden, aus welchem Grund sich der Spracheneinfluss verstärkt in der 1. und 2. Person manifestiert, während sich der Gebrauch des referenziellen Subjekts verhältnismäßig zielsprachlich darstellt. Wie bereits im Vorfeld angedeutet worden ist, kann dieses Verhalten nicht auf den unterschiedlichen Informationsgehalt der involvierten Subjekte zurückgeführt werden. In diesem Sinne widerspricht die in diesem Zusammenhang durchgeführte Studie den Ergebnissen der Forschergruppe Serratrice et al. (2004). Die Inkompatibilität liegt insbesondere darin, dass der nicht-zielsprachliche Gebrauch der 1. und 2. Person unerwartet ist, wenn die deiktischen Subjektpronomina einen niedrigen Informationsgehalt besitzen. Vielmehr sollte sich der Einfluss in der 3. Person zeigen, die aufgrund ihrer referenziellen Natur einen höheren Informationsstatus aufweist. Insgesamt kann geschlussfolgert werden, dass ein pragmatisch motivierter Ansatz nur unzureichend dem empirischen Befund der qualitativen Analyse Rechnung tragen kann. <?page no="412"?> 412 Aus diesem Grund muss ein syntaktischer Grund der Auslöser für die deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Erwerbsverläufe sein (vgl. Schmitz et al. 2011). In Anbetracht der Tatsache, dass das Deutsche die romanische Sprache negativ, d.h. verzögernd beeinflusst, scheint die Übertragung syntaktischer Analysen nicht nur im Rahmen der quantitativen, sondern auch der qualitativen Studie aufzutreten. Dies impliziert die These, dass die bilingualen Kinder eine grammatische Struktur des deutschen Subjektgebrauchs in das Italienische bzw. Spanische transferieren. In diesem Sinne muss angenommen werden, dass die deutschitalienischen und deutsch-spanischen Kinder die Distinktion zwischen deiktischen und referenziellen Subjektpronomina aus dem Deutschen für das italienische Zielsystem adoptieren. Demnach werden die italienischen bzw. spanischen deiktischen Subjektpronomina als deutsche Anaphern interpretiert, die auf der Basis der deutschen Zielgrammatik nicht ausgelassen werden können. Die Übertragung der deutschen Struktur offenbart sich anhand einer Missinterpretation der romanischen deiktischen Subjektpronomina, die für das Sprache erwerbende Kind mit dem Merkmal [+ anaphorisch ] versehen werden. Aus diesem theoretischen Zusammenhang resultieren die hohen Realisierungsraten der Pronomina der 1. und 2. Person im Italienischen und Spanischen der bilingualen Kinder. Dennoch muss parallel darauf hingewiesen werden, dass die nicht-zielsprachlichen Subjektrealisierungen keineswegs den deutschen Realisierungswert erreichen. Aus diesem Grund kann zwar dafür argumentiert werden, dass die bilingualen Kinder Spracheneinfluss ausgesetzt sind, jedoch nicht in dem Ausmaß, dass sie die italienischen bzw. spanischen Subjektpronomina in die deutsche Analyse überführen. Aus diesem Grund ist bereits im Rahmen der quantitativen Studie dafür plädiert worden, dass die bilingualen Kinder im Laufe des Spracherwerbsprozesses untereinander konkurrierende Analysen verarbeiten und zwischen Präferenzen bzw. syntaktischen Optionen unterscheiden müssen. Vor diesem Hintergrund können sowohl für die quantitative als auch für die qualitative Studie die folgenden Lösungsansätze vorgestellt werden, anhand derer der nicht-zielsprachliche Subjektgebrauch im Italienischen bzw. Spanischen der bilingualen Kinder erklärt werden kann. Aus einer syntaktischen Perspektive können für die bilingualen Kinderdaten prinzipiell zwei Szenarien skizziert werden, die jeweils mit unterschiedlichen Konsequenzen für den Subjektgebrauch verbunden sind. In Anlehnung an die Zielsystembeschreibungen der involvierten Erstsprachen ist dafür argumentiert worden, dass sich das Subjekt entweder aus sprachspezifischen oder interpretatorischen Gründen im Spezifizierer der [CP] bzw. der [TP] befinden kann. Für die Nullsubjektsprachen, die bezüglich der dokumentierten Erwerbsverläufe in den Mittelpunkt der <?page no="413"?> 413 Diskussion gerückt sind, ist anhand psycholinguistischer Studien der Beleg dafür erbracht worden, dass das präverbale Subjekt im Italienischen bzw. Spanischen mit A- und A’-Elementen assoziiert werden kann. Die Assoziation des präverbal realisierten Subjekts bzw. des Nullsubjekts geht auf die präferierten Referenzbeziehungen von Anaphern zurück und somit auf die Feststellung, dass im Spanischen präverbale Subjektpronomina präferiert als disloziierte Phrasen in A’-Position und im Italienischen als A-Elemente interpretiert werden. Im Deutschen wird das Subjekt in SVO-Abfolgen in [Spec, CP] angenommen, und zwar unabhängig davon, ob das Subjekt overt oder als Null-Topik, pro , realisiert wird. Im Gegensatz dazu wird in der linguistischen Literatur dafür argumentiert, dass sich das overte Subjekt in OVS-Stellung im Spezifizierer der [TP], also in einer strukturell tieferen Position, befindet. Demnach konkurrieren das deutsche Subjekt mit den romanischen Pronomina in disloziierter A’- Position bzw. pro IT/ SP in OVS-Konfigurationen. Die daraus resultierende Parallelität unter den Zielgrammatiken kann wie folgt schematisch wiedergegeben werden: (8.14) [Spec, CP]: Deutsch SVO-Abfolgen bzw. pro DT in A’-P. Italienisch, Spanisch io / yo in A’-P. (disloziiert) [Spec, TP]: Deutsch OVS-Abfolgen in A-P. Italienisch, Spanisch pro IT/ SP bzw. io / yo / ( je ) in A-P. Aus diesem Grund ergibt sich eine syntaktische Überlappung der Analyse des Subjekts im Spanischen und Deutschen, da in diesen beiden Sprachen die A’-Position aufgrund der ermittelten Präferenzen stärker involviert ist als im Italienischen (vgl. Alonso-Ovalle et al. 2002). Die Annahme von Präferenzen impliziert somit die Existenz von syntaktischen Optionen, die dem Sprecher zum Zeitpunkt der Produktion zur Verfügung stehen. Dieser Standpunkt lässt sich ebenfalls auf die kindlichen Erwerbsdaten beziehen und ermöglicht die Modellierung einer theoretischen Erklärung für den dokumentierten Erwerbsverlauf der bilingualen Kinder. Die folgende Abbildung (8.15) soll die kindliche Analyse des Subjekts im Hinblick auf die Realisierung bzw. Auslassung schematisch darstellen. Die aufgeführte Struktur illustriert die Möglichkeit der bilingualen Kinder, optional zwischen zwei unterschiedlichen Analysen wählen zu können. Wird das Subjekt als eine in [Spec, CP] befindliche Konstituente interpretiert, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass das bilinguale Kind die deutsche Grammatik bzw. das präverbale Subjekt als dis- <?page no="414"?> 414 loziierte Phrase im Romanischen interpretiert. Auf der Basis der deutschen Analyse ergibt sich daraus der nicht-zielsprachliche Subjektgebrauch im Italienischen bzw. Spanischen der bilingualen Kinder. Wird hingegen das italienische bzw. spanische Subjekt in [Spec, TP] angenommen, sollte der Einfluss des Deutschen auf das Romanische ein geringeres Ausmaß annehmen. Auf welche syntaktische Analyse das bilinguale Kind im Erwerbsprozess zurückgreift, kann anhand der Realisierungs- und Auslassungskurven bestimmt werden. CP Spec, CP TP pro DT ich io yo Spec,TP ... pro IT/ SP ich io yo je Abb. (8.15): Optionale Subjektanalyse in der frühkindlichen Grammatik In den ersten Erwerbsphasen signalisieren die hohen Realisierungsraten im Italienischen bzw. Spanischen der deutsch-italienischen und deutschspanischen Kinder eine Präferenz für Subjekte in [Spec, CP], während diese durch die in [Spec, TP] verorteten Subjektphrasen und somit zunehmenden Auslassungen in fortgeschritteneren Erwerbsphasen ersetzt wird. Anhand dieses Standpunktes können die nicht-zielsprachlichen Subjektrealisierungen in den Nullsubjektsprachen und der Unterschied zwischen dem monolingualen und dem bilingualen Erwerb erklärt werden. Dennoch muss konstatiert werden, dass das Subjekt im Italienischen und Spanischen auch zielsprachlich ausgelassen wird, sodass eine theoretische Erklärung auch diese Beobachtung berücksichtigen muss. Beruhend auf der in Abbildung (8.15) postulierten Struktur kann für den bilingualen Erstspracherwerb und im Einklang mit den untersuchten Erwerbsdaten die Option der Auslassung bzw. Realisierung in den Nullsubjekt- und Nicht-Nullsubjektsprachen beschrieben werden. In diesem <?page no="415"?