Polysemie als Verfahren lexikalischer Motivation
Theorie und Empirie am Beispiel von Metonymie und Metapher im Französischen und Italienischen
1205
2012
978-3-8233-7755-9
978-3-8233-6755-0
Gunter Narr Verlag
Daniela Marzo
Vor dem Hintergrund der Kognitiven Linguistik wird sowohl theoretisch als auch empirisch fundiert die verbreitete Ansicht widerlegt, Polysemie sei antiikonisch. Am Beispiel metonymie- und metaphernbasierter Polysemie im Französichen und Italienischen wird demonstriert, dass Polysemie Ikonizität und Motivation im Lexikon nicht nur maßgeblich fördert, sondern die Art der Polysemie eines Wortes auch die Art seiner formalen Motivierbarkeit determiniert. auf dieser Grundlage wird ein neuartiges Modell graduierter lexikalischer Transparenz entworfe, das erstmals die Interaktion der formalen und der semantischen Dimension derselben berücksichtigt.
<?page no="0"?> Daniela Marzo Polysemie als Verfahren lexikalischer Motivation Theorie und Empirie am Beispiel von Metonymie und Metapher im Französischen und Italienischen <?page no="1"?> Polysemie als Verfahren lexikalischer Motivation <?page no="2"?> Tübinger Beiträge zur Linguistik herausgegeben von Gunter Narr 537 <?page no="3"?> Polysemie als Verfahren lexikalischer Motivation Theorie und Empirie am Beispiel von Metonymie und Metapher im Französischen und Italienischen Daniela Marzo <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2013 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISSN 0564-7959 ISBN 978-3-8233-6755-0 <?page no="5"?> 5 Inhaltsverzeichnis „Mit welchen Worten das Namenlose nennen? “ ............ 9 1 Einleitung ........................................................................... 11 2 Motivation und Ikonizität: Die Frage nach dem richtigen Wort .................................................................... 15 2.1 Naturalisten und Konventionalisten im Kratylosdialog 15 2.2 Naturalisten und Konventionalisten von Platon bis Saussure ............................................................................... 18 2.3 Moderne Positionen zwischen Naturalismus und Konventionalismus ............................................................ 22 2.3.1 Ikonizität im Lexikon .................................................... 23 2.3.2 Lexikalische Motivation ................................................. 32 2.3.3 Konsoziation und Dissoziation ...................................... 44 2.4 Zum Motivationsverständnis dieser Arbeit ................... 45 3 Der Zusammenhang von Polysemie, Ikonizität und lexikalischer Motivation .................................................. 49 3.1 Zum Polysemieverständnis dieser Arbeit ....................... 49 3.2 Sind Polysemie, Motivation und Ikonizität vereinbar? 60 3.2.1 Polysemie und Diagramme ........................................... 61 3.2.2 Polysemie und Metaphern ............................................. 69 3.2.3 Polysemie und Images .................................................... 71 3.3 Zusammenfassung: Theoretische Grundannahmen zur Polysemie, Ikonizität und Motivation ...................... 73 4 Empirische Ermittlung lexikalischer Motivation: Die Frage nach der richtigen Methode ......................... 75 4.1 Motivation durch Introspektion des Linguisten ............ 76 4.2 Korpora als Quelle für Motivation ................................... 79 <?page no="6"?> 6 4.3 Informantenbefragungen zur Motivation ....................... 82 4.3.1 Methodenüberblick und Diskussion der Methoden ........ 82 4.3.2 Die Tübinger Zweischrittmethode ................................. 96 5 Der Einfluss konzeptueller Relationen auf intrinsische und extrinsische Motivierbarkeit .......... 103 5.1 Hypothesen zur Motivierbarkeit lexikalischer Einheiten ............................................................................ 104 5.1.1 Antwortmuster zur Motivierbarkeit ............................. 104 5.1.2 Die Hypothesen: Metaphorische Similarität versus Kontiguität oder intrinsische versus extrinsische Motivation? ................................................................. 109 5.1.3 Test zur Stärkung der Hypothesen: Pilottest zum Deutschen ................................................................... 111 5.1.4 Theorie zur Stärkung der Hypothesen: Metaphern und Metonymien in der Kognitiven Linguistik ................... 114 5.2 Systematische Studien zum Italienischen und Französischen .................................................................... 120 5.2.1 Material und Methode ................................................. 121 5.2.2 Darstellung und Diskussion der Ergebnisse ................. 144 6 Polysemie und Skalen diagrammatischer Transparenz: Ein formales und semantisches Transparenzmodell ......................................................... 191 6.1 Transparenzgrade in der Beziehung zwischen Form und Inhalt eines Ikons ..................................................... 193 6.1.1 Primäre Onomatopoetika und Transparenz ................. 193 6.1.2 Sekundäre Onomatopoetika, Lautsymbolismus, Phonästheme und Transparenz ................................... 194 6.1.3 Strukturelle Diagramme und Transparenz ................... 196 6.2 Transparenzgrade in der Beziehung zwischen lexikalischen Einheiten .................................................... 202 6.2.1 Semantische Ansätze zur Graduierung von Transparenz ................................................................ 203 6.2.2 Formale Ansätze zur Graduierung von Transparenz .... 217 <?page no="7"?> 7 6.3 Grundzüge eines Modells formaler und semantischer Transparenz ....................................................................... 237 7 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen ......... 255 Bibliographie ........................................................................ 259 Bücher und Artikel ................................................................... 259 Internetressourcen .................................................................... 276 Filmographie ............................................................................. 276 Sachindex .............................................................................. 277 <?page no="9"?> 9 „Mit welchen Worten das Namenlose nennen? “ So lautet das Ende des Gedichtes Die Bezeichnungen von Erich Fried, bei dessen Lektüre ich nicht anders kann als zu schmunzeln. Denn ungeachtet der jahrelangen Beschäftigung mit Motivation im Lexikon fehlen mir nun die richtigen Worte (und Wörter), um auf den Punkt zu bringen, was ich gerne ausdrücken würde: den Dank, den ich empfinde. Mein ganz besonderer Dank gilt zunächst meinem Doktorvater, Prof. Dr. Peter Koch, für die Betreuung meiner Arbeit. Die fruchtbaren Diskussionen und ermutigenden Gespräche mit ihm, seine Ratschläge und konstruktive Kritik waren mir in all den Jahren eine wertvolle Unterstützung. Ebenso möchte ich den Mitberichterstattern meiner Arbeit - Prof. Dr. Günter Radden (Universität Hamburg), Prof. Dr. Johannes Kabatek (Universität Tübingen) und Prof. Dr. Achim Stein (Universität Stuttgart) - für die konstruktiven Gespräche, ihre wertvollen Anregungen und nicht zuletzt für ihre Bereitschaft, meine Arbeit innerhalb kürzerster Zeit zu begutachten, sehr herzlich danken. Zu besonderem Dank bin ich auch Frau Prof. Dr. Sylviane Rémi- Giraud (Université Lyon II) verpflichtet, die so freundlich war, mich von März bis Dezember 2004 während meines Feldforschungsaufenthaltes in Lyon im Rahmen eines DAAD-Promotionsstipendiums vor Ort zu betreuen und mir wiederholt die Möglichkeit gegeben hat, mein Promotionsprojekt im Rahmen des von ihr geleiteten Forschungskolloquiums vorzustellen und zu diskutieren. Für ihre freundliche Aufnahme und Beratung, ihren Enthusiasmus und nicht zuletzt die Herstellung des Kontaktes zu zahlreichen Probanden für meine empirischen Untersuchungen möchte ich ihr von Herzen danken. Wie wichtig und fruchtbar es ist, in regelmäßigen Abständen über den Stand einer Forschungsarbeit zu berichten, durfte ich auch im Rahmen des von Peter Koch und Johannes Kabatek geleiteten Oberseminars Aktuelle Themen der romanischen Sprachwissenschaft am Romanischen Seminar der Universität Tübingen erleben. Für ihre hilfreichen Bemerkungen und Hinweise sowie die inspirierenden linguistischen und sprachphilosophischen Diskussionen möchte ich den Teilnehmern dieses Oberseminares zwischen 2005 und 2008, vor allem aber Christine Blauth-Henke und Sarah Dessì Schmid, danken. Diese Arbeit ist im Rahmen des von Peter Koch geleiteten Projektes B6 Lexikalische Motivation im Französischen, Italienischen und Deutschen des Tübinger SFB 441 Linguistische Datenstrukturen in der Förderphase 2005- 2008 entstanden. Das freundliche Klima innerhalb dieses SFB und der <?page no="10"?> 10 produktive Austausch mit den Kollegen und dort gefundenen Freunden haben dazu beigetragen, dass ich auf der Suche nach Motivation im Lexikon selbst nicht die Motivation verloren habe. Allen voran möchte ich hier Janina Radó und Beate Starke danken, die mir mit ihrer Freundlichkeit und stetig guten Laune den Weg durch die etwas demotivierteren Phasen gewiesen haben. Mein besonderer Dank gilt auch meinen Teamkolleginnen Verena Rube und Birgit Umbreit, die mir mit ihrer konstruktiven Kritik und aufmunternden Worten immer wieder den nötigen Antrieb gegeben haben. Janina Radó und Sam Featherston sei zudem gedankt für ihre wertvollen Ratschläge und bibliographischen Hinweise zum empirischen Teil meiner Arbeit. Besonderen Dank schulde ich auch Aleksandar Savkov und Oliver Schonefeld für ihre Hilfsbereitschaft bei informatischen Fragen und für die bedingunsglose Pannenhilfe bei technischen Problemen mit den Internetfragebögen und der Datenbank. Vor allem Iris Bahnholzer, aber auch Georg Rehm, Birgit Umbreit, Lisa Kinski und Konrad Rupp danke ich von Herzen für die unbezahlbare Unterstützung bei der orthographischen und typographischen Revision meiner Arbeit. Dem Institut für Linguistik/ Romanistik der Universität Stuttgart, vor allem seinem Leiter Prof. Dr. Achim Stein, bin ich für den großzügigen Druckkostenzuschuss zu besonderem Dank verpflichtet. Ebenso danke ich der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG für die Publikation, insbesondere auch Kathrin Heyng, Karin Burger und Melanie Wohlfahrt für die stets freundliche und kompetente Betreuung. Nicht zuletzt danke ich - und dies von ganzem Herzen - meiner Familie und meinen Freunden für ihre moralische Unterstützung, liebevolle Geduld und Präsenz: allen voran meinen Eltern, Erika und Mario, und meinem Bruder Sandro; Sarah, Daniel und dem kleinen Leo; Iris und Holger; Constanze und Christian; Sonja; Janina und Frank; Sabine und Andreas. Wie wichtig eure Begleitung war, ist nicht in Worte zu fassen. Mein größter Dank gilt jedoch Julien, durch den ich im Labyrinth der Promotion die wesentlichen Dinge des Lebens nicht aus den Augen verloren habe. <?page no="11"?> 11 1 Einleitung Diese Arbeit ist ein Beitrag zur Jahrtausende alten Debatte darüber, ob die Sprache aufgrund einer natürlichen Beziehung zur Welt so strukturiert ist, wie sie es nun mal ist, oder ob im Gegenteil ihre Beschaffenheit allein eine Frage der Konvention einer Sprachgemeinschaft ist. Diese Fragen stehen im Zentrum der Motivations- und Ikonizitätsforschung. Angesichts der Unmenge an Untersuchungen des 20. Jahrhunderts zu diesem Thema - vor allem seit der von Jakobson (1971 [1965]) eingeleiteten Ikonizitätswende - erscheint es aus heutiger Sicht sinnlos sich für eine der beiden Positionen entscheiden zu wollen (vgl. Alinei 1995: 4). Vielmehr zeigen moderne Studien, dass es auf allen Ebenen der Sprache Teilbereiche gibt, die auf irgendeine Weise natürlich motiviert sind und andere, die jeglicher Motivation entbehren. Die zentrale Frage hat sich im Laufe der Zeit von ob in Richtung auf welcher Teilbereich, wie und in welchem Maße verschoben. Wichtig ist hierbei, dass es sich heute im Normalfall um Mischpositionen aus beiden Extremen handelt: Einzelne Aspekte der Sprache und nie alle werden als in gewissem Sinne motiviert angesehen. Anders ausgedrückt versucht man zu eruieren, wo bestimmte Aspekte auf einem Kontinuum zwischen absolut arbiträr und völlig motiviert anzusiedeln sind. 1 Trotz der vermehrten Beschäftigung mit dem Thema ist es angesichts dieser Interessenverschiebung also nicht verwunderlich, dass Simone feststellt: […] in spite of its undeniable progress linguistics has never managed to solve the ‘Problem of Cratylus’ - how the experience of the world is converted into, or mirrored in, language. (Simone 1995b: vii) Der Teilbereich dieser Frage, der in der vorliegenden Arbeit untersucht wird, ist die Rolle der Polysemie als motivations- und ikonizitätsförderndes Phänomen des Lexikons. Die Hauptziele der Arbeit sind dabei die folgenden: Erstens soll gezeigt werden, dass die Polysemie nicht nur ein Verfahren der lexikalischen Motivation ist (s. Koch 2001a, Koch/ Marzo 2007 sowie Ullmann 2 1966 u. 1962), sondern, anders als teilweise behaup- 1 Das Tübinger Projekt Lexikalische Motivation im Französischen, Italienischen und Deutschen zum Beispiel, in dessen Rahmen die vorliegende Arbeit entstanden ist, konzentrierte sich auf die Frage, inwiefern das Lexikon des Französischen, Italienischen und teilweise auch Deutschen als motiviert angesehen werden kann. Das von Peter Koch geleitete Projekt war Teil des DFG-geförderten Sonderforschungsbereiches 441 Linguistische Datenstrukturen (für weitere Informationen s. die Homepage des Projektes: http: / / www.sfb441.uni-tuebingen.de/ b6/ ). <?page no="12"?> 12 tet wird (s. Waugh 1992, Waugh 1994, Waugh/ Newfield 1995), auch die Ikonizität im Lexikon fördert. Zweitens wird anhand von Informantenbefragungen zum Französischen und Italienischen die theoretische Einordnung der Polysemie als motivations- und ikonizitätsförderndes Verfahren empirisch überprüft und herausgearbeitet, auf welche Art Polysemie nun genau zur Motivation und Ikonizität im Lexikon beiträgt. Dabei wird zwar davon ausgegangen, dass Polysemie als intrinsische Möglichkeit der Motivation von Fällen der extrinsischen Motivation (v.a. Motivation über Wortbildung) prinzipiell unterschieden werden kann (zur Terminologie s. Koch/ Marzo 2007: 266). Jedoch soll gezeigt werden, dass es letztlich die Interaktion der formalen Beschaffenheit eines Wortes (d.h. formal komplex oder einfach) und der Art seiner Polysemie (v.a. metaphorisch gegenüber metonymisch) ist, die darüber entscheidet, ob eine lexikalische Einheit eher intrinsisch oder eher extrinsisch motiviert werden kann. Drittens wird ein Modell der graduierten Transparenz erarbeitet, das im Gegensatz zu bestehenden Modellen sowohl die formale als auch die semantisch-kognitive Dimension der Transparenz im Lexikon berücksichtigt und der Polysemie den ihr in puncto Transparenz im Lexikon gebührenden Stellenwert zuweist. Nach einem kurzen Überblick über die wichtigsten Etappen und Positionen in der Motivations- und Ikonizitätsforschung in der Zeit von Platon bis Saussure (Abschnitte 2.1 u. 2.2) werden in Kapitel 2 moderne Positionen zwischen Naturalismus und Konventionalismus kritisch dargelegt (Abschnitt 2.3) sowie das Motivationsverständnis der vorliegenden Arbeit erläutert (Abschnitt 2.4). In Kapitel 3 wird nach der Klärung des den folgenden Überlegungen zu Grunde liegenden Polysemieverständnisses (Abschnitt 3.1) der theoretische Zusammenhang von Polysemie, Ikonizität und Motivation erörtert und die Polysemie als motivations- und ikonizitätsförderndes Verfahren eingeordnet (Abschnitt 3.2), bevor die theoretischen Grundannahmen der Arbeit zusammengefasst werden (Abschnitt 3.3). Notwendig für den empirischen Teil der Arbeit ist die Methodendiskussion in Kapitel 4, in dem verschiedene Möglichkeiten zur Erfassung lexikalischer Motivation vorgestellt und kritisch bewertet werden (Motivation durch Introspektion des Linguisten in 4.1, Korpora als Quelle für Motivation in 4.2 und Informantenbefragungen zur Motivation in 4.3). In Kapitel 5 wird die Bedeutung der Polysemie für Motivation und Ikonizität im Lexikon empirisch überprüft und - so viel sei hier von den Ergebnissen vorweggenommen - gezeigt, dass die Art der Polysemie oder die Art der konzeptuellen Relation zwischen zwei Bedeutungen eines polysemen Wortes die Art der Motivation determiniert. Nach einer Einführung in die Hypothesen, die den im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Informantenbefragungen zu Grunde liegen, und deren empiri- <?page no="13"?> 13 scher und theoretischer Begründung (Abschnitt 5.1), werden die Informantenbefragungen zum Französischen und Italienischen vorgestellt und die Ergebnisse diskutiert. Da die Ergebnisse aus Kapitel 5 weitreichende Folgen für eine adäquate Beschreibung und Erfassung des Phänomens der graduierten Transparenz haben, wird in den Abschnitten 6.1 und 6.2 ein kritischer Blick auf die Behandlung dieses Phänomens in der einschlägigen Forschungsliteratur und die dort vorgestellten Transparenzskalen geworfen, bevor in Abschnitt 6.3 ein Transparenzmodell vorgestellt wird, das auf den Ergebnissen des Kapitel 5 beruht. In Kapitel 7 werden die Überlegungen dieses Buches zusammengefasst. <?page no="15"?> 15 2 Motivation und Ikonizität: Die Frage nach dem richtigen Wort In diesem Kapitel soll nun ein knapper Überblick darüber gegeben werden, wie das von Platon im Kratylosdialog gestellte Problem des Naturalismus und des Konventionalismus über die Zeit hinweg behandelt wurde. Zunächst soll dabei in Abschnitt 2.1 auf die beiden gegensätzlichen Positionen, wie sie in dem Dialog dargestellt wurden, eingegangen werden und gezeigt werden, dass bereits bei Platon eine Synthese der beiden Positionen anklingt. In Abschnitt 2.2 wird mit Hilfe von Simones (1990a) Einteilung in das paradigm of arbitrariness und das paradigm of substance einerseits gezeigt, dass die beiden Lager, die von Platon bis Saussure fortbestehen, in sich sehr heterogen sind, und andererseits, dass im Normalfall die Vertreter beider Thesen auch der jeweils anderen These ein Stückchen Wahrheitswert zugestehen. Besonders werden in diesem Zusammenhang Locke, Leibniz, Vico und Condillac kurz betrachtet, bevor dann in Abschnitt 2.3 ausgehend von Peirce und Saussure ein Überblick über die moderne Forschungsliteratur gegeben wird. Der Schwerpunkt liegt dabei im Einklang mit dem Thema der vorliegenden Arbeit auf Ansätzen, die sich auf Motivation und Ikonizität im Lexikon konzentrieren. 1 2.1 Naturalisten und Konventionalisten im Kratylosdialog Was Platon im Dialog Kratylos 2 wiedergibt, sind zunächst Gedanken, die zu seiner Zeit wohl auch philosophische Laien beschäftigten (vgl. z.B. Matthews 1990: 206, Kraus 1996: 20). So kann man sagen, dass er die Positionen des Kratylos und des Hermogenes, auf die man in den folgenden Jahrtausenden zurückgreifen wird, „gebündelt und methodisch in zwei extreme Gegenpositionen gefaßt hat“ (Kraus 1996: 20) und somit eine genaue Zuordnung der beiden Positionen zu konkreten historischen Figuren weder möglich noch sinnvoll ist. In diesem Dialog wird Sokrates in 1 Da nicht alle der hier vorgestellten Ansätze sich auch mit Graden der Transparenz motivierter Einheiten beschäftigen, wird der Literaturüberblick zu diesem Aspekt erst in Kapitel 6 gegeben, wo auf der Basis der Ergebnisse aus Kapitel 5 ein formales und semantisches Transparenzmodell erarbeitet wird. 2 Die folgenden Textverweise zum Kratylosdialog und zur Politeia beziehen sich auf die von Eigler herausgegebenen Ausgaben ( 3 1990 bzw. 2 1990). <?page no="16"?> 16 ein Streitgespräch zwischen Kratylos, der die Position der Naturalisten vertritt, und dessen Kontrahenten, dem Konventionalisten Hermogenes, hineingezogen. Während des Streitgesprächs werden die beiden Positionen ausführlich dargelegt. Kurz und vereinfachend zusammengefasst besagt die naturalistische Position, dass es eine natürliche Beziehung zwischen den Namen für die Dinge und den Dingen selbst gebe, wohingegen die Konventionalisten davon ausgehen, dass die Beziehung zwischen den Namen und den Dingen lediglich auf Konvention beruhe. Diese beiden auf den ersten Blick völlig gegensätzlichen Thesen haben zur Herausbildung der beiden Lager geführt, die Simone (1990a) als paradigm of arbitrariness und paradigm of substance charakterisiert (vgl. Abschnitt 2.2) und die laut Genette (1976: 11) in ihrer extremen Form beide auf voreiligen Schlüssen beruhen. Jedoch nicht nur aktuelle Herangehensweisen an das Thema zeigen, dass die beiden Positionen sich nicht prinzipiell gegenseitig ausschließen, sondern in gewissem Sinne als komplementär anzusehen sind. Bereits Platon selbst liefert nämlich über Sokrates’ dialektische Vorgehensweise eine Synthese, selbst wenn ihm oft unterstellt wird, Naturalist zu sein (z.B. Simone 1990a: 128-129). Denn die beiden zu Beginn des Dialogs von Kratylos und Hermogenes hervorgebrachten und in ihrer schwachen Form jeweils noch partiell plausiblen Thesen werden von Sokrates im Laufe des Dialogs zunächst radikalisiert und dann entkräftet. So bringt er Hermogenes, den Konventionalisten, dazu zu behaupten, sogar Einzelpersonen könnten die Namen willkürlich den Dingen zuordnen (385a-e). Hermogenes wiederum legt Kratylos in den Mund, dass jedes Ding einen einzigen richtigen Namen habe, der für alle Menschen, Griechen wie Barbaren, gleichermaßen gelte (383a). Sokrates schafft es relativ einfach durch eine Reihe von Argumenten, Beispielen und Analogien diese starken Versionen der beiden Ansätze ad absurdum zu führen (für eine detaillierte Diskussion der Argumentationskette s. Kraus 1996: 21-25), sodass sich das im Dialog gestellte Problem zunächst nicht lösen lässt. Denn klingen zu Beginn beide Thesen gleichermaßen plausibel, sind sie nun beide nicht mehr haltbar und folglich entscheiden sich weder der Charakter des Sokrates noch Platon selbst für eine der beiden Positionen. Laut Coseriu (1970: 44-45, 2004b: 103, 2004c: 137-138) liegt der Grund dafür darin, dass Platon die zu seiner Zeit gängige Gegenüberstellung von Natur und Konvention kritisieren möchte, da sie „nicht verwendbar in bezug auf das Problem des Verhältnisses Name - Sache“ (1970: 45) ist. Trotzdem erreicht Platon im Kratylosdialog eine mögliche Lösung der scheinbar ausweglosen Situation, in der sich Hermogenes, Kratylos und Sokrates nun befinden, und zwar dadurch, dass er Sokrates über den Werkzeugvergleich an seine Ideenlehre anknüpfen lässt (389a-390a; vgl. <?page no="17"?> 17 hierzu auch die Bemerkungen in Krause 1996: 25 u. Matthews 1990: 209). Platon geht in seiner Ideenlehre davon aus, dass sich Namen nicht direkt auf Dinge beziehen, sondern zunächst auf die Ideen von Dingen. Platon unterscheidet prinzipiell also bereits wie moderne Zeichenmodelle zwischen einer Dingvorstellung und dem tatsächlichen Ding, auf das referiert wird (z.B. Politeia X, 596aff.). Im Dialog des Kratylos macht Platon eine weitere modern anmutende Unterscheidung, und zwar diejenige zwischen der konkreten äußeren Lautgestalt der Namen und der Idee des Namens, oder spezifischen Art des Namens (389a-390a). Im Akt der Namensgebung ist nun zu beachten, dass es für jedes Ding eine spezifische Art des Namens gibt, die es zu respektieren gilt, wie eben auch jeder Stoff zur Bearbeitung ein bestimmtes, von Natur aus geeignetes Werkzeug braucht. Die konkret gewählten Laute sind dabei unwesentlich, solange eben die bestimmte Art des Namens eingehalten wird - wie auch das Eisen, aus dem ein Werkzeug ist, ein anderes sein kann, solange die Form des Werkzeuges dieselbe bleibt (389e). Es geht also nicht so sehr darum, ob die gewählten Namen richtig in dem Sinne sind, dass sie spiegelbildlich ihr Ding (oder besser: die Idee davon) reflektieren, sondern um die Frage, ob die konkreten Namen gut gewählt sind in Bezug auf die spezifische Namensform. 3 So kann die Diskussion im Kratylosdialog auch zu dem Schluss kommen, dass sowohl Griechen als auch Barbaren zwar unterschiedliche, aber dennoch gleichermaßen gute Namen haben können (389e-390a). Zusammenfassend bedeutet dies, dass der Bezug zwischen der konkreten Lautgestalt der Namen und dem konkreten Ding zweischrittig indirekt ist: die konkrete Lautgestalt bezieht sich indirekt über die Idee des Namens auf die zu benennende Idee des Dings, über die allein wiederum auf das konkrete Ding Bezug genommen werden kann. Platons Synthese zwischen der naturalistischen und der konventionalistischen Position formuliert Kraus folgendermaßen: Dabei ist die Relation zwischen spezifischer Namensform und zu benennender Idee eine eindeutige und natürliche, diejenige zwischen der spezifischen Namensform und der konkreten Lautgestalt aber durch Konvention innerhalb einer Sprachgemeinschaft festgelegt. (Kraus 1996: 25-26) 3 Genette sieht die Verschiebung der Fragestellung von der einfachen Gegenüberstellung der beiden Thesen zur Frage hin, inwieweit die Namen gut gewählt sind, bereits im Kratylosdialog (1976: 22). Im Gegensatz dazu räumt Coseriu (1970: 44) zwar ein, dass Platon dort die Frage, ob nun Namen natürlich motiviert oder per Konvention festgelegt sind, kritisiert, jedoch sieht er die Verschiebung des Problems auf die Ebene der „Adäquatheit der Namen in Bezug auf den Begriff“ erst bei Aristoteles (1970: 57, 2004b: 103-104, 2004c: 138-139). <?page no="18"?> 18 2.2 Naturalisten und Konventionalisten von Platon bis Saussure Simone (1990a: 121-123) setzt es sich zum Ziel, zu zeigen, dass die These der Konventionalisten über Jahrhunderte hinweg die Philosophie und Sprachwissenschaft beherrschte und die Naturalisten nur eine sehr randständige Funktion innehatten. Hierfür gibt er einen knappen Überblick über einige Vertreter beider Lager. Er versucht beide Thesen über eine Reihe ihnen zu Grunde liegender Prinzipien zu definieren und fasst sie allgemeiner als paradigm of arbitrariness (PA) und paradigm of substance (PS) (1990a: 121) 4 zusammen. Als wichtigste Vertreter des PA nennt er Aristoteles, 5 Locke und Saussure. Nach Aristoteles ist Sprache über Konvention strukturiert, weil es keine Ähnlichkeitsbeziehung zwischen Wörtern und Bedeutungen gibt (De interpretatione, 16a, 2-8; s. die Ausgabe von Ackrill 1963). 6 Diesen Gedanken fasst Simone in seinem ersten Prinzip des PA folgendermaßen zusammen: [1. Prinzip] Principle of Arbitrariness: language is structured on two different levels, sound and meaning, between which there is no significant similarity. Meaning cannot be forecast from form and viceversa. (Simone 1990a: 123) Simone (1990a: 23) führt auch John Locke als Vertreter des PA an. In seinem Essay Concerning Human Understanding (1975 [ 4 1700], fortan EHU) geht Locke noch einen Schritt weiter als Aristoteles: Arbiträr ist für ihn nicht nur die Beziehung zwischen dem sprachlichen Ausdruck und seiner Bedeutung, sondern auch die Art und Weise, wie Bedeutungen konstituiert, voneinander abgegrenzt und lexikalisiert werden (EHU: III.V, §3), 4 Für eine Betrachtung weiterer Vertreter beider Paradigmen in der Antike vgl. Matthews (1990), des 17. und 18. Jahrhunderts Simone (1990b), des 19. Jahrhunderts Morpurgo Davies (1996: 266, 285), des 20. Jahrhunderts Lepschy (1992), insgesamt Auroux (1989) und Fónagy (1993). 5 Nach Coseriu (2004c: 138) ist die gängige Einordnung Aristoteles’ als Vertreter der θ έ σει-These schlichtweg eine falsche Interpretation, da Aristoteles nicht von der Frage nach Natürlichkeit und Konvention ausgeht, sondern von der Frage nach der Adäquatheit der Namen und in diesem Rahmen auch präzisiert, dass kein Laut für sich eine natürliche Bezeichnung sei, sondern nur, wenn er dazu gemacht werde. Es geht also nicht um die Motiviertheit von Wörtern, sondern um deren Motivierbarkeit (vgl. Rettig 1981 u. Abschnitt 2.3). 6 Coseriu (2004b: 103-105, 2004c: 138-140) stellt detaillierter als Simone (1990a) dar, was genau bei Aristoteles mit der Arbitrarität des Zeichens gemeint ist. Per Konvention sind nicht nur der Wortlaut und die Wortbedeutung miteinander verbunden, sondern auch das Zeichen als Ganzes (also Wortlaut plus Wortbedeutung) verweist auf die Sache nur per Konvention. <?page no="19"?> 19 was in der Diskussion um die Arbitrarität von sprachlichen Zeichen einen völlig neuen Aspekt darstellt (vgl. Coseriu 2004b: 108-109, 2004d: 77). Sprache und Natur werden nun als völlig unabhängig voneinander gesehen. Denn Elemente der Natur werden nach dieser Ansicht nicht nur keinesfalls in der Sprache widergespiegelt, sondern die Abgrenzungen der Natur und die Abgrenzungen der Sprache sind darüber hinaus auch nicht unbedingt dieselben. 7 Simone fasst dies in Prinzip 2 des PA zusammen: [2. Prinzip] Principle of indifference of language vis-à-vis reality: the delimitation of meanings is indifferent vis-à-vis reality and nature: language does not copy it, but it creates their limits autonomously. (Simone 1990a: 125) Das PA findet in Saussure, auf den in Abschnitt 2.3 genauer eingegangen wird, seinen Höhepunkt. Wie auch bei Locke ist bei Saussure nicht nur die Beziehung zwischen Signifikat und Signifikant arbiträr, sondern auch die Art und Weise, wie die einzelnen Signifikate aber auch Signifikanten in Bezug auf die übrigen Signifikate und Signifikanten abgegrenzt sind (1967: 164). Daraus folgt bei Saussure zusätzlich, dass das, worauf es in der Sprache ankommt, nicht die Substanz, sondern die Form sei (1967: z.B. 166, 169). Hieraus leitet Simone das dritte Prinzip des PA ab: [3. Prinzip] Principle of form and difference: language is but form (and not substance), and what contributes to the shaping of form are only the differences between sounds on the one hand and between meanings on the other one. (Simone 1990a: 127-128) Simone sieht die drei Prinzipien als Punkte auf einem Kontinuum des PA an, wobei das alleinige Zutreffen von Prinzip 1 die schwache Version des PA repräsentiert, Prinzip 3, das die Prinzipien 1 und 2 voraussetzt, hingegen die starke Version des PA vertritt. 8 7 Unter diesem Aspekt ist die Zuordnung Lockes zum PA selbstverständlich voll und ganz gerechtfertigt. Es ist jedoch zu bemerken, dass Lockes Darstellung der Problematik differenzierter ist als sie in Simone (1990a) erscheint. Eine genaue Ausführung seiner Lehre ginge hier zu weit. Es sei nur darauf hingewiesen, dass er in EHU: V „Of the names of substances“ (ansatzweise auch in IV, §2) den Namen der einfachen Ideen und Substanzen eine relative Natürlichkeit zugesteht. Für eine genauere Diskussion der Frage vgl. z.B. Brandt/ Klemme (1996) und Simone (1990b). 8 Auch Coseriu (2004b: 106) geht davon aus, dass Vertreter des PA (bei ihm „θ έ σει-Bestimmung“) die Arbitrarität nicht alle auf dieselbe Art definieren und dadurch auch nicht in derselben Intensität annehmen. Er unterscheidet vier Typen von Definitionen, die allerdings, anders als Simones Prinzipien, nicht als Kontinuum gedacht sind und sich gegenseitig ausschließen. Coseriu geht in seiner Unterscheidung von der traditionellen Formel non natura sed ad placitum aus. Typ 1, dem Coseriu z.B. u.a. <?page no="20"?> 20 Das dem PA gegensätzliche PS beruht laut Simone zunächst auf dem Prinzip der Substanz und der Ikonizität: [4. Prinzip] Principle of substance and iconicity: sound substance is an integral part of language, and the original basis of language is essentially made of patterns having something in common with the things or the states of affairs they stand for. Thus between form and meaning there is an iconic relationship, which, in some cases, may also be analogic (i.e. non discrete). (Simone 1990a: 128) Simone betont, dass Vertreter des PS das Prinzip der Arbitrarität nicht strikt verneinen, sondern es im Allgemeinen als eine Art „degenerate iconicity“ ansehen (1990a: 128), die Folge von Veränderungen der ursprünglichen Ähnlichkeitsbeziehung zwischen Form und Bedeutung beziehungsweise Zeichen und Referent ist. Als herausragende Vertreter des PS nennt er neben Plato zum Beispiel Leibniz, Vico und Condillac. 9 Simone Locke zuordnet, ersetzt dieser Formel gegenüber das Verständnis von ad placitum als ‘per Konvention’ durch ‘willkürlich’. Typ 2, als dessen Vertreter Coseriu z.B. Condillac anführt, versteht non natura als ‘willkürlich’ und ad placitum wird anders benannt (wie, bleibt an dieser Stelle offen). Typ 3 besagt (ein Vertreter sei Fichte), dass ein Zeichen durchaus Abbild seiner Sache sein kann, wobei dann ad placitum als ‘genetisch willkürlich’ verstanden wird. Typ 4 hingegen geht davon aus, dass die Beziehung zwischen Inhalt und Ausdruck non natura sei, aber das genetische Verständnis von ad placitum wird hier abgelehnt (wie z.B. bei Leibniz). Diese Typen haben laut Coseriu (2004b: 107) gemein, dass die „φύσει-Bestimmung einerseits als Übernahme von ‚natürlichen’ lautlichen Reaktionen in die Sprache oder als natürliche Motivierung des materiellen Zeichens durch die Beschaffenheit der zu bezeichnenden Sache (d.h. als wohl ursprünglich intentionelle Abbildung der Sache) verstanden“ wird. In diesem Sinne werden i.A. Onomatopoetika und Interjektionen als Ausnahme zum Prinzip non natura akzeptiert. Simones Prinzipien des PA spielen selbstverständlich auch für Coserius Typen eine Rolle, jedoch bleibt aufgrund der doch sehr vagen Typendefinitionen offen, inwieweit sich Coserius Typen genau über Simones Prinzipien unterscheiden lassen, zumal auch nicht aus allen Definitionen klar wird, auf welchen Ebenen der Arbitrarität (Signifikat-Signifikant, ganzes Zeichen-Referent, Abgrenzung Zeichen-Zeichen, Abgrenzung Signifikat-Signifikat, Abgrenzung Signifikant-Signifikant) sich die Typen bewegen. 9 Relevante Werke dieser Autoren zur Frage sind z.B. Leibniz’ De connexione inter res et verba (1677-1685), Brevis Designatio meditationum de originibus gentium ductis potissimum ex indicio linguarum (1710), Nouveaux essais sur l’entendement humain (s. Gesamtausgabe 1962-2008, Akademie-Verlag), Vicos Principi di scienza nuova d’intorno alla comune natura delle nazioni ([1725]/ 1744; vgl. Ausgabe von Nicola Abbagnano 2 1968) und Condillacs Essai sur l’origine des connoissances humaines (1746). Für einen Überblick über Leibniz’ sprachphilosophisches Denken s. Poser (1996) und Eco (1993: 289-313), zu Vico s. Trabant (1996), zu Condillac Franzen (1996); zu allen <?page no="21"?> 21 reiht Leibniz, der sich seiner Meinung nach in seinen Ausführungen ausschließlich auf Prinzip 4 stützt (vgl. im Gegensatz dazu Genette 1976: 59- 70), unter die Vertreter der schwachen Version, Vico und Condillac hingegen unter die Vertreter der starken Version des PS ein. Letztere sehen nämlich in ihren Schriften Principi di una scienza nuova d’intorno alla commune natura delle nazioni ([1725] 1744 fortan SN) und Essai sur l’origine des connoissances humaines (1746, fortan OCH) den Ursprung der Sprache nicht nur in der Onomatopöie, sondern sie gehen noch einen Schritt weiter als zum Beispiel Leibniz und nehmen an, dass es eine Verbindung zwischen der Sprache und der physischen Ausstattung des Sprachbenutzers gibt (SN: §431, §§ 461-462; OCH: IX, X). Genau diese Verbindung zwischen Sprache und physischer Ausstattung der Sprecher liegt dem zweiten Prinzip des PS zu Grunde, das Simone folgendermaßen formuliert: 10 [5. Prinzip] Principle of physical determinism: the structure of language is partly determined by the physical equipment of its human users, that is by factors like perception, muscular structure, memory, ease of production and of interpretation, consumption of energy etc. (Simone 1990a: 129) Im Rahmen dieser Arbeit, die sich auf die Bedeutung der Polysemie für die sprachliche Motivation konzentriert, würde es zu weit führen, im Hinblick auf die von Simone herausgearbeiteten Prinzipien 1 bis 5 des PA und des PS eine genaue Positionierung der zahlreichen Autoren vorzunehmen, die sich jemals mit dem Thema beschäftigt haben. Interessant erscheinen diesbezüglich in der Zeit vor Charles Sanders Peirce und Ferdinand de Saussure zum Beispiel Thomas von Aquin, Boethius, Anne- Robert Jacques Turgot, Christian Wolff, Johann Gottlieb Fichte, Gottlob Friedrich Hegel, Wilhelm von Humboldt und William Dwight Whitney (vgl. Auroux 1989, Lepschy 1990, Coseriu 2004a, Monneret 2003). Dieser Abschnitt sollte lediglich zeigen, dass (i) die im Kratylosdialog gestellte Problematik Philosophen und Sprachwissenschaftler über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahrtausenden zwar traditionell in zwei Lager gespalten hat (von Simone gefasst als PA und PS), diese Lager in sich jedoch alles andere als homogen waren und dreien s. Simone (1990b: 350-367); für einen detaillierten Vergleich der Ansätze von Leibniz und Vico s. Gensini (1995). 10 Als Vertreter dieser starken Version des PS, die auf der Kombination der Prinzipien 4 und 5 beruht, führt Simone außer Vico und Condillac auch spätere Denker wie Jespersen, Frei und Zipf an (1990a: 130-135). <?page no="22"?> 22 (ii) die beiden Grundthesen der Arbitrarität und der Motivation sich nicht prinzipiell ausschließen, sondern eventuell sogar von einem Kontinuum gesprochen werden kann, da im Allgemeinen die Vertreter des PA zumindest die Onomatopoetika und Interjektionen als Ausnahme zulassen und die Vertreter des PS nicht prinzipiell ablehnen, dass es in der Sprache auch ein gewisses Maß an Konvention gibt (auf welcher Ebene auch immer). In diesem Licht sind auch moderne Forschungsarbeiten zur Frage der Motivation und der Ikonizität (einschließlich der vorliegenden Arbeit) zu verstehen. 2.3 Moderne Positionen zwischen Naturalismus und Konventionalismus In der modernen Sprachwissenschaft und Semiotik schlägt sich der Gegensatz zwischen der naturalistischen und der konventionalistischen These beziehungsweise zwischen dem PA und dem PS (vgl. Kap. 2.2) in verschiedenen Ansätzen der Ikonizitäts- und Motivationsforschung nieder. Zu beobachten ist dabei, dass die Termini Ikonizität und Motivation nicht trennscharf verwendet werden, und so das, was bei einem Autor unter Motivation gefasst wird, bei einem anderen durchaus in den Bereich der Ikonizität fallen kann. Als Beispiel seien hier am Rande die Onomatopoetika vorweggenommen, die in der Peirceschen Tradition (z.B. bei Hiraga 1994) bildhafte Ikone sind, in der Saussureschen Tradition hingegen (wie z.B. bei Ullmann 1962 u. 2 1966) in den Bereich der phonetischen Motivation fallen. Insgesamt kann aber dennoch die Tendenz festgestellt werden, dass die Ikonizitätsforschung sich mit der Form- Inhalts-Beziehung innerhalb eines Zeichens beschäftigt, wie weit auch immer dieses gefasst ist (als Wort wie bei Ungerer 1999, Jakobson 1971 [1965] u. Haiman 1980, als Satz wie bei Jakobson 1971 [1965] sowie Haiman 1980, 1983 u. 2000). Die klassische Motivationsforschung hingegen konzentriert sich auf Form-Inhalts-Beziehungen zwischen unterschiedlichen Zeichen (z.B. Gauger 1971 u. Rettig 1981). In der vorliegenden Arbeit wird Wert darauf gelegt zu zeigen, dass die beiden Bereiche komplementär sind und im Grunde ein- und dasselbe Phänomen, und zwar den Zusammenhang zwischen Form und Inhalt aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Im vorliegenden Abschnitt sollen wichtige Positionen zur Ikonizität (2.3.1) und Motivation (2.3.2) im Lexikon vorerst getrennt dargestellt werden, da sich die vorgestellten Studien entweder selbst explizit in die Ikonizitätsforschung einreihen oder aber zur Motivation bekennen. Darüber hinaus sollen Studien zur Konsoziation und Dis- <?page no="23"?> 23 soziation (2.3.3) vorgestellt werden, die zwar auch ganz allgemein dem Studium der Form-Inhalts-Beziehungen zuzuordnen sind, jedoch ihren Schwerpunkt wieder leicht anders legen als das Gros der Arbeiten zur Motivationsforschung. 2.3.1 Ikonizität im Lexikon Im Rahmen einer Darstellung der Ikonizitätsforschung ist zunächst Peirce zu nennen, der mit seiner Unterscheidung in Ikone, Indices und Symbole die Semiotik insgesamt und insbesondere die Semiotik natürlicher Sprachen nachhaltig beeinflusst hat. Ikone (1960: 143) sind Zeichen, bei denen die Zeichenform dem Bezeichneten ähnelt, wie zum Beispiel Onomatopoetika einem Lauteindruck ähneln (z.B. der Hahnenschrei kikeriki, s.u.). Unter Indices versteht Peirce (1960: 143) Zeichen, die nicht über eine Ähnlichkeitsbeziehung, sondern vorrangig über eine Kontiguitätsbeziehung Bedeutung tragen (vgl. hierzu Koch 2007: 24). So ist zum Beispiel Rauch ein Index für Feuer und die Anzeige eines Thermometers ein Index für die Temperatur. Symbole sind bei Peirce konventionelle Zeichen, was heißt, dass der Bezug zwischen Bezeichnetem und Bezeichnendem unmotiviert ist. Zwischen der sprachlichen Form dt. Mann und dem Konzept MANN besteht weder eine Ähnlichkeitsbeziehung noch eine Kontiguitätsbeziehung der Art, wie sie zwischen Rauch und Feuer besteht. 11 Peirce selbst weist darauf hin, dass man diese drei Zeichentypen zwar unterscheiden kann, Zeichen jedoch auch kombinierte Formen dieser Typen sein können (1960: 144; vgl. auch Koch 2007). Unter den Ikonen unterscheidet Peirce weiter drei verschiedene Typen, und zwar die Images (oder Bildnisse), die Diagramme und die Metaphern. Die Metapher, die laut Peirce (1960: 157) ein object dadurch bezeichnet, dass sie auf eine Parallele zwischen dem object und etwas anderem hinweist, spielt in der Ikonizitätsforschung traditionell eine geringere Rolle und soll auch an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden. 12 Ausführlicher beschäftigt sich die Sprachwissenschaft mit den Bildnissen. Diese stehen in einem einfachen, mimetischen, sinnlich erfassbaren, 11 Mann weist zwar auf MANN nicht in dem Sinne hin, wie Rauch auf Feuer schließen lässt, jedoch besteht zwischen Inhalt und Ausdruck symbolischer Zeichen auch eine Kontiguitätsbeziehung, und zwar der Art, dass sie im Zeichen zusammengehören und in unserem Bewusstsein untrennbar miteinander verbunden sind (vgl. Koch 2007: 24). 12 Andersherum beschäftigt sich die Metaphernforschung zum Teil sehr ausführlich mit Ikonizität (vgl. z.B. Nöth 1985). Eine detaillierte Betrachtung des Ikontyps der Metapher findet sich in der vorliegenden Arbeit in Abschnitt 3.2, wo gezeigt wird, dass er in der Sprache nicht von den Diagrammen zu trennen ist. <?page no="24"?> 24 physikalischen Bezug zum Objekt (Peirce 1960: 157): „Those which partake of simple qualities or First Firstnesses, are images”. Von den sprachlichen Zeichen fallen in diesen Bereich vor allem die genuinen Onomatopoetika. Auf der Basis von Peirce‘ Definition werden die Bildnisse bei anderen Autoren allerdings teilweise auch weiter gefasst und umfassen dann über die Onomatopoetika hinaus auch Lautsymbolismus im Allgemeinen. In jedem Fall sind aber Bildnisse ein Ikontyp, der vor allem im Lexikon anzutreffen ist. Waugh (1992 u. 1994) geht als eine der wenigen davon aus, dass das Lexikon viel ikonischer ist als im Allgemeinen angenommen wird, und versucht dies am Beispiel des Lautsymbolismus zu zeigen. Sie sieht Onomatopöie, auf die in Abschnitt 2.3.2 noch näher eingegangen wird, als ein dem Lautsymbolismus untergeordnetes Phänomen an (1992: 10). Beim Lautsymbolismus handelt es sich darum, dass Laute in Wörtern als symbolisch für Konzepte angesehen werden, mit denen sie in einer synästhetischen Beziehung stehen (Waugh 1992: 10). Sie führt das Beispiel der vorderen (hellen) und hinteren (dunklen) Vokale an, die im Allgemeinen mit Helligkeit und Kleinheit beziehungsweise Dunkelheit und Größe assoziiert werden (Waugh 1992: 10; vgl. auch Ohala 1997). Es gibt für diese Assoziationen verschiedene Erklärungen: Einerseits spielt die höhere Tonhöhe der vorderen (hellen) Vokale im Vergleich zu den hinteren (dunklen) Vokalen eine wesentliche Rolle. Denn höhere Töne werden im Normalfall von kleineren Lebewesen produziert: „Normally, the rate of vibration of vocal cords or syringeal membranes is inversely related to the mass of the vibrating tissue“(Ohala 1997: 100). Kinder, die kleinere Stimmbänder haben, sprechen folglich höher, Erwachsene hingegen tiefer. Diese Korrelationen macht sich zum Beispiel auch das Tierreich zunutze. Dort ist Kleinheit ein Zeichen von relativer Schwäche und somit Unterlegenheit. Angreifende Hunde knurren folglich wohl deshalb tief, weil sie größer und stärker erscheinen müssen als ihr Gegner, um diesen einschüchtern zu können. Sich unterwerfende Hunde hingegen machen sich nicht nur körperlich klein, indem sie beispielsweise ihren Schwanz einziehen und sich ducken, sondern winseln zusätzlich in höheren Tonlagen, um dem Angreifer zu signalisieren, dass sie klein beigeben (vgl. hierzu z.B. Ohala 1997 u. Ives/ Smith/ Patterson 2005). Diese Korrelationen zwischen Tonhöhe und Größe beziehungsweise Kleinheit führen im Vokalsystem der menschlichen Sprache dazu, dass zum Beispiel der Laut [i], dessen zweiter Formant über eine höhere Frequenz verfügt als derjenige der Laute [a] oder [o] und der insgesamt auch als höher wahrgenommen wird als letztere (s. z.B. Meisenburg/ Selig 1998: 31 u. 41-42), mit Kleinheit assoziiert wird. Dies drückt sich lautsymbolisch aus in it. piccolo und fr. petit ‘klein’ gegenüber it. grande und fr. grand ‘groß’, kat. <?page no="25"?> 25 una mica ‘ein bisschen’ gegenüber kat. molt ‘viel’, sowie in den italienischen Alterationssuffixen -ino (Diminutiv) gegenüber -one (Augmentativ) und vielen anderen. Von der Interpretation der Tonhöhen abgesehen, findet sich eine weitere Erklärung für die Assoziation von [i] mit Kleinheit und [a] mit Größe, und zwar diejenige der Artikulation der Laute: Bei der Aussprache des Lautes [i] ist die Zungenposition höher, die Öffnung des Mundes also relativ kleiner als bei der Artikulation des Lautes [a], wo die Öffnung relativ groß ist (vgl. Fónagy 1999 u. Fischer 1999). Bei genauerer Betrachtung des Phänomens des Lautsymbolismus stellt sich jedoch die Frage, unter welchen Bedingungen Lautsymbolismus denn überhaupt als ikonisch betrachtet werden kann. Bei Ikonizität muss in jedem Fall in irgendeiner Weise Ähnlichkeit zwischen Inhalt und Ausdruck bestehen. Unter Umständen kann diese Ähnlichkeit eingeschränkt werden durch das Zusammenwirken von Kontiguität und Similarität, wie in Fällen, in denen ein Zeichen Ikon und Index gleichzeitig ist, wie das indexikalische Ikon it. scivolare ‘rutschen’ (vgl. Koch 2007: 24-28). Beim Rutschen (oder Reiben eines rutschenden Objektes auf einer Oberfläche) entsteht automatisch ein Geräusch, das mit [ ʃ ] wiedergegeben werden könnte. Es besteht eine Kontiguitätsbeziehung zwischen der Handlung und dem dabei entstehenden Geräusch. Dieses Geräusch beeinflusst dann die Form des Ausdrucks, denn es kommt ein [ ʃ ] in it. scivolare vor. In diesem Sinne besteht eine Similaritätsbeziehung zwischen Inhalt und Ausdruck. Zwischen dem Laut [i] und dem Konzept KLEINHEIT hingegen besteht jedoch in keiner Weise eine Ähnlichkeitsbeziehung, sondern vielmehr eine Reihe von Kontiguitäten: Ein hoher Ton ist zunächst ein Index für einen kleinen Emittenten. Auch um das Konzept KLEINHEIT in seinen verschiedenen Aspekten zu versprachlichen, werden nun hohe Töne verwendet, doch nicht etwa, weil das Konzept HOHE TONFREQUENZ dem der KLEINHEIT ähnelt, sondern weil das eine in unserer Erfahrung mit dem anderen zusammenhängt, auf einer Kontiguitätsrelation beruht. Der Laut [i] ähnelt nicht KLEIN , sondern weist darauf hin. Was also in dem [i] in it. piccolo abgebildet wird, ist kein Aspekt der Kleinheit, die ja kein Laut ist, sondern die Tatsache, dass hohe Töne mit Kleinheit einhergehen. So gesehen wäre [i] kein Ikon, sondern ein Index. 13 Allein über die oben genannte artikulatorische Erklärung für die Verwendung von [i] bei KLEIN- HEIT , kann das [i] ikonischen Wert haben und das nicht auf der lautlichen 13 Wenn es sich hier überhaupt um eine Ähnlichkeitsbeziehung handeln kann, dann folglich nicht um eine zwischen Inhalt und Ausdruck, sondern nur insofern, als die indexikalische Beziehung zwischen hohen Tönen und kleinen Emittenten nachgebildet wird in einer indexikalischen Beziehung zwischen hohen Vokalen in einer Lautkette und dem allgemeinen Konzept der Kleinheit. <?page no="26"?> 26 Ebene, die für die menschliche Sprache vorrangig ist, sondern auf der visuellen Ebene. Hier besteht eine Similaritätsrelation insofern, als bei der Artikulation von [i] der Mund relativ geschlossen bleibt, also tatsächlich klein ist, und so das mit it. piccolo ausgedrückte Konzept KLEINHEIT widerspiegelt. Waugh rückt so zwar die Bedeutung der Bildnisse für die Ikonizität im Lexikon ins Rampenlicht, doch bleibt im Einzelnen zu überprüfen, welche ihrer Beispiele wirklich ikonisch sind und welche eher in den Bereich der Indexikalität gehören. Insgesamt muss in Bezug auf die Bildnisse (seien es Onomatopoetika im engen Sinne, vgl. Abschnitt 2.3.2 oder Lautsymbolismus im Allgemeinen) gesagt werden, dass sie im Vergleich zu vor allem den Diagrammen in der Forschung sicherlich auch deshalb eine geringere Rolle spielen, weil sie eben auch in der Sprache ein eher randständiges Phänomen sind (für eine detailliertere Diskussion dieser Aussage vgl. Abschnitt 3.2). Den in der Sprachwissenschaft am meisten untersuchten Ikontyp der Diagramme definiert Peirce darüber, dass eine Ähnlichkeit zwischen den Beziehungen der Konstituenten des Ausdrucks untereinander und denjenigen des Inhalts untereinander besteht: those, which represent the relations, mainly dyadic, or so regarded, of the parts of one thing by analogous relations in their own parts, are diagrams. 14 (Peirce 1960: 157) 14 Diese Definition ist sehr leicht auf sprachliche Zeichen anwendbar. Zwei Seiten weiter schreibt Peirce jedoch: „many diagrams resemble their objects not at all in looks, it is only in respect to the relations of their parts that their likeness consists” (1960: 159). Mit dieser Aussage impliziert er, dass es auch Diagramme gibt, die ihren Objekten optisch ähneln, was in der gesprochenen Sprache selbstverständlich unmöglich ist. Jedoch gibt es auf anderen Ebenen durchaus auch Zeichen menschlicher Sprache, die dem Bezeichneten ähneln. In Gebärdensprachen z.B. können zumindest lexikalische Diagramme den Referenten, für die sie stehen, im Aussehen ähneln (Demey et al. 2008). Auch geschriebene Signifikanten können den Signifikaten optisch durchaus ähneln, allen voran Piktogramme (für eine ausführlichere Diskussion dieses Themas s. Koch 2007). In der geschriebenen Sprache gibt es diese Art optischer Ähnlichkeit zudem nicht nur auf der Wortebene, sondern auch auf der Textebene, wie z.B. in Bildgedichten. Im Web verfügbare Kartenanwendungen wie beispielsweise Googlemaps (http: / / maps.google.com) hingegen sind ein hervorragendes nicht-sprachliches Beispiel für unterschiedliche Typen von Ikonen und Diagrammen. Das Satellitenphoto kann in Peirce’ Terminologie als image bezeichnet werden, wohingegen die traditionelle geographische Karte ein Diagramm ist, weil es die Relationen von geographischen Punkten zueinander, d.h. die Struktur von bestimmten geographischen Flächen, abbildet. Die Mischversion, eine geographische Karte, die auf ein Satellitenbild gelegt ist, ist ebenfalls ein Diagramm, aber eines, das dem Objekt sehr ähnlich sieht. <?page no="27"?> 27 Jakobson liefert mit seinem Aufsatz „Quest for the essence of language“ (1971 [1965]) später den Ausgangspunkt für eine ganze Reihe von Untersuchungen zu Diagrammen. Bereits bei Jakobson liegt wie anschließend in seiner Nachfolge der Schwerpunkt auf der Morphologie und der Syntax, jedoch spielt bei ihm auch das Lexikon insgesamt und am Rande sogar die Polysemie eine Rolle. Grundsätzlich besteht für ihn in jedem Diagramm auch eine gewisse Arbitrarität, doch lassen sich dennoch drei Varianten einer strukturellen Ähnlichkeit zwischen Inhalt und Ausdruck unterscheiden, und zwar Ähnlichkeit der sequentiellen Anordnung (1971 [1965]: 350), Ähnlichkeit der Proximität der einzelnen Elemente zum Thema (1971 [1965]: 351), oder Ähnlichkeit der Quantität der Form zur Quantität des Inhaltes (1971 [1965]: 352). 15 Unter sequentieller Ikonizität versteht er Fälle wie Caesars Satz veni - vidi - vici ‘ich kam, sah und siegte’, bei dem die zeitliche Abfolge der Handlung durch die Reihenfolge der Verben widergespiegelt wird. Aber auch Rangfolgen können in der Sequenz widergespiegelt werden, wie Jakobson am Satz „The President and the Secretary of State attended the meeting“ veranschaulicht (1971 [1965]: 350). 16 Die Position des Präsidenten ist höher, deshalb wird der Außenminister nach ihm genannt. Im Bereich der Morphologie spielt laut Jakobson vor allem die quantitative diagrammatische Ikonizität eine Rolle. Dies zeigt er zum Beispiel anhand der Tendenz natürlicher Sprachen, den Plural gegenüber dem Singular mit einem zusätzlichen Element zu versehen oder auf irgendeine Weise zu markieren (vgl. Mayerthaler 1981: 6, 10, 23). Um nur ein Beispiel herauszugreifen (Jakobson 1971 [1965]: 352), kann man sagen, dass Pluralbildungen wie fr. nous finissons ‘wir beenden’ durch die Verlängerung der Form gegenüber je finis ‘ich beende’ die Vervielfachung des Inhalts gegenüber dem Singular widerspiegeln. Ähnliches könnte man zum Beispiel für die Pluralbildung der spanischen Nomen sagen, bei der dem Singular (z.B. casa ‘Haus’) ein Pluralmorphem angehängt wird (z.B. casas ‘Häuser’), und das „Mehr“ des Inhalts von einem „Mehr“ der Form begleitet wird (für weitere Beispiele s. Jakobson 1971 [1965]: 352ff. u. auch Mayerthaler 1981: 23ff.). 17 15 Modernere, systematischere Überblicke über diese und ähnliche Arten der Ikonizität finden sich in Lehmann (2007), Polis (2008), Pusch (2001). 16 Nach Cooper und Ross spiegeln freezes, d.h. typische Wortstellungen wie engl. up and down ‘auf und ab’ die menschliche Wahrnehmung wieder. Das Konzept AUF wird schneller verstanden als das Konzept AB und daher das Wort für ersteres früher genannt als für letzteres (1975: 88-90). 17 Diese Art von konstruktioneller Ikonizität sollte später die Grundlage für Mayerthalers Natürlichkeitsmorphologie bilden (vgl. Mayerthaler 1981, später z.B. auch Dressler 1985 u. 1987). Ohne hier detailliert auf die einzelnen Aspekte dessen eingehen zu können, was natürlich in der Natürlichkeitstheorie heißt, sei darauf hin- <?page no="28"?> 28 Auch in der Wortbildung, also im Lexikon, spielt Ikonizität eine wichtige Rolle. Jakobson nennt hier zum Beispiel Fälle wie engl. two, engl. twenty und engl. twin (1971 [1965]: 354), die trotz teils unterschiedlicher Lautentwicklungen auch synchron noch in einer paradigmatischen Relation zueinander stehen, oder engl. star ‘Stern’ und engl. star ‘Star’ (1971 [1965]: 355; zu einer detaillierten Diskussion des Verhältnisses von Polysemie zu Ikonizität s. Abschnitt 3.2). Ein weiteres Beispiel für Ikonizität im Lexikon betrifft den von Koch (1999b) besprochenen Baum-Frucht- Frame (1999b: 334). Koch geht davon aus, dass das semiotische Verhältnis zwischen Bezeichnungen für Bäume und denjenigen für ihre Früchte ikonisch ist in Bezug auf die menschliche Perzeption. In Fällen wie dt. Eiche - dt. Eichel ist der Nutzen des Baumes als Holzlieferant größer als der Nutzen der Frucht. In der Wortbildung wird dies dadurch ausgedrückt, dass der Name der Frucht morphologisch vom Namen des Baumes abgeleitet ist. In Fällen wie dt. Apfel - dt. Apfelbaum oder fr. pomme - fr. pommier hingegen verhält es sich umgekehrt. Die Frucht ist ein beliebtes Nahrungsmittel, das Holz findet keinen besonderen Gebrauch, also bildet das Wort für die Frucht das (oder ein) Ausgangslexem für das Wort für den Baum. Komposita wie Apfelbaum sind in der Ikonizitätsforschung auch unter dem Aspekt der Ähnlichkeit zwischen der Quantität der formalen Elemente gegenüber derjenigen der inhaltlichen Elemente betrachtet worden. Die Komposition der beiden deutschen Wörter süß und sauer zu süßsauer spiegelt beispielsweise ikonisch die Kombination der beiden Konzepte SÜSS und SAUER zu SÜSSSAUER wieder (ähnliche Beispiele in Ungerer 1999: 319). Ikonisch sind auch semantisch komplexere Komposita als das deutsche Beispiel süßsauer. Dt. Apfelsaft, dessen Zusammensetzung aus Apfel und Saft auf der konzeptuellen Ebene nicht einfach eine Addition der Konzepte APFEL und SAFT im Sinne von ‘Apfel und Saft’ darstellt (vgl. dt. süßsauer ‘süß und sauer’), sondern ‘Saft aus Äpfeln’ bedeutet, ist ikonisch in dem Sinne, dass eine Fusion von zwei Wörtern zu einem neuen Wort auch die Fusion von zwei Konzepten zu einem neuen Konzept widerspiegelt (vgl. Ungerer 1999: 312). Noch komplexer, da idiomatisch, aber dennoch ikonisch, sind Fälle wie Ungerers (1999: 310-311) Beispiel engl. wheelchair, das weder ‘Stuhl und Rad’ noch ‘Stuhl mit Rädern’ (vgl. engl. armchair ‘Stuhl mit Armlehnen’) bedeutet, sondern Rollstühle bezeichnet, also zwar Stühle mit Rädern, aber solche, die einem ganz bestimmten Zweck dienen, der aus der Summe der Bedeutungen der Einzelgewiesen, dass natürlicher unter anderem auch konstruktionell eindeutiger ikonisch bedeutet. In Kap. 6 komme ich im Zusammenhang mit lexikalischen Transparenzskalen hierauf zurück. <?page no="29"?> 29 teile nicht erschlossen werden kann. So gesehen ist das Konzept WHEELCHAIR eine Fusion aus mehr als zwei Konzepten, weshalb auch zunächst ein gewisses Ungleichgewicht zwischen der Struktur der Form wheelchair und der Struktur ihres Inhaltes ins Auge sticht. Nach Ungerer (2002: 377) können solche Fälle jedoch ebenfalls als ikonisch angesehen werden, und zwar wenn das Kompositum in dem Maße lexikalisiert ist, dass einerseits die Fusion der beiden Konzepte vollständig ist, also ein völlig neues, absolut eigenständiges Konzept entstanden ist, und andererseits die Struktur der Form von den Sprachbenutzern zum Verständnis nicht mehr in ihre Einzelteile zerlegt werden muss. In diesen Fällen wird folglich die Struktur des Inhalts weiterhin (oder wieder) in der Struktur der Form wiedergegeben, da nun sowohl die Form als auch der Inhalt eingliedrig sind in dem Sinne, dass ein Gesamtkonzept von einer Gesamtform ausgedrückt wird und somit wieder ein quantitatives Gleichgewicht zwischen der Anzahl von Einheiten der Inhaltsseite und der Anzahl von Einheiten der Ausdrucksseite besteht. Somit verhalten sich Form und Inhalt ähnlich wie die Struktur des Satzes veni - vidi - vici, der formal aus drei Teilen und inhaltlich aus drei aufeinanderfolgenden Etappen besteht. Daher können wir in beiden Fällen von diagrammatischer Ikonizität sprechen. Im Zusammenhang der Diagramme im Lexikon muss an dieser Stelle noch die Unterscheidung Hiragas (1994) in strukturelle und relationale Diagramme vorweggenommen werden, die grundlegend für das Verständnis des Zusammenhangs von Polysemie und Ikonizität dieser Arbeit ist (vgl. Abschnitt 3.2). Bei ersteren spiegelt - wie zum Beispiel in den eben besprochenen Komposita - die Struktur des Ausdrucks die Struktur des Inhaltes wider, bei letzteren repräsentiert eine Form nicht (nur) den eigenen Inhalt, sondern spiegelt bis zu einem gewissen Grade auch den Inhalt einer anderen Form wider, wodurch es nicht mehr nur um direkte Form-Inhalts-Beziehungen innerhalb eines Zeichens, sondern auch um Beziehungen zwischen Zeichen geht. Diese Eigenschaft von Diagrammen bildet die Brücke von der Ikonizitätszur Motivationsforschung und erlaubt es auch, die Polysemie mit in den Bereich der Ikonizität einzuordnen (s. hierzu ausführlich 2.3.2 u. 3.2). 18 18 Nicht nur Hiraga spricht von Ikonizität über Zeichen hinweg. Ihr Ikontyp des relationalen Diagramms ist Nöths endophorischer Ikonizität (2001: 21-23) sehr nahe. Nöth unterscheidet diese von exophorischer Ikonizität, da es bei ersterer ausschließlich um Beziehungen innerhalb von Sprache geht und sie sich nicht auf Außersprachliches bezieht (2001: 22). Obwohl Nöth sich rein auf die formale Seite der endophorischen Ikonizität zu beziehen scheint - denn immerhin definiert er sie über „form miming form” (2001: 22) -, zeigen seine Beispiele (wie z.B. die Opposition von Singular und Plural) eindeutig, dass die formale Dimension immer auch von einer semantischen <?page no="30"?> 30 In Bezug auf relationale Diagrammatizität muss der oben geführten Diskussion der Onomatopoesie und des Lautsymbolismus bei Waugh (1992 u. 1994) hinzugefügt werden, dass Waugh für sekundär onomatopoetische Laute und Lautsymbolismus in denjenigen Fällen eine relationale Perspektive annimmt, wenn sie über verschiedene Wörter hinweg vorkommen, in denen sie stets dieselbe Assoziation hervorrufen beziehungsweise fast schon wie Morpheme eine mehr oder weniger beständige Bedeutung tragen. In diesem Fall ordnet Waugh sekundäre Onomatopoetika und Lautsymbole den Phonästhemen zu (1992 u. 1994; Waugh/ Newfield 1995), die sie als relational diagrammatisch betrachtet. Eines ihrer Beispiele für Phonästheme ist das <wh> (oder / w/ ) in den englischen wh-Fragepartikeln, die inhaltlich den Aspekt der Frage gemein haben, obwohl weder <wh> noch / w/ etwas Fragenhaftes anhaftet. In diesem Sinne ähneln Phonästheme den Morphemen, die, auch ohne dass ihre Form dem eigenen Inhalt entspricht, über Wörter hinweg Bedeutung tragen. Laut Waugh (1992: 16) können Phonästheme sogar eine Art Wortfamilie bilden. Meines Erachtens überschätzt Waugh jedoch die Bedeutung der Phonästheme für die Transparenz im Lexikon erheblich. Ihre Einordnung der Phonästheme in den Bereich der relationalen diagrammatischen Transparenz ist daher etwas übereilt, weil es wichtige Unterschiede vor allem zu lexikalischen Morphemen gibt. Phonästheme sind keine bedeutungstragenden Einheiten, wie es Morpheme sind. Das / w-/ alleine bedeutet nicht ‘Frage’, wenn wir das engl. Wort what nicht kennen, hilft uns das / w-/ auch nicht weiter, es zu verstehen, was aber bei echten (vor allem lexikalischen) Morphemen der Fall sein sollte (vgl. Abschnitt Dimension begleitet wird. Selbstverständlich gehören paradigmatische Relationen wie die Singular-Plural-Opposition in den Bereich der Grammatik und nicht in den Bereich des Lexikons, aber ähnliche Paradigmen bestehen auch im lexikalischen Bereich, wie z.B. frz. chanteur - chanteurs vs. chanteur - chanter. Ähnlich gefasst ist Greenbergs (1995: 59-62) language internal iconicity. Greenberg zeigt auf, dass innerhalb einer Sprache markierte Einheiten ikonisch sind in Bezug auf unmarkierte Einheiten, unmarkierte Einheiten also die Modelle für markierte Einheiten sind. Eines seiner Beispiele ist das französische Zahlensystem (1995: 62). Die Zahlen 101-199, 201-299 usw. sind so im Französischen ikonisch in Bezug auf 1-99, in dem Sinne, dass die Zählung über 100 keine Überraschungen mehr birgt, sondern die Zählung von 1-99 widerspiegelt. Hier handelt es sich also wie bei Nöth und Hiraga um eine Art diagrammatische Relation zwischen Zeichen einer Sprache. Auch Waugh (1994: 56) definiert Diagramme als relational und spricht von Beziehungen innerhalb der Sprache, wenn sie die „systematic recurrence of sound and meaning in sets of words untersucht“. Ihre Definition des Relationalen ist jedoch wesentlich grobkörniger als die Hiragas, da bei ihr eine explizite Unterscheidung in strukturelle und relationale Diagramme fehlt, sie also Beziehungen zwischen Zeichen und Beziehungen innerhalb eines Zeichens nicht unterscheidet. <?page no="31"?> 31 2.3.2). 19 Hinzu kommt das Problem, dass Phonästheme immer entweder auch sekundär onomatopoetischen oder lautsymbolischen Charakter haben, was nicht der Fall wäre, wären sie wirklich rein relational diagrammatisch. In der Tat bezeichnet Waugh selbst die meisten ihrer Beispiele für Phonästheme als onomatopoetisch oder lautsymbolisch, wie zum Beispiel die Kombination / fl-/ im Englischen, which is expressive of movement and characterizes a family of words as in: flap, flare, flee, flick, flicker, fling, flip, flit, flitter, flow, flutter, fly, flurry, flounce, flourish, flout, flail, flash, flex, flinch, flock, flop. (Waugh 1992: 16) Man könnte sagen, dass / fl-/ einen Laut nachahmt, der bei bestimmten Bewegungen entsteht, ähnlich wie das oben erwähnte it. scivolare. In engl. flap ‘flattern’ könnte / fl-/ so das Geräusch eines Flügelschlages, in engl. flare ‘aufflackern’ dasjenige einer Flamme unterstreichen (man beachte auch Flügelschlag, aufflackern und Flamme im Deutschen). In beiden Fällen und in vielen anderen dieser Art (engl. fly ‘fliegen’, engl. flicker ‘flackern’, vgl. aber z.B. engl. flower ‘Blume’) bewegt sich etwas schnell durch die Luft und verursacht dabei ein Geräusch, das von einem Luftzug zeugt. Ein weiteres von Waughs Beispielen für Phonästheme ist engl. / sn-/ wie in engl. sniff ‘schnuppern’, ‘schnüffeln’, ‘riechen’ und engl. snout ‘Schnauze’. Aus dem Blickwinkel des Lautsymbolismus ist anzumerken, dass die Lautfolge / sn-/ die Nase symbolisiert (vgl. auch Waugh 1992: 17): Semantisch haben die genannten Verben mit / sn-/ alle etwas mit der Nase zu tun (vgl. auch engl. snore ‘schnarchen’, engl. snorkel ‘schnorcheln’, engl. snuffle ‘schnüffeln’ u. ähnlich dt. Schnupfen), und phonetisch ist / n/ ein Nasallaut, / s/ ein Frikativ, der als Symbol für die durch die Nase durchgelassene Luft stehen könnte (auch hier fehlt aber übrigens wieder die für Ikone notwendige Similaritätsbeziehung, vgl. Abschnitt 2.2.2). / sn-/ alleine bedeutet aber nicht ‘Nase’ und / fl-/ nicht ‘Bewegung’. Ersteres evoziert die Nase lediglich und letzteres ist eben nur „expressive of movement“ (Waugh 1992: 16), genauso wie das oben diskutierte / i/ nicht ‘Kleinheit’ bedeutet, sondern mit Kleinheit assoziiert wird. Selbstverständlich kann beispielsweise die Affinität von / fl-/ mit Bewegungswörtern wahrgenommen werden, wenn der Sprecher einer Sprache eine große Menge Wörter, die alle mit / fl-/ beginnen, gemeinsam betrachtet. Derselbe Sprecher wird sich diese Affinität vielleicht auch literarisch und poetisch zunutze machen können. Doch reicht ein / fl-/ alleine niemandem aus, um sich zum Beispiel das englische Verb flicker 19 Nicht umsonst werden Phonästheme auch als submorphemische Einheiten bezeichnet (vgl. Philps 2008 sowie die meisten Paper in derselben Ausgabe der Zeitschrift Lexis). <?page no="32"?> 32 ‘flackern’ zu erklären. Hilfreicher ist da schon die Kenntnis des freien Morphemes engl. flick ‘züngeln’, wie in The snake’s tongue flicked in and out. Das / fl-/ alleine trägt nicht genügend Information, um uns auf den richtigen Weg zu bringen. Selbst Waughs Beispiel / wh-/ in englischen Fragepartikeln, dem sie rein relationalen Charakter zuspricht, ist lautsymbolisch: Bei der Artikulierung des Lautes [w] gehen die zunächst geschlossenen Lippen auseinander, der Mund also auf. Offene Münder sind wiederum in vielen Kulturen für Staunen und Zweifel typisch, die mit offenen Fragen einhergehen. 2.3.2 Lexikalische Motivation 2.3.2.1 Arbitrarität und relative Motivation Saussure hat - wie in vielen anderen Bereichen - die moderne Linguistik auch mit seinen Ausführungen über die grundsätzliche Arbitrarität der sprachlichen Zeichen wesentlich geprägt. Was bei Platon der These der Konventionalisten entspricht, drückt Saussure darin aus, dass das sprachliche Zeichen für ihn arbiträr ist, also keinerlei natürlicher Bezug zwischen dem signifiant und dem signifié besteht: Le lien unissant le signifiant au signifié est arbitraire, ou encore, puisque nous entendons par signe le total résultant de l’association d’un signifiant à un signifié, nous pouvons dire plus simplement: le signe linguistique est arbitraire. (Saussure 1972 [1916]: 100) Simone (1990a: 127-128) schreibt ihn so zwar der starken Version des PA zu, jedoch schränkt Saussure die absolute Arbitrarität durch eine gewisse relative Motivation ein: Le principe fondamental de l’arbitraire du signe n’empêche pas de distinguer dans chaque langue ce qui est radicalement arbitraire, c’est-à-dire immotivé, de ce qui ne l’est que relativement. Une partie seulement des signes est absolument arbitraire ; chez d’autres intervient un phénomène qui permet de reconnaître des degrés dans l’arbitraire sans le supprimer ; le signe peut être relativement motivé. Il n’existe pas une langue où rien ne soit motivé […]. Entre les deux limites extrêmes - maximum d’organisation et minimum d’arbitraire - on trouve toutes les variétés possibles. (Saussure 1972 [1916]: 182-183) So kann es nach Saussure in einer Sprache sowohl motivierte als auch unmotivierte Wörter geben, wobei alle nur denkbaren Grade auf einer Skala von der absoluten Arbitrarität bis hin zur völligen Transparenz möglich sind. Diese Graduierung, auf die in Kapitel 6 noch genauer eingegangen wird, gilt nicht nur für die Wörter einer Sprache, sondern insgesamt für <?page no="33"?> 33 die Sprachen selbst, denn Sprachen können laut Saussure (1972 [1916]: 183) mit verschiedenen Abstufungen als lexicologiques (minimal motiviert) beziehungsweise grammaticales (maximal motiviert) typologisch eingeordnet werden. Wichtig ist, dass für Saussure sprachliche Zeichen, abgesehen von Onomatopoetika und Ausrufen, nur relativ motiviert sind, wenn sie syntagmatisch analysierbar sind und paradigmatisch mit anderen Zeichen in Verbindung stehen (1972 [1916]: 181). Fr. poirier ‘Birnbaum’ besteht aus fr. poire und fr. -ier, und steht somit in einer paradigmatischen Beziehung einerseits zu poire ‘Birne’, andererseits zu pommier, ‘Apfelbaum’, fr. cerisier ‘Kirschbaum’ und ähnlichen. 20 Saussure meint, wenn er von der Arbitrarität beziehungsweise der Motivation der sprachlichen Zeichen spricht, die Beziehung zwischen signifiant und signifié, also zwischen einer Dingvorstellung und einer Lautvorstellung, eine Unterscheidung, die, wie in Abschnitt 2.1 gezeigt wurde, schon bei Platon ähnlich vorhanden war (spezifische Namensform versus Dingvorstellung). Den Referenten lässt Saussure außer Betracht, was Anlass zu Diskussionen gab. An dieser Stelle setzt zum Beispiel Benveniste (1966: 49-55) seine Kritik an. Für ihn stellt sich das Problem der Arbitrarität des sprachlichen Zeichens nur in Bezug auf den Referenten in der außersprachlichen Wirklichkeit, und nicht innerhalb des Zeichens selbst, wie es Saussure definiert. Für Benveniste ist die Verbindung zwischen signifiant und signifié nicht arbiträr, sondern notwendig (vgl. auch Abschnitt 2.2 zur Synthese im Kratylosdialog). Er begründet dies mit Saussures Worten selbst, der sagt, dass die beiden Seiten eines Zeichens wie diejenigen eines Blattes Papier untrennbar miteinander verbunden seien: Entre le signifiant et le signifié, le lien n’est pas arbitraire; au contraire, il est nécessaire. Le concept (« signifié ») « bœuf » est forcément identique dans ma conscience à l’ensemble phonique (« signifiant ») böf. Comment en serait-il autrement ? Ensemble les deux ont-ils été imprimés dans mon esprit ; ensemble ils s’évoquent en toute circonstance. Il y a entre eux symbiose si étroite que le concept « bœuf » est comme l’âme de l’image acoustique böf. L’esprit ne contient pas de formes vides, de concepts innommés. [...] Ce qui est arbitraire, c’est que tel signe, et non tel autre, soit appliqué à tel élément. (Benveniste 1966: 51-52 21 ) 20 Willems (2005: 266) versucht zu zeigen, dass Motivation und Ikonizität, anders als häufig angenommen, für Saussure ein intentionales Verfahren ist. So gesehen steckt Rettigs Motivierbarkeit (1981, s.u.) bereits in Saussures Ausführungen. 21 Benveniste schreibt weiter (1966: 52), dass weder die Natürlichkeit des sprachlichen Zeichens noch dessen Konventionalität wirklich bewiesen werden können, sondern es sich hier um eine reine Entscheidungsfrage handelt. Dies ist aus der introspekti- <?page no="34"?> 34 Diese Interpretation Saussures fand in der weiteren Forschung zwar im Allgemeinen großen Anklang (zu Gesamtüberblicken über die Motivationsforschung s. Gusmani 1984 u. aktueller Ungerer 2002 sowie Zöfgen 2 2008), doch herrscht bis heute keine Einigkeit darüber, wie die betreffenden Passagen im Cours de linguistique générale genau zu lesen sind. Bereits Lucidi kritisiert Benveniste dahingehend, dass seine Interpretation auf einer falschen Lektüre Saussures beruhe (1950: 188, 196). Laut Lucidi impliziert Saussure mit arbitraire du signe nicht, dass keine notwendige Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat besteht. Mit „nous voulons dire qu’il est immotivé, c’est-à-dire arbitraire par rapport au signifié avec lequel il n’a aucune attache naturelle dans la réalité“ (1972 [1916]: 101) meine Saussure ganz im Gegenteil, dass diese Beziehung selbstverständlich notwendig, da zeichenkonstituierend ist (vgl. auch 1972 [1916]: 166), nur eben nicht motiviert in dem Sinne, dass die Natur oder Form des Signifikats in der Natur oder Form des Signifikanten widergespiegelt würde (vgl. auch Engler 1962: 57 u. Vendryes 1952: 8). 2.3.2.2 Typen lexikalischer Motivation Wie in Abschnitt 2.3.2.1 angeklungen ist, stellen bei Saussure die relativ motivierten Zeichen nur eine Ausnahme zum allgemeinen Prinzip der Arbitrarität des sprachlichen Zeichens dar, und unter diesen Ausnahmen sind die Onomatopoetika und Ausrufe besonders randständig (1972 [1916]: 101-102). Ullmann ( 2 1966: 221), der Saussures arbiträre Zeichen als opake oder undurchsichtige Wörter bezeichnet und die relativ motivierten als durchsichtig, unterscheidet ( 2 1966: 222) für den Bereich der durchsichtigen Wörter etwas detaillierter als Saussure zwischen drei Motivationstypen, und zwar zwischen der phonetischen, morphologischen und semantischen Motivation. Die phonetische Motivation, bei der es um direkte Beziehungen zwischen Inhalt und Ausdruck geht (s. Abschnitt 2.3.1; vgl. auch Radden/ Panther 2004: 15ff.), besteht in der Onomatopöie. Ullmann unterscheidet ( 2 1966: 225) zwischen primären und sekundären Onomatopoetika. Bei den primären Onomatopoetika entspricht seiner Meinung nach der Laut wirklich dem Sinn, das heißt, die Sache selbst ist ein Lauteindruck, der von der Lautstruktur des Wortes mehr oder weniger getreu nachgeahmt wird (laut z.B. Vendryes 1952: 5 eher weniger). Es handelt sich hierbei also im ven Sicht des Forschers sicherlich wahr, doch zeigen informantenorientierte Ansätze, dass trotz aller theoretischer Vorbehalte gegenüber der Motivierbarkeit sprachlicher Zeichen eine gewisse Einigkeit unter den Informanten besteht, was die Motiviertheit ihrer Wörter angeht (vgl. v.a. Kap. 5). <?page no="35"?> 35 Idealfall um Bildnisse im Peirceschen Sinne. Ullmann führt das Beispiel des Kuckucks an, der nicht zufällig in vielen Sprachen ähnlich heißt, wie engl. cuckoo, fr. coucou, sp. cuclillo, it. cuculo, rum. cucu, dt. Kuckuck, russ. kukushka, ung. kakuk und finn. käki. 22 Ullmann ( 2 1966: 225) zählt auch folgende Beispiele von Verben zu den primären Onomatopoetika, die tatsächlich durch ihre Lautstruktur Lauteindrücke beschreiben und somit von ihnen - allerdings nur bis zu einem gewissen Grad - gesagt werden kann, dass sie der Lauteindruck selbst sind: Engl. snore, dt. schnarchen, holl. snorken, lat. stertere, fr. ronfler, sp. roncar, it. russare und ung. horkolni, alles Wörter für SCHNARCHEN , enthalten in ihrem Lautbild ein [r], das nach Ullmann auch im Geräusch des Schnarchens selbst vorkommt. 23 Unter sekundären Onomatopoetika versteht Ullmann ( 2 1966: 225) hingegen Wörter, bei denen „non-acoustic experiences - movement, size, emotive overtones, etc.“ durch bestimmte Laute dargestellt werden, das heißt, er erfasst in diesem Typen Fälle von Lautsymbolismus, wie sie bereits in Abschnitt 2.3.1 besprochen worden sind. Zu den sekundären Onomatopoetika gehören für ihn aber auch Wörter, deren Lautstruktur selbst auch eine Bewegung vergegenwärtigt, wie zum Beispiel (1973 [1962]: 107) engl. dither ‘zittern’, dodder ‘wackeln’ und slither ‘schlittern’. Für die Erforschung der lexikalischen Motivation spielen diese Arten von phonetischer Motivation eine geringere Rolle, da sich die spätere Motivations- 22 Dieses Beispiel ist von Ullmann unglücklich gewählt, da es nicht zu der oben zitierten Definition von primären Onomatopoetika passt. Kurz gesagt ist der Kuckuck kein Lauteindruck, sondern ein Vogel. Wenn mit den oben genannten Beispielen der Ruf des Kuckucks bezeichnet würde, würden diese der Definition gerecht. Z.T. stimmen wie im Französischen die Bezeichnungen für den Ruf und den Vogel auch tatsächlich überein, was aber z.B. im Italienischen nicht unbedingt der Fall ist, da dort der Kuckuck, der sowohl cucù als auch cuculo heißt, cucù und nicht cuculo macht. Die Tatsache, dass manchmal die Bezeichnungen für den Ruf des Kuckucks und den Kuckuck selbst übereinstimmen, ist kein ausreichender Grund dafür, die Bezeichnung für den Kuckuck zu den primären Onomatopoetika zu zählen. Vielmehr spielt in diesen Fällen nicht nur die phonetische Motivation zwischen einem Inhalt und einem Ausdruck eine Rolle, sondern auch die gleichzeitig formale und semantische zwischen zwei lexikalischen Einheiten. Zwischen dem Kuckuck und seinem Ruf besteht nämlich eine Kontiguitätsbeziehung (s. z.B. auch Koch 2001a: 1157), die dazu führt, dass die Bezeichnung für den Ruf, die selbst onomatopoetisch, also bildhaft ikonisch ist, mit dem Konzept VOGEL , DER KUCKUCK MACHT assoziiert wird, schließlich auch für dieses Konzept benutzt und lexikalisiert wird. 23 Ein weiteres Beispiel sind Wörter für FLÜSTERN , die Ullmann zu den primären Onomatopoetika rechnet, da die Laute [s], [ ʃ ], und [t ʃ ], die in Wörtern wie engl. whisper, dt. wispern und flüstern, norw. hwiske, it. sussurare, fr. chuchoter und sp. cuchichear vorkommen, Laute des Vorgangs des Flüsterns selbst abbilden (weitere Beispiele z.B. in Vendryes 1952: 6). <?page no="36"?> 36 forschung im Allgemeinen auf den Bereich der Beziehungen zwischen Zeichen konzentriert, also auf das, was bei Ullmann in den Bereich der morphologischen Motivation fällt, und die phonetische Motivation als Phänomen, das sich innerhalb eines Zeichens abspielt, traditionell eher in den Bereich der Ikonizitätsforschung (vgl. 3.2.1) gehört. 24 Zur morphologischen Motivation zählt Ullmann (1973 [1962]: 116) sämtliche Wortbildungsverfahren, wie zum Beispiel die Derivation und die Komposition. Sowohl im Fall der Derivation als auch im Fall der Komposition versteht man den Sinn des jeweils neu gebildeten Wortes auch als Fremdsprachensprecher einer Sprache sofort, wenn man seine Bestandteile kennt. Ullmann (1973 [1962]: 116) führt als Beispiel für die Derivation engl. preacher für ‘Priester’ an, das aus dem Verb preach und dem Suffix - er besteht, mit dessen Hilfe im Englischen Nomina Agentis von Verben gebildet werden. Wer das Verb und das Suffix kennt, versteht auch das Derivat. Natürlich sind auch falsche Analogieschlüsse möglich, wie zum Beispiel beim von Ullmann (1973 [1962]: 116) erwähnten Wort supper, das nicht denjenigen bezeichnet, der zu Abend isst, sondern das Abendessen selbst (vgl. auch dt. Lehrer im Vergleich zu Füller). Jedoch ist das System im Allgemeinen verlässlich, was vielleicht für Komposita, die normalerweise als noch durchsichtiger gelten als Derivate, sogar in noch größerem Maße zutrifft. Auch für sie gilt, dass der Hörer sie sofort versteht, wenn er die beiden lexikalischen Elemente kennt, aus denen sie bestehen, wie zum Beispiel engl. penholder, dt. Suppenteller oder it. apribottiglia. 25 Der dritte von Ullmann ( 2 1966: 222) erwähnte Motivationstyp ist die semantische Motivation, die auch schon bei Bally ( 4 1965: 137-139; kritisch hierzu Scheidegger 1981) besondere Beachtung findet. Bei der semantischen Motivation spielt für Ullmann, wie später auch für Fill (1980b: 56ff.), Augst (1998: XVIII) und Geeraerts (2003) vor allem der Gebrauch von Metaphern und Metonymien eine wichtige Rolle, die, wenn sie lexikalisiert werden, zur Polysemie von Wörtern führen, wie zum Beispiel in engl. bonnet ‘Haube - Kühlerhaube’ oder fr. verre ‘Glas als Behälter - Glas als Inhalt des Behälters’. Ullmann unterscheidet zwar deutlich zwischen diesen drei Motivationstypen, doch impliziert seine Diskussion vor allem der Komposita (1962: 92; vgl. dazu fürs Englische u. Deutsche auch Rufener 1971 u. Shaw 24 Eine Ausnahme bildet Monneret, der ausgiebig sowohl die motivation externe, d.h. diejenige zwischen Zeichen, als auch die motivation interne, d.h. diejenige innerhalb von Zeichen, diskutiert. 25 Zur Unterscheidung von Wortbildungsbedeutung und Wortbedeutung sowie dem Verständnis der Kompositionalität von Bedeutungen s. Kap. 6, wo auf Transparenzgrade eingegangen wird. <?page no="37"?> 37 1979) wie zum Beispiel engl. blue-bell ‘Glockenblume’ und der Polysemie (1961: 230-235), aber auch - allerdings in geringerem Maße - die der Homonymie (1961: 235-237), dass die einzelnen Wörter nicht unbedingt nur einem der Motivationstypen zuzuordnen sind, sondern vor allem die morphologische und die semantische Motivation durchaus gemeinsam vorkommen können, es also auch einen gemischten Motivationstyp gibt. Engl. blue-bell ‘Glockenblume’ ist nicht nur morphologisch motiviert, da es sich um eine Zusammensetzung aus engl. blue und engl. bell handelt, sondern auch semantisch, genauer gesagt metaphorisch, da die Glockenblume einer blauen Glocke ähnelt. 26 In Bezug auf die Polysemie schreibt Ullmann: Polysemy is a fertile source of ambiguity in language. In a limited number of cases, two major meanings of the same word are differentiated by formal means; for example, gender (French le pendule ‘pendulum’ - la pendule ‘clock’, German der Band ‘volume’ - das Band ‘ribbon’); flection (brothers - brethren, hanged - hung, German Worte ‘connected speech’ - Wörter ‘words’); word-order (ambassador extraordinary - extraordinary ambassador, French une assertion vraie ‘a true statement’ - un vrai diamant ‘a real, i.e., genuine diamond’); spelling (discreet - discret, draft - draught, French dessin ‘drawing’ - dessein ‘design, plan, scheme’); etc. (Ullmann 2 1966: 234) Dieses Zusammenspiel von morphologischer und semantischer Motivation wird in den letzten Jahrzehnten von den meisten Motivationsforschern in irgendeiner Form angenommen (vgl. auch Sauvageot 1964: 57, Marchand 1969: 2, Gauger 1971, Bartoszewicz 1974: 71-73, Fill 1980b: 43ff., Rettig 1981, Bellmann 1988, Swanepoel 1992: 52, Hiraga 1994, Koch 2001a, Gruaz 2002: 700, Radden/ Panther 2004, Panther/ Radden 2011, Koch/ Marzo 2007, Marzo/ Rube/ Umbreit 2011). Beispielsweise sagt Bartoszewicz (1974: 72) zur Trennung der semantischen und der morphologischen Motivation „Obviously a strictly formal attitude lacking the semantic factor is no good […]“ und später „[…] it would be difficult to describe semantic relationships without taking into consideration the formal aspect“, bevor er zu dem Schluss kommt, dass für das Studium der lexikali- 26 Im Einklang mit Abschnitt 2.2.2 wäre engl. blue-bell ‘Glockenblume’ auch ikonisch in dem Sinne, dass es sich letztendlich um eine lexikalisierte Wortform handelt, die ein Konzept repräsentiert. In den Bedeutungen der beiden Ausgangsformen ist ein wichtiger Aspekt des Kompositums nicht enthalten: es fehlt das Konzept BLUME . Wie bei engl. wheelchair (s. Abschnitt 2.2.2) ist diese Tatsache aber nicht antiikonisch, da es sich letztendlich sowohl in der Form als auch im Inhalt um eine einfache Struktur handelt, wenn man, wie Ungerer (1999: 312) davon ausgeht, dass nicht nur die beteiligten Konzepte, sondern auch die beteiligten Formen so weit miteinander verschmolzen sind, dass die Bestandteile von Muttersprachlern kaum noch als solche ausgemacht werden. <?page no="38"?> 38 schen Motivation gilt: „it is necessary to consider both the semantic and the formal aspect“ (1974: 73). Dieses Zusammenspiel von Form und Semantik soll hier an einem italienischen Beispiel von Genusdubletten aus dem bereits zitierten Baum- Frucht-Frame (s. Abschnitt 2.3.1) veranschaulicht werden, und zwar an it. pero ‘Birnbaum’ und it. pera ‘Birne’. Zwischen dem Konzept BIRNBAUM und dem Konzept BIRNE besteht eine Kontiguitätsbeziehung. Diese konzeptuelle Beziehung wird im Italienischen morphologisch von einem Genuswechsel begleitet. Anders ausgedrückt: Die morphologische Motivation, der Genuswechsel von pera zu pero (oder umgekehrt, s. Koch 2001a: 1164-1165), findet hier nur statt, da auch eine konzeptuelle Motivation vorliegt. Aufgrund der Kontiguitätsbeziehung zwischen den beiden Konzepten liegt es nahe, auch Bezeichnungen zu wählen, die auf irgendeine Weise etwas miteinander zu tun haben, das heißt, wenn zwei Konzepte assoziativ verbunden sind, wird auch die Bezeichnung des bereits bezeichneten Konzeptes zur Basis für das zu bezeichnende Konzept. Kurz gesagt, kann es morphologische beziehungsweise phonetische Motivation überhaupt nur geben, wenn eine konzeptuelle Relation (bzw. nach Ullmann semantische Motivation) zu Grunde liegt. Auf diese besondere Stellung der semantischen Motivation gegenüber den anderen Motivationstypen weist auch Gauger (1971) hin. Er unterscheidet für die Wortbildung des durchsichtigen Wortes von vorneherein drei semantische Bildungsverfahren, nämlich den Ausgriff (1971: 70), die Verschiebung (1971: 74) und die Variation (bes. 1971: 104). Eines dieser semantischen Bildungsverfahren liegt jeder durchsichtigen Wortbildung zu Grunde, auch wenn diese sich selbstverständlich auf der formalen Seite, wie man zum Beispiel am französischen Ausgriffsfall la pomme - le pommier sehen kann, in morphologischer Komplexität äußern und damit auch bei Gauger gleichzeitig morphologisch motiviert sind. Auf dieser Grundlage baut Blank seine kognitive italienische Wortbildungslehre auf. Als Ausgangspunkt stellt er (1998: 6) sich zunächst die Frage, wie die Sprecher bei der Versprachlichung eines Konzeptes vorgehen. Dabei kommt auch er zu dem Schluss, dass es zunächst einen konzeptuellen Zusammenhang gibt, bevor überhaupt ein neues Wort gebildet wird (1998: 6-7). 2.3.2.3 Dimensionen lexikalischer Motivation Das in 2.3.2.2 erläuterte Zusammenspiel des semantischen und des morphologischen Motivationstyps wird von Koch systematisiert. Kochs Definition der lexikalischen Motivation (2001a: 1156) besagt, dass eine lexikalische Einheit bestehend aus einer Form und einem Konzept im Sinne von <?page no="39"?