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Altitalienisch

Eine Einführung

1009
2017
978-3-8233-7783-2
978-3-8233-6783-3
Gunter Narr Verlag 
Sabine Heinemann

Das Buch bietet eine systematische Einführung in die interne Sprachgeschichte des mittelalterlichen Italienischen, d.h. des Florentinischen/Toskanischen vom Beginn des 13. Jh. bis zum Ende des 14. Jh. mit Ausblicken auf die weitere Entwicklung zum modernen Italienisch. Ausführlich dargestellt werden die wichtigsten Entwicklungen auf lautlicher, morphologischer, syntaktischer und lexikologischer Ebene; Beispiele aus Texten des OVI-Korpus dienen der Veranschaulichung und dem besseren Verständnis für die Strukturen des Altitalienischen. Das Studienbuch kann unterrichtsbegleitend im Rahmen von Lehrveranstaltungen zur älteren Sprachstufe ebenso eingesetzt wie für das Selbststudium genutzt werden. Die beigefügten Arbeitsaufgaben bieten die Möglichkeit, das erworbene Wissen zu überprüfen.

<?page no="0"?> Altitalienisch Sabine Heinemann Eine Einführung <?page no="1"?> Univ.-Prof. Dr. Sabine Heinemann ist Inhaberin der Professur für Italienische und Französische Sprachwissenschaft an der Karl-Franzens-Universität Graz. <?page no="4"?> Sabine Heinemann Altitalienisch Eine Einführung <?page no="5"?> Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. © 2017 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Internet: www.narr-studienbuecher.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISSN 0941-8105 ISBN 978-3-8233-7783-2 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. <?page no="6"?> Vorwort Die Idee zu einer Einführung in das Altitalienische kam in den diversen Kursen zum Altitalienischen an der Universität Regensburg auf, in denen die Studierenden vertiefte Kenntnisse erwerben sollten, die auch eine adäquate Vorbereitung auf das schriftliche Staatsexamen leisten sollten. Da Studierende gerade bei komplexeren Fragestellungen deutschsprachige Lehrwerke bevorzugen und parallel auf Italienisch mit dem Klassiker von Tekavčić (1980) eine zu detaillierte Darstellung, mit den Einführungen von D’Achille (2003), Serianni (2001) oder Patota (2007) zwar schöne, aber leider knappe Überblickswerke vorliegen, soll dieses Arbeitsbuch nun die Lücke schließen und einen Mittelweg beschreiten. Es gibt einen umfassenden Überblick über das Altitalienische, der sämtliche Ebenen des sprachlichen Wandels umfasst. Gleichzeitig schien mir wichtig, das OVI- Korpus, das ich bereits früher während eines einjährigen Aufenthaltes in Padova dank Prof. Lorenzo Renzi nutzen durfte, für die Einführung heranzuziehen, da so die sprachliche Varianz im 14. Jh. über Beispiele greifbarer wird und die Studierenden sich mit der unterschiedlichen Komplexität mittelalterlicher Texte vertraut machen können. Für anregende Diskussionen zu unterschiedlichen Fragestellungen - angefangen von der Konzeption einzelner Kapitel bis zu (syntaktischen) Detailfragen - und die kritische Durchsicht der Druckvorlage danke ich in erster Linie Prof. Maria Selig, mit der mich die gemeinsame Zeit an der Universität Regensburg verbindet. Weiter danke ich ganz besonders meiner Kollegin und sehr guten Freundin Dr. Johanna Wolf, die trotz hoher Arbeitsbelastung nicht gezögert hat, die diversen Kapitel kritisch zu lesen und auf ihre „Studierendentauglichkeit“ zu prüfen (ich hoffe, ihre Anregungen adäquat umgesetzt zu haben). Schließlich danke ich Dr. des. Laura Linzmeier für die Lektüre des Buches, die mir mit ihren Anmerkungen aus Dozentenperspektive mit Blick auf die Konzeption des Bandes sowie die Ausführlichkeit der Darstellung sehr geholfen hat. Weiter möchte ich kollektiv meinen studentischen Hilfskräften an der Universität Graz danken, die zu unterschiedlichen Zeiten einzelne Kapitel gelesen und Anregungen zur besseren Verständlichkeit gegeben haben, die ich gerne aufgegriffen habe. Und schließlich danke ich dem Narr Verlag für die Aufnahme des Bandes in die Reihe „narr STUDIENBÜCHER “ und insbesondere Frau Kathrin Heyng, M.A. und Frau Karin Burger für die freundliche verlegerische Betreuung. Regensburg, im August 2017 Sabine Heinemann <?page no="8"?> Inhalt Vorwort ................................................................................................................. 5 Einleitung ........................................................................................................... 11 I Lautlehre...................................................................................................... 15 1 Phonie-Graphie-Relation........................................................................................15 2 Akzent und Silbenstruktur ....................................................................................16 3 Vokalismus...............................................................................................................17 3.1 Entwicklung des Haupttonvokalismus .........................................................20 3.1.1 Diphthongierung..................................................................................20 3.1.2. Schließung des Haupttonvokals im Hiat ..........................................22 3.1.3 Anaphonie .............................................................................................22 3.2 Entwicklung des unbetonten Vokalismus ....................................................23 3.2.1 Synkopierung .......................................................................................23 3.2.2 Vortonige Hebung ...............................................................................24 3.2.3 Aphärese und Tilgung des Anlautkonsonanten ..............................25 3.2.4 Labialisierung .......................................................................................26 3.2.5 Schließung von e im Nachton .............................................................26 3.2.6 Velarisierung von nachtonigem a und e............................................27 3.2.7 Apokope ................................................................................................27 4 Konsonantismus ......................................................................................................27 4.1 Gemeinromanische Entwicklungen ...............................................................27 4.1.1 Spirantisierung .....................................................................................29 4.1.2 Palatalisierung ......................................................................................31 4.1.3 Sonorisierung........................................................................................36 4.2 Weitere Entwicklungen ...................................................................................38 4.2.1 Entwicklung von Konsonantennexus................................................38 4.2.2 Reduktion des Auslautkonsonantismus ...........................................41 4.2.3 Fortsetzung und Entwicklung von Geminaten................................42 4.2.4 Einfügung nicht-etymologischer Laute.............................................45 4.2.5 Seltenere Entwicklungen.....................................................................47 4.2.6 Lautliche Indizien für Lehnelemente ................................................48 II Morphologie ............................................................................................... 51 1 Nominalmorphologie .............................................................................................52 1.1 Deklinationsklassen .........................................................................................54 1.2 Kasus ..................................................................................................................55 1.3 Genus und Numerus........................................................................................58 1.4 Adjektivkomparation .......................................................................................63 <?page no="9"?> Inhalt 8 2 Determinanten .........................................................................................................64 2.1 Definiter Artikel................................................................................................64 2.1.1 Maskulinum ..........................................................................................65 2.1.2 Femininum ............................................................................................67 2.1.3 Preposizioni articolate.............................................................................68 2.2 Indefiniter Artikel.............................................................................................69 3 Pronomina ................................................................................................................70 3.1 Personalpronomina ..........................................................................................70 3.1.1 Subjektpronomina ................................................................................70 3.1.2 Objektpronomina .................................................................................74 3.2 Demonstrativa...................................................................................................77 3.3 Possessiva ..........................................................................................................81 3.4 Relativa ..............................................................................................................84 3.5 Interrogativa......................................................................................................85 3.6 Adjektive/ Pronomina zum Ausdruck von Identität...................................85 3.7 Indefinita............................................................................................................86 4 Präpositionen ...........................................................................................................87 5 Adverbien.................................................................................................................89 6 Verbalmorphologie .................................................................................................92 6.1 Finite Verbformen ..........................................................................................101 6.1.1 Präsens .................................................................................................101 6.1.2 Imperfekt .............................................................................................104 6.1.3 Futur.....................................................................................................107 6.1.4 Konditional .........................................................................................108 6.1.5 Imperativ .............................................................................................109 6.1.6 Perfekt..................................................................................................110 6.2 Infinite Verbformen........................................................................................115 6.2.1 Infinitiv ................................................................................................115 6.2.2 Gerund und Partizip Präsens ...........................................................115 6.2.3 Partizip Perfekt ...................................................................................116 6.3 Unregelmäßige Verben ..................................................................................117 6.3.1 Dare, stare .............................................................................................117 6.3.2 Dire, fare ...............................................................................................119 6.3.3 Avere, sapere .........................................................................................121 6.3.4 Potere, volere .........................................................................................123 6.3.5 Dovere ...................................................................................................124 6.3.6 Essere ....................................................................................................126 6.3.7 Andare ..................................................................................................127 III Syntax......................................................................................................... 131 1 Nominalsyntax ......................................................................................................131 1.1 Personalpronomina ........................................................................................131 1.1.1 Subjektpronomina ..............................................................................131 1.1.2 Objektpronomina ...............................................................................132 <?page no="10"?> Inhalt 9 1.2 Determinanten ................................................................................................135 1.2.1 Artikel ..................................................................................................135 1.2.2 Demonstrativa ....................................................................................136 1.2.3 Possessiva ............................................................................................136 1.3 Adjektivstellung .............................................................................................138 1.4 Relativsatz .......................................................................................................140 2 Verbalsyntax ..........................................................................................................143 2.1 Tempus ............................................................................................................143 2.1.1 Tempus und Aspekt ..........................................................................143 2.1.2 Tempuskonkordanz ...........................................................................148 2.2 Modus ..............................................................................................................149 2.3 Passivische und unpersönliche Konstruktionen ........................................153 2.3.1 Passiv ...................................................................................................153 2.3.2 Si passivante und si impersonale .........................................................156 2.3.3 Weitere indefinite Ausdrucksweisen ..............................................157 2.4 Komplexe verbale Prädikate .........................................................................158 2.4.1 Verb mit Infinitivergänzung.............................................................158 2.4.2 Verbalperiphrasen..............................................................................160 3 Einfacher Satz ........................................................................................................164 3.1 Negation ..........................................................................................................164 3.2 Wortstellung und Informationsstruktur (Thema/ Rhema) .......................166 3.3 Fragesatz ..........................................................................................................170 4 Komplexer Satz......................................................................................................172 4.1 Subordination I: Infinite Sätze ......................................................................172 4.1.1 AcI ........................................................................................................172 4.1.2 Partizipial- und Gerundialsätze .......................................................175 4.2 Subordination II: Finite Sätze........................................................................180 4.2.1 Konjunktionalsätze ............................................................................180 4.2.2 Bedingungssatzgefüge ......................................................................185 4.3 Parahypotaxe...................................................................................................188 IV Lexikologie................................................................................................ 193 1 Neuerungen im vulgärlateinischen Wortschatz ...............................................193 1.1 Synonymenselektion ......................................................................................194 1.2 Analytische Strukturen ..................................................................................195 2 Bedeutungswandel................................................................................................196 2.1 Metapher..........................................................................................................196 2.2 Metonymie.......................................................................................................197 2.3 Bedeutungsverengung und -erweiterung ...................................................198 2.4 Polysemie.........................................................................................................199 2.5 Homonymie.....................................................................................................199 <?page no="11"?> Inhalt 10 3 Wortbildung...........................................................................................................200 3.1 Derivation ........................................................................................................200 3.1.1 Präfigierung ........................................................................................201 3.1.2 Suffigierung ........................................................................................205 3.2 Komposition ....................................................................................................217 4 Lehnelemente.........................................................................................................219 4.1 Gräzismen........................................................................................................219 4.2 Keltismen .........................................................................................................220 4.3 Germanismen ..................................................................................................220 4.4 Latinismen .......................................................................................................222 4.5 Gallizismen......................................................................................................224 4.6 Iberoromanismen............................................................................................225 4.7 Arabismen .......................................................................................................225 4.8 Dialektale Einflüsse ........................................................................................226 Glossar .............................................................................................................. 229 Literatur ............................................................................................................ 235 <?page no="12"?> Einleitung Eine überblickgebende Darstellung zum Altitalienischen wirft die Frage nach der Periodisierung der italienischen Sprachgeschichte und damit nach der Differenzierung zumindest in eine alt- und eine neuitalienische Entwicklungsphase auf. So fehlt aus sprachinterner Perspektive ein Zeitpunkt radikaler Veränderungen, der eine Trennung von Alt- und Neuitalienisch erlauben würde. Eine Überlagerung mit historischen, politisch motivierten Ereignissen lässt sich nicht fixieren, wodurch die Gliederung der Sprachgeschichte in Jahrhunderte etwa bei Migliorini (Storia della lingua italiana, 1978) oder Bruni (mehrbändige Storia della lingua italiana, 1989-2003) bedingt sein dürfte. Auch im Vergleich etwa mit dem Französischen scheint eine Differenzierung in (zumindest) Alt- und Neuitalienisch aufgrund der deutlich geringer ausfallenden Veränderungen kaum gerechtfertigt. Entsprechend birgt die Lektüre eines mittelalterlichen Textes für den Leser mit Blick auf Lautung, Morphologie und Syntax keine größeren Schwierigkeiten. Dennoch scheint die Unterscheidung von Alt- und Neuitalienisch weitgehend etabliert zu sein, wobei vielfach weitere Entwicklungsphasen angesetzt werden (vgl. zur Diskussion Vincent 2000). Eine grobe Gliederung fixiert das Altitalienische oder Altflorentinische auf die Zeit von 1211 (erstes florentinisches Dokument) bis ca. 1400, dem eine mittelitalienische oder mittelflorentinische Zeit folgt, die bis zu den Prose della volgar lingua Pietro Bembos (1525) reicht und der schließlich das Neuitalienische - mit möglichen weiteren Untergliederungen - folgt (vgl. z.B. D’Achille 1990; die Unterscheidung der Entwicklungsphasen zeigt sich auch in der Periodisierung bei Krefeld 1988; die Ausbauphase I entspricht zeitlich der Zeit des Altitalienischen, die Überdachungsphase I beschreibt das Mittelitalienische und mit dem Jahr 1525 folgen die Ausbau- und Überdachungsphase II). Gerade bis zu Beginn des 16. Jh. handelt es sich weniger um Italienisch, als vielmehr um Florentinisch/ Toskanisch, woraus sich eine Bezeichnungsproblematik ergibt, die aber mit Blick auf die rein innersprachliche Beziehung zwischen Altflorentinisch und modernem Standarditalienisch aufgehoben wird (d.h. die Bezeichnung Altitalienisch ist so gerechtfertigt), vgl. hierzu auch Renzi (2000a: 719): „l’italiano antico, cioè la fase antica della lingua che parliamo oggi in Italia come lingua comune, è il fiorentino antico.“ Einige Merkmale des Florentinischen des 14. Jh. werden im lokalen Dialekt partiell wieder aufgegeben, aber in der Standardsprache fortgesetzt, was eine klare Rückführung des modernen Standarditalienischen auf seine florentinische Basis erlaubt (Renzi 1998a: 25ff., Castellani 1952):  Anaphonie für vlat. [e] zu [i] und [o] zu [u] vor [ɲ], [ʎ] und [ŋ] (klat. NG / NC ), vgl. nit. tigna, famiglia, lingua, vinco, fungo, spugno (nicht senesisch); <?page no="13"?> Einleitung 12  Diphthongierung von vlat. [ɛ] zu [jɛ] und von vlat. [ɔ] zu [wɔ] ausschließlich in offener Silbe (nit. pietra, ruota vs. bello, corpo; gesamttoskanisch, s. aber Remonophthongierung);  vortonige Hebung von vlat. [e] zu [i]: ritorno, nipote (gesamttoskanisch);  klat. - AR - > -erim Futur: vlat. AMARE HABEO > nit. amerò (florentinisch, auch senesisch, aretinisch, sonst amarò);  klat. - ARIU > nit. -aio, klat. - ARI > nit. -ari: bottaio, bottari;  Endung -iamo für die 1. Pers. Pl. Ind. Präsens anstelle von -amo, -emo, -imo;  definiter Artikel mask. sg. il (neben lo; toskanisch el, s. auch florentinisch Aufgabe von il zugunsten von el im 15. Jh.);  Konditional mit vlat. * HEBUI : it. canterei (vs. cantaría). Im Bereich der Syntax gibt es kaum exklusiv alttoskanische/ altflorentinische Merkmale, die sich in der Standardsprache fortsetzten. In der Regel geht das Toskanische entweder mit dem Nord- oder mit dem Süditalienischen (Stellung des Possessivadjektivs vor dem Substantiv; indefiniter, partitiver Artikel; Parallelität von passato remoto und passato prossimo (nur toskanisch); Kongruenz des Perfektpartizip mit nachfolgendem Objekt (auch atosk. möglich); Dreigliederung des deiktischen Systems: tosk. questo, codesto, quello). Ab 1525 fungieren die Werke der florentinischen Autoren des 13. und 14. Jh. als Basis für die Entwicklung der literarischen, später auch der administrativen Schriftlichkeit für ganz Italien, d.h. die regionale Rückbindung rückt in den Hintergrund, weshalb für diese Zeit und die Folgejahrhunderte die Bezeichnung des Idioms als (Neu-)Italienisch unstrittig ist. Sprachintern bedeutet die mit Bembo eingeleitete Normierung eine Reduktion des Variantenreichums und die Begrenzung umgangssprachlicher Einflüsse. Neuere Entwicklungen, die die entstehende Standardsprache aufnimmt, werden über die Literatursprache vermittelt und nicht direkt aus der gesprochenen Sprache übernommen (vgl. die frühe Remonophthongierung bei breve, trova oder figliolo (statt brieve, truova, figliuolo) oder auch die Hebung im Hiat wie in dia oder stia (gegenüber dea, stea), die Imperfektendung -o (statt -a) für die 1. Pers. Sg. oder auch die Personalpronomina lui, lei anstelle von egli, ella). Was den sprachlichen Ausbau betrifft, so gilt die Toskana um 1300 als die am stärksten urbanisierte Region in ganz Europa mit einem ausgeprägten Geschäftsschrifttum. Der vergleichsweise frühe Gebrauch des Schriftmediums versetzt die Geschäftsleute in die Lage, wichtige Schriftstücke, etwa Verträge, ohne die Hilfe von Notaren zu verfassen. Neben den missive und den pratiche di mercatura sind auch die sogenannten libri di famiglia eine wichtige Quelle für die Dokumentation des Florentinischen des 13. Jh. (Marazzini 1998: 78ff.). Für das 13. Jh. lässt sich eine durchgehende Tradition des volgare feststellen, die sich auch in der Übersetzung klassischer und mittelalterlicher (v.a. okzitanischer und französischer) Texte niederschlägt. Die Vormachtstellung des florentinischen Toskanischen ergibt sich also nicht nur aus der Literatur, für die den tre corone in der Folge Vorbildfunktion zukommt, sondern auch hinsichtlich der Quantität volkssprachlicher Schriftlich- <?page no="14"?> Einleitung 13 keit. Wenngleich schon für die zweite Hälfte des 14. Jh. ein stärkerer Rückgriff auf das Lateinische zu verzeichnen ist und innerhalb gelehrter Schriften die Tendenz erkennbar wird, antilateinische Elemente niederer volkssprachlicher Herkunft zu vermeiden, lässt sich eine regelrechte Krise des volgare für diese Kontexte erst im 15. Jh. ausmachen. Die Verbreitung des volgare in den unterschiedlichen Textsorten seit dem 13. Jh. spiegelt auch das von Renzi/ Salvi (2010) für ihre Grammatica dell’italiano antico verwendete Korpus des OVI wider, das eine differenzierte Untersuchung der mittelalterlichen Verhältnisse erlaubt (vgl. http: / / gattoweb.ovi.cnr.it/ ). Das Korpus enthält insgesamt 2335 Texte (Stand Sommer 2017) und stellt die Grundlage des Tesoro della Lingua Italiana delle Origini dar (vgl. http: / / tlio.ovi.cnr.it/ TLIO/ ), d.h. es ist lemmatisiert, so dass Formen abgefragt werden können, unter denen sämtliche Varianten gebündelt werden. Für morphologische, morphophonologische, morphosyntaktische und syntaktische Fragestellungen können auch Kookkurrenzen unterschiedlicher Elemente innerhalb eines Syntagmas o.Ä. gesucht werden. Dabei lassen sich auch einzelne Texte des Korpus oder solche etwa florentinischen Ursprungs als Subcorpus individuell erstellen (zu den vielfältigen Suchfunktionen vgl. die Projekthomepage http: / / tlioweb.ovi.cnr.it/ (S(isy5ulzclucf4555oxtay255))/ HelpGattoWeb/ C00-Guida .html). Die vorliegende Einführung setzt auf den eher knappen italienischsprachigen Darstellungen etwa von Serianni (2001), Patota (2007) oder D’Achille (2003) auf, die v.a. lautliche und morphologische, aber lediglich punktuell syntaktische und lexikalische Entwicklungen aufzeigen. Nach wie vor wichtige Referenzwerke sind die dreibändige Grammatica storica dell’italiano von Tekavčić (1980), die für die dialektalen Ergebnisse darüber hinaus wichtige, ähnlich umfangreiche Historische Grammatik der italienischen Sprache und ihrer Mundarten von Rohlfs (1949- 1954) sowie die Grammatica storica della lingua italiana von Castellani (2000, lediglich der erste von drei Bänden erschienen). Die zuletzt von Renzi und Salvi herausgegebene Grammatica dell’italiano antico (2010) behandelt - dem Konzept der Grande grammatica italiana di consultazione von Renzi/ Salvi/ Cardinaletti (1988-1995) zum Neuitalienischen folgend - v.a. die Syntax, enthält allerdings ergänzend einzelne Kapitel zur Phonologie, Morphologie und Wortbildung. Dabei werden die bis zum Ende des ersten Viertels des 14. Jh. dokumentierten florentinischen Texte als Korpus herangezogen. Für das vorliegende Studienbuch wird die Darstellung ebenfalls auf florentinische Texte beschränkt, in Ausnahmefällen wird - so bei morphologischen Sonderformen - ergänzendes Material herangezogen. Allerdings wird keine zeitliche Beschränkung vorgenommen, um die Bandbreite der Variation über die verschiedenen Textsorten und literarischen Gattungen aufzeigen zu können. Neuerungen etwa in der Ausdifferenzierung des Stils, wie sie ab dem 14. Jh. beobachtbar sind, schlagen sich v.a. in der Schwierigkeit nieder, syntaktische Regelhaftigkeiten auszumachen. Für die Morphologie wird bei Berücksichtigung eines größeren zeitlichen Rahmens auch die Gebrauchshäufigkeit einzelner Formen erkennbar, die so die Gebrauchsnorm abbilden und Entwicklungstendenzen aufzeigen. Trotz der Korpusgröße ist es natürlich möglich, dass be- <?page no="15"?> Einleitung 14 stimmte Phänomene oder Formen nicht dokumentiert sind, eine lückenlose Darstellung ist daher nicht möglich. Gerade in der Morphologie lassen sich jedoch fehlende Formen eines Verbalparadigmas auf der Basis etwa der weiteren Formen über Analogie rekonstruieren. Im Vergleich zu den genannten einführenden Darstellungen und den umfassenden mehrbändigen Werken oder Abhandlungen zu sprachlichen Einzelaspekten soll die vorliegende Einführung - nicht zuletzt durch die Einbindung des OVI-Korpus bedingt - einen fundierten Überblick über die Spezifika des Altitalienischen (auch im Vergleich zum Neuitalienischen) bieten. Der Aufbau folgt dabei demjenigen klassischer Darstellungen nach den einzelnen sprachlichen Beschreibungsebenen und bindet neben der Phonologie und der Morphologie auch die Syntax und die Lexikologie ein. Allgemein liegt der Fokus auf der typologischen und formalen Entwicklung, d.h. die Neuerungen gegenüber dem Lateinischen und die Basis etwa der analytischen Konstruktionen im Vulgärlateinischen werden genauso detailliert behandelt wie die z.T. starke formale Varianz, die die Heterogenität der sprachlichen Strukturen und die in der Folge der Normierung mit dem 16. Jh. erfolgende Nivellierung sichtbar macht. Die Basis für die Ausführungen bilden neben den bekannten Abhandlungen zum Altitalienischen ergänzende, eigene Untersuchungen unter Nutzung des OVI-Korpus, aus dem jeweils Beispiele angeführt werden (die Quellen werden dabei jeweils per Kurzzitation angegeben, für die vollständigen Angaben und die jeweiligen Editionen sei verwiesen auf die bibliographischen Angaben bei OVI selbst). Als Studienbuch soll die Einführung zugleich eine solide Vorbereitung auf Abschlussprüfungen ermöglichen. So erfolgt die Darstellung vor dem Hintergrund der Anforderungen des Bayerischen Staatsexamens, an dem sich auch die Fragen im Anschluss an die einzelnen Kapitel orientieren (letztlich bedingt durch zehnjährige Lehrerfahrung an der Universität Regensburg). Die Lektürehinweise verweisen auf zentrale Arbeiten, die Bibliographie ist mit Blick auf die große Zahl an Studien zum Altitalienischen eher als Auswahlbibliographie zu verstehen. Ergänzend sei auf die nach Kapiteln und einzelnen Fragestellungen gegliederten bibliographischen Angaben in der von Renzi/ Salvi herausgegebenen Grammatica dell’italiano antico (2010) verwiesen. <?page no="16"?> I Lautlehre Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die für das Italienische wichtigen lautlichen Entwicklungen. Zunächst wird auf die Phonie-Graphie-Relation eingegangen, da die Graphie nur bedingt Rückschlüsse auf die Lautung zulässt. In der Akzentsetzung gibt es insgesamt wenige Veränderungen, nur in Einzelfällen wird der Akzent in der Entwicklung auf eine andere Silbe verlagert. Für die Entwicklungen im Vokalismus ist zunächst der Quantitätenkollaps relevant, der die Basis für die weiteren Entwicklungen im betonten wie unbetonten Vokalismus darstellt. Für die so entstehenden offenen Mittelvokale ist haupttonig die spontane Diphthongierung von Interesse. Hier ist auch die Monophthongierung lateinischer Diphthonge wichtig, da die Ergebnisse nur mehr partiell an der romanischen Diphthongierung teilnehmen. Für den Haupttonvokalismus ist daneben weiter die Anaphonie bedeutend. Im unbetonten Vokalismus werden unterschiedlichste Prozesse sichtbar, so Tilgungen, wie im Falle der Synkope (Inlaut) oder der Aphärese (Anlaut), ebenso wie qualitative Änderungen, wie die vortonige Hebung oder assimilationsbedingte Veränderungen (Labialisierung, Velarisierung). Für den Konsonantismus ist zunächst zu berücksichtigen, dass v.a. durch die unterschiedlichen Palatalisierungsprozesse neue Laute entstehen, die zu einer deutlichen Differenzierung des italienischen vom lateinischen Konsonantensystem führen. Neben der Palatalisierung ist auch die Spirantisierung sowie die Sonorisierung zu nennen, die möglicherweise sogar toskanisch autochthon auftritt, aber nicht generalisiert worden ist. Weitere, nicht gemeinromanische Entwicklungen sind etwa die Auflösung bzw. die Vereinfachung von Konsonantennexus und hierzu gehörig Assimilations- und Dissimilationserscheinungen, die Reduktion einzelner Konsonanten im Auslaut sowie schließlich die i-Prothese, die zum Neuitalienischen rückgängig gemacht wird. Die Vokalquantität wird für die lateinischen Etyma nicht durchgängig angegeben, sondern vornehmlich für die Lautentwicklungen verzeichnet. Darüber hinaus wird die Vokalkürze oder -länge notiert, wenn sie für die Entwicklung einzelner Formen relevant ist. 1 Phonie-Graphie-Relation Das Phonie-Graphie-Verhältnis ist im Altwie Neuitalienischen im Vergleich zu anderen romanischen Sprachen vergleichsweise gut, wenngleich keine 1: 1-Relation besteht. Probleme bergen v.a. die palatalen Laute, die sich in der Entwicklung vom Vulgärlateinischen zum Italienischen herausbilden und für die die Fortsetzung eines lateinischen Graphems entsprechend unmöglich ist. Für eine Einschätzung der lautlichen Entwicklungen vom Lateinischen zum Altitalienischen kommen im Prinzip natürlich lediglich manuskripttreue Editionen als Quellen infrage. Zu berücksichtigen sind hier graphische Varianten, so z.B. werden die Grapheme <u> und <v> als kontextbedingte Allographe sowohl <?page no="17"?> I Lautlehre 16 für den Vokal / u/ als auch für den Konsonanten / v/ genutzt: <v> tritt jeweils am Wortanfang, <u> hingegen wortintern auf. Als graphische Variante zu <i> wird verschiedentlich auch <j> herangezogen (wortfinal oder -initial, auch in Verbindung mit anderen vokalischen Graphemen), in Latinismen tritt auch <y> auf (ymagine, sey ‚sechs‘). Die graphische Varianz bzw. die graphische Realisierung einzelner Laute wird im Folgenden bei der Behandlung der für sie relevanten Lautwandelprozesse angesprochen. 2 Akzent und Silbenstruktur Im Klassischlateinischen ist die Akzentstelle bestimmt durch das Paenultimabzw. Dreisilben-Gesetz, d.h. sie ist auf der Basis der Quantität (Länge/ Kürze) des Vokals der vorletzten Silbe (der Paenultima) vorhersagbar: Drei- oder mehrsilbige Wörter werden in der Regel auf der zweitletzten Silbe betont, d.h. auf der Paenultima (Paroxytonie; die betonte Silbe ist in den folgenden Beispielen durch das Akzentzeichen ˈ markiert). PĔ . RĔ . GRĪ . NUS , CŎ . LŬM . BA (it. pellegrino, colomba) Nur wenn der Vokal in der vorletzten Silbe kurz und die Silbe offen ist, wird die drittletzte Silbe (Antepaenultima; Proparoxytonie) betont: TA . BŬ . LA , PRĔ . HĔN . DĔ . RE (it. tavola, prendere) Im Italienischen ist der Akzent nun aber frei, d.h. er kann prinzipiell auf jeder Silbe liegen; in den meisten Fällen wird aber die vorletzte Silbe betont. Gleichzeitig bedeutet dies, dass dem Akzent anders als im Lateinischen distinktive Funktion zukommt, er ist also phonologisch relevant (s. z.B. áncora ‚Anker‘ - ancóra ‚noch‘). In den meisten Fällen liegt der Wortakzent im Italienischen auf der gleichen Silbe wie im Klassischlateinischen; eine Akzentverlagerung tritt bestenfalls bei klassischlateinischen Proparoxytona ein, also Wörtern, die auf der drittletzten Silbe betont werden:  Bei der Verbindung aus einem Obstruenten (Plosiv, Frikativ) und [r] (muta cum liquida) tritt eine Akzentverlagerung ein (Konsonantenverbindungen aus Obstruent und [l] werden zum Italienischen hin aufgelöst, vgl. OCULUM > vlat. OCLUM > it. occhio). Findet sich der Konsonantennexus im Silbenanlaut der letzten Silbe, wird der Akzent gegebenenfalls auf den unmittelbar vorausgehenden Vokal verlagert, vgl. klat. IN . TE . GRUM > vlat. IN . TE . GRU > it. intéro, klat. TE . NE . BRAE > vlat. TE . NE . BRAE (s. frz. tenèbres, it. aber wieder ténebre).  Bei den klassischlateinischen Hiaten - IE -, - IO -, - IA -/ - EO -, - EA etc., also der Abfolge zweier Vollvokale, liegt die Betonung auf dem ersten Vokal. Im Vulgärlateinischen wird der Akzent auf den zweiten, schallstärkeren Vokal verlagert: klat. MU . LI . E . REM > vlat. MUL . IE . RE [mul jere] > it. moglie(re) klat. FI . LI . O . LUM > vlat. FIL . IO . LU [fil jolu] > it. figliolo <?page no="18"?> 3 Vokalismus 17 Mit der Akzentverlagerung werden die beiden Silben kontrahiert, weshalb [i] zu [j] devokalisiert wird (es handelt sich hier um eine Synärese, der Zusammenziehung zweier Vokale zu einer Silbe, die mit der Halbkonsonantisierung eines Elementes einhergeht). Auch [e] in dieser Position entwickelt sich zu [j] (wohl über die Zwischenstufe [i]): klat. VINĒAM > vlat. * VINIA [ vinja] > it. vigna [ viɲɲa] In der Appendix Probi (4. Jh. n. Chr.) werden diese Formen getadelt: vinea non vinia, cavea non cavia (> it. gabbia). Eine parallele Entwicklung findet sich für prävokalisches [u] (> [w]). Auch diese Fälle finden sich in der Appendix Probi, s. vacua non vaqua, vacui non vaqui (it. vacuo ist ein Latinismus), wobei die Entwicklung hier auch durch die Verwendung der Graphemfolge <qu> ([kw]) sichtbar wird.  In einigen zusammengesetzten Verben hat eine Rekomposition stattgefunden, d.h. der Wortkörper wird von der Sprechergemeinschaft offensichtlich als Verbindung aus Präfix und Basislexem analysiert. Bei diesen Verben ist die Verlagerung der Akzentstelle auf das „Basislexem“ also morphologisch bedingt: klat. CONTINET vs. nit. contiéne klat. RENOVAT vs. nit. rinnóva klat. DISPLICET vs. nit. dispiáce  Bei vier- und mehrsilbigen Wörtern wird häufig der Vokal im Vorton (Initialsilbe) oder in der Zwischentonsilbe, d.h. in der Position zwischen Haupttonsilbe und Nebentonsilbe, reduziert (Darmestetersches Gesetz). Es handelt sich also um eine Synkope: klat. BÒ . NI . TÁ . TEM > it. bontà klat. CI . VI . TA . TEM > ait. cittade > nit. città 3 Vokalismus Im Bereich des Vokalismus ist prinzipiell zwischen Entwicklungen im Haupttonvokalismus und solchen im unbetonten Vokalismus zu unterscheiden. Die Grundlage für die Entwicklung des Vokalismus ist mit dem vulgärlateinischen Quantitätenkollaps gegeben: Im Klassischlateinischen ist die Vokalquantität phonologisch relevant, d.h. die jeweiligen Lang- und Kurzvokale haben Phonemstatus: MĂLUS ‚böse‘ vs. MĀLUS ‚Apfelbaum‘ LĔGO ‚ich lese‘ vs. LĒGO ‚ich binde‘ Mit dem Quantitätenkollaps wird die Vokallänge dephonologisiert, gleichzeitig wird die Vokalqualität, also die Differenzierung der Mittelvokale nach Öffnungsgrad, phonologisiert. Der Prozess ist spätestens im 3. Jh. n. Chr. abgeschlossen. <?page no="19"?> I Lautlehre 18 Unklar ist, warum es zu dieser Veränderung kommt. Verschiedentlich wird angenommen, dass die klassischlateinisch langen Vokale tendenziell geschlossener realisiert werden als kurze und dass entsprechend klat. Ĭ [ɪ], Ē [e  ], Ĕ [ɛ] bzw. Ŭ [ʊ], Ō [o  ] und Ŏ [ɔ] ausgesprochen werden. Wahrscheinlich ist die Qualität im Lateinischen redundant. Auslöser für den Quantitätenkollaps könnte auch die Monophthongierung der klassischlateinischen Diphthonge oder der Einfluss von Substratsprachen sein, da in diesen die Vokalquantität nicht immer phonologisch relevant ist. Für den betonten Vokalismus gilt wie für die meisten anderen romanischen Sprachen das Italische System als Basis für die jeweiligen einzelsprachlichen Entwicklungen: Abb. 1.1: Quantitätenkollaps: betonter Vokalismus klat. Ī Ĭ Ē Ĕ Ā Ă Ŏ Ō Ŭ Ū vlat. i e ɛ a ɔ o u Im Italienischen wird das vulgärlateinische Vokalsystem unverändert fortgesetzt; die offenen Mittelvokale ([ɛ], [ɔ]) werden in bestimmten Kontexten im Weiteren diphthongiert (> [jɛ], [wɔ]; vgl. I 3.1). Die Vokalquantität ist im Vulgärlateinischen und heute noch im Italienischen nur mehr rein phonetisch und silbenstrukturell bedingt: it. pala [ pa  .la], Langvokal in offener betonter Silbe, vs. palla [ pal.la], Kurzvokal in geschlossener betonter Silbe. Die klassischlateinischen Diphthonge AE (Realisierung [a ]), und OE (wahrscheinlich [ɔ ]) werden ab dem 2./ 3. Jh. monophthongiert (> [ ]), wobei der Monophthong aufgrund der Länge des Diphthongs in den frühesten Belegen lang gewesen und die Schließung des Vokals bedingt haben dürfte ( Ē > vlat. [e]), vgl. klat. SAETAM > it. seta [ se  ta], POENAM > it. pena [ pe  na]. Auch für AU [a ] gibt es Belege für eine frühe Monophthongierung, wobei entsprechende Belege v.a. für Mittelitalien vorliegen und hier eine diaphasisch niedrige Markierung zeigen (s. z.B. in Briefen Ciceros an seinen Bruder). Die entsprechenden Beispiele zeigen aufgrund der noch phonologisch relevanten Vokalquantität wiederum die Reduktion auf den geschlossenen Vokal ([o], vgl. klat. CAUDAM > it. coda). Im weiteren Verlauf lautet das Ergebnis der Monopthongierung, die erst im 8. Jh. abgeschlossen ist, [ɔ]. In Latinismen bleibt der Diphthong erhalten (s. z.B. causa, rauco, laude etc.; zu den lautlichen Indizien für Latinismen s. I 4.2.6 bzw. auführlich IV 3). AE , OE > [ɛ] klat. C AESARE > it. Cesare klat. FOEDERALEM > it. federale <?page no="20"?> 3 Vokalismus 19 AU > [ɔ] klat. AURUM > it. oro klat. TAURUM > it. toro klat. PAUCUM > it. poco klat. PAUPERUM > it. povero klat. TESAURUM > it. tesoro EU [ɛ ] nimmt eine marginale Stellung ein und tritt fast ausschließlich in griechischen Lehnelementen auf. Für den unbetonten Vokalismus ergibt sich vulgärlateinisch ein hinsichtlich der Quantitäten wie der Qualitäten neutrales System, das aus nur mehr fünf Vokalen besteht: Abb. 1.2: Quantitätenkollaps: unbetonter Vokalismus klat. Ī Ĭ Ē Ĕ Ā Ă Ŏ Ō Ŭ Ū vlat. i e a o u Sowohl für das Altals auch für das Neuitalienische ist zu beachten, dass [u] eine Sonderstellung zukommt, da es nicht im unbetonten absoluten Auslaut auftreten kann; das Vokalsystem ist also defektiv (vgl. aber virtù mit betontem [u]). Approximanten Die Approximanten [j] und [w] sind bereits seit (nach)klassischer Zeit belegt und bedingt durch das Auftreten von [i] oder [u] mit einem weiteren Vokal im Silbengipfel (also in inter- oder prävokalischer Stellung, s. I 2 zur Hiatentwicklung). Schon klassischlateinisch tritt eine Devokalisierung für [i] etwa in Fällen wie IAM (> [ jam]) ein, die zu einer weiteren Stärkung führt (> it. già [ dʒa]). [w], das bereits klassischlateinisch besteht, aber auch durch Devokalisierung entsteht (s. Appendix Probi: vacua non vacqua), erfährt wortinitial und auch wortintern eine Stärkung zu [v] und kann in intervokalischer Stellung mit dem Ergebnis der Spirantisierung von [b] zusammenfallen ([b] > [v], s. z.B. RIPAM > * RIBA > it. riva, s. I 4.1.3 bzw. I 4.1.1). klat. [i] > vlat. [j] > it. [dʒ]: klat. I ULIUS > it. Giuglio klat. [u] > vlat./ it. [w]: klat. PLACUI > it. piacqui klat. [w] > vlat./ it. [v]: klat. VIDI [ wi  di] > it. vidi Für Wörter wie giudice, giurare, giustizia, Gesù finden sich in den altitalienischen Dokumenten die Schreibungen <g(i)-> und <i-> parallel, häufig auch in einem Text, weshalb eine unterschiedliche lautliche Realisierung ([dʒ], [j]) wohl auszuschließen ist. Lateinische Formen wie IUSTUM , die auch in altitalienischen Texten als giustum (vgl. Cronica fiorentina) auftreten, zeigen vielmehr, dass auch Latinismen mit [dʒ] realisiert werden. Die zuletzt angesprochenen Prozesse werden im Kontext der konsonantischen Entwicklungen ausführlicher wieder aufgegriffen. <?page no="21"?> I Lautlehre 20 3.1 Entwicklung des Haupttonvokalismus 3.1.1 Diphthongierung Als eine der wichtigsten Entwicklungen für den betonten Vokalismus ist die Diphthongierung zu nennen, ein Stärkungsprozess, der die vulgärlateinisch offenen Mittelvokale (vlat. [ɛ] < klat. Ĕ , vlat. [ɔ] < klat. Ŏ ) in offener Silbe betrifft. Bei den Entwicklungsergebnissen handelt es sich um sogenannte steigende Diphthonge, d.h. der Schalldruck bzw. die Sonorität steigt zum zweiten vokalischen Element hin an: vlat. [ɛ] > [jɛ]: klat. PĔDEM > it. piede vlat. [ɔ] > [wɔ]: klat. HŎMO > it. uomo Der hier beschriebene Diphthongierungstyp wird in der Regel als spontane Diphthongierung beschrieben, d.h. sie tritt unabhängig vom lautlichen Kontext auf. Davon abzugrenzen ist die kontextbedingte Diphthongierung, wie sie verschiedentlich in nord- und süditalienischen Dialekten als Ergebnis der Metaphonie (Umlaut) vorkommt. Die Diphthongierung oder Schließung des Haupttonvokals wird in diesen Fällen durch einen hohen Auslautvokal ausgelöst (klat. - I , häufig auch - U ; vgl. z.B. aröm. mask. sg. viecchio (< klat. VĔTULUM ) vs. fem. sg. vecchia (< klat. VĔTULAM ), kalabr. mask. sg. gruossu (klat. GRŎSSUM ) vs. fem. sg. grossa (< klat. GRŎSSAM ), mask. pl. gruossi (< klat. GRŎSSI ) vs. fem. pl. grosse (< klat. GRŎSSAE / GRŎSSAS ); aven. mask. sg. povolo ‚popolo‘ (< klat. PŎPŬLUM ) vs. mask. pl. puovoli (< klat. PŎPŬLI ), vgl. mit Vokalschließung auch mask. pl. timpi (< vlat. TEMPI vs. klat. TEMPORA ), chisti ‚questi‘ (< vlat. ECCU ĬSTI ), lomb. quist mit Ausfall des ursprünglich auslautenden - I ). In der Regel wird die spontane Diphthongierung aufgrund ihrer gemeinromanischen Verbreitung (s. auch die Bezeichnung als „romanische Diphthongierung“) als spätlateinische Entwicklung betrachtet. Vermutlich diphthongiert der palatale Vokal früher (3./ 4. Jh.) als der velare Vokal (6./ 7. Jh.), d.h. die Entwicklung verläuft asymmetrisch. Was die klassischlateinischen Diphthonge betrifft, so wurde bereits darauf hingewiesen, dass AE früh zu [ɛ] monophthongiert wird und entsprechend zu [jɛ] diphthongiert: klat. LAETUM > it. lieto klat. QUAERERE > it. chiedere klat. PRAEMIAT > ait. priemia > nit. premia Dagegen tritt für [ɔ] aus klat. AU keine Diphthongierung ein, weil die Monophthongierung erst einsetzt, als die Diphthongierung von [ɔ] zu [wɔ] bereits abgeschlossen ist. Auch sekundär entstehendes und in der Folge monophthongiertes [a ] wird nicht diphthongiert (s. z.B. klat. FA ( B ) ULAM oder P AULUM , die sich dialektal zu fola und Polo entwickeln). In der poesia aulica findet sich dagegen der auch für Latinismen typische Erhalt des Diphthongs (vgl. lit. laude, paraula, auro). Trotz der Charakterisierung des Prozesses als romanische Diphthongierung werden unterschiedliche Thesen zur Entwicklung bzw. Verbreitung der Diphthonge im Toskanischen diskutiert. So ist einerseits norditalienischer Einfluss denkbar, andererseits ist es auch möglich, dass es sich um eine autochthone Ent- <?page no="22"?> 3 Vokalismus 21 wicklung des Toskanischen handelt, wobei unklar ist, ob ihr eine Metaphonie zugrunde liegt. Erstgenannte These wird dadurch gestützt, dass in diversen Fällen in der literarischen Sprache, v.a. in der Lyrik, kein Diphthong vorliegt (pecora, redina, lepre, poi, brodo, nove etc.). Gerade aber für die literarische Schriftlichkeit des 13./ 14. Jh. ist natürlich nicht zwingend eine Abbildung der volkssprachlichen Verhältnisse anzunehmen. Da aber neuflorentinisch in diesen Wörtern vielfach ein offener Mittelvokal vorliegt, ist es durchaus möglich, dass in diesen Wörtern nie eine Diphthongierung erfolgt ist. Altitalienisch zeigt sich die Diphthongierung zumindest nicht durchgängig, d.h. sie erfasst nicht alle offenen betonten Mittelvokale in offener Silbe, s. z.B. die Verbformen sei (siei ist nur vereinzelt belegt) und era (neben deutlich seltenerem iera), sete (nit. siete). Auch in klat. BENE > it. bene, vlat. * ILLAEI > it. lei (analog colei, costei, vgl. aber asen. liei) sowie klat. NOVEM > it. nove scheint die Diphthongierung unterblieben zu sein. Möglicherweise liegt der Grund bei bene in der vielfach vortonigen Stellung und für die Formen von essere im häufigen Gebrauch als Auxiliarverb. Auch in Proparoxytona fehlt der Diphthong verschiedentlich, so in klat. PÉCO - RAM (ursprünglich neutr. pl.) > it. pécora, klat. ÓPERAM > it. ópera (möglicherweise Latinismus), s. aber daneben klat. QUAERERE > it. chiédere (ait. aber vereinzelt auch chérere). Dialektal findet sich z.B. piecora, asen. uopara, klat. LÉVITUM > it. liévito. Die Schwankungen sind hier möglicherweise dadurch bedingt, dass der Tonvokal bei Proparoxytona nicht so stark gelängt wird wie bei Paroxytona. Darüber hinaus fehlt der Diphthong schließlich in Latinismen und gelehrten Bildungen, die die volkssprachlichen Entwicklungen nur partiell mitmachen: regola, specie, sede, secolo, decimo. In anderen Kontexten ist der Diphthong sehr früh wieder rückgängig gemacht worden. So lässt sich eine Remonophthongierung häufig nach Palatal oder muta cum liquida beobachten, vgl. cielo, ursprünglich wahrscheinlich realisiert als [ˈtʃjɛlo] (> nit. [ˈtʃɛlo]), vgl. ähnlich ait. gielo (> nit. gelo), ait. priego (> nit. prego), ait. truova (> nit. trova). Diese Remonophthongierung setzt im Florentinischen wohl erst nach dem 14. Jh. ein und geht möglicherweise von den westtoskanischen Varietäten aus. Erste Beispiele finden sich bereits in der Lyrik des 13. Jh., möglicherweise durch Einfluss der sizilianischen Dichterschule bedingt. Bis Ende des 14. Jh. ist der Diphthong aber in diesem Kontext durchaus noch verbreitet. Ähnlich wie im Fall der Diphthongierung zeigt sich auch bei der Remonophthongierung eine Asymmetrie in der Entwicklung - sie tritt im 15. Jh. verstärkt zunächst bei [jɛ] auf, im 16. Jh. erst auch bei [wɔ]. Neuitalienisch ist letztlich der weitere Abbau von [wɔ] nach Palatalen v.a. in der Sequenz [ˈwɔlo] beobachtbar: fagiuolo > fagiolo figliuolo > figliolo vaiuolo > vaiolo giuoco > gioco Im weiteren Entwicklungsverlauf wird die Varianz zwischen Monophthong und Diphthong in Wortfamilien und Verbparadigmen weiter abgebaut. So zeigt z.B. <?page no="23"?> I Lautlehre 22 klat. VETÁRE => it. vietáre die Entwicklung der stammbetonten Präsensformen (s. klat. VÉTO > it. vieto); die reguläre Entwicklung von klat. VETÁRE ist vetare (atosk. belegt). Es hat also ein intraparadigmatischer Ausgleich zugunsten der stammbetonten Entwicklung stattgefunden. Auch tiepidezza (regulär entwickelt tepidezza zu erwarten, ait. parallel zu tiepidezza) hat sich analog zu tiepido entwickelt (s. ähnlich mietitura auf der Basis von mietere, pietroso nach pietra, lievitare analog zu lievito etc.). Bei segue, nega (vs. ait. parallel noch siegue, niega) findet sich das Ergebnis der endungsbetonten Formen. Neben den bisher besprochenen steigenden Diphthongen, die durch die romanische, spontane Diphthongierung entstanden sind, gibt es altwie neuitalienisch auch fallende Diphthonge (V + [ ], vgl. z.B. mai, lei, dovei etc.). Diesen liegt aber kein Diphthongierungsprozess zugrunde. Sie bestehen entweder schon seit frühester Zeit (vgl. vlat. ILLAEI > it. lei) oder entstehen sekundär durch den Ausfall eines intervokalischen Konsonanten (vgl. klat. MAGIS > it. mai). Bei Einsilblern wird altitalienisch der auslautende Semivokal vielfach reduziert (s. etwa bei den preposizioni articolate die Varianten a’, da’, de’, ne’, su’). Im Kontext der Diphthongierung ist auch die Entstehung der Triphthonge [jɛ ] und [wɔ ] v.a. mit Blick auf das Formeninventar der Possessiva interessant, da sich innerhalb des Paradigmas deutliche Unterschiede in der Entwicklung des klassischlateinischen Tonvokals finden (s. genauer unter II 3.3). 3.1.2. Schließung des Haupttonvokals im Hiat Die in einigen Beispielen bereits aufgezeigte Schließung eines palatalen wie velaren Haupttonvokals in Hiatposition tritt regelmäßig auf. Dabei ist interessant, dass vlat. [ɛ] wie [e] zu [i] und [ɔ] wie [o] zu [u] geschlossen werden: klat. ĔGO > it. io klat. DĔUM > nit. Dio (ait. auch Deo; vgl. daneben auch fem. dea) klat. DŬAS / DŬAE > it. due klat. BŎ ( V ) EM > it. bue Die Schließung von e zu [i] ist bei den Imperfektformen der II Konjugation selten (vgl. temea, tenea, vedea, eine Ausnahme bildet avia neben dominantem avea sowie die Konditionalendung -ia bzw. -iano), möglicherweise weil andernfalls sekundär eine Überlagerung mit den Formen der III Konjugation eingetreten wäre (s. dazu auch II 6.1.2). 3.1.3 Anaphonie Neben der Diphthongierung ist die Anaphonie wichtig, also die Hebung des Haupttonvokals. Allerdings bleibt sie geographisch auf ein kleines Gebiet beschränkt - so ist sie z.B. für das Florentinische und Lucchesische belegt, nicht aber für das Senesische oder Aretinische. Betroffen sind von diesem Prozess vulgärlateinisch betontes [e] sowie (in geringerem Ausmaß) [o], die zu [i] bzw. [u] geschlossen werden. Diese Hebung ist wohl schon im 8. Jh. abgeschlossen und an bestimmte Kontextbedingungen geknüpft: Sie tritt fast ausschließlich vor den Pa- <?page no="24"?> 3 Vokalismus 23 latalen [ʎʎ] und [ɲɲ] auf, sofern diese auf klassischlateinisch prävokalisches LI bzw. NI zurückgehen: klat. CONSILIUM > ait. conseglio (afior. noch vereinzelt) > ait./ nit. consiglio klat. CILIUM > ait. ceglio > nit. ciglio klat. FAMILIAM > ait. fameglia > nit. famiglia vs. klat. LIGNUM > it. legno (nicht ligno, asen. Einzelbeleg) klat. DĬGNUM > it. degno (nicht digno, ait. nur vereinzelt belegt) Daneben tritt die Hebung vor Velarnasal ([ŋ]) auf, allerdings nicht in der Sequenz -[oŋk]- (die einzige Ausnahme bildet IŬNCUM > ait. giunco): klat. LINGUAM > ait. lengua > nit. lingua klat. VINCO > ait. venco > nit. vinco klat. FŬNGUM > ait. fongo > nit. fungo 3.2 Entwicklung des unbetonten Vokalismus Das für den lateinischen Haupttonvokalismus angeführte Phonemsystem gilt wie gesehen auch für den unbetonten Vokalismus, d.h. die Quantität ist auch hier distinktiv (vgl. R OMĂ (Nom.) vs. R OMĀ (Abl.)). Anders als die betonten Vokale sind im Italienischen alle unbetonten wie nebentonigen Vokale unabhängig von der Silbenstruktur kurz. Was die Qualität der Mittelvokale anbelangt, so ist im unbetonten Vokalismus eine Neutralisierung zugunsten wohl der geschlossenen Qualitäten erfolgt, geht man von der Realisierung der Vokale im modernen Florentinisch aus (vgl. Opposition [e] ~ [ɛ]: venti [ venti] ‚zwanzig‘ vs. [ vɛnti] ‚Winde‘; unbetont nur [e], s. ventoso [ven to  so] ‚windig‘). Für den Auslaut wurde bereits auf dessen Defektivität verwiesen - so ist -u in finaler Stellung nicht möglich, zum einen weil klat. - ŬM italienisch als -o fortgesetzt wird, zum anderen weil Elemente wie klat. FRUCTŪM ( U -Deklination) in die O -Deklination überführt werden und entsprechend italienisch ebenfalls auf -o ausgehen (für langes - Ū wäre bei regulärer Entwicklung die Fortsetzung als [u] erwartbar, s. Abb. 1.2). Alle anderen unbetonten Vokale treten italienisch auch in der Auslautsilbe auf. 3.2.1 Synkopierung Die Synkopierung, also der Schwund unbetonter Vokale (und seltener Silben) im Wortinneren, wurde bereits mit Blick auf die Entwicklung zwischentoniger Silben angesprochen. Sie ist über den genannten Kontext hinaus im Vulgärlateinischen weit verbreitet und insgesamt häufig für nachtonige Vokale. In der Appendix Probi finden sich hierzu zahlreiche Beispiele. Die getadelten Formen bilden die Basis für die italienischen Entwicklungen; die Synkopierung tritt dabei v.a. in den folgenden Kontexten auf (V steht im Folgenden für einen beliebigen unbetonten Vokal): cVl: speculum non speclum (> it. specchio) masculus non masclus (> it. maschio) lVd: calida non calda (> it. calda) <?page no="25"?> I Lautlehre 24 rVd: viridis non virdis (> it. verde) gVd: frigida non fricda (> it. fredda) mVn: klat. DOMINAM > vlat. DOMNA > it. donna (nicht in Appendix Probi belegt) Faktoren, die die Synkopierung generell beeinflussen, sind:  die Sprechgeschwindigkeit (Allegro-Formen);  der lautliche Kontext, d.h. phonotaktische Restriktionen: wenn die mit der Synkopierung entstehenden Konsonantenverbindungen in der Sprache möglich sind, wird der Vokal synkopiert, sonst nicht; ein interessanter Fall ist hier z.B. klat. VETULUM > vlat. VECLU > it. vecchio, bei dem die Synkope trotz der entstehenden, lateinisch unzulässigen Konsonantenverbindung - TL - (klat. VETULUM > * VETLU ) nicht unterbunden wird, - TL wird vielmehr unmittelbar durch die ähnliche Verbindung - CL ersetzt;  der soziolinguistische Kontext: in diastratisch und diaphasisch niedriger bzw. stärker markierten Varietäten gibt es eine ausgeprägtere Tendenz zur Synkopierung, in höher bzw. schwächer markierten Varietäten tritt Synkope entsprechend seltener auf. So z.B. ist die Synkopierung bei Lexemen, die dem fachsprachlichen Wortschatz zugehören, erst spät eingetreten ( SPA - TULAM > vlat. * SPATLA > it. spalla; bei volkssprachlicher Entwicklung wäre analog zu vecchio die Form *spacchia erwartbar);  diatopisch markierte Entwicklungen (s. in den norditalienischen Dialekten ausgeprägtere Tendenz zur Synkopierung). Synkopierung tritt (alt-)italienisch nur mehr vereinzelt auf. Die Synkopierung stellt mit Blick auf die italienischen Ergebnisse eine beinahe rein vulgärlateinische Entwicklung dar, ist aber für weitere, im Italienischen eintretende Prozesse, wie etwa die Assimilation, relevant. Im Folgenden wird daher lediglich auf spezifische Entwicklungen im Vor- und Nachton genauer eingegangen. 3.2.2 Vortonige Hebung Für die Stellung im Vorton lässt sich v.a. für [e], deutlich seltener für [o], in den west-, nord- und südtoskanischen Mundarten eine Tendenz zur Hebung des Vokals außer vor -r- (hier Erhalt oder Absenkung zu [a]) ausmachen: klat. MELIOREM > it. migliore klat. SENIOREM > it. signore klat. NEPOTEM > it. nipote vlat. * COSIRE > it. cucire vs. it. serata (Ableitung von sera < klat. SERAM ) Altitalienisch treten zwar noch die Varianten megliore, segnore, nepote oder auch pregione neben prigione (< frz. prison < klat. PRE ( HE ) NSIONEM ) etc. auf, jedoch werden diese Formen ab der zweiten Hälfte des 13. Jh. kontinuierlich aufgegeben. Aufgrund der geringeren Schallstärke der hohen Vokale im Vergleich zu den mittleren Vokalen kann die Schließung auch als Schwächungsprozess betrachtet werden. <?page no="26"?> 3 Vokalismus 25 Die vortonige Hebung betrifft auch Präfixe ( DES - > dis-, RE - > ri-). Die satzphonetische Relevanz des Prozesses wird deutlich an der Hebung bei Präpositionen ( DE > di) sowie klitischen Elementen ( ME > mi, TE > ti, SE > si etc.) - Präpositionen wie Klitika haben keinen eigenen Wortakzent und lehnen sich an das Bezugswort an, d.h. sie werden behandelt wie eine vortonige Silbe innerhalb eines Wortes, weshalb hier die Hebung des Vokals eintreten kann. In Latinismen bleibt die Vokalqualität dagegen erhalten; interessant sind in diesem Kontext Fälle von Relatinisierung nach einer zunächst erfolgten Hebung des Vortonvokals (vgl. klat. DELICATUM > ait. dilicato > nit. delicato). Auch bei Analogie innerhalb von Wortfamilien bleibt der Vokal meistens erhalten (bellezza, telaio, cercare, fermare), daneben auch in Wörtern wie nemico und felice. In letzterem Fall könnte der Vokal dissimilatorisch bedingt sein, d.h. hier ist möglicherweise sekundär -ewiederhergestellt worden, um die Abfolge zweier identischer oder ähnlicher Vokale in aufeinanderfolgenden Silben zu vermeiden (*nimico, *filice). Auch für den lateinischen Monophtong AU ist die Entwicklung im Vorton auffällig. Wie gesehen, wird AU zu [ɔ] bzw. [o] (frühe Fälle), wobei im Vorton eine Tendenz zur Hebung zu [u] besteht (vgl. klat. AUDIRE > it. udire, vlat. * RAUBARE > it. rubare vs. klat. LAUDARE > it. lodare). Auch vulgärlateinisch sekundäres [a ] wird verschiedentlich zu [u] entwickelt, s. vlat. * AVICELLUM > vlat. AUCELLUM > it. uccello. Wenn die Folgesilbe ein - U enthält, tritt jedoch eine Senkung des Monophthongs o zu a ein (d.h. hier liegt eine Dissimilation vor, die Vokale werden unähnlicher, s. I 4.2.1): klat. AUGŬSTUM > it. agosto, klat. AUSCŬLTA > it. ascolta. 3.2.3 Aphärese und Tilgung des Anlautkonsonanten Der Prozess der Aphärese, d.h. die Tilgung des unbetonten Anlautvokals oder gar der Anlautsilbe, ist ebenfalls vergleichsweise selten. Die Tilgung des Anlautvokals oder der Anlautsilbe ausschließlich nach einem Element mit vokalischem Auslaut führt zur Entstehung einer kontextuell bedingten Variante (vgl. z.B. lo ‘mperadore nach Vokal statt imperadore, che ‘mmantenente, da ‘mpendere). Dieser Fall ist eher selten, und die reduzierte Form setzt sich nicht durch. Beispiele für Aphäresen mit durchgängigem Schwund des Anlauts sind dagegen: klat. INIMICUM > it. nemico (ait. auch latinisierendes inimico) klat. EPISCOPUM > it. vescovo klat. EVANGELIUM > it. vangelo (ait. auch vangelio; s. auch latinisierendes evangel(i)o) Eine Aphärese tritt z.T. auch schon altitalienisch bei den Demonstrativa esto und esta auf, v.a. in Verbindung mit mattina, mane, sera, notte, volta (hier ist zudem eine Univerbierung eingetreten, s. stamattina etc.). Interessant sind schließlich Tilgungen, die auf einer Fehlinterpretation basieren - so fällt in den folgenden Beispielen jeweils das als prävokalisches Artikelallomorph interpretierte laus: klat. LABELLUM ‚Becken‘ > it. lavello ‚Becken‘, avello ‚Grab‘ klat. * LUSCINIOLUM > it. usignolo ‚Nachtigall‘ (ait. aber auch noch lusignolo) <?page no="27"?> I Lautlehre 26 Anlautendes o-, das als Variante zu lo aufgefasst wird, kann ebenfalls getilgt werden (s. zum Neuitalienischen standardsprachlich z.T. restituiert): klat. OBSCURUM > ait. oscuro => (l)o scuro > scuro klat. HOSPITALEM > ait./ tosk. spedale Bei femininen Lexemen wird vielfach anlautendes A getilgt, möglicherweise auch wieder bedingt durch die Interpretation als Artikelform (als Variante zu la): klat. ( H ) ARENAM > it. arena, rena ‚Sand‘ klat. ABBATISSAM > it. abbadessa => (l)a badessa > badessa Bei der Adaption von pers. naranğ wurde möglicherweise nals Variante zu un aufgefasst und das Lexem deswegen als it. arancio adaptiert. Der umgekehrte Fall, bei dem der Artikel in das Wort inkorporiert wird, tritt seltener auf: it. lastrico (< klat. ASTRACUM ). 3.2.4 Labialisierung Aufgrund der spezifischen Kontextbedingungen eher selten ist die Labialisierung. Es handelt sich dabei um eine partielle Assimilation (s. I 4.2.1), also eine teilweise Anpassung von i und e an den nachfolgenden oder seltener den vorausgehenden labialen oder labiodentalen Konsonanten zu u bzw. o (bei AEQUALEM nicht unmittelbar aufeinanderfolgend, s. [u gwale]): klat. DEMANDARE > it. domandare klat. DEBERE > it. dovere klat. REVERSIARE > it. rovesiare klat. - EBĬLEM > it. -evole klat. LIMACEAM > it. lumaca klat. EBRIACUM > it. ubriaco klat. AEQUALEM > it. uguale (hier mit sekundärer Hebung von [o] zu [u]). Bei einigen Elementen zeigt sich parallel zur Labialisierung auch die vortonige Hebung. So tritt neben domani bzw. domane altitalienisch noch dimani bzw. dimane (klat. DEMANE ) auf, neben doventare (Frequentativform zu klat. DEVENIRE ) findet sich in den frühen Texten parallel diventare. 3.2.5 Schließung von e im Nachton Für den Nachton (nicht in der Finalsilbe) lässt sich vielfach eine Schließung von e (< klat. Ĭ ) feststellen: klat. CÍMĬCEM > it. cimice klat. HÓMĬNES > it. uomini klat. FÉMĬNAM > it. femmina klat. LÉVĬTUM > it. lievito klat. ÚNĬCUM > it. unico klat. ´- BĬLEM > it. -bile <?page no="28"?> 4 Konsonantismus 27 3.2.6 Velarisierung von nachtonigem a und e Velarisierung des Zentral- oder des palatalen Mittelvokals tritt v.a. vor [l] auf: klat. SCANDALUM > ait. scandolo (nit. scandalo, relatinisierend) klat. NÚBĬLUM > it. nuvolo klat. MÉSPĬLUM > it. nespolo klat. ANGELUM > ait. agnolo (nit. angelo) 3.2.7 Apokope Der Schwund eines unbetonten Vokals oder einer unbetonten Silbe im Auslaut, die sogenannte Apokope, tritt altitalienisch v.a. in der Lyrik auf, s. diè (diede), fé (fece, fede), me’ (meglio), piè (piede), ve’ (vedi), vèr (verso). Zu berücksichtigen ist, dass die Apokopierung v.a. nach den (schwachen) Konsonanten l, r, n, m auftritt, aber nicht sequenzfinal möglich ist. Auch die Reduktion im Bereich des definiten Artikels (lo > ‘l) und entsprechend der preposizioni articolate kann hier als Beispiel angeführt werden (s. dazu II 2.1.1, 2.1.3). Neuitalienisch finden sich noch die apokopierten Formen gran, po’, san, fra, mo’ (zu modo, vgl. a mo’ di), vielfach sind diese allerdings gebunden an häufige syntagmatische Verbindungen (s. auch il dottor Marchetti, San Pietro (über die Zwischenstufe *Sant Pietro)). Altitalienisch findet sich v.a. in der Lyrik verschiedentlich der Ausfall von finalem -a, vgl. allor, una sol volta). Von der Apokope abzugrenzen ist die auch neuitalienisch beobachtbare Elision, bei der ein Vokal eines unbetonten Elementes (z.B. des Artikels la) vor vokalisch anlautendem Lexem getilgt wird - die Reduktion des Vokals ist hier also kontextuell bedingt und wird graphisch durch Apostroph gekennzeichnet (l’). 4 Konsonantismus 4.1 Gemeinromanische Entwicklungen Viele der für das Italienische beobachtbaren Prozesse lassen sich gemeinromanischen Entwicklungstendenzen zuordnen, sie zeigen also eine größere Verbreitung innerhalb der Romania. Daneben gibt es natürlich auch Entwicklungen, die spezifisch für die Einzelsprachen relevant sind. Die folgende Tabelle gibt zunächst eine Übersicht über das lateinische Konsonanteninventar: bilabial labiodental dental alveolar velar glottal Plosive stl. sth. [p] [b] [t] [d] [k] [g] Frikative stl. sth. [f] [s] [h] Nasale [m] [ɱ] [n] [ŋ] Laterale [l] Vibranten [r] <?page no="29"?> I Lautlehre 28 Wie im Italienischen treten [ŋ] und [ɱ] als kontextbedingte Allophone zu den Phonemen / m/ und / n/ auf ([ŋ] vor velarem Okklusiv, also [k], [g]; [ɱ] vor labiodentalem Frikativ, klat. [f], vlat./ it. auch [v]). Entsprechende Hinweise finden sich bei den frühen Grammatikern. Daneben wird aber auch das Graphem <gn> als [ŋn] realisiert, d.h. ĪGNIS wird [ i  ŋnɪs] ausgesprochen (s. hier auch die Inschriften INGNES , INGNOMINIAE (für IGNOMINIAE ), die die Lautfolge besser abbilden). [h] wurde in klassischer Zeit noch von den höheren Bevölkerungsschichten und insbesondere im Wortanlaut gesprochen, schwindet aber schon in nachklassischer Zeit. Das Graphem <h> dient italienisch nur zur Homonymendifferenzierung und tritt lediglich bei den stammbetonten Formen im Indikativ Präsens von avere auf (ho, hai, ha, hanno vs. o, ai, a, anno). Ein Vergleich der Konsonantensysteme des Lateinischen und des Italienischen zeigt die wesentlichen Veränderungen. Die Phone des Lateinischen sind bis auf [h] auch Teil des italienischen Lautbestands. Das italienische Konsonantensystem erweist sich aber bereits auf den ersten Blick als komplexer. Die Unterschiede zwischen dem lateinischen und dem italienischen Konsonantensystem sind durch unterschiedliche Lautwandelprozesse bedingt. bilabial labiodental dental alveolar palatal velar Plosive stl. sth. [p] [b] [t] [d] [k] [g] Affrikaten stl. sth. [ts] [dz] [tʃ] [dʒ] Frikative stl. sth. [f] [v] [s] [z] [ʃ] Nasale [m] [ɱ] [n] [ɲ] [ŋ] Laterale [l] [ʎ] Vibranten [r] Zum einen entstehen palatale und dentale Affrikaten durch Palatalisierungs- und Assibilierungsprozesse (s. I 4.1.2); Affrikaten werden im Italienischen - auch aufgrund ihrer Entwicklung - gemeinhin als komplexe Laute beschrieben, also monosegmental analysiert, und nicht als Abfolge zweier Laute (bisegmental). Zum anderen entstehen auch die stimmhaften Frikative [v], [z] (s. I 4.1.1, 4.1.3) sowie die palatalen Laute [ʃ], [ɲ] und [ʎ] neu (s. I 4.1.2). Bei den Entwicklungen vom Lateinischen zum Italienischen lässt sich nun in Abhängigkeit von ihrer zeitlichen Verortung eine Differenzierung in gemeinromanische und einzelsprachliche Entwicklungen vornehmen. Zu den gemeinromanischen Prozessen lässt sich zunächst anmerken, dass die Entwicklungen im Anlaut häufig mit denen im Wortinneren übereinstimmen. Weiter lässt sich eine allgemeine Tendenz zur Vereinfachung komplexer Konsonantenverbindungen anführen, die verschiedentlich mit Veränderungen in den phonotaktischen Regeln einhergeht - etwa durch die Verminderung der Zahl möglicher Konsonantenverbindungen im Anlaut oder die Tilgung von Ein- oder Mehrfachkonsonanzen im Auslaut. <?page no="30"?> 4 Konsonantismus 29 Zu den wesentlichen gemeinromanisch interessanten Prozessen gehören:  die Spirantisierung von klat. [b] (> [v]): klat. FABAM > it. fava (s. in diesem Kontext auch die Konsonantisierung von klat. [w] zu [v]: klat. VIDI [widi] > it. vidi [vidi]),  verschiedene Palatalisierungsprozesse, nämlich  von Konsonanten vor prävokalischem [i] (z.B. - LI - > vlat. [lj] > it. [ʎʎ]): klat. FILIAM > it. figlia (dieser Prozess ist auch satzphonetisch relevant, vgl. die Entwicklung von ogni, egli) sowie  von klat. C E , I (> [tʃ]), G E , I (> [dʒ]): klat. CENTUM > it. cento klat. GENTEM > it. gente und  von anlautendem präbzw. intervokalischem klat. [i] (> vlat. [j] > it. [dʒ]): klat. IAM > it. già klat. MAIOREM > it. maggiore  die Sonorisierung von intervokalischem [p] (> [b], spirantisiert zu [v]), [t] (> [d]), [k] (> [g]), [s] (> [z]): klat. RIPAM > it. riva klat. STRATAM > it. strada klat. LACUM > it. lago klat. CAUSAM > it. cosa 4.1.1 Spirantisierung Die Spirantisierung (oder Frikativierung) von [b] zu [v] lässt sich bereits für das 1. Jh. n. Chr. ansetzen; dabei gilt der Prozess sowohl für primäres, also klassischlateinisch vorliegendes, wie für sekundäres [b], das also durch Lautwandel später entsteht: klat. FABAM > it. fava klat. RIPAM > it. riva Intervokalisches [b] im Italienischen verweist in diesen Fällen auf eine nichtvolkssprachliche Entwicklung und ist entsprechend ein Indiz für einen Latinismus (z.B. abile, subito), aber auch in Germanismen tritt [b] auf (z.B. roba). Postkonsonantisch bleibt klat. [b] erhalten, s. klat. HERBAM > it. erba, klat. AMBO > it. ambo. Für die toskanischen Dialekte ist die sogenannte gorgia (toscana) typisch, die allerdings für die Entwicklung der italienischen Schriftsprache irrelevant ist. Es handelt sich hierbei um die Spirantisierung der stimmlosen Okklusive / p/ , / t/ , / k/ zu [ɸ], [θ], [h], die wie die Sonorisierung vornehmlich intervokalisch erfolgt, aber auch zwischen Vokal und / r/ auftreten kann. Die gorgia wird verschiedentlich auf etruskisches Substrat zurückgeführt, hätte aber dann auch / k/ vor palatalem Vokal erfassen müssen. Sichere Belege für die gorgia gibt es aber erst mit Erasmus von Rotterdam Anfang des 16. Jh. <?page no="31"?> I Lautlehre 30 Die frühen Schreibungen von <h> anstelle von <c> oder <k> können nicht als Argument für eine Spirantisierung des Okklusivs gewertet werden, da <h> nicht auf die intervokalische Stellung beschränkt bleibt und auch in anderen Kontexten parallel zu <k> auftritt (s. z.B. <ch>, <gh> neben <ck>, <gk> für / k/ und / g/ in Dokumenten des 12. bis 14. Jh., so z.B. in den Testimonianze di Travale). Darüber hinaus wäre die Verwendung von <h> für die unterschiedlichen Realisierungsstufen des auf den velaren Okklusiv zurückzuführenden Spirans auffällig, da diesem Graphem allgemein betrachtet weder im Mittellateinischen noch in den italienischen scriptae ein Lautwert zukommt. Parallel wird klat. [w] (s. Graphie <u>, <v>) zu [v] konsonantisiert: klat. VACCAM > it. vacca klat. VIDI > it. vidi Das Ergebnis dieses Stärkungsprozesses fällt nun mit dem der Spirantisierung zusammen. Ausgangspunkt für die genannten Entwicklungen ist der intervokalische Zusammenfall von klat. [b] und [w] wohl in [ß], d.h. klat. [b] > vlat. [ß] > vlat./ it. [v] klat. [w] > vlat. [ß] > vlat./ it. [v] Exkurs: Betazismus Für [v] < [w] erfolgt verschiedentlich eine weitere Stärkung zu [b] (Betazismus), und zwar v.a. wenn [w] auf einen Konsonanten folgt, z.B. klat. NERVUM > ait. nerbo (nit. wieder nervo). Auch in intervokalischer Stellung tritt eine Stärkung zu [b] ein, s. klat. CAVEAM > vlat. * CAVJA > it. gabbia (zur Geminierung s. I 4.2.2). Für den Anlaut liegen ait. boce ‚voce‘, boto ‚voto‘ etc. vor, allerdings setzt sich zum Neuitalienischen die etymologisierende Variante mit anlautendem [v] durch (dialektal ist der Betazismus auch im Anlaut deutlich weiter verbreitet). Für den Wortanlaut ist darüber hinaus interessant, dass für einen Diphthong [wɔ] verschiedentlich [vwɔ] auftritt. [v] ist hier wohl am ehesten als Prothese zu fassen, zumal voanstelle von vuo- (z.B. *vomo) florentinisch nicht belegt ist, wie im Falle einer reinen Stärkung ([wɔ] > [vɔ]) erwartbar. Für anlautendes [v] ist dann eine weitere Stärkung zu [gw]möglich, die ähnlich auch in anderen Varietäten der Italoromania auftritt. Diese Lautverbindung ersetzt auch den Anlaut W in Germanismen (s. z.B. WERRA > it. guerra, * WISA > it. guisa), weshalb der Stärkungsprozess verschiedentlich als sekundäre Germanisierung bezeichnet wird: klat. VADUM > it. guado ‚Furt‘ (atosk./ lit. auch Variante vado) klat. VAGINAM > it. guaìna ‚Scheide‘ (Schwert), ‚Hülle‘ (neben it. vagina) klat. VULPE > it. golpe ‚Militärputsch‘ (atosk. auch als Variante zu volpe ‚Wolf‘) Interessant ist, dass frühe Germanismen initial noch vhaben, was möglicherweise durch die Überlagerung mit der vulgärlateinischen Entwicklung ([w] > [v]) zu erklären ist. <?page no="32"?