> 415 Zusammenhang muss jedoch auf eine Schwachstelle des soeben aufgeführten Lösungsansatzes hingewiesen werden, der sich aus den französisch-italienischen Sprachentwicklungen ableiten lässt. Da sich die französischen Subjektklitika in der kanonischen Subjektposition, in [Spec, TP], befinden, kann auf der Basis dieser Analyse der fehlende Spracheneinfluss im Italienischen der französisch-italienischen Kinder nicht erfasst werden. Die in (8.15) aufgeführte Struktur liefert für das Italienische und Französische eine identische Beschreibung, sodass im Sinne von Müller und Hulk (2000, 2001) für das Italienische negative Einflusseffekte seitens des Französischen vorhergesagt werden sollten. Wenig plausibel erscheint es, diesen theorieinternen Widerspruch darüber aufzuheben, dass im Italienischen Argumente und im Französischen lediglich das Expletivum il ausgelassen werden kann. Zwar liegt der wesentliche Unterschied zwischen dem Italienischen und dem Französischen darin, dass im Französischen argumenthaftes pro-drop ausgeschlossen ist, dennoch muss in Anlehnung an (8.15) diese Divergenz ausschließlich auf die Auslassung bezogen werden, da für die Realisierung eine identische Beschreibung vorliegt. Demnach unterscheiden sich - auf der Basis von (8.15) - das Italienische und das Französische im Hinblick auf die Auslassung, jedoch nicht bezüglich der pronominalen Subjektrealisierung. Dieser Einwand ist insofern berechtigt, als auch in der französisch-italienischen Studie Subjektpronomina der 1. Person mit der Verbmorphologie der 3. Person realisiert werden. Die Zielsprachlichkeit der französisch-italienischen Kinder resultiert aus der Tatsache, dass das bilinguale Kind im Französischen keine positive Evidenz für argumenthafte Subjektauslassungen erhält. (8.16) a. ja va chercher / (Juliette, frz. Kontext 2; 4,0) b. je va trouver comme ça / (Siria, frz. Kontext, 2; 8,7) Aufgrund des sich aus der französisch-italienischen Kombination herauskristallisierten Kritikpunktes muss die Validität dieses theoretischen Ansatzes in zukünftigen Studien weiterhin überprüft werden. Positive Evidenz dafür, dass das bilinguale Kind im Hinblick auf die nichtzielsprachlichen Subjektrealisierungen die deutsche Grammatik zugrunde legt, liefern die kindlichen Äußerungen, in denen das Subjekt der 1. Person mit einem finiten Verb in der 3. Person realisiert wird. In diesem Fall wird das Subjekt in [Spec, CP] angenommen, während die alternative Landeposition, [Spec, TP], ausgeblendet bzw. das Subjekt präferiert als A’-Element interpretiert wird. Darüber hinaus können kindliche Produktionen, in denen das Individuum unter Rückgriff des Eigennamens auf sich referiert, für die soeben beschriebenen Szenarien herangezogen werden. Die folgenden Beispiele geben indirekt den deutschen Einfluss und <?page no="416"?> 416 den Zusammenhang zwischen deiktischer und anaphorischer Interpretation des grammatischen Subjekts wieder (vgl. auch Anhang (A), Tabelle (2)). (8.17) a. fa l’acqua lukas / (Lukas, it. Kontext, 2; 3,6) b. jan-philip non vuole / (Jan-Philip, it. Kontext, 2; 3,26) c. là si vede la marta / (Marta, it. Kontext, 2; 5,26) d. qua aurelio mangia / (Aurelio, it. Kontext, 2; 6,4) Die Annahme eines frühkindlichen Imitationsverhaltens (vgl. Torrens 1995) kann somit aufgrund der grammatischen Eigenschaften der Pronomina im Falle des bilingualen Erstspracherwerbs widerlegt werden. Im diesem Sinne wird zuungunsten der Hypothese argumentiert, dass Kinder in Anlehnung an die Erwachsenensprache auf sich in der 3. Person referieren. Die Realisierung des Eigennamens stellt die kindliche Annahme heraus, dass Subjekte der 1. und 2. Person anaphorisch im Diskurs agieren und folglich mit der Verbmorphologie der 3. Person versehen werden müssen. Demnach können Äußerungen wie io prende bzw. yo puede auf die Konstruktion [Eigenname + Verbform der 3. Person] zurückgeführt werden. Letztere unterliegen angesichts der nicht-zielsprachlichen Realisierungsraten im Italienischen und Spanischen dem Einfluss der deutschen Grammatik im deiktischen Subjektbereich. Für die französisch-italienische Sprachkombination ist eine detaillierte Analyse des personenspezifischen Subjektgebrauchs insofern irrelevant, als im französischen Zielsystem die argumenthafte Auslassung ausgeschlossen und somit das Übertragungspotenzial grammatischer Analysen aus der einen Sprache in die andere neutralisiert ist. Da der in (8.15) vorgeführte Lösungsansatz dem empirischen Befund nur unzureichend gerecht wird, muss eine alternative Erklärung für den beobachteten Erwerbsverlauf herbeigeführt werden. Während der zuvor beschriebene Ansatz die syntaktischen Positionen und die damit verbunden, präferierten Referenzbeziehungen pronominaler Subjekte in den Vordergrund stellt, sollte auch eine merkmalsbezogene Analyse auf die untersuchten Kinderdaten angewandt werden. Nach Poletto (1999) 145 werden die Subjektpronomina u.a. mit den Merkmalen [+/ - Hörer ] und [+/ deiktisch ] versehen. Die Subjektpronomina der 1. und 2. Person tragen in Anlehnung an Poletto (1999: 595) die Merkmale [- Hörer ] und [+ deiktisch ]. In Anbetracht der nicht-zielsprachlichen Subjektrealisierungen im Italienischen und Spanischen der bilingualen Kinder kann eine Missinterpretation der zuvor 145 Die von Poletto (1999) vorgeschlagene Analyse der italienischen Subjektpronomina wird im sich anschließenden Unterkapitel näher erläutert. <?page no="417"?> 417 genannten Merkmale vermutet werden. Da sowohl das Subjektpronomen realisiert wird und die bilingualen Kinder in der 3. Person auf sich referieren, indem sie ihren Eigennamen verwenden, kann für die deiktischen Pronomina io / yo die folgende frühkindliche Analyse postuliert werden: [- Hörer ] und [deiktisch ]. Diese Merkmalsanalyse impliziert, dass das Kind das Subjekt als Anapher interpretiert und die Verbmorphologie der 3. Person in Verbindung mit Subjektpronomina der 1. Person realisiert. Solche Konstellationen sind in den Beispielen (8.7) und (8.18) aufgeführt und in den untersuchten Longitudinalstudien belegt. Somit kann die sprachliche Entwicklung im Hinblick auf die für die Subjektpronomina relevanten Merkmale als eine Koexistenz der folgenden Analysen im Erwerbsprozess aufgeführt werden: (8.18) io: anaphorisch io: deiktisch - Hörer - Hörer deiktisch + deiktisch io/ carlotta prende io/ Ø prendo Auch dieser Ansatz impliziert unterschiedliche Entwicklungsphasen, in denen die anaphorische bzw. deiktische Interpretation der deiktischen Pronomina angewandt wird. Zu Beginn des Subjekterwerbs gebraucht das bilinguale Kind die koexistierenden Analysen zu einem größeren Ausmaß nicht-zielsprachlich als im restlichen Entwicklungsverlauf. Diese Annahme kann anhand der Entwicklungskurven insofern bestätigt werden, als in den ersten Erwerbsstadien die Realisierungsraten höher sind als in fortgeschrittenen Phasen. An welchem Punkt im Erwerbsprozess die anaphorische zugunsten der deiktischen Analyse ersetzt wird, kann in diesem Zusammenhang jedoch nicht eindeutig determiniert werden. Hierzu sind weitere Studien notwendig, die den Auslöser für die zielsprachliche Analyse der deiktischen bzw. anaphorischen Subjektpronomina definieren. Dennoch kann anhand der Sprachentwicklung dafür argumentiert werden, dass die bilingualen Kinder im Laufe des Erwerbsprozesses die erwachsenensprachliche Analyse wählen. Darüber hinaus trägt auch dieser Ansatz der Beobachtung Rechnung, dass die bilingualen Kinder im Italienischen und Spanischen das Subjekt auslassen. Obwohl sich die Subjektauslassungen auf nicht-erwachsenensprachliche Werte belaufen, lassen sie das Subjekt zu mindestens 50% aus. Aus diesem Grund ist nicht umstandslos auszuschließen, dass den Sprache erwerbenden Kindern beide Analysen optional zur Verfügung stehen. Demnach wird zwischen den bereitgestellten Analysen eine ausgewählt, die entweder <?page no="418"?> 418 für die Auslassung oder die Realisierung im Sinne der anaphorischen Interpretation verantwortlich ist. Zusammenfassend stellt die Diskussion über den empirischen Befund der quantitativen und qualitativen Auswertung der Kinderdaten die Notwendigkeit einer syntaktisch motivierten Analyse in den Vordergrund. An dieser Stelle muss jedoch auf zwei wesentliche Charakteristika hingewiesen werden: Zum einen zeigt sich negativer Einfluss seitens des Deutschen auf das Romanische, welcher sich anhand nicht-zielsprachlicher Realisierungen im Italienischen bzw. Spanischen der deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Kinder äußert. Zum anderen unterstehen zwar die deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Kinder einem negativen Einflusseffekt, können aber dennoch zwischen einer Nullsubjekt- und einer Nicht-Nullsubjektsprache insofern unterscheiden, als sie das Subjekt im Italienischen bzw. Spanischen auslassen. Aus dieser Beobachtung kann geschlussfolgert werden, dass der Sprachentwicklungsprozess Optionen enthält, die die Beeinflussung fördern bzw. eindämmen. Diese Auslegung der kindlichen Erwerbsdaten involviert ebenfalls den Umstand der präferierten Referenzbeziehungen, die Hinweise darauf geben, ob das präverbale Subjekt als ein A’- oder A-Element interpretiert wird. Vor diesem Hintergrund birgt die A’-Variante ein höheres Einflussrisiko, welches im Rahmen der deutsch-spanischen Studie aufgrund der präferierten A’-Position in beiden Erstsprachen sowohl aus quantitativer als auch aus qualitativer Sicht bestätigt werden konnte. Im Hinblick auf den personenspezifischen Subjektgebrauch ist bereits auf Poletto (1999) verwiesen worden, die norditalienische Subjektklitika unter dem Gesichtspunkt des syntaktischen Verhaltens untersucht. Da für die qualitative Datenauswertung dieser Ansatz herangezogen und in Anlehnung an Poletto eine theoretische Erklärung für die kindliche Interpretation der deiktischen und anaphorischen Pronomina modelliert worden ist, wird im folgenden Abschnitt die Theorie des agreement-field und deren Relevanz für den beobachteten Erwerbsverlauf vorgestellt. 