> 39 Cruse (1986: 49, 80) nur dann motiviert ist, wenn sie in einer formal wahrnehmbaren und gleichzeitig in einer kognitiv relevanten Beziehung zu einer anderen lexikalischen Einheit steht (s. Abb. 1). 27 In diesem Sinne sind die semantische und die morphologische Motivation nicht als zwei unterschiedliche Typen, sondern als zwei Dimensionen ein und desselben Phänomens zu sehen (Koch 2001a: 1156 ff. u. Koch/ Marzo 2007: 261ff.). Abb. 1: Motivationsviereck nach Koch (2001a: 1156) Das Inventar an kognitiv relevanten konzeptuellen Relationen ist geschlossen. Es umfasst neben den für die vorliegende Arbeit zentralen Assoziationsrelationen der metaphorischen Similarität, bei der über Frames hinweg eine Ähnlichkeit zwischen den beiden beteiligten Konzepten wahrgenommen wird (dt. Birne ‘Birnenfrucht’ - dt. Birne ‘Kopf’; vgl. genauer Abschnitt 5.1.3), und der konzeptuellen Kontiguität, bei welcher ein framebedingter Zusammenhang zwischen den beiden entsprechenden Konzepten besteht (fr. bureau ‘Büroraum’ - fr. bureau ‘Schreibtisch’; vgl. genauer Abschnitt 5.1.3), auch die Relation des konzeptuellen Kontrasts (it. impossibile ‘unmöglich’ - it. possibile ‘möglich’) sowie verschiedene taxonomische Relationen (2001a: 1156-1157). Je nach Perspektive besteht zum Beispiel zwischen fr. homme ‘Mensch’ und fr. homme ‘Mann’ die Rela- 27 An dieser Stelle ist zunächst nur die Form des Motivationsvierecks relevant, die Koch für Motivationsrelationen zwischen unterschiedlichen Zeichen anführt. Lexikalische Motivation kann sich jedoch bei ihm wie auch bei Radden und Panther (2004: 15ff.) in direkten Relationen zwischen der Ausdrucks- und der Inhaltsseite manifestieren (s. Koch 2001a: 1157), die in dieser Arbeit im Abschnitt zur Ikonizitätsforschung mit behandelt wurden (vgl. Abschnitt 2.3.1). Einen wesentlich weiteren Motivationsbegriff als Koch hat z.B. Lakoff (1987: 448), der Motivation darüber definiert, dass ein Link L den Zusammenhang zwischen A und B erklärt, wobei A und B aber nicht zwingend lexikalische Einheiten sein müssen. Swanepoel (1992) stützt sein Motivationsverständnis zwar auf Lakoff, löst sich aber von dem rein synchronen Verständnis der Kognitiven Linguistik. BIRNE BIRNBAUM poire poirier L 1 L 2 Kontiguität C 2 C 1 Suffigierung <?page no="40"?> 40 tion der taxonomischen Superordination beziehungsweise diejenige der taxonomischen Subordination. Die dritte taxonomische Relation, die kotaxonomische Similarität, kann an it. fiasco ‘bauchige Flasche’ und it. fiasca ‘flache Flasche’ (auch ‘Flachmann’) exemplifiziert werden (s. Koch 2001a: 1166), die beide unterschiedliche Arten von Flaschen bezeichnen. Hinzu kommt die Relation der konzeptuellen Identität wie im Falle von it. scrivere ‘schreiben’ in Bezug auf it. lo scrivere ‘das Schreiben’, bei der sich über die lexikalischen Einheiten hinweg nur die Form unterscheidet, der Inhalt aber derselbe bleibt (für weitere Beispiele für die konzeptuellen Relationen s. Koch 2001a: 1158-1168). Die formalen Relationen hingegen bilden ein offenes Inventar, das angepasst an die untersuchten Sprachen prinzipiell alle Verfahren umfasst, welche zur Beschreibung der Motivationsverhältnisse der jeweils untersuchten Sprache benötigt werden (Koch 2001: 1158; vgl. auch Marzo/ Rube/ Umbreit 2011). Koch nennt als formale Relationen zwar vor allem existierende Wortbildungsverfahren, lexikalisierte Syntagmen und Phraseologismen, aber auch - und das ist eine der Besonderheiten in Kochs Ansatz - die formale Identität. Für Koch sind also Fälle wie fr. bureau ‘Büroraum’ - fr. bureau ‘Schreibtisch’ von einem theoretischen Standpunkt aus prinzipiell ebenso formal und semantisch motiviert wie wortgebildete Einheiten (z.B. it. impossibile ‘unmöglich’ - it. possibile ‘möglich’), die formal nur teilidentisch sind (zum Zusammenhang von Polysemie und Motivation s. ausführlich Abschnitt 3.2). In der Praxis wird sich jedoch in den folgenden Kapiteln herausstellen, dass der intrinsischen Motivation, also Motivation über Polysemie, im Vergleich zur extrinsischen Motivation, also den übrigen formalen Motivationsverfahren, eine ganz besondere Rolle zukommt. Die formale Dimension dieses zweidimensionalen Modells wird so insgesamt in Koch (2001) zwar durchweg an traditionellen Verfahren der Lexiebildung exemplifiziert, doch schließt Koch weitere formale Relationen nicht prinzipiell aus (s. Koch 2001: 1158). Die von Marzo, Rube und Umbreit (2011) diskutierten fragebogenbasierten empirischen Studien (zur verwendeten Methode s. auch Abschnitt 4.3.2 dieser Arbeit) unterstreichen, dass nicht nur über traditionelle Verfahren der Lexiebildung eine Motivationsrelation hergestellt werden kann, sondern unter anderem zum Beispiel auch über einfache graphische Ähnlichkeit oder aber über die Zugehörigkeit zur selben Wortfamilie ohne dass die Motivationspartner jedoch in einer direkten Ableitungsbeziehung zueinander stehen (Marzo/ Rube/ Umbreit 2011: 387-390). <?page no="41"?> 41 2.3.2.4 Motivation und Perzeption Koch betont in seiner Definition lexikalischer Motivation (vgl. Abschnitt 2.3.2.3, Koch 2001a: 1156 u. Koch/ Marzo 2007: 263-264), dass es sich bei Motivationsbeziehungen zwischen lexikalischen Einheiten um synchron wahrnehmbare Beziehungen handeln muss, 28 das heißt, eine lexikalische Einheit ist dann motiviert, wenn Muttersprachler eine formale und gleichzeitig eine konzeptuelle Beziehung zu einer anderen Einheit ihres Lexikons wahrnehmen, und folglich nicht zwingend in den Fällen, in denen der Sprachwissenschaftler sie für motiviert hält (s. auch 4.1 u. 4.3). Die Bedeutung der menschlichen Wahrnehmung für Motivation klingt bereits in der synchronen Herangehensweise Saussures an, doch schenkt dieser dem Unterschied zwischen dem naiven Muttersprachler und dem Sprachwissenschaftler keine explizite Beachtung. Anders sieht dies in seiner Nachfolge aus. Gauger (1971: 9, 45) zum Beispiel geht nicht nur davon aus, dass es sich bei der Motivation um ein synchrones Phänomen handelt, sondern betont darüber hinaus, dass dieses prinzipiell vom Sprecherbewusstsein abhängt. Von vorneherein motiviert sind für ihn nur die Wörter, die durch produktive Wortbildungsregeln entstehen. Hieran wird deutlich, wie sehr sich doch die Zielsetzungen der Wortbildungs- und Motivationsforschung ähneln, aber auch unterscheiden (vgl. hierzu v.a. Abschnitt 3.2). Die Wortbildungsforschung beschäftigt sich mit der Motivation von Wörtern insofern, als es um regelmäßige beziehungsweise programmatische Zerlegbarkeit geht: Was motiviert ist, beruht vor allem auf produktiven Wortbildungsregeln. Werden Wörter aus bestimmten Morphemen gebildet, können sie prinzipiell auch andersherum wieder in diese zerlegt werden (vgl. z.B. Bauer 1983 oder Lieber/ Mugdan 2000; zum Begriff der Wortbedeutung vs. Wortbildungsbedeutung den Abschnitt 3.2. u. das Kap. 6). Ausnahmen werden im Allgemeinen nur über den Umweg der Diachronie zugelassen, und zwar über Volksetymologien. Fr. forain ‘dem Jahrmarkt angehörend’, etymologisch verwandt mit hors fr. ‘außer’, fr. dehors und it. fuori ‘draußen’, das ehemals ‘fremd, auswärtig’ bedeutete, wie in marchand forain ‘fahrender Händler’, gehört heute der Wortfamilie foire 28 Einen etymologischen Motivationsbegriff haben z.B. Glinz (1971), etwas differenzierter Alinei (1995), z.T. auch Duchet (1993) sowie im Rahmen ihres sehr weiten Motivationsbegriffes auch Radden und Panther (2004). Auch Swanepoel (1992: 50, 57) nimmt etymologische Beziehungen in seinen Motivationsbegriff mit auf, allerdings mit dem Hinweis darauf, dass es sich hierbei um weniger typische Motivationsrelationen handelt. Zur Motivation als Phänomen zwischen Synchronie und Diachronie s. auch del Carmen García Manga (2004) und Monneret (2003: 33-40), der die Rolle der Diachronie für die Motivationsbegriffe Saussures und Guillaumes vergleicht. <?page no="42"?> 42 ‘Jahrmarkt, Messe’ an. Es wurde von der Sprachgemeinschaft eine Kontiguitätsbrücke von ‘fremd, auswärtig’ zu ‘Jahrmarkt, Messe’ geschlagen (s. Blank 1997: 309; weitere Beispiele in Blank 1997 u. Mihatsch 2006), denn auf Messen und Jahrmärkten werden eben typischerweise auswärtige Händler angetroffen. Ist ein Wort auf diese Art in eine Wortfamilie integriert und hat also seinen Platz im Lexikon gewechselt, wird es auch von Wortbildungsforschern als motiviert angesehen. 29 Der Motivationsforschung hingegen sind regelmäßige Phänomene zunächst einmal egal: motiviert ist alles, was von den Muttersprachlern als motiviert wahrge- 29 Die Frage nach der programmatischen Zerlegung von Wörtern in Morpheme ist auch eines der Grundprobleme der Psycholinguistik, die sich damit vor allem im Zusammenhang mit der Erforschung des mentalen Lexikons beschäftigt. Heute geht man i.A. davon aus (s. z.B. Harley 2 2001: 160-161 u. die dort zitierte Literatur), dass nicht jedes Wort und jede Wortform separat im mentalen Lexikon gespeichert sind, sondern nur Wortstämme sowie sehr frequente Wörter und unregelmäßige Wortformen einen eigenen Eintrag besitzen. Alle regelmäßigen Wörter und Formen mit geringerer Frequenz werden hingegen mit Hilfe von Flexions- und Wortbildungsregeln bei jedem Zugriff neu generiert. Die Parallele zur Motivationsforschung ist nicht zu übersehen. Wichtig ist jedoch, dass unbewusste Prozesse, wie sie die Psycholinguistik untersucht, nicht gleichzusetzen sind mit dem, was im Sprecherbewusstsein wahrnehmbar ist. Sicherlich gibt es zwar Parallelen, da auch das Sprecherbewusstsein von unbewussten Mechanismen gesteuert wird. Doch kann nicht von vorneherein eine Eins-zu-Eins-Entsprechung angenommen werden. Nichtsdestotrotz können aber die Methoden der Psycholinguistik auf Grund der Parallelen zwischen Wortbildung und Motivation z.T. zur empirischen Erforschung der Motivation eingesetzt werden (s. Kap. 4 u. 6). Psycholinguistische Zielsetzungen hat auch WordNet, bei dem es sich um eine lexikalische Datenbank des Englischen handelt, die nach psycholinguistischen Prinzipien strukturiert ist (s. z.B. Beckwith/ Fellbaum/ Gross/ Miller 1990). Wörter und Bedeutungen sind in diesen Wortnetzen über semantische und lexikalische Relationen miteinander verbunden, die Relationen im mentalen Lexikon entsprechen (Fellbaum 2 1999: 74 u. 1990). Das englische WordNet und seine Nachfolger für weitere Sprachen (s. z.B. das Multi- WordNet-Pojekt und das Euro-WordNet-Projekt) legen den Schwerpunkt nicht auf den kompositionellen Aspekt des mentalen Lexikons, sondern auf die Relationen zwischen den einzelnen Einträgen. Für den Bereich der Motivationsforschung sind Wortnetze aus dem Grund interessant, weil in ihnen z.T. auch Relationen vorkommen, die formal und semantisch gleichzeitig sind. Da WordNet jedoch paradigmatisch organisiert ist und daher keine direkten Verbindungen zwischen Wörtern unterschiedlicher Wortklassen bestehen (Fellbaum 2 1999: 74), beschränkt sich die Ergiebigkeit für Motivationsrelationen in formaler Hinsicht v.a. auf Präfigierungen der Art engl. untie ‘losbinden, lockern’ in Bezug auf engl. tie ‘anbinden, festbinden’ (vgl. Fellbaum 2 1999: 83-84) und Polysemierelationen wie z.B. engl. behave ‘sich gut benehmen’ in Bezug auf engl. behave ‘sich benehmen’. Problematisch aus dem Blickwinkel der vorliegenden Arbeit ist auch, dass nicht alle inhaltlichen Relationen, die bei lexikalischer Motivation eine Rolle spielen können, in gleicher Weise repräsentiert sind. Ein Problem stellt z.B. der Umgang mit metaphorischer Similarität in Wortnetzen dar (s. Eilts/ Lönneker 2002 u. Alonge/ Lönneker 2004, u. Abschnitt 3.1). <?page no="43"?> 43 nommen wird (vgl. auch Vendryes 1952: 8, Bartoszewicz 1974: 72-73). Wortbildungsregeln und Etymologie spielen im Allgemeinen meist nur sekundär eine Rolle. Radikaler als Gauger betont Rettig (1981: 153-156, 75f.), dass Wörter überhaupt nicht per se motiviert, sondern lediglich motivierbar sind. Aus dieser Perspektive sind Wörter wie fr. poirier nicht von vorneherein motiviert, selbst wenn sie durch produktive Wortbildungsmuster entstanden sind oder in einer Reihe stehen mit fr. poire einerseits und fr. pommier andererseits, sondern motivierbar. Dies bedeutet, dass die Motivation abhängig ist von einem von Muttersprachlern vollzogenen Motivationsakt. Auch Ungerer (1991: 161-162) spricht in diesem Sinne davon, dass Motivation keine statische Relation ist, sondern aufgrund mentaler Aktivität hergestelllt werden kann. 30 Ernst (1981: 68) betont, dass Motivation und Durchsichtigkeit - verstanden in Rettigs Sinn - zwar eine Rolle spielen beim Spracherwerb und bei der Sprachbeschreibung, aber nicht so sehr im alltäglichen Sprachgebrauch: „Wir benutzen die Wörter in gleicher Weise, ob wir nun durch sie hindurchsehen (können) oder nicht“. Die Aktualisierung der Durchsichtigkeit ist auch für ihn vom Sprachbenutzer abhängig, und zwar insbesondere von dessen Anstrengung, sprachlicher Vorbildung und intellektuellen Fähigkeiten (vgl. auch Monneret 2003: 49). Dem historischen Sprachwissenschaftler möchte Ernst (1981: 69) die Untersuchung der Motivierbarkeit von Wörtern zwar lieber nicht alleine überlassen, doch gilt: „Selbst Sprachwissenschaftler sind Menschen und damit Sprachbenutzer“ (1981: 69, Fußnote 24), die Wörter auf ihre Weise motivieren können. Auch Augst (1996: 22ff.) geht davon aus, dass die Motivation von Wörtern diasystematisch unterschiedlich ausfallen kann. Anders als die übrigen Motivationsforscher spricht er (vgl. v.a. 1975: 156-230) jedoch nicht nur streng von synchroner Motivation oder Motivierbarkeit, sondern von einer gewissen synchronen etymologischen Kompetenz. Dabei betont Augst aber auch, dass es sich eben nicht um etymologisch richtige Motivationsrelationen handeln muss, sondern dass es um das geht, was im Sprachbewusstsein wahrgenommen wird. 30 Das Verständnis von Motivation als Motivationsakt bzw. mentale Aktivität erinnert an Radden und Panthers Motivationsverständnis (2004), die sich v.a. mit Motivation als (auch diachronem) Prozess beschäftigen, der - und das ist ein wichtiger Unterschied zum Motivationsverständnis von z.B. Gauger (1971), Rettig (1981), Ernst (1981), Koch und Marzo (2007) sowie Marzo (2008 u. 2011) - von Linguisten nachgezeichnet werden kann. Ein Motivationsprozess wird nach Radden und Panther (2004: 3) ausgelöst durch das Zusammenspiel einer sprachlichen Quelle und sprachunabhängiger Faktoren wie z.B. Gestaltprinzipien (vgl. Abschnitt 2.4). <?page no="44"?> 44 Fill (1976) kritisiert diese allgemeine Gleichsetzung von Synchronie und Sprach- oder Sprecherbewusstsein. Für ihn (1981: 7) ist der Sprachteilhaber nicht völlig der Synchronie verhaftet und von der Diachronie isoliert. Denn er spricht mit und lernt von Sprachteilhabern, die anderen Generationen angehören, erhält folglich auch diachronisches Wissen über Sprache, nicht zuletzt dadurch, dass er Unterschiede der Sprechweise älterer Generationen zu seiner eigenen wahrnimmt. Auch die Schulbildung sowie das Erlernen der Schrift bringen ihm diachronisches Sprachwissen bei, da hier oft ältere Sprachzustände länger andauern als in der alltäglich gesprochenen Sprache (ähnlich auch Duchaček 1969). Fill (1976: 9) sieht aber selbstverständlich ein, dass dieses diachrone Wissen immer nur begrenzt ist. In seinen Informantenbefragungen, in denen er die Informanten laut eigener Aussage (1976: 10-16) weniger gelenkt hat als Augst, kamen die Informanten mehrheitlich auf die richtige Etymologie, obwohl eine synchrone Motivation in einigen Fällen näher gelegen hätte. Fill bestreitet zwar die rein synchron gesehene Motivation nicht, doch schränkt er deren Bedeutung als von der Diachronie völlig unabhängiges Phänomen Augst gegenüber deutlich ein. Dies ist auch der Ansatz der vorliegenden Arbeit: Selbstverständlich ist Motivierbarkeit ein Phänomen der Synchronie, doch spielt hier auch erlerntes Sprachwissen über ältere Sprachzustände eine wichtige Rolle. Daher erscheint es umso wichtiger, Motivation aus der Perspektive von Muttersprachlern zu untersuchen, die möglichst verschiedene soziokulturelle Hintergründe haben (s. Abschnitt 4.3). 2.3.3 Konsoziation und Dissoziation Eng mit dem Motivationsbegriff verwandt sind die von Leisi (1955: 71ff.) geprägten Definitionen der Konsoziation und der Dissoziation. Konsoziierte Wörter sind für ihn motivierte Wörter der Art, wie sie in Abschnitt 2.3.2 definiert wurden. Dt. mündlich nennt er vergesellschaftet oder konsoziiert, weil es nicht alleine dasteht, sondern ein formaler und semantischer Zusammenhang zu dt. Mund besteht. Engl. oral ‘mündlich’ hingegen ist dissoziiert, weil es alleine dasteht: das formal ähnliche engl. or ‘oder’ hat semantisch nichts mit engl. oral zu tun und das semantisch verwandte engl. mouth ‘Mund’ ist formal völlig anders. So formuliert entspricht Konsoziation der Motivation wie in 2.3.2 definiert, Dissoziation hingegen der Opazität. Dennoch decken sich die Sichtweisen der Motivationsforschung und Leisis Ansatz nicht hundertprozentig. Die Motivationsforschung geht im Allgemeinen von gerichteter Motivation aus, das heißt, fr. dix-neuf ‘neunzehn’ ist durch dix ‘zehn’ und neuf ‘neun’ motiviert (oder motivierbar), fr. dix und fr. neuf im Normalfall aber nicht durch fr. dix-neuf (eine <?page no="45"?> 45 Ausnahme bildet Umbreit 2010). Leisi hingegen legt zwar in seinen Beispielen den Schwerpunkt auf diese analytische Perspektive, schließt aber nicht aus, dass ein wortgebildetes Wort mit anderen Wörtern seiner Wortfamilie genauso konsoziiert ist wie mit seiner Ableitungsbasis. In Leisis Tradition steht auch die vergleichende Arbeit zum Deutschen und Englischen von Sanchez. Sanchez (2008: 37ff.) betrachtet als konsoziiert einerseits all die Wörter, die motivierbar sind im Sinne von Rettig (1981), andererseits all diejenigen, die expandierbar sind, das heißt, die als Basis für weitere Wortbildungen gedient haben. Das oben genannte Beispiel dt. mündlich wäre nach Sanchez also motivierbar in Bezug auf dt. Mund, expandierbar zum Beispiel in dt. Mündlichkeit. Diese doppelte Perspektive der Konsoziation liegt auch der vorliegenden Arbeit zu Grunde. Wie sich in mehreren informantenbasierten Studien gezeigt hat (vgl. Kap. 4, 5 u. Umbreit 2010), kann man bei der Arbeit mit muttersprachlichen Probanden nicht ausschließen, dass zum Beispiel dt. mündlich nicht auch durch dt. Mündlichkeit motiviert würde. Sicherlich gehören solche Fälle zu den Ausnahmen, doch scheint die Motivationsrichtung in anderen Fällen tendenziell irrelevant zu sein, wie zum Beispiel bei Wortklassenalternanz ohne Affigierung der Art fr. demande ‘Anfrage, Nachfrage, Bitte’ im Vergleich zu fr. demander ‘fragen, bitten’ oder it. conto ‘Rechnung’ im Vergleich zu it. contare ‘zählen’ sowie bei Motivation über formale Identität (oder Polysemie; vgl. hierzu genauer Kap. 3 u. 4) der Art it. giorno ‘Zeit der Helligkeit’ gegenüber it. giorno ‘Zeitraum von 24 Stunden’. Das gilt in diesem Maße jedoch nicht für Polysemie, die auf metaphorischer Similarität beruht (vgl. Kap. 5). 2.4 Zum Motivationsverständnis dieser Arbeit Wie sich in den letzten Abschnitten gezeigt hat, lassen sich die Forschungsansätze zur Motivation, Ikonizität und Konsoziation nicht gänzlich voneinander trennen und können somit nicht einfach in drei homogene Gruppen eingeteilt werden. Tendenziell beschäftigt sich zwar die Ikonizitätsforschung mit Form-Inhaltsbeziehungen innerhalb eines Zeichens - doch nicht ausschließlich, wie an Hiragas (1994) relationalen Diagrammen gesehen werden kann, die Kochs Verständnis (2001a) von lexikalischer Motivation entsprechen. Die Motivationsforschung tendiert hingegen traditionell zu einer Beschäftigung mit Relationen zwischen Zeichen, doch auch hier lassen sich, vor allem im Bereich der Onomatopöie, Ansätze finden, die auch direkte Form-Inhalts-beziehungen integrieren (vgl. z.B. Ullmann 1962 oder Monneret 2003). Ansätze, die von Konsoziation sprechen, integrieren einen Teil der Motivationsansätze (vgl. z.B. <?page no="46"?> 46 Leisi 1955 u. Sanchez 2008). Je nachdem, wie jedoch die Motivationsforschung zur Richtungsproblematik steht, kann auch sie als Konsoziationsforschung gefasst werden (vgl. Umbreit 2010). Für das Verhältnis von Konsoziation zu Ikonizität gilt dasselbe wie für das Verhältnis von Motivation zu Ikonizität. Um das den folgenden Kapiteln zu Grunde liegende Motivationsverständnis zu definieren, soll an dieser Stelle ein zusammenfassender Blick auf die in den letzten Abschnitten eingeführten unterschiedlichen Aspekte von Motivation geworfen werden, die unter die Termini Motivierung, Motiviertheit und Motivierbarkeit gefasst werden können. Diese drei Aspekte machen zwar gemeinsam insgesamt das Phänomen der Motivation aus, müssen jedoch für eine sinnvolle Erfassung des Phänomens strikt auseinander gehalten werden und können bei einer empirischen Untersuchung der Motivation nur getrennt behandelt werden, wie sich in den Kapiteln 4 und 5 herausstellen wird. Bei der Motivierung handelt sich um aus der Perspektive der Sprachbenutzer nicht zwingend bewusste Motivation bei Versprachlichung von (neuen) Konzepten und bei Remotivierung alter Formen. Es geht hier um einen Prozess wie Radden und Panther (2004: 4-8) sowie Panther und Radden (2011: 12) ihn am Beispiel der Bezeichnungen verschiedener Sprachen für SCHRAUBENZIEHER beschreiben. Kurz zusammengefasst (vgl. Radden/ Panther 2004: 8) besteht zunächst der Bedarf an einer Bezeichnung für das Werkzeug Schraubenzieher. Der Schraubenzieher wird assoziiert mit einem komplexen idealized cognitive model, das verschiedene Elemente wie die Handlungen, die mit einem Schraubenzieher ausgeführt werden (z.B. DREHEN ), das Objekt, an dem er angewandt wird (z.B. SCHRAUBE ) und viele mehr enthält (s. Radden/ Panther 2004: 6). Dieses idealized cognitive model fungiert nun als Motivationsquelle und liefert die Grundlage für die Bezeichnungen für SCHRAUBENZIEHER , die je nach Sprache und gelenkt von sprachunabhängigen Faktoren wie zum Beispiel Salienz und Gestaltprinzipen auf sehr unterschiedliche Elemente des idealized cognitive model zurückgreifen (Radden/ Panther 2004: 5). Die Tatsache, dass es bei diesem Aspekt der Motivation eine Motivantionsquelle gibt, impliziert, dass er als ein gerichteter Prozess anzusehen ist. Die Motivierung spielt außer bei der Versprachlichung von Konzepten auch eine Rolle bei Volksetymologien und insgesamt Neumotivierungen. Das bereits erwähnte fr. forain, das im Laufe seiner Geschichte von einer neuen Wortfamilie adoptiert wurde, besteht zunächst zwar schon als Form, doch ist diese bereits verwaist. Die Form gewinnt nun durch die Assoziation zum Wort foire ‘Jahrmarkt, Messe’ beziehungsweise zum durch foire bezeichneten Frame JAHRMARKT , MESSE , zu dem typischerweise <?page no="47"?> 47 auch auswärtige (fr. forain zunächst ‘auswärtig, fremd’) Reisende und Händler gehören, neuen Sinn (vgl. Blank 1997: 309). Motiviertheit ist ebenfalls als unbewusstes allerdings rein synchrones Phänomen anzusehen. Es handelt sich um ein Strukturprinzip des Lexikons, welches das Ergebnis eines Motivierungsprozesses ist (vgl. Radden/ Panther 2004: 4). Im Gegensatz zur Motivierung ist Motiviertheit nicht zwingend gerichtet. So wird zwar die Relation zwischen Wortbildungsprodukten und ihren Wortbildungsbasen allgemein als gerichtet angesehen, doch gibt es Probleme zum Beispiel bei der Bestimmung der Richtung von Konversionen sowie Evidenzen aus der Psycholinguistik, die gegen die Annahme einer bestimmten Richtung sprechen (für beides siehe den Überblick in Umbreit 2010). Motiviertheit kann verloren gehen, wenn eine lexikalische Einheit auf Dauer nicht mehr motivierbar ist. Motivierbarkeit ist, wie in Abschnitt 2.3.3 beschrieben, ein bewusstes Phänomen. Sie ist die Garantie für den Erfolg von Motivierungsprozessen und kann Motiviertheitsverhältnisse sogar verändern. Zum Beispiel resultierte der Motivierungsprozess, der zur Bildung von it. modifica ‘Veränderung’ auf der Grundlage von it. modificazione ‘Veränderung’ führen konnte, da im 18. und 19. Jahrhundert im italienischen bürokratischen und juristischen Vokabular Xazione (N) zu Xa (N) ein produktives Wortbildungsmuster war (Thornton 2004: 519), zunächst in einem Zustand der Motiviertheit. Aus heutiger Sicht jedoch, wo Xazione (N) zu Xa (N) nicht mehr produktiv ist, erscheint die Beziehung zwischen it. modifica ‘Veränderung’ und it. modificare ‘verändern’ in Parallele zu it. sosta ‘Halt, Pause’ und it. sostare ‘anhalten’ als eine ebenso plausible Motiviertheitsbeziehung wie die Beziehung zwischen it. modifica und it. modificazione. In der Tat empfinden laut Thornton (2004: 519) sowohl naive Muttersprachler als auch Lexikographen diesen Zusammenhang als direkten Zusammenhang. Doch ist es nicht auszuschließen, dass einige Muttersprachler weiterhin zusätzlich oder andere Muttersprachler weiterhin ausschließlich it. modifica über modificazione motivieren (vgl. Umbreit 2011). Nicht zuletzt aus diesem Grunde ist Motivierbarkeit als richtungsindifferent anzusehen (vgl. Umbreit 2010). Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass diese drei unterschiedlichen Aspekte der Motivation interagieren und nur gemeinsam das Phänomen der Motivation als Ganzes ausmachen. Als erstes findet eine Motivierung statt, die zunächst in Motiviertheit mit Motivierbarkeit resultiert. Die Motivierbarkeit der ursprünglichen Motiviertheit kann dann jedoch verloren gehen. Kommt es zu einer Neumotivierung, kann allerdings auch wieder Motiviertheit - eine neue - hergestellt werden. Im empirischen Teil der vorliegenden Arbeit wird der Aspekt der Motivierbarkeit untersucht, aus Gründen, die sowohl aus Kapitel 4 und 5 <?page no="48"?> 48 hervorgehen werden. Motivierbar sind lexikalische Einheiten im Folgenden zunächst einmal im Sinne von Koch (2001a), das heißt, wenn sowohl eine formale als auch eine konzeptuelle Relation zu einer anderen lexikalischen Einheit wahrgenommen werden kann. Zusätzlich zu den in Koch (2001a) explizit erwähnten konzeptuellen und formalen Relationen werden im Folgenden auch die von Marzo, Rube und Umbreit (2011) vorgeschlagenen empirisch fundierten formalen Relationen wie Wortfamilienverwandtschaft ohne direkte Ableitungsbeziehung oder graphische Ähnlichkeit in Betracht gezogen. Auf diese Weise motivierte Einheiten sind auch diagrammatisch ikonisch im Sinne von Hiraga (1994). Da es sich hier um eine informantenorientierte Untersuchung handelt, die davon ausgeht, dass lexikalische Einheiten, zwischen denen eine Motivationsbeziehung in Kochs Sinn besteht, prinzipiell in Bezug aufeinander motivierbar sind, sind diese Einheiten auch als miteinander konsoziiert anzusehen. Motivierbarkeit wird folglich als prinzipiell richtungsindifferent angesehen, auch wenn sich in einigen Fällen - wie zum Beispiel dann, wenn metaphorische Similarität im Spiel ist - Richtungspräferenzen aufzeigen lassen. Aus diesem Grund wird im Folgenden auch nicht von Motivationsbasen, sondern von Motivationspartnern die Rede sein. 31 31 Einige Hinweise zur verwendeten Terminologie: Im Folgenden wird aus stilistischen Gründen z.T. der eigentlich allgemeinere Terminus Motivation für Motivierbarkeit verwendet, da z.B. Motivierbarkeitspartner doch ein recht unhandliches Wort ist. An den Stellen, wo es aus inhaltlichen Gründen unumgehbar ist, wird jedoch Motivierbarkeit verwendet. Bisher wurden zudem für die von der Motivation betroffene inhaltliche Seite lexikalischer Einheiten neben Inhalt abwechselnd die Termini Konzept, Signifikat und Bedeutung verwendet, wobei jeweils entweder der Terminus verwendet wurde, den auch der dargestellte Autor benutzt, oder alternativ die neutralste (da allgemeinste) Bezeichnung Inhalt oder der Terminus Bedeutung in einem unspezifischen Sinne gewählt wurde. Es sei hiermit betont, dass das Motivationsverständnis dieser Arbeit auch im Hinblick auf die an der Motivation beteiligte Inhaltsseite dem Verständnis von Koch (2001a u. b) folgt, also davon ausgeht, dass die Motivationsrelation auf der inhaltlichen Seite eine Relation zwischen Konzepten ist. <?page no="49"?> 49 3 Der Zusammenhang von Polysemie, Ikonizität und lexikalischer Motivation In Kapitel 2 wurde ein Überblick über die Erforschung der lexikalischen Motivation gegeben (2.1-2.3) sowie das der vorliegenden Arbeit zu Grunde liegende Verständnis der lexikalischen Motivation dargelegt (insbesondere 2.4). Aufgrund der Fragestellung dieser Arbeit, die ein Beitrag zur Erforschung der Polysemie als Verfahren lexikalischer Motivation ist, wird im Folgenden (3.1) das Polysemieverständnis dieser Arbeit erläutert sowie ihr in Abschnitt 2.3.2 bereits angedeuteter Zusammenhang mit der lexikalischen Motivation vertieft. Da bereits darauf hingewiesen wurde (vgl. 2.3 insgesamt), dass Polysemie über die Schnittstelle der relationalen Diagramme nicht nur ein Verfahren der lexikalischen Motivation ist, sondern auch zur Ikonizität des Lexikons beiträgt, soll in Abschnitt 3.2 vor allem diskutiert werden, inwiefern nun genau Polysemie als ikonizitätsfördernd anzusehen ist. Eine theoretische Einordnung der Polysemie in den Bereich der Ikonizität wird die verbreitete Ansicht widerlegen, Polysemie sei antiikonisch. Abschließend werden in Abschnitt 3.3 die theoretischen Grundannahmen dieser Arbeit in Bezug auf Polysemie, Motivation und Ikonizität zusammengefasst. 3.1 Zum Polysemieverständnis dieser Arbeit Die Aussage, dass Fälle von Polysemie ebenso wie Fälle von Suffigierung sowohl formal als auch inhaltlich motiviert sind (s. Abschnitt 2.3), bedarf noch einer Präzisierung. Denn fr. bureau ‘Büroraum’ kann in Bezug auf fr. bureau ‘Schreibtisch’ (oder umgekehrt) nur als motiviert angesehen werden, wenn die involvierten lexikalischen Einheiten (eben fr. bureau ‘Büroraum’ und fr. bureau ‘Schreibtisch’) als eigenständig definierbare und wahrnehmbare Einheiten akzeptiert werden, die über konzeptuellsemantische Relationen miteinander zusammenhängen. 1 Und dies ist nicht in jeder Theorie der Polysemie der Fall. 2 1 Damit soll nicht gesagt werden, es handele sich bei lexikalischen Einheiten jeweils um unterschiedliche Wörter, sondern dass ein polysemes Wort bzw. eine polyseme Lexie als Gruppierung mehrerer über konzeptuelle Relationen miteinander verbundener lexikalischer Einheiten anzusehen ist (vgl. die graphische Darstellung in Blank 2001a: 13). 2 Zur Beschreibung und Kritik der Herangehensweise des Strukturalismus vgl. Koch (1998), der einerseits den Versuch der Integration der Polysemie in die Semanalyse, <?page no="50"?> 50 Zunächst muss Polysemie von anderen Arten der Ambiguität unterschieden werden. Blank (z.B. 2003a u. b) unterscheidet Polysemie einerseits von Homonymie und andererseits von Kontextvarianz, Croft und Cruse (2004) unterscheiden ebenfalls einerseits Polysemie von Homonymie, andererseits aber Polysemie von Facetten und microsenses. 3 Blank (2003b: 273-278) definiert die Phänomene der Homonymie, der Polysemie und der Kontextvarianz mit Hilfe von zwei Kriterien. Das erste Kriterium, das die Kontextvarianz von der Homonymie und der Polysemie unterscheidet, ist die Referentenklasse. Wenn die Referenten von zwei Verwendungen eines Wortes derselben Klasse angehören, handelt es sich um ein- und dieselbe Bedeutung, also ein- und dieselbe lexikalische Einheit und folglich Kontextvarianz. Blanks Kontextvarianten entsprechen in etwa dem, was Croft und Cruse (2004: 126-127) microsenses nennen. Je nach Kontext wird eine andere Lesart aktiviert, die mit anderen möglichen Lesarten inkompatibel ist, aber dennoch auf dieselbe Referentenklasse verweist. Blanks zweites Kriterium, das nun die Homonymie von der Polysemie und der Kontextvarianz unterscheidet, ist das Fehlen oder Vorhandensein einer synchron erkennbaren konzeptuellen Beziehung zwischen den Bedeutungen. Fehlt eine solche konzeptuelle Beziehung zwischen zwei Bedeutungen einer ambigen Form, die unterschiedlichen Referentenklassen angehören, handelt es sich um einen Fall von Homonymie. Besteht eine solche konzeptuelle Beziehung zwischen zwei Bedeutungen, die unterschiedlichen Referentenklassen angehören, handelt es sich um zwei Bedeutungen ein- und desselben Wortes, also um andererseits den Versuch der Vermeidung der Polysemie durch die Annahme einer abstrakten zu Grunde liegenden Grundbedeutung diskutiert. Zur Kritik einiger generativer Ansätze vgl. Blank (2001a: 23-29), zur Kritik einiger kognitiver Ansätze vgl. Blank (1997: 410-419). Ohne an dieser Stelle ins Detail zu gehen, lässt sich insgesamt feststellen, dass im Vergleich zu Kochs und Blanks Ansatz die Integration der metaphernbasierten Polysemie in den meisten Ansätzen besonders problematisch scheint. Dabei ist es ausgerechnet die Polysemie durch metaphorische Similarität, der aus der Perspektive der Motivierbarkeit unter verschiedenen Typen der Polysemie eine besonders wichtige Rolle zukommt (s. Kap. 5). 3 Victorri und Fuchs (1996: 20-23) geben aus einer gestaltpsychologisch geprägten Perspektive Überblick über weitere Phänomene, die es strikt von der Polysemie zu trennen gilt, wie die Phänomene der Vagheit oder Ungenauigkeit (z.B. fr. moment ‘Moment, Augenblick’ - wie lange genau ist der Zeitabschnitt? ) und der Individualität der Referenten (z.B. fr. le président du conseil d’administration ‘Aufsichtsrat-/ Verwaltungsratvorsitzender’, womit je nach Kommunikationssituation eine andere Person gemeint ist). Noch feinkörniger ist Pinkals Typologie der Unbestimmheit (s. z.B. Pinkal 1991: 262-266). Bei Pinkal zeichnen sich Homonymie und Polysemie als Typen der Ambiguität beide dadurch aus, dass man ihre Lesarten „nicht zu einer umfassenden Lesart erweitern kann“ (Pinkal 1991: 265) und unterscheiden sich dadurch z.B. von der Vagheit. <?page no="51"?> 51 Polysemie. Dasselbe Kriterium wenden auch Croft und Cruse (2004: 111) für ihre Unterscheidung von Polysemie und Homonymie an. Das geschlossene Inventar an konzeptuellen Relationen, das Blank der so verstandenen Polysemie zu Grunde legt, entspricht demjenigen, auf dem in der Diachronie der Bedeutungswandel basiert (Blank 1997, Gévaudan 2007) und in der Synchronie die lexikalische Motivation (Koch 2001a, Koch/ Marzo 2007, vgl. Abschnitt 2.3). Es umfasst also neben der metaphorischen Similarität und der Kontiguität auch die Relation des Kontrastes und taxonomische Relationen. Croft und Cruse (2004: 111) hingegen nennen etwas weniger ausführlich nur die Metapher (also metaphorische Similarität) und Metonymie (also Kontiguität, vgl. z.B. Koch 2001b). Nach Blank kann man die Unterscheidung von Polysemie, Homonymie und Kontextvarianz an folgenden Beispielen veranschaulichen: (1) My arm hurts. (2) The arm on the statue looks better than yours. (3) A special arm of the government is to investigate the matter. (4) His religious ambitions kept him from bearing arms. (5) Three lions passant gardant … the Royal Arms of England. Die Arme in (1) und (2) gehören derselben Referentenklasse an, in beiden Fällen handelt es sich um einen Vertreter der Klasse eines bestimmten Körperteils, nämlich der Klasse der Arme. Laut Blanks erstem Kriterium haben wir es in diesen Fällen mit Kontextvarianz zu tun. In Blanks Worten (2003b: 274) könnte man sagen: „the corresponding core sense comprises a bundle of properties, some of which can be suppressed and produce the variation […]”. In (2) könnte die in Bezug auf die prototypische Lesart in (1) unterdrückte Eigenschaft diejenige der Lebendigkeit sein. In anderen Worten ist der Unterschied zwischen den beiden Fällen so gering, dass er nicht auf der Ebene der Bedeutung greift, sondern auf der Ebene dessen, was Croft und Cruse (2004: 126-127; insgesamt auch Cruse 2003) microsenses nennen, zwei Lesarten also, die sich zwar gegenseitig ausschließen, deren Unterschied aber lediglich kontextbedingt ist, nicht aber zwei völlig unterschiedliche Konzepte betrifft (zu der anderen Art von sub-sense units, die Croft und Cruse unterscheiden, nämlich den Facetten, s.u.). Der Arm einer Statue ist nun mal nicht belebt, wohingegen der prototypische Arm eines Menschen belebt ist. Im Gegensatz dazu greift der Unterschied zwischen (1) und (3) auf der Ebene der Bedeutungen. Die beiden Lesarten verweisen nicht auf dieselbe Referentenklasse, es handelt sich folglich nicht um Kontextvarianten, sondern um eigenständige Bedeutungen, also auch um unterschiedliche lexikalische Ein- <?page no="52"?> 52 heiten. Da eine konzeptuelle Relation zwischen den beiden lexikalischen Einheiten besteht, und zwar diejenige der metaphorischen Similarität, haben wir es mit einem Fall von Polysemie zu tun. Zwischen (4) und (5) besteht laut Blank ebenso eine konzeptuelle Beziehung, nämlich Kontiguität „as indeed a noble’s family’s crest was painted on a shield, i.e. on an arm” (2003b: 276). Laut Blank handelt es sich hier zwar um einen Fall von Polysemie, jedoch ist es synchronisch fraglich, wie viele Muttersprachler einen Zusammenhang dieser Art tatsächlich sehen. Zum einen muss man, um diese Art von Beziehung wahrzunehmen, einen Schild als Waffe konzipieren - und das, obwohl ein Schild ja gerade dazu dient, Waffengewalt abzuwehren - zum anderen fragt sich, ob es wirklich der Mehrheit von Muttersprachlern bewusst ist, dass auf Schilden Wappen zu finden waren, zumal man ja heute im Normalfall weder tagtäglich mit Schilden noch mit Wappen zu tun hat. Unter diesem Gesichtspunkt - aber selbstverständlich wäre das mit Muttersprachlern zu testen -, könnte die Beziehung zwischen (4) und (5) durchaus opak, 4 also homonym sein, da keine der von Blank (1997, 2003a u. b) oder Koch (2001a) angenommenen konzeptuellen Relationen besteht, wie es zum Beispiel bei (1) und (4) der Fall ist. An dieser Stelle soll zunächst festgehalten werden, dass das Polysemieverständnis, auf das die weiteren Überlegungen dieser Arbeit aufbauen, nun genau dasjenige von Blank, Koch, Croft und Cruse propagierte relationale Verständnis von Polysemie ist, das heißt Polysemie als Gruppierung formal identischer lexikalischer Einheiten, die über kognitiv relevante Relationen miteinander verbunden sind, ansieht. Wie bereits in Abschnitt 2.3.2 in Bezug auf die Motivation muss im Zusammenhang mit solch einem relationalen Verständnis der Polysemie auch WordNet erwähnt werden. Wie bereits erwähnt, ist Polysemie eine der wenigen formal-inhaltlichen Beziehungen, die auch in WordNet vorkommen. Auch wenn WordNet daher und aufgrund der Nachbildung von Strukturen, die für das mentale Lexikon relevant sind, für die vorliegende Arbeit prinzipiell von Bedeutung ist, ist Blanks und Kochs Inventar an konzeptuellen Relationen dem Inventar von WordNet aus verschiedenen Gründen vorzuziehen. Zunächst ist nicht in allen Fällen klar, wie die einzelnen Relationen in WordNet definiert und voneinander abgegrenzt sind. Fellbaum ( 2 1999: 84-89) führt für WordNet als semantische Relationen vor allem autohyponymy (die in etwa der taxonomischen Relation von Koch entsprechen), entailment (in etwa Kochs Kontiguitätsrelation) und autoan- 4 Eine Stichprobe mit zwei englischen Muttersprachlern unter meinen Kollegen bestätigte diese Intuition. Um die Beziehung allerdings definitiv als opak bezeichnen zu können, müssten selbstverständlich weitere Muttersprachler befragt werden. <?page no="53"?> 53 tonymy (in etwa Kochs Kontrastrelation) an. Autohyponymie exemplifiziert Fellbaum neben engl. behave ‘sich gut benehmen’ in Bezug auf engl. behave ‘sich benehmen’ auch durch engl. drink ‘alkoholabhängig sein’ und engl. drink ‘trinken’. Im Falle von engl. drink bleibt jedoch offen, wie genau Fellbaum autohyponymy von entailment abgrenzt. Sieht man sich nämlich ihre Beispiele für entailment wie engl. sew ‘annähen, zusammennähen’ und engl. sew ‘durch Nähen herstellen’ an, schließt das Herstellen eines Kleidungsstückes durch Nähen genauso ein, dass Stücke zusammengenäht oder festgenäht werden, wie Alkoholabhängigkeit einschließt, dass man etwas trinkt. Hinzu kommt, dass auch in den Fällen, in denen die semantischen Relationen relativ eindeutig definiert sind, wie zum Beispiel die Autoantonyme über „the opposite“, die Zuordnung dieser Relationen zu konkreten Fällen nicht unbedingt nachvollzogen werden kann. Zwar hängen zum Beispiel engl. bone ‘remove the bones from’ und engl. bone ‘to provide with bones, stays’ (Fellbaum 2 1999: 88) wie in (6) und (7) mit Sicherheit semantisch zusammen, doch sind sie nicht das genaue Gegenteil voneinander. (6) She boned the turkey. (7) The manufacturers now bone their shirt collars. Denn engl. bones, über das Fellbaum das Verb sowohl in (6) als auch in (7) erklärt, bezeichnet jeweils ein völlig anderes Konzept. In (6) handelt es sich um echte Knochen, in (7) hingegen um Plastikstäbchen, mit denen Wäschestücke verstärkt werden, damit sie nicht aus der Form geraten. Ursprünglich handelte es sich dabei tatsächlich um Knochen (s. NODE), doch heute sind die Plastikstäbchen in Form und Funktion den echten Knochen nur noch ähnlich, ohne aber selbst Knochen (oder aus Knochen) zu sein. Diese metaphorische Similarität schwingt auch zwischen den beiden Verbbedeutungen in (6) und (7) mit, sodass zwischen diesen keine reine Autoantonymie angesetzt werden kann, sondern, wenn überhaupt, eine kombinierte semantische Relation angesetzt werden muss (Kontrast plus metaphorische Similarität). Davon abgesehen ist es aber sowieso sehr wahrscheinlich, dass Muttersprachler die beiden Verben eher über das Substantiv mit der jeweils entsprechenden Bedeutung motivieren würden und die Motivationsbrücke zwischen den beiden Verbbedeutungen folglich einen Umweg über das Substantiv geht. Metaphorische Similarität schließlich spricht Fellbaum im Übrigen weder im Zusammenhang mit den lexikalischen und den semantischen Relationen zwischen Verben und Synsets ( 2 1999: 76-84) noch im Zusammenhang mit Polysemie an ( 2 1999: 84-89). Zwar kommt metaphorische Similarität insofern zur Sprache ( 2 1999: 73-74) als eine Form (z.B. das Verb engl. fall) mehreren Synsets zu- <?page no="54"?> 54 geordnet werden kann (z.B. ‘fallen unter dem Einfluss der Schwerkraft’ und ‘werden’), jedoch ist sie in WordNet nicht explizit als semantische Relation kodiert und Fälle von metaphorischer Similarität sind folglich auch nicht als solche gekennzeichnet. Da der metaphorischen Similarität im Bereich der Motivierbarkeit aber eine besondere Rolle zukommt, eignen sich die verschiedenen WordNets nur bedingt als Quelle für Polysemie- und Motivationsdaten (vgl. Kap. 5). 5 Nicht zuletzt muss erwähnt werden, dass ambige Formen über die Zuordnung zu unterschiedlichen Synsets in den WordNets zwar disambiguiert werden, jedoch ohne jegliche Auskunft darüber, ob es sich um Fälle von Homonymie oder aber Fälle von Polysemie handelt. It. riso und it. affittare werden zum Beispiel im italienischen Teil des MultiWordNet genau gleich dargestellt. Für it. riso werden unter anderen die Bedeutungen ‘Lachen’ und ‘Reis’ angegeben, für it. affittare neben weiteren die Bedeutungen ‘mieten’ und ‘vermieten’. Dass es sich bei it. riso ‘Reis’ und it. riso ‘Lachen’ sowohl aus synchroner als auch aus diachroner Perspektive um Homonyme handelt, bei it. affittare ‘mieten’ und ‘vermieten’ hingegen um ein polysemes Wort, muss der Benutzer auf andere Weise in Erfahrung bringen. Neben dem relationalen Verständnis der Polysemie, das dieser Arbeit zu Grunde liegt, ist für die folgenden Kapitel ein weiterer Gedanke von Bedeutung: manche Lesarten (hier in einem ganz allgemeinen Sinne) gehören auf eine Art „enger“ zusammen als andere, sind weniger eigenständig beziehunsweise unabhängig voneinander als andere oder schließen sich gegenseitig nicht aus. Letzteres ist beispielsweise bei den Facetten der Fall, die Croft und Cruse unterhalb der Schwelle der Polysemie von den bereits genannten microsenses als weitere sub-sense units (2004: 116-126 u. 131) unterscheiden. Facetten sind laut Croft und Cruse (2004: 116) „distinguishable components of a global whole, but they are not capable of being subsumed under a hyperonym”. Ein Beispiel ist das viel diskutierte Wort engl. book, das sowohl als ‘Buch als Text’ als auch als ‘Buch als Objekt’ verstanden werden kann. Croft und Cruse (2004: 120-122) führen sieben Gründe dafür auf, warum Facetten trotz ihrer scheinbaren semantischen Autonomie nicht als volle Wortbedeutungen anzusehen sind, die 5 Dass die semantisch-konzeptuellen Relationen, wie sie in WordNet dargestellt sind, nicht all die Relationen umfassen, die auch Koch (2001a) und Blank (2003a u. b, 2001a, 1998) zu Grunde legen, ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die WordNets sich explizit im Umfeld der Psycholinguistik und Computerlinguistik situieren (s. Fellbaum 2 1999: 74-76 u. Beckwith/ Fellbaum/ Gross/ Miller 1990), wo traditionell v.a. taxonomische und Kontiguitätsrelationen eine Rolle spielen. So kann man letztendlich auch die Herangehensweise von WordNet auf Ansätze zu semantischen und konzeptuellen Netzwerken zurückführen wie z.B. diejenigen von Collins und Quillian (1969), Collins und Loftus (1975) oder Klix, Kukla und Klein (1976). <?page no="55"?> 55 hier nicht alle wiedergegeben werden sollen. Festgehalten für die weiteren Kapitel der vorliegenden Arbeit (s. Kap. 5, v.a. Abschnitt 5.2.2.2) muss aber die Tatsache, dass Facetten in den meisten Kontexten typischerweise immer beide eine Rolle spielen und sich nicht gegenseitig ausschließen. Ein Satz wie „This is a very interesting book, but it is awfully heavy to carry around“ ist laut Croft und Cruse (2004: 121) nur mit Facetten, nicht aber mit microsenses und Bedeutungen möglich. Anders ausgedrückt ist ein prototypisches Buch, selbst wenn auch Bücher denkbar sind, die bisher nur als Text im Computer von Schriftstellern existieren und es auch Bücher mit weißen Seiten gibt, in die ein Text erst hineingeschrieben werden kann, doch ein Objekt, in dem man, sobald man es aufschlägt, im Normalfall einen Text zu sehen bekommt. Croft und Cruse (2004: 122) gehen noch einen Schritt weiter und schreiben über Facetten: „Secondly, they do not simply co-occur, rather, they operate in a kind of functional symbiosis.“ Genauer bedeutet das für sie, dass der einzige Grund für die Existenz des Buches als Objekt ein Text ist und dass ein Text nutzlos sei, wenn er sich nicht auf irgendeine Art physisch manifestiert (vgl. auch die Diskussion des Beispiels engl. book in Koch 2001b: 222; zu dieser Art von Mehrdeutigkeit s. auch Kleiber 1999: 87-101). Diese Art von Zusammengehörigkeit von zwei Lesarten (wieder in einem ganz allgemeinen Sinne) lässt sich nicht nur auf der Ebene der subsense units beobachten, sondern auch auf der Ebene der Bedeutungen selbst. Wie oben bereits erwähnt, ist eine von Fellbaums für Polysemie relevanten semantischen Relationen diejenige des entailment ( 2 1999: 84- 89), die ja gerade darüber charakterisiert ist, dass eine Bedeutung eine andere logisch voraussetzt oder einschließt, wie bei engl. sew ‘annähen, zusammennähen’ und engl. sew ‘durch Nähen herstellen’, wo das Herstellen eines Kleidungsstückes durch Nähen einschließt, dass Stücke zusammengenäht oder festgenäht werden. Dies ist bei anderen semantischen Relationen nicht der Fall. Aus einer ganz anderen Perspektive unterscheiden auch Autoren wie zum Beispiel Monneret (2003) und Rémi-Giraud (2006), die sich in der Tradition des strukturalistisch geprägten Ansatzes von Martin (1972) befinden, enger zusammengehörende Wortbedeutungen von nicht so eng zusammengehörenden eigenständigeren Wortbedeutungen. Martins Ansatz wird hier knapp dargestellt, auch wenn das Polysemieverständnis der vorliegenden Arbeit kein strukturalistisches ist. Da aber bei der Interpretation der Daten in Abschnitt 5.2.2.2 die Frage aufkommen wird, ob ein solcher Ansatz die Daten nicht komplementär zu dem hier verwendeten Ansatz erklären kann, ist an dieser Stelle eine kurze Einführung nötig. Es handelt sich bei Martin zunächst um eine Unterscheidung von Polysemie und Homonymie über das Vorhandensein oder Fehlen mindestens <?page no="56"?> 56 eines gemeinsamen Sems in der Sememstruktur (vgl. auch die Zusammenfassung in Victorri/ Fuchs 1996: 46-47; zur Kritik an Ansätzen, die die Polysemie in die Semanalyse zu integrieren versuchen, s. Koch 1998). Martin (1972) unterscheidet innerhalb der Polysemie weiter in eine polysémie d’acceptions ‘Polysemie der Verwendungen’ und eine polysémie de sens ‘Polysemie der Bedeutungen’. Bei der polysémie d’acceptions entsteht ein neues Semem aus einem alten durch das Unterdrücken oder Hinzufügen eines Sems, bei der polysémie de sens entsteht ein Semem aus einem anderen durch eine wesentlich deutlichere Veränderung, die über gleichzeitiges Unterdrücken und Hinzufügen mehrerer Seme definiert ist. Martin unterscheidet vier Typen der polysémie d’acceptions und zwei Typen der polysémie de sens je nachdem, ob die Veränderungen das klassenzuweisende Archisemem oder nur die spezifischen definitorischen Seme betreffen (Victorri/ Fuchs 1996: 47). Die polysémie d’acceptions umfasst folgende vier Typen: 1. Bedeutungsverengung (restriction de sens): Das Archisemem bleibt bestehen, es wird dem Semem ein Sem hinzugefügt, wie bei fr. femme ‘Mensch weiblichen Geschlechts’ > fr. femme ‘Mensch weiblichen Geschlechts, der verheiratet ist oder war’. 2. Bedeutungserweiterung (extension de sens): Das Archisemem bleibt erhalten, es werden Seme unterdrückt, wie bei fr. minute ‘kurzer Zeitraum, der einem Sechzigstel einer Stunde entspricht’ > fr. minute ‘kurzer Zeitraum’. 3. Metonymie (métonymie): Das Archisemem verändert sich. Definitorische Seme eines Semems werden zu Semen des anderen Semems, wie in fr. blaireau ‘Dachs (Tier, das Haare hat)’ > fr. blaireau ‘Pinsel (Werkzeug aus Dachshaar)’. 4. Metapher (métaphore): Das Archisemem verändert sich, es bleibt aber mindestens ein gemeinsames spezifisches Sem erhalten, wie bei fr. impasse ‘Sackgasse (Weg, der an einem Ende geschlossen ist, also keinen Ausweg bietet)’ > fr. impasse ‘Sackgasse (negative Situation, aus der es keinen Ausweg gibt).’ Die polysémie de sens umfasst hingegen folgende zwei Typen: 1. Feste Polysemie (polysémie étroite): Das Archisemem bleibt erhalten, es werden spezifische Seme unterdrückt und andere hinzugefügt, wie in fr. rayon ‘Lichtstrahl (Linie, die von einem Lichtzentrum ausgeht’ > fr. rayon ‘Radius (Linie, die vom Mittelpunkt eines Kreises ausgeht’. 2. Lockere Polysemie (polysémie lâche): Das Archisemem verändert sich, es werden spezifische Seme unterdrückt und andere hinzugefügt, wie <?page no="57"?> 57 bei fr. plateau ‘Tablett (flache Ablage, auf der man Dinge transportieren kann’ > fr. plateau ‘Ebene (ausgedehntes flaches Stück Landschaft)’. Für die Interpretation der Daten in Abschnitt 5.2.2.2 interessieren nicht so sehr die Definitionen der einzelnen Typen, die wie bei jeder Semanalyse damit stehen oder fallen, was als Sem anerkannt wird und was nicht (vgl. z.B. Schneider 1988: 61ff.), sondern die Tatsache, dass Martins Unterscheidungen in eine polysémie d’acceptions und eine polysémie de sens sowie bei der polysémie de sens in eine feste und eine lockere Polysemie impliziert, dass es Bedeutungen gibt, die in irgendeiner Weise fester zueinander gehören als andere und dass es folglich Arten von Polysemie gibt, die der Homonymie näher stehen als andere (s. auch Victorri/ Fuchs 1996: 84- 85). Zwar sehen auch Blank (1997 u. 2001a) und Koch (2001a) das Verhältnis von Polysemie zu Homonymie als Kontinuum, auf dem sich einige Fälle näher am Pol der Polysemie, andere näher am Pol der Homonymie befinden, doch gehen sie nicht davon aus, dass bestimmte semantisch-konzeptuelle Relationen näher am Pol der Homonymie anzusiedeln sind als andere, was aber die Ergebnisse in 5.2.2.2 suggerieren. Martins Unterscheidung in verschiedene Typen von Polysemie, die sozusagen mehr oder weniger homonym sind, entspricht aber - mit Abstrichen, was die Definitionen im Detail sowie die gewählten Beispiele angeht - tendenziell einer Unterscheidung über semantisch-konzeptuelle Relationen. Sieht man sich Martins nicht immer ganz unproblematische Unterscheidung in unterschiedliche Typen und seine Beispiele für diese Typen an, kann man sie nämlich folgendermaßen mit den semantisch-konzeptuellen Relationen zusammenbringen: Typ 1 und 2 der polysémie d’acceptions sind gekennzeichnet durch taxonomische Subordination und taxonomische Superordination. Typ 3 zeichnet sich durch Kontiguität aus, Typ 4 durch metaphorische Similarität. Typ 1 der polysémie de sens liegt kotaxomomische Similarität zu Grunde, da das Archisemem (also auch die Klasse) dasselbe bleibt, spezifische (definitorische) Seme aber ausgetauscht werden. Nicht ganz eindeutig und an den Beispielen nur schwer nachzuvollziehen ist die Unterscheidung zwischen Typ 4 der polysémie d’acceptions und Typ 2 der polysémie de sens, da beiden Typen eine Relation metaphorischer Similarität zu Grunde liegt und die jeweiligen Definitionen sich nicht klar unterscheiden. Bei Typ 4 der polysémie d’acceptions muss explizit ein gemeinsames Sem bestehen bleiben, bei Typ 2 der polysémie de sens wird dies nicht explizit gesagt. Aus der Tatsache, dass Homonymie über das Fehlen jeglicher gemeinsamer Seme definiert wird, kann man jedoch schließen, dass auch bei Typ 2 der polysémie de sens mindestens ein gemeinsames Sem bestehen bleiben muss. Hinzu kommt, dass die Wahl der <?page no="58"?> 58 Seme hier ganz besonders arbiträr erscheint. 6 Auf die Frage der Relevanz dieses Ansatzes für die Erklärung des Phänomens, dass aus kognitiver Sicht Bedeutungen unterschiedlich deutlich zusammengehören können, komme ich in Abschnitt 5.2.2.2 zurück. 7 6 Monneret (2003: 50) scheint in Bezug auf Martins Beispiel fr. rayon davon auszugehen, dass die Definitionen der Bedeutungen fr. rayon ‘Lichtstrahl’ und fr. rayon ‘Radius’, die beide über das Wort fr. ligne ‘Linie’ definiert sind, also zwei Arten von Linien darstellen, auch das allgemeine Sem +Linie teilen. Monnerets (und Martins) Definitionen von fr. plateau hingegen enthalten zwar auch ein gemeinsames Wort, nämlich fr. plat, doch handelt es sich hier nicht um das allgemeine klassendefinierende Sem, das in einem Fall +Ablage wäre, im anderen Fall +Stück einer Landschaft (s. „support plat servant à poser et à transporter des objets“ gegenüber „étendue de pays assez plate et dominant les environs“, sowohl bei Martin als auch bei Monneret entnommen aus dem Petit Robert). Bedenkt man aber, dass sich sowohl eine Ebene als auch ein Tablett beide ausgerechnet dadurch auszeichnen, dass sie typischerweise mehr oder weniger waagerecht im Raum liegen und flach sind, könnte man auf einer noch allgemeineren Ebene die Seme +flache Entität und +waagrechte Entität annehmen, die zum Beispiel in einem Wortfeld geographische Zonen eine Ebene von einem Steilhang und einem Hügel sowie in einem Wortfeld Geschirr ein Tablett von einer Schale unterscheiden. 7 Auch Victorri und Fuchs unterscheiden zwar die polysémie équivalente à une homonymie von der polysémie ‘franche’ (1996: 84), doch lässt sich ihr Modell trotz seiner kognitiven Ausrichtung nicht so einfach auf Kochs und Blanks konzeptuelle Relationen übertragen wie dies mit Martins strukturalistisch geprägtem Ansatz möglich ist. Victorri und Fuchs gehen davon aus, dass für eine erfolgreiche Bedeutungsdisambiguierung für jedes Wort sowohl ein semantischer als auch ein kontextueller Raum zu konstruieren sind, die gemeinsam die jeweiligen Wortbedeutungen definieren (z.B. 1996, Kap. 3). Im semantischen Raum sind die einzelnen Bedeutungen, denen übrigens ein Bedeutungskern gemein ist, näher beieinander oder weiter entfernt voneinander. Die Nähe bzw. Distanz der Bedeutungen korreliert hier allerdings nicht mit semantisch-konzeptuellen Relationen, sondern hängt alleine davon ab, wie ähnlich die Möglichkeiten sind, die jeweiligen Bedeutungen zu paraphrasieren. Was die Unterscheidung von Polysemie und Homonymie angeht, zeichnen sich Homonyme in diesem Modell dadurch aus, dass sie über disjunkte semantische Räume verfügen. Bei der Polysemie hingegen können in einem semantischen Raum entweder semantische Unterräume dadurch definiert werden, dass die für das Wort relevanten Bedeutungen jeweils nur in einem der Unterräume anzuordnen sind (polysémie équivalente à une homonymie), oder aber semantisch eher unterspezifizierte Bedeutungen existieren, welche die semantischen Unterräume miteinander verbinden. Davon abgesehen (oder aufgrund dessen), dass Victorri und Fuchs sehr sparsam mit Beispielen umgehen (ausführlich wird im ganzen Buch nur fr. encore analysiert), lässt sich bei dieser Unterscheidung nicht nachvollziehen, wie sie sich zu semantisch-konzeptuellen Relationen verhält. Da ein solcher Rückbezug aber unabdingbar für die Interpretation der Daten in Kap. 5.2.2.2 ist, soll hier nicht weiter auf Victorris und Fuchs‘ Modell eingegangen werden. Auch Pinkal unterscheidet in eine schwache Form der Ambiguität und eine starke Form der Ambiguität (z.B. 1985 u. 1991: 265; in Pinkal 1995: 86ff. H-type ambiguity u. P-type ambiguity), die <?page no="59"?> 59 Zusammenfassend kann man von einem theoretischen Standpunkt aus nun sagen, dass Polysemie, wie sie Blank und Koch, aber auch Croft und Cruse verstehen - also als Gruppierung formal identischer lexikalischer Einheiten, die über semantisch-konzeptuelle Relationen miteinander verbunden sind - prinzipiell ebenso ein formales und gleichzeitig semantisches Motivationsverfahren darstellen kann wie alle anderen Kombinationen aus formalen und inhaltlichen Relationen (z.B. Suffigierung mit Kontiguität etc.). Denn Polysemie ist nicht nur wie Motivation ein strikt synchrones Phänomen, sondern beruht, wie gezeigt wurde, auf denselben semantisch-konzeptuellen Relationen wie die lexikalische Motivation (selbstverständlich abzüglich der konzeptuellen Identität, s. Abschnitt 2.3.2). Dass auf der formalen Seite keine Veränderung erfolgt wie bei den übrigen formalen Relationen, mag an dieser Stelle zwar etwas irritierend erscheinen. Doch soll in Abschnitt 3.2 vor dem Hintergrund des in den Abschnitten 2.3.2 und 3.1 Gesagten gezeigt werden, dass dies die Polysemie als motivations- und ikonizitätsförderndes lexikalisches Verfahren keineswegs in Frage stellt. Davon unabhängig stellt sich die Frage, inwieweit jede Art von Polysemie gleich einfach motiviert werden kann. Denn wie gezeigt wurde, sind Lesarten in unterschiedlichen Ansätzen durchaus unterschiedlich eng oder logisch unterschiedlich zwingend miteinander verbunden. Erwähnt sei hier noch, dass die Polysemie, also formale Identität, die einzige formale Beziehung ist, die mit allen konzeptuellen Relationen kombiniert werden kann, was bei den anderen formalen Relationen nicht der Fall ist. Konversionen gehen zum Beispiel typischerweise auf der inhaltlichen Seite mit Kontiguität oder konzeptueller Identität einher, Kompositionen, zumindest was das Verhältnis des Determinatums zum Ganzen und umgekehrt angeht, mit taxonomischen Relationen. Angesichts der Tatsache, dass fast jedes Wort in irgendeiner Weise polysem ist und formale Identität prinzipiell mit allen konzeptuellen Relationen kombinierbar ist, müsste Polysemie, wenn nicht wichtiger (vgl. die vorläufigen Ergebnisse in Koch/ Marzo 2007), so doch zumindest gleich wichtig wie andere formale Motivationsverfahren sein. Dass dies zwar prinzipiell wahr ist, jedoch wesentlich differenzierter gesehen werden muss, soll in den Kapiteln 4 und 5 der vorliegenden Arbeit gezeigt werden. grob derjenigen in Polysemie und Homonymie entspricht, sich aber nicht auf die Enge der Zusammengehörigkeit verschiedener Bedeutungen übertragen lässt, wenn diese über eine semantisch-konzeptuelle Relation zusammenhängen. Die beiden Typen von Ambiguität grenzen sich dadurch voneinander ab, dass bei der ersteren eine „einheitliche unbestimmte Basislesart existiert“, bei der letzteren hingegen nicht (Pinkal 1991: 265). <?page no="60"?> 60 3.2 Sind Polysemie, Motivation und Ikonizität vereinbar? In der traditionellen Forschung wurde das Phänomen der Ikonizität, wie in Abschnitt 2.3.1 beschrieben, vor allem in der Syntax und Morphologie untersucht (z.B. Haiman 1985 u. 2000; s. auch van Langendonck 2007), obwohl schon Jakobson (1971 [1965]: 354) das Lexikon in seine Bemühungen um „the essence of language“ und damit in die Suche nach Ikonizität miteinbezieht. Jedoch lenkt erst Waugh (1994) das Augenmerk der Ikonizitätsforschung auf das eigentliche Ausmaß von Ikonizität im Lexikon, die ihrer Meinung nach nicht nur ein Randphänomen darstellt, sondern das ganze Lexikon durchzieht (Waugh 1994: 56, Waugh/ Newfield 1995: 191). Ikonizität im Lexikon kommt in Waughs Worten neben der Onomatopöie (hierzu s. ausführlicher Waugh 1992 u. Abschnitt 2.3.1), bei welcher der Signifikant dem Signifikaten ähnelt, indem er es nachahmt, über „systematic recurrence of sound and meaning in sets of words“ zu Stande (1994: 56). Dies geschieht laut Waugh (1994: 56-60) nicht nur über morphologische Beziehungen, sondern auch über Phonästheme, wie zum Beispiel die englische Phonemkombination / sn-/ in Wörtern, deren Bedeutungen alle etwas mit der Nase zu tun haben wie engl. snore ‘schnarchen’ (vgl. Abschnitt 2.3.1). Obwohl Waugh somit weit über die traditionelle Ikonizitätsforschung hinausgeht, ist in ihren Augen der Ikonizität im Lexikon dennoch eine wichtige Grenze gesetzt, und zwar in Form der Polysemie (1994: 60-65). Bei der Betrachtung von Peirce’ Definition von Ikonen (vgl. Abschnitt 2.3) ist zunächst auch nichts gegen eine solche Feststellung einzuwenden: Anything whatever, be it quality, existent individual, or law, is an Icon of anything, in so far as it is like that thing and used as a sign of it. (Peirce 1960: 143) Interpretiert man diesen Satz dahingehend, dass ein Zeichen genau dann ikonisch ist, wenn zwischen einem Ausdruck und einem Inhalt eine Ähnlichkeitsbeziehung besteht, fällt Polysemie, sofern man das Wort zusammen mit all seinen Bedeutungen als Zeichen versteht, selbstverständlich zunächst aus dem Bereich der Ikonizität heraus. Im Folgenden soll jedoch gezeigt werden, dass Polysemie den Ikonizitätsgrad des Lexikons dennoch nicht begrenzt, sondern ganz im Gegenteil wesentlich dazu beiträgt, dass das Lexikon von Durchschnittssprechern als ikonisch und motiviert empfunden werden kann. Hierzu wird untersucht, wie sich Polysemie im Einzelnen zu den drei Peirceschen Ikontypen und deren Verständnis in der weiteren Ikonizitätsforschung verhält. <?page no="61"?> 61 3.2.1 Polysemie und Diagramme Wie in Abschnitt 3.1 dargestellt, wird lexikalische Polysemie in dieser Arbeit im Sinne von Blank verstanden (s. z.B. Blank 2003b: 273-278). Demnach ist ein Wort nur dann polysem, wenn zwischen seinen Bedeutungen eine Relation besteht, wie zum Beispiel die Relation der Kontiguität zwischen fr. bureau ‘Schreibtisch’ und bureau ‘Büro’. Es lässt sich nun zeigen, dass so verstandene Polysemie, die zwar nicht die prototypischsten Beispiele für Ikonizität liefert, dennoch inhärent diagrammatisch ist und teilweise auch bisher in der Literatur unter Diagrammen behandelt wurde. Peirce spricht ganz allgemein von Diagrammen, wenn die Beziehungen, die zwischen den Teilen des Bezeichneten bestehen, in der Struktur des Bezeichnenden widergespiegelt werden: Those, which represent the relations, mainly dyadic, [...] of the parts of one thing by analogous relations in their own parts, are diagrams. (Peirce 1960: 157) Dies ist zum Beispiel in Caesars Satz veni - vidi - vici, der von Jakobson (1971 [1965]: 350) zum bekanntesten Beispiel für diagrammatische Ikonizität gemacht worden ist, der Fall. Wie in Kapitel 2 gezeigt wurde, kommt diagrammatische Ikonizität in ihren verschiedenen Ausformungen auch im Lexikon vor (vgl. z.B. Jakobson 1971 [1965], Hiraga 1994, Koch 1999, Ungerer 1999 u. 2002). Für die Beantwortung der Frage, ob nun Polysemie ikonisch ist oder nicht, muss Hiragas Unterscheidung von strukturellen und relationalen Diagrammen näher betrachtet werden (Hiraga 1994). Hiraga (1994: 8) spricht in den klassischen Fällen wie im bereits zitierten Satz von Caesar von strukturellen Diagrammen, da die Struktur der Bedeutung der Struktur der Form ähnelt. Sie unterscheidet jedoch noch einen zweiten Diagrammtyp, und zwar die relationalen Diagramme. Aus ihrer Sicht sind diese relationalen Diagramme eine Unterart von strukturellen Diagrammen, weil relationale Diagramme ebenso wie strukturelle Diagramme strukturelle Analogie voraussetzen (1994: 8). Der Unterschied liegt darin, dass relationale Diagramme in ihrer Struktur nun nicht mehr ausschließlich die Struktur des eigenen Inhalts widerspiegeln, sondern in gewisser Weise auch auf den Inhalt von anderen, formal ähnlichen, Diagrammen verweisen: Wenn die Form eines Diagrammes A der Form eines Diagrammes B ähnelt und diese Ähnlichkeitsbeziehung von einer entsprechenden Beziehung zwischen den jeweiligen Inhaltsseiten der Diagramme A und B begleitet wird, handelt es sich sowohl bei Diagramm A als auch bei Diagramm B um ein relationales Diagramm. <?page no="62"?> 62 Bemerkenswert ist, dass Einheiten des Lexikons somit doppelt ikonisch sein können: Denn dieselbe Einheit kann sowohl ein strukturelles als auch ein relationales Diagramm sein, wie man am Beispiel fr. chanteur erkennen kann. Wie oben ausgeführt wurde, ist ein strukturelles Diagramm dadurch ein Diagramm, dass die Struktur seiner Form die Struktur des Inhalts widerspiegelt, auf den es verweist. Wenn also die Form aus zwei Morphemen besteht, wie fr. chanteur ‘Sänger’, das aus der lexikalischen Basis chant- und dem Suffix -eur zusammengesetzt ist, bedeutet dies, dass auch auf der inhaltlichen Seite eine dyadische Struktur besteht, nämlich einerseits die Bedeutung der Basis chant- ‘sing-’, die alle Mitglieder der Wortfamilie fr. chanter vereint, andererseits die Agensbedeutung des Suffixes -eur. Das Beispiel fr. chanteur könnte jedoch auch als relationales Diagramm analysiert werden, wie es im Allgemeinen in der Wortbildungs- und Motivationsforschung getan wird (zur Wortbildungsforschung s. z.B. Bauer 1983, Lipka 1990, Fleischer/ Barz 1995, Pounder 2000, Apothéloz 2002, Grossmann/ Rainer 2004; zur Motivationsforschung s. Saussure 1972 [1916], Gauger 1971, Fill 1980, Rettig 1981, Koch/ Marzo 2007). 8 Der Fokus liegt nun nicht mehr auf der Parallele von der Struktur einer Form zu der Struktur einer Bedeutung, sondern auf der Parallele von der Beziehung zwischen zwei Inhalten (‘Sänger’ und ‘singen’) auf der einen und zwei Formen (fr. chanteur und fr. chanter) auf der anderen Seite. Was also aus dieser Perspektive zählt, ist, dass die beiden Konzepte CHANTER und CHANTEUR in unserer Erfahrung zusammenhängen und aufeinander bezogen sind. Genauer besteht eine Kontiguitätsbeziehung zwischen ihnen, da der Sänger derjenige ist, der singt. Dieser Zusammenhang wird auf der formalen Seite dadurch deutlich, dass zwischen den beiden Formen eine Art Ähnlichkeitsbeziehung besteht, 9 was in diesem Falle bedeutet, 8 Selbstverständlich beschäftigt sich sowohl die Wortbildungsals auch die Motivationsforschung mit der Struktur von Wörtern und folglich auch mit strukturellen Diagrammen. Da jedoch Morpheme nur über Wortvergleich bestimmt werden können und zudem Transparenz (vgl. hierzu v.a. Kap. 6) über die Leichtigkeit des Durchblickens auf Wörter, die formal und semantisch mit dem betrachteten Wort zusammenhängen, definiert ist, liegt das Hauptaugenmerk dieser Forschung implizit auf relationalen Diagrammen. 9 Dasselbe gilt selbstverständlich für die paradigmatische Beziehung zwischen fr. chanteur und -eur, obwohl diese natürlich keine Beziehung zwischen zwei Einheiten des Lexikons im engen Sinne ist. Auch in diesem Fall haben wir es mit zwei ähnlichen Formen zu tun, deren Beziehung zueinander mit einer Beziehung zwischen den beiden Inhalten einhergeht: -eur, das die Bedeutung ‘Person, die eine Handlung ausführt’ trägt, ist chanteur ‘Sänger = derjenige, der die Handlung des Singens ausführt’ taxonomisch übergeordnet. <?page no="63"?> 63 dass fr. chanteur und fr. chanter denselben morphologischen Stamm besitzen. Auch auf der Inhaltsseite von Diagrammen sprechen viele Linguisten, wie zum Beispiel Waugh (1994: 63, 65), von einer Art Ähnlichkeitsbeziehung zwischen den Bedeutungen. Eine Ähnlichkeitsbeziehung im Sinne von X ist wie Y, X ähnelt Y geschweige denn X ist Y (vgl. auch Abschnitt 5.1.4 zur Ko Metapher) trifft jedoch nicht immer zu. Es ist so zumindest terminologisch verwirrend, zu sagen, dass die Konzepte SÄN - GER und SINGEN ähnlich sind (s. z.B. auch Kövecses 2002: 69-77), da Ähnlichkeit die konzeptuelle Relation ist, die vor allem Metaphern wie it. cuore ‘Herz’ und cuore ‘Zentrum’ zu Grunde liegt. In den meisten anderen Fällen besteht jedoch genau keine Ähnlichkeitsbeziehung zwischen den Konzepten, aber dennoch hängen diese selbstverständlich miteinander zusammen, nur eben über eine andere konzeptuelle Relation: SÄNGER und SINGEN zum Beispiel sind, wie bereits erwähnt, in unserer Erfahrung über eine Kontiguitätsrelation verbunden (vgl. die Diskussion von Kontiguität in Koch 1999 u. 2001b sowie Radden/ Kövecses 1999: 19-21). So besteht Ikonizität also nicht nur innerhalb eines Zeichens zwischen dem bezeichneten Konzept und der bezeichnenden Form, sondern auch zwischen verschiedenen Zeichen, also über Zeichen hinweg. 10 Das Hauptaugenmerk liegt in diesen Fällen nicht mehr auf der Widerspiegelung der inhaltlichen in der formalen Struktur (gestrichelte Linie in Abb. 2), sondern auf der Abbildung des Zusammenhangs zwischen zwei Konzepten C 1 und C 2 auf der Beziehung zwischen den beiden entsprechenden Formen F 1 und F 2 (durchgezogene Linie in Abb. 2). 11 10 Köhler (1975: 110) hält die Peirceschen Zeichen aus strikt semiotischer Perspektive radikaler für prinzipiell relational, da sie „nicht als Gegenstände zweiter Ordnung zu betrachten sind, die gleichsam auf korrespondierende Weise außersprachliche Entitäten isomorph abbilden, sondern vielmehr als relationale Gebilde anzusehen sind, die durch einen materiellen Zeichenträger außersprachliche Sachverhalte in einen den Kommunikanten gemeinsamen Interpretationshorizont bringen […].“ Freilich bezieht sich relational hier nicht allein auf die Beziehung zwischen Zeichen, doch zeigt Köhlers Ansatz, der sich im Übrigen auf alle Peirceschen Zeichen bezieht und dabei die Metapher in den Vordergrund stellt, dass es bei den Peirceschen Ikonen nicht primär um das Spiegeln der Struktur des Inhalts in der Struktur der Form geht, sondern vor allem um wie auch immer geartete nicht zwingend direkte Relationen zwischen materiellem Zeichenträger und außersprachlichem Sachverhalt. 11 Genauso wie jede formale Beziehung zwischen zwei Diagrammen mit Hilfe von Wortbildungsverfahren (z.B. Affigierung) genauer bestimmt werden kann, kann die Beziehung zwischen den Inhaltsseiten derselben Diagramme näher bestimmt werden, und zwar mit Hilfe von konzeptuellen Relationen wie z.B. Kontiguität und metaphorische Similarität (vgl. Koch 2001a). Die Folgen, die dies für die Unterscheidung der Ikontypen Metapher und Diagramm hat, werden weiter unten diskutiert. <?page no="64"?> 64 Abb. 2: Strukturelle und relationale Diagrammatizität In diesem Zusammenhang spielt das Prinzip des Isomorphismus, das von Haiman (1980: 515) geprägt wurde, eine entscheidende Rolle. Mit Isomorphismus bezeichnet Haiman die Eins-zu-eins-Beziehung zwischen Form und Bedeutung, auf der die traditionelle Morphologie beruht (Waugh 1994: 57) und die implizit auch den Peirceschen Diagrammen zu Grunde liegt. 12 Haiman stellt in Bezug auf das Isomorphieprinzip fest: Only by virtue of this correspondence between individual signans and signatum is it possible for the relationship of sets of signantia to mirror the relationship of sets of signata. (Haiman 1980: 515) Dies bedeutet, dass Isomorphie eine Vorbedingung für diagrammatische Transparenz ist, wie sie von der Motivationsforschung verstanden wird (Saussure 1972 [1916], Ullmann 1962 u. 2 1966, Gauger 1971, Fill 1980, Rettig 1981, Dressler 1985, Ungerer 1999 u. 2002, Koch 2001a, Zöfgen 2 2008, Lehmann 2007 u. Koch/ Marzo 2007). 13 Aus dem Prinzip des Isomorphismus folgt laut Waugh: 12 Für eine detailliertere Diskussion des Isomorphieprinzips v.a. im Bezug auf Langacker (1987) vgl. Kleiber (1993). 13 Isomorphie ist jedoch selbstverständlich nicht absolut zu verstehen. Wie z.B. Lehmann (2007: 121) feststellt, ist Isomorphie im absoluten Sinne geradezu undenkbar, da kein Signifikant derart beschaffen ist, dass all seine phonologischen Merkmale eine semantische Entsprechung im Signifikaten haben. Ähnlich argumentiert auch Greenberg (1995: 58-59), der darauf aufmerksam macht, dass im vielzitierten Beispiel veni - vidi - vici ‘ich kam, sah und siegte’ zwar die Reihenfolge der Formen ikonisch die Reihenfolge der Handlungen wiedergibt, dass jedoch der zeitliche Abstand zwischen den Handlungen (im Falle von Caesars Ankunft in Gallien im Jahre 58 v. Chr. bis zur Eroberung ganz Galliens handelt es sich um ca. neun Jahre) nicht dem zeitlichen Abstand zwischen der Artikulation des ersten und des dritten Wortes entspricht. ‘sing’+‘Agens’ Relationale Diagrammatizität chant+eur Strukturelle Diagrammatizität Strukturelle Diagrammatizität chanter ‘singen’ <?page no="65"?> 65 […] sameness of form from one sign to another signals sameness of meaning and difference of form signals difference of meaning. (Waugh 1994: 56) Waugh veranschaulicht dies mit Beispielen aus Wortfamilien, wie engl. water, watery und waterfall, die alle in gewisser Weise eine Bedeutung teilen, die formal durch water wiedergegeben wird. In Worten der lexikalischen Motivations- und Wortdurchsichtigkeitsforschung (Saussure 1972 [1916], Gauger 1971, Fill 1980, Rettig 1981, Dressler 1985, Ungerer 1999 u. 2002, Zöfgen 2 2008, Ullmann 1962 u. 2 1966, Koch 2001a, Koch/ Marzo 2007) kann man sagen, dass diese Wörter transparent sind in Bezug auf water oder sogar in Bezug aufeinander (zur Problematik der Direktionalität der Motivation s. Umbreit 2010). Waugh (1994: 62-63) stellt richtig fest, dass man, wenn das Isomorphieprinzip tatsächlich das ganze Lexikon durchzieht, Wortbedeutungen immer aus den Teilen des Wortes erschließen können sollte. Unsere Erfahrung lehrt uns ihrer Meinung nach jedoch, dass dies nicht der Fall ist. Wörter haben synchron gesehen gewöhnlich mehr als eine Bedeutung, also nicht nur diejenige Bedeutung, die sich eventuell aus ihren Teilen bestimmen lässt. Darüber hinaus haben sie oft gerade auch nicht (oder nicht mehr) die Wortbildungsbedeutung, die sie haben sollten, träfe das Isomorphieprinzip zu, wie zum Beispiel im oben diskutierten Kompositum engl. wheelchair ‘Rollstuhl’ (zu engl. supper ‘Abendessen’ u. ähnlichen deutschen Fällen s. Ullmann 1962: 91 u. Abschnitt 2.3.2). Waugh (1994: 63) vertritt aufgrund dieser Phänomene die These, dass Polysemie den Ikonizitätsgrad des Lexikons einschränkt, weil sie das Prinzip der Isomorphie sowohl aus synchroner als auch aus diachroner Perspektive verletzt: Eine Form korreliert nun nicht länger mit nur einer Bedeutung, sondern mit zwei oder mehr Bedeutungen und ändert diese sogar im Laufe der Zeit. Dass damit das Isomorphieprinzip im Falle von Polysemie verletzt wird, ist sicherlich wahr, wenn wir von Wörtern ausgehen. Sehen wir uns jedoch noch einmal die Definition von Diagrammen an, wird deutlich, dass unabhängig davon, wieviele Bedeutungen ein gegebenes Wort hat, ein Diagramm per definitionem immer nur einen Inhalt besitzt. Womit wir es also zu tun haben, wenn wir von Diagrammen und von diagrammatischer Ikonizität sprechen, sind nicht ganze Lexeme, sondern lexikalische Einheiten im Sinne von Cruse (1986: 49, 80), die als Einheiten aus einer Form und einer Bedeutung definiert sind. Dieses Prinzip liegt auch der modernen Motivationsforschung zu Grunde (s. z.B. Koch 2001a, Panther/ Radden 2004, vgl. insgesamt Abschnitt 2.3.2 dieser Arbeit), in der hervorgehoben wird, dass Wörter nicht einfach als Ganze, sondern über lexikalische Einheiten motiviert sind. So entspricht Kochs Definition von lexikalischer Motivation (2001a: 1156) <?page no="66"?> 66 genau der oben genannten Definition von relationaler diagrammatischer Ikonizität: Eine lexikalische Einheit bestehend aus der Form L 1 und dem Konzept C 1 ist im Hinblick auf eine lexikalische Einheit (L 2 +C 2 ) nur dann motiviert, wenn zwischen L 1 und L 2 auf der einen Seite eine wahrnehmbare formale Beziehung und zwischen C 1 und C 2 auf der anderen Seite eine kognitiv relevante Beziehung besteht (vgl. Abb. 1 in Abschnitt 2.2.3). Diese Definition bedeutet, dass auch zwischen lexikalischen Einheiten wie engl. mouse ‘Maus’ und mouse ‘Zeigegerät für Computer’ nicht nur eine semantische, sondern auch eine formale Beziehung besteht, nämlich diejenige der formalen Identität (s. Abb. 3 nach Koch 2001a: 1156-1158; ähnlich Jongen 1985: 125, der allerdings von Homophonie spricht). C 1 C 2 L 1 L 2 Abb. 3: Motivation mit formaler Identität am Beispiel von engl. mouse Formale Identität wird hier nur als eine unter vielen formalen Motivationsverfahren gesehen und ist somit, was ihre Motivation angeht, genuinen Wortbildungsverfahren wie zum Beispiel der Suffigierung prinzipiell völlig gleichgestellt 14 (vgl. Abb. 4). Morphologen wie Dressler (1985) stimmen darin überein, dass zum Beispiel zwischen engl. computation ‘Berechnung’ und compute ‘rechnen’ (s. Abb. 4) eine diagrammatische Be- 14 Dass Polysemie und Wortbildung in ihrer Eigenschaft als Versprachlichungsstrategien grundsätzlich (nicht nur in der Motivation) Parallelen aufweisen, ist fast schon ein Allgemeinplatz. Timmermann fasst dies nach der Herausarbeitung einiger solcher Parallelen wie folgt zusammen (2001: 59): „[...] liegt dieser Perspektive [derjenigen der Polysemie, meine Anm.] zusammen mit der Wortbildung das gemeinsame Erkenntnisinteresse zu Grunde, die Muster bzw. Programme aufzudecken, nach denen natürliche Sprachen aus einem begrenzten Grundinventar primärer Items ein unendliches Potential sekundärer Elemente generieren [...]“. Sind diese Elemente einmal generiert, besteht zunächst eine diagrammatische Beziehung und die neue lexikalische Einheit verweist so diagrammatisch auf die Ausgangseinheit. mouse Formale Identität Metaphorische Similarität MAUS ZEIGEGERÄT FÜR COMPUTER mouse <?page no="67"?> 67 ziehung besteht, da die beiden Wörter ein gemeinsames Morphem haben. Das Vorkommen von bekannten Morphemen in unbekannten Wörtern hilft uns dabei, deren Wortbedeutung zu erschließen. C 1 C 2 L 1 L 2 Abb. 4: Motivation mit Suffigierung am Beispiel von engl. computation vs. compute Genauso sind wir fähig, uns die Bedeutung eines Wortes zu erschließen, das in einem anderen Kontext als gewöhnlich verwendet wird. Wir gehen davon aus, dass die unbekannte Bedeutung mit der bekannten Bedeutung zusammenhängen muss, und in der Tat ist dies meist der Fall, wie im englischen Beispiel mouse (s. Abb. 3). Um die Tatsache zu betonen, dass es sich, obwohl es um unterschiedliche lexikalische Einheiten geht, dennoch um eine Beziehung innerhalb eines Wortes handelt, in dem sich eben unterschiedliche lexikalische Einheiten gruppieren können, kann der Sachverhalt aus Abbildung 3 auch als Dreieck dargestellt werden (s. Abb. 5 nach Koch 2001a: 1158): C 1 C 2 L 1 = L 2 Abb. 5: Motivationsdreieck am Beispiel von engl. mouse computation Suffigierung Kontiguität BERECHNUNG RECHNEN compute mouse Formale Identität Metaphorische Similarität MAUS ZEIGEGERÄT FÜR COMPUTER <?page no="68"?> 68 Interessanterweise wird die Meinung, dass Polysemie wie auch Wortbildung ikonisch ist, bereits von Jakobson - allerdings aus struktureller und nicht relationaler Perspektive - vertreten (1971: 352; vgl. Abschnitt 2.3.1). In seinen Ausführungen über diagrammatische Ikonizität im Lexikon spricht er nicht nur über Wortbildung, sondern auch über Polysemie. In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass Jakobson, als er über die absolute Voraussetzung für eine diagrammatische Relation zwischen Formen - also formale Ähnlichkeit - spricht, hervorhebt, dass formale Ähnlichkeit auch absolute Ähnlichkeit, das heißt Identität und daher Polysemie bedeuten kann. Jakobson (1971: 355) vertritt also die Meinung, dass eine Einheit auch ohne formalen Zuwachs diagrammatisch ikonisch in Bezug auf eine andere Einheit sein kann: A partial similarity of two signata may be represented by a partial similarity of signantia […], or by a total identity of signantia […]. (Jakobson 1971: 355; ähnlich auch Croft 1990: 166). Dies bedeutet in anderen Worten, dass auch Polysemie diagrammatisch ikonisch ist, wie Jakobson weiterhin am Beispiel engl. star ‘Stern’ und star ‘Star’ ausführt, die formal absolut ähnlich, also identisch sind. Er bestimmt auch die Beziehung der inhaltlichen Seiten zueinander näher. So handelt es sich zwar im Falle von engl. star um eine Metapher, Jakobson betont jedoch, dass es sich in anderen Fällen auch um Metonymien handeln kann. 15 Jakobsons Beobachtungen zur Polysemie, also zur absoluten Ähnlichkeit oder Identität der formalen Seiten zweier Diagramme, muss durch eine Beobachtung auf inhaltlicher Seite ergänzt werden, da es auch dort dasselbe Phänomen gibt, also die potentielle absolute Identität der Inhaltsseiten. Fr. rapide ‘schnell’ und fr. rapidement ‘schnell’ sind zum Beispiel in ihrer Bedeutung nicht einfach nur ähnlich, sondern absolut identisch. Ganz in diesem Sinne ist Hiragas Bemerkung über die Größe des potentiellen Bedeutungsunterschiedes zu lesen: A difference in form cues a difference in meaning, but it does not cue the nature nor the degree of the difference. (Hiraga 1994: 13) Entsprechend weist formale Ähnlichkeit auf einen gewissen Zusammenhang zwischen den Bedeutungen hin, sie verrät uns jedoch nichts über die 15 Aus einem anderen Verständnis der Polysemie heraus bezeichnet auch Lakoff (1987: 537) die Polysemie als ikonizitätsfördernd. Lakoff geht von der Existenz einer zentralen Wortbedeutung aus, um die herum sich periphere Bedeutungen gruppieren. Diese peripheren Bedeutungen hängen im Normalfall metonymisch oder metaphorisch mit der zentralen Bedeutung zusammen, sind also über diese motiviert. <?page no="69"?> 69 Art noch über den Grad dieses Zusammenhangs, der in seiner extremen Ausformung semantische Identität bedeutet. 3.2.2 Polysemie und Metaphern Jakobsons Beispiel engl. star ist jedoch nicht nur ein Beispiel für diagrammatische Ikonizität, sondern fällt auch in den Bereich eines anderen Peirceschen Ikontypen, nämlich der Metapher, die Jakobson nicht eigens betrachtet, sondern nur am Rand erwähnt (zur Kritik daran s. Monneret 2003: 83-87). Laut Peirce bezeichnen Metaphern ein object dadurch, dass sie auf eine Parallele zwischen dem object und etwas anderem hinweisen. Der Signifikant zeigt auf wichtige Eigenschaften des Signifikats. Peirce drückt das so aus: Those which represent […] by representing a parallelism in something else, are metaphors. (Peirce 1960: 157) Wie in Abschnitt 3.2.1 gezeigt, ist Jakobsons Beispiel engl. star ‘Star’ diagrammatisch, weil es in formaler und semantischer Beziehung zu engl. star ‘Stern’ steht, genauer gesagt, auf der formalen Seite über formale Identität und auf der semantischen Seite über metaphorische Similarität mit engl. star ‘Stern’ verbunden ist. Angesichts dieser Tatsache muss man sich fragen, inwieweit Diagramme und Metaphern wirklich unterschiedliche Typen von Ikonen sind und ob sie sich nicht doch überlappen oder zumindest zusammenhängen. Ungerer (2002: 374) zum Beispiel betont, dass die Peircesche Unterscheidung von Diagrammen und Metaphern theoretisch und praktisch nicht ganz einfach ist. Fischers und Nännys (1999: xxii) Typologie von Ikonizitätstypen weist in dieselbe Richtung. Zunächst unterscheiden sie bildhafte (z.B. miau ‘Laut, den typischerweise Katzen machen’) von diagrammatischer Ikonizität, die wiederum entweder strukturell (wie in lat. veni - vidi - vici ‘ich kam, sah und siegte’, die Satzstruktur spiegelt hier die Reihenfolge der erzählten Handlungen wider) oder semantisch sein kann. Semantische Ikonizität wird von ihnen wiederum als hauptsächlich metaphorisch charakterisiert. So werden zum Beispiel in einigen Sprachen die Konzepte KÖRPERTEIL AM ENDE EINES BEINES und UNTERSTER TEIL EINES BERGES dank ihrer Ähnlichkeit mit derselben Form versprachlicht (dt. Fuß, fr. pied, it. piede, engl. foot, ung. láb, um nur einige Beispiele zu nennen). Da relationale diagrammatische Ikonizität immer aus einer formalen und einer semantischen Dimension besteht, ist die Unterordnung der Metapher oder metaphorischen Similarität unter diagrammatische Ikonizität notwendig, zumindest was sprachliche Diagramme angeht. Aus demselben Grund ist Fischers und Nännys Aufsplittung der strukturellen und semantischen Dimensionen in zwei unter- <?page no="70"?> 70 schiedliche Diagrammtypen jedoch höchst problematisch: Wenn Diagramme immer sowohl eine formale als auch semantische Dimension beinhalten, können strukturelle und semantische Ikonizität nicht zwei Typen, sondern müssen zwei Dimensionen diagrammatischer Ikonizität sein. Mit anderen Worten ist also ein Diagramm nicht entweder dem semantischen oder dem strukturellen Typ zuzuordenen, sondern es gehört immer beiden Dimensionen gleichzeitig an. Hiragas Diskussion metaphorischer Ikonizität erfasst das Verhältnis von Diagrammen zu Metaphern diesbezüglich treffender. In ihrem Kommentar zu den drei Peirceschen Ikontypen stellt sie nicht nur fest, dass die Trennung von Diagrammen und Metaphern unscharf ist, sondern zeigt auch, dass metaphorische Zeichen allen drei Ikontypen zuzuordnen sind: In concrete examples of any iconic sign, the distinction appears to be fuzzy as we often encounter examples which show greater or lesser mixtures of these subtypes of icons. […] Metaphorical signs, with special emphasis on conventional and poetic metaphors, manifest all three aspects of icons. (Hiraga 1994: 15-20) In der Tat impliziert Peirce’ Definition von Metaphern, dass diese immer relational und folglich diagrammatisch sind, da ja ein metaphorisches Ikon auf eine Parallele zwischen dem bezeichneten Objekt und etwas anderem verweist, wie es eben relationale Diagramme typischerweise tun. Dasselbe gilt auch für Jakobsons Beispiel star, das oben als Diagramm klassifiziert wurde. Engl. star in der Bedeutung von ‘Star’ verweist auf star in der Bedeutung von ‘Stern’ insofern, als Stars in gewisser Weise die Welt des Entertainment erleuchten wie Sterne nachts den Himmel erleuchten beziehungsweise auf der Karriereleiter ganz oben stehen wie Sterne eben auch aus unserer Sicht ganz oben am Himmel hängen. In diesem Fall wie in vielen anderen Fällen ist die Relation zwischen den beiden Konzepten diejenige der Metapher. 