> 4 Konsonantismus 31 4.1.2 Palatalisierung Bei der Palatalisierung lassen sich, wie gesehen, drei Typen unterscheiden: Typ 1: klat. VC I V > it. Vpal.C  V (klat. FILIAM > it. figlia) Der erste Palatalisierungsprozess, der vermutlich bereits im 1., spätestens jedoch im 2. Jh. n. Chr. einsetzt, betrifft lateinische Einfachkonsonanten (C) nach Vokal (V) und vor prävokalischem [i], d.h. klat. VC I V > Vpal.C  V (klat. FILIAM > it. figlia). Prävokalisches [e] wird dabei zu [i] gehoben (vgl. klat. PALEAM > vlat. PALIA ) und dann wie primäres [i] vor Vokal zu [j] konsonantisiert; mit der Konsonantisierung geht eine Silbenreduktion einher (vgl. z.B. klat. FILIAM [ fi  .li.am] > vlat. FILIA [ fil.ja]). Die eigentliche Palatalisierung besteht nun in der Entwicklung von [lj] > [ʎʎ], vgl. vlat. FILIA [ fil.ja] > it. figlia [ fiʎ.ʎa] (toskanisch tritt auch parallel die Entwicklung zu [ggj] auf, vgl. figghia ‚figlia‘). klat. FĪ . LI . AM [ fi  .li.am] > vlat. FIL . IA [ fil.ja] > it. figlia [ fiʎ.ʎa] klat. PĀ . LE . AM [ pa  .le.am] > vlat. PAL . IA [ pal.ja] > it. paglia [ paʎ.ʎa] Analog erfolgt die Entwicklung des Palatalnasals: klat. VĪ . NE . AM [ vi  .ne.am] > vlat. VIN . IA [ vin.ja] > it. vigna [ viɲ.ɲa] Mit dem palatalen Lateral und Nasal entstehen neue konsonantische Phoneme. Die für das Italienische charakteristische Geminierung ist wohl als Kompensierung des Silbenverlusts zu werten, worauf schon frühe Inschriften aus dem 1. und 2. Jh. n. Chr. verweisen: AURELLIUS statt AURELIUS , IULLIUS statt IULIUS etc.; altitalienisch werden die Laute durch die Grapheme <gl(i)>, <lgl(i)>, <lli> bzw. <gn(i)>, <ngn(i)> abgebildet. Für die vulgärlateinischen Verbindungen [tj] und [kj] lassen sich unterschiedliche Ergebnisse ausmachen, die auch für die postkonsonantische Stellung gelten: Wie etwa der Fall klat. PUTEUM > it. pozzo zeigt, führt die beschriebene Entwicklung nicht zwangsläufig zu (komplexen) palatalen Konsonanten: klat. VITIUM > it. vezzo klat. PRETIUM > it. prezzo Die dentale Affrikate ist toskanisch auch für die postkonsonantische Stellung belegt, allerdings im Vergleich zur palatalen Affrikate deutlich seltener: vlat. [tj] > [ts]: klat. FORTIAM > it. forza (selten) vs. vlat. [tj] > [tʃ]: klat. COMINTIARE > it. cominciare (v.a. in späten Verbbildungen) Dagegen ist für die Verbindung [kj] aus - CI Vbzw. - CE Vdie palatale Affrikate in intervokalischer Stellung das normale Ergebnis, die dentale Affrikate die Ausnahme, die allerdings auf norditalienischen Einfluss verweist. Gleiches gilt für die postkonsonantische Entwicklung: klat. FACIO > it. faccio klat. ERICIUM > it. riccio klat. - ACEUM > it. -accio vs. -azzo klat. LANCEAM > it. lancia <?page no="33"?> I Lautlehre 32 klat. LUNCEAM > it. lonza klat. CALCEAM > it. calza Frühe Inschriften legen nahe, dass für die Verbindung [tj] eine frühe Entwicklung zu [ts], also eine Assibilierung, eingetreten ist, s. C RESCENTSIANVS statt C RES - CENTIANUS , V INCENTZA statt V INCENTIA . Für das 4. Jh. findet sich ein Beleg MAR- SALIS statt M ARTIALIS . Daneben zeigt sich, dass sich für die Verbindungen [tj] und [kj] in diesem Kontext bereits vulgärlateinisch offensichtlich eine Überschneidung der Entwicklungsergebnisse ergeben hat: So findet sich FATIO statt FACIO , TERCIAE statt TERTIAE , DEFINICIO statt DEFINITIO . Das erste Beispiel zeigt, dass in der Artikulation von [k] eine Verlagerung nach vorne erfolgt sein muss. Die in der Folge eintretende Palatalisierung ist früher als die hier als zweiter Palatalisierungstyp beschriebene Entwicklung ( C / G E / I > [tʃ], [dʒ]) anzusetzen. Während die Palatalisierung möglicherweise schon auf das 2./ 3. Jh. zurückgeht, spätestens aber im 4./ 5. Jh. einsetzt, wird die Assibilierung gemeinhin auf das 4./ 5. Jh. datiert. Der Nexus [rj] entwickelt sich im Toskanischen, anders als in anderen italienischen Varietäten, zu [j]: klat. - ARIUM > tosk. -aio klat. PARIA > tosk. paia Mit Blick auf das genannte Suffix ist interessant, dass sich altitalienisch aber noch Pluralformen auf -ari finden: granari (s. auch granai, sg. nur granaio belegt), notari (s. auch notai, sg. notario). Eine spezifische Entwicklung zeigt auch der Nexus [rsj]: Nach der Reduktion der Konsonantenverbindung auf [sj] lässt sich die Entstehung von [ʃʃ] als Assimilation beschreiben: klat. REVERSIARE > it. rovesciare Für die Palatalisierung von prävokalischem - SI gilt allerdings allgemein, dass anders als in anderen analogen Verbindungen keine Geminierung erfolgt: klat. BASIUM > (a)flor. [ ba ʃo] klat. PENSIONEM > (a)flor. [pi ʒo  ne] klat. CERASEAM > vlat. CERESEA > it. ciliegia Das neuitalienische Ergebnis [tʃ] (vgl. bacio [ ba  tʃo]) zeigt eine Überschneidung mit dem Ergebnis des Palatalisierungsprozesses bei C E , I (vgl. klat. CENTUM > it. cento): Während für [tʃ] aus C E , I florentinisch eine Deaffrizierung ([tʃ] > [ʃ]) eintritt (seit Ende 13. Jh.), wird ursprüngliches [ʃ] aus - SI möglicherweise als Ergebnis aus C E , I interpretiert und im Sinne einer Restituierung des primären Entwicklungsergebnisses von C E , I zu [tʃ] entwickelt. Dass der hier beschriebene Palatalisierungsprozess auch satzphonetisch relevant ist, wird in der Entwicklung von ogni oder egli sichtbar, die sich nur durch ihre prävokalische Stellung erklären lassen (z.B. vlat. * ONNE HOMO > ogni uomo, vlat. ELLI AMA > egli ama, s. dazu auch II 3.1.1, 3.7). <?page no="34"?> 4 Konsonantismus 33 Typ 2: klat. C E , I > it. [tʃ]; klat. G E , I > it. [dʒ] (klat. CENTUM > it. cento; klat. GENTEM > it. gente) Der zweite Palatalisierungsprozess betrifft die lateinisch velaren Okklusive [k] und [g] in der Stellung vor Palatalvokal. Für das Lateinische ist wohl für die Stellung vor Palatalvokal schon von einer palatalen Sekundärartikulation auszugehen, d.h. einer Assimilation des Konsonanten an den nachfolgenden palatalen Vokal. Die lateinisch vorliegenden Allophone [k], [g] und [k j ], [g j ] sind also komplementär distribuiert. Die palatale Sekundärartikulation führt im Weiteren zur eigentlichen Palatalisierung. In Inschriften finden sich Hinweise auf diesen Prozess verstärkt seit dem 5. Jh. Die Palatalisierung ist allerdings nicht gemeinromanisch (das Sardische (Logudoresisch) und das ausgestorbene Dalmatische haben die Entwicklung nicht mitgemacht). Im Italienischen führt die Palatalisierung nun zur Entwicklung palataler Affrikaten: klat. C E , I > vlat./ it. [tʃ]: klat. CENTUM > it. cento klat. CIVITATEM > it. città klat. G E , I > vlat./ it. [dʒ]: klat. GENTEM > it. gente klat. GYRUM (< griech. γῦρος) > it. giro Im Bereich der Nominal- und Verbalmorphologie führt die Palatalisierung zu einer Stammallomorphie, wie bei amico (amic-o [amik] vs. amic-i [amitʃ]) oder leggere (legg-o [legg] vs. legg-i [leddʒ]) zu sehen (s. dazu genauer II 1.4, II 6). Für die meisten toskanischen Dialekte ist möglicherweise schon für das 13. Jh. eine Deaffrizierung der stimmlosen Affrikate [tʃ] (> [ʃ]) anzusetzen, der Prozess ist im 16. Jh. abgeschlossen (s. auch die Ausführungen zu Typ 1). Germanisches [k] wird offensichtlich nicht (mehr) von der Palatalisierung erfasst, s. it. schiena (< germ. * SKINA ). Die Palatalisierung der Okklusive ist einer von mehreren Prozessen, die zueinander in Bezug gesetzt werden, weshalb in der Regel eine Kettenreaktion angenommen wird (Sogvs. Schubkette in Abhängigkeit von der Abfolge der einzelnen Entwicklungen). Das erste Glied der Kette wäre die Semikonsonantisierung von [u] > [w], die ihrerseits mit einer Silbenreduktion einhergeht (ähnlich wie im Fall von prävokalischem - I gesehen): klat. PLACUI [ pla.ku.i] > vlat./ it. piacqui [ pjak.kwi] vlat. ECCU ESTU [ek.ku. es.tu] > it. questo [ kwes.to] Die lateinischen Sequenzen [kue], [kui] entwickeln sich also romanisch/ italienisch zu [kwe], [kwi] (= [kwe] 2 , [kwi] 2 , der Index verweist darauf, dass die Verbindung sekundär ist). Ein zweites Glied der Kette ist mit dem Verlust des Semikonsonanten [w] in der primären, also lateinisch bestehenden Sequenz [kw] vor Palatalvokal gegeben, d.h. es erfolgt eine Reduktion des Nexus auf [k] (klat. [kwe] 1 , [kwi] 1 entwickelt sich entsprechend zu rom./ it. [ke] 2 , [ki] 2 ): klat. QUI [kwi  ] > vlat./ it. chi [ki] klat. QUAERERE [ kwaɛrere] > it. chiedere [ kjɛdere] <?page no="35"?> I Lautlehre 34 Diese Entwicklung ist auch in der Appendix Probi belegt (exequiae non execiae, equs non ecus, coquens non cocens, coqui non coci). Einen Sonderfall stellt klat. QUINQUE > it. cinque dar, möglicherweise ist die Entwicklung hier dissimilatorisch bedingt ([kw] - [kw] > [k] - [kw]). Das letzte Glied in der Kette ist mit der Verschiebung des klassischlateinischen Phonems / k/ zum Palatum gegeben. Die Entwicklung (klat. [ke] 1 , [ki] 1 > it. [tʃ]) ist für das 4./ 5. Jh. anzusetzen und zeigt unterschiedliche Ergebnisse in der Romania. Für das Italienische liegen als Entwicklungsergebnisse wie gesehen [tʃ] (< C E , I ) und [dʒ] (< G E , I ) vor, das Französische dagegen zeigt eine asymmetrische Entwicklung mit C E , I > afrz. [ts] (mit nachfolgender Deaffrizierung zu [s], vgl. klat. CENTUM > frz. [s ]) gegenüber G E , I > afrz. [dʒ] (> nfrz. [ʒ], s. klat. GENTEM > frz. [ʒ ]). Trotz der parallelen Entwicklung palataler Affrikaten im Italienischen verläuft die Palatalisierung für G E , I nicht vollständig parallel zu der von C E , I . So erfolgt die Palatalisierung von G E , I über die Zwischenstufe [j] (s. auch die frühen Schreibweisen GIEMS anstelle von HIEMS oder AGEBAT anstelle von AIEBAT in der Mulomedicina Chironis, die auf eine frühe Entwicklung zu [j] verweisen). Mit Blick auf die gesamte Entwicklungskette ist auffällig, dass die lateinische Sequenz [kw] wesentlich häufiger ist als [gw] (ausschließlich nach [n], z.B. klat. LINGUAM ) und dass Belege für die Entwicklung von [gue] zu [gwe] fehlen, so dass die Palatalisierung von G e,i durch diejenige von C e,i angestoßen worden sein dürfte. Ob hier nun eine Sog- oder Schubkette vorliegt, ergibt sich, wie bereits angesprochen, durch die Abfolge der einzelnen Teilprozesse. Wenn der Beginn des Gesamtprozesses in der erstgenannten Entwicklung liegt, besteht das Risiko eines lautlichen Zusammenfalls für die entstehenden sekundären ([kwe] 2 , [kwi] 2 ) und die primären Sequenzen ([kwe] 1 , [kwi] 1 ). Entsprechend entwickeln sich letztere zu [ke] 2 , [ki] 2 weiter, d.h. die weiteren Prozesse werden durch den ersten angestoßen, hier läge also eine Schubkette vor. Es hätte also zunächst die Konsonantisierung von [u] eingesetzt, anschließend wäre der Semikonsonant ausgefallen und erst dadurch ausgelöst wäre die eigentliche Palatalisierung erfolgt: 1) klat. [kui]/ [kue] > vlat./ it. [kwi]/ [kwe] (= [kwi] 2 / [kwe] 2 ) => 2) klat. [kwi]/ [kwe] (= [kwi] 1 / [kwe] 1 ) > vlat./ it. [ki]/ [ke] (= [ki] 2 / [ke] 2 ) => 3) klat. [ki]/ [ke] (= [ki] 1 / [ke] 1 ) > vlat./ it. [tʃi]/ [tʃe] Umgekehrt ist es möglich, dass durch die Palatalisierung als erstem Teilprozess die entstehenden Systemlücken durch die Ergebnisse der durch die Palatalisierung ausgelösten Prozesse aufgefüllt werden, d.h. hier läge eine Sogkette vor: 1) klat. [ki]/ [ke] > vlat./ it. [tʃi]/ [tʃe] => 2) klat. [kwi]/ [kwe] > vlat./ it. [ki]/ [ke] => 3) klat. [kui]/ [kue] > vlat./ it. [kwi]/ [kwe] Im Fall einer Schubkette bedingt also die Vermeidung eines Zusammenfalls der Entwicklungsergebnisse die weiteren Prozesse, im Fall einer Sogkette das Entstehen von Systemlücken. Für intervokalisches [g] lässt sich nun eine abweichende Entwicklung feststellen; die Palatalisierung führt in diesem Kontext in den meisten Fällen zu einer Geminate (s. hierzu auch Typ 3): <?page no="36"?> 4 Konsonantismus 35 klat. PLANTAGINEM > it. piantaggine klat. LEGEM > it. legge vs. klat. PLACET > it. piace Gerade dialektal findet sich jedoch vielfach einfaches [dʒ] (tosk. [ʒ]), für das jedoch eine ununterbrochene Tradition fehlt. Verschiedentlich ist eine Absorption für [g] vor [i] festzustellen: klat. MAGIS > it. mai klat. MAGISTRUM > ait. ma(i)estro > nit. maestro klat. PAGENSEM > ait. pa(i)ese > nit. paese Typ 3: klat. (-) I V- > it. [(d)dʒ] (klat. IAM > it. già) Der dritte Palatalisierungstyp betrifft nun die Entwicklung von prävokalischem [i], das wohl klassischlateinisch intervokalisch zunächst lang ist, in der Folge in diesem Kontext gekürzt wird und in Verbindung mit einer Silbenreduktion zunächst zu [j] devokalisiert und dann zu rom./ it. [dʒ] weiterentwickelt wird. Interessant ist hier der Zusammenfall der Ergebnisse für (-) I - (klat. IAM > it. già), prävokalisches (-) DI - (unter Annahme einer palatalen Sekundärartikulation [d j ], klat. DIURNUM > it. giorno) und intervokalisches - G - (> [j], Stärkung zu [dʒ], s. aber die Ausführungen zur Absorption im vorausgehenden Abschnitt). Die Überlagerung der Entwicklungsergebnisse zeigt sich schon in Inschriften des 4. Jh.: AIECTVS statt ADIECTUS , AZVTORIBVS statt ADIUTORIBUS , ZEBUS statt DIEBUS . Möglicherweise ist gerade in der qualitativen Parallelität der Resultate die Basis für die in allen Fällen erfolgende intervokalische Längung zu sehen: klat. MAIOREM > it. maggiore klat. RADIUM > it. raggio klat. LEGIT > it. legge Für prävokalisches (-) DI ist neben der Palatalisierung auch die Assibilierung zu [ddz] möglich, wie das parallele Entwicklungsergebnis razzo für klat. RADIUM zeigt (vgl. auch klat. MEDIUM > it. mezzo, klat. RUDIUM > it. rozzo). Postkonsonantisch tritt ausschließlich die dentale Affrikate auf: klat. HORDEUM > it. orzo. Möglicherweise sind diese Lösungen diastratisch motiviert - die Palatalisierung stellt wahrscheinlich die volkstümliche Entwicklung dar, während die Assibilierung die Entwicklung in den gehobenen Schichten widerspiegelt. Ergänzend zu den nicht nur im Italienischen auftretenden Palatalisierungen sei abschließend eine unregelmäßige Entwicklung für anlautendes S angeführt, für die die Qualität des nachfolgenden Vokals irrelevant zu sein scheint: klat. SALIVAM > ait. sci(a)liva (nit. saliva) klat. SIMIAM > it. scimmia Bei einigen Wörtern wird auch die Sequenz [ks] palatalisiert, möglicherweise nach einer Assimilation des Nexus zu [ss] (dies ist auch das westtoskanische Ergebnis) oder durch galloromanischen Einfluss bedingt: <?page no="37"?> I Lautlehre 36 klat. AXILLAM > it. ascella klat. MAXILLAM > it. mascella klat. COXAM > it. coscia klat. LAXARE > it. lasciare (vs. ait./ dial. lassare) 4.1.3 Sonorisierung Die Sonorisierung, also die Stimmhaftwerdung, die in der Regel als typisch für die westromanischen Idiome (und damit auch die norditalienischen Dialekte), beschrieben wird, tritt verschiedentlich auch toskanisch auf. Sie betrifft stimmlose Okklusive sowie den Sibilanten [s] in intervokalischer Stellung sowie in der Stellung nach Vokal und vor [r]. Aus der Gruppe der Obstruenten ist damit lediglich der Frikativ [f] von der Sonorisierung ausgenommen - im Lateinischen tritt dieser nämlich intervokalisch lediglich in Gräzismen auf, ist also vergleichsweise selten (s. klat. BUFALUM > it. bufalo, klat. SCROFAM > it. scrofa). Bei der Sonorisierung, die als Assimilation an den Vokalismus betrachtet werden kann, werden die stimmlosen Obstruenten also stimmhaft und können nachfolgend weitergehende Entwicklungen durchlaufen (Spirantisierung, Ausfall); im Fall von [z] liegt romanisch ein neuer Laut (mit Phonemstatus) vor. Die Sonorisierung im Toskanischen wird vielfach auf norditalienischen Einfluss zurückgeführt. Auf der Basis des engen Kontakts zwischen der Toskana und v.a. der Val Padana ist auch eine Imitation der norditalienischen Aussprache denkbar, zumal die Varianten mit stimmhaftem Konsonanten in früheren Zeiten sprecherseitig als eleganter beurteilt werden. Dass es sich nicht um eine autochton toskanische Entwicklung handelt, legt auch das Fehlen der Sonorisierung in Verbalparadigmen als geschlossenen Morpheminventaren nahe (vgl. z.B. die Endungen -ate, -ete, -ite). Auch im Fall der Toponyme zeigt sich beinahe durchgehend der jeweils stimmlose Konsonant (s. z.B. Cartignano, Paterno, Prato). Auch die Parallele von Formen mit stimmlosem und stimmhaftem Konsonant könnte auf norditalienischen Einfluss zurückgehen (s. beltate neben beltade, gioventute neben gioventude, servitore neben servidore). Dabei dominiert vielfach die Form mit Sonorisierung über diejenige ohne Sonorisierung. Am häufigsten ist für die Lexeme auf klat. - UTEM aber schon altitalienisch die reduzierte Form (Ausfall der Finalsilbe, möglicherweise durch Haplologie bedingt), vgl. beltà (heute noch lit.), gioventù, città (ait. noch cittade), età (ait. noch etade; vgl. auch II 1.4). Die Sonorisierung ist nun häufiger für die westtoskanischen Gebiete und spiegelt damit die frühen Handelswege und wirtschaftlichen Kontakte mit dem Norden des heutigen Italien wider. Das Florentinische erweist sich als gegenüber den westtoskanischen Mundarten konservativer, zeigt allerdings für die mittelalterliche Sprachstufe häufiger Varianten mit Sonorisierung als das moderne Florentinische, s. z.B. parladore (parlare + - TOREM ), podere ‚facoltà‘ (< vlat. POTERE ), savere (< vlat. SAPERE ). Toskanisch folgt der Sonorisierung bei [p] in der Regel eine Spirantisierung (s. I 4.1.1), während für die übrigen Konsonanten das primäre Entwicklungsergebnis erhalten bleibt (eine gewisse Häufung findet sich bei den bereits genannten Suffixen, z.B. -ade, -ude, -dore): <?page no="38"?> 4 Konsonantismus 37 klat. EPISCOPUM > it. vescovo klat. RIPAM > it. riva klat. STRATAM > it. strada klat. ACUM > it. ago klat. LACUM > it. lago klat. MENSURAM > vlat. MESURA > it. misura Für den Fall des Sibilanten ist die Nicht-Sonorisierung gerade in den westtoskanischen Mundarten selten (z.B. in casa, naso, così, s. auch im Suffix -oso; verschiedentlich wird altitalienisch der stimmhafte Sonorant in intervokalischer Stellung graphisch mit <z> oder <ç> wiedergegeben). Auch bei den Verbindungen aus Obstruent + [r] in intervokalischer Stellung treten parallel Formen mit und ohne Sonorisierung auf (sovra neben sopra, lagrima neben lacrima). Für den lateinischen Nexus - CR ist -grschließlich das reguläre Ergebnis, der Erhalt des Nexus verweist dagegen auf einen Latinismus. Vereinzelt tritt eine Sonorisierung für [k] auch im Wortanlaut (auch vor Liquid) auf, also außerhalb des Kontextes für die Sonorisierung, alternativ als Anlautschwächung beschreibbar: klat. ACRUM > it. agro klat. CATTUM > it. gatto klat. CRYPTAM (< griech. krýptē) > it. grotta (neben gelehrtem cripta) Ähnlich wie für die Palatalisierung lässt sich für die Sonorisierung wiederum eine Verknüpfung mehrerer Entwicklungen vermuten. Denkbar ist hier die Verkettung der Sonorisierung und der Degeminierung, also der Reduktion von Lang- oder Doppelkonsonanten auf Einfachkonsonanten. So ist auffällig, dass in Idiomen, in denen die Sonorisierung generalisiert worden ist, eine Degeminierung erfolgt ist (vgl. z.B. alomb. roca, castelo, tute) und stimmhafte Konsonanten im Inlaut geschwunden sind, wie dies z.B. in den norditalienischen Dialekten der Fall ist (z.B. [t] > [d] > Ø, vgl. ven. azeo ‚aceto‘, lig. via ‚vita‘). Auslöser für den Sonorisierungsprozess könnte entsprechend die Degeminierung gewesen sein. In der Folge würde der lateinisch stimmlose Einfachkonsonant sonorisiert, wodurch wiederum die westromanisch häufiger beobachtbare Spirantisierung (mit möglichem nachfolgendem Ausfall) bedingt würde (Schubkette). Der Sonorisierungsprozess wird vielfach auf das 5. Jh. datiert, erste sichere Belege finden sich für das 8. Jh. - damit ist aber die Sonorisierung zeitlich vor der Degeminierung anzusetzen. Die Degeminierung kann also nicht als Auslöser für die Sonorisierung fungiert haben. Denkbar ist auch, dass die Sonorisierung nur in solchen Idiomen erfolgt ist, die über stimmlose Langkonsonanten verfügen, die also gewissermaßen als „Reserve“ zur Substitution der ursprünglichen Kurzkonsonanten nach deren Sonorisierung dienen. Problematisch ist in diesem Kontext, dass z.B. in süditalienischen Dialekten sowohl Langkonsonanten vorliegen als auch stimmlose Kurzkonsonanten (also ohne Sonorisierung). Möglicherweise zeigt sich im Rahmen der Sonorisierung auch die generelle Tendenz, quantitative durch qualitative Oppositionen zu ersetzen (vgl. für den Vokalismus auch den Quantitätenkollaps). Mit der Sonorisierung ([t] > [d]) wür- <?page no="39"?> I Lautlehre 38 de die quantitative Opposition [tt] vs. [d] redundant, weshalb die Degeminierung prinzipiell möglich ist. 4.2 Weitere Entwicklungen Die im Weiteren vorzustellenden Entwicklungen sind nur z.T. einzelsprachlich, werden hier aber ausschließlich mit Bezug auf das Italienische erläutert. 4.2.1 Entwicklung von Konsonantennexus Die Vereinfachung oder Veränderung komplexer Nexus ist auf unterschiedliche Weise erfolgt. Die Vereinfachung und damit Reduktion der Elemente einer Konsonantenverbindung ist von der Anzahl der Konsonanten sowie ihrer Position innerhalb des Wortes (Silben-/ Morphemgrenze) abhängig. Vereinfachungen finden sich v.a. im An- und Auslaut, im Inlaut erfolgt zumeist eine Reduktion auf zwei Konsonanten. Die Synkopierung, die italolateinisch/ italienisch weniger häufig auftritt als gallolateinisch/ französisch, oder die Konsonantisierung von Vokalen ([u] > [w], [i] > [j]) führt zur Entstehung nur weniger neuer Lautverbindungen. Wie bereits gesehen, kann die Semikonsonantisierung bei [i] eine Palatalisierung des vorausgehenden Konsonanten auslösen (s. klat. FILIAM > it. figlia), wodurch bei volkssprachlicher Entwicklung die palatalen Laute [ɲɲ], [ʎʎ] bedingt sind. Mit Blick auf die neu entstehenden Konsonantennexus lässt sich festhalten, dass die Verbindungen aus Konsonant und Semikonsonant vulgärlateinisch noch auf das Wortinnere beschränkt sind, italienisch aber auch im Anlaut auftreten (vgl. die aufgezeigte Entwicklung von Plosiv/ Frikativ + [l] im nachfolgenden Abschnitt). Die spätlateinische Synkopierung führt zu einem häufigeren Auftreten der Nexus aus Konsonant + / l/ im Wortinneren, die italienisch palatal aufgelöst werden (lat. OCULUM > it. occhio). Die Verbindung [ld] ist neu (klat. CALIDUM > it. caldo). Im relativen wie absoluten Anlaut finden sich italienisch ausschließlich Nexus, die nicht mehr als zwei Konsonanten umfassen - die einzige Ausnahme bilden Verbindungen aus [s]/ [z] + muta cum liquida, vgl. strada). Im Auslaut dagegen ist die Abfolge mehrerer Konsonanten nicht mehr möglich. 4.2.1.1 Entwicklung komplexer Konsonantenverbindungen Bei der Vereinfachung von dreigliedrigen Nexus ist zu differenzieren nach Nexus mit initialem Nasal oder Liquid, also einem recht schwachen Konsonanten, und solchen, die [p] als erstes Element haben. Für die erstgenannte Gruppe lässt sich die Reduktion auf zwei Elemente bei Ausfall des mittleren feststellen: klat. [nkt] > it. [nt]: klat. SANCTUM > it. santo klat. [nks] > it. [ns]: vlat. * VINXI > it. vinsi (keine weitere Vereinfachung des Nexus mehr zu [s], vgl. klat. SPONSAM > it. sposa! ) klat. [lpt] > it. [lt]: klat. SCULPTURA > it. scultura klat. [rkt] > it. [rt]: klat. A RCTURUM > it. Arturo Diese Entwicklung betrifft allgemein auch Latinismen. <?page no="40"?> 4 Konsonantismus 39 Bei der zweitgenannten Gruppe fällt [p] aus: klat. [pst] > it. [st]: klat. OBSTACULUM > it. ostacolo (s. klat. Assimilation von [b] an nachfolgendes [s] > [p]) klat. [psk] > it. [sk]: klat. OBSCURUM > it. (o)scuro In bestimmten Fällen, so bei der Abfolge Sibilant + Okklusiv/ [f] + Liquid, bleibt der Nexus erhalten, vgl. splendore, strato - der Erhalt des [l] verweist aber auf die buchwörtliche bzw. latinisierende Entwicklung des jeweiligen Lexems. Auch bei der inlautenden Sequenz Sonorant + muta cum liquida (oltre, sempre, incredibile) bleibt die Konsonantenverbindung unverändert. Bedingt ist dies durch einen vergleichsweise günstigen Silbenkontakt. 4.2.1.2 Palatalisierung der Nexus (-)pl-, (-)bl-, (-)cl-, (-)gl-, (-)fl- Für die Verbindung aus Plosiv/ Frikativ und [l] ist für das Italienische die Palatalisierung bzw. Halbvokalisierung des Liquids zu [j] und damit die Schwächung des entsprechenden Nexus charakteristisch. Im Anlaut bleibt der Plosiv/ Frikativ einfach, während die Palatalisierung intervokalisch zur Entstehung von Geminaten führt (eine Geminierung ist prinzipiell nur intervokalisch und vor [r] möglich): klat. PLANUM > it. piano klat. PLENUM > it. pieno klat. CLARUM > it. chiaro germ. * BLANK > vlat. BLANCUM > it. bianco klat. FLAMMAM > it. fiamma klat. OCULUM > vlat. OC ( U ) LU > it. occhio klat. DUPLUM > it. doppio Einen Sonderfall bildet die Verbindung - SL -, die nicht zu [sj] führt, sondern über [skl] zu [skj] entwickelt wird: mlat. * SCLAVUM (< SLAVUM ) > it. schiavo klat. INSULAM > * ISLA > it. Ischia (neben isola) 4.2.1.3 Assimilation und Dissimilation Die durch Synkope bedingten, z.T. neuen Konsonantenverbindungen können z.B. durch Assimilation vereinfacht werden. Die Assimilation ist ein Prozess, bei dem ein Segment ein oder mehrere Merkmale eines anderen Segmentes übernimmt. Dabei lassen sich unterschiedliche Typen differenzieren in Abhängigkeit von  der Distanz der Assimilation: Kontaktvs. Fernassimilation (d.h. unmittelbare Aufeinanderfolge oder Distanz der Elemente),  der Assimilationsrichtung: progressive vs. regressive Assimilation (d.h. Beeinflussung des in der Lautkette zweiten Elementes durch das erste oder des ersten durch das zweite Element) und <?page no="41"?> I Lautlehre 40  dem Umfang der Assimilation: partielle vs. totale Assimilation (d.h. Übernahme eines Merkmals ohne Zusammenfall der Laute vs. Übernahme mindestens eines Merkmals mit Zusammenfall der Laute). Beispiele für eine regressive, totale Kontaktassimilation sind etwa: klat. NOCTEM > it. notte klat. DICTUM > it. detto klat. SAXUM (-[ks]-) > it. sasso klat. DIXI (-[ks]-) > it. dissi klat. RUPTUM > it. rotto klat. SEPTEM > it. sette klat. IPSUM > it. esso klat. SCRIPSI > it. scrissi klat. FRIGIDUM > vlat. * FRIGDU > it. freddo klat. SPATULAM > vlat. * SPATLA > it. spalla Im morphologischen Bereich ergeben sich bei der Synthetisierung der Futur- und Konditionalperiphrasen z.T. neue Konsonantenverbindungen, die über eine Assimilation aufgelöst bzw. vereinfacht werden (s. dazu auch II 6, 6.1.3, 6.1.4): vlat. VOLERE HABEO > *volrò > it. vorrò vlat. VENIRE HABEO > *venrò > it. verrò Die Assimilationstendenz ist so stark, dass davon z.T. auch Latinismen betroffen sind: klat. DIRECTOREM > it. direttore klat. MAXIMUM > it. massimo Wie die bisher angeführten Beispiele zeigen, dominiert romanisch mit Blick auf die Richtung die regressive Assimilation (vgl. aber z.B. klat. FEMINAM > vlat. * FEMNA > frz. femme mit progressiver Assimilation). Die Fernassimilation, die über mehrere Silben hinweg erfolgt, ist deutlich seltener als die Kontaktassimilation: [s] - [tʃ] > [tʃ] - [tʃ]: klat. S ICILIA > ait. Cicilia (nit. wieder Sicilia) [v] - [p] > [p] - [p]: klat. VESPERTILIUM > ait. vipistrello > nit. pipistrello [m] - [l] > [m] - [n]: klat. MULGERE > it. mungere Der umgekehrte Prozess, die Ferndissimilation, bei der Laute einander unähnlicher werden, betrifft vielfach schwache Konsonanten, wobei es in der Regel nur zur Änderung eines einzelnen artikulatorischen Merkmals kommt (partielle Dissimilation). Die Dissimilation führt also zu einer stärkeren Differenzierung benachbarter Laute: [r] - [r] > [l] - [r]: klat. PEREGRINUM > it. pellegrino [r] - [r] > [r] - [l]: klat. MERCURI DIEM > it. mercoledì [r] - [r] > [d] - [r]: klat. QUAERERE > it. chiedere [n] - [n] > [l] - [n]: klat. VENENUM > it. veleno Sofern identische Laute vorliegen, ist auch der Ausfall eines der Laute möglich. <?page no="42"?> 4 Konsonantismus 41 klat. PROPRIUM > it. fam. propio vlat. DE RETRO > it. dietro Auch bei der Entwicklung der Imperfektformen zum Altitalienischen liegt totale Dissimilation vor, allerdings wird [v] zum Neuitalienischen wieder restituiert (vgl. II 6.1): HABEBAT > ait. aveva, avea > nit. aveva SAPEBAT > ait. sapeva, sapea > nit. sapeva 4.2.2 Reduktion des Auslautkonsonantismus Wie angemerkt, werden in der Entwicklung vom Lateinischen zu den romanischen Sprachen die Konsonanten(nexus) im Auslaut vielfach reduziert. Im Italienischen sind heute nur wenige Konsonanten überhaupt wortfinal möglich. Was die lateinischen Auslautkonsonanten betrifft, so sind [b], [d] und [k] insgesamt selten (vgl. z.B. SED , HOC ) und fallen in der Folge aus. Die schwachen Konsonanten [l], [n] und [r] fallen zwar auch meistens aus, [n] bleibt allerdings in Einsilblern erhalten, sofern diese nie äußerungsfinal stehen (klat. NON > it. non in präverbaler Negation vs. no als Satznegation). Die Liquide [l] und [r] werden verschiedentlich ins Wortinnere verlagert, hier liegt also eine Metathese vor (vgl. auch I 4.2.5). Auch durch eine vokalische Epithese wird ein konsonantischer Auslaut vermieden. klat. SEMPER > it. sempre klat. MEL > vlat. * MEL + E > it. miele klat. COR > it. cuore Der Einfachkonsonant und der Diphthong schließen die Entstehung der Formen miele und cuore aus dem Ablativ oder aus sekundär maskulinen Formen aus (* MELLEM , * COR ( D ) EM vs. klat. neutr. MEL , COR ). Die Konsonanten [m], [s] und [t] sind nun insofern wichtiger als die übrigen, als sie morphologisch relevant sind: - M dient lateinisch der Genusdifferenzierung (Neutrum (s. Nom. - UM ) vs. Maskulinum (s. Nom. - US )), finales - S ist sowohl für die Pluralbildung (s. z.B. AMICOS (Akk. Pl. O -Deklination), AMICAS (Akk. Pl. A -Deklination), CONSULES (Nom./ Akk. Pl., kons. Deklination), als auch im Bereich der Verbalmorphologie (2. Pers. Sg. und Pl., z.B. Ind. Präsens CANTAS , CANTATIS ) wichtig. Auch - T ist verbalmorphologisch von Bedeutung, als damit die 3. Pers. Sg. und Pl. gekennzeichnet wird (z.B. Ind. Präsens CANTAT , CANTANT ). Der Ausfall von - M (wie - N ) ist bereits in frühen Inschriften und der Appendix Probi häufig belegt (s. Erhalt lediglich bei Einsilblern, s. klat. CUM > it. con, klat. NON > it. non), aber auch der Schwund von - T wird zeitlich sehr früh angesetzt, nämlich für das 1. Jh. n. Chr. Im Fall von - S , dessen Erhalt für das Toskanische bis ins 8. Jh. angenommen wird, ist bei Mehrsilblern von einer vokalschließenden Wirkung auszugehen: klat. CANTAS > ait. cante (> nit. canti), nicht *canta <?page no="43"?> I Lautlehre 42 Für Einsilbler tritt dagegen eine Entwicklung von [s] zu [i] ein: klat. PLUS > ait. piui (> nit. più) klat. TRES > ait. trei (> nit. tre) 4.2.3 Fortsetzung und Entwicklung von Geminaten Geminaten sind Langkonsonanten, die z.T. bereits im Lateinischen bestehen und italienisch fortgeführt werden (klat. SACCUM > it. sacco, klat. COMMUNEM > it. commune). Im Lateinischen haben Geminaten Phonemstatus (s. COLLŌ ‚am Halse‘ vs. COLŌ ‚(ich) pflege‘), während ihr Status im Italienischen umstritten ist, weil mit der Länge des Konsonanten die Länge des vorausgehenden Vokals korreliert (s. palla [ pal.la] vs. pala [ pa  .la]). Wie im vorangehenden Abschnitt gesehen, können Geminaten durch totale Assimilation zum Italienischen neu entstehen (klat. NOCTEM > it. notte, klat. OCTO > it. otto, klat. SAXUM > it. sasso). Auch kann positionsbedingt nach einem klassischlateinisch betonten Kurzvokal verschiedentlich eine Längung eintreten, so vor Liquid: klat. FEBREM > it. febbre Eine Geminierung tritt auch in Proparoxytona für den auf den Tonvokal folgenden Konsonanten auf: klat. FÉMINAM > it. fémmina klat. ÁTOMUM > it. attimo Auch nach Nebenakzent findet sich verschiedentlich eine Längung des Konsonanten: klat. SÈPELÍRE > it. seppellire vlat. * PÈLEGRÍNU > it. pellegrino Die Verbindung von Okklusiv/ Frikativ und [l] führt, wie angesprochen, zu einer Palatalisierung des Liquids; auch hier wird der vorausgehende Konsonant gelängt: klat. OCULUM > it. occhio Wie unter I 4.1.2 aufgezeigt, führt der Semikonsonant [j] zur Palatalisierung des vorausgehenden Konsonanten; wohl infolge der vom Lateinischen zum Italienischen erfolgten Silbenreduktion wird dieser Konsonant kompensatorisch gelängt. Auch vor prävokalischem [w] kommt es zu einer Längung des vorausgehenden Konsonanten bei gleichzeitigem Ausfall des Semikonsonanten (lediglich nach velarem Okklusiv bleibt [w] erhalten): klat. FACIO > it. faccio klat. FUTUO > it. fotto klat. PLACUI > it. piacqui Für die graphische Ebene ist nun zu berücksichtigen, dass Geminaten altitalienisch nicht immer umgesetzt werden, was insbesondere für die palatalen Affrikaten gilt - hier wird zudem teilweise ein <i> ergänzt: cientodiecie (Frammenti d’un <?page no="44"?> 4 Konsonantismus 43 libro di conti di banchieri fiorentini del 1211, passim), giennaio (Libricciolo di crediti di Bene Bencivenni (Primo), 300.12; Libro d’amministrazione dell’eredità di Baldovino Iacopi Riccomanni, passim). Teilweise wird aber bei folgendem Zentral- oder Velarvokal auf ein diakritisches <i> zur Anzeige der palatalen Realisierung verzichtet: Chacaloste ‚Caccialoste‘ (Libro del dare e dell’avere di Gentile de’ Sassetti e suoi figli), facca ‚facciata‘ (Libro d’amministrazione dell’eredità di Baldovino Iacopi Riccomanni, passim), maritago ‚maritaggio‘ (ibid.). Auch bei anderen Konsonanten treten Besonderheiten in der Graphie auf - während etwa / bb/ , möglicherweise bedingt durch die geringe Auslastung der Opposition / b/ ~ / bb/ , nicht immer graphisch wiedergegeben wird (vgl. ebe, abia), wird / tt/ verschiedentlich durch die latinisierenden Nexus <ct> und <pt> umgesetzt, auch in Wörtern, in denen diese Verbindungen nicht etymologisch sind (dicto, facto, lecto, acceptare, scripto neben rocto, scrictore, tucto, ciptà). Satzphonetisch interessant ist die Längung von finalem [n] in einigen Einsilblern in der Stellung vor vokalisch anlautendem Wort, v.a. bei in und non (inn uno termine, inn altro, che nonn avea); seltener sind Fälle wie per unn anno, chonn anche, conn esso oder donn Afuso. Die auch neuitalienisch satzphonetisch erfolgende Assimilation an einen nachfolgenden Konsonanten wird verschiedentlich in der Graphie umgesetzt (im mano, im prima, Sam Pietro). Wohl auf eine Interferenz zwischen Graphie und Phonie zurückzuführen ist die Schreibung <mpn> für [nn] (vgl. dampnosa, solempne). Möglicherweise handelt es sich um eine hyperkorrekte Schreibung - die fraglichen Lexeme gehen auf lateinische Wörter mit dem Nexus -mn- (s. mittellat. Graphie <mpn>) zurück, der bilabiale Plosiv könnte hier möglicherweise als Epenthese fungiert haben. Rafforzamento fonosintattico Beim rafforzamento fonosintattico (auch raddoppiamento (fono)sintattico) handelt es sich um einen satzphonetisch wirksamen Stärkungsprozess, bei dem an der Morphemgrenze eine Gemination erfolgt. Synchron lassen sich zwei Kontexte ausmachen, die das rafforzamento fonosintattico auslösen: Typ 1: irreguläres rafforzamento  einige schwache (= unbetonte) Einsilbler a [ll]ui (a, da, e, fra, ma, né, o, se, su, tra)  einige Paroxytona (come, dove, qualche) come [tt]e Typ 2: reguläres rafforzamento  alle Oxytona farò [bb]ene  alle starken (= betonten) Einsilbler sto [bb]ene Wie die Übersicht zeigt, lässt sich ein irreguläres von einem regulären rafforzamento abgrenzen. Im zweiten Fall handelt es sich also offensichtlich um einen regelhaften Prozess: Geht einem konsonantisch anlautenden Wort ein auf dem Auslautvokal betontes voraus, wird der Anlautkonsonant geminiert, wie etwa in caffè corretto [kaf fɛ kkor retto] (vs. pane bianco [ pa  ne bjaŋko], der Auslautvokal in pane <?page no="45"?> I Lautlehre 44 ist unbetont). Eine Geminierung ist natürlich nur möglich, wenn dem Anlautkonsonanten ein Vokal oder die Verbindung aus Liquid und Vokal [rV] folgt, d.h. die Kontextbedingungen für das Auftreten einer Geminate sind die gleichen wie innerhalb des Wortes: fà progressi [ fappro grɛssi] vs. è sportivo [ ɛspor ti  vo]. Im letztgenannten Fall dient aber das anlautende [s] der Schließung der vorausgehenden Silbe ([ ɛs.por. ti  .vo]; zur silbenbildenden Funktion von s und zur Prothese ivor s impura s. I 4.2.4). Das rafforzamento wird in der Folge zu einer Vereinheitlichung der Silbenstruktur über die Einzelwortebene hinaus nutzbar gemacht und tritt nun nach betontem Auslautvokal auf, d.h. der Prozess wird reanalysiert (sta benissimo [ stabbe nissimo], heutiges reguläres rafforzamento). Das irreguläre rafforzamento spiegelt nun die diachron wirksame Regel wider. Für die früheste Entwicklungsphase ist für die genannten, aber auch weitere Präpositionen, Konjunktionen etc. eine Assimilation des auslautenden Konsonanten an den Initialkonsonanten ihres Bezugswortes anzunehmen, vgl. klat. AD CASAM > [ak kasa] (Assimilation wie inlautend etwa in klat. FACTUM > it. fatto). Mit dem endgültigen Verlust der wortfinalen Konsonanten bei den benannten Morphemen (vgl. z.B. klat. AD > it. a, klat. DE AB > it. da, klat. ET > it. e) ist das rafforzamento zunehmend lexikalisch bzw. morphologisch gebunden, d.h. einzelne Elemente lösen das rafforzamento aus, ohne dass synchron eine Regelhaftigkeit erkennbar wäre. In den toskanischen, mittel- und süditalienischen Dialekten zeigen sich starke Schwankungen in der Zahl der Elemente, die das rafforzamento bedingen, was zeigt, dass das irreguläre rafforzamento offensichtlich kontinuierlich abgebaut wird. Neuitalienisch ist das rafforzamento graphisch am ehesten bei Klitika zu beobachten: dá + mi => dammi [ dammi] (nicht [ da(  )mi]). Im Italienischen ist die betonte offene Silbe im Wortauslaut kurz ([ (C)V.], vgl. mi dà [mi da], andò [an dɔ]). Im Inlaut aber tritt ein betonter Kurzvokal ausschließlich in geschlossener Silbe auf: [ (C)VC.], vgl. pasta [ pas.ta], während der Vokal in offener Silbe lang ist: [ (C)V  .], vgl. pala [ pa  .la]. Das bedeutet nun für die Adaption der Verhältnisse des Auslauts an diejenigen im Inlaut, dass die finale Silbe entweder geschlossen wird - was durch die Geminierung des nachfolgenden Konsonanten erreicht wird (ha ragione nit. [ ar.ra dʒo  ne]) -, oder dass der betonte Auslautvokal gelängt wird ([ a  .ra dʒo  ne]). Während neuitalienisch nur mehr die Geminierung des Folgekonsonanten möglich ist, steht altitalienisch offensichtlich auch die Möglichkeit der Vokallängung zur Verfügung, was durch Graphien des Typs fae, piue suggeriert wird (durchgängig -e als Zeichen der Längung bzw. Epithese mit möglicher Realisierung der Verbindung aus betontem Vokal und -e als Diphthong). Wenngleich altitalienisch die Elemente a, à/ ha, appo ‚bei‘ (< APUD ), che, come, contra, da, e, è, fra, infra, ma, né, o, perché, se, sè ‚tu sei‘, sì, sopra und tra die Geminierung des nachfolgenden Konsonanten auslösen, ist in den Dokumenten des 13. Jh. nicht immer eine graphische Realisierung der Geminate gegeben, so dass nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, ob tatsächlich im jeweiligen Fall immer auch ein rafforzamento vorliegt. Für endungsbetonte Verbformen in Verbindung mit enklitischen Pronomina gibt es dagegen zahlreiche Belege (kiamossi ‚si chiamò‘, pagolli ‚li pa- <?page no="46"?> 4 Konsonantismus 45 gò‘, portollende ‚le portò di lì‘, àvi ‚vi ha‘, dirovvi ‚vi dirò‘; zur Stellung der Klitika in diesen Fällen s. III 1.1.2). Wie für das moderne Florentinische ist wohl davon auszugehen, dass die Geminierung auch in Fällen erfolgt, in denen sie nicht in der Graphie wiedergegeben wird, möglicherweise also bereits eine Generalisierung des rafforzamento erfolgt ist. 4.2.4 Einfügung nicht-etymologischer Laute Zur Vereinfachung des Silbenkontakts oder der Silbenstruktur werden verschiedentlich Vokale, zur Vermeidung eines Hiats Konsonanten eingefügt. Abhängig von der Stelle, an der ein nicht-etymologischer Laut auftritt, wird dieser als Prothese (Anfügung im Anlaut), als Epenthese (Einfügung im Wortinneren) oder als Epithese (Anfügung im Auslaut) bezeichnet. 4.2.4.1 Prothese Bereits vulgärlateinisch (seit dem 2. Jh. n. Chr., Belege liegen v.a. aus den heute westromanischen Gebieten vor) tritt in bestimmten Kontexten, v.a. vor s impurum, also S + Konsonant ( SP -, ST -, SF etc.), ein nicht etymologischer Vokal (e-, i-) in den Anlaut. Das moderne Italienische zeigt diesen Vokal nur mehr in bestimmten Präpositionalphrasen, wobei einige davon bereits archaisierende Züge aufweisen (per iscritto, seltener in istrada, in Isvizzera etc.). Die Entwicklung der Prothese ist vor dem Hintergrund der Nexusvereinfachungen zu sehen. Bereits lateinisch tritt die Reduktion von [ns] > [s] ein (klat. MENSEM > it. mese). Einzig an der Morphemgrenze bleibt die Abfolge [ns] erhalten (vgl. it. insalare), jedoch sind prinzipiell auch hier Reduktionen möglich (s. klat. INSCRIBERE > it. iscrivere). Lateinisch liegt also im letztgenannten Beispiel die Silbenstruktur [Vn.sC] vor; bei Reduktion des Nexus ergibt sich die Silbenstruktur [Vs.C]. D.h. mit dem Ausfall des Nasals verschiebt sich die Silbengrenze, [s] bildet mit dem vorausgehenden Vokal eine Silbe (vgl. z.B. analog nit. la strada [las tra  da]). In der Folge wird [s] auch im absoluten Anlaut tendenziell als silbenbildend interpretiert, so dass eine vokalische Stütze auch bei konsonantischem Auslaut des vorausgehenden Morphs nötig wird (=> [Cis.C], s. per iscritto [pe.ris. krit.to], vgl. auch ait. ispesso mit der Silbenstruktur [is. pes.so] parallel zu spesso [ spes.so], das sich neuitalienisch durchsetzt). Das Altitalienische zeigt die Prothese idurchaus häufig, eine Generalisierung findet aber anders als etwa im Französischen (z.B. école - der Sibilant ist nachfolgend verstummt) und Spanischen (escuela) im Italienischen nicht statt (nit. scuola), d.h. altitalienisch treten Formen mit und ohne Prothese parallel auf. Bei der sekundären Tilgung des initialen ierfolgen verschiedentlich Hyperkorrekturen, d.h. auch etymologisches iwird in Einzelfällen fälschlicherweise abgebaut: klat. HISTORIAM > ait. istoria > nit. storia klat. INSTRUMENTUM > ait. istrumento > nit. strumento Interessant sind in diesem Kontext nun auch Fälle wie ait. istremo, istendere, isturbare oder istrano - offensichtlich erfolgt bei etymologischem evor s impurum (< klat. EX -, s. hier EXTREMUM , EXTENDERE , EXTURBARE , EXTRANEUM ) eine Generali- <?page no="47"?> I Lautlehre 46 sierung von i-, was die Interpretation des ials Prothese nahe legt (eine vortonige Hebung liegt hier wohl nicht vor (s. sonst für EX -, EXTRA anzunehmen). In diese Richtung weist auch das Auftreten von parallelen Formen ohne i- (stremo, stendere, sturbare, strano). Zum Neuitalienischen findet sich vielfach die relatinisierte Form, verschiedentlich auch die präfixlose Form, wobei bei Fortsetzung beider Formen ein Bedeutungsunterschied auszumachen ist (estremo, disturbare (bereits klat.; ait. daneben auch sturbare); estendere ‚erweitern‘, ‚vergrößern‘ neben stendere ‚ausbreiten‘, ‚ausstrecken‘; estraneo ‚fremd‘, ‚unbefugt‘ neben strano ‚seltsam‘, ‚merkwürdig‘). 4.2.4.2 Epenthese Bei der Epenthese (auch bezeichnet als Gleitlaut) handelt es sich um die Einfügung von Konsonanten oder Vokalen im Wortinneren; sie ist italienisch insgesamt selten: klat. ANATEM > it. anatra klat. SKELETOS (< griech. σκελετóς) > it. scheletro klat. ASTHMA > it. ansima (neben dem Latinismus asma) Häufiger tritt eine konsonantische Epenthese bei Hiat auf, um die Abfolge der zwei Vollvokale zu vermeiden: klat. MANUALEM > ait. manovale (vs. nit. manuale; s. auch it. popolare manovale) klat. ARCUATAM > ait. arcovata klat. P ADUA > it. Padova Vielfach findet sich ein epenthetischer Konsonant bei Toponymen: Genova, Mantova (s. auch Eigennamen: Giovanni). Neben [v] fungiert verschiedentlich auch [g] als Gleitkonsonant, vgl. aflor. pagone ‚pavone‘, aghirone ‚airone‘, Pagolo ‚Paolo‘. Bei Verbformen findet sich vereinzelt auch [j], wahrscheinlich bedingt durch die Längung des betonten Auslautvokals: daraie neben darae, darà; andoie ‚andò‘ (die Form tritt z.T. im gleichen Text parallel zu andoe und andò auf), avraie ‚avrà‘, s. aber auch Andreia ‚Andrea‘. Der Einschub eines Vokals, auch als Anaptyxe bezeichnet, ist wesentlich vom konsonantischen Kontext abhängig und tritt z.B. bei Nexus bestehend aus Sibilant + [m] auf: klat. PHANTASMAM (< griech. ϕάντασμα) > tosk. fantasima klat. - ISMUM > it. -esimo klat. SOCRUM / SOCRAM > it. suocero/ suocera klat. CRABRONEM > vlat. * CARABRONE > it. calabrone 4.2.4.3 Epithese Die Epithese, also die Anfügung eines nicht-etymologischen Vokals (Stützvokal, Paragoge), findet sich altitalienisch verschiedentlich bei auf Konsonant auslautenden Eigennamen (vgl. Davidde < klat. D AVID , Ettorre < klat. H ECTOR ). Der hauptsächliche Kontext sind allerdings Oxytona; durch die Anfügung eines Vokals (v.a. -e; denkbar ist hier auch lediglich die graphische Kennzeichnung einer <?page no="48"?> 4 Konsonantismus 47 Vokallängung) oder gar einer ganzen Silbe (s. verschiedentlich mittel-/ südit., z.T. auch flor. -ne, s. z.B. quine) wird die Oxytonie dieser Wörter aufgehoben. Dabei findet sich die Epithese altitalienisch sowohl bei mehrals auch einsilbigen Wörtern: chosie (‚così‘), cholae (‚colà‘), noe (‚no‘) Besonders häufig tritt die Epithese bei Verbformen auf, z.B. in der 3. Pers. Sg. Indikativ Perfekt und hier v.a. bei Verben der -are-Konjugation: ait. andoe, anoveroe, conperoe ‚comprò‘ Heute finden sich die Formen mit Stützvokal noch in ländlichen toskanischen Varietäten. Auch die oxytonen Formen der Paradigmen von andare, avere, dare, essere, fare und stare zeigen epithetisches -e: ait. vae ‚va‘, hae ‚ha‘, dae ‚dà‘, èe ‚è‘, istae ‚sta‘ Die Anfügung eines Stützvokals ist auf die Anpassung des betonten Auslauts an die Silbenstrukturbedingungen innerhalb des Wortes zurückzuführen, auf die bereits im Kontext des rafforzamento fonosintattico eingegangen wurde (s. I 4.2.2). 4.2.5 Seltenere Entwicklungen 4.2.5.1 Germanisches w- Bereits angesprochen wurde die Substitution des germanischen, anlautenden W durch vlat./ frührom. [gw]. In der weiteren Entwicklung wird romanisch eine teilweise regionale Ausdifferenzierung mit Ausfall des Semikonsonanten [w] (generalisiert bzw. kontextabhängig) bzw. Erhalt des Lautes erreicht - (standard)italienisch bleibt der Nexus [gw] erhalten, vgl. guerra, guardare etc. (vs. frz. guerre, (re)garder; vgl. I 4.1.1). 4.2.5.2 Metathese Wie die Einfügung nicht-etymologischer Laute ist die Metathese im Gesamtkontext der Silbenstrukturverbesserung zu sehen. Sie betrifft die „Konsonantenverlagerung“, die sowohl innerhalb einer Silbe (Kontaktmetathese) als auch silbenübergreifend (Fernmetathese) erfolgen kann. Dabei lässt sich vielfach eine Anlagerung der Liquide - um diese geht es hauptsächlich - an den wort- oder silbeninitialen Plosiv feststellen (s. aber im letzten Fall Verlagerung des Liquids ins Wortinnere): klat. COMULAM > vlat. * COMLA > * CLOMA > it. chioma klat. FABULAM > vlat. * FABLA > FLABA > it. fiaba klat. DE INTRO > it. dentro/ it. dial. drento klat. CROCODILUS (< griech. κροκόδειλος) > it. coccodrillo In den zitierten Beispielen liegt jeweils Fernmetathese vor; eine Kontaktmetathese - gleich zweifach - liegt bei it. formaggio < frz. fromage (< klat. FORMATICUM ) vor. Der Fall der reziproken Metathese, der Verlagerung zweier Konsonanten inner- <?page no="49"?> I Lautlehre 48 halb eines Wortes, ist äußerst selten und tritt italienisch etwa in padule (< klat. PALUDEM ) auf. 4.2.5.3 Entwicklung der Nexus - NG - und - GN - Die lateinische Konsonantenverbindung - NG zeigt für den Okklusiv unterschiedliche Entwicklungsmöglichkeiten, die sich in den neuitalienischen Infinitivformen piangere vs. spegnere widerspiegeln: Der Okklusiv im Nexus - NG vor - E / I wird zunächst zu [j] palatalisiert (> [nj]); in der Folge kann a) eine Palatalisierung bzw. Stärkung von [j] zu [dʒ] eintreten (s. klat. PLAN - GERE > it. piangere ) oder b) eine Palatalisierung von [n] einsetzen ([nj] > [ɲɲ]) (s. klat. EXPINGERE > it. spegnere; vgl. hier die Entwicklung klat. VINEAM > vlat. [vinja] > it. vigna [viɲɲa], s. I 4.1.2, Typ 1) Für - GN lässt sich ebenfalls eine palatale Auflösung des Nexus ausmachen, was eine Überlagerung des Ergebnisses mit der zweitgenannten Entwicklung für - NG bedeutet: klat. DĬGNUM > it. degno klat. STAGNUM > it. stagno 4.2.6 Lautliche Indizien für Lehnelemente Einige Lexeme zeigen von den bisher aufgezeigten abweichende bzw. sehr spezifische Entwicklungen; bei den fraglichen Elementen handelt es sich vielfach um Lehnwörter, die in den italienischen Wortschatz integriert werden, oder auch dialektale Elemente, die nicht alle Entwicklungen genuin italienischer (toskanischer) Wörter zeigen. Gerade die zahlreichen Latinismen und Gallizismen lassen sich anhand lautlicher Kriterien vielfach eindeutig identifizieren (s. hierzu IV 3). Abschließend sei nachfolgend eine Übersicht über die wichtigsten Lautentwicklungen in chronologischer Abfolge angeführt, die gerade mit Blick auf die relative Chronologie mehrerer Prozesse und damit die Bezugsetzung der einzelnen Prozesse zueinander wichtig ist: Vokalismus  Hebung/ Semikonsonantisierung von prävokalischem Palatalvokal klat. ([e] >) [i] > vlat. [j] (ab 1. Jh n. Chr.)  Quantitätenkollaps (spätestens 3. Jh. n. Chr.)  Monophthongierung klat. OE > vlat./ it. [ɛ], klat. AE > vlat./ it. [ɛ] (frühe Belege [e]; 2./ 3. Jh. n. Chr.)  Synkope (bis 5. Jh. n. Chr.)  Romanische Diphthongierung (betonter offener Mittelvokal in offener Silbe): vlat. [ɛ] > vlat./ it. [jɛ] (3./ 4. Jh. n. Chr.), vlat. [ɔ] > it. [wɔ] (6./ 7. Jh. n. Chr.); Remonophthongierung nach muta cum liquida und Palatalen (14.-16. Jh.) <?page no="50"?> 4 Konsonantismus 49  Monophthongierung klat. AU > vlat./ it. [ɔ] (frühe Belege [o]; 6.-8. Jh. n. Chr.)  Anaphonie von vlat. [e] > it. [i] und seltener vlat. [o] > it. [u] vor [ʎ] (< klat. LI ), [ɲ] (< klat. NI ), [ŋ] (bis 8. Jh. n. Chr.)  vortonige Hebung von vlat./ ait. [e] > it. [i] und seltener vlat./ ait. [o] > it. [u] (bis 14. Jh. n. Chr.)  Labialisierung von vlat./ ait. [e]/ [i] > it. [o]/ [u] (noch ait.) Konsonantismus  Ausfall von klat. H - (1. Jh. n. Chr.)  Ausfall von klat. - M (bei Einsilblern > it. -n; 1. Jh. n. Chr.)  Ausfall von klat. - S (5.-8. Jh. n. Chr.)  Ausfall von klat. - T (1. Jh. n. Chr.)  i-Prothese bei s impurum (seit 2. Jh. n. Chr.)  Konsonantisierung klat. [w] > vlat. [β] > it. [v]/ Spirantisierung klat. [b] > vlat. [β] > it. [v] (1. Jh. n. Chr.)  Palatalisierung von prävokalischem klat. -VC I V- (Typ 1: it. figlia; ab 1./ 2. Jh. n. Chr.)  Assibilierung von klat. prävokalischem - TI -/ - KI - > it. [ts], klat. - DI -/ - GI - > vlat./ it. [dz] (4./ 5. Jh. n. Chr.)  Palatalisierung von klat. prävokalischem (-) I -, (-) DI -, (-) G E , I - > it. [(d)dʒ] (Typ 3: it. già; ab 3. Jh. n. Chr.)  Palatalisierung von klat. C / G E , I > it. [tʃ]/ [dʒ] (Typ 2: it. cento/ gente; ab 5. Jh. n. Chr.)  (Sonorisierung intervokalischer Okklusive (ab 7./ 8. Jh. n. Chr.))  Palatalisierung der klat. Nexus (-) PL -, (-) BL -, (-) CL -, (-) GL -, (-) FL - > it. [(p)pj], [(b)bj], [(k)kj], [(g)gj], [(f)fj] (ab 10. Jh. n. Chr.) Zum Weiterlesen: Einen Überblick über die wesentlichen lautlichen Entwicklungen aus gemeinromanischer Perspektive bieten A LKIRE / R OSEN (2010; Kap. 1-5), K LAUSENBURGER (2001, Kap. 3-5). Eine umfassende Darstellung der für das Italienische wichtigen Lautwandelprozesse findet sich bei L ARSON (2000; 2010), S ERIANNI (2001, Kap. 1-3), P ATOTA (2007, Kap. III), D’A CHILLE (2003, K AP . II) sowie D URANTE (1981, Kap. 1-3) oder auch M ANNI (1979). Sehr ausführlich sind C ASTELLANI (2000, Kap. 5), T EKAVČIĆ (1980, vol. I) und ältere Publikationen wie R OHLFS (1949, vol. I), L AUSBERG (1972, vol. I, II). Zu Detailfragen seien empfohlen: L O - PORCARO (2011a; 2011b) zu wichtigen Lautwandelprozessen; B IFFI / M A - RASCHIO (2008) und M IGLIORINI (1955) zur Graphie-Phonie-Relation; L OPORCARO (1997) zum rafforzamento fonosintattico.   <?page no="51"?> I Lautlehre 50 Aufgaben 1) Beschreiben Sie die Palatalisierungsprozesse in den Beispielen occhi, palagio, consiglio, fanciullezza, primogenito, oggi, giorno, gli, giusto! Erläutern Sie weiter die Entwicklung von klat. RATIONEM > it. ragione bzw. vlat. * SAPIUM > it. savio und berücksichtigen Sie dabei auch die altitalienischen Ergebnisse razzone, raccione bzw. saggio und saccente (< klat. SAPIENTEM )! Gehen Sie dabei auch auf Fragen der regionalen Variation und des Sprachkontakts ein! 2) Beschreiben Sie die Entstehung und die weitere Entwicklung des prothetischen iim Italienischen anhand der folgenden Beispiele: ait. ispesso, isparlare, istà, ispezialmente, iscudieri. Wie sind die Formen storia, strumento und Spagna zu erklären? 3) Kommentieren Sie die Entwicklung der Haupttonvokale in den folgenden Wörtern: Dio, compiendo, prieghi, figliuolo, uomo, luogo, tuoi, vuoi, buoni, puoi, fuoco, pruove, truovino! In einer römischen Chronik des 14. Jh. finden sich die Formen piezzo, priesso, lietto, scopierto. Setzen Sie die Entwicklung des Diphthongs zu derjenigen im Florentinischen in Bezug! 4) Zeigen Sie die Relevanz der Änderung in der Betonung zwischen klassischem und Vulgärlatein anhand des Lexems figliuolo auf! 5) Welche Gemeinsamkeit zeigt die Entwicklung der Elemente celabro, domandare, uguale, somigliare, mobole? 6) lupo, armati, luogo: Stellen Sie unter Berücksichtigung weiterer Beispiele die Entwicklung der intervokalischen stimmlosen Verschlusslaute im Toskanischen dar! 7) Welche Entwicklungen führen wortinitial oder intervokalisch zum Ergebnis [(d)dʒ]? 8) ebbe, faccia, assalito, presso, oppinione, gittaro, andonne (‚ne andò (via)‘), ogni, donna: Welches sind die Quellen für die alt- und neuitalienisch bestehenden Geminaten? Berücksichtigen Sie dabei auch satzphonetische Prozesse! Erläutern Sie auch die Graphien benedictione, tucte, nocte, fructi, sanctissime in Francesco d’Assisis Cantico di frate Sole! 9) Kommentieren Sie die Entwicklung der Vortonvokale in den folgenden Lexemen vom Lateinischen zum Altitalienischen und weiter zum Neuitalienischen: signore, udendo, gittate, riservò, sustanzia, maravigliò, rifugio, dimostravano! 10) Wie lässt sich die Parallelität der Formen diversità und diversitade bzw. diversitate begründen? Wie erklärt sich die Entstehung der heutigen oxytonen Formen? <?page no="52"?> II Morphologie Für die Nominalwie die Verbalmorphologie lassen sich gemeinromanische Entwicklungstendenzen ausmachen, die zum einen zur Ersetzung synthetischer durch analytische Ausdrucksweisen und zum anderen zum Abbau irregulärer Paradigmen führen. Im Bereich der Nominalmorphologie bedeutet dies für die Substantive eine Reduktion der Deklinationsklassen, den Abbau des Kasussystems und den Verlust des Neutrums, das italienisch nur mehr etymologisch für die Erklärung einiger weniger Pluralformen von Bedeutung ist. Die zunächst eintretende Reduktion der Kasusflexion auf ein Zweikasussystem und schließlich der Ausfall führt dazu, dass die Kennzeichnung der Satzfunktionen durch eine Fixierung der Satzgliedstellung und die Verwendung von Präpositionalsyntagmen erfolgt, die bereits klassischlateinisch angelegt ist (Präpositionen mit Akkusativ/ Ablativ). Für die Adjektive ist v.a. die Komparation mit klat. PLUS + Positiv interessant. Als Kategorie vulgärlateinisch neu und in seiner Entwicklung zu den romanischen Sprachen wichtig ist der definite (und indefinite) Artikel, der formal insbesondere für das Maskulinum interessant ist (im Sg. lo, ‘l, il). Für die weiteren Determinanten bzw. Pronomina sind die Herausbildung eines Personalpronomens für die 3. Person interessant, das seine Basis im klassischlateinischen Demonstrativum ILLE hat; ILLE bildet gleichzeitig die Grundlage für den bestimmten Artikel und besteht - wenngleich verstärkt durch * ECCU ( M ) - als Demonstrativum fort. Für die Demonstrativa ergibt sich toskanisch/ florentinisch trotz des Ausfalls von IS und HIC ein zu demjenigen des Klassischlateinischen paralleles dreigliedriges System (questo, codesto, quello), wobei der Formenreichtum, ähnlich wie für die Personalpronomina in der 3. Person, auffällig ist. Die weiteren Elemente dieser Kategorie zeigen insgesamt weniger Besonderheiten. Schließlich wird auf die Kategorien der Präpositionen und Adverbien gerade mit Blick auf einige spezifische Bildungstypen hingewiesen. Für die Verbalmorphologie schlagen sich die angesprochenen Entwicklungstendenzen in einem tiefgreifenden Umbau des gesamten Paradigmas nieder: Die Futurperiphrase CANTARE HABEO ersetzt das synthetische Futur ( CANTABO ). Auf der Grundlage der Bildung kommt das Konditional als Modus/ Tempus neu auf und ersetzt zum Teil funktional den Konjunktiv. Im Perfektstamm tritt mit dem analytischen passato prossimo eine neue Form mit Gegenwartsbezug neben das Perfekt, das nun einen stärkeren Vergangenheitsbezug erhält (passato remoto). Tempora wie das Plusquamperfekt und das Futur II werden analog zum passato prossimo neu gebildet, das auch die Basis für die tiefgreifenden Veränderungen im Passiv darstellt. Für die Einzelparadigmen sind die lautlichen Entwicklungen wichtig, die verschiedentlich zu einer Stammallomorphie führen. Gesondert dargestellt werden die unregelmäßigen Verben, die sich durch eine große Formenvielfalt auszeichnen, vielfach schon im Klassischlateinischen irreguläre Paradigmen aufweisen und aufgrund ihrer hohen Frequenz eine wichtige Grundlage für innerparadigmatische Analogien auch bei anderen Verben bilden. <?page no="53"?> II Morphologie 52 Ansatzweise wird - etwa für die Personalpronomina - bereits in diesem Kapitel kurz auf die Gebrauchskontexte für einzelne Morpheme eingegangen, die ausführlicher in Kapitel III behandelt werden. 1 Nominalmorphologie Für die Entwicklung der Nominalflexion sei zunächst eine Übersicht über die lateinischen Deklinationsklassen gegeben. Nicht alle Deklinationsklassen werden zu den romanischen Sprachen hin fortgesetzt: I Deklination: A -Deklination AMICA (f.) Singular Plural Nom. Gen. Dat. Akk. Abl. AMIC - A AMIC - AE AMIC - AE AMIC - AM AMIC - Ā AMIC - AE AMIC - ĀRUM AMIC - ĪS AMIC - ĀS AMIC - ĪS II Deklination : O -Deklination AMICUS (m.) Singular Plural TEMPLUM (n.) Singular Plural Nom. Gen. Dat. Akk. Abl. AMIC - US AMIC - Ī AMIC - Ō AMIC - UM AMIC - Ō AMIC - Ī AMIC - ŌRUM AMIC - ĪS AMIC - ŌS AMIC - ĪS Nom. Gen. Dat. Akk. Abl. TEMPL - UM TEMPL - Ī TEMPL - Ō TEMPL - UM TEMPL - Ō TEMPL - A TEMPL - ŌRUM TEMPL - ĪS TEMPL - A TEMPL - ĪS III Deklination Konsonantische Deklination CONSUL (m.) Singular Plural FULGUR (n.) Singular Plural Nom. Gen. Dat. Akk. Abl. CONSUL CONSUL - IS CONSUL - Ī CONSUL - EM CONSUL - E CONSUL - ĒS CONSUL - UM CONSUL - IBUS CONSUL - ĒS CONSUL - IBUS Nom. Gen. Dat. Akk. Abl. FULGUR FULGUR - IS FULGUR - Ī FULGUR FULGUR - E FULGUR - A FULGUR - UM FULGUR - IBUS FULGUR - A FULGUR - IBUS <?page no="54"?> 1 Nominalmorphologie 53 I -Stämme TURRIS (f.) Singular Plural MARE (n.) Singular Plural Nom. Gen. Dat. Akk. Abl. TURR - I - S TURRI - I - S TURR - Ī TURR - I - M TURR - Ī TURR - ĒS TURR - I - UM TURR - I - BUS TURR - Ī - S TURR - I - BUS Nom. Gen. Dat. Akk. Abl. MAR - E MAR - I - S MAR - Ī MAR - E MAR - Ī MAR - I - A MAR - I - UM MAR - I - BUS MAR - I - A MAR - I - BUS Mischdeklination TURRIS (f.) Singular Plural Nom. Gen. Dat. Akk. Abl. NAV - I - S NAV - I - S NAV - Ī NAV - EM NAV - E NAV - ĒS NAV - I - UM NAV - I - BUS NAV - ĒS NAV - I - BUS IV Deklination: U -Deklination CURRUS (m.) Singular Plural Nom. Gen. Dat. Akk. Abl. CURR - US CURR - ŪS CURR - UĪ CURR - UM CURR - Ū CURR - ŪS CURR - UUM CURR - IBUS CURR - ŪS CURR - IBUS V Deklination: E -Deklination RES (m.) Singular Plural Nom. Gen. Dat. Akk. Abl. R - ĒS R - EĪ R - EĪ R - EM R - Ē R - ĒS R - ĒRUM R - ĒBUS R - ĒS R - ĒBUS Für die Adjektive der A -/ O -Deklination sei BONUS , - A , - UM als Beispiel genannt; die Formen entsprechen denen der Substantive. Bei den Adjektiven, die nach der konsonantischen Deklination flektiert werden, ist in Abhängigkeit von der formalen Unterscheidung der Genera im Nominativ zu unterscheiden in dreiendige ( ACER (mask.), ACRIS (fem.), ACRE (neutr.)), zweiendige ( GRAVIS (mask., fem.), GRA- VE (neutr.)) und einendige Adjektive ( ATROX (mask., fem., neutr.)). Der Komparativ wird jeweils nach der konsonantischen ( GRANDIOR (mask., fem.), GRANDIUS (neutr.)), der Elativ/ Superlativ schließlich wieder nach der A -/ O -Deklination flektiert (- ISSIMUS , - A , - UM ). <?page no="55"?> II Morphologie 54 Singular Plural m. f. n. m. f. n. Nom. Gen. Dat. Akk. Abl. ACER ACR - IS ACR - Ī ACR - EM ACR - I ACR - IS ACR - IS ACR - Ī ACR - EM ACR - I ACR - E ACR - IS ACR - Ī ACR - E ACR - I ACR - ĒS ACR - IUM ACR - IBUS ACR - ĒS ACR - IBUS ACR - ĒS ACR - IUM ACR - IBUS ACR - ĒS ACR - IBUS ACR - IA ACR - IUM ACR - IBUS ACR - IA A CR - IBUS Die Entwicklung der Nominalmorphologie - wie auch der Verbalmorphologie - ist gebunden an allgemeine Entwicklungstendenzen, die sich im Übergang von einem eher synthetischen zu einem stärker analytischen Sprachbau zeigen. Damit geht vielfach auch der Übergang von postzu prädeterminierenden Strukturen einher (besonders stark ausgeprägt ist dies im Fall des Französischen). Während im Lateinischen die Abfolge zumeist lexikalisches Morphem - grammatikalisches Morphem ist (s. z.B. AMICI , CANTAVI , postdeterminierend), wird in den meisten romanischen Sprachen z.B. bei Verbformen des Präsensstamms die grammatische Information zwar zumeist ebenfalls über eine Endung ausgedrückt (z.B. it. canto, cantavi vs. frz. je chante; vgl. aber auch ho cantato), aber im Nominalbereich dienen die Endungen nur mehr der Numerus- und partiell der Genuskennzeichnung, die (parallel) durch den (in-)definiten Artikel erfolgt (fem. amica, amiche vs. mask. cane ohne klare Kennzeichnung des Genus vs. frz. fem. amie, mask. ami gleichlautend, so auch pl. fem. amies, mask. amis). Das Kasussystem wird über die Zwischenstufe einer im Mittelalter noch für die galloromanischen Idiome belegten Zweikasusflexion aufgegeben. Die lateinische Kasusmarkierung wird nun romanisch funktional äquivalent durch Präpositionen ausgedrückt. Schon im klassischen Latein treten bestimmte Präpositionen in Verbindung mit einem Substantiv im Akkusativ (z.B. AD ) oder Ablativ (z.B. A / AB ) auf, d.h. hier liegen partiell redundante Strukturen vor (Präposition und Kasuskennzeichnung beim Substantiv). Auch im Bereich des Genus erfolgt mit dem Ausfall des Neutrum eine wesentliche Veränderung. Die Numerusdistinktion wird dagegen ohne spezifische Entwicklungen zum Neuitalienischen aufrecht erhalten. Im Folgenden wird die Entwicklung der Deklinationsklassen sowie der grammatischen Kategorien Kasus, Genus und Numerus mit Blick auf das Italienische genauer beleuchtet. 1.1 Deklinationsklassen Wie die angeführten tabellarischen Darstellungen zeigen, lagen im klassischen Latein diverse Deklinationsklassen vor. Während die A -/ O - und die konsonantische Deklination fortgesetzt werden (eine Zuordnung der italienischen Lexeme zu den klassischlateinischen Deklinationsklassen erweist sich auf der Basis des Auslautvokals oder der Auslautsilbe häufig als unproblematisch), werden die übrigen Deklinationsklassen, die vielfach nur wenige Elemente umfassen, aufgegeben. Die diesen Klassen zugehörigen Lexeme werden in die größeren Deklinationsklassen überführt (Metaplasmus): So treten die Substantive der E -Deklination <?page no="56"?> 1 Nominalmorphologie 55 auf - IE wegen ihrer Ähnlichkeit zu - IA in die A -Deklination über (vgl. klat. RABIES => it. rabbia). Unabhängig von der Stabilität der jeweiligen Deklinationsklasse lassen sich auch einige Übertritte von Substantiven der konsonantischen Deklination in die A -Deklination feststellen (z.B. klat. TEMPESTAS => it. tempesta). Auch Elemente der U -Deklination, nämlich solche, die feminines Genus hatten und auf einen weiblichen Referenten verwiesen, werden in die A -Deklination integriert (klat. NURUS , SOCRUS => it. nuora, suocera). Dagegen werden die übrigen Elemente (auch) aus lautlichen Gründen in die O -Deklination überführt (klat. FRUCTUS , mask. => it. frutto; klat. GELU , neutr. => it. gelo; klat. CORNU , neutr. => it. corno, s. hier allerdings der doppelte Plural, corni, corna, der auf das klassischlateinische Genus verweist; vs. klat. MANUS , fem. => it. mano, fem.). In die O -Deklination wechseln auch Neutra der konsonantischen Deklination auf - US (klat. TEMPUS , CORPUS , PECTUS => it. tempo, corpo, petto), daneben das isolierte Lexem CAPUT (=> it. capo). Eine parallele Entwicklung zeigt sich für die Adjektive, wobei hier ein Wechsel v.a. von der konsonantischen in die A -/ O -Deklination erfolgt (vgl. klat. TRISTIS / - E => ait. tristo, -a, nit. wieder triste). Die verbleibenden Adjektive der konsonantischen Deklination werden als einfache Form (ohne Genusdifferenzierung) fortgesetzt (vgl. acre, forte, veloce etc.). 1.2 Kasus Wie gesehen ist der Ersatz der Kasusfunktion durch Präpositionen bereits im Lateinischen angelegt. Allerdings gibt es lateinisch prinzipiell unterschiedliche Möglichkeiten, die Funktion des Substantivs (also Subjekt, Objekt etc.) zum Ausdruck zu bringen, so durch den Kasus, durch die Verbindung von Kasuskennzeichnung und Präposition (z.B. AD ROMAM IRE ‚nach Rom gehen‘) oder durch Präposition, wie im Falle indeklinabler Substantive (z.B. CEPE ‚Zwiebel‘, MANE ‚Morgen‘) oder fremdsprachlicher Eigennamen (z.B. hebräische Namen wie A B- RAHAM ). Im Falle des gemeinsamen Auftretens von Kasus und Präposition ist die angesprochene Redundanz der Kasusformen besonders gut bei solchen Präpositionen zu sehen, die Gegensatzrelationen ausdrücken. In Fällen wie CUM / SINE AMICO (‚ohne‘/ ‚mit (einem/ dem) Freund‘) ist der Bedeutungsunterschied nicht durch den Kasus als vielmehr durch die Präposition begründet. Dem Kasus kommt dagegen eine distinktive Funktion bei Präpositionen wie IN zu, das sowohl mit Akkusativ (direktional, IN R OMAM ‚nach Rom‘) als auch mit Ablativ (rein lokal, IN R OMA ‚in Rom‘) stehen kann. Neben der Parallelität unterschiedlicher Ausdrucksmöglichkeiten für die Funktion nominaler Elemente zeichnet sich das Lateinische auch durch einen ausgeprägten Formensynkretismus aus, d.h. zum Verständnis identischer Formen (s. z.B. für die A -Deklination die Endung - AE für den Gen. wie den Dat. Sg. sowie den Nom. Pl.) sind weitere Informationen (z.B. Wortstellung, Verbendung) erforderlich. Auch die große Zahl an Allomorphen für die Endungen (s. z.B. zur Markierung des Nom. Pl. die Endungen - AE , - I , - A , - ĒS , - ŪS in den einzelnen Deklinationsklassen) könnte zum Abbau des Kasussystems beigetragen haben. Hinzu kommen weiter lautliche Änderungen, wie der Ausfall <?page no="57"?> II Morphologie 56 von finalem - M und - S (in der Ostromania) und der Quantitätenkollaps, der zur Öffnung von klat. Ĭ und Ŭ zu vlat. [e] und [o] führt (zum Quantitätenkollaps s. Kapitel I 3), wodurch weitere Endungen zusammenfallen. Schließlich ist in jedem Fall die angesprochene Tendenz zur analytischen Ausdrucksweise zu berücksichtigen. Die Kasusfunktion wird romanisch also mithilfe von Präpositionen ( DE AMICO , AD AMICUM , s. z.B. schon bei Plautus AD CARNIFICEM DABO ) bzw. durch eine Fixierung der Satzgliedstellung ausgedrückt. So lässt sich die Subjekt- und Objektfunktion über die Stellung der nominalen Elemente zum Verb bestimmen (Subjekt vor dem Verb, direktes Objekt erstes Element nach dem Verb). Die bereits angesprochene Zweikasusflexion ist wohl als gemeinromanisch anzunehmen - zumindest für die frühromanische Phase -, wenngleich sie nur galloromanisch noch für die mittelalterlichen Idiome belegt ist. Toskanisch sind die Formen als lexikalische Varianten zu interpretieren, die auf die vormalige Existenz der Zweikasusdeklination hindeuten, aber eben synchron nicht mehr morphologisch relevant sind. Dies zeigt sich auch an der Bedeutungsdifferenzierung bei curato ‚Pfarrer‘ vs. curatore ‚Kurator‘, ‚Verwalter‘ etc. Die Formen gehen wie auch im Falle der nachfolgenden Beispiele auf den lateinischen Nominativ bzw. den Akkusativ zurück: moglie (< klat. MULIER ) - mogliera (nit. vielfach scherzhaft verwendet; ait. auch mogliere < klat. MULIEREM ) sarto (< klat. SARTOR ) - ait./ nit. reg. sartore (< klat. SARTOREM ) ait./ ven. nievo (< klat. NEPOS ) - nipote (< klat. NEPOTEM ) drago (< klat. DRACO ) - dragone (< klat. DRACONEM ) re (< klat. REX ) - ait./ poet. rege (< klat. REGEM ) curato (< klat. CURATOR ) - curatore (< klat. CURATOREM ) […] e Guglielmo si vantò che non avea niuno nobile uomo in Proenza che non gli avesse fatto votare la sella e giaciuto con sua mogliera: […] (Novellino, 42, 223.5) E lo ree mandoe per T. e dissegli: „Dolcie mio nievo, tu m’hai molto lodata una dama.“ (Tristano Ricc., cap. 51, 87.19) Queste parole posso io qui veramente proponere; però che ciascuno vero rege dee massimamente amare la veritade. (Dante, Convivio, IV, cap. 16, 365.1) In den (modernen) romanischen Sprachen wird meist der Akkusativ bzw. Obliquus fortgesetzt, in dem neben diesem auch der Genitiv, der Dativ und der Ablativ (in Verbindung mit einer Präposition) aufgehen. Entsprechend ist die funktionale Auslastung des Obliquus höher als die des Rectus, und er tritt häufiger auf. Rectus-Formen werden romanisch nur vereinzelt fortgesetzt, die Lexeme weisen zumeist das Merkmal [+ human] auf, d.h. die Referenten sind jeweils agensfähig und die fraglichen Substantive treten entsprechend häufig in Subjektfunktion auf, s. z.B. it. uomo, moglie, prete, suora, re, sarto, ladro, ait. nievo (s. hierzu auch die genannten Lexeme, die (a)it. die ursprüngliche Nominativwie die Akkusativform fortsetzen). Allerdings gehen im Italienischen wie in den anderen romanischen Sprachen viele Lexeme, die Personen bezeichnen, auf den Obliquus zurück (vgl. klat. CONIUGEM > it. coniuge, klat. CONSORTEM > it. consorte, klat. IUDICEM > <?page no="58"?> 1 Nominalmorphologie 57 it. giudice). Bei der Fortsetzung der Rectusformen handelt es sich also um eine nur schwach ausgeprägte Entwicklungstendenz. Interessant sind hier auch die vereinzelt unterschiedlichen Ergebnisse in den romanischen Sprachen, vgl. z.B. it. uomo (< HOMO ) vs. frz. homme (< HOMINEM ) neben on (< HOMO ), span. hombre (< HOMINEM ). Für Fälle wie FLASCO ‚(Wein-)Flasche‘ (Akk. FLASCONEM ) ist die Fortsetzung der Rectusform auffällig. Möglicherweise ist das Risiko einer augmentativen Lesart für die Form des Obliquus für den Gebrauch des Rectus ausschlaggebend gewesen, d.h. die Sequenz -one könnte als Suffix interpretiert werden, wie z.B. in vlat. Nom. NASO / Akk. NASONE ( M ) ‚jd. mit großer Nase‘ > nit. ‚große Nase‘, ‚Zinken‘ (vs. klat. NASO / NASUM ‚Nase‘, vgl. auch z.B. klat. Nom. LATRO / Akk. LA - TRONEM , für das der Nominativ fortgesetzt wird, und die sekundäre Ableitung LATRONEM , it. ladro ‚Dieb‘ vs. ladrone ‚Straßenräuber‘). Alt- und neuitalienisch finden sich daneben noch vereinzelt erstarrte Ablativformen, so senza (< klat. ABSENTIA ), ora (< klat. HORA ); auch das zur Adverbbildung verwendete -mente (< klat. MENTE ) ist letztlich eine ablativische Form, die sich hier durch den Verwendungskontext erklären lässt (‚auf x Art und Weise‘). Kasusreste finden sich weiter in den Paradigmen der Personalpronomina (vgl. z.B. die unbetonten Pronomina im Sg. Dat. gli, le vs. Akk. lo, la); nicht mehr transparent sind Formen wie lei, lui oder auch demonstrativisches quello, quegli (zur Entwicklung der Formen II 3.2). Im Altitalienischen lässt sich nun wegen des Kasusabbaus und der damit einhergehenden schwachen Differenzierbarkeit einzelner Deklinationsklassen eine Kategorisierung am ehesten über den jeweiligen Auslaut im Singular und die Pluralbildung vornehmen. Es liegen folgende nominale Klassen vor: Klasse Form (Sg./ Pl.) Beispiel Genus Ausnahmen 1 -o/ -i giorno/ giorni mask. mano/ -i (fem.) 2 -a/ -e casa/ case, maraviglia/ maraviglie fem. poeta/ -e (mask.) 3 -e/ -i fiore/ fiori, guiderdone/ guiderdoni mask./ fem. 3’ -e/ -e arte/ arte, bontade/ bontade fem. 4 -a/ -i poeta/ poeti mask. loda/ -i, porta/ -i (fem.); costuma (fem.)