8.2.3 Subjektpronomina und agreement Die Autorin fokussiert die norditalienischen Varietäten und vertritt den Standpunkt, dass im Hinblick auf den klitischen Subjektgebrauch nicht eine bestimmte agreement -Position existiert, sondern von einer Unterteilung des agreement-field (vgl. Poletto 1999: 582) auszugehen ist. Demnach teilt sich dieses funktionale Feld in zwei untergeordnete Ebenen auf, wobei die eine oberhalb der Negations-Phrase zu verorten ist und die andere unterhalb dieser funktionalen Kategorie deriviert wird. Darüber hinaus definiert die Forscherin vier unterschiedliche Klassen von Subjektklitika <?page no="419"?> 419 für die untersuchten norditalienischen Varietäten, die sich aus den morphologischen Merkmalen, die sie kodieren, ableiten lassen. Abb.(8.19): Einteilung der Subjektklitika nach Poletto (1997: 595) Da anhand syntaktischer Tests belegt werden kann, dass jede einzelne Klasse eine distinkte syntaktische Position besetzt, ist die von Poletto (1999) vorgenommene Kategorisierung berechtigt. Die syntaktische Analyse konzentriert sich im Wesentlichen auf prä- und postverbale Negations-Marker, die Aufschluss über die syntaktische Position der unterschiedlichen Klitika-Klassen geben. In Anlehnung an Polettos Untersuchung interagieren Subjektklitika, die in Kontexten mit präverbalen Negations-Markern erscheinen, mit [CP]-Elementen, während Subjektklitika, die den Negations-Markern nachstehen, dieses syntaktische Charakteristikum nicht teilen. Ein weiterer Test, der Koordinationstest, führt zu einer zweiten Unterscheidung der Subjektklitika im Zusammenspiel mit prä- und postverbalen Negations-Markern. Demnach werden Subjektklitika, die dem Negations-Marker folgen bzw. vorausgehen, in zwei distinkten syntaktischen Positionen angenommen. Aus diesem Grund spricht die Autorin zugunsten eines agreement-field s, welches die distinkten Landepositionen für die einzelnen Subjektklitika gemäß ihrer morphologischen Merkmale zur Verfügung stellt. Die norditalienischen Subjektklitika stellen somit eine heterogene Klasse dar, wie es durch die nachstehende Abbildung (8.20) schematisch verdeutlicht wird. Poletto (1999: 599) führt die Distribution der norditalienischen Subjektklitika auf das grammatische Phänomen der Negation zurück, die die Einteilung in pre-negative and post-negative Klitika auslöst. Darüber hinaus führt der <?page no="420"?> 420 Koordinationstest auf eine weitere Binnendifferenzierung hinaus, die im Rahmen des agreement-field s und unter syntaktischem Gesichtspunkt die Klitika vor und hinter der Negations-Phrase betrifft. Die Autorin betont jedoch, dass die Subjektklitika nicht nur auf das grammatische Phänomen der Negation sensibel reagieren, sondern auch eine dem jeweiligen morphologischen Gehalt entsprechende Landeposition beanspruchen. Abb. (8.20): Das agreement-field nach Poletto (1999: 596) Im Hinblick auf die syntaktische Distribution befinden sich unterhalb der Negations-Phrase klitische Subjektpronomina, die die Merkmale [+/ - Hörer ], [+/ - Plural ] und [+/ - Femininum ] tragen. Im Gegensatz dazu werden oberhalb der Negations-Phrase die Subjektklitika spezifiziert, die das Merkmal [+/ deiktisch ] besitzen. Nach Poletto befinden sich die Subjektpronomina der 1. und 2. Person unterhalb der Negations-Marker und tragen das Merkmal [+/ - Hörer ], wobei letztere die Interpretation [+/ deiktisch ] durch Anhebung ins Vorfeld erhalten. Für die qualitative Studie der vorliegenden Arbeit ist Polettos Argumentation zugunsten einer distinkten syntaktischen Position der einzelnen norditalienischen Subjektklitika insofern interessant, als sie übertragen auf den bilingualen Erstspracherwerb die zuvor geführte Diskussion unterstützt. Die nichtzielsprachlichen Realisierungen der deiktischen Subjektpronomina in den Nullsubjektsprachen sind auf einen negativen Einflusseffekt des deutschen Zielsystems zurückgeführt worden, welches die Auslassung der deiktischen Pronomina wohl erlaubt und die der 3. Person jedoch unterbindet. Im Romanischen interpretieren die bilingualen Kinder die deiktischen Pronomina optional als deutsche Anaphern, die nicht ausgelassen werden können und demnach die Realisierung im Romanischen auslösen. Das Deutsche scheint angesichts der argumenthaften Auslassung zwischen deiktischen und referenziellen Pronomina zu unterscheiden, während dies im Italienischen nicht der Fall ist, wie das nachstehende Beispiel (8.21) beweist. <?page no="421"?> 421 (8.21) a. Sprecher A: Paolo e Marta sono andati al cinema. Ci saresti andato anche tu i ? Sprecher B: No, non credo i . b. Spre c her A: I miei amici hanno comprato una casa in periferia. Chissà Carla i che ne penserà? Sprecher B: Sarà i sicuramente contenta perloro. Das italienische Zielsystem scheint tatsächlich nicht zwischen deiktischen und referenziellen Pronomina zu unterscheiden. Diese Beobachtung widerspricht Poletto (1999) dergestalt, dass die italienischen Subjektpronomina in komplementärer Distribution zueinender stehen und im Sinne der Komplementarität eine bestimmte syntaktische Position besetzen, die durch deiktische und referenzielle Pronomina gefüllt sein kann. In den norditalienischen Varietäten befinden sich die Subjektklitika aufgrund ihrer semantischen Merkmale in distinkten syntaktischen Positionen. Demnach muss im Gegensatz zu den norditalienischen Varietäten vermutet werden, dass diese Distinktion in der italienischen Standardvarietät nicht existiert bzw. nicht für die Auslassung sensibel ist. Schließlich führen in den norditalienischen Dialekten die Negations-Phrase und die Koordination zu unterschiedlichen Landepositionen der Subjektklitika innerhalb der Derivation. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass die norditalienischen Klitika in Abhängigkeit von anderen grammatischen Phänomenen syntaktisch abgebildet werden müssen, während das Subjekt der Standardvarietät unabhängig von anderen grammatischen Bereichen eine spezifische Position einnimmt. Schließlich postuliert Poletto (1999: 617) eine Aufteilung der [AgrS]-Projektion in eine Domäne distinkter Projektionen ( agreement field ), die mit der syntaktischen Realisierung der unterschiedlichen semantischen Merkmale der Subjekt-[NP] korrespondieren. Diese prinzipielle Idee der distinkten Verortung der einzelnen Subjektpronomina kann aufgrund der dokumentierten Unterscheidung zwischen deiktischen und referenziellen Pronomina in das deutsche Zielsystem transportiert werden. Die bilingualen Erwerbsverläufe deuten indirekt auf eine deutsche Eigenschaft, nämlich die syntaktische Distinktion zwischen deiktischen und referenziellen Subjektpronomina sowie eine Überarbeitung des traditionellen topic-drop -Begriffs hin, die an dieser Stelle nicht tiefgründig diskutiert werden kann, sondern Forschungsgegenstand zukünftiger germanistischer Studien sein sollte. Inwieweit die Annahme einer feinen syntaktischen Distinktion der deutschen Subjektpronomina angemessen erscheint, kann an dieser Stelle nur aufgrund des empirischen Befunds und eindeutiger Indizien aus der Literatur vermutet werden. <?page no="422"?> 422 Zusammenfassend kann für den personenspezifischen Subjektgebrauch die Relevanz einer syntaktisch motivierten Analyse betont werden, die in Anlehnung an Schmitz et al. (2011) die kindlichen Subjektauslassungen und -realisierungen angemessen beschreibt. Der empirische Tatbestand der vorliegenden Arbeit bettet sich zweifelsohne in diesen theoretischen Rahmen ein und stellt die syntaktischen Beschaffenheiten der simultan zu erwerbenden Zielsprachen heraus. Schließlich ist die französisch-italienische Sprachkombination weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht von Spracheneinfluss betroffen; ein Ergebnis, welches sich bereits im Vorfeld aus den syntaktischen Eigenschaften hat vorhersagen lassen. Außerdem muss zugunsten von Präferenzen bzw. Optionen argumentiert werden, die in der frühkindlichen Grammatik enthalten sind und von denen das Sprache erwerbende Kind in unterschiedlichem Maße Gebrauch macht. Die Existenz optionaler Analysen bzw. Präferenzen ist insofern berechtigt, als die bilingualen Kinder die deutsche Grammatik nicht in einer 1: 1-Relation auf die Nullsubjektsprachen übertragen. Trotz der nicht-zielsprachlichen Realisierungen dürfen die dokumentierten Auslassungen nicht vernachlässigt werden, die darauf hindeuten, dass das bilinguale Kind den Unterschied zwischen einer Nullsubjekt- und einer Nicht-Nullsubjektsprache erfasst hat. Eine theoretische Erklärung für den beobachteten Erwerbsprozess muss somit zweierlei berücksichtigen: die nicht-zielsprachlichen Realisierungen und die zeitgleich auftretenden Auslassungen des Subjekts in den Nullsubjektsprachen. Dieser Anforderung kann nur ein Standpunkt gerecht werden, der über syntaktische Optionen bzw. Präferenzen motiviert ist. 8.3 Relevanz der Ergebnisse für die Diskussion von Spracheneinfluss und Sprachdominanz Die empirische Studie hat sowohl im Rahmen der quantitativen als auch der qualitativen Auswertung der bilingualen Kinderdaten das Ergebnis erbracht, dass der Subjekterwerb in den Sprachkombinationen Deutsch- Italienisch und Deutsch-Spanisch von Spracheneinfluss seitens der germanischen Sprache betroffen ist. Die französisch-italienischen Kinder hingegen zeigen keine Einflussanfälligkeit und erwerben das Subjekt in ihren Erstsprachen wie die monolingual französischen und italienischen Kinder. In beiden Teilen der empirischen Studie ist für Spracheneinfluss aufgrund der syntaktischen Beschaffenheiten der simultan zu erwerbenden Zielsysteme argumentiert worden. Diese Interpretation der Kinderdaten impliziert auch die Relevanz der Sprachkombination, da je höher die syntaktische Affinität zweier Sprachen in Kontaktsituation, um so <?page no="423"?