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Kommunikationstheoretische Fragestellungen in der kognitiven Metaphernforschung

Eine Betrachtung von ihren Anfängen bis zur Gegenwart

1205
2012
978-3-8233-7777-1
978-3-8233-6777-2
Gunter Narr Verlag 
Ulrike Schröder

Die kognitive Metaphernforschung ist durch ihre interdisziplinäre Ausrichtung inziwischen auf der Höhe ihrer Popularität angekommen. Dennoch fehlt es bisher an einer durchgängigen Darstellung ihres Gegenstandsbereichs. Dieses Buch stellt die Entwicklung der kognitiven Metaphernforschung von ihren Anfängen im 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart vor. Zentral dabbei ist die Frage, inwieweit sich in den skizzierten Ansätzen kommunikationstheoretisch relevante Erörterungen finden, die heute wieder aktuell gewordene semiotischpragmatische Problestellungen aufgreifen.

Ulrike Schröder Kommunikationstheoretische Fragestellungen in der kognitiven Metaphernforschung Eine Betrachtung von ihren Anfängen bis zur Gegenwart Kommunikationstheoretische Fragestellungen in der kognitiven Metaphernforschung Tübinger Beiträge zur Linguistik herausgegeben von Gunter Narr 539 Ulrike Schröder Kommunikationstheoretische Fragestellungen in der kognitiven Metaphernforschung Eine Betrachtung von ihren Anfängen bis zur Gegenwart Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2012 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach Printed in Germany ISSN 0564-7959 ISBN 978-3-8233-6777-2 Danksagung Mein ausgesprochener Dank gebührt Prof. Dr. H. Walter Schmitz, mit dem ich seit meinem Weggang aus Deutschland im Sommer 2003 bis heute Kontakt pflege und der mich nach meiner erfolgreichen Bewerbung auf einen Lehrstuhl an der Universidade Federal de Minas Gerais in Belo Horizonte, Brasilien, im Jahre 2006 dazu ermutigte, mein anstehendes Forschungsvorhaben in ein Habilitationsprojekt umzuwandeln. Damit eröffnete er mir als Externer die Möglichkeit, an der Universität Duisburg-Essen in meinem vorherigen Fachgebiet Kommunikationswissenschaft eine Habilitation zu realisieren. Prof. Dr. Schmitz war mir seit Beginn meines Studiums sowohl in wissenschaftlicher als auch in menschlicher Hinsicht wichtigstes Vorbild für meine eigene fachliche und ethische Orientierung. Trotz des wachsenden Arbeits- und Publikationsdrucks nahm er sich stets geduldig die Zeit, Zweifel und offene Fragen engagiert bis ins kleinste Detail zu beantworten. Durch ihn, seine inspirierenden Kommentare und Hinweise sowie seine gleichzeitig stets kritisch-distanzierte Haltung gegenüber oberflächlicher Wissensproduktion ist es mir gelungen, den Geist der Essener Kommunikationswissenschaft mit ihrem einzigartigen interdisziplinären und grundlagentheoretischen Profil nach Brasilien mitzunehmen und weiterzugeben, was mich in meiner heutigen Position als Professorin für Germanistik und Linguistik mit tiefem Glück erfüllt. Des Weiteren möchte ich mich bei Herrn Prof. Dr. Jens Loenhoff und Frau Prof. Dr. Brigitte Nerlich für ihre Gutachten zu meiner Habilitationsschrift bedanken: Insbesondere Frau Nerlich danke ich aufs Herzlichste für die spontane und unkomplizierte Bereitschaft, diese Tätigkeit innerhalb eines so kurzen Zeitrahmens übernommen zu haben. Bei Herrn Loenhoff möchte ich mich für die kritischen Anmerkungen bedanken, die mich dazu bewegen werden, in Zukunft noch stärker als bisher meine eigene wissenschaftliche Position herauszustellen. Tiefsten Dank bin ich meinen Eltern Ursula und Wilhelm Schröder schuldig, die nicht nur in intellektueller wie finanzieller Hinsicht den Grundstein für meinen beruflichen Werdegang gelegt haben, sondern sich trotz ihres hohen Alters und ihrer fachlichen Ferne auch noch zugemutet haben, meine Habilitationsschrift Korrektur zu lesen. Mein größter Dank geht an meinen Ehemann Richard, der in den vergangenen Jahren einen Großteil der unliebsamen Tätigkeiten, die in einer Lebensgemeinschaft anfallen, übernommen hat, mich mit bodenständigem Humor bei Laune hielt und der nicht müde wurde, jegliche Störquelle der Außenwelt unter Einsatz all seiner Kräfte von mir fern zu halten. 5 Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle ebenfalls beim Gunter Narr Verlag für sein Interesse an meiner Arbeit sowie bei all denjenigen, die sich die Mühe gemacht haben, Fragebögen zu beantworten und an Interviews teilzunehmen. 6 Inhalt Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Grundzüge der Konzeptuellen Metapherntheorie nach Lakoff und Johnson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2.1 Die Geburt des kognitiven Paradigmas in der Metaphernforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2.2 Hintergrundannahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2.3 Erste Phase der Konzeptuellen Metapherntheorie (1980 - 1999) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2.4 Zweite Phase der Konzeptuellen Metapherntheorie (1999 - 2011) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2.5 Kritische Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3. Perspektivenverschiebung: Die kognitive Metapher im aktuellen Sprachgebrauch und soziokulturellen Kontext . . . . . . 79 3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3.2 Die Dynamisierung der konzeptuellen Metapher als Blending im kognitiven Online-Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3.2.1 Grundzüge der Blending-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3.2.2 Weiterentwicklung der Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3.2.3 Kritische Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3.3 Metaphern im Handlungskontext und in spezifischen Kommunikationssituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3.3.1 Emergenz und Entfaltung der Metapher in der Handlungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3.3.2 Die Metapher im Wechselspiel von Kommunikationsgenre und Kontextualisierungshinweisen . . . . . . . 104 3.3.3 Die metakommunikative und gesprächssteuernde Funktion von Metaphern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 3.3.4 Die Multimodalität von Metaphern . . . . . . . . . . . . . . . . 111 3.3.5 Einstellungsbekundungen und Imagemanagement durch Metaphern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3.3.6 Die funktionale Pluralität der Metapher . . . . . . . . . . . 117 7 3.3.7 Kritische Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 3.4 Facetten des Verstehensprozesses von Metaphern . . . . . . . . . 123 3.4.1 Psycholinguistische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3.4.2 Text- und diskurslinguistische Ansätze . . . . . . . . . . . . 128 3.4.3 Pragmatische und interaktionistische Ansätze . . . . . . 133 3.4.4 Kritische Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 3.5 Metaphern in soziokultureller und kulturvergleichender Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3.5.1 Gesellschaftshistorisch bedingte Diskursmetaphern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3.5.2 Universalität und Relativität konzeptueller Metaphern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 3.5.3 Metaphorische Schemata und Modelle in kulturellen Praktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 3.5.4 Kritische Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 4. Vergangene und vergessene Ansätze kognitiver Metaphernforschung im Vorfeld der Konzeptuellen Metapherntheorie . . 175 4.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 4.2 Philosophische Entwürfe zu einem kognitiven Metaphernverständnis im 17. und 18. Jahrhundert . . . . . . . . 178 4.3 Die Metapher in der psychologisch und historisch geprägten Sprachwissenschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts . . . . 187 4.4 Sprachkritische Metaphernkonzeptionen in der Philosophie um die Jahrhundertwende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 4.5 Die Metapher in der Anthropologischen Linguistik während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 4.6 Die erkenntnistheoretisch-mentalitätshistorische Metaphorologie von Hans Blumenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 4.7 Die Metapher in der textlinguistischen Bildfeldtheorie Harald Weinrichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 4.8 Vorläufer einer kognitiv-interaktionistischen Metapherntheorie als blending mentaler Räume . . . . . . . . . . . 223 4.9 Zusammenfassende Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 8 5. Die Integration kultureller, kontextueller und kommunikativer Fragestellungen im Rahmen empirischer Forschung zur kognitiven Metapherntheorie am Beispiel von drei deutschbrasilianischen Vergleichsstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 5.1 Die metaphorische Konstruktion der Zieldomäne beim Sprechen über Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 5.1.1 Zielsetzung und methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . 242 5.1.2 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 5.1.3 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 5.1.4 Kritisches Resümee und theoretisches Fazit . . . . . . . . 258 5.2 Die Rolle kommunikativer Funktionen bei der Erzeugung kulturspezifischer Projektionen am Beispiel der Metapher DAS LEBEN DES MC IST KRIEG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 5.2.1 Zielsetzung und methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . 261 5.2.2 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 5.2.3 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 5.2.4 Kritisches Resümee und theoretisches Fazit . . . . . . . . 277 5.3 Kulturelle, kontextuelle und kommunikative Aspekte von Gesellschaftsmetaphern in Makro- und Mikroperspektive . 279 5.3.1 Zielsetzung und methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . 279 5.3.2 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 5.3.2.1 Vergleich der bildschematischen Metaphern . . . . . . . 282 5.3.2.2 Vergleich der Konstellationsmetaphern . . . . . . . . . . . . 287 5.3.2.3 Wortarten der Metaphern im Gebrauchskontext . . . 297 5.3.2.4 Funktionen von Metaphern und ihrer Denkmodelle im Gesellschaftsdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 5.3.2.5 Verdichtung systematischer Metaphern im Kommunikationskontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 5.3.2.6 Conceptual blending und dessen kommunikative Funktion im Gesellschaftsdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 5.3.3 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 5.3.4 Kritisches Resümee und theoretisches Fazit . . . . . . . . 319 6. Schlussbetrachtung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 9 Geleitwort Die Kommunikationswissenschaft, als empirische Sozialwissenschaft befasst mit den Bedingungen und Formen zwischenmenschlicher Verständigungsprozesse, zeigt seit ihrer Etablierung als eigenständige Disziplin ein besonderes Interesse am Phänomen ‚ Metapher ‘ und an der inzwischen weitgehend interdisziplinär ausgelegten Metaphernforschung. Dafür gibt es wissenschaftshistorische und wissenschaftssystematische Gründe, die vor allem das Verhältnis zwischen Kommunikationswissenschaft und Rhetorik betreffen, und darüber hinaus auch genuin kommunikationstheoretische Gründe. Es lohnt, sich beide kurz zu vergegenwärtigen. ‚ Metapher ‘ meint nicht nur eine Kategorie der klassischen Rhetorik neben vielen anderen, sondern der Terminus bezeichnet zugleich ein geradezu exemplarisches rhetorisches Phänomen. Kenneth Burke zählt daher die Metapher zu den vier ‚ Master Tropes ‘ , und Umberto Eco bestimmt sie - darin übrigens Aristoteles folgend - mit einem gewissen Recht als Tropus par excellence. Während nun die Literaturwissenschaft und teilweise auch die frühe linguistische Semantik (etwa Michel Bréal) die Rhetorik insofern beerbten, als sie deren höchst differenziertes, häufig aber intern widersprüchliches Kategorieninventar für die eigenen analytischen Zwecke übernahmen, betrachteten gleichzeitig wichtige Strömungen der modernen Kommunikationswissenschaft die (klassische) Rhetorik als ein Teilgebiet oder einen Vorläufer ihrer Disziplin. Anlass dazu bot von Seiten der Rhetorik u. a. I. A. Richards in The Philosophy of Rhetoric (1936) mit der Auffassung, Rhetorik sollte das Studium der Missverständnisse und ihrer Abhilfe sein und sollte erforschen, wie Wörter im Kommunikationsprozess wirken; oder Sir Richard Jebb, der Rhetorik 1964 definierte als „ the art of using language in such a way as to produce a desired impression upon the hearer or reader “ . Und von kommunikationswissenschaftlicher Seite sah man, z. T. gut belegt und mit Recht (etwa bei O. A. Baumhauer, 1986), das Inventar rhetorischer Terminologie, Sätze und Lehren als Ergebnis theoretischer Anstrengungen im Umgang mit bestimmten Situationen, Zwecken und Formen kommunikativer Praxis, also in Teilen als eine Kommunikationstheorie, in anderen Teilen als daraus abgeleitetes normatives Lehrgebäude erfolgreicher persuasiver Rede. Vor diesem Hintergrund ist die an amerikanischen Universitäten verbreitete ‚ Speech Communication ‘ zu verstehen, die ganz direkt an die klassischen rhetorischen Texte und Lehren anknüpft; ebenso die stark an interpersonaler Kommunikation und Gesprächsanalyse interessierten Richtungen der Kommunikationswissenschaft im deutschsprachigen Raum, die seit jeher der Rhetorik, rhetorischen 11 Phänomenen und (also) vor allem der Metapher allergrößte Aufmerksamkeit widmen. In der Kommunikationswissenschaft geschah und geschieht dies jedoch keineswegs nur in wissenschaftshistoriographischer Absicht, sondern infolge empirisch und theoretisch gestützter grundsätzlicher Überlegungen: Im Unterschied zur Literaturwissenschaft und zur strukturalen Linguistik sieht die Kommunikationswissenschaft Tropen wie die Metapher und rhetorische Phänomene allgemein nicht als alleinige Merkmale der vorentworfenen Rede an, sondern als ubiquitäre Phänomene, die offenbar zu jeder Form sprachlicher Kommunikation notwendigerweise dazugehören. In theoretischer Perspektive betrachtet sie die Metapher und andere Tropen als besondere kommunikationssemantische Phänomene, die mit den Mitteln der linguistischen Semantik, insbesondere dem Lexikon, nicht eingefangen und erklärt werden können, da sie erst innerhalb der jeweiligen Zeichenverwendung in Situationen und Kontexten durch konkrete Sprecher für ihre Hörer konstituiert, also hervorgebracht werden. Vor diesem Hintergrund versteht sich, dass die mittlerweile höchst interdisziplinär betriebene Kognitive Metaphernforschung, die mit der Konzeptuellen Metapherntheorie von Lakoff und Johnson (Metaphors We Live By, 1980) ihren Ausgang überraschenderweise in der Linguistik fand, für die Kommunikationswissenschaft eine theoretische Herausforderung wie auch einen erneuten Anstoß zu eigener empirischer und theoretischer Arbeit auf diesem Gebiet darstellt. Denn während kommunikationswissenschaftliche Ansätze in der Metaphernforschung - ob sie nun rhetorischen Theorien, wenn zum Teil auch neueren, folgen oder aber kommunikationssemantischen Erklärungsansätzen - in jedem Falle die Metapher als ein kommunikatives Phänomen struktureller oder emergenter Art begreifen, sucht die Konzeptuelle Metapherntheorie den Nachweis zu erbringen, dass tropologische Strukturen kognitiv verankert seien, die Metapher also ein wesentliches kognitives Werkzeug der Erkenntnisgewinnung sei, weswegen ihr der anthropologische Status einer Fundamentalkategorie menschlichen Denkens und Handelns zukomme. Damit erklären Lakoff und Johnson die sprachliche Form der Metapher letztlich zu einem Epiphänomen. Sie heben die klassische Differenzierung zwischen toten und lebenden Metaphern auf, sind aber fast ausschließlich mit toten, also längst lexikalisierten Metaphern befasst; sie betreiben ihre Beispielanalysen in dezidiert extrakommunikativer Betrachtungsweise, d. h., sie verbleiben wie bei phonologischen Kommutationstests in reiner Zeichenmanipulation, die allein auf die Sprachreflexion des Wissenschaftlers zurückbezogen ist, nicht aber auf konkreten Sprachgebrauch zu kommunikativen Zwecken; und sie zeigen sich letztlich mehr an einer individualpsychologisch orientierten Kognitionspsychologie interessiert als an Sprache, Kommunikation und Interaktion. Diese verein- 12 seitigende Zuspitzung beflügelte innerhalb der Linguistik eine Kognitive Semantik, fand zahlreiche Nachfolger - auch in anderen Disziplinen wie der Philosophie und der Psychologie - und löste erst in den letzten zehn Jahren eine Gegenbewegung aus, die den interaktiven Phänomenen, dem Sozialen und dem Kulturellen zu ihrem Recht verhelfen wollen. Dieser sehr umfangreichen und komplexen theoretischen und empirischen Entwicklung innerhalb der Metaphernforschung, die für die meisten von uns unüberschaubar und daher unbeurteilbar geworden war, wendet sich Ulrike Schröder in ihrer vorliegenden Habilitationsschrift nun erstmals aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive zu. Sie arbeitet diese Entwicklung insgesamt in ihren Haupt- und Nebensträngen übersichtlich, einfühlsam und zugleich kritisch auf, sie evaluiert sie immanent und aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive, und sie identifiziert schließlich die Strömungen und Forschungsansätze, die sich als kommunikationstheoretisch anregend bzw. anschlussfähig erweisen könnten. Indem Ulrike Schröder so in Form einer „ metatheoretischen Reflexion “ eine kritische Aufarbeitung der bisherigen Forschungsrichtungen und -ergebnisse unternimmt, realisiert sie innerhalb der Kommunikationswissenschaft ein längst überfälliges Desiderat und lässt die aktuelle Kommunikationswissenschaft Anschluss finden an die mittlerweile weitverzweigte Kognitive Metaphernforschung der letzten 30 Jahre. Demonstriert wird dieses Anschließen einerseits im eigenen historiographischen Nachweis, dass sich alle zentralen Theoreme der Konzeptuellen Metapherntheorie wie auch vieler ihrer Nachfolger schon bei den europäischen Vorläufern der Kognitiven Metapherntheorie vorformuliert finden, die allerdings in der vornehmlich amerikanischen Forschungsliteratur in aller Regel großzügig übergangen und ignoriert wurden. Andererseits in drei eigenen, sehr unterschiedlich angelegten, kulturvergleichenden empirischen Studien, die auf je eigene Art spezielle Probleme der Konzeptuellen Metapherntheorie sichtbar werden lassen, zugleich aber Wege und Perspektiven einer kommunikationswissenschaftlichen Metaphernforschung eröffnen und als fruchtbare Alternativen erweisen. Wie Ulrike Schröder nicht nur in ihren jeweiligen Darstellungen theoretischer Forschungsansätze, sondern vor allem in den die einzelnen Kapitel abschließenden Diskussionsstücken zeigt, wird hier ein Forschungsgebiet nicht von einem schon im Vorhinein festgefügten Standpunkt aus kritisch beleuchtet, sondern es wird eine Auseinandersetzung geführt, die schließlich auch zu einem veränderten eigenen kommunikationswissenschaftlichen Standort und neuen interessanten Annahmen führt. Es ist vor allem dieses Ergebnis, das für die Kommunikationswissenschaft - über die kritische Beschäftigung mit diesem enorm bedeutsamen Forschungsgebiet hinaus - von allergrößtem Interesse ist. Essen, im November 2012 H. Walter Schmitz 13 1. Einleitung Nachdem vor dreißig Jahren mit der inzwischen zum Klassiker avancierten Schrift Metaphors We Live By (Lakoff & Johnson 1980/ 2003) eine neue Stoßrichtung in der sprach- und kognitionswissenschaftlichen Forschung vorgegeben wurde, stehen wir heute einer kaum noch zu überblickenden Flut von Publikationen gegenüber, die von dem Wunsch nach einer empirischen Grundlegung, Erprobung, Diskussion, Ausarbeitung und steten Erweiterung der Grundpostulate der Konzeptuellen Metapherntheorie inspiriert sind. 1 Der anhaltende Erfolg des neuen Paradigmas führte einerseits innerhalb der Linguistik zur Etablierung der Kognitiven Semantik als Grundpfeiler der mittlerweile zu einer sprachwissenschaftlichen Subdisziplin geronnenen Kognitiven Linguistik, andererseits aber auch zu einer kontinuierlichen Aufnahme kognitionstheoretischer Kerngedanken zur ‚ konzeptuellen Metapher ‘ in unterschiedlichste Disziplinen. Gründe für die Attraktivität der Theorie sowie ihrer Überlegenheit gegenüber konkurrierenden Modellen wie den vergleichs-, substitutions-, sprechakt- oder paradoxietheoretischen Ansätzen gibt es zur Genüge: In Abgrenzung zu der in der Rhetorik vorherrschenden Auffassung vom Tropus als Regelabweichung versucht sie, den Nachweis für eine kognitive Verankerung und Systematizität tropologischer Strukturen zu erbringen. Figuralität wird als Phänomen beschrieben, das weit über die bloße sprachliche Performanz hinausreicht und bis in die Tiefen kognitiver Systeme vordringt, wo die Metapher als grundlegendes kognitives Werkzeug zur Erkenntnisgewinnung wirkt. Ihr kommt damit der anthropologische Status einer Fundamentalkategorie menschlichen Denkens und Handelns zu, so dass sie sich nicht länger auf bestimmte sprachliche Phänomene und theoretische Paradigmen beschränken lässt, was sie in ihrer interdisziplinären Ausrichtung so anschlussfähig macht. Davon legen u. a. die umfangreichen Beispielzusammenstellungen Zeugnis ab, die besonders in den letzten zehn Jahren auf der Basis komplexer Korpora erstellt wurden und Eingang in die Forschungsliteratur 1 Für die vorliegende Untersuchung wurde eine sprachliche Unterscheidung zwischen ‚ Konzeptueller Metapherntheorie ‘ ( ‚ Conceptual Metaphor Theory ‘ ) und ‚ kognitiver Metapherntheorie ‘ vorgenommen. Die erste Bezeichnung bezieht sich auf die Theorie von Lakoff und Johnson im engeren Sinne und die zweite sowohl auf Vorläufertheorien, die den kognitiven Metaphernbegriff antizipieren als auch auf all jene Abhandlungen, die in Anlehnung an die Grundthesen der ‚ Konzeptuellen Metapherntheorie ‘ sowie in kritischer Auseinandersetzung mit dieser entstehen und auf neue Forschungsfelder übergreifen. 15 gefunden haben. Waren die Beispiele in den Anfangsjahren noch introspektiver Natur, sind auf diese Weise inzwischen zahlreiche Sammlungen authentischen Sprachmaterials entstanden, die den unterschiedlichsten Disziplinen entstammen. Und doch kommt es neben den Lobeshymnen gleichsam zu einer Reihe von Einwänden, die vordringlich eine repräsentationskritische Wendung der Theorie einfordern. Ein zentraler Kritikpunkt betrifft die durch die Konzentration auf die für die Wirklichkeitskonstruktion zentrale kognitive Strukturierungsfunktion der Metapher vollzogene Herauslösung der metaphorischen Ausdrücke aus ihrem kommunikativ-funktionalen Kontext sowie den damit einhergehenden Verlust des diskursiven Moments durch die Reduktion auf sprachvorgängige Konzeptualisierungsprinzipien. Neben einer insbesondere auf kognitionsphilosophische und hirnphysiologische Fragestellungen zugespitzten Weiterentwicklung der Konzeptuellen Metapherntheorie im engeren Sinne lassen sich deshalb besonders in den letzten zehn Jahren von verschiedenen Seiten her Bemühungen um eine Rückbindung der Rhetorizität an die Sprache sowie eine Reintegration der sprachlichen Performanz als integraler Bestandteil kognitiver Modellbildung in die Theorie erkennen. Schwierig allerdings wird es bei der Frage nach Wert und Gehalt der bis dato publizierten Beiträge, denn es mangelt an einem systematischen Überblick, der imstande wäre, das bislang Produzierte einzuordnen und entsprechend der jeweiligen Problemstellung zu klassifizieren. Ebenso wenig ist trotz des augenscheinlich starken Interesses sowie der unbestreitbaren Popularität der Theorie bisher der Versuch unternommen worden, in Form einer metatheoretischen Reflexion eine kritische Aufarbeitung bisheriger Forschungsergebnisse vorzulegen. In Anbetracht der in der Wissenschaftspraxis unaufhaltsam wachsenden Gepflogenheit, aufgrund von Standardisierungs- und Publikationsdruck vorrangig empirische Forschungsergebnisse in Artikel- oder Aufsatzform zu präsentieren, lässt sich von Seiten einer theoretischen Auseinandersetzung mit diesen Arbeiten daher ein Defizit verzeichnen. Dabei wäre ein solches Innehalten zugunsten einer kritischen Bestandsaufnahme gerade im Strudel beschleunigter Wissensproduktion vonnöten, um den Metaphernforschern von heute und den vergessenen Autoren von damals einen gebührenden Platz innerhalb eines beständigeren Theorierahmens einzuräumen. 2 2 Als Ausnahme wäre die Abhandlung Finding Metaphor in Grammar and Usage von Steen (2007) zu nennen, die eine Systematisierung einer Reihe von kognitiven Metapherntheorien aus methodologischer Perspektive vornimmt. Kövecses (2002) fällt immerhin das Verdienst zu, eine didaktisierte Einführung in die theoretischen Grundannahmen geschrieben zu haben, die sich besonders an Studenten richtet; im deutschen Sprach- 16 Ein solches bisher noch nicht realisiertes Unternehmen soll mit der vorliegenden Abhandlung eingelöst werden. Gleichzeitig wird diese Zielsetzung im Rahmen einer bestimmten Fragestellung verfolgt, die kommunikationswissenschaftlich motiviert ist: Den Anstoß zu dieser Untersuchung hat die Beobachtung gegeben, dass sich in den aktuellen Auseinandersetzungen ein aufkeimendes Bewusstsein für die Notwendigkeit mikroskopischer Nahaufnahmen von Metaphern im kommunikativen Handlungskontext sowie deren kultureller Bedingtheit verzeichnen lässt, und das heißt, ein stetig wachsendes Bewusstsein für die Notwendigkeit, die am Sprachsystem orientierte Ausgangstheorie um Aspekte der Sprachverwendung zu ergänzen und umzugestalten. Ausgehend von der oben benannten Schlüsselpublikation möchte ich deshalb das Spektrum der kognitiven Metaphernforschung in zwei Richtungen - zurück zu ihren Vorläufern und hin zum gegenwärtigen Status quo - nachzeichnen. Zentral für dieses Unterfangen ist dabei die aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht heraus aufgeworfene Fragestellung, inwieweit sich im Rahmen der kognitiven Metaphernforschung kommunikationstheoretisch relevante Erörterungen finden lassen, die sozialpsychologische, handlungstheoretische, symbolisch-interaktionistische und semiotisch-pragmatische Problemstellungen in ihren Gegenstandsbereich hereinnehmen. Wenn die kognitive Metaphernforschung nach kommunikationswissenschaftlich relevanten Aspekten befragt werden soll, bedarf es vorab allerdings einer Klärung dessen, welche Thematisierungen in dieser Perspektive geboten scheinen. Dafür müssen wir unser Hauptaugenmerk zunächst auf jene Aspekte richten, die den Objektbereich kommunikationswissenschaftlicher Interessen in der hier verstandenen Weise strukturieren: Als Gegenstandsbereich kommunikationstheoretischer Forschung sollen zunächst einmal all diejenigen Phänomene verstanden werden, welche die zwischenmenschliche Verständigung unter Einbeziehung ihrer Multimodalität und Ganzheitlichkeit umfassen. Der Kommunikationstheoretiker Gerold Ungeheuer (1987 a) bestimmt die anthropologische Fundamentalstruktur menschlicher Erfahrung als entscheidende Basis eines solch ganzheitlichen Modells von Kommunikation. Demnach vollziehen Menschen innere Handlungen - solche nämlich, die nur von der handelnden Person selbst erfahrbar sind - und äußere Handlungen, die in sinnlicher Wahrnehmung auch anderen zugänglich sind. Die Innen-außen-Dichotomie ist zugleich Quelle und Veranlassung aller zwischenmenschlichen Kommunikation (Ungeheuer 1983 a/ 2010, 9). Ungeheuers Hauptinteresse liegt in der Erarbeitung einer sich sowohl von der behavioristischen wie auch indiviraum verdanken wir Jäkel (2003) eine Verortung sowie eine Erarbeitung der Kernthesen der Konzeptuellen Metapherntheorie. 17 dualpsychologischen Betrachtung der Sprachphänomene abwendenden Erschließung der spezifisch kommunikativen Dimension sozialer Prozesse (Kolb, Loenhoff & Schmitz 2010, ix), die im Wesentlichen auf Karl Bühlers sprachtheoretische Bestimmung von Sprechen als gegenseitiger Verhaltenssteuerung sowie auf Meads kommunikationssoziologische Rückführung von Bewusstsein und Gesellschaft auf symbolvermittelte Interaktionsprozesse zurückgeht (Kolb 2007, 128). Zentral ist für Ungeheuer die Frage nach der eigentümlichen Struktur der kommunikativen Interaktion als Sozialhandlung, als deren Dreh- und Angelpunkt er die in der wechselseitigen Koordinierung zutage tretende persuasive Kraft von Sprache begreift. Neben und durch Bühler ist Ungeheuers Ansatz daher auch in den sprachpragmatischen Reflexionen Philipp Wegeners (1885/ 1991) verankert. Die mit einer solchen Auffassung einhergehenden erkenntnisleitenden Interessen kommunikationstheoretischer Forschung richten sich damit auf die Frage nach den strukturellen und funktionalen Bedingungen der zwischenmenschlichen Verständigung als symbolisch vermittelter Koorientierung und Handlungskoordination (Loenhoff & Schmitz 2012, 36). Dabei liegt ein besonderer Akzent auf der situativen Verwendung der sprachlichen Mittel, dem Sprechen, im Gegensatz zu einer exklusiven Betrachtung von Sprache als vorgegebenem Werkzeug (Schmitz 1991, 3). Kommunikationswissenschaftliche Forschung begründet sich in der hier eröffneten Sicht maßgeblich durch einen spezifischen wissenschaftlichen Standort, von dem aus Kommunikationsprozesse als eine nicht weiter zerlegbare Einheit von Sprecher und Hörer in der gemeinsamen koorientierten Sozialhandlung problematisiert werden. Ein solcher Blickwinkel impliziert konsequenterweise die Zurückweisung der üblichen Trennung des „ Kommunikationsgeschehens in quasi-autonome Teilgeschehen auf Sprecher- und Hörerseite “ (Schmitz 1998, 318), wie sie etwa im traditionellen Transportmodell, in der Sprechakttheorie und zum Teil selbst in der Konversationsanalyse vorherrscht (Schmitz 2003, 200 - 201). Dadurch gewinnt der Hörer an Terrain, wird vom passiven Rezipienten einer Nachricht zum aktiven Bedeutungskonstrukteur und sein Beitrag zum Kommunikationsgeschehen mitnichten als Reaktion auf die Äußerung eines Sprechers verstanden; im Gegenteil, in dieser Sicht veranlasst die unterstellte Zuhörbereitschaft einen Sprecher überhaupt erst dazu, eine Äußerung zu wagen. Dementsprechend wird zu ergründen sein, inwieweit die skizzierten kommunikationstheoretischen Postulate innerhalb der kognitiven Metaphernforschung eine Rolle spielen. Ein weiteres Postulat, das uns im Verlauf der Diskussion beschäftigen soll, richtet sich auf die methodologische Grenzziehung zwischen ‚ kommunikativer ‘ und ‚ extrakommunikativer ‘ Betrachtungsweise (Ungeheuer 1972 b/ 2004), die auf die Annahme zurückgeht, jeder Mensch erfahre sprachliche Kommunikationsprozesse in zweifacher Weise: entweder als 18 Kommunikator im Vollzug von Kommunikationsakten, die eingesetzt werden, um sprachliche Verständigung zu erreichen, oder als externer bzw. auf sich selbst reflektierender Beobachter, der außerhalb des Geschehens stehend sich bemüht, die beobachteten Mittel sprachlicher Kommunikation einzuordnen und zu klassifizieren. 3 Im Kommunikationsprozess selbst ergibt sich aus dem Wechselspiel zwischen kommunikativer bzw. partizipierender und extrakommunikativer bzw. beobachtender Einstellung folglich eine Sequenz „ oszillierender Perspektiven der Beteiligten auf den Verständigungsprozeß “ (Loenhoff 2000, 286). Das heißt, schon die Kommunizierenden selbst pflegen einen kommunikativen wie extrakommunikativen Umgang mit ihren eigenen Kommunikationsakten. Für die Empirie bedeutet ein kommunikationswissenschaftlicher Ausgangspunkt folglich zum einen die Anerkennung der Ergänzungsbedürftigkeit einer in linguistischen Untersuchungen häufig überrepräsentierten extrakommunikativen Betrachtungsweise durch eine kommunikative (Ungeheuer 1972 b/ 2004, 22; Schmitz 1998), zum anderen ein stets waches Bewusstsein davon, in welchem der beiden methodischen Modi der Forscher gerade verfährt und welchen aussagebezogenen Einschränkungen er damit unterliegt. Dabei muss vorausgeschickt werden, dass es keineswegs um die Ersetzung der einen durch die andere Perspektive geht, sondern um deren Komplementarität als Einsicht in den prinzipiellen Doppelbezug allen Erlebens und Erkennens. Die Hinwendung zum Kommunikationsprozess als ganzheitlichem sinnhaften Forschungsgegenstand unter Berücksichtigung der gesamten Kommunikationssituation - dem unmittelbaren Kontext, dem sozioperzeptiven Kontakt, den nonverbalen und verbalen Handlungen sowie den paralinguistischen Erscheinungen (Ungeheuer 1983 a/ 2010, 33 - 64) - und 3 Ungeheuer (1972 b/ 2004) führt seine Unterscheidung zwischen kommunikativer und extrakommunikativer Betrachtungsweise zum einen auf die phänomenologische Philosophie zurück, konkret auf Heideggers (1927/ 1957) Differenzierung von ‚ Zuhandenem ‘ und ‚ Vorhandenem ‘ , eine Dichotomie, die zuvor bereits von Husserl (1901/ 1921, 261 - 265) mit den Termini ‚ fungierend ‘ und ‚ thematisierend ‘ belegt wurde; zum anderen auf die sprachpsychologischen Ausführungen Bühlers (1934/ 1982, 48 - 69), dem es um eine Trennung von Akt- und Gebildelehre geht, die zu zwei geschiedenen, gleichwohl komplementären Betrachtungsweisen von Sprechen als subjektbezogener ‚ Funktionsbetrachtung ‘ und Sprache als subjektentbundener ‚ Stoffkenntnis ‘ führen (Bühler 1932, 100). Bühler zieht seinerseits die Unterscheidung Humboldts zwischen ‚ Ergon ‘ und ‚ Energeia ‘ wie auch die Saussures zwischen ‚ Langue ‘ und ‚ Parole ‘ heran. Allerdings gibt Ungeheuer der Diskussion eine neue Stoßrichtung, denn seine Dichotomie deckt sich nicht mit der Saussures, sondern eher mit der von Miller, Galanter und Pribram (1960) etablierten Begriffsdyade von ‚ Image ‘ als organisiertem und akkumuliertem Weltwissen im Gegensatz zu ‚ Plans ‘ als Handlungsinstruktionen, Verhaltensstrategien und -taktiken, die sich auf die Erfahrungsweisen der Akteure im Vollzug ihrer Handlungen beziehen; vgl. zur Problemgeschichte auch Kolb (2010). 19 unter Anerkennung der kulturellen, gesellschaftlichen und historischen Rahmenbedingungen, in die eine solche Sozialhandlung stets eingebettet ist, impliziert des Weiteren eine tendenziell eher relativistische als universalistische Grundhaltung, da es letztlich die „ individuelle Welttheorie “ (Ungeheuer 1987 a, 308) des einzelnen Kommunikationsteilnehmers ist, die darüber entscheidet, wie Sinn konstruiert wird. Eine solche ‚ individuelle Welttheorie ‘ repräsentiert die jedem Menschen zu eigene Erfahrungstheorie, 4 wobei gesammelte Erfahrungen so systematisiert und erklärt werden, dass auch für die nachfolgenden Erfahrungen Vorannahmen als Komplex von ‚ Vor-Urteilen ‘ (Ungeheuer 1987 a, 299) bereitstehen, die wiederum die Wahrnehmung der Folgegeschehnisse zu steuern vermögen. Mein Gegenüber kann ich deshalb immer nur insoweit verstehen, als dass ich das Geäußerte auf meinen eigenen Erfahrungshintergrund zurückzuführen suche. Dennoch sind wir durch den Stempel, den uns die individuelle Welttheorie damit zwangsläufig aufdrückt, nicht zu solipsistischen Existenzen verdammt, denn jede individuelle Welttheorie hat zu einem beachtlichen Anteil intersubjektiven Charakter, wodurch die Sozialhandlung ‚ Kommunikation ‘ überhaupt erst realisierbar wird. Die schützsche ‚ Generalthese der reziproken Perspektiven ‘ mit ihren Idealisierungen der ‚ Vertauschbarkeit der Standpunkte ‘ und der ‚ Kongruenz der Relevanzsysteme ‘ (Schütz 1971, 12 - 14) als Bedingung der Möglichkeit von Intersubjektivität und damit von Kommunikation kann dennoch aufgrund eben jener Erfahrungsgebundenheit des Einzelnen immer nur relativ eingelöst werden. Wie bereits Berger und Luckmann (1967, 183) in ihrer Beschreibung des durch Internalisierungs-, Externalisierungs- und Modifizierungsprozesse gesteuerten dialektischen Verhältnisses von Wirklichkeit und Interaktion, von Makro- und Mikroperspektive dargelegt haben, steht dem ‚ zuhandenen Wissensvorrat ‘ (Schütz 1971/ 1982, 102) als intersubjektiv geteilter und historisch sedimentierter Kulturwelt (Schütz 1971, 155) sowie der individuellen Welttheorie jedes Einzelnen stets das Prozesshafte entgegen, das aus den im alltäglichen Leben in Kommunikationsereignissen durch Persuasion evozierten Einwirkungen resultiert, weshalb es sich letztendlich um dynamischen Umwandlungsprozessen unterworfene Konstrukte handelt. Die auf diese Weise kommunikativ erzeugten Sinnwelten allerdings gilt es nun nicht nur in ihrer individuumsspezifischen Weise Ungeheuers wahrzunehmen, son- 4 Ungeheuer (1983 a/ 2010, 26) hebt hervor, dass der Mensch diese individuelle Welttheorie nicht ‚ hat ‘ , sondern ‚ lebt ‘ : „ Diese hat höchstens in Teilen logischen Konnex, weite Gebiete darin sind zerrissen, lückenhaft und dunkel, andere Teile werden von Maximen zusammengehalten, die keiner Überprüfung standhalten. Und diese Teile werden auch fallen, wenn sie bei nächster Gelegenheit in Problemsetzungen aktiviert werden. “ 20 dern ebenso in ihrer kulturspezifischen, und das heißt letztlich, in ihrer standortspezifischen. Auf dieses Konstrukt bezieht sich Schütz mit seinem Begriff der ‚ Alltagswelt ‘ : „ Unsere Alltagswelt ist von vornherein intersubjektive Kulturwelt: intersubjektiv, weil wir als Menschen unter anderen Menschen in ihr leben, mit ihnen verbunden zum gemeinsamen Wirken und Werken, andere verstehend und anderen zum Verständnis aufgegeben; Kulturwelt, weil uns die Lebenswelt von vornherein ein Universum von Bedeutsamkeiten ist, von Sinnzusammenhängen, die wir zu deuten haben, und von Sinnbezügen, die wir erst durch unser Handeln in dieser Lebensumwelt stiften; Kulturwelt auch deshalb, weil wir uns ihrer Geschichtlichkeit immer bewußt sind, einer Geschichtlichkeit, die uns in Tradition und Habitualität entgegentritt und befragbar ist, weil alles Fertig-Vorfindliche auf eigene oder fremde Aktivität rückverweist, deren Sediment es ist. “ (Schütz 1971, 155) Spätestens in dieser um eine kulturelle Dimension ergänzten Sicht wird deutlich, wie richtungweisend der kulturrelativistische Aspekt für eine kommunikationstheoretische Hinterfragung der kognitiven Metaphernforschung sein wird: Durch ihre positionale Gebundenheit und die daraus resultierende Verbundenheit untereinander objektivieren Individuen im Laufe der Zeit auf der Grundlage wiederkehrender Interaktionen „ kommunikative Gattungen “ und bilden „ Sinnsetzungstraditionen “ (Schütz & Luckmann 1984, 13), die ihrerseits durch die situationale Verankerung der vorausgegangenen kommunikativen Ereignisse zu einer standortabhängigen Sichtung der Wirklichkeit beitragen. An solchermaßen kreierten Symbolwelten haben nun die Metaphern einen nicht unwesentlichen Anteil, wie zu zeigen sein wird. Damit gelangt eine kommunikationswissenschaftliche Ausgangsposition von einer anderen Richtung her zu einigen jenen der Konzeptuellen Metapherntheorie vergleichbaren Grundannahmen, z. B. im Hinblick auf den Ubiquitätscharakter von Metaphern und die diesem Verständnis inhärente Ablehnung bloß poetischer und rhetorischer Konzeptionen. Denn es verhält sich ja gerade andersherum: Schmitz (1996) konstatiert bereits für jegliche Form der menschlichen Kommunikation eine persuasive Grundstruktur, soweit der „ Sprecher in kommunikativer Dominanz mittels sprachlicher Anweisungen den Hörer in kommunikativer Subjektion hinsichtlich seiner Verstehenshandlungen steuert “ (Schmitz 1996, 152). 5 Kommunikationen werden als Sozialhandlung, als seitens eines Sprechers initiierte Ereignisse verstanden, „ die beabsichtigen, Hörer bestimmte innere 5 Einen solchen Ausgangspunkt legt Philipp Wegener (1885/ 1991) seiner pragmatischen Sprachbetrachtung zugrunde, auf welche die Traditionslinie der kommunikationstheoretischen Schriften von Ungeheuer und Schmitz an dieser Stelle zurückgeht. 21 Erfahrungen des Verstehens vollziehen zu lassen “ (Ungeheuer 1987 a, 316). Demnach erzielt der Ausdruck erst dann seinen metaphorischen Effekt, sobald es einen Hörer gibt, der das vom Sprecher Hervorgebrachte durch eigene Verstehenstätigkeit auch in einen entsprechenden Eindruck umwandelt. Die Abwendung von der rhetorischen Figurenlehre, die ihrerseits von der Vorstellung eines passiven Hörers bestimmt ist, impliziert also zweierlei: zum einen die Überlegung, dass es letztlich insofern keinen Unterschied zwischen wörtlicher und figurativer Rede geben kann, als nicht nur die Metapher, sondern prinzipiell jeder Kommunikationsakt eine ‚ Verbalsuggestion ‘ (Ungeheuer 1983 a/ 2010, 78) darstellt; zum anderen die Feststellung, dass sich Metaphern in jeglicher Kommunikationsform aufspüren lassen. Der Rhetorik widerfährt damit eine Relativierung, indem sie verabsolutiert wird. Entgegen dieser Einsicht überwiegt bei den Begründern der Konzeptuellen Metapherntheorie die Überzeugung, dass die naturgegebene Omnipräsenz von Metaphern im Sprechen ihrem epistemologischen und kognitiven Charakter zu verdanken sei: Wir erfassen die Welt nur via Metapher. Die Beziehung zwischen Individuum und Welt wird in dieser Sicht phänomenologisch an die erste Stelle gesetzt. Dagegen vertritt die kommunikationswissenschaftliche Betrachtung mit ihrem sozialpsychologischen Ausgangspunkt die These, dass mit Metaphern a priori gehandelt wird, womit die Beziehung zwischen Mensch und sozialer Umwelt bzw. zwischen Sprecher und Hörer konstitutiv für die Allgegenwärtigkeit der Metapher wird. Erst in dieser symbolischen Interaktion mit dem Gegenüber entfaltet sich ihre Wirklichkeit konstituierende Kraft. Im Sinne der hier skizzierten Perspektive auf den Forschungsgegenstand ‚ Kommunikation ‘ geht es in der folgenden Arbeit daher darum, eine Antwort auf die nachfolgende Problemstellung zu finden, mit der spezifische Teilfragen verknüpft sind: In welchem Rahmen finden wir innerhalb der kognitiven Metaphernforschung von ihren Anfängen bis zur Gegenwart eine Integration kommunikationstheoretischer Fragestellungen? 1. Gibt es Hinweise darauf, dass sich aus den kritischen Einwänden, die gegen die erste Generation der Konzeptuellen Metapherntheorie erhoben wurden, sowie aus den daraus erwachsenen Überleitungen zu neuen Forschungsfragen Tendenzen entwickelt haben, die sich als ‚ kommunikative ‘ , ‚ kultursensitive ‘ und ‚ kontextuelle ‘ Wende beschreiben lassen, wobei der Fokus vom Sprachsystem zur Sprachverwendung verschoben wird? 2. Inwieweit könnte in diesem aktuellen Kontext eine Rückbesinnung auf ältere Entwürfe ergiebig sein, die sich sowohl mit dem kognitiven 22 Aspekt von Metaphern als auch mit ihrer pragmatischen Seite bereits auseinandergesetzt haben? 3. Gibt es im Rahmen der kognitiven Metaphernforschung Vorstöße in Richtung einer Beschreibung von Metaphernverwendung in authentischen Kommunikationssituationen, verstanden als Steuerungsmedium im koaktiven Handlungsgefüge und dessen räumlicher, zeitlicher und sozialer Verortung? 4. Lassen sich in den entsprechenden Analysen zur Verwendung von Metaphern Anzeichen dafür finden, das bis heute dominierende Ausdrucksmodell von Kommunikation durch ein Eindrucksmodell zu ergänzen, um dem Kommunikationsprozess, in dem Sprecher und Hörer gleichwertige Positionen einnehmen, als Einheit gerecht zu werden? 5. Gibt es Untersuchungen, denen es gelingt, sich den elementaren Verstehens- und Verständigungsleistungen 6 in ihrer ganzen Komplexität zuzuwenden? 6. In welchem Maße nehmen Studien der kognitiven Metaphernforschung kulturelle Relativierungen des schwerpunktmäßig universell entworfenen Modells der Konzeptuellen Metapherntheorie vor? 7. Inwiefern thematisieren und problematisieren theoretische Diskussionen und empirische Forschungsarbeiten die beiden methodologischen Blickwinkel, von denen Ungeheuer spricht und deren Trennschärfe er für unabdingbar hält? Die Untersuchung gliedert sich in sechs Kapitel: Das nachfolgende Kapitel stellt die Konzeptuelle Metapherntheorie als Dreh- und Angelpunkt der vorliegenden Untersuchung in ihren Grundzügen vor und bemüht sich darum, (a) die Theorie in einen breiteren Rahmen hinsichtlich ihres Ent- 6 Ungeheuer (1987 a) und Schmitz (2001) vertreten im Hinblick auf diese Problemstellung eine Auffassung grundsätzlicher Fallibilität von Kommunikation, was gelingende Kommunikation und somit Verstehen zwar nicht ausschließt, deren letztendliche Überprüfbarkeit jedoch negiert. Diese Grundannahme folgt aus dem ungeheuerschen Kommunikationsbegriff, wonach die Äußerungen eines Sprechers als Anweisungen (und nicht als Intentionen des Sprechers) an den Hörer zu verstehen sind, bestimmte innere Handlungen zu realisieren. Die Übereinstimmung der Koordinierungen der inneren Handlungen der am Prozess beteiligten Kommunikationspartner jedoch bleibt ungewiss. Die Termini ‚ Verstehen ‘ und ‚ Verständigung ‘ werden von Ungeheuer (1987 b) gleichbedeutend verwendet - und Schmitz hält an dieser Synonymität fest (Schmitz 2001, 3), wogegen der ebenfalls der Bonner Schule verpflichtete Kommunikationsforscher Juchem (1987) die Konzepte aufspaltet und die ungeheuersche Fallibilität des ‚ Verstehens ‘ auf eine zwingende Unmöglichkeit hin zuspitzt, der er ‚ Verständigung ‘ als eine nach außen gewendete Konsensfindung entgegensetzt. 23 stehungskontextes und ihrer philosophisch-psychologischen Eckpfeiler einzustellen, (b) unmittelbar vorangegangene und aktuelle Tendenzen und damit den Entwicklungsgang der Konzeptuellen Metapherntheorie zu beleuchten und (c) jene kritischen Einwände gegen Lakoff und Johnson dezidiert zu Wort kommen zu lassen, die kommunikationstheoretische Problemstellungen berühren. Dieser Abschluss markiert den Übergang zum dritten Kapitel, in dem diejenigen Ansätze beleuchtet werden, die unter Rückbezug auf die Ausgangstheorie und in kritischer Auseinandersetzung mit dieser eine Hinführung zu einem gebrauchs-, kontext- und kulturspezifischen Metaphernverständnis anstreben. Die Auswahl der thematisierten Richtungen rechtfertigt sich dadurch, dass alle hier skizzierten Strömungen explizit an Lakoff und Johnson anknüpfen, zugleich aber auch unmissverständlich deren Defizite aufzeigen und überwinden wollen. Die Gliederung dieses Kapitels orientiert sich dabei an den jeweiligen Schwerpunkten, die in den Abhandlungen gesetzt werden: Als erstes wird auf die ‚ Blending ‘ -Theorie eingegangen, deren Hauptaugenmerk zwar weiterhin auf der Kognition ruht, die jedoch durch ihre Fokussierung partikularer Ausdrücke gegenüber der konventionellen nun die innovative Metapher sowie den Prozesscharakter des Kognizierens in den Blick nimmt und mit diesem mikroanalytischen Vorgehen der Konzeptuellen Metapherntheorie zu einer Dynamisierung verhilft. Der zweite Abschnitt thematisiert eine Reihe von unterschiedlichen Ansätzen, welche sich dem Sprachgebrauch zuwenden und von Fallbeispielen ausgehend Kontextfaktoren betrachten, die in den idealisierten Darstellungen der ersten Generation größtenteils außen vor blieben. Es sind vor allem die hier vorgestellten Untersuchungen, die sich dem solange vernachlässigten Kommunikationsprozess selbst zuwenden und nach Leistung und Funktion der Metapher für ihre Verwender fragen. Ein weiterer Abschnitt widmet sich deshalb einer Synthese verschiedener Forschungsergebnisse zu den Verstehensleistungen von Hörern und Lesern. Der letzte Teil behandelt Studien, die sich um die Einbeziehung des sozialgeschichtlichen und kulturellen Kontextes ihrer Ergebnisse bemühen und kulturvergleichend ausgerichtet sind. Im vierten Kapitel verlassen wir das Gebiet der aktuellen vorrangig nordamerikanischen und angelsächsischen Forschungslandschaft und wenden uns den überwiegend deutschen Vorläufern der kognitiven Metapherntheorie zu, um in einem systematischen Überblick nicht nur die Vielfalt, sondern auch den Scharfsinn der in der amerikanischen Forschungsliteratur in der Regel übergangenen Entwürfe und damit die Kontinuität eines kognitiv inspirierten Metaphernverständnisses herauszustellen. Wie für das dritte Kapitel, so gilt auch für das vierte, dass es aufgrund der Fülle an Publikationen nicht möglich ist, einen vollständigen Überblick zu geben; im Mittelpunkt steht bei der Betrachtung kognitiver Metaphernforschung 24 vor und nach Lakoff und Johnson daher eine Herausarbeitung anschlussfähiger und im Kontext der aktuellen Fragestellungen relevanter Denkschulen. Im Kern geht es darum, der Konzeptuellen Metapherntheorie das Exotische zu nehmen und in historiographischer Perspektive nach Bezügen zu anderen Wissenschaftstraditionen und Denkstilen zu suchen - auch, um diesen häufig vergessenen Vordenkern die ihnen gebührende Anerkennung zuteil werden zu lassen. Beide Kapitel, das dritte wie das vierte, stehen infolgedessen unter dem Vorzeichen einer Klärung darüber, welche Brücken sich zwischen den verschiedenen Konzeptionen schlagen lassen und welche Querverbindungen sich für die Zukunft anbahnen. Im fünften Kapitel schließlich geht es um die Vorstellung von drei empirischen Fallstudien, anhand derer illustriert werden soll, wie konkrete Untersuchungen unter Einbeziehung kommunikationstheoretischer Fragestellungen vor dem Hintergrund einer Synthese verschiedenster Richtungen der kognitiven Metaphernforschung durchgeführt werden können. Abschließend werde ich ein Fazit ziehen und einen Ausblick darauf geben, welche Forschungsfelder im Rahmen von Studien zur kognitiven Metaphernforschung unter kommunikationswissenschaftlichem Vorzeichen künftig stärker berücksichtigt und welche Fragestellungen dabei leitend werden könnten. 25 2. Grundzüge der Konzeptuellen Metapherntheorie nach Lakoff und Johnson 2.1 Die Geburt des kognitiven Paradigmas in der Metaphernforschung Die mehr als 30 Jahre zurückliegende Publikation Metaphors We Live By (Lakoff & Johnson 1980/ 2003) markiert nicht nur den Beginn einer Neuorientierung innerhalb der Metaphernforschung, sondern bildet gleichsam einen wesentlichen Grundpfeiler für die Entstehung der Kognitiven Linguistik, 1 die sich durch ihre interdisziplinäre Ausrichtung nach und nach auch auf Bereiche der Psychologie, Philosophie, Anthropologie, Soziologie und Kommunikationswissenschaft erstreckt. Mit dem Werk erfolgt eine Abwendung von der bis dahin dominierenden „ impressionistischen Metaphernbetrachtung “ (Jäkel 2003, 21), denn 1 Mit dem Teminus ‚ Kognitive Linguistik ‘ ( ‚ Cognitive Linguistics ‘ ) folge ich der angloamerikanischen Auslegung, die anhand dieser Etikettierung die holistischen Ansätze zum Verhältnis von Kognition und Sprache zusammenfasst, wie die einschlägigen Einführungen in die ‚ Cognitive Linguistics ‘ bezeugen (Evans & Green 2006; Geeraerts 2006; Croft & Cruse 2004; Ungerer & Schmid 1996). Hierzu zählen u. a. die Prototypensemantik nach Rosch (1975; 1978), die Kognitive Grammatik Langackers (1987), die Frame-Semantik nach Fillmore (1982/ 2006; 1988), die Konstruktionsgrammatik nach Goldberg (1995; 2006), die Raum- und Prozess-Semantik von Talmy (2000 a; 2000 b), die Kognitive Semantik nach Lakoff und Johnson (1980/ 2003; 1999; Lakoff 1987) sowie die Blending-Theorie nach Fauconnier und Turner (Fauconnier 1997; Fauconnier & Turner 2002). Entgegen dieser Vereinnahmung eines allgemein disziplinären Begriffs durch eine bestimmte Schule des Forschungszweigs wird der Ausdruck im deutschsprachigen Raum demgegenüber normalerweise umfassender interpretiert, wobei dem Theorierahmen der räumlich-figurativen Sprachauffassung der ‚ Cognitive Linguistics ‘ allerdings insgesamt gesehen wenig Beachtung geschenkt wird (Schwarz 1992; 1992/ 1996; Müller 1991). In ihrer Einführung in die Kognitive Linguistik (Schwarz 1992/ 1996) unterscheidet Schwarz zwischen einem von der Generativen Grammatik Chomskys geprägten modularen Ansatz und einem holistischen Ansatz, der insbesondere durch die Schlüsselwerke zur Kognitiven Grammatik (Langacker 1987; 1991) und Kognitiven Semantik (Lakoff 1987) repräsentiert werde. Wildgen (2008) schließlich nennt seine Einführung in den Forschungszweig der ‚ Cognitive Linguistics ‘ Kognitive Grammatik, was in der englischsprachigen Literatur nur einer Seite der Theoriebildung entspräche. Pörings und Schmitz (2003) entwerfen ihre kognitiv orientierte Einführung in die Sprachwissenschaft u. a. entlang der Theorien der Kognitiven Semantik (Lakoff und Johnson), Prototypizität (Rosch, Geeraerts), Kognitiven Grammatik (Langacker), Linguistischen Anthropologie (Humboldt, Sapir, Whorf, Gipper), Raum- und Prozess-Semantik (Talmy) und Interkulturellen Pragmatik (Wierzbicka). 26 Metaphern werden - wie bereits der programmatische Titel ankündigt - nicht länger als den Untersuchungsfeldern der Rhetorik und Poetik zugehörige Ornamente der Sprache betrachtet, sondern als Ausdruck konzeptueller Strukturen und kognitiver Fähigkeiten wahrgenommen. Dementsprechend beschreiben die Autoren Metaphern als Alltagsphänomen, das uns Aufschluss darüber geben kann, wie menschliche Kognition verfährt und wie wir unsere tagtäglichen Erfahrungen bewältigen, was gleichzeitig eine Aufhebung der traditionellen Grenzziehung zwischen wörtlicher und übertragener Bedeutung zur Folge hat. Metaphern obliegt damit primär die Funktion eines Schlüsselmediums beim Ordnen unserer Einzelerfahrungen, womit sie zu einer „ anthropologischen Universalie, zu einem Thema der Psychologie und zu einem Phänomen, das an fundamentalen neuropsychologischen Prozessen teilhat “ (Kohl 2007, 119), werden. So erstaunt es kaum, dass die interdisziplinär und populärwissenschaftlich ausgerichtete Publikation, obwohl sie auf eine historische und theoretische Einbettung, stringente Literaturverweise sowie einen Blick über den angloamerikanischen Sprachraum hinaus weitgehend verzichtet, für Begeisterung sorgt und als „ eine der bemerkenswertesten sprachphilosophischen Neuerscheinungen der letzten Jahre “ (Burkhardt 1987, 42), „ milestone “ (Lawler 1983, 205) und „ groundbreaking essay on metaphor “ (Nuessel 1990, 251) gefeiert wird, die „ probably the most radical statement to date “ (Violi 1982, 189) vornehme. Von diesem Zauber hat das Grundlagenwerk bis heute nichts eingebüßt; seine Wahrnehmung als radikaler Umbruch hat sich weitgehend etabliert. Dennoch ist die proklamierte Abkehr von der traditionellen Auffassung der Metapher als schmückendem Beiwerk keineswegs ein so plötzlich auftauchendes Novum, wie die Autoren an verschiedenen Stellen ihrer Ausführungen (Lakoff & Johnson 1980/ 2003, xi; Lakoff 1993, 202; Lakoff & Turner 1989, 110 - 139; Lakoff & Wehling 2009, 14 - 15) glauben lassen möchten. Ein großer Teil ihrer Grundideen wird in mannigfaltigen philosophischen, psychologischen und sprachwissenschaftlichen Abhandlungen, die insbesondere aus dem europäischen Sprachraum stammen, bereits antizipiert, wie im vierten Kapitel ausführlicher darzustellen sein wird. Ausschlaggebend für die Bedeutsamkeit der Schrift ist damit in meinen Augen weniger deren vermeintliche Originalität als vielmehr die explizite und systematische Perspektivenverschiebung von der Sprache zur Kognition sowie die Fülle an Beispielen, die unserer Alltagsmetaphorik entnommen sind; dadurch wurde das Werk zum initialen Ort für eine Etablierung des Forschungszweigs der kognitiven Metaphernforschung mit ihrer stetig wachsenden Flut an Publikationen. Den Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit der Alltagsmetapher bildet der 1979/ 1993 in dem Sammelband Metaphor and Thought publizierte Essay The conduit metaphor: A case of frame conflict in our language about 27 language des Sprachwissenschaftlers Michael J. Reddy, der in seiner Auseinandersetzung mit dem Transportmodell der Kommunikation nach Shannon und Weaver (1949) 2 offen legt, wie die in diesem Modell implizierte Leitmetapher von der Rohrpost über 70 % der englischen Metasprache über Kommunikation bestimmt. Sprecher und Hörer werden als Container für verobjektivierte Gedanken und Gefühle aufgefasst, wobei sprachliche Ausdrücke Behälter für Bedeutungsobjekte repräsentieren, die der Sprecher dem Hörer per Kanal zuschickt. Reddy kritisiert dieses Modell als irreführend, weil es verschleiere, dass Äußerungen letztlich immer nur ‚ Bauanleitungen ‘ zur (Re)konstruktion von Bedeutung sein können: Sprachliche Ausdrücke wie „ Try to get your thoughts across better “ oder „ You still haven ’ t given me any idea of what you mean “ vermitteln den Eindruck, es handele sich bei der menschlichen Kommunikation um so etwas wie „ mental telepathy or clairvoyance, and suggest that communication transfers thought processes somehow bodily. Actually, no one receives anyone else ’ s thoughts directly in their minds when they are using language. “ (Reddy 1979/ 1993, 166). Der hier kritisierte verkürzte Blick auf den Kommunikationsprozess hängt Reddy zufolge mit den Implikationen zusammen, die von der Conduit- Rahmenmetapher automatisch in die Vorstellung hineingetragen werden. 3 In seinem Aufsatz antizipiert Reddy die Grundzüge der Konzeptuellen 2 Shannon entwickelt in seiner Informationstheorie ein ‚ General Communication System ‘ , in dem zunächst die Idee vom speicherbaren, wiederabrufbaren und transferierbaren Gegenstand ‚ Information ‘ im Vordergrund steht, der über Encoding- und Decoding-Prozesse vom Sender zum Empfänger gelangt. Während Shannon lediglich an einer rein technischen Klärung des syntaktischen Verfahrens der Kodierung gelegen war, die Frage nach der Bedeutung in seinem Modell der nachrichtentechnischen Kommunikation dagegen keinerlei Relevanz hatte, ist Weaver derjenige, der die Signalübertragungstheorie via Metaphorisierung auf jegliche Art menschlicher Kommunikation überträgt und sich damit harsche Kritik einhandelt (Lenke, Lutz & Sprenger 1995, 226 - 234). 3 In dieser Hinsicht liest sich die vorgetragene Kritik Reddys als kommunikationswissenschaftliche Abhandlung, indem sie für ein Eindrucksmodell im Sinne Ungeheuers plädiert, das die konstruktive Arbeit des Hörers hervorkehrt. Auch Luhmann (1984/ 1999, 212) entlarvt in seinem Kommunikationsmodell der drei Selektionen ‚ Information ‘ , ‚ Mitteilung ‘ und ‚ Verstehen ‘ die dem Transportmodell von Kommunikation innewohnende Verkürzung als Konsequenz einer unbrauchbaren Metapher: „ Die gesamte Metaphorik des Besitzens, Habens, Gebens und Erhaltens, die gesamte Dingmetaphorik ist ungeeignet für ein Verständnis von Kommunikation. Die Übertragungsmetapher legt das Wesentliche der Kommunikation in den Akt der Übertragung, in die Mitteilung. Sie lenkt die Aufmerksamkeit und die Geschicklichkeitsanforderungen auf den Mitteilenden. Die Mitteilung ist aber nichts weiter als ein Selektionsvorschlag, eine Anregung. [. . .] Ferner übertreibt die Metapher die Identität dessen, was ‚ übertragen ‘ wird. Benutzt man sie, wird man verführt, sich vorzustellen, daß die übertragene Information für Absender und Empfänger dieselbe sei. “ (Luhmann 1984/ 1999, 193 - 194). 28 Metapherntheorie, die ein Jahr später für Furore sorgt und das Beispiel Reddys explizit thematisiert (Lakoff & Johnson 1980/ 2003, 10 - 13). Lakoff und Johnson eröffnen ihre Abhandlung mit dem Kapitel Concepts We Live By, wobei der Begriff concept 4 den Ausgangspunkt ihres neuen Metaphernverständnisses bildet: „ The concepts that govern our thought are not just matters of the intellect. They also govern our everyday functioning, down to the most mundane details. Our concepts structure what we perceive, how we get around in the world, and how we relate to other people. Our conceptual system thus plays a central role in defining our everyday realities. “ (Lakoff & Johnson 1980/ 2003, 3) Die Grundthese, die im Folgenden entwickelt wird, lautet nun, dass solche Konzepte zu einem großen Teil metaphorischer Natur seien, wobei die Autoren Metaphern als kognitives Phänomen charakterisieren, das zu einem „ cross-domain mapping in the conceptual system “ (Lakoff 1993, 203) der am Kommunikationsprozess beteiligten Individuen führt, indem eine Domäne den Zielbereich (target domain) und die andere den Ursprungsbereich (source domain) der metaphorischen Projektion bildet. Bei diesem Prozess beziehen sich Metaphern jedoch nicht einfach deskriptiv auf eine äußere Welt, sondern verfahren in hohem Maße präskriptiv und performativ. Schließlich übernehmen sie eine Vermittlerrolle zwischen Kognition und Sprache und werden in der Beziehung zwischen Individuum und Gemeinschaft zu einem zentralen Medium bei der Ausgestaltung von Kultur und Strukturierung unserer internen und externen Welt. Anhand des folgenden Beispiels lässt sich die Kerndifferenzierung veranschaulichen, die zwischen der ‚ konzeptuellen Metapher ‘ (conceptual metaphor) und ihrer Realisierung auf der Sprachoberfläche, den ‚ metaphorischen Ausdrücken ‘ (metaphorical expressions) vorgenommen wird (Lakoff & Johnson 1980/ 2003, 7): 5 4 Um die Vergleichbarkeit zwischen den Theorien zu gewährleisten und die Lesbarkeit des Textes zu erleichtern, wird in dieser Arbeit eine einheitliche Schreibweise für alle Termini technici verwendet, auch dann, wenn die Autoren selbst davon abweichen: Theoretische Fachbegriffe werden im Deutschen in einfache Anführungszeichen gesetzt, wogegen theoriespezifische Ausdrücke aus anderen Sprachen kursiv und in Minuskeln geschrieben werden. Sobald sie ein hybrides Ad-hoc-Kompositum mit Bindestrich bilden, wird das erste Glied in Majuskeln geschrieben. Im Falle einer Lexikalisierung des Fremdworts handelt es sich um eine Entlehnung, wobei sich dann nur die Schreibweise des Substantivs ändert, das dann in Majuskeln erscheint, z. B. bei dem Begriffspaar Type und Token. Konzeptuelle Metaphern wie auch solche, die dieser Idee verwandt sind, werden in Kapitälchen gesetzt, da dies der Mehrheit der Abhandlungen aus dem Bereich der kognitiven Metaphernforschung entspricht. 5 Bis zu dem Werk Moral Politics (Lakoff 1996) setzen die Autoren die konzeptuelle Metapher in Kapitälchen, die sprachlichen Ausdrücke hingegen in Kursivschrift. Ab 29 Abb. 2.1-1: Konzeptuelle Metapher und sprachliche Ausdrücke Sprachliche Metaphern sind demnach immer nur sekundäre Realisierungen der ihnen zugrunde liegenden Projektionen zwischen verschiedenen Erfahrungsdomänen. Pointiert formuliert handelt es sich bei der Kreierung neuer Metaphern aus der Sicht der Konzeptuellen Metapherntheorie deshalb um immer nur neue Variationen einer begrenzten Anzahl von topologisch basierten Grundmustern, die auf elementaren Stufen ontogenetisch erworbener kognitiver Modelle aufbauen. Aus der Überzeugung heraus, dass solche Konzeptbildungen von der Art der Erfahrungsbewältigung des Menschen geprägt sind, entwickeln Lakoff und Johnson ihre Position des Erfahrungsrealismus, die sie zunächst experientialism (Lakoff & Johnson 1980/ 2003), später dann embodied realism (Lakoff & Johnson 1999) nennen. 2.2 Hintergrundannahmen Ausgehend von der philosophischen Position des experientialism bzw. embodied realism (Johnson 1987; Lakoff 1987; Lakoff & Johnson 1999) wurzelt der kognitiv verankerte Metaphernbegriff von Lakoff und Johnson in der Grundannahme, dass „ any adequate account of meaning and rationality must give central place to embodied and imaginative structures of understanding by which we grasp our world “ (Johnson 1987, XIII). Damit führt Johnson die Erkenntnisfähigkeit des Menschen primär auf seine körper- 1999 gehen die Autoren dann zu einer Schreibweise über, die sie möglicherweise von der sich parallel entwickelnden Blending-Theorie übernommen haben, und schreiben die konzeptuellen Metaphern lediglich mit dem ersten Buchstaben der Inhaltswörter in Majuskeln. Aufgrund der eindeutigeren Abgrenzbarkeit von anderen Konzepten behalte ich in dieser Abhandlung die auch heute noch in den meisten Fachzeitschriften übliche Schreibweise der Kapitälchen bei. 30 lichen Interaktionen mit der Umwelt zurück. Diesem Standpunkt liegen Auseinandersetzungen mit philosophischen und linguistischen Positionen zugrunde, die in den sechziger und siebziger Jahren verbreitet waren. Implizit verweisen schon der Titel von Johnsons Buch The Body in the Mind. The Bodily Basis of Meaning, Imagination, and Reason (1987), die Etikettierung der eigenen Theorie als experientalism (Lakoff 1987) sowie der Titel des gemeinsamen Werks Philosophy in the Flesh. The Embodied Mind and its Challenge to Western Thought (1999) auf einen Ansatz, der sich philosophisch am ehesten im Rahmen einer körperbezogenen Phänomenologie verorten ließe (Lakoff & Johnson 1999, 565; Johnson 2005, 18 - 19), sprechen doch sogar die Autoren selbst von einem phenomenological embodiment (Lakoff & Johnson 1999, 36) und nennen mit Blick auf die angestrebte Überwindung des Dualismus ’ von Geist und Körper Maurice Merleau-Ponty wie auch John Dewey explizit als Vorläufer ihrer eigenen Überlegungen (Lakoff & Johnson 1999, 97). 6 Psychologisch schließt die Position von Lakoff und Johnson insbesondere in ihren frühen Schriften an die Gestaltpsychologie (Ehrenfels 1890/ 1974; Wertheimer 1922; 1923) an, die davon ausgeht, dass unsere Wahrnehmung entlang komplexer Ganzheiten verlaufe und durch das Prinzip der ‚ Übersummativität ‘ gesteuert werde, demzufolge eine Gestalt elementarer ist und mehr darstellt als die Summe ihrer Teile, da sie Merkmale besitzt, die keine Merkmale der sie konstituierenden Teile sind, sondern einen aus der Ganzheit hervorgehenden Eigencharakter aufweisen. Ehrenfels gelangt zu seinem Gestaltbegriff über die Frage, ob im Falle einer 6 Philosophy in the Flesh verfolgt das Ziel, anhand psychologischer und neurowissenschaftlicher Befunde sowie linguistischer Analysen die Konsequenzen der Kognitiven Semantik für philosophische Fragestellungen aufzuzeigen. In diesem Sinne ist das Werk auch als Kompendium der verschiedenen Entwicklungen innerhalb der Konzeptuellen Metapherntheorie im Laufe der vorangegangenen zwanzig Jahre zu sehen. Die hier genannten Bezüge zu Dewey und Merleau-Ponty sind in philosophischer Hinsicht allerdings auch schon die einzigen Bezüge zu potentiellen Vorgängern, die von den Autoren selbst thematisiert werden. Darüber hinaus setzen sich Lakoff und Johnson ausschließlich mit den klassischen Gegenpositionen von Platon, Aristoteles, Descartes, Kant, der Analytischen Philosophie und der Generativen Grammatik Chomskys auseinander, so dass der Eindruck, Lakoff und Johnson schüfen ein völlig neues Paradigma, bestehen bleibt - ein Aspekt, der auch in der ansonsten eher positiv gesinnten Rezension Gradys (2002) des Buchs bemängelt wird. Linz (2002, 97) hält es ebenfalls für verwunderlich, dass gerade bei der proklamierten Verankerung von Rationalität und Begriffsbildung in körperlicher Grunderfahrung der Bezug zu Piaget und dessen Theorie der sensomotorischen Intelligenz fehlt. Eine ausführliche Problematisierung der fehlenden Querverbindungen zu vorangegangenen Entwürfen der kognitiven Metaphernforschung in Philosophie, Psychologie und Sprachwissenschaft sowie der proklamierten und stark vereinfachten Polarisierung von Erfahrungsrealismus und Rationalismus findet sich im vierten Kapitel. 31 Melodie eine bloße Zusammenführung von Elementen gegeben sei oder ob hier etwas Neues vorliege, was über die Summe der einzelnen Töne hinausgehe. Er kommt zu dem Ergebnis, dass letzteres der Fall sei, da sich eine Melodie transponieren, d. h. im Hinblick auf ihre Höhe verschieben lässt, ohne dass die Melodie verloren geht. Lakoff überträgt den Gedanken auf die Kognitive Linguistik: „ What I would ultimately like to show [. . .] is that thought, perception, the emotions, cognitive processing, motor activity, and language are all organized in terms of the same kind of structures, which I am calling gestalts. Gestalts are at once holistic and analyzable. They have parts, but the wholes are not reducible to the parts. “ (Lakoff 1977, 246) Später rückt Lakoff vom Gestaltbegriff ab und bevorzugt die tendenziell alle Sinne einbindende und sensomotorisch auf des Menschen Grundorientierung ausgerichtete Terminologie von den bildschematischen Strukturen, die als kognitiv verankerte Steuerungsmechanismen eines der „ general principles governing all aspects of human language “ (Lakoff 1990, 40) ausmachen. In linguistischer Hinsicht bricht die Position mit formalistischen Ansätzen, indem sich Lakoff u. a. auf die Prototypentheorie (Rosch (1975; 1978; Berlin & Kay 1969; Labov 1973) und in diesem Rahmen durch Rückgriff auf den Terminus ‚ Familienähnlichkeit ‘ auf die Vorarbeiten Wittgensteins (1953/ 1995) bezieht. Es geht ihm in seiner Begründung der Kognitiven Semantik im Anschluss an Putnams Absage an den metaphysischen Realismus um eine Übertragung von dessen internal realism (Putnam 1981) auf die Bedeutungstheorie, was sich nicht zuletzt in dem analog dazu kreierten Begriff experiental realism (Lakoff 1987, xv, 267) widerspiegelt, der zum Schlagwort für die neue Denkrichtung wird. Dieser Sichtweise entsprechend ist unser Denken körperfundiert und gestalthaft, basiert es doch zum einen auf unserer körperlichen Erfahrung, Wahrnehmung und Bewegungsmotorik in Interaktion mit unserer physischen und sozialen Umwelt; zum anderen ist es nicht atomistisch, wie die Merkmalssemantik und andere logisch orientierte Semantiktheorien mit ihren Building-block-Annahmen für sich in Anspruch nehmen (Lakoff 1987, xiv-vx). Mit der Hervorhebung imaginativer Aspekte und der sensomotorischen Verankerung der Kognition, die sich in der Forderung Johnsons (1987, xxxvi) nach einem „ putting the body back into the mind “ niederschlägt, wendet sich die Kognitive Linguistik vor allem gegen das generative Paradigma und jegliche „ warehouse theory of memory “ (Lakoff 1990, 41). Der Ausgangspunkt nicht nur von Lakoff und Johnson, sondern von nahezu allen Vertretern der Kognitiven Linguistik - dies wird besonders deutlich in den Arbeiten Langackers (1987) und Tomasellos (1999; 2003) - ist darüber hinaus ein strikt konstruktivistischer, vermittels dessen die dualistische Trennung von Welt und Geist überwunden werden soll. Hier lassen sich 32 Verbindungslinien zum biologischen Konstruktivismus (Maturana & Varela 1987), zum sozialen Konstruktivismus (Berger & Luckmann 1967; Schütz & Luckmann 1984) sowie zu den sozialpsychologischen Prämissen Meads (1967) und Vygotskys (1978) aufspüren; eine Thematisierung solcher Parallelen jedoch bleibt weitgehend aus. 7 So gibt Langacker bei der Ausarbeitung seines usage based model of language structure zumindest in der Theorie sogar Hinweise auf eine kommunikationstheoretische Auffassung von Bedeutungen als in wechselseitigen Verständnisprozessen vorgenommene Konstruktionen, was den Ideen Ungeheuers nahe zu stehen scheint: „ nothing travels from speaker to hearer except sound waves “ , weshalb es Aufgabe des Hörers sei, „ a reasonable hypothesis about the nature of the conceptualization that prompted the speaker ’ s utterance “ zu konstruieren (Langacker 1987, 162). Er prägt für diese Leistung des Hörers den Terminus construal, den auch Talmy (1983, 255) verwendet, indem er die Aufgabe des Hörers bei der gemeinsamen Sinnerzeugung im Kommunikationskontext als „ image-constructing process “ formuliert, der mit der Selektion des Sprechers interagiere. Im Vergleich zu diesen Autoren explizieren Lakoff und Johnson nur in wenigen Momenten die wirklichkeitserzeugende Kraft der Metapher, so etwa an einer Stelle, an der sie „ the power of metaphor to create reality rather than simply to give us a way of conceptualizing a preexisting reality “ (Lakoff & Johnson 1980/ 2003, 144) hervorheben. Doch auch bei Talmy und Langacker sollte man genauer hinsehen: Während Talmy bei seiner Analyse der in Sätzen enthaltenen Informationen auf der Basis der Figur-Grund-Organisation nicht kommunikationstheoretisch, sondern sprachsystematisch verfährt, entwirft Langacker sein Konzept situationaler und emergierender Bedeutung zwar als induktiv und kontextbasiert verfahrendes Modell, das er als „ maximalist, nonreductive, and bottom-up “ im Gegensatz zur generativen Grammatik beschreibt, die ihrerseits „ minimalist, reductive, and top-down “ vorgehe (Langacker 1990, 260 - 266). Sprachgebrauch besteht für ihn damit letzten Endes aus Gebrauchsereignissen. Praktisch jedoch kann die Kognitive Grammatik diesen Anspruch an eine gebrauchsorientierte Perspektive kaum einlösen, denn die kontextentbundenen Beispielsätze, die Langacker präsentiert, entbehren jeglicher authentischen Gebrauchssituation, so dass die Hypothesen letztlich reine Lippenbekenntnisse bleiben und zum Teil recht widersprüchlich anmuten. So spricht er an anderer Stelle etwa davon, dass Sprache eine „ psychological entity residing in the minds of individual speakers “ sei, die nichts mit dem kollektiven Bewusstsein einer Sprachgemeinschaft zu tun habe (Langacker 1991, 511). Insofern bleibt die Kognitive Grammatik in vielerlei Hinsicht zuletzt doch dem generativen Paradigma verhaftet. 7 Besonders die Abhandlungen Tomasellos (1999; 2003) und Sinhas (2009) haben eine auffällige Nähe zu Mead und Maturana. Die Autoren finden jedoch entweder gar keine oder nur marginale Erwähnung. 33 Die Abgrenzung der Kognitiven Semantik von der klassischen computationalen Kognitionswissenschaft zeigt sich besonders in ihrer vehementen Ablehnung diskreter Kategoriedefinitionen, einer strikt enzyklopädischen Semantikauffassung sowie der Priorisierung der Semantik gegenüber der Syntax, womit die Autonomiehypothese zurückgewiesen wird, da Syntax nicht als arbiträr entworfen, sondern als weitgehend durch die Semantik motiviert betrachtet wird, wie gerade die Arbeiten aus dem Bereich der Kognitiven Grammatik (Langacker 1987; Goldberg 1992; 1995) illustrieren. In Abgrenzung zu früheren Konzeptionen innerhalb der Linguistik wird nun das Kriterium der Bildhaftigkeit zum ausschlaggebenden Element. Lakoff (1987), Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre selbst noch Mitbegründer einer generativen Semantiktheorie, vertritt jetzt im Gegensatz zu den Generativisten und im Anschluss an die weiter oben eingeführten gestaltpsychologischen Prämissen die Überzeugung, dass das Denken imaginativ verfahre: Auf der Grundlage von direkt über die körperliche Erfahrung gewonnenen Konzepten gelangen wir via Imagination - durch metaphorische Übertragung und Erweiterung - zur Strukturierung abstrakter Domänen, eine Haltung, welche die Ablehnung einer Reihe objektivistischer Grundannahmen zur Folge hat: Objekte besitzen für Lakoff und Johnson lediglich interaktionale und keine inhärenten Eigenschaften, wobei Bedeutung auf der Grundlage gestalthafter und prototypischer Effekte erzielt wird und nicht durch Komposition atomarer Bedeutungselemente. Denken ist demnach keine Spiegelung der Realität, sondern ein Zurechtfinden des Menschen in der Welt, mit der er interagiert. Dennoch vermeiden die Autoren zugleich eine extrem subjektivistische oder gar solipsistische Position, indem sie davon ausgehen, dass unser Wissen infolge der Universalität menschlicher Körpererfahrung intersubjektiv ausgerichtet sei, womit die Verbindung zu einer äußeren Realität durch die Apriorisierung der leiblichen Gebundenheit des Menschen gewahrt bleibt: „ Where objectivism defines meaning independently of the nature and experience of thinking beings, experiential realism characterizes meaning in terms of embodiment, that is, in terms of our collective biological capacities and our physical and social experiences as beings functioning in our environment. [. . .] Experientalism claims that conceptual structure is meaningful because it is embodied, that is, it arises from, and is tied to, our preconceptual bodily experiences. “ (Lakoff 1987, 267) Solchen präkonzeptuellen Strukturen legt Lakoff zwei Erfahrungsmodi zugrunde: (a) Strukturen der so genannten Basisebene (basic-level categories), 8 8 Die Unterscheidung zwischen basic-level (z. B. Baum), higher-level (z. B. Pflanze) und lower-level categories (z. B. Eiche) geht auf Rosch (1978) zurück. Lakoff (1988, 133) erstellt eine Liste von Charakteristika, die Wörter auf der Basisebene auszeichnen. So haben sie 34 in deren Rahmen bei Alltagsklassifikationen konzeptueller Domänen die deutlichsten Prominenzeffekte auftreten und die für Lakoff nicht weiter zerlegbare Bedeutungen darstellen und (b) Strukturen bildschematischer Art (kinesthetic image-schematic structures), die auf der Grundlage rekurrenter körperlicher Alltagserfahrung als gestalthafte Schemata eingeprägt werden und im Hinblick auf ihre Bedeutung ebenfalls den Status von Primitiva genießen. Auch Johnson (1987) versteht unter solchen image schemas einfache, schematische Abbilder von Strukturen, die auf der Grundlage unserer Interaktionen mit der Umwelt rekurrenten Charakter annehmen und unseren physischen Einzelerfahrungen, Sinneswahrnehmungen und motorischen Abläufen Kohärenz verleihen. Bildschemata sind damit keine mentalen Vorstellungsbilder, sondern allgemeine Grundmuster der perzeptuellen und motorischen Interaktion des Menschen mit seiner Umwelt. 9 Ein Beispiel wäre das Bildschema BEHÄLTER , das auf unserer Erfahrung beruht, in Behälter - z. B. den Kühlschrank oder eine Kiste - hineinzusehen, Substanzen in Behälter - z. B. Wasser in ein Glas - einzufüllen, Objekte aus anderen herauszuholen - z. B. einen Schlüssel aus einer Tasche. Schließlich nehmen wir uns selbst als Behälter für Blut oder Empfindungen wahr. Metaphern bedienen sich solch bildschematischer Verstehensweisen der physischen Welt und projizieren sie auf abstrakte Konzepte, so dass wir analog zu unserer physischen Erfahrung auch ein theoretisches Argument als Behälter verstehen, das inhaltsreich oder inhaltsleer sein kann. Obwohl sich das Wort image im ursprünglichen Sinne ausschließlich auf die visuelle Wahrnehmung bezieht, umfasst das Konzept im Rahmen der Psychologie und Kognitiven Linguistik gleichermaßen das haptische, auditive und vestibuläre System (Johnson 1987, 25). In dieser Form repräsentieren die Bildschemata „ the basic contours of our lived experience “ (Johnson 1992, 349). Unklar bleibt sowohl in den Ausführungen Johnsons wie auch in denen Lakoffs indessen, ob diese Schemata bereits angeboren sind oder erst ontogenetisch erworben werden. Ebenso wenig stellt sich den Autoren hier die Frage nach der Veränderbarkeit der Schemata durch neue Erfahrungen sowie deren Eingebundenheit in reale Handlungskontexte. 10 Zu den Bildschemata, von denen an dieser Stelle einige exemplarisch in tabellarischer Form resümiert werden, zählen Lakoff und Johnson BEHÄLTER , WEG , VERBINDUNG , ZYKLUS , SKALA , GLEICHGEWICHT , ZENTRUM - PERIPHERIE und GAN- ZES - TEILE , gestalthafte Muster also, die in körperlichen Fundamentalerfahdie höchste Gebrauchsfrequenz, den höchsten Bekanntheitsgrad, werden als erstes von Kindern verstanden und erlernt, haben in der Regel die kürzesten Lexeme, die obendrein oft unzerlegbare Primitiva darstellen und unser Alltagswissen organisieren. 9 Johnson (1987, 19 - 30) grenzt seinen Schema-Begriff damit von dem Kants ab. 10 Eine ausführliche Diskussion zu diesem und anderen theorieimmanenten Kritikpunkten findet sich am Ende des Kapitels unter 2.5. 35 rungen begründet sind und zu metaphorischen Erweiterungen führen, wobei jedoch, wie Lakoff (1987, 269 - 303) betont, die grundlegenden Strukturelemente und -relationen bewahrt werden: SCHEMA Körperliche Grunderfahrung Strukturelemente Metaphorische Erweiterung CONTAINER Körper (Essen und Trinken), Häuser außen, innen, Grenze in eine Ehe hineingeraten GANZES - TEILE ganzer Körper, Körperteile Ganzes, Teile, Konfiguration die höchste indische Kaste ist der Kopf der Gesellschaft VERBINDUNG Nabelschnur zwei Elemente, Verbindung wir haben eine sehr enge Beziehung miteinander ZENTRUM - PERIPHERIE Herz versus Finger, Zehen und Haare Entität, Zentrum, Peripherie Theorien haben zentrale Aussagen WEG Bewegungsrichtung unseres Körpers zur Befriedigung unserer Bedürfnisse Ausgangspunkt, Ziel, Weg, Richtung im Leben einen langen Weg gehen, um sein Ziel zu erreichen Abb. 2.2-1: Systematisierung einiger Bildschemata nach Lakoff (1987) Die Spalte ‚ Strukturelemente ‘ zeigt an, dass die Schemata außerordentlich komplex sein können und in diesem Sinne ‚ gestalthaft ‘ verstanden werden müssen. So haben wir bei einem Schema wie W EG zwar verschiedene Möglichkeiten der Akzentuierung - in dem Satz „ Thomas hat Deutschland verlassen “ wird lediglich der Ausgangspunkt hervorgehoben, wogegen in dem Satz „ Er ist über Düsseldorf nach Lissabon geflogen “ Weg und Ziel fokussiert werden. Dennoch wird auf der kognitiven Ebene unterhalb der sprachlichen Oberfläche die Gestalt als kohärentes Ganzes immer implizit mitgedacht. Die Beispiele für die metaphorische Erweiterung der Bildschemata illustrieren, wie die abstrakten bildschematischen Konzepte in lexikalische münden. Präpositionen wie in, innerhalb, hinein, herein, aus, hinaus, heraus, außerhalb verweisen z. B. auf das CONTAINER -Schema, weshalb gerade solchen Präpositionen starke Polysemie zukommt (Brugman & Lakoff 1988), was sich in der deutschen Sprache mit ihrer Verfahrensweise der Komposition von Verb und Präposition sowie deren metaphorischen Erweiterungen besonders anschaulich niederschlägt. Hier finden sich zusätzlich zu den Präpositionen als Partikel sowohl Kompositionen mit Präposition als Nachverb wie in überwechseln, überschnappen, überkochen als auch Kompositionen mit Präposition als nicht trennbares Präfix wie in überbrücken, überfliegen, überlegen (Bellavia 2007, 132 - 145). 36 Johnson (2005) weist darauf hin, dass sich die Grundidee zu den Bildschemata bereits in Kants Kritik der reinen Vernunft (1781/ 1986) finden lässt, auch wenn er sich dessen Dichotomien von Form und Inhalt sowie Mentalem und Physischem nicht anschließen mag: „ Moreover, we must not think of imagination as merely a subjective, idiosyncratic private ‚ mental ‘ operation to be contrasted with objective thought and reason. Imaginative activity occurs, instead, in the ongoing flow of our everyday experience that is neither merely mental nor merely bodily, neither merely cognitive nor emotional, and neither thought alone nor feeling alone. All of these dimensions are inextricably tied up together in the perceptual and motor patterns of organism-environment interaction, which provide the basis for our patterns of understanding and thought. “ (Johnson 2005, 18) Bildschemata sind in dieser Perspektive das, was Jean Mandler (2004) emergent genannt hat; d.h, sie sind nicht angeboren, sondern entstehen auf der Grundlage unserer Erfahrung im Rahmen der physischen und psychologischen Entwicklung des Kindes. So lernen Kinder beispielsweise Schritt für Schritt, sich zunächst in der physischen Welt dadurch zu orientieren, dass sie der Bewegung von animierten Objekten mit ihrem Blick folgen; später greifen sie nach ihnen, und schließlich lernen sie, sich erst durch Krabbeln, dann durch Laufen in die gewünschte Zielrichtung des Objekts zu bewegen. In diesem Aneignungsprozess von Welt wird das WEG - Schema gleichsam mitinternalisiert. Zu Konzepten werden solche zunächst nur auf der sensomotorischen Ebene beobachtbaren rekurrenten Muster, indem sie nach und nach dem Bewusstsein zugänglich werden (Evans & Green 2006, 184). Bildschemata stellen außerdem keine festen und unbeweglichen Strukturen dar, sondern haben dynamischen Charakter. So kommt es bei den unterschiedlichen Verwendungsweisen des Wortes um vom Satz „ Er geht um die Ecke “ hin zu dem Satz „ Er wohnt um die Ecke “ zu einer bildschematischen Verschiebung der Wortbedeutung, die Lakoff (1987, 425) als „ path-focus to end point-focus transformation “ bezeichnet. Hier zeigt sich, dass Bildschemata unterschiedliche Grade an Schematizität mit sich bringen, wobei spezifischere Bildschemata auf der Grundlage von Polysemie durch Bedeutungserweiterung von einem zentralen Prototypen oder Basisschema abgeleitet werden. Bei unseren physischen und sozial-kulturellen Interaktionen mit der Welt, in der wir leben, kommt es neben der Bildung von image schemas und Prototypen, die nach Auffassung der meisten Vertreter der Kognitiven Linguistik tendenziell universell geprägt sind, auch zur Entstehung soziokulturell gefärbter und weitaus komplexerer konzeptueller Strukturen mit propositionalen Elementen. Solche typifizierten Formen sind von der Kognitiven Linguistik im Rahmen verschiedener Akzentuierungen behan- 37 delt worden, was sich in den der heterogenen Terminologie widerspiegelt: frames (Fillmore 1982/ 2006), scripts (Schank & Abelson 1977), mental models (Johnson-Laird 1983), folk models (Lakoff 1987), cultural models (Quinn & Holland 1987), cultural frames (Kövecses 2006) und cognitive domains (Langacker 1987) sind Begriffe, mit denen sich die jeweiligen Autoren, unterschiedliche Schwerpunkte setzend, auf kognitive Rahmen beziehen, die sich vor dem Hintergrund kultureller Praktiken und Routinen herausbilden. Von diesen schemabasierten Wissensmodellen der Kognitionspsychologie und Linguistik übernimmt Lakoff die Annahme, das deklarative Wissen sei in Form komplex strukturierter Wissenseinheiten organisiert. Und doch beschränkt er sein eigenes Konzept der idealized cognitive models (ICM) (Lakoff 1987, 68 - 76) nicht auf propositionale Aspekte, sondern erweitert es um imaginative Gestaltstrukturen, Schlussfolgerungsverfahren, Bewertungskriterien und kulturell verankerte Stereotype, wobei vier Einflüsse eine herausragende Rolle spielen: Fillmores Frame Semantics (1982/ 2006), Langackers Kognitive Grammatik (1987), Fauconniers Theorie der Mentalen Räume (1997) und seine eigene in Zusammenarbeit mit Johnson erarbeitete Konzeptuelle Metapherntheorie (Lakoff & Johnson 1980/ 2003). Unter ICMs versteht Lakoff von der soziokulturellen Realität abstrahierte Modelle als Repräsentation rekurrenter Erfahrungen mit intersubjektiver Gültigkeit, die einen theorieähnlichen Status beanspruchen können. Dadurch bilden sie eine Art organisiertes, gestalthaftes Hintergrundwissen für unser tagtägliches Handeln in der Welt. Ein Konzept wie ‚ Dienstag ‘ macht nur vor dem Hintergrund des ICMs ‚ Woche ‘ Sinn, wobei ‚ Woche ‘ insofern idealisiert ist, als diese zeitliche Einheit nicht objektiv existiert, sondern ein kulturell verankertes Konstrukt darstellt, das zudem auch Bewertungen impliziert, etwa eine positive Hervorhebung des Wochenendes gegenüber dem Montag. Konzepte stellen Teile von ICMs dar, die hervortreten können und dabei vor dem Hintergrund eines ICMs charakterisiert werden, was in der Kognitiven Grammatik Langackers (1986/ 2006) entlang der Theorie von der profile-base-organisation diskutiert wird: „ The base of a predication is its domain (or each domain in a complex matrix). Its profile is a substructure elevated to a special level of prominence within the base, namely that substructure which the expression ‚ designated ‘ . “ (Langacker 1986/ 2006, 34) So bildet die Basis des Begriffs ‚ Hypotenuse ‘ ein rechtwinkliges Dreieck; und die Bedeutung von ‚ Onkel ‘ wird nur durch ihre Einbettung in die Domäne ‚ Verwandtschaftssystem ‘ einsichtig. Die Bedeutung von Konzepten leitet sich folglich aus dem kulturell geprägten kognitiven Hintergrundmodell ab, was Lakoff im Rückgriff auf ein Beispiel Fillmores (1982/ 2006, 387) erläutert: Ein Wort wie Junggeselle (bachelor) ist lediglich vor dem Hintergrund einer Gesellschaft verstehbar, in der es die Institution der Ehe sowie ein durch- 38 schnittliches Heiratsalter gibt. Eine binäre Merkmalssemantik (Katz & Fodor 1963), die davon ausgeht, dass sich Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke in elementare Bestandteile zerlegen lassen, müssten der Kategorie ‚ Junggeselle ‘ aufgrund der Merkmale [+ LEDIG ] und [+ MÄNNLICH ] ebenso den Papst oder Homosexuelle zuordnen, was aber offensichtlich unserem Alltagsverständnis von ‚ Junggeselle ‘ zuwiderläuft. Die Integration des soziokulturellen Kontextes zum Verständnis des jeweiligen Konzepts impliziert demnach auch auf der Ebene der ICMs prototypische Effekte, indem die Konzepte durch zentrale Beispiele bestimmt werden. In vielen komplexeren Fällen gibt es nun nicht nur ein Zentrum oder einen Prototypen, was Lakoff anhand von vier Grundmodellen für das Konzept ‚ Mutter ‘ veranschaulicht: So verfügen wir (a) über ein Zeugungsmodell, bei dem der körperliche Akt des Gebärens im Vordergrund steht, (b) über ein Nährmodell, bei dem die sozialen Aspekte des Ernährens und der Erziehung ausschlaggebend sind, (c) über ein Ehe-Modell, bei dem die familiäre Konstellation - Mutter als Ehefrau des Vaters - hervorgehoben wird und (d) über das genealogische Modell, demzufolge die Mutter die nächste weibliche Verwandte innerhalb einer Deszendenzlinie verkörpert. Der Kontext bestimmt nun darüber, welches dieser Modelle fokussiert oder ausgeblendet wird. Eine solche Struktur von ZENTRUM / PERIPHERIE wird von Lakoff (1987) als radial network aufgefasst. Die Theorie der idealisierten kognitiven Modelle umspannt den Gesamtentwurf der Kognitiven Semantik und integriert auch Metaphern als einen speziellen Typ metaphorischer ICMs, in deren Rahmen Projektionen bestimmter kognitiver Strukturen auf neu zu strukturierende Erfahrungsbereiche vollzogen werden, wodurch sie sich von den anderen vier Typen - bildschematischen, propositionalen, metonymischen und symbolischen ICMs - abgrenzen. Es ließe sich an dieser Stelle fragen, inwieweit eine solche Theorie als Beitrag zur Erfassung kognitiver Strukturen der Wissensorganisation in eine Theorie der Strukturen der Lebenswelt im Sinne von Schütz und Luckmann (1984) integrierbar wäre. 11 Denn im Kern geht es bei dieser Gliederung um die Differenzierung von Verfahrensweisen, die für den Aufbau unserer Symbolwelten und Relevanzsysteme verantwortlich sind, indem sie „ komplexe Strukturen der Wissensorganisation mit Gestaltcharakter als pragmatische Simplifizierungen einer noch komplexeren 11 Die ICM-Theorie selbst bleibt in sich äußerst rudimentär und vage. Demgegenüber gelingt es der Theorie von Schütz und Luckmann, eine Brücke zwischen Handlung und Struktur, zwischen Subjektivem und Objektivem zu schlagen - ein Aspekt, der bei Lakoff nicht einmal thematisiert wird. Die Postulierung eines auf bildschematischen und prototypischen Effekten basierenden Verfahrens bei der Konstruktion unserer Alltagswelt jedoch ist ein Ansatz, der mir kompatibel scheint und der Lebensweltstrukturanalyse interessante Impulse geben könnte. 39 Realität “ (Jäkel 2003, 40) darstellen: Werden zunächst aus präkonzeptuellen Strukturen einerseits Basisebenenkonzepte (Stuhl, Baum, Hund etc.), andererseits bildschematische Konzepte (Behälter, Skala, Gleichgewicht etc.) gebildet, so gehen auf einer höheren und stärker kulturell geprägten Ebene diese Konzeptarten nun als Teil rekurrenter Erfahrungen in propositionale ICMs (Restaurant-Szenario, Vorlesungs-Szenario etc.) oder in Erfahrungsbereiche ohne eigene präkonzeptuelle Struktur (Emotionen, Glauben etc.) ein. Im letzten Fall werden solche konturlosen Erfahrungsbereiche mit Hilfe von Metaphern durch Projektion bildschematischer oder propositionaler ICMs auf die abstrakten Bereiche durchstrukturiert. Bei den propositionalen ICMs geht es dabei nicht um die Übertragung eines Bildschemas, sondern um elaborierte Strukturmodelle, in denen das Standardwissen über die mit einem Konzept verbundenen typischen Handlungen, Sachverhalte, Handelnden und Objekte spezifiziert wird, was über slots, also Leerstellen geschieht, die als Variablen situationsabhängig mit bestimmten Werten ausgefüllt werden, wie im nächsten Abschnitt anhand des Beispiels LIEBE als REISE ausführlich dargestellt wird. 2.3 Erste Phase der Konzeptuellen Metapherntheorie (1980 - 1999) An das in 2.1 diskutierte Beispiel anknüpfend, führen Lakoff und Johnson aus, was ihrem Verständnis nach den Kern der Metapher ausmacht: „ The essence of metaphor is understanding and experiencing one kind of thing in terms of another. It is not that arguments are a subspecies of war. Arguments and wars are different kinds of things - verbal discourse and armed conflict - and the actions performed are different kinds of actions. But argument is partially structured, understood, performed, and talked about in terms of war. The concept is metaphorically structured, the activity is metaphorically structured, and, consequently, the language is metaphorically structured. “ 12 (Lakoff & Johnson 1980/ 2003, 5) 12 Die Bemerkung, Diskussionen stünden keineswegs in einem Verhältnis der Hyponomie zu Krieg, bezieht sich allem Anschein nach auf die These von Glucksberg und Keysar (1979/ 1993, 416), Metaphern seien class inclusion statements. Sie greifen die von Richards (1936/ 1965) entworfenen Begriffe ‚ Vehikel ‘ und ‚ Tenor ‘ zur Bezeichnung der Doppel-Einheit Metapher auf, wonach sich der ‚ Tenor ‘ auf das Thema bezieht, über das etwas ausgesagt wird und das ‚ Vehikel ‘ auf den dafür benutzten Ausdruck (vgl. Kapitel 4.9): Glucksberg und Keysar zufolge verkörpert nun das Vehikel eine Kategorie höherer Ordnung, die den metaphorischen Tenor umfasst, so dass Tenor und Vehikel in kategorialer Beziehung zueinander stehen. Ein Satz wie „ Cigarettes are time bombs “ wäre eine solche ‚ Klassen-Inklusions-Aussage ‘ : „ In such class-inclusion statements, the predicate (metaphor vehicle) refers to a category that includes both the metaphor topic 40 In dieser Sicht werden die sprachlichen Ausdrücke lediglich als Oberflächenindiz für eine kognitive Tiefenstruktur verstanden, die es herauszuarbeiten gilt: „ In short, the locus of metaphor is not in language at all, but in the ways we conceptualize one mental domain in terms of another “ (Lakoff 1993, 203). Deutlicher noch formulieren es Lakoff und Johnson (1999, 123) sechs Jahre später: „ Metaphorical thought, in the form of cross-domain mappings is primary; metaphorical language is secondary. “ So erlangt die Metapher den Status eines unverzichtbaren Mittlers unserer Rationalität, indem sie den entscheidenden Mechanismus des abstrakten Denkens darstellt, weshalb die metaphorischen Projektionen auch unidirektional, vom Konkreten zum Abstrakten, und nicht andersherum verlaufen. Vielmehr fußen sie - wie im vorherigen Kapitel mit Einführung der grundlegenden Bildschemata bereits deutlich wurde - auf den Körper-, Raum- und Alltagserfahrungen ihrer Verwender: „ Konzeptuelle Metaphern sorgen durch die Rückbindung des abstraktbegrifflichen Denkens an die sinnliche Anschauung für die körperlichbiophysische Fundierung der Kognition und gewährleisten so die Kohärenz und Einheit unserer Erfahrung. “ (Jäkel 2003, 33). Daher sind es primär die konventionellen Metaphern, die im Zentrum der Aufmerksamkeit von Lakoff und Johnson stehen. Sie stellen abgelegte, habitualisierte und institutionalisierte Strukturen im Bestand einer Kulturgemeinschaft dar und werden in der Regel unbewusst bzw. automatisch verwendet. Damit weisen die Autoren die klassische Dichotomie von ‚ toter ‘ und ‚ lebendiger ‘ Metapher zurück, denn vermeintlich neue sprachliche Metaphern stellen in dieser Perspektive lediglich Erweiterungen konventionalisierter Metaphern dar, so dass es nicht die neuen, lebendigen, sondern gerade die unbewussten und tief verwurzelten Metaphern sind, die unser Denken und Handeln leiten (Lakoff & Turner 1989, 129). Innovative und kreative Metaphern, wie sie etwa in der Dichtung zu finden sind, führen sie weitgehend in Übereinstimmung mit ihrer Zweiteilung in konzeptuelle und sprachliche Metaphern auf bisher noch nicht genutzte sprachliche Instanzen impliziter Strukturen einer bereits vorhandenen konzeptuellen Metapher zurück. Dies sei an einem Beispiel kurz illustriert, das Lakoff und Turner (1989) in ihrer Abhandlung über die Wurzeln poetischer Metaphern heranziehen. Zu Beginn der Göttlichen and the metaphor vehicle as examples, with the vehicle being a prototypical exemplar of that attributive category. “ Gibbs (1992 b) kritisiert an diesem Modell die Annahme, dass das Verstehen einer metaphorischen Äußerung als immer wieder neuer Vorgang einer Ad-hoc-Kategorisierung beschrieben wird, ohne in Betracht zu ziehen, dass sich metaphorische Gruppierungen mit der Zeit im Langzeitgedächtnis ablegen und oft lediglich einer erneuten Aktivierung bedürfen. 41 Komödie von Dante findet sich die Formulierung „ In the middle of life ’ s road / I found myself in a dark wood “ , bei der die Metapher LIFE IS A JOURNEY durch bislang noch kaum genutzte Ausdrücke auf sprachlicher Ebene erweitert wird, indem der Leser die unbekannte sprachliche Metapher aufgrund der Bekanntheit der im Hintergrund mitlaufenden konzeptuellen Metapher versteht. Dadurch fällt es ihm nicht schwer, das Herumirren in einem dunklen Wald als Bild für eine ‚ verlorene ‘ oder ‚ vom Weg abgekommene ‘ Person zu interpretieren (Lakoff & Turner 1989, 9). Andererseits entstehen neuartige Metaphern gerade in der Poesie als mental images oder image metaphors, bei denen lediglich ein isoliertes, aber konkretes Bild und nicht eine ganze Domäne auf ein weiteres mentales Bild projiziert wird wie in dem Satz „ My wife [. . .] whose waist is an hourglass “ aus dem Gedicht Free Union von André Breton (Lakoff & Turner 1989, 90). Die Kraft solch isolierter Bilder liegt in ihrem potenziell explorativen Charakter, durch den ein neuer Weg der Verknüpfung zweier bisher noch nicht miteinander verbundener Wissensdomänen initiiert wird. Diese prinzipielle Offenheit und Dynamik metaphorischer Verfahren zur Wirklichkeitskonstruktion zeigt zugleich, dass unsere konventionalisierten und lexikalisierten Ausdrücke lediglich Teilstrukturen der zugrunde liegenden konzeptuellen Metapher widerspiegeln. Lakoff und Johnson (1980/ 2003, 52) sprechen in diesem Zusammenhang von der „ partial nature of metaphorical structuring “ (Lakoff & Johnson 1980/ 2003, 52): So hat die Metapher THEORIEN SIND GEBÄUDE z. B. einen benutzten Teil, der insbesondere die Außenkomponenten der Gebäudestruktur aufgreift - wir sprechen etwa von den Fundamenten einer Theorie oder den tragenden Säulen einer Denkrichtung, aber nicht von Zimmern oder Fußböden. An dieser Stelle stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien eine solche Selektion erfolgt und ob diese Partialität der metaphorischen Strukturierung nicht gerade einen Beleg dafür darstellt, dass die in der Betrachtung von Lakoff und Johnson als unstrukturiert und lediglich absorbierend veranschlagte Zieldomäne doch einen Einfluss auf die Auswahl derjenigen Elemente der Ausgangsdomäne hat, die auf den Zielbereich projiziert werden - ein Gedanke, der besonders in den Interaktionstheorien zum Tragen kommt. 13 Bei Lakoff und Johnson dagegen bleibt das Verhältnis ein unidirektionales. Um eine DISKUSSION als KRIEG zu verstehen, muss dem Bereich DISKUSSION die multidimensionale Struktur KRIEG übergestülpt werden, genauso wie eine Liebesbeziehung im Rahmen der konzeptuellen Metapher LIEBE IST EINE REISE mit den Strukturelementen REISENDE , WEG und FAHRZEUG versehen wird, die in der Domäne LIEBE laut Lakoff und Johnson zuvor nicht zu finden sind. Diese konzeptuelle Metapher offenbart sich dann in Ausdrücken wie „ Wir haben noch einen weiten Weg vor uns “ oder „ Ich weiß nicht, wo das Ganze 13 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 3.2 und 4.8. 42 hinsteuert “ und ermöglicht so das Sprechen über ein abstraktes Gefühl, das in sprachlicher Form zuvor nicht handhabbar war. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass ein großer Teil unserer Erfahrungen überhaupt erst dadurch kohärent wird, dass multidimensionale Erfahrungsgestalten verschiedener Domänen miteinander korreliert werden. Die ontologischen Korrespondenzen, die bei der metaphorischen Projektion von LIEBE als REISE auf kognitiver Ebene hergestellt werden, sind folgende: Ursprungsbereich: REISE ð Zielbereich: LIEBE Reisende ð Liebende Verkehrsmittel ð Liebesbeziehung Reise ð Beziehungsereignisse und -erlebnisse Zurückgelegte Distanz ð Entwicklung und Erlebnisakkumulation Erfahrene Hindernisse ð Erfahrene Schwierigkeiten Richtungsentscheidungen ð Problemlösungsentscheidungen Reiseziel ð Wünsche und Projektionen in der Beziehung Abb. 2.3-1: Korrespondenzen der Metapher LIEBE IST EINE REISE (Kövecses 2002, 7) Auf dieser Grundlage entfaltet sich ein ganzes metaphorisches Szenario: „ The lovers are travelers on a journey together, with their common life goals seen as destinations to be reached. The relationship is their vehicle, and it allows them to pursue those goals together. The relationship is seen as fulfilling its purpose as long as it allows them to make progress toward their common goals. The journey isn ’ t easy. There are impediments, and there are places (crossroads) where a decision has to be made about which direction to go in and whether to keep traveling together. “ (Lakoff 1993, 206) Um die Frage danach zu klären, wie man sich solche konzeptuellen Metaphern letztendlich vorzustellen hat, greift Lakoff hirnphysiologische Studien der Kognitionswissenschaften auf und verankert die konzeptuellen Metaphern im Gehirn, wo sie als abgelegte und fixierte Korrespondenzen zwischen zeitgleich (re)aktivierten Domänen in Erscheinung treten, sobald in konventionellen Metaphern gedacht oder gesprochen wird. Lakoff wendet sich mit diesem Ansatz vor allem gegen die pragmatische Metapherntheorie Searles (1979/ 1993), der die von Grice (1975) getroffene Unterscheidung zwischen ‚ Sagen ‘ und ‚ Meinen ‘ , zwischen ‚ Satzbedeutung ‘ und ‚ Äußerungsbedeutung ‘ zugrunde liegt. Deren Verhältnis zueinander diskutiert Searle anhand der drei Modi ‚ Ironie ‘ , ‚ indirekte Sprechakte ‘ und ‚ Metapher ‘ . Das Verstehen der letzteren durchläuft im Rahmen seiner in kommunikationstheoretischer Sicht stark verkürzten Reinterpretationstheo- 43 rie einen zweistufigen Prozess, bei dem der Leser oder Hörer, um eine metaphorische Interpretation einer Äußerung vorzunehmen, zuerst ihre wörtliche Interpretation ableitet, dann eine Anomalie feststellt und erst daraufhin die metaphorische Interpretation heranzieht. Dieser Stufenprozess metaphorischen Verstehens, der immer mit dem wörtlichen Verstehen als unmarkiertem Normalfall beginnt, fällt in der lakoffschen Sicht aufgrund der direkten Aktivierung des metaphorischen Verständnisses weg. Tatsächlich finden sich für diese Auffassung eine ganze Reihe empirische Befunde, etwa Experimente (Hoffman & Kemper 1987; Gibbs 1994), bei denen die Reaktionszeit für die Verarbeitung von wörtlich und metaphorisch zu verstehenden Aussagen gemessen wurde und die zu dem Ergebnis gekommen sind, dass nicht mehr Zeit vonnöten ist, um eine metaphorische Aussage zu verstehen. Allerdings muss einschränkend hinzugefügt werden, dass diese Beobachtung im Hinblick auf die Verarbeitungszeit metaphorischer und wörtlicher Äußerungen offenbar nur für konventionalisierte, nicht jedoch für innovative Metaphern gilt (Giora 2003, 108). Die metaphorische Projektion selbst wird von Lakoff in kognitiver Hinsicht auf einer übergeordneten Ebene (superordinate level) und nicht auf der Basisebene (basic-level) im Sinne Roschs verortet, d. h., die Liebesbeziehung korrespondiert mit einem Fahrzeug, nicht jedoch konkret mit einem Auto, einem Schiff oder einem Flugzeug. Solche Konkretisierungen können nun allerdings auf der Sprachebene realisiert werden, wie es sich z. B. in dem Ausdruck „ Wir sind in einer Sackgasse angekommen “ zeigt. Die hergestellten Korrespondenzen zwischen Ausgangs- und Zieldomäne erlauben es uns, über Liebesbeziehungen auf der Basis der rationalen Struktur des Ausgangsbereichs der metaphorischen Übertragung nachzusinnen, wobei dann entsprechende inference patterns (Lakoff 1993, 208) reflexions- und handlungsleitend werden: 14 Auf einer Reise können Hindernisse die Weiterfahrt erschweren, denen man wiederum mit verschiedenen Handlungsalternativen begegnen kann: Man kann das Fahrzeug verlassen, das Hindernis mit aller Kraft überwinden oder umfahren, was übertragen auf die 14 Gentner und Gentner (1983) illustrieren dieses Vordringen in unbekannte Gebiete mithilfe der Analogiebildung sowie die daran gekoppelte Steuerung der Schlussfolgerungsverfahren sehr anschaulich in einem Experiment, bei dem die Versuchspersonen gebeten wurden, anhand eines Lichtschalters zu erklären, wie Elektrizität im Stromkreis funktioniert. In Abhängigkeit davon, ob die Personen bei ihren Erklärungen den Stromkreis in Analogie zu einem Wasserstrom oder einem Menschenstrom setzten, zogen die Befragten auch die entsprechenden Schlüsse, die daran gekoppelt sind: Der Wasserverlauf kommt dann zum Erliegen, sobald eine Sperre gezogen wird, die das Weiterfließen verhindert, wogegen die Analogie zu Menschen, die sich durch Gänge drängen, den Schluss nahe legt, dass Druck und als Folge Stauung oder Verengung das Nichtfunktionieren eines elektrischen Verbrauchers erklären. 