/ costumi (mask.) 4’ -a/ -e poeta/ poete mask. 5 -o/ -a osso/ ossa, letto/ letta Sg. mask./ Pl. fem. 5’ -o/ -ora prato/ pratora, luogo/ luogora Sg. mask./ Pl. fem. 6 unveränderlich città, dì, re mask./ fem. <?page no="59"?> II Morphologie 58 […], ma in uno modo si puote lodare il savio, se loda in altrui le bontade che appaiono in lui. (Fiori di filosafi, 174.3) Onde, con ciò sia cosa che a li poete sia conceduta maggiore licenza di parlare che a li prosaici dittatori, e questi dicitori per rima non siano altro che poete volgari, […] (Dante, Vita nuova, cap. 25, parr. 1-10, 113.16-18) Zu ergänzen sind hier Lexeme wie nome, das nicht nur hinsichtlich seiner Pluralformen interessant ist (ait. neben nomi auch nomora), sondern auch mit Blick auf die Variante nomo im Singular (vgl. auch Klasse 5’). Andere Fälle von Alternanz im Singular sind pomo/ pome ‚Apfel‘, vermo/ verme, disiro/ disire ‚Wunsch‘, die alle einen Plural auf -i aufweisen (s. aber ait. auch poma, fem.) - die singularische Form auf -o stellt eine Analogie zur häufigeren Endung -o im Maskulinum dar. Auf Gründe für die Variation wird im folgenden Abschnitt genauer eingegangen. 1.3 Genus und Numerus Ähnlich wie die Aufgabe des Kasus - wie gesehen ist diese Kategorie für die lexikalischen Einheiten nicht mehr relevant - ist der Verlust des Neutrums ebenfalls eine wichtige Neuerung in der Entwicklung der romanischen Sprachen. Allerdings bleibt die Kategorie Genus erhalten, ebenso wie der Numerus, d.h. während die Nomina im Lateinischen noch nach den Kategorien Kasus, Genus und Numerus dekliniert werden, erfolgt die Deklination im Italienischen nur mehr nach Genus (reduziert auf Maskulinum vs. Femininum) und Numerus. Die Aufgabe des Neutrums ist wie gesehen zum einen durch den lautlichen Zusammenfall des neutralen und des maskulinen Paradigmas der O -Deklination begründet - eine formale Differenzierung lag bekanntlich nur im Nominativ Singular sowie im Nominativ und Akkusativ Plural vor. Erste Fälle von Genuswechsel (vom Neutrum zum Maskulinum) lassen sich schon zu lateinischer Zeit feststellen. Hinzu kommt, dass lateinisch einige Wörter sowohl in maskuliner wie neutraler Form belegt sind (s. z.B. AEVUS / AEVUM , BALNEUS / BALNEUM , CASEUS / CASEUM , COLLUS / COLLUM , UTERUS / UTERUM ), andere Lexeme im Singular maskuline, im Plural daneben auch neutrale Formen zeigen (z.B. IOCUS , LOCUS ). Darüber hinaus dürfte die fehlende Motiviertheit, also die mangelnde Bindung an ein natürliches Geschlecht (Sexus) den Abbau des Neutrums begünstigt haben. Viele der ursprünglich neutralen Lexeme gehen, wie angesprochen, in der Entwicklung zum Italienischen im maskulinen, einige im feminen Genus auf. Neben dem Metaplasmus der Neutra gibt es auch einige Übertritte lateinisch femininer Substantive zum maskulinen Genus: Hierbei handelt es sich v.a. um die Bezeichnungen für Obstbäume. Die Genuszuweisung war lateinisch durchaus motiviert durch die antike Vorstellung, dass Bäume von Nymphen bewohnt seien sowie dadurch, dass Obstbäume Früchte tragen. Die Bezeichnung der Früchte ist lateinisch neutral (z.B. PIRUM ); pluralisches PIRA nimmt dann singularisch aufgefasst kollektive Bedeutung an, d.h. in einer frühen Entwicklungsphase treten PIRUS (Baum), PIRUM (einzelne Frucht) und PIRA (kollektiv) nebeneinander auf. Mit Verlust der kollektiven Bedeutung wird PIRA (fem. sg.) zur Bezeichnung der einzelnen Frucht herangezogen und tritt damit an die Stelle von PIRUM , während <?page no="60"?> 1 Nominalmorphologie 59 PIRUS als Bezeichnung für den Baum bestehen bleibt (s. it. pera ‚Birne‘, pero ‚Birnbaum‘). Deutlich seltener ist nun der umgekehrte Wechsel, also vom Maskulinum zum Femininum (z.B. PARIES bzw. PARIETEM => it. parete). Interessant sind in diesem Kontext auch Dubletten, die ihren Ursprung in einer doppelten Genuszuweisung haben, die zumeist bereits lateinisch angelegt ist (vgl. nit. la/ il fine (klat. FINIS mask., selten fem.), la/ il serpe (klat. SERPENS mask./ fem., nit. mask. nur lit./ reg.), la/ il fronte (klat. FRONS nur fem.)) und mit einer semantischen Differenzierung einhergeht (s. z.B. fronte mask. ‚Stirn‘ vs. fem. ‚Front‘). Wenngleich das Neutrum als Kategorie wie gesehen ausgefallen ist, gibt es italienisch in unterschiedlichen Bereichen durchaus noch Überreste lateinischer Neutra. Zum einen finden sich heute fossilisierte Formen (d.h. weder das Genus noch der Numerus aus dem Lateinischen bleiben erhalten). Zum anderen werden ursprünglich neutrale Formen zumindest noch mit Blick auf ihre Numeruskennzeichnung im Italienischen fortgesetzt. Beispiele für den ersten Fall sind etwa klat. LIGNA (neutr. pl., ‚Holz‘, ‚Holzscheit‘) > it. legna (fem. sg., ‚Holzscheit‘), Pl. legne (klat. LIGNUM , neutr. sg. ‚Holz‘, ‚Holzscheit‘ > it. legno, mask. sg.; Pl. legni) oder klat. FOLIA (neutr. pl.) > it. foglia (fem. sg., ‚Blatt (Laub)‘), Pl. foglie (klat. FOLIUM , neutr. sg., ‚Blatt (Laub)‘ > it. foglio, mask. sg., ‚Blatt (Papier)‘; Pl. fogli). Die Zuweisung der ursprünglich neutralen Substantive zu den Feminina ist natürlich v.a. lautlich, aber durchaus auch morphologisch (kollektive Bezeichnung) motiviert. Als Beispiele für die Fortsetzung der Form für die Pluralkennzeichnung seien genannt klat. BRACCHIA (neutr. pl.) > it. braccia (fem. pl.), klat. MEMBRA (neutr. pl.) > it. membra (fem. pl.). Anders verhält es sich bei vlat. AURI - CULA (s. klat. AURIS , fem. sg.), das als feminine Pluralform interpretiert wird, zu der wiederum ein neuer Singular (it. orecchio, mask. sg.) auf der Grundlage der Bildungen braccio - braccia gebildet wird (vgl. auch MEDULLA , fem. sg., interpretiert als fem. pl., dazu neuer Singular midollo, mask.). Was die semantische Ausdifferenzierung für die Pluralformen betrifft, zeigt die jeweils auf -a ausgehende Form Körperbezug, die parallel vorliegende Form auf -i dagegen wird häufig metaphorisch verwendet (vgl. i bracci (di un fiume) ‚(Fluss-)Arme‘). Bei Körperteilbezeichnungen wird nun generell auch bei genuin maskulinen Lexemen wie etwa dito (< klat. DIGITUM ) analog eine zweite Pluralform ausgebildet (auf -a, vgl. dita ‚Finger (koll.)‘ neben diti ‚Finger (einzeln)‘). Verschiedentlich tritt im Plural neben -a und -i auch -e als Endung auf (orecchie, ginocchie; s. auch ait. membri, membre, membra), was möglicherweise durch eine Analogie zu den Feminina der A - Deklination bedingt ist. Offensichtlich wird nun zum Altitalienischen hin die Parallelität der Pluralbildung mittels -i und -a, die ja wie gesehen mit einer semantischen Differenzierung einhergeht, von den Körperteilbezeichnungen auch auf andere Substantive übertragen, wie z.B. anello, peccato, castello sowie Lexeme auf -mento: -a zeigt - wie bereits für die neutrale Desinenz gesehen - eher die kollektive Idee an, -i die reine Pluralität im Sinne der Mehrzahl. <?page no="61"?> II Morphologie 60 Eine Neuerung besteht nun darin, dass, wenn auch in geringem Ausmaß, Neubildungen auch für Substantive aufkommen, bei denen -a als Pluralendung nicht etymologisch motiviert ist, so etwa bei grido (le grida) oder urlo (le urla). Formen wie gridi und urli sind schon altitalienisch selten belegt (s. auch neuitalienisch die Verwendung von urli ausschließlich für tierische Laute). Das Nebeneinander von ursprünglich singularischem -o und pluralischem -a führt schließlich in der Wortbildung zu einer augmentativen Lesart für Elemente auf -a (vgl. il buco ‚Loch‘, ‚Öffnung‘ vs. la buca ‚Grube‘). Mit Blick auf die Pluralbildung auf -a ist der Fall der Neutra der konsonantischen Deklination interessant, wie z.B. in TEMPUS - TEMPORA : TEMPOR ist klassischlateinisch Stammallomorph des Lexems (neben TEMP -). Mit dem Übergang der Neutra der konsonantischen Deklination in die O -Deklination existieren vorübergehend zwei Pluralformen parallel (vgl. tempi mask. - tempora fem.). Durch die Parallelität der Formen bedingt wird -ora als Pluralmorph interpretiert und entsprechend frei für neue Bildungen. Anders als lateinisch liegt folglich keine Stammallomorphie mehr vor, vgl. z.B. ait. nome - nomora. Die Endung -ora hat altitalienisch kollektive Bedeutung, vgl. auch campora, fuocora, boscora, luogora, borgora, fiumora, lumora, semora, pratora, piatora ‚Rechtsstreit‘ (in mittelalt. it. Städten), palcora (diese Bildungen sind aber im Vergleich zu den regulären Formen seltener belegt). Auch außerhalb der Toskana finden sich Bildungen auf -ora, so im Römischen (ambora ‚beide‘ (vgl. tosk. ambi), regnora ‚Königreiche‘ (vgl. tosk. regni) oder im Abbruzzesischen (chiarora ‚Strahlen‘, ‚Glanz‘). Für die sich herausbildenden Determinanten ist nun zu berücksichtigen, dass mit Aufgabe des Neutrums vlat. ELLA , ESTA (< klat. ILLA , ISTA ) nur mehr als Femininum Singular interpretierbar sind. In Syntagmen des Typs ILLA LONGA BRACCHIA werden die beiden ersten Formen wohl als singularisch, BRACCHIA hingegen als pluralisch interpretiert. Durch die Überlagerung mit den regulären femininen Pluralformen wird ILLA LONGA durch ILLE LONGE ( BRACCHIA ) ersetzt, womit entsprechend eine Desambiguierung erreicht wird. Denkbar wäre eine analogiebedingte Weiterentwicklung zu le lunghe braccie, wie sie z.T. dialektal tatsächlich eintritt. Bei Annahme einer pluralischen Bedeutung auch für den Determinanten und/ oder das Adjektiv sind Syntagmen wie das angeführte ILLA LONGA BRACCHIA die Grundlage für altitalienische Syntagmen des Typs colle sua braccia, nelle mia braccia, le detta castella, nella castella, nella letta, nelle nostra letta. Divergenzen in der Pluralkennzeichnung innerhalb der Syntagmen treten z.B. bei li labbra, le labbra miei, le labbra appersi o.ä. auf. Wie aus den bisherigen Ausführungen zu sehen, ist mit der Aufgabe des Neutrums eine Änderung auch in der Numerusmarkierung erfolgt - die etymologisch eindeutigen Endungen -a und -ora kommen als Pluralmarkierungen neu auf. Weniger klar ist dagegen die Entwicklung der Pluralendungen -i (mask.) und -e (fem.) der lateinisch der O - und A -Deklination angehörenden Lexeme. Für den Singular wird in der Regel von der Fortsetzung des Obliquus (klat. Akkusativ) ausgegangen. Für den Plural ist im Italienischen auffällig, dass eine große Ähnlichkeit der lateinischen Nominativformen mit den italienischen Entwicklungsergbnissen besteht. Denkbar ist prinzipiell auch, dass für diejenigen Idiome, in <?page no="62"?> 1 Nominalmorphologie 61 denen finales - S ausfällt, die jeweilige Rectusform fortgesetzt wird, um eine formale Überlagerung der jeweiligen Singular- und Pluralformen zu vermeiden (dies gilt v.a. für das Maskulinum; klat. mask. AMICUM / AMICOS > vlat. * AMICO ). Lexeme der lateinischen konsonantischen Deklination würden weiter analogiebedingt die Pluralkennzeichnung -i aus der O -Deklination übernehmen (s. andernfalls ebenfalls lautlicher Zusammenfall: klat. CONSULEM / CONSULES > vlat. * CONSULE ). Denkbar wäre allerdings auch ein Echophänomen, d.h. die Übertragung der innerhalb des Syntagmas dominanten Pluralkennzeichnung auf das Substantiv: i nostri cane > i nostri cani. Dies würde zugleich bedeuten, dass - S bzw. dessen Ausfall für die Entwicklung der Nominalmorphologie keine besondere Bedeutung zukäme. Gegen diese Annahme sprechen einige Fakten - so können Pluralbildungen wie altitalienisch belegtes do donna ‚due donne‘ nur über den Obliquus erklärt werden, da - AE (Nom. Pl.) früh zu -e monophthongiert wurde; weiter ist seit klassischer Zeit und auch alttoskanisch noch - AS anstelle von - AE (bzw. -as statt -e) für Substantive in Subjektfunktion dokumentiert. Interessant ist hier auch, dass einige toskanische Dialekte im Fem. Pl. wie in der 2. Pers. Sg. der -are-Konjugation (vgl. klat. CANTAS ) -a haben; in Dokumenten des 7./ 8. Jh. findet sich vielfach - ES für - AS (z.B. dues cases, compres anstelle von compras), was auf eine vokalschließende Wirkung von finalem - S hindeutet (s. auch die Entwicklung von auf - S auslautenden Einsilblern: NOS > noi, DAS > dai, TRES > ait. trei, PLUS > ait. piui). Andererseits ist zu berücksichtigen, dass sich in den gleichen Dokumenten vielfach hyperkorrektes -s findet (also Rectus + -s vs. Obliquus). Für den Plural der Substantive der konsonantischen Deklination wird wie für die A -Deklination gesehen von diversen Autoren auf die vokalschließende Wirkung von - S verwiesen (d.h. - ES > *-is > -i). Unter Berücksichtigung der Ergebnisse bei Einsilblern ist auch denkbar, dass der Sibilant generell zu einem palatalen Semivokal wird und mit dem vorausgehenden Vokal eine diphthongische Verbindung bildet, die zu [e] (bei *[ai], also AMICAS > *amicai > amiche) bzw. [i] (bei *[ei], CONSULES > *consulei > consuli) monophthongiert wird. Für die Maskulina der lateinischen O -Deklination scheint die Pluralbildung eindeutig auf den Nominativ zurückzugehen, wenngleich sich auch hier Belege für -os (Obliquus) in Subjektfunktion finden (v.a. in Mittel- und Süditalien, auch lateinische Inschriften verweisen auf den Gebrauch von ursprünglich akkusativischen Formen als Subjekt, vgl. z.B. FILIOS ET NEPOTES SALVOS MEMORIA PATRI POSUERUNT ). Denkbar ist mit Blick auf die italienischen Ergebnisse allerdings auch eine Analogie zu den Substantiven der konsonantischen Deklination, die ihren Plural auf -i bilden (als zugrunde liegende Kasus kommen hier der lateinische Nominativ wie der Akkusativ in Frage, die beide die Endung - ES haben). Zum Italienischen hin könnte über einen interparadigmatischen Ausgleich eine einheitliche Pluralkennzeichnung für die Maskulina erreicht worden sein (-i). Gleichzeitig legt die Entwicklung des Femininums sowie der Pluralformen in den westromanischen Sprachen nahe, dass der Plural wie der Singular auf den Akkusativ zurückgeht. Andererseits zeigt sich etwa im Rätoromanischen eine Parallele von nominativisch und akkusativisch basiertem Plural für maskuline Lexeme. Vor diesem Hintergrund stellt sich wiederum die Frage, ob im Femininum nicht auch <?page no="63"?> II Morphologie 62 der Nominativ (- AE ) als Ausgangsform denkbar ist. Aufgrund der bisherigen Ausführungen sind zumindest beide Entwicklungen prinzipiell möglich und nachvollziehbar, auch eine Polygenese lässt sich nicht ausschließen. Interessant sind in diesem Kontext auch die verschiedentlich im Altitalienischen auftretenden femininen Pluralformen auf -i, z.B. le porti (nit. noch le ali, le armi), für die eine weitere Schließung ausgehend von - AS angenommen werden könnte. Allerdings scheint die Annahme einer Analogie auf der Basis von Substantiven, die im Singular auf -e ausgehen (Sg. -e, Pl. -i) und damit eine eindeutige Numerusdifferenzierung zeigen, wahrscheinlicher (s. dialektal auch la porte, la persone). In solchen Fällen wäre also eine Überlagerung der Entwicklungsergebnisse der Substantive der A - und der konsonantischen Deklination anzunehmen. Altitalienisch zeigen sich insgesamt starke Schwankungen, die für die Markierung der Feminina im Sinne einer stärkeren Betonung des Genus (-e) oder des Numerus (-i) interpretiert werden können. Einige feminine Lexeme bilden altialienisch ihren Plural auf -e, wo neuitalienisch -i auftritt, wie im Fall von le parte (neben le parti); hier liegt altitalienisch offensichtlich eine Analogie zu Substantiven vor, die im Singular auf -a auslauten (Singularbildungen des Typs la parta scheinen dagegen ausgeschlossen zu sein). Denkbar ist hier wiederum prinzipiell auch eine Art Echophänomen mit der Wiederholung des Auslautvokals (le parte), dem aber Beispiele wie parente maschi e femmine gegenüberstehen. Altwie neuitalienisch unveränderlich sind zum einen einige Latinismen auf -ie (serie, specie) sowie Gräzismen auf -i (analisi, diocesi, sintesi). Die größere Gruppe neuitalienisch invariabler Lexeme bilden aber solche Elemente, die lateinisch auf - TAS / - TATIS bzw. - TUS / - TUTIS auslauten. Die Reduktion der Finalsilbe ist möglicherweise haplologisch, d.h. durch die Gleichheit oder Ähnlichkeit zweier aufeinanderfolgender Silben bedingt (vgl. häufige Syntagmen wie CIVITATEM DE RO- MA > ait. cittade di Roma > città di Roma, VIRTUTEM DE SAPIENTIA > ait. virtude di sapienza > virtù di sapienza). Altitalienisch sind die Formen cittade, Pl. cittadi, virtude, Pl. virtudi, etade, Pl. etadi etc. noch häufig, verschiedentlich treten die genannten Varianten aber bereits nebeneinander in einem Text auf: E tutto questo avviene per diversità delli Vangelii. Quando Cleofa fu morto, Anna si maritò a Salome di cui nacque l’altra Maria, moglie di Zebedeo, di cui nacque Giovanni evangelista, e Iacopo suo frate, e per ciò è per lo suo padre. Ancora è ella appellata madre de’ figliuoli di Zebedeo, per le diversitadi di Vangelii. (Tesoro volg. (ed. Gaiter), L. 2, cap. 2, 1, 238.11-239.1) Mit Blick auf eine mögliche Stammallomorphie ist für das Italienische hier die durch das Pluralmorph bedingte, allerdings nicht durchgängig auftretende Palatalisierung des stammauslautenden Konsonanten interessant: porco - porci vs. parco - parchi; derartige Schwankungen finden sich z.T. noch heute (vgl. parroco - parrochi neben parroci). Denkbar ist prinzipiell, dass die Stammallomorphie an volkstümlich entwickelte Substantive gebunden ist und entsprechend solche ohne Stammalternanz den Einfluss von Lexemen der klassischlateinisch konsonantischen und U -Deklination zeigen. Auffälligerweise ist aber die Zahl der Lexeme <?page no="64"?> 1 Nominalmorphologie 63 ohne Palatal größer als die derjenigen mit Palatal, die zudem vielfach gelehrten Charakter haben. Dagegen ist im Rumänischen, für das alte latinisierende Einflüsse auszuschließen sind, die palatale Lösung wiederum generalisiert und auch im italienischen Verbalparadigma zeigt sich durchgehend eine Palatalisierung außer für Verben der -are-Konjugation, was sich aber dadurch erklären lässt, dass die Endung -i erst sekundär auftritt (s. manco - manchi). Offensichtlich sind also auch nicht alle Substantive mit Palatalkonsonanz latinisierend und nicht alle Lexeme ohne Stammalternanz volkstümlich entwickelt. Wichtig ist nun, dass die Palatalisierung nur durch primäres - I ausgelöst wird, nicht aber durch -e bei Substantiven der A -Deklination - das legt nahe, dass zumindest bei den Substantiva der A -Deklination der Plural auf den Akkusativ zurückgeht, da auch sekundäres -e aus - AE eine Palatalisierung von vorausgehendem initialem oder postkonsonantischem [k] und [g] auslöst. Die Reduktion von - AS auf *-es bzw. -e erfolgt deutlich später, weshalb die feminen Substantive der I Deklination keine Palatalisierung des stammauslautenden Konsonanten zeigen. Lautlich bedingte Allomorphie ist auch bei solchen Lexemen gegeben, die singularisch auf -lo oder -le ausgehen, vgl. ait. cavalli/ cavagli/ cavai (vs. nit. cavalli). Dabei bleibt die Endung -gli beschränkt auf solche Elemente, die -llo im Singular haben. Der Plural auf -i (cavai) tritt dagegen nur in der Lyrik auf. Die Entwicklung für bello verläuft parallel, die Ergebnisse bleiben in diesem Fall erhalten und sind in ihrer Distribution vom lautlichen Kontext abhängig (nit. bei, belli, begli). Auch für die Pronomina tale, quale sind die aufgezeigten Pluralformen belegt (quali dominant, quagli v.a. florentinisch-toskanisch belegt, quai toskanisch seltener; tali am häufigsten neben tai und sehr seltenem tagli; vgl. hierzu auch die Entwicklung der Artikelallomorphe, II 2.1). It. diedi a frate Ruggieri per pietanza, i quagli ci diero uno frate d’Ongnesanti per ciò, s. xxx. (Doc. fior., 147.22) Così, se tu ti pensi, / son fatti cinque sensi, / d’i quai ti voglio dire: […] (Brunetto Latini, Tesoretto, v. 765, 202.26) 1.4 Adjektivkomparation Wie gesehen, gehören die Adjektive im Lateinischen der A -/ O sowie der konsonantischen Deklination an. Die Dominanz der A -/ O -Deklination zeigt sich z.T. schon vulgärlateinisch in der Bildung analoger Formen, vgl. crudelo/ -a, forto/ -a, corteso/ -a, dolento/ -a, grando/ -a altitalienisch v.a. für die venezischen Varietäten. Toskanisch sind etwa die analog gebildeten Formen tristo/ -a interessant, die sich aber gegen die regulär entwickelte Form triste nicht durchsetzen kann. Typologisch wichtig ist für die Adjektive weiter die Komparation, da sich die angesprochene Tendenz zur analytischen Ausdrucksweise hier ebenfalls bemerkbar macht. Für die Inferiorität ist die Bildung schon lateinisch analytisch: MINUS SANUS (Superlativ MINIME SANUS ). Auch für den Fall der Superiorität ist dieser Typ durchaus schon belegt, wenn auch nur für die Adjektive auf - EUS , - IUS , - UUS (Komparativ MAGIS ARDUUS , Superlativ MAXIME ARDUUS ). In der Zentralromania <?page no="65"?> II Morphologie 64 wird MAGIS durch PLUS (> it. più) ersetzt und die analytische Komparativbildung generalisiert. Synthetisch sind italienisch nur mehr die Komparativformen migliore (< klat. MELIOREM ), peggiore (< klat. PEIOREM ), maggiore (< klat. MAIOREM ) und minore (< klat. MINOREM ) erhalten, vermutlich bedingt durch die hohe Frequenz der Lexeme und die Suppletivität des Paradigmas (d.h. die Bildung der einzelne Formen der jeweiligen Paradigmen erfolgt auf der Basis unterschiedlicher synonymer Stämme), vgl. buono - maggiore - ottimo. Die Positivformen zu peggiore, maggiore und minore sind zum Neuitalienischen ausgefallen oder gelten als literarisch. Altitalienisch sind sie (noch) vereinzelt belegt, s. klat. MALUS (> ait. malo), MAGNUS (> ait. magno), PARVUS (> ait. parvo). Interessant sind hier auch die Kurzformen des Komparativs, die altitalienisch vornehmlich in der Lyrik auftreten (maggio, men(o)). Neuitalienisch finden sich aber v.a. in der gesprochenen Sprache die von anderen Adjektiven bekannten analytischen Ersatzformen più buono, più grande, più piccolo. Lateinisch wird der absolute Superlativ (Elativ) unabhängig vom jeweiligen Infix nach der A -/ O -Deklination dekliniert: SANISSIMUS / - A / - UM (it. sanissimo), MI - SERRIMUS / - A / - UM (it. miserrimo), FACILIMUS / - A / - UM (s. aber it. facilissimo; der lateinisch, auf wenige Adjektive beschränkte Typ ist in dem dominanten Bildungstyp auf -issimo aufgegangen), s. auch die unregelmäßigen Formen wie OPTIMUS / - A / - UM (it. ottimo). Dabei ist das Morphem -issimo ein Latinismus (bei volkssprachlicher Entwicklung wäre -essimo erwartbar); daneben steht die Bildung mit molto zur Verfügung - altitalienisch besteht noch die Möglichkeit der Kookkurrenz: Guardò nell’acqua: vide l’ombra sua ch’iera molto bellissima. […] (Novellino, 46, 229.3) Weiter kann più mit einer abgeleiteten superlativischen Form (relativer Superlativ) stehen: […] uno che di tutti i detti de’ filosofi che fuoro davanti lui e dalla viva fonte del suo ingegno fece suo libro di rettorica, ciò fue Marco Tulio Cicero, il più sapientissimo de’ Romani. (Brunetto Latini, Rettorica, 6.12) In Verbindung mit einem Personalpronomen muss wie im Neuitalienischen die Präposition di stehen: Anchora: È ‘l cane più gentile di te di chuore, ke si racorda del benificio che ll’uomo li fa, […] (Disciplina Clericalis, 74.11) Amico, e guarda bene, / con più ricco di téne / non ti caglia d’usare, […] (Brunetto Latini, Tesoretto, v. 1672, 234.10) 2 Determinanten 2.1 Definiter Artikel Die Entwicklung des definiten Artikels ist panromanisch, dürfte durch griechischen Adstrateinfluss bedingt sein und geht in seiner Form für die Mehrheit der <?page no="66"?> 2 Determinanten 65 romanischen Sprachen auf das lateinische Demonstrativum ILLE (‚jener‘) zurück (zum Paradigma s. II 3.2), das zunehmend die Funktion eines definiten Artikels erlangt. Spätlateinisch findet sich in dieser Funktion noch häufiger IPSE (‚selbst‘), das im Sardischen und z.T. im Katalanischen zum Artikel weiterentwickelt wird. Das Paradigma des definiten Artikels sieht im Altitalienischen wie folgt aus: mask. fem. sg. lo, ‘l, il, el, l’ la, l’ pl. li, gli, i le, l’ 2.1.1 Maskulinum Altitalienisch ist lo am weitesten verbreitet, das anders als neuitalienisch keinerlei kontextuelle Restriktionen kennt (s. nit. vor s impura, z sowie Palatalnasal o.ä., in letztgenannten Kontexten ist aber umgangssprachlich bereits il möglich). Lo tritt altitalienisch auch satzinitial auf, wo ‘l bzw. il zunächst nicht vorkommen. Sie sind auf die Stellung nach vokalisch auslautenden Morphen beschränkt (die Variante el ist florentinisch sehr selten). Auch der nachfolgende Kotext ist wichtig: So finden sich die beiden Allomorphe nur vor Konsonant - vor Vokal steht dagegen die elidierte Form l’ neben lo. Die wesentlichen Veränderungen zum Neuitalienischen liegen in der Aufgabe von ‘l, den zunehmenden kontextuellen Einschränkungen im Gebrauch von lo und der Ausdehnung der Verwendungskontexte für il, das zum häufigsten Artikelmorph wird. Die neuitalienischen Allomorphe sind komplementär distribuiert, während altitalienisch in einigen Kontexten freie Variation herrscht - so unterliegt lo wie gesehen keinerlei Beschränkungen und die Formen ‘l und il werden parallel verwendet. Im Folgenden seien einige Beispiele zur Illustration angeführt: Ed ella disse: - Prudenzia è un verace conoscimento del bene e del male, con fuggir lo male ed eleggere il bene. (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 33, 57.11) Fa sì pro’ a l’amico che tu non nocce a te. (Fiori di filosafi, 119.6) E ‘l cittadino è tenuto per natura di rendere due cose al suo Comune, cioè consigliarlo ed atarlo. (Bono Giamboni, Trattato, cap. 13, 134.9) La via del Comune dentro ale mura [è] b(raccia) XVI e -l muro è groso b(raccia) III e meçço […] (Iscr. fior., 2, 368.32) El gridare di Mauro era molto grande, però che rimbombava nella citerna; […] (Sacchetti, Trecentonovelle, 208, 537.23) Eine Besonderheit liegt für lo in der Verbindung mit Lexemen vor, die auf die Sequenz im-/ in- und Nasal anlauten: In diesen Fällen kann das anlautende ides Lexems ausfallen, vgl. imperadore => lo ‘mperadore (nicht *lo imperadore). Die Aphärese ist aber nicht auf die Verbindung mit Artikel beschränkt (s. auch e ‘ntanto, che ‘ntorno). Für das Artikelmorph il ist zu berücksichtigen, dass es vor rzu ir assimiliert werden kann (vgl. ir re, ir romore). Die Distributionsbedingungen geben einen gewissen Hinweis auf die Entwicklung des Paradigmas. Das altitalienisch hochfrequente lo setzt die zweite Sil- <?page no="67"?> II Morphologie 66 be von klat. ĬLLUM fort, d.h. es liegt eine Aphärese vor (( ĬL ) LUM > ait. lo). Diese Form stellt gleichzeitig die Basis für die weiteren Allomorphe dar. Wie bereits erwähnt, tritt ‘l postvokalisch/ präkonsonantisch auf - es handelt sich bei dem Morph um die apokopierte Variante von lo (lo > ‘l, [lo] > [l]), wobei die Tilgung des unbetonten Vokals durch die enklitische Stellung des Artikels zum vorausgehenden Element bedingt ist (vgl. vedo ‘l fiume etc.). In den Editionen wird vielfach die Schreibung <‘l> angegeben, in älteren Ausgaben findet sich auch <-l> (s. hierzu auch die zitierten Beispiele); in den Manuskripten liegt aber Zusammenschreibung mit dem vorausgehenden lexikalischen oder morphologischen Element vor. Die Graphie <‘l> bzw. <-l> resultiert also letztlich aus der erst später aufkommenden Getrenntschreibung. Erst sekundär (die Beleglage in den frühen Texten ist hier eindeutig) tritt die Form il auf, und zwar in den gleichen Kontexten wie ‘l. In den norditalienischen Idiomen - die süditalienischen kennen nur den Typ lo - lässt sich das Aufkommen von ‘l und der jeweiligen dialektalen Variante von il z.T. recht gut beobachten. Ergänzend zum toskanischen Befund lässt sich also auch auf der Basis der norditalienischen Entwicklungen eine Ablehnung der so genannten etymologischen Hypothese rechtfertigen, nach der abhängig von den Betonungsverhältnissen die erste oder die zweite Silbe von ĬLLUM fortgesetzt würde (s. aber wohl im Spanischen mit el vs. lo). D.h. vor einem auf der Initialsilbe betonten Element hätte sich die erste, bei einem auf der zweiten oder einer späteren Silbe betonten nachfolgenden Element die zweite Silbe durchgesetzt (il cónte vs. lo baróne). Für el (< ĬL ( LUM )) wäre zwar eine vortonige, durch die proklitische Stellung zu rechtfertigende Hebung für den Vokal denkbar (vgl. klat. SENIOREM > it. signore, klat. NEPOTEM > it. nipote, wie gesehen ist die vortonige Hebung auch satzphonetisch wirksam, vgl. klat. DE > it. di, klat. ME > it. mi (unbetonte Entwicklung) etc.). Im Florentinischen tritt e(l) allerdings erst im 15./ 16. Jh. häufiger auf. Die Form ist v.a. in den südlichen und westlichen Mundarten verbreitet. Das iin il ist aufgrund der späteren Entwicklung des Morphs aus ‘l wohl eher als Prothese zu werten. Auffällig ist, dass der im Toskanischen wie in den anderen Idiomen auftretende anlautende Vokal jeweils mit demjenigen identisch ist, der auch in anderen Kontexten als Prothese fungiert (s. wie gesehen ifür das Toskanische: il, v.a. ait. iscritto, istrada, ispesso; s. die parallele Entwicklung in den norditalienischen Varietäten, z.B. ven. z.T. e-, lomb., piem. a-). Interessant ist weiter, dass ‘l bzw. seine Ersatzform il (‘l wird mit Aufkommen von il schnell abgebaut) besonders oft nach einfachen, hochfrequenten Präpositionen (also a, da, di) auftritt. Möglicherweise ist gerade in den preposizioni articolate der Auslöser für die Herausbildung von il zu sehen. Zumindest kann aber wohl davon ausgegangen werden, dass durch den spezifischen Kontext der preposizioni articolate eine schnellere Verbreitung von il als Artikelmorph erfolgt. Für die maskulinen Pluralformen sei wiederum zunächst die Distribution der Allormorphe angesprochen. Li findet sich wie singularisches lo in jedwedem Kontext, unterliegt also keinerlei Restriktionen. Gli tritt vor Vokal auf - in freier Varia- <?page no="68"?> 2 Determinanten 67 tion mit li - und vereinzelt auch vor Konsonant. Im Neuitalienischen tritt gli nun auch in den Kontexten wie singularisches lo auf (also vor s impura, Palatalkonsonant etc.). I ist zunächst v.a. nach Präposition belegt, wobei die so entstehende diphthongische Verbindung verschiedentlich reduziert erscheint (a’ suoi comandamenti, de’ quali etc.). Zur Entwicklung der Pluralmorphe lassen sich ebenfalls Parallelen zu den singularischen Formen ausmachen. Li ist wie lo Fortsetzer der zweiten Silbe des lateinischen Morphs ( ĬLLI , s. hierzu auch die Diskussion zur Pluralbildung), d.h. auch hier liegt eine Aphärese der ersten Silbe vor. Li stellt wie lo die Basis für die weiteren Entwicklungen dar. Dabei ist die Herausbildung von gli mit Palatalisierung des anlautenden Liquids durch prävokalische Stellung bedingt (s. I 4.1.2 a) zur Palatalisierung in figlia, egli). Die Reduktionsform i steht zunächst v.a. enklitisch zu einem vorausgehenden, auf Vokal auslautenden Morph; hier liegt also freie Variation mit li vor. Was die Entwicklung von i betrifft, so ist wohl eine Assimilation des Laterals an nachfolgendes -i erfolgt, wie sie allgemein für Nomina angesetzt werden kann, deren Stamm auf Lateral ausgeht: [li] > [ji] > [j] > [i], vgl. ...V-li > ...V-ii > ...V-i. Diese Entwicklung ist auch für die preposizioni articolate denkbar: ali > *aii > ai (sowohl ali als auch ai sind ait. belegt, daneben als Reduktionsform a’). Die gleiche Entwicklung zeigen quel - quei; bel - bei; egli - ei. Li pic[c]iol’, li mezzani e li mag[g]iori / hanno altro in cor che non mostran di fora: […] (Chiaro Davanzati, canz. 25, v. 65, 93.13) E quando gli omori cessano, e lo rinflabiamento si spegnie, lo cuore riposa, e la scurità si parte da lui, e gli menbri e gli occhi perdono la grossezza, e diventano gioiosi e allegri. (Libro di Sidrach, cap. 81, 125.13) E però Ezacchia profeta, favellando di questa via, disse: „Recherommi a memoria igli anni miei nella amaritudine dell’anima mia“. (Bono Giamboni, Trattato, cap. 6, 127.27) Come Giosepo sedea ne la caiera / egl’angeli veniano dinanzi da lui. (La Storia del San Gradale 107.19) Le cose fitte e simulate cagiono tosto sì com’e’ fiori, per ciò che cosa simulata, voita di veritade, non puote lungamente durare. (Fiori di filosafi, 158.5) 2.1.2 Femininum Die Entwicklung der femininen Artikelmorphe gestaltet sich nun deutlich einfacher als die der maskulinen Formen. Sowohl im Fall von la als auch für le (zur Entwicklung des Plurals bei Nomina vgl. II 1.4) wird wie bei den primären maskulinen Formen die zweite Silbe des lateinischen Etymons fortgesetzt ( ĬLLAM , ĬLLAE bzw. ĬLLAS ). Die Distributionsbedingungen sind alt- und neuitalienisch identisch. Wie im Maskulinum tritt prävokalisch die elidierte Form l’ auf. Eine Besonderheit des Altitalienischen besteht in der Elision des Vokals auch im Plural, vgl. ait. l’altre città vs. nit. le altre città. Anche la contrizione conviene ch’abbia in voto, cioè in proponimento, la confessione; altrimenti non varrebbe. (Jacopo Passavanti, Specchio, dist. 5, cap. 3, 101.18) <?page no="69"?> II Morphologie 68 Le festivitadi et le vigilie per le quali facciano solamente al ferro sono queste: […] (Stat. fior., II, par. 2, 45.7) E secondo che le vie sono diverse, così menano l’anime a regnare in diversi paesi: […] (Bono Giamboni, Trattato, cap. 29, 149.21) Der einzige Beleg für eindeutig assimilatorisch bedingtes ra ist der folgende: It. die avire s. xxii m(eno) d. i <p(er) ra> p(er) la rascio(ne) dele cie(n)to ci(n)qua(n)ta l. ke ssoda(m)mo. (Doc. fior., 34.19) 2.1.3 Preposizioni articolate Was die Formen der preposizioni articolate betrifft, so ist hier v.a. die Verbindung der Präpositionen mit maskulinen Artikelformen interessant. Wie gesehen ist lo in allen Kontexten möglich, entsprechend auch nach vokalisch auslautenden Präpositionen, vgl. a lo, alo, allo etc. Anstelle von nello tritt vereinzelt in lo auf, selten auch inel bzw. in nel (v.a. westtoskanisch, aber auch florentinisch; pisanisch/ lucchesisch ist in del häufiger als in nel). Erst deutlich später treten preposizioni articolate auch mit den konsonantisch auslautenden Präpositionen con und per auf (col, colla; pel, pello etc.), die zum Neuitalienischen wieder ausfallen und nur mehr in lexikalisierten Syntagmen wie per lo meno (bzw. bei Zusammenschreibung perlomeno) erhalten sind. Eine direkte Entstehung der preposzioni articolate aus der Verbindung vlat. Präposition + ELLU ist fraglich. Die Geminate ist bei allo (< vlat. AD ( EL ) LU ), dallo (< vlat. DE AB ( EL ) LU ), collo und pello wohl durch Assimilation zu erklären, was eine entsprechend frühere Aphärese bei ELLU voraussetzt. Bei dello liegt möglicherweise eine Analogie zu den erstgenannten Formen vor, bei su (ait. auch suso < klat. SURSUM ) ist die Verbindung sekundär (su löst allerdings rafforzamento fonosintattico aus, wodurch sich die Form sullo erklären lässt). Vlat. IN ELLU ist als Basis für nello denkbar, d.h. die Geminate wäre demnach hier etymologisch (dies setzt allerdings den Erhalt der ersten Silbe von vlat. ELLU voraus); möglich ist aber auch eine Analogie wie im Fall von dello. Auffällig ist, dass die frühen Belege im Singular neben der Geminate auch einen Einfachkonsonanten zeigen (alo, s. auch Getrenntschreibung a lo, wobei zu bedenken ist, dass a zu einer Geminierung im Sinne des rafforzamento fonosintattico führt und auch im Falle von alo eine Realisierung als Geminate anzunehmen ist). Wichtig ist nun, dass für die singularischen Formen eine klare Dominanz von al, dal, del, nel oder auch sul gegenüber den nicht apokopierten Formen (alo, a lo, allo etc.) erkennbar ist. Für die Entwicklung der Pluralmorphe ist dagegen der Typ alli dominant, jeweils nur ca. ein Viertel der Belege zeigt ai und ali (bzw. a li). […] ma elle fanno molto bene a tutte le malatie che avengono ali ochi e al dolore e ala pesa che aviene ale ciglia. (Zucchero, Santà, Pt. 1, cap. 10, 93.14) Il quale lasciò tutto il suo patrimonio ai suoi cittadini e andonne ad Attena, là ove era la filosofia. (Fiori di filosafi, 106.4) <?page no="70"?> 2 Determinanten 69 […] fececi -l pagamento in fiorini d’ariento secondo ke lli ebbe dali depositari, (e) fiorini d’ariento li dovemo rendere; […] (Libro Guelfo, 171.24) […] ed è da’ savi lungo asempro dato / che quelli ch’ama e serv’è d’amore / da lo propinquo ch’ama sia amato, / e se per altro muta mente o core, / dipartesi da l’amoroso usato. (Chiaro Davanzati, son. 73, v. 6, 294.6) E la Fede da la sua parte, pensando ch’era acompagnata dalla Caritade e da la Speranza, e là ov’eran tutte e tre era Idio in miluogo di loro […] (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 51, 88.6) Le famiglie dei rettori e quelli della Lana già erano in piazza armati e con molti villani. (Marchionne, Cronaca fior., Rubr. 905, 397.29) Sangue sangue sangue, sta fermo inella tua vena, chome stéte Gieso Gristo nella sua pena. (Ricette di Ruberto Bernardi, 45.6) […] quanta allegrezza credi che sia quando la creatura si congiugne col suo creatore, o il figliuolo col suo padre, o la sposa collo sposo suo ch’ama? (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 22, 43.11) „Affricano pello senno suo venne a bontà, per la bontà a vittorie, per le vittorie agl’amici, per li amici in grande stato.“ (Fiore di rett., red. beta, cap. 18, 21.13) 2.2 Indefiniter Artikel Der indefinite Artikel leitet sich aus dem lateinischen Numerale UNUM ab; das Paradigma zeigt altwie neuitalienisch für das Maskulinum die Formen uno und un, für das Femininum una und un’, wobei letzteres auf die prävokalische Stellung beschränkt ist, wo die Elision allerdings nur fakultativ ist (vgl. una erba). Die altitalienische Distribution der maskulinen Allomorphe weicht, ähnlich wie für die definiten Artikelmorphe gesehen, von derjenigen im Neuitalienischen ab. Uno und die apokopierte Variante un treten in freier Variation in allen Kontexten auf, wobei un in seiner Entwicklung auf uno zurückgeht. Finales -o fällt verschiedentlich vor konsonantisch anlautenden Wörtern aus (uno cane neben sekundärem un cane). Altitalienisch existiert noch keine Form, die einem indefiniten Artikel im Plural entsprechen würde, auch ein Partitiv hat sich altitalienisch noch nicht herausgebildet. f. Triki da Suvigliana: ave(n) kanbiato ko·lui tera; quella ke diede noi sì fue un peço di tera posta al kolle (e) uno altro peço posto a·Renicio (e) uno altro peço posto nel Vignale […] (Doc. fior., 229.17) Appresso che per ispazio di settecento anni, cioè da Ostilio Tullio infino a Cesare Augusto, una estate solamente non sudaro di sangue le membra de’ Romani […] (Bono Giamboni, Orosio, L. 4, cap. 13, 233.3) <?page no="71"?> II Morphologie 70 3 Pronomina 3.1 Personalpronomina Während für die 1. und 2. Person lateinisch mit EGO , TU , NOS und VOS betonte Subjektpronomina vorliegen, ist im Fall der 3. Pers. Sg./ Pl. in der Regel das Substantiv wiederholt worden. Die hauptsächlichen Veränderungen zu den romanischen Sprachen bestehen also zunächst in der Einführung von Pronomina für die 3. Person sowie in der formalen Differenzierung betonter und unbetonter Pronomina und dem zumindest partiellen Verlust des Kasus. Wie für den definiten Artikel wird auch hier v.a. auf Formen des ursprünglich demonstrativen ILLE (‚jener‘) zurückgegriffen. Die 1. und 2. Person zeigen nur geringfügige formale Änderungen. Wesentlich ist hier lediglich, dass die formale Trennung von Nominativ- und Akkusativform aufrecht erhalten bleibt, vgl. klat. EGO - ME (> it. io - me); klat. TU - TE (> it. tu - te). Für den Plural liegt schon lateinisch keine Differenzierung zwischen den nominativischen und akkusativischen Formen vor: klat. NOS (> it. noi), klat. VOS (> it. voi). Der Ausdruck lateinischer Genitiv-, Dativ- und Ablativformen erfolgt wie bei den Nomina über die Verbindung von Präposition und Akkusativ, s. z.B. klat. MIHI => vlat. AD ME , klat. NOBIS => vlat. AD NOS . 3.1.1 Subjektpronomina Das Paradigma der Subjektpronomina im Altitalienischen sieht wie folgt aus (zu weiteren Formen für die 3. Pers. Sg./ Pl., die nicht auf ILLE zurückgehen, s. weiter unten in diesem Abschnitt): 1. Pers. Sg. io, eo*, i’ 2. Pers. Sg. tu(e) 3. Pers. Sg. mask.: e(l)gli, egl’, e’, elli, eli*, ei*, ello*, elo*, el*; lui* fem.: ella, ell’; lei*, liei*, gliei*, la* neutr.: ello*, elli* 1. Pers. Pl. noi, no’, noialtri*, noi altri*, no’ altri* 2. Pers. Pl. voi, vo’, voi altri* 3. Pers. Pl. mask.: e(l)gli, egl’, e’, elli, ei*, e(l)glino, ellino, elino*, egliro* fem.: elle, ell’*, elleno generisch: loro* Die mit * gekennzeichneten Formen sind selten (z.T. Einzelbelege). Am unproblematischsten gestaltet sich die Form der 2. Pers. Sg., die die lateinische Form unverändert fortsetzt (verschiedentlich tritt auch tue mit Epithese auf). In der 1. Pers. Sg. tritt nach Schwund von intervokalischem [g] die Hebung des Palatalvokals im Hiat ein (klat. EGO > ait. eo > (a)it. io). Ähnlich wie für den Singular sind auch die Formen für den Plural einfach zu erklären. In noi und voi zeigt sich die für Einsilbler typische Entwicklung von finalem - S zu geschlossenem Palatalvokal, der auch reduziert werden kann (no’, vo’, s. hierzu auch die Ausfüh- <?page no="72"?> 3 Pronomina 71 rungen zu den preposizioni articolate, II 2.1). Die äußerst seltenen Formen noi altri, voi altri zeigen die Ergänzung von ALTERI (vgl. auch noch nit. noialtri, noi altri; vgl. dagegen spanisch nosotros, vosotros als unmarkierte Personalpronomina). Für die Formen der 3. Pers. Sg. und Pl. wurde bereits auf ILLE als Basis hingewiesen. Als Erklärungsraster für die einzelnen Formen kann die nachfolgende Übersicht herangezogen werden: klat.: mask. => Analogie zu QUI / CUIUS / CUI Nom.: ILLE ILLI Gen.: ILLIUS ILLUIUS Dat.: ILLI ILLUI klat.: fem. => Analogie Kontamination zu TERRA / TERRAE mit mask. Formen Nom.: ILLA ILLA ILLA Gen.: ILLIUS ILLAE ILLEIUS Dat.: ILLI ILLAE ILLEI Im Falle des Maskulinums ist also eine Analogie der klassischlateinischen Formen des ILLE -Paradigmas zu denjenigen von QUI ( CUIUS / CUI ) anzunehmen, was durch die häufige Kollokation der Elemente ( ĬLLE QUI > ĬLLI QUI ) bedingt ist. Für die femininen Formen ist zunächst eine Analogie zu den Nomina der A - Deklination anzusetzen. In der Folge führt die Kontamination mit den analog gebildeten maskulinen Formen zur Herausbildung u.a. der Form ILLAEI > ILLEI für den Dativ (> lei, parallel zu ILLUI > lui). Wie bereits aus der bisherigen Darstellung erkennbar, ist eine Fixierung in der Funktion einzelner Formen (Dativ - indirektes Objekt) nicht zwingend gegeben. Das zeigt besonders deutlich die Pluralform loro, die auf den Genitiv ILLORUM zurückgeht und eine Generalisierung für das Femininum zeigt (vgl. mit Aphärese auch schon vlat. * LORU , * LORO , klat. ILLARUM ). Loro ist im Italienischen Personalpronomen der 3. Pers. Pl. (ohne Genusdifferenzierung) und kann sowohl die Funktion des betonten Subjekts (loro hanno detto) als auch die des direkten (ho visto loro) wie des unbetonten indirekten Objekts übernehmen (ho dato loro un libro, s. aber v.a. in der gesprochenen Sprache verdrängt durch proklitisches gli: gli ho dato un libro). In der Funktion als betontes Objektpronomen ist loro bereits altitalienisch dominant und verdrängt schnell essi, esse (< ĬPSI , ĬPSAE / ĬPSAS ). Was nun das Formeninventar für die 3. Pers. Sg./ Pl. im Einzelnen betrifft, so ist für das Maskulinum im Singular als Grundlage für die weiteren Formen die schon seit dem 2. Jh. v. Chr., verstärkt seit dem 1. Jh. n. Chr. auftretende analog gebildete Nominativform ĬLLI (> it. egli; vs. klat. Nom. ĬLLE ) sowie die Akkusativform ĬLLUM anzusetzen, für das Femininum (Nom. oder Akk.) klat. ĬLLA ( M ) (> it. ella). Die Entwicklung des Palatals in egli ist im Kontext der Palatalisierung zu sehen, wie sie für Fälle wie FILIAM > it. figlia erläutert wurde: Vor vokalischem Anlaut tritt innerhalb eines Syntagmas entsprechend eine Palatalisierung für den Lateral in elli ein: ait. elli ama > (a)it. egli ama (mit Elision auch egl’ama). Neben deutlich seltenerem elli tritt vereinzelt eli auf, das aber die für das Florentinische untypische Degeminierung zeigt (die Form ist in den norditalienischen Idiomen <?page no="73"?> II Morphologie 72 entsprechend sehr viel häufiger). Die Formen ei und e’ sind Reduktionsformen, wobei e’ eine große Verbreitung zeigt. E’ non crescerà tanto la niquità e non si faranno tante congiurazioni contra la virtudi […] (Fiori di filosafi, 191.6) Poi fece il segno lor di santa croce; / ond’ei si gittar tutti in su la piaggia: / ed el sen gì, come venne, veloce. (Dante, Commedia, Purg. 2, v. 50, 2, 26.3) Die auf dem Akkusativ aufsetzenden Formen ello und elo sind insgesamt selten, ebenso die Form el, die in ihrer Entstehung nicht klar ist; denkbar ist hier die Fortsetzung der ersten Silbe der lateinischen Nominativ- oder Akkusativform. Die Formen ello und (in eingeschränktem Maße) elli können auch neutral verwendet werden. Lui (< vlat. * ILLUI , Aphärese) tritt vereinzelt schon in Subjektfunktion auf (vgl. II 3.1.2): „Semp(re) è da tractare lo guernim(en)to i(n) riposo, p(er)ciò ke male si va kiedendo qua(n)do ello è mistiere“. (Albertano volg., L. III, cap. 39, 227.10) Ma non so io s’elli fu quella medesima cosa, dire questo e così vincere. (Valerio Massimo, prima red., L. 9, cap. 3, 627.22) […] seguitandoli forte, giunsono Gherardo Bordoni alla Croce a Gorgo: assalironlo; lui cadde boccone; eglino, smontati, l’uccisono; e il figliuolo di Boccaccio gli tagliò la mano, […] (Dino Compagni, Cronica, L. 3, cap. 20, 201.4) Für das Femininum sind die Formen ella und ell’ (vor Vokal) die häufigsten. Wie beim Maskulinum tritt aber auch hier schon die Form lei verschiedentlich in Subjektfunktion auf: Per Pudicizia si rifrena la lussuria, perch’ell’è virtù che costrigne non solamente l’incendî, ma’ segni della lussuria; […] (Bono Giamboni, Trattato, cap. 20, 140.8) […] ne la seconda dico quello che lei si pertiene di fare intendere; […] (Dante, Vita nuova, cap. 12 parr. 16-17, 51.8) […] donna e segnor di mene, / e di’ che ‘n nulla cosa / che lei non sia gioiosa - e’ non so vago, / ma di starle servente / tacitore e soffrente; […] (Guittone, Rime (ed. Egidi), canz. 21, v. 84, 49.23) Die Reduktionsformen (e’ bzw. la für die 3. Pers. Sg. mask. bzw. fem., s. aber auch i’ für die 1. Pers. Sg.) waren wahrscheinlich nicht in allen Kontexten klitisch. Darauf deutet etwa die Trennbarkeit vom Verb hin (zur Entwicklung der Pronomina unter dem Aspekt der Klitisierung - das Florentinische kennt neben klitischen Objektauch unbetonte Subjektpronomina - III 1.1.1, 1.1.2): Io lo pur dimandai / novelle di Toscana / in dolce lingua e piana; / ed e’ cortesemente / mi disse immantenente / che guelfi di Firenza / per mala provedenza / e per forza di guerra / eran fuor de la terra / […] (Brunetto Latini, Tesoretto, v. 155, 181.11) Die Pluralformen gehen im Maskulinum wohl auf den klassischlateinischen Nominativ ĬLLI (> (a)it. elli, e(l)gli) zurück, im Femininum wiederum auf den Nominativ ĬLLAE oder den Akkusativ ĬLLAS (s. hier die frühe Generalisierung von - AS <?page no="74"?> 3 Pronomina 73 auch für eigentlich nominativische Formen; ILLAE / ILLAS > ait. elle). Auch hier treten wieder, v.a. für das Maskulinum, Reduktionsformen, auf (ei, e’, egl’). Die Bildungen e(l)glino, ellino und seltenes elino und eliro sind auffällig; die Endung ist als Analogie zu den Verbformen der 3. Person zu verstehen (z.B. Präsens -no, passato remoto -ro; zu den Endungen des passato remoto vgl. II 6.1.6). Für das Femininum stellen sich die Verhältnisse wieder einfacher dar: Neben elle tritt elidiertes ell’ vor Vokal auf (vgl. hier auch die Elision beim definiten Artikel, II 2.1) sowie die analoge Form elleno. Auch genusneutrales loro tritt wie lui und lei bereits vereinzelt in Subjektfunktion auf (häufiger ist der Gebrauch als Objektpronomen, vgl. II 3.1.2). Für das Florentinische finden sich zwar nur wenige eindeutige Beispiele, in den senesischen Quellen ist loro aber durchaus häufiger in dieser Funktion belegt: […] se vogliono richomettere la chosa da chapo a Bruggia che siamo presti a farlo e elino al tutto se ne fano beffe e a Bruggia niente vogliono avere a fare […] (Doc. fior., 241.22) E vegnendo loro al servo di Dio, sì li dicevano: „Veramente tu se’ quelli che ci apparisti nel mare, […]“ (Leggenda Aurea, cap. 3, S. Niccolò, 1, 52.24) Wie schon für den definiten Artikel beschrieben, bietet auch das Paradigma von IPSE die Grundlage für funktional differenzierte Formen, wobei interessanterweise altitalienisch die singularischen Formen deutlich seltener gebraucht werden als die pluralischen. Alt- und auch noch neuitalienisch ist z.B. esso (< klat. ĬPSUM ; altitalienisch mit der Variante eso), das die akkusativische Form fortsetzt, auch in Subjektfunktion bei Bezug auf belebte wie unbelebte Referenten möglich. Daneben sind als Varianten altitalienisch weiter isso und desso belegt (< ( I ) D ĬPSUM ), wobei letzteres möglicherweise aus euphonischen Gründen häufig nach Formen von essere auftritt. Fate come fe’ Silla nella città di Roma, che tutti i mali che esso fece in X anni, Mario in pochi dì li vendicò. (Dino Compagni, Cronica, L. 2, cap. 1, 155.25) Onde, acciò che nel dono sia pronta liberalitade e che essa si possa in esso notare, ancora si conviene essere netto d’ogni atto di mercatantia, […] (Dante, Convivio, I, cap. 8, 37.5) […] che e’ è 2/ 3 di 6 che è 4; adunque noj troviano che 5 vale 4 perochè nnoj diciamo che exxo è 2/ 3 di 6. (Paolo dell’Abbaco, Trattato, 19, 29.37) […] il sangue di Nostro Segnore e ‘l mise in quela scodella ov’egli mangiò con eso i suoi discepoli e come dispuose Nostro Segnore de la croce. (Storia San Gradale, cap. 30, rubr., 37.7) […] e non trovass’io pagatore, lo giuoco che ho fatto a quisto, farò a te isso. (Sacchetti, Trecentonovelle, 134, 297.23) […] l’uno all’altro domandava spesso: / - Hotti io in braccio, o sogno, o sei tu desso? - / […] (Boccaccio, Filostrato, pt. 3, ott. 34, v. 8, 91.24) Morphologisch und semantisch interessant sind schließlich die Verbindungen von esso mit lui, die v.a. mit Präpositionen (vielfach con) auftreten; auch mit lei <?page no="75"?> II Morphologie 74 und loro ist esso deutlich häufiger belegt als mit essa bzw. essi. Verschiedentlich werden die Elemente zusammengeschrieben (v.a. bei Boccaccio). E era il dì dinanzi per avventura il marchese quivi venuto per doversi la notte giacere con essolei, […] (Boccaccio, Decameron, II, 2, 81.29) […] con ciò fosse cosa che a’ compagni forse non piaceria, però che le donne d’alcuni erano con essi loro. (Boccaccio, Filocolo, L. 5, cap. 50, 613.6) Bis in die zweite Hälfte des 19. Jh. treten esso, egli, ei und lui als freie Varianten auf, ei und die deutlich häufigere Reduktionsform e’ fallen erst Mitte des 20. Jh. aus, esso wird zunehmend seltener. Schon bei Bembo werden lui, lei und loro, die zuvor v.a. in Objektfunktion verwendet werden (vgl. II 3.1.2), als freie Varianten zu egli, ella, essi etc. behandelt, die sich auch letztlich durchsetzen und insbesondere für ella starke Frequenzeinbußen bedeuten. Dagegen wird maskulines egli auch heute noch verwendet, wodurch es letztlich zu einer Asymmetrie bei den Genera kommt. Neuitalienisch wird esso bei Bezug auf Tiere und Sachen, kaum mehr bei Personen gebraucht, dabei kann es in Subjektwie Objektfunktion auftreten. Egli wird heute, ausschließlich als Subjektpronomen, nur mehr in der geschriebenen Sprache verwendet und ist diaphasisch hoch markiert; unmarkiert und weiter verbreitet ist heute das altitalienisch noch seltenere lui. 3.1.2 Objektpronomina Das Paradigma der Objektpronomina zeigt vielfach Übereinstimmungen zwischen den betonten und den schwachtonigen oder klitischen Formen. Eine funktionale Differenzierung ist im Einzelfall auf der Basis der legge Tobler-Mussafia möglich, die die Satzgliedstellung im Altitalienischen regelt (s. III 1.1.1, 1.1.2). Als betonte und unbetonte akkusativische Formen finden sich altitalienisch die folgenden: klat./ *vlat. ait. betont ait. unbetont 1. Pers. Sg. ME me mi 2. Pers. Sg. TE te ti 3. Pers. Sg. * ILLUI / * ILLEI lui, lei lui, lei; lo, la 1. Pers. Pl. NOS noi, no’ noi, no’; ne, ci 2. Pers. Pl. VOS voi voi, vo’; vi 3. Pers. Pl. * ILLORU ( M ) loro loro; li, le Vereinzelt finden sich für die 1. und 2. Pers. Pl. auch die Formen nui und vui, so etwa bei Dante oder Sacchetti. Vor vokalischem Anlaut wird der Auslautvokal in den Pronomina aller Personen elidiert. Das Reflexivum SE entwickelt sich wie die Pronomina der 1. und 2. Pers. Sg. (d.h. betont sé, unbetont si). Für die 1. und 2. Pers. Pl. finden sich in dieser Funktion v.a. ci und vi, die auch generell als unbetonte Objektpronomina gebraucht werden: <?page no="76"?> 3 Pronomina 75 [...] che noi abbiamo molte cose di soperchio, delle quali no’ ci potremmo leggiermente scaricare, conciossiacosaché noi non sentiremmo, ch’elle ci fossero tolte, [...] (Pistole di Seneca, 87, 245.14) Non vi indugiate, miseri: chè più si consuma in un dì nella guerra, che molti anni non si guadagna in pace; [...] (Dino Compagni, Cronica, L. 2, cap. 1, 155.29) Die formalen Unterschiede zwischen den unbetonten und den betonten Formen ergeben sich in der 1. und 2. Pers. Sg. durch die Verbindung mit einem nachfolgenden Verb und die somit vortonige, auch satzphonetisch wirksame Hebung des Vokals (me > mi, te > ti, vgl. klat. NEPOTEM > it. nipote, I 3.2). Für die 1. Pers. Pl. findet sich im ältesten Florentinischen noch no (‚uns‘) in der Verwendung eines indirekten Objekts; häufiger tritt altitalienisch allerdings ne (< INDE ) auf, das zum Neuitalienischen durch ci (< ECCE HIC oder *( HIC ) CE ) ersetzt wird, aber auch schon altitalienisch in dieser Funktion belegt ist. Für die 2. Pers. Pl. ist schon früh vi (< IBI ) belegt. Altitalienisch tritt daneben als wohl schwachtonige Variante v.a. mit lokaler Bedeutung auch ivi auf, in der Lyrik wird gar i als Schwundform gebraucht: […] s’elli no(n) pagasse, sì no p(ro)mise di pagare Buo(n)venuto f. del Romeo del Garbo p(ro)de (e) kapitale qua(n)t’elle isstessero. (Doc. fior. 25.19) […] core ha di pietra sì malvagio e vile, / ch’entrar no i puote spirito benegno. (Dante, Vita nuova, cap. 31, parr. 8-17, v. 34, 129.15) Für die 1. wie die 2. Person liegt eine Substitution durch ein lokales Adverb vor, die klassischlateinischen Formen werden also nur eingeschränkt fortgesetzt (ursprünglich lokative Adverbien treten häufiger für klitische Personalpronomina ein). Für die 3. Pers. Sg. kann eine reguläre Entwicklung auf der Basis der Akkusativ- oder (analog gebildeter) Nominativformen (für das Fem. und den Pl.) des ĬLLE -Paradigmas angenommen werden: mask. sg. lo (< klat. ĬLLUM ), fem. sg. la (< klat. ĬLLAM ), mask. pl. li (< klat. ĬLLI ), fem. pl. le (< klat. ĬLLAE / ĬLLAS ). Im Maskulinum treten parallel zu lo in einer Anfangsphase auch ‘l bzw. il auf, die allerdings zugunsten von lo frühzeitig wieder aufgegeben werden. Auch im Plural finden sich als Varianten i bzw. gli (vgl. zur Entwicklung der Formen auch die Allomorphie des definiten Artikels, II 2.1, zum Plural II 1.3). Für den Singular ist hier interessant, dass eine funktionale Aufteilung für die als Varianten vorliegt (Artikel: il, Zurückdrängung lo vs. dir. Objekt: lo, Zurückdrängung il). Noi non troviamo alcuna cosa; quando i nostri maggiori ci seranno, e noi il diremo loro. (Sacchetti, Trecentonovelle, 174, 428.24) Qual metallo è sì duro che il fuoco no lo incenda e rechilo a sua natura? (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 22, 43.16) […] e questi, incontanente che vede il fante, sì ‘l chiama da una parte a sé, […] (Fiore di rett., red. beta, cap. 46, 49.6) […] choloro che -l guadangnaro (e) chi faticha ci aoperò, sie chome fuoro il mio padre (e) la mia madre (e) i miei fratelli (e) di me Bene Bencive(n)ni […] (Doc. fior., 466.2) <?page no="77"?> II Morphologie 76 Con lieve affanno a morte fur costretti, / perché già el fumo gli avea consumati / mentre da quel nel buco eran distretti. (Boccaccio, Caccia di Diana, c. 12, v. 47, 34.4) I Ghibellini ci torranno la terra, e loro e noi cacceranno, e che per Dio non lascino salire i Ghibellini in signoria: […] (Dino Compagni, Cronica, L. 1, cap. 15, 143.17) Come Teseo le vide fuggire, / in un raccolse tutta la sua gente, / e comandò che le lasciasser gire; […] (Boccaccio, Teseida, L. 1, ott. 79, v. 3, 278.21) Vereinzelt findet sich auch betontes und schwachtoniges (bzw. unbetontes) lui, lei in Funktion des direkten Objekts: […] et tanto pose il suo cuore nel mirare lei, che uscì fuore d’ogni altro pensiero et d’ogni altro intendimento; […] (Tavola ritonda, cap. 9, 27.24) Fa’ ciò che déi; - / e volle serrar dentro lui e lei. (A. Pucci, Reina, I, ott. 47, v. 8, 242.32) Era questa donna da un cavaliere della detta città per amore intimamente amata, ma ella né lui amava né di suo amore si curava: […] (Boccaccio, Filocolo, L. 4, cap. 67, 448.30) Die lateinischen Dativpronomina werden zu unbetonten Formen weiterentwickelt; als betonte Formen werden in der Regel die Präpositionalphrasen aus a + Akkusativ gebraucht, selten steht das Pronomen alleine. In den frühesten Texten (Placiti di Teano) finden sich für die 2. Person noch die Formen tebe (< TIBI ) und bobe (< VOBIS ). Die Allomorphe liei und gliei zeigen Diphthongierung des haupttonigen [ɛ] (< AE , s. ILLAEI ) und die nachfolgende Palatalisierung des anlautenden Laterals ([lj] > [ʎ]): E questo medesimo piagnea Achille ne la menata via Briseis: cioè i solazzi che ha di liei Agamenone. (Rim. Am. Ovid. (B), 390.18) […] la donzella, vedendo suo sire morto, comenza a fare gran pianto, e Gurone venne a gliei, dicendo: […] (Tavola ritonda, cap. 1, 3.6) E qual di llüi più crede savere, / suo minor colpi non sa ciò che dànno. (Monte Andrea (ed. Minetti), tenz. 110, v. 9, 275.6) Für die unbetonten Formen zeigt sich eine formale Überlagerung für die 1. und 2. Pers. Sg. und Pl. mit denjenigen des Akkusativs (mi, ti, ci, vi). Eine Abweichung zum Paradigma der Akkusativformen ergibt sich aber für die 3. Person. Im Singular treten mask. li und gli auf (< klat. Dat. ĬLLI ), fem. le (< vlat. ĬLLAE ), im Plural als genusneutrale Form gli (< klat. Dat. ĬLLIS ). Die Palatalisierung in gli ist dabei bedingt durch die Generalisierung des Entwicklungsergebnisses in prävokalischer Stellung (s. zu egli II 3.1.1). Loro geht wie gesehen auf (v)lat. ( ĬL ) LORU ( M ) zurück. Di che dolendosene, il padre loro gli disse, che, delle sue possessioni, gli darebbe tante delle sue terre egli sarebbe soddisfatto; […] (Dino Compagni, Cronica, L. 2, cap. 20, 171.15) […] infra dieci die dal die ch’è fatta la condannagione overo dal die che li è fatto il comandamento in persona o a la casa dove habita […] (Stat. fior., cap. 68, 50.16) <?page no="78"?> 3 Pronomina 77 […] i quali paghai p(er) lui a monna Benvenuta sua madre quando le re(n)deo la rasscione sua: […] (Doc. fior., 307.11) Resta ora che Venus favellò al suo figliuolo Amore, e pregollo che una notte le conceda; […] (Lancia, Eneide volg., L. 1, 172.16) […] e incappati tra grande moltitudine d’armati pedoni, quivi combattendo, furono loro uccisi i buoni cavalli: […] (Boccaccio, Filocolo, L. 4, cap. 138, 530.23) Mit Blick auf die zunehmende Substitution der lateinischen Kasus durch Präposition und Akkusativform ist die Fortsetzung bzw. Ersetzung von klat. MECUM , TECUM , SECUM , NOSCUM und VOSCUM (s. meco, teco, seco, etc.) interessant. Die genannten Formen werden altitalienisch, vielfach aber um die Präposition con ergänzt, fortgesetzt (con meco, con teco, etc. parallel zu con me, con te etc.). Das verweist darauf, dass die Bildung mit Postposition nicht mehr durchsichtig ist. Der Bildungstyp ist noch bis ins 18. Jh. belegt. „Lo primo argomento dela co(m)posta mente credo ke sia ke altri possa stare cu(m) seco medesimo“ (Albertano volg., L. IV, cap. 63, 307.12) „Se tu vuogli essere meco, io sarò teco“. (Leggenda Aurea, cap. 163, S. Elisabetta, 3, 1435.22) Gite securi omai, ch’Amor vèn vosco; […] (Petrarca, Canzoniere, 153, v.12, 209.12) 3.2 Demonstrativa Auf die Demonstrativa des klassischen Latein wurde bereits mit Blick auf die Genese des definiten Artikels und der Personalpronomina der 3. Pers. Bezug genommen. Klassischlateinisch liegt ein dreigliedriges System vor, mit Bezug auf den Sprecher ( HIC ‚dieser hier‘), den Hörer ( ISTE ‚dieser da‘) und einen entfernten Referenten ( ĬLLE ‚jener‘). ĬLLE ist also sprecher- und hörerneutral, weshalb die Übernahme auch anderer Funktionen möglich ist. Bei den Demonstrativa ist zunächst keine formale Differenzierung in Abhängigkeit vom adjektivischen oder pronominalen Gebrauch gegeben. Das nachfolgende Schema zum Paradigma von klat. ĬLLE gilt analog für ĬSTE und ĬPSE (Nom./ Akk. neutr. sg. ĬPSUM ): Singular Plural mask. fem. neutr. mask. fem. neutr. Nom. Gen. Dat. Akk. Abl. ĬLLE ĬLLĪUS ĬLLĪ ĬLLUM ĬLLŌ ĬLLA ĬLLĪUS ĬLLĪ ĬLLAM ĬLLĀ ĬLLUD ĬLLĪUS ĬLLĪ ĬLLUD ĬLLŌ ĬLLI ĬLLŌRUM ĬLLĪS ĬLLŌS ĬLLĪS ĬLLAE ĬLLARUM ĬLLĪS ĬLLĀS ĬLLĪS ĬLLA ĬLLŌRUM ĬLLĪS ĬLLA ĬLLĪS Wichtige Faktoren für die Entwicklung des Systems der Demonstrativa sind zum einen die Präzision in der Deixis. HIC und IS ‚dieser‘, ‚er‘ - letzterem kommt eigentlich keine wirklich demonstrative Funktion zu, es geht vielfach ein Relativum voraus - sind aufgrund des lautlichen Zusammenfalls in einer Vielzahl von Formen bereits vulgärlateinisch nicht mehr differenzierbar und werden nicht fortge- <?page no="79"?> II Morphologie 78 setzt. Relikte des HIC -Paradigmas finden sich nur mehr in einzelnen adverbialen Formen (vlat. ECCE HOC > ciò, vergleichbar HOC , ILLUD , ID ; vlat. * ECCU HIC / HAC > qui/ qua; * ECCU geht dabei möglicherweise auf ECCE EUM zurück oder ist analog zu den Adjektiven der A -/ o-Deklination gebildet). ID bildet in Verbindung mit IPSUM die Basis für ait. desso (s. II 3.1.1). ILLE hingegen behält trotz der Entwicklung neuer Funktionen (Artikel, Personalpronomen) auch seine originale Funktion bei. Es tritt allerdings sehr früh, schon parallel zu noch funktionierendem HIC und IS , mit verstärkenden Elementen auf (klat. ECCE ‚siehe da‘, ‚schau‘, (v)lat. * ECCU , erste Belege 2. Jh. v. Chr.). Nach dem Ausfall von HIC und IS bilden ISTE und ILLE ein zweigliedriges System aus. Dabei zeigt sich bei ISTE eine Veränderung vom Hörerhin zum Sprecherbezug. Die meisten italienischen Varietäten setzen dieses System mit der Differenzierung in questo und quello fort. Toskanisch wird nun die Dreigliedrigkeit des Systems über die vulgärlateinische Bildung * ECCU + TI ( BI )/ TE + ISTUM > cotesto bzw. codesto wiederhergestellt. Etymologisch von Interesse ist also die Einbindung von ISTE in questo wie in codesto, ILLE wird nur in quello fortgesetzt. Was die formale Entwicklung der Paradigmen betrifft, so setzen sich spätlateinisch jeweils drei Formen durch - dabei übernimmt die ursprüngliche Nominativform Subjektfunktion (quelli/ quegli) - vielfach mit Bezug auf Personen -, der klassischlateinische Dativ tritt nach Präposition auf (colui, Bezug nur auf menschliche Referenten möglich, anaphorisch; neuitalienisch eher pejorativ) und der Akkusativ wird als direktes Objekt gebraucht (quello). Mit dem Verlust des Kasussystems werden aber syntaktische und semantische Änderungen möglich. Neuitalienisch werden v.a. die Formen questo, codesto (beschränkt auf das Florentinische) und quello gebraucht. Wie die Formen zeigen (quegli/ quello vs. colui), liegt offensichtlich eine unterschiedliche lautliche Entwicklung für die Formen vor. Questo und quello (< vlat. *( EC ) CU ĬSTUM / ĬLLUM ) sind regulär entwickelt (vor Vokal mit Elision quest’, quell’). Für * ECCU ist eine Aphärese anzusetzen; bedingt durch die Akzentuierung der ersten Silbe des Demonstrativums erfolgt eine Devokalisierung für das auslautende - U in * ECCU (> [w]), mit der eine Silbenreduktion einhergeht. Die Sequenz entwickelt sich also von [ku. is.tu] bzw. [ku. il.lu] zu [ kwes.to] bzw. [ kwel.lo] (s. I 4.1.2 b)). Ähnlich gestaltet sich die Entwicklung der Formen questi und quelli/ quegli, die auf die für die metaphoniebedingten vulgärlateinischen Nominativformen ISTI und ILLI in Verbindung mit * ECCU zurückzuführen sind. Die Palatalisierung des Laterals bei ILLI ist, wie gesehen, durch die prävokalische Stellung und die nachfolgende Generalisierung dieses Entwicklungsergebnisses bedingt (s. II 3.1). Die Formen quellino, queglino - möglicherweise rein graphische Varianten, wie die nachfolgenden Beispiele suggerieren - sind wie die Personalpronomina eglino, elleno durch Analogie zu den Verbformen der 3. Pers. Pl. zu erklären (quelleno tritt toskanisch, aber nicht florentinisch auf): Quellino accorgendosi che se per iscritto mostrassono che il loro re favorasse i ribelli della Chiesa, […] (Giovanni Villani (ed. Porta), L. 10, cap. 196, 2, 383.22) <?page no="80"?> 3 Pronomina 79 Queglino che ll’aveano affare, ch’erano all’uficio della condotta de’ soldati, […] (Giovanni Villani (ed. Porta), L. 10, cap. 329, 2, 499.23) Für costui/ colui liegt die Verbindung des adverbiellen Verstärkers * ECCU mit der analog gebildeten Form ILLUI bzw. ISTUI vor (( EC ) CU ( IS ) TUI / ( IL ) LUI ). Costui/ costei, colui/ colei können auch als reduzierte Formen (costu’ etc.) auftreten. Die Betonung liegt hier, anders als bei den Formen * ECCU ÍSTU ( M )/ * ECCU ÍLLU ( M ), auf der zweiten Silbe des Demonstrativums, weshalb die Anlautsilbe reduziert und * ECCU als cofortgesetzt wird. Die Pluralformen zu costui/ costei, colui/ colei werden mit der klassischlateinisch genitivischen Form ISTORUM bzw. ILLORUM gebildet: costoro, coloro. Auch bei cotesto (ait. ist die Variante codesto mit Sonorisierung noch selten), das fast nie pronominal auftritt, wird *( EC ) CU als cofortgesetzt, das Personalpronomen TI ( BI ) bzw. TE verschmilzt mit dem Anlautvokal des Demonstrativums. „Messere, piacciavi di mandare in Pisa al siniscalco vostro che mi proveggia“. Il donno disse: „Cotesto farò io bene“: feceli una lettera e dieglile. (Novellino, 77, 305.3) […] di sopra che cotesta è una strettissima via, e vannovi poche persone, e truovasi in cotesto viaggio larghissime strade onde vanno molte genti; […] (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 13, 30.8) „Messer, o messere: io vi priego per Dio che, innanzi che cotesto ladroncello, che v’è costì dallato, vada altrove […]“ (Boccaccio, Decameron, VIII, 5, 527.26) […] et codesto cavaliere mi conquistò, et menòmmi tutto quel giorno con esso seco. (Tavola ritonda, cap. 1, 6.30) „Perché cotanto in noi ti specchi? / Se vuoi saper chi son cotesti due, / la valle onde Bisenzo si dichina / del padre loro Alberto e di lor fue.“ (Dante, Commedia, Inf. 32, v. 55, 1, 550.7) E la reina disse: - Sire Dinadano, non dite più; però che, con coteste parole, voi mi fareste tosto disamorare e uscire d’ogni amore -. (Tavola ritonda, cap. 93, 360.28) Allora Dio per li suoi preghi trasse la costui anima di pene e misela a gloria. (Fiori di filosafi, red. La, 203.2.8) E ritrovando costui l’atro dìe i forestieri, sì ssi comincia im prima egli di loro a lamentare: […] (Fiore di rett., red. beta, cap. 46, 48.10) E que’ dissero: Messere, ke è cciò, ke voi avete ricevuto costui così alta mente? Allora sì rispuose il re e disse: Colui chui tu non vuoli, vitiperare credete, magiormente lo lodate. (Disciplina Clericalis, 80.14) E al tempo di costu’ cadde da cielo in Roma uno scudo tutto vermiglio, […] (A. Pucci, Libro, cap. 16, 136.28) In questo modo risponde filosofia a tutti: i’ non riceverò il tempo, che v’avanzerà, ma voi avrete quel, ch’io vi darò. A costei ti de’ tu appressare, e tutto il tuo pensiero volgere; costei si dee amare, onorare, e coltivare. (Pistole di Seneca, 53, 116.24) <?page no="81"?> II Morphologie 80 […] per ciò che ella conosceva ben la sua figliuola, sì come cole’ che infino da piccolina l’aveva allevata, e molte altre parole simiglianti. (Boccaccio, Decameron, VII, 8, 483.21) Seltenere Formen Durch die Überlagerung der zuletzt genannten Formen mit cotesto (codesto) ergeben sich die Formen cotestui, cotestei, cotestoro (codestoro ist nur senesisch belegt), die sehr selten sind, was allerdings aufgrund ihrer komplexen Bildung nicht überraschend ist. Die Formen werden zum Neuitalienischen aufgegeben: Né mica disse istamane cotestui il paternostro di san Giuliano. (Sacchetti, Trecentonovelle, 33, 78.18) „O signor valoroso, / volgiti a me, come tu suoli, amando, / e lascia cotestei, cui poderoso / guadagnasti per serva e ‘l suo paese / insieme, con vittoria glorioso.“ (Boccaccio, Amorosa Visione, c. 26 v. 19, 118.19) Ancora abbiamo sentito che ‘l Dogio di Pisa è disposto a dare a cotestoro ogni favore a lui possibile. (Doc. fior., 487.11) Der Bildungstyp questui (questei, questoro), der eine Überlagerung der Formen questo und costui zeigt, ist florentinisch ebenfalls sehr selten, questei und questoro sind für das Florentinische gar nicht belegt. Die parallele Bildung quel(l)ui, quel(l)ei, quel(l)oro ist für das Florentinische ebenfalls nicht nachweisbar, sie ist aber wie questui, questei und questoro für die norditalienischen Varietäten vereinzelt belegt. Niccolò è mio nome, servo della vostra santità. Allora, vegiendo tutti questi vescovi che questui era certamente eletto da Dio, preselo e miserlo nella sedia vescovile della città di Mirea: […] (Legg. sacre Mgl. II. IV. 56, Legg. di S. Niccolò, 108.24) Esto, ello, esso Neben diesen unterschiedlich komplexen Bildungen finden sich altitalienisch allerdings auch noch die einfachen Formen esto, ello - das anders als gemeinhin angenommen durchaus auftritt, wenngleich auch florentinisch selten - und esso (< IPSUM ). Dabei ist esso vergleichsweise häufig und wird sowohl pronominal wie attributiv gebraucht: Così fu l’uom perdente: / d’esto peccato tale / divenne l’om mortale, […] (Brunetto Latini, Tesoretto, v. 469, 192.11) „Chi veder vuol la salute, / faccia che li occhi d’esta donna miri, / sed e’ non teme angoscia di sospiri“. (Dante, Convivio, II, cap. 1, 25, 62.6) „Maestro, esti tormenti / crescerann’ei dopo la gran sentenza, / o fier minori, o saran sì cocenti? “ (Dante, Commedia, Inf. 6, v. 103, 1, 107.6) […] a tutti altri sapori esto è di sopra. (Dante, Commedia, Purg. 28, v. 133, 2, 491.5) <?page no="82"?> 3 Pronomina 81 Ello ist nur pronominal belegt und florentinisch selten: „Semp(re) è da tractare lo guernim(en)to i(n) riposo, p(er)ciò ke male si va kiedendo qua(n)do ello è mistiere“. (Albertano volg., L. III, cap. 39, 227.10) […] alcuna cagione, mai non s’accosta a nessuno altro, per castitade, o per paura ch’ello non torni; […] (Tesoro volg., L. 5, cap. 34, 134.5) […] sarà data licenzia di rivestirsi, ciascuno si rivesta, e rivestito e rilegato l’abito, con esso in braccio vada e s’inginocchi all’altare, e prieghi Iddio che gli conceda grazia […] (Stat. fior., cap. 30, 28.6) Adverbien Das System der adverbiellen Deiktika im Altitalienischen ist reicher als das im Neuitalienischen. Während neuitalienisch ein nur mehr binäres System mit Bezug auf den Sprecher vorliegt, hat das Altitalienische neben qui/ qua und lì (< ILLIC )/ là (< ILLAC ) mit den verstärkten Nebenformen colì/ colà (< * ECCU ILLIC / * ECCU ILLAC ), weiter costì/ costà (< * ECCU ISTIC / * ECCU ISTAC ), wodurch Bezug genommen wird auf die hörernahe Umgebung. Neutoskanisch treten die Adverbien vielfach verstärkend zu den pronominal gebrauchten Demonstrativa auf (questo qui, codesto costì und quello lì): […] e dee dare per lo fardello di frate Agnolo da Todi ché paghamo s. iiij per la vettura da Siena isin qui, di maggio. (Doc. fior., 276.3) „Fatti ‘n costà, malvagio uccello! “ (Dante, Commedia, Inf. 22, v. 96, 1, 373.7) […] e venne in capo del ponte; e là trovò Bito, che sedea con molta buona gente. (Novellino, 96, 343.8) Die Adverbien ivi/ quivi (< IBI / * ECCU IBI ) und indi/ quindi (< INDE / * ECCU INDE ) haben anaphorischen Charakter, wobei jeweils ersteres als Ortsangabe fungiert (ivi daneben als Angabe des Ziels einer Bewegung), letzteres als Richtungsangabe im Sinne des Ausgangspunkts einer Bewegung. Dabei können indi und quindi auch mit Präposition auftreten: Certo questa parola, cioè „regna“, fa tutte risplendere l’altre parole che ivi sono. (Brunetto Latini, Rettorica, 76.9) Anche è ria, perché quivi la lingua isfrenatamente favella; quivi si dicono bugie e parole di scherne; […] (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 21, 42.8) Da indi in qua mi fuor le serpi amiche, / perch’una li s’avvolse allora al collo, / […] (Dante, Commedia, Inf. 25, v. 4, 1, 417.4) 3.3 Possessiva Während lateinisch im Rahmen der Possessivität Reflexivität angezeigt werden kann (vgl. AMAT SUUM PATREM ‚er liebt seinen Vater (d.h. den Vater eines/ r anderen)‘ vs. AMAT EIUS PATREM ‚er liebt seinen (d.h. den eigenen) Vater‘), ist diese Möglichkeit zum Italienischen hin aufgegeben worden, d.h. es steht nurmehr das <?page no="83"?