> 423 wahrscheinlicher die Übertragung von sprachlichen Analysen aus der einen Sprache in die andere ist (vgl. Müller und Patuto 2009). In diesem Sinne ist ein kompetenzbasierter Ansatz von Spracheneinfluss vertreten worden, der vornehmlich die zur Verfügung stehenden syntaktischen Optionen der kindlichen Grammatik in den Vordergrund stellt. Im Hinblick auf eine zeitweilig auftretende Sprachdominanz hat die quantitative Untersuchung der bilingualen Kinder eindeutig zeigen können, dass sich der Subjekterwerb unabhängig von der sprachlichen Balance vollzieht. Da sich der Einfluss negativ auf den Subjekterwerb in der romanischen Sprache auswirkt, ist anhand unbalancierter Kinder, die die romanische Sprache als ihre schwache Sprache erwerben, aussagekräftige Evidenz für die Irrelevanz der Sprachdominanz geliefert worden: Sprachlich unausgeglichene Kinder zeigen keinen quantitativen Nachteil zu sprachlich balancierten Kindern, die entgegen der einschlägigen Literatur unerwartet Einfluss zeigen. In diesem Zusammenhang kann die Vermutung formuliert werden, dass im Gegensatz zur traditionellen Annahme, dass sprachlich unausgeglichene Kinder im Bereich des grammatischen Wissens aufgrund ihrer Unbalanciertheit benachteiligt sind, sich die Dominanz auch positiv auf den Erwerb bestimmter grammatischer Phänomene auswirken kann. Die durchgeführte Studie gibt Anlass zu der Annahme, dass die Sprachdominanz eine präventive Funktion gegenüber dem Auftreten von Spracheneinfluss übernimmt. Diese Einschätzung beruht auf den dokumentierten Erwerbsverläufen der bilingualen Kinder Jan-Philip und Juliette, die das Italienische als ihre schwache Sprache erwerben, aber zielsprachliche Entscheidungen über die Auslassung bzw. Realisierung in ihrer Nullsubjektsprache treffen. Das Auftreten bzw. Ausmaß von Spracheneinfluss korreliert mit den syntaktischen Beschaffenheiten der involvierten Zielsysteme, während die Sprachdominanz keine zuverlässigen Vorhersagen darüber macht, welche der beiden simultan zu erwerbenden Sprachen eine Beeinflussung erfährt. Die folgende Abbildung (8.22) zeigt die Subjektauslassungen der sprachlich unausgeglichenen Kinder Arturo und Jan-Philip. Beide Kinder erwerben die Nullsubjektsprache als ihre schwächere Sprache, wobei der deutsch-italienische Junge Jan-Philip einen zielsprachlichen Subjektgebrauch aufweist. Im Gegensatz dazu ist der Entwicklungsverlauf des deutsch-spanischen Kindes Arturo von nicht-zielsprachlichen Subjektrealisierungen im Spanischen gekennzeichnet. Diese Beobachtung kontrastiert mit der traditionellen Sprachdominanz-Theorie, nach welcher die stärkere Sprache einen stets weiter entwickelten Erwerbszustand widerspiegelt. Die graphische Darstellung der Subjektauslassungen zweier Kinder, die beide ihre Nullsubjektsprache als ihre schwächere Sprache erwerben, verdeutlicht die Hypothese, dass weniger die Sprachdominanz, als vielmehr die syntaktischen Beschaffen- <?page no="424"?> 424 heiten des analysierten grammatischen Phänomens für Spracheneinfluss relevant sind. Anhand der sprachlichen Schwäche können zwar Arturos nicht-zielsprachliche Subjektrealisierungen, jedoch nicht Jan-Philips zielsprachliche Auslassungswerte interpretiert werden. Abb. (8.22) Demnach kann die sprachliche Unausgeglichenheit insofern nicht als eine plausible Erklärungsvariable für die dokumentierten Sprachentwicklungen herangezogen werden, da beide Kinder trotz unterschiedlicher Erwerbsverläufe eine sprachliche Schwäche in ihren Nullsubjektsprachen aufweisen: Arturo kann über den gesamten Untersuchungszeitraum den zielsprachlichen Auslassungswert nicht erreichen, während Jan-Philip bereits in den ersten MLU-Phasen das Subjekt zielsprachlich auslässt. Dieses Forschungsergebnis impliziert die Schlussfolgerung, dass vielmehr sprachinterne als sprachexterne Faktoren den Subjekterwerb bei bilingual aufwachsenden Kindern steuern. Dieses Ergebnis beruht nicht nur auf einem visuellen Eindruck, sondern ist statistisch signifikant (vgl. Appendix (B), Tabelle (2)). Die qualitative Studie hat ebenfalls die nicht-zielsprachlichen Subjektrealisierungen in den romanischen Sprachen der bilingualen Kinder auf die sprachspezifischen Eigenschaften der involvierten Zielsysteme zurückgeführt. Die im bilingualen Individuum zeitgleich konkurrierenden syntaktischen Optionen führen im Sinne von Müller und Hulk (2000, 2001) zu Spracheneinfluss, welcher aus dem Zusammenspiel zweier Subjektauslas s ungen in den Nulls ubjektsprachen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1.0-1.49 1.5-1.99 2.0-2.49 2.5-2.99 3.0-3.49 MLU % Art uro Jan-P hilip Spanisch It alienisch Linear (Arturo) Linear (Jan- Philip) <?page no="425"?> 425 grammatischer Module, der Syntax und Pragmatik, resultiert. Im Rahmen des personenspezifischen Subjektgebrauchs ist vornehmlich beobachtet worden, dass die 1. und 2. Person von Einfluss betroffen sind. Letzterer äußert sich erneut in Form hoher Realisierungsraten, die ausschließlich die deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Kinder produzieren. Die kindlichen Äußerungen deuten auf ein nicht-zielsprachliches Verhalten, welches weder aus morphologischen noch aus pragmatischen Gründen resultiert. Diesbezüglich ist gegen Serratrice et al. (2004) argumentiert worden, die anhand des Informationsgehalts der Subjekt-NP die Auslassung bzw. Realisierung bestimmen. In diesem theoretischen Rahmen wird die Annahme vertreten, dass Subjekte der 3. Person einen höheren Informationsgehalt aufweisen als Subjekte der 1. Person. Daraus schließen die Autorinnen, dass das Subjekt in der 1. Person verstärkt ausgelassen, in der 3. Person jedoch realisiert werden muss. Da die bilingualen Kinder die aus diesem Konzept abgeleiteten Vorhersagen nicht bestätigen, gilt dieser Ansatz als falsifiziert. Aus diesem Grund sind die in der vorliegenden Arbeit diskutierten Kinderdaten im Hinblick auf die Referenz und Morphologie untersucht worden. Aus der Analyse ist das Ergebnis hervorgegangen, dass die bilingualen Kinder die Diskursreferenzen erfasst und die Verbmorphologie erworben haben. Diese Erkenntnis ist insofern relevant, als die kindlichen Äußerungen io prende bzw. yo puede nicht als Referenz- oder Kongruenzfehler interpretiert werden können. Aufgrund des sehr niedrigen prozentualen Erscheinens können referenzielle und morphologische Gründe als potenzielle Fehlerquellen berechtigterweise ausgeschlossen werden. In Anlehnung an das deutsche topic-drop ist Spracheneinfluss aus Gründen der syntaktischen Eigenschaften der deutschen Subjektpronomina, deiktisch vs. anaphorisch, erörtert worden. Die Analyse gibt Anlass zu der Annahme, dass im Einklang mit der quantitativen Studie das deutsche Zielsystem für den Gebrauch der romanischen Subjektpronomina zugrunde gelegt wird und Spracheneinfluss auslöst. Dennoch muss aufgrund der Tatsache, dass die bilingualen Kinder in den Nullsubjektsprachen das Subjekt auslassen, darauf hingewiesen werden, dass die Anwendung der deutschen Grammatik im Italienischen bzw. Spanischen nicht dazu führt, dass das Subjekt gar nicht ausgelassen wird. Aus der Beobachtung, dass nicht-zielsprachliche Realisierungen und Auslassungsraten von mindestens 50% in den Nullsubjektsprachen existieren, muss eine theoretische Erklärung formuliert werden, die diesem Sprachverhalten gerecht wird. Demnach müssen dem bilingualen Kind Optionen bzw. Präferenzen zur Verfügung stehen, die je nach Analyse, für welche sich das Kind entscheidet, Spracheneinfluss fördern bzw. eindämmen. Diesbezüglich sind zwei mögliche Lösungsansätze vorgeschlagen worden, wobei einer der beiden Ansätze falsche Vorhersagen <?page no="426"?