16 Jakobson selbst deutet (1971: 355) an, dass die Relation auf der Inhaltsseite auch von anderen semantisch-konzeptuellen Relationen als der Metapher vertreten werden kann. 16 Nöth (1985: 12) betont, dass in diesem Sinne jedes sprachliche Zeichen eine Metapher für ein anderes sprachliches Zeichen werden kann. Dieser Aussage ist insofern zuzustimmen, als tatsächlich jede Wortform A metaphorisch für ein Konzept C verwendet werden kann, wenn eine Ähnlichkeit zwischen dem ursprünglich bezeichneten Konzept B und dem Konzept C wahrgenommen wird. Terminologisch ist Nöths Aussage allerdings unscharf, da ja durch die Neuverwendung von A nicht ein ganzes Zeichen zu einer Metapher für ein anders Zeichen wird, sondern lediglich eine sozusagen bereits anderweitig (an B) vergebene Form A nun auch für Konzept C benutzt wird. <?page no="71"?> 71 Er nennt hier die Metonymie, also eine Kontiguitätsrelation, 17 jedoch muss diese Liste um einige weitere Relationen ergänzt werden (s. Koch 2001a u. Abschnitt 2.3.2), wie zum Beispiel die oben erwähnte konzeptuelle Identität (fr. rapide ‘schnell’ - fr. rapidement ‘schnell’), taxonomische Relationen (it. finestrino ‘Seitenfenster von Autos’ - it. finestra ‘Fenster’) oder konzeptueller Kontrast (fr. possible ‘möglich’ - fr. impossible ‘unmöglich’). Folglich kann man sagen, dass die Peircesche Metapher und das Peircesche Diagramm eine Schnittmenge bilden in dem Sinne, dass Metaphern immer Diagramme sind, Diagramme aber auf der Inhaltsseite nicht immer über Metaphern charakterisiert werden können. Da Metaphern im Lexikon typischerweise innerhalb von Wörtern vorkommen - obwohl natürlich auch metaphorische Beziehungen zwischen Wörtern aus derselben Wortfamilie denkbar sind, wie zum Beispiel it. rosa ‘Rose’ - rosone ‘Rosette (= eine bestimmte Art Kirchenfenster)’ - besteht diese Schnittmenge bei sprachlichen Ikonen vor allem im Bereich der Polysemie, die folglich zur Ikonizität im Lexikon beiträgt und diese nicht, wie von Waugh (1994) behauptet, einschränkt. 3.2.3 Polysemie und Images Der Vollständigkeit halber soll nun auch noch der dritte von Peirce definierte Ikontyp, nämlich das Image (oder Bildnis), auf sein Verhältnis zur Polysemie hin untersucht werden. Bildnisse beruhen per definitionem auf einer physikalischen Ähnlichkeit zwischen dem Ausdruck und dem Inhalt (1960: 157): „Those which partake of simple qualities or First Firstnesses, are images”. In natürlichen Sprachen betrifft dies onomatopoetische Wörter. Im Hinblick auf die Relevanz der Polysemie für den Bereich der Onomatopoetika muss Ullmanns Unterscheidung ( 2 1966: 225) in primäre und sekundäre Onomatopoetika folgendermaßen verfeinert werden: Bei primären Onomatopoetika (vgl. zu den Definitionen genauer Abschnitt 2.3.2) ist das Designat selbst eine Lauterscheinung. So wird zum Beispiel der Ton, den Hähne von sich geben, sprachlich durch eine Lautfolge wiedergegeben, die als seine direkte Entsprechung empfunden wird - auch wenn sie nicht tatsächlich seine Entsprechung ist, wie im Sprachvergleich sehr einfach festgestellt werden kann (vgl. it. chicchirichì, fr. cocorico, dt. kikeriki, engl. cockadoodledoo usw.). Wie in Abschnitt 2.3.2 gezeigt, zählt Ullmann ( 2 1966: 225) jedoch auch Verben, die ein Geräusch bezeichnen und dieses in ihrer Lautstruktur nachahmen, wie zum Beispiel dt. flüstern 17 Auch Monneret (2003: 81) ordnet die Metapher und die Metonymie in Jakobsons Nachfolge unter den lexikalischen Diagrammen ein, obwohl er sonst Jakobson eher kritisch begegnet. <?page no="72"?> 72 in den Bereich der primären Onomatopoetika. Polysemie verhält sich nun in Bezug auf diese beiden Typen der primären Onomatopöie (im Folgenden primäre Onomatopoetika im engen Sinne und primäre Onomatopoetika im weiten Sinne) grundlegend anders, was am Beispiel des mehrfach ambigen englischen Wortes ring gesehen werden kann. Telefone geben gewöhnlich eine Lautkette von sich, die anglophone Muttersprachler mit ring imitieren würden. Dies ist im Englischen insofern ein Bildnis, als eine akustische Ähnlichkeit zwischen Form und Inhalt besteht. Die Form ist darauf ausgerichtet, genauso wie der Inhalt zu klingen, sofern sie nicht tatsächlich dem Inhalt entspricht, wie es für primäre Onomatopoetika im engen Sinne postuliert wird. Da in solchen Fällen davon ausgegangen wird, dass der Inhalt die Form direkt motiviert, das heißt ohne die Hilfe irgendeiner anderen Form oder eines anderen Inhalts, kann man im Idealfall davon ausgehen, dass der Ikontyp der Bildnisse im engen Sinne der Onomatopoetika nichts mit Polysemie zu tun hat. 18 Es scheint allerdings, wie man an engl. ring ‘klingeln’ und engl. ring ‘jemanden anrufen’ sehen kann, Polysemie im Falle der primären Onomatopoetika im weiten Sinne durchaus geben zu können. 19 18 Selbstverständlich ist die lexikalische Einheit engl. ring ‘Geräusch, das Telefone von sich geben’ aber diagrammatisch verbunden mit den beiden lexikalischen Einheiten engl. ring ‘klingeln’ und engl. ring ‘jemanden anrufen’. Diese lexikalischen Einheiten sind sich nicht nur formal ähnlich, sondern es besteht auch eine Kontiguitätsrelation zwischen den jeweiligen Inhalten. Jedoch kann die formale Beziehung zwischen engl. ring ‘klingeln’ und engl. ring ‘jemanden anrufen’ auf der einen und engl. ring ‘Geräusch, das Telefone von sich geben’ auf der anderen Seite nicht als formale Identität gewertet werden, da die Einheiten nicht zur selben Wortart gehören. 19 Theoretisch ist es allerdings durchaus denkbar, dass in den Sprachen der Welt Polysemie auch im Bereich der primären Onomatopoetika im engen Sinne vorkommt. Denn prinzipiell ist es möglich, dass ähnliche Geräusche mit genau derselben Form wiedergegeben werden, da ja auch primäre Onomatopoetika im engen Sinne, wie man am Beispiel des Hahnenschreis sehen kann, bis zu einem gewissen Grad konventionell sind. Die Frage ist nur, inwieweit zwischen solchen ähnlichen Geräuschen überhaupt ein sachlicher oder inhaltlicher Zusammenhang bestehen kann, der über die Tatsache hinausgeht, dass beide identischen Formen Lauteindrücke im Sinne der eng gefassten primären Onomatopoetika wiedergeben. Ein Fall, der diese Frage aufwirft, wäre z.B. engl. mew ‘miau = Geräusch, das Katzen von sich geben’ (neben engl. miaow) und engl. mew ‘Geräusch, das Möwen von sich geben’. Es handelt sich hier auf der formalen Seite um absolute formale Identität. Inhaltlich werden jeweils Tierrufe wiedergegeben, es könnte sich daher eventuell zwischen dem Miauen der Katze und dem Möwenruf um eine Relation der kotaxonomischen Similarität handeln. Ob diese Similarität jedoch von englischen Muttersprachlern tatsächlich wahrgenommen wird, bleibt fraglich, denn schließlich ist die Ähnlichkeit der beiden Tierrufe, hört man zwei konkrete Referenten gleichzeitig oder kurz hintereinander, beschränkt. Duchet (1993: 241) z.B. spricht in solchen und ähnlichen Fällen von Homophonie. <?page no="73"?> 73 3.3 Zusammenfassung: Theoretische Grundannahmen zur Polysemie, Ikonizität und Motivation Wie in Abschnitt 2.4 dargelegt, wird in der vorliegenden Arbeit Motivation als ein Zusammenspiel aus Motivierung, Motiviertheit und Motivierbarkeit verstanden, jedoch empirisch nur in Form der Motivierbarkeit untersucht. Motiviert werden kann prinzipiell über die konzeptuellformalen Kombinationsmöglichkeiten von Koch (2001a) sowie Marzo, Rube und Umbreit (2011). Wichtig ist vor allem, dass nach Kochs Ansatz auch Polysemie, verstanden als formale Identität zwischen lexikalischen Einheiten, ein formales Motivationsverfahren ist, das mit allen angenommenen konzeptuellen Relationen kombinierbar ist. Analog werden nicht nur die klassischen formal-konzeptuellen Kombinationsmöglichkeiten als diagrammatisch ikonisch im Sinne von Hiraga (1994) angesehen, sondern auch Polysemie (vgl. 3.2). Prinzipiell wird davon ausgegangen (vgl. 2.3.3), dass zwei lexikalische Einheiten (auch innerhalb eines polysemen Wortes) sich im Sinne der Konsoziation gegenseitig motivieren können, die Bezugseinheiten also Motivationspartner sind. <?page no="75"?> 75 4 Empirische Ermittlung lexikalischer Motivation: Die Frage nach der richtigen Methode In den Kapiteln 2 und 3 wurde dargelegt, dass das Motivationsverständnis dieser Arbeit sowie der meisten Ansätze impliziert, dass Motivation insofern vom motivierenden Subjekt abhängt, als lexikalische Einheiten für dieses motivierbar sind. Es wurde angedeutet (vgl. Abschnitt 2.3.2), dass der Sprachwissenschaftler durch seine Vorbildung nicht zwingend auf dieselbe Art und Weise motiviert wie ein Laie. Doch auch unter nicht linguistisch vorgebildeten Muttersprachlern können Unterschiede angenommen werden, die zum Beispiel auf ihren soziokulturellen Hintergrund zurückzuführen sind (vgl. z.B. Fill 1976: 22ff. u. Ernst 1981: 69). In dieser Arbeit gehe ich davon aus, dass dennoch - zumindest im hochfrequenten und folglich auch im Grundwortschatz - allgemeine Tendenzen existieren, eine lexikalische Einheit eher auf die eine als auf die andere Art zu motivieren. 1 Um diese Tendenzen erfassen zu können, ist es unabdingbar, das zu untersuchende Material von mehr als nur einer Person motivieren zu lassen (gegen diese Meinung s. z.B. Blumenthal 1997: 109). Im Folgenden wird nun untersucht, wie das Vorhandensein von Motivation empirisch ermittelt werden kann und inwieweit sich bestehende Methoden dazu eignen, auch die Rolle der Polysemie für lexikalische Motivation zu erfassen. Zunächst wird gezeigt, welche Probleme Introspektion durch Linguisten tatsächlich birgt (4.1). Anschließend werden Versuche aufgezeigt, diese Probleme zu umgehen, und zwar einerseits durch Korpusstudien (4.2) und andererseits durch Informantenbefragungen (4.3). Es werden verschiedene Techniken der Informantenbefragung miteinander verglichen (4.3.1), wobei auch experimentelle Methoden berücksichtigt werden, die nicht primär dafür konzipiert wurden, lexikalische Motivation zu erforschen, aber dennoch teilweise für die Untersuchung lexikalischer Motivation geeignet sein könnten. Es wird sich dabei zeigen, dass bedingt durch die Unzulänglichkeiten der einzelnen Methoden bei der Ermittlung lexikalischer Motivationsverhältnisse nicht alle Aspekte der Motivation - also Motivierung, Motiviertheit und Motivierbarkeit (s. Abschnitt 2.4) - gleichermaßen gut beschrieben werden 1 Dies nimmt auch Raukko (2003: 165) für die experimentelle Erforschung der Polysemie an. <?page no="76"?> 76 können. Aus diesem Grunde strebt der empirische Teil (Kap. 5) der vorliegenden Arbeit lediglich Aussagen über Motivation im Sinne von Motivierbarkeit an. Zuletzt (4.3.2) wird die Methode vorgestellt, die auch den Untersuchungen des Kapitels 5 zu Grunde liegt. 4.1 Motivation durch Introspektion des Linguisten Fast jeder Autor, der sich mit lexikalischer Motivation beschäftigt, stellt sich auch die Frage, inwieweit verschiedene Sprachen unterschiedlich stark motiviert sind. Oft werden in diesem Zusammenhang intuitive Urteile über Sprachen gefällt: So wird zum Beispiel das Deutsche als besonders motiviert angesehen, wohingegen das Französische als besonders motivationsarm gilt (s. z.B. Saussure 1972 [1916]: 183, Bally 4 1965: 341, Ullmann 2 1966: 223). Bezeichnend für solche und ähnliche Aussagen ist, dass die angeführten Beispiele quantitativ meist nicht repräsentativ genug sind um typologisierende Aussagen über ganze Sprachen zu erlauben. Demgegenüber stehen Studien wie Scheidegger (1981), Augst (1975), Augst/ Müller (1998), Rube (2004), Koch/ Marzo (2007), Sanchez (2008) und Sanchez-Stockhammer (2011), die versuchen, repräsentative Ausschnitte des italienischen (Rube 2004), französischen (Koch/ Marzo 2007 u. Scheidegger 1981), englischen (Sanchez 2008 u. Sanchez-Stockhammer 2011) und deutschen (Augst 1975, Augst/ Müller 1998, Scheidegger 1981, Sanchez 2008 u. Sanchez-Stockhammer 2011) Wortschatzes über Introspektion 2 auf Motivation hin zu untersuchen und so die Grundlage zu schaffen für umfassende Sprachvergleiche im Bereich der lexikalischen Motivation. 3 2 Zu allgemeinen Problemen der Introspektion durch den Linguisten vgl. z.B. die Diskussion in Croft (1998), Gibbs/ Matlock (1998) u. Sandra (1998) sowie Sandra/ Rice (1995) u. Fill (1981). In diesem Abschnitt sollen jedoch nur die Probleme in Bezug auf das Studium der lexikalischen Motivation dargestellt werden. 3 Auch Rufener (1971) und Shaw (1979) gehen introspektiv vor. Da ihr Fokus aber nicht auf repräsentativen Ausschnitten des englischen und deutschen Wortschatzes insgesamt, sondern lediglich auf Komposita liegt, die im Rahmen des empirischen Teils der vorliegenden Arbeit keine wesentliche Rolle spielen (s. Kap. 5), werden ihre Studien hier nicht im Detail besprochen. Wichtiger erscheinen in diesem Zusammenhang die verschiedenen Wortnetze. Die Wissenschaftler, die die unterschiedlichen WordNets konstruiert haben, haben es zwar nicht zum Ziel lexikalische Motivation zu erforschen. Doch spielt, wie in den Kap. 2 u. 3 gezeigt wurde, die lexikalische Motivation zumindest sekundär auch in diesen Studien eine Rolle. Diese Forschergruppen gehen zumindest teilweise auch über Introspektion vor (s. Fellbaum 2 1999). Da sie jedoch auch mit Informantenbefragungen und Wörterbüchern <?page no="77"?> 77 Scheidegger stützt seine Studie auf den deutschen und französischen Grundwortschatz, der bei ihm in beiden Sprachen aus 1756 lexikalischen Wörtern besteht (1981: 42-43). Augst (1975) sowie Augst und Müller (1998) geht es darum, ein ganzes Lexikon zur Wortbildung und ein Wortfamilienwörterbuch zu erstellen. Rube (2004: 37ff.) untersucht die 100 häufigsten lexikalischen Wörter des Italienischen und findet für diese ca. 500 Motivationsbeziehungen. Koch und Marzo (2007: 276) motivieren die 500 frequentesten lexikalischen Wörter beziehungsweise 936 lexikalische Einheiten des Französischen und zählen dabei ca. 600 Fälle von Motivierbarkeit. Sanchez (2008: 79; s. auch Sanchez-Stockhammer 2011: 291) legt ihrer vergleichenden Studie zum Englischen und zum Deutschen pro Sprache 2500 lexikalische Wörter zu Grunde. Die Untersuchungen von Scheidegger (1981) und Sanchez (2008) bzw. Sanchez-Stockhammer (2011) sollen hier nicht weiter besprochen werden, da sie zwar umfassende und auch sprachvergleichende Studien darstellen, jedoch die Polysemie, die im Zentrum der vorliegenden Arbeit steht, nicht beachten. Anders verhält es sich bei Augst (1975), Augst und Müller (1998), Rube (2004) sowie Koch und Marzo (2007), die alle ihr Material sowohl auf intrinsische als auch auf extrinsische Motivation untersuchen. Augst (1975) sowie Augst und Müller (1998) sehen jedoch anders als die vorliegende Arbeit semantische Motivationsrelationen wie schon Ullmann nur in Fällen von Polysemie (vgl. Augst/ Müller 1998: XVII u. XXXI-XXXV). Dazu kommt, dass ihr Inventar semantischer Relationen, das sich im Wesentlichen auf Metaphern und Metonymien beschränkt, deutlich kleiner ausfällt als das hier verwendete. Extrinsische Motivation definieren sie rein formal. Zu Augst (1975) und Augst/ Müller (1998) ist außerdem zu sagen, dass es sich nicht um rein introspektive Studien handelt, denn in Zweifelsfällen wurden auch Informantenbefragungen durchgeführt (Augst 1975: 204ff. u. Augst/ Müller 1998: X). Aus diesem Grunde werden diese Untersuchungen in Abschnitt 4.3.1 erneut angesprochen. An dieser Stelle sei nur erwähnt, dass Augst sowie Augst und Müller mit der Durchführung von Informantenbefragungen auf eines der größten Probleme der Introspektion durch Linguisten aufmerksam machen, nämlich genau auf die Zweifelsfälle, für die sie die Informantenbefragungen eben durchführen. Als einen solchen Zweifelsfall nennt Augst zum Beispiel dt. vereiteln, bei dem er durch Introspektion nicht entscheiden konnte, ob eine Motivationsrelation zu dt. eitel besteht (1975: 207), obwohl die Form eitel in vereiteln enthalten ist. Die Form ist zwar arbeiten bzw. die Beziehungen in Gruppen und mit Kontrollgängen etabliert werden, werden diese Wortnetze erst in 4.3 näher betrachtet. <?page no="78"?> 78 sehr ähnlich, doch besteht hier tatsächlich ein semantischer Zusammenhang? Auch Rube (2004: 7-8) geht nicht ausschließlich über Introspektion vor, sondern setzt es sich zum Ziel, die über Introspektion erzielten Ergebnisse mit Ergebnissen aus Informantenbefragungen zu vergleichen (vgl. Abschnitt 4.3.1). Anders als Augst sowie Augst und Müller nimmt sie jedoch wie Koch (2001a) an, dass Motivation in jedem Fall als formal und semantisch gleichzeitig anzusehen ist. Um der Polysemie, die in der Theorie als eine von mehreren formalinhaltlichen Motivationsmöglichkeiten angenommen wird, auch in der Praxis Rechnung zu tragen, wurde sowohl von Rube (2004) als auch von Koch und Marzo (2007) jede untersuchte lexikalische Einheit sowohl auf intrinsische als auch auf extrinsische Motivation hin überprüft. Gezählt wurde in den Fällen, in denen es möglich war, beide Möglichkeiten zu finden, sowohl eine intrinsische als auch eine extrinsische Lösung. Dies sei am Beispiel fr. point ‘Punkt’ veranschaulicht. Intrinsisch besteht eine mögliche Motivationsbeziehung zu fr. point ‘Stichmuster (beim Nähen und Sticken)’, extrinsisch besteht eine Beziehung zu fr. pointer ‘mit einem Punkt markieren’. Auf diese Weise ist fr. point ‘Punkt’ doppelt motiviert. Doppelte Motivationsmöglichkeiten sind nun zwar ein Phänomen, das auch bei Laien bisweilen vorkommt (zum Phänomen von motivational networks s. Umbreit 2011, zur Kombinierbarkeit von Ikontypen in einem Zeichen Marzo 2009), doch ist im Fall von Rube (2004) und Koch/ Marzo (2007) der theoretische Hintergrund dafür verantwortlich, dass in jedem Fall intrinsische Motivation angenommen wurde. Das Bestreben, die Polysemie nicht nur theoretisch auf eine Ebene mit anderen Motivationsverfahren zu setzen, hat in der Praxis dazu geführt, dass ihr womöglich zu viel Bedeutung beigemessen wurde. Die systematische Annahme einer intrinsischen und einer extrinsischen Motivation gehört zu derselben Art von Problem, auf die bereits in Bezug auf Augst (1975) und Augst/ Müller (1998) hingewiesen wurde. Bei introspektiver Vorgehensweise wird der Sprachwissenschaftler nicht nur wie oben beschrieben mit Zweifeln der Art konfrontiert, ob nun dt. vereiteln in einer Motivationsbeziehung steht zu dt. eitel, sondern auch mit der Frage, welche Motivationsbeziehung denn die salienteste sein könnte, wenn die Theorie mehrere plausible Möglichkeiten zulässt. Kein Sprachwissenschaftler (auch kein muttersprachlicher) kann mit absoluter Sicherheit vorhersagen, welche der theoretischen Möglichkeiten nun tatsächlich die im Bewusstsein der Sprachgemeinschaft salienteste ist (vgl. hierzu auch Marzo/ Rube 2006: 154 sowie Marzo/ Rube/ Umbreit 2007). In solchen Fällen kann jede Entscheidung für oder gegen eine Motivationsmöglichkeit nur willkürlich sein. In diesem Sinne war auch die Entscheidung willkürlich, für die Erstellung <?page no="79"?> 79 eines Motivationsprofils einer Sprache konsequent sowohl eine intrinsische als auch eine extrinsische Motivation zu zählen. Denn aus der Sicht von naiven Muttersprachlern könnte eine der beiden Beziehungen wesentlich salienter als die andere sein, die vielleicht überhaupt nicht wahrgenommen wird. Hinzu kommt noch eine Schwierigkeit, die sich zu der eventuell problematischen semantischen Beziehung zwischen dt. vereiteln und dt. eitel komplementär verhält: Wie sehr müssen sich lexikalische Einheiten formal ähneln, damit überhaupt (noch) eine Motivationsrelation angenommen werden kann? Der Sprachwissenschaftler motiviert hier mit seinen Kenntnissen über die Etymologie und die Wortbildungsregeln der untersuchten Sprache sicherlich großzügiger als der Laie. 4 4.2 Korpora als Quelle für Motivation Im Zeitalter der Korpuslinguistik stellt sich die Frage, inwieweit Korpora herangezogen werden können, um lexikalische Motivation zu bestimmen. Um dies beurteilen zu können, muss zunächst klargestellt werden, welche Informationen für die Erstellung von Motivationsprofilen denn überhaupt in einem Korpus vorhanden sein müssen, damit eine Korpusstudie die Introspektion des Sprachwissenschaftlers sinnvoll ersetzen kann. Zuallererst muss selbstverständlich die untersuchte lexikalische Einheit im Korpus vorkommen. Bei modernen Korpora, 5 die im Allgemeinen ausreichend umfangreich und relativ gut annotiert sind, stellt die Suche nach der Form der zu untersuchenden lexikalischen Einheit im Normalfall kein Problem dar. Schwieriger ist hingegen die Suche nach der Bedeutung, die man sich aus dem Kontext erschließen muss, was zum Teil mit größeren Problemen verbunden ist (vgl. hierzu genauer Marzo/ Rube/ Umbreit 2007 u. Raukko 2003: 165). Die zweite Bedingung ist dann, dass die zu untersuchende lexikalische Einheit im Korpus in formal-inhaltlichen Bezug gesetzt wird zu einer anderen im Korpus vorkommenden lexikalischen Einheit. Für den Bereich der Motivation in der Wortbildung gibt es in diesem Bereich Ansätze, die Transparenz (also graduierbare Motivation, vgl. Abschnitt 6.2.1.1) über Kookkurrenz im Korpus messen wollen (vgl. z.B. Baroni/ Vegnaduzzo 2003). Nach formal aufeinander be- 4 In diesem Sinne sind auch Isings Daten mit Vorsicht zu genießen. Er legt seiner typologischen Studie zwar eine Fragebogenumfrage zu Grunde, doch sind seine Informanten Sprachexperten (Ising 2011: 360). 5 Für das Französische müssen an dieser Stelle das geschriebene Korpus Frantext und der französische Teil aus dem C-Oral-Rom-Projekt zitiert werden. Für das Italienische sind v.a. der italienische Teil des C-Oral-Rom-Projektes, das BADIP (= Banca dati dell’italiano parlato) sowie das CORIS (= Corpus dell’italiano scritto) zu erwähnen. <?page no="80"?> 80 zogenen Einheiten kann hier wiederum relativ einfach gesucht werden, wenn man nach kookkurrierenden formal ähnlichen Formen sucht (wie z.B. Rube 2008). Doch bedeutet Kookkurrenz formal ähnlicher Formen nicht automatisch, dass diese auch semantisch zusammenhängen, was eine weitere Bedingung für die Untersuchung lexikalischer Motivation wäre. Dies ist jedoch genau der Ansatz, den zum Beispiel Baroni (2003: 22) für seine Untersuchung der semantischen Transparenz präfigierter Wörter in Bezug auf ihre Ableitungsbasis verfolgt. Baroni (2003) sowie Baroni und Vegnaduzzo (2003) gehen davon aus, dass Kookkurrenz ähnlicher Formen auch in irgendeiner Weise semantische Ähnlichkeit der Bedeutungen mit sich bringt. Dass dies nicht automatisch der Fall ist, kann man wie in den französischen Sätzen (1) und (2) daran illustrieren, dass formale Ähnlichkeit nicht nur Polysemie, sondern auch Homonymie ganzer Wörter oder auch nur der Stämme bedeuten kann: (1) Fr. Mon portemonnaie m’a été volé pendant le vol de Marseille à Naples. Dt. Mein Portemonnaie ist mir auf dem Flug von Marseille nach Neapel gestohlen worden. (2) Fr. Trop tard ! Le train est en train de partir. Dt. Zu spät! Der Zug fährt gerade ab. Synchron besteht hier weder in (1) ein Zusammenhang zwischen den Bedeutungen des Verbes fr. voler ‘stehlen’ und des Substantives fr. vol ‘Flug’ noch in (2) zwischen dem Substantiv fr. train ‘Zug’ und dem Phraseologismus fr. être en train de faire quelque chose ‘dabei sein etwas zu tun’. Selbstverständlich ist es aber nicht auszuschließen, dass auch formal ähnliche Wörter, deren Bedeutungen tatsächlich auf irgendeine Weise miteinander zusammenhängen, gemeinsam vorkommen. Doch bleiben auch solche Fälle schwierig und problematisch, wie an (3) gezeigt werden kann: (3) Fr. Aux voleurs ! On m’a volé ! Dt. Fasst die Diebe! Man hat mich bestohlen! In (3) besteht im Gegensatz zu (1) und (2) sehr wohl ein Zusammenhang zwischen den Bedeutungen von fr. voleur ‘Dieb’ und fr. voler ‘bestehlen’. Doch bleibt es - und hier zeigt sich ein entscheidender Nachteil der Erstellung von Motivationsprofilen über Korpusanalysen - dennoch dem Auswerter überlassen, diesen Zusammenhang semantisch genauer zu bestimmen oder ihm eine konzeptuelle Relation zuzuweisen. Im Falle von (3) handelt es sich um eine Kontiguitätsrelation, weil man, wenn man bestohlen wird, eben normalerweise von Dieben bestohlen wird. Eine solche Erklärung kommt in (3) nicht explizit vor, man kann sie sich zwar <?page no="81"?> 81 aus dem Zusammenhang ableiten, muss dazu aber den Motivationsakt genauso selbst vollziehen, wie bei einer rein introspektiven Studie. Natürlich sind auch Beispiele im Korpus denkbar, 6 bei denen dieser introspektive Schritt entfällt und die Art des inhaltlichen Zusammenhanges im Beispiel selbst vorkommt wie in den Beispielen (4) und (5) aus Film und Fernsehen: (4) Englische Fassung: They kid …. that’s why they are called kids. Deutsche Fassung: Ach, das sind nur Kindereien…deswegen heißen die Kinder ja auch Kinder. Quelle: Film Ice Age 2 (2006) von Carlos Saldanha (5) Französische Fassung: Le Carambar s’appelle Carambar parce qu’il s’agit d’une barre en caramel. Deutsche Fassung: Der Carambar heißt Carambar, weil es sich dabei um eine Stange, also barre, aus Karamell, im Französischen mit <c> geschrieben, handelt. Quelle: DVD-Ausgabe der Sendung Karambolages auf arte, DVD Nr.1, Rubrik Les mots Sowohl in (4) als auch in (5) muss sich der Auswerter die Erklärung für den Zusammenhang nicht selbst zurechtlegen, sondern sie ist im Beispiel bereits enthalten, da sowohl in (4) als auch in (5) ein Wort beziehungsweise ein Name über andere Wörter begründet wird. In (4) wird der Zusammenhang über eine Kontiguitätsbeziehung erklärt. Ähnlich wie in (3) bei fr. voleur ‘Dieb’ und fr. voler ‘bestehlen’, kann auch engl. kid ‘Kind’ durch eine besonders typische Handlung des Kindes erklärt werden, nämlich engl. to kid ‘scherzen, herumalbern’, was sich der Sprecher in (4) zu Nutze macht. In (5) handelt es sich zwar um kein lexikalisches Wort, sondern um den Eigennamen einer französischen Süßigkeit auf der Basis von Karamell, doch ist auch dieser motiviert. Formal handelt es sich, wenn man vom Lautbild ausgeht, um Komposition kombiniert mit Clipping: fr. / karam/ von fr. caramel + fr. / bar/ , das im Schriftbild von fr. barre zu bar vereinfacht wurde. Caram verhält sich inhaltlich zu Carambar kontig, denn ein Carambar besteht ja aus Karamell, wie uns der Erzähler mitteilt. Bar ist carambar taxonomisch übergeordnet, denn ein carambar ist, wie wir in (5) erfahren, eine Art Stange, genauer eben eine Karamellstange. Solche und ähnliche Beispiele metasprachlicher Reflexion, die ja letztlich die Grundlage für das Phänomen der Motivierbarkeit bildet, kommen also durchaus vor, je nachdem, wie das Korpus beschaffen ist. Doch ist es praktisch 6 Zum Problem des geringen Vorkommens sehr spezifischer Daten bzw. Phänomene in Korpora vgl. z.B. Fill (1981: 215-216). <?page no="82"?> 82 wohl unmöglich, automatisiert nach solchen Fällen zu suchen. Zwar kann man wie oben bereits erwähnt nach formal ähnlichen Kookkurrenzen suchen, aber ob diese dann inhaltlich zusammenhängen und ob der Kontext darüber hinaus diesen Zusammenhang erklärt, muss vom Sprachwissenschaftler manuell überprüft werden. Man kann auch davon ausgehen, dass in einem normalen Korpus nicht besonders viele Beispiele dieser Beschaffenheit vorkommen. Und wenn ein bestimmtes Beispiel vorkommt, stellt sich zudem die Frage nach der Repräsentativität, was seine Frequenz im Korpus und die Textgrundlage des Korpus angeht. 4.3 Informantenbefragungen zur Motivation Wie bereits angesprochen (s. Kap. 2), wird lexikalische Motivation meist als von Muttersprachlern synchron wahrnehmbares Phänomen definiert (s. z.B. Shaw 1979, Ullmann 2 1966, Ernst 1981, Rettig 1981, Fill 1980a u. b, Augst 1975, Koch 2001a, Rube 2004, Koch/ Marzo 2007). Dennoch beruhen die Arbeiten der meisten Forscher auf Introspektion, die durchaus problematisch sein kann (s. 4.1). Im Folgenden werden zunächst verschiedene Informantenbefragungen, die zeitlich vor den Befragungen der vorliegenden Studie durchgeführt worden sind, kurz skizziert 7 und daraufhin bewertet, inwiefern man mit ihren Methoden alle Informationen erhalten kann, die man für eine Studie der lexikalischen Motivation im Sinne dieser Arbeit benötigt (s. Abschnitt 4.3.1). Anschließend (s. Abschnitt 4.3.2) wird die Tübinger Zweischrittmethode vorgestellt, die in einer adaptierten Version dem Vorgehen der vorliegenden Arbeit zu Grunde liegt. 4.3.1 Methodenüberblick und Diskussion der Methoden Tabelle 1 stellt die im Folgenden diskutierten Befragungstechniken im Überblick dar. Es handelt sich dabei um Methoden, die in der Vergangenheit entweder schon zur Untersuchung lexikalischer Motivation eingesetzt wurden oder aber mit der Motivation verwandte Phänomene untersuchen und somit potentiell auch für die Zwecke der vorliegenden Arbeit verwendet werden können. Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen Onlinestudien, bei denen die Informanten eine Aufgabe lösen, die an sich nichts mit dem untersuchten Phänomen zu tun hat, und Offlinestudien, die die Informanten direkt dazu auffordern, über die Motivation bestimmter lexikalischer Einheiten nachzudenken, also selbst Introspektion 7 Nicht mehr ganz aktuelle und dadurch unvollständige Überblicke finden sich in Marzo/ Rube (2006) und Rube (2004). <?page no="83"?> 83 zu betreiben. 8 Es wird sich zeigen, dass nicht alle Aspekte der Motivation mit jeder Methode untersucht werden können. Offlinemethoden eignen sich beispielsweise dazu, das bewusste Phänomen der Motivierbarkeit zu untersuchen. 9 Dies ist auch der Weg, den die Mehrheit derjenigen Motivationsforscher, die Muttersprachler befragen, bisher gewählt hat. Im Folgenden soll jedoch auch eine gängige Onlinemethode daraufhin evaluiert werden, inwieweit sie sich für die Untersuchung lexikalischer Motivation eignet. Denn man kann vermuten, dass Onlinemethoden sich besser dazu eignen, das unbewusste Phänomen der Motiviertheit zu erforschen. 10 Zunächst muss aber festgehalten werden, welche Bedingungen eine Methode erfüllen muss, um zur Erforschung der Motivation im hier gebrauchten Sinne überhaupt eingesetzt werden zu können. Wie vor allem in den Abschnitten 2.2.5 und 3.3 dargelegt wurde, hat eine motivierte Einheit einen Motivationspartner, zu dem sie sowohl in einer formalen als 8 Bei Offlinebefragungen (für detailliertere Definitionen von Offlinevs. Onlinestudien vgl. z.B. Baker 2000: 12 u. Cuyckens/ Sandra/ Rice 1997: 37-38) wird der Informant meist gebeten, aktiv über seine Sprache und deren Verwendung nachzudenken. Der Forscher wertet dann die metasprachlichen Überlegungen der Informanten aus. Onlinestudien sind zwar z.T. auch mit Fragestellungen verbunden, bei denen der Informant aktiv über seine Sprache nachdenkt, wie z.B. bei Lexical Decision Tasks (vgl. Tab. 1, Punkt 1). Der wesentliche Unterschied zu Offlinemethoden besteht aber darin, dass der Forscher in keiner Weise an den Antworten auf diese Fragen interessiert ist. Was er beobachtet, ist vielmehr der Prozess, über den die Informanten zu einer Entscheidung kommen. Gemessen wird meist die Reaktionszeit, die die Informanten benötigen, um auf die Stimuli zu reagieren. Diese Reaktionszeit soll im Normalfall Aufschluss darüber geben, wie Wörter im mentalen Lexikon gespeichert sind bzw. wie die Entschlüsselung von und der Zugriff auf Wortformen und Bedeutungen funktioniert. 9 Laut Klein (2007: 85) macht es bei der Untersuchung von reflektierter Motivation - die in etwa der Motivierbarkeit entspricht, obwohl sie etwas weiter gefasst ist - keinen Unterscheid, ob die Sprecher eine Einheit von sich aus spontan motivieren oder von anderen dazu gebracht werden. In jedem Fall handelt es sich um Introspektion. Da nach Klein (2007: 84) reflektierte Motivation im Alltag die Ausnahme und nicht die Regel ist, kommt sie zwar in Gesprächen und Texten (u. somit in Korpora) vor, aber eben nicht in großen Mengen (Klein 2007: 84 u. Abschnitt 4.2). 10 In Kap. 6 wird im Zusammenhang mit Transparenzgraden im Lexikon auch auf die Komplementarität der Ergebnisse, die mit der in dieser Arbeit gewählten Offlinemethode erzielt werden, und derjenigen Ergebnisse, die mit Hilfe der Onlinemethode des Priming erzielt werden können, genauer eingegangen. Zudem spielt, wie in Abschnitt 2.3.2 erwähnt wurde, Motivation im Zusammenhang mit Netzwerkmodellen des mentalen Lexikons auch in der Psycholinguistik eine wichtige Rolle. Daher liegt es nahe anzunehmen, dass psycholinguistische Methoden zur Erforschung des mentalen Lexikons, wie z.B. Methoden, die sich das Phänomen des Priming zu Nutze machen, auch für die Motivationsforschung genutzt werden können (vgl. hierzu auch Marzo/ Rube 2006: 154-155). <?page no="84"?> 84 auch einer inhaltlichen Beziehung steht. Dies bedeutet zunächst, dass die Methode (i) einen formal ähnlichen Motivationspartner für den Stimulus erfassen muss und (ii) darüber Auskunft gibt, ob der Stimulus und der Motivationspartner auch inhaltlich zusammenhängen; (iii) sollte die Methode es erlauben, die inhaltliche Relation genauer zu bestimmen und zwar im Hinblick auf die von Koch (2001a) definierten konzeptuellen Relationen. Da der vorliegende Ansatz formale Identität als allen anderen formalen Relationen prinzipiell ebenbürtig betrachtet, muss die Methode (iv) auf intrinsische Motivationsphänomene genauso anwendbar sein wie auf extrinsische. Schließlich sollte sie (v) eventuell noch Rückschlüsse darauf zulassen, wie stark oder offensichtlich die Motivationsbeziehung denn ist, ob also Transparenzgrade auszumachen sind (vgl. Kap. 6). Aufgabentyp Fragestellung (i) (ii) (iii) (iv) (v) 1. Lexical Decision + Priming Ist X ein Wort der Sprache Y? Nein. Bei formal ähnlichen Einheiten nur bedingt. Nein. Nein. Ja. 2. Semantic- Similarity-Rating Wie ähnlich sind sich die Bedeutungen X und Y? Nein. Ja. Nein. Ja. Ja. 3. Assoziationstests Was fällt Ihnen ein zu X? Bedingt. Bedingt. Nein. Bedingt. Nein. 4. Berkos Test Warum sagt man X zu Y? Ja. Ja. Ja. Ja. Bedingt. 5. Comes- From- Test Klassisch: Kommt X von Y? Angepasst: Von welchem Y kommt X? Nein. Ja. Ja. Ja. Nein. Ja. Ja. Ja. Bedingt. Bedingt. Tab. 1: Überblick über Befragungsmethoden zur Erforschung lexikalischer Motivation <?page no="85"?> 85 Lexical Decision + Priming (Tab. 1, Punkt 1): Lexikalische Entscheidungsaufgaben kommen aus der Psycholinguistik. Die Informanten werden darum gebeten zu entscheiden, ob die Stimuli Wörter der untersuchten Sprache sind oder nicht. Den Versuchsleitern geht es normalerweise nicht um die Antworten, die auf solche Entscheidungsfragen gegeben werden. Denn dass zum Beispiel dt. Tischler ein Wort der deutschen Sprache ist, *Fischler hingegen nicht, selbst wenn es so aussieht, und *Frszltka auf gar keinen Fall, wissen die Versuchsleiter selbst. Lexikalische Entscheidungsfragen werden im Normalfall von Reaktionszeitmessungen begleitet, von denen man sich Aussagen über Sprachverarbeitungsprozesse erhofft. Damit gehört diese Methode zu den Onlinemethoden. Mit Hilfe von Reaktionszeitmessungen bei lexikalischen Entscheidungsaufgaben lassen sich verschiedene Arten von Primingeffekten beobachten. Semantisches Priming bedeutet, dass ein Wort wie dt. Tischler (das Target oder Zielwort der Untersuchung) auf einem Bildschirm schneller als Wort der deutschen Sprache erkannt wird, wenn die Versuchsteilnehmer kurz zuvor ein Wort (den Prime) gesehen haben, dessen Bedeutung in irgendeiner Weise mit der Bedeutung des Target zusammenhängt. Im Falle von dt. Tischler zum Beispiel könnte dt. Schrank einen solchen Primingeffekt auslösen, dt. Sonne hingegen wohl nicht. 11 Man kann davon ausgehen, dass motivierte Wörter einem Primingeffekt unterliegen, wenn zuvor das motivierende Wort aktiviert wird, dass also dt. Tisch einen ähnlichen Effekt auf dt. Tischler hat, wie ihn dt. Schrank hat. 12 Da es sich hierbei um Beobachtungen von unbewussten Prozessen handelt, könnte man sich vorstellen, dass sich diese Methode besonders gut dazu eignet, den Aspekt der Motiviertheit zu untersuchen. Doch stellt uns diese Methode in Bezug auf die Kriterien (i) bis (v) vor einige Schwierigkeiten. Zum Beispiel ist es in solchen Fällen praktisch unmöglich zu messen, ob die Form und der Inhalt tatsächlich gleichzeitig einen Primingeffekt auslösen und es nicht nur die Ähnlichkeit der Form ist, die das 11 Zu semantischem Priming vgl. Brisard/ Van Rillaer/ Sandra (2001: 270), Klepousniotou (2002: 211-212), Sandra/ Rice (1995: 117-123), Williams (1992: 197-199, 203-205); Primingeffekte können jedoch auch durch die Ähnlichkeit von Formen hervorgerufen werden, s. z.B. Feldman/ Barac-Cikoja/ Kostic (2002: 631-634) oder Longtin/ Segui/ Hallé (2003: 317-322). 12 Wilson, Tyler, Waksler und Older (1994) stellen in ihren Experimenten zur Organisation des mentalen Lexikons anhand des Englischen fest, dass semantisch transparente und morphologisch komplexe Wörter wie engl. government ihre Ableitungsbasis (hier engl. govern) primen, während semantisch opake, wie engl. apartment in Bezug auf engl. apart dies nicht tun (s. z.B. 1994: 5, 31). Daraus schließen sie, dass semantisch opake Wörter einen eigenen Eintrag im mentalen Lexikon haben, semantisch transparente Wörter jedoch nicht. <?page no="86"?> 86 Verständnis des Target erleichtert. Für die Erfüllung der Bedingung (ii), die besagt, dass die Methode Auskunft darüber geben können sollte, ob der Stimulus und der Motivationspartner inhaltlich zusammenhängen, stellt dies natürlich ein Problem dar. Im Normalfall wird es bei Primingexperimenten auch tatsächlich vermieden, gleichzeitig die Form und die Bedeutung zu untersuchen, das heißt, Prime und Target werden in der Regel so gewählt, dass sie entweder formal oder inhaltlich zusammenhängen, da es sonst zu viele Variablen im Experiment gäbe. Dieses prinzipielle Problem wird im Falle der intrinsischen Motivation (iv) noch intensiviert. Denn zur Untersuchung der intrinsischen Motivation wäre es nötig, sowohl als Prime als auch als Target lexikalische Einheiten - also Formen und Bedeutungen (zum Beispiel als Definition oder mit Beispielsatz) - anzugeben, um sicherzustellen, dass die Informanten überhaupt von zwei verschiedenen Einheiten ausgehen. Dies ist bei Primingexperimenten problematisch, da durch das Mehr an Input auf dem Bildschirm nicht mehr sicher nachvollzogen werden kann, woher mögliche Primingeffekte denn nun genau kommen. Hinzu kommt, dass bei Primingexperimenten Prime und Target bereits vor Start des Experimentes festgelegt werden müssen, also Bedingung (i), die Ermittlung des Motivationspartners, nicht erfüllt werden kann. Da es in der Aufgabenstellung nur um eine Ja-Nein-Frage geht, lassen sich aus den Ergebnissen auch die inhaltlichen Beziehungen nicht spezifizieren, wie es Bedingung (iii) erfordert. Für die Untersuchung der Motivationsrichtung wortgebildeter Einheiten scheinen Primingexperimente jedoch dennoch eingesetzt werden zu können (s. Umbreit in Vorb.). Hilfreich wäre diese Methode eventuell auch, um - wie von Bedingung (v) gefordert - Graduierungen in der Deutlichkeit der Motivationsbeziehungen, das heißt Transparenzgrade, zu erforschen. Klepousniotou (2002) kann zum Beispiel nicht nur zeigen, dass Polysemie größere Primingeffekte mit sich bringt als Homonymie, sondern auch, dass metaphorische Polysemie geringere Effekte aufweist als Metonymie. Gelänge es, Klepousniotous Experiment den Bedürfnissen der Untersuchung lexikalischer Motivation anzupassen, wären die Ergebnisse sicherlich aufschlussreich, was Unterschiede in der Motivation verschiedener konzeptueller Beziehungen angeht (mehr dazu s. Abschnitt 6.2.1.4). Semantic-Similarity-Rating (Tab. 1, Punkt 2): Rating-Aufgaben gehören zu den Offlinemethoden. Vor dem Hintergrund der lexikalischen Motivation ist das Semantic-Similarity-Rating <?page no="87"?> 87 besonders interessant. 13 Hierbei werden die Informanten darum gebeten, die Ähnlichkeit von Wörtern oder Bedeutungen auf einer mehrstufigen Skala zu bewerten. Was hat nun diese Herangehensweise mit lexikalischer Motivation zu tun? Vorausgesetzt die Stimuli werden so gewählt, dass es sich um formal ähnliche Einheiten der Art handelt, wie sie in Motivationsbeziehungen vorkommen können (vgl. Koch 2001a), erfüllen Ratingexperimente die Bedingung (ii), die verlangt, dass man testen kann, ob zwei formal relationierte lexikalische Einheiten in den Augen der Informanten auch inhaltlich zusammenhängen. Man könnte folglich mit dieser Methode eine Untersuchung des Aspekts der Motivierbarkeit versuchen. Durch die Bewertung des Zusammenhangs auf einer Skala kann man sich darüber hinaus, wie von (v) verlangt, eventuell Aussagen über die Stärke oder Offensichtlichkeit des Zusammenhanges erhoffen. Bedingung (iv), das Einbeziehen der intrinsischen Motivation, kann zudem relativ einfach erfüllt werden, wenn die zu bewertenden Paare als lexikalische Einheiten dargestellt werden, wie zum Beispiel in disambiguierenden Sätzen. Doch eignen sich Experimente dieser Art trotz dieser Vorteile nur bedingt für die Untersuchung lexikalischer Motivation: Zum einen reicht das sehr allgemein gefasste Verständnis der semantischen Ähnlichkeit nicht aus, um die Motivationsrelationen auf inhaltlicher Seite näher zu bestimmen. Angenommen ein Stimuluspaar wie dt. Tischler und dt. Tisch wäre von Informanten als ausgeprägt ähnlich bewertet worden, so bliebe also offen, ob es sich hier um tatsächlich wahrgenommene Ähnlichkeit im Sinne von metaphorischer Similarität handelt, um sehr weit gefasste Ähnlichkeit im Sinne von Vorkommen in einem gemeinsamen Frame, also Kontiguität, oder um irgendeine andere Relation des Inventars an konzeptuellen Relationen. Bedingung (iii) wird somit nicht erfüllt. Zum anderen muss der Stimulus bei Ratingaufgaben als Paar gegeben werden, was gegen Bedingung (i) verstößt. Wenn der Versuchsleiter selbst die Form festlegt, zu der dt. Tischler in Bezug gesetzt wird, erfährt man einerseits nicht, ob Muttersprachler von alleine jemals auf die Idee kämen, Tischler auch wirklich durch Tisch zu motivieren. Dies ist zwar sehr wahrscheinlich, es sind aber auch weniger deutliche Fälle denkbar, wie Augsts bereits erwähntes Beispiel dt. vereiteln in Bezug auf dt. eitel (1975: 207) zeigt, für das er durch Introspektion keine sichere Motivationsbeziehung herstellen konnte. In solchen und ähnlichen Zweifelsfällen greift Augst dann auch auf Ratingexperimente zurück. Im Einklang 13 Experimente dieser Art werden z.B. durchgeführt in Brisard/ Van Rillaer/ Sandra (2001), Caramazza/ Grober (1976), Colombo/ Flores d’Arcais (1984), Gibbs/ Beitel/ Harrington/ Sanders (1994), Gibbs/ Matlock (2001), Sandra/ Rice (1995), Tyler/ Waksler/ Marslen-Wilson (1993). <?page no="88"?> 88 mit seiner theoretischen Herangehensweise (vgl. 2.3) testet er sowohl intrinsische als auch extrinsische Motivation. Er präsentierte die zu relationierenden Wörter in disambiguierenden Sätzen und bat die Versuchsteilnehmer die Deutlichkeit der Beziehung zwischen den Bedeutungen auf einer vierstufigen Skala zu bewerten. Um Informationen über die Art des Zusammenhanges zu erhalten, über die Rating alleine nichts aussagen kann, besteht Teil 2 seiner Aufgabe darin, den Bedeutungszusammenhang zu erklären (vgl. Berkos Test, Tab. 1, Punkt 4). Ähnlich kombiniert auch Soares da Silva (1992) eine Ratingaufgabe in Zweifelsfällen mit einer Erklärungsaufgabe. Über Rating geht auch Glinz (1971: 71ff.) vor, der allerdings nicht nach der semantischen Ähnlichkeit zwischen zwei lexikalischen Einheiten fragt, sondern danach, wie sehr der etymologische Zusammenhang von zehn deutschen Wörtern (z.B. zwischen dt. Vernunft und dt. vernehmen) seinen Informanten (noch) einleuchtet. Assoziationstests (Tab. 1, Punkt 3): Assoziationstests, die ebenfalls zu den Offlinemethoden gehören, sind in der Linguistik heute vor allem aus der Psycholinguistik und der Kognitiven Linguistik bekannt, doch greifen diese Tests auf eine weit ältere Tradition zurück, wie zum Beispiel die Arbeiten von Meringer und Mayer (1895), Thumb und Marbe (1978 [1901]) sowie Kent und Rosanoff (1910) zeigen. Diese Arbeiten werden von Raible (1981), der in seinem Aufsatz zur Allgegenwart des Gegensinns die Bedeutung der aristotelischen Assoziationsprinzipien für die Sprache herausstellt, wieder aufgenommen und in einen modernen Zusammenhang gestellt. In neuerer Zeit wurden experimentelle Assoziationsstudien zum Beispiel von Palermo und Jenkins (1964), Clark (1971) oder Heringer (1986) durchgeführt. 14 Assoziationsexperimente bestehen meistens in einer freien Assoziationsaufgabe, das heißt, die Probanden werden darum gebeten aufzuzählen, was ihnen zu den Stimuli einfällt. So gehen zum Beispiel Oguy (1998), Schulte im Walde (2008), Schulte im Walde, Melinger, Roth und Weber (2008), Guida (2007) und Fellbaum ( 2 1999: 91) vor. Schulte im Walde sammelte Assoziationsdaten zu 330 deutschen (2008: 5), Guida zu 312 italienischen (2007: 14), Fellbaum zu 75 englischen Verben ( 2 1999: 90-91) und Oguy berichtet von einem Experiment zu zehn deutschen Adjektiven (1998: 127-130). Alle Autoren zielen darauf ab, einerseits die Assoziationspartner zu sammeln und andererseits die Relationen, die zwischen den Stimuli und den Antworten bestehen, näher zu bestimmen und so Assoziationsnormen zu erstellen. Insgesamt kann man auch zu dieser Art 14 Für einen präzisen Überblick über diese Literatur s. z.B. Schulte im Walde/ Melinger/ Roth/ Weber (2008) u. Schulte im Walde (2008: 24-28). <?page no="89"?> 89 von Tests sagen, dass sie für Untersuchungen zu allen Aspekten der Motivation nur bedingt geeignet sind. Zunächst ist festzuhalten, dass zwar, wie von Bedingung (i) verlangt, das assoziierte Element vom Informanten genannt wird. Da die Fragestellung jedoch sehr offen ist, ist nicht garantiert, dass es sich hierbei auch um einen echten Motivationspartner handelt, das heißt, eine Einheit, die auch formal mit dem Stimulus zusammenhängt. In den deutschen Daten von Schulte im Walde (2008) und Schulte im Walde, Melinger, Roth und Weber (2008) sowie den italienischen Daten von Guida (2007) sind Motivationspartner so im Vergleich zu anderen Assoziationen entweder nicht vorhanden oder wesentlich seltener als diese. Auf das Verb dt. abgewöhnen wurden in den Daten von Schulte im Walde bei insgesamt 98 unterschiedlichen Antworttypen bei einer Anzahl von insgesamt 190 Assoziationsfällen nur sechs verschiedene Motivationspartner genannt, die insgesamt nur 20 Assoziationsfälle ausmachen (vgl. Tab. 2). Es handelt sich um die deutschen Wörter Angewohnheit, Gewohnheit, entwöhnen, Entwöhnung, angewöhnen und umgewöhnen. Interessanterweise ist dt. gewöhnen, von dem abgewöhnen hinsichtlich seiner Wortbildung abhängt und das ich - wie es wohl auch die meisten Motivationsforscher tun würden - durch Introspektion als Motivationspartner für dt. abgewöhnen angegeben hätte, nicht darunter. Stimulus Antwort Typ Anzahl abgewöhnen Angewohnheit 10 Gewohnheit 5 entwöhnen 2 Entwöhnung 1 angewöhnen 1 umgewöhnen 1 Tab. 2: Motivationsassoziationen für dt. abgewöhnen nach Schulte im Walde (2008) Ähnliche Ergebnisse können in Guidas Daten beobachtet werden, wie zum Beispiel für it. accarezzare ‘streicheln’, auf das bei ca. 45 Teilnehmern insgesamt 22 verschiedene Wörter in insgesamt 49 Vorkommen assoziiert wurden. Unter diesen 22 verschiedenen Assoziationen war nur eine Assoziation, nämlich it. carezza ein potentieller Motivationspartner (also eine Assoziation, die sowohl formal als auch inhaltlich mit dem Stimulus zusammenhängt). Unter den insgesamt 49 Nennungen der 22 Assoziationen wurde it. carezza nur drei Mal genannt. Auch die vorläufigen Ergebnisse eines momentan noch nicht abschließend ausgewerteten Assoziationsexperimentes zu französischen Verben von Marzo und Schulte im Walde <?page no="90"?> 90 wiesen in dieselbe Richtung. Problematisch für die Herangehensweise der vorliegenden Arbeit sind Assoziationsexperimente in Bezug auf Bedingung (i) auch daher, dass - wenn überhaupt ein Motivationspartner gefunden wird - nur dessen Form von den Informanten angegeben wird, die Bedeutung, an die die Informanten vielleicht bei polysemen Wörtern gedacht haben, jedoch letztlich offen bleibt. Es kann also mit solchen Experimenten nachgewiesen werden, dass eine assoziative (also im Normalfall auch inhaltliche) Relation besteht, womit man Kriterium (ii) gerecht würde, doch kann diese inhaltliche Relation streng genommen erst bestimmt werden, wenn der Forscher eine Bedeutung für das assoziierte Wort festgelegt hat. Bedingung (iii) bleibt also durch diese Methode unerfüllt. Problematisch sind Assoziationsexperimente aus einem ähnlichen Grund auch in Bezug auf Kriterium (iv), denn die assoziierten Wörter sagen nur äußerst selten etwas über die Polysemie des Stimulus aus. Oguy (1998: 117ff.), der neben seinen eigenen verschiedene andere Assoziationsexperimente daraufhin überprüft, ob die Daten zur Disambiguierung polysemer Wörter geeignet sind, kommt zu dem Schluss, dass dies nur in einigen (zufälligen) Ausnahmen der Fall ist. Da nicht klar ist, in welcher Bedeutung die Wörter assoziiert werden, kann mit der Assoziationsmethode auch nur schwer etwas über Transparenzgrade (s. Bedingung (v)) ausgesagt werden, für deren Messung nicht nur die Form, sondern auch der Inhalt klar sein muss. Berkos Test (Tab. 1, Punkt 4): Derjenige Test, der in der Literatur meist „Berko’s test“ genannt wird (s. z.B. Derwing 1976), wurde im Rahmen einer Studie zum englischen Erstspracherwerb entwickelt, bei der Berko Kindern Fragen der Form „Why is a blackboard called a blackboard? ” (1958: 157) gestellt hat. Ihr Ziel war es, herauszufinden, ob es Kindern bewusst ist, dass manche Wörter wortgebildet sind. Sie versprach sich davon Aufschluss darüber, ob Wörter im kindlichen Lexikon als ganze Wörter oder als Morpheme mit Wortbildungsregeln gespeichert sind. Einer der Antworttypen, die sich ergaben, zeigt besonders deutlich den Motivationscharakter der Wortbildung: Die zusammengesetzten Stimuli wurden teilweise über ihre Bestandteile erklärt, es wurde also zunächst ein Bezug zu anderen Wörtern hergestellt und dieser anschließend erklärt: „a blackboard is called a blackboard, because it is a board and because it is (sometimes) black” (1958: 157ff.). So werden gleichzeitig die Bedingungen (i), (ii) und (iii) erfüllt. In Bezug auf das Motivationsverständnis dieser Arbeit lässt sich zunächst sagen, dass engl. blackboard ‘Wandtafel in der Schule’ durch engl. black ‘schwarz’ und engl. board ‘Tafel’ motiviert ist. Zusätzlich wird in der Erklärung noch der inhaltliche Zusammenhang der Bestandteile zum Ganzen dargelegt. Zwi- <?page no="91"?> 91 schen engl. blackboard ‘Wandtafel in der Schule’ und engl. black ‘schwarz’ besteht eine Kontiguitätsrelation, da prototypische Wandtafeln eher schwarz sind. Zwischen blackboard ‘Wandtafel in der Schule’ und engl. board ‘Tafel’ besteht eine taxonomische Relation, da eine Schultafel eine Art von Tafel unter anderen ist. Da es sich bei diesen Fällen um bewusste metasprachliche Erklärungen von Zusammenhängen zwischen Wörtern handelt, eignet sich diese Methode ausschließlich für Studien zum Aspekt der Motivierbarkeit, nicht aber zum Aspekt der Motiviertheit. Insgesamt ist der Einfluss dieser Warum-Frage auf die Forschung in den verschiedensten Arbeiten recht deutlich zu spüren: Der in den Ausführungen zu Punkt 2 in Tabelle 1 erwähnte zweite Schritt von Augst (1975), der seine Informanten um eine Erklärung zwischen zwei gegebenen Einheiten bittet, lässt sich letztlich auch auf diese Warum-Frage zurückführen, genauso wie die erwähnte Arbeit von Soares da Silva (1992). Dasselbe gilt auch für einige der Experimente in Fellbaum ( 2 1999: 89-91), in denen Beziehungen zwischen verschiedenen Wörtern und unterschiedlichen Bedeutungen eines Wortes hergestellt werden sollten, wobei es sich bei den Wortpaaren allerdings in den meisten Fällen nicht um formal zusammenhängende Wörter handelte. Mit formal zusammenhängenden Wörtern arbeitet wiederum Rube (2004), die ihre Informanten in einem ihrer Experimente intrinsische Motivation zwischen zwei gegebenen lexikalischen Einheiten erklären lässt. Derwing (1976) stellt, bevor er seinen Comes-From-Test entwickelt (vgl. Tab. 1, Punkt 5), die Warum- Frage erwachsenen Versuchsteilnehmern. Marzo verwendete diese Fragen in Pilotstudien zum Französischen und zum Deutschen 15 (zum Französischen s. Tab. 3, Punkt 1, vgl. auch Marzo/ Rube 2006: 156-159; zum Deutschen s. Marzo 2008 u. Abschnitt 5.1.3). Sowohl bei Derwing (1976: 51) als auch in Marzos französischen Studien (s. Punkt 1. in Tab. 3, vgl. auch Marzo/ Rube 2006: 156-157) ergab sich das Problem, dass es unter den Antworten, die ja, wie am Beispiel engl. blackboard gesehen werden kann, prinzipiell alle Bedingungen erfüllen können, zu viele Antworten gab, die aus der Motivationsperspektive nicht interpretiert werden konnten. Die Warum-Frage lässt ohne weitere Erklärungen und Einschränkungen eben auch Antworten zu, in denen kein Motivationspartner und keine Ableitungsbasis genannt werden, dafür aber Bezugseinheiten, die in keiner formalen Beziehung zum Stimulus stehen. Derwing löste dieses Problem in einer Veränderung der Fragestellung von „Warum sagt man X 15 Der französische Teil dieser Befragungen wurde dank eines DAAD-Stipendiums im Jahr 2004 in Lyon (Frankreich) durchgeführt. Ein Überblick über die zwei wichtigsten Tests zum Thema, die nur einen Bruchteil zahlreicher methodologischer Gehversuche darstellen, findet sich in Tab. 3. <?page no="92"?> 92 zu Y“ zu „Kommt X von Y? “ (vgl. Tab. 2, Punkt 4). Marzo (vgl. Tab. 3, Punkt 2) führte zusätzlich zur Veränderung der Fragestellung in „woher? “ die Bitte mit ein, den Motivationspartner explizit zu nennen. Im Rahmen des bereits erwähnten von Peter Koch geleiteten Projektes Lexikalische Motivation im Französischen, Italienischen und Deutschen an der Universität Tübingen mündete diese Herangehensweise in der Tübinger Zweischrittmethode, die den Fragebögen dieser Arbeit zu Grunde liegt (s. Abschnitte 4.3.2 u. 5.2). Zu Kriterium (v) ist zu sagen, dass diese Methode direkt nichts zur Graduierung des Phänomens der Motivation aussagen kann. Indirekt jedoch könnte die Bedeutung einer bestimmten Motivation darüber abgelesen werden, wie viele der befragten Informanten die gegebene lexikalische Einheit auf genau die eine bestimmte Art motiviert haben (vgl. Marzo/ Rube 2006: 153). Comes-From-Test (Tab. 1, Punkt 5): Derwing (1976) entwickelt den Comes-From-Test aus dem Bestreben heraus die Trefferquote derjenigen Antworten zu erhöhen, die tatsächlich Rückschlüsse darauf zulassen, dass die Informanten sich der Kompositionalität von Wörtern prinzipiell bewusst sind und somit auch Beziehungen zwischen Wörtern erkennen können. Die Frage, die er seinen Versuchsteilnehmern stellt, ist wesentlich lenkender als Berkos: „Does x come from y? ” (1976: 51). Sein Ziel mehr auswertbare Antworten zu erhalten erreicht Derwing auf diese Art zwar, doch werden die Antworten für die Zwecke der vorliegenden Arbeit nicht unbedingt verwertbarer. Zwar wird Bedingung (ii) erfüllt, doch stellt sich auch hier das Problem der Bedingungen (i) und (iii), nämlich einerseits, dass als Stimuli Wortpaare vorgegeben werden und der Forscher also den Motivationspartner selbst festlegt, und andererseits, dass die inhaltliche Beziehung nicht spezifiziert wird. Rube (2004: 72), Marzo (s. Tab. 3, Punkt 2), sowie Marzo, Rube und Umbreit (2007) stellen demgegenüber insofern einen Fortschritt dar, als die klassische „Kommt X von Y“-Frage umformuliert und den Motivationsbedürfnissen angepasst wurde in „Von welchem anderen Wort (in welcher Bedeutung) kommt X? “. Diese Veränderung führt dazu, dass nun auch Bedingung (i) prinzipiell erfüllt werden kann. Durch die Einführung der Zusatzbitte um die Erklärung des Zusammenhanges, wird die Methode dann auch Bedingung (iii) gerecht. Für die Bedingungen (iv) und (v) gilt dasselbe wie für Punkt 4 in Tabelle 1. Insgesamt kann zur Comes-From- Frage gesagt werden, dass sie sich wie die anderen Offlinemethoden, angewandt auf die Ziele dieser Arbeit zur Untersuchung des Aspekts der Motivierbarkeit eignet, nicht aber zur Untersuchung der unbewussten Motiviertheit und nicht automatisch zur Untersuchung der meist unbewussten Motivierung. <?page no="93"?> 93 Aus Tabelle 1 geht deutlich hervor, dass sowohl Berkos Warum-Frage (Tab. 1, Punkt 4) als auch die angepasste Version des Comes-From-Tests (Tab. 1, Punkt 5) wesentlich geeigneter für die empirische Erforschung von Motivation sind als die anderen vorgestellten Methoden. Da sie bewusste metasprachliche Äußerungen elizitieren, eignen sich jedoch beide lediglich dazu, den Aspekt der Motivierbarkeit zu untersuchen. Insgesamt hat sich jedoch gezeigt, dass mit keiner der hier diskutierten Methoden alle Aspekte der Motivation umfassend erfasst werden können. Besonders problematisch ist es, den Aspekt der Motiviertheit zu untersuchen, da bei Onlinemethoden, die eher zur Untersuchung dieses Aspektes geeignet sind als Offlinemethoden, die Bedingung (i), die Elizitierung des Motivationspartners, prinzipiell nicht erfüllt werden kann. Tabelle 1 zeigt zudem, dass die beiden am besten geeigneten Tests im Vergleich genau dieselben Bedingungen erfüllen. Dennoch sind sie nicht gleichermaßen für die Untersuchung von lexikalischer Motivation im Sinne von Motivierbarkeit geeignet. In Tabelle 3 werden Berkos Test und die angepasste Version der Comes-From-Frage in Studien zum Französischen einander direkt gegenübergestellt. Mit beiden Methoden können durchaus brauchbare Ergebnisse erzielt werden. Die Warum-Frage (vgl. Tab. 3, Punkt 1) ergab so zum Beispiel auf den Stimulus fr. point ‘Stichmuster (Nähen u. Sticken)’ wie in (1) die Antwort „Ça fait des points.” (1) Stimulus: Fr. point ‘Stichmuster (Nähen u. Sticken)’ Antwort: Ça fait des points. Dt. ‘Das macht Punkte.’ Im Antwortsatz in (1) ist implizit ein Motivationspartner enthalten, nämlich die lexikalische Einheit fr. point ‘Punkt (räuml.)’. Die konzeptuelle Relation, die in diesem Fall zwischen dem Stimulus und dem Motivationspartner angesetzt werden muss, ist diejenige der Kontiguität, denn ‘das macht Punkte’ bedeutet letztendlich nichts anderes, als dass ein Stichmuster rein optisch aus vielen einzelnen Punkten besteht. Ähnlich eindeutige Ergebnisse kann man über die angepasste Version des Comes-From-Tests erzielen (vgl. Tab. 3, Punkt 2). Auf den Stimulus découvrir ‘etw. finden’ wurde auf eine Woher-Frage mit der Zusatzbitte um explizite Angabe des Bezugswortes unter anderem der Motivationspartner couvrir genannt. Ein Informant erklärt den Zusammenhang wie in (2): (2) Stimulus: Fr. découvrir ‘etw. finden’ Antwort : Bezugswort: couvrir Erklärung: Quand on découvre on enlève la couverture, à l’inverse quand on couvre, on cache à la vue. <?page no="94"?> 94 Dt.: ‘Wenn man etwas entdeckt, nimmt man seine Decke weg; wenn man hingegen etwas zudeckt, dann verbirgt man es.’ Der Motivationspartner, für den der Informant nur eine Form angegeben hat, aber keine Bedeutung, kann zunächst näher bestimmt werden als fr. couvrir ‘etw. bedecken’. Die konzeptuelle Relation, die hinter der Erklärung des Informanten steckt, ist diejenige des Kontrasts: fr. à l’inverse ‘hingegen, im Gegensatz’ sagt uns, dass découvrir ‘etw. finden’ in gewissem Sinne das Gegenteil von couvrir ‘etw. bedecken’ ist. „In gewissem Sinne“ deshalb, da natürlich das Konzept FINDEN nicht automatisch impliziert, dass auch tatsächlich eine Decke abgenommen wird. Denn nicht alles Gesuchte befindet sich tatsächlich unter einer Decke. Aus der Sicht des Sprachwissenschaftlers wäre hier (zusätzlich zur oder anstelle der Kontrastrelation? ) eine metaphorische Similarität im Spiel: es ist beim Finden, als ob man die Decke abnähme, die das Gesuchte verbirgt. Von dieser Metapher ist jedoch in der Erklärung des Informanten strenggenommen nichts zu sehen, weshalb sie die Auswertung auf die Kontrastrelation beschränken muss. Trotz der Tatsache, dass beide Testarten durchaus interpretierbares Material erzielen, hat die angepasste Comes-From-Frage (Tab. 3, Punkt 2) gegenüber Berkos Test (Tab. 3, Punkt 1) den leichten Vorteil, dass durch die Bitte, den Motivationspartner explizit zu nennen, die Trefferquote für brauchbare Motivationspartner erhöht wird, da diese von den Informanten so nicht mehr vergessen werden. Zusätzlich stellt dies auch für die Auswerter eine Erleichterung dar, da sie die Motivationspartner so schneller ausmachen können und nicht mehr mühevoll aus der Erklärung der Informanten herauslesen müssen, denn nicht immer sind diese so eindeutig formuliert wie in (1). Es versteht sich aber von selbst, dass die zusätzliche Bitte den Motivationspartner explizit anzugeben prinzipiell auch mit der Warum-Frage kombiniert werden kann. Ein Problem bleibt jedoch trotz aller Eignung bei beiden Methoden bestehen (vgl. Tab. 3): Die Erklärungen des Zusammenhangs zwischen Stimulus und Antwort sind teilweise sehr schwer in konzeptuelle Relationen zu übersetzen. Die Frage, was an Information zur konzeptuellen Relation tatsächlich in der Erklärung der Informanten steckt und was der Auswerter vielleicht in die Erklärung hineinliest, ist ein schwieriges Problem, auf das im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter eingegangen werden kann. Es soll hier nur festgehalten werden, dass dieses Problem umgangen werden kann, indem die Fragestellung geschlossener formuliert wird (vgl. Abschnitt 4.3.2). <?page no="95"?> 95 Aufgabentyp Fragestellung Beispiel Vor- und Nachteile 1. Berkos Test „Pourquoi estce qu’on emploie, d’après vous, le mot donné pour exprimer le sens donné ? “ 16 Stimulus wie in (1): point ‘Stichmuster (Nähen u. Sticken)’ Beipielantwort: „Ça fait des points.” Interpretation: - Motivationspartner: point ‘Punkt (räuml.)’ konzeptuelle Relation: Kontiguität - Idealfall: man erhält den Motivationspartner u. eine Erklärung. - Insgesamt wenige interpretierbare Antworten, da die Fragestellung zu offen ist. Z.B. wird der Motivationspartner nicht genannt. - Schwierig, den Motivationspartner herauszufiltern. - Schwierig, die konzeptuelle Relation zu bestimmen. 2. Angepasster Comes- From- Test „D’après vous, de quel autre mot français ou de quel autre sens du même mot, le mot donné pourrait-il dériver ? Nommez le mot ou le sens auquel vous pensez et expliquez brièvement pourquoi vous l’avez choisi.“ 17 Stimulus wie in (2): découvrir ‘etw. finden’ Beispielantwort: - Motivationspartner: couvrir - Erklärung: „Quand on découvre on enlève la couverture, à l’inverse quand on couvre, on cache à la vue.“ Interpretation: - Motivationspartner: couvrir ‘etw. finden’ - Erklärung: Kontrast wegen à l’inverse. - Idealfall: man erhält den Motivationspartner u. eine Erklärung. - Vorteil im Vergleich zu Berkos Test: In der Aufgabenstellung wird extra nach dem Motivationspartner gefragt. - Schwierig, die konzeptuelle Relation zu bestimmen. Tab. 3: Überblick über Marzos Studien zum Französischen (2004, Lyon) Die angepasste Version des Comes-From-Tests birgt zudem ein Problem, das in den in Tabelle 3 vorgestellten Studien (zufälligerweise? ) nicht auftauchte und das die Warum-Frage von vorneherein nicht mit sich bringt. 16 Dt.: „Warum verwendet man Ihrer Meinung nach das angegebene Wort in der angegebenen Bedeutung? “ 17 Dt. „Von welchem anderen Wort oder welcher anderen Bedeutung könnte das gegebene Wort abgeleitet sein? Nennen Sie bitte das Wort oder die Bedeutung, an die Sie denken, und erklären Sie knapp, warum Sie diese Möglichkeit gewählt haben.“ <?page no="96"?> 96 In verschiedenen Pilotstudien des bereits erwähnten Projektes Lexikalische Motivation im Französischen, Italienischen und Deutschen hat es sich gezeigt, dass die Informanten zum Teil glauben auf die Woher-Frage etymologisch antworten zu müssen. In einer Studie zum Deutschen (vgl. Marzo/ Rube/ Umbreit 2006) hat ein Informant so zum Beispiel auf den Stimulus dt. Krone ‘Zahnersatz’ „kommt von corona“ geantwortet, ein anderer gibt für dt. gelb ‘von der Farbe einer reifen Zitrone’ „kommt von mhd. gilb“ an. Dabei ist es irrelevant, ob die angegebenen Etyma auch tatsächlich die etymologischen Vorgänger der Stimuli sind. Wichtig ist, dass die Informanten auf Grund der Fragestellung trotz einer ausführlichen Anleitung und zahlreicher Beispiele denken, sie müssten eine Etymologie angeben, was ja gerade nicht der Fall ist. Durch die Warum-Frage wird diese Gefahr umgangen. Zum anderen schien es angebracht, die Motivationsrichtung durch die Woher-Frage nicht von vorneherein auf die Wortbildungsrichtung festzulegen. In der Tat gab es nämlich selbst in den verschiedenen Woher-Studien Informanten, die ein einfaches Wort durch ein komplexeres motivierten. Auf dt. Krone ‘Zahnersatz’ wurde zum Beispiel in der oben genannten Studie auch dt. Krönung genannt, auf dt. unterfordern ‘zu wenig von jemandem verlangen’ auch dt. Unterforderung ‘das Unterfordern’. Um sicherzustellen, dass die Informanten sich durch die Fragestellung nicht davon abhalten lassen würden, solche Motivationen anzugeben, erschien es sinnvoll, das „Woher“ aus der Fragestellung zu entfernen und prinzipiell durch eine Warum-Fragestellung zu ersetzen. 4.3.2 Die Tübinger Zweischrittmethode In der in Tübingen im Rahmen des SFB-Projektes Lexikalische Motivation im Französischen, Italienischen und Deutschen entwickelten zweischrittigen Methode, die den Motivationsstudien des genannten Projektes zu Grunde liegt, wurden die Vorteile der in Abschnitt 4.3.1 dargestellten Testmethoden miteinander kombiniert und so bestehende Probleme umgangen. Zunächst ist festzuhalten, dass es sich auch bei der Tübinger Zweischrittmethode um eine Offlinemethode handelt, genauer um zwei Fragebögen. Dies bedeutet, dass mit dieser Methode vor allem der Teilaspekt der Motivierbarkeit untersucht wird, sowie in dem Rahmen, in dem es sich um ein bewusstes Phänomen handeln kann, auch der Teilaspekt der Motivierung, nicht aber der Teilaspekt der Motiviertheit (zur gegenseitigen Bedingung dieser Aspekte s. ausführlich Abschnitt 2.4). Im Gegensatz zu den in Abschnitt 4.3.1 diskutierten Methoden werden die grundlegenden Daten, die zur Untersuchung von Motivation im Lexikon gesammelt werden müssen (vgl. Kriterien (i) bis (v) in Abschnitt 4.3.1), jetzt in zwei getrennten Fragebögen abgefragt. Fragebogen 1 dient <?page no="97"?> 97 zur Erfassung der Motivationspartner, Fragebogen 2 zur Bestimmung der konzeptuellen Relationen. Eine Trennung der Vorgehensweise in zwei Schritte hat mehrere Vorteile. Zunächst ist die Aufgabenstellung, mit der die Informanten konfrontiert werden, einfacher zu lösen. Die Probanden müssen nicht länger völlig verschiedene Fragen der Motivationsproblematik direkt nacheinander bearbeiten. Zudem können die Versuchsleiter dadurch, dass Schritt 1 ausgewertet wird, bevor Schritt 2 beginnt, die Motivationspartner, die weiter untersucht werden sollen, auswählen. Es kann an dieser Stelle zum Beispiel entschieden werden, ob nur die besonders häufig genannten Motivationspartner auf ihre konzeptuelle Relation zum Stimulus hin getestet werden sollen, oder nur die sehr selten genannten, oder gar nur die formal komplexen - kurz gesagt, einfach diejenigen, die der jeweiligen Forschungsfrage am dienlichsten sind. So wird es vermieden Daten zu produzieren, die vielleicht gar nicht von Interesse sind, aber dennoch mit ausgewertet werden müssen. Zudem können die Antworten aus Schritt 1, die ja als Stimuli für Schritt 2 dienen, so für Schritt 2 aufbereitet werden. Denn nicht alles, was die Informanten in Schritt 1 produzieren, ist gleichermaßen verständlich. Drücken Informanten sich nämlich bei der Nennung des Motivationspartners ungeschickt aus, könnte dies die Erklärung des Zusammenhangs von Stimulus und Motivationspartner beeinflussen. Bereiten die Auswerter die Formulierungen hingegen dahingehend auf, dass sie aus ungeschickten und unklaren Definitionen wie zum Beispiel „handwerkliches Gestell“, mit dem ein Informant aus der oben zitierten deutschen Pilotstudie den Motivationspartner dt. Tisch umschreibt, 18 eindeutige, leicht verständliche Definitionen machen, wie zum Beispiel ‘Möbelstück, an dem man typischerweise essen und arbeiten kann’, können auch die Informanten in Schritt 2 wieder leichter damit arbeiten. Sind die Stimuli für Schritt 2 einmal gewählt und aufbereitet, kann Schritt 2 auf verschiedene Arten realisiert werden. Zum einen besteht für die Erklärung der konzeptuellen Relationen die Möglichkeit eines offenen, zum anderen diejenige eines geschlossenen Fragebogens. Da im Folgenden für die Untersuchung der Rolle der Polysemie in der lexikalischen Motivation nur Schritt 1 eine Rolle spielt, wird Schritt 2 hier nicht näher behandelt. 19 18 Es handelt sich hierbei um einen Motivationspartner für dt. Tischler ‘Handwerker, der Holz zu Möbeln verarbeitet’. Strenggenommen könnte die Definition „handwerkliches Gestell“ z.B. auch ein Regal oder ein Gerüst bezeichnen. 19 An dieser Stelle sei nur erwähnt, dass der offene Fragebogen die Informanten dazu auffordert, den Zusammenhang zwischen Stimulus und Motivationspartner in einem Freitext zu erklären. Die geschlossene Version hingegen besteht aus einem Multiple-Choice-Teil. Hier sollen die Informanten aus vorformulierten Antwort- <?page no="98"?> 98 Der Fragebogen für Schritt 1, der aus der Kombination der Vorteile der in Abschnitt 4.3.1 dargestellten Methoden resultiert, ist in den Abbildungen 6 und 7 in seiner italienischen Version dargestellt. 20 Die Grundfrage des Fragebogens ist die Warum-Frage, die, wie bereits erwähnt, der Woher-Frage gegenüber den Vorteil hat, weder etymologisierend zu wirken, noch in Bezug auf die Motivationsrichtung lenkend zu sein. In einer ausführlichen Einleitung mit zahlreichen Beispielen wird den Probanden die Fragestellung erläutert, die zum Beispiel in der italienischen Version des Fragebogens, aus dem die folgenden Abbildungen 6 und 7 stammen, lautet: „Vi pregheremo poi di spiegarci perché, secondo voi, la parola può essere utilizzata nel senso spiegato.“ (Dt. „Wir bitten sie dann [= nach Betrachten des Stimulus] darum, uns zu erklären, warum ihrer Meinung nach das Wort in der angegebenen Bedeutung verwendet werden kann“). Nach dem Lesen dieser Einleitungs- und Anleitungsseite kommen die Informanten auf die eigentlichen Experimentseiten. Dort wird ihnen jeweils ein Stimulus gezeigt und die Frage in einer Kurzform ohne Beispiele wiederholt. Die Stimuli werden als lexikalische Einheiten präsentiert, das heißt, als Wortform mit einer Bedeutungsdefinition. Um zu gewährleisten, dass die Informanten die Bedeutung verstehen können und im Motivationsakt wirklich von derselben lexikalischen Einheit ausgehen, wird zusätzlich ein Beispielsatz angegeben (vgl. Abb. 6). Um die Antworten für die Auswertung eindeutig vorzusortieren und den Auswertern die Entscheidung abzunehmen, ob die Informanten als Motivationspartner an eine andere Bedeutung des Stimulus denken oder aber an ein anderes Wort, müssen die Probanden zunächst eine kleine Multiple-Choice-Aufgabe bewältigen (vgl. Abb. 6), bei der vier Antwortmöglichkeiten angeklickt werden können. 1. Das Wort hängt zusammen mit einem anderen Wort derselben Wortfamilie. 2. Das Wort besteht aus anderen Wörtern. möglichkeiten, die jeweils einer konzeptuellen Relation entsprechen, eine Möglichkeit aussuchen und die Wahl knapp begründen. Unter diesen Antwortmöglichkeiten gibt es für opake Fälle auch wieder die Möglichkeit anzukreuzen, dass kein Zusammenhang gesehen wird, und zusätzlich die Möglichkeit, dass keiner der vorgegebenen Zusammenhänge für sinnvoll gehalten wird. Die Vor- und Nachteile dieser beiden Fragebögen sind in Marzo/ Rube/ Umbreit (2006) ausführlich dargelegt worden. 20 Es handelt sich hierbei um ein PHP-Skript, das im Wesentlichen von Aleksandar Savkov, einer studentischen Hilfskraft des Projektes Lexikalische Motivation im Französischen, Italienischen und Deutschen, geschrieben wurde. <?page no="99"?> 99 3. Die Bedeutung hängt mit einer anderen Bedeutung desselben Wortes zusammen. 4. Es gibt keinen Zusammenhang mit anderen Wörtern oder Bedeutungen. Abb. 6: Die Tübinger Zweischrittmethode: Stimuluspräsentation und Multiple-Choice-Teil Wird ein Zusammenhang mit einem anderen Wort aus derselben Wortfamilie empfunden, soll die erste Antwortmöglichkeit ausgewählt werden, handelt es sich um ein Kompositum, können die Probanden die zweite Möglichkeit auswählen, wird die Bedeutung des Stimulus als mit einer weiteren Bedeutung zusammenhängend angesehen, trifft Möglichkeit drei zu, und halten sie den Stimulus für opak, bleibt ihnen Möglichkeit vier. Diese vier Antwortmöglichkeiten können beliebig erweitert und gekürzt werden. Je nach dem, ob zum Beispiel Lehn- und Fremdwörter unter den Stimuli sind - wie zum Beispiel in einer denkbaren Untersuchung zum Deutschen das Wort dt. Computer - und getestet werden soll, inwieweit die Tatsache, dass das Wort ursprünglich aus einer anderen Sprache stammt, für die Motivierbarkeit eine Rolle spielt, könnte noch eine fünfte Antwortmöglichkeit der Art „hängt mit einem Wort aus einer anderen Sprache zusammen“ hinzugefügt werden. Finden sich keine Komposita unter den Stimuli, kann die zweite Antwortmöglichkeit aus dem Fragebogen entfernt werden. Der Fragebogen könnte somit auch leicht unter- <?page no="100"?> 100 schiedlichen Verständnissen von Motivation gerecht werden, ohne dass sein Grundgerüst verändert werden muss. Meinen die Probanden in diesem Schritt, dass der Stimulus opak ist, werden sie direkt zum nächsten Stimulus weitergeleitet. Wählen sie eine der anderen Antwortmöglichkeiten, werden sie darum gebeten, die Bezugseinheit, an die sie im Multiple-Choice-Teil gedacht haben, zu benennen (vgl. Abb. 7). 21 Bei der ersten Möglichkeit, derjenigen für Wortfamilienmitglieder, müssen sie eine Wortform und eine Bedeutung eintragen, bei der zweiten Möglichkeit, derjenigen für Komposita, werden sie um zwei Wortformen und zwei Bedeutungen gebeten und bei der dritten Möglichkeit, derjenigen für Polysemie, müssen sie die Bedeutung, an die sie gedacht haben, präzisieren (vgl. Abb. 7). Prinzipiell ist diese Methode sehr gut dazu geeignet, Motivationspartner für Stimuli zu ermitteln (vgl. neben Marzo/ Rube/ Umbreit 2006 auch Antipova 2007). Interessant ist, wie sich in Kapitel 5 herausstellen wird, dass die Vorhersagen der Versuchsleiter in Bezug auf bestimmte Motivationspartner für bestimmte Stimuli nicht zwingend mit den Daten übereinstimmen, die mit dieser Methode gesammelt werden können. Die Ergebnisse, die mit dieser Methode erzielt werden, zeigen also einerseits, wie wichtig Informantenbefragungen tatsächlich sind, wenn man sinnvolle Aussagen über die Motivierbarkeit lexikalischer Einheiten machen möchte. Andererseits kann diese Methode, die intrinsische und extrinsische Motivation gleichermaßen testet, auch Aufschluss darüber geben, ob diese beiden Möglichkeiten, lexikalische Einheiten zu motivieren, für Muttersprachler tatsächlich denselben Status haben. Die kurze Antwort ist: Ja, intrinsische Motivation (Polysemie) ist auch für die Muttersprachler genauso ein formal-inhaltliches Motivationsverfahren wie alle Arten von extrinsischer Motivation (Wortbildungsverfahren, Phraseologismen 21 Es sei betont, dass dieser Multiple-Choice-Teil kein einfacher freier Assoziationstest ist, wie er z.B. in Abschnitt 4.3.1 vorgestellt wurde. Bei der Frage, die den Informanten gestellt wird, handelt es sich um eine Abwandlung von Berkos Frage (vgl. Berkos Test in 4.3.1), mit der eruiert werden soll, warum ein bestimmtes Wort in einer bestimmten Bedeutung verwendet werden kann. Der Multiple-Choice-Teil erlaubt also keine freien Assoziationen in Bezug auf einen Stimulus, sondern kanalisiert die unzähligen möglichen Antworten auf die Warum-Frage in solche, die in Bezug auf Motivierbarkeit des Stimulus prinzipiell auswertbar sind, da sie die Interpretation des genannten Motivationspartners erleichtern. Zudem hat auch das elizitierte Wort nicht einfach den Status eines mit dem Stimulus assoziierten Wortes. Genauer handelt es sich um ein Wort, das in einer formalen und semantischen Beziehung zum Stimulus steht, und zwar in einer erklärenden Beziehung, die folglich weit über eine einfache Assoziationsbeziehung hinausgeht: Das elizitierte Wort motiviert die Verwendung des Stimulus in der gegebenen Bedeutung, ist also sein Motivationspartner. <?page no="101"?> 101 etc.; vgl. Koch 2001a). Die ausführliche Antwort, die in Kapitel 5 gegeben wird, zeichnet jedoch ein komplexeres Bild der Motivierbarkeit. Intrinsische und extrinsische Motivation sind zwar beide für den Muttersprachler prinzipiell gleichermaßen möglich, jedoch hängt die tatsächliche Motivation letztendlich von den konzeptuellen Beziehungen ab, die eine lexikalische Einheit zu formal ähnlichen lexikalischen Einheiten unterhält. Abb. 7: Die Tübinger Zweischrittmethode: Angabe des Motivationspartners <?page no="103"?> 103 5 Der Einfluss konzeptueller Relationen auf intrinsische und extrinsische Motivierbarkeit In diesem Kapitel wird anhand von Informantenbefragungen untersucht, welche Rolle die Polysemie in der Praxis für lexikalische Motivation spielt. Ein besonderes Augenmerk wird im Einklang mit dem Thema der vorliegenden Arbeit auf die Problematik gelegt, warum lexikalische Einheiten, die potentiell sowohl intrinsisch als auch extrinsisch motiviert werden könnten, in einem Fall eher intrinsisch, im anderen eher extrinsisch motiviert werden. Es wird sich herausstellen, dass diese Frage letzten Endes davon abhängt, welche konzeptuellen Beziehungen solche lexikalischen Einheiten zu ihren potentiellen Motivationspartnern unterhalten. In 5.1 werden diesbezüglich Hypothesen vorgestellt. Dazu werden zunächst in 5.1.1 die Ergebnisse der bisher betrachteten Studien, besonders diejenigen der Untersuchungen zum Französischen (vgl. Tab. 3) und der Pilotstudie zum Deutschen aus Marzo/ Rube/ Umbreit (2006) genauer erläutert, um zu überprüfen, ob für bestimmte Stimuli bestimmte Antwortmuster existieren, bevor in 5.1.2 diese Beobachtungen zusammengefasst und als Hypothesen formuliert werden. Um zu testen, ob die Hypothesen einer systematisch angelegten Testreihe standhalten würden, wurde zunächst eine Pilotstudie zur intrinsischen Motivierbarkeit im Deutschen durchgeführt, die in 5.1.3 vorgestellt wird. Da die diesem Kapitel zu Grunde liegenden Hypothesen zur Motivierbarkeit sich besonders auf einen Unterschied der Wahrnehmung von Metaphern und Metonymien beziehen, werden in 5.1.4 die Metapher und die Metonymie genauer betrachtet. Besonders ihr Verständnis in der Kognitiven Linguistik wird dazu dienen, die Hypothesen zu stärken. In 5.2 wird eine ausführliche Testreihe zum Italienischen und Französischen vorgestellt, die zur Überprüfung der Frage konzipiert wurde, wie genau nun die intrinsische und extrinsische Motivierbarkeit zusammenhängen mit - oder abhängen von - der Wahrnehmung von Metaphern und Metonymien. In 5.2.1 werden Material und Methode dieser Studie vorgestellt, bevor in 5.2.2 die Ergebnisse dargestellt und diskutiert werden. <?page no="104"?> 104 5.1 Hypothesen zur Motivierbarkeit lexikalischer Einheiten 5.1.1 Antwortmuster zur Motivierbarkeit Im Folgenden werden die Ergebnisse der Vorstudien zum Französischen (vgl. Tab. 3) sowie diejenigen der Pilotstudie zum Deutschen, die Marzo/ Rube/ Umbreit (2006) zu Grunde liegt, genauer betrachtet. Die verschiedenen französischen Studien (zur Art der Studien vgl. Tab. 3 in Abschnitt 4.3.1) wurden in Lyon mit je zehn Informanten durchgeführt und waren dazu bestimmt, mit verschiedenen Methoden der empirischen Ermittlung lexikalischer Motivation zu experimentieren und diese gegeneinander abzuwägen. 1 Es handelte sich um Papierfragebögen, die zum Teil von den Informanten selbst, zum Teil aber auch von der Versuchsleiterin ausgefüllt wurden, während sie die Informanten zur Motivation der Stimuli interviewte. Die Teilnehmer waren zwischen 18 und 59 Jahren alt und wurden hauptsächlich unter den Studierenden der Universität Lyon II rekrutiert. In den Ergebnissen, die hier auf Grund der Menge der abgefragten Stimuli (50), der zweigleisigen Vorgehensweise (schriftlich und mündlich) nicht vollständig dargestellt werden können, können zwei allgemeine Tendenzen beobachtet werden. Zunächst kann man sagen, dass die morphologisch komplexen Stimuli von der Mehrheit der Informanten tendenziell eher über einen morphologisch einfacheren Motivationspartner - also extrinsisch - motiviert wurden. Fr. dépasser ‘doubler’ (dt. ‘überholen’) zum Beispiel wurde in beiden Studien von mehr als 50% der Informanten über fr. passer ‘vorbeigehen’ motiviert (z.T. auch über fr. pas ‘Schritt’). Die formal einfachen Stimuli hingegen tendierten zu einem weitaus weniger einheitlichen Bild. Zusammenfassend kann man sagen, dass sie nicht alle motiviert wurden, obwohl es zumindest einen potentiellen intrinsischen Motivationspartner gegeben hätte. Für fr. temps ‘le temps qu’il fait’ (dt. ‘Wetter’) nannten zum Beispiel nur ca. 10% der Informanten den Motivationspartner fr. temps ‘Zeit’. 2 Fr. voiture ‘automo- 1 Die Stimuli wurden aus den lexikalischen Einheiten ausgewählt, die der introspektiven Studie in Koch/ Marzo (2007) zu Grunde liegen, um vergleichen zu können, inwieweit Introspektion von Linguisten und Introspektion einer Gruppe von nicht linguistisch vorgebildeten Muttersprachlern zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. 2 Anzumerken ist hier, dass 90% der Informanten, die den Stimulus als opak eingestuft haben, im Nachhinein, als sie mit beiden lexikalischen Einheiten gleichzeitig konfrontiert wurden, einen Zusammenhang zwischen ‘Zeit’ und ‘Wetter’ herstellen konnten, und zwar über die Jahreszeiten. Zu bestimmten Jahreszeiten herrscht ein bestimmtes Wetter vor, sie sehen also eine Kontiguitätsbeziehung. <?page no="105"?> 105 bile’ (dt. ‘Auto’) hingegen wurde von 40% der Teilnehmer über fr. voiture ‘Kutsche’ beziehungswiese ‘Wagon’ motiviert (vgl. auch fr. point in Tab. 3 weiter oben). In der Pilotstudie zum Deutschen, deren Ergebnisse aufgrund der geringeren Stimulusanzahl (15) komplett in Tabelle 4 abgebildet sind, können ähnliche Antwortmuster ausgemacht werden. Diese Studie wurde mit 53 deutschen Muttersprachlern durchgeführt, die zwischen 20 und 60 Jahren alt waren (vgl. auch Marzo 2008). Die Fragebögen wurden in diesem Fall im Internet veröffentlicht und Werbung sowohl über Privatkontakte als auch Kollegen an der Universität Tübingen und in der Tübinger Mensa betrieben. Diese Art der Rekrutierung führte soziokulturell betrachtet zu einer relativ homogenen Gruppe an Teilnehmern. Alle Probanden waren entweder Studenten oder verfügten über ein abgeschlossenes Universitätsstudium. Wie in der Tübinger Zweischrittmethode (vgl. 4.3.2) wurden die fünfzehn Stimuli in einer Wortform mit einer Bedeutungsdefinition und einem Beispielsatz präsentiert (vgl. Tab. 4). 3 3 Da es sich um eine Pilotstudie handelte, mit der die Methode für die Eignung aller möglichen Fälle getestet werden sollte, wurden die Stimuli einerseits nach ihrer formalen Unterschiedlichkeit ausgesucht und danach, dass die potentiellen Motivationspartner möglichst über verschiedene konzeptuelle Relationen mit dem Stimulus zusammenhängen. <?page no="106"?> 106 Stimulus Beispielsatz Ergebnisse (a) Krone ‘Zahnersatz’ Ich muss zum Zahnarzt, weil sich eine meiner Kronen gelöst hat. 1. Krone ‘Kopfbedeckung des Königs’ (92%) 2. Krone ‘Spitze von etwas’ (2%) 3. lat. corona ‘Hof um die Sonne’ (2%) 4. krönen ‘zum König machen’ (2%) 5. Krönung ‘das Krönen’ (2%) (b) Tischler ‘Handwerker, der Holz zu Möbeln verarbeitet’ Ich habe mir eine neue Kommode beim Tischler bestellt. 1. Tisch ‘Möbel, an dem man isst’ (96%) 2. opak (4%) (c) Haustür ‘verschließbarer Haupteingang eines Wohnhauses’ Die Haustür fiel krachend ins Schloss, als ich bemerkte, dass ich meinen Schlüssel liegen lassen hatte. 1. Haus ‘Gebäude’+ Tür ‘Eingang’ (98%) 2. opak (2%) (d) Tag ‘Zeit vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang’ Als bei Anbruch des Tages der Wecker klingelte, war er schon lange wach. 1. opak (96%) 2. Tag ‘Zeiteinheit von 24 Stunden’ (2%) 3. engl. tag ‘Namensschild’ (2%) (e) Essen ‘Nahrungsaufnahme’ Das Essen mit Stäbchen erfordert viel Geschick. 1. opak (57%) 2. essen ‘Nahrung aufnehmen’ (32%) 3. Essen ‘Nahrung’ (9%) 4. Essenz ‘das Wesentliche’ (2%) (f) unmöglich ‘nicht durchführbar’ Es ist unmöglich zu Fuß in drei Tagen die Welt zu umwandern. 1. möglich ‘durchführbar’ (75%) 2. opak (11%) 3. Möglichkeit ‘Tatsache, etwas durchführen zu können’ (8 %) 4. vermögen ‘können’ (4%) 5. mögen ‘können’ (2%) (g) gelb ‘von der Farbe einer reifen Zitrone’ Der gelbe Rock gefällt mir besser als der rote. 1. opak (92%) 2. gilb ‘vergilbt’ (4%) 3. das Gelb ‘die Farbe gelb’ (2%) 4. gilben ‘vergilben’ (2%) (h) unterfordern ‘zu wenig von jemandem verlangen’ Manche Kinder langweilen sich im Kindergarten, weil sie unterfordert sind. 1. unter ‘zu wenig’ + fordern ‘verlangen’ (58%) 2. fordern ‘verlangen’ (26%) 3. opak (8 %) 4. fördern ‘unterstützen’ (2%) 5. überfordern ‘zu viel verlangen’ (2%) <?page no="107"?> 107 6. Unterforderung ‘Tatsache, zu wenig zu verlangen’ (2%) 7. unter ‘zu wenig’ + Forderung ‘Tatsache, zu verlangen’ (2%) (i) gern ‘mit Vergnügen’ Den Umweg mache ich doch gern für dich. 1. opak (100%) (j) Blatt ‘Stück Papier’ Könntest du mir bitte ein Blatt aus deinem Block geben? 