> II Morphologie 82 Possessivum suo zur Verfügung. Eine eventuelle Ambiguität muss dann z.B. über einen Einschub aufgehoben werden, z.B. ha chiamato suo padre, cioè quello di Paolo. Was das Formeninventar betrifft, so wird suo altitalienisch z.T. auch als Possessivum der 3. Pers. Pl. fortgesetzt (klat. 3. Pers. Sg./ Pl. SUUS , - A , - UM ). Et nota che dice „porta“, cioè entrata della pistola, e che chiarisce le nomora, cioè del mandante e del ricevente; e dice „i meriti delle persone“, cioè il grado e l’ordine suo, […] (Brunetto Latini, Rettorica, 154.16) Daneben tritt im Plural loro auf, das auf den Genitiv des Personalpronomens (klat. ILLORUM , ILLARUM ) zurückgeht und möglicherweise in der Ausbildung der possessiven Funktion auch galloromanisch beeinflusst ist. Dialektal ist loro im frühen Altitalienisch kaum belegt. Für die Formen der 1. und 2. Pers. Pl. wird die Stammallomorphie durch die Generalisierung des ursprünglich im Akkusativ auftretenden Morphs für die 1. Pers. Pl. aufgehoben (s. klat. Nom. NOSTER vs. Akk. NOSTR - UM ); die Form der 2. Pers. Pl. (klat. VESTER , VESTR - UM ) entwickelt sich analog zu derjenigen von NOSTR - UM (=> vlat. VOSTR - UM ). Die Formen der 1.-3. Pers. Sg. sind hinsichtlich der Stammallomorphie auffällig (Diphthong im Mask. Pl.: miei, tuoi, suoi vs. Monophthong in den übrigen Formen: mio, mia, mie etc.). Dabei ist der Diphthong regulär, problematisch ist die Remonophthongierung oder nicht erfolgte Diphthongierung in den übrigen Fällen. Für die 2. und 3. Pers. Sg. ist zudem eine Dissimilation anzusetzen: So ist auf der Basis spätlateinischer Belege anzunehmen, dass klat. TŬUM , SŬUM zu vlat. [tɔu], [sɔu] entwickelt werden (Öffnung von [o] zu [ɔ] vor [u], eigentlich erwartbar [tou], [sou]), wodurch letztlich die Möglichkeit einer Diphthongierung gegeben ist (> *[twɔu], *[swɔu]). Für eine Erklärung der alt- und neuitalienischen Ergebnisse mio, tuo, suo etc. kommt die Reduktion des Diphthongs bei allen nachfolgenden Vokalen außer - I , aber auch die Hebung des Tonvokals (hier - Ĕ -) in Frage. Beide Ansätze sind nicht unproblematisch: Im ersten Fall impliziert die Entwicklung eine Verlagerung des Akzents auf den ersten Diphthongbestandteil, wie es für die mittelalterlichen romanischen Idiome angenommen werden kann und auch z.B. süditalienisch auftritt (klat. MĔUM > [mj ɛo] > *[m iəo] > it. mio [m i  o]). Bei der alternativen Schließung des Tonvokals muss diese um zwei Grade erfolgen (vlat. [m ɛo] > *[m e  o] > it. [m i  o]); altitalienisch finden sich aber auch z.B. Belege für Deo und eo, in denen eine Schließung um höchstens einen Grad erfolgt. Denkbar ist in diesem Kontext eine Art „Kontaktharmonie“, der Öffnungsgrad des Tonvokals wäre also umgekehrt proportional zu dem des Auslautvokals, d.h. vor i würde der Tonvokal diphthongiert (miei, tuoi, suoi, buoi; s. dagegen aber Dei, verschiedentlich Dii), vor offeneren Auslautvokalen hingegen um zwei Grade geschlossen: mio, mia, mie, bue, io, Dio, rio. Romanisch auffällig ist weiter die zumindest neuitalienisch auftretende formale Übereinstimmung der Possessivpronomina (il mio) und -determinanten (il mio gatto) - das Französische etwa zeigt hier eine klare Differenzierung (pronominal: le mien, la mienne vs. attributiv: mon, ma), die durch die haupttonige bzw. schwachtonige/ unbetonte Entwicklung bedingt ist. <?page no="84"?> 3 Pronomina 83 Der altitalienische Formenbestand der Possessiva sieht nun wie folgt aus: mask. sg. fem. sg. mask. pl. fem. pl. 1. Pers. Sg. mio/ mi’/ mie*/ meo/ me’* mia/ mi’/ mea miei/ mei/ mie’/ mi’* mie 2. Pers. Sg. tuo/ tu’/ to*/ tuio* tua/ tu’ tuoi/ tuo’/ tu’/ tui* tue/ tuie*/ tuo’* 3. Pers. Sg. suo/ su’/ so*/ suoio* sua/ su’/ soa*/ suia* suoi/ su’/ suo’/ sui*/ soi* sue/ su’/ suo’* 1. Pers. Pl. nostro/ nostr’* nostra/ nostr’* nostri/ nostr’* nostre/ nostr’* 2. Pers. Pl. vostro/ vostr’* vostra/ vostr’* vostri/ vostr’*/ vossi* vostre/ vostr’* 3. Pers. Pl. suo/ loro/ lor/ lo* sua/ loro/ lor suoi/ loro/ lor sue/ loro/ lor Wie die Übersicht zeigt, gibt es altitalienisch auch Reduktionsformen (vgl. z.B. mask. sg. mi’, me’, tu’, su’), die wohl nicht betonbar sind. Nachfolgend seien einige Beispiele genannt, insbesondere für die selteneren Formen (in der Tabelle mit * gekennzeichnet): S’eo aporto celato / lo meo ‘namoramento / e già lo mio talento / non auso dir, né chiedere merzede, / come sarò mertato? (Neri de’ Visdomini (ed. Panvini), 1, v. 17, 243.17) Cresciuto oggi ho pensieri / al mie cor grave: / Padova, ch’era al mio distretto chiave, / inver di me fatt’ha contraria trave; […] (A. Pucci, Al nome sia, v. 68, 853.8) […] i’ son, madonna, inver’ di voi stato, / che quando fosse a voi, cor me’, davante, / eo non pensava d’esservi incolpato. / (Rustico Filippi, son. 50, v. 3, 121.3) […] sentendo appresso il lor dolce cantare / in voce tal ch’angelica parea, / più tosto che mondana, ad ascoltare, / sì dolcemente nell’anima mea / Amor si risvegliò, dove dormia, […] (Boccaccio, Ameto, cap. 49, v. 13, 832.5) […] tant’è forte la minacc[i]a, / ché mi vi par veder sempre ferire / co li mi’ oc[c]hi avanti de la facc[i]a; […] (Chiaro Davanzati, son. 39, v. 4, 255.18) Comincerai a dir che li occhi mei / per riguardar sua angelica figura / solean portar corona di desiri; […] (Dante, Rime, D. 60, v. 5, 233.5) […] Nè lascia sanza l’ordine maturo, / Dalla tua legge etterna ma’ isciolta, / Cosa movuta dal tu’ atto puro; […] (Alberto della Piagentina, L. 1, 5, v. 33, 33.24) Onde m’arrend’, amico, en le tuie mane, / ché mai consiglio aver non credo forte: […] (Monte Andrea (ed. Contini), tenz. 5, son. 1, v. 5, 349.5) […] il vero amor per questi ciechi amori / tragganmi d’aspre spine i tuo’ be’ fiori; […] (Sennuccio dal Bene, 12, v. 187, 60.22) Altresì come il fanciullo entrò dentro ne la camera vegente ttu’ occhi e n’uscì adietro sanza l’uscio aprire né dispezare, […] (Storia San Gradale, cap. 83, 88.28) <?page no="85"?> II Morphologie 84 Ca ‘nd apisse aputo uno madama la reina nuostra, accò festa ca nde facèramo tutti per l’amore suoio! (Boccaccio, Lett. napol., 181.14) It. diede Orla(n)dino s. iii, ed à pagato i(n) quiderdone dela ssu parte: […] (Doc. fior., 30.17) […] benchè più volte nel tempo passato / l’abbia arso ‘l Fiorentin con so famiglia: […] (A. Pucci, Guerra, I, ott. 13, v. 6, 192.28) […] lo quale Casilino è ora rado d’abitanti, per la soa virtute, e chiaro per pegno di perseverante amistade, battè li crudeli occhi. (Valerio Massimo, prima red., L. 7, cap. 6, 515.21) A Bonsengniore de(m)mo lb. v a tremine in suia mano. (Doc. fior., 227.18) […] Scipione stimando ch’e’ venissero per isforzarlo, allogò nella casa soi famigliari e domestici, […] (Valerio Massimo, prima red., L. 2, cap. 5, 179.15) Re di Gerusalem, e di Provenza / Conte, che incontanente con tua oste / facci dalla nostr’Isola partenza. (A. Pucci, Centiloquio, c. 22, t. 78, 1, 255.30) Terzo: Che, con ciò sia cosa che li vossi contadini siano male armati, et possenti ad armarsi; […] (Lett. fior., 69.12) […] così quelle faville, / che mi son da’ vostr’occhi al cor piovute, / mai non aran salute, […] (Boccaccio, Rime, pt. II [Dubbie], 36, v. 33, 197.14) […] e’ fanno come frati, se li muove pietà e dolore grande, sì muovano te le lor lagrime, muovate pietade, muovati la fratellanza; […] (Brunetto Latini, Pro Ligario, 182.30) 3.4 Relativa Das Paradigma der lateinischen Relativa sieht wie folgt aus: Singular Plural mask. fem. neutr. mask. fem. neutr. Nom. Gen. Dat. Akk. Abl. QUI CUIUS CUI QUEM QUO QUAE CUIUS CUI QUAM QUA QUOD CUIUS CUI QUOD QUO QUI QUORUM QUIBUS QUOS QUIBUS QUAE QUARUM QUIBUS QUAS QUIBUS QUAE QUORUM QUIBUS QUAE QUIBUS Durch den Kasusabbau bedingt werden in den romanischen Sprachen nur wenige der klassischlateinischen Formen fortgesetzt. Dazu gehören QUI > chi, QUEM > che und CUI > cui. Im Altitalienischen wird das spätlateinische dreigliedrige System bewahrt, allerdings ergeben sich einige wichtige Veränderungen, so etwa mit Blick auf die Kasusunterscheidung. Che ist ein invariables Relativum und wird, wie im Spanischen, aber anders als im Französischen, unterschiedslos als Subjekt oder direktes Objekt (und altitalienisch auch mit Präposition) verwendet. Reste einer Kasusopposition kann man im Gegensatz zwischen dem Interrogativpronomen bzw. freien Relativum chi = Subjekt und cui = direktes, indirektes Objekt, präpositionales Objekt erkennen. Die Genus- und Numerusunterscheidung ist bei <?page no="86"?> 3 Pronomina 85 che, chi und cui dagegen vollständig abgebaut. Im Altitalienischen gibt es aber bereits neugebildete Relativpronomina, bestehend aus definitem Artikel + quale (< QUALIS ), die im Unterschied zu den einfachen Relativa Genus und Numerus des Bezugswortes anaphorisch wieder aufnehmen können und entsprechend zur Desambiguierung eingesetzt werden können. Auffällig ist außerdem, dass es im Italienischen keine klaren morphologischen Unterscheidungen zwischen Relativa und Fragepronomina gibt (vgl. dagegen klat. QUIS / QUID Fragepronomen vs. QUI / QUOD Relativpronomen; zu den altitalienischen Fragewörtern, die als Relativa verwendet werden, vgl. II 3.5, III 1.3, 3.3). 3.5 Interrogativa Das Paradigma der altitalienischen Interrogativa hat sich in seiner Mehrzahl regelmäßig aus den lateinischen Etyma entwickelt (vgl. klat. QUANTUS > ait. quanto; klat. QUALIS > ait. quale; klat. QUANDO > ait. quando; klat. QUOMODO > ait. come/ como). QUIS entwickelt sich regulär zu chi, QUID zu che, CUIUS zu cui. Die Opposition zwischen chi für belebte Referenten und che für unbelebte Referenten bleibt damit bei den Fragepronomina durchgehend erhalten. Wichtig ist weiterhin, dass durch die Weiterführung von QUIS > chi und CUIUS > cui beim Interrogativpronomen mit dem Merkmal [+ human] die Möglichkeit zur Kasusunterscheidung zumindest in Resten weiter besteht (chi = Subjektkasus (s. das erste Beispiel), Prädikativum (nachfolgendes Beispiel), cui = oblique Kasus (s. die beiden letzten Beispiele der folgenden Gruppe)). Neuitalienisch ist diese Möglichkeit nicht mehr gegeben, da cui als Fragepronomen ausfällt. Chi mangiò li ernioni del cavretto? (Novellino, 75, 30-31) Chi è l’una gente e chi è l’altra? E chi sono i segnori delle parti? (Bono Giamboni, Libro, cap. 23, par.5) Or, cui chiami tu Iddio? (Novellino, 79, 7) Per cui t’ha così distrutto questo Amore? (Dante, Vita nuova, cap.4, par.3) Einige der altitalienischen Interrogativa sind Neubildungen, so gehören perché (< * PER QUID ) und das nur altitalienisch belegte chente (< * QUID GEN ( IT ) US ; weniger wahrscheinlich Analogie zu den Adverbien auf -mente), das mit der Bedeutung ‚welche Art von‘ in direkten und indirekten Fragen verwendet wird. Ed anche fa molto al fatto di conoscere, e considerare chente è il signore dell’altra parte, e chenti siano i suoi maggiorenti e capitani, se sieno scaltriti, o nò, o prodi ed arditi, o vero timidi, e se sono scaltriti di battaglia per uso, o vero ch’ella ventura combattano. (Bono Giamboni, Vegezio, L. 3, cap. 9, 103.9) 3.6 Adjektive/ Pronomina zum Ausdruck von Identität Auf das Paradigma von klassischlateinisch IPSE (‚selbst‘) wurde bereits im Zusammenhang mit der Artikelgenese sowie den Bereich der Personalpronomina kurz eingegangen. Klassischlateinisch gehört IPSE wie IDEM (‚derselbe‘) zu den <?page no="87"?> II Morphologie 86 identitätsbezogenen Ausdrücken. Beide Elemente gehen etymologisch auf ein Kompositum mit IS zurück, was im Paradigma von IDEM noch gut zu sehen ist (s. Gen. EIUSDEM etc.). Für den Ausdruck der Alterität stehen ALTER (Akk. ALTRUM , ‚der eine‘, ‚der andere‘) und ALIUS (‚ein anderer‘) zur Verfügung. ALTRUM bleibt gemeinromanisch erhalten (vgl. it. altro) und tritt verschiedentlich auch zur Verstärkung der Personalpronomina der 1. und 2. Pers. Pl. auf (vgl. noialtri - voialtri; s. 3.1). Interessant ist hier auch die Bildung altretale: Perché giamai non fu femina ch’amasse l’uomo, né non si lega d’altretale amore come l’uomo ver di lei, […] (Andrea Cappellano, volg. (ed. Ruffini), L. III, cap. 33, 313.2) Neuitalienisch wird weder IPSE noch IDEM in seiner ursprünglichen Funktion bewahrt. Das Paradigma von IDEM ist, wie bereits angesprochen, unregelmäßig und IPSE ersetzt verschiedentlich ISTE als hörerbezogenes Demonstrativum. Das zeigt sich auch noch in nit. stesso, das aus ISTU ( M ) + IPSU ( M ) hervorgeht (Variante istesso); vereinzelt wird stessi auch singularisch verwendet, möglicherweise in Analogie zu questi/ quegli. Così disse ‘l maestro; ed elli stessi / mi volse, e non si tenne a le mie mani, / che con le sue ancor non mi chiudessi. (Dante, Commedia, Inf. 9, v. 58, 1, 150.2) […] ora altresì il divino interpetro mandato da Jove mi recò i comandamenti: io stessi vidi idio nel chiaro lume entrando nella cammera e la boce nelli orecchi ricevei: […] (Lancia, Eneide volg., L. 4, 235.21) Sì come il sol che si cela elli stessi / per troppa luce, come ‘l caldo ha róse / le temperanze d’i vapori spessi, […] (Dante, Commedia, Par. 5, v. 133, 3, 81.8) Als weiteres Morphem zum Ausdruck von Identität wird medesimo (Variante medesmo) herangezogen, das galloromanisch beeinflusst ist (vgl. frz. même) und auf ILLU METIPSIMU zurückgeht. Die lateinische Partikel MET wird ursprünglich enklitisch zur Verstärkung von Pronomina verwendet wie etwa in ILLE MET / IPSIMUS . Spätlateinisch erlangt ILLE bei alleiniger Verwendung Pronominalfunktion, so dass die Enklise kontinuierlich abgebaut wird bzw. eine Reanalyse erfolgt, die zu einer Angliederung der Partikel an das Folgeelement führt (=> ILLE / METIPSIMUS ). 3.7 Indefinita Für die indefiniten Elemente sind zahlreiche Neubildungen anzuführen. Die lateinischen Elemente NEMO ‚niemand‘ (< NE HOMO ), NIHIL ‚nichts‘ und NULLUS ‚keiner‘, ‚niemand‘ werden italienisch nicht fortgesetzt, lediglich die aus lateinisch NULLUS entwickelte substantivierte Form NULLA findet sich noch im Italienischen. Altitalienisch tritt auch die durch non verstärkte Form non(n)ulla auf. Als Neubildungen sind anzuführen nessuno, das auf NE + IPSUM + UNUM zurückgeht, sowie ait. neuno bzw. niuno (mit Anlautstärkung gniuno < NE + UNUM ). Vereinzelt findet sich eine regulär gebildete Pluralform (neuni, niuni, gniuni). Etymologisch unklar ist die Genese von niente (mit der Variante neente), das von den einzelnen Autoren auf NEC + INDE , NEC + ENTE bzw. NE + GENTE zurückgeführt wird. Lautlich am <?page no="88"?> 4 Präpositionen 87 plausibelsten ist wohl die Entwicklung aus NE + GENTE mit der typischen Entwicklung von G vor Palatalvokal, was auch die verschiedentlich auftretende Variante neiente erklären würde (vgl. hier auch klat. MAGISTRUM > (a)it. maiestro, maestro). Ebenfalls negative Bedeutung hat veruno ‚alcuno‘, ‚nessuno‘ (< VERE + UNUM ‚veramente uno‘). Weitere Neubildungen im Bereich der Indefinita sind alcuno (< ALIQUIS + UNUM ) und qualche (< quale + che). Auf eine Kontamination der beiden Formen scheint schließlich qualcuno zurückzuführen zu sein. Für den Ausdruck der Gesamtheit stehen klassischlateinisch unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung, so CUNCTUS , das v.a. schriftsprachlich Verwendung findet und hauptsächlich pluralisch gebraucht wird. Aufgrund seiner Bindung an die Schriftsprache wird CUNCTUS entsprechend nicht volkssprachlich fortgesetzt. TOTUS zeigt für die Pluralformen zum Romanischen eine semantische Veränderung von ‚ganz‘ zu ‚alle‘. Die lautliche Entwicklung v.a. des [u] in it. tutto ist irregulär und nicht eindeutig geklärt - möglicherweise handelt es sich um den Rest einer alten Metaphonie (z.B. über pluralisches TOTI ; s. für die Geminate auch die Annahme einer städtischen Variante * TŬTTUS ). Bei Boccaccio ist die Variante tututto belegt. OMNIS zeigt nicht erst wegen TOTUS die Bedeutung ‚jeder‘, sie ist schon lateinisch neben ‚alle‘ belegt. Altitalienisch sind neben den häufigen Formen ogne und ogni auch noch vereinzelt onne und onni belegt, wobei die Durchsetzung von ogni zum Neuitalienischen auf eine Generalisierung des „adverbiellen -i“ (II 5) zurückgeführt werden kann; der palatale Nasal ist durch prävokalische Palatalisierung bedingt (vgl. hier ait.*onni anno > ogni anno wie in klat. VINEAM > it. vigna). Möglicherweise liegt aber der Entwicklung von ogni auch klat. OMNIA (neutr. pl.) zugrunde, das vereinzelt als Femininum Singular mit regulärer Palatalisierung des Nasals fortgesetzt erscheint (ogna, s. aber auch maskulin gebraucht), zu dem die vereinzelt auftretende maskuline Form ogno gebildet wird. Das finale -i wäre somit durch Pluralbildung interpretierbar, was semantisch gestützt ist. Die komplexen Bildungen ognuno (+ UNUS / UNUM ), ognunque (mit der Sequenz -unque aus QUICUMQUE , QUALISCUMQUE etc.) oder auch ognuomo (florentinisch selten) werden pronominal verwendet. Neben ogni stehen altitalienisch weiter chiunque ‚jeder‘, ‚wer auch immer‘, sowie synonymes cheunque und chentunque (s. II 3.4 zu chente) zur Verfügung, weiter ciascuno ‚jeder (einzelne)‘ (< vlat. CATA + * CISCUNU / * CESCUNU ; CATA ist aus dem Griechischen entlehnt (χατά), wo es Präposition ist, und übernimmt im Vulgärlateinischen distributive Funktion) sowie die verstärkte Form ciasche(d)uno und schließlich cadauno (ait. auch catuno < vlat. CATA + UNU ), das klat. ( UNUS ) QUISQUE ersetzt. 4 Präpositionen Was den Formenbestand der Präpositionen im Altitalienischen betrifft, so werden die meisten klassischlateinischen Elemente fortgesetzt. Neben di (< klat. DE ) und a <?page no="89"?> II Morphologie 88 (< klat. AD ) entwickelt sich mit da (< vlat. DE AB ) eine weitere grammatische Präposition. Die wichtigen Unterschiede zu den neuitalienischen Verhältnissen zeigen sich in der altitalienisch noch gegebenen Parallelität von tra, fra und latinisierenden intra, infra (s. auch in tra, in fra) sowie im Auftreten von suso (< klat. SURSUM ; suso la terra). Dabei übernimmt suso gleichzeitig adverbielle Funktion. Die Form su, die altitalienisch noch selten ist, ist möglicherweise durch Haplologie bedingt. Interessant ist weiter die häufige Verbindung von su mit in, das offensichtlich semantisch verstärkend wirkt: Florio, non potendo più sostenere, alzò allora la mano, e diedegli sì gran pugno in su la testa, che quasi cadere lo fece sopra l’arcione della sella tutto stordito; […] (Boccaccio, Filocolo, L. 2, cap. 62, 220.36) […] mossonsi di nocte tempo con popolo e cavalieri, et di subito la mactina, in su l’alba del giorno, entrarono dentro e preserla; […] (Cronica fior., 97.8) Neben auch schon lateinisch lokalem und direktionalem in steht für die lokale Relation weiter entro zur Verfügung (auch verstärkt durch in), das neuitalienisch v.a. temporale Bedeutung hat. […] gli diedono la signoria de la città, e rivocarono Castruccio e tutti i loro usciti i quali di presente tornarono in Pisa. (Giovanni Villani (ed. Porta), L. 11, cap. 35, 2, 564.17) Il segnore, vedendo questi fichi, sì ssi tenne ben scornato, e comandò a’ fanti suoi che ‘l legassero e togliessero que’ fichi e tutti li gittassero a uno a uno entro il volto. (Novellino, 74, 297.12) Là dove Italia finisce, entro nel mare di Vinegia, sì v’è la terra d’Istria. (Tesoro volg., L. 3, cap. 3, 29.3) Die Postposition - CUM in Verbindung mit Personalpronomina ist altitalienisch opak, die entsprechenden Bildungen werden vielfach durch die Präposition con ergänzt (s. II 3.1): con meco etc. (ait. findet sich neben häufigerem meco, teco, seco auch noch nosco, vosco). Appo (< vlat. AD POST ‚nach‘, später auch ‚bei‘) findet sich nur in altitalienischen Texten und ist zum Neuitalienischen ausgefallen. An seine Stelle treten dopo bzw. da. […] portò il filgliuolo i danari, e abiamo la chartta appo noi. (Doc. fior., 312.16) Ecco ne’ tempi e appo i segnori cristiani le battaglie cittadine, quando ischifare non si possono, come si passano: […] (Bono Giamboni, Orosio, L. 7, cap. 39, 504.10) Altitalienisch kommen weitere Präpositionen hinzu, die auf Adverbien zurückgehen und schon vereinzelt vulgärlateinisch belegt sind, wie dentro (< DE INTRO ), dietro (< DE RETRO ), fuori (< FORIS ), sotto (< SUBTUS ) etc. (s. ait. z.B. appresso a/ di, di lungi a/ da, addentro di/ in) sowie spätere komplexe Bildungen, die ein Substantiv enthalten, wie a casa di, accanto a, appetto a, dirimpetto a, appiede di, di faccia a, in cima a, allato a, addosso a etc. Konversionsbedingt treten auch Partizipien wie durante, mediante sowie, seltener, Adjektive wie lungo (ait. auch verstärkt mit IPSU : lunghesso) oder vicino (a) in präpositionaler Funktion auf. <?page no="90"?> 5 Adverbien 89 Zur Verwendung der Präpositionen im Allgemeinen ist für das Altitalienische ergänzend auf die Möglichkeit der Modifikation hinzuweisen, die v.a. bei komplexen Präpositionen auftritt, neuitalienisch aber vielfach nicht mehr möglich ist: Antonino a dodici miglia presso a Roma di sue infertà morio. (Bono Giamboni, Orosio, L. 7, cap. 13, 459.3) […] per le campora di Sedecino e Suessa facendo grande mortalità d’uomini, al fluvio d’Aniene presso a tre miglia alla cittade puose il campo. (Bono Giamboni, Orosio, L. 4, cap. 18, 247.11) Pisa è vicina a Firenze a miglia XL, Lucca a miglia XL, Pistoia a miglia XX, Bologna a miglia LVIII, […] (Dino Compagni, Cronica, L. 1, cap. 1, 132.5) 5 Adverbien Im adverbiellen Bereich sind die Veränderungen weitreichender als im Falle der Präpositionen. Klassischlateinisch stehen insgesamt vier Morpheme zur Adverbbildung zur Verfügung, nämlich - E (auch bei Superlativen, s. DULCISSIME ), - O , - ER und - ITER , d.h. es liegt formale Heterogenität vor, was als Stimulus für die beobachtbaren Veränderungsprozesse wirken dürfte. Interessant ist in diesem Kontext auch die parallele Bildung von Adverbien mit unterschiedlichen Suffixen, mit und ohne Bedeutungsunterschied, vgl. CERTE ‚mindestens‘, CERTO ‚sicher‘ vs. HU- MANE / HUMANITER ‚menschlich‘. Von den lateinischen Adverbien auf - E werden italienisch bene, male, lungi (< klat. LONGE ), tardi (< klat. TARDE ), pure oder auch dimani bzw. domani (< klat. DEMANE ) fortgesetzt (Formen wie domane, stamane sind bis Ende des 14., Anfang des 15. Jh. erhalten, lezteres ist auch heute noch verbreitet). In den Ausführungen zur lautlichen Entwicklung wurde bereits dargelegt, dass klat. - E / - I im Auslaut generell erhalten bleiben. Wie die genannten Beispiele zeigen, tritt aber offensichtlich in einigen Fällen, in denen ein -e zu erwarten wäre, altitalienisch parallel der Auslaut -i auf, der sich schließlich zum Neuitalienischen durchsetzt. Das -i ist in diesen Elementen wohl als eine Art „adverbielles -i“ zu werten, das durch Analogie zu den typischerweise auf -i auslautenden Adverbien bedingt ist (vgl. ieri < klat. HERI ); eine ähnliche Tendenz zeigt sich bei den Numeralia, z.B. it. venti < klat. VIGINTI , it. dieci < klat. DECEM (ait. noch häufiger diece). Als neue Bildungstypen treten zwei Periphrasen auf, zum einen Adj. (mask.) + MŎDO (Abl.), zum anderen Adj. (fem.) + MENTE (Abl.). Während im ersten Fall betonungsabhängig die Gefahr der Synkopierung bzw. der Reduktion des Wortkörpers besteht (s. Dreisilbengesetz, hier Kurzvokal in offener Silbe; vgl. auch klat. QUOMODO > ait. como > nit. come), fällt der Akzent in der Verbindung mit MENTE stets auf die zweitletzte Silbe (geschlossene Silbe). Die Verbindung mit der femininen Form eines Adjektivs ist durch das Genus von MENS , MENTIS (fem.) bedingt. Die Adverbbildung mit -mente ist altitalienisch noch nicht vollständig grammatikalisiert, was sich in der Koordination zweier Adverbien zeigt, bei dem die Adverbkennzeichnung nicht zwingend an beiden Elementen erfolgen muss, auch wenn dies bereits die häufigere Variante ist: <?page no="91"?> II Morphologie 90 […] lo cavaliere fece la domanda sua ad Alexandro umile e dolcemente. (Novellino, 3, 131.13) […] ciò viene a dire scienzia per la quale noi sapemo parlare pienamente e perfettamente nelle publiche e nelle private questioni; […] (Brunetto Latini, Rettorica, 5.5) Dass der Bildungstyp mit ablativischem MENTE sehr alt ist, zeigt die lateinische Abfolge des lexikalischen und des grammatischen Elementes (bei romanischer Abfolge wäre eine umgekehrte Stellung der Morphe zu erwarten). Die Bildung mit -mente ist einer der wenigen Fälle in der romanischen Sprachgeschichte, in denen eine analytische Struktur synthetisiert wird, d.h. also eine Univerbierung der Komponenten bei vollständiger Grammatikalisierung von -mente als Adverbmarker einsetzt. In Gegenüberstellung zum Neuitalienischen finden sich altitalienisch noch Formen wie umilemente oder maggioremente (vs. nit. umilmente, maggiormente), dazu auch deadverbale Bildungen wie insiememente, imprimamente. -mente tritt auch in Superlativ- und Elativbildungen auf, wie die Beispiele più gentilmente di tutti/ che mai und gentilissimamente zeigen. Romanisch kann auch die maskuline Form eines Adjektivs adverbielle Funktion übernehmen, s. z.B. parlare forte, parlare piano, cantare basso; möglicherweise ist hier ein Einfluss der lateinischen Bildungen mit - O anzusetzen. Semantisch handelt es sich aber bei parlare fortemente und parlare forte nicht um Synonyme - während im ersten Fall die Art der Handlungsdurchführung bestimmt wird, nimmt forte stärker auf den Inhalt oder das Ergebnis Bezug und bildet mit dem Verb eine feste Fügung. Insbesondere im temporalen Bereich treten altitalienisch verschiedene Adverbien auf, die neuitalienisch (zumindest in dieser Bedeutung) ausgefallen sind, so z.B. dianzi ‚vor kurzem‘, poscia ‚dann‘ (neben poi und dipoi), (per) ad(d)ietro ‚früher‘, poco avanti ‚kurz zuvor/ nach‘; lokaldeiktisch interessant sind neben bereits angeführtem per ad(d)ietro auch etwa dinanzi, a(p)presso, dappresso, i(n)nanzi. Neben den einfachen Ortsadverbien qua (< vlat. * ECCU HAC )/ qui (< vlat. ' ECCU HIC ) und là (< klat. ILLAC )/ lì (< klat. ILLIC ) finden sich altitalienisch noch vereinzelt Belege für quinci (< vlat. * ECCU HINC ), linci (< klat. ILLINC ), costinci (< klat. ISTINC ) und direktionales quindi (< vlat. * ECCU INDE ), lindi (< vlat. * ILLIC INDE ) sowie die ebenfalls demonstrativen Adverbien costì/ costà und colì/ colà (s. II 3.4). Sehr viel häufiger als neuitalienisch sind altitalienisch die direktionalen Adverbien onde (< klat. UNDE ), donde (<vlat. DE UNDE ) und indi (< klat. INDE ; s. auch nit. klitisches ne) sowie die lokalen Elemente ove (< klat. UBI ), dove (< vlat. DE UBI ), ivi (< klat. IBI ; vgl. nit. vi neben ci < ECCE HIC ) und quivi (< * ECCU IBI ). Die meisten Adverbien sind zum Neuitalienischen hin ausgefallen oder literarisch markiert. Ähnlich wie andere ursprünglich lokale Adverbien werden auch diese Adverbien vielfach metaphorisch, v.a. temporal, verwendet. Ciardello / battisfancello, / levati costinci / e vanne quinci / o linci; / non andar quindi / o lindi. (Sacchetti, Rime, 159, v. 145, 155.6) <?page no="92"?> 5 Adverbien 91 Il cavaliere, avendo compassione di quella fanciulla, disse: Se vuogli uscire costinci, concederòtti un gherone, ovvero uno guazzerone del mio vestimento, […] (Jacopo Passavanti, Specchio, dist. 3, cap. 4, 62.11) […] con un’onda abutato / lungi m’ha fuor del mare / e posto in ter[r]a dura / e tratto di natura, / [come d’]onde li pesci, ch’indi han vita. (Chiaro Davanzati, canz. 26, v. 52, 96.37) Dene dare anche IJ fiorini d’oro questo die: levammoli dove li dovea dare dietro sei perghamen[e]. (Doc. fior., 399.24) Certo questa parola, cioè „regna“, fa tutte risplendere l’altre parole che ivi sono. (Brunetto Latini, Rettorica, 76.9) E dico che Amore le reca queste cose quivi, sì come a luogo suo. (Dante, Convivio, III, cap. 8, 199.13) Einen Sonderfall stellt altwie neuitalienisch der Bildungstyp auf -one/ -i dar (etymologisch ist -oni/ -e mit dem Alterationssuffix -one (< klat. - ONEM ) identisch). Die so gebildeten Adverbien dienen v.a. der Anzeige der Position oder der Bewegung des menschlichen Körpers. Altitalienisch ist v.a. -one verbreitet, seltener neuitalienisch dominierendes -oni. Im OVI-Korpus häufiger belegt sind ginocchione (seltener ginocchioni, auch in ginocchioni/ -e) ‚kniend‘, boccone (seltener bocconi, ein Einzelbeleg für su boccone) ‚bäuchlings‘, carpone (seltener carponi, kein Beleg für die Verbindung mit Präposition) ‚auf allen vieren‘. Cavalcione (bzw. seltener cavalcioni) ‚rittlings‘, tastone, tentone ‚tastend‘, ‚blindlings‘ und sdraione ‚ausgestreckt‘ treten ausschließlich mit a auf (neuitalienisch ist die Verbindung mit Präposition v.a. bei diesen Bildungen häufiger als ohne Präposition, s. auch a rotoloni ‚rollend‘; das Französische kennt diesen Bildungstyp auch, vgl. à tâtons ‚tastend‘, afrz. a genoillons ‚kniend‘). Selten belegt sind die Bildungen baloccone ‚zum Zeitvertreib‘ (nit. selten, lit.), brancicone ‚tappend‘, brancolone ‚herumirrend‘, rotolone ‚rollend‘ und spenzolone ‚baumelnd‘, ‚hängend‘. Die Bildungen zur Anzeige der Position oder Lage des menschlichen Körpers sind vielfach desubstantivisch (bocca, ginocchio), diejenigen zur Anzeige der Art der Fortbewegung v.a. deverbal (tastare, tentare, sdraiare, spenzolare). Dabei ist auch interessant, dass diese modalen Adverbien durch das Gerund des die Basis bildenden Verbs ersetzt werden können (vgl. nit. z.B. eher brancicando ‚tappend‘ als branciconi). Auf die mühsame Fortbewegung verweist die Dopplung des Adverbs, wobei diese Art der Verstärkung auch bei anderen Adverbien auftritt (brancolon brancoloni, carpon carponi, vgl. pian piano). […] ma i triarj usavano di stare ginocchioni tra gli scudi rinchiusi, acciocchè, stando ritti, dalle saette non fossero fediti; […] (Bono Giamboni, Vegezio, L. 1, cap. 20, 28.4) La mattina venne a me la mia cara serocchia, e trovommi giacere boccone colli capelli tutti avviluppati; […] (Ceffi, Epistole eroiche, ep. Medea, 112.23) […] grazia li fé la divina Potenza, / senza la qual ciascuno parla a tastone; / […] (Salvino Doni, 54 c, v. 7, 181.7) <?page no="93"?> II Morphologie 92 6 Verbalmorphologie Im Bereich der Verbalmorphologie haben sich vielfältige Veränderungen ergeben, die bei einer Gegenüberstellung der lateinischen und italienischen Formen unmittelbar sichtbar werden. Zu den wichtigsten Veränderungen gehören diejenigen im Bereich der Futur-, Perfekt- und Passivbildung. Im Folgenden werden zunächst die typologischen Veränderungen vom Lateinischen zum Vulgärlateinischen mit einem Überblick über die weiteren Entwicklungen zum Italienischen aufgezeigt, bevor im Weiteren auf die einzelnen Paradigmen im Altitalienischen eingegangen wird und die spezifisch italienischen Entwicklungen einzelner Formen erläutert werden. Futur Im Futur ist zunächst die lateinisch bestehende formale Heterogenität auffällig. So bilden die Verben der I und II Konjugation das Futur auf - BO ( CANTABO , MOVEBO ), die Verben der übrigen Konjugationsklassen bilden das Futur auf - AM ( DUCAM , AUDIAM ). In dieser unterschiedlichen Bildung könnte einer der Gründe für die Aufgabe des synthetischen Futur liegen, aber auch lautliche Kriterien dürften hier eine wichtige Rolle spielen (s. Spirantisierung von [b] > [v], formale Ähnlichkeit im Imperfekt und Futur, vgl. CANTABAM - CANTABO ). Weiter ist für den zweiten Bildungstyp die Nähe zu Formen des Konjunktiv wichtig (vgl. DUCAM , AUDIAM ). Bereits zu lateinischer Zeit treten nun verschiedene ursprünglich modale, periphrastische Bildungen auf. In der Mehrzahl der romanischen Sprachen setzt sich eine Periphrase mit HABERE als Modalverb durch (v.a. CANTARE HABEO ‚ich habe zu singen‘), dem eine generelle Modalität inhärent ist und das nicht wie etwa VOLERE (klat. VELLE ) oder DEBERE eine Intention oder Pflicht ausdrückt. Gerade aber für den italienischen Sprachraum ist die Parallelität unterschiedlicher modaler Bildungen interessant, so mit DEBERE (sard.), VOLERE (lomb., s. neben weiteren Bildungsmöglichkeiten auch rum.); süditalienisch findet sich auch der Typ HABEO ( AD ) CANTARE . Romanisch dominiert aber der Typ CANTARE HABEO ‚ich habe zu singen‘. Die Bildung zeigt die lateinische Abfolge der Elemente und verweist damit gleichzeitig auf das frühe Aufkommen der Periphrase. Gleichzeitig wird durch diese Abfolge und den Bedeutungsverlust bei HABERE längerfristig eine Resynthetisierung (Univerbierung) möglich, die bei HABEO ( AD ) CANTARE ausgeschlossen ist (s. grammatische Markierung der Endung). D.h. die konjugierte Form von HABERE wird zur Futurendung, durchläuft also mit der Desemantisierung und der Verschmelzung mit dem vorausgehenden Infinitiv einen Grammatikalisierungprozess (vlat. CANTARE HABEO > * CANTARA O > it. canterò). Die Resynthetisierung erfolgt in den Gebieten der Romania unterschiedlich schnell. Sie geht möglicherweise von Nordfrankreich aus, erste Belege für die synthetische Form finden sich in der Fredegar-Chronik aus dem 7. Jh. Das Aufkommen der Futurperiphrase ist nun in den Gesamtkontext der zunehmend analytischen Ausdrucksweise einzuordnen. Interessant ist hier aber auch die Zyklizität: In den modernen romanischen Sprachen finden sich parallel zu der synthetischen Form wiederum Periphrasen, die einen unterschiedlichen <?page no="94"?> 6 Verbalmorphologie 93 Grammatikalisierungsgrad aufweisen (frz. aller faire qc., span. ir a hacer algo, it. weniger grammatikalisiert andare a fare qc.). Konditional Wohl auf der Basis des analytischen Futur wird der Konditional als Paradigma vulgärlateinisch neu gebildet; er ist nur in solchen Idiomen belegt, deren Futur auf die Periphrase CANTARE HABEO zurückgeht. Es löst in einigen Verwendungen den lateinischen Konjunktiv ab (hat hier also die Funktion eines Modus), tritt aber auch als „Futur der Vergangenheit“ auf (Tempusfunktion, vgl. ait. disse che verrebbe, nit. disse che sarebbe venuto). Für die Entwicklung des Konditional sind einige Anmerkungen zum Bedingungssatzgefüge notwendig (s. dazu ausführlicher III 4.2.2). Im Falle des Irrealis der Vergangenheit konnten lateinisch in der Apodosis (also dem Hauptsatz) drei Formen auftreten: 1) Konjunktiv Plusquamperfekt ( SI POTUISSET , VENISSET ); 2) Indikativ Plusquamperfekt ( SI POTUISSET , VENERAT ), um die beinahe erfolgte Realisierung der Apodosis auszudrücken; 3) Imperfekt der periphrastischen Konjugation ( SI POTUISSET , VENTURUS ERAT ) zum Ausdruck der Intention (‚er beabsichtigte zu kommen‘). Das „Futur der Vergangenheit“ wird analog zur Futurperiphrase durch die Bildung Infinitiv + Vergangenheitstempus von HABERE ausgedrückt ( HABUI bzw. * HEBUIT / HABEBAT ). Die Neuerung betrifft auch die Periphrase mit Partizip Futur (in modaler wie temporaler Verwendung): An die Stelle von PORTATURUS EST tritt PORTARE HABET , PORTATURUS ERAT wird durch PORTARE HABUIT (bzw. * HEBUIT )/ HABEBAT ersetzt. Funktional entspricht der Konditional grosso modo dem des lateinischen Potentialis. Alttoskanisch tritt der Fortsetzer des lateinischen Indikativ Plusquamperfekt, v.a. in modaler Funktion, nur mehr vereinzelt auf (vgl. portára, mísera etc.). Die Periphrase aus CANTARE und einem Vergangenheitstempus ist die dominante Ausdrucksweise. Prinzipiell kann die Periphrase, wie gesehen, mit dem Perfekt wie dem Imperfekt von HABERE gebildet werden. Standarditalienisch hat sich zwar der Typ CANTARE * HEBUI durchgesetzt (vgl. ait. auch canterebbi, sekundär canterei), dennoch finden sich toskanisch und norditalienisch auch Fortsetzer von CANTARE HABEBAM (canteria etc.). Teilweise, so auch für das mittelalterliche Toskanisch, liegen sogar Mischparadigmen vor, wobei der Typ CANTARE HABEBAT auf die 1. und 3. Pers. Sg. sowie die 3. Pers. Pl. beschränkt ist und entsprechend die übrigen Formen dem Typ CANTARE * HEBUIT folgen. Der toskanische Bildungstyp auf der Basis von CANTARE * HEBUIT stellt romanisch insofern eine Besonderheit dar, als er sich nur im Italienischen findet. Perfekt Auch im Bereich des Perfekt zeigen sich Veränderungen, die durch die Tendenz zur analytischen Ausdrucksweise mitbedingt sind. Das lateinische Perfekt hat zwei Funktionen. Es dient dem Ausdruck der Vergangenheit mit wie ohne Bezug zur Gegenwart. Die syntaktisch-funktionale Dopplung ist bedingt durch den Zusammenfall des ursprünglichen Aorists mit dem Perfekt. Hinweise auf die Paral- <?page no="95"?> II Morphologie 94 lelität der beiden Tempora finden sich noch in der klassischlateinischen morphologischen Heterogentität - das sigmatische oder S -Perfekt ( SCRIBERE - SCRIPSI ) ist typisch für den Aorist, das nachklassisch ausfallende Reduplikationsperfekt ist dagegen ein Relikt des gegenwartsbezogenen Perfekt (s. z.B. CURRERE - CUCURRI , CADERE - CECIDI ). Für das Perfekt mit Gegenwartsbezug bildet sich bereits altlateinisch für die transitiven Verben eine periphrastische Form heraus. COGNITUM HABEO (wörtlich ‚ich habe die erfahrene Information‘) oder EPISTULAM SCRIPTAM HABEO (‚ich habe den gerade geschriebenen Brief‘) betonen zunächst das Resultat einer in der Vergangenheit liegenden, abgeschlossenen Handlung. Die Bedeutung - und das zeigen die italienischen Paraphrasierungen - ist aber präsentisch (bei Cicero findet sich aber die Perfektperiphrase durchaus schon in neuitalienischer Bedeutung: S I HABES IAM STATUTUM QUID TIBI AGENDUM PUTES . ‚Wenn du das schon festgelegt hast, das du meinst machen zu müssen.‘). Unter Berücksichtigung der Entwicklung verwundert es daher nicht, dass das Partizip, anders als in den modernen romanischen Sprachen, zunächst mit dem Objekt kongruiert (ho una lettera scritta). Erst später ist das Partizip neutral (formal mask. sg., ho scritto una lettera, s. auch die Veränderung der Satzgliedstellung; ho scritta una lettera ist neuitalienisch durchaus noch möglich, aber stilistisch hoch markiert). Altitalienisch finden sich kongruierende und genusneutrale Partizipformen nebeneinander, d.h. die Grammatikalisierung ist zu diesem Zeitpunkt auf formaler Ebene offensichtlich noch nicht ganz abgeschlossen. Bei intransitiven Verben beschreibt das über die Periphrase ausgedrückte Resultat einen Zustand - darauf ist letztlich zentralromanisch das Auftreten von it. essere bzw. frz. être als Auxiliar zurückzuführen. Möglicherweise spielen hier auch die Deponentia, also Verben mit passivischer Form bei aktivischer Bedeutung, eine Rolle - so hat der Fortsetzer von NATUS EST noch heute eine perfektivische, nicht passivische Bedeutung, vgl. it. è nato. Interessant ist in diesem Kontext auch, dass bei einigen intransitiven Verben (z.B. vivere), die neuitalienisch beide Auxiliare oder nur avere zulassen, altitalienisch nur essere möglich ist. Avere dagegen ist altitalienisch bei pronominalen Konstruktionen weiter verbreitet als neuitalienisch: Questi due cavalieri s’aveano lungamente amato. (Novellino, 33, 205.3) Passiv Das Passiv zeigt ebenfalls tiefgreifende Veränderungen. Die Formen des Perfektstamms werden klassischlateinisch bereits analytisch gebildet ( PORTATUS SUM ). Aufgrund lautlicher (partieller Zusammenfall des Formeninventars der Aktiv- und Passivformen, vgl. z.B. im Präsens AMO - AMOR ) und morphologischer Entwicklungen (analytische Ausdrucksweise) erfolgt eine Verschiebung der Formen des Perfektstamms zum Präsensstamm. Für das Perfekt bedeutet dies ebenfalls Veränderungen. PORTATUS FUI ersetzt zunächst die lateinische Periphrase PORTATUS SUM und übernimmt erst sekundär die Funktion des passato remoto. Für das Perfekt tritt, dem aufkommenden passato <?page no="96"?> 6 Verbalmorphologie 95 prossimo entsprechend, die Periphrase * SUM STATUS PORTATUS hinzu, die eine doppelte Zusammensetzung zeigt. STATUS ist dabei das Partizip Perfekt Passiv von STARE ; ESSE (vlat. ESSERE ) selbst hat bekanntlich ausschließlich aktivische Formen, so dass das Perfektpartizip neu gebildet bzw. aus dem Paradigma eines semantisch verwandten Verbs übernommen wird - altitalienisch steht neben stato auch das sekundär gebildete (es)suto als Partizip zur Verfügung. Formen perfektiver Verben des Typs è fatto, era fatto können sich nun altitalienisch beziehen auf: a) eine vollendete Handlung, b) eine vollendete Handlung und gleichzeitig den daraus resultierenden Zustand oder c) lediglich den sich aus der verbal beschriebenen Handlung ergebenden Zustand (in diesem Fall kommt dem Partizip Perfekt adjektivischer Wert zu). Diese semantische Duplizität ist bereits lateinisch angelegt, da die Perfektpassivperiphrase aus ESSE + PPP wie das aktivische Perfekt den Wert eines Aorist und eines Perfekt hat (zum Gebrauch des Passiv und alternativen Ausdrucksweisen vgl. III 2.3). Die Entwicklungen im Passiv führen nun zum einen dazu, dass die Parallele von einfachen und zusammengesetzten Zeiten aufgegeben wird (d.h. es gibt nur mehr analytische Formen, die eine deutlichere Markierung des Passiv erlauben). Weiter wird die Polyvalenz des Passiv Perfekt aufgegeben ( PORTA CLAUSA EST , Vorgangs- und Zustandspassiv) und schließlich Konkordanz zwischen der zeitlichen Stufe des Auxiliars und der gesamten Periphrase hergestellt (wenn also das Auxiliar im Präsens steht, hat auch die Periphrase präsentische Bedeutung: SUM - PORTATUS SUM ). Entsprechend sind die Formen des Perfektstamms, ausgehend vom passato prossimo, doppelt zusammengesetzt (vlat. SUM STATUS PORTATUS ). Konjunktiv Wie nicht zuletzt aus den Ausführungen zum Konditional sichtbar geworden ist, kommt es für den Konjunktiv zum einen auf funktionaler Ebene, also im Bereich des Bedingungssatzgefüges, zu Neuerungen, zum anderen aber auch auf formaler Ebene. Die Ersetzung der Paradigmen des Perfekt und Plusquamperfekt ist durch die Präferenz bedingt, Vergangenheitstempora periphrastisch auszudrücken, aber auch durch reguläre Lautwandelprozesse, die zu einem Zusammenfall diverser Formen des Konjunktiv Imperfekt, Konjunktiv Perfekt, Futur II und des Infinitiv geführt haben (vgl. z.B. PORTAREM / PORTAVERIM / PORTAVERO / PORTARE > portare; s. daneben diverse Formen des Konjunktiv Plusquamperfekt, die sich zu portara entwickelt haben). So tritt an die Stelle des lateinischen Konjunktiv Perfekt die periphrastische Konstruktion HABEA ( M ) PORTATU ( M ) auf der Grundlage des neuen analytischen Perfekt (für die Aorist-Funktion des Perfekt gibt es im Konjunktiv im Weiteren keine Entsprechung). Der Konjunktiv Imperfekt ist in der ganzen Romania (mit Ausnahme des Sardischen) ebenfalls ausgefallen, seine Funktion übernimmt der ursprüngliche Konjunktiv Plusquamperfekt ( PORTAVIS - SEM > it. portassi), der seinerseits durch eine Periphrase ersetzt wird ( HABUISSE ( M ) PORTATU ( M ). D.h. also, dass lediglich der lateinische Konjunktiv Präsens formal und weitgehend auch funktional übernommen wird. <?page no="97"?> II Morphologie 96 Formale Entwicklungen Neben den typologisch interessanten Veränderungen sind nun für die einzelsprachliche Entwicklung weitere Prozesse von Interesse. Für den Nominalbereich ergeben sich, wie gesehen, in der Entwicklung vom Lateinischen zum Italienischen verschiedentlich Übertritte von einer Deklinationsklasse in eine andere - für die Verben gilt eine analoge Entwicklung v.a. für die II und III Konjugation; verschiedentlich lassen sich bereits lateinisch Dubletten ausmachen (vgl. FERVERE , FULGERE , TERGERE ). Ardere, mordere, nuocere, rispondere, mungere, ridere etc. gehören italienisch der III Konjugation an (Betonung auf dem Stammvokal), lateinisch der II (endungsbetont); cadere, sapere sind von der III in die II Konjugation übergegangen. Tiefgreifender sind die Änderungen bei den Deponentia: Aus semantischen wie morphologischen Gründen werden diese Verben mit Blick auf eine Regularisierung in ein aktives Paradigma überführt (klat. AUGURARI > vlat. AUGURARE , klat. NASCI > vlat. NASCERE ). Auch für die infiniten Verbformen ist auf einige - v.a. funktionale - Entwicklungen hinzuweisen. Der Infinitiv wird romanisch z.T. in anderen Kontexten verwendet als noch im Lateinischen, was durch den Ersatz des AcI durch eine Gliedsatzkonstruktion sowie das Aufkommen von (durch Präposition eingeleiteten) Infinitivsätzen bedingt ist. Das Gerund ist mit Aufgabe des Kasussystems nicht mehr komplementäre Variante des Infinitiv und wird - semantisch motiviert - in der Ablativform fixiert (vgl. klat. Nom. Infinitiv LAUDARE , Gen. LAU - DANDI , Abl. LAUDANDO etc.). Das lateinische Partizip Präsens Aktiv (Nom. AMANS , Akk. AMANTEM etc.) verliert seinen verbalen Charakter und wird immer mehr zu einem Adjektiv (-ante, -ente steht heute auch für die Bildung von Substantiven zur Verfügung, vgl. z.B. cantante; die Formen sind etymologisch betrachtet natürlich verbal, sie sind aber eben italienisch nicht mehr Teil des Verbalsystems). Das Partizip Perfekt schließlich zeigt als Element der Perfekt- und Passivperiphrasen eine deutliche Ausdehnung in seinem Gebrauch. Stammallomorphie im (Alt-)Italienischen Bevor auf die Besonderheiten einzelner Tempora im Italienischen eingegangen wird, sei zunächst noch die paradigmenübergreifende Problematik der Stammallomorphie angesprochen. Altitalienisch lassen sich die Verben unterschiedlichen Typen der Stammallomorphie zuweisen. Ein erster Typ (Typ I) zeigt die Varianz zwischen velar und palatal auslautendem Stamm (zu Beispielen s.u.). Dabei bezieht sich die Velarität auf die 1. Pers. Sg. und die 3. Pers. Pl. Ind. Präsens, die 1.-3. Pers. Sg. und die 3. Pers. Pl. Konj. Präsens, die Palatalität auf die 2. und 3. Pers. Sg. sowie die 1. und 2. Pers. Pl. Ind. Präsens, die 1. und 2. Pers. Pl. Konj. Präsens sowie das Imperfekt, das Futur, den Konj. Imperfekt, den Konditional, den Imperativ, das Gerund und den Infinitiv. Die Palatalisierung des stammfinalen Konsonanten durch nachfolgendes prävokalisches - I - (vgl. VENIO ; s. zur Palatalisierung I 4.1) erfolgt in allen romanischen Sprachen und bedingt die aufgezeigte Stammalternanz (vgl. ait. vegno - vieni). Zeitlich versetzt werden stammfinale velare Konsonanten vor Palatalvokal pala- <?page no="98"?> 6 Verbalmorphologie 97 talisiert (vgl. leggo - leggi). Für das Altitalienische lassen sich nun insgesamt vier Untertypen unterscheiden: a) [ng] - [ɲɲ]/ [ndʒ]: giungere, piangere, stringere etc. Dabei ist die Zahl der Verben mit [ɲɲ] sehr gering (vgl. spegno, piangna, ricigna (1. Pers. Sg. im Korpus nicht belegt)); die Formen mit [ng] sind analog zu Verbformen, die bereits lateinisch den Nexus - NG aufweisen (s. PUNGERE - PUNGO ) b) [lg] - [ʎʎ]: cogliere, scegliere, sciogliere etc. Die Formen mit [lg] folgen, wie für den Untertyp a) gesehen, dem Modell solcher Verben, die lateinisch die Verbindung - LG zeigen und entsprechend regulär entwickelt sind - die angeführten Verben fallen alle in diese Kategorie, vgl. COLLIGERE ( COLLIGO > it. colgo) etc. Sekundär liegt die Verbindung [lg] in Verben wie salire vor (it. salgo, sali, vgl. klat. SALIO , SALIS ; s. daneben auch regulär entwickeltes saglio, s. Typ II a)) c) [rg] - [rdʒ]: porgere, spargere etc. Die Formen sind regulär entwickelt d) [gg] - [ddʒ]: leggere, fuggire etc. Die Formen fuggo, fuggono (vgl. klat. FUGIO , FUGIUNT ) etc. sind analog zu denjenigen von leggere (vgl. klat. LEGO , LE - GUNT ) gebildet. Ein zweiter Typ (Typ II) zeigt eine Differenzierung in einen velar bzw. palatal auslautenden und einen alveolar ausgehenden Stamm für die für Typ I genannten Verbformen. Dabei stellt das palatale Ergebnis das entwicklungsgeschichtlich reguläre Resultat dar (vgl. vegno < klat. VENIO , rimagno, Ableitung zu klat. MANEO , saglio < klat. SALIO , veggio < klat. VIDEO , seggio < klat. SEDEO ), zu dem altitalienisch die analog gebildeten Formen mit velarem Auslaut hinzutreten, d.h. für die entsprechenden Verbformen liegen Dubletten vor. Diesem Typ lassen sich wiederum einzelne Untertypen zuordnen: a) [ng], [lg]/ [ɲɲ],[ʎʎ] vs. [n], [l]: rimanere, tenere, venire, salire, valere - vgl. venire: vengo/ vegno - vieni; salire: salgo/ saglio - sali etc. Bei Verben, die diese Allomorphie zeigen, handelt es sich um solche der II (-ére) wie der III Konjugation (´-ere). Im einen Fall geht der Stamm auf einen postnasalen oder postlateralen Velar aus ([ng], [lg]) oder aber auf einen alveolaren Nasal oder Lateral ([n], [l]), wie z.B. in tengo - tieni sichtbar. Im anderen Fall geht der Stamm bei den ersten Formen auf Palatal aus, was im Falle eines Liquids altitalienisch häufiger ist (vgl. die Paradigmen von valere (vaglio), solere (soglio), dolere (doglio) vs. auch velar bei salire (salgo)). Formen wie vengo etc., die analog zu Typ I gebildet sind, treten offensichtlich in freier Variation zu den regulär entwickelten Formen auf. Zum Neuitalienischen fallen letztere aus, es finden sich nur mehr die analog gebildeten Formen. b) [gg]/ [ddʒ] vs. [d]: sedere, vedere, fedire etc. Was diese Alternanz betrifft, so zeigen sich hier Parallelen zur vorausgehenden Gruppe: veggo/ veggio - vedo. Cadere und chiedere zeigen altitalienisch für die ersten Formen jeweils nur das reguläre palatale Ergebnis [ddʒ]: caggio, ch(i)eggio. Bei der Bildung der 1. Pers. Pl. auf -iamo ist hier eine Palatalisierung des stammauslautenden Konsonanten möglich (bei regulärem -emo dagegen nicht), vgl. veggiamo - vedemo. <?page no="99"?> II Morphologie 98 Im Folgenden seien Beispiele für die frequenten Verben venire und vedere (Stammallomorphie-Typ IIa, b) angeführt, die gleichzeitig zeigen, dass neben den genannten Entwicklungsergebnissen vereinzelt weitere formale Varianten auftreten. Diese können auf eine Beeinflussung durch andere Formen derselben Paradigmen (intraparadigmatische(r) Analogie/ Ausgleich) zurückgeführt werden. Prinzipiell sind natürlich auch Fälle von Allographie möglich, die allerdings lediglich auf die noch nicht genormte graphische Umsetzung der Lautung abhebt; die Varianz in der Schreibung impliziert also nicht zwingend Allomorphie (vgl. vengno neben vegno für [ veɲɲo]; dagegen kann veggiendo als graphische Variante zu veggendo für [ved dʒendo], aber auch als Allomorph [ved dʒjɛndo] interpretiert werden - s. hier die Parallele von -endo und -iendo als Endungen für das Gerund der Verben der II und III Konjugation). Typ IIa, Bsp. venire: „Ben vegnate, il signor mio: che novelle? “. Et Ercules rispuose: „Io vegno dalla foresta, e tutte le fiere ho trovate più umili di te: […]“ (Novellino, 70, 289.13) […] / sì che per voi mi ven cosa a la mente, / ch’io temo forte non lo cor si schianti. / (Dante, Vita nuova, cap. 36, parr. 4-5, v. 7, 144.3) Et così non pare che eloquenzia sia la cagione del male che viene alle grandissime cittadi. (Brunetto Latini, Rettorica, 11.2) […] per questa cagione venimo noi a te, perchè tu te ne vegni con noi, e combatti contra li figliuoli d’Amon, e sia duca di tutti coloro …] (Ottimo, Par., c. 5, 101.1) „Onde venite, o dove andate? “ E que’ risposero: „Noi vegnamo di Niccodemia, e andiamo in Costantinopoli“. (Leggenda Aurea, cap. 127, S. Adriano, 3, 1136.15) Spesse fiate vegnonmi a la mente / le oscure qualità ch’Amor mi dona, / e venmene pietà, sì che sovente io dico: […] (Dante, Vita nuova, cap. 16, parr. 7-10, v. 1, 65.13) E vedendo che quelle penne vengono annerendo, sì li comincia da capo a nudrirli. (Tesoro volg., L. 5, cap. 20, 113.5) Però ti priego che vegni meco, e faccimi il tuo servigio a compimento. (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 13, 30.11) Ordinato e statuto è che ciaschuno vinattiere venga alla ragunata dell’arte quante volte gli sarà comandato pe’ consoli, […] (Stat. fior., cap. 21, 89.21) „Messere, comandate a costui che vegna in nostro soccorso contra li nostri nemici“. (Novellino, 19, 174.15) Quelli fu molto lieto. La fante disse: „Ella vuole che voi vegniate a cavallo già quando fia notte ferma. […]“ (Novellino, 99, 348.12) […] siano condannati cotali Consoli per li Sindachi, ciaschuno di loro in lire V di piccioli i quali venghino alla detta arte. (Stat. fior., cap. 35, 355.16) […] onde di ciò ne ragionerete co∙lloro come vi parrà, e quando vi vengnino a mano cotali cose sappiatele prendere o llassciare i∙ modo che ssia onore e uttulitade di voi e di chui prendete a ffare il servigio. (Lett. fior., 598.19) <?page no="100"?> 6 Verbalmorphologie 99 Ed ecco che voi vegnavate in Africa, la quale è la più contraria provincia del mondo a questa vittoria, […] (Brunetto Latini, Pro Ligario, 179.21) […] e il dì dinaçi ch’elli entrò, la matina vene a San Piero Magiore e isposò la badessa e istetevisi tuto il dì e la notte, […] (Fr. di Giov., Ricord., 141.8) E e’ risponde che al detto albergo non venono, ma eràno per cagione del porticale, andando a un altro abergo per lo suo, perché n’à molti per la città simiglianti. (Fiore di rett., red. beta, cap. 46, 48.15) I Milanesi gli vennero incontro. Messer Guidotto, veggendo tutto il popolo andarli incontro, si mosse anche lui: […] (Dino Compagni, Cronica, L. 3, cap. 25, 204.23) „a ppena ke vengnaro a buon fine le cose ke sono i(n)comi(n)ciate cu(m) mal comi(n)ciame(n)to“ (Albertano volg., L. IV, cap. 59, 292.17) Uno è accusato d’uno malificio, et elli vegnendo a sua defensione sì leva da ssé quel maleficio e mettelo sopra un altro, […] (Brunetto Latini, Rettorica, 114.4) Goccia e messer Bindo Adimari, e loro fratelli e figliuoli, vennono al palagio; e non venendo altra gente, ritornorono alle loro case, rimanendo la piaza abandonata. (Dino Compagni, Cronica, L. 2, cap. 19, 169.25) […] e se non paghasse, siano tenuti i capitani di cacciarlo, la domenica nostra vegniente, inanzi tutta la Compagnia; […] (Stat. fior., I, par. 42, 43.3) Die folgenden Beispiele zeigen, dass formale Varianten auch innerhalb eines Textes vorkommen und dabei relativ dicht aufeinander folgen können. Es liegt also keineswegs eine diasystematische Markierung für die einzelnen Formen vor (z.B. lokal - denkbar ist für das Florentinische ja auch eine Beeinflussung durch umgebende oder weitere Dialekte - oder auch stilistisch): Tutte mercatantie che vengono per mare nel regno e di là vegnono poi per terra a Napoli, […] (Pegolotti, Pratica, 184.15) […] ma acciò che i tuoi occhii vegnano meno e la tua anima venga meno per tristizia; […] (Bibbia (03), 1 Re 2, 3, 22.10) Domenedio, veggendo che non lile potea fare dire, increbbeli di lui. Andò e suscitò il morto; e questi fu delibero, ed ebbe la promessione che·lli era fatta. Tornaro a casa. Disse Domenedio: „Compagno mio, io mi voglio partire da te, perché io non t’ho trovato leale com’io credeva“. Quelli, vedendo ch’altro non poteva essere, […] (Novellino, 75, 300.18) Typ IIb, Bsp. vedere: Io veggio li occhi vostri c’hanno pianto, / e veggiovi tornar sì sfigurate, / che ‘l cor mi triema di vederne tanto. (Dante, Vita nuova, cap. 22, parr. 9-10, v. 12, 91.1s.) E io dissi: - Ben veg[g]o perfettamente ogni cosa, secondo che per ordine m’hai contato. (Bono Giamboni, Trattato, cap. 28, 148.22) Et elli pugnea l’asino credendo che aombrasse, e quelli parlò: „Non mi battere: vedi l’angelo di Dio con una spada di fuoco in mano, che non mi lascia andare! “ (Novellino, 36, 211.4) <?page no="101"?> II Morphologie 100 E Marco si volse d’intorno e poi parlò e disse così: „Altri non vede ora noi e non ci ode. Or tu com’hai fatto? “ (Novellino, 55, 246.1) Allora queste donne cominciaro a parlare tra loro; e sì come talora vedemo cadere l’acqua mischiata di bella neve, così mi parea udire le loro parole uscire mischiate di sospiri. (Dante, Vita nuova, cap. 18, parr. 1-9, 70.5) Il paese là dove la via stretta delle virtù mena l’anima dopo la morte a regnare è detto paradiso, il quale è posto nel cielo ch’è di sopra al cielo stellato che noi veg[g]iamo, il quale si chiama cielo impirio; […] (Bono Giamboni, Trattato, cap. 32, 153.16) […] molta pace dà a coloro nell’animo, che le ingiurie da’ potenti ricevono, quando veggiono che Iddio se ne ricorda. (Dino Compagni, Cronica, L. 3, cap. 37, 214.17) […] e quando fossi nella via, sì come vile e codardo, l’abandonassi per paura ch’avessi di molti nimici che si veggono d’intorno, o l’abandonassi per alcuna promessione delle cose del mondo che da que’ nimici fatta ti fosse, […] (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 12, 29.9) […] poscia muoviti dirittamente verso la tramontana infino a l’altra notte, infino a tanto che tu veg[g]hi la tramontana sì come di prima, un grado più alto [sarà il mediclinio]; […] (Zucchero, Sfera, cap. I, 20, 109.3) „[…] Veggasi dove sì gran somma di moneta è ita, però che non se ne può esser tanta consumata nella guerra.“ (Dino Compagni, Cronica, L. 2, cap. 34, 181.10) […] ma sì si puote ristri(n)gnere volgiendo li occhi ke no(n) veggano la vanitade; […] (Albertano volg., L. II, cap. 10, 89.21) De eleggere official[i] che veggiano la ragione de’ vecchi camarlinghi. (Stat. fior., 652.19) […] sì cominciò tutto ‘l campo a bollire, e andârsi ad armare le genti, e trasse catuna al suo segnore, là ove vedevano poste le ‘nsegne. (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 25, 47.4) „I nostri maggiori, quando vedeano la femina rea d’alcuno peccato, l’aveano poscia per rea di molti altri peccati. […]“ (Fiore di rett., red. beta, cap. 12, 14.5) Vedendo i Signori che i Lucchesi veniano, scrissono loro, non fussono arditi entrare su loro terreno; […] (Dino Compagni, Cronica, L. 1, cap. 21, 150.8) […] e veggendo che stava muto, e di favellare neun sembiante facea, si rapressò inverso me, […] (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 3, 5.15) Ben credian noi che ci mettono adosso il costo d’altre robe o d’altre spese, veggiendo il grande costo che n’adomandano d’una roba. (Lett. fior., 597.22) Ma bene dicievano li Troiani che dda cielo era venuta, ché da alti venne in su l’altare, veggiente tutto il popolo. (Distr. Troia, 166.22) Neben der palatalisierungsbedingten Stammalternanz ist auch zu berücksichtigen, dass Stammallomorphie auch durch unterschiedliche, akzentabhängige Entwicklungen des Vokalismus bedingt sein kann - so ist das Nebeneinander von Formen mit und ohne Diphthong zu berücksichtigen (vgl. ait. trováre - truóvo, die <?page no="102"?> 6 Verbalmorphologie 101 Varianz wird italienisch als dittongo mobile bezeichnet). In einigen wenigen Fällen erfolgt ein Ausgleich zugunsten des etymologischen Monophthongs. Dies gilt aber nur für Verben der I Konjugation, wie z.B. für levare oder rinnovare (ait. lievo, rinnuovo vs. nit. levo, rinnovo). In der II Konjugation erfolgt ein intraparadigmatischer Ausgleich in der Regel zugunsten des Stammallomorphs mit Diphthong (s. z.B. miétere < klat. MÉTERE , miéto < klat. MÉTO , analog mietiámo). Ein weiterer Fall von Stammallomorphie ist in der IV Konjugation über die Einfügung von - ISC gegeben, das seinen Ursprung in den lateinischen Inchoativa hat, also Verben, die den Beginn einer Handlung beschreiben (vgl. FLORESCERE ‚auf-/ erblühen‘ vs. FLORERE ‚blühen‘). Das Infix wird offensichtlich infolge seiner Desemantisierung herausgelöst und morphologisch als Mittel der Stammerweiterung verwendet. Damit lässt sich eine Betonung der immer gleichen Silbe innerhalb des Paradigmas erreichen (s. aber ohne Infix cucire, dormire etc.). Ob dies auch der Auslöser für die Entwicklung ist, bleibt unklar, zumal nicht nachvollziehbar ist, warum die Akzentstelle für die IV Konjugation wichtiger sein sollte als für die anderen Konjugationen. 6.1 Finite Verbformen 6.1.1 Präsens Indikativ Für den Indikativ Präsens ergeben sich für das Altitalienische folgende regelmäßige Formen (da die Stammallomorphie nicht regelhaft ist, werden hier in Gegenüberstellung zum Lateinischen lediglich die Endungen angegeben). Für das (Alt-)Italienische werden als II Konjugation die beiden -ere-Konjugationen (-ére, ´-ere) zusammengefasst: -are-Konj. (I Konj.) AMÁRE -ere-Konj. (II Konj.) MONÉRE kons. Konj. (III Konj.) DÚCERE -ire-Konj. (IV Konj.) AUDÍRE 1. Pers. Sg. AMO MONEO DUCO AUDIO 2. Pers. Sg. AMAS MONES DUCIS AUDIS 3. Pers. Sg. AMAT MONET DUCIT AUDIT 1. Pers. Pl. AMAMUS MONEMUS DUCIMUS AUDIMUS 2. Pers. Pl. AMATIS MONETIS DUCITIS AUDITIS 3. Pers. Pl. AMANT MONENT DUCUNT AUDIUNT are-Konj. (I Konj.) -ére/ ´-ere -Konj. (II Konj.) -ire-Konj. (III Konj.) 1. Pers. Sg. -o -o -o 2. Pers. Sg. -i, -e (-a) -i (-e) -i (-e) 3. Pers. Sg. -a -e -e 1. Pers. Pl. -iàmo (-àmo) -émo, -iàmo -iàmo (-imo) 2. Pers. Pl. -àte -éte -ìte 3. Pers. Pl. -ano -ono, -eno -ono <?page no="103"?> II Morphologie 102 Auffällig im Vergleich zu den neuitalienischen Formen ist hier zum einen die Parallelität der Endungen -i und -e für die I Konjugation in der 2. Pers. Sg. neben seltenem -a sowie -e in der II und III Konjugation. Zum anderen sind die Formen -amo und -emo neben -iamo in der 1. Pers. Pl. anzuführen sowie für die 3. Pers. Pl. der II Konjugation die Endung -eno, die parallel zu -ono auftritt. Für diese Konjugationsklasse zeigt sich im Plural die Fortsetzung bzw. Einfügung des Themavokals darüberhinaus in den Endungen -emo und -ete, die aber bereits altitalienisch partiell aufgeben werden. Die Endung -e für die 2. Pers. Sg. der I Konjugation ergibt sich aus der regulären Schließung des Vokals, die durch nachfolgendes - S ausgelöst wird (klat. CAN - TAS > ait. cante; s. hier auch die Ausführungen zur nominalen Pluralbildung, II 1.3). -i dagegen ist durch Analogie zu den übrigen Konjugationsklassen sowie zum Konjunktiv zu erklären (vgl. klat. CANTES > it. canti). Dies führt zu einer einheitlichen Kennzeichnung der 2. Pers. Sg. Ähnlich wie für den definiten Artikel gesehen, kann das finale, postvokalische -i altitalienisch apokopiert werden: vuo’ tu, puo’ fare. Eindeutig durch Analogie zum Konjunktiv bedingt ist die Endung -iamo der 1. Pers. Pl. (vgl. klat. HABEAMUS > it. abbiamo mit regulärer Schließung des Palatalvokals im Hiat). Regulär sind die Endungen -amo bzw. -emo (vgl. klat. CANTAMUS , VIDEMUS ), die bis heute dialektal belegt sind. Mit Blick auf die 2. Pers. Pl. ist auf die Aufgabe der Differenzierung der Indikativ- und der Imperativform hinzuweisen (vgl. klat. Ind. Präsens PORTATIS - Imperativ PORTATE > it. portate, klat. Ind. Präsens VIDETIS - Imperativ VIDETE > it. vedete). Eine Schließung des Vokals durch finales - S ist, anders als für die 2. Pers. Sg. Ind. Präsens, bei den Pluralformen des Indikativ Präsens nicht belegt. Bei -eno handelt es sich nicht um eine reguläre Entwicklung, da spätlateinisch eine Vereinfachung der Endungen für die 3. Pers. Pl. auf - ANT und - UNT erfolgt. Hier liegt vielmehr Analogie entweder zu -ano der I Konjugation oder zu -e aus der 3. Pers. Sg. vor, vgl. puote - poteno. Verbreitet ist -eno v.a. in den westtoskanischen Mundarten, die möglicherweise das Florentinische in seiner Entwicklung beeinflussen. Denkbar ist auch, dass die Formen der 3. Pers. Pl. nach dem Ausfall der lateinischen Endung - NT zunächst ama, teme oder sento lauten und die Endung -no epithetisch zu interpretieren ist, wodurch eine Homophonie mit den Formen der 3. Pers. Sg. vermieden würde. Ausgangspunkt könnte die Entwicklung bei essere sein - auch bei sono ist die Endung natürlich nicht etymologisch (vgl. klat. SUNT ). Möglich ist hier aber auch eine Analogie zur 1. Pers. Sg. ( SUM mit Adaption der Endung der regulären Verben -o) oder aber ein Echophänomen (Wiederholung des Haupttonvokals: klat. SUNT > vlat. * SON > it. sono). Florentinisch findet sich für die regulären Verben neben -no auch die aus dem Perfekt übernommene Endung -ro (mit Stammbetonung): àmaro, raddóppiaro, méttoro. Für das auslautende -o ist wiederum der Rückgriff auf die Form sono mit Blick auf eine Generalisierung der Endung denkbar. Auffällig sind schließlich die Formen einiger hochfrequenter, irregulärer Verben: enno ‚sono‘ (wohl in Analogie zu hanno, ausgehend von è und toskanisch heute noch belegt), so auch p(u)onno (zu può), vonno (zu volere). <?page no="104"?> 6 Verbalmorphologie 103 Konjunktiv Das Formeninventar für den Konjunktiv Präsens sieht wie folgt aus: -are-Konj. (I Konj.) AMÁRE -ere-Konj. (II Konj.) MONÉRE kons. Konj. (III Konj.) DÚCERE -ire-Konj. (IV Konj.) AUDÍRE 1. Pers. Sg. AMEM MONEAM DUCAM AUDIAM 2. Pers. Sg. AMES MONEAS DUCAS AUDIAS 3. Pers. Sg. AMET MONEAT DUCAT AUDIAT 1. Pers. Pl. AMEMUS MONEAMUS DUCAMUS AUDIAMUS 2. Pers. Pl. AMETIS MONEATIS DUCATIS AUDIATIS 3. Pers. Pl. AMENT MONEANT DUCANT AUDIANT are-Konj. (I Konj.) -ére/ ´-ere -Konj. (II Konj.) -ire-Konj. (III Konj.) 1. Pers. Sg. -i -a -a 2. Pers. Sg. -i (-e) -i, -e (-a) -i, -e (-a) 3. Pers. Sg. -i -a -a 1. Pers. Pl. -iàmo -iàmo -iàmo 2. Pers. Pl. -iàte -iàte -iàte 3. Pers. Pl. -ino -ano -ano Die Endungen sind - mit Abweichungen derjenigen der 2. Pers. Sg. sowie der 3. Pers. Pl. - diejenigen des Neuitalienischen. Auf die Hebung des Vokals vor finalem - S wurde bereits im Hinblick auf die Entwicklung der 2. Pers. Sg. Ind. Präsens hingewiesen. Die Schließung des Vokals zu -i mag durch das Schwanken zwischen -i und -e (II, III Konjugationsklasse) und das frühe Bedürfnis nach einer klaren Differenzierung der vokalischen Endungen im Konjunktiv bedingt sein. Die in Klammern angeführten Formen sind im Fall der I Konjugation etymologisch, in der II und III Konjugation sekundär. Dabei dominiert für letztere altitalienisch noch -i, während die heute gültige Endung -a altitalienisch selten ist. Möglicherweise setzt sich -a zum Neuitalienischen durch, weil es eine stärkere Abgrenzung der singularischen Formen des Indikativ und des Konjunktiv ermöglicht. Auffällig ist aber, dass für die 3. Pers. Pl. schon altitalienisch -ano für die Verben der II und III Konjugation deutlich häufiger ist als -ino, das noch parallel auftritt. Eine weitere Variante ist -aro, das eine Analogie zum Perfekt zeigt: […] e però disse uno savio: „Io voglio che mi vegnaro anzi meno l’opere che la fede“. (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 14, 31.10) Was den Verbstamm betrifft, so wird der stammauslautende Konsonant der II und III Konjugation aufgrund des nachfolgenden palatalen Vokals in Hiatposition palatalisiert und infolge der Silbenreduktion gelängt (s. Palatalisierung Typ 1 klat. FILIAM > it. figlia: klat. HABEAM > it. abbia, klat. SEDEAM > it. seggia, klat. VENIAM > it. vegna). Wie angeführt (II 6) ist für die weitere Entwicklung sowohl ein innerparadigmatischer Ausgleich wie eine Analogie zu anderen Verben denkbar. <?page no="105"?> II Morphologie 104 6.1.2 Imperfekt Indikativ Der Formenbestand für den Indikativ Imperfekt sieht wie folgt aus: -are-Konj. (I Konj.) AMÁRE -ere-Konj. (II Konj.) MONÉRE kons. Konj. (III Konj.) DÚCERE -ire-Konj. (IV Konj.) AUDÍRE 1. Pers. Sg. AMABAM MONEBAM DUCEBAM AUDIBAM 2. Pers. Sg. AMABAS MONEBAS DUCEBAS AUDIBAS 3. Pers. Sg. AMABAT MONEBAT DUCEBAT AUDIBAT 1. Pers. Pl. AMABAMUS MONEBAMUS DUCEBAMUS AUDIBAMUS 2. Pers. Pl. AMABATIS MONEBATIS DUCEBATIS AUDIBATIS 3. Pers. Pl. AMABANT MONEBANT DUCEBANT AUDIBANT are-Konj. (I Konj.) -ére/ ´-ere -Konj. (II Konj.) -ire-Konj. (III Konj.) 1. Pers. Sg. -ava -e(v)a -i(v)a 2. Pers. Sg. -avi -e(v)i -ivi 3. Pers. Sg. -ava -e(v)a -i(v)a 1. Pers. Pl. -avàmo -e(v)àmo -i(v)àmo 2. Pers. Pl. -avàte -e(v)àte -i(v)àte 3. Pers. Pl. -avano -e(v)ano -i(v)ano Anders als der Indikativ Präsens zeichnet sich der Indikativ Imperfekt durch eine größere Homogenität in den Formen der einzelnen Konjugationsklassen auch mit Blick auf den Themavokal aus, was v.a. dadurch bedingt ist, dass sämtliche Formen endungsbetont sind. Die wesentlichen Änderungen zum Neuitalienischen betreffen die Endung der 1. Pers. Sg. sowie die Aufhebung der Allomorphie in der II und III Konjugation (Parallelität -eva/ -ea, -iva/ -ia) durch die Restitution der etymologisierenden Variante (-eva, -iva). Anders als gemeinhin dargestellt, geht die Endung -o in der 1. Pers. Sg. nicht auf die Intervention von Manzoni zurück, er forciert vielmehr durch den kategorischen Gebrauch der Endung -o ihre Durchsetzung. De facto tritt -avo etc. bereits in den Dokumenten des 13. Jh. auf. Bedingt ist der Auslaut durch Analogie zur 1. Pers. Sg. des Indikativ Präsens (vgl. klat. CANTABAM > ait. cantava => cantavo). Die Alternanz zwischen Formen mit und ohne -vim Falle der II und III Konjugation ist bedingt durch eine Dissimilation, die vermutlich von Verben wie HA - BERE oder DEBERE ausgeht (vgl. aveva > avea, doveva > dovea). Bei den Verben der italienisch III Konjugation tritt die Reduktion von -vdeutlich später und seltener auf als in der II Konjugation. Im weiteren Entwicklungsverlauf wird, wie gesehen, der Spirans restituiert. Die genannten altitalienischen Varianten finden sich verschiedentlich auch im selben Werk nebeneinander (vgl. z.B. vedeva - vedea im Novellino). Für die I Konjugation erfolgt eine Reduktion von -vnicht, sehr wahrscheinlich, weil andernfalls zwei identische Vokale aufeinanderfolgten (*cantaa) - eine <?page no="106"?> 6 Verbalmorphologie 105 Verschmelzung zu einem Langvokal würde eine starke Diskrepanz in der Imperfektbildung bedeuten. Auch für die 2. Pers. Sg. der III Konjugation ist keine Reduktion von [v] eingetreten, sie ist ausschließlich in der Form -ivi (z.B. fuggivi) belegt. Hierin liegt wohl auch die Basis für die Reetymologisierung in den übrigen Konjugationsklassen (-ea > -eva, -ia > -iva). Das heißt nicht, dass italienisch die Abfolge zweier identischer Vokale im Auslaut ausgeschlossen wäre, s. hier etwa die Pluralbildung von vario (varii), principio (principii), ähnlich in der 1. Pers. Sg. im passato remoto (sentii, finii). Für die Verben der II Konjugation finden sich neben -e(v)a, -e(v)ano, wenngleich deutlich seltener, Formen mit Hebung des betonten Vokals in Hiatposition (v.a. 3. Pers. Sg./ Pl., z.B. avía(no), dovía(no)), wodurch es wiederum sekundär zu einer Schwächung des nachfolgenden Vokals kommen kann (s. v.a. westtoskanisch und senesisch, verschiedentlich auch toskanisch -íe(no): potíe(no), avíe(no), dicíe(no), facíeno, veníeno). Als Beispiele für die unterschiedliche Entwicklung der Verben der einzelnen Konjugationen und das Nebeneinander der Varianten in ein und demselben Werk seien die folgenden Textauszüge angeführt: I ladri publicamente si metteano nel fuoco a rubare e portarsene ciò che poteano avere: e niente era lor detto. E chi vedea portarne il suo, non osava domandarlo, perchè la terra in ogni cosa era mal disposta. I Cavalcanti perderono quel dì il cuore e il sangue, vedendo ardere le loro case e palagi e botteghe, le quali per le gran pigioni, per lo stretto luogo, gli tenean ricchi. (Dino Compagni, Cronica, L. 3, cap. 8, 189.15) Ed era il loro un gran fastidio, che con maggiore audacia e prosunzione usavano il loro maestrato e signoria, che non facieno gli antichi originali cittadini. Ben fu questa motiva opera di capitani di parte guelfa e di loro consiglio, che parea loro vi si mischiassono di Ghibellini, e per afiebolire il reggimento delle XXI capitudini dell’arti che reggevano la città; e fu quasi uno cominciamento di rivolgimento di stato per le sequele che ne seguirono apresso, come inanzi ne faremo menzione. (Giovanni Villani (ed. Porta), L. 13, cap. 72, 3, 465.17) I cavalieri di Roma erano avviliti, che non ardieno di metter fuori il piede, ovvero fermare l’animo di venire a battaglia; ma incontanente guardato il nemico spagnuolo, fuggendo, credea prima essere vinto che fosse veduto. Per lo quale argomento è manifesto che quelli tempi da catuno lato fuoro miseri iudicati, con ciò sia cosa che, e se vincere potieno, contra loro volontade lasciavano i dolci loro riposi, e sostenieno battaglie di gente straniera; e’ Romani quanto più sozzamente turbavano l’altrui riposo, tanto più sozzamente per loro erano vinti. (Bono Giamboni, Orosio, L. 5, cap. 4, 283.6) Für die 1. und 2. Pers. Pl. findet sich für die Verben der II Konjugation vereinzelt der Themavokal -aanalog zur I Konjugation, vgl. vedavamo, vedavate; credavamo, credavate; intendavamo, intendavate etc.: <?page no="107"?