> 426 für die französisch-italienische Sprachkombination macht. Auf der Basis dieser Analyse kann aus einer rein syntaktischen Perspektive die Absenz von Spracheneinfluss bei französisch-italienischen Kindern nicht plausibel motiviert werden. Aus diesem Grund muss ein theoretischer Standpunkt vertreten werden, der die Einflussanfälligkeit der deutsch-italienischen bzw. deutsch-spanischen Sprachkombination vorhersagt, jedoch für den französisch-italienischen Fall ausschließt. In Anlehnung an Poletto (1999) sind die für die deiktischen und anaphorischen Pronomina relevanten Merkmale aufgeführt und eine theoretische Erklärung entwickelt worden, die den folgenden Erkenntnissen Rechnung tragen kann: Die einflussanfälligen Sprachpaare zeigen negative Einflusseffekte, da sie von der erwachsenensprachlichen Norm abweichend das Subjekt in den Nullsubjektsprachen nicht-zielsprachlich realisieren. Dennoch kann die These einer 1: 1-Übertragung der deutschen Grammatik auf die romanische Sprache insofern ausgeschlossen werden, als das bilinguale Kind die Nullsubjekteigenschaft im Italienischen und Spanischen erkennt und folglich das Subjekt auslässt. Läge dem romanischen Subjektgebrauch die deutsche Grammatik gänzlich zugrunde, ließen die bilingualen Kinder zu einem niedrigeren Prozentsatz als in der vorliegenden Studie ermittelt das Subjekt aus. Vor diesem Hintergrund ist sowohl für die quantitative als auch für die qualitative Auswertung der Kinderdaten die These formuliert worden, dass das bilinguale Kind erst im Laufe des Erwerbsprozesses die für das jeweilige Zielsystem zielsprachliche Entscheidung im Hinblick auf die Realisierung bzw. Auslassung trifft. Demnach wählt das Kind optional zwischen den aus den Erstsprachen bereitgestellten Landepositionen des Subjekts, [Spec, CP] vs. [Spec, TP], bzw. zwischen der deiktischen und anaphorischen Interpretation der deiktischen Subjektpronomina aus. Evidenz für diese Annahme haben psycholinguistische Studien zu präferierten Referenzbeziehungen präverbaler Subjekte geliefert, die für das Spanische eine präferierte A’-, für das Italienische eine präferierte A-Position postulieren. Jedoch handelt es sich ausschließlich um Präferenzen, sodass sich das präverbale Subjekt in beiden Sprachen in beiden syntaktischen Positionen befinden kann. Aus diesem Grund sind die für Spracheneinfluss formulierten Bedingungen erfüllt, wobei die deutsch-spanischen Kinder stärker dem Einfluss des Deutschen unterliegen als die deutsch-italienischen Kinder. Dieser Unterschied bestätigt die von Sorace und Filiaci (2006) dokumentierte Präferenz für in A-Position befindliche Subjekte im Italienischen. Daraus ergibt sich eine stärkere syntaktische Affinität zwischen dem Deutschen und dem Spanischen als zwischen dem Deutschen und dem Italienischen (vgl. Kapitel 4). Für die Feststellung, dass das Subjektpronomen der 1. Person mit der Verbmorphologie der 3. Person realisiert wird, ist dafür argumentiert worden, <?page no="427"?> 427 dass das bilinguale Kind die Merkmale der deiktischen Pronomina missinterpretiert und erst im Laufe des Erwerbsprozesses die deiktische bzw. anaphorische Referenz zielsprachlich erfasst. Auch in diesem Zusammenhang muss angemerkt werden, dass diese Fehlkonstruktionen ein marginales Erscheinungsbild in den Longitudinalstudien darstellen und darauf hinweisen, dass das Kind auch zielsprachliche Entscheidungen trifft. Für die Konstruktion [1. Person Subjektpronomen + 3. Person Verbmorphologie] sind Kongruenz- und Referenzfehler ausgeschlossen worden. Vielmehr deuten diese Beispiele darauf hin, dass das Kind auf der Basis der deutschen Grammatik das Subjektpronomen anaphorisch gebraucht und demzufolge realisiert. Der quantitative und qualitative Befund ist schließlich darauf zurückgeführt worden, dass in den ersten Erwerbsphasen, in denen die bilingualen Kinder hohe Realisierungsraten in den Nullsubjektsprachen verzeichnen, zunächst beide Analysen zur Verfügung stehen. Erst im Laufe der Sprachentwicklung setzt sich die zielsprachliche Option durch, die sich anhand der zunehmenden Auslassungswerte im Italienischen und Spanischen äußert. 146 Der genaue Auslöser bzw. Zeitpunkt für das Umsetzen auf die zielsprachliche Variante konnte jedoch im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht eindeutig definiert, sondern lediglich anhand der Entwicklungsverläufe eingegrenzt werden und muss Forschungsgegenstand zukünftiger Studien sein. Schließlich hat die empirische Untersuchung einen positiven Effekt des bilingualen Erstspracherwerbs herausgestellt, der sich im Deutschen der bilingualen Kinder manifestiert. Im Gegensatz zu den deutschsprachigen Kindern gelingt es den bilingualen Individuen die nicht-zielsprachlichen Auslassungen im Deutschen in früheren Erwerbsphasen zu reduzieren als die deutsche Kontrollgruppe. Über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg liegen die bilingualen Auslassungen unterhalb der monolingualen Entwicklungslinie und markieren einen statistisch signifikanten Unterschied. Für diesen positiven Effekt ist das syntaktische Priming als möglicher Auslöser postuliert worden, wobei diese Annahme ebenfalls weiterer empirischer Studien bedarf. Außerdem signalisiert dieses Sprachverhalten den erfolgreichen Verarbeitungsprozess des Deutschen, der im Sinne von Repetto und Müller (2010) auf die Bilingualität des Kindes und seine Fähigkeit der schnelleren Generalisierung zurückzuführen ist. 146 Eine Ausnahme stellt lediglich der deutsch-spanische Junge Arturo dar, der über den gesamten Untersuchungszeitraum nicht-zielsprachliche Subjektrealisierungen im Spanischen aufweist und diese bis zum Abschluss der Dokumentation nicht auf den erwachsenensprachlichen Wert reguliert. <?page no="428"?> 428 Abschließend kann das Ergebnis festgehalten werden, dass der grammatische Bereich des Subjekts sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht zumindest für die deutsch-italienische und deutsch-spanische Sprachkombination für Spracheneinfluss anfällig ist. Im Deutschen der bilingualen Kinder können positive Priming -Effekte den Subjekterwerb in der Nicht-Nullsubjektsprache begünstigen, wobei dieser Standpunkt weiterhin erforscht werden muss. Nicht-zielsprachliche Subjektrealisierungen in den Nullsubjektsprachen sind das Resultat untereinander konkurrierender Analysen, zwischen denen das bilinguale Kind für das jeweilige Zielsystem entscheiden muss. Außerdem spielen sprachexterne Faktoren wie die Sprachdominanz und die Umgebungssprache eine untergeordnete Rolle und sind für den Erwerb eines grammatischen Phänomens irrelevant. <?page no="429"?> 429 9 Zusammenfassung und Ausblick Die vorliegende Arbeit hat einen wissenschaftlichen Beitrag zum Subjekterwerb monolingual und bilingual aufwachsender Kinder geleistet und die Einflussanfälligkeit der deutsch-italienischen, deutsch-spanischen und französisch-italienischen Sprachkombination sowie die Relevanz der Sprachdominanz diskutiert. Hierzu sind zunächst einige wichtige Konzepte der frühkindlichen Mehrsprachigkeitsforschung aufgegriffen und für den in diesem Zusammenhang fokussierten grammatischen Bereich vorgestellt worden. Das erste Kapitel führt in den Forschungsgegenstand der vorliegenden Arbeit ein und liefert einen Überblick über die theoretische Auseinandersetzung mit dem Bilinguismusbegriff. Die in der linguistischen Literatur verwendeten Definitionen orientieren sich nicht nur an der Erwachsenensprache, sondern berücksichtigen auch zunehmend die frühkindliche Mehrsprachigkeit. Die Diskussion über den kindlichen Bilinguismus leitet zur Präsentation einiger einflussreicher Studien über, die sich mit dem simultanen Erwerb zweier Erstsprachen unter dem Gesichtspunkt der grammatischen Entwicklung beschäftigen. Diesbezüglich sind im Laufe der Spracherwerbsforschung theoretische Ansätze modelliert worden, die die Merkmale der kindlichen Grammatik entweder aus einer kompetenz- oder einer performanzbasierten Perspektive beschreiben. Das Konzept der Kompetenz und Performanz wird im zweiten Kapitel unter dem Aspekt der Sprachentrennung und des Spracheneinflusses erörtert. Im Mittelpunkt der theoretischen Diskussion stehen die unterschiedlichen Arten, wie sich Spracheneinflusses manifestiert, und die Kriterien, die Spracheneinfluss begünstigen oder ausschließen. Im Sinne von Müller und Hulk (2000, 2001) handelt es sich bei der Übertragung von sprachlichen Analysen aus der einen Sprache in die andere um ein kompetenzgetriebenes Phänomen, welches die unter den beiden Erstsprachen konkurrierenden syntaktischen Optionen affektiert. In der vorliegenden Arbeit wird zugunsten des kompetenzbasierten Ansatzes argumentiert, da dieser eine adäquate Interpretation der kindlichen Erwerbsdaten gewährleistet. In diesem Rahmen werden bereits die Kernhypothesen der empirischen Studie formuliert, die im Wesentlichen das Ausmaß von Spracheneinfluss und den sprachexternen Faktor, die Sprachdominanz, betreffen. Demzufolge begünstigen Sprachkombinationen, die im fokussierten grammatischen Bereich syntaktische Affinitäten aufweisen, das Auftreten von Spracheneinfluss, während Sprachpaare <?page no="430"?