1. Blatt ‘Stück Laub’ (87%) 2. opak (9%) 3. platt ‘flach’ (4%) (k) köcheln ‘auf schwachem Feuer leicht garen’ Im Rezept steht, dass man die Suppe 20 min köcheln lassen soll. 1. kochen ‘Nahrung zubereiten’ (58%) 2. kochen ‘zum Sieden bringen’ (36%) 3. opak (4%) 4. Koch ‘Mann, der kocht’ (2%) (l) verrückt ‘geisteskrank’ Man munkelt, sie sei durch den Tod ihres Mannes verrückt geworden. 1. verrücken ‘verschieben’ (70%) 2. rücken ‘verschieben’ (21%) 3. opak (9%) (m) beschimpfen ‘jemanden wütend verbal angreifen’ Als ich mich in der Schlange vordrängelte, begann sofort einer der Wartenden mich zu beschimpfen. 1. schimpfen ‘sich wütend verbal äußern’ (55%) 2. opak (26%) 3. Schimpf ‘Tadel’ (17%) 4. schimpfen ‘heißen’ (2%) (n) wiedererlangen ‘zurückbekommen’ Nach Jahren der Unterdrückung hat das Volk seine Freiheit wiedererlangt. 1. wieder ‘erneut’ + erlangen ‘bekommen’ (64%) 2. opak (17%) 3. erlangen ‘bekommen’ (13%) 4. langen ‘nach etwas greifen’ (4%) 5. lang ‘räumlich ausgedehnt’ (2%) (o) singen ‘im Verhör etwas preisgeben, das andere belastet’ Wir müssen schleunigst abhauen, Ede hat gestern bei den Bullen gesungen. 1. singen ‘artikuliert summen’ (90%) 2. opak (8%) 3. Minnesang ‘Art von Gesang’ (2%) Tab. 4: Ergebnisse der Pilotstudie zum Deutschen (Marzo/ Rube/ Umbreit 2006) Insgesamt kann man sagen (vgl. hierzu auch Marzo/ Rube/ Umbreit 2006 u. Marzo 2008), dass die Befragung im Falle von morphologisch komplexen Stimuli gut funktioniert hat, denn diese wurden alle - wie zu erwarten - von der Mehrheit der Informanten über formal einfachere lexikalische Einheiten motiviert (vgl. Tab. 4). Der am häufigsten genannte Motivationspartner (d.h. von 55% der Informanten) für den Stimulus dt. be- <?page no="108"?> 108 schimpfen ‘jemanden wütend verbal angreifen’ ist dt. schimpfen ‘sich wütend verbal äußern’ (s. Tab. 4, (m)). Für dt. Tischler ‘Handwerker, der Holz zu Möbeln verarbeitet’ (s. Tab. 4, (b)) ist das Ergebnis noch eindeutiger: 92% der Informanten haben dt. Tischler ‘Handwerker, der Holz zu Möbeln verarbeitet’ über dt. Tisch ‘Möbel, an dem man isst’ motiviert. Dt. Haustür ‘verschließbarer Haupteingang eines Wohnhauses’ wurde sogar von 98% der Teilnehmer einheitlich über dt. Haus ‘Gebäude’ und dt. Tür ‘Eingang’ (s. Tab. 4, (c)) motiviert. In Tabelle 4 kann man sehen, dass auch alle anderen formal komplexen lexikalischen Einheiten dieser Studie vorwiegend extrinsisch und mehrheitlich über einen bestimmten Motivationspartner motiviert wurden. Ganz anders sieht das Bild bei den formal einfachen Stimuli aus. Denn betrachtet man diese im Einzelnen, sieht man, dass die Verhältnisse hier nicht ganz so einheitlich sind. Dt. Krone ‘Zahnersatz’ (s. Tab. 4, (a)) hat ein sehr eindeutiges Ergebnis gegeben: 92% der Informanten haben den Stimulus intrinsisch über dt. Krone ‘Kopfbedeckung eines Königs’ motiviert. Dt. Blatt ‘Stück Papier’ (s. Tab. 4, (j)) wird zu 87% auf eine weitere Bedeutung von dt. Blatt bezogen, nämlich ‘Stück Laub’. Dt. gelb ‘von der Farbe einer reifen Zitrone’ und dt. gern ‘mit Vergnügen’ (s. Tab. 4, (i) u. (g)) sind beide formal einfach und tendenziell monosem, weshalb sie von der Mehrheit der Informanten als opak eingestuft wurden. Heraus sticht aber der Fall dt. Tag in der Bedeutung ‘Zeitspanne vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang’ (Tab. 4, (d)). Obwohl man aus theoretischer Sicht eine Motivationsbeziehung zu dt. Tag ‘Zeiteinheit von 24 Stunden’ erwarten könnte, 4 wurde dieser Stimulus von 96% der Informanten als opak eingestuft. Nur ein Informant (=2% der Informanten) gab eine Beziehung zu dt. Tag ‘Zeiteinheit von 24 Stunden’ an. Einen Sonderfall stellt auch dt. Essen ‘Nahrungsaufnahme’ (Tab. 4, (e)) dar. Hier gibt es trotz der formalen Einfachheit auch einen potentiellen extrinsischen Motivationspartner, nämlich das Verb dt. essen ‘Nahrung aufnehmen’. Diese lexikalische Einheit wurde aber nur von 32% der Informanten als Motivationspartner angegeben. 9% motivierten dt. Essen ‘Nahrungsaufnahme’ intrinsisch über dt. Essen ‘Nahrung’, 57% der Teilnehmer stuften diesen Stimulus hingegen als opak ein. 4 Auf formaler Seite ist dies ein Fall von formaler Identität, auf inhaltlicher Seite haben wir es - zumindest theoretisch - mit Kontiguität zu tun, da die Zeit der Helligkeit ein Teil der Zeiteinheit von 24 Stunden ist. <?page no="109"?> 109 5.1.2 Die Hypothesen: Metaphorische Similarität versus Kontiguität oder intrinsische versus extrinsische Motivation? Die in 5.1.1 dargestellten Ergebnisse lassen sich zunächst - mit aller gebotenen Vorsicht gegenüber voreilig gezogenen Schlüssen - folgendermaßen zusammenfassen: Wie an den morphologisch komplexen lexikalischen Einheiten aller betrachteten Studien gesehen werden kann, scheinen diese tendenziell extrinsisch motivierbar zu sein. Intrinsische Motivation scheint - zumindest in den besprochenen Daten - bei morphologisch komplexen lexikalischen Einheiten kaum eine Rolle zu spielen. Dies ist zunächst nicht weiter überraschend, wenn man bedenkt, wie eng Wortbildung und Motivation doch zusammenhängen (vgl. Abschnitt 2.3.2). Nichtsdestotrotz wäre bei einigen der formal komplexen lexikalischen Einheiten auch ein intrinsischer Motivationspartner denkbar gewesen. Als Motivationspartner für fr. dépasser ‘überholen’ wäre zum Beispiel neben fr. passer ‘vorbeigehen’ und fr. pas ‘Schritt’ auch fr. dépasser ‘etwas überschreiten’zumindest theoretisch möglich gewesen. Man könnte so tentativ eine erste Hypothese formulieren, die nicht nur aufgrund der Datenlage plausibel erscheint, sondern auch dem entspricht, was die Wortbildungsforschung und klassische Motivationsforschung (vgl. Abschnitt 2.3.2) erwarten würden: Hypothese 1: Formal komplexe lexikalische Einheiten werden tendenziell extrinsisch motiviert. Was formal einfache lexikalische Einheiten angeht, kann man nun selbstverständlich nicht erwarten, dass sie weiter in Einzelteile zerlegt werden, da sie ja formal schon möglichst einfach sind. Erwarten könnte man hingegen, dass die Informanten bei formal einfachen lexikalischen Einheiten entweder einen formal komplexeren Motivationspartner oder einen formal gleich komplexen Motivationspartner angeben - oder aber, sofern es potentielle intrinsische Motivationspartner gibt, dazu tendieren, intrinsisch zu motivieren. Alle drei Fälle kamen in den vorgestellten Daten vor: Auf dt. Krone ‘Zahnersatz’ (s. Tab. 4, (a)) nannten jeweils 2% der Informanten die extrinsischen Motivationspartner dt. Krönung ‘das Krönen’ und dt. krönen ‘zum König machen’. Insgesamt lässt sich für diese Studie aber sagen, dass bei formal einfachen lexikalischen Einheiten die intrinsische Motivation gegenüber der extrinsischen überwiegt (92% der Informanten nannten dt. Krone ‘Kopfbedeckung des Königs’ und 2% dt. Krone ‘Spitze von etwas’). Hieraus könnte man - ebenso tentativ wie bei Hypothese 1 - eine zweite Hypothese formulieren. <?page no="110"?> 110 Hypothese 2: Formal einfache lexikalische Einheiten werden tendenziell intrinsisch motiviert. Wichtig ist es, dass aufgrund der prinzipiellen Richtungsindifferenz des Motivationsverständnisses der vorliegenden Arbeit (vgl. Kap. 2 u. 3), Motivation sich zwar an die Gegebenheiten der Wortbildungsregeln lehnen kann, aber nicht muss. In Bezug auf formal komplexe lexikalische Einheiten heißt das, dass Motivierbarkeit nicht automatisch Zerlegung in Morpheme bedeutet und intrinsische Motivation nicht völlig auszuschließen ist. Genauso ist es nicht auszuschließen, dass sowohl formal einfache als auch formal komplexe lexikalische Einheiten durch formal noch komplexere Einheiten motiviert werden. Für die Hypothesen 1 und 2 bedeutet dies, dass sie als Präferenzen oder Tendenzen verstanden werden müssen, aber nicht als absolute Regeln zu verstehen sind. Es hat sich bezüglich der formal einfachen lexikalischen Einheiten in den Daten auch gezeigt, dass nicht diejenigen unter ihnen, die einen potentiellen intrinsischen Motivationspartner besitzen, auch tatsächlich intrinsisch oder überhaupt motiviert werden. In den Fällen dt. Krone ‘Zahnersatz’, dt. Blatt ‘Stück Papier’ und dt. singen ‘im Verhör etwas preisgeben, das andere belastet’ wurden sie motiviert, bei dt. Tag ‘Zeitspanne vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang’ und fr. temps ‘Wetter’ wider Erwarten nicht. Bei genauerer Betrachtung dieser Beispiele kann man jedoch einen wichtigen Unterschied zwischen ihnen erkennen. Dt. Krone ‘Zahnersatz’, dt. Blatt ‘Stück Papier’ und dt. singen ‘im Verhör etwas preisgeben, das andere belastet’ hängen über metaphorische Similarität mit ihren potentiellen (und tatsächlichen) intrinsischen Motivationspartnern zusammen, zwischen dt. Tag ‘Zeitspanne vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang’ beziehungsweise fr. temps ‘Wetter’ und ihren jeweiligen potentiellen intrinsischen Motivationspartnern besteht hingegen eine Kontiguitätsbeziehung. 5 Aus dieser Datenlage lässt sich eine dritte Hypothese formulieren. 5 Zwischen dt. Blatt ‘Stück Papier’ und dt. Blatt ‘Stück Laub’ ist auch eine kotaxonomische Beziehung denkbar, da beide unterschiedliche Arten eines flachen Gegenstandes sind. Dies ist auch die Erklärung, die einige Informanten in der offenen Version von Schritt zwei der Fragebögen aus Marzo/ Rube/ Umbreit (2006) andeuten, auf den im Rahmen des Themas dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden kann. Auch der alternative Motivationspartner dt. platt ‘flach’ (s. Tab. 4, (j)) weist in diese Richtung. Insgesamt erklärt die Mehrheit der Informanten sowohl in der offenen als auch in der geschlossenen Version den Zusammenhang jedoch über eine metaphorische Similarität. Unabhängig von der Frage, ob die Similarität hier kota- <?page no="111"?> 111 Hypothese 3: Ein potentieller intrinsischer Motivationspartner, der inhaltlich über metaphorische Similarität mit der zu motivierenden lexikalischen Einheit verbunden ist, wird eher als tatsächlicher Motivationspartner genannt als ein potentieller intrinsischer Motivationspartner, der inhaltlich über Kontiguität mit einer zu motivierenden lexikalischen Einheit verbunden ist. Stehen die Hypothesen 1 und 2 im Einklang mit der klassischen Wortbildungs- und Motivationsforschung, stellt Hypothese 3 einen bisher vernachlässigten Aspekt der lexikalischen Motivation dar, der in den Zusammenhang der Metaphern- und Metonymieforschung der Kognitiven Linguistik gestellt werden muss (s. Abschnitt 5.1.4). 5.1.3 Test zur Stärkung der Hypothesen: Pilottest zum Deutschen Bevor in 5.1.4 Hypothese 3 vor dem Hintergrund der Kognitiven Linguistik betrachtet wird und in 5.2 alle drei Hypothesen systematisch anhand des Italienischen und des Französischen überprüft werden, wird zunächst eine weitere Pilotstudie zum Deutschen vorgestellt. Diese Studie wurde durchgeführt, um zu überprüfen, ob sich für Hypothese 3 eine systematischere Testreihe überhaupt lohnen würde. Denn der aus den bisherigen Untersuchungen herausgearbeitete Unterschied zwischen den Relationen der metaphorischen Similarität und der Kontiguität beruht auf Daten, die in den jeweiligen Studien nicht in repräsentativer Menge vorkommen, und so trotz ihrer Deutlichkeit möglicherweise nur Randerscheinungen darstellen oder nur zufällig in ein und dieselbe Richtung weisen. Zwar konnte ein Unterschied zwischen den beiden konzeptuellen Relationen über die deutschen und französischen Studien hinweg gezeigt werden, doch betrifft dieser Unterschied innerhalb der einzelnen Studien, da er dort ja nicht Ziel der Untersuchung war, jeweils nur einen Bruchteil der Gesamtmenge der Stimuli. Wie in Tabelle 4 gesehen werden kann, ist dt. Tag in der Studie Marzo/ Rube/ Umbreit (2006) der einzige formal einfache Stimulus, der über eine Kontiguitätsbeziehung mit einem potentiellen intrinsischen Motivationspartner zusammenhängt. In den französischen Daten aus Lyon gibt es keinen einzigen formal einfachen Stimulus, der über metaphorische Similarität mit einem potentiellen intrinsischen Motivationspartner verbunden ist. Die im Folgenden kurz dargestellte Pilotstudie wurde daher allein auf einen möglichen Unterschied zwischen xonomisch oder metaphorisch ist, handelt es sich im Gegensatz zu fr. temps und dt. Tag aber auf jeden Fall um eine Similaritätsbeziehung. <?page no="112"?> 112 metaphorischer Similarität und Kontiguität ausgerichtet. Die entsprechenden Befragungen wurden im Jahr 2006 durchgeführt (vgl. auch Marzo 2008). Die Grundfrage beruhte auf Berkos Test (vgl. Tab. 1) und lautete: „Warum kann man Ihrer Meinung nach das angegebene Wort in der angegebenen Bedeutung verwenden? “ Die acht Stimuli wurden als lexikalische Einheiten bestehend aus einer Form und einer Bedeutungsdefinition präsentiert und von einem Beispielsatz ergänzt. Die zehn muttersprachlichen erwachsenen Informanten füllten die Papierfragebögen selbst aus. Die Aufgabe bestand darin, zu jedem Stimulus einen Motivationspartner explizit zu nennen und anschließend den semantischen Zusammenhang zwischen dem Motivationspartner und dem Stimulus zu erklären. Es handelte sich bei den Stimuli durchweg um morphologisch einfache lexikalische Einheiten. Dadurch sollte das Risiko, dass die formale Seite der Motivation eine zu große Rolle spielen würde, möglichst klein gehalten werden. So wurde gewährleistet, dass die Informanten sich eher auf die inhaltliche Beziehung konzentrieren würden. Vier der acht lexikalischen Einheiten waren der Forschungsfrage zufolge so gewählt, dass sie zu ihrem potentiellen intrinsischen Motivationspartner in einer Kontiguitätsbeziehung standen, vier der Stimuli standen zu ihrem potentiellen intrinsischen Motivationspartner in einer metaphorischen Beziehung (vgl. Tab. 5). Die Bedeutungen der Stimuli (vgl. Tab. 5, Spalte 2) wurden in einer zuvor durchgeführten Informantenbefragung zur Polysemie ermittelt. Diese Befragung bestand in einer Produktionsaufgabe, in der die Teilnehmer die Bedeutungen der Wörter selbst erklären sollten (genauer dazu s. Abschnitt 5.2.1.1). Im Allgemeinen geht man davon aus, dass die Informanten bei solchen Aufgaben die Bedeutungen nennen, die für sie am zentralsten und salientesten sind (s. z.B. Raukko 2003). Im Einklang mit der psycholinguistischen Erkenntnis, dass die Wahrscheinlichkeit von einer weniger zentralen Bedeutung auf die zentralere zu schließen größer ist als im umgekehrten Fall (vgl. z.B. Perfetti/ Lindsey 1974 u. Durkin/ Manning 1989), fiel die Wahl für die Stimulusbedeutungen in der vorliegenden Studie auf die in dieser Produktionsaufgabe am zweithäufigsten genannte Bedeutung (s. Tab. 5, Spalte 2). Mit dieser Wahl sollte die Motivierbarkeit der Stimuli maximal gefördert werden um auch bei der sehr geringen Anzahl an Stimuli zu Ergebnissen zu kommen, die im Hinblick auf die Untersuchungsfrage aussagekräftig sind. In Spalte drei sind diejenigen Bedeutungen angegeben, die im Bedeutungsproduktionstest am häufigsten genannt worden waren und somit sehr plausible Motivationspartner darstellten. Die der Untersuchung zu Grunde liegende Annahme war, dass im Falle der Kontiguitätsrelationen die Stimuli als opak eingestuft würden, der potentielle Motivationspartner also nicht genannt <?page no="113"?> 113 werden würde, im Falle der metaphorischen Beziehungen hingegen der vorausgesagte Motivationspartner genannt werden würde. Wie an den Prozentzahlen in Spalte 4 der Tabelle 5 gesehen werden kann, sind zwar die Ergebnisse nicht so deutlich wie ursprünglich angenommen, doch weisen sie durchaus in die Richtung der Hypothese 3: die Kontiguität scheint für die Motivierbarkeit lexikalischer Einheiten eine geringere Rolle zu spielen als die metaphorische Similarität. Es muss jedoch hinzugefügt werden, dass es unter den Kontiguitätsfällen durchaus sehr deutliche Unterschiede geben kann, was die Motivierbarkeit betrifft. Dies ist ein Phänomen, das in den weiteren Untersuchungen im Auge behalten werden muss. Auffällig ist aber, dass dt. Tag in diesem Test ebenso schwierig motivierbar zu sein scheint wie in der Studie Marzo/ Rube/ Umbreit (2006) (vgl. Tab. 4, (d)). Konzeptuelle Relation Stimulus Erwarteter Motivationspartner Trefferquote für erwarteten Motivationspartner 6 Kontiguität Glas ‘Material’ Glas ‘Trinkgefäß’ 20% Kontiguität Tag ‘Zeit der Helligkeit’ Tag ‘Zeitraum von 24 Stunden’ 0% Kontiguität Erde ‘ein Bodenmaterial’ Erde ‘Planet Erde’ 40% Kontiguität Weg ‘Strecke’ Weg ‘konkreter begehbarer Weg’ 7% Metaphorische Similarität Auge ‘Fettfleck auf Suppen’ Auge ‘Sehorgan’ 100% Metaphorische Similarität Blatt ‘Stück Papier’ Blatt ‘Baumblatt’ 100% Metaphorische Similarität Ziel ‘was man erreichen oder schaffen möchte’ Ziel ‘ein Ort, den man erreicht’ 93% Metaphorische Similarität Schritt ‘abstrakter Punkt’ Schritt ‘Geheinheit’ 100% Tab. 5: Motivierbarkeit morphologisch einfacher lexikalischer Einheiten in Abhängigkeit von der konzeptuellen Relation 6 Es handelt sich hierbei um die Anzahl derjenigen Informanten in Prozent, die tatsächlich den erwarteten Motivationspartner genannt haben. Alle anderen Informanten haben den jeweiligen Stimulus nicht motiviert, sondern als opak eingestuft. <?page no="114"?> 114 5.1.4 Theorie zur Stärkung der Hypothesen: Metaphern und Metonymien in der Kognitiven Linguistik Der Unterschied zwischen der Bedeutung der metaphorischen Similarität und der Kontiguität erscheint auch vor dem Hintergrund der Metaphern- und Metonymieforschung der Kognitiven Linguistik plausibel. Die Bedeutung von Metaphern und Metonymien für die menschliche Kognition wird spätestens seit Lakoff und Johnson (1980) als fundamental angesehen. Lakoff und Johnson stellen heraus, dass es sich sowohl bei der Metapher als auch bei der Metonymie nicht ausschließlich um rhetorische Figuren und somit rein oberflächliche sprachliche Stilmittel handelt, sondern dass das menschliche Denken grundsätzlich metaphorisch und metonymisch strukturiert ist. Die Konzeptuelle Metapher wird darüber definiert, dass auf konzeptueller Ebene eine bestimmte Quelldomäne konventionell mit einer bestimmten Zieldomäne assoziiert wird. 7 Die zu Grunde liegende Assoziationsrelation ist hierbei diejenige der Similarität (s. z.B. Koch 1994), 8 der kognitive Prozess, der der Konzeptualisierung und Bedeutungskonstruktion zu Grunde liegt, derjenige des judgement/ comparison (s. Croft/ Cruse 2004: 46 u. 54ff.). Berühmte Fälle von Konzeptuellen Metaphern sind beispielsweise LIFE IS A JOURNEY oder PEOPLE ARE MACHINES . So beginnt Dante das Inferno mit folgenden Versen (s. auch Lakoff/ Turner 1989: 9): (1) It. Nel mezzo del cammin di nostra vita mi ritrovai per una selva oscura, chè la diritta via era smarrita. Dt. Ich fand mich, grad in unseres Lebens Mitte, In einem finstern Wald zurück, verschlagen, Weil ich vom rechten Pfad gelenkt die Schritte. 9 Das Leben ist eine Reise, die aus mehreren Etappen besteht, man geht einen Weg, von dem man allerdings auch abkommen kann. Die Zieldomäne, hier die Domäne des LEBENS wird konzeptualisiert mit Hilfe der Quelldomäne REISE . Wichtig für Konzeptuelle Metaphern ist, dass diese eben nicht nur in der Literatur und Poesie sprachlich zum Ausdruck kommen, sondern im Denken allgegenwärtig und erst daher in der Spra- 7 Zur Kritik am schwammigen Domänenbegriff s. z.B. Koch (2004). In den folgenden Kapiteln dieser Arbeit wird auch, wie Koch es vorschlägt, von Frames gesprochen und nicht von Domänen. Lediglich im Zusammenhang mit Lakoff und Johnsons’ Theorie bleibe ich bei dem von ihnen verwendeten Terminus Domäne. 8 Heutzutage wird allgemein anerkannt, dass die Konzeptuelle Metapher auf Similarität beruht. In Lakoff/ Johnson (1980: 147-155) verhält sich dies anders. Dort wird argumentiert, dass die Metapher es ist, die es uns erlaubt, Similaritäten zu kreieren. 9 Zitiert wird hier die zweisprachige Ausgabe von Laaths (1994). <?page no="115"?> 115 che vorhanden sind. Auch im Deutschen sprechen wir von einem Lebensweg und von Menschen, die vom rechten Weg abkommen. Im Leben hat man Ziele, genau wie auf einer Reise. Man kommt an Punkte, an denen man nicht so recht weiter weiß. Dabei können andere uns den richtigen Weg weisen. Wir sollten uns aber von niemandem vom Kurs abbringen lassen. Konzeptuelle Metaphern bestehen also nicht nur zwischen einzelnen Konzepten, sondern ganze Domänen können mit Hilfe von anderen Domänen konzeptualisiert werden. Selbstverständlich wird dabei aber nicht jeder einzelne Aspekt der Quelldomäne auf die Zieldomäne übertragen, es werden nur bestimmte Eigenschaften hervorgehoben. Wenn ein Mensch als Maschine konzeptualisiert wird, dann werden gewisse seiner Eigenschaften betont, nämlich zum Beispiel die Tatsache, dass er automatisch handelt, unermüdlich immer weiter dasselbe macht, keine Gefühle hat oder Ähnliches. Andere menschliche Eigenschaften treten dabei in den Hintergrund, wie beispielsweise, dass ein Mensch ein soziales Leben führt. Die Tatsache, dass von einer Ziel- und einer Quelldomäne gesprochen wird, beinhaltet auch, dass Konzeptuelle Metaphern als gerichtet angesehen werden. So können ununterbrochen arbeitende Menschen wie beispielsweise Doktoranden als Maschine konzeptualisiert werden. Denn wenn sie abends zu lange arbeiten, können wohlwollende Mitmenschen sie dazu zwingen abzuschalten, obwohl sie selbstverständlich keinen Schalter zum Ausschalten haben. Schaltet man einen Computer ab, ähnelt dies aber in keiner Weise dem Abschalten des Doktoranden. Dies heißt aber nicht, dass Maschinen teilweise nicht auch als Menschen (oder zumindest Lebewesen) konzeptualisiert werden. Laptops kann man zum Beispiel durch Herunterklappen des Bildschirms schlafen legen - sie befinden sich dann im Standby, aus dem sie jeder Zeit wieder aufgeweckt werden können. Legt man ein Baby schlafen, hat dieser Vorgang jedoch keinerlei Ähnlichkeit mit dem Schlafenlegen eines Computers. Die Tatsache der tendenziellen Gerichtetheit metaphorischer Similarität wird im Folgenden bei der Interpretation der Daten noch eine wichtige Rolle spielen. Zwei weitere Aspekte der Metapherntheorie 10 sind für die vorliegende Arbeit von großem Interesse. Zum einen handelt es sich bei den den Metaphern zu Grunde liegenden Similaritätsbeziehungen um Relationen 10 Die Theorie der Konzeptuellen Metapher soll hier nicht im Detail dargelegt werden, sondern nur die für den Fortlauf der Arbeit wichtigen Aspekte herausgegriffen werden. Unterschiedliche Schwerpunkte und Ansätze können hier nicht im Detail berücksichtigt werden. Ein Überblick zu verschiedenen Ansätzen findet sich in Liebert (1992). Zu verschiedenen Typen von Metaphern, wie z.B. resemblance metaphors vs. correlation metaphors s. z.B. Grady (1999), zu image metaphors s. Lakoff/ Turner (1989), zur Unterscheidung von primary und compound metaphors s. Grady (2005, 2007), zur Metapher in praesentia vs. Metapher in absentia s. z.B. Koch (1994). <?page no="116"?> 116 zwischen Konzepten unterschiedlicher Frames. Metaphorisches Mapping findet also im Normalfall nicht innerhalb eines Frames statt. Zum anderen handelt es sich nicht um per se existierende Ähnlichkeitsbeziehungen, sondern um Ähnlichkeit, die irgendwann einmal als solche wahrgenommen wird (s. z.B. Koch 1994: 212-213, Nöth 1985: 10-11). Kurzum ist ein Leben erst dann einer Reise ähnlich, wenn eine Ähnlichkeit empfunden wird. 11 Sind Metaphern konventionalisiert, ist man sich selbstverständlich der ursprünglich festgestellten Ähnlichkeitsbeziehung nicht mehr ständig bewusst (vgl. z.B. Black 1977: 440 u. v.a. die von Koch 1994 beschriebenen Habitualisierungsgrade der Metapher), doch heißt dies nicht, dass konventionelle Metaphern tot sind (s. Lakoff/ Turner 1989: 128-129, Nöth 1985: 6). Wichtig ist für den Zweck dieser Arbeit, dass solche Metaphern bei Bedarf ins Bewusstsein gerückt oder aktualisiert werden können (Danesi 2005: 267). Geht dies nicht mehr, kann man strenggenommen synchron auch nicht mehr von einer Similaritätsrelation sprechen. In diesem Fall gehört die betreffende Metapher auch nicht mehr zu unserem lebendigen konzeptuellen System (Lakoff/ Turner 1989: 128-129). In Termini der lexikalischen Motivation haben wir es in solchen Fällen mit Opazität zu tun. Die Konzeptuelle Metonymie wird im Gegensatz zur Metapher nicht über eine Similaritätsrelation, sondern über Kontiguität definiert. 12 Laut Croft und Cruse (2004: 46 u. 48ff.) ist der kognitive Prozess, der in diesem Falle der Konzeptualisierung und Bedeutungskonstruktion zu Grunde liegt, bei der Metonymie nicht derjenige des judgement/ comparison wie bei der Metapher, sondern derjenige des attention/ salience: […] analysis of metonymy is the ability of a speaker to select a different contextually salient concept profile in a domain or domain matrix than the one usually symbolized by the word. (Croft/ Cruse 2004: 46; vgl. auch 54ff.) 13 11 Zu einem Überblick über einige Versuche, empirisch zu ermitteln, ob die Ähnlichkeitsbeziehung, die Metaphern zu Grunde liegt, vor der Metapher besteht oder mit der Metapher entsteht, s. Indurkhya (1992: 45-55). 12 Bei Lakoff und Johnson (1980) spielt die Metonymie noch eine weitaus geringere Rolle als die Metapher. Heute gehen jedoch viele Autoren davon aus, dass die Konzeptuelle Metonymie für die menschliche Kognition wesentlich wichtiger ist als die Metapher (z.B. Barcelona 2000b: 4, Taylor 2003, Koch 1994, 1999a u. 2004). Zudem wurde nicht nur gezeigt, dass es zahlreiche Fälle gibt, in denen Metaphern und Metonymien interagieren (s. z.B. Goossens 1990) sondern auch, dass viele Metaphern letztendlich eine metonymische Basis haben (s. z.B. Radden 2000, Barcelona 2000c). 13 Anzumerken ist hier am Rande, dass in der von Croft und Cruse vorgestellten Klassifizierung der construal operations (Überblick in Croft/ Cruse 2004: 46), die auf den Modellen von Talmy und Langacker aufbaut, Metonymie nicht die einzige kon- <?page no="117"?> 117 Das wohl bekannteste Beispiel für Konzeptuelle Metonymien ist das ham sandwich, das gerne zahlen möchte. Anders als bei der Metapher (in diesem Fall würde es sich bei einer metaphorischen Lesart nämlich um einen Kunden handeln, der irgendeine Eigenschaft mit einem Schinkenbrötchen gemein hätte, diesem also irgendwie ähneln würde) wird bei der kontiguitätsbasierten Metonymie nicht ein Konzept als ein anderes wahrgenommen, sondern das eine Konzept bietet Zugang zum anderen. Es gilt vereinfacht nicht die Formel „X ist (wie) Y“ (oder: „X wird als Y wahrgenommen“), sondern „X steht für Y“ (oder: „X wird vor dem Hintergrund von Y wahrgenommen“; vgl. Koch 2004: 8, Panther/ Thornburg 2007: 242). Bei engl. ham sandwich als Bezeichnung für den Kunden hat der Kunde nichts Schinkenbrötchenhaftes, sondern er ist derjenige, der es bestellt hat. Die Bestellung des Gastes steht also für den Gast, weil sie miteinander zu tun haben, und zwar in dem Sinne, dass das Schinkenbrötchen aus der Sicht des Personals das eigentlich Wichtige und damit Saliente am Gast ist, und nicht weil eine Ähnlichkeit zwischen ihnen wahrgenommen wird. Ein wichtiger Unterschied zur metaphorischen Similarität ist, dass Kontiguität im Normalfall ungerichtet ist (s. z.B. Radden/ Kövecses 1999: 22). X bietet nicht nur Zugang zu Y, sondern Y auch zu X. Zwischen dem Konzept SCHINKENBRÖTCHEN und dem Konzept GAST besteht genauso eine Kontiguitätsbeziehung wie zwischen dem Konzept GAST und dem Konzept SCHINKENBRÖTCHEN . 14 Im Vergleich zur metaphorischen Similarität interessiert ein weiterer Aspekt. Lakoff und Turner (1989: 103) sowie Koch (z.B. 1999a: 145-148, 2001b: 202) stellen heraus, dass es sich bei Kontiguitätsrelationen um Relationen handelt, die sich innerhalb einer Domäne beziehungsweise eines Frames bewegen (nach Croft 2003: 178 allgemeiner innerhalb einer tiguitätsbasierte Operation ist. Auch wenn z.B. beim figure-ground alignment (Croft/ Cruse 2004: 56-58) tatsächlich eine Figur und ihr Grund verglichen (also auf Similarität und Kontrast hin überprüft) werden, ist die zunächst zu Grunde liegende Relation, über die wir etwas als Figur auf einem Grund wahrnehmen, doch die der Kontiguität. Ebenso beruht die Operation der relationality (entity/ interconnection) (Croft/ Cruse 2004: 67-69) auf Kontiguität und zwar in dem Sinne, dass ein Konzept nicht ohne ein anderes erfasst werden kann: „for example, an adjectival concept such as ROUND cannot be conceived of without reference to something that is round“ (Croft/ Cruse 2004. 67). 14 Zwar stellt der Fall des Schinkenbrötchens ein viel zitiertes Beispiel für Konzeptuelle Metonymie dar, doch handelt es sich bei dieser Metonymie ausgerechnet um den Sonderfall eines vorrangig referenzorientierten Beispiels, die von konzeptorientierten Fällen, wie beispielsweise engl. tongue für ZUNGE und SPRACHE unterschieden werden müssen (s. Koch 2001b: 219-221 u. die folgende Fußnote). Dennoch zeigt dieses Beispiel selbstverständlich, dass die Metonymie anders als die Metapher auf Kontiguität basiert und prinzipiell ungerichtet ist. <?page no="118"?> 118 Matrixdomäne). 15 Panther und Thornburg (2007: 240-241; vgl. auch 2003a u. b) fügen aufgrund der Tatsache, dass es sehr unterschiedliche Arten von Kontiguitätsrelationen gibt, der Definition der Konzeptuellen Metonymie das Kriterium der Kontingenz hinzu. Es handelt sich bei ihnen nur in den Fällen um eine echte Konzeptuelle Metonymie, in denen die Beziehung zwischen den beiden Konzepten konzeptuell nicht notwendig ist. Die Konzeptuelle Metonymie wird auf diese Weise deutlich vom Phänomen des entailment abgegrenzt, bei dem es sich um genau die Fälle handelt, bei denen die Kontiguitätsrelation zwischen zwei Konzepten eine logisch notwendige ist. So folgt zum Beispiel NONPOSSESSION notwendigerweise aus LOSS (Panther/ Thornburg 2007: 241). Der Unterschied, dass die Metonymie innerhalb eines Frames wirkt, die Metapher sich hingegen über zwei Frames spannt, bringt es auch mit sich, dass die Konzeptuelle Metapher eines größeren kognitiven Aufwandes bedarf als die Konzeptuelle Metonymie um verstanden zu werden. Um Ricoeurs Metapher über Metaphern zu verwenden (1981: 232), könnte man sagen, dass es bei Metaphern so ist, als ob „a change of distance between meanings occurred […]“, dass also zwei Konzepte durch die Wahrnehmung einer Ähnlichkeit aneinander angenähert werden. 16 Im Vergleich ist das bei Konzeptuellen Metonymien nicht der Fall, da hier die beiden Konzepte schon insofern nahe sind, als sie demselben Frame oder derselben Domäne angehören. Ricoeur betont jedoch auch, dass die ursprüngliche Distanz zweier Konzepte durch das Herstellen der Ähnlichkeit nicht aufgelöst wird: „In order that a metaphor obtains, one must continue to identify the previous incompatibility through the new compatibility.“ Und weiter: „Remoteness is preserved within proximity“ (1981: 15 Vgl. hierzu auch die von Niemeier (2000: 197) und Feyaerts (2000: 62) zitierte Literatur. Feyaerts unterscheidet zwei Definitionstraditionen für Metonymie. Einerseits eine dem Strukturalismus treue Tradition, die Metonymie über Kontiguitätsrelationen zwischen Referenten definiert. Andererseits eine kognitive Tradition, die Metonymie über Beziehungen definiert, die zwischen Konzepten ein und derselben Domäne bestehen. Hierzu muss man allerdings sagen, dass meist selbst strukturalistisch anmutende Ansätze durchaus erkennen, dass es sich bei Metonymien nicht um reine Referenzunterschiede handelt (s. z.B. Schifko 1979: 243). Zu einer Typologie der sprachlichen Subsysteme, die von Metonymie betroffen sind, s. Koch (2001b: 209). 16 Die Metapher ÄHNLICHKEIT IST NÄHE , die Ricoeur hier verwendet, wird von Casasanto (2008) in der nichtwissenschaftlichen Sprache experimentell mit Muttersprachlern des Englischen untersucht. Er stellt interessanterweise fest, dass die Wahrnehmung der Ähnlichkeit zweier Stimuli systematisch von der Entfernung abhängt, die zwischen ihnen auf dem Präsentationsbildschirm besteht. <?page no="119"?> 119 234). 17 Unterschiede in der konzeptuellen Nähe oder Distanz unterscheiden aber nicht nur die Metapher von der Metonymie, sondern können laut Panther und Thornburg (2007: 242) auch innerhalb der Metonymie Unterschiede im Verständnis bewirken. 18 Dieses Spannungsverhältnis zwischen Nähe und Distanz führt auch dazu, dass die Konzeptuelle Metapher auffälliger ist als die Konzeptuelle Metonymie, um es mit Fauconnier und Turner auszudrücken (2003: 70). 19 Sie kann auch als weniger normal bezeichnet werden und zwar in dem Sinne, dass das grounding eines metonymischen Konzeptes im Allgemeinen selbstverständlicher als das eines metaphorischen Konzeptes ist „since it usually involves direct physical or causal associations“ (Lakoff/ Johnson 1980: 39). Dies bedeutet laut Croft (2003: 179): „The metonymic shift is quite natural.” Der kognitive Mehraufwand, den wir haben, um Metaphern gegenüber Metonymien zu produzieren und zu verstehen, schlägt sich auch in psycholinguistischen Experimenten zur Sprachrezeption nieder. So brauchen wir im Allgemeinen länger dazu, Metaphern zu verstehen als uns Metonymien zu erschließen (vgl. Klepousniotou 2002; u. Abschnitt 5.2.2.2 sowie Kap. 6). 20 Klix, Kukla und Klein (1976) zeigen zudem experimentell, 17 Auch Haiman (1985: 106-107) spricht - im Zusammenhang mit dem Prinzip des Isomorphismus - von konzeptueller Nähe und konzeptueller Distanz. Je weiter voneinander entfernt zwei Formen syntagmatisch voneinaner sind, desto größer ist auch die konzeptuelle Distanz, zwischen den entsprechenden Inhalten der beiden Formen. Er definiert konzeptuelle Nähe folgendermaßen: „Two ideas are conceptually close to the extent that they a. share semantic features, properties or parts; b. affect each other; c. are factually inseparable; d. are perceived as a unit, whether factually inseparable or not.” Vor allem seine Kriterien b. und c. zeigen, dass konzeptuelle Nähe primär über Kontiguität relationierte Konzepte betrifft. 18 Konzeptuelle Nähe und konzeptuelle Distanz definieren Panther und Thornburg (1998: 759-760) über die Distanz der Komponenten eines Sprechaktszenarios zum Kern des Szenarios. Panther und Thornburg (2007 u. 1998) geht es somit anders als in der vorliegenden Arbeit nicht um Beziehungen zwischen einzelnen lexikalischen Einheiten, sondern um die Leichtigkeit der Inferierbarkeit der Bedeutungen ganzer Sprechakte. Ihr Kontinuum der Metonymie (1998: 764-765) bewegt sich zwischen dem Pol der eigentlichen Metonymie (Funktion: „stand for“) und dem Pol der rein indexikalischen Funktion (Funktion: „point to“). Beide Funktionen beruhen auf Kontiguität, wobei die rein indexikalische Funktion uns aber einen weniger deutlichen Hinweis auf das Gemeinte gibt als die eigentliche Metonymie. Auch wenn das Kontinuum nicht für Beziehungen zwischen Wörtern ersonnen wurde, zeigt es, dass nicht jede Art von Kontiguitätsrelation denselben Stellenwert hat, was in Abschnitt 5.2.2.2 noch eine wichtige Rolle spielen wird. 19 Ähnlich, allerdings nicht aus kognitiv-konzeptueller Perspektive, sondern in Bezug auf die Auffälligkeit von Metaphern im Text, Le Guern (1973: 16). 20 Gibbs (1990a) kann hingegen zeigen, dass wir Metaphern teilweise schneller verstehen als Metonymien, jedoch arbeitet er nicht ausschließlich mit lexikalisierten Metaphern und Metonymien, sondern v.a. mit „figurative referential descriptions“, al- <?page no="120"?> 120 dass auch für andere semantisch-konzeptuelle Relationen als die Metapher und die Metonymie der kognitive Aufwand nicht derselbe ist. Sie unterscheiden zwei Klassen von Relationen, und zwar Relationen der Ordnungsbildung innerhalb begrifflicher Strukturen von Relationen zwischen Begriffsstrukturen, womit sie einerseits taxonomische Relationen, andererseits Kontiguitätsrelationen meinen wie beispielsweise diejenige zwischen einer Handlung und dem Handelnden. Sie stellen insgesamt fest, dass die zwischenbegrifflichen Relationen eines geringeren Erkennungsaufwandes und eines geringeren Erzeugungsaufwandes bedürfen als die innerbegrifflichen, taxonomische Relationen also größere Probleme bereiten als Kontiguitätsrelationen. Ein weiteres Ergebnis, das ebenfalls auf einen Unterschied im kognitiven Aufwand des Verständnisses von Metaphern und Metonymien hinweist, ist, dass zwischenbegriffliche Relationen nur unter der Vorbedingung leichter erfasst werden, dass sie einem thematischen Orientierungsbereich angehören. Wechselt man von einem Wort zum anderen den thematischen Orientierungsbereich, erhöht sich laut Klix, Kukla und Klein (1976: 313) der kognitive Aufwand, denn dann sind zwei unabhängige Bereiche zu erfassen. Die Parallele zum Domänen- und Framebegriff ist nicht zu übersehen. 21 5.2 Systematische Studien zum Italienischen und Französischen Im Folgenden werden zwei Befragungen zum Italienischen und Französischen vorgestellt, die durchgeführt wurden, um die in Abschnitt 5.1.2 erläuterten Hypothesen systematisch zu testen. 22 In Abschnitt 5.2.1 werso situationsgebundenen metaphorischen und metonymischen Verwendungen von Wörtern, die in der vorliegenden Arbeit keine Rolle spielen; zu Unterschieden zwischen der Rolle der Kontiguität und derjenigen der Similarität bei aphasischen Störungen s. Jakobson (1956). 21 Gegen die Sichtweise, dass das Verständnis von Metaphern im Vergleich zu nichtfigurativer Sprache zu einem kognitiven Mehraufand führe siehe z.B. Gibbs/ Gerrig (1989), Gibbs (1990 a u. b), u. Gibbs/ Tendhal (2006); dafür s. auch Noveck/ Bianco/ Castry (2001). 22 Es sei vorweggenommen, dass die Auswertung der Daten in Abschnitt 5.2.2 ausschließlich mit Hilfe der beschreibenden Statistik erfolgt. Inferentiell-statistische Verfahren sind prinzipiell nur sehr bedingt für die Auswertung von Daten geeignet, die nicht nur quantitativer, sondern vor allem qualitativer Art sind (s. z.B. Albert/ Koster 2002: 134), wie die im Rahmen dieser Arbeit erhobenen Daten. Daher erheben diese Studien, obwohl sie systematischer angelegt sind als die bisher vorgestellten Studien, keinen Anspruch auf statistische Repräsentativität oder Signifikanz. Hinzu kommt, dass aus Gründen der praktischen Durchführbarkeit der Ver- <?page no="121"?> 121 den zunächst das untersuchte Material und die Methode präsentiert, anschließend in 5.2.2 die Ergebnisse der Studien dargestellt, bevor sie schließlich in 5.2.3 diskutiert werden. Die im Folgenden vorgestellten Studien sind systematischer angelegt als die bisher erläuterten Untersuchungen. Dies bedeutet, dass mit einer relativ kleinen Menge an nach systematischen Kriterien ausgewählten Stimuli (s. hierzu genauer 5.2.1) aufgezeigt werden soll, wie die Hypothesen 1 bis 3 zusammenhängen. Dies ist ein Aspekt, zu dem die bisher vorgestellten Studien noch nichts aussagen konnten, da sie zunächst ganz andere Ziele hatten, wie zum Beispiel die Methode an sich zu testen (vgl. die französischen Studien in Tab. 3 in Abschnitt 4.3.1) oder explorativ zu überprüfen, ob ein Unterschied in der Motivierbarkeit der konzeptuellen Relationen der Kontiguität und der metaphorischen Similarität prinzipiell überhaupt reproduzierbar ist oder womöglich in den verschiedenen Pilotstudien nur zufällig zu beobachten war (vgl. die Daten zum Deutschen aus Tab. 5 in Abschnitt 5.1.3). Die relativ kleine Menge an Stimuli in einer Sprache wird dadurch kompensiert, dass die Hypothesen 1 bis 3 sprachübergreifend im Französischen und Italienischen überprüft werden. 5.2.1 Material und Methode 5.2.1.1 Quelle für die Stimuli: Die Tübinger Polysemiedatenbank Die untersuchten Stimuli stammen aus einer Datenbank zur Polysemie des Französischen und Italienischen, die im Rahmen des Tübinger Projekts Lexikalische Motivation im Französischen, Italienischen und Deutschen erstellt worden ist. Um auf die Auswahl der Stimuli für die hier vorgestellten Experimente aus dieser Datenbank (im Folgenden Tübinger Polysemiedatenbank) adäquat eingehen zu können, muss deren Zweck und Inhalt kurz beschrieben werden. Die Tübinger Polysemiedatenbank wurde mit dem Ziel angelegt, einen umfassenden und repräsentativen Fundus an lexikalischen Einheiten zu schaffen, aus dem einerseits die Stimuli für die im Rahmen des Projekts durchgeführten Informantenbefragungen zur lexikalischen Motivasuchsreihe sowohl die Stichprobe der Stimuli als auch die Stichprobe der Informanten zu klein sind um repräsentativ zu sein. Die Zahl der Stimuli (40 pro Sprache; verteilt auf je zwei Fragebögen mit je 20 Stimuli) ist durch die Beschaffenheit der Quelle für die Stimuli von vorneherein begrenzt (s. Abschnitt 5.2.1.1). Die Informanten (25 pro Fragebogen) wurden über das Internet rekrutiert. Dies bedeutet, dass sie nicht nach bestimmten soziodemographischen Kriterien ausgesucht werden konnten. Folglich ist die Gruppe der Teilnehmer sehr heterogen und in Bezug auf die Grundgesamtheit der Muttersprachler mit Zugang zum Internet nicht repräsentativ. <?page no="122"?> 122 tion entnommen werden können, der aber andererseits auch der Öffentlichkeit als Nachschlagewerk für die heute salientesten Bedeutungen von je 400 französischen und italienischen Wörtern und folglich als synchrones Wörterbuch zur Verfügung gestellt werden soll. 23 Es handelt sich um Daten, die aus einem Sentence Generation & Definition Task (SG&DT; s. Marzo/ Rube/ Umbreit 2007) zu je 400 Wörtern aus unterschiedlichen Frequenzbereichen des italienischen und des französischen Grundwortschatzes durchgeführt worden sind. 24 Bei einem SG&DT werden die Informanten darum gebeten, die Bedeutungen, die ihnen spontan zu einem bestimmten Wort einfallen, in disambiguierenden Sätzen zu exemplifizieren und anschließend knapp zu definieren oder zu paraphrasieren. Auf diese Art können die zentralsten Bedeutungen der untersuchten Wörter auf relativ einfache und eindeutige Weise für verschiedene Sprachen auf vergleichbare Art ermittelt werden. Der SG&DT kombiniert damit Methoden, die traditionell als Vorlauf für verschiedenste Experimentreihen verwendet werden, um die Bedeutungen der Stimuli festzulegen (z.B. Durkin/ Manning 1989: 581-582, Caramazza/ Grober 1976: 186- 188 oder Sandra/ Rice 1995: 107-108), und zwar den Sentence Generation Task (vgl. z.B. Caramazza/ Grober 1976: 187, Colombo/ Flores d’Arcais 1984: 59), und den Definition Task (vgl. Durkin/ Manning 1989: 581-582; kritisch dazu Dunbar 2001: 2-3). Im Folgenden seien zur Veranschaulichung die Antworten zweier Informanten auf den Stimulus fr. travail vorgestellt. 23 Diese Tübinger Datenbank zur Polysemie ist zugänglich unter: http: / / www.sfb441.uni-tuebingen.de/ b6/ polysemy/ sentences.php. Der Zugang ist geschützt, kann jedoch von den Projektmitarbeiterinnen erbeten werden. 24 Diese Wörter wurden Frequenzwörterbüchern der beiden Sprachen entnommen. Den italienischen Daten liegt das Wörterbuch von Juilland und Traversa (1973) zu Grunde, den französischen dasjenige von Juilland, Brodin und Davidovich (1970). Aus den nach Frequenz angeordneten Wörterlisten dieser Wörterbücher wurden die lexikalischen Wörter (grob gesagt Substantive, Verben, Adjektive und handlungsqualifizierende Adverbien) ausgewählt, was jeweils eine Liste von ca. 4000 lexikalischen Wörtern ergab. Aus dieser Liste wurden vier Frequenztranchen zur Weiterbearbeitung ausgewählt, und zwar die Ränge 1-100, 1001-1100, 2001-2100 und 3001-3100. Zu Gründen und genauen Kriterien für diese Wortauswahl, die im Rahmen dieser Arbeit nicht von Bedeutung sind, s. Koch/ Marzo/ Rube/ Umbreit (2008). Die Wahl der nicht ganz neuen Frequenzwörterbücher lässt sich daraus erklären, dass diese für das Französische und das Italienische die einzigen existenten miteinander vergleichbaren Frequenzwörterbücher darstellen. <?page no="123"?> 123 Informant 601 in der Tübinger Polysemiedatenbank: 25 1. Fr. Pendant l’accouchement, le travail a duré 2 h. (Activité où la mère fait sortir le bébé). Dt. Während der Geburt haben die Wehen 2 Stunden gedauert. (Beschäftigung, bei der die Mutter das Kind herauslässt). 2. Fr. Mon travail consiste à compter les tickets. (Occupation professionnelle rémunérée). Dt. Meine Arbeit besteht darin, Karten zu zählen. (Bezahlte berufliche Beschäftigung). 3. Fr. J’ai un travail à rendre pour le cours de physique. (Pièce, devoir). Dt. Ich muss eine Aufgabe für den Physikunterricht abgeben. (Arbeit, Aufgabe). Informant 624 in der Tübinger Polysemiedatenbank: 1. Fr. Je ne veux pas aller au travail demain. (Lieu où l’on exerce une activité professionnelle). Dt. Ich will morgen nicht zur Arbeit gehen. (Ort, an dem eine berufliche Beschäftigung ausgeführt wird). 2. Fr. En quoi consiste ton travail ? (Activité professionnelle ou corvée). Dt. Welche Arbeit machst Du? (Beruf oder Schinderei). 3. Fr. Son travail a duré plus de 12 heures. (Temps de l’accouchement avant la naissance de l’enfant). Dt. Ihre Wehen haben mehr als 12 Stunden gedauert. (Zeit der Niederkunft vor der Geburt). Sowohl Informant 601 als auch Informant 624 unterscheiden drei Bedeutungen. Davon können Bedeutung 1 von Informant 601 und Bedeutung 3 von Informant 624 zur Bedeutung ‘Wehen’ zusammengefasst werden, ebenso wie die Bedeutungen 2 der beiden Informanten unter ‘bezahlte Arbeit’ gefasst werden können. Informant 601 unterscheidet zudem eine Bedeutung ‘Aufgabe’, Informant 624 hingegen die Bedeutung ‘Arbeitsplatz’. Jeder Informant kann theoretisch andere Bedeutungen nennen, und zwar diejenigen, die ihm persönlich als zentral erscheinen, doch überschneiden sich diese über die Informanten hinweg beträchtlich und werden teilweise sogar mit ähnlichen Beispielsätzen exemplifiziert (s. die Bedeutungen 2 beider Informanten). 25 Alle Daten werden hier genauso wiedergegeben, wie sie die Informanten verfasst haben, d.h., es wird z.B. auf die Verbesserung von Interpunktions- und Orthographiefehlern verzichtet. Der Stimulus wird in der Antwort zur besseren Übersicht kursiv hervorgehoben. <?page no="124"?> 124 Es wird im Folgenden davon ausgegangen, dass die Bedeutungen, die in diesem SG&DT am häufigsten genannt werden, als salienteste Bedeutungen des Stimulus angesehen werden können. Denn die Ergebnisse des SG&DT stellen im Prinzip nichts anderes dar als diejenigen Bedeutungen eines Stimulus, die die Informanten ohne äußere Hilfe am einfachsten aktivieren können. Die ease of activation ist wiederum das Kriterium, das laut Langacker (1993: 45, 159) die Salienz einer Bedeutung ausmacht (vgl. auch Schmid 2007: 119-120). Die Anzahl der Informanten, die eine bestimmte Bedeutung nennen und die Salienz derselben Bedeutung hängen somit eng zusammen. Je mehr Informanten eine Bedeutung nennen, als desto salienter kann diese betrachtet werden. Die Anzahl der Informanten wird in den folgenden Abschnitten daher übertragen in eine Salienzzahl, die als Vergleichsgröße für die Salienz der lexikalischen Einheiten dienen soll. Mit ihrer Hilfe kann zum Beispiel beobachtet werden, ob die Motivierbarkeit gewisser lexikalischer Einheiten einem Salienzeffekt unterliegt (vgl. v.a. Abschnitt 5.2.1.2). Nennen 20 Informanten eine Bedeutung, bekommt diese die Salienzzahl 20, sind es 12, ist die Salienzzahl 12. Dadurch, dass der Tübinger Polysemiedatenbank pro Stimulus 25 Informanten zu Grunde liegen, ist die höchstmögliche Salienzzahl 25. 26 Es stellt sich nun die Frage, warum man einen solchen SG&DT durchführt und eine Polysemiedatenbank erstellt anstatt zum Beispiel die Bedeutungen einfach aus Korpora, Wörterbüchern oder gar den WordNets zu entnehmen. Der SG&DT hat einer Korpusanalyse gegenüber zunächst den Vorteil, dass die Kombination aus disambiguierenden Beispielsätzen und der Bedeutungsparaphrase oder -definition garantiert, dass in (nahezu) allen Fällen eindeutig erkennbar ist, welche Bedeutung die Informanten gerade beschreiben. In der Korpusanalyse kann zwar relativ einfach nach Formen gesucht werden, doch enthält - und dies nicht nur bei Korpora der gesprochenen Sprache - der Kontext des Textes oft nicht genügend dis- 26 Die Salienzzahlen stammen, wie sie im Folgenden angegeben werden, aus der Version der Datenbank von Ende August 2008. Mögliche Veränderungen oder Verbesserungen, die nach diesem Datum an der Datenbank auf Grund nachträglich aufgefallener Auswertungsfehler des SG&DT vorgenommen werden, konnten im Rahmen dieser Arbeit nicht mehr berücksichtigt werden. Zudem sei darauf hingewiesen, dass zwar davon ausgegangen werden kann, dass sich bei mehr als 25 Informanten die Bedeutungscluster nicht mehr verändern, die zentralsten Bedeutungen also wirklich bereits bei einer Anzahl von 25 Informanten alle genannt wurden. In den Fällen, in denen die Salienzzahlen sehr eng beieinander liegen, die Bedeutungen also von nahezu der gleichen Anzahl an Informanten genannt worden sind, müssen jedoch Aussagen über mögliche Salienzeffekte mit Vorsicht genossen werden, da sich die Salienzverhältnisse bei einer etwas größeren Anzahl an Informanten umkehren könnten. <?page no="125"?> 125 ambiguierende Information und ist damit zu vage, um eindeutige Bedeutungen zu bestimmen. 27 Aus sprachvergleichender Perspektive besteht eine zusätzliche Schwierigkeit darin, dass es im Italienischen und Französischen keine vergleichbaren Korpora gibt und somit eine Bedeutungsextraktion aus Korpora keine vergleichbare Basis für eine Befragung zur lexikalischen Motivation im Französischen und Italienischen gewährleistet. Was die Bedeutungscluster angeht, die man mit Hilfe des SG&DT erhalten kann, entsprechen diese zwar üblicherweise nicht exakt denjenigen Bedeutungen, die man sich aus semantisch im Normalfall nicht annotierten Korpora mühsam heraussuchen könnte, doch existieren eindeutig Korrelationen zwischen beiden Arten von Bedeutungsclustern (vgl. hierzu Marzo/ Rube/ Umbreit 2007). Diese Korrelationen lassen darauf schließen, dass die Salienz der Bedeutungen, die man über den SG&DT ermitteln kann, nicht völlig losgelöst von der tatsächlichen Frequenz der Bedeutungen ist (vgl. auch Geeraerts 2000 zur onomasiologischen Salienz). Für eine Stichprobe von 15 hochfrequenten italienischen Stimuli können Marzo, Rube und Umbreit (2007) zeigen, dass bei einem Vergleich der Ergebnisse aus dem SG&DT mit einer Korpusanalyse in zwei Dritteln der Fälle die wichtigsten Bedeutungen in beiden Datentypen dieselben sind. In den Fällen, in denen sich die wichtigsten Bedeutungen in den beiden Datentypen nicht entsprechen, entspricht meist die wichtigste Bedeutung des einen Datentyps der zweitwichtigsten des anderen Datentyps. So kann man davon ausgehen, dass der SG&DT zumindest für hochfrequente Wörter und deren wichtigste Bedeutungen zu denselben Bedeutungsclustern führt, denen auch nahezu dieselbe Zentralität zukommt. Auch Wörterbücher eignen sich nur bedingt als Quelle für lexikalische Einheiten, die man einer sprachvergleichenden Motivationsstudie zu Grunde legen könnte. Wie für Korpora des Französischen und des Italienischen gilt zunächst auch für die Wörterbücher der beiden Sprachen, dass sie kaum vergleichbar sind, da sie nach unterschiedlichen Kriterien erstellt werden. Das Problem der Vergleichbarkeit von Wörterbüchern stellt sich aber nicht nur über die beiden Sprachen hinweg, sondern bereits in den beiden Einzelsprachen, da auch die Wörterbücher der Einzelsprachen in ihrer Vorgehensweise teilweise sehr stark divergieren und je nachdem, für welches Wörterbuch man sich entscheidet, die Bedeutungscluster sowie der Umgang mit Homonymie und Polysemie sehr unterschiedlich ausfallen (s. z.B. Marzo/ Umbreit 2008). Hinzu kommt, 27 Für eine genauere Beschreibung des SG&DT sowie eine detaillierte Diskussion seiner Vorteile im Vergleich zur Festlegung von Bedeutungen in Korpora s. Marzo/ Rube/ Umbreit (2007). <?page no="126"?> 126 dass Wörterbücher oft sehr viele und für experimentelle Zwecke zu feine Bedeutungen unterscheiden. Folglich ist es insgesamt sehr schwierig anhand von Wörterbüchern eine repräsentative und für linguistische Experimente geeignete da kognitiv relevante Auswahl an Bedeutungen zu treffen (s. Marzo/ Umbreit 2008). Ähnlich verhalten sich die Probleme bei einer Bedeutungsauswahl aus den verschiedenen WordNets. Zum einen sind die Bedeutungsunterscheidungen dort teilweise ebenfalls so fein, dass nur schwer nachvollzogen werden kann, was genau der Unterschied zwischen den einzelnen Bedeutungen ist. Zum anderen sind die Erklärungen der Bedeutungen unter Umständen zu knapp beziehungsweise zu vage gehalten, sodass das Verständnis bei sehr feinkörnigen Unterscheidungen erheblich erschwert wird. Beides trifft zum Beispiel für it. riso zu, für das zwei der fünf angegebenen Bedeutungen ‘(Biology, Plants) [annual or perennial rhizomatous marsh grasses; seed used for food; straw used for paper]’ (Bedeutung 1) und ‘(Biology, Plants) [yields the staple food of 50 percent of world's population]’ (Bedeutung 5) lauten. In beiden Fällen ist zwar wohl die Pflanze gemeint, jedoch scheinen die Erläuterungen sich eher zu ergänzen als zwei eigenständige Bedeutungen eindeutig voneinander abzugrenzen. Auch die Relationen, in denen die jeweiligen Synsets zueinander stehen, helfen hier nicht weiter. It. riso in der Bedeutung 1 wird so zwar als coordinate term (also Kohyponym) von it. riso in der Bedeutung 5 angegeben, nicht aber it. riso in der Bedeutung 5 als Kohyponym zu it. riso in der Bedeutung 1. Gleichzeitig wird aber it. riso in der Bedeutung 1 auch als Hyperonym von it. riso in der Bedeutung 5 angegeben. Nicht zuletzt sei die Tatsache angesprochen, dass die Metasprache der WordNets nach wie vor (und aus guten Gründen) das Englische ist, die einzelnen Synsets und Bedeutungen also auch für das Italienische und das Französische auf Englisch differenziert werden. Demgegenüber bieten die durch einen SG&DT erfassten Daten den Vorteil, dass besonders knackige Definitionen und besonders gelungene Beispielsätze der muttersprachlichen Probanden unverändert beziehungsweise geringfügig angepasst als Stimuli in weitere Befragungen eingehen können. Bei einer Bedeutungsextraktion aus den WordNets müssten im Normalfall sowohl die Bedeutung als auch der Beispielsatz erst auf Italienisch und Französisch formuliert werden (vgl. die Abbildungen der Tübinger Zweischrittmethode in Abschnitt 4.3.2). 5.2.1.2 Die Auswahl der Stimuli zur Überprüfung der Hypothesen Die Stimuli für die im Folgenden beschriebenen Experimente wurden aus der in Abschnitt 5.2.1.1 beschriebenen Datenbank ausgewählt. Es handelt <?page no="127"?> 127 sich also durchweg um Stimuli, die aus dem hochfrequenten und salienten Wortschatz des Italienischen und des Französischen stammen. Die Auswahl der Stimuli erfolgte im Hinblick auf die zu testenden Hypothesen (vgl. Abschnitt 5.1.2) nach folgenden Kriterien: Um die Hypothesen 1 (formal komplexe lexikalische Einheiten werden tendenziell extrinsisch motiviert) und 2 (formal einfache lexikalische Einheiten werden tendenziell intrinsisch motiviert) überprüfen zu können, müssen die Stimuli dieselbe Anzahl an formal komplexen lexikalischen Einheiten (s. Tab. 6, Gruppe K) und formal einfachen lexikalischen Einheiten (s. Tab. 6, Gruppe E) enthalten. Zur Verifizierung von Hypothese 3 (potentielle intrinsische Motivationspartner, die inhaltlich über metaphorische Similarität mit der zu motivierenden lexikalischen Einheit verbunden sind, werden eher als tatsächliche Motivationspartner genannt als potentielle intrinsische Motivationspartner, die inhaltlich über Kontiguität mit einer zu motivierenden lexikalischen Einheit verbunden sind) muss sowohl die Gruppe von formal einfachen lexikalischen Einheiten als auch die Gruppe von formal komplexen lexikalischen Einheiten aus je zwei Untergruppen bestehen. Eine der beiden Untergruppen muss jeweils Stimuli enthalten, die hypothetisch über metaphorische Similarität mit einem potentiellen intrinsischen Motivationspartner verbunden sind (s. Tab. 6, Gruppen E/ MET u. K/ MET), die andere muss dementsprechend aus lexikalischen Einheiten bestehen, die potentiell in einer Kontiguitätsbeziehung zu ihren potentiellen intrinsischen Motivationspartnern stehen (Tab. 6, Gruppen E/ KON u. K/ KON). Diesen insgesamt vier Untergruppen wird als Vergleichsgruppe noch eine fünfte Untergruppe von potentiell opaken Stimuli hinzugefügt (s. Tab. 6, Gruppe O), die dazu dienen soll, zu überprüfen, inwieweit die Informanten sich tatsächlich Gedanken über die Motivation der Stimuli machen oder einfach nur mehr oder weniger zufällig irgendeinen Motivationspartner eintragen. E/ MET kann exemplifiziert werden mit der lexikalischen Einheit it. cuore ‘Zentrum’, die intrinsisch potentiell über metaphorische Similarität mit it. cuore ‘Herz’ zusammenhängt. It. terra ‘Bodenmaterial’ mit dem potentiell über Kontiguität relationierten intrinsischen Motivationspartner terra ‘Planet Erde’ ist ein Beispiel für E/ KON. Obwohl auch die Gruppe E zumindest theoretisch extrinsische Motivationspartner haben kann - denn das Motivationsverständnis dieser Arbeit lässt ja prinzipiell zu, dass im Sinne der Konsoziation formal einfache Einheiten auch durch formal komplexe motiviert werden können (vgl. Abschnitt 3.3) - wird im Einklang mit den Ergebnissen der bisher beschriebenen Studien (vgl. Abschnitt 4.3) davon ausgegangen, dass diese zwar genannt werden können (wie z.B. in Abschnitt 5.1.1, Tab. 4, (h)), dt. Unterforderung auf den <?page no="128"?> 128 Stimulus unterfordern ‘zu wenig von jemandem verlangen’), aber insgesamt eine eher geringe Rolle spielen werden (s. auch Hypothese 2). Insgesamt 40 Stimuli pro Sprache E: 16 formal einfache Stimuli K: 16 formal komplexe Stimuli O: 8 potentiell opake Stimuli MET: 8 Stimuli, die über metaphorische Similarität mit einem potentiellen intrinsischen Motivationspartner verbunden sind. KON: 8 Stimuli, die über Kontiguität mit einem potentiellen intrinsischen Motivationspartner verbunden sind. MET: 8 Stimuli, die über metaphorische Similarität mit einem potentiellen intrinsischen Motivationspartner verbunden sind. KON: 8 Stimuli, die über Kontiguität mit einem potentiellen intrinsischen Motivationspartner verbunden sind. Beispiele für Stimuligruppen It. cuore ‘Zentrum’ It. terra ‘Bodenmaterial’ It. provenire ‘etymologisch herkommen’ It. linguaggio ‘Sprache’ It. giugno ‘Juni’ Potentielle intrinsische Motivationspartner It. cuore ‘Herz’ It. terra ‘Planet Erde’ It. provenire ‘räumlich herkommen’ It. linguaggio ‘Sprechfähigkeit‘ Keiner Potentielle extrinsische Motivationspartner Prinzipiell jedes Wort aus der Wortfamilie. Prinzipiell jedes Wort aus der Wortfamilie. Prinzipiell jedes Wort aus der Wortfamilie. Besonders aber it. venire. Prinzipiell jedes Wort aus der Wortfamilie. Besonders aber it. lingua. Keiner Tab. 6: Überblick über Stimuligruppen anhand von italienischen Beispielen In den Gruppen K/ MET und K/ KON stellt sich die Frage nach den extrinsischen Motivationspartnern hingegen in viel größerem Maße (s. Hypothese 1). Prinzipiell können extrinsische Motivationspartner auch bei der Gruppe K Mitglieder der Wortfamilie des jeweiligen Stimulus sein, man kann jedoch dank der Ableitungsverhältnisse in der Wortbildung besonders wahrscheinliche extrinsische Motivationspartner ausmachen. Hochwahrscheinliche Kandidaten für die Formen it. provenire (K/ MET) und it. linguaggio (K/ KON) sind somit it. venire beziehungsweise it. lingua. Die zentrale Frage für die Gruppe K ist nun, unter wel- <?page no="129"?> 129 chen Bedingungen diese wahrscheinlichen extrinsischen Motivationspartner eher genannt werden als die potentiellen intrinsischen Motivationspartner (für K/ MET it. provenire ‘etymologisch herkommen’ wäre dies it. provenire ‘räumlich herkommen’, für K/ KON it. linguaggio ‘Sprache’ wäre dies it. linguaggio ‘Sprechfähigkeit’) und ob die Hypothesen 1 und 3, die theoretisch beide auf die Gruppe K zutreffen könnten, zusammenhängen, da diese Gruppe ja sowohl potentielle intrinsische als auch potentielle extrinsische Motivationspartner hat. Als potentiell opake Vergleichsgruppe (s. Tab. 6, Gruppe O) eignen sich schließlich besonders gut formal einfache Wörter mit möglichst wenigen Bedeutungen und einer möglichst kleinen Wortfamilie wie zum Beispiel it. giugno, das in der Tübinger Polysemiedatenbank als monosem mit der Bedeutung ‘Juni = 6. Monat des Jahres’ verzeichnet ist. Um die Wahrscheinlichkeit der Motivierbarkeit zu erhöhen, sollte in den Fällen, in denen es möglich war, der Stimulus höchstens die zweitsalienteste der Bedeutungen sein, wie sie in der Tübinger Polysemiedatenbank zum Französischen und Italienischen zu finden sind (vgl. Abschnitt 5.1.3, Pilottest zum Deutschen). Trotz des Fundus an insgesamt ungefähr 3000 lexikalischen Einheiten, die der Input von 400 lexikalischen Wörtern pro Sprache in den SG&DT ergeben hat, kommen Stimuli, die all diese Kriterien gleichzeitig erfüllen, in der Datenbank nicht in besonders großen Mengen vor. Aus diesem Grunde sind gezwungenermaßen die einzelnen Gruppen in sich teils sehr heterogen, was die formale Beschaffenheit der Stimuli angeht. Die Gruppen K/ MET und K/ KON zum Beispiel enthalten nicht nur Stimuli, die formal komplex in dem Sinne sind, dass sie auch morphologisch komplex sind, sondern auch Stimuli, die zwar nicht als morphologisch komplex anzusehen sind, aber von der Anzahl ihrer Silben her komplexer sind als eine Lexie, zu der sie über graphische Ähnlichkeit (s. hierzu Marzo/ Rube/ Umbreit 2011 u. die Abschnitte 2.3.2.3 u. 2.4) in einer potentiellen Motivationsbeziehung stehen, diese weniger komplexe Lexie also zumindest teilweise in sich enthalten. Dies trifft zum Beispiel zu für it. irritare in Bezug auf it. ira (s. hierzu die Diskussion weiter unten u. Tab. 9, (b)) und it. seppellire in Bezug auf it. pelle (s. Tab. 9, (g)). 28 In Bezug auf formale Einfachheit oder Komplexität stellen auch diejenigen Stimuli eine besondere Klasse dar, die in einer Konversionsbeziehung zu einem potentiellen extrinsischen Motivationspartner stehen. Zwar sind sie - außer 28 Wurden bei den bisher vorgestellten Studien die Termini morphologisch komplex und formal komplex synonym verwendet, da für die bisher betrachteten Phänomene beide Termini zutreffen, kann im vorliegenden Kapitel aufgrund dieser besonderen Art von komplexen Stimuli nur noch formal komplex verwendet werden. <?page no="130"?> 130 man möchte mit Nullsuffixen argumentieren - nicht im eigentlichen Sinne morphologisch komplex, doch haben sie dennoch formal auch einen leicht anderen Status als im klassischen Sinne morphologisch einfache Lexien, da sie, anders als diese, in einer direkten Ableitungsbeziehung zu ihrer Konversionsbasis stehen. Konversionspartner kommen unter den hier untersuchten Stimuli sowohl in den formal einfachen Gruppen - sind sie Konversionsbasis - als auch in den formal komplexen Gruppen - sind sie Konversionsprodukt - vor. Die Feststellung der Ableitungsrichtung bei Konversionen ist zwar alles andere als unproblematisch (s. z.B. Iacobini 1996 u. Umbreit 2010), doch kann - zumindest in den hier als Stimuli benutzen Fällen - aus synchroner Perspektive das Kriterium der semantischen Abhängigheit (vgl. z.B. Marchand 1964 und Iacobini 1996) aushelfen: Als Konversionsprodukt ist derjenige Konversionspartner anzusehen, dessen Inhalt von den semantischen Merkmalen des anderen Konversionspartners abhängt. So ist fr. sale Basis zu fr. salir, weil dieses typischerweise mit ‘rendre sale’ umschrieben wird - und nicht typischerweise umgekehrt fr. sale mit etwas wie z.B. ‘l’état résultant de l’action de salir’. Hingegen ist it. studio ‘Arbeitszimmer’ Konversionsprodukt, da eine typische Umschreibung ‘luogo in cui si studia’ ist und nicht andersherum studiare am besten als ‘attività svolta in uno studio’ beschrieben wird. Für die im Folgenden beschriebenen Studien zum Französischen und Italienischen konnten so insgesamt 40 Stimuli pro Sprache gewählt werden, die in den Tabellen 7-12 dargestellt werden. 29 Zusätzlich zu den Stimuli (Spalten 2, 3, und 4) 30 und einer Auswahl an potentiellen Motiva- 29 Wie aus diesen Tabellen hervorgeht, handelt es sich bei den Stimuli um gemischte Gruppen aus Verben und Nomen. Auf den ersten Blick mag das problematisch erscheinen, da aus der Psycholinguistik bekannt ist, dass Verben und Nomen kognitiv unterschiedlich verabeitet werden (für einen Überblick über die Forschung s. z.B. Kauschke 2007: 76-80). Da für eine Untersuchung der lexikalischen Motivation im Sinne der Motivierbarkeit jedoch nicht der Prozess der Motivierung, sondern ihr Ergebnis von Interesse ist, nämlich die Frage, welcher mit dem Stimulus formal und semantisch zusammenhängende Motivationspartner gewählt wird, können eventuelle Unterschiede in der Verarbeitung bei der Stimuliauswahl vernachlässigt werden. 30 Die Wortform, Stimulusbedeutung und Beispielsätze werden in den Untersuchungssprachen in der Form angegeben, in der sie auch in den den Informanten vorgelegten Fragebögen angezeigt wurden. Die deutschen Übersetzungen der Bedeutungen und Beispielsätze, die hier für den Leser dieses Buches hinzugefügt wurden, entsprechen nicht ganz den Originalen: Es wurden wo nötig Übersetzungen gewählt, die präziser waren als die Originaldefinitionen, um dem Leser entgegenzukommen. It. atrio wurde im Fragebogen als ‘parte del cuore’ (dt. wörtlich: ‘Teil des Herzens’) definiert. Aus der Sicht des italienischen Muttersprachlers, der das Wort it. atrio ja kennt, reicht diese Definition vollkommen aus, um die Vor- <?page no="131"?> 131 tionspartnern (Spalten 5) werden sowohl die Salienzzahlen (S) der Stimulusbedeutungen und die Frequenzzahlen (F) der Stimulusformen als auch (in den Gruppen E und K) die entsprechenden Zahlen für die potentiellen Motivationspartner angegeben, um mögliche Salienz- und Frequenzeffekte beobachten zu können. In den Tabellen 7 und 8 sind die Stimuli der formal einfachen Gruppe E für das Italienische und das Französische dargestellt, in den Tabellen 9 und 10 diejenigen der formal komplexen Gruppe K, in den Tabellen 11 und 12 diejenigen der potentiell opaken Vergleichsgruppe O. 31 Die konsequente Anwendung des Prinzips, jeweils die weniger saliente Bedeutung als Stimulus anzugeben, um die Motivierbarkeit zu fördern, hat in einigen Fällen des italienischen Fragebogens jedoch das genaue Gegenteil bewirkt: It. prolungare ‘räumlich verlängern’ (s. Tab. 9, (h)) ist zwar wesentlich weniger salient als it. prolungare ‘zeitlich verlängern’ (S 7 gegenüber S 24), doch wird im Normalfall ZEIT mit Hilfe von RAUM konzeptualisiert, jedoch nicht RAUM mit Hilfe von ZEIT (s. z.B. Lakoff 1993: 216- 218, insgesamt z.B. Haspelmath 1997 u. Radden 2004). Von it. prolungare ‘räumlich verlängern’ kann also prinzipiell schwieriger auf it. prolungare ‘zeitlich verlängern’ geschlossen werden als umgekehrt. Die Wahl der weniger salienten Einheit als Stimulus, die ja eigentlich hätte motivationsfördernd wirken sollen, scheint diese Tatsache nicht umkehren zu können. Diese Richtungsproblematik ist auch verantwortlich für die mangelhafte intrinsische Motivierbarkeit von it. irritare ‘reizen, entzünden’ (s. Tab. 9, (b)) mit dem potentiellen Motivationspartner ‘nervös, zornig machen’ (s. Abschnitt 5.2.2). Bei der Auswahl der französischen Stimuli, die nach Durchführung des italienischen Experimentes stattgefunden hat, ist kammer des Herzens von der anderen Bedeutung von it. atrio, nämlich ‘Eingangshalle’ zu unterscheiden. Dt. ‘Teil des Herzens’ ist für den deutschen Leser jedoch ambig und wurde daher präziser als ‘Vorkammer des Herzens’ wiedergegeben. 31 Die Tabellen 7-10 zeigen, dass das Prinzip, der Stimulus solle weniger salient sein als der potentielle intrinsische Motivationspartner, nicht immer eingehalten wurde. Dies kann folgendermaßen erklärt werden: Die hier angegebenen Salienzzahlen stammen, wie bereits angedeutet wurde, aus der Version der Tübinger Polysemiedatenbank von Ende August 2008. Die Stimuli wurden jedoch zu einem Zeitpunkt ausgewählt, zu dem die letzte Kontrollrunde für die der Datenbank zu Grunde liegenden Auswertungen noch im Gange war. Die Auswahl der italienischen Stimuli fand im Juni, die Auswahl der französischen Stimuli im Dezember 2007 statt. Dies bedeutet für die Fälle, in denen der Abstand zwischen den Salienzzahlen sehr gering war, dass die ursprünglich weniger saliente Bedeutung, die als Stimulus ausgewählt wurde, nun geringfügig salienter sein kann als die Bedeutung des potentiellen intrinsischen Motivationspartners. Dies ist der Fall bei it. ceppo (s. Tab. 7, (c)), it. giorno (s. Tab. 7, (n)) in Bezug auf die zweite Möglichkeit), it. paese (s. Tab. 7, (o)), fr. point (s. Tab. 8, (p)), it. irritare (s. Tab. 9, (b)) und fr. ravitaillement (s. Tab. 10, (m)). <?page no="132"?> 132 daher bei Fällen, bei denen diese metaphernbedingte Richtungsproblematik auftreten konnte, das Salienzkriterium bewusst missachtet worden. Bei fr. ampleur wurde so die Stimulusbedeutung ‘Ausmaß, Bedeutung, Wichtigkeit’ gewählt, obwohl diese eine höhere Salienzzahl (S 20) hat (s. Tab. 10, (c)). Als potentieller intrinsischer Motivationspartner wurde hingegen fr. ampleur ‘räumliche Weite’ mit einer kleineren Salienzzahl (S 8) angenommen. Fr. concurrence ‘Konkurrenz, das Konkurrieren’ (s. Tab. 10, (n)) mit dem potentiellen kontigen intrinsischen Motivationspartner fr. concurrence ‘die Konkurrenten’ (S 4) stellt ein Versehen in der Auswahl der Stimuli dar, dessen Folgen in Abschnitt 5.2.2 genauer betrachtet werden. Als potentieller Motivationspartner wird in der Gruppe E stets ein intrinsischer Motivationspartner angegeben. Besonders in der Untergruppe E/ KON, gibt es laut der Polysemiedatenbank mehrere Möglichkeiten. Dies ist der Fall bei it. giorno (s. Tab. 7, (n)). It. giorno ‘Gegenteil von Nacht, Zeit der Helligkeit’ könnte motiviert sein durch entweder ‘Tag i.S.v. Zeitpunkt, als Kalendereinheit’ (S 13) oder ‘Tag i.S.v. Zeitraum von 24 Stunden’ (S 8). In beiden Fällen würde es sich um eine Kontiguitätsbeziehung handeln, da die Zeit der Helligkeit ein Teil der 24 Stunden ist, aber auch einen Teil der Kalendereinheit ausmacht. Dasselbe gilt für fr. alimentation ‘kleines Lebensmittelgeschäft, Tante-Emma-Laden’ (S 3), das in Bezug auf fr. alimentation ‘Ernährungsweise’ (S 22) genauso über Kontiguität motiviert sein könnte wie in Bezug auf fr. alimentation ‘Versorgung, Zufuhr’ (S 16) (s. Tab. 10, (l)). Denn ein Tante-Emma-Laden sichert nicht nur die Versorgung mit Lebensmitteln, sondern bestimmt mit seinem Angebot auch die Ernährungsweise des Einkäufers. In der Gruppe K werden (s. Tab. 9 u. 10) als potentielle Motivationspartner stets ein intrinsischer und ein extrinsischer Motivationspartner angegeben. Auch hier gilt wie bei den potentiellen intrinsischen Motivationspartnern der Gruppe E/ KON, dass unter den extrinsischen Motivationspartnern durchaus zwei Formen gleichermaßen in Frage kommen. Dies ist der Fall bei fr. tourbillon ‘Wirbelwind i.S.v. sehr lebhafte Person’ (S 3), das sowohl als mit der Form fr. tourbe als auch mit der Form fr. tourbilloner zusammenhängend empfunden werden könnte (s. Tab. 10, (f)). Hinzu kommt in der Gruppe K auch der Aspekt, dass die potentiellen extrinsischen Motivationspartner formal dem jeweiligen Stimulus nicht alle in gleichem Maße ähnlich sind. Auffällig sind zum Beispiel wegen des Phänomens der Stammallomorphie fr. décéder in Bezug auf fr. décès (s. Tab. 10, (g)) sowie fr. attraire gegenüber fr. attraction (s. Tab. 10, (o)). Relativ klein ist die für die Motivierbarkeit notwendige formale Ähnlichkeit auch bei it. ira gegenüber it. irritare (s. Tab. 9, (b)). Dies wird unter Umständen noch dadurch verstärkt, dass die beiden Einheiten etymologisch nicht (s. z.B. <?page no="133"?> 133 Cortelazzo/ Zolli/ Cortelazzo 1999, s.v. irritare) und synchron lediglich über graphische bzw. lautliche Ähnlichkeit, nicht aber über eine direkte Wortbildungsbeziehung zusammenhängen (vgl. Marzo/ Rube/ Umbreit 2011). Abschließend ist zu der Wahl der Stimuli für die Gruppen E und K zu sagen, dass es experimentell präziser wäre, in den Gruppen E und K nur lexikalische Einheiten als Stimuli zu haben, die aus Wörtern mit maximal zwei Bedeutungen stammen, welche entweder über Kontiguität oder aber über metaphorische Similarität zusammenhängen. Wörter mit so wenigen Bedeutungen sind aber im tendenziell sehr polysemen Grundwortschatz natürlicher Sprachen nicht zu finden (vgl. Zipf 1949: 19-31 u. Krott/ Schreuder/ Baayen 1999: 917). So kann letztendlich in den hier dargestellten Fragebögen nicht ganz ausgeschlossen werden, dass die Anzahl und Art der weiteren Wortbedeutungen die Motivierbarkeit eines Stimulus in einer Art determinieren, die die Überprüfung der Hypothesen 1-3 beeinflusst. Dieselbe Einschränkung gilt für die potentiellen extrinsischen Motivationspartner. In der Gruppe K wäre es experimentell am präzisesten Stimuli zu haben, deren Wortfamilie aus genau zwei Wörtern besteht, nämlich dem Stimulus und einem potentiellen extrinsischen Motivationspartner und die, wie oben angedeutet, formal ihrem potentiellen Motivationspartner in genau demselben Maß ähneln wie alle anderen Stimuli dem ihren. Andernfalls kann nicht garantiert werden, dass die Überprüfbarkeit der Hypothesen 1-3 durch die Größe der Wortfamilie und den Grad der formalen Übereinstimmung beeinflusst werden. Stimuli, die unter all diesen Gesichtspunkten zufriedenstellend sind, können - wenn überhaupt - nur in Fachwortschätzen gefunden werden, die für kleine Wortfamilien und Wörter mit wenigen Bedeutungen prädestiniert sind. Stimuli aus Fachwortschätzen hätten aber andere Nachteile, wie zum Beispiel dass der Durchschnittsinformant sie gar nicht kennt und dass bestimmte Fachwortschätze nicht zwingend in den Sprachen vorkommen, die der Versuchsleiter untersuchen möchte. Angesichts dieser potentiellen Einschränkungen muss damit gerechnet werden, dass die Verhältnisse in den Daten, sofern sie die Hypothesen bestätigen, nicht von absoluter Allgemeingültigkeit sind, sondern nur Tendenzen aufzeigen. Diese Ergebnisse sind aber wiederum umso wertvoller, wenn man bedenkt, dass sie sich trotz der genannten Probleme behaupten können. <?page no="134"?> 134 Form Gruppe laut Tab. 6 Bedeutung (mit Salienzzahl S) Beispielsatz Potentielle Motivationspartner (mit S) (a) cuore (F 192) E/ MET ‘centro’, dt. ‘Herz i.S.v. räumliches Zentrum’ (S 5) Il cuore di Roma è insuperabile. Dt. Das Herz von Rom ist unüberwindbar. ‘Herz als Organ’ (S 21) (b) neve (F 16) E/ MET ‘cocaina’, dt. ‘Kokain’ (S 3) Dallo spacciatore si compra la neve. Dt. Beim Dealer kauft man Kokain. ‘Schnee’ (S 25) (c) ceppo (F 9) E/ MET ‘parte inferiore di una pianta legnosa’, dt. ‘Stumpf, Strunk’ (S 10) Rimase solo il ceppo dell’albero. Dt. Es blieb nur der Baumstumpf übrig. ‘Familie, Geschlecht, Stamm’ (S 10) (d) notte (F 199) E/ MET ‘confusione mentale’, dt. ‘geistige Verwirrung’ (S 2) Dopo aver sentito la notizia, per lui fu notte fonda. Dt. Nachdem er die Neuigkeit gehört hatte, war er sehr verwirrt. ‘Gegenteil von Tag’ (S 23) (e) atrio (F 9) E/ MET ‘parte del cuore’, dt. ‘Vorkammer des Herzens’ (S 7) Il medico ha riscontrato una malformazione dell’atrio sinistro. Dt. Der Arzt hat eine Missbildung der linken Vorkammer entdeckt. ‘Eingangshalle’ (S 25) (f) padre (F 202) E/ MET ‘fondatore, iniziatore’, dt. ‘Vater i.S.v. Gründer’ (S 5) Il padre di questo movimento è Lakoff. Dt. Der Vater dieser Bewegung ist Lakoff. ‘männliches Elternteil’ (S 22) (g) via (F 211) E/ MET ‘modo di vivere’, dt. ‘abstrakter Weg’ (S 3) La via da percorrere nella vita non la si può conoscere a priori. Dt. Man kann den Weg, den man im Leben gehen muss, nicht von vorneherein kennen. ‘Weg, den man entlanggehen kann’ (S 10) (h) uscire (F 222) E/ MET ‘essere pubblicato’, dt. ‘erscheinen, veröffentlicht werden’ (S 5) È uscito il nuovo numero della rivista? Dt. Ist die neue Ausgabe der Zeitschrift erschienen? ‘hinausgehen’ (S 21) <?page no="135"?> 135 (i) caffè (F 34) E/ KON ‘bar’, dt. ‘Café’ (S 9) Con le mie amiche ho appuntamento fisso in quel caffè. Dt. Ich treffe mich mit meinen Freundinnen regelmäßig in diesem Café. ‘Espresso, Kaffee’ (S 19) (j) croce (F 33) E/ KON ‘tormento, pena’, dt. ‘Kreuz, Qual’ (S 13) Questa materia è una croce, non riesco a passare l’esame! Dt. Dieses Fach ist ein Kreuz, ich schaffe es nicht, die Prüfung zu bestehen. ‘Kreuz als Objekt’ (S 23) (k) terra (F 234) E/ KON ‘miscuglio di diversi elementi, minerali e composti che permettono la crescita delle piante’, dt. ‘Bodenart’ (S 16) Ho preso un po’ di terra dal giardino da mettere nei vasi. Dt. Ich habe etwas Erde aus dem Garten geholt, um sie in die Blumentöpfe zu tun. ‘Planet Erde’ (S 23) (l) voce (F 212) E/ KON ‘diceria, informazione non precisa’, dt. ‘Gerücht’ (S 4) Girano certe voci su di lei. Dt. Es gibt gewisse Gerüchte über sie. ‘menschliche Stimme’ (S 20) (m) luce (F 179) E/ KON ‘varco’, dt. ‘Loch, Öffnung’ (S 1) I minatori si aprirono una luce a picconate. Dt. Die Bergmänner öffneten sich mit einem Pickel ein Lichtloch. ‘Licht, Helligkeit’ (S 16) (n) giorno (F 514) E/ KON ‘contrario di notte’, dt. ‘Gegenteil von Nacht, Zeit der Helligkeit’ (S 10) Quando l’ho incontrato, era ancora giorno. Dt. Als ich ihn getroffen habe, war es noch Tag. 1. ‘Zeitpunkt, Kaledereinheit’ (S 13) 2. ‘Tag als Zeitraum von 24 h’ (S 8) (o) paese (F 198) E/ KON ‘nazione’, dt. ‘Land, Staat’ (S 20) L’Italia è il nostro paese. Dt. Italien ist unser Land. ‘Dorf’ (S 22) (p) dieta (F 16) E/ KON ‘complesso delle cose che si mangiano’, dt. ‘Nahrung, Ernährung’ (S 3) La dieta mediterranea è molto salutare. Dt. Die mediterrane Ernährungsweise ist sehr gesund. ‘Diät, i.S.v. andere Ernährungsweise als gewöhnl.’ (S 21) Tab. 7: Italienische Stimuli aus Gruppe E laut Tab. 6 <?page no="136"?> 136 Form Gruppe laut Tab. 6 Bedeutung (mit Salienzzahl S) Beispielsatz Potentielle Motivationspartner (mit S) (a) œil (F 345) E/ MET ‘le centre de quelque chose’, dt. ‘räumliches Zentrum’ (S 4) Il paraît qu’en période de tempête, là où c’est le plus calme, c’est dans l’œil du cyclone. Dt. Offenbar ist es bei einem Wirbelsturm im Auge am ruhigsten. ‘Auge als Sinnesorgan’ (S 23) (b) bijou (F 18) E/ MET ‘une petite merveille, quelque chose qu’on apprécie beaucoup’, dt. ‘Kleinod, Kostbarkeit i.S.v. etw., das man sehr schätzt’ (S 11) Ce livre est un vrai bijou. Dt. Dieses Buch ist ein wahres Kleinod. ‘Schmuckstück, Juwel’ (S 24) (c) bombe (F 10) E/ MET ‘une très belle femme très séduisante’, dt. ‘sehr attraktive Frau’ (S 10) Nicolas sort avec une vraie bombe. Dt. Nicolas geht mit einer Sexbombe. ‘Bombe als Waffe’ (S 25) (d) sale (F 18) E/ MET ‘douteux, malhonnête’, dt. ‘dubios, undurchsichtig’ (S 6) Il trempe dans de sales affaires. Dt. Er hat seine Finger in dubiosen Geschäften. ‘voller Schmutz’ (S 24) (e) larme (F 37) E/ MET ‘une petite quantité d’un liquide’, dt. ‘Tropfen’ (S 12) Verse-moi encore une larme de whisky, s’il-teplaît. Dt. Schenk mir bitte noch einen Tropfen Whiskey ein. ‘Träne’ (S 24) (f) chapeau (F 36) E/ MET ‘texte court qui surmonte et présente un autre texte’, dt. ‘Vorspann eines Artikels’ (S 4) J’ai lu le chapeau de cet article. Dt. Ich habe den Vorspann dieses Artikels gelesen. ‘Hut als Kopfbedeckung’ (S 24) (g) flanc (F 10) E/ MET ‘côté’, dt. ‘Flügel einer Mannschaft oder Armee’ (S 2) Sur le flanc gauche, l’équipe est vulnérable. Dt. Der linke Flügel der Mannschaft ist verwundbar. ‘Flanke eines Tieres’ (S 12) (h) loup (F 10) E/ MET ‘un homme intelligent et ambitieux’, dt. ‘Fuchs i.S.v. Ce politicien est un vrai loup. Dt. Dieser Politiker ist ‘das Tier Wolf’ (S 22) <?page no="137"?> 137 schlauer, ehrgeiziger Mann’ (S 4) ein echter Fuchs. (i) langue (F 36) E/ KON ‘organe dans la bouche’, dt. ‘Zunge’ (S 23) Ouvrez la bouche et tirez la langue ! Dt. Machen sie den Mund auf und strecken sie die Zunge heraus! ‘Einzelsprache’ (S 25) (j) tête (F 225) E/ KON ‘l’expression qu’on a sur le visage’, dt. ‘Gesichtsausdruck’ (S 3) T’aurais dû voir la tête de Pierrot quand Marie lui a piqué sa glace. Dt. Du hättest das Gesicht von Pierrot sehen sollen, als Marie ihm sein Eis geklaut hat. ‘Körperteil Kopf’ (S 8) (k) mot (F 258) E/ KON ‘une note, un tout petit texte’, dt. ‘Notiz, kurze Nachricht’ (S 3) Je te laisserai un mot pour que tu n’oublies pas. Dt. Ich leg Dir einen Zettel hin, damit du es nicht vergisst. ‘Wort, Einheit der Sprache’ (S 23) (l) jour (F 678) E/ KON ‘période de temps de 24 heures’, dt. ‘Tag i.S.v. Zeitspanne von 24 Stunden’ (S 10) Le mois de mars a 31 jours. Dt. Der Monat März hat 31 Tage. ‘Gegenteil von Nacht, Zeit der Helligkeit’ (S 18) (m) bar (F 17) E/ KON ‘comptoir’, dt. ‘Tresen’ (S 7) Voulez-vous vous installer au bar ou en salle ? Dt. Möchten sie sich an den Tresen oder an einen Tisch setzen? ‘Gaststätte, Bar’ (S 25) (n) terre (F 196) E/ KON ‘élément où poussent les végétaux’, dt. ‘Erde als Material’ (S 16) As-tu remis de la terre dans le pot ? Dt. Hast Du wieder Erde in den Topf getan? ‘Planet Erde’ (S 19) (o) temps (F 504) E/ KON ‘unité de durée d’une note musicale’, dt. ‘Schlag eines Taktes’(S 2) Cette note dure deux temps. Dt. Diese Note ist zwei Schläge lang. ‘Zeit, die vergeht’ (S 16) (p) point (F 338) E/ KON ‘en couture : manière spécifique de coudre, de faire le tricot’, dt. ‘Stich, Strick-/ Stickmuster’ (S 4) Elle sait faire les points les plus difficiles. Dt. Sie kann die schwierigsten Stiche. ‘Punkt als optischer Fleck’ (S 3) Tab. 8: Französische Stimuli aus Gruppe E laut Tab. 6 <?page no="138"?> 138 Form Gruppe laut Tab. 6 Bedeutung (mit Salienzzahl S) Beispielsatz Potentielle Motivationspartner (mit S) (a) grandezza (F 31) K/ MET ‘importanza’, dt. ‘Größe i.S.v. Macht, Einfluss, Ruhm’ (S 6) La mia grandezza dipende dalla mia ricchezza. Dt. Meine Größe hängt von meinem Reichtum ab. 1.‘physisches Ausmaß’ (S 14) 2. grande (F 8) (b) irritare (F 10) K/ MET ‘suscitare una reazione fisica di dolore o di fastidio’, dt. ‘reizen, entzünden’ (S 15) La pelle si irrita spesso al sole. Dt. Die Haut reagiert in der Sonne oft empfindlich. 1.‘nervös, zornig machen’ (S 14) 2. ira (F 0) (c) provenire (F 31) K/ MET ‘derivare etimologicamente’, dt. ‘etymologisch herkommen’ (S 3) Il nome Andrea proviene dal greco Andros. Dt. Der Name Andrea kommt vom griechischen Andros. 1. ‘stammen aus’ (S 14) 2. ‘kommen, räuml.’ (S 9) 3. venire (F 761) (d) sigaretta (F 9) K/ MET ‘filato di seta avvolto su un cilindretto di cartone’, dt. ‘Garnspule’ (S 4) Ho terminato la sigaretta di filo bianco. Dt. Ich habe die weiße Garnspule aufgebraucht. 1.‘Zigarette’ (S 24) 2. sigaro (F 0) (e) lacrima (F 16) K/ MET ‘piccolissima quantità’, dt. ‘Tropfen’ (S 8) Non mi versare troppo liquore: me ne basta una lacrima. Dt. Schenk mir nicht zu viel Likör ein, mir reicht ein Tropfen. 1. ‘Träne’ (S 23) 2. lacrimare (F 0) (f) assorbire (F 16) K/ MET ‘assimilare mentalmente’, dt. ‘geistig aufnehmen’ (S 6) La mente è come un terreno fertile, assorbe bene le nuove conoscenze. Dt. Der Geist ist wie fruchtbares Land, er nimmt neue Erkenntnisse gut auf. 1. ‘aufsaugen’ (S 20) 2. sorbire (F 0) (g) seppellire (F 16) K/ MET ‘dimenticare’, dt. ‘begraben i.S.v. verdrängen, vergessen’ (S 12) Ho deciso di seppellire il passato. Dt. Ich habe beschlossen, die Vergangenheit zu begraben. 1. ‘beerdigen’ (S 17) 2. pelle (F 30) (h) prolungare (F 10) K/ MET ‘estendere nello spazio’, dt. ‘räumlich verlängern’ (S 7) Prolungarono il loro itinerario per accompagnarla a casa. Dt. Sie machten einen Umweg, um sie nach Hause zu begleiten. 1. ‘zeitlich verlängern’ (S 24) 2. lungo (F 142) <?page no="139"?> 139 (i) credito (F 10) K/ KON ‘denaro ancora disponibile’, dt. ‘Guthaben’ (S 4) Non so se il mio credito sul cellulare mi permette di fare quest’ultima telefonata. Dt. Ich weiß nicht, ob Handyguthaben es mir erlaubt, noch einen Anruf zu tätigen. 1. ‘Geldsumme, die man sich leiht bzw. verleiht’ (S 14) 2. credere (F 310) (j) preghiera (F 33) K/ KON ‘richiesta di un piacere’, dt. ‘Bitte’ (S 10) Avrei una preghiera da farti. Dt. Ich hätte eine Bitte an dich. 1. ‘Gebet’ (S 22) 2. pregare (F 87) (k) pubblicazione (F 33) K/ KON ‘opera stampata’, dt. ‘veröffentlichtes Werk’ (S 12) Questa rivista è una pubblicazione molto interessante. Dt. Diese Zeitschrift ist eine sehr interessante Veröffentlichung. 1. ‘Vorgang der Veröffentlichung’ (S 17) 2. pubblicare (F 83) (l) istituto (F 188) K/ KON ‘edificio universitario o scolastico’, dt. ‘Institutsgebäude’ (S 4) L’istituto per geometri è fuori città. Dt. Das Institut der Geometer befindet sich außerhalb der Stadt. 1. ‘Einrichtung’ (S 7) 2. istituire (F 18) (m) linguaggio (F 16) K/ KON ‘lingua’, dt. ‘Einzelsprache’ (S 9) Ha parlato in un linguaggio incomprensibile. Dt. Er hat in einer unverständlichen Sprache gesprochen. 1. ‘Ausdrucksweise’ (S 13) 2. lingua (F 58) (n) commemorazione (F 16) K/ KON ‘momento in cui si ricorda un evento doloroso’, dt. ‘Gedenkfeier’ (S 11) Per la commemorazione della tragedia di Ustica ha parlato il Presidente della Repubblica. Dt. Zur Gedenkfeier der Tragödie von U. hat der Staatspräsident gesprochen. 1. ‘das Gedenken, Vorgang des Gedenkens’ (S 14) 2. commemorare (F 9) (o) inghiottire (F 10) K/ KON ‘ingerire per sbaglio’, dt. ‘versehentl. verschlucken’ (S 5) Il bimbo ha inghiottito qualcosa di tossico. Dt. Das Kind hat etwas Giftiges verschluckt. 1. ‘schlucken’ (S 18) 2. ghiotto (F 0) (p) studio (F 199) K/ KON ‘camera adibita al lavoro intellettuale’, dt. ‘Arbeitszimmer’ (S 9) Il mio studio è pieno di libri. Dt. Mein Arbeitszimmer ist voller Bücher. 1. ‘Studieren’ (S 18) 2. studiare (F 63) Tab. 9: Italienische Stimuli aus Gruppe K laut Tab. 6 <?page no="140"?> 140 Form Gruppe laut Tab. 6 Bedeutung (mit Salienzzahl S) Beispielsatz Potentielle Motivationspartner (mit S) (a) fermeté (F 10) K/ MET ‘fait d’être inébranlable dans ses actes et ses propos’, dt. ‘Standhaftigkeit’ (S 6) Il fait preuve de beaucoup de fermeté auprès de ses enfants. Dt. Er zeigt seinen Kindern gegenüber viel Standhaftigkeit. 1. ‘physikalische Festigkeit’ (S 12) 2. ferme (F 25) (b) grandeur (F 35) K/ MET ‘influence et pouvoir’, dt. ‘Größe i.S.v. Macht, Einfluss, Ruhm’ (S 12) La grandeur d’un empire est suivie par sa décadence. Dt. Auf die Größe eines Reiches folgt sein Niedergang. 