> II Morphologie 106 Non ti torna egli a mente che in questo giorno l’empio re suo padre ci soleva insieme di bellissimi drappi vestire, e solavamo della nostra natività fare maravigliosa festa? (Boccaccio, Filocolo, L. 4, cap. 112, 498.2) Für die 3. Pers. Pl. ist, ergänzend zu den bereits genannten Endungen und wie bereits für den Indikativ Präsens gesehen, auch -ro möglich (davaro, stavaro). Apresso ciò riguarda i∙ re, sì vidde una partita de le genti ch’erano rimasi di no saltare nella fossa prendeano il sangue ch’era a terra colato, sì se ne lavavano e immantenente che se n’erano lavati, sì cambiavaro tutte loro sembianze e loro figura. (Storia San Gradale, cap. 80, 86.2) Konjunktiv Wie bereits angesprochen, wird der klassischlateinische Konjunktiv Imperfekt italienisch nicht fortgesetzt. Wie in der Mehrheit der romanischen Sprachen rückt das Paradigma des lateinischen Konjunktiv Plusquamperfekt ( CANTAVISSEM ) in die Funktion des Konjunktiv Imperfekt ein. Die unterschiedlichen Endungen zeigen wie beim Perfekt (vgl. II 6.1.6) die Reduktion des intervokalischen Semikonsonanten -v- [w] bzw. die Synkopierung der Silbe -vi-: -are-Konj. (I Konj.) AMÁRE -ere-Konj. (II Konj.) MONÉRE kons. Konj. (III Konj.) DÚCERE -ire-Konj. (IV Konj.) AUDÍRE 1. Pers. Sg. AMAVISSEM MONUISSEM DUXISSEM AUDIVISSEM 2. Pers. Sg. AMAVISSES MONUISSES DUXISSES AUDIVISSES 3. Pers. Sg. AMAVISSET MONUISSET DUXISSET AUDIVISSET 1. Pers. Pl. AMAVISSEMUS MONUISSEMUS DUXISSEMUS AUDIVISSEMUS 2. Pers. Pl. AMAVISSETIS MONUISSETIS DUXISSETIS AUDIVISSETIS 3. Pers. Pl. AMAVISSENT MONUISSENT DUXISSENT AUDIVISSENT are-Konj. (I Konj.) -ére/ ´-ere -Konj. (II Konj.) -ire-Konj. (III Konj.) 1. Pers. Sg. -às(s)e, -i -és(s)e, -i -ìs(s)e, -i 2. Pers. Sg. -às(s)i -és(s)i -ìs(s)i 3. Pers. Sg. -às(s)e -és(s)e -ìs(s)e 1. Pers. Pl. -às(s)imo -és(s)imo -ìs(s)imo 2. Pers. Pl. -àste -éste -ìste 3. Pers. Pl. -às(s)ero, -ono, -oro, -eno -és(s)ero, -ono, -oro, -eno -ìs(s)ero, -ono, -oro, -eno Für die 2. Pers. Pl. ist im Gegensatz zur 1. Pers. Pl. eine (frühe) Synkopierung (klat. - ASSETIS > it. -aste) anzunehmen. Mit Ausnahme der 1. Pers. Sg., die altitalienisch noch die Endung -e neben innovativem -i zeigt, und der 3. Pers. Pl., die wie schon für andere Paradigmen gesehen die geringste Stabilität bzw. ein gewisses Maß an Allomorphie aufweist, entspricht das Paradigma demjenigen des Neuitalienischen. Häufig ist für die 3. Pers. Pl. v.a. die Endung -ero, daneben ist auch -ono weit verbreitet; -oro ist dagegen wie -eno seltener. Möglich ist daneben weiter <?page no="108"?> 6 Verbalmorphologie 107 ´-erono (d.h. die Verbindung aus -ero und -no, trovásserono, fósserono, dovésserono; vgl. hierzu auch die 3. Pers. Pl. des schwachen Perfekt), das im Weiteren Entwicklungsverlauf zugunsten der paroxytonen Form aufgegeben wird. Vielfach stimmen also die Endungen der 3. Pers. Pl. mit denjenigen des Konditional überein (II 6.1.4). Die Parallele wird gemeinhin auf den Kontext des Bedingungssatzgefüges zurückgeführt, wodurch möglicherweise auch die Endung -i der 1. Pers. Sg. bedingt ist. 6.1.3 Futur Auf die klassischlateinische Bildung des Futur und seine Ersetzung durch die Periphrase CANTARE HABEO wurde bereits eingegangen. Wie gesehen ist die Resynthetisierung schon früh erfolgt, für das Italienische finden sich auch in der älteren Sprachstufe bereits ausschließlich synthetische Futurformen (iberoromanisch ist der analytische Bildungstyp aber noch bis ins 16. Jh. belegt, wenn auch zu dieser Zeit nur mehr in Verbindung mit klitischen Objektpronomina, vgl. asp. besar te he neben te besaré ‚ich werde dich küssen‘, ptg. ist der Einschub von Klitika bis heute möglich, vgl. dar-mo-á ‚er wird es mir geben‘). Die Endungen des Futur für die einzelnen Konjugationsklassen sind die folgenden: are-Konj. (I Konj.) -ére/ ´-ere -Konj. (II Konj.) -ire-Konj. (III Konj.) 1. Pers. Sg. -erò -erò -irò 2. Pers. Sg. -erài -erài -irài 3. Pers. Sg. -erà -erà -irà 1. Pers. Pl. -erémo -erémo -irémo 2. Pers. Pl. -eréte -eréte -iréte 3. Pers. Pl. -erànno -erànno -irànno Als Dialektmerkmal des Toskanischen (ursprünglich nur des Florentinischen) ist für die Endungen der italienischen Futur- und Konditionalformen die Entwicklung von zwischenbzw. vortonigem - AR - > flor. -erwichtig. Infolge der Synthetisierung der Periphrase wird der Themavokal zwischentonig: vlat. CANTARE HABEO / * HEBUI > it. canterò, ait. canterebbi (nit. canterei). Die ursprüngliche Qualität des Themavokals bleibt entsprechend in der I Konjugation im Futur und Konditional nur selten erhalten (vgl. giudicarete, amaranno). Außerhalb des Florentinischen findet sich daneben vereinzelt eine Ausdehnung von -a- (so etwa im Paradigma von essere: serò, serai, seranno vs. sarò, sarai, saranno), wobei die Formen sarà etc. auch schon altflorentinisch dominieren. Bei den Verben der II und III Konjugation wird der zwischentonige Vokal (-ebzw. -i-) vielfach getilgt (eine Reduktion von primärem - A als schallstärkstem Vokal erfolgt nicht). Die Synkopierung ist aber zum Altitalienischen noch nicht durchgängig erfolgt, sie ist offensichtlich nicht obligatorisch, wie die altitalienischen Beispiele anderà, vederà, viverai, saperanno (vs. nit. andrà, vedrà, vivrai, sapranno) zeigen. Möglicherweise setzt die Synkopierung zumindest für die II Konjugation erst im 13. Jh. ein. So ist die Reduktion des Vokals v.a. nach stammfinalem -dnoch nicht generalisiert (vgl. uccidrò, <?page no="109"?> II Morphologie 108 chiedrò neben den nicht synkopierten Formen). Nach Liquid oder -nscheint die Synkopierung aber altitalienisch schon durchgängig zu sein (morranno, rimarrai, vorrò; s. hier auch die Entwicklung für Verben der I Konjugation: liberrà, considerrà, dimorrà, merrà zu menare (die Formen mit restituiertem Zwischentonvokal sind erst (wieder) zu Beginn des 14. Jh. belegt). Wie einige der Beispiele mit Synkope zeigen, treffen mit dem Ausfall des Vokals der auslautende Konsonant des Verbstamms und -rder Infinitivendung aufeinander - die so entstehenden Konsonantenverbindungen können durch Assimilation aufgelöst werden (vgl. vlat. VOLERE HABEO > *volrò > (a)it. vorrò; vlat. REMANERE HABES > *rimanrai > (a)it. rimarrai), was wiederum zur Entstehung von Stammallomorphie (riman-, rimar-) führt; die Synkope ist also auch morphologisch relevant. Neben den in der Tabelle angeführten Endungen, die bis ins Neuitalienische unverändert fortgesetzt werden, treten altitalienisch Varianten auf, die aber deutlich seltener sind. Für die 1. Pers. Sg. sind so parallel zu -erò auch die Endungen -abbo, -aggio und -aio verbreitet (torrabbo, farabbo; averaggio, riceveraggio, viveraggio; cureraio). Die Endungen entsprechen den verschiedenen Entwicklungen von HA - BEO (in Auxiliarwie Vollverbfunktion); -aggio ist auf die Lyrik beschränkt und wie -aio wohl auf sizilianischen (scuola siciliana) oder galloromanischen Einfluss zurückzuführen. 6.1.4 Konditional Auch für den Konditional wurde bereits auf die unterschiedlichen Bildungstypen hingewiesen. Für die Lyrik sei auf den verschiedentlichen Gebrauch des Indikativ Plusquamperfekt in der gleichen Funktion verwiesen (sehr häufig frequenzbedingt fora, daneben aber auch amara, portara; aflor. möglicherweise durch südit. Einfluss bedingt). Nachfolgend die altitalienischen Endungen des Konditional: are-Konj. (I Konj.) -ére/ ´-ere -Konj. (II Konj.) -ire-Konj. (III Konj.) 1. Pers. Sg. -erèi/ -erìa -erèi/ -erìa -irèi/ -irìa 2. Pers. Sg. -erésti -erésti -irésti 3. Pers. Sg. -erèbbe/ -erìa -erèbbe/ -erìa -irèbbe/ -irìa 1. Pers. Pl. -erémmo -erémmo -irémmo 2. Pers. Pl. -eréste -eréste -iréste 3. Pers. Pl. -erèbbero, -erèbbono, -erèbboro/ -erìano -erèbbero, -erèbbono, -erèbboro/ -erìano -irèbbero, -irèbbono, -irèbboro/ -irìano Die formale Heterogenität bzw. der Mischcharakter des Paradigmas beruht wie gesehen auf der Parallelität der beiden Bildungstypen vlat. CANTARE * HEBUI (> ait. canterebbi > nit. canterei) und vlat. CANTARE HABEBAM (> ait. canteria). Letzterer Bildungstyp liegt in den Varianten der 1. und 3. Pers. Sg. sowie der 3. Pers. Pl. vor und zeigt eine starke Reduktion des Auxiliars (Schwund der ersten Silbe, Dissimilation über Ausfall - B -, Hebung im Hiat: HABEBAM > -ia). Die Präsenz dieser Formen im florentinischen Raum wird von einigen Autoren auf westtoskanischen Einfluss zurückgeführt (hier Endung -íe-, vgl. II 6.1.2 zum Indikativ Imperfekt). In <?page no="110"?> 6 Verbalmorphologie 109 der Regel dominiert aber die Annahme, dass hier Einfluss der sizilianischen Lyrik bzw. Adaption des provenzalischen Modells vorliegt. Mischparadigmen bzw. das Nebeneinander mehrerer Paradigmen sind bzw. ist aber nicht nur toskanisch, sondern v.a. auch norditalienisch weit verbreitet. Der Themavokal der I Konjugation wird wie für das Futur erläutert vor - R zu -egehoben, außer in einigen Varianten, die möglicherweise nicht florentinisch sind (vgl. z.B. cantarei, dimenticarebbe etc.). Für die Formen der 1. Pers. Sg. ist weiter zu berücksichtigen, dass verschiedentlich Apokopierung des auslautenden Semivokals auftritt (avre’, vorre’). Für die 2. Pers. Sg. ist auf die neuitalienisch nicht mehr mögliche Verschmelzung der Verbform mit nachfolgendem tu bzw. dessen Enklise hinzuweisen: qual vorestu, non t’avresti tu. Außer im Konditional, das in der 2. Pers. Sg. toskanisch immer auf die Periphrase Infinitiv + HABUISTI / * HEBUISTI zurückgeführt werden kann, tritt diese Univerbierung nur im Perfekt (passato remoto) auf. Die 3. Pers. Pl. weist in den Endungen Parallelen zu denen im Indikativ Perfekt und Konjunktiv Imperfekt auf. Die häufigste Endung ist dabei -Vrèbber(o) (z.B. si recherebbero, partirebbero, uscirebbero), daneben ist auch -èbbono vereinzelt belegt (doverebbono, sarebbono), -èbboro ist ebenfalls selten (arebboro, s’accorgerebboro, vorrebboro). Häufiger ist dagegen wiederum die Form -eriano (offeriano, doveriano), die anders als die übrigen Formen auf der Periphrase Infinitiv + HABEBANT aufsetzt. Wie beim Futur - wegen der Bildung der zugrunde liegenden Periphrase erwartbar - tritt Synkopierung auch im Konditional bei Verben der II und III Konjugation nach Liquid und -nsehr häufig auf. Bei Verben wie morire, parere, rimanere, valere, volere, tenere, venire sowie den Komposita mit den beiden letztgenannten Verben erfolgt sie systematisch. Bei Verben der I Konjugation mit auf -rauslautendem Stamm wird der Zwischentonvokal ebenfalls häufig synkopiert (lavorrebbe, Infinitiv lavorare), die Restituierung des Vokals verbreitet sich erst mit dem 14. Jh. (interessant ist hier die Metathese bei mostrare (-rer- > -err-): mosterrebbe, vgl. auch die Futurform mosterrà). Neben den synkopierten liegen altitalienisch auch Formen wie averei, poteresti vor, die keine Synkope zeigen (vgl. hierzu auch die Ausführungen zum Futur, II 6.1.3). 6.1.5 Imperativ Der Imperativ zeigt folgende Endungen: -are-Konj. (I Konj.) AMÁRE -ere-Konj. (II Konj.) MONÉRE kons. Konj. (III Konj.) DÚCERE -ire-Konj. (IV Konj.) AUDÍRE 2. Pers. Sg. AMA MONE DUCE AUDI 2. Pers. Pl. AMATE MONETE DUCITE AUDITE <?page no="111"?> II Morphologie 110 are-Konj. (I Konj.) -ére/ ´-ere -Konj. (II Konj.) -ire-Konj. (III Konj.) 2. Pers. Sg. -a -i -i 2. Pers. Pl. -àte -éte -ìte Die Imperativformen entsprechen denen des Neuitalienischen. Die 2. Pers. Sg. der II Konjugation ist analog zu derjenigen der III Konjugation gebildet. Wie schon beim Indikativ und Konjunktiv Präsens gesehen, liegt offensichtlich italienisch eine Tendenz zur Endung -i (vs. -e) vor, so dass häufiger ein Kontrast -a vs. -i erreicht wird. Die 2. Pers. Pl. fällt formal mit derjenigen des Indikativ Präsens zusammen. Für die nicht angeführten Personen wird altwie neuitalienisch der Konjunktiv Präsens verwendet. Für den Prohibitiv (negativer Imperativ) stehen klassischlateinisch unterschiedliche Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung, so a) NE + Konjunktiv Präsens ( NE CANTES ! ‚sing nicht! ‘), b) NE + Imperativ II ( NE TIMETO ! ‚fürchte dich nicht/ du darfst dich nicht fürchten! ‘), c) Auxiliar NOLI / NOLITE (Imperativ zu NOLLE ‚nicht wollen‘) + Infinitiv ( NOLI TACERE ! ‚schweige nicht! ‘), d) NE + Konjunktiv Perfekt ( NE HOC FECERIS ! ‚mach‘ das nicht! ‘). Bereits spätlateinisch wird aber nur mehr der Konjunktiv Präsens verwendet (s. it. 3. Pers. Sg./ Pl.), daneben wird für den Prohibitiv der Imperativ mit vorangestelltem NON sowie NON + Infinitiv gebraucht (möglicherweise fällt der lateinische Infinitiv in dieser Verwendung mit dem lateinischen Prohibitiv zusammen: NE PORTAVERIS > NON PORTA ( VE ) RE ( S ) > non portare, wodurch sich möglicherweise der italienisch auffällige Bildungstyp erklären lässt). 6.1.6 Perfekt Für die Entwicklung des Perfekt ist allgemein zu differenzieren zwischen der schwachen und der starken Perfektbildung. Während im erstgenannten Fall der Wortakzent stets auf die Endung fällt (z.B. cantare: cantái, cantásti etc.), ist im Falle des starken Perfekt eine Alternanz zwischen stamm- (1., 3. Pers. Sg., 3. Pers. Pl.) und endungsbetonten Formen (übrige Personen) zu berücksichtigen (z.B. cadere: cáddi, cadésti etc.). Möglicherweise ist die Trennung von starken und schwachen Formen begründet durch die Notwendigkeit, vulgärlateinisch eine klare Differenzierung von Perfekt- und Präsensformen zu erreichen, die z.T. infolge des Quantitätenkollapses und weiterer Entwicklungen gleichlautend geworden sind (s. v.a. in der 3. Pers. Sg., z.B. ACCENDIT (Präsens), ACCENDIT (Perfekt), ACCENDET (Futur)). Entsprechend werden gerade solche Perfektbildungen fortgesetzt, die in Abgrenzung zum Präsens eine klare Tempuskennzeichnung tragen. Klassischlateinische Perfektbildungstypen Zu stark oder zu schwach markierte oder redundante Formen werden zum Vulgärlateinischen hin aufgegeben und mit ihnen vielfach auch die entsprechenden Bildungstypen: klat. MORDERE - MOMORDI wird ersetzt durch vlat. MORSI > <?page no="112"?> 6 Verbalmorphologie 111 it. morsi; klat. CURRERE - CUCURRI => vlat. * CURSI > it. corsi; klat. MOVERE - MŌVI => vlat. MOSSI > it. mossi; klat. LEGERE - LĒGI => vlat. LEXI > it. lessi; klat. BIBERE - BIBI => vlat. BIBUI > it. bevvi. Von den klassischlateinischen Bildungstypen wird also für die starken Perfektparadigmen das der Reduplikation (z.B. CUCURRI ) aufgegeben. Reste finden sich nur mehr in der Fortsetzung der Formen DEDI und STETI . Für den Typ mit - DEDI zeigt sich dazu eine Ausdehnung schon zu archaischer Zeit (s. DESCENDIDI ), vulgärlateinisch sind bereits REDDEDIT (3. Pers. Sg.; klat. RED- DIDI ), PERDEDI ( T ) (1., 3. Pers. Sg.; klat. PERDIDI ), RISPONDIDI , RISPONDIDERUNT (1. Pers. Sg., 3. Pers. Pl.; klat. RESPONDI ) etc. belegt. Auch das Dehnungsperfekt (Vokallängung, z.B. VĒNI , LĒGI ) ist nicht mehr produktiv, das Perfekt mit Apophonie (Ablaut) wird ebenfalls aufgegeben ( CAPERE - CEPI , AGERE - EGI , s. aber noch FACERE - FECI > it. feci). Wie die angeführten Beispiele zeigen, bleibt das sigmatische Perfekt erhalten und wird im Weiteren sogar auf andere Verben übertragen (s. SCRIPSI , analog * MOSSI , * CURSI ). Auch das schwache Perfekt auf - VI oder - UI bleibt erhalten. Schon klassischlateinisch zeigt sich für einige Verben der I Konjugation mit vokalisch auslautendem Stamm ein Übergang vom Bildungstyp - UI zu - VI (vgl. SONAVI für SONUI , DOMAVI für DOMUI etc.), der zu Beginn des 4. Jh. weit verbreitet ist. Eine Übertragung des Bildungstyps auf Verben der zweiten Konjugation mit lateinischem - UI -Perfekt zeichnet sich ebenfalls bereits nachklassisch ab (vgl. klat. CENSERE , CENSUI => vlat. CENSIVI > it. censii; klat. FLORERE , FLORUI => vlat. FLORIVI > it. fiorii). Die italienische Form auf -ii (bzw. -ai) ist bedingt durch den Ausfall von intervokalischem -v-, das im Fall von -ivi früher reduziert wird als bei -avi (s. hier vergleichend die Ausführungen zum Imperfekt, wo -ivi nicht auf -ii reduziert wird und so eine formale Parallelität über die Konjugationsklassen hinweg sowie eine Abgrenzung zum Perfekt erhalten bleibt). It. -ei-/ -etti-Perfekt Die Formen auf -ei (vgl. potei) sind keine direkten Fortsetzer von - EVI , wie man aufgrund der Entwicklungen - AVI > -ai, - IVI > -ii annehmen könnte (der Bildungstyp - EVI ist ausgefallen). Vielmehr liegt hier eine neue Perfektbildung vor, die in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der hochfrequenten Verben DARE und STARE steht. Die stammbetonten Formen von DARE entwickeln sich regelmäßig zu diedi, diede, diedero, DEDISTI (2. Pers. Sg.) entwickelt sich zu desti, DEDISTIS (2. Pers. Pl.) zu deste (Haplologie). Für die 1. Pers. Pl. kann entweder eine Synkope mit nachfolgender Assimilation ( DEDIMUS > *dedmo > demmo) oder Schwund von [d] und eine kompensatorische Längung nach Verlust des Semivokals angenommen werden ( DEDIMUS > *de mo > demmo). Auch für STARE lassen sich abhängig von der Betonungsstruktur unterschiedliche Ergebnisse ausmachen. Sekundäres * STETUI (klat. STETI ) führt zu it. stetti. Wie für die Formen von DARE kann für die 2. Pers. Sg. und Pl. auch hier von einer Haplologie ausgegangen werden (* STETUISTI > *stetesti > stesti). Auch für die 1. Pers. Pl. gelten die Ausführungen wie zu DARE gemacht ( STETIMUS > *stetmo > stemmo oder *steimo > stemmo, denkbar ist hier aber für dare wie fare auch eine Analogie zur 1. Pers. Pl. anderer Verben). Aus der Überlagerung der Stammmorphe der beiden hochfrequenten Verben ergeben sich weitere Varianten, vgl. z.B. lit. detti, dial. stiedi. Ausgangspunkt <?page no="113"?> II Morphologie 112 für die Herausbildung und Verbreitung des -etti- und des -ei-Perfekt ist nun die Übertragung des Bildungstyps von stare und dare auf andere Verben, und zwar zunächst auf solche, deren Stamm auf Dentalkonsonant auslautet (s. z.B. VÉNDIDI => VENDÉDI > it. vendei, hier liegt also eine Rekomposition vor, d.h. das Verb wird als Kompositum mit DARE interpretiert). Aufgrund der so erreichten Entsprechungen in den Paradigmen von DARE , STARE und VENDERE (desti, demmo, deste - stesti, stemmo, steste - vendesti, vendemmo, vendeste) wird eine Analogie auch für die stammbetonten Formen des vendere-Paradigmas möglich (vgl. lit. vendetti, dial. vendiedi). Mit dem passato remoto vendei wird nun eine weitgehende Symmetrie zu den Paradigmen der Verben der -are- und -ire-Konjugation erreicht. Lediglich die bis ins Neuitalienische bestehende Varianz in der 1. und 3. Pers. Sg. wie der 3. Pers. Pl. (-etti neben -ei etc.) verweist auf die abweichende Entwicklung dieser Formen. Der neue Bildungstyp wird in der Folge auf weitere Verben der II Konjugation wie auf andere hoch frequente und daher vielfach unregelmäßige Verben ausgedehnt (vgl. zumindest dial. andare (andetti), avere (etti), essere (setti) und fare (fetti)). Die Bildung auf -etti findet sich aber verschiedentlich auch bei Verben der -ire-Konjugation (so für concepire, consentire, fuggire, perseguire, seguire). Für Verben der II Konjugation ist altitalienisch die Konkurrenz äquivalenter Formen sehr auffällig, d.h. es finden sich parallel starke und schwache Perfektbildungen für dasselbe Verb, s. z.B. tesi - tendei, tendetti. Klat. - UI -Perfekt Für die stammbetonten Formen des - UI -Perfekt (s. diverse Neubildungen wie klat. VĒNI => vlat. * VENUI > it. venni; klat. BIBI => vlat. * BIBUI > it. bevvi) ist zunächst von einer Silbenreduktion und einer damit einhergehenden Devokalisierung für [u] (> [w], *[venwi], *[bibwi]) auszugehen. In der Folge schwindet der Semikonsonant bei gleichzeitiger Längung des stammauslautenden Konsonanten, wobei dies möglicherweise kompensatorisch für den Verlust des Semikonsonanten erfolgt, vgl. * CÁDUI [ kadwi] > caddi. Lediglich die Sequenz [kw] bleibt immer erhalten (vgl. piacqui, nicht *piacchi), der Grund dafür liegt möglicherweise in der Velarität der beiden Laute. Bei einigen Verben, deren Stamm auf Liquid endet, wird [u] des Hiats über [w] zu [v] gestärkt und damit der Silbenkontakt verbessert: klat. PARUI > it. parvi, klat. DOLUIT > ait. noch dolve (neben dolse), aber klat. VOLUI > it. volli. Der (sekundär entstandene) Semikonsonant tritt nun aber in den endungsbetonten Formen auffälligerweise nicht auf, und auch eine Längung des vorausgehenden Konsonanten erfolgt nicht (vgl. vlat. * CADUISTI - it. cadesti, vgl. klat. CE - CIDISTI ). Bei einem Vergleich der endungsbetonten Formen verschiedener Verben (cadesti, piacesti (vgl. klat. PLACUISTI ), scrivesti (klat. SCRIPSESTI )) wird deutlich, dass es sich hier nicht um regulär, auf der Basis der klassischlateinischen Formen entwickelte Morphe handelt - bei lautgesetzlicher Entwicklung wäre *cecidesti, *piaquesti bzw. *scrissesti erwartbar. Offensichtlich ist hier das Stammmorph durch cade-, piace-, scriveersetzt worden, das im Infinitiv, Gerund und Imperfekt auftritt. <?page no="114"?> 6 Verbalmorphologie 113 Schwaches Perfekt Die regelmäßig entwickelten schwachen Perfektbildungen weisen altitalienisch folgende Endungen auf: -are-Konj. (I Konj.) AMÁRE -ere-Konj. (II Konj.) MONÉRE -ire-Konj. (IV Konj.) AUDÍRE 1. Pers. Sg. AMAVI MONUI AUDIVI 2. Pers. Sg. AMAVISTI MONUISTI AUDIVISTI 3. Pers. Sg. AMAVIT MONUIT AUDIVIT 1. Pers. Pl. AMAVIMUS MONUIMUS AUDIVIMUS 2. Pers. Pl. AMAVISTIS MONUISTIS AUDIVITES 3. Pers. Pl. AMAVERUNT MONUERUNT AUDIVERUNT are-Konj. (I Konj.) -ére/ ´-ere -Konj. (II Konj.) -ire-Konj. (III Konj.) 1. Pers. Sg. -ài -éi/ -etti -ìi 2. Pers. Sg. -àsti -ésti -ìsti 3. Pers. Sg. -ò -é(o)/ -ètte -ì(o), -ì(e) 1. Pers. Pl. -àmmo -émmo -ìmmo 2. Pers. Pl. -àste -éste -ìste 3. Pers. Pl. -àro(no) -éro(no)/ -ettero -ìro(no) Was das Formeninventar betrifft, so ist für die 1. Pers. Sg. der III Konjugation die Reduktion der Endung auf -i zu ergänzen (senti’). Für die Verben der II und III Konjugation sind darüber hinaus Formen auf -o anstelle von -i für die 1. Pers. Sg. belegt, die damit formal mit denjenigen der 3. Pers. Sg. zusammenfallen und möglicherweise durch Analogie zum Präsensparadigma bedingt sind (poteo, sentio, uscìo). Wie bereits für den Konditional gesehen (s. analytische Bildung mit der Perfektform * HEBUI ), kann in der 2. Pers. Sg. eine Verschmelzung des postverbalen Subjektpronomens mit dem Verb eintreten (möglicherweise haplologisch erklärbar), vgl. vedesti tu > vedestu, s. auch avestu, provedestu. Für die 3. Pers. Sg. der I Konjugation ist zunächst die Entwicklung von - AVIT zu erläutern. Spätlateinisch bzw. vulgärlateinisch sind unterschiedliche Formen belegt, so - AIT mit Ausfall des - V - und - AUT mit Vokalisierung von - V - oder auch - AT mit Reduktion der in anderen Formen des Paradigmas silbenbildenden Sequenz - VI -. Während für die 1. Pers. Sg., wie schon gesehen, die Reduktion von - V angenommen werden kann (klat. - AVI > it. -ai), ist für die 3. Pers. Sg. aber am ehesten die Vokalisierung des Semikonsonanten als Grundlage für das italienische Ergebnis anzunehmen ([w] > [u], also - AUT > -ò). Auf der Basis der Form cantò, divorò etc. sind die Pluralformen cantonno, divoronno etc. gebildet, die lediglich die Anfügung von -no zeigen. Auffällig im Vergleich zum Neuitalienischen sind nun insbesondere die Formen -éo und -ìo der II und III Konjugation (ab der 2. Hälfte des 13. Jh. finden sich häufiger die Formen -ette, -é, -ì). Für die III Konjugation findet sich ergänzend auch -ìe mit epithetischem -e. Die Endungen -eo, -io <?page no="115"?> II Morphologie 114 (seltener, v.a. in der Lyrik -ao) treten verschiedentlich bei den frühen toskanischen Autoren auf, sie sind wohl auf sizilianischen Einfluss zurückzuführen. Für die Entwicklung der 1. Pers. Pl. ist eine Synkopierung und nachfolgende Assimilation denkbar (- AVIMU > *-avmo > -ammo). Möglich ist aber auch eine Vokalisierung für - V - und der nachfolgende Ausfall des entstehenden Vokals, was mit einer kompensatorischen Längung des Konsonanten einhergeht (- AVIMU > *-aumo > -ammo). Was die 3. Pers. Pl. betrifft, so sind in der Tabelle nur einige der belegten Endungen aufgeführt. Neben -àro/ -éro/ -ìro findet sich proparoxytones -àrono/ -érono/ -ìrono (s. auch bei starken Perfektformen, vgl. fecerono, disserono), aber auch -orono mit der Ersetzung von thematischem -ain der I Konjugation. Dabei sind die Formen ohne -no wohl älter. Eine Analogie zur jeweiligen singularischen Form wird daher nicht nur in der I Konjugation sichtbar (cantò - cantorono; vgl. auch -érono, -ìrono). Die Anfügung von -no erfolgt nicht bei Formen, die im Singular -ette haben (s. credettero, temettero). Für die II und III Konjugation ist weiter die Endung -iero belegt (anstelle von -ero, -iro), wobei hier möglicherweise eine Analogie zur Form diero (dare) gegeben ist. Ab dem 13. Jh. tritt zudem ´-eno anstelle von ´-ero auf, möglicherweise durch westlichen Einfluss bedingt. Zum Neuitalienischen setzen sich letztlich die proparoxytonen Formen -àrono, -érono, -éttero, -ìrono durch. Starkes Perfekt Wie erläutert ist für das starke Perfekt zwar eine Stammallomorphie sowie eine Vielzahl an Bildungstypen zu beachten. Für die Endungen ergibt sich aber ein vergleichsweise einheitliches Bild: Kons. Konj. (III Konj.) DUCERE 1. Pers. Sg. DUXI 2. Pers. Sg. DUXISTI 3. Pers. Sg. DUXIT 1. Pers. Pl. DUXIMUS 2. Pers. Pl. DUXISTIS 3. Pers. Pl. DUXERUNT ´-ere -Konj. (II Konj.) -ire-Konj. (III Konj.) 1. Pers. Sg. -i -i 2. Pers. Sg. -ésti -ìsti 3. Pers. Sg. -e -e 1. Pers. Pl. -émmo -ìmmo 2. Pers. Pl. -éste -ìste 3. Pers. Pl. -ero, -ono -ero, -ono <?page no="116"?> 6 Verbalmorphologie 115 Auch hier seien einige Ergänzungen zur 3. Pers. Pl. gemacht: Optional wird die Endung -ero durch -ono ersetzt (vgl. vollero - vollono, dissero - dissono). Zusätzlich zu diesen Varianten existieren als Endungsallomorphe weiter -oro, auch eine Anfügung von -no an die Form der 3. Pers. Sg. ist möglich (im Florentinischen sind die Formen lucchesisch bzw. pisanisch beeinflusst, vgl. volleno, funno). Einige Verben zeigen altitalienisch noch schwache Perfektbildung, vgl. perdei, rendei, vivette, asolvette, tacette, concedette, rompettero - die starken Perfektformen treten erst später (wieder) auf. Umgekehrt gibt es auch Verben, die ihr Perfekt altitalienisch stark, neuitalienisch dagegen schwach bilden, vgl. aperse, iscoperse, so(f)ferse. 6.2 Infinite Verbformen 6.2.1 Infinitiv Von den lateinischen Infinitivformen wird lediglich diejenige des Präsens Aktiv fortgesetzt (vgl. Präsens Passiv: PORTARI => essere portato; Perfekt Aktiv: POR - TAVISSE => aver portato; Perfekt Passiv: PORTATUM ESSE => essere stato portato). Zur lautlichen Entwicklung des Formenbestands lassen sich vergleichend die Ausführungen zum Futur und Konditional heranziehen (II 6.1.3, 6.1.4). Für die stammbetonten Infinitive (klat. kons. Konjugation, it. ´-ere) treten vielfach Synkopierungen und nachfolgend Assimilationen ein, die sich neuitalienisch in Formen wie trarre oder porre widerspiegeln. Altitalienisch gibt es noch Schwankungen, so etwa im Falle unregelmäßiger Verben (vgl. ait. dicere - dire, ponere - porre), in anderen Fällen dominiert bereits die reduzierte Form (vgl. bere, fare, torre vs. nit. togliere; dialektal finden sich aber verschiedentlich noch die Langformen bevere, dicere etc.). Differenzen ergeben sich altvs. neuitalienisch z.T. in der Konjugationsklassenzugehörigkeit einzelner Verben (nit. pentire - ait. pentere; nit. capire - ait. capere etc., s. II 6 zum Konjugationsklassenwechsel). 6.2.2 Gerund und Partizip Präsens Für das Gerund ergeben sich keine wichtigen Abweichungen des Formenbestands zum Neuitalienischen - während für die I Konjugation lediglich die Form -ando auftritt, liegt für die II und III Konjugation -endo mit der Variante -iendo vor (sappiendo, abbiendo, finiendo, partiendo, puniendo; veggiendo neben vedendo, sagliendo neben salendo, vegniendo neben venendo; vgl. klat. Abl. - ERE -Konjugation: LEGEN - DO , kons. Konjugation: LEGENDO vs. gem. Konjugation: CAPIENDO , - IRE -Konjugation: AUDIENDO ). Ähnlich stellt sich die Situation für das Partizip Präsens dar (-ante für die I Konjugation, -ente/ -iente für die II und III Konjugation, vgl. ub(b)idente neben ub(b)idiente, convenente (vielfach substantivisch gebraucht) neben conveniente, volente neben vogliente, splendente neben splendiente, s. auch sapiente/ sacciente ohne die Parallelform sapente im Korpus). Die Bildung des Partizip reflektiert also noch partiell die lateinischen Verhältnisse (-iebei Verben der I - und der gemischten Konjugation). Die verschiedentlich auftretende Verbindung des <?page no="117"?> II Morphologie 116 Gerund mit der Präposition in (in mangiando) betont, dass die durch das Gerund ausgedrückte Tätigkeit im Verlauf befindlich ist (s. klat. IN + Abl., vgl. auch frz. en mangeant). 6.2.3 Partizip Perfekt Ähnlich wie für die Perfektbildung gesehen, lassen sich für das Partizip schwache und starke Bildungen unterscheiden. Das schwache Partzip wird gebildet mit -àto, -ùto, -ìto. Vereinzelt finden sich für Verben der I Konjugation Kurzformen (vgl. cerco neben cercato), die sich aber neuitalienisch nur ausnahmsweise, und zwar als Adjektive (vgl. pago ‚zufrieden‘, sazio ‚satt‘, spoglio ‚kahl‘, ‚nackt‘, tocco ‚verrückt‘) erhalten haben. Die Bildung von Kurzpartizipien hat ihre Basis in der Koexistenz lateinisch einfacher und derivierter Verben und ihrer jeweiligen Partizipien, vgl. CANERE - CANTUM / CANTARE - CANTATUM , VOLGERE - VOLTO / VOL - TARE - VOLTATUM etc. Dass Kurzpartizipien wie cerco, tocco etc. nicht fortgesetzt werden, dürfte hauptsächlich an der mangelnden formalen Kennzeichnung liegen (s. aber auch die Homophonie mit deverbalen Substantiven, s. z.B. accordo). Ähnlich wie für das Perfekt gesehen, liegen in einigen Fällen Dubletten vor, die durch die Entwicklung stark und schwach gebildeter Partizipialformen begründet sind (vgl. veduto - visto, (es)suto - stato, letzteres ist etymologisch betrachtet eigentlich das Partizip zu STARE ); verschiedentlich besteht diese Allomorphie bis ins Neuitalienische. Die Endung -ùto findet sich verschiedentlich anstelle von -ìto bei den Verben der III Konjugation und setzt sich etwa bei venuto und seinen Komposita durch, wobei sich -ùto zunächst v.a. in der Lyrik findet. Was die Genese der Endung -ùto betrifft, so ist die Basis wohl in den Formen des Verbs BATTUERE zu suchen, das im Präsensparadigma den Velarvokal infolge der Akzentverlagerung auf die Initialsilbe verliert, woraus eine neue Infinitivform auf -ere resultiert (klat. BATTÚERE > vlat. BÁTTUERE > BÁTTERE ). Das Segment - UTU wird entsprechend als Partizipendung interpretiert (- U ist aber ja eigentlich ursprünglich Stammvokal) und in der Folge auf andere Verben der II/ III Konjugation übertragen. Für das starke Partizip lassen sich nun italienisch einzelne Typen differenzieren: a) Ein erster Typ ist mit Formen wie rimaso (< klat. REMANSUM ), preso (< klat. PREHENSUM ), corso (< klat. CURSUM ), morso (< klat. MORSUM ) gegeben: Das Stammallomorph ist dasjenige des Perfekt. Es handelt sich bei den fraglichen Verben um solche, die im Präsensstamm auf -n-, -r-, -d- (nach Vokal) ausgehen (z.T. werden die Partizipformen neuitalienisch fortgesetzt, z.T. ersetzt durch Bildungen auf -sto: nascosto (vlat. INABSCONDITUM ), rimasto, die analog zu chiesto (< klat. QUAESITUM ), posto (< klat. POSITUM ) gebildet werden, vgl. hierzu auch die Parallelen im Präsensstamm). b) Ein zweiter Typ ist mit Formen wie vinto (vgl. klat. VICTUM ), letto (< klat. LECTUM ), spento (vlat. EXPICTUM ), raccolto (vgl. klat. COLLECTUM ) belegt: In diesem Fall endet der Stamm des Perfekt auf Sibilant (einfach oder geminiert), der des Partizip dagegen auf -(t)t- - diese Bildung ist typisch <?page no="118"?> 6 Verbalmorphologie 117 für Verben, deren Präsensstamm auf eine palatale Affrikate (s. vincere, leggere), einen palatalen Nasal (spegnere) oder einen Lateral (raccogliere) ausgeht. c) Ein dritter Typ schließlich liegt mit den Formen messo (< klat. MISSUM ), nato (< klat. NATUM ), rotto (< klat. RUPTUM ), posto (< klat. POSITUM ) vor - im Perfekt liegen jeweils unterschiedliche Stämme vor, im Vergleich zu den unter a) und b) genannten Typen lässt sich zudem eine Abweichung zum Präsensstamm ausmachen. Dieser Typ zeigt einige analoge Bildungen (visto, rimasto, nascosto). 6.3 Unregelmäßige Verben Die neuitalienisch als unregelmäßig bekannten Verben zeigen auch im Altitalienischen Besonderheiten in der Entwicklung und eine entsprechend große Formenvielfalt. Nachfolgend werden die Paradigmen des Indikativ und Konjunktiv Präsens sowie des Indikativ Perfekt (passato remoto) vollständig angeführt und durch im Korpus belegte Formen ergänzt. Die übrigen Paradigmen zeigen eine größere Regularität in ihrer Entwicklung (s. hier auch die Ausführungen zur Stammallomorphie, in II 6). 6.3.1 Dare, stare Die Formen des Indikativ Präsens, Imperfekt, Futur, Konditional, Imperativ, Konjunktiv Imperfekt, Infinitiv, Gerund, Partizip Perfekt sowie das schwache Perfekt von dare und stare zeigen im Stamm lediglich dbzw. st-. Die Imperfektformen stavavamo oder davava (neben stavamo, dava) zeigen eine Erweiterung des Verbstamms, möglicherweise in Analogie zu avere (auf der Basis der Formen avavamo, avavate, die neben avevamo, avevate auftreten). Parallel zur Partizipform dato tritt datto auf, das analog zu fatto sein dürfte. Für den Konjunktiv Präsens liegen die Stammvarianten de-, ste- und di-, stivor (s. klat. DEM , DES etc. => DEAM , DEAS etc. (analog zu Verben der - ERE -Konjugation) > ait. dea, dia; vgl. entsprechend für stare die Formen stea, stia). Dia, stia sind wohl analog zur entsprechenden Form von essere (si-: sia) gebildet (denkbar ist auch eine Schließung im Hiat wie bei avia). Auch im Konjunktiv Imperfekt gibt es Schwankungen (s. dasse, dasseno neben dessi, desseno, dessino). Dare hat, wie bereits gesehen, ein starkes Perfekt mit dem Stamm died- (in der 3. Pers. Sg. auch diè, vgl. auch diero, dierono für die 3. Pers. Pl.). Analog zu stetti bildet dare in der Folge auch ein schwaches Perfekt aus (detti). Für das Futur findet sich neben darò auch derò, das wie essere (II 6.3.7) Schwankungen im Verbstamm reflektiert. Der Stamm derist aber interessanterweise für das Konditional im Altflorentinischen nicht belegt; die Formen für die 3. Pers. Pl. lauten hier dareb(b)ono bzw. dareb(b)ero und dariano (dariano ist im OVI-Korpus nicht belegt, aber auf der Basis der Singularform daria anzunehmen)/ darieno. Die reduzierte Form drtritt sehr selten auf (Futur 2. Pers. Sg. drai, Konditional 3. Pers. Sg. dria). <?page no="119"?> II Morphologie 118 dare (Partizip Perfekt dat(t)o, Gerund dando, Partizip Präsens dante, Pl. danti), klat. DARE Ind. Präs. Konj. Präs. Ind. Perf. 1. Pers. Sg. DO DEAM DEDI 2. Pers. Sg. DAS DEAS DEDISTI 3. Pers. Sg. DAT DEAT DEDIT 1. Pers. Pl. DAMUS DEAMUS DEDIMUS 2. Pers. Pl. DATIS DEATIS DEDITIS 3. Pers. Pl. DANT DEANT DEDERUNT Ind. Präs. Konj. Präs. Ind. Perf. 1. Pers. Sg. do dea, dia, deia d(i)edi/ dies(s)i 2. Pers. Sg. dai dea, dia desti 3. Pers. Sg. dà(e) dea, dia, deia diede, diè/ diese/ dette 1. Pers. Pl. diamo, demo diamo de(m)mo 2. Pers. Pl. date diate d(a)este 3. Pers. Pl. danno deano, diano, deno, dieno d(i)edero, dierono, dero(no), dedono/ deseno, des(s)ono, dessoro Für die Formen des stare-Paradigmas ist ergänzend festzuhalten, dass für den Indikativ Imperfekt offensichtlich altitalienisch die Formen stava/ stavano dominieren und auch stavaro (3. Pers. Pl.) noch gebräuchlich ist (Einzelbeleg im OVI- Korpus). Anders als für dare ist für den Konjunktiv Imperfekt lediglich der Stamm stessbelegt (stessero, stessono). Parallelen zum Paradigma von dare zeigen sich nun wieder bei den Futur- und Konditionalformen: Im Futur sind starà und sterà (s. vereinzelt auch strà) gebräuchlich, im Konditional tritt dagegen nur der Stamm starauf (vgl. 3. Pers. Pl. stariano neben stareb(b)ero, stareb(b)ono, stareb(b)eno). stare (Partizip Perfekt stat(t)o, Gerund stando, Partizip Präsens stante, Pl. stanti), klat. STARE Ind. Präs. Konj. Präs. Ind. Perf. 1. Pers. Sg. STO STEAM STETI 2. Pers. Sg. STAS STEAS STETISTI 3. Pers. Sg. STAT STEAT STETIT 1. Pers. Pl. STAMUS STEAMUS STETIMUS 2. Pers. Pl. STATIS STEATIS STETISTIS 3. Pers. Pl. STANT STEANT STETERUNT <?page no="120"?> 6 Verbalmorphologie 119 Ind. Präs. Konj. Präs. Ind. Perf. 1. Pers. Sg. sto stea, stia stet(t)i 2. Pers. Sg. stai, sté stea, stei stesti 3. Pers. Sg. sta(e) stea, stia stet(t)e/ stes(s)e 1. Pers. Pl. stiamo stiamo stemmo 2. Pers. Pl. state stiate steste 3. Pers. Pl. stan(n)o steano, stiano, steno, stieno stet(t)ero, stet(t)eno, stet(t)ono/ steser o 6.3.2 Dire, fare Die nicht-markierten Stammmorphe von dire und fare sind ait. dice- und face- (vgl. ait. diceauch für das Futur und den Konditional: dicerà, dicerebbe). Z.T. treten die kürzeren Stämme di- und faaber bereits parallel zu diesen auf - so in den synkopierten Infinitivformen fare und dire, im Futur (dirò, farò neben poetischem diraggio, faraggio/ feraggio), im Konditional (direi, farei) sowie in einigen Formen des Indikativ Präsens und im Imperativ. Die größten Unterschiede zum Neuitalienischen bestehen im Indikativ Präsens (vgl. 1. Pers. Sg. fo neben faccio, 2. Pers. Sg. di’). Ein Stamm feist in den schwachen Perfektformen fei, festi, fé, femmo, feste, fero belegt. Ein weiteres Morph ist mit di[k]bzw. fa[ttʃ]gegeben, das in den Formen der 1. Pers. Sg. Indikativ Präsens (di[k]auch in der 3. Pers. Pl.) sowie im Konjunktiv auftritt (s. aber für die 1. Pers. Pl. di[tʃ]-). Das starke Perfekt zeigt die Stämme diss- und fe[tʃ]- (dissi, disse, dissero; feci, fece, fecero), das Partizip Perfekt schließlich dett- und fatt- (detto, fatto). Wie gesehen wird bei Verben der II und III Konjugation vielfach -vder Imperfektendung getilgt, so auch im Fall von dire (dicea, s. auch mit Hebung im Hiat dicia neben dicie). Interessant sind auch die Belege für diciavamo (neben dicevamo) für die 1. Pers. Pl., das wohl, wie schon für dare und stare gesehen, analog zu avavamo gebildet ist. Für das Paradigma von fare seien die Form farabbo (1. Pers. Sg. Futur) sowie die auch von regulären Verben bekannte Formenvielfalt für den Indikativ Imperfekt angeführt (3. Pers. Pl.: facevano, faceano, faciano, facieno, facieano). Ergänzend sei zu den Futurformen auf die Endungen in der 1. Pers. Pl. hingewiesen - gerade für dire findet sich eine große Varianz v.a. bei den Formen mit reduziertem Stammmorph: diremo, direno, dirimo, diramo, wobei die vokalischen Abweichungen auf Analogien zu den übrigen Konjugationsklassen zurückzuführen sein dürften. <?page no="121"?> II Morphologie 120 dire (Variante dicere; Partizip Perfekt det(t)o, Gerund dicendo, Partizip Präsens dicente, Pl. dicenti), klat. DICERE Ind. Präs. Konj. Präs. Ind. Perf. 1. Pers. Sg. DICO DICIAM DIXI 2. Pers. Sg. DICES DICIAS DIXISTI 3. Pers. Sg. DICET DICIAT DIXIT 1. Pers. Pl. DICEMUS DICIAMUS DIXIMUS 2. Pers. Pl. DICETIS DICIATIS DIXISTIS 3. Pers. Pl. DICENT DICIANT DIXERUNT Ind. Präs. Konj. Präs. Ind. Perf. 1. Pers. Sg. dico dica dissi 2. Pers. Sg. dici, di’ dichi, dica, diche dicesti 3. Pers. Sg. dice dica disse, dissìe 1. Pers. Pl. diciamo, dicemo diciamo dicemmo 2. Pers. Pl. dite/ dicete diciate diceste 3. Pers. Pl. dicono, diceno dicano dissero, disseno, dissono fare (Partizip Perfekt fatto, Gerund facendo/ facc(i)endo, Partizip Präsens fac(c)ente, Pl. fac(c)enti), klat. FACERE Ind. Präs. Konj. Präs. Ind. Perf. 1. Pers. Sg. FACIO FACIAM FECI 2. Pers. Sg. FACIS FACIAS FECISTI 3. Pers. Sg. FACIT FACIAT FECIT 1. Pers. Pl. FACIMUS FACIAMUS FECIMUS 2. Pers. Pl. FACITIS FACIATIS FECISTIS 3. Pers. Pl. FACIUNT FACIANT FECERUNT Ind. Präs. Konj. Präs. Ind. Perf. 1. Pers. Sg. fo(e), faccio faccia feci/ fei, fe’ 2. Pers. Sg. fai facci, facce, faccia facesti/ festi 3. Pers. Sg. fa(e)/ fac(i)e faccia fec(i)e/ fé 1. Pers. Pl. facciamo, fac(i)emo facciamo facemmo/ femmo 2. Pers. Pl. fate, facete facciate faceste/ feste 3. Pers. Pl. fanno/ faciono facciano, fac(c)ino fecero, feceno, fecioro, feciono/ fero(no) <?page no="122"?> 6 Verbalmorphologie 121 6.3.3 Avere, sapere Avere und sapere haben ave- und sapebzw. saveals unmarkierte Stämme (Infinitiv, Futur, Konditional, Gerund, Indikativ und Konjunktiv Imperfekt, Indikativ Präsens, vgl. (h)ave, sape, schwaches Perfekt sowie Partizip Perfekt, vgl. avuto, saputo). Dabei wird savebevorzugt in der Lyrik verwendet, es tritt allerdings nicht im Konditional mit -ebbe auf (vgl. savria, aber sap(e)rebbe). Für die Formen des Indikativ Imperfekt ist auch die Variante avafür avere zu berücksichtigen. Die weiteren Allomorphe abbi- und sappitreten im Konjunktiv Präsens und im Gerund auf (vgl. z.B. ab(b)iendo). Die Stämme abb- und sappliegen in der 1. Pers. Sg. Ind. Präsens vor (abbo, sappo, s. parallel wohl Entwicklung der Reduktionsformen * AO > ho, * SAO > so). Die übrigen Formen des Indikativ Präsens werden mit dem Morph a- (s. aber Reduktion des Morphs im Fall der stammbetonten Formen, (h)o, (h)a, (h)anno) bzw. sagebildet. Mit awerden auch Varianten der Futur-, Konditional- und Partizipialformen gebildet (aranno, arebbe, auto neben avranno, avrebbe, avuto). Zusätzlich zu den genannten Stammmorphen gibt es weiter a[ddʒ]- und sa[ttʃ]-, die in der 1. Pers. Sg. Indikativ Präsens (aggio, saccio) sowie im Konjunktiv auftreten. Das starke Perfekt zeigt die Varianten ebb- und sepp- (s. klat. SAPIVI , vlat. * SAPUI ) mit Apophonie für die stammbetonten Formen. Neben der Vielzahl unterschiedlicher Stammmorphe zeigt sich für die einzelnen Paradigmen auch für die Endungen ein hohes Maß an Varianz: Für den Indikativ Imperfekt sind etwa für die 3. Pers. Sg. die Varianten aveva, avea, avia, avie, aveia, abia, ava belegt; auch die 1. Pers. Pl. erweist sich als noch relativ instabil (abbiavamo, avavamo, avamo, aviamo). Als weiteres Beispiel sei hier die 3. Pers. Pl. des Konditional angeführt: av(e)rebbono, av(e)rebbero, arebbono, av(a)ren (wie für die regulären Verben ist für die 2. Pers. Sg. eine Form mit enklitischem Personalpronomen belegt: avrestu). avere (Variante a(v)ire; Partizip Perfekt avuto/ auto, Gerund a(b)biendo/ avendo, Partizip Präsens avente, avriente, abbiente, Pl. aventi, avrienti, abbienti), klat. HABERE Ind. Präs. Konj. Präs. Ind. Perf. 1. Pers. Sg. HABEO HABEAM HABUI 2. Pers. Sg. HABES HABEAS HABUISTI 3. Pers. Sg. HABET HABEAT HABUIT 1. Pers. Pl. HABEMUS HABEAMUS HABUIMUS 2. Pers. Pl. HABETIS HABEATIS HABUISTIS 3. Pers. Pl. HABENT HABEANT HABUERUNT <?page no="123"?> II Morphologie 122 Ind. Präs. Konj. Präs. Ind. Perf. 1. Pers. Sg. ho(e), ò(e), aio, ao/ aggio/ abbo a(b)bia, abbi/ a(g)gia/ aia e(b)bi/ èi 2. Pers. Sg. hai, ài abbi, a(b)bie/ agg(i)e avesti 3. Pers. Sg. ha(e), à(e)/ (h)ave a(b)bia, abbi/ a(g)gia/ aia e(b)be 1. Pers. Pl. avemo, avén, avamo, aviamo/ a(b)biamo abbiamo/ aviamo/ aggiàm, aggiàn avemmo 2. Pers. Pl. avete a(b)biate/ aggiate aveste, avesti 3. Pers. Pl. hanno, àn(n)o a(b)biano, abino/ aggian(o) eb(b)ero, eb(b)ono, eb(b)oro, eb(b)eno Auch für sapere seien einige ergänzende Beispiele angeführt, wenngleich hier die intraparadigmatische Varianz weniger stark ausfällt. Für den Indikativ Imperfekt seien hier die 1. Pers. Pl. mit den Formen sapavamo und savamo genannt (die neuitalienische Form sapevamo ist altflorentinisch nicht belegt). Für das Futur ist die Parallele von savraggio, saperò, saprò und wohl saverò bzw. savrò zu berücksichtigen (nicht altflorentinisch belegt, s. aber auf der Basis der Formen saverà/ saveranno bzw. savrà/ savranno anzunehmen; daneben wohl auch saparò). sapere (Variante savere, Partizip Perfekt saputo, Gerund sa(p)piendo/ sapendo, sapiando, Partizip Präsens sapiente, sacc(i)ente, Pl. sapienti, sacc(i)enti), vlat. SAPÉRE , klat. SÁPERE Ind. Präs. Konj. Präs. Ind. Perf. 1. Pers. Sg. SAPIO SAPIAM SAPIVI 2. Pers. Sg. SAPIS SAPIAS SAPIVISTI 3. Pers. Sg. SAPIT SAPIAT SAPIVIT 1. Pers. Pl. SAPIMUS SAPIAMUS SAPIVIMUS 2. Pers. Pl. SAPITIS SAPIATIS SAPIVISTIS 3. Pers. Pl. SAPIUNT SAPIANT SAPIVERUNT Ind. Präs. Konj. Präs. Ind. Perf. 1. Pers. Sg. so, sao/ saccio/ sap(p)o sa(p)pia, sapa/ saccia seppi 2. Pers. Sg. sai/ sacci sappi, sa(p)pie/ sacc(i)e, sacci sapesti 3. Pers. Sg. sa(e)/ sape/ save sa(p)pia, sapa/ saccia seppe 1. Pers. Pl. sapemo/ sappiamo/ savemo sappiamo sapemmo 2. Pers. Pl. sapete/ savete sappiate/ sacciate sapeste 3. Pers. Pl. sanno/ sap(i)eno sappiano/ saccian seppero, seppono, sepporo/ saperono <?page no="124"?> 6 Verbalmorphologie 123 6.3.4 Potere, volere POSSE und VELLE sind klasssischlateinisch stark unregelmäßig; sie werden vulgärlateinisch in die II Konjugation integriert und damit regularisiert (vlat. Infinitiv POTERE , VOLERE ). Unmarkiert sind altitalienisch die Morphe p(u)ot- und v(u)ol-, wobei die Alternanz zwischen stammbetonten Formen mit Diphthong und endungsbetonten Formen mit Monophthong (s. dittongo mobile) zu berücksichtigen ist. Die genannten Morphe treten im Indikativ und Konjunktiv Imperfekt, Futur, Konditional, im schwachen Perfekt, im Infinitiv, im Gerund und im Partizip Perfekt auf. Die größten Veränderungen ergeben sich im Paradigma des Indikativ Präsens - p(u)otist altitalienisch in den Formen der 3. Pers. Sg. sowie des Plurals dominant. Bei volere werden die Formen der 2. und 3. Pers. Sg. und der 1. und 2. Pers. Pl. mit dem Morph v(u)olgebildet. Für die 2. Pers. Sg. sind neben vuoli auch vuoi, vuo’ und vuogli belegt. Auch für puote sind altitalienisch bereits Kurzformen gebräuchlich, nämlich pò und può. Auf letzterer Form dürfte die Variante der 2. Pers. Sg. aufsetzen (puoi neben der regulär entwickelten Form puoti). Weitere Stammformen sind poss- und v(u)ogl-, die in Formen des Indikativ Präsens (posso, voglio mit der Variante vo’), des Konjunktiv Präsens (possa, voglia) und des Gerund auftreten (possendo, vogliendo, vgl. hier allerdings auch potendo, volendo). Allomorphie tritt auch in der 1. und der 3. Pers. Pl. auf (potemo, potiamo, possiamo/ volemo, vogliamo; p(u)oteno, possono). Die Formen des Perfekt werden mit pott- und vollbzw. volsgebildet (potti, pottero; volle, volse). Dabei dominiert vollüber die analoge Form vols-, die eine Generalisierung des s-Perfekt zeigt. Pottist nicht frequent im Altitalienischen und wird durch den Typ potei (schwaches Perfekt) ersetzt, auch volswird schließlich wieder zugunsten von voll- (< * VOLUI ) aufgegeben. Beispielhaft für die formale Varianz der Endungen seien auch hier zunächst für potere diejenigen der 3. Pers. Pl. des Indikativ Imperfekt angeführt: potevano, poteano, potiano, potieno, potearo. Wie bereits für einige weitere unregelmäßige Verben angeführt, liegt auch für potere für die 1. Pers. Pl. eine Form auf -avamo (potavamo neben potevamo) vor, die analog zu avavamo gebildet sein dürfte. Stammalternanz zeigen dagegen v.a. die Formen des Futur (s. z.B. 1. Pers. Sg. poraggio, poterò, porrò neben potrò; 3. Pers. Pl. poteranno, potranno, porranno) und des Konditional (s. z.B. 3. Pers. Sg. potrebbe, porrebbe/ potria, por(r)ia, porea). potere (Partizip Perfekt potuto/ possuto, Gerund potendo/ possendo, Partizip Präsens potente/ possente, Pl. potenti/ possenti), vlat. POTERE , klat. POSSE Ind. Präs. Konj. Präs. Ind. Perf. 1. Pers. Sg. POSSUM POSSIM POTUI 2. Pers. Sg. POTES POSSIS POTUISTI 3. Pers. Sg. POTEST POSSIT POTUIT 1. Pers. Pl. POSSUMUS POSSIMUS POTUIMUS 2. Pers. Pl. POTESTIS POSSITIS POTUISTIS 3. Pers. Pl. POSSUNT POSSINT POTUERUNT <?page no="125"?> II Morphologie 124 Ind. Präs. Konj. Präs. Ind. Perf. 1. Pers. Sg. posso possa potti/ potei 2. Pers. Sg. puoi, puo’, puoti p(u)ossi, posse potesti 3. Pers. Sg. può, pò, puote, pote possa, possi potte/ poté(o)/ potette 1. Pers. Pl. potemo, potiamo, potén/ possiamo possiamo pote(m)mo 2. Pers. Pl. potete/ possete possiate poteste 3. Pers. Pl. possono, possoro/ puoteno, ponno possano, possino pottero, pottono/ potero(no), potiero Für volere ist sowohl für die 1. als auch die 2. Pers. Pl. des Indikativ Imperfekt ähnlich wie für andere Verben gesehen der nicht regulär entwickelte Stamm volabelegt (volavamo, volavate). Für die 3. Pers. Pl. liegt bei der Variante vuoleano eine Analogie zu den stammbetonten Präsensformen vor. Ähnliche Schwankungen zeigt die 1. Pers. Pl. des Futur (voremo, vuoremo). volere (Partizip Perfekt voluto, Gerund vogliendo/ volendo, Partizip Präsens vogliente, volente, Pl. voglienti, volenti), vlat. VOLERE , klat. VELLE Ind. Präs. Konj. Präs. Ind. Perf. 1. Pers. Sg. VOLO VELIM VOLUI 2. Pers. Sg. VIS VELIS VOLUISTI 3. Pers. Sg. VULT VELIT VOLUIT 1. Pers. Pl. VOLUMIS VELIMUS VOLUIMUS 2. Pers. Pl. VOLTIS VELITIS VOLUISTIS 3. Pers. Pl. VOLUNT VELINT VOLUERUNT Ind. Präs. Konj. Präs. Ind. Perf. 1. Pers. Sg. voglio, vo’, voi voglia volli/ volsi 2. Pers. Sg. vuoli, voli, vuogli, vogli, vuoi, vòi, vuò voglia, vogli, voglie volesti 3. Pers. Sg. vuole, vole voglia volle, vuolle/ volse 1. Pers. Pl. volemo/ vogliamo, vogliemo vogliamo volemmo 2. Pers. Pl. volete vogliate voleste 3. Pers. Pl. vogliono, voglioro vogliano vollero, volloro, volliaro, vollono, volleno/ volsero, volsoro 6.3.5 Dovere Dovere bewahrt deutlicher als die bisher besprochenen Verben ein gewisses Maß an Varianz bis zum Neuitalienischen. Das zentrale Morph ist dov-, mit dem der <?page no="126"?> 6 Verbalmorphologie 125 Infinitiv, Formen des Indikativ Präsens, des Indikativ und Konjunktiv Imperfekt, des Futur und Konditional sowie des Partizip Perfekt und des Gerund gebildet werden. Detritt in einigen Präsensformen des Indikativ auf (dei, de(e), deono neben Varianten mit dev-; s. aflor. auch die ‚deve‘ und diono ‚devono‘), Gleiches gilt für debb- (debbo, debbe, debbiamo, debbono). Im Konjunktiv Präsens liegt die Variante debbivor, auch dobbiist für einige Konjunktivformen belegt (dobbiamo, dobbiate, verschiedentlich daneben auch Indikativ Präsens dobbono). Lediglich in der Lyrik tritt schließlich deggiauf (deggio, deggi). Stammallomorphie zeigt der Indikativ Imperfekt in der 1. Pers. Pl. mit dovavamo und dobbiavamo neben häufigerem dovevamo, aber auch in der 3. Pers. Pl.: deveano, deviano, devieno, debiaro, doveano, doviano, dovieno, dovearo, doviaro, doveno. dobiavano. Auch die Formen des Konjunktiv Imperfekt zeigen die Parallele der unterschiedlichen Stammmorphe: dovessero, dove(s)sono, de(b)baro, de(b)boro. dovere (Partizip Perfekt dovuto, Gerund dovendo, devendo/ dobbiendo, debbiendo, Partizip Präsens dovente, Pl.: doventi), klat. DEBERE Ind. Präs. Konj. Präs. Ind. Perf. 1. Pers. Sg. DEBEO DEBEAM DEBUI 2. Pers. Sg. DEBES DEBEAS DEBUISTI 3. Pers. Sg. DEBET DEBEAT DEBUIT 1. Pers. Pl. DEBEMUS DEBEAMUS DEBUIMUS 2. Pers. Pl. DEBETIS DEBEATIS DEBUISTIS 3. Pers. Pl. DEBEUNT DEBEANT DEBUERUNT Ind. Präs. Konj. Präs. Ind. Perf. 1. Pers. Sg. de(b)bo/ deggio/ deio debbia/ deggia, debba dovei 2. Pers. Sg. déi/ devi/ deggi, debbi de(b)bia, debbie/ deggie, deggi, de(b)bi dovesti 3. Pers. Sg. de(e), die, deie/ debbe/ deve debbia/ deggia/ deia, debba, debbi dové/ dovette 1. Pers. Pl. dovemo, doviamo/ do(b)biamo, debbiamo/ diemo dobbiamo dovemo 2. Pers. Pl. dovete do(b)biate/ de(b)biate/ deggiate doveste 3. Pers. Pl. deono, diono, de(e)no/ debbono, debbero, dobbono, debbore/ dino de(b)biano/ deggiano de(b)bino/ devano dovettero, doverono Das nachfolgende Beispiel zeigt, dass die unterschiedlichen Varianten parallel in einem Text auftreten können: […] e deono avere tucte le lengne de le viti quando si potano, debbore mectere, per mezzo, le canne, […] (Registro di Entrata e Uscita di Santa Maria di Cafaggio, 288.24) <?page no="127"?> II Morphologie 126 6.3.6 Essere Die Formen von essere zeigen keine so deutliche Gliederung nach Stammallomorphen wie die übrigen hier diskutierten Verben. Ausgehend von einem Morph slassen sich die Formen des Indikativ Präsens (so siamo, semo, lokal auch somo, s. auch * SES > sei vs. EST > ait. este (mit Epithese), è), des Futur und Konditional (sar-, ser-) sowie des Partizip Perfekt (suto neben essuto und seltener issuto) und des Gerund (sendo, nur im 14. Jh. belegt, parallel essendo) erklären. Bei den letztgenannten Formen handelt es sich jeweils um Kurzformen (Aphärese, s. ( ES ) SERE HABEO / * HEBUI ). Ein zweites Morph ist si-, das im Konjunktiv Präsens auftritt (sia, sie, s. klat. SIM , SIS , SIT => vlat. SIAM , SIAS , SIAT ) bzw. sie- (vlat * SETIS > siete; s. auch siemo). Essfindet sich im Infinitiv, Gerund und Partizip Präsens, weiter in der Form essuto (Partizip Perfekt). Sonist letztlich für die Form sono (1. Pers. Sg., 3. Pers. Pl. Ind. Präsens) stammbildend, das wie è (< EST ) aus dem Lateinischen fortgesetzt wird. Der Indikativ Imperfekt basiert auf dem Stammmorph ermit der Variante ierbei Betonung, d.h. mit regulärer Diphthongierung (v.a. in älteren florentinischen Texten belegt, vgl. 3. Pers. Sg. era, ere, iera; 3. Pers. Pl. erano, ereno, ierano, erono mit möglicher Analogie zu sono). Lediglich im Florentinischen tritt das aus den regelmäßigen Paradigmen bekannte Imperfektmorph -avauf (eravamo, eravate, auch eravano, daneben eramo, erate neben erano). Interessant ist hier auch die Form savamo für die 1. Pers. Pl. bzw. savate für die 2. Pers. Pl. Die Formen des starken Perfekt zeigen die Morphe fu-, fo-, fuo-, wobei auch hier die Varianz zumindest z.T. betonungsbedingt ist (fu, foste, fussero/ fussono; s. auch die Parallele von funno und fuoro). Auffällig für das Morph foist, dass dies häufig vor [s] auftritt, d.h. hier ist scheinbar eine Öffnung des Vokals erfolgt (s. in den übrigen Kontexten Generalisierung von fu-). Die Entwicklung des Stammmorphs fuoist unklar; möglicherweise ist die Form durch eine Überlagerung der Morphe fu- und fobedingt, denkbar ist - ausgehend von einem offenen [ɔ] - auch eine Diphthongierung. Der Konjunktiv Imperfekt ist neben der für das Perfekt aufgezeigten Parallele der Stammmorphe fu- und fodurch die auch für andere Verben genannte Heterogenität der Endungen gekennzeichnet, vgl. v.a. die Formen der 3. Pers. Pl.: fossero, fussero, fossono, fussono, fosseno, fusseno, fossoro, fussoro. Altitalienisch tritt neben die genannten Formen für das Futur als stilistisch hoch markierte Form fia(-) (Variante fie(-)) für die 3. Pers. Sg./ Pl. (fia/ fie, fiano/ fieno/ fiaro/ fier(ono)), das auf klat. FIERI zurückgeht und auf eine (vulgärlateinisch entstehende? ) Suppletion des essere-Paradigmas verweist (s. Futur 1. Pers. Sg. FIAM , 3. Pers. Sg./ Pl. FIET / FIENT , s. aufgrund der semantischen Nähe wohl wahrscheinlicher Fortsetzung des Konj. Präsens 3. Pers. Sg./ Pl. FIAT / FIANT ). Bereits in den frühen Texten sind allerdings schon die folgenden, sich im Weiteren durchsetzenden Formen belegt: 1. Pers. Sg.: sarò, serò, sarabbo, saraggio, seraggio, 2. Pers. Sg.: sarai, serai, 3. Pers. Sg.: sa(r)rà, serà, 1. Pers. Pl.: seremo, saren, 2. Pers. Pl.: serete, 3. Pers. Pl.: saranno, seranno, sarén. <?page no="128"?> 6 Verbalmorphologie 127 Auch der Konditional weist einen großen Formenreichtum auf: 1. Pers. Sg.: sarei, serei, sar(r)ia, seria/ foria, fora, 2. Pers. Sg.: saresti, seresti, sarestù, 3. Pers. Sg.: sarebbe, sarabbe, serebbe; sarave, sarea, saria, seria, sarie, 3. Pers. Pl.: sarebbero, serebbero, sarebbono, serebbono; sariano, sarieno, serieno/ forano (foriano ist im Korpus nicht belegt, aber auf der Basis der Singularform anzunehmen). Formal zeigt fora(no) die Fortsetzung des Indikativ Plusquamperfekt ( FUERAT , FUERANT ), für foria(no) dürfte eine Analogie zu den Konditionalformen auf -ia (s. auch saria) vorliegen. Altitalienisch dominiert die suppletive Perfektpartizipform stato (s. Verb stare), aber es finden sich auch noch Belege für essuto und suto (mit Aphärese), die die Bildung eines Partizip auf der Basis des vulgärlateinischen Infinitiv ESSERE suggerieren. essere (Variante essare, essore, Partizip Perfekt essuto, issuto, suto, stato, Gerund essendo/ sendo, Partizip Präsens essente, siante, Pl.: essenti, sianti), vlat. ESSERE , klat. ESSE Ind. Präs. Konj. Präs. Ind. Perf. 1. Pers. Sg. SUM SIM FUI 2. Pers. Sg. ES SIS FUISTI 3. Pers. Sg. EST SIT FUIT 1. Pers. Pl. SUMUS SIMUS FUIMUS 2. Pers. Pl. ESTIS SITIS FUISTIS 3. Pers. Pl. SUNT SINT FUERUNT Ind. Präs. Konj. Präs. Ind. Perf. 1. Pers. Sg. sono, so’ sia (sie) fui 2. Pers. Sg. se’ sia, sie, sii fosti, fusti, fostù 3. Pers. Sg. è/ este sia (sie) fu(e), fua, fo 1. Pers. Pl. semo, siamo, siemo siamo fu(m)mo 2. Pers. Pl. siete, sete siate foste, fosti 3. Pers. Pl. sono, so’/ seno siano, sieno fuoro(no), furo(no), funno, fuorno, furno, firono 6.3.7 Andare Zu andare schließlich ist zunächst anzumerken, dass die Distribution der Stammmorphe weitgehend derjenigen im Neuitalienischen entspricht - relevant sind hier v.a. and- (1. und 2. Pers. Pl. Indikativ Präsens, Konjunktiv, Futur, Konditional, schwaches Perfekt) sowie das suppletive Morph vadfür weitere Formen des Indikativ und Konjunktiv Präsens (vgl. klat. VADERE ). Die reduzierte Variante vfindet sich ebenfalls im Indikativ Präsens (vo, s. aber auch ait. Imperfekt 1. Pers. Pl. vavamo neben andavamo). Neuitalienisch sind solche Formen ausgefallen, die altitalienisch mit dem Morph ibzw. häufiger gi- (mit Anlautstärkung) gebildet werden und die auf klat. IRE zurückgehen. Dabei handelt es sich um ein- <?page no="129"?> II Morphologie 128 zelne Formen des Indikativ und Konjunktiv Präsens (s. Tabelle) und des Indikativ und Konjunktiv Imperfekt (Ind. 3. Pers. Sg. gi(v)a, 3. Pers. Pl. ivano, gi(v)ano, gieno; Konj. 3. Pers. Sg. gisse, 3. Pers. Pl. gissero neben Formen mit dem Stammmorph and-), des Futur (s. z.B. 2. Pers. Sg. girai, 2. Pers. Pl. irete, girete) und des Konditional sowie des Perfekt, des Infinitiv und des Partizip Perfekt, vgl. ire, ito; auch für den Imperativ finden sich iate und gite. Durch die Suppletion bedingt zeigen insbesondere die Futur- und Konditionalformen ein hohes Maß an Variation: Futur 1. Pers. Sg.: anderaggio, andrabbo, and(e)rò, girò, 2. Pers. Sg. andrai, girai, 3. Pers. Sg. and(e)rà, irà, girà, 2. Pers. Pl. and(e)rete, girete, irete; Konditional 3. Pers. Sg. and(e)rebbe, andria, giria. andare (Variante (g)ire, Partizip Perfekt andato, (g)ito, Gerund andando, gendo, Partizip Präsens andante, Pl.: andanti), suppletives Paradigma klat. AMBULARE , IRE , VADERE Ind. Präs. Konj. Präs. Ind. Perf. 1. Pers. Sg. EO EAM II 2. Pers. Sg. IS EAS ISTI 3. Pers. Sg. IT EAT IIT 1. Pers. Pl. IMUS EAMUS IIMUS 2. Pers. Pl. ITIS EATIS ISTIS 3. Pers. Pl. EUNT EANT IERUNT Ind. Präs. Konj. Präs. Ind. Perf. 1. Pers. Sg. vo(e), vado vada andai 2. Pers. Sg. vai, va’ vadi, vada, vade andasti/ gisti 3. Pers. Sg. va(e)/ anda vada ando(ie)/ gio, gì 1. Pers. Pl. andiamo/ gimo, giamo/ iamo andiamo/ giam(o) andammo/ gimmo 2. Pers. Pl. andate/ gite andiate andaste 3. Pers. Pl. vanno vadano, vadino/ andino andaro(no), andarno, andorono, endarono/ girono <?page no="130"?> 6 Verbalmorphologie 129 Zum Weiterlesen: Eine Darstellung wichtiger morphologischer Entwicklungen aus gemeinromanischer Perspektive findet sich bei A LKIRE / R OSEN (2010, Kap. 6-8), L EDGEWAY (2012), T AGLIAVINI (1998, Kap. IV), K LAUSENBURGER (2001, Kap. 2, 8-12). Allgemein zur italienischen Morphologie seien die folgenden Titel empfohlen: P ENELLO / B ENINCÀ / V ANELLI / M ASCHI (2010), P ATOTA (2007, Kap. IV), S ERIANNI (2003, Kap. 3), D'A CHILLE (2003, Kap. 3), Z AMBONI (1998; 2000), C ASTELLANI (2000, Kap. 5), D U- RANTE (1981, Kap. I). Sehr detailliert sind die Darstellungen in T EKAVČIĆ (1980, vol. II), R OHLFS (1949, vol. II), L AUSBERG (1972, vol. III), I LIES- CU / M OURIN (1981). Zu Teilbereichen der Morphologie seien folgende Titel genannt: Maiden (1992) zu morphologischem Wandel; D'A CHILLE / T HORNTON (2003), M AIDEN (1998a) zur Nominalmorphologie; V ANELLI (1998a; 1998b), R ENZI (2010) zum Artikel; V INCENT (1978), M AIDEN (2000), V ANELLI (2013), F ANCIULLO (1998), B RAMBILLA A GENO (1964), S QUARTINI (2010b; 2010c) zur Verbalmorphologie; P ALERMO (1997), E GERLAND / C AR - DINALETTI (2010), L OPORCARO (2002), L EONE (2003), A NTINUCCI / M AR - CANTONIO (1980), W ANNER (1987), G IUSTI (2010a), V ANELLI (2010) zu Pronomina; A NDREOSE (2010) zu Präpositionen; R ICCA (2010) zu Adverbien. Aufgaben 1) Diskutieren Sie auf der Basis des Beispielpaars uomo - uomini die umstrittene Herleitung des maskulinen Pluralmorphs -i! 2) Kommentieren Sie die Formen (due) anella, le mulina und le peccata mortali. In welchen Entwicklungszusammenhang sind sie einzuordnen? Nennen Sie weitere Beispiele! 3) grandissimi, giustissimamente, più riccamente: Erläutern Sie ausgehend von den Beispielen die Entwicklung der Komparativ- und Superlativformen vom Lateinischen zum Italienischen und berücksichtigen Sie dabei auch syntaktische Besonderheiten im Vergleich zum Neuitalienischen! 4) li buoni consigli, lo suo senno, la ‘ntenzione, l’amico, ir re, uno iscudiere, le sue arme, gli altri cavalieri: Erläutern Sie die Allomorphie des bestimmten und unbestimmten Artikels im Altitalienischen und erklären Sie die Entwicklung zum Neuitalienischen! 5) a lui, gli, egli, il, eglino, loro: Erläutern Sie die Entstehung des Formenparadigmas der Subjektpronomina der 3. Pers. Sg. und Pl. vom Lateinischen zum Alt- und Neuitalienischen! 6) sempre e in ogni luogo il dovete lodare; vogliendolne, priegovi: Wie entwickelt sich das System der unbetonten Objektpronomina vom Altitalienischen zum mo-   <?page no="131"?> II Morphologie 130 dernen gesprochenen und geschriebenen Italienisch weiter? Gehen Sie auch auf die Position des Pronomens in den angeführten Beispielen ein! 7) Geben Sie ausgehend von den Formen costui, costoro, questo frate, con questo einen Überblick über die Entwicklung der Demonstrativa vom Latein zum Italienischen. Informieren Sie sich über das Demonstrativsystem einer anderen romanischen Sprache und/ oder aktuelle Tendenzen im heutigen Italienisch! 8) Erklären Sie die Entstehung der Form veggio des Indikativ Präsens und begründen Sie die standarditalienische Form vedo! 9) Kommentieren Sie die Form semo (1. Pers. Pl. Ind. Präsens) sowie die Parallelität der beiden Partizipien (es)suto und stato für essere im Altitalienischen! 10) metteroe, rimarrae, dovrei, istareberono, hae pensato, erano venuti: Gibt es Parallelen in der Entwicklung der genannten Verbformen? 11) Kommentieren Sie die Imperfektformen dovea, facevano, avea, avia, stavavamo in lautlicher und morphologischer Hinsicht! 12) Skizzieren Sie die Entwicklung des passato remoto vom Lateinischen zum Alt- und Neuitalienischen und erläutern Sie, wie die Parallelität der unterschiedlichen Bildungstypen zu erklären ist: vide, disse, furo, ebbe, levò, compiè, venne, fue, rimase, rispuose, pregò! <?page no="132"?> III Syntax Die Entwicklungen auf der syntaktischen Ebene sind an die Fixierung der Wortstellung gebunden, die nicht nur auf nominalsyntaktischer Ebene relevant wird, sondern, die, wie im vorausgehenden Kapitel gesehen, eng mit dem Kasusabbau und einer allgemeinen Tendenz zur analytischen Ausdrucksweise zusammenhängt und damit typologisch interessant ist. Darüber hinaus werden Phänomene der komplexen Syntax, also der Subordination, sowie spezifisch altitalienische Entwicklungen wie die Parahypotaxe beleuchtet. 1 Nominalsyntax Im Folgenden stehen syntaktische Entwicklungen innerhalb des Nominalsyntagmas im Vordergrund. Für die Entwicklung vom Lateinischen zum Italienischen ist zunächst der Gebrauch der Personalpronomina für die Subjektwie die Objektfunktion zu betrachten, die in ihrer Entwicklung zu schwachtonigen Formen Stellungsspezifika und eine zunehmend enge Anbindung an das Verb zeigen. Mit Blick auf die Substantive ist die Verbindung mit Determinanten zunächst auf die Setzung des vulgärlateinisch neu entstehenden Artikels einzugehen; auf Demonstrativa und Possessiva in determinierender Funktion wird in diesem Kontext ebenfalls abgehoben. Innerhalb des Nominalsyntagmas lässt sich nicht nur für letztgenannte Elemente, sondern auch für Adjektive mit der Fixierung der Wortstellung eine Einschränkung der Stellungsvarianten vom Altzum Neuitalienischen feststellen. In diesem Kontext ist auch ein Phänomen der komplexen Syntax interessant, nämlich die Entwicklung des Relativsatzes. 1.1 Personalpronomina 1.1.1 Subjektpronomina Bereits altitalienisch treten vereinzelt Elemente, die sich vulgärlateinisch als oblique Formen entwickelt haben, in Subjektfunktion auf. Dazu gehören insbesondere die Pronomina der 3. Pers. Sg. lui und lei, seltener pluralisches loro (nur unmittelbar vor finitem Verb). Zum Neuitalienischen sind diese Formen für das betonte Paradigma generalisiert (d.h. lei, lui, loro können sowohl Subjektals auch Objektfunktion übernehmen). Als Kontexte für das Auftreten von lui, lei und loro im Altitaleinischen lassen sich ausmachen: a) absolute Konstruktionen (Gerundial- und Partizipialkonstruktionen), in denen das Subjekt jeweils postverbal erscheint (parallel sind auch die Formen egli, ella, eglino bzw. elle(no) möglich), sowie weitere latinisierende Gefüge mit Partizip Präsens oder AcI; <?page no="133"?> III Syntax 132 b) Trennung des Subjekts vom Verb (z.B. bei der Negation); c) Ellipse (beato lui! ). In allen Fällen ist aber auch die Setzung der nominativischen Form möglich: […] perché tanto valea in Roma il vigore e la temperanza dell’Africano, che malagevolemente, essendo lui vivo, si credea che potesse essere istata la battaglia, […] (Bono Giamboni, Orosio, L. 5, cap. 9, 293.22) […] la quale facendo manifesto al popolo della città, presente loro la ruppe, e dentro vi trovò uno belli[ssi]mo libro […] (Cronica fior., 127.20) Né lui né altri già ciò non credessse’: […] (Fiore, 94, v. 12, 190.13) Neben volltonigen Formen, wie sie in den vorausgehenden Beispielen vorliegen, gibt es wohl auch unbetonte Formen, die thematische Funktion übernehmen können und nicht markiert sind. Der Gebrauch der unterschiedlichen Pronomina hängt dabei in seiner Häufigkeit offensichtlich von der Textsorte ab. Die Annahme schwacher Formen scheint einerseits gerechtfertigt durch das Vorliegen einzelner Reduktionsformen (i’ (1. Pers. Sg.), e’ (3. Pers. Sg. mask., vgl. II 3.1; s. aber anders als neuitalienische Klitika vom Verb trennbar), andererseits durch die häufige Wiederholung des pronominalen Subjekts, wo dies neuitalienisch nicht erfolgt: […] e elli convertì alla fede quella gente barbara; e quando elli fu tornato ad Roma e papa Anastasio morì, e elli fu facto papa. (Cronica fior., 102.7) Dabei muss das Subjektpronomen in Thema-Funktion nicht zwingend gesetzt werden; neuitalienisch muss die Position dagegen besetzt sein (vgl. für das nachfolgende Beispiel z.B. lui) „Iscrivi“ disse quel re cortese „ch’io obligo l’anima mia a perpetua pregione infino a tanto che voi pagati siate“. _ Morio. Questi, dopo la morte, andaro al padre suo e domandaro la moneta. (Novellino, 18, 171.8) In der Verwendung als expletives, also rein grammatisches Subjekt ohne semantischen Gehalt treten egli, e’ und elli auf. Dieser Gebrauch ist im 13. Jh. verbreitet. Egli kann daneben auch als neutrales Pronomen im Sinne von nit. ciò gebraucht werden und wird mit dem 14. Jh. in dieser Funktion immer häufiger. E stando in queste novelle, e’ v’avea gran gente. (Disciplina Clericalis, 77.31) È, poi ch’elli fue dato loro copia [‚possibilità‘] di parlare, Ilioneo maggio di loro con piacevole portamento e con dolce voce così parlò. (Lancia, Eneide volg., L. 1, 170.33) 1.1.2 Objektpronomina Zunächst lässt sich festhalten, dass die Objektpronomina altitalienisch häufiger verwendet werden als neuitalienisch, und zwar in sämtlichen Kontexten, in denen ein Nominalsyntagma möglich ist. Dabei ist eine Differenzierung in betonte und schwachtonige oder klitische Pronomina möglich, auch wenn die beiden Reihen vielfach formal identisch sind (1. Pers. Sg. me, 2. Pers. Sg. te, 3. Pers. Sg. <?page no="134"?> 1 Nominalsyntax 133 lui/ lei, 1. Pers. Pl. noi, 2. Pers. Pl. voi, 3. Pers. Pl. loro). Dass altitalienisch bereits zwei Reihen für die Objektpronomina vorliegen, lässt sich aus den syntaktischen Regelhaftigkeiten erschließen, die die für die mittelalterliche Sprachstufe aller romanischen Idiome gültige legge Tobler-Mussafia ausmachen. Danach treten klitische Pronomina und Adverbien innerhalb eines Satzes nie in Erststellung auf, sondern stehen enklitisch zu einem in Erststellung erscheinenden betonten Element, v.a. zu einem Verb (auch nach einem mit se, quando oder perché eingeleiteten Gliedsatz; s. dadurch auch Trennung vom Verb möglich). Dies gilt auch nach Sätzen mit Gerund oder für koordinierte Sätze mit ma und e. Im Fall der Negation ist die Regel zur Enklise jedoch nicht gültig (s. hier auch Proklise bei postverbalem Subjekt möglich): Lo cavaliere, vedendo questo, ché non potea fare altro, dissegli: […] (Novellino, 23b, 185.20) „[…] e però quello cuore che io ti facea avere a lei, io l’ho meco, e portolo a donna la quale sarà tua difensione, come questa era.“ (Dante, Vita nuova, cap. 9, parr. 1-8, 35.10) […] e non solamente sono parole d’Orazio, ma dicele quasi recitando lo modo del buono Omero quivi ne la sua Poetria: […] (Dante, Vita nuova, cap. 25, parr. 1-10, 115.4) Ancora abbi paura / d’improntare a usura; / ma se ti pur convene / aver per spendere bene, […] (Brunetto Latini, Tesoretto, v. 1513, 228.27) Ed ella disse: - Cotesto non ti poss’io mostrare, […] (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 23, 45.1) In allen anderen Fällen ist die Enklise möglich, aber nicht obligatorisch. Als Grund für die legge Tobler-Mussafia werden prosodisch-rhythmische, syntaktische, aber auch informationsstrukturelle Gründe diskutiert. Wesentlich ist, dass sich über das Gesetz deutliche Unterschiede im Gebrauch und der Stellung der Klitika zwischen dem Alt- und dem Neuitalienischen ergeben. Während neuitalienisch Klitika bei finiten Verbformen und dem (positiven) Imperativ pro- und bei infiniten Verbformen enklitisch stehen, ist die Distribution im Altitalienischen stark von der Stellung des Verbs mit Bezug auf den Beginn und das Ende des Satzes, aber nicht von seiner morphosyntaktischen Form abhängig. Mit Beginn des 13. Jh. treten erste Fälle von Proklise bei Personalpronomina, Reflexiva oder auch si passivo und damit Satzerststellung auf: „ […] Quando voi togliete, si vuole sapere perché, e a cui date.“ (Novellino, 22, 182.8) Unabhängig von der legge Tobler-Mussafia interessant ist die neuitalienisch nicht mögliche Aussparung des Klitikons in koordinierenden Strukturen (vgl. nit. *Carlo la detesta e _ considera una stupida.) - wichtig ist hier altitalienisch wohl die Identität des Subjekts (und eventuell der Ergänzungen): Ma ricontrar non oso / ciò ch’i’ trovai e vidi: / se Dio mi porti e guidi / io non sarei creduto / di ciò ch’i’ ho veduto […] (Brunetto Latini, Tesoretto, v. 1226, 219.7) <?page no="135"?> III Syntax 134 […] nel vostro mondo giù si veste e vela, / perché fino al morir si vegghi e dorma / con quello sposo ch’ogne voto accetta […] (Dante, Commedia, Par. 3, v. 99, 3, 47.8) Was die Stellung der Pronomina bei einzelnen Verbformen betrifft, so ist mit Imperativ sowohl Enklise als auch Proklise möglich. Bei zusammengesetzen Tempora bzw. im Passiv ist im Fall der Koordination Enklise beim Partizip möglich, ohne dass das Auxiliar wiederholt werden müsste: […] il quale maestro Rinaldo venne in grande odio a’ cherici, e fue per loro preso e tractogli gli occhi. (Cronica fior., 99.24) Altitalienisch ist der Ausdruck des pronominalen direkten Objekts allerdings nicht obligatorisch, das Objektpronomen kann auch bei einem vorausgehenden satzartigen Antezedens fehlen: Tanto è distrutta già la mia persona, / ch’i’ non posso soffrire [‚sopportarlo’]: […] (Guido Cavalcanti (ed. Contini), 35, v. 22, 541.22) Loro, das auch neuitalienisch noch Stellungsbesonderheiten kennt (s. ho detto loro di venire, zunehmend substituiert durch gli ho detto di venire), zeigt altitalienisch Spezifika im Gebrauch: Bei den Vergangenheitstempora oder bei Konstruktionen mit Modalverb folgt loro auf das Hauptverb, im Passiv steht es zwischen Auxiliar und Partizip: […] che peggio non potea lor fare Dio che privarli de li uomini e delle femine del mondo così al postutto. (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 44, 78.9) […] e finalmente fu loro dinegato il sacerdoto per confessare i loro peccati, e tutti e V in una mattina fuoro tratti morti di prigione. (Cronica fiorentina, 133.26) Loro geht in der Regel dem direkten Objekt oder anderen Ergänzungen voraus, kann diesen jedoch auch folgen; als Ergänzung eines prädikativisch verwendeten Adjektivs kann loro diesem wie neuitalienisch vorausgehen, aber auch abweichend davon diesem folgen: […] se […] li capitani non potessero avere copia di tutti li consillieri quando li facessoro chiamare, sia licito loro di poter chiamare al lor consiglio delli altri buoni huomini de la compagnia […] (Stat. fior., 664.20) Mit Blick auf die Klitikakumulation ist im Vergleich zum Neuitalienischen die häufig abweichende Abfolge der Elemente auffällig - so gehen die Klitika der 3. Pers. Akkusativ denjenigen der 1. und 2. Pers. Sg. und der 3. Pers. Pl. Dativ voraus. Verschiedentlich tritt altitalienisch auch die Verbindung dreier klitischer Elemente auf: E nominollami per nome, sì che io la conobbi bene. (Dante, Vita nuova, cap. 9, parr. 1-8, 36.1) […] ma ongni die n’atendiamo novelle che così ssia: mand[i]lecine Iddio buone. (Lett. fior., 601.7) Eine weitere Besonderheit der altitalienischen Objektpronomina liegt schließlich mit der Verwendung des indirekten Objekts ohne Präposition vor (entsprechend <?page no="136"?