44 Liebesbeziehung bedeutet, dass die Partner den Konflikt vermeiden, austragen oder sich trennen können. Solche Schlussfolgerungen werden Lakoff (1993, 215 - 216) zufolge dadurch möglich, dass die der Ausgangsdomäne zugrunde liegenden Bildschemata - in unserem Beispiel BEHÄLTER und WEG - bei der metaphorischen Projektion ihre kognitive Topologie bewahren. Die inhärenten Strukturen von Ausgangs- und Zieldomäne müssen deshalb kompatibel sein. Zum Beispiel verliert das Konzept ‚ gehen ‘ seine Bewegungskomponente nicht, sobald es auf Skalen übertragen wird wie in dem Satz „ Die Arbeitslosenzahl ging im vergangenen Monat weiter nach oben “ . Diese Gesetzmäßigkeit fasst Lakoff in seinem Invariance Principle bzw. in seiner Invariance Hypothesis zusammen, was an einem weiteren Beispiel veranschaulicht werden soll: Indem die Kräftedynamik unsere Kausallogik metaphorisch als URSACHEN SIND KRÄFTE konzipiert, gehen automatisch auch die der Kräftedynamik inhärenten Inferenzstrukturen auf den Zielbereich über, so etwa die Gesetzmäßigkeiten, dass (a) ein unbewegtes Objekt sich erst dann in Bewegung setzt, sobald ihm externe Krafteinwirkung widerfährt, (b) die Krafteinwirkung des Kontakts mit dem Objekt bedarf und (c) die Krafteinwirkung zu einer Bewegung führt. Folglich rekrutiert sich propositionale Inferenz aus der einem Bildschema innewohnenden topologischen Struktur, so dass abstraktes Denken letztlich auf bildschematischer Rationalität fußt (Lakoff 1990, 64 - 65). Dennoch konstatiert Lakoff eine Einschränkung dieses Prinzips, wenn er sagt, dass die der Zieldomäne inhärente Struktur gleichzeitig auch die Projektionsoptionen begrenzen kann, was er an dem Beispiel der Polysemie des Wortes geben veranschaulicht: Im prototypischen Fall gibt Person A Person B etwas, z. B. ein Buch, das A anschließend nicht mehr besitzt, da es in den Besitz von B übergegangen ist. In Fällen metaphorischer Erweiterung dieser Grundbedeutung von geben wird diese Grundstruktur jedoch nicht bewahrt: Wenn ich jemandem eine Ohrfeige gebe, dann ist sie damit nicht in den Besitz des anderen übergegangen, und wenn ich jemandem eine Information gebe, verliere ich sie dadurch nicht. Diese Anmerkung Lakoffs widerspricht seiner an anderen Stellen vorgetragenen Auffassung, die Zieldomäne werde durch die Projektionen der Ausgangsdomäne überhaupt erst konstruiert, was die Frage aufwirft, warum dieser Befund ihn nicht dazu veranlasst hat, sich eingehender mit der Plausibilität seiner Unidirektionalitätsthese auseinanderzusetzen. Zielbereiche werden in praxi durch verschiedenste Ausgangsbereiche strukturiert. Kövecses (2002, 15 - 25) gibt eine Übersicht über eine ganze Reihe von habitualisierten Ausgangs- und Zieldomänen, die im Folgenden tabellarisch zusammengefasst wird: 45 TARGET DOMAIN FREQUENT SOURCES LINGUISTIC EXPRESSIONS EMOTION FORCES She was deeply moved. DESIRE PHYSICAL / PHYSIOLO- GICAL FORCE LIKE HUNGER OR THIRST She is hungry for knowledge / He ’ s burning to go MORALITY (HONESTY, COURAGE, SINCERITY, HONOR) ECONOMIC TRANS- ACTIONS / FORCES / STRAIGHTNESS / LIGHT AND DARK / UP-DOWN I ’ ll pay you back for this / She resisted the temptation / He ’ s a straight shooter / He ’ s a shady character / That was a lowly thing to do THOUGHT PERCEPTION She ’ s grinding out new ideas / I see your point SOCIETY / NATION PERSON / FAMILY / MACHINE What do we owe society? / The functioning of society POLITICS PHYSICAL FORCE / GAMES / SPORTS / BUSINESS / WAR They forced the opposition out of the House / The president plays hardball ECONOMY BUILDING / PLANTS / JOURNEY Germany built a strong economy / the growth of the economy HUMAN RELATIONS- HIPS PLANTS / MACHINES / BUILDINGS Their friendship is in full flower / They had to work on their relationship COMMUNICA- TION CONTAINER / OBJECTS / SENDING You are putting too many ideas into it / She gave me a lot of information TIME MOVEMENT The time will come / time flies LIFE AND DEATH DAY / LIGHT / WARMTH / ARRIVAL / DEPARTURE / NIGHT / DARKNESS / COLD The baby will arrive soon / His father passed away RELIGION, GOD FATHER / SHEPHERD / KING Godfather, Kingdom of God EVENTS AND ACTION FORCE / MOVEMENT He went crazy / You ’ re driving me nuts. Abb. 2.3-2: Konventionalisierte Ausgangs- und Zieldomänen nach Kövecses (2002, 15 - 25) 46 Vertikal betrachtet sind viele Projektionen hierarchisch organisiert, so dass auf konkreter Ebene Strukturen von Metaphern der generischen Ebene automatisch weitergetragen werden. Generic-level metaphors sind daher das Substrat des Invarianzprinzips, denn dorthin gelangen wir, sobald wir damit beginnen, die bildschematische Grundlage von Metaphern zu extrahieren. Auf diesem Wege entstehen ganze Metaphernsysteme als Ansammlungen von mehreren schematischen Projektionen, die zusammen genommen spezifischere Metaphern strukturieren können. Lakoff (1993, 219 - 225) illustriert diese Funktionsweise anhand eines Beispiels: 1. EVENT STRUCTURE METAPHOR : Auf einer ersten generischen bildschematischen Ebene entwerfen wir EREIGNISSE mittels der Ausgangsdomäne RAUM , wobei Zustände mit Orten, Ursachen mit Kräften, Handlungen mit Bewegungen, Zwecke mit Zielorten und Schwierigkeiten mit Hindernissen korreliert werden. Das bedeutet, dass bereits die generische EVENT STRUCTURE METAPHOR aus mehreren Metaphern zusammengesetzt ist, z. B. aus STATES ARE LOCATIONS (John is in love), CHANGE IS MOTION (Things went from bad to worse), ACTIONS ARE SELF - PROPELLED MOVEMENTS (We are moving forward with the new project), DIFFICULTIES ARE IMPEDIMENTS TO MOTION (It ’ s been uphill all the way on this project) etc. 2. A PURPOSEFUL LIVE IS A JOURNEY : Die generische Metapher der ersten Ebene wird nun auf unsere Lebensentwürfe übertragen, wobei die dem gesamten Netzwerk inhärenten metaphorischen Teilkonzepte mit übernommen werden: Der Einzelne befindet sich auf einem Lebensweg, der ihn zu bestimmten Zielen bringen soll. 3. LOVE IS A JOURNEY / A CAREER IS A JOURNEY : Bei diesen beiden Beispielen handelt es sich um verschiedene und spezifische Lebensereignisse, die je spezifische Aspekte der abstrakten Ebenen herausgreifen und vertiefen. Im Fall der Karriere etwa handelt es sich um eine Reise, die bergauf geht, so dass sich hier eine weitere generische Metapher in das Konzept hineinmischt: STATUS IS UP . Lakoff räumt an dieser Stelle ein, dass Metaphern auf generischer Ebene einen tendenziell universellen Status beanspruchen können, während solche der spezifischeren Ebene immer kulturabhängiger werden: „ The difference between metaphors like EVENTS ARE ACTIONS and those like LIFE IS A JOURNEY is analogous to the difference between a genus and a species in biology. [. . .] ACTIONS and EVENTS are generic-level schemas, having very little detail filled in, but with a skeletal structure, unlike JOURNEYS and REAPING which have more specific details. “ (Lakoff & Turner 1989, 80 - 81) 47 Die Kulturgebundenheit metaphorischer Konzepte der spezifischen Ebene veranschaulichen Lakoff und Johnson (1980/ 2003, 7 - 9, 61 - 68) anhand der Metapher TIME IS MONEY , die sich in Redewendungen wie spend time, invest time, cost time, have enough of time, lose time niederschlägt und typisch für westliche Industriegesellschaften ist, in denen Zeit nach dem Vorbild von Arbeitsaktivität als begrenzte RESSOURCE vorgestellt werde, wobei der Metapher auf einer höheren Ebene die generischen Metaphern AN ACTIVITY IS A SUBSTANCE und TIME IS A SUBSTANCE vorgeschaltet sind. Da wir in unserer Kultur Zeit quantifizieren, werden wir auch im Arbeitsleben nach Zeiteinheiten entlohnt. Mit diesem Blick auf das, was sich hinter der kulturspezifischen Präferenz für bestimmte konzeptuelle Metaphern verbirgt, gelangen die Autoren zu einer weiteren grundlegenden Begriffsdichotomie, die bisher mit Bezug auf ihr theoretisches Potential nur sehr implizit und fragmentarisch weiterentwickelt wurde: Mit den Konzepten highlighting und hiding verweisen Lakoff und Johnson (1980/ 2003, 10 - 13, 67) auf die Eigenschaft von Metaphern, eine Zieldomäne immer nur partiell darstellen zu können - ein Gesichtspunkt, der die Metapher - wie im weiteren Verlauf der Arbeit gezeigt wird - gerade für eine funktionale oder kommunikative Perspektive auf das Phänomen so interessant macht. Inwiefern vereinseitigende Effekte in unseren Auffassungen hervortreten, zeigte bereits das Beispiel Reddys (1979/ 1993), das unsere mit dem Transportmodell verbundene reduktionistische Betrachtung von Kommunikation offen legte. Lakoff und Johnson demonstrieren nun, dass die Metaphern TIME IS MONEY , TIME IS A VALUABLE COMMODITY und TIME IS A LIMITED RESOURCE einerseits zwar bestimmte Aspekte von Arbeit und Zeit herausheben; andererseits jedoch impliziert diese Fokussierung auf Teilaspekte zugleich eine Vernachlässigung bzw. Ausblendung anderer Elemente der Zieldomäne, die demnach in unserer Kultur weniger relevant zu sein scheinen - etwa die Art und Weise, wie die Arbeitszeit erfahren wird und was sie für den Arbeitenden bedeutet. Parallel dazu verführt der einmal eingeschlagene Weg einer bestimmten metaphorischen Sichtweise dazu, Zeit außerhalb der Arbeit auf die gleiche Weise zu strukturieren - etwa unsere so genannte ‚ Freizeit ‘ , die dann so ‚ frei ‘ nicht mehr ist: „ LEISURE TIME becomes a RESOURCE too - to be spent productively, used wisely, saved up, budgeted, wasted, lost, etc. What is hidden by the Resource metaphors for labor and time is the way our concepts of Labor and Time affect our concept of LEISURE , turning it into something remarkably like LABOR . The RESOURCE metaphors for labor and time hide all sorts of possible conceptions of labor and time that exist in other cultures and in some subcultures of our own society: the idea that work can be play, that inactivity can be productive, that much of what we classify as LABOR serves either no 48 clear purpose or no worthwhile purpose. “ (Lakoff & Johnson 1980/ 2003, 67) 15 Besonders in politischer Kommunikation spielen Highlighting- und Hiding- Effekte eine zentrale Rolle, wie Lakoff (1991; 1996; 2003; Lakoff & Wehling 2009) in verschiedenen Studien aufzeigt. Da Metaphern über die Sprache kontinuierlich bestimmte Hirnaktivitäten anstoßen, indem sie in den jeweiligen Regionen die entsprechende Synapsenbildung stärken, schaffen sie, so die These, politische ‚ Wahrheiten ‘ und bestimmen darüber, wie wir politisch handeln. Als eine solche den Blick in eine bestimmte Richtung lenkende Schlüsselmetapher des ersten Golfkriegs macht Lakoff (1991) WAR IS A COMPETITIVE GAME aus, die eine Verharmlosung des Gesamtbildes mit sich bringe, da zentrale Elemente der Kriegsdomäne wie Gewalt, Tod und Zerstörung ausgeblendet würden. In seinen Überlegungen zum zweiten Golfkrieg (Lakoff 2003) geht er noch einen Schritt weiter und demonstriert die Konsequenzen auf der Handlungsebene, die durch die Sichtlenkung der von Politikern und Medien verbreiteten Metaphern entstehen: „ Metaphors can kill “ - so der einleitende Satz der Schrift. Wird in der politischen Debatte eine Metapher über lange Zeit hinweg immer wieder benutzt und durch die Medien verbreitet, wie dies im Falle der Metapher WAR ON TERROR geschehen ist, so wird das, was eigentlich eine Metapher ist, zum Common Sense. Kaum einer bemerkt noch, dass dabei bestimmte Aspekte der Situation hervorgehoben, andere jedoch ausgeblendet werden. Im prototyptischen Fall bezeichnet ‚ Krieg ‘ eine militärische Auseinandersetzung zwischen mindestens zwei Nationen, so dass es im Zuge der Verbreitung der Metapher WAR ON TERROR geradezu natürlich erscheint, anstelle einer Bekämpfung terroristischer Zellen bestimmte Länder anzugreifen. Zusätz- 15 Solche kulturellen Verwurzelungen metaphorischer Konzepte indizieren Aspekte kultureller Relativität. Unterschiedliche Gewichtungen im Hinblick auf die von Lakoff und Johnson analysierte Metapher lassen sich z. B. bereits im Hinblick auf deutsche und brasilianische Konzeptualisierungen von ‚ Urlaub ‘ feststellen. In einer kulturvergleichenden Studie zu divergierenden Lebenskonzepten und ihrem sprachlichen Ausdruck kommt Schröder (2003, 79 - 81) mit Blick auf den Lebensbereich ‚ Urlaub ‘ zu dem Schluss, dass die brasilianischen Interviewteilnehmer gerade in Bezug auf Ferien einer tendenziell zirkulären Zeitauffassung verhaftet sind - während der Urlaubszeit kehrt man zur Familie, zu Freunden und an seinen Heimatort zurück - , wogegen die deutschen Interviewteilnehmer häufiger konkrete Handlungsziele mit den Ferien verbinden, die eine lineare Auffassung von Zeit als Strecke implizieren, in deren Verlauf wie bei der Arbeit bestimmte Verpflichtungen erfüllt werden müssen, was sich in einer Aussage einer Interviewpartnerin besonders anschaulich widerspiegelt, die sich wie folgt äußert: „ Letztes Jahr war ich in Kenia. Vorletztes Jahr in Ägypten [. . .] Also Afrika ist jetzt für mich abgehakt. “ (Schröder 2003, 81). 49 lich bringt das von Bush ins Leben gerufene Bild von der ACHSE DES BÖSEN durch seine Assoziation mit den Achsenmächten des Zweiten Weltkriegs Deutschland, Italien und Japan die drei Länder Irak, Iran und Nordkorea in einen Zusammenhang, der realiter nicht gegeben ist. Auf diesem Wege gelangen bestimmte Wertvorstellungen, die in einer Ausgangsdomäne gepflegt werden, via metaphorischer Projektion in die politische Sprache hinein. In einer weiteren Studie analysiert Lakoff (1996) die generische Metapher NATION IST FAMILIE und ihre Varianten im rechten und linken politischen Diskurs anhand der medial inszenierten Auseinandersetzungen zwischen Republikanern und Demokraten: Während die Republikaner ein konservatives Familienmodell mit einer ‚ Strenger-Vater ‘ -Moral (Strict Father) propagieren, pflegen die Demokraten ein progressives Familienmodell, das von einer ‚ Fürsorgliche-Eltern ‘ -Moral (Nurturant Parent) geprägt ist: Nach der konservativen Vorstellung birgt die Welt Gefahren in sich, so dass es eines moralisch starken Vaters als legitimer und unanfechtbarer Autorität bedarf, um die Familie gegen das Böse zu verteidigen und vor Schaden zu bewahren. Die Metapher MORAL IST STÄRKE erlangt in diesem Kontext einen hohen Stellenwert, da die elterliche Grundintention darin liegt, das Kind zu Selbstdisziplin zu erziehen und es zu befähigen, sein Eigeninteresse zu verfolgen, um im Leben Erfolg zu haben. Das wiederum impliziert, dass es als unmoralisch erachtet wird, Menschen etwas zu geben, das sie nicht selbst erarbeitet und damit nicht verdient haben, weil man sie so der Möglichkeit beraubt, innerlich zu wachsen. Im Einklang mit den Einsichten von Adam Smith mündet diese Haltung in den moralischen Grundsatz, dass, sobald jeder in der Gesellschaft auf sein eigenes Wohlergehen aus ist, naturgegeben das Wohlergehen aller maximiert werde. Demgegenüber sind die grundlegenden Konzepte des progressiven Familienmodells Fürsorge und Verantwortung, für welche die Demokraten im Gegensatz zu den Republikanern jedoch Lakoff zufolge keine eigene Metaphorik entwickeln, ein Aspekt, den er sehr anschaulich anhand des von den Republikanern geprägten Schlagworts vom Tax Relief vorführt: Das Wort Erleichterung erweckt einen Frame mit einer Person, die eine Last tragen muss, welche ihr von außen auferlegt worden ist und von der sie erlöst werden sollte - ein natürlicher Wunsch, den wir auf der Basis unserer eigenen körperlichen Erfahrungen jederzeit nachvollziehen können. Anstatt nun allerdings eigene Frames zu schaffen, in denen Steuern nicht als Abgabe unseres Privatvermögens an den Staat bezeichnet werden, sondern beispielsweise als Rückerstattung dessen, was die Gesellschaft uns im Vorfeld zur Verfügung gestellt hat, bedienen sich die Demokraten lediglich einer ins Negative gedrehten Wortwahl, so dass von Ablehnung von Steuererleichterungen gesprochen wird, was beim Hörer trotz Negation den gleichen Frame aktiviert. Folglich erscheint es unplausibel, ja, sogar ungerecht, dagegen zu sein, jemandem eine schwere 50 Last abzunehmen (Lakoff & Wehling 2009, 79 - 81). 16 Lakoff spricht hier zwischen den Zeilen ein Problem an, dem eigentlich größere Aufmerksamkeit gebührt: Inwiefern, das fragt ihn auch Wehling in ihrem Interview, setzen Konservative ihre Rahmenmetapher bewusst ein, um potentielle Wähler zu gewinnen, und inwieweit stehen echte Überzeugungen hinter der verwendeten Sprache? Obwohl Lakoff dem erzkonservativen Fernsehsender FOX gezielte Manipulation via Metapherneinsatz bescheinigt, geht er doch davon aus, dass das verwendete kognitive Modell in der Regel tatsächlich die Eckpunkte der jeweiligen Weltanschauung markiert und die daraus abzuleitenden Handlungseinforderungen präfiguriert. Offensichtlich verschwimmt eine mögliche Beantwortung der Frage nach dem bewussten bzw. unbewussten Metapherneinsatz im Strom der zwischen kommunikativem und extrakommunikativem Umgang oszillierenden Akteursperspektive. Hier eröffnen sich interessante Perspektiven für zukünftige Fragestellungen und Forschungsfelder. Was die Kohärenzen zwischen verschiedenen Projektionsebenen und Metaphernkonzepten betrifft, so untersuchen Lakoff und Johnson (1980/ 2003, 97 - 105) in ihrem ersten Werk noch ein weiteres Phänomen, das in späteren Schriften jedoch nicht weiter vertieft wird, obwohl gerade viele korpusbasierte Untersuchungen der letzten Jahre sowie die Blending-Theorie (Fauconnier & Turner 2002) 17 gezeigt haben, dass es sich dabei nicht nur um eine besonders kreative Form poetischer Kognition (Lakoff & Turner 1989, 70), sondern durchaus um ein höchst frequentes Phänomen der Alltagssprache handelt (Hilpert 2008; Coulson 2001; Schröder 2009 a; 2009 b). Die Rede ist von den sog. mixed metaphors (Lakoff & Johnson 1980/ 2003, 95), overlaps in the metaphors (Lakoff & Johnson 1980/ 2003, 97) oder composite metaphors (Lakoff & Turner 1989, 70). Wie Tabelle 3 offenbarte, können Zieldomänen durch unterschiedliche Ausgangsdomänen strukturiert werden; derweil verlaufen verschiedene Konzeptualisierungen im tatsächlichen Sprechen nicht immer klar getrennt voneinander, sondern können sich kreuzen, was die Autoren (Lakoff & Johnson 1980/ 2003, 101) an dem Beispiel „ As we go into the topic more deeply, we find. . . “ vorführen: Während 16 Alan Cienki (2005) unterzieht die lakoffsche These in einer Studie, in der er das Präsidentschaftsduell zwischen Bush und Gore im Jahre 2000 analysiert, einer empirischen Überprüfung, bei der lediglich wenige sprachliche Metaphern gefunden wurden, welche die These Lakoffs zu bestätigen imstande gewesen wären. Demgegenüber allerdings finden sich eine ganze Reihe nichtmetaphorischer sprachlicher Belege sowie gestische Mittel, die auf Implikationen der jeweiligen Modelle hindeuten. Cienki folgert aus diesem Ergebnis u. a., dass zukünftige empirische Untersuchungen über die reine Metaphernanalyse hinausgehen sollten, und will die beiden Modelle als Weltsichten verstanden wissen, die sich nicht auf bloße Implikationen und Inferenzstrukturen konzeptueller Metaphern beschränken lassen. 17 Die Blending-Theorie wird in Kapitel 3.2 vorgestellt. 51 sich go auf die konzeptuelle Metapher REISE bezieht, verweist into auf das Bildschema CONTAINER und more deeply schließlich auf die konzeptuelle Metapher GEBÄUDE . 18 In Metaphors We Live By unterscheiden Lakoff und Johnson (1980/ 2003) drei verschiedene Metapherntypen, die sie nebeneinander stellen - ein System, das schon kurze Zeit später verworfen wird und gegen Ende der neunziger Jahre durch die von Grady (1997 a; 1997 b; Grady, Taub & Morgan 1996) eingeführte Unterscheidung zwischen primary und compound metaphors abgelöst wird. Diese Unterscheidung ist nun horizontal motiviert und setzt sich zunehmend auch in anderen Abhandlungen durch. Die ursprüngliche Unterteilung in drei Metapherntypen gliedert sich zunächst in folgende Subklassen: 1. Orientational metaphors: Dabei handelt es sich um Metaphern, die auf räumlichen Grunderfahrungen des Menschen aufbauen und denen ein anthropologischer Referenzrahmen zugrunde liegt, wobei die Achsen in Bezug auf den Menschen definiert werden und sich in die Achse der Schwerkraft (oben-unten), die Seitenachse (rechts-links) und die Bewegungsachse (vorne-hinten) unterteilen. So liegt dem Ausdruck „ Weihnachten liegt vor uns “ die konzeptuelle Metapher ZEIT IST RAUM und dem Ausdruck „ Ich bin obenauf “ die Metapher GLÜCK IST OBEN zugrunde. 2. Ontological metaphors: Ontologische Metaphern knüpfen an die Grunderfahrung des Menschen an, dass es in seiner Umwelt greifbare Objekte und quantifizierbare Substanzen gibt. Diese Einsicht wird auf abstrakte Entitäten übertragen, um diese ebenfalls zu objektivieren, behandelbar und reflektierbar zu machen. So verweist der Ausdruck „ Rückfall in den Fremdenhass “ auf die Metapher EMOTIO- NEN SIND BEHÄLTER , die Aussage „ Du tickst nicht mehr ganz richtig “ dagegen auf die Metapher DER GEIST IST EINE MASCHINE . PERSONIFIKATION und CONTAINER 19 stellen eine Untergruppe der ontologischen Metapher dar. 18 In dem 1980 publizierten Werk unterscheiden die Autoren noch nicht klar zwischen C ONTAINER als Bildschema und R EISE als Metapher, wie sie es dann in ihren Abhandlungen aus dem Jahr 1987 tun. Später (Lakoff & Johnson 1999) wird durch die Einführung der Termini primary metaphor und complex metaphor die strikte Trennung zwischen zwei unterschiedlichen Typen von Konzepten - Schema versus Metapher - durch Markierung von zwei Endpunkten auf einer Skala wieder aufgehoben; vgl. hierzu das nächste Kapitel 2.4. 19 Hier zeigt sich u. a. auch, dass diese erste Klassifikation nicht haltbar ist, denn mit seinen INNEN - AUSSEN -Relationen hat der CONTAINER ebenso an der Gruppe der Orientierungsmetaphern teil und bildet zusätzlich die Hauptgrundlage für die CONDUIT Metapher als struktureller Metapher. Solche Überschneidungen kommen vor allem 52 3. Structural metaphors: Hier werden komplexe Erfahrungsbereiche durch konkrete, propositionale Domänen und Situationskonstellationen konzeptualisiert wie in dem Ausdruck „ die Marschroute der Opposition “ , der auf die Metapher POLITIK IST KRIEG verweist. Ein anderes Beispiel ist der Satz „ Das 19. Jahrhundert war die Blütezeit der Romantik “ , dem die Metapher KULTUREPOCHEN SIND PFLANZEN zugrunde liegt. Lakoff und Johnson (1980/ 2003, 35 - 40) und Lakoff und Turner (1989, 100 - 106) widmen sich an einigen Stellen ihrer Ausführungen auch dem Phänomen der Metonymie und nehmen eine terminologische Abgrenzung gegenüber der Metapher vor: In dem Satz „ The ham sandwich is waiting for his check “ (Lakoff & Johnson 1980/ 2003, 35) enstammen Kunde und Sandwich der gleichen Domäne und werden nicht wie die Metapher durch eine ‚ X wird via Y ‘ -Beziehung verstanden, sondern vermittels einer ‚ X steht für Y ‘ -Beziehung, was traditionell entlang des Konzepts ‚ Kontiguität ‘ beschrieben wird. Plett (1975, 260 - 271) differenziert im Hinblick auf das semantische Verhältnis zwischen Ausgangs- und Zielbegriff dementsprechend zwischen ‚ Similaritäts-Tropen ‘ (Metaphern) und ‚ Kontiguitäts-Tropen ‘ (Metonymie, Synekdoche, Antonomasie) - eine Unterscheidung, die er im Anschluss an Jakobson (1956/ 1979) trifft, der die Kontiguität mit der Stilfigur der Metonymie in Zusammenhang bringt und der syntagmatischen Achse zuordnet, wogegen er die Similarität mit der Metapher assoziiert, die er auf der paradigmatischen Achse verortet. Nach Plett aktiviert die konzeptuelle Metonymie ein bestimmtes Element der gleichen Domäne und stellt es, motiviert durch kommunikative wie referentielle Erfordernisse, in den Vordergrund, während die Metapher auf unsere Körpererfahrungen und Interaktionen mit unserer physischen und sozialen Umwelt zurückgeführt werden kann: „ Metonymy is a cognitive process in which one conceptual entity, the vehicle, provides mental access to another conceptual entity, the target, whithin the same domain, or ICM “ (Kövecses & Radden 1998, 39). Für Lakoff (1984, 11) übernehmen Metonymien eine konstitutive Funktion bei der Entstehung kognitiver Modelle, indem sie durch prototypische Effekte eine simplifizierte Weltversion erzeugen. Gibbs (1999 b, 36) hat für die Unterscheidung zwischen Metapher und Metonymie den Islike-Test vorgeschlagen: Wenn beide zur Debatte stehenden Domänen durch die Verbindung X is like Y sinnvoll miteinander verbunden werden können, handelt es sich um eine Metapher, während die Metonymie durch die dadurch zustande, dass die Autoren zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesehen haben, dass eine Metaphernklassifikation dieses Typs nur in vertikaler Perspektive sinnvoll ist. 53 Relation X stands for Y ausgedrückt wird. Damit greift er auf die auf die griffige Formel Quintilians (VIII, 6, 8; Bd. 2, 1995, 221) von der Metapher als ‚ verkürztem Vergleich ‘ zurück. Haser (2005, 47) gelangt zu der Einsicht, dass ein wesentlicher Unterschied darin bestehe, dass bei der Metapher das Wissen um die Zieldomäne nicht notwendigerweise ein Wissen um die Ausgangsdomäne impliziert, so dass sich bei einer Formulierung wie „ My job is a jail “ die verschiedensten Optionen ergeben, wie dieser Satz verstanden werden könnte, während das obige Beispiel vom ham sandwich zeigt, dass Sprecher und Hörer eine genaue Vorstellung davon haben müssen, auf wen sich die Bezeichnung bezieht. Die in der Literatur der Kognitiven Linguistik am häufigsten analysierten Fälle von Metonymien fassen Evans und Green (2006, 312 - 314) zusammen: 1. PRODUCER FOR PRODUCT : I ’ ve just bought a new Citröen. 2. PLACE FOR EVENT : Iraq nearly cost Tony Blair the premiership. 3. PLACE FOR INSTITUTION : Paris and Washington are having a spat. 4. PART FOR WHOLE : lend me a hand. 5. WHOLE FOR PART : England beat Australia in the 2003 rugby World Cup final. 6. EFFECT FOR CAUSE : Her face is beaming. Stellen Analysen zur Überlappung verschiedener Tropen wie Metapher, Metonymie, Ironie, Parodie oder Sarkasmus bis in die neunziger Jahren hinein noch die große Ausnahme dar, wächst in den vergangenen Jahren die Zahl der Publikationen, die im Rahmen der Kognitiven Linguistik die Vermischung solcher Denk- und Stilformen stärker ins Blickfeld ihrer Betrachtungen rücken, wobei der Interaktion von Metapher und Metonymie stetig mehr Beachtung geschenkt wird (Handl & Schmid 2011; Stefanowitsch & Gries 2007; Barcelona 2003; Paiva 2010). Nichtsdestotrotz lassen sich vereinzelte Diskussionen zur Interaktion der beiden Tropen schon seit den neunziger Jahren verfolgen. Goossens (1990) widmet sich der Wechselwirkung und Verschmelzung von Metapher und Metonymie, ein Phänomen, das er metaphtonymy nennt. Dabei unterscheidet er zwei besonders häufig auftretende Arten der Interaktion: (a) metaphor from metonymy, bei der die Metapher in einem metonymischen Verhältnis gründet. So kann der Ausdruck close-lipped sowohl metonymisch für ‚ Schweigen ‘ stehen, aber auch metaphorisch bedeuten ‚ sprechen, aber nichts Wesentliches preisgeben ‘ ; (b) metonymy within metaphor, bei der es eine Vermischung der beiden Prozesse gibt wie in dem Beispiel „ She caught the Prime Minister ’ s ear and persuaded him to accept her plan “ , denn hier wirken die Metapher ATTENTION IS A MOVING PHYSICAL ENTITY (caught) und die Metonymie BODY PART FOR ATTENTION (ear) zusammen. 54 Deignan und Potter (2004) kommen in ihrer semasiologischen, korpuslinguistisch basierten Vergleichsstudie zur englischen und italienischen Verwendung von Lexemen aus dem Bereich des menschlichen Körpers zu dem Ergebnis, dass im tatsächlichen Sprachgebrauch Interaktionen zwischen Metapher und Metonymie gegenüber der reinen Metapher vielfach sogar überwiegen. Barcelona (2003) vermutet ein grundlegendes Prinzip, wonach der Metapher die Metonymie als kognitiver Prozess von Sinnerzeugung und -verarbeitung zugrunde liegt, so dass sich Metaphern aus Metonymien heraus entwickeln. Er bevorzugt deshalb eine skalare Sichtweise, bei der die strikte Trennung beider Phänomene aufgehoben wird (Barcelona 2003, 16). 2.4 Zweite Phase der Konzeptuellen Metapherntheorie (1999 - 2011) Entgegen einiger kritischer Einwände, die der Konzeptuellen Metapherntheorie seit dem Erscheinungsjahr ihrer Erstpublikation theoretischen Stillstand bescheinigen (Haser 2005), findet sich im Vergleich der beiden Hauptwerke Metaphors We Live By (1980/ 2003) und Philosophy in the Flesh (1999) zwar in der Tat keine signifikante Wende, in jedem Fall aber eine klar ausgewiesene Weiterentwicklung und Modifikation der ursprünglich postulierten Kernthesen. Besonders einschneidend kommen Neuorientierungen im Rahmen der Embodiment-These zur Geltung, indem das, was 1980 noch unbestimmt als sensomotorische Erfahrung charakterisiert wurde, nun eine neurowissenschaftliche Grundlage erhält, womit sich gleichzeitig das Hauptinteresse der beiden Autoren verlagert. Fontaine (2007, 479) spricht mithin nicht zu Unrecht von einem merklichen „ shift from philosophy to cognitive studies “ . Besonders im Nachwort zur zweiten Auflage ihres Klassikers verweisen Lakoff und Johnson (1980/ 2003, 243 - 276) einerseits auf notwendige Modifizierungen hinsichtlich nicht länger haltbarer Annahmen ihrer Erstpublikation und andererseits auf empirische Befunde, die andere Theoreme wiederum abzustützen imstande sind. Im Wesentlichen führen die Korrekturen und Neuentdeckungen zu einer Revision der horizontalen Metapherntypologie, die nun durch die vertikal angelegte Differenzierung von primary und complex metaphors substituiert wird, sowie zur Etablierung der Enactment-These em Rahmen einer Zuwendung zu aktuellen neurophysiologischen Befunden aus der Hirnforschung. 20 20 Der Begriff enactment bezieht sich auf Erkenntnisse der Hirnforschung, die nachweisen, dass wir bereits bei der Vorstellung davon, bestimmte Körperbewegungen auszuführen, auch die entsprechenden Areale im prämotorischen und motorischen Kortex aktivieren (Evans & Green 2006, 241). 55 Die Überarbeitung der Metapherntypologie verdankt die Konzeptuelle Metapherntheorie vor allem zwei Nachwuchswissenschaftlern aus Berkeley, die das Verhältnis von Bildschemata und konzeptuellen Metaphern genauer betrachten und auf eine empirische Grundlage stellen: Grady (1997 a; 1997 b) stößt bei seiner Erforschung der von Lakoff und Johnson postulierten konzeptuellen Metaphern auf eine Reihe von Schwierigkeiten, was er u. a. anhand der Metapher THEORIES ARE BUILDINGS vorführt, wobei er zunächst an die Überlegungen der Autoren anknüpft, dass die Metapher lediglich bestimmte Aspekte von Gebäuden nutze; andere hingegen blieben außen vor. Diese Tendenz entdeckt er bei weiteren Metaphern, woraus er den Schluss zieht, dass sich Metaphern generell durch selektive poor mappings bzw. mapping gaps auszeichnen. Nun wendet er sich der Frage zu, warum es gerade diese Aspekte - in unserem Beispiel etwa Fundament, stützen, erschüttern etc. - der Ausgangsdomäne sind, die bei der metaphorischen Projektion relevant werden, und nicht andere wie z. B. Fenster, Grundeigentümer, Miete etc. Die Antwort liege, so seine Schlussfolgerung, in der Zerlegbarkeit der konzeptuellen Metapher in tiefer liegende Metaphern, aus denen die untersuchte konzeptuelle Metapher zusammengesetzt sei - ein Befund, der die beobachteten lexikalischen Lücken erklären könnte. THEORIES ARE BUILDINGS wäre demnach eine komplexe konzeptuelle Metapher, die aus einer Kombination von zwei primären Metaphern besteht: (a) ORGANIZATION IS PHYSICAL STRUCTURE und (b) PERSISTING IS REMAINING ERECT . Die erste Metapher motiviert z. B. einen Ausdruck wie „ Society seems to be unraveling “ , die zweite dagegen einen Satz wie „ This situation will not stand “ (Grady & Johnson 2002, 534). Der grundlegende substantielle Unterschied zwischen den primary und compound bzw. complex metaphors liegt für Grady darin, dass primäre Metaphern in einer direkten Beziehung zu menschlichen Grunderfahrungen stehen und als Ergebnis von „ recurring experience types (or ‚ primary scenes ‘ ) “ (Grady & Johnson 2002, 536) hervorgebracht werden. Grady will mit dieser neuen Unterscheidung zudem die Dichotomie zwischen Ausgangsdomäne als notwendig immer konkreterem Bereich und Zieldomäne als zwangsläufig immer abstrakterem Bereich überwinden. Entscheidend ist für ihn vielmehr, dass den Zieldomänen jegliche perzeptuelle Basis fehlt, die sich demgegenüber bei den Ursprungsdomänen findet. In den Primärmetaphern SIMILARITY IS NEARNESS ( „ The color is quite close to the one on our dining-room wall “ ), QUANTITY IS VERTICAL ELEVATION ( „ The price of shares has gone up “ ) oder DESIRE IS HUNGER ( „ We ’ re hungry for a victory “ ) repräsentieren die Zieldomänen ÄHNLICHKEIT , QUANTITÄT und BEGEHREN keineswegs abstrakte, sondern fundamentale Humanerfahrungen. Während aber die Ausgangsdomänen in diesen Metaphern mit sensorisch-perzeptueller Erfahrung gekoppelt sind, stellen die Zieldomänen subjektive und introspektive Reaktionen auf solche Erfahrungen dar. Deshalb wurzelt für Grady die Verbindung von Ausgangs- und 56 Zieldomäne in korrelativer Erfahrung, womit die Primärmetaphern zu kulturübergreifenden Universalien werden, während die komplexen Metaphern eher kulturspezifischer Natur sind. Der zweite Nachwuchswissenschaftler, Christopher Johnson (1999), entwickelt die Theorie weiter, indem er beobachtet, auf welchem Wege Kinder zu der Metapher KNOWING IS SEEING gelangen. Er stellt fest, dass sie dabei bestimmte Stadien durchlaufen: In einer ersten Phase lernen sie, das Verb to see im wörtlichen Sinne zu verwenden. In einem zweiten Stadium kommt es zu Verschmelzungseffekten der beiden Domänen, was Johnson mit dem Begriff conflation zusammenfasst, der sich darauf bezieht, dass Verbindungen zwischen koaktiven Domänen etabliert und beide Bereiche als zusammengehörig erfahren werden. Wenn eine Mutter ihrem Kind auf dessen Bitte nach einem Spielzeug z. B. antwortet „ Oh, I see what you wanted “ , dann kann ein solcher Satz sowohl wörtlich interpretiert werden - die Mutter sieht das vom Kind begehrte Objekt - oder metaphorisch als Aussage über den eigenen Bewusstseinszustand - sie hat verstanden, was das Kind will. Die Domänen SEHEN und WISSEN werden simultan aktiviert, wobei diese Primärszene zwei Subszenen umfasst: zum einen den physischen Akt der Wahrnehmung, zum anderen den Bewusstseinswandel. Dies ist der entscheidende Schritt zur letzten Phase, in welcher sich der ursprüngliche Gebrauch des Wortes von seiner metaphorischen Verwendung abkoppelt. Zu lernen, das Wort metaphorisch zu gebrauchen, ist für Johnson daher eher eine Frage der Differenzierung zwischen kognitiver Form und perzeptueller Subszene als lediglich eine simple Erweiterung der Anwendungsbereiche für den Ausdruck: „ Primary scenes can then be regarded as providing the child with special opportunities to linguistically encode relatively abstract meanings, since in primary scenes, abstract subscenes share the simple temporal and causal properties of physical subscenes. “ (Grady & Johnson 2002, 549) Was zuvor noch als koaktiv wahrgenommen wurde, wird auf dieser Stufe nun in Ausgangs- und Zielbereich differenziert. Folgt man Johnson, so lässt sich auf diese Weise eine ganze Reihe von Fällen erklären, bei denen subjektive und sensomotorische Erfahrung zusammenspielen, was sich in Ausdrücken wie ein warmes Lächeln, ein großes Problem oder ein nahe stehender Freund offenbart. 21 21 Schon Winner, Rosenstiel & Gardner (1976) bemerken eine ontogenetisch verankerte Stufenfolge metaphorischen Verstehens und beschreiben Adjektive in Ausdrücken wie a hard man als doppel-funktional, da hier eine physisch-psychologische Metapher entsteht, die mit dem Stadium dessen vergleichbar wäre, was Johnson mit conflation meint. 57 In Anlehnung an Gradys Beispiele (1997 a; 1997 b) erläutern die Autoren die Verflechtung von Wahrnehmung und Empfindung bei den primären Metaphern, was in der nachfolgenden Tabelle anhand dreier Beispiel dargestellt wird (Lakoff & Johnson 1999, 49 - 54): PRIMARY METAPHORS AFFECTION IS WARMTH HAPPY IS UP DIFFICULTIES ARE BURDENS Subjective Judgement Affection Happiness Difficulty Sensorimotor Domain Temperature Bodily orientation Muscular exertion Example They greeted me warmly. I ’ m feeling up today. She ’ s weighed down by responsibilities. Primary Experience Feeling warm while being held affectionately as a baby Feeling happy and energetic and having an upright posture Discomfort effect of lifting or carrying heavy objects Abb. 2.4-1: Beispiele für primäre Metaphern nach Lakoff und Johnson (1999, 50) Lakoff (1996; Lakoff & Wehling 2009, 32 - 33) illustriert die Wirkungsweise solcher Korrelationen am Beispiel von Metaphern für Moral, die sich aus unserer Erfahrung des menschlichen Wohlergehens ergeben. So lernen wir als Kind z. B., dass es uns besser geht, wenn wir körperlich stark sind, woraus sich die Metapher der MORALISCHEN STÄRKE ergibt: Wir sprechen davon, schwach zu werden oder Stärke zu beweisen. Als Kind ist man besser dran, wenn man aufrecht stehen kann, als wenn man auf dem Boden krabbelt, was die konzeptuelle Metapher MORAL IST AUFRICHTIGKEIT motiviert, die sich in Ausdrücken wie „ Dazu lasse ich mich nicht herab “ oder „ Ich vertraue ihm, er ist ein aufrechter Mensch “ widerspiegelt. Gleichermaßen lassen sich die Konzepte MORAL IST GESUNDHEIT und UNMORAL IST KRANKHEIT erklären, was Redewendungen wie „ der hat eine gesunde Arbeitsauffassung “ oder „ Verbrechen können einem kranken Hirn entspringen “ bezeugen. Schließlich wurzelt die Metapher MORAL IST REINHEIT in der Erfahrung, dass es uns besser ergeht, wenn wir reinlich sind, und schlechter, wenn wir im Schmutz leben, was auf der Sprachebene Äußerungen wie „ Ich habe ein reines Gewissen “ , „ Er hat schmutzige Gedanken “ oder „ Ich wasche meine Hände in Unschuld “ hervorbringt. Bereits in dieser von Grady und Johnson vorgenommenen Zuspitzung der Konzeptuellen Metapherntheorie auf Fragestellungen den Entstehungszusammenhang und die ontogenetische Verankerung primärer Schlüssel- 58 metaphern betreffend kristallisiert sich eine Verengung des Untersuchungsgegenstands heraus. So erklärt z. B. die direkte Beziehung zu menschlichen Grunderfahrungen, die Grady scheinbar ausschließlich für poor mappings und mapping gaps verantwortlich macht, freilich noch nicht die Fülle an einzelnen Lexemen, die dann auf der Ebene der komplexen Metapher realisiert werden. Auch an diesem Punkt lässt sich fragen, ob hier nicht ein interaktionstheoretischer Ansatz vonnöten wäre, um zu klären, nach welchen pragmatischen und situativen Kriterien die jeweilige Selektion bestimmter Strukturen von Ausgangs- und Zieldomäne erfolgt. Denn die Zieldomäne als möglicher Filter bestimmter Projektionselemente und -relationen der Ausgangsdomäne fällt in Gradys und Johnsons Perspektive gar nicht ins Gewicht. Die Ergebnisse der beiden Studien werden von Lakoff und Johnson in Philosophy in the Flesh (1999, 45 - 73) übernommen, indem sie ein Kapitel den primary metaphors und ein weiteres den complex metaphors widmen: „ Primary metaphors are like atoms that can be put together to form molecules. A great many of these complex molecular metaphors are stable - conventionalized, entrenched, fixed for long periods of time “ , so ihr Fazit (Lakoff & Johnson 1999, 60). Die Konstitution komplexer metaphorischer Projektionen kommt dabei durch eine Koaktivierung der primären Metaphern zustande. Deswegen können komplexe Metaphern auch von einer Kultur zur nächsten variieren (Lakoff & Johnson 2003, 257). 22 In dem Nachwort zu ihrem Erstlingswerk gehen Lakoff und Johnson (1980/ 2003, 264) explizit diese Modifizierungen der frühen Typologie der Alltagsmetaphern ein, die sie nun als ‚ artifizielle Trennung ‘ bezeichnen, da sich sowohl strukturelle, als auch ontologische und orientierungsbezogene Aspekte letztlich in allen Metapherntypen finden ließen. Primary und complex metaphors ersetzen somit die alte Dreierklassifikation, wobei allerdings unklar bleibt, inwieweit dieses neue Schema mit der ebenfalls vertikal angelegten Unterscheidung zwischen generic-level und specific-level metaphors in Verbindung gebracht werden kann. Mit speziellem Blick auf uni- 22 In einer späteren Schrift räumt Lakoff auf der Basis neurologischer Forschungsergebnisse die Möglichkeit ein, dass Metaphern bereits von Grund auf von Mensch zu Mensch und Kultur zu Kultur variieren können: „ Denken ist universell, alle Menschen können gleich denken. Falsch! Menschen begreifen die Welt unterschiedlich, weil unsere Gehirne unterschiedlich geformt sind. “ (Lakoff & Wehling 2009, 14). Als Beispiel führt Lakoff die Metapher LIEBE IST EINE GEMEINSAME REISE an, die es nur in solchen Kulturen gebe, in denen Mann und Frau gleichberechtigt sind, denn sonst ist es allein der Ehemann, der die Ziele im gemeinsamen Leben festlegt, wobei die Frau ihm zu folgen hat (Lakoff & Wehling 2009, 27). Interessant ist, dass Lakoff an dieser Stelle die kulturellen Erfahrungen mit Unterschieden bei den Gehirnaktivitäten korreliert - und zwar so, dass Kultur der Hirnstruktur vorausgeht, was seinen bisherigen Ausführungen eigentlich entgegensteht. 59 verselle Gültigkeit und kulturspezifische Variation spricht Kövecses (2005, 68) z. B. von generic-level metaphors und congruent metaphors; Baranov und Zinken (2003) bevorzugen die Begriffsdichotomie ground und figure models. Baldauf (1997, 79 - 92) knüpft dagegen direkt an die Dreiertypologie von Lakoff und Johnson an, erweitert diese um eine Kategorie und stellt sie auf vertikale Motivierung um. Das Ergebnis ist eine Unterteilung, die sich an dem Kriterium der Fülle der jeweiligen Konzeptstruktur orientiert: 1. ‚ Attributionsmetaphern ‘ : Projektion von aus unmittelbarer, physischer Wahrnehmung hervorgegangenen, wertenden Eigenschaften auf Personen, Objekte oder Sachverhalte, um auf äußerst abstrakte Eigenschaften dieser Personen, Objekte oder Sachverhalte Bezug nehmen zu können, z. B. MANGEL AN EMOTIONEN IST KÄLTE (gefühlskalt) 2. ‚ Ontologische Metaphern ‘ : Abstrakte Bereiche werden als Objekt bzw. Substanz konzeptualisiert, z. B. ABSTRAKTA SIND DINGE (an einer Meinung festhalten) 3. ‚ Bildschematische Metaphern ‘ : Projektion gestalthafter, bildschematischer Strukturen auf abstrakte Bereiche, z. B. EMOTIONEN SIND BEHÄL- TER (in Panik geraten) 4. ‚ Konstellationsmetaphern ‘ : Projektion konkreter und reichhaltiger propositionaler Konstellationen auf abstrakte Bereiche, z. B. POLITIK IST KRIEG (Wahlkampf) Von der Zuschreibung wertender Eigenschaften bis hin zur Projektion komplexer Konstellationen auf einen Zielbereich tragen die Metaphern der vier Klassen in der gegebenen Reihenfolge in zunehmendem Maße Struktur, Komplexität, Information und Inhaltsfülle in einen Zielbereich hinein. Im Gegensatz zu der Polarisierung von primärer und komplexer Metapher haben wir es bei diesem Entwurf mit einer skalaren Klassifizierung zu tun, was dem tatsächlichen Sprachgebrauch eher gerecht wird. Eng verwoben mit dem wachsenden Interesse an Untersuchungen zu primären und komplexen Metaphern ist die Hinwendung zu neurologischen Fragestellungen und Resultaten der Hirnforschung, welche die Embodied-mind-These zu stützen vermögen: „ An embodied concept is a neural structure that is actually part of, or makes use of, the sensorimotor system of our brains. Much of conceptual inference is, therefore, sensorimotor inference. “ (Lakoff & Johnson 1999, 20). Bereits 1988, als Jerome Feldman als Direktor des International Computer Science Institute nach Berkeley gekommen war, gründete Lakoff die Forschungsgruppe NTL (Neural Theory of Language). Eine der wichtigsten Publikationen über die Arbeit der Gruppe stellt das Buch From Molecules to Metaphors (Feldman 2006) dar. Es geht davon aus, dass bei metaphorischen 60 Projektionen neuronale Kreisläufe aus verschiedenen Hirnarealen aktiviert werden, wobei das sensomotorische System mit den höheren Kortexarealen verknüpft wird. Damit steht die Gruppe in der Tradition eines spezifischen Zweigs des Konnektionismus, des so genannten structured connectionism. 23 Im Zusammenhang mit ihrer Hinwendung zu einer materiellen Lokalisierung des Prozessierens von Metaphern knüpfen Lakoff und Johnson an die Untersuchungen einer weiteren in Berkeley erschienenen Doktorarbeit an, jene von Srini Narayanan (1997; Lakoff & Johnson 1999, 41 - 42, 54 - 56; Lakoff & Johnson 2003; Dodge & Lakoff 2005; Lakoff 2008), der nachzeichnet, wie die Schemata von motorischen Abläufen samt ihren Inferenzstrukturen auf andere Konzeptbereiche übertragen werden. Nun fügen Lakoff und Johnson (1999, 54 - 55) hinzu, dass sich auf diese Weise gleichsam die Funktionsweise von primären Metaphern erklären lasse. Im Grunde gehe es dabei um eine Übertragung hirnphysiologischer Erkenntnisse auf die Metaphernforschung: Wenn wir geboren werden, verfügen wir noch über eine riesige Menge zufälliger neuronaler Verbindungen, von denen im Laufe der Zeit die Hälfte verloren geht, denn nur diejenigen Verbindungen, die wegen ihrer Kompatibilität mit unseren Erfahrungen im Gehirn immer wieder aktiviert werden, verstärken sich auch: Je häufiger eine Synapse genutzt wird, umso mehr chemische Rezeptoren für Neurotransmitter wandern zu dieser Synapse, und je stärker eine Synapse auf diese Weise wird, umso leichter können die entsprechenden Neuronen aktiviert werden. Werden nun zwei Bereiche des Gehirns gleichzeitig aktiv, z. B. die Bereiche für Vertikalität und Quantität, entsteht eine neuronale Verbindung zwischen ihnen (Lakoff & Wehling 2009, 18). Dementsprechend kommt die primäre Metapher MORE IS UP durch neuronal aktivierte Korrelationen zwischen einer sensomotorischen Operation - z. B. einem Vertikalitätswechsel - und einem subjektiven Erfahrungsurteil - z. B. ein Urteil über eine Quantitätsveränderung - zustande. Das, was Johnson (1999) conflation nennt, lässt sich von kognitionswissenschaftlicher Warte aus als simultane Aktivierung von zwei unterschiedlichen neuronalen Netzwerken beschreiben, wobei körperlich fundierte Inferenzen von dem sensomotorischen Ausgangsnetzwerk (Vertikalität) auf das Zielnetzwerk des subjektiven Urteils (Quantität) übertragen werden. Sobald es etwa zu einem Absinken im Quantitätsnetzwerk kommt, hat dies auch eine Bewegungssenkung im Vertikalitätsnetzwerk zur 23 Die Gruppe grenzt sich mit diesem Oberbegriff von dem herkömmlichen PDP- Konnektionismus (PDP = parallel distributed processing) ab, der annimmt, dass jede Berechnung über das gesamte Netzwerk verteilt parallel abläuft und es keine diskreten Lokalisierungen mehr gibt. Im Ansatz des structured connectionism dagegen werden neuronale Netze als zu Knoten gruppiert vorgestellt, wobei nun aber dasselbe Neuron Teil mehrerer solcher Knoten sein kann. Sobald ein Neuron feuert, wird jeder Knoten aktiviert, in dem es tätig ist (Lakoff 2008, 18). 61 Folge und umgekehrt. Gleiches passiert bei der primären Metapher AFFECTI- ON IS WARMTH : Da Affekt seit den ersten Lebensmonaten eines jeden Menschen gemeinsam mit Wärme erfahren wird, findet eine neuronale Aktivierung in zwei unterschiedlichen Arealen des Gehirns statt: in jenen, die für die Emotionen und in jenen, die für die Temperatur zuständig sind. Dadurch werden Verbindungen zwischen beiden Arealen aufgebaut: „ Neurons that fire together wire together “ (Lakoff 2008, 19). 24 Solche Verbindungen sind für das verantwortlich, was Lakoff unter enactment versteht: Wenn wir uns vorstellen, eine bestimmte Szene zu sehen, ist unser visueller Kortex aktiv; wenn wir uns vorstellen, unseren Körper zu bewegen, unser motorischer Kortex etc. Für diese mentalen Simulationen sind sog. mirror neurons (Lakoff 2008, 19) verantwortlich, die in der prämotorischen Großhirnrinde sitzen sowie in der Region, die unsere Wahrnehmungen betreffen. Sie feuern auch dann, wenn man selbst an der Handlung gar nicht aktiv beteiligt ist, sondern lediglich eine Aktivität des Gegenübers beobachtet. Der Unterschied liegt nur in der Intensität. 25 Lakoff (2008, 21 - 23) differenziert zwischen verschiedenen circuit types komplexer neuronaler Relationen, die er mit bestimmten Verfahren zur Wissensorganisation korreliert: mit Weltansichten, Gestaltszenarien, Metonymien, radialen Kategorien oder Blending-Prozessen u. a. Die Metapher wird im sog. mapping circuit realisiert, wobei die Aktivierung der Projektion zu einer Aktivierung aller weiteren damit verbundenen Kreisläufe führt. Damit wird die Metapher für Lakoff immer mehr zu einem neuronalen Phänomen (Lakoff & Johnson 2003, 257 - 259), und er glaubt darüber hinaus, in diesem wissenschaftlichen Fortschritt einer empirischen Fundierung der Theorie auch eine Möglichkeit gefunden zu haben, in Zukunft detaillierte Online-Prozesse beschreiben zu können: 24 Es handelt sich hier um eine Adaption der 1949 formulierten hebbschen Theorie, welche die Begründung des Konnektionismus einleitet. Donald Hebb stellt fest, dass Lernen auf Veränderungen im Gehirn beruht, die sich aus dem Grad der korrelierten Aktivität von Neuronen ergeben. Werden zwei Neuronen immer wieder gemeinsam aktiviert, wird die Verbindung zwischen ihnen gestärkt; andernfalls nimmt sie ab und wird schwächer. Die Konnektivität des Systems ist daher nicht von der Geschichte seiner Veränderungen zu trennen und daneben auch von der Art der Aufgabe abhängig, die dem System gestellt wird: „ The general idea is an old one, that any two cells or systems of cells that are repeatedly active at the same time will tend to become ‚ associated ‘ , so that activity in one facilitates activity in the other. “ (Hebb 1949, 70). Die Bezeichnung Konnektionismus wurde allerdings erst später durch Feldman und Ballard (1982) eingeführt. 25 Dieser Gedanke findet sich in dem ‚ Prinzip der Wahrnehmungsäquivalenz ‘ (Principle of Perceptual Equivalence), zu dem Finke (1989, 41) auf der Grundlage einer Sichtung von psycholinguistischen Untersuchungsergebnissen aus den siebziger und achtziger Jahren gelangt. Mit diesem Lehrsatz bezieht er sich auf die funktionale Äquivalenz von Vorstellung und Wahrnehmung im Hinblick darauf, dass in beiden Fällen im visuellen System ähnliche Mechanismen aktiviert werden. 62 „ Neural enactment pro-vides a mechanism for characterizing the dynamic use of metaphor in context and in discourse. “ (Lakoff & Johnson 2003, 259). Die immer wieder als zu deduktiv und zu spekulativ kritisierte Methodologie der Introspektion könnte durch diese Brücke zur Hirnforschung obsolet werden. Neben diesen Weiterentwicklungen im engeren Umfeld der Konzeptuellen Metapherntheorie sind fächerübergreifend so viele empirische Studien durchgeführt worden, dass die Kernthesen allein durch Vorführung ihrer interdisziplinären Anwendbarkeit einsichtig scheinen: Abseits der Arbeiten von Grady, Johnson und Narayanan zählen hierzu u. a. Studien im Rahmen der Psycholinguistik (Gibbs 1990; 1993; 1994; Gibbs & Colston 1995/ 2006; Boroditsky 2000), zum Spracherwerb (Johnson 1999; Tomasello 2003), zum Zweitspracherwerb und zur Fremdsprachendidaktik (Piquer-Piriz 2008; Littlemore 2008; Littlemore & Low 2006; Schröder 2006), Studien zur Gestik (McNeill 1992; Cienki 1998; Cienki & Müller 2008 a; 2008 b), Zeichensprache (Wilcox 2000; Taub 2001), Literatur (Lakoff & Turner 1989; Turner 1991; Turner 1996), Mathematik (Núñez 2008; Lakoff & Núñez 2000), Politik (Lakoff 1991; 2003; Chilton 1996), Werbung (Forceville 2008; Ungerer 2003), Wirtschaft (Koller 2004 a; Jäkel 1994; Eubanks 2000), Musik (Zbikowski 2008) Kunst (Kennedy 2008), Religion (Charteris-Black 2004), Pädagogik (Sardinha 2007; Gansen 2010; Marsch 2009; Cortazzi & Jin 1999; Niebert 2010; Gropengießer 2006) Psychoanalyse und Psychotherapie (McMullen 2008; Borbely 2008) und zu den Medien (Nerlich, Johnson & Clarke 2003), um nur eine kleine Auswahl zu geben. All diese Studien stammen nicht nur aus unterschiedlichsten Disziplinen, sondern bringen gleichsam eine große methodologische Vielfalt hervor und illustrieren die „ breite Anwendbarkeit der kognitiven Metapherntheorie als Hintergrundfolie der Analyse lebensweltlicher Deutungsmuster “ (Schmitt 2011, 25). Diese Entwicklungen scheinen der Konzeptuellen Metapherntheorie bei all ihren Schwachstellen eine solide Grundlage zu verschaffen, so dass die meisten Postulate schon alleine durch ihre empirische Nutzbarmachung an Plausibilität gewinnen. Dass demgegenüber die Defizite und Vagheiten der Theorie besonders stark unter kommunikationstheoretischem Blickwinkel hervortreten, zeigt die nachfolgende kritische Diskussion. 2.5 Kritische Diskussion Trotz der tiefen und Impuls gebenden Wirkung, welche die Konzeptuelle Metapherntheorie heute auf die Human-, Sozial- und sogar Naturwissenschaften ausübt, ist sie gleichzeitig dennoch immer wieder kritischen Einwänden unterzogen worden, von denen sich einige Problemstellungen 63 zuwenden, die für eine Diskussion aus kommunikationstheoretischem Blickwinkel fruchtbar gemacht werden können. Beginnen wir mit dem Innovationsanspruch, den die Autoren von ihrem Erstlingswerk bis heute unangefochten erheben und dabei versäumen, ihre Theorie in einen breiteren historischen Hintergrund einzubetten, um auf begriffliche Kontinuitäten hinzuweisen (Schmitz 1985, 356; Hülzer-Vogt 1987; Burkhardt 1987; Jäkel 1999; 2003; Nerlich & Clarke 2001; Schröder 2004 a; 2008 a; 2009 b; Linz 2004; Chamizo Dominguez & Nerlich 2010). 26 Hinzufügen ließe sich diesbezüglich, dass sich diese Nachlässigkeit auch formal widerspiegelt, denn die Autoren verzichten in ihrer Pionierschrift auf ein vollständiges Literaturverzeichnis. So wundert sich Lawler (1983, 205) darüber, dass die Autoren zwar einerseits sehr wohl versuchen, philosophische und linguistische Hintergründe in ihre Überlegungen einzubauen und sich wenigstens zu Einflüssen von Whorf, Sapir, Fillmore, Winograd, Wittgenstein, Malinowski, Lévi-Strauss und Rico bekennen; andererseits jedoch fehlen die entsprechenden Angaben zu diesen wichtigen Vordenkern in der Bibliographie, und auch ein Index wird ausgespart. Linz (2004, 254) spricht von einem „ Gestus der revolutionären Erneuerung, den die Kognitive Linguistik für sich in Anspruch nimmt “ , der jedoch schon alleine mit Blick auf die Antike zweifelhaft werde, da selbst einem so prototypischen Vertreter der rhetorischen Metaphernauffassung wie Quintilian bewusst gewesen sei, dass fast das gesamte Sprechen als figürlich verstanden werden müsse - von Aristoteles ganz zu schweigen. Neben einer Beschäftigung oder zumindest einem Hinweis auf die vergessenen Antizipationen der Konzeptuellen Metapherntheorie tauchen einige Probleme auf, die im Zusammenhang mit begrifflichen Unbestimmtheiten und Vagheiten sowie vorschnellen Schlussfolgerungen und Inkohärenzen zu sehen sind und somit theorieimmanente Grundpostulate zur Debatte stellen. Hätten sich die Autoren auf ihre Vorgänger besonnen, so wäre ihnen vielleicht nicht entgangen, dass einige dieser Wegbereiter eine Reihe von Fragestellungen in Bezug auf die Verbindung von Kognitionshypothese und Handlungskontext eleganter angegangen sind als Lakoff und Johnson, die sich an vielen Stellen damit begnügen, unliebsamen Fragen und Widersprüchen aus dem Weg zu gehen. So schieben sie die Problematisierung des Verhältnisses von Struktur- und Handlungsperspektive beiseite. Letztere scheinen die Autoren überhaupt nicht zur Kenntnis zu nehmen. Es gibt zwar Randbemerkungen zum performativen Charakter der Metaphern; wie diese jedoch in den Handlungskreislauf zwischen die Menschen gelangen und wie die Verzahnung von subjektivem und objektivem Sinn, den die Handelnden mit dem Gebrauch einer Metapher in Verbindung bringen, vonstatten geht, bleibt im Dunkeln. 26 Auf diese Kontinuitäten gehe ich im vierten Kapitel näher ein. 64 Mangelnde Konsistenz in der Begriffsbildung findet sich z. B. im Hinblick auf das Konzept der image schemas, denn die Autoren lassen diesbezüglich eine eindeutige Stellungnahme im Hinblick auf deren Status - angeboren oder ontogenetisch erworben, präkonzeptuell oder konzeptuell (Linz 2002, 100 - 101) - vermissen, wie bereits in Kapitel 2.3 kurz angesprochen wurde. Erkenntnistheoretisch problematisch erscheint daneben auch die behauptete „ built-in logic “ der Bildschemata (Lakoff 1989, 115). Gleiches gilt für den viel zu vagen Begriff der ICMs, was sogar Lakoff (1987, 284) selbst zugesteht, wenn er schreibt, er wolle zwar anhand von Beispielen ausführen, wie er sich kognitive Modelle vorstelle, aber keine ernsthaften Detaildefinitionen vornehmen. Eine ausführliche und vernichtende Auseinandersetzung mit den zu Recht als ‚ oberflächlich ‘ gebrandmarkten philosophischen Thesen von Lakoff und Johnson - ihrer Inkonsistenz, lapidaren Terminologie, der simplifizierten Darlegung philosophischer Positionen sowie ihres Eklektizismus ’ - nimmt Haser (2005) vor, derzufolge die Ausführungen der Autoren in wichtigen Momenten nicht nur fragmentarisch blieben; ihnen fehle gleichsam jegliche empirische Grundlage und Prüfung. Dies betrifft zuallererst die Embodiment-These und die darin zum Ausdruck kommende philosophische Position des Erfahrungsrealismus. An diesen Hinweis anschließend lässt sich konstatieren, dass infolge der sich mit den späteren Arbeiten noch weiter zuspitzenden Reduktion des Forschungsgegenstands auf einige wenige Bildschemata bzw. primäre Metaphern, welche die Aufmerksamkeit der Autoren ganz in Anspruch nehmen, überhaupt nicht mehr thematisiert wird, wie es zur Erschließung neuer Metaphern kommt - und seien es nur solche zumeist in der Poetik beheimateten image metaphors, die ja selbst die Autoren zugestehen. Wie werden neben einer Einordnung unter gegebene bildschematische und metaphorische Erfahrungskategorien Typiken, Erwartungen und Interpretationsschemata im Lichte der Erfahrung modifiziert? Auch der behauptete Ursprung der Bildschemata läuft Befunden einiger Entwicklungspsychologen zuwider, denen zufolge die Conflation-Theorie Johnsons in neurophysiologischen Studien keinerlei Bestätigung findet (Rakova 2002). Eng mit diesem eingeschränkten Blick auf primäre Metaphern verbunden ist einer der wesentlichsten theorieimmanenten Kritikpunkte, der ein zentrales Postulat der Ausführungen betrifft, das Jäkel (2003, 41) ‚ Unidirektionalitätsthese ‘ genannt hat und dessen Dilemma sich weiter oben bereits ankündigte. In der Annahme, metaphorische Projektionen verliefen stets vom Konkreten zum Abstrakten, von erfahrungsbasierten hin zu erfahrungsfernen Wissensdomänen, scheinen ein starker ‚ Physiozentrismus ‘ und ‚ Anthropozentrismus ‘ auf (Jäkel 2003, 58 - 59), der zu prüfen ist. Jäkel führt deshalb ein Experiment mit 39 Testpersonen durch, die zehn unbekannte und frei erfundene Metaphern nach dem Grad ihrer Verständ- 65 lichkeit ordnen sollen, wobei den Metaphern zum Teil konkrete und zum Teil abstrakte Ausgangsdomänen zugrunde liegen. Jäkels (2003, 63 - 84) Untersuchung bestätigt die These von Lakoff und Johnson weitgehend, da die Versuchspersonen in der Tat die größten Probleme gerade mit solchen Metaphern hatten, bei denen ein abstrakter Bereich als Ausgangsdomäne und ein konkreter als Zieldomäne fungierte. Dennoch weist Jäkel darauf hin, dass diese Beobachtung nicht verabsolutiert werden dürfe, und nennt Beispiele, die jeder versteht, obwohl die Übertragungsrichtung invers verläuft, wie etwa in der berühmten Aussage Friedrich Engels: „ In der Familie ist der Mann der Bürger und die Frau der Proletarier “ . Auch Alverson (1991) gibt eine ganze Reihe von Beispielen, bei denen die Projektionsrichtung von abstrakten Domänen zu konkreten führt, wobei viele der Metaphern der Wirtschaftsdomäne entstammen, z. B. „ I ’ m counting on him “ . Aufschlussreicher noch ist sein Einwand gegen die Rückführung aller Metaphern auf abstrakte Bildschemata. Alverson spricht hier bereits ein Thema an, das in aktuellen Diskussionen wieder Terrain gewinnt (Zinken & Musolff 2009), indem er illustriert, dass metaphorische Ausdrücke wie „ Let ’ s lay our cards on the table “ z. B. aus der Domäne des Pokerspiels stammen und keineswegs weiter zerlegbar sind, so dass ihr Ursprung nicht in abstrakten Bildschemata, sondern in Basiskategorien zu suchen sei. Er (Alverson 1991, 101 - 102) folgert daraus: „ To me the motivation and force of these metaphors and probably of most novel, compelling, apt ones found in powerful use of language are irreducibly cultural “ . Zweifelhaft wird die Unidirektionalitätsthese auch angesichts ihrer Ausklammerung des metaphorischen Prozesses, gründet sie doch auf einer tendenziell evolutionistischen Betrachtung unter Vernachlässigung der Frage, was passiert, sobald zwei Domänen in einem bestimmten Kommunikationskontext und im aktuellen Sprachgebrauch gekoppelt werden. Dass die Übertragungsrichtung im aktuellen Gebrauchskontext nicht einfach unidirektional verläuft, sondern es vielmehr zu einer Interaktion der beiden Domänen kommt, ist Kerngedanke der gesamten interaktionistischen Denkschule, deren aktuellste Vertreter mit der Blending-Theorie einen Entwurf vorgelegt haben, dem ich mich im nächsten Kapitel noch genauer zuwenden werde. An dieser Stelle sei zur Veranschaulichung der Unhaltbarkeit einer strikten Unidirektionalitätsthese auf ein Beispiel hingewiesen, das Debatin (1995, 173) gibt: Eine Journalistin löste durch die Verwendung der Metapher gaskammervolle Disko in einem Artikel in der TAZ aus dem Jahr 1988 eine Debatte aus, denn ihr wurde vorgeworfen, mit dieser Prädikation nicht nur eine Diskothek als grauenhaft beschrieben, sondern gleichermaßen implizit auch die Gaskammern verharmlost und ihre Opfer verhöhnt zu haben. Die Wirkung, so Debatin, sei zwar sicherlich nicht so stark, dass die Leser aus der ‚ gaskammervollen Disko ‘ eine ‚ diskomäßige Gaskammer ‘ kreierten, den- 66 noch bewegen sich die Assoziationen diffus und nicht stringent von einer zur anderen Domäne. Holland (1982) und Butters (1981) bezweifeln schon kurz nach Erscheinen des Erstlingswerks, dass Ausgangsdomänen wie KRIEG immer erfahrungsnäher seien als die Zieldomänen, in diesem Fall DISKUSSION , da alle Menschen aus eigener Erfahrung Diskussionen kennen würden, aber nur die wenigsten Krieg. Sie bezweifeln ebenso die Allgemeingültigkeit der Annahme, der Herkunftsbereich sei stets physischer Natur, und konstatieren in Bezug auf das Kriegsbeispiel einen hohen Grad an kulturellem Einfluss, der dieser Ausgangsdomäne zugrunde liege, da Krieg heutzutage mit der Form physischer Auseinandersetzung, wie sie auch im Tierreich zu finden ist, nur noch wenig gemeinsam habe. Indessen versteht Lakoff (1982) die Aussage über die Erfahrungsnähe der Ursprungsdomäne eher phylogenetisch im Hinblick auf den kulturell tradierten Wissensvorrat und nicht ontogenetisch. Er prägt in diesem Zusammenhang den Begriff der indirectly based metaphors als „ metaphors of the form A is B, where B is understood via cultural conventional metaphors rather than via direct experience “ (Lakoff 1982, 5) und substituiert später (Lakoff & Wehling 2009, 20) die Gleichung DISKUSSION IST KRIEG durch DISKUSSION IST PHYSISCHE AUSEINANDERSETZUNG - eine Modifikation, zu der auch die korpusbasierte Studie Seminos (2007) gelangt. Mit diesem von Lakoff gewählten Ausweg aus dem Dilemma eines rigorosen Erfahrungsrealismus gerät jedoch ein weiteres Element des Theoriegerüsts automatisch ins Wanken: die marginalisierte Bedeutung der sprachlich-kulturellen Bedingtheit von Metaphern. Das Eingeständnis, es handle sich nicht um direkte, sondern lediglich tradierte Erfahrungen des Kriegs, impliziert gleichzeitig, dass wir es mit Beschreibungen zu tun haben, die ihrerseits immer nur sprachlich kommunizierte Erfahrungen sein können (Rolf 2005, 241). Nun geht die Theorie doch gerade umgekehrt davon aus, dass die unmittelbare Erfahrung und physiologische Raumorientierung des Menschen die Wurzel unseres Weltverständnisses ausmachten. Jackendoff (2002, 356 - 357) zeigt anhand unterschiedlicher sprachlicher Beispiele die Diversität konzeptueller Projektionen auf, die sich in Abhängigkeit vom jeweiligen Satzkontext hinter einem Ausdruck verbergen: In dem Satz „ The messenger went from Paris to Istanbul “ geht es um eine Ortsveränderung, in dem Satz „ The inheritance finally went to Fred “ um einen Besitzerwechsel, während „ The light went from green to red “ auf eine Eigenschaftsveränderung hindeutet, was Jackendoff nun allerdings anders interpretiert, als Lakoff und Johnson es tun: „ cognitive linguistics tends to view cross-field parallelisms as derivational, while I view them as parallel instantiations of a more abstract schema “ (Jackendoff 1996, 116). Letztlich bleibt aber auch Jackendoff in dieser Frage spekulativ, denn sein Vorschlag verfährt ebenso deduktiv wie jener von Lakoff und Johnson, geht er doch von übergeordneten konzeptuellen Abstraktionen aus und lässt empirische 67 Befunde aus Anthropologie und Anthropologischer Linguistik (Holland & Quinn 1987; Fernandez 1991 a; Palmer 1996; Shore 1996; Foley 1997) sowie aus dem Bereich der Spracherwerbsforschung (Johnson 1999; Tomasello 2003), die auf eine Körperfundierung unserer abstrakten Konzepte hindeuten, völlig außer Acht. Zweifelhaft bleibt auch die teilweise willkürlich anmutende Verbindung, die Lakoff und Johnson zwischen den Instanzen der Sprachoberfläche und der zugrunde liegenden konzeptuellen Metapher herstellen. Steen (2007, 135) fragt z. B. danach, welches die Kriterien dafür seien, um zu entscheiden, ob Ausdrücke wie „ I have to budget my time “ oder „ I spent too much time on that “ auf der konzeptuellen Metapher TIME IS MONEY oder TIME IS A VALUABLE RESOURCE beruhen. Ähnliche Fragen mit Blick auf die multiple Zuordbarkeit von sprachlichen Ausdrücken zu konzeptuellen Metaphern werden auch von anderen Repräsentanten der Metaphernforschung gestellt (Hülzer-Vogt 1987, 246; Semino, Heywood & Short 2004; Haser 2005, 179 - 180). Vervaeke und Kennedy (1996) stellen die These in Frage, unterschiedliche metaphorische Ausdrücke ließen sich stets auf eine bestimmte implizite Metapher zurückführen, die ihrerseits unser Denken steuert. Zunächst zeigen sie auf, dass bestimmte Ausdrücke idiomatisch und unflexibel sind. Aus Redewendungen wie come into money oder fall into debt die Existenz einer konzeptuellen Metapher wie MONEY IS A PLACE zu folgern, laufe der Tatsache zuwider, dass sich solche Ausdrücke kaum mit anderen Wörtern der gleichen Ursprungsdomäne variieren lassen. Die Theorie der impliziten Metapher sei zwar nicht falsifizierbar, wodurch sie zirkulär wird; dennoch halten Vervaeke und Kennedy eine andere Erklärung für plausibler und illustrieren diese anhand der Substituierbarkeit eines metaphorischen Ausdrucks durch andere Ausdrücke der Zieldomäne im Gegensatz zu solchen der Ausgangsdomäne. Ein Wort wie attack z. B. kann anstelle der Ausdrücke assault und criticize gebraucht werden; assault und criticize jedoch sind nicht austauschbar, so dass attack anscheinend zwei unterschiedliche Bedeutungen annehmen kann und folglich nicht mehr als metaphorisch zu bezeichnen wäre. Vielmehr hat der Ausdruck eine von der Kriegsdomäne nun unabhängige abstrakte Bedeutung erlangt. Auch die Abgrenzung zur Metonymie bleibt zum Teil unscharf. So eröffnen Lakoff und Johnson ihr Kapitel über die Metapher THINKING IS PERCEIVING mit dem Satz „ We get most of our knowledge through vision “ (Lakoff & Johnson 1999, 238). Steen (2007, 219) fragt nun, warum die Autoren sich nicht dafür entschieden hätten, das Konzept als ein metonymisches zu beschreiben, bei dem die Domäne des Wahrnehmens den Aspekt des Denkens im Rahmen eines Szenarios des Wissenserwerbs hervorhebt. Mit einem Aufsatz des Psycholinguisten Gregory Murphy (1996) wird eine Diskussion in Gang gesetzt, die sich entlang des Dualismus von strong view und weak view etabliert: Die starke Version der Konzeptuellen Meta- 68 pherntheorie besagt demnach, dass wir ohne die Zuhilfenahme einer konkreten erfahrungsbasierten Domäne über abstrakte oder emotionale Zieldomänen gar nicht reflektieren und sprechen könnten. Metaphern werden in dieser Sicht zu „ vehicles of thought “ (Murphy 1996, 178), wie es ja im Rahmen der Invarianz-Hypothese proklamiert wird, obwohl Lakoff andererseits davon spricht, dass die möglichen Projektionen durch die Struktur der Zieldomäne restringiert werden; Murphy sieht darin berechtigterweise einen Widerspruch, worauf ja an entsprechender Stelle bereits kurz hingewiesen wurde. Demgegenüber gesteht die schwache Version der Zieldomäne eine eigene Grundstruktur zu. Metaphern beeinflussen demnach zwar unsere Zieldomänen, determinieren sie jedoch nicht (Quinn 1991). Für eine solche schwache Version plädiert Gibbs (1999a), der einerseits an die Konzeptuelle Metapherntheorie anschließt, andererseits aber auch eine Reihe von Modifikationen vornimmt und bemüht ist, die zum Teil sehr saloppe Terminologie von Lakoff und Johnson zu präzisieren. So schlägt er u. a. vor, die bis dato in der Theorie herausgearbeiteten so genannten konzeptuellen Metaphern als überindividuelle Metaphern zu betrachten, d. h. als kognitive Metaphern eines idealisierten Sprechers. Gegenüber der eher repräsentationalistischen Position von Lakoff und Johnson geht seine Position eher in eine interaktionistische Richtung. Er verabschiedet sich explizit von der Sicht auf den Verstehensprozess als schlichte Aktivierung von im Hirn abgelegten konzeptuellen Metaphern, da ihm dieses Modell zu statisch ist, um die Komplexität aktueller Kommunikation adäquat erfassen zu können: „ Metaphoric thought might motivate individual speakers ’ use and understanding of why various words and expressions mean what they do, but does not play any role in people ’ s ordinary on-line production or comprehension of everyday language. “ (Gibbs 1999 a, 42). Ohne es deutlich herauszustellen, bewegt sich Gibbs mit diesem Zitat an der Schnittstelle von kommunikativem und extrakommunikativem Umgang der Menschen mit ihren eigenen Kommunikationserzeugnissen. Damit berühren wir bereits zentrale Thesen der Theorie, die in kommunikationswissenschaftlicher Optik einer grundlagentheoretischen Reflexion bedürfen. Deshalb ist es sinnvoll, an dieser Stelle eine zweite Linie von Kritikpunkten zu eröffnen, die über theorieimmanente Vagheiten hinausgehen und besondere Relevanz für die vorliegende Untersuchung haben. Feilke (1994) nimmt in seiner Beschäftigung mit der Kognitiven Linguistik eine solche kommunikationstheoretische Haltung ein, wenn er kritisiert, dass „ die Grenze zwischen den kognitiv-konzeptuellen Motivierungsverhältnissen einerseits und der konventionellen Formierung der Kompetenz und des semantischen Wissens durch das Sprechen andererseits nicht ausreichend 69 berücksichtigt wird. Die Tatsache einer emergenten Strukturbildung durch Kommunikation kommt nicht zu ihrem Recht. “ (Feilke 1994, 41) Er bezieht sich damit insbesondere auf das ihm zu motivierungslastig interpretierte Ausdruckswissen, da hierbei Bilder herauspräpariert würden, wo der Gebrauch sie längst vergessen habe. In der Tat ist die Frage nach den soziokulturellen, kontextuellen und funktional-kommunikativen Faktoren wohl die entscheidende Crux, die von Lakoff und Johnson kaum berührt wird und die vielen Wissenschaftlern gerade aus dem Bereich der Diskursanalyse (Cameron 2007; 2008 a; 2008 b; Steen 2004) und der kulturvergleichenden Metaphernforschung (Kövecses 2005; 2003; Baranov & Zinken 2003; Zinken 2004; Tomasello 1999; Fernandez 1991a; Kimmel 2005; Schröder 2008 b; 2008 c) angesichts der durch Lakoff und Johnson vorgenommenen Priorisierung der allzu idealisierten konzeptuellen Metaphern zu kurz kommt. Denn wirft man einen Blick auf die von den Autoren konstatierte monodirektionale Kette von der sensomotorischen Erfahrung über Bildschemata und abstrakte Konzepte hin zu den sprachlichen Ausdrücken, so bleibt weitgehend unklar, wie letztlich die Diskontinuitäten zwischen den Menschen und Kommunikationsgemeinschaften zu erklären seien (Alverson 1991, 111; Zinken 2004, 131). Einige Stimmen (Fernandez 1991 b, 9; Deignan & Potter 2004, 1232) weisen etwa darauf hin, dass die Beispiele von Lakoff und Johnson ausschließlich der englischen Sprache entstammen, obwohl die Autoren doch andererseits universalistische Ansprüche erheben. Zehn Jahre nach der Schlüsselpublikation melden sich die Anthropologen zu Wort, und Fernandez (1991 b, 2) spricht in seiner Einführung zu der Aufsatzsammlung anthropologischer Studien zur Metapher davon, dass die Anthropologie im Gegensatz zu der kognitiven Metaphernforschung eine andere Gewichtung vornehme, bei der „ the pragmatic and coincidental work of figures of thought within social structures and cultural worldviews is the primary referent of theoretical understanding “ . Fragwürdig erscheint in diesem Zusammenhang einmal mehr die Annahme, es ließen sich Bildschemata ausmachen, die auf der Basis so genannter ‚ direkter ‘ Erfahrungen gewonnen wurden, denn bereits räumliche Strukturen werden in anthropologischer Sicht als Ergebnis einer Synthese von physischer und kultureller Erfahrung (MacCormac 1985, 66; Danesi 1990) betrachtet. Der von Lakoff und Johnson erhobene ahistorische und überkulturelle Universalitätsanspruch könne daher nicht konsistent eingelöst werden: „ Konzeptuelle Metaphern aus den Bereichen Bewegung, Handlung, Leben, Interaktion etc. erstarren zu ahistorischen Universalien, obwohl doch gerade bei ihnen zu untersuchen wäre, inwieweit sie selbst Teil historisch gewachsener Diskurse und kulturell tradierter Bildfelder sind. “ (Debatin 1995, 247). 70 Hier zeigt sich trotz der gelegentlichen Hinweise in den früheren Arbeiten eine völlig unzureichende Berücksichtigung des soziokulturellen Kontextes zur Durchbrechung des unidirektionalen Erklärungsansatzes, wobei weder der Handlungsaspekt von Kultur noch Faktoren kultureller Relativität abseits jener in strukturellem Denken verhafteten Hinweise Eingang in die Diskussion finden. Ebenso zweifelhaft erscheint die Posteriorisierung der Sprache selbst; schließlich lassen sich Kognition und Sprache nicht als Sequenz auffassen, sondern interagieren in bidirektionaler Weise miteinander, so dass beim Metapherngebrauch gar nicht strikt entschieden werden kann, welcher Aspekt sprachlich und welcher kognitiv sei (Leezenberg 2001, 145). An dieser Stelle mündet die augenscheinlich radikale Version von Lakoff und Johnson in eine Reihe von Aporien, wie es sich u. a. in dem recht widersprüchlichen Begriff der ‚ konventionellen Metapher ‘ zeigt. Denn der mit dem Begriff der Konventionalität intendierte Verweis auf die Kulturabhängigkeit konzeptueller Metaphern wirft das Problem auf, wie Konventionalität überhaupt erzeugt werden kann, wenn der sprachliche Bezeichnungsprozess explizit als sekundär eingestuft wird. Es stellt sich die Frage, ob die vorbegriffliche Struktur, von der Lakoff und Johnson behaupten, sie sei direkt bedeutungsvoll, dies ohne einen kulturell bestimmten Hintergrund und dessen sprachlicher Vermittlung überhaupt vollbringen kann. So erscheint es doch äußerst problematisch, Basiskategorien wie ‚ Junge ‘ , ‚ Mutter ‘ oder ‚ Tisch ‘ als ihren sprachlichen Ausdrücken vollständig vorausgehend zu denken: „ These notions do not emerge from merely physical experience, but require an intermediate level of socially organized and therefore linguistically communicated experience. In short, image schemas and basic-level categories are centrally cultureand language-dependent, and therefore cannot be entirely preconceptual or biologically determined. “ (Leezenberg 2001, 144) Wir haben es hier offenbar mit einem Paradoxon zu tun, denn obgleich Lakoff und Johnson mit dem Schlagwort experientalism gegen das generative Programm die Handlungsbasiertheit und kulturelle Bedingtheit von Konzepten ins Feld führen, wird die sprachliche Performanz letztlich so weit marginalisiert, dass unter Ausblendung der kommunikativen Funktion von Sprache das aporetische Konzept einer nicht-diskursiven Konventionalität im Raume steht (Linz 2004, 256 - 257). Sprachliche Zeichen werden dabei nur noch auf Signifikanten als Ausdrucksmittel zur Bezeichnung sprachunabhängig gewonnener Konzepte reduziert, was Lakoff und Turner (1989, 109) ja auch explizit veranschlagen: „ Words are sound sequences that conventionally express concepts “ . Die These vorsprachlich konstituierter konzeptueller Inhalte ist es, welche die Autoren in erkenntistheoretischer Hinsicht dazu zwingt, die Ausbildung konzeptueller Strukturen als kommunikati- 71 onsunabhängigen Prozess autonomer Subjekte zu erklären. Die Vernachlässigung und Entmachtung der sprachlichen Seite von Metaphern führt aber nicht nur bei der Frage nach der Entstehung von konzeptuellen Metaphern in Erklärungsnot, sondern lässt ebenso wichtige funktionale Aspekte und damit die kommunikative Seite der Metapher in ihrem Gebrauchskontext unberücksichtigt: „ One paradoxical effect of the cognitive turn in metaphor studies has been the neglect of the linguistic analysis of metaphorical language. Many metaphor scholars have concentrated on fleshing out the presumed conceptual connections between related metaphorical expressions, but they have not really turned back to examine how and why which conceptual metaphors are expressed in the way they are in which contexts of language use. “ (Steen 2002, 386) Obwohl Lakoff und Johnson doch von der holistischen Position ausgehen, dass unser Denken, unsere Motorik, unsere Emotionen und unsere Sprache durch das gleiche Organisationsprinzip - gestalthafte image schemas - aufgebaut sind, bleibt die Theorie damit letztlich der rationalistischen Grenzziehung zwischen Kognition und Sprache verhaftet (Kohl 2007, 123). Radikal formuliert diese Einsicht die Sprachwissenschaftlerin Erika Linz (2004, 257), wenn sie der Konzeptuellen Metapherntheorie vorwirft, sie beruhe auf einer „ sprachfreien konzeptuellen Figur “ . In einer grundlegenden Abrechnung (Linz 2002, 140 - 152) mit der Kognitiven Linguistik im Rahmen ihres eigens erhobenen Anspruchs, dem modularen Zugang eine räumlich-figurative Linguistik entgegenzuhalten, die in körper- und kulturfundierten Interaktionen wurzle, kommt sie zu dem Schluss, dass die Vertreter der Kognitiven Linguistik Sprache in ihrer Funktion als zentrales Interaktionsmedium gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen: „ Trotz der grundlegenden Kritik an der formal-computationalen und syntaxzentrierten Sprachmodellierung bleiben die Kognitiven Linguisten mehrheitlich aber der generativen Bestimmung des linguistischen Forschungsgegenstandes treu und betrachten die Sprache ganz analog zum generativen Begriff der sogenannten ‚ I-Sprache ‘ nur aus dem Blickwinkel einer individuellen Sprachkenntnis im Sinne eines internalisierten kognitiven Systems [. . .] Verbunden mit diesem reduzierten Sprachbegriff ist zum einen die Fortschreibung einer strukturorientierten Forschungsperspektive sowie zum zweiten das weitgehende Festhalten an der Chomskyschen Kompetenz-Performanz- Dichotomie. Die kognitive Ausrichtung scheint auch bei den Kognitiven Linguisten immer noch gleichbedeutend mit dem Ausschluß der kommunikativen Funktion aus der Sprachbetrachtung zu sein. “ (Linz 2004, 255) Damit stehen wir einer letztlich statischen Sprachbeschreibung und einem idealisierten Sprecher gegenüber, denn die Frage nach Sprache als Prozess wird aus dem Untersuchungsgegenstand ausgeklammert. Zwar wenden 72 sich die Kernthesen der Kognitiven Semantik gegen eine abbildtheoretische bzw. referenztheoretische Bedeutungsdefinition und wollen diese durch die Einsicht in die subjektabhängige Konstruktivität von Bedeutung ersetzen; dennoch bleiben sie in einem kognitivistischen Repräsentationalismus gefangen, bei dem die Bedeutung des Zeichens mit dem Konzept gleichgesetzt wird, das durch das Zeichen symbolisiert wird. Während die abbildtheoretische Deutung der Beziehung zwischen Konzept und Objekt eine erkenntniskritische Wendung erfährt, lebt die repräsentationale Bestimmung der Beziehung zwischen Sprachzeichen und Konzept fort. Indem der Sprache eine rein abbildende Funktion zugesprochen wird, erschöpft sich ihre Bestimmung wie bei Chomsky in der Spiegelung kognitiver Strukturen. Sprache schrumpft damit zu einem Epiphänomen: „ Betrachtet man den Forschungsansatz von Lakoff, so zeigt sich [. . .], daß nicht nur die kognitive Funktion von Sprache marginalisiert wird, sondern auch ihre kommunikative Funktion einer weitgehenden Eliminierung anheimfällt. Dies erstaunt umso mehr, als die Vertreter der ‚ Cognitive Linguistics ‘ in Abgrenzung zum kognitivistischen Paradigma gerade die Erfahrungsabhängigkeit und kulturelle Bedingtheit der Kognition hervorheben. Die Konstruktion von Bedeutung wird zwar als interaktiver Prozeß ausgewiesen, aber dennoch nicht unter der Perspektive eines kommunikativen Vorgangs betrachtet. Die für Kategorisierung und Sinnerzeugung als so zentral erachteten Erfahrungskontexte beschränken sich etwa bei Lakoff und Johnson auf monologische Interaktionen der Subjekte mit ihrer Umwelt, ohne daß dialogische oder kommunikative Aspekte mit in den Blick genommen würden. “ (Linz 2002, 152) In diese Richtung geht auch die Forderung Gibbs ’ , die programmatisch in dem Titel seines 1999 erschienenen Aufsatzes zum Ausdruck kommt: Taking metaphor out of our heads and putting it into the cultural world (Gibbs 1999 a; vgl. auch Gibbs 2005; Kimmel 2005). Gleichzeitig ist dieser Appell methodologisch zu verstehen: Gibbs plädiert für eine Verabschiedung von introspektiven Methoden, die von einem idealisierten Sprecher/ Hörer-Sprachwissen ausgehen (Gibbs 2007, 41). Stern (2000) bemerkt zur Kontextausblendung bei Lakoff und Johnson, wie problematisch es sei, dass die Autoren ausschließlich die Domänen selbst für Beschränkungen bei der Auswahl der partiellen Projektionen verantwortlich machten und dabei vergäßen, den Äußerungs- Diskurs-, und Kulturkontext miteinzubeziehen. Sinha und Jensen de López (2000) vergleichen Lakoff und Johnson hinsichtlich der Ausblendung der Standortabhängigkeit mit Piaget, der im Gegensatz zu seinem russischen Kollegen Vygotsky gleichfalls in einem epistemischen Individualismus gefangen blieb, bei dem der soziokulturelle und kommunikative Kontext kognitiver Entwicklung weitgehend vernach- 73 lässigt wurde. Die Embodiment-These leide somit an denselben Defiziten, da sie lediglich mit der Hälfte des cartesianischen Paradigmas ins Gericht gehe. Zwar gelinge es ihr, den Körper-Geist-Dualismus zu überwinden; die Gegensätzlichkeit zwischen Individuum und Gesellschaft jedoch lasse sie intakt, worin die Autoren die Gefahr eines „ neural solipsism “ (Sinha & Jensen de López 2000, 20) erkennen. Dies beklagt auch Hülzer-Vogt (1991, 46), die sich über die mangelnde Differenzierung zwischen dem, was der Allgemeinheit zueignet, und dem, was der Einzelne im Rahmen seines nicht zu unterschätzenden Handlungsspielraums tatsächlich daraus macht, wundert. Sinnerzeugung, so der Vorwurf, werde in der Konzeptuellen Metapherntheorie auf einen sprachunabhängigen und monologischen Prozess reduziert, bei dem sich Sinnwelten für das Individuum zwar in Interaktion mit seiner Umwelt konstituieren; doch bleibt das Subjekt dabei erkenntnisautonom, so dass sprachliche Verständigungshandlungen auf den Prozess der Erkenntnisbildung keinerlei Einfluss nehmen. Besinnen wir uns an dieser Stelle auf unsere kommunikationstheoretischen Überlegungen aus dem ersten Kapitel, so wäre ergänzend zu den Ausführungen von Hülzer-Vogt danach zu fragen, inwieweit Handlungsbeeinflussungen in Form von Verbalsuggestionen via Metapher gleichermaßen konstitutiven Charakter sowohl bei der Erzeugung gemeinsam geteilter Symbolwelten im Sinne von Schütz und Luckmann als auch bei der Ausformung und steten Erneuerung der individuellen Welttheorie nach Ungeheuer haben. Ein stärker gebrauchs- und diskursorientierter Zugang ist insbesondere von der Diskursanalyse angeregt worden. Zwei kritische Einwände gegenüber der Konzeptuellen Metapherntheorie haben diese Position in den vergangenen Jahren besonders gestärkt: (a) der Befund, dass sich die Metaphern, die tatsächlich im Sprachgebrauch auffindbar sind, von den idealisierten konzeptuellen Metaphern gravierend unterscheiden (Cienki 2005; Semino, Heywood & Short 2004; Semino 2005; Deignan 2005; Pickering & Garrod 2004; Cameron 2007; 2008 a; 2008 b); (b) die Entdeckung, dass Kommunikationsteilnehmer lediglich bestimmte Aspekte einer Ausgangsdomäne nutzen (Musolff 2004; Cameron 2008 a). Hier wäre festzustellen, welche Aspekte das sind und wie sie von wem in welcher konkreten Kommunikationssituation verwendet werden. Weitere Überlegungen ließen sich anfügen: Aus kommunikationstheoretischer Sicht muss danach gefragt werden, ob sich in der authentischen Kommunikationssituation tatsächlich klar voneinander trennbare Domänen unterscheiden lassen, oder ob der deduktive Ansatz von Lakoff und Johnson mit seiner idealisierten und dem Kontext enthobenen Makroperspektive die Multidimensionalität der Kommunikationssituation ausblendet, in der jedoch mixed metaphors und blended scenarios nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind. 74 Durch den eingeschlagenen Pfad der Autoren, für welche die kognitivepistemologische Funktion der Metapher im Zentrum des Interesses steht, wird zudem eine ganze Reihe von Kommunikationsfunktionen nicht hinreichend berücksichtigt und differenziert, etwa die informative, expressive, appellative, metasprachliche, heuristische, ästhetische, phatische, katachretische, illustrative, argumentative und sozial-regulative Funktion. Die primäre Fokussierung auf den epistemologischen Aspekt suggeriert ein Individuum, das sich die Welt im Alleingang erschließt. Auch die Verstehensschwierigkeiten, die in Kommunikationen alltäglich sind, werden vor dem Hintergrund der vorrangigen Beschäftigung mit etablierten und unbewussten Metaphern, die auf Knopfdruck aktiviert werden, vollständig getilgt. Generell ist die Frage nach der Grenze zwischen der unbewussten nahezu mechanisch ablaufenden Aktivierung der in unsere Hirnareale eingeschriebenen Metaphern einerseits und ihrem Potenzial als „ Psychagogie “ : als das Lenken der Seele unseres Gegenübers (Ungeheuer 1983 a/ 2010, 73) sowie ihrer bewussten, kreativen Weiterentwicklung andererseits unzureichend geklärt. Ein letzter Kritikpunkt, der besonders in Anbetracht der Einforderung Ungeheuers und Schmitz ’ nach einer klaren Kennzeichnung des Forscherstandpunktes relevant ist, bezieht sich auf methodologische Probleme, die sich aus dem Vorgehen der Vertreter der Kognitiven Semantik ergeben. In der Methodik von Lakoff und Johnson, die an keiner Stelle expliziert, geschweige denn problematisiert wird, spiegelt sich eine naive extrakommunikative Behandlung des Untersuchungsgegenstands wider, die jeden geschulten Sprach- und Kommunikationswissenschaftler argwöhnisch stimmen sollte. Jäkel (2003, 23) spricht in Bezug auf das methodische Vorgehen der Konzeptuellen Metapherntheorie zwar von einer „ Rekonstruktion der konzeptuellen Metaphern aus dem empirisch erfaßbaren Sprachmaterial. “ Das ist freilich nicht ganz richtig, denn die Beispiele der Sprachoberfläche, die dazu dienen sollen, die konzeptuellen Metaphern auf kognitiver Ebene aufzudecken, sind introspektiv erzeugt, was inzwischen vor allem von korpuslinguistischer Seite scharf kritisiert wird (Charteris- Black 2004; Deignan 2005; Deignan 2008; Stefanowitsch & Gries 2007; Sardinha 2007). Die korpuslinguistischen Metaphernstudien arbeiten demgegenüber mit Ansammlungen riesiger Korpora sowie spezifischer Software und haben den Vorteil, dass im Gegensatz zum willkürlichen Vorgehen beim Unterstreichen von sprachlichen Metaphern durch einen Forscher oder ein Forscherteam kein Token übersehen wird (Sinclair 2004, 40). Das neue Verfahren konnte bereits eine ganze Reihe der spekulativen Untersuchungen der ersten Generation modifizieren: Sardinha (2007, 139 - 140) etwa nimmt eine Prüfung der Hypothesen am authentischen Sprachkorpus des Internets vor und sucht nach einigen Sätzen, die Lakoff und Johnson zur Illustration bestimmter konzeptueller 75 Metaphern ausgewählt haben. Das Ergebnis ist aufschlussreich: Der Satz „ It ’ s hard to get that idea across to him “ z. B. erscheint nur 14 Mal im Internet, wobei alle 14 Tokens Reproduktionen des Beispiels darstellen. „ Your reasons come through to us “ findet sich 26 Mal im Internet, ebenfalls ausschließlich in Abhandlungen zur Konzeptuellen Metapherntheorie und „ Your claims are indefensible “ taucht 220 Mal auf, wovon 207 (94 %) der Tokens Kopien des Originalbeispiels repräsentieren. Alice Deignan (1995) hat das Problem schon früh erkannt und in ihr Wörterbuch zur Metapher im Gegensatz zu Lakoff und Johnson ausschließlich korpusbasierte authentische Sprachbeispiele aufgenommen. Ihre Pionierarbeiten auf der Basis der des Korpus Bank of English (Deignan 1999 a; 1999 b; 2005) zeigen, dass die entsprechenden Sprachmuster im tatsächlichen Sprachgebrauch einerseits viel dynamischer und andererseits spezialisierter sind. Nimmt man z. B. die von der Konzeptuellen Metapherntheorie konstatierte konzeptuelle Metapher COMPLEX ABSTRACT SYSTEMS ARE PLANTS , so zeigt sich anhand einer korpusbasierten Überprüfung, dass bestimmte Ausdrücke nur für bestimmte Subdomänen verwendet werden: Unternehmen etwa können zwar gedeihen aber nicht verwelken (Deignan 2005, 176). Ein Wort wie rock wird im Singular metaphorisch anders gebraucht als im Plural. Ist es im Singular meistens positiv konnotiert wie in dem Beispiel „ the rock on which our society is built “ , erlangt es im Plural eine eher negative Konnotation und wird oft im Zusammenhang mit der JOURNEY Metapher verwendet wie in dem Satz „ The marriage has been on the rocks for a while “ (Deignan 2005, 157 - 159). Gleiches gilt für flame, das im Singular typischerweise zur Konstruktion positiv bewerteter Zieldomänen verwendet wird, während die Pluralform flames negativ konnotiert ist und in ganz anderen metaphorischen Kontexten auftaucht. Deignan (2007) führt diese konträre Bewertung darauf zurück, dass eine einzelne Flamme in unserer Kultur mit Feierlichkeiten zu tun hat, etwa dem Olympischen Feuer, wogegen Flammen erfahrungsgemäß mit unkontrollierbaren und bedrohlichen Feuerausbrüchen in Zusammenhang stehen. Semino (2008, 191 - 196) zeigt anhand einer korpusbasierten Untersuchung mit 139 unterschiedlichen Konkordanzen für das Wort rich, dass die kontextuellen Bedeutungen sich vornehmlich auf die Fülle, Mannigfaltigkeit oder Intensität beziehen, so dass die Schlussfolgerung der Konzeptuellen Metapherntheorie, Aussagen wie „ He has a rich life “ könnten als Beleg für die dahinter liegende konzeptuelle Metapher A PURPOSEFUL LIFE IS A BUSINESS dienen, fragwürdig erscheint. Auch die Kollokation rich life ist im Britischen Englisch im Rahmen des tatsächlichen Sprachgebrauchs selten. Meist beginnen korpuslinguistische Untersuchungen mit einer Auflistung der Konkordanzen in ihrem Kotext. Deshalb eignen sie sich besonders für semasiologische Studien, im Hinblick auf die Metaphernforschung also für solche, die nach semantischen Domänen fragen, von denen bereits 76 bekannt ist, dass sie eine ausschlaggebende Rolle bei der Strukturierung bestimmter Zieldomänen spielen (Deignan 1999 a; 1999 b; Hanks 2004). Schwieriger wird es schon bei onomasiologischen Untersuchungen, die von der Zieldomäne ausgehend danach fragen, mit welchen Metaphern über diese Zieldomäne gesprochen bzw. geschrieben wird. Darum werden korpuslinguistische Methoden auch häufig komplementär verwendet, so dass zunächst ein kleines Korpus manuell ausgewertet wird, um überhaupt erst einmal zu einem Set der für eine bestimmte Zieldomäne relevanten metaphorischen Ausdrücke zu gelangen, die daher auch metaphor keys genannt werden (Charteris-Black 2004). Erst in einem zweiten Schritt wird dann gezielt nach den Kookkurrenzen der Schlüssellexeme gesucht. Ungeachtet der Tatsache, dass korpuslinguistische Untersuchungen in diesem Sinne ein hilfreiches komplementäres Werkzeug zur empirischen und quantitativen Untermauerung von bis dato nur auf qualitativem Wege erreichten Ergebnissen sein können, greifen sie grundsätzlich im Rahmen von kommunikationstheoretischen Fragestellungen viel zu kurz, da weder Kommunikationskontext, Kommunikationsteilnehmer, Kommunikationsgenre, kommunikative Funktionen, noch Absichten oder interpretative Aushandlungsprozesse in die Analyse eingehen. Ihr Vorgehen bleibt damit strikt extrakommunikativ. Was Ungeheuer (1972 a/ 2004, 20 - 21) schon im Hinblick auf die Kybernetik kritisierte, dass nämlich eine Reduktion von menschlichen Kommunikationshandlungen auf quantifizierbare Aktionen nur unter Ausschluss wesentlicher Eigenschaften des eigentlichen Kommunikationsvorgangs erkauft werden könne, scheint mir auf den neuen Boom korpuslinguistischer Metaphernstudien in gleichem Maße zuzutreffen. 27 Ein anderes methodologisches Problem ist das der Trennung zwischen metaphorischem und nicht-metaphorischem Ausdruck bei der konkreten Textanalyse. Diesem Problem widmet sich die Forschungsgruppe Pragglejaz 28 und etabliert eine methodische Vorgehensweise in fünf Schritten zur 27 Der Korpuslinguist Stefanowitsch (2005) etwa unterscheidet in seiner Untersuchung The Function of Metaphor. Developing a Corpus-Based Perspective ganz traditionell zwischen einer stilistischen und einer kognitiven Hypothese und gelangt durch eine Untersuchung von Kookkurenzen im Hinblick auf Aussagen, die sowohl wörtlich als auch metaphorisch formuliert werden können - etwa im Herzen/ Zentrum + NP (z. B. der Stadt) zu einer Bestätigung der kognitiven Hypothese. Völlig ausgeblendet werden in dieser wie auch in vielen anderen korpuslinguistischen Studien die unzähligen Funktionen, die Metaphern darüber hinaus ausüben, das kommunikative Setting, in dem sie auftauchen, die Kommunikationsteilnehmer sowie die Frage nach den kontextuellen Konnotationen der Metapher. Allein der gewählte Singular im Titel des Aufsatzes suggeriert irrtümlicherweise, dass allen gefundenen Konkordanzen die gleiche Funktion zugrunde liegen würde. 28 Der Name der Gruppe setzt sich aus den ersten Buchstaben der Vornamen der Gruppenmitglieder zusammen. Dazu gehören Peter Crisp, Ray Gibbs, Alice Deignan, 77 Identifikation von Metaphern (Pragglejaz Group 2007; Steen et al. 2010), mit der versucht werden soll, eine Brücke zwischen der Metapher auf sprachlicher und kognitiver Ebene zu schlagen. 29 Die Autoren weisen ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei der Methode um ein Werkzeug handelt, welches darauf abzielt festzustellen, ob Wörter in einer bestimmten Textumgebung metaphorische Bedeutung haben, und nichts darüber aussagt, inwieweit Sprecher oder Textproduzenten mit ihren Kundgebungen tatsächlich metaphorische Bedeutungen beabsichtigen oder nicht (Pragglejaz Group 2007, 2). Angesichts des bislang betriebenen hohen Aufwands der Gruppe bleiben die Ergebnisse allerdings insgesamt gesehen hinter den gehegten Erwartungen zurück. Graham Low, Gerard Steen, Lynne Cameron, Elena Semino, Joe Grady, Alan Cienki und Zoltán Kövecses. 29 Die fünf Schritte sind: (1) Lies den gesamten Text/ Diskurs, um ein prinzipielles Verständnis der Gesamtbedeutung zu erlangen; (2) Bestimme die lexikalischen Einheiten des Textes/ Diskurses; (3) Arbeite die Metaphern heraus; (a) Bestimme für jede lexikalische Einheit des Textes die Kontextbedeutung; (b) Bestimme für jede lexikalische Einheit, ob sie eine grundlegendere, d. h. konkretere, köperbezogene, präzisere oder historisch ältere Bedeutung als die momentane Kontextbedeutung hat; (c) Wenn dem so ist, entscheide, ob diese Grundbedeutung mit der Kontextbedeutung zwar kontrastiert, aber zugleich auch durch sie verstanden werden kann; (4) Wenn ja, markiere die lexikalische Einheit als ‚ metaphorisch ‘ . 78 3. Perspektivenverschiebung: Die kognitive Metapher im aktuellen Sprachgebrauch und soziokulturellen Kontext 3.1 Einleitung In diesem Kapitel werde ich die Entfaltung, Modifizierung und Erweiterung der Konzeptuellen Metapherntheorie durch Vorstöße in Richtung einer Integration kommunikationstheoretischer Fragestellungen erörtern. Eine Aufarbeitung der in den vergangenen drei Dekaden realisierten Studien und theoretischen Reflexionen ist bis heute nicht angegangen worden, und auch das vorliegende Kapitel wird keine vollständige Übersicht über die Fülle an Publikationen und aufgeworfenen Forschungsfragen liefern können, weshalb ich mich auf eine Darstellung und Diskussion derjenigen Ansätze beschränke, die ich im Rahmen einer kommunikationswissenschaftlichen Perspektive auf den Untersuchungsgegenstand für relevant halte. Die Untergliederung folgt damit zum einen den im ersten Kapitel thematisierten Prämissen kommunikationswissenschaftlicher Forschung, wozu die Verstehensperspektive ebenso zählt wie eine kulturrelativistische und funktionalistische Ausrichtung; zum anderen haben sich bei der Beleuchtung der aktuellen Forschlungslandschaft drei Schwerpunkte herauskristallisiert, denen sich die verschiedenen Ansätze zuordnen lassen: In dem für die kognitive Metaphernforschung grundlegenden Dreiecksverhältnis von Kognition, Sprache und Kultur tendieren die Ausführungen in der Regel zur Pro-blematisierung eines Eckpunktes in besonderer Weise. Im ersten Abschnitt beschäftige ich mich mit dem Eckpfeiler Kognition: Fauconnier und Turner haben mit der Blending-Theorie als einzige eine vollständige Theorie vorgelegt, welche an jene von Lakoff und Johnson anschließbar ist und ihr eine dynamische Wendung gibt, indem sie nun kognitive Erzeugungsprozesse und die Verschmelzungen verschiedener mentaler Räume ins Zentrum ihrer Betrachtung rücken. Die Metapher stellt in der hier eröffneten Sicht lediglich einen bestimmten Typ von kognitivem Netzwerk dar. Zu klären ist im Hinblick auf diesen Ansatz, inwieweit die vorgenommene Umstellung der konzeptuellen Metapher auf Prozessualität auch den Sprachgebrauch und den Kommunikationskontext in genügendem Maße einzubeziehen vermag. Im zweiten Abschnitt wende ich mich Abhandlungen zu, die Metaphern im Zusammenspiel mit ihrem kommunkativen Gebrauch an exponierte Stelle setzen, wobei beonderes Augenmerk auf den Gebrauchskontext selbst, die funktionalen Aspekte und schließlich den Verstehensprozess 79 von Metaphern und damit auf die in der ersten Generation vernachlässigte Hörerperspektive gerichtet wird. Im Anschluss an die Darstellung der verschiedenen Theorien wird auch hier eine kommunikationswissenschaftliche Verortung der Ansätze vorgenommen, wobei zu klären ist, welche Pfade in Richtung auf eine Sensibilisierung für die entsprechenden Problemkomplexe bereits eingeschlagen wurden und welche nach wie vor Desiderat bleiben. Nach diesem Panorama mikroskopischer Untersuchungen, die in der kognitiven Metaphernforschung zunehmend an Bedeutung gewinnen, werde ich einen Schritt zurücktreten und aus makroskopischem Blickwinkel jene Beiträge betrachten, die sich in Auseinandersetzung mit dem Postulat der Universalität von Bildschemata, primären Metaphern und bestimmten konzeptuellen Metaphern entwickelt haben. Hierzu zählen einerseits die soziokulturell motivierten Studien aus dem Bereich der Diskursforschung und andererseits kulturvergleichende Arbeiten, die den unterschiedlichsten Disziplinen entspringen. Im Kern geht es bei diesen Untersuchungen um die Frage, inwieweit die strikte Scheidung von physiologisch verankerten universellen und kulturspezifischen Metaphern tatsächlich unter Hinzuziehung empirischer Forschungsergebnisse haltbar ist. Mit einer abschließenden kritischen Betrachtung der bisher geleisteten Erörterungen und Reflexionen in diesem Bereich soll auf mögliche Untersuchungsfelder für die Zukunft hingewiesen werden. 3.2 Die Dynamisierung der konzeptuellen Metapher als Blending im kognitiven Online-Prozess 3.2.1 Grundzüge der Blending-Theorie Schon in den achtziger Jahren entwickelt Gilles Fauconnier (1985/ 1994) im Anschluss an die logischen Ansätze der Möglichen-Welten-Semantik eine kognitionswissenschaftlich orientierte Theorievariante, die ‚ mentale Räume ‘ an die Stelle der ‚ Möglichen Welten ‘ setzt und sich ab den neunziger Jahren auch mit dem Phänomen der Metapher beschäftigt, wobei nach und nach immer mehr Verbindungslinien zwischen diesem Forschungszweig und dem von Lakoff und Johnson hergestellt werden. Hinzu kommt, dass Fauconnier seine Theorie der mental spaces in Zusammenarbeit mit Mark Turner, der ja selbst bereits mit Lakoff (Lakoff & Turner 1989) über metaphorische Kreativität in der Dichtung geschrieben hat, zur Blending- Theorie bzw. Theorie der conceptual integration ausarbeitet. Die enge Verwandtschaft beider Theorien wird auch daraus ersichtlich, dass es Lakoff ist, der gemeinsam mit Eve Sweetser (Lakoff & Sweetser 1985/ 1994, x-xvi) das Vorwort zu der ersten Publikation verfasst. Später integriert Lakoff seiner- 80 seits die Blending-Theorie in den eigenen Ansatz und setzt sie in Analogie zum Binding-Prozess der Neuronalen Theorie (Lakoff & Johnson 1980/ 2003, 261 - 264; Lakoff 2008, 23, 30 - 31). Das Hauptaugenmerk der Mental-space-Theorie richtet sich auf die dynamischen Aspekte von Bedeutungskonstruktionen, die Fauconnier auf die menschliche Imaginationsfähigkeit zurückführt. Ihm schwebt eine Architektur miteinander verwobener mentaler Räume vor, die jedoch nicht wie in der lakoffschen Konzeption einfach abgerufen, sondern entlang komplexer Integrationsprozesse beim Sprechen und Hören überhaupt erst erzeugt werden: „ They [mental spaces, US] organize the processes that take place behind the scenes as we think and talk. They proliferate in the unfolding of discourse, map onto each other in intricated ways, and provide abstract mental structure for shifting anchoring, viewpoint, and focus, allowing us to direct our attention at any time onto very partial and simple structures, while maintaining an elaborate web of connections in working memory, and in long term memory. “ (Facuonnier 1998, 251 - 252) Erweckt wird das Interesse an einer Konzeptionalisierung menschlicher Kognition auf der Basis der Verknüpfung von mentalen Räumen durch Fragen, welche die an den Wahrheitsbedingungen von Aussagen orientierte logische Semantik nicht zu beantworten vermag, etwa Fragen danach, wie kreative Bedeutungen, die sich nicht kompositionell ergeben, erklärt werden können. Stellt man sich z. B. vor, dass Jack der Sohn von Philip ist und - ohne dessen Wissen - auch noch der Anführer der Black Brigade, dann sind referentiell opake Sätze wie „ Philip believes his son is a genius “ und „ Philip believes the leader of the Black Brigade is a genius “ bedeutungstheoretisch keineswegs äquivalent, auch wenn sich die Aussage in beiden Fällen auf die gleiche Person bezieht (Fauconnier 1985/ 1994, xvii). Probleme dieser Art können Fauconnier zufolge nur gelöst werden, wenn man kontextuelle Faktoren berücksichtigt, in die solche Aussagen eingebettet sind: „ The corresponding interpretation possibilities will therefore depend on the available spaces and connectors in the configuration where a sentence operates. This information in turn may be available to the discourse participants from the existing discourse configuration when the new sentence is added, or from grammatical features of the new sentences, or from nonlinguistic pragmatic factors, or any combination of the above. “ (Fauconnier 1985/ 1994, xxi) In dieser ersten Phase der Theoriebildung, die allein auf Fauconnier zurückgeht, stehen somit nicht nur die semantischen Rahmungen von Äußerungen im Vordergrund, sondern eigens der in der Möglichen-Welten-Theorie nicht hinreichend integrierte Wissensstatus des Sprechers - entscheidend ist nun, 81 ob es sich um einen Glauben, einen Wunsch, eine hypothetische oder kontrafaktische Aussage handelt - sowie die Beziehung der verschiedenen mentalen Räume untereinander. Mit dem Aufkommen der Blending-Theorie ab Mitte der neunziger Jahre ändert sich die zentrale Fragestellung: „ Blending theory has shifted the focus to how information from two spaces, construed broadly to include domains, is combined to produce novel conceptual structures “ (Croft & Cruse 2004, 39). Dabei erscheint das Phänomen der Metapher zunächst neben anderen Formen komplexer Bedeutungen - etwa kontrafaktischen Aussagen oder Komposita - als ein bestimmter Typ von blending, von Vermischung oder Verschmelzung unterschiedlicher mental spaces - später auch einfach inputs genannt - , die für die Autoren als „ small conceptual packets constructed as we think and talk for purposes of local understanding and action “ (Fauconnier & Turner 2002, 102) den Kern der menschlichen kognitiven Fähigkeit zur Produktion und Übertragung von Bedeutung ausmachen. In dieser Hinsicht stehen die Autoren ganz in der Tradition von Lakoff und Johnson, denn Sprache begreifen sie lediglich als „ tip of the iceberg of invisible meaning construction that goes on as we think and talk “ (Fauconnier 1997, 1). Das heißt, durch Sprache wird der Zugang zu tiefer liegenden Schichten humaner Kognition möglich, wobei es nun allerdings im Gegensatz zu den Domänen von Lakoff und Johnson blends sind, kraft derer wir eine Antwort auf die Frage finden können, wie der Mensch Neues hervorbringt. Wie Grady, Oakley und Soulson (1999, 101 - 102) bemerken, können mental spaces daher keineswegs in Analogie zu den source und target domains der Konzeptuellen Metaphertheorie verstanden werden; vielmehr hängen sie von diesen ab, indem sie spezifische Szenarien in aktuellen Kontexten repräsentieren, die ihrerseits auf einen konventionalisierten Pool von Domänen, Frames und ICMs im Sinne Lakoffs zurückgreifen. Der entscheidende Unterschied zur Konzeptuellen Metapherntheorie besteht somit darin, dass alle am Blending-Prozess beteiligten inputs Teile ihrer eigenen Struktur in den neu entstehenden Raum hineintragen, womit die These der Unidirektionalität durch die der Interaktion abgelöst wird. Fauconnier und Turner stehen deshalb mit ihrem Theorieentwurf in der Tradition der von Stählin, Bühler, Black und Richards ins Leben gerufenen Interaktionstheorie, eine Verbindungslinie, die im nachfolgenden Kapitel ausführlich vertieft wird. 1 Wie Lakoff und Johnson sind jedoch auch Fauconnier und Turner nicht daran interessiert, ihre Konzeption in der entsprechenden Traditionslinie zu verorten. Obwohl in der Theorie von Fauconnier und Turner die Posteriorisierung von Sprache bestehen bleibt, die auch hier nur als Pforte zu den kognitiven Prozessen verstanden wird, ändert sich die Blickrichtung von konventio- 1 Vgl. Kapitel 4.8. 82 nellen, in eine bestimmte Sprache eingeschriebenen Metaphern hin zu kreativen und innovativen Metaphern, die erst im Online-Prozess kognitiv erzeugt werden. In dieser Hinsicht grenzt sich die Theorie von dem unidirektionalen Modell der Konzeptuellen Metapherntheorie ab. Ein Satz wie „ This surgeon is a butcher “ würde in der Terminologie von Lakoff und Johnson als metaphorische Projektion von Elementen der Ausgangsdomäne BUTCHER (Metzger, Metzgermesser, Tierkadaver, Zerteilung) auf die Zieldomäne SURGEON (Chirurge, Skalpell, Patient, Operation) beschrieben werden. Was nun entlang dieser Sichtweise allerdings nicht erklärt werden kann, ist die negative Konnotation, die in diesem Satz mitschwingt, denn offensichtlich liegt der Aussage die Absicht zugrunde, den Chirurgen als inkompetent auszuzeichnen. Berufliche Inkompetenz ist nun wiederum wahrlich kein Element der Ausgangsdomäne BUTCHER , sondern wird erst durch die Aussage selbst hervorgebracht, so dass sich die Frage stellt, wie dieses Element in den Prozess der Bedeutungskonstruktion hineingekommen ist. Additiv lässt sich die Bedeutung eines solchen Satzes nicht erklären (Fauconnier 1998; Grady, Oakley & Soulson 1999). Fauconnier entwirft ein Netzwerk-Modell, welches das Zwei-Domänen- Modell der Konzeptuellen Metapherntheorie durch einen vierfachen Konzept-Raum ablöst, der aus zwei inputs (Quelle und Ziel), einem generic space, der als eine Art template den inputs gemeinsame Relationen und Einheiten abstrahiert bzw. steuert, und dem Resultat dieses Prozesses, dem blend, besteht: „ it [blending, US] consists in integrating partial structures from two separate domains into a single structure with emergent properties within a third domain “ (Fauconnier 1997, 22). Durch die Interaktion der zwei inputs sowie den generic space, der ein übergeordnetes Schema herausschält und damit den inputs gemeinsame Strukturen generalisiert, gerät die Invariance Hypothesis (Lakoff 1990; 1993) ins Wanken, die noch von einer bloßen Übertragung der Gesamtstruktur der Ausgangsauf die Zieldomäne ausgeht. Die im Gegensatz dazu für den blend charakteristische emergente Struktur wird durch drei Verfahrensweisen hervorgebracht (Fauconnier 1997, 150 - 151): 1. Composition: Dabei sorgen die Projektionen, die aus den inputs kommen, für die Entstehung von Relationen, die es zuvor in den einzelnen inputs noch nicht gab; 2. Completion: Dabei strömt kulturelles Hintergrundwissen mit in die konzeptuelle Integration ein, wodurch die emergenten Strukturen den blend bereichern; 3. Elaboration: Damit ist die Belebung des blends gemeint; Fauconnier spricht auch von running the blend, womit er sich auf den kognitiven Vollzug der neu emergierten Logik bezieht. 83 Abb. 3.2-1: 4-Raum-Modell (Fauconnier & Turner 2002, 46) Versuchen wir nun, das Beispiel „ This surgeon is a butcher “ in Übereinstimmung mit diesem Modell zu analysieren, dann zeigt sich als erstes der interaktionale Charakter bei der Zusammenführung der beiden inputs, denen unterschiedliche Aufgaben zukommen: Während die Zieldomäne input 2 das Thema darstellt, über das wir sprechen, dient die Ausgangsdomäne, input 1, dem Zweck, das Thema für bestimmte konzeptuelle und kommunikative Absichten neu zu rahmen (Grady, Oakley & Soulson 1999, 117), was nun dazu führt, dass die Fähigkeiten, die in input 1 für den Beruf des Metzgers angemessen sind, in Verbindung mit dem Beruf des Chirurgen nicht mehr adäquat erscheinen; im Gegenteil, sie wirken in diesem Kontext sogar beängstigend. Denn während es einem Chirurgen darum geht, Leben zu retten, vollzieht sich die Arbeit des Metzgers an toten Tieren; und wo es Aufgabe des Chirurgen ist, den Menschen wieder funktionsfähig zu machen, zielt die Arbeit des Metzgers auf die Zerteilung der Tierkadaver ab. Erst durch die Zusammenführung der beiden inputs kommt es zu diesem Kontrast, der dann für die emergierenden Strukturen innerhalb des blends verantwortlich ist: 84 Abb. 3.2-2: Metaphorischer Blend ‚ Chirurg als Metzger ‘ nach Fauconnier (1998) Um solchen den blend bereichernden emergenten Strukturen auf die Spur zu kommen, beobachtet Fauconnier in Mappings in Thought and Language (1997, 168 - 171), was passiert, wenn es bei einem Verschmelzungsprozess zwischen zwei Bereichen zu strukturellen Unvereinbarkeiten kommt. Ausgehend von dem Ausdruck sich sein eigenes Grab schaufeln illustriert er, wie Inferenzen eines inputs entgegen der Invarianz-Hypothese (Lakoff 1993, 215; Lakoff 1990; Lakoff & Johnson 1999, 58) sehr wohl verletzt werden können und bricht auf diese Weise mit dem rigid-strukturellen Isomorphismus der Konzeptuellen Metapherntheorie: So wird die kausale Struktur ins Gegenteil verkehrt, da es im blend schädliche Handlungsweisen sind, die in den Ruin führen, obwohl doch im input ‚ Grab ‘ der Tod zuerst erfolgt; erst dann wird das Grab ausgehoben. Auch die intentionale Struktur gerät ins Wanken, denn im input schaufelt niemand unbewusst ein Grab. Schließlich stimmt der Akteursrahmen des inputs nicht mit dem des blends überein: Im ‚ Grab ‘ -input gräbt eine andere Person, während im blend Gräber und Begrabener dieselbe Person sind. Letztlich also scheint es, als ob der blend vom ‚ Grab ‘ -input die konkrete Struktur einer Beerdigung erhält, vom zweiten input ‚ Internes Ereignis ‘ - jemand handelt in einer Art und Weise, die ihn selbst schädigt - jedoch die kausale, intentionale und rollenspezifische Struktur, was dazu führt, dass im blend emergente Strukturen erzeugt werden: sein eigenes Grab schaufeln wird zu einem schwerwiegenden Fehler, da diese normalerweise unbewusst vollzogene Handlung das Sterben wahrscheinlicher werden lässt. 85 Später führen Fauconnier und Turner (2002, 131 - 132) für diesen Typ von blending den Terminus double-scope network ein, den sie in eine Reihe mit drei weiteren Typen von conceptual integration networks (Fauconnier & Turner 1998) stellen, so dass sie in ihrer Gliederung insgesamt vier Arten von Netzwerken unterscheiden (Fauconnier & Turner 2002, 113 - 137): 1. Simplex networks: slots in kulturellen Frames wie im System der Verwandtschaftsverhältnisse werden mit konkreten Werten besetzt, in diesem Fall mit bestimmten Personen wie z. B. in dem Satz: „ Paul ist der Vater von Sally “ . Die Rollen werden im blend mit den entsprechenden Werten vereint. 2. Mirror networks: Beide inputs teilen den gleichen Organisationsrahmen, was an dem Beispiel Debate with Kant illustriert wird: Ein Philosophieprofessor führt in einer Vorlesung eine fiktive Debatte mit Kant über die neuesten Erkenntnisse der Neurophilosophie, um herauszustellen, wie Kant in Übereinstimmung mit seiner Kritik der reinen Vernunft das Problem angegangen wäre und wie er auf bestimmte Einwände gegen seine Theorie reagiert hätte. Der Organisationsrahmen beider inputs ist der gleiche, lediglich Zeit (1781 ↔ 2002) und Raum (Königsberg ↔ USA) werden im blend komprimiert. 3. Single-scope networks: Beide inputs verfügen über einen eigenen Frame, allerdings strukturiert nur einer der beiden Frames auch den blend, wodurch die Projektion asymmetrisch wird. In dieser Kategorie lassen sich die konventionellen Metaphern im Sinne von Lakoff und Johnson verorten. So kann das Szenario von zwei miteinander konkurrierenden Firmen vermittels der Metapher eines Boxkampfes konzipiert werden: input 1 stellt das Boxer-Szenario dar (1. Boxer, 2. Boxer, Wettkampf), input 2 das Geschäftsleben (1. CEO, 2. CEO, Konkurrenzsituation). Das Netzwerk sorgt dafür, dass verschiedene Relationen im blend komprimiert werden: So wird der komplexe Konkurrenzkampf zwischen zwei Unternehmen auf einen halbstündigen Boxkampf zwischen zwei Einzelpersonen heruntergeschraubt, der in einem Ring ausgetragen und durch einen Knock-out eines Boxers durch den anderen entschieden wird. Im input Firmen jedoch sind die CEOs nur Repräsentanten einer ganzen Reihe von Personen, die im Interesse der Firma agieren, das Beziehungsgeflecht zur Konkurrenzfirma ist vielfältig, die handlungsrelevanten Ereignisse sind auf eine größere Zeitspanne, viele Menschen und mehrere Lokalitäten verteilt. 4. Double-scope Networks: Die inputs tragen ihren je eigenen Frame in das konzeptuelle Netzwerk hinein, so dass es im blend zwangsläufig zu Kollisionen (clashes) kommt, wie im obigen Beispiel ausführlich dargelegt wurde. 