1. ‘physisches Ausmaß’ (S 14) 2. grand (F 810) (c) ampleur (F 10) K/ MET ‘étendue, importance’, dt. ‘Ausmaß, Bedeutung, Wichtigkeit’ (S 20) J’ai vu l’ampleur des dégâts. Dt. Ich habe das Ausmaß des Schadens gesehen. 1. ‘räumliche Weite’ (S 8) 2. ample (F 0) (d) retourner (F 53) K/ MET ‘bouleverser’, dt. ‘psychisch aufwühlen, treffen’ (S 8) Cette nouvelle m’a retourné. Dt. Diese Neuigkeit hat mich getroffen. 1. ‘etw. umdrehen’ (S 16) 2. tourner (F 95) (e) réparation (F 10) K/ MET ‘action destinée à compenser un mal commis à l’égard de quelqu’un’, dt. ‘Wiedergutmachung’ (S 5) Cette faute demande réparation. Dt. Dieser Fehler bedarf einer Wiedergutmachung. 1. ‘Reparatur eines Objektes’ (S 21) 2. réparer (F 0) (f) tourbillon (F 18) K/ MET ‘personne très vive, qui bouge beaucoup’, dt. ‘Wirbelwind i.S.v. sehr lebhafte Person’ (S 3) Pierre est un tourbillon. Dt. Pierre ist ein Wirbelwind. 1. ‘Wirbelwind’ (S 9) 2. tourbe (F 0), tourbilloner (F 0) (g) décès (F 10) K/ MET ‘disparition, fin’, dt. ‘Untergang, endgültiges Ende’ (S 1) C’est le décès de l’entreprise. Dt. Das ist das Ende des Unternehmens. 1. ‘Tod’ (S 25) 2. décéder (F 0) (h) pilier (F 10) K/ MET ‘personne centrale et importante’, dt. ‘Stütze, wichtige Person’ (S 12) C’était le pilier de cette équipe. Dt. Er/ sie war die wichtigste Person der Mannschaft. 1. ‘Pfeiler’ (S 21) 2. pile (F 0) <?page no="141"?> 141 (i) plainte (F 18) K/ KON ‘acte juridique d'accusation’, dt. ‘Klage, Strafanzeige’ (S 12) Le client a retiré sa plainte suite aux excuses de l'accusé. Dt. Der Kunde hat infolge der Entschuldigungen des Angeklagten seine Anzeige zurückgezogen. 1. ‘Jammern, Wehklagen’ (S 13) 2. plaindre (F 32) (j) conférence (F 35) K/ KON ‘exposé, discours’, dt. ‘Vortrag’ (S 11) Cette conférence a captivé le public. Dt. Dieser Vortrag hat das Publikum gefesselt. 1. ‘Konferenz’ (S 17) 2. conférer (F 6) (k) respiration (F 10) K/ KON ‘action d’inhaler et d’exhaler de l’air’, dt. ‘Atemzug’ (S 4) Relaxez-vous entre deux respirations. Dt. Entspannen sie sich zw. zwei Atemzügen. 1. ‘Atmung’ (S 20) 2. respirer (F 32) (l) alimentation (F 10) K/ KON ‘petit commerce, épicerie’, dt. ‘kleines Lebensmittelgeschäft, Tante-Emma- Laden’ (S 3) Je vais rapidement faire quelques courses à l’alimentation. Dt. Ich geh kurz im Tante- Emma-Laden ein paar Sachen holen. 1. ‘Ernährungsweise’ (S 22) 2. ‘Versorgung, Zufuhr’ (S 16) 3. alimenter (F 7) (m) ravitaillement (F 10) K/ KON ‘approvisionnement de denrées’, dt. ‘Versorgung mit Lebensmitteln’ (S 12) Les victimes du tremblement de terre ont besoin de ravitaillement. Dt. Die Opfer des Erdbebens müssen mit Lebensmitteln versorgt werden. 1. ‘Verpflegung, Lebensmittel’ (S 8) 2. ravitailler (F 0) (n) concurrence (F 10) K/ KON ‘compétition, le fait de concurrencer’, dt. ‘Konkurrenz, das Konkurrieren’ (S 24) La concurrence sur le marché était rude. Dt. Die Konkurrenz auf dem Markt war hart. 1. ‘Konkurrenten’ (S 4) 2. concurrencer (F 0) (o) attraction (F 10) K/ KON ‘spectacle, numéro’, dt. ‘Attraktion, Programmpunkt, der große Anziehungskraft hat’ (S 6) La seule attraction qui me plaise au cirque, c’est l’équilibrisme. Dt. Die einzige Attraktion, die mir im Zirkus gefällt, sind die Seiltänzer. 1. ‘physik. Anziehungskraft’ (S 17) 2. attraire (F 0) (p) alimentation (F 10) K/ KON ‘pièce électronique, batterie’, dt. ‘Netzteil, Stromversorgung’ (S 2) L’alimentation de mon ordinateur est grillée. Dt. Das Netzteil meines Computers ist durchgebrannt. 1. ‘Versorgung, Zufuhr’ (S 16) 2. alimenter (F 7) Tab. 10: Französische Stimuli aus Gruppe K laut Tab. 6 <?page no="142"?> 142 Form Gruppe laut Tab. 6 Bedeutung (mit Salienzzahl S) Beispielsatz (a) città (F 208) O ‘centro abitato esteso territorialmente’, dt. ‘Stadt’ (S 23) È davvero stupenda la città illuminata dal chiarore della luna. Dt. Im Mondschein ist die Stadt wirklich wunderschön. (b) basilica (F 33) O ‘luogo di culto cristiano’, dt. ‘Basilika’ (S 25) La basilica di S. Pietro a Roma è la più grande del mondo. Dt. Der Petersdom in Rom ist der größte Dom der Welt. (c) giugno (F 33) O ‘sesto mese dell’anno’, dt. ‘Juni’ (S 25) A giugno cominciano le vacanze. Dt. Im Juni fangen die Ferien an. (d) nord (F 34) O ‘area geografica’, dt. ‘nördl. Teil eines Landes’ (S 17) Nel nord l’economia è più fiorente. Dt. Im Norden floriert die Wirtschaft besser. (e) tempo (F 356) O ‘condizione atmosferica’, dt. ‘Wetter’ (S 15) Che tempo fa a Palermo? Dt. Wie ist das Wetter in Palermo? (f) baffo (F 16) O ‘peluria sul labbro superiore’, dt. ‘Schnurrbart’ (S 21) I baffi non ti stanno bene. Dt. Ein Schnurrbart steht dir nicht. (g) eroe (F 33) O ‘persona che compie atti di valore e coraggio’, dt. ‘Held’ (S 24) Garibaldi è stato l’eroe del Risorgimento italiano. Dt. Garibaldi war der Held des italienischen Risorgimento. (h) boia (F 16) O ‘persona responsabile delle esecuzioni capitali’, dt. ‘Henker’ (S 25) Il boia aveva la testa coperta da un cappuccio nero. Dt. Der Henker hatte eine schwarze Kapuze auf dem Kopf. Tab. 11: Italienische Stimuli aus Gruppe O laut Tab. 6 Zu Gruppe O (Tab. 11 u. 12) ist zu sagen, dass aufgrund der zahlreichen polysemen Wörter in den Grundwortschätzen des Italienischen und des Französischen monoseme Wörter fast nicht vorkommen, weshalb die meisten lexikalischen Einheiten zumindest einen potentiellen intrinsischen Motivationspartner besitzen. Eine Ausnahme bildet it. giugno, das in der Tübinger Polysemiedatenbank als monosem erscheint (s. Tab. 11, (c)). In den anderen Fällen wurde darauf geachtet, die salienteste Bedeutung oder die Bedeutung einer metaphorischen Beziehung, die der Quelldomäne angehört, als Stimulusbedeutung anzugeben, um die Chancen auf Motivierbarkeit möglichst ge- <?page no="143"?> 143 ring zu halten. Ein Beispiel (s. Tab. 12, (a)) hierfür ist fr. main ‘Hand’ (S 23), das im Vergleich zu den anderen Bedeutungen sehr salient ist. Denn Fr. main ‘Maßeinheit von 25 Papierblättern’ hat eine Salienzzahl von S 2 und fr. main ‘Maßeinheit eine Hand breit’ von S 1. Ein weiteres Beispiel wäre fr. chapeau ‘Hut’ (S 24), das zusätzlich zu seiner hohen Salienz das Quellkonzept für eine metaphorische Beziehung zu fr. chapeau ‘Vorspann eines Artikel’ (S 4) ist (s. Tab. 12, (h)). It. tempo ‘Wetter’ (s. Tab. 11, (e)) wurde in die potentiell opake Gruppe O mit aufgenommen, da in den französischen Studien temps bisher als opak bewertet worden war. Form Gruppe laut Tab. 6 Bedeutung (mit Salienzzahl S) Beispielsatz (a) main (F 271) O ‘extrémité du bras’, dt. ‘Hand’ (S 23) Une main a cinq doigts. Dt. Eine Hand hat fünf Finger. (b) acier (F 10) O ‘un métal très dur’, dt. ‘Stahl’ (S 25) Cette barre est en acier. Dt. Diese Stange ist aus Stahl. (c) cathédrale (F 10) O ‘église chrétienne où se trouve l’évêque’, dt. ‘Kathedrale’ (S 24) La cathédrale de Chartres a de beaux vitraux. Dt. Die Kathedrale von Chartres hat schöne Fenster. (d) algue (F 10) O ‘plante qui pousse dans l’eau’, dt. ‘Alge’ (S 24) Il y a des algues qui ont des vertus exceptionnelles de guérison. Dt. Es gibt Algen, die eine außergewöhnliche Heilkraft haben. (e) lac (F 17) O ‘étendue d’eau douce’, dt. ‘See’ (S 25) La promenade autour du lac est très agréable. Dt. Der Spazierweg um den See ist sehr angenehm. (f) ami (F 230) O ‘personne de confiance’, dt. ‘Freund in einer freundschaftlichen Beziehung’ (S 23) J'ai de bons amis. Dt. Ich habe gute Freunde. (g) sale (F 18) O ‘malpropre’, dt. ‘unsauber, voller Schmutz’ (S 25) Cette pièce est sale. Dt. Dieser Raum ist schmutzig. (h) chapeau (F 36) O ‘couvre-chef’, dt. ‘Hut’ (S 24) Les dames ne portent plus de chapeau. Dt. Damen tragen keine Hüte mehr. Tab. 12: Französische Stimuli aus Gruppe O laut Tab. 6 <?page no="144"?> 144 5.2.1.3 Die Methode Die Methode, die den Fragebögen zu Grunde liegt, ist eine den Bedürfnissen der Studie angepasste Version des ersten Schrittes der Zweischrittmethode (s. Abschnitt 4.3.2 insgesamt sowie Abb. 6 u. 7). Die in Abschnitt 5.2.1 dargestellten 40 Stimuli pro Sprache wurden auf je zwei Fragebögen zu je 20 Stimuli aufgeteilt und zwar einerseits, um die Informanten nicht zu sehr zu belasten - das Ausfüllen eines Fragebogens dauert im Schnitt ungefähr 20 Minuten - andererseits aber auch, um zu gewährleisten, dass doppelt vorkommende Formen nicht vom selben Informanten bearbeitet wurden, da dies die Ergebnisse beeinflussen kann (vgl. z.B. die zweimal vorkommende Form fr. alimentation, Tab. 10, (l) u. (p)). Die Fragebögen, die von je 25 Informanten ausgefüllt wurden, wurden im Internet veröffentlicht. Nach der Bearbeitung des letzten Stimulus wurden die Informanten um demographische Angaben gebeten, die zur Überprüfung der Homogenität der Gruppe der Informanten dienen sollten und anhand derer bei stark auffälligen Antworten auch überprüft werden konnte, ob der soziokulturelle Hintergrund der Informanten eventuell einen Einfluss auf die Art haben könnte, in der sie motivieren. 5.2.2 Darstellung und Diskussion der Ergebnisse Der Darstellung und Analyse der Ergebnisse 32 muss vorausgeschickt werden, dass einige Bedeutungsangaben der Informanten für Motivationspartner dem Leser falsch erscheinen mögen beziehungsweise nicht in Wörterbüchern zu finden sind. Ebenso werden sich unter den Motivationspartnern Fälle finden, die weder nach den Regeln der Wortbildung noch etymologisch mit dem Stimulus zusammenhängen (vgl. auch Marzo/ Rube/ Umbreit 2011). Aufgrund des strikt synchronischen Ansatzes der vorliegenden Arbeit werden im Folgenden solche Fälle dennoch ebenfalls aufgeführt und wo nötig besprochen, da die Informanten die jeweiligen Bedeutungen eben so und nicht anders abgrenzen und ausschließlich über sie eine Motivationsbeziehung zu einer anderen lexikalischen Einheit empfinden. Im Folgenden sind die Hauptergebnisse und ihre Diskussion im üblichen Fließtext dargestellt. Von diesem Fließtext in kleinerer Schrift abgehoben ist die detailliertere Diskussion von Einzelbeispielen. Dem Leser 32 Die in den folgenden Tabellen zusammenfassend dargestellten und diskutierten Daten (einschließlich der Originalantworten der Informanten pro Stimulus sowie alle Antworten pro Informant) können im Detail eingesehen werden unter http: / / 141.58.164.9/ ~danielamarzo/ diss/ auswertung.php. <?page no="145"?> 145 bleibt es so überlassen, die Ergebnisse entweder in der großen Linie oder im Detail zu betrachten. 5.2.2.1 Potentiell und tatsächlich opake Stimuli Als tatsächlich opak werden hier und im Folgenden diejenigen Stimuli der Gruppe O bezeichnet, die von der Mehrheit der Informanten wie erwartet als opak eingestuft worden sind. Insgesamt kann man sagen, dass die Ergebnisse zu der opaken Gruppe O in beiden Sprachen wie erwartet ausgefallen sind, da die Mehrheit der Informanten die Mehrheit der Stimuli als opak eingestuft hat. Dies bedeutet natürlich keinesfalls, dass niemand die Stimuli motiviert hätte. In Tabelle 13 sind die Prozentzahlen der Stimuli aus der potentiell opaken Gruppe aufgeführt, welche von der Merhrheit der Informanten als opak eingestuft wurden. Französisch Italienisch Gruppe O (potentiell opak) 100% 75% Tab. 13: Prozentsatz der tatsächlich opaken Stimuli aus Gruppe O laut Tab. 6 Wie die Zahlen zeigen, sind die Verhältnisse im Französischen eindeutig: 100 % der französischen Stimuli der Gruppe O sind von der Mehrheit der Informanten als opak eingestuft worden. Zwei Stimuli, nämlich fr. algue ‘Alge’ und fr. lac ‘See’ (s. Tab. 14, (d) u. (e)), sind sogar einheitlich von allen Informanten als opak eingestuft worden. Im Italienischen kommen in der Gruppe O keine von allen Informanten als opak empfundenen Fälle vor, dafür aber zwei Extremfälle anderer Art. Von den italienischen Stimuli der Gruppe O sind zwei Stimuli, die immerhin 25% der Gesamtgruppe ausmachen, wider Erwarten überwiegend als motiviert eingestuft worden. Es handelt sich um it. tempo ‘Wetter’ und it. basilica ‘Basilika’ (s. Tab. 15, (b) u. (e)). Für it. tempo ‘Wetter’ (S 15) bildet das kontige it. tempo ‘Zeit, die vergeht’ (S 13) den wichtigsten Motivationspartner. Im Italienischen scheinen die Verhältnisse also anders zu sein als bei fr. temps (s. Abschnitt 5.1.1). Auf die Tatsache, dass in diesem Fall weder die Kontiguität (Hypothese 3) noch die höhere Salienz des Stimulus gegenüber dem Motivationspartner motivationshinderlich wirken, wird im Folgenden noch eingegangen. Auch it. basilica ‘Basilika’ zeichnet sich dadurch aus, dass die Informanten es wider Erwarten mehrheitlich motiviert haben (56%). Doch zeigt sich in diesem Fall ein sehr zersplittertes Bild, was die Motivationspartner angeht. Neben den extrinsischen Partnern it. base und it. basileo wurden vor allem eine ganze Reihe intrinsischer Motivationspartner mit teilweise nirgendwo attestierten Bedeutungen ge- <?page no="146"?> 146 nannt, die alle entweder in einer Kontiguitätsbeziehung oder in einer taxonomischen Beziehung zum Stimulus stehen. Im Einzelnen fallen diese jedoch kaum ins Gewicht, man kann also trotz allem nicht von einem klaren Motivationsbild sprechen. Interessanterweise kommt keiner der intrinsischen Motivationspartner in der Tübinger Polysemiedatenbank vor und keiner der extrinsischen Motivationspartner ist häufig genug, um im Frequenzwörterbuch von Juilland und Traversa (1970) verzeichnet zu sein, ein Frequenz- und Salienzeffekt wirkt hier also nicht (s.u.). Auch in den nicht extremen Fällen der Gruppe O hat eine Minderheit der Informanten im Normalfall die Stimuli dennoch motiviert, wobei sich in den Einzelergebnissen interessante Tendenzen beobachten lassen. Obwohl es sich bei der Gruppe O um formal einfache Stimuli handelt, bei denen prinzipiell - wenn überhaupt, denn schließlich wurden sie ja als potentiell opak herausgesucht - eher eine intrinsische Motivation zu erwarten wäre (vgl. Hypothese 1), wurden teilweise extrinsische Motivationspartner genannt. Dies ist der Fall bei fr. main ‘Hand’ (s. Tab. 14, (a)), für das fr. manuel genannt wurde, fr. ami ‘Freund in einer freundschaftlichen Beziehung’ (s. Tab. 14, (f)), auf das fr. amitié, amical und aimer assoziiert wurden, fr. sale ‘unsauber, voller Schmutz’ (s. Tab. 14, (g)), zu dem fr. saleté genannt wurde, und fr. chapeau ‘Hut’ (s. Tab. 14, (h)) mit den extrinsischen Motivationspartnern fr. chape und fr. chapeauter. Im Italienischen kann dasselbe Phänomen bei it. cittadino, das auf it. ‘città’ (s. Tab. 15, (a)) genannt wurde, it. basileo und it. base für it. basilica (s. Tab. 16, (b)), it. Giunone für it. giugno (s. Tab. 15, (c)), it. nordista als Motivationspartner für it. nord (s. Tab. 15, (d)), it. temperatura für it. tempo (s. Tab. 15, (e)) oder it. eroico für eroe (s. Tab. 15, (g)) gesehen werden. Diese Tatsache steht, auch wenn sie Hypothese 1 einzuschränken scheint, im Einklang mit dem Motivationsverständnis der vorliegenden Arbeit. Eine Motivationsbeziehung ist zunächst dadurch gekennzeichnet, dass ein gleichzeitig formaler und inhaltlicher Zusammenhang zwischen zwei lexikalischen Einheiten besteht. Dieser Zusammenhang ist nicht prinzipiell gerichtet, auch wenn in einigen Fällen Präferenzen für eine Richtung ausgemacht werden können. Die Hypothesen 1 bis 3 sind auch in diesem Sinne zu verstehen. Denn Hypothese 1 besagt nichts anderes, als dass im Rahmen der prinzipiellen Richtungsindifferenz der lexikalischen Motivation für formal einfache Einheiten dennoch die Tendenz zu intrinsischer Motivation besteht, aber dass nicht zwingend intrinsisch motiviert wird. Werden formal einfache lexikalische Einheiten extrinsisch motiviert, spricht dies folglich nicht prinzipiell gegen Hypothese 1, zumal es sich ja, wie in den Tabellen 14 und 15 zu sehen ist, bei weitem nicht um mehrheitliche Antworten handelt. <?page no="147"?> 147 Eine Minderheit von Informanten hat einige wenige dieser formal einfachen potentiell opaken Stimuli in Einklang mit Hypothese 1 denn auch intrinsisch motiviert. Fr. acier ‘Stahl’ (s. Tab. 14, (b)) wurde über die allgemeinere Bedeutung fr. acier ‘hartes, unverwüstliches Material’ motiviert - wobei es sich übrigens um eine der in dieser Arbeit nicht näher betrachteten konzeptuellen Relationen handelt, und zwar der taxonomischen Subordination von ‘Stahl’ gegenüber ‘hartes, unverwüstliches Material’. Mit Hilfe einer (umgekehrten) metaphorischen Similaritätsrelation wurden fr. cathédrale ‘Kathedrale’ (s. Tab. 14, (c)) in Bezug auf cathédrale ‘wichtiges, imposantes Werk’ (in der Kunst), fr. sale ‘unsauber, voller Schmutz’ (s. Tab. 14, (g)) in Bezug auf fr. sale ‘dubios, schmutzig, undurchsichtig’ sowie fr. chapeau ‘Hut’, (s. Tab. 14, (h)) in Bezug auf fr. chapeau ‘Hut eines Pilzes’ motiviert. 33 Im Italienischen sind für it. basilica ‘Basilika’ (s. Tab. 15, (b)) verschiedene attestierte und nicht attestierte Motivationspartner genannt worden, für it. nord ‘nördl. Teil eines Landes’ (s. Tab. 15, (d)) das kontige it. nord ‘Himmelsrichtung Norden’, für it. eroe ‘Held’ (s. Tab. 15, (g)) die taxonomisch relationierte lexikalische Einheit eroe ‘Titelheld, Hauptfigur’ und für it. boia ‘Henker’ (s. Tab. 16, (h)) it. boia ‘Gauner’ und boia ‘Grab’, wobei es sich in beiden Fällen um Kontiguität handelt, denn Henker exekutieren verschiedene Arten von Gaunern und bringen sie damit dem Grab einen Schritt näher. 33 Bei fr. cathédrale ‘Kathedrale’ in Bezug auf cathédrale ‘wichtiges, imposantes Werk’ (in der Kunst) könnte es sich auch um eine taxonomische Subordination handeln. Denn eine Kathedrale ist ein wichtiges, imposantes Werk in der Architektur. Wenn man davon ausgeht, dass metaphorische Similarität gerichtet ist, dann ist diese Interpretation vorzuziehen. <?page no="148"?> 148 Stimulus Informanten, die den Stimulus als opak eingestuft haben Informanten, die den Stimulus als motiviert eingestuft haben Davon: Informanten, die den Stimulus intrinsisch motiviert haben Davon: Informanten, die den Stimulus extrinsisch motiviert haben (a) main ‘Hand’ (S 23, F 271) 96% 4% 0% 100% fr. manuel ‘Hand-’ (S 9, F 0) (b) acier ‘Stahl’ (S 25, F 10) 88% 12% 100 % fr. acier ‘hartes, unverwüstliches Material’ (S 0, F 10) 0% (c) cathédrale ‘Kathedrale’ (S 24, F 10) 68% 32% 12,5% fr. cathédrale ‘wichtiges, imposantes Werk’ (S 1, F 10) 87,5%, davon: 28,5% fr. catholique ‘katholisch’ (S 21, F 16) 28,5% fr. cathéchisme ‘Kathechismus’ (S22, F 0) 43% lat. cathedra ‘Sitzgelegenheit des Bischofs’ (S 0, F 0) (d) algue ‘Alge’ (S 24, F 10) 100% 0% 0% 0% (e) lac ‘See’ (S 25, F 17) 100% 0% 0% 0% (f) ami ‘Freund in einer freundschaftlichen Beziehung’ (S 23, ami + amie, F 230+ F 38 = 268) 80% 20% 0% 40% fr. amitié ‘Freundschaft’ (S 24, F 64) 20% fr. amical ‘die Freundschaft betreffend’ (S 16, F 0) 20% fr. amical ‘kontaktfreudig’ (S 14, F 0) 20% fr. aimer ‘lieben’ (S 23, F 398) (g) sale ‘unsauber, voller Schmutz’ (S 25, F 18) 88% 12% 33,3% fr. sale ‘dubios, schmutzig, undurchsichtig’ (S 6, F 18) 66,7% fr. saleté ‘Schmutz, Dreck’ (S 21, F 5) <?page no="149"?> 149 (h) chapeau ‘Hut’ (S 24, F 36) 76% 24% 33% fr. chapeau ‘Hut eines Pilzes’ (S 0, F 36) 66,7%, davon: 25% fr. chapeauter ‘überragen’ (S 0, keine F-Angabe möglich) 25% fr. chapeauter ‘beaufsichtigen’ (S 1, keine F- Angabe möglich) 25% fr. chape ‘Estrich’ (S 3, keine F-Angabe möglich) 25% fr. chape ‘Deckel’ (S 0, keine F-Angabe möglich) Tab. 14: Ergebnisse für die französischen Stimuli aus Gruppe O Auffällig ist, dass bei diesen Einzelfällen die geringere Salienz und Frequenz 34 der Motivationspartner nicht motivationshinderlich wirkt. Wie aus Tabelle 14 und 15 hervorgeht, sind die meisten extrinsischen Motivationspartner so selten, dass sie in den Frequenzwörterbüchern von Juilland und Traversa (1973) sowie Juilland, Brodin und Davidovich (1970) gar nicht vorkommen (= F 0). In der Mehrheit der übrigen Fälle ist die Frequenzzahl des Motivationspartners geringer als diejenige des Sti- 34 Kann die Salienz (S) der intrinsischen Motivationspartner beider Sprachen im Normalfall aus der Tübinger Polysemiedatenbank entnommen werden - denn schließlich handelt es sich bei den Bedeutungen der Motivationspartner nur um eine weitere Bedeutung desselben Wortes, die also, ist sie zentral, auch in der Polysemiedatenbank vorkommt -, kann diese für die Bedeutungen der extrinsischen Motivationspartner nur in seltenen Einzelfällen aus der Datenbank entnommen werden. Für die italienischen und französischen extrinsischen Motivationspartner, die nicht schon zufällig in der Polysemiedatenbank vorkommen und nicht aus anderen Sprachen als Italienisch und Französisch stammen, wurde im Nachhinein auch ein SG&DT durchgeführt, um die Salienz der Bedeutungen zu ermitteln, die in den Tabellen 14, 15, und 17 bis 24 für die extrinsischen Motivationspartner notiert sind. Die Frequenzzahlen (F) werden weiterhin aus den Frequenzwörterbüchern von Juilland, Brodin und Davidovich (1970) sowie Juilland und Taversa (1973) entnommen. Die Markierungen keine S-Angabe möglich und keine F-Angabe möglich bedeuten, dass es sich um Motivationspartner aus anderen Sprachen, die daher nicht im SG&DT abgefragt werden können und nicht in den zu Grunde gelegten Frequenzwörterbüchern vorkommen, oder um von den Informanten unklar angegebene Motivationspartner handelt, deren Frequenz und Salienz also nicht bestimmt werden kann. S 0 bedeutet nicht, dass die Bedeutung gar nicht salient ist, sondern so wenig salient ist, dass sie während des SG&DT nicht genannt wurde und nicht in der Tübinger Polysemiedatenbank vorkommt. F 0 bedeutet, dass die Form im zu Grunde gelegten Frequenzwörterbuch nicht vorkommt, was aber selbstverständlich auch nicht bedeutet, dass es sie gar nicht gibt. <?page no="150"?> 150 mulus. Eine Ausnahme bilden diesbezüglich fr. catholique in Bezug auf cathéchisme (Tab, 14, (c)) und fr. aimer als Motivationspartner für fr. ami (Tab. 14, (f)) sowie it. base als Motivationspartner für it. basilica (Tab. 15, (c)). Der Frequenzeffekt scheint also nicht absolut zu sein, und kann in Einzelfällen neutralisiert werden. 35 Stimulus Infomanten, die den Stimulus als opak eingestuft haben Informanten, die den Stimulus als motiviert eingestuft haben Davon: Informanten, die den Stimulus intrinsisch motiviert haben Davon: Informanten, die den Stimulus extrinsisch motiviert haben (a) città ‘Stadt’ (S 23, F 208) 88% 12% 0% 100%, davon: 33,3% it. cittadino ‘Staatsbürger’ (S 15, F 28) 33,3% it. cittadino ‘städtisch’ (S 15, F 11) 33,3% lat. civitas ‘Stadt’ (keine S- und F-Angabe möglich) (b) basilica ‘Basilika’ (S 25, F 33) 44% 56% 64%, davon: 36%, davon: 10% it. basilica ‘Basilika = Kirche mit best. Architektur’ (S 0, F 33) 20% it. basileo ‘Basileus, byzantinischer König’ (S 3, F 0) 20% it. basilica ‘wichtige Kirche, die liturgische Privilegien hat’ (S 0, F 33) 10% it. basilica ‘frühchristliches religiöses Gebäude’ (S 0, F 33) 40% it. base ‘Basis’ (S 9, F 64) 30% it. basilica ‘öffentliches römisches Gebäude’ (S 0, F 33) 20% it. basilica ‘byzantinisches Kaiserhaus’ (S 0, F 33) 40% lat. basileus ‘Basileus, byzantinischer König’ (keine S-und F-Angabe möglich) 10% it. basilica unklar formulierte Bedeutung (S 0, F 33) (c) giugno 96% 4% 35 Ein Einfluss der demographischen Daten auf die Neutralisation des Frequenzeffektes konnte nicht nachgewiesen werden. <?page no="151"?> 151 ‘Juni’ (S 25, F 33) 0% 100% it. Giunone ‘Juno’ (S 20, F 0) (d) nord ‘nördl. Teil eines Landes’ (S 17, F 34) 52% 48% 83% it. nord ‘Himmelsrichtung Norden’ (S 11, F 34) 17%, davon: 50% it. Nord ‘Gottheit Nord’ (S 0, F 0) 50% it. nordista ‘pol. Nordist’ (S 6, F 0) 36 (e) tempo ‘Wetter’ (S 15, F 356) 36% 64% 94%, davon: 6% it. temperatura ‘Temperatur’ (S 22, F 0) 87% it. tempo ‘Zeit, die vergeht’ (S 13, F 356) 13% unklar formulierte Bedeutung (keine S- Angabe möglich, F 356) (f) baffo ‘Schnurrbart’ (S 21, F 16) 84% 16% 50% it. baffo ‘Fleck’ (S 2, F 16) 0% 50% it. baffo ‘unbedeutende Sache’ (S 0, F 16) (g) eroe ‘Held’ (S 24, F 33) 88% 12% 33,3% it. eroe ‘Titelheld, Hauptfigur’ (S 2, F 33) 66,7%, davon: 50% it. eroico ‘heldenhaft’ (S 25, F 13) 50% unklares Bezugswort (keine S- und F-Angabe möglich) (h) boia ‘Henker’ (S 25, F 16) 92% 8% 50% it. boia ‘Grab’ (S 0, F 16) 0% 50% it. boia ‘Gauner’ (S 0, F 16) Tab. 15: Ergebnisse für die italienischen Stimuli aus Gruppe O Dieses erste Ergebnis, für das im Moment noch keine Erklärung gegeben werden kann, soll bei der Betrachtung der Ergebnisse der Gruppen E und K weiter beobachtet werden. Dasselbe gilt für die Salienz der Bedeutungen der intrinsischen sowie der extrinsischen Motivationspartner. Alle intrinsischen französischen (Tab. 14) und italienischen (Tab. 15) Motivationspartner sind weniger salient als der jeweilige Stimulus. Dies trifft 36 Nach einer Stichprobe in BADIP haben sich die Verhältnisse für it. nordista seit der Erstellung des Frequenzwörterbuches nicht geändert. It. nordista kommt dreimal vor. <?page no="152"?> 152 auch für alle genannten italienischen extrinsischen Motivationspartner bis auf temperatura ‘Temperatur’ für tempo ‘Wetter’ (S 22 gegenüber S 15, s. Tab. 15, (e)) und eroico ‘heldenhaft’ für eroe ‘Held’ (S 25 gegenüber S 24, s. Tab. 15, (g)) sowie für die genannten französischen extrinsischen Motivationspartner bis auf amitié ‘Freundschaft’ für ami ‘Freund in einer freundschaftlichen Beziehung‘ (S 24 gegenüber S 23, s. Tab. 14, (f)) zu. 5.2.2.2 Potentiell und tatsächlich motivierte Stimuli Als tatsächlich motiviert werden in Analogie zu den tatsächlich opaken Stimuli aus Abschnitt 5.2.2.1 im Folgenden Stimuli bezeichnet, die von mehr als der Hälfte der Informanten auf irgendeine Weise motiviert worden sind. Dies schließt Stimuli ein, die zwar über keinen absolut mehrheitlichen Motivationspartner verfügen, aber dennoch insgesamt mehr motivierte als opake Antworten hervorgerufen haben. Es werden auch diejenigen Stimuli betrachtet, die zwar nur von einer Minderheit motiviert worden sind und daher insgesamt nicht als motiviert gelten können, aber von dieser Minderheit auf eine Art motiviert worden sind, die zur Stärkung oder Schwächung der Hypothesen 1 bis 3 herangezogen werden kann. In Tabelle 16 sind zunächst die Prozentzahlen der Stimuli der Gruppen E und K dargestellt, die von über der Hälfte der Informanten auf irgendeine Weise als motiviert bezeichnet worden sind. Diese Prozentzahlen zeigen, dass die Auswahl der Stimuli im Hinblick auf ihre potentielle Motivierbarkeit - hier unabhängig von der Art der intrinsischen Motivierbarkeit betrachtet - größtenteils sinnvoll und damit erfolgreich gewesen ist: In beiden Sprachen wurden 87,5% der Stimuli aus der formal einfachen Gruppe E von der Mehrheit der Informanten als in irgendeiner Weise motiviert klassifiziert, in der formal komplexen Gruppe K trifft dies sowohl im Französischen als auch im Italienischen sogar für 93,75% der Stimuli zu. Französisch Italienisch Gruppe E (formal einfach) 87,5% 87,5% Gruppe K (formal komplex) 93,75% 93,75 % Tab. 16: Prozentsatz der tatsächlich motivierten Stimuli aus den Gruppen E und K laut Tab. 6 <?page no="153"?> 153 Im Folgenden werden zunächst aus den Tabellen 17 bis 24 nur diejenigen Stimuli der Gruppen E und K betrachtet, die von der Mehrheit der Informanten wider Erwarten als opak eingestuft worden sind, bevor dann gesondert die Ergebnisse zu denjenigen Stimuli analysiert werden, die sich als tatsächlich motiviert herausgestellt haben. Wider Erwarten opake Stimuli: Es handelt sich in der Gruppe E um it. ceppo ‘Stumpf, Strunk’ (S 10, s. Tab. 17, (c)) und it. giorno ‘Gegenteil von Nacht, Zeit der Helligkeit’ (S 13, s. Tab. 19, (f)) sowie um fr. flanc ‘Flügel einer Mannschaft oder Armee’ (S 2, s. Tab. 18, (g)) und fr. jour ‘Tag i.S.v. Zeitspanne von 24 Stunden’ (S 10, s. Tab. 20, (d)), in der Gruppe K um it. irritare ‘reizen, entzünden’ (S 15, s. Tab. 21, (b)) und um fr. conférence ‘Vortrag’ (S 11, s. Tab. 24, (b)). Zu it. giorno (Tab. 19, (f)) und fr. jour (Tab. 20, (d)) kann an dieser Stelle vorläufig bereits festgehalten werden, dass ihre Opazität in Einklang steht mit Hypothese 3, die besagt, dass ein potentieller intrinsischer Motivationspartner, der inhaltlich über metaphorische Similarität mit der zu motivierenden lexikalischen Einheit verbunden ist, eher als tatsächlicher Motivationspartner genannt wird als ein potentieller intrinsischer Motivationspartner, der inhaltlich über Kontiguität mit einer zu motivierenden lexikalischen Einheit zusammenhängt. Es wurden zwar in beiden Fällen intrinsische Motivationspartner genannt, die in einer Kontiguitätsbeziehung zum Stimulus stehen, jedoch handelt es sich hierbei um eine kleine Minderheit. It. giorno ‘Gegenteil von Nacht, Zeit der Helligkeit’ wurde nur von 28% der Informanten motiviert, wovon wiederum nur 57% eine intrinsische Relation zu it. giorno ‘Tag (= Zeitraum von 24 Stunden)’ gesehen hat (s. Tab. 19, (f)). Fr. jour ‘Tag i.S.v. Zeitspanne von 24 Stunden’ wurde von nur 40% der Informanten motiviert, wovon 70% einen intrinsischen Motivationspartner angegeben haben. 43% der Informanten wählten fr. jour ‘Helligkeit (i.S.v. Licht, im Gegensatz zur Dunkelheit)’, 57% hingegen fr. jour ‘Tag (= Zeit der Helligkeit, im Gegensatz zur Nacht)’. Angesichts dieser Motivationspartner, die alle in einer Kontiguitätsbeziehung zum jeweiligen Stimulus bestehen, ist die mehrheitliche Opazität von it. giorno und fr. jour nicht überraschend. Auch die Tatsache, dass fr. conférence ‘Vortrag’ (Tab. 24, (b)) nicht intrinsisch motiviert wurde, kann erklärt werden. Denn es handelt sich hier um einen Stimulus aus der Gruppe K/ KON mit einem potentiell über Kontiguität relationierten intrinsischen Motivationspartner fr. conférence ‘Konferenz’. Die Frage ist nun, warum der Stimulus insgesamt mehrheitlich als opak eingestuft wurde und nicht mehrheitlich ein potentieller extrinsischer Motivationspartner genannt wurde, wie zum Beispiel fr. conférer. Dies würde Hypothese 1 entsprechen, nach der formal kom- <?page no="154"?> 154 plexe lexikalische Einheiten tendenziell extrinsisch motiviert werden. Ein Blick in das Frequenzwörterbuch Juilland/ Brodin/ Davidovich (1970), aus dem die französischen Wörter für den SG&DT stammen, der wiederum die Stimuli für das vorliegende Experiment geliefert hat (s. Abschnitte 5.2.1.1 und 5.2.1.3), zeigt, dass die Wortform conférence eine höhere Frequenz aufweist (F 35) als conférer (F 6). Geht man davon aus, dass niedriger frequente Einheiten den Zugang zu höher frequenten erleichtern, aber nicht umgekehrt, hat man - zumindest vorläufig - eine plausible Erklärung. Denn hat die Salienz der Bedeutungen einen Einfluss auf die Motivierbarkeit lexikalischer Einheiten (vgl. Abschnitt 5.1.3), dann sollte auch die Frequenz der Formen einen Einfluss darauf haben. 37 Dass dies jedoch keine absolute Regel ist, wurde bereits angesprochen (s. 5.2.2.1). Stimulus Informanten, die den Stimulus als opak eingestuft haben Informanten, die den Stimulus als motiviert eingestuft haben Davon: Informanten, die den Stimulus intrinsisch motiviert haben Davon: Informanten, die den Stimulus extrinsisch motiviert haben (a) cuore ‘Herz i.S.v. räumliches Zentrum’ (S 5, F 192) 8% 92% 100%, davon: 0% 87% ‘Herz (Organ)’ (S 21, F 192) 13% unklare Bedeutungsangabe (keine S- und F- Angabe möglich) (b) neve ‘Kokain’ (S 3, F 16) 8% 92% 100%, davon: 0% 9% ‘weißes Pulver’ (S 0, F 16) 91% ‘Schnee (als Niederschlag)’ (S 25, F 16) (c) ceppo ‘Stumpf, Strunk’ (S 10, F 9) 72% 28% 100%, davon: 0% 14,5% ‘Stamm (=Baumstamm)’ (S 0, F 9) 37 Diese Annahme wird gestützt durch in der Psycholinguistik beobachtbare Frequenzeffekte (vgl. Plag 2003: 175-177, Babin 1998: 20-37). Zwar ist bewusste Motivierbarkeit auf keinen Fall gleichzusetzen mit unbewussten psycholinguistischen Vorgängen, doch da es auch bei Motivierbarkeit wie bei Studien zum lexical access letztendlich um nichts anderes als das Verständnis der Stimuli geht, kann man mit gutem Gewissen annehmen, dass die Motivierbarkeit in diesem Fall von denselben Variablen beeinflusst wird wie der Zugriff auf das mentale Lexikon. <?page no="155"?> 155 14,5% ‘Stamm, Stammbaum’ (S 0, F 9) 71% ‘Ursprung, Abstammung’ (S 6, F 9) (d) notte ‘geistige Verwirrung’ (S 2, F 199) 8% 92% 100%, davon: 0% 30% ‘Dunkelheit’ (S 2, F 199) 70% ‘Nacht (im Gegensatz zu Tag)’ (S 23, F 199) (e) atrio ‘Vorkammer des Herzens’ (S 7, F 9) 4% 96% 100% ‘Eingangshalle’ (S 25, F 9) 0% (f) padre ‘Vater i.S.v. Gründer’ (S 5, F 202) 8% 92% 96% ‘Vater (=männliches Elternteil)’ (S 22, F 202) 4% it. paterno ‘väterlich (=vom Vater)’ (S 10, F 21) (g) via ‘abstrakter Weg’ (S 3, F 211) 8% 92% 96%, davon: 4% it. via ‘weg’ (S 22, F 137) 23% ‘Strecke (zurückzulegender Weg)’ (S 0, F 211) 77% ‘Weg (konkret begehbar)’ (S 10, F 211) (h) uscire ‘erscheinen, veröffentlicht werden’ (S 5, F 222) 24% 76% 84%, davon: 16%, davon: 6% ‘ausgehen’ (S 6, F 222) 33,3% it. uscio ‘räumlicher Ausgang’ (S 12, F 27) + it. ire ‘hinausgehen’ (S 0, F 0) 94% ‘hinausgehen’ (S 21, F 222) 66,7% it. uscio ‘räumlicher Ausgang’ (S 12, F 27) Tab. 17: Ergebnisse für die italienischen Stimuli der Gruppe E/ MET <?page no="156"?> 156 Stimulus Informanten, die den Stimulus als opak eingestuft haben Informanten, die den Stimulus als motiviert eingestuft haben Davon: Informanten, die den Stimulus intrinsisch motiviert haben Davon: Informanten, die den Stimulus extrinsisch motiviert haben (a) œil ‘räumliches Zentrum’ (S 4, F 345) 16% 84% 95% ‘Auge (Organ)’ (S 23, F 345) 5% fr. oculaire ‘Okular (optisches Gerät)’ (S 11, F 0) (b) bijou ‘Kleinod, Kostbarkeit i.S.v. etw., das man sehr schätzt’ (S 11, F 18) 16% 84% 95%, davon: 5% bret. bizou ‘Ring (als Schmuck)’ (keine S- und F-Angabe möglich) 35% ‘wertvoller Gegenstand’ (S 0, F 18) 65% ‘Schmuck (Ketten, Ringe etc.)’ (S 24, F 18) (c) bombe ‘sehr attraktive Frau’ (S 10, F 10) 12% 88% 95,5% ‘Bombe (Waffe)’ (S 25, F 10) 4,5% fr. bomber ‘sich aufplustern, (=die Brust herausstrecken)’ (S 8, F 0) (d) sale ‘dubios, undurchsichtig’ (S 6, F 18) 24% 76% 100% ‘schmutzig (=voll von Dreck)’ (S 24, F 18) 0% (e) larme ‘Tropfen’ (S 12, F 37) 20% 80% 100% ‘Träne’ (S 24, F 37) 0% (f) chapeau ‘Vorspann eines Artikels’ (S 4, F 36) 4% 96% 96%, davon: 4% lat. caput ‘Kopf’ (keine S- und F-Angabe möglich) 4% ‘Oberseite’ (S 0, F 36) 96% ‘Hut (Kopfbedeckung)’ (S 24, F 36) (g) flanc ‘Flügel einer Mannschaft oder Armee’ (S 2, F 10) 64% 36% 89% ‘Flanke eines Lebewesens’ (S 12, F 10) 11% fr. flanquer ‘flankieren’ (S 3, F 0) (h) loup ‘Fuchs i.S.v. schlauer, ehrgeiziger Mann’ (S 4, F 10) 0% 100% 100% ‘Wolf (Tier)’ (S 22, F 10) 0% Tab. 18: Ergebnisse für die französischen Stimuli der Gruppe E/ MET <?page no="157"?> 157 Der Mangel an intrinsischer Motivierbarkeit von it. irritare (Tab. 21, (b)) wurde bereits in Abschnitt 5.2.1.2 erwähnt. Es handelt sich um das Problem, dass sich die prinzipielle Gerichtetheit der metaphorischen Similarität auf die Motivierbarkeit derjenigen Stimuli auswirkt, die der Quelldomäne angehören. It. irritare ‘reizen, entzünden’ ist in der Tat Similaritätsspender und kann daher nicht so leicht über den potentiellen Motivationspartner it. irritare ‘nervös, zornig machen’ erschlossen werden, der als Similaritätsempfänger der Zieldomäne angehört. Anders ausgedrückt: Ärger ähnelt einer Entzündung, da er zum Beispiel ähnlich unangenehm ist, aber eine Entzündung ähnelt nicht dem Ärger, sondern ruft diesen eher hervor (Kontiguität). Die Minderheit von 44% der Informanten, die den Stimulus trotz dieser Tatsache motiviert haben, hat diesen weiterhin mehrheitlich intrinsisch motiviert (54%, s. Tab. 21, (b)). Nur die Hälfte dieser Mehrheit nannte jedoch den Motivationspartner it. irritare ‘Ärger verursachen’, der dem angenommenen potentiellen Motivationspartner it. irritare ‘nervös, zornig machen’ in etwa entspricht und somit in einer Similaritätsbeziehung zum Stimulus steht. Die zweite Hälfte der Informanten, die intrinsisch motiviert haben, wich auf it. irritare ‘sich ärgern’ aus, das, wie bereits angedeutet, aber eher über Kontiguität mit dem Stimulus zusammenhängt als über Similarität: Ein Mensch, der eine körperliche Entzündung hat, wird aufgrund der Entzündung leichter nervös und ärgert sich eher als jemand, der keine hat. Wie bei fr. conférence stellt sich nun auch bei it. irritare die Frage, warum bei mangelnder intrinsischer Motivierbarkeit nicht mehrheitlich ein extrinsischer Motivationspartner genannt wurde, wie zum Beispiel it. ira, das immerhin von 20% derjenigen Informanten, die den Stimulus überhaupt motiviert haben (44% aller Befragten), genannt wurde. Ein erneuter Blick in das Frequenzwörterbuch Juilland/ Brodin/ Davidovich (1970) zeigt, dass it. ira so selten ist, dass es dort gar nicht aufgeführt wird (F 0), wohingegen die Form irritare immerhin mit zehn Vorkommen notiert ist (F 10). Wie bei fr. conférence weist also auch bei it. irritare der Stimulus eine höhere Frequenz auf als der potentielle extrinsische Motivationspartner it. ira ‘Zorn’, was die Motivierbarkeit des Stimulus einschränkt. Zudem kommt unter Umständen, wie bereits erwähnt, erschwerend hinzu - obwohl dies aus synchroner Perspektive nicht zwingend eine Rolle spielen muss - dass die Wörter it. ira und irritare etymologisch nicht zusammenhängen (s. z.B. Cortelazzo/ Zolli/ Cortelazzo 1999, s.v. irritare). Geht man wie Marzo, Rube und Umbreit (2011) davon aus, dass auch graphische Similarität die formale Dimension der Motivierbarkeit gewährleisten kann, dürfte auch die Tatsache, dass sich it. irritare und it. ira auch synchron in keiner Wortbildungsbeziehung befinden, kein motivationshinderlicher Faktor sein (20% der derjenigen Informanten, die den Stimulus motiviert haben, nennen ja auch it. ira als Motivationspartner). <?page no="158"?> 158 Stimulus Informanten, die den Stimulus als opak eingestuft haben Informanten, die den Stimulus als motiviert eingestuft haben Davon: Informanten, die den Stimulus intrinsisch motiviert haben Davon: Informanten, die den Stimulus extrinsisch motiviert haben (a) caffè ‘Café’ (S 9, F 34) 20% 80% 100% ‘Kaffee (=Espresso)’ (S 19, F 34) 0% (b) croce ‘Kreuz, Qual’ (S 13, F 33) 8% 92% 96%, davon: 4% it. crocifissione ‘Kreuzigung’ (S 21, F 0) 4,5% ‘Kruzifix (als Schmuck)’ (S 23, 38 F 33) 95,5% ‘Kreuz (Folterwerkzeug)’ (S 23, F 33) (c) terra ‘Bodenart’ (S 16, F 234) 48% 52% 92%, davon: 8% it. terreno ‘Acker’ (S 11, F 77) 8,5% ‘Heimat’ (S 0, F 234) 8,5% ‘Boden’ (S 6, F 234) 83% ‘Erde (als Planet)’ (S 23, F 234) (d) voce ‘Gerücht’ (S 4, F 212) 20% 80% 95% ‘menschliche Stimme’ (S 20, F 212) 5% it. vociferare ‘munkeln’ (S 23, F 0) (e) luce ‘Loch, Öffnung’ (S 1, F 179) 16% 84% 100%, davon: 0% 5% ‘Rettung (= Erlösung im Kontext Religion)’ (S 0, F 179) 5 % unklare Bedeutungsangabe (keine S-Angabe möglich, F 179) 19% ‘Beleuchtung (als Lichtquelle)’ (S 14, F 179) 33% ‘Helligkeit (=Licht, im Gegensatz zu Dunkelheit)’ (S 16, F 179) 38 Die Bedeutungen ‘Kruzifix (als Schmuck)’ und ‘Kreuz (Folterwerkzeug)’ fallen in der Tübinger Polysemiedatenbank unter die allgemeiner gefasste Bedeutung ‘Kreuz (als Objekt)’, deren Salienzzahl (S 23) zwar hier übernommen wird, die Salienzverhältnisse von ‘Kruzifix (als Schmuck)’ und ‘Kreuz (Folterwerkzeug)’ aber unter Umständen nicht ganz getreu wiedergibt. <?page no="159"?> 159 38% ‘Licht (als physikalisches Phänomen)’ (S 3, F 179) (f) giorno ‘Gegenteil von Nacht, Zeit der Helligkeit’ (S 10, F 514) 72% 28% 57% ‘Tag (= Zeitraum von 24 Stunden)’ (S 8, F 514) 43%, davon: 33,3% it. giornata ‘Tag (= Zeit der Helligkeit)’ (S 15, F 91) 33,3% it. giornata ‘Tag (= Zeitraum von 24 Stunden)’ (S 1, F 91) 33,3% it. a giorno ‘offen’ (S 3, F 91) (g) paese ‘Land, Staat’ (S 20, F 198) 36% 64% 94%, davon: 6% it. paesaggio ‘Landschaft’ (S 25, F 20) 7% ‘Land (als Region)’ (S 1, F 198) 13% ‘Dorfgemeinschaft’ (S 0, F 198) 80% ‘Dorf’ (S 22, F 198) (h) dieta ‘Nahrung, Ernährung’ (S 3, F 16) 40% 60% 80%, davon: 20%, davon: 8% ‘Ration (beim Essen)’ (S 0, F 16) 33,3% lat. dies ‘Tag (= Zeitraum von 24 Stunden)’ (keine S- und F-Angabe möglich) 8% Unklare Bedeutungsangabe (keine S-Angabe möglich, F 16) 33,3% it. dietologo ‘Diätologe’ (S 25, F 0) 16% ‘polit. Versammlung’ (S 10, F 16) 33,3% it. dì ‘Tag (= Zeitraum von 24 Stunden)’ (S 0, F 0) 66,7% ‘Diät (um abzunehmen/ gesund zu werden; andere Ernährungsweise als gewöhnlich)’ (S 21, F 16) Tab. 19: Ergebnisse für die italienischen Stimuli aus Gruppe E/ KON <?page no="160"?> 160 Stimulus Informanten, die den Stimulus als opak eingestuft haben Informanten, die den Stimulus als motiviert eingestuft haben Davon: Prozentzahl der Sprecher, die den Stimulus intrinsisch motiviert haben Davon: Prozentzahl der Sprecher, die den Stimulus extrinsisch motiviert haben (a) langue ‘Zunge’ (S 23, F 36) 48% 52% 85%, davon: 15%, davon: 9% ‘Ausdrucksweise’ (S 1, F 36) 50% engl. language ‘Sprache, Einzelsprache’ (keine Su. F- Angabe möglich) 91% ‘Sprache, Einzelsprache’ (S 25, F 36) 50% fr. langues ‘Sprachenstudium’ (S 0, F 0) (b) tête ‘Gesichtsausdruck’, (S 3, F 225) 12% 88% 95%, davon: 5% fr. arriver en tête ‘Erster sein’ (S 24, F 0) 5% ‘Extremität ( äußerster/ erster/ oberster Teil eines Objektes)’ (S 1, F 225) 5% ‘Kopfball (beim Fußball)’ (S 0, F 225) 10% unklare Bedeutungsangabe (Keine S-Angabe möglich, F 225) 19% ‘Gesicht’ (S 0, F 225) 61% ‘Kopf (als Körperteil)’ (S 8, F 225) (c) mot ‘Notiz, kurze Nachricht’ (S 3, F 258) 28% 72% 100% ‘Wort (Einheit der Sprache)’ (S 23, F 258) 0% (d) jour ‘Tag i.S.v. Zeitspanne von 24 Stunden’ (S 10, F 678) 60% 40% 70%, davon: 30%, davon: 43% ‘Helligkeit (i.S.v. Licht, im Gegensatz zur Dunkelheit)’ (S 0, F 678) 33,3 % fr. journée ‘Tag (im Gegensatz zur Nacht)’ (S 8, F 116) 57% ‘Tag (= Zeit der Helligkeit, im Gegensatz zur Nacht)’ (S 18, F 678) 66,6 % fr. journée ‘Tag (= Zeitraum von 24 Stunden)’ (S 4, F 116) <?page no="161"?> 161 (e) bar ‘Tresen’ (S 7, F 17) 40% 60% 100%, davon: 0% 6,6% ‘Hausbar (als Möbelstück)’ (S 0, F 17) 6,6% ‘Wolfsbarsch’ (S 17, F 17) 6,6% unklare Bedeutungsangabe (keine S-Angabe möglich, F 17) 80% ‘Bar (als Gaststätte)’ (S 25, F 17) (f) terre ‘Erde als Material’ (S 16, F 196) 40% 60% 80%, davon: 20%, davon: 33,3% ‘Boden’ (S 2, F 196) 33,3% fr. enterrer ‘vergraben’ (S 6, F 0) 66,7% ‘Erde (Planet)’ (S 19, F 196) 33,3% fr. terreau ‘Humus’ (S 24, F 0) 33,3% fr. terrestre ‘erdbewohnend’ (S 11, F 16) (g) temps ‘Schlag eines Taktes’ (S 2, F 504) 12% 88% 100%, davon: 0% 9% ‘Wetter’ (S 22, F 504) 91% ‘Zeit’ (S 16, F 504) (h) point ‘Stich, Strick-/ Stickmuster’ (S 4, F 338) 24% 76% 89%, davon: 11%, davon: 6% unklare Bedeutungsangabe (keine S-Angabe möglich, F 338) 50% fr. pointeur ‘Zeiger, Pfeil’ (S 3, F 0) 18% ‘Punkt, Fleck’ (S 3, F 338) 50% fr. point ‘nicht’ (S 17, F 122) 35% ‘Punkt (als Koordinate)’ (S 0, F 338) 41% ‘Punkt (als Satzzeichen)’ (S 20, F 338) Tab. 20: Ergebnisse für die französischen Stimuli der Gruppe E/ KON <?page no="162"?> 162 Stimulus Informanten, die den Stimulus als opak eingestuft haben Informanten, die den Stimulus als motiviert eingestuft haben Davon: Prozentzahl der Sprecher, die den Stimulus intrinsisch motiviert haben Davon: Prozentzahl der Sprecher, die den Stimulus extrinsisch motiviert haben (a) grandezza ‘Größe i.S.v. Macht, Einfluss, Ruhm’ (S 6, F 31) 24% 76% 58%, davon: 42%, davon: 9% unklare Bedeutungsangabe (keine S-Angabe möglich, F 31) 12,5% it. grande ‘bedeutend, wichtig, beeindruckend’ (S 8, F 8) 91% ‘räumliche Größe’ (S 14, F 31) 87,5% it. grande ‘räumlich groß’ (S 15, F 8) (b) irritare ‘reizen, entzünden’ (S 15, F 10) 56% 44% 54%, davon: 46%, davon: 50% ‘sich ärgern’ (S 0, F 10) 20% it. rito ‘Vorgehensweise’ (S 0, F 12) 50% ‘Ärger verursachen’ (S 14, F 10) 20% it. ira ‘Zorn’ (S 25, F 0) 60% it. irritazione ‘Entzündung’ (S 18, F 0) (c) provenire ‘etymologisch herkommen’ (S 3, F 31) 16% 84% 52%, davon: 48%, davon: 9% unklare Bedeutungsangabe (keine S-Angabe möglich, F 31) 10% it. venire ‘von irgendwo herkommen, stammen’ (S 3, F 761) 36% ‘räumlich von irgendwo herkommen’ (S 9, F 31) 20% it. provenienza ‘Ursprung, Abstammung)’ (S 0, F 0) 55% ‘von irgendwo herkommen, stammen’ (S 14, F 31) 20% it. venire ‘ankommen’ (S 1, F 761) 20% it. venire ‘irgendwo hingehen’ (S 8, F 761) 30% it. venire ‘räumlich von irgendwo herkommen’ (S 10, F 761) (d) sigaretta ‘Garnspule’ (S 4, F 9) 8% 92% 78%, davon: 22% it. sigaro ‘Zigarre’ (S 25, F 0) 28% ‘Zylinder (Form)’ (S 0, F 9) 72% ‘Zigarette’ (S 24, F 9) (e) lacrima ‘Tropfen’ (S 8, F 16) 28% 72% 100% ‘Träne’ (S 23, F 16) 0% <?page no="163"?> 163 (f) assorbire ‘geistig aufnehmen’ (S 6, F 16) 28% 72% 83% ‘aufnehmen, absorbieren (Substanz)’ (S 20, F 16) 17%, davon: 33,3% it. assorbente ‘Tampon’ (S 1, F 0) 33,3% it. assorbimento ‘das Aufsaugen (geistig)’ (S 3, F 14) 33,3% lat. ab ‘weg (räumlich)’ (keine S- und F- Angabe möglich) + it. sorbire ‘langsam trinken’ (S 13, F 0) (g) seppellire ‘begraben i.S. v. verdrängen vergessen’ (S 12, F 16) 4% 96% 96%, davon: 4% it. sepolcro ‘Grab’ (S 24, F 30) 4% ‘verstecken’ (S 0, F 16) 96% ‘begraben (in der Erde)’ (S 17, F 16) (h) prolungare ‘räumlich verlängern’ (S 7, F 10) 24% 76% 11% ‘zeitlich verlängern’ (S 24, F 10) 89%, davon: 6% it. lunghezza ‘Länge, Größe’(S 20, F 0) 6% it. lungare ‘räumlich verlängern’ (S 1, F 0) 12% it. allungare ‘räumlich verlängern’ (S 13, F 7) 29% it. lungo, unklare Bedeutungsangabe (keine S-Angabe möglich, F 142). 47% it. lungo ‘räuml. lang’ (S 18, F 142) Tab. 21: Ergebnisse für die italienischen Stimuli der Gruppe K/ MET <?page no="164"?> 164 Stimulus Informanten, die den Stimulus als opak eingestuft haben Informanten, die den Stimulus als motiviert eingestuft haben Davon: Prozentzahl der Sprecher, die den Stimulus intrinsisch motiviert haben Davon: Prozentzahl der Sprecher, die den Stimulus extrinsisch motiviert haben (a) fermeté ‘Standhaftigkeit’ (S 6, F 10) 8% 92% 30% ‘Festigkeit, Härte (Kontext Material)’ (S 12, F 10) 70%, davon: 6% fr. fermer ‘schließen, zumachen’ (S 20, F 50) 6% fr. fermer, unklare Bedeutungsangabe (keine S- Angabe möglich, F 50) 6% fr. fermeture ‘Schließung, Schließen’ (S 4, F 4) 19% fr. ferme ‘fest (Kontext Material)’ (S 14, F 12) 25% fr. ferme unklare Bedeutungsangabe (keine S- Angabe möglich, F 12) 38% fr. ferme ‘standhaft (Charakter)’ (S 14, F 12) (b) grandeur ‘Größe i.S.v. Macht, Einfluss, Ruhm’ (S 12, F 35) 4% 96% 58% ‘räumliche Größe’ (S 14, F 35) 42%, davon: 20% fr. grand ‘bedeutend, wichtig, beeindruckend’ (S 16, F 810) 80% fr. grand ‘räumlich groß’ (S 23, F 810) (c) ampleur ‘Ausmaß, Bedeutung, Wichtigkeit’ (S 20, F 10) 28% 72% 22% ‘räumliche Weite’ (S 8, F 10) 78%, davon: 7% fr. amplifier ‘erweitern’ (S 2, F 0) 29% fr. ample ‘weit, weitläufig (Thema, Frage, Gebiet)’ (S 3, F 0) 64% fr. ample ‘räuml. Weite’ (S 2, F 0) <?page no="165"?> 165 (d) retourner ‘psychisch aufwühlen, treffen’ (S 8, F 53) 16% 84% 81%, davon: 19%, davon: 6% ‘zurückgeben’ (S 2, F 53) 25% fr. tourner ‘aufwühlen (Kontext Emotionen)’ (S 0, F 95) 12% ‘etwas erneut räumlich umdrehen’ (S 0, F 53) 25% fr. tourner ‘umkehren’ (S 0, F 95) 23% ‘umkehren’ (S 6, F 53) 25% fr. tourner, unklare Bedeutungsangabe (keine S- Angabe möglich, F 95) 59% ‘etwas räumlich umdrehen’ (S 10, F 53) 25% fr. retournement ‘Aufwühlung (Kontext Emotionen)’ (S 0, F 0) (e) réparation ‘Wiedergutmachung’ (S 5, F 10) 12% 88% 82% ‘Reparatur (als Vorgang)’ (S 21, F 10) 18%, davon: 50% fr. réparer ‘reparieren’ (S 24, F 0) 50% fr. parer ‘hübsch herrichten (Dekoration oder Kleidung)’ (S 6, F 12) (f) tourbillon ‘Wirbelwind i.S.v. sehr lebhafte Person’ (S 3, F 18) 4% 96% 96%, davon: 4% fr. turbine ‘Turbine’ (S 14, F 0) 4% ‘Turbine’ (S 0, F 18) 96% ‘Wirbel, Strudel (Kontext Wasser, Luft)’ (S 9, F 18) (g) décès ‘Untergang, endgültiges Ende’ (S 1, F 10) 40% 60% 80% ‘Tod’ (S 25, F 10) 20% fr. décéder ‘sterben’ (S 24, F 0) (h) pilier ‘Stütze, wichtige Person’ (S 12, F 10) 4% 96% 87,5% ‘Pfeiler’ (S 21, F 10) 12,5% fr. pile ‘Pfeiler’ (S 8, F 0) Tab. 22: Ergebnisse für die französischen Stimuli der Gruppe K/ MET <?page no="166"?> 166 Stimulus Informanten, die den Stimulus als opak eingestuft haben Informanten, die den Stimulus als motiviert eingestuft haben Davon: Prozentzahl der Sprecher, die den Stimulus intrinsisch motiviert haben Davon: Prozentzahl der Sprecher, die den Stimulus extrinsisch motiviert haben (a) credito ‘Guthaben’ (S 4, F 10) 44% 56% 71%, davon: 29%, davon: 10% ‘Zugeständnis’ (S 0, F 10) 25% it. accreditare ‘jm. etw. anrechnen’ (S 3, F 0) 20% unklare Bedeutungsangabe (keine S-Angabe möglich, F 10) 25% it. credere ‘etw. glauben (= meinen, denken)’ (S 10, F 310) 30% ‘Kredit’ (S 14, F 10) 50% it. credere ‘jm. glauben’ (S 0, F 310) 40% ‘Vertrauen’ (S 5, F 10) (b) preghiera ‘Bitte’ (S 10, F 33) 12% 88% 50% ‘Gebet (Kontext Religion)’ (S 22, F 33) 50%, davon: 45% it. pregare ‘bitten’ (S 12, F 87) 55% it. pregare ‘beten’ (S 22, F 87) (c) pubblicazione ‘veröffentlichtes Werk’ (S 12, F 33) 16% 84% 10% ‘Veröffentlichung (Vorgang)’ (S 17, F 33) 90%, davon: 5% it. pubblico ‘öffentlich (= alle wissen es)’ (S 1, F 70) 16% it. pubblicare ‘bekannt machen’ (S 2, F 83) 21% it. pubblico ‘öffentlich (= für alle bestimmt)’ (S 18, F 70) 21% it. pubblico ‘Publikum’ (S 21, F 76) 37% it. pubblicare ‘veröffentlichen (Medium)’ (S 24, F 83) (d) istituto ‘Institutsgebäude’ (S 4, F 188) 44% 56% 21% ‘Institution (= soziale, politische etc. Einrichtung)’ (S 7, F 188) 79%, davon: 9% it. istituzione, unklare Bedeutungsangabe (keine S-Angabe möglich, F 29) 27% it. istituzione ‘Institution (= soziale, politische etc. Einrichtung)’ (S 12, F 29) 64% it. istituire ‘einrichten, aufbauen’ (S 23, F 18) (e) linguaggio ‘Einzelsprache’ (S 9, F 16) 32% 68% 0% 100%, davon: 47% it. lingua ‘Zunge’ (S 21, F 58) 53% it. lingua ‘Einzelsprache’ (S 22, F 58) <?page no="167"?> 167 (f) commemorazione ‘Gedenkfeier’ (S 11, F 16) 16% 84% 5% ‘Gedenken (als Vorgang)’ (S 14, F 16) 95%, davon: 5% it. commemorare ‘sich erinnern’ (S 0, F 9) + it. orazione ‘Rede’ (keine S-Angabe möglich, F 5) 5% it. con ‘mit’ (keine S-Angabe möglich, F 3499) + it. memore ‘einer Sache eingedenk’ (S 1, F 0) 5% it. con ‘mit’ (keine S-Anga-be möglich, F 3499) + it. memorare ‘sich erinnern’ (S 16, F 0) 5% it. comune ‘allgemein (= von allen geteilt)’ (S 17, F 103) + it. memore ‘einer Sache eingedenk’ (S 1, F 0) 5% lat. cum ‘mit’ (keine Su. F- Angabe möglich) + it. memorare ‘sich erinnern’ (S 16, F 0) 15% it. memoria ‘Gedächtnis (= Erinnerungsfähigkeit)’ (S 16, F 57) 25% it. con ‘mit’ (keine S-Angabe möglich, F 3499) + it. memoria ‘Erinnerung an/ von etw.’ (S 7, F 57) 35% it. memoria ‘Erinnerung an/ von etw.’ (S 7, F 57) (g) inghiottire ‘versehentlich verschlucken’ (S 5, F 10) 32% 68% 29%, davon: 71%, davon: 20% ‘hinunterschlucken (Beleidigung)’ (S 3, F 10) 8,3% it. (-)glosso(-) ‘die Sprache betreffend’ (keine S- und F- Angabe möglich) 20% unklare Bedeutungsangabe (keine S-Angabe möglich, F 10) 8,3% it. glottide ‘Glottis’ (S 24, F 0) 60% ‘schlucken’ (S 18, F 10) 8,3% it. ghiotto ‘Naschkatze, Vielfraß’ (S 6, F 0) 75% it. ghiotto ‘naschhaft, gefräßig’ (S 24, F 0) (aus: ‘naschhaft’ (S 1) und ‘versessen auf bestimmte Nahrung’ (S 23)) (h) studio ‘Arbeitszimmer’ (S 9, F 199) 4% 96% 58% ‘Studium (als Vorgang)’ (S 18, F 199) 42% it. studiare ‘lernen, studieren’ (S 20, F 63) Tab. 23: Ergebnisse für die italienischen Stimuli der Gruppe K/ KON <?page no="168"?> 168 Stimulus Informanten, die den Stimulus als opak eingestuft haben Informanten, die den Stimulus als motiviert eingestuft haben Davon: Prozentzahl der Sprecher, die den Stimulus intrinsisch motiviert haben Davon: Prozentzahl der Sprecher, die den Stimulus extrinsisch motiviert haben (a) plainte ‘Klage, Strafanzeige’ (S 12, F 18) 16% 84% 52%, davon: 48%, davon: 27% ‘Beschwerde (=Inhalt des Beschwerens’ (S 0, F 18) 10% fr. plaignant ‘Kläger (Gericht)’ (S 24, F 0) 73% ‘Beschweren (als Vorgang)’ (S 13, F 18) 20% fr. plaindre ‘klagen (Gericht)’ (S 0, F 32) 70% fr. se plaindre ‘s. beschweren/ beklagen, jammern’ (S 7, F 32 (unter plaindre)) (b) conférence ‘Vortrag’ (S 11, F 35) 76% 24% 0% 100%, davon: 33,3% fr. conférer ‘übertragen, geben’ (S 9, F 6) 33,3% fr. conférer ‘vortragen’ (S 0, F 6) 33,3% fr. conférer ‘konferieren (=in einer Sitzung diskutieren)’ (S 8, F 6) (c) respiration ‘Atemzug’ (S 4, F 10) 48% 52% 0% 100%, davon: 8% lat. spirare ‘atmen’ (keine S- und F- Angabe möglich) 8% fr. aspirer ‘einatmen’ (S 5, F 0) 15% fr. respirer ‘einatmen’ (S 6, F 32) 69% fr. respirer ‘atmen’ (S 17, F 32) (d) alimentation ‘kleines Lebensmittelgeschäft, Tante- Emma- Laden’ (S 3, F 10) 0% 100% 76%, davon: 24%, davon: 5,3% ‘Ernährung (Art u. Weise, best. Diät)’ (S 22, F 10) 16,6% fr. aliment ‘Lebensmittelladen’ (S 0, F 11) 26,3% ‘Nahrungsmittel’ (S 8, F 10) 16,6% fr. magasin d’alimentation ‘Lebensmittelladen’ (F 0, S 24) 26,3% unklare Bedeutungsangabe (keine S-Angabe möglich, F 10) 16,6% fr. alimenter ‘ernähren (= Essen geben)’ (S 6, F 7) 42,1% ‘Ernährung (als Vorgang)’ (S 0, F 10) 50% fr. aliment ‘Nahrungsmittel’ (S 24, F 11) (e) ravitaillement ‘Versorgung 40% 60% 0% 100%, davon: 7% fr. victuailles ‘Lebensmittel’ (S 23, F 0) <?page no="169"?> 169 mit Lebensmitteln’ (S 12, F 10) 7% fr. ravitailler ‘wiederbeleben’ (S 0, F 0) 13% fr. vital ‘lebensnotwendig’ (S 19, F 16) 13% fr. avitailler ‘jm. mit Lebensmitteln versorgen’ (S 1, F 0) 60% fr. ravitailler ‘jm. mit Lebensmitteln versorgen’ (S 24, F 0) (f) concurrence ‘Konkurrenz, das Konkurrieren’ (S 24, F 10) 48% 52% 8% ‘Geldbetrag’ (S 0, F 10) 92%, davon: 8,3% fr. concurrentiel ‘Konkurrenz-’ (S 5, F 0) 8,3% fr. courir ‘konkurrieren’ (S 0, F 86) 8,3% fr. courant unklare Bedeutungsangabe (keine S-Angabe möglich, Adj. F 23, N. F 65) 8,3% lat. currere ‘passieren’ (keine Su. F- Angabe mögl.) 16,7% fr. courir ‘laufen, rennen’ (S 22, F 86) 16,7% fr. concours ‘Wettbewerb’ (S 11, F 25) 33,3% fr. concourir ‘konkurrieren’ (S 23, F 25) (g) attraction ‘Attraktion, Programmpunkt, der eine große Anziehungskraft hat’ (S 6, F 10) 20% 80% 75%, davon: 25%, davon: 13% ‘Anziehung (Kontext Gefühl)’ (S 0, F 10) 20% lat. ad ‘zu, nach (Richtung)’ (keine Su. F-Angabe möglich)+ fr. traction ‘Dehnen, Ziehen (als Vorgang)’ (S 11, F 0) 20% ‘Anziehungskraft (Attraktivität)’ (S 0, F 10) 40% fr. attirer ‘räumlich herlocken’ (S 9, F 43) 67% ‘Schwerkraft’ (S 17, F 10) 40% fr. attirer ‘anziehen (Attraktivität)’ (S 10, F 43) (h) alimentation ‘Netzteil, Stromversorgung’ (S 2, F 10) 8% 92% 87%, davon: 13%, davon: 10% ‘Leitung, Zufluss’ (S 0, F 10) 33,3% fr. aliment ‘Nahrungsmittel’ (S 24, F 11) 15% ‘Versorgung (mit wichtigen Stoffen)’ (S 16, F 10) 66,7% fr. alimenter ‘ernähren (= Essen geben)’ (S 6, F 7) 20% ‘Ernährung (als Vorgang)’ (S 0, F 10) 55% ‘Nahrungsmittel’ (S 8, F 10) Tab. 24: Ergebnisse für die französischen Stimuli der Gruppe K/ KON <?page no="170"?> 170 Bei it. ceppo (Tab. 17, (c)) hat sich herausgestellt, dass die ursprünglich angenommene metaphorische Similarität zwischen it. ceppo ‘Familie, Geschlecht, Stamm’ und ceppo ‘Stumpf, Strunk’ von vorneherein eine problematische Beziehung darstellte, da strenggenommen eine Zwischenstufe der Kontiguität besteht: Wenn überhaupt, dann besteht zwischen der Familie und dem Baumstamm eine Similaritätsbeziehung (und zwar insofern, als eine Familie für die Einzelperson der Ursprung ist wie es der Baumstamm für einen Ast oder gar Zweig ist), von dem wiederum - in einem zweitem Schritt - eine Kontiguitätsbeziehung zum Baumstumpf besteht. Eine Minderheit von 28% der Informanten hat trotz der Schwierigkeit einer nur indirekten potentiellen Ähnlichkeitsbeziehung 39 den Stimulus intrinsisch motiviert (s. Tab. 17, (c)). Allerdings haben nur 14,5% dieser Minderheit den potentiellen Motivationspartner ‘Familie, Geschlecht, Stamm’ angegeben, weitere 14,5% haben intrinsisch über it. ceppo ‘Baumstamm’ motiviert, die übrigen 71% haben den alternativen Motivationspartner ‘Ursprung’ genannt. Sowohl it. ceppo ‘Baumstamm’ als auch it. ceppo ‘Ursprung’ stehen zu it. ceppo ‘Stumpf, Strunk’ in einer Kontiguitätsbeziehung. Denn der Stumpf ist ein Teil des Stammes und stellt nach dem Fällen des Baumes zum Beispiel auch den Teil dar, in dem der gefällte Baum seinen Ursprung gehabt hat. Selbst wenn es sich übrigens im Falle der Beziehung zwischen it. ceppo ‘Familie, Geschlecht, Stamm’ und ceppo ‘Stumpf, Strunk’ um rein metaphorische Similarität handeln würde, dann wäre dennoch in Bezug auf die übliche Motivationsrichtung die falsche Einheit als Stimulus vorgegeben worden. Kurzum kommen also bei diesem Stimulus gleich mehrere motivationsbehindernde Gründe für die Opazität zusammen. Strenggenommen könnte es sich ähnlich wie bei it. ceppo auch bei der Beziehung zwischen fr. flanc ‘Flügel einer Mannschaft oder Armee’ (Tab. 18, (g)) und fr. flanc ‘Flanke eines Tieres’, die bei der Stimulusauswahl als metaphorische Beziehung angesehen wurde (Gruppe E/ MET), um eine andere Beziehung oder gar tendenzielle Opazität handeln, zwei Möglichkeiten, durch die die Motivierbarkeit vermindert worden sein könnte. 39 Zudem ist leider die Definition, die zusammen mit dem Stimulus im Fragebogen angegeben wurde, ambig. Wörtlich bedeutet ‘parte inferiore di una pianta legnosa’ nicht ‘Stumpf, Strunk’, sondern ‘unterer Teil des Baumes’, was auch als Stamm interpretiert werden könnte. Selbst der Beispielsatz „Rimase solo il ceppo dell’albero“ ist strenggenommen ambig, da der Satzkontext alleine sowohl das Übrigbleiben eines Stumpfes nach Fällen des Baumes als auch das Übrigbleiben des Stammes nach dem Fällen und Entlauben des Baumes evozieren kann. In der Polysemiedatenbank kommt zwar die Bedeutung ‘Baumstamm’ für ceppo nicht vor, doch ist es dennoch eine Bedeutung von ceppo. <?page no="171"?> 171 Insgesamt wurde fr. flanc nur von 36% der Informanten motiviert (s. Tab. 18, (g)). Von dieser Minderheit nannten 89% den Motivationspartner fr. flanc ‘Flanke eines Tieres oder Menschen’, der allgemeiner gefasst ist als der aus der Tübinger Polysemiedatenbank vorhergesagte intrinsische Motivationspartner ‘Flanke eines Tieres’. Der Flügel einer Mannschaft oder Armee ähnelt zwar der Flanke eines Tieres (oder Menschen) darin, dass sich beide auf der Seite von etwas befinden, doch sind sie nicht zwei unterschiedliche Vertreter derselben Kategorie - es sei denn, man möchte eine so abstrakte Kategorie wie Teile, die sich an der Seite ihres Ganzen befinden, annehmen - wodurch die Relation der kotaxonomischen Similarität wohl kaum in Frage kommt. Zudem besteht selbstverständlich die Möglichkeit, dass unabhängig von der Art der Beziehung, die zwischen den beiden Konzepten bestehen könnte, diese Beziehung aus synchroner Perspektive ganz einfach opak ist. 40 Im Rahmen der Überprüfung vor allem der Hypothese 3 müssen die Stimuli it. ceppo und fr. flanc also mit Vorsicht genossen werden und werden daher später in der Gesamtzählung der Tabellen 25 und 26 nicht berücksichtigt. Weitere problematische Stimuli: Auch unter den Stimuli der Gruppen E und K, die von der Mehrheit der Informanten als motiviert eingestuft worden sind, haben sich zwei Stimuli als problematisch herausgestellt, weshalb sie aus der Gesamtzählung der Tabellen 25 und 26 ausgeschlossen werden müssen. Es handelt sich um it. inghiottire ‘versehentlich herunterschlucken’ und fr. attraction ‘Programmpunkt, der eine große Anziehungskraft hat’. It. inghiottire war in Tabelle 9 (o) als Stimulus für die Gruppe K/ KON ausgesucht worden, da eine Kontiguitätsbeziehung zum potentiellen intrinsischen Motivationspartner it. inghiottire ‘schlucken’ angenommen wurde, weil man ja, wenn man sich verschluckt, auch etwas schluckt. Die in Tabelle 23 (g) dargestellten Ergebnisse zu diesem Stimulus sind auch genau so, wie es die Hypothesen erwarten ließen. Da der Stimulus formal komplex ist und zudem intrinsisch eine Kontiguitätsbeziehung zu ‘schlucken’ besteht, wurde it. inghiottire ‘versehentlich herunterschlucken’ mehrheitlich extrinsisch motiviert. Bei genauerer Betrachtung sind jedoch Zweifel am Vorhandensein einer Kontiguitätsrelation berechtigt, da das versehentliche Herunterschlucken von etwas ja auch eine besondere Art 40 Was diesbezüglich ergänzend unternommen werden könnte, wäre mit Schritt 2 der Tübinger Zweischrittmethode, auf den im Rahmen dieser Arbeit nur am Rande hingewiesen wurde (s. Abschnitt 4.3.2), für alle tatsächlich genannten und potentiellen Motivationspartner zu überprüfen, welche konzeptuelle Relation die Informanten nun tatsächlich zwischen den lexikalischen Einheiten empfinden. Dies würde aber weit über die Zielsetzungen dieser Arbeit hinausgehen, deren Thema die theoretische und empirische Herausarbeitung der Bedeutung der Polysemie als Motivationsverfahren ist. <?page no="172"?> 172 des Schluckens darstellt, und zwar ungewolltes, automatisches Schlucken. Bei dieser Interpretation besteht folglich eine taxonomische Beziehung zwischen den beiden Bedeutungen. Da diese Frage ohne zusätzliche Informantenbefragungen nicht gelöst werden kann (vgl. die vorherige Fußnote zu it. ceppo und fr. flanc), wird it. inghiottire vorsichtshalber aus der Betrachtung der Hypothesen 1 bis 3 ausgeschlossen. Bei fr. attraction ‘Programmpunkt, der eine große Anziehungskraft hat’, das ebenfalls als Stimulus für die Gruppe K/ KON ausgesucht worden war (s. Tab. 10, (o)), sind die Verhältnisse ähnlich wie bei dem oben besprochenen it. ceppo, da die Beziehung zwischen ‘Programmpunkt, der eine große Anziehungskraft hat’ und der Bedeutung des potentiellen intrinsischen Motivationspartners, nämlich fr. attraction ‘physikalische Anziehungskraft’, strenggenommen keine direkte Beziehung ist. Es besteht zunächst eine Kontiguitätsbeziehung zwischen ‘Programmpunkt, der eine große Anziehungskraft hat’ und der Bedeutung ‘Anziehungskraft (von etwas, das attraktiv oder interessant ist)’, die wiederum in einer metaphorischen Ähnlichkeitsbeziehung zu ‘physikalische Anziehungskraft’ steht. Anders als die Hypothesen es für lexikalische Einheiten der Gruppe K/ KON annehmen, wurde der Stimulus von der Mehrheit der Informanten (75%) intrinsisch motiviert (s. Tab. 24, (g)). Da dies aber genau das Ergebnis ist, das die Hypothesen für die Stimuli der Gruppe K/ MET annehmen, ist davon auszugehen, dass die in der zweischrittigen Relation enthaltene metaphorische Similarität ausschlaggebend für die Art der erfolgten Motivation war und die Ergebnisse folglich die Gesamtanalyse verfälschen würden, da der Stimulus kein Vertreter der Gruppe K/ KON ist. Ohne die als problematisch eingestuften Stimuli it. ceppo, it. inghiottire, fr. flanc und fr. attraction verändern sich die Prozentzahlen aus Tabelle 16 geringfügig: Französisch Italienisch Gruppe E (formal einfach) 93% 93% Gruppe K (formal komplex) 93% 93% Tab. 16b: Prozentsatz der motivierten Stimuli aus den Gruppen E und K ohne problematische Stimuli <?page no="173"?> 173 Tatsächlich motivierte Stimuli: Insgesamt lässt sich für die von der Mehrheit der Informanten als motiviert eingeordneten Stimuli der Gruppen E und K nun in Bezug auf die Hypothesen 1 bis 3 Folgendes sagen: Hypothesen 1 und 2: Sieht man sich die Daten pauschal daraufhin an, ob formal komplexe lexikalische Einheiten eher extrinsisch (Hypothese 1) und formal einfache lexikalische Einheiten eher intrinsisch (Hypothese 2) motiviert werden, kann Hypothese 2 zunächst bestätigt werden. Denn sowohl im Französischen als auch im Italienischen wurden 100% der als motiviert eingestuften Stimuli der Gruppe E überwiegend intrinsisch motiviert (s. Tab. 25). Was Hypothese 1 angeht, sind die Verhältnisse etwas komplexer. Wie aus Tabelle 25 hervorgeht, wurden im Italienischen in der Gruppe K 57% der Stimuli überwiegend intrinsisch motiviert, im Französischen sogar 64%, anstatt, wie es Hypothese 1 voraussagt, extrinsisch motiviert zu werden. Auf den ersten Blick sprechen die Daten also gegen Hypothese 1. Gruppe E (formal einfach) Gruppe K (formal komplex) Italienisch Französisch Italienisch Französisch Prozent der motivierten Stimuli, die von der Mehrheit der Informanten intrinsisch motiviert wurden 100% 100% 57% 64% Prozent der motivierten Stimuli, die von der Mehrheit der Informanten extrinsisch motiviert wurden 0% 0% 36% 36% Prozent der motivierten Stimuli, die intrinsisch von gleich vielen Informanten wie extrinsisch motiviert wurden 0% 0% 7% 0% Tab. 25: Intrinsische versus extrinsische Motivation (motivierte Stimuli) 41 Dennoch ist Hypothese 1 damit nicht widerlegt. Unter dem Gesichtspunkt, dass aufgrund der Existenz lexikalischer Polysemie fast jede lexi- 41 Ohne die als problematisch eingestuften Stimuli it. ceppo, it. inghiottire, fr. flanc und fr. attraction, s. Tab. 16b. <?page no="174"?> 174 kalische Einheit auch intrinsisch motiviert werden kann, muss man sich zunächst die Frage stellen, unter welchen Bedingungen formal komplexe lexikalische Einheiten denn nun extrinsisch motiviert werden, wenn die formale Komplexität nicht das entscheidende Kriterium ist. Die Rolle von Frequenz und Salienz: Überprüft werden müssen an dieser Stelle die Frequenz- und Salienzverhältnisse der Stimuli und Motivationspartner, wenn man davon ausgeht, dass weniger saliente und frequente lexikalische Einheiten leichter in Bezug auf salientere und frequentere Einheiten motiviert werden können als umgekehrt, wie an verschiedenen Stellen dieser Arbeit bereits angedeutet wurde. In der Gruppe K/ MET ist zu beobachten, dass tendenziell die genannten intrinsischen Motivationspartner auch salienter sind als die Stimuli. Dies gilt zum Beispiel für it. grandezza ‘räumliche Größe’ (S 14) in Bezug auf it. grandezza ‘Größe i.S.v. Macht, Einfluss, Ruhm’ (S 6; s. Tab. 22, (a)). Die Bedeutungen der von einer Minderheit genannten extrinsischen Motivationspartner it. grande ‘bedeutend, wichtig, beeindruckend’ (S 8) und it. grande ‘räumlich groß’ (S 15) sind zwar jeweils auch salienter als die Stimulusbedeutung, doch ist die Form dieser Motivationspartner, nämlich it. grande, weniger frequent als die Form des Stimulus (F 8 gegenüber F 31), weshalb eventuell der intrinsische Motivationspartner vorgezogen wurde, dessen Bedeutung salienter und dessen Form gleich frequent wie diejenige des Stimulus ist. Doch können solchen Beispielen gegenüber Fälle angeführt werden, in denen weder die Frequenz noch die Salienz eine Erklärung für die Wahl eines intrinsischen Motivationspartners bieten. Der parallele französische Stimulus fr. grandeur ‘Größe i.S.v. Macht, Einfluss, Ruhm’ (S 12) ist so zum Beispiel zwar ebenfalls weniger salient als sein wichtigster Motivationspartner fr. grandeur ‘räumliche Größe’ (S 14), doch hätten sich auch extrinsische Motivationspartner mit der Form fr. grand als wichtigste Motivationspartner angeboten, da die Form fr. grand deutlich frequenter ist (F 810) als die Form des Stimulus (F 35; vgl. Tab. 22, (b)). Ein weiterer Fall dieser Art ist it. provenire ‘etymologisch herkommen’, das überwiegend intrinsisch motiviert wurde (zu 52%, vgl. Tab. 21, (c)). Von den wichtigsten intrinsischen Motivationspartnern, nämlich it. provenire ‘räumlich von irgendwo herkommen’ und it. provenire ‘von irgendwo herkommen, stammen’ sind beide zwar wieder salienter als der Stimulus (S 9 und S 14 gegenüber S 3), doch hätte sich unter den von einer Minderheit genannten extrinsischen Motivationspartnern aus der Perspektive der Frequenz und der Salienz it. venire ‘räumlich von irgendwo herkommen’ viel besser als wichtigster Motivationspartner geeignet, da nicht nur seine Bedeutung salienter, sondern auch seine Form <?page no="175"?> 175 um ein Vielfaches frequenter ist als diejenige des Stimulus (S 10 und F 761 gegenüber S 3 und F 31). Zusammen mit den übrigen Beispielen der Gruppe K (vgl. Tab. 21 bis 24) ergibt sich ein sehr heterogenes Bild, was die Bedeutung der Frequenz- und Salienzverhältnisse für die Wahl eines intrinsischen oder extrinsischen Motivationspartners angeht. Aus diesem Grunde können weder die Frequenz noch die Salienz der lexikalischen Einheiten als ausschlaggebender Grund für die Wahl eines bestimmten Motivationspartners angeführt werden. Hypothese 3: Etwas klarer wird das Bild, sobald man die Hypothesen 1 und 2 nicht alleine betrachtet, sondern auch Hypothese 3 in die Analyse der Daten einbezieht (s. auch Marzo 2011). Laut Hypothese 3 wird eher in den Fällen intrinsisch motiviert, in denen eine metaphorische Similarität zum potentiellen intrinsischen Motivationspartner besteht, als wenn eine Kontiguitätsrelation zum potentiellen intrinsischen Motivationspartner besteht. Gruppe E/ MET Gruppe E/ KON Gruppe K/ MET Gruppe K/ KON It. Fr. It. Fr. It. Fr. It. Fr. Motivierte Stimuli, die intrinsisch motiviert wurden 100% 100% 100% 100% 86% 75% 29% 50% Motivierte Stimuli, die extrinsisch motiviert wurden 0% 0% 0% 0% 14% 25% 57% 50% Motivierte Stimuli, die intrinsisch u. extrinsisch von gleich vielen Informanten motiviert wurden 0% 0% 0% 0% 0% 0% 14% 0% Tab. 26: Metaphorische Similarität versus Kontiguität (motivierte Stimuli) <?page no="176"?> 176 In Tabelle 26 sind daher die Prozentzahlen der intrinsisch und extrinsisch motivierten Stimuli detaillierter als in Tabelle 25 danach sortiert, ob es sich um metaphorische Similarität (E/ MET und K/ MET) oder Kontiguität (E/ KON und K/ KON) handelt (ohne die als problematisch eingestuften Stimuli, s. Tab. 16b). Wie Hypothese 2 annimmt, wurde die Mehrheit der formal einfachen metaphorischen Untergruppe E/ MET (100%) und der formal einfachen Kontiguitätsgruppe E/ KON (100%) in beiden Sprachen überwiegend intrinsisch motiviert. Zunächst sieht es also so aus, als ob Hypothese 3 für die formal einfache Gruppe E nicht zuträfe. Die in den Tabellen 17 bis 20 dargestellten Ergebnisse pro Stimulus zeigen jedoch, dass die mehrheitlich intrinsisch motivierten Stimuli der metaphorischen Gruppe E/ MET in beiden Sprachen insgesamt von mehr Informanten als motiviert klassifiziert worden sind als die Stimuli der Gruppe E/ KON (vgl. die Durchschnitte in Tab. 27). Im Schnitt sind dies in der italienischen Gruppe E/ MET circa 97%, wohingegen es in der italienischen Gruppe E/ KON nur 94% der Informanten sind. In der französischen Gruppe E/ MET liegt der Schnitt der Informanten, die die betreffenden Stimuli als motiviert eingestuft haben, bei ungefähr 97%, in der französischen Gruppe E/ KON hingegen bei nur 93%. Die Unterschiede in den Prozentzahlen sind freilich nicht sehr groß, doch ist bezeichnend, dass sie alle in dieselbe Richtung weisen. Die Bestätigung der Hypothese 2 bedeutet also nicht, dass Hypothese 3 verworfen werden muss, denn die von Hypothese 3 angenommene Tendenz, dass eher bei intrinsischer metaphorischer Similarität als bei intrinsischer Kontiguität intrinsisch motiviert wird, zeigt sich im Prozentsatz der Informanten, die die Stimuli als intrinsisch motiviert eingestuft haben. E/ MET E/ KON K/ MET K/ KON Italienisch 97% 94% 78% 65% Französisch 97% 93% 81% 72% Tab. 27: Durchschnitt der Prozentsätze der Sprecher, die die mehrheitlich intrinsisch motivierten Stimuli intrinsisch motiviert haben Zudem kann man feststellen, dass in der Gruppe E/ MET tendenziell weniger intrinsische Motivationspartner genannt werden und, wenn es dennoch unterschiedliche intrinsische Motivationspartner gibt, meist einer dabei ist, der sehr dominant ist (vgl. die Ergebnisse in den Tab. 17 u. 18). In der Gruppe E/ KON wird hingegen tendenziell eine größere Anzahl an intrinsischen Motivationspartnern genannt, was in einigen Fällen dazu führt, dass der dominante Motivationspartner nur eine sehr knappe <?page no="177"?> 177 Mehrheit hat (s. besonders it. luce in Tab. 19, (e) und fr. tête in Tab. 20, (b) sowie insgesamt die Tab. 19 und 20). Differenzierter sind die Ergebnisse der Gruppe K. Wie anhand von Tabelle 25 bereits gezeigt wurde, ist die Mehrheit der Stimuli der Gruppe K nicht wie von Hypothese 1 angenommen extrinsisch, sondern intrinsisch motiviert worden. Sieht man sich nun die Ergebnisse aufgeschlüsselt nach den Gruppen K/ MET und K/ KON in Tabelle 26 an, bestätigt die Gruppe K/ MET in beiden Sprachen, was sich bereits für die Gruppen E/ MET und E/ KON gezeigt hat. Steht ein potentieller intrinsischer Motivationspartner in einer metaphorischen Relation zum Stimulus, wird auch überwiegend intrinsisch motiviert. In der italienischen formal komplexen Gruppe K/ MET wurden 86% der Stimuli überwiegend intrinsisch motiviert, in der französischen Gruppe K/ MET betrifft dies 75% der Stimuli. Interessant ist, dass hier trotz der Konkurrenzsituation zwischen potentiellen intrinsischen und extrinsischen Motivationspartnern mehr Stimuli intrinsisch als extrinsisch motiviert wurden. Die Konkurrenz zu extrinsischen Motivationspartnern wirkt sich in beiden Sprachen für die mehrheitlich intrinsisch motivierten Stimuli der Gruppe K/ MET nur insofern aus, als die Mehrheit der Informanten, die die Stimuli intrinsisch motiviert haben, im Schnitt etwas kleiner ausfällt als in der Gruppe E/ MET, da in der Gruppe K/ MET einige wenige Informanten eben doch auch bei den mehrheitlich intrinsisch motivierten Stimuli einen extrinsischen Motivationspartner bevorzugt haben. In der italienischen Gruppe K/ MET liegt dieser Schnitt bei 78% im Gegensatz zu 97% für die Gruppe E/ MET, in der französischen Gruppe K/ MET handelt es sich um einen Schnitt von 81% gegenüber 97% in Gruppe E/ MET (s. Tab. 27). Insgesamt scheint sich also auch für formal komplexe Einheiten zu bestätigen, was in den Abschnitten 5.1.3 und 5.1.4 über die Motivierbarkeit und Wahrnehmbarkeit von Metaphern gesagt wurde. Neu ist in den Daten der hier beschriebenen Informantenbefragung aber die Tatsache, dass selbst bei formaler Komplexität, also in den meisten Fällen potentieller formaler Zerlegbarkeit, die Informanten eher intrinsisch als extrinsisch motivieren, sofern intrinsisch eine Metapher besteht. Was die Hypothesen angeht, kann für die Gruppe K/ MET folglich gesagt werden, dass Hypothese 1, die tendenzielle extrinsische Motivierbarkeit für formal komplexe Fälle annimmt, nicht automatisch zutrifft, sondern mit Hypothese 3 interagiert, da tendenziell eher intrinsisch motiviert wird, wenn intrinsisch eine generell gut wahrnehmbare metaphorische Similarität besteht. Für die Gruppe K/ KON geht Hypothese 3 davon aus, dass ein potentieller intrinsischer Motivationspartner, der in dieser Gruppe über Kontiguität mit dem Stimulus zusammenhängt, nicht so selbstverständlich als tatsächlicher Motivationspartner gewählt wird wie die potentiellen intrin- <?page no="178"?> 178 sischen Motivationspartner der Gruppe K/ MET. Diesbezüglich stellt sich die Frage, ob in K/ KON gegenüber K/ MET bei den intrinsisch motivierten Stimuli im Schnitt weniger Informanten den Stimulus als intrinsisch motiviert bezeichnen und sich also der Unterschied zwischen metaphorischer Similarität und Kontiguität im Prozentsatz der Informanten widerspiegelt, die die Stimuli intrinsisch motiviert haben. Damit zusammen hängt in Bezug auf Hypothese 1 die Frage, ob die Informanten in der formal komplexen Gruppe K/ KON mehrheitlich auf extrinsische Motivationspartner ausweichen. Auch diesbezüglich soll wie oben für die Gruppe K/ MET gegenüber E/ MET hier für die Gruppe K/ KON gegenüber E/ KON überprüft werden, ob sich ein prinzipieller Unterschied zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation darin niederschlägt, wieviele der Informanten im Schnitt die Stimuli intrinsisch motiviert haben. Anhand der Tabellen 21-24 kann berechnet werden (s. Tab. 27), dass in Gruppe K/ KON gegenüber K/ MET in beiden Sprachen die intrinsisch motivierten Stimuli von weniger Informanten motiviert wurden. In der französischen Gruppe K/ KON sind es 72% der Informanten gegenüber einem Schnitt von 81% in K/ MET, in der italienischen Gruppe K/ KON handelt es sich um circa 65% der Informanten gegenüber einem Schnitt von 78% in K/ MET. Diese Zahlen bestätigen den prinzipiellen Unterschied zwischen der Motivierbarkeit intrinsischer Relationen, je nachdem, ob es sich um metaphorische Similarität oder Kontiguität handelt. Der Unterschied der Prozentzahlen für die Informanten der Gruppen K/ KON gegenüber K/ MET ist deutlich größer als derjenige der Gruppen E/ KON gegenüber E/ MET. Dies liegt daran, dass die Informanten in der formal einfachen Gruppe E/ KON wie in K/ KON zwar prinzipiell die Möglichkeit haben, extrinsisch zu motivieren, dies aber in der formal komplexen Gruppe K/ KON eher tun als in E/ KON. Was die Frage angeht, ob ein prinzipieller Unterschied zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivierbarkeit darin abzulesen ist, wieviele Informanten der formal komplexen Gruppe K/ KON gegenüber der formal einfachen Gruppe E/ KON die mehrheitlich intrinsisch motivierten Stimuli im Schnitt auch intrinsisch motiviert haben, lässt sich bestätigen, was für die Gruppen K/ MET gegenüber E/ MET bereits festgestellt wurde. In K/ KON wurden die intrinsisch motivierten Stimuli im Schnitt von weniger Informanten motiviert als in der Gruppe E/ KON. In der französischen Gruppe K/ KON handelt es sich um 72% der Informanten gegenüber 93% in E/ KON, im Italienischen sind es 65% der Informanten in K/ KON gegenüber 94% in E/ KON. Der Unterschied zwischen den Prozentsätzen für die Untergruppen K/ KON und E/ KON ist etwas größer als derjenige zwischen den Untergruppen K/ MET und E/ MET. Auch dies liegt daran, dass die Informan- <?page no="179"?> 179 ten in der Gruppe K/ KON die Möglichkeit wahrnehmen, auf extrinsische Motivation auszuweichen, da die intrinsische Motivierbarkeit durch die Kontiguitätsrelation eingeschränkt ist. In Tabelle 26 zeigen sich diesbezüglich allerdings Unterschiede zwischen dem Italienischen und dem Französischen. In der italienischen Gruppe K/ KON wurden 29% der Stimuli überwiegend intrinsisch, 57% überwiegend extrinsisch, und 14% der Stimuli zu gleichen Teilen intrinsisch und extrinsisch motiviert. Von den französischen Stimuli der Gruppe K/ KON wurde jeweils die Hälfte intrinsisch und extrinsisch motiviert. Man kann also vorerst festhalten, dass die italienischen Ergebnisse für Gruppe 2 sowohl Hypothese 1 als auch Hypothese 3 bestätigen. Die potentielle intrinsische Motivierbarkeit wird tendenziell eher nicht realisiert, da es sich intrinsisch um Kontiguitätsrelationen handelt (Hypothese 3). Da die Informanten bei formal komplexen lexikalischen Einheiten prinzipiell auch die Möglichkeit haben, extrinsisch zu motivieren, nehmen sie dies in der italienischen Gruppe K/ KON auch bei der Mehrheit der Stimuli wahr. Zusammenfassend gilt hier also, dass Hypothese 1 zwar bestätigt werden kann, aber in einer etwas eingeschränkten Form, da sie mit Hypothese 3 interagiert. Anders ausgedrückt wird bei formal komplexen Einheiten tendenziell intrinsisch motiviert, wenn es sich um metaphernbasierte Polysemie handelt, wohingegen extrinsisch motiviert wird, wenn es sich um kontiguitätsbasierte Polysemie handelt. Sowohl extrinsische als auch intrinsische Motivation hängen hier also davon ab, welche semantisch-konzeptuelle Relation zwischen einem Stimulus und seinem potentiellen intrinsischen Motivationspartner besteht. Die Ergebnisse für die französische Gruppe K/ KON bestätigen diese Interaktion der Hypothesen zwar nicht, jedoch widerlegt ein ausgeglichenes Ergebnis von jeweils 50% intrinsisch und extrinsisch motivierten Stimuli die Hypothesen und ihre Interaktion auch nicht (s. Tab. 26). Vielmehr muss man sich fragen, wie es zu diesem Ergebnis kommt. Angesichts der Tatsache, dass sich - wie bereits gezeigt - im Nachhinein nicht alle Stimuli als geeignete Vertreter der jeweiligen Gruppen herausgestellt haben, liegt zunächst die Frage nahe, ob es vielleicht an den Stimuli selbst liegt. Da die Relationen im Laufe der Analyse der Daten mehrfach daraufhin überprüft worden sind, ob es sich tatsächlich um die Relationen der Kontiguität und der metaphorischen Similarität handelt, und problematische Fälle aus der Zählung ausgeschlossen worden sind, gehe ich im Folgenden davon aus, dass die Auffälligkeit der französischen Gruppe K/ KON nicht über die Frage zu lösen ist, ob es sich intrinsisch überhaupt um Kontiguität handelt. Vielmehr muss überprüft werden, ob in den Daten nicht nur ein Unterschied zwischen metaphorischer Similarität und Kontiguität besteht, sondern sich zusätzlich einzelne Un- <?page no="180"?> 180 tertypen dieser Relationen in ihrer Motivierbarkeit voneinander unterscheiden. Zum Beispiel könnte so im Bereich der Kontiguität ein Unterschied zwischen einer Ursache-Folge-, einer Behältnis-Inhalt- oder einer Teil-Ganzes-Relation bestehen, um nur ein paar von vielen kontiguitätsbasierten Relationen herauszugreifen (zum unterschiedlichen Verständnis verschiedener Typen von Metaphern s. den Überblick in Paivio/ Walsh 2 1993). Damit eng verbunden ist die Frage, wie es sich mit der Eigenständigkeit der Konzepte und damit auch der Bedeutungen polysemer Wörter insgesamt verhält. Denn Unterschiede in der Eigenständigkeit der Konzepte könnten dazu führen, dass bestimmte potentielle intrinsische Motivationspartner nicht genannt werden, da ihre Bedeutung nicht als eigenständig wahrgenommen wird, andere hingegen schon, da ihre Bedeutung sehr deutlich eigenständig ist. Diesen Fragen muss natürlich in allen Stimulusgruppen nachgegangen werden, selbst wenn nur die Ergebnisse der Gruppe K/ KON in Bezug auf die Hypothesen 1 bis 3 auffällig sind. Einfluss des Typs von Kontiguität auf Motivierbarkeit: Bei genauerer Betrachtung der Stimuli sowie ihrer potentiellen und tatsächlichen Motivationspartner deutet sich nun auch tatsächlich an, dass es erhebliche Unterschiede in der Motivierbarkeit geben kann, je nachdem, um welchen Typ von Kontiguität es sich handelt. Die relativ kleinen Stimulusgruppen dieser Studie erlauben es nicht, verallgemeinernde Aussagen über jeden Typ von Kontiguitätsrelation zu treffen, da nicht jeder Typ gleich häufig beziehungsweise überhaupt vertreten ist. Eine Art von kontiguitätsbasierter Relation, die trotzdem heraussticht und Anlass zur Annahme gibt, dass eine feinkörnigere Unterscheidung der semantischkonzeptuellen Relationen in verschiedene Typen kontiguitätsbasierter und similaritätsbasierter Relationen Aufschluss über die Motivierbarkeit von lexikalischen Einheiten gibt, sind Teil-Ganzes-Relationen. In den Daten der K-Gruppen ist zu beobachten, dass in denjenigen Fällen, in denen eine Teil-Ganzes-Relation zwischen einem Stimulus und seinem potentiellen intrinsischen Motivationspartner besteht, formal komplexe lexikalische Einheiten eher extrinsisch motiviert werden und formal einfache lexikalische Einheiten entweder als opak eingestuft werden oder die Mehrheit der Informanten, die den Stimulus dennoch motiviert, tendenziell eine etwas kleinere Mehrheit darstellt als bei anderen Kontiguitätsrelationen. So wurden it. giorno ‘Gegenteil der Nacht, Zeit der Helligkeit’ (Tab. 19, (f)) und fr. jour ‘Tag i.S.v. Zeitspanne von 24 Stunden’ (Tab. 20, (d)) - wie bereits erwähnt - von der Mehrheit der Informanten als opak eingestuft. Fr. conférence ‘Vortrag’ (Tab. 24, (b)) und fr. respiration ‘Atemzug’ (Tab. 24, (c)), die beide Teile eines Ganzen sind (von fr. conférence ‘Konferenz’ und <?page no="181"?> 181 fr. respiration ‘Atmung’) wurden dementsprechend von allen Informanten, die sie überhaupt motiviert haben (nur 24% bzw. 52%), extrinsisch motiviert. Einen weniger radikalen Fall stellt fr. bar ‘Tresen’ (Tab. 20, (e)) dar, das von 60% der Informanten motiviert wurde, wovon 80% eine Beziehung zu fr. bar ‘Bar als Gaststätte’ hergestellt haben. Eine mögliche Erklärung für die bessere intrinsische Motivierbarkeit und für Motivierbarkeit überhaupt dieses Stimulus ist, dass die Teil-Ganzes-Relation weniger zwingend ist als in den anderen Fällen. Denn ein Tresen kann durchaus außerhalb einer Gaststätte vorkommen, wie zum Beispiel als Trennung zwischen Küche und Wohnraum, wohingegen Atmung ohne Atemzüge nicht existiert, ein Zeitraum von 24 Stunden immer auch eine Zeitspanne einschließt, in der es hell ist (zumindest in Frankreich und Italien), und Konferenzen ohne Vorträge zwar denkbar (Stichwort Posterpräsentationen), aber höchst unwahrscheinlich und nicht prototypisch sind. An dieser Stelle muss noch einmal auf das in Abschnitt 5.1.4 bereits erwähnte Kontingenzkriterium von Panther und Thornburg (z.B. 2007: 240- 241) zurückgegriffen werden. Dieses Kriterium besagt, dass es sich nur um Konzeptuelle Metonymien handelt, wenn die involvierten Konzepte logisch nicht zwingend zusammenhängen. Laut Panther und Thornburg (2007: 240) kann eine echt metonymische Beziehung prinzipiell aufgelöst werden. Sie zeigen dies an einem Fall, der dem Beispiel engl. hamsandwich sehr ähnlich ist: For example, in a hospital context where one nurse says to another, The ulcer in room 506 needs a special diet, the link between the ulcer in room 506 and the patient with an ulcer in room 506 is a contingent link; it is not conceptually necessary that the ulcer belongs to the patient in room 506. (Panther/ Thornburg 2007: 240-241) 42 In Bezug auf die eben genannten Fälle fr. bar, fr. jour, it. giorno, fr. conférence und fr. respiration kann man nun sagen, dass die Kontiguitätsrelation zwischen fr. bar ‘Tresen’ und fr. bar ‘Bar als Gaststätte’ die einzige ist, die wirklich frei von jeder logischen Notwendigkeit ist, da ein Tresen keine Bar und eine Bar keinen Tresen voraussetzt, anders als dies zum Beispiel bei LOSS und NONPOSSESSION ist, da dem Ereignis des Verlustes notwendi- 42 Das Kriterium der Kontigenz findet auch in Cruse/ Croft (2004: 217) Anklang. Jedoch führen sie es nicht an, um Metonymie von anderen Kontiguitätsrelationen abzugrenzen, sondern um verschiedenen Metonymietypen voneinander zu unterscheiden. Interessant ist, dass sie Teil-Ganzes-Relationen insgesamt zu den inhärenten, notwendigen Relationen zählen, obwohl es, wie oben gezeigt, auch unter den Teil-Ganzes-Relationen Unterscheidungsmöglichkeiten (und damit erhebliche Unterschiede) gibt, die Croft und Cruse übrigens an anderer Stelle selbst detailliert diskutieren (2004: 151-163). <?page no="182"?> 182 gerweise der Zustand des Nichthabens folgt (Panther/ Thornburg 2007: 241; s. auch Abschnitt 5.1.4). In den Fällen fr. jour, it. giorno, fr. respiration und bis zu einem gewissen Grade auch fr. conférence hingegen hängen die jeweiligen Teile und das jeweilige Ganze konzeptuell notwendigerweise zusammen, da die Ganzen die jeweiligen Teile voraussetzen, 43 also der Vorgang der Atmung notwendigerweise aus Atemzügen besteht, ein Zeitraum von 24 Stunden in Frankreich und Italien automatisch eine Phase der Helligkeit beinhaltet und Konferenzen aus Einzelbeiträgen bestehen. 