> 1 Nominalsyntax 135 überwiegend als schwach zu werten, in Einzelfällen, wie im zweiten Beispiel, betont): E ben lo ti volessimo noi fare, e dessimoti i nostri amonimenti, […] (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 65, 104.19) Questa canzone e questo soprascritto sonetto li diedi, dicendo io lui che per lui solo fatto l’avea. (Dante, Vita nuova, cap. 33, parr. 1-4, 137.11) Tu risomigli a la voce ben lui [‚è ben vero che tu sembri lui quanto alla voce‘], / ma la figura ne par d’altra gente. (Dante, Vita nuova, cap. 22, parr. 13-16, 92.1) 1.2 Determinanten 1.2.1 Artikel Der Artikelgebrauch im Altitalienischen stimmt weitgehend mit dem im Neuitalienischen überein. Der Artikel fehlt altitalienisch noch bei abstrakten Konzepten, Eigennamen und in generischer Funktion. Noch nicht entwickelt ist ein Plural für den indefiniten Artikel und auch der partitive Artikel ist altitalienisch noch nicht ausgebildet. Stoffbezeichnungen mit einem indefiniten Wert werden entsprechend ohne Determinant verwendet. Interessant ist vor dem Hintergrund eines fehlenden Partitivs die Verwendung des bestimmten Artikels bei Präpositionalsyntagmen mit einem Nomen, das eine Materie bezeichnet und mit di eingeleitet wird; Stoffbezeichnungen mit indefinitem Wert werden ohne Determinant verwendet: […] e le palle de l’oro / fiorian Fiorenza in tutt’i suoi gran fatti. (Dante, Commedia, Par. 16, v. 110, 3, 270.5) […], io ti priego che la tua corona dell’alloro sia presente a noi, Ovidio. (Rim. Am. Ovid. (B), 359.20) Un mercante portò vino oltre mare, in botti a due palcora […] (Novellino, 97, 345.1) Abstrakte Nomina können artikellos in Subjektfunktion stehen: Prudenzia è un verace conoscimento del bene e del male, con fuggir lo male ed eleggere il bene. (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 33, 57.10) Altitalienisch tritt der indefinite Artikel bei Verwandtschaftsbezeichnungen auf, sofern diese auf einen einzigen Referenten verweisen und dieser als dem Leser unbekannt betrachtet werden kann (auch die Verbindung mit einem possessiven Adjektiv ist hier anders als im Neuitalienischen möglich): Uno re fu nelle parti di Egitto, lo quale avea un suo figliuolo primogenito, lo quale dovea portare la corona del reame dopo lui. (Novellino, 4, 134.2) Uno borgese di Francia avea una sua moglie molto bella. (Novellino, 25, 188.1) Ein zum Neuitalienischen abweichender Artikelgebrauch zeigt sich auch in der altitalienisch möglichen Verwendung des definiten Artikels mit Numeralia: <?page no="137"?> III Syntax 136 Dopo ‘l pranzo parlò Socrate alli ambasciadori e disse: „Segnori, quale è meglio tra una cosa o due? “. Li ambasciadori rispuosero: „Le due“. (Novellino, 61, 261.9) Usavansi allora le medaglie, in Firenze, che le due valevano uno danaio piccolo. (Novellino, 96, 342.5) 1.2.2 Demonstrativa Was den Gebrauch der Demonstrativa in determinierender, also attributiver Funktion betrifft, so sind hier v.a. questo, cotesto und quello zu nennen, die sowohl in pronominaler (v.a. als Subjekt) als auch attributiver Funktion vorkommen. In letzterem Fall ist eine Verbindung mit weiteren Determinanten nicht ausgeschlossen: In questa quarta parte del prologo vogliendo Tulio dimostrare che eloquenzia nasce e muove per cagione e per ragione ottima e onestissima, […] (Brunetto Latini, Rettorica, 18.2) Ma d’esto mio conforto / co l’om ha contrariato }crux{ / in tut[t]o l’ho ma[n]dato - e dutto inanti. (Neri de’ Visdomini (ed. Contini), 68, 369.24) Auch die Kombination mit dem Numerale uno ist bei kontrastivem Gebrauch möglich: Ma in questa una cosa avanza l’uomo tutte le bestie et animali, che elli sa parlare. (Brunetto Latini, Rettorica, 38.14) 1.2.3 Possessiva Die Voll- und die Reduktionsformen (s. II 3.3) zeigen in attributiver Funktion die gleichen syntaktischen Regelhaftigkeiten mit Ausnahme der fast ausnahmslos pränominalen Stellung der Reduktionsformen. Der definite Artikel ist in diesem Kontext anders als neuitalienisch nicht obligatorisch, sondern fakultativ: Allor sì pia[c]que a Dio che ritornasse / Amico a me per darmi il su’ consiglio. (Fiore, 47, 10, 96.11) […] e in questo non è maraviglia, chè ciascuno tiene sua via, e suo consiglio per sè medesimo. (<Tesoro volg. (ed. Gaiter), 8, 34, 4, 121.5) Es ist allerdings beobachtbar, dass vielfach bei der ersten Okkurrenz das Syntagma ohne Artikel steht, bei weiteren Vorkommen im Text dann aber der Artikel gesetzt wird. Allgemein lässt sich feststellen, dass das fragliche Syntagma bei Fehlen des Artikels normalerweise als definit interpretiert werden kann; eine indefinite Lesart ist insbesondere bei nicht zählbaren Nomina bzw. zählbaren Nomina im Plural ausgeschlossen: […] montammo a cavallo per compiere nostra giornata, e cavalcammo tanto ch’a ora di vespero fummo giunti a l’albergo della Fede. (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, 15, 32.1) Lo lapidario si mosse, guernito di molte pietre di gran bellezza, e cominciò, presso alla corte, a legare sue pietre. (Novellino, 1, 123.11) <?page no="138"?> 1 Nominalsyntax 137 Wenngleich auch für die Vollformen die pränominale Stellung häufiger ist, ist die Stellung des Possessivums vor oder nach dem Nomen offensichtlich nicht mit Bedeutungsunterschieden verbunden. Unabhängig von der Stellung des Possessivums ist die Verbindung mit einem dem Nomen vorausgehenden Adjektiv möglich, wenngleich derartige Konstruktionen für pränominales Possessivum markiert sind (unmarkiert gehen possessive Adjektive jedwedem Adjektivtyp voraus, auch Numeralia): […] messer Pepo mandò in certa parte e meser Cante, perché era grande suo amico, sì ‘l mandò a Mantova, e raccomandollo a’ suoi. (Novellino, 88, 330.6) E come fue a te presso, così è a tutti coloro che voglion te seguitare, perch’e’ medesimi la si fanno spesse volte, o altro amico loro carissimo, e però non se ne posson guardare. (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 60, 99.5) Il terzo combattimento è simigliante al secondo, ma in questo è peggiore, perchè col corno tuo sinistro cominci a combattere col diritto suo corno, […] (Bono Giamboni, Vegezio, 3, 20, 128.4) Di ciò piange la mente / e gli oc[c]hi miei dogliosi, / pensando de la vostra dipartenza / che fue per mia doglienza: […] (Chiaro Davanzati, 41, 40, 147.36) Auch die Verbindung mit einem Quantifikator ist möglich (bei tutto ist der definite Artikel fakultativ): E per questo molti discepoli suoi tornarono adietro, e già non andavano con lui. (Diatessaron, 83, 260.15) Gleiches gilt für eine nachfolgende Präpositionalphrase, wobei diese possessiven Charakter haben kann - in diesem Fall wird eine Wiederholung und Präzisierung der possessiven Relation geleistet: Quando il vescovo Aldobrandino vivea, mangiando al vescovado suo d’Orbivieto un giorno a una tavola ov’era uno frate minore a mangiare […] (Novellino, 39, 217.2) Verschiedentlich erfolgt eine pronominale Wiederaufnahme zum Zweck der Desambiguierung: […] isperando di ciò alla perfine per mutuale opressione e invidia tutti due di così aversanti sua possanza di lui [‚contrari al suo potere‘] essere sforzato d’entrare. (Libro del difenditore della pace, 2, 26, 14, 438.27) Anstelle des Possessivums findet sich zum Ausdruck der Besitzanzeige häufig - auch unabhängig von der Ambiguität der Nominalphrase - die Präpositionalphrase di + Personalpronomen: […] tanto facese di bene in sua vita, che l’anima di lui no fose i ∙niferno tantosto ch’ella partia dal corpo. (Storia San Gradale, 72, 77.19) Interessant ist schließlich die Verwendung mit Verwandtschaftsbezeichnungen. Prinzipiell ist der Gebrauch des Possessivums in diesem Kontext nicht obligatorisch. <?page no="139"?> III Syntax 138 „Questi uccise la madre iustamente perciò ch’ella avea morto il suo padre“. (Brunetto Latini, Rettorica, 85.6) Bei nachgestelltem Possessivum steht vielfach der Artikel; dabei kann die Nachstellung auch durch Enklise der Reduktionsform erfolgen, wie sie v.a. alttoskanisch verbreitet ist: fratelmo ‚mio fratello‘, frateti ‚i tuoi fratelli‘, mammata ‚(la) tua mamma‘; bei anderen Nomina ist dies selten, vgl. z.B. segnorso, patremo, sorama, signorto, mogliata, signorso. Stehen padre und madre mit einem vorausgehenden Possessivum, so können sie durch ein Demonstrativum mit anaphorischer Funktion eingeführt werden: Co la madre sua volle giacere carnalmente; perch’ella si difese e non volle, si prese una meretrice che diceva la gente che simigliava questa sua madre e teneala per amica coll’altre. (Fiori di filosafi, 177.1) 1.3 Adjektivstellung Mit Blick auf die Adjektive liegt der wesentliche Unterschied zum Neuitalienischen in der z.T. abweichenden Abfolge. Diese ist altitalienisch noch relativ frei und zeigt entsprechend eine größere Variationsbreite - das gilt zum einen für die Reihenfolge für Adjektivsyntagma und Substantiv, zum anderen für die Abfolgebeziehungen zwischen Adjektiv und Modifikator (molto etc.) bzw. Ergänzungen (pieno di X etc.) innerhalb des Adjektivsyntagmas. Im Neuitalienischen folgt das Adjektiv normalerweise dem Nomen (acqua fredda, pizza bianca, ente nazionale etc.). Zumindest für die Kategorie der qualifikativen Adjektive ist die Nachstellung die unmarkierte Position; in dieser Stellung können Adjektive sowohl attributiv (l’acqua calda della sorgente), als auch restriktiv gebraucht werden (ci vuole acqua calda, non acqua fredda). Die Voranstellung des Adjektivs ist neuitalienisch markiert, die restriktive Funktion ist ausgeschlossen. Zudem ist diese Stellung mit Konnotationen wie Subjektivität oder Affekt verbunden (vgl. il povero uomo vs. l’uomo povero). Nicht vorangestellt werden in der Regel relationale Adjektive wie nazionale, materno, oder solche, die - wie Farb- oder Nationalitätsbezeichnungen - inhärent restriktiv sind. Altitalienisch stehen die meisten qualifikativen Adjektive trotz der freieren Satzgliedstellung (v.a. Herkunfsbezeichnungen und relationale Adjektive) nach. Aus der ebenfalls möglichen Voranstellung ergeben sich aber im Gegensatz zu den Verhältnissen im Neuitalienischen keine klaren semantischen Restriktionen (attributiv vs. restriktiv bzw. objektiv vs. subjektiv). Interessanterweise können die neuitalienisch nur auf die Nachstellung zum Substantiv beschränkten relationalen und Farbadjektive auch vorangestellt werden. Echinus è un pesce piccolo di mare, […] (Tesoro volgarizzato (ed. Battelli), L. 4, cap. 1, 58.7) Rondina è uno piccolo uccello, ma ella non vola diritto, […] (Tesoro volg., L. 5, cap. 29, 126.2) […] e l’altre gran bellezze / ch’al volto son congiunte / sotto la bianca fronte, / li belli occhi e le ciglia / […] (Brunetto Latini, Tesoretto, v. 256, 185.3) <?page no="140"?> 1 Nominalsyntax 139 […] / ché la franzese casa, ov’atraversa, / fa ben mutar le versa / […] (Monte Andrea (ed. Minetti), tenz. 101, v. 10, 259.10) Einem indefiniten Substantiv kann beispielsweise auch ein über molto (zum Ausdruck des Elativs, seltener assai) modifiziertes Adjektiv vorausgehen - anders als im Fall der Nachstellung, die auch die umgekehrte Abfolge erlaubt, muss hier allerdings der Modifikator vor dem Adjektiv stehen. Neuitalienisch stehen adverbiale Modifikatoren immer vor dem Adjektiv; dagegen werden präpositionale Ergänzungen immer nachgestellt - auch in letzterem Fall ist die Reihenfolge im Altitalienischen variabel. […] e nella intrata del Capitolio si fece assai crudele battaglia. (Bono Giamboni, Orosio, L. 5, cap. 16, 316.21) Allora trovoe una molto bella canzonetta, […] (Novellino, 64, 274.5) Ella, la quale era formosa e di piacevole aspetto molto, […] (Boccaccio, Decameron, II, introduzione, 73.11) Parallel dazu findet sich allerdings in prädikativen Kontexten eine diskontinuierliche Abfolge; dabei werden die Elemente des Syntagmas durch die Kopula essere getrennt und v.a. molto kann sich in der Periphie finden: […] ma molto è piccola cosa dire dell’arte sì come fece elli, e molto è grandissima parlare per l’arte, la qual cosa noi vedeo ch’esso non poteo fare. (Brunetto Latini, Rettorica, 70.12) Auch bei der Koordination mehrerer Adjektive mit e ist, anders als im Neuitalienischen, nicht nur die Nachstellung möglich: Die Adjektive können gemeinsam vorangestellt oder nachgestellt werden; möglich ist aber auch die Kombination von Voranstellung und Nachstellung: […] lo quale usa piena e perfetta eloquenzia nelle cause pubbliche e private. (Brunetto Latini, Rettorica, 5.26) […] e montò in su ‘n destriere grandissimo e nero, il qual non era men feroce di lei. (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 57, 93.13) Ciò è amara parola e noiosa, […] (Tesoro volgarizzato (ed. Gaiter), L. 7, cap. 47, 3, 393.6) Im Falle komplexer Adjektivsyntagmen ist es außerdem möglich, die einzelnen Bestandteile durch Einschübe voneinander zu trennen: […] uomo per natura semplice, ma a tutti piacevole, […] (Bono Giamboni, Orosio, L. 7, cap. 33, 488.19) Onde lo Imperadore si mosse molto pieno di cruccio e di mal talento, con grande hoste di popolo e di cavalieri, […] (Cronaca fior., 104.6) Diese Distanzstellungen sowie die Änderungen in der Wortstellung bei relativer Autonomie der einzelnen Bestandteile zeigen, dass die Fixierung und damit der Grammatikalisierungsgrad der Abfolge im Adjektivsyntagma noch gering ist. <?page no="141"?> III Syntax 140 1.4 Relativsatz Die einzelnen Relativa zeigen altitalienisch einen größeren Verwendungsradius als neuitalienisch. Dies gilt v.a. für che, für das im Neuitalienischen eine Interpretation als unveränderlicher Subordinator naheliegt. Im Altitalienischen hat che aber noch eine Reihe (pro)nominaler Eigenschaften, die für eine Einordnung als Relativpronomen sprechen. Beispielsweise kann che im Altitalienischen sowohl bei seiner Verwendung mit einem Antezedens (Bezugswort) als auch als freies Relativum mit einer Präposition kombiniert werden. […] tirando la fune con che la falce era legata, […] (Bono Giamboni, Orosio, L. 6, cap. 7, 368.23) [...] el cavallo suo era uno bastone con che s’apogiava perch’era debole. (Fiori di filosafi, 126.4) „Femmina, non ho di che ti sovenire d’altro, ma fa’ così: […]“ (Novellino, 15, 161.4) Das letzte Beispiel zeigt außerdem, dass che als freies Relativum nach einem verneinten Matrixsatz ähnlich wie ein Indefinitpronomen zum Ausdruck einer negativen Totalität (‚nichts‘) verwendet werden kann. Auch die Verteilung von che (wie die von chi und cui), die durch den Bezug auf menschliche bzw. nichtmenschliche Referenten reguliert ist, verweist auf den teilweise noch pronominalen Charakter von che. So ist che als freies Relativum ohne Bezugswort verwendet auf Referenten mit dem Merkmal [human] beschränkt; dies gilt auch in Relativsätzen mit Antezedens, sofern che mit Präposition gebraucht wird. Entsprechend werden im Altitalienischen bei Referenten mit dem Merkmal [+ human] andere Relativa, nämlich chi bzw. cui eingesetzt. […] chi da lunga è da occhi, da lunga è da cuore; […] (Sommetta, 198.18) Für cui gilt die Beschränkung auf menschliche Referenten nicht, wenn es mit Präposition kombiniert ist oder als Genitivergänzung steht. Wenn cui dagegen als indirektes Objekt oder als direktes Objekt auftritt - letztere Verwendung ist im Neuitalienischen nicht mehr möglich -, bezieht es sich in aller Regel auf Referenten mit dem Merkmal [+ human]: […] per ciò la filosofia è la radice di cui crescono tutte le scienze che uomo puote sapere, […] (Tesoro volgarizzato (ed. Gaiter), L. 1, cap. 1, 1, 6.16) […] colui cui ella più de altra cosa amava, […] (Boccaccio, Decamerone, IV, 9, 317.18) Nel quale paese regnava uno prencipe che sì come tiranno istrugeva la terra; la cui crudeltade e la cui superbia offendeva tanto l'animo di questo filosofo […] (Fiori di filosafi, 103.4) Auch das Relativum definiter Artikel + quale hat im Altitalienischen einen größeren Funktionsbereich als im Neuitalienischen und ist nicht auf die Verwendung mit Präpositionen beschränkt. Beispielsweise tritt es häufig in der Position des Subjekts auf, ebenso in der Position des direkten Objekts, wobei letztere Verwendung im Neuitalienischen nicht mehr möglich ist: <?page no="142"?> 1 Nominalsyntax 141 […] si dava l’acqua la qual si dava quando il conte n’andò co’ maestri. (Novellino, 175.19) […] l’uomo, il quale iusto e sanza macola avea fatto Iddio, […] (Bono Giamboni, Orosio, L. 1, cap. 3, 28.3) Der Gebrauch des Relativums definiter Artikel + quale ist bereits im Altitalienischen teilweise aus Gründen der Desambiguierung notwendig. Da die Relativa chi, che und cui weder hinsichtlich Genus noch Numerus markiert sind, kann nur durch die Konstruktion definiter Artikel + quale ein klarer anaphorischer Bezug hergestellt werden. In zahlreichen Fällen hängt die Verwendung des Typs definiter Artikel + quale jedoch eher mit der stärkeren Orientierung des Altitalienischen an lateinischen Strukturen zusammen. Dies wird besonders deutlich in solchen Fällen, in denen definiter Artikel + quale zusammen mit dem Bezugswort am Anfang des Relativsatzes stehen: […] alla fine l’armi furono concedute ad Ulixes, per la qual cosa montò tra lloro tanta invidia che divennero nemici mortali; […] (Brunetto Latini, Rettorica, 94.12) […] una tavola ove era uno frate minore - lo quale frate mangiava una cipolla […] (Novellino 39, 217.3) In solchen Fällen kann man bereits von der Koordinierung zweier unabhängiger Sätze sprechen, die nur noch durch die anaphorische Wiederaufnahme eines vorangegangenen Nominalsyntagmas (lo frate) bzw. des gesamten Satzinhalts (la qual cosa) verknüpft sind, zwischen denen jedoch keine Beziehung der Unterordnung besteht. Lateinisch waren derartige, als relativer Satzanschluss bekannte koordinierte Sätze sehr häufig. Die sogenannten freien Relativsätze, d.h. die Relativsätze, die kein Antezedens/ Bezugswort haben, funktionieren dagegen ohne anaphorische Relationen. In diesen Konstruktionen ist der Relativsatz selbständig und nicht in das Nominalsyntagma eingeordnet. Der Relativsatz füllt - gewissermaßen nominalisiert - direkt eine der syntaktischen Positionen des übergeordneten Satzes aus. Freie Relativsätze sind u.a. deswegen syntaktisch interessant, weil die Frage zu entscheiden ist, ob und wie das Relativum die syntaktische Position im Matrixsatz anzeigt, wenn kein Antezedens vorhanden ist, der diese bereits signalisiert. Im Altitalienischen sind hier zwei Lösungen erkennbar. Die erste Lösung besteht darin, die Funktion des nominalisierten Relativsatzes im Matrixsatz morphologisch nicht zu markieren, so dass die syntaktischen Bezüge aus dem Kontext erschlossen werden müssen. Diese Lösung verdeutlichen die ersten beiden der folgenden Beispiele, in denen keine Markierung anzeigt, dass der Relativsatz die Position des direkten Objekts bzw. des Subjekts ausfüllt. Bei der Verwendung von chi als Relativum ist aber auch bereits die neuitalienische Strategie zu beobachten, die eine Kombination des von chi in Subjektposition eingeleiteten Relativsatzes mit der Präposition erlaubt, die die syntaktische Funktion dieses Syntagmas im Matrixsatz anzeigt (s. übrige Beispiele). […] che l’uomo abbia a cui egli possa dire sue private parole, […] (Tesoro volgarizzato (ed. Gaitier), L. 7, 3, 380.12) <?page no="143"?> III Syntax 142 „[…] colui ch’attende là, per qui mi mena / forse cui Guido vostro ebbe a disdegno“ […] (Dante, Inf. 10, v. 63, 1, 166.1) Poi ch’io feci partenza / da chi tene il mio core im presgione, […] (Monte Andrea, Rime (ed. Contini), canz. 2, v. 80, 44.23) […] e perdona a chi l’offende, […] (Bono Giamboni, Fiori di rettorica (red. beta), cap. 81, 99.14) Relativa ohne Antezedenten haben häufig, aber nicht notwendigerweise (vgl. vorletztes Beispiel), generisch-indefinite Referenz. Bereits im Altitalienischen sind Konstruktionen belegt, in denen statt des freien Relativums Kombinationen mit einem indefinit-kataphorischen Pronomen (quelli che, colui che, quello che, ciò che) auftreten. Die generisch-distributive Referenz (‚jeder der‘, ‚wer auch immer‘ etc.) kann außerdem durch verallgemeinernde Relativa wie chiunque, chi chi, chi che, che che, quando che etc. explizit gemacht werden. […] perciò che quelli cui conviene udire sono già udendo fatigati; […] (Brunetto Latini, Rettorica, 193.18) „[…] Ma, che che faccia, non pensa c[h]’a male“. (Fiore, 102, v. 14, 206.15) Das letzte Beispiel zeigt die größere Autonomie der freien Relativsätze gegenüber der Struktur des Matrixsatzes: Der freie Relativsatz tritt hier in der Position eines Adverbialsatzes auf und ist nicht in die Argumentstruktur des Matrixsatzes eingebunden. Im Altitalienischen sind Relativsätze häufig, die mit dem Relativum che eingeleitet werden, zusätzlich aber ein klitisches Pronomen in der dem Antezedenten zukommenen syntaktischen Position enthalten: Lo ‘mperadore Federigo andava una volta a falcone; et avevane uno molto sovrano, che l’avea caro più c’una cittade. (Novellino, 90, 332.3) Guiglelmo si vantò che non avea niuno nobile uomo in Proenza che non gli avesse fatto votare la sella e giaciuto con sua mogliera: […] (Novellino 42, 223.5) Derartige Kombinationen treten bereits vulgärlateinisch auf und sind im Neuitalienischen substandardsprachlich markiert. Offensichtlich liegt hier eine nähesprachlich expressive Konstruktion vor. Das Relativum entwickelt sich historisch zu einem unveränderlichen Subordinator weiter, die Kasusfunktionen müssen daher mit Hilfe von Klitika bzw. Pronomina direkt im Argumentrahmen angezeigt werden. Im Altitalienischen sind derartige Doppelungen von Relativum und Klitikon durchaus auch beim anaphorischen Relativum definiter Artikel + quale belegt. Hier scheint vor allem die Tendenz zu einer koordinierenden, nicht subordinierenden Syntax entscheidend, da dem Relativum in diesen Konstruktionen fast der Status einer vorangestellten Konstituente zukommt. […] lo quale daprima i capitani lo debbiano ammonire e corregiere, […] (Stat. fior. I, par. 13, 36.22) <?page no="144"?> 2 Verbalsyntax 143 […] ed in verità del Nilo nascono tutte le meraviglie, il quale presso al suo nascimento i barbari l’appellano Dara, e tutti gli altri abitatori l’appellano Nilo. (Bono Giamboni, Orosio, L. 1, cap. 2, 14.8) Abschließend seien noch zwei Phänomene angesprochen, die sich nicht bis ins Neuitalienische fortgesetzt haben. Im Altitalienischen besteht, vor allem bei Antezedenten mit kataphorischer Funktion, die Möglichkeit der Distanzstellung zwischen Bezugswort und Relativsatz, während die heutige Norm die unmittelbare Aufeinanderfolge (Kontaktstellung) vorsieht. Ein klarer Latinismus ist schließlich die im Altitalienischen noch bestehende Möglichkeit, an ein Antezedens im Matrixsatz einen Relativsatz anzuschließen, dessen Relativum gleichzeitig in einen anderen subordinierten Satz eingebettet ist, d.h. hier liegt eine doppelte Abhängigkeit vor. […] e donque pare che colui conquista cosa nobile et altissima il quale sormonta li altri uomini in quella medisima cosa per la quale gi uomini avanzano le bestie. (Brunetto Latini, Rettorica, 38.1) Platone fece più libri, tra i quali ne fece uno de la immortalità dell’anima; el quale libro leggendo un altro filosofo sì si gittò a terra d’un muro, vogliendo morire per desiderio d’avere megliore vita. (Fiori di filosafi, 125,3) 2 Verbalsyntax Das folgende Kapitel beleuchtet einige wesentliche Entwicklungen, die in den meisten Fällen unmittelbar mit den morphologischen Veränderungsprozessen zusammenhängen. So ist für den Tempusgebrauch die Bildung der Perfektperiphrase für eine Ausdifferenzierung in einen aoristischen und einen vollendeten Aspekt maßgeblich, für den Modusgebrauch das Aufkommen des Konditional. Auch für die Passivkonstruktionen zeigt der morphologische Wandel Konsequenzen, etwa weil die Differenzierung in Zustands- und Vorgangspassiv nicht immer möglich ist. Parallel zur Passivbildung werden alternative Konstruktionen behandelt, ähnlich wie für den Bereich der Periphrasen, die beide eine große Variation in den sprachlichen Mitteln zeigen, die erst mit der Standardisierung aufgehoben wird. Die Veränderungen bei den Verben mit Infinitivanschluss haben dagegen in den meisten Fällen semantische Gründe und sind weniger tiefgreifend. 2.1 Tempus 2.1.1 Tempus und Aspekt Für den Gebrauch der Tempora ist zunächst eine Differenzierung der grammatischen Kategorien Tempus und Aspekt erforderlich. Während mithilfe des Tempus das Verhältnis einer Handlung oder eines Ereignisses zu einer betrachteten Zeit, also in der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft zum Sprechzeitpunkt in Bezug gesetzt wird und die Tempora damit deiktische Funktion ha- <?page no="145"?> III Syntax 144 ben, beschreibt der Aspekt die Ausdehnung des beschriebenen Ereignisses im Verhältnis zu dem vom Sprecher betrachteten Zeitraum. So kann ein Prozess einerseits im Sinne des perfektiven Aspekts in seiner Gesamtheit als ein einziger, nicht weiter analysierbarer, abgeschlossener Prozess betrachtet werden, ohne dass eine eventuelle innere zeitliche Gliederung fokussiert würde. Dabei nimmt der Sprecher in gewisser Weise eine Außenperspektive ein (vgl. Marco ha letto un libro.). Andererseits kann ein Prozess im Fall des imperfektiven Aspekts zu einem beliebigen Zeitpunkt in seinem Verlauf betrachtet werden. Die Handlung wird gewissermaßen von innen betrachtet, Hinweise auf einen Abschluss der Handlung liegen nicht vor (vgl. Marco leggeva il libro, quando il telefono squillò., aber *Marco lesse un libro, quando il telefono squillò.). Abzugrenzen ist der Aspekt von der Aktionsart, die keine grammatische Kategorie darstellt, sondern in der Verbalsemantik angelegt ist. Grundsätzliche Unterscheidungen mit Blick auf die Aktionsart können zwischen statischen und dynamischen, durativen und nicht-durativen sowie telischen und atelischen Verben getroffen werden. Statische Verben beschreiben einen dauerhaften Zustand (discendere (da una nobile famiglia)), dynamische dagegen eine Handlung (parlare); die Differenzierung in durative und nicht-durative Verben hebt auf die Dauer der Handlung ab, wobei nicht-durative einen punktuellen Wechsel darstellen (camminare vs. partire). Telische Verben verweisen auf die Erreichung eines Ziels (costruire (un ponte)), wohingegen atelische Verben keine Zielausrichtung aufweisen (chiacchierare). Für die Interpretation der Verbformen ist allerdings auch der Kontext wichtig - so etwa ist das Präsens vorrangig imperfektiv, in der Regel ist keine globale Sicht der Handlung möglich (Giovanni corre.), dennoch hat es in Fällen wie Arrivo a casa e trovo mio figlio che dorme sul divano. eine perfektive Konnotation. Für die Aktionsart hingegen liegen keine kontextabhängigen Veränderungen in der Bedeutung vor. Für den perfektiven Aspekt lässt sich nun eine Differenzierung in den aoristischen, den vollendeten und den ingressiven Aspekt vornehmen. Im Fall des Aorists wird eine nicht andauernde, einmalige Verbalhandlung unabhängig von ihren eventuell bis zum Referenzzeitpunkt andauernden Auswirkungen beschrieben, italienisch wird hier vielfach das passato remoto (bzw. das trapassato remoto) verwendet. Beim vollendeten Aspekt hingegen, für dessen Versprachlichung häufig die zusammengesetzten Perfekttempora genutzt werden, ist das Ergebnis eines zeitlich vorausgehenden Ereignisses noch relevant. Ingressiver Aspekt liegt schließlich bei der Betrachtung der Anfangsphase eines Prozesses vor (vgl. Proprio in quel momento, la terra tremò.). Auch für den imperfektiven Aspekt lassen sich Untertypen ausmachen: So wird beim progressiven Aspekt eine Handlung in ihrem Verlauf dargestellt, während der habituale Aspekt auf die Wiederholung von Handlungen verweist. Bei kontinualem Aspekt fehlt schließlich ein einzelner Betrachtungszeitpunkt, die Referenz auf den Handlungszeitraum ist daher unspezifisch, die Handlung selbst in der Regel einmalig. Wie im Lateinischen, so wird auch in den romanischen Sprachen der Aspekt morphologisch lediglich in den Vergangenheitstempora ausgedrückt (s. auch die <?page no="146"?> 2 Verbalsyntax 145 Bezeichnung Imperfekt - Perfekt). Italienisch sind das passato prossimo und das passato remoto perfektiv, das Imperfekt sowie die altitalienisch noch nicht vorliegende progressive Periphrase (stare + Gerund) imperfektiv. Dabei lassen sich das passato remoto und das passato prossimo unterschiedlichen Untertypen zuweisen, nämlich dem Aorist und dem vollendeten Aspekt. Hier wird die Relevanz der im Perfektstamm erfolgten morphologischen Veränderungen vom Lateinischen zum Italienischen sichtbar (vgl. II 6, 6.1), da das ursprüngliche lateinische Perfekt, das sich italienisch formal im passato remoto fortsetzt, diese beiden Funktionen noch vereint hat. Mit der Entstehung des passato prossimo (und in der Folge der weiteren zusammengesetzten Tempora) ergibt sich so eine funktionale Aufspaltung. Ergänzend stehen mit Adverbien weitere Mittel zur Verfügung, die die Versprachlichung des Aspekts ermöglichen (vgl. z.B. ora, sempre, die auf imperfektiven Aspekt verweisen). Was den Gebrauch der einzelnen Tempora im Altitalienischen betrifft, so zeigt sich für das Präsens eine weitgehende Übereinstimmung der Kontextbedingungen mit denen des Neuitalienischen - interessant ist hier insbesondere die Verwendung als historisches Präsens, das ausschließlich in narrativen Passagen auftritt, sowie der Gebrauch als dramatisches Präsens zur Zusammenfassung von ganzen Textpassagen, die in Vergangenheitstempora dargestellt sind: Ond’io tutto a scoverto / al frate mi converto / che m’ha penitenziato; […] (Brunetto Latini, Tesoretto, v. 2556, 264.10) Wie gesehen, wird beim Imperfekt die temporale Funktion mit dem imperfektiven Aspekt verknüpft. Was den Gebrauch im Altitalienischen betrifft, so dient es in narrativen Texten vielfach zur Einführung von Hintergrundinformationen, wird aber auch propulsiv gebraucht, d.h. zum Vorantreiben der Handlung. Letzteres ist neuitalienisch nicht mehr möglich, da im Fall des neuitalienischen narrativen Imperfekt eine aspektuelle Rekategorisierung erfolgt; es übernimmt also die Bedeutung der perfektiven Formen. Altitalienisch bleibt dagegen die Differenzierung in imperfektiv und perfektiv erhalten: I cavalieri e’ baroni dismontarono de’ palazzi, e lo nobile re Artù vi venne: e maravigliavasi forte, ch’era sanza niuna guida; […] (Novellino, 82, 318.7) E quelli rise e fecele mettere un bel sottano, il quale le dava a ginocchio, e fecelavi cignere su, e tutte le noci fece versare per lo smalto della sala e poi a una a una lile facea ricogliere e rimettere nel sacco; […] (Novellino, 84, 323.7) Für das passato remoto lässt sich altitalienisch eine klare Dominanz der aoristischen Funktion ausmachen, wohingegen der vollendete Aspekt in der Regel über das perfetto composto versprachlicht wird. Dies wird auch sichtbar am Gebrauch temporaler Adverbien: Anders als neuitalienisch tritt das passato remoto v.a. mit Adverbien auf, die den Zeitpunkt der Handlung bzw. des Ereignisses beschreiben, während mit dem perfetto composto vornehmlich solche stehen, die den Bezugszeitpunkt benennen, zu dem die Situation als abgeschlossen betrachtet wird. Anders als neuitalienisch kann das passato remoto altitalienisch auch den vollende- <?page no="147"?> III Syntax 146 ten Aspekt versprachlichen, dann nämlich, wenn das Ergebnis einer Handlung und seine Bedeutung mit Blick auf den Sprechzeitpunkt fokussiert wird. „Idio onnipotente, perché mi facesti tu venire in questo misero mondo, acciò ch’io patisse cotanti dolori, e portasse cotante pene? “ (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 1, 3.12) Vedi se se’ dolente / dell’altrui beninanza; / o s’avesti allegranza / dell’altrui turbamento; / […] (Brunetto Latini, Tesoretto, v. 2634, 266.29) Was etwaige semantische Restriktionen betrifft, so liegen für den Gebrauch des passato remoto altitalienisch nur wenige vor. So ist die Verwendung mit statischen Verben, etwa zur Beschreibung von zeitlich begrenzten Zuständen oder von dauerhaften Eigenschaften möglich, auch wenn einzelne Prädikate in der gleichen Äußerung im Imperfekt stehen: Messer Polo Traversaro fu di Romagna, e fu lo più nobile uomo di tutta Romagna, […] (Novellino, 41, 220.1) Et poi che questa città fu disfacta per Tito e per Vespasiano, sì era grandemente rifacta per uno signiore ch’ebbe nome Ellio Adriano; […] (Cronica fior., 91.29) Socrate fue grandissimo filosafo in quel temporale. E fue molto laido uomo a vedere, ch’elli era piccolo malamente, […] (Fiori di filosafi, 116.2) […] ch’elli lasciò il suo paese e venne in Italia, ch’iera chiamata in quel tempo la Grande Grecia, per non vedere così malvagia segnoria. (Fiori di filosafi, 104.2) Rein zeitlich betrachtet kann das passato remoto auch die Funktion des Plusquam- Perfekt übernehmen. Interessanterweise kann es also zur Beschreibung weit zurückliegender Handlungen oder Ereignisse herangezogen werden, parallel aber auch bei geringer zeitlicher Distanz, wie dies heute noch in süditalienischen Dialekten möglich ist. Hoe inteso da’ savi che l’uomo e la femina fur fatti da Dio perché riempiessero le sediora vòte delli angeli che caddero [‚erano caduti‘] di cielo; […] (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 5, 11.19) O sono in discordia della qualitade del fatto, sì come pare in exemplo d’Orestes che uccise la sua madre, e fue accusato che ll’avea morta ingiustamente; […] (Brunetto Latini, Rettorica, 98.6) E Saladino rispuose: „Messere, io non parlai oggi di voi.“ (Novellino, 40, 218.6) Wie das Imperfekt kann auch das passato remoto propulsiv gebraucht werden, gleichzeitig dient es zur Darstellung von Hintergrundinformationen: Allora apersi gli occhi, e guarda’ mi dintorno, e vidi appresso di me una figura tanto bellissima e piacente […] (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 3, 6.6) Due donne furo in Roma: a ciascuna morì il figliuolo: l’uno era d’i cari figliuoli del mondo, e l’altro era vie più caro. (Novellino, 71, 290.6) Wie bereits angesprochen, drückt das passato prossimo bzw. sämtliche zusammengesetzten Perfektformen den vollendeten Aspekt aus, wobei die Relation zwi- <?page no="148"?> 2 Verbalsyntax 147 schen dargestellter Handlung und Referenzzeitpunkt unterschiedlich ausfallen kann. So kann der Bezugszeitpunkt in die Handlung eingebettet sein, vielfach entspricht dieser dann dem Sprechzeitpunkt. Auch kann die Relevanz des Ergebnisses der Handlung zum Sprechzeitpunkt herausgestellt werden. Verschiedentlich wird nicht auf das Resultat der Handlung, sondern auf die prinzipielle Bedeutung für den Sprecher im Sinne eines Erfahrungswertes Bezug genommen: „[…] ha posto tutta la mia beatitudine in quello che non mi puote venire meno.“ (Dante, Vita nuova, cap. 18, parr. 1-9, 70.3) „Messere, vostri figliuoli hanno guadagnato e sono molto ricchi“. (Novellino, 50, 236.10) Sovente ho veduto più gravemente offendere li animi delli uditori coloro che li altrui vizii dicono apertamente che coloro che li fanno. (Fiori di filosafi, 169.8) Altitalienisch ist der Gebrauch des passato prossimo für den Aorist anders als neuitalienisch ausgeschlossen. Es tritt altitalienisch häufig in Dialogen auf und dient nicht als propulsives Tempus, es wird bestenfalls für die Zusammenfassung von Ereignissen herangezogen. Für die anaphorische Vorzeitigkeit mit Bezug auf einen Referenzzeitpunkt in der Vergangenheit steht das Plusquamperfekt zur Verfügung, für das die Differenzierung von Aorist und vollendetem Aspekt neutralisiert ist, sowie das neuitalienisch auf temporale Gliedsätze beschränkte allgemein perfektive trapassato remoto, das altitalienisch auch eine rein deitkische Funktion übernehmen kann. Der Gebrauch in temporalen Gliedsätzen unterliegt altitalienisch zudem weniger Restriktionen als neuitalienisch, da es nicht nur mit telischen, sondern auch mit atelischen, kontinuativen und statischen Verben verwendet wird; für andere Gliedsätze ist eine Beschränkung auf atelische Verben gegeben. Interessant ist auch die Lesart des unmittelbaren Abschlusses der Handlung. Misesi con una berbice nel burchiello e cominciò a vogare. Voga e passa. E lo favolatore fue risato, e non dicea più. (Novellino, 30, 199.3) […] montammo a cavallo per compiere nostra giornata, e cavalcammo tanto ch’a ora di vespero fummo giunti a l’albergo della Fede. (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 15, 32.2) Ebbe grande paura e fuggì; e, così fuggendo, trovoe il lupo e disse come avea trovata una novissima bestia e non sapea suo nome. Il lupo disse: „Andianvi“. Furoni giunti a lui. (Novellino, 94, 337.6) Für das Futur ist der altitalienisch häufige Gebrauch in iussivischen Kontexten, also zur Versprachlichung von Befehlen, interessant: Li vecchi l’insegnarono: „Ragunerai il populo tuo, e con dolci parole parlerai, e dirai che tu li ami siccome te medesimo e ch’elli sono la corona tua […]“ (Novellino, 6, 140.8) Für das Futur der Vergangenheit steht neuitalienisch der zusammengesetzte Konditional, altitalienisch dagegen der einfache Konditional; dadurch wird auch der modale Wert im Bedingungssatzgefüge (vgl. III 4.2.2) überlagert: <?page no="149"?> III Syntax 148 E così, tra ‘l sì e ‘l no, vinse il partito che non lile darebbe. Il cavaliere fu turbato, e cominciò a venire col sembiante strano, […] (Novellino, 33, 205.11) Ammaestrato finemente dalla Filosofia di tutti li articuli de la fede, laone sapea che sarei domandato, […] (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 15, 31.26) […] providero che, s’elli non stesse anni dieci che non vedesse il sole, che perderebbe il vedere. (Novellino, 13, 158.3) Neben dem Konditional kann altitalienisch aber letztlich auch der Konjunktiv Imperfekt in der Funktion des Futur der Vergangenheit auftreten, auch der Indikativ Imperfekt ist hier möglich. […] et elli impromise di farvi una nuova cotta del primo guadagno che prendesse; […] (Novellino, 25, 190.6) 2.1.2 Tempuskonkordanz In komplexen Satzgefügen sind untergeordnete Sätze der Tempuskonkordanz unterworfen, d.h. die Tempora der Gliedsätze werden an das Tempus des übergeordneten Satzes angepasst. Altitalienisch ist die Verwendung von Tempora, die eigentlich Vor- und Nachzeitigkeit zu einem in der Vergangenheit liegenden Referenzzeitpunkt ausdrücken, auch bei Gegenwartsbezug möglich. Auch kann bei Abfolge einzelner Ereignisse in einem Vergangenheitstempus das trapassato remoto verwendet werden, wo neuitalienisch keine zusammengesetzten Zeiten auftreten: […] né poté ella, poi che veduto l’ebbe, appena dire „Domine, aiutami! “ che il lupo le si fu avventato [‚si avventò‘] alla gola, e presala forte la cominciò a portar via come se stata fosse un piccolo agnelletto. (Boccaccio, Decameron, IX, 7, 618.24) Weitere Unterschiede betreffen den bereits angesprochenen Konditionalgebrauch für das Futur der Vergangenheit oder auch den Gebrauch des Infinitiv Präsens anstelle des Infinitv Perfekt. Dico adunque che nella città di Pistoia fu già una bellissima donna vedova, la qual due nostri fiorentini, che per aver bando di Firenze dimoravano […] (Boccaccio, Decameron, IX, 1, 590.20) Eine größere Verbreitung findet altitalienisch der Konjunktiv Imperfekt, der im Nebensatz z.B. zum Ausdruck der Gleichzeitigkeit bei einem Präsens im Matrixsatz neben dem Präsens und dem Konditional auftreten kann (neuitalienisch steht hier in Abhängigkeit vom Verb der Konjunktiv Präsens). Auch im Fall der Vorzeitigkeit wird, sofern ein Konjunktiv im Gliedsatz steht, in den meisten Fällen der Konjunktiv Imperfekt gebraucht. Dies gilt auch für den Fall, dass der Matrixsatz ein passato prossimo enthält und der Gliedsatz ein Objektsatz ist. Und auch im Fall der Nachzeitigkeit kann im Gliedsatz, wie bereits gesehen, der Konjunktiv Imperfekt stehen. „[…] e stettimi in un de’ più dilettevoli luoghi che fosse mai infino a stamane a matutino: quello che il mio corpo si divenisse, io non so.“ (Boccaccio, Decameron, IV, 2, 280.39) <?page no="150"?> 2 Verbalsyntax 149 Et perciò dice Tulio che non pare che Ermagoras intendesse quello che dicea, né che considerasse quello che prometea, dicendo che tutte cause e questioni proverebbe per rettorica. (Brunetto Latini, Rettorica, 66.10) […] e io mi sento sì poco balìa, che non posso vedere com’io potesse fare questa pugna, […] (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 11, 25.11) 2.2 Modus Modalität drückt die Haltung des Sprechers zum Inhalt einer Äußerung mit Blick auf die Notwendigkeit oder die Möglichkeit aus, dass sich die dargestellte Situation realisiert. Dafür stehen unterschiedliche Versprachlichungsmöglichkeiten zur Verfügung: Neben dem Modus und dem damit morphologisch gekennzeichneten Ausdruck, der hier im Weiteren hauptsächlich interessieren soll (Konjunktiv, Konditional, wie gesehen auch Imperfekt, Futur), werden Modalverben, die Pflicht, Erlaubnis, Wunsch, Intention, Fähigkeit zu einer Handlung ausdrücken (vgl. deontisch dovere + Infinitiv, volitiv volere + Infinitiv etc.), syntaktische Konstruktionen des Typs è possibile, è vietato, è lecito etc., epistemisches mi pare oder auch modale Partikeln und Adverbien (certo, probabilmente, forse, chissà etc.) sowie schließlich Lexeme (ordine, desiderio etc.) gebraucht. Ma per quello cotanto poco di riposo, mi pare che i grandi abbiano sempre voluto quella allegrezza, e che i piccoli abbiano quello studio declinato. (Bono Giamboni, Orosio, L. 4, cap. 13, 234.4) Lexikalisch interessant sind natürlich insbesondere modale Verben, da sie vielfach polysem sind und in Abhängigkeit von der Inferenz des Sprechers parallel eine epistemische und eine deontische Lesart zulassen (dovere, potere, volere + Infinitiv). „Io ho mangiato alla villa, e tu dei aver fame. […]“ (Novellino, 83, 320.5) Potere + Infinitiv kann altwie neuitalienisch eine Möglichkeit oder Erlaubnis beschreiben und auch epistemisch verwendet werden. Im Altitalienischen können aber auch die physische Fähigkeit sowie dauerhafte Eigenschaften des Agens mit potere versprachlicht werden: […] (e) dai quatro anni inna[n]çi potiamo costri(n)ge(re) loro ke rico[m]perino (e) deanoci i den. quome detto è quando volemo, ed elli possono rico[m]perare, quando volliono sì chome detto è, […] (Doc. fior., 498.10) „Dio ti salvi, uomo di grande sapienzia: la quale non può essere piccola, poi che’ Romani t’hanno commessa così alta risposta! “ (Novellino, 61, 260.11) Volere + Infinitiv drückt wie neuitalienisch Willen oder Wunsch aus, verweist aber in Verbindung mit perfektiven Tempora darauf, dass der Wunsch nicht erfüllt worden ist. Bei Verwendung des Imperfekt wird nicht auf das Ergebnis fokussiert, so dass keine Aussage über die Erfüllung des Wunsches getroffen werden kann. <?page no="151"?> III Syntax 150 Dio aiuta! quanti uomini sono già stati c’hanno voluto abracciare e pigliare questa gloria del mondo, e hannovi messo tutto loro ingegno e forza, e sonsi morti, e non hanno potuto avere niente! (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 10, 24.4) Et in questo modo covertamente s’infingea di non volere quello che volea, […] (Brunetto Latini, Rettorica, 168.8) Als deontische Konstruktionen stehen weiter die Periphrasen essere a + Infinitiv und essere da/ avere a + Infinitiv zur Verfügung, die insbesondere in Statuten auftreten (vgl. III 2.4.2). Ancora a quello custode o custodi e acattatori e cassettari di giusto e convenevole salaro sia da provedere e pagare quante volte ai detti sindachi e procuratori parrà che faccia loro bisognio; […] (Stat. fior., 123.22) In der Entwicklung vom Lateinischen zum Italienischen haben sich mit dem Ausfall der Konstruktionen mit infinitem Verb, wie z.B. des AcI, Veränderungen für den Konjunktiv ergeben, dessen Funktionen und Gebrauch italienisch deutlich eingeschränkter sind. Die modale Bedeutung des Konjunktiv wird italienisch z.T. durch den neu aufgekommenen Konditional sowie modale Verben ausgedrückt. Dabei beschreibt der Konditional die unterschiedlichen Grade der Faktizität einer Situation (real, möglich, irreal) und tritt insbesondere in der Apodosis des Bedingungssatzgefüges auf (vgl. III 4.2.2). In deklarativen Hauptsätzen kann dazu der Wunsch des Sprechers über den Konditional ausgedrückt werden. Darüber hinaus kann der Konditional auch zum Ausdruck des Zweifels und in Interrogativsätzen verwendet werden: Ma una cosa vorrei che mi dicessi: […] (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 24, 45.25) Ora dimando così: sed e’ fosse potuto partire del paese per alcuno modo, sarebbe elli più volentieri dimorato in Utica che in Roma? (Brunetto Latini, Pro Ligario, 173.2) „[…] e questa gente prega pur di questo: / sarebbe dunque loro speme vana, / o non m’è ‘l detto tuo ben manifesto? “ (Dante, Commedia, Purg. 6, v. 32, 2, 90.7) Was den Konjunktivgebrauch betrifft, so zeigt das erste der Beispiele zum Konditional bereits einen Kontext auf - intensional wird der Konjunktiv in Abhängigkeit von den semantischen Eigenschaften des jeweils regierenden Elements (eines Verbs, Substantivs oder Adjektivs) verwendet. Daneben kann der Gebrauch des Konjunktiv syntaktisch bedingt sein (polarer Konjunktiv), also z.B. durch Negation oder Konjunktionen, die adverbiale Sätze einleiten, hervorgerufen werden. Die Differenzierung in einen intensionalen und einen polaren Konjunktiv scheint auch dadurch gerechtfertigt, dass ersterer keine Koreferenz zwischen dem Subjekt des Glied- und dem des übergeordneten Satzes erlaubt; der Konjunktiv tritt hier nur im unmittelbar untergeordneten Gliedsatz auf. Im Fall des polaren Konjunktiv liegen dagegen keine derartigen Restriktionen vor. Altitalienisch ist der Gebrauch des polaren Konjunktiv insgesamt seltener als der des intensionalen Konjunktiv. So findet sich der Konjunktiv durchaus häufig <?page no="152"?> 2 Verbalsyntax 151 in Nebensätzen, die von Matrixverben wie chiedere, domandare, pregare, supplicare oder auch teleologisch gebrauchten performative Verben wie consigliare, raccomandare, lodare etc. abhängig sind; das Agens des übergeordneten Satzes kann die Zielerreichung oder das Einsetzen eines Ereignisses nur begrenzt kontrollieren. Io ti consiglio che tu compri da me oro affocato e provato, accioché tu diventi vero rico e possiti vestire de vestimento di iustizia, accioché non si vegia la confusione della tua nuditade. (Giovanni dalle Celle, Lettere, 23, 342.8) Signori, io mi vi raccomando, che per aver fatta debita reverenza, io non perisca; […] (Sacchetti, Trecentonovelle, 87, 201.13) Dies könnte ein Hinweis auf einen möglicherweise v.a. semantisch bedingten Gebrauch des Konjunktiv im Altitalienischen sein. Im modernen Italienisch kann vielfach der Indikativ parallel ohne signifikante Bedeutungsunterschiede stehen. Möglicherweise ist der Konjunktiv heute ein reiner Indikator für die syntaktische Unterordnung. Für den intensionalen Konjunktiv lässt sich nun in Abhängigkeit vom jeweils regierenden Element eine weitere Unterscheidung in volitiven, epistemischen und faktitiven Gebrauch vornehmen. Volitiv gebraucht ist der Konjunktiv in Gliedsätzen, die den Wunsch des in Subjektfunktion auftretenden Agens ausdrücken. Altitalienisch werden diese Gliedsätze von Verben wie ammonire, comandare, concedere, desiderare, ordinare, sperare, volere (auch mit Indikativ), Substantiven wie patto, desiderio oder Adjektiven wie convenevole, degno eingeleitet: Amoniamo che tutti quelli di quelli di questa Compagnia si guardino quanto possono che non giurino disordinatamente. (Stat. fior., I, par. 10, 36.7) Statuto era in Costantinopoli che qualunque nave viniziana arrivasse nel porto loro, la nave e ciò che entro vi fosse si publicasse al segnore. (Brunetto Latini, Rettorica, 111.1) Bei epistemischem oder dubitativem Gebrauch liegt eine Wertung des Sprechers bezüglich der Richtigkeit einer Aussage oder Möglichkeit eines Zustands vor. Der Gliedsatz ist hier abhängig von Verben wie credere (auch mit Konditional), pensare (auch mit Indikativ), mostrare (auch mit Indikativ), stimare, apporre, ricordare, rimembrare, accorgersi, avvedersi, negare, dubitare, sembrare, parere, avvenire, poter essere (auch mit Indikativ) und Substantiven wie credenza, intendimento, opinione: […] ispesso sono vinti gli Troiani, quando aviene che Ettor nonn esca alla battaglia. (Libro della Distr. Troia, 180.6) E fo∙mi maraviglia ch’amor si / sì dibasato, che regni in tuo core, / che dice om ch’ave tanta gentilia; […] (Chiaro Davanzati, son. 91, v. 10, 313.7) Der faktitive Gebrauch des Konjunktiv mit Verben ist altitalienisch deutlich begrenzter als neuitalienisch. Altitalienisch steht hier normalerweise der Indikativ, der neuitalienisch vielfach parallel zum Konjunktiv verwendet werden kann. Substantive, die den Gebrauch des faktitiven Konjunktiv auslösen, sind meraviglia sowie abweichend vom Neuitalienischen esempio; die in Frage kommen- <?page no="153"?> III Syntax 152 den Adjektive werden dagegen eher volitiv bzw. epistemisch gebraucht, vgl. z.B. buono, giusto, bello; weiter können die Adverbien bene, meglio, strano, straordinario, incredibile, naturale, logico mit faktitivem Konjunktiv stehen: […] egli si rallegrava che l’ira sua molti cognoscessono e niun la sentisse. (Bart. da San Concordio (pis. > fior.), dist. 30, cap. 4, par. 4, 451.15) […] era meglio che la femina avesse due mariti che l’uomo due mogli […] (Fiore e vita di filosafi, 138.7) Der polare Konjunktiv ist nun, wie bereits angesprochen, syntaktisch motiviert und steht mit Negation bzw. negativen Indefinita, mit Konjunktionen, die adverbiale Sätze regieren, aber auch in indirekten Fragesätzen sowie in Komparativ- und Relativsätzen. V.a. finale Konjunktionen sowie temporale Konjunktionen der Nachzeitigkeit (prima che, avanti che, innanzi che), weiter auch konditionale und konzessive Konjunktionen (purché; benché, avegna che, (tutto) ancora che, con ciò sia cosa che) können die Verwendung des Konjunktiv auslösen. Auch die Adverbien ove und dove stehen mit Konjunktiv. Amico mio, Lucillo, i’ non ti spavento di leggere queste cose, purché tu incontanente rechi, e addirizzi a correzione de’ tuoi costumi quello, che tu avrai letto. (Pistole di Seneca, 89, 256.2) […] che tu sarai loro umile e benigno e, dov’egli li avesse faticati, che tu li soverrai in grande riposo […] (Novellino, 6, 140.11) In questa parte dice Tulio che, con ciò sia cosa che lle cause e lle quistioni sopr’ alcuna vicenda […] siano di tre maniere, […] (Brunetto Latini, Rettorica, 57.5) In indirekten Fragesätzen steht der Konjunktiv mit sapere, in Verbindung mit che kann auch der Indikativ stehen. Mit dire steht der Konjunktiv wie der Indikativ, ähnlich stellt sich der Fall für domandare dar. Mit Konjunktiv stehen arbitrare, conoscere, contendere, deliberare, discoprire, estimare, questionare, pensare, vedere, mit Konjunktiv oder Indikativ dagegen considerare, dimostrare, insegnare, trovare: […] e così contendeano qual fosse il migliore o ‘l finissimo partito: o tenere o mandare la gente. (Brunetto Latini, Rettorica, 124.10) Der Konjunktiv steht weiter in v.a. hypothetischen Komparativsätzen mit come se sowie bei temporaler Bedeutung auch mit tanto… quanto. Bei Ungleichheit steht der Konjunktiv, wenn der übergeordnete Satz negiert ist: […] ed io mi sentio cominciare un tremuoto nel cuore, così come se io fosse stato presente a questa donna. (Dante, Vita nuova, cap. 24, parr. 1-6, 106.9) Marco Lombardo, uomo di corto savissimo piu che niuno di suo mistiere fosse mai, fu un dì domandato […] (Novellino, 55, 245.1) Im Fall der Relativsätze ist der Konjunktivgebrauch von der Bedeutung des Nominalsyntagmas abhängig. So wird der Konjunktiv verwendet, wenn die Existenz des Referenten nur hypothetisch ist oder gar negiert wird. In definitorischen Relativsätzen ist der Konjunktiv altwie neuitalienisch möglich. In der Regel bedarf es <?page no="154"?> 2 Verbalsyntax 153 eines polaren Indefinitums, das die Verwendung des Konjunktiv legitimiert, wobei hier bei positiven Indefinita auch der Indikativ stehen kann. Weiter wird der Konjunktiv nach einem relativen Superlativ gebraucht: […] però che non trovaro in tutta Romagna neuno che fosse degno di sedere in suo luogo. (Novellino, 41, 222.19) Istretta è la via e piccola la porta che mena alla vita, e pochi sono che vadino per quella […] (Bono Giamboni, Trattato, cap. 29, 149.25) Ogne uomo che sa lettera non è savio. (Novellino, 94.338.5) Dunque se’ tu la più forte cosa che io mai trovasse: […] (Novellino, 70, 289.15) Wie im Neuitalienischen steht der Konjunktiv schließlich auch altitalienisch in Relativsätzen ohne Antezedens (vgl. nit. Chi dicesse questo, sbaglierebbe.). Chi wird altitalienisch auch in der Bedeutung ‚wenn jemand‘ vielfach mit Konjunktiv verwendet, dem Relativsatz kommt dabei adverbiale Funktion zu. […] che molto sarebbe lungo a contare e crudele e terribile a udire, chi ben volesse ogni cosa contare. (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 50, 86.14) 2.3 Passivische und unpersönliche Konstruktionen 2.3.1 Passiv Das v.a. in distanzsprachlichen Texten auftretende Passiv ermöglicht informationsstrukturell die Ausblendung des Agens in Sätzen mit transitivem Verb. Gleichzeitig besetzt das direkte Objekt des Aktivsatzes mit der Passivierung die Position des grammatischen Subjekts (als Patiens). Wird das Agens ausgedrückt, erfolgt dies durch eine Präpositionalphrase mit da. Neuitalienisch stehen als Auxiliare essere und venire zur Verfügung, wobei über letzteres die Handlung betont wird, bei essere dagegen ist eine Interpretation als Zustand möglich. Auch mit andare ist die Passivbildung möglich, allerdings ist diese meistens deontisch, das Agens kann in diesem Fall nicht ausgedrückt werden (il libro va letto ‚das Buch ist zu lesen/ muss gelesen werden‘; seltener rein passivisch: il libro andò perduto ‚das Buch ist verloren gegangen‘). Mit rimanere schließlich wird auf den Zustand des Patiens abgehoben (molte persone sono rimaste ferite ‚viele Personen wurden verletzt‘). Altitalienisch ist auch stare + Partizip Perfekt möglich, wobei hier ähnlich wie im Fall der Periphrase stare + Partizip Präsens auf eine statisch-durative Lesart abgehoben wird: Dinanzi a li occhi miei le quattro face / stavano accese, e quella che pria venne / incominciò a farsi più vivace, […] (Dante, Commedia, Par. 27, v. 11, 3, 444.4) Wie in Kapitel II 6, 6.1 erläutert, liegen im Italienischen für sämtliche Tempora periphrastische Passivformen vor. Im Lateinischen gibt es lediglich für den Perfektstamm analytische Formen (vgl. CANTATUM EST ‚es ist gesungen worden‘ vs. Präsens Indikativ VIDEOR ‚ich werde gesehen‘), die Vergangenheitsbedeutung wird entsprechend klar über das Partizip angezeigt. Mit der Reorganisation der Passivbildung ist die Möglichkeit einer präsentischen Interpretation verbunden, <?page no="155"?> III Syntax 154 letztlich bedingt durch das im Präsens stehende Auxiliar, aber auch durch die mit dem Ausfall der synthetischen Passivformen entstehende Lücke im System, die durch die ursprüngliche Perfektperiphrase gefüllt wird. Italienisch ist entsprechend bei der Verwendung des Auxiliars essere ähnlich wie im Deutschen eine Interpretation als Zustands- (statisch) wie als Vorgangspassiv (dynamisch) möglich (vgl. la porta è aperta ‚die Tür ist geschlossen‘ (Zustand) vs. ‚die Tür wird geschlossen‘ (Vorgang)). Mit venire dagegen ist ausschließlich eine Interpretation im Sinne eines Vorgangs möglich (vgl. dt. die Tür ist geschlossen vs. die Tür wird geschlossen). Im Falle der als Zustandspassiv beschriebenen Konstruktion ist die Form von essere als Kopula und das Partizip als Prädikativ interpretierbar. Als Zustandspassiv ist daher nur diejenige Konstruktion zu werten, die in einem klaren Zusammenhang mit dem Vorgangspassiv steht, also das Resultat einer Handlung beschreibt. Anders als im Deutschen (vgl. die Tür ist geöffnet vs. die Tür ist offen) ist eine lexikalische Differenzierung in Partizip und Adjektiv im Italienischen seltener (vgl. aperto ‚geöffnet‘, ‚offen‘). Eine Desambiguierung mit Blick auf die Darstellung eines Vorgangs oder eines Zustands ist für die meisten Tempora damit in der Regel lediglich kontextbezogen möglich, so etwa über temporale Adverbien. Sofern die Passivkonstruktion im Perfekt steht, liegt die gleiche Bedeutung wie neuitalienisch vor (il puledro fu notricato a latte d’asina). Wenn sie aber im Präsens, Imperfekt oder Futur steht, ist sie ambig, was insbesondere bei resultativen Verben sichtbar wird: Ma per lo mio sermone / intendi la ragione / perché fu ella fatta / e de la costa tratta: […] (Brunetto Latini, Tesoretto, v. 483, 192.25) „[…] ma cotanto vi dico: che ‘l cavallo è nutricato [‚è stato nutrito‘] a latte d’asina“. (Novellino, 2, 126.13) „Messer, a voi sono già fatti diecimilia disinori, et a me n’è fatto pur uno: […]“ (Novellino, 51, 238.4) Nel decto concilio s’anuntiò, prima anni X, con grandissimo pianto, come Ierusalem era perduta e venuta in servitù de’ cani Saracini, […] (Cronica fior., 90.19) Als aspektuelle Variante zu essere + Partizip Perfekt kann - mit Blick auf eine durative Lesart - andare + Partizip Perfekt fungieren, wobei hier eher eine Zustandsbeschreibung als eine tatsächliche Passivierung der verbalen Handlung erfolgt (vgl. auch den parallelen Gebrauch von existentiellem avere im folgenden Beispiel, der auch auf diese Interpretation hindeutet): […] che la larga strada che mena l’anime a l’inferno andò sì calcata [‚era così piena di folla‘], e a la gran porta de l’inferno ebbe si grande stretta, […] (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 59, 97.20) Die Bildung venire + Partizip Perfekt ist wohl in den meisten Fällen als prädikativ einzustufen. Vielfach steht sie mit indirektem Objekt (vielfach pronominal ausgedrückt), ohne dass der Aktant Kontrolle über das Ereignis hätte. Häufig belegt ist v.a. gli venne fatto ‚gelingen‘, ‚etwas erreichen‘, ‚schaffen‘. In einigen Fällen, wie così non venne fatto, scheint aber durchaus auch eine passivische Interpretation möglich (s. auch die beiden letzten Beispiele der folgenden Gruppe). <?page no="156"?> 2 Verbalsyntax 155 E venendo il terzo giorno che Tristano torna nel bagno, vennegli lasciata [‚gli capitò di lasciare‘] aperta la sua camera per dimenticanza, […] (Tavola ritonda, cap. 23, 83.25) […] che lli dovea essere data l’entrata della terra; e per sua sventura no∙ lli venne fatto, ma fu preso con da XX nostri isbanditi andandosene per Mugello agli Ubaldini, […] (Giovanni Villani (ed. Porta), L. 13, cap. 2, 3, 293.11) Virginio smosse quivi così fieramente la gente, come aveva fatto a Roma, però che venne accompagnato presso che di quattrocento uomini, […] (Filippo da Santa Croce, Deca prima di Tito Livio, L. 3, cap. 50, 1, 313.27) […] / e ragionando, a Teseo venne detto / de’ due Teban li qua’ facea tenere / imprigionati, […] (Boccaccio, Teseida, L. 3, ott. 47, v. 5, 342.11) Zurückkehrend zur klassischen Passivkonstruktion mit essere besteht ein weiterer Unterschied zum Neuitalienischen in der Möglichkeit des Agensanschlusses nicht nur über da, sondern auch über per, wobei die beiden Anschlüsse im gleichen Satz auftreten können: Nel tenpo di costui, sotto l’anno del MCC anni, la città di Costantinopoli fu presa per li Francesschi e da’ Viniziani, la quale è una delle maggiori cittadi del mondo. (Cronica fior., 113.4) Altitalienisch ist die Passivkonstruktion allerdings auch möglich, ohne dass das Patiens (direktes Objekt des Aktivsatzes) ausgedrückt wird, so etwa bei generischer oder indefiniter Interpretation. Ein solches unpersönliches oder indefinites Passiv ist dabei nicht nur mit transitiven, sondern auch mit intransitiv inergativen Verben, also solchen Verben, die nicht mit einem direkten Objekt stehen können, möglich: Allora fu tramesso per lo cavaliere ch’addomandava il dono. (Novellino, 3, 132.5) […] e disse che nel consiglio era ragionato qual iera meglio tra che un omo avesse due mogli o una femina avesse due mariti, […]. (Fiori di filosafi, 137.5) L’altra mattina seguente fu andato alla campana da casa Tornaquinci […] e appena che si vedesse lume, fu bussato, […] (Sacchetti, Trecentonovelle, 78, 172.23) Da die Satzgliedstellung altitalienisch freier ist, kann das Subjekt im Passivsatz präverbal, aber auch in Inversion zum Auxiliarverb oder gar postverbal stehen. […] e fosse il suo corpo messo in su questo letto, vestito di suoi piue nobili vestimente e con bella corona […] (Novellino, 82, 317.8) Al padre furono racontate tutte queste novelle, […] (Novellino, 7, 144.8) […] e questi fu veduto nel luogo ove il maleficio fu fatto; e colui che fu morto [‚fu ucciso‘] fu udito poco stante gridare. (Fiore di rett., red. beta, cap. 38, 37.14) Anders als neuitalienisch können altitalienisch sämtliche Verben, die einen Objektsatz regieren, passiviert werden. Neuitalienisch muss hier auf ein si impersonale ausgewichen werden: <?page no="157"?> III Syntax 156 […] perciò che sse noi ci ne passiamo così tacendo fosse pensato [‚si penserebbe‘] che noi lo seguissimo sanza cagione; […] (Brunetto Latini, Rettorica, 99.2) Guarda le feste che a suo onore e de’ suoi santi sono ordinate di guardare. (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 17, 36.26) 2.3.2 Si passivante und si impersonale Neben dem Passiv selbst stehen altwie neuitalienisch weitere Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung, bei denen das Subjekt zwar in der Regel als [+ human] charakterisiert, aber indefinit ist - gemeinhin werden diese Konstruktionen der Einfachheit halber als unpersönlich beschrieben. Im Neuitalienischen stehen u.a. die als si passivante und si impersonale bekannten Konstruktionen zur Verfügung, in denen das si unterschiedliche Funktionen übernehmen kann. Im Falle des si impersonale wird si als indefinites Subjekt genutzt, die Konstruktion ist mit transitiven (ohne Ausdruck des direkten Objekts, auch im Passiv) wie intransitiven Verben möglich (Si va al cinema? , Si ottiene opportuno questo provvedimento., Spesso non si viene ascoltati. ‚Uno spesso non viene ascoltato.‘). Ist das direkte Objekt ein Pronomen, so geht das Klitikon dem si impersonale voraus (lo si seguirà con attenzione). Wird das direkte Objekt bzw. das Patiens dagegen lexikalisch ausgedrückt, tritt neben si mangia le mele (si impersonale, ‚noi mangiamo le mele‘) als syntaktische Variante si mangiano le mele, wobei hier nicht das si, sondern le mele Subjekt des Satzes ist, wie die Kongruenz des Verbs zu le mele zeigt. Diese Konstruktion kann als Variante der Passivkonstruktion mit essere + Partizip Perfekt betrachtet werden und wird entsprechend als si passivante bezeichnet (die Bedeutung von si mangiano le mele wäre entsprechend als ‚le mele sono/ vengono mangiate‘ zu beschreiben). Während standardsprachlich hier eine Überschneidung von si impersonale (Verb im Singular) und si passivante (Verb im Plural) auftritt, ist in vielen Varietäten zweitgenannte Konstruktion obligatorisch. Problematisch ist nun der Fall, in dem das transitive Verb im Satz mit einem direkten Objekt im Singular steht, da bei Verwendung einer indefiniten Konstruktion mit si standardsprachlich prinzipiell beide Lesarten möglich sind: Alle otto si serve la cena. kann also im Sinne des si impersonale als ‚Alle otto serviamo/ qualcuno serve la cena.‘, aber auch als si passivante ‚Alle otto la cena viene servita.‘ interpretiert werden. Für die zweite Lesart spricht die Kongruenz des Verbs bei einem pluralischen nominalen Element (si servono le bibite), sowie des Partizip bei zusammengesetzten Zeiten (si è servita una bibita). Interessanterweise ist z.T. in den modernen Varietäten, aber auch im Altitalienischen, die Kongruenz im ersten Fall nicht durchgängig, im zweiten erfolgt sie gar nicht. Trotz der semantischen Parallele zum Passiv wird im Falle des si passivante das Agens neuitalienisch nie versprachlicht (s. in questa regione si producono vini eccellenti). Weiter ist ein Bezug nur auf die 3. Person möglich; bei Bezug auf die 1. oder 2. Person steht obligatorisch das si impersonale, wobei das si wie gesehen semantisch und syntaktisch Subjekt des Satzes ist. Über den angesprochenen Fall hinaus fehlt altitalienisch die Kongruenz für das si passivante v.a. bei postverbaler Stellung des grammatischen Subjekts (also <?page no="158"?> 2 Verbalsyntax 157 des direkten Objekts in aktivischen Sätzen mit definitem Subjekt); bei Voranstellung eines klitischen Pronomens muss dagegen Kongruenz erfolgen (*li si legge): Usavansi allora le medaglie, in Firenze, che le due valevano uno danaio piccolo. (Novellino, 96, 342.5) Anche in questo medesimo consiglio s’ordinoe e fermò che per questa pasqua di Natale proxima, che ora dé venire, si dea soldi XL a’ poveri, per l’amore di Dio, al modo usato. (Stat. fior., par. 47, 65.32) Die Konstruktion steht mit transitiven sowie abweichend vom Neuitalienischen auch mit intransitiven und inergativen, nicht aber mit (pseudo-)reflexiven Verben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass einige heute intranstive Verben altitalienisch transitiv gebraucht werden, wie z.B. domandare. Si-Konstruktionen mit inakkusativischen Verben sind für das 13. Jh. noch nicht belegt. Anders als im Neuitalienischen tritt altitalienisch in einigen Kontexten durchaus das Agens auf, das mit da, da parte di oder per angeschlossen werden kann. Dabei wird vielfach auf einen über den Kontext erschließbaren Personenkreis oder auf Personengruppen Bezug genommen, zu denen auch der Sprecher gehört (vgl. nit. *Si va da parte di noi in città). Prinzipiell ist aber eine Ausdehnung auf die gesamte Menschheit möglich (vgl. z.B. come si legge ‚wie jeder lesen kann‘). […] ché quello imperador che là sù regna, / perch’ i’ fu’ ribellante a la sua legge, / non vuol che ‘n sua città per me si vegna. (Dante, Commedia, Inf. 1, 1, 19.7) Da che le cose furo un poco racquetate, sì si mise un bando da parte delle Virtù […] (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 61, 99.17) […] la risposta della domanda de’ Greci, che si dovesse fare per Socrate filosofo, […] (Novellino, 61, 259.10) Semantisch ebenfalls auf die Entwicklung des si impersonale verweist die als indefinit interpretierbare Verwendung von si im nachfolgenden Beispiel mit einem prädikativen Komplement im Singular (neuitalienisch Plural): Voialtri pochi che drizzaste il collo / per tempo al pan de li angeli, del quale / vivesi qui ma non sen vien satollo [‚non se ne diventa sazi‘], […] (Dante, Commedia, Par. 2, v. 12, 3, 22.4) 2.3.3 Weitere indefinite Ausdrucksweisen Ähnlich wie im Neuitalienischen stehen auch altitalienisch neben dem Passiv und dem si passivante (bzw. neuitalienisch si passivante und si impersonale) weitere Möglichkeiten zur Verfügung, das Subjekt als persönlich indefinit darzustellen. So kann über ein generisches Subjekt, wie etwa ait. (l’)uomo, ähnlich la gente, Indefinitheit ausgedrückt werden. Pronominal ist altri (sg.; altrui als Obliquus) häufig, das anders als das neuitalienisch in diesen Kontexten typische uno Alterität impliziert in dem Sinne, dass etwa bei altri crede ‚si crede‘ der Autor oder die Allgemeinheit eine andere Meinung vertritt. Uno als generisches Subjekt ist nur in Verbindung mit un altro belegt, alcuno hat v.a. existentielle Bedeutung. Daneben ist eine generische Verwendung des Verbs in der 2. Pers. Sg. sowie der 1. und <?page no="159"?> III Syntax 158 3. Pers. Pl. möglich. Die 3. Pers. Sg. kann altitalienisch bei deklarativen Verben auftreten, wobei hier auf ein implizites Subjekt wie libro o.ä. abgehoben wird: Prima che la cittade di Roma si facesse anni MCCC, Nino re di quelli di Soria in prima, secondo che dicono, per desiderio di distendere segnoria […] (Bono Giamboni, Orosio, L. 1, cap. 4, 29.16) Qui divisa delle tre potenze dell’anima. (Tesoro volg. (ed. Gaiter), L. 6, cap. 4, 3, 20.1) Qui conta della carestia che fu i’ Napoli di giugno MCCCXXVIIIJ. (Dom. Benzi, Specchio umano, 338.13) 2.4 Komplexe verbale Prädikate 2.4.1 Verb mit Infinitivergänzung Neben einfachen Verben sind syntaktisch auch solche Verben interessant, die mit einer Infinitivergänzung stehen, die die Funktion eines Gliedsatzes hat. Dabei erfolgt der Infinitivanschluss häufig über eine einfache Präposition (v.a. di), verschiedentlich aber auch ohne Präposition (z.B. bei faktitiv-kausativen Verben wie fare, lasciare oder perzeptiven Verben wie udire, vedere, sentire, ascoltare etc.). Dabei übernimmt der Gliedsatz mit infinitem Verb unterschiedliche Funktionen, so die des Subjekt- oder Objektsatzes oder auch die der freien Ergänzung zum Verb. Prinzipiell lässt sich für den Infinitiv eine Differenzierung in fünf Typen auf der Basis der grammatisch-syntaktischen Eigenschaften des regierenden Verbs leisten: a) Verben, mit deren Agens (Subjekt) die im Infinitiv ausgedrückte Handlung kontrolliert wird (z.B. Gianni promette a Maria di venire domani.; verbi di controllo); b) unpersönliche Verben wie sembrare, parere etc., die Subjektsätze einführen - das Subjekt des Subjektsatzes kann zum syntaktischen Subjekt des regierenden Verbs werden, woraus die Konstruktion mit Infinitiv folgt (Sembra che Mario sia felice. => Mario sembra essere felice.), d.h. das Subjekt wird in diesen Fällen auf die Ebene des übergeordneten Satzes gehoben (verbi di sollevamento); c) Verben, die die Bildung eines Verbalkomplexes unter Einbindung des Infinitiv zulassen mit entsprechenden Konsequenzen auf syntaktischer Ebene - bei Betrachtung des regierenden Verbs und des abhängigen Infinitiv als getrennte Einheiten steht ein Klitikon nach dem Infinitiv, während es bei Behandlung als Verbalkomplex vor das finite, regierende Verb tritt (vgl. Il comune doveva costruirle. vs. Il comune le doveva costruire.). Die Auxiliarselektion ist dabei durch das im Infinitiv erscheinende Verb bestimmt (siamo dovuti partire), das direkte Objekt kann im Fall einer Konstruktion mit si passivante Subjektfunktion übernehmen (il mutuo si doveva pagare). Zu den Verben, die altwie neuitalienisch diese Restrukturierung erlauben, zählen: die Modalverben dovere, potere, sapere und volere; Verben, die perfektiven <?page no="160"?> 2 Verbalsyntax 159 Aspekt anzeigen, wie cominciare oder finire; einige statische und Bewegungsverben (stare, andare, venire); konative Verben wie cercare und tentare; solere (altitalienisch weniger stark stilistisch markiert; verbi di ristrutturazione). d) faktitive/ kausative (fare, lasciare) und perzeptive Verben (udire, vedere, sentire, guardare etc.), bei denen der Infinitiv ohne Präposition angeschlossen wird; die Abfolge aus Verb und Infinitiv kann nicht aufgebrochen werden, pronominale Verben können mit oder ohne reflexives Klitikum auftreten, die Negation steht ausschließlich beim regierenden Verb, wodurch das komplexe Prädikat aus regierendem Verb und Infinitiv negiert wird. e) perzeptive Verben, die einen Infinitivatz regieren können, dessen Subjekt strukturell das Objekt des regierenden Verbs ist und in dem mögliche unbetonte Pronomina enklitisch zum Infinitiv stehen. Dabei ist die Zahl, der der Gruppe a) zugehörigen Verben am größten. Wie gesehen, werden Infinitivätze vielfach - in Abhängigkeit vom jeweiligen regierenden Verb - durch eine Präposition eingeleitet. Dabei liegt altitalienisch eine größere Variation bei den Präpositionen vor als neuitalienisch, wenngleich dennoch am häufigsten di auftritt (interessanterweise tritt v.a. bei Compagni keine Präposition auf; auch in latinisierenden Strukturen unterbleibt verschiedentlich die Setzung einer Präposition). Nella vecchia legge comandò egli cavare occhio per occhio; ma nel Vangelio comandò di parare l’altra gota quando l’una fosse ferita. (Tesoro volg. (ed. Gaiter), L. 1, cap. 18, 1, 54.5) […] avegna ch’io sia costretto credere per lo parto, […] (Arte Am. Ovid., L. III, 333.6) Altitalienisch lässt sich eine größere Gruppe Verben der Kategorie c) zuweisen als neuitalienisch, so etwa acconciare (‚vorbereiten‘), aiutare, aspettare, credere, convenire (‚brauchen (unpersönlich)‘), insegnare, mandare, desiderare, fallare (‚fehlen‘), mettersi, minacciare, osare, promettere, proporre, soffrire, sperare, temere, usare. Anders als neuitalienisch kann altitalienisch auch avere als Auxiliar auftreten (auch mit essere), obwohl das infinit erscheinende Verb mit essere steht. Chè bene potete pensare, che quando la ruota volgesse molte volte, la formica non avrebbe potuto andare una. (Tesoro volg. (ed. Gaiter), L. 2, cap. 40, 1, 399.5) […] cioè uno sconcio giovanetto et uno uomo, io direi forte, se elli medesimo non avesse voluto essere chiamato Felice. (Valerio Massimo, red. V1, L. 6, cap. 9, 460.8) Die Verbindungen aus faktitiv-kausativen oder perzeptiven Verben und Infinitiv können als komplexe Prädikate gefasst werden. Interessant ist hier auch der Anschluss eines Nominalsyntagmas über a. V.a. im 14. Jh. ist auch der Anschluss des Agens über eine Präpositionalphrase mit per (nicht da) möglich: […] e fu vittorioso sopra tutte genti, ma egli si lasciava vincere al vino, e alle femine. (Tesoro volg. (ed. Gaiter), L. 1, cap. 27, 1, 81.11) <?page no="161"?