86 In nuce wird die Funktion von blendings ähnlich beschrieben wie die von konzeptuellen Metaphern in der Theorie von Lakoff und Johnson: Es geht bei dieser kognitiven Verfahrensweise um die imaginative Konstruktion von Bedeutung, die es uns erlaubt, Ideen zu verstehen und zu formulieren, indem Komplexität auf etwas reduziert wird, was die Autoren human scale (Fauconnier & Turner 2002, 312) nennen: Verstehbar und bedeutungsvoll ist die Wirklichkeit für uns nur im Rahmen dessen, was sich in unseren eigenen Erfahrungshorizont eingliedern lässt. Blendings werden deshalb von diesem übergeordneten Ziel gesteuert, das durch verschiedene Operationsprinzipien erreicht wird, die wie folgt zusammengefasst werden: (a) „ compress what is diffuse “ ; (b) „ obtain global insight “ ; (c) „ strengthen vital relations “ ; (d) „ come up with a story “ ; (e) „ go from many to one “ . Seit Beginn ihrer gemeinsamen Untersuchungen richtet sich der Blick von Fauconnier und Turner (2002; 2008) zunehmend auf multiple Netzwerke, die oft eine weitaus komplexere Struktur aufweisen als die bislang untersuchten klassischen blends mit ihren lediglich zwei inputs. Denn letztlich, so die Autoren, handle es sich um einen viel dynamischeren Prozess, einen Prozess des cobbling und sculpting: „ Such integra-tion networks are never built entirely on the fly nor are they preexisting conventional structures. Integration networks underlying thought and action are always a mix. “ (Fauconnier & Turner 2008, 53). Auf der einen Seite fließen in die Konstruktion integrierter Netzwerke demnach konventionalisierte blends als feste Bestandteile einer Kulturgemeinschaft ein, auf der anderen Seite aber auch die kreativen und innovativen Zutaten individueller Akteure in aktuellen und spezifischen Kontexten. Tatsächlich findet sich die Aufnahme konzeptueller Metaphern in die Blending-Theorie bereits bei Grady (2005), der die Beziehungen zwischen kreativen und konventionalisierten Metaphern mit Blick auf das Wirken tief verwurzelter primary metaphors als inputs untersucht, was er an dem folgenden Beispiel veranschaulicht: „ The town ’ s aloofness from the immigrants has been a glacier, slow to melt away “ . Grady begreift die primäre metaphorische Assoziation zwischen Kälte und Distanziertheit als ausschlaggebenden input und Kern der konzeptuellen Integration, in der als weitere inputs Langsamkeit und Größenskala eine Rolle spielen, wodurch der blend selbst etwas Neues hervorbringt, indem er bestimmte Elemente der unterschiedlichen inputs selektiert und zusammenführt: „ In short, the network of conceptual association and projection here is typical of the cases which blending theory focuses on. At its heart, though, is the entrenched mapping between the domains of temperature and affect - rather than an association between aloofness and glaciers which has been noticed spontaneously. “ (Grady 2005, 1608) 87 Für Fauconnier und Turner stehen bei der Genesis des Neuen insbesondere die in double-scope networks wirkenden Kollisionen im Vordergrund, die, ausgelöst durch divergierende Inferenzstrukturen der inputs, zu Kompressionen führen, welche ihrerseits neue räumliche, zeitliche und identifikatorische Relationen schaffen. Anhand einer Reanalyse der generischen Metaphern TIME IS SPACE und TIME IS A MOVING OBJECT , die von Lakoff und Johnson (1980/ 2003; 1999) und Lakoff (1993) ausführlich untersucht wurden, illustrieren sie die Funktionsweise und das komplexe Zusammenspiel von unterschiedlichen inputs zur Schaffung eines integrierten Blending-Szenarios (Fauconnier & Turner 2008). Demnach stellen die früheren Analysen sehr vereinfachte und zu idealisierte Versionen eines in Wirklichkeit viel komplexeren Netzwerks dar, denn in vielerlei Hinsicht scheint die Topologie, die hinter den Ausdrücken waltet, mit der Metapher TIME IS A MOVING OBJECT gar nicht kompatibel zu sein: Beispiel Kollision Minutes are quick but hours are slow. à Zeiteinheiten verfügen über unterschiedliche Geschwindigkeiten. Those three hours went by slowly for me, but the same three hours went by quickly for him. à Dasselbe sich bewegende Objekt hat unterschiedliche Geschwindigkeiten. For me, the three hours were forever, but for her, they did not exist. à Zeiteinheiten variieren in ihrer Existenz. Time came to a halt. à Zeiteinheiten können anhalten. Sure, it ’ s Friday afternoon, but Monday morning is already staring us in the face. à Bestimmte Zeiten, vor denen wir Angst haben, sind näher, obwohl sie weiter weg sind. Abb. 3.2-3: Clashes bei der Metapher TIME IS A MOVING OBJECT nach Fauconnier und Turner (2008) Anhand eines ihrer Beispiele, der Aussage „ Unsere Hochzeit war doch erst gestern. Wo sind nur all die Jahre geblieben? “ (Fauconnier & Turner 2008, 62 - 63) soll im Folgenden eine vereinfachte Darstellung des komplexen kognitiven Netzwerks gegeben werden, das hinter dieser Aussage steht: Auf einer sehr tief verwurzelten Ebene haben wir ein Zusammenspiel aus input 1 ‚ Ereignis ‘ (Ehe) und input 2 ‚ Zeit ‘ (als Erfahrung von Bewegung durch den physischen Raum), das einen blend, die so genannte EVENT STRUCTURE METAPHOR hervorbringt, die Lakoff (1993) für so grundlegend für die Strukturierung einer ganzen Reihe von Erfahrungen gehalten hat. D. h. wir durchlaufen eine Ehe wie einen Park, wobei der eine diese Episode als schnell, der andere als langsam erleben kann. Dieser blend formt nun einen 88 neuen input 1, der gemeinsam mit input 2 ‚ Objektiv gemessene Zeitspanne ‘ ( „ all die Jahre “ ) mit input 3 ‚ Subjektive Zeiterfahrung ‘ ( „ gestern “ ) kollidiert. Sie bilden zusammen einen neuen blend, zugleich einen neuen input 1, der zusammen mit input 2, seinerseits ein blend aus ‚ Gedächtnis ‘ und ‚ Physischer Raum ‘ (Entwurf des Gedächtnisses als physischer Raum), das gesamte in der Aussage präsente integrierte Netzwerk schafft, in dem danach gefragt wird, wo all die Ehejahre geblieben seien, als handle es sich bei der Erinnerung um einen Schrank, in dem bestimmte tiefer liegende Dinge nicht mehr auffindbar sind: Abb. 3.2-4: Metaphorisches Blending-Szenario als integriertes Netzwerk 3.2.2 Weiterentwicklung der Theorie Sowohl Mark Turner (2003; 2006) als auch Line und Per Aage Brandt (2004; 2005; Brandt & Brandt 2005) dehnen die Blending-Theorie auf andere wissenschaftliche Untersuchungsfelder aus, u. a. auf die Ästhetik und die Sozialwissenschaften. Brandts Zugang über eine Kognitive Semiotik entsteht im Rahmen seines Skeptizismus ’ hinsichtlich der Frage, ob die Mentalspace-Theorie tatsächlich einlösen kann, was sie verspricht: die Überwindung der Unzulänglichkeiten der Mögliche-Welten-Theorie. Die Bedenken Brandts (2005, 1580) gehen in eine ähnliche Richtung wie die weiter oben 89 dargelegten Einwände. Fauconniers Entwurf, so Brandt, habe sich in letzter Instanz nicht vom logischen Kognitivismus der Analytischen Philosophie befreien können, da seine Ausführungen den realen Diskurskontext sowie die kommunikative Situation ausblenden. Brandt illustriert dies am Beispiel der metaphorischen Formel NP1 is the NP2 of NP3, die von Fauconnier und Turner (2002, 162 - 164) als of-construction auf der Basis von Ausdrücken wie „ Language is the fossil poetry of the soul “ oder „ Prayer is the echo of the the darkness of the soul “ extrahiert wird, wobei der Situationskontext, in dem solche Äußerungen stattfinden, völlig unberücksichtigt bleibt. Dabei werde ein rein mentaler Bereich von simultan aktivierten „ local-worlds-ofthought “ (Brandt 2005, 1584) konstruiert, der die kognitive Ontologie der klassischen Semantikmodelle letztlich nur in eine interne Realität überführe, so dass die Theorie in einer extrakommunkativen Perspektive verharre: „ The constructional whole is unconnected to any functional meaning it might have [. . .] By functional meaning, I refer to the intentional meaning an utterance has and is understood to have by speaker and addressee. This is the Abb. 3.2-5: Reanalyse des Chirurg-Metzger-Szenarios nach Brandt und Brandt (2005) 90 core semantics of communicated meaning, but MST ignores it. So if a joke is analyzed, its mapping and blends can be modeled, but not the reason why it is funny. “ (Brandt 2005, 1584) Um die Unzulänglichkeiten der Blending-Theorie zu überwinden, schlägt der Semiotiker Brandt (2004, 41) als Ausgangspunkt seiner Betrachtungen eine Phänomenologie vor, die ein Netz mit vier ontologischen Domänen umfasst: (a) eine objektive Domäne der Kräfte und Wirkungen, (b) eine Domäne der sozialen Interaktion, (c) eine innere, subjektive mentale Domäne und (d) eine Domäne der face-to-face Kommunikation. Die innere, subjektive Welt steht im Zentrum, die anderen drei Welten sind um dieses Zentrum herum angesiedelt und werden von weiteren Satelliten umgeben. Dazu gehören Familie, Ökonomie, Staat, Religion, Kunst, Recht etc. Sie entstehen aus der dualen Kombination von Domänen, Familie z. B. als Resultat einer Verbindung zwischen der Domäne sozialer Interaktion und jener der face-to-face Kommunikation. Durch Blending-Prozesse werden nun Inhalte einer Welt auf Inhalte einer anderen projiziert, wobei neue emergente Strukturen hervorgebracht werden, welche die neu kreierte Welt inkorporiert. Insgesamt entsteht so ähnlich wie in der Theorie der symbolischen Formen bei Cassirer oder der Systemtheorie Luhmanns ein Feld von Gattungen des Semiotischen (Wildgen 2008, 185). In ihrer Theorie vom semiotic mental space network erweitern Brandt und Brandt (2005) die Theorie der conceptual integration networks nun um eine semiotische Perspektive. Mit Blick auf die Metapher entwerfen sie ein Netzwerk, in dem die Metapher von einer bestimmten Person im Rahmen eines bestimmten Kommunikationskontextes gebraucht wird: „ . . . the network of spaces that is active in the process of metaphor production has inherent semiotic properties. The blend is a sign. “ (Brandt & Brandt 2005, 245). Damit stellen Brandt und Brandt den Kommunikationsprozess als solchen in den Vordergrund, bei dem auf einer pragmatischen Ebene von einem Hörer auf der Grundlage von Hintergrundwissen und daraus resultierenden Rahmungen im Hinblick auf die Äußerung eines Sprechers bestimmte Schlüsse erst gezogen werden müssen, um das Gesamtszenario zu realisieren. Sie illustrieren diese um die Verankerung im Kommunikationsszenario erweiterte Perspektive anhand einer Reanalyse des Beispiels „ This surgeon is a butcher “ , ein Satz, der Brandt und Brandt zufolge außerhalb seines spezifischen Gebrauchskontextes jeglicher intrinsischer Bedeutung entbehre. Die Autoren knüpfen an den Aspekt der Emergenz im Rahmen dessen an, was Fauconnier und Turner completion genannt, aber nur unzureichend ausgeführt haben: Der Arzt hat seine Berufsethik verletzt. Um der Aussage eben diese Bedeutung zu verleihen, benötigen wir eine normative Rahmung, damit der Satz als evaluative Prädikation verstanden werden kann. Brandt und Brandt wenden sich dabei der von Fauconnier 91 und Turner ignorierten Hörerseite zu, um entlang von fünf Einzelhandlungen darzulegen, in welchen Schritten der Verstehensprozess aus dessen Perspektive verläuft: 1. Sentence apprehension: Der Hörer versteht in grammatikalischem Sinne die Identifizierung des Chirurgen mit einem Metzger; 2. Metaphoric space-building: Der Hörer versteht, dass die Prädikation metaphorisch gemeint ist; 3. A structured blend: Der Hörer versteht, in welch spezifischem Sinne der Chirurg als Metzger dargestellt wird; 4. Emergent meaning: Der Hörer versteht die Evaluierung, die aus diesem blend folgt; 5. Implications for the situation of communication: Der Hörer versteht die pragmatischen Implikationen durch die Zusammenführung von emergierender Bedeutung in blend und Kommunikationskontext. Die verschiedenen Teilprozesse des Verstehens können sowohl sukzessiv als auch parallel ablaufen. Das Szenario wird nun von Brandt und Brandt durch Visualisierung eines konzeptuellen Netzwerks folgendermaßen rekonstruiert: Als erstes führen sie einen semiotic base space ein, der das Kommunikationsszenario mit seinen Teilnehmern und ihren Bedeutungskonstruktionen hervorbringt. Im vorliegenden Fall werden dabei drei Aspekte in konzentrischen Kreisen von außen nach innen angeordnet: (a) die Phänowelt mit Metzgern und Chirurgen, (b) die Situation eines Gesprächs zwischen zwei Personen, wobei ein Teilnehmer gerade eine Operation hinter sich gebracht hat, (c) die Semiosis im Sinne expressiver Sprechakte. Von hier aus wird eine Äußerung produziert, die den thematischen Referenzraum, den reference space bereitstellt, initiiert durch den deiktischen space-builder „ this surgeon “ . Während sich der Inhalt des Referenzraums nun durch einen bestimmten Chirurgen auszeichnet, benötigen wir einen weiteren Raum, den presentation space, der von unserer allgemeinen Vorstellung von einem Metzger gestellt wird. Referenzraum und Präsentationsraum bilden zusammen den blend, der virtual space genannt wird, da der Referent so präsentiert wird, als ob er mit dem Präsentationsraum identisch wäre. Brandt und Brandt verzichten auf den ihnen artifiziell und überflüssig erscheinenden generischen Raum von Fauconnier und Turner und fügen stattdessen einen relevance space hinzu, in dem die Diskrepanz zwischen der Metzgerhaltung und der Chirurgenhaltung durch die Situation kanalisiert wird, wobei das ethische Schema des Helfens und Leid Zufügens aktiviert wird. Relevanz erlangt die Aussage im illokutionären Sinne - der Sprecher sucht um Bestätigung - , im situationalen Sinne - der Sprecher befindet sich in einer Situation, die ihm Angst einjagt - und im argumentativen Sinne - die Situation wird als ethisch nicht korrekt bewertet. Um den Verstehensprozess 92 abzuschließen, ist aber noch ein meaning space nötig, denn der virtuelle Raum ist bislang noch nicht in die genannten Relevanzstrukturen eingebettet, weshalb der Bedeutungsraum auch erst durch den interpretativen Prozess selbst vollzogen wird. Schließlich ändert sich die Interpretation, sobald der Satz in einem anderen Kontext geäußert wird, z. B. nicht von einem Patienten, der gerade operiert wurde, sondern von dem Stationsleiter im Rahmen einer Sitzung mit der Geschäftsführung des Krankenhauses, denn dann kann die Äußerung als impliziter Vorschlag bzw. als implizite Aufforderung verstanden werden, über eine Entlassung des entsprechenden Arztes nachzudenken. Durch diesen zweistufigen Prozess - virtual space und meaning space - wird die konstruktive Arbeit des Hörers hervorgehoben: „ some cognitive work is necessitated by such a completion [. . .] it is questionable that the process of completion happens ‚ automatically ‘ as suggested by Fauconnier & Turner “ (Brandt & Brandt 2005, 242). Blending wird damit in dieser erweiterten Perspektive zu einer gemeinsamen semiotischen, kognitiven Aktivität von Sprecher und Hörer, bei der sie sich gegenseitig Bedeutungen vermitteln, indem der andere in die Imaginationsprozesse miteingebunden wird und umgekehrt. Bedeutung ist somit nicht länger wie bei Fauconnier und Turner eine Angelegenheit solipsistischer Introspektion; Brandt und Brandt ersetzen introspection durch eine intersubjektive Phänomenologie und schlagen dafür den Terminus interspection vor (Brandt & Brandt 2005, 246). 3.2.3 Kritische Diskussion Fauconnier und Turner gelingt mit ihrer Theorie der integrativen Netzwerke die notwendige Dynamisierung der allzu konventionell und statisch anmutenden domains lakoffscher Prägung und damit sicherlich eine in kommunikationswissenschaftlicher Sicht höchst brauchbare und ausbaufähige Visualisierung von kognitiven Online-Prozessen mit Hilfe der mental-space- Metapher. Besinnt man sich auf die eingangs vorgestellten Dichotomien Ungeheuers ( ‚ kommunikativ ‘ versus ‚ extrakommunikativ ‘ ), Bühlers ( ‚ subjektbezogene Aktlehre ‘ versus ‚ subjektentbundene Gebildelehre ‘ ), Heideggers ( ‚ Zuhandenheit ‘ versus ‚ Vorhandenheit ‘ ) und Husserls ( ‚ fungierend ‘ versus ‚ thematisierend ‘ ), ließe sich auf den ersten Blick resümieren, dass sich Fauconnier und Turner gegenüber der subjektentbundenen Analyse von Metaphern als Objektivationen mit einem festen Platz im gesellschaftlichen Wissensvorrat stärker den kognitiven Produktionsprozessen im Kontext zuwenden und insofern einen nicht zu unterschätzenden Komplementärbeitrag zur Konzeptuellen Metapherntheorie leisten. Übertragen auf die Terminologie Ungeheuers gehen Fauconnier und Turner damit von der äußeren Handlung, dem Sprachprodukt Metapher, hinüber zu einer Analyse der zeitgleich ablaufenden inneren Handlung. Dennoch versäumen sie 93 es, deutlich zu machen, ob das kognitive Korrelat Sprecher wie Hörer gleichermaßen zuerkannt wird, was eine naive Sicht wäre, oder ob sie den Hörer schlicht aus ihren Überlegungen ausschließen, was in kommunikationstheoretischer Perspektive einer verkürzten Darstellung gleichkäme, geschweige denn, was sie so sicher macht, dass es sich bei den erstellten Netzwerken tatsächlich um die mitlaufenden Bedeutungskonstruktionen der Kommunikationsteilnehmer handelt und nicht um ihre idealisierte Vorstellung von solchen Konstruktionen. Gegenüber diesem offensichtlichen Defizit gelingt es Fauconnier und Turner andererseits, überzeugend darzulegen, wie im Zuge aktueller Kundgaben Neues entsteht, womit die Theorie als Supplement zum Interesse der Konzeptuellen Metapherntheorie an konventionellen und in Kulturgemeinschaften eingeschriebenen Metaphern verstanden werden kann; schließlich wenden sie sich partikularen Sätzen zu, wobei ihr Fokus auf der Analyse dynamischer Prozesse und emergenter Strukturen aus einer methodologisch im Gegensatz zu Lakoff und Johnson eher qualitativ verfahrenden Mikroperspektive liegt. Hierin liegt dennoch im gleichen Atemzug ihre Schwäche, denn die Theorie ist weit davon entfernt, einen vollständigen Blick auf das freizulegen, was Sinha (2005, 1538) situated cognition nennt, da sie letztlich doch in einer traditionellen kognitivistischen Sichtweise verweilt, der es nicht gelingt, über den Horizont des kontextberaubten Einzelsatzes und individuellen Subjekts sowie dessen vermeintlichen internen mentalen Prozessen, kurz: über den klassischen brain-in-the-body-Ansatz hinauszugelangen. Unberücksichtigt bleiben in der Folge jegliche kulturelle, soziale und normative Strukturen, in die blendings als Elemente kommunikativer Handlungen eingebettet sind. Sinha (2005, 1548 - 1552) illustriert anhand eines symbolischen Spiels von drei brasilianischen Mädchen, wie wichtig die Rolle kultureller Objekte für den mikrogenetischen Prozess konzeptueller Integration ist und dass Blending-Prozesse Schlüsselszenarien darstellen, bei denen Kinder kognitive Strategien, soziale Rollen und Identitäten mitnichten solipsistisch kognizierend, sondern vielmehr in kommunikativer Interaktion aushandeln: Die drei Mädchen spielen eine klassische Familiensituation zwischen Mutter und Töchtern nach, finden nach kurzer Zeit einen breiten Hut und beginnen nun damit, in ihr Rollenspiel die TV-Figur des Cowboys Beto Carrero miteinzubauen; allerdings feminisieren sie die Figur in Bete Carrera, wodurch ein konzeptueller blend aus der fiktiven ‚ Beto Carrero-Welt ‘ und dem Diskursrahmen ‚ Mutter-Kind-Spiel ‘ geschaffen wird. Der Wissensbestand, der hierbei in das geteilte Diskursuniversum eingeht, umfasst dementsprechend (a) die drei Kommunikationsteilnehmerinnen, (b) ihre authentische und gespielte Geschlechtsidentität, (c) die Beto Carrero-Welt, (d) das metalinguistische Bewusstsein um den semantischen Wert der grammatischen Genusmorphologie und (e) Konventionen des symbolischen 94 Spiels. Ohne eine Einbeziehung eines solch breiter angelegten Diskurskontextes läuft die Blending-Theorie auf einen radikalen Mentalismus hinaus, der Bedeutungskonstruktionen nicht zwischen den Menschen verortet, sondern ins einsame Subjekt hineinverlegt. Auch Croft und Cruse (2004, 209) heben die fehlende Kontextsensitivität beider Ansätze hervor: Weder der Konzeptuellen Metapherntheorie noch der Blending-Theorie gelinge es letztlich zu erklären, wie eine neue Metapher vor einem spezifischen kontextuellen Hintergrund entsteht und wodurch die Auswahl bestimmter Elemente der inputs, die in den blend eingehen, motiviert ist: „ There is an element of context sensitivity in the BT model, in that the features that enter into the input spaces are constructed on-line. However, no account of how the features are selected is offered “ (Croft & Cruse 2004, 209). Vom Standpunkt der empirischen Psychologie aus kritisiert Gibbs (2000, 351) die Blending-Theorie als zu hermetisch, kompliziert und kognitionspsychologisch, weshalb sie für ihn entgegen ihrem Anspruch letztendlich eben doch keine Theorie der Online-Bedeutungskonstruktion, sondern eher ein Modell darstellt, das die Resultate von Interpretationsprozessen abbildet. Die Prozesse selbst, so Gibbs, blieben im Verborgenen. Eine ganze Reihe von Fragen ließe der Ansatz damit völlig unberührt: „ Do people ordinarily infer the complex meanings presumably associated with the phrase John is digging his own grave, as suggested by Fauconnier and Turner (1998)? Must people actually create complex blended spaces to understand what speakers intend by this expression? Do listeners create new blended spaces each and every time they hear an expression? When do the various mappings occur during meaning construction? How do specific blending operations - such as composition, completion, and elaboration - figure in the on-line creation of different meanings for linguistic expressions? “ (Gibbs 2000, 351 - 352) Stern (2000) weist darauf hin, dass es der Blending-Theorie nicht glücke, den gesamten Äußerungskontext, geschweige denn den des Kommunikationsereignisses, ins Auge zu fassen, so dass entscheidende Faktoren, die zur Schaffung der konzeptuellen Integration essenziell beitragen, im Dunkeln bleiben, etwa der situationale Hintergrund, Inferenzmuster oder expressive und attitudinale Aspekte. Die Sichtweise von Fauconnier und Turner ist damit entgegen ihrem Anspruch auf Prozessorientierung doch noch viel zu sehr auf eine extrakommunikative Perspektive bezogen. Außen vor bleibt der Versuch, die so dezidiert visualisierten kognitiven Prozesse in ein soziokulturelles Umfeld zu stellen und dem solipsistisch Netzwerke kognizierenden Individuum ein Gegenüber zu geben, durch das und mit dem es gemeinsam im Kommunikationsprozess Blend-Welten schafft. Inzwischen gibt es zwar erste Arbeiten aus dem Bereich der Psycholinguistik, die 95 vereinzelt empirische Belege für die Position der Blending-Theorie hervorgebracht haben (Coulson & Madlock 2001; Coulson & Van Petten 2002). Abseits dessen jedoch bleibt die Theorie selbst bislang ein weitgehend „ speculative approach to metaphor and cognition “ (Steen 2007, 347). Der weiterführende Ansatz von Brandt und Brandt weist in eine Richtung, die für kommunikationswissenschaftliche Fragestellungen von großer Relevanz ist, auch wenn die Theorie noch in den Kinderschuhen steckt und zum Teil etwas nebulös und vertrackt erscheint. Die analysierte Äußerung bleibt im gewählten Beispiel zumindest noch auf der Satzebene stecken - was etwa antwortet das Gegenüber? - , die Kommunikationsteilnehmer erscheinen zu idealisiert, da das Beispiel keiner authentischen Kommunikationssituation entstammt, was zur Folge hat, dass auch der Kontext artifiziell erzeugt ist. So ließe sich ebenso gut dieselbe Situation vorstellen - ein Patient spricht zu einem Freund oder Familienmitglied nach seiner Operation - , in welcher der expressive Sprechakt nun aber nicht durch Angst, sondern Zynismus geprägt sein könnte. Und was, wenn der Hörer den Beitrag des Sprechers zynisch interpretiert, obwohl dieser eigentlich ernsthaft besorgt ist? Im Hinblick auf eine mögliche Erweiterung der Blending-Theorie um eine Integration des Kommunikationsprozesses als Einheit könnte es über den Vorschlag von Brandt und Brandt hinaus durchaus interessant sein zu untersuchen, inwieweit durch unterschiedliche innovative Metaphernnetzwerke auch verschiedene Hörer selektiert werden bzw. inwieweit bestimmte Hörer Vorlieben für bestimmte metaphorische Netzwerke entwickeln und wie sich diese in ihrer Konstellation voneinander unterscheiden. Andersherum gefragt: An welchen Orten konstruieren Kulturen besonders innovative Metaphernnetzwerke (Schröder 2008 b, 160 - 161)? Man denke etwa an Schöpfungen im Bereich der politischen Satire, des schwarzen Humors oder des Jugendslangs, die stets subkulturell geprägt sind. Ebenso unklar ist bislang, welche kommunikativen Funktionen gerade die von Fauconnier und Turner ins Auge gefassten originelleren Blending-Szenarien erfüllen, ob etwa eine kommunikative Absicht erkennbar ist und - wenn ja - ob diese insofern Widerhall findet, als ein spezifischer Hörer auch eine annähernd kongruente Bedeutungskonstruktion vornimmt. Die in den letzten Jahren publizierten Forschungsergebnisse jedenfalls scheinen sich langsam in Richtung solch kommunikationswissenschaftlich brisanter Fragestellungen zu öffnen, so dass es sich lohnt, diese Entwicklungen weiterhin zu verfolgen. 96 3.3 Metaphern im Handlungskontext und in spezifischen Kommunikationssituationen 3.3.1 Emergenz und Entfaltung der Metapher in der Handlungspraxis Wie die kritische Auseinandersetzung mit der für die Konzeptuelle Metapherntheorie und die Blending-Theorie noch übliche Vorgehensweise der Herauslösung von Metaphern aus ihrer sprachlichen Heimat und ihrem kommunikativen Umfeld dargelegt hat, mangelt es solchen Ansätzen primär an einer hinreichenden Betrachtung des Sprachgebrauchs. Was trotz einiger Hinweise auf dessen Relevanz in den meisten Arbeiten der kognitiven Metaphernforschung bisher nicht ausformuliert wurde, ist der vielschichtige kommunikative Kontext, in den die Metapher sich einfügt und durch den sie zugleich konstituiert wird. Schließlich handelt es sich um einen reziproken Prozess, „ denn während einerseits die Bedeutung der Metapher kontextspezifisch ist, so ist andererseits der aktualisierte Kontext metaphernspezifisch “ (Kohl 2007, 52). Im Gegensatz zur relativ klar umrissenenen und prägnant ausformulierten Blending-Theorie ist es keine leichte Aufgabe, die Fülle der in der gegenwärtigen Metaphernforschung anwachsenden Flut an Abhandlungen aus so verschiedenartigen Bereichen wie der Diskursanalyse, Konversationsanalyse, Psychologie und Pragmatik nur annähernd vollständig zu portraitieren und zu systematisieren. Schon allein die Tatsache, dass bislang keine eigenständige Theorie mit terminologischem Inventar vorliegt - der Zugang von Lynne Cameron ist einer der wenigen, die sich offenbar auf dem Weg dorthin befinden - macht es schwierig, die facettenreichen Ausrichtungen unter bestimmten Fragestellungen zusammenzuführen. Ich beschränke mich daher entsprechend meiner Zielsetzung darauf, im Rahmen je eines zentralen Problemkreises jene Ansätze vorzustellen, die sich (a) kommunikationstheoretisch relevanten Fragestellungen zuwenden und sich (b) expressis verbis mit der Konzeptuellen Metapherntheorie auseinandersetzen und sie trotz all ihrer Mängel für anschlussfähig halten bzw. meiner Ansicht nach mit den Grundpostulaten der kognitiven Metaphernforschung kompatibel sind und komplementäre Einsichten liefern. Ausgeprägt und im Wachsen begriffen sind die Beschäftigungen mit der Metapher als Diskursphänomen in den praktisch orientierten und meist induktiv verfahrenden Studien der Angewandten Linguistik, die in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen und u. a. zur Etablierung des seit 1996 alle zwei Jahre stattfindenden internationalen Kongresses RaAM (Researching and Applying Metaphor) sowie im Jahr 2006 zur Gründung der Researching and Applying Metaphor International Association geführt haben. Angeregt durch praktische Fragestellungen und ver- 97 sehen mit einem interdisziplinären Impetus geht es den meisten Vertretern nicht darum, der Konzeptuellen Metapherntheorie den Rücken zuzuwenden, sondern sie im Gegenteil fruchtbar zu machen, indem komplementär zur unterstellten Stabilität von konzeptuellen Metaphern sowie der eingleisigen Überbetonung der Kognition als Urquell aller sprachlichen Kundgebungen der Variationsreichtum und die Dynamik der sprachlichen Metapher situationsgebunden unter die Lupe genommen werden (Zanotto, Cameron & Cavalcanti 2008, 2 - 3). Lynne Cameron und Graham Low (1999) bringen eine Publikation heraus, die auf der Basis der ersten Konferenz Researching and Applying Metaphor (RaAM) enstanden ist und das Feld absteckt, in dem die Untersuchungen zur Metapher sich im Rahmen einer Angewandten Linguistik zukünftig bewegen sollen. Insbesondere die Studien Camerons markieren einen wesentlichen Fortschritt im Hinblick auf die Integration einer kommunikativen Perspektive, die sich mit der Emergenz von Metaphern im Diskurs beschäftigt, ohne dabei jedoch das Terrain der kognitiven Metaphernforschung zu verlassen; in nuce geht es ihr um eine Erweiterung der Perspektive: „ One immediate result of adopting a language-in-use approach to metaphor is that language users become an integral part of the research pictures, and answers to many questions about metaphor identification and description must take them into account. “ (Cameron 1999 a, 5) Cameron knüpft einerseits in kritischer Auseinandersetzung an Lakoff und Johnson an, wie bereits der programmatische Titel ihres Aufsatzes Confrontation or complementarity? Metaphor in language use and cognitive metaphor theory (2007) anzeigt; andererseits greift sie auf die Interaktionstheorie der Metapher nach Richards (1936/ 1965) und Black (1962) zurück sowie auf deren Fortführung und Modifizierung in den Arbeiten Kittays (1987). 2 2 Ähnlich wie Fauconnier und Turner geht Richards schon in den dreißiger Jahren davon aus, dass die beiden Bereiche miteinander interagieren, was der Konzeptuellen Metapherntheorie mit ihrer Unidirektionalitätsthese diametral entgegen steht: „ when we use a metaphor we have two thoughts of different things active together and supported by a single word, or phrase, whose meaning is a resultant of their interaction “ (Richards 1936/ 1965, 93). Nach dieser Konzeption ist jede sprachliche Metapher im Rahmen eines ganzen Satzes als ‚ Doppel-Einheit ‘ (Richards 1936/ 1965, 96) zu betrachten. Zur Charakterisierung der beiden Seiten der Metapher führt Richards die Bezeichnungen tenor und vehicle ein. In dem Satz „ Man is a wolf “ ist der Mann der Tenor, das Thema, über das etwas gesagt werden soll, und der Wolf das dafür benutzte Vehikel. Diese Termini werden später von Kittay (1987, 258) durch vehicle field und topic domain ersetzt. Im Rahmen ihrer diskursanalytischen Untersuchungen bevorzugt Cameron die Übernahme des Terminus ’ vehicle anstelle von source domain, da ihr Ausgangspunkt der Sprachgebrauch ist und nicht die kognitive Ebene, obwohl sie die Termini topic und vehicle nicht zwangsläufig als auf den sprachlichen Ausdruck beschränkt sieht, sondern durchaus in Anlehnung an Blacks 98 Allein der Ausgangspunkt Camerons, die Differenzierung von drei Analyseebenen, lässt unschwer Parallelen zur Unterscheidung von extrakommunikativer und kommunikativer Sichtweise bei Ungeheuer erkennen: In einem ersten Schritt, im Rahmen der ‚ theoretischen Analyse ‘ , wie Cameron sie nennt, sollen die Metaphern eines bestimmten Diskurses identifiziert und klassifiziert werden. Daran schließt sich eine ‚ Prozessanalyse ‘ an, bei der die Perspektiven der Kommunikationsteilnehmer selbst sowie Fragen der gegenseitigen Verständigung im Vordergrund stehen, wobei die Metapher im Kontext der „ language in use “ (Cameron 2007, 109) sichtbar gemacht werden soll: „ Metaphor, whether conceptual or linguistic, from the discourse dynamics perspective, becomes processual, emergent, and open to change. Rather than seeing metaphor as a tool or some other kind of object that is put to use, a processual view attends to metaphor activity. Metaphor is not part of a system that is put to use; from a dynamic perspective there is only use. Through self-organization and emergence, metaphors and systems of metaphors can stabilize out of use. “ (Cameron et al. 2009, 67) Die dritte, die ‚ neurologische Ebene ‘ geht der Frage nach, wie die neurologische Basis beschaffen ist, die das Prozessieren metaphorischer Sinnkonstruktion erlaubt. Auf diese Weise wird ein Bogen vom Diskurs zur Kognition gespannt. Es ist die zweite Ebene, die Cameron in der Konzeptuellen Metapherntheorie vernachlässigt sieht und die sie ergo vertiefen möchte. Eine angemessene language-in-use-Perpektive verortet den Prozesscharakter von Metaphern im Diskurskontext und ihre Wirkung in der sozialen Interaktion, denn, so Cameron, die idealisierten konzeptuellen Metaphern von Lakoff und Johnson hätten mit dem, was Kommunikationsteilnehmer in konkreten Situationen de facto tun, wenig gemeinsam. Tatsächlich nämlich handle es sich beim Kommunikationsgeschehen um einen Prozess des „ talking-and-thinking “ (Cameron 2007), bei dem es eine permanente Wechselwirkung zwischen kognitiver und sprachlicher Ebene gebe, so dass beide Bereiche nicht als separat prozessierend, Bewusstseinsleistungen nicht nur als Ursache, sondern ebenso als Ergebnis interaktiver Sprachprozesse aufgefasst werden müssten: „ In talk, metaphor is a shifting, dynamic phenomenon that spreads, connects, and disconnects with other thoughts and other speakers, starts and restarts, flows through talk developing, extending, changing. Metaphor in talk both shapes the ongoing talk and is shaped by it. The creativity of metaphor in talk appears less in the novelty of connected domains and more in the use of (1962) system of associated commonplaces gleichzeitig als „ underlying conceptual systems “ (Cameron 1999 a, 16) versteht; vgl. ausführlich zur Interaktionstheorie der Metapher Kapitel 4.9. 99 metaphor to shape a discourse event and in the adaptation of metaphor in the flow of talk. Metaphor in talk is not evenly spread but gathers in clusters and occasionally, and then significantly, is altogether absent. People use metaphor to think with, to explain themselves to others, to organize their talk, and their choice of metaphor often reveals - not only their conceptualizations - but also, and perhaps more importantly for human communication, their attitudes and values. “ (Cameron 2008 a, 197) Für die im Diskurs emergierenden metaphorischen Ausdrücke, die als Resultat lexikalisch-grammatikalischer, ideeller, semantischer, affektiver, kommunikativer und pragmatischer Antriebskräfte aus soziokulturellen Konventionen und individuellen Handlungszielen hervorgehen, führen Cameron und Deignan (2006) den Terminus metaphoremes ein. Sind diese einmal etabliert, beschränken sie bis zu einem bestimmten Grad zukünftige Auswahloptionen, und ein weiterer Diskurs zum selben Thema erfolgt nicht selten auf dem bereits eingeschlagenen Pfad. Wie bei Fauconnier und Turner steht hier die ‚ Emergenz ‘ - die Entstehung des Neuen - im Vordergrund; allerdings wird die Analyse nicht durch Extraktion isolierter und besonders kreativer Einzelbeispiele bestritten. Metaphern werden vielmehr als emergierende Regularitäten und Stabilitäten wahrgenommen, die für den Diskursverlauf konstitutiven Charakter haben. Im Hinblick auf eine Balance zwischen der konventionellsozial manifestierten und innovativ-individuell variierenden Metapher sehen Cameron und Low (2004) einen Mechanismus wirken, den sie als metaphor attraction bezeichnen, was uns gleichzeitig die Anschlussfähigkeit ihrer Ausführungen an die Thesen von Lakoff und Johnson vor Augen führt: Eine schon bekannte und bereits idiomatisierte Metapher kann neue, unbekannte Metaphern derselben Ausgangsdomäne ‚ anziehen ‘ , so dass es im realen Diskurs zu einer hohen Dichte metaphorischer Ausdrücke eines bestimmten Bereichs kommt. Metaphern sind nun aber nicht gleichmäßig im Diskurs verteilt, sondern tauchen in Abhängigkeit von der thematischen Dichte gebündelt auf (clustering), indem sie wiederverwendet oder reformuliert bzw. paraphrasiert und ausgeweitet werden. Dadurch kommt es zu einer vehicle development (Cameron 2008 a, 201 - 202). Mit Blick auf diese Entfaltung und Verdichtung von Metaphern im Diskurs führt Cameron in Abgrenzung zur ‚ konzeptuellen Metapher ‘ für solche Allegorien den Begriff der ‚ systematischen Metapher ‘ als „ set of semantically-connected (vehicle) terms used across a discourse event or text to refer to a connected set of topics “ (Cameron 2007, 127) ein. Sie demonstriert deren Entstehung anhand der Analyse eines aufgezeichneten Gesprächs zwischen einem Terroristen und der Tochter seines Opfers, die sich 20 Jahre nach der Tat treffen, um das, was geschehen ist, aufzuarbeiten: Cameron beschreibt die sich im Gesprächsverlauf herauskristallisierende Schlüsselmetapher als RECONCILIATION INVOLVES CHANGING A DIS- 100 TORTED IMAGE OF THE OTHER und kontrastiert sie mit der generischen konzeptuellen Metapher von Lakoff und Johnson UNDERSTANDING IS SEEING , da sich im konkreten Diskurs eben nicht einfach Ausdrücke finden, die konzeptuelle Metaphern auf sprachlicher Ebene reproduzieren, sondern Diskurs und Kontext gleichermaßen Einfluss auf die kognitive Ebene nehmen. Im Kommunikationsprozess sind es mindestens zwei Teilnehmer, die Metaphern als Verstehensvehikel komplexer Situationen erst einmal gemeinsam aushandeln müssen, so dass der ausgesprochene Gedanke des einen dem anderen als Anknüpfungsoption offeriert wird, was nicht zwangsläufig bedeutet, dass dieser das Sinnangebot auch annimmt. Cameron schließt mit dieser dialogischen Perspektive explizit an Vygotsky und Bakhtin an und spricht in Bezug auf den Weg, den Metaphern im Gespräch nehmen, von „ metaphor shifting in the dynamics of talk “ (Cameron 2008 b). Verschiedenste Prozesse entfalten sich im Diskursverlauf in Abhängigkeit von durchaus nicht immer kongruenten Interessen der Teilnehmer. Mit vehicle re-deployment bezeichnet Cameron die Neuverwendung einer durch das Gegegenüber bereits ins Spiel gebrachten Metapher für ein neues Thema, wodurch der Kommunizierende die Aufmerksamkeit nahtlos zum gewünschten Gesprächsgegenstand hinüberziehen kann. In dem Gespräch zwischen Opfer und Täter etwa gerinnt die Metapher der HEILUNG ( HEALING ) zum verbindenden Gleitmittel, mit dessen Hilfe die Initiierung des Treffens durch das Opfer, die Konfrontation des Mörders mit seinen eigenen Taten als Terrorist sowie die politischen Entwicklungen Irlands gleichermaßen charakterisiert und damit unter ein und dasselbe Motto subsumiert werden. Vehicle development dagegen meint die zunehmende Elaborierung einer Metapher, die über verschiedene Relexikalisierungen verläuft, was Cameron (2008 b, 53 - 54) in einer anderen Studie anhand eines Gesprächs zwischen Lehrer und Schülern demonstriert, bei dem es darum geht, den Schülern zu erklären, was bei einem Vulkanausbruch geschieht. Der Lehrer analogisiert die Lava des Vulkans zunächst mit klebrigem Sirup und leitet dann einen Vergleich mit Butter ein, die in der Mikrowelle schmilzt, brodelt und zerläuft. Im Gegensatz zu dem ersten Vergleich weitet sich das Tertium Comparationis bei der Butter aus, da hier die Aktivität des Schmelzens unter Hitzeeinfluss hinzukommt, was die Analogie detailgetreuer und damit passender macht. Cameron zeigt uns auch, wie Kommunikationsteilnehmer qua vechicle literalisation wieder in die ‚ reale ‘ Welt zurückfinden: Bei der Aussprache zwischen dem Terroristen und der Tochter des Opfers zieht sich durch das gesamte Gespräch die Metapher der REISE , die darauf abzielt zu beschreiben, was die Tochter während ihrer psychischen Reise nach dem Mord an ihrem Vater alles durchlebt und durchlitten hat. Am Ende der Reise steht nun die herbeigesehnte Aussprache, und sie äußert den Satz: „ [. . .] the end of that 101 journey would be, sitting down and, talking to the people who did it “ . Cameron sieht in dem Ausdruck sitting down einen so genannten bridge term (Kittay 1987, 166), einen Ausdruck, der sowohl in der Ausgangswie auch in der Zieldomäne eigene Bedeutung trägt. Hier ließe sich der Ausdruck metonymisch verstehen, denn am Ende der Reise findet das Gespräch statt, und ein Teil des Gesprächs besteht darin, dass man sich zusammensetzt. Anhand ihrer Beobachtungen und der Auflistung verschiedener Typen metaphorischen Driftens in Kommunikationsereignissen kommt Cameron zu dem Schluss, dass Metaphern im Diskurs eine zentrifugale kognitive Kraft entfalten, die potenziell unendlich viele Verbindungsoptionen zu anderen Konzepten eröffnet. Für die Annahme konzeptueller Metaphern im Sinne von Lakoff und Johnson zieht sie daraus den folgenden Schluss: „ If conceptual metaphors are taken to be mappings that have stabilised across speech comunities and cultural groups, they can be seen as one influence on metaphor shifting in a discourse context. In the metaphor of ‚ the landscape of talk ‘ [. . .], conceptual metaphors may offer established wayrouted paths that speakers are more likely to take because they are more ‚ visible ‘ . They are not, however, the only possibility open to speakers. The multiple possibilities opened up by the use of a metaphor Vehicle term are both derived from and constrained by speakers ’ experience of the world, their socio-cultural contexts, and their discourse purposes. “ (Cameron 2008 b, 61) Gleichermaßen ist aus der prozessanalytischen Perspektive heraus keineswegs immer so klar, wo die Grenze zwischen Metaphorischem und Nicht- Metaphorischem verläuft, geschweige denn, was genau den Zielbereich eines metaphorischen Ausgangsbereichs darstellt, denn dieser wird ja in der Kommunikation selbst überhaupt erst erzeugt und kann durch Interpretations- und Aufmerksamkeitsverschiebungen driften (Cameron 2008 a, 201). Das diskursanalytische Unternehmen verkehrt damit die deduktive Vorgehensweise von Lakoff und Johnson ins Gegenteil: Eine adäquate Metaphernbeschreibung sollte nach dem Vorbild der Grounded Theory (Glaser & Strauss 1967) einen induktiven Ausgangspunkt wählen, auch wenn sie nie rein induktiv verfährt, sondern die Möglichkeit konzeptueller Metaphern mit einbezieht und zwischen der Mikroebene bestimmter Metaphern, der Mesoebene von Dialogepisoden, der Makroebene der Gesamtkonversation und dem dahinter liegenden soziokulturellen Kontext oszilliert (Cameron et al. 2009, 69). Entlang verschiedener mikroanalytischer Untersuchungen entwickelt Cameron Schritt für Schritt eine eigene Methodik für ihre Metaphor-Led Discourse Analysis (Cameron et al. 2009), 3 die sie vor dem Hintergrund der 3 Die Metaphor-Led Discourse Analysis (MLDA) nach Cameron grenzt sich bewusst von Metaphernanalyseverfahren in der Tradition der Kritischen Diskursanalyse, der 102 Analyse einer Gruppendiskussion im Rahmen eines umfassenderen sozialwissenschaftlichen Projekts zur Wahrnehmung der neuen Terror-Gefahr explizit ausführt. Die beiden zentralen Fragen, die dabei geklärt werden sollen, lauten: (a) Auf welche Weise benutzen die Teilnehmer in ihrer Diskussion Metaphern, um über Themen zu sprechen, die mit Terrorismus zusammenhängen? (b) Inwiefern legen die verwendeten Metaphern etwas über die Ideen, Einstellungen und Werte der Teilnehmer offen? Unterschieden werden bei der Analyse der aufgezeichneten Diskussion folgende methodische Schritte: 1. Identifikationsprozess: Im Anschluss an Chafe (1994) wird die Diskussion in Intonationseinheiten unterteilt, die je eine Gedankeneinheit darstellen. Nachdem die Transkription abgeschlossen ist, werden die sprachlichen Metaphern mit Hilfe der Pragglejaz-Methode identifiziert, wobei das Auffinden von Lexemen, deren Bedeutung mit der des Diskurskontextes kontrastiert werden kann, sowie die Produktion einer Zusatzbedeutung, die als Resultat aus dieser Kombination entsteht, bei diesem Schritt im Vordergrund stehen. 2. Metaphernkodierung: Mit Hilfe einer Excel-Tabelle werden verschiedene metaphorisch verwendete Ausdrücke zunächst bestimmten Fragen, Sprechern, Themengebieten und Vehikel-Gruppen zugeordnet. a. Die Themengebiete werden wiederum in Obergruppen, z. B. ‚ Reaktionen auf den Terrorismus ‘ und in Untergruppen, z. B. ‚ Reaktionen auf den Terrorismus durch Autoritäten ‘ oder ‚ Reaktionen auf den Terrorismus, die Auswirkungen auf die Muslime haben ‘ etc. unterteilt. b. Die Vehikel-Gruppen werden nach dem Vorbild der Konzeptuellen Metapherntheorie gemäß ihrer semantischen Verknüpfung gebündelt, wobei allerdings von der apriorischen Annahme Abstand genommen wird, es seien konzeptuelle Metaphern aktiv, sobald ein Sprecher eine sprachliche Metapher produziert. 3. Datenanalyse: Diese kann auf zweierlei Weise erfolgen: a. Quantitative Beschreibung: Durch die Excel-Tabelle ist es möglich, eine Analyse der Metaphernanzahl pro Sprecher und Vehikel-Gruppe sowie der metaphorischen Bereiche, die benutzt Critical Metaphor Analysis (CMA) ab, die von Charteris-Black (2004) entwickelt wurde. Letztere ist in erster Linie an ideologischen und sozialen Fragestellungen der Machtausübung interessiert und arbeitet viel näher an der Terminologie der Konzeptuellen Metapherntheorie, wobei Korpusanalysen das sprachliche Material bereitstellen; vgl. dazu ausführlicher Kapitel 3.4.1. 103 werden, um über ein bestimmtes Thema zu sprechen, vorzunehmen. b. Qualitative Beschreibung: Im Vordergrund steht die Beobachtung der Entfaltung von Metaphern im Interaktionsverlauf mit besonderem Augenmerk auf „ the ideas, attitudes or judgements that metaphors are used to assert, negotiate, endorse, or resist “ (Cameron et al. 2009, 77). Hinsichtlich der aufgezeichneten Diskussion entwickeln sich vor dem Hintergrund der Verknüpfung von Freiheitsidee und terroristischen Anschlägen spezifische Metaphern: Ein Teilnehmer etwa ist der Meinung, Terrorismus sei insofern nicht dasselbe wie Krieg, als die Komponente der Feigheit ins Spiel komme, weshalb er Terrorismus als sneaky way und bullying beschreibt. Damit rahmt er Terrorismus negativ und greift gleichzeitig auf kulturelles Wissen zurück, denn bullying bezieht sich im aktuellen britischen Sprachgebrauch vornehmlich auf Situationen, in denen jüngere Kinder von einer Gruppe älterer Kinder oder Jugendlicher drangsaliert werden. Dieses Motiv wird nun von anderen Teilnehmern aufgenommen und durch die Verwendung von Ausdrücken wie hit and run, blackmail, bribery, from behind etc. ausgestaltet. 3.3.2 Die Metapher im Wechselspiel von Kommunikationsgenre und Kontextualisierungshinweisen Eine weitere Errungenschaft vieler Studien der letzten zehn Jahre, die aus dem Umfeld der kognitiven Metaphernforschung stammen, stellt die wachsende Berücksichtigung der Verwobenheit von Metaphernverwendung und Kommunikationsgenre dar, wo in der ersten Generation, soweit sich überhaupt Hinweise auf eine solche Interdependenz finden lassen, meist nur zwischen Alltagssprache und Wissenschaftssprache unterschieden wird. In einer Metaanalyse zur quantitativen Verteilung von Metaphern in Abhängigkeit von der entsprechenden Textsorte findet Cameron heraus, dass in universitären Vorlesungen mit 20 metaphorischen Ausdrücken auf 1000 Wörter ein vergleichbar geringer Anteil an Metaphern zu finden ist, während die Anzahl im Alltagsdiskus auf 50, in der Arzt-Patient-Konversation auf 55 und im Schulunterricht sogar auf 60 steigt, wogegen die Schüler, sobald sie unter sich sind, im Durchschnitt nur 27 metaphorische Ausdrücke auf 1000 Wörter verwenden (Cameron 2003, 57). Mit diesen Resultaten taucht eine zentrale Frage auf, mit der sich die Perspektive einmal mehr von einer gebrauchsabstrahierten Sichtweise zu den Kommunikationsteilnehmern hin verlagert: Warum machen Sprecher in unterschiedlichen Diskurssituationen auch unterschiedlich starken Gebrauch von Meta- 104 phern? Cameron beobachtet, dass diejenigen Metaphern, die während des Schulunterrichts in der Interaktion zwischen Lehrer und Schülern auftauchen, sich in bestimmten Momenten - bei Resümées und Erklärungen, Ankündigungen zur Unterrichtsplanung und evaluativem Feedback - offenbar bündeln (Cameron 2003, 126). Generell sind in wissensvermittelnden Kontexten Metaphern häufiger anzutreffen, wie verschiedene Studien nahe legen: Boyd (1993, 482 - 486) unterscheidet zwischen zwei zentralen Funktionen, die den Metaphern in solchen Diskurszusammenhängen zukommen: (a) theoriekonstitutive Metaphern übernehmen innerhalb des Wissenschaftsdiskurses explorative und katachretische Funktion, indem sie lexikalische Lücken füllen wie z. B. die COMPUTER -Metapher innerhalb der Kognitiven Psychologie oder die CODE - Metapher im Rahmen der Genetik, und (b) exegetische bzw. pädagogische Metaphern können dazu verwendet werden, Schülern und Studenten ihnen nicht vertraute Phänomene durch vertraute näher zu bringen. Eine solche idealtypische Aufsplitterung in zwei Metaphernkategorien in Abhängigkeit von ihrer funktionalen Ausrichtung auf der Basis von Wissenserschließung und -vermittlung soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich letztlich um ein skalares Phänomen handelt: Vielfach gehen ursprünglich aus explorativer Motivation heraus entstandene Metaphern der Wissenschaftswelt nach einiger Zeit in den populärwissenschaftlichen und schulischen Diskurs ein, während die Experten selbst über ein zunehmend gefestigteres Know-How der Zieldomäne verfügen, dem neue metaphorische wie nicht-metaphorische Konzepte zugrunde liegen. Mit zunehmender Komplexität der entsprechenden Wissensdomäne geraten die Metaphern nun wegen ihrer simplifizierenden und reduktionistischen Implikationen in Verruf. Im Fall der CODE -Metapher für die DNA etwa kommt es nach anfänglicher Euphorie zu Fragen nach der gesellschaftlichen Erwünschtheit mit Blick auf die Gefahr von ‚ Designer Babies ‘ oder ‚ genetischen Unterklassen ‘ . In ähnlicher Weise wird inzwischen auch von vielen in Frage gestellt, ob die einseitige Sichtweise auf Krankheiten wie Krebs oder AIDS und deren Behandlung entlang der Kriegsmetapher einen tatsächlich so positiven Effekt auf die Betroffenen hat, wie früher angenommen wurde (Semino 2008, 158 - 163, 175 - 178). Hinsichtlich der Funktion von Metaphern im Zusammenhang mit Wissensvermittlung spielt der Grad an Vertrautheit mit der gewählten metaphorischen Projektion eine wesentliche Rolle, was auf sprachlicher Ebene seinen Niederschlag im Gebrauch von Vergleichspartikeln findet. Für die meisten Vertreter eines kognitiven Ansatzes verschwimmt bekanntlich die in traditioneller Sicht klare Abrenzbarkeit von Vergleich und Metapher, da diese Trennung lediglich durch die Vergleichspartikeln auf der Sprachebene angezeigt wird. Steen (2007, 277) spricht diesbezüglich von „ metaphors in meaning and thought expressed by language that is not metapho- 105 rically used in discourse, as in simile and comparable rhetorical forms “ . Zwar unterliege die Analyse einer Äußerung wie „ Grief tumbled out of her like a waterfall “ anderen formal-linguistischen Kriterien als die derselben Äußerung ohne Vergleichspartikel; beide Äußerungen jedoch drückten auf gleiche Weise das Verständnis eines Gegenstandsbereichs in den Begriffen eines anderen aus, das dem Diskurs auf konzeptueller Ebene zugrunde liegt. Dieser Sichtweise Steens scheint allerdings ein von den Kommunikatoren völlig losgelöster Metaphernbegriff zugrunde zu liegen. So bleibt zu fragen, von welcher Warte aus der Befund, es handle sich in beiden Fällen um denselben kognitiven Prozess, vorgenommen wird und ob es tatsächlich nur formal-linguistische Kriterien der Sprachoberfläche sind, die beide Varianten voneinander trennen. Die konzeptuelle Ebene jedenfalls prozessieren Sprecher und Hörer sicherlich nicht in gleichem Maße. Wie in Abschnitt 3.3.1.3 und 3.3.2 ausführlich diskutiert wird, bleibt die Differenz von Metapher und Vergleich gerade aus Hörerperspektive eine fundamentale. Solche als Vergleich realisierte Metaphern, die der wechselseitigen Verhaltenssteuerung der Interaktanten dienen, werden in einer Arbeit von Cameron und Deignan (2003) im Hinblick auf ihre Funktionalität untersucht. Anders als Steen fassen die beiden Autorinnen Vergleiche als explizite Hinführungen zu bislang beim Hörer noch nicht erschlossenen Domänen auf. Besonders offenkundig tritt diese kommunikative Funktion der Vergleichspartikel bei dem bereits kurz diskutierten Kommunikationsgenre ‚ Schulunterricht ‘ zutage. So analysieren Cameron und Deignan Unterrichtseinheiten in der Primarstufe englischer Schulen und konzentrieren sich auf die durch den Lehrer häufig im Kontext einer bewusst gesetzten Metapher gebrauchten tuning devices, zu denen sie sprachliche Signale (just, like, sort of), Abschwächungen (it is like) und nonverbale Signale (Pausen, Verzögerungen etc.) zählen, welche sie als Kontextualisierungshinweise verstehen, indem sie dem Hörer - in diesem Fall Kindern und Jugendlichen - signalisieren, dass es sich bei den gemachten Äußerungen um Metaphern handelt, und ihm gleichzeitig Anweisungen für eine adäquate Sinnkonstruktion mitgeben. Bemerkenswert ist an dieser Studie, dass Cameron und Deignan über die rein linguistischen Mittel hinaus nonverbale und paraverbale Handlungen in ihre Untersuchung miteinbeziehen und ihre Interpretationen offensichtlich mit Einsichten der Interaktionalen Soziolinguistik verbinden, ein Gebiet, auf dem Gumperz (1982) der erste war, der besonders die sprachbegleitenden Kommunikationsmittel als Kontextualisierungshinweise untersuchte, die in der interkulturellen Begegnung Auslöser für Probleme im Verständigungsprozess darstellen können. Dass solche tuning devices besonders häufig im Diskurskontext ‚ Primarstufe ‘ zu finden sind, hängt den Autorinnen zufolge mit der hohen Sensibilität zusammen, die Lehrer im Hinblick auf das Problem entwickeln, dass ihre 106 Hörer aufgrund ihres Alters noch nicht in der Lage sind, wörtliche und übertragene Bedeutungen auseinander zu halten. Die Metaphern übernehmen in diesem Sinne wie in Arzt-Patient-Konversationen die Rolle des Vermittlers von technischem Expertenjargon (Cameron 2003, 112). 4 Es sind solche ‚ kommunikativen Settings ‘ des Wissenstransfers, in denen Sprecher besonders häufig Indikatoren zur Metaphernkennzeichnung setzen, um Wissen aus einem relativ spezialisierten Fachzusammenhang einem nicht-fachlichen Adressatenkreis zu vermitteln. Explizite Redecharakterisierungen erfolgen immer dann, wenn der Sprecher antizipiert, dass seine Äußerung ohne zusätzlichen Kommentar eine Belastung oder Störung des Gesprächs hervorrufen könnte. Beckmann (2001, 83 - 93) unterteilt solche Indikatoren in drei Typen: (a) redecharakterisierende Adverbiale (gewissermaßen, bildlich gesprochen), (b) Markierung durch Anführungsstriche (graphisch oder gestisch) und (c) verfahrensunterstützende Mittel wie beim expliziten Vergleich ( „ Ein Quantenfilm ähnelt einem weniger als hauchdünn belegten Sandwich “ ). Ihre Klassifizierung berücksichtigt gegenüber den Ausführungen von Cameron und Deignan allerdings keine nonverbalen Kommunikationsmittel. Eine weitere, ausführliche Studie zu metasprachlichen Ausdrücken wie sort of, kind of, as . . . as, like, die Metaphern einleiten, sowie zu morphologisch markierten Signalen wie -like und -ish und orthographischen Hinweisen wie Anführungsstrichen findet sich in Goatly (1997), der noch andere kommunikative Zwecke der Kennzeichnung metaphorischen Sprachgebrauchs diskutiert, etwa die ‚ Revitalisierung von Metaphern ‘ (Goatly 1997, 276 - 277). Semino (2008, 20) gibt hierfür ein ausführliches Beispiel: Während einer Radiosendung erwähnt eine Hörerin am Telefon, dass sie trotz ihrer 62 Jahre noch angefangen habe, Klavierspielen zu lernen, woraufhin der Radiomoderator sagt: „ I have always wanted to pick up the piano myself “ und die Frau antwortet „ Not literally “ . Indem ein solch humorvoller Hinweis im Hörer das Bild des Klavier stemmenden Radiomoderators evoziert, zeigt sich, wie selbst solche in hohem Maße konventionalisierten Ausdrücke das Potenzial bergen, durch entsprechende Kontextualisierungshinweise bewusst als metaphorisch wahrgenommen, d. h. revitalisiert zu werden. Die Aufmerksamkeit verschiebt sich zu einer metakommunikativen Warte, wodurch der beschrie- 4 Gansen (2010) widmet sich in verschiedenen qualitativ ausgerichteten empirischen Studien dem metaphorischen Denken von Kindern und gelangt zu einem Befund, der die sozial-funktionale Perspektive um eine wichtige Erkenntnis erweitert: Einerseits ist es tatsächlich der Kontakt mit der Welt der Erwachsenen, der das Verständnis von Metaphern bei Kindern bestimmt; andererseits ergab die Analyse von Gesprächen einer philosophischen Arbeitsgruppe an einer Grundschule, dass die Kinder neben ihrem Bemühen, die konventionellen Metaphern der Erwachsenen nachzuvollziehen, gleichfalls überraschend eigenständige Bilder hervorbringen und sich beim freien Verfassen von Gedichten äußerst kreativ zeigen. 107 bene humoristische Effekt überhaupt erst erzielt wird: Man lacht auf einer zweiten Ebene über die Eigenheiten und die Flexibilität der Sprache. Eine aufschlussreiche Studie zur hörerseitigen Akzeptanz von durch die Vergleichspartikel like indizierten so genannten expliziten Metaphern im Gegensatz zu Metaphern ohne Vergleichspartikel haben Chiappe, Kennedy & Smykowski (2003) vorgenommen. Das Forscherteam hat zwei Gruppen von Probanden eine Reihe von möglichen Aussagen vorgelegt, die entweder die Struktur von Vergleichen oder die von Metaphern aufwiesen: Beauty is (like) a passport, Cities are (like) jungles, Education is (like) a stairway etc. Die Probanden mussten nun entlang einer Skala von 1 - 10 entscheiden, wie adäquat ihnen die Aussage erschien. Das Ergebnis zeigte, dass die Punktzahl höher war, sobald es sich um eine Metapher und nicht um einen expliziten Vergleich handelte, was die Forscher auf eine stärkere Wirkkraft von Metaphern schließen ließ. Zieht man die Verschiebung von einer kommunikativen zu einer extrakommunikativen Perspektive hinzu, so könnte man noch einen Schritt weiter gehen und das Ergebnis so lesen, dass kommunikative Eingebundenheit zu einer höheren Bereitschaft führt, angebotene Sichtweisen anzunehmen, während das Heraustreten aus dem kommunikativen Prozess und die Kenntlichmachung einer metaphorischen Verstehensweise einen relativierenden Effekt erzielen. 3.3.3 Die metakommunikative und gesprächssteuernde Funktion von Metaphern Nun ist es andersherum ebenso möglich, dass die Kontextualisierungshinweise, die ein Gespräch metakommunikativ strukturieren, ihrerseits metaphorisch mit Ausdrücken wie eine Frage, die mir in den Sinn kommt oder lass uns die Karten auf den Tisch legen realisiert werden. Dabei benutzen die Kommunikationsteilnehmer solche Formulierungen besonders in informeller Kommunikation, um Themenwechsel zu markieren, indem ein Kommunikationsteilnehmer z. B. Inhalte zusammenfasst oder durch Kundgabe einer bestimmten Einstellung das Thema resümiert und abschließt. Auf diese Weise machen sich die Beteiligten die komprimierende Funktion der Metapher zunutze. Zu diesem Ergebnis kommen die Untersuchungen von Holt und Drew (2005, 35 - 37), die in figurativen Ausdrücken einen häufigen Dreh- und Angelpunkt für den Übergang zu einem neuen Thema sehen. Sie analysieren u. a. ein aufgezeichnetes Telefongespräch zwischen einer Mutter und ihrer Tochter, bei dem die Tochter der Mutter von einem plötzlich verstorbenen Bekannten berichtet und das Thema mit den Worten abschließt „ He had a good innings “ , eine Metapher, die aus der Domäne des SPORTS ( CRICKET ) stammt. Sodann führt sie einen neuen Gesprächsgegenstand ein und berichtet der Mutter über ihre Aktivitäten während der vergangenen Woche. 108 Die resümierende Metapher zur Beendigung einer Episode wird darüber hinaus vom Gegenüber häufig aufgegriffen, um entlang des vom Sprecher zuletzt offerierten Bildes ein neues Thema als Parallele zum vorangegangenen zu eröffnen. Holt und Drew zitieren eine Gesprächsepisode, bei der eine junge Frau ihrer Freundin berichtet, dass sie einen Bekannten aus ihrer Schulzeit zufällig wieder getroffen hat, von dem sie nicht erwartet hätte, dass er sich so vorteilhaft entwickeln würde. Sie fasst die Anekdote in das Bild „ He ’ s a late bloomer “ , das von der Freundin unmittelbar weiterentwickelt wird, um ihrerseits die Geschichte von einem Bekannten zu erzählen, den sie noch aus der Schulzeit kennt und bei dem die Entwicklung genau andersherum verlaufen ist. Holt und Drew schließen daraus: „ The figurative expression used to respond to D ’ s story and then repeated by M at the start of her telling manages the transition between them. It explicitly portrays M ’ s story as related to D ’ s [. . .], thus creating a stepwise transition from one story to the next [. . .] a figurative phrase forms a pivot between two matters. “ (Holt & Drew 2005, 38) Mit dieser kohäsiven und diskursstrukturierenden Funktion der Metapher auf metakommunikativer Ebene beschäftigt sich auch Ponterotto (2003). Ihre Studie ist durch die Frage motiviert, warum Konversationen trotz der gewaltigen Schwierigkeiten, die auf die Kommunikationsteilnehmer warten - Themen- und Perspektivenwechsel, verschwommene Präsuppositionen, die Konstruktion einer adäquaten Informationsstruktur, das Erreichen intendierter Ziele und das Treffen bestimmter Entscheidungen in aller Kürze - , scheinbar leicht zu realisieren sind und welche Mechanismen für die Kohäsion des Diskurses verantwortlich sind. Ponterotto knüpft in diskursanalytischer Perspektive an das Blueprint Model von Tomlin et al. (1997) an, das voraussetzt, dass der Sprecher dem Hörer einen Wegweiser als Entwurf an die Hand gibt, um dessen Interpretationen in die richtigen Bahnen zu lenken. Ponterotto geht davon aus, dass die in vielen textlinguistischen Abhandlungen bislang untersuchten Diskursmittel wie Referenz, Ellipsis, Substitution, Konjunktion, Wortabfolge und Wiederholungen nicht ausreichen, um die Kohärenz der gesamten Gesprächsepisode erklären zu können. Um den sinnstiftenden Mechanismen auf der Diskursebene gerecht zu werden, schlägt sie vor, die Rolle der Organisation von Diskursprozessen bei konzeptuellen Metaphern zu suchen. Wie den Metaphern diese Aufgabe gelingt, führt Ponterotto im Rückgriff auf eine Szene aus dem Film Scent of a Woman vor: In einer Szene versucht der Direktor einer höheren Schule für reiche Zöglinge, zwei Schüler, George und Charles, dazu zu überreden, andere Mitschüler anzuschwärzen. In der nachfolgenden Szene bemüht sich nun George darum, Charles begreiflich zu machen, dass dem Direktor einzig daran gelegen sei, die beiden gegeneinander auszuspielen, wobei er metaphorische Ausdrücke verwendet, die verschiedene Szenarien und kognitive Modelle aufrufen und damit eine 109 Entlastung für die zu erbringende Interpretationsleistung darstellen. Gleichzeitig werden bestimmte Sprechakte realisiert, in denen das verbalsuggestive Moment der verwendeten Metaphern zum Tragen kommt: Metaphorischer Ausdruck Aufgerufene konzeptuelle Metapher Sprechakt He ’ s good cop-bad copping us. PERSUASION IS POLICING Warnen He knows I ’ m old guard and you ’ re fringe. SOLIDARITY IS MILITANCY Suggerieren We stick together. SOLIDARITY IS CLOSENESS Suggerieren We don ’ t cover our ass. NON - SOLIDARITY IS SELF - PRO- TECTION Hinweisen Abb. 3.3-1: Metaphern und Sprechakte zu einer Dialogszene aus ‚ Scent of a Woman ‘ (Ponterotto 2003) Dies sind nur einige Beispiele aus der kurzen Episode. Richtungsweisend bei diesem Vorgehen scheint mir der Versuch zu sein, eine Brücke zwischen der Konzeptuellen Metapherntheorie und der Pragmatik zu schlagen, indem hier jede einzelne Äußerung, die eine Metapher impliziert, an ein bestimmtes (Teil-) Handlungsziel auf der Sprechaktebene gekoppelt wird. Ponterotto bleibt jedoch nicht auf der Ebene des isolierten Sprechaktes stehen, sondern fährt mit ihrer Analyse fort und zeigt Schritt für Schritt, wie der gesamte Dialog zwischen George und Charles durch ein kognitives Metaphernnetzwerk zusammengehalten wird und dabei einem bestimmten Pfad folgt, wobei den Metaphern selbst die übergeordnete Diskursfunktion zukommt, den Verständigungsprozess durch Aktivierung umfassender Szenarien in Gang zu halten: „ On the one hand, cognitive metaphor, brief, concise and vivid, functions as a pivot which holds everything in place; on the other hand, the cognitive metaphor network, multiple, open-ended and flexible permits constant reelaboration. Cognitive metaphor therefore gua-rantees both stability and dynamicity in discourse processes. As a specific discursive form, conversation is a fleeting encounter of multiple perspectives, a fast negotiation of compe-ting goals, a rapid matching of complex positions. Conversation is after all a subtle meeting of minds. Often it is cognitive metaphor which guarantees the cohesion/ coherence necessary for successful communication. “ (Ponterotto 2003, 297) Im Gegensatz zu den Ausführungen Camerons freilich bleibt Ponterotto trotz der Berücksichtigung der dynamischen und kontextbasierten Natur von Gesprächen weitaus stärker im Paradigma der Konzeptuellen Metapherntheorie insofern haften, als ihr Ausgangspunkt von der Prämisse getragen ist, konzeptuelle Metaphern seien fixe Entitäten in den geistigen 110 Regionen der Sprecher, die bei der Aufrechterhaltung von Gesprächskohäsion helfen. Gleichzeitig beweist sie gerade damit, dass sich eine Sprachgebrauchsanalyse und einige Grundthesen der Konzeptuellen Metapherntheorie nicht zwangsläufig ausschließen müssen. Desgleichen fragwürdig scheint demgegenüber die Allgemeingültigkeit der von Ponterotto behaupteten stabilisierenden und dynamisierenden Funktion, welche die kognitive Metapher im Diskurs inne hat, dann nämlich, wenn dem Hörer das Tertium Comparationis verschlossen bleibt, was angesichts der auf Erfahrungen gründenden individuellen Welttheorie, die ein jeder Teilnehmer ins Gespräch hineinträgt, keinesfalls abwegig ist, wie weiter unten gezeigt wird. 3.3.4 Die Multimodalität von Metaphern Wachsende Aufmerksamkeit erfahren sprachbegleitende und mit Sprache aufs Engste verflochtene Kommunikationsformen wie metaphorische Gesten, da gerade sie Konzeptualisierungen von Wirklichkeit sichtbar machen und damit einen wichtigen Indikator für die Plausibilität der Kernhypothesen der Konzeptuellen Metapherntheorie darstellen. So widerlegt die Entdeckung metaphorischer Gesten den Kritikpunkt von der Zirkularität des Nachweises der Existenz konzeptueller Metaphern, demzufolge die metaphorischen Ausdrücke einerseits als Indiz für konzeptuelle Metaphern veranschlagt und diese andererseits umgekehrt für die Produktion der sprachlichen Metaphern verantwortlich gemacht werden (Murphy 1996). Das Vorfinden metaphorischer Gestik hingegen vermag über diesen sprachlichen Zirkel hinauszugelangen und einen plausi-blen Nachweis für die These von der embodied cognition zu erbringen (Cienki 2008). Studien zur Gestik lassen sich bis auf Wilhelm Wundt (1900/ 1922, 162 - 200) zurückverfolgen, der einen semiotischen Ansatz wählt und zwischen der ‚ hinweisenden ‘ , ‚ darstellenden ‘ und ‚ symbolischen Geste ‘ unterscheidet, wobei die letztgenannte das kennzeichnet, was McNeill (1992) später ‚ metaphorische Geste ‘ nennt: „ Der allgemeine Charakter der symbolischen Gebärde besteht aber darin, daß sie die auszudrückenden Vorstellungen aus einem Anschauungsgebiet in ein anderes überträgt, also z. B. zeitliche Vorstellungen räumlich andeutet, oder daß sie abstrakte Begriffe sinnlich veranschaulicht. “ (Wundt 1900/ 1922, 165) Cienki und Müller (Cienki 1998, 2008; Müller 2008 a; 2008 b; Cienki und Müller 2008 a; 2008 b) realisieren eine Reihe von Studien zur metaphorischen Gestik im Gesamtkontext verbaler wie nonverbaler Kommunikation und liefern nicht nur einen wichtigen Beitrag zu theoretischen Fragen der kognitiven Metaphernforschung, sondern schlagen auch eine Erweiterung der empirischen Methodenvielfalt vor: 111 „ The focus on spoken language in the physical setting of its use, inherently part of the video-recorded data used in most gesture studies, could help give greater attention to other questions in the study of metaphor. These include the role of where metaphor occurs in the discourse context, the function of metaphor in the interaction between participants in conversation, and the role of the physical setting (the context of interaction) as a prompt for, or grounding of, the use of specific metaphors. “ (Cienki & Müller 2008 a, 496) Die Autoren (Cienki & Müller 2008 a, 487 - 493) unterscheiden vier verschiedene Arten, wie metaphorische Gesten mit dem simultan ablaufenden Sprechprozess korreliert sein können: 1. Die gleiche Metapher wird simultan im Sprechen und durch Gestik ausgedrückt, wie ein Beispiel von Müller (2008 b) illustriert: Eine deutsche Sprecherin beschreibt ihre Beziehung zu ihrem Freund als klebrig und vollzieht gleichzeitig eine Bewegung mit den geöffneten Handoberflächen, die sie wiederholt aneinander drückt. 2. Die Metapher wird gestisch, aber nicht sprachlich ausgedrückt, wie ein weiteres Beispiel von Müller (2008 b) zeigt: Die Sprecherin redet von einer psychologischen Depression und bewegt dabei ihre rechte offene Hand wiederholt langsam nach unten. 3. In der Gestik und im Sprechen werden unterschiedliche Metaphern ausgedrückt, wie ein Beispiel von Cienki und Müller (2008 a, 491) demonstriert: Die Sprecherin redet über moralische Qualitäten in zwei verschiedenen Kategorien „ Either you ’ re right you ’ re wrong, ’ r black ’ r white, y ’ know “ , wobei sie mit den Händen eine Bewegung macht, als ob sie den Raum in zwei Hälften unterteilt. Auf diese Weise findet sich auf der Ebene des Sprechens eine Farbmetapher und parallel dazu auf der Ebene der Gestik eine Raummetapher. 5 4. Im gestischen Bereich wird eine Metapher ausgedrückt, die es für den sprachlichen Bereich nicht gibt, wie ein anderes Beispiel von Cienki (1998) darlegt: Ein Student spricht über zwei unterschiedliche zeitliche Ereignisse: die Klausurvorbereitung und die Klausur selbst, wobei er gestisch das erste Ereignis links und das zweite rechts 5 Gerade dieses Beispiel zeigt, dass es bei dem Schwarz-Weiß-Gegensatz gar nicht auf die Farbe ankommt, sondern auf den Gegensatz ‚ a versus b ‘ . Nähert man sich diesem Untersuchungsergebnis von einer solchen extrakommunikativen Warte her, so wird deutlich, dass die Aussage, hier würden verschiedene Metaphern ausgedrückt, zu einem gewissen Grad relativiert werden muss, da es gar nicht um den Ausdruck selbst geht, sondern um das ihm zugrunde liegende Konzept des Gegensatzes. Da nun gerade die kognitive Metaphernforschung davon ausgeht, die Metapher selbst sei auf der kognitiven Ebene angesiedelt und finde in der Sprache nur einen Oberflächenausdruck, müsste diesen unterschiedlichen Betrachtungsweisen stärkere Aufmerksamkeit zukommen. 112 lokalisiert. Diese Anordnung der ZEIT ALS ORT -Metapher kann im Zusammenhang mit der Links-Rechts-Orientierung unseres Schriftsystems gesehen werden. 6 Entlang einer Betrachtung der Prozessualität von Gesten im Verein mit verbalen und paraverbalen Kommunikationsformen gelingt es vielen Forschern auf dem Gebiet der metaphorischen Gestik aufzeigen, dass konventionelle und innovative metaphorische Gesten ein Kontinuum bilden und sich keineswegs so klar voneinander abgrenzen lassen. In dieser Perspektive können Gesten die Metaphorizität konventioneller Metaphern, die auf verbaler Ebene gar nicht bemerkt werden, wieder ins Bewusstsein rücken, indem der Sprecher eine dem verwendeten verbalen Ausdruck korrespondierende übertriebene Handbewegung ausführt, zusätzlich seinen Blick darauf richtet und den gesprochenen Ausdruck schließlich auch noch prosodisch markiert (Cienki 2008; Müller 2008 a). Solche Beobachtungen sind nur möglich, weil der sukzessive Zeitverlauf des metaphorischen Prozesses in der Filmaufnahme nachvollzogen werden kann. Indem die gesamte Kommunikationssituation aufgezeichnet wird, wenden sich die Forscher von der punktuellen, in einem Ausdruck komprimierten Metapher ab und ihrer Realisierung in der sozialen Interaktion zu, was sich u. a. in McNeills (2008) Termini catchment und growth point widerspiegelt: Ersterer bezieht sich auf die sich aus einem Kommunikationsereignis ergebende Gesamtstrecke einer konsistenten metaphorischen Geste; letzterer dagegen auf den Moment, ab dem eine sprachlich-gestische Metapher ihren Ausgang nimmt. Durch dieses neue Gewicht, das in methodologischer Hinsicht der Aufzeichnung authentischer Interaktionssituationen zukommt, öffnet sich die kognitive Metaphernforschung für die Multimodalität des Kommunikationsprozesses, wie Müller betont: Studying gestures in language use offers the opportunity to uncover fundamental properties of metaphor which so far have received little interest - if at all. This is a shift towards studying metaphor as it is used, and it has important theoretical consequences because it reveals that metaphoricity is dynamic; it indicates that the speaker establishes or creates metaphoricity online through a general cognitive process, which is in principle modality independent. [. . .] Co-participants in an interaction have multiple (multimodal) types of resources at their disposal to construct meaningful utterances and to create mutual understanding. (Müller 2008 a, 219) Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang der Sammelband von Cienki und Müller (2008 b), in dem eine Reihe von Beiträgen zu finden ist, die sich der Interaktion auf mikroanalytischem Wege annähert und damit einerseits 6 Vgl. zu Metaphern der transversalen Achse die Untersuchungen von Calbris (2008). 113 die Konversationsanalyse um die Einbeziehung metaphorischer Gesten erweitert sowie andererseits umgekehrt auch konversationsanalytische Aspekte der Gesprächssteuerung in die kognitive Metaphernforschung hineinträgt, wobei vor allem die situational einzigartige individuelle Motivierung eines bestimmten verbalgestischen Bedeutungskomplexes im online-Prozess ins Zentrum der Betrachtung rückt (McNeill 2008). Gesten heben bestimmte Elemente und Aspekte einer sprachlichen Äußerung hervor, kontextualisieren diese und tragen so zur Figur-Grund-Organisation bei, womit sie die Funktion des Informationsmanagements in der Vis-à-vis- Kommunikation übernehmen und die Aufmerksamkeit im Gespräch lenken: „ activation of metaphoricity critically depends upon the dynamic flow of the speaker ’ s focal attention “ (Müller 2008 a, 219). Müller (2008 a, 224) bringt deutlich zum Ausdruck, dass sich der Fokus gestischer Metaphernforschung auf der Entfaltung und Prozessualität multimodaler Metaphorik in sozialen Interaktionen und damit gleichsam auf pragmatische Eigenheiten der Metapher zu richten hätte. Gesten können etwa bestimmte Argumente als offensichtlich - durch eine offene Hand - oder als wenig plausibel - durch das Beiseitefegen des Objekts durch die Hand - auszeichnen und damit eine illokutionäre Kraft entfalten, die sich auf der verbalen Ebene unter Umständen gar nicht finden lässt. Auch Streeck (2008, 259) spricht im Hinblick auf die gesprächsorganisierende und -lenkende illokutionäre Kraft der gestischen Metapher von pragmatic gesture und wendet sich solchen Metaphern zu, die Annahmen über die Gesprächsorganisation selbst zum Ausdruck bringen und damit gleichsam steuern, z. B. Gesprächsübergaben, bei denen eine offene Hand das Übergeben eines Objekts visualisiert. Metakommunikative Kommentare wie „ Das ist eine andere Geschichte “ oder „ Wie dem auch sei. . . “ werden von Gesten begleitet, die ein Objekts beiseite zu schieben scheinen. Untersuchungen auf dem Gebiet der Gestik sind gerade für unsere Fragestellung vielversprechend, da sie konkrete Interaktionssituationen ins Auge fassen, sich der Kommunikationssituation als unteilbarer Einheit zuwenden und sie als Sozialhandlung beleuchten, die aus einer „ zeichenvermittelten Koordination der inneren Handlungen der Beteiligten [. . .] in Prozessen gegenseitiger Wahrnehmung und sozialer Eindrucksbildung “ (Schmitz 2003, 199) besteht. Sie zeugen exemplarisch von der wechselseitigen Bereicherung von Konversationsanalyse und Kognitiver Linguistik. Während die Kognitive Linguistik Sprache als Fenster zur Kognition betrachtet und dabei die soziale Bedingtheit aller Kommunikation außer Acht lässt, interessiert sich die Konversationsanalyse zwar genau für diesen Aspekt der lokal und situativ verankerten Konstruktion sozialer Ordnung durch das Aushandeln von Bedeutungen in konkreten Interaktionssituationen, negiert jedoch jegliche Erfassbarkeit der kognitiven Prozesse, die dabei im Spiel sind. Hougaard und Hougaard (2008) sehen die Studien zur 114 metaphorischen Gestik deshalb auf dem Weg einer Aufhebung eines nicht länger haltbaren Dualismus von inneren Prozessen und äußeren Handlungen: the social and the cognitive aspects of the construction of metaphors in interaction are inseparable. [. . .] When participants in interaction make sense, bodies, that is entire social and biological organisms (as opposed to Cartesian minds, brains and computers) are at work. [. . .] Sense-making then, as we perceive it, is the sum of processes and products of socio-interactional sensing by knowledge-able, social bodies. (Hougaard & Hougaard 2008, 269 - 271) Studien zu nonverbalen Realisierungen von Metaphern könnten in Zukunft nicht nur den Blick auf weitere Mechanismen der Handlungskoordination im Kommunikationsgeschehen freilegen, sondern durchaus auch in kulturvergleichender Sicht vielfältige Facetten und Funktionen standortgebundener metapherngesteuerter Kommunikation zutage fördern. Erste Ansätze dazu kommen aus dem bisher noch kaum erforschten Feld der Gebärdensprache, die sich in den letzten Jahren zunehmend mit der Frage nach einer kulturellen Einbettung der verwendeten Metaphern befasst (Wilcox 2000; Taub 2001). 3.3.5 Einstellungsbekundungen und Imagemanagement durch Metaphern Wie Metaphern Images ausbalancieren können, illustriert eine Studie von Semino (2008, 217), die Impulse der Konzeptuellen Metapherntheorie mit solchen der Stilistik, der Critical Discourse Analysis (CDA) und der Korpuslinguistik verbindet (Semino 2008, 217). Dies sei an einer kurzen Betrachtung von Kommentaren unterschiedlicher Provenienz zu den Ergebnissen des 2005 realisierten Klimagipfels der G8-Länder in Schottland veranschaulicht: Viele Äußerungen der Konferenzteilnehmer referieren auf die von Lakoff und Johnson ausführlich diskutierte JOURNEY Metapher, wobei die Handlungsbeteiligten allerdings unterschiedliche Gewichtungen in Übereinstimmung mit den entsprechenden Imagestrategien vornehmen. Während der Rockstar Bono als seit zehn Jahren bei solchen Veranstaltungen mitwirkender Aktivist die Ergebnisse mit den Worten „ A mountain has been climbed only to reveal higher peaks on the other side [. . .] But let ’ s also look down on the valley from where we ’ ve come “ kommentiert und sich damit geschickt zwischen den beiden Polen der unkritischen Euphorie und des ablehnenden Pessimismus bewegt, um seine Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren, äußert sich der britische Premier Tony Blair seiner Position als einer der G8- Repräsentanten entsprechend weitaus positiver: „ Politics is about getting things done step by step, this is progress, and we should be proud of it “ . Im Gegensatz dazu wie-derum kommentiert der Sprecher des Global Call to 115 Action Against Poverty (GCAP) Kumi Naidoo die konkreten Resultate der Veranstaltung als unzureichend und verleiht seinem Unbehagen durch eine andere Metapher Ausdruck, mit der er einen Vergleich zu Live 8 zieht „ after the roar produced by Live 8, the G8 had uttered a whisper “ (Semino 2008, 1 - 10). Die Wahl einer bestimmten Metapher kann eine ganze Reihe von Einstellungen widerspiegeln: Nähe oder Distanz, positive oder negative Bewertung, Hervorhebung oder Neutralisierung stellen bipolare Dimensionen dar, die beim Gebrauch von Metaphern eine wichtige Rolle spielen (Graumann 1990). Cameron ergänzt die Reihe und weist darauf hin, dass selbst der völlige Verzicht auf Metaphern im Hinblick auf die Sprechereinstellung ausschlaggebend sein kann. Dies zeigt sich in der weiter oben bereits diskutierten Gesprächsepisode u. a. in dem Moment, als die Tochter des Opfers dem ehemaligen Terroristen und Täter die menschlichen Konsequenzen seines Handelns in unmittelbarer Form unterbreitet, indem sie ihre sieben Jahre alte Tochter zitiert, der sie am gleichen Morgen ohne Umschweife mitgeteilt hat, mit wem sie sich trifft, woraufhin diese antwortet: „ I want to tell him [. . .] that was a bad thing he did, to kill my mum ’ s daddy “ . (Cameron 2008 a, 203). Hier liegt gerade in der metaphernlosen Direktheit der Aussage ihre suggestive Kraft. Dementsprechend werden Metaphern häufig gerade dann verwendet, wenn es darum geht, über Themen zu sprechen, die emotional stark belastet sind. So einigen sich beide Gesprächsteilnehmer darauf, die Metapher HEALING zu benutzen, um den Sinn des Treffens zu etikettieren. Während es der Tochter nun darum geht, den Verlust ihres Vaters zu überwinden, steht für den ehemaligen Terroristen im Vordergrund, sich den Konsequenzen seiner Handlungen zu stellen und damit umzugehen: „ Here metaphor offers speakers, coming from very disparate standpoints, a place in which to align or to negotiate towards deeper understanding of the other [. . .] the affective force of healing is intrinsically positive “ (Cameron 2008 a, 205 - 206). Kritisch fragen ließe sich in Anbetracht dieser positiven Auslegung durch Cameron allerdings, ob die Schlüsselmetapher an dieser Stelle dann nicht eher einen verschleiernden Effekt hat, indem sie einen Scheinkonsens möglich macht, wo sich die Gesprächsteilnehmer in Wirklichkeit der multiplen Ausschlacht-barkeit der Metapher bedienen, um ihren je eigenen Bedürfnissen zu folgen. In diesem Fall ließe sich die Metapher ebenso plausibel als Konfliktvermeidungsstrategie lesen. An der Schnittstelle zwischen Konzeptueller Metapherntheorie, Konstruktions-grammatik und der funktionalen Diskursperspektive Camerons bewegt sich das Projekt zu lexikalischen Superlativkonstruktionen im brasilianischen Sprachgebrauch, das die Linguistin Neusa Salim Miranda (2009) leitet. Auch wenn hier keine konkreten Gesprächssituationen betrachtet werden, sondern das Internet als Korpus dient, lohnt ein Blick auf die 116 Studie, denn sie zeigt, wie von einer solchen Herangehensweise aus der Schritt von lexikalisch-grammatischen Phänomenen zur expressiv motivierten Metaphernverwendung im Diskurs gelingen kann. Miranda betrachtet das Ausklammern der Teilnehmerperspektive als größtes Defizit der Kognitiven Linguistik: „ E as línguas, para os falantes, só têm saberes e sabores quando servem aos seus interesses enunciativos “ (Miranda 2009, 62). 7 Deshalb interessiert sie sich für den metaphorischen Charakter von Konstruktionen aus dem Bereich der Semantik der Intensität, die direkt dem Sprachgebrauch entspringen. Sie stellt fest, dass RAUM , DIMENSION , GRÖSSE , KRAFT oder QUANTITÄT häufig Ausgangsdomänen für die Zieldomäne INTEN- SITÄT konstituieren wie z. B. in Ausdrücken „ É um fato profundamente lamentável “ ( „ Das ist eine zutiefst bedauerliche Tatsache “ ) oder „ um amor imenso “ ( „ eine gewaltige Liebe “ ). Sampaio (2007) wendet sich im Rahmen dieser Untersuchungen der emotional besetzten Domäne TOD zu, die besonders in unserer Alltagssprache metaphorisch produktiv ist und eigene Konstruktionen hervorbringt, z. B. die Superlativkonstruktion X MORRER DE Y (morrer de rir, morrer de trabalhar, morrer de medo, morrer de raiva etc.). 8 Solche hyperbolischen Sprechweisen emergieren Sampaio und Miranda zufolge in der Alltagskommunikation als Verstärkung eines subjektiven Ausdrucks, welcher der Emphasis und emotionalen Anteilnahme zwischen den Kommunikationsteilnehmern dient. Miranda (2009, 71) kommt daher zu dem Schluss: „ tal fenômeno resiste a uma explicaç-o meramente estrutural, dependendo crucialmente de uso retórico em contex-tos específicos “ . 9 3.3.6 Die funktionale Pluralität der Metapher Zum Abschluss dieses Teilkapitels sei noch auf zwei Arbeiten verwiesen, deren Zielsetzung gerade darin liegt, eine Übersicht der vielfältigen Funktionen von Metaphern im Sprachgebrauch zu etablieren. Um eine solche integrative Perspektive bemüht sich die Einführung von Kohl (2007, 64 - 72), die zwischen Rhetorik und kognitiver Metaphernforschung nicht notwendigerweise, wie so lange geschehen, eine Kluft sieht, sondern eher unterschiedliche Foci, die sich ausgezeichnet ergänzen. In der Metapher kommen demnach ganz unterschiedliche Funktionen zum Aus- 7 „ Und für die Sprecher besitzen die Sprachen nur dann Weisheit und Würze, wenn sie ihren Äußerungsinteressen dienen. “ 8 Wörtlich: VOR Y STERBEN ; im Deutschen gebräuchlich: SICH ZU TODE / TOT Y (sich tot lachen, sich zu Tode arbeiten, sich zu Tode ängstigen, sich zu Tode ärgern etc.) 9 „ ein solches Phänomen verwehrt sich einer rein strukturellen Erklärung, da es in entscheidendem Maße von seinem rhethorischen Gebrauch in bestimmten Kontexten abhängt “ 117 druck, so dass weder ihre rein poetisch-rhetorische noch ihre kognitivepistemologische Kraft erschöpfend sind, um den Facettenreichtum der Metapher adäquat zu erfassen. Ihre Übersicht umfasst die folgenden Funktionen: 1. Bereicherung des Wortschatzes: Häufig durch technische Neuerungen ausgelöste lexikalische Lücken werden von Metaphern geschlossen (z. B. Motorhaube, Schwellenländer); 10 2. Fokussierung: Die Metaphern erwecken Aufmerksamkeit und fördern eine effiziente Rezeption durch die Konzentration kognitiver Ressourcen auf einen relevanten Aspekt, wobei andere Faktoren ausgeblendet werden (z. B. in Zeitungsüberschriften); 11 3. Stimulierung der Imagination: Bewegungen und Vorgänge werden miterlebt (z. B. bei Gedichten); 4. Erschließung geistiger Territorien: Metaphern dienen dazu, Forschung zu konzeptualisieren (z. B. Einsteins Bestimmung des Wissenstands der Physik durch die Weg- und Stufenmetaphorik); 5. Aktivierung und Vermittlung von Emotionen: Metaphern strukturieren unsere Emotionen, da dieser Bereich anders kaum artikuliert werden kann (z. B. Trauer als Niedergeschlagenheit); 6. Ästhetischer Reiz: Metaphern können im Sinne der traditionellen Auffassung als Sprachschmuck dienen (z. B. in Gedichten oder Festreden); 7. Unterhaltung: Metaphern können dem Wortspiel dienen (z. B. in Okopenkos ’ Zweizeiler Fall: „ Mir fällt ein Stein vom Herzen / und direkt auf die Zeh ’ n “ ; 8. Verpflichtung moralischer Werte: Religiöse Texte oder moralische Appelle können durch Metaphern konkretisiert werden (z. B. Heinrich Böll oder Günther Grass als ‚ Gewissen der Nation ‘ ); 10 Dies entspricht der klassischen Katachrese, die Plett (2001, 111) auch „ notwendige Metapher “ nennt, da sie aus Mangel an einer direkten Bezeichnung entsteht. 11 Koller (2004 b) führt den Begriff topic-triggered für solche Metaphern ein, bei denen die Auswahl der Ausgangsdomäne durch einen bestimmten Aspekt der Zieldomäne inspiriert ist, ein Fall, der sich besonders in Schlagzeilen finden lässt. Semino (2008, 222 - 223) gibt das Beispiel der Überschrift Diplomatic desert für einen Artikel über das Ende der diplomatischen Beziehungen zweier afrikanischer Staaten im Hinblick auf die Kontrolle eines Teils der Sahararegion. Hier pendelt die Bedeutung von desert zwischen dem ursprünglichen Inhalt und dem metaphorischen, verstanden als Fehlen diplomatischer Beziehungen. Solche topic-triggered Metaphern üben eine besonders humorvolle und Aufmerksamkeit heischende Funktion aus, indem der Leser sich im Schwanken zwischen den beiden Bedeutungsebenen des Perspektivenwechsels bewusst wird. 118 9. Stimulierung von Handlungen: Hier spielt die Metapher eine zentrale Rolle in Religion, Politik und Wirtschaft, indem sie einen Handlungsbedarf ankündigt (z. B. in „ Ein Gespenst geht um in Europa “ aus dem Kommunistischen Manifest oder eine Werbeanzeige wie „ Your computer is hungry for great software. Feed it! “ ). Ausführlicher noch wendet sich Bertau (1996, 217 - 242) bei ihren Funktionsbestimmungen und Gebrauchsweisen der Metapher dem gesamten Kommunikationszusammenhang zu, indem sie hinsichtlich der Leistungen, die von der Metapher erbracht werden, zwischen den Bedeutungen des Metapherngebrauchs für den Sprecher, denen für den Hörer und jenen für die Sprachgemeinschaft unterscheidet: Für den Sprecher (Bertau 1996, 217 - 223) stünde der Aspekt der ‚ Behebung eines Mangels ‘ im Vordergrund und zwar besonders unter Bezug auf die Beschreibung schwer fassbarer oder unbekannter Dinge. Von primärer Bedeutung sind daher die Expressibilität, Knappheit und Lebendigkeit der Metapher, wobei sie katachretische Funktion erfüllt, da sie zur Bezeichnung von Gegenständen oder Sachverhalten verwendet wird, für die es keine eigene Benennung gibt. Zusätzlich wird dem Erkennen durch die Metapher eine memorable Form verliehen. Mithilfe der Metapher kann der Sprecher des Weiteren schwer verständliche Inhalte begreiflich machen, indem er das Gemeinte verdeutlicht und illustriert, auch wenn diese Absicht beim Hörer zu einer gegenteiligen Wirkung führen kann (Hülzer-Vogt 1991). Gleichermaßen kommt der Metapher eine argumentative und persuasive Funktion zu, wobei sich der verdeutlichende Aspekt verabsolutiert - Lakoff und Johnson spielen auf diese Tendenz mit ihrer Begriffsdichotomie highlighting und hiding an. Schließlich kann sie der Herstellung von Intimität dienen, worauf schon Gibbs und Gerring (1989) sowie Cohen (1978) aufmerksam machen. Letzterer differenziert im Hinblick auf die Kommunikationssituation zwischen drei Schritten: (a) Der Sprecher spricht eine Einladung an den Hörer aus, indem er ihm ein Kommunikationsangebot unterbreitet; (b) Der Hörer entscheidet sich dazu, die Einladung anzunehmen; (c) Die dadurch in Gang gebrachte Transaktion konstituiert die Anerkennung einer Gemeinschaft oder Gemeinsamkeit. In diesem kooperativen Verstehensakt entsteht nun im Rahmen der Verwendung von Metaphern eine Intimität, die aus dem Wunsch hervorgeht, sich damit jenseits des routinierten Verstehens zu bewegen, so dass der Metapher phatische Funktion zukommt. Bertau (1996, 236) gibt ein gelungenes Beispiel für solche Metaphern in phatischer Funktion und berichtet von einer Situation, in der eine in außer Betrieb geratene Rolltreppe auf einem U-Bahnsteig die Reisenden dazu zwingt, den Fahrstuhl zu benutzen, dessen verglaste Scheiben den Blick auf die Rolltreppe freigeben. Während der langsamen Fahrt äußert eine der Personen mit Bezug auf die Rolltreppe: „ Diese Treppe - sie ist faul; sie läuft, wann sie 119 will! “ , woraufhin die anderen wohlwollend lachen und zustimmende Kommentare abgeben. Bertau erblickt darin den Versuch, das unangenehme Schweigen, das einander Fremde in Fahrstühlen empfinden, zu brechen, und resümiert die sich ergebenden Konsequenzen unter Rückbezug auf Cohen, der im Gegensatz von öffentlich und privat den Dreh- und Angelpunkt dieser spezifischen Funktion ausmacht: „ . . . denn der wörtliche Sprachgebrauch ist allen Mitgliedern der Sprachgemeinschaft zugänglich, während der figurative Sprachgebrauch nur einigen zugänglich sein kann, nämlich jenen, die um die Annahmen, Intentionen, Haltungen etc. des anderen wissen. Cohen deutet hier den ausgrenzenden Charakter eines Metapherngebrauchs an, durch welchen sich Gemeinschaften auf verschiedenen Ebenen voneinander unterscheiden können. “ (Bertau 1996, 221) 12 Gerring und Gibbs (1988) bringen eine damit eng verknüpfte Leistung der Metapher ins Spiel, die sich dem Kommunikationsgeschehen von der Sprecherseite aus nähert: die Darstellung der eigenen Person qua Metapher bei Situationen, in denen der Sprecher in einen Konflikt zwischen Konversationsmaximen und sozialen Maximen gerät wie bei der Vermittlung peinlicher und tabuisierter oder unhöflicher Inhalte, so dass die Metaphernverwendung hier als Euphemismus im Sinne einer konfliktvermeidenden Strategie gelesen werden kann. Andere Interaktanten versprechen sich vom Metapherngebrauch eine Erhöhung des sozialen Status innerhalb einer bestimmten Gruppe durch Zurschaustellung der eigenen Originalität. Dieser Aspekt spielt bei den verschiedenen Sprachspielvarianten des verbalen Duells eine herausragende Rolle (Schröder 2007 a), wie im fünften Kapitel zu zeigen sein wird. Wendet man seinen Blick nun dem Hörer zu (Bertau 1996, 223 - 226), so ergibt sich aus den an ihn seitens des Sprechers gestellten Anforderungen eine ganze Reihe von Aufgaben, um der zu erbringenden Verstehensleistung gerecht werden zu können. Angesichts der Metaphernverwendung durch den Sprecher wird ihm die besondere Bereitschaft abverlangt, über die allen sprachlichen Einheiten im konkreten Situationsmoment anhaftende Elliptizität hinaus auch die hier angelegte kognitive Elliptizität zu überwinden. Denn ebenso häufig wie das gelungene Verständnis der Metapher ist das Miss- oder Nichtverstehen, wie uns eine Studie von Hülzer-Vogt (1991) ausführlich vorführt, die in Kapitel 3.3.2.3 vorgestellt wird. Für die Sprachgemeinschaft (Bertau 1996, 227 - 230) bedeuten die sich in öffentlichem Umlauf befindlichen Metaphern vorrangig die Konstitution 12 Fragen ließe sich allerdings, ob dies eine exponierte Eigenschaft der Metapher ist oder ob diese Funktion nicht auch andere Sprachgebrauchsweisen übernehmen können. 120 und Prägung der Vorstellungen jener Gruppe. Auf der Grundlage von Vertrautheit, Konventionalität und Typisierungen bilden sich durch wiederholten und routinierten Metapherngebrauch Idealisierungen einer Kommunikationsgemeinschaft heraus, so dass der Metapher an dieser Stelle vor allem eine sozial-regulative Funktion zukommt. Besonders deutlich wird dieser Zug der Metapher, sobald diese in tabuisierender und euphemisierender Funktion eingesetzt wird. Dementsprechend unterlaufen umgekehrt gerade solche Metaphern die Gemeinschaft, die in subversiver und ironisierender Absicht verwendet werden, dabei identitätsstiftend wirken und Subkulturen hervorbringen, wogegen die Heranziehung von Metaphern zur Durchsetzung von Interessen oder Ideologien durch bestimmte gesellschaftliche oder politische Gruppierungen aus- und abgrenzenden Charakter hat. 3.3.7 Kritische Diskussion Die im ersten Teil dieses Abschnitts skizzierten Studien, die sich mit dem Handlungscharakter von Metaphern in authentischen Kommunikationssituationen befassen, bleiben gegenüber der Blending-Theorie nicht im kognitiven Paradigma der ausschließlich weltkonstruierenden, espistemologischen Natur der Metapher gefangen, sondern holen kommunikative Funktionen in den Unterschungsgegenstand zurück, die auf die Verfolgung von Handlungszielen realer Sprecher und Hörer sowie deren Einstellungsbekundungen gerichtet sind. Damit gelangt zunehmend die Multifunktionalität der Metapher in den Blick. Die Orientierung an kommunikativen Funktionen, dem diskursiven Verlauf sowie dem kontextuellen Rahmen von Metaphern bemüht sich um eine Erweiterung der subjektivistischen, mentalistischen, abstrakten und idealisierenden Position von Lakoff und Johnson, um soziokulturelle und gebrauchskontextuelle Aspekte der Metaphernverwendung: An die Stelle der stabilen und weitgehend vorhersehbaren ‚ konzeptuellen Metapher ‘ tritt die aus dem Sprachgebrauch sich herauskristallisierende emergierende ‚ systematische Metapher ‘ als Konstrukt spezifischer Sprachhandlungskontexte und als Pendant auf der nonverbalen Ebene die ‚ pragmatische metaphorische Geste ‘ ; der Fokus verschiebt sich von universalen Prinzipien menschlicher Kognition zu partikularen Sprachgebrauchssituationen; methodologisch wird die allzu spekulative Introspektion mit ihren idealisierten Beispielen durch eine empirische Analyse authentischer Korpora abgelöst, kurzum: In der aktuellen Metaphernforschung lässt sich eine allmähliche Trendwende von einer exklusiv extrakommunikativen Betrachtung zu einer Hereinnahme kommunikativer Problemstellungen konstatieren. Nichtsdestotrotz hat der Facettenreichtum funktionalistischer Ansätze im Gegensatz etwa zur Blending-Theorie, die von Lakoff und Johnson in aktuelle Überlegungen einbezogen wird (Lakoff 121 & Johnson 1980/ 2003; Lakoff 2008), in der Konzeptuellen Metapherntheorie selbst bisher noch keine Resonanz gefunden. Als besonders vielversprechend erweisen sich die Arbeiten von Cameron (2007; 2008 a; 2008 b), die sich in theoretischer Hinsicht sowohl auf den interaktionistischen Zweig der Metaphernforschung als auch auf die dialogische Verortung von Sprache in der sozialen Praxis bei Bachtin rückbesinnen. Richtungsweisende Impulse finden sich besonders in dem Konzept vom talking-and-thinking, der Hinwendung zu Emergenz, Instabilität und dem kontextdependenten Driften der Metapher im Diskurs sowie in der vielversprechenden Etablierung der verschiedenen Analyseebenen, die das Bewusstsein der Notwendigkeit einer Trennung von kommunikativer und extrakommunikativer Betrachtung in die Metaphernforschung einschreiben. Da aus Teilnehmersicht keineswegs immer klar ist, ob es sich bei einer Äußerung um eine Metapher handelt oder nicht, kommt für viele Forscher zusätzlich die Frage nach dem Kommunkationsgenre ins Spiel, wodurch den Sprachbenutzern größere Aufmerksamkeit zuteil wird. Mit dieser Überleitung von Wirklichkeitserzeugung auf wechselseitige Verhaltenskoordinierung wächst das Interesse an einer Beleuchtung der Mitwirkung von Metaphern bei Einstellungsbekundungen und Imagearbeit. Solche an der persuasiven Kraft von Sprache ausgerichteten Funktionen lassen sich als Wegweiser dafür lesen, wie in Zukunft rhetorische und kognitionslinguistische Reflexionen zusammengebracht werden könnten. Kontextualisierungshinweise, die als Redecharakterisierungen für Metaphern fungieren, die damit verbundene metakommunikative Funktion von Metaphern zur Strukturierung von Diskursen, die gesprächanalytische Betrachtung der Rolle von Metaphern bei Initiierung, Beendigung und Sprecherwechsel berühren verschiedene Aspekte der sprachlichen Handlungskoordination. Daneben finden sich in den vorgestellten Studien auch zum ersten Mal Hinweise auf den extrakommunikativen Umgang der Teilnehmer mit ihren eigenen Kommunikationskonstrukten, etwa bei der Herausstellung von Momenten, in denen mit dem Bewusstsein um die Zweideutigkeit eines Ausdrucks, dem Pendeln zwischen dessen Grundbedeutung und der metaphorischen Erweiterung, gespielt wird. Einerseits überraschend bei dieser Hinwendung zur gesprochenen Sprache, andererseits aber gleichzeitig immer noch charakteristisch für das Gros der Studien aus dem Umfeld der Diskursforschung und der Konversationsanalyse ist, dass nonverbale und paraverbale Kommunikationsmittel, die Kommunikationssituation als Einheit, die physischen Bedingungen, der sozioperzeptive Kontakt und die sozialen Rollen der Teilnehmer dennoch kaum Berücksichtigung finden. Meistens wird der zwischen Sprecher und Hörer angesiedelte Aushandlungsprozess von Bedeutungen vernachlässigt, und man geht stillschweigend davon aus, die Teilnehmer fassten die Äußerung in gleicher Weise metaphorisch auf, so dass die 122 Aanlyse letztlich beim Kommunikationsprodukt verweilt. Immerhin deutet sich bei Cameron (2007; 2008 a; 2008 b) und Holt und Drew (2005) an, wie entlang einer Metapher vom Gegenüber ein Perspektivenwechsel erzeugt wird und einmal ins Spiel gebrachte Metaphern je nach Interesse umgedeutet, modifiziert oder in neue Richtungen gelenkt werden können, was den flexiblen, geschmeidigen Charakter der Metapher unterstreicht. Dem kognitiven und suggestiven Zusammenwirken der Metapher im konkreten Handlungskontext auf den Grund zu gehen ist auch Zielsetzung der Arbeiten von McNeill (1992; 2008), Cienki (1992; Cienki & Müller 2008) und Müller (2008 a; 2008 b), die einen eigenen Zweig der Metaphernforschung entwickeln, der sich den kommunikationsbegleitenden metaphorischen Gesten widmet, die auf verschiedene Weise mit dem Gesprochenen interagieren. Die Entdeckung gestischer Metaphorik belegt nicht nur die These der kognitiven Natur von Metaphern, sondern unterstreicht besonders die Einheit des immer schon multimodalen Kommunikationsprozesses, dem nun in methodologischer Hinsicht durch die Einführung von Filmaufnahmen zum ersten Mal gebührende Aufmerksamkeit zukommt. Wie bisherige Forschungsergebnisse aufgedeckt haben, übernehmen metaphorische Gesten unter kommunikativem Gesichtspunkt zum einen gesprächssteuernde und -strukturierende Funktion; zum anderen fällt ihnen die spezifische Aufgabe zu, den Fokus der Aufmerksamkeit des Gegenübers auf bestimmte Elemente und Aspekte der Äußerung zu lenken. 3.4 Facetten des Verstehensprozesses von Metaphern 3.4.1 Psycholinguistische Ansätze In diesem Abschnitt will ich mich der in der Konzeptuellen Metapherntheorie zu kurz gekommenen Hörerseite und damit dem Verstehensprozess von Metaphern zuwenden, um der kommunikationswissenschaftlichen Forderung nach einem ganzheitlichen Blick auf den Kommunikationsvorgang nachzukommen. So wenig sich auch die erste Generation selbst mit diesem Problemkomplex beschäftigt hat, so sehr hat sich doch gerade in den vergangenen zwanzig Jahren eine beachtliche Reihe an Untersuchungen genau dieser Frage zugewandt, allen voran der Psycholinguist Raymond W. Gibbs sowie der pragmatisch und textlinguistisch orientierte Sprachwissenschaftlicher Gerard Steen. Am Anfang des wachsenden Interesses an hörerzentrierten Fragestellungen innerhalb der kognitiven Metaphernforschung stehen psycholinguistische Untersuchungen (Gibbs 1990; 1992 a), die nach einem empirischen Nachweis für die Beziehung zwischen sprachlicher und kognitiver Ebene suchen. 123 Gibbs befasst sich besonders ausgiebig mit den definitorischen und methodischen Unschärfen der Konzeptuellen Metapherntheorie, bei der das Verhältnis zwischen konzeptueller Metapher und sprachlichem Ausdruck nicht klar genug herausgestellt wird. In skalarer Abstufung formuliert er (Gibbs 2007, 46 - 47) daher eine Reihe von Hypothesen, denen er in verschiedenen empirischen Studien nachgeht: 1. Konzeptuelle Metaphern motivieren die metaphorische Bedeutung in historischer Perspektive, spielen jedoch keine Rolle mehr für die Frage, wie Sprecher heute konventionelle und innovative Metaphern in konkreten Sprachgebrauchssituationen verarbeiten. 2. Konzeptuelle Metaphern motivieren die Bedeutung metaphorischer Ausdrücke, obgleich konzeptuelle Metaphern keinesfalls psychologisch in dem Sinne real sind, dass sie tatsächlich Teil des individuellen Konzeptsystems von Sprecher und Hörer darstellen. 3. Konzeptuelle Metaphern motivieren die Bedeutung metaphorischer Ausdrücke und sind Teil des Sprecher- und Hörersystems, obwohl sie nicht notwendigerweise automatisch immer dann aktiviert werden, wenn Kommunikationsteilnehmer Sprache gebrauchen und verstehen. 4. Konzeptuelle Metaphern motivieren die Bedeutung metaphorischer Ausdrücke und werden automatisch jedes Mal aufgerufen, sobald Kommunikationsteilnehmer Sprache gebrauchen und verstehen. Da gerade die letzten beiden Hypothesen in das Gebiet der Psycholinguistik fallen, stehen sie bei den meisten Experimenten im Vordergrund des Interesses. Eine der ersten Untersuchungen (Gibbs & O ’ Brian 1990) beschäftigt sich mit mentalen Bildern, die Hörer im Zusammenhang mit idiomatischen Ausdrücken wie spill the beans ( ‚ ein Geheimnis preisgeben ‘ ) konstruieren. 13 13 Sich auf Fillmore beziehend, der den idiomatischen Ausdruck zum ersten Mal unter kognitivem Vorzeichen betrachtet, verweist Gumperz (1982, 134) darauf, dass solche idiomatischen Ausdrücke nicht einfach als lexikalisches Glossar, sondern als „ part of routinized interactive exchanges “ untersucht werden müssten. Schon früh wird hier die innerhalb der Kognitiven Linguistik erst seit kurzem proklamierte Forderung nach einer situated cognition (Sinha 2005, 1538) laut: „ Yet all verbal behavior is governed by social norms specifying participant roles, rights and duties vis-à-vis each other, permissible topics, appropriate ways of speaking and ways of introducing information. Such norms are context and network specific, so that the psycholinguistic notion of individuals relying on their own personal know-ledge of the world to make sense of talk in context is an oversimplification which does not account for the very real interactive constraints that govern everyday verbal behavior [. . .] a cognitive approach to discourse must build on interaction “ (Gumperz 1982, 165 - 166). 124 Die Versuchspersonen wurden aufgefordert, sich zu diesem idiomatischen Ausdruck ein Bild vorzustellen und bestimmte Detailfragen zu beantworten wie „ Wo sind die Bohnen, bevor sie verschüttet werden? “ , „ Geschieht das Verschütten der Bohnen absichtlich oder unabsichtlich? “ , „ Wie groß ist die Schüssel, in der sich die Bohnen befinden? “ etc. Die meisten Versuchspersonen hatten ziemlich klare Vorstellungen von dem Bild, das auch im Vergleich der Versuchspersonen untereinander konsistent war: In der Regel befanden sich die Bohnen in einer Schüssel, die ungefähr Kopfgröße hatte, wurden aus Versehen verschüttet und lagen daraufhin über den ganzen Boden verteilt. Daraus schließen die Autoren, dass konzeptuelle Metaphern eine wichtige Rolle bei der Motivation von Bedeutungen idiomatischer Ausdrücke spielen und den Dreh- und Angelpunkt in der Beziehung zwischen Ausdruck und Bedeutung darstellen. Anders ließen sich die auffälligen Parallelen bei der Beschreibung des Szenarios kaum einsichtig machen. Unklar bleibt indessen, wie auf der Basis der Resultate das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft bestimmt wird, anders gefragt: Wie genau gelangen die vergleichbaren Bilder in die Vorstellungen des Einzelnen? In einem weiteren Experiment (Nayak & Gibbs 1990) wurden den Probanden kurze Szenarien vorgelegt, die bestimmte durch eine Metapher gerahmte Gefühlskonzepte zum Thema hatten. Eine erste Gruppe erhielt das folgende Beispiel: Mary was very tense about this evening ’ s dinner party. The fact that Bob had not come home to help was making her fume. She was getting hotter with every passing minute. Dinner would not be ready before guests arrived. As it got closer to five o ’ clock the pressure was really building up. Mary ’ s tolerance was reaching its limits. When Bob strolled in at ten minutes to five whistling and smiling, Mary (1) blew her stack (2) bit his head off Die Probanden sollten nun auswählen, welcher der beiden Ausdrücke besser passt, und die meisten entschieden sich für den ersten Ausdruck, was Nayak und Gibbs zufolge damit zusammenhängt, dass sich dieser Ausdruck nahtloser in die bereits durch die vorangegangenen Ausdrücke fume, hotter, pressure, reaching its limits eröffnete konzeptuelle Metapher ANGER IS HEAT IN A PRESSURIZED CONTAINER einfügen lässt als der zweite Ausdruck, der nur in einer kontextunabhängigen Lesart in gleichem Maße sinnvoll wäre, im hier eröffneten Kontext der Allegorie jedoch zu einem Bildbruch führen würde. Wurden - wie es bei der zweiten Gruppe der Fall war - die Probanden jedoch mit dem gleichen Szenario konfrontiert, bei dem die Wörter grouchy, growling under her breath und savage jetzt die Wörter fume, hotter und pressure ersetzten, optierten die Probanden für die zweite 125 Variante, die wie die substituierten Ausdrücke auf die konzeptuelle Metapher ANGRY BEHAVIOR IS ANIMAL BEHAVIOR hindeutet. Das Experiment zeigt, dass metaphorische Projektionen, die dem idiomatischen Sprachgebrauch zugrunde liegen, sowohl die Bedeutungsinterpretationen als auch den situationsadäquaten Gebrauch idiomatischer Ausdrücke beeinflussen, kurzum: Die Teilnehmer zeigten sich für die Kongruenz zwischen metaphorischer Sprach- und Kontextinformation empfänglich, was die dritte von Gibbs formulierte Hypothese bekräftigen würde (Gibbs 2007, 50). Wilson und Gibbs (2007) interessieren sich für die Korrelationen zwischen körperlichen Aktivitäten und metaphorischen Verstehensprozessen und streben eine empirische Prüfung der Embodiment-These an. Die Leithypothese ihres Experiments war, dass die Versuchspersonen metaphorische Phrasen wie grasp the concept schneller verstehen müssten, wenn sie zuvor die Köperaktivität ‚ nach etwas greifen ‘ ausgeführt haben. In der Tat bestätigten die Resultate die Ausgangsthese, so dass die vierte Hypothese Gibbs ’ eine empirische Grundlage erhält: „ engaging in body movements associ-ated with these phrases should enhance the simulations that people create to form a metaphorical understanding of abstract notions “ (Gibbs 2007, 53). Durch unterschiedliche Versuchsanweisungen - bei einer mussten die Versuchspersonen selbst Handlungen ausführen, bei anderen bekamen sie solche Handlungen lediglich auf einem Bildschirm zu sehen - zeigte sich außerdem, dass es, da die Resultate in beiden Fällen gleich ausfielen, anscheinend für das Verstehen sprachlicher Metaphern unerheblich ist, ob die Handlung selbst ausgeführt oder lediglich mental simuliert wird, was der enactment-These der Konzeptuellen Metapherntheorie empirischen Rückhalt gibt. Eine weitere Methode, sich dem Verstehensprozess von Metaphern anzunähern, stellt das Verfahren des Goal-directed Interactive Think Aloud (GITA) dar, bei dem ein Text in einer Gruppe gemeinsam gelesen und gleichzeitig Bedeutungen in verbaler Interaktion ausgehandelt werden. D. h., man versucht, die zwischen kommunikativen und extrakommunikativen Haltungen oszillierenden Verstehensprozesse von Kommunikationsteilnehmern während eines sozialen Leseereignisses einzufangen. Eine solche Studie haben Zanotto und Palma (2008) mit Schülern durchgeführt, die sich über einen bestimmen Ausdruck (Sichel) und dessen Bedeutung in einem Gedicht von Carlos Drummond de Andrade verständigen sollten. Das Ergebnis ist insofern aufschlussreich, als in der Gruppendiskussion verschiedenartige metonymische und metaphorische Lesarten miteinander verwoben wurden, so dass das, was in einer situationsentbundenen Sicht üblicherweise als simple Metapher etikettiert wird, sich in der Nahaufnahme als „ more complex matter, a polysemous amalgam of metaphors and metonymies “ (Zanotto & Palma 2008, 37) entpuppt, wobei erst der Rezipient die Bedeutung konstruiert. Werden lediglich die Zieldomänen à la Lakoff 126 und Johnson in Betracht gezogen, zeigen sich bei den Interpretationen Bezugnahmen auf die Bereiche MOND , ZEIT und TOD . Aus der prozessualen Perspektive jedoch kommen weitere Verstehensweisen hinzu, die den Bezug deutlich werden lassen, den die Teilnehmer zwischen beiden Domänen herstellen: SICHEL ALS MOND zu verstehen, beruht auf einem Vergleich qua Ähnlichkeit, SICHEL ALS SENSEMANN zu begreifen dagegen orientiert sich an der Funktion des Vehikels, die Formel SICHEL FÜR ZEIT wiederum basiert auf der metonymischen Relation von INSTRUMENT FÜR AGENS . In der Bedeutungskonstruktion werden außerdem unterschiedliche Strategien verwendet: Strategien der Substitution und Inkongruenz sowie die Einbeziehung deiktischer, textueller und kontextueller Hinweise sind ausschlaggebende Verfahren im Verstehensprozess. Dabei verlaufen die verschiedenen Lesarten nicht willkürlich, sondern werden durch einen kulturellen Rahmen mit dessen stabilen Interpretationsaggregaten begrenzt. Um das Prozesshafte der Metaphernverarbeitung näher zu beleuchten, führen viele psycholinguistische Studien entweder Tests durch, welche die Reaktionszeit messen, die Leser zum Verstehen von metaphorisch verwendeten Ausdrücken benötigen (Hoffman & Kemper 1987), oder solche, bei denen Augenbewegungen zusammen mit den parallel ablaufenden Hirnaktivitäten aufgezeichnet werden (Giora 2003; 2007). Gibbs (1994, 116 - 117; Gibbs 1999 b, 39 - 40) kommt auf der Grundlage seiner Experimente zu dem Schluss, dass es in Abhängigkeit vom Zeitverlauf vier Formen der Metaphernverarbeitung gibt, die an die jeweilige Intensität des Verstehensprozesses gekoppelt ist: 1. Comprehension: Das ‚ Auffassen ‘ bezieht sich auf den unmittelbaren momentanen Verarbeitungsprozess und die dabei vorgenommene Bedeutungskonstruktion durch Analyse der sprachlichen Information in Kombination mit dem Kontext und dem Weltwissen des Lesers/ Hörers. 