44 Zusammenfassend kann man aber auf jeden Fall festhalten, dass Unterschiede in der Motivierbarkeit bestimmter Stimuli zwar teilweise über das Vorhandensein einer notwendigen konzeptuellen Relation zu einem anderen Konzept erklärt werden können. Da eine solche Erklärung aber nicht für alle etwas besser motivierbaren Stimuli, die einen Teil oder ein Ganzes bezeichnen, möglich ist (s. z.B. fr. terre ‘Erde als Material’ in Tab. 20, (f)), muss diese Beobachtung mit Vorsicht genossen werden und müsste anhand einer größeren Datenmenge verifiziert werden. An dieser Stelle kann jedoch auf jeden Fall festgehalten werden, dass einerseits ein prinzipieller Unterschied zwischen Teil-Ganzes-Relationen und anderen Kontiguitätsrelationen diejenige Literatur bestätigen würde, die diese Relationen zwar wie andere über Kontiguität definieren, sie von den anderen kontiguitätsbasierten Relationen jedoch dennoch trennen, wie zum Beispiel Lakoff und Johnson (1980: 38) sowie Gibbs (1994: 324ff.) dies tun. Andererseits spiegelt auch die Tatsache, dass es Unterschiede selbst zwischen verschiedenen Teil-Ganzes-Relationen zu geben scheint, wider, was in der Literatur dokumentiert ist. Laut Chaffin und Herrmann (1984: 137) zum Beispiel unterscheiden Muttersprachler des Englischen, wenn sie darum gebeten werden, Wortpaare, zwischen denen unterschiedliche semantische Relationen bestehen, zu Gruppen zu sortieren, unter den potentiellen Teil-Ganzes-Paaren diejenigen, in denen die Teile deutlich ausmachbar und gut abtrennbar sind von denjenigen, in denen die Teile weniger gut ausmachbar und abtrennbar sind. Das oben genannte Beispiel fr. bar ‘Tresen’, dessen Referenten auch ohne die Gaststätte 43 Dies bedeutet auch, dass die involvierte construal operation (s. auch Abschnitt 5.1.4) in den Fällen von fr. jour, it. giorno, fr. conférence und fr. respiration diejenige der relationality (entity/ interconnection) ist (s. hierzu Croft/ Cruse 2004: 67-69), die ja gerade darauf beruht, dass ein Konzept ein anderes voraussetzt. 44 Es scheint also, dass, anders als Panther und Thornurg (z.B. 2007: 241 u. 248) dies sehen, durchaus auch Teil-Ganzes-Beziehungen existieren, die dem Kontigenzkriterium nicht gerecht werden. Je nachdem, wieviel Gewicht man diesem Kriterium nun beimisst, könnte man sich also fragen, inwiefern es sich bei den hier vorgestellten Kontiguitätsrelationen überhaupt um echte Metonymien handelt. Laut Panther und Thornburg wären es zwar Fälle von entailment, nicht aber von Metonymie. <?page no="183"?> 183 existieren und somit leichter ausmachbar und isolierbar sind als die anderen besprochenen Fälle, weisen ebenfalls in diese Richtung. Eigenständigkeit von Konzepten und Bedeutungen: Das Problem der leichter oder schwieriger ausmachbaren Teile eines Ganzen, sei es auf der Ebene der konkreten Referenten, sei es auf der Ebene der Bedeutungen und Konzepte, steht, wie durch das Hinzuziehen des Kontingenzkriteriums von Panther und Thornburg bereits angedeutet, in engem Zusammenhang mit der Frage nach der Eigenständigkeit von Konzepten und damit Bedeutungen. Die Definition der Konzeptuellen Metonymie über das Kontingenzkriterium ist im Zusammenhang mit der von Croft und Cruse (2004) gestellten Abgrenzung von Facetten gegenüber eigenständigen Bedeutungen zu sehen. Wie in Abschnitt 3.1 erläutert, können Facetten einer Bedeutung, die auf den ersten Blick auf unterschiedliche Referenten verweisen wie zum Beispiel im Fall von engl. book ‘Buch als Objekt’ und engl. book ‘Buch als Inhalt’ nicht eigenständigen Konzepten zugeordnet werden. Nach Cruse und Croft (2004: 122) liegt der Grund dafür darin, dass sich die beiden Konzepte in einer funktionellen Symbiose befinden, in dem Sinne, dass das Objekt Buch und der Inhalt des Objektes prototypischerweise gemeinsam vorkommen. So gesehen ist die Kontiguitätsrelation zwischen den beiden erwähnten Lesarten von engl. book auf dieselbe Art und Weise notwendig wie beispielsweise die Relation zwischen fr. respiration ‘Atemzug’ (Tab. 24, (c)) und fr. respiration ‘Atmung’. Die Paralle zwischen unselbstständigen Facetten in der Art von engl. book und Teil-Ganzes-Relationen hinkt zwar insofern, als die Definition von Croft und Cruse (2004: 116) zwei Facetten als Teile eines Ganzen ausweist („distinguishable components of a global whole“) und nicht als ein Teil und als ein Ganzes. Deshalb wird hier auch Abstand davon genommen, Teil-Ganzes-Relationen prinzipiell als Facetten zu sehen. Dennoch zeigt sowohl Crofts und Cruse‘ Definition der Facetten als auch ihre Diskussion der Beispiele, dass Ganze und ihre Teile (egal ob eine und wenn ja welche Facette genau im Kontext profiliert wird) konzeptuell in vielen Fällen notwendigerweise zusammenhängen und es daher nicht verwunderlich ist, wenn genau diese Fälle in Motivationstests besonders schlecht abschneiden. 45 45 Wie bereits erwähnt, erlauben es die hier untersuchten Stimulusgruppen nicht, verallgemeinernde Aussagen über jeden Typ von Kontiguitätsrelation zu treffen, da nicht alle Typen gleich häufig bzw. überhaupt vorkommen. Die Tatsache, dass ein Typ von Kontiguitätsrelationen, genauer Teil-Ganzes-Relationen, schlechter motivierbar ist als andere Kontiguitätsrelationen, wirft auch die Frage auf, welche Typen von Kontiguitätsrelationen denn am besten motivierbar sind und inwieweit diese sich dann noch von der Motivierbarkeit der Metaphern bzw. metaphorischen <?page no="184"?> 184 In Abschnitt 3.1 wurde das Polysemieverständnis dieser Arbeit neben dem Kriterium des Vorhandenseins einer semantisch-konzeptuellen Relation und dem Fehlen einer funktionellen Symbiose auch über die Frage der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Referentenklassen definiert. Für die oben genannten Beispiele fr. jour, it. giorno, fr. conférence und fr. respiration stellt sich die Frage, welchen Referentenklassen die jeweiligen Bedeutungen zugeordnet werden können. Es scheint offensichtlich, dass das Ergebnis davon abhängt, auf welcher Abstraktionsebene man die Referentenklassen definiert. It. giorno ‘Gegenteil der Nacht, Zeit der Helligkeit’ (Tab. 19, (f)) und fr. jour ‘Tag i.S.v. Zeitspanne von 24 Stunden’ (Tab. 20, (d)) referieren im Vergleich mit ihren potentiellen intrinsischen Motivationspartnern it. giorno ‘Zeitraum von 24 Stunden’ und fr. jour ‘Gegenteil der Nacht, Zeit der Helligkeit’ nicht auf dieselben Ausschnitte eines Zeitraumes von 24 Stunden und dadurch auf den ersten Blick nicht auf dieselbe Referentenklasse. Abstrahiert man jedoch von den einzelnen Zeitausschnitten, könnte man hingegen für beide die Referentenklasse der Zeiteinheiten oder Zeitausschnitte ansetzen. Die Referenten von fr. conférence ‘Vortrag’ (Tab. 24, (b)) und fr. respiration ‘Atemzug’ (Tab. 24, (c)) gehören ebenfalls nicht derselben Referentenklasse an wie diejenigen von fr. conférence ‘Konferenz’ und fr. respiration ‘Atmung’, wenn man in einem Fall zwei Klassen Vortrag und Veranstaltung mit Vorträgen, im anderen Fall die Klassen Atemzug und Atmung definiert. Abstrahiert man jedoch von diesen Klassen und spricht man von einer Klasse Veranstaltung mit mindestens einer Rede beziehungsweise von einem biologischen Prozess, verweisen beide Bedeutungen jeweils auf dieselbe Referentenklasse. Das- Similarität unterscheiden. Erkenntnisse zum Bedeutungswandel suggerieren z.B., dass expressiven Metonymien ein besonderer Status zukommt, der sie auf einem Kontinuum der Wahrnehmbarkeit in die Nähe der (expressiven) Metaphern rücken könnte. In beiden Fällen ist es Ziel des innovierenden Sprechers, eine Sache „besser, größer, schöner oder schlimmer darstellen zu wollen als sie in Wirklichkeit ist, um so den Hörer zur Einnahme einer entsprechenden Haltung zu diesem Sachverhalt oder dem Sprecher selbst zu bringen“ (Blank 1997: 401). Zwar ist in diachroner Perspektive der Status solch expressiver Metonymien „als expressiv markiertes Synonym zu einem kommunikativ schwächeren Normalwort“ vergänglich (Blank 1997: 401), doch haben sie zu Beginn aufgrund ihres hyperbolischen Charakters auch die Eigenschaft, besonders auffällig zu sein. Systematisch zu untersuchen wäre nun, inwieweit diese Art auffälliger Metonymien auch eine besonders auffällige Kontiguitätsbeziehung zwischen den beiden bezeichneten Konzepten impliziert. Blanks Beispiele für expressive Metonymien sind u.a. it. bordello, casino ‘Bordell’ > ‘Durcheinander’ und fr. abîmer ‘in einen Abgrund stürzen’ > ‘beschädigen’. Aus heutiger synchroner Perspektive wäre in diesem Sinne z.B. die Motivierbarkeit von fr. souci in der Bedeutung ‘Problem’ über die Bedeutung ‘Sorge’ zu überprüfen (Hinweis von Peter Koch). <?page no="185"?> 185 selbe gilt für die anderen Stimuli und ihre potentiellen (sowie tatsächlich genannten) Motivationspartner. In diesem Zusammenhang muss nun eine besondere Art der Zuweisung zu Referentenklassen genauer betrachtet werden, die in der Tradition Martins (1972 u. 1983) steht. Martins Unterscheidung zwischen einer polysémie d’acceptions und einer polysémie de sens sowie die jeweiligen Untertypen und deren Verhältnis all seiner Typen von Polysemie zu den konzeptuell-semantischen Relationen wurde bereits in Abschnitt 3.1 eingeführt. Besonders interessant für die oben besprochenen Daten ist die Tatsache, dass verschiedene Typen von Polysemie in Ansätzen, die Martins Ansatz nahestehen, über die vorhandene oder fehlende Identität des Archisemems, also der allgemeinen referentenklassenzuweisenden Seme unterschieden werden (vgl. Abschnitt 3.1, Martin 1972, Monneret 2003: 50-51, Rémi-Giraud 2006: 122). Dies betrifft bei Martin sowohl die Unterscheidung in verschiedene Typen der polysémie d’acceptions als auch die Ausdifferenzierung verschiedener Typen der polysémie de sens. Rémi- Giraud geht davon aus, dass über Martins erste Unterscheidungsebene hinweg eine grobkörnige Polysemie, bei der sich die Archisememe und somit allgemeinen klassenzuweisenden Seme zweier Sememe oder Bedeutungen voneinander unterscheiden (Rémi-Giraud 2006: 122), von einer feinkörnigen Polysemie unterschieden werden kann, bei der kein Unterschied im Archisemem, sondern lediglich in den spezifischen Semen zu beobachten ist. Im letzteren Fall sind die Bedeutungen derselben Referentenklasse zugeordnet und liegen daher für sie näher beieinander, entsprechen aber trotz der Identität der Referentenklassen nicht Blanks Kontextvarianten. Sie stellt klar, dass Bedeutungen, die kein gemeinsames klassenzuweisendes Sem aufweisen, besser als eigenständig wahrnehmbar sind als solche, die ein gemeinsames klassenzuweisendes Sem haben. Rémi-Giraud betont (2006: 122) - und das ist aus der Perspektive der vorliegenden Arbeit der springende Punkt -, dass im Falle von Metaphern kein gemeinsames Sem vorhanden ist, diese also durchweg der besser wahrnehmbaren grobkörnigen Polysemie zuzuordnen sind, wohingegen bei der Metonymie sowohl Fälle vorkommen, die ein Archisemem teilen, als auch Fälle zu beobachten sind, bei denen es kein gemeinsames allgemeines Sem gibt. Rémi-Girauds Beispiele beinhalten zwar leider keine der in der vorliegenden Arbeit getesteten lexikalischen Einheiten. Ein Blick auf die unterschiedlich gut motivierten kontiguitätsbasierten Stimuli zeigt jedoch, dass dieser Ansatz durchaus Erklärungspotenzial für die Wahrnehmbarkeit der Eigenständigkeit von Bedeutungen bietet. Kein allgemeines Sem teilen gut intrinsisch motivierte Fälle wie fr. bar. Im Falle des Tresens ist das allgemeine klassenzuweisende Sem +Möbelstück, im Falle der <?page no="186"?> 186 Bar ist es +Gaststätte. Für schlecht intrinsisch motivierte Fälle wie fr. jour und it. giorno hingegen könnte man sagen, dass beide Bedeutungen ein allgemeines Sem +Zeiteinheit teilen. Im Falle von fr. respiration wäre ein denkbares gemeinsames allgemeines Sem der Bedeutungen ‘Atmung’ und ‘Atemzug’ das Sem +biologischer Vorgang, an dem die Lungen beteiligt sind. Für die beiden besprochenen Bedeutungen von fr. conférence, das heißt ‘Vortrag’ und ‘Konferenz’, könnte ein gemeinsames allgemeines Sem +Veranstaltung, an der Redner und Publikum teilnehmen, angenommen werden. Bei gut intrinsisch motivierten Fällen wie fr. alimentation ‘Netzteil, Stromversorgung’ hingegen gibt es kein gemeinsames allgemeines Sem mit den genannten intrinsischen Motivationspartnern wie zum Beispiel mit der Bedeutung fr. alimentation ‘Nahrungsmittel’, deren klassenzuweisendes allgemeines Sem +Teil des menschlichen Stoffwechsels sein könnte, wohingegen ‘Netzteil, Stromversorgung’ das allgemeine Sem +Teil eines elektrischen Gerätes zukommt. Da jedoch, wie erwähnt, eine solche Analyse mit der Frage danach steht und fällt, welche Merkmale insgesamt als Seme und welche im Einzelnen als allgemeine beziehungsweise spezifische Seme akzeptiert werden, soll diese Analyse nicht für alle Beispiele durchgeführt werden. Wichtig ist an dieser Stelle jedoch, dass auch neostrukturalistisch geprägte Ansätze nicht nur einen Unterschied der Wahrnehmbarkeit von metaphorischer Similarität und Kontiguität feststellen, sondern auch Unterschiede innerhalb des Bereichs der Metonymie (oder genauer zwischen Kontiguitätsrelationen) herausarbeiten können. 5.2.2.3 Zusammenfassung der Ergebnisse Zusammenfassend kann man sagen, dass die in Abschnitt 5.2.2.2 vorgestellten und diskutierten Ergebnisse die in Abschnitt 5.1.2 aufgestellten Hypothesen global bestätigen, die Datenlage im Detail jedoch noch wesentlich komplexer ist. Insbesondere hat sich gezeigt, dass Hypothese 3 nicht nur an sich bestätigt werden konnte, sondern die in den Hypothesen 1 und 2 angenommenen Phänomene moduliert. Folglich können auch die Hypothesen 1 und 2 bestätigt werden, allerdings in etwas eingeschränkter Weise. Hypothese 3: Ein potentieller intrinsischer Motivationspartner, der inhaltlich über metaphorische Similarität mit der zu motivierenden lexikalischen Einheit verbunden ist, wird eher als tatsächlicher Motivationspartner genannt als ein potentieller intrinsischer Motivationspartner, der inhaltlich über Kontiguität mit einer zu motivierenden lexikalischen Einheit verbunden ist. Wie sich in den Tabellen 17 bis 24 gezeigt hat, trifft diese Hypothese über die Stimuli hinweg zu. Sowohl in der formal einfachen Gruppe E als auch <?page no="187"?> 187 in der formal komplexen Gruppe K werden intrinsisch eher solche Stimuli motiviert, die über metaphorische Similarität mit ihrem potentiellen intrinsischen Motivationspartner zusammenhängen als jene, die in einer Kontiguitätsbeziehung zu ihrem potentiellen intrinsischen Motivationspartner stehen. Dieses Ergebnis widerspricht der Hypothese 2 nur auf den ersten Blick: Hypothese 2: Formal einfache lexikalische Einheiten werden tendenziell intrinsisch motiviert. Formal einfache lexikalische Einheiten werden tendenziell tatsächlich intrinsisch motiviert. Der in Hypothese 3 angenommene Unterschied zwischen metaphorischer Similarität und Kontiguität zeigt sich bei formal einfachen lexikalischen Einheiten darin, dass die Anzahl der Informanten, die den Stimulus motivieren, bei kontiguitätsbasierter Polysemie im Schnitt geringer ist als bei Polysemie, die auf metaphorischer Similarität beruht. Eine Interaktion ist auch zwischen den in Hypothese 3 und Hypothese 1 angenommenen Phänomenen zu beobachten. Hypothese 1: Formal komplexe lexikalische Einheiten werden tendenziell extrinsisch motiviert. Etwas differenzierter als in Hypothese 1 formuliert, hat es sich nämlich gezeigt, dass formal komplexe lexikalische Einheiten tendenziell dann extrinsisch motiviert werden, wenn eine Kontiguitätsrelation zu einem potentiellen intrinsischen Motivationspartner besteht. Besteht hingegen die Beziehung der metaphorischen Similarität zu einem potentiellen intrinsischen Motivationspartner, werden auch formal komplexe lexikalische Einheiten eher intrinsisch motiviert. Erklärt werden können diese Ergebnisse über Unterschiede in der menschlichen Kognition, was metaphorische Similarität und Kontiguität angeht. Die Kognitive Linguistik nimmt so einen prinzipiellen Unterschied zwischen Metaphern und Metonymien an, der sich auch in der experimentell ausgerichteten Psycholinguistik niederschlägt. Besteht intrinsisch eine Metapher, tritt die Form der lexikalischen Einheit perzeptuell in den Hintergrund, sodass selbst formal komplexe Einheiten, die ja auf ihren potentiellen extrinsischen Motivationspartner zumindest theoretisch durchblicken lassen, im Motivationsakt nicht selbstverständlich eine extrinsische Relationierung bewirken. Besteht anstatt der metaphorischen Similarität jedoch die kognitiv weniger prägnante Relation der Kontigui- <?page no="188"?> 188 tät zu einem potentiellen intrinsischen Motivationspartner, tritt eine komplexe Form perzeptuell in den Vordergrund und kann für den Motivationsakt genutzt werden. Interessant ist, dass ein Unterschied der Wahrnehmbarkeit von kontiguitätsbasierter und metaphernbasierter Polysemie nicht nur in der Kognitiven und der Psycholinguistik angenommen wird, sondern auch in (neo-)strukturalistisch geprägten Ansätzen ihren Niederschlag findet (z.B. Rémi-Giraud 2006, Monneret 2003, Apresjan 1973). Als weiteres Ergebnis hat sich zudem gezeigt, dass es auch unter den Kontiguitätsrelationen erhebliche Unterschiede geben kann, was die Motivierbarkeit angeht. In den dieser Arbeit zu Grunde liegenden Daten sticht insbesondere die Teil-Ganzes-Relation heraus. Wie in Abschnitt 5.2.2.2 gezeigt wurde, scheint Teil-Ganzes-Kontiguität für die Motivierbarkeit noch problematischer zu sein als andere Kontiguitätsrelationen. Selbst was Teil-Ganzes-Relationen angeht, sind jedoch Unterschiede in der Motivierbarkeit festzustellen, und zwar einerseits je nachdem, wie konzeptuell notwendig die Relation zwischen dem Teil und dem Ganzen ist und andererseits wie deutlich die jeweiligen Teile perzeptuell vom Ganzen unterschieden werden können. In einer (neo-)strukturalistischen Perspektive könnten diese Unterschiede unter Umständen sogar darüber erklärt werden, dass ein gemeinsames allgemeines klassenzuweisendes Sem existiert oder nicht. Diese Ergebnisse bestätigen empirisch, was vor allem in Abschnitt 3.2 theoretisch postuliert wurde: Polysemie trägt wesentlich zur Ikonizität und Motivation im Lexikon bei. Mehr noch hängt die Art der Motivation von der Art der Polysemie ab, da es die Art der Polysemie ist, die determiniert, ob eine Einheit intrinsisch oder extrinsisch motiviert wird. In der vorliegenden Arbeit wurden diesbezüglich metaphernbasierte und kontiguitätsbasierte Polysemie explorativ untersucht. Wünschenswert wären, wie bei jeder empirisch begründeteten Forschungsarbeit, weitere Daten, die den hier vorgestellten Ansatz belegen. Insbesondere würde es sich lohnen, weitere Arten von Polysemie, und zwar zum Beispiel Polysemie, die auf Kontrastrelationen oder taxonomischen Relationen beruht, in zukünftige Untersuchungen einzubeziehen, um ein noch detaillierteres Bild der Rolle der Polysemie für Motivation und Ikonizität im Lexikon zu bekommen. Die Tatsache, dass lexikalische Einheiten unter den beschriebenen Bedingungen einfacher oder schwieriger motivierbar sind, bestätigt auch, was in vielen der in Kapitel 2 und 3 vorgestellten Ansätze impliziert wird, jedoch meist nicht explizit behandelt geschweige den detailliert ausgearbeitet wird: Lexikalische Motivation ist keine einfache Ja-Nein-Frage, sondern ein graduiertes Phänomen. Zwischen den zwei extremen Polen <?page no="189"?> 189 der völligen Opazität und der glasklaren Motivation ist ein Kontinuum der Transparenz anzunehmen. Die in Abschnitt 5.2.2.2 vorgestellten Daten zeigen, dass lexikalische Einheiten ihren Platz auf einem solchen Kontinuum über die Interaktion von formalen und konzeptuellen Relationen erhalten, was die in der einschlägigen Literatur bekannten Transparenzskalen, die alle entweder rein formal oder ausschließlich semantisch ausgerichtet sind, zumindest aus kognitiver Perspektive disqualifiziert. Es stellt sich folglich die Frage, wie die in den vorherigen Kapiteln gewonnenen Erkenntnisse in ein adäquates formales und semantisches Transparenzmodell einfließen können. Dieser Frage widmet sich Kapitel 6. <?page no="191"?> 191 6 Polysemie und Skalen diagrammatischer Transparenz: Ein formales und semantisches Transparenzmodell Die in Kapitel 2 dargestellten Ansätze der Motivationsforschung beschäftigen sich nicht alle explizit mit Abstufungen in der Transparenz. Saussures Unterscheidung der relativ motivierten Zeichen in Onomatopoetika, Interjektionen und wortgebildeten Einheiten (1972 [1916]: 181) mag zwar im Ansatz an eine Graduierung der Transparenz erinnern, bei der mehr Transparenz in den Fällen besteht, in denen die Form direkt durch den Inhalt motiviert wird, und weniger Transparenz bei denen, in denen eine Form indirekt durch den Inhalt einer anderen Form motiviert ist. Ungerer (2002: 374) geht so zum Beispiel davon aus, dass der ikonische Wert von bildhaften Ikonen größer sei als derjenige von Diagrammen, der wiederum größer sei als derjenige von Metaphern. Doch handelt es sich, wie aus den Kapiteln 2 und 3 hervorgeht, zumindest bei den bildhaften und diagrammatischen Ikonen um Ikone, die jeweils auf so grundlegend verschiedene Arten transparent sind, dass sie im Prinzip nicht auf derselben Transparenzskala angeordnet werden können. Im Folgenden sollen diese Ikontypen daher auch getrennt daraufhin untersucht werden, ob Transparenzabstufungen für sie möglich sind (s. 6.1 u. 6.2). Dabei wird besonders darauf geachtet, welche der den gängigen Transparenzskalen zu Grunde liegenden Kriterien auch in das zweidimensionale (formale und semantische) Transparenzmodell einfließen müssen, das in Abschnitt 6.3 vorgestellt wird. Die Notwendigkeit eines Transparenzmodells, das sowohl die formale als auch die semantische Dimension der Motivation berücksichtigt, hat sich in Kapitel 5 gezeigt. Denn wie dort gezeigt wurde, ist die Beschaffenheit der Form einer lexikalischen Einheit nicht alleine ausschlaggebend für ihre Motivierbarkeit, da die Art der semantischen Beziehung, die diese Einheit zu ihren potentiellen Motivationspartnern unterhält, ihre Motivierbarkeit wesentlich beeinflusst. Es hat sich herausgestellt, dass lexikalische Einheiten eher intrinsisch motiviert werden, wenn sie zu ihrem potentiellen intrinsischen Motivationspartner eine metaphorische Beziehung haben, wohingegen sie eher extrinsisch beziehungsweise gar nicht motiviert werden, wenn sie zu ihrem potentiellen intrinsischen Motivationspartner in einer Kontiguitätsbeziehung stehen, die unter bestimmten Bedingungen so unscheinbar ist, dass sie von den Informanten nicht oder schwieriger wahrgenommen und daher seltener als Motivationsverfahren <?page no="192"?> 192 eingesetzt wird. In Kapitel 6 sollen nun diese Erkenntnisse mit der Frage nach der formalen Transparenz einerseits und der semantischen oder konzeptuellen Transparenz andererseits, die in der Wortbildungs- und Motivationsforschung eine wichtige Rolle spielen, zusammengebracht werden. Zudem soll untersucht werden, inwieweit auch das formale Motivationsverfahren der Polysemie neben den anderen Motivationsverfahren auf einer Skala diagrammatischer Transparenz unterzubringen ist. Zusammenfassend soll also der Frage nachgegangen werden, ob und wenn ja wie Fälle wie zum Beispiel (1) bis (4) zusammen auf einer Skala diagrammatischer Transparenz untergebracht werden können. (1) it. cuore ‘Herz’ - it. cuore ‘Zentrum’ (2) it. giorno ‘Tag = Zeit der Helligkeit’ - giorno it. ‘Tag = Zeitraum von 24 Stunden’ (3) it. amore ‘Liebe (Gefühl)’ - it. amare ‘lieben (das Gefühl der Liebe für jemanden empfinden)’ (4) it. decisione ‘Akt des Entscheidens’ - it. decidere ‘entscheiden’ Denn betrachtet man (3) und (4), sieht man, dass die Wortstämme der beiden Motivationspartner in (3) absolut identisch sind, in (4) hingegen nur teilweise. 1 Einige Autoren (z.B. Dardano 1978 u. 1988, Apothéloz 2004, Grossmann/ Rainer 2004) sehen mangelnde Übereinstimmung der Form als motivationshinderlichen Faktor an, andere hingegen (Fill 1980a u. b) behaupten, dass formale Ähnlichkeit nur eine geringe Rolle in der Wortdurchsichtigkeit spiele. Im Gegensatz zu (3) haben (1) und (2) nicht nur denselben Stamm, sondern es handelt sich sogar um dasselbe Wort. Auch diesbezüglich stellt sich die Frage, ob absolute formale Transparenz ein motivationsfördernder Faktor ist und (1) und (2) daher als transparenter als zum Beispiel (3) und (4) eingestuft werden müssen. Diese Fragen können jedoch nicht isoliert betrachtet werden, da dem in Kapitel 5 festgestellten Unterschied zwischen den Relationen der Kontiguität wie in (2) und der metaphorischen Similarität wie in (1) Rechnung getragen werden muss. In der vorliegenden Arbeit wird die semantische Dimension der lexikalischen Motivation und Transparenz zwar nur in Bezug auf die metaphorische Similarität und die Kontiguität, also nur zwei semantische Relationen unter vielen diskutiert. Die Frage der Rolle der Semantik in der Wortdurchsichtigkeit stellt sich allerdings selbstverständ- 1 Zumindest nicht in Bezug auf alle Formen des Verbalparadigmas. Stellt man it. decisione hingegen it. deciso (Partizip Perfekt von it. decidere) und it. decisi (1. P. Sg. des passato remoto von it. decidere) gegenüber, handelt es sich nämlich wieder um denselben Stamm. <?page no="193"?> 193 lich auch in Bezug auf andere semantische Relationen. In (3) handelt es sich so zwar um eine Kontiguität (Liebe ist das Gefühl, das man empfindet, wenn man jemanden liebt), die in (4) dargestellte Relation muss hingegen im Sinne von Koch (2001a) als Identitätsrelation zwischen demselben Inhalt charakterisiert werden, der in zwei unterschiedlichen Wortklassen realisiert wird. 6.1 Transparenzgrade in der Beziehung zwischen Form und Inhalt eines Ikons In den Kapiteln 2 und 3 wurde auch auf Ikonizität und Motivation innerhalb ein- und desselben Zeichens eingegangen, weshalb hier untersucht werden soll, ob bei dieser Art von Ikonen Transparenzabstufungen zu beobachten sind. Zudem wird erörtert, welchen Beitrag solche Ikone insgesamt im Vergleich zu Ikonen der relationalen Art zur Transparenz im Lexikon leisten können. Zunächst einmal müssen in diesem Zusammenhang wieder Peirce’ Images genannt werden, die per definitionem auf einer physikalischen Ähnlichkeit zwischen dem Ausdruck und dem Inhalt beruhen (Peirce 1960: 157). Die einzigen Images im engen Sinne sind im Bereich der Sprache die primären Onomatopoetika, die in Abschnitt 6.1.1 auf Transparenzgrade hin untersucht werden. In Abschnitt 6.1.2 wird die Möglichkeit für Transparenzabstufungen bei sekundären Onomatopoetika, Lautsymbolismus und Phonästhemen untersucht. In Abschnitt 6.1.3 wird auf Transparenzgrade bei strukturellen Diagrammen eingegangen. 6.1.1 Primäre Onomatopoetika und Transparenz Wie in Kapitel 2 bereits erwähnt, müssen Onomatopoetika nach Ullmann ( 2 1966: 225) in primäre und sekundäre Onomatopoetika unterschieden werden. Bei ersteren ist das Designat selbst eine Lauterscheinung, wie an den Wörtern für verschiedene Tierlaute gezeigt werden kann (dt. kikeriki ‘Laut, den ein Hahn ausstößt’, dt. muh ‘Laut, den eine Kuh macht’ und dt. mäh ‘Laut eines Schafes’ 2 ). Dadurch, dass Form und Inhalt bei dieser Art von Onomatopoetika sich im Idealfall entsprechen, erübrigt sich zunächst die Frage, inwieweit in der Literatur genannte Transparenzabstufungen in diesem Bereich formbeziehungsweise inhaltsorientiert sind. Doch 2 Mioni z.B. ordnet primäre Onomatopoetika den ideofoni zu, denen er parallel zu den afrikanischen Sprachen auch in den europäischen Sprachen Wortartstatus zuspricht (1990: 260-264). Den Terminus Onomatopoetika reserviert er sich für Ullmanns sekundäre Onomatopoetika, die in allen Wortarten eine Rolle spielen können. <?page no="194"?> 194 obwohl der Ausdruck und der Inhalt theoretisch zusammenfallen, kann es selbst bei den primären Onomatopoetika prinzipiell Transparenzgrade geben. Denn wie bereits erwähnt (s. Kap. 2 u. 3), handelt es sich zwar theoretisch um eine 1: 1-Entsprechung zwischen Form und Inhalt, doch zeigt ein einfacher Sprachvergleich, dass eine solche Entsprechung nur bedingt zutreffen kann (vgl. it. chicchirichì, fr. cocorico, dt. kikeriki, engl. cockadoodledoo usw.; s. auch die Beispiele für den KUCKUCK in 2.3.2.2). Die Transparenz ist in allen Fällen zunächst daher gegeben, dass Muttersprachler der betreffenden Sprachen von ihrer Kindheit an eingetrichtert bekommen, dass ein Hahn [kikeriki] macht und ein coq [kokoriko]. Bei genauem Hinhören und spätestens im ersten Fremdsprachenunterricht wird jedoch klar, dass zwar in allen Sprachen eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Form und Inhalt wahrgenommen oder nachvollzogen werden kann, es sich aber eben nur um eine gewisse und nicht um eine absolute Ähnlichkeit handelt (vgl. hierzu auch Bredin 1996). Durch eine nur bedingte Ähnlichkeit zwischen Form und Inhalt ist dann auch theoretisch die Möglichkeit für „bessere“ und „schlechtere“ primäre Onomatopoetika einer Sprache gegeben, die je nach Grad der tatsächlichen lautlichen Entsprechung zwischen der Form und dem bezeichneten Laut bestimmt werden könnten - immer vorausgesetzt, dieser kann überhaupt auf einen phonologisch stabilen Nenner gebracht werden. Da es sich hier um ein rein lautliches Problem, also im Prinzip ein Schallphänomen handelt, könnte die Abweichung der Form von ihrem Inhalt, der ja auch nichts anderes als eine lautliche Form ist, unter Umständen sogar gemessen und mit Oszillogrammen und Sonagrammen dargestellt werden. Doch ändert jede Art der Messung von so gefassten Transparenzabstufungen nichts daran, dass Muttersprachler primäre Onomatopoetika aufgrund dessen, was sie über Tiere gelernt haben, als transparent empfinden. Zusammenfassend kann man sagen, dass weder Ullmann noch andere Autoren Abstufungen in der Transparenz von primären Onomatopoetika definieren. 6.1.2 Sekundäre Onomatopoetika, Lautsymbolismus, Phonästheme und Transparenz Wie in Abschnitt 2.3.2 erläutert, sind sekundäre Onomatopoetika im Vergleich zu primären Onomatopoetika nicht selbst eine Lauterscheinung, sondern bezeichnen lediglich einen Inhalt, der mit einer bestimmten Lauterscheinung assoziiert wird, die die Form des sekundären Onomatopoetikums zwar beeinflusst, aber nicht gänzlich determiniert. Laut Ullmann ( 2 1966: 225) fallen in diesen Bereich „non-acoustic experiences - movement, size, emotive overtones, etc.“, die durch bestimmte Laute dargestellt werden, also Lautsymbolismus jeglicher Art. Ullmann führt <?page no="195"?> 195 zwar zahlreiche Beispiele für diese Art von Onomatopöie an (vgl. Abschnitt 2.3.2), doch macht er wie bereits bei den primären Onomatopoetika auch hier keine weiteren Abstufungen, was die Transparenz angeht. Einen Schritt weiter geht in Bezug hierauf hingegen Waugh die feststellt: Onomatopoeia may be more subtle, as in cough, wheeze, rap, knock, ring, honk, plop, rattle, sniff, splash, tap, click, crash, or more overt as in thwack, plink, klunk, thunk, thump, hiss, woosh, slurp, meow. Waugh (1992: 9) Sie bleibt zwar die Erklärung dafür schuldig, warum nun die erste Gruppe ihrer Aufzählung nicht so deutlich onomatopoetisch sein soll wie die zweite, doch scheint sie insgesamt davon überzeugt zu sein, dass es bei Onomatopöie auf jeden Fall Transparenzgrade im Sinne von Offensichtlichkeitsgraden gibt: „There are many more examples of hidden - or not so hidden - onomatopoeia” (Waugh 1992: 10). Was die einheitliche Perzeption lautsymbolischer Ikone angeht und somit auch ihre Transparenz, wird in der Literatur insgesamt nicht viel ausgesagt. Man kann wohl davon ausgehen, dass sie im normalen (nichtliterarischen) Sprachgebrauch wahrscheinlich - wenn überhaupt - nur unbewusst eine Rolle spielen (vgl. Fischer 1999). Anders als bei transparenten Relationen zwischen lexikalischen Einheiten können sie auch zur Erklärung von unbekannten Wörtern nicht viel beitragen. Die alleinige Präsenz eines [i] in einem Wort ist nicht in dem Sinne verlässlich wie die Präsenz eines Morphems wie fr. chantin fr. chanteur ‘Sänger’ (s. auch [i] in dt. winzig gegenüber [i: ] in dt. riesig im Vergleich zu dt. riesin dt. Riese gegenüber dt. riesig). Sicherlich sind wohl manche dieser Lautsymbolismen verbreiteter als andere, aber dadurch keineswegs unbedingt transparenter. Ein [i] alleine bedeutet noch nicht ‘klein’, sondern unterstreicht nur die Bedeutung von zum Beispiel it. piccolezza ‘Kleinigkeit’. Die Beziehung zwischen Form und Inhalt in it. piccolezza besteht schon dank der durchsichtigen Beziehung zu it. piccolo ‘klein’ und bestünde auch, wenn die Formen jeweils *paccolezza und *paccolo hießen. Die Relation zwischen *paccolezza und *paccolo wäre nicht weniger transparent als diejenige zwischen it. piccolezza und it. piccolo, nur weil [a] mit Größe assoziiert wird anstatt mit Kleinheit (s. hierzu auch 2.3.1). Diese Art von Form-Inhalts- Beziehungen wird so gesehen nicht gebraucht, um Transparenz im Lexikon zu gewährleisten. Sie rückt dadurch im Vergleich zu relational diagrammatischer Ikonizität in den Hintergrund. Dennoch haben sie ein großes Potenzial, andere Arten von Ikonizität zu begleiten, verstärkend einzugreifen und so unter Umständen die Transparenz so mancher lexikalischer Einheiten zu erhöhen. <?page no="196"?> 196 Ähnliches gilt für Phonästheme, deren Abgrenzung von den Phänomenen der Onomatopoesie und des Lautsymbolismus sich in Abschnitt 2.3.1 als problematisch herausgestellt hat. Wie dort erläutert wurde, trägt ein Phonästhem der Art engl. / fl-/ nicht genügend Informationen, um uns auf den richtigen Weg zu bringen, was die Bedeutung des Wortes angeht, in dem es vorkommt. Engl. flicker ‘flackern’ können wir uns nicht deshalb erklären, weil wir das / fl-/ wahrnehmen, sondern weil wir engl. flick ‘züngeln’ bereits kennen. Ist diese Beziehung einmal hergestellt, kann das / fl-/ unter Umständen innerhalb der lexikalischen Einheit engl. flicker ‘flackern’ die ikonische Bindung der Form an ihren Inhalt noch verstärken, jedoch alleine nicht bedingen. 6.1.3 Strukturelle Diagramme und Transparenz Deutliche Transparenzgrade in der Beziehung zwischen Form und Inhalt kann man schon eher bei strukturellen Diagrammen beobachten. Strukturelle Diagramme gehören unter den Diagrammen als einzige zu denjenigen, deren Ikonizität sich direkt zwischen Form und Inhalt ein und derselben lexikalischen Einheit manifestiert (vgl. Hiraga 1994 zur Terminologie und Kap. 2 u. 3 zur Diskussion). Als Beispiel wurde in Abschnitt 3.2.1 fr. chanteur ‘Sänger’ angeführt. Es handelt sich um ein strukturelles Diagramm, da die Struktur der Form (chant+eur) die Struktur des Inhaltes (‘singen’+ Agens) widerspiegelt. In der Forschung, die sich implizit oder explizit mit dieser Art von Diagrammatizität beschäftigt, werden, was Transparenzgrade betrifft, insbesondere Abstufungen in der semantischen Transparenz angenommen. Dies bedeutet, dass die betreffenden Ansätze inhaltsorientiert sind, obwohl strukturelle Ikonizität per definitionem auf der Ähnlichkeit der Struktur von Form und Inhalt beruht. Die stärkere Orientierung am Inhalt in Bezug auf Transparenzgrade hängt wohl insbesondere mit dem Verständnis des Prinzips der Kompositionalität zusammen, das auf der formalen und auf der inhaltlichen Seite leider nicht genau denselben Stellenwert hat. Kompositionalität eines Wortes bedeutet zunächst, dass ein Wort sowohl formal als auch inhaltlich aus unmittelbaren Konstituenten zusammengesetzt ist und das Wort also motiviert ist. Je nachdem, wie schwer oder leicht sowohl formale als auch semantische Konstituenten identifiziert werden können, sind Wörter transparenter oder opaker (Dressler 1995: 25). Unmittelbare Konstituenten eines Wortes sind Morpheme, die zumindest formal relativ eindeutig bestimmt werden können. Zum Teil gibt es Allomorphe, die zwar formal unterschiedlich beschaffen sind, aber dennoch, sobald sie ausgemacht worden sind, kein Problem für die formale Kompositionalität eines Wortes mehr darstellen: Sowohl das Substantiv fr. sauveur ‘Erlöser (= Chris- <?page no="197"?> 197 tus)’ als auch das Adjektiv fr. salvateur ‘heilbringend’ bestehen formal aus zwei unmittelbaren Konstituenten, nämlich sauv- + -eur und salv- + -ateur, sauv- und salvstellen Allomorphe desselben Stammmorphems dar (s. Schpak-Dolt 2 2006: 93-95). Fraglich ist zwar, inwieweit in einer relationaldiagrammatischen Perspektive von den Formen fr. sauveur auf fr. sauver und fr. salvateur auf fr. sauver gleich leicht durchgesehen werden kann, doch sind aus der strukturell-diagrammatischen Perspektive beide Wortformen im selben Maße kompositionell. Selbst in den Fällen, in denen eine Form nicht kompositionell oder nicht im selben Maße kompositionell wie eine andere ist, lässt sich dies jedoch relativ einfach feststellen. Nicht im selben Maße kompositionell transparent ist zum Beispiel fr. cuisinier ‘Koch’ (cuisin- + -ier) im Vergleich zu fr. menuisier ‘Tischler, Schreiner’ (*menuis- + -ier), da *menuisals Morphem sonst nicht existiert (Scheidegger 1981: 47). Auf der inhaltlichen Seite sind die Verhältnisse nicht immer ganz so eindeutig, da hier die semantische Kompositionalität durch die Idiomatisierung der Bedeutungen gestört werden kann. Fr. sauveur würde kompositionell gesehen zunächst eher ‘retten’+Agens bedeuten, also ‘derjenige, der rettet’. Nun ist dies aber nicht die einzige Bedeutung von fr. sauveur. Christus wird nämlich mit genau demselben Wort bezeichnet. Da er nicht ein ganz normaler Retter ist, sondern nach dem christlichen Glauben der Erlöser, der die Schuld der Menschen auf sich nimmt, ist die Bedeutung spezieller und nicht mehr aus den Konstituenten ablesbar. Und genau an dieser Stelle setzen dann Ansätze an, die inhaltsorientierte Transparenzabstufungen postulieren und formale Transparenzphänomene nicht mehr in ihre Überlegungen einbeziehen. Von Idiomatizität der Bedeutungen wird also im Allgemeinen dann gesprochen, wenn die Wortbildungsbedeutung nicht der Wortschatzbedeutung entspricht (Schröder 1981: 454, Barz 1982: 9, Rainer 2004: 13-14, Booij 2 2007: 207). Das Kriterium der Kompositionalität, das im Allgemeinen zur Abgrenzung der Wortbildungsbedeutung von der Wortschatzbedeutung (auch lexikalisierte Bedeutung) herangezogen wird, verleitet zu der Annahme, dass die Wortbildungsbedeutung prinzipiell vorhersagbar ist (vgl. z.B. Booij 2 2007: 207-208, Gaeta 2003: 101, Laca 2001: 1222, Harley 2001: 161, Lüdtke 2001: 768-769, Günther 1987: 188-189, Lehmann 1989: 15-18) und Motivation als Erklärbarkeit der Gesamtbedeutung dieser Konstruktionen [=Wortbildungskonstruktionen, m. Anm.] aus den Bedeutungen der UK [=unikale Komponenten, m. Anm.] und aus den Beziehungen zwischen ihnen (Barz 1982: 9) zu verstehen ist. Ist eine Bedeutung nicht voraussagbar, handelt es sich hingegen um die Wortschatzbedeutung oder lexikalisierte Bedeutung, die <?page no="198"?> 198 im Gegensatz zur Wortbildungsbedeutung von den meisten Autoren als opak eingestuft wird: Derived words are said to be lexicalized or opaque when their lexicon sense deviates considerably from their derivational or ‘expected’ sense. (Laca 2001: 1222) Je nach Grad der Idiomatisierung oder Lexikalisierung erscheint nach den kompositionellen Ansätzen ein Wort dem Muttersprachler folglich opaker oder transparenter (s. z.B. Schröder 1981: 453-455, Barz 1982: 7-9, Kastovsky 1982: 153). Es besteht allerdings keine wirkliche Einigkeit darüber, was noch alles zur Wortbildungsbedeutung zu zählen ist (vgl. Laca 2001: 1222). Laut Fill (1980a: 19) kann man zum Beispiel bei dt. Großstadt noch additiv vorgehen und sagen, dass eine Großstadt im Normalfall auch eine große Stadt ist, wohingegen dt. Großmutter sich nicht oder nicht vollständig aus den Bedeutungen der Konstituenten ableiten lässt. Denn eine Großmutter ist nicht einfach eine große Mutter - typischerweise sind Großmütter sogar eher klein -, sondern eine Frau, die Enkelkinder hat. Allerdings wäre auch bei Großstadt meines Erachtens schon einzuwenden, dass der Terminus nur Städte bezeichnet, die eine gewisse Einwohnerzahl aufweisen können (laut Duden 100000) und nicht etwa Städte, die zwar eine große Fläche haben, aber nur sehr wenige Einwohner. Selbst dt. Großstadt, bei dem wir sofort verstehen, dass es sich um eine große Stadt handelt, hat also streng genommen nur sekundär etwas mit räumlicher Ausdehnung zu tun: eine Stadt, die viele Einwohner hat, ist typischerweise auch räumlich ausgedehnt und zwar sowohl was ihre Fläche angeht als auch den dreidimensionalen Raum, den sie einnimmt. Denn im Normalfall haben auch nur Städte mit einer großen Einwohnerzahl Wolkenkratzer, in denen viele Einwohner untergebracht werden können und die sich hoch in den Himmel erstrecken, also die räumliche Ausdehnung einer Stadt auf der Ypsilonachse mitdefinieren. Die Abgrenzung einer Wortbildungsbedeutung von einer Wortschatzbedeutung bleibt im Einzelfall also problematisch. Dies stellt auch Barz in ihrem Überblicksartikel (Barz 1982) über Motivation in der sowjetischen Forschungsliteratur fest. Die von ihr vorgestellten Ansätze machen meist noch einen Unterschied zwischen Transparenz bei Derivaten und Komposita (vgl. Barz 1982: 7), jedoch bleiben auch sie im Vagen, was den Grad der Lexikalisierung oder Idiomatisierung angeht. Eine Ausnahme bildet auf den ersten Blick vielleicht Uluchanov (1977 in russischer Sprache; im Folgenden zitiert nach Barz 1982). Uluchanov unterscheidet in (i) motivierte nicht idiomatisierte Wörter wie dt. Zuschauer, (ii) motivierte idiomatisierte Wörter wie dt. Bäcker und (iii) unmotivierte Wörter wie dt. urbar. Er arbeitet einen wesentlichen Unter- <?page no="199"?> 199 schied zwischen (i) und (ii) heraus, und zwar das Vorhandensein von invarianten beziehungsweise nichtinvarianten Bedeutungen von Affixen. Barz fasst die Unterscheidung folgendermaßen zusammen: Von invarianter Bedeutung kann bei einem Affix dann gesprochen werden, wenn ihm in Verbindung mit verschiedenen anderen sprachlichen Einheiten verschiedene Bedeutungen eigen sind, die durch diese anderen sprachlichen Einheiten (den Wort-Kontext) determiniert werden. Diese unterschiedlichen kontextbedingten Affixbedeutungen schließen einander nicht aus, sondern haben gemeinsame Merkmale, sodass sie in einer semantischen Invariante zusammengefasst werden können. […] Tritt ein Affix in mehreren Wörtern auf und zeigen sich dabei dieselben Bedeutungsbeziehungen zwischen Basis und Affix, liegen nichtinvariante Affixe vor. Bei WBK [= Wortbildungskonstrukten] mit nichtinvarianten Affixen ergibt sich die Bedeutung direkt aus den Bedeutungen von motivierendem Wort und Affix, z.B. bei Häuschen, Antikörper. Hier repräsentiert das Affix genau all die Seme der WBK, die nach Abzug der Stammbedeutung übrigbleiben. (Barz 1982: 16-17) Bezogen auf die Beispiele dt. Bäcker und dt. Zuschauer bedeutet dies nun Folgendes: Formal sind Zuschauer und Bäcker zwar gleich gebildet und das Suffix -er kennzeichnet in beiden Fällen einen Agens. Im Gegensatz zum Zuschauer, der nichts anderes tut als zuzuschauen, ist ein Bäcker jedoch nicht nur derjenige, der backt, sondern typischerweise derjenige, der berufsmäßig backt. Das Suffix -er in Zuschauer wäre nach Uluchanov und Barz ein nichtinvariantes Affix, wohingegen es sich um das Suffix in Bäcker um die invariante Variante des Suffixes -er handelt. Das Merkmal +berufsmäßig gehört also nicht zur invarianten Bedeutung von -er (von zusätzlichen semantischen Merkmalen, die die Durchsichtigkeit einer Wortbildung trüben, spricht z.B. auch Kastovsky 1982: 195). Davon abgesehen, dass Terminologien, die doppelte Verneinungen beinhalten (wie hier nicht und in), unnötig verwirrend sind, liefert die Unterscheidung in invariante und nichtinvariante Affixe zwar ein nachvollziehbares Kriterium zur Unterscheidung der Wortbildungsbedeutung und der Wortbedeutung. Letztendlich leistet aber die Unterscheidung in zwei Gruppen von Affixen auch nicht mehr als die Unterscheidung in zwei Arten von Bedeutungen selbst. Denn in Bezug auf die semantische Transparenz sagen auch die Affixe nicht mehr aus, als dass es wörtliche und idiomatisierte Bedeutungen gibt. Nichtsdestotrotz ist man sich einig, dass zwischen Motivation im Sinne von Kompositionalität und Idiomatisierung vielfältige Übergänge existieren (Barz 1982: 8). Obwohl natürlich strukturelle Diagrammatizität im Lexikon theoretisch sicher eine große Rolle spielt und kompositionelle Ansätze zur Er- <?page no="200"?> 200 fassung von Transparenzunterschieden zwar wie gesagt im Einzelfall schwer zu handhaben, aber prinzipiell nicht von der Hand zu weisen sind, ist es fraglich, inwieweit diese Art von potentieller Transparenz im Lexikon von den Muttersprachlern wirklich wahrgenommen wird. Schon Gauger zum Beispiel schreibt nämlich in Bezug auf die Kompositionalität, dass die Inhalte von motivierten Wörtern, seien es Komposita oder Derivate, nicht erst abgeleitet oder zusammengesetzt werden, sondern als Ganze von Anfang an bereits zur Verfügung stünden (1971: 24-25). Dies bedeutet für ihn, dass das abgeleitete Wort und das Basiswort „bewußtseinsmäßig“ nebeneinander stehen und so „gleich ursprünglich“ sind: Primär im Bewußstein ist nicht die formal explizierte Gliederung des Inhaltes, sondern seine Einheit. Die Gliederung vollzieht sich erst innerhalb und auf dem Boden dieser Einheit, der Inhalt Z des kompositiven Wortes geht dem seiner Glieder X und Y voraus. Er wird nicht erst aus dem Zusammentritt beider vom Sprachbewusstsein herausgeklaubt. Die Erkenntnis dieser Tatsache ist für das Verständnis der durchsichtigen Wörter von entscheidender Wichtigkeit. „Pommier“ ist nicht das bewußtseinsmäßige Ergebnis der „Zusammensetzung“ von „pomme“ und „-ier“, sondern eine Einheit, in welcher - auf Grund der formalen und inhaltlichen Anlage des Wortes - „pomme“ und „-ier“ lebendig sind. (Gauger 1971: 24) So gesehen spielen die Bedeutungen der unmittelbaren Konstituenten nur eine sekundäre Rolle. Was zählt, sind hingegen die Bedeutungen der ganzen Wörter und die Tatsache, dass diese mit anderen Bedeutungen desselben Wortes oder anderer Wörter zusammenhängen. Blank geht mit seiner Kritik an der Kompositionalität der Bedeutungen abgeleiteter Wörter noch einen Schritt weiter als Gauger und stellt fest (2001b: 1598), dass die Bedeutung eines Derivates nie gänzlich von der Bedeutung seiner unmittelbaren Konstituenten abgeleitet werden kann (vgl. auch Coseriu 1977: 53, Bellmann 1988: 9-11, Lüdtke 2001: 768; zur Vorhersagbarkeit des semantic drift Hay 2003: 57-61). Am Beispiel engl. rattlesnake ‘Klapperschlange’ macht er darauf aufmerksam, dass dieses Wort von Anfang an die Klapperschlange bezeichnete und bereits in dieser Bedeutung in das Lexikon aufgenommen wurde. Die Bedeutung eines Wortbildungsproduktes hängt folglich davon ab, was es als Ganzes bezeichnet, und nicht von den Bedeutungen seiner Teile. In anderen Worten kann man sagen, dass engl. rattlesnake im Nachhinein dadurch erklärt werden kann, dass die betreffende Schlange rasselnde (engl. to rattle ‘rasseln’) Geräusche macht. Wäre engl. rattlesnake nicht in dieser Bedeutung ins Lexikon aufgenommen worden, wäre es allerdings rein theoretisch auch möglich gewesen, damit eine (Phantasie-)Schlange zu bezeichnen, die gerne Rasseln isst, wie eben auch der Ameisenbär, der auf Englisch antbear heißt, <?page no="201"?> 201 typischerweise Ameisen isst. Beide Wortbedeutungen sind in dem Sinne also nicht vollkommen aus der Bedeutung ihrer Konstituenten ableitbar (vgl. auch Sanchez-Stockhammer 2011: 288 zu engl. bedroom ‘Schlafzimmer’ gegenbüber *‘Raum in Form eines Bettes’): Aus dem semantischen Potential der Konstituenten eines komplexen Wortes lebt eben nur eine gewisse Auswahl in der Bedeutung des komplexen Wortes weiter. Radden und Panther (2004: 4-8) sowie Panther und Radden (2011: 12) zeigen dies an dt. Schraubenzieher, engl. screwdriver, fr. tournevis und it. cacciavite, die alle gleichermaßen durchsichtig dasselbe Konzept bezeichnen, wobei sie aber unterschiedliche Aspekte des Frames betonen. Ähnliches gilt für Derivate, bei denen die Polysemie der Affixe eine wichtige Rolle spielt: fr. pommier ist ein Apfelbaum, fr. beurrier eine Butterdose und fr. plombier meint den Klempner. Eine Wortbildungsbedeutung in dem Sinn, dass die Bedeutung komplexer Wörter der Summe der Bedeutungen ihrer Konstituenten entspricht, kann es demnach gar nicht geben (Blank 2001b: 1598). Selbst wenn wir versuchen, uns ein unbekanntes Wort aus den Bedeutungen seiner unmittelbaren Konstituenten zu erschließen, können die Konstituenten uns nur einen Hinweis auf die Bedeutung geben, uns aber im Normalfall die Bedeutung selbst nicht liefern. 3 Um diese vollständig zu erschließen, brauchen wir Weltwissen. Einzelsprachlich-lexikalisches Wissen über ein einzelnes Zeichen reicht hier nicht aus (vgl. auch Herbermann 1981: 347). Nichtsdestotrotz gibt es auch laut Blank Wörter, deren Bedeutung leichter als bei anderen aus den Bedeutungen ihrer Konstituenten ableitbar ist (2001b: 1599). Er kombiniert allerdings - wie übrigens auch Fill (1980a u. b) - einen kompositionellen Ansatz mit einer relationalen Perspektive, die in Abschnitt 6.2.1.2 gesondert dargestellt wird. Denn auch wenn die Idiomatisierung in der Tat ein Problem für kompositionell verstandene Transparenz darstellt, so können idiomatisierte Bedeutungen doch relational transparent sein. 3 Ausnahmen bilden unter Umständen Fälle, in denen weder die Bedeutung der lexikalischen Basis sich über die Wörter hinweg unterscheidet, noch das Affix polysem ist, wie zum Beispiel die romanischen Adverbien auf -ment(e) (vgl. fr. rapidement oder it. rapidamente ‘schnell’). Das lexikalische Element behält hier seine Bedeutung bei und die streng monoseme Adverbendung bringt nichts anderes als die Komponente der Art und Weise mit ins Spiel. Weitere Beispiele finden sich in Lüdtke (2001: 768) und Schwarze (1995: 214-215), dort vor allem unter den Stichpunkten derivation without semantic effect und derivation with a non-conceptual semantics. Schwarze, der zwar prinzipiell anerkennt, dass nicht alle Wortbedeutungen voraussagbar sind, möchte mit seinem Beitrag zeigen, dass sie doch viel vorhersehbarer sind als allgemein angenommen. <?page no="202"?> 202 6.2 Transparenzgrade in der Beziehung zwischen lexikalischen Einheiten In diesem Abschnitt sollen nun Ansätze zu Transparenzabstufungen betrachtet werden, die ihren Schwerpunkt nicht auf die Relation zwischen Form und Inhalt innerhalb einer lexikalischen Einheit, sondern auf den Transparenzgrad der Motivationsrelation zwischen zwei lexikalischen Einheiten legen. Wie in den obigen Abschnitten bereits dargelegt wurde, sind solche Relationen für das Phänomen der Motivation und Ikonizität im Lexikon von besonderer Bedeutung, da sie es uns erlauben, unbekannte lexikalische Einheiten aus anderen zu erschließen, sie uns sozusagen dabei helfen von der einen Einheit auf die andere durchzublicken (vgl. z.B. Gauger 1971). Die Untersuchung von Transparenzphänomenen dieser Art ist nicht nur integrativer Bestandteil der Motivations- und Ikonizitätsforschung, sondern spielt auch eine wesentliche Rolle in der Wortbildungsforschung, und zwar vor allem dann, wenn diese synchron ausgerichtet ist (vgl. auch Abschnitt 2.2.3) und über das Prinzip der Kompositionalität hinaus auch Wert legt auf das Prinzip der Relationalität. Es besteht im Allgemeinen Einigkeit darüber, dass es die Aufgabe der Morphologie ist, Regelmäßigkeiten in der Bedeutungszuweisung oder Interpretation einzelner Morpheme herauszuarbeiten und auch die Beziehung zwischen wortgebildeten und einfachen Wörtern zu bestimmen (Booij 2 2007: 207, Rainer 2004: 7, Plag 2003: 20ff., Lüdtke 2001: 765, Levin/ Rappaport Hovav 1998: 248, Barz 1982: 7-8, Kastovsky 1982). Obwohl also per definitionem auch die Wortbildung (vgl. Abschnitt 2.2.3) gleichzeitig ein semantisches und formales Phänomen darstellt, geschieht die Bestimmung der Relation zwischen der wortgebildeten Einheit und der Basis aber bis auf wenige Ausnahmen (z.B. Gauger 1971, Coseriu 1977, Fill 1981a u. b, Schwarze 1995, Blank 1997 u. 1998) vornehmlich auf der formalen Seite. Seltsamerweise verfolgen einige der Autoren, die Wortbildungsrelationen auch semantisch näher beschreiben, diesen Weg aber nicht auch für die Abstufungen in der Transparenz. Für diese greifen sie (z.B. Coseriu 1977, Schwarze 1995, Blank 2001b), sofern sie Transparenzgrade nicht völlig unbeachtet lassen (z.B. Blank 1997 u. 1998), auf Abstufungen in der Idiomatizität der Bedeutungen zurück. Da Idiomatizität aber als gestörte semantische Kompositionalität verstanden wird (Hoeksema 2000: 856), betreffen diese Stufen primär nicht den Bereich der Relationen zwischen Ikonen, sondern den Bereich der Ähnlichkeit zwischen der Struktur der Form und derjenigen des Inhalts (s. Abschnitt 6.1.3). Übersehen wird dabei meist, dass auch idiomatisierte Bedeutungen relational transparent <?page no="203"?> 203 sein können. Eine Ausnahme bilden hier jedoch teilweise Blank (1997, 2001b) und Fill (1980a u. b). Insgesamt ist zu beobachten, dass Transparenzskalen für die Beziehung zwischen unterschiedlichen lexikalischen Einheiten immer entweder hauptsächlich semantisch (6.2.1) oder ausschließlich formal (6.2.2) ausgerichtet sind, was freilich nicht zuletzt an der Komplexität des Phänomens der Transparenzgrade liegt. Ausnahmen, die auch bei Transparenzabstufungen formal und inhaltlich gleichzeitig vorgehen möchten, gibt es zwar, doch bleiben diese aus verschiedenen Gründen problematisch, wie zum Beispiel Raffelsiefen (1995) und Apothéloz (2002). Raffelsiefen (1995) sieht nicht nur einen prinzipiellen Zusammenhang zwischen phonologischer und semantischer Transparenz (bei ihr semantische Stabilität), sondern untersucht diesen auch explizit, allerdings in der Diachronie. Eine genaue Skala arbeitet sie zudem nicht aus. Eine synchron gleichzeitig formale und semantische Perspektive nimmt hingegen Apothéloz (2002: 49-50) ein. Er geht zunächst davon aus, dass Wortbildungen mehr oder weniger diagrammatisch sein können, was impliziert, dass Transparenz in seinen Augen formal und semantisch gleichzeitig zu betrachten ist. Dies zeigen auch die Faktoren, von denen der Grad an Diagrammatizität seiner Meinung nach abhängt, nämlich die Kompositionalität der Bedeutung, die Produktivität der Konstituenten und die formale Transparenz, die mit perzeptiver Prägnanz einhergeht. Er betont, dass diese Faktoren sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern bedingen und gemeinsam den Grad an Diagrammatizität eines Wortes bestimmen. Er bleibt aber, was die einzelnen Grade der Diagrammatizität angeht, so oberflächlich wie nur möglich. In den folgenden Abschnitten sollen nun einige detailliertere synchrone Ansätze betrachtet werden, die allerdings, wie bereits erwähnt, ihren Schwerpunkt entweder auf semantische Aspekte der Transparenzgrade (6.2.1) oder auf die formalen Aspekte der Transparenzgrade legen (6.2.2), kritisch daraufhin betrachtet werden, welche Aspekte in eine umfassende kgnitiv-relationale formale und semantische Beschreibung lexikalischer Transparenz einfließen sollten. 6.2.1 Semantische Ansätze zur Graduierung von Transparenz Die semantische Graduierung der Transparenz stellt in der Motivationsforschung insofern ein besonderes Problem dar, als ihre Existenz zwar allgemein anerkannt wird, die Definition von unterschiedlichen Transparenzgraden allerdings ungleich schwieriger als die der formalen Transparenz ist (s. z.B. Prideaux 1984: 87). <?page no="204"?> 204 Die hier vorgestellten semantischen Ansätze zur Graduierung der Transparenz werden in vier Abschnitten besprochen. Die Autoren der ersten Gruppe nehmen eine mehr oder weniger große semantische Ähnlichkeit zwischen Bedeutungen an. Je größer die semantische Ähnlichkeit von einer Bedeutung zu einer anderen ist, desto transparenter ist sie auch in Bezug auf diese (6.2.1.1). Die zweite Strömung spricht von verschiedenen Idiomatizitätsgraden der Bedeutungen, die wiederum verschiedenen Transparenzgraden entsprechen (6.2.1.2), wobei größere Idiomatizität geringere Transparenz bedeutet. Einen dritten Ansatz stellt Fills Ansatz zur Erfassung der Transparenz im Sinne von Leichtigkeit der Durchsicht und Bildstärke dar. Fill kombiniert Idiomatizität mit weiteren Kriterien, worunter das Kriterium der Zahl und Anordnung der semantischen Merkmale besondere Beachtung finden wird, da es der relationalen Perspektive der vorliegenden Arbeit am nächsten steht (6.2.1.3). Eine vierte Möglichkeit und eine besondere Art der tatsächlichen Messung semantischer Transparenz über Reaktionszeiten kann man in psycholinguistischen Arbeiten zum Thema finden (6.2.1.4). 6.2.1.1 Graduierte semantische Ähnlichkeit Semantische Ähnlichkeit wird in der Literatur auf sehr unterschiedliche Weise verstanden. Zum einen gibt es Ansätze, die semantische Ähnlichkeit über eine gemeinsame Merkmalmenge verschiedener Bedeutungen definieren, zum anderen Ansätze, die semantische Ähnlichkeit als gemeinsames Vorkommen in einem Korpus verstehen. Rettig (1981: 167) und Soares da Silva (1992) definieren semantische Ähnlichkeit über die Übereinstimmung von semantischen Merkmalen zweier Bedeutungen. Je mehr Merkmale übereinstimmen, desto größer ist die semantische Ähnlichkeit. Dabei spieIt es für sie keine Rolle, welche der semantischen Relationen, mit denen in der vorliegenden Arbeit gearbeitet wird, zwischen den so definierten ähnlichen Bedeutungen besteht. In Bezug auf Transparenzgrade gehen diese Ansätze davon aus, dass eine größere Übereinstimmung an Merkmalen (nach Rettig 1981: 166 zusätzlich kombiniert mit der Abbildbarkeit der Struktur einer Lexikoneinheit auf syntaktische Strukturen) den Transparenzgrad einer lexikalischen Einheit steigert. Die Ergebnisse aus Kapitel 5 haben bereits angedeutet, dass eine solche Herangehensweise durchaus Unterschiede in der Motivierbarkeit einzelner lexikalischer Einheiten erklären kann. Doch wurde in Abschnitt 5.2.2.2 auch gezeigt, dass eine größere Merkmalsschnittmenge nicht automatisch mit größerer Transparenz einhergeht. Als besonders transparenzfördernd hat sich dort die Metapher herausgestellt, die ja gerade darüber gekennzeichnet ist, dass die Merkmalsschnittmenge zwi- <?page no="205"?> 205 schen den betreffenden Bedeutungen besonders gering ist (vgl. z.B. Rémi- Giraud 2006). Ein grundlegend anderer Ansatz zur Bestimmung der Stärke der semantischen Ähnlichkeit und über sie zur Bestimmung der semantischen Transparenz geht davon aus, dass semantisch ähnlich das ist, was in Korpora kookkurriert, also in denselben Kontexten vorkommt. Die Beziehung zwischen den kookkurrierenden Elementen wird hierbei als semantisch transparent angesehen (Baroni 2003: 22 u. Baroni/ Vegnaduzzo 2003). In Bezug auf diesen Ansatz ist anzumerken, dass „semantisch ähnlich“ so verstanden umschrieben werden könnte als „kommen im Text und damit in Raum und Zeit nah beisammen vor“ und mit „haben also etwas miteinander zu tun“. Folglich hätten wir es bei Kookkurrenz streng genommen nicht mit einer Ähnlichkeitsbeziehung, sondern zunächst einmal mit einer Kontiguitätsbeziehung zu tun, und zwar sowohl auf syntagmatischer als auch auf konzeptueller Ebene. Selbstverständlich können aber auch andere Beziehungen als Kontiguitätsbeziehungen, wie zum Beispiel Ähnlichkeitsbeziehungen über Metaphern und Vergleiche in den Text einfließen. Doch zeichnet sich metaphorische Ähnlichkeit genau dadurch aus, dass eine Form in einer bestimmten metaphorischen Bedeutung in absentia der nicht metaphorischen Bedeutung verwendet wird und diese also im Normalfall nicht gemeinsam oder nah beisammen im Korpus zu finden sind, sondern lediglich in einer paradigmatischen Beziehung zueinander stehen (vgl. auch Abschnitt 4.2). Dies bedeutet, dass eine lexikalische Einheit wie Maus ‘Zeigegerät für Computer’ nicht von vorneherein automatisch im selben Text und Kontext vorkommt wie Maus ‘kleines Nagetier’ und daher die Transparenz zwischen diesen lexikalischen Einheiten auch nicht über Kookkurrenzen gemessen werden kann. Insbesondere im Bereich der Polysemie gilt dies natürlich nicht nur für die metaphorische Similarität, sondern im Prinzip für alle semantischkonzeptuellen Relationen. Denn anders als bei polysemen Wörtern, bei denen im Normalfall der Kontext nur eine Bedeutung zulässt und dasselbe Wort aus Gründen der Verständlichkeit meist nicht zweimal im selben Satz vorkommt, sind Kookkurrenzen von Wörtern einer Wortfamilie durchaus denkbar, wie zum Beispiel in Fischers Fritz fischt frische Fische (weitere Beispiele in Abschnitt 4.2). Die Messung der Transparenz im Sinne dieser Arbeit dürfte bei Anwendung dieses Ansatzes nur die Kookkurrenz von Wörtern in Betracht ziehen, zwischen denen auch eine formal-inhaltliche Relation besteht, die nicht zwingend gegeben ist (s. Abschnitt 4.2): Gehäuftes gemeinsames Vorkommen im Text bedeutet nicht automatisch, dass von einer vorkommenden lexikalischen Einheit auf die andere besonders leicht durchgeblickt werden kann und dass formal ähnliche kookkurrierende Wörter inhaltlich auch zusammenhängen. <?page no="206"?> 206 6.2.1.2 Graduierte Idiomatizität der Bedeutungen Eine bedeutende Rolle spielt die Idiomatizität von Bedeutungen nicht nur im Bereich der strukturellen Ikonizität (s. die kompositionellen Ansätze in Abschnitt 6.1.3), sondern auch in Ansätzen, die eigentlich relational gedacht sind. Ein Beispiel hierfür ist Ullmanns Ansatz. Ullmann, der sonst großen Wert auf einzelne Betrachtung der morphologischen und semantischen Motivation legt (1962: 134), kommt nicht auf Transparenzabstufungen in der semantischen Motivation zu sprechen. Einzelne Kommentare in seiner Betrachtung der morphologischen Transparenz lassen jedoch darauf schließen, dass er auch in der Semantik unterschiedliche Transparenzgrade implizit annimmt. Über dt. Sauerstoff sagt er zum Beispiel, dass seine Bedeutung mit ‘saurem Stoff’ im Gegensatz zu etwa dt. Rippenfellentzündung nur ungenau umschrieben sei (1962: 144). Seine Diskussion der englischen Suffigierungen auf -er impliziert ebenfalls, dass die semantische Seite von Wortbildungen nicht immer gleichermaßen transparent ist (engl. singer ‘Sänger’ im Vergleich zu engl. poser ‘schwierige Frage’, vgl. auch Abschnitt 2.2.3; s. auch Panther/ Radden 2011: 13 zu engl. sleeper ‘Schläfer’, sleeper ‘Schlaftablette’ und sleeper ‘langweilige Veranstaltung’). Obwohl er den Schwerpunkt seiner Überlegungen auf relationale Aspekte der Transparenz legt - was man an seiner Diskussion der Motivation im Wandel und der Neumotivierung sowie der meisten sprachvergleichenden Beispiele für Ableitungen sehen kann (s. 1962: 119-133 u. 138- 139) - geht er also, was die Transparenz angeht, wie die in Abschnitt 6.1.3 besprochenen kompositionellen Ansätze von einer möglichen Graduierung über Idiomatizitätsstufen aus, die er jedoch nicht genauer definiert. Blank, der den kompositionellen Ansatz grundlegend kritisiert (s. Abschnitt 6.1.3), geht über diesen hinaus, selbst wenn er zwei seiner drei Idiomatizitätsstufen über Kompositionalität definiert (2001b: 1599). Die erste Stufe wird ausgemacht von Wörtern, deren Bedeutung zwar nicht ganz, aber dennoch ohne große Mühen aus den Bedeutungen ihrer Konstituenten abgeleitet werden kann. Es gibt hier zwar mehrere theoretisch mögliche Lesarten, doch sind die Interpretationsmöglichkeiten relativ eingeschränkt, wie in dt. Apfelkuchen, dt. Rührkuchen und dt. Hundekuchen. Die zweite Stufe umfasst Fälle wie engl. wheelchair ‘Rollstuhl’, bei denen wie auf der ersten Stufe die Bedeutung des komplexen Wortes zwar immer noch auf den „normalen“ Bedeutungen der Konstituenten beruht, jedoch auf der Ebene des Referenten eine Spezialisierung stattfindet. Ein Rollstuhl ist zwar nach wie vor ein Stuhl, jedoch ein eher randständiger Vertreter seiner Kategorie. Intuitiv kann dies zwar sicherlich nachvollzogen werden, doch fehlen meines Erachtens auch hier, wie bei den Idioma- <?page no="207"?> 207 tizitätsstufen in Abschnitt 6.1.3, klare Kriterien zur Abgrenzung dieser beiden Stufen: So ist bereits der Hundekuchen ein extrem randständiger Vertreter der Kategorie Kuchen, und zwar weil er Referenten bezeichnet, die Menschen im Gegensatz zu allen anderen genannten Kuchen nicht essen würden. Die dritte Stufe an Idiomatizität wird laut Blank erreicht, wenn eine Metapher oder eine Metonymie im Spiel ist. So kann dt. Marmorkuchen nicht aus den üblichen Bedeutungen der Konstituenten abgelesen werden, egal welches syntaktische Verhältnis Marmor zu Kuchen hat. Denn ein Marmorkuchen ist weder ein Kuchen mit Marmor (vgl. dt. Apfelkuchen), noch ein Kuchen für Marmor (vgl. dt. Hundekuchen) und sagt auch nichts über die Art seiner Herstellung aus (vgl. dt. Rührkuchen). Laut Blank sind diese Beispiele zwar unterschiedlich stark idiomatisch, aber alle dennoch prinzipiell transparent (2001b: 1600). Anders als es die meisten kompositionellen Ansätze sehen (vgl. Abschnitt 6.1.3) ist hier Idiomatizität also keineswegs von vorneherein mit Opazität gleichzusetzen. Die Hinzunahme der metonymischen und metaphorischen Idiomatizität als dritte Stufe seiner Idiomatizitätsgrade zeigt uns, dass in Blanks Ansatz die strukturell-diagrammatische Perspektive, wie bereits bei Gauger (vgl. Abschnitt 6.1.3), neben der relational-diagrammatischen an Bedeutung verliert. Blank geht mit dieser Stufe weit über den kompositionellen Ansatz hinaus, da semantische Phänomene wie die Metapher und die Metonymie eben typischerweise zwischen lexikalischen Einheiten und nicht innerhalb einer lexikalischen Einheit ansetzen. Es stellt sich aber die Frage, ob Blanks drei Stufen somit überhaupt drei Stufen ein- und desselben Phänomens sind. Angesichts der prinzipiellen Unterscheidung in verschiedene Ikontypen, die dieser Arbeit zu Grunde liegt, erscheint es sinnvoller, Transparenzabstufungen zunächst getrennt nach einzelnen Ikontypen zu erfassen, da ein Ikontyp nicht automatisch transparenter sein muss als der andere. Anders ausgedrückt definieren Blanks Stufen 1 und 2 Transparenzgrade für strukturelle Ikone, Blanks Stufe 3 hingegen bezieht sich auf relationale Ikone. Dass innerhalb dieser dritten Stufe weitere Abstufungen nötig und möglich sind, wurde in Kapitel 5 ausführlich gezeigt. Angesichts der Tatsache, dass Diagramme gleichzeitig strukturell und relational sein können (s. Abschnitt 3.2), kann man logischerweise für ein und dieselbe lexikalische Einheit sowohl strukturelle Transparenz als auch relationale Transparenz gleichzeitig bestimmen, wie bei Blanks Kuchenbeispielen: Dt. Rührkuchen gehört aus strukturell-kompositioneller Perspektive Blanks Stufe 2 an, aus relationaler Perspektive kann an dieser Stelle gesagt werden, dass es sich um eine taxonomische Relation in Bezug auf dt. Kuchen handelt und um Kontiguität in Bezug auf dt. rühren. Eine Theorie der lexikalischen Transparenz, die Transparenzunterschiede zwischen verschiedenen konzeptuellen Relationen annimmt, könnte also <?page no="208"?> 208 auch auf Blanks Stufen 2 und 3 durchaus Unterschiede in der relationalen Transparenz feststellen, die die strukturellen Stufen nicht unbedingt bestätigen. Wichtig ist, dass in Blanks dreistufiger Skala zwar Metonymie auf der dritten Stufe angesiedelt ist, die Relation der Kontiguität, die ja auch der Metonymie zu Grunde liegt, jedoch auf allen drei Stufen möglich ist. Kurz gesagt, können sich unterschiedliche Ikontypen in einer lexikalischen Einheit zusammenfinden. Ob kumulative oder kombinierte Transparenz der strukturellen und der relationalen Art lexikalische Einheiten dann insgesamt noch transparenter macht, wäre eine Frage, die noch gesondert untersucht werden müsste (vgl. Marzo 2009). Fills Ansatz (1980a u. b), der sich, wenn auch nicht ganz, so doch noch weiter von der semantischen Kompositionalität löst als Blank dies tut, und noch expliziter Transparenzgrade auf unterschiedliche semantische Relationen zwischen Einheiten des Lexikons zurückführt, wird in Abschnitt 6.2.1.3 besprochen. 6.2.1.3 Transparenzbestimmung über die Zahl und Anordnung der semantischen Elemente Fill versucht, auch wenn er teilweise von semantischer Kompositionalität spricht (1980a: 19 u. 1980b: 71-72), eine Transparenzskala für Relationen zwischen Einheiten des Lexikons zu erstellen. Er geht davon aus, dass Wortdurchsichtigkeit oder Transparenz nicht strikt von Opazität zu trennen ist, sondern es sich vielmehr um ein Kontinuum mit fließenden Übergängen handelt (z.B. 1980a: 19 in Bezug auf die Idiomatisierung). Es gibt seiner Theorie zufolge zwei Arten, Wortdurchsichtigkeit zu verstehen: die Leichtigkeit der Durchsicht und die Bildstärke (1980a: 18 u. 1980b: 49-50). Die Leichtigkeit der Durchsicht definiert er über die drei Kriterien der phonetischen Nähe, der Idiomatisierung und der Zahl und Anordnung der semantischen Elemente innerhalb komplexer Wörter. Aufgrund der Ergebnisse einer Reihe von Informantenbefragungen sieht er das Kriterium der phonetischen Nähe als wenig bedeutend für die Wortdurchsichtigkeit an. Er kommt an derselben Stelle zu dem Schluss, dass die LdD [=Leichtigkeit der Durchsicht] von pleasant und pleasure auf please nicht von der um ein Merkmal weiteren phonetischen Entfernung von pleasure abhängig ist. (Fill 1980a: 18) Dennoch hält er es für unbestritten (1980b: 69), dass insgesamt die phonetische Veränderung von einer Einheit zur anderen die Durchsicht er- <?page no="209"?> 209 schweren kann. 4 Der Grad an Idiomatisierung trägt laut Fill im Gegensatz zur phonetischen Nähe schon wesentlich mehr zur Leichtigkeit der Durchsicht bei, auch wenn er komplizierter zu messen ist als die phonetische Nähe. Fill favorisiert, wie bereits angedeutet (s. Abschnitt 6.1.3), für Komposita ein dreistufiges Modell zur Feststellung von Idiomatizitätsgraden und für Ableitungen ein zweistufiges, die zwar beide zur Bestimmung der relationalen Transparenz beitragen sollen, aber nach kompositionellen Kriterien vorgehen. 5 Der Parameter, der Fill weg von einem strukturellen Verständnis der semantischen Transparenz hin zu einem relationalen Verständnis rückt, ist die Zahl und Anordnung der aktivierten semantischen Merkmale. Dieses Kriterium verwendet Fill sowohl zur Bestimmung der Leichtigkeit der Durchsicht als auch zur Bestimmung der Bildstärke. Was die Zahl der aktivierten semantischen Elemente angeht, geht Fill davon aus, dass engl. apple-tree ‘Apfelbaum’ bildstärker als fr. pommier ‘Apfelbaum’, engl. steamboat ‘Dampfschiff’ wiederum bildstärker als engl. steamer ‘Dampfer’ ist, weil jeweils mehr semantische Elemente aktiviert sind. Für die Zahl der aktivierten semantischen Elemente eines Wortes ist es also ausschlaggebend, wie viele Stammelemente dieses enthält. Für die Anordnung der semantischen Elemente entwickelt Fill eine sehr feinkörnige sechsstufige Typologie (vgl. 1980a: 21-22, 1980b: 58-66), in der es ihm zunächst primär um die syntaktische Anordnung der semantischen Informationen in Kom- 4 Die allgemeinen, von einzelnen phonetischen Merkmalen abstrahierenden Kriterien, die laut Fill für die Leichtigkeit der Durchsicht eine Rolle spielen können, werden in Abschnitt 6.2.2 besprochen. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass Fill zwar in seinem Modell der semantischen Transparenz mehr Gewicht beimisst als der formalen Transparenz, aber dennoch davon ausgeht, dass beide im Normalfall zusammenwirken. 5 Schwache Idiomatisierung besteht in Fällen wie dt. Großstadt, die eine ‘große Stadt’ ist (vgl. dazu die Kritik in 6.1.3). Von mittlerer Idiomatisierung spricht er, wenn ein Element eine Bedeutungsveränderung zeigt, wie in dt. Großmutter, die zwar keine ‘große Mutter’, aber dennoch eine ‘Mutter’ ist. Starke Idiomatisierung liegt vor, wenn beide Elemente eine Bedeutungsveränderung aufweisen, wie in dt. Augenblick, wo es weder um ‘Augen’ noch um ‘Blick’ geht, sondern genau genommen ausgerechnet um den Moment, in dem man gerade nicht mit den Augen blickt (s. Süddeutsche Zeitung, 10.12.02, Rubrik Streiflicht). Für Ableitungen mit nur einem lexikalischen Morphem schlägt Fill dementsprechend ein zweistufiges Modell vor, mit einer Stufe, bei der das lexikalische Element keine Bedeutungsveränderung zeigt, und einer, bei der es eine Bedeutungsveränderung zeigt (1980b: 72). Die Frage der genauen Abgrenzung zwischen den einzelnen Stufen bleibt jedoch wie bei den strikt kompositionellen Ansätzen (s. Abschnitt 6.1.3) auch bei ihm offen. <?page no="210"?> 210 posita 6 geht. Je nachdem, wie komplex diese Anordnung ist, ist eine Einheit leichter oder schwieriger zu durchschauen. Semantisch-konzeptuelle Relationen spielen bei ihm zwar explizit nicht in allen Stufen seiner Typologie eine Rolle, bei genauerer Betrachtung der sechsstufigen Skala sieht man jedoch, dass Kochs konzeptuelle Relationen (2001a) aus dieser Skala gar nicht wegzudenken sind und semantische Relationen eine viel größere Rolle spielen, als Fill dies explizit angibt. Er spricht zwar von unterschiedlichen Verhältnissen der einzelnen Elemente zueinander, definiert diese aber nicht rein semantisch (s. 1980a: 21-22, 1980b: 58-66). Typ 1: additive Wortdurchsichtigkeit: engl. bitter-sweet ‘bittersüß’ Typ 2: verdeutlichende Wortdurchsichtigkeit: engl. oak-tree ‘Eichbaum’ Typ 3: deskriptive Wortdurchsichtigkeit: engl. table-cloth ‘Tischdecke’ Typ 4: metaphorische Wortdurchsichtigkeit: dt. Glockenblume Typ 5: metonymische Wortdurchsichtigkeit: engl. paleface ‘Bleichgesicht’ Typ 6: exozentrische Wortdurchsichtigkeit: engl. pickpocket ‘Taschendieb’ Typ 1 stellt wegen seiner äußerst einfachen syntaktischen Anordnung der semantischen Elemente - diese werden inhaltlich einfach addiert - die transparenteste Stufe der Skala dar. Vor dem Hintergrund von Kochs Relationen kann man zu diesem Typen sagen, dass sich sowohl engl. bitter ‘bitter’ als auch sweet ‘süß’ zum Gesamtwort kontig verhalten: Was bittersüß ist, ist auch bitter und gleichzeitig süß. Bei Typ 2 steht ein Element zum Ganzen in einer Identitätsbeziehung, da im Fall von engl. oaktree engl. oak auch schon für sich alleine EICHBAUM bezeichnen kann. Durch die Wiederholung eines semantischen Elements, hier durch engl. tree ausgedrückt, wird dieses verdeutlicht. Engl. tree steht in einer taxonomischen Beziehung zum Gesamtwort, wie es auch bei Fills rein deskriptivem Typ 3 der Fall ist, und zwar zwischen engl. cloth ‘Tuch, Decke’ und engl. table-cloth ‘Tischdecke’. Denn eine Tischdecke ist nicht nur für den Tisch gedacht (Kontiguität), sondern eben auch eine spezielle Art Decke. Ebenso ist eine Glockenblume (Typ 4) eine bestimmte Art von Blume. Fill nennt diesen Typen „metaphorische Wortdurchsichtigkeit“, da das Wort metaphorisch verwendet wird. Genaugenommen besteht jedoch nur zwischen dt. Glocke und dt. Glockenblume eine Similaritätsbeziehung, da die Glockenblume in ihrer Form einer Glocke ähnelt. Bei Typ 5 spricht Fill von „metonymischer Wortdurchsichtigkeit“. Laut Fill (1980b: 63) 6 Fill exemplifiziert seine Typologie zwar zunächst anhand von Komposita, stellt aber später fest (1980b: 66-67), dass bis auf Typ 1 und insgesamt leichten Unterschieden im Detail dieselbe Abstufung auch bei Derivaten möglich ist. <?page no="211"?> 211 macht bei diesem Typ das Determinans das Determinatum zu einer Parspro-toto-Metonymie wie in engl. paleface ‘Bleichgesicht’, das heißt, das typischerweise bleiche Gesicht eines Nicht-Indianers wird zum Namensgeber für die ganze Person. Es besteht aber nicht nur eine Kontiguität zwischen der nicht lexikalisierten Bedeutung ‘bleiches Gesicht’ gegenüber ‘Bleichgesicht’, sondern auch eine Kontiguitätsbeziehung zwischen engl. face ‘Gesicht’ und engl. paleface ‘Bleichgesicht’, da ja auch Bleichgesichter ein Gesicht haben, sowie eine Kontiguitätsbeziehung zwischen engl. pale ‘bleich, blass’ und engl. paleface ‘Bleichgesicht’, da typische Bleichgesichter nun mal eher bleich sind. Fills Unterscheidung von Typ 6 beruht ebenfalls auf Kontiguität zwischen den Bedeutungen der jeweiligen Komponenten und derjenigen des ganzen Wortes. Denn ein die Referenten von engl. pickpocket ‘Taschendieb’ zeichnen sich dadurch aus, dass sie Dinge aus Taschen stehlen. Exozentrisch ist die Anordnung der semantischen Merkmale laut Fill insofern, als die Information, dass es sich um einen Agens handelt, nicht in den Teilen des Ganzen enthalten ist, wobei eine Information dieser Art strenggenommen auch bei seinem Beispiel für Typ 5 fehlt, da allein aus den Teilen des Wortes engl. paleface nicht klar wird, dass es sich um eine Person handelt. Bezeichnend für diese sechs Stufen ist, dass Fill in seinen Definitionen zwischen der strukturellen und der relationalen Perspektive unbewusst hin- und herspringt. Typ 1, 3 und 6 sind rein kompositionell und somit strukturell definiert: Bei Typ 1 werden die Elemente addiert, bei Typ 3 beschreibt das eine Element das andere, bei Typ 6 kann nicht addiert werden, weil mindestens ein semantisches Element nicht formal ausgedrückt wird. Typ 2, 4 und 5 muten hingegen relational an, da Fill in seinen Ausführungen nicht die einzelnen semantischen Elemente zueinander in Beziehung setzt, sondern die einzelnen Elemente im Vergleich zum Ganzen betrachtet. Dass die Typen 1, 3 und 6 jedoch auch relational näher definierbar sind, wurde anhand der Bezugnahme auf die semantischkogntiven Relationen oben bereits gezeigt. Trotz des Schwankens zwischen der strukturellen und der relationalen Perspektive steht Fill unter den Ansätzen zur Erfassung der semantischen Transparenz demjenigen der vorliegenden Arbeit am nächsten, da sich auch schon bei ihm eine unterschiedliche Gewichtung der semantischen Relationen andeutet. Im Hinblick auf die in Kapitel 5 vorgestellten Ergebnisse zur unterschiedlichen Rolle der metaphorischen Similarität und der Kontiguität für die Motivierbarkeit gewisser lexikalischer Einheiten ist es interessant zu sehen, dass in Fills mit Rating-Aufgaben durchgeführten Informantenbefragungen (1980a: 23) metaphorisch durchsichtige Komposita (Typ 4) als signifikant bildstärker eingestuft wurden als die anderen Typen, also auch derjenige der Metonymie. Da eine Steigerung an Bild- <?page no="212"?> 212 stärke laut Fill im Normalfall die Leichtigkeit der Durchsicht in Bezug auf Zahl und Anordnung der semantischen Elemente erschwert (1980a: 21, 1980b: 56), wäre anzunehmen gewesen, dass Metaphern insgesamt als weniger leicht durchsichtig eingestuft werden als Metonymien, da sie als bildstärker eingestuft wurden. Auf Fills Skala der Leichtigkeit der Durchsicht, die er wie die Bildstärke auch auf Ergebnissen aus Informantenbefragungen begründet, befindet sich jedoch die Metapher - wie gezeigt - auf einer transparenteren Stufe als die Metonymie. Da Fill die Ergebnisse seiner Informantenbefragungen sowohl in seinem Aufsatz als auch in seiner Monographie zum Thema (1980a bzw. 1980b) nur beispielhaft darstellt und ein Überblick über die Gesamtauswertung fehlt, kann nicht nachvollzogen werden, ob der Widerspruch zwischen seiner Aussage zur Bildstärke und derjenigen zur Leichtigkeit der Durchsicht in einem Versehen in seiner Darstellung der Skala der Leichtigkeit der Durchsicht begründet ist oder von einem tatsächlichen Widerspruch der Ergebnisse herrührt. Wie dem auch sei, bringen beide Fälle einen Unterschied zwischen der Transparenz der Metapher einerseits und der Transparenz der Metonymie andererseits mit sich, was die Ergebnisse aus Kapitel 5 grosso modo bestätigt. 7 7 Im Detail ist die Sachlage etwas komplexer. Besagen Fills Ergebnisse, dass die Metapher transparenter ist als die Metonymie, verläuft sein Ergebnis zu dem aus Kapitel 5 parallel. Ist die Metapher in seinen Daten opaker als die Metonymie, widersprechen seine Daten auf den ersten Blick den Ergebnissen aus Kapitel 5, da dort die metaphorische Similarität die Leichtigkeit der Durchsicht gefördert hat. Um dies entscheiden zu können, wäre ein Einblick in Fills Originaldaten notwendig. Anzumerken ist jedoch, dass selbst ein auf den ersten Blick gegensätzlicher Unterschied zwischen Fills Ergebnissen und denjenigen aus Kapitel 5 nicht zwingend konträr sein muss, sondern durchaus komplementär sein kann. Ein Unterschied könnte nämlich auch durch die Methode bedingt sein. In Abschnitt 5.2 mussten die Informanten den Motivationspartner, zu dem sie den Stimulus in Bezug setzen wollten, selbst nennen. Dabei war es für die Informanten unter bestimmten Bedingungen einfacher, einen metaphorisch relationierten Motivationspartner zu nennen, da die Relation der metaphorischen Similarität auf der Ebene der bewussten Motivierbarkeit kognitiv salienter ist als diejenige der Kontiguität. Über Kontiguität zusammenhängende Konzepte befinden sich innerhalb desselben Frames. Dieses gemeinsame Vorkommen scheint auf der bewussten Ebene der Motivierbarkeit die Sicht auf die Relation zwischen den Konzepten oder gar die Wahrnehmung der Konzepte als eigenständige Konzepte zu erschweren. Fill hingegen gibt seine zu bewertenden Stimuli in Paaren vor, das heißt, den Informanten bleibt der schwierige Schritt erspart, selbst eine rein framebezogen naheliegende Kontiguitätsbrücke zu einem Stimulus zu schlagen. Wird ihnen eine solche Kontiguitätsbeziehung aber vorgeführt, scheint es nur natürlich, dass sie diese aufgrund des Vorkommens im selben Frame als leichter zu durchschauen bewerten, da sie selbstverständlicher oder - metaphorisch ausgedrückt - enger zusammenhängen als metaphorisch relationierte Paare. <?page no="213"?> 213 6.2.1.4 Reaktionszeiten, konzeptuelle Relationen und semantische Transparenz Wie an verschiedenen Stellen dieser Arbeit angedeutet, besteht eine Möglichkeit semantische Transparenz zu bestimmen darin, Unterschieden zwischen den einzelnen semantischen oder konzeptuellen Relationen Rechnung zu tragen. In der Psycholinguistik wird dies vor allem über Reaktionszeitmessungen versucht. In der Methodendiskussion des Abschnittes 4.3.1 wurden Priming-Experimente beschrieben, über die der Zusammenhang zwischen einem Prime-Wort und einem Target-Wort bestimmt werden kann. Solche Experimente wurden dort aus verschiedenen Gründen als für die Erfassung lexikalischer Motivation ungeeignet eingestuft. Für die Messung von Transparenzgraden können sie jedoch, wenn auch nur bedingt, eingesetzt werden (vgl. Abschnitt 4.3.1, Tab. 1, (v)). Es wurde gezeigt, dass die Schwierigkeiten und Probleme, die sich ergeben, wenn Prime und Target gleichzeitig formal und inhaltlich zusammenhängende lexikalische Einheiten sind, nicht zu unterschätzen sind. Insbesondere lassen so beschaffene Paare keine sicheren Schlüsse darüber zu, ob nun die Form des Prime, seine Bedeutung oder gar die Kombination aus beiden den Primingeffekt auslöst. Für die Messung semantischer Transparenzgrade besteht dieses Problem selbstverständlich weiterhin. Doch eignen sich Primingexperimente dennoch insofern zur Messung semantischer Transparenz, als man immerhin bei formal nicht zusammenhängenden Primes und Targets überprüfen kann, ob es Unterschiede in der Reaktionszeit zwischen den einzelnen semantischen Relationen gibt. Erkenntnisse, die aus dieser Art von Transparenzmessung gezogen werden, könnten einen wertvollen Beitrag zu gleichzeitig formalen und semantischen Transparenzskalen leisten, selbst wenn sie für sich allein selbstverständlich nichts über die Interaktion zwischen Form und Inhalt aussagen können. Ein solches Primingexperiment führt Klepousniotou (2002: 210-211) erstens mit dem Ziel durch zu untersuchen, ob Homonymie gegenüber Polysemie im mentalen Lexikon unterschiedlich gespeichert ist und somit anders auf inhaltlich zusammenhängende formal identische lexikalische Einheiten zugegriffen wird als auf nicht zusammenhängende; zweitens möchte sie herausfinden, ob auch Unterschiede im Zugriff auf und in der Speicherung von unterschiedlichen Typen von Polysemie bestehen. Die unterschiedlichen Typen von Polysemie werden in Klepousniotous Experiment durch metonymische und metaphorische Polysemie repräsentiert. Insgesamt geht Klepousniotou (2002: 211) davon aus, dass polyseme Wörter einen größeren Primingeffekt zeigen als Homonyme. In Bezug auf metonymische Polysemie gegenüber metaphorischer Polysemie erwartet <?page no="214"?> 214 sie einen größeren Effekt für die Metonymie, weil sie davon ausgeht, dass Metaphern, obwohl sie „still quite related in meaning“ seien, einen höheren Grad an Lexikalisierung aufweisen als Metonymien. Um die wichtigsten Punkte der äußerst komplexen Versuchsanordnung zusammenzufassen, kann man sagen, dass die Primes aus Beispielsätzen bestehen, die das Targetwort nicht enthalten, aber eine seiner Bedeutungen evozieren sollten. Bei den polysemen Wörtern sind im Rahmen dieser Arbeit die Fälle interessant, bei denen durch den Primesatz die jeweilige metaphorische oder metonymische Bedeutung evoziert werden sollte. Die Versuchsteilnehmer bekamen diese Sätze zu hören, bevor sie das Targetwort auf einem Bildschirm sahen und per Tastendruck entscheiden sollten, ob es sich um ein Wort des Englischen handelte (2002: 212). Gemessen wurde die Reaktionszeit von dem Zeitpunkt an, zu dem das Target auf dem Bildschirm erschien, bis zum Erfolgen des Tastendrucks. Ohne auf eventuell bestehende Probleme mit der Gruppierung der Stimuli einzugehen, kann man die Ergebnisse des Experiments folgendermaßen zusammenfassen: Die Reaktionszeit auf Homonyme ist am längsten, metaphorische Bedeutungen lassen etwas schnellere Reaktionen zu, metonymische Polysemie wird am schnellsten verstanden (2002: 215-216). 