> III Syntax 160 Qualunque persona de la città di Firenze o del distretto od altro straniere di qualunque parte vorrà venire a questa compagnia, debbiasi fare scrivere per lo notaio de la compagnia […] (Stat. fior., 669.1) Faktitives fare kann altitalienisch anders als neuitalienisch durch unterschiedliche Konstituenten des abhängigen Satzes vom Infintiv getrennt werden: […] e fatto da certi medici riguardare se con veleno o altramenti fosse stato il buono uomo ucciso, […] (Boccaccio, Decameron, IV, 6, 304.1) Anders als im Neuitalienischen, kann das Agens des Infinitiv altitalienisch durch ein indirektes Objekt ausgedrückt werden (vgl. zum nachfolgenden Beispiel nit. da cui si era lasciato possedere): […] lo mio cuore cominciò dolorosamente a pentere de lo desiderio a cui sì vilmente s’avea lasciato possedere alquanti die contra la costanzia de la ragione: […] (Dante, Vita nuova, cap. 39, parr. 1-7, 153.3) Mit Blick auf die faktitiven und perzeptiven Verben liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Alt- und dem Neuitalienischen darin, dass neuitalienisch für erstere das nicht-pronominale Subjekt eines intransitiven Verbs im Infinitiv postverbal auftritt. Altitalienisch besteht damit kein Unterschied in der Wortstellung bei faktitiven und perzeptiven Konstruktionen mit intransitiven Verben. Für die Konstruktionen mit perzeptiven Verben ist altitalienisch die große Nähe zum mittelalterlich noch weiter verbreiteten AcI (s. dazu III 4.1.1) problematisch. In perzeptiven Konstruktionen kann das Subjekt unausgedrückt bleiben (vgl. für das nachfolgende Beispiel nit. non ho udito mai che qualcuno ci abbia trovato un rimedio): Mai nonn-udi’ medicina trovarvi, / néd io non son per gir contra podere. (Amico di Dante, son. 48, v. 13, 766.13) 2.4.2 Verbalperiphrasen Die im Neuitalienischen vorliegenden Periphrasen sind auch für das mittelalterliche Italienisch belegt. Verschiedentlich lassen sich aber Unterschiede bezüglich morphologogischer wie semantischer Restriktionen ausmachen; hinzu kommen Abweichungen in der diasystematischen Markierung und der Gebrauchshäufigkeit. So ist etwa stare + Gerund, das neuitalienisch als progressive Periphrase gilt und ausschließlich mit imperfektiven Tempora auftritt, altitalienisch deutlich seltener belegt. Da in den meisten Fällen eine wörtliche Lesart (‚stehen‘/ ‚s. an einem Ort befinden und dabei etwas tun‘) möglich erscheint, ist altitalienisch bei dieser Konstruktion noch nicht von einer Periphrase auszugehen. Il drago ancora con suanti pene, / ch’ognor sanza dormir i pomi d’oro / guardando stava, fu morto da tene. (Boccaccio, Amorosa Visione, c. 26, v. 51, 119.32) Weitere Verbreitung haben altitalienisch andare (bzw. (g)ire) und venire + Gerund. Die Periphrasen sind neuitalienisch stilistisch hoch markiert und haben anders als stare + Gerund nicht progressiven, sondern kontinuativen Charakter. Sie sind also <?page no="162"?> 2 Verbalsyntax 161 durch Prozessualität und Durativität gekennzeichnet und dienen dem Ausdruck graduell voranschreitender Handlungen, d.h. die Handlung wird zu mehreren Zeitpunkten als im Verlauf befindlich erfasst (vs. progressiv nur zu einem Zeitpunkt). Aspektbezogen scheinen keine Restriktionen vorzuliegen, da die Periphrasen mit sämtlichen perfektiven wie imperfektiven Tempora auftreten können. Altitalienisch ist für imperfektive Tempora eine habituale, aber auch eine progressive Lesart möglich: […] e molto m’è rubello / chi dispende in bordello / e va perdendo ‘l giorno / in femine d’intorno. (Brunetto Latini, Tesoretto, v. 1454, 227.1) E rotta sua lancia, Tristano mette mano a sua spada, e tanto va faccendo d’arme, che a tutta gente pareva impossibile a credere: […] (Tavola ritonda, cap. 96, 377.12) […] la terza che va faccendo, che aquistando va vita etterna. (Ottimo, Purg., c. 8, 114.4) Andare + Gerund steht altitalienisch v.a. mit kontinuativen Prädikativen (semelfaktive und iterative Verben) und wird vielfach durch ein semantisch entsprechendes Adverb ergänzt; venire + Gerund steht mit telischen Verben. Die Periphrasen ergänzen sich damit partiell aktional-semantisch, lediglich mit Blick auf die Wiederholung einer Handlung zeigen sich Überschneidungen, wobei die Periphrase andare + Gerund nicht telisch ist: […] et elli ebbe la battaglia davanti, venne uccidendo a destra e a sinestra, sicché misero i nemici a distruzione. (Novellino, 31, 201.3) Was die Frequenz der Periphrasen mit Gerund betrifft, ist auffällig, dass zwar neuitalienisch stare + Gerund häufig ist und stare stärker desemantisiert ist als andare und venire in den morphologisch vergleichbaren Konstruktionen, dass aber die Periphrase andare + Gerund altitalienisch am häufigsten belegt ist, wenngleich ähnlich wie bei stare verschiedentlich eine wörtliche Interpretation für andare möglich ist. Venire + Gerund ist deutlich seltener als andare + Gerund, weist aber möglicherweise altitalienisch weniger aktionale Einschränkungen auf als neuitalienisch; altitalienisch finden sich kaum Belege für die Verwendung mit Verben der Äußerung, die dagegen neuitalienisch am häufigsten ist […] vedendo Calandrino che il lavorio si veniva finendo e avvisando che, […] (Boccaccio, Decameron, IX, 5, 610.10) Die Zurückdrängung der Periphrasen mit andare und venire und die gleichzeitige Stärkung der stare-Konstruktion geht auch mit einer Beschränkung auf bestimmte Prädikate einher (resultative, inkrementive Verben). Mit Blick auf die lexikalische Generalisierbarkeit, also die Zahl der Verben, die in der Periphrase auftreten können, ist stare + Gerund heute stärker grammatiksalisiert als andare + Gerund; am schwächsten ausgeprägt ist sie bei venire + Gerund. Ebenfalls progressiven bzw. kontinuativen Charakter weist die neuitalienisch im mündlichen Sprachgebrauch häufigere und da v.a. negativ konnotierte Periphrase stare a + Infinitiv auf (‚Zeit damit verschwenden etwas zu tun‘), die mit perfektiven wie imperfektiven Tempora auftreten kann und insgesamt weniger <?page no="163"?> III Syntax 162 morphologischen Restriktionen unterworfen ist als stare + Gerund. Altitalienisch zeigt sich aber eine lexikalische Spezialisierung, als die Periphrase v.a. mit perzeptiven Verben auftritt. Möglich ist die Verbindung mit telischen wie atelischen, hier insbesondere kontinuativen Verben, wobei diese nur mit perfektiven Tempora stehen. Mit Imperfekt stellt sich vielfach eine habituale Bedeutung ein. Im Präsens kann eine futurische Lesart hinzutreten, was sich auch in der Parallelität mit Futurformen im gleichen Satz zeigt: „Stiamo a vedere che sserà di loro e del re di Raona.“ (Legg. G. di Procida (tosc.), 68.6) Altitalienisch ist auch für stare a + Infinitiv verschiedentlich die wörtliche Bedeutung für stare möglich, insbesondere mit Verben des Beobachtens; die Interpretation wird durch lokale Adverbien wie betontes là oder unbetontes vi gestützt. Insgesamt hat stare a + Infinitiv eine eher statische Lesart. Altitalienisch tritt die Periphrase mit sämtlichen Tempora auf, auch mit stare selbst. Ein leichtes Übergewicht zeigt sich bei atelischen und durativen, v.a. perzeptiven Verben. Als deontische Periphrasen sind für das Altitalienische zum einen zu nennen essere a + Infinitiv, der eine futurische Komponente inhärent ist, zum anderen essere da + Infinitiv und avere a + Infinitiv. Trotz morphologischer Ähnlichkeit wird essere da + Infinitiv augenscheinlich häufiger wie ein Passiv ohne Ausdruck des Agens verwendet als essere a + Infinitiv. In dieser Lesart entsprechen die genannten Periphrasen dover essere + Partizip Perfekt. Unpersönlich gebraucht kommt essere da die Bedeutung ‚man muss‘, ‚es ist nötig‘ zu. Im Gegensatz zu essere da/ a + Infinitiv hat semantisch vergleichbares avere a bzw. da + Infinitiv aktivische Bedeutung. Pensa nel tuo cuore le cose che sono a venire, e le cose buone, e le rie, sì che possi sofferire le rie […] (Tesoro volg. 8ed. Gaiter), L. 7, cap. 9, 3, 241.15) […] ma però che in questo caso non sono a combattere castella, o a donare i regni del grande Alessandro, overo i tesori di Tolomeo, […] (Boccaccio, Filolocolo, L. 4, cap. 28, 394.6) Tullio conclude che sia da studiare in rettorica. (Brunetto Latini, Rettorica, 35.13) […] però colui che la detta cosa ha a fare dee essere mansueto, […] (Bono Giamboni, Trattato, cap. 19, 138.34) […] ma quelli, che mi ha da giudicare è Dio. (Cavalca, Disc. Spir. (pis.), cap. 3, 25.7) Als phasale Periphrase, die den (unmittelbar bevorstehenden) Beginn einer Handlung beschreibt, steht altitalienisch essere per zur Verfügung, wobei hier, gerade etwa für die 1. Pers., eine volitive Bedeutung dominiert. In diesem Kontext ist auffällig, dass auch alttoskanisch volere + Infinitiv z.T. mit imminentieller Lesart auftritt. Daneben tritt auch stare per + Infinitiv in dieser Bedeutung auf, wobei altitalienisch anders als neuitaliensich kontextbedingt auch eine iterative wie durative oder auch eine finale Interpretation möglich ist. Beide Periphrasen können mit perfektiven wie imperfektiven Tempora auftreten, auch die Passivkonstruktion ist möglich, d.h. es ist also offensichtlich noch keine Fixierung auf die phasale <?page no="164"?> 2 Verbalsyntax 163 Lesart erfolgt; der Grammatikalisierungsgrad ist altitalienisch eher gering. Neben den genannten kommen zum Ausdruck von Imminentialität auch - allerdings sehr selten - die Bildungen essere in + Infinitiv, essere/ venire presso/ vicino a/ di oder andare per + Infinitiv in Frage. Insgesamt sind die fraglichen Konstruktionen, altflorentinisch, natürlich z.T. kontextuell bedingt, eher selten: Di che Andreuccio, già certissimo de’ suoi danni, quasi per doglia fu presso a convertire in rabbia la sua grande ira, […] (Boccaccio, Decameron, II, 5, 104.8) […] che Iacho(po) menò la prima volta a Masano quando v’andò per parlare cho(n) loro di questo debito, […] (Libro giallo, 32.37) „Io vidi Jesù, sacerdote grande, stare dinanzi a l’angelo, e Satanas stava per essere suo avversario.“ (Leggenda Aurea, cap. 12, S. Silvestro 1, 147.17) Ähnlich wie in diesem Fall finden sich essere und stare auch in anderen Konstruktionen parallel, in denen sie möglicherweise als Varianten vorkommen und damit austauschbar sind (vgl. auch ait. stare/ essere + Partizip Präsens, stare/ essere + Gerund; abweichend stare/ essere a + Infinitiv). Darauf deutet auch die kontinuierliche Aufgabe jeweils einer der Formen zum Neuitalienischen hin (vgl. nit. stare + Gerund, stare per + Infinitiv). Essere + Partizip Präsens ist zum Neuitalienischen (ebenso wie die Variante stare + Partizip Präsens) ausgefallen und altitalienisch auf die Lyrik beschränkt, wo die Konstruktion als latinisierend gilt. Ein möglicher Grund für den Abbau der Periphrase könnte die Polyvalenz der Konstruktion gewesen sein - so ist sie nicht nur als Variante zur jeweils einfachen Verbform, sondern auch durativ-progressiv interpretiertbar (s. è parlante ‚parla‘ neben ‚sta parlando‘). Parallel zu durativem stare können altitalienisch auch rimanere, venire und divenire als Modifikatorverben in der Periphrase fungieren, wodurch die gesamte Konstruktion eine terminative Bedeutung erhält. Ähnlich wie stare in den einzelnen Periphrasen auch als lokales Zustandsverb interpretiert werden kann, ist in den hier interessierenden Konstruktionen eine attributive Lesart für das Partizip Präsens nicht auszuschließen. Stiamo adunque perseveranti, e ritorniamo, se da lui siam partiti, a Cristo, il quale è detto fiore odorifero, […] (Cavalca, Disc. Spir. (pis.), cap. 15, 123.5) O Dio mio, dall’apparire della luce io sto vigilante a Te. (Calvaca, Esp. simbolo (pis.), L. 1, cap. 24, 1, 192.34) Quando si parte il gioco de la zara, / colui che perde si riman dolente, / repetendo le volte, e tristo impara; […] (Dante, Commedia, Purg. 6, v. 2, 2, 87.2) Neben den bisher genannten Periphrasen treten altitalienisch die neuitalienisch ebenfalls gebräuchlichen habitualen Konstruktionen usare/ essere usato di + Infinitiv auf. Anders als im Neuitalienischen tritt solere + Infinitiv altitalienisch auch mit nicht-agentivischen Prädikaten auf und kann unabhängig von der habitualen Lesart zum Ausdruck der zeitlichen Verankerung einer Handlung in der Vergangenheit dienen: <?page no="165"?> III Syntax 164 Et sopra ciò dicono l’antiche storie di Roma che questa causa dimostrativa si solea trattare in Campo Marzio, nel quale s’asemblava la comunanza […] (Brunetto Latini, Rettorica, 59.11) Interessant ist schließlich die Konstruktion venire + Partizip Perfekt, die (neuitalienisch) als Passivperiphrase gebraucht wird, aber altitalienisch auch die Bedeutung ‚etwas erreichen‘, ‚gelingen‘ hat (vgl. III 2.3.1). 3 Einfacher Satz Für den einfachen Satz seien insbesondere die Negation behandelt sowie die Veränderungen in der Wortstellung (unter besonderer Berücksichtigung des Fragesatzes) diskutiert, die auch die Besonderheiten der Konstituentenabfolge etwa in komplexen Nominalsyntagmen oder auch in Verbalperiphrasen erklären. 3.1 Negation Non tritt altitalienisch phonosyntaktisch bedingt auch in den Varianten nonn (prävokalisch) oder no (vor Liquid) auf. Interessant ist auch die Assimilation des auslautenden Nasals an den konsonantischen Anlaut eines nachfolgenden klitischen Pronomens (nollo, no llo). Es dient wie im Neuitalienischen sowohl der Negation des ganzens Satzes als auch eines Satzgliedes. Häufiger als im Neuitalienischen wird die unmittelbar vor dem finiten Verb stehende Partikel durch ein Element ergänzt, das in seiner lexikalischen Bedeutung eine kleine Menge oder Größe bezeichnet und so die Negation verstärkt. Erste Belege etwa für das heute v.a. im italiano colloquiale weit verbreitete mica finden sich ab Ende des 13. Jh. Auch fiore, punto sowie der Germanismus guari (* WAIGARO , gallorom. vermittelt, ‚viel‘) treten in dieser Funktion auf, daneben auch fico sowie senesisch vereinzelt passo. „Noi non rimaremo ora mica, inperciò che ancora non è tempo d’albergare. E perciò v’acomandiamo noi a Dio.“ (Tristano Ricc., App., 378.19) [...] e non fu’ guari andato / ch’i fu’ nella deserta, / dov’io non trovai certa / né strada né sentero. (Brunetto Latini, Tesoretto, v. 1188, 217.28) [...] ma io non mi maraviglio fiore, se gli parvero increscevoli a passare, però che unque mai uomo non gli avea passati, [...] (Filippo da Santa Croce, Deca prima di Tito Livio, 1323; L. 5, cap. 34, 2, 47.22) Mit Blick auf zusammengesetzte Tempora ist durchaus auch die Stellung der Negationspartikel mit dem verstärkenden Element unmittelbar vor dem Partizip interessant: [...] fu trovato in una sepultura socterra uno corpo d’uno giogante morto e non punto colterito [...] (Cronica fior., XIII ex., 83.24) Mit Blick auf die Kookkurrenz von non und (negativen) Indefinitpronomina ist die häufige Tilgung von non auffällig. Bei präverbalem Indefinitum ist aber der <?page no="166"?> 3 Einfacher Satz 165 parallele Gebrauch von non durchaus verbreitet, wobei hier auch das Indefinitum vor der Negationspartikel stehen kann, was neuitalienisch nicht mehr möglich ist. Bei postverbalem Indefinitum ist die Verwendung von non offensichtlich obligatorisch: [...] e niente poteva acquistare contro a quel populo, però che Dio l’amava. (Novellino, 36, 210.2) [...] nelle quali luogora, se non se ella, e il grande Alessandro, neuno non intrò. (Bono Giamboni, Orosio, L. 1, cap. 4, 30.14) Se alcuno savio muore di fame, dee egli togliere ad altrui sua vivanda, che niente non vale? (Tesoro volg. (ed. Gaiter), L. 7, cap. 74, 3, 487.8) Auffällig ist, dass die involvierten Negationselemente innerhalb eines komplexen Satzes nicht zwingend im gleichen Satz auftreten müssen: „Senti che ‘l su’ valore / non ha vertù che gli vaglia neente.“ (Jacopo Cavalcanti, 1, v. 6, 235.4) Für Fragesätze ist in Abgrenzung zum Neuitalienischen wichtig, dass semantisch negative Indefinita in Kontexten vorkommen können, in denen neuitalienisch qualche oder qualcosa steht: „Come può essere, trovarsi niuno in Melano [‚che si trovi qualcuno‘] che contradicesse alla proposta? “ (Novellino, 20, 177.14) Gleichzeitig wird alcuno v.a. in Frage-, aber auch in Komparativsätzen vergleichbar qualche oder qualcuno verwendet: Perciò il parlatore dee prendere guardia ch’egli non dica alcuna cosa malvagia se alcuno fosse ingannevole appresso. (Tesoro volg. (ed. Gaiter), L. 7, capo. 15, 3, 273.6) Mit Blick auf die Negation nominaler Satzglieder ist die Stellung attributiv gebrauchter Indefinita sowohl vor als auch nach dem Substantiv möglich: Neuna cosa che venisse loro ad animo lasciavano passare che nol facessero; [...] (Leggenda Aurea, cap. 153, S. Orsola 3, 1326.6) Negation koordinierter Elemente wird auch altitalienisch durch né...né ausgedrückt, abweichend zum neuitalienischen Gebrauch kann zusätzlich (expletives) non auftreten: Li veraci amici nè per forza d’arme nè per richezza d’oro non si possono avere, [...] (Fiori di filosafi, 170.5) Epicurio fue un filosafo che non seppe lettera nè non seppe disputare, [...] (Fiori di filosafi, 131.2) Wie im Neuitalienischen tritt non auch altitalienisch (allerdings häufiger) in Temporal- und Komparativsätzen, aber auch in Abhängigkeit von Verben wie temere, dubitare oder impedire auf: [...] e non partirsene infino che la messa maggio nonn è inprima detta, [...] (Stat. fior., par. 59, 68.28) <?page no="167"?> III Syntax 166 Anche teme che non faccia dispiacere als suo amore; [...] (Andrea Cappellano volg. (ed. Ruffini), L. I, cap. 4, 7.30) 3.2 Wortstellung und Informationsstruktur (Thema/ Rhema) Wie schon für die Nominal- und die Verbalsyntax angeführt, ist die Satzgliedstellung im Altitalienischen deutlich freier als im Neuitalienischen. Als (unmarkierte) Grundwortstellung, die so altitalienisch v.a. in Gliedsätzen auftritt, lässt sich SVO ausmachen, wenngleich etwa auch ein Objekt an die erste Stelle im Satz treten kann, ohne dass diese Struktur - anders als im Neuitalienischen - markiert wäre. Die unmarkierte Stellung ist italienisch damit weitgehend stabil geblieben. Trotz der größeren Freiheiten liegt hier aber keine Fortsetzung der lateinischen Wortstellung vor, die eine Präferenz für die Letztstellung des Verbs zeigt. Problematisch wird dies für die pragmatische Interpretation entsprechender Konstruktionen, die auch syntaktisch durchaus Abweichungen etwa von Herausstellungsstrukturen zeigen. Für den Interrogativsatz (vgl. ausführlicher III 3.3) ist altitalienisch die Subjektinversion wichtig, die Abfolge Subjekt - Verb wird also umgekehrt, das lexikalische oder pronominale Subjekt folgt unmittelbar auf die flektierte Verbform (die Häufigkeit der Abfolge VO hat zu oxytonen, verschmolzenen Formen für die 2. Pers. Sg. geführt, vgl. vedestù, vorrestù). Bei Periphrasen steht das Subjekt unmittelbar nach dem (Semi-)Auxiliar. Die Voranstellung des Verbs ist auch im Aussagesatz möglich. Aufgrund der altitalienisch (und allgemein altromanisch) dominierenden Verbzweitstellung muss in der Regel eine weitere Konstituente vor dem Verb stehen (TVX). „Perché semo noi venuti a queste donne? “ (Dante, Vita nuova, cap. 14, parr. 1-10, 56.8) Ciò tenne il re a grande maraviglia, et ordinò che li fosse dato un mezzo pane il dì alle spese della corte. (Novellino, 2, 126.16) „[…] questi è impio al suo padre […], e con lui non può neuno conversare.“ (Fiore di rett., red. beta, cap. 38, 37.4) Wie die ersten beiden nachfolgenden Beispiele zeigen, können präverbal durchaus andere Elemente als das Subjekt stehen, wie z.B. das direkte Objekt, das in der Regel unmittelbar nach dem Verb steht - neuitalienisch handelt es sich im Fall der Erststellung um eine Herausstellungsstruktur, bei der das direkte Objekt pronominal wieder aufgenommen werden muss. Altitalienisch scheint die Positionierung des Objekts vor dem Verb in freier Variation mit der Nachstellung aufzutreten und entsprechend thematisch zu sein. Auch für andere Konstituenten scheinen altitalienisch keinerlei Restriktionen hinsichtlich der Voranstellung und Übernahme der Themafunktion vorzuliegen. Unabhängig von der Interpretation der syntaktisch-pragmatischen Struktur ist aber auffällig, dass die Wiederaufnahme des Objekts offensichtlich nur bei Distanzstellung aufgrund längerer Einschübe (Gliedsätze o.ä.) erforderlich ist: <?page no="168"?> 3 Einfacher Satz 167 Quando andò la sera a letto disse a quella femina: „Vedi, donna: l’uscio mi lascerai aperto istanotte […]“ (Novellino, 38, 215.6) Tutte queste cose fece perché Roboam regnasse dopo lui. (Novellino, 6, 140.3) […] messer Pepo mandò in certa parte e messer Cante, perché era grande suo amico, sì ‘l mandò a Mantova, e raccomandollo a’ suoi. (Novellino, 88, 330.5) […] e tutti coloro de la terra ch’erano colpevoli, il Grande Cane li fece uccidere, e a ttutti gli altri perdonò. (Milione (tosc.), cap. 130, 202.27) Bei genauerer Betrachtung der Kontexte, in denen altitalienisch andere Konstituenten als das Subjekt vor dem Verb stehen, zeigt sich, dass hier im Neuitalienischen am ehesten eine Linksversetzung stehen würde. Weiter ist die Voranstellung möglich, wenn das Thema Informationen enthält, die zwar nicht bekannt sind, die aber zumeist semantisch an den Kontext rückgebunden sind. Auch lokale und temporale Adverbiale können am Anfang des Satzes stehen. Möglicherweise werden die Elemente in Erststellung - außer dem Subjekt - ergänzend betont. Für die Einordnung der Struktur im Falle vorangestellter direkter Objekte ist interessant, dass bei Setzung eines Pronomens zur Wiederaufnahme das Subjekt, sofern es ausgedrückt wird, immer präverbal und das im Satz verschobene Element komplex ist (s. im letzten Beispiel il Grande Cane). Einige Fälle erhärten den Verdacht, dass es sich bei diesen Strukturen altitalienisch nicht um Linksversetzungen handelt - in den nachfolgenden Beispielen treten präverbal betonte Personal- und Demonstrativpronomina als Wiederaufnahme für die Konstituenten in Erststellung auf (s. hier auch Subjekt), wohingegen neuitalienisch die Wiederaufnahme durch Klitika erfolgt. Darüber hinaus fehlt in einigen Fällen (s. letztes Beispiel der Gruppe) die syntaktische Relation zum Satz. Dies ist neuitalienisch typisch für das Freie Thema (hanging topic; vgl. nit. Mario, gli ho detto quello che penso. (Freies Thema) vs. A Mario gli ho detto quello che penso. (Linksversetzung)): E voi re Marco, che tanto disiderate mia morte, voi avete creduto fare vostro pro' d’uccidermi. (Tristano Ricc. (tosc.), App., 388.31) La spada che i’ho tanto amata, perciò che io non posso lo mio corpo presentare ala Tavola Ritonda, mi presentate voi quella, […] (Tristano Ricc. (tosc.), App., 393.22) E sì vi dico che tuta questa provincia di Mabar non li fa bisogno sarto, però che vanno tutti ignudi d’ogne tempo, […] (Milione (tosc.), cap. 170, 255.12) In Nebensätzen ist, wie bereits angesprochen, die Grundwortstellung SVO ebenso möglich, aber es finden sich auch zahlreiche Fälle einer abweichenden Stellung der Konstituenten. Wie für die Interrogation gesehen, steht das Subjekt bei periphrastischen Konstruktionen nach der finiten Verbform des Auxiliars oder Modalverbs: Non ti caglia di grande magione, chè in picciola magione puoi tu tenere regale vita. (Tesoro volg. (ed. Gaiter), L. 7, cap. 68, 3, 461.5) <?page no="169"?> III Syntax 168 […] et esso dicea che ll’avea morta a ragione, perciò che primieramente avea ella fatta a llui ingiuria, cioè ch’avea morto il padre d’Orestes; […] (Brunetto Latini, Rettorica, 116.15) Bedingt durch die obligatorische Verbzweitstellung steht altitalienisch präverbal in der Regel ein nominales Element, vielfach das Subjekt. D.h. wenn das Subjekt als lexikalisches Element postverbal auftritt, ist damit thematische Kontinuität gegeben, die Stellung ist altitalienisch also anders als neuitalienisch nur durch syntaktische Restriktionen, nicht aber pragmatisch bedingt (neuitalienisch ist die Nachstellung nur rhematisch möglich). Präverbal kann damit eine Konstituente mit höherem Informationsgehalt auftreten. Das Verb selbst kann aber durchaus auch in Erststellung auftreten, dabei ist eine unmittelbare Rückbindung an den vorausgehenden Satz mit einer Fortsetzung des Themas typisch: Tanto amò costei Lancialotto, ch’ella ne venne alla morte […] (Novellino, 82, 317.4) Avenne un giorno che questo signore fu appresentato delle parti di Spagna, un nobile destriere di gran podere e di bella guisa. Adomandò lo signore mariscalchi per sapere la bontà del destriere; […] (Novellino, 2, 126.2) Nach dem Verb steht das Subjekt wie im Neuitalienischen regelmäßig in präsentativen Sätzen (s. auch das zuletzt zitierte Beispiel: Avenne un giorno): Sire, qui è arrivato l’alto prencipe Galeotto, solo per prendere vengianza di voi: […] (Tavola ritonda, cap. 38, 136.29) Wie die Ausführungen zum Gebrauch der Subjektpronomina (III 1.1.1) gezeigt haben, sind diese altitalienisch v.a. in Gliedsätzen deutlich häufiger als neuitalienisch, so stehen sie generell unmittelbar nach der Konjunktion. Darüber hinaus stehen altitalienisch die meteorologischen Verben syntaktisch bedingt obligatorisch mit einem expletiven Subjektpronomen (egli/ e’ piove/ fa freddo). Satzeinleitend steht altitalienisch vielfach die desemantisierte Partikel sì sowie das ursprünglich adverbielle or(a), denen rein syntaktische Funktion zukommt und die als konnektive Elemente dienen. Das Rhema wird durch die Partikel sì fokussiert und so die diskursive Kohärenz gewahrt, was v.a. im Fall größerer Einschübe, die Thema und Rhema trennen, sichtbar wird. […] di questo sì n’à fatto il detto Butta buna malleveria, […] Doc. Fior., 513.23) Lancialot, quand’elli divenne forsenato per amore della reina Genevra, sì andò in sulla carretta, e fecesi tirare per molte luogora. (Novellino, 27, 192.6) Or sopra questa controversia si è tutta la questione per lo nome di questo fatto: è sacrilegio o furto? (Brunetto Latini, Rettorica, 88, 2) Wie bereits die Möglichkeit der Erststellung eines direkten Objekts im Altitalienischen und die damit verbundenen Probleme der Interpretation gezeigt haben, gibt es in der Informationsstruktur einige Unterschiede zum Neuitalienischen. So wird altitalienisch für die Topikalisierung die entsprechende Konstituente in der Regel ohne pronominale Wiederaufnahme dem Verb vorangestellt. Die dominante Verbzweitstellung zeigt damit Reflexe in der Pragmatik des Satzes: Die Erststellung dient gewissermaßen zur Markierung, die Prominenz der Erststellung im <?page no="170"?> 3 Einfacher Satz 169 Satz wird für das Thema/ Topik oder das Rhema/ den Fokus im Satz genutzt, unabhängig von der grammatischen Funktion der vorangestellten Konstituente. Mit dem Verlust der obligatorischen Verbzweitstellung besteht dagegen im Neuitalienischen die Freiheit, eine beliebige Konstituente vor das Verb zu stellen, um es pragmatisch zu markieren. Dazu werden die bereits angesprochenen syntaktischen Strategien zur Markierung, die Linksversetzung (bei Nachstellung die Rechtsversetzung), der Spaltsatz etc. genutzt. Es ist auffällig, dass diese Strukturen für das Altitalienische nur selten belegt sind, was möglicherweise gerade auf die Entwicklungen in der Satzgliedstellung zurückzuführen ist. La cagione per che questo libro è fatto si è cotale, che questo Brunetto Latino, per cagione della guerra la quale fue tralle parti di Firenze, fue isbandito della terra. (Brunetto Latini, Rettorica, 7.8) Mit Blick auf komplexe Satzgefüge ist altitalienisch aber auch die Möglichkeit der Prolepsis interessant, bei der eine Konstituente des Gliedsatzes vor das Verb des Matrixsatzes verlagert wird, ohne dass diese zwingend wiederaufgenommen werden muss. Tito non bisogna che io scusi: […] (Boccaccio, Decameron, X, 8, 684.37) Ma questa battaglia è lecito ad ogni savio uomo di schifarla. (Sacchetti, Trecentonovelle, 182, 451.17) Altwie neuitalienisch geht das Themaimmer dem Fokus-Element voraus. Prinzipiell wird mit der Topikalisierung eine Diskontinuität mit Blick auf die Erwartungen des Rezipienten angezeigt, da hierdurch eine Opposition oder ein Kontrast sichtbar gemacht wird. Alternativ zu syntaktischen Mitteln kann für die Betonung des Themas als morphologisches Mittel die Passivbildung oder das si passivante herangezogen werden. Das Rhema oder der Fokus einer Äußerung liegt jeweils auf der hinsichtlich des Informationsgehalts wichtigsten Konstituente oder dem neuen Element des Satzes, die bzw. das zudem intonatorisch hervorgehoben wird. Interessant ist hier insbesondere die Inversion der Abfolge von Thema/ Topik und Rhema/ Fokus, über die die Verbindung zwischen einzelnen Sätzen vereinfacht wird (vgl. è vero [Thema] che Mario è fedele [Rhema] vs. che Mario è fedele [Thema] è vero [Rhema]): Per che manifesto è Aristotile non avere inteso della sensuale apparenza, e però, se io intendo solo alla sensuale apparenza riprovare, non faccio contra la intenzione del Filosofo, e però nella reverenza che a lui si dee non offendo. E che io sensuale apparenza intenda riprovare è manifesto. (Dante, Convivio, IV, cap. 8, 309.11) Neuitalienisch ist Rhematisierung durch die finale oder postverbale Stellung einer Konstituente innerhalb eines Satzes, durch Spaltsatz (È MARIO CHE vuole uscire.) oder durch Adverbien (Certamente MARIO vuole uscire.) möglich. Verschiedentlich lassen sich altitalienisch Beispiele für kontrastierenden Fokus ausmachen: La qual durezza, per fuggiere maggiore difetto, non per ignoranza, è qui pensata. (Dante, Convivio, I, cap. 3, 13.6) <?page no="171"?> III Syntax 170 3.3 Fragesatz Die Formen des Fragesatzes im Altitalienischen unterscheiden sich in einigen Punkten vom Neuitalienischen. Dies betrifft zunächst die Satzfrage, mit der der Wahrheitswert eines Satzes erfragt wird (ja-/ nein-Frage). Charakteristisch ist hier, wie bereits gesehen, die Inversion, die lateinisch aufgrund der freien Wortstellung nicht in Frage kommt. Dabei kann das Subjekt in direkter Kontaktstellung der flektierten Verbform folgen, weshalb auch die Stellung zwischen flektierter und infiniter Verbform oder Kopula und Prädikativum möglich ist. Neuitalienisch ebenfalls nicht zulässig ist die enklitische Stellung schwachtoniger Objektpronomina bei der flektierten Verbform (und damit vor dem lexikalischen oder pronominalen Subjekt): „Or se’ tu ancor qui? non avestu la torta? “ (Novellino, 79, 309.17) Hai tu bene veduto quali sono i rei disiderî della carne, e come si rifrenano per le dette virtudi che nascono di Temperanza? (Bono Giamboni, Trattato, cap. 20, 141.3) Sono li senni veri? (Brunetto Latini, Rettorica, p. 67.14) „[…] Halo tu fatto per provarmi? “ (Fiori di filosafi, 211.3) Vereinzelt belegt sind altitalienisch auch Satzfragen ohne Inversion, eine Konstituentenfolge, die für rhetorische Fragen typisch zu sein scheint. Voi predicate la Croce e spregiatela tanto? (Novellino, 23a, 185.3) Hai perduto l’avere? (Fiori di filosafi, 186.4) Im Lateinischen gibt es die Möglichkeit, Satzfragen durch die Fragepartikel - NE , NONNE oder NUM formal von Aussagesätzen zu unterscheiden, die aber in den romanischen Sprachen nicht weitergeführt werden. Eine Verwendung von Partikeln wie or oder koordinierendem e ist altitalienisch aber in Fragesätzen durchaus möglich (s. auch neutoskanisch che, o): „Or se’ tu morta? “ (Dante, Vita nuova, cap. 31, parr. 8-17, v. 55, 132.6) E sai tu quanti sono i comandamenti di Dio che si convegnono osservare? (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 17, 36.20) In der Wortfrage, also der Frage mit einem Fragewort, ist im Altitalienischen wie im Neuitalienischen die erste Position im Satz von der erfragten Konstituente (chi, che domanda, come, che, perché) besetzt, der das flektierte Verb folgt. Ist die erfragte Konstituente nicht das Subjekt, steht dies nach dem Verb. Substantivische Subjekte können in Satzendposition gesetzt werden, pronominale Subjekte müssen dagegen in Kontaktstellung mit der flektierten Verbform bleiben und stehen daher auch zwischen flektierten und infiniten Verbformen. Maestra de le Virtudi, che intendono di fare queste genti che sono divise in quattro parti? (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 32, 56.10) Come poss’io esser tenuto savio? (Disciplina clericalis, 79.27) <?page no="172"?> 3 Einfacher Satz 171 Möglich ist auch die Voranstellung einer Konstituente vor das Fragesyntagma. Zwischen das interrogative Element und die flektierte Verbform können weitere Konstituenten eingefügt werden: „Messere, voi quale avete più cara? “ (Novellino, 2, 127.5) „Delle lettere composte falsamente che convien dire? […]“ (Brunetto Latini, Rettorica, 177.7) „Poi che è tanta beatitudine in quelle parole che lodano la mia donna, perché altro parlare è stato lo mio? “ (Dante, Vita nuova, cap. 18, parr. 1-9, 72.5) Anders als für den direkten (also selbstständigen, nicht untergeordneten) Fragesatz ist die Inversion im indirekten (untergeordneten, von verba dicendi, sapiendi etc. sowie entsprechenden Substantiven oder Adjektiven abhängigen) Fragesatz nicht belegt. Auf die am Anfang stehende Fragekonjunktion se bei indirekten Satzfragen bzw. dem Fragesyntagma bei Wortfragen folgt daher das nominale oder pronominale Subjekt (wenn dieses nicht mit dem Fragesyntagma identisch ist), dem dann das flektierte Verb in der für Aussagesätze kennzeichnenden Wortstellung folgt. Markierte Konstituentenabfolgen sind auch möglich, z.B. mit der Stellung des Subjekts am Ende des subordinierten Satzes bzw. bei Einfügung von Konstituenten zwischen Fragesyntagma und Verb: […] per volere al postutto provare se lo ‘mperadore fosse savio in parlare et in opere. (Novellino, 1, 121.3) E quella domandò chi elli fosse […] (Fiori di filosafi, 211.5) „[…] Io voglio che tu mi dichi cui figliuolo io fui“. (Novellino, 2, 46-47) Tornò al suo padre e disse come avea fatto questo mezo amico del suo padre. (Disciplina clericalis, 75.16) […] per vedere e per pensare che sopra queste vicende avessero a fare. (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 49, 85.2) Im klassischen Lateinischen ist für indirekte Fragesätze die Setzung des Konjunktiv verbindlich. Auch altitalienisch sind indirekte Fragesätze mit dem Verb im Konjunktiv belegt, allerdings wird der Konjunktiv nicht mehr als ein generelles Merkmal indirekter Fragen verwendet, sondern ist in den betreffenden Beispielen durch spezifische modale Merkmale bedingt (verneinte bzw. futurische Modalität etc.). […] e non so com’io mi faccia, se Dio inanzi e voi apresso non mi consigliate. (Disciplina clericalis, 75.8) […] e sempre guardavan con gran diligenzia com’a lei potesser dare morte […] (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 51, 88.13). <?page no="173"?> III Syntax 172 4 Komplexer Satz Zu den syntaktischen Pänomenen auf der Ebene des komplexen Satzes, die hier nur kurz angesprochen seien, gehört etwa die bis Ende des 14. Jh. in narrativen Texten verbreitete häufige lexikalische Wiederholung bei geringer Distanz (hier wird gemeinhin von anaphorischen Ketten gesprochen). Bei sehr dichter Aufeinanderfolge von Wiederholungen dieser Art lässt sich eine rhetorisch-ornamentale Funktion annehmen: E allora la damigella cavalcoe inanzi e lo re Meliadus appresso. E cavalcando, la notte li sopravenne, e appresso cavalcano di fuori dala strada nela foresta per uno istretto sentiero, e ttanto cavalcano in cotale maniera, che pervennero a una torre, la quale si chiamava la torre della Donzella, e quivi ismontono anbidue. (Tristano Ricc. (tosc.), cap. 2, 3.27) Weiter ist die Koordination von finiten und infiniten Gliedsätzen anzuführen, die oberflächlich betrachtet Ähnlichkeiten mit der Parahypotaxe (vgl. III 4.3) aufweist, in der aber ein Matrixsatz über ein pleonastisch gebrauchtes e bzw. sì nach einem untergeordneten Satz eingeleitet wird: […] questo sparviero capitò nel contado […], là dove essendo su uno arbore, e ‘l contadino narrato di sopra, lavorando ne’ campi appiè di quello, ebbe sentito e’ sonagli, e accostandosi quasi per scede, e mostrando la callosa e rozza mano, con uno allettare assai disusato, lo sparviero gli venne in mano. (Sacchetti, Trecentonovelle, 195, 493.19) Auch die Wiederholung von deklarativem che nach einem Nebensatz, insbesondere nach einem konditionalen Satz ist als charakteristisches Merkmal der altitalienischen Syntax zu nennen: […] ammonito dal senato che se l’attentasse di fare, che il popolo di Roma gli moverebbe battaglia, […] (Bono Giamboni, Orosio, L. 6, cap. 1, 348.6) Che tritt darüber hinaus bei Komplementsätzen auf, die syntaktisch eine Mittelstellung zwischen einem mit che eingeleiteten finiten und einem ohne che eingeführten infiniten Subjekt-, Objekt- oder Aussagesatz einnehmen. […] per che assai manifestamente apparve che quello che il naturale corso delle cose non avea potuto con piccoli e radi danni a’ savi mostrare doversi con pazienza passare, la grandezza de’ mali eziandio i semplici far di ciò scorti e non curanti. (Boccaccio, Decameron, I, Introduzione, 15.21) 4.1 Subordination I: Infinite Sätze 4.1.1 AcI Der AcI (accusativus cum infinito) ist eine v.a. aus dem Lateinischen bekannte syntaktische Konstruktion, die von verba sentiendi oder dicendi oder einem unpersönlichen Ausdruck (z.B. APPARET ‚es scheint‘) regiert wird. Das Subjekt des untergeordneten Infinitivatzes steht dabei im Akkusativ, der Infinitiv fungiert als dessen <?page no="174"?> 4 Komplexer Satz 173 Prädikat, vgl. klat. C ENSEO C ARTHAGINEM ESSE DELENDAM . ‚Ich denke, dass Karthago zerstört werden muss.‘ C ARTHAGINEM ist also syntaktisch Objekt des Verbs CENSEO , gleichzeitig Subjekt des nachfolgenden Infinitiv. Bereits spätlateinisch wird der AcI kontinuierlich zugunsten eines durch subordinierendes che eingeleiteten Konjunktionalsatz mit finitem Verb aufgegeben (vgl. Penso che Cartagine sia da distruggere.). Che geht dabei zurück auf klat. QUOD (das möglicherweise spätlateinisch durch QUID ersetzt wird), italienisch tritt in den frühen Dokumenten auch ca (< klat. QUIA ) auf. Der Abbau des AcI ist gemeinromanisch einerseits gebunden an die vulgärlateinisch sichtbare Tendenz zur analytischen Ausdrucksweise sowie durch eine Asymmetrie in der lateinischen Syntax: Während nach verba dicendi alternativ zum AcI ein Gliedsatz mit QUOD stehen kann, ist dies bei verba sentiendi nicht möglich. Altitalienisch tritt der AcI zunächst v.a. mit essere auf; in der Literatur wird erst über Dantes Convivio und Boccaccios Decameron eine Ausdehnung der Konstruktion erreicht. Deutlich häufiger - und hier durch latinisierenden Einfluss bedingt - ist der AcI dagegen in Dokumenten administrativen Typs. […] affermo colei essere degna del fuoco la quale a ciò per prezzo si conduce; […] (Boccaccio, Decameron, VIII, 1, 506.17) Allora i Trojani ragguardano una subita nuvola mescolarsi con nera polvere; […] (Lancia, Eneide vol., L. 9, 502.15) Noi andavam con passi lenti e scarsi, / e io attento a l’ombre, ch’i’ sentia / pietosamente piangere e lagnarsi; […] (Dante, Commedia, 27 Purg. 20, v. 18 333.3) […] e però vedemo certe piante lungo l’acque quasi cansarsi, e certe sopra li gioghi delle montagne, […] (Dante, Convivio, III, cap. 3, 163.1) Vereinzelt ist der AcI aber auch neuitalienisch noch belegt, und zwar in Verbindung mit perzeptiven Verben (sento Maria parlare). Wie im Lateinischen handelt es sich natürlich auch im Italienischen um eine perzeptive Konstruktion, bei der das Verb ein direktes Objekt und einen Infinitivatz regiert, der als prädikative Ergänzung des Objekts fungiert. Charakteristisch ist, dass das Subjekt des abhängigen Infinitiv immer direktes Objekt des perzeptiven Verbs ist, das im unmarkierten Satz typischerweise unmittelbar auf das regierende Verb folgt. Es kann nie durch ein indirektes Objekt oder eine auf das Agens verweisende Ergänzung ausgedrückt werden. Pronominal steht es immer im Akkusativ mit einem abhängigen intransitiven oder transitiven Verb im Infinitiv (l’avea veduta fare), weswegen das Subjekt und das direkte Objekt eines abhängigen transitiven Infinitiv identisch realisiert werden (lediglich die Wortstellung und die verbale Semantik erlauben hier eine Differenzierung): […] ch’io vidi un vecchio di grandissimo tempo fare laide mattezze […] (Novellino, 68, 284.5) Quell’altro cavalcò poi più volte, tanto che udì il padre e la madre fare romore nell’agio, e intese dalla fante com’ella n’era andata in cotal modo. (Novellino, 99, 350.11) <?page no="175"?> III Syntax 174 Strukturell interessant ist, dass der Infinitiv in der Regel im Präsens Aktiv steht, das Partizip für den passivischen Infinitiv einrücken kann (auch etwa bei Darstellung eines Handlungsergebnisses). Vielfach lassen sich diese Konstruktionen als Latinismus interpretieren: […] vidi ‘n sul braccio destro esser rivolto / lo glorioso essercito, e tornarsi / col sole e con le sette fiamme al volto. (Dante, Commedia, Purg. 32, v. 16, 2, 551.1) Da l’ora ch’io avea guardato prima / i’ vidi mosso me [‚che mi ero messo‘] per tutto l’arco / che fa dal mezzo al fine il primo clima; […] (Dante, Commedia, Par. 27, v. 80, 3, 451.5) Altitalienisch tritt der AcI insbesondere mit verba dicendi und sentiendi auf, weiter auch mit verba voluntatis (insbesondere mit desiderare und volere) sowie verba permittendi und impedienti: […] crederebbero la loro cittade essere occupata da gente strana, per la lingua da[lla] loro discordante. (Dante, Convivio, I, cap. 5, 22.4) […] essendo essi non guari sopra Maiolica, sentirono la nave sdruscire. (Boccaccio, Decameron, 3, II, 7, 122.32) […] sostieni che ‘l corpo mio sia coperto di terra, e permetti me essere partefice del sepolcro del figliuolo. (Lancia, Eneide volg., L. 10, 630.36) Die bisherigen Beispiele zeigen durchwegs Infinitivkonstruktionen, die den Platz eines Satzes mit finitem, aktivischem Verb einnehmen. Altitalienisch sind aber auch solche Sätze verbreitet, die als Subjekt des regierenden Verbs eine unpersönliche oder Passivkonstruktion aufweisen und anstelle eines einfachen Infinitiv eine Kopulakonstruktion mit essere und prädikativem Adjektiv zeigen. Diese Varianten des AcI dürften durch den scholastischen Gebrauch bedingt sein. […] ché nella prima generalmente si dice lo ‘mperadore essere stato erroneo nella diffinizione di nobiblitade; […] (Dante, Convivio, IV, cap. 10, 322.9) E così si manifesta la imperiale maiestade e autoritade essere altissima ne l’umana compagnia. (Dante, Convivio, IV, cap. 4, 279.2) Ma questa istoria detta da Cicerone, e compilata da Salustio, assai è ad ogni uomo manifesta, e ora da noi essere brievemente detta assai è bastevole. (Bono Giamboni, Orosio, L. 6, cap. 5, 363.1) E sì come dice lo Filosofo nel sesto dell’Etica, „impossibile è essere savio chi non è buono“, […] (Dante, Convivio, IV, cap. 27, 436.4) Die zuletzt genannten Fälle weichen aber vom eigentlichen AcI ab, da hier wie auch bei passivischen Ausdrücken die nominalen Elemente nicht als syntaktische Objekte interpretiert werden können. Neuitalienisch steht der AcI nur mehr bei Verben der Wahrnehmung; die verba dicendi können einen Infinitivatz mit Subjekt regieren, aber diese Konstruktion weicht in zwei wesentlichen Punkten vom AcI ab: Im Fall eines pronominalen Subjekts steht dies im Nominativ (affermano essere io responsabile vs. *affermano es- <?page no="176"?> 4 Komplexer Satz 175 sere me responsabile), da es das strukturelle Subjekt des Infinitivsatzes bildet. Gleichzeitig steht das Subjekt immer postverbal (*affermano io essere responsabile). Dieser Konstruktionstyp - der NcI - liegt wie der AcI bereits im Altitalienischen vor und ist von diesem abzugrenzen - eine Differenzierung ist natürlich bei nicht pronominalen postverbalen Nominalsyntagmen schwierig. Poi appresso, assai vicino di quel luogo onde levata s’era la fagiana, mi parve vedere levare quello uccello che a guardia dell’armata Minerva si pone, […] (Boccaccio, Filocolo, L. 4, cap. 13, 375.16) 4.1.2 Partizipial- und Gerundialsätze Absolute Konstruktionen sind solche Syntagmen oder Konstruktionen, die keinerlei syntaktische Abhängigkeit von anderen Konstituenten des Satzes zeigen. Das Subjekt, das in absoluten Konstruktionen, also etwa in Partizipialsätzen, ausgedrückt wird, entspricht dabei nicht demjenigen des Matrixsatzes. Während also in arrivato Gianni, la festa si animò ein absolutes Partizip vorliegt, handelt es sich bei der Konstruktion in acclamato da tutti, Pietro si presentò sul palco um ein konjunktes Partizip oder ein freies Adjunkt - vielfach generisch auch als pseudoabsolute Konstruktion bezeichnet. In diesen Fällen besteht semantisch Subjektsgleichheit zum Matrixsatz mit finitem Verb, das Subjekt wird selbst aber nicht versprachlicht. Diese pseudoabsoluten Konstruktionen sind altitalienisch vergleichsweise häufig. Altitalienisch sind (pseudo)absolute Konstruktionen - neben Partizipialzählen auch Gerundialkonstruktionen dazu - nicht nur aufgrund des latinisierenden Einflusses, sondern auch aufgrund ihrer größeren syntaktischen Flexibilität weiter verbreitet als heute. Neuitalienisch treten diese Konstruktionen v.a. in distanzsprachlichen Texten auf, sie sind also klar stilistisch markiert. Neben den neuitalienisch möglichen Verwendungen sind altitalienisch auch passivische Partizipialkonstruktionen belegt, auch die Verbindung mit einem Objekt bei aktivischer Diathese (bei transitiven Verben) ist möglich. Allgemein können Gerundial- und Partizipialkonstruktionen altitalienisch häufiger mit einem oder mehreren Ergänzungen stehen - auch mit dem Subjekt -, die dem Verb nach-, aber auch vorangestellt werden können. Verschiedentlich folgen Partizipial- und Gerundialsätze unmittelbar aufeinander: Sconfitti, morti e presi gli Aretini, frate Guittone, chavaliere dell’Ordine di Bengodenti, al Comune di Firenze iscrisse una lettera, la quale disse in questo modo. (Cronica fior., 136.7) Fatte le comandamenta la Fede Giudea, e la Fe’ dell’idoli morta e spenta, cominciò la Fede Cristiana a segnoreggiare tutto ‘l mondo, […] (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 42, 74.16) Leggesi che Platone nato, dormendo ne la culla, api vennero e recavano e poneano mele a le labbra del fanciullo, […] (Fiori e vita di filosafi, 122.4) <?page no="177"?> III Syntax 176 E in questa maniera la innnamorata donna continuando, avvenne che il doloroso marito si venne accorgendo che ella, nel confortare lui a bere, non beveva per ciò essa mai; […] (Boccaccio, Decameron, VII, 4, 461.8) Perché vedendo questo il re, che oltre al detto del siniscalco niuno dicea, né a quello era alcuno che apponesse, disse: […] (Boccaccio, Filolocolo, L. 2, cap. 39, 181.11) E Lelio che lagrimando la volea confortare, vedendo questo, sceso del suo cavallo, e presala nelle sue braccia, la ne portò in un campo […] (Boccaccio, Filocolo, L. 1, cap. 24, 95.10) La quale, questo vedendo, levata in piè e preso un bastone li cani mandò indietro: […] (Boccaccio, Decameron, II, 6, 111.33) Die Verbreitung derartiger Konstruktionen ist im Altitalienischen in Abhängigkeit von den jeweiligen Textsorten sehr viel inhomogener als im modernen Italienischen. Sofern Partizipial- oder Gerundialkonstruktionen in administrativen Texten auftreten, handelt es sich primär um fixierte Formeln, die aus der wörtlichen Übersetzung der entsprechenden lateinischen Konstruktionen resultieren. Die Fixierung formelhafter Syntagmen ist dabei begünstigt durch die hohe interne Kohäsion der absoluten Konstruktionen und die Abgrenzung vom Rest der Äußerung. In diesen Kontexten finden sich vielfach auch Konstruktionen mit Partizip Präsens (s. neuitalienisch z.B. formelhaftes stanti così le cose), die aber relativ schnell durch Gerundialkonstruktionen abgelöst werden: […] e, veggente tutta la gente, la si spogliò e pregò Merlino che […] (Novellino, 25, 190.13) Poco tempo passante, vi cadde uno suo figliuolo. (Novellino, 14, 160.4) Ein besonderer Typ infiniter Konstruktionen liegt mit den bereits angesprochenen freien Adjunkten oder pseudoabsoluten Konstruktionen mit kohäsiver Funktion zu: So findet sich altitalienisch häufig ma istando in cotale maniera. Aufgrund des indefiniten Subjekts ähnlich wichtig ist konzessives posto che zu beurteilen (neuitalienisch verbreiteter ist auch dato che). Ancora: posto che possibile fosse, sarebbe inrazionale, […] (Dante, Convivio, II, cap. 1, 68.6) […] e così, dato che ‘l mondo fosse creato, seguitasi che innanzi quello creamento non fu tempo: […] (Ottimo, Par., c. 29, proemio, 626.20) Gerade in der Prosa werden Gerundialkonstruktionen häufig adverbial verwendet. Die referentielle Kontinuität der Äußerung bleibt damit bewahrt, und wie bei den Partizipialkonstruktionen liegt hier eine ökonomische Kodifizierung von Ereignissen und Informationen vor, die die thematische Basis des Satzes beschreiben. Dabei kann diesen adverbialen Sätzen temporale, konditionale, kausale oder konzessive Funktion zukommen. E li servi, avendo grande paura dela reina, sì disserono: […] (Tristano Ricc., cap. 69, 130.13) <?page no="178"?> 4 Komplexer Satz 177 Giunto in Firenze, honorevolemente fue ricevuto; predicando pace e volendo dar pace, non lli fue creduto. (Cronica fior., 150.32) Anders als neuitalienisch können die Gerundial- und Partizipialkonstruktionen altitalienisch erweitert werden, v.a. bei Konstruktionen mit dem Perfektpartizip. Im Fall des Gerund findet sich vereinzelt eine Verbindung mit den Präpositionen in, con und per: […] e sentendo li amici diventati nimici, ebbono paura non piccola, […] (Matto Villani, Cronica, L. 2, cap. 7, 1, 204.6) Perché, se lla parola sarà nella favella dignitosa, il parlator dicerà il detto suo con levando e menando un poco la man dritta. (Fiore di rett., red. beta, cap. 72, 82.10) Altitalienisch ist anders als neuitalienisch der Einschub temporaler Konnektive bei absoluten Partizipien möglich (poi, dopo, una volta, appena), weiter verbreitet ist aber durchaus auch die Einfügung konzessiver Elemente bei Partizipial- und Gerundialkonstruktionen (pure, benché, anche se, eziandio). 4.1.2.1 Partizipialsätze Was die Partizipialkonstruktionen betrifft, so wird über diese neuwie altitalienisch vielfach eine temporale oder kausale, seltener eine hypothetische oder konzessive Relation ausgedrückt. Neuitalienisch treten sie v.a. mit transitiven und inakkusativischen Verben, altitalienisch häufiger mit inergativen Verben wie parlare, cenare oder riposare und sogar mit stare auf: Cenato ogni gente, e rassettate a sedere, disse la Fede a la Filosofia: […] (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 16, 33.16) E, stato gran tempo in istudio, sì ch’era già conosciuto per filosafo da’ savi, tornò in suo paese, […] (Fiori di filosafi, 209.4) Bei passivisch verwendeten Partizipialkonstruktionen kann das Agens durch da oder per angeschlossen werden. E fatta l’orazione a Dio per costui, il priego fue inteso e venne uno angelo di Dio e disseli: […] (Fiori di filosafi, red. E Ng., 203.1.7) Mit Blick auf die Wortstellung allgemein ist die Stellung der einzelnen Konstituenten - ähnlich wie für den einfachen Aussagesatz gesehen - relativ frei. So finden sich bei transitiven Verben die Abfolgen VSO, VOS, aber auch SVO; das Objekt scheint in diesem Fall nicht vor dem Verb auftreten zu können, pronominal steht es enklitisch zum Partizip. Auch weitere Elemente sind in ihrer Stellung mit Bezug auf das Partizip in (pseudo-)absoluten Konstruktionen freier. Et il Popolo di Roma tenendoli dietro assediaro la terra, et avutala presero quel Bordino, et recaronlo a Roma prigione […] (Paolino Pieri, Cronica, 5.8) […] e tuta l’altra moltitudine fuggio a Cirta, la quale combattutala Massinissa, arreddendosi, la ricevette. (Bono Giamboni, Orosio, L. 4, cap. 19, 254.12) I Guelfi d’Arezo stimolati dalla parte guelfa di Firenze di cercare di pigliare la signoria, ma […] (Dino Compagni, Cronica, L. 1, cap. 6, 135.23) <?page no="179"?> III Syntax 178 […] e’ camarlinghi o alchuno di loro co(n)gnosciuta la veritade che così sia col preposto o con altri de’ conpamgni, […] (Stat. fior., 655.21) Vinta la Fede Pagana tutta la terra d’oltremare e convertito a sua legge tutte le genti, colse baldanza sopra la Fede Cristiana; […] (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 47, 82.7) Abandonato il campo delle battaglie la Fede e la Carità e la Speranza, e tornate nell’oste per posarsi con tutte le lor genti, l’altre Virtù fecero un parlamento, […] (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 56, 92.8) Interessant ist die Koordination zweier infiniter Verbalkonstruktionen - prinzipiell ist die Koordination zweier Partizipien zwar auch neuitalienisch möglich, allerdings tritt altitalienisch auch die Verbindung von unterschiedlichen Partizipialkonstruktionen (mit Partizip Präsens und Partizip Perfekt; mit unterschiedlichen Subjekten) oder von Partizipial- und Infintivkonstruktion auf: […] e già crescente il fuoco nell’accesa nave, fattone a’ marinari trarre quello che si poté per appagamento di loro, […] (Boccaccio, Decameron, IV, 4, 293.36) E quando i Vizî videro caduto il loro signore, e giacere morto nella fossa, e ‘l corpo suo tutto lacerato e infranto per la dura caduta ch’avea fatta, […] (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 59, 97.12) Neuitalienisch nur mehr selten sind (pseudo)absolute Konstruktionen mit Partizip Präsens - altitalienisch sind sie v.a. im Novellino häufig belegt. Eigentlich ist in den entsprechenden Kontexten ein Gerund erwartbar, möglicherweise ist der Gebrauch des Partizip Präsens hier der Transkriptionspraxis oder galloromanischem Einfluss geschuldet, wo keine formale Differenzierung der fraglichen infiniten Verbformen vorliegt: Considerante tutte le sporascritte cose, e’ dissero intra loro: […] (Novellino, 61, 260.60) […] che, udento centomilia genti, venne un truono da cielo; […] (Novellino, 17a, 163.10) Die Konstruktion mit Partizip Präsens ist wohl eine Fortsetzung aus dem Lateinischen, hinzu kommt eine gewisse Fixierung im mittelalterlichen Latein - typische Verwendungskontexte sind Verbindungen aus entrante/ uscente + Monatsname in italienischen Dokumenten (vgl. klat. INTRANTE MENSE / EXEUNTE MENSE ). Partizipien transitiver Verben können mit einem direkten Objekt stehen, es kann aber auch fehlen: […] nella quale la qualità del tempo molte e diverse feste apprestante, […] (Boccaccio, Fiammetta, cap. 5, par. 23, 130.21) […] e, veggenti tutti, gli fu renduto santade a vita. (Leggenda Aurea, cap. 163, S. Elisabetta 3, 1446.23) <?page no="180"?> 4 Komplexer Satz 179 4.1.2.2 Gerundialsätze Ähnlich wie für die Partizipialkonstruktionen gesehen, ist auch für Gerundialsätze eine gewisse semantische Unterdeterminiertheit gegeben, häufig stellen sie eine kausale, temporale, seltener eine konditionale Relation zum Matrixsatz her. Bei konzessiven Sätzen wird das Gerund vielfach mit pur eingeleitet. Anders als neuitalienisch können Gerundialsätze auch mit Präpositionen verbunden werden, so mit in (nur mit explizitem Subjekt; kausal, temporal, instrumental), con oder per (beide instrumental). […] quelle parole che tu n’hai dette in notificando la tua condizione, […] (Dante, Vita nuova, cap. 18, parr. 1-9, 72.2) […] e debbiano de’ danari dela Compagnia provederli, chon avendo sopra questa provisione quattro dela Compagnia ordinati sopra ciò; […] (Stat. fior., I, par. 20, 37.35) „Il Signore di tutta la grazia n’ha chiamati ne la sua gloria eternale, per sofferendo nel nome di Cristo poca cosa“. (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 8, 21.6) Im Vergleich zu den Partizipialkonstruktionen wirkt der Gebrauch der Gerundialkonstruktionen freier. So kann einerseits das einfache wie das zusammengesetzte Gerundium verwendet werden; das einfache Gerundium übernimmt dabei wie gesehen auch die Funktion des Partizip Präsens. Als zusammengesetztes Gerundium (auch in Distanzstellung möglich) zeigt es Überlappungen mit dem Partizip Perfekt (vgl. essendo morto il marchese di Ferrara zum Ausdruck der Vorzeitigkeit wie morto il marchese di Ferrara gebraucht). Gleichzeitig wird über das Gerund eine Explizierung der verbalen Diathese erreicht, die im Partizip Perfekt nur oberflächlich angelegt ist (anders als lateinisch ist das Partizip Perfekt aktivisch wie passivisch interpretierbar). Interessant ist auch die im zweiten Beispiel sichtbare semantische Äquivalenz zu einem mit dem Hauptsatz koordinierten Hauptsatz (vgl. e Dio fece molti miracoli attraverso di lui): […] il quale, essendo assai bello della persona e leggiadro molto, avendolo più volte Lisabetta guatato, avvenne che […] (Boccaccio, Decameron, IV, 5, 295.19) […] e morì nella città di Salerno, sancto, faccendo Idio molti miraculi per lui. (Cronica fior., 89.6) Wie für die Partizipialkonstruktionen lässt sich weiter ein formelhafter Gebrauch etwa mit temporalen Angaben feststellen, die v.a. in Statuten auftreten (venendo + temporale Angabe, essendo x + Nomen, regnando + Nomen, non contrastando + Nomen). Unterschiede im Vergleich zum Neuitalienischen ergeben sich auch mit der Stellung des Subjekts, das im modernen Italienisch durchgehend nach dem Gerund steht, das aber altitalienisch auch präverbal auftreten kann. [...] messer Bondelmonte cavalcando a palafreno in gibba di sendalo e in mantello con una ghirlanda in testa, messer Ischiatta delli Uberti li corse adosso […] (Cronica fior., 119.6) <?page no="181"?> III Syntax 180 Carlo Magno essendo ad oste sopra’ Saracini, venne l’ora della morte. (Novellino, 17a, 163.1) Das explizite Subjekt ist altitalienisch normalerweise identisch mit dem Subjekt des Matrixsatzes (pseudoabsolute Konstruktion), allerdings sind auch Abweichungen möglich. Das Subjekt kann auch ein Satz sein, sofern der Gerundialsatz mit einem unpersönlichen Ausdruck gebildet ist (vgl. è certo che, pare etc.): Ed essendo certo che non si può avere per altre mani che per le vostre […] (Bono Giamboni, Libro, 64, par. 5) […] i Fiorentini, parendo loro essere gravati da certi nobili e potenti huomini della terra di Simifonti, […] (Cronica fior., 114.7) Bei gleichzeitigem Auftreten von Subjekt und direktem Objekt ist SVO die bevorzugte Abfolge, die Initialstellung des Objekts, wie sie für die Partizipialkonstruktionen aufgezeigt wurde, ist unüblich. Anders als neuitalienisch können altitalienisch auch z.B. präpositionale Ergänzungen, Adverbien oder auch das komplexe Relativum il quale dem Gerund vorausgehen, auch bei präpositionalen Objekten. Wie bei Partizipialkonstruktionen ist auch bei Gerundialkonstruktionen eine Koordination möglich, wobei hier eine temporale Relation besteht. La qual cosa veggendo Satanasso, e pensando che non potea avere parte nell’uomo né ne la femina infin che de la Virtù fossero acompagnati, incontanente fece suoi ministri e appellolli Vizî, […] (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 38, 67.23) Pragmatisch interessant ist, dass mit absolutem Gerund häufig Handlungen oder Ereignisse eingeführt werden, die die Grundlage des Hauptereignisses bilden; gerade in der Prosa dienen diese Konstruktionen zur Einführung eines neuen Erzählstrangs. 4.2 Subordination II: Finite Sätze 4.2.1 Konjunktionalsätze Wie die vorausgehenden Kapitel zeigen, handelt es sich bei den infiniten Konstruktionen vielfach um Relikte des Lateinischen; sie sind neuitalienisch deutlich seltener, vielfach auf bestimmte Anwendungskontexte beschränkt. Dabei sind etwa die schriftsprachlich geprägten Partizipialkonstruktionen Relikte des lateinischen ablativus absolutus bzw. des participium coniunctum. Der kontinuierliche Abbau derartiger Nominalisierungen hat seine Basis in der typologischen Entwicklung zu einer stärker analytischen Ausdrucksweise. Adverbialsätze, die temporale, kausale, konzessive etc. Funktion haben, finden sich natürlich auch schon im Lateinischen (s. z.B. temporales CUM , finales und konsekutives UT etc.), haben aber eine deutlich geringere Verbreitung als im Italienischen; dies zeigt sich nicht zuletzt an der großen Zahl neu gebildeter Konjunktionen. Mit Blick auf komplexe Sätze dominiert umgangssprachlich zu allen Zeiten die Parataxe, wohingegen die Hypotaxe in schriftlichen und stilistisch hoch markierten Texten aufscheint. Eine grundsätzliche Einteilung der Nebensätze - vielfach werden die Bezeichnung Glied- und Nebensatz synonym verwendet - lässt sich vornehmen in Rela- <?page no="182"?> 4 Komplexer Satz 181 tivsatz, Komplementsatz und Adverbialsatz. Während Relativsätze ein Substantiv modifizieren (s. III 1.3), sind Komplementsätze direkt vom Verb abhängig und übernehmen wie ein Satzglied Subjekt- oder Objektfunktion innerhalb des komplexen Satzes, weswegen sie auch als Gliedsätze bezeichnet werden (Gliedsätze sind also eine eigene Kategorie von Nebensätzen). Prinzipiell sind Relativwie Komplementsätze durch eine einfache Konstituente ersetzbar (Ho visto un uomo che è bello./ Ho visto un bell’uomo.; Desidero che ritorni./ Desidero il suo ritorno.). Dagegen haben etwa Konditional-, Konsekutiv- oder Komparativsätze keine Entsprechung auf der Ebene der Umstandsbestimmungen. Adverbialsätze übernehmen eine adverbiale Bestimmung des Hauptsatzes, der auch ohne den jeweiligen Adverbialsatz (Temporal-, Kausal-, Konzessivsatz etc.) - anders als im Falle des Relativ- oder Objektsatzes - grammatisch vollständig ist. Im Weiteren sind hier Sätze mit finitem Verb interessant, die also mit einer Konjunktion eingeleitet werden und entsprechend als Gliedsätze formal markiert sind. Die inhaltliche Relation zwischen Haupt- und Gliedsatz wird über die Konjunktion hergestellt. Möglich sind hier alternativ natürlich auch Konstruktionen mit finitem Verb, wie die altitalienisch häufigeren Partizipial- und Gerundialkonstruktionen, daneben Relativsätze etwa mit einem zeitbezogenen Substantiv (nel tempo che, lo giorno che, s. auch mit dì, ora, volta, fiata ‚volta‘) oder auch die Parahypotaxe sowie die koordinierende Juxtaposition, um eine temporale, kausale etc. Verortung von Handlungen und Ereignissen zu gewährleisten. Typisch für die mittelalterliche Prosa ist eine gemischte Subordination, d.h. in einem komplexen Satzgefüge treten unterschiedliche untergeordnete Sätze auf, die miteinander kombiniert sein können. Verbindungen etwa aus einem finiten Komplement- und einem oder mehreren Infinitivatz/ -sätzen (auch in umgekehrter Reihenfolge) finden sich häufiger, wie die Beispiele zu den einzelnen Adverbialsatztypen zeigen. Dabei sollen einige wenige Gliedsatztypen genauer behandelt werden (zum konditionalen Gliedsatz s. III 4.2.2) und ansatzweise auf die im Neuitalienischen weniger häufige Koordination verwiesen werden. Im Fall temporaler Gliedsätze wird ein Ereignis des Hauptsatzes zeitlich eingeordnet, wobei eine Beziehung der Gleich-, Vor- oder Nachzeitigkeit möglich ist. Altitalienisch werden unterschiedliche Konjunktionen genutzt, so quando, come (zum Ausdruck der Gleichzeitigkeit zweier punktueller Ereignisse), che selbst sowie mit che verstärktes mentre, weiter eine Vielzahl mit che zusammengesetzter Konjunktionen: da che, poi che, poscia che, appresso che, dopo che, dappoiché (alle Vorzeitigkeit); prima che, pria che (Variante zu prima che, v.a. in der Prosa), dinanzi che (Nachzeitigkeit); weiter fin che, (a) tanto che, inconantente che, immantinente che, ratto che, tosto che, sì tosto come, da quando. Che kann in den komplexen Bildungen auch ausfallen, interessant ist aber auch, dass bei zwei aufeinanderfolgenden temporalen Gliedsätzen für die Einleitung des zweiten Satzes che ausreicht. E com’io riguardando tra lor vegno, / in una borsa gialla vidi azzurro / che d’un leone avea faccia e contengo. (Dante, Commedia, Inf. 17, v. 58 1, 283.8) Lagrime ascendon de la mente mia, / sì tosto come questa donna sente, che van faccendo per li occhi una via […] (Guido Cavalcanti (ed. Contini), 19, v. 18, 513.1) <?page no="183"?> III Syntax 182 Tu sai che mia usanza è d’isaminare l’uomo anzi che per fedele sia ricevuto o che d’atare li si faccia promessione; […] (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 16, 34.10) Interessant ist, dass häufig allora im Matrixsatz zur Wiederaufnahme eines temporalen Adverbialsatzes genutzt wird. Der Tempusgebrauch hängt unmittelbar von der Bedeutung der Konjunktion ab, am häufigsten sind das passato remoto, das trapassato remoto sowie das Futur II, insgesamt scheint im Altitalienischen eine größere Freiheit in der Verwendung der Tempora gegeben zu sein: So erlaubt das Altitalienische zum Ausdruck von Vor- und Nachzeitigkeit mit Blick auf die Vergangenheit den Gebrauch der gleichen Tempora, die bei Bezug auf die Gegenwart verwendet werden. Dagegen werden altitalienisch verschiedentlich Tempora genutzt, die formal auf die Vorzeitigkeit referieren, wo neuitalienisch nicht zusammengesetzte Tempora stehen (vgl. II 2.1.2). In der Regel steht für die Relation der Nachzeitigkeit der Indikativ, verschiedentlich auch der Konjunktiv. Die temporalen Gliedsätze sind zumeist als thematische Elemente vorangestellt, vielfach erfolgt eine lexikalische Wiederaufnahme, etwa über die Verwendung des gleichen Verbs in Haupt- und Gliedsatz oder die Nominalisierung des Verbs. Im Fall der Kausalsätze wird zwischen Glied- und Matrixsatz eine Relation zwischen Ursache und Wirkung hergestellt. Zu den häufigsten Konjunktionen zählen per che (perché), (in)però che (imperocché, inperocché), a ciò che (acciocché), che (ché), verstärkend wirkt che è ciò, che; dabei können die genannten Konjunktionen kontextabhängig auch finale Bedeutung haben. Nur kausal gebraucht werden perciò che/ per quello che, con ciò sia cosa che, da che (dacché), poscia che/ poi che. Bei kausaler Bedeutung steht in der Regel der Indikativ, seltener der Konditional; con ciò sia cosa che steht auch mit Konjunktiv. Der Adverbialsatz kann wiederum dem Hauptsatz vorausgehen - dies gilt altitalienisch auch z.B. für Gliedsätze mit perché, die neuitalienisch nur in finaler Lesart vorangestellt werden können -, er kann ihm aber auch folgen oder ihn durchbrechen, also im Satzinneren stehen. Nur nach Hauptsatz stehen Kausalsätze mit a ciò che, überwiegend nachgestellt sind Gliedsätze mit però che, v.a. vorangestellt werden Sätze mit da che, poscia che oder poi che. Ed elle, dacché ebbero inteso quel che le Virtù voleano […] il concedettero, e dissero di tornare, avegna che mal volontieri, perché, dacch’erano tutte e tre serocchie raunate con tutte lor genti, e sapeano che Dio era in mezzo di loro, tostamente crediano la loro guerra finire. (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 54, 90.20) Io t’adomando - disse la Filosofia -, con ciò sia cosa che ‘l medico non possa lo ‘nfermo ben curare se prima non conosce la cagione del suo male, […] (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 4, 8.12) Wie für die temporalen Gliedsätze gesehen, wird auch die Kausalität im Hauptsatz durch Elemente wie quindi, perciò, però wieder aufgegriffen: […] l’altro disse che per ciò s’era cieco perché non potea guardare le femine senza carnale desiderio di peccare; […] (Fiori di filosafi, 107.4) <?page no="184"?> 4 Komplexer Satz 183 Für die Darstellung zeitlicher Verhältnisse ist die Parataxe mit e, poi oder allora auch neuitalienisch durchaus verbreitet, seltener ist dies aber z.B. für den Ausdruck von Kausalität. Auch hier kann aber prinzipiell eine Koordination über e erfolgen, ergänzend werden adverbiale Elemente wie però, perciò oder dunque, generische und spezifische anaphorische Nominalkonstruktionen (per questo modo; per questa paura) verwendet, die eine kausale Interpretation ermöglichen. […] ma già a tuo minore / non render più onore, / ch’a luї si convenga / né ch’a vil te ne tenga: / però, s’egli è più basso, / va’ sempre inanzi un passo. (Brunetto Latini, Tesoretto, v. 1801, 238.26) […] e però sì la rimetteremo in voi e nelgli altri nostri che di costà verranno, […] (Lett. fior., 595.21) […] e io rimasi in tanta tristizia, che alcuna lagrima talora bagnava la mia faccia, onde io mi ricopria con porre le mani spesso a li miei occhi; […] (Dante, Vita nuova, cap. 22, parr. 1-8, 88.3) Semantisch mit dem Kausalsatz verwandt ist der Konzessivsatz, da hier auch eine Ursache-Wirkung-Relation beschrieben wird, allerdings enthält der Hauptsatz hier eine unerwartete Folge. Als Konjunktionen werden v.a. av(v)egna che, (con) tutto che, molto che, benché, anchorché gebraucht, letztere sind aber im 13. und 14. Jh. noch selten. Bei benché und sebbene handelt es sich um ursprünglich konditionale Konjunktionen, bei perché um eine kausale Konjunktion. Was den Modusgebrauch betrifft, so schwankt dieser zwischen Indikativ und Konjuktiv. E con tutto che io chiamasse questo nome, la mia voce era sì rotta dal singulto del piangere, che queste donne non mi pottero intendere, secondo il mio parere; […] (Dante, Vita nuova, cap. 23, parr. 1-16, 98.16) Padre e ssengnore mio, non pensare, perch’io sia prete, che io vengna meno a voi o all’aiuto della vostra cittade; e molto che io non sia chavallerosa persona, la buona volontade ci pur è, e al bisongnio si vedrà. (Distr. Troia, 164.35) Av(v)egna che und tutto che können dabei ergänzt werden durch dio, ben oder ancora. Die mit diesen Konjunktionen eingeleiteten Gliedsätze stehen vor oder nach dem Hauptsatz, auch eine Stellung im Satzinneren ist möglich. Vor- und Nachstellung ist auch für Gliedsätze mit benché, ancor che belegt. Appellianci parte di Chiesa; - e’ Ghibellini s’apellarono Parte d’Inperio, avengnadio che’ Ghibellini fossero publici paterini. (Cronica fior., 119.19) Auch für den Konzessivsatz ist die Koordination, hier über adversatives ma, möglich, pur, bene und vero können als verstärkende Elemente aufscheinen. Elli fu molto savio ma troppo ontoso ad vendecta; et fu largo e gratioso, gentile e bontadioso in tucti suoi facti. (Cronica fior., 103.6) Et ben potrebbe il dittatore dicere parole diritte et ornate, ma non varrebbero neente s’elle non fossero aconcie alla materia. (Brunetto Latini, 151.4) Finalsätze drücken das Ziel einer Handlung aus, die Zielerreichung steht also im Vordergrund. Auch hier zeigt sich eine Verbindung mit dem Kausalsatz, die zeit- <?page no="185"?> III Syntax 184 liche Richtung geht aber hier nicht vom Gliedzum Hauptsatz, sondern vom Hauptzum Gliedsatz. Ein wichtiges Merkmal finaler Konstruktionen ist die Agentivität, d.h. es muss ein menschliches Agens gegeben sein, das das Prädikat des Hauptsatzes kontrolliert; alternativ kommt ein nicht-belebtes Element in Frage, das als im vom Prädikat beschriebenen Ereignis aktiv interpretiert werden kann. Die finalen Sätze werden mit Konjunktionen eingeleitet, die altitalienisch nicht auf die finale Lesart spezialisiert sind - so sind acciò che, perché, però che jeweils auch kausal interpretierbar, sì che wird auch konsekutiv verwendet, affinché kommt erst später hinzu. Alle Konjunktionen stehen mit dem Konjunktiv Präsens oder Imperfekt. E tengnami in balìa, accio k’io ti possa amare, / con core dilettoso te senpre dilettare; […] (Poes. an. fior., v. 67, 17.6) Questa ballata in tre parti si divide, ne la prima dico a lei ov’ella vada, e confortola però che vada più sicura, e dico ne la cui compagnia si metta, se vuole sicuramente andare e sanza pericolo alcuno; […] (Dante, Vita nuova, cap. 12, parr. 16-17, 51.5) In den meisten Fällen folgt der Finalsatz dem Hauptsatz, prinzipiell kann aber auch Voranstellung erfolgen. Mit dem Konsekutivsatz wird der Effekt des im Hauptsatz Gesagten ausgedrückt. Dabei wird über die Adverbien sì, così, tanto, cotanto eine Modifizierung von Adjektiven, Adverbien oder Verben des dem Gliedsatz immer vorausgehenden Hauptsatzes geleistet. Daneben ist die Verwendung attributiver Adjektive wie (co)tale, sì fatto mit dem Substantiv des Hauptsatzes möglich; konsekutiv wird auch die Wendung in (co)tal modo gebraucht. Der Gliedsatz wird immer mit che eingeleitet: Il mulo trasse e dielli un calcio tale, che l’uccise. (Novellino, 94, 338.2) Ogne cosa quasi o è generale, sicché comprende molte altre cose, o è parte di quella generale. (Brunetto Latini, Rettorica, 40.14) […] lo nome d’Amore è così dolce a udire, che impossibile mi pare che la sua propria operazione sia ne le più cose altro che dolce, […] (Dante, Vita nuova, 1, cap. 13, parr. 1-7, 53.7) Tu vai, ballata, sì cortesemente, / che sanza compagnia / dovresti avere in tutte parti ardire; […] (Dante, Vita nuova, cap. 12, parr. 10-15, v. 5, 46.5) Die Quantifikatoren tanto, cotanto können darüber hinaus in Verbindung mit di (co)tanto/ -a + Substantiv auftreten: Io so ch’i’ non ho tanta di potenza / ch’io meritar potesse lo donato / ch’ho ricevuto da vostra valenza, […] (Chiaro Davanzati, son. 36, v. 1, 253.1) E dice che vide tali cose, che non è convenevole a parlarle agli uomini. (Tesoro volg. (ed. Gaiter), L. 2, cap. 10, 1, 255.14) Daneben liegen mit in/ per (tal) modo che, in (tal) maniera che, di/ in (tal) guisa che komplexe konsekutive Wendungen vor: <?page no="186"?