2. Recognition: Das ‚ Wiedererkennen ‘ bezieht sich auf die bewusste Identifikation von Metaphern als Types. D. h., die Bedeutung, die von einem Leser konstruiert wird, kann bewusst als metaphorische Bedeutung wahrgenommen werden. Dieses reflektierende Moment ist wegen der hohen Geschwindigkeit bei der mündlichen Kommunikation seltener als bei der schriftlichen. 3. Interpretation: Die ‚ Interpretation ‘ bezieht sich auf die Analyse vorangegangener Verstehenskonstrukte als Tokens. Eine Literaturkritik kann einen Text z. B. in reflexiver Haltung als sich eines bestimmten allegorischen Grundthemas bedienend interpretieren. 4. Appreciation: Die ‚ Anerkennung ‘ bezieht sich auf ein ästhetisches Urteil, das über ein Verstehensprodukt als Type oder Token gefällt werden kann. 127 Nur der erste Prozess ist obligatorisch; die anderen Prozesse sind optional und geschehen in der Betrachtungsweise Ungeheuers aus einer extrakommunikativen Perspektive heraus; in der Terminologie von Gibbs bedeutet das, sie sind bewusst und reflexiv. 14 3.4.2 Text- und diskurslinguistische Ansätze Auch der niederländische Linguistik Gerard Steen (1994) widmet sich einer Graduierung des Verstehensprozesses und sieht hinsichtlich der Kategorisierung von Gibbs im ersten Schritt die reine Auffassung (comprehension) und im zweiten bis vierten Schritt das eigentliche Verstehen (understanding). In seiner Untersuchung Understanding metaphor in literature: An empirical approach (Steen 1994) sucht er nach einer empirischen Herangehensweise an Problemkomplexe, die mit dem Verstehen von Metaphern einhergehen. Grundlegend unterscheidet er zwischen verschiedenen Ebenen des metaphorischen Prozessierens im Diskurs unter Einbeziehung der Trennung von Sprachsystem und Sprachgebrauch: Metaphern können demnach (a) für die tatsächlichen Sprachbenutzer im kognitiven Online-Prozess überhaupt nicht von Bedeutung sein, wenn es sich lediglich um eine Disambiguierung historisch motivierter Polysemie eines oder mehrerer zusammenhängender Wörter handelt, (b) insofern bedeutsam sein, als sich der Verstehensprozess durch das Wiederaufrufen bzw. Wiederauffinden bereits abgespeicherter metaphorischer Projektionen auszeichnet, oder (c) von höchster Relevanz sein, indem die metaphorische Projektion im Falle unbekannter, innovativer Metaphern in Online-Konstruktionen überhaupt erst hergestellt wird. Sein Vorgehen ist primär experimentell. In einem seiner Experimente fordert er Testpersonen dazu auf, während des Lesens eines metaphernreichen Textes laut zu kommentieren, ob und wie sie bestimmte metaphorische Ausdrücke verstehen. Nach Auswertung der gesammelten Daten macht Steen (1994, 137) schließlich 10 unterschiedliche Typen von Verarbeitungsstrategien aus, die den Hauptrahmen seiner Erstpublikation abstecken: 14 Der letzte Punkt würde in luhmannscher Perspektive aus dem Verstehensakt innerhalb der Kommunikationseinheit, die er als Synthese der drei Selektionen Information, Mitteilung und Verstehen begreift, herausfallen, da sich die Annahme bzw. Ablehnung als vierte Selektion auf den Erfolg der Kommunikation bezieht, nicht jedoch konstitutiv für die Kommunikationseinheit selbst wird. Kommunikativer Erfolg hingegen zeichnet sich einzig und allein durch die gelungene Kopplung von Selektionen aus (Luhmann 1984/ 1999, 218). 128 1. Problem recognition: Der Leser drückt seine Schwierigkeiten oder Zweifel beim Verstehen eines metaphorischen Ausdrucks aus; 2. Metaphor recognition: Der Leser artikuliert sein Bewusstsein im Hinblick auf das Verständnis einer bestimmten Metapher vermittels metalinguistischer Mittel; 3. Labeling: Der Leser verbindet Ausgangs- und Zieldomäne explizit durch eine Vergleichspartikel; 4. Focus processing: Der Leser verarbeitet eine Metapher ausschließlich entlang der Zieldomäne; 5. Vehicle processing: Der Leser verarbeitet eine Metapher ausschließlich entlang der Ausgangsdomäne; 6. Metaphor construction: Der Leser interpretiert eine Metapher im Wechselspiel von Ausgangs- und Zieldomäne; 7. Metaphor functionalization: Der Leser verbindet die Metapher mit anderen Textabschnitten oder eigenen vorangegangenen Interpretationen; 8. Metaphor context construction: Der Leser verbindet die Metapher mit der Intention des Autors; 9. Metaphor refunctionalization: Der Leser verbindet die Metapher mit anderen zuvor bereits interpretierten Metaphern; 10. Metaphor appreciation: Der Leser bekundet seine Meinung im Hinblick auf die Klassifizierung oder Qualität der Metapher. Diese Klassifizierung gibt uns bereits einen Hinweis darauf, dass es Steen im Wesentlichen um eine Einbettung des metaphorischen Verstehensprozesses in dessen textuelle, kotextuelle und kontextuelle Umgebung geht. In seiner empirischen Untersuchung zur literarischen und journalistischen Textgattung (Steen 1994) findet er außerdem heraus, dass Textrezipienten in Abhängigkeit vom jeweiligen Genre und vom eigenen Bildungsbzw. Berufsstatus beeinflusst unterschiedliche Lesehaltungen einnehmen. Metaphern wurden von Literaturexperten z. B. stärker entlang der bewussten Verstehensweisen prozessiert als von Nicht-Experten; zudem schenkten beide Gruppen den Metaphern in literarischen Texten mehr Beachtung als jenen der journalistischen Texte. Steen mutmaßt, dies liege daran, dass sie im letzten Fall weniger mit dem Gebrauch von Metaphern rechneten als im ersten, so dass divergierende Erwartungshaltungen aktiviert wurden, die Einfluss auf die entsprechene Verstehenshaltung nehmen. 15 15 Gibbs (1999 b, 41) spricht in Anlehnung an dieses Ergebnis von Steen bezüglich der selektierenden Lesestrategie von metaphoric processing und beschreibt Metaphern in diesem Zusammenhang als „ one type of cognitive strategy that colours people ’ s imaginative understanding of texts and real-world situations “ . 129 In einem späteren Experiment fragt er (Steen 2004) daher noch detailierter nach den Texteigenschaften, die das Identifizieren von Metaphern beeinflussen. Er gibt Studenten den Text des Songs Hurricane von Bob Dylan und fordert sie auf, während des Hörens diejenigen Textteile zu markieren, die ihrer Meinung nach Metaphern im Sinne der Konzeptuellen Metapherntheorie enthalten. Bei der Auswertung der Ergebnisse unterscheidet Steen zwischen drei Dimensionen der Verständnisstruktur: Im Hinblick auf die konzeptuelle, propositionale bzw. wissensstrukturelle Dimension stellt er fest, dass es für die Studenten leichter war, explizite Metaphern wie „ Justice is a game “ zu durchschauen als implizite wie „ Here comes the story of the Hurricane “ . Implizit ist diese Textzeile deshalb zu nennen, weil die metaphorische Bedeutung von Hurricane auf der kontextfreien Satzebene keineswegs ersichtlich ist. Was die sprachliche Dimension betrifft, so kommt Steen zu dem Ergebnis, dass nominale Metaphern für die Studenten einfacher zu verstehen waren als verbale, ein Resultat, das er auf den Entitätscharakter von Nomen zurückführt, die eo ipso eine konkretere Kontur als Verben aufweisen und durch diesen bildschematischen Effekt eindeutiger als von der Welt abgeleitet erscheinen. Schließlich zeigte sich mit Blick auf die kommunikationsstrukturelle Dimension, 16 dass der Metaphernposition innerhalb der Texteinheit ein erheblicher Stellenwert bei der Interpretation zukommt. So konnten postverbale Metaphern häufiger identifiziert werden als präverbale, was Steen im Rückgriff auf die Thema-Rhema-Abfolge erklärt, da durch die Zweitpositionierung des Rhemas die Aufmerksamkeit des Hörers eher auf diesen Satzteil gelenkt werde. Als ebenfalls hervorgerufen durch Aspekte der Aufmerksamkeitssteuerung ließe sich auch die Tatsache deuten, dass Metaphern am Ende eines Paragraphen sowie am Ende des Textes leichter identifiziert werden konnten: Je weiter ein Leser oder Hörer im Text fortschreitet, umso kleiner und definiter wird die Textwelt, in der er sich orientiert, und damit auch umso klarer, welche Ausdrücke im wörtlichen Sinne Bestandteile dieser Textwelt sind und welche nicht. Textualität, so die Quintessenz Steens, bestimme somit in erheblichem Maße die Wahrnehmung und Identifikation einer Metapher durch einen Hörer oder Leser. Auch im Hinblick auf die Evaluierungen, die Metaphern auslösen können, kommt Steen zu einem interessanten Ergebnis: Positiv konnotierte Metaphern werden häufiger erkannt als negativ konnotierte. Umgekehrt spielt es bei der Frage danach, ab wann eine Metapher auch im tatsächlichen Sprachgebrauch als Metapher identifiziert werden kann, eine Rolle, wer die Sprachbenutzer sind (Steen 2007, 94 - 97). 16 Überraschenderweise wählt Steen hier den Ausdruck kommunikationsstrukturell, obwohl mir textstrukturell angemessener zu sein scheint. 130 Cameron (1999 b, 108) ist der Überzeugung, man müsse bei der Frage nach der Identifizierung von Metaphern im Diskurs stets in Rechnung stellen, für wen die zur Diskussion stehende sprachliche Instanz eine Metapher darstellt und folglich zwischen process metaphors und linguistic metaphors unterscheiden: Im ersten Fall handelt es sich um die in einem aktuellen Handlungskontext verwendeten Metaphern aus Sicht der Teilnehmer, im zweiten um solche, die von einem externen Beobachter theoretisch klassifiziert werden, womit Cameron die Frage nach der kommunikativen und extrakommunikativen Betrachtung in ihre Überlegungen hineinnimmt. Für den ersten und bislang nach Ansicht Camerons zu wenig beachteten Fall der Prozessmetapher findet sie aufschlussreiche Beispiele bei Kindern, denen bestimmte Ausdrucksbedeutungen noch nicht geläufig sind und die deshalb dazu neigen, Wörter auf Ausgangsdomänen zurückzuführen, die von erwachsenen Sprechern der gleichen Kommunikationsgemeinschaft niemals so verstanden würden. Zur Illustration beschreibt sie eine Situation, in der ein Kind den Ausdruck hot spells (Hitzewelle) aus einer Wettervorhersage unter Bezugnahme auf die Bedeutung von spell als ‚ Zauber ‘ so interpretiert hat, dass es ihn mit der Domäne HEXEN assoziierte (Cameron 1999 b, 109). Ein weiteres Beispiel, das die Unterscheidung der beiden Metapherntypen plausibel macht, bezieht sich auf fachsprachliche Wörter, die von fachfremden Hörern als Metaphern wahrgenommen werden, während sie aus der Innenperspektive einer bestimmten Expertengruppe schon lange nicht mehr metaphorisch prozessiert werden (Cameron 2003, 66 - 67). Charteris-Black und Ennis (2001, 254) z. B. werfen die Frage auf, ob der Gebrauch von Wörtern wie fall und rise für die Sprachgemeinschaft der Börsenmakler tatsächlich noch metaphorisch sei. Vergleichbar argumentiert Giora (2003) in Bezug auf Computerspezialisten und deren täglichen Umgang mit Ausdrücken wie window und mouse: Sie geht der Frage auf den Grund, inwieweit die Habitu-alisierung bestimmter metaphorisch verwendeter Wörter bei Sprachbenutzern den online-Zugang zu den entsprechenden Wortbedeutungen beeinflusst. Mit dem Ausdruck salience bezieht sie sich auf häufig auftretende, vertraute, im Gebrauch konventionalisierte und prototypische Wortbedeutungen im Rahmen einer spezifischen Diskursgemeinschaft. Giora kommt zu dem Schluss, dass es für bestimmte Berufsgruppen nun gerade die metaphorische Bedeutung ist, die als erste aufgerufen wird und nicht die lexikalische Grundbedeutung. Was die kognitive Metaphernforschung betrifft, so plädiert Steen aufgrund solcher Einsichten für eine grundlegende Umorientierung bei der Beleuchtung metaphorischer Verstehensprozesse: „ The behavioral study of metaphor in usage events can therefore not remain restricted to the sentence processing paradigms that are popular in psycholinguistics. It also requires attending to the definition of the usage event as a 131 purposeful form of verbal action or communication, or discourse, to the participants. People use language on particular occasions in specific roles, for particular goals, about particular topics, in particular settings, and against the background of specific norms and expectations. “ (Steen 2007, 352 - 353) Steen verweist darauf, dass die Interaktionale Soziolinguistik (Gumperz 1982), die Ethnographie der Kommunikation (Hymes 1974) sowie die sprachpsychologischen Arbeiten von Clark (1996) umfassende Anregungen zur Einbettung von Sprachgebrauch in breitere und verschiedenartige Kontextrahmen bereit stellten, und bedauert zugleich, dass diese Vorschläge bislang keinen angemessenen Eingang in die kognitive Metaphernforschung gefunden hätten. Denn bisher bezögen sich die psycholinguistischen Untersuchungen in der Regel allein auf Metaphernverarbeitung in artifiziell erzeugten und somit neutralisierten Diskurskontexten. Desgleichen sind die meisten Arbeiten auf das Lesen von Texten beschränkt; bis heute gibt es viel zu wenige Studien, die sich mit dem Verstehensverlauf von Metaphern in gesprochenen Konversationen beschäftigen. 17 Insgesamt gesehen thematisiert Steen aus textlinguistischer Sicht eine ganze Reihe wesentlicher und neuer Fragen, die innerhalb der kognitiven Metaphernforschung bislang nicht im Vordergrund standen und die den Verstehensprozess seitens des Hörers bzw. des Lesers hervorheben, was als richtungsweisender Beitrag betrachtet werden kann, insbesondere deshalb, weil er sich bemüht, die Konzeptuelle Metapherntheorie in seine Überlegungen zu integrieren. Seltsam dagegen mutet zuweilen das verwendete Vokabular und die darin mitschwingende Vermischung von kommunikations- und diskursorientierter mit traditionell semantischer Terminologie an: Im Rahmen seiner ersten Vorstellung der Pragglejaz-Methode zur Identifizierung metaphorischer Ausdrücke (Steen 2002) fordert er einerseits eine stärkere Einbeziehung des Kontextes, greift dann aber andererseits bei seiner detaillierten Beschreibung der fünf methodischen Schritte auf formallinguistisch orientierte Metaphernansätze zurück. In seinen Ausführungen zur kommunikativen Dimension des Metaphernverständnisses spricht er sogar von sender und receiver (Steen 2004, 1297), eine Terminologie, die an 17 Ein weiterer Einwand gegen eine rein psycholinguistische Auffassung von ‚ Verstehen ‘ kommt von diskursanalytischer Seite: „ metaphor understanding in the real world might not be a matter of milliseconds passing until an individual study participant responds. It might rather be a matter of dialogue, of engagement in debate “ (Zinken & Musolff 2009, 4): Wenn ein Proband einen Film als ‚ Predigt ‘ bezeichnet, kann dieses Urteil in Abhängigkeit vom jeweiligen Diskurskontext entweder so aufgefasst werden, dass es sich um einen guten, moralisch anspruchsvollen Film handelt, oder auch so, dass der Sprecher den Film als langweilig und langatmig empfunden hat. Die traditionelle psycholinguistische Versuchsanordnung würde eine solche Frage erst gar nicht stellen. 132 die klassischen Übertragungsmodelle von Kommunikation aus der Informationstheorie der fünfziger Jahre erinnert. Dieser Anachronismus ist auch bei anderen psycholinguistischen und textlinguistischen Ausführungen zu spüren, die sich trotz vorgetragener Kritik auf der Ebene der Theoriereflexion in der Empirie dann doch immer wieder primär der kognitiven Repräsentation zuwenden und das Kommunikationsgeschehen in eine solche Perspektive einmünden lassen wollen, anstatt umgekehrt textlinguistische Aspekte situationsgebunden in die Analyse des Kommunikationsereignisses hineinzuholen. Nur wenigen Studien ist es bisher gelungen, Hörer oder Leser tatsächlich als Interaktanten und Sinnkonstrukteure wahrzunehmen und nicht als von der konkreten Kommunikationssituation entbundene Verstehende. 3.4.3 Pragmatische und interaktionistische Ansätze Ab Ende der neunziger Jahre übt Gibbs immer häufiger Kritik an den zu eng gewordenen Untersuchungen mit isolierten Sätzen und Ausdrücken und erhebt expressis verbis die Forderung, Metaphern nicht länger „ in the head “ , sondern in dynamischen Systemen struktureller Kopplung zu verorten, „ which model how people interact with the world, including different linguistic environments “ (Gibbs 1999 a, 152). Wie Cameron greift er an dieser Stelle auf die entwicklungspsychologischen Einsichten Vygotskys zurück, womit er zu der Einsicht gelangt, dass jegliche Form von Kognition nicht ohne deren Verankerung in soziokulturell konstituierten Kommunikationssituationen betrachtet werden kann. An die Stelle der simplen Aktivierung abgelegter konzeptueller Strukturen im Sinne der Konzeptuellen Metapherntheorie setzt er seine Simulationsthese, derzufolge Metaphern in Körper-Welt-Interaktionen hervorgebracht und neu erfahren (re-experience) werden. Bleiben die tatsächlichen Handlungsziele der Kommunikationsteilnehmer in dieser Arbeit noch außen vor, so schlagen Tendhal und Gibbs (2008) eine Richtung ein, die sie in die Gefilde der pragmatischen Metapherntheorie nach Sperber und Wilson (1986/ 1995) führt. In deren handlungstheoretischer Perspektive ist der Metapherngebrauch lediglich ein Beispiel von alltäglichem loose talk als einer durch Sinnauflockerung oder Vagheit gekennzeichneten Redeform und daran gekoppelt ein Instrument zur Erzielung von optimaler Relevanz. D. h., obgleich Metaphern das, was gesagt werden soll, eben nicht eindeutig zum Ausdruck bringen, gelingt es den Hörern dennoch, eine angemessene kontextuelle Bedeutung zu erzeugen, indem sie einerseits interpretative Strategien verwenden, die auf dem Relevanzprinzip beruhen, und andererseits kontextuellem Wissen folgen, das sich aus dem Textumfeld, der physischen und sozialen Situation sowie ihrem Weltwissen speist. Tendhal und Gibbs glauben nun entgegen 133 vielen kognitiven Linguisten, die sich in Opposition zu pragmatischen Metapherntheorien positionieren, dass beide Ansätze integrierbar sind - auch deshalb, weil die Relevanztheorie von Sperber und Wilson im Gegensatz zu anderen pragmatischen Konzeptionen wie der Sprechakttheorie den Aspekt der Kognition mit in ihre Überlegungen aufnimmt, was sich u. a. in ihrem ‚ kognitiven Relevanzprinzip ‘ niederschlägt: „ Human cognition tends to be geared to the maximisation of relevance “ (Sperber & Wilson 1986/ 1995, 260). Parallel zum kognitiven Relevanzprinzip formulieren sie ein weiteres mit Bezug auf die Kommunikation, wonach jegliche Äußerung eine Aufmerksamkeitsaufforderung an das Gegenüber darstellt, was wiederum mit einer Relevanzerwartung einhergeht, wobei der Hörer bei seinem Interpretationsprozess so verfährt, dass er zunächst die nächstliegende Interpretation vornimmt und die damit verbundenen Hypothesen prüft. Kommunikatives Verstehen ist von dieser Warte aus abhängig von den Schlussfogerungsprozessen des Hörers, die den Kontext der Äußerung mitberücksichtigen. Das ‚ kommunikative Prinzip der Relevanz ‘ bezieht sich damit auf ein ökonomisches, allgemeines kognitives Selektionsprinzip, nach dem jede kommunikative Mitteilung gleichzeitig die Annahme ihrer optimalen Relevanz mitkommuniziert. Sperber und Wilson (2002, 319) veranschaulichen dies anhand eines Beispiels: Peter: Can we trust John to do as we tell him and defend the interests of the Linguistics department in the University Council? Mary: John is a soldier! Peter steht in diesem Wortwechsel vor einer ganzen Reihe von Alternativen, wie er den Satz von Mary verstehen kann: (a) John ist pflichtbewusst, (b) John ist bereit, bestimmten Anweisungen zu folgen, (c) John stellt Autoritäten nicht in Frage, (d) John identifiziert sich mit den Zielen seiner Gruppe, (e) John ist ein zuverlässiger Patriot, (f) John bekommt das Gehalt eines Soldaten und (g) John ist ein Mitglied des Militärs. Im Zusammenhang mit dem durch Peter zuvor eröffneten Vertrauensschema (trust, defend interests) jedoch kann er die damit einhergehenden Implikationen nutzbar machen, um ohne großen Aufwand - also auch unter Umgehung der wörtlichen Interpretation - zu verstehen, was gemeint ist. Tatsächlich spielt in der relevanztheoretischen Konzeption im Gegensatz zur sprechakttheoretischen Metaphernbetrachtung die Annahme einer ebenso möglichen wörtlichen Bedeutung, die in einem ersten Schritt ins Auge gefasst wird, gar keine Rolle; entscheidend ist vielmehr die von den Interaktanten als normal empfundene Allgegenwärtigkeit von Metaphern in der Alltagskonversation, die schließlich notwendig sind, um optimale Relevanz zu erzielen, so dass Sperber und Wilson auch nicht von einer Dichotomie, sondern von einem Kontinuum ausgehen, bei dem das Wörtliche am einen, das Metaphorische am anderen Ende steht. 134 Die Kompatibilität der relevanztheoretischen Überlegungen zur Metapher mit dem kognitiven Paradigma ergibt sich insbesondere aus ihrer kognitionspsychologischen Betonung des inferentiellen und komplexen Charakters des Verstehensprozesses und der darin implizierten Überwindung des intentionalistischen Ansatzes von Searle und Grice, bei denen die Hörerseite weitgehend unberücksichtigt bleibt: Stellt Searle im Anschluss an Grice die Metapher als reine Äußerungsbedeutung der wörtlichen Satzbedeutung diametral entgegen und verlegt sie durch die scharf gezogene Trennung von meaning und use in den appellativen Bereich der Sprecherintention, nimmt Grice eine der gleichen Dichotomie von Satz- und Äußerungsbedeutung entspringende Einschränkung der Metapher vor, die er auf einen Verstoß gegen die Konversationsmaximen reduziert. In beiden Ansätzen bleibt die metaphorische Äußerung eine indirekte Mitteilungsstrategie auf der Basis von monologisch-zweckrationalen Kalkülen. 18 Das Auseinanderfallen von Satz- und Äußerungsbedeutung bzw. Sagen und Meinen stützt letztlich die fragwürdige Unterscheidung von Kompetenz und Performanz sowie jene von Semantik und Pragmatik. Einmal mehr zeigt sich auch in der Behandlung der Metapher, wie die Sprechakttheorie Sprechakte als Individual- und nicht als Sozialhandlungen versteht. 19 Sperber und Wilson dagegen weisen die Annahme, es gebe verschiedenartige Verfahrensweisen des Verstehens, von denen die Wörtlichkeit die Norm darstelle, zurück, da diese Vorstellung auf dem Irrtum basiere, Kommunikation als Akt des Kodierens und Dekodierens von Bedeutung auszulegen. Vielmehr verläuft jede Form menschlicher Kommunikation auf der Basis einer Diskrepanz zwischen der semantischen Struktur der Satzbedeutung und jener Bedeutung, die von dem Sprecher in einer gegebenen Situation intendiert ist, so dass die reine Satzbedeutung letztlich immer unterdeterminiert bleibt, nicht nur im Fall der Metapher. Den hier vorausgesetzten Ubiquitätscharakter von Metaphern haben auch kognitive Metaphernforscher betont, ein weiterer Punkt, der die beiden Theorien vereint. Die Relevanztheorie der Pragmatik erklärt für Tendhal und Gibbs gerade den Verstehensprozess im Fall neuer Metaphern besonders einsichtig anhand von Implikaturen und bietet so Erklärungskomponenten, die sich an die kognitiv ausgerichteten Metapherntheorien anschließen lassen. Ihre Ausführungen ließen sich noch vervollständigen, 18 Aus demselben Grund lässt sich auch die Auffassung von Habermas (1981, 388 - 390) kritisieren, der wörtliche Sprechakte als ‚ Originalmodus ‘ der Verständigung ansieht, denen gegenüber indirekte Verständigungsformen wie die figurative Rede als ‚ parasitäre ‘ Modelle gehandhabt werden. Damit erscheint die Metapher wie in den traditionellen Theorien als uneigentliche Rede, die der Erzielung perlokutionärer Effekte dient und deshalb eher der zweckrationalen als der kommunikativen Vernunft zuzuordnen wäre (Debatin 1995, 88). 19 Vgl. hierzu auch die Kritik Ungeheuers (1983 a/ 2010, 58). 135 denn das für unsere Fragestellung Attraktive an einer Integration relevanztheoretischer Überlegungen in die kognitive Metaphernforschung liegt wohl nicht zuletzt in der hier zutage tretenden Integration einer kommunikativen Perspektive, ein Aspekt, auf den Sperber und Wilson (2008, 84) zumindest implizit hinweisen, wenn sie als großen Unterschied zwischen ihrer Theorie und denen der kognitiven Metaphernforschung ausmachen, dass die kognitiven Linguisten Metapher als allgegenwärtiges, für die Humankognition konstitutives Sprachphänomen begreifen, während die Relevanztheorie Metapher als „ emerging in the process of verbal communication “ untersucht. Im Zentrum der Betrachtung steht daher der Versuch einer Perspektivenübernahme von Sprecher und Hörer: „ Our main claim has been that hearers generally approach utterances without fixed expectations as to their literalness, looseness or metaphorical nature. They merely expect there to be an interpretative resemblance between the proposition expressed by the utterance and the thought that the speaker intends to convey. This expectation itself derives from, and is warranted by, a more basic expectation: an expectation of relevance. Such an expectation of relevance is automatically encouraged by any act of communication. “ (Sperber & Wilson 1991, 549) Anhand zweier Beispiele illustrieren sie zunächst, dass in beiden Fällen - der wörtlichen wie der metaphorischen Interpretation - die Inferenzschritte die gleichen sind (Sperber & Wilson 2008, 95 - 97): (1) Peter: For Billy ’ s birthday party, it would be nice to have some kind of show. Mary: Archie is a magician. Let ’ s ask him. (2) Peter: I ’ ve had this bad back for a while now, but nobody has been able to help. Mary: My chiropractor is a magician. You should go and see her. Den Autoren zufolge spielt es keine Rolle, ob Sprecher bzw. Hörer für magician nur eine Interpretation parat haben, die beide Fälle umfasst, und somit ihre Kategorie der echten Magier erweitert haben oder ob der metaphorische Sinn lexikalisiert ist, so dass magician eine Zusatzbedeutung erlangt hat: Für den Kommunikationsablauf ist dieser durch einen Forscher extrakommunikativ etablierte Unterschied irrelevant: „ her [Mary ’ s, US] communicative intentions - like those of all speakers - are about content and propositional attitude, not rhetorical classification “ (Sperber & Wilson 2008, 97). Sperber und Wilson grenzen damit eine extrakommunikative Perspektive von einer kommunikativen ab - und diese Differenz bezieht sich ebenso auf die Kommunikationsteilnehmer selbst, die sich in reflexiv-extrakommunikativer Haltung der Frage nach der Kategorienzugehörigkeit zuwenden können, was aber auf den Kommunikationsprozess, bei dem das Verlaufsgelingen im Mittelpunkt steht, keinerlei Einfluss hat. Der 136 Metaphernbegriff wird damit zu einem Konstrukt des linguistisch bewanderten Beobachters. Tatsächlich findet sich beim metaphorischen Sprechen lediglich eine größere Bandbreite an möglichen Implikationen, die vom Hörer verfolgt werden können oder nicht, wie das obige Beispiel „ John is a soldier “ gezeigt hat. Trotz der unverzichtbaren Ergänzungen, die Sperber und Wilson in die kognitive Metaphernforschung hineintragen, bleibt ihre Perspektive als ganze doch zu stark in einer kommunikationsstrategischen Zweckrationalität gefangen, denn in letzter Instanz betrachten die Autoren die menschlichen Kommunikationsprozesse allein nach dem Modell eines instrumentellen und deduktionslogischen Effizienzkalküls maximaler Relevanz, was ja ebenfalls eine reduktionistische Sichtweise darstellt. Für die Zukunft wäre eine Vertiefung der hier eröffneten Schnittstelle zwischen kognitiver Metaphernforschung, relevanztheoretischer Metaphernbetrachtung und dialogischer Perspektive wünschenswert. Schließlich könnte eine Integration der Arbeit von Beckmann (2001) nutzbringend sein, die sich, ebenfalls von pragmatischer Seite herkommend, im Rahmen einer kommunikativen Grammatik sprachlichen Handelns mit Metaphern als Teil komplexerer Handlungsstrukturen befasst, wobei der Weg von der neuen, kreativen Metapher zur lexikalisierten als einer beschrieben wird, der sich entlang von Regelgeleitetheit und -variation vollzieht. 20 Beckmann widmet sich dabei in kommunikationstheoretischer Absicht besonders der Sprecher- und Hörerperspektive und beantwortet ähnlich wie Sperber und Wilson die Frage nach der Sinnkonstitution seitens des Hörers damit, dass dieser zunächst durch seine Einbettung in eine spezifische kommunikative Situation und vor dem Hintergrund seines Wissens um ‚ Verfahrensmuster ‘ per se einen ‚ Sinnverdacht ‘ hege, wodurch die Interpretation scheinbar kotext- und kontextferner Ausdrücke durch 20 Beckmann (2001, 71 - 82) beschreibt die Konsolidierung von Metaphern innerhalb einer Sprachgemeinschaft in sieben Phasen: (1) Einführung des kommunikativen Verfahrens, (2) Habitualisierung und Konventionalisierung des kommunikativen Verfahrens, (3) Anwendung des kommunikativen Verfahrens einzelner Metaphern, die so genannte ‚ lebende Metapher ‘ (4) Habitualisierung einzelner Metaphern, (5) Konventionalisierung einzelner Metaphern, die so genannte ‚ tote ‘ oder ‚ lexikalisierte Metapher ‘ , (6) die kommunikative Etablierung metaphorischer Bezugsbereiche, (7) Lexikalisierung sprachlicher Bezüge. Im Anschluss an den Theorieteil illustriert sie den Durchlauf der verschiedenen Phasen anhand des Konzepts von der ‚ Datenautobahn ‘ , ein Kompositum, das durch das anglo-amerikanische Äquivalent information highway motiviert wurde und andererseits auf eine Rede von Al Gore vor dem Presseclub im Jahre 1993 zurückgeht. Leider fehlt der Brückenschlag zwischen der rein sprachlich und pragmatisch ausgerichteten Arbeit zu aktuelleren Ansätzen der kognitiven Metaphernforschung, obwohl sich dies gerade im Hinblick auf das, was Beckmann ‚ Bezugsbereiche ‘ nennt, anbieten würde. 137 entsprechende Präsuppositionen und Implikationen kanalisiert werde. Beckmann (2001, 115) bezieht sich auf Feilke (1994, 366), der für die Beobachtung, dass Sprecher, konfrontiert mit bestimmten metaphorischen Ausdrücken, imstande sind, solche kommunikativen Muster zu rekonstruieren, den Begriff der ‚ Kontextualisierungs-Kompetenz ‘ einführt, womit er sich eher auf das sozial gefestigte Sprachgebrauchswissen, denn auf Weltwissen stützt. Die Klassifikation verschiedener ‚ kommunikativer Settings ‘ - ein Terminus, den Beckmann anstelle des wittgensteinschen ‚ Sprachspiels ‘ vorzieht - ermöglicht eine differenzierte Betrachtung verschiedener Phasen des Gebrauchs metaphorischer Sprache, da sie von je spezifischen Kommunikationskonstellationen ausgeht. Das Beispiel ‚ Partnerschaftsanzeigen ‘ demonstriert diese Genreabhängigkeit, wie Beckmann (2001, 121 - 124) ausführlich entlang eines Beispiels aus der Wochenzeitung DIE ZEIT (34, 18. 8. 1989, 52) darlegt: „ Oldtimer, Baujahr 45, Sportmodell, solide gelaufen, jedoch einige kleine Kratzer im Lack, zweifelsfrei Liebhaberstück für humorvollen Fahrer (ab 176 cm - Raum 4). “ Die Rezeption ist durch die textuelle Einbindung bereits vorbereitet: Der Leser erwartet eine Partnerschaftsanzeige, was dazu führt, dass die textmusterfremden Segmente der Gebrauchtwagenanzeige vor diesem Erwartungshorizont gelesen werden. Die Produktbeschreibung der Ausgangsdomäne ist von ihrer Handlungscharakteristik her vergleichbar mit der Selbstdarstellung in einer Heiratsanzeige. Von einer solchen Funktionsanalogie wird in Partnerschaftsanzeigen häufig Gebrauch gemacht. Gleichzeitig wird dadurch Distanz geschaffen: Der Anbieter kann sich offen selbst darstellen, ohne einen Gesichtsverlust zu riskieren, denn Partnerschablonen wie „ Drachin sucht Helden “ oder „ Einsamer Wolf sucht schlankes Reh “ lösen kommunikative Probleme, indem sie Persönlichkeitsmerkmale exponieren, ohne sie direkt zu benennen, womit das so schwer fassbare Konzept des ‚ Zueinanderpassens ‘ modellierbar wird. In einer bis heute einzigartigen Studie untersucht Hülzer-Vogt (1991) im Gegensatz zur einhelligen Überzeugung der meisten Vertreter der Kognitiven Linguistik nicht den verständnisstiftenden und diskursstrukturierenden Wirkungsmechanismus der Metapher, sondern metaphernbedingte Kommunikationskonflikte. Im Zentrum ihres Beitrags stehen Prozesse des Austauschs und Aushandelns von metaphorischen Mitteilungen, die zu Kommunikationskonflikten führen können. Dabei wird die Frage nach der Konventionalität der Metapher zu den Interpretationsleistungen der Sprachbenutzer in der konkreten Gesprächssituation hin verschoben. Metaphernbedingtes Missverstehen stellt sich dann ein, wenn eine Metapher wörtlich genommen, ihre Funktion nicht erkannt oder sie als deplaziert empfunden wird (Hülzer-Vogt 1991, 360). 138 In einer 1989 durchgeführten Pilotstudie findet Hülzer-Vogt (1991, 101 - 107) heraus, dass das Verstehen von Metaphern häufig nur oberflächlich zustande kommt. Bei einem Experiment wurden Hörer dazu aufgefordert, sich retrospektiv zu zwei in einem zuvor aufgezeichneten Gespräch verwendeten metaphorischen Ausdrücken des Gegenübers zu äußern, wobei ihre Erklärungen weit auseinander gingen und die ebenfalls erst nachträglich eruierte Sprecherintention bei weitem verfehlten. Dies führt Hülzer-Vogt zu der Schlussfolgerung, dass sich selbst bei so genannten ‚ konventionellen ‘ Metaphern kein kontextunabhängiges, automatisches Verstehen postulieren lässt. Auf der Grundlage einer empirischen Analyse von Mitte der achtziger Jahre regelmäßig stattfindenden Gesprächskreissitzungen zwischen Senioren und Studenten beschreibt Hülzer-Vogt detailliert, wie es zu metaphernbedingten Kommunikationskonflikten kommen kann: In einer Diskussion z. B. lenkt ein Teilnehmer die Konversation auf einen von ihm gelesenen Artikel zu dem Thema ‚ Liebe ‘ und bringt dabei eine Metapher ins Spiel, die sich im Titel des Zeitungsartikels findet: Liebe ist Mangel an Raum. Der Gesprächsteilnehmer liefert im Anschluss daran den kontextuellen Referenzrahmen, indem er den Inhalt des Artikels, der zu der besagten Überschrift als Konklu-sion hinführt, als Argumentationsstruktur nachreicht. Hülzer-Vogt wählt nun allerdings einen Cameron, Holt und Drew oder Ponterotto entgegengesetzten Weg, indem sie nachzeichnet, wie eine solche für eine bestimmte Gesprächssequenz als Dreh- und Angelpunkt fungierende Metapher den Verständigungsprozess keineswegs ebnet, sondern belastet. So nimmt eine Hörerin nach Abschluss der inhaltlichen Darlegung des Artikels durch den Sprecher ihre zuvor bereits gestellte Frage wieder auf und macht deutlich, dass sie sich damit nicht auf ein akustisches, sondern inhaltliches Verständnis bezieht: „ Und woher kommt das nun mit dem Mangel an Raum? “ . Hiermit ist der Adressat der Frage zu einer fremdinitiierten Bedeutungserklärung gehalten, die das für die Hörerin nicht verständliche Tertiumm Comparationis freilegen soll. Ein weiterer Gesprächspartner schaltet sich nun in das Gespräch ein und deutet den ‚ Raum ‘ im Sinne von ‚ Gelegenheit ‘ , was Hülzer-Vogt als Zuspitzung der Metapher auf eine Metonymie hin versteht, da hier ein Zusammenhang von Grund (Mangel an Raum) und Folge (keine Gelegenheit) hergestellt wird. Der eigentliche Adressat der Frage nimmt den Vorschlag auf, indem er ihn präzisiert und zur Ausgangsmetapher des Raumes zurückführt: „ . . . weil nicht jeder Mensch die Gelegenheit hat, überall zu sein und alle Menschen kennenzulernen, die in Frage kämen “ . Erst jetzt gelingt die Verständigung, deren Erfolg von der Hörerin explizit bekanntgegeben wird, woraufhin der Sprecher seine Bedeutungserklärung nochmals paraphrasiert: „ Man befindet sich eh zeit seines Lebens in einem [. . .] kleinen Raum, gemessen an dem 139 theoretisch denkbaren Raum, in dem man sich bewegen könnte. . . “ (Hülzer- Vogt 1991, 360 - 367). Ihre nachfolgende Analyse von Gesprächen mit mehreren Teilnehmern zu unterschiedlichen gesellschaftspolitisch und sozial relevanten Themenkreisen offenbart, dass es in der authentischen Rede im Vorfeld der Metapher so gut wie keine expliziten Redecharakterisierungen als strategische Hinführung gibt, was sie als Beleg dafür deutet, dass Metaphern selbstverständlich und meist unbewusst verwendet werden, so dass eine Vorbereitung auf eine Metapher nicht als notwendig erachtet wird, zumal der Sprecher sich der Verwendung der Metapher oftmals selbst gar nicht bewusst ist (Hülzer-Vogt 1991, 233). Für den Kommunikationsforscher war deshalb in Bezug auf die auftretenden Kommunikationskonflikte letztlich nicht immer zu klären, ob ein Konflikt überhaupt gelöst werden konnte, da Verstehensbekundungen insgesamt eher rar waren. In ein paar Fällen waren sich sogar die originären Benutzer der Metapher im Rahmen der nachträglich metakommunikativen Reflexion nicht mehr sicher, wie sie die Metapher verstanden wissen wollten. Als häufigste Konfliktbewältigungsstrategien entpuppten sich die Paraphrase, die Redecharakterisierung als nachträgliche Korrektur und die sprachliche Exklusion, ergo vornehmlich Mittel der retrospektiven Aufmerksamkeitssteuerung. Abschließend kommt Hülzer-Vogt zu dem Schluss, dass die Metapher im Kontrast zu ihren mannigfaltigen Vorzügen der Transparenz, Virtualität und Effizienz in ihrer Elliptizität gleichzeitig den Spielraum für Bedeutungsvielfalt und damit für Verstehens- und Verständigungsprobleme öffnet, die ihrerseits zwar explizit ausgetragen werden können, oft jedoch versteckt bleiben. Dieses Ergebnis läuft einem Großteil der zuvor vorgestellten Untersuchungen zuwider, welche die katachretische und explikative Funktion der Metapher hervorheben und wo sie ob ihrer Kompaktheit und Anschaulichkeit entlastend wirkt. Woher kommt dieser Widerspruch? In den seltensten Fällen hat man sich in solchen Untersuchungen im Gegensatz zur Studie von Hülzer-Vogt tatsächlich genuinen Kommunikationssituationen zugewendet. Beschäftigen sich die meisten Abhandlungen zur Funktion der Metapher mit ihrer Kohärenz stiftenden und Verständnis fördernden Kraft, wobei die Hörerperspektive oftmals gar nicht erst ins Auge gefasst wird, um zu prüfen, ob ein Verstehensakt tatsächlich zustande gekommen ist, wendet sich Hülzer-Vogt der metaphernbedingten Fallibilität von Kommunikation zu, indem sie in ihrer empirischen Gesprächsanalyse offen legt, wie Metaphern als konfliktäre sprachliche Mittel häufig zu Erschwernissen der kommunikativen Verständigung in Kommunikationsprozessen führen. Metaphern können einerseits zwar einen Sprechergedanken transparenter werden lassen; andererseits greifen sie immer nur bestimmte Aspekte der Zieldomäne auf und lassen dabei offen, welche Analogie im Einzelnen relevant für die Bedeutungskonstruktion ist, was zu 140 einer Elliptizität der sprachlichen Metapher bezüglich kognitiver Elemente der analogischen Konstruktion führt: „ . . . also von der nach innen (und nicht nach außen) gerichteten Elliptizität ist hier die Rede, die einer immensen Bedeutungsvielfalt den Raum eröffnet. Sie ist in vielen Fällen Anlaß dafür, sich in den Bereich der Kommunikationskonflikte einlassen zu müssen, denn an sie binden sich zahlreiche Verstehens- oder Verständigungsprobleme, die entweder eine hörerseitige Deutung von Zeichen völlig unterbinden oder individuell verschiedene Deutungen bei Sprecher und Hörer/ n unterstützen, bei denen Abweichungen durch die Diskrepanz zwischen Gemeintem und Verstandenem zu erklären sind. Die verschiedenen Interpretationen von Zeichen sind auf unterschiedliche Zuordnungen zu Teiltheorien innerhalb einer übergeordneten individuellen Welttheorie zurückzuführen “ (Hülzer-Vogt 1991, 370). Wie das Beispiel darüber hinaus gezeigt hat, werden Redecharakterisierungen als Vorkehrungen gegen Missverständnisse und Anleitungen an den Hörer, sich einer bestimmten Bedeutungskonstruktion zuzuwenden, erst in retrospektiver Betrachtung eingesetzt. Solche an Redecharakterisierungen interessierten Studien wie die von Hülzer-Vogt markieren eine deutliche Hinwendung zu einer reflektierenden Teilnehmerperspektive, in der die Kommunikationsakteure aus dem Prozess der Kommunikation selbstreflexiv heraustreten und in extrakommunikativer Betrachtung semantische Rückversicherungsmechanismen anwenden, um den Verstehensprozess des Geäußerten seitens des Hörers in die gewünschten Bahnen zu lenken (Loenhoff & Schmitz, 2012, im Druck). Dennoch wird diese bedeutende Voraussetzung - der Schritt zur extrakommunikativen Perspektive des zwischen beiden Modi konstant oszillierenden Kommunikationsteilnehmers - in der kognitiven Metaphernforschung bis heute in der Regel nicht thematisiert. Fraglich bleibt allerdings, ob die metaphernpessimistischen Schlussfolgerungen, die Hülzer-Vogt auf der Grundlage von Gruppengesprächen zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen zieht, tatsächlich generalisierbar sind, da sie nur einen Teil dessen abdecken, was Metaphern innerhalb von Gesprächssituationen zu leisten bzw. nicht zu leisten vermögen. Methodologisch lässt sich auch das Paradox kaum lösen, dass bei der retrospektiven Befragung von Gesprächsteilnehmern zu ihrem Sprachgebrauch die Gefahr lauert, dass sich die Befragten in ihrem nun extrakommunikativen Umgang mit der zur Debatte stehenden Kommunikationssituation selbst Motive unterstellen, die im kommunikativen Kontext selbst gar keine Rolle spielten. Nachträglich zu fragen, warum man eine Metapher verwendet hat oder wie man eine Metapher im Hinblick auf ihren Wertegehalt interpretiert, kann auch als Aufforderung verstanden werden, gemäß dem Common-Sense-Hintergrundwissen um politische Rhetorik etwa 141 Intentionen und Wertungen in etwas hineinzulegen, wo die Gesprächsteilnehmer in der Kommunikationssituation selbst lediglich auf einen nahe liegenden Ausdruck zurückgegriffen haben - ein schier unlösbares Paradox. Aus ganz anderer Richtung kommend interessiert sich die Fremdsprachenforschung für den Verstehensprozess. Auf kulturbedingte Anlässe des Missverstehens und ihre Relevanz für den Fremdsprachenunterricht etwa zielt die Pilotstudie von Littlemore (2003) ab, bei der kulturelle Faktoren mit denen des Verstehens von Metaphern korreliert werden. Bengalische Studenten, die einen Kurs an einer englischen Universität besuchten, wurden nach ihrem inhaltlichen Verständnis sowie der evaluativen Funktion bestimmter Metaphern gefragt, die ihre Dozenten verwendeten. Die Metaphern wurden aus den aufgezeichneten Unterrichtseinheiten so ausgewählt, dass sie mit dem vierdimensionalen Wertesystem von Hofstede (1983) korrelierten, welches Kulturen auf einer Skala mit den Werten ‚ Unsicherheitsvermeidung ‘ , ‚ Machtdistanz ‘ , ‚ Individualismus/ Kollektivismus ‘ und ‚ Selbstbzw. Sozialorientierung ‘ verortet. Es stellte sich heraus, dass die bengalischen Studenten eher solche Metaphern verstanden, die sich mit ihrem kulturellen Wertesystem im Einklang befanden. Mit dem Ausdruck freeing up external trade und dessen positiver Bewertung durch den Dozenten z. B. hatten sie laut Littlemore umgekehrt Probleme, weil sie up nicht positiv bewerteten, da in ihrer Kultur Protektionismus ein höherer Stellenwert zukommt als Marktliberalismus. Daneben zeigte sich auch, dass selbst in Fällen, bei denen die Studenten keinerlei Probleme mit dem inhaltlichen Aspekt der Metapher hatten, die evaluative Funktion innerhalb des eigenen kulturellen Rahmens uminterpretiert wurde. Dies geschah beim metaphorischen Ausdruck we have these top-down, bottom-up forms of assessment, der nicht wie von dem englischen Professor als negativ konnotiert wahrgenommen, sondern positiv aufgefasst wurde, da, so die Schlussfolgerung Littlemores, Hierarchien in Bangladesch als etwas Selbstverständliches angesehen und deshalb keiner kritischen Evaluierung unterzogen werden. Littlemore (2008, 199) diskutiert an anderer Stelle eine wichtige Konsequenz im Hinblick auf Untersuchungen zum Verstehen von Metaphern durch Fremdsprachenlerner, denn im Rahmen solcher Problemstellungen wird einmal mehr deutlich, dass die seitens einiger Gegner der Konzeptuellen Metapherntheorie erhobene Forderung nach einer Ausklammerung so genannter ‚ toter Metaphern ‘ im Kontext interkultureller Fragestellung äußerst fragwürdig erscheint, stellen sie für den Fremsprachenlerner doch gerade keine ‚ toten Metaphern ‘ dar. Aus ihrer eigenen Praxis berichtet Littlemore z. B., dass Studenten Ostasiens Probleme mit englischen Ausdrücken wie „ these problems are rooted in the technological uncertainties “ gehabt hätten, da sie das Verb root in ihrer Sprache nicht in abstrakten Kontexten verwenden. Als besonders schwierig erweist sich zudem die Unkenntnis hinsichtlich ensprechender kultureller Hintergrundannahmen, 142 die der Gebrauch bestimmter Wörter im metaphorischen Sinne oft voraussetzt. Im Erlernen von Techniken wie associative fluency, analogical reasoning und image formation, so weist Littlemore experimentell nach, sei es möglich, Fremdsprachenlernern entsprechende Techniken der Erschließung von Metaphern in der anderen Sprache näher zu bringen (Littlemore 2008, 202). 3.4.4 Kritische Diskussion Den Beginn einer Hinwendung zum Hörer und dem Verstehensprozess von Metaphern markieren die psycholinguistischen Arbeiten von Gibbs (1990; 1992 a, 1992 b; 1993; 1994; 2005), der zunächst strikt experimentell vorgeht, sich in letzter Zeit jedoch verstärkt den Verbindungsmöglichkeiten zwischen konzeptueller Metapher und Pragmatik zuwendet. Seine Forschung führt eine kritische Schlüsselfrage ein, die zuvor nicht gestellt wurde und sich an die Rolle des Hörers richtet: Inwiefern spielt die Etikettierung ‚ Metapher ‘ , die wir als Forscher stillschweigend voraussetzen, im aktuellen Verstehensprozess tatsächlich eine Rolle? Die damit eingeleitete Fundierung eines spezifischen Problemfeldes innerhalb der kognitiven Metaphernforschung bleibt sein größtes Verdienst. Wieviel seine Ergebnisse letztlich über die Rolle von Metaphern in der Kommunikation aussagen, steht dagegen auf einem anderen Blatt, denn die Beispielsätze, mit denen er in seinen Experimenten operiert, werden in der Regel ihrer Handlungsziele beraubt und bleiben aus ihrer natürlichen Kommunikationsumgebung isoliert. Um die Funktion als Handlungsmittel verkürzt, ist das experimentelle Vorgehen von Gibbs per se nicht imstande, die in kommunikationstheoretischer Sicht unauflösbare Verzahnung von Subjektivem und Sozialem zu erfassen. Was sowohl ihm als auch Steen (1994) durch Methoden wie den Laut-Denk- Protokollen trotz deren Mängel 21 auf der anderen Seite gelingt, ist das durch die Nahaufnahme ermöglichte Einfangen reflexiver und selbstreflexiver Prozesse bei der Konstruktion von Bedeutungen - wenn auch unter Verzicht auf das soziale Element. Zumindest lässt sich damit eine Bereicherung im Hinblick auf die Methodenvielfalt verzeichnen. Abseits dieser positiven Bewertung allerdings darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Einheit der Kommunikation im Experiment stets halbiert wird, so dass der Verstehensprozess ein interner bleibt; das Aushandeln von Bedeutungen jedoch findet zwischen den Menschen statt. Damit wird die Mikroskopierung um den Preis ihrer Validität im realen Leben erkauft. Dasselbe Defizit trifft auf die Untersuchungen von Steen (2007) zu. Zwar fordert er mehr als Hymes, Clark und Gumperz; er selbst jedoch bleibt hinter 21 Das Paradox dieser Methode liegt darin, dass lautes Denken nur das artikulieren kann, was dem Bewusstsein bereits zugänglich ist, die Verstehensprozesse jedoch weit darüber hinausgehen. 143 dieser Forderung weit zurück, denn seine empirische Basis stellen anders als bei den genannten Autoren geschriebene Texte dar; Gespräche oder gar nonverbale Interaktionsformen finden keinen Eingang in die Datenbasis. Verstehen bleibt in der empirischen Praxis bei beiden Autoren im Endeffekt eine Sache des kognizierenden Individuums. Immerhin ist eine Weichenstellung zu der Frage nach der sozialen Rolle des Verstehenden erkennbar, die in die Problematisierung der Kriterien zur Bestimmung einer Metapher eingeht. Es sei hinzugefügt, dass bei der Hinwendung zum Hörer nicht nur die Grenze zwischen Tropus und wörtlichem Sprachgebrauch verschwimmt, sondern auch die zwischen den unterschiedlichen Tropen. Die Brücke, die Tendhal und Gibbs (2008) später zur Relevanztheorie von Sperber und Wilson schlagen, ist als aussichtsreicher Versuch zu bewerten, den komplexen Inferenzprozess beim Verstehen einer Metapher pragmatisch anzugehen, obwohl selbst in relevanztheoretischer Perspektive das Schlussverfahren in letzter Instanz egologisch bleibt. Nonverbale Aspekte, deren Gleichzeitigkeit mit verbalen Kommunikationsformen, die dynamischen Momente der Interaktion und die wechselseitigen Formen der Absicherung von Verständnis stehen nicht zur Debatte. 22 Wie die Hereinnahme nonverbaler und paraverbaler Faktoren in eine Analyse von Schlussverfahren im Kommunikationsprozess gelingen kann, hat Gumperz vorgeführt, auch wenn sich seine Ausführungen nicht auf die Metapher richten. Fruchtbar dagegen erscheint die Beschreibung des Schlussverfahrens vor dem Hintergrund geteilten Wissens und geteilter Einstellungen, da sich hier Schnittstellen mit der individuellen Welttheorie Ungeheuers sowie dem geteilten Wissensvorrat nach Schütz ausmachen lassen. Nicht zuletzt ist es Schütz gewesen, der als erster eine umfassende Theorie der Relevanz vorgelegt hat und mit den Begriffen der ‚ passiven Synthesis der Rekognition ‘ (Schütz 1971/ 1982, 94) und der ‚ apperzeptiven Übertragung ‘ (Schütz 1971, 9) veranschaulicht, wie neue Erfahrungen in Analogie zu bereits typisierten Erfahrungen gesetzt und damit in den Wissensvorrat eingeordnet werden. 23 Bleiben die meisten Untersuchungen überwiegend optimistisch, indem sie zeigen, wie effektiv die Metapher Handlungsziele wie die Strukturierung von Gesprächen und Texten, die Komprimierung eines effektheischenden Gedankens oder die Kohärenz eines Gesprächs einzulösen vermag, befasst 22 Vgl. zu einer soliden Bewertung der Relevanztheorie von kommunikationswissenschaftlicher Warte aus Dittrich 2005, 111 - 115. 23 Mit ‚ thematischer Relevanz ‘ bezieht sich Schütz auf die Themenkonstitution in einem bisher undifferenzierten Feld; mit ‚ Auslegungsrelevanz ‘ hingegen auf ein Feld, dessen Typizität unter bereits festgelegte typische Erfahrungen subsumiert wird, so dass die kohärenten Typen früherer Erfahrungen relevante Elemente für die Auslegung eines neuen Wahrnehmungskomplexes darstellen (Schütz 1970, 57 - 60). 144 sich Hülzer-Vogt (1991) gerade mit den Unwägbarkeiten, dem großen Potential für Missverständnisse und Kommunikationsschwierigkeiten, das in der Metapher angelegt ist. Dies ist ein Feld, das seitdem kaum mehr betreten wurde. Hoffnungsvoll erscheint mir deshalb ein Impuls, der aus der Fremdsprachenforschung kommt, wie die Arbeit von Littlemore (2003; 2006) angedeutet hat. Hier ist es schon lange kein Novum mehr, dass schemabasierte Wissensstrukturen und Erwartungshaltungen, wie sie auch von Schütz und Ungeheuer beschrieben werden, für das Verstehen als produktiver, schöpferischer und konstruktiver Vorgang verantwortlich sind. Metaphern stellen wegen ihrer kulturellen Motiviertheit in dieser Beziehung oft ein Verstehenshemmnis dar. Versagen die vor dem Hintergrund des eigenen Wisensvorrats angewendeten Verstehensstrategien der Hypothesenbildung und -überprüfung, Verallgemeinerung, Abstraktion, des Inferierens und Unterscheidens von wichtiger und unwichtiger Information angesichts des schlichten Scheiterns beim Einordnungsversuch des vernommenen metaphorischen Ausdrucks, gerinnt die Metapher zum Dreh- und Angelpunkt von Kommunikationsproblemen. Auf diesem Gebiet lässt sich par excellence vorführen, wie fallibel die Kommunikation doch wird, sobald eine Metapher ihre habituelle Umgebung verlässt. 3.5 Metaphern in soziokultureller und kulturvergleichender Perspektive 3.5.1 Gesellschaftshistorisch bedingte Diskursmetaphern Ausgehend von der Idee der konzeptuellen Metapher, aber dennoch in bewusster Abgrenzung zu ihr führen Zinken und Musolff (2009) ähnlich wie Camerons Konzept der ‚ systematischen Metapher ‘ einen eigenen Terminus für die Art von Metaphern ein, die für ihren diskurstheoretischen Ansatz zentral ist: discourse metaphors. Solche Diskursmetaphern zeichnen sich geggenüber der konzeptuellen Metapher dadurch aus, dass sie (a) auf basiskonzeptuellen Wissensstrukturen im Sinne Roschs fußen, (b) sich im Rahmen sozialer Interaktion entwickeln und (c) eng mit kulturellen Skripts und Stereotypen verbunden sind. Entsprechend dem für die Diskursforschung typischen Interesse an der kulturgeschichtlichen und sozialstrukturellen Vorgeformtheit sprachlichen Handelns arbeiten die meisten metaphernanalytischen Untersuchungen aus diesem Bereich in methodologischer Hinsicht auf der Grundlage von Korpora aus den Printmedien, was kurz an einem Beispiel veranschaulicht werden soll: Baranov und Zinken (2003; 2004) fragen in einer Studie danach, wie russische und deutsche Tageszeitungen Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre über die politischen Veränderungen in ihrem Land berich- 145 teten. Ihre Untersuchung schließt mit der Feststellung, dass sich in beiden Korpora zwar viele Gemeinsamkeiten aufspüren ließen; dennoch könne man zwei grundlegende Nuancen konstatieren: Zum einen sind die Diskursmetaphern, die für den gleichen Zielbereich VERÄNDERUNG gewählt wurden, unterschiedlicher Herkunft, wobei die zentrale Metapher, die sich im russischen Korpus herauskristallisiert, als TRANSFORMATION IS REBUIL- DING (perestrojka) beschrieben werden kann; demgegenüber gruppieren sich die metaphorischen Ausdrücke im deutschen Korpus um die Schlüsselmetapher TRANSFORMATION IS A TURN (Wende). Zum anderen lässt sich ein divergierender Gebrauch im Hinblick auf die den Ursprungsdomänen inhärenten Elemente und Relationen beobachten, wie sich u. a. an lexikalischen Lücken im Bereich der Domäne FLORA zeigt: Im russischen Korpus findet sich keine Diskursmetapher des Typs CLOSE INSTITUTIONAL LINKS ARE RAMIFICATIONS (Verästelung) wie im deutschen, was, so mutmaßen die Autoren, auf die Produktivität des deutschen Präfixes verzurückgeführt werden könnte. Neben solchen Erklärungen, die mit morphologischen Prinzipien des jeweiligen Sprachsystems in Zusammenhang stehen, führen die Autoren die Ergebnisse auf unterschiedliche Diskurstraditionen zurück. Was die theoretsche Abgrenzung zur Konzeptuellen Metapherntheorie betrifft, so gehen Zinken und Musolff (2009) davon aus, dass Diskursmetaphern im Gegensatz zu der von Lakoff und Johnson konstatierten Motivation komplexer Metaphern durch Primärmetaphern nicht auf solch simpleren Projektionen beruhen. Vielmehr bezeichnen Diskursmetaphern wie BELONGING IS HAVING ROOTS , CLONES ARE COPIES oder NATION - STATES ARE HOUSES unmittelbar einsichtige imaginative Akte. Der entscheidende Unterschied zwischen Primärmetaphern und Diskursmetaphern liegt deshalb in der Ursprungsdomäne, die im Fall von Primärmetaphern in der physischen Erfahrung zu suchen ist, aus der abstrakte Konzepte abgeleitet werden, wogegen im Fall von Diskursmetaphern konkret-materielle Bilder der Basisebene wie HAUS , SCHIFF , BLUME etc., die auf kulturellen Erfahrungen und Interaktionen mit der Welt fußen, den Ausgangspunkt bilden. Von diesem Standpunkt aus wird auch embodiment in Anlehnung an Bourdieu (1977), Geertz (1973) und Tomasello (1999) soziokulturell umgedeutet zu einem „ process of incorporating the symbolically accumulated ideas and values of our fellow men and ancestors “ . (Zinken, Hellsten & Nerlich 2009, 20). Daher müsse die embodiment-These um das Konzept enculturation erweitert werden. Vordringliches Ziel der Untersuchungen, die sich mit discourse metaphors beschäftigen, ist daher die Substitution der individualistischen Sicht auf Kognition durch ein dual grounding (Sinha 1999) der Humankognition in Biologie und Kultur. Die unmittelbar konkreten Bilder der kulturell verankerten Basisebene entwickeln nun im Laufe der Zeit durch den wiederholten Gebrauch in speziellen Diskursdomänen Affinitäten für bestimmte Zielbereiche. Zinken (2007) veranschaulicht diese neue 146 Blickrichtung auf das Konkrete im Gegensatz zum Abstrakten an zwei Beispielen: In einer Untersuchung zum Metapherngebrauch in politischen Kontexten stellt er fest, dass der metaphorische Gebrauch des Worts kettle im Kontext politischen Drucks erscheint, während pot sich eher in Diskussionen über die Unterteilung politischen Territoriums findet. Ähnlich verhält es sich mit den beiden Ausdrücken ship und boat: Taucht der erste Ausdruck eher im Umfeld komplexer Systeme auf, wird der zweite vornehmlich im Kontext von Zusammenarbeit gebraucht. Die historisch-politische Situiertheit von Metaphern sowie die Abhängigkeit ihrer Bedeutung von bestimmten Kommunikationszielen der Handelnden ist Gegen-stand einer Untersuchung von A ’ Beckett (2009) zu Kommentaren aus russischen Tageszeitungen über die politischen Ereignisse während der Orangen-Revolution in der Ukraine. Im Anschluss an einen weiteren von Zinken (2003, 509) geprägten Begriff, den der intertextual metaphor, stehen bei dieser Analyse die Darstellungen von Präsident Yushchenko und Premierministerin Timoshenko im Vordergrund, wobei sich die Aufmerksamkeit auf die Vermittlung von negativen Einstellungen der Textproduzenten mit Hilfe von Metaphern richtet, die kontextentbunden eher positiv bewertet werden. ‚ Intertextuell ‘ sind solche Metaphern zu nennen, weil sie in semiotischer Erfahrung verankert sind und den gesellschaftspolitischen Diskurs einer bestimmten Kulturgemeinschaft konstituieren, woraus dann gleichsam divergierende Evaluierungen resultieren. Solche Unterschiede zeigen sich etwa bei der Dracula-Figur, die für die Rumänen als Freiheitskämpfer positiv, in anderen Kulturen jedoch als sadistischer Vampir negativ konnotiert ist. A ’ Becketts Analyse zu den russischen Kommentaren über Yushchenko und Timoshenko ergibt u. a. eine häufige Verwendung der kontextentbunden eher positiv konnotierten Metapher BROTHER ( S ) durch die russischen Journalisten. Zwei kulturspezifische Bezüge kommen dabei zum Tragen: a) zum einen die Idee der slawischen Bruderschaft, die den gemeinsamen Ursprung beider Nationen betont, b) zum anderen die Bruderschaft im Geiste als Relikt der Sowjet- Idologie. In diesem Rahmen allerdings kommt es nun zu einer Rekontextualisierung der kulturell motivierten Prototypen und deren Wendung ins Ironische wie z. B. in der Schlagzeile „ Spiritual brothers: Saakashvili amused Yushchenko “ . Die Verwendung solcher Metaphern entspricht einem subtilen Werkzeug, das einer nicht offen zur Schau gestellten Verunglimpfung politischer Geschehnisse dient: „ They [die Metaphern, US] have context-dependent disapproving overtones since these metaphors do not represent overtly negative terms “ (A ’ Beckett 2009, 105). Eine ebenfalls soziokulturelle Bestimmung der Metapher nimmt Musolff (2003) in seiner Untersuchung zu metaphorical scenarios im politischen Diskurs vor, wobei er auf die wenigen Stellen des Erstlingswerks von Lakoff und Johnson zurückgreift, an denen vom wirklichkeitsschaffenden und 147 handlungsleitenden Charakter der Metaphern die Rede ist, denen die Kraft zukommt, zum „ guide for future action “ (Lakoff & Johnson 1980/ 2003, 156) zu werden. Für diese leitende Funktion, die ja von Lakoff (1991; 1996; Chilton & Lakoff 1995) in einigen Fallstudien zum politischen Diskurs selbst genauer untersucht wurde, interessiert sich Musolff nun speziell in Bezug auf die daraus abzuleitende argumentative Funktion metaphorischer Szenarien im politischen Diskurs. Ausgangspunkt der Studie bildet ein Vergleich zwischen der britischen und deutschen Tagespresse von 1989 - 2000 im Hinblick auf die Berichterstattung zu den Entwicklungen in der EU. Musolff wendet sich speziell denjenigen Metaphern zu, die der Ausgangsdomäne WEG - BEWEGUNG - GESCHWINDIGKEIT entstammen und stellt fest, dass es innerhalb des REISE -Bildes bestimmte Merkmale gibt, auf welche die Pressestimmen beider Länder ihr Augenmerk richten: GESCHWINDIGKEITSVERGLEICHE , PÜNKTLICHKEIT UND VERSPÄTUNG , KOORDINIERTE BEWEGUNGEN NACH VORNE , HINDER- NISSE UND GEFAHREN DES ENTGLEISENS . Solche metaphorischen Szenarien werden gewählt, um ökonomische und politische Positionen hervorzuheben, die bestimmte metaphorische Implikationen automatisch evident erscheinen lassen, z. B. ‚ es ist besser, rechtzeitig mit aufs Schiff zu kommen / auf den Zug zu springen, als den Anschluss zu verpassen ‘ . Dementsprechend nutzen beide Seiten die Topoi der GESCHWINDIGKEIT und des ANSCHLUSSES , allerdings auf verschiedene Weise: Während die EU-skeptische britische Presse die Gefahren zu hoher Geschwindigkeit hervorhebt, wird in der deutschen Presse Langsamkeit als Lähmung und Bremse ausgelegt. Einmal eingeführte Metaphern dieser Art wirken dann gezielt als habitualisierte Szenarien, auf die in politischen Debatten, Fernsehdiskussionen oder in Pressekommentaren immer wieder zurückgegriffen wird: „ In gaining such salience and notoriety, a scenario effectively becomes a cognitive model for the interpretation of socio-political reality. Not only does it provide a frame for the ‚ ontological ‘ categorization of political experience, but it also supplies the speakers - and the audience - with default evaluations by way of presupposing specific conclusions about likely/ typical outcomes of the ‚ scenes ‘ or ‚ story-lines ‘ that are invoked. Alternative conclusions then constitute marked, ‚ irregular ‘ solutions that require special argumentative and rhetorical efforts to survive in the debate. “ (Musolff 2003, 279) Den Fokus auf die Vermischung kultureller und ideologischer Faktoren zu richten gelingt auch der Studie von Semino und Masci (1996), die aufzeigen, dass Berlusconis strategische Verwendung von Metaphern aus der Domäne FUSSBALL einerseits mit der Popularität und den positiven Konnotationen dieser Sportart in Italien zusammenhängt, andererseits eine bewusst intendierte Assoziation mit Berlusconis persönlicher Erfolgsgeschichte als Eigentümer des traditionsreichen Fußballclubs AC Mailand hervorbringt. So vermengte Berlusconi in seinen Reden zu Beginn seiner politischen Karriere 148 1994 oft Bezugnahmen auf sein Regierungsteam mit aktuellen Erfolgen des Fußballvereins, wodurch es ihm gelang, hinsichtlich seines autoritär-populistischen Führungsstils Vertrauen im Volk zu stiften. Semino (2008, 224) belegt solche Metaphern daher mit dem Zusatz situationally-triggered. Eine zweite Quelle zur Selbstdarstellung als Führerfigur sind biblische Bezüge; so schlüpfte Berlusconi im Wahlkampf von 1994 etwa in die Figur des Barmherzigen Samariters und beschrieb sich selbst als von Gott erwählt - ein ebenfalls stark mit kulturellen Traditionen verflochtener Topos. Gleichermaßen kulturell untermauert müsse man auch die ROADMAP Metapher verstehen, die von der amerikanischen Regierung 2002 als politischer Handlungsplan für den Nahostkonflikt ins Leben gerufen wurde. Im US-Kontext, so Semino (2008, 116), spielten in diese Metapher Konnotationen mit hinein, die Verheißungen und Abenteuer implizierten, da die Highways in einem so großen Land wie den USA ganz andere Assoziationen wach rufen als das etwa europäische Autobahnen oder Landstraßen zu tun vermögen. An anderer Stelle vergleicht Semino (2002) die EU- Metaphern miteinander, die in englischen und italienischen Zeitungsartikeln zur Kommentierung der Einführung des Euros verwendet wurden, und stellt fest, dass in beiden Korpora die Metaphern BIRTH , JOURNEY , CONTAINER , SPORTS und DREAMS zu finden sind. Allerdings gibt es unterschiedliche Bewertungen: In den italienischen Artikeln wird die Euro-Einführung enthusiastisch als Geburt eines gesunden Babys gefeiert, wogegen das Baby in den britischen Artikeln zu schwer ist, als dass es öffentlich gezeigt werden könne. Ein letztes Beispiel: Während Tony Blair etwa anlässlich einer Konferenz der britischen Labour Party in Bournemouth zur Rechtfertigung seiner Beteiligung am Irakkrieg erklärt: „ Get rid of the false choice: principles or no principles. Replace it with the true choice. Forward or back. I can only go one way. I ’ ve not got a reverse gear “ , reagiert der BBC- Kommentar auf die hier von Blair verwendete Metapher mit den Worten: „ but when you ’ re on the edge of a cliff it is good to have a reverse gear “ (Semino 2008, 81 - 83). Unterschiedliche politische Denkrichtungen, so die Schlussfolgerung Seminos, machen dementsprechend häufig Gebrauch von verschiedenen Implikationen desselben metaphorischen Szenarios. Die starke ideologische Wirkkraft von Metaphern im politischen Kontext offenbart sich auch in einer frühen Studie von Susan Sontag (1989), die der Metapher AIDS IST PEST nachgeht und herausfindet, dass in dieser Konstellation ein religiöses Schuldprinzip zum Tragen kommt, wobei religiös verwerflichen Verhaltensweisen Sanktionen widerfahren, so dass durch eine solche Metapher einer von konservativer Seite ersehnten Homosexuellenhetze der Weg geebnet werden kann. De Landtsheer (2009, 66 - 68) analysiert Metaphern in der Berichterstattung zur belgischen Tagespolitik und erstellt eine Skala verschiedener 149 Ausgangsdomänen, die aufsteigend immer stärker ideologische und emotionale Effekte erzeugen und so ihre suggestive Kraft entfalten: (1) Am unteren Ende der Skala stehen Metaphern, die unserer alltäglichen Routine entstammen wie der Familie oder bestimmten Alltagsobjekten; (2) Auf zweiter Stufe finden sich Naturmetaphern, die im politischen Diskurs häufig in Verbindung mit Kontrolle und Kontrollverlust auftauchen; (3) Daran schließen sich komplexere, rationale, oft auch technologische Metaphern wie die EUROPEAN HOUSE Metapher (Musolff 2000) an, die politische Richtungsveränderungen einleiten oder als notwendig darstellen und die Veränderbarkeit der Gesellschaft unterstreichen; (4) Auf der nächsten Ebene stehen Katastrophen- und Gewaltmetaphern, die den Rezipienten emotional einzufangen versuchen; (5) Eine Stufe weiter lokalisiert De Landtsheer Sport-, Spiel- und Dramametaphern, die politische Geschehnisse in ein unwirkliches Abbild einrahmen und damit eine Nebenwelt schaffen; (6) Ans oberste Ende der Skala treten Körper-, Verfalls- und Todesmetaphern, die ihre emotionale Kraft aus ihrer starken Verbundenheit zum Körperlichen speisen. Beispiele stellen u. a. die Metaphern aus der biologischen und medizinischen Domäne dar, mit denen die Nationalsozialisten gegen die Juden ins Feld zogen, um den geplanten Genozid zu legitimierten (Musolff 2007). De Landtsheer kommt zu zwei interessanten Ergebnissen: Obwohl der Diskurs rechtsextremer Parteien stärker von Metaphern des oberen Endes der Skala beherrscht wird, finden sich die emotional aufgeladenen Metaphern in beiden politischen Extremen wesentlich häufiger als im Diskurs der politischen Mitte. Darüber hinaus werden solche Metaphern mit starker politischer Schlagkraft häufiger von Männern als von Frauen benutzt. Zu einem ähnlichen Resultat gelangt die Studie Chiltons (2004, 202 - 203), die zutage fördert, dass gerade die politische Rede von binären Oppositionen anstelle nuancierender Ausdrücke geprägt sei, was dem damit einhergehenden Absolutheitsanspruch der jeweiligen politischen Position entspricht. Der historische Paradigmawechsel von Religion über Politik hin zur Wirtschaft als gesellschaftliche Leitdomänen ist das zentrale Thema der Untersuchung von Koller (2009), die aufzeigt, dass die Leitmotive der jeweiligen Vorläufer metaphorisch weiterkommuniziert werden, wenn es etwa um die mission geht, die ein Unternehmen hat ( RELIGION ) oder um die welfare des Unternehmens bzw. seiner Mitarbeiter ( POLITIK ). Koller folgert aus ihrer quantitativen korpuslinguistischen Studie, dass der Gebrauch von historisch vorangegangenen Paradigmen in der Diskursdomäne der Unter- 150 nehmenskommunikation nicht nur das symbolische Universum, sondern auch den Wertekanon des entsprechenden Paradigmas mittransportiert, etwa im Hinblick auf die Sozialordnung, wo ein chief executive officer einen bestimmten Grad an Autorität erlangt und von ihm ein bestimmtes Maß an Verantwortung erwartet wird. Auf diese Weise gelingt es Unternehmen, die Mitarbeiter emotionell zu binden: „ such metaphorizations provide added emotional value for employees by conceptually and discursively structuring the corporation as a community, thereby fostering stakeholder loyalty “ (Koller 2009, 130). 3.5.2 Universalität und Relativität konzeptueller Metaphern Ein Schlüsselwerk der kognitiven Metaphernforschung, das sich mit kultureller Universalität und Relativität befasst, stammt von dem ungarischen Linguisten Zoltán Kövecses. Mit Metaphor in Culture. Universality and Variation (2005) legt er eine erstmalige Systematisierung der enormen Vielzahl kulturvergleichender Untersuchungen zur Metapher vor, die sich darum bemüht, das Material unter theoretischen Gesichtspunkten zu erörtern. Unternehmungen zu einer Verknüpfung von Kognitiver Linguistik und anthropologischen Studien gibt es zu diesem Zeitpunkt bereits. Hervorzuheben ist die Begründung der Cultural Linguistics als „ synthesis of cognitive linguistics with Boasian linguistics, ethnosemantics, and the ethnography of speaking “ durch Gary B. Palmer (1996, 35), dem das Verdienst zukommt, zwischen der Kognitiven Linguistik und der Amerikanischen Anthropologie bzw. Ethnologie Kontinuitäten herausgearbeitet zu haben. Demgegenüber gelingt es William A. Foley (1997) in seiner Übersichtsdarstellung einer Anthropological Linguistics, die Durchgängigkeit bestimmter Ideen bis zu ihrem Ursprung nach Europa zurückzuverfolgen und die unverzichtbaren Grundlegungen Kants, Herders und Humboldts einzubeziehen - ein Beitrag, den Palmer versäumt. Kövecses selbst beginnt seine Studien zur metaphorischen Konzeptualisierung von Emotionen noch ganz in der Tradition der frühen Jahre der Konzeptuellen Metapherntheorie auf der Grundlage universalistischer Hypothesen und publiziert seine erste Abhandlung über Wut, Stolz und Liebe in den achtziger Jahren (Kövecses 1986; Lakoff & Kövecses 1987). Was ihm nun knapp zwanzig Jahre später vorschwebt, ist nicht der Bruch mit den Prämissen der Konzeptuellen Metapherntheorie, sondern eine Ausdehnung der Forschung auf die vernachlässigten Bereiche kultureller Kontingenz und Variation. Deshalb distanziert er sich vom Apriori der Kognition und betrachtet die Metapher als gleichermaßen sprachliches, konzeptuelles, neurologisches, körperliches, soziales und kulturelles Phänomen (Kövecses 2005, 293), ohne einem dieser Aspekte einen privilegierten Status einzuräumen. Sein Foschungsschwerpunkt berührt im Gegensatz zu den traditio- 151 nellen Themen der Konzeptuellen Metapherntheorie die Kernfrage ‚ inwieweit und auf welche Weise Metaphern für das Verstehen von Kultur und Gesellschaft relevant sind (Kövecses 2005, xi). Das Interesse an den kulturrelativistischen Facetten der Metapher wird durch die Ergebnisse seiner Studien zur metaphorischen Konstruktion von Gefühlen geweckt. Damit verabschiedet er sich von der starken Version der Embodiment-These und überführt sie in eine synthetische Position, die konstruktivistische Gedanken mit aufnimmt und der er den Namen body-based constructionism (BBC) verleiht. Konzepte sind damit „ both motivated by the human body and produced by a particular social and cultural environment “ (Kövecses 2003, 14; Hervorh. i. O.). Einerseits hält Kövecses also an der Überzeugung fest, dass bestimmte generische und primäre Metaphern universellen Status beanspruchen können; andererseits sind es kulturelle Modelle (embodied cultural prototypes), die an der kulturspezifischen Ausgestaltung solch grundlegender Metaphern ihren Anteil haben, denn erst durch sie werden die generischen und schematischen Metaphern inhaltlich aufgeladen und erhalten eine konkrete Kontur (Kövecses 2003, 183). Um die Dialektik von Körper und Kultur als maßgebliche Quelle für die Konstitution von Metaphern zu beschreiben, greift Kövecses auf die Unterscheidung Gradys zwischen primary und complex metaphor zurück: „ . . . it may be appropriate to consider primary metaphorical patterns as something like templates, opposed to the more fleshed-out, blended conceptualizations which constitute metaphors per se. Primary metaphors are generic patterns, rather than concrete, vivid instantiations. “ (Grady 2005, 1608 - 1609) Die komplexen Metaphern hält er für die entscheidenden, wenn es um die Frage nach dem kulturellen Kontext geht, in den Menschen bei ihren gemeinsamen Bedeutungskonstruktionen eingebunden sind (Kövecses 2005, 11). Implizit rekurriert Kövecses bei seiner Definition von komplexen und kulturell aufgeladenen Metaphern auf das Highlighting- und Hiding- Phänomen, wenn er als wesentliches Merkmal von konzeptuellen Metaphern einen spezifischen meaning focus bzw. ein major theme annimmt, das ihnen innewohne. Die Ausgangsdomäne REISE z. B. trägt in ihrem Kern die Fortschrittsidee, die wir dann auf das LEBEN oder die LIEBE applizieren; die Ausgangsdomäne HITZE wird normalerweise benutzt, um INTENSITÄT in verschiedenen Zieldomänen - z. B. WUT , LEIDENSCHAFT oder ANGST - beschreibbar zu machen. Kövecses nimmt in diesem Zusammenhang Bezug auf ein Experiment von Gibbs (1992 b), bei dem die Versuchspersonen zu Details bzw. Implikationen der Metapher THE ANGRY PERSON IS A PRESSURIZED CONTAINER befragt wurden, dazu etwa, was die Explosion des Containers auslösen könnte, ob der Container kontrolliert oder unkontrolliert explodiert, ob die Explosion stark oder schwach sei etc. Wie bei dem Experiment zum 152 idiomatischen Ausdruck spill the beans waren sich die Probanden auch bei diesem Versuch in ihren Antworten einig: Der Container explodiert als Konsequenz internen Drucks, ausgelöst durch ansteigende Hitze der Flüssigkeit, die sich im Container befindet, so dass die Explosion ungewollt und stark ausfällt. Die Studie, so das Fazit von Gibbs, belegt im Sinne der lakoffschen Invarianz-Hypothese, dass die bildschematische Struktur der Ausgangsdomäne mit all ihren Implikationen in die Zieldomäne hineingetragen wird und dass gerade durch solche nonlinguistic profiles Bedeutungsfokussierungen realisiert werden. Kövecses (2005, 68 - 69) illustriert nun das Zusammenspiel von körperbzw. erfahrungsbasierten primären Metaphern und kulturdependenten komplexen Metaphern anhand der konzeptuellen Metapher THE ANGRY PERSON IS A PRESSURIZED CONTAINER : So gibt es Belege für das Vorhandensein dieser generischen Primärmetapher in einer ganzen Reihe von anderen Sprachen außer dem Englischen, u. a. im Chinesischen, Deutschen, Japanischen, Ungarischen, Polnischen, Wolof und Zulu, woraus Kövecses schließt, dass die Metapher einen nahezu universellen Status beanspruchen kann, gerade deshalb, weil sie in dieser abstrakten und generischen Form bestimmte Aspekte eben nicht weiter spezifiziert, sondern schemenhaft belässt. Kövecses vermutet, dass die Universalität der Metapher wie bei vielen Gefühlen auf einen metonymischen Effekt zurückgeht, da die Erfahrung von Wut physiologisch mit einer Erhöhung der Temperatur und des Pulsschlags korreliert. Nun sagt die Metapher in dieser schematischen Fasson jedoch noch nichts darüber aus, auf welche Weise der Container agiert, wie der Druck steigt, ob es sich um einen zu heißen Container handelt, welcher Art die dem Container innewohnende Substanz ist, welche Konsequenzen eine Explosion hat usw. All diese konkreten Inhalte werden erst von der jeweiligen Kultur hinzugefügt, wodurch die generic-level metaphor zu einer congruent metaphor wird: „ a generic-level conceptual metaphor is instantiated in culture-specific ways at a specific level “ (Kövecses 2005, 68). So wird THE ANGRY PERSON IS A PRESSURIZED CONTAINER im Japanischen zu ANGER IS ( IN THE ) HARA , wobei die Wut im Bauch lokalisiert wird, was mit dem in der japanischen Kultur wichtigen Anspruch zusammenhängt, Gefühle nicht offen preisgeben und das Gesicht in der sozialen Interaktion wahren zu wollen (Matsuki 1995). Im Chinesischen wird die Art der Substanz näher spezifiziert, indem sie als qi, d. h. als im Körper schwebende Energie vorgestellt wird, was ebenfalls kulturell motiviert ist, da dem Konzept qi innerhalb der chinesischen Geschichte, Kultur, Philosophie und Medizin eine herausragende Stellung bei der Schlüsselidee vom körperlichen und geistigen Gleichgewicht zukommt (Yu 1998). Die Zulu-Sprachen verfügen über die Metaphern ANGER IS IN THE HEART , ANGER ( DESIRE ) IS HUNGER und ANGER IS A NATURAL FORCE (Taylor & Mbense 1998). Auch hier gibt es eine Verflechtung zwischen den kulturspezifischen Metaphern 153 und dem kulturellen Verhalten: Anstatt Wut auf ein bestimmtes Ziel hin zu kanalisieren, z. B. auf die Person, die das Gefühl verursacht hat, verhalten sich die Kulturteilnehmer weniger gerichtet und legen ein allgemein aggressives Verhalten an den Tag, das jede Person treffen kann. Die HERZ -Metapher verdient im kulturellen Vergleich besondere Beachtung, da hier für Wut ein Ort ausgewählt wird, der in unseren westlichen Kulturen in der Regel mit Liebe in Zusammenhang gebracht wird, wogegen er im Zulu Stätte verschiedenster Gemütszustände sein kann. Ein weiteres Beispiel 24 für kongruente Metaphern wären solche, die in je kulturspezifischer Prägung aus der annähernd universellen generischen Metapher TIME IS SPACE erwachsen. Wie Zeit im Raum vorgestellt wird, variiert derweil, denn nicht alle Kulturen begreifen Zeit als linear ablaufendes Kontinuum, bei dem die Vergangenheit hinter und die Zukunft vor uns liegt. Núñez, Neumann & Mamani (1997) führen eine Untersuchung zur Konzeptualisierung von Zeit in der indianischen Aymara Sprache durch, die in den Anden Westboliviens, Nordchiles und Südostperus beheimatet ist. Die Resultate ihrer Feldstudien zeigen, dass die Sprecher die Richtung des Zeitverlaufs hier genau entgegengesetzt konzipieren, was zu den Metaphern DIE ZUKUNFT IST HINTER DEM EGO und DIE VERGANGENHEIT IST VOR DEM EGO führt. Núñez et al. finden heraus, dass die Erfahrungsgrundlage für diese umgekehrte Sichtweise damit zu tun hat, dass man die Resultate dessen, was man getan hat, vor sich sieht, die Zukunft hingegen ungewiss, ergo nicht sichtbar ist und deswegen als hinter uns liegend gedacht wird, denn was hinter uns geschieht, können wir auch visuell nicht erfassen. Boroditsky (2007) betrachtet die unterschiedlichen metaphorischen Konzeptualisierungen von Zeit im Mandarin und Englischen und findet heraus, dass das Mandarin Zeit neben der horizontalen VOR - HINTER -Dimension auch vertikal in der Dimension OBEN - UNTEN entwirft, wobei frühere Ereignisse oben und spätere unten liegen. Sie stellt fest, dass bei den chinesischen Sprechern selbst dann noch eine vertikale Präferenz für die entsprechenden metaphorischen Begriffe zu spüren ist, wenn sie in Experimenten zu englischen Zeitsätzen Antworten auf Englisch geben sollen. Indessen verringert sich diese Tendenz umso mehr, desto früher die Mandarin Sprecher Englisch erlernen. In einer Studie zu einer Tupi Kawahib Sprache, dem Amondawa, das von einem Indianerstamm aus dem brasilianischen Amazonagebiets gesprochen wird, decken Silva Sinha et al. (2012, im Druck) auf, dass es hier keinerlei Hinweise auf die Existenz der für universell gehaltenen 24 Ich folge bei den in diesem Kapitel vorgestellten Typen kultureller Variation den Kategorien von Kövecses, wobei seine Illustrationen durch weitere Beispiele ergänzt werden. 154 Metapher TIME IS SPACE gibt, Zeit stattdessen entlang eines kalendarisch definierten Intervallsystems verstanden wird, das aus zählbaren Einheiten besteht, und sich auf Familienbeziehungen, soziale Aktivitäten und Umweltregularitäten stützt, weshalb es von Silva Sinha et al. eher als ein System des extended embodiment betrachtet wird. Einen weiteren Typ kultureller Variation nennt Kövecses (2005, 72 - 79) scope of source, womit die Menge der Zieldomänen gemeint ist, auf die eine bestimmte Ursprungsdomäne applizierbar ist. Der Bereich der Zieldomänen von HERZ z. B. ist, wie weiter oben dargelegt wurde, im Falle der Zulu- Sprachen weitaus größer als im Englischen oder Deutschen. Ein anderes Beispiel stellt die Ursprungsdomäne GEBÄUDE dar, die in vielen westeuropäischen Sprachen auf THEORIEN ( „ McCarthy demolishes the romantic myth of the Wild West “ ), PERSÖNLICHE BEZIEHUNGEN ( „ Since then the two have built a solid relationship “ ), KARRIEREN ( „ Her career was in ruins “ ), FIRMEN ( „ Ten years ago, he and a partner set up on their own and built up a successful fashion company “ ), ÖKONOMISCHE SYSTEME ( „ There is no painless way to get inflation down. We now have an excellent foundation on which to build “ ) oder SOZIALE GRUPPEN ( „ He ’ s about to rock the foundations of the literary establishment with his novel “ ) angewendet werden kann, wogegen sie in den arabischen Sprachen weniger Zieldomänen umfasst. Auf persönliche Beziehungen etwa wird diese Metapher nicht projiziert. Andererseits kommt es im Tunesischen häufiger vor, dass die GEBÄUDE Metapher gerade dann verwendet wird, wenn Erwachsene über die Ausbildung und berufliche Zukunft ihrer Kinder sprechen. In die Rubrik scope of source kann man auch die Untersuchung von Hollenbach (1990) aufnehmen, die sich der mixtekischen Sprache Trique aus dem mexikanischen San Juan Copala widmet, in der die Ausgangsdomäne KÖRPER nicht nur auf VERKEHRSMITTEL (Flugzeugnase) oder GEOGRAPHISCHE RÄUME (Fuß des Berges) angewendet wird, sondern ebenso auf ZEIT (Kopf [= ‚ Ende ‘ ] des Jahres) und allgemein auf RAUM , womit sie die Funktion unserer Präpositionen erfüllt: Magen übernimmt die Funktion von in/ innerhalb, Gesicht die von vor, Kopf/ Rückseite korrespondiert mit oberhalb und Füße mit unten/ unterhalb. Ein deutscher Satz wie Margret geht in die Kirche wird in dieser Sicht folglich zu Margret geht Magen der Kirche und Margret steht vor der Frau zu Margret steht Gesicht der Frau. Umgekehrt bezieht sich Kövecses (2005, 70 - 72) mit range of the target auf die Alternativen, die einer Kultur als Ausgangsdomäne für bestimmte Zieldomänen zur Verfügung stehen. Im Chinesischen z. B. gibt es nach Yu (1998) die Metapher HAPPINESS IS FLOWERS IN THE HEART , was im Gegensatz zu der im amerikanischen Englisch verbreiteten Metapher BEING HAPPY IS BEING OFF THE GROUND den stärker introvertierten Charakter der Chinesen im Hinblick auf den Gefühlsausdruck widerspiegele. Ein aussagekräftiges Beispiel für kulturabhängige alternative Konzeptualisierungen gibt Heine (1995) in seiner Analyse räumlicher Konzepte im 155 Verhältnis zu ihrem von Kultur zu Kultur variierenden körperlichen Herkunftsbereich. Das Konzept UNTER etwa stammt in Afrika aus dem Gesäßbereich, in Ozeanien jedoch aus der Bein-Fuß-Region. Kövecses hält die hier zutage geförderten Unterschiede für so fundamental und folgenreich, dass er bei diesem Variationstyp gar von large-scale alternative conceptualizations spricht (Kövecses 2005, 70 - 81). Ein Schüler Kövecses ’ , Bálint Koller (2003), hat sich der Materialsammlung, die Heine und sein Forscherteam im Laufe der Jahre ergestellt haben, angenommen und insgesamt drei verschiedene Basisschemata ausgemacht, die maßgeblich dafür seien, wie Menschen räumliche Verhältnisse strukturieren: 1. The body-only schema: Sprachen, die vorrangig auf dieses Schema zurückgreifen, konzeptualisieren OBEN als Kopf und UNTEN als Fuß; 2. The body and environment schema: Sprachen, die dieses Schema bevorzugen, nutzen von der Umwelt vorgegebene Orientierungspunkte für ihre räumliche Konzeptualisierung, etwa Himmel/ Wolke für OBEN und Erde für UNTEN ; 3. The extended body schema: Sprachen mit diesem Schema beziehen Aspekte des unmittelbaren menschlichen Lebensraums auf räumliche Relationen, etwa roof auf OBEN . Auf ein weiteres Beispiel, das sich in diese Kategorie einfügen ließe, weist Foley (1997, 186) hin, der sich seinerseits auf eine Untersuchung von Rumsey (1990) bezieht, in der dieser auf der Grundlage sprachlicher Instanzen des Ungarinyin demonstriert, dass in der Kultur der Aborigines eine andere Vorstellung von Kommunikation vorherrscht als die der von Reddy (1979/ 1993) beschriebenen CONDUIT Metapher zugrunde liegenden. Die Sprecher des Ungarinyin übermitteln Bedeutungen nicht durch das Wort als CONTAI- NER ; ebenso wenig unterscheiden sie das, was gesagt wird, von dem, was gemeint ist: „ In the Aboriginal view, saying is meaning; speaking a word brings forth a world in which meaning is enacted and validated “ (Foley 1997, 186). Bedeutung darf also in dieser Konzeption nicht primär als etwas verstanden werden, was ein Wort hat, sondern als etwas, was ein Wort tut. Als einen weiteren differenzierenden Aspekt nennt Kövecses (2005, 82 - 86) preferential conceptualization mit Blick auf kulturelle Vorlieben für bestimmte konzeptuelle Bereiche und zitiert als Beispiel eine Studie von Köves (2002) zur unterschiedlichen Konzeptualisierung von LEBEN in der ungarischen und nordamerikanischen Kultur, die zutage fördert, dass die nordamerikanischen Interviewpartner häufiger die Metaphern WERTVOLLER BESITZ , SPIEL und REISE verwendeten, während die befragten Ungarn häufiger Metaphern wie KRIEG , KOMPROMISS und REISE angaben - ein Ergebnis, das sich durchaus im Zusammenhang mit dem unterschiedlichen Entwicklungsgang beider Kulturen lesen lässt, da die ungarische Geschichte von mehr 156 Kriegen und politischen Unruhen heimgesucht wurde als die nordamerikanische, in der kapitalistische Werte wie Geld und Gewinn eine größere Rolle spielen. Als ein weiteres Beispiel wäre die Untersuchung von Boers und Demecheleer (1997) zu nennen, die Metaphern im ökonomischen Diskurs analysieren und Textkorpora des Englischen, Französischen und Holländischen im Hinblick auf die Ausgangsdomänen PATH , HEALTH und WAR miteinander vergleichen. Die Resultate zeigen, dass HEALTH besonders im französischen Korpus hervortritt, während im englischen PATH verbreiteter ist. Ausdrücke, die man der Ausgangsdomäne WAR zuordnen kann, sind sowohl im französischen als auch im holländischen Korpus stark vertreten. Daneben spiegeln sich ebenso nationale Stereotype im Metapherngebrauch wider. GARDENING z. B. ist im britischen Korpus besonders beliebt; Metaphern dieses Konzepts tauchen hier drei Mal häufiger auf als im französischen, das demgegenüber einen fünf Mal höheren Gebrauch an FOOD Metaphern aufweist. Auch diese Resultate verweisen auf kulturelle Präferenzen, die sich mit den entsprechenden Wertesystemen, Habitusformen und Alltagspraktiken der jeweiligen Kultur decken. 25 Eng verknüpft mit solchen Präferenzen für ein bestimmtes Konzept ist auch dessen lexikalische Elaboration, wie u. a. die Studie von Yu (2008) belegt: Er untersucht Metaphern des Englischen und Chinesischen, die mit dem Konzept FACE verbunden sind und stellt fest, dass auf kognitiver Ebene bestimmte konzeptuelle Metaphern in beiden Kulturen zu finden sind, z. B. PERSONALITY / CHARACTER IS FACE , OUTWARD APPEARANCE IS FACE oder DIGNITY / PRESTIGE IS FACE . Für den letzten Fall gibt es allerdings den entscheidenden Unterschied, dass im Chinesischen eine ganze Reihe von Ausdrücken existiert, die in der englischen Sprache fehlen. Während save face und lose face in beiden Sprachen zu finden sind, gilt dies für andere Ausdrücke nicht, etwa für guquan-mianzi ( ‚ das Gesicht einer anderen Person wahren ‘ ), jiangmianzi ( ‚ Gesicht sprechen ‘ ), ai-mianzi ( ‚ Gesicht behindern ‘ ), mai-mianzi ( ‚ Gesicht kaufen ‘ ) oder gei-mianzi ( ‚ Gesicht geben ‘ ). Die Beispiele zeigen, dass es in der chinesischen Kultur nicht nur wichtig ist, das eigene Gesicht zu wahren, sondern auch das des anderen. Face-saving ist eine wechselseitige Angelegenheit und deshalb zentraler Bestandteil des chinesischen Soziallebens. Schließlich eröffnet Kövecses (2005, 86 - 87) noch eine letzte Kategorie für unique metaphors, die sowohl eine kulturell einzigartige Ursprungsals auch Zieldomäne haben. Das Beispiel, das er gibt, hängt mit einem sozialgeschichtlichen Ereignis zusammen: der Flucht amerikanischer schwarzer Sklaven vom Süden in den Norden der USA in der ersten Hälfte des 25 Eine von mir realisierte Studie zu Unterschieden im Hinblick auf kulturabhängige Präferenzen von Liebesmetaphern wird im fünften Kapitel vorgestellt. 157 19. Jahrhunderts. Diese Massenbewegung wurde zunächst von den Sklaven selbst als eine geheime Zugfahrt verstanden, bis ein fester Begriff dafür geschaffen wurde: Underground Railroad. Das Interessante ist nun, dass selbst die Ausgangsdomäne insofern einzigartig ist, als sie bereits einen blend aus ZUGFAHRT und UNTERGRUNDAKTIVITÄTEN darstellt. Im Folgekapitel Kapitel wendet sich Kövecses (2005, 88 - 113) über den interkulturellen Vergleich hinaus dem intrakulturellen zu und differenziert zwischen verschiedenen Dimensionen innerkultureller Variation: 26 1. Soziale Dimension: Hierzu zählen Unterschiede beim Metapherngebrauch mit Bezug auf das Geschlecht, das Alter, die gesellschaftliche Schicht etc. Als Beispiel nennt er verschiedene Metaphern, die innerhalb englischsprachiger Kulturen häufig zu finden und insofern geschlechtsspezifisch sind, als es ausschließlich Männer sind, die sich der entsprechenden Ausdrücke bedienen, um über Frauen zu sprechen. Dazu zählen (1) WOMEN ARE ( SMALL ) FURRY ANIMALS (bunny, kitten), w OMEN ARE BIRDS (bird, chick, hen party) und WOMEN ARE SWEET FOOD (cookie, dish, sweetie pie). Umgekehrt gebrauchen Frauen oft die Metapher LARGE FURRY ANIMALS (bear), um Männer zu bezeichnen. 2. Ethnische Dimension: Variationen dieses Typs zeigen sich besonders in Kulturen, in denen starke Segregation vorherrscht. Man denke etwa an das Black English Vernacular, das sich in Hip Hop Texten findet, was sehr prägnant in dem Raptext von Big L Ebonics zum Ausdruck kommt, in dem er die Metaphern der schwarzen Großstadtghettos erklärt: „ Yo, pay attention / And listen real closely how I break this slang shit down / Check it, my weed smoke is my lye / A ki of coke is a pie / When I ’ m lifted, I ’ m high / With new clothes on, I ’ m fly / Cars is whips and sneakers is kicks / Money is chips, movies is flicks / Also, cribs is homes, jacks is pay phones / Cocaine is nose candy, cigarettes is bones. . . “ 3. Regionale Dimension: Kövecses bezieht sich bei dem Beispiel, das er gibt, auf eine Untersuchung von Dirven (1994), der auf der Basis eines Korpus ’ aus südafrikanischen und niederländischen Zeitungsartikeln Afrikaans und Holländisch miteinander vergleicht und auffällige Diskrepanzen beim Gebrauch von Metaphern aus den Bereichen FLORA und FAUNA entdeckt: Während das Holländische kaum Gebrauch von Tiermetaphern macht, finden sich im Afrikaans reichhaltige Bilder von Natur und Tieren. 26 In dieser Unterscheidung zwischen inter- und intrakultureller Variation spiegelt sich ein noch sehr rigide auf Nationen und Einzelsprachen zugeschnittenes Verständnis von Kultur wider. 158 4. Stilistische Dimension: Damit ist metaphorische Variation in Abhängigkeit von der Kommunikationssituation, dem Thema, den Teilnehmern und dem Medium gemeint. Jean Aitchison (1987) z. B. stellt in ihrer Untersuchung zu Headlines über American Football fest, dass die Namen der Footballteams die Auswahl spezifischer Metaphern für Sieg und Niederlage bestimmen, so dass typische Überschriften wie Cowboys corral Buffaloes oder Air Force torpedoes the Navy hervorgebracht werden. In diese Reihe gehören auch die weiter oben ausführlich beschriebenen Beispiele zu Textgenres aus den Untersuchungen von Cameron und Steen. Unterschiede gibt es besonders im Hinblick auf einen formellen bzw. informellen Stil, wobei der informelle Stil metaphorischer ist. Man denke z. B. an den hohen Gebrauch idiomatischer Ausdrücke, um in vertrautem Kreise über Dritte zu sprechen: „ Der hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank “ , „ Der ist jetzt total durchgeknallt “ , „ Die ist doch voll daneben “ etc. 5. Subkulturelle Dimension: Indem sich Subkulturen meist in Abgrenzung zu anderen definieren, werden gerade hier Metaphern oft als stilistischer Ausdruck bestimmter Attitüden und Werte der Identitätsstiftung verwendet, z. B. Metaphern aus der Domäne HÖLLE in Heavy Metal-Texten oder Metaphern aus der Domäne KRIEG und SEXUELLE GEWALT in Hip Hop-Texten. 27 In diesem Bereich allerdings mangelt es noch an Studien zur Reichhaltigkeit, Innovationskraft und kulturellen Relativität von Metaphern im Slang sowie in subkulturellen Milieus. Balaban (1999) untersucht die Metapher KNOWING IS SEEING in profanen gegenüber religiösen Kontexten und stellt fest, dass die Metapher wegen ihrer Verknüpfung von intellektuellem und visuellem Wissen für die Conyers Pilgrims, eine nordamerikanische Glaubensgemeinschaft aus Georgia, inakzeptabel ist, weil ihre Religion davon ausgeht, dass Wissen nicht aktiv von außen aufgenommen, sondern passiv von innen empfangen wird. Darum findet man in ihrem Vokabular eher Ausdrücke wie „ I know it in my heart “ . 6. Diachronische Dimension: Bestimmte Metaphern sind an bestimmte Paradigmen in Philosophie und Geistesgeschichte der jeweiligen Epoche geknüpft. Im Zuge der Renaissance z. B. werden Descartes ’ Vorstellung vom MENSCHEN als AUTOMAT und La Mettries Entwurf des MENSCHEN als UHRWERK zu Wegbereitern der neuen Technomorphisierung des Menschen im Übergang zur Moderne. Mit Beginn der Kognitionswissenschaft in den fünfziger Jahren gab es in Übereinstimmung mit den neuen technologischen Entwicklungen einen 27 Eine von mir durchgeführte Fallstudie zu Variationen subkultureller Kulturdimensionen wird im fünften Kapitel vorgestellt. In dieser Unersuchung geht es um die Kriegsmetapher in Raptexten im deutsch-brasilianischen Vergleich. 159 regelrechten Boom an Bildern vom GEHIRN als COMPUTER (Schröder 2004 b, 223 - 224). 7. Entwicklungspychologische Dimension: Hier zitiert Kövecses (2005, 105 - 106) die weiter oben bereits ausgeführten Studien von Johnson (1999). 28 8. Individuelle Dimension: Damit bezieht sich Kövecses auf Metaphern, die auf individuelle Innovationspotenziale zurückgehen, so wie sie etwa bei Literaten und anderen Künstlern zu finden sind. Die intrakulturellen Dimensionen von Variation bilden bis dato eine noch unvollständige und bisweilen recht willkürliche Liste, wobei die Eingliederung des Unterpunktes ‚ Entwicklungspsychologische Dimension ‘ fragwürdig erscheint, da es hierbei doch wohl eher um die Frage nach dem Hereinwachsen in die Sprachkonventionen einer bestimmten Kulturgemeinschaft durch allmähliche Einübung in habitualisierte Verstehensverfahren geht als um ‚ Variation ‘ . Andere Dimensionen fehlen, z. B. die politische Dimension, die u. a. von Lakoff (1996) in der bereits vorgestellten Untersuchung zur Metapher NATION AS FAMILY thematisiert wird, in der er US- Konservativen ein Strict Father-Moralsystem und den Liberalen ein Nurturant Parent-Modell zuschreibt. Diesen Aspekt von Variation thematisiert Kövecses im Hinblick auf einzelne Komponenten der Konzeptuellen Metapherntheorie in einem separaten Kapitel, wo das Beispiel Lakoffs mit Bezug auf die gleiche Ursprungsdomäne genannt wird. Unklar bleibt unterdessen, warum Kövecses hier unter dem Stichwort aspects of metaphor involved in variation ein neues Kapitel beginnt, anstatt diese Variation analog zu der Beziehung zwischen generischer und kongruenter Metapher zu betrachten; schließlich geht es doch auch hierbei um eine gruppenspezifische Ausgestaltung einer zwar nicht unbedingt generischen konzeptuellen Metapher, aber dennoch um eine Metapher, die eine Ebene höher steht als die je spezifischen Ausprägungen. Gleiches gilt für ein anderes Beispiel, das er hier zitiert: POLITICS IS SPORTS , eine konzeptuelle Metapher, die im Amerikanischen eher mit sprachlichen Metaphern aus den Bereichen AMERICAN FOOTBALL oder BASKETBALL , im Chinesischen dagegen eher mit solchen aus den Bereichen TENNIS , VOLLEYBALL oder SOCCER ausgemalt werde. Handelt es sich dabei etwa nicht um cross-cultural variation? Andere Aspekte, die in diesem Kapitel Erwähnung finden, haben mit soziokulturellen Gebrauchskontexten zu tun, die jedoch insgesamt gesehen in der Abhandlung viel zu kurz kommen. So weist Kövecses etwa auf eine Untersuchung von Emanatian (1995) hin, die herausgefunden hat, dass die Metapher SEXUAL DESIRE IS EATING , ANIMAL BEHAVIOR und HEAT sowohl im Englischen als auch im Chagga, einer in Tansania gesprochenen afrikani- 28 Vgl. Kapitel 2.4. 160 schen Sprache, existiert, dass sie jedoch in Tansania ausschließlich von Männern verwendet wird, die über Frauen sprechen und nie umgekehrt. Gleichermaßen gibt es eine ganze Reihe von gebrauchsbezogenen Unterschieden im Hinblick auf die sprachlichen Ausdrücke, die auf eine bestimmte konzeptuelle Metapher hindeuten (Kövecses 2005, 151 - 155; Barcelona 2001): So kann die sprachliche Elaboration derselben konzeptuellen Metapher in der einen Sprache stärker, in der anderen schwächer ausgeprägt sein; eine Variation des grammatischen Status ’ der Ausdrücke ist möglich, und es kann unterschiedliche Grade der Konventionalisierung wie solche der Spezifizierung geben. Zwar thematisiert Kövecses mit einigen verstreuten Beispielen auch kulturabhängige Kontextualisierungen von Metaphern im Sprachgebrauch, die etwas über divergierende kulturelle Werte aussagen; dennoch verfasst er keinen eigenständigen Absatz zum Thema ‚ Gebrauchskontext ‘ . Die kommunikationstheoretische Relevanz einiger Beispiele scheint ihm zu entgehen, so dass man sich die Hinweise, die in dem Buch zu finden sind, zwischen den Zeilen zusammensuchen muss. In dem schwammig überschriebenen Abschnitt Cultural-ideological background (Kövecses 2005, 155 - 160) etwa erläutert er zwei äußerst interessante Beispiele: Das erste bezieht sich auf die Metapher LOVE IS A JOURNEY im Amerikanischen Englisch im Vergleich zum Ungarischen: Die konzeptuelle Metapher ist in beiden Kulturen präsent; allerdings verweisen die jeweils benutzten Ausdrücke auf eine stärkere Hervorhebung eines aktiven Agens im Amerikanischen Englisch gegenüber einer stärkeren Betonung von Passivität im Ungarischen, z. B. mit Bezug auf interne bzw. externe Bedingungen als Voraussetzung für Entscheidungen darüber, ob - und wenn ja, in welche Richtung - eine Liebesbeziehung weitergehen soll. Dies deutet nach Kövecses auf eine ausgeprägtere Schicksalsergebenheit und fatalistischere Grundhaltung im Fall der ungarischen entgegen einer stärkeren intrinsischen Zielgerichtetheit und Aktionsbereitschaft im Fall der nordamerikanischen Kultur hin. Die zweite Beobachtung betrifft dieselbe Metapher im Vergleich zwischen Amerikanischem und Britischem Englisch. Kövecses berichtet, dass es innerhalb der britischen Kulturgemeinschaft üblicher sei, die Metapher LIEBE IST EINE REISE in Kontexten zu verwenden, in denen die Sprecher über Dritte und nicht über sich selbst reden; kommt es dennoch dazu, dass sie sich mit der Metapher auf sich selbst beziehen, werden hedges, 29 - Adverbien und graduierende Partikeln wie rather, a bit oder don ’ t you think - als abschwä- 29 Der Ausdruck geht auf eine Untersuchung von Lakoff (1972) zurück, der sich damit auf die Modifikation von Prädikaten durch Abstufungen bezieht. Das in dieser Pionierphase noch stark der Formalen Logik seiner Zeit verhaftete Konzept wird heute zunehmend unter Einbeziehung kontextueller Diskursfaktoren und pragmatischfunktionaler Gesichtspunkte betrachtet. 161 chende Elemente zwischengeschaltet, wogegen Nordamerikaner die Metapher genauso häufig und ohne relativierende Hedges auch dann gebrauchen, wenn sie über sich selbst sprechen, was, so Kövecses, u. a. einen höheren Grad an Extrovertiertheit im Falle der nordamerikanischen Kultur bekunde. Bislang gehen wenige kulturvergleichende Studien detaillierter auf Gebrauchskontexte ein, so dass sich an dieser Stelle für die Zukunft noch eine ganze Reihe spannender Forschungsfragen ergibt. Eine der wenigen Ausnahmen bildet die Untersuchung von Cortazzi und Jin (1999), in der es um die Erfassung von Metaphern geht, die Lehrende und Lerner verwenden, um über Lehren, Lernen und Sprache zu kommunizieren. Ein Abschnitt ihres Aufsatzes widmet sich einem kulturvergleichenden Pilotprojekt, bei dem Lerner unterschiedlicher Länder zu ihren Erfahrungen befragt wurden. Interessant ist nun, dass die Ergebnisse zu den konzeptuellen Metaphern gar nicht so stark voneinander abweichen, wie von den Forschern erwartet wurde, dass sie allerdings gleichzeitig bei der Interpretation ihrer Resultate einräumen, die Studenten hätten in Abhängigkeit von ihrem kulturellen Hintergrund die Aufgabe selbst, die aus der Ergänzung von Sätzen wie TEACHING IS . . . oder LANGUAGE IS . . . bestand, durchaus unterschiedlich verstanden. So wurden von den britischen Studenten teilweise sehr ausgefallene Metaphern verwendet, etwa „ TEACHING IST A COMEDY HOUR “ , „ TEACHING IS A COCONUT “ oder „ LANGUAGE IST A WARDROBE OF CLOTHES “ , was die Autoren darauf zurückführen, dass sich die Studenten aufgefordert gefühlt haben könnten, besonders originelle Antworten zu geben, die ihre individuelle Kreativität zum Ausdruck bringt, wogegen die Antworten der Studenten aus so genannten kollektivistischen Kulturen (Hofstede 1983; Triandis 1995) wie der chinesischen, japanischen, libanesischen oder türkischen eher prototypische Antworten gaben. Andererseits fiel auf, dass von den Studenten aus diesen vier Kulturen im Gegensatz zur englischen bei der Aufforderung zur Vervollständigung des Satzes A GOOD TEACHER IS . . . an oberster Stelle A FRIEND oder A PARENT genannt wurde, daneben auch A SOURCE OF KNOWLEDGE und A GUIDE . Während die deutlich geringere Anzahl der Freund- und Familienmetaphern im englischen Korpus leicht mit der größeren Trennung von Berufs- und Privatleben, der klareren Ausdifferenzierung einzelner Gesellschaftssysteme und der damit einhergehenden stärkeren Autonomie des Einzelnen erklärt werden kann, führen die Autoren die Gemeinsamkeit bei den Antworten der Vertreter konfuzianischer und islamischer Länder nicht auf eine gemeinsame Grundanschauung zurück. Vielmehr stellen sie religiösen, familien- und clanorientierten Kulturen die konfuzianischen gegenüber, in denen das Verhältnis von Schüler und Lehrer ein sehr formelles ist, zu dem auf den ersten Blick zwar die Metaphern SOURCE OF KNOWLEDGE , MODEL oder GUIDE passen, nicht jedoch die des familiären und privaten Umfelds. Hier mani- 162 festiert sich ein anderer kultureller Aspekt, denn die enge Lehrer-Schüler- Bindung gehört zu den Grundfesten der vierten von insgesamt fünf Elementarbeziehungen nach Konfuzius, der so genannten Beziehung zwischen älterem und jüngerem Bruder (Cortazzi & Jin 1999, 168). In Bezug auf eine solche gegensätzliche Färbung der Elternbzw. Freundesmetapher könnte man ergänzend fragen, inwieweit sich hier im Sinne von Fauconnier und Turner von einer Interaktion beider Sphären sprechen ließe, wobei im prototypischen Fall die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler als Erweiterung der Familiendomäne begriffen wird, im konfuzianischen Fall andererseits allerdings auch das Verständnis vom Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler die Beziehung zwischen Eltern und Kindern prägt. Im Anschluss daran zeichnen die Autoren nach, welche Metaphern mit welchen kulturgeschichtlichen Epochen verwoben sind und konstatieren auch für China eine allmähliche Entwicklung hin zu Metaphern aus der Domäne der Ökonomie, die nach Öffnung der Märkte eine immer größere Rolle spielen. Dabei werden Schüler und Studenten zu Kunden und Käufern von Kursen, die ins Haus geliefert werden. Hier deutet sich bereits an, was im folgenden Abschnitt ausführlich problematisiert wird: die Frage danach, ob es entgegen der Annahme der Konzeptuellen Metapherntheorie (Lakoff & Johnson 1980; 1999; Kövecses 2003; 2005) nicht doch die kulturellen Modelle sind, die unsere metaphorischen Konzepte hervorbringen und nicht umgekehrt (Quinn 1987; 1991). 