> 430 mit divergierenden syntaktischen Repräsentationen die Beeinflussung des grammatischen Wissens blockieren. In der spracherwerbstheoretischen Literatur ist Spracheneinfluss zunächst auf den Umstand der sprachlichen Entwicklung des bilingualen Individuums zurückgeführt worden. Demnach durchlaufen bilinguale Kinder einen defizitären Entwicklungsprozess in der schwächeren Sprache und produzieren gemischtsprachliche Äußerungen, die einen verzögerten Entwicklungsverlauf signalisieren (vgl. Volterra und Taeschner 1978). Diese Auslegung der kindlichen Sprachentwicklung impliziert die negative Konnotation, dass Sprachmischungen Kompetenzlücken in der schwachen Sprache des bilingualen Kindes aufzeigen. Aktuelle Forschungsbeiträge haben diesen Standpunkt insofern relativieren können, als nicht nur unbalancierte, sondern auch sprachlich ausgeglichene Kinder grammatisches Wissen aus der einen Sprache in die andere transportieren (vgl. u.a. Gawlitzek-Maiwald und Tracy 1996, Cantone 2007, Cantone et al. 2008). Die Korrelation zwischen der Sprachdominanz und dem Spracheneinfluss wird primär im dritten Kapitel thematisiert und bildet die Grundlage für die Formulierung weiterer Vorhersagen für den simultanen Erwerb des (Null-)Subjekts in den involvierten Erstsprachen. Aus den erhobenen Kinderdaten leitet sich die Hypothese ab, dass der Subjekterwerb nicht mit einer sprachlichen Dominanz korreliert. Da in der vorliegenden Arbeit die Sprachdominanz als potenzielle Einflussgröße und Ursache eines verzögerten Erwerbsverlaufs ausscheidet, müssen die Voraussetzungen für eine syntaktische Beschreibung der Kinderdaten geschaffen und der theoretische Rahmen, in dem die Interpretation der empirischen Studie stattfindet, definiert werden. Im vierten Kapitel werden das generative Grammatikmodell und der in der einschlägigen Literatur stark diskutierte pro-drop -Parameter vorgestellt. Daran schließen sich die für den Subjektbereich relevanten Zielsystembeschreibungen an, die die sprachspezifischen Eigenschaften der involvierten Sprachen herausstellen und Vorhersagen über den bilingualen Erstspracherwerb ermöglichen. In diesem Sinne werden die syntaktischen Affinitäten bzw. Unterschiede der einzelnen Zielsprachen gegenübergestellt und potenzielle einflussanfällige Konstellationen bestimmt. Aus einer syntaktischen Perspektive gilt die deutsch-italienische bzw. deutschspanische Sprachkombination als einflussanfällig, während die französisch-italienischen Kinder keinen Einfluss im Subjektbereich aufzeigen. Im Hinblick auf das Auftreten von Spracheneinfluss wird dafür argumentiert, dass das bilinguale Kind im Einklang mit den Spracheneinflusskriterien die deutsche Analyse ins Italienische bzw. Spanische transportiert. Die Übertragung der deutschen Struktur ins Romanische erfolgt aus Ökonomiegründen, da das italienische bzw. spanische System im Sub- <?page no="431"?> 431 jektbereich komplexer ist als das Deutsche. Die strukturelle Komplexität ergibt sich aus der Tatsache, dass im Romanischen die Subjektauslassung und -realisierung nicht nur syntaktisch motiviert ist, sondern auch diskurspragmatische Faktoren involviert. Das Deutsche ist diesbezüglich als weniger komplex einzustufen, da die Subjektauslassung im Sinne des topic-drop syntaktisch lizenziert ist. Obwohl dem Kind somit zwei untereinander konkurrierende Analysen zur Verfügung stehen und es die weniger komplexe (Deutsch) für die Verarbeitung der komplexeren Sprachsysteme (Italienisch und Spanisch) zugrunde legt, zeigen die erhobenen Kinderdaten, dass die deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Kinder dennoch zwischen einer Nullsubjekt- und einer Nicht-Nullsubjektsprache unterscheiden können. Aufgrund dieser Erkenntnis wird im Laufe der Diskussion dafür plädiert, dass die bilingualen Kinder zwischen den sprachspezifischen Analysen optional entscheiden. Aus dieser Erwerbsstrategie resultieren sowohl ziel-sprachliche als auch nicht-zielsprachliche Subjektrealisierungen in den Nullsubjektsprachen. Die auf der Basis der theoretischen Diskussion formulierten Hypothesen gilt es anhand der quantitativen und qualitativen Untersuchung zu überprüfen, zu bestätigen oder gegebenenfalls zu revidieren. Im fünften Kapitel setzt die empirische Studie der vorliegenden Arbeit mit der Vorstellung der untersuchten Kinderdaten ein. Für die monolingualen Longitudinalstudien werden die individuellen MLU-Werte ermittelt und die Sprachentwicklung mithilfe dieses Kriteriums abgebildet bzw. evaluiert. In Anlehnung an Arencibia Guerra (2008) gilt die durchschnittliche Äußerungslänge als ein zuverlässiges Kriterium, welches im Rahmen der empirischen Untersuchung zur Ermittlung der Sprachdominanz im bilingualen Individuum herangezogen wird. Demnach geben die sprachspezifischen MLU-Werte der bilingualen Kinder Aufschluss darüber, ob sich in der untersuchten Altersspanne eine sprachlich ausgeglichene oder unbalancierte Entwicklung abzeichnet. Darüber hinaus wird der Subjekterwerb in den jeweiligen Sprachkombination auf der Basis des MLU graphisch dargestellt, um die bilingualen Individuen unabhängig von der Altersvariablen untereinander vergleichen zu können. Das sechste und siebte Kapitel untersuchen den Subjekterwerb im monolingualen und bilingualen Individuum unter einer quantitativen bzw. qualitativen Fragestellung. Die quantitative Auswertung der kindlichen Äußerungen konzentriert sich auf die syntaktische Realisierung der Subjektposition als lexikalische Nominalphrase, Pronomen oder Auslassung. Die qualitative Studie fokussiert hingegen den personenspezifischen Subjektgebrauch, d.h. die Subjektauslassung und -realisierung in der 1., 2. und 3. Person. Die erhobenen Kinderdaten bestätigen die im Vorfeld formulierten Vorhersagen bezüglich der Relevanz der Sprachdo- <?page no="432"?> 432 minanz, der Sprachkombination und der Präsenz bzw. Absenz von Spracheneinfluss. Der empirische Befund wird im achten Kapitel evaluiert und auf die syntaktischen Beschaffenheiten der involvierten Zielsysteme zurückgeführt. Aus der quantitativen Untersuchung ist das Ergebnis hervorgegangen, dass die französisch-italienischen Kinder das Subjekt zielsprachlich, d.h. der erwachsenensprachlichen Norm entsprechend, erwerben und gebrauchen. Aufgrund der syntaktischen Inkompatibilität der italienischen und französischen Zielgrammatik im Subjektbereich erhält das bilingual aufwachsende Kind keine Evidenz für die Übertragung von sprachlichen Analysen aus der einen Sprache in die andere. Da im Französischen die Auslassung argumentalhafter Komplemente untersagt, im Italienischen hingegen in nicht-kontrastiv gemeinten Kontexten grammatisch ist, wird die französische Struktur nicht auf das italienische System übertragen. In diesem Sinne werden die Bedingungen für das Auftreten von Spracheneinfluss nicht erfüllt, da das syntaktische Wissen der einen Sprache nicht mit dem der anderen an der Syntax-Pragmatik-Schnittstelle interferiert. Im Gegensatz dazu gibt die deutsch-italienische bzw. deutsch-spanische Sprachkombination aufgrund der verhältnismäßig hohen Realisierungsraten in der jeweiligen romanischen Sprache Anlass zur Annahme, dass Spracheneinfluss seitens des Deutschen auf das Romanische stattfindet. Für die nicht-zielsprachlichen Realisierungen im Italienischen und Spanischen der bilingualen Kinder sind die syntaktischen Beschaffenheiten der simultan zu erwerbenden Zielsysteme verantwortlich. In den Nullsubjektsprachen erfolgt die phonetische Realisierung nur unter bestimmten pragmatischen Bedingungen, d.h. im Falle des Kontrasts. Während im Italienischen und Spanischen diskurspragmatische Faktoren die Auslassung bzw. Realisierung regeln, wird im Deutschen das Subjekt ausgelassen, wenn es bereits im Diskurs eingeführt worden ist und in Topik- Position erscheint. Für das Sprache erwerbende Kind ergibt sich aus den syntaktischen Eigenschaften der Zielsprachen eine strukturelle Ambiguität, da sowohl die Nullsubjektsprachen als auch das Deutsche die Subjektauslassung lizenzieren. Aus diesem Grund wählt das mehrsprachige Kind die deutsche, d.h. die weniger komplexe Struktur und realisiert das Subjekt nicht-zielsprachlich im Italienischen bzw. Spanischen. Zusammenfassend lassen sich aus der quantitativen Analyse die folgenden Ergebnisse ableiten: 1. Zwischen dem monolingualen und dem bilingualen Subjekterwerb liegt ein statistisch signifikanter Unterschied im Hinblick auf die deutsch-italienische und deutsch-spanische Sprachkombination vor. <?page no="433"?