> 4 Komplexer Satz 185 […] e la loro bocca hanno sotto la gola, per tal modo ch’eglino possano rugumare, chè altrimenti non si potrebbero pascere. (Tesoro volg., L. 4, cap. 1, 57.9) Altitalienisch ist der Gebrauch des Indikativ wie des Konjunktiv in Abhängigkeit von einer dubitativen oder volitiven Lesart möglich, auch der Konditional steht verschiedentlich in Konsekutivsätzen. 4.2.2 Bedingungssatzgefüge Einen Sonderfall des komplexen Satzes bildet das Bedingungssatzgefüge, da die syntaktisch-semantische Beziehung zwischen der Protasis (also dem in der Regel mit se eingeleiteten Bedingungssatz) und der Apodosis (dem Matrixsatz) enger ausfällt als bei den bisher betrachteten Satzkonstruktionen. Die Apodosis stellt in der Regel zugleich die Konsequenz aus der in der Protasis formulierten Bedingung dar, wobei die Verwendung unterschiedlicher Modi den Grad des Zusammenhangs zwischen der Bedingung und der Folge ausdrückt. So ist dieser bei Verwendung etwa des Indikativ in beiden Sätzen höher als bei Gebrauch des Konjunktiv im Bedingungssatz und des Konditional im Matrixsatz, woraus sich letztlich auch die Gliederung in drei Untertypen ergibt. Dabei ist im Fall des Realis zwar offen, ob die Bedingung eintritt, sie kann aber tatsächlich eintreten und ist damit Voraussetzung für das Geschehen im Hauptsatz. Entsprechend steht das Verb in beiden Sätzen im Indikativ. Beim Potentialis liegt für die Erfüllbarkeit der Vorbedingung eine gewisse Möglichlichkeit vor; hier findet sich neuitalienisch der Konjunktiv Imperfekt im se-Satz und der Konditional im Hauptsatz. Für den Irrealis schließlich, dessen Realisierung sehr unwahrscheinlich ist, wird bei Gegenwartsbezug in der Protasis der Konjunktiv Imperfekt, in der Apodosis der Konditional, bei Vergangenheitsbezug der Konjunktiv Plusquamperfekt und der zusammengesetzte Konditional verwendet. Das Lateinische hat für den Realis ebenfalls den Indikativ für beide Sätze (für den Hauptsatz sind prinzipiell alle Modi zulässig), im Potentialis tritt allerdings in der Protasis wie der Apodosis jeweils der Konjunktiv Präsens (bei Gegenwartsbezug) oder der Konjunktiv Perfekt (bei Vergangenheitsbezug) auf. Beim Irrealis schließlich stehen beide Sätze entweder im Konjunktiv Imperfekt (bei Gegenwartsbezug) oder im Konjunktiv Plusquamperfekt (bei Vergangenheitsbezug). Lateinisch Protasis (se-Satz) Apodosis Realis Indikativ Indikativ Potentialis Konjunktiv Präsens/ Konjunktiv Perfekt Konjunktiv Präsens/ Konjunktiv Perfekt Irrealis Konjunktiv Imperfekt/ Konjunktiv Plusquamperfekt Konjunktiv Imperfekt Konjunktiv Plusquamperfekt <?page no="187"?> III Syntax 186 Italienisch Protasis (se-Satz) Apodosis Realis Indikativ Indikativ Potentialis Konjunktiv Imperfekt Konditional Irrealis Konjunktiv Imperfekt Konjunktiv Plusquamperfekt Konditional zusammengesetzer Konditional Was den Bedingungssatz im Altitalienischen betrifft, so lässt sich zunächst allgemein feststellen, dass die Abfolge der beiden Sätze freier ist, sich aber die Protasis häufig zu Beginn der Konstruktion findet und thematische Funktion übernimmt; bei Nachstellung übernimmt sie entsprechend die Funktion des Rhemas. Auch ein Einschub in die Apodosis ist möglich, so etwa kann die Protasis zwischen einem vorangestelltem Objekt und dem Verb stehen. Zumeist wird der Bedingungssatz durch se oder auch komplexere semantische Elemente eingeführt, die Konjunktion kann aber auch fehlen. Die Relation der beiden Sätze kann in jedem Fall über den Modusgebrauch durchaus erschlossen werden; neuitalienisch ist in diesem Fall die Abfolge Protasis - Apodosis obligatorisch: „Io non canteroe mai s’io non ho pace da mia donna.“ (Novellino, 64, 273.13) Delettissimo mio, viddi lettera vostra non∙pogho allegro; e averìa tantosto a vostra dimanda resposto, non fusse inpedito stato di pluçor cose; […] (Guittone, Lettere in prosa (tosc.), 1, 3.5) Tu che di guerra colpo nonn atendi / e vivi pur ad amorosa spene, / questo consiglio, se ti piace, intendi, / c’ad ogni dritto amante si convene; […] (Rinuccino, Rime, 9m, v. 1, 112.1) Bei Voranstellung der Protasis kann die Apodosis mit allora, dunque oder auch sì eingeleitet werden: In questa parte dice Tullio che, se ll’uditore è turbato contra noi […], allora dovemo noi usare ininuazione nelle nostre parole […] (Brunetto Latini, Rettorica, 197.4) Se ttu farai questo, disse il maestro al suo discepolo, sì sarai tenuto savio intra li altri. (Disciplina clericalis, 80.3) Neben se, das durch solo verstärkt werden kann, können auch temporale und lokale Elemente wie quando, qualora oder (d)ove als Konnektoren fungieren. Auch salvo che, pur che/ purché sowie a condizione/ patto che findet sich altitalienisch häufiger (neuitalienisch durch a meno che ersetzt), in den folgenden Jahrhunderten treten casomai, a condizione che, sempre che hinzu. Interessant ist auch die komplexe Konjunktion se non fosse che, die zu einer Intepretation des Bedingungssatzgefüges als irreal (mit Gegenwarts- oder Vergangenheitsbezug) führt. Come se dient schließlich der Einführung hypothetischer Komparativsätze: […] e se non fosse che la donna rise, / i’ parlerei di tal guisa doglioso, / ch’Amor medesmo ne farei cruccioso, / che fe’ lo immaginar che mi conqueise. (Guido Cavalcanti (ed. Contini), 23, v. 6, 517.6) <?page no="188"?> 4 Komplexer Satz 187 „O crecevatelo voi avere? “ „Certo sì“. „E non l’aveste? “ „No“. „Dico ch’è altrettale, come se voi lo aveste avuto“. (Novellino, 91, 334.12) Trotz einer relativ hohen Stabilität des Bedingungssatzgefüges zeigen sich in der historischen Entwicklung deutliche Unterschiede zum Neuitalienischen in der Bildung von Mischtypen sowie der kontinuierlichen Aufgabe des Konjunktiv Präsens in der Protasis. Die große Variationsbreite im Gebrauch der Modi und Tempora innerhalb des Bedingungssatzgefüges ist z.T. durch die Zurückdrängung des Konjunktiv allgemein und das Aufkommen des Konditional bedingt. Wenn die Apodosis selbst ein Gliedsatz ist, hängt der Modus- und Tempusgebrauch partiell vom syntaktischen und semantischen Verhältnis zum übergeordneten Satz ab. Im Fall einer auf die Zukunft ausgerichteten Hypothese und einem Bezugsverb des übergeordneten Satzes in einem Vergangenheitstempus sind neben der altitalienisch sehr häufigen Verbindung aus Konjunktiv Imperfekt in der Protasis und Konditional Präsens in der Apodosis weitere Kombinationen möglich, so z.B. auch die Abfolgen Konjunktiv Imperfekt/ zusammengesetzter Konditional, Indikativ Imperfekt/ Konditional, Konjunktiv Plusquamperfekt/ Indikativ Imperfekt (jeweils für die Protasis/ die Apodosis), die damit eine große Variationsbreite sichtbar machen: A uno re nacque uno figliuolo; i savi strolagi providero che, s’elli non stesse anni dieci che non vedesse il sole, che perderebbe il vedere (Novellino 13, 158.1) Bene si disse che se lo re Giamo avesse voluto, don Federigo suo fratello rimanea preso in quella battaglia, […] (Giovanni Villani (ed. Porta), L. 9, cap. 29, 2, 48.12) E sì erano sì preso di me a mio aviso che, se ciò fosse cose visibile, io le potesi tocare co le mani, ma no potei tanto isguardare che io ne potesi vedere. (Storia San Gradale, cap. 7, 14.7) Bildet die Apodosis einen unabhängigen Hauptsatz, so lässt sich eine Vielzahl an Möglichkeiten für den Tempus- und Modusgebrauch im Bedingungs- und im Matrixsatz finden. Zu den aus neuitalienischer Perspektive auffälligsten Verbindungen gehören etwa die Abfolgen Konjunktiv Imperfekt in der Protasis und Indikativ in der Apodosis oder Indikativ in der Protasis und Konditional in der Apodosis, die v.a. mit dem Präsens oder dem Futur auftreten: E se per amore fosse tuo pianto: perché nol piangevi tu quand’era vivo, sappiendo che dovea morire? (Novellino, 71, 291.5) Neben der neuitalienisch üblichen Verwendung des Konjunktiv Plusquamperfekt in der Protasis und dem zusammengesetzten Konditional in der Apodosis für den Irrealis steht altitalienisch deutlich häufiger der Indikativ Plusquamperfekt in der Protasis; der zusammengesetzte Konditional in der Apodosis muss dabei nicht zwingend einen Vergangenheitsbezug aufweisen, sondern kann auch für einen Bezug auf die Zukunft verwendet werden. Neuitalienisch sind der Gebrauch des Indikativ Imperfekt in beiden Sätzen als umgangssprachlich markiert - altitalienisch ist er noch nicht belegt -, sowie die Mischkonstruktionen aus Indikativ Imperfekt in der Protasis und zusammengesetztem Konditional in der Apodosis <?page no="189"?> III Syntax 188 bzw. Konjunktiv Plusquamperfekt in der Protasis und Indikativ Imperfekt in der Apodosis. Letztere ist parallel zu den genannten auch altitalienisch schon belegt: La mortalitade fu grande, e la terra fu quasi tutta presa; e sed e’ non fossero stati misericordiosi, tutta la poteano distruggere a ffuoco ed a ferro. (Cronica fior., 124.30) Die Verwendung konjunktivischer Formen in der Protasis wie der Apodosis, wie sie sich lateinisch findet, ist nicht mehr für das Standarditalienische belegt, wohl aber für süditalienische Dialekte. Mit Bezug auf den Ausdruck des Realis, des Potentialis und des Irrealis lässt sich trotz der unterschiedlichen Lösungen ein dem Neuitalienischen entsprechender Gebrauch der Tempora und Modi feststellen - so zeigt der Indikativ den Realis an. Steht der Konjunktiv Imperfekt oder der Konditional in der Protasis, wird damit der Potentialis an, z.T. auch der Irrealis ausgedrückt, der aber v.a. durch den Konjunktiv Plusquamperfekt versprachlicht wird, ohne dass hier allerdings zwingend ein Vergangenheitsbezug vorliegen muss: E chi avesse voluto conoscere Amore, fare lo potea mirando lo tremare de li occhi miei. (Dante, Vita nuova, cap. 11, parr. 1-3, 40.15) 4.3 Parahypotaxe Die Parahypothese ist ein syntaktisches Phänomen, das altitalienisch in sämtlichen Textsorten, aber auch in den meisten anderen romanischen Sprachen große Verbreitung zeigt; neuitalienisch ist die Struktur agrammatisch. Es handelt sich hier um eine Kombination aus syntaktischer Koordination (Parataxe) und Subordination (Hypotaxe). Ein temporaler, konditionaler, komparativer oder kausaler Gliedsatz geht dem regierenden übergeordneten Matrixsatz voraus, der aber über eine koordinierende Konjunktion - zumeist e - eingeleitet wird, die offensichtlich zur Betonung der semantisch-grammatischen Relation zwischen den Sätzen verwendet wird. Die Abfolge der Sätze ist dabei fixiert, die Umkehrung also nicht möglich. Die beiden Sätze können das gleiche Subjekt, aber auch unterschiedliche Subjekte haben, das Subjekt des Matrixsatzes muss dabei immer ein lexikalisches oder pronominales Element sein. Die Parahypotaxe dient pragmatisch betrachtet dem Erzählfluss durch die Positionierung zweier Handlungen auf der gleichen Ebene. Durch Konjunktionen werden komplexe Zusammenhänge verdeutlicht, weshalb die Parahypotaxe wie die Parataxe und die Hypotaxe in der italienischen Literatur vielfach als Beispiele für korrelative Strukturen angeführt werden (so wird der Konjunktion des Gliedsatzes kataphorische, der Konjunktion e, die den Matrixsatz einleitet, anaphorische Funktion zugewiesen). „Con ciò sia cosa che [‚poiché‘] Cristo abbia portata e sofferta molta pena ne la sua carne, e voi v’apparecchiate di simigliante pensiere.“ (Bono Giamboni, Libro, cap. 7, 18.16) Onde, da che m’hai chiesto consiglio, e io il ti do volontieri, […] (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 76, 119.4) <?page no="190"?> 4 Komplexer Satz 189 Bei temporalen Gliedsätzen kann die Gleichzeitigkeit zum übergeordneten Satz durch den Gebrauch des Imperfekt in ersterem und des passato remoto im darauf folgenden koordinierten Satz ausgedrückt werden. Für die unmittelbare Aufeinanderfolge der Ereignisse kann quando in Verbindung mit dem trapassato remoto im Gliedsatz und das passato remoto im übergeordneten Satz verwendet werden. Um den Effekt der schnellen Abfolge einer größeren Zahl von Ereignissen zu erzielen, werden vielfach mehrere temporale Gliedsätze über e aneinandergereiht: E quando ei pensato alquanto di lei, ed io ritornai pensando a la mia debilitata vita; […] (Dante, Vita nuova, cap. 23, parr. 1-16, 94.6) […] e, quando era lavato, et ella li apparecchiava un ago voto e un filo di seta, e convenia che, s’elli si voleva affibbiare da mano, ch’elli medesimo mettesse lo filo nella cruna dell’ago; […] (Novellino, 62, 265.5) Com’io tenea levate in lor le ciglia, / e un serpente con sei piè si lancia / dinanzi a l’uno, e tutto a lui s’appiglia. (Dante, Commedia, Inf. 25, v. 49, 1, 422.10) Wie in anderen Fällen einfacher Subordination, kann das Verb auch in der Parahypotaxe finit oder infinit sein (Gerund, Partizip Perfekt). Im letztgenannten Fall fehlt die verknüpfende Konjunktion, die grammatische Relation wird über das Gerund bzw. das Partizip selbst hergestellt, wohingegen die semantische Beziehung zum Matrixsatz offen bleibt. E, dimorando la notte lo re Marco in sul pino, e messere Tristano venne alla fontana e intorbidolla; […] (Novellino, 65a, 277.6) E come questo ebbe detto, uscito il marito d’una parte della casa, e ella usì dell’altra; […] (Boccaccio, Decameron, IX, 7, 618.17) […] e prestamente di dosso una camiscia, ch’avea, cacciatasi, presa la mano d’Allessandro, e quella sopra il petto si pose dicendo: […] (Boccaccio, Decameron, II, 3, 89.24) Die Konjunktion e kann gerade nach einem kausalen Gliedsatz um kausal-adverbielles però oder ecco (letzteres auch in Verbindung mit einem Infinitiv) ergänzt werden, dass die semantische Beziehung der beiden Sätze betont: Perché l’uno savio e l’altro dicea vero, e però donò ad ambendue: […] (Novellino, 22, 182.11) E se non mi credete, ed ecco nelle vostre vi rinunzio. (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 66, 105.19) Mentre tralle donne erano così fatti ragionamenti, e ecco entrar nella chiesa tre giovani, […] (Boccaccio, Decameron, I, introduzione, 20.33) Alternativ zu e kann auch adversatives ma stehen, das ebenfalls den semantischen Bezug innerhalb des Konstrukts verstärkt, der aber in diesem Fall auch durch die subordinierende konzessive Konjunktion des Gliedsatzes hergestellt wird. Weiter kann ma wiederum durch adverbielle Elemente wie pure oder tutta volta ergänzt und damit die Beziehung zwischen den Sätzen zusätzlich betont werden. <?page no="191"?> III Syntax 190 E avegna che fosse lieve la cena e di poche imbandigioni, ma del rilievo si consolarono tanti poveri, che non avrei creduto che nel mondo n’avesse cotanti. (Bono Giamboni, Vizi e Virtudi, cap. 15, 33.11) Auch sì tritt in ähnlicher Position wie e auf, allerdings wird es bereits ab dem 14. Jh. seltener. Sì ist keine koordinierende Konjunktion, sondern ein Adverb, auf das nicht ein koordinierter, sondern ein Matrixsatz folgt; die Struktur ist damit nicht mehr parahypotaktisch, sondern hypotaktisch. Dass sì anders als e oder ma nicht die Funktion einer Konjunktion hat, zeigt sich darin, dass sì in Verbindung mit einer koordinierenden Konjunktion auftreten kann. Zudem kann eine Inversion von Subjekt und Verb erfolgen: […] noi non potemo così avisare come quelle persone che fossero presente in sul fatto, e però sì la rimetteremo in voi e nelgli altri nostri che di costà verranno, […] (Lett. fior., 595.21) Et se lla condizione richiede che debbia parlamentare a cavallo, sì dee elli avere cavallo di grande rigoglio, […] (Brunetto Latini, Rettorica, 78.16) Auffällig ist aber dennoch die Parallele in der Struktur, möglicherweise ist der Gebrauch von sì durch die Desemantisierung von e in diesem Kontext bedingt und dient der Hervorhebung. Denkbar ist auch, dass sì eher gebraucht wird, wenn das Subjekt nachgestellt werden muss oder nicht versprachlicht wird und insbesondere, wenn der Hauptsatz andernfalls mit einem unbetonten Pronomen beginnen würde (vgl. II 3.1). Interessanterweise löst sì keine Nachstellung der Klitika bei nachfolgenden finiten Verbformen aus: Acciò che fusse più famosa di nome, sì lla chiamarono Allexandra, per nome del buono papa Alexandro. (Cronica fior., 105.31) Giunto alla badia la notte medexima, sì vi trovò una donna in pianto, scapigliata e scinta, forte lamentando, […] (Novellino, 59, 251.12) Auffällig ist in jedem Fall der häufige Gebrauch von sì mit einem einleitenden Gerundialsatz: […] e veggendo come leggiero era lo suo durare, ancora che sana fosse, sì cominciai a piangere fra me stesso di tanta miseria); […] (Dante, Vita nuova, cap. 23, parr. 1- 16, 95.1) E dimorando per lungo tempo, lo re Meliadus, per volontà che avea d’aver più figliuoli, sì prese un’altra dama, […] (Tavola ritonda, cap. 13, 48.5) Einen Sonderfall der Parahypotaxe bildet schließlich die relative Parahypotaxe: Hier greift ein regierender Satz, der kein autonomer, sondern ein Relativsatz ist, einen im vorausgehenden, abhängigen Satz angeführten Referenten auf: Avea un suo figliuolo d’etade di diciotto anni, e dovendo fra l’altre una mattina andare al Palagio del Podestà per opporre a un piato, e avendo dato a questo suo figliolo certe carte, e che andasse innanzi con esse, e aspettasselo da lato della Badìa di Firenze; il quale, ubbidendo al padre, come detto gli avea, andò nel detto luogo, e là con le carte si mise ad aspettare il padre, e questo fu del mese di maggio. (Franco Sacchetti, Trecentonovelle, 17, 41.1). <?page no="192"?> 4 Komplexer Satz 191 Zum Weiterlesen: Eine allgemeine Darstellung zur altitalienischen Syntax bieten D AR - DANO (1992; 1995; 2012a), M ARRA (2003), L AUTA (2012), R ENZI (2008), T ESI (2004) B ENINCÀ (1983/ 84), D URANTE (1981, Kap. I, III), P ATOTA (2007, Kap. 5), B OSCO (1978), D’A CHILLE (1990; 2003, Kap. 4), R OHLFS (1949, vol. II). Auf Besonderheiten der Wortstellung und der Informationsstruktur gehen B ENINCÀ / P OLETTO (2010), S ALVI (1998; 2000; 2001), S UZUKI (2004) sowie R ENZI (1988), V ANELLI (1986; 1999) ein, auf die Parahypotaxe haben S ORRENTO (1950) und G HINASSI (1971) ab. Zur Nominalphrase allgemein sei verwiesen auf G IOGI / G IUSTI (2010), G IUSTI (2010), zum Pronominalgebrauch vgl. E GERLAND / C ARDINALETTI (2010), V ANELLI / R ENZI / B ENINCÀ (1985/ 86), L EONE (2003). Zur Verbalphrase seien für einen allgemeinen Überblick empfohlen A MBROSINI (2000), B RAMBILLA A GENO (1964; 1990), zu Tempus und Tempusgebrauch S QUARTINI (2010a), S TUSSI (1961) und besonders zum Aspekt B ERTI - NETTO (1986), zum Modus S QUARTINI (2010b), zum Passiv B ERTINELLI P API (1980), K ONTZI (1958), zu Verbalperiphrasen A MENTA (2001), G IACALONE R AMAT (1995), S QUARTINI (1990), P ALERMO (2004), L OPOR - CARO (1993). Für Partizipial-/ Gerundial- und Infinitivätzen seien genannt D E R OBERTO (2012a; 2013), E GERLAND (2010a; 2010b), E GER- LAND / C ENNAMO (2010). Zu den unterschiedlichen Konjunktionaltypen sei auf die fundierten Darstellungen in C ONSALES (2012a), B ARBERA / M AZZOLENI / P ANTIGLIONI (2000), B RANCO (2012), B IANCO / D IGREGORIO (2012), C OLELLA (2010), D’A RIENZO / F RENGUELLI (2012), F RENGUELLI (2012a; b), M ESZLER / S AMU / M AZZOLENI (2010), V EGNADUZZO (2000; 2010) verwiesen, zu Komplementsätzen auf B ENINCÀ / C INQUE (2010), D E R OBERTO (2010; 2012b), zu Relativsätzen auch auf D ARDANO (2012b). Aufgaben 1) gli venne veduta una giovinetta; la quale andava per li campi certe erbe cogliendo: Was ist eine Verbalperiphrase? Beschreiben Sie die in den Beispielen auftretenden Typen hinsichtlich eventueller semantisch-syntaktischer Restriktionen im Alt- und Neuitalienischen! 2) et eccho venire per la sala a cavallo una damigella; tanto amò costei Lancialotto, ch’ella ne venne alla morte.; e fosse il suo corpo messo in questo letto: Diskutieren Sie ausgehend von den angeführten Beispielen die Stellungsmöglichkeiten des Subjekts im Altitalienischen! 3) e ‘l Veglio tiene bella corte e ricca…: Erläutern Sie die Adjektivstellung im Altitalienischen! Gehen Sie dabei auch auf Unterschiede zum Neuitalienischen ein! 4) Malcometto disse che chi andasse in paradiso, avrebbe di belle femine tante quanto volesse, e quivi troverebbe fiumi di latte, di vino e di mèle: Beschreiben Sie die Entwicklung des Bedingungssatzgefüges vom Lateinischen zum Italienischen!   <?page no="193"?> III Syntax 192 5) lo ‘mperadore Traiano fue molto giustissimo signore; Diogene era più ricco che Alessandro: Erläutern Sie ausgehend von den Beispielen das System der Komparation in seiner Entwicklung vom Lateinischen zum Altitalienischen mit Blick auf syntaktische Besonderheiten! 6) E dappoi che fue coricato e Tristano sì spense tutti i lumi: Welche Konstruktion liegt hier vor? Gehen Sie bei der Erläuterung der Konstruktion auf das Verhältnis zu koordinierenden und subordinierenden Konstruktionen ein! 7) e faceali portare nel giardino e là entro gli facea isvegliare. Erläutern Sie ausgehend von dem Beispiel die Stellung der Objektpronomina im Altitalienischen! Wo treten Unterschiede zum Neuitalienischen auf? 8) oggi si vede Michelagnolo essere: Kommentieren Sie die hier vorliegende Konstruktion mit Blick auf ihre Fortsetzung im Italienischen! 9) Gibt es Unterschiede im Gebrauch der (Erzähl-)Tempora im Alt- und Neuitalienischen? 10) monsignore messere Lancialotto di Lac, che già nol seppi tanto pregare d’amore, ch’elli avesse di me mercede: Bestimmen Sie die Funktionen von che in den beiden Nebensätzen! Inwiefern handelt es sich bei der ersten Verwendung von che um eine Konstruktion, die man als nähesprachlich bezeichnen könnte? 11) perché la donna non si vergogni; ch’io la dovesse fare: Skizzieren Sie den Gebrauch des Konjunktiv im Altitalienischen! 12) Kommentieren Sie den Artikelgebrauch im nachfolgenden Satz: La ragione di che puote essere ed è che ciascuna cosa, da providenza di propria natura impinta, è inclinabile a la sua propria perfezione; onde, acciò che la scienza è ultima perfezione de la nostra anima, ne la quale sta la nostra ultima felicitade, tutti naturalmente al suo desiderio semo subietti. <?page no="194"?> IV Lexikologie Für den Wortschatz sind zunächst vulgärlateinische Entwicklungen zu beleuchten, die die Basis für die lexikalischen Gemeinsamkeiten der romanischen Sprachen darstellen. Wichtig sind hier formal (z.B. Homonymie, Wortkürze, Irregularität etc.) und semantisch bedingte Entwicklungen (v.a. Metapher, Metonymie). Für die Wortbildung - hier sind insbesondere Prä- und Suffigierungen wichtig - ist die Produktivität bereits klassischlateinisch gebräuchlicher Elemente wie die Parallelität von buch- und erbwörtlich entwickelten oder entlehnten romanischen, und damit semantisch zumindest ähnlichen Affixen interessant. Darüber hinaus weist der italienische Wortschatz unterschiedliche fremdsprachliche Einflüsse auf, die z.T. Sub- und Superstratsprachen zugewiesen werden können. Daneben sind Adstrateinflüsse von Bedeutung, wobei zum einen über die Jahrhunderte hinweg auf das Lateinische und das Griechische bewusst zurückgegriffen wird, zum anderen etwa mit dem Einfluss des Galloromanischen oder auch des Arabischen das Prestige der jeweiligen Kulturen sichtbar wird. Dabei lassen sich gerade Latinismen und Gallizismen im Italienischen lautlich z.T. leicht identifizieren. 1 Neuerungen im vulgärlateinischen Wortschatz Der Großteil des italienischen Wortschatzes geht wie der anderer romanischer Sprachen auf das Lateinische zurück. Dabei sind die meisten Elemente volkssprachlich entwickelt (Erbwörter), einige Wörter aber auch buchwörtlich. Hierbei handelt es sich um Lexeme, die aufgrund ihrer primär schriftsprachlichen (meist fachsprachlichen) Verwendung nur wenige lautliche Entwicklungen mitgemacht haben. Verschiedentlich sind Wörter sowohl volkssprachlich als auch fachsprachlich fortgesetzt worden. Beispiele für Dubletten sind etwa cerchio vs. circolo (< klat. CIRCULUM ), biscia vs. bestia (< klat. BESTIAM ), cosa vs. causa (< klat. CAU - SAM ). In ihrer lautlichen Entwicklung ähnlich wie Buchwörter verhalten sich die später in das Italienische übernommenen Latinismen, also aus neuitalienischer Perspektive halbgelehrte Wörter. Veränderungen im Wortschatz sind nun durch den Ausfall von Archaismen oder ungebräuchlich gewordenen Wörtern, die Neubildung von Wörtern (Derivation, Komposition), die Übernahme dialektaler wie fremdsprachlicher Elemente sowie auf semantischer Ebene durch Bedeutungswandel bedingt. Der Grund für diese Entwicklungen liegt prinzipiell in Bezeichnungsveränderungen und geänderten Bezeichnungsnotwendigkeiten, die außersprachlich motiviert sein können, ihre Basis also in soziohistorischen und kulturellen Entwicklungen haben. Dabei sind im Fall einer Bezeichnungsveränderung sowohl ein Bezeichnungswechsel als auch eine Bezeichnungsverschiebung denkbar. Im ersten Fall erfolgt dies über den Ersatz von Wörtern durch quasisynonyme oder se- <?page no="195"?> IV Lexikologie 194 mantisch verwandte, aber ausdrucksstärkere Elemente, im zweiten Fall durch Bedeutungswandel bei einzelnen, romanisch fortgesetzten Lexemen oder durch Selektion, wenn mehrere synonyme Bezeichnungen vorliegen. Innersprachliche Faktoren, die zu einem Bezeichnungswechsel führen können, sind ein kurzer Wortkörper, Homophonie oder Unregelmäßigkeiten im Paradigma (s. z.B. auch Metaplasmus der Elemente der wenig ausgelasteten U - und E -Deklination); semantisch relevant sind inhaltliche „Farblosigkeit“ oder Polysemie. Entsprechend erfolgt eine Ersetzung durch Elemente, die sich durch eine größere Lautfülle, ein regelmäßigeres Paradigma, morphologische Motiviertheit (Durchsichtigkeit), semantische Eineindeutigkeit sowie konkrete Anschaulichkeit auszeichnen, wobei die einzelnen Elemente natürlich jeweils mehrere der genannten Kriterien erfüllen können. Ein wesentliches Charakteristikum vieler Neubildungen ist die höhere Expressivität des entsprechenden Lexems gegenüber der ursprünglichen Bezeichnung. Viele Entwicklungen lassen sich bereits für das relativ einheitliche Vulgärlateinische ansetzen, wodurch die Parallelen in den romanischen Sprachen bedingt sind. 1.1 Synonymenselektion Interessant ist hier zunächst die später v.a. französisch wieder relevant werdende Synonymenselektion, d.h. die Anzahl semantisch eng verwandter Bezeichnungen wird durch die Fortsetzung nur einiger Elemente deutlich reduziert. So werden z.B. klat. AGERE ‚treiben‘, ‚tun‘ (v.a. durativ ‚tätig sein‘), GERERE ‚ausführen‘ und FUNGI ‚verrichten‘ zugunsten von konkreterem klat. FACERE ‚machen‘, ‚tun‘ aufgegeben (it. fare). Auch klat. PRAEDIUM ‚Landgut‘ wird nicht fortgesetzt (stattdessen klat. VILLAM ‚Landhaus‘, ‚Landgut (Gebäude)‘, it. villa). Bei den im Folgenden angeführten Beispielen setzt/ setzen sich jeweils das erste Lexem/ die ersten Lexeme gegenüber dem/ den anderen durch (sofern weitere Lexeme fortgesetzt werden, handelt es sich um gelehrte Elemente, worauf auch die fachsprachliche Bedeutung verweist, d.h. in den meisten Fällen handelt es sich wohl um spätere Entlehnungen aus dem Lateinischen und nicht um eine direkte Fortsetzung des klassisch-/ vulgärlateinisch auftretenden Lexems; da hier die lautliche Entwicklung nachrangig ist, wird für die Lexeme jeweils der klassischlateinische Nominativ angegeben): klat. PROBARE ‚prüfen‘ (it. provare), klat. TEMPTARE ‚betasten‘, ‚versuchen‘(it. tentare) vs. klat. EXPERIRI ‚versuchen‘, klat. CONARI ‚etwas zu tun versuchen‘ klat. RIPA ‚Ufer‘ (it. riva) vs. klat. LITUS ‚Meeresufer‘, ‚Strand‘ (it. ausgefallen, s. aber ven. lido) klat. INTRARE ‚eintreten‘ (it. entrare) vs. klat. INIRE ‚eintreten‘, klat. INGREDI ‚eintreten‘, ‚einrücken‘ klat. OCCIDERE ‚töten‘ (it. uccidere) vs. klat. INTERFICERE ‚töten‘, klat. CAEDERE ‚niederhauen‘ klat. FLUMEN ‚Fluss‘, ‚Strom‘ (it. fiume) vs. klat. AMNIS ‚Wasser‘, ‚Strom‘, ‚Strömung‘ (s. auch klat. FLUVIUS als Basislexem für das italienische Derivat fluviale) <?page no="196"?> 1 Neuerungen im vulgärlateinischen Wortschatz 195 klat. LINGUA ‚Zunge‘, ‚Sprache‘ (it. lingua, auch hier polysem) vs. klat. SERMO ‚Rede‘ (s. kirchensprachlich it. sermone ‚Predigt‘), klat. ORATIO ‚Sprache‘ (s. ebenfalls kirchensprachlich it. orazione ‚Gebet‘ neben ‚Rede‘) TRISTIS ‚traurig‘ (it. triste) vs. klat. MAESTUS ‚traurig‘ (vgl. v.a. lit. mesto) klat. CASA ‚Häuschen‘, ‚Hütte‘ (it. casa ‚Haus‘) vs. klat. DOMUS ‚Haus‘, ‚Wohnsitz‘ (s. aber Bedeutungsspezfizierung, it. duomo ‚Dom‘), klat. AEDES ‚Wohnhaus‘ (s. aber it. adjektivisches und substantivisches edile) klat. BELLUS ‚niedlich‘, ‚hübsch‘ (it. bello) vs. klat. PULCHER ‚schön‘ klat. TERRA ‚Erde‘, ‚Erdboden‘ (it. terra) vs. klat. HUMUS ‚Erdboden‘ (s. aber fachsprachlich it. humus) klat. CIVITAS ‚Bürgerschaft‘, ‚Stadt‘ (it. città) vs. klat. URBS ‚Stadt‘ (it. lit. orbe ‚Kreis‘), OPPIDUM ‚fester Ort‘ klat. AMARE ‚lieben‘ (aus Neigung oder Leidenschaft, it. amare) vs. klat. DILIGERE (aus Achtung) klat. GRANDIS ‚groß‘ (v.a. im ländlichen Bereich, Bezug auf Tiere, Pflanzen, it. grande) vs. klat. MAGNUS ‚groß‘, ‚weit‘ (s. ait. magno) klat. MULTUM ‚viel‘, ‚sehr‘ (it. molto) vs. klat. VALDE ‚sehr‘ Interessant ist hier auch die Auflösung lexikalischer Oppositionen: klat. SENEX ‚alt‘ (Person) vs. klat. VETULUS ‚ältlich‘, ‚ziemlich alt‘ (Tier, Pflanze) vs. klat. VETUS ‚alt‘ (Sache) => vlat. VETULUS (> it. vecchio) klat. IUVENIS ‚jung‘, ‚jugendlich‘ (Person) vs. klat. NOVELLUS ‚jung‘, ‚zart‘ (Tier, Pflanze, it. novello noch in der Bedeutung ‚Schößling‘, ‚Trieb‘) => klat. IUVENIS (it. giovane) klat. ALTER ‚glanzlos schwarz‘, ‚dunkel‘ vs. klat. NIGER ‚glänzend schwarz‘ => klat. NIGER (it. nero) klat. ALIUS ‚ein anderer‘ vs. klat. ALTER ‚der eine (von zweien)‘, ‚der andere‘ => klat. ALTER (it. altro) Hier sind v.a. auch solche Fälle von Bedeutung, in denen ein ursprünglich ausdrucksstärkeres Lexem seine Markierung verliert und mit der neutralen Bezeichnung zusammenfällt (vgl. klat. EQUUS ‚Pferd‘ - CABALLUS ‚Gaul‘, s. it. cavallo, vgl. aber auch die Adjektivbildungen equino oder ippico, hier liegt also ein Fall von lexikalischer Suppletion vor). Im Fall solcher (vulgär)lateinischer Synonyme zeigt die gesprochene Sprache vielfach die längeren, affektgeladenen, morphologisch regulären Wörter, die dann entsprechend häufiger in den romanischen Sprachen fortgesetzt werden. Die stärkere Expressivität wird weiter auch deutlich etwa in der Ersetzung von z.B. klat. EDERE ‚essen‘ (klat. COMEDERE ‚aufessen‘ > span. comer; vlat. MANDUCARE ‚kauend essen‘, ‚fressen‘ > frz. manger => it. mangiare, vgl. ait. parallel genuin entwickeltes man(d)ucare, manicare, nit. noch manicaretto ‚Leckerbissen‘) oder klat. FLERE ‚weinen‘ (klat. PLORARE ‚laut weinen‘, ‚heulen‘ > frz. pleurer, span. llorar; klat. PLANGERE ‚laut trauern‘, ‚wehklagen‘ > it. piangere). 1.2 Analytische Strukturen Auch analytische Strukturen können als expressiver gelten - an die Stelle etwa von klat. CARERE ‚entbehren‘ tritt vlat. NON HABERE , Bildungen mit der Basis IRE <?page no="197"?> IV Lexikologie 196 werden ebenso ersetzt (vgl. klat. ADIRE => vlat. IRE AD ), klat. SEMEL ‚einmal‘, klat. BIS ‚zwei Mal‘, klat. TER ‚drei Mal‘ werden zugunsten der Bildungen mit VICIS ‚Wechsel‘, ‚Abwechslung‘ aufgegeben (it. vece noch in invece oder in sua vece). Mit dem Ausfall einzelner Elemente ist auch ein Folgeschwund für weitere Elemente der jeweiligen Wortfamilie und insbesondere von Präfixbildungen verbunden (vgl. klat. FERRE : Präfixbildungen AFFERRE , CONFERRE INFERRE , PRAEFERRE , REFERRE => PORTARE ; klat. LUDUS : LUDERE , LUDIFICARI , LUDIFICATUS => vlat. IOCUS ; klat. SCIRE : NESCIRE => vlat. SAPERE ). Besonders häufig treten analytische Umschreibungen bei Zeitbestimmungen auf: klat. NUNC ‚jetzt‘ => vlat. HA ( C ) HORA > it. ora klat. TUM ‚dann‘, ‚damals‘, klat. TUNC ‚damals‘ => vlat. ILLA HORA > it. allora klat. VER ‚Frühling‘ => vlat. PRIMA VERA > it. primavera Gerade bei Tageszeitbezeichnungen findet sich zunächst die Verwendung mit TEMPUS , HORA oder DIES . In den romanischen Sprachen setzt sich die elliptische Form (also die Verwendung nur des determinierenden Adjektivs) durch: klat. MANE ‚Morgen‘ => vlat. MATUTINUM ( TEMPUS ) > it. mattino klat. VESPER ( A ) ‚Abend‘ => vlat. SERAM ( HORAM ) > it. sera klat. HIEMS ‚Winter‘ => vlat. HIBERNUM ( MENSEM / TEMPUS / ANNUM ) > it. inverno Ähnlich gelagert ist der Fall CASEUS FORMATICUS ‚geformter Käse‘ (> it. formaggio). Vereinzelt tritt auch in anderen Kontexten eine frühe Substantivierung von Adjektiven infolge einer Ellipse ein, vgl. vlat. * PAGENSE ‚das zu einem Gau gehörige Gebiet‘ > it. paese ‚Land‘; klat. STRATUS ‚gepflastert‘ => vlat. STRATAM ‚(gepflasterte) Straße‘ > it. strada (s. daneben strato ‚Schicht‘). 2 Bedeutungswandel Neben der Synonymenselektion und der Bildung analytischer Konstruktionen, die synonym zu kurzen, z.T. auch irregulären lexikalischen Einheiten sind, lassen sich auch unterschiedliche semantische Entwicklungen nachzeichnen. Dabei sind der metaphorische und der metonymische Bedeutungswandel als kognitiv-assoziativ bedingte Prozesse v.a. mit Blick auf eine größere Expressivität der betroffenen Lexeme wichtig. Auch Bedeutungserweiterungen oder -verengungen sind wichtige kognitiv motivierte Veränderungen. 2.1 Metapher Metaphorisch bedingte Veränderungen, also solche Bedeutungsveränderungen, die auf einer Similaritätsbeziehung zwischen den Designaten beruhen, sind schon früh belegt: klat. TESTA ‚Tongefäß‘, ‚Scherbe‘ > ‚Hirnschale‘ (seit 4. Jh.) > it. testa ‚Kopf‘ (neben capo, außerhalb Toskana testa gebräuchlicher) klat. FOLLIS ‚Schlauch‘, ‚Blasebalg‘ > ‚aufgeblasen‘, ‚töricht‘ (mit Konversion Nomen => Adjektiv) > it. folle ‚verrückt‘ <?page no="198"?> 2 Bedeutungswandel 197 klat. SPATULA ‚Rührlöffel‘ > it. spalla ‚Schulter‘ (s. vlat. Verdrängung von klat. HU - MERUS ‚Schulter‘) Wichtig ist hier v.a. auch die Übertragung von Konkreta auf Abstrakta: klat. PENSARE ‚wiegen‘, ‚wägen‘ > it. pensare ‚denken‘ (halbgelehrt; daneben in der konkreten Bedeutung pesare) klat. APPRE ( HE ) NDERE ‚angreifen‘, ‚begreifen‘ > it. apprendere ‚lernen‘ klat. LAXARE ‚schlaff machen‘, ‚lockern‘ > it. lasciare ‚lassen‘ klat. CONSTRINGERE ‚zusammenschnüren‘, ‚zusammenziehen‘ > it. costringere ‚zwingen‘ klat. IMPLICARE ‚hineinfalten‘, ‚verwickeln‘ > it. impiegare ‚brauchen‘, ‚verwenden‘ 2.2 Metonymie Die Metonymie basiert auf einer Kontiguitätsrelation: klat. MANSIO ‚Bleiben‘, ‚Aufenthalt‘ über ‚Aufenthaltsort‘, ‚Nachtlager‘ > frz. maison ‚Wohnung‘, ‚Haus‘ (Bedeutung seit 4. Jh. belegt) => ait. magione klat. VECTURA ‚Fahren‘ > it. vettura ‚Transportmittel‘, ‚Fahrzeug‘ In beiden Fällen liegt gleichzeitig die Entwicklung von einer abstrakten zu einer konkreten Bedeutung vor; der umgekehrte Fall ist deutlich häufiger und wie gesehen v.a. durch Metaphorik bedingt. Metonymisch erklärbar sind dagegen SAPE - RE ‚schmecken‘, ‚riechen‘ > it. sapere ‚wissen‘, ‚können‘ oder auch SATIO ‚Saatfeld‘, ‚Aussaat‘ über ‚Zeit der Aussaat‘ > it. stagione ‚Jahreszeit‘ (galloromanisch vermittelt). Weitere Beispiele für eine frühe metonymische Bedeutungsentwicklung sind: klat. CAMERA ‚Gewölbe‘ über ‚gewölbtes Zimmer‘ > it. camera ‚Zimmer‘ (letzterer Prozess ist eine Bedeutungserweiterung) klat. FOCUS ‚Feuerstätte‘ > it. fuoco ‚Feuer‘ klat. TABULA ‚Brett‘ > it. tavola ‚Tafel‘, ‚Tisch‘ klat. GRAVIS ‚schwer‘, ‚beschwerlich‘ > it. grave ‚ernst‘ (neben klat. DIFFICILIS > it. difficile) klat. CAMPUS ‚freies Feld‘, ‚Ebene‘ > it. campo ‚Feld‘, ‚Acker‘ klat. DEMANDARE ‚verlangen‘ > it. domandare ‚fragen‘ klat. MITTERE ‚schicken‘ > it. mettere ‚setzen‘, ‚stellen‘ (s. daneben den Latinismus mittente ‚Sender‘) klat. MEDIUS ‚in der Mitte befindlich‘ > it. mezzo ‚halb‘ (s. daneben auch substantivisches mezzo ‚Hälfte‘, ‚Mitte‘) klat. COHORS ‚Hofraum‘, ‚Kohorte‘, ‚Gefolge‘ > ‚Landgut‘ > it. corte ‚Hof‘ klat. PAVOR ‚Zittern‘, ‚Beben‘ > it. paura ‚Angst‘ (s. auch klat. METUS ‚Furcht‘) Auch durch die Verbreitung des Christentums bedingte Lexeme zeigen verschiedentlich eine metonymische Bedeutungsverschiebung: klat. CAPTIVUS ‚gefangen‘ > it. cattivo ‚schlecht‘, ‚böse‘ klat. SENIOR ‚der Ältere‘ > it. signore, Entwicklung zur Respektsbezeichnung neben DOMINUS ‚Herr‘ klat. NATALIS ( DIES ) ‚Geburtstag (Jesu Christi)‘ > it. Natale ‚Weihnachten‘ <?page no="199"?> IV Lexikologie 198 Mit der Ersetzung bereits bestehender Lexeme geht die Entwicklung bei klat. DIES DOMINICA ‚Tag des Herrn‘ (> it. domenica ‚Sonntag‘) für SOLIS DIES einher (s. auch SATURNI DIES ‚Tag des Saturns‘, vlat. durch SABBATA / SABBATO ersetzt (< griech. σάββατον < hebr. תבש , , shabbạṯ ‚Sabbat‘)). Einen Sonderfall stellen hier Kollektiva dar, die durch Pluralformen der Bezeichnung für die konstituierenden Elemente ersetzt werden: NEMUS ‚Hain‘, ‚Gehölz‘ => ARBORES ‚Bäume‘; SIDUS ‚Gestirn‘ => STELLAE ‚Sterne‘; AGMEN ‚Heereszug‘ => MILITES ‚Soldaten‘. 2.3 Bedeutungsverengung und -erweiterung Neben der Metonymie und der Metapher sind, wie angesprochen, die Bedeutungsverengung und -erweiterung weitere wichtige semantische Entwicklungen. Während bei ersterer eine Einschränkung in der Extension erfolgt, also die Zahl möglicher Referenten eingeschränkt wird, und sich die Intension vergrößert, d.h. eine Präzisierung der Bedeutung vorliegt, wird bei letzterer der Bedeutungsumfang größer, wodurch auf eine größere Referentenklasse Bezug genommen wird. Die Bedeutungserweiterung kann mit einer Synonymenselektion einhergehen: So stehen z.B. für das Konzept GEHEN klassischlateinisch drei Verben zur Verfügung, die sich semantisch nur geringfügig unterscheiden: klat. IRE ‚gehen‘ (s. noch ait. è ito, frz. j‚irais, span. ir), klat. VADERE ‚schreiten‘, ‚wandern‘ (vgl. it. vado, frz. je vais, span. voy), klat. AMBULARE (frz. aller, friaul. lâ) ‚herumgehen‘, ‚spazieren‘. Die Entstehung des suppletiven Paradigmas setzt eine Annäherung in der Bedeutung der Verben, d.h. insbesondere eine Bedeutungserweiterung für VADERE und AMBULARE , voraus. Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich auch z.B. bei IOCARI (‚scherzen‘, it. giocare), das für LUDERE ‘spielen‚ eintritt. DOMUS ‚Haus‚ findet sich heute in der Bedeutung ‚Dom‘ auf den kirchensprachlichen Bereich beschränkt (Bedeutungsverengung) - CASA dagegen (klat. ‚(ärmliches) Häuschen‘, ‚Hütte‘), das für die Bedeutung ‚Haus‘ einrückt, erfährt eine Bedeutungserweiterung. Klat. AEDES ‚Wohnhaus‘ fällt dagegen aus und ist nurmehr in Bildungen wie edile oder edificare (< klat. AEDIFICARE ) als Basis erhalten. Auch für die Bezeichnung der ( EHE ) FRAU stehen klassischlateinisch verschiedene Lexeme zur Verfügung, so UXOR ‚Ehefrau‘, das zum Italienischen ausfällt, in der gleichen Bedeutung CONIU ( N ) X , weiter SPONSA ‚Braut‘ und schließlich DOMINA ‚Herrin‘, ‚Gebieterin‘, das eine Bedeutungserweiterung zu ‚Frau‘ durchläuft. Eine Bedeutungserweiterung liegt weiter in den folgenden Fällen vor: klat. CABALLUS ‚Pferd‘, ‚Gaul‘ > it. cavallo ‚Pferd‘ klat. PARENS ‚Vater‘, ‚Mutter‘ > it. parente ‚Verwandte(r)‘ SENTIRE ‚fühlen‘, ‚wahrnehmen‘, ‚meinen‘ hat eine Verengung auf die Bedeutung ‚riechen‘, ‚hören‘, ‚schmecken‘, ‚fühlen‘ erfahren; SECARE ‚schneiden‘ zeigt im Italienischen eine Einschränkung auf ‚sägen‘ <?page no="200"?> 2 Bedeutungswandel 199 2.4 Polysemie Was die klassischlateinisch stark polysemen Wortschatzelemente betrifft, so fallen diese z.T. zum Romanischen hin aus, wie z.B. klat. FERRE , AGERE , RES , AEQUUS . Letztgenanntes Lexem, das lateinisch die Bedeutungen ‚eben‘, ‚gleich‘, ‚gerecht‘ hat, wird beispielsweise ersetzt durch klat. PLANUS (> it. piano) in der Bedeutung ‚eben‘, klat. AEQUALIS / PAR für ‚gleich‘ (> it. eguale, uguale/ pari) und klat. IUSTUS in der Lesart ‚gerecht‘ (> it. giusto). 2.5 Homonymie Homophonie entsteht vielfach zum Vulgärlateinischen durch lautliche und morphologische Prozesse bedingt neu (s. Quantitätenkollaps, Reduktion im Konsonantismus, Aufgabe des Neutrums, Regularisierung der Paradigmen) und geht im Italienischen fast immer mit Homographie einher, die fraglichen Lexeme sind also homonym. Dies betrifft etwa das zitierte klat. AEQUUS ‚gleich‘, das lautlich mit klat. EQUUS ‚Pferd‘ zusammenfällt, daneben auch klat. VIR ‚Mann‘ - klat. VERUS ‚wahr‘, ‚aufrichtig‘, ‚echt‘, ( VIR wird in der Folge durch HOMO und verschiedentlich MASCULUS ersetzt), klat. EXPECTARE ‚warten‘, ‚erwarten‘ (das it. in aspettare fortgesetzt wird) und klat. SPECTARE ‚schauen‘, ‚hinsehen‘, ‚beurteilen‘. Z.T. wird auf lautlich ähnliche Elemente zurückgegriffen: So z.B. würden klat. MĀLUS ‚Apfelbaum‘ und klat. MĂLUS ‚schlecht‘ > ait. malo lautlich zusammenfallen; auch im Fall von klat. MĀLUM ‚Apfel‘ und klat. MĂLUM ‚Übel‘ > (a)it. male liegt keine lautliche Distinktion vor. Entsprechend wird MĀLUM ‚Apfel‘ vulgärlateinisch durch MELUM ‚Apfel‘ ersetzt, woraus sich italienisch mela entwickelt (wie für andere Fälle gesehen, handelt es sich hier ursprünglich um die Pluralform, die durch die kollektive Bedeutung schließlich als Fem. Sg. interpretiert wird). Vlat. MELUS ersetzt schließlich klat. MĀLUS ‚Apfelbaum‘ (> it. melo). Im Fall von klat. BELLUM ‚Krieg‘ und klat. BĔLLUS ‚hübsch‘, ‚schön‘ (klat. PULCHER fällt aus) wird BELLUM durch einen Germanismus ersetzt (* WERRA , vgl. it. guerra). Auch bei klat. FEMUR ‚Oberschenkel‘ und klat. FĬMUS ‚Mist‘ wird durch das Einrücken des Germanismus * HANCA (vgl. it. anca) die Homonymie aufgehoben, aber auch eine Bedeutungsverschiebung (Metonymie) ausgelöst, weil * HANCA klat. COXA (‚Hüfte‘ > ‚Oberschenkel‘) ersetzt, das an die Stelle von FEMUR tritt. CRŪS ‚Unterschenkel‘, ‚Bein‘ wird schließlich seinerseits ersetzt durch CAMBA , GAMBA ‚Tierbein‘, ‚Sprunggelenk‘ (< griech. καμπή ‚Krümmung‘). Eine ähnliche metonymische Bedeutungsveränderung zeigt sich bei der Bezeichnung für den MUND und die WANGE : klat. ŌS ‚Mund‘ wird aufgrund seines geringen Lautkörpers und der Quasihomophonie zu klat. ŎS ‚Knochen‘ westromanisch durch klat. BŬCCA (ostrom. klat. GŬLA ) ersetzt, das ursprünglich ‚(dicke) Backe‘ bedeutet (vgl. aber adjektivisches orale); BŬCCA wird im Weiteren durch germ. WANKJA (> it. guancia) ersetzt (hinzu tritt gota, das auf das Keltische GAUTA zurückgeht, vgl. auch frz. joue). <?page no="201"?> IV Lexikologie 200 3 Wortbildung Wie bereits angeführt, ist ein kurzer Wortkörper problematisch, da dies zum Ausfall der betroffenen lexikalischen Elemente führen kann, wie z.B. im Falle von klat. IRE ‚gehen‘, FLERE ‚weinen‘, EDERE ‚essen‘, NARE ‚schwimmen‘, VIS ‚Kraft‘, RES ‚Sache‘, SPES ‚Hoffnung‘, die nur vereinzelt fortgesetzt werden (vgl. frz. rien, ait. noch speme). Der Wortkörper kann verschiedentlich über Affixbildungen erhalten und gestärkt werden (dies gilt z.B. für das Französische auch zu alt- und mittelfranzösischer Zeit, da aufgrund der diversen Lautwandelprozesse vielfach eine starke Reduktion des Wortkörpers erfolgt), Komposita sind dagegen deutlich seltener. Neben Substantiven wie den genannten zeichnen sich insbesondere hochfrequente Verben durch Wortkürze und v.a. ein hohes Maß an Irregularität im Formeninventar aus - hier erfolgen in der Regel Teilregularisierungen, s. z.B. die vulgärlateinisch neu gebildeten Infinitivformen ESSERE zu klat. ESSE , POTERE zu klat. POSSE , VOLERE zu klat. VELLE (für VELLE betrifft die Regularisierung weitere Formen des Paradigmas; klat. NOLLE ‚nicht wollen‘, MALLE ‚lieber wollen‘ werden aufgegeben). 3.1 Derivation Wie im Italienischen werden im Lateinischen v.a. die Komposition wie die Derivation zur Wortschatzerweiterung genutzt. Zu den frühen Affixbildungen zählen etwa denominale Verben, wie z.B. vlat. * ADRIPARE (it. arrivare), vlat. APPROXIMARE (it. approssimare), vlat. * INCONTRARE (zu vlat. INCONTRA ‚gegen‘, it. incontrare), vlat. RUINARE (zu klat. RUINA , it. mit Epenthese rovinare). Interessant ist hier die häufige Erweiterung des Verbstamms durch / i/ , vgl. klat. ALTUS => vlat. * AL - TIARE > it. alzare, klat. ACUTUS => vlat. ACUTIARE > it. aguzzare, klat. MINUTUS => vlat. MINUTIARE > it. (s)minuzzare etc. (s. hier auch Bildungen mit den Suffixen - ICARE , - ULARE , - ICULARE , - ELLARE , - ILLARE ). Ebenfalls früh belegt sind die bereits genannten analytischen Bildungen, die komplexe, irreguläre oder undurchsichtige lateinische Lexeme (v.a. Verben und Substantive) ersetzen: klat. ADESSE ‚da sein, anwesend sein‘ - vlat. PRAESENS ESSE ; klat. LATERE ‚verborgen sein, versteckt sein‘ - vlat. ABSCONDITUM ESSE ; klat. VULGUS ‚gemeines Volk‘ - vlat. MINUTUS PO - PULUS . Weiter treten - z.T. semantisch motiviert - verbale Präfixbildungen auf, wobei das Basisverb und die Präfixbildung vielfach nebeneinander bestehen. Die Neubildung wird allerdings als semantisch eindeutiger interpretiert und setzt sich schließlich durch (vielfach bleibt das ursprüngliche Element erhalten, allerdings zeigt sich zumeist ein Bedeutungsunterschied, vgl. parallel klat./ vlat. * CO - MINTIARE zu INITIARE > it. cominciare, neben latinisierendem iniziare; vlat. * ARRES - TARE zu ( RE ) STARE > it. arrestare, neben restare; vlat. * EXCAMBIARE zu klat. CAM - BIARE > it. scambiare, neben cambiare). Interessant sind hier auch desubstantivische Bildungen: vlat. * DE ( EX ) MENTICARE zu MENS > it. dimenticare; vlat. EXCORDARE zu COR > it. scordare. In eine ähnliche Richtung weist die Bildung von Frequentativ- und Intensivverben. Der Bedeutungsunterschied zwischen deriviertem Verb und Basisverb wird aber vielfach aufgegeben und nur mehr das derivierte Verb fort- <?page no="202"?> 3 Wortbildung 201 gesetzt (vgl. klat. CANERE ‚singen‘ - klat. CANTARE > it. cantare; klat. SALIRE ‚springen‘ (s. it. salire) - klat. SALTARE (ursprünglich ‚tanzen‘) > it. saltare). Als Beispiel einer Suffixerweiterung bei verbaler Basis kann klat. MISCERE ‚mischen‘ angeführt werden, das in der Folge durch vlat. * MISCULARE (vgl. it. mischiare neben mescolare), * MISCITARE (ait./ lit. auch mescidare/ mescitare), * MIXTICARE (it. ausgefallen) ersetzt wird. Für die denominalen Substantivbildungen kann etwa vlat. EXTRA- NEUS (> it. straniero) zu klat. EXTER ‚auswärtig‘, ‚ausländisch‘ angeführt werden. Auffällig sind aber v.a. die frühen Bildungen mit Alterationssuffixen. Dabei haben die Ableitungen nicht immer eine ausschließlich diminutive, augmentative oder pejorative Bedeutung, z.B. klat. VETULUS ‚ziemlich alt‘ > it vecchio (zu klat. VETUS ‚alt‘); klat. AURICULA ‚Öhrchen‘, ‚Ohr‘, ‚Ohrläppchen‘ > it. orecchio (neu gebildeter Sg., orecchia Pl.; klat. AURIS ‚Ohr‘); vlat. GENUCULUS ‚Knie (eines Kindes)‘ > it. ginocchio (klat. GENU ‚Knie‘); vlat. PEDUCULUS > it. pidocchio (klat. PEDIS ‚Laus‘). Eindeutig diminutiv ist vlat. CEREBELLUM ‚kleines Gehirn‘ > it. cervello (klat. CE- REBRUM ‚Gehirn‘) oder auch vlat. AGNELLUS ‚Lämmchen‘ > it. agnello (klat. AGNUS ‚Lamm‘). Interessant ist hier auch die Ersetzung der parallelen Form klat. ANULUS (vgl. ähnlich klat. VITULUS , das durch vlat. VITELLUS (> it. vitello) ersetzt wird). Die Parallelität verschiedener Suffixe weist auf ihre jeweilige Produktivität hin. Bereits vulgärlateinisch sind auch die Suffixerweiterungen bei * FRATELLUS und * SORELLA , während die klassischlateinischen Basislexeme FRATER und SOROR eine Bedeutungsspezialisierung mit Blick auf den religiösen Kontext durchlaufen (‚Mönch‘, ‚Nonne‘, vgl. aber auch die italienischen Bezeichnungen confratello, consorella). Weit verbreitet sind auch Bildungen mit - O / - ONIS , wobei die Derivate häufig parallel zu semantisch ähnlichen Bildungen auftreten (vgl. MANDUCUS ‚Vielfraß‘ - MANDUCO , 1. Pers. Sg. Ind. Präsens zu klat. MANDUCARE ‚essen‘). 3.1.1 Präfigierung Für die Präfixe lässt sich eine weitgehende Übereinstimmung des alt- und neuitalienischen Bestandes feststellen. Zwar lässt sich prinzipiell eine Differenzierung in lokale, temporale, intensivierende, privative etc. Präfixe ausmachen, lateinisch liegt aber zumeist eine lokale Bedeutung zugrunde, die auch für das Italienische in der Regel als Grundbedeutung erhalten bleibt. Interessanter scheint daher eine Gegenüberstellung der Präfixe hinsichtlich ihrer Produktivität im Alt- und Neuitalienischen sowie der Parallelität unterschiedlicher Varianten, die durch die erbwörtliche und buchwörtliche Entwicklung, aber auch die Vermittlung über andere Idiome bedingt ist (s. hier insbesondere gallorom. und nordit. Einfluss). Dabei können die Allomorphe synonym sein, es ist aber genauso eine Bedeutungsdifferenzierung möglich, wobei die latinisierenden Formen vielfach für die Bildung fachsprachlicher Terminologie verwendet werden. Präfixe, die altund/ oder neuitalienisch nicht mehr produktiv sind, keine Allomorphie zeigen und auch semantisch keine Veränderungen zum Alt- und Neuitalienischen zeigen, bleiben im Folgenden unberücksichtigt. Prinzipiell ist natürlich zu berücksichtigen, dass einzelne Prä- oder Suffixe hochfrequent sind, d.h. in vielen alt- oder neuitalienischen Bildungen auftreten. Das bedeutet aber nicht zwingend, dass der Wortbildungstyp synchron tatsächlich produktiv ist, die entsprechenden <?page no="203"?> IV Lexikologie 202 Bildungen können bereits lateinisch sein. Ein wichtiger Hinweis auf das Alter der Bildung kann die mangelhafte semantische und oder morphologische Durchsichtigkeit der Ableitung sein. Klat. ANTE - > it. anti-, ante-; griech. άυτι- > it. anti- It. anti-, antewird sowohl lokal als auch temporal (vgl. z.B. ait. antivedere) verwendet und geht auf klat. ANTE zurück. Davon abzugrenzen ist oppositives anti-, das auf griech. άυτιzurückgeht und in Buchwörtern belegt ist (antipapa, antisociale etc.). Neuitalienisch ist das Präfix v.a. in der naturwissenschaftlichen Fachsprache hochproduktiv. Klat. ARCHI - (< griech. άρχι-) > it. archi- (ait. nicht produktiv); arci- Das Präfix ARCHI - (< griech. άρχι-) liegt italienisch in zwei Varianten vor: Neben dem schon altitalienisch nicht mehr motivierten archi- (s. architrave, architetto) ist die Form arcizu berücksichtigen, die zunächst in Bildungen mit religiösem oder politischem Bezug auftritt (arcivescovo, arciduca) und später wie oltra- oder soprasuperlativischen Charakter annimmt (arcibrutto, arciladro). Klat. DE - > it. di-; de- (latinisierend); klat. DI -, DIS - > it. di-, dis- Das Präfix digeht auf klat. DE zurück. Neben di-, das durch vortonige Hebung bedingt ist und das neuitalienisch anders als altitalienisch nicht mehr produktiv ist (vgl. dinegare ‚leugnen‘, dipartire ‚weggehen‘), wird die latinisierende Variante deauch neuitalienisch v.a. fachsprachlich gebraucht (decontaminare, decongestionare). Die ursprüngliche, auch in der homophonen Präposition angelegte Bedeutung ist die der Entfernung und der Herkunft, woraus sich metonymisch diejenige der Trennung entwickelt. Neuitalienisch bleiben für didie resultative und die privative Bedeutung erhalten: dilungare, dimagrire; diboscare, dirozzare. Dezeigt alle genannten Bedeutungen, daneben wird es auch reversativ gebraucht (decrescere). Die meisten der fraglichen Bildungen sind allerdings neuitalienisch nicht mehr durchsichtig. Auch das Präfix di-, dis- (< klat. DI -, DIS -) hat die genannten Bedeutungen und weist ergänzend auf eine zentrifugale Bewegung hin (vs. con-), vgl. it. dilaniare, discordia. Klat. EX -/ DIS - (Überlagerung) > it. s- Ein weiteres hochfrequentes Präfix ist s- ([s], [z] in Abhängigkeit von der Stimmhaftigkeit des nachfolgenden Lautes), das möglicherweise aus einer Überlagerung der lateinischen Präpositionen EX - und DIS entstanden ist. Shat negative (sfortuna, sgradevole), privative (sbarbato, sfogliare), pejorative (sparlare) sowie intensivierende (sbattere, spremere, z.T. resultativ) Bedeutung. Die Polysemie dürfte etymologisch bedingt sein - EX hat schon lateinisch resultativen Charakter, die ursprünglich lokale Bedeutung könnte die Basis für die intensivierende und pejorative Bedeutung sein. Die negative Bedeutung (s. auch hier die Verbindung zur pejorativen Konnotation) ist in DIS angelegt (s. hier auch griech. δυσ). Für die privative Bedeutung lassen sich beide Präfixe heranziehen. Tosk. s- oder diskoexistie- <?page no="204"?> 3 Wortbildung 203 ren z.B. in Wortpaaren wie sbarcare - disbarcare; prävokalisch findet sich nur dis- (disarmare, disuguale). Neuitalienisch zeigt sich eine Spezialisierung dahingehend, dass vielfach nur eine der in Frage kommenden Bildungen fortgesetzt oder präferiert wird (s. z.B. mi dispiace eher als mi spiace, aber sbrigare eher als disbrigare). Interessant sind letztlich die Oppositionen bei erfolgter Lexikalisierung der Bildungen: sfiorare ‚streifen‘ - disfiorare ‚zerstören‘, ‚abnutzen‘; sgraziato ‚plump‘, ‚unfreundlich‘ - disgraziato ‚unglücklich‘, ‚unglückselig‘ - in diesen Fällen handelt es sich erkennbar nicht um Varianten, sondern um autonome Präfixe. Klat. EXTRA -/ DIS - (Überlagerung) > it. estra- (unproduktiv); extra- (latinisierend); stra-; vlat. * EXTRO - > it. extro-; klat. INTRA > it. intra-; klat. INTRO - > it. intro- Mit Blick auf die Gegenüberstellung von volkssprachlicher und latinisierender Variante ist klat. EXTRA (-) äußerst interessant. Die Variante estra-, die neuitalienisch nicht mehr produktiv ist, wird historisch immer stärker von der etymologisierenden Form extraüberagert, wobei dies v.a. in jüngerer Zeit durch angloamerikanischen Einfluss bedingt sein könnte (s. möglicherweise auch die augmentative Bedeutung, vgl. ähnlich iper-, maxi-, megavs. diminutives micro-, mini-). Auch strageht auf EXTRA (-) zurück, das neben der lokalen schon lateinisch eine intensivierende Bedeutung hat (vgl. extraterritoriale, extralegale, extravagante, estradotale, straordinario). Durch den Einfluss von EXTRA wird in der Folge auch INTRA , klassischlateinisch Adverb und Präposition, als Präfix verwendbar (vgl. intramettere, mit attenuativer Bedeutung intravedere). Dem parallelen Präfixpaar intro-, extroliegen klat. INTRO - ‚hinein‘ und wohl analog gebildetes * EXTRO zugrunde (introvertere - estrovertere). Klat. INFRA - > it. infra-; fra(s)-; klat. INTRA - > intra-; tra(s)-; klat. INTER - > it. inter- Interessant ist in Abgrenzung zu den im vorausgehenden Abschnitt behandelten Präfixen morphologisch und semantisch auch infra- (< klat. INFRA -), das lateinisch nur als Adverb fungiert und die Bedeutung ‚innerhalb‘ hat (zunächst rein lokal). Infratritt v.a. im wissenschaftssprachlichen Bereich auf (infrarosso, infrastruttura), wobei es verschiedentlich, v.a. in der Variante fraauch eine pejorative oder privative Bedeutung annehmen kann (frastornare, fraintendere, s.u.). In der Bedeutung ähnlich ist klat. INTER -, das italienisch v.a. in latinisierenden Bildungen (intermedio, interporre) fortgesetzt wird. Klat. INTRA ist erst spätlateinisch zu einem Präfix geworden und findet sich v.a. in der volkssprachlichen, neuitalienisch nicht mehr produktiven Variante tra- (synonym zu fra-, vgl. die parallelen Bildungen tramettere - framettere, trattenere - frastenere etc.); intraist allerdings auch neuitalienisch noch produktiv. Die Entwicklung der Bedeutung ‚innerhalb‘, ‚in‘ (auch temporal) zeigt sich bereits im Mittelalter. Der Ausfall der ersten Silbe ist möglicherweise durch das hochproduktive inbedingt. Wie für andere Präfixe gesehen, erfolgt vielfach eine Selektion einer der Varianten (trattenere, frattempo, frapporre, ait. traporre). Die pejorative Lesart für fra- (vgl. fraintendere) findet sich nicht für tra- (möglicherweise etymologisch bedingt, s. klat. INFRA ). <?page no="205"?> IV Lexikologie 204 Klat. IN - > it. in- (Varianten il-, im-, ir-); Homonymie Die Ableitungen mit in- (vgl. z.B. illegale, irreale) sind überwiegend latinisierend, wie das Fehlen einer volkssprachlich entwickelten Variante en-, emin den westromanischen Idiomen zeigt. Einige Wortpaare zeigen eine Vokalalternanz / a/ - / e/ , was wiederum auf den lateinischen Charakter der Bildungen verweist: barba - imberbe, arma - inerme. Negatives inverbindet sich nur mit Adjektiven, wenngleich sekundär eine Substantivierung möglich ist. Für den Ausdruck der Negativität wird bei Verben das Präfix nonverwendet (vgl. aber auch verschiedentlich bei Adjektiven noncurante, noncuranza, ait. nonuso). Mit Blick auf das parallele a-, anist interessant, dass z.B. die Lexeme amorale und immorale wie im Deutschen (amoralisch vs. unmoralisch) nicht synonym sind. Semantisch abzugrenzen ist das homonyme in- (klat. IN -) mit zunächst lokaler und nachfolgend auch metaphorischer Bedeutung (vgl. ait. indaurato (nit. (in)dorato), incominciare, imperversamento). Inist eines der häufigsten Präfixe des Italienischen. Wie conhat es assimilationsbedingt verschiedene Varianten (illuminare, immettere, invecchiare, istupidire). Bildungen wie illudere oder indurre sind heute nicht mehr durchsichtig. Vielfach sind v.a. altitalienisch parallele Bildungen mit anderen Suffixen möglich, ohne dass damit ein semantischer Unterschied verbunden wäre (vgl. imbrunare neben abbrunare, infiammare neben affiammare etc.). Klat. RE - > it. ri-; re- (latinisierend); r- (vor a-) Eines der wenigen Präfixe, die seit dem Lateinischen produktiv sind, ist ri- (latinisierend auch re-, vor aauch r- < klat. RE -), das lateinisch Wiederholung (vgl. it. rimettere, rifare), Rückkehr zu einem früheren Zustand sowie Umkehr ausdrückt und v.a. mit Verben auftritt (rimettere, rivolgere, restituire, ritornare, ricopiare). Die letztgenannte Bedeutung findet sich romanisch nicht mehr, allerdings hat sich verschiedentlich, so italienisch, eine intensivierende Bedeutung entwickelt, die sich aus der Vorstellung mehrfach wiederholter Handlungen ergibt (vgl. ripieno). Altitalienisch findet sich auch eine neutrale Bedeutung, vgl. rappianare ‚dem Erdboden gleichmachen‘, s. auch noch nit. rincontrare ‚(wieder) treffen‘). Klat. SUB (-) > it. so- (unproduktiv); sub- (latinisierend); klat. SUBTUS > it. sotto-; klat. SUPER - > it. super-; SUPRA - > it. sopra(-); sovra-; sor- (möglicherweise gallorom.); sur- (gallorom.) Hinsichtlich der Lokalisierung in der vertikalen Dimension stehen klat. SUB (-) und SUPER (-) zur Verfügung; weiter verweisen die mit SUB gebildeten Adjektive auf eine verminderte Qualität. SUPER wird italienisch ersetzt durch SUPRA , das die Basis bildet für die beiden Formen sopra(-) und sovra-. Ähnlich wie im Fall von dis- und szeigt sich eine vielfach unmotivierte Präferenz für das eine oder andere Allomorph (s. sopratassa, sopruso, aber sovrastare, sovrumano). Italienisch liegt daneben ergänzend das heute unproduktiv gewordene sorvor (sormontare, sorpassare etc.), das als Reduktionsform der lateinischen Formen erklärt werden könnte, aber aufgrund der Parallele zu den entsprechenden französischen Bil- <?page no="206"?> 3 Wortbildung 205 dungen (surmonter, surpasser) auch durch galloromanischen Einfluss bedingt sein kann (gallromanisch ist in jedem Fall die weitere, italienisch ebenfalls nicht produktive Variante sur-, s. surgelato, surrealismo). SUB entwickelt sich volkssprachlich zu nicht mehr produktivem so-, das etymologisch bedingt ein rafforzamento fonosintattico auslöst (rafforzamento fonosintattico, s. it. sollevare, sopportare). Durch sowird die Bewegung von unten nach oben oder von oben nach unten ausgedrückt, daneben die Abschwächung einer Handlung (vgl. etwa sorridere). Die latinisierende Variante subzeigt noch die ursprüngliche Bedeutung der Inferiortität (subequatoriale, subinquilino) sowie die attenuative Bedeutung (subnormale). Verschiedentlich wurde volkssprachlich klat. SUB durch SUBTUS (> it. sotto) ersetzt, das in lokaler wie metaphorischer Bedeutung gebraucht wird (sottopiatto, sottosviluppato). Für die vertikale Dimension stehen italienisch also das volkssprachliche Paar sopra-/ sotto- und das latinisierende Paar super-/ subzur Verfügung. Daneben finden sich die Varianten sovra-, sor-, sursowie so-. Klat. TRANS -, TRA - (Variante) > it. tra(s)- Trageht auf klat. TRANS ‚über … hinaus‘ zurück (schon klat. mit dem Allomorph TRA -). Die verstärkende Bedeutung (vgl. auch frz. très ‚sehr‘) ist altitalienisch in trasamare ‚sehr lieben‘, trasicuro ‚sehr sicher‘ erkennbar, neuitalienisch tritt an die Stelle von train diesen Kontexten das bereits angesprochene stra- (strabello, straricco). Parasynthetika Auch für die Bildung von Parasynthetika werden diverse der altitalienisch produktiven Präfixe verwendet; einige der Bildungen sind standarditalienisch vielfach ausgefallen oder auf die literarische Verwendung beschränkt, so etwa alluminare ‚erleuchten‘, appuntare ‚anheften‘ oder arrischiare ‚riskieren‘, incappare ‚auf jdn. stoßen‘, ‚in etwas geraten‘, incorare ‚ermutigen‘, ‚anregen‘, smagarsi ‚s. entfernen‘, ‚erlahmen‘, soggolare ‚um den Hals binden‘, affinare ‚(s.) perfektionieren‘, allungare ‚verlängern‘, ‚entfernen‘, dilungare ‚entfernen‘, imbrev(i)are ‚entfernen‘, inebriare ‚betrunken machen‘, ‚tränken‘, ingentilire ‚adeln‘, insuperbire ‚stolz machen‘, intorbidare ‚trüben‘, renovare, rinnovellare ‚erneuern‘. 3.1.2 Suffigierung Für die Suffigierung ist allgemein zu berücksichtigen, dass aufgrund lautlicher Entwicklungen und wegen der Betonungsverhältnisse die ursprünglichen lateinischen Suffixe z.T. nicht mehr isolierbar sind, vgl. z.B. klat. - IA : Palatalisierungsprozess, ausgelöst durch Palatalvokal, vgl. klat. ANGUSTIA > it. angoscia, vlat. FOR - TIA > it. forza. Wie die Beispiele zeigen, kann mit der Palatalisierung eine Stammallomorphie innerhalb der Wortfamilie einhergehen (vgl. forte - forza). Ähnlich stellt sich die Situation für das Suffix - ULUS dar: Synkope, s. klat. SPATULA > it. spalla, klat. MACULA > it. macchia. Bleibt das Suffix erhalten, kann trotzdem eine Veränderung des Stamms eintreten, so etwa bei nachfolgendem Palatalvokal (s. z.B. [k] vs. [tʃ]: elettrico - elettricità, pratico - praticità). Die Varianz [ss] vs. [tt] <?page no="207"?> IV Lexikologie 206 findet sich bei gelehrten Bildungen griechischen Ursprungs (sinossi - sinottico, ellissi - ellittico), s. auch [s] vs. [t] z.B. in analisi - analitico etc. Diphthongierung des Stammvokals führt ebenso zu Allomorphie (vgl. klat. PEDEM > it. piede vs. klat. PEDONEM > it. pedone, klat. NOVUM > it. nuovo vs. klat. NOVITATEM > it. novità etc.). Dabei verweist ein einfacher Stammvokal auf eine vergleichsweise alte Bildung, wohingegen ein Diphthong auf eine rezente Suffigierung deuten kann (auf der Basis des italienischen Wortstamms). Zu berücksichtigen ist weiter auch die Möglichkeit des Stammausgleichs (zugunsten des Mono- oder Diphthongs, vgl. z.B. tiepido - tiepidezza). Derivation durch Suffigierung ist bereits im Lateinischen ein hochproduktives Wortbildungsverfahren. Der Sonderfall der Alteration ist ebenfalls bereits lateinisch angelegt. Interessant ist die Möglichkeit der Suffixkumulation, die romanisch besonders häufig für die Alterationssuffixe festzustellen ist (vgl. sporcaccione, testolina, nomignolo etc.). Für die Adverbbildung sei darauf hingewiesen, dass -mente neuitalienisch nicht mit Adjektiven, die selbst auf -mente ausgehen, auftritt. Diese Restriktion ist altitalienisch offensichtlich nicht gültig (s. z.B. clementemente). Wie für die Präfigierung wird im Folgenden ein Überblick über die für das Altitalienische relevanten Suffixe mit Blick auf ihre Produktivität (auch im Vergleich zum Neuitalienischen), ihre Varianz und ihre Genese (s. auch mit Blick auf eine Entlehnung) gegeben. 3.1.2.1 Substantivbildungen Klat. - ARIUS > it. -aio; -ario (latinisierend); -aro (dialektal); -iere (gallorom.; s. hier auch fem. -iera; adj. -iero) Ursprünglich adjektivisch sind die denominalen Bildungen mittels - ARIUS (> it. -aio, s. daneben die latinisierende Variante -ario, z.B. funzionario, veterinario), das als Suffix hochfrequent und gemeinromanisch ist - schon früh werden aber die Adjektive als Substantive interpretiert und das Suffix v.a. für nomina agentis und actionis (v.a. Berufsbezeichnungen) genutzt. Dialektal (v.a. mittel-/ südit.) tritt -aro als Variante hinzu; -iere verweist auf galloromanischen Einfluss (- ARIUS > frz. -ier; vgl. it. cameriere). Die einzelnen Suffixvarianten sind aber offensichtlich nicht synonym. So dienen -aio und -ario v.a. der Bildung von nomina agentis, aber auch für Orts- und Instrumentalbezeichnungen werden sie gebraucht, -iere wird wiederum zur Bildung von nomina agentis genutzt, feminines -iera bezeichnet aber davon abweichend Behälter (saliera, zuppiera etc.); mit -iero werden schließlich qualitative Adjektive gebildet, vielfach auch zur Benennung der Herkunft (guerriero, forestiero); -aro verweist auf Zugehörigkeit (carbonaro). Die Parallalelität von etwa carbonaro - carbonaio oder ferroviario - ferroviere zeigt, dass die Suffixe italienisch nicht mehr zwingend als morphologische Varianten, sondern als eigenständige Suffixe gelten können, wenngleich sie auf der Basis des gleichen lateinischen Suffixes entstanden sind. Interessant ist hier auch das Nebeneinander von Substantiv- und Adjektivbildungen wie alimentario - alimentare, parlamentario - parlamentare (mit -ario Substantiv- und Adjektivbildung, mit -are nur Adjektiv- <?page no="208"?> 3 Wortbildung 207 bildung, d.h. für die Adjektivbildung liegen hier Dubletten durch die Suffigierung mit -ario und -are vor). klat. - AR - (aus - ARIUS ) + - ÍA (< griech. -ία) > spätlat. - ARIA > it. -eria Das Suffix -eria geht aus einer Verbindung von klat. - AR - (aus - ARIUS ) und - ÍA (< griech. -ία) hervor (spätlat. - ARIA ) und bezeichnet Geschäfte oder Orte, die einer bestimmten Beschäftigung dienen (libreria, panetteria), sowie Abstrakta (vigliaccheria, porcheria). Neuitalienisch tritt -eria v.a. in Verbindung mit -one und semantisch negativen Basen auf (ladroneria, poltroneria). klat. - ATICUM > it. -aggio (gallorom.); -atico Wie -iere ist auch das Suffix -aggio (klat. - ATICUM ) in seiner Entwicklung galloromanisch beeinflusst, tritt zunächst in Lehnelementen (vgl. baronaggio, coraggio, messaggio, ostaggio) auf und wird auch neuitalienisch noch für indigene Bildungen herangezogen (vgl. aber v.a. im technischen Bereich, z.B. atteraggio, ingrassaggio, lavaggio, häufig aber auch in Verbindung mit fremdsprachlichen Basen, z.B. killeraggio, boicottaggio). Anders als für deverbale Bildungen ist -aggio für denominale Derivate nicht mehr produktiv und wird altitalienisch wie die genuin italienische Variante -atico für die Bezeichnung von Abgaben und Steuern verwendet (vgl. alberaggio, fenestraggio, pontaggio). Zur Bildung deadjektivischer Substantive werden altitalienisch v.a. die Suffixe -itade/ -itate/ -ità/ -età (mit Adjektiven und Substantiven, vgl. crudelitade, cupiditade, perversità, immortalità), -ezza, -anza (v.a. zur Bildung von qualitativen Substantiven, vgl. certanza, comunanza, baldanza) sowie -ura (bruttura, laidura, raschiatura) gebraucht, wobei letzteres neuitalienisch zumindest für deadjektivische Bildungen nicht mehr produktiv ist, aber ähnlich dem Suffix -aggio für die Bildung von nomina actionis herangezogen wird. klat. - ITIES / ITIA > it. -ezza; -izia (latinisierend); -igia (gallorom.) -ezza geht auf klat. - ITIES bzw. - ITIA zurück, wobei erstere die ältere Form ist. Das Suffix zeigt an, dass die Bildungen der klassischlateinisch V Deklinationsklasse angehören. Weiter verbreitet ist entsprechend die Form - ITIA - im Italienischen wird das Suffix einerseits, wie gesehen, als -ezza (bellezza), andererseits als -izia (avarizia) sowie schließlich als -igia (franchigia) fortgesetzt. Während erstgenannte Form die volkssprachliche Entwicklung zeigt, ist -izia latinisierend und -igia galloromanisch vermittelt und letztlich neuitalienisch ausgefallen. Dabei schließen sich die Suffixe nicht immer aus (bellezza, aber franchezza - franchigia), und auch hinsichtlich der Bedeutung sind nicht immer Unterschiede auszumachen (s. aber z.B. giustizia von giusto ‚gerecht‘ - giustezza von giusto ‚passend, genau‘); -ezza ist allerdings synchron eingeschränkt produktiv. Interessant sind hier auch die neuitalienischen Doppelungen, die durch die Parallele zu anderen Suffixbildungen, v.a. mit -aggine (< klat. - AGO , Akk. - AGINEM ) bedingt sind (vgl. z.B. trascurataggine - trascuratezza). <?page no="209"?> IV Lexikologie 208 klat. - ANTE / - ENTE + ´- IA > - ANTIA / - ENTIA > it. -anza/ -enza (gallorom.) -anza ist im Altitalienischen möglicherweise provenzalisch beeinflusst und tritt auch in Verbindung mit bereits derivierten Substantiven auf (leale => lealtà => lealtanza). Etymologisch geht -anza auf die Verbindung von - ANTE und die Anfügung von ´- IA zurück. Hierin zeigt sich die Relevanz partizipbasierter Bildungen - bei den Formen auf - ANTE / - ENTE handelt es sich ursprünglich um die Endungen des Partizip Präsens. Das Flexionsaffix wird in der Folge frei und als Wortbildungselement interpretiert, zunächst - bedingt durch die funktionale Nähe - für die Derivation von Adjektiven, später auch für die Bildung von Substantiven verwendet (vgl. it. cantante). Diese Entwicklung zeichnet sich bereits lateinisch etwa in INFANS ‚nicht sprechend‘ > ‚kleines Kind‘ oder SERPENS ‚schlängelnd‘ > ‚Schlange‘ ab. Die komplexen Suffixe - ANTIA / - ENTIA , die hier im Vordergrund stehen, entwickeln sich italienisch zu -anza/ -enza (vgl. it. abbondanza, speranza, partenza, provanza, usanza, temenza, s. auch weiter deadjektivische Bildungen mit -anza/ -enza wie vicinanza (aus vicino), lontananza (aus lontano), sicuranza (aus sicuro)). Altitalienisch zeigen die Suffixe eine hohe Produktivität, im Neuitalienischen sind sie dagegen nicht mehr gebräuchlich. Einige der frühen Bildungen, wie z.B. amanza, amistanza, confidanza, erranza, fallanza, viltanza (aus viltà), mezzananza, prestanza sind neuitalienisch ausgefallen oder haben eine Bedeutungsspezialisierung erfahren (vgl. z.B. amanza ‚geliebte Frau‘, ‚Liebe‘, onoranza ‚Ehre‘). Interessant sind altitalienisch auch Parallelbildungen wie sembranza/ sembianza, von denen in der Regel nur der zweite Typ fortgesetzt wird. Bildungen mit -ienza sind schließlich latinisierend: convenienza (zu conveniente), sapienza (zu sapiente). Auffällig ist altitalienisch wiederum die Parallelität zu Bildungen mit anderen Suffixen, wobei die jeweiligen Derivate nicht immer synonym sind, vgl. dimostranza ‚Aufzeigen‘ - dimostrazione ‚Demonstration (Rhetorik)‘, certanza ‚Sicherheit‘, ‚Überzeugung‘ - certezza (‚feste Überzeugung‘), predicanza ‚Predigen‘ - predicazione (predicanza nit. ausgefallen, ait. synonym). In diesem Kontext ist letztlich auch interessant, dass -anza/ -enza zum Neuitalienischen vielfach durch -zione ersetzt werden, das heute v.a. der Bildung von nomina actionis dient (consolanza => consolazione, umilanza => umiliazione). Wie aus dem Nebeneinander von Bildungen mit -anza/ -enza und -zione sichtbar wird, ist letztgenanntes Suffix auch altitalienisch schon (hoch)produktiv. klat. - URA > it. -ura Lateinisch - URA schließlich ist ein im Altitalienischen hochproduktives Suffix. Es tritt zunächst mit verbalen Basen auf; seine Ausdehnung auf adjektivische Basen ist bedingt durch die attributive Funktion einiger Partizipformen (vgl. z.B. klat. STRICTUM > it. stretto => strettura zunächst deverbal ‚Handlung des Drückens‘, weiter auch deadjektivisch interpretiert als ‚Qualität dessen, was eng/ gedrückt ist‘). <?page no="210"?> 3 Wortbildung 209 Klat. - MENTUM > it. -mento; klat. - TIONEM > it. -(z)ione (latinisierend); -gione (gallorom.) Bei der Bildung deverbaler nomina actionis dominiert altitalienisch das semantisch vergleichsweise neutrale und hochproduktive Suffix -mento über -zione (zumindest neuitalienisch lässt sich für die vergleichbar häufigen Suffixe kein Grund für die Wahl von -mento oder -zione ausmachen; der Plural -menta kann kollektive Bedeutung annehmen, s. fondamenta). -ione und -ura treten deutlich seltener auf, wobei -ione v.a. mit lateinischer Basis belegt ist (ascensione, distruzione, concessione, Partizip Perfekt + -ione), weiter verbreitet ist dagegen die Variante -gione (adomandagione, condanagione, rubagione, confermagione, partigione, divigione). Bildungen wie concedimento, distruggimento werden entsprechend als volkssprachlicher empfunden. Neuitalienisch ist -ione für deadjektivische Bildungen nicht mehr produktiv, auch -gione, das vielfach mit galloitalienischen oder galloromanischen Lehnelementen auftritt, wird für Neubildungen nicht mehr gebraucht. Dennoch stehen etwa für deverbale nomina actionis auch neuitalienisch mehrere Suffixe zur Verfügung. Parallelbildungen zeigen dabei in der Regel leichte Bedeutungsunterschiede und unterschiedliche Lexikalisierungsgrade (vgl. tirare - tiramento/ tiratura/ tiraggio/ tirata/ tiro; vgl. auch andamento ‚Verlauf‘ vs. andatura ‚Gang(art)‘). -