3.5.3 Metaphorische Schemata und Modelle in kulturellen Praktiken Der Anthropologe Bradd Shore (1996) wendet das Konzept der instituted models auf nonverbale Realisierungen von Metaphern in ihrem kulturellen Kontext an: „ Instituted models are the external or public aspect of culture and represent common source domains by which individuals schematize conventional mental models “ (Shore 1996, 312). Gegenüber der Unidirektionalitätsthese von Lakoff und Johnson hat Shore dabei allerdings in Anlehnung an die dialektische Vorstellung von Weltinternalisierung und -externalisierung nach Berger und Luckmann (1967) sowohl die Prägung der Kulturteilnehmer durch das regelgeleitete Spiel ihrer Gemeinschaft im Sinn als auch deren aktive Beteiligung an der kreativen Formung und Umformung objektivierter institutionalisierter Modelle. Für Shore kann eine Domäne im sozial-physikalischen Sinne real sein, d. h. als Objekt, Institution, Handlung, Ereignis, Zustand etc. materialisiert werden, wie es z. B. bei der Realisierung der Metapher IMPORTANT IS CENTRAL in Sitzordnungen der Fall ist. Während Modelle für Shore (1996, 53) partikularistischen Charakter haben, führt er den Terminus foundational schema für das solchen Modellen inhärente, abstrakte übergeordnete Schema ein, das einer Kultur im Ganzen zu eigen ist und die einzelnen analogen Modelle im Sinne wittgensteinscher 163 Familienähnlichkeit zusammenhält. Kövecses überträgt diese Idee auf die Metapherntheorie und beschreibt solche grundlegenden Schemata als „ large-scale conceptual metaphors that organize extensive portions of experience in a culture and may involve several more specific metaphors that are more limited in their scope “ (Kövecses 2005, 184). So stellt die grundlegende Metapher der US-amerikanischen Kultur für ihn z. B. LIFE IS A SHOW / SPECTACLE / ENTERTAINMENT dar. Metaphern wie POLITICS IS SPORTS oder SHOPPING IS ENTERTAINMENT sind von diesem Standpunkt aus betrachtet spezifische Instanzen des Grundmodells. Entlang verschiedener Ausdrücke, die im USamerikanischen Alltagsleben weiter verbreitet sind als in anderen Kulturen, zeigt Kövecses die Allgegenwärtigkeit der zentralen Metapher auf. Dazu zählen Ausdrücke wie „ You ’ re on! “ , „ It ’ s showtime “ , „ He turned in a great performance “ etc. Diese Zuspitzung auf ein bestimmtes Grundmodell erklärt Kövecses vor allem mit dem Aufkommen und der Verbreitung der Massenmedien, die für die US-Gesellschaft besonders relevant sind und dazu geführt haben, dass Berühmtheiten wie Sportler, Filmstars und Popidole die Lebenswelt aller Kulturteilnehmer in einem weitaus größeren Ausmaß bevölkern als dies in anderen Kulturen der Fall ist. Die Reichweite solcher Schlüsselkonzepte geht weit über Sprache hinaus und konstituiert die einer bestimmten Kultur inhärente Grundorientierung, so die These. Etikettierungen dieser Art sind keinesfalls unproblematisch und sollten mit größter Vorsicht genossen werden, um nicht allzu schnell von Aussagen über kulturell geprägte Sprechweisen in solche über nationale Identitäten abzugleiten. Bei Kövecses jedoch bleibt auch in diesem Kontext eine eingehendere Problematisierung der gezogenen Schlussfolgerungen aus, so dass der Eindruck erweckt wird, er beziehe sich bei seiner US-Metapher auf den ‚ Charakter ‘ einer ganzen Nation. Die nonverbalen materiellen, rituellen und verhaltensbezogenen Ausdrucksweisen von Kulturen fasst auch Kimmel (2005) in seiner Untersuchung über die soziokulturelle Situiertheit von Bildschemata ins Auge, die mit einer Kritik an der von Johnson (1987) vorgenommenen Lokalisierung idealisierter und prototypischer Bildschemata wie CONTAINER , LINK , FORCE , CENTER - PERIHPERY oder BALANCE im Geist des Einzelnen einsetzt und dazu auffordert, sich deren Lebendigkeit im soziokulturellen Kontext sowie umgekehrt dessen Einfluss auf das Körperliche zuzuwenden. Denn Bildschemata treten in der Wirklichkeit selten als isolierte und statische Phänomene auf, sondern werden vielmehr von Kulturteilnehmern in konkreten Kontexten als animierte compound image schemas (Kimmel 2005, 289) erzeugt, wobei eine mentale Szene sowohl vertikal als auch horizontal konstituiert werden kann. Einfache zusammengesetzte Bildschemata finden sich z. B. in vielen philosophischen und kosmologischen Modellen, in denen bestimmte Systeme durch die Bildschemata LINK und BALANCE zusammengehalten werden oder hierarchische Aktionsketten von Gott über die Kirche bis 164 zum Laien zu finden sind, wobei FORCE , CONDUIT und OBEN - UNTEN kombiniert werden. Die Dynamisierung und Interaktion verschiedener Bildschemata illustriert Kimmel an mehreren Beispielen: In dem Film A Passage to India (1984) etwa kommt es durch die Verknüpfung zweier sich einander ausschließender bildschematischer Axiologien zu einem ironischen Effekt: einerseits die Stadttopographie, die auf dem Schema CONTROL / POWERFUL IS UP fußt und sich auf die erhöhte Lage der Wohngegenden für die Engländer bezieht; andererseits wird eine andere Axiologie entlang des Schemas SCALE OF VITALITY entworfen, bei dem die Region der Engländer am wenigsten und die der Einheimischen am stärksten animiert ist. Um dem Begriff infiniter Progression im chinesischen Buddhismus Ausdruck zu verleihen, führt der Philosoph Fa-Tsang die Figur des Goldenen Löwen ein, dessen Haare je einen weiteren goldenen Löwen enthalten, wobei nach Kimmel (2005, 294) gleich drei Schemata interagieren: NESTING , PART - WHOLE und IDENTITY , so dass es zu einer Mikro-Makro-Ikonizität zwischen den Teilen und dem Ganzen kommt, wobei die unendliche wechselseitige Inklusion eine nicht-hierarchische Sicht auf die Wirklichkeit suggeriert. Kimmel (2005, 294) sieht in diesem Typ von Interaktion zwischen verschiedenen Bildschemata eine dynamische Oszillation zwischen zwei entgegengesetzten Polen, die er in Anlehnung an Wittgenstein gestalt-switches nennt. Foley (1997, 236 - 237) stellt vergleichbare Überlegungen mit Bezug auf die Funktion von Klassifikatoren an, da er davon ausgeht, dass es vielfach wahrgenommene Formähnlichkeiten sind, die zu einer metaphorischen Ausweitung des Klassifkatorensystems auf abstraktere Domänen führen. So wird das grammatische System selbst metaphorisch, wie sich etwa in einigen Sprachen der sozial stark stratifizierten südostasiatischen Länder zeigt. Das Burmesische z. B. verfügt über ein Schema von ‚ heilig ‘ bis ‚ profan ‘ mit den entsprechenden Klassifikatoren für die Anrede der in diesem Schema eingeordneten Personen und Dinge: (a) Buddha und damit assoziierte Objekte; (b) Gottheiten, Heilige, Mönche, Könige; (c) Personen mit hohem Status; (d) normale Personen; (e) Personen niedrigen Ansehens, Tiere, Geister, Tote, Kinder. Indessen korrespondiert dieses Schema nicht mit dem SKALA -Schema der okzidentalen Industriegesellschaften, die Status in Konzepten eines OBEN - UNTEN -Schemas (Unterklasse, Oberklasse) konzipieren, denn das würde der buddhistischen Weltansicht zuwiderlaufen. Das Schema wäre eher in den Begriffen ZENTRUM - PERIPHERIE zu verstehen, da der Kosmos in der buddhistischen Philosophie in konzentrischen Kreisen angeordnet ist, wobei Buddha im Zentrum steht. Ihm kommt innerhalb der burmesischen Kultur der Klassifikator hsu zu, der auch im Zusammenhang mit Fischer- und Moskitonetzen, Gartenanlagen und Treppenaufgängen benutzt wird, was sich daraus erklärt, dass solche Alltagsobjekte der burmesischen Kultur diesem Modell von ihrer Form her ähnlich sind: „ Nets 165 were conical in shape, staircases, spiralling, and gardens laid out as a wheel “ (Foley 1997, 237). Das Zusammenspiel von individueller kognitiver Disposition und online cognition, geknüpft an bestimmte kulturelle Kontexte (Kimmel 2005, 296), lässt sich bereits aus der Erwerbsperspektive heraus plausibel erklären, wie u. a. die Studie zur kulturellen Gebundenheit des Erwerbs des Bildschemas CONTAINER bezeugt, die von Sinha und Jensen de López (2000) durchgeführt wurde. Die Autoren fanden heraus, dass zapotekische Kinder im Gegensatz zu dänischen und englischen den Unterschied zwischen in und under nicht bemerken und stattdessen lediglich ein Wort verwenden, das von der Bedeutung her mit stomach vergleichbar ist. Sinha und Jensen de López führen diesen Unterschied darauf zurück, dass Zapoteken seit ihren frühen Lebensjahren wenig Umgang mit Objekten pflegen, die exklusiv als CON- TAINER verwendet werden; es gibt in dieser Kultur insgesamt weniger instrumentelle Kulturobjekte, und wenn es sie gibt, etwa im Fall von Körben, dann werden sie meist multifunktional verwendet. In Körbe tut man nicht nur etwas hinein; man deckt damit auch Lebensmittel ab. Ebenso kann die Studie von Choi und Bowerman (1992) als Beitrag zur kulturellen Relativität des CONTAINER -Schemas gelesen werden: Ein Vergleich zwischen dem Englischen und dem Koreanischen zeigt, dass das Englische dazu tendiert, Bewegung durch ein generelles Verb, gefolgt von einer die topologischen Informationen des Wegs bzw. Hintergrunds (ground) spezifizierenden Präposition auszudrücken (John walked into the theater), während das Koreanische dafür ein transitives Verb benutzt, wobei die Art und Weise optional durch das Gerundium eines weiteren Verbs bezeichnet werden kann (John entered the theater walking). In diesem Sinne ließe sich das Deutsche als Mischform betrachten, da Präpositionen dazu genutzt werden, durch Präfigurierung Verben mit spezifischen Bedeutungen zu konstruieren, z. B. anziehen, ausziehen, abziehen, durchziehen, einziehen, überziehen, unterziehen etc. Neben den schon genannten Beispielen greift Kimmel u. a. auf eine Studie von Geurts (2003) zurück, die propriozeptive und kinästhetische Schemata innerhalb des Anlo-Ewe Volks im Süden Ghanas untersucht und zu dem Schluss kommt, dass hier das BALANCE Schema einen ungewöhnlich hohen Stellenwert einnimmt. De facto gibt es in dieser Kultur keine äquivalente Vorstellung zu den fünf Sinnen, wie sie in okzidentalen Kulturen üblich ist, weshalb Geurts annimmt, dass bereits bei der Frage nach den Wahrnehmungsweisen von Welt kulturdependente folk models im Spiel sind (Geurts 2003, 227). Demgegenüber nehmen in der Anlo-Ewe Kultur Körperbewegung, Klang und Balance eine grundlegende Rolle bei der Orientierung im Hinblick auf die Welt und das soziale Umfeld ein. Diese Basisschemata erstrecken sich auf die Sensomotorik, moralische Werte, die Persönlichkeit und Vorstellungen zu Krankheit und Gesundheit. Geurts 166 sieht einen engen Zusammenhang zwischen der Heraushebung dieser Schemata und den kulturellen Alltagspraktiken: Gleichgewicht ist vonnöten, um schwere Objekte auf dem Kopf zu transportieren, indiziert als aufrechte Position psychologische Stärke, spielt in Tanzritualen eine Schlüsselrolle und bestimmt die kosmischen Theorien. All diese Beispiele können als Belege der von Kimmel aufgestellten Hypothesen ins Feld geführt werden. Zu Recht gelangt Kimmel daher zu dem Schluss, dass man sich von dem universellen und viel zu abstrakten Konzept der Bildschemata in der Theorie Johnsons verabschieden und sie stattdessen als „ tools of situated cognition and action “ (Kimmel 2005, 305) betrachten müsse, die auf der Basis rekurrenter Erfahrungen einer kulturellen Gruppe entstehen. Hinzufügen ließen sich noch weitere einsichtige Beispieler komplexer und animierter Bildschemata, die über das rein Sprachliche hinausgehen und aufzeigen, wie sehr bestimmte zentrale Metaphern in kulturelle Praktiken eingewoben sind, die ihrerseits eine partikulare Weltsicht oder ein für eine bestimmte Epoche typisches Paradigma widerspiegeln. Man denke über die oben zitierten Beispiele hinaus etwa an die Verknüpfung der Bildschemata PATH und SCALE im deutschen Bildungsroman, die sich in den konzeptuellen Metaphern REISE und WACHSTUM manifestieren und verbinden oder an die klassischen Eastern-Filme wie 36th Chamber of Shaolin (1978), in dem die Philosophie des Kung-Fu als aus den Bildschemata BALANCE , LINK , FORCE , SCALE und PATH zusammengesetzt dargeboten wird. Intereressant an diesem Beitrag zur kognitiven Metaphernforschung ist in meinen Augen die Tatsache, dass es gerade Studien von ethnographischer und anthropologischer Seite sind, welche die viel zu lange vernachlässigten nonverbalen kulturellen Aspekte in die embodiment-These hineintragen. Sie illustrieren, wie sehr Metaphern an kulturelle Modelle geknüpft sind und weit über Sprache hinaus als „ any coherent organizations of human experience shared by people “ (Kövecses 2005, 193) verstanden werden müssen. Uneinigkeit herrscht indessen darüber, in welcher Weise dies geschieht. Während Kövecses wie Lakoff und Johnson davon ausgeht, dass kulturelle Modelle per se metaphorisch konstituiert seien, glauben andere, etwa Quinn (1991; 1987), dass umgekehrt die kulturellen Modelle, die sie proposition-schemas nennt, dem metaphorischen Denken vorgeschaltet sind. Quinn findet in einer Untersuchung, bei der sie Interviews mit 22 Ehepartnern geführt hat, heraus, dass in der nordamerikanischen Kultur nur acht unterschiedliche propositionale Schemata verwendet werden, um über die eigene Ehe zu sprechen: SHAREDNESS , LASTINGNESS , MUTUAL BENEFIT , COMPA- TIBILITY , DIFFICULTY , EFFORT , FAILURE und RISK . Ein Konzept wie LASTINGNESS steuert den Gebrauch von drei unterschiedlichen Metaphern: BINDING , CEMENT und COVENANT ; auf ähnliche Weise führen auch die anderen Schemata ansonsten unverbundene Metaphern zusammen. Quinn schließt aus der 167 geringen Zahl verwendeter Metaphern, die dennoch nicht auf eine Zentralmetapher reduzierbar sind, wie Lakoff es etwa im Falle von ANGER annimmt, dass es in den USA ein bestimmtes kulturelles Konzept zur Ehe gebe, welches von den Erwartungen und Sehnsüchten, die mit einer Liebesbeziehung als dauerhafter und freiwillig eingegangener Bindung verbunden sind, geprägt ist. Somit reflektieren Metaphern propositionale Modelle und konstituieren sie nicht, wie Lakoff und Johnson veranschlagen: „ I will be arguing that metaphors, far from constituting understanding, are ordinarily selected to fit a preexisting and culturally shared model “ (Quinn 1991, 60). Dementsprechend würden die jeweiligen Metaphern durch Sprecher selektiert werden und zwar so, dass sie sich mit dem präferierten kulturellen Modell in Übereinstimmung befinden. Quinn spricht sich damit gleichzeitig gegen den Universalitätsanspruch von Metaphern aus, da diese ja nur für bestimmte sprachliche und kulturelle Domänen gelten. Plausibel erscheint diese invertierte Sichtweise Quinns insofern, als kulturelle Modelle narrativ organisierte Sinnstrukturen darstellen, die stets umfassender als metaphorische Konzepte sind. Allerdings sind sie zugleich aufs Engste mit solchen metaphorischen Konzepten verwoben, so dass es letztendlich doch schwer fällt, eine Entscheidung darüber zu fällen, wo die Grenze zwischen kulturellem Modell und Metapher verläuft. Für Lakoff und Kövecses (1987) dagegen ist das Verständnis eines Gefühls wie die weiter oben thematisierte Wut ein prototypischer Fall eines kognitiven oder kulturellen Modells, das sich hier als Szenario mit folgenden Komponenten entfaltet: Kränkung/ Angriff - Wut - Bewahrung der Kontrolle - Kontrollverlust - Vergeltung. Diese skeletthafte Grundstruktur wird nun durch die Metapher ANGER IS HEAT IN A PRESSU - RIZED CONTAINER verständlich und handhabbar, wobei in Abhängigkeit von der jeweiligen Kultur ein Aspekt stärker hervortreten kann als ein anderer, etwa die Bewahrung der Kontrolle im Fall der japanischen Kultur im Gegensatz zur schnellenVergeltung im Fall der Zulu-Kultur. Die Handlungsstrategien variieren auf der Basis der mitprojizierten Implikationen: (a) der Container explodiert, d. h., die Wut wird ausgelebt; (b) die Substanz bleibt und verteilt sich im Container, d. h. man erleidet somatische Effekte wie Bauch- oder Kopfweh, (c) die Substanz im Container wird abgekühlt, d. h. man wendet Kompensationsstrategien wie sportliche Aktivitäten an, um die Wut zu kanalisieren. Das kulturelle Modell wird damit komplex und dies, so Lakoff und Kövecses, sei ohne die metaphorische Vorgabe kaum vorstellbar. Das klingt plausibel; gleichwohl bleibt unklar, ob sich diese idealtypische Illustration tatsächlich auf alle kulturellen Gebrauchssituationen übertragen lässt. Genau genommen hat sich Lakoff für eine Vertiefung der kulturellen Seite der Metapher nie besonders interessiert und ist bis heute weit davon entfernt, dem Kulturellen mehr als nur beiläufige Kommentare zu widmen. Mangels systematischer Ausführungen bleibt seine Position damit letztlich 168 vage. Das bedeutet aber auch, dass der häufig gemachte Vorwurf, seine Sichtweise sei zu radikal universalistisch, nicht unbedingt haltbar ist; schließlich setzt er sich mit der Frage nicht ernsthaft auseinander. Tatsächlich gibt es einige Stellen, an denen er sehr wohl die Möglichkeit einer umgekehrten Wirkrichtung in Betracht zieht, wenn er etwa von der „ folk theory “ spricht, die „ provides the basis for the central metaphor “ (Lakoff 1987, 388). Gibbs (1999 a, 165) begegnet der Frage mit dem Argument, dass sich dieses Problem von alleine aufhebe, gehe man von der Annahme aus, dass alles, was kognitiv und körperfundiert, zugleich auch inhärent kulturell sei. Kövecses schreitet mit seinem gleichlautenden Postulat von der Verwobenheit von Kultur, Kognition und Körperfundiertheit in die gleiche Richtung, indem er aufzeigt, wie unterschiedliche kognitive Präferenzen und Stile auf grundlegende erfahrungsbasierte Metaphern zurückwirken: In Anbetracht der generischen Metapher ANGER IS HEAT IN A PRESSURIZED CONTAINER fügt er an einer Stelle (Kövecses 2005, 247 - 252) einschränkend hinzu, dass nach Yu (1998) im Chinesischen die meisten Metaphern der Sprachoberfläche zwar auf den Druckaspekt, nicht jedoch gleichzeitig auf den Hitzeaspekt der nach Lakoff und Kövecses (1986) ja tatsächlich vorhandenen physiologischen Erfahrungsgrundlage hindeuten. Das hieße, es werden schon auf dieser primären Ebene nicht notwendigerweise in jeder Kultur die gleichen Erfahrungskomponenten selektiert. Solche divergierenden Präferenzen können auch metonymischen Charakter haben, entwickelt sich die Metapher laut Lakoff und Kövecses doch aus einer metonymischen Konzeptualisierung heraus, bei der die körperliche Reaktion für das Gefühl steht. Im Englischen beinhalten solche Metonymien die Körpertemperatur, internen Druck, Agitation und Wahrnehmungsstörungen. Zulu verfügt über dieselben metonymischen Konzepte, darüber hinaus allerdings noch über andere, die im Englischen fehlen: Atmungsstörungen, Krankheit, Transpiration, Weinkrämpfe und Sprachlosigkeit (Kövecses 2002, 185), was klar darauf hindeutet, dass kulturelle Relativität bereits auf körperlichem Niveau ansetzen kann. Kövecses vermutet, dass die so genannten universellen physiologischen Merkmale lediglich eine potenzielle Basis für metaphorische Konzeptualisierungen bilden, und schließt sich dem Gedanken Gibbs ’ an, der die wechselseitige Beeinflussung von körperfundierter Kognition und Kultur betont: „ The mind is equally the product of culture and embodiment, or, even more precisely, the three are likely to have evolved together in mutual interaction with each other “ (Kövecses 2005, 294, Hervorh. i. O.). 3.5.4 Kritische Diskussion Den wichtigsten Beitrag der diskurstheoretischen Ausarbeitung, Erweiterung und Korrektur der Konzeptuellen Metapherntheorie stellt die Einführung der ‚ Diskursmetapher ‘ dar, die in der hier eingenommenen Perspektive 169 nicht mehr alleine auf dem egologischen Fundament der körperbasierten Kognition gründet, sondern als zweite Säule die inkorporierten sozialen Praktiken und kulturellen Aneignungsformen von Welt erhält, wobei die Metaphern auf Basiskategorien anstelle von Bildschemata zurückgeführt werden. Diese Einsicht regt viele Forscher gerade innerhalb der Critical Discourse Analysis in den letzten zehn Jahren vermehrt zu korpusbasierten empirischen Studien an, die sich mit der Entwicklung von Diskursmetaphern in den Printmedien auseinandersetzen. Wie schon in der kritischen Diskussion zur Konzeptuellen Metapherntheorie deutlich wurde, ist dieser Gedanke allerdings nicht neu, hatte doch Alverson bereits 1991 auf die kulturelle Verankerung von Metaphern in Ausdrücken der Basiskategorien hingewiesen. Dennoch erfolgt erst jetzt eine systematische Aufarbeitung dieses offensichtlichen Defizits der Theorie von Lakoff und Johnson und ihren Nachfolgern. Die diskurstheoretisch motivierte Hinwendung zu Fragestellungen kultureller und historischer Diversität der Metapher führt einige Autoren zurück in die Gefilde der symbolischen Anthropologie, etwa zu der von Geertz (1973) vertretenen Position, Kultur müsse als ein System sozial ausgehandelter Bedeutungen betrachtet werden, das sich in symbolischem Handeln konstituiert und artikuliert. Andere besinnen sich auf soziologische Thesen, etwa auf das ‚ Habitus ‘ -Konzept Bourdieus (1977), der sich auf die durch die sozialen Praktiken einer Gemeinschaft enstandenen Handlungs- und Verhaltensanleitungen bezieht, die jedem Teilnehmer dieser Gemeinschaft eingeschrieben sind. Die vorerst noch sehr zaghafte theoretische Einbeziehung solcher neostrukturalistischen und posthermeneutschen Ansätze scheint mir besonders im Hinblick auf den Kulturbegriff richtungsweisend zu sein, da solche Theorien Kultur praxeologisch als inkorporierte routinierte Techniken deuten. Der Körper erscheint hier nicht als ausführendes Organ von dahinter liegenden Sinnorientierungen, sondern als Ort der Erzeugung kultureller Sinnstrukturen (Loenhoff 2008). 30 Ein weiterer wichtiger Aspekt des diskurstheoretischen Zweigs der kognitiven Metaphernforschung ist die diachronische Perspektive, die in den ersten beiden Jahrzehnten der Konzeptuellen Metapherntheorie kaum 30 Loenhoff (2008) subsumiert die Kulturbestimmungen von Geertz und Bourdiu unter die Rubrik der sich ab den siebziger Jahren herausbildenden praxeologischen Ansätze des cultural turns, die das Problem gelingender Handlungskoordination in die Frage nach der Sinnhaftigkeit symbolischer Ordnungen und den Sinnzuschreibungen der Handelnden transformieren. Dementsprechend stehen Theorien der Praxis einerseits in Opposition zu einer poststrukturalistischen, anti-praxeologischen und textorientierten Semiologie, andererseits aber auch zu homogenisierenden Konzepten, die Kulturen als Sphären geteilter Normen, Werte oder kollektiver Symbole verstehen, denn die Praktiken gehen den Symbolordnungen voran und stellen keineswegs einförmige, sondern hybride Überlagerungen dar. 170 in Augenschein genommen wurde, 31 so dass die Metapher jetzt nicht nur zunehmend in konkreten Diskurskontexten bestimmter Kommunikationsgemeinschaften lokalisiert, sondern zugleich auch historisiert wird und damit in Bewegung gerät. Ich werde im fünften Kapitel im Rahmen einer Nachzeichnung der metaphorischen Konstruktion des Gesellschaftsbegriffs im deutschen und brasilianischen Sprachgebrauch auf diesen Pfad in der aktuellen kognitiven Metaphernforschung zurückkommen. Von kommunikationstheoretischer Warte aus unbefriedigend hingegen bleibt die häufige Dekontextualisierung der sozialen Handlungspraxis durch die vornehmlich quantitativ und korpuslinguistisch basierte Methodologie, die sich außerdem in diskursanalytischer Tradition auf den geschriebenen Text zurückzieht, so dass authentische mündliche Kommunikationsformen auf diesem Terrain bislang noch keinen Eingang in die Forschungspraxis gefunden haben. Gleichzeitig gibt es eine Beschränkung auf gesellschaftspolitische Themenfelder sowie die Printmedien als Forschungsquelle, da besonders in dieser Domäne öffentliche Meinung erzeugt wird. Wie die durch Metaphern suggerierten gesellschaftspolitischen Sichtlenkungen vom Leser aufgenommen werden, erfahren wir allerdings nicht. Positiv sollte hervorgehoben werden, dass in metaphernanalytischen Arbeiten der Kritischen Diskursanalyse eine eindeutige Verknüpfung des verbalsuggestiven Charakters von Kommunikationshandlungen - die Frage nach dem ideologisierenden Effekt und der argumentativen Funktion von Metaphern - mit der konzeptuellen Metapher zu beobachten ist, die - wenn auch ausschließlich extrakommunikativ und unter Ausschluss des Hörers - immerhin die in der sozialen Praxis und den gesellschaftlichen Symbolsystemen angelegten Handlungsziele der Akteure mit in die Analyse hineinnimmt. Die Erweiterung der universalistisch angelegten Konzeptuellen Metapherntheorie um kulturrelativistische Phänomene und die damit verbundene Sichtung und Systematisierung des schon bestehenden Materials ist zweifelsohne das große Verdienst Zoltán Kövecses ’ . Fast scheint es, als hätte Kövecses sich hier auf die seit Kenneth Pike (1954) so viel diskutierte eticemic-Unterscheidung rückbesonnen, in der u. a. das Zusammenspiel zwischen Universellem und Partikularem ein entscheidendes Bindeglied beider Perspektiven darstellt (Pike 1954), das besonders von der Kognitiven Anthropologie aufgegriffen und unter Bezug auf eigene Fragestellungen verarbeitet wurde (Hahn 2005, 199). Überhaupt liegt Kövecses ’ Stärke in der Synthese und didaktischen Aufbereitung des häufig nur in Artikel- und Kapitelform zugänglichen Materials, wovon Metaphor in Culture (Kövecses 2005) Zeugnis ablegt. Dadurch ist das hier ausführlich diskutierte Buch 31 Eine Ausnahme bildet u. a. die Studie von Sweetser (1990) und Geeraerts und Grondelaers (1995). 171 allerdings gleichzeitig in Bezug auf solche Themenbereiche repetitiv, die in früheren Werken bereits besprochen wurden (Kövecses 2003; 2002; 1986). Dieser Ekklektizismus gipfelt in der ein Jahr später publizierten Schrift Language, Mind, and Culture. A Practical Introduction (Kövecses 2006), die gänzlich zu einer Reduplikation der vorangegangenen Werke verblasst, umso mehr noch, wenn man die inzwischen ebenfalls inflationär gewordenen Einführungen in die Kognitive Linguistik in Betracht zieht. Positiv hervorzuheben ist demgegenüber die gelungene Aufnahme gerade jener facettenreichen Studien, die über den Tellerrand der nordamerikanischen Forschungslandschaft hinausschauen, neue Weltsichten in die kognitive Metaphernforschung einbringen und auf diese Weise die kulturelle Relativität von Metaphern vor dem Hintergrund afrikanischer, fernöstlicher und arabischer Sprachgebrauchsweisen untermauern. Insofern trägt das Buch zur Verbreitung bislang unbekannter Arbeiten bei und eröffnet einen globalen Dialog über die kognitive Metapher. Auf einige Schwächen des Buchs wurde bereits hingewiesen. Schwer nachvollziehbar ist z. B. die Themengliederung ab der zweiten Hälfte, da sie hier mit der eingangs proklamierten Einordbarkeit in Konflikt gerät. So bemüht sich Kövecses um die Aufrechterhaltung von Dichotomien wie die der universellen Primärmetapher in Opposition zur kulturdependenten komplexen Metapher oder die Polarisierung von inter- und intrakulturell, was ihn dann in die Bredouille bringt, Kultur auf der Ebene von Nation und Einzelsprache ansetzen zu müssen, wogegen alle kulturellen Differenzen unterhalb dieser Kategorie als ‚ intrakulturell ‘ abgestempelt werden, ohne dass klar wäre, was ‚ Kultur ‘ in diesem Kontext meint. Gerät die Annahme von der Universalität der Primärmetaphern vor dem Hintergrund der von uns vorgestellten Studien zur Zeit, etwa die von Núñez, Neumann & Mamani (1997) oder Silva Sinha et al. (2012, im Druck) nicht ins Wanken? Lassen sich hier überhaupt klare Grenzen zwischen Universalität und kultureller Variation ziehen? Die Argumentation zumindest begibt sich in eine zirkuläre Zwickmühle: Die Zieldomäne werde einerseits überhaupt metaphorisch erst konstruiert, andererseits gehe die Universalität abstrakter Domänen wie den Gefühlen auf metonymische, physiologische Effekte zurück, die mit dem Gefühl korrespondieren. Steht das Gefühl nun am Anfang oder Ende des Konstruktionsprozesses? Die diachronische Semantik (Geeraerts & Grondelaers 1995) richtet sich gegen das reduktionistische Verständnis, das dem Argument der physiologischen Basis der metaphorischen Konzepte zur Beschreibung von Emotionen zugrunde liegt. Sie gelangt auf der Grundlage von eindrucksvoll detailgetreuen Korpusstudien zu dem Ergebnis, dass metaphorische Ausdrücke keineswegs immer auf die Ursprungsbedeutung zurückzuführen sind, sondern dass oftmals die prototypische Basisbedeutung einer bestimmten Kulturepoche eine ausschlaggebende Rolle für das metapho- 172 rische Verständnis spielt. Im Fall von ANGER z. B. erscheint es aus der Perspektive der diachronischen Semantik wahrscheinlicher, dass nicht physiologische Korrelationen allein die Motivation für die CONTAINER -Metapher darstellen. Gleichermaßen plausibel scheint ein Rückbezug auf die in Antike und Mittelalter dominierende Temperamentenlehre mit ihrer Humoralpathologie (Geeraerts & Grondelaers 1995). Daneben müssten weitere kulturgeschichtliche Aspekte in die Analyse einbezogen werden, etwa der Individualisierungsprozess, den Basisemotionen wie WUT ab der Aufklärung durchlaufen, denn zuvor waren es die Götter und andere suprahumane Wesenheiten, die von Zorn gepackt wurden, wobei das Aufkochen flüssiger Substanzen noch keine Rolle spielte (Geeraerts 2011). Schließlich zeigt eine onomasiologische Studie, dass die deklarierte Schlüsselmetapher ANGER IS HEAT tatsächlich gegenüber anderen metaphorischen wie nicht-metaphorischen Konzepten, die verwendet werden, um über Wut zu sprechen, einen letztlich sehr geringen Anteil ausmacht (Geeraerts & Gevaert 2008). Damit berühren wir einmal mehr ein zentrales Grundproblem, das ältere wie neuere Studien besonders auf dem Gebiet der Ethnologie und Anthropologischen Linguistik aufwerfen: das des Wechselverhältnisses von Metapher und Kultur, wobei die im letzten Abschnitt präsentierten Ergebnisse jene der Konzeptuellen Metapherntheorie besonders in einem Punkt widerlegen: Schon auf der am tiefsten verwurzelten Ebene der Wahrnehmung und Grundorientierung des Menschen können die daraus abgeleiteten Schemata keinesweg universelle Gültigkeit beanpruchen, denn schon hier kommt das Kulturelle ins Spiel. Kultur geht somit der Kognition voraus oder ist doch zumindest von Beginn an in steter Interaktion mit letzterer zu betrachten. Zur letzten Annahme bekennen sich inzwischen auch immer mehr Metaphernforscher. Allerdings hält Kövecses diese Position nicht konsequent durch, so dass es ihm nicht gelingt, zu einer ko-konstitutiven Sichtweise von kognitiven Projektionen, kulturellen Konventionen und Konzepten in dynamischen Kommunikationssituationen vorzudringen, wie es u. a. Nerlich (2007, 97) kritisiert hat. So beschreibt er etwa die schematisch-generischen Metaphern als solche auf einem „ supraindividual level in the sense that it consists of a static and highly conventionalized system of mappings between physical source and abstract target domains “ (Kövecses 2006, 201). Besonders die Wahl des Ausdrucks static widerspricht offensichtlich den an anderen Orten proklamierten Mechanismen der Variation. ‚ Konventionalisiert ‘ kann schwerlich zugleich ‚ statisch ‘ bedeuten. Darbietungen wie die von Kövecses bergen ob ihrer makrotheoretischen Orientierung darüber hinaus das Problem in sich, Kultur über eine bestimmte Nationalsprache definieren zu wollen, wobei dann Unterschiede wie solche zwischen Nord- und Südstaaten oder Metropole und Land allzu schnell egalisiert werden. Die Beispiele aus den Studien, die er zitiert, ziehen, sobald es um den kulturellen Vergleich geht, ihre Schlüsse auf der Basis 173 ganzer Nationen. Doch wo sind die Studien, die zwei Subkulturen - z. B. protestantische Kirchengemeinden aus den USA mit solchen aus einem lateinamerikanischen Land oder die Schwulenszene Madrids mit der Tokios - vergleichen? Auf der anderen Seite bleibt die Verbindung von Kultur und Metapher oft Angelegenheit von semasiologisch verfahrenden korpuslinguistischen Untersuchungen unter Auslassung der Komponenten authentischer Kommunikationssituationen wie Teilnehmer, Intention, Kontext und Kommunikationsgenre. Von einer Berücksichtigung der Mikroperspektive ist nicht nur Kövecses weit entfernt; die meisten kulturvergleichenden Studien meiden solche Tiefenanalysen. Auch auf eine metatheoretische Reflexion in Bezug auf die theoretischmethodologischen Voraussetzungen der präsentierten Untersuchungen wird weitgehend verzichtet. Es wird nicht erläutert, welche der zitierten Autoren den Prämissen der Konzeptuellen Metapherntheorie treu bleiben, welche Autoren sie wie Kövecses für ergänzungsbedürftig halten und welche Autoren in vielen Punkten Kritik anbringen und sich umgekehrt dem Sprachgebrauch als Ausgangspunkt zuwenden. Kövecses selbst behandelt die pragmatischen und kontextuellen Faktoren der Sprachgebrauchsweisen ja nur im Vorbeigehen, wie weiter oben skizziert wurde. Desiderat bleibt daher weiterhin eine stärkere Einbeziehung der kommunikativen Betrachtungsweise, mit der die durch Kövecses vollzogene Hinwendung zu kulturspefizischen und emischen Kategorien keineswegs verwechselt werden darf. Eine kommunikative Betrachtung hätte in der hier eröffneten kulturrelativistischen Sicht danach zu fragen, inwieweit Funktionen des aktuellen Metapherngebrauchs, Kommunikationsstrategien, die sich der Metapher bedienen, und Kommunikationskontexte, die die Verwendung wie auch das Verstehen bestimmter Metaphern befördern oder hemmen, von Kultur zu Kultur divergieren, sowie die kontextuellen und situativen Rahmen zu ermitteln, von denen sich Hörer bei ihrer Konstruktionsarbeit leiten lassen. Finden auch kommunikationstheoretische Impulse bislang keinen ausgezeichneten Raum in der kulturrelativistischen Diskussion innerhalb der kognitiven Metaphernforschung, so bahnen sich doch in einzelnen Studien - etwa der von Aitchison (1987), der von Balaban (1999) oder jener von Emanatian (1995) - Anhaltspunkte an, die auf eine zukünftige Verknüpfung von kultureller Relativität und deren multipler Ausgestaltung in konkreten Handlungspraktiken hindeuten. Damit ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer stärkeren Integration von kulturellem Wissensvorrat und individueller Welttheorie getan. 174 4. Vergangene und vergessene Ansätze kognitiver Metaphernforschung im Vorfeld der Konzeptuellen Metapherntheorie 4.1 Einleitung Wie bereits im zweiten Kapitel angesprochen, hält der von Lakoff und Johnson selbst an einigen Stellen ihrer Ausführungen erhobene Originalitätsanspruch ihrer Ideen einer sorgfältigen Sichtung des historischen Materials zu dem Thema nicht stand. Zieht man die kaum zu überblickende Vielzahl an Abhandlungen zur Metapher in Betracht, die auf die eine oder andere Weise bereits die kognitiv-epistemische Funktion der Metapher, ihre Allgegenwärtigkeit in der menschlichen Kommunikation und ihren konstitutiven Charakter im Hinblick auf die Sprachentwicklung hervorheben, so verrät eine solch kühne Inanspruchnahme letztlich nur die tiefe Unkenntnis sowohl der historischen Sachlage als auch mangelnde Belesenheit hinsichtlich der Theoriegeschichte zur Metapher, die über den angloamerikanischen Sprachraum hinausreicht, so dass den beiden Autoren, wie Hülzer-Vogt (1987, 219) zu Recht resümiert, wohl nicht zuletzt deswegen „ das Eklektizistische ihres Ansatzes verborgen blieb “ . An dieser Stelle möchte ich eine Brücke zu den Vorläufern der kognitiven Metapherntheorie schlagen - und zwar insbesondere zu jenen, die bereits Fragestellungen aufgreifen, welche für die aktuelle Diskussion und unseren kommunikationstheoretischen Blickwinkel von tragendem Wert sind. Angesichts der Fülle an Vorreitertheorien, deren allumfassende Darstellung in einem sich ausschließlich dieser Aufgabe widmenden Opus Desiderat bleiben muss, kann das vorliegende Kapitel keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, geschweige denn auf Ausführlichkeit erheben. Dennoch werde ich mich darum bemühen, das, was bisher zu diesem Thema größtenteils selektiv oder unter bestimmtem interessegeleiteten Vorzeichen herausgearbeitet wurde, zu bündeln und zu systematisieren, um die unermessliche Dichte der Gedanken zumindest in ihrer Breite gebührend zu würdigen. 1 Freilich richtet sich unser Augenmerk neben der Aufarbeitung der bereits antizipierten Kernthesen bei diesem Rückblick besonders auf solche Momente, die einen Beitrag zur der aktuellen Debatte in der kognitiven 1 Die in diesem Kapitel präsentierten Ansätze sind mir als deutscher Muttersprachlerin und Rezipientin englischssprachiger Texte am zugänglichsten. Dies soll nicht bedeuten, dass sich nicht noch andere Vorläufer finden lassen, die bislang noch keinen Eingang in die kognitive Metaphernforschung gefunden haben. Wie bereits erwähnt, bedarf es zur Erstellung eines vollständigen Rückblicks einer eigenen Arbeit. 175 Metaphernforschung unter kommunikationstheoretischem Vorzeichen liefern. Als Leitfaden für einen adäquaten Vergleich zwischen den Hypothesen der Konzeptuellen Metapherntheorie und denen des jeweiligen Vordenkers greife ich auf Jäkel (2003, 40 - 41) zurück, der die Konzeptuelle Metapherntheorie von Lakoff und Johnson auf neun Hauptthesen komprimiert, die das Kernstück der Theorie ausmachen: 1. ‚ Ubiquitäts-These ‘ : Die Metapher stellt keine Ausnahmeerscheinung der poetischen Kreativität oder Rhetorik dar, sondern ist ein allgegenwärtiges Phänomen der menschlichen Kommunikation; 2. ‚ Domänen-These ‘ : Metaphorische Ausdrücke sind Realisierungen konzeptueller Metaphern, die zwei Domänen - einen Ausgangs- und einen Zielbereich - miteinander verbinden; 3. ‚ Modell-These ‘ : Konzeptuelle Metaphern können idealisierte kognitive Modelle bilden und somit das Weltbild einer Sprachgemeinschaft prägen; 4. ‚ Diachronie-These ‘ : Bedeutungserweiterungen werden in historischer Perspektive als metaphorische Übertragungen ganzer Begriffsdomänen und nicht einfach als isolierte Wortbedeutungen analysiert; 5. ‚ Unidirektionalitäts-These ‘ : Metaphorische Projektionen verlaufen in der Regel von konkreten Erfahrungsbereichen hin zu abstrakten Zielbereichen; 6. ‚ Invarianz-These ‘ : Dabei werden präkonzeptuelle Vorstellungsschemata unverändert in den Zielbereich hineingetragen; 7. ‚ Notwendigkeits-These ‘ : Metaphern erfüllen primär eine Erklärungs- und Verständnisfunktion und liefern somit Denkmodelle; 8. ‚ Kreativitäts-These ‘ : Die potenzielle Bedeutungsfülle der Metapher ist nicht paraphrasierbar, so dass Erfahrung via Metapher konkret gestaltet wird und offen für weitere Verbindungen der gleichen Domäne bleibt; 9. ‚ Fokussierungs-These ‘ : Metaphern liefern nur eine partielle Beschreibung der Zieldomäne, wobei bestimmte Aspekte hervorgehoben und andere ausgeblendet werden. Der Anfang der metaphorischen Verwendung des Wortes metaphora ( ‚ Übertragung ‘ ) lässt sich heute bis auf Aristoteles zurückverfolgen, der in allen einschlägigen Kompendien zu dem Thema als der Begründer einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Metapher schlechthin gesehen wird. Mit seinem Analogieverständnis von Metapher bereitet er die beiden über viele Jahrhunderte maßgeblichen Linien in der Metaphernforschung vor: (a) die Vergleichstheorie, welche im antiken Rom gedeiht, und (b) die Substitutionstheorie, die mit Cicero und Quintilian ihren Ausgang nimmt. Es ist 176 diese aristotelische Tradition, gegen die sich die Begründer der Konzeptuellen Metapherntheorie zur Wehr setzen, indem sie ihr unterstellen, sie erblicke in der Metapher lediglich eine ‚ uneigentliche ‘ Form des Sprechens, die in der poetischen oder rhetorischen Rede eine ornamentale oder gar wirklichkeitsverzerrende Funktion inne habe, somit als Fehlprädikation behandelt werden müsse und deshalb gegenüber der ‚ eigentlichen ‘ Form des Sprechens negativ zu bewerten sei. Diesem tatsächlich über viele Jahrhunderte weit verbreiteten Impetus liegt die ontologisch orientierte Philosophie der Antike zugrunde, die ausgehend von einer vorsprachlichen Seinsordnung der Dinge Sprache als Abbild der Wirklichkeit versteht - ein Modell, dem erst mit Saussure der theoretische Boden entzogen wird. Dennoch spiegelt die von Lakoff und Johnson lapidar gesetzte Dichotomie zwischen impressionistischer und epistemologischer Metaphernbetrachtung eine verkürzte Sicht auf das aristotelische Denken wider, da schon in der Rhetorik eindeutige Verweise auf die kognitive Dimension der Metapher zu finden sind, etwa dann, wenn Aristoteles darauf aufmerksam macht, das Bilden guter Metaphern beruhe auf der Fähigkeit, wie in der Philosophie „ das Ähnliche auch in weit auseinander liegenden Dingen zu erkennen “ (R, III, 11, 5, 1995, 194 - 195). Gleichermaßen ist Aristoteles der Ubiquitätscharakter der Metapher nicht entgangen: „ Alle Menschen [. . .] gebrauchen in der Unterredung Metaphern “ (R, III, 2, 6, 1995, 170). Debatin (1995, 14 - 15) beschreibt diesen ambivalenten Zug der aristotelischen Theorie differenzierter, als es die einhellige Meinung der Vertreter der Konzeptuellen Metapherntheorie tut: „ Einerseits hebt sie [die aristotelische Theorie, US] die schöpferische und kognitiv-praktische Erkenntnisfunktion und damit einen zentralen rationalen Aspekt der Metapher hervor, andererseits hat sie mit der Eingrenzung der Metapher auf den Bereich der Rhetorik und der Ästhetik und mit ihrer ontologischen Wortsemantik die Um- und Abwertung der Metapher und ihren späteren Ausschluß aus dem rationalen Diskurs möglich gemacht. “ (Debatin 1995, 14 - 15) Kohl (2007, 55) vermutet, dass sich der Widerspruch zwischen diesen beiden augenscheinlich konträren Positionen darauf zurückführen lässt, dass die beiden Werke, in denen sich Aristoteles über die Metapher auslässt, unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen: Während es in der Rhetorik um die Rede im Allgemeinen geht und sich deshalb an dieser Stelle einige Hinweise darauf finden lassen, dass sich Aristoteles der Ubiquität und Welterschließungsfunktion der Metapher sehr wohl bewusst war, liegt sein Schwerpunkt in der Poetik dagegen auf der Sonderform dichterischer Rede. Tatsächlich heißt es in der Rhetorik (III, 1405 a, 8 - 9), dass die Metapher die Qualitäten der Klarheit und der Fremdheit in sich vereinige. Debatin (1995, 23 - 24) sieht die grundlegende Problematik der antiken Metapherntheorie 177 weniger in der Begrenzung der Metapher auf die Gebiete der Rhetorik und Poetik, als vielmehr im Verlust ihrer Wahrheitsfähigkeit im Zuge des Funktionswandels der Rhetorik in der nacharistotelischen Zeit. Hatte nämlich Aristoteles die Metapher noch als zentralen Bestandteil einer praktisch-argumentativen Rhetorik gesehen, deren Hauptziel die überzeugende Begründung eines öffentlich erhobenen Geltungsanspruchs darstellt, kommt es mit der griechisch-römischen Rhetoriktradition im Anschluss daran zu einer Verengung auf ihre psychologische und ornamentale Wirkung, die zugleich die rationalistische Sprachkritik mit ihrem Ikonoklasmus und ihrer Fixierung auf das Ideal wörtlicher Eindeutigkeit vorbereitet. 4.2 Philosophische Entwürfe zu einem kognitiven Metaphernverständnis im 17. und 18. Jahrhundert In seiner Untersuchung zum Verhältnis von Metapher, Empirismus und Wahrheitsfindung in den philosophischen Schriften des 17. Jahrhunderts gibt Nicolaas T. Oosthuizen Mouton (2010) den Blick auf ein breites Bewusstsein für die kognitive Kraft der Metapher frei, das von der Konzeptuellen Metapherntheorie stets geleugnet wurde, indem sie die damalige Auffassung von Metapher auf deren Verdammung reduzierte (Johnson 1981, 11). Laut Mouton erscheinen die Empiristen heute im Lichte einer allzu geradlinigen Vorstellung von Sprache als Schlüssel zur wahrheitsgetreuen Abbildung von Wirklichkeit, ohne zu berücksichtigen, dass es sich dabei lediglich um die idealisierte Version ihrer Sprachauffassung handelte. Demgegenüber müsse die damalige Metaphernverdrossenheit im Kontext ihrer Zeit gelesen werden, in der sich die Auffassungen der Renaissance und der Klassik im Hinblick auf die Frage nach dem angemessenen Vorgehen bei der Wahrheitsfindung gegenüberstanden: In short, seventeenth-century debates about the role of metaphor in “ discourses that pretend to inform and instruct “ were part of a broader clash between two entirely different cognitive styles. One of the crucial respects in which they differed pertained to their respective atti-tudes towards similarity. To the one, resemblances were a legitimate source of knowledge; to the other, it was a source of error unless analyzed into clear relations of identity and difference. (Mouton 2010, 39) Einem Empiristen wie John Locke ginge es anstelle einer Verfemung der Metapher viel eher darum, darauf aufmerksam zu machen, dass die permanente Suche nach dem Vergleichbaren allzu schnell übersehe, wie leichtfertig bei diesem kognitiven Stil der Wahrheitssuche Differenzen unter den Tisch fielen. Dass die Metapher allerdings entscheidendes Vehikel für unsere Auffassung der Wirklichkeit verkörpert, ist ihm ganz und gar 178 bewusst, wie seine einflussreiche Schrift An Essay Concerning Humane Understanding (1690) belegt, in der Beispiele für die Übertragung von Ausdrücken der Wahrnehmung auf solche des Denkens zu finden sind, u. a. imagine, apprehend, comprehend, adjure, conceive, instil, disgust (Locke 1690/ 1961, II, i, 5). Ähnlich kritisch fällt das Urteil von Chamizo Domingues und Nerlich (2010) aus, die eine Revision der Originale vornehmen und durchweg feststellen, dass sich alleine die heutzutage durchgängige Auffassung von der eindeutigen Dichotomie zwischen Rationalismus und Empirismus nicht aufrecht erhalten lässt. Denn ebenso wie die Empiristen findet sich auch bei den Rationalisten ein klares Bewusstsein hinsichtlich der Verquickung von Körper und Geist, etwa in den Schriften von Blaise Pascal (1660/ 1976) sowie das Wissen über die Allgegenwärtigkeit der Metapher, wie es Du Marsais (1730/ 1757) betont hat. Diese Kenntnis jedoch hielt sie nicht davon ab, ein Sprachideal anzupreisen, bei dem der körperliche Einfluss keinen Platz mehr haben sollte, ganz im Geiste der Schule von Port Royal, das im 17. Jahrhundert die Hochburg des jansenistischen Ideenguts verkörperte. Man könnte sagen, bei ihrer Beurteilung der Empiristen und Rationalisten liegt der Irrtum von Lakoff und Johnson darin, verkannt zu haben, dass in der damaligen Zeit schlichtweg die Frage nach Wahrheit im Zentrum des wissenschaftlichen Diskurses stand - und zwar einmal in Bezug auf Wahrheitsverschleierung und einmal hinsichtlich der Wahrheitsfähigkeit. Tatsächlich berufen sich beide Denkschulen auf eine gemeinsame Quelle, den Philosophen Johann Clauberg, der an Descartes anschließend eine objektivistische Metaphysik zu begründen sucht, Locke für seine Betrachtungen zur Metapher als Vorlage diente und später die Schriften Vicos beeinflusste. Deshalb erscheint es folgerichtig, mit Schmitz (1985, 246) die Abwendung von der impresssionistischen Metaphernbetrachtung der normativen Rhetoriklehren auf zwei Schriften Claubergs zu datieren, die er im Jahre 1658 und 1663 verfasst hat: 2 Logica vetus et nova (1658/ 1685) und Ars etymologica teutonum e philosophiae fontibus derivata (1663/ 1717). Es handelt sich um Werke, die über das protestantisch gefärbte sprachtheologische Interesse an etymologischen Studien bereits zu Aussagen über die metaphorisch bedingte Polysemie von Wörtern durch Bedeutungserweiterung gelangen. Schmitz (1985, 247) weist darauf hin, dass Clauberg in dem Prozess der Übertragung von Worten für sinnlich Wahrnehmbares auf Bereiche, die zum Intellekt gehören, eine ontogenetische bzw. erkenntnisprozessuale Entsprechung sieht, da das percipere dem intellegere vorausgehe 2 Genau genommen gibt es nach Schmitz (1985, 243) bereits im Mittelalter drei Autoren, bei denen sich Hinweise auf den Omnipräsenzstatus der Metapher in der alltäglichen Rede des Menschen finden lassen: Augustinus, Beda und Boncompagno. 179 (Clauberg 1663/ 1717, 195). Das verdient umso mehr Beachtung, als es sich hierbei um einen Gedanken handelt, der im Erfahrungsrealismus von Lakoff und Johnson wieder aufgenommen wird, in den Untersuchungen von Sweetser (1990) Form annimmt und schließlich im Terminus conflation (Johnson 1999; Grady & Johnson 2002), wie gezeigt wurde, ein aktuelles und empirisch fundiertes Pendant erhält, aber eben auch um einen Gedanken, der schon im 17. Jahrhundert zu finden ist. Leibniz nimmt in der Mitte des 18. Jahrhunderts eine Stellung zwischen Descartes und Vico ein und verleiht der kognitiven Metaphernbetrachtung neues Gewicht: Hatten bereits Bacon, Hobbes und Locke auf die Beeinflussung des Denkens durch Sprache hingewiesen, so ist es Leibniz (1764/ 1961), der diesen sprachskeptischen Gedanken aufgreift, im Gegensatz zu den genannten Philosophen nun jedoch auf die positive Seite dieser Sprachbindung des Denkens hinweist. Er arbeitet neben der seit der Antike stets hervorgehobenen kommunikativen auch die kognitive Funktion von Sprache heraus, um zu zeigen, wie Sprache das Denken beeinflusst: Die Strukturierung der Bewusstseinsinhalte durch die Sprache, ihre Überführung von einer amorphen Masse an Bildern in eine Kette fest umrissener mentaler Einheiten ist in der Perspektive Leibniz ’ der kommunikativen Komponente von Sprache noch vorgeordnet und hilft dem Menschen dabei, seine Gedanken überhaupt erst auf den Weg zu bringen (Gardt 1999, 198, 233 - 234). Wie Schmitz (1985, 250) feststellt, dehnt Leibniz seine Untersuchungen zur Metapher auf die synchrone Ebene aus und appliziert sie in seiner Antwortschrift auf Lockes Essay, den Nouveaux essais sur l ’ entendement humain (Leibniz 1764/ 1961), auf die Präpositionen, die er in ihrem Vermögen zur metaphorischen Erweiterung untersucht. Die endgültige Anerkennung und positive Umdeutung der prinzipiellen Metaphorizität der Sprache, die besonders im späten 19. Jahrhundert zu ihrer Blüte gelangt, beginnt mit Giambattista Vico (1744/ 1928) und dessen mythisch-romantischer Theorie der Metapher (Rolf 2005, 263). Das Neue ist, dass Vico die metaphorische Verfahrensweise der Weltschöpfung positiv bewertet, denn er sieht die Metapher als konstitutive Kraft mit einer weitaus deutlicheren, klareren und zuverlässigeren Ausdrucksfähigkeit als die der abstrakten Sprache. Woher kommt diese Kehrtwende? Vico war einer der ersten, die zwischen den Methoden der Naturwissenschaften und jenen der Sozialwissenschaften differenzierte - und zwar in dem Sinne, in dem Dilthey später Verstehen und Erklären voneinander schied. Wahrheit in der einen Domäne ist nicht zugleich auch Wahrheit in der anderen. Auf dieser Grundlage wurde die positive Umdeutung der Metapher möglich. Vico sieht in der Metapher die Basis der Sprachentwicklung und versteht sie zugleich als kreativ-kognitives Instrument, ein Impuls, der sich später in den Essais sur l ’ origine des langues von Rousseau (1781/ 1995) niederschlägt, für den Sprache ursprünglich metaphorisch, figuriert und bildlich ist. In seiner 180 Scienza Nuova entwirft Vico (1744/ 1928) ein dreistufiges Modell der menschlichen Geschichte und ihrer Phasen der Sprachentwicklung: Die erste göttliche Periode zeichnet sich durch unmittelbare Gestensprache und ritualisierte Handlungen aus, gefolgt von einer heroischen Periode, in der die verbale Sprache auf den Plan tritt, die allerdings noch keine logische Struktur besitzt, sondern metaphorisch und analogisierend verfährt, weshalb sie symbolische Funktion hat und sich in der poetischen Rede entfaltet. In der dritten Periode, in der komplexe Gesellschaften entstehen, erhält die epistolarische Sprache, die logisch und pragmtisch orientiert ist, Einzug und mit ihr das prosaische Element der Rede. Dieser Gedanke, die Voranstellung der poetischen vor die prosaische Sprache, findet im 18. und 19. Jahrhundert unter dem Einfluss der Romantik ein klares Echo im deutschen Sprachraum (Hamann 1762/ 1993; Herder 1772/ 2002; Biese 1893; Gerber 1871; 1884). Tatsächlich erscheint Vico (1744/ 1928) und nicht der weitgehend unbekannte Clauberg den meisten als Wendepunkt in der Metaphernforschung (Debatin 1995, 32; Biese 1893; Mauthner 1912/ 1982, 483). Denn trotz Vicos Verankerung in mythischen, barocken, griechisch-römischen und poetischen Gedankenelementen beginnt mit ihm eine neue, der humanistischen Tradition verpflichtete sprachhistorische Ära, in der Fragen nach dem Sprachursprung in den Vordergrund treten und die das innovative, kognitive und konstruktive Potential der Metapher akzentuiert, womit Vico eine deutliche Gegenposition zum cartesianischen Rationalismus einnimmt: Entgegen der rationalistischen Verkürzung des Menschen auf das Cogito sieht schon Vico das Individuum als Einheit von Geistigem und Sinnlich-Körperlichem. Der Metapher kommt in der Perspektive Vicos daher „ eine transzendental-hermeneutische Funktion der schöpferischen Welterschließung wie auch eine kognitiv-imaginative Funktion der Welterkenntnis zu “ (Debatin 1995, 37). Ihre Wurzel im Körperlichen leitet er aus einer evolutiven Perspektive ab und erblickt das Grundprinzip der Metapher in der Anthropomorphisierung, indem der Körper als Basis für Übertragungen auf unsere Objektwelt fungiert, so dass wir beispielsweise von Haupt sprechen, wenn wir uns auf einen Gipfel beziehen, von Stirn und Schultern, die mit der Idee des ‚ vor ‘ und ‚ hinter ‘ korrespondieren, von Mund, wenn wir Öffnungen meinen und von Zähnen bei einem Kamm, Pflug oder einer Säge. Gleiches lasse sich im Hinblick auf unsere inneren Befindlichkeiten ausmachen (Hülzer-Vogt 1987, 234). Seine Schlussfolgerung lautet, dass die Metapher zu einer Zeit entstanden sein müsse, in der die Philosophie ihren Anfang nahm, da ihr Hauptantrieb in der Übertragung körperlicher Eigenschaften auf Geistestätigkeiten liege. Auch hier finden wir die für den Erfahrungsrealismus von Lakoff und Johnson so charakteristische anthropologische Komponente: die Wahrnehmung und Konstruktion unserer Wirklichkeit durch die Brille des eigenen Körpers und der eigenen Sinnesorgane. Deshalb wird Vico von vielen als Vorläufer einer Theorie des Kognitiven angesehen, 181 „ die der Kognition eine ‚ sensorisch-motorisch-affektive Matrix ‘ zugrundelegt, in welchen [sic! ] die kognitiven Basisfunktionen nicht-lineare und nichtdirigierte Reorganisationen von Gedanken enthalten. Das heißt, Vico wird auch als Gegenmodell zu algorithmischen, der rationalistischen Tradition verpflichteten Kognitionsmodellen herangezogen und zum Anwalt des ‚ Irrationalen ‘ erklärt, insofern er die emotionalen und körperlichen Grundlagen des Erlebens und der Erfahrung einbezieht “ . (Bertau 1996, 76) Für den sich bereits im 18. Jahrhundert mit semiotischen Fragen beschäftigenden Philosophen Johann Heinrich Lambert, dessen Interesse an epistemologischen Problemen ihn zu einem der bedeutendsten Wegbereiter der kantischen Erkenntniskritik macht, ist die Metapher der Tropus schlechthin, weshalb er auch ihre Doppelfunktion in den Blick nimmt: Die Metapher ist für ihn Erkenntnis- und Kommunikationsinstrument in einem, denn erst durch sie wird der Eindruck, den die Dinge auf den Menschen machen, fassbar, das Abstrakte formulierbar und zugleich mitteilbar (Lambert 1764 b/ 1965, 85). Mit diesem Umweg über den Eindruck vollzieht Lambert eine erkenntnis- und sprachkritische Wende im Hinblick auf die kognitive Funktion von Sprache; parallel dazu geht er aber den kommunikativen Wirkungs- und Steuerungsmechanismen auf den Grund, so dass sich angesichts der von Lambert aufgeworfenen Problemkomplexe eine Rückbesinnung auf seine Ideen als ergiebig erweist: Ausgangspunkt seiner Semiotik ist für Lambert der Wunsch, dem Notwendigen, Willkürlichen und Hypothetischen nachzuspüren. Ungeheuer (1979, 97) entnimmt dieser eigentümlichen Terminologie eine implizite Einführung extrakommunikativer und kommunikativer Blickwinkel auf das Sprachphänomen, denn das ‚ Notwendige ‘ bezieht Lambert auf ein Abbildungsverhältnis zwischen Zeichen und bedeutetem Begriff, das ‚ Willkürliche ‘ auf die Bedeutungen der Zeichen an sich im Sinne einer semiotischen Kennzeichnung der zur Verfügung stehenden sprachlichen Mittel und das ‚ Hypothetische ‘ auf die kommunikative Praxis, den praktischen Vollzug, der von Hypothesen über die Bedeutungen und den Sinn der Rede durch die jeweiligen Kommunikationspartner geleitet wird. Während das Willkürliche mit einem extrakommunikativen Umgang mit den Sprachmitteln in der Systemanalyse korrespondiert, verweist das Hypothetische auf die kommunikative Handhabung, „ auf die sprachlichen Kommunikationsakte und auf das darin enthaltene praktische Problem, wie gegenseitiges Verständnis und Übereinstimmung in Wortbedeutung und Redesinn zu erreichen sei “ (Ungeheuer 1979, 98). Den Grund für die Vergleichung, die von der Metapher vollzogen wird, sieht Lambert (1764 a/ 1965, 483) in der „ Aehnlichkeit des Eindruckes, den die Empfindungen äußerlicher Dinge und die Vorstellung abstracter und unsichtbarer Dinge in uns machen. “ Die Omnipräsenz der Metapher ver- 182 weist auf ihre unverzichtbare Funktion als sprachliches Kommunikationsverfahren (Ungeheuer 1980, 92). Sobald ein metaphorischer Ausdruck von den Sprechern angenommen wird, stellt sich ein Prozess der Habitualisierung ein (Hülzer-Vogt 1987, 26). Schon Lambert sieht die verschiedenen Instanzen der sprachlichen Ebene im Zusammenhang mit einem kognitiven Prinzip, das hinter den metaphorischen Ausdrücken waltet, womit er den eigentlichen Kerngedanken der Konzeptuellen Metapherntheorie vorwegnimmt: „ Hingegen ist es schon längst eingeführt, daß wir das sichtbare mit dem unsichtbaren, die Körperwelt mit der Intellectualwelt, die Empfindungen mit den Gedanken vergleichen, und vor beyde einerley Wörter und Ausdrücke gebrauchen. Die Worte erhalten dadurch nothwendig eine doppelte und zuweilen auch vielfache Bedeutung. Ein Licht im Zimmer haben, und Licht in den Gedanken haben, sind solche Redensarten. “ (Lambert 1764 a/ 1965, 483). Ein solcher Vorgriff auf die konzeptuelle Metapher UNDERSTANDING IS SEEING und auch die kurz darauf von Lambert erwähnten Bildschemata CONTAINER , WEG und KRAFT deuten auf eine implizite Annahme der Domänen-These hin, zumal er hier das semantische Prinzip der Polysemie anspricht, indem er auf die Bedeutungsvielfalt der Wörter hinweist, denen gleichzeitig ein ‚ allgemeinerer ‘ bzw. ‚ transzendenterer Begriff ‘ zugrunde liegt. Aufschlussreich ist sein Verständnis des Tertium Comparationis, das in Anlehnung an dieses Polysemieprinzip generisch in Analogie zur Invarianz-Hypothese von Lakoff (1990) verstanden werden kann: Wie Ungeheuer (1985, 473 - 474) bemerkt, handelt es sich bei dem Vergleichsmoment um denjenigen Inhaltsbestand des Wortes, der bei allem verschiedenen Wortgebrauch konstant bleibt. Wenn Ungeheuer (1985, 474) nun feststellt, dass es Lambert um die Bedeutung geht, „ die aus der Bezeichnungsweise des Wortes bezüglich der Körperwelt zu eruieren ist “ , so kann dies als eine vielleicht etwas umständliche Beschreibung für die bildschematische Grundstruktur gelesen werden, die bei der metaphorischen Projektion unberührt bleibt. Insofern geht es Lambert bei seiner Analyse der Verwendung von Metaphern auch nicht um eine Beispielsammlung metaphorischer Ausdrücke, sondern um ganze semantische Gebiete sowie das ihnen zugrunde liegende kognitive Prinzip, auf das die Fundamentalunterscheidung von Körper- und Intellektualwelt abzielt. Auch die später von Baldauf als ‚ Attributionsmetaphern ‘ verstandenen synästhetischen Ausdrücke finden bei Lambert als „ Vergleichung der Empfindungen mit den Gedanken “ (Lambert 1764 a/ 1965) Eingang. Die Erkenntnisfunktion ist ein zentrales Element seiner Theorie, und er zeigt auf, inwieweit Analogieschlüsse wie etwa die Konstruktion der Luftpumpe in Analogie zur Wasserpumpe über die Sprache hinaus menschliche Alltagshandlungen und -orientierungen bestimmen - ein Aspekt, der bei Lakoff 183 und Johnson fundamental für ihre Begründung des Erfahrungsrealismus wird, indem sie metaphorische Konzepte eben nicht auf ihre Funktion als intellektuelles Werkzeug begrenzt verstehen: „ They also govern our everyday functioning, down to the most mundane details. Our concepts structure what we perceive, how we get around in the world, and how we relate to other people. Our conceptual system thus plays a central role in defining our everyday realities. “ (Lakoff & Johnson 1980/ 2003, 3) In Übereinstimmung mit dem durch Johnson (1999) geprägten conflation- Begriff sieht schon Lambert (1764 a/ 1965, 483) den Ursprung für die Übertragung in zunächst parallel verlaufenden „ Verrichtungen des Leibes “ und denen des „ Verstandes “ , wobei dann später das so gewonnene konkrete Wissen für das Begreifen der rein geistigen Prozesse verwendet wird, so dass wir z. B. unser Gedächtnis als Behälter wahrnehmen, da wir auch wirkliche Objekte in einem Kästchen aufbewahren. Die Verbindung zwischen Kästchen und Gedächtnis resultiert aus der „ Einbildungskraft “ (Lambert 1764 b/ 1965, 144). Die Unidirektionalitäts-, Diachronie- und Kreativitäts-These kommen schließlich in dem zum Ausdruck, was Ungeheuer (1980) unter Bezugnahme auf Lambert (1764 a/ 1965) die „ semantische Tektonik des Wortschatzes “ genannt hat, denn Lambert unterscheidet in seiner Vorrede zwischen drei Stufen der Bedeutungsbildung: (a) Wurzelwörter als Klasse sinnlich wahrnehmbarer Gegenstände; (b) metaphorischer Gebrauch der Wörter der ersten Klasse; (c) Metaphern der Metaebene, die solche der zweiten Stufe voraussetzen. In dem in dieser Klassifizierung bereits angelegten Interesse an Bedeutungswandel und -verschiebung scheinen das von der Kognitiven Metapherntheorie betonte Prinzip der Polysemie und der radial networks schon durchzuschimmern, wobei Lambert (1764 a/ 1965, 73) als Hauptmotiv für das kontinuierliche Wachstum der Sprache nicht primär die steigende Anzahl der Wörter ausmacht, sondern deren wachsenden Bedeutungsumfang. In diesem Sinne dient die Metapher der „ Behebung eines Mangels “ (Bertau 1996, 217), da sie die Ausgangslage kompensiert, bei der einer Vielzahl von Begriffen und Begriffskomplexen eine zu geringe Anzahl von Wörtern gegenübersteht. Es ist dieses Ökonomieprinzip der Sprache, das zu der beschriebenen Entwicklung der stufenweisen Metaphorisierung führt, womit sich jedoch gleichzeitig die Gefahr kommunikativer Missverständnisse vergrößert (Hülzer-Vogt 1987, 46). Demgemäß werden von der ersten zur dritten Wortklasse fortschreitend Wortstreitereien wahrscheinlicher (Ungeheuer 1980, 92). Damit berührt Lambert neben der Ubiquitäts- und Domänen-These wichtige Aspekte der Fokussierungs-These, die ihn auf das Terrain der Kommunikation führen - eine von der Konzeptuellen Metapherntheorie 184 bisher kaum genutzte Verbindung. Er nähert sich diesem Aspekt durch die Frage nach den Kommunikationsproblemen, die metaphorische Bedeutungserweiterungen dadurch nach sich ziehen können, dass der Sprecher in einer entsprechenden Kommunikationssituation einen bestimmten Bedeutungsaspekt hervorhebt, in der nächsten jedoch einen völlig anderen. Darüber hinaus bezieht er auch die Möglichkeit mit ein, dass jedes Individuum die in der Mitteilung proklamierte Vergleichbarkeit auf andere Aspekte appliziert, d. h. eine von den anderen abweichende Selektion vornimmt, denn Lambert ist sich der Arbitrarität der Wortbedeutungen sehr wohl bewusst und führt diesen Sachverhalt darauf zurück, dass „ jeder sich durch ganz individuale Reihen von Gedanken, den Weg zu neuen Metaphern bähnen kann “ (Lambert 1764 b/ 1965, 183). Hülzer-Vogt beschreibt diese von Lambert analysierte Situation als Paradoxon: „ Der Notwendigkeit einer Bedeutungsvielfalt der Wörter, um neue Erkenntnisse in der Sprache erfassen und daraufhin vermitteln zu können, steht die Notwendigkeit einer Idealisierung der Bedeutungsstabilität von Wörtern gegenüber, um unter dieser Bedingung auf eine gelingende Verständigung vertrauen zu können. “ (Hülzer-Vogt 1987, 30, Hervorh. i. O.) Die Kommunikationspartner nehmen so unbewusste Idealisierungen vor, die sie gleichermaßen dem Gegenüber unterstellen: zum einen Sinnhaftigkeit der Bedeutungszuordnungen, die Lambert (1764 b/ 1965, 182 - 183) mit dem Prinzip der ‚ hermeneutischen Billigkeit ‘ beschreibt - hier könnte man eine Analogie zum Relevanzprinzip nach Sperber und Wilson sehen - , 3 zum anderen die Gleichheit der jeweiligen Bedeutungszuordnungen, was Lambert (1764 b/ 1965, 203) mit seinem Prinzip ‚ des Hypothetischen in der Sprache ‘ zum Ausdruck bringt. Obwohl Lambert seiner Metapher im Gegensatz zu ihrer Charakterisierung als loose talk bei Sperber und Wilson noch einen gewissen Sonderstatus dadurch einräumt, dass er sich bei der Betrachtung eventuell auftauchender Kommunikationsprobleme stärker der innovativen als der hinreichend konventionalisierten Metapher zuwendet, kann man gerade an diesen beiden Prinzipien sehr gut aufzeigen, wie es ihm gelingt, das metaphorische Sprechen in eine allgemeine Kommunikationstheorie zu integrieren. So erinnern diese Prinzipien an das gricesche 3 In der Sprachphilosophie findet sich dieser Gedanke im Principle of Charity wieder: Der Interpret begegnet dem zu interpretierenden Gegenstand mit einem gewissen Wohlwollen bzw. einer gewissen Nachsicht: Das Gegenüber erhält einen Vertrauensvorschuss und seinen Äußerungen wird bis zum Beweis des Gegenteils erst einmal zugebilligt, sinnvoll zu sein. In Erweiterung der Ideen Quines beschreibt Davidson (1983/ 2001, 253 - 254) das ‚ Prinzip der Nachsichtigkeit ‘ als Vorgehensweise, bei welcher der Interpret dazu angehalten werde, „ bei seiner Übersetzung oder Interpretation so zu verfahren, daß einige seiner eigenen Wahrheitsmaßstäbe in das Muster der vom Sprecher für wahr gehaltenen Sätze hineingedeutet werden. “ 185 Kooperationsprinzip mit seinen Konversationsmaximen (Grice 1975) und an die schützsche ‚ Generalthese der reziproken Perspektiven ‘ mit ihren Idealisierungen von der ‚ Vertauschbarkeit der Standpunkte ‘ und der ‚ Kongruenz der Relevanzsysteme ‘ (Schütz 1971, 12 - 14). Gerade das Postulat der Reziprozität der Perspektiven kann gleichwohl immer nur bedingt eingelöst werden, womit die Kommunikation fallibel bleibt, was Lambert ja besonders im Hinblick auf die Metapher als Grundprinzip seiner Tektonik der Sprache herausstellt. Eine weitere grundlegende Bestimmung der Metapher als durch die Verwebung von begrifflichem Denken und sinnlicher Anschauung konstitutives Erkenntnisinstrument findet sich - was besonders Jäkel (2003, 116 - 119) herausgearbeitet hat - in der Kritik der reinen Vernunft (1781/ 1986) und in der Kritik der Urteilskraft (1790/ 1990). Kant geht davon aus, dass unseren reinen sinnlichen Begriffen nicht etwa Bilder der Objekte, sondern Schemata zugrunde liegen. Vernunftbegriffe nun, denen keine sinnliche Anschauung direkt entspricht, müssen Kant zufolge indirekt versinnlicht werden. Genau hierin liegt die kognitive Leistung der Metapher, die bei Kant noch Symbol oder Analogie genannt wird. Sie ist für den Übergang zwischen der Gedankenwelt und der empirischen Erfahrungswelt unverzichtbar: „ [. . .] vermittelst einer Analogie (zu welcher man sich auch empirischer Anschauungen bedient), in welcher die Urteilskraft ein doppeltes Geschäft verrichtet, erstlich den Begriff auf den Gegenstand einer sinnlichen Anschauung, und dann zweitens die bloße Regel der Reflexion über jene Anschauung auf einen ganz anderen Gegenstand, von dem der erstere nur das Symbol ist, anzuwenden. So wird ein monarchischer Staat durch einen beseelten Körper, wenn er nach inneren Volksgesetzen, durch eine bloße Maschine aber (wie etwa eine Handmühle), wenn er durch einen einzelnen absoluten Willen beherrscht wird, in beiden Fällen aber nur symbolisch vorgestellt. Denn zwischen einem despotischen Staate und einer Handmühle ist zwar keine Ähnlichkeit, wohl aber zwischen der Regel, über beide und ihre Kausalität zu reflektieren. “ (Kant 1790/ 1990, § 59) Greift man auf die anfangs skizzierten neun Hauptthesen der Konzeptuellen Metapherntheorie zurück, so wird ersichtlich, dass sich allein in diesem kurzen Zitat bereits eine ganze Reihe der dort formulierten kognitiven Grundannahmen wiederfinden lassen: Die Metapher wird nicht als schmückendes Beiwerk uneigentlichen Sprechens, sondern vielmehr im Rahmen einer erkenntnistheoretischen Begründung als notwendig erachtet, wobei auch die Unidirektionalität ihres Verlaufs plausibel erscheint, soweit Begriffe, denen keine sinnliche Anschauung direkt entspricht, vermittels analogischer Übertragung erschlossen werden. Dabei handelt es sich jedoch nicht um vorgegebene Ähnlichkeiten, sondern um die Konstruktion von Ähnlichkeiten, so dass die Metapher als reflexives Mittel der Kategorisierung und 186 Rekategorisierung fungiert. Kant führt weitere Beispiele solch analogischer Projektionen ins Feld, etwa die Auffassung von Rechtsverhältnissen innerhalb eines Sozialwesens als mechanische Anziehung und Abstoßung von Körpern (1790/ 1990, § 90), Zeit als gerichtete Linie (Kant 1781/ 1986, B 50) oder Gottes Schöpfung als Kunstwerk (1781/ 1986, B 655; 1790/ 1990, § 90). Später spitzt der Neokantianer Ernst Cassirer diese Überlegungen in seiner Schrift Philosophie der symbolischen Formen (1923/ 1973) noch zu und erweitert zugleich Kants einseitig an der wissenschaftlichen Erfahrung orientierte Transzendentalphilosophie durch andere Sinn prägende Erfahrungsweisen und -sphären. 4.3 Die Metapher in der psychologisch und historisch geprägten Sprachwissenschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts Während sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kaum Anregungen finden, die auf eine intensivere Beschäftigung mit der kognitiven Verankerung der Metapher hindeuten, erblüht in der zweiten Hälfte namentlich im deutschen Sprachraum eine ganze Reihe von Schriften, die sich mit der Allgegenwärtigkeit der Metapher und ihrer Erkenntnis stiftenden Kraft beschäftigen. Diese Tendenz lässt sich aus einer Verdichtung verschiedener Entwicklungen heraus erklären: Eine wesentliche Rolle spielen in philosophischer Hinsicht der wachsende Einfluss der erkenntnistheoretischen Ideen von Locke, Leibniz und Condillac sowie die mit der Ankündigung der Romantik einhergehende Hinwendung zu sprachgeschichtlichen und anthropologischen Themen, die in den Schriften Hamanns, Herders und Humboldts ihren Niederschlag findet. 4 Im Zuge der neohumboldtianischen Schriften Steinthals (1855) werden psychologische Sprachauffassungen so populär, dass Sprachforscher, Psychologen und Philosophen häufiger die Erarbeitung von Entwicklungsmodellen ins Zentrum ihrer Betrachtungen stellen, bei denen der Gang von der Tropisierung hin zur Konventionalisierung der Sprachzeichen erfasst werden soll. Sprache im Rahmen einer historischen Semantik als dynamisches Gebilde im steten Bedeutungswandel zu untersuchen wird damit eine für die germanistische Sprachwissenschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts leitende Idee, die nicht zuletzt auch an die romantischen Sprachreflexionen Schlegels, Fichtes und Novalis ’ 4 Aarsleff stellt in seiner Untersuchung zur Diskussion über den Sprachursprung vor Herder den Einfluss Condillacs auf Herder heraus - eine Verbindungslinie, die anzeigt, dass nicht erst die deutsche Romantik die Idee der sprachlichen Relativität hervorbringt, sondern dass es sich hier um eine Weiterentwicklung von Impulsen aus dem Umfeld der französischen Aufklärung handelt (Aarsleff 1974; Werlen 2002, 105 - 107). 187 anknüpft und zur Verbreitung der Analogie von Sprache und Organismus beigeträgt - ein metaphorisches Konzept, das seinerseits die Sicht nahezu zwangsläufig in Richtung eines stärker diachronischen Interesses lenkt. Gustav Gerber (1884; 1871) und Alfred Biese (1893) repräsentieren zwei Neoromantiker, die entscheidende Impulse der Konzeptuellen Metapherntheorie nicht nur vorweggenommen haben, sondern durch die Einbeziehung kommunikativer Betrachtungsweisen bereits darüber hinaus gelangt sind. Denn den meisten Denkern in der Nachfolge der Romantik gelingt es nicht, eine wirklich neue Theorie der Bedeutung hervorzubringen, da Bedeutung weiterhin stiefmütterlich in einer psychologisierten und somit simplifizierten Version als „ das mit dem Wort verbundene Ensemble der Vorstellungs- und Erlebnisvorgänge “ (Knobloch 1988, 241) erfasst wird. Gemeinsam ist den Sprachpsychologen und den romantischen Sprachforschern das Interesse am Sprachursprung und den sinnlich-konkreten Urbedeutungen der Sprachmittel, wobei die alten Fragestellungen eine psychologische Wende erfahren, bei der sich der Blick auf die sprachschaffende Seele richtet. Die Einsicht in die gesellschaftliche Fundierung aller sprachlichen Semantik ist zunächst weitgehend versperrt, so dass die psychologische Semantik der damaligen Zeit mit ihren erlebnispsychologischen Prämissen atomistisch und wortbezogen bleibt. Allerdings formiert sich abseits dieser allgemeinen Entwicklung eine Forschungslinie, die sich durch pragmatische Impulse sowohl von den junggrammatischen Arbeiten Osthoffs, Brugmanns und Pauls als auch von den völkerpsychologischen Untersuchungen Wundts und Steinthals abhebt. Hervorzuheben ist hier die für seine Zeit ganz und gar untypische Arbeit des akademischen Außenseiters Philipp Wegener (1885/ 1991), der durch die Etablierung einer funktionalistischen Sprachtheorie als Wegbereiter des Britischen Kontextualismus, insbesondere der Schriften Gardiners, 5 gesehen werden kann und großen Einfluss auf die Untersuchungen Karl Bühlers nimmt. Unverkennbar stark ist indessen die Wahrnehmung und ausführliche Behandlung der grundlegend kognitiven Natur der Metapher. Das Klima wachsender Ablehnung einer Sicht auf die Metapher als verkürztem Vergleich bringt zur damaligen Zeit sogar Handbücher der Literatur und Stilistik hervor, in denen explizit von einer kognitiven Wende in der Metapherntheorie gesprochen wird (Nerlich & Clarke 2001, 50). Ungeachtet der Verbreitung dieser Theorien in den USA durch die philosophische Abhandlung The Metaphor: A Study in the Psychology of Rhetoric von Gertrude Buck (1899/ 1971), welche die neue psychologisierte Metaphernbetrachtung mit den 5 Als Begründer des so genannten British Contextualism waren Gardiner und Malinowski beide auf der Suche nach einer Sprachtheorie, die in ihren Disziplinen anwendbar sei: der Ägyptologie im Falle des ersten und der Anthropologie im Falle des zweiten Vertreters (Nerlich & Clarke 1996, 336 - 339). 188 pragmatischen Einsichten John Deweys vereinigt, scheint die Verbindung zwischen der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstehenden Kognitiven Linguistik zu ihrer Vorläuferbewegung vollständig gekappt zu sein. Zumindest finden die hier versammelten Autoren in den im Verlauf der letzten dreißig Jahren publizierten kognitionstheoretischen Metaphernentwürfen angloamerikanischen Ursprungs keinerlei Erwähnung. Beginnen wir mit den interdisziplinär inspirierten Arbeiten Gerbers und Bieses: Die metaphernanalytischen Erörterungen von Gustav Gerber (1884; 1871) entstehen in sprachkritischer Auseinandersetzung mit Kant als Synthese von philologischem, ästhetischem und philosophischem Interesse, indem Gerber Sprache als Mitteilung, Kunst und Erkenntnis thematisiert: Ganz der romantisch-idealistischen Philosophie verpflichtet ist die sprachliche Darstellungstechnik für ihn eine freie und künstlerische Leistung des Ich, das sich schöpferisch an dem natürlicherweise gegebenen Material betätigt. Darunter fällt die gesamte Sprache mit ihren Regeln zur Bildung, Verwendung und Verknüpfung sprachlicher Symbole, denn die Rhetorik ist bloß der bewusste, die Grammatik hingegen der unbewusste Teil der Sprachkunst. Sprachursprungs- und Erkenntnistheorie verschmelzen deshalb bei Gerber in einer Bildertheorie, was zugleich den Ubiquitäts-charakter des Tropus begründet (Knobloch 1988, 120 - 123). Indem Sprache durch und durch metaphorisch ist, so die Hauptthese, verkörpere sie eine Form von Kunst, bei der Lexik und Grammatik die Darstellungsmittel zur Schaffung dieser verbalen Kunst bereitstellen. In Anlehnung and Humboldts Unterscheidung zwischen ergon und energeia bezieht sich Gerber mit dem Ausdruck ‚ Sprachtechnik ‘ auf solche Darstellungsmittel, wogegen Sprache im künstlerischen Schöpfungsakt dann zur ‚ Sprachkunst ‘ wird. Lautbild und Sprachwurzel kombinieren Auswahl und Notwendigkeit vermittels der Phantasie. Auf diese Verwebung von Bild und Sprache führt Gerber es zurück, dass alle Wörter tropischer Natur seien, was seine Ideen in die Nähe der gleichsam ästhetisch motivierten Schriften Vicos rückt und daneben den sprachkritischen Impetus Nietzsches und Mauthners vorwegnimmt. Denn der unumgänglich erkenntnisskeptische Aspekt dieser Auffassung impliziert für Gerber zugleich das Moment der Hervorhebung und Ausblendung; schließlich kann Sprache als Kunst auch das Denken gleichsam nur künstlerisch darstellen. Insofern hängen Verständnis und Erkenntnis an den erzeugten Figuren, wobei die Wörter zu Hinsichten werden, die aspektiv gegen das Bezeichnete selektieren: „ Wie das Bild des Malers uns die Vollansicht des Gegenstandes zu bringen scheint, ohne doch mehr als eine Seite desselben zu bieten, so meint die Darstellung der Wurzel, des ersten Kunstwerks der Sprache, eine Totalvorstellung, aber sie ergreift und stellt sie dar nur an einem ihrer Merkmale. “ (Gerber 1871, 313) 189 Konsequenterweise verneint Gerber (1871, 333) mit seiner These von der durchgängigen Tropisierung der Sprache die Dichotomie von eigentlicher und uneigentlicher Bedeutung und entwickelt, um der Bedeutung auf den Grund zu gehen, eine Feldtheorie des Wortes, bei der zum Verständnis der Bedeutung Satzsinn, die Umstände, in denen die Sprechenden sich befinden, und der Zusammenhang zwischen Wort und Kommunikationskontext hinzugezogen werden müssen, so dass das Wort als Einheit von Bedeutung und Beziehung wahrgenommen wird. Gerbers Entwurf trägt damit eindeutig gebrauchsorientierte Züge: Gegen die Vorstellung von einer Etikettierung der Gedanken durch Wörter setzt er eine frühe Version der wittgensteinschen Definition von Bedeutung als Gebrauchskonvention (Gerber 1871, 336). Nur im Rahmen habitueller Verbindungen, die Menschen in ihren sozialen Praktiken herstellen, werden die einst bildlichen Ausdrücke zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Verwendung mit dem Attribut ‚ wörtlich ‘ belegt, so, als ob sich eine festgelegte und situationsentbundene Bedeutung ausmachen ließe, obwohl der Ausdruck de facto seine Bedeutung immer nur mit Bezug auf seinen aktuellen Kontext und vor dem Hintergrund eines angesammelten Wissens über dessen Bedeutungsbeziehungen zu anderen Wörtern erlangt (Gerber 1884, 104; Gerber 1871, 299 - 300; Nerlich & Clarke 2001, 44 - 45). Seine ausgiebige Beschäftigung mit feldtheoretischen Problemstellungen führt Gerber daneben zu einer Antizipation einer textsemantischen Betrachtung der Metapher, wie sie später durch Weinrichs Konzept von der ‚ Kondetermination ‘ vertieft wird, 6 denn bereits Gerber erkennt die prinzipielle Unbestimmtheit des Wortes, die sich nur fallweise in Zusammenstellung mit anderen Wörtern und einer gemeinsamen Bezugssphäre konkretisiert und präzisiert. In der fallweisen Bedeutungsrealisierung nun vollzieht sich die Metapher stets als Sphärenmischung, weshalb Gerber auch als Wegbereiter der interaktionistischen Variante der kognitiven Metapherntheorie gesehen werden kann. Dieser gebrauchstheoretische und kontextsensitive Ausgangspunkt führt ihn zu einer Ablehnung falscher Dichotomisierungen von Mensch und Natur, Individuum und Gesellschaft oder Sprache und Kognition, die für ihn artifiziell erzeugte Polarisierungen darstellen, wogegen er Sprach-und Denkakte als untrennbar miteinander verwoben begreift (Gerber 1871, 241). Ein solcher den Tätigkeitscharakter der Metapher hervorkehrender Kerngedanke erinnert unweigerlich an Camerons (2007) kommunikativ ausgerichteter Verortung der metaphorischen Produktion im talking-and-thinking. Ausdrücklich stellt Gerber obendrein heraus, dass er seinen Bildbegriff nicht anschaulich meint, sondern ganz im Stile von Lakoff und Johnson gestalthaft und schematisch verstanden wissen will: 6 Vgl. Kapitel 4.7. 190 „ Antrum ist also nicht Bezeichnung für alle einzelnen Höhlen, sondern es ist ein Lautbild, welches die Vorstellung von einem Innerhalb darstellt und deshalb für die Zwecke der Mittheilung geeignet ist, um Höhlungen zu bezeichnen. “ (Gerber 1871, 248) Als Schemata bleiben die isolierten Wörter damit blass; erst im Kontext der fallweisen Verwendung gelangen sie zu reichhaltiger und potentiell anschaulicher Bedeutungsfülle (Knobloch 1988, 262). Klar ist Gerber auch, dass es sich bei der metaphorischen Projektion nicht um die Übertragung semantischer Eigenschaften handelt, sondern um die der topologischen Struktur des Ausgangsbereichs, die in seiner Terminologie mit dem Ausdruck Proportionen (Gerber 1871, 355) belegt wird. Wenig später greift der Philosoph und Philologe Alfred Biese (1893) in seiner Abhandlung Die Philosophie des Metaphorischen einige Kerngedanken Gerbers und Friedrich Theodor Vischers (1857) auf, der seinerseits eine Bestimmung der Metapher als Sphärenmischung vorwegnimmt. 7 Auch für ihn ist die Metapher kein poetischer Tropus, sondern eine ursprüngliche und notwendige Anschauungsform der Humankognition (Biese 1893, VI, 10). Im Einverständnis mit Gerbers Zurückweisung der Scheidelinie zwischen wörtlicher und figurativer Bedeutung stößt Biese, der obendrein naturwissenschaftlich geschult ist, tiefer in die kognitiven Sphären der Metapher vor und erklärt ihren Modus als einen der kognitiven Wahrnehmung, wobei er sich des kantischen Schemabegriffs besinnt und als grundlegendstes Schema das der Analogie bestimmt: „ Wir kommen nimmermehr darum herum, das Metaphorische, diese wechselseitige Übertragung des Inneren und Äußeren, eine primäre Anschauungsform zu nennen, deren notwendiger sprachlicher Ausdruck die Metapher ist und aus der all unser Denken und Dichten seine charakteristische Färbung gewinnt. Die anthropocentrische Analogie ist jene geheimnisvolle Macht, welche diesen metaphorischen Verschmelzungsprozeß innerer und äußerer Eindrücke in unserem Geiste vollziehen hilft, auf daß wir das Fremde und Neue der Außendinge durch Erkanntes der Innenwelt bewältigen, auf dass wir die Eindrücke der Außendinge mit ihren Formverhältnissen, die wir an ihnen wahrnehmen, als analog den unsrigen und so als Träger eines Inneren deuten. “ (Biese 1893, 15) Wie die Verwendung der Ausdrücke wechselseitige Übertragung und Verschmelzungsprozeß andeuten, setzt Biese ganz wie Vischer an die Stelle des einseitigen Wegs vom Köper zum Seelisch-Geistigen die Idee der psychophysischen Reziprozität - ein bidirektionales Prinzip, das in gleichem Maße für Sprache und Denken gilt: „ Die Sprache ist durch und durch metaphorisch: sie verkörpert das Seelische, und sie vergeistigt das Körperliche “ 7 Vgl. Kapitel 4.8. 191 (Biese 1893, 22). Dennoch fußen seine zahlreichen Beispiele und näheren Ausführungen fast ausschließlich auf der Übertragung unserer Körper- und Erfahrungswelt auf die Sphären des Vorstellens und Fühlens. Sich auf Vico und Jean Paul berufend interpretiert Biese schon den Wahrnehmungsakt selbst als Assimilation der vom Objekt gebotenen Eindrücke mit den inneren Schemata des Menschen, was zur Folge hat, dass das, was der Mensch nicht begreift, personifiziert wird, weshalb sich in unserem Bilde, das wir uns von der Naturwelt machen, Flussarme, Quellmündungen, Meeresbusen, Bergrücken, Tischbeine, Mutterschrauben, tote Punkte und hinkende Vergleiche tummeln (Biese 1893, 28). Umgekehrt strukturieren wir ebenso unser Inneres und dessen Vorgänge vermittels eines körperlichen Agens, was sich u. a. in der Fülle jener Verben zeigt, die wir gebrauchen, um über unsere Gedanken zu sprechen: fassen, begreifen, wahrnehmen, urteilen, sich vorstellen, zum Gegenstande machen, entscheiden, agere, cogitare, volvere, versare, statuere usw. (Biese 1893, 24). Mit Jean Paul sieht Biese daher in denjenigen Metaphern, die unter allen Völkern zu finden sind, ‚ Sprachmenschwerdungen der Natur ‘ . In unterschiedlichen Kapiteln wendet er sich der Rolle der Metapher in den Bereichen der kindlichen Phantasie, Sprache, Religion, Kunst, Philosophie und des Mythos zu. Bieses vorrangiges Interesse richtet sich auf die Anthropomorphisierung der Welt, die er auf das Bedürfnis des Menschen zurückführt, Inneres mit Äußerem, Geist mit Körper, Mikromit Makrokosmos und den Menschen mit der Welt in Analogie zu setzen. Gegenüber dieser neoromantischen Traditionslinie entstehen die Studien Hermann Pauls im Umkreis der Junggrammatiker, die eine strukturelle Beschreibung der Sprache vor dem Hintergrund einer historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft vornehmen und nach Gesetzmäßigkeiten bei der historischen Entwicklung indoeuro-päischer Sprachen suchen. Der sich vorrangig mit Fragen zum Bedeutungswandel und zur Sprachgeschichtsschreibung befassende Sprachwissenschaftler Paul (1880/ 1995) widmet sich in seinem Klassiker Prinzipien der Sprachgeschichte einem weiteren Aspekt, dem bislang nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt wurde: den psychischen Faktoren bei der Sprachgestaltung - allerdings unter Auslassung ihrer sozialen Bedingtheit. Die ins Spiel gebrachten Aspekte stehen vielmehr unter individualpsychologischem Vorzeichen und sind in der Nähe naturwissenschaftlicher Fragestellungen angesiedelt, obwohl in der zweiten Auflage von 1886 Inspirationen von Philipp Wegener sichtbar werden (Gardt 1999, 285). Durch diesen beeinflusst unterscheidet Paul im Rahmen seiner Studien zum Wandel von Wortbedeutungen zwischen ‚ okkasioneller ‘ und ‚ usueller ‘ Bedeutung, wobei erstere den individuellen und situationsbezogenen, letztere den allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet. Paul hat dabei durchaus konkrete Kommunikationssituationen im Auge, denn er spricht zum einen von dem „ Vorstellungsinhalt der Angehörigen einer Sprachgenossenschaft “ , zum anderen von demjenigen Vorstellungsinhalt, „ welchen der Redende, 192 indem er das Wort ausspricht, damit verbindet und von welchem er erwartet, dass ihn auch der Hörende damit verbinde “ (Paul 1880/ 1995, 75). 8 In der Dynamik, die zwischen diesen beiden Formen des Sprachgebrauchs besteht, entdeckt Paul zugleich die zahlreichen Bedeutungen, die ein Wort annehmen kann, und gelangt so zu einer Antizipation des Polysemie-Konzepts sowie der daran anknüpfenden Theorie der radial networks: „ Während der Lautwandel durch eine wiederholte Unterschiebung von etwas unmerklich Verschiedenem zu Stande kommt, wobei also das Alte untergeht zugleich mit der Entstehung des Neuen, ist beim Bedeutungswandel die Erhaltung des Alten durch die Entstehung des Neuen nicht ausgeschlossen. “ (Paul 1880/ 1995, 74) Das ‚ Alte ‘ und das ‚ Neue ‘ , wie Paul es nennt, stehen in einem konkreten Zusammenhang mit seiner Differenzierung zwischen ‚ Konkretem ‘ und ‚ Abstraktem ‘ , denn in Letzterem erblickt er gewissermaßen einen „ allgemeinen Begriff, blossen Vorstellungsinhalt an sich, losgelöst von räumlicher und zeitlicher Begrenzung “ (Paul 1880/ 1995, 75). Wie Paul im weiteren Verlauf seiner Ausführungen illustriert, sind es erst die konkreten Momente mit ihren speziellen Gebrauchskontexten, in denen die Bedeutung der Wörter zu ihrer vollen Entfaltung gelangt, womit er bereits indirekt auf das Bedeutungsproblem der Vagheit aufmerksam macht und den Gedanken Wittgensteins vorwegnimmt, wonach das Wort seine Bedeutung erst im Gebrauch erhalte. Die Metapher betrachtet Paul neben der Spezialisierung, der Selektion und der Metonymisierung als einen weiteren spezifischen Prozess von Bedeutungserweiterung; hier zeichnen sich auffällige Analogien zu den Grundthesen der Kognitiven Linguistik ab. So illustrieren Pörings und Schmitz (2003, 34 - 38) anhand der verschiedenen Bedeutungen des Ausdrucks Schule dessen unterschiedliche Bedeutungsaspekte anhand eines sternförmigen Netzwerks auf der Grundlage von vier Prozessen der Bedeutungserweiterung: der Metyonymisierung, Metaphorisierung, Spezifizierung und Generalisierung. Paul allerdings geht noch einen Schritt weiter und begreift die Metapher sogar als leitendes Prinzip, das für die anderen Verfahren richtungweisend werden kann. Den Ursprung der Metapher sieht Paul (1880/ 1995, 94 - 95) qua ‚ Ausdrucksnot ‘ motiviert, so dass sich nicht selten hinter dem Umschlag von einer okkasionellen hin zu einer usuellen Bedeutung des gleichen Wortes infolge regelmäßiger Wiederholungen das Wirken einer verblassten Metapher verbirgt. Damit wird die Metapher zu 8 Dennoch bleibt sein Ausgangspunkt die abstrakte lexikalische ‚ usuelle ‘ Bedeutung, die dann in Abhängigkeit von einer bestimmten Situation eine spezifische ‚ okkasionelle ‘ Bedeutung hervorbringt, die auch den Bedeutungswandel einläutet, wogegen Wegener das Apriori des aktuellen Sprachgebrauchs unterstreicht (Knobloch 1991, xxxiv). 193 einem Grundelement der „ volkstümlichen Umgangssprache, die immer zu Anschaulichkeit und drastischer Charakterisierung neigt “ (Paul 1880/ 1995, 94 - 95) und ist somit weit davon entfernt, einzig und allein bevorzugtes Ornament der Dichtersprache zu sein. Vielmehr erfüllt sie eine kognitivepistemische Grundfunktion, indem sie das „ ferner liegende [. . .] durch etwas Näherliegendes anschaulicher und vertrauter “ (Paul 1880/ 1995, 95) werden lässt. Erstaunlich ist nun die Fülle an Beispielen, die Paul (1880/ 1995, 95 - 97) aufführt und anhand derer abzulesen ist, dass der Hauptantrieb der metaphorischen Projektionen wie bei der Konzeptuellen Metapherntheorie in der Erfahrung des Menschen und in dessen Interaktion mit der ihn umgebenden Welt liegt: 1. Ähnlichkeit der äußeren Gestalt: Löwenzahn, Buchrücken 2. Ähnlichkeit im Hinblick auf Gestalt und Funktion: Fuß eines Tisches 3. Analogie zwischen räumlichen und zeitlichen Erfahrungen: große Zeiträume 4. Übertragung von Bewegungsausdrücken auf die Zeit: die Zeit rennt 5. Verwendung räumlicher Ausdrücke als Anzeiger für Intensität: tiefgründige Gedanken 6. Übertragung äußerer Raumverhältnisse auf innere: ein Gedanke geht mir im Kopfe herum 7. Übertragung von körperlichen Wirkungen auf geistige: leiten, führen 8. Auffassung von Zuständen als etwas räumlich Ausgedehntes: in Gedanken versunken 9. Auffassung von Zustandsveränderungen als Bewegung: vom Hass zur Liebe übergehen 10. Übertragung der sinnlichen Erfahrung auf eine andere: ein scharfer Ton 11. Übertragung der sinnlichen Erfahrung auf geistige Wahrnehmungen: etwas einsehen 12. Übertragung eigener Tätigkeiten auf leblose Dinge: das Seil will nicht mehr halten Um die frappierenden Ähnlichkeiten mit den von Lakoff und Johnson konstatierten konzeptuellen Metaphern nur kurz anzuzeigen, sei auf ein paar parallelisierbare konzeptuelle Metaphern hingewiesen, welche von den Begründern der Konzeptuellen Metapherntheorie augenscheinlich eingeführt werden, de facto aber schon ein Jahrhundert früher niedergeschrieben wurden: 9 9 Die in Klammern angegebenen Nummern korrespondieren mit denen in der Liste der paulschen Beispiele. 194 (3) = THE TIME ORIENTATION METAPHOR (Lakoff & Johnson 1999, 140) (4) = THE MOVING TIME METAPHOR (Lakoff & Johnson 1999, 141), (5), (6) = MIND AS CONTAINER (Lakoff & Johnson 1999, 338), (7) = PURPOSES ARE DESTINATIONS (Lakoff & Johnson 1999, 190) (8) = STATES ARE CONTAINERS (Lakoff & Johnson 1980/ 2003, 32), (9) = STATES ARE LOCATIONS und CHANGES ARE MOVEMENTS (Lakoff & Johnson 1999, 179), (11) = KNOWING IS SEEING METAPHOR (Lakoff & Johnson 1999, 53 - 54), (12) = PERSONIFICATION (Lakoff & Johnson 1980/ 2003, 33 - 34). Burkhardt (1987, 52) geht aufgrund der offensichtlichen Nähe der Konzeptuellen Metapherntheorie zu den Gedanken Pauls sogar soweit, die Theorie von Lakoff und Johnson als Ausarbeitung der paulschen Metaphernkonzeption zu werten. Wie Paul beschreibt auch Wegener (1885/ 1991) die Metapher als tief in der Alltagssprache wurzelnde maßgebliche Kraft der Sprachentwicklung und weist auf ihren selektiven Charakter hin (Wegener 1885/ 1991, 160), womit besonders die erste, vierte und neunte Hauptthese der Kognitiven Metapherntheorie antizipiert werden. Konträr zu diesem jedoch wählt Wegener einen pragmatischen Ansatzpunkt und legt damit schon früh einen wichtigen Grundstein für die Ausarbeitung einer an der Interaktion orientierten Kommunikationstheorie: „ Wegener was among the first to realize that speaking and understanding are preconditioned by and embedded in practical action and also dependent on the cooperation among the speakers “ (Knobloch 1991, xvi). Besondere Anerkennung verdient sein Brückenschlag zwischen pragmatischen und kognitiven Aspekten der Sprache. Nicht zuletzt darin kommt die Aktualität seines Denkens zum Tragen. Als Ausgangspunkt seiner Untersuchung wählt er eine kommunikative Perspektive und gelangt erst von hier aus zu kognitionstheoretischen Fragestellungen. Demnach ist grundlegendes Ziel des Sprechens immer schon die Beeinflussung des Hörers im Hinblick auf eine bestimmte Handlung, den Willen oder das Bewusstsein des Gegenübers, weshalb verbale Zeichen keineswegs primär epistemologische, sondern imperative Funktion haben. Folglich beginnt Wegener seine Ausarbeitung mit einer Unterscheidung verschiedener Kontextfaktoren, die bei der Bedeutungskonstruktion im kommunikativen Prozess eine entscheidende Rolle spielen und die für ihn zusammengefasst die ‚ Exposition ‘ einer Äußerung ausmachen: a) die sprachliche Erläuterung des logischen Prädikats, was Wegener auch als ‚ Exposition ‘ im engeren Sinne versteht, b) die ‚ Situation der Anschauung ‘ , zu der personelle und zeitliche Rahmenbedingungen zählen, c) die ‚ Situation der Erinnerung ‘ , womit die unmittelbar vorangegangenen Geschehnisse und Handlungsfolgen gemeint sind, d) die ‚ Situation des Bewusstseins ‘ , wobei Wegener 195 domänenspezifische Bedeutungssysteme im Sinn hat und e) schließlich die ‚ Cultursituation ‘ , wozu er die geographische und historische Einbettung einer Äußerung rechnet. Den Kommunikationsprozess betrachtet Wegener nun nicht verkürzt als Kundgabe einer verbalen Repräsentation, die vom Hörer gleichsam wieder zusammengesetzt wird, sondern als einen Bedeutungskonstruktionsprozess, bei dem der Sprecher dem Hörer lediglich ein organisiertes System von Hinweisen zur Verfügung stellt, aus dem sich der Hörer den Sinn der Äußerung in Eigenarbeit erschließen, und das heißt (re) konstruieren, muss, worin man eine Vorwegnahme sowohl der gumperzschen contextualization cues (Gumperz 1982) als auch der griceschen Implikaturentheorie (Grice 1975) erkennen kann, denn der wesentliche Teil der Bedeutung wird aus Ungesagtem, aber Mitgemeintem geschöpft. Genau an dieser Stelle kommt für Wegener das Kognitive ins Spiel, wie einige Beispiele illustrieren mögen, die unmittelbar an die Arbeiten der Kognitiven Linguistik erinnern: So determiniert in Wegeners Sicht erst der Textkontext, welche Domäne unseres Hintergrundwissens aktiviert wird, wenn wir z. B. das Wort Löwe hören, ob sich der Sprecher etwa auf dessen Muskelkraft oder dessen Haltung bezieht. Das impliziert, dass immer nur bestimmte Teile einer Vorstellungsgruppe aktiv sind und zwar diejenigen, die als Exposition des Prädikats dienen (Wegener 1885/ 1991, 49 - 50). Eine pragmatisch-semantische Vorwegnahme des Valenzkonzepts und der Konstruktionsgrammatik Goldbergs (1992) erfolgt in seinen Erläuterungen dazu, wie unterschiedlich wir in Abhängigkeit vom unmittelbaren Textkontext Verben wie geben oder haben verstehen, die bestimmte Erwartungen im Hinblick auf die immer schon mitgedachten Komplemente erwecken - heute würde man sagen, die bestimmte slots aktivieren - , so dass erst die nachträgliche Tilgung der Lücken darüber entscheidet, in welcher Weise wir uns das Verb vorzustellen haben. Auch Spuren der Frame- Semantik, des Erfahrungsrealismus ’ sowie des ‚ Schema ‘ - ‚ Script ‘ - und ‚ Scenario ‘ -Begriffs sind bei Wegener schon zu finden, da er davon überzeugt ist, dass erst aus unserer „ Erfahrung die Erwartung einer bestimmten Weiterentwicklung des Geschehens resultiert und daraus das Schema, wie wir Handlungsfolgen glauben verknüpfen zu müssen “ (Wegener 1885/ 1991, 131). Auf die Frage, wie wir in diesem Rahmen Neues verstehen, nimmt Wegener die Antwort der Kognitiven Semantik und die darin implizierte Notwendigkeits- und Ubiquitäts-These vorweg (Wegener 1885/ 1991, 178): durch Aktivierung von Schemata und Erfahrungsmustern via Analogiebildung und Vergleich: „ Und bevor die Sprache für das logische Subject abgeblasste Worte hatte, war sie unfähig, die Situation anders als durch Hinweis auf die Situation der Anschauung zu bezeichnen. “ (Wegener 1885/ 1991, 54) 196 Die Beispiele für solche Metaphern, die Wegener an verschiedenen Stellen seiner Abhandlung gibt, stammen aus der Alltagssprache und umfassen Präfixverben wie solche mit Verbzusätzen, etwa die Ausdrücke „ ich weise ein Anerbieten zurück “ , „ ich lehne etwas ab “ , „ ich räume ein “ oder „ ich beschreibe mündlich das Haus “ (Wegener 1885/ 1991, 136), Funktionsverbgefüge wie „ den Punkt beiseite lassen “ (Wegener 1885/ 1991, 136) und lokale Beschreibungen wie „ auf dem Wege des Frevels “ oder „ auf den Bahnen der Sünde “ (Wegener 1885/ 1991, 142). Solche Ausdrücke betrachtet Wegener wie die Kognitive Semantik als Indiz dafür, „ . . . dass feste Raummuster in unserem Inneren vorhanden sind, nach denen wir räumliche Mitteilung verstehen und dass wir ebenso Muster unserer Bewegung im Raume in unserer Seele tragen, aus denen wir Bewegungsmitteilungen ergänzen und so verstehen. “ (Wegener 1885/ 1991, 165) Wie Paul hält auch Wegener die Analogiebildung für den entscheidenden Mechanismus des Bedeutungswandels und entwickelt ein dreistufiges Modell des ‚ Abblassens ‘ einer Metapher kraft ihres konstanten Sprachgebrauchs, wobei er wie Lakoff und Johnson nicht von einzelnen Ausdrücken, sondern von ‚ Gruppen ‘ spricht: „ Die Metapher beruht auf der Verbindung von Vorstellungsgruppen nach partieller Gleichheit “ (Wegener 1885/ 1991, 52). Metaphorische Ausdrücke wie der Krieg entbrennt oder der Krieg bricht aus, die in Analogie zur Terminologie von Lakoff und Johnson eine konzeptuelle Metapher der Form KONFLIKT IST FEUER widerspiegeln, sind den Sprachbenutzern jedoch in der Perspektive Wegeners ob ihrer starken Konventionalisierung nicht mehr bewusst (Baldauf 1997, 287). Wie Wegener selbst formuliert, bedeutet dies, es werde „ nur der von der Situation geforderte Sinn empfunden, die Vorstellungen, welche mit dem Worte entbrennen sonst verbunden werden, sind in dieser Verbindung total vergessen “ (Wegener 1885/ 1991, 52). Wegener nimmt an dieser Stelle die Erklärung dafür vorweg, warum Hörer entgegen der Annahme der pragmatischen Metapherntheorie Searles (1979/ 1993) eine Metapher nicht in einem zweistufigen Prozess verstehen, sondern ebenso schnell prozessieren wie jede andere lexikalische Einheit (Sperber & Wilson 2008; Hoffman & Kemper 1987; Gibbs 1994). 10 Das Abblassen vollzieht sich in drei Schritten: (a) Dem neuen metaphorischen Ausdruck wird eine expositionelle Ausführung der bildlichen Vorstellung hinzugefügt, z. B. Der Krieg lodert auf wie ein Feuer; (b) Der Vergleich wird durch seine Bekanntheit abgekürzt und komprimiert, z. B. Der Krieg lodert auf; (c) Es werden nur noch „ in der Gruppe Krieg liegende Vorstellungen bewusst, nicht mehr solche aus der Gruppe Feuer, z. B. Der Krieg 10 Vgl. Kapitel 3.4.1 und 3.4.3. 197 bricht aus (Wegener 1885/ 1991, 52). 11 Noch einmal wird an dieser Stelle deutlich, dass Wegener tatsächlich zwei Ebenen - eine kognitive und eine sprachliche - vorschweben müssen, auch wenn dies nicht explizit gesagt wird, denn der dritte Ausdruck in obigem Beispiel ist ein anderer als der in (a) und (b), obwohl Wegener zugleich auf die Ursprungsdomäne ‚ Feuer ‘ verweist, die in seiner Terminologie Gruppe genannt wird, so dass wir von einer Differenzierung von ‚ metaphorischem Ausdruck ‘ und ‚ konzeptueller Metapher ‘ ausgehen können. Hülzer-Vogt (1987, 60 - 106) beschäftigt sich in ihrer Studie eingehender mit der Frage nach dem Prozess des ‚ Abblassens ‘ der Metapher bei Wegener, der bei der Hinwendung zu dieser Fragestellung besonders den Hörer in den Vordergrund stellt: Ist die Metapher noch innovativ, entfaltet sie ihre Kraft über die Exposition, die den Hörer darauf hinweist, wie er sich das Bildhafte der Metapher vorzustellen hat, und die das gesamte kommunikative Setting umfasst. Für den Kontext selbst sind schließlich noch die ‚ Suggestion ‘ und ‚ Sympathie ‘ relevant, die beide auf das Hörerverhalten einwirken und so das Kommunikationsgeschehen mitsteuern. Insofern scheint Wegeners Entwurf der Metapher hochaktuell zu sein, berührt er mit einem dermaßen umfassenden Kommunikationsrahmen doch genau die Punkte, die in neueren Arbeiten, wie im dritten Kapitel dargestellt wurde, zunehmend wieder an Terrain gewinnen, während sie in der ersten Generation kognitiver Metapherntheorien weitgehend ausgeblendet wurden. Die Lenkung der Aufmerksamkeit auf den Hörer als Aktivposten erweitert das monologische Fundament, denn Wegener bestimmt die Bedeutung der Sprachmittel von der kommunikativen Wirkungsabsicht her, die der Sprecher hat und der Hörer unterstellt. Die Bedeutung der Metapher wie die jedes Wortes wird instrumentell und auf den hörerseitigen Auslösewert bezogen, d. h. die Metapher ist Sprachmittel zur Steuerung der Kognitionen des Hörers. Im Hinblick auf den Hörer konstatiert Wegener, dass der metaphorische Ausdruck mit der Zeit das ursprüngliche Bild im Hörer nicht mehr hervorzurufen vermag, da der unverwertbare Rest der Metapher nach und nach immer stärker im Verschwinden begriffen ist, so dass die Verbindungen zum Originalkontext gekappt werden. Dadurch verliert die Metapher ihre hervorstechende Fähigkeit, in verschiedenen Situationen eine je andere Bedeutung zu erlangen und wird zu einer Stereotype degradiert, wobei ihre inkongruenten Qualitäten nicht mehr bemerkt werden. Mit diesem diachronischen Aspekt auf Rezeptionsseite haben sich die kognitiven Metapherntheorien in der Nachfolge von Lakoff und Johnson bisher noch nicht eingehender beschäftigt; aber gerade eine solch gewagte und zugleich anregende Hypothese 11 Mauthner (1912/ 1982, 486) greift genau dasselbe Beispiel wieder auf. 198 wäre vor dem Hintergrund der heutigen technischen Möglichkeiten sicherlich eine Herausforderung für künftige psycholinguistische Experimente. 4.4 Sprachkritische Metaphernkonzeptionen in der Philosophie um die Jahrhundertwende Nietzsche, der mit den Ideen Gerbers wohl vertraut war (Ungeheuer 1983 b, 186), gibt der Erkenntniskritik Kants im ausgehenden 19. Jahrhundert eine sprachskeptische Wendung, die sich besonders in seinem Aufsatz Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne (Nietzsche 1873/ 1999) niederschlägt. Entgegen einer logischen Sprachauffassung, derzufolge sich Sprache vornehmlich in Sätzen entfaltet, die den Gedankengang von Urteilen repräsentieren, schließt Nietzsche an nominalistische Standpunkte an und radikalisiert sie in seiner ins Negative gewendeten Sprachauffassung. Konstituieren Vicos Ausführungen noch eine tendenziell transzendentalphilosophische und -hermeneutische Theorie poetischer Erkenntnis, gerinnt die Einsicht in den Ubiquitätscharakter der Metapher bei Nietzsche zu einer radikalen Erkenntnis- und Sprachkritik, die sich später bei Mauthner (1912/ 1982) und Vaihinger (1911/ 1920) fortsetzt. Zwei Probleme der Sprachphilosophie interessieren Nietzsche in seinen Abhandlungen und Aphorismen in wiederkehrender Form: a) die Frage nach der Möglichkeit von sprachlicher Kommunikation mit anderen Menschen und b) das tatsächliche Potenzial von Sprache bei der Wahrheitsfindung. Beide Fragen beantwortet er negativ (Ungeheuer 1983 b, 198) und stellt den suggestiven, Gewalt ausübendem Charakter von Sprache in den Vordergrund, womit er einen Pfad einschlägt, der auch von Mauthner, Wegener, Bühler und Ungeheuer beschritten wird. Die Vergeblichkeit sprachlicher Mitteilung entlarvt er, indem er die menschlichen Worte als „ Schein-Brücken zwischen Ewig-Geschiedenem “ (Nietzsche 1884/ 1994, 3, 307, § 2) beschreibt, die dem Kommunizierenden den Zugang zum Seelenleben des anderen letztlich nur vorspiegeln. Sprache ist damit auch weit davon entfernt, als adäquates Mittel zur Erschließung der Wirklichkeit zu taugen, weshalb unser Glaube an den Wahrheitswert der Weltobjekte lediglich auf der Selbstüberschätzung und Selbsttäuschung des Menschen als Überlebensstrategie beruht. In praxi ist Sprachgebrauch nichts weiter als tradierte Konvention, die den Status einer Verabredung hat. Damit verschleiert die Sprache, dass der Mensch mit seiner Rede nur scheinbar das Wesen der Dinge erfasst, in Wahrheit aber eine zweite Welt neben der ersten erfindet, da ihm jene verschlossen bleibt. An diesem Verschleierungsprozess hat die Metapher als sprachliches Grundprinzip und „ Fundamentaltrieb des Menschen “ (Nietzsche 1873/ 1999, 887) einen wesentlichen Anteil: 199 „ Wir glauben etwas von den Dingen selbst zu wissen, wenn wir von Bäumen, Farben, Schnee und Blumen reden, und besitzen doch nichts als Metaphern der Dinge, die den ursprünglichen Wesenheiten ganz und gar nicht entsprechen. “ (Nietzsche 1873/ 1999, 879). Alle Begriffe seien Resultat unserer spezifischen Perspektive auf die Dinge, gesteuert durch fundamentale Anschauungsmetaphern, die ihrerseits auf die Transformation von Nervenreizen in Sinneswahrnehmungen zurückgehen, womit Nietzsche jegliche korrespondenztheoretische Sprachontologie bereits im Keim als Trug entlarvt und in eine Theorie der interessengeleiteten Sprachkonventionen umdeutet. Dementsprechend bildet das qua übertragenem Nervenreiz gewonnene Bild die erste Metapher, auf deren Grundlage sich dann die zweite kraft der Übersetzung des Bildes in einen Laut formiert (Nietzsche 1873/ 1999, 879). Nietzsches Metaphernbegriff setzt also auf der fundamentalsten Stufe menschlichen Auffassungsvermögens an, ab dem Moment, in dem die Begriffsbildung beginnt, die immer nur ein „ Gleichsetzen des Nicht-Gleichen “ (Nietzsche 1873/ 1999, 880) sein kann. Ungleiche Handlungen und das Individuelle des Wirklichen werden demnach im Begriff in eine qualitas occulta überführt, weshalb die angestrebte Wahrheit, nach der die Menschheit sich sehnt, zu einer Flut von Metaphern gerinnt, deren Ursprung in gemeinschaftlich ausgehandelten Konventionen liegt, die uns aber nicht mehr bewusst sind, da Metaphern durch ihren wiederholten Gebrauch als Wirklichkeit wahrgenommen werden. Wie Vico versteht Nietzsche die Metaphysik und menschlichen Begriffe als Fortsetzung der Mythologie mit ihrem Glauben and Geister und Götter, wobei es ihm jedoch eher um eine Bewertung der Menschheitsgeschichte als illusionär, als Setzung einer Scheinwirklichkeit geht, die aus einem Missverständnis resultiert (Ungeheuer 1983 b, 142). Der waltende psychologische Mechanismus hinter der Setzung von metaphorisch erzeugten Scheinwahrheiten liegt für Nietzsche in dem schon von Aristoteles benannten Grundzug menschlicher Erkenntnispraxis, Unbekanntes auf Bekanntes zurückzuführen, wobei Nietzsche diesen Grundzug nun allerdings als „ Elementaroperation des täuschenden Intellekts “ (Ungeheuer 1983 b, 181) abwertet, welcher der Mensch erliege, da sie ihm Beruhigung und Erleichterung verschaffe: „ Mit dem Unbekannten ist die Gefahr, die Unruhe, die Sorge gegeben, - der erste Instinkt geht dahin, diese peinlichen Zustände wegzuschaffen. “ (Nietzsche 1889/ 1994, 316, § 5). Nietzsche vertritt also wie die gesamte Sprachkritik eine radikale Version der Ubiquitäts-These sowie eine allerdings ins Negative gewendete Notwendigkeits-These. Gleichermaßen findet sich die Idee der Unidirektionalitäts-These, wurzelt die Metapher doch bereits in unseren Nervenreizen, so dass sich die Wissenschaftssprache als „ Begräbnisstätte der Anschauung “ 200 (Nietzsche 1873/ 1999, 886) durch das Verblassen von Metaphern einstellt und die „ anschauliche Welt “ im Abstrakten zum „ Residuum einer Metapher “ (Nietzsche 1873/ 1999, 882) wird: „ Alles, was den Menschen gegen das Thier abhebt, hängt von dieser Fähigkeit ab, die anschaulichen Metaphern zu einem Schema zu verflüchtigen, also ein Bild in einen Begriff aufzulösen “ (Nietzsche 1873/ 1999, 881). Trotz des wichtigen Impulses, den Nietzsche zweifelsohne in Richtung der Sprachkritiker Mauthner und Vaihinger aussendet, scheinen seine eigenen Ausführungen zum Teil aphoristisch zu bleiben, da vieles unausgesprochen im Kontext seiner allgemeinen Sprachkritik mitschwingt, die eben aufgrund dieses skeptischen Verhältnisses zur Sprache selbst nicht systematisiert wird, wie Ungeheuer hervorhebt: „ Freilich bleibt das genaue Verhältnis von Intellekt und Metapherntrieb unerörtert, wie sich auch insgesamt herausstellt, daß sich Nietzsches Gedankenarbeit in viel höherem Maße in der kritischen Analyse von wissenschaftlicher Theorie und menschlicher Lebenspraxis als in der Synthese eigener Theoriekonstruktion auslebt. “ (Ungeheuer 1983 b, 172) Angeregt durch eine historisch-semasiologische Perspektive des Bedeutungswandels erblickt zu Beginn des 20. Jahrhunderts wie schon Paul und Wegener auch der Sprachkritiker Fritz Mauthner (1906/ 1982, 36) in der Metapher die Grundquelle jeglicher Sprachentwicklung, wobei er selbst Sprache in Analogie zu einem in stetem Wachstum begriffenen Organismus beschreibt, (Mauthner 1912/ 1982, 451). Dies interpretiert Mauthner jedoch nicht als Segen, sondern als Fluch, als Verlust von Klarheit, da die Bedeutungen der Wörter allmählich verblassen, „ ihre scharfen Definitionen verlieren und damit ihren alten Wert “ (Mauthner 1912/ 1982, 490). Als Beispiel nennt er u. a. die Banalisierung von Bedeutungen wie riesig, kolossal oder schrecklich, da solche Wörter heute in jeder Konversation angewendet und damit gleichzeitig immer beliebiger werden. Zunächst wenden Sprecher solche Wörter als bloße Übertreibungen an; schnell jedoch wird dieses Prinzip der ‚ hyperbolischen Metapher ‘ grundlegend für jede Form des Bedeutungswandels. Ihren Ausgangspunkt nimmt die Metapher in der sinnlich-physiologischen Beschaffenheit des menschlichen Lebens, weshalb Mauthner (1912/ 1982, 479) das Weltwissen, über das der Mensch zu verfügen glaubt, auch als ‚ anthropomorphisch ‘ bezeichnet, eine Ausgangsposition, die dem Erfahrungsrealismus von Lakoff und Johnson nahe kommt. Während diese jedoch in Überwindung der objektivistischen und subjektivistischen Extreme zu einer Position des embodied realism gelangen, ist Mauthners Metaphern- und Sprachauffassung von einem tiefen Skeptizismus getragen. Der Sprache schreibt er halluzinatorische Kraft zu, da sie den Menschen in Gestalt sozialer Macht Zwangsvorstellungen suggeriere (Mauthner 1906/ 1982, 43). Wissen 201 über die Wirklichkeit zu produzieren bedeutet für ihn keinen Fortschritt, sondern die Klassifizierung von etwas bislang Unbekanntem unter etwas Bekanntes. Die Wurzel dieses Übels sieht er bereits in unseren selektiv verfahrenden ‚ Zufallssinnen ‘ (Mauthner 1906/ 1982, 353 - 415) begründet, die dann zu den Auswüchsen des ‚ Wortaberglaubens ‘ und des ‚ Wortfetisch ‘ führen (Mauthner 1906/ 1982, 155 - 175), da letztlich „ jedes unserer Worte, auch das abstrakteste, schließlich auf Sinneseindrücke zurückgeht “ (Mauthner 1912/ 1982, 505). So vereinigt die Wortkunst die Daten der Zufallssinne zu einem Bilde. Dieses Bild jedoch ist keins von der Wirklichkeit, sondern es ruft „ immer nur Bilder von Bildern von Bildern “ (Mauthner 1906/ 1982, 114) hervor. Sprachgeschichte wird so zu einer ewigen Bilderjagd. Jeder Neologismus hat seinen Ursprung in einer Beschreibung, die in ihrem Verblassen ein bildliches Wort entwickelt, das mit dem Verlust von Konkretheit einhergeht. Der umfassende Begriff ist deshalb nur ausufernde Metapher, Abstraktion nichts weiter als fortschreitende Entleerung der vorhandenen Bilder, so dass Bedeutungswandel mit dem Unbewusstwerden der Metapher beginnt. Damit bleibt uns der Zugriff auf eine Außenwelt für immer verwehrt; als Erkenntnisinstrument erweist sich Sprache als untauglich, weshalb Mauthner von dem Wunsch beseelt ist, die „ Philosophie in Psychologie aufgehen zu lassen “ (Mauthner 1912/ 1982, 466). Mauthner deckt auf, was dem Menschen wegen der reifizierenden Macht der Sprache verborgen bleibt, womit der Wahrheitsbegriff nominalistisch und sensualistisch aufgelöst wird. Sein dreibändiges Werk Beiträge zu einer Kritik der Sprache lehnt sich in diesem sprachskeptizistischen Sinne ähnlich wie Nietzsches Abhandlung an die kantische Vernunftkritik an, der es an einer Metakritik der Vernunft in Form einer radikalen Sprachkritik fehle (Mauthner 1912/ 1982, 479). Für Mauthner müssen auf Erkenntnis und Wahrheit ausgerichtete Philosophien notwendig scheitern, weil sie auf dem Verfall der Worte keimen. Tatsächlich gibt es weder ein denotativ beschaffenes Sprachsystem, noch die Einzelsprache einer Kulturgemeinschaft, ja, genau genommen nicht einmal die Individualsprache jedes Einzelnen, da erfahrbar nur die momentane Bewegung des Sprachorgans ist, die zwei Seiten hat: die der innerlichen Bewegungsvorstellung und die der äußerlichen Schallerregung. Der Gebrauch von Wörtern beschwört nichts weiter als die Erinnerung an vergangene visuelle Eindrücke, so dass sich Sprache letztlich in einem eigengesetzlichen Bereich abspielt: Sie ist Gedächtnis, Erinnerung und verbleibt deswegen im Rahmen des schon Gewussten. Etwas Neues kann dabei nicht herauskommen, „ so wenig wie durch millionenfache Kombinationen und Permutationen der zehn Zifferzeichen der Wert der Welt um ein Atom vermehrt werden kann “ (Mauthner 1906/ 1982, 49). Infolgedessen scheitern auch die Wissenschaften an ihrer unumgänglichen Metaphorizität, wie er anhand von Religion, Philosophie und Psychologie aufzeigt (Mauthner 1906/ 1982, 243 - 353). 202 So transformiert die Psychologie etwa die bereits zur Erkenntnis der Außenwelt sprachlich verfassten Kategorien lediglich auf die Innenwelt und glaubt, Rätsel lösen zu können, indem sie ihr Namen einer materialistischen Sprache verleiht wie Unterbewusstsein. Nun ist die Metapher wie für die Konzeptuelle Metapherntheorie auch für Mauthner bei weitem nicht auf Sprache beschränkt, liegt doch der Metapher ein grundlegendes Bedürfnis zugrunde: das der ‚ psychologischen Vergleichung ‘ (Mauthner 1912/ 1982, 462), die sich bis auf die elementaren Vorgänge der Apperzeption zurückverfolgen lässt, womit Mauthner seine erfahrungsbasierte Position untermauert. Damit wird „ der Verstand oder das menschliche Denken oder die Sprache durch und durch metaphorisch “ (Mauthner 1912/ 1982, 463). Als Beispiele für metaphorische Vergleichungen nennt er die Strukturierung von Zeit durch räumliche Ausdrücke wie lang oder kurz und die Umschreibung von Tonhöhen vermittels von Raum- oder Farbwörtern wie tief und hell (Mauthner 1912/ 1982, 451). Vor allem aber wendet er sich der Personifikation zu, die er als Ausgangspunkt und Schlüssel für unseren anthropomorphischen Wirklichkeitsentwurf ausmacht, weil er davon überzeugt ist, „ daß die tiefste und letzte Schablone des Denkens, der Begriff der Kausalität, ohne welchen die Wissenschaft und die Welterkenntnis aufhören, auf diesem Bedürfnis des Personifizierens beruht “ (Mauthner 1912/ 1982, 461 - 462). Im Kontext dieses Gefangenseins in unseren Zufallssinnen und unserem Anthropozentrismus thematisiert Mauthner auch den Gedanken, der in der Fokussierungs-These zum Ausdruck kommt: Die relativistisch konzipierte ‚ innere Sprachform ‘ Humboldts sieht Mauthner (1912/ 1982, 523) im Zusammenhang von Sprachgebrauch, unbewusster Volksetymologie und Gefühlston wirken: „ Wenn wir ‚ Schlange ‘ sagen, wo der Römer ‚ serpens ‘ sagte, wenn wir also den Namen von dem Sinneseindruck des Ringelns, die Römer ihn von dem Sinneseindruck der kriechenden Bewegung nehmen, so hat der Römer wie der Deutsche dabei das ganz naive Gefühl, das Tier richtig bezeichnet zu haben. Die innere Sprachform Humboldts ist die Hervorhebung eines einzigen Merkmals an einem Gegenstande, der doch der Sprache mehrere Merkmale zur Verfügung gestellt hätte. “ (Mauthner 1912/ 1982, 523) Da sich Mauthners Ansatz jedoch primär am Bedeutungswandel ausrichtet, betreffen die meisten Beispiele, die er gibt, eher Einzelwörter und deren zunehmend metaphorische Bedeutungsextension auf der Basis ihrer etymologischen Ausgangsbedeutung, z. B. der des Ausdrucks Flügel, der zunächst lediglich ‚ Vogelfittich ‘ bedeutet, dann aber Schritt für Schritt auf andere Bedeutungsdimensionen ausgeweitet wird, z. B. ‚ seitlicher Teil einer Windmühle, ‚ seitlicher Teil einer Armee, ‚ seitlicher Teil eines Schlosses (Mauthner 1912/ 1982, 489). 