8 Laut Klepousniotou bedeutet dies, dass die Bedeutungen von homonymen Wörtern im mentalen Lexikon auf jeden Fall einzeln aufgeführt sind. Beim Zugriff auf das Wort muss also aus einer Liste ausgewählt werden, was einen gewissen Zeitverlust bedeutet. Bei polysemen Wörtern - und hier spricht Klepousniotou zunächst nur von metonymischer Polysemie (2002: 215) - sei nur eine Grundbedeutung gespeichert, aus der durch Regeln die metonymischen Bedeutungen abgeleitet werden. Es kann also bei der Selektion aus dem mentalen Lexikon direkt und ohne Zeitverlust auf die Grundbedeutung zugegriffen werden. 9 Was die Unterschiede zwischen metonymischer und metaphorischer Polysemie angeht, stellt sich nun die Frage, warum die Versuchspersonen für das Verständnis metaphorischer Polysemie länger brauchen als für 8 Diese Ergebnisse entsprechen dem, was Apresjan (1973: 13) für den Umgang mit Metaphern und Metonymien in Wörterbüchern feststellt: Metaphern werden eher als Homonyme behandelt als Metonymien, unter denen es jedoch wiederum Typen gibt, die näher an der Homonymie sind als andere. Auch Monneret (2003: 49-57) sieht die Metapher als näher an der Homonymie an als die Metonymie. Er betont selbst, dass seine Ausführungen bislang rein hypothetischen Charakter haben (2003: 55) und beschränkt seine Theorie zudem auf nur schwach lexikalisierte Metaphern und Metonymien (2003: 54). 9 Diese Art von regelbasiertem Ansatz wird der Tatsache nicht gerecht, dass es sowohl unter den Metonymien als auch unter den Metaphern Ad-hoc-Bildungen als auch lexikalisierte Fälle gibt (s. Koch 2001b und 2004). <?page no="215"?> 215 metonymische. Klepousniotou (2002: 216) erklärt dies dadurch, dass Metaphern in einer Übergangsphase von über Regeln generierten Bedeutungen zu separat gespeicherten Bedeutungen seien: „Metaphorical words seem to be in a transition phase from generated senses to separately stored senses.“ Denkt man diesen Gedanken konsequent zu Ende, bedeutet dies, dass hier der Metapher jegliche Eigenständigkeit als Prinzip semantischer und sogar konzeptueller Strukturierung abgesprochen wird, da sie als Mechanismus nicht für sich existiert, sondern lediglich eine Art degradierte metonymisch bedingte Motivation auf dem Weg zur völligen Opazität darstellt. Vor dem Hintergrund der Kognitiven Linguistik erscheint dies - derart oberflächlich dargelegt wie bei Klepousniotou - nicht nur völlig absurd, sondern bedürfte einiger klärender Worte, die Klepousniotou jedoch schuldig bleibt. Ginge sie davon aus, dass metaphorische und metonymische Extensionen beide durch Regeln generiert werden (auch wenn es nicht sehr plausibel erscheint, dass dies sowohl bei Ad-hoc-Bildungen als auch bei lexikalisierten Beispielen der Fall ist), könnten Unterschiede in der Reaktionszeit der beiden Arten von Polysemie dennoch erklärt werden und zwar darüber, dass die Applikation der Regeln für Metaphern dadurch schwerfälliger und somit auch länger wird, dass sie über verschiedene Frames hinweg operieren müssen, was die Regeln für Metonymien hingegen nicht müssen. 10 Unabhängig davon, ob nun das, was Klepousniotou unter Bedeutungsextensionen versteht, durch Regeln generiert wird oder nicht, bietet allein die Tatsache, dass es sich bei Metaphern und Metonymien um Relationen handelt, über die Bedeutungen (und Konzepte) zusammenhängen, auch die Möglichkeit zu einer Interpretation im Sinne von semantischen Netzwerken (z.B. Collins/ Quillian 1969, Collins/ Loftus 1975, Klix/ Kukla/ Klein 1976). Solche Ansätze gehen davon aus, dass die Bedeutungen von metaphorischen und metonymischen Wörtern auch eigenständig gespeichert sind, wie Bedeutungen von Homonymen. Nur hängen die Bedeutungen eines polysemen Wortes im Gegensatz zu denjenigen von Homonymen zusammen. Dies sollte selbst bei einem Zugriff auf eine falsche Bedeutung den Zugriff zur richtigen Bedeutung erleichtern, da sich die Aktivierung eines Konzeptes oder einer Bedeutung aufgrund der Beziehung zum richtigen Konzept oder zur richtigen Bedeutung weiter ausbreiten kann, ohne blockiert zu werden, wie dies bei Homonymen der 10 Wie bei Klepousniotou findet üblicherweise in generativen Ansätzen des Lexikons die Metapher keinen Platz, wie z.B. demjenigen von Pustejovsky (1995), dessen Modell zwar metonymische Polysemie beschreiben und generieren kann, jedoch Schwierigkeiten mit metaphorischer Polysemie hat (s. z.B. die Kritik in Blank 2001a: 27-28). <?page no="216"?> 216 Fall ist. Auch aus dieser Perspektive lässt sich ein Unterschied zwischen Metapher (oder dem Assoziationsprinzip der metaphorischen Similarität) und Metonymie (oder dem Assoziationsprinzip der Kontiguität) darüber erklären, dass bei Metaphern über zwei Frames hinweg assoziiert wird, bei Metonymien jedoch nicht, und somit nicht alle semantischkonzeptuellen Relationen kognitiv gleich aufwändig sind (s. hierzu die Abschnitte 5.1.4, 5.2 u. insgesamt Klix/ Kukla/ Klein 1976). Abgesehen von den Theorien, mit denen man einen solchen Unterschied zu erklären versuchen kann, ist die Tatsache, dass wie schon bei Fill (s. Abschnitt 6.2.1.3) auch in Klepousniotous Daten ein Unterschied zwischen Metapher und Metonymie besteht, aus der Perspektive dieser Arbeit von größter Bedeutung. Klepousniotous Daten sagen aus, dass man für das Verstehen von metaphorischen Bedeutungen länger braucht als für das Verstehen von metonymischen. Meine in Abschnitt 5.2 vorgestellten Daten zeigen hingegen, dass metaphorische Bedeutungen leichter in Bezug auf eine andere Bedeutung desselben Wortes zu motivieren sind als metonymische. Wie bereits beim Vergleich meiner Daten mit denen von Fill (vgl. Abschnitt 6.2.1.3) sieht es hier auf den ersten Blick so aus, als ob sich die Ergebnisse widersprechen, da Metaphern, ganz grob zusammengefasst, in der einen Studie schwieriger erkannt zu werden scheinen, in der anderen jedoch einfacher als Metonymien. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber auch hier, dass keinerlei Widerspruch besteht. Denn was Klepousniotous Experiment erforscht, ist nicht bewusste Motivierbarkeit in dem Sinne, wie sie in der vorliegenden Arbeit untersucht wird, sondern ein Phänomen, das auf einer den Informanten völlig unbewussten Ebene beobachtet werden kann. Vor diesem Hintergrund erscheint der vermeintliche Widerspruch zwischen den beiden Datentypen in einem ganz anderen Licht, denn Unterschiede auf der Ebene des Bewussten und des Unbewussten müssen sich nicht zwingend widersprechen. Auf der Ebene des Bewussten geht es darum, was besser wahrgenommen werden kann. Und Metaphern sind nun mal „more noticeable“ als Metonymien (s. Fauconnier/ Turner 2003: 70). Auf der Ebene des Unbewussten hingegen wird die Reaktionszeit eher verlängert, wenn etwas so auffällig ist, dass es gar nicht ganz unbewusst bleiben kann. Die beiden Datentypen weisen also letztendlich in dieselbe Richtung: Es gibt einen Unterschied in der Wahrnehmung metaphorischer Similarität und konzeptueller Kontiguität und dieser Unterschied besteht darin, dass metaphorische Similarität auffälliger ist als Kontiguität. Dadurch, dass die Daten dasselbe Phänomen auf unterschiedlichen Ebenen der Kognition beschreiben, widersprechen die Ergebnisse sich nicht, sondern ergänzen sich. <?page no="217"?> 217 6.2.2 Formale Ansätze zur Graduierung von Transparenz Im Gegensatz zu den Ansätzen zur Erfassung der semantischen Transparenz zeichnen sich formorientierte Modelle dadurch aus, dass sie wesentlich homogener sind. Dies liegt sicherlich nicht zuletzt daran, dass die Form von Wörtern besser fassbar ist als ihr Inhalt. Formale Transparenz ist im Normalfall über den Grad der formalen Übereinstimmung zweier Wörter oder - je nach Ansatz - lexikalischer Einheiten definiert. Einige Ansätze, die so vorgehen, werden in Abschnitt 6.2.2.1 vorgestellt. Aus psycholinguistischer Perspektive kommt der Aspekt der Art der Verarbeitung hinzu, der zusätzlich zum Grundprinzip der Abstufung nach formaler Übereinstimmung der Stämme auch Transparenzunterschiede zwischen verschiedenen formalen Relationen bewirken kann. Dies wird in 6.2.2.2 am Beispiel der Präfigierung und der Suffigierung diskutiert. In 6.2.2.3 wird erörtert, welche Rolle die Produktivität von WortbiIdungsmorphemen für Transparenz spielt. In Abschnitt 6.2.2.4 wird der in Kapitel 5 bereits angesprochene Einfluss der Frequenz der lexikalischen Einheiten auf Transparenzgrade zusammenfassend erläutert. In Abschnitt 6.2.2.5 wird gezeigt, dass darüber hinaus formale Transparemz auf der phonetischen und der graphischen Ebene nicht zwingend dieselben sein müssen. 6.2.2.1 Der Grad der formalen Übereinstimmung Wie in Abschnitt 6.2.1.2 bereits angesprochen wurde, legt Ullmann (1962) seinen Schwerpunkt auf Abstufungen in der formalen Transparenz. Bemerkenswert ist an seiner Herangehensweise, dass er diese synchron fast ausschließlich im Sprachvergleich definiert. So stellt er Fälle aus dem Deutschen, das er für hochgradig transparent hält, wie zum Beispiel dt. Gesetz - dt. gesetzlich Fällen aus den in seinen Augen weniger transparenten Sprachen Englisch und Französisch gegenüber, indem er weniger transparente Beispiele wie engl. law - engl. legal und fr. loi - fr. légal anführt (1962: 138). Formale Transparenzunterschiede innerhalb ein und derselben Sprache betrachtet er jedoch vornehmlich aus diachroner Perspektive, synchron spricht er lediglich von den Klassen motiviert und opak. Insgesamt zeigt seine relativ unsystematische Klassifizierung in motiviert und opak in beiden Fällen - dem diachron-innersprachlichen und synchron-sprachübergreifenden -, dass Transparenz zwar graduierbar ist und auch nicht von allen Muttersprachlern in gleicher Intensität empfunden werden muss (1962: 123-124), er bleibt jedoch im Vagen, was die genauen Stufen der Transparenz angeht. <?page no="218"?> 218 Einen Schritt weiter geht zum Beispiel Dardano (1978), der es sich zum Ziel setzt, nur diejenigen Wortbildungen zu untersuchen, die für den Sprecher formal transparent beziehungsweise als Wortbildungen wahrnehmbar sind. Zu seinem Programm gehören neben transparenten Wörtern explizit auch verdunkelte und suppletive Formen. Doch ganz davon abgesehen, dass transparent und verdunkelt für ihn wohl das ist, was er selbst und seine Mitarbeiter durch Introspektion als transparent und verdunkelt empfinden, geht er nicht näher auf die Grade der Verdunkelung ein, obwohl er sich der Existenz solcher Abstufungen, wie aus der Einleitung eines seiner Beiträge zur italienischen Wortbildung (1978: 3-19) hervorgeht, durchaus bewusst ist. Auch Scheidegger (1981) erkennt Zwischenstufen zwischen Motivation und Opazität an, die er in Form von einem Inventar an Schwierigkeiten exemplifiziert, auf die man bei der Motivation von Wörtern stoßen kann (1981: 45-58). Dieses Inventar umfasst neben einigen diachron begründeten Schwierigkeiten, die hier nichts zur Sache tun, auch den rein synchron betrachteten Aspekt der formalen Übereinstimmung zweier Einheiten (wobei es ihm allerdings nicht nur um die Transparenz im Wortstamm, sondern auch um diejenige in den Affixen geht). Dabei unterscheidet Scheidegger zwischen einer Sparte „L’écart n’empêche pas la motivation“ und einer Sparte „L’écart empêche la motivation“ (1981: 53). Motivation wird seiner Meinung nach in den Fällen verhindert, in denen die formale Diskrepanz nicht systematisch ist, wie zum Beispiel in fr. ami ‘Freund’ gegenüber ennemi ‘Feind’, das den einzigen Fall darstellt, in dem das Präfix in- und die Basis ami auf diese Art und Weise formal verändert werden. Motiviert bleiben jedoch systematische Veränderungen des Typs fr. direction ‘das Leiten, das Lenken’ gegenüber fr. diriger ‘leiten, lenken’, da diese lautliche Veränderung keinen Einzelfall darstellt (vgl. fr. construction vs. fr. construire etc.; 1981: 53). Obwohl er Stufen der Transparenz annimmt, fehlt auch bei ihm ein Vorschlag zur genauen Graduierung der Transparenz, denn auf Unterschiede wie diejenigen in der Beziehung von fr. dirigeant ‘Leiter’ zu fr. diriger ‘leiten, lenken’ im Vergleich zu der Beziehung von fr. direction ‘das Leiten, das Lenken’ zu fr. diriger ‘leiten, lenken’ geht auch er nicht ein. Wesentlich präziser als die bisher vorgestellten Ansätze ist wieder einmal Fill (1980a u. b). Eines seiner Kriterien, die für die Leichtigkeit der Durchsicht eine Rolle spielen können, ist die phonetische Nähe der Stämme (s. z.B. 1980a: 18). Fill definiert folgende drei Stufen, die bei mehrsilbigen Stämmen alle zusätzlich einer Akzentverlagerung unterliegen können (1980b: 69). <?page no="219"?> 219 Stufe 1: Die Veränderung, der Verlust oder die Einfügung eines oder mehrere Konsonanten, wie in engl. public - engl. publicity. Stufe 2: Die Veränderung, der Verlust oder die Einfügung eines oder mehrerer Vokale, wie in dt. denken - dt. Gedanke. Stufe 3: Konsonantische und vokalische Veränderungen, wie in engl. please - engl. pleasure. Fill lässt jedoch offen, wie diese sehr einfache und leicht anwendbare Skala formaler Transparenz mit seinen inhaltlich definierten Kriterien der Idiomatisierung und der Zahl und Anordnung der formal sichtbar gemachten semantischen Elemente interagiert. Er stellt zwar fest, dass der Grad der formalen Transparenz die Leichtigkeit der Durchsicht insgesamt erschweren muss, da sich einige seiner Daten, die er jedoch nicht systematisch beschreibt, seiner Meinung nach nur so erklären lassen (1980b: 69). Wie genau seine einzelnen Kriterien korrelieren oder ob eine Hierarchie dieser Kriterien zu erwarten ist, erwähnt er aber an keiner Stelle. So bleibt insgesamt zu sagen, dass Fill zwar im Gegensatz zu den meisten Autoren eine Interaktion der formalen und der semantischen Transparenz annimmt, sogar Kriterien zur Erfassung der beiden Bereiche ausarbeitet, es aber versäumt, daraus eine Skala zu erstellen, die das Phänomen der graduierten Transparenz umfassend wiedergibt. Seine im Detail zwar sehr genaue Untersuchung des Englischen und des Deutschen bleibt also insgesamt recht unsystematisch, da er keine Erklärung dafür liefern kann, bei welchem Wort seine Informanten welche Kriterien angewendet haben, was er übrigens auch selbst betont (1980b: 23-24). Hinzu kommt, dass er nicht präzisiert, wie er mit Fällen von Konversion wie engl. love - engl. to love oder gar Fällen von formaler Identität im Sinne von Polysemie umgeht und seine Skala auch in diesem Punkt aus der Perspektive dieser Arbeit als unvollständig gelten muss. Dressler (1985) versteht formale Transparenz teilweise noch wesentlich feinschrittiger als Fill. Er stellt zwei Transparenzskalen vor, wovon eine sich über unterschiedliche Wortbildungstypen hin erstreckt, die andere sich innerhalb verschiedener Suffigierungsmuster bewegt. Dressler geht zunächst davon aus (1985: 328), dass Diagramme mehr oder weniger diagrammatisch sein können. Er illustriert diese Annahme an vier Beispielen: Engl. song ‘Lied’ ist seiner Meinung nach gegenüber engl. sing ‘singen’ aus dem Grund weniger diagrammatisch als engl. singer ‘Sänger’ gegenüber engl. sing ‘singen’, weil es in engl. song keinen formalen Zuwachs gibt. Folglich sieht er auch Konversionen wie diejenige zwischen <?page no="220"?> 220 engl. cut ‘schneiden’ und engl. cut ‘Schnitt’ als nicht diagrammatisch an. Nach dem, was in Kapitel 3 über relationale Diagramme gesagt wurde, können Konversionsbeziehungen aus denselben Gründen wie die Polysemie zur diagrammatischen Transparenz beitragen. Denn sobald eine lexikalische Einheit formal und inhaltlich mit einer anderen lexikalischen Einheit zusammenhängt, hängen die beiden Einheiten per definitionem diagrammatisch zusammen. Sein viertes Beispiel, die Subtraktion, beschreibt Dressler (1985: 328) sogar als anti-diagrammatisch „because less form contradicts more meaning”. Laut Dressler ist der Wortbildungstyp der Subtraktion zwar äußerst selten, aber er kommt dennoch vor, wie zum Beispiel in ungarischen Diminutiven wie ung. zongi ‘liebes kleines Klavier’ gegenüber ung. zongora ‘Klavier’. Wenn wir diesen und ähnliche Fälle aus dem Blickwinkel der strukturellen Diagramme betrachten, könnte man in der Tat sagen, dass ung. zongi wirklich nicht diagrammatisch ist. Aus der Perspektive der relationalen Diagramme ist ung. zongi jedoch unbedingt ein Diagramm, weil zwischen ung. zongora ‘Klavier’ und ung. zongi ‘liebes kleines Klavier’ gleichzeitig eine formale und eine semantische Beziehung bestehen. Im selben Aufsatz stellt Dressler nach seinen Überlegungen zur Diagrammatizität unterschiedlicher Wortbildungstypen eine sehr feinkörnige achtstufige Skala morphotaktischer 11 Transparenz auf, die sich ausschließlich auf Suffigierungen bezieht (1985: 330-331). Diese Skala umfasst nicht nur Stufen dessen, was man allgemein als transparent bezeichnet, sondern auch zwei Stufen (VII und VIII) der Suppletion (1985: 331). Er unterscheidet über diese beiden Stufen schwache von starker Suppletion: bei der schwachen Suppletion verändert sich der Stamm in einer Art, die aus 11 Zur Terminologie von morphotaktisch vs. morphosemantisch: Morphotaktische Transparenz besteht z.B. laut Thornton (2005: 165), wenn in der morphologischen Struktur eines Signifikanten Morpheme vorhanden sind, die einzelnen Komponenten des Signifikaten entsprechen. Als Beispiel führt sie Fälle wie it. parl-a ‘er/ sie/ es spricht’ im Vergleich zu it. è ‘er/ sie/ es ist’ an (2005: 165). Es handelt sich hierbei also um den Fall eines klassischen strukturellen Diagramms in der Flexion des Italienischen. Morphosemantisch transparent sind für Thornton (2005: 166) Fälle wie fondazione ‘Akt des Gründens’, wo man ebenfalls den einzelnen Morphemen bestimmte semantische Eigenschaften zuordnen kann, gegenüber morphosemantisch opaken Fällen wie fondazione ‘Stiftung’, deren Bedeutung nicht mehr aus den Bedeutungen der einzelnen Komponenten erschlossen werden kann, sondern idiomatisch lexikalisiert ist. Die so gemachte Unterscheidung in morphotaktisch und morphosemantisch scheint sich also darauf zu beziehen, ob es sich um Transparenz in der Flexion oder in der Wortbildung handelt. Dressler spricht zwar von morphotaktischer Transparenz, die meisten Stufen seiner Skala beziehen sich jedoch auf Transparenz in der Wortbildung. S.u. zur Kritik an der Anordnung zweier unterschiedlicher Phänomene auf derselben Skala. <?page no="221"?> 221 synchronener Sicht unregelmäßig ist (1985: 331). Dressler führt als Beispiel engl. child ‘Kind’ an, das im Plural zu childr+en ‘Kinder’ wird. Die starke Suppletion entspricht völliger formaler Opazität, die Dressler an den unterschiedlichen Stämmen des englischen Verbes to be exemplifiziert: be ‘sein’, am ‘bin’, is ‘ist’, are ‘bist, sind, seid’. Selbstverständlich setzt Dressler diese beiden Suppletionstypen ans Ende seiner Skala, weil sie „most unnatural on the scale of morphotactic transparency” sind (1985: 330), und zwar aus dem Grund, dass das Minimum an formaler Ähnlichkeit, das man braucht, um eine Einheit als transparent in Bezug auf eine andere ansehen zu können, fehlt. Ganz davon abgesehen, dass es sich folglich auf jeden Fall bei der starken, eventuell aber auch bei der schwachen Suppletion bereits um Stufen der Opazität und nicht der Transparenz im engen Sinne handelt, ist die Einordnung dieser Flexionsbeispiele auf eine Skala, auf der sich sonst nur Wortbildungsbeispiele finden, auch aus einem anderen Grund mit Vorsicht zu genießen. Zwar betreffen Dresslers Beispiele durchweg Fälle von Suffigierung im weiten Sinne, doch ist allgemein bekannt, dass es wichtige Unterschiede zwischen Flexions- und Wortbildungssuffixen gibt, die er hier auf derselben Skala anordnet. Zum einen unterscheidet man in der Morphologie Flexion und Wortbildung strikt (Wurzel 1988, Laca 2001, Apothéloz 2002, Booij 2000, Plag 2003), da Flexionssuffixe die lexikalische Wortbedeutung nur grammatisch modulieren, sie jedoch nicht verändern, was wiederum eine der Hauptleistungen von Wortbildungssuffixen ist. Des Weiteren ist aus der Psycholinguistik bekannt, dass aus genau diesem Unterschied auch Unterschiede in Bezug auf das mentale Lexikon resultieren, und zwar sowohl was die Art des Zugriffs auf dieses als auch dessen Struktur betrifft (s. z.B. Laudanna 1990, Laudanna/ Bedecker/ Caramazza 1992, Marslen-Wilson/ Tyler/ Waksler/ Older 1994: 4-5). Bezüglich der Flexion besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Flexionssuffixe zusammen mit Regeln gespeichert sind und somit bei jedem Zugriff neu generiert werden. Im Gegensatz dazu gibt es in Bezug auf wortgebildete Einheiten Evidenzen sowohl für eine Neugenerierung aus Basis und Suffix bei jedem Zugriff als auch für einen direkten Zugriff auf die ganze wortgebildete Einheit, die somit einen eigenen Eintrag im mentalen Lexikon hätte. 12 Auf Grund der Tatsache, dass reine Flexion keine Wörter bildet, 13 sondern 12 Die verschiedenen Dual-Route-Modelle gehen allerdings davon aus, dass in der Flexion und in der Wortbildung auf ein und dieselbe Form sowohl direkt als Ganzes als auch über ihre Teile zugegriffen werden kann (s. hierzu z.B. Hay 2003, Plag 2003, Ullman/ Corkin/ Coppola/ Hickok/ Growdon/ Koroshetz/ Pinker 1997 und Vannest/ Polk/ Lewis 2005). 13 Dies schließt nicht aus, dass einige Verfahren der Flexion in manchen Fällen auch als Wortbildungsverfahren eingesetzt werden können. Dies betrifft z.B. die Phäno- <?page no="222"?> 222 sie grammatisch moduliert, und den daraus resultierenden Unterschieden in Bezug auf das mentale Lexikon ist anzunehmen, dass im Bereich der Motivierbarkeit Flexion eine wesentlich geringere Rolle spielt als Wortbildung. Es sei hinzugefügt, dass zwar fraglich ist, ob die von Dressler gewählten Beispiele für Suppletion auf derselben Skala anzuordnen sind wie seine Wortbildungsbeispiele, jedoch gibt es selbstverständlich auch in der Wortbildung Fälle von Suppletion, durch die man Dresslers Flexionsbeispiele einfach ersetzen könnte, wie zum Beispiel engl. city ‘Stadt’ - engl. urban ‘städtisch’. In dieser Arbeit sollen solche Fälle jedoch nicht im Bereich der diagrammatischen Transparenz und Motivation angesiedelt werden, da starke Suppletion impliziert, dass keinerlei formale Beziehung vorhanden ist, deren Existenz ja eine Grundvoraussetzung für lexikalische Motivation ist. Stufen I-III der Dresslerschen Skala betreffen die Transparenz auf der phonologischen Ebene. Dressler (1985: 330) unterscheidet erstens Fälle, in denen absolute phonologische Übereinstimmung herrscht zwischen der Basis und dem Stamm des abgeleiteten Wortes (Stufe I, z.B. engl. excite $ ment ‘Aufregung’ in Bezug auf engl. excite ‘aufregen’), zweitens Fälle, in denen phonologische Regeln ansetzen (Stufe II, auf der zum Beispiel die in der gesprochenen Sprache übliche Verschiebung der Silbengrenzen wie in engl. exis $ t+ence ‘Existenz’ gegenüber engl. exist ‘existieren’ anzusiedeln ist) und drittens Fälle, in denen phonologische Regeln neutralisiert werden (Stufe III, rid+er ‘Reiter’ gegenüber ride ‘reiten’, amerikanisches Englisch; weitere Beispiele zum Polnischen in Dressler 2000: 291). Fraglich ist, inwieweit diese Stufen, die ausschließlich die phonetisch-phonologische Ebene der Transparenz betreffen, überhaupt eine negative Auswirkung auf die Motivierbarkeit von lexikalischen Einheiten haben. Fill zum Beispiel distanziert sich nach seinen Informantenbefragungen explizit von derart feinkörnig gestufter Transparenz (1980b: 68-69), da die Informanmene der Genus- und der Numerusalternanz. Die Genusalternanz wird zwar z.B. von Dardano und Trifone (1985: 324-349, Kapitel über Wortbildung) mit keinem Wort als Wortbildungsverfahren erwähnt. Wie in Abschnitt 2.2.3 gezeigt wurde, hat Genusalternanz im Italienischen aber eindeutig wortunterscheidende Funktion (s. it. pero ‘Birnbaum’ - it. pera ‘Birne’). Der Genuswechsel ist in diesen Fällen weit mehr als nur ein rein grammatisches Verfahren, Maskulinum und Femininum zu unterscheiden, wie z.B. bei den italienischen Adjektiven auf -o und -a (it. bello/ bella ‘schön’). Anders ausgedrückt: Pera ist nicht einfach das weibliche Gegenstück zu pero, sondern hier wird mit der Veränderung eines Genusmorphems ein neues Wort gebildet, das eine eigene Bedeutung trägt. So können Genusmorpheme im Italienischen in manchen Fällen als Wortbildungsmorpheme eingesetzt werden, und verlieren in diesen Fällen ihren Status als reine Genusmorpheme. Ähnliches gilt für Fälle von Numerusalternanz des Typs fr. manière ‘Art und Weise’ - fr. manières ‘Manieren’. <?page no="223"?> 223 ten sich durch diese Art von Verdunkelungen nicht wesentlich gestört zu fühlen scheinen. In den Stufen IV-VI unterscheidet Dressler Stufen auf der morphotaktischen Ebene (1985: 330-331). Stufe IV umfasst die transparentesten Fälle der morphologischen Ebene. Hier setzen zum ersten Mal morphonologische Regeln an: Engl. electric+ity ‘Elektrizität’ und engl. electric ‘elektrisch’ unterscheiden sich durch Stammallomorphie. Stammallomorphie liegt auch bei Stufe V (z.B. Englisch conclusion ‘Schlussfolgerung’ gegenüber engl. conclude ‘schlussfolgern’) vor, wird hier jedoch zusätzlich von einer Fusion des Stammauslautes mit dem Suffix begleitet. Dasselbe ist in Stufe VI der Fall, wobei die Veränderungen hier noch einen Schritt weiter gehen und auch den Vokalismus des Stammes betreffen (z.B. engl. decision ‘Entscheidung’ gegenüber engl. decide ‘entscheiden’). Bauer (2001: 52-53) charakterisiert diese Skala zusammenfassend als Uniformitätsskala für Stammmorpheme, da Dressler von Stufe I bis VIII im Prinzip die Uniformität der Stämme beschreibt. Je uniformer ein Stammmorphem ist (vgl. hierzu auch Mayerthaler 1981: 34-35), desto transparenter sind die Wörter, in denen es vorkommt. Wenn man nun diese achtstufige Skala morphotaktischer Transparenz für Suffigierungen mit Dresslers eingangs beschriebener wortartenübergreifender Skala der Diagrammatizität vergleicht, ist es interessant zu sehen, dass das Prinzip der formalen Übereinstimmung in diesen beiden Skalen offenbar dazu herangezogen wird ein Phänomen und sein genaues Gegenteil zu erklären. Das Prinzip der formalen Übereinstimmung liegt nämlich einerseits den Graden Dresslers morphotaktischer Skala zu Grunde, wo weniger formale Übereinstimmung der Stammmorpheme zu weniger Transparenz führt. Würde Dressler Polysemie in seine Überlegungen einbeziehen und bei seiner Studie anstatt von Wörtern von lexikalischen Einheiten ausgehen, wäre die Beziehung der formalen Identität, da sie formale perfekte Übereinstimmung des Stammes impliziert, so wohl am transparentesten. Andererseits begründet Dressler aber seine Einordnung von Konversionen als schlechter diagrammatisch und folglich opaker als etwa Suffigierungen genau darüber, dass bei Konversionen kein formaler Zuwachs mit im Spiel ist, was bedeutet, dass hier größere formale Übereinstimmung zwischen ganzen Wortformen die Transparenz einschränkt, was auch für Polysemiebeispiele gelten würde. Diese unterschiedliche Behandlung von Morphemen und Wortformen in Bezug auf Transparenz ist äußerst irritierend, wenn man bedenkt, dass diagrammatische und morphotaktische Transparenz, die Dressler als formale und gleichzeitig semantische Transparenz definiert (1985: 323), zumindest aus kognitiver und psycholinguistischer Perspektive genau dasselbe sind. Ein Diagramm (egal ob auf der Ebene der Wörter oder aber der Morphe- <?page no="224"?> 224 me) ist nun einmal nur Dank seiner Transparenz ein Diagramm, denn wird die Ähnlichkeit zwischen Form und Inhalt einer Einheit oder der Bezug zwischen zwei Formen und zwei Inhalten zweier Einheiten nicht wahrgenommen, handelt es sich bei der betrachteten lexikalischen Einheit auch nicht mehr um Ikone, sondern eben um arbiträre Symbole. Um Transparenzabstufungen in der Motivierbarkeit lexikalischer Einheiten adäquat beschreiben zu können, wäre auf jeden Fall eine wortbildungsartenübergreifende Transparenzskala anzustreben, die Dressler, wie wir gesehen haben, zwar in Ansätzen am Rande vorstellt, jedoch nicht ausarbeitet. Nichtsdestotrotz ist diese Skala wie auch Fills Skala ein erster Schritt zu auf eine Beschreibung von Transparenzunterschieden im Lexikon. Es spräche auch prinzipiell nichts dagegen, eine Skala zu erstellen, die beide von Dresslers Skalen integriert, also eine Skala, die zwar verschiedene Wortbildungsarten umfasst, aber auch Transparenzunterschieden innerhalb der einzelnen Wortbildungsverfahren Rechnung trägt, wenn auch eine so feinkörnige Skala wie Dresslers achtstufige im Bereich der Motivierbarkeit lexikalischer Einheiten sicherlich nicht vonnöten ist. Offen bleibt auch noch die Frage, wo genau das Motivationsverfahren der formalen Identität auf solch einer Skala unterzubringen wäre, doch soll dies später anhand von Kochs und Marzos Skala (2007) gezeigt werden. Ein wesentlicher Punkt, der in Dresslers Skala zwar implizit enthalten ist, dessen Bedeutung er jedoch weit unterschätzt, ist die semantische Seite der Wortbildung. Als typische relationale Diagramme haben wortgebildete Einheiten eine formale und semantische Seite, die zwar in der Wortbildungsforschung im Allgemeinen vorausgesetzt wird, jedoch dennoch oft in den Hintergrund tritt. Dressler definiert morphotaktische Transparenz explizit als morphosemantisches Phänomen (1985: 323). Dass seine beiden Skalen auf rein formalen Kriterien beruhen, muss also bedeuten, dass für ihn Form und Bedeutung in Transparenzfragen Hand in Hand gehen. Gibt es eine Abstufung in der formalen Transparenz, verhält sich die Semantik parallel dazu. Ein Blick auf die empirische Grundlage, auf der er seine Skalen erstellt, hat allerdings diesbezüglich weitreichende Folgen für seine Skalen. Denn Dresslers Abstufungen beruhen auf psycholinguistischen Experimenten von MacKay (1978), die nur einen kleinen Teil der semantischen Relationen zu Grunde legen, die es zwischen einem Derivat und seiner Basis geben kann. Mit seinen Experimenten beweist MacKay zwar, dass der Stamm eines suffigierten Wortes perzeptuell am besten isoliert werden kann, wenn er Dresslers Transparenzstufe I entspricht, und dass die Isolierung eines Stammes immer schwieriger wird, je unterschiedlicher die Stämme der Basis und der abgeleiteten Form sind. MacKays Datengrundlage lehrt uns jedoch, dass diese Schlussfolgerungen strenggenommen nur für die Relation der kon- <?page no="225"?> 225 zeptuellen Identität und diejenige der Kontiguität gelten können, da die Relation zwischen den sprachlichen Daten, die er überprüft, eben hauptsächlich diejenige der Kontiguität, wie in engl. to govern ‘regieren’ - engl. government ‘die Institution der Regierung’, und in einigen Fällen diejenige der konzeptuellen Identität, wie in engl. to assign ‘jemandem etwas zuschreiben’ - engl. assignment ‘das Zuschreiben von etwas an jemanden’, ist. Die Ergebnisse der Experimente von MacKay können also nichts darüber aussagen, wie die Informanten reagiert hätten, wenn eine andere semantische Relation zwischen der abgeleiteten Form und ihrer Basis bestanden hätte, wie zum Beispiel diejenige der metaphorischen Similarität. Wie in Kapitel 5 und ansatzweise auch von Fill (1980a u. b) und Klepousniotou (2002) gezeigt wurde, hängt die Motivierbarkeit und somit die Transparenz lexikalischer Einheiten jedoch wesentlich von den semantischen Relationen zu ihren potentiellen Motivationspartnern ab. In der vorliegenden Arbeit konnte vor allem ein Einfluss der semantischen Relation zum potentiellen intrinsischen Motivationspartner auf die Frage, ob extrinsisch oder intrinsisch motiviert wird, festgestellt werden. Und freilich untersuchen sowohl MacKay als auch Dressler nur extrinsische Relationen. Doch kann auch die Transparenz eben dieser extrinsischen Relationen von der Art der semantischen Relation abhängen. Sicherlich ist die semantische Relation der metaphorischen Similarität eher untypisch für eine Beziehung zwischen einer suffigierten Einheit und ihrer Basis, 14 es lassen sich aber in den Sprachen der Welt durchaus Beispiele dafür finden, wie das bereits erwähnte it. rosone ‘Rosette (= eine bestimmte Art Kirchenfenster)’ in Bezug auf rosa ‘Rose’ 15 oder aber russ. носик ‘Schnabel einer Kanne’ in Bezug auf нос ‘Nase’. Die Ergebnisse aus Kapitel 5 zeigen, dass spätestens, wenn Daten aus Informantenbefragungen ins Spiel kommen, Transparenz immer zusammen in ihrer formalen und semantischen Dimension untersucht werden muss. Bauer (2001: 53) sieht die semantische Dimension der Transparenz als einen Subtypus formaler Transparenz an, wie Dressler sie definiert. Er bestimmt anhand der beiden logisch möglichen Abweichungen des Isomorphieprinzips zwei angeblich semantisch orientierte Subtypen von Transparenz. Gegen das Isomorphieprinzip kann einerseits verstoßen werden 14 Dies ist auch der Grund dafür, warum die Untersuchungen der vorliegenden Arbeit nicht eine Untergruppe X an Stimuli mitbetrachten, die über metaphorische Similarität (X/ MET) bzw. Kontiguität (X/ KON) zu ihrem potentiellen extrinsischen Motivationspartner in Beziehung stehen. Denn in der Tübinger Polysemiedatenbank sind praktisch keine Kandidaten für eine Gruppe X/ MET vorhanden. 15 Dies gilt unter der Bedingung, dass it. rosone ‘Rosette (= eine bestimmte Art Kirchenfenster)’ nicht in Bezug auf den nicht lexikalisierten Augmentativ it. rosone ‘große Rose’ motiviert wird, was mit weiteren Informanten getestet werden müsste. <?page no="226"?> 226 durch Mangel an Uniformität, das heißt, das Bestehen von Allomorphie und Synonymie, und andererseits durch Mangel an Monofunktionalität, das heißt Polysemie. Beide Verstöße können laut Bauer sowohl auf Basen als auch auf Affixe zutreffen, wobei er die Uniformität der Basen auch über die Affixe definiert (2001: 53): „English inflectional -ing causes no allomorphy in the base.“ Bauer schreibt zwar in Bezug auf diese Untertypen (2001: 53) „the focus is on the semantic side of transparency“, doch bleiben diese Typen strenggenommen formal, da sie nichts darüber aussagen, wie leicht oder schwer die Semantik einer Einheit zu durchschauen ist, sondern lediglich, ob Form und Inhalt in einem 1: 1-Verhältnis zueinander stehen, was jedoch, wie in Abschnitt 3.2 und in Kapitel 4 gezeigt wurde, keine Grundvoraussetzung für semantische Transparenz und Motivierbarkeit insgesamt ist. Davon abgesehen, dass die Interdependenz der formalen und der semantischen Seite der Transparenz wie bei Dressler auch bei Koch und Marzo (2007) noch nicht beachtet wird, wird dort Dresslers sehr feinkörnige Abstufung nach Fills Vorbild zu einer vierstufigen Transparenzskala zusammengefasst, die - und das ist der eigentliche Fortschritt gegenüber den anderen formalen Skalen - auch die Polysemie im Sinne von formaler Identität beinhaltet (nach Koch/ Marzo 2007: 272): 1. Triviale Fälle absoluter Transparenz, die auf Polysemie beruhen, wie in it. uomo ‘Mensch’ - uomo ‘Mann’. 2. Absolute Transparenz: es besteht keine Stammallomorphie, wie in it. amore ‘Liebe’ - amare ‘lieben’. 3. Verminderte Transparenz: es besteht Allomorphie an dem Ende des Stammes, an dem ein Affix angehängt wird, wie in it. decisione ‘Entscheidung’ - decidere ‘entscheiden’. 4. Minimale Transparenz: Es besteht Allomorphie in anderen Teilen des Stammes, wie in fr. jeu ‘Spiel’ jouer ‘spielen’. Im Einklang mit dem Prinzip, dass mehr formale Übereinstimmung mehr formale Transparenz bedeutet, wird Polysemie in diesem Modell auf Stufe 1 angesiedelt. Stufen 2-4 betreffen wie bei Fill jeweils den Grad der Veränderung im Stamm, wobei Stufe 4 anders als 3 nicht die Stammenden, sondern zentralere Teile des Stammes betrifft. Offen bleibt jedoch auch hier die Frage, inwieweit nun die semantischen Relationen den Durchblick auf einen Motivationspartner beeinflussen können. <?page no="227"?> 227 6.2.2.2 Transparenzabstufungen nach unterschiedlichen formalen Relationen: Präfigierung versus Suffigierung In Abschnitt 6.2.1.4 wurde gezeigt, dass unterschiedliche semantische Relationen unterschiedlich schnelle Reaktionen bewirken. Daher sollte der Transparenzgrad einer lexikalischen Einheit neben der formalen Seite auch über die semantische Relation bestimmt werden, die zwischen der lexikalischen Einheit und ihrem Motivationspartner besteht. Unterschiede in der Zeit, die Versuchspersonen benötigen um einen Stimulus zu verstehen, sind auch in Bezug auf formale Relationen zu beobachten. Die Psycholinguistik untersucht zum Beispiel traditionell Unterschiede zwischen verschiedenen Typen von Affigierungen. Im Folgenden sollen besonders die Präfigierung und die Suffigierung betrachtet werden. Zusammenfassend kann man sagen, dass Präfigierungen langsamer verstanden werden als Suffigierungen, da bei Präfigierungen der Stamm später aktiviert wird als bei Suffigierungen. Ein Präfix blockiert den Zugang zum Stamm insofern, als es im mentalen Lexikon Einträge aktiviert, die ihm selbst formal ähneln, aber nicht dem Stamm, mit dem es verbunden ist. Man bleibt also zunächst im Dunkeln, was die Wortbedeutung angeht. Bei Suffigierungen hingegen wird sofort der Teil, der wesentlich für die Wortbedeutung ist, aktiviert. Wenn dann das Suffix wahrgenommen wird, ist man also, was die lexikalische Bedeutung angeht, schon längst auf der richtigen Fährte (vgl. hierzu z.B. Cole/ Beauvillain/ Segui 1989). 16 Wohlgemerkt gilt dies dann, wenn entweder die präfigierten oder suffigierten Wörter das Target in einem Primingexperiment sind und die Ableitungsbasis den Prime darstellt, oder aber dann, wenn ohne Prime die Zeit gemessen wird, welche die Informanten brauchen, um präfigierte beziehungsweise suffigierte Wörter zu erkennen. Bei Versuchsanordnungen, in denen die präfigierten und suffigierten Wörter das Primewort darstellen, die Targets jedoch die Ableitungsbasis oder andere Wörter aus derselben Wortfamilie sind, sind die Verhältnisse etwas anders, wobei aber auch hier ein prinzipieller Unterschied zwischen dem Einfluss von präfigierten Wörtern und demjenigen von suffigierten Wörtern auf das Verständnis der Targets bestehen bleibt. Ein so aufgebautes Experiment beschreiben Meunier und Segui (2002). Meunier und Segui (2002: 89) möchten mit ihrer Studie die lexikalische Repräsentation affigierter französischer Wörter untersuchen. Es geht ihnen besonders darum herauszuarbeiten, wie die morphologische Struktur und die phonematische Transparenz zusammenhängen. In ihrem Ex- 16 Dies mag ein Grund dafür sein, warum Suffigierungen in den romanischen Sprachen präferiert werden (vgl. Wandruszka 1993). <?page no="228"?> 228 periment stellen die abgeleiteten Wörter die Primes, die Basiswörter die Targets dar. Die Primes werden akustisch, die Targets hingegen visuell dargeboten (zu dieser Vorgehensweise vgl. Abschnitt 6.2.2.5). Insgesamt haben Meunier und Segui (2002: 93) sowohl aus dem Bereich der Präfigierung als auch aus dem Bereich der Suffigierung fünf Typen von Prime- Target-Paaren getestet: Gruppe 1 besteht aus Paaren, die morphologisch zusammenhängen und sowohl semantisch als auch phonologisch transparent sind (fr. impartial ‘unparteiisch’ - fr. partial ‘parteiisch’ u. fr. brutal ‘brutal’ - fr. brute ‘ungehobelter, etwas brutaler Mensch’). In Gruppe 2 sind die Bedingungen gleich wie in Gruppe 1, nur ist der Zusammenhang phonologisch verdunkelt (fr. imberbe ‘bartlos’ - fr. barbe ‘Bart’ u. fr. circulaire ‘kreisförmig’ - fr. cercle ‘Kreis’). Gruppe 3 besteht aus Paaren, die nicht morphologisch zusammenhängen, die sich aber phonologisch ähneln (fr. adorer ‘anhimmeln’ - fr. dorer ‘vergolden’ u. fr. louper ‘verpassen’ - fr. loup ‘Wolf’). Gruppe 4 beinhaltet Paare, die nur inhaltlich zusammenhängen (fr. placer ‘plazieren’ - fr. situer ‘situieren’). In Gruppe 5 sind die Partner beide jeweils von derselben Basis abgeleitete Wörter (fr. retourner ‘umkehren’ - fr. contourner ‘umgehen’). Die Annahmen bezüglich dieser Gruppen waren folgende: In Gruppe 1 sollte es einen Primingeffekt geben. Mit Gruppe 2, bei der auch ein Effekt erwartet wurde, sollte ausgeschlossen werden, dass der Effekt in Gruppe 1 nur durch die phonologische Ähnlichkeit bedingt ist. Wenn es in Gruppe 2 wie in Gruppe 1 einen Effekt gibt, bedeutet dies, dass er nicht phonologisch, sondern morphologisch begründet ist, denn die Phonologie ist in Gruppe 2 ja verdunkelt. Auch Gruppe 3 wurde eingeführt, um einen rein phonologischen Effekt ausschließen zu können. Denn wenn es in dieser Gruppe einen Effekt gibt, dann bedeutet dies, dass der Effekt in den Gruppen 1 und 2 nicht unbedingt morphologisch ist. Zum Grund der Einführung von Gruppe 4 sagen die Autoren nichts, doch ist wohl auch sie als Kontrollgruppe gedacht. Für Gruppe 5 erwarten die Autoren einen Primingeffekt, der etwas geringer als bei direkt zusammenhängenden Paaren ausfällt. In Bezug auf den untersuchten Unterschied zwischen Präfigierungen und Suffigierungen lässt sich zusammenfassend Folgendes sagen (für eine genauere Darstellung der Ergebnisse s. Meunier/ Segui 2002: 96ff.): 1. Die rein semantische Gruppe 4 zeigt einen Primingeffekt. 2. Präfigierte Wörter als Prime haben einen fazilitierenden Effekt für die Erkennung der als Target präsentierten Ableitungsbasis und zwar nicht nur in Gruppe 1 und 5, sondern auch in Gruppe 2, wo die Durchsicht auf den Stamm verdunkelt ist. Suffigierte Wörter hingegen aktivieren ihren Stamm nur vor, wenn die phonologische Relation zwischen den Stämmen deutlich transparent ist. <?page no="229"?> 229 3. Bei rein phonologischer Ähnlichkeit (Gruppe 3) gibt es keinen Effekt. Ergebnis 1 bestätigt, wovon heutzutage theorienunabhängig ausgegangen wird: semantisch zusammenhängende Wörter primen und aktivieren einander. Wichtig ist dieses Ergebnis meines Erachtens vor allem, um den Stellenwert der weiteren Ergebnisse genauer bestimmen zu können. Denn wird in Gruppe 4 ein Primingeffekt beobachtet, bedeutet dies, dass die Semantik auch in den anderen Gruppen, in denen die Autoren eigentlich nur die Form untersuchen wollten, höchstwahrscheinlich einen Einfluss auf die Ergebnisse gehabt hat. Meunier und Segui (2002: 96-97) weisen dies zwar mit der Begründung zurück, dass die semantischen Relationen zwischen den nur semantisch zusammenhängenden Wörtern viel stärker seien als die semantischen Relationen, die zwischen morphologisch relationierten Paaren bestehen, da es sich im ersten Falle um Synonyme und folglich semantische Identität handelt, in den übrigen Fällen jedoch nicht. Hiermit erkennen sie implizit Unterschiede in der Transparenz zwischen semantischen Relationen an, die meiner Meinung nach herangezogen werden können, um die Aussagekraft ihres Ergebnisses 2 wie folgt zu schwächen: Bedenkt man, dass zwischen den präfigierten Wörtern, die Meunier und Segui als Primes ausgesucht haben, und deren Basis hauptsächlich Kontrastrelationen bestehen, zwischen den suffigierten Wörtern des Samples und ihrer Basis hingegen hauptsächlich Kontiguitätsrelationen, muss man sich fragen, ob es wirklich (nur) der Unterschied zwischen Präfigierungen und Suffigierungen ist, der bewirkt, dass Präfigierungen den Zugang zu ihrem Stamm in allen Gruppen erleichtern, Suffigierungen jedoch nicht. Denn bestehen Unterschiede in der Verarbeitung von Similaritäts- und Kontiguitätsrelationen, kann man einen solchen Unterschied prinzipiell und unter anderen Relationen auch zwischen Kontiguität und Kontrast annehmen. Zudem hätten die Autoren, um sicher sein zu können, dass es bei Ergebnis 3 nicht einen minimalen fazilitierenden Effekt gibt, noch eine Gruppe von Prime-Target-Paaren einführen müssen, in der weder ein formaler noch ein semantischer Zusammenhang zwischen Prime und Target besteht. Insgesamt versuchen die Autoren also zwar einen Unterschied zwischen Präfigierung und Suffigierung herauszuarbeiten, jedoch ist nicht geklärt, inwieweit die Semantik auch hier eine Rolle spielt. Ein sorgfältigerer Aufbau der Experimente hätte eventuell den Einfluss der Semantik ausschließen können (vgl. Abschnitt 6.2.2.5). Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass es Unterschiede im Zugriff auf präfigierte und suffigierte Wörter gibt, die sich unter Umständen auch auf den Grad der Motivierbarkeit einer lexikalischen Einheit aus- <?page no="230"?> 230 wirken können (vgl. auch Kap. 3 in Hay 2003 über die Wahrnehmung präfigierter und suffgierter Wörter als solcher). 6.2.2.3 Produktivität und Transparenzgrade Im Zusammenhang mit Transparenz wird auch häufig das Prinzip der Produktivität genannt. Koefoed und van Marle (2000: 303) definieren Produktivität in der Wortbildungsmorphologie ganz allgemein darüber, dass bestimmte Wortbildungsmuster im Prinzip eine offene Kategorie darstellen und folglich unendlich viele Wörter nach diesem Muster gebildet werden können (vgl. auch Apothéloz 2002: 51-52 u. Aronoff/ Anshen 1998: 242). Als ein Beispiel führen sie die Regel an, dass das englische Suffix -ness an unendlich viele Adjektive angehängt werden kann um ein Substantiv zu bilden. Sowohl die Regel als auch das Suffix und die Basis können als produktiv angesehen werden. Koefoed und van Marle (2000: 303) betonen, dass sowohl formale als auch semantische Transparenz notwendige Bedingungen für Produktivität sind, jedoch sind sie keine hinreichenden Bedingungen dafür. In anderen Worten bedeutet dies, dass alles, was produktiv ist, auch relativ transparent ist, das, was transparent ist, aber nicht unbedingt produktiv sein muss (vgl. auch Schpak-Dolt 2 2006: 83). Bauer (2001: 97-98) präzisiert, dass Transparenz zwar eng mit Produktivität einhergeht, aber keineswegs mit ihr gleichzusetzen ist. Bereits Aronoff und Schvaneveldt (1978) haben gezeigt, dass die Produktivität von Wortbildungsmustern eng mit vor allem formaler Transparenz zusammenhängt. In einem Lexical Decision Task (vgl. Abschnitt 4.3.1) zu Gruppen von existierenden Wörtern, möglichen Wörtern und Nichtwörtern haben sie gezeigt, dass auch nicht existierende aber mögliche Wörter von den Informanten durchaus als Wörter akzeptiert werden. Die untersuchten Suffixe waren engl. -ness und engl. -ity. Um ein möglichst einheitliches Material zu gewährleisten, haben sie als Stimuli nur Formen auf -ivity und -iveness getestet. Die drei Gruppen der existierenden, möglichen und Nichtwörter sahen folgendermaßen aus: Engl. objectivity gibt es wirklich, engl. *reflectivity wäre möglich, da es sowohl die Basis als auch die Endung gibt, wohingegen engl. *rassivity ein Nichtwort ist, da es zwar nach der Phonologie des Englischen wohlgeformt ist, die Basis aber nicht existiert. Im Vergleich zu gleich beschaffenen Gruppen aus Wörtern auf -iveness hat sich herausgestellt, dass die möglichen Wörter mit dem Suffix -ness (engl. *reflectiveness) eher als Wörter akzeptiert wurden als die möglichen Wörter auf -ity (engl. *reflectivity). Offen bleibt bei Aronoff und Schvaneveldt (1978) jedoch die Frage, ob dies daran liegt, dass das Suffix -ness produktiver als -ity ist oder daran, dass bei den Wörtern auf -iveness sowohl die orthographische Form des Adjektivs <?page no="231"?> 231 ganz im Substantiv enthalten ist, also absolute orthographische Transparenz besteht, als auch die Aussprache sich nicht verändert, also absolute phonetische Transparenz besteht (im Gegensatz zur Verschiebung der Betonung bei den Formen auf -ivity). An dieser offenen Frage setzen die Untersuchungen von Anshen und Aronoff (1981) an. Sie erinnern an die Tatsache, dass die Produktivität eines Affixes von Basis zu Basis variieren kann (1981: 66), was bedeutet, dass -ness nicht absolut produktiver ist als -ity. Findet man eine Basis, mit der -ness weniger produktiv ist als -ity und bei der sich die Transparenzverhältnisse mit denjenigen bei -iveness und -ivity decken, kann über einen Vergleich festgestellt werden, ob es der Grad an Produktivität oder der Grad an Transparenz ist, der die Erkennung von Pseudowörtern fördert. Aus diesem Grund wiederholen Anshen und Aronoff (1981) das Experiment von Aronoff und Schvaneveldt mit Stimuli, die auf -ibility und -ibleness enden, bei denen der Stamm der Basis also nicht mehr auf -ive, sondern auf -ible endet. Sie berechnen anhand des Verhältnisses von tatsächlich existierenden zu möglichen Wörtern, dass das Muster -ibility produktiver als das Muster -ibleness ist. Die formale Transparenz verhält sich hierbei genau wie bei den Stimuli auf -iveness und -ivity: Wörter auf -ibleness sind sowohl orthographisch als auch phonetisch transparenter als Wörter auf -ibility. In ihrem Experiment ergibt sich nun, dass mögliche Wörter auf -ibility von den Informanten eher als englische Wörter akzeptiert werden als mögliche Wörter auf -ibleness. Daraus schließen sie, dass die Produktivität des Wortbildungsmusters abgeleiteter Formen für die Akzeptanz von Wörtern als solche eine wichtigere Rolle spielt als die formale Transparenz (1981: 67). In Bezug auf formale Transparenzgrade bedeutet dies Folgendes: Scheinbare absolute formale Transparenz impliziert nicht zwingend, dass die Wörter auch am leichtesten auf ihre Basis zurückgeführt werden können. Hier kann die Produktivität des Wortbildungsmusters modulierend eingreifen und dazu führen, dass formal weniger transparente Wörter eventuell leichter zu ihrer Wortbildungsbasis in Beziehung gesetzt werden können als formal absolut transparente. Zwar haben die oben beschriebenen Experimente dies nur für mögliche Wörter gezeigt, denn über die Ergebnisse zu tatsächlichen Wörtern wird nur berichtet, dass sie selbstverständlich als Wörter erkannt werden. Wünschenswert wäre hier noch ein Einblick in die Frage gewesen, ob denn tatsächliche Wörter, die auf produktiveren Mustern basieren, schneller als Wörter erkannt worden sind als Wörter, die auf weniger produktiven Mustern beruhen. Dazu sagen Anshen und Aronoff (1981) leider nichts. Aus der Perspektive des vorliegenden Kapitels lässt sich sagen, dass auch bei der Erarbeitung eines zweidimensionalen (formalen und semantischen) Transparenzmo- <?page no="232"?> 232 dells der Einfluss der Produktivität von Wortbildungsmustern beachtet werden muss. 6.2.2.4 Frequenz der Formen und Transparenzgrade In verschiedenen Abschnitten des Kapitels 5 wurde bereits gezeigt, dass die Motivierbarkeit lexikalischer Einheiten zwar gefördert werden kann, wenn der Stimulus weniger frequent ist als der potentielle Motivationspartner. Gleichzeitig wurde aber auch festgestellt (vgl. Abschnitt 5.2.1.2), dass dieser Einfluss der Frequenz keine absolute Regel ist. Diese Ergebnisse widersprechen dem, was in der Psycholinguistik im Allgemeinen beobachtet wird. Denn dort wird in verschiedenen Studien gezeigt, dass von niedriger frequenten Einheiten (vgl. Plag 2003: 175-177, Babin 1998: 20-37) der Zugriff auf frequentere Einheiten leichter ist als umgekehrt, in welchem Falle er sogar blockiert werden kann (für eine wesentlich differenziertere Betrachtung der Rolle von Frequenz für den Zugriff auf das mentale Lexikon s. Hay 2003, Kap. 4). Da im Normalfall versucht wird, den Unterschied in der Frequenz zwischen Prime und Target möglichst groß zu halten und in ein und demselben Experiment üblicherweise keine Vergleiche zwischen verschiedenen Frequenzverhältnissen gemacht werden, gibt es praktisch keine Daten darüber, wie groß erstens der Unterschied in der Frequenz zwischen den Primeformen und den Targetformen denn sein muss, damit es überhaupt einen fazilitierenden Effekt geben kann, und wie dieser zweitens variiert, wenn auch die Frequenzverhältnisse variieren. Daher können letztendlich psycholinguistische Experimente nichts über den genauen Zusammenhang zwischen Frequenz und Transparenzgraden im Lexikon aussagen. Dasselbe gilt für die Daten aus Kapitel 5 dieser Arbeit, für die zwar teilweise ein Frequenzeffekt herausgearbeitet werden konnte, dieser aber keine allgemeingültige Regel ist. Nichtsdestotrotz ist nicht auszuschließen, dass solche Effekte auch den Grad der Transparenz und nicht nur ihr Vorhandensein beeinflussen können. 17 6.2.2.5 Transparenz auf der phonischen und der graphischen Ebene Die in Abschnitt 6.2.2.1 dargelegten Ansätze gehen implizit davon aus, dass formale Transparenz primär ein Phänomen der phonisch realisierten 17 Dasselbe wie für die Frequenz der Formen kann auch für die Salienz der Bedeutungen gesagt werden (vgl. Kap. 5). Es kann zwar angenommen werden, dass es einen Salienzeffekt gibt, jedoch ist dieser nicht automatisch und kann neutralisiert werden. Dies macht es besonders schwierig, Abstufungen in der Transparenz über Salienz zu definieren (vgl. 6.3). <?page no="233"?> 233 Sprache ist. In den seltenen Fällen, in denen Informantenbefragungen hinzugezogen werden, beachtet man die Tatsache kaum, dass es in einigen Sprachen eine deutliche Diskrepanz zwischen phonischer und graphischer Transparenz gibt. Dies trifft für die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Sprachen Französisch und Italienisch sicher in geringerem Maße zu als beispielsweise für das Englische, obwohl sich auch das Französische gegenüber dem Italienischen und dem Spanischen durch wesentlich uneindeutigere Graphem-Phonem-Korrespondenzen auszeichnet (für eine Zusammenfassung dieser Problematik s. Stein 3 2010: 26-28). Sieht man sich das bereits zitierte Beispiel von Fill (1980a: 18) engl. pleasure in Bezug auf engl. please an, sieht man, dass die formale Übereinstimmung des Stammes im Schriftbild absolut ist, im Lautbild aber nur die ersten beiden Laute betrifft. Seine Aussage, dass die LdD [=Leichtigkeit der Durchsicht] von pleasant und pleasure auf please nicht von der um ein Merkmal weiteren phonetischen Entfernung von pleasure abhängig ist (Fill 1980a: 18), erscheint vor dem Hintergrund der Tatsache, dass er seine Informantenbefragungen schriftlich durchgeführt hat, nun in einem ganz anderen Licht: Vielleicht ist die Leichtigkeit der Durchsicht auf engl. please ja deshalb bei engl. pleasure nicht getrübter als bei engl. pleasant, weil es in der graphischen Repräsentation der Stämme keinerlei Unterschied gibt. Strenggenommen können also die in Kapitel 5 vorgestellten Daten auch nur Aussagen über Transparenz auf graphischer Ebene machen. Die per definitionem experimentelle Psycholinguistik ist sich dieses Problems bewusst. In Experimenten zum morphologischen Priming wird daher streng darauf geachtet, wie die Stimuli präsentiert werden. Im Normalfall werden Verallgemeinerungen der Ergebnisse auch nur sehr vorsichtig gewagt, da man sich der Tatsache bewusst ist, dass eine andere Stimuluspräsentation die Ergebnisse bis zu einem gewissen Grad verändern könnte (Marslen-Wilson/ Tyler/ Waksler/ Older 1994: 4). Das gilt insbesondere für Primingexperimente. An verschiedenen Stellen dieser Arbeit wurde erwähnt (vgl. Abschnitte 4.3.1 u. 6.2.2.2), dass die Ermittlung von Motivation und Transparenzgraden mit Hilfe von Priming-Experimenten nicht ganz unproblematisch ist, und zwar insofern, als man bei formal und inhaltlich zusammenhängenden Prime- und Targetwörtern nicht sicher sein kann, ob die beobachteten Effekte auf die formale, die inhaltliche oder gar beide Relationen zurückzuführen sind. Nichtsdestotrotz versuchen einige Autoren, Versuchsanordnungen aufzubauen, bei denen semantische Effekte nahezu ausgeschlossen werden können und so formale Transparenz unabhängig von der Semantik gemessen werden kann. An dieser Stelle sei einmal davon abgesehen, dass die im Folgenden <?page no="234"?> 234 beschriebenen Studien von den Autoren selbst nicht in allen Details dargestellt werden und so die Neutralisierung der Semantik zwar nicht widerlegt werden kann, ein genauerer Blick auf die Daten aber wünschenswert wäre, um die Aussagen der Autoren überprüfen zu können. Dass Experimente, welche die Semantik ganz ausschalten wollen, sehr problematisch sein können, wurde in Abschnittt 6.2.2.2 an Meunier und Seguis Vorgehensweise gezeigt. Frost, Foster und Deutsch (1997) zum Beispiel führen eine solche formkonzentrierte Versuchsreihe für das Hebräische durch. 18 Ihre Experimente zeigen, dass formale Beziehungen im Hebräischen sowohl bei semantisch nicht zusammenhängenden als auch bei semantisch zusammenhängenden Prime-Target-Paaren Primingeffekte bewirken können. Um ganz sicher zu gehen, dass die Semantik bei formal und semantisch zusammenhängenden Paaren keinen Effekt bewirken kann, zeigen sie in ihren Experimenten den Prime so kurz vor dem Target (50 ms), dass die Informanten ihn nur unbewusst wahrnehmen (1997: 830) und ihnen keinesfalls genügend Zeit bleibt seine Bedeutung zu verstehen. 19 Frost, Foster und Deutsch (1997: 832) präsentierten sowohl Prime als auch Target visuell, weshalb sie, um einen Einfluss der Graphie auszuschließen, das Experiment mit akustisch dargebotenen Primes wiederholten (Frost/ Deutsch/ Gilboa/ Tannenbaum/ Marslen-Wilson 2000). Es kommt in den Ergebnissen ein bedeutender Unterschied zu Tage: Zusammenfassend kann man zwar sagen, dass bei beiden Arten der Stimuluspräsentation 18 Am Rande sei hier erwähnt, dass es sich beim Hebräischen um eine Sprache handelt, in der die Morpheme nicht linear aneinandergehängt werden wie beispielsweise im Englischen oder Französischen, sondern sich überschneiden (Frost/ Foster/ Deutsch 1997: 830). Man kann im Hebräischen zwischen Wurzeln und Wortmustern unterscheiden, die sich überlagernd ein Wort bilden. Die Wurzel hebr. zmr ‘Handlung des Singens’ kombiniert mit dem Muster _a_a_ ergibt hebr. / zamar/ ‘Sänger’, kombiniert mit _e_e_ hingegen hebr. zemer ‘Lied’. Das eigentliche Ziel des Papers von Frost und Kollegen ist es herauszufinden, ob die lexikalische Repräsentation hebräischer Wörter diese besondere morphologische Struktur widerspiegelt und welche Rolle Wurzeln und Wortmuster im Parsing spielen (1997: 831). Sie kommen zu dem Schluss, dass die Semantik in morphemüberlappenden Sprachen für die Organisation des mentalen Lexikons eine geringere Rolle spielt als in linearen Sprachen. Ähnliche Ergebnisse erhielten Boudelaa und Marslen-Wilson für das Arabische (2000 u. 2001; zur Kritik daran s. Bentin/ Frost 2001), dessen morphologische Struktur ebenfalls nicht linear ist. 19 Dies kann man zum einen überprüfen, indem man die Informanten, nachdem sie mit einem Prime-Target-Paar konfrontiert wurden, danach fragt, was sie vor dem Target gesehen haben. Sie können im Normalfall den Prime nicht nennen, es sind aber dennoch Primingeffekte zu beobachten, die folglich formbasiert sein müssen. Zum anderen zeigt sich in einer nicht formal, aber semantisch zusammenhängenden Kontrollgruppe unter denselben Bedingungen kein Primingeffekt. <?page no="235"?> 235 sowohl bei semantisch transparenten als auch semantisch opaken formal zusammenhängenden Prime-Target-Paaren ein signifikanter Primingeffekt beobachtet wurde, wobei er allerdings bei akustisch präsentierten Primes für die formal und semantisch zusammenhängenden Paare stärker war als für nur formal zusammenhängende. Dies lässt darauf schließen, dass das Schriftbild eines Primes, auch wenn es nicht bewusst wahrgenommen wird, formal ähnliche Zielwörter besser voraktiviert als sein Lautbild es unter denselben Bedingungen tut. Auch Longtin, Segui und Hallé (2003: 317), deren Ziel es ist für das Französische herauszufinden, ob pseudoabgeleitete Wörter auf dieselbe Weise wie opake und nur orthographisch ähnliche Kontrollpaare verstanden werden, stellen sich die Frage, ob es bei dieser Art gänzlich unbewussten visuellen Primings nicht einfach die orthographische Überlappung zwischen Prime und Target ist, die einen Effekt hervorruft, den es nicht gäbe, wenn der Prime akustisch präsentiert würde. Die ihrer Experimentreihe zu Grunde liegenden Prime-Target-Paare bestehen aus vier Gruppen (2003: 318): Eine Gruppe mit formal und semantisch transparenten Beziehungen (fr. gaufrette ‘Waffelkeks’ - fr. gaufre ‘Waffel’), eine zwar strukturell transparente aber semantisch opake Gruppe (fr. fauvette ‘Grasmücke’ - fr. fauve ‘Raubkatze’), eine Gruppe mit pseudo-abgeleiteten Wörtern (fr. baguette ‘Stab’ - fr. bague ‘Ring’) und eine Gruppe mit sich orthographisch überschneidenden Wörtern (fr. abricot ‘Aprikose’ - fr. abri ‘Unterschlupf, Schutzort’). 20 Die jeweils formal längeren Primes wurden sowohl visuell als auch akustisch präsentiert. Bei einer visuellen Präsentation des Primes kam für alle Gruppen bis auf die rein orthographische Kontrollgruppe ein signifikanter Effekt heraus. Dies sehen die Autoren als Hinweis darauf, dass es sich in den drei übrigen Gruppen um morphologisches Priming handeln muss und nicht rein zufällig orthographische Überlappung für den Effekt verantwortlich ist (1997: 324-325). Bei einer akustischen Präsentation des Primes sind die Verhältnisse jedoch völlig anders, da in diesem Fall ausschließlich für die semantisch transparente Gruppe ein signifikanter Effekt beobachtet werden konnte (1997: 327). Die Autoren folgern daraus, dass die Semantik, sobald der Prime bewusst gehört wird, eine größere Rolle spielt, als wenn die Informanten ihn nur sehr kurz und daher unbewusst visuell wahrnehmen (1997: 327). Somit kommen sie implizit zu demselben Ergebnis wie Frost, Deutsch, 20 Der Unterschied zwischen der strukturell transparenten aber semantisch opaken und der pseudoabgeleiteten Gruppe besteht darin, dass bei der opaken Gruppe die Wortpaare etymologisch, aber nicht synchron zusammenhängen, die Paare der pseudoabgeleiteten Gruppe hingegen weder etymologisch noch synchron zusammenhängen. <?page no="236"?> 236 Gilboa, Tannenbaum und Marslen-Wilson (2000), nämlich dass das Schriftbild eines Primes, auch wenn es nicht bewusst wahrgenommen wird, morphologisch (aber nicht zufällig orthographisch) relationierte Targets besser voraktiviert, als sein Lautbild es unter denselben Bedingungen tut. Zeigt man jedoch den Prime so lange, dass er ins Bewusstsein rücken kann, verschwinden laut Feldman und Soltano (1999: 34-35), die ähnliche Experimente fürs Englische durchgeführt haben, für die Gruppe der strukturell transparenten aber semantisch opaken Stimuli diese durch die formale Struktur induzierten Primingeffekte fast vollständig, da die Informanten Zeit haben, sowohl Prime als auch Target zu verstehen und sich nicht von der Übereinstimmung gewisser struktureller Elemente in die Irre führen lassen. Stolz und Feldman (1995: 114-118) stellen zudem fest, dass je nachdem wie lange und wie kurz vor dem Target der Prime gezeigt wird, nur orthographisch zusammenhängende Paare sogar einen inhibitorischen Effekt aufweisen. Ähnliches kann man auch bei einer weiteren Möglichkeit feststellen, die Darstellung des Primes zu variieren. Feldman, Barac-Cikoja und Kostić (2002) führten Experimente zum Serbischen durch, bei denen Prime und Target zwar jeweills visuell dargeboten wurden, aber in unterschiedlichen Alphabeten, und zwar dem römischen und dem kyrillischen. Die Ergebnisse zeigen, dass die fazilitierenden Effekte zum Teil sogar größer sind, wenn Prime und Target in unterschiedlichen Alphabeten dargestellt werden. McQueen und Cutler (1998: 408) geben einen Überblick über weitere Experimente dieser Art, die alle darauf hinauslaufen, dass eine zu große lediglich orthographische Ähnlichkeit zu einem inhibitorischen Effekt führt. Es lässt sich aus den in diesem Abschnitt beschriebenen Experimenten das Fazit ziehen, dass es bei morphologisch zusammenhängenden Paaren deutliche Unterschiede in der Transparenz geben kann, je nachdem, ob Prime und Target beide visuell oder das Primewort akustisch und das Targetwort visuell dargeboten werden. Die bei visueller Präsentation des Stimulus wahrgenommene orthographische Überlappung kann die Erkennung eines Targets zusätzlich fördern und somit seine Transparenz erhöhen, jedoch reicht rein orthographische Ähnlichkeit nicht aus. Diese muss, um einen fazilitierenden Effekt erzeugen zu können, morphologisch begründet sein. Die Kombination zwischen der Art der Stimuluspräsentation (visuell oder akustisch) und ihrer Dauer beziehungsweise der Länge des Intervalls zwischen Prime und Target scheinen also - zumindest bei Onlineexperimenten - durchaus darauf einzuwirken, als wie transparent bestimmte Einheiten empfunden werden. Bei der in der vorliegenden Arbeit angewandten Offlinemethode, bei der die Stimuli visuell präsentiert werden, <?page no="237"?> 237 kann so nicht völlig ausgeschlossen werden, dass die Transparenz durch die sichtbare Struktur oder orthographische Ähnlichkeit zu anderen Einheiten beeinflusst wird. Dieser Tatsache sollte in einem jeden Transparenzmodell Rechnung getragen werden (vgl. Abschnitt 6.3). 6.3 Grundzüge eines Modells formaler und semantischer Transparenz In diesem Abschnitt werden Grundzüge eines Modells formaler und semantischer Transparenz vorgestellt. Dabei sollen die Faktoren, die sich - zusätzlich zur formalen und semantischen Dimension - in den Abschnitten 6.2.1 und 6.2.2 als einflussreich für Grade diagrammatischer Transparenz herausgestellt haben, daraufhin betrachtet werden, wie sie in ein Modell formaler und semantischer Transparenz einfließen können. Dass unterschiedliche Faktoren unterschiedlich wichtig sind oder zumindest als unterschiedlich wichtig empfunden werden können, stellt bereits Bauer (2001: 54) fest, doch ist es nicht sein Ziel, diese Faktoren zu hierarchisieren. Darüber hinaus geht er davon aus, dass eine Hierarchisierung zwar theoretisch möglich, aber praktisch unmöglich und aufgrund dessen auch nicht sinnvoll sei. Die in den Abschnitten 6.2.1 und 6.2.2 bestimmten Faktoren, die formal-semantische Transparenzgrade und Motivierbarkeit weiter modulieren und beeinflussen können, können auch in der vorliegenden Arbeit nicht vollständig hierarchisiert werden. Die in Kapitel 5 dargestellten Daten alleine erlauben es nicht, ein umfassendes endgültiges Transparenzmodell zu erstellen. Doch haben sie die wichtige Tatsache gezeigt, dass Transparenzskalen auf jeden Fall immer die formale und die semantische Dimension gleichzeitig berücksichtigen müssen. Im Folgenden werden also Grundzüge eines Modells formaler und semantischer Transparenz vorgestellt. Aus den Abschnitten 2.3 und 3.2 geht hervor, dass der theoretische Schwerpunkt dieser Arbeit auf der relationalen Perspektive von Motivation und Ikonizität liegt. Aus diesem Grund sind die hier vorgestellten Grundzüge eines gleichzetig formalen und semantischen Transparenzmodells auch relational ausgerichtet (s. dazu auch 6.2). Relationale Transparenz wird hier als der strukturellen Transparenz insofern übergeordnet angesehen, als strukturelle Transparenz überhaupt erst bestimmt werden kann, wenn die Komponenten der Struktur als solche ausgemacht werden können (vgl. Marzo 2009). Dies kann wiederum nur über einen Vergleich von lexikalischen Einheiten oder Wörtern geschehen und folglich über Relationen zwischen ihnen. Dies impliziert auch, dass im Normalfall besonders transparente Relationen zwischen lexikalischen Einheiten auch <?page no="238"?> 238 auf eine besonders transparente Struktur der Form der zu motivierenden Einheit hinweist. Dass aber Inhalte im Normalfall nicht kompositionell sind, da die Bedeutung nie ganz aus den Bedeutungen der Teile eines Wortes erschlossen werden kann, wurde in Abschnitt 6.1.3 gezeigt. Im Folgenden gehe ich davon aus, dass strukturelle Transparenz zwar mit relationaler Transparenz zusammenhängt, die erstere die letztere aber nicht bedingt, sondern andersherum von ihr bedingt wird. Weitere Aspekte, welche die Transparenz zwischen Form und Inhalt ein- und derselben lexikalischen Einheit betreffen, sind, wie in den Abschnitten 6.1.1 und 6.1.2 dargelegt wurde, primäre und sekundäre Onomatopöie sowie Lautsymbolismus und Phonästheme. Es wird im Folgenden nicht ausgeschlossen, dass diese Phänomene relationale Transparenzgrade im Einzelnen insofern modulieren können, als sie zwei relational gleich transparente Einheiten voneinander differenzieren können, indem die eine zum Beispiel noch zusätzlich onomatopoetischen Charakter hat, die andere hingegen nicht. Ob so verstandene kumulative Transparenz eine lexikalische Einheit tatsächlich noch transparenter macht als eine andere, in der sich nicht verschiedene Ikontypen zusammenfinden, ist eine Frage, die an anderer Stelle untersucht wird (s. Marzo 2009). In Bezug auf Transparenzgrade der relationalen Art lässt sich aus dem in 6.2 Gesagten zunächst feststellen, dass die Art der Datenerhebung zur Motivierbarkeit von lexikalischen Einheiten durchaus einen Einfluss auf deren Transparenzgrad haben kann und sich somit auch in der Beschaffenheit der Transparenzskala niederschlagen sollte. In Abschnitt 6.2.2.5 hat sich gezeigt, dass je nachdem, ob Stimuli visuell oder auditiv präsentiert werden, die Ergebnisse leicht anders ausfallen können, da unter Umständen auch die orthographische Transparenz eine Rolle spielen kann. Zudem ist auch die verwendete Methode von großer Bedeutung, da die Ergebnisse von Offlineerhebungen anders aussehen können als die Ergebnisse von Onlineerhebungen. In Abschnitt 6.2.1.4 wurde gezeigt, dass die Ergebnisse aus Klepousniotous Primingexperiment und die Ergebnisse meiner Befragung aus Kapitel 5 sich in Bezug auf Unterschiede zwischen metaphorischer Similarität und Kontiguität zwar ergänzen, doch können sie nicht auf derselben Skala angeordnet werden, da in Klepousniotous Onlineexperimenten die Kontiguität von den Informanten leichter erfasst wird, in meinen Offlinebefragungen hingegen die metaphorische Similarität. Obwohl gezeigt werden konnte, dass diese Ergebnisse sich in theoretischer Hinsicht nicht widersprechen, sondern ein und dasselbe Phänomen aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten, müssen diese Ergebnisse auf zwei unterschiedlichen Skalen angeordnet werden. Nur eine theoretische Diskussion der Daten, die mit unterschiedlichen Methoden erhoben werden, kann dann zeigen, dass die Skalen sich, selbst wenn sie <?page no="239"?> 239 gegenläufig sind, nicht widersprechen. Eine Trennung der Skalen ist zudem umso wichtiger, als in der vorliegenden Arbeit nur die Relationen der metaphorischen Similarität und der Kontiguität genauer betrachtet wurden, und eine Gegenläufigkeit der Skalen empirisch somit nur für diese beiden Relationen nachgewiesen ist. Unter dem Gesichtspunkt, dass Daten für die übrigen semantisch-konzeptuellen Relationen noch fehlen und die Relationen somit auf diesen Skalen noch nicht verortet werden können, ist auch noch nicht klar, ob die beiden Skalen für die Transparenz von Online- und Offlinedaten auch tatsächlich in allen Punkten gegenläufig sind. So müssen von vorneherein grundsätzlich vier Typen von Transparenzskalen unterschieden werden, die in Tabelle 28 noch einmal zusammenfassend dargestellt sind. Methoden Offline Online Stimuluspräsentation Visuell I II Auditiv III IV Tab. 28: Die vier Grundtypen von Transparenzskalen Wie sich aus dem bisher Gesagten ergibt, können also im Folgenden strenggenommen nur für Typ I Aussagen getroffen werden. Da die muttersprachlichen Informanten aber selbstverständlich auch wissen, wie ein visuell präsentiertes Wort ausgesprochen wird, kann nicht sicher festgestellt werden, ob die beobachteten Grade von Motivierbarkeit nur auf der geschriebenen Form des Stimulus beruhen. Bei Onlinemethoden und folglich für die Skalentypen II und IV kann ein Einfluss von metasprachlichen Überlegungen praktisch ganz ausgeschlossen werden, da die Informanten erstens nicht wissen, zu welchem Phänomen sie gerade befragt werden und selbst wenn sie es wüssten, nicht die Zeit hätten, aktiv über das untersuchte Phänomen nachzudenken. Andersherum kann man aber für die Skalentypen I und III nicht sicherstellen, dass sie nur auf metasprachlichen Daten beruhen, da man nicht überprüfen kann, wie metasprachlich reflektiert die Informanten bei Offlinemethoden tatsächlich antworten, und in welchem Maße ihre Reaktionen nicht doch einfach spontan und unreflektiert sind. Eine Transparenzskala des Typs I ist so zwar die einzige, über die hier Aussagen gewagt werden können, doch muss bedacht werden, dass sie auf einer Art Daten beruht, die per definitionem zwar dem Typ I entsprechen, aber eben auch den anderen Typen gegenüber offen sind. Ist man sich dieser Tatsache bewusst, kann man eine Transparenzskala des Typ I folgendermaßen weiterdefinieren: <?page no="240"?> 240 Wie aus Kapitel 5 hervorgegangen ist, sind die formale und die semantische Dimension nicht unabhängig voneinander zu sehen. Formale Transparenzskalen der Art, wie sie Dressler (1985) und Koch und Marzo (2007) erstellt haben, sind demnach in dieser Form nicht haltbar. Koch und Marzo (2007) gehen zwar einen Schritt weiter als Dressler und integrieren die Polysemie als transparenteste Stufe, beachten dabei aber (bewusst) die semantische Dimension noch nicht. Bezieht man diese, wie in Kapitel 5 mit in die Überlegungen zur Motivierbarkeit ein, wird deutlich, dass Polysemie nicht automatisch auf der formal transparentesten Stufe anzusiedeln ist, da formale Identität formal einfacher Einheiten in Kombination mit zum Beispiel intrinsischer Kontiguität schwieriger motivierbar ist als in Kombination mit intrinsischer metaphorischer Similarität. Bleiben Fälle wie it. cuore ‘Zentrum’ auf Stufe 1 der Skala, müssen Fälle wie it. giorno ‘Gegenteil von Nacht, Zeit der Helligkeit’ auf eine weniger transparente Stufe rücken, obwohl sie formal genauso absolut mit zumindest einem potentiellen Motivationspartner übereinstimmen. Hinzu kommt nun, dass Polysemie ja nicht nur bei formal einfachen lexikalischen Einheiten besteht, sondern auch bei formal komplexen. Wie in Kapitel 5 gezeigt, wird bei intrinsischer metaphorischer Similarität auch in diesen formal komplexen Fällen vorzugsweise intrinsisch motiviert. Dies bedeutet nun wiederum, dass formal komplexe Fälle wie fr. tourbillon ‘Wirbelwind i.S.v. sehr lebhafter Person’, die nach Koch und Marzo (2007: 272) auf Stufe 2 anzusiedeln wären, nun auf Stufe 1 vorrücken, da sie vorwiegend intrinsisch, also polysemisch motiviert werden. Somit könnten sich rein theoretisch auf Stufe 1 lexikalische Einheiten nebeneinander finden, die in nur formal ausgerichteten Skalen auf den am weitesten voneinander entfernten Stufen angesiedelt würden. Diese Überlegungen beziehen sich bisher nur auf Fälle, in denen einerseits intrinsische Kontiguität mit extrinsischen konzeptuellen Relationen (meist Kontiguität oder Identität) und andererseits intrinsische metaphorische Similarität mit extrinsischen Relationen (ebenfalls Kontiguität oder Identität) in Konkurrenz stehen. Wie in Abschnitt 5.2.1.2 dargelegt wurde, ließen sich in der Tübinger Polysemiedatenbank keine Stimuli finden, die einen potentiell über metaphorische Similarität verbundenen extrinsischen Motivationspartner hätten. Bezieht man diesen Aspekt jedoch mit ein, stellt sich die Frage, ob lexikalische Einheiten, die sowohl zu ihrem potentiellen intrinsischen Motivationspartner als auch zu ihrem potentiellen extrinsischen Motivationspartner in einer metaphorischen Beziehung stehen, eher intrinsisch oder eher extrinsisch motiviert werden. Dies soll am bereits erwähnten Beispiel it. rosone vergegenwärtigt werden (s. Abschnitt 3.2.2). It. rosone ‘Rosette (= eine bestimmte Art Kirchenfenster)’ steht in einer extrinsischen metaphorischen Beziehung zu it. rosa ‘Rose’. Intrinsisch wäre zudem strenggenom- <?page no="241"?> 241 men eine metaphorische Beziehung zur Grundbedeutung des Augmentativs it. rosone ‘große Rose’ denkbar. Aufgrund der Tatsache, dass der potentielle extrinsische Motivationspartner sowohl formal als auch inhaltlich perzeptiv besser vom Stimulus it. rosone ‘Rosette (= eine bestimmte Art Kirchenfenster)’ unterschieden werden kann (vgl. Kap. 5), könnte man annehmen, dass die Mehrheit der Informanten den extrinsischen Motivationspartner wählen. Wenn dies tatsächlich so ist, bleibt die Frage, ob diese Fälle tendenziell noch einheitlicher und von mehr Informanten motiviert werden als intrinsisch metaphorisch transparente Fälle, da hier eben der prägnantere Unterschied in der Form zwischen zwei lexikalischen Einheiten hinzukommt. Unter Umständen müssten extrinsisch metaphorische Fälle also auf einer noch transparenteren Stufe angesiedelt werden als intrinsisch metaphorische Fälle. Dass extrinsisch kontige Fälle tendenziell auf einer transparenteren Stufe als intrinsisch kontige Fälle zu verorten sind, haben die Ergebnisse aus Kapitel 5 gezeigt. Als gesichert kann also gelten, dass auf einer Skala, die extrinsisch und intrinsisch metaphorische sowie extrinsisch und intrinsisch kontiguitätsbasierte Fälle beachtet, extrinsisch-metaphorische Fälle wie it. rosone ‘Rosette (= eine bestimmte Art Kirchenfenster)’ - it. rosa ‘Rose’ auf der transparentesten Stufe anzusiedeln wären, intrinsisch kontige Fälle wie it. giorno - ‘Gegenteil von Nacht, Zeit der Helligkeit’ - it. giorno ‘Zeitraum von 24 Stunden’ hingegen auf der am deutlichsten opaken (vgl. Tab. 29), wobei man strenggenommen noch Unterschiede zwischen einzelnen Typen von Kontiguität machen müsste (vgl. Abschnitt 5.2.2.2). Die Typen it. cuore ‘Zentrum’ - it. cuore ‘Herz’ und it. pubblicazione ‘veröffentlichtes Werk’ - it. pubblicare ‘veröffentlichen (eines Mediums)’ befinden sich dazwischen. Ihre Hierarchisierung ist im Moment noch schwierig, da die Ergebnisse aus Kapitel 5 diesbezüglich nicht aussagekräftig sind. Zwar werden im Normalfall formal einfache metaphorische Fälle von mehr Informanten als motiviert eingestuft und darüber hinaus einheitlicher eingestuft als formal komplexe kontiguitätsbasierte Fälle, jedoch ist nicht feststellbar, ob dies an der Art der formal-inhatlichen Relation zum Motivationspartner liegt oder eventuell an der Anzahl der möglichen Motivationspartner. Zu beobachten ist nämlich in den Stimulusgruppen K/ KON im Vergleich zu E/ MET, dass die Wörter, denen die lexikalischen Einheiten aus E/ MET zu Grunde liegen, weniger Bedeutungen haben als diejenigen, die der Gruppe K/ KON zu Grunde liegen und außerdem die Stimuli der Gruppe K/ KON tendenziell eine größere Wortfamilie haben als die der Gruppe E/ MET, was möglicherweise einen Einfluss auf den Grad der Motivierbarkeit haben kann, bedenkt man Cutlers (1981: 76) Ausführungen zum recognition point. Cutler (1981: 76) stellt fest, dass Wörter so lange transparent sind, wie ihre Form im mentalen Lexikon eindeutig gefunden wer- <?page no="242"?> 242 den kann. Sie spricht von einem recognition point, der im Wort denjenigen Punkt darstellt, an dem ein Wort am frühesten eindeutig von allen anderen Einträgen unterschieden werden kann. Dieser Punkt kann sich für unterschiedliche Wörter an unterschiedlichen Stellen befinden. Engl. exclude kann beispielsweise bereits bei / l/ von anderen Wörtern unterschieden werden, die mit ex- beginnen (s. engl. excuse, engl. exquisite etc.), engl. supremacy erst etwas später bei / m/ (vgl. engl. suppress). Kurze Wörter werden so am schnellsten erkannt, da sie per definitionem einen frühen recognition point haben (Krott/ Schreuder/ Baayen 1999: 917). Wie an den Beispielen gesehen werden kann, sind solche recognition points auch für die Unterscheidung ganzer Wortfamilien von Bedeutung. Dresslers (1985: 330-331) engl. electricity und engl. electric unterscheiden sich beispielsweise bereits bei electr- von der Wortfamilie von engl. to elect (vgl. electorate). Lexikalische Einheiten können durchaus schneller als andere lexikalische Einheiten verstanden werden und in diesem Sinne auch transparenter sein als diese, wenn sie früh einer Wortfamilie zugeordnet werden können. Dies ist auch das Prinzip, das dem in Abschnitt 6.2.2.2 gezeigten Unterschied zwischen Präfigierungen und Suffigierungen zu Grunde liegt. Hat jedoch eine lexikalische Einheit eine besonders große Wortfamilie, besteht die Möglichkeit, dass ihr recognition point sich erst sehr weit hinten befindet, da sie davor in Konkurrenz zu einer ganzen Reihe formal ziemlich ähnlicher anderer Mitglieder ihrer Wortfamilie stehen kann. Bei der Stimulusauswahl konnten diese Faktoren aufgrund des Zuschnittes der Tübinger Polysemiedatenbank nicht beachtet werden. Aus diesem Grund sind Fälle wie it. cuore und it. pubblicazione in Tabelle 29 provisorisch auf derselben Stufe angesiedelt. transparent opak 1. it. rosone ‘Rosette (= eine bestimmte Art Kirchenfenster)’ - it. rosa ‘Rose’ 2./ 3. it. cuore ‘Zentrum’ - it. cuore ‘Herz’ und it. pubblicazione ‘veröffentlichtes Werk’ - it. pubblicare ‘veröffentlichen (eines Mediums)’ 2. it. giorno ‘Gegenteil von Nacht, Zeit der Helligkeit’ - it. giorno ‘Zeitraum von 24 Stunden’ Tab. 29: Vorläufige Skala des Typs I Kurzum bedeutet Transparenz nicht, dass Einheiten, die in der formalen Dimension als gleich transparent erscheinen, wie beispielsweise it. cuore und it. giorno, auch formal-inhaltlich auf derselben Transparenzstufe anzusiedeln sind und dass Einheiten, die inhaltlich gleich transparent sind wie etwa it. rosone und it. cuore auch formal-inhaltlich gleich durchsichtig <?page no="243"?> 243 sind. Wesentlich komplexer würde das Bild noch, wenn die weiteren konzeptuell-semantischen Relationen von Koch (2001a) ebenfalls berücksichtigt würden. Hierzu gesellt sich eine weitere Frage, die aufgrund der bewussten Konzentration der Fragebögen auf bestimmte Phänomene durch die Ergebnisse in Kapitel 5 nicht beantwortet werden kann. Denn in den Fragebögen des Kapitels 5 wurde der Schwerpunkt auf Unterschiede in der Motivierbarkeit zwischen konzeptuellen Relationen gelegt. Aus der formalen Dimension wurde nur der Unterschied zwischen intrinsischer, also polysemischer, und global extrinsischer Motivierbarkeit getestet. Unter den potentiellen extrinsischen Motivationspartnern wurde aber nicht weiter nach dem Grad der formalen Übereinstimmung unterschieden. Die Stimuli der Tabellen 7-12 repräsentieren so zwar die verschiedensten formalen Relationen (formale Identität, Konversion, Präfigierung, Suffigierung), jedoch ließ die Stimulusauswahl aus der Tübinger Polysemiedatenbank für die formal komplexen Gruppen K keine Differenzierung der formalen Übereinstimmung zwischen den Stämmen der Stimuli und den Stämmen der potentiellen Motivationspartner zu. Daher kann allein mit den Daten aus Kapitel 5 nicht sicher festgestellt werden, in welchem Maße der Grad der formalen Übereinstimmung die Motivierbarkeit beeinflusst. Bei it. irritare ‘reizen, entzünden’ (s. Tab. 9, (b)) wurde zwar gesehen, dass it. ira als Motivationspartner praktisch keine Rolle spielt, obwohl intrinsisch weder über metaphorische Similarität noch über Kontiguität motiviert werden kann, da einerseits gar keine kontiguitätsbasierte Polysemie besteht und andererseits die prinzipielle Gerichtetheit der Metaphern es auch verhindert, dass der über metaphorische Similarität verbundene potentielle Motivationspartner it. irritare ‘nervös, zornig machen’ als tatsächlicher Motivationspartner genannt wird. Da nun aber it. ira sich nicht nur formal stark von it. irritare unterscheidet, sondern auch gleichzeitig weniger frequent ist, kann nicht sicher gesagt werden, ob es die mangelnde formale Übereinstimmung oder die mangelnde Frequenz ist, die die Informanten davon abhält, diese potentiellen Motivationspartner als tatsächliche Motivationspartner zu wählen. Dem könnte Abhilfe geschaffen werden, wenn in der Gruppe K eine ausreichend große Gruppe weiterer Stimuli vorhanden wäre, die auf derselben formalen Transparenzstufe anzusiedeln wären wie it. irritare. Alles in allem erweist sich die Feststellung von Transparenzgraden also als sehr komplex, wenn man gleichzeitig die semantische und die formale Dimension einbezieht. Je nachdem, von wie vielen formalen Stufen man ausgeht, müssten ausreichend große Mengen an Stimuli für jede der Stufen in Kombination mit jeder semantischen Relation bereitgestellt <?page no="244"?> 244 werden, was zu sehr umfangreichen Untersuchungen führen würde. 21 Da diese ein ganzes Forscherteam über Jahre hinweg beschäftigen könnten und somit eine zweidimensionale Transparenzskala wie in Tabelle 29 für alle formal-inhaltlichen Transparenzstufen und konzeptuell-semantischen Relationen verfrüht ist, erscheint es sinnvoll zunächst verschiedene Unterskalen für den Skalentyp I anzunehmen. Vorstellbar sind für jede Stufe der formalen Transparenz unterschiedliche Stufen je nach konzeptueller Relation (vgl. Tab. 30) oder für jede konzeptuelle Relation unterschiedliche Stufen je nach Grad der formalen Übereinstimmung (vgl. Tab. 32). Bezogen auf die Beispiele aus Tabelle 29 bedeutet dies Folgendes: Die Stämme von it. rosone und it. pubblicazione befinden sich nach den Kriterien von Koch und Marzo (2007: 272) auf derselben formalen Transparenzstufe (Stufe 2), da sich im Vergleich zu den extrinsischen Motivationspartnern it. rosa und it. pubblicare die Stämme 21 Zur Veranschaulichung soll hier eine grobe Hochrechnung angestellt werden. Ausgegangen wird zunächst wie in Koch/ Marzo (2007) von vier formalen Transparenzstufen und sieben semantisch-konzeptuellen Relationen. Für die Transparenzstufe 1, die dort für formal einfache polyseme Einheiten gedacht ist, lassen sich so 7 Stimulusgruppen errechnen. Bei den Stufen 2-4 sind die Verhältnisse komplexer. Auf jeder dieser Stufen gibt es nicht nur potentielle extrinsische, sondern auch potentielle intrinsische Motivationspartner. Um untersuchen zu können, ab welchem formal-semantischen Typ nun eher intrinsisch als extrinsisch (oder umgekehrt) motiviert wird, muss auf jeder dieser Stufen jede mögliche Kombination einer semantischen Relation zu einem potentiellen extrinsischen und einer semantischen Relation zu einem potentiellen intrinsischen Motivationspartner getestet werden. Bei 7 möglichen intrinsischen und 7 möglichen extrinsischen Relationen bedeutet dies, wenn wirklich jede Kombination überprüft werden soll, 49 weitere Stimulusgruppen pro Stufe. Bei 3 Stufen macht dies 147 Stimulusgruppen aus. Zusammen mit den 7 Gruppen der Stufe 1 wäre man bei 154 Gruppen. Rechnet man 1 opake Kontrollgruppe hinzu (auch hier könnte und müsste man allerdings zwischen verschiedenen Arten der Kategorie „opak“ unterscheiden), ist man bei einem Minimum an 155 Stimulusgruppen. Rechnet man weiter mit einem Minimum an 10 Stimuli pro Stimulusgruppe, ist man bei 1550 Stimuli für die Befragungsreihe. Bedenkt man, dass man den Informanten in Teil 1 der Zweischrittmethode nicht wesentlich mehr als 25 Stimuli zur Motivation vorlegen kann, ist man bei 62 Fragebögen. Peilt man pro Fragebogen 30 Informanten an (um hinterher ein Minimum an 25 Informanten weiterverwenden zu können, denn mit einigen Nonsenseantwortern muss man rechnen), bedeutet dies eine Menge von 1860 Informanten. Man bedenke, dass wie auch in den Befragungen des Kapitels 5 in diesem Fall weder die Menge der Stimuli pro Gruppe noch die Menge der Informanten pro Fragebogen statistisch repräsentativ sind, sondern auch mit einer Befragungsreihe dieses Umfangs nur Tendenzen aufgezeigt werden könnten. Bei dieser Hochrechnung fehlen zudem noch die Faktoren der Produktivität, Frequenz und Salienz, die evtl. noch berücksichtigt werden sollten. Möchte man deren Effekt auch mit überprüfen, müsste das Material und die Anzahl der Informanten dementsprechend erweitert werden. <?page no="245"?