> 433 2. Die bilinguale Population unterscheidet sich unter den einzelnen Sprachkombinationen dergestalt, dass die französisch-italienischen Kinder gar nicht von Spracheneinfluss betroffen sind, die deutschspanischen Kinder hingegen das größte Ausmaß an Spracheneinfluss zeigen. Dieser empirische Befund stellt nicht nur die Relevanz der Sprachkombination, sondern auch das Einwirken der syntaktischen Beschaffenheiten der Erstsprachen auf das grammatische Wissen in Kontaktsituationen heraus. Aus den Zielsystembeschreibungen kann eindeutig eine syntaktische Affinität zwischen dem Deutschen und dem Spanischen abgeleitet werden, die das größte Übertragungspotenzial syntaktischen Wissens aus der einen Sprache in die andere birgt. Aus diesem Grund sind die deutsch-spanischen Kinder am stärksten von Spracheneinfluss betroffen, der sich im Spanischen negativ auf den Subjekterwerb auswirkt und zu nicht-zielsprachlichen Realisierungen führt. Dennoch muss die Interpretation der bilingualen Erwerbsverläufe auch der Feststellung Rechnung tragen, dass die deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Kinder das Subjekt zu einem gewissen Grad zielsprachlich gebrauchen. Diese Beobachtung ist mit der Annahme einer 1: 1-Übertragung der deutschen Struktur ins Romanische insofern inkompatibel, als die bilingualen Kinder zu immerhin 50% das Subjekt in ihren Nullsubjektsprachen auslassen. Aus diesem Grund ist dafür argumentiert worden, dass die nichtzielsprachlichen Realisierungen im Italienischen bzw. Spanischen darauf hindeuten, dass die deutsche und romanische Analyse optional zur Verfügung stehen und für den dokumentierten Entwicklungsverlauf verantwortlich sind. Die Diskussion der Forschungsergebnisse muss somit zweierlei berücksichtigen: die nicht-zielsprachlichen Realisierungen und die grammatischen Auslassungen im Romanischen der bilingualen Kinder. Diese Feststellung führt zu der Hypothese, dass die bilingualen Kinder unterschiedliche Präferenzen im Hinblick auf die Interpretation von realisierten Subjekten und pro aufzeigen. Auf die gewonnenen Daten sind jedoch nicht nur syntaktisch motivierte Ansätze, sondern auch extralinguistische Alternativhypothesen angewandt worden. In diesem Zusammenhang ist die Fragestellung nach der Sprachdominanz und deren Auswirkungen auf den Erwerbsprozess in den Vordergrund gerückt. In der vorliegenden Arbeit ist zugunsten einer syntaktischen Erklärung für den beobachteten Sachverhalt argumentiert und die Sprachdominanz als potenzielle Einflussgröße ausgeschlossen worden. Die Korrelation zwischen dem ermittelten Balanciertheitsgrad der bilingualen Kinder und der Subjektauslassungen in den Nullsubjektsprachen ist statistisch nicht signifikant. Daraus kann ge- <?page no="434"?> 434 schlussfolgert werden, dass nicht-zielsprachliche Subjektrealisierungen nicht Dominanzverhältnissen, sondern vielmehr syntaktischen Gründen geschuldet sind. Dieses Ergebnis berechtigt, die in der linguistischen Literatur vertretenen Annahmen zur Sprachdominanz kritisch zu hinterfragen. Die in der vorliegenden Arbeit dokumentierten Entwicklungen legen eine innovative Interpretation der Sprachdominanz und deren Auswirkungen auf den Spracherwerbsprozess nahe (vgl. Kapitel 6.9). Da eindeutig gezeigt werden kann, dass auch balancierte Kinder das Subjekt in der Nullsubjektsprache nicht-zielsprachlich gebrauchen, müssen die mit der Sprachdominanz verbundenen Implikationen ausgeräumt werden. Aussage-kräftige Evidenz dafür, dass die Sprachdominanz für den Subjekterwerb irrelevant ist, liefern die Italienisch-schwachen Kinder Jan-Philip und Juliette, die trotz ihrer Unausgeglichenheit das Subjekt im Italienischen der erwachsenensprachlichen Norm entsprechend realisieren. Weitere Bestätigung für die angenommene Irrelevanz der Sprachdominanz bringt die Gegenüberstellung der unbalancierten Kinder Arturo und Jan- Philip (vgl. Kapitel 8.3). Beide Jungen erwerben ihre Nullsubjektsprachen als ihre schwachen Sprachen und verhalten sich statistisch signifikant unterschiedlich (vgl. Appendix (B), Tabelle (2)). Trotz der sprachlichen Schwäche zeigt Jan-Philip einen zielsprachlichen Subjektgebrauch im Italienischen, während Arturo über den gesamten Untersuchungszeitraum nicht-zielsprachliche Subjektrealisierungen im Spanischen produziert. Diese Beobachtung stellt die Relevanz sprachinterner Faktoren bezüglich des Erwerbs eines grammatischen Phänomens in den Vordergrund, da die zuvor skizzierten Entwicklungsverläufe aus Plausibilitätsgründen nicht auf Dominanzverhältnisse zurückgeführt werden können. Wäre die Sprachdominanz der Auslöser für die nicht-zielsprachlichen Realisierungen im Spanischen des bilingualen Jungen Arturo, könnten zwar diese, jedoch nicht Jan-Philips Daten erklärt werden. Darüber hinaus hat der balancierte Fall (Carlotta) statistisch signifikante Evidenz dafür geliefert, dass das bilinguale Mädchen im Italienischen Spracheneinfluss zeigt. Beruhend auf diesen beiden Szenarien kann die Vermutung formuliert werden, dass die Dominanz eine präventive Funktion im Hinblick auf das Auftreten von Spracheneinfluss ausübt. Das Konzept der Sprachdominanz meint diesbezüglich weniger die Interpretation eines sprachlichen Profits in der starken Sprache, sondern vielmehr den zielsprachlichen Erwerb eines grammatischen Phänomens in der schwachen Sprache. Diese Einschätzung bedarf zukünftiger Studien, die anhand weiterer grammatischer Bereiche dieses Konzept überprüfen und dessen Etablierung in die Mehrsprachigkeitsforschung fördern. Im Rahmen der quantitativen Analyse sind der nicht-zielsprachliche Subjektgebrauch in den Nullsubjektsprachen der deutsch-italienischen <?page no="435"?> 435 und deutsch-spanischen Kinder sowie eine hohe Auslassungsrate des Subjekts im monolingual französischen und deutschen Individuum ermittelt worden. Während die bilingualen Kinder in den Nullsubjektsprachen verzögert sind, gelingt es ihnen, die Subjektauslassungen im Französischen und Deutschen früher zu reduzieren, als es im monolingualen Erwerb der Fall ist. Diese Beobachtung deutet auf eine wechselseitige Beeinflussung der Erstsprachen mit unterschiedlichen Konsequenzen hin. Das Romanische wird unter Zugrundelegung der deutschen Grammatik negativ beeinflusst und folglich verzögert erworben. Der Erwerb der Nicht- Nullsubjektsprachen der bilingualen Kinder wirkt hingegen augenscheinlich beschleunigt, da die monolingualen Maxima in keiner Entwicklungsphase erreicht werden und die Auslassungen zu deutlich niedrigeren MLU-Werten abnehmen. In der vorliegenden Arbeit wird eine syntaktische Erklärung für die dokumentierten Erwerbsverläufe modelliert, die den soeben beschriebenen Szenarien Rechnung tragen kann. Der Spracheneinfluss, der sich in der deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Sprachkombination verzögernd auf den Subjekterwerb auswirkt, wird aufgrund einer transferierten Struktur ausgelöst. Demnach überträgt das bilinguale Kind das weniger komplexe Sprachsystem, das Deutsche, auf die romanischen Sprachen und realisiert das Subjekt auf nichtzielsprachliche Weise im Italienischen bzw. Spanischen. Die Komplexität des Italienischen und Spanischen ergibt sich aus der Koordination von syntaktischem und pragmatischem Wissen, die im deutschen Subjektbereich nicht erforderlich ist. Die syntaktische Affinität zwischen den simultan zu erwerbenden Zielsystemen wird auch anhand (psycho-)linguistischer Studien belegt, die für präverbal realisierte Subjekte im Spanischen eine präferierte Interpretation als disloziierte Phrasen in A’-Position ermittelt haben (vgl. Alonso-Ovalle et al. 2002). Im Deutschen befindet sich das Subjekt bzw. das Nullsubjekt in dieser Position, [Spec, CP], zumindest in SVO-Abfolgen, sodass für Spracheneinfluss argumentiert werden kann. Für das italienische Zielsystem hingegen leisten Sorace und Filiaci (2006) den Beitrag, dass präverbale Subjekte im Italienischen präferiert mit A- Elementen assoziiert werden. In dieser Position, in [Spec, TP], befindet sich das deutsche Subjekt ausschließlich in OVS-Abfolgen ausschließlich in der nicht-kanonischen Subjektposition (vgl. Hamann 1996, Frey 2004, 2005). Aus diesem Grund wirkt sich die syntaktische Ähnlichkeit zwischen den Zielsprachen stärker in der deutsch-spanischen als in der deutsch-italienischen Konstellation aus. Im Weiteren muss auf das relevante Forschungsergebnis hingewiesen werden, dass das Spanische im Hinblick auf die anaphorischen Präferenzen der overten Subjektrealisierungen und pro ambig ist, da das präverbale Subjekt nicht ausnahmslos als disloziiertes Element aufgegriffen werden muss (vgl. Suñer 2003). Aus <?page no="436"?> 436 der Beobachtung, dass bereits das spanische Zielsystem im Subjektbereich kontrovers diskutiert wird, kann für den simultanen Erwerb des Deutschen und Spanischen ein erhöhtes Einflussrisiko postuliert werden. Dass sich diese Annahme als richtig erweist, kann anhand der erhobenen Kinderdaten und der statistischen Berechnungen verifiziert werden. Die Erkenntnis, dass bilinguale Kinder die Subjektauslassungen in den Nicht-Nullsubjektsprachen schneller reduzieren können als die monolingualen Kontrollgruppen, kann anhand eines psycholinguistischen Erklärungsansatzes erklärt werden. In diesem Zusammenhang ist die Fragestellung nach einer separaten oder fusionierten Speicherung von syntaktischem Wissen von zentraler Bedeutung. Unter Berücksichtigung der kindlichen Erwerbsdaten ist für syntaktisches Priming argumentiert worden, einen syntaktischen Mechanismus, der sich aus einer fusionierten Ablage von syntaktischem Wissen ergibt. Der Priming -Effekt bleibt aufgrund divergierender syntaktischer Derivationen des involvierten grammatischen Phänomens in den betroffenen Zielsprachen aus. Demnach kann indirekt geschlussfolgert werden, dass Priming nur dann beobachtet werden kann, wenn die koexistierenden Sprachen auf eine identische derivationelle Struktur zurückgreifen. Während die jeweilige Sprachkontaktsituation den Subjekterwerb im Romanischen benachteiligt, profitiert das mehrsprachige Kind von seiner Bilingualität hinsichtlich des Subjekterwerbs im Deutschen. Die romanischen Sprachen liefern die Analyse für die