203 Im Rahmen solcher Wortanalysen thematisiert Mauthner auch das Phänomen der ‚ Bildvermischung ‘ oder des ‚ Bildermischmaschs ‘ (Mauthner 1912/ 1982, 500 - 501), das er in Anlehnung an den wegen seines Wortwitzes und der darin verborgenen Zusammenstellungen widersprüchlicher Sprachbilder so genannten Redakteurs der Berliner Zeitschrift Kladderadatsch ‚ Wippchen ‘ (Mauthner 1912/ 1982, 497 - 505) nennt. Die Parallelen zu Lakoff und Johnsons mixed metaphors und Fauconnier und Turners double-scope networks sind leicht erkennbar, und Mauthner spricht im Anschluss an Paul (1880/ 1995, 160 - 173) von ‚ Kontamination ‘ : Während Paul dieses Phänomen jedoch weitgehend als ein morphologisches und syntaktisches beschreibt, richtet Mauthner (1912/ 1982, 499) sein Hauptaugenmerk auf das „ Ineinanderfließen zweier Sprachbilder “ und sieht diese Verschmelzung als allgegenwärtigen Mechanismus in der Sprache der Zeitungen und Parlamente ebenso wie in der Sprache der Dichter, wo sie dann angesichts ihrer Originalität und Innovationskraft nur stärker auffallen. Auch weist er (Mauthner 1912/ 1982, 502 - 504) darauf hin, dass die Bilder in diesem Fall häufig nicht zusammenpassen, im Sinne Fauconnier und Turners also zu clashs führten, was auf der Basis seiner Beispiele - Antlitz der Erde oder Antlitz der Füße - insbesondere damit zusammenhängt, dass beide Bilder konkreten Ausgangsdomänen entspringen. Einen ‚ Mutationsansatz ‘ vertritt nach Simon (2007) nicht nur Mauthner, sondern auch der dem alltäglichen wie wissenschaftlichen Sprachgebrauch zugewandte Philosoph und Gründer der Kant-Gesellschaft Hans Vaihinger in seinem Hauptwerk Die Philosophie des Als Ob (1911/ 1920). Beeinflusst von der physiologischen Psychologie Wundts und der Sprachpsychologie Steinthals einerseits sowie von den Ausführungen Lamberts und Kants zum symbolischen Erkenntnisvermögens andererseits arbeitet Vaihinger eine Philosophie des ‚ Als-Ob ‘ aus, derzufolge jegliche Erkenntnis hypothetische Fiktion sei, deren Wahrheitsgehalt sich nur an ihrem praktischen Lebenswert messen kann, womit er seiner Theorie eine pragmatische Wende gibt. Zentral wird dabei der Gedanke, dass der psychische Organismus auf die Außenreize zweckmäßig reagiere, weshalb das Bewusstsein niemals die Außenwelt zu spiegeln imstande ist, sondern aktiv als organische Gestaltungskraft „ nicht bloss aufnehmend “ , sondern ebenso „ aneignend und verarbeitend “ (Vaihinger 1911/ 1920) in Erscheinung tritt. Die sich aus dieser geistigen Tätigkeit ergebenden Vorstellungsgebilde dienen dem Menschen als Instrument, um sich in der Wirklichkeitswelt zu orientieren (Vaihinger 1911/ 1920, 23). Wie für Kant ist auch für Vaihinger das An-sich der Wirklichkeit nicht erschließbar, sondern lediglich im Sinne eines ‚ Als-ob ‘ handhabbar: „ Das menschliche Vorstellungsgebilde der Welt ist ein ungeheures Gewebe von Fiktionen voll logischer Widersprüche, d. h. von wissenschaftlichen 204 Erdichtungen zu praktischen Zwecken bzw. von inadäquaten, subjektiven, bildlichen Vorstellungsweisen, deren Zusammentreffen mit der Wirklichkeit von vornherein ausgeschlossen ist. “ (Vaihinger 1911/ 1920, 14). Zur Metapher gelangt Vaihinger über eine Systematik der Fiktionsarten, zu denen er u. a. die ‚ schematischen ‘ und die ‚ symbolischen Fiktionen ‘ zählt. Erstere betrachtet er als „ Knochengerüste eines bestimmten Komplexes “ (Vaihinger 1911/ 1920, 36), auf deren Grundlage der Mensch seine abstraktsubjektiven Vorstellungsgebilde formiert. Die Metapher fällt in die zweite Kategorie der ‚ symbolischen Fiktionen ‘ . Ihren Mechanismus, den er auf der Ebene des Denkens ansiedelt, beschreibt er in Anlehnung an Steinthal als Apperzeption einer neuen Anschauung auf der Grundlage eines Vorstellungsgebildes, „ in dem ein ähnliches Verhältnis, eine analoge Proportion obwaltet, wie in der beobachteten Wahrnehmungsreihe “ (Vaihinger 1911/ 1920, 40). Zeichnen Theologen das Verhältnis von Gott zur Welt in Analogie zu jenem des Vaters zu seinem Kind, so haben wir es hierbei laut Vaihinger mit einem ‚ erkenntnistheoretischen Kunstgriff ‘ zu tun, den er in die Nähe des Mythos rückt. Wie Kant spricht Vaihinger indes nur selten von ‚ Metapher ‘ und hält stattdessen die Ausdrücke ‚ symbolische ‘ bzw. ‚ analogische Fiktion ‘ oder ‚ erkenntnistheoretische Analogien ‘ für angemessener, die er einerseits als abgeleitet aus den menschlichen inneren Erfahrungen und subjektiven Verhältnissen sieht (Vaihinger 1911/ 1920, 313) und andererseits für unverzichtbare Fiktionen hält, ohne die sich Metaphysik kaum praktizieren ließe. Ubiquitäts- und Notwendigkeits-These sowie das erfahrungsrealistische Diktum vom embodiment sind hier vorweggenommen. Auf diese Weise stellt für ihn die Metapher, die er als „ Kaskade von Umwandlungen “ (Simon 2007, 2) begreift, einen Grundmechanismus unserer verstehenden Aneignung der Welt dar: „ Alles Erkennen ist Apperzipieren durch ein Anderes “ (Vaihinger 1911/ 1920, 42). Der Wirklichkeit Erkennende und In-der-Welt-Handelnde wirft also nur ein Arsenal von Metaphern über dieselbe, wo er doch glaubt, die Welt selbst erblickt zu haben, wodurch der Erkenntnis Fiktivitätscharakter zukommt; Kategorien sind realiter bloße Analogien (Vaihinger 1911/ 1920, 317). Vaihinger erkennt dabei bereits die Fokussierungswirkung der Metapher, wenn er sagt, sie schneide aus einem Bedeutungsfeld lediglich Segmente heraus, die dann in einen anderen Bedeutungsbereich hineinverpflanzt werden, so dass es zwangsläufig zu Bedeutungsveränderungen komme. Damit ist der Untergebene, der ein Dach mit Ziegeln versieht, nicht in der sinnlichen Bedeutung unten. Noch weniger ist das unter in dem Wort Unternehmer sinnlich fassbar. Man kann an einer Metapher unterscheiden, ob sie ‚ origopräsent ‘ oder ‚ obliterat ‘ ist, d. h. ob ein Sprecher oder Hörer die Herkunft noch mitdenkt oder nur noch mittels einer gesonderten Reflexion vergegenwärtigt. Hier klingt ein Bewusstsein für kommunikative und 205 extrakommunikative Haltungen an, die der Sprachbenutzer gegenüber seinen Sprachmitteln einnehmen kann. Vaihinger unterscheidet eine ganze Reihe von Metaphernpaaren, die zum Teil Parallelen mit den Bildschemata der kognitiven Metapherntheorie aufweisen, z. B. EINHEIT - VIELHEIT (= GANZES - TEIL ), URSACHE - WIRKUNG (= KRAFT ), INNEN - AUSSEN (= CONTAINER ), ZUSTAND - BEWEGUNG (= BEWEGUNG ), ANFANG - ENDE (= WEG ) (Vaihinger 1911/ 1920, 315). Er weist auch auf komplexere konzeptuelle Metapherndomänen hin, etwa durch die Kette ENTSTEHUNG - BLÜTE - REIFE - VERFALL (= Ausgangsdomäne FLORA ) oder auf Metaphern wie GESELLSCHAFT als ORGANISMUS , WELT als ORGANISMUS oder WELT als KUNSTWERK (Vaihinger 1911/ 1920, 44 - 45) und greift damit wie später Blumenberg einige der großen und handlungsleitend gewordenen metaphorischen Paradigmen auf, die für bestimmte Wissenschaften und Wissenschaftsepochen tonangebend waren. Als separate Kategorie thematisiert er die ‚ personifikativen Fiktionen ‘ (Vaihinger 1911/ 1920, 50 - 52). Schmitz (1985, 255) hält die Jahrhundertwende für eine ausgesprochen produktive Zeit, was die Besinnung auf die durchgehende Tropisierung der natürlichen Sprachen betrifft, und verzeichnet neben einer sprachkritisch, -psychologisch und -historisch geprägten Linie, zu der er die vorgestellten Autoren Paul, Wegener, Mauthner, Bühler und Gardiner zählt, eine zeichentheoretisch inspirierte Richtung mit Vertretern wie Welby, Tönnies, Ogden und Richards. Tatsächlich finden sich in den Schriften der Begründerin der niederländischen Significs Movement, 12 Lady Welby, Erörterungen der Metapher aus kognitiver Sicht, so dass es seltsam anmutet, dass Lakoff und Johnson zumindest nachweisbar keinerlei Kenntnis ihrer Schriften hatten, obwohl sie auf Englisch publiziert wurden und eine ganze Reihe von Parallelen aufweisen: Die Diskussion etwa, die Lakoff (1993, 204 - 205) im Hinblick auf die Unsinnigkeit der traditionellen Unterscheidung zwischen literal und metaphorical führt, findet sich in auffallend ähnlicher Weise hundert Jahre zuvor bei Lady Welby (1893, 512), die vor einer kontextfreien Dichotomisierung von wörtlicher und figürlicher Bedeutung warnt. Andererseits fügt sich ihr Ansatz gleichwohl in die Linie der in diesem Absatz vorgestellten historischen Sprachkritiker ein, da sie die Metaphern unserer Sprache als noch glühende Fragmente früherer, kosmischer Welten versteht. 12 Schmitz (1990 a) verknüpft die niederländische Significs Movement theoriegeschichtlich mit dem Wiener Kreis und im Anschluss daran der Unity of Science Movement: Letztere war von der Schrift The Meaning of Meaning von Ogden und Richards (1923/ 1972) inspiriert. All diesen Bewegungen ist ihr sprachkritischer Impetus, ihre Diskussion um eine adäquate Wissenschaftsbegründung sowie die Fokussierung interpersonaler Kommunikation gemeinsam. Die Significs Movement entwirft eine Philosophie des menschlichen Ausdrucks und Kommunikationsprozesses, in die sie neben der Sprache auch anderer Systeme wie Musik, Malerei, Bildhauerei, Chemie, Mathematik, Geometrie und Gestik aufnimmt (Schmitz 1990 b). 206 Eine komplette Vorwegnahme der Betrachtung des Metaphernsystems TIME IS SPACE kann man in dem Aufsatz Time as Derivative (1907) nachlesen, in dem sie Zeit als des Menschen Messverfahren zur Erfassung von Erfahrungssequenzen begreift, so dass Zeit auf das Räumliche, genauer: auf eine in Perspektive genommene Linie zurückgeführt werden kann. Change markiert dabei das entscheidende Ausgangskonzept für diese Metapher, das auf unsere zentralen Grunderfahrungen zurückgeht (Welby 1907, 396), womit sich Welbys Ansatz ebenfalls durch einen expliziten Erfahrungsrealismus auszeichnet: „ I venture to suggest that whereas Space is the primary and inevitable ‚ Room ‘ for change, motion, sequence, succession, measure, number and direction, Time is the product of our experience of Motion and its condition, Space. It is in other words a translated application of these two really original ideas. “ (Welby 1907, 383) Mit Space und Motion wird auf genau die beiden Aspekte referiert, die Lakoff und Johnson (1999, 139 - 161) mit den Metaphern SPATIAL TIME und MOVING TIME bzw. MOVING OBSERVER ins Zentrum ihrer Analyse rücken. Auch Welby hat - allerdings, ohne dies weiter auszuführen - bereits beide Duale im Blick, wobei die konzeptuellen Metaphern konkrete Gestalt annehmen und mit der Ausgangsdomäne REISE kombiniert werden: So spricht sie zuerst von der ZEIT als REISENDEM (Welby 1907, 385) und kurz darauf vom Menschen als REISENDEM durch die ZEIT (Welby 1907, 387). Auch die Metapher von der ZEIT als CONTAINER (Lakoff & Johnson 1999, 153) wird von Welby (1907, 395) schon erläutert. Das gilt ebenso für eine Reihe weiterer Metaphern, die über ZEIT als Zieldomäne hinausgehen: GEIST als RAUM (Welby 1907, 397), DENKEN als SEHEN (Welby 1907, 399), MENTALES als INNEN und PHYSISCHES als AUSSEN (Welby 1893, 525; Deledalle 1990, 137). Gleichermaßen ist ihr das partial mapping (Lakoff & Johnson 1980/ 2003, 52) der Projektionen bewusst, das ihrer Meinung nach zu Inkonsistenzen im Gebrauch der Metapher führt, die sie generell für ein misslungenes oder zumindest unsicheres Verfahren der Welterschließung hält: „ Time not covering the ‘ whole ground ʼ of Space, and giving us but one irreversible direction “ (Welby 1907, 393). Während der Raum dreidimensional und simultan angelegt ist, findet sich in der Idee von Zeit nur die Sukzessivität wieder. Auf Beispiele der Sprachebene rekurrierend, die Smith in seinem Artikel The Metaphysics of Time (1902, 372) vorbringt und bei denen u. a. die Ausdrücke long/ short time, distant past, near future, receding past, coming years und look before and after genannt werden, macht Welby deutlich, dass sie zumindest implizit zwischen einer kognitiven und sprachlichen Ebene unterscheidet. 207 4.5 Die Metapher in der Anthropologischen Linguistik während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Einen wenn auch nicht im Speziellen ausgearbeiteten, aber dennoch wegweisenden Beitrag in Richtung kultureller Varietät von Metaphernkonzepten liefert die vom humboldtschen Gedanken der Verwobenheit zwischen Sprache und Weltansicht inspirierte nordamerikanische Anthropologische Linguistik, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA etabliert. Zu ihren exponierten Vertretern zählen Franz Boas, Edward Sapir 13 und Benjamin Lee Whorf, die sich dem Themenkomplex anhand von Feldstudien empirisch annähern. Wesentliche Impulse für diese Entwicklungslinie lassen sich bereits in den Schriften Herders finden, die, ihrerseits beeinflusst vom Deutschen Idealismus und der Grundlegung der Anthropologie durch Kant, Sprache als Medium humaner Bewusstseinsbildung mit der daraus resultierenden Sonderstellung des Menschen ins Blickfeld rücken. In seiner Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1772/ 2002) nimmt Herder das evolutionistische Gedankengut vorweg und diskutiert den Stufengang der menschlichen Entwicklung im Miteinander von Geist, Natur und Sprache, wobei der Mensch und nicht die objektive Außenwelt den Ausgangspunkt des Weltverständnisses bildet. Aus diesem Grund, so Herder weiter, überrasche es kaum, dass die ‚ wilden Sprachen ‘ die ganze Natur als Reich handelnder Wesen entwerfen, worin er eine aus dem Bedürfnis des Menschen heraus geschaffene „ sinnliche Hauptidee “ erblickt (Herder 1772/ 2002, 47 - 49), die z. B. für die Personifizierung von Gefühlen wie dem Zorn verantwortlich sei (Herder 1772/ 2002, 62). Auf der Suche nach dem Ursprung der Sprache, den Herder wie Vico in der Poesie - dem Gesang - und nicht in der Prosa erblickt, gelangt er zur Metapher und damit zu einer frühen Version der Notwendigkeits-, Ubiquitäts- und Diachronie-These: „ Unsre ganze Psychologie, so verfeinert und bestimmt sie ist, hat kein eigentliches Wort. Dies ist so wahr, daß es sogar Schwärmern und Entzückten nicht möglich ist, ihre neuen Geheimnisse aus der Natur, aus Himmel und Hölle anders als durch Bilder und sinnliche Vorstellungen zu charakterisieren. “ (Herder 1772/ 2002, 71) 13 Sowohl Boas als auch Sapir sind deutscher Herkunft. Boas kommt erst nach seinem Studium in die USA und kennt Humboldt wie Steinthal aus Berlin. Die oft vermutete Beziehung zwischen der Tradition Humboldts und der Sprachauffassung der Anthropologischen Linguistik der nordamerikanischen Forschungslinie kann damit heute als gesichert gelten (Werlen 2002, 175). Sapir gelangt schon kurz nach seiner Geburt über England in die USA, wo er germanische Philologie studiert und seine Studien 1905 mit einer Arbeit über Herders Abhandlung über den Ursprung der Sprache abschließt (Werlen 2002, 187). 208 Als Wegbereiter des sprachlichen Relativitätsprinzips lenkt Humboldt (1836/ 1992) die epistemologischen Fragestellungen seiner Zeit im Anschluss an Herder in eine kulturrelativistische Richtung und stellt die in der Aufklärung und im Rationalismus noch als Ideal propagierte Möglichkeit einer sprachfreien Erkenntnis von Wirklichkeit in Abrede. Eine ‚ Wirklichkeit an sich ‘ sei erkenntnistheoretisch nicht erschließbar, ist sie doch für den Einzelnen immer nur als sprachlich verfasste und damit perspektivisch gebundene Wirklichkeit erfahrbar, so dass sie lediglich dergestalt wahrgenommen werden kann, wie es die jeweilige Sprache nahe legt. 14 Dieses Paradigma von Sprache als ein die Weltanschauung einer Kulturgemeinschaft prägender Stempel gelangt nun durch die nordamerikanische Anthropologische Linguistik am Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer empirischen Fundierung, bei der auch die Metapher als eine wesentliche Konstituente zur Konstruktion von Weltsichten in den Blick gerät. 15 Boas (1911/ 1969; 1940/ 1982) kommt auf der Basis ethnologischer Feldstudien bei verschiedenen Indianerstämmen, die von unseren okzidentalen Konzepten abweichende sprachliche Kategorisierungen der Welt vornehmen, zu dem Ergebnis, dass Einzelsprachen an der Organisation und Klassifizierung unserer Erfahrungswelt einen maßgeblichen Anteil haben. Hinter der Diversität solcher Wirklichkeitsmodelle stehen für ihn kulturelle Notwendigkeiten, wie er anhand seines berühmten Beispiels zur lexikalischen Elaboration der Bezeichnungen für ‚ Schnee ‘ im Eskimoischen (Boas 1911/ 1969, 25 - 27) illustriert, wo sich weitaus mehr Ausdrücke für ‚ Schnee ‘ auf der Grundlage von Unterscheidungen hinsichtlich der Konsistenz, Farbe etc. finden lassen als in den Sprachen der westlichen Welt: „ It seems fairly evident that the selection of such simple terms must to a certain extent depend upon the chief interests of a people “ (Boas 1911/ 1969, 26). Gleich- 14 Gardt (1999, 236 - 237) weist darauf hin, dass der häufig fälschlicherweise als radikal eingestufte Sprachrelativismus Humboldts von diesem selbst eingeschränkt wird: Zum einen stehe dem Konzept der an die Einzelsprache gebundenen sprachlichen Weltansicht ein universalistisches Moment entgegen, da Humboldt von der Existenz allgemeiner Gesetze des Denkens überzeugt ist, die zugleich mit bestimmten grammatischen Phänomenen korrelieren - etwa der Rolle des Verbs als Mittelpunkt. Zum anderen ließen sich in Humboldts Schriften immer wieder Belege finden, die auf einen Einfluss der Sprache auf das Denken hindeuten, dessen Determination durch Sprache jedoch explizit abstreiten. 15 Metaphern haben in der anthropologischen Tradition schon seit Tylor (1877) erhöhte Aufmerksamkeit als kulturkonstituierende Orientierungsmuster genossen. Auf diese Tradition weist auch Fernandez (1991 b, 7) hin, der gleichzeitig jedoch einschränkend hinzufügt, dass der wesentliche Unterschied zur kognitiven Metaphernforschung darin bestehe, dass die Anthropologie die Metapher gegenüber anderen Tropen weniger stark priorisiere. 209 zeitig geht er von einem psychischen Universalismus aus, so dass der Relativitätsaspekt auf kulturelle Präferenzen, die von einer Sprache gesteuert werden, beschränkt bleibt. In seinem Aufsatz Metaphorical Expression in the Language of the Kwakiutl Indians (1929/ 1982) nimmt Boas eine ethnographische Skizzierung der Alltagsmetaphern der Kwakiutl vor, einer Gruppe von Indianerstämmen im Norden des kanadischen Vancouver Island. Obgleich seine deskriptive Abbildung keine expliziten Aussagen zu theoretischen Implikationen seiner Befunde im Hinblick auf den Metaphernbegriff liefert, lassen sich dennoch implizite Annahmen ableiten. Die Beispiele, die er gibt, fallen zweifellos in den Bereich der Alltagssprache, so dass die Ubiquitäts-These der Metapher als vorausgesetzt angenommen werden kann. Einige Metaphern haben eine auffällige Ähnlichkeit mit denen von Lakoff und Johnson diskutierten: So taucht hier etwa entlang mehrerer Beispiele die WEG -Metapher horizontal unter Bezugnahme auf die Fortführung alter Traditionen in Ausdrücken wie „ I follow the road made by my late ancestors “ oder vertikal im Kontext des sozialen Rankings in Ausdrücken wie „ walking along on flat (blankets) “ auf. Auch die GEBÄUDE -Metapher findet sich mit Blick auf Bräuche, die als „ support of the tribe “ fungieren (Boas 1929/ 1982, 238). Boas gliedert seine Liste von metaphorisch verwendeten Ausdrücken nach Kommunikationsereignissen, also funktional, und unterscheidet dabei zwischen unhappy events, speeches, speaking of rival chiefs, marriage ceremonies und talking to children or to intimate friends. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass es Metaphern gebe, die für bestimmte Kommunikationsereignisse typisch sind: Wird über andere Stammesoberhäupter gesprochen, benutzen die Mitglieder der Gruppe etwa viele Ausdrücke, die mit Tieren zusammenhängen, und bei der Heiratszeremonie stehen Metaphern im Vordergrund, die mit dem Haus zusammenhängen. Im Vergleich mit der Konzeptuellen Metapherntheorie können wir in diesem Zusammenhang von einer losen Annahme unterschiedlicher Domänen sprechen, auf die Boas hier implizit hinweist, wobei die Hypothese allerdings eine kommunikative Wende erfährt: Boas spricht nicht von Zieldomäne, sondern von Kommunikationsereignissen, die er im Kontext von metaphorischen Handlungen beobachtet. Das unterminiert zwar die kognitive Ebene, die hier noch keine Rolle spielt, lenkt den Blick aber gleichzeitig auf die kulturelle und diskursive Verankerung von Metaphern in ihrer situativen Verwendung - ein Aspekt, der erst in den Studien Camerons wieder in die kognitive Metaphernforschung zurückgeholt wird. Was bei Boas noch oberflächlich und im Hinblick auf den Wirklichkeit konstruierenden Aspekt psychologisch bleibt, erfährt bei Sapir (1949) eine kommunikative und soziale Wende. Er fasst die erfahrene Welt als eine immer schon sozial, emotional und kulturell gefilterte Welt auf und verkehrt damit die Sichtweise Boas ’ ins Gegenteil, indem Sprache nun als wesent- 210 licher Wegweiser des Denkens gesehen wird: Da die grammatischen Kategorien zwischen den Einzelsprachen variieren, wird das konzeptuelle Denken auf unterschiedliche Weise kanalisiert (Sapir 1949, 159). Damit richtet sich Sapirs Interesse nicht primär auf die Betrachtung von Sprache als Ausdruck des Denkens, sondern als von anderen Faktoren wie Gefühlen, sozialer Suggestion oder Wünschen, also funktionalen Aspekten, gesteuertes Kommunikationsmedium (Schmitz 1975, 40 - 76; Werlen 2002, 191 - 193). Nichtsdestotrotz ist es Sapir, der das sprachliche Relativitätsprinzip vorbereitet, welches seinen Namen in Anlehnung an das einsteinsche Relativitätsprinzip gleichwohl erst später von dessen Schüler Whorf erhält: „ The fact of the matter is that the ‚ real world ‘ is to a large extent unconsciously built up on the language habits of the group. No two languages are ever sufficiently similar to be considered as representing the same social reality. The worlds in which different societies live are distinct worlds, not merely the same world with different labels attached. “ (Sapir 1949, 162) An die Position Sapirs knüpfen die Ausführungen Whorfs an, der die sprachapriorische Trendwende innerhalb der anthropologischen Feldforschung in den Vordergrund rückt und darauf aufmerksam macht, dass Sprache „ is not merely a reproducing instrument for voicing ideas but rather is itself the shaper of ideas, the program and guide for the individual ’ s mental activity “ (Whorf 1940/ 1956, 212). Whorf spricht die These der sprachlichen Relativität schließlich aus: „ the ‚ linguistic relativity principle ‘ [. . .] means, in informal terms, that users of markedly different grammars are pointed by their grammars toward different types of observations and different evaluations of externally similar acts of observation, and hence are not equivalent as observers but must arrive at somewhat different views of the world. “ (Whorf 1956 a, 192) Beide Zitate weisen einen wesentlichen Unterschied zur ersten Generation der kognitiven Metaphernforschung auf: Das Augenmerk liegt hier auf dem Weg von der Sprache zur Kognition, was den Urhebern des sprachlichen Relativitätsprinzips ähnlich harsche Kritik zuteil werden lässt wie den Vertretern der Unidirektionslitäts-These im Rahmen der Konzeptuellen Metapherntheorie. Gerade hierin ließe sich aber auch ein fruchtbarer Anknüpfungspunkt für aktuelle Fragestellungen ausmachen, denn der Zugang von Sapir und Whorf kann komplementär, als eine Rückbesinnung auf die umgekehrte Einflussnahme der Sprache auf das Denken, genutzt werden, was uns zugleich an Fragen der kulturellen Relativität heranführt. In seinem erstmals 1933 erschienenen Aufsatz Language macht Sapir (1949) auf die Bedeutung der Metapher bei der sprachlichen Organisation von Erfahrung in Abhängigkeit von den jeweiligen kulturellen Gegebenheiten und Traditionen aufmerksam: 211 „ New cultural experiences frequently make it necessary to enlarge the resources of a language, but such enlargement is never an arbitrary addition to the materials and forms already present; it is merely a further application of principles already in use and in many cases little more than a metaphorical extension of old terms and meaning. [. . .] Language is at one and the same time helping and retarding us in our exploration of experience, and the details of these processes of help and hindrance are deposited in the subtler meanings of different cultures. “ (Sapir 1949, 10 - 11) Sapir beschreibt die Metapher wie Lakoff und Johnson nicht nur als Filter der Erfahrungsbewältigung, sondern nimmt mit dem Begriffspaar „ helping and retarding “ bzw. „ help and hindrance “ den Begriffsdualismus von highlighting und hiding vorweg. Schon alleine der Ausgangspunkt Whorfs weist markante Parallelen zu dem der Konzeptuellen Metapherntheorie sowie der Kognitiven Grammatik auf. Dies gilt insbesondere für die Anlehnung seiner Ausführungen an die Gestaltpsychologie, wie sie vor allem in den Aufsätzen Grammatical Categories (Whorf 1939 a/ 1956) und On Psychology (Whorf 1956 b) zu finden sind. Whorf (1939 a/ 1956) sieht das Gestaltprinzip - er spricht von configurations - in der Sprache wirken - und zwar bis hin zu den grammatischen Kategorien, die er deshalb gleichzeitig als semantische Kategorien auffasst. Allerdings hält er den Ansatz der Gestaltpsychologie für zu kurz gegriffen, da Sprache und Kultur nicht ausreichend berücksichtigt würden: „ When we attempt to apply the configurative principle to the understanding of human life, we immediately strike the cultural and the linguistic (part of the cultural) “ (Whorf 1956 b, 41). Die Überwindung der Dichotomie zwischen Syntax und Semantik in einer Art Gestaltlinguistik - eine Forderung, die Langacker mit seiner Begründung der Kognitiven Grammatik rund dreißig Jahre später erheben wird - sind hier in Zeiten der Hochblüte des amerikanischen Strukturalismus erstaunlicherweise schon angelegt. Whorfs Perspektive ist wie die der Kognitiven Linguistik köperfundiert und anthropologisch verankert: Die Wahrnehmungsfunktion ist bei allen Menschen ebenso gleich, wie auch der Raum vom Menschen auf der Grundlage seiner biologischen Beschaffenheit durch eine artspezifische, egozentrische und somit deiktische Perspektive entworfen wird, die sich an einer horizontalen und einer vertikalen Achse orientiert. Die vertikale Achse definiert sich über die Richtungskonzepte OBEN - UNTEN , die horizontale über VORNE - HINTEN ; schließlich gibt es noch eine symmetrische Unterteilung in LINKS - RECHTS (Whorf 1939 b/ 1956, 158 - 159). Erst auf der Grundlage dieser Fundamentalorientierungen kommt es zu einer in Abhängigkeit von der jeweiligen Sprache divergierenden Organisation von Erfahrung. Damit wird eine universalistische Seite in Whorfs Denken offen gelegt, die von vielen Kritikern seines als zu radikal diffamierten sprachlichen Relativitätsprinzips ausgeblendet wird. 212 Im Zuge seiner Feldstudien bei den Hopi-Indianern verweist Whorf (1939 b/ 1956) auf eine Reihe metaphorischer Konzepte, die zwar in den meisten SAE-Sprachen 16 niedergelegt seien, deswegen aber noch lange keine universelle Gültigkeit beanspruchen könnten. Angeregt durch die sprachliche Unterscheidung zwischen Subjekt und Prädikat würden Sprecher einer SAE-Sprache stärker dazu neigen, die Welt in ein Agens und dessen Handlungen zu unterteilen, ein Kausalprinzip, das dann mühelos, fast automatisch auch auf neue Sinnbezirke, etwa die moderne Naturwissenschaft, übertragen wird, die nun ebenso überall dort Tätigkeiten und Kräfte wirken sieht, wo eine andere Kultur vielleicht nur Zustände wahrnehmen würde. So sagen wir z. B. Es blitzt, während ein Hopi-Indianer zur Beschreibung der gleichen Beobachtung blitzen gebrauchen würde (Whorf 1941/ 1956, 243 - 244). Ein weiterer entscheidender Unterschied ist, dass die Hopi- Sprache über eine Klasse von sog. ‚ Tensoren ‘ zur Bezeichnung von Intensitäten verfügt, wogegen die sprachlichen Ausdrücke, mit deren Hilfe wir über Intensitäten, Dauer oder Tendenzen sprechen, metaphorische Ausdrücke sind, die wir der Sphäre des Raums entnehmen: „ We express duration by ‚ long, short, great, much, quick, slow, ‘ etc.; intensity by ‚ large, great, much, heavy, light, high, low, sharp, faint, ‘ etc.; tendency by ‚ more, increase, grow, turn, get, approach, go, come, rise, fall, stop, smooth, even, rapid, slow ‘ and so on through an almost inexhaustible list of metaphors that we hardly recognize as such, since they are virtually the only linguistic media available. “ (Whorf 1939 b/ 1956, 145) Whorf nennt das hinter all diesen Metaphern liegende Schema OBEJCTIFYING , wobei Nicht-Räumlichem imaginativ Räumliches angedacht wird. Solche physical metaphors seien notwendig, um Abstraktes überhaupt handhabbar zu machen. Es gibt bei Whorf (1939 b/ 1956, 154 - 155) sogar schon Hinweise auf eine erst in der zweiten Generation der kognitiven Metaphernforschung wachsende Beschäftigung mit metaphorischen Gesten, etwa im Rahmen der Metapher, die Lakoff und Johnson später VERSTEHEN IST SEHEN nennen: So zeichnet sich nach Whorf im Gegensatz zur relativ bewegungslosen Gestik der Hopis unsere metaphorische Gestik durch einen hohen Grad an Beweglichkeit aus, was sich im Zusammenhang mit unserer viel dynamischeren sprachlichen Konzeptualisierung der Wirklichkeit begreifen ließe. In einer weiteren Passage erläutert Whorf das Phänomen der Synästhesie und konstatiert diesbezüglich eine Bidirektionalität, so dass wir nicht nur Töne, Gerüche, Gefühle und Gedanken durch räumliche Erfahrungszuschreibungen wie Farben, Helligkeit, Formen, Texturen usw. auszudrücken pflegen, sondern auch umgekehrt verfahren: 16 SAE = Standard Average European 213 „ Our metaphorical system, by naming nonspatial experiences after spatial ones, imputes to sounds, smells, tastes, emotions, and thoughts qualities like the colors, luminosities, shapes, angles, textures, and motions of spatial experience. And to some extent the reverse trans-ference occurs; for, after much talking about tones as high, low, sharp, dull, heavy, brilliant, slow, the talker finds it easy to think of some factors in spatial experience like factors of tone. Thus we speak of ‚ tones ‘ of color, a gray ‚ monotone ‚ a ‚ loud ‘ necktie, a ‚ taste ‘ in dress: all spatial metaphor in reverse. “ (Whorf 1939 b/ 1956, 155 - 156) Whorf ergänzt seine Beobachtungen mit dem Hinweis, dass die Bezeichnung Herz im Hopi seine Wurzel in den Wörtern denken und erinnern habe (Whorf 1939 b/ 1956, 157). Als er sich schließlich mit der für SAE-Sprachen - jedoch keineswegs für das Hopi - typischen Auffassung von Zeit als zählbare Einheiten befasst, gelangt er zu der Einsicht, dass sich diese Konzeptualisierung von Zeit tatsächlich in fashions of speaking wie spend / save / lose, buy time oder time is money zeige, wobei er explizit darauf hinweist, dass solche fashions of speaking metaphorische und metonymische Erweiterungen bereits bestehender Sprachgewohnheiten seien (Whorf 1939 b/ 1956, 153 - 156) - ein Aspekt, auf den auch Lucy (1992, 46) mit dem Begriff cognitive appropriation verweist. Die Beispiele aus dem Werk von Lakoff und Johnson, die sich ja ebenfalls mit der Metapher TIME IS MONEY beschäftigen, finden sich demnach bereits bei Whorf. Im Hinblick auf ein Fazit zu den Resultaten seiner Untersuchungen zur Hopi-Sprache spricht Whorf von unterschiedlichen Weltsichten, die sich hinter den grammatischen Phänomenen der Sprachoberfläche verbergen: Das Weltbild der Hopi-Indianer fußt auf der Idee eines sich manifestierenden Kosmos, in dem Kräfte walten, die weniger entlang des Konzepts ‚ Bewegung ‘ gedacht, als vielmehr via Akkumulation, Manifestation und Verfall verstanden werden, wohingegen die klassische Zusammenführung von Kraft und Bewegung, die den Konzeptualisierungen der SAE-Sprachen inne wohnt, eine solche Sichtweise unterbinde, d. h. ‚ verhindere ‘ (hinder). Damit antizipiert Whorf wie schon Sapir die Konzepte highlighting und hiding als für einen kulturrelativistischen Ansatz unverzichtbare Erschließungsweisen von Welt. 4.6 Die erkenntnistheoretisch-mentalitätshistorische Metaphorologie von Hans Blumenberg Ab den sechziger Jahren entwickelt der Philosoph Hans Blumenberg seine gegen die metaphysische Begriffsorientierung der traditionellen Philosophie gerichtete ‚ Metaphorologie ‘ , beginnend mit zwei entscheidenden Essays, in 214 denen er die kognitive Kapazität der Metapher im Kontext historischer Übergänge zu neuen Denkhaltungen beleuchtet: Paradigmen zu einer Metaphorologie (1960/ 1998) und Beobachtungen an Metaphern (1971). Während die Metapher in dem ersten Aufsatz als Medium der Bewegung vom Mythos zum Logos noch primär im Vorfeld der philosophischen Begriffsbildung angesiedelt ist (Blumenberg 1957), erobert sie in den nachfolgenden Arbeiten zunehmend eigenständiges Bedeutungsterrain und gerinnt zu einem essentiellen Element der Begriffsgeschichte. Mit der Zeit versteht Blumenberg die Metapher immer mehr nicht nur als irreduzible, sondern auch als zur terminologischen Begrifflichkeit alternative Denkform (Haefliger 1995, 74 - 75). Sein Ausgangspunkt ist ein konstruktivistischer und wendet sich gegen die Auffassung, Metaphern bildeten Ähnlichkeiten ab, die sich in der Wirklichkeit aufspüren ließen. Anknüpfungspunkt und Hauptinteresse bilden daher erkenntnisphilosophische Fragestellungen. So erstaunt es kaum, dass sich Blumenberg auf Vico und dessen ‚ Logik der Phantasie ‘ besinnt, die jener in Opposition zu dem von Descartes geforderten Ideal der Klarheit und Bestimmtheit entwirft: „ Was bleibt dem Menschen? Nicht die › Klarheit ‹ des Gegebenen, sondern die des von ihm selbst Erzeugten: die Welt seiner Bilder und Gebilde, seiner Konjekturen und Projektionen, seiner › Phantasie ‹ in dem neuen produktiven Sinne, den die Antike nicht gekannt hatte. “ (Blumenberg 1960/ 1998, 8) Mit der von ihm entwickelten historisch motivierten ‚ Metaphorologie ‘ widmet sich Blumenberg einer sprachlichen Rekonstruktion der großen Paradigmen der Philosophiegeschichte, die seines Erachtens die einzelnen Epochen durch metaphorische Leitdifferenzen bestimmen und nicht auf einen puren Logismus reduzierbar sind. So wecken etwa der neuzeitliche Entdeckungstopos von der Terra incognita und die darin zum Ausdruck kommende Metaphorik der ‚ unvollendeten Welt ‘ bestimmte Erwartungen und schaffen ein neues Bewusstsein von Weltpluralität. Wenn nun eine Metapher das spezifische Bewusstsein einer Epoche und des in ihr lebenden Individuums prägt, wie Blumenberg annimmt, so lässt sich Metaphernanalyse zugleich als Bewusstseinsanalyse einer spezifischen historischen Situation fassen. Mit dem Begriff ‚ Metaphorologie ‘ bezieht sich Blumenberg dementsprechend auf die Lehre jener Rolle, die Metaphern im Rahmen unserer Wirklichkeitserkenntnis spielen. Dabei erfüllen sie namentlich explorative, epistemische und pragmatische Funktion, indem sie „ als Anhalt von Orientierungen [. . .] die fundamentalen, tragenden Gewißheiten, Vermutungen, Wertungen, aus denen sich die Haltungen, Erwartungen, Tätigkeiten und Untätigkeiten, Sehnsüchte und Enttäuschungen, Interessen und Gleichgültigkeiten einer Epoche “ (Blumenberg 1960/ 1998, 25) ergeben, widerspiegeln. 215 Blumenberg hat also primär die Modell-, Diachronie- und Kreativitäts-These im Blick und fundiert seine Untersuchungen in der kognitiven Grundannahme konzeptueller Domänen, deren Ausdruck sich auf der sprachlichen Ebene findet. Es sind solche ‚ implikativen Modelle ‘ (Blumenberg 1960/ 1998, 14 - 22), die nicht notwendigerweise auf der Sprachoberfläche zum Vorschein gelangen müssen, um als Vorstellungsbilder bestimmte philosophische Ideen auf den Weg zu bringen und Leitdifferenzen einzuführen, etwa die einer stärker organisch versus mechanisch verstandenen Weltauffassung oder die Geozentrik des Mittelalters im Gegensatz zur Azentrik der Neuzeit, bei der die zentrale Stellung des Menschen durch dessen periphere Mitläufigkeit im Weltgetriebe abgelöst wird. Blumenberg (1960/ 1998, 91 - 110) nennt solche kognitiven Rahmungen ‚ Hintergrundmetaphorik ‘ und spricht von ‚ absoluten Metaphern ‘ , die nicht einfach in wörtliche Begrifflichkeit überführbar sind und auch nicht als aufzulösende Restbestände mythischen Denkens klassifiziert werden können; vielmehr stellen sie selbst unhintergehbare „ Grundbestände der philosophischen Sprache “ dar, „ die sich nicht ins Eigentliche, in die Logizität zurückholen lassen “ (Blumenberg 1960/ 1998, 10). Dieses ‚ Eigentliche ‘ versteht er nun ganz ähnlich wie die Konzeptuelle Metapherntheorie als bildschematische Grundkonstellation, bezieht sich an einer Stelle seiner Ausführungen sogar explizit auf die Gestaltpsychologie Ehrenfels ’ und verortet die der Metapher innewohnende ‚ Unbegrifflichkeit ‘ in ihrer Gestalt (Blumenberg 1979, 89). Damit werden absolute Metaphern zu unhintergehbaren ‚ Daseinsmetaphern ‘ unserer Lebenswelt, die uns Orientierungsmuster an die Hand geben, um die Kontingenz des menschlichen Daseins in einen umfassenden Sinnrahmen einstellen zu können, indem für die menschliche Erfahrung narrative Zusammenhänge geschaffen werden, wodurch die Metapher zu einer anthropologischen Konstante wird, und zwar in doppelter Hinsicht: Phänomenologisch ist sie durch das vorsprachliche Bedürfnis des Menschen motiviert, „ auf seine letzten und umfassendsten Fragen Antworten zu beanspruchen “ (Blumenberg 1961, 75), woraus sich unterschiedliche Stile von Weltverhalten ergeben. Darin wird das relativistische Moment in Blumenbergs Metaphernbetrachtung deutlich. Die Legitimation der Metapher schöpft sich nicht aus dem Wahrheitsideal, sondern aus Sinnverlangen, aus der Möglichkeit des Verstehens, die sie dem Menschen bietet, denn ohne die Metapher, nur mittels Begrifflichkeit allein wäre eine Beziehung zur Totalität des Seins undenkbar. Hier kommt ein Grundzug im anthropologischen Denken Blumenbergs zum Ausdruck: Wie Gehlen (1950/ 2004) versteht er den Menschen als ein weltoffenes Wesen, dem Wesentliches mangelt (Blumenberg 1981) und der deshalb auf kulturelle Systeme und Institutionen angewiesen ist, ein Ansatz, der seinerseits über Herder bis hin zum griechischen Sophisten Protagoras zurückverfolgt werden kann. Findet sich nun jedoch bei Gehlen ganz in der Tradition Hobbes ’ noch eine 216 politische Wesensbestimmung des Menschen, geht es Blumenberg eher um eine phänomenologische Grundbestimmung des menschlichen Wirklichkeitsbezugs, der indirekt, selektiv und metaphorisch geprägt ist (Haefliger 1996, 104 - 105). 17 Während die Metapher in unserer Lebenswelt also die pragmatische Funktion der Sinnstifung, Weltdeutung und Handlungsorientierung einnimmt, kommt ihr im Bereich der Wissenschaft eine Modellfunktion zu, was sich als Hintergrundmetaphorik in der Terminologiebildung niederschlägt (Debatin 1995, 225 - 226). So sieht Blumenberg beispielsweise in der traditionell-aristotelischen Sicht der Technik als Mimesis eine organische Metaphorik des Mechanischen walten, wogegen es seit Descartes ’ Erfindung eines Universalmechanismus, bei dem Natur als Einheit mechanischer Aggregate verstanden wird, zu einer Umkehrung dieses Verständnisses kommt. In den Uhr- und Maschinen-Metaphern von Voltaire und La Mettrie wird der Mensch schließlich zum Funktionselement, etwa zum Rädchen der Weltmechanik. Blumenberg (1960/ 1998, 75) spricht in diesem Zusammenhang von ‚ Sichtlenkung ‘ . Das Spektrum seiner Beispiele verweist auf eine inhaltlich angereicherte Parallele zu Lakoffs idealized cognitive models, die den Hintergrund einer spezifischen Kultur ausmachen und bei Blumenberg auf der Ebene geistesgeschichtlicher Epochen konkretisiert werden. Was Kimmel 18 auf synchronischer Achse vorgeführt hat - die Relativität komplexer dynamischer Bildschemata, von denen bestimmte das Grundthema einer spezifischen Kultur ausmachen können - zeigt sich bei Blumenberg auf der diachronischen Achse, indem er die leitende Metaphorik einer bestimmten Kulturepoche ins Zentrum seiner Betrachtungen stellt. 17 Dennoch begreift bereits Gehlen den gestalthaften Grundcharakter der Metapher, den er als „ Phantasma der Grundbedeutung, in den meisten Fällen ein sinnliches und anschauliches Bewegungsphantasma von eindeutiger Gestalt “ beschreibt, „ welches eine Tendenz zur Wanderung, zur Ausweitung der Geltung des Wortes für ähnliche Gegenstände zeigt “ (Gehlen 1950/ 2004, 285). Als Beispiel nennt er das Wort Kod, das im Altägyptischen auf Kreise, Ringe, Töpfe, aber auch auf die Tätigkeiten des Arbeitens, Schaffens, Bildens, Bauens etc. angewandt wurde und meint, all diesen Bedeutungen liege als ‚ Urphantasma ‘ bzw. ‚ Gestaltphantasma ‘ die Idee vom ‚ umdrehen, im Kreis herumdrehen ‘ zugrunde. Auch der Gedanke des Hervorhebens findet sich bei Gehlen, wenn dieser von der ‚ Hinsicht ‘ (Gehlen 1950/ 2004, 286) spricht, welche von der Phantasie mittels der Metapher im Wort fixiert wird. Dabei werden die ‚ Hinsichten ‘ als durch Sprache kanalisierte Weltanschauungen zum Kernelement sprachlicher Relativität, da sich ganze Sprachen bestimmter Völker um solcherart ‚ Vorstellungsschemata ‘ (Gehlen 1950/ 2004, 288) herum auszubilden scheinen. Hier werden deutliche Parallelen zu der in Kapitel 3.4.3 vorgestellten Arbeit von Kimmel sichtbar. 18 Vgl. Kapitel 3.5.3. 217 Analog zur Konzeptuellen Metapherntheorie besteht seine Methodik in der Aufdeckung der kognitiven Konzepte durch Analyse der sprachlichen Ebene: „ die Metaphorologie sucht an die Substruktur des Denkens heranzukommen, an den Untergrund, die Nährlösung der systematischen Kristallisationen. [. . .] Denn hier finden wir Orientierungen, die abgelesen werden an ganz elementaren Modellvorstellungen, die in der Gestalt von Metaphern bis in die Ausdruckssphäre durchschlagen. “ (Blumenberg 1960/ 1998, 13) Blumenberg widmet sich zwischen beiden Polen oszillierend sowohl dem Erkenntnis eröffnenden als auch dem Erkenntnis verschließenden Effekt der Metapher. Letzterer ist aufs Engste mit der Suggestivität der metaphorischen Vorgriffsstruktur verknüpft: „ Als Erklärung erscheint, was doch nur Konfiguration ist. Die Funktion der Metapher wird aus dieser Dualität von Risiko und Sicherung begreiflich. Sie nutzt die Suggestion der Anschaulichkeit und ist dadurch nicht nur Vorstufe oder Basis der Begriffsbildung, sondern verhindert sie auch oder verleitet sie in Richtung ihrer Suggestionen. “ (Blumenberg 1971, 212) Insgesamt analysiert Blumenberg eine beachtliche Vielfalt konzeptueller Metaphern im Sinne von Lakoff und Johnson: WAHRHEIT wird als LICHT oder AKTEUR , die WELT als LEBEWESEN , UHR , SCHIFF , THEATER oder BUCH (Blumenberg 1960/ 1998), die REALE GESCHICHTE als ERZÄHLUNG , das LEBEN als SEEFAHRT , ZEIT als RAUM und DOKUMENTE als QUELLEN (Blumenberg 1971) konzipiert. 19 Ähnlich wie die kognitiven Metapherntheorien gelangt auch er zu dem Schluss, dass es grundlegende und existenzielle Erfahrungen sind, auf denen solche Metaphern fußen; allerdings gibt er solchen Erfahrungen einen kulturellen Unterbau: Das LEBEN als SEEFAHRT zu begreifen etwa scheint ein Topos zu sein, der bis in unsere aktuelle politische Sprache hinein lebendig bleibt und den Blumenberg auf diejenigen Grunderfahrungen zurückführt, die eng an mythische, religiöse und andere kulturelle Themen geknüpft sind: Das Meer ist in der Menschheitsgeschichte stets als bedrohlich und Angst einflößend gedacht worden: Aus dem Ozean, der den Rand der bewohnbaren Welt umgibt, kommen die mythischen Ungeheuer; in der christlichen Ikonographie ist er Erscheinungsort des Bösen; in der griechischen Mythologie stellt er den zentralen Symbolraum für die Irrfahrt Odysseus ’ bereit. So wird das Meer zur naturgegebenen Grenze menschlicher Unternehmungen und unterliegt einer Dämonisierung als Sphäre der Unberechenbarkeit, Gesetzlosigkeit, Orientierungswidrigkeit. Gleichermaßen begreift er neben solchen existentiellen Szenarien auch konstitutive physische Erfahrungen als Grundlage von Metaphorisierungen: „ Die meta- 19 Vgl. hierzu auch Jäkel 2003, 121. 218 phorischen Aussage ‚ qualitäten ‘ von ‚ Auge ‘ und ‚ Ohr ‘ implizieren eine ganze Phänomenologie der Sinnesvermögen “ (Blumenberg 1957, 443). Haefliger resümiert die Perspektive Blumenbergs in folgender Weise: „ Ausgehend von der Mängeltheorie der philosophischen Anthropologie einerseits und dem symbolisch vermittelten Weltbezug nach Cassirer andererseits konstituiert Blumenberg seine These: Das existentielle Bedürfnis des Menschen besteht darin, sich die beängstigende Wirklichkeit auf Distanz zu halten. Aufgrund dieser Distanzbedürftigkeit ist das humane Welt- und Wirklichkeitsverhältnis prinzipiell durch Mittelbarkeit geprägt. Diesen Ansatz verbindet Blumenberg mit der kognitiven Funktion der Metapher: Die Welt-Wahrnehmung und der Wirklichkeitsbezug des Menschen ist [sic! ] metaphorisch konzipiert. “ (Haefliger 1996, 139) 4.7 Die Metapher in der textlinguistischen Bildfeldtheorie Harald Weinrichs Seine Bildfeldtheorie zur Metapher entwickelt der Romanist und Textlinguist Harald Weinrich auf der Grundlage des Begriffs vom ‚ Bedeutungsfeld ‘ , das auf Jost Trier (1934) und dessen Wortfeldtheorie zurückgeht. Trier knüpft an Saussure an und wird seinerseits von der Sprachinhaltsforschung rezipiert. In dieser Strömung findet sich ein wesentliches Interesse an der Verknüpfung von strukturellen und inhaltlichen Aspekten, das bis auf Humboldt zurückverfolgt werden kann. So haben Porzig (1934/ 1973; 1950), Trier (1934) und Dornseiff (1955/ 1966) wichtige Beiträge zur Theorie des Bedeutungsfeldes geleistet, bei denen auch die Metapher schon in die Betrachtungen integriert wurde. Porzig (1950, 38 - 39) etwa, der sich der Allgegenwärtigkeit der Metapher in der menschlichen Rede bewusst ist, macht bereits auf den katachretischen Wert der Metapher aufmerksam und führt sie auf mythologische Ursprünge zurück. Er nimmt an, dass viele unserer Ausdrücke zur Beschreibung unserer Umgebung wie Fuß eines Berges daher kämen, dass die Menschen sich vor langer Zeit in ihr geographisches Umfeld Tiere hineindachten. Dornseiff (1955/ 1966) führt in seiner Systematik, in der er Gebrauchsmetaphern von poetischen Schmuckmetaphern unterscheidet, alle Ausdrücke für Denkvorgänge auf eine sinnliche oder räumliche Grundbedeutung zurück (Dornseiff 1955/ 1966, 159) und erfasst bereits die Skalen-Metaphorik zur Bezeichnung von Intensität, die Raum-Metaphorik zur Thematisierung von Zeit und die Konzeptualisierung des menschlichen Geistes als Behälter für Gedanken-Objekte (Baldauf 1997, 289 - 290). Was nun Weinrichs Verhältnis zu diesen Wortfeldsemantikern betrifft, so lässt sich eine im Gegensatz zu diesen stärkere Hinwendung einerseits zur „ größeren Einheit des Textes “ (Weinrich 1976, 325 - 326) und anderer- 219 seits zum Bildfeld anstelle des Wortfeldes hin beobachten. Er publiziert fünf Essays zur Metapher, die allesamt in dem Band Sprache in Texten (1976) vereint sind: Münze und Wort: Untersuchungen an einem Bildfeld (1958), Semantik der kühnen Metapher (1963), Metaphora memoriae (1964), Allgemeine Semantik der Metapher (1967) und Streit um Metaphern (1976). Ausgangspunkt stellt die Übertragung des Feldbegriffs von der Sprache auf das Bildliche dar, das unsere Bedeutungen konstituiert. Wie die meisten vorgestellten Autoren geht auch Weinrich in Übereinstimmung mit der Ausrichtung seines Vorhabens nicht von der isolierten Metapher, sondern von Feldern aus und betont, dass eine diachronische Sprachwissenschaft, die sich semasiologisch mit einzelnen isolierten Ausdrücken beschäftigt, die Verwobenheit der Wortbedeutungen mit anderen des gleichen Feldes nicht einzufangen vermag. Die Metapher sei also nicht für sich zu betrachten, sondern stehe seit ihren Anfängen in einem fest gefügten Bildfeld. Das zu zeigen, sei die Aufgabe einer synchronischen Metaphorik. Dass Weinrich sich damit auf genau den gleichen Zusammenhang zwischen kognitiver und sprachlicher Ebene bezieht wie Lakoff und Johnson dies tun, illustriert das Beispiel, das er im Zusammenhang mit seinem Appell gibt (Weinrich 1976, 280 - 282): Hinter den scheinbar unterschiedlichen Ausdrücken (a) „ Ein neues Wort wird gleich einer Münze geprägt “ , (b) „ Je größer der Reichtum der Sprache, desto höher ihre Vollkommenheit “ , (c) „ Übersetzungen sind nur Kupfergeld “ und (d) „ Ein großer Autor zeichnet sich durch eine reiche Sprache aus “ stehe, so Weinrich, das gleiche Bildfeld, wobei er die Notierung von Lakoff und Johnson ‚ A IST B ‘ , in diesem Fall DAS WORT IST EINE MÜNZE , durch ein Kompositum substituiert: „ Insofern zwei Sinnbezirke Bestandteile eines Bildfeldes sind, benennen wir sie (mit Ausdrücken von Jost Trier) als bildspendendes und bildempfangendes Feld. In unseren Beispielen wird das bildempfangende Feld vom Sinnbezirk Sprache gebildet, das bildspendende Feld vom Sinnbezirk des Finanzwesens; das Bildfeld, das sich in der Koppelung der beiden Sinnbezirke konstituiert, wollen wir nach seiner Zentralmetapher ‚ Wortmünze ‘ benennen. “ (Weinrich 1976, 284) Im Prozess der Aktualisierung einer Metapher im konkreten Sprachgebrauch bedeutet dies nun nicht einfach die Zugehörigkeit des metaphorischen Ausdrucks zu einem dahinter liegenden Raster; das Bildfeld wird gleichermaßen mitaktiviert: „ diese Wörter bringen ein Bewußtsein ihrer Feldnachbarn mit, und über der aktuellen Metapher als Sprechakt entsteht in unserem Sprachbewußtsein ein Bildfeld als virtuelles Gebilde “ (Weinrich 1976, 326). Dabei stützen die metaphorischen Bildnachbarn die Richtung der Interpretation einer Metapher. Weinrich weist auch darauf hin, dass tatsächlich neue, innovative Metaphern selten zu finden seien, denn „ wirklich schöpferisch ist nur die Stiftung eines neuen Bildfeldes “ (Weinrich 1976, 220 326). Darin klingt bereits an, was Lakoff und Turner (1989) in ihrer Analyse poetischer Metaphern ausführen: Poetische Metaphern bedienen sich oft nur neuer sprachlicher Ausdrücke einer schon bekannten konzeptuellen Metapher. Die Herausbildung verschiedener metaphorischer Ausdrücke auf der Basis desselben Bildfeldes führt Weinrich auf bestimmte Traditionen einer ‚ Bildfeldgemeinschaft ‘ (Weinrich 1976, 287) zurück. Für die abendländische Bildfeldgemeinschaft arbeitet er im Folgenden eine ganze Reihe von Metaphern heraus: STAATSSCHIFF , LIEBESKRIEG , WELTTHEATER , LEBENSSAFT , LIEBESJAGD , TIERREICH , VERSTANDESLICHT , LUFTSCHIFF , DICHTERSCHÖPFER , SÜNDENSCHULD , TEXT- GEWEBE , EXISTENZSPIEL , WORTBAUSTEIN , SPRACHPFLANZE , LIEBESLANDSCHAFT , EHE- GESPANN , LEBENSREISE , HIMMELREICH , CHARAKTERMETALL und GEISTESACKER (Weinrich 1976, 285). 20 Nun können unterschiedliche Felder zum Bildspender für das gleiche bildempfangende Feld werden; so stellen etwa die Bildfelder MAGAZIN und WACHSTAFEL zwei verschiedene Alternativen dar, um über das GEDÄCHTNIS zu sprechen. Welche Metapher bevorzugt wird, hängt Weinrich (1976, 291) zufolge vom jeweiligen ‚ Denkmodell ‘ ab, das der Weltsicht einer Kultur eingeschrieben ist. In diesem Begriff vom ‚ Denkmodell ‘ , das ähnlich wie bei Blumenberg starke Parallelen zu den idealized cognitive models von Lakoff und den cultural frames von Kövecses aufweist, sieht Weinrich ganz in der Tradition des kulturrelativistischen Ansatzes seit Humboldt auch den explorativen Charakter der Metaphern wirken, die keine vorgedachten Gemeinsamkeiten abbilden, sondern die „ Analogien erst stiften, ihre Korrespondenzen erst schaffen und somit demiurgische Werkzeuge sind “ (Weinrich 1976, 309). Weinrichs Zugang gründet sich damit auf der Annahme einer kulturgeschichtlichen Verankerung von Bildfeldern, auf einer Fundierung der Metapher in der „ gemeinsame[n] Teilhabe an den durch die gelernte Sprache oder gelesene Literatur vermittelten Bildfeldern “ (Weinrich 1976, 288). Die Sozialisation in Bildfeldtraditionen impliziert somit die Integration in jeweils herrschende Weltbilder, die als gesellschaftlich gespeichertes Erfahrungs- und Orientierungwissen in das Denken und Handeln der entsprechenden Kultur eingehen, womit die Analyse der in einer bestimmten Zeit vorherrschenden Metaphernkonzepte zum Schlüssel für die Beschreibung der Mentalitätsgeschichte wird. In diesem Sinne ist Weinrichs Schlagwort von der ‚ abendländischen Bildfeldgemeinschaft ‘ zu verstehen. Ein wesentlicher Zugewinn der Theorie Weinrichs zeigt sich in seiner Hinwendung zu textlinguistischen Aspekten, während die Sprachebene in der Konzeptuellen Metapherntheorie, wie bereits ausführlich diskutiert wurde, weitgehend vernachlässigt wird. Das von Weinrich (1976, 320) inaugurierte Konzept der ‚ Kondetermination ‘ liefert einen anregenden 20 Vgl. hierzu auch Jäkel 2003, 123 - 125. 221 Komplementärentwurf zum starren, einseitigen Richtungsverlauf von der Kognition zur Sprache mit ihrer impliziten Entmachtung der Sprache, wie er von der Konzeptuellen Metapherntheorie vorgeschlagen wird. In Weinrichs Konzeption dagegen erhalten Kotext und Kontext eine herausgehobene Stellung bei der Frage danach, wie eine Metapher zu verstehen sei: Je mehr Kotext und Kontext einem Ausdruck beigefügt werden, umso mehr wird die Interpretation des Ausdrucks in eine bestimmte Richtung gelenkt. Genau genommen erzeugen demnach erst Wort und Kontext gemeinsam die Metapher: „ Ein beliebiges Wort kann isoliert gebraucht werden, z. B. in einer wortgeschichtlichen Untersuchung, also metasprachlich. Wer jedoch eine Metapher von jeglichem Kontext [. . .] zu entblößen versucht, zerstört damit die Metapher. Eine Metapher ist folglich nie ein einfaches Wort, immer ein - wenn auch kleines - Stück Text. “ (Weinrich 1976, 319) Deshalb ist es auch für Weinrich ein so wichtiges Anliegen, die Wortsemantik in eine Textsemantik zu überführen. Während in der Konzeptuellen Metapherntheorie der sprachliche Kontext nicht in Erscheinung tritt, 21 ist dieser Hinweis der große Ertrag der Theorie Weinrichs. Dennoch: Das stärkste Moment seiner Theorie birgt gerade auch seine größte Schwäche: Die Aufmerksamkeitsverschiebung hin zum Text versieht nun diesen mit Intentionen, die eigentlich den Kommunikationspartnern zugeschrieben werden müssten, die aber in der textlinguistisch orientierten Konzeption Weinrichs, in der die semantischen Isotopien zum Bestimmungsmerkmal der Metapher werden, ebenso außen vor bleiben wie in der Konzeptuellen Metapherntheorie. Der gepriesene Kontext bleibt damit letztlich eine lineare Abfolge von eigentlichen Wörtern mit uneigentlicher Unterbrechung, während Aspekte der physischen, geistigen und kulturellen Welt in die konkrete Analyse keinen Eingang finden (Kohl 2007, 51 - 52; Linz 2004, 261 - 262). Jäkel (2003, 129 - 130) sieht in Blumenberg und Weinrich die vielleicht unmittelbarste europäische Vorwegnahme der Konzeptuellen Metapherntheorie, die gleichzeitig einen essentiellen Beitrag zur aktuellen Diskussion liefern könnte. Während Blumenberg mit seiner Hintergrundmetaphorik die konzeptuelle Metapher nicht nur in aller Fülle vorwegnimmt, sondern gleichzeitig entlang einer Erarbeitung der geistesgeschichtlichen Paradigmen deren Standortabhängigkeit exemplarisch vorführt, entwickelt Wein- 21 Das Paradox in der lakoffschen Konzeption ist ja gerade, dass Lakoff bei der Kreation seiner Beispiele auf die Vorstellung eines sprachlichen Kontextes angewiesen ist, der stillschweigend im Hintergrund läuft, ohne thematisiert zu werden. So erscheinen in den Schriften isolierte Metaphernbeispiele, die ihrerseits vom Leser lediglich dann verstanden werden können, wenn dieser sein eigenes Vorstellungs- und Kontextualisierungsvermögen zu aktivieren imstande ist. 222 rich die von allen vorgestellten Vorläufern eindeutigste Zwei-Domänen- Theorie der Metapher und sieht in solchen Domänen zugleich die Kraft kulturabhängiger Denkmodelle wirken. Die beiden Ansätze lassen sich deshalb komplementär verstehen: Bei Weinrich liegt der Fokus in kulturgeschichtlicher Hinsicht auf Kontinuitäten, bei Blumenberg hingegen auf Veränderungen und Brüchen, wogegen die Konzeptuelle Metapherntheorie dieses geistesgeschichtliche Potential der Metapher kaum berührt hat. Erst in den neueren unter 3.5.1 besprochenen Untersuchungen zu Diskursmetaphern keimt erneut ein Interesse an dieser historischen Perspektive auf (Zinken & Musolff 2009). Während sich Blumenberg somit stärker auf eine historische Perspektive konzentriert und mit seiner ‚ Metaphorologie ‘ eine Rekonstruktion via Metapher erzeugter philosophiegeschichtlicher Paradigmen unternimmt, wendet sich Weinrich einer synchronen Sicht zu, und das bedeutet für ihn eine Hinwendung zum Text: hin zu Kontext und Kotext sowie zum Feldbegriff: als Bildfeld, das eine Reihe von unterschiedlichen Ausdrücken ‚ spendet ‘ , die in einem semantischen Bezug zueinander stehen. Letztlich bleiben beide Theorien, Weinrichs semantisch, strukturalistisch und hermeneutisch geprägter Entwurf wie auch Blumenbergs mentalitätsgeschichtliche und erkenntnistheoretische Konzeption, von den kommunizierenden Subjekten entkoppelte Betrachtungen, bei denen die Metapher als kulturell und historisch präformierte Sprachstruktur verstanden wird. Dabei werden die Ereignishaftigkeit der lebendigen und innovativen Metapher sowie ihre prinzipielle Unkalkulierbarkeit gerade im Hinblick auf das mannigfache Verstehenspotential übersehen. 4.8 Vorläufer einer kognitiv-interaktionistischen Metapherntheorie als blending mentaler Räume Als Vorläufer einer Blending-Theorie der Metapher sind die Arbeiten von Karl Bühler und mehr noch die jenes Denkers zu nennen, der Bühler die entscheidenden Impulse für seine Ausarbeitung einer Metapherntheorie lieferte: Wilhelm Stählin. Für den Theologen und Religionspsychologen Stählin beginnt das Interesse an der Metapher mit einer Analyse der religiösen Bildersprache (Hülzer-Vogt 1989, 5 - 10). Ab 1909 besucht er regelmäßig die Vorlesungen des damals an der Universität Würzburg lehrenden Karl Bühler, der seinerseits mit Oswald Külpe, Narziß Ach, Otto Selz und Karl Marbe zu einem Kreis von Wissenschaftlern zählt, die aufbauend auf Ergebnissen der Gestaltpsychologie mit der Begründung ihrer Denkpsychologie eine kognitive Wende herbeiführen und sich um die Begründung einer allgemeinen geisteswissenschaftlichen Psychologie bemühen. 223 Seine Doktorarbeit verfasst Stählin unter dem Titel Zur Psychologie und Statistik der Metaphern (1913). Im Zentrum steht die Frage: „ Was geht in uns vor, wenn wir gehörte oder gelesene Metaphern verstehen? “ (Stählin 1913, 11). Seine im Folgenden ausgeführte Theorie untermauert er mit psychologischen Experimenten, bei denen Versuchspersonen beschreiben, wie sie bestimmte metaphorische Ausdrücke, etwa der greise Wald, verstehen. Die Versuchspersonen antworteten, dass sie sich, angeregt durch das Adjektiv, alte und zerfurchte Baumrinden oder wild überhängende Flechten vorstellen würden, woraus Stählin schließt, dass beim Verstehen eines solchen Ausdrucks offensichtlich bestimmte typische Merkmale einer alten Person wie runzlige Haut und wirre Haartracht auf bestimmte Charakteristika des Baums transponiert werden, wobei der Hörer auf der Basis zweier unterschiedlicher Bedeutungssphären eine gemeinsame schafft. Der metaphorische Prozess besteht somit in einem Austausch zwischen zwei Sphären, die beide ein bestimmtes ‚ Stoffgebiet ‘ darstellen, das sich durch entsprechende ‚ Wortkombinationen ‘ auszeichnet: „ Die Sache, von der die Rede ist, wird mit neuen Merkmalen ausgestattet, in einen beziehungsreichen Zusammenhang hineingestellt und dadurch in eine neue Beleuchtung gerückt, und sie wird mit eigentümlichen Stimmungs- und Gefühlswerten bekleidet; kurz, sie wird in einer genaueren und reicheren Weise im Bewußtsein vergegenwärtigt. “ (Stählin 1913, 47). Das Zitat verweist bereits auf eine entscheidende Parallele zur Blending- Theorie von Fauconnier und Turner: auf das Interesse am kreativen, kognitiven Prozess, während die Theorie von Lakoff und Johnson stärker am Wissensbestand und damit an der konventionalisierten Metapher interessiert ist, die lediglich ‚ abgerufen ‘ wird. ‚ Sphäre ‘ in der Terminologie Stählins lässt sich dementsprechend in klarer Analogie zum Begriff mental space verstehen. Im Gegensatz zur Unidirektionalität der metaphorischen Übertragung in der Konzeptuellen Metapherntheorie wird die Metapher hier zu einer Angelegenheit der gegenseitigen Durchdringung zweier Sphären: „ kurzum: ich ziehe nicht nur das Bild in die Sphäre des Sachgegenstandes, sondern auch die Sache in die Sphäre des Bildes hinein. Es findet ein Austausch der Merkmale, eine Vereinigung der beiderseitigen Sphären, eine Verschmelzung von Bild und Sache statt. “ (Stählin 1913, 324). Stählin antizipiert damit nicht nur die Blending-Theorie, sondern auch die Interaktionstheorie nach Richards (1936/ 1965) und Black (1962), so dass Mooij (1976, 73) sogar davon spricht, dass es sich bei Stählins Entwurf um „ the first elaborate statement of the interaction view “ handle. 22 Die Ver- 22 Trotzdem sei an dieser Stelle nochmals daran erinnert, dass sich die Kernidee zu einem Verständnis der Metapher als Sphärenmischung schon bei Gerber und Biese findet; mit 224 schmelzung der beiden Sphären wird nicht durch eine Wesensgleichheit eingeleitet, sondern durch eine ‚ Verwandtschaft ‘ , die auf gemeinsamen ‚ Gefühlswerten ‘ einer Kulturgemeinschaft gründet (Stählin 1913, 53 - 54). Damit spielt Stählin über den rein analytischen generic space von Fauconnier und Turner hinaus bereits auf die kulturelle Einbettung des Verschmelzungsprozesses der beiden Sphären an, also auf das, was Brandt und Brandt (2005) in ihrer semiotischen Umdeutung der Blending-Theorie relevance space nennen. Zurück zur Leitfrage seiner Abhandlung richtet Stählin seine Aufmerksamkeit nun auf die Verstehensleistung, und es ist gerade diese Hinwendung zum Hörer bzw. Leser, die in den Arbeiten von Fauconnier und Turner, wie in Kapitel 3.2 gezeigt wurde, zu kurz kommt, weshalb die Theorie Stählins bedeutende komplementäre Einsichten zur aktuellen Diskussion um Blending-Prozesse zu liefern vermag. Dabei knüpft Stählin an Bühler (1909) an, der zwischen drei Stufen des ‚ Bedeutungserlebnisses ‘ unterscheidet: (a) dem ‚ Bekanntheitseindruck ‘ , der sich darauf bezieht, dass der Hörer das Wort schon einmal gehört haben muss; (b) der ‚ Bewusstseinslage des Verstehens ‘ , wobei es ausreicht, dass der Hörer weiß, was gemeint ist, obwohl die mentalen Abläufe weitgehend unbestimmt bleiben; (c) der ‚ Vergegenwärtigung ‘ , die sich auf das Wissen bezieht, dass der Sprecher bei seiner Äußerung jenes Objekt bzw. jene Sphäre im Sinn hatte, weshalb Bühler (1909, 109) auch von ‚ Bedeutungsbewusstsein ‘ spricht. Mit Blick auf die Metapher adaptiert Stählin nun diese Idee vom ‚ Bedeutungserlebnis ‘ dergestalt, dass der Satz, den der Sprecher von sich gibt, den Hörer „ an den Gegenstand von einer bestimmten Stelle herantreten “ lässt und eo ipso steuert, „ welche Merkmale desselben ich mir vergegenwärtige; ich nehme unwillkürlich das Wort als zu der Sphäre zugehörig, in die mich der Satz hineingeführt hat “ (Stählin 1913, 23). Es gibt also eine Beziehung der gegenseitigen Einflussnahme, nicht der Bedeutungsdetermination, ein Gedanke, der sich innerhalb der Kognitiven Linguistik in dem durch Langacker (1987) geprägten Konzept vom construal findet, das sich darauf bezieht, wie „ a speaker chooses to package and present a conceptual representation, which in turn has consequences for the conceptual representation that the utterance evokes in the mind of the hearer “ (Evans & Green 2006, 536), wobei Fokalisierungen (focal adjustments) eine besondere Rolle zukommt, indem sie bestimmte Aspekte der jeweils projizierten Szene in den Vordergrund rücken und andere in den Hintergrund stellen. Einschränkung gibt es Impulse zu dieser Auffassung auch bei Mauthner ( ‚ Wippchen ‘ ) und Paul ( ‚ Kontamination ‘ ). Dennoch kann Stählin als der erste Autor bezeichnet werden, der eine ausgearbeitete Theorie der Metapher als Prozess der Sphärenmischung vorlegt. 225 Die Metapher zeichnet sich nun in der hörerzentrierten Perspektive Stählins durch ein Spannungsverhältnis zwischen Ausdruck und Kontext aus, wobei dem Hörer die Aufgabe zufällt, ein neues Bedeutungserlebnis zu entwickeln, das über die „ Bewusstseinslage der doppelten Bedeutung “ (Stählin 1913, 26) verläuft: Es kommt zu einer Vermischung von Wort und Bild, um die Spannung zwischen den Sphären abzubauen, wobei das Bedeutungserlebnis unbestimmt bleibt; d. h., der Hörer registriert zwar das simultane Vorhandensein zweier Bedeutungen, schlüsselt diese jedoch nicht im Einzelnen auf - ein Aspekt des metaphorischen Bedeutungsprozesses, dem sich Fauconnier und Turner später zuwenden, wenn auch in idealisierter Form. Ist ein Gleichgewicht zwischen den Sphären erreicht, gelangt der Hörer zu einer neuen „ Bewußtseinslage des metaphorischen Verstehens “ (Stählin 1913, 28). Wie kommt es zu der Verschmelzung beider Sphären? Stählin (1913, 41) zufolge werden verschiedene Eigenschaften, Elemente und emotionale Aspekte aus beiden Sphären abstrahiert und aufeinander projiziert, was der Idee vom generic space der Blending-Theorie ähnelt. Allerdings folgt der Hörer in seinem Verstehensprozess keiner logischen Abfolge, wie etwa die searlesche Theorie annimmt, sondern gelangt zu seiner neuen Bewusstseinslage via ‚ Aha-Erlebnis ‘ , ein Terminus, den Stählin bei Bühler (1909, 117) entlehnt und den er als Unmittelbarkeit im Gegensatz zur Allmählichkeit verstanden wissen möchte: „ Die Metapher gibt das Gefühl, statt darüber zu reden [. . .] Sie beschreibt nicht, sondern läßt erleben “ (Stählin 1913, 51). Man sieht plötzlich etwas mit anderen Augen, ein click of comprehension wandelt das unbekannte oder wieder neu besehene Objekt in ein vertrautes um; was zuvor daran mit dem Verstand nicht erfasst werden konnte, wird nun blitzartig verstanden. Hülzer-Vogt (1989, 28) fasst die von Stählin formulierten Grundbedingungen des metaphorischen Verstehens im Kommunikationsablauf in fünf Schritten zusammen: 1. Die zusammentreffenden Sphären müssen kombinierbar sein (Verstehen); 2. Die Metapher soll mit dem möglicherweise schon vorhandenen Eindruck von einer Sache harmonieren (Verstehen); 3. Das Tertium Comparationis soll als verblüffend und treffend empfunden werden können (Verstehen und Akzeptanz); 4. Die Metapher soll eine Bereicherung des Wissensbestands zur Folge haben (Verstehen und Akzeptanz); 5. Inhaltliche Prägnanz der Metapher und Kürze des Bildauftritts sollen sich die Waage halten: Mühelosigkeit (Akzeptanz). 226 Charakteristisch für die Perspektive Stählins ist also einerseits jene von der Konzeptuellen Metapherntheorie so hervorgehobene epistemische Funktion der Metapher; andererseits hängt diese jedoch in entscheidendem Maße von der Akzeptanz seitens des Hörers ab, der eine Metapher entweder als innovative oder als konventionelle Verschmelzung zweier Sphären betrachten kann, oder der sie schlicht und ergreifend gar nicht bemerkt. Als Repräsentant der Würzburger Schule vertritt Karl Bühler eine holistische Version der Psychologie und entwickelt eine Phänomenologie des Denkens, die sich in Abgrenzung zum Atomismus der Assoziationspsychologie versteht, indem er dieser ein neues Interesse an den kognitiven Prozessen gegenüberstellt. Die Arbeiten von Ach, Watt, Messer und Bühler, die im Zusammenhang mit dem Würzburger Institut Oswald Külpes entstanden sind, gelten allenthalben als der erste Schritt auf dem Weg zu einer wissenschaftlichen Denkpsychologie. Im Vordergrund steht der irreduzible Charakter aller Denkerlebnisse, der an den erkenntnistheoretischen Grundfesten der Wundtschen Schulpsychologie rüttelt. Bühler erörtert vielerorts gestaltpsychologische Fragen, was u. a. im Titel seiner Schrift Die Gestaltwahrnehmungen. Experimentelle Untersuchungen zur psychologischen und ästhetischen Analyse der Raum- und Zeitanschauung (1913) zum Ausdruck kommt. Im Rückgriff auf Husserl und Kant entwickelt er in seinem Hauptwerk Sprachtheorie (1934/ 1982) eine Zeichentheorie, die er die ‚ Zweifelderlehre ‘ seiner Sprachtheorie nennt (1934/ 1982, 119): Er unterscheidet zwischen ‚ Zeigfeld ‘ und ‚ Symbolfeld ‘ und in Analogie dazu zwischen der demonstratio ad oculos et ad aures und der ‚ deixis am phantasma ‘ , wobei im ersten Fall die ‚ Origo des Zeigfeldes ‘ als Nullpunkt im Koordinatensystem der subjektiven Orientierung die Zeigwörter Hier, Jetzt und Ich hervorbringt, die den Ausgangspunkt für die Zeighandlungen des Individuums in Raum und Zeit markieren (Bühler 1934/ 1982, 102). Bei der ‚ deixis am phantasma ‘ wird hingegen via Sprache vom aktuell anschaulichen Raum abstrahiert, so dass wir es nicht mehr mit einem situationsgebundenen, sondern mit einem situationsentbundenen Sprachgebrauch zu tun haben. Dennoch behält das Steuerungsverhalten im koaktiven Handlungsgefüge von Kundgabe und Kundnahme den zeigenden Charakter bei, wovon die entsprechenden räumlichen und zeitlichen Zeigwörter Zeugnis ablegen. Auch in Bühlers Perspektive findet sich damit ein anthropologisches Apriori für jegliche Art der Sinnkonstruktion. Darum erstaunt es kaum, dass er ebenso davon ausgeht, die von uns in der Sprache verwendeten Metaphern wurzelten in unseren körperlichen Grunderfahrungen und Empfindungen - ein Gedanke, der mit den von Grady (1997 a; 1997 b) eingeführten primary metaphors sowie dem von Johnson (1999) geprägten Begriff conflation korreliert werden kann, wie das folgende Zitat nahe legt: 227 „ Das ‚ bittere ‘ Leid und das ‚ süße ‘ Glück und der ‚ sauere ‘ Verzicht sind keine freien Erfindungen der Dichter, sondern sichtbare Ausdrucksphänomene auf menschlichen Gesichtern. [. . .] Das Zusammenbringen der sprachlichen Fassung ist hier nicht produktiv, sondern gibt nur wieder, was in jedem Sehen und Verstehen des gewachsenen menschlichen Ausdrucks schon zusammen gesehen wird. “ (Bühler 1934/ 1982, 346) Wie die anderen bereits thematisierten Vorläufer der kognitiven Metaphernforschung, so lokalisiert auch Bühler den primären Verwendungsbereich der Metapher im Alltag; er betrachtet sie weder isoliert, noch im Vergleich mit anderen Tropen, sondern im Verbund mit weiteren Ausdrucksformen wie den ‚ Undverbindungen ‘ (Bühler 1934/ 1982, 315 - 320) und den Komposita (Bühler 1934/ 1982, 320 - 342). Brekle (1984, 271) merkt an, Bühlers Ausführungen zur Metapher stünden in enger Beziehung zu seinen vorangegangenen Erörterungen, so dass sein Beitrag zur sprachlichen Metapher als Herausstellung der „ Prinzipien für eine Semantik der Komposita auf psychologischer Basis “ gewertet werden könne, wobei allen drei Prozessen - Undverbindung, Kompositabildung und Metapher - gemeinsam sei, dass sie auf der Grundlage eines „ sphärenmischenden Komponierens “ (Bühler 1934/ 1982, 344) erfolgen. In der Tat greift Bühler bei vielen seiner Beispiele für Metaphern auf Komposita zurück. So analysiert er etwa das Zusammenspiel zweier unterschiedlicher Sphären bei Wörtern wie Fingerhut, Handschuh oder Tischbein und gelangt auf diesem Weg zu der Überzeugung, dass der Mensch die natürliche Neigung pflege, Unbekanntes auf dem Wege des Bekannten auszudrücken (Bühler 1934/ 1982, 344), womit er im Sinne Jäkels ebenso wie die Konzeptuelle Metapherntheorie die Modell-These und die Notwendigkeits-These vertritt. Daher überrascht es kaum, dass sich Bühler in diesem Rahmen auch für entwicklungspsychologische Fragestellungen interessiert, wobei er u. a. beobachtet, dass Kinder dazu tendieren, ihre Umwelt und die Ereignisse in der Welt häufig via physiognomischer Merkmale zu erschließen, so dass ein Stuhl gleich einem Lebewesen stehen oder hinfallen kann (Bühler 1934/ 1982, 346). In seiner Untersuchung Die geistige Entwicklung des Kindes (1918) trägt er eine ganze Reihe solch kindlicher Metaphern vor. Bühler betrachtet hier also auf ontogenetischer Ebene genau das, was Vico, Nietzsche, Lambert, Paul und Mauthner im Hinblick auf die Entwicklung der Menschheitsgeschichte und ihrer Sprache zu ergründen suchten. Inspiriert durch Stählin unternimmt Bühler eine vergleichbare Beschreibung des metaphorischen Prozesses als ‚ Sphärenmischung ‘ , wobei sprachliches und nicht-sprachliches Wissen zusammengeschmolzen werden. Er vergleicht diesen Prozess mit der Leistung des Doppelauges, bei dem sich dasselbe Objekt auf zwei Netzhäuten abbildet, aber dennoch wegen der binokularen Vereinigung einfach gesehen wird, da alles Disparate heraus- 228 fällt. Die Metapher beschreibt er in Analogie zu einem ‚ Doppelgitter ‘ oder ‚ Doppelfilter ‘ , bei dem eine visuelle Projektion durch zwei Filter läuft, die sich gegenseitig zum Teil abdecken (Bühler 1934/ 1982, 348). 23 Abb. 4.8-1: Metapher als Doppelfilter (Bühler 1934/ 1982, 348) Allerdings benennt er die beiden an diesem Prozess beteiligen Sphären nicht wie Stählin auf unterschiedliche Weise - ‚ Bildsphäre ‘ und ‚ Sachsphäre ‘ - , sondern gibt beiden Domänen in Anlehnung an Erdmann (1900/ 1925) 24 den gleichen Namen: ‚ Bedeutungssphäre ‘ . Den Effekt, der bei dieser „ selektiven Wirkung der Sphärendeckung “ (Bühler 1934/ 1982, 349) erzielt wird, illustriert Bühler anhand des Kompositums Hölzlekönig, bei dem aus der Gesamtmenge der semantischen Merkmale der beiden Kompositionsglieder ‚ Wald ‘ und ‚ König ‘ diejenigen Merkmale ausgesondert werden, die miteinander kompatibel sind und sich zur Charakterisierung eines Baumes als ‚ königlich ‘ eignen (Brekle 1984, 273): „ Ich denke also Königliches einem Baum an “ (Bühler 1934/ 1982, 348 - 349). Am Beispiel Salonlöwe zeigt er auf, wie selektiv die Wirkung einer Metapher sein kann, da der Löwe prinzipiell eine ganze Reihe an Eigenschaften zur Disposition stellt, darunter auch Blutgier oder Kampfgeist; dennoch werden diese Optionen durch die Sphäre ‚ Salon ‘ in 23 Die Idee des Doppelfilters stammt ursprünglich von Gardiner, der sein Werk The Theory of Speech and Language (1932/ 1951) zwei Jahre vor dem Bühlers verfasst und diesem inhaltlich sehr nahe steht, indem er gleichfalls einer semantischen und sozialen Perspektive den Vorrang gibt, sich Sprache als Mittel gesellschaftlicher Kooperation und Interaktion zuwendet und ihre Untersuchung als autonomes, von der konkreten Wahrnehmungs-, Verhaltens- und Sozialsituation losgelöstes Bezeichnungssystem entschieden zurückweist. In der Metapher sieht Gardiner (1932/ 1951, 168) ein Phänomen, das zwischen einem Wort, das von einem individuellen Sprecher im übertragenen Sinn benutzt wird, und einem Wort mit stereotypisierter Bedeutung anzusiedeln ist, aus dem die einstmals vorhandene Bildlichkeit bereits getilgt wurde. Das hinzugezogene Bild wirkt wie ein Filter oder eine Linse, die man aus einem anderen Erfahrungsbereich heranholt (Innis 1984, 138 - 139). 24 Erdmann führt die erlebnispsychologische Theorie aus ihrer Vorstellungssemantik heraus, indem er an die Stelle der Anschaulichkeit und Bestimmtheit der einzelnen Wortvorstellung die syntagmatischen Relationen und damit Kotext und Kontext sowie die Funktionsweise der Wörter im sprachlichen Verkehr setzt (Knobloch 1988, 303 - 304). 229 starkem Maße restringiert. Bühler beschreibt diesen Effekt als ‚ Gesetz der Abdeckung ‘ und stellt im Anschluss an den von der Gestaltpsychologie (Ehrenfels 1890/ 1974) geprägten Begriff der ‚ Übersummativität ‘ , demzufolge das Ganze immer mehr ist als bloß die Summe seiner Teile, einen Komplementärbegriff zur Seite, den der ‚ Untersummativität ‘ : Bei der Metapher, so Bühler, seien beide Prinzipien am Werke: „ Die semantische Wirkung eines metaphorischen Ausdrucks besteht in einer zum Vorschein kommenden Qualität, die weder vorher bereits in dem Sprachsystem (langue) existierte noch auf seine Konstituenten reduzierbar ist, und gerade auf diesen zum Vorschein kommenden Charakter und nicht etwa irgendeine bloß negativ orientierte ‚ selektive Aufmerksamkeit ‘ gehen der Sinnüberschuß und die Einsicht zurück, die der Metapher innewohnen. Da die Metapher - wie jedes andere Wort auch - zur gleichen Zeit eine Möglichkeit der Abstraktion darstellt, fallen in diesem Prozeß alle nicht anwendbaren und nicht übertragbaren Qualitäten - semantische Merkmale - aus den zwei (oder mehr) semantischen Räumen, die in der Metapher miteinander verbunden werden, fort. In dem neuen Ausdruck werden nur ausgewählte semantische Merkmale aus den verschiedenen semantischen Räumen synthetisiert. “ (Innis 1984, 141) Hier wird zu Ende gedacht, was bei Lakoffs (1993) Diskussion über die Einschränkungen seines Invarianzprinzips zwar bemerkt wird; dessen Unhaltbarkeit aufgrund der Mitbestimmung und Selektion durch den Zielbereich jedoch gesteht er nicht ein, wogegen sich diese Unstimmigkeit in der bühlerschen Konzeption in einem Wechselspiel beider Domänen auflöst. Das heißt, dem Fortfall irrelevanter Eigenschaften oder Merkmale seitens der einzelnen Sphären bei ihrem Zusammenwirken steht ein Zugewinn semantischer Aspekte gegenüber, der durch die Interaktion der Sphären erbracht wird. Etwas aufgeben und etwas bekommen sind in dieser Perspektive also die beiden Grundzüge des metaphorischen Prozesses (Hülzer-Vogt 1987, 73). Die Gittermetaphorik nimmt den Gedanken von Ermöglichung und Verhinderung vorweg: Die Welt kann in neuem Lichte gesehen werden, wobei die Gitterstäbe jedoch gleichzeitig einen Teil der Aussicht verstellen - eine Charakterisierung, die bei Lakoff und Johnson in der Ausformulierung der beleuchtenden und zugleich verdeckenden Wirkung der Metapher ihren Niederschlag findet. 25 25 Der Dichter Paul Celan hat das gleiche Bild des ‚ Sprachgitters ‘ von Jean Paul übernommen, mit dem das Titelgedicht eines seiner Gedichtbände überschrieben ist und das als Metametapher das Strukturprinzip seiner eigenen Metaphorik illustriert (Burkhardt 1987, 45). 230 In ihrem Resümee fasst Hülzer-Vogt (1987, 36) die zentralen Konstituenten der Metapher in der bühlerschen Konzeption zusammen: 1. Zwei Bedeutungssphären werden miteinander assoziiert (Entstehen); 2. Die beiden Sphären filtern sich gegenseitig, bilden also einen Doppelfilter (Entstehen); 3. Die kompatiblen Teile der beiden Sphären decken sich, es kommt zu einer Sphärendeckung (Entstehen); 4. Die kompatiblen Teile sind mittels des Doppelfilters selektierte Merkmale, so dass es keine totale Sphärendeckung gibt, sondern eine selektive Wirkung der Sphärendeckung (Entstehen); 5. Die disparaten Teile der beiden Sphären fallen nach dem Gesetz der Abdeckung aus (Entstehen). Nur zwei Jahre nach Erscheinen der Sprachtheorie publiziert der englische Literaturkritiker und Semiotiker Ivor A. Richards seine Vorlesungsreihe The Philosophy of Rhetoric (1936/ 1965), in der er die Interaktionstheorie der Metapher begründet, offensichtlich ohne Kenntnis der Arbeiten Stählins und Bühlers oder anderer vorausgegangener kontinentaleuropäischer Beiträge (Mooij 1976, 38). Das wird daraus ersichtlich, dass der Ansatzpunkt von Richards die aristotelische Metapherntheorie darstellt, gegen die er sich hier mit dem Argument wendet, die Verwendung von Metaphern sei allen Menschen eigen und nicht durch individuelle Dispositionen erklärbar - eine Einsicht, die in allen in diesem Kapitel behandelten Metaphernauffassungen bis ins 17. Jahrhundert zurück vorausgesetzt wird. Später führt die Ausblendung der nicht englischsprachigen Abhandlungen zur Metapher zu der Verbreitung und Verfestigung der erstmals durch Max Black (1962) vorgenommen reduktionistischen Auffächerung der Metapherntheorien in eine Substitutionstheorie, eine Vergleichstheorie und eine Interaktionstheorie der Metapher. Typischerweise wird der kognitive Ansatz erst nach dem Erscheinen des Klassikers von Lakoff und Johnson aufgenommen, wie u. a. die Unterteilung von Nöth (1985/ 2000, 344) belegt. 26 Richards wird damit bis heute in vielen Abhandlungen immer noch fälschlicherweise als bahn- 26 Im Lexikon der Metapherntheorien unterscheidet Rolf (2005) insgesamt 25 Metapherntheorien auf der Basis einer Kerndifferenz von semiosischen und semiotischen Theorien, wobei zur ersten Kategorie strukturale und funktionale, zur zweiten Kategorie semantische und pragmatische Ansätze gezählt werden. Wie die Rezension von Gansen (2008) zu Recht bemerkt, scheint die vorgetragene Auswahl Rolfs recht willkürlich zusammengestellt worden zu sein. Erstaunlich ist auch, wie rudimentär hier auf die Theorie von Lakoff und Johnson unter alleinigem Rückgriff auf die deutsche Übersetzung ihres Schlüsselwerks eingegangen wird, wobei die letzten 30 Jahre Weiterentwicklung der Theorie durch unzählige neue Theoretiker (vgl. Kapitel 3) keinerlei Beachtung findet. 231 brechender Gründungsvater der modernen Metaphorologie betrachtet (Schöffel 1987, 191; Strub 1991), da die Metapher erst hier - so ist es auch bei Debatin (1995, 93) zu lesen - erstmals als semantisches, kontextuelles und kommunikationstheoretisches Phänomen behandelt werde. Richards (1936/ 1965, 90) betrachtet die Metapher als eine konstitutive Form der Sprache und als Werkzeug zur Strukturierung der Welt, womit er ihr die privilegierte Position entzieht, die ihr von Aristoteles zugesprochen wurde, indem er das Sehen von Ähnlichkeiten als grundlegendes Humanvermögen beschreibt. Dabei wendet er sich auch gegen die scharfen Begriffstrennungen extrakommunikativer Bestimmungen, denn in der tatsächlichen Rede werden alle Worte stets durch ihre Kontexte bedingt, so dass es kein Wort gibt, das als Ersatz für einen isolierten Eindruck steht, sondern immer schon im Zusammenhang mit einer Kombination verschiedener Aspekte gesehen werden muss, ein Grundsatz, den er mit context theorem of meaning überschreibt. Zum einzelnen Wort gelangt man erst über eine Interaktion; d. h. es ist nicht Ausgangspunkt, sondern Ergebnis eines Vorgangs, so dass nur die Frage der Verwendung über den Status ‚ Metapher ‘ entscheiden kann (Bertau 1996, 135). Diesen Verwendungszusammenhang begreift er wie Stählin und Bühler als ‚ Interaktion ‘ von zwei Sphären, die er primär dem Reich des Denkens zuschreibt: „ when we use a metaphor we have two thoughts of different things active together and supported by a single word, or phrase, whose meaning is a resultant of their interaction “ (Richards 1936/ 1965, 93). Richards führt zur Definition der ‚ Doppel-Einheit ‘ Metapher die Unterscheidung zwischen tenor und vehicle ein, wobei der erste Terminus in der Sicht der Konzeptuellen Metapherntheorie dem Zielbereich, der zweite dem Ausgangsbereich entspräche (Jäkel 2003, 95). Dabei hebt Richards explizit den kognitiven Aspekt hervor: „ fundamentally it is a borrowing between and intercourse of thoughts, a transaction between contexts. Thought is metaphoric, and proceeds by comparison, and the metaphors of language derive therefrom “ (Richards 1936/ 1965, 94). Das hier konstatierte Dependenzverhältnis zwischen der Sprach- und Kognitionsebene entspricht zum Teil der Domänen-These. Allerdings gehen die Ausführungen Richards nicht in ganze Domänen hinein, sondern bleiben weitgehend auf einzelne Ausdrücke beschränkt, denen er darüber hinaus im Gegensatz zu den Ausführungen Pauls, Wegeners und Mauthners im Hinblick auf Sprachentwicklung und Bedeutungswandel eine literale Grundbedeutung zugesteht, womit die klassische Bedeutungsdualität erhalten bleibt. Hülzer-Vogt (1987, 153) spekuliert, dass diese Vernachlässigung der Ubiquität der Metapher sowie ihres Ursprungs mit dem vornehmlich literaturwissenschaftlich geprägten Interesse Richards ’ zusammenhängen könnte. Für Max Black (1962) lässt sich die kognitive und kreative Kraft der Metapher aus ihrer Nichtersetzbarkeit und Vielschichtigkeit heraus erklä- 232 ren, so dass er sich explizit gegen die Substitutions- und Vergleichstheorie wehrt, indem er von ‚ emphatischen Metaphern ‘ spricht, wobei er sich mit dem Terminus ‚ Emphase ‘ auf das Maß ihrer Nichtaustauschbarkeit und Nichtparaphrasierbarkeit bezieht. Zugleich führt er einen weiteren Terminus ein, den der ‚ resonanten Metapher ‘ , die zu immer neuen Interpretationen aufruft und dabei weitere Hintergrundimplikationen freisetzt, so dass sich die miteinander interagierenden gekoppelten semantischen Felder wechselseitig in Schwingung versetzen, ein Prozess, bei dem stets neue Bedeutungsnuancen hervorgebracht werden können. Metaphern, denen diese beiden Eigenschaften abhanden gekommen sind, verkörpern im Gegensatz zu solchen innovativen entweder lexikalisierte oder konventionalisierte Metaphern. Bei Black (1962, 28) findet sich eine Öffnung der beiden von Richards etablierten Grundbegriffe tenor und vehicle, die er nun focus und frame nennt, obwohl er hier im Gegensatz zu Richards mentaler Bezugnahme zunächst auf der Sprachebene verweilt: Der metaphorisch verwendete Ausdruck ist der Fokus und der Satz, der diesen Ausdruck enthält, der Rahmen. Damit wird die Metapher durch eine vollständige Aussage gebildet. Später spricht er auch von principal und subsidiary subject, wobei er über die reine Sprachoberfläche hinausgeht und die interagierenden kulturabhängigen Vorstellungswelten miteinbezieht, indem er annimmt, dass es ein System von Implikationen gebe, welches z. B. das Standardwissen der Menschen einer bestimmten Kulturgemeinschaft über Wölfe bereitstellt und für Aussagen wie „ Man is a wolf “ verantwortlich ist. Dabei geht es nicht um Sachwissen, sondern im Vordergrund steht das einer Sprachgemeinschaft gemeinsame Hintergrundwissen, das gleichsam Gerüchte, Vorurteile, Phantasien und Mythen umfasst, was Black (1962, 40) prägnant in dem Begriff system of associated commonplaces zum Ausdruck bringt. Was interagiert, sind also primär die beiden hinter der Sprache stehenden Systeme von Gemeinplätzen. Dies führt gleichzeitig zu Effekten des Hervorhebens und Verdeckens, womit sich auch bei Black bereits die Fokussierungs-These findet. Allerdings betrachtet er die Selektion entsprechend der Interaktionstheorie als eine wechselseitige: „ If to call a man a wolf is to put him in a special light, we must not forget that the metaphor makes the wolf seem more human than he otherwise would “ (Black 1962, 44). Dabei geht es nicht darum, die Eigenschaften des Wolfes wahrheitsgetreu zu erfassen oder begrifflich eindeutig zu definieren; vielmehr sind es die Teilnehmer der entsprechenden Kulturgemeinschaft, die über die Gültigkeit solcher Aussagen ihr Urteil fällen. Ob allerdings die Bidirektionalität der Beeinflussung in diesem Beispiel tatsächlich nachvollziehbar ist, sei dahingestellt. Grundsätzlich ist anzumerken, dass die Texte von Richards und Black unter extremer Beispielarmut leiden (Jäkel 2003, 100), was zugleich ein Manko des Versuchs von Black darstellt, seine Interaktionstheorie in einen kulturellen Rahmen einzustellen, denn die 233 commonplaces bleiben philosophisch, linguistisch und kognitionspsychologisch unterdeterminiert. Weitere Parallelen zu seinen Vorläufern und Nachfolgern fallen ins Auge: Wie Bühler etwa spricht auch Black (1962, 39) von ‚ Filter ‘ und sieht im Zusammenwirken der beiden Bereiche eine Bedeutungserweiterung. Die Nähe zu den späteren Arbeiten von Fauconnier und Turner wird besonders in einem späteren Text von Black deutlich, in dem er seinen Begriff model spezifiziert und die Metapher zu einem Oberflächenphänomen erklärt, das auf ein viel tiefer liegendes Denkmodell verweist: „ Every metaphor is the tip of a submerged model “ (Black 1979, 31). Die Formulierung erinnert unweigerlich an die populäre Deutung Fauconniers (1997, 1) von Sprache als „ tip of the iceberg “ , auf die ich in Kapitel 3.2 ausführlich eingegangen bin. Die drei skizzierten Ansätze, die sich als Vorläufer zur Blending-Theorie lesen lassen, stellen in vielfacher Hinsicht Antizipationen der aktuellen kognitiven Metaphernforschung dar: Sie gehen von Domänen bzw. Sphären anstelle von isolierten Ausdrücken aus, konstatieren wie Fauconnier und Turner eine wechselseitige Interaktion zwischen solchen Bereichen und fokussieren ebenfalls Online-Prozesse, womit sie die Metapher in ihrer Dynamik und nicht als statisches Produkt in Augenschein nehmen. Auch wenn die Theorie von Fauconnier und Turner weitaus komplexer und illustrativer ist, wobei die Autoren von der Betrachtung zweier interagierender inputs zu multiplen Netzwerken übergehen, steuern die Vorläufer einige Überlegungen zu aktuellen Problemstellungen bei, die von Fauconnier und Turner bislang vernachlässigt wurden: den Bezug zum kulturellen Kontext, wie er besonders in Stählins ‚ Gefühlswerten ‘ und in Blacks system of associated commonplaces anklingt, die Einbeziehung einer kommunikativen und funktionalen Perspektive, wie sie sich vorrangig in der Berücksichtigung der Hörerperspektive bei Stählin findet, während die Sicht von Fauconnier und Turner eine strikt extrakommunikative bleibt, da sie den Anschein erweckt, als ob eine Darstellung der kognitiven Netzwerke unabhängig von den Kommunikationspartnern und der Kommunikationssituation im Rahmen einer idealisierten Sprecher-Hörer-Situation möglich wäre. Der Fokus von Stählin und Bühler liegt dagegen auf der Bewältigung kommunikativer Aufgaben, wobei sich beide Autoren auf unterschiedliche Rollen konzentrieren: „ Stählin erarbeitete vorrangig die Bedingungen des Verstehens von Metaphern (= gleichmäßige Verschmelzung von Sach- und Bildsphäre), Bühler die Bedingungen des Entstehens von Metaphern (= Selektion und Abdeckung), wiewohl erst die Zusammenführung beider Ansätze, insofern sie einander ergänzende Verfahren beschreiben, eine abgerundete Metapherntheorie einschließt, die ihren Platz in einer übergeordneten Kommunikationstheorie einnehmen kann. “ (Hülzer-Vogt 1989, 35) 234 4.9 Zusammenfassende Diskussion Chamizo Dominguez und Nerlich (2010, 69) heben die Klarheit hervor, mit der bereits die Rationalisten und Romantiker des 18. und 19. Jahrhunderts die kognitive Verankerung der Metapher wahrgenommen haben. Aus diesem Grund verleihen sie der Kognitiven Semantik nach Lakoff und Johnson auch das Etikett ‚ neo-romanticism ’ und schließen ihre Ausführungen mit dem Urteil: It is a shame that the proponents of this view of metaphor as a cognitive and linguistic virtue had in the meantime lost all knowledge of their 19th-century ancestors. Like them they believe that the radical distinction between the literal and metaphoric in grammar and semantics has to be replaced by the view that language (and thought) are metaphorical through and through. (Chamizo Dominguez & Nerlich 2010, 69 - 70) Unsere Absicht ist es, auf der Grundlage der von Jäkel aufgestellten Hauptthesen der kognitiven Metapherntheorie an dieser Stelle einen tabellarischen Überblick darüber zu geben, inwieweit sich die Kernelemente der Theorie in denen ihrer Vorläufer bereits aufspüren lassen, um damit die vorangegangenen Ausführungen abzurunden. Beginnen wir mit einem Resümée der aus den einzelnen Darlegungen der Vorläufer herausgearbeiteten Parallelen zur Konzeptuellen Metapherntheorie. Die in dem obigen Zitat von Chamizo Domginguez und Nerlich angesprochene Omnipräsenz der Metapher in all unserem Denken und Sprechen repräsentiert in der Tat genau jene Einsicht, die alle in diesem Kapitel vorgestellten Ansätze eint. Eng damit verbunden sind die Notwendigkeits- und die Kreativistäts-These. Allerdings kommen dabei zwei gegensätzliche Bewertungen zum Vorschein: In der romantischen Lesart Vicos sowie der neoromantischen Deutung Gerbers und Bieses z. B. wird der fortschreitende Welterschließungscharakter der Metapher positiv hervorgehoben, während er in der sprachkritischen Wahrnehmung Nietzsches und Mauthners zwar für unausweichlich gehalten, gleichzeitig jedoch als illusionsstiftend abgeurteilt wird. Im Hinblick auf die Domänen-These finden sich bei nahezu allen Vorläufer-Theorien zumindest implizite Annahmen durch die Einführung einer kognitiven Ebene, die über die sprachliche weit hinausgeht. Dennoch gibt es nur wenige Ausführungen, die explizit auf die Zusammengehörigkeit einzelner Ausdrücke zu einem übergeordneten Rahmen oder Bedeutungsbereich Bezug nehmen, etwa die Bildfeldtheorie von Harald Weinrich, der seine Reflexionen zur kognitiven Metapher gut zwanzig Jahre vor dem Erscheinen von Metaphors We Live By aufnimmt und damit einen der zeitlich am nächsten stehenden Vorläufer der Konzeptuellen Metapherntheorie 235 verkörpert. Es ist auch Weinrich, der entlang einer beachtlichen Bandbreite an kompositionalen Wortschöpfungen wie WELTTHEATER , LEBENSSAFT oder VERSTANDESLICHT das Domänenprinzip am deutlichsten vorwegnimmt. Aber nicht nur er, auch Blumenberg und im 19. Jahrhundert schon Paul glänzen mit einer beachtlichen Fülle an Beispielen für kognitive Metaphern und deren sprachlichen Ausdrücke, die jedem Kenner der Konzeptuellen Metapherntheorie unmittelbar ins Auge springt. In Lady Welbys Ausführungen zur metaphorischen Konzeptualisierung von Zeit via Raum lassen sich so viele Parallelen zu den Ausführungen von Lakoff und Johnson finden, dass man sich fragen muss, ob die Autoren ihre Schriften tatsächlich nicht gekannt haben. Die Frage nach der Verknüpfung der kognitiven Domänen unterhalb der sichtbaren Sprachoberfläche bildet gleichfalls das Hauptinteresse der Untersuchungen von Stählin und Bühler, die ihrerseits jedoch an die Stelle der einseitigen Übertragungsrichtung eine Wechselwirkung setzen, deren Prozessualität besonders von Stählin genauer untersucht. Die Idee hierzu entwickelt sich bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert in den Arbeiten von Gerber und Biese, die von einem ‚ Verschmelzungsprozess ‘ sprechen, der durch die ‚ wechselseitige Übertragung ‘ zustande kommt. Eng verwoben mit der Domänen-These ist die Modell-These, die ihrerseits die Präferenzen für bestimmte Übertragungen oder Interaktionen zwischen den konzeptuellen Domänen auf einer höheren Ebene durch im Hintergrund aufgerufene kognitiv-kulturelle Rahmen erklärt. Überlegungen zu einem solchen Zusammenhang spiegeln sich in besonders markanter Weise in den Schriften von Vico, Kant, Whorf, Blumenberg, Weinrich, Bühler und Black wieder, in Arbeiten also, die u. a. darauf abzielen, epochale Paradigmen der Menschheitsgeschichte oder kollektiv geteilte Welttheorien aufzuspüren und damit auf die Relativität unserer vermeintlichen wissenschaftstheoretischen Gewissheiten aufmerksam zu machen. Demgegenüber bleibt die Domänen-These vor Beginn des 20. Jahrhunderts gerade in den Abhandlungen der Sprachkritiker und der auf Bedeutungswandel fokussierten psychologisch-historischen Sprachforschung weitgehend im Dunkeln, da sich ihr Interesse stärker auf den Bedeutungswandel richtet und insofern semasiologisch motiviert ist. Ihre Stärke liegt damit in der Hervorhebung eines anderen Aspekts, der die sprachhistorische Dimension in die Metaphernforschung einbringt: Sie nehmen die Diachronie-These vorweg und legen erstmals offen, wie unsicher die scheinbar fixen Wortbedeutungen im Grunde sind, sobald man damit beginnt, sie auf ihre Ursprünge zurückzuführen und auf diese Weise einsichtig macht, dass es metaphorische Prozesse sind, welche die zunehmende Polysemie unserer sprachlichen Zeichen vorantreiben. Die Unidirektionalitäts-These lässt sich gleichermaßen weiter oder enger gefasst begreifen: zum einen mit Bezug auf einen generellen Erfahrungs- 236 realismus, der gleichsam in den interaktionistischen Ansätzen Bühlers und Stählins zu finden ist, andererseits im Hinblick auf eine stets monodirektionale Übertragungsrichtung von einer konkreten Ursprungsin eine abstrakte Zieldomäne hinein, die für sich genommen keine eigene Struktur aufweist. Hier würden die interaktionistischen Theorien herausfallen, da sie nicht an der Invarianz-Hypothese Lakoffs festhalten. Wie gezeigt wurde, ist diese These allerdings in der Tat in ihrer Radikalität kaum noch haltbar. Mit dem verbalsuggestiven Charakter der Metapher beschäftigt sich insbesondere die Fokussierungs-These, der sich daher in besonderem Maße gerade jene Denker zuwenden, die gleichzeitig eine sprachpragmatische und damit hochaktuelle Auffassung der kognitiven Metapher vertreten. Dies trifft auf Lambert und Wegener zu, die mit ihrem ‚ Prinzip der hermeneutischen Beliebigkeit ‘ (Lambert) bzw. den Konzepten von ‚ Exposition ‘ , ‚ Sympathie ‘ und ‚ Suggestion ‘ (Wegener) unterstreichen, dass in keinster Weise gesichert ist, welche Aspekte der vom Sprecher in den Raum gestellten Metapher vom Hörer tatsächlich erfasst und zu einem sinnhaften Bedeutungskomplex konstruiert werden. Gleichermaßen großes Interesse erweckt der Aspekt der Fokussierung sowohl bei den Sprachkritikern als auch bei denjenigen Studien, die kulturvergleichend angelegt sind und auf das relativistische Moment unserer Wirklichkeitskonstruktionen aufmerksam machen - eine Linie, die sich über die Anthropologische Linguistik von Sapir und Whorf bis auf Herder zurückverfolgen lässt. Vorläufer 1. UBI 2. DOM 3. MOD 4. DIA 5. UNI 6. INV 7. NOT 8. KRE 9. FOK Clauberg (1663) X [X] [X] X X [X] Vico (1744) X X [X] X X X Lambert (1764) X X [X] [X] X [X] X X X Kant (1781/ 1790) X [X] X X [X] X X [X] Gerber (1871/ 1884) X X X [X] X X X Biese (1893) X X X [X] X X X Paul (1880) X [X] X X X X Wegener (1885) X [X] X X [X] X X X 237 Vorläufer 1. UBI 2. DOM 3. MOD 4. DIA 5. UNI 6. INV 7. NOT 8. KRE 9. FOK Nietzsche (1873) X [X] [X] X X [X] [X] Mauthner (1906/ 1912) X [X] X X X [X] X Vaihinger (1911) X [X] [X] X X X Welby (1893/ 1907) X [X] [X] X [X] Boas (1911) X [X] [X] [X] Sapir (1933) X [X] [X] X [X] X Whorf (1956) X [X] X [X] [X] X X X Blumenberg (1960/ 1971) X X X X X X X X Weinrich (1958/ 1976) X X X X [X] [X] [X] [X] Stählin (1913) X X [X] [X] X X X Bühler (1934) X X X [X] X X Richards (1936) [X] [X] X [X] Black (1962) [X] [X] X X [X] X Abb. 4.9-1: Vorläufer der Konzeptuellen Metapherntheorie 27 1. UBI = Ubiquitäts-These, 2. DOM = Domänen-These, 3. MOD = Modell-These, 4. DIA = Diachronie-These, 5. UNI = Unidirektionalitäts-These, 6. INV = Invarianz-These; 7. NOT = Notwendigkeits- These; 8. KRE = Kreativitäts-These, 9. FOK = Fokussierungs-These Der tabellarische Überblick belegt in aller Deutlichkeit, dass es ‚ kognitive Metaphernforschung ‘ spätestens seit dem 17. Jahrhundert gibt und dass dem eingangs zitierten Ignoranzvorwurf in Richtung der so genannten 27 Die Setzung eckiger Klammern verweist darauf, dass der genannte Aspekt entweder nur implizit und nicht explizit oder nur in bestimmten Teilbereichen antizipiert wird. 238 Begründer der kognitiven Metapher nur zugestimmt werden kann. Mehr noch: Viele Reflexionen bergen Einsichten, die weit über das zum Teil sehr starre Modell von Lakoff und Johnson, in dem kommunikationspraktische Erwägungen kaum eine Rolle spielen, hinausgehen. Gerade im Zusammenhang mit der in den vergangenen zehn Jahren aufkeimenden Diskussion um diese Defizite drängt sich ein Brückenschlag zur kognitiven Metaphernforschung vor 1980 geradezu auf. So wäre über die zahlreichen Parallelen zur Ausgangstheorie von Lakoff und Johnson hinaus eine Zusammenführung vieler Themen denkbar, die erst in der zweiten Generation der kognitiven Metaphernforschung überhaupt ins Blickfeld gelangen, andererseits aber bereits in den Reflexionen vieler Vorgänger berücksichtigt worden sind: Dazu gehören die Vorwegnahme der entwicklungspsychologischen Erörterung des conflation-Konzepts in den Schriften von Clauberg, Lambert und Bühler; die ebenfalls neuerdings von verschiedenen Theoretikern wieder stärker fokussierten mixed metaphors, denen sich schon Mauthner als ‚ Wippchen ‘ und Paul als ‚ Kontamination ‘ zuwenden, und schließlich die vielerorts zu findende Antizipation polysemer Netzwerke, die bei Lambert und Mauthner sogar in kritische Fragen münden, wie es in aktuellen Diskussionen bisher noch nicht in aller Entschlossenheit geschehen ist, obwohl es nahe liegen müsste, begleitet man die fortschreitende Leichtigkeit bei den Metaphorisierungen durch Politik und Massenmedien und die damit einhergehende Sinnentleerung und -verdunklung der Wörter. Das Faszinierendste aber ist die einigen der vorgestellten Theorien innewohnende Doppelbetrachtung der Metapher in ihrer kognitiven und funktionalen Eigenschaft sowie die vorgenommene Integration beider Aspekte, denn die Hereinnahme des zweiten Aspekts in die kognitive Metaphernforschung ist ja gerade eine der wesentlichen Forderungen, die in neueren Abhandlungen immer lauter wird. Ein Blick zurück würde den Fortgang der Debatte zweifelsohne beflügeln. Damit könnte die Tabelle mit den Vorläufer- Theorien noch um Aspekte erweitert werden, die ausführlich im dritten Kapitel diskutiert wurden, in der Konzeptuellen Metapherntheorie selbst jedoch nicht zu finden sind: Eine für unsere Zwecke aufschlussreiche Erweiterung der Tabelle bestünde in der Ergänzung um die Spalten ‚ kulturelle Relativität ‘ , ‚ kommunikative Handlungs- und Prozessperspektive ‘ und ‚ Kontextsensitivität ‘ . Fassen wir zusammen, inwiefern wir hinsichtlich dieser Themen bei den behandelten Vorläufern bereits fündig werden: Die Anthropologische Linguistik nimmt kulturrelativistische Impulse vorweg, wie man sie nach der Verengung auf universalistische Fragestellungen durch Lakoff und Johnson heute in vielen Untersuchungen erneut antreffen kann. Eine Besinnung auf sprachlich geprägte ‚ Weltsichten ‘ findet sich daneben auch in Blacks system of asso-ciated commonplaces, in den ‚ Denkmodellen ‘ Blumenbergs und der ‚ Bildfeldgemeinschaft ‘ Weinrichs. 239 Weinrich und stärker noch Blumenberg wenden sich dem Relativitätsprinzip darüber hinaus auch in diachronischer Perspektive zu. Metaphorische Relativität regt besonders dazu an, die Aspekte des highlighting und hiding ins Zentrum der Betrachtung zu stellen. Neben den anthropologischen Studien und der Vorwegnahme dieser Idee in Sapirs Schlagwort von help and hindrance sind es besonders die sprachskeptischen Arbeiten der Philosophie um die Jahrhundertwende, in denen das Verschleiernde der Metapher in all seinen Facetten beleuchtet wird. Nietzsche, Mauthner und Vaihinger fördern auf inspirierende Weise die Irrwege zutage, auf die uns die Metapher im Alltagsdiskurs führt, und nehmen damit eine grundlegend pessimistische Haltung nicht nur gegenüber den epistemologischen Beschränkungen der Metapher ein, sondern auch im Hinblick auf ihre vermeintliche Verständigungsfunktion zwischen den Menschen. Bühlers Gittermetaphorik mit ihrem ‚ Gesetz der Abdeckung ‘ kommt zu einem vergleichbaren Schluss, und Blumenberg lässt uns an Ungeheuer erinnern, wenn er von ‚ Suggestionen ‘ spricht, welche die Metapher im Gegenüber auslösten. Eine Verbindung zwischen kommunikativer und extrakommunikativer Betrachtung zeigt sich besonders in den Arbeiten von Lambert, Wegener und Gerber: Das den Hörer einbeziehende ‚ Hypothetische ‘ der Sprache sowie das Prinzip der ‚ hermeneutischen Billigkeit ‘ bei Lambert bringt schon im 18. Jahrhundert das zusammen, was Tendhal und Gibbs in ihrem jüngst verfassten Aufsatz fordern: die Verbindung zwischen kognitiver Metaphernbetrachtung und pragmatischer Relevanztheorie. Gerber antizipiert demgegenüber mit seiner Zuwendung zur Prozesshaftigkeit der Metapher und seinem Postulat der Untrennbarkeit von Denken und Sprechen die Position von Cameron und vertritt damit auch ein konsequent wittgensteinsches Konzept von der Bedeutung als Gebrauch. Wegener unternimmt das, was Steen bisher nur als Lippenbekenntnis fordert, nämlich die Einbeziehung soziolinguistischer Einsichten und solcher der Ethnographie der Kommunikation in die kognitive Metaphernforschung. Mit seinem Begriff der ‚ Exposition ‘ , der sich auf die Kontextfaktoren von Kommunikationsereignissen bezieht, lässt sich Wegener leicht mit den Ausführungen zum kommunikativen Setting bei Hymes in Zusammenhang bringen. Gerbers feldtheoretisches Vorgehen sowie Weinrichs Fokussierung textlinguistischer Elemente, wie es besonders in der Idee der ‚ Kondetermination ‘ zum Ausdruck kommt, erfahren ihrerseits eine Renaissance bei Steen und den methodologischen Arbeiten der Gruppe Pragglejaz. Schließlich antizipieren Stählin und Bühler die ebenfalls hochaktuelle Blending-Theorie der Metapher unter Einbindung kommunikativer Aspekte und - bei Stählin - unter Integration des Hörers, der aus den Betrachtungen von Fauconnier und Turner herausfällt. 240 Unser Rückblick soll die Verdienste der in den letzten dreißig Jahren erarbeiteten Theorien keineswegs schmälern, denn in der Regel sind diese präziser, detaillierter und empirisch gestützt. Die Wahrnehmung der vielen Kontinuitäten und die längst hinfällige Integration der Vorläufer in aktuelle Diskussionen würde die kognitive Metaphernforschung allerdings ohnegleichen bereichern und auf Forschungswege führen, die gerade scheinbar entdeckt werden, ohne dass den meisten bewusst wäre, dass es sich dabei nur um eine Wiederentdeckung handelt. 241 5. Die Integration kultureller, kontextueller und kommunikativer Fragestellungen im Rahmen empirischer Forschung zur kognitiven Metapherntheorie am Beispiel von drei deutsch-brasilianischen Vergleichsstudien 5.1 Die metaphorische Konstruktion der Zieldomäne beim Sprechen über Liebe 1 5.1.1 Zielsetzung und methodisches Vorgehen Wie bereits in Kapitel 3.5.2 thematisiert wurde, gibt es eine ganze Reihe von Studien im Rahmen der Konzeptuellen Metapherntheorie, welche die metaphorische Konstruktion von Emotionen untersuchen und dabei immer häufiger auch kulturvergleichende Akzente setzen (Kövecses 2003; 2005; Lakoff & Kövecses 1987; Quinn 1987; 1991; Taylor & Mbense 1998; Emanatian 1995). An diese Forschungsrichtung anschließend diente die erste Studie, die ich im Folgenden vorstellen möchte, der Aufdeckung von Divergenzen zwischen deutschen und brasilianischen Interviewpartnern hinsichtlich der beim Sprechen über das Thema ‚ Liebe ‘ hervortretenden Metaphern. Im Gegensatz zu einer Vielzahl von Fallstudien im Bereich der kognitiven Metaphernforschung wurde induktiv vorgegangen, um zu vermeiden, voreilig in das deduktiv eruierte Deutungsschema für konzeptuelle Metaphern ‚ A IST B ‘ zu verfallen. Wichtiger war die genaue Beobachtung, welche Aspekte beim Sprechen über Liebeserfahrungen in den Vordergrund rücken, denn erst auf diese Weise, so die an Cameron anknüpfende Leithypothese, erzeugen die Sprecher überhaupt erst situationsabhängig eine für sie sinnvolle Zieldomäne. Das Korpus umfasste 60 Interviews, von denen 30 mit Deutschen und 30 mit Brasilianern geführt wurden. Die Interviewpartner waren zwischen 20 und 30 Jahre alt. 20 Interviews entstammen einer Studie aus dem Jahr 1998, bei der es um die sprachliche Konstruktion von Liebe ging (Schröder 2004 e; 2007 b). Die anderen 40 Interviews wurden im Rahmen einer weiterführenden Studie, die sich dieses Mal umfassender mit einer ganzen Reihe von deutschen und brasilianischen Lebenskonzepten wie Arbeit, Freizeit, Familie, Freundschaft, Liebe etc. befasste, geführt (Schröder 2003), so dass im 1 Bei dem Beitrag handelt es sich um eine modifizierte Version des Artikels Preferential Metaphorical Conceptualizations in Everyday Discourse About Love in the Brazilian and German Speech Communities (Schröder 2009 a). 242 zweiten Fall für die vorliegende Studie lediglich diejenigen Interviewausschnitte hinzugezogen wurden, in denen es um Liebe und Liebesbeziehungen ging. Die einführende Frage „ Was macht für dich eine gute Liebesbeziehung aus? “ diente dabei lediglich als Stimulus, um die Interviewpartner möglichst frei über ihre Vorstellungen und Erfahrungen zu Liebe und Liebesbeziehungen reden zu lassen. In einem ersten Schritt wurden bei der anschließenden Analyse Gruppierungen aller im Korpus auffindbaren metaphorischen Ausdrücke vorgenommen, die im Kontext von LIEBE und LIEBESBEZIEHUNG auftauchten und die sich gegen einen wörtlichen Kotext und Kontext abhoben. Um die entsprechende lexikalische Einheit als ‚ metaphorisch ‘ zu identifizieren, wurde die speziell für Metaphernanalysen am Sprachgebrauch konzipierte Pragglejaz-Methode (Pragglejaz Group 2007; Steen 2007, 88 - 91; Steen et al. 2010) angewandt, die u. a. vorsieht, dass für jede in Frage kommende lexikalische Einheit festgelegt wird, ob ihr in anderen Kontexten eine grundlegendere Bedeutung zugesprochen werden kann, die in der Regel konkreter, präziser und historisch älter ist sowie häufig mit körperlichen Handlungen in Zusammenhang steht. Zweites Kriterium war eine Kontrastierung der prototypischen mit der aktuellen Bedeutung, um herauszufinden, ob letztere tatsächlich mit ersterer in einer polysemen Bedeutungsrelation steht. War dem so, konnte die entsprechende lexikalische Einheit als ‚ metaphorisch ‘ etikettiert werden. Der zweite Schritt der Analyse entsprach dem, was Cameron (2007) - wie bereits im dritten Kapitel ausführlich dargelegt wurde - als identifying systematicity through vehicle groupings bezeichnet. In dieser Perspektive tritt an die Stelle der stabilen und weitgehend vorhersehbaren ‚ konzeptuellen Metapher ‘ die aus dem Sprachgebrauch sich herauskristallisierende emergierende ‚ systematische Metapher ‘ als Konstrukt spezifischer Sprachhandlungskontexte. Dementsprechend wurden die identifizierten metaphorischen Ausdrücke zu Bündeln zusammengefasst und auf der Basis ihrer semantischen Verknüpftheit mit demselben Wortfeld kategorisiert, d. h. bestimmten Ausgangsdomänen, die als Bildspender dienten, zugeordnet. In Übereinstimmung mit einer gegenüber dem deduktivem Ansatz von Lakoff und Johnson eher induktiven Vorgehensweise im Sinne Camerons wurden in dieser Phase deshalb auch noch keine konzeptuellen Metaphern konstatiert, die der von Lakoff und Johnson geprägten Formel ‚ A IST B ‘ entsprechen; im Zentrum standen vielmehr die topics, die erst beim Sprechen über das Thema ‚ Liebe ‘ Kontur gewinnen. Dennoch ging es in dieser Studie nicht um einzelne Interviewausschnitte, sondern um das Auffinden von Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Sprechern der jeweiligen Gruppe. Die quantitative Zählung der zu einer Ausgangsdomäne zugehörigen Ausdrücke in beiden Korpora bildete damit den dritten Analyseschritt. Um 243 zu garantieren, dass tatsächlich nur gruppenspezifische Ausdrücke Eingang in die Datenerhebung finden, sind Metaphern, die nur von einem einzigen Interviewpartner verwendet wurden, nicht mitgezählt worden. Abschließend wurden die metaphorischen Projektionen mit ihren Korrespondenzen auf der Grundlage einer bestimmten Ausgangsdomäne herausgearbeitet, wobei erst hier genau definiert wurde, auf welche Weise die Interviewpartner einer konkreten Zieldomäne Gestalt verliehen. 