> 245 nicht verändern. Genauso befinden sich auf der Skala it. giorno und it. cuore auf derselben Stufe, nämlich Stufe 1. In diesen Stufen sind nun aber Abstufungen je nach der semantisch-konzeptuellen Relation anzusetzen. Diese Abstufungen sind wohl am besten in Form eines Kontinuums zu fassen, da auch inhaltliche Relationen existieren, die sich nur schwierig oder nicht eindeutig in eine der Kategorien einordnen lassen, wie zum Beispiel it. ceppo (s. Abschnitt 5.2.2.2). Was die semantischen Beziehungen zwischen den Partnern der Motivationspaare angeht, wurde bereits erwähnt, dass es sich bei it. rosone ‘Rosette (= eine bestimmte Art Kirchenfenster)’ - it. rosa ‘Rose’ und it. cuore ‘Zentrum’ - it. cuore ‘Herz’ um metaphorische Similarität, bei it. pubblicazione ‘veröffentlichtes Werk’ - it. pubblicare ‘veröffentlichen (eines Mediums)’ und it. giorno ‘Gegenteil von Nacht, Zeit der Helligkeit’ - giorno ‘Zeitraum von 24 Stunden’ hingegen um Kontiguität handelt. Aus dem in Kapitel 5 Gesagten ergibt sich so für die formalen Stufen 1 und 2 jeweils ein Kontinuum der Transparenz des semantischen Zusammenhangs, auf dem Fälle von metaphorischer Similarität tendenziell näher am transparenten Pol, Fälle von Kontiguität hingegen näher am opaken Pol anzusiedeln sind (s. waagerechte schwarze Pfeile in Tab. 30), wobei allerdings einzelne Untertypen der jeweiligen semantisch-konzeptuellen Relation selbstverständlich unterschiedlich nah an den jeweiligen Polen sein können. Man kann dieselben semantischen Kontinua auch für die formalen Stufen 3 und 4 annehmen, obwohl dies bis jetzt noch nicht durch Daten aus Befragungen belegt wurde. 22 22 Die einzelnen hier angeführten Beispiele stammen nicht alle aus den Daten aus Kapitel 5, da dort nicht alle der hier notwendigen Stimulustypen zur Verfügung standen. Dies betrifft fr. décision und fr. jouer. Die mit einem Asterisk (*) versehenen Leerstellen bedeuten, dass mir aus den Sprachen, die ich beherrsche, kein Beispiel für diese Kategorie bekannt ist. Affigierungen sind in Kombination mit metaphorischer Similarität zwar möglich, wie an den in dieser Arbeit zitierten Einzelbeispielen it. rosone, russ. носик und fr. prévoir (vgl. auch Tabelle 31) gezeigt wurde, jedoch sind sie wohl wesentlich seltener als Affigierungen in Kombination mit Kontiguität. <?page no="246"?> 246 Grad der formalen Übereinstimmung nach Koch und Marzo (2007: 272) Konzeptuell-semantische Relation opak transparent 1. Triviale Fälle absoluter Transparenz, die auf Polysemie beruhen. Kontiguität it. giorno ‘Gegenteil v. Nacht, Zeit d. Helligkeit’ it. giorno ‘Tag als Zeitraum von 24 h’ Metaph. Similarität it. grandezza ‘Größe i.S.v. Macht, Einfluss, Ruhm’ it. grandezza ‘phys. Ausmaß’ 2. Absolute Transparenz: es besteht keine Stammallomorphie. Kontiguität it. pubblicazione ‘veröffentlichtes Werk’ it. pubblicare ‘veröffentlichen (Medium)’ Metaph. Similarität it. rosone ‘Rosette (= eine best. Art Kirchenfenster)’ it. rosa ‘Rose’ 3. Verminderte Transparenz: es besteht Allomorphie an dem Ende des Stammes, an dem ein Affix hängt. Kontiguität fr. décision ‘Entscheidungsinhalt’ fr. décider ‘entscheiden’ Metaph. Similarität * 4. Minimale Transparenz: Es besteht Allomorphie in anderen Teilen des Stammes. Kontiguität fr. jouer ‘spielen’ fr. jeu ‘Spiel, das man spielt (z.B. Brettspiel)’ Metaph. Similarität * Tab. 30: Transparenzskala des Typs I aus formaler Perspektive Da aufgrund der omnipräsenten Polysemie (zur Omnipräsenz der Polysemie s. auch Victorri/ Fuchs 1996: 13) fast jede lexikalische Einheit einen potentiellen intrinsischen Motivationspartner hat, spielt Stufe 1 in Tabelle 30 eine besondere Rolle und ist daher optisch den anderen Stufen gegenüber etwas abgesetzt. Denn sieht man das Prinzip der formalen Übereinstimmung der Stämme als Kriterium für die Abstufungen dieser Skala an, hat Stufe 1 im Vergleich zu Stufe 2 nichts Transparenteres, da in beiden Fällen die involvierten Stämme genau gleich leicht oder schwer aufeinander durchblicken lassen. Was Stufe 1 der Stufe 2 gegenüber auszeichnet, ist die Tatsache, dass die absolute formale Transparenz nicht nur die Stämme der lexikalischen Einheiten betrifft, sondern die ganze Form, das heißt eventuelle Ableitungsmorpheme inklusive. Stufe 1 kann also sowohl formal einfache als auch formal komplexe lexikalische Einheiten betreffen, wohingegen die Stufen 2 bis 4 nur komplexe lexikalische Einhei- <?page no="247"?> 247 ten betreffen können (sofern man Konversionen auch zu komplexen Formen rechnet wie z.B. Zwanenburg 2000: 841). Dieser Aspekt findet zwar in der formalen Skala von Koch und Marzo (2007: 272) noch keine explizite Beachtung, kombiniert man ihre formale Skala aber mit einer semantischen Dimension, müssen formal komplexe lexikalische Einheiten auch auf der Stufe 1 beachtet werden. Denn je nachdem, welche semantische Relation intrinsisch besteht, gilt für formal komplexe lexikalische Einheiten entweder die Transparenzstufe 1 oder eine der Stufen 2 bis 4. Daraus folgt, dass sich für formal komplexe lexikalische Einheiten die Stufen 2 bis 4 in einer stetigen Konkurrenzsituation zu Stufe 1 befinden (vgl. Abb. 8). Zum Beispiel gilt für it. grandezza ‘Größe i.S.v. Macht, Einfluss, Ruhm’, dass prinzipiell sowohl eine extrinsische Motivation über it. ‘groß (bedeutend, bewundernswert)’ als auch eine intrinsische Motivation in Bezug auf it. grandezza ‘Größe (räumliche Ausdehnung)’ möglich wäre. Die Interaktion der Form mit der konzeptuellen Relation, die in Abbildung 8 noch offen gelassen ist, entscheidet dann, ob it. grandezza ‘Größe i.S.v. Macht, Einfluss, Ruhm’ extrinsisch oder intrinsisch motiviert wird. Abb. 8: Konkurrenzsituation für intrinsische versus extrinsische Motivation für it. grandezza Diese Konkurrenzsituation entscheidet sich zu Gunsten der intrinsischen oder der extrinsischen Motivation an einem Kipppunkt der Perzeptivität, an dem bei formal komplexen lexikalischen Einheiten intrinsisch motiviert wird, wenn die intrinsische Relation perzeptiv auffällig genug ist, wie bei it. grandezza ‘Größe i.S.v. Macht, Einfluss, Ruhm’ in Bezug auf it. grandezza ‘Größe i.S.v. räumliche Ausdehnung’ (vgl. Abb. 9). Eine mangelnde Perzeptivität der intrinsischen Relation führt jedoch dazu, dass die ebenfalls theoretisch vorhandene extrinsische Relation, wie zwischen it. pubblicazione ‘veröffentlichtes Werk’ und it. pubblicare ‘veröffentlichen (Medium)’ perzeptiv in den Vordergrund rückt, da dort - egal GROSS ( BEDEU - TEND , BEWUN - DERNSWERT ) GRÖSSE ( MACHT EIN- FLUSS , RUHM ) grande grandezza Kognitiv relevante Beziehung Suffigierung (hier Stufe 2) GRÖSSE ( RÄUML . AUSDEHNUNG ) Kognitiv relevante Beziehung Formale Identität (Stufe 1) grandezza <?page no="248"?> 248 wie schwierig wahrzunehmen die inhaltliche Relation zum potentiellen extrinsischen Partner ist - wenigstens der Unterschied in der formalen Relation relativ besser zu greifen ist und daher die Motivierbarkeit fördert (s. Abb. 10). Abb. 9: Intrinsische Auflösung einer Konkurrenzsituation für it. grandezza (bei intrinsischer metaphorischer Similarität) Abb. 10: Extrinsische Auflösung einer Konkurrenzsituation für it. pubblicazione (bei intrinsischer konzeptueller Kontiguität) Dies wird in Tabelle 30 durch die senkrechten nach unten weisenden Pfeile symbolisiert. Dieser Kipppunkt wäre, wie aus den in Kapitel 5 vorgestellten Daten hervorgeht, im Bereich der Kontiguität anzusiedeln, wobei dort, wie in Abschnitt 5.2.2.2 gezeigt wurde, Unterschiede zwischen verschiedenen Kontiguitätstypen berücksichtigt werden müssten. Zwei der senkrecht nach unten weisenden Pfeile sind daher gestrichelt, weil sich noch zeigen muss, ob mangelnde intrinsische Motivierbarkeit sich durch extrinsische Motivierbarkeit der formalen Transparenzstufen 3 GROSS ( BEDEU - TEND , BEWUN - DERNSWERT ) GRÖSSE ( MACHT , EIN - FLUSS , RUHM ) grande grandezza Kognitiv relevante Beziehung Suffigierung (hier Stufe 2) GRÖSSE ( RÄUML . AUSDEHNUNG ) Metaphorische Similarität Formale Identität (Stufe 1) grandezza VERÖF - FENTLICHEN ( MEDIUM ) VERÖF - FENTLICHTES WERK pubblicare pubblicazione Kognitiv relevante Beziehung Suffigierung (hier Stufe 2) VERÖF - FENTLICHUNG ( VORGANG ) Konzeptuelle Kontiguität Formale Identität (Stufe 1) pubblicazione <?page no="249"?> 249 und 4 genau so leicht wettmachen lässt wie durch extrinsische Motivierbarkeit der Stufe 2. Die unterschiedliche Strichelung der beiden gestrichelten Pfeile symbolisiert dementsprechend, dass es noch unwahrscheinlicher ist, dass bei mangelnder intrinsischer Motivierbarkeit extrinsisch auf Stufe 4 zurückgegriffen wird als auf Stufe 3. Fraglich ist, wie sehr die Beziehung zwischen zwei Stämmen verdunkelt sein darf, bevor unter Umständen wieder eher auf intrinsische Motivation ausgewichen wird. Dies wird in Tabelle 30 durch die senkrecht nach oben weisenden Pfeile symbolisiert. Auch in dieser Richtung kann man davon ausgehen, dass das Umkippen von extrinsischer zu intrinsischer Motivation in manchen Fällen wahrscheinlicher ist als in anderen. Eine Kombination aus sehr geringer formaler Transparenz (Stufe 4) und einer schlecht wahrnehmbaren Kontiguitätsrelation lässt so wohl eher den Blick für intrinsische Relationen frei, als wenn die formale Transparenz etwas deutlicher ist (Stufe 3). Besonders interessant ist parallel zu den anderen experimentell bereits besser fundierten Stufen 1 und 2 auch die Frage, wie die semantisch-konzeptuellen Relationen zu den potentiellen extrinsischen und intrinsischen Motivationspartnern denn beschaffen sein müssen, damit extrinsisch oder intrinsisch beziehungsweise überhaupt motiviert wird. Dies dürfte experimentell aber wohl kaum nachzuprüfen sein, da es zumindest im Französischen und Italienischen fast unmöglich erscheint unter den sowieso schon begrenzten extrinsisch-metaphorischen Relationen auch noch Formen zu finden, die der Transparenzstufe 3 zuzuordnen wären. Bei einer gleichzeitig formalen und semantischen Transparenzskala geht es also im Prinzip um nichts anderes als die Frage des richtigen Maßes an Wahrnehmbarkeit. Formal muss eine lexikalische Einheit ihrem potentiellen Motivationspartner zwar ähnlich sein, wenn sie ihm jedoch zu ähnlich ist und nicht mehr als eigenständige Einheit angesehen wird, kann unter bestimmten semantischen Bedingungen - in der vorliegenden Arbeit unter der Bedingung einer Kontiguitätsrelation - keine Motivationsrelation mehr hergestellt werden, weil eine potentielle Relation sowohl inhaltlich als auch formal schlecht wahrzunehmen ist. Anzunehmen ist, dass eine lexikalische Einheit, wenn sie ihrem potentiellen Motivationspartner jedoch formal nicht ähnlich genug ist, ebenfalls nicht (oder besser: nicht unter allen semantischen Bedingungen) motiviert werden kann. Besonders leicht motivierbar und dadurch besonders transparent sind also lexikalische Einheiten, die sich in einem perfekten Gleichgewicht zwischen formaler und inhaltlicher Perzeptivität befinden. In Tabelle 30, die den Versuch einer vereinfachten Transparenzskala des Typs I darstellt, wird der Tatsache Rechnung getragen, dass es Unterschiede geben kann, je nachdem wie der Stimulus präsentiert wird (s. 6.2.2.5) und wie sehr die Stämme formal übereinstimmen (s. 6.2.2.1). Was <?page no="250"?> 250 noch nicht beachtet wurde, ist der Einfluss der Produktivität und der Frequenz auf die Transparenz (s. 6.2.2.3 u. 6.2.2.4) sowie der Unterschied zwischen Präfigierungen und Suffigierungen (s. 6.2.2.2). Beachtet man diese Faktoren, müsste Tabelle 30 dementsprechend angepasst werden. Zum Beispiel würden wohl dt. sich verlieben ‘jemanden sehr schätzen lernen’ und dt. liebenswert ‘es wert sein, geschätzt zu werden’ beide extrinsisch in Bezug auf dt. lieben ‘jemanden sehr schätzen’ motiviert werden, da beide intrinsisch nicht motivierbar sind: dt. liebenswert ist als monosem anzusehen, dt. verlieben kann zwar metaphorisch auch für das Schätzen von Dingen verwendet werden (z.B. sich in ein Kleid verlieben), jedoch kann man angesichts der Richtung der Metapher davon ausgehen, dass intrinsische Motivation sehr unwahrscheinlich ist (vgl. Abschnitt 5.1.4). Da beide Wörter zu dt. lieben in einer Kontiguitätsbeziehung stehen, wären dt. sich verlieben und dt. liebenswert also formal und semantisch auf derselben Transparenzstufe 2 näher am semantisch opaken Pol anzusetzen. Geht man jedoch davon aus, dass die unterschiedliche Art der Verarbeitung von Präfigierungen und Suffigierungen einen Einfluss auf die Motivierbarkeit hat, müsste man sich fragen, ob Stufe 2, 3 und 4, auf denen theoretisch jeweils Präfigierungen und Suffigierungen vorkommen können, nicht verdoppelt werden müssten, wie in Tabelle 31, und Unterstufen für jede einzelne formale Stufe angenommen werden müssen, je nachdem, ob der Stamm in morphologisch komplexen Wörtern zuerst oder zuletzt wahrgenommen und verarbeitet wird. Eine solche Feinabstufung führt aber auf Skalen des Typs I zu weit, da bei Offlinebefragungen, wie es die in dieser Arbeit verwendete Methode nun mal ist, ein Einfluss der unbewussten Verarbeitung je nach Konzentration des Informanten auf die Aufgabe zwar nicht ganz ausgeschlossen werden kann, die Informanten aber im Normalfall so lange über eine Motivation reflektieren dürfen, dass Unterschiede in der Verarbeitung schon verflogen sind, wenn der Motivationspartner endlich aufgeschrieben wird. Für Transparenzskalen des Typs II und IV, die auf Onlinedaten beruhen, ist jedoch die Position des Stammes im Wort nach wie vor von Bedeutung. Im Standardfranzösischen und Standarditalienischen scheint eine Verdoppelung der formalen Stufen zwar selbst aus der Perspektive von Onlinedaten überflüssig zu sein, da Stammallomorphie im Normalfall Unterschiede im Stammauslaut betrifft, doch sind beispielsweise die keltischen Sprachen bedingt durch das Phänomen der Mutation durch zum Teil sehr starke Veränderungen im Stammanlaut gekennzeichnet, wie an dem bretonischen Beispiel bret. mor ‘Meer’ in Bezug auf arvor ‘Küste’ (= Präfix ar + Stammallomorph vor) gesehen werden kann (vgl. Tab. 31, 3b.). <?page no="251"?> 251 Grad der formalen Übereinstimmung nach Koch und Marzo (2007: 272) Konzeptuell-semantische Relation opak transparent 1. Triviale Fälle absoluter Transparenz, die auf Polysemie beruhen. Kontiguität it. giorno ‘Gegenteil von Nacht, Zeit der Helligkeit’ - it. giorno ‘Tag als Zeitraum von 24 h’ Metaphorische Similarität it. grandezza ‘Größe i.S.v. Macht, Einfluss, Ruhm’ it. grandezza ‘phys. Ausmaß’ 2a. Absolute Transparenz: keine Stammallomorphie: Stamm in Anfangsposition. Kontiguität it. pubblicazione ‘veröffentlichtes Werk’ it. pubblicare ‘veröffentlichen (Medium)’ Metaphorische Similarität it. rosone ‘Rosette (= eine best. Art Kirchenfenster)’ it. rosa ‘Rose’ 2b. Absolute Transparenz: keine Stammallomorphie: Stamm nicht in Anfangsposition. fr. venir ‘sich von Punkt A zu Punkt B begeben’ fr. revenir ‘sich von Punkt A zu Punkt B zurückbegeben’ fr. prévoir ‘vorhersehen (Zukunft)’ fr. voir ‘sehen’ 3a. Verminderte Transparenz: es besteht Allomorphie am Ende des Stammes, wo ein Suffix hängt. Kontiguität fr. décision ‘Entscheidungsinhalt’ fr. décider ‘entscheiden’ Metaphorische Similarität * 3b. Verminderte Transparenz: es besteht Allomorphie an Anfang des Stammes, wo ein Präfix hängt. bret. mor ‘Meer’ bret. arvor ‘Küste’ * 4a. Minimale Transparenz: Es besteht Allomorphie in anderen Teilen des Stammes: Stamm in Anfangsposition. Kontiguität fr. jouer ‘spielen’ fr. jeu ‘Spiel, das man spielt (z.B. Brettspiel)’ Metaphorische Similarität * 4b. Minimale Transparenz: Es besteht Allomorphie in anderen Teilen des Stammes: Stamm nicht in Anfangsposition. * * Tab. 31: Transparenzskala des Typs I aus formaler Perspektive unter der Berücksichtigung des Unterschiedes von Präfigierung und Suffigierung <?page no="252"?> 252 Für einen Einfluss der Produktivität von Wortbildungsmustern, die ebenfalls in Onlineaufgaben zu beobachten ist, gilt ebenso, dass er zwar in offline ermittelten Daten nicht ganz auszuschließen ist und somit unter Umständen auch einen minimalen Einfluss auf Skalen des Typs I hat, ihm jedoch auch keine größere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss, da der Einfluss der Produktivität, der einen Unterschied in der spontanen Reaktion bewirken kann, durch die länger andauernde metasprachliche Reflektion der Offlinemethoden gedämpft wird beziehungsweise ganz verschwindet. Die Frequenz und Salienz von lexikalischen Einheiten kann jedoch, wie in Kapitel 5 und Abschnitt 6.2.2.4 gezeigt wurde, durchaus einen Einfluss auf die Motivierbarkeit in Offlinebefragungen haben. Da jedoch keine Ergebnisse dazu vorliegen, unter welchen Bedingungen Salienz und Frequenz die Transparenz des Zusammenwirkens von Form und Inhalt beeinflussen, kann die genaue Rolle der Salienz und Frequenz für den Transparenzgrad lexikalischer Einheiten auch nicht definiert werden. Es empfiehlt sich daher nach wie vor, bei der Untersuchung von lexikalischer Motivation und Transparenzgraden das Frequenz- und Salienzverhältnis zwischen Stimulus und potentiellen Motivationspartnern über die Stimuli hinweg konstant zu halten, um sicher zu gehen, dass abweichende Ergebnisse nicht frequenz- oder salienzbedingt sind. Erwähnt wurde bereits, dass Skalen wie diejenigen in Tabelle 30 und 31 auch aus semantischer Perspektive denkbar sind, wie zum Beispiel in Tabelle 32. So könnte man sich eine Skala der Perzeptivität für konzeptuell-semantische Relationen vorstellen, die hier wieder durch den in Kapitel 5 herausgearbeiteten Unterschied zwischen metaphorischer Similarität und Kontiguität vertreten wird. Die perzeptive Transparenz jeder dieser Relationen kann dann wiederum durch Unterschiede in der Form moduliert werden. Die Frage lautet hier nicht mehr: „Sind lexikalische Einheiten, die derselben formalen Transparenzstufe angehören, auch semantisch gleich transparent, wenn sie in unterschiedlichen semantisch-konzeptuellen Relationen zu ihren potentiellen Motivationspartnern stehen? “, sondern „Sind lexikalische Einheiten, die semantisch gleich transparente oder wahrnehmbare Beziehungen zu anderen lexikalischen Einheiten haben, auch formal gleich transparent, wenn die formale Übereinstimmung zu ihrem Motivationspartner unterschiedlich ausfällt? “ Die Antwort lautet parallel zu Tabelle 31 nein. Da es sich hier aber im Prinzip nur um eine andere Perspektive und Darstellung handelt, soll diese Art Skala nicht weiter betrachtet werden. <?page no="253"?> 253 Kontinuum der Perzeptivität der konzeptuellsemantischen Relation Grad der formalen Übereinstimmung nach Koch und Marzo (2007: 272) Transparentere metaphorische Similarität Opakere Kontiguität 1. Triviale Fälle absoluter Transparenz, die auf Polysemie beruhen. 2. Absolute Transparenz: keine Stammallomorphie. 3. Verminderte Transparenz: es besteht Allomorphie an dem Ende des Stammes, an dem ein Affix hängt. 4. Minimale Transparenz: Es besteht Allomorphie in anderen Teilen des Stammes. Tab. 32: Transparenskala des Typs I aus semantischer Perspektive In diesem Abschnitt wurden Grundzüge eines zweidimensionalen (formalen und semantischen) Transparenzmodells vorgestellt. Insbesondere wurde durch die Einarbeitung der Ergebnisse aus Kapitel 5 gezeigt, wie intrinsische und extrinsische Motivation im Bereich von Transparenzgraden interagieren. Dadurch wurde nicht nur noch einmal betont, dass Polysemie zur Motivation und Ikonizität im Lexikon beiträgt, sondern auch ihre herausragende Bedeutung für Transparenzabstufungen im Lexikon aufgezeigt. Das Phänomen der graduierten Transparenz lässt sich adäquat nur durch ein präzises gleichzeitig formales und semantisches Transparenzmodell erfassen, das alle Kombinationen aus formalen Abstufungen und inhaltlichen semantisch-kognitiven Relationen berücksichtigt. Die vorliegende Arbeit ist als erster Schritt in Richtung eines solchen umfassenden Transparenzmodells zu sehen. <?page no="255"?> 255 7 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen Ziel dieser Arbeit war es, die Bedeutung der Polysemie für Motivation und Ikonizität im Lexikon zu erforschen. Die drei Hauptergebnisse der Arbeit lassen sich abschließend wie folgt beschreiben: 1. Es wurde gezeigt, dass das Phänomen der lexikalischen Polysemie nicht nur ein Verfahren der lexikalischen Motivation ist, sondern auch die Ikonizität im Lexikon maßgeblich fördert. Dabei wurde demonstriert, dass die Polysemie aus theoretischer Perspektive zumindest potentiell von herausragender Bedeutung für Motivation und Ikonizität im Lexikon ist, weil jedes andere (extrinsische) Motivationsverfahren in ständiger Konkurrenz zum (intrinsischen) Verfahren der Polysemie steht. 2. Die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Informantenbefragungen zur Motivierbarkeit haben diese theoretischen Überlegungen empirisch untermauert und gezeigt, dass die Polysemie nicht nur potentiell, sondern tatsächlich eine herausragende Rolle für lexikalische Motivation und Ikonizität im Lexikon spielt, und zwar insofern, als die Art der Polysemie die Art der Motivation determiniert. Genauer entscheidet die Art der Polysemie darüber, ob eine lexikalische Einheit intrinsisch oder extrinsisch motiviert wird. Es hat sich folglich erwiesen, dass die formale und die inhaltlichsemantische Dimension von Motivation und Ikonizität aufs Engste interagieren. 3. Dieses Ergebnis hat weitreichende Folgen für die Erfassung und Bestimmung des Phänomens der graduierten Transparenz im Lexikon. Die meisten existierenden Transparenzskalen müssen deshalb verworfen werden, weil sie die Interaktion zwischen diesen beiden Dimensionen nicht berücksichtigen. Es wurden als Gegenvorschlag auf der Grundlage der empirischen Ergebnisse dieser Arbeit Grundzüge eines alternativen Transparenzmodells vorgestellt, das beide Dimensionen berücksichtigt . Nach einer Einführung in das Thema (Kap. 1) und einem Überblick über die wichtigsten Etappen und Autoren der Geschichte der Motivations- und Ikonizitätsforschung (Abschnitte 2.1 bis 2.3) sowie der Klarstellung des Motivationsverständnisses der vorliegenden Arbeit (Abschnitt 2.4) <?page no="256"?> 256 wurde in Kapitel 3 das Verhältnis lexikalischer Polysemie zu Ikonizität und Motivation im Lexikon bestimmt. Aus theoretischer Hinsicht stellt die Arbeit insofern einen Fortschritt gegenüber der bisherigen Forschungsliteratur dar, als gezeigt wird, dass Polysemie nicht nur zur Motivation (vgl. Koch 2001a u. Koch/ Marzo 2007, sowie unsystematischer Ullmann 1962 u. 2 1966), sondern auch wesentlich - und nicht nur am Rande wie beispielsweise bei Jakobson (1971 [1965]) - zur Ikonizität im Lexikon beiträgt. Damit werden Ansätze widerlegt, die davon ausgehen, dass das Phänomen der Polysemie den Ikonizitätsgrad des Lexikons einschränkt (s. z.B. Waugh 1994 u. Waugh/ Newfield 1995). Die theoretische Brücke, die das Verständnis der Polysemie als ikonizitätsförderndes Verfahren erlaubt und das Phänomen der Ikonizität in den Bereich der lexikalischen Motivation rückt, bildet Hiragas (1994) kognitiv orientierte Unterscheidung von struktureller und relationaler Diagrammatizität. Mit der Betonung der relationalen Perspektive lenkt Hiraga das Augenmerk der bis dato strukturlastigen Ikonizitätsforschung auf einen Aspekt, der einerseits dem wenig beachteten Ikontyp der Metapher zu Grunde liegt und andererseits grundlegend für das Verständnis lexikalischer Motivation nach Koch (2001a) ist. Polysemie ist relational diagrammatisch ikonisch in dem Sinne, dass zwei formal identische lexikalische Einheiten auch inhaltlich zusammenhängen. Anders als es von der strukturorientierten Ikonizitätsforschung (s. z.B. Haiman 1980 u. 1985 u. Dressler 1985) postuliert wird, muss nach einem relational orientierten theoretischen Hintergrund folglich eine quantitative Veränderung des Inhalts nicht zwingend in einer quantitativen Veränderung der Form resultieren. Da fast jedes Wort polysem ist und somit fast jede lexikalische Einheit zumindest potentiell über formale Identität motiviert werden kann, stellt sich aus theoretischer Sicht das Problem, dass vor allem bei formal komplexen lexikalischen Einheiten die formale Identität in einer ständigen Konkurrenzsituation zu anderen formalen Motivationsverfahren steht. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer empirischen Überprüfung des tatsächlichen Beitrags der Polysemie zu Motivation und Ikonizität im Lexikon. In Kapitel 4 wurden verschiedene Methoden zur Ermittlung lexikalischer Motivation vorgestellt und ihre Vor- und Nachteile diskutiert. Da sich sowohl die Introspektion des Linguisten (Abschnitt 4.1) als auch die Ermittlung von Motivationsverhältnissen in Korpora (Abschnitt 4.2) unter verschiedenen Gesichtspunkten als problematisch erwiesen hat, beruht der empirische Teil der vorliegenden Studie auf Informantenbefragungen. Nach einem kritischen Überblick über die bisher zur Ermittlung der Motivation und verwandter Phänomene benutzten Befragungstechniken (Abschnitt 4.3.1) wurde die Tübinger Zweischrittmethode vorgestellt (Abschnitt 4.3.2), auf der auch die Vorgehensweise der vorliegenden Arbeit <?page no="257"?> 257 beruht. In Abschnitt 5.1 wurden die Hypothesen und deren theoretische Fundierung vorgestellt, die die besondere Ausrichtung der in Abschnitt 5.2.1 detailliert beschriebenen Befragungsreihe zur lexikalischen Motivation bestimmte. Getestet wurde vor allem die Interaktion zwischen extrinsischer und intrinsischer Motivierbarkeit einerseits und kontiguitätsbasierter beziehungsweise metaphernbasierter Polysemie andererseits. In Abschnitt 5.2.2 wurden die Ergebnisse dieser Studie im Detail vorgestellt und diskutiert. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Frage, ob extrinsisch oder intrinsisch motiviert wird, wesentlich von der semantisch-konzeptuellen Relation abhängt, die eine lexikalische Einheit zu ihrem potentiellen intrinsischen Motivationspartner unterhält. Besteht eine Kontiguitätsbeziehung zu einem potentiellen intrinsischen Motivationspartner, werden formal komplexe lexikalische Einheiten eher extrinsisch, formal einfache lexikalische Einheiten eher intrinsisch motiviert. Besteht hingegen eine metaphorische Similarität zwischen einer lexikalischen Einheit und ihrem potentiellen intrinsischen Motivationspartner, geht die Tendenz auch bei formal komplexen Einheiten zu intrinsischer Motivation. Daraus lässt sich folgern, dass für die introspektiv vorgehenden Informanten die konzeptuellen Relationen der Kontiguität und der metaphorischen Similarität nicht in gleichem Maße salient oder wahrnehmbar sind. Diese Ergebnisse müssen vor dem Hintergrund der Metaphern- und Metonymieforschung der Kognitiven Linguistik sowie der Psycholinguistik interpretiert werden, die die similaritätsbasierten Metaphern als kognitiv aufwändigere und daher tendenziell bewusstere Operationen zwischen unterschiedlichen Frames, die kontiguitätsbasierten Metonymien hingegen als kognitiv weniger aufwändige und daher tendenziell unbewusstere Operationen innerhalb eines Frames beschreiben (vgl. Lakoff/ Johnson 1980, Lakoff/ Turner 1989, Klepousniotou 2002). Für formal komplexe lexikalische Einheiten bedeutet das, dass sie extrinsisch, also formorientiert, motiviert werden, wenn die konzeptuelle Relation zum intrinsischen Motivationspartner nicht deutlich genug ist (bei Kontiguität), aber intrinsisch, also inhaltsorientiert, motiviert werden, wenn die intrinsische konzeptuelle Relation deutlich genug ist (bei metaphorischer Similarität). Bei formal einfachen lexikalischen Einheiten wird in Fällen einer metaphorischen Similarität zwischen Stimulus und potentiellem intrinsischen Motivationspartner daher ebenso intrinsisch motiviert. Handelt es sich um eine Kontiguitätsrelation, werden die Stimuli bei formal einfachen lexikalischen Einheiten zwar in den meisten Fällen von den Informanten dennoch mehrheitlich als motiviert eingestuft, doch ist die Mehrheit kleiner als bei intrinsischer metaphorischer Similarität. Des Weiteren haben sich <?page no="258"?> 258 Unterschiede in der Motivierbarkeit verschiedener Kontiguitätsrelationen ergeben (zu den Details s. Abschnitt 5.2.2.2). Die in Kapitel 5 festgestellte Interaktion zwischen Form und Inhalt im Motivationsakt hat weitreichende Folgen für lexikalische Transparenzskalen, die in Kapitel 6 diskutiert wurden. Insbesondere wurde gezeigt, dass die meisten bisherigen Versuche, Transparenzunterschiede im Lexikon zu beschreiben und zu erfassen, deshalb unzulänglich sind, weil sie sich entweder ausschließlich auf den formalen oder lediglich auf den semantischen Aspekt der Transparenz konzentrieren und, wenn sie das Zusammenspiel der beiden Dimensionen auch nicht negieren, dieses doch zumindest nicht beachten und damit unterschätzen. Denn die beiden Dimensionen der Transparenz müssen, wie die Ergebnisse aus Kapitel 5 zeigen, immer in Interaktion gesehen werden. Das in Abschnitt 6.3 vorgestellte Transparenzmodell stellt in diesem Sinne einen ersten Schritt in Richtung auf eine adäquate Beschreibung des Phänomens der graduierten Transparenz im Lexikon dar. <?page no="259"?> 259 Bibliographie Bücher und Artikel Abbagnano, N. ( 2 1968) (Hg.): Vico. La scienza nuova ed altri scritti, Torino, Utet. Ackrill, J. (1963): Aristotele’s Categories and De Interpretatione, Oxford, Clarendon. Albert, R./ Koster, C.J. (2002): Empirie in Linguistik und Sprachlehrforschung. Ein methodologisches Arbeitsbuch, Tübingen, Narr. Alinei, M. (1995): „Theoretical aspects of lexical motivation”, in Svenska landsmål och svenskt folkliv 118, 1-10. Alonge, A./ Lönneker, B. (2004): „The heart of the problem: How shall we represent metaphors in wordnets? ”, in Sojka, P./ Pala, K./ Smrz, P./ Fellbaum, C./ Vossen, P. (Hgg.), Proceedings of the 2nd International Conference of the Global Word- Net Association (Brünn, Tschechien, 20.-23.01.04), Brünn, Masaryk Universität, 10. Anshen, F./ Aronoff, M. (1981): „Morphological productivity and phonological transparency“, in Canadian Journal of Linguistics 26/ 1, 63-72. Antipova, A. (2007): Aspekte der Motivation im Französischen: Eine Studie zu höchst- und niedrigerfrequenten lexikalischen Einheiten, Magisterarbeit, Universität Tübingen. Apothéloz, D. (2002): La construction du lexique français, Paris, Ophrys. Apresjan, J.D. (1973): „Regular polysemy”, in Linguistics 142, 5-32. Aronoff, M./ Anshen, F. (1998): „Morphology and the lexicon: Lexicalization and productivity”, in Spencer, A./ Zwicky, A. (Hgg.), The Handbook of Morphology, Oxford, Blackwell, 237-247. Aronoff, M./ Schvaneveldt, R. (1978): „Testing morphological productivity”, in Annals of the New York Academy of Sciences 318, 106-114. Augst, G. (1975): Untersuchungen zum Morpheminventar der deutschen Gegenwartssprache, Tübingen, Narr. Augst, G. (1996): „Motivationstypen und diasystematische Differenzierung der semantischen Motiviertheit”, in Bremer, E./ Hildebrand, R. (Hgg.), Stand und Aufgaben der deutschen Dialektlexikographie. II. Brüder-Grimm-Symposion zur Historischen Wortforschung. Beiträge zu der Marburger Tagung, Berlin/ New York, de Gruyter, 17-28. Augst, G./ Müller, K. (1998): Wortfamilienwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache, Tübingen, Niemeyer. Auroux, S. (1989-2000) (Hg.): Histoire des idées linguistiques, 3 Bde., Lüttich, Mardaga. Babin, J.-P. (1998): Lexique mental et morphologie lexicale, Bern u.a., Lang. Baker, C.F. (2000): „Proving basic polysemy: subjects reliably distinguish several senses of see“, in Chang, St./ Liaw, L./ Ruppendorfer, J. (Hgg.), Proceedings of the twenty-fifth annual meeting of the Berkeley Linguistic Society (Berkeley, 12.- 15.02.99), Berkeley, Berkely Linguistic Society, 14-25. Bally, C. ( 4 1965): Linguistique générale et linguistique française, Bern, Francke. <?page no="260"?> 260 Barcelona, A. (2000a) (Hg.): Metaphor and Metonymy at the Crossroads: A Cognitive Perspective, Berlin/ New York, Mouton de Gruyter. Barcelona, A. (2000b): „Introduction: The cognitive theory of metaphor and metonymy”, in Barcelona, A. (2000a) (Hg.), 1-28. Barcelona, A. (2000c): „On the plausibility of claiming a metonymic motivation for conceptual metaphor”, in Barcelona, A. (2000a) (Hg.), 31-58. Baroni, M. (2003): „Distribution driven morpheme discovery: A computational/ experimental study”, in Booij, G./ Marle, J. van (Hgg.), Yearbook of Morphology 2003, Oxford, Springer, 213-248. Baroni, M./ Vegnaduzzo, S. (2003): „Assessing morphological productivity via automated measures of semantic transparency”, Präsentation auf dem Workshop Explaining Productivity, Jahrestagung der DGfS, München, 27.02.03, s. http: / / clic.cimec.unitn.it/ marco/ publications/ semprodws.pdf (letzter Zugriff am 18.09.12). Bartoszewicz, A. (1974): „On the problems of divisibility, motivation and derivation of words“, in Bulletin phonographique XV, 67-74. Barz, I. (1982): „Motivation und Wortbildungsbedeutung. Eine Diskussion sowjetischer Forschungsergebnisse”, in Beiträge zur Erforschung der deutschen Sprache 2, 5-21. Bauer, L. (1983): English Word-Formation, Cambridge, Cambridge UP. Bauer, L. (2001): Morphological Productivity, Cambridge, Cambridge UP. Beckwith, R./ Fellbaum, C./ Gross, D./ Miller, G.A. (1990): „WordNet: A lexical database organized on psycholinguistic principles”, in Zernik, U. (Hg.), Using Online Resources to Build a Lexicon, Hillsdale (N.J.), Erlbaum, 211-231. Bellmann, G. (1988): „Motivation und Kommunikation”, in Haider Munske, H./ von Polenz, P./ Reichmann, O./ Hildebrandt, R. (Hgg.), Deutscher Wortschatz. Lexikologische Studien. Ludwig Erich Schmitt zum 80. Geburtstag von seinen Marburger Schülern, Berlin/ New York, de Gruyter, 3-23. Benveniste, E. (1966): Problèmes de linguistique générale, Paris, Gallimard. Bentin, S./ Frost, R. (2001): „Linguistic theory and psychological reality: a reply to Boudelaa & Marslen-Wilson“, in Cognition 81/ 1, 113-118. Berko, J. (1958): „The child’s learning of English morphology”, in Word 14, 150-177. Black, M. (1977): „More about metaphor”, in Dialectica 31, 431-457. Blank, A. (1997): Prinzipien des lexikalischen Bedeutungswandels am Beispiel der romanischen Sprachen, Tübingen, Niemeyer. Blank, A. (1998): „Kognitive italienische Wortbildungslehre“, in Italienische Studien 19, 5-27. Blank, A. (2001a): Einführung in die lexikalische Semantik für Romanisten, Tübingen, Niemeyer. Blank, A. (2001b): „Pathways of lexicalization“, in Haspelmath, M./ König, E./ Oesterreicher, W./ Raible, W. (Hgg.), 1596-1608. Blank, A. (2003a): „Polysemy in the lexicon“, in Eckhardt, R./ von Heusinger, K. (Hgg.), Meaning Change - Meaning Variation (Konstanz, 02.99), Konstanz, Fachgruppe Sprachwissenschaft der Universität Konstanz, 11-29. Blank, A. (2003b): „Polysemy in the lexicon and in discourse”, in Nerlich, B./ Todd, Z./ Herman, V./ Clarke, D.D. (Hgg.), Polysemy. Flexible Patterns of Meaning in Mind and Language, Berlin/ New York, Mouton de Gruyter, 267-296. <?page no="261"?> 261 Blumenthal, P. ( 2 1997): Sprachvergleich Deutsch-Französisch, Tübingen, Niemeyer. Booij, G. (2000): „Inflection and derivation”, in Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. (Hgg.), 360-369. Booij, G. ( 2 2007): The Grammar of Words. An Introduction to Morphology, Oxford, Oxford UP. Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. (2000) (Hgg.): Morphology. An International Handbook on Inflection and Word-Formation (=Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 17.1), Berlin/ New York, de Gruyter. Boudelaa, S./ Marslen-Wilson, W.D. (2000): „Non-concatenative morphemes in language processing: Evidence from modern standard Arabic”, in SWAP 2000, 23-26. Boudelaa, S./ Marslen-Wilson, W.D. (2001): „Morphological units in the Arabic mental lexicon“, in Cognition 81/ 1, 65-92. Brandt, R./ Klemme, R.F. (1996): „John Locke (1632-1704)“, in Borsche, T. (Hg.), Klassiker der Sprachphilosophie. Von Platon bis Noam Chomsky, München, Beck, 133-146. Bredin, H. (1996): „Onomatopoeia as a figure and a linguistic principle”, in New Literary History 27, 555-569. Brisard, F./ Van Rillaer, G./ Sandra, D. (2001): „Processing polysemous, homonymous and vague adjectives”, in Cuyckens, H./ Zawada, B. (Hgg.), Polysemy in Cognitive Linguistics. Selected Papers from the International Cognitive Linguistics Conference (Amsterdam, 14.-19.07.1997), Amsterdam/ Philadelphia, Benjamins, 261-284. Caramazza, A./ Grober, E. (1976): „Polysemy and the structure of the subjective lexicon”, in Rameh, C. (Hg.), Semantics: Theory and Application. Georgetown University Round Table on Linguistics 1976, Washington D.C., Georgetown UP, 181- 206. Casasanto, D. (2008): „Similarity and proximity: When does close in space mean close in mind? ”, in Memory & Cognition 36/ 6, 1047-1056. Chaffin, R./ Herrmann, D.J. (1984): „The similarity and diversity of semantic relations“, in Memory & Cognition 12/ 2, 134-141. Clark, H.H. (1971): „Word associations and linguistic theory”, in Lyons, J. (Hg.), New Horizon in Linguistics, Harmondsworth, Penguin, 271-286. Cole, P./ Beauvillain, C./ Segui, J. (1989): „On the representation and processing of prefixed and suffixed derived words: a differential frequency effect”, in Journal of Memory and Language 28, 1-13. Collins, A.M./ Loftus, E. (1975): „A spreading-activation theory of semantic processing”, in Psychological Review 82, 407-428. Collins, A.M./ Quillian, M.R. (1969): „Retrieval time from semantic memory”, in Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior 8, 240-248. Colombo, L./ Flores D’Arcais, G.B. (1984): „The meaning of Dutch prepositions: A psycholinguistic study of polysemy”, in Linguistics 22, 51-98. Condillac, E.B. de (1746): Essai sur l’origine des connoissances humaines, Amsterdam, Pierre Mortier. Cooper, W.E./ Ross, J.R. (1975): „World order“, in Grossman, R.E./ San, L.J./ Vance, T.J. (Hgg.), Papers from the Parasession on Functionalism, Chicago, Chicago Linguistic Society, 63-111. <?page no="262"?> 262 Cortelazzo, M./ Zolli, P./ Cortelazzo, M.A. ( 2 1999): Il nuovo etimologico: Dizionario etimologico della lingua italiana, Bologna, Zanichelli. Coseriu, E. (1970): „Die sprachphilosophische Thematik bei Platon“, in Coseriu, E. (2004a), 37-62. Coseriu, E. (1977): „Strukturelle Wortbildungslehre (am Beispiel des Typs coupepapier)”, in Brekle, H.E./ Kastovsky, D. (Hgg.), Perspektiven der Wortbildungsforschung, Bonn, Bouvier, 193-238. Coseriu, E. (2004a): Der φύσει-θ έ σει-Streit. Sechs Beiträge zur Geschichte der Sprachphilosophie, Tübingen, Narr. Coseriu, E. (2004b): „Die Sprache zwischen φύσει und θ έ σει“, in Coseriu, E. (2004a), 99-117. Coseriu, E. (2004c): „Der φύσει-θ έ σει-Streit“, in Coseriu, E. (2004a), 119-162. Coseriu, E. (2004d): „Naturbild und Sprache“, in Coseriu, E. (2004a), 73-98. Croft, W. (1990): Typology and Universals, Cambridge, Cambridge UP. Croft, W. (1998): „Linguistic evidence and mental representations“, in Cognitive Linguistics 9/ 2, 151-173. Croft, W. (2003): „The role of domains in the interpretation of metaphors and metonymies”, in Dirven, R./ Pörings, R. (Hgg.), Metaphor and Metonymy in Comparison and Contrast, Berlin/ New York, Mouton de Gruyter, 161-205. Croft, W./ Cruse, D.A. (2004): Cognitive Linguistics, Cambridge, Cambridge UP. Cruse, D.A. (1986): Lexical Semantics, Cambridge, Cambridge UP. Cruse, D.A. (2003): „Aux frontières de la polysémie: Les micro-sens“, in Rémi- Giraud, S./ Panier, L. (Hgg.), La polysémie ou l’empire des sens, Lyon, PUL. Cruse, D.A./ Hundsnurscher, F./ Job, M./ Lutzeier, P.-R. (2002) (Hgg.): Lexikologie: Ein internationales Handbuch zur Natur und Struktur von Wörtern und Wortschätzen, Bd. I (=Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 21.1), Berlin/ New York, de Gruyter. Cutler, A. (1981): „Degrees of transparency in word formation“, in CJL 26/ 1, 73-77. Cuyckens, H./ Sandra, D./ Rice, S. (1997): „Towards an empirical lexical semantics“, in Smieja, B./ Tasch, M. (Hgg.), Human Contact through Language and Linguistics, Frankfurt a.M. u.a., Lang, 35-54. Danesi, M. (1995): „The iconicity of metaphor“, in Landsberg, M. (Hg.), Syntactic Iconicity and Linguistic Freezes: The Human Dimension, Berlin/ New York, Mouton de Gruyter, 265-283. Dardano, M. (1978): La formazione delle parole nell’italiano di oggi, Roma, Bulzoni. Dardano, M. (1988): „Formazione delle parole”, in Holtus, G./ Metzeltin, M./ Schmitt, C. (Hgg.), Lexikon der Romanistischen Linguistik, Bd. IV, Tübingen, Niemeyer, 51-63. Dardano, M./ Trifone, P. (1985): La lingua italiana. Morfologia, sintassi, fonologia, formazione delle parole, lessico, nozioni di linguistica e sociolinguistica, Bologna, Zanichelli. Del Carmen García Manga, M. (2004): „La etimología popular inserta en el cambio lingüístico“, in Calero Vaquera, M./ Rivera Cardenas, F. (Hgg.), Estudios lingüísticos y literarios. In memoriam Eugenio Coseriu 1921-2002, Cordoba, Universidad de Cordoba, 119-130. <?page no="263"?> 263 Demey, E./ Van Herreweghe, M./ Vermeerberge (2008): „Iconic structures in sign languages”, in Willems, K./ De Cuypere, L. (Hgg.), Naturalness and Iconicity in Language, Amsterdam/ Philadelphia, Benjamins, 189-214. Derwing, B.L. (1976): „Morpheme recognition and the learning of rules for derivational morphology”, in The Canadian Journal of Linguistics 21/ 1, 38-66. Dressler, W. (1985): „On the predictiveness of natural morphology“, in Journal of Linguistics 21, 321-337. Dressler, W.U. (1987) (Hg.): Leitmotifs in Natural Morphology, Amsterdam/ Philadelphia, Benjamins. Dressler, W.U. (1995): „Interaction between iconicity and other semiotic parameters in language”, in Simone, R. (Hg.), Iconicity in Language, Amsterdam/ Philadelphia, Benjamins, 21-45. Dressler, W.U. (2000): „Naturalness”, in Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. (Hgg.), 288-296. Duchaček, O. (1969): „La tendance de motivation et la conscience étymologique“, in Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin 18/ 4, 701-703. Duchet, J.-L. (1993): „Les marques de la motivation en anglais. Des noms d’animaux aux relations dérivationnelles“, in Faits de langues 1, 241-249. Dudenredaktion ( 4 2001) (Hg.): Duden. Deutsches Universalwörterbuch, Mannheim, Dudenverlag. Dunbar, G. (2001): „Towards a cognitive analysis of polysemy, ambiguity, and vagueness“, in Cognitive Linguistics 12/ 1, 1-14. Durkin, K./ Manning, J. (1989): „Polysemy and the subjective lexicon: semantic relatedness and the salience of intraword senses”, in Journal of Psycholinguistic Research 18/ 6, 577-612. Eco, U. (1993): La ricerca della lingua perfetta nella cultura europea, Bari, Laterza. Eigler, G. ( 2 1990): Platon. Werke, Bd. 4, Politeia, Darmstadt, WBG. Eigler, G. ( 3 1990): Platon. Werke, Bd. 3, Phaidon - Das Gastmahl - Kratylos, Darmstadt, WBG. Eilts, C./ Lönneker, B. (2002): „The Hamburg Metaphor Database“, in metaphorik.de 3, 1-9. Ernst, G. (1981): „Ein Blick durch die durchsichtigen Wörter. Versuch einer Typologie der Wortdurchsichtigkeit und ihrer Einschränkungen“, in Linguistica XXI, 47-70. Fauconnier, G./ Turner, M. (2003): „Polysemy and conceptual blending”, in Nerlich, B./ Todd, Z./ Herman, V./ Clarke, D.D. (Hgg.), Flexible Patterns of Meaning in Mind and Language, Berlin/ New York, Mouton de Gruyter, 79-94. Feldman, L.B./ Barac-Cikoja, D./ Kostic, A. (2002): „Semantic aspects of morphological processing: Transparency effects in Serbian”, in Memory & Cognition 30/ 4, 629-636. Feldman, L.B./ Soltano, E.G. (1999): „Morphological Priming: The role of prime duration, semantic transparency and affix position“, in Brain and Language 68, 33-39. Fellbaum, C. (1990): „English verbs as a semantic net”, in International Journal of Lexicography 3/ 4, 278-301. <?page no="264"?> 264 Fellbaum, C. ( 2 1999): „A semantic network of English verbs”, in Fellbaum, C. (Hg.), WordNet. An Electronical Lexical Database, Cambridge (Mass.), MIT Press, 69-104. Feyaerts, K. (2000): „Refining the inheritance hypothesis: Interaction between metaphoric and metonymic hierarchies“, in Barcelona, A. (Hg.) (2000a), 59-78. Fill, A. (1976): „Synchrone oder diachrone etymologische Kompetenz? “, in Klagenfurter Beiträge zur Sprachwissenschaft 2/ 3, 3-16. Fill, A. (1980a): „Durchsichtige Wörter im Englischen: Betrachtungsweisen und Forschungsansätze“, in Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik 5/ 1, 13-35. Fill, A. (1980b): Wortdurchsichtigkeit im Englischen. Eine nicht-generative Studie morphosemantischer Strukturen. Mit einer kontrastiven Untersuchung der Rolle durchsichtiger Wörter im Englischen und Deutschen der Gegenwart, Habilitationsschrift Universität Innsbruck, Innsbruck, Institut für Sprachwissenschaft. Fill, A. (1981): „Korpusuntersuchung und Informantenbefragung - Methodisches zur kontrastiven Sprachwissenschaft“, in Pöckl, W. (Hg.), Europäische Mehrsprachigkeit. Festschrift zum 70. Geburtstag von Mario Wandruszka, Tübingen, Niemeyer, 215-224. Fischer, A. (1999): „What, if anything, is phonological iconicity? “, in Nänny, M./ Fischer, O. (Hgg.), 123-134. Fischer, O./ Nänny, M. (1999): „Introduction: Iconicity as a creative force in language use“, in Nänny, M./ Fischer, O. (Hgg.), xv-xxxv. Fischer, O./ Nänny, M. (2001) (Hgg.): The Motivated Sign (=Iconicity in Language and Literature 2), Amsterdam/ Philadelphia, Benjamins. Fleischer, W./ Barz, I. ( 2 1995): Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache, Tübingen, Niemeyer. Fónagy, I. (1993): „Parcours d’ensemble: Physei/ Thesei. L’aspect évolutif d’un débat millénaire“, in Faits de langues 1, 29-45. Fónagy, I. (1999): „Why iconicity? “, in Nänny, M./ Fischer, O. (Hgg.), 3-36. Franzen, W. (1996): „Etienne Bonnot de Condillac (1714-1780)“, in Borsche, T. (Hg.), Klassiker der Sprachphilosophie. Von Platon bis Noam Chomsky, München, Beck, 179-195. Fried, E. ( 12 2005): Es ist was es ist. Liebesgedichte, Angstgedichte, Zorngedichte, Berlin, Wagenbach. Frost, R./ Deutsch, A./ Gilboa, O./ Tannenbaum, M./ Marslen-Wilson, W.D. (2000): „Morphological priming: dissociation of phonological, semantic and morphological factors”, in Memory & Cognition 28/ 8, 1277-1288. Frost, R./ Forster, K./ Deutsch, A. (1997): „What can we learn from the morphology of Hebrew? A masked-priming investigation of morphological representation”, in Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory and Cognition 23/ 4, 829-856. Gaeta, L. (2003): „Per una morfologia cognitiva”, in Gaeta, L./ Luraghi, S. (Hgg.), Introduzione alla linguistica cognitiva, Roma, Carocci, 101-122. Gallmann, P./ Lehmann, C./ Lühr, R. (2007) (Hgg.): Sprachliche Motivation: Zur Interdependenz von Inhalt und Ausdruck, Tübingen, Narr. Gauger, H.-M. (1971): Durchsichtige Wörter. Zur Theorie der Wortbildung, Heidelberg, Winter. <?page no="265"?> 265 Geeraerts, D. (2000): „Salience phenomena in the lexicon”, in Albertazzi, L. (Hg.), Meaning and Cognition, Amsterdam/ Philadephia, Benjamins, 125-136. Geeraerts, D. (2003): „The interaction of metaphor and metonymy in composite expressions“, in Dirven, R./ Pörings, R. (Hgg.), Metaphor and Metonymy in Comparison and Contrast, Berlin/ New York, Mouton de Gruyter, 435-465. Geeraerts, D./ Cuyckens, H. (2007) (Hgg.): The Oxford Handbook of Cognitive Linguistics, Oxford, Oxford UP. Genette, G. (1976): Mimologiques. Voyage en Cratylie, Paris, Seuil. Gensini, S. (1995): „Criticisms of the arbitrariness of language in Leibniz and Vico and the ‘natural’ philosophy of language”, in Simone, R. (1995a) (Hg.), 5-18. Gévaudan, P. (2007): Typologie des lexikalischen Wandels. Bedeutungswandel, Wortbildung und Entlehnung am Beispiel der romanischen Sprachen, Tübingen, Stauffenburg. Gibbs, R.W. (1990a): „Comprehending figurative referential descriptions”, in Journal of Experimental Psychology 16/ 1, 56-66. Gibbs, R.W. (1990b): „The process of understanding literary metaphor“, in Journal of Literary Semantics 19/ 2, 65-79. Gibbs, R.W./ Beitel, D.A./ Harrington, M./ Sanders, P. (1994): „Taking a stand on the meanings of stand: Bodily experience as motivation for polysemy”, in Journal of Semantics 11, 231-251. Gibbs, R.W./ Gerrig, R.J. (1989): „How context makes metaphor comprehension seem “special”, in Metaphor and Symbolic Activity 4/ 3, 145-158. Gibbs, R.W./ Matlock, T. (1998): „Psycholinguistics and mental representations”, in Cognitive Linguistics 10/ 3, 263-269. Gibbs, R.W./ Matlock, T. (2001): „Psycholinguistic perspectives on polysemy”, in Cuyckens, H./ Zawada, B. (Hgg.), Polysemy in Cognitive Linguistics. Selected Papers from the International Cognitive Linguistics Conference (July 14-19 1997, Amsterdam), Amsterdam/ Philadelphia, Benjamins, 213-239. Gibbs, R.W./ Tendhal, M. (2006): „Cognitive effort and effects in metaphor comprehension: Relevance Theory and psycholinguistics, in Mind & Language 21/ 3, 379-403. Glinz, H. (1971): Linguistische Grundbegriffe und Methodenüberblick, Frankfurt a.M., Athenäum. Goossens, L. (1990): „Metaphtonymy: the interaction of metaphor and metonymy in expressions for linguistic action“, in Cognitive Linguistics 1/ 3, 323-340. Grady, J.E. (1999): „A typology of motivation for conceptual metaphor: correlation vs. resemblance”, in Gibbs, S./ Steen, R. (Hgg.), Metaphor in Cognitive Linguistics, Amsterdam/ Philadelaphia, Benjamins, 79-100. Grady, J.E. (2005): „Primary Metaphors as inputs to conceptual integration”, in Journal of Pragmatics 37, 1595-1614. Grady, J.E. (2007): „Metaphor”, in Geeraerts, D./ Cuyckens, H. (Hgg.), 188-213. Greenberg, J.H. (1995): „On language internal iconicity“, in Landsberg, M.E. (Hg.), Syntactic Iconicity and Linguistic Freezes. The Human Dimension, Berlin/ New York, Mouton de Gruyter, 57-63. Grossmann, M./ Rainer F. (2004) (Hgg.): La formazione delle parole in italiano, Tübingen, Niemeyer. <?page no="266"?> 266 Gruaz, C. (2002): „The analysis of word-families and their motivational relations“, in Cruse, D.A./ Hundsnurscher, F./ Job, M./ Lutzeier, P.-R. (Hgg.), 700-704. Guida, A. (2007): The Representation of Verb Meaning within Lexical Semantic Memory: Evidence from Word Associations, Masterarbeit, Universität Pisa. Günther, H. (1987): „Wortbildung, Syntax, be-Verben und das Lexikon“, in Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 109, 179-201. Gusmani, R. (1984): „A proposito della motivazione linguistica“, in Incontri linguistici 9, 11-23. Haiman, J. (1980): „The iconicity of grammar: Isomorphism and motivation”, in Language 56/ 3, 515-540. Haiman, J. (1983): „Iconic and economic motivation”, in Language 59/ 4, 781-816. Haiman, J. (1985): Natural Syntax. Iconicity and Erosion, Cambridge, Cambridge UP. Haiman, J. (2000): „Iconicity”, in Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. (Hgg.), 281- 288. Harley, T. ( 2 2001): The Psychology of Language, Hove/ New York, Psychology Press. Haspelmath, M. (1997): From Space to Time: Temporal Adverbials in the World’s Languages, München, Lincom Europa. Haspelmath, M./ König, E./ Oesterreicher, W./ Raible, W. (2001) (Hgg.), Language Typology and Language Universals. An International Handbook, Bd. II, (=Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 20.2), Berlin/ New York, de Gruyter. Hay, J. (2003): Causes and Consequences of Word Structure, New York/ London, Routledge. Herbermann, C.P. (1981): Wort, Basis, Lexem und die Grenze zwischen Lexikon und Grammatik. Eine Untersuchung am Beispiel der Bildung komplexer Substantive, München, Fink. Heringer, H.J. (1986): „The verb and its semantic power: association as the basis for valence“, in Journal of Semantics 4, 79-99. Hiraga, M.K. (1994): „Diagrams and metaphors: Iconic aspects in language”, in Journal of Pragmatics 22, 5-21. Hoeksema, J. (2000): „Compositionality of meaning”, in Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. (Hgg.), 851-857. Iacobini, C. (1996): „Il principio di direzionalità nella morfologia derivazionale”, in Lingua e stile 31/ 2, 215-237. Indurkhya, B. (1992): Metaphor and Cognition, Dordrecht, Kluwer. Ising, M. (2011): „Hier kocht der Chef. A lexical typology of motivatable expressions for THE COOK and TO COOK : methodology and first applicatons”, in Dessì Schmid, S./ Detges, U./ Gévaudan, P./ Mihatsch, W./ Waltereit, R. (Hgg.), Rahmen des Sprechens. Beiträge zu Valenztheorie, Varietätenlinguistik, Kreolistik, Kognitiver und Historischer Semantik. Peter Koch zum 60. Geburtstag, Tübingen, Narr, 356-367. Ives, Th./ Smith, D.R.R./ Patterson, R. (2005): „Discrimination of speaker size from syllable phrases”, in Journal of the Acoustical Society of America 118/ 6, 3816-3822. Jakobson, R. (1956): „Two aspects of language and two types of aphasic disturbances”, in Jakobson, R./ Halle, M. (1971) (Hgg.), Fundamentals of Language, Den Haag/ Paris, Mouton, 67-96. <?page no="267"?> 267 Jakobson, R. (1971 [1965]): „Quest for the essence of language”, in Jakobson, R. (Hg.), Selected Writings, Bd. II, Den Haag/ Paris, Mouton, 345-359. Jongen, R. (1985): „Polysemy, tropes and cognition or the non-magrittian art of closing curtains whilst opening them”, in Paprotté, W./ Dirven, R. (Hgg.), The Ubiquity of Metaphor: Metaphors in Language and Thought, Amsterdam/ Philadelphia, Benjamins, 121-139. Juilland, A./ Brodin, D./ Davidovitch, C. (1970): Frequency Dictionary of French Words, Den Haag/ Paris, Mouton. Juilland, A./ Traversa, V. (1973): Frequency Dictionary of Italian Words, Den Haag/ Paris, Mouton. Kastovsky, D. (1982): Wortbildung und Semantik, Bern/ München, Francke. Kauschke, C. (2007): Erwerb und Verarbeitung von Nomen und Verben, Tübingen, Niemeyer. Kent, G.H./ Rosanoff, A.J. (1910): „A study of association in insanity 1: Association in normal subjects”, in American Journal of Insanity 67, 37-96 u. 317-390. Kleiber, G. (1993): „Iconicité d’isomorphisme et grammaire cognitive“, in Faits de langues 1, 105-121. Kleiber, G. (1999): Problèmes de sémantique. La polysémie en questions, Villneuve d’Ascq, PU du Septentrion. Klein, W.P. (2007): „Reflektierte Motivation. Überlegungen zu ihrer Rolle in Sprachgeschichte und Sprachwandel“, in Gallmann, P./ Lehmann, C./ Lühr, R. (Hgg.), Sprachliche Motivation: Zur Interdependenz von Inhalt und Ausdruck, Tübingen, Narr, 81-103. Klepousniotou, E. (2002): „The processing of lexical ambiguity: Homonymy and polysemy in the mental lexicon”, in Brain and Language 81, 205-223. Klix, F./ Kukla, F./ Klein, R. (1976): „Über die Unterscheidbarkeit von Klassen semantischer Relationen im menschlichen Gedächtnis“, in Klix, F. (Hg.), Psychologische Beiträge zur Analyse kognitiver Prozesse, Berlin, VEB Wissenschaft, 57- 98. Koch, P. (1994): „Gedanken zur Metapher - und zu ihrer Alltäglichkeit“, in Sabban, A./ Schmitt, C. (Hgg.), Sprachlicher Alltag. Linguistik - Rhetorik - Literaurwissenschaft. Festschrift für Wolf-Dieter Stempel, Tübingen, Niemeyer, 201-225. Koch, P. (1998): „Saussures mouton und Hjelmslevs træ. Zwei Schulbeispiele zwischen Semstruktur und Polysemie“, in Werner, E./ Schlosser, R. (Hgg.), Et multum et multa: Festschrift für Peter Wunderli zum 60. Geburtstag, Tübingen, Narr, 113-136. Koch, P. (1999a): „Frame and contiguity: On the cognitive basis of metonymy and certain types of word formation”, in Panther, K.-U./ Radden, G. (1999) (Hgg.), 139-165. Koch, P. (1999b): „Tree and fruit. A cognitive-onomasiological approach”, in Studi italiani di linguistica teorica e applicata XXVIII, 331-347. Koch, P. (2001a): „Lexical typology from a cognitive and linguistic point of view”, in Haspelmath, M./ König, E./ Oesterreicher, W./ Raible, W. (Hgg.), 1142-1178. Koch, P. (2001b): „Metonymy. Unity in diversity“, in Journal of Historical Pragmatics 2/ 2, 201-244. <?page no="268"?> 268 Koch, P. (2004): „Metonymy between pragmatics, reference, and diachrony“, in metaphorik.de 7, 6-54. Koch, P. (2007): „Assoziation - Zeichen - Schrift”, in Jacob, D./ Krefeld, Th. (Hgg.), Sprachgeschichte und Geschichte der Sprachwissenschaft, Tübingen, Narr, 11-52. Koch, P./ Marzo, D. (2007): „A two-dimensional approach to the study of motivation in lexical typology and its first application to French high-frequency vocabulary”, in Studies in Language 31/ 2, 259-291. Koch, P./ Marzo, D./ Rube, V./ Umbreit, B. (2008): Ergebnisbericht: „Lexikalische Motivation im Französischen, Italienischen und Deutschen“, Tübingen, SFB 441 Linguistische Datenstrukturen. Koefoed, G./ van Marle, J. (2000): „Productivity”, in Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. (Hgg.), 303-311. Köhler, W. (1975): Semiotik und Metapher. Untersuchungen zur grammatischen Struktur und kommunikativen Funktion von Metaphern, Stuttgart, Metzler. Kövecses, Z. (2002): Metaphor. A Practical Introduction, Oxford, Oxford UP. Kraus, M. (1996): „Platon (428/ 27-348/ 47 v. Chr.)“, in Borsche, T. (Hg.), Klassiker der Sprachphilosophie. Von Platon bis Noam Chomsky, München, Beck, 15-32. Krott, A./ Schreuder, R./ Baayen, H. (1999): „Complex words in complex words“, in Linguistics 37/ 5, 905-926. Laaths, E. (1994) (Hg.): Dante. Die göttliche Komödie. Das neue Leben. Italienisch- Deutsch, Augsburg, Weltbildverlag. Laca, B. (2001): „Derivation”, in Haspelmath, M./ König, E./ Oesterreicher, W./ Raible, W. (Hgg.), 1214-1227. Lakoff, G. (1987): Women, Fire and Dangerous Things. What Categories Reveal about the Mind, Chicago, Chicago UP. Lakoff, G. ( 2 1993): „The contemporary theory of metaphor”, in Ortony, A. (Hg.), Metaphor and Thought, Cambridge, Cambridge UP, 202-251. Lakoff, G./ Turner, M. (1989): More than Cool Reason: a Field Guide to Poetic Metaphor, Chicago, Chicago UP. Lakoff, G./ Johnson, M. (1980): Metaphors We Live By, Chicago, Chicago UP. Langacker, R.W. (1987): Foundations of Cognitive Grammar, Bd. 1, Stanford, Stanford UP. Langacker, R.W. (1993): Foundations of Cognitive Grammar, Bd. 2, Stanford, Stanford UP. Laudanna, A. (1990): „Riconoscimento di parole e rappresentazioni di input della morfologia flessiva e derivazionale: alcuni dati sull’italiano”, in Berretta, M./ Molinelli, P./ Valentini, A. (Hgg.), Parallela 4. Morfologia/ Morphologie, Tübingen, Narr, 325-333. Laudanna, A./ Badecker, W./ Caramazza, A. (1992): „Processing inflectional and derivational morphology”, in Journal of Memory and Language 31, 333-338. Le Guern, M. (1973): Sémantique de la métaphore et de la métonymie, Paris, Larousse. Lehmann, C. (1989): „Grammatikalisierung und Lexikalisierung”, in Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 42/ 1, 11-19. Lehmann, C. (2007): „Motivation in Language. Attempt at a systematization“, in Gallmann, P./ Lehmann, Chr./ Lühr, R. (Hgg.), Sprachliche Motivation: Zur Interdependenz von Inhalt und Ausdruck, Tübingen, Narr, 105-140. <?page no="269"?> 269 Leibniz, G.W. (1962-2008): Sämtliche Schriften und Briefe, 46 Bde., Berlin, Akademie. Leisi, E. (1955): Das heutige Englisch. Wesenszüge und Probleme, Heidelberg, Winter. Lepschy, G.C. (1992): La linguistica del Novecento, Bologna, Il Mulino. Levin, B./ Rappaport Hovav, M. (1998): „Morphology and lexical semantics”, in Spencer, A./ Zwicky, A.M. (Hgg.), The Handbook of Morphology, Oxford, Blackwell, 248-271. Lieber, R./ Mugdan, J. (2000): „Internal structure of words“, in Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. (Hgg.), 404-416. Liebert, W.-A. (1992): Metaphernbereiche der deutschen Alltagssprache. Kognitive Linguistik und die Perspektiven einer Kognitiven Lexikographie, Frankfurt a.M. u.a., Lang. Lipka, L. (1990): An Outline of English Lexicology, Tübingen, Niemeyer. Locke, J. (1975 [ 4 1700]): An Essay Concerning Human Understanding, Oxford, Clarendon. Longtin, C.-M./ Segui, J./ Hallé, P.A. (2003): „Morphological priming without morphological relationship”, in Language and Cognitive Processes 18/ 3, 313-334. Lucidi, M. (1950): „L’equivoco de « l’arbitraire du signe: L’iposema »”, in Cultura neolatina 10, 185-208. Lüdtke, J. (2001): „Morphologie II: Wortbildungslehre”, in Holtus, G./ Metzeltin, M./ Schmitt, C. (Hgg.), Lexikon der Romanistischen Linguistik I,1, Tübingen, Niemeyer, 765-781. MacKay, D.G. (1978): „Derivational rules and the internal lexicon”, in Journal of Verbal Learning and Verbal Behaviour 17, 61-71. Marchand, H. (1964): „A set of criteria of derivational relationship between words unmarked by derivational morphemes”, in Indogermanische Forschungen 68, 170-175. Marslen-Wilson, W./ Tyler, L./ Waksler, R./ Older, L. (1994): „Morphology and meaning in the English mental lexicon“, in Psychological Review 101/ 1, 3-33. Martin, R. (1972): „Esquisse d’une analyse formelle de la polysémie“, in Travaux de linguistique et de littérature 10, 125-136. Martin, R. (1983): Pour une logique du sens, Paris, PUF. Marzo, D. (2008): „What is iconic about polysemy? A contribution to research on diagrammatic transparency”, in De Cuypere, L./ Klaas, W. (Hgg.), Naturalness and Iconicity in Language, Amsterdam/ Philadelphia, Benjamins, 167-187. Marzo, D. (2009): „Mehrfach ikonische Zeichen: Zu Formen von Ikonizität im Lexikon und ihrer potentiellen Kombinierbarkeit“, in Baumann, I./ Bender, N./ Blauth-Henke, C./ Dessì Schmid, S./ Obrist, P./ Schneider, S./ Vincis, V./ Winter-Formel, E. (Hgg.), Akten Forum Junge Romanistik 2008 (Tübingen, 14.- 17.05.2008), Bonn, Romanistischer Verlag, 465-482. Marzo, D. (2011): „Intrinsic or extrinsic motivation? The implications of metaphorand metonymy-based polysemy for transparency in the lexicon“, in Panther, K.-U./ Radden. G. (Hgg.), Motivation in Grammar and the Lexicon, Amsterdam/ Philadelphia, Benjamins, 251-267. Marzo, D./ Rube, V. (2006): „What do you think where words come from? Investigating lexical motivation empirically“, in Solovyev, V./ Goldberg, V./ Polya- <?page no="270"?> 270 kov, V. (Hgg.), The VIII th International Conference Cognitive Modelling in Linguistics. Proceedings, Bd. 1, Moskau, Kazan State University, 152-161. Marzo, D./ Rube, V./ Umbreit, B. (2006): „Lexical motivation and speaker judgements“, Poster, Linguistic Evidence II, Tübingen, 2.-4.2.2006. Marzo, D./ Rube, V./ Umbreit, B. (2007): „Salience and frequency of meanings: A comparison of corpus and experimental data on polysemy“, Submission #205, Corpus Linguistics 2007 Pre-Conference Proceedings, 42-53. Marzo, D./ Rube, V./ Umbreit, B. (2011): „Similarité sans contiguïté - la dimension formelle de la motivation lexicale dans la perspective des locuteurs“, in Dessì Schmid, S./ Detges, U./ Gévaudan, P./ Mihatsch, W./ Waltereit, R. (Hgg.), Rahmen des Sprechens. Beiträge zu Valenztheorie, Varietätenlinguistik, Kreolistik, Kognitiver und Historischer Semantik. Peter Koch zum 60. Geburtstag, Tübingen, Narr, 381-392. Marzo, D./ Umbreit, B. (2008): „How to choose stimuli for experiments on lexical ambiguity? A comparison of data sources for psycholinguistic experiments“, Poster, Linguistic Evidence III, Tübingen, 31.1.-2.2.2008. Matthews, P. (1990): „La linguistica greco-latina”, in Lepschy, G.C. (Hg.), Storia della linguistica, Bd. 1, Bologna, Il Mulino, 187-310. Mayerthaler, W. (1981): Morphologische Natürlichkeit, Wiesbaden, Athenaion. McQueen, J./ Cutler, A. (1998): „Morphology in word recognition”, in Spencer, A./ Zwicky, A. (Hgg.), The Handbook of Morphology, Oxford, Blackwell, 406-427. Meisenburg, T./ Selig, M. (1998): Phonetik und Phonologie des Französischen, Stuttgart, Klett. Meringer, R./ Mayer, K. (1895): Versprechen und Verlesen. Eine psychologisch linguistische Studie, Stuttgart, Göschen. Meunier, F./ Segui, J. (2002): „Cross-modal morphological priming in French“, in Brain and Language 81, 89-102. Mihatsch, W. (2006): Kognitive Grundlagen lexikalischer Hierarchien untersucht am Beispiel des Französischen und Spanischen, Tübingen, Niemeyer. Mioni, A. (1990): „Fece splash e glu glu affondò. L’ideofono come parte del discorso”, in Berretta, M./ Molinelli, P./ Valentini, A. (Hgg.), Parallela 4. Morfologia/ Morphologie, Tübingen, Narr, 255-287. Monneret, P. (2003): Le sens du signifiant. Implications linguistiques et cognitives de la motivation, Paris, Champion. Morpurgo Davies, A. (1996): La linguistica dell’Ottocento, Bologna, Il Mulino. Nänny, M./ Fischer, O. (1999) (Hgg.): Form Miming Meaning (=Iconicity in Language and Literature 1), Amsterdam/ Philadelphia, Benjamins. Niemeier, S. (2000): „Straight from the heart - metonymic and metaphorical explorations”, in Barcelona, A. (2000a) (Hg.), 195-213. NODE = Pearsell, J. (1998) (Hg.): The New Oxford Dictionary of English, Oxford, Oxford UP. Nöth, W. (1985): „Semiotic aspects of metaphor”, in Paprotté, W./ Dirven, R. (Hgg.), The Ubiquity of Metaphor: Metaphors in Language and Thought, Amsterdam/ Philadelphia, Benjamins, 1-16. Nöth, W. (2001): „Semiotic foundations of iconicity in language and literature”, in Fischer, O./ Nänny, M. (Hgg.), 17-28. <?page no="271"?> 271 Noveck, I./ Bianco, M./ Castry, A. (2001): „The costs and benefits of metaphor”, in Metaphor and Symbol 16/ 1&2, 109-121. Oguy, A. (1998): „Probleme der experimentellen Erforschung der Wortbedeutung”, in Sprachwissenschaft 23, 114-140. Ohala, J.J. (1997): „Sound symbolism”, in Proceedings of the 4 th Seoul International Conference on Linguistics (11-15 August 1997), Seoul, ohne Verlag, 98-103. Paivio, A./ Walsh, M. ( 2 1993): „Psychological processes in metaphor comprehension”, in Ortony, A. (Hg.), Metaphor and Thought, Cambridge, Cambridge UP, 307-328. Palermo, D./ Jenkins, J. (1964): Word Association Norms: Grade school through college, Minneapolis, University of Minnesota Press. Panther, K.-U./ Radden, G. (1999) (Hgg.), Metonymy in Language and Thought, Amsterdam/ Philadelphia, Benjamins. Panther, K.-U./ Radden, G. (2011) (Hgg.), Motivation in Lexicon, Grammar, and Discourse, Amsterdam/ Philadelphia, Benjamins Panther, K.-U./ Radden, G. (2011): „Introduction: Reflections on motivation revisited*“, in Panther, K.-U./ Radden, G. (Hgg.), Motivation in Grammar and the Lexicon, Amsterdam/ Philadelphia, Benjamins, 1-26. Panther, K.-U./ Thornburg, L. (1998): „A cognitive approach to inferencing in conversation”, in Journal of Pragmatics 30, 755-769. Panther, K.-U./ Thornburg, L. (2003a): „The roles of metaphor and metonymy in English -er nominals”, in Dirven, R./ Pörings, R. (Hgg.), Metaphor and Metonymy in Comparison and Contrast, Berlin/ New York, Mouton de Gruyter, 279-319. Panther, K.-U./ Thornburg, L. (2003b): „Introduction: On the nature of conceptual metonymy”, in Panther, K.-U./ Thornburg, L. (Hgg.), Metonymy and Pragmatic Inferencing, Amsterdam/ Philadelphia, Benjamins, 1-20. Panther, K.-U./ Thornburg, L. (2007): „Metonymy”, in Geeraerts, D./ Cuyckens, H. (Hgg.), 236-263. Peirce, Ch.S. (1960): Collected Papers, Bd. 2, Cambridge (Mass.), Harvard UP. Perfetti, Ch.A./ Lindsey, R. (1974): „Polysemy and memory”, in Journal of Psycholinguistic Research 3/ 1, 75-89. Petit Robert = Rey-Debove, J./ Rey, A. (1993) (Hgg.): Le nouveau Petit Robert, Paris, Robert. Philps, D. (2008) : „Introduction”, in Lexis (Online Journal in English Lexicology) 2, 7- 12 (http: / / screcherche.univ-lyon3.fr/ lexis/ spip.php? rubrique16). Pinkal, M. (1985): Logik und Lexikon: Die Semantik des Unbestimmten, Berlin/ New York, de Gruyter. Pinkal, M. (1991): „Vagheit und Ambiguität“, in v. Stechow, A./ Wunderlich, D. (Hgg.), Semantik. Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung (=Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 6), Berlin/ New York, de Gruyter, 250-269. Pinkal, M. (1995): Logic and Lexicon, Dordrecht/ Boston/ London, Kluwer. Plag, I. (2003): Word-Formation in English, Cambridge, Cambridge UP. Polis, S. (2008): „De l’usage de l‘iconicité en linguistique“, in Méthodes et Interdisciplinarité en Sciences humaines 1, 21-67. <?page no="272"?> 272 Poser, H. (1996): „Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716)“, in Borsche, T. (Hg.), Klassiker der Sprachphilosophie. Von Platon bis Noam Chomsky, München, Beck, 147-160. Pounder, A. (2000): Processes and Paradigms in Word-Formation Morphology, Berlin/ New York, de Gruyter. Prideaux, G.D. (1984): Psycholinguistics. The Experimental Study of Language, London/ Sydney, Croom Helm. Pusch, C.D. (2001): „Ikonizität”, in Haspelmath, M./ König, E./ Oesterreicher, W./ Raible, W. (Hgg.), 369-384. Pustejovsky, J. (1995): The Generative Lexicon, Cambridge/ London, MIT Press. Radden, G. (2000): „How metonymic are metaphors? “, in Barcelona, A. (2000a) (Hg.), 93-108. Radden, G. (2004): „The metaphor TIME AS SPACE across languages”, in Baumgarten, N./ Böttger, M./ Probst, J. (Hgg)., Übersetzen, Interkulturelle Kommunikation, Spracherwerb und Sprachvermittlung - das Leben mit mehreren Sprachen: Festschrift für Juliane House zum 60. Geburtstag, Bochum, AKS, 225-238. Radden, G./ Kövecses, Z. (1999): „Towards a theory of metonymy”, in Panther, K.- U./ Radden, G. (Hgg.), 17-59. Radden, G./ Panther, K.-U. (2004): „Introduction: Reflections on motivation“, in Panther, K.-U./ Radden, G. (Hgg.), Studies in Linguistic Motivation, Berlin/ New York, Mouton de Gruyter, 1-46. Raffelsiefen, R. (1995): „Semantic stability in derivationally related words”, in Hogg, R.M./ van Bergen, L. (Hgg.), Historical Linguistics, Bd. 2, Amsterdam/ Philadelphia, Benjamins, 247-267. Raible, W. (1981): „Von der Allgegenwart des Gegensinns (und einiger anderer Relationen). Strategien zur Einordnung semantischer Information”, in Zeitschrift für Romanische Philologie 97/ 1-2, 1-40. Rainer, F. (2004): „Premesse teoriche” in Grossmann, M./ Rainer, F. (Hgg.), La formazione delle parole in italiano, Tübingen, Niemeyer, 4-23. Raukko, J. (2003): „Polysemy as flexible meaning. Experiments with English get and Finnish pitää”, in Nerlich, B./ Zazie, T./ Herman, V./ Clarke D.D. (Hgg.), Polysemy. Flexible Patterns of Meaning in Mind and Language, Berlin/ New York, Mouton de Gruyter, 161-193. Rémi-Giraud, S. (2006): „Du calembour à la création sémantique: en passant par la syllepse…”, in Chevalier, Y./ Wahl, P. (Hgg.), La syllepse - figure stylistique, Lyon, PUL, 121-138. Rettig, W. (1981): Sprachliche Motivation. Zeichenrelationen von Lautform und Bedeutung am Beispiel französischer Lexikoneinheiten, Frankfurt a.M. u.a., Lang. Ricoeur, P. (1981): „The metaphorical process as cognition, imagination, and feeling“, in Johnson, M. (Hg.), Philosophical Perspectives on Metaphor, Minneapolis, University of Minnesota Press, 228-247. Roth, M./ Schulte im Walde, S. (2008): „Corpus-Co-Occurrence, dictionary and Wikipedia entries as resources for semantic relatedness information”, in Proceedings of the 6 th Conference on Language Resources and Evaluations (Marrakesch, Marokko, 28.-30.05.08) Marrakesch, European Language Resources Association, ohne Seitenzahlen, s. http: / / www.lrec-conf.org/ proceedings/ lrec2008/ (letzter Zugriff am 18.09. 12). <?page no="273"?> 273 Rube, V. (2004): Probleme der synchronischen lexikalischen Motivation im Italienischen. Eine Untersuchung des hochfrequenten Wortschatzes anhand von Sprecherbefragungen, Magisterarbeit, Universität Tübingen. Rube, V. (2008): „Testing taxonomic relations”, Poster, Linguistic Evidence III, Tübingen, 31.1.-2.2.08. Rufener, J. (1971): Studies in the Motivation of English and German Compounds, Zürich, Juris. Sanchez, C. (2008): Consociation and Dissociation. An Empirical Study of Word-Family Integration in English and German, Tübingen, Narr. Sanchez-Stockhammer, C. (2011): „The ‘meaning-full’ vocabulary of English and German. An empirical study on lexical motivatability”, in Panther, K.- U./ Radden, G. (Hgg.), Motivation in Grammar and the Lexicon, Amsterdam/ Philadelphia, Benjamins, 287-298. Sandra, D. (1998): „What linguists can and can’t tell you about the human mind: A reply to Croft”, in Cognitive Linguistics 9/ 4, 361-378. Sandra, D./ Rice, S. (1995): „Network analysis of prepositional meaning: Mirroring whose mind - the linguist’s or the language user’s? ”, in Cognitive Linguistics 6/ 1, 89-130. Saussure, F. (1972 [1916]): Cours de linguistique générale, Paris, Payot. Sauvageot, A. (1964): Portrait du vocabulaire français, Paris, Larousse. Scheidegger, J. (1981): Arbitraire et motivation en français et en allemand, Bern, Francke. Schifko, P. (1979): „Die Metonymie als universales sprachliches Strukturprinzip”, in Grazer Linguistische Studien 10, 240-264. Schmid, H.-J. (2007): „Entrenchment, salience and basic levels“, in Geeraerts, D./ Cuyckens, H. (Hgg.), 117-138. Schneider, E.W. (1988): Variabilität, Polysemie und Unschärfe der Wortbedeutung, Bd. 1, Tübingen, Niemeyer. Schpak-Dolt, N. ( 2 2006): Einführung in die französische Morphologie, Tübingen, Niemeyer. Schröder, M. (1981): „Zur Rolle des Motivationsbegriffes für Wortbildungskonstruktionen und feste Wortverbindungen“, in Wissenschaftliche Zeitschrift. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe (Karl-Marx-Universität Leipzig) 30/ 5, 453-458. Schulte im Walde, S. (2008): „Human associations and the choice of features for semantic verb classification“, in Research in Language and Computation 6/ 1, 79- 111. Schulte im Walde, S./ Melinger, A./ Roth, M./ Weber, A. (2008): „An empirical characterisation of response types in German association norms”, in Research in Language and Computation 6(2), 205-238. Schwarze, C. (1995): „Semantic and conceptual structure in word formation“, in Bierwisch, M./ Bosch, P. (Hgg.), Semantic and Conceptual Knowledge (=Arbeitspapiere des Sonderforschungsbereichs 340, Bericht Nr. 71), Tübingen/ Stuttgart, Universität Tübingen/ Universität Stuttgart, 211-221. Shaw, H.J. (1979): Motivierte Komposita in der deutschen und englischen Gegenwartssprache, Tübingen, Narr. <?page no="274"?> 274 Simone, R. (1990a): „The body of language: the paradigm of arbitrariness and the paradigm of substance“, in Amacker, R./ Engler, R. (Hgg.), Présence de Saussure. Actes du colloque international de Genève (21-23 mars 1988), Genève, Droze, 121- 141. Simone, R. (1990b): „Seicento e Settecento”, in Lepschy, G.C. (Hg.), Storia della linguistica, Bd. 2, Bologna, Il Mulino, 313-395. Simone, R. (1995a) (Hg.), Iconicity in Language, Amsterdam/ Philadelphia, Benjamins. Simone, R. (1995b): „Foreword: Under the sign of Cratylus”, in Simone, R. (1995a) (Hg.), vii-xi. Soares da Silva, A. (1992): „Homonímia e polissemia: Análise sémica e teoria do campo léxico”, in Lorenzo, R. (Hg.), Actas do XIX Congreso de Lingüistica e Filoloxía Románicas (Universidade de Santiago de Compostela, 1989), Vol. II, Lexicoloxía e Metalexicografía, La Coruña, Fundación Pedro Berrié de la Maza, Conde de Fenosa, 257-287. Stein, A. ( 3 2010): Einführung in die französische Sprachwissenschaft, Stuttgart/ Weimar, Metzler. Stolz, J.A./ Feldman, L.B. (1995): „The role of orthographic and semantic transparency of the base morpheme in morphological processing”, in Feldman, L.B. (Hg.), Morphological Aspects of Language Processing, Hillsdale, Lawrence Erlbaum Associates, 109-129. Swanepoel, P.H. (1992): „Linguistic motivation and its lexicographical application”, in South African Journal of Linguistics 10/ 2, 49-60. Taylor, J. ( 3 2003): Linguistic Categorization, Oxford, Oxford UP. Thornton, A.M. (2004): „Conversione”, in Grossmann, M./ Rainer, F. (Hgg.), La formazione delle parole in italiano, Tübingen, Niemeyer, 500-553. Thornton, A.M. (2005): Morfologia, Roma, Carocci. Thumb, A./ Marbe, K. (1978 [1901]): Experimentelle Untersuchungen über die psychologischen Grundlagen der sprachlichen Analogiebildung, Amsterdam/ Philadelphia, Benjamins. Timmermann, J. (2001): „Lexematik und Semematik: Parallelen zwischen Wortbildung und Polysemie“, in Romanistisches Jahrbuch 52, 31-62. Trabant, J. (1996): „Giambattista Vico (1668-1744)“, in Borsche, T. (Hg.), Klassiker der Sprachphilosophie. Von Platon bis Noam Chomsky, München, Beck, 161-178. Tyler, L.K./ Waksler, R./ Marslen-Wilson, W.G. (1993): „Representation and access of derived words in English”, in Altmann, G./ Shillcock, R. (Hgg.), Cognitive Models of Language Processes: The Second Sperlonga Meeting, Hove, Lawrence Erlbaum Associates, 125-140. Ullman, M. T./ Corkin, S./ Coppola, M./ Hickok, G./ Growdon, J. H./ Koroshetz, W. J./ Pinker, S. (1997): „A neural dissociation within language: Evidence that the mental dictionary is part of declarative memory, and that grammatical rules are processed by the procedural system”, in Journal of Cognitive Neuroscience 9/ 2, 266-276. Ullmann, S. (1962): Semantics. An Introduction to the Science of Meaning, Oxford, Blackwell. <?page no="275"?> 275 Ullmann, S. ( 2 1966): „Semantic universals”, in Greenberg, J.H. (Hg.), Universals of Language, Cambridge (Mass.), MIT Press, 217-262. Ullmann, S. (1973 [1962]): Semantik, Frankfurt a.M., Fischer. Uluchanov, J.S. (1977): Slovoobrazovatel’naja semantika v russkom jazyke i principy ee opisanija, Moskau, Russische Akademie der Wissenschaften. Umbreit, B. (2010): „Does love come from to love or to love from love? Why lexical motivation has to be regarded as bidirectional”, in Michel, S./ Onysko, A. (Hgg.), Cognitive Approaches to Word-Formation, Berlin/ New York, de Gruyter Mouton, 301-333. Umbreit, B. (2011): „Motivational networks. An empirically supported cognitive phenomenon”, in Panther, K.-U./ Radden, G. (Hgg.), Motivation in Grammar and the Lexicon, Amsterdam/ Philadelphia, Benjamins, 269-286. Umbreit, B. (in Vorbereitung): Die Direktionalität der lexikalischen Motivation, Dissertation, Tübingen. Ungerer, F. (1991): „What makes a linguistic sign successful? Towards a pragmatic interpretation of the linguistic sign”, in Lingua 83, 155-181. Ungerer, F. (1999): „Diagrammatic iconicity in word-formation”, in Nänny, M./ Fischer, O. (Hgg.), 307-324. Ungerer, F. (2002): „Arbitrarität, Ikonizität und Motivation”, in Cruse, D.A./ Hundsnurscher, F./ Job, M./ Lutzeier, P.-R. (Hgg.), 371-380. Van Langendonck, W. (2007): „Iconicity”, in Geeraerts, D./ Cuyckens, H. (Hgg.), 394-418. Vannest, J./ Polk, T.A./ Lewis, R.L. (2005): „Dual-route processing of complex words: New fMRI evidence from derivational suffixation, in Cognitive, Affective, & Behavioral Neuroscience 5/ 1, 67-76. Vendryes, J. (1952): „Sur la dénomination”, in Bulletin de la Société linguistique de Paris XLVIII, 1-13. Victorri, B./ Fuchs, C. (1996): La polysémie. Construction dynamique du sens, Paris, Hermes. Wandruszka, U. (1993): „La preferenza della suffissazione. Prolegomini per una teoria della compiutezza morfologica”, in Hilty, G. (Hg.), Actes du XXe Congrès International de Linguistique et Philologie Romanes, III, Tübingen, Francke, 431- 445. Waugh, L.R. (1992): „Let’s take the con out of iconicity: Constraints on iconicity in the lexicon“, in American Journal of Semiotics 9/ 1, 7-48. Waugh, L.R. (1994): „Degrees of iconicity in the lexicon”, in Journal of Pragmatics 22, 55-70. Waugh, L.R./ Newfield, M. (1995): „Iconicity in the lexicon and its relevance for a theory of morphology”, in Landsberg, M.E. (Hg.), Syntactic Iconicity and Linguistic Freezes. The Human Dimension, Berlin/ New York, Mouton de Gruyter, 189-222. Willems, K. (2005): „Die Grenzen der Ikonizität der Sprache: Saussures Konzeption des “fait linguistique” revisited”, in Ars Semeiotica 28/ 3-4, 243-272. Williams, J.N. (1992): „Processing polysemous words in context: Evidence for interrelated meanings”, in Journal of Psycholinguistic Research 21/ 3, 193-218. <?page no="276"?> 276 Wurzel, W.U. (1988): „Derivation, Flexion und Blockierung“, in Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 41/ 2, 179-198. Zipf, G.K. (1949): Human Behaviour and the Principle of Least Effort: An Introduction to Human Ecology, New York, Hafner. Zöfgen, E. ( 2 2008): „Motiviertheit lexikalischer Einheiten im Französischen”, in Kolboom, I./ Kotschi, Th./ Reichel, E. (Hgg.), Handbuch Französisch. Sprache - Literatur - Kultur - Gesellschaft, Berlin, Erich Schmidt, 195-199. Zwanenburg, W. (2000): „Correspondence between formal and semantic relations“, in Booij, G./ Lehmann, C./ Mugdan, J. (Hgg.), 840-850. Internetressourcen BADIP (Banca dati dell’italiano parlato): http: / / languageserver.uni-graz.at/ badip/ (letzter Zugriff am 18.09.12). C-Oral-Rom: lablita.dit.unifi.it/ coralrom/ (letzter Zugriff am 18.09.12). CORIS (Corpus dell’italiano scritto): http: / / corpora.dslo.unibo.it/ coris_eng.html (letzter Zugrif am 18.09.12). EuroWordNet: http: / / www.illc.uva.nl/ EuroWordNet/ (letzter Zugriff am 18.09. 12). Frantext (Base textuelle Frantext): http: / / atilf.atilf.fr/ frantext.htm (letzter Zugriff am 18.09.12). Hamburg Metaphor Database: http: / / www1.uni-hamburg.de/ metaphern/ index_en.html (letzter Zugriff am 31.10.08). Lexikalische Motivation im Französischen, Italienischen und Deutschen (B6, SFB 441, Tübingen): http: / / www.sfb441.uni-tuebingen.de/ b6/ (letzter Zugriff am 18.09.12). MultiWordNet: http: / / multiwordnet.itc.it/ english/ home.php (letzter Zugriff am 18.09.12). WordNet: http: / / wordnet.princeton.edu/ (letzter Zugriff am 18.09.12). Filmographie Doutriaux, C. (2004-2006): Karambolages, 1+2, Arte. Saldanha, C. (2006): Ice Age 2, Bluesky Studios. <?page no="277"?> 277 Sachindex Ähnlichkeit formale 62, 68, 80, 85, 87, 129, 132, 192, 217-26 semantische 63, 80, 87, 88, 204-5 Arbitrarität 19, 20, 22, 27, 32, 34 Assoziationsrelationen 39, 88, 114 Assoziationstests 84, 88-90 Befragungstechniken (Online und Offline) 82-96 Berkos Test 84, 90-92, 112 Bildnis 23, 26, 35, 71, 72 Comes-From-Test 84, 91, 92-94, 95 Diagramm 23, 26, 27, 29, 61, 68, 70 relationales 29, 61, 64, 207 strukturelles 29, 61, 64, 201, 207 Diagrammatizität relationale 29, 30, 64, 69, 70, 73, 197, 207, 256 strukturelle 29, 64, 70, 197, 207, 256 Dimensionen lexikalischer Motivation 38-40 Dissoziation 44-45 Eigenständigkeit von Bedeutungen 54, 55, 57, 180, 183-86 Experimente (Online und Offline) 82-96 Facetten 50, 54, 183 Frequenz 125, 131, 146, 149, 154, 157, 175, 217, 232, 243, 250, 252 Homonymie 50, 54, 55, 57, 80, 86, 125 Identität formale 40, 45, 59, 66, 68, 69, 73, 84, 192, 240, 243, 256 semantische 69, 229 Idiomatizität 197, 202, 204, 206- 8, 209 Ikon 23, 60, 193 Ikonizität 23-32, 49, 59, 60, 63, 70, 73, 196, 206 Index 23, 25, 26 Introspektion 76-79, 82, 89, 218, 256 Isomorphismus 64, 65 Kompositionalität 92, 196, 199, 206 formale 196 semantische 197, 200, 202, 203, 207, 208 Konsoziation 44-45 Kontextvarianz 50, 51 <?page no="278"?> 278 Kontiguität 39, 51, 57, 109, 111, 114, 127, 128, 186, 188, 191, 192, 208, 216 Konventionalismus 15-17, 18- 22 Kookkurrenz 79, 82 Kratylosdialog 15-17 Lautsymbolismus 24, 25, 30, 32, 194-96 Lexical Decision Task 84, 85-86 Lexikalische Einheit 38, 41, 48, 59, 65 Metapher 68, 213, 216 Ikontyp 23, 69, 70 Konzeptuelle 111, 114-20 Metaphorische Similarität 39, 51, 53, 57, 69, 109, 111, 114, 128, 186, 191, 192, 216 Metonymie 51, 68, 213, 216 Konzeptuelle 111, 120 Microsenses 50, 51, 54 Motivation 32-44, 45-48, 49, 59, 60, 73, 111 extrinsische 12, 40, 77, 78, 84, 100 intrinsische 12, 40, 77, 78, 84, 100 morphologische 36 phonetische 34, 35 relative 32-44 semantische 36 Motivationspartner 73, 83 Motivationsrichtung 45, 46, 47, 73, 86, 96, 98, 131, 170 Motivationstypen 34, 36 Motivierbarkeit 43, 44, 45-48, 73, 83, 216 intrinsische 191 Motiviertheit 45-48, 73, 83 Motivierung 45-48, 73 Naturalismus 15-17, 18-22 Neumotivierung 45-48 Offlinemethoden 82, 86, 88, 91, 92, 96 Onlinemethoden 82, 85 Onomatopoetika 24, 30, 33, 34, 35, 71, 193-94, 194-96 Onomatopöie 24, 30, 34, 60 Perzeption 41, 43, 116, 117, 118, 188, 216 Phonästheme 30, 60, 194-96 Physei (φύσει) und Thesei (θ έ σει) 15-17 Polysemie 28, 29, 37, 40, 49-59, 60, 68, 70, 191 als ikonizitäts- und motivationsförderndes Verfahren 60-72, 188 Priming 84, 85-86, 213 Produktivität 41, 203, 230-32, 250, 252 Relationen formale 40, 41, 66, 227-30 kognitiv relevante 39, 52, 66 konzeptuelle 39, 41, 50, 59, 63, 71, 73, 103, 120, 213-16 taxonomische 120 Remotivierung 45-48 Salienz 124, 125, 129, 131, 132, 145, 149, 151, 154, 175, 252 <?page no="279"?> 279 Semantic Similarity Rating 84, 86-88 Sentence Generation & Definition Task (SG&DT) 122, 125 Symbol 23 Synchrone etymologische Kompetenz 43 Textkorpora 79-82 Transparenz 32, 191 Transparenzgrade 32, 79, 192, 194, 203 formal 217-37 formal und semantisch gleichzeitig 237-53 graphisch 232-37 phonisch 232-37 semantisch 203-16 Tübinger Polysemiedatenbank 121, 123 Tübinger Zweischrittmethode 144 Wortbildung 28, 36, 38, 40, 41, 62, 68, 90, 111, 202 Wortbildungsbedeutung 65, 197, 198, 199, 201 Wortfamilie 30, 40, 42, 65, 129 Wortschatzbedeutung 197, 198 <?page no="281"?> Daniela Marzo Polysemie als Verfahren lexikalischer Motivation Theorie und Empirie am Beispiel von Metonymie und Metapher im Französischen und Italienischen Marzo Polysemie als Verfahren lexikalischer Motivation 537 Vor dem Hintergrund der Kognitiven Linguistik wird sowohl theoretisch als auch empirisch fundiert die verbreitete Ansicht widerlegt, Polysemie sei antiikonisch. Am Beispiel metonymie- und metaphernbasierter Polysemie im Französischen und Italienischen wird demonstriert, dass Polysemie Ikonizität und Motivation im Lexikon nicht nur maßgeblich fördert, sondern die Art der Polysemie eines Wortes auch die Art seiner formalen Motivierbarkeit determiniert. Auf dieser Grundlage wird ein neuartiges Modell graduierter lexikalischer Transparenz entworfen, das erstmals die Interaktion der formalen und der semantischen Dimension derselben berücksichtigt.