im Deutschen syntaktisch lizenzierten Subjektauslassungen und wirken sich somit insgesamt positiv auf den Subjekterwerb in der germanischen Sprache aus. Das deutschsprachige Kind hat aufgrund seiner monolingualen Umgebung nicht die Möglichkeit des syntaktischen Primings , da es aufgrund der gegebenen Sprachsituation nur mit einem Grammatiksystem konfrontiert wird. Folglich kann das deutschsprachige Kind bezüglich des Subjekterwerbs nicht von seiner sprachlichen Situation profitieren. Syntaktisches Priming kann ausschließlich für den Subjekterwerb im Deutschen der bilingualen Kinder herangezogen werden, da dieses Konzept vornehmlich syntaktische Faktoren involviert, während in den romanischen Sprachen auch das pragmatische Modul von der Option der Auslassung bzw. Realisierung tangiert ist. Aus diesem Grund lässt sich die Hypothese des syntaktischen Primings auf das Deutsche, jedoch nicht auf den Subjekterwerb in den romanischen Sprachen der bilingualen Kinder beziehen. Der positive Entwicklungsverlauf in den Nicht-Nullsubjektsprachen stellt insofern ein unerwartetes Ergebnis dar, als es auf der Basis der Spracheneinflusskriterien nicht vorhersagbar ist. Schließlich stellt dieses Ergebnis auch im Rahmen einer gesellschaftsrelevanten Auseinandersetzung mit der frühkindlichen Mehrsprachigkeit einen interessanten Forschungsbeitrag dar. Es trägt im Wesentlichen dazu <?page no="437"?> 437 bei, die Gesellschaft für die positiven Effekte der kindlichen Bilingualität zu sensibilisieren. Der beschleunigte Erwerbsverlauf im Deutschen bzw. Französischen kann nur auf den Umstand der Bilingualität und deren positive Auswirkungen zurückgeführt werden. Die qualitative Auswertung der bilingualen Longitudinalstudien hat als Ergebnis hervorgebracht, dass erneut die französisch-italienischen Kinder von Spracheneinfluss verschont bleiben, während die deutschitalienischen und deutsch-spanischen Kinderdaten eindeutig auf eine Beeinflussung der romanischen Sprache hindeuten. Der negative Einfluss des Deutschen macht sich an den hohen Realisierungsraten in der 1. und 2. Person bemerkbar, während die 3. Person von allen Kindern, unabhängig von der Sprachkombination, zielsprachlich gebraucht wird. Diese Erkenntnis kann zwar auf den Umstand des Spracheneinflusses zurückgeführt werden, bedarf jedoch einer detaillierten Analyse des deiktischen bzw. referenziellen Subjektgebrauchs. Die Interpretation der Kinderdaten hat einen pragmatisch orientierten Erklärungsansatz, wie ihn Serratrice et al. (2004) vorschlagen, abgelehnt. Die erhobenen Daten zeigen, dass die bilingualen Kinder sowohl die Verbmorphologie als auch die Referenzen im Diskurs angemessen verwenden. Aus diesem Grund kann die Hypothese einer pragmatischen Missinterpretation der deiktischen und referenziellen Pronomina ausgeschlossen werden. Eine alternative Erklärungsmöglichkeit leitet sich indirekt aus den kindlichen Äußerungen ab, in denen das Subjekt der 1. Person mit der Verbmorphologie der 3. Person erscheint. Da sich diese Äußerungen in allen untersuchten Sprachkombinationen auf unter durchschnittlich 4% belaufen, kann ein unvollständiger Morphologie-Erwerb als Auslöser dieser kindlichen Produktionen ausgeschlossen werden. Schließlich ist dafür argumentiert worden, dass das bilinguale Kind im Italienischen und Spanischen die deiktischen Subjektpronomina mit dem semantischen Merkmal [+ anaphorisch ] interpretiert und basierend auf dem deutschen Zielsystem aufgrund der Referenzbeziehungen von Anaphern das Subjekt in italienischen bzw. spanischen Auslassungskontexten realisiert. Die finite Verbmorphologie der 3. Person bestätigt diese Annahme und legt die Hypothese nahe, dass der anaphorische Gebrauch der 3. Person optional aus dem Deutschen ins Romanische übertragen wird. Unter Zugrundelegung der deutschen Analyse werden die deiktischen Subjektpronomina nicht-zielsprachlich im Romanischen gebraucht, wobei die Übertragung der deutschen Struktur nicht in einer 1: 1-Relation erfolgt. Dieses Ergebnis erstaunt insofern, als aufgrund des niedrigen Informationsgehalts der 1. Person ein weniger problematischer Erwerbsverlauf zu erwarten ist als in der 3. Person, die im Hinblick auf den Diskurs einen höheren Informationsgehalt besitzt. Diese Feststellung betont die Relevanz der syntaktischen Beschaffenhei- <?page no="438"?> 438 ten der simultan zu erwerbenden Zielsprachen, die aufgrund der gewonnenen Ergebnisse für eine syntaktische Interpretation der kindlichen Grammatik plädieren. Demnach handelt es sich beim Subjekterwerb um ein kompetenzgetriebenes Phänomen, welches in bestimmten Sprachkombinationen die Beeinflussung der einen oder anderen Sprache vorhersagt bzw. ausschließt. Schließlich impliziert diese Argumentation die Irrelevanz sprachexterner Faktoren, wie die der Sprachdominanz und der Umgebungssprache. Letztere kann in diesem Rahmen nicht tiefgründig erforscht werden und muss Forschungsgegenstand zukünftiger Studien sein. Dennoch haben die Erwerbsdaten des in Frankreich lebenden Kindes Juliette demonstriert, dass sich der Subjekterwerb trotz der französischen Umgebungssprache und einer Schwäche im Italienischen zielsprachlich vollziehen kann. In zukünftigen Forschungsarbeiten sollte die Sprachdominanz als mögliche Einflussgröße in anderen grammatischen Bereichen weiterhin überprüft werden. Generell sollte der Subjekterwerb auf andere Sprachkombinationen ausgeweitet werden, idealerweise auf die italienischspanische und französisch-spanische Sprachkombination. Die vorliegende Arbeit hat mit der Erforschung der französisch-italienischen Sprachkombination eine wissenschaftliche Lücke im Bereich der Mehrsprachigkeitsforschung, zumindest für den in diesem Zusammenhang fokussierten grammatischen Bereich, geschlossen. Die italienisch-spanische Sprachkombination ist zwar bereits Forschungsgegenstand aktueller Studien gewesen, jedoch nicht in der erwerbsrelevanten Alterspanne von eineinhalb bis vier Jahren, (für die Analyse des Subjektgebrauchs achtjähriger italienisch-spanischer Kinder vgl. Filiaci 2008). Die französisch-spanische Kombination gilt hingegen gegenwärtig als unerforscht und sollte verstärkt in den Fokus romanistischer Studien rücken. Auf der Basis der Zielsystembeschreibungen kann die Vorhersage formuliert werden, dass das Spanische, ähnlich wie das Deutsche in der deutsch-spanischen Konstellation, das Italienische negativ, d.h. verzögernd, beeinflusst. Die Beeinflussung ist erneut auf syntaktische Gründe zurückzuführen und sollte sich anhand nicht-zielsprachlicher Subjektrealisierungen im Italienischen der bilingualen Kinder manifestieren. Bezüglich des französisch-spanischen Sprachpaars sollte Spracheneinfluss ausgeschlossen werden, da die einflussrelevanten Merkmale der Zielsysteme miteinander inkompatibel sind. Darüber hinaus sollte sich die zukünftige Forschung einer theoretischen Überarbeitung des deutschen topic-drop -Begriffs widmen, dergestalt, dass in Anlehnung an Poletto (1999) für die deutschen Subjektpronomina eine syntaktische Struktur modelliert wird, die den deiktischen bzw. anaphorischen Pronomina eine distinkte Subjektposition in der De- <?page no="439"?> 439 rivation zuordnet. Diese Anforderung ist der qualitativen Auswertung der bilingualen Kinderdaten indirekt erwachsen und bedarf weiterer Klärung, die in diesem Rahmen nicht gewährleistet werden kann. Das Konzept des topic-drop scheint für bestimmte Subjektpronomina, die deiktischen, sensibel zu sein, während die Auslassung der Subjektpronomina der 3. Person ausgeschlossen ist. Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass Anaphern von der Option der Auslassung ausgenommen sind und das Prinzip des topic-drop im Sinne der Bekanntheit im diskurstheoretischen Rahmen unzureichend ist. Außerdem weisen die monolingual italienischen und spanischen Kinder hohe Auslassungsraten in den ersten Entwicklungsphasen auf. Dieser empirische Befund sollte ebenfalls in zukünftigen Studien diskutiert werden. Generell ist die Ermittlung einer monolingualen und erwachsenensprachlichen Norm mehr als wünschenswert. Die vorliegende Arbeit hat den Grundstein einer derartigen Untersuchung legen können, ohne jedoch vordergründig dieses Phänomen bearbeiten zu können. Das Hauptaugenmerk der vorliegenden Studie liegt auf den bilingualen und weniger auf den monolingualen Sprachentwicklungen. Das für die Mehrsprachigkeitsforschung relevante Ergebnis liegt in der Feststellung, dass aus quantitativer und qualitativer Sicht der grammatische Bereich des Subjekts für Spracheneinfluss sensibel ist, zumindest für bestimmte sprachliche Konstellationen, und dass die Sprachdominanz beim Erwerb des (Nicht-)Nullsubjekts keine entscheidende Rolle spielt. Schließlich sollte erneut auf das zwar unerwartete, aber dennoch gesellschaftsrelevante Ergebnis hingewiesen werden, dass die bilingualen Kinder im direkten Vergleich zur monolingualen Kontrollgruppe einen sprachlichen Profit aus ihrer Bilingualität ziehen. Dieser positive Effekt hat sich im Subjekterwerb des Deutschen und Französischen in statistisch signi