5.1.2 Ergebnisse Zunächst soll ein Überblick über die erarbeiteten Ausgangsdomänen gegeben werden, die sich als im Sprechen emergierende ‚ systematische Metaphern ‘ herauskristallisierten. Hinsichtlich der Zieldomäne oder des topic im Sinne Richards ’ konnten verschiedene Fokussierungen aufgedeckt werden. So bezogen sich die Befragten bei ihrer Antwort auf die allgemein gehaltene Eingangsfrage nach einer guten Liebesbeziehung auf LIEBE als Gefühl oder sinnstiftende Erlebnissphäre, auf die LIEBESBEZIEHUNG als kurzweiliger Zusammenschluss oder als langfristiges Lebensprojekt und auf das LIEBES- OBJEKT als Sexual- oder Vertrauenspartner. Die Zieldomäne soll deshalb vorläufig nur vage als ‚ Über Liebe zu sprechen impliziert folgende Metaphern: xxx ‘ bestimmt werden. Die erste Spalte von Tabelle 8 benennt die entsprechenden Ausgangsdomänen, die aus Bündeln metaphorischer Ausdrücke abstrahiert wurden; die zweite und dritte Spalte dagegen benennen die Anzahl entsprechender Tokens in beiden Korpora sowie je ein Beispiel zur Illustration: DOMÄNE Tokens Brasilianisches Korpus Tokens Deutsches Korpus REISE 16 Se n-o tiver sinceridade, nenhuma relaç-o vai para frente (Ohne Aufrichtigkeit geht keine Beziehung voran) 30 Irgendwann ist die Beziehung sonst an einem Punkt angelangt, wo ’ s nicht mehr weitergeht EINHEIT VON TEILEN 10 uma uni-o amorosa entre dois sexos (eine Liebesvereinigung zwischen zwei Geschlechtern) 3 dass es passt, dass ähnliche Interessen da sind NÄHE 10 que você quer essa pessoa próxima de você (dass du diese Person in deiner Nähe haben willst) 0 244 DOMÄNE Tokens Brasilianisches Korpus Tokens Deutsches Korpus BUND 4 O contato seria no laço do casal (der Kontakt wäre die Verbindung des Paares) 0 ( WIRTSCHAFT- LICHER ) AUS- TAUSCH / WERTVOLLES OBJEKT 6 E uma coisa que de certa forma compensa a outra (Und eins kompensiert irgendwie das andere) 20 dass man bestimmte Sachen austauschen kann, Gedanken, Gefühle PHYSISCHE KRAFT 9 Eu resistia em namorar (Ich habe mich gegen eine Beziehung gewehrt) 0 NATURKRAFT 8 Todos os sentimentos v-o fluir naturalmente (All die Gefühle fließen ganz natürlich) 0 WAHNSINN 6 Tive um amor durante duas semanas e foi muito louco (Ich hatte zwei Wochen lang eine Beziehung und das war ziemlich verrückt) 0 EROBERUNG 14 A parte que eu mais gosto é a parte da conquista (Der Teil, den ich am meisten mag, ist der der Eroberung) 1 Man ist eher wehrlos SPORT / SPIEL 8 Gosto de brincar esses jogos (Ich mag es, diese Spielchen zu spielen) 0 ESSEN / APPETIT 15 Aquela coisa que vai progredindo com fome (Das, was mit dem Hunger immer stärker wird) 0 TIER 8 Estou super feliz com minha gata (Ich bin mit meiner Katze superglücklich) 0 FUNKTIONIEREN- DE MASCHINE 0 28 Das Zusammenleben muss funktionieren 245 DOMÄNE Tokens Brasilianisches Korpus Tokens Deutsches Korpus TERRITORIUMS - BEWACHUNG 2 Cada um deve ter seu espaço (Jeder sollte seinen Raum haben) 15 Das bedeutet vor allem Freiräume KUNST 3 Uma relaç-o amorosa se constitui a partir da arte sexual (Eine Liebesbeziehung entsteht auf der Basis sexueller Kunst) 0 KONSTRUKTION 14 Está construindo a relaç-o em todos os sentidos (Man konstruiert die Beziehung in jeder Hinsicht) 18 Will man mit dem Partner irgendwas an Leben aufbauen WACHSTUM / ORGANISMUS / PFLANZE 32 O que você espera de um relacionamento mais maduro (Was du von einer reiferen Beziehung erwartest) 6 Ich hoffe, dass sich das Ganze ein bisschen befruchtet SICHERHEITS- NETZ / HALT / REFUGIUM 2 O amor te protege ao mesmo tempo (Die Liebe beschützt dich gleichzeitig) 14 Dass man auch aufgefangen wird OFFENES BUCH 4 Você se sente cada vez mais aberto para a pessoa (Du öffnest dich gegenüber dem anderen von Mal zu Mal ein bisschen mehr) 4 Komplett alles offen legen im Endeffekt Abb. 5.1-1: Tokens pro Ausgangsdomäne und Korpus Wie die Ergebnisse illustrieren, finden sich die meisten metaphorischen Ausdrücke im brasilianischen Korpus für die Ausgangsdomänen WACHS- TUM / ORGANISMUS / PFLANZE (32 Tokens), ESSEN / APPETIT (15 Tokens), EROBE- RUNG (14 Tokens) und KONSTRUKTION (14 Tokens). Im Vergleich zum deutschen Korpus scheint die auffälligste Differenz die zu sein, dass es hier für die Metapher ESSEN / APPETIT kein einziges Token und für die Metapher EROBERUNG lediglich eins gibt. Interessant ist auch, dass sich im deutschen Korpus im Vergleich zu der hohen Anzahl an Metaphern der Ausgangsdomäne WACHSTUM / ORGANISMUS / PFLANZE im brasilianischen Korpus nur 6 Tokens finden. Werfen wir einen genaueren Blick auf ein paar Beispiele 246 dieser drei für das brasilianische Korpus so charakteristischen Ausgangsdomänen: WACHSTUM / ORGANISMUS / PFLANZE (1) „ O que é diferente é que tenta assumir uma estrutura mais madura “ ( „ Was anders ist, das ist, dass man versucht, dem Ganzen eine reifere Struktur zu geben “ ) (2) „ Quando a gente consegue atingir um compartilhamento de intenções que faz com que o relacionamento cresça “ ( „ Wenn man es schafft, ein bestimmtes Niveau gemeinsam geteilter Wünsche zu erreichen, was dazu führt, dass die Beziehung wächst “ ) (3) „ Tô apaixonada, deixo acontecer para ver como isso vai se desenvolver “ ( „ Wenn ich verliebt bin, lass ich die Dinge einfach geschehen, um zu sehen, wie sie sich entwickeln “ ) (4) „ Está dançando com alguém e aquela sensualidade começa a florescer “ ( „ Du tanzt mit jemandem und diese Sinnlichkeit beginnt zu erblühen “ ) (5) „ Pode acontecer que os sentimentos morrem quando n-o s-o cuidados “ ( „ Es kann passieren, dass die Gefühle absterben, sobald sie nicht mehr gepflegt werden “ ) ESSEN / APPETIT (6) „ O homem falou assim: Ah, sua gostosa, quero te comer “ ( „ Der Mann sagte das so: Ah, du Leckere, ich will dich essen “ ) (7) „ Uma ligaç-o amorosa n-o é só essa coisa de comer carne, o amor é também isso, mas n-o é só isso “ ( „ Eine Liebesbeziehung ist nicht nur dieses Fleischessen, das gehört zwar auch dazu, aber nicht ausschließlich. “ ) (8) „ Tem a paix-o que é o desejo da carne “ ( „ Es gibt die Leidenschaft, die der Fleischeslust entspricht “ ) (9) „ Quando eu acho uma garota super gostosa e ficaria à vontade de devorála “ ( „ Wenn ich ein Mädchen super lecker finde, hab ich Lust, sie zu verschlingen “ ) (10) „ Assim como gostar de estar apaixonada o relacionamento sexual deve ser muito satisfatório, isso me mantém fiel “ ( „ So wie ich gerne verliebt bin, sollte auch die sexuelle Beziehung sehr befriedigend sein, dadurch bleib ich treu “ ) EROBERUNG (11) „ Eu acho que na América Latina, os relacionamentos s-o mais sensuais, mais daquele lado da conquista pela sensualidade por uma pessoa “ 247 ( „ Ich denke, dass die Beziehungen in Lateinamerika sinnlicher sind, es wird eher die Seite der Eroberung durch die Sinnlichkeit einer Person hervorgehoben “ ) (12) „ É uma tática que eu assumo em defesa das minhas emoções, um jogo de seduç-o e de interesse “ ( „ Das ist eine Taktik, die ich im Zuge der Verteidigung meiner Gefühle anwende, ein Spiel der Verführung und des Interesses “ ) (13) „ Para conseguir uma mulher, o que é importante é invadir pelo olhar “ ( „ Um eine Frau rumzukriegen, ist es wichtig, durch den Blick einzudringen “ ) (14) „ Tem se muito mais medo de se entregar a um relacionamento “ ( „ Man hat viel mehr Angst, sich einer Beziehung auszuliefern “ ) (15) „ Às vezes, tem que vencer pela insistência mesmo “ ( „ Manchmal muss man tatsächlich durch Beharrlichkeit gewinnen “ ) Es wurde bereits darauf hingedeutet, dass nicht immer klar ist, welcher Ausgangsdomäne eine sprachliche Metapher zugeordnet werden kann. Einige derjenigen Metaphern, die ich hier unter WACHSTUM / ORGANISMUS / PFLANZE subsumiert habe, implizieren z. B. auf einer tiefer liegenden Ebene bildschematischere Primärmetaphern wie MEHR IST OBEN . Erschienen entsprechende Ausdrücke im Zuge kontextueller Dis-ambiguierungshinweise, die darauf schließen ließen, dass diese generische Metapher in einem entsprechenden Kontext konkretere Gestalt annimmt, wurde sie im Rahmen der spezifischen Kategorie eingeordnet. Eine Aussage wie „ É uma tática que eu assumo em defesa das minhas emoções, um jogo de seduç-o e de interesse “ ( „ Das ist eine Taktik, die ich im Zuge der Verteidigung meiner Gefühle anwende, ein Spiel der Verführung und des Interesses “ ) kann gleichermaßen unter SPORT / SPIEL eingeordnet werden; durch die Verwendung der Wörter seduç-o und interesse jedoch ist in unserem Kontext die übergeordnete Idee der EROBERUNG näher liegend, obwohl sich die drei Ausgangsdomänen auch in historischer Perspektive zum Teil überschneiden und eine endgültige Entscheidung letztlich nicht mit Sicherheit getroffen werden kann. Dem Zitat „ Uma ligaç-o amorosa n-o é só essa coisa de comer carne, o amor é também isso, mas n-o é só isso “ ( „ Eine Liebesbeziehung ist nicht nur dieses Fleischessen, das gehört zwar auch dazu, aber nicht ausschließlich “ ) liegt offensichtlich implizit eine Teilnegierung der übertriebenen Wichtigkeit zugrunde, die dem Verständnis von LIEBE als Akt des ESSENS laut Interviewpartnerin in der brasilianischen Kultur zugeschrieben wird. Daran lässt sich gut veranschaulichen, worum es in dieser Studie ging: Im Vordergrund stand die Frage danach, was den Probanden als erstes in den Sinn kommt, wenn sie dazu aufgefordert werden, über Liebe zu sprechen, und welche Metaphern sie bei ihren Konstruktionen dieses abstrakten Themengebietes 248 verwenden, d. h. wie sie dieses Konzept überhaupt inhaltlich ausfüllen und welche Frames dabei in Abhängigkeit von der jeweiligen Kultur eine hervorgehobene Rolle spielen. 2 Im deutschen Korpus finden sich dagegen an oberster Stelle die folgenden Ausgangsdomänen: REISE (30 Tokens), FUNKTIONIERENDE MASCHINE (28 Tokens), ( WIRTSCHAFTLICHER ) AUSTAUSCH / WERTVOLLES OBJEKT (20 Tokens), KONSTRUKTION (18 Tokens) und SICHERHEITSNETZ / HALT / ZUFLUCHTSORT (14 Tokens) - bis auf KONSTRUKTION und REISE alles Bereiche, die im brasilianischen Korpus eine nur untergeordnete Rolle spielen. Auch hier lohnt sich ein Blick auf ein paar Beispiele aus den jeweiligen kulturspezifischen Ausgangsdomänen: FUNKTIONIERENDE MASCHINE (16) „ Wenn einmal was kaputt gegangen ist und man es nicht mehr reparieren kann “ (17) „ Wenn ich mich zum Beispiel an eine Beziehung klammere und die geht auf einmal in die Brüche “ (18) „ Ich kenn das nicht anders, weil ich ja so aufgewachsen bin, inna intakten Familie, wo alles funktioniert und klappt. “ (19) „ dass man zueinander steht, gerade dann, wenn ’ s nicht gut läuft “ (20) „ Da muss etwas anspringen und dann muss das in Gang gehalten werden “ WIRTSCHAFTLICHER AUSTAUSCH / WERTVOLLES OBJEKT (21) „ Ne Beziehung muss mitbringen, dass sie weiblich ist, ne sexuelle Komponente bietet “ (22) „ Man muss schon irgendwie was draus schöpfen können, so interessante Gespräche “ (23) „ Was in der Partnerschaft zählt, ist Zusammenarbeit “ (24) „ Ob man dann eine Familie gründet, muss man im Zeitalter der Scheidungen und Unterhaltszahlungen genau abwägen “ (25) „ Und dass man sich dann ganz konkrete Eigenschaften des anderen raussuchen kann, die man dann gut findet, dann weiß man auch, dass sich das alles irgendwie gelohnt hat “ SICHERHEITSNETZ / HALT / ZUFLUCHTSORT (26) „ dass man halt nicht alleine dasteht “ 2 Hier kommt die Sichtlenkung zum Tragen, von der Lakoff in seinem Beispiel tax relief gesprochen hat: Ob wir für oder gegen das vermittels einer Metapher transportierte Denkmodell eingestellt sind: Solange wir uns desselben Bildes bedienen, werden die diesem Bild innewohnenden Implikationen aktiviert und beherrschen unsere Sichtweise der Situation (vgl. Kapitel 2.3). 249 (27) „ und dass man sich ne Stütze ist “ (28) „ dass man auch viel Verständnis zeigt und jemandem die Stange hält “ (29) „ Ja, dass ich mich einfach fallen lassen kann “ (30) „ weil eine Beziehung ja irgendwo auch Halt gibt “ Einmal mehr zeigt sich, dass es in der realen Kommunikation keine klar gezogenen Grenzen zwischen einzelnen Domänen gibt. Erst in der reflexiven extrakommunikativen Analyse lässt sich anhand der semantischen Dichte bestimmter metaphorischer Ausdrücke ein spezifischer Ausgangsbereich ausmachen und benennen. Eine Aussage wie „ Wenn ich mich zum Beispiel an eine Beziehung klammere und die geht auf einmal in die Brüche “ repräsentiert genau genommen einen blend im Sinne von Fauconnier und Turner (2002): Einerseits haben wir die Subjektperspektive als input 1 PERSON , DIE AN EINEM OBJEKT FESTHÄLT , UM NICHT ZU FALLEN , andererseits die Objektperspektive, den input 2 ZERBRECHLICHES OBJEKT , DAS IN STÜCKE FALLEN KANN , also zwei Ausgangsdomänen mit unterschiedlichem Fokus, die hier in einem Bild zusammenfließen, wobei das Objekt im blend die beiden Charakteristika vereinigt. Schließlich kommt in der interaktionistischen Sicht von Fauconnier und Turner noch ein weiterer input 3 hinzu, der in der unidirektionalen Perspektive von Lakoff und Johnson als konturlose Zieldomäne bezeichnet werden würde: die LIEBESBEZIEHUNG selbst, die nun ihre eigene Struktur in den blend hineinträgt, in diesem Fall den Aspekt der Dauer, denn dieser findet sich noch nicht in den anderen beiden inputs. Erst die Zusammenführung dieser drei inputs mündet in die Metapher der FUNKTIONIERENDEN MASCHINE , da erst durch die Einführung des Temporalen - der Dauer - der Aspekt der Wandlungsfähigkeit der Objektbeschaffenheit von resistent (z. B. ein Seil) zu fragil (z. B. eine Vase) möglich wird. Die letzte Metapher SICHERHEITSNETZ / HALT / ZUFLUCHTSORT illustriert sehr anschaulich die verschiedenen Ebenen der Spezifizierung: Während die erste Äußerung „ dass man halt nicht alleine dasteht “ die Idee von HALT auf einer sehr generischen Ebene ausdrückt, suggeriert die Aussage „ Ja, dass ich mich einfach fallen lassen kann “ bereits eine spezifischere Vorstellung: die eines Sicherheitsnetzes. 5.1.3 Diskussion Im Hinblick auf die Dimensionen kultureller Variation von Metaphern nach Kövecses zeigt die Studie, dass sich die Kategorie preferential conceptualizations (Kövecses 2005, 82 - 86) als zutreffende Bezeichnung für die unterschiedlichen Beschreibungen von Liebeserfahrungen in den deutschen und brasilianischen Interviews herausstellte. Ein solches Ergebnis impliziert, dass die für die jeweilige Gruppe charakteristischen Metaphern in der Regel 250 auch in der anderen Kultur verstanden werden, da es um Präferenzen für bestimmte konzeptuelle Metaphern geht und nicht um das Fehlen der entsprechenden Ausgangsdomäne in der anderen Kultur. Des Weiteren wurde deutlich, dass die spezifischen Realisierungen bestimmter Metaphern auf der Sprachoberfläche nur in einer der beiden Sprachen gebräuchlich sein können. Beispiele sind idiomatische Ausdrücke wie sich fallen lassen oder jemandem die Stange halten, die im deutschen Sprachraum zwar bekannt sind, in ihrer wörtlichen Übersetzung von Brasilianern jedoch nicht verstanden würden. In Bezug auf die Ausgangsdomäne SICHERHEITSNETZ / HALT / ZUFLUCHTSORT scheint demnach die Reichweite (scope of metaphor) der auf die Zieldomäne übertragenen Schlüssellexeme im Brasilianischen in diesem Fall enger gefasst zu sein als im Deutschen. Das gilt auch für andere Ausgangsdomänen. So gibt es im brasilianischen Portugiesisch z. B. eine ganze Reihe von metaphorischen Ausdrücken, die auf die Domäne FUNKTIONIERENDE MASCHINE zurückgeführt werden können, obwohl im tatsächlichen Sprachgebrauch kaum einer sagen würde, seine Beziehung laufe gut oder funktioniere nicht mehr; trotzdem ist es einem brasilianischen Hörer möglich, die entsprechenden Ausdrücke problemlos zu verstehen. Auf welche Aspekte zugrunde liegender kultureller Modelle könnten die skizzierten Unterschiede zurückgeführt werden? Kövecses (2003) konstatiert zwei übergeordnete generische Metaphern für menschliche Beziehungen: INTERACTIVE RELATIONSHIPS ARE ECONOMICAL EXCHANGES und COMPLEX SYSTEMS ARE COMPLEX PHYSICAL OBJECTS . Interessant scheint mir nun, dass zwei der wesentlichen Metaphern, die für das deutsche Korpus ausgemacht werden konnten, auf genau diesen generischen Metaphern basieren: WIRTSCHAFTLICHER AUSTAUSCH und FUNKTIONIERENDE MASCHINE . An anderer Stelle spricht Kövecses (1988) von zwei alternativen konzeptuellen Basismetaphern für Liebe: Während die Metapher LOVE IS A UNITY das Konzept der idealen Liebe inkorporiere, repräsentiere die Metapher LOVE IS AN ECONOMICAL EXCHANGE eher den Entwurf westlicher Industrienationen, deren Weltanschauung in vielen Bereichen auf der rationalen Organisation von Unternehmen fußt. 3 Die Unterscheidung, die ich an dieser Stelle vorschlagen möchte, weicht von dem Vorschlag Kövecses ’ insofern ab, als zum einen die Dichotomie von ideal love und typical love durch die vom ‚ passionierten ‘ und ‚ romantischen Liebesideal ‘ ersetzt wird; zum anderen lässt sich, wie zu zeigen ist, die Annahme nicht aufrecht erhalten, es gebe lediglich eine einzige Basismetapher für beide Modelle. Vielmehr handelt es sich um ein komplexes Zusammenspiel mehrerer konzeptueller Metaphern, die zwei unterschiedliche kulturelle Grundmodelle reflektieren. 3 Diesen Aspekt haben Berger, Berger & Kellner (1974) bereits genauer untersucht. 251 Werfen wir zu einem besseren Verständnis einer kulturgeschichtlichen Einbettung der sich herauskristallisierten Metaphern einen Blick auf die prominente Studie Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, in der der Soziologe Niklas Luhmann (1996) das Konstrukt ‚ Liebe ‘ als immer schon historisch situiertes ‚ symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium ‘ analysiert. Demnach ist es der Kommunikationscode selbst, der Menschen überhaupt erst dazu animiert, das entsprechende Gefühl vor dem Hintergrund eines partikularen soziogenetischen Evolutionsprozesses auszubilden. Historisch betrachtet vollzieht sich für Luhmann die semantische Differenzierung dieses Kommunikationscodes in drei Schritten: (a) ihrer Entstehung und Idealisierung im Mittelalter, (b) ihrer Paradoxierung in der Französischen Klassik und (c) der Thematisierung ihrer Selbstbezüglichkeit mit Beginn der Romantik als Resultat eines modifizierten Subjektverständnisses. Während nun das im 18. Jahrhundert in der Französischen Klassik entstehende passionierte Liebesideal von einer Übersteigerung des Gefühls bis hinein in die Gefilde der Imagination lebt, was als „ übermäßige, exzessive, maßlose [. . .] Leidenschaftsliebe [. . .] zu einem lust- und leidvollen Identitätsverlust führt, zu einem partiellen Verrücktwerden “ (Baumgart 1985, 144), entwickelt sich das Ideal der romantischen Liebe gerade als Kritik an der Oberflächlichkeit des bloßen plaisir mit seinen Ritualen der Koketterie und Galanterie: „ Das Obszöne disqualifiziert sich durch das fehlende Interesse an der Person, oder genauer: durch die Auswechselbarkeit der Bezugsperson “ (Luhmann 1996, 151). Durch die zunehmende Individualisierung des Subjekts in der Romantik wird der Mensch mehr und mehr als wandlungsfähig begriffen, was die Ausdifferenzierung einer gemeinsamen Sonderwelt begünstigt, in der nun beide Partner, aneinander wachsend, sich gegenseitig sowohl als Geschlechtspartner als auch als engster Freund erleben, so dass sich die Beziehung auf Dauer umstellt. Diese dritte Periode der Ausdifferenzierung des Liebeskonzepts vollzieht sich gegenüber der zweiten, deren Geburtsstätte Frankreich ist, zunächst in Deutschland, was Luhmann (1989, 130) durch historisch-gesellschaftliche Umstände begründet sieht: Seit Beginn des 19. Jahrhunderts hinterlässt die immer schneller werdende gesellschaftliche Ausdifferenzierung in Teilsysteme wie Recht, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft ein Vakuum im Hinblick auf einen übergeordneten Bezugspunkt. In dieses Vakuum fließt nun Moral, wie u. a. die integrativen Versuche der Freimaurer bezeugen. Auch das Aufkommen des Protestantismus trägt zu einer Selbstbetrachtung und einem Ausbau der Innerlichkeit bei, wodurch das moralisch ‚ reine ‘ Ideal von der romantischen Liebe mit seinem Individualismus befördert wird. Vor dem Hintergrund dieser Gegenüberstellung von passioniertem und romantischem Liebesideal scheint es naheliegend, die in der Studie zutage geförderten Unterschiede in Anlehnung an diese kulturhistorische Aus- 252 legung Luhmanns zu erklären. Dementsprechend zeigt sich im deutschen Korpus eine starke Präsenz von Metaphern, die sich mit dem romantischen Liebesideal in Übereinstimmung befinden, wogegen das brasilianische Korpus sowohl Metaphern birgt, denen das romantische, als auch solche, denen das passionierte Liebesideal als kulturelles Hintergrundmodell innewohnt. Die nachstehende Übersicht illustriert diese Tendenzen und integriert zugleich diejenigen Metaphern, die bei der vorangegangenen Fokussierung der Divergenzen noch nicht ins Blickfeld geraten sind, sich aber nun unter Bezugnahme auf die beiden übergeordneten Themen als durchaus relevant erweisen. Metaphern des passionierten Liebesideals Korpus BRA Korpus DEU Metaphern des romantischen Liebesideals Korpus DEU Korpus BRA EINHEIT VON TEILEN 10 03 REISE 30 16 NÄHE 10 00 FUNKTIONIERENDE MASCHINE 28 00 BUND 04 00 TERRITORIUMSBEWACHUNG 15 02 PHYSISCHE KRAFT 09 00 WIRTSCHAFTLICHER AUS- TAUSCH 20 06 NATURKRAFT 08 00 SICHERHEITSNETZ / HALT / REFUGIUM 14 02 WAHNSINN 06 00 OFFENES BUCH 04 04 EROBERUNG 14 01 KONSTRUKTION 18 14 SPORT / SPIEL 08 00 WACHSTUM / ORGANISMUS / PFLANZE 06 32 ESSEN / APPETIT 15 00 TIER 08 00 KUNST 03 00 Abb. 5.1-2: Vergleich zwischen Ausgangsdomänen des passionierten und romantischen Liebesideals An dieser Stelle kommt der konstruktive Charakter der Zieldomäne zum Ausdruck, die im Rahmen eines konkreten Kommunikationsereignisses - einem akademischen Zwecken dienenden Interview - von den Kommunikationsteilnehmern - hier den brasilianischen bzw. deutschen Interviewpartnern - erst erzeugt wird: Die brasilianischen Interviewpartner, dazu aufgefordert, über Liebe und Liebesbeziehungen zu sprechen, nehmen in ihren Interviews vorwiegend auf die erste Phase einer Liebesbeziehung 253 Bezug, wogegen sich die deutschen Interviewpartner eher mit der Zukunft beschäftigen. D. h. es gibt Abweichungen bei der Gewichtung bestimmter Aspekte der Erfahrungsdomäne, nach der hier gefragt wurde. Dadurch kommt es zu einer stärkeren Betonung des Gefühls ‚ Liebe ‘ im brasilianischen gegenüber einer stärkeren Orientierung am Freundschaftskonzept im deutschen Fall. An dieser Stelle lohnt sich ein Rückgriff auf eine weitere Untersuchung Kövecses ’ (2003, 35 - 50, 110), der eine Liste von Metaphern vorlegt, um diejenigen Ausgangsdomänen zu beschreiben, die sich auf die Zieldomänen LOVE und LUST beziehen. In dieser Liste finden sich nahezu alle von den brasilianischen Interviewpartnern vorzugsweise verwendeten Metaphern wieder: LIVING ORGANISM , NATURAL FORCE , PHYSICAL FORCE , INSANITY , NUTRIENT / FOOD , WAR und GAME . Im Gegensatz dazu reflektieren die Metaphern, die in den deutschen Interviews im Vordergrund stehen, tendenziell Aspekte zwischenmenschlicher Beziehungen, zu denen Kövecses u. a. auch die folgenden zählt: DISTANCE , ECONOMICAL EXCHANGE , MACHINE , JOURNEY und VALUABLE COMMODITY . PLANT und BUILDING werden gleichfalls genannt. Die BUILDING Metapher korrespondiert in einigen Aspekten mit dem, was hier als KONSTRUKTION etikettiert wurde. Wie bereits kurz angedeutet, finden sich im brasilianischen Korpus ebenfalls konzeptuelle Metaphern, die dem romantischen Liebesideal zugeordnet werden können, wenn auch nicht in so starker Ausprägung wie im deutschen Korpus. So sind Metaphern der Domänen KONSTRUKTION und REISE in etwa gleicher Anzahl vertreten; die Zahl der metaphorischen Ausdrücke für die Ausgangsdomäne WACHSTUM / ORGANISMUS / PFLANZE ist sogar deutlich höher. Daraus ließe sich zunächst einmal schließen, dass wir die Idee von einer Liebesbeziehung als etwas Dauerhaftem in beiden Kulturen antreffen; dennoch scheint es unterschiedliche Präferenzen hinsichtlich der Metaphern zu geben, durch welche diese Grundidee ihren Ausdruck findet. Während im deutschen Korpus das Bildschema WEG dominiert, dem eine eher horizontale, lineare Orientierung zugrunde liegt und das damit unter Rückbezug auf die Grundmetapher TIME IS SPACE (Lakoff 1993) auch in temporaler Hinsicht in die Zukunft weist, präferieren die brasilianischen Interviewpartner eine vertikale Orientierung, der das Bildschema WACHSTUM innewohnt. Bemerkenswert ist, dass diese Tendenzen mit einem Detail in Zusammenhang gebracht werden könnten, das durch die Studie von Schröder (2003, 91 - 94) zur sprachlichen Konstruktion unterschiedlicher Lebenskonzepte in der deutschen und brasilianischen Kultur 4 zutage gefördert wurde. 4 Für diese Studie wurden insgesamt 40 Interviews durchgeführt und 400 Fragebögen verteilt. 254 Die Antworten, die von den brasilianischen Befragten auf die Frage nach den wichtigsten Aspekten für eine gute Liebesbeziehung gegeben wurden, deuteten gegenüber den deutschen Antworten auf eine stärkere Betonung reziproker Handlungen wie „ zusammen tanzen “ , „ gemeinsam ausgehen “ , „ guten Sex miteinander haben “ etc. hin. Demgegenüber wurde dieses ‚ Prinzip der Wechselseitigkeit ‘ unter den deutschen Befragten durch ein ‚ Prinzip der Parallelität ‘ ersetzt. Die folgende Tabelle gibt anhand einiger typischer Antworten einen Überblick über diese Tendenzen: Brasilianisches Korpus Deutsches Korpus respeito mútuo (gegenseitiger Respekt) gleiche Wellenlänge amor recíproco (wechselseitige Liebe) gemeinsame Interessen paix-o dos dois lados (Leidenschaft von beiden Seiten aus) dass die Ziele übereinstimmen respeitarse (sich respektieren) dass man in wichtigen Dingen an einem Strang zieht entender-se (sich verstehen) ähnliche Vorstellungen vom Leben amar e ser amado (lieben und geliebt werden) Gemeinsamkeiten respeito entre duas pessoas (Respekt zwischen zwei Personen) dieselben Einstellungen Abb. 5.1-3: Wechselseitigkeit versus Parallelität (Schröder 2003, 91) Hier wird offensichtlich, dass das ‚ Prinzip der Wechselseitigkeit ‘ im Verein mit der Idee von einer beständigen Beziehung eher mit der Metapher WACHSTUM kombinierbar ist als mit REISE , da im letzten Fall die eigendynamische Bewegung der Reisenden auf einen Zielort hin die Parallelisierung der Perspektiven zur Gestaltung einer gemeinsamen Zukunft begünstigt. Lakoff (1993) zufolge kann die LOVE IS A JOURNEY Metapher als dual der LOVE IS A PARTNERSHIP Metapher betrachtet werden: als Zwei-Mann-Unternehmen, was u. a. auch den häufigeren Gebrauch des Ausdrucks Partnerschaft im deutschen gegenüber dem brasilianischen Korpus erklären würde. Damit reflektiert die Metapher REISE besonders prägnant das romantische Liebesideal mit seiner auf Dauerhaftigkeit angelegten Verbindung von körperlicher Leidenschaft und Freundschaft. Gleichzeitig findet sich im deutschen Korpus eine starke Betonung des Maximalisierungsprinzips, was besonders in den Metaphern FUNKTIONIEREN- DE MASCHINE und ÖKONOMISCHER AUSTAUSCH zum Ausdruck kommt. So wie die 255 Logik des technologisierten Produktionsprozesses zu einer größtmöglichen Steigerung der Ergebnisse tendiert - größer, besser, billiger, effektiver, stärker, schneller - , so wird dieses Axiom auch auf andere Sektoren des sozialen Lebens übertragen, wie Berger, Berger und Kellner (1974, 40) bereits in den siebziger Jahren konstatieren. Eine solche Entwicklung verdankt sich nicht zuletzt auch dem Einfluss des Protestantismus und des mit der Romantik aufkeimenden Individualismus (Schröder 2003). Wirft man einen Blick auf die Metapher ESSEN / APPETIT , so stellt man fest, dass dieses Sprachbild, das im deutschen Korpus gänzlich fehlt, über das Korpus hinaus in einer ganzen Reihe unterschiedlichster Bereiche der brasilianischen Kultur anzutreffen ist, wie die folgenden Beispiele zeigen: Sprichwörter: (31) „ Criança que nunca comeu doce, quando come se lambuza “ ( „ Ein Kind, das nie etwas Süßes gegessen hat, kleckert sich ein, wenn es was isst. “ ) Literatur: (32) „ Tu está t-o bonita, tu nem sabe . . . Tu parece uma cebola, carnuda sumarenta, boa de morder “ (Dona Flor e seus dois maridos von Jorge Amado 1968, 415) 5 ( „ Du bist so hübsch, wie du es dir kaum vorstellen kannst. Du siehst aus wie eine Zwiebel, fleischig und saftig und gut zum Hineinbeißen “ ) MPB (Música Popular Brasileira): (33) „ Vamos comer Caetano / Vamos desfrutá-lo / Vamos comer Caetano / Vamos começá-lo / Vamos comer Caetano / Vamos devorá-lo / Degluti-lo, mastigá-lo / Vamos lamber a língua “ (Vamos comer Caetano de Adriana Calcanhotto 1998) 6 ( „ Komm, wir essen Caetano / Komm, wir genießen ihn / Komm, wir essen Caetano / Komm, wir fangen an / Komm, wir essen Caetano / Komm, wir verschlingen ihn / Verschlucken ihn, kauen ihn / Komm, wir schlecken seine Zunge auf “ ) 5 Siehe auch Amado (1968, 245), Espanca (1996, 358) und viele der in der Zeitschrift CADERNOS NEGROS publizierten Gedichte. 6 Weitere Belege können u. a. in den folgenden Musiktexten gefunden werden: Você n-o entende nada von Caetano Veloso (1970), Comida von den Tit-s (1987), Eu te devoro von Djavan (1998), Morena Tropicana von Alceu Valença (1982), Mania de você von Rita Lee, Tanta Saudade von Chico Buarque und Djavan etc. 256 Fernsehen: (34) „ Tu tem uma abundância de carnes fartas. Tu n-o é uma mulher, tu é um rodízio “ (Show Sai de Baixo, Neves 1998, 93 - 104) 7 ( „ Du bist von einer Fülle zarten Fleisches. Du bist keine Frau, du bist ein Fleischspieß “ ) Ein semasiologischer Blick auf die Ausgangsdomäne ESSEN bestätigt die kulturelle Verwurzelung dieses Konzepts, da die Ausgangsdomäne auch zur Strukturierung anderer Zieldomänen genutzt wird, etwa in soziologischen und anthropologischen Abhandlungen, die sich der Suche nach einer genuinen Identität der brasilianischen Kultur widmen, wobei der BRASILIANER in solchen Kontexten oft als KANNIBALE (Andrade 1928/ 1995, 142; Ianni 1993, 131) entworfen wird, der die oktroyierte europäische Kultur verschlingt und tropikalisiert, um sie den hybriden Bedingungen des eigenen Lebensstils anzupassen. Der Topos von der brasilianischen Sensualität nimmt im Verein mit der Metapher ESSEN / APPETIT seinen Ausgang im Mythos vom verlorenen Paradies, der seinerseits auf die ersten Jesuiten zurückgeht, die im 16. Jahrhundert nach Brasilien kamen. Im Gegensatz zu den von der portugiesischen Krone gesandten Abenteurern unternehmen die Jesuiten den Versuch, die Indianer vor der Versklavung zu bewahren, und sehen in ihrer Nacktheit und der damit verbundenen fehlenden Scham eine ursprüngliche Unschuld. Die hierauf aufbauende Verschlingung von Vaterlandsidee und opulenter Natur bringt besonders während der Nativismusbewegung die pittoreske Assoziation ‚ wunderschönes Land - großartige Zukunft ‘ hervor (Candido 2000, 141). Das Thema schlägt sich schließlich in dem Klischee vom feurigen Liebesleben der Brasilianer nieder, besonders in der Figur der Mulattin, die den Stempel der verführerischen, unschuldigen Naturschönheit trägt und bis heute Anziehungspunkt für den karnevalistischen Sex-Tourismus darstellt. Schon im 18. und 19. Jahrhundert zeugen folkloristische Reime von dieser Überhöhung, wie u. a. Bastide (1971, 70 - 71) aufzeigt: (35) Mulatinha brasileira, você é um doce maná, é um fruto açucarado, saboroso cambucá. A mulata é feiticeira, outra como ela n-o há; o amor da mulatinha, a branca n-o sabe dá. (Bastide 1971, 70 - 71) (Mulatinha brasileira, du bist süß wie eine Frucht, du bist eine zuckersüße Frucht, schmackhafte Cambuci. Die Mulattin ist Zauberin, es gibt keine wie sie; die Liebe einer Mulattin vermag eine Weiße nicht zu geben.) Ferner liegt ebenso der Metapher EROBERUNG mit ihrer Hervorhebung des gegenwärtigen Augenblicks das passionierte Liebesideal zugrunde. Luh- 7 In ihrem Artikel listet Neves eine ganze Reihe von Ausdrücken auf, die SEX mit ESSEN verbinden und die in der von ihr untersuchten Fernsehshow gefallen sind. Auch die Studie von Costa Lima, Gibbs und Françozo (2001) widmet sich diesem kulturspezifischen Thema. 257 mann versteht die geforderte Passion als durch Passivität und Zwang getarnte Handlungsfreiheit, so dass Wehrlosigkeit hinsichtlich des eigenen Getroffenseins und Verhaltensplanung hinsichtlich der Eroberung in einen Steigerungszusammenhang miteinander treten, den er mit den scheinbar paradoxen Begriffen „ erobernde Selbstunterwerfung, gewünschtes Leiden, sehende Blindheit, bevorzugte Krankheit, bevorzugtes Gefängnis, süßes Martyrium “ (Luhmann 1996, 83) umschreibt. Was hier besonders deutlich wird, ist das, was Lakoff und Johnson (1980/ 2003) in ihrem ersten Buch bereits ansprechen, jedoch nicht weiterverfolgen: Metaphorische Konzepte strukturieren nicht nur unsere Alltagskommunikation; sie sind auch handlungsleitend. Eine deutsche Frau etwa könnte das Insistieren eines brasilianischen Mannes, der an einem intimeren Kontakt interessiert ist, als Invasion in ihr Territorium deuten, hat sie ihm doch bereits mehrere Male unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie kein sexuelles Interesse an ihm hat. Der brasi-lianische Mann seinerseits könnte nun jedoch das Verhalten der Frau im Rahmen der Metapher EROBERUNG so auslegen, dass sie in das kokette Spiel um vorgetäuschtes Desinteresse eingestiegen ist. 5.1.4 Kritisches Resümee und theoretisches Fazit Wie Gibbs (2006, 18) feststellt, „ there is still insufficient attention paid to the exact ways in that cultural beliefs shape both people ’ s understandings of their embodied experiences and the conceptual metaphors which arise from these experiences “ . Unsere erste Studie stellt einen Beitrag zu der hier angesprochenen kulturrelativistischen Seite der Metaphernforschung dar, indem sie aufzeigt, wie die sich herauskristallisierenden unterschiedlichen Präferenzen bei der metaphorischen Konzeptualisierung von Liebe im Kontext mit divergierenden kulturellen Frames gesehen werden können. Aus diesem Grund wurden in dem Beitrag die Parallelen zwischen den beiden untersuchten Korpora bewusst in den Hintergrund gerückt, denn das Hauptaugenmerk lag auf kulturspezifischer Variation. Somit gelangten besonders die Metaphern REISE , FUNKTIONIERENDE MASCHI- NE , TERRITORIUMSBEWACHUNG , WIRTSCHAFTLICHER AUSTAUSCH und SICHERHEITS- NETZ / HALT / REFUGIUM in den Blick, die sich als charakteristisch für das deutsche Korpus herausstellten und in Zusammenhang mit dem romantischen Liebesideal gebracht werden konnten, wobei die Entwicklung der Liebesbeziehung und nicht die involvierten Emotionen im Vordergrund standen. Demgegenüber zeigte sich im brasilianischen Korpus die Tendenz, nicht nur über die Beziehung selbst, sondern auch über die Stärke der beteiligten Gefühle zu sprechen, so dass in diesem Fall als Ausgangsdomänen EROBERUNG , ESSEN / APPETIT , NÄHE , PHYSISCHE KRAFT , NATURKRAFT und WAHNSINN ausgemacht werden konnten. Sie verweisen auf das kulturelle 258 Modell des passionierten Liebesideals, das anstelle der rationalen Planung einer gemeinsamen Zukunft die irrationale Ergebenheit in das Gefühl sowie den Moment des Durchlebens favorisiert. Dennoch ging aus den Antworten in gleicher Weise hervor, dass sich hier kein schlichter Gegensatz abzeichnet, sondern dass im brasilianischen Korpus eine klare Überlagerung beider Modelle zutage tritt, ein Ergebnis, das eine wichtige Variable ins Spiel bringt, die in einer weiteren Studie mit Probanden im Alter von 40 - 50 Jahren genauer untersucht werden müsste, um festzustellen, ob sich die verwendeten Metaphern bei steigendem Alter immer noch so stark voneinander unterscheiden. Denn obwohl brasilianische Frauen im Gegensatz zu deutschen sowohl mehr Kinder bekommen als auch viel früher, stehen Brasilianer oft erst viel später auf eigenen Beinen und leben länger mit und bei ihren Eltern und Großeltern, so dass die deutsche ‚ Lebensplanung ‘ , mit der die gemeinsame Blickrichtung, gleiche Zielsetzungen und Interessen für die deutschen Interviewpartner so wichtig wurden, in Brasilien oft erst viel später in die Beziehungsgestaltung eingeht. Dies gilt insbesondere für Studenten, für die das Studium nicht selten eine Verlängerung der Schulzeit darstellt, da sich an ihrer sonstigen Lebens- und Wohnsituation nicht viel ändert. Daher wäre zu prüfen, ob dieser soziokulturelle Rahmen einen unter Umständen entscheidenden Faktor bei der Gewichtung der Antworten darstellt oder nicht. Einen wesentlichen Hinweis darauf, dass bei vorschnellen Dichotomisierungen Vorsicht geboten ist, gibt gleichfalls die bereits weiter oben erörterte Auskunft einer Probandin, es gebe zwar die Fleischeslust, aber Liebe sei eben doch nicht nur das Sexuelle. Daraus spricht eine reflektierte Haltung gegenüber dem wohl bekannten, unermüdlichen brasilianischen Stereotyp vom feurigen Liebesleben, dem sich die Interviewte in ihrer Äußerung bewusst entgegenstellt. Individuelle Prädispositionen und kulturelle Präsuppositionen spielen hier ineinander und können durchaus in Opposition zueinander stehen. Gerade an dieser Stelle darf der wachsende Einfluss der neopentekostalen Kirchen in Brasilien nicht vergessen werden, deren Anhänger einem moralischen Rigorismus - Verzicht auf Alkohol, Zigaretten und sonstige Drogen, sexuelle Enthaltsamkeit und materielles Fortkommen - folgen. Diese evangeliken Sekten stoßen besonders in ärmeren Bevölkerungsschichten auf großen Anklang, da sich mit dem streng auferlegten Regelwerk ein Alternativkonzept zur oft als chaotisch wahrgenommenen politisch-sozialen Realität des Landes eröffnet. Die herausgearbeiteten Metaphern und die Hinzuziehung der luhmannschen Theorie vom Kommunikationscode ‚ Liebe ‘ ergaben damit ein weitaus komplexeres Bild als es die Differenzierung von ideal love und typical love erlaubt, die Kövecses (2003) vornimmt. Denn im Gegensatz zu dessen These, konzeptuelle Metaphern ließen sich letztlich entlang einer Reihe von Verschachtelungen auf eine kleine Anzahl von generischen Grundmetaphern 259 zurückführen, konnten die in dem vorliegenden Korpus gefundenen Metaphern nicht auf eine einzelne letzte Basismetapher reduziert werden, die dann als Ausgangspunkt für ein Netz aus konkreteren und komplexeren Metaphern fungiert. Vielmehr zeigte sich, dass sich die konzeptuellen Metaphern mit zwei prototypischen kulturellen Modellen von Liebe, dem passionierten und dem romantischen Liebesideal, in Verbindung bringen lassen, was ein Beleg für die These Quinns (1991; Holland & Quinn 1987) wäre, dass kulturelle Modelle den metaphorischen vorausgehen. In theoretischer Perspektive ergab die Studie darüber hinaus, dass die geradlinige Formel der Konzeptuellen Metapherntheorie ‚ A IST B ‘ bei genauerer Betrachtung problematisch ist, da sie bestimmte Phänomene des Kommunikationskontextes nicht einzufangen vermag: Eine so abstrakte Zieldomäne wie ‚ Liebe ‘ wird immer erst im Rahmen einer bestimmten Kommunikationssituation von den Kommunikationsteilnehmern gemäß ihren kommunikativen Absichten konstruiert und konkretisiert. All diese Faktoren blieben auch bei der vorgestellten Studie noch weitgehend unberücksichtigt, auch wenn bereits deutlich wurde, dass das substantialisierte Abstraktum ‚ Liebe ‘ durch die Idee einer Kommunikationsdomäne ersetzt werden muss, die sich eher wie folgt beschreiben lässt: ‚ Beim Sprechen über Liebe verwenden Deutsche und Brasilianer oft Metaphern aus den Ausgangsdomänen X und Y ‘ . Erst durch diese Umwandlung der traditionellen Zieldomäne in eine Kommunikationsdomäne konnte herausgestellt werden, dass es nicht um ein zwangsläufig gegensätzliches Verständnis von Liebe ging, sondern darum, welche Aspekte - Beziehung, Gefühl oder Person - dieses Erfahrungsbereichs bevorzugt thematisiert wurden. Daneben gäbe es noch weitere Problemstellungen, von denen an dieser Stelle zumindest eine exemplarisch erläutert werden soll: Zu fragen wäre beispielsweise danach, welchen Einfluss das Kommunikationsgenre ‚ akademisches Interview ‘ auf die Äußerungen der Kommunikationsteilnehmer nimmt. So wäre vorstellbar, dass die deutschen Interviewpartner das Gespräch eher als professionelles Interview empfunden haben, bei dem es gilt, eine ernste und erwachsene Sicht kundzutun, während einige brasilianische Interviewpartner aufgrund des Ausländerstatus ’ der Interviewerin unter Umständen dazu angehalten waren, ein bestimmtes Bild, das sie selbst von ihrer Kultur haben, zu vermitteln. Auf ein solches Verständnis der Interviewsituation deuten u. a. die häufigen Rückfragen der Brasilianer während des Interviews hin, wie Deutsche - und nicht die Interviewerin - zu dem befragten Thema stünden. Hier überlagert die nationale Zugehörigkeit die individuelle, so dass es bei den Antworten zu einer Fokusverschiebung gekommen sein könnte. Die Untersuchung stellt damit einen ersten Schritt in Richtung eines Aufbrechens der formelhaften Bestimmung von Ausgangs- und Zieldomäne dar, die auf Lakoff und Johnson (1980/ 2003; 1999) zurückgeht, sich aber 260 auch noch in den Untersuchungen von Kövecses (2003; 2005) zur kulturellen Variation von Metaphern findet. Was in vielen Untersuchungen zur Kulturspezifität von Metaphern immer noch außer Acht gelassen wird, ist alles, was sich außerhalb des Mediums Sprache selbst abspielt: Wer sagt was zu wem in welchem situativen Zusammenhang und mit welchen Kommunikationsabsichten? Vor diesem Hintergrund ist die dargelegte Studie lediglich ein Anfang, und die kritische Auseinandersetzung mit den Ergebnissen deutet an, welche Aspekte in Zukunft vertieft werden müssten. 5.2 Die Rolle kommunikativer Funktionen bei der Erzeugung kulturspezifischer Projektionen am Beispiel der Metapher DAS LEBEN DES MC IST KRIEG 8 5.2.1 Zielsetzung und methodisches Vorgehen Ende der siebziger Jahre formiert sich in der südlichen Bronx von New York Hip Hop 9 als eine Kultur, die Sprache, Musik, Tanz und Bild in den vier Elementen Rap, DJing, Breakdance und Graffiti synthetisiert. Als Blüte der überwiegend von Schwarzen geprägten urbanen US-Ghettos entfaltet sich der neue Jugendstil zunächst als Straßenkultur, wobei Wettkämpfe (battles) zwischen verschiedenen Gruppen (Crews) von Breakdancern in Begleitung von Musik aus Ghettoblastern den Rahmen bilden. Zu diesem Kontext tritt das Rapping hinzu, das vom MC (Master of Cerimony) realisiert wird. Inzwischen ist Hip Hop zu einer globalen Kultur geworden, die in allen Regionen der Erde lokale Praktiken hervorgebracht hat. Wie Ronald Robertson (1992, 173 - 174) anhand der Einführung seines Konzepts glocalization illustriert hat, führt die Globalisierung kultureller Stile und Subkulturen in den jeweiligen Regionen der Welt nicht einfach zu einer Imitation des Originals, sondern zur Entstehung lokaler Stilvarianten, so dass man eher von einer reziproken Beziehung von globaler Zirkulation und lokaler Rekontextualisierung anstelle von einseitiger Adaptation ausgehen sollte. James Lull (1995) spricht in diesem Zusammenhang von Prozessen der ‚ Deterritorialisierung ‘ und ‚ Reterritorialisierung ‘ kultureller Stile, bei denen drei Mechanismen von entscheidender Bedeutung sind: Es kommt (a) zu einer ‚ Transkulturation ‘ , bei der die kulturelle Ausgangsform durch ihre 8 Teilergebnisse dieser Studie finden sich in dem Aufsatz A Culture-specific construction of meaning utilising the life is war metaphor in Brazilian and German rap lyrics (Schröder 2012, im Druck). 9 Der Neologismus setzt sich aus den Konstituenten Hip (= ‚ verrückt auf etwas sein ‘ ) und Hop (= ‚ Tanz ‘ ) zusammen. Der Name steht auch in der Tradition der schwarzen Musikrichtung Doo Wop (Toop 1991, 22 - 23). 261 Überquerung raum-zeitlicher Grenzen eine neue Kontur erhält, (b) zu einer ‚ Hybridisierung ‘ , die sich auf die Verschmelzung verschiedener kultureller Muster bezieht, und schließlich (c) zu einer ‚ Indigenisierung ‘ , indem die eintretende Kulturform von lokalen Charakteristika geprägt und modifiziert wird. Der Fokus der Studie richtet sich auf die global zirkulierende Kultur des Hip Hop und ihre lokalen Formen der Reterritorialisierung im Vergleich zwischen deutschen und brasilianischen Raptexten auf der Grundlage der Hypothese, dass unterschiedliche Reterritorialisierungsformen gleichsam zu divergierenden Rapstilen führen müssten. Um diesen Aspekt exemplarisch zu beleuchten, konzentriere ich mich auf die Analyse einer spezifischen konzeptuellen Metapher, die sich in einer Pilotstudie (Schröder 2007 a) als für brasilianische wie deutsche Raptexte wesentliches Sprachbild und Kommunikationsinstrument herausgestellt hat: DAS LEBEN ( DES MC ) IST KRIEG - eine Metapher, die bereits in der US-amerikanischen Originalkultur allgegenwärtig ist. Grundlage für den Vergleich bildete ein Korpus mit 150 Raptexten aus jeder Kultur. 10 Im Rahmen der Pilotstudie stand die Aufdeckung genereller Unterschiede im Hinblick auf Inhalt und Sprachstil deutscher und brasilianischer Raptexte im Vordergrund (Schröder 2007 a). Bei der näheren Betrachtung der Metapher DAS LEBEN ( DES MC ) IST KRIEG fand sich eine Reihe von Hinweisen darauf, dass die damit zusammenhängenden Projektionen sowie die kommunikativen Funktionen und kontextuellen Faktoren signifikante Unterschiede mit sich bringen, die eine vertiefende Analyse dieser Metapher einfordern. Deshalb wurde das Korpus in einer zweiten Studie mit Blick auf diese spezifische Metapher ein weiteres Mal gesichtet und systematisiert. Da es nun darum ging, die zunächst im Rahmen der Terminologie von Lakoff und Johnson vorläufig so bezeichnete Zieldomäne der Ausgangsdomäne KRIEG genauer zu untersuchen, entsprach die Methodologie einem semasiologischen und deduktiven Vorgehen mit Fokus auf den Elementen und Relationen innerhalb der Kriegsdomäne. Hintergrund und gleichzeitiger Ausgangspunkt für die Postulierung dieses Ausgangsbereichs als eingrenzbarer Domäne stellten die inzwischen zahlreichen Untersuchungsergebnisse zur Ubiquität der Kriegsmetapher dar, die im Rahmen der kognitiven Metaphernforschung bereits durchgeführt wurden (Lakoff & Johnson 1980/ 2003; Koller 2004 a; Boers & Demecheleer 1997) sowie die spezifischen Arbeiten zur konzeptuellen Metapher LEBEN IST KRIEG (Köves 2002; Al Zahrani 2008; López Maestre 2000 - 2001). Ziel war eine 10 Die brasilianischen Texte stammen von der Seite http: / / www.letrasdemusicas.com. br/ generos/ rap.html, die deutschen von der Seite http: / / www.hiphoplyrics.de, 22. 1. 2008. 262 präzise detaillierte Aufstellung der kulturspezifischen Projektionen einzelner Elemente und Relationen der Ausgangsauf die Zieldomäne. In einem ersten Analyseschritt wurden Gruppierungen aller im Korpus auffindbaren Tokens vorgenommen, die der Domäne KRIEG zugeordnet werden konnten und die sich gegen einen wörtlichen Kotext und Kontext abhoben, wobei wie in der unter 5.1 vorgestellten Studie die Pragglejaz- Methode appliziert wurde. Probleme bei der Frage nach der tatsächlichen Metaphorizität bestimmter Ausdrücke tauchten nur im brasilianischen Kontext auf, da es hier bei einigen Texten nicht so einfach war, zwischen Metapher und wörtlicher Bedeutung scharf zu trennen, denn die Situation in den brasilianischen favelas 11 nimmt zum Teil tatsächlich bürgerkriegsähnliche Zustände an. Im Zweifelsfall wurde sich deshalb gegen eine Etikettierung des zur Debatte stehenden Ausdrucks als ‚ metaphorisch ‘ entschieden. Den Abschluss der ersten Phase bildete die quantitative Ermittlung der einzelnen metaphorischen Ausdrücke. In einem zweiten Schritt wurden die ermittelten metaphorischen Ausdrücke einer konzeptuellen Analyse unterzogen, deren Zielsetzung es war, die einzelnen Projektionen zu bestimmen, die bei der Übertragung von der Ausgangsauf die Zieldomäne vorgenommen wurden. Dabei war die zentrale Frage, auf welche Weise Elemente wie SOLDAT , FEIND oder WAFFE Korrespondenzen in der vorläufigen, generischen Zieldomäne LEBEN DES MC herstellen und wie sie die entsprechenden slots ausfüllen. In einem dritten Schritt wurde eine mikroanalytische Betrachtung zweier kulturspezifischer Blending-Szenarien vorgenommen, die sich auf der Basis der Ergebnisse der vorangegangenen Analyse als signifikant herauskristallisierten und zu einer mikroskopischeren Betrachtung überleiten. Bei der Interpretation der Resultate zu den kulturspezifischen Projektionen der generischen Metapher DAS LEBEN ( DES MC ) IST KRIEG wurde in einem letzten Schritt schließlich nach den kommunikativen Funktionen der Raptexte in den jeweiligen Subkulturen gefragt und danach, inwieweit solche kommunikativen Funktionen ihrerseits konstitutiv für die jeweiligen metaphorischen Projektionen sind und diesen damit vorausgehen. 5.2.2 Ergebnisse Von den 150 untersuchten Raptexten im deutschen Korpus enthalten 35 die zur Debatte stehende Kriegsmetapher, während sie im brasilianischen 11 Favelas lassen sich nicht einfach mit ‚ Ghetto ‘ ins Deutsche übersetzen, denn der Ausdruck bezieht sich auf die in den Randzonen der Großstädte Brasiliens liegenden Armenviertel, die sich dadurch charakterisieren, dass es sich um informell entstandene Siedlungen handelt, die daher auch jederzeit städtischen Großprojekten weichen können. 263 Korpus in 44 Texten zu finden ist. Trotz dieser höheren Textquote finden sich im brasilianischen Korpus jedoch insgesamt weitaus weniger unterschiedliche lexikalische Einheiten (Types) und weniger Okkurrenzen (Tokens). Im deutschen Korpus hingegen ist die metaphorische Dichte derjenigen Texte, welche die konzeptuelle Metapher DAS LEBEN ( DES MC ) IST KRIEG beinhalten, weitaus größer. Oft ist sogar der ganze Track um diese Schlüsselmetapher herum aufgebaut. Die Unterschiede im Hinblick auf die Häufigkeit der auftretenden lexikalischen Einheiten ergeben folgendes Bild: Am häufigsten verwendete lexikalische Einheiten im deutschen Korpus Okkurrenzen Am häufigsten verwendete lexikalische Einheiten im brasilianischen Korpus Okkurrenzen Battle/ Kampf 49 guerreiro/ soldado (Soldat) 36 Bombe 27 guerra (Krieg) 24 Krieg 23 luta (Kampf) 19 schießen 21 arma (Waffe) 13 Feind/ Gegner 17 revoluç-o (Revolution) 12 Abb. 5.2-1: Lexikalische Einheiten und ihre Okkurrenzen Entlang dieses rein quantitativen Resultats zeigt sich zunächst für das brasilianische Korpus eine stärkere Betonung des MC als Soldat, wogegen der Topos vom Feind im deutschen Korpus merklich hervortritt. Revolution nimmt im brasilianischen Korpus den fünften Platz ein, taucht aber im deutschen Korpus nicht ein einziges Mal auf. Schließlich fällt noch die hohe Anzahl des englischen Ausdrucks battle im deutschen Korpus in den Blick, der fast die Hälfte aller 49 Okkkurenzen ausmacht. Dass diese ersten Ergebnisse in das Gesamtbild passen, wird im Verlauf der Analyse deutlich. Hinsichtlich der metaphorischen Projektionen auf konzeptueller Ebene lassen sich Divergenzen mit Blick auf bestimmte Korrespondenzen und Implikationen feststellen, die sich auf der übergeordneten Ebene der generischen Metapher DAS LEBEN ( DES MC ) IST KRIEG noch nicht erahnen lassen. Die für das deutsche Korpus ausgemachte prototypische metaphorische Projektion kann folgendermaßen skizziert werden: Ausgangsdomäne KRIEG Zieldomäne DAS LEBEN DES MC Soldat, Killer, Legionär, Heckenschütze, Warrior, Rambo, Partisan, Söldner, Krieger, Sieger ð MC Eliteeinheit, Kampftrupp, Überfallkommando ð Gruppe des MC Feind, Gegner, Leiche, Verlierer, Besiegter ð der andere MC 264 Ausgangsdomäne KRIEG Zieldomäne DAS LEBEN DES MC Shots, Düsenjäger, Bomben, Detonation, Explosion, Kanonen, Panzer, Sprengsätze, Munition, Warnschuss, Granaten, Feuer, Äxte ð Rhymes, Style, Beats, Wörter zustechen, battlen, bomben, angreifen, kämpfen, beben, brennen, attackieren, fackeln, jagen, bombardieren, Raketen zünden, schießen ð rappen verbrennen, besiegen, besetzen ð besser rappen Katakomben, Bunker ð Studio Abb. 5.2-2: Projektionen der Kriegsmetapher im deutschen Korpus Anhand von fünf Beispielen soll diese prototypische Projektion im konkreten Kotext und Kontext illustriert werden: (1) Explosionen wenn ich komme / / mit dem Mic einreite und Biter zerbombe / / bewaffnet mit Kanonen / / erschaffen in Katakomben / / Eliteeinheit, die in der Tiefe Rhymes schreibt / / und für jeden Krieg bereit bleibt / / Beats verteilt und aufs Mieseste die Weakburg einreißt / / die besten Fighter erblassen / / neben dem Meister aller Klassen / / ihr schiebt ’ n krassen / / aber eure Styles sind Scheiße und verpaffen (Azad: 1 Mann Armee) (2) Wir wurden gestürzt doch der Blitzmob hat es überlebt / / finden erneut zusammen und ziehen nun wieder in den Krieg / / legen die Welt in Flammen mit der Macht, die in den Liedern liegt / / von Rick Ski der Firma die Armee, die immer wieder siegt / / damit das dritte Auge sieht und Gott dann vor uns niederkniet (Die Firma: Kampf der Titanen) (3) Ich kämpfe gegen Labels und Biter / / Jeder Tag bedeutet Krieg, doch das Leben geht weiter (Kool Savas: 16/ 1) (4) Nun ja ich bau gerade an einer Atombombe in meinem Hobbykeller / / und hab daher keine Zeit zum Geschichten erzählen / / Ich muss den Scheiß berechnen, um mein Ziel nicht zu verfehlen / / Jetzt musst du gehen, doch bevor ich es in der Eile vergesse / / gib mir mal aus reinem Interesse noch deine Adresse / / und ich schick dir was rum, was dir beweisen wird, wie genial ich bin / / und was dich und deine ganze Nachbarschaft zum Strahlen bringt (Samy Deluxe: Die Meisten) (5) Terminiert Toys! 12 Ab jetzt wird scharf geschossen / / Keine Pistolen, Kein Blut wird vergossen / / Niemand will dir was antun / / Hör einfach nur zu - das ist Scopemann / / zur Lage der deutschen Hip Hop Nation / / Wie ein 12 Mit toys bezieht man sich im Hip Hop-Jargon abschätzig auf jene Rapper, die keinen eigenen Stil hervorbringen, sondern nur bei anderen Rappern kopieren. 265 Heckenschütze in den eigenen Reihen / / Konstruktiv nicht besserwisserisch Kritik verteilen [. . .] Terminiert Toys, egal wo immer ihr sie findet / / der Gegner verschwindet, wenn ihr Innovation zündet / / wie ’ ne Bombe, ’ ne Rakete, ’ ne Granate, die explodiert / / Toys werden terminiert, wenn man es vorexerziert (Scopemann: Toy Terminator) Demgegenüber zeichnet sich im brasilianischen Korpus für die gleiche generische Metapher ein anderes prototypisches Set an Korrespondenzen ab: Ausgangsdomäne KRIEG Zieldomäne DAS LEBEN DES MC soldado, guerreiro (Krieger), ativista, faca (Messer), lutador (Kämpfer), incendiário (Brandstifter), revolucionário, martelo (Hammer), bomba, invasor (Angreifer), vencedor (Sieger) ð MC quadrilha (Bande), tropa (Truppe) exército (Armee) ð Gruppe des MC inimigo (Feind), adversário (Gegner) I ð Gesellschaft, Politiker, Polizei, Mittelschicht inimigo (Feind), adversário (Gegner) II ð Aufschneider, Ganoven, Kriminelle terror, bomba, ferro (Eisen), arma (Waffe), arsenal ð Rhymes, Style, Beats, Wörter chacina (Gemetzel), correr sangue (Blut vergießen), lutar/ combater (kämpfen), batalhar (in die Schlacht ziehen), defesa (Verteidigung), atacar (angreifen), atirar (schießen) ð rappen revoluç-o, cumprir uma miss-o (eine Mission erfüllen), salvaç-o (Rettung), revidar (vergelten), revanche, vencer barreiras (Grenzen überschreiten) ð Ziel des Rappens Abb. 5.2-3: Projektionen der Kriegsmetapher im brasilianischen Korpus Die folgenden Beispiele portraitieren diese prototypischen Korrespondenzen zwischen Ausgangs- und Zieldomäne für das brasilianische Korpus: (6) Rap Nacional é o terror que chegou [. . .] é o terror meu estilo meus planos de guerra / / comunidade do morro que n-o se rende à lei da selva / / eu sou mais um parceiro desse submundo / / trazendo à tona notícias só por alguns segundos [. . .] aí político eu sou a faca / / que arranca a sua pele / / a gaveta gelada o rabeç-o do IML / / a CPI da favela / / a luta do vinil contra a alienaç-o da novela [. . .] sou revolucionário sou nova forma de pensar [. . .] a bomba que explode / / o batalh-o inteiro (GOG: O terror) 266 (Brasilianischer Rap ist der Terror, der gekommen ist [. . .] Terror ist mein Stil und mein Kriegsplan / / Die Ghetto Community, die sich nicht dem Gesetz des Dschungels beugt / / Ich bin noch ein weiterer Partner dieser Unterwelt / / der nur für ein paar Sekunden Nachrichten ausstellt / / [. . .] Politiker, ich bin das Messer / / das deine Haut aufreißt / / die eiskalte Leichenkammer, der Leichenwagen der IML / / die CPI des Ghettos / / der Kampf des Vinyls gegen die Verblödung der Soaps / / [. . .] Ich bin Revolutionär, eine neue Art des Denkens [. . .] die Bombe, die explodiert, der gesamte Kampf) (7) Temos que vencer, tomar o poder, de uma vez por todas / / revoluç-o é o que é preciso e eu tô nessa lista / / precisamos com coragem unir as nossas forças / / e acabar com esse flagelo capitalista [. . .] se você n-o acredita em uma salvaç-o / / está chegando a minha, a sua, a nossa revoluç-o (Thaíde & DJ Hum: Revoluç-o) (Wir müssen gewinnen, die Macht ergreifen, einmal für allemal / / Revolution ist, was wir brauchen und ich steh auf der Liste / / Wir müssen mutig unsere Streitkräfte vereinen / / und die kapitalistische Geißel beenden [. . .] Wenn du nicht an eine Befreiung glaubst / / sie ist auf dem Weg, meine, deine, unsere Revolution) (8) A primeira faz ‚ Bum! ‘ , a segunda faz ‚ Tá! ‘ / / Eu tenho uma miss-o e n-o vou parar! Meu estilo é pesado e faz tremer o ch-o! / / Minha palavra vale um tiro / / eu tenho muita muniç-o! (Mano Brown: Capítulo 4, Versículo 3) (Der erste macht ‚ Bum! ‘ , der zweite macht ‚ Bang! ‘ / / Ich habe eine Mission und lasse mich nicht aufhalten! Mein Stil ist schwer und lässt den Boden erzittern / / Mein Wort ist einen Schuss wert / / ich habe viel Munition! (9) Raciocine o suficiente / / para que o sistema n-o destrua sua mente / / raciocine o máximo pra atacar / / tanto quanto uma metralhadora HK (Consciência Humana: Raciocine) (Denk gut nach / / damit das System deinen Geist nicht zerstört / / denk so gut nach, wie du kannst, um anzugreifen / / so wie ein Maschinengewehr der Marke HK) (10) Guerrero de fé o nome ja diz tudo / / sou lutador que n-o fica fora de luto / / armada de rimas até os dentes / / Hip Hop é o escudo e a arma é a mente (Guerrero de Fé: Freestyle) (Glaubenskrieger, der Name sagt schon alles / / ich bin ein Kämpfer, der nicht außerhalb des Kampfes steht / / mit Reimen bis an die Zähne bewaffnet / / Hip Hop ist das Schwert und die Waffe des Geistes) Welche Schlussfolgerungen können wir aus diesen unterschiedlichen metaphorischen Projektionen ziehen? Zunächst einmal scheint die These Kövecses ’ von den unterschiedlichen metaphorischen Ebenen - einer generischen und einer kulturspezifischen - plausibel oder zumindest methodisch hilfreich und anwendbar, d. h., wir haben zwei kulturell sehr unterschied- 267 liche und spezifizierte Metaphern der generischen Metapher DAS LEBEN DES MC IST KRIEG , so dass die Zieldomäne LEBEN DES MC in beiden Korpora auf unterschiedliche Weise konkretisiert wird: Im brasilianischen Fall lässt sich die Zieldomäne hin zu KOLLEKTIVES ( ÜBER ) LEBEN EINER AUSGESCHLOSSENEN MEHRHEIT AN DER PERIPHERIE BRASILIANISCHER GROSSSTÄDTE spezifizieren, das zwei alternative Projektionen bereitstellt: In der ersten Projektion ist der SOLDAT der RAPPER , der FEIND eine abstrakte Entität wie POLITIKER , GESELLSCHAFT oder POLIZEI ; die WAFFE ist das WORT , das die Ungerechtigkeit mangelnder Chancengleichheit anprangert, und der SIEG wird dadurch errungen, dass der Ausschluss aus der Gesellschaft durch Partizipation als eine Form der REVOLUTION überwunden wird. Im zweiten Szenario wird der SOLDAT wieder auf den RAPPER projiziert; nun aber korrespondiert der GEGNER mit KRIMINELLEN und FATALISTISCHEN AUFSCHNEIDERN aus den eigenen Reihen; die WAFFE entspricht dem WORT in seiner edukativen und persuasiven Funktion; und der SIEG besteht in der Überwindung solch falscher Ideale durch eine SELBSTKRITISCHE UND SELBSTBEWUSSTE LEBENSFÜHRUNG . Der hohe Anteil an Ausdrücken aus der Subdomäne REVOLUTION wie z. B. revolucionário, ativista, guerrilheiro, miss-o etc. lenkt die Sicht im oben diskutierten Sinne Blumenbergs eher auf einen Bürgerals einen Länderkrieg, was der prekären Situation in den brasilianischen favelas entspricht und damit als Erfahrungsgrundlage dem eigenen Erleben und kulturellen Gedächtnis des auch in historischer Perspektive im Vergleich zu Deutschland kriegsfernen Brasiliens näher kommt. Die Vermischung zwischen metaphorischem und realem Bürgerkriegszustand führt zu einer unscharfen Trennbarkeit zwischen Ausgangs- und Zieldomäne. Im Gegensatz dazu findet sich im deutschen Korpus auf der kulturspezifischen Ebene der konzeptuellen Metapher eher ein Zusammenspiel der Metaphern LEBEN IST KRIEG und LEBEN IST SPIEL / WETTKAMPF , zwei Domänen, die ja auch historisch einen gemeinsamen Ursprung haben. Damit erhalten wir ein Szenario, bei welchem der SOLDAT mit dem RAPPER in einem battle zwischen zwei miteinander konkurrierenden Rappern korrespondiert, während der FEIND dem KONKURRENTEN entspricht, wobei beide Rapper mit WORTEN als WAFFEN ausgestattet sind. Die Metapher bedient sich somit des prototypischen Bildes eines Länderkriegs, wie an der hohen Frequenz militärspezifischer Ausdrücke deutlich wird, die im brasilianischen Korpus nur selten zu finden sind: Feldwebel, Oberst, Legionär, Kavallerie, Schützengraben, Katakomben, Lazarett, Panzer, Düsenflieger, Schlachtschiff etc. Kulturell auslegbar könnte die Tatsache sein, dass viele Raptexte mit ihrer Lexik auf frühere Geschichtsepochen Bezug nehmen und semantische Felder hervorbringen, in denen sich dann unter dem Hyperonym Waffe u. a. Hyponyme wie Schwert, Degen, Lanze, Skalpell, Axt, Fackel etc. bündeln. Hier basieren die Metaphern in der Tat nicht auf durch Ontogenese individuell erworbenen Erfahrungsschemata, sondern eher auf kulturell tradiertem Hintergrundwissen, also auf „ indirectly based metaphors “ (Lakoff 1982, 5). 268 Eine letzte Beobachtung soll an dieser Stelle ausführlicher diskutiert werden: Entgegen der idealisierten Darstellung der konzeptuellen Metaphern durch Lakoff und Johnson erscheinen die Metaphern im tatsächlichen Sprachgebrauch im Sinne Pauls (1880/ 1995, 160 - 173) und Mauthners (1912/ 1982, 499) häufig als ‚ kontaminiert ‘ , d. h. es finden sich komplexe integration networks oder blends (Fauconnier & Turner 2002; 2008), in die mehr als nur eine Ausgangsdomäne eingehen. Anhand der nachfolgenden Visualisierung zweier Blending-Szenarien wird u. a. deutlich, dass die Blending- Theorie - wie im dritten Kapitel bereits gezeigt wurde - um funktionale, kontextuelle und kulturelle Aspekte ergänzt werden muss, um die kulturspezifische Perspektive der Teilnehmer und deren Beweggründe für den Gebrauch der jeweiligen blends angemessen zu erfassen - also um genau das, was Brandt und Brandt (2005) relevance space nennen. Ein blend, der im deutschen Korpus wiederholt - insgesamt acht Mal - auftaucht, ist die Verschmelzung der inputs Rap, Krieg und Vergewaltigung, wobei der andere MC als gegnerischer Soldat und simultan als Prostituierte, Schwester bzw. Mutter des anderen MC oder als Homosexueller entworfen wird. Die Waffe korrespondiert mit dem männlichen Geschlechtsorgan und der Abschluss des Geschlechtsakts mit der Tötung des Feindes. Um diese Verschmelzung zu illustrieren, werden zwei längere Textausschnitte zitiert, in denen das Blending-Szenario ‚ Der herausfordernde MC als Krieger und Vergewaltiger ‘ zu finden ist, wobei die drei inputs auf unterschiedliche Weise hervorgehoben sind: (11) Es gab mal einen kleinen Penis namens Samy de Bitch / / Der dachte, er weiß, was er macht und mit wem er da fickt / / Da kam ein Chap namens Azad und bombte ihn weg / / Es tut mir Leid, aus deiner Fresse kommt zuviel Dreck / / [. . .] Motherfucker, ich kann nur sagen, Blamage, deine süße Rache schieb ich dir vertikal in ’ n Arsch / / Und in der fünften Lektion zerropp ’ ich dich am Mikrofon und werd dir Fotze zeigen / / Was ’ ne Antwort ist, wer hat mehr Munition / / Ich flow ’ dich in Grund und Boden / / setz mich auf dein Gesicht und füll dein ’ Mund mit meinen Hoden / / Mmmmmh Motherfucker, wer den Mund zu voll nimmt läuft große Gefahr sich zu verschlucken / / Tucke, lass es besser sein mit dem Aufmucken / / Oder ich lass dich zucken, Blut spucken und am Boden liegen. (Azad: Samy De Bitch) (12) Kool Savas, Deine Mutter auf ’ m Trip oder was? / / Deine Fotze nicht mehr nass genug oder was? / / Gib mir Deine Mutter, fick das alte Luder / / Deine Oma sowieso, Mel Beats in den Po / / Fick sie ab, bis die Gebärmutter schreit. / / Der Bass bombt krass, Nutte, mach ’ die Beine breit. / / Kondome mit Noppen, Dope-Beats zum toppen, Wack MCs wie dich in den Arsch zu poppen / / [. . .] / / Du hörst auf zu rappen und ich lasse Dich in Ruhe / / Ansonsten gibt es Tod für Dich und Deine Crew / / MOK ist der Chief. Zieh ’ oder flieh ’ ! / / Bei ’ nem Battle gegen mich 269 gehst Du in die Knie / / Opfer, gegen uns ist keine Macht gewachsen / / Ich sterbe für meinen Rap und liebe meine Atzen / / Ich habe einen Feind und dieser Feind, der bist Du. Du weißt, dass ich Dich meine, also hör ’ mir gut zu! / / [. . .] / / Sucht Schutz in Euerm Bunker, denn in meinem Kopf herrscht Kriegszustand / / Masters of Rap, schon der Name eine Lüge. (MOK: Fick den Bunker) Visualisieren lässt sich das beiden Textstellen inhärente Blending-Szenario auf folgende Weise: Abb. 5.2-4: Der herausfordernde MC als Krieger und Vergewaltiger Die Beispiele zeigen, dass die metaphorische Narration zwischen den drei inputs auf eine Weise oszilliert, dass auch clashes (Fauconnier & Turner 2008, 62 - 64) beobachtet werden können. So wird eine Prostituierte in der Regel nicht vergewaltigt, sondern für ihre sexuellen Dienste bezahlt, eine implizite Logik des inputs, die im fusionierten Gesamtszenario aufgelöst wird, da hier die alles beherrschende Idee den Gewaltakt und zusätzlich auch Anspielungen auf Homosexualität in den neuen mentalen Raum hineinträgt. Gleichzeitig werden die systematischen Komprimierungen (Fauconnier & Turner 2002, 113 - 138) sichtbar, die das integrale Netzwerk konstituieren, so dass Ursache und Wirkung, Handelnde sowie zeitliche und räumliche Rahmen zu kompakteren Momenten heruntergeschraubt werden; Identitäten und Wandlungen formen sich zu einer Einheit. Das bedeutet, dass im Rap input z. B. viele Tracks über einen längeren Zeitraum hinweg produziert werden, die häufig nicht nur einen Handelnden, sondern verschiedene MCs 270 und Gruppen als Vertreter einer bestimmten Stilrichtung implizieren und wo verschiedene MC Contests an diversen Orten ausgetragen werden. Im blend dagegen kann der Gewinner durch die Vergewaltigung und Tötung des Rivalen viel schneller ermittelt werden. Ebenso vereint das Gegenüber gleich mehrere Identitäten in sich: Es ist simultan konkurrierender MC, Prostituierte, Homosexueller und Feind. In starkem Kontrast zu dieser Tendenz in Bezug auf einen mit Sprachtabus brechenden, provozierenden Rapstil kommt im brasilianischen Korpus einem anderen blend, der seinerseits im deutschen Kontext nicht zu finden ist, ein hoher Stellenwert zu: das Zusammenspiel von Rap, Krieg und heiliger Mission, wobei der MC zum Botschafter und Krieger Gottes wird: (13) Quem quiser prejudicar vai ter que lutar bastante / / É a volta tô, na área mais agressivo que antes / / Um rapper tem a miss-o de transmitir a informaç-o / / [. . .] Sou muito bom sou camarada mas sou vingativo / / N-o faço muita quest-o de mais um verme vivo / / E como se n-o bastassem seus inimigos e eu / / Existe a lei do retorno dos castigos de Deus / / Eu pago pelos meus atos e você pelos seus. (Câmbio Negro: A Volta) (Wer Schaden anrichten will, muss viel kämpfen / / Das ist die Rückkehr, ich bin hier, aggressiver als zuvor / / ein Rapper hat die Mission zu erfüllen, Informationen weiterzuleiten [. . .] Ich bin sehr gut, ich bin Kamerad, aber rachsüchtig / / Ich mach mir nicht viel aus noch einem lebenden Wurm / / Und als ob deine Feinde und ich nicht ausreichen würden / / gibt es ein Gesetz der Rückkehr der Strafen Gottes / / Ich zahl für meine Handlungen und du für deine.) (14) Acharam que eu estava derrotado / / Quem achou estava errado [. . .] Sou guerreiro e n-o pago pra vacilar / / Sou vaso ruim de quebrar / Oitavo anjo do Apocalipse / / tenebroso como um eclipse / / É seu pesadelo tá de volta / / No puro ódio cheio de revolta / / [. . .] Mesmo no inferno é bom saber com quem se anda [. . .] Obrigado Deus por me guiar / / Só em ti tenho forças pra lutar / / Eu tenho cinco inimigos [. . .] É difícil ter a mente s- / / Detenç-o pior que o Vietn- / / Um crist-o quem ligou pra me dar uma idéia / / disse pra mim que Jesus tá minha espera / / Disse também pra eu mudar de vida / / Aí mano n-o me escondo atrás da bíblia. (509-E: Oitavo Anjo) (Sie glaubten, ich sei besiegt / / wer das dachte, lag falsch [. . .] Ich bin Krieger und zögere nicht / / Ich bin schwer zu zerbrechen / / Achter Engel der Apokalypse / / dunkel wie die Finsternis / / dein Alptraum ist zurück / / im blanken Hass, voll Wut [. . .] Selbst in der Hölle ist es gut zu wissen, mit wem man was zu tun hat [. . .] Ich danke Gott dafür, dass er mich führt / / Nur durch dich habe ich die Kraft zum kämpfen / / Ich habe fünf Feinde [. . .] Es ist schwer, einen heiligen Geist zu haben / / Gefängnis schlimmer als in Vietnam / / Ein Christ, der angerufen hat, um mir eine Idee zu geben / / sagte zu mir, dass Jesus auf mich wartet / / er sagte auch, ich solle mein Leben ändern / / ich sag dir, ich versteck mich nicht hinter der Bibel.) 271 Damit erhalten wir das folgende Blending-Szenario: Abb. 5.2-5: Der MC als Krieger und Botschafter Gottes Im Gegensatz zu dem für das deutsche Korpus ausgemachten typischen Blending-Szenario, das sich auf eine bestimmte Stilvariante beschränkt, erfasst dieses Blending-Szenario einen größeren Bereich der brasilianischen Rapmusik, so dass Bezüge zu Gott oder der Bibel nicht nur typisch für Raptexte sind, die sich der Stilvariante des Rap Gospel Nacional 13 zuordnen lassen. Die beschriebenen blends finden auch oft Eingang in den politischen Rap und werden dann u. a. auf Plattencovern visualisiert, etwa auf dem Cover Sobrevivendo no Inverno (Überleben in der Hölle) von den Racionais MCs, der erfolgreichsten brasilianischen Hip Hop-Gruppe. Auf dem Plattencover sieht man ein Grab aus Pistolen mit einem Kreuz, auf dem der Bibelvers zu lesen ist: Refrigere minha alma e guia-me pelo caminho da justíça - Salmo 23, cap. 3 (Er erquicket meine Seele; er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen - Psalm 23, 3). 5.2.3 Diskussion Was die Einbettung der Ergebnisse in das jeweilige kommunikative Setting betrifft, muss danach gefragt werden, inwieweit die Absichten der Kommunikationsteilnehmer maßgeblich an der Konstruktion der kulturspezi- 13 Hierzu zählen u. a. die Gruppen Apocalipse 16, Fruto Sagrado, Resgate, Pregador Luo, Militantes und Khorus. 272 fischen Ausprägungen der übergeordneten generischen Metapher DAS LEBEN ( DES MC ) IST KRIEG mitwirken und bis zu welchem Grad solche funktionalen Gesichtspunkte ihrerseits durch soziokulturelle Aspekte beeinflusst sind. Im deutschen Korpus dominiert offensichtlich ein kompetitiv-dialogischer Sprachgebrauch, der sich auf den Diskurstyp verbal dueling (Sokol 2004, 117) als ritualisierter Konfrontationsform zurückführen lässt und damit auf den Ursprungskontext der Entstehung von Rapmusik als so genanntem vierten Element der Hip Hop-Kultur verweist. Insofern reiht sich der rhythmisierte und gereimte Sprechgesang in die Tradition des ritualisierten Verbalduells ein, dem daneben auch die Sprachspielvarianten sounding und dozens zuzurechnen sind; es handelt sich bei all diesen Varianten um Wettkämpfe, bei denen die Sprecher-Hörerwechsel über stilisierte Beleidigungen verlaufen, die durch das Gegenüber überboten werden müssen: Auf eine Beleidigung, einen rap, folgt als Antwort ein cap etc. (Abrahams 1962, 209; Kochman 1969, 26 - 28). Parallel dazu lässt sich auf inhaltlicher Ebene eine eindeutige Tendenz zur Selbstdarstellung verzeichnen, bei welcher der Sprechakttyp boasting als Anpreisung der eigenen Fähigkeiten allgegenwärtig ist und eine Präferenz für anspruchsvolle und provozierende Reime gegenüber einem aussagekräftigen Inhalt impliziert. Hierbei werden die expressive und poetische Funktion stärker betont als die referentielle und direktive; die dominierenden Sprechakte dissing und boasting sind konstitutiv für das Diskursgenre rap lyric, was zugleich eine starke Nähe zur US-Ausgangskultur bescheinigt - eine Tatsache, die besonders im Zusammenhang mit der Stationierung der US-Soldaten in Deutschland gesehen werden kann. 14 Des Weiteren tritt im deutschen Korpus die metakommunikative Funktion hervor, da hier ein permanenter Rekurs auf die Hip Hop-Kultur als solche stattfindet. Anstelle einer Portraitierung der Lebenswelt mit Bezug auf das Alltagsleben einer bestimmten sozialen Klasse mündet der individualistische Stil des deutschen Raps häufiger in eine durch Intertextualität - Bezüge zu anderen Rappern, Fachjargon, Produktnamen und Filmen - gekennzeichnete Autoreferentialität (Schröder 2007 a, 225 - 226). Auch hier 14 Durch diesen unmittelbaren input seitens der USA ist der Kontakt zu Hip Hop schon früh vorhanden: So ist die US-Version von Yo! MTV Raps! bereits 1988 auf dem Fernsehkanal MTV in Deutschland zu sehen; 1993 strahlt VIVA für zwei Jahre die Sendung Freestyle aus, wo erstmals deutscher Hip Hop thematisiert wird. Demgegenüber kommt Yo! Raps! im brasilianischen MTV erst Ende der neunziger Jahre ins Programm. In Brasilien wird 1992 das erste Hip Hop-Magazin Pode Crê! publiziert, zwei Jahre später allerdings schon wieder eingestellt. Die heute einzige überregionale Hip Hop-Zeitschrift ist Rap Brasil. Im Gegensatz dazu werden in Deutschland bis Anfang der neunziger Jahre ausschließlich das US-Magazin Source und die britische Zeitschrift Hip Hop Connection rezipiert; erst später erscheint das erste deutschsprachige Magazin Mzee, später treten MK Zwo (heute: MIK ’ x news) und Juice hinzu. 273 tritt die Anlehnung an die US-Ausgangskultur hervor; das inszenierte Selbst wie die Hip Hop-Community bilden die zentralen Topoi. Allerdings umfasst die deutsche Rapszene seit ihren Anfängen alle sozialen Schichten und Ethnien, deren Lebenswirklichkeit kaum von Exklusion im US-amerikanischen oder brasilianischen Sinne geprägt ist. Tatsächlich setzt die erste Generation deutscher Raptexte mit einer auffallend intellektualisierten Form der Selbstglorifizierung ein, wogegen sich die zweite Generation von der ersten, nun als ‚ Studenten ‘ - oder ‚ Oberstufen ‘ - Rap verpönten Wortakrobatik, absetzen will und die Sprache des Raps mit starkem Slang und Soziolekt anreichert, was von den Medien dann wiederum entweder als „ Unterschichten-Rap “ (Hawkeye 2005, 162) disqualifiziert oder als real glorifiziert (Klein & Friedrich 2003, 77 - 80) wird. Die Exponenten dieser zweiten Stilvariante ziehen die Aufmerksamkeit vor allem durch ihre harten Punchlines und einen alle Tabus brechenden, Gewalt verherrlichenden und mit sexistischen Einlagen durchsetzten Slang auf sich. Der Pimp-, Showbiz- und Gangsta-Rap der Label Aggro Berlin, Shok-Muzik, Bozz-Music, Optik, Ersguterjunge oder Royal Bunker vermarktet mit der hinter dem neuen Stil stehenden „ Alle Scheiße außer ich-Attitüde “ (Köhler 2003, 64; Hervorh. i. O.) eine Haltung, die zugleich eines der durchgängigsten Momente des deutschen Hip Hop zu sein scheint. Die für diese zweite Generation typische Vorliebe für blends von KRIEG und VERGEWALTIGUNG findet sich auffallend häufig bei Rappern mit islamischem Hintergrund. Eine Erklärung dafür könnte eine Studie liefern, die Dundes, Leach und Özkök (1986, 153) zu einer Sprachspielvariante des verbal dueling zwischen Jungen innerhalb der türkischen Kultur durchführte. Sie kommen zu dem Schluss, dass hier viele homosexuelle Bezüge enthalten sind, wobei der Sieger im Rahmen einer „ my-penis-up-your-anus strategy “ (Dundes, Leach & Özkök 1986, 153) als aktiver Teil aus dem Wettkampf hervorgeht. Die Präferenz für die oben dargestellten blends hat demnach religiös-kulturelle Wurzeln. Man bedenke darüber hinaus, dass Homosexualität in vielen islamischen Kulturen auch von rechtlicher Seite her nur in Verbindung mit einer Übernahme der passiven Rolle stigmatisiert ist und ein schwerwiegendes Verbrechen darstellt, wogegen die aktive Rolle häufiger akzeptiert wird, weil der Mann dabei seine Dominanz bewahrt (Schmitt & Sofer 1992). Ein weiterer Gesichtspunkt, der in Verbindung mit der hohen Selbstreferentialität und Intertextualität der deutschen wie im Übrigen auch der nordamerikanischen Raptexte stehen könnte, ist eine gegenüber der brasilianischen Kultur stärker durch protestantische Grundwerte gefestigte Gesellschaft. Im Zuge der funktionalen Gesellschaftsdifferenzierung, der Verbreitung des Protestantismus und der zunehmenden Individualisierung des Subjekts seit der Romantik ändert sich das Menschenbild: Die Dualität von ‚ gut ‘ und ‚ böse ‘ wird nun in den Menschen hineinverlagert, so dass die 274 Konzepte ‚ Selbstliebe ‘ , ‚ Selbstbewusstsein ‘ und ‚ Eigenverantwortung ‘ entstehen und ein neues Verhältnis einführen: Nicht mehr die Relation von Gott zum Menschen steht im Vordergrund, sondern die des Menschen zu sich selbst (Luhmann 1989, 179). Wie Max Weber (1904/ 1991) herausstellt, werden durch diese Entdeckung des ‚ inneren Selbst ‘ die Grundbedingungen für die Entwicklung des Kapitalismus geschaffen, indem die Einführung der ‚ Selbstdisziplin ‘ als Vertagung der Früchte eigener Arbeit auf ein ‚ Später ‘ zur Basiskomponente von Wettbewerb wird. Mit dieser neuen Selbstbetrachtung beginnen die Menschen auch, sich selbst mit anderen und deren Fähigkeiten zu vergleichen. 15 Vielleicht ließe sich durch diesen religions- und kulturgeschichtlichen Hintergrund zum Teil erklären, warum es in Deutschland eine so starke Tendenz im Hip Hop gibt, die eigene Singularität hervorzukehren. Konträr dazu verstehen sich brasilianische Rapper eher als Repräsentanten einer bestimmten sozialen und ethnischen Klasse, weshalb der Hörerbezug in ihren Texten auch stärker hervortritt. Während sich politischer Rap und Sozialkritik, wie Landsberg (2005, 7) richtig feststellt, im deutschen Hip Hop nicht verkaufen, stellt in Brasilien der in S-o Paulo seinen Ausgang nehmende politische Rap die erfolgreichste Stilvariante dar. 16 In zum Teil auch bewusster und expliziter Abgrenzung zum fatalistischen US-Gangsta-Rap stehen hier reale Beschreibungen des Ghettolebens 15 Zur Verwebung von Literalisierung, Protestantismus und Individualismus in der deutschen Kulturgeschichte einerseits sowie Oralisierung, Katholizismus und Kollektivismus in der brasilianischen Kulturgeschichte andererseits vgl. Schröder (2003). 16 Musikalisch gesehen nimmt die Hip Hop Kultur in Brasilien ihren Ausgang in Rio de Janeiro, wo sich Mitte der siebziger Jahre unter dem Einfluss der US-amerikanischen Funk & Soul Musik die ersten nationalen Funk-Künstler wie Banda Black Rio, Tim Maia oder Toni Tornardo formieren, woraus sich dann zusammen mit dem später populär werdenden Sprechgesang die Variante funk balanço bzw. funk pesado entwickelt. Sorgten in der deutschen Kultur die Stationierung US-amerikanischer Soldaten, das hohe Bildungsniveau, die damit verbundenen Grundkenntnisse der englischen Sprache sowie die mediale Dichte englischsprachiger Importprodukte für einen unmittelbaren Zugang zur US-amerikanischen Hip Hop-Kultur, hat die Verbreitung von Hip Hop in Brasilien einige Hürden zu überwinden: fehlende materielle bzw. technische Voraussetzungen, Sprachbarrieren, die bis in die achtziger Jahre andauernde Militärdiktatur und die schlichte Tatsache, dass das potentielle Publikum, das innerhalb der zweigeteilten brasilianischen Gesellschaft die marginalisierte Seite repräsentiert, auch massenmedial ausgegrenzt ist. Dieses Defizit führt zu einer äußerst lokal geprägten Rekontextualisierung der Hip Hop-Kultur, die bereits auf musikalischer Ebene autochthone Elemente wie Sambarhythmen, Soundelemente der afrikanischen candomblé- Religion und schließlich den Ilê Aiê absorbiert. Nachdem sich diese musikalischen Innovationen auch auf S-o Paulo ausdehnen, kommt es zu zwei gegenläufigen Entwicklungen: Die an Tanzbarkeit orientierte Variante aus Rio mündet in den Rio Funk, einen dem US-amerikanischen Miami Bass verwandten Musikstil, während sich S-o Paulo zur eigentlichen Geburtsstätte der brasilianischen Hip Hop-Bewegung 275 im Vordergrund; der Rapper wird zur porta-voz, zum Lautsprecher einer vergessenen breiten Masse vornehmlich schwarzer favelados, die ohne Bildungschancen, berufliche Perspektive und staatliche Unterstützung in den brasilianischen Ghettos an der urbanen Peripherie ein vorprogrammiertes Dasein führen. Ziel des Rappers ist es deshalb, den Hörer auf die sozialen Ungleichheiten im Land aufmerksam zu machen und ihn zum Aktionismus zu bewegen. Im Einklang mit diesen Präferenzen auf inhaltlicher Ebene gelangen im brasilianischen Rap andere Sprechakte und kommunikative Funktionen in den Blick als in den deutschen Texten: Spielen in den zuletzt genannten vor allem die poetische und metakommunikative Funktion eine außerordentliche Rolle, überwiegen im brasilianischen Korpus die referentielle und direktive Funktion mit Sprechakten wie ‚ kommentieren ‘ , ‚ berichten ‘ , ‚ anklagen ‘ , ‚ appelieren ‘ , ‚ warnen ‘ . 17 Es ist ein vor allem auffällig imperativer und pädagogischer Stil, der sich direkt an den Hörer wendet, wobei die phatische Kommunikationsfunktion hervortritt. Vor diesem Hintergrund versteht sich Hip Hop nicht zuletzt auch als Bildungsmedium und macht sich zur Aufgabe, der schwarzen Bevölkerung die wirkliche Geschichte Brasiliens zu erzählen und damit zu einer „ segunda escola “ ( „ zweiten Schule “ ) zu werden, denn „ a escola conta a história parcial e nós contamos a real “ ( „ die Schule erzählt nur einen Teil der Geschichte und wir erzählen die tatsächliche “ ) (Brown 1993, 13). Die Kriegsmetapher gewinnt demnach gerade dadurch an Bedeutung, dass durch sie die Idee von Hip Hop als Medium ‚ mentaler Revolution ‘ realisiert wird: „ o ‚ alvo ‘ é a concsciência e a ‚ arma ‘ , a palavra “ ( „ das ‚ Ziel ‘ ist das Bewusstsein und die ‚ Waffe ‘ das Wort “ ) (Diógenes 1998, 142; Hervorh. i. O.). Interessant an dieser Priorisierung der Darstellungsfunktion und Appellfunktion von Sprache gegenüber der Favorisierung des poetischen Könnens in den deutschen Raptexten ist vor allem, dass diese Tendenz in Widerspruch zu den Ergebnissen einer Studie über Kommunikationsstile im Alltag steht (Schröder 2010 a), die zutage fördert, dass im brasilianischen Sprechen das Barocke - Unklarheiten, Verästelungen, Redewendungen, Umwege und Zerstreuung - typisch ist, wo man in der deutschen Alltagskommunikation Klarheit und Direktheit bevorzugt. Insofern lässt sich nicht nur der Inhalt der Raptexte, formiert, die nun einen textlastigen politisch engagierten Rap hervorbringt (Herschmann 2005, 27 - 28). 17 Die sechs hier angesprochenen Sprachfunktionen werden von Roman Jakobson (1960/ 1971) in Erweiterung der drei Grundfunktionen - der Darstellungs-, Ausdrucks- und Appellfunktion - nach Karl Bühler (1934/ 1982) klassifiziert. Die Gliederung von Dell Hymes (1961) in referentielle, direktive, expressive, poetische, phatische und metakommunikative Funktionen strebt eine Überführung der rein linguistisch konzipierten in kommunikativ ausgerichtete Funktionen an, die kontextuelle und kulturelle Faktoren stärker einbeziehen. 276 sondern auch der Stil als Protest, als Wunsch nach unbeschönigtem ‚ Klartext ‘ lesen. Diese besondere Ausrichtung des brasilianischen Raps kann u. a. in Zusammenhang damit gebracht werden, dass ein Großteil des Zielpublikums wenig Kontakt mit der Schriftkultur hat. 18 Ong (1982/ 2004) konstatiert, dass „ writing separates the knower from the known and thus sets up the conditions for ‚ objectivity ‘ , in the sense of personal disengagement or distancing “ . Demgegenüber hängen Oralkulturen viel stärker vom unmittelbar gegebenen sozialen Kontext ab und sind deshalb weniger distanziert. Eine solche Tendenz spiegelt sich in dem persuasiven Stil des brasilianischen Raps in Opposition zum selbstreferentiellen und -ironischen Stil des deutschen Raps wider und greift im Übrigen auf andere Subgenres über wie etwa den prophetischen und messianischen Rap, den so genannten Rap Gospel Nacional, der u. a. als Produkt der zahlreichen neopentekostalen Sekten entsteht. Hier liegt ein Hauptantrieb für den weiter oben als für brasilianische Raptexte charakteristisch bezeichneten blend zwischen Krieg und heiliger Mission. In diesem Kontext versteht sich der Rapper als Sprachrohr Gottes, der seine Lebensgeschichte erzählt, die gewöhnlich eine Konversion vom Drogendealer, Draufgänger oder Kriminellen zu einer neuen Person impliziert, die durch die religiöse Erfahrung auf den richtigen Weg gelangt ist. Die Metaphernanalyse im Kontext der kommunikativen Funktionen von brasilianischen und deutschen Raptexten zeigt damit, dass aufeinander treffende global zirkulierende Kulturformen und regionale Zielkulturen tatsächlich nicht einfach in eine einseitige Adaption und Assimilation der Ausgangskultur münden, sondern in Abhängigkeit von den Bedürfnissen der jeweiligen Zielkultur eher zu Prozessen der Rekontextualisierung oder Reterritorialisierung führen. In diesem Sinne scheint der von Robertson (1992, 173 - 174) eingeführte Begriff ‚ Glokalisierung ‘ zuzutreffen. 5.2.4 Kritisches Resümee und theoretisches Fazit Die zweite Studie im Rahmen eines deutsch-brasilianischen Vergleichs zum Metapherngebrauch befasste sich mit einer funktionalen Mikroanalyse der im Musikgenre Rapmusik angesiedelten konzeptuellen Metapher DAS LEBEN ( DES MC ) IST KRIEG , die in dieser generischen Form aufgrund ihrer Verwurzelung im Sprachspiel ‚ verbales Duellieren ‘ innerhalb dieses Musikgenres wahrscheinlich universellen Status beanspruchen kann. Trotz dieser Gemeinsamkeit birgt genau diese Metapher zugleich eine Reihe standortbe- 18 Der INAF-Studie (Indicador Nacional de Alfabetismo Funcional) des Jahres 2009 zufolge sind nur 25 % der brasilianischen Bevölkerung in der Lage, fließend zu lesen und schreiben (http: / / www.ipm.org.br/ ipmb_pagina.php? mpg=4.02.01.00.00&ver= por), 28. 03. 2010. 277 dingter Unterschiede, deren Aufdeckung in theoretischer Hinsicht einmal mehr die extrakommunikative Formel der Konzeptuellen Metapherntheorie ‚ A IST B ‘ in Frage stellt. Damit wurde zugleich dargelegt, dass die deduktive Perspektive der ersten Generation um kommunikative und kontextuelle Faktoren ergänzt werden muss, um die jeweiligen kulturellen Bedingungen der Reterritorialisierung dieser Metapher sowie deren Funktion vor dem Hintergrund bestimmter Kommunikationsabsichten adäquat erfassen zu können. Im Vordergrund stand somit eine Verschiebung der in der kognitiven Metaphernforschung üblichen Aufmerksamkeit, die den symbolischen Beschreibungs- und Darstellungsmöglichkeiten von Metaphern eingeräumt wird, hin zu dem von Bühler (1934/ 1982, 24 - 33) veranschaulichten Zusammenspiel von Ausdruck, Darstellung und Appell, wobei Sprechen als Handlungsmodus begriffen wurde. In semiotischer Perspektive spricht Bühler vom Zeichen als Symbol kraft seiner Zuordnung zu Gegenständen und Sachverhalten, aber gleichrangig ist das Zeichen auch Symptom kraft seiner Abhängigkeit vom Sender, dessen Innerlichkeit es ausdrückt, und Signal kraft seines Appells, den es an den Hörer richtet und dessen äußeres oder inneres Verhalten es steuert. Schon Bühler geht es mit diesem Modell darum, die „ unbestrittene Dominanz der Darstellungsfunktion der Sprache einzugrenzen “ (Bühler 1934/ 1982, 30). Dies war auch Ansinnen der präsentierten Vergleichsstudie. Indem es um zwei subkulturelle Milieus unterschiedlicher Sprachgemeinschaften und deren genrespezifischen Metapherngebrauch ging, wurde außerdem ein bisher wenig beachtetes Feld innerhalb der kognitiven Metaphernforschung beschritten. Dies diente nicht zuletzt dem Zweck, die durch die Priorisierung von Untersuchungen des Sprachsystems mitgelieferte Vorstellung von Kultur als monolithischer Block aufzubrechen und entsprechend der Fragestellung neu zu formulieren. So zeigte sich etwa, dass die referentielle Funktion im brasilianischen Rap eine weitaus wichtigere Rolle als in der Alltagskommunikation spielt, während es sich bei der poetischen Funktion genau umgekehrt verhält. Daneben konnte veranschaulicht werden, dass sich metaphorische Projektionen zusammen mit den kommunikativen Situationen, in denen sie zu bestimmten Zwecken verwendet werden, sowie in Abhängigkeit vom historisch-kulturellen Rahmen und als Resultat sozialer Aushandlungsprozesse verändern. Dabei zeigte sich, dass Kövecses ’ (2005) Ansatz zur Unterscheidung von generischen (universellen) und komplexen (kulturabhängigen) Metaphern ein hilfreiches Instrumentarium zur Erfassung der konkreten Ausformung kulturspezifischer Projektionen bei der Reterritorialisierung global zirkulierender Kulturformen darstellt. Betrachtet man die spezifischen Zieldomänen, die sich dabei konkretisieren, noch einmal genauer, lässt sich der von Cameron (2007) geschaffene 278 Terminus ‚ systematische Metapher ‘ als Set von semantisch untereinander verbundenen Ausdrücken (vehicle) innerhalb eines Diskurses, die sich auf ein Set miteinander verflochtener Themen (topics) beziehen, ergänzend hinzuziehen: Die konkreten, sich erst in den Raptexten herauskristallisierenden topics KOLLEKTIVES ( ÜBER ) LEBEN EINER AUSGESCHLOSSENEN MEHRHEIT AN DER PERIPHERIE BRASILIANISCHER GROSSSTÄDTE im brasilianischen Fall und EIGENE STELLUNG IM KONKURRENZKAMPF MIT ANDEREN MCS im deutschen Fall illustrieren par excellence, dass die im konkreten Diskurs verwendeten Ausdrücke eben nicht einfach unidirektional eine bestimmte konzeptuelle Metapher auf sprachlicher Ebene reproduzieren, sondern dass umgekehrt in gleichem Maße auch Diskurs und soziokultureller Kontext Einfluss auf die kognitive Ebene nehmen. Auch die Ergebnisse dieser Studie werfen trotz der aussagekräftigen Resultate gleichzeitig weitere Forschungsfragen auf, an die sich zukünftige Untersuchungen anschließen könnten: Zum einen wäre es gerade im Hinblick auf Metaphern im Hip Hop unter komparativem Vorzeichen interessant, die Multimodalität des Kommunikationsprozesses in Augenschein zu nehmen, was sich in einem ersten Schritt schon wegen der besseren Zugänglichkeit anhand medial inszenierter Musikvideos umsetzen ließe. Nicht nur paraverbale Aspekte wie Intonation haben in die vorgestellte Vergleichsstudie noch keinen Eingang gefunden; aufschlussreich wäre insbesondere eine Untersuchung zur metaphorischen Gestik, welche die jeweiligen verbalen Kriegsmetaphern unter Umständen begleitet, ergänzt oder ihnen gar zuwiderläuft, denn gerade Gestik nimmt in der Kultur des Hip Hop einen hohen Stellenwert ein. Darüber hinaus wäre auch interessant zu beobachten, inwieweit rapspezifische Metaphorik Rückwirkungen auf die Alltagskommunikation oder weitere Kommunikationsgenres hat, finden sich inzwischen doch insbesondere in den Börsennachrichten häufig metaphorische Formulierungen wie am Start sein, die der Domäne WETTKAMPF / SPORT entspringen und ursprünglich aus dem Bereich Hip Hop kommen. 5.3 Kulturelle, kontextuelle und kommunikative Aspekte von Gesellschaftsmetaphern in Makro- und Mikroperspektive 5.3.1 Zielsetzung und methodisches Vorgehen Sobald wir über ‚ Gesellschaft ‘ sprechen oder schreiben, sind wir wie bei jeder anderen abstrakten Domäne darauf angewiesen, Metaphern zu benutzen, um ein solches Konzept überhaupt greifen und strukturieren zu können. Damit bleibt es sowohl für die gesellschaftlichen Institutionen als auch für den 279 Einzelnen nicht folgenlos, ob GESELLSCHAFT etwa - wie in den großen soziologischen und philosophischen Entwürfen geschehen - als KÖRPER , APPARAT , SYSTEM , VERTRAGSVERHÄLTNIS , NATURZUSAMMENHANG oder RECHTSVERBAND vorgestellt wird (Lüdemann 2004). Solche sprachlichen Vor- und Zugriffe auf die Wirklichkeit machen deutlich, dass „ die Einheit der Gesellschaft in der Gesellschaft nur als imaginäre Einheit, als semantische Imagination zu haben ist “ (Fuchs 1992, 7). Eine wichtige Konsequenz dieser Einsicht in den demiurgischen Charakter von Metaphern ist, dass unterschiedliche historische, kulturelle, gesellschaftspolitische oder individuelle Standorte auch zu unterschiedlichen Weisen der metaphorischen Wirklichkeitskonstruktion führen können. Diesem standortabhängigen Aspekt von Metaphern bei der Konstruktion der Diskursdomäne ‚ Gesellschaft ‘ nachzugehen war Ziel der vorliegenden Studie. Zu diesem Zweck wurde eine Untersuchung zum divergierenden Metapherngebrauch bei der Thematisierung der eigenen Gesellschaft in verschiedenen Kommunikationsgenres innerhalb der brasilianischen im Vergleich zur deutschen Kultur durchgeführt und ein Textkorpus auf der Grundlage von vier Textsorten erstellt, das auf einem Kontinuum von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit angesiedelt ist: 1. Mündliche Interviews mit 25 Probanden in jeder Kultur (pro Interview 1 - 3 Interviewpartner), was ein Textkorpus von 15.926 Wörtern im brasilianischen und 15.406 Wörtern im deutschen Fall ergab; 2. Schriftliche Interviews mit 25 Probanden in jeder Kultur, was ein Textkorpus von 7.086 Wörtern im brasilianischen und 7.625 Wörtern im deutschen Fall ergab; 3. Online-Zeitungsartikel, die sich explizit mit dem Thema ‚ aktuelle deutsche ‘ bzw. ‚ brasilianische Gesellschaft ‘ auseinandersetzten, wobei eine Vorselektion per Suchmaske erfolgte. Dies ergab ein Textkorpus von 113.760 Wörtern im brasilianischen und 102.455 Wörtern im deutschen Fall; 19 4. 5 Sachbücher aus jeder Kultur, die im Zeitraum von 2005 - 2008 zum Thema ‚ aktuelle brasilianische ‘ bzw. ‚ deutsche Gesellschaft ‘ verfasst wurden und deren Auswahl auf der Basis der Verkaufsbestsellerlisten sowie ihrer Besprechung in den einschlägigen Printmedien getroffen wurde. 20 19 Das brasilianische Korpus umfasst Artikel von 2006 - 2008 aus den Zeitungen Folha de S-o Paulo, Estado de S-o Paulo, Estado de Minas, Jornal do Brasil und den Zeitschriften Veja, Carta Capital und Época. Das deutsche Korpus umfasst Artikel von 2006 - 2008 aus den Zeitungen TAZ, DIE ZEIT, Frankfurter Rundschau, Die Welt und der Zeitschrift DER SPIEGEL. 20 Brasilianische Bücher: Leituras da Crise von Marilena Chaui, Leonardo Boff, Jo-o Pedro Stedile und Wanderley Guilherme dos Santos (2006), Brasil, um país do futuro? von Jo-o Paulo dos Reis Velloso und Roberto Cavalcanti de Albuquerque (2006), A Cabeça do 280 Eine Leitthese, die zu dieser Textsortenauswahl führte, war die Annahme, dass sich durch die vier verschiedenen Textsorten im Sinne einer scale of conventionality (Kövecses 2002, 31; Beckmann 2001, 71 - 82) auch unterschiedliche Grade an Konventionalisierung mit stärker lexikalisierten Metaphern auf Seiten der Interviewpartner bis hin zu kreativeren und innovativeren Metaphern speziell auf Seiten der Buchautoren finden lassen müssten, die Aufschluss über Entwicklungstendenzen im Hinblick auf das Aufkommen, die Entfaltung und die Habitualisierung bestimmter Schlüsselmetaphern in der jeweiligen Gesellschaft geben könnten. Ein solcher Ansatz führt zugleich von der Makrozur Mikroebene. In diesem Sinne lässt sich bei der Studie am ehesten von einer Verschränkung von quantitativer und qualitativer Vorgehensweise sprechen. Zur Identifikation der Metaphern und ihrer Systematisierung wurde wie in den vorangegangenen Untersuchungen auf die Pragglejaz-Methode zurückgegriffen, auf die hier nicht noch einmal dezidiert eingegangen wird. 21 Die Ergebnisse werden in einer ersten quantitativen Systematisierung zur besseren Illustration zunächst in zwei Schritten präsentiert, wobei der in Kapitel 2 und 3 skizzierten Unterscheidung zwischen ‚ bildschematischer Metapher ‘ und ‚ Konstellationsmetapher ‘ (Baldauf 1997) bzw. image-schema metaphor und structural metaphor (Kövecses 2002, 36 - 37) gefolgt wird. Während die gestalthaften Bildschemata auf unseren physischen Erfahrungen mit und unseren Interaktionen in der Welt gründen, weisen strukturelle Konstellationsmetaphern einen propositionalen Inhalt mit konkretem Bild auf und konzipieren in topologischer Hinsicht eine ganze Domäne. So fielen bei der Sortierung unter das WEG -Schema beispielsweise alle Ausdrücke, die einzeln bzw. ohne konkrete, sondern ausschließlich mit abstrakter bzw. unspezifisch bleibender Konzeptstruktur auftraten, während die komplexere Metapher der REISE als Konstellationsmetapher aufgefasst wurde, die das abstrakte WEG -Schema spezifiziert, belebt und erweitert. Ausdrücke, die in dieser Kategorie zusammengefasst wurden, reflektieren konkrete Bilder einer Zug-, Flug-, Schiffs- oder Autoreise. Die Grenzziehung diente demnach vor allem der Vermeidung falscher bzw. spekulativer Etikettierungen. Brasileiro von Alberto Carlos Almeida (2007), Brasil Contemporâneo. Crônicas de Um País Incógnito von Fernando Schüler und Gunter Axt (2006) und A Nova Sociedade Brasileira von Bernardo Sorj (2006). Deutsche Bücher: Was zur Wahl steht von Ulrich Beck (2005), Die Ausgeschlossenen. Das Ende vom Traum einer gerechten Gesellschaft von Heinz Bude (2008), Politische Milieus in Deutschland. Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung von Gero Neugebauer (2007), Deutschland. Der Abstieg eines Superstars von Gabor Steingart (2005) und Deutschland eine gespaltene Gesellschaft von Stephan Lessenich und Frank Nullmeier (2006). 21 Vgl. Kapitel 2.5 und 5.1.1. 281 5.3.2 Ergebnisse 5.3.2.1 Vergleich der bildschematischen Metaphern Werfen wir einen ersten Blick auf die absolute Lexemzahl sowie die prozentuale Verteilung der bildschematischen Metaphern in beiden Korpora, wobei zwischen Lexemanzahl (Token) und Lexemvarianz (Type) unterschieden wird: BILDSCHEMATISCHE METAPHERN Brasilien Deutschland Anzahl Lexeme Prozentanteil 22 Anzahl Lexeme Prozentanteil CONTAINER 555 19,6 937 21,1 ZENTRUM - PERIHPERIE 478 16,8 648 14,6 VERTIKALITÄT 472 16,6 1120 25,2 WEG 488 17,2 737 16,6 EINHEIT - TEILE 421 14,8 588 13,2 KRAFT 101 3,6 140 3,2 BEWEGUNG 295 10,4 270 6,1 BALANCE 28 1,0 3 0,1 TOTAL 2838 100,0 4443 100,0 Abb. 5.3-1: Lexemanzahl (Tokens) pro bildschematischer Metapher BILDSCHEMATISCHE METAPHERN Brasilien Deutschland Anzahl Lexeme Prozentanteil Anzahl Lexeme Prozentanteil CONTAINER 57 14,4 89 19,3 ZENTRUM - PERIPHERIE 37 9,3 37 8,0 VERTIKALITÄT 54 13,6 75 16,2 WEG 118 29,7 132 28,6 EINHEIT - TEILE 85 21,4 78 16,9 KRAFT 22 5,5 20 4,3 BEWEGUNG 11 2,8 28 6,1 BALANCE 13 3,3 3 0,6 TOTAL 397 100,0 462 100,0 Abb. 5.3-2: Lexemvarianz (Types) pro bildschematischer Metapher 22 Der Prozentanteil bezieht sich auf die Summe aller bildschematischen Metaphern im Gesamtkorpus der jeweiligen Kultur. 282 BILDSCHE - MATISCHE METAPHERN Brasilianische Beispiele Deutsche Beispiele CONTAINER Quem está dentro n-o sai, quem está fora n-o entra (Wer drinnen ist, kommt nicht raus, wer draußen ist, kommt nicht rein) Wer siegesgewiss drinnen, wer wackelig dazwischen oder wer schon draußen ist ZENTRUM - PERIPHERIE Estou à margem da margem (Ich bin am äußersten Rand) Die Angst sei von den Rändern der Gesellschaft zur Mitte gewandert VERTIKALITÄT A classe média subiu um degrau na pirâmide social de consumo (Die Mittelklasse ist in der sozialen Konsumpyramide eine Stufe höher gestiegen) Viele werden in den Strudel des Abstiegs gerissen WEG O Brasil caminha a passos largos para superar barreiras históricas (Brasilien geht mit großen Schritten voran, um die historischen Hindernisse zu überwinden) Die deutsche Gesellschaft geht in die Richtung der amerikanischen EINHEIT - TEILE Para melhorar a sociedade como um todo (Um die Gesellschaft als Ganzes zu verbessern) Die Gesellschaft atomisiert sich KRAFT uma grande aliança entre todas as forças sociais do país (eine große Allianz zwischen allen sozialen Kräften des Landes) Die Starken müssten mehr den sozial Schwachen helfen BEWEGUNG Fim da mobilidade social ajudou Lula (Das Ende der sozialen Mobilität half Lula) Die Angst, die immer breitere Schichten erfasst und sie immobilisiert BALANCE É uma sociedade desequilibrada (Es ist eine unausgewogene Gesellschaft) Die Gesellschaft ist aus dem Gleichgewicht geraten Abb. 5.3-3: Beispiele für bildschematische Metaphern Neben den vielen Gemeinsamkeiten im Hinblick auf die Verwendung von bildschematischen Metaphern finden sich ein paar entscheidende Nuancen, die auf kulturspezifische Präferenzen hinweisen: 283 So lässt sich für das brasilianische Korpus die höchste Lexemzahl für den Bereich CONTAINER aufweisen, während der prozentuale Anteil des deutschen Korpus zwar in etwa der gleiche ist; dennoch steht hier die VERTIKALITÄT an erster Stelle im Gegensatz zu einem geringeren Anteil an Ausdrücken aus dem Bereich ZENTRUM - PERIPHERIE , der im brasilianischen Korpus wiederum an zweiter Stelle steht. Dies mag u. a. kulturgeographische Wurzeln haben, da in Brasilien der Diskurs über urbane Entwicklung und Architektur stark vom Antagonismus Zentrum - Peripherie bestimmt ist, wobei sich sozial schwache Schichten in der Regel um die urbanen Zentren herum ansiedeln, hier also eine Korrelation zwischen Lokal- und Sozialstruktur existiert. Ähnliches findet sich auch auf regionaler Ebene, wo die Polarisierung zwischen reichen Metropolen und dem armen sowie landwirtschaftlich geprägten Landesinneren gravierender ist als in Deutschland. Demgegenüber ist das Schema der Vertikalität seit Beginn der ‚ Unterschichtendebatte ‘ im Jahre 2006 zu einem zentralen Bild in der öffentlichen Debatte in Deutschland geworden. Des Weiteren fällt auf, dass es im brasilianischen Korpus eine höhere Lexemanzahl und -varianz im Bereich BEWEGUNG gibt. Dies hängt möglicherweise mit dem klassischen Topos linksgerichteter Gesellschaftsentwürfe zusammen, der diskursiv vornehmlich die ‚ sozialen Bewegungen ‘ in den Vordergrund rückt, von denen es in Brasilien eine ganze Reihe gibt. 23 Im Hinblick auf die Lexemvarianz steht in beiden Korpora das WEG -Schema an erster Stelle, was u. a. auch mit der hohen Animierbarkeit dieses Schemas zusammenhängen könnte. Grundsätzlich lassen sich für alle Schemata verschiedene Mechanismen der Dynamisierung beobachten. So haben wir es nicht einfach im Sinne der traditionellen Sicht (Lakoff 1987; Johnson 1987) mit universellen und statischen Bildschemata zu tun, denn diese werden im Rahmen eines spezifischen soziokulturellen Kontextes animiert (Cienki 1997; Kimmel 2005; Sinha & Jensen de López 2000; Gibbs 2005), wobei solch animierte Schemata dann als compound image schemas (Kimmel 2005, 289 - 295) in Erscheinung treten, wie in Kapitel 3.5.3 bereits dargelegt wurde. So finden sich im deutschen Korpus kulturspezifische bildschematische Konfigurationen, die im brasilianischen Korpus kaum zu finden sind: die Kombination der Schemata VERTIKALITÄT und WEG (1 - 5) in dem Bild von Menschen, die tief nach unten stürzen oder nach oben zu klettern versuchen sowie eine Kombination von WEG , VERTIKALITÄT und CONTAINER oder PERIPHERIE - ZENTRUM (6 - 8), bei der die Dynamik des Hinausfallens hinzukommt. Im 23 Movimento Negro = schwarze Bewegung; Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra= Bewegung der landlosen Arbeiter; Movimento Hip Hop = Hip Hop Bewegung; Movimento feminista = Frauenbewegung; Movimento Punk = Punkbewegung; Movimento dos Catadores de Lixo = Bewegung der Müllsammler etc. 284 letzten Beispiel (8) wird noch ein weiteres Schema - das der KRAFT - addiert, so dass hier eine weitere Animation erfolgt: (1) Die einen sind tief gefallen, die anderen haben nie abgehoben 24 (2) Abstieg in die Katakomben der Gesellschaft 25 (3) die soziale Stufenleiter ist überhaupt glitschiger geworden. Der Absturz scheint von überall möglich (Bude 2008, 33) (4) in den Strudel einer ‚ Abwärtsspirale ‘ zu geraten (Lessenich & Nullmeier 2006, 35) (5) Die deutsche Gesellschaft geht immer weiter den Bach runter 26 (6) Wer heute in den unteren Teil der Gesellschaft hineingeboren wird, hat nur wenige Chancen, dort im Laufe seines Lebens wieder herauszuklettern 27 (7) Besser als die Möglichkeiten der Armen, in die Mittelschicht zu klettern, sind die Aufstiegschancen der Mittelschichtler nach ganz oben. Rund elf Prozent der Beschäftigten schafften im gleichen Zeitraum den Sprung in die oberen Gehaltsklassen. 28 (8) Es gibt Druck auf die Ränder, Hartz IV. Ich gehör ’ mittlerweile zu denjenigen, die den Druck gut finden, sozialpädagogisch, solange diejenigen, die wirklich staatliche Unterstützung brauchen, nicht aus dem Raster fallen 29 Solche compound image schemas lassen sich als komplexe Blending-Prozesse, als integration networks (Fauconnier & Turner 2008) auffassen, in denen Input- Domänen mit verschiedenen Bildschemata in einem blend verschmelzen, so dass je nach Kommunikationsabsicht unterschiedliche inputs gleich Gittern oder Filtern (Bühler 1934/ 1982) übereinander gelegt werden, was sich wie folgt illustrieren lässt: 24 DIE ZEIT [online]: Die neue Unterschicht, 10. 3. 2006. 25 DER SPIEGEL [online]: Die Überflüssigen, 23. 10. 2006. 26 Mündliches Interview Deutschland: weiblich, 36 Jahre, arbeitslos. 27 DER SPIEGEL [online]: Der große Graben, 17. 12. 2007 28 DIE ZEIT [online]: Die Angst geht um, 5. 03. 2008. 29 Mündliches Interview Deutschland: männlich, 40 Jahre, Pädagoge. 285 Abb. 5.3-4: Gesellschaft als dynamisierte ‚ compound image schemas ‘ im ‚ integration network ‘ Die starke Animierung der deutschen Bildschemata kann im Zusammenhang mit der Wahrnehmung einer sich im Wandel befindlichen Gesellschaft gesehen werden, denn im brasilianischen Korpus findet sich eine vergleichbare, aber weitaus weniger lexikalisierte Dynamik nur in sieben Zeitungsartikeln, die alle auf eine Statistik Bezug nehmen, die zu Beginn des Jahres 2008 ein deutliches Anwachsen der Mittelschicht durch bessere Lohnkonditionen der ehemals oberen Unterschicht konstatiert. Ansonsten bleiben die brasilianischen Bildschemata gegenüber jenen des deutschen Korpus ’ im Großen und Ganzen statisch, wobei teilweise explizit darauf hingewiesen wird, dass sich in der brasilianischen Gesellschaft grundlegend nicht viel verändert habe, so dass BEHÄLTER oder VERTIKALITÄT oft sogar bewusst als unbewegliche Modelle entworfen werden (9 - 11). 30 Im Rahmen des eigentlich zielgerichteten WEG -Schemas spiegelt sich diese Wahrnehmung in der Darstellung der eigenen Gesellschaft als sich diffus und zirkulär bewegende Entität wider, die nicht vorwärts kommt (12 - 14). 30 Diese Wahrnehmung ist umso erstaunlicher, als sich in den vergangenen Jahren in Brasilien tatsächlich der Lebensstandard der meisten Brasilianer aus den unteren Schichten erheblich verbessert hat. Hier lässt sich nur mutmaßen, dass entweder der finanzielle Aufstieg nicht automatisch eine Durchmischung gesellschaftlicher Schichten oder Milieus nach sich zieht oder dass positive Entwicklungen generell verzögert und weniger stark wahrgenommen werden als negative. 286 (9) Quem está dentro n-o sai, quem está fora n-o entra 31 (Wer drinnen ist, kommt nicht raus, wer draußen ist, kommt nicht rein) (10) pirâmide de ascens-o previamente bloqueada para os despossuídos de todos os tempos, pendularmente oscilantes no trapézio da precariedade social 32 (Aufstiegspyramide für die Besitzlosen aller Zeiten von vornherein blockiert, wie ein Pendel auf dem Trapez des sozial Prekären oszillierend) (11) o negro conhece o seu lugar (Almeida 2007, 231) (der Schwarze kennt seinen Platz) (12) fazendo a sociedade permanecer no ciclo vicioso do apadrinhamento e se contentando com migalhas 33 (die Gesellschaft dazu bringen, dass sie im Teufelskreis der Begünstigungen bleibt und sich mit Brotkrumen zufrieden gibt) (13) Ela [a sociedade] ainda tá rodando círculo e n-o se achou 34 (Sie [die Gesellschaft] dreht sich noch im Kreis und hat sich noch nicht gefunden) (14) [a sociedade] vive num fluxo que leva de nada para lugar nenhum 35 ([die Gesellschaft] lebt in einem Strom, der von nirgends ins Nichts führt) 5.3.2.2 Vergleich der Konstellationsmetaphern Im Hinblick auf die Konstellationsmetaphern ergibt sich das folgende Bild: Tabelle 17 illustriert die Lexemanzahl (Tokens) pro konzeptueller Ausgangsdomäne, während Tabelle 18 sich im Gegensatz dazu auf die Lexemvarianz (Types) pro konzeptueller Ausgangsdomäne bezieht. In Tabelle 19 werden einzelne Beispiele zur jeweiligen Metapher gegeben: 31 Veja [online]: Congelaram a Classe Média, 20. 12. 2006. 32 Estado de S-o Paulo [online]: As pirâmides perpétuas de Faoro, 25. 01. 2008. 33 Estado de S-o Paulo [online]: Brasil, junç-o de três rios, 18. 05. 2008. 34 Mündliches Interview Brasilien: männlich, 25 Jahre, Musiker. 35 Mündliches Interview Brasilien: männlich, 30 Jahre, Musikproduzent. 287 KONZEPTUELLE AUSGANGSDOMÄNE Brasilien Deutschland Anzahl Lexeme Prozentanteil Anzahl Lexeme Prozentanteil PERSONIFIZIERUNG36 295 14,7 114 5,4 KRANKER PATIENT 85 4,2 87 4,1 FLORA 161 8,0 174 8,3 FAMILIE 95 4,7 100 4,7 REGELWERK 29 1,4 9 0,4 SYSTEM 171 8,5 185 8,8 MASCHINE 144 7,2 74 3,5 GEBÄUDE 147 7,3 252 12,0 GEMEINSAME ARBEIT 42 2,1 56 2,7 GESCHÄFT 49 2,4 143 6,8 THEATER , BÜHNE 81 4,0 48 2,3 INTRANSPARENZ 69 3,4 19 0,9 KRIEG 416 20,7 222 10,5 REISE 35 1,7 67 3,2 SPIEL , WETTKAMPF 39 1,9 260 12,3 BEOBACHTUNG 22 1,1 79 3,8 KLIMATISCHE VERÄNDERUNG 14 0,7 49 2,3 LERNEN 15 0,7 0 0,0 ESSEN 24 1,2 0 0,0 SONSTIGE METAPHERN 77 3,8 168 8,0 TOTAL 2010 100,0 2106 100,0 Abb. 5.3-5: Lexemanzahl (Tokens) pro konzeptueller Ausgangsdomäne 36 Die Personifizierung gehört nicht zu den Konstellationsmetaphern, sondern bildet eine spezielle Klasse der ontologischen Metaphern (Lakoff & Johnson 1980/ 2003; Baldauf 1997). Sie ist hier dennoch mit aufgelistet worden, da sie durch ihre hohe Propositionalität und Konkretheit mehr mit der Konstellationsmetapher als mit der bloß gestalthaften bildschematischen Metapher gemeinsam hat. Der entscheidende Unterschied liegt also in dem Grad an inhaltlicher Fülle, wodurch sich Metaphern als ground models von solchen als figure models (Baranov & Zinken 2003) abgrenzen. 288 KONZEPTUELLE AUSGANGSDOMÄNE Brasilien Deutschland Anzahl Lexeme Prozentanteil Anzahl Lexeme Prozentanteil PERSONIFIZIERUNG 178 25,5 83 13,7 KRANKER PATIENT 52 7,4 55 9,1 FLORA 63 9,0 33 5,4 FAMILIE 40 5,7 24 4,0 REGELWERK 3 0,4 4 0,7 SYSTEM 15 2,1 8 1,3 MASCHINE 33 4,7 32 5,3 GEBÄUDE 33 4,7 60 9,9 GEMEINSAME ARBEIT 11 1,6 15 2,5 GESCHÄFT 23 3,3 58 9,6 THEATER , BÜHNE 29 4,1 17 2,8 INTRANSPARENZ 33 4,7 10 1,7 KRIEG 111 15,9 82 13,5 REISE 30 4,3 38 6,3 SPIEL , WETTKAMPF 18 2,6 47 7,8 BEOBACHTUNG 5 0,7 23 3,8 KLIMATISCHE VERÄNDERUNG 7 1,0 17 2,8 LERNEN 3 0,4 0 0,0 ESSEN 12 1,7 0 0,0 TOTAL 699 100,0 606 100,0 Abb. 5.3-6: Lexemvarianz (Types) pro konzeptueller Ausgangsdomäne 289 KONZEPTUELLE AUS- GANGSDOMÄNE Beispiel Brasilien Beispiel Deutschland PERSONIFIZIERUNG caminhar com as próprias pernas (auf eigenen Beinen gehen) eine in die Jahre kommende Gesellschaft KRANKER PATIENT parecem esparadrapos cosméticos sobre uma ferida que n-o sara (das scheinen kosmetische Pflaster auf einer Wunde zu sein, die nicht heilt) Symptome eines „ Unterschichtenlandes “ entwickelt, das in Lethargie verfallen ist FLORA E por aqui fincou raízes fortes em nossa sociedade (und dann hat das starke Wurzeln in unserer Gesellschaft geschlagen) Rechtsextremes Gedankengut gedeiht [. . .] in der Unterschicht FAMILIE Faz parte da nossa cultura ibérica gostar do afago do Estado (Die Liebkosung des Staates zu lieben ist Teil unserer iberischen Kultur) Der Staat noch als alimentierender Ersatzvater REGELWERK Toda sociedade precisa de uma idéia reguladora (Jede Gesellschaft braucht eine regulierende Grundvorstellung) Eine Gesellschaft, die keinen Regeln mehr folgt SYSTEM para que a coisa funcione, é preciso ter mecanismos de reequilíbrio (damit die Sache funktioniert, ist es notwendig, einen Mechanismus der Wiederherstellung des Gleichgewichts zu haben) soziales Netzwerk MASCHINE A mola propulsora do avanço das nações, a classe média, está imobilizada no Brasil (Die Triebfeder des Fortschritts der Nationen, die Mittelschicht, ist in Brasilien unbeweglich) in der Mitte der Gesellschaft die materielle Schraube [. . .] enger drehen GEBÄUDE uma sociedade construída em cima dos alicerces da escravid-o (eine Gesellschaft, die auf dem Unterbau der Sklaverei errichtet wurde) Die Eckpfeiler dieser Mittelklassenwelt [. . .] haben an Tragfähigkeit verloren 290 KONZEPTUELLE AUS- GANGSDOMÄNE Beispiel Brasilien Beispiel Deutschland GEMEINSAME ARBEIT com a colaboraç-o da sociedade (in Kollaboration mit der Gesellschaft) man müsste einige Bereiche noch mal überarbeiten GESCHÄFT UNTERNEHMEN O preço de atingir e manter o status quo de classe média [. . .] tornouse quase impagável (Der Preis zum Erreichen und Aufrechterhalten des Status quo der Mittelschicht [. . .] ist unbezahlbar geworden) Neoliberale Gesellschaft mit begrenzter Haftung THEATER , BÜHNE o grande drama histórico da sociedade brasileira desde o início de seu processo (das große Geschichtsdrama der brasilianischen Gesellschaft seit Beginn ihrer Entwicklung) Tarifrechtlich geschützten Platz auf deren Vorderbühne beanspruchen INTRANSPARENZ É preciso limpar o emaranhado sistema (es ist notwendig, das verwickelte System zu entwirren) werden die gesellschaftlichen Prozesse zunehmend undurchsichtig KRIEG A luta contra a probreza terá que se tornar a principal batalha de toda a sociedade (Der Kampf gegen die Armut muss zur Hauptschlacht der gesamten Gesellschaft werden) Frontlinie verläuft [. . .] zwischen Ober-, Mittel- und Unterschicht REISE Quem é vag-o e quem é locomotiva (Wer Waggon und wer Lokomotive ist) Ersatzanker in stürmischen sozialen Gewässern SPIEL , WETTKAMPF Que somos peões num jogo de xadrez [. . .] e a briga n-o chega nos cavalos, nos reis (Denn wir sind Bauern in einem Schachspiel [. . .] und der Streit ist noch nicht bei den Springern, bei den Königen angekommen) Die meisten von ihnen stehen auf der Verliererseite BEOBACHTUNG sua abissal desigualdade social é colonizada por uma vis-o economicista (ihre abrundtiefe soziale Ungleichheit wird von gesellschaftliches Selbstbild 291 KONZEPTUELLE AUS- GANGSDOMÄNE Beispiel Brasilien Beispiel Deutschland einer ökonomistischen Vision beherrscht) KLIMATISCHE VER- ÄNDERUNG como o Brasil deve atravessar esse período de alta turbulência? (wie soll Brasilien diese Phase der starken Turbulenzen überbrücken? ) Wind, den eine moderne Gesellschaft erzeugt LERNEN uma grande sociedade que cada dia aprende mais (eine große Gesellschaft, die jeden Tag mehr lernt) Ø ESSEN Ela é um bolo (Sie ist ein Kuchen) Ø Abb. 5.3-7: Beispiele für Konstellationsmetaphern Die Ergebnisse bestätigen grundsätzlich die These von Kövecses (2005, 67 - 87), nach der es bei kultureller Variation von Metaphern meist weniger um die Existenz völlig unterschiedlicher Ausgangsdomänen geht als vielmehr um preferential conceptualizations. Denn abgesehen von den Ausgangsdomänen LERNEN und ESSEN sind alle Bereiche, die mindestens drei Treffer hatten, in beiden Korpora zu finden. Als markantester Unterschied fällt der weitaus größere Anteil personifizierender Metaphern im brasilianischen Korpus auf und zwar sowohl im Hinblick auf Lexemanzahl als auch Lexemvarianz. Tatsächlich korreliert dies mit der Beobachtung, dass in den brasilianischen Interviews schneller und häufiger als in den deutschen von dem Wort Gesellschaft auf die Personen selbst übergegangen wird, wobei Ausgangspunkt der Betrachtung meist die deiktische Perspektive darstellt: (15) „ Acho que é uma sociedade oprimida, induzida e conduzida de acordo com a opini-o da mídia nacional. Mas também somos extremamente calorosos, bem humorados, alegres e amáveis. “ 37 ( „ Ich denke, es ist eine unterdrückte Gesellschaft, die in Übereinstimmung mit den nationalen Medien ihre Schlüsse zieht und gelenkt wird. Aber wir sind auch extrem warmherzig, gut gelaunt, fröhlich und liebenswert. “ Für die meisten Interviewpartner ist es nur ein kleiner Schritt, die wörtlich zu verstehenden Adjektive, die den Selbstzuschreibungen vieler Brasilianer 37 Schriftliches Interview Brasilien: männlich, 46 Jahre, Büroangestellter. 292 entspringen, auf die Gesellschaft selbst zu projizieren. Die auffällige Neigung zur Personifizierung und die damit verbundene prägende Bildhaftigkeit sticht besonders anhand der metaphorischen Körperbezüge hervor, deren Varianz im deutschen Korpus auf die Lexeme Kopf, Fuß, Gesicht und Stirn beschränkt ist, während es im brasilianischen Korpus 22 verschiedene Lexeme zur Domäne KÖRPER gibt. Hier ein paar Beispiele: (16) reforma atinge todo o arcabouço da sociedade nacional 38 (eine Reform, die das gesamte Skelett der nationalen Gesellschaft berührt) (17) saindo da barriga da família passando para a barriga da sociedade, ne 39 (aus dem Bauch der Familie heraus in den Bauch der Gesellschaft hineingehen, ne) (18) fica de braços cruzados esperando as coisas acontecer 40 (sitzt sie mit verschränkten Armen da und wartet darauf, dass die Dinge passieren) (19) a distribuiç-o seletiva de privilégios segundo rótulos de raça inocula na circulaç-o sanguínea da sociedade o veneno do racismo 41 (die selektive Verteilung von Privilegien entsprechend den ethnischen Kategorien injiziert das Gift des Rassismus in den Blutkreislauf der Gesellschaft) (20) Com o road map nas m-os, o caminho está dado. 42 (Mit der Road Map in den Händen ist der Weg schon vorgegeben) Hinter dieser metaphorischen Präferenz steckt zugleich eine tropische, denn die hier gelisteten Beispiele implizieren meist eine Kombination von Metapher und Metonymie und zwar genau in dem Sinne des von Goossens (1990) beschriebenen Phänomens metonymy within metaphor, so dass sich hier folgender Metaphori-sierungsprozess rekonstruieren lässt: Eigenschaften und Körperteile einer Person Metonysierung ð Person für Gruppe (Teil für Ganzes) Metaphorisierung ð Gesellschaft besitzt Eigenschaften und Körperteile (wie eine Person) Solche Personifizierungen geben dem Abstraktum ‚ Gesellschaft ‘ ein deutliches Profil und haben damit komprimierende Funktion durch Wiedergabe eines einprägsamen und sehr konkreten Bildes, so dass die Metapher hier als 38 Schriftliches Interview Brasilien: weiblich, 30 Jahre, Journalistin. 39 Mündliches Interview Brasilien: männlich, 33 Jahre, Pizzaauslieferer. 40 Mündliches Interview Brasilien: weiblich, 38 Jahre, Angestellte im öffentlichen Dienst. 41 Época [online]: Manifesto: Cento e treze cidad-os anti-racistas contra as leis raciais, 21. 04. 2008. 42 Estado de S-o Paulo [online]: Brasil, junç-o de três rios, 18. 05. 2008. 293 ein in höchstem Maße Komplexität reduzierendes Kommunikationsmedium in Erscheinung tritt. Wie Semino (2008, 103) und Wodak (2002) hervorheben, haben Personifizierungen eine wichtige Funktion bei der Konstruktion und Aufrechterhaltung nationaler Identitäten inne. Die Darbietung von Nationen als anthropomorphe Entität begünstigt die emotionale Einbindung seitens der Bewohner, indem Gleichheit und Homogenität betont werden, wobei Dissens und Unterschiede herausfallen. Ein brasilianischer Topos, der im Zusammenhang mit dem barocken Kultur-, Rede- und Alltagsstil gesehen werden kann (Schröder 2004 c; 2005; 2006), zeigt sich in dem im Vergleich zum deutschen Korpus relativ hohen Anteil an Metaphern der Domäne THEATER / BÜHNE . Neben Lexemen wie Akteur/ ator, Bühne/ palco, Rolle/ papel, Theater/ teatro, die sich in beiden Korpora finden, kommen im brasilianischen Korpus Lexeme wie copiar, máscara, espelhar, fingir, fachada, quimera, dissimulaç-o (kopieren, Maskerade, spiegeln, täuschen, Fassade, Chimäre, Verstellung) etc. hinzu, die dazu dienen sollen, die Falschheit oder Verstelltheit der Gesellschaft zu visualisieren. In engem Zusammenhang damit stehen die ‚ Attributionsmetaphern ‘ (Baldauf 1997, 79 - 92), die eine Teilgruppe der Personifizierungen ausmachen. Demnach wird die brasilianische Gesellschaft als sombria, invisível, opaca, nebulosa, emaranhada, intransparente, moralmente cinzenta, kafkiana (düster, unsichtbar, undurchsichtig, nebulös, verwickelt, intransparent, moralisch grau, kafkaesk) etc. beschrieben, was hier unter der Kategorie INTRANSPARENZ zusammengefasst wurde. Ein weiterer Unterschied kann bei genauer Betrachtung auch mit Bezug auf die Domäne KRIEG als Ausgangsbereich ausgemacht werden: Obwohl die lexikalische Elaboration im deutschen Korpus stärker ausgeprägt ist, haben wir im brasilianischen Korpus eine deutlich höhere Lexemanzahl, was u. a. mit der in Brasilien verbreiteten Klassenkampfrhetorik erklärt werden kann (Schröder 2007 a). Besonders der Diskurs der Linken baut auf traditionellen marxistischen Klassenkampfparolen auf. So tauchen in dem Buch von Chauí et al. (2006) die Schlüssellexeme luta/ lutar (Kampf/ kämpfen) insgesamt 23 Mal auf, movimento (Bewegung) immerhin 17 Mal. Auf die Domäne KRIEG entfallen nur in diesem Buch alleine 41 % aller metaphorischen Ausdrücke im Vergleich zu 15,9 % im Gesamtkorpus. In solchen Diskurskontexten findet sich im brasilianischen Korpus auch die Subdomäne REVOLUTION , in der semantisch miteinander verbundene Lexeme wie revoluç-o, lutar, escravo, marcha, militante, oprimir, explorar (Revolution, kämpfen, Sklave, Marsch, militant, unterdrücken, ausbeuten) etc. konzentriert sind und Cluster bilden, die im deutschen Korpus weitgehend fehlen. Metaphern, die im deutschen Korpus überhaupt nicht zu finden sind, im brasilianischen dagegen zumindest einen kleinen Anteil ausmachen, stammen aus den Bereichen ESSEN und LERNEN und können ebenfalls als kulturspezifisches Phänomen beschrieben werden: Der Entwurf der brasilia- 294 nischen Gesellschaft als ein sich im Lernprozess befindliches Kind ist eine Erzählung, die sich in vielen Abhandlungen zur Suche nach der eigenen Identität immer wieder findet. 43 Die Komprimierung der brasilianischen Gesellschaft in fassbare Bilder wie calder-o, pizza, bolo oder coquetel rekurriert indes auf das ihnen zugrunde liegende Bildschema TEIL - GANZES , was mit dem brasilianischen Topos der miscigenaç-o in Zusammenhang steht: Die brasilianische Identität setzt sich aus unterschiedlichsten Ausgangsethnien zusammen, die sich miteinander zum povo novo (Ribeiro 1995) vermischt haben, wie ja etliche Buchtitel zur brasilianischen Kultur bereits anzeigen. 44 Solche Metaphern haben oft kohäsive Funktion, indem sie „ rapid, concise, and vivid “ (Ponterotto 2003, 294) sind und damit häufig der Einführung in ein Thema dienen, das dann argumentativ ausgeführt wird. Während sich im brasilianischen Korpus eine fast doppelt so hohe Type- Varianz in der Domäne FLORA findet, ist das Verhältnis mit Blick auf GEBÄUDE genau umgekehrt. Hier ist der Anteil der Lexemvarianz im deutschen Korpus deutlich höher. Im Hinblick auf die Kreativität bei der Ausgestaltung konventioneller Metaphern zeigt sich im deutschen Korpus eine größere Tendenz zu Analogien, die topologisch motiviert sind und bestimmte Bildschemata der lokalen Anordnung vertiefen bzw. konkretisieren. So entwickelt Bude (2008) etwa das Bild vom HAUS DER GESELLSCHAFT , das als Erweiterung und bildhafte Konkretisierung der Schemata VERTIKALITÄT bzw. HIERARCHIE und CONTAINER in Verbindung mit der konventionellen Ausgangsdomäne GEBÄUDE gesehen werden kann. Dies geschieht wie im nachfolgenden Beispiel häufiger als im brasilianischen Korpus auf textologischer Ebene, so dass die Metaphern zu Allegorien werden, welche die gesamte Narration eines Kapitels oder sogar eines ganzen Buchs bestimmen können. (21) Im Haus der Gesellschaft bewohnen beide Parteien [Unter- und Mittelschicht] ihre eigene Etage. Die einen müssen sich mit dem Parterre zufrieden geben, die anderen schielen auf die Beletage. [. . .] Die Ausgeschlossenen, um im Bild zu bleiben, gibt es auf jeder Etage. Sie drücken sich herum, solange es geht, unten vermutlich länger als in der Mitte. [. . .] Es kann aber passieren, daß ein Einzelner aufgrund eines „ kritischen Lebensereignisses “ ins Strudeln gerät und wegen Miet- und anderer Schulden vor die Tür gesetzt wird. Nach und nach sammeln sich die Ausgeschlossenen im Flur und wissen nicht mehr, wohin sie gehören. (Bude 2008, 127) 43 Vgl. u. a. Brasil, um país do futuro? von Stefan Zweig (1941), Fenomenologia do Brasileiro. Em Busca de um Novo Homem von Vilém Flusser (1998), Novo Mundo nos Trópicos von Gilberto Freyre (1971). 44 Vgl. u. a. Manifesto Antropófago von Oswald de Andrade (1928/ 1995), Brasil - Terra de Contrastes von Roger Bastide (1971), The Brazilian Puzzle von David J. Hess und Roberto DaMatta (1995), O labirinto latino-americano von Octavio Ianni (1993). 295 Ebenfalls ausgeprägter ist die Lexemdichte und -anzahl aus der Domäne SPIEL / WETTKAMPF . Die Lexemvarianz aus dem verwandten Ausgangsbereich GESCHÄFT / UNTERNEHMEN beträgt sogar das Dreifache gegenüber dem brasilianischen Korpus. In Ausdrücken wie „ Karriere des sozialen Ausschlusses “ (Bude 2008, 18 - 19), „ Klienten des Wohlfahrtsstaates “ (Lessenich & Nullmeier 2006, 115), „ Wertehaushalt der deutschen Gesellschaft “ (Neugebauer 2007, 27), „ Generationen-Buchhaltung “ (Lessenich & Nullmeier 2006, 123), „ Tiefenkrise der Deutschland AG “ (Beck 2005, 13) oder „ Neoliberale Gesellschaft mit begrenzter Haftung “ 45 tritt eine Besonderheit der aktuellen Diskussion hervor: Die fortschreitende auch auf sprachlicher Ebene spürbarer werdende Ökonomisierung der deutschen Gesellschaft, die Studenten, Wähler und Patienten in Klienten und Konsumenten transformiert, wird hier sarkastisch konterkariert, teilweise sogar explizit thematisiert, wie es etwa in dem Kapitel Verlierer - Gewinner (Lessenich & Nullmeier 2006) geschieht: (22) „ Die ausufernde Gewinner/ Verlierer-Semantik ist dabei vielfach an jene Stelle getreten, an der zuvor Ausdrücke wie ‚ Benachteiligte ‘ oder ‚ sozial Schwache ‘ gestanden haben. Im Sprachgebrauch des Sozialstaats wurde bei solchen Bezeichnungen die gesellschaftliche Verantwortung sozial stärkerer Gruppen immer schon mitgedacht - auch deshalb, weil die Schwachen nicht allein als haftbar für ihre Lage galten. Heute jedoch hat sich mit der allerorts erhobenen Forderung nach ‚ Eigenverantwortung ‘ geradezu ein neuer Existentialismus verbreitet, der soziale Nachteile als falsche Entscheidungen individualisiert und keine ‚ sozialen Umstände ‘ mehr gelten lässt. “ (Lessenich & Nullmeier 2006, 368 - 369) Hier ist angedeutet, was sich dann metaphorisch auch in der hohen Anzahl von Metaphern aus dem Bereich BEOBACHTUNG 46 bestätigt: Die Metareflexion auf den Diskursgegenstand ‚ Gesellschaft ‘ scheint in Deutschland ausgeprägter zu sein. So beträgt im deutschen Korpus nicht nur die Lexemanzahl zu dieser Domäne das Fünffache im Vergleich zum brasilianischen Korpus; auch die Lexemvarianz ist mit einem Verhältnis von 23: 5 ausgeprägter. Dabei werden die Metaphern aus diesem Bereich häufig in selbstreflexiver Absicht verwendet, so dass sich eine Fülle autoreferentieller und intertextueller Beschreibungen in der öffentlichen Diskussion beobachten lässt: 45 Frankfurter Rundschau [online]: Es geht ans Eingemachte, 14. 9. 2006. 46 Diese Außen- und Metaperspektive wird von Lakoff und Johnson (1999, 277) als THE OBJECTIVE STANDPOINT METAPHOR beschrieben, die ihrerseis aus CONTAINER und KNOWING IS SEEING zusammengesetzt ist. 296 (23) Die Semantik der Unbeweglichkeit (Lessenich & Nullmeier 2006, 338) (24) Um dann wie gewohnt die Zukunft beflügelt einzuschwärzen und anzuschwärzen (Beck 2005, 7 - 8) (25) Alles durch die deutsche Brille zu betrachten (Beck 2005, 90) (26) Man hat ja immer nur nen ganz bestimmten Blickwinkel, nen ganz bestimmten Ausschnitt von dem, was man so mitkriegt von der Gesellschaft 47 (27) Es wird gern ein düsteres Bild von der Lebenssituation der Menschen gezeichnet 48 5.3.2.3 Wortarten der Metaphern im Gebrauchskontext Wie Steen (2002; 2004) ganz richtig hervorhebt, spielt es eine wesentliche Rolle, welcher Wortart eine Metapher zugerechnet werden kann, da dies einen Einfluss auf den Effekt hat, den die Metapher beim Rezipienten hervorruft. Deshalb wurden die Lexeme aus den verschiedenen Domänen der konzeptuellen Metaphern nach den Wortklassen Substantive, Adjektive und Verben aufgegliedert und gezählt. Die adverbialen Partikeln, die für die bildschematischen Metaphern eine entscheidende Funktion innehaben, wurden hierbei nicht mitgerechnet. Tatsächlich zeigt ein Blick auf die Lexeme (Types) zwar keine auffälligen Gegensätze, aber doch unterschiedliche Gewichtungen bei der Verteilung auf die drei Wortklassen: Wortklasse Brasilien Deutschland Absolute Zahl Prozentanteil Absolute Zahl Prozentanteil SUBSTANTIVE 332 58,2 402 56,6 VERBEN 148 26,0 231 32,5 ADJEKTIVE 90 15,8 77 10,8 TOTAL 570 100,0 710 100,0 Abb. 5.3-8: Metaphern pro Wortklasse Während der prozentuale Anteil von Substantiven in etwa gleich ist - obwohl ein nicht geringer Teil der deutschen Substantive sich aus substantivierten Verben zusammensetzt - , finden sich im deutschen Korpus mehr Verbmetaphern, im brasilianischen dagegen mehr Adjektivmetaphern. Der höhere Anteil an Adjektivmetaphern im brasilianischen Korpus kann im Zusammenhang mit dem hohen Personifizierungsgrad gesehen werden, wobei der Person ‚ Gesellschaft ‘ verschiedenartige Eigenschaften zugeschrieben wer- 47 Mündliches Interview Deutschland: weiblich, 36 Jahre, Anwendungsentwicklerin. 48 Die Welt [online]: Deutsche fühlen sich arm - doch allen geht ’ s gut, 24. 7. 2008. 297 den, wie im vorangegangenen Abschnitt aufgezeigt wurde. Adjektivmetaphern dienen häufig der „ Ausmalung “ und durch eine „ immer wieder andere Elaborierung des leitmotivischen Substantivs “ (Kohl 2007, 48) - in diesem Fall der als PERSON vorgestellten GESELLSCHAFT - dem Zugang zu den Emotionen des Rezipienten. Dass diese Tendenz im brasilianischen Korpus stärker ist als im deutschen, mag u. a. mit dem barock geprägten Rede- und Schreibstil zusammenhängen, der sich in vielen Bereichen der brasilianischen Alltagskultur finden lässt (Schröder 2010 a; 2004 c; 2005; 2006). Das Barocke - zu diesem Schluss gelangt Manfred Windfuhr (1966, 49 - 77) in seiner Untersuchung zur ‚ barocken Bildlichkeit ‘ - sei typischerweise durch eine Bevorzugung von Nominal- und Adjektivmetaphern gekennzeichnet, die tendenziell schmückende Funktion haben. Tatsächlich erfolgt die Belebung des abstrakten Konstrukts ‚ Gesellschaft ‘ im brasilianischen Korpus oft als Analogie im Sinne einer erweiterten Metapher, „ wobei der bildlich konkrete Herkunftsbereich narrativ ausgestaltet wird und mit seinen Elementen einer ebenfalls kohärenten Sinnfolge im abstrakteren Zielbereich entspricht “ (Kohl 2007, 87). Analogien und Gleichnisse, die ihre Basis in Personifizierungen haben, kommen im brasilianischen Korpus insgesamt 17 Mal vor, im deutschen dagegen nur fünf Mal. Mit solchen komprimierten Bildern gelingt es den Autoren, assoziativ bestimmte Stimmungsbilder zu erzeugen, die an bekannte Erzählungen anknüpfen und zugleich den intendierten Bedeutungsaspekt intensivieren (Hülzer-Vogt 1991, 146). (28) Podemos responder, dizendo que o „ gigante pela própria natureza “ n-o ficou „ deitado eternamente em berço esplêndido “ , na simbologia palavrosa do hino nacional. O gigante caminhou, tropeçou e hoje tateia, incerto, buscando novos rumos. (Reis Velloso & Cavalcanti de Albuquerque 2006, 96) (Wir können antworten, indem wir sagen, dass der „ wegen seiner Natur so genannte Riese “ in der wortreichen Symbologie der Nationalhymne „ nicht für alle Zeiten in der prächtigen Wiege liegen bleibt “ . Der Riese ist losgegangen, gestolpert und tastet sich heute vorwärts, unsicher, auf der Suche nach neuen Wegen.) (29) que talvez um dia o país possa deixar de caber na seguinte descriç-o do escritor Paulo Mendes Campos: “ Imaginemos um ser humano monstruoso que tivesse a metade da cabeça tomada por um tumor, mas o cérebro funcinando bem; um pulm-o sadio, o outro comido pela tísica; um braço ressequido, o outro vigoroso; uma orelha lesada, a outra perfeita; o estômago em ótimas condições, o intestino carcomido de vermes. Esse monstro é o Brasil: falta-lhe alarmantemente o mínimo de uniformidade social “ 49 (dass sich das Land eines Tages vielleicht der folgenden Beschreibung des Schriftstellers Paulo Mendes Campos entledigen kann: „ Wir stellen 49 Veja [online]: Como pensam os brasileiros, 22. 08. 2007. 298 uns einen monströsen Menschen vor, dessen halber Kopf von einem Tumor befallen ist, aber das Gehirn funktioniert gut; eine gesunde Lunge, die andere schwindsüchtig; ein Arm verdorrt, der andere kräftig; ein Ohr verletzt, das andere perfekt; der Magen in bestem Zustand, der Darm von Würmern zerfressen. Dieses Monster ist Brasilien: es fehlt ihm auf alarmierende Weise das Mindestmaß an sozialer Einheitlichkeit. “ ) Verbmetaphern dynamisieren demgegenüber das Bild und fordern die imaginative Mitwirkung an den mentalen Vorgängen heraus. Gesellschaft wird eher als Ort verstanden, an dem Handlungen ausgetragen werden und nicht als eine Person mit festgeschriebenen Charaktereigenschaften. Das wurde ja schon bei der Analyse der dynamisierten Bildschemata deutlich. Aber selbst als Person wird Gesellschaft im deutschen Korpus häufiger als handelndes Agens denn als Eigenschaftsträger entworfen. So finden sich im brasilianischen Korpus insgesamt 66 unterschiedliche attributive Lexeme zur Beschreibung von Gesellschaft als alegre, afetiva, virtuosa, violenta, tranquila, sábia, quente, queixosa, preconceituosa, perversa, mentirosa, lúdica, malandra, hipócrita, invejosa, intimista, cordial, contente, criminosa (heiter, gefühlvoll, virtuos, grausam, ruhig, weise, heiß, wehleidig, voreingenommen, pervers, verlogen, verspielt, gaunerhaft, falsch, neidisch, vertrauensselig, herzlich, zufrieden, kriminell), im deutschen Korpus dagegen nur 33. Von diesen 33 Lexemen drücken nun allerdings gut die Hälfte weniger emotionale Dispositionen als vielmehr auf den anderen bezogene Einstellungen aus: Die Gesellschaft sei weltoffen, intolerant, solidarisch, oberflächlich, rentnerfeindlich, kinderfeindlich, egoistisch, engstirnig etc. Die anderen Personifizierungen verlaufen entlang der Handlungsebene: Die Gesellschaft „ sieht schwarz “ , „ will Ungerechtigkeiten nicht wahrhaben “ , „ kommt in die Jahre “ , „ diskutiert über sich selbst “ , „ verhält sich friedlich “ oder „ denkt nur an ihre eigene Person “ . 50 Auffällig ist außerdem, dass im brasilianischen Korpus oftmals Negationspräfixe zur Beschreibung der Gesellschaft als injusta, desigual und antiliberal oder Negationspartikeln wie n-o solidária, sem memória verwendet werden sowie lexikalisch auf die Abwesenheit bestimmter wünschenswerter Merkmale hingewiesen wird: falta do senso coletivo, ausência da justiça etc. 50 Hierbei könnte es sich auch um ein Phänomen sprachlicher Relativität handeln, das sich generell mit Unterschieden zwischen anglo-germanischen und romanischen Sprachen in Verbindung bringen ließe. So kommt etwa Slobin (1996) in seiner Studie, in der er englische, spanische, deutsche und israelische Kinder eine Bildergeschichte nacherzählen lässt, zu einem ähnlichen Schluss im Hinblick auf Ausdrucksrelativität. Er stellt fest, dass spanische Kinder bei ihrer Nacherzählung eher eine Szene schildern, die statische lokale Beschreibungen enthält, während in den englischen und deutschen Narrationen Bewegungsverben mit direktionaler Dynamik dominieren und reine Szenenbeschreibungen in den Hintergrund treten. 299 5.3.2.4 Funktionen von Metaphern und ihrer Denkmodelle im Gesellschaftsdiskurs Die Frage nach der kommunikativen Absicht stellt sich insbesondere für die analysierten Zeitungsartikel und Sachbücher. Denn in diesen beiden Textsorten fungieren Metaphern wiederholt als übergeordnete Narration, kognitives Modell oder Sinnformel, indem sie bei der diskursiven Konstruktion ihre Zieldomäne bestimmten Welt- und Wertvorstellungen folgen (Geideck & Liebert 2003; Musolff 2004). Hier wird besonders deutlich, was Debatin (1995, 134) die „ duale Struktur der Metapher “ genannt hat, womit er sich auf ihre kognitive Funktion als „ Stimulus und Medium für Kognitionen “ und die damit verknüpfte „ Einheit von Gegenstandsdarstellung und Perspektiveneröffnung auf diesen Gegenstand “ (Debatin 1995, 121) bezieht. Damit wird ein spezifischer Gegenstandsbereich nicht einfach erschlossen, sondern auf eine bestimmte Weise erschlossen, so dass er ebenso gut von einem anderen Blickwinkel aus entworfen werden könnte. Darauf zielt ja auch der blumenbergsche Terminus ‚ Sichtlenkung ‘ ab. In beiden Korpora, dem brasilianischen wie dem deutschen, fallen dabei drei eng miteinander verwobene Metaphern besonders auf, die durch verschiedene Highlighting- und Hiding-Effekte sowohl von eher konservativ-neoliberaler als auch von solidargemeinschaftlich-sozialer Seite aus kommunikationsstrategisch nutzbar gemacht werden. In beiden Korpora stößt man auf die Familienmetapher als negativ konnotiertes Leitbild von Gesellschaft vorwiegend in Artikeln und Büchern, die eine tendenziell eher konservative oder neoliberale Position einnehmen und sich gegen das sozialdemokratische Nurturant Parent Model (Lakoff 1996) 51 wenden: (30) Mas o mesmo pai que falha ao cuidar dos filhos (Almeida 2007, 192) (Aber es ist derselbe Vater, der versagt, wenn es darum geht, für die Kinder zu sorgen) (31) Grande parte dessa camada social encontrou abrigo sob os seios generosos do Estado (Reis Velloso & Cavalcanti de Albuquerque 2006, 51) (Ein großer Teil dieser sozialen Schicht hat Unterschlupf unter dem großzügigen Busen des Staates gefunden) (32) Kann eine Gesellschaft auf Dauer aushalten, dass viele keine Chance mehr für sich sehen und in eine apathische Alimentierungsmentalität verfallen? 52 Einige eher links orientierte Beiträge des deutschen Korpus greifen ihrerseits dieselbe Metapher auf, stellen sie allerdings in einen neuen Zusammenhang 51 Vgl. Kapitel 2.3. 52 Die Welt [online]: "Viele verfallen in eine Alimentierungsmentalität", 21. 10. 2006. 300 mit dem Ziel, die ihr inhärente Anklage als haltloses Vorurteil zu entblößen. So karikieren Lessenich et al. das Bild auf sarkastische Weise: (33) „ . . . jene Vertreter einer neubürgerlichen Kulturelite, die die sozioökonomischen Umbrüche des flexiblen Kapitalismus als Gelegenheitsstruktur für eine Remoralisierung und Rückerziehung der - so die Vorstellung - überalimentierten und bewegungsarmen ‚ Unterschichten ‘ nutzen. “ (Lessenich & Nullmeier 2006, 349) Der Vorwurf der Passivität und Antriebsarmut, der bereits in der Familienmetapher anklingt, findet sich gleichermaßen im neoliberal geprägten Bild von GESELLSCHAFT als KRANKEM PATIENTEN wieder: Demnach sei die Gesellschaft „ apathisch “ , „ depressiv “ , habe „ Angstsyndrome “ , leide an einer „ Gedankenstarre “ oder einem „ Handikap “ , an „ Lähmung “ und „ Lethargie “ , sei „ von einem Bazillus befallen “ , früher aber mal „ gesund “ gewesen. Im brasilianischen Korpus flackert noch ein tiefer sitzendes Unbehagen auf, das sich neben der Diagnose psychischer Leiden - und zwar durch alle politischen Richtungen hindurch - stärker in Metaphern des körperlichen Verfalls niederschlägt. Dementsprechend sind die Krankheiten chronischer Natur und kommen aus der Geschichte einer Gesellschaft, die sich auf Ungleichheit und Sklavenhaltung errichtet hat. Die Diagnosen lauten: „ cegueira “ ( „ Blindheit “ ), „ tísica “ ( „ Schwindsucht “ ), „ anemia “ ( „ Blutarmut “ ), „ câncer “ ( „ Krebs “ ); die Gesellschaft sei „ contaminada “ ( „ kontaminiert “ ) und „ carcomida de vermes “ ( „ von Würmern zerfressen “ ), daneben auch mit „ fraturas “ ( „ Brüchen “ ), „ inchaços “ ( „ Schwellungen “ ), „ infecções “ ( „ Infektionen “ ) und „ feridas “ ( „ Wunden “ ) übersät, in ihr „ vicejam tumores “ ( „ wuchern Tumore “ ). Die mangelnde Vitalität, die durch die Metapher vom KRANKEN PATIENTEN zum Ausdruck kommt, verhindert sowohl den sozialen Aufbruch - als Utopieprojekt der Linken - als auch den rein ökonomisch propagierten Anschluss an die ‚ Erste Welt ‘ - als pragmatische Vision neoliberaler Kräfte. In beiden Korpora taucht entsprechend dieser Passivität, der leidende Patienten anheimfallen, auch das WEG -Schema sowohl im sozialkritischen als auch im konservativen und neoliberalen Diskurs auf; die Fokussierung (highlighting) jedoch ist unterschiedlich: Während der sozialkritische Diskurs auf die Entkoppelten und Zurückgebliebenen blickt (34, 35, 36), sorgen sich konservative Stimmen um die richtige Weichenstellung (37, 38), die neoliberalen Vertreter dagegen eher um das fehlende Tempo (39, 40, 41, 42). (34) abgehängtes Prekariat (Neugebauer 2007, 82) (35) So entsteht, was man in der Soziologie städtische Unterschicht nennt: vom ersten Arbeitsmarkt abgekoppelt, vom gesellschaftlichen Reichtum ausgeschlossen, auf sich selbst und die jeweiligen ethnischen, religiösen und Geschlechteridentitäten zurückgeworfen. [. . .] Nur so könne man 301 verhindern, dass ein Bildungsproletariat entsteht, das den sozialen Anschluss verliert 53 (36) para frear uma classe dominante sem freios (Chauí et al. 2006, 42) (um eine führende Klasse ohne Bremsen zu stoppen) (37) Der Zug ist tatsächlich auf einem Gleis, auf das er nicht gehört. Aber irgendwo in der Ferne kommt noch einmal eine Weiche, und die können wir umstellen. 54 (38) Der Zug fährt schon seit Jahren in die falsche Richtung - und wenig ist passiert. 55 (39) Ich glaube, das ist etwas, was vielen Deutschen noch sehr schwer fällt, da selber was in die Hand zu nehmen, sich selber für fähig zu halten, was nach vorne zu treiben, weil man da in Deutschland auch oft gehemmt wird 56 (40) „ Slow-Motion-Society “ (Steingart 2005, 63) (41) O Brasil caminha muito vagarosamente na direç-o da modernidade (Almeida 2007, 128) (Brasilien geht sehr langsam in Richtung Modernität) (42) O avi-o decolou e está em velocidade de cruzeiro. A velocidade pode aumentar, mas o vôo n-o sofrerá uma pane (Almeida 2007, 21) (Das Flugzeug ist gestartet und fliegt in Reisegeschwindigkeit. Die Geschwindigkeit kann zunehmen, aber der Flug wird keine Panne erleiden) 5.3.2.5 Verdichtung systematischer Metaphern im Kommunikationskontext Im Folgenden sollen entlang zweier komplexerer Gesprächsauszüge aus den mündlich geführten Interviews die in Kapitel 3.3.1 diskutierten Konzepte systematic metaphor (Cameron 2007, 131), die sich durch metaphoric chains (Steen 2007, 271) in metaphorischen Clustern konstituiert, sowie ihr Wirken in der konkreten Kommunikationssituation veranschaulicht werden. In beiden Interviews geht es um die wechselseitige Orientierung der Kommunikationspartner, um die Weiterentwicklung bestimmter Leitmetaphern zur Herstellung von Kohärenz und darum, wie diese Prozesse zwischen den beiden Interviewpartnern ausgehandelt werden. Das erste Beispiel zeigt die Entfaltung einer Metapher, die weiter oben der Kon- 53 TAZ [online]: Vom Bildungsverlierer zum Arbeitslosen, 16. 03. 2007. 54 DER SPIEGEL [online]: „ Wir wurden umprogrammiert “ , 06. 03. 2006. Frank Schirrmacher in einem Gespräch mit dem SPIEGEL über sein Buch Minimum-Gesellschaft. 55 Die Welt [online]: Viele verfallen in eine Alimentierungsmentalität, 21. 10. 2006. 56 Mündliches Interview Deutschland: weiblich, 34 Jahre, Grafik-Designerin. 302 zeptdomäne BEOBACHTUNG zugeordnet wurde. Als systematische Metapher im Sinne Camerons vermischt sie sich hier im Kommunikationskontext mit den Bildschemata CONTAINER und TEIL - GANZES und kann als emergierende Metapher folgendermaßen konkretisiert werden: MEIN VERHÄLTNIS ZUR DEUT- SCHEN GESELLSCHAFT IST DAS EINES BEOBACHTERS , DER MAL INNERHALB , OFT JEDOCH AUSSERHALB DIESES CONTAINERS STEHT UND HINEINSCHAUT : (43) I: Wie seht ihr euch denn im Verhältnis zur deutschen Gesellschaft? P1: 57 „ Beobachtend “ ist das erste Wort, das mir einfällt, obwohl das eigentlich. . . also ich bin ja Teil auch, aber, ich hab das grad wieder gemerkt, ich kann sehr viel analysieren, also ich guck mir das an. P2: 58 Ich bin auch Teil davon und denke eher: Eigentlich steh ich meinem Gefühl nach irgendwie außen, irgendwie draußen, guck drauf, also nirgendwo, also ich würde keinen Teil finden können, wo ich sagen würde, da fühl ich mich wirklich zugehörig. Da wüsst ich auch nicht, wo ich mich hinsortieren sollte. Also ich hab so dieses Gefühl, ich bin in diesen Strukturen und das weiß ich auch, und ich weiß auch, wie die funktionieren, aber es ist nicht so was von hundert Prozent meins, oder da bin ich so drin aufgegangen oder so. P1: Also so ganz draußen steht man ja auch nicht. Das geht ja gar nicht. Was den Spießigkeitsfaktor angeht, hab ich mich mächtig in Richtung Spießigkeit entwickelt. Da merk ich, dass ich so Teil von bestimmten Sachen bin. Und wenn ich mir dann anmaßen würde, ich beobachte das noch, das wär echt ne Anmaßung, oder ich beobachte es nur, das wär ne Anmaßung. [. . .] Ich glaub, ich hab ja gestern gesagt, ich geh nicht mehr wählen, und das ist glaub ich auch ein Schritt raus oder daneben. Hier lässt sich par excellence die gesprächssteuernde Rolle von Metaphern in einer aktuellen Kommunikationssituation beobachten. Beide Kommunikationspartner, die sich seit langer Zeit kennen, befreundet sind und gemeinsam im sozialpädagogischen Bereich arbeiten, entwickeln ihren Redebeitrag sowie die damit einhergehenden Reflexionen entlang der eingangs vom ersten Gesprächsteilnehmer vorgeschlagenen Metapher der BEOBACHTUNG auf der Grundlage der dieser Metapher inhärenten INNEN - AUSSEN -Gestalt. Das Problem, das beide teils gemeinsam, teils monologisch mit sich selbst aushandeln, betrifft die Selbstverortung in Bezug auf die deutsche Gesellschaft. Besonders prägnant und durchaus exemplarisch für die weiter oben bereits thematisierte hohe Autoreferentialität, 59 die sich im deutschen Korpus findet, ist die metakommunikative verbalisierte Reaktion auf sich selbst, wie sie in der Äußerung zum Tragen kommt, dass es anmaßend sei, nur in die Beobachterposition zu schlüpfen. Wie weiter oben bereits eruiert, 57 Mündliches Interview Deutschland: männlich, 40 Jahre, Pädagoge. 58 Mündliches Interview Deutschland: männlich, 32 Jahre, Sozialpädagoge. 59 Vgl. zur hohen Autoreferentialität im deutschen Redestil auch Schröder (2004 d). 303 nimmt die Metapher der BEOBACHTUNG im deutschen Korpus eine hervorragende Stellung ein, was zweifelsohne auf die Tendenz verweist, dass die Teilnehmer eher oder in stärkerem Maße als im brasilianischen Korpus extrakommunikative Haltungen einnehmen, d. h., der oft bevorzugt extrakommunikative Umgang der Individuen mit ihren eigenen Kommunikationhandlungen beeinflusst die Favorisierung bestimmter Metaphern, die eine solche Positionierung reflektieren. Ein typisch brasilianisches Cluster, das im Folgenden näher beleuchtet wird, basiert auf der Verbindung von PERSONIFIZIERUNG , KINDLICHER LERN- PROZESS , PSYCHISCHE ORIENTIERUNGSLOSIGKEIT und dem Bildschema WEG , so dass sich für das entfaltete Szenario die systematische Metapher DIE BRASILIANISCHE GESELLSCHAFT IST EIN VERLORENES KIND , DAS NOCH NICHT ALT GENUG IST , UM SEINEN WEG ZU FINDEN . formulieren ließe. In diesem längeren Zitat wird auch der redundante Redestil, 60 der für einige brasilianische Interviewpartner typisch war, deutlich, denn die Weiterentwicklung der Metaphernkette verläuft nicht nur über Relexikalisierung, sondern ebenso über wörtliche Wiederholung ganzer Sätze oder Phrasen. Gleichzeitig illustriert der Ausschnitt auch, was weiter oben bereits angesprochen wurde: Der verbale Entwurf der brasilianischen Gesellschaft verläuft oft über Aussagen zur Abwesenheit bestimmter Merkmale, die als wünschenswert empfunden werden. Diese Negationspartikeln sind im Folgenden durch Unterstreichung hervorgehoben: (44) P1: 61 A sociedade brasileira, pra mim . . . pra mim, é um reflexo direto da forma como ela nasceu, da forma como ela foi recriada, nê? P2: 62 uma grande sociedade, a nível de organizaç-o, que cada dia aprende mais, mas eu acho que o que mais . . . É . . . Isso falando das coisas boas, nê? Que é uma sociedade que vive no clima tropical. [. . .] Ela carrega esse estigma da colônia, por que ela n-o conversa entre si. [. . .] Ent-o, é uma sociedade que até hoje ainda n-o sabe se definir basicamente. Só sabe se definir que é brasileira. Mas definir mesmo que rumo tomar, quais s-o suas verdadeiras origens, a sociedade se perde nisso. Ela ainda tá rodando em si, como n-o se achou. Ent-o, a coisa que falha que eu acho que é uma das partes ruins da sociedade brasileira que ela n-o consegue se organizar, por que ela n-o consegue conversar entre si. Ela n-o consegue se comunicar, nê? [. . .] O país ainda tá aprendendo a andar, tá aprendendo a lutar, já que ele n-o sabe ainda [. . .] Agora o país tem que aprender conviver com essa diferença e se comunicar. Que se comunicar ela vai . . . Ela vai resolver os problemas. [. . .] ela é fachada, ela é . . . Ela é 60 Vgl. zum redundanten Redestil auch die Studie von Schröder (2003, 156 - 158). 61 Mündliches Interview Brasilien: männlich, 25 Jahre, Musiker. 62 Mündliches Interview Brasilien: männlich, 30 Jahre, Musikproduzent. 304 mentirosa, ela é só para inibir um povo que . . . É igual eu falei, ela é sem educaç-o. E n-o tem educaç-o de questionar, de mudar. Num tipo de sociedade que tá acomodada. [. . .]Tem que aprender com . . . com . . . É obvio, tem que aprender com sociedades mais estruturadas a se estruturar, por que o país n-o tá aprendendo e até hoje n-o aprendeu. [. . .]Tem que aprender muito ainda. [. . .] Que o Brasil tinha que cuidar mais dele. [. . .] Como ele n-o aprende consigo próprio, tem que aprender com alguém aí, uê . . . Por que . . . O país n-o sabe gostar de si mesmo. O . . . A própria sociedade brasileira, ela gosta por que . . . É omissa, nê? É omissa. (P1: Die brasilianische Gesellschaft ist für mich. . . für mich eine direkte Antwort auf die Art und Weise, wie sie geboren wurde, wie sie geschaffen wurde, ne? P2: eine große Gesellschaft, was das Organisationslevel betrifft, die jeden Tag mehr hinzulernt, aber ich glaube, dass. . . Das ist. . . um über die guten Dinge zu sprechen, ne? Dass es eine Gesellschaft ist, die im tropischen Klima lebt. Sie trägt dieses Stigma der Kolonie, denn sie redet nicht unter sich. [. . .] Also ist es eine Gesellschaft, die bis heute noch nicht in der Lage ist, sich selbst grundlegend zu definieren. Sie ist nur in der Lage zu definieren, dass sie brasilianisch ist. Aber wirklich zu definieren, welchen Weg man geht, was die echten Ursprünge sind, darin verliert sich die Gesellschaft. Sie dreht sich noch um sich selbst, so als ob sie sich noch nicht gefunden hätte. Also ich glaube, was nicht läuft und was ich als einen der schlimmsten Aspekte der brasilianischen Gesellschaft empfinde, das ist, dass sie sich nicht organisieren kann, weil sie nicht mit sich reden kann. Sie ist nicht fähig zu kommunizieren, ne? [. . .] Das Land ist noch dabei gehen zu lernen, kämpfen zu lernen, denn das kann es noch nicht [. . .] Jetzt muss das Land lernen, mit diesem Unterschied zu leben und sich verständlich machen - denn wenn es kommuniziert, dann. . . sie [die Gesellschaft, US] wird ihre Probleme lösen [. . .] sie ist eine Fassade, sie ist. . . Sie ist verlogen, sie ist nur dazu da, um ein Volk zu verhindern. . . Das ist so, wie ich gesagt hab, sie hat keine Bildung genossen. Und hat auch keine Erziehung gehabt, um hinterfragen und verändern zu lernen. Es ist eine angepasste Gesellschaft [. . .] Sie muss noch viel lernen mit. . . mit. . . Das ist klar, sie muss mit besser strukturierten Gesellschaften lernen, sich selbst zu strukturieren, denn das Land lernt einfach nicht und hat bis heute nichts gelernt. [. . .] Es muss noch viel lernen. [. . .] Brasilien hätte mehr auf sich Acht geben müssen. [. . .] Da es nicht von sich selbst lernt, muss es mit jemandem lernen, nicht wahr? . . . Denn. . . Das Land ist nicht in der Lage, sich selbst zu mögen. Das. . . die eigene brasilianische Gesellschaft, sie mag es. . . Sie ist nachlässig, ne? Sie ist nachlässig. Was hier ins Auge sticht, ist der Anschluss an kulturell eruierte Metaphern, die von Lakoff und Turner (1989) für die Dichtung ausgemachte Tendenz, neue sprachliche Instanzen zu nutzen, um eine bestimmte konzeptuelle 305 Metapher auszugestalten. Dabei fällt an diesem Beispiel auf, wie stark der Einfluss kulturell bedingter Präferenzen sein kann, um den Fortgang bei der Entfaltung einer Metapher zu steuern, die in der konkreten Kommunikation neu ausgehandelt und weitergesponnen wird. Das Fundament, auf dem sich die Entfaltung der Metapher realisiert, wird lediglich von der für das brasilianische Korpus typischen Personifikation getragen. Daran anknüpfend, greift der zweite Sprecher nun verschiedene Variationen eines Gegenentwurfs dieser ontologischen Metapher heraus, indem er der brasilianischen Gesellschaft negative wie defizitäre Eigenschaften zuspricht. Einige davon sind wohl bekannt und kursieren nicht nur in der Face-toface-Kommunikation, sondern auch in den Massenmedien. Andere jedoch werden situativ im Zuge des Denk- und Sprechprozesses in einem bestimmten Moment als passend empfunden und deshalb hinzugefügt. Damit lässt sich eine Kommunikationsbewegung beobachten, die durch den Kommunizierenden realisiert wird und bei der er zwischen verschiedenen bekannten Bildern oszilliert: Der erste Kommunikationspartner bedient sich des Bildes vom Kind (nasceu, recridada), das vom zweiten Kommunikationspartner aufgenommen und fortgesetzt wird (aprender); schon bald aber leitet dieser nun zur Idee des psychisch orientierungslosen Menschen über, wobei beide Bilder prinzipiell kompatibel bleiben, da ihnen die Idee der ‚ Unreife ‘ gemeinsam ist (n-o conversa entre si, n-o sabe se definir, que rumo tomar, se perde nisso, tá rodando em si, n-o se achou). Dann kehrt er wieder zur Figur des Kindes zurück (aprender fazendo, saber fazendo, sem educaç-o) und bezeichnet die Gesellschaft schlussfolgernd als omissa (nachlässig), was seine Suche nach einem eigenen Attribut abschließt. Schließlich will sich der Interviewpartner bei seinem Gegenüber sofort vergewissern, ob dieser sein Reflexionsergebnis teilt oder nicht. Erst vermittels des Durchgangs durch das schon Bekannte also schafft der Kommunizierende hier eine metaphorische Formulierung, die Schmitz (1985, 260) im Anschluss an Peirce als „ Conclusio einer Abduktion “ bezeichnet hat - ein Vorgang, der nur auf Prozessebene möglich ist, während die meisten unserer im Alltag verwendeten Metaphern auf einen gesellschaftlichen Wissensvorrat zurückgreifen. Der Übergang zwischen konventioneller und innovativer Metapher ist fließend. Daneben lässt sich an beiden Interviewauszügen die kulturell gebundene Intersubjektivität im Hinblick auf Überlappungen der jeweiligen individuellen Welttheorien beobachten. Das Lesen der deutschen Übersetzung des brasilianischen Gesprächsausschnitts sowie die brasilianische Übersetzung des deutschen Beitrags wird den meisten Teilnehmern der je anderen Sprachgemeinschaft wahrscheinlich erhebliche Verständnis- und Verstehensprobleme bereiten. In der eigenen Kultur sähe das anders aus, da die Elliptizität der jeweils verwendeten Metapher durch das entsprechende Hintergrundwissen kompensiert würde. 306 Häufig findet sich das Thema des metaphorischen Szenarios bzw. der systematischen Metapher bereits in Zeitungsüberschriften vorweggenommen. Hier dienen die Metaphern dazu, Aufmerksamkeit zu wecken, einen bestimmten Aspekt des Zusammenhangs zu fokussieren (highlighting) und in knapper Form eine konkrete Geschichte zu antizipieren. Sie erlauben damit die Konzentration kognitiver Ressourcen auf den jeweils relevantesten Aspekt der verfügbaren Information, womit zwangsläufig auch Erkenntnis hemmende Auswirkungen einhergehen. Beispiele aus dem Korpus sind die Kapitelüberschriften Ansteckungsängste (Bude 2008, 113 - 119), Gewinner, Verlierer (Lessenich & Nullmeier 2006, 353 - 371) oder die Zeitungsartikel Barreira na elite (Barriere zur Elite), 63 Segurança, melancolia e inércia (Sicherheit, Melancholie und Trägheit), 64 Viciados em Estado (Süchtig nach Staat), 65 As pirâmides perpétuas de Faoro (Die Ewigen Pyramiden des Pharaos), 66 Im Zentrum der Fliehkräfte 67 und Die Überflüssigen. 68 5.3.2.6 Conceptual blending und dessen kommunikative Funktion im Gesellschaftsdiskurs 69 Wie weiter oben ausgeführt wurde, ist die Blending-Theorie gerade dann besonders hilfreich, wenn es darum geht, komplexere Bündelungen von Metaphern, die auch als mixed metaphors (Lakoff & Johnson 1980/ 2003, 95) oder composite metaphors (Lakoff & Turner 1989, 70) bezeichnet werden, im Kontext zu rekonstruieren. Dabei werden solche Fusionen auf ihre eigentlichen inputs zurückgeführt, die ihren je eigenen Frame ins blending hineintragen und damit multi-scope networks bilden. Ich beginne mit zwei Fallbeispielen aus dem brasilianischen Korpus, welche die reine Satzebene überschreiten und narrativen Charakter haben. Die folgende Allegorie, die dem Leser der Zeitung Folha de S-o Paulo den langwierigen Demokratisierungsprozess der brasilianischen Gesellschaft erklären will, dient einem moralisch-didaktischen Zweck, indem die Lehre von der Demokratie als narrativ-bildlicher und damit einprägsamer und verständlicher Prozess gestaltet wird, wobei sich der Autor sowohl auf einer abstrakten als auch auf einer konkreten Ebene bewegt. Letztere wird von mehr als nur einem einzelnen Bild beherrscht: 63 Folha de S-o Paulo [online]: Barreira na elite, 21. 11. 2006. 64 Folha de S-o Paulo [online]: Segurança, melancolia e inércia, 27. 07. 2006. 65 Veja [online]: Viciados em Estado. Entrevista: Armínio Fraga, 17. 01. 2007. 66 Estado de S-o Paulo [online]: As pirâmides perpétuas de Faoro, 25. 01. 2008. 67 TAZ [online]: Im Zentrum der Fliehkräfte, 15. 12. 2006. 68 DER SPIEGEL [online]: Die Überflüssigen, 23. 10. 2006. 69 Die in diesem Abschnitt präsentierten Untersuchungsergebnisse finden sich ebenfalls bereits in einem Artikel (Schröder 2010 b) vorgestellt. 307 (45) A democracia no Brasil ainda passa por um natural processo de amadurecimento e, como uma planta tenra, necessita de cuidados especiais por parte dos diversos segmentos da sociedade, de forma a crescer e consolidar suas bases de sustenç-o, oferecendo saudáveis frutos a todos que se abrigam sob sua sombra protetora e acolhedora. 70 (Die Demokratie steckt in Brasilien immer noch in einem natürlichen Reifeprozess und bedarf wie eine zarte Pflanze der speziellen Zuwendung bestimmter Teile der Gesellschaft, so dass ihre grundlegenden Säulen wachsen und sich konsolidieren, um auf diese Weise all denjenigen gesunde Früchte anbieten zu können, die unter ihrem schützenden und einladenden Schatten Obhut finden.) Oberflächlich betrachtet verbindet der Autor hier lediglich die beiden Domänen PFLANZE und BRASILIANISCHE DEMOKRATIE miteinander. Allerdings ist die Narration so gestaltet, dass hier gleichzeitig durch die Polysemie der Wörter amadurecimento (Reifung), cuidados (Zuwendung), crescer (wachsen), frutos (Früchte), sustenç-o (Halt), abrigam (unterkommen) und protetora (schützend) unterschwellig eine weitere Domäne - GROSS ZU ZIEHENDES KIND - aufgerufen wird, ein Effekt, der durch die hohe Dichte der Lexeme erzielt wird sowie durch die Phrase oferecendo suadáveis frutos a todos que se abrigam sob sua sombra protetora e acolhedora (gesunde Früchte all denjenigen anzubieten, die unter ihrem schützenden und einladenden Schatten unterkommen), da hier die Pflanze gleichzeitig zum Beschützer und Ernährer gerinnt und damit eine Personifizierung erfährt. Schließlich kommt noch eine weitere Domäne ins Spiel, die durch die Lexeme consolidar suas bases (ihre Grundlagen konsolidieren) und sustenç-o (Unterstützung) eingeführt wird: BAUWERK . Es kommt zu keinen Kollisionen, da die Grundidee der ENTWICKLUNG bzw. KONSTRUKTION allen drei Domänen zugrunde liegt und dem blend damit Kohärenz verleiht. Diese Kohärenz ist fundamental für den eigentlichen Kommunikationsakt, den der Autor hier vollzieht, denn im Vordergrund steht die didaktische Absicht, dem Leser zu erklären, wie er sich die Demokratie in Brasilien vorzustellen habe; der blend hat somit expositiven Charakter. Clashs, wie wir sie weiter oben gesehen haben, wären für diesen Zweck daher eher hinderlich. Die Schnittmenge oder Analogiefähigkeit aller drei konkreten inputs ist dementsprechend hoch. 70 Folha de S-o Paulo [online]: O grito dos necessitados, 06. 11. 2006. 308 Abb. 5.3-9: Conceptual blending: Brasilianische Demokratie Im zweiten Szenario wird auf einer ersten Ebene die Existenz von ethnischen Kategorien in Brasilien kreativ in das Bild einer Giftspritze komprimiert, die den Rassismus zur Folge habe, wobei das Gesamtbild gleichzeitig durch Personifizierung animiert wird. Dadurch gewinnt die Szene an Komplexität: (46) A fabricaç-o de raças oficiais e a distribuiç-o seletiva de privilégios segundo rótulos de raça inocula na circulaç-o sangüínea da sociedade o veneno do racismo, com seu cortejo de rancores e ódios. 71 (Die Fabrikation von offiziellen Rassen und die selektive Verteilung von Privilegien in Anlehnung an Rassenetiketten injiziert in den Blutkreislauf der Gesellschaft das Rassengift und in dessen Gefolge Bosheit und Hass.) Der Diskursrahmen wird von der im Jahre 2007/ 2008 aktuellen Diskussion über die Einführung von ethnischen Quoten beim Hochschulzugang gebildet. Der erste blend besteht aus der Fabrikation ethnischer Kategorien, bei der allerdings ein Agens im Hintergrund steht, denn in dem substantivierten Verb distribuiç-o (Verteilung) sowie dem Vorgangssubstantiv fabricaç-o (Fabrikation) ist ein Agens impliziert, das diese Prozesse anleitet bzw. durchführt. Die rótulos verweisen auf das Endprodukt des Fabrikationsprozesses, wobei den Produkten Namen gegeben werden; in diesem Fall haben wir als Resultat Rassenkategorien. Dieser blend funktioniert nun wieder als neuer input, der zusammen mit dem input der Giftspritze zum blend ETHNISCHE KATEGORIEN ALS GIFT IN EINER SPRITZE verschmilzt, wobei etwas Neues her- 71 Folha de S-o Paulo [online]: Pobres empregados, 14. 11. 2006. 309 vorgebracht wird, das sich in den einzelnen inputs nicht findet: RASSISMUS . Wie bereits unter 3.2.1 erörtert wurde, sprechen Fauconnier und Turner (2002, 43, 48) im Hinblick auf dieses Phänomen von completion und beziehen sich damit auf die Beobachtung, dass im blend oft weitere Strukturen unbewusst hinzugefügt werden, die sich aus dem Hintergrundwissen einer Kulturgemeinschaft speisen. Brandt und Brandt (2005) greifen in ihrer Theorie von semiotischen Netzwerken als erweiterter Version der Blending-Theorie genau diesen von Fauconnier und Turner nur wenig ausgeführten Aspekt wieder auf, denn für sie bilden diese unbewusst eingehenden Strukturen einen eigenen input, ein ethisches Schema, das sie relevance space nennen. 72 Der zweite blend stellt einen metonymischen Prozess dar, bei dem die brasilianische Gesellschaft, als Gruppe von Personen wahrgenommen, auf eine Person komprimiert wird. In einem zweiten Schritt wird diese eine Person dann metaphorisiert, so dass als Resultat eine Metapher mit Metonymie entsteht (Goossens 1990). Die blends GESELLSCHAFT ALS PERSON und SPRITZE MIT RASSISMUSGIFT werden nun in dem Bild von der Gesellschaft als einzelner Körper, in dessen Blutkreislauf das Gift des Rassismus gespritzt wurde, zusammengeführt, wobei durch Nennung der ausschließlich auf Menschen zutreffenden Eigenschaften rancores (Bosheit) und ódios (Hass) die Personifizierung der Gesellschaft nachhaltig verstärkt wird. Gleichzeitig bleibt das Agens im Dunkeln, denn Substantivierungen (fabricaç-o und distribuiç-o) sowie Objektivierungen (rótulos de raça) treten an die Stelle des Satzsubjekts, wodurch es zu einem „ Subjektschub mit AGENS-Schwund “ (Polenz 1988, 186) kommt: Man weiß nicht, wer sich hinter diesen Tätigkeiten verbirgt. Der metaphorische blend übernimmt hier im Gegensatz zu dem ersten Beispiel also eine verdiktive Funktion, weshalb der Relevanzinput als ethisches Schema hinzugenommen werden muss: 72 Vgl. ausführlich hierzu Kapitel 3.2.2. 310 Abb. 5.3-10: Conceptual blending: Rassismus in der Gesellschaft Interessant ist nun, dass selbst diese beiden gewählten Beispiele, die singulären Charakter haben, im kulturellen Kontext betrachtet werden können. Denn die Bevorzugung von naturbezogenen Metaphern ( FLORA , LANDSCHAFT ) wie in dem ersten Beispiel sowie Personifizierungen und deren Spezifizierung als Wahrnehmung der eigenen Gesellschaft als infiziert oder infantil finden bereits auf der Ebene der konzeptuellen Metaphern ihren besonderen kulturellen Ausdruck: Es sei an dieser Stelle noch einmal daran erinnert, dass der prozentuale Anteil der Type-Varianz an Personifizierungen mit 25,5 % im brasilianischen Korpus gegenüber 13,7 % im deutschen deutlich höher liegt. Und während KRANKHEIT und FAMILIE in beiden Korpora beliebte Ausgangsdomänen für metaphorische Projektionen darstellen, tritt auch die Domäne FLORA mit einer Type-Varianz von 9 % im brasilianischen gegenüber 5,4 % im deutschen Korpus deutlicher hervor. Blends, in denen solch komplexe und bunte Szenarien entlang multipler metaphorischer inputs aus den genannten Domänen miteinander verschmelzen, konnten im brasilianischen Korpus 12 Mal gefunden werden, im deutschen Korpus demgegenüber nur dreimal. Während die blendings im brasilianischen Korpus also eher komprimierte und stark an die Phantasie und Imagination des Rezipienten geknüpfte Metaphern darstellen, vermischen sich im deutschen Korpus solche kon- 311 kreten Bilder häufiger mit bildschematischer Dynamik, was den Szenarien eher topologischen und aktionalen Charakter verleiht. Nehmen wir das erste Beispiel: (47) . . .wesentlich ist die Angst, vom Bazillus des Verfalls, der Abhängigkeit und der Apathie infiziert zu werden, mit der die Einbezogenen den Ausgeschlossenen begegnen. Es ist das Bild passiver Armer, feindseliger Herumtreiber und sich selbst aufgebender Existenzen, das die Leute in der Mitte unserer Gesellschaft bedrängt. “ (Bude 2008, 116) Blendings dieser Art sind typisch für Äußerungen in Text- oder Diskurszusammenhängen, denen bereits eine bestimmte Leitmetaphorik zugrunde liegt. In diesem Fall handelt es sich um die Leitmetaphorik der Gesellschaft als CONTAINER , aus dem immer mehr Menschen ausgeschlossen werden. Dieses Grundmotiv trägt die gesamte Abhandlung Budes - 51,4 % aller Bildschemata des Buchs stammen aus dem Bereich CONTAINER - und gewinnt hier ein konkretes Profil durch die Beigabe von BAZILLUS , wodurch die Idee vom PSYCHISCH DEBILEN PATIENTEN wachgerufen wird sowie die Idee des BEOBACHTENS der AUSGESCHLOSSENEN durch die EINGESCHLOSSENEN , die sich ein bestimmtes BILD von denen DA DRAUSSEN machen. Die Einführung dieser relativistischen Metaperspektive - der Autor spricht über ein Bild, das sich eine bestimmte Gruppe von Menschen über andere Menschen macht - hat zur Folge, dass sich der Autor selbst explizit von diesem Bild, das eben nur Bild und nicht Wirklichkeit ist, distanziert. Der blend hat demnach kommentierende und verdiktive Funktion. Auch hier kommt der Effekt erst dadurch zustande, dass dem Szenario ein relevance space hinzugefügt wird, der den blend mit Hintergrundwissen anreichert, ausgedrückt in bestimmten Klischeevorstellungen, die der Analogisierung von Bazillus mit feindseligen Herumtreibern und sich selbst aufgebenden Existenzen zugrunde liegen. Jeder Leser ruft bei solchen Formulierungen sofort bestimmte prototypische Vorstellungen auf, die sich aus einem kulturellen Wissensvorrat speisen. Solche reflexiven Metaebenen und die damit oft verbundene Leitmetapher der Beobachtung ist ebenfalls ein kulturspezifisches Phänomen, worauf ja bereits an verschiedenen Stellen eingegangen wurde. 312 Abb. 5.3-11: Conceptual blending: Bazillus der Ausgeschlossenen Im zweiten Beispiel wird nur indirekt auf die bildschematische Ebene nur indirekt referiert, obwohl der Gesamtszene das WEG -Schema als Hintergrund dient: (48) . . . das linke Gift von Gleichheit und Gerechtigkeit lähme kreative Energien und werfe Deutschland im Standort-Roulette auf hintere Plätze zurück 73 Eine im aktuellen deutschen Gesellschaftsdiskurs immer stärker hervortretende Semantik ist die Dichotomie von GEWINNER - VERLIERER , die weitaus häufiger im Kontext und Kotext von SPIEL / WETTKAMPF als Ausgangsdomäne auftaucht als im Kontext von KRIEG . Dementsprechend ergab ja schon die quantitative Analyse der konzeptuellen Metaphern eine auffällige Differenz im Vergleich zwischen deutschem und brasilianischem Korpus: Nicht nur die Metaphorik selbst, sondern das gesamte Argument ist ein bekanntes, denn der Autor stellt es in seiner Äußerung ja bewusst durch die Verwendung des Konjunktivs I (lähme, werfe) zur Kennzeichnung der zitierenden, indirekten Rede in Frage und setzt ihm obendrein noch eine eigene Metapher entgegen, um es als unhaltbar zu entlarven. So bringt die Einführung des Roulette-Motivs den Zufallsfaktor in die Diskussion, wodurch der neoliberalen Seite die so oft behauptete Kontrollierbarkeit gesellschaftlicher Entwicklung durch vermeintlich dynamisches Voranschreiten abgesprochen wird. Auch hier werden die emergierenden Struk- 73 DIE ZEIT [online]: Der große Ausverkauf, 27. 03. 2008. 313 turen erst dann verständlich, wenn man einen relevance space einführt, um der zynischen Kommunikationsabsicht und der entsprechenden Interpretationsleistung seitens des Lesers auf der Grundlage von Hintergrundwissen Rechnung zu tragen. Dabei wird ein ethical schema (Brandt & Brandt 2005, 236 - 237) aktiviert, welches das Handeln bestimmter Akteure als ethisch bzw. unethisch kennzeichnet, was allerdings nur implizit mitverstanden wird. Im vorliegenden blend setzt der Autor in kritischer Absicht den Wert des Lebens dem leichtfertigen Spiel der Wirtschaft entgegen, da es einzig von deren Interessen abhängt, in welcher Gesellschaft die Menschen eine Zukunftsperspektive erwarten können: Abb. 5.3-12: Conceptual blending: Verlierer im Standort-Roulette 5.3.3 Diskussion Trotz der vielen Parallelen, die sich besonders in der in einem ersten Schritt vorgenommenen quantitativen Auflistung der verschiedenen Bildschemata und konzeptuellen Domänen gezeigt haben, konnte der Vergleich zwischen deutschen und brasilianischen Gesellschaftsmetaphern gleichzeitig herausstellen, inwieweit ein tieferer Blick in die Textkorpora kulturbedingte Unterschiede zutage fördert. Eine erste, eher extrakommunikativ orientierte Analyse offenbarte, dass sich solche Unterschiede weniger in Bezug auf 314 divergierende Ausgangsdomänen als vielmehr im quantitativen Gebrauch sprachlicher Metaphern aus einem bestimmten Bereich sowie in der lexikalischen Elaboration der entsprechenden kognitiven Domäne manifestieren. Auf mikroanalytischer Ebene konnten schließlich verschiedene Phänomene durch eine stärker kommunikative Sicht erhellt werden. So wurde illustriert, inwieweit metaphorische Konfigurationen im Diskursgebrauch Highlighting- und Hiding-Effekte begünstigen, die eng mit bestimmten ideologischen Lagern verwoben sind, welche ihrerseits durch den Gebrauch solcher Metaphern kommunikationsstrategische Ziele verfolgen. Die wichtigsten Ergebnisse zum Gebrauch bzw. zur Präferenz unterschiedlicher Metaphern, Bildschemata und metaphorischer Szenarien sollen nun vor ihrem kulturellen Hintergrund betrachtet werden, der möglicherweise Erklärungen für die zutage geförderten Divergenzen liefern kann: Während die bildschematischen Strukturen im brasilianischen Korpus häufig statisch sind, werden sie im deutschen Korpus stärker dynamisiert und animiert, was auf unterschiedliche Wahrnehmungen im Rahmen der jeweiligen Gesellschaftsbeschreibungen hindeutet: Richtet sich der Blick im deutschen Korpus auf eine Besorgnis erregende Neuordnung der Gesellschaft, die von vielen als Verabschiedung vom Sozialstaatsmodell gedeutet wird, liegt der Fokus im brasilianischen Korpus auf der Wahrnehmung einer hartnäckigen Kontinuität gesellschaftlicher Strukturen. Hier kommt zum Tragen, dass die meisten Brasilianer die heutige Gesellschaft immer noch im großen Rahmen als Resultat der historischen Entwicklung ihres Landes begreifen, und das bedeutet, als Festschreibung und Fortsetzung der ursprünglichen Differenz zwischen ‚ Herrenhaus und Sklavenhütte ‘ (Freyre 1933/ 1999). Damit spielen Entwicklungen, die in den letzten Jahren stattgefunden haben, etwa der Aufstieg Brasiliens zu einer der einflussreichsten Wirtschaftsmächte im globalen Wettbewerb und der damit verbundene rasante Anstieg von Wohlstand innerhalb breiter Bevölkerungsschichten, für das Empfinden des Einzelnen kaum eine Rolle. Demgegenüber beziehen sich die deutschen Kommentare unabhängig von der politischen Gesinnung der jeweiligen Zeitung oder des jeweiligen Interviewpartners auf eine Verschlechterung der gesellschaftlichen Situation, so wie sie in den vergangenen fünf bis zehn Jahren allerorts diskutiert wurde und wird. Diese Abwärtsdynamik bringt im deutschen Korpus im Vergleich zum brasilianischen eine größere Tendenz zu einer topologischen Bildhaftigkeit bei der Darstellung von Gesellschaft hervor und reaktiviert Schemata wie VERTIKALITÄT , die zuvor als überholt galten. Gesellschaft wird wieder als PYRAMIDE vorgestellt, da in diesem Bild der Prozess des Fallens visualisierbar ist. Hinzu kommt das mit der Unterschichtendebatte sich verbreitende Bildschema von INKLUSION / EXKLUSION , womit eine neue binäre Sinnformel Einzug in den Gesellschaftsdiskurs erhält. Im Gegensatz zu solchen dynamisierten und miteinander verwobenen Bildschemata fällt im 315 brasilianischen Korpus die in einem konkreten Bild kom-primierte PERSONI- FIZIERUNG auf, die ihrerseits einen kulturellen Topos repräsentiert. Woher rühren solche gegenläufigen Perspektivierungen und Gewichtungen bei der metaphorischen Konstruktion der eigenen Gesellschaft? Während die deutsche Akzentuierung der topologischen Struktur des Gesellschaftsgefüges im Einklang mit der funktionalen Differenzierung der deutschen Gesellschaft seit der Renaissance steht (Luhmann 1984/ 1999), bildet in Brasilien die fazenda, das Latifundium, bis ins 19. Jahrhundert hinein den ausschlaggebenden gesellschaftlichen Kern, wobei die Ausgestaltung der Gesellschaft nicht strukturell oder funktional, sondern personell bestimmt ist: „ Entre a fazenda e o mundo exterior - dos negócios, da sociedade, da naç-o, da religi-o - só cabe um mediador, que é o fazendeiro, com seus papéis de patr-o, de padrinho, de protetor, de chefe político e de empresário “ (Ribeiro 1983, 207 - 208). 74 Dies könnte erklären, warum die brasilianische Gesellschaft nicht nur im Alltag, sondern auch in vielen theoretischen Abhandlungen so häufig entlang bestimmter Figuren anstelle von Strukturen konzipiert wird: dem malandro (Candido 1970), 75 dem Menschenfresser (antropófago) (Andrade 1928/ 1995), dem herzlichen Menschen (homem cordial) (Buarque de Holanda 1936/ 1973) oder dem homo ludens (Flusser 1998). 76 In engem Zusammenhang mit solchen Bestimmungsversuchen in Bezug auf die eigene Identität steht auch die Präferenz für Metaphern aus den Domänen FLORA und FAMILIE . Während letztere die Abwesenheit einer gesellschaftlichen Makroebene zum Ausdruck bringt, greifen die vielen Bezüge zur Domäne FLORA den romantischen Paradiesmythos (Schröder 2003, 261 - 264) auf, ein verbreiteter und jedermann geläufiger Topos, der sich bis heute in der Nationalhymne niederschlägt, mit der jedes brasilianische Kind seinen morgendlichen Schulunterricht einläutet. Die Häufigkeit von metaphorischen Ausdrücken aus dem Bereich THEATER / BÜHNE können, wie bereits kurz angedeutet wurde, im Kontext des barocken Alltagsstils betrachtet werden (Schröder 2003, 174 - 187; Schröder 2010 a): Als der iberische Barock Brasilien erreicht, verliert er in der neuen Umgebung schnell seine Kraft als gnostische Rückversicherung 74 Übersetzung ins Deutsche: „ Die Beziehungen des Latifundiums mit der Außenwelt - dem Geschäftsleben, der Gesellschaft, der Nation, der Religion - fallen alleine dem Latifundiumbesitzer zu, denn er vereint in sich die Rolle des Arbeitgebers, des Paten, des fürsorglichen Patriarchen, des politischen Führers und des Unternehmers. “ 75 Der malandro ist eine kreative Figur: Er führt ein Leben zwischen Legalität und Illegalität und verhandelt mit beiden Seiten, je nachdem, wie die Chancen für ihn stehen, besser davon zu kommen. 76 Vgl. ausführlich Schröder (2003). 316 eines präexistenten, institutionalisierten Universums. Schon der Versuch einer Christianisierung Brasiliens führt zu eklektizistischen Formen der Imitation, Simulation und des Synkretismus, den Wurzeln des amerikanischen Barock, bei dem metaphysische, festgeschriebene Figuren und Identitäten zermahlt und durch lokale Gebrauchsobjekte ersetzt werden (Lima 1993), so dass sich der Kunststil zum Lebensstil ausweitet. Der von der europäischen Vergangenheit befreite Barock gerinnt zur Sprache des Gefühls einer besonderen Verlassenheit der Iberoamerikaner, die das Leben vielmehr als Traum, Verstellung, Illusion und Täuschung empfinden. Die Theatralisierung des Lebens wird damit zentrale Überlebensstrategie (Barboza Filho 2006). Wie bereits bei der Analyse zu den Raptexten deutlich wurde, indizieren die vielen Metaphern aus der Domäne KRIEG in Opposition zum barocken Alltagsstil eine Gegenbewegung, einen Appell an die unzweideutige Offenlegung sozialer Ungleichheiten und der Verführung der Massen durch Ablenkungen, Intransparenz und Opportunismus. Von dieser Warte aus betrachtet geht es nun gerade darum, dem Mythos von der rassendemokratischen Gesinnung der brasilianischen Gesellschaft, wie er sich im Konzept von der „ civilizaç-o luso-tropical “ (Freyre 1971) oder dem „ homem cordial “ (Buarque de Holanda 1936/ 1973) widerspiegelt, den Kampf anzusagen. Das Hervortreten der Ausgangsdomänen GEBÄUDE , GESCHÄFT und SPIEL / WETTKAMPF im deutschen Korpus zeugt auf der Ebene der Konstellationsmetaphern von der Ausmalung des topologischen Charakters gesellschaftlicher Strukturen. Denn funktional differenzierte westliche Gesellschaften, die nach kapitalistischen Grundprinzipien organisiert sind, tendieren dazu, einen cognitive style of componentiality zu pflegen, der auf die Anfänge technologischer Produktion zurückgeht, wobei eine solche tinkering attitude schließlich auch auf den Gesellschaftsentwurf übergreift (Berger, Berger & Kellner 1974, 32; Schröder 2003, 214 - 215). Vielleicht lässt sich an dieser Stelle auch das Ergebnis zu den bevorzugten Wortarten einordnen: Der höhere Gebrauch von Verbmetaphern im deutschen Korpus korreliert mit einer solchen Präferenz für Metaphern, die den Schaffensakt betonen, wogegen das stärkere Hervortreten von Adjektivmetaphern im brasilianischen Korpus mit der Neigung, Gesellschaft als Person zu zeichnen, in Einklang steht. Gleichermaßen konnten im brasilianischen Korpus blends entdeckt werden, die über Personifizierungen hinaus generell eine ausgeprägte Bildhaftigkeit implizieren, dafür aber weniger bildschematischen Charakter aufweisen. Dieser wiederum findet sich eher im deutschen Korpus, wo figurative und bewegungsdynamische Aspekte zusammenwirken - ebenfalls eine mögliche Konsequenz der Diskussionen über eine offensichtlich ‚ in Bewegung geratene ‘ deutsche Gesellschaft. Denn das kapitalistische Moment wird im deutschen Korpus oft als aus dem Ruder gelaufene, nicht mehr kontrollier- 317 bare Bedrohung wahrgenommen. Das Prinzip marktlogischer Rationalität hat daher für viele ausgedient. Dementsprechend findet sich alleine im Rahmen solcher Negativentwürfe eine ganze Reihe von Metaphern, die den Domänen GESCHÄFT und SPIEL / WETTKAMPF entspringen. Des Weiteren wurde die Ausgangsdomäne BEOBACHTUNG als typisch für das deutsche Korpus ausgemacht, was in der Tat in Zusammenhang mit einigen sprach- und kulturgeschichtlichen Entwicklungen gebracht werden kann: Auf sprachlicher Ebene sind es besonders die ontologisierende Tendenz der infiniten Nominalisierungen und ad-hoc-Komposita, das Satzrahmenprinzip, die von der Mystik bis heute sich ausdifferenzierenden Metaphern der Innerlichkeit sowie die sich im hohen Gebrauch epistemischer Modalwörter und assertiver Sprechakte widerspiegelnde Relativierung des propositionalen Gehalts, welche die selbstreflexive Metaebene befördern (Stedje 1994; Polenz 1991; Àgel 1999; Schröder 2004 d). All diese Phänomene bringen gegenüber der brasilianischen Ausdrucksweise in Deutschland einen besonders monologischen, intertextuellen und autoreferentiellen Rede- und Schreibstil auch im Hinblick auf die Betrachtung der eigenen Gesellschaft hervor. Diese Entwicklung der Sprache vollzieht sich vor dem Hintergrund einer Reihe kulturgeschichtlicher Ereignisse: Durch die kantische Wende von der philosophischen Erkundung einer objektiven Welt zur Transzendentalität des Bewusstseins ausgelöst und vom Übergang von der stratifikatorischen zur funktionalen Gesellschaftsdifferenzierung begleitet, stellt sich das Individuum zunehmend auf eigene Sicherheitsgrundlagen und lässt sich nicht länger mit äußeren Faktoren wie Eigentum oder Abstammung gleichsetzen. Dieser Leitgedanke des Individualismus hat sich in Brasilien nie in gleicher Weise durchgesetzt wie in Deutschland, wo sich der Einzelne nun über jene Idee definiert, die er von sich selbst hat, weshalb er in permanenter Selbstbeobachtung auf sich selbst rekurriert (Luhmann 1989, 211). Konzepte wie Selbststeuerung und -disziplin sind nicht zuletzt auch Ausdruck der auf dem Wege des Protestantismus internalisierten rationalen Askese (Weber 1904/ 1991, 136; Luhmann 1989, 179 - 180). Das eigentümlich distanzierte und selbstbeobachtende Verhältnis der Deutschen zu sich selbst findet seinen Niederschlag überdies in Kulturphänomenen wie dem deutschen Bildungsroman, der eigenwilligen „ deutschen Innerlichkeit “ (Polenz 1991, 315), dem Topos der „ verspäteten Nation “ (Plessner 1935/ 2001) und nicht zuletzt in der andauernden kollektiven Vergangenheitsbewältigung. All diese kulturellen Hintergrundfaktoren befördern das Phänomen, dass jeglicher Gesellschaftsdiskurs gleichzeitig auch immer einen Diskurs über diesen Diskurs auslöst und die Diskutierenden zu Reflexionen über ihre Selbstpositionierung animiert. 318 5.3.4 Kritisches Resümee und theoretisches Fazit In theoretischer Hinsicht ging es bei der vergleichenden Gesellschaftsstudie um den Versuch, diverse Ansätze der kognitiven Metapherntheorie miteinander zu verbinden, das Problem der metaphorischen Konstruktion von Gesellschaft aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten und gleichzeitig die Kompatibilität und Komplementarität der unterschiedlichen methodischen Vorgehensweisen zu erproben. Auf der Grundlage einer im ersten Schritt vollzogenen standardisierten Erfassung der Ausgangsdomänen wurde dabei zunächst einmal mehr deutlich, dass es in der Tat bei den kulturellen Unterschieden weniger um die Existenz einer bestimmten Ausgangsdomäne als vielmehr um das geht, was Kövecses (2005, 82 - 86) preferential conceptualizations nennt, die kulturell motiviert sind, wie der vorangegangene Abschnitt ausführlich dokumentiert hat. Im Anschluss an diese erste quantitative Erhebung wurden die mixed bzw. composite metaphors untersucht, die von Lakoff und Johnson (1980) sowie Lakoff und Turner (1989) als Phänomen zwar angesprochen, nicht jedoch weiter vertieft wurden, obwohl sie, wie neuere korpuslinguistische Studien belegen (Hilpert 2008), im tatsächlichen Sprachgebrauch weitaus verbreiteter sind, als die herausgeschälten, isolierten Domänenlisten der Konzeptuellen Metapherntheorie vermuten lassen. Wie wir gesehen haben, gehörten ‚ Bildvermischung ‘ bzw. ‚ Bildermischmasch ‘ schon für Mauthner (1912/ 1982, 502 - 504) zum Alltagswerkzeug von Journalisten, Politikern und Dichtern, wobei die dabei auftretenden clashs durchaus im Sinne ihrer Schöpfer sind. Unser Anliegen war deshalb aufzuzeigen, inwieweit sich solche mixed metaphors mikroskopisch in Anlehnung an Fauconnier und Turner (2002; 2008) als blends beschreiben lassen, sich kreativ als komplexe metaphorische Szenarien entfalten und folglich niemals vollständig präfiguriert sind, wie es die traditionelle kognitive Semantik nach Lakoff und Johnson (1980; 1999) suggeriert. Entlang der empirischen Analyse authentischer Beispiele und deren Visualisierung als conceptual blendings konnte daneben gezeigt werden, dass die Erweiterung des Modells nach Fauconnier und Turner um semiotische Elemente wie dem relevance space (Brandt & Brandt 2005) in der Tat eine Lücke schließt, welche die zuvor scheinbar situationsentbundenen, kulturlosen, isolierten Textausschnitte um die kommunikativen Absichten ihrer Produzenten erweitert. Damit wurden der bislang in den meisten Analysen dominanten referentiellen Funktion weitere Funktionen zur Seite gestellt, die Metaphern im konkreten Diskurskontext einnehmen können. So wurden alleine auf der Grundlage der vier ausgewählten Beispiele bereits narrative, didaktische, argumentative, expositive, verdiktive und kommentierende 319 Funktionen sichtbar. Überdies zeigte sich, dass beabsichtigte clashs oft den Zynismus oder die Ironie verraten, mit welcher der Kommunizierende das zur Debatte stehende Thema betrachtet. Rein makroanalytisch, quantitativ angelegten Korpusanalysen bleiben solche kommunikativen Zielsetzungen dagegen verschlossen. Die herausgearbeiteten Metaphern nehmen darüber hinaus im konkreten Sprachgebrauch eher die Gestalt von Diskursmetaphern anstelle von konzeptuellen Metaphern an (Zinken & Musolff 2009), 77 d. h., sind sie in hohem Maße sozialstrukturell und kulturgeschichtlich präfiguriert und nicht umgekehrt alleiniges Resultat individueller Körperorientierungen im sozial entleerten Raum. Über die für die Diskursforschung übliche Betrachtung von Diskursmetaphern in den Printmedien hinausgehend hat sich die Studie dabei vier unterschiedlichen Kommunikationsgenres zugewandt, wodurch u. a. die Habitualisierungsprozesse (Beckmann 2001) von Metaphern sichtbar wurden, d. h., wie die von den Massenmedien verwendeten Metaphern in den alltäglichen Sprechstil durchsickern und Sichtwie Konstruktionsweisen des entsprechenden Themas prägen. Dennoch kommt es dabei nicht zwangsläufig zu einer einseitigen Absorption der massenmedial kursierenden Metaphern. Wie die beiden Interviewbeispiele gezeigt haben, anhand derer eine Nachzeichnung der Emergenz und Verdichtung von ‚ systematischen Metaphern ‘ in der konkreten Kommunikation im Sinne Camerons (2007) erfolgte, kreieren die Kommunizierenden in solchen Momenten neue metaphorische und nichtmetaphorische Ausdrücke, die sie mit der jeweiligen Metapher in Verbindung bringen. Die Handelnden wägen ihre Metaphern ab, hinterfragen sie und ihre Adäquatheit in Bezug auf die wahrgenommenen Wirklichkeitsverhältnisse. Solche Oszillationen münden dann nicht selten in das Schaffen einer neuen, als passender erachteten Formulierung. Die Ergebnisse der Studie verweisen damit in hohem Maße auf die Notwendigkeit einer Ergänzung der extrakommunikativen Perspektive des ersten Analyseschritts - der Systematisierung und quantitativen Erhebung der Resultate - durch einen zweiten, der stärker von einer kommunikativen Betrachtungsweise geleitet wird, indem er insbesondere den verschiedenen Funktionen, die Metaphern im Kommunikationsprozess übernehmen können, Rechnung trägt. 77 Vgl. Kapitel 3.5.1. 320 6. Schlussbetrachtung und Ausblick Im Mittelpunkt dieser kritischen Aufarbeitung von Ansätzen aus der kognitiven Metaphernforschung, ausgehend von ihrem prototypischen Kern, der auf das Jahr 1980 datierten Ausarbeitung der Konzeptuellen Metapherntheorie, zurückverfolgt bis ins 17. Jahrhundert und nachgezeichnet bis zur aktuellen Forschungslandschaft, stand die Frage nach kommunikationstheoretischen Schwerpunkten der jeweiligen Epochen und Forschungsinteressen. Die vielen theoretischen Abhandlungen und Fragmente sowie die empirischen Resultate zu systematisieren, in kommunikationswissenschaftlicher Perspektive zu bewerten und auf ihrer Grundlage den Status quo wie den quo vadis der kognitiven Metaphernforschung herauszuarbeiten, war damit die Zielsetzung der Arbeit. Bei den Ausführungen wurde deutlich, dass eine metatheoretische Verortung der Beiträge in diachronischer wie synchronischer Hinsicht Kontinuitäten, Vernetzungen und Verschiebungen im Hinblick auf Gegenstandsbereich und Blickrichtung aufzuzeigen vermag. Die Auswahl, Sichtung, Darstellung und Diskussion der vielfältigen Theorien und empirischen Studien erfolgten entlang der spezifischen Frage nach ihrer kommunikationstheoretischen Relevanz, danach also, welche kommunikativen, kultursensitiven und kontextuellen Foki sich sowohl in Arbeiten ausloten lassen, die in den drei Jahrhunderten vor der Begründung der Konzeptuellen Metapherntheorie verfasst wurden und bereits von einem kognitiven und alltagsbezogenen Metaphernbegriff ausgehen, als auch in jenen der letzten dreißig Jahre, die eine Verknüpfung der kognitiven Metapher mit gleichzeitiger Rückbesinnung auf ihre Funktion als Steuerungsmedium im koaktiven Handlungsgefüge samt lokaler, zeitlicher und sozialer Einbettung anstreben. Was die grundlegende Ausgangsposition betrifft, so ließen sich mit Einschränkungen seit der ersten Stunde anhand einer Reihe von gemeinsamen theoretischen Vorannahmen sowohl Kompatibilität als auch wechselseitige Befruchtung von Konzeptueller Metapherntheorie und kommunikationswissenschaftlichen Grundprämissen verzeichnen: Nicht nur die überwiegende Zahl kommunikationstheoretischer Abhandlungen, sondern auch die Mehrheit der zum holistischen Zweig der Kognitiven Linguistik zählenden metapherntheoretischen Ausarbeitungen wählen einen konstruktivistischen Ansatz für ihre Betrachtung von Sprachbzw. Kommunikationsphänomenen, wobei die Verflechtung von Kognition und Sprache mit ihrer Verwurzelung in gestaltpsychologischen Prämissen und ihrer Orientierung an der Omnipräsenz von Metaphern in der Alltagskommunikation eine Abkehr von Sprachmodellen wie der ato- 321 mistischen Merkmalssemantik oder dem generativen Paradigma mit ihrer Autonomiehypothese impliziert. Unter wissenschaftstheoretischem Gesichtspunkt geht es der Konzeptuellen Metapherntheorie um eine Überwindung des Körper-Geist-Dualismus, wie er sich in vergleichbarer Weise im biologischen Konstruktivismus (Maturana & Varela 1987), sozialen Konstruktivismus (Berger & Luckmann 1967; Schütz & Luckmann 1984) und den sozialpsychologischen Theorien Meads (1967) und Vygotskys (1978) ausdrückt - Theorien, die zum Grundlagenrepertoire kommunikationswissenschaftlicher Forschung gehören. Ein großes Verdienst der Kognitiven Linguistik sind deshalb die inzwischen teilweise sogar durch Ergebnisse der Hirnforschung untermauerten Einsichten in die Körperfundiertheit von Sprache, die sich in Konzepten wie embodiment, image schemas und enactment niederschlagen. Denkbar wäre ein zukünftiger Brückenschlag zwischen diesen Ansätzen und den Grundannahmen des biologischen Konstruktivismus, bei dem die kognitionstheoretischen Erwägungen durch Zusammenführung mit dem Konzept der ‚ strukturellen Kopplung ‘ auf Intersubjektivität umgestellt werden, so wie es in der noch sehr fragmentarischen Studie von Sinha (2009) ja bereits exemplarisch angedacht wurde und sich daneben zum Teil auch bei Tomasello (1999; 2003) findet. Umgekehrt übernehmen Körper und Kognition in vielen für kommunikationstheoretische Belange zentralen soziologischen und soziolinguistischen Theorien bis dato eine nur untergeordnete Rolle ein und bleiben häufig unberechtigterweise ausgespart. Man denke etwa an die Ethnographie der Kommunikation, die Sprechakttheorie oder die Theorie kommunikativen Handelns. Auch die Bildhaftigkeit der Sprache wird in der Kognitiven Linguistik in einer Weise in den Blick genommen, die der Kommunikationswissenschaft bedeutende Impulse zu geben vermag. Die Analyse des Kommunikationsprozesses als Einheit verlangt ja ebenfalls nach einer Miteinbeziehung des sozioperzeptiven Kontakts (Ungeheuer 1983 a/ 2010), denn die Struktur des Leib-Umwelt-Bezugs ist maßgeblich für die Erzeugung kommunikativ relevanter Einheiten verantwortlich, so dass Kommunikationen der vorgängigen Orientierungsleistungen des Körpers bedürfen (Loenhoff 2003, 180 - 181). Aus diesem Grund müssen Ansätze, welche die Herauslösung der Zeichenprozesse aus dem kommunikativen Gesamtvorgang vornehmen, als unzureichend kritisiert werden. Schließlich lehnt die Kommunikationswissenschaft wie die Kognitive Linguistik jegliche repräsentationalistische Modellierung einer cartesianischen Kognitionstheorie ab, „ die den Fundierungszusammenhang von Zeichen, Wahrnehmung und Bewegung vollständig auflöst, um eine Bewusstseinstheorie zu propagieren, in der Verstehen, Schlussfolgern und Problemlösen als körperlose Zeichenprozesse und Algorithmen abgebildet werden können “ (Loenhoff & Schmitz 2012, 54). 322 Dennoch bleibt eine gravierende Diskrepanz: Während der wirklichkeitskonstituierende Ausgangsbereich in kommunikationswissenschaftlicher Sicht eindeutig zwischen den Menschen angesiedelt ist, so dass Intersubjektivität das Apriori von Kommunikation und Sprache ausmacht, überlässt die Kognitive Linguistik den konstruktiven Prozess in weiten Teilen dem in solipsistischer Manier Welt kognizierenden Individuum. Aus kommunikationstheoretischer Sicht bleibt ihr Hauptproblem deshalb die strukturellstatische Ausrichtung ihres Forschungsinteresses, bei der die Genesebedingungen und -prozesse der behaupteten konzeptuellen Strukturen im Dunkeln bleiben und das Individuum als erkenntnisautonome Monade entworfen wird, das der sprachzeichenvermittelten Interaktion mit anderen nicht bedarf, um sich in der Welt zurechtzufinden. Allerdings wächst die Zahl an Publikationen derer, die sich dieses Defizits bewusst werden und sich u. a. auf eben jene prominenten Schriften von Mead (1967) oder Vygotsky (1978) rückbesinnen, die den sozialen Bereich zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen wählen. An dieser Stelle täte es vielen kognitiven Linguisten gut, einen tieferen Blick in Nachbardisziplinen und Vorläuferschriften zu nehmen. Das hier angesprochene Grunddilemma, die Spaltung zwischen innerem kognitiven System und äußerer performativer Handlungsebene, hat daher nun, mehr als dreißig Jahre später, zu einer beachtlichen Ausdifferenzierung der kognitiven Metaphernforschung geführt, die sich u. a. darum bemüht, Rückwirkungen sprachlicher Kommunikation auf die Konzeptgenese zu ergründen und so das reziproke Verhältnis von Sprache und Kognition in den Vordergrund zu stellen. Als besonders fruchtbar stellte sich dabei das interdisziplinäre Interesse an den Kernannahmen der Konzeptuellen Metapherntheorie heraus, denn damit finden Aspekte Eingang in die Diskussion, die in fachspezifisch geschlossener Perspektive gar nicht beachtet werden, sei es auf dem Gebiet der nonverbalen Kommunikation, der Fremdsprachenforschung oder Kulturgeschichte. Wesentlich für diese Erweiterung der Theorie in methodologischer Hinsicht ist der Schritt von einer kommunikations-, kontext- und kulturentbundenen Sichtweise hin zu mikroskopischen, empirischen Analysen der Sprachverwendung in aktuellen Kommunikationssituationen unter Hinzuziehung interaktionaler, sozialer und kultureller Rahmenbedingungen. Fauconnier und Turner (2002; 2008) betrachten in ihren bidirektionalen Netzwerkmodellen vor allem die Dynamisierung der statischen Domänen lakoffscher Prägung im Online-Prozess und konstatieren dabei die Entstehung neuer Strukturen durch die Fusion verschiedener mentaler Räume. Ungeklärt bleibt indessen aufgrund der Ausklammerung der gesamten Kommunikationssituation, ob die ausgewiesenen Netzwerke überhaupt mit den Bedeutungskonstruktionen der am Kommunikationsprozess Beteiligten korrespondieren. An die Stelle des sozial entkoppelten Subjekts hätte 323 hier in Zukunft eine Ergänzung der visualisierten Netzwerke um Elemente zu treten, welche die kommunikativen Strategien und sozialen Rollen sowie den soziokulturellen Kontext und den Aushandlungsprozess von Bedeutung selbst in angemessener Weise abzubilden imstande sind. Brandt und Brandt (2005) haben einen ersten Versuch in diese Richtung unternommen. Demgegenüber zeigen sich der Handlungscharakter und damit das Soziale der Metapher in neueren diskurs- und konversationsanalytisch orientierten Ansätzen, die uns insbesondere die Komplexität und Multifunktionalität der Metapher in konkreten Gebrauchssituationen vor Augen führen. Sowohl auf verbaler als auch auf nonverbaler Ebene offenbart sich in solchen realen Kommunikationssituationen ein Zusammenspiel von Vorhersehbarem und Neuem: Metaphern emergieren und steuern im Sinne ihrer Verwender ein bestimmtes Kommunikationsereignis als ‚ systematische Metapher ‘ (Cameron 2007; 2008 a; 2008 b) oder ‚ pragmatische metaphorische Geste ‘ (Müller 2008 a; 2008 b). Durch den methodischen Schwenk von spekulativer Introspektion zur empirischen Analyse authentischer Gespräche werden Metaphernforscher zunehmend für das kontextdependente Driften der Metapher während des Kommunikationsverlaufs, die Vielfalt der kommunikativen Funktionen, die Abhängigkeit bestimmter Metaphernpräferenzen vom Kommunikationsgenre und gesprächsanalytische Fragestellungen sensibilisiert. Hier lässt sich eine Rückbindung an Fragestellungen der von der ersten Generation so verpönten Rhetorik beobachten. Nichtsdestotrotz bleiben die Untersuchungen abseits des Forschungszweigs der metaphorischen Gestik häufig in der sprachlichen Äußerung stecken; paraverbale und nonverbale Kommunikationsmittel wie der sozio-perzeptive Kontakt werden in den meisten Fällen immer noch außer Acht gelassen. Wie gezeigt wurde, befassen sich viele empirische Arbeiten mit eng gefassten Ausschnitten der Metaphernverwendung, oft sogar unter nichtauthentischen Laborbedingungen, bei denen die Metaphern vom Forscher konstruiert werden. So verläuft z. B. die Mehrheit der psycholinguistischen Experimente zum Verstehensprozess von Metaphern insofern zu isoliert und artifiziell, als der Kommunikationsprozess halbiert und dem realen Aushandeln von Bedeutungen zwischen den Menschen entzogen wird. Dennoch hat sich die vorliegende Studie intensiv mit den Forschungsergebnissen aus diesem Bereich befasst, da hier einem Aspekt der Kommunikationseinheit nachgegangen worden ist, der in vielen Forschungszweigen unter den Tisch fällt: dem Hörer bzw. Leser von Kommunikationshandlungen anderer. Als besonders vielversprechend erscheinen auf diesem Gebiet die Analysen zu den selbstreflexiven Prozessen, die bei der Konstruktion von Bedeutung eine erhebliche Rolle spielen, sowie die Bemühungen um einen Brückenschlag zwischen konzeptueller Metapher und Pragmatik (Tendhal & Gibbs 2008). 324 Die Einbeziehung kultureller Aspekte in die Betrachtung der kognitiven Metapher und ihrem sprachlichen Niederschlag führt in der Diskursforschung zur Forderung nach einer zweiten Säule neben der von Lakoff und Johnson deklarierten Körperfundiertheit jeglicher Metaphorik, bei der Metaphern nun auf sozial und kulturell verankerte Basiskategorien zurückgeführt werden (Zinken & Musolff 2009). Durch die Konzen-tration auf Analysen von Korpora aus den Printmedien gelangt auch hier besonders das verbalsuggestive Element erneut in den Blick und damit die für rhetorische Ansätze zentrale appellative Funktion der Metapher. Das Zusammenspiel von Universellem und Partikularem zeigte sich vor allem in den Thesen Kövecses ’ (2002; 2003; 2005), der jedoch letztlich noch zu stark an bereits fragwürdig gewordenen und z. T. zirkulären Positionen der Konzeptuellen Metapherntheorie, etwa an der Dichotomie von biologischem Universalismus und kultureller Relativität, festhält. Denn inzwischen illustriert eine wachsende Reihe von Untersuchungen, dass schon die vermeintlich grundlegendsten Schemata wie die lineare Zeitachse keinesfalls universelle Gültigkeit beanspruchen können (Núñez, Neumann & Mamani 1997; Silva Sinha et al. 2012, im Druck). Gerade im Kulturvergleich bleiben noch viele Fragestellungen unberührt, soweit es um konkrete Handlungskontexte geht und damit um die Art und Weise, wie sich Metaphern in Abhängigkeit von bestimmten kulturellen Frames entfalten. Solche Unterschiede legte u. a. die Studie zur metaphorischen Konstruktion des deutschen und brasilianischen Liebeskonzepts offen, da sich hier entlang einer soziogenetischen Nachzeichnung der Entstehung von Liebe als symbolisch generalisiertem Kommunikationsmedium (Luhmann 1996) zeigte, dass die Metaphern für Gefühle keineswegs so leicht auf eine letzte, körperlich motivierte Basismetapher zurückführbar sind und dass kulturelle Modelle schon im Keim aufs Engste mit den metaphorischen verwoben sind. Die skizzierten Entwicklungstendenzen, die sich besonders stark seit der Jahrtausendwende beobachten ließen, nähern sich damit sukzessiv dem an, was eine kognitive Metaphernforschung in kommunikationstheoretischer Sicht zu leisten hätte. Umso mehr muss man deshalb fragen, weshalb es bis heute immer noch keine gebührende Rückbesinnung auf die unzähligen Vorläufer gegeben hat, denen doch oftmals genau das - die Verbindung der Einsicht in den kognitiven Charakter der Metapher mit ihrer pragmatischen Funktion - gelungen ist. So konnte eine teilweise nahezu vollständige Vorwegnahme der Konzeptuellen Metapherntheorie durch eine Reihe von Vertretern aus Philosophie, Sprachwissenschaft, Psychologie und Anthropologie beobachtet werden, die allesamt bereits sowohl den kognitiven Wert der Metapher als auch ihre Allgegenwärtigkeit im menschlichen Miteinander in den Mittelpunkt ihrer Abhandlungen rücken. Damit soll die Leistung von Lakoff und 325 Johnson keineswegs geschmälert werden, die ihrerseits den überwiegend zerstreuten Fragmenten, die es bis zur Begründung der Konzeptuellen Metapherntheorie gab, durch ihre Beispielfülle aus dem Alltag Leben einhauchten, den Ideen zu ihrer heutigen Popularität verhalfen und mit ihren Untersuchungen neuen Wegen in der Sprachforschung die Tür öffneten. Nicht zuletzt begründeten sie somit einen der wichtigsten Zweige der Kognitiven Linguistik, die Kognitive Semantik. Kritisch angemerkt werden muss jedoch, dass die beiden Protagonisten der Theorie im Lichte der dargelegten Bandbreite an Vorarbeiten ihren Originalitätsanspruch hätten revidieren müssen. Das Ausbleiben eines Blicks in Schriften anderer Länder und Zeiten wurde daher auch in vielen kritischen Rezensionen laut. In letzter Zeit haben Wissenschaftler wie Nerlich und Clarke (2001) Chamizo Dominguez und Nerlich (2010), Jäkel (1999; 2003), in den achtziger Jahren bereits Hülzer-Vogt (1987; 1989) und Schmitz (1985; 1996) nachdrücklich auf dieses Defizit hingewiesen. Die Anstöße dieser Autoren trugen maßgeblich zu einer erstmalig systematischen Aufarbeitung der Vorläufer im vierten Kapitel bei. Dabei offenbarten sich nicht nur die Vorwegnahme der Grundpostulate der kognitiven Metapherntheorie, sondern im gleichen Atemzug deren Defizite, denn viele der Vorläufertheorien integrieren bereits kommunikationstheoretische Themenfelder, die erst in letzter Zeit wieder Eingang in aktuelle Forschungsfragen finden. Schon Clauberg (1663/ 1717), Lambert (1764 a/ 1965; 1764 b/ 1965) oder Bühler (1934/ 1982) gehen entwicklunspsychologisch von einer Phase aus, bei der sowohl die wörtliche wie auch die metaphorische Bedeutung kopräsent sind. Mauthner (1906/ 1982; 1912/ 1982) und Paul (1880/ 1995) betonen bereits die erst kürzlich wiederentdeckte außerordentliche Rolle, die vermischte Metaphern für die öffentliche Rede spielen sowie deren Verdunkelungs- und Vernebelungseffekte, was die Skeptiker dazu führt, die so oft postulierte Verständigungsfunktion der Metapher in Frage zu stellen. Lambert (1764 a/ 1965; 1764 b/ 1965; Ungeheuer 1979), Wegener (1880/ 1991) und Gerber (1884; 1871) explizieren sogar den doppelten Zugang zum Phänomen Metapher: den sprachsystematischen und den sprachfunktionalen, womit sie ein Kernproblem jeder Art von Kommunikationsanalyse thematisieren, das erst mit der Differenzierung der drei Ebenen nach Cameron (2007) in die kognitive Metaphernforschung zurückgeholt wird. Gleiches leisten Stählin (1913) und Bühler (1934/ 1882) für den interaktionistischen Zweig. Kommunikation mit Wegener, Bühler und Ungeheuer als Handlungsbeeinflussung zu verstehen, birgt ein besonderes Interesse an der Metapher als Kommunikationsmedium, da die Metapher sich par excellence durch Komprimierung, Elliptizität und Hervorhebung bzw. Ausblendung auszeichnet, wodurch sie sogar noch stärker als andere Kommunikationsakte den Status einer ‚ Verbalsuggestion ‘ (Ungeheuer 1987, 318) annimmt. Die 326 sprachliche Formulierung des Sprechers wird zur Anweisung an den Hörer, in verstehender Weise ganz bestimmte innere Erfahrungsakte zu vollziehen. Ob dieser den Vorschlag annimmt und wenn ja, wie er die vorgeschlagene Metapher versteht, ist dabei ebenso ungewiss wie bei jedem anderen sprachlich formulierten Vorschlag - vielleicht sogar ungewisser, da die genannten Besonderheiten der Metapher es dem Hörer in noch höherem Maße freistellen, welche Übertragungen er im Einzelnen vornimmt und welche Verdunkelungs- und Aufhellungsmomente dabei zum Tragen kommen. Dennoch sorgen in der Regel Routinen und habitualisierte Hintergrundannahmen, die der zuhandene gesellschaftliche Wissensvorrat bereitstellt, dafür, solche Ungewissheiten einzuschränken. In seiner gesamten Tiefe wurde der Handlungscharakter der Metapher in den Arbeiten der kognitiven Metaphernforschung für lange Zeit übergangen, was auch der rigorosen antagonistischen Selbstverortung in Abgrenzung zum rhetorischen Ansatz geschuldet ist. Richtungsweisend für eine zukünftige, stärker kommunikationswissenschaftlich gefärbte kognitive Metaphernforschung könnten daher Problemstellungen werden, die danach fragen, in welchem Maße Sprecher und Hörer tatsächlich vergleichbare Highlighting- und Hiding-Effekte im Prozess ihrer Bedeutungskonstruktion durchlaufen, ob dies bewusst bzw. unbewusst geschieht, wie der Zusammenhang zwischen Einstellung und Metaphernverwendung angemessen beschrieben werden kann und schließlich, ob die von einem Sprecher vorgeschlagenen Metaphern seitens des Hörers aufgenommen und als Szenario entfaltet, ignoriert oder abgelehnt werden. Diese Punkte sind in besonderer Weise miteinander verzahnt. Nimmt man etwa die Untersuchung von Lakoff (1996) zum ‚ Strenger-Vater ‘ - und ‚ Fürsorgliche Eltern ‘ -Modell, so lässt sich dieser Zusammenhang gut illustrieren: Stellen wir uns vor, ein Republikaner spricht über seine politische Einstellung gemäß dem von Lakoff analysierten Modell mit einem Demokraten und einem Konservativen. Es ist vorstellbar, dass die Hörer unterschiedliche Bedeutungskonstruktionen und divergierende Hervorhebungen wie Ausblendungen der dargebotenen Metaphern vornehmen. Der erste Hörer wird das vorgeschlagene metaphorische Szenario mutmaßlich ablehnen, der zweite dagegen wahrscheinlich annehmen, wobei denkbar wäre, dass dem zweiten Hörer die Bildhaftigkeit der verwendeten Metaphern eher entgeht als dem ersten, da sie letzterem viel vertrauter ist; schließlich entspringt sie ja dem eigenen Handlungsrahmen und verkörpert somit dessen ‚ blinden Fleck ‘ . Bei Lakoff erfolgt die Analyse noch in großer Distanz zum eigentlichen Kommunikationsgeschehen. Die eben angesprochenen Probleme im Detail zu untersuchen, würde aufschlussreiche und weniger spekulative Einblicke in den Handlungs- und Steuerungscharakter der Metapher gewähren. Ein weiteres Phänomen, das bisher noch nicht in all seinen Facetten beleuchtet wurde, ist der extrakommunikative Umgang der Kommunizie- 327 renden mit ihren eigenen sprachlichen Produktionen und dessen Einfluss auf die kommunikativen Handlungen. Zwar konnte demonstriert werden, dass es bereits eine ganze Reihe von Studien gibt, die sich metakommunikativen Redecharakterisierungen von Metaphern widmen (Cameron & Deignan 2003; Goatly 1997; Beckmann 2001; Semino 2008; Chiappe, Kennedy & Smykowski 2003); die Wechselwirkung zwischen den beiden Perspektiven, zwischen denen Sprecher und Hörer oszillieren, liegt allerdings bisher noch im Dunkeln - wohl auch, weil dies ein schwer zugängliches Untersuchungsfeld darstellt. Erste Impulse hinsichtlich der kulturellen Relativität solcher metakommunikativen Bezugnahmen auf Metaphern finden sich in der vorgestellten vergleichenden Gesellschaftsstudie, die gezeigt hat, inwieweit extrakommunikative Umgangsweisen kulturellen Prägungen unterliegen und dass durch Nachzeichnung des kommunikativen Handlungsverlaufs entlang bestimmter Metaphern oszillierende Bewegungen zwischen kommunikativen und extrakommunikativen Haltungen, die sich im Gespräch ergeben, sichtbar gemacht werden können. Daneben haben wir anhand verschiedener sprachlicher Hinweise wie erhöhter Intertextualität und der expliziten Kennzeichnung sprachlicher Mittel gesehen, dass im deutschen Korpus das Bewusstsein von der üblichen Verwendung bestimmter Metaphern und ihrer verschiedenen Effekte auffallend häufig metasprachlich gekennzeichnet wird. Solche extrakommunikativen Handlungsweisen können sich ihrerseits wieder in der Schaffung weiterer Metaphern, etwa jener der BEOBACHTUNG niederschlagen. Beim Gesellschaftsdiskurs geht es in den deutschen Gesprächen und Texten damit nicht nur um eine Beschreibung der Gesellschaft, sondern ebenso oft um eine Beschreibung derartiger Beschreibungen. Eine weitere Möglichkeit, solche oszillierenden Prozesse zu untersuchen, stellt die Betrachtung von Momenten in Kommunikationsereignissen dar, in denen mit dem Bewusstsein der Zweideutigkeit eines Ausdrucks gespielt wird, so dass die Kommunikationsäußerungen zwischen dessen Grundbedeutung und der metaphorischen Erweiterung hin- und herpendeln. Die Rückbesinnung auf Vordenker der kognitiven Metaphernforschung zeigte uns durch die Arbeiten von Paul (1880/ 1995), Mauthner (1906/ 1982) und Blumenberg (1957; 1961; 1971), dass es lohnenswert sein kann, diachronische Studien durchzuführen, eine Option, für die sich heute nur wenige Metaphernforscher entscheiden. Dabei wäre es interessant, über die rein etymologischen Wortuntersuchungen und die Aufdeckung von Hintergrundmetaphern philosophischer Modelle hinauszugehen, denn diachronische Studien könnten durchaus erhellende Ergebnisse zutage fördern, was die Verbindung von Kommunikationstraditionen einer Epoche mit der Präferenz für bestimmte Metaphern betrifft, so wie es im Ansatz Geeraerts und Grondelaers (1995) vorgeführt haben. Im Stile Simmels (1908/ 1992) oder Goffmans (1974) könnten z. B. alltägliche Kommunikationsformen wie 328 persönliche Briefe, Tagebücher, Zeitungsannoncen oder Chroniken auf Metaphern ihrer Zeit hin befragt werden. Hochaktuell scheint mir im Rahmen diachronischer Studien und des damit verwobenen Aspekts der Bedeutungserweiterung von Wörtern auch die These Lamberts (1764 a/ 1965) zu sein, dass die Zunahme an Bedeutungsumfang eines Wortes die Gefahr kommunikativer Missverständnisse nach sich ziehen kann. Forschungsfragen, die in diese Richtung gehen, wären etwa solche, welche die Bedeutungsvielfalt in den Blick nehmen, die in Politikerreden oder politischen Talkshows offenkundig werden. Inwiefern sorgt dabei der Gebrauch von Metaphern für Unklarheit und nicht für Klarheit? Sollte es tatsächlich so sein, dass neben die konventionelle Bedeutung von Wörtern immer mehr metaphorische treten, dann bleibt zu fragen, ob dies in irgendeiner Weise zu dem vom pessimistischen Mauthner (1906/ 1982) konstatierten ‚ Stimmengewirr ‘ führt, dem sich die Menschen eines Tages resigniert zu ergeben hätten. Angesichts der heute üblichen Zermalmung jeglichen gesellschaftspolitisch relevanten Themas durch metaphorische Worthülsen und deren rapide Inflationierung ist die mauthnersche Sicht so relevant wie nie zuvor. Was die Kommunikationsgenres betrifft, zeichnet sich die bisherige Forschungslandschaft im Gegensatz zur hohen Zahl an Studien zu makrologischen Sozialformen wie den Wirtschafts-, Politik- oder Wissenschaftsssytemen und zu mesologischen Sozialformen wie Glaubensgemeinschaften oder Unternehmen noch durch ein Defizit an Untersuchungen zu mikrologischen Sozialformen aus, wie sie sich etwa in den Studien Camerons (2003; 2007; 2008 a; 2008 b) oder Müllers (2008 a; 2008 b) sukzessive andeuten. Interessante Einblicke ließen sich durch Metapherngebrauchsanalysen erzielen, die z. B. Konversationen zwischen Müttern beim Kaffeeklatsch, Stammkneipengespräche, Small Talk auf Feten, Fachgesimpel auf Aufstellungseröffnungen oder zwischen ‚ Internetnerds ‘ sezieren, wobei gleichzeitig danach gefragt werden könnte, inwieweit die verwendeten Metaphern konstitutiv für die Konstruktion der entsprechenden kommunikativen Rahmen und Wirklichkeiten sind. Auch Subkulturen haben bisher nur unzureichende Aufmerksamkeit erlangt. Wie ergiebig solche Studien sein können, hat die in Kapitel 5.2 durchgeführte Analyse einer Schlüsselmetapher in Raptexten gezeigt. Ein noch vollends unbetretenes Feld bieten hier Analysen von metaphorischen Gesten, die oft konstitutiven Charakter für eine bestimmte Subkultur haben und gleichermaßen rückwirkend Spuren in der Alltagskommunikation hinterlassen. Als Pilotprojekt böte sich gerade die Hip Hop-Kultur als Paradebeispiel an. Generell bedarf es einer genaueren Betrachtung von Jugendkulturen und deren Slang, denn gerade hier gedeihen innovative Metaphern, bevor sie Teil des Alltagsjargons werden. Auch das Filmen alltäglicher Streitgespräche könnte metaphorische Gesten zutage fördern, die Aufschluss über die Lenkung des Gegenübers im Sinne Müllers (2008 a) vorführen. 329 In Anbetracht der zunehmenden globalen Vernetzung bleibt zu hoffen, dass es zukünftig eine stärkere Hinwendung zu den mit Metaphernverwendung verbundenen Kommunikationsproblemen in interkultureller Kommunikation geben wird. In welche Richtungen solche Verständigungsprobleme gehen könnten, deuten die ausführlich dargestellten Studien im deutschbrasilianischen Vergleich an, obwohl sie selbst bislang lediglich vergleichenden Charakter haben. Wie wirken sich solche Unterschiede konkret in der interkulturellen Begegnung aus? Was denkt ein Brasilianer, wenn ihm ein Deutscher mitteilt, dass seine Beziehung zurzeit nicht mehr so gut funktioniere? Wie Schütz (1971/ 1982) feststellt, ist das Gelingen von sozialen Absichten und Zielen um so wahrscheinlicher, je stärker ein Verhaltensmuster typisiert, institutionalisiert und standardisiert ist, so dass die Sprach- und damit auch die Metaphernwahl das sozial gebilligte Relevanzsystem einer Kommunikationsgemeinschaft spiegelt. Treffen nun zwei in hohem Maße divergierende Relevanzsysteme aufeinander, wird Verstehen unwahrscheinlicher, da die eigene individuelle Welttheorie, in die das vom anderen Gesagte eingefügt wird, in stärkerem Maße als in der eigenen Kultur von der des Gegenübers abweicht. Die verschiedenen Erwartungsstrukturen, Schemata, Scripts und kulturellen Frames klaffen auseinander. Die Impulse aus der Fremdsprachenforschung (Littlemore 2002; 2003; 2006) führen uns vor Augen, wie fallibel die Kommunikation wird, sobald eine Metapher ihre habituelle Umgebung verlässt. Und dennoch: Dass das wechselseitige Verstehen von Metaphern selbst in der eigenen Kultur niemals gesichert ist, hat die Studie von Hülzer-Vogt (1991) ausführlich dargelegt. Metaphern sind nicht alleinige Angelegenheit der Sprache; darüber herrscht heute weitgehend Einigkeit. Metaphern sind aber auch nicht bloßes Werk eines kognizierenden Individuums, sondern haben ihren Ursprung im intersubjektiv begründeten Kommunikationsereignis, das konstitutiv für unsere Welterfahrung ist und dieser vorausgeht. Neben ihrer kognitiven und konstruktiven haben Metaphern daher vor allem kommunikative Funktion. Sie ermöglichen die Anschließbarkeit von Erfahrungen und Kommunikationen, schaffen Übergänge zwischen den einzelnen Kommunikationsereignissen, brechen durch ihre Einheit von Perspektiveneröffnung und Neubeschreibung eines Gegenstands fest gefügte Semantiken auf, steuern die Verstehensleistungen des Gegenübers, erhellen, verdunkeln, appellieren an den anderen und lenken die Aufmerksamkeit auf bestimmte Sichtweisen; sie verkörpern damit eine genuine Verständigungsform. Die Betrachtung des Kommunikationsprozesses als Einheit, welche die Bedeutungskonstruktionen und Verstehensprozesse der Individuen gleichermaßen in Rechnung stellt, repräsentiert einen Ansatz, der noch lange nicht in der kognitiven Metaphernforschung angekommen ist, nimmt man die damit erhobenen Ansprüche ernst. 330 Dennoch konnte entlang einer wachsenden Zahl von Studien aufgezeigt werden, wie Verständigung und Verstehen als individuell und situationsspezifisch auszuhandelnde Verwendungen des gesellschaftlichen Wissensvorrats gefasst und untersucht, wie Makro- und Mikroperspektive aufeinander abgestimmt werden können. Sprachlich-soziale Gepflogenheiten sind immer in das Interaktionsspiel von Meinen und Verstehen eingebettet, so dass jedes Sprechen in einem dialektischen Wechselspiel von Vorgang und Bestand zu einer Aktualisierung, aber auch zu einer Modifizierung des Allgemeinen führt. Metaphorizität bezieht sich dabei nicht nur auf die Aktivierung des Bestehenden, sondern auch auf das Hervorbringen von etwas Neuem, indem Standpunkte verabsolutiert, Aspekte erhellt oder ausgeblendet, eigene Ansichten favorisiert, andere hingegen ausgegrenzt, Befindlichkeiten illustriert, an Gefühle appelliert oder das Zusammensein aufrechterhalten und reguliert werden. Erst durch die Äußerung eines Sprechers, gerichtet an einen bestimmten Hörer, sowie dessen Bereitschaft, sich - in welcher Form auch immer - auf diesen Kundgabeakt einzulassen, entfaltet sich die Metapher. Unverzichtbar ist und bleibt im Zuge empirischer Untersuchungen daher die Offenlegung der jeweiligen methodologischen Verortung des Forscherstandpunkts. Bislang finden sich in den Arbeiten der kognitiven Metaphernforschung nur höchst selten - und wenn, dann meist versteckte - Hinweise des Autors darauf, aus welcher Perspektive er sich dem Gegenstand zu nähern sucht: von einem extrakommunikativen oder einem kommunikativen Standpunkt her? In den meisten Fällen analysiert man die Metaphern in traditionell-linguistischer Manier als Systemmanifestationen, geht damit stillschweigend von extrakommunikativ gewonnenen Kategorien zur Klassifizierung der Metaphern im Rahmen von Dichotomien wie ‚ konventionell ‘ versus ‚ innovativ ‘ aus und projiziert die eigene Einsichtigkeit in die Sinnhaftigkeit solcher Grenzziehungen auf die Handelnden, ohne in angemessenem Maße danach zu fragen, ob für die in den Kommunikationsprozess involvierten Sprecher und Hörer solche Wahrnehmungen überhaupt eine Rolle spielen. Es geht also nicht darum, Vermutungen, die ein Forscher anstellen kann, wenn es um die Frage geht, was Interagierende dazu treibt, Metaphern zu verwenden, per se als zu spekulativ zu verwerfen, sondern um ein Plädoyer, diese als eine bestimmte Perspektive auf den Untersuchungsgegenstand zu kennzeichnen. Will sich die kognitive Metaphernforschung zukünftig stärker als bisher der Teilnehmerperspektive nähern, muss sie, wie u. a. Hülzer-Vogt (1991) und Müller (2008 a; 2008 b) gezeigt haben, audiovisuelle Aufzeichnungen der Kommunikationssituation vornehmen, die so detailreich wie möglich sein sollten. Komplementär dazu sollte das retrospektive Interview, in dem der extrakommunikative Umgang des Teilnehmers mit seinen eigenen Kommunikationshandlungen selbst erfasst werden kann, eine größere Rolle 331 spielen. Dabei muss der Forscher allerdings stets ein waches Bewusstsein davon walten lassen, dass auch diese nachträglich gemachten Erklärungen seitens des Teilnehmers nicht deckungsgleich mit den in der konkreten Interaktionssituation tatsächlich ablaufenden Motivlagen sind. Dementsprechend fließen in die Nachbetrachtungen immer Erwartungshaltungen und erst im reflexiven Prozess aufgerufene Versatzstücke des Commonsense-Wissen des Selbstbetrachters ein - etwa um die manipulative Kraft von Metaphern, so dass der Beteiligte geneigt sein mag, sich oder dem Gegenüber im Nachhinein Motive zu unterstellen, die für ihn im aktuellen Kommunikationsprozess gar nicht handlungsrelevant waren. Der Versuch, Metaphern zu bestimmen, ihre Funktion in einem konkreten Kontext nachzuzeichnen und ihre Mechanismen zu erläutern, bleibt aufgrund ihrer Gebundenheit an die Handelnden der Kommunikationssituation stets approximativ. Aus diesem Dilemma gelangt der Forscher zwar nicht heraus. Was ihm jedoch bleibt, ist die Markierung seines momentanen Standortes und die damit einhergehende Herausforderung, seine eigene Theoriebildung im Feld zwischen den unterschiedlichen Perspektiven vorzunehmen, um je nach Fragestellung verschiedene Begrifflichkeiten zu entwickeln und dabei auch die wechselseitige Irritabilität der beiden Ebenen adäquat zu berücksichtigen. Das beinhaltet neben einer Explizierung des jeweils eingeführten Interpretationsrahmens und dessen forschungstheoretischen Prämissen ebenso das Bewusstmachen der jeweiligen Beschränkungen hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes. Nur so kann eine Inanspruchnahme einer Allgemeingültigkeit der Aussagen vermieden werden, wie sie in der kognitiven Metaphernforschung leider noch allzu oft anzutreffen ist. 332 Literatur AARSLEFF, Hans. „ The Tradition of Condillac: The Problem of the Origin of Language in the Eighteenth Century and the Debate in the Berlin Academy before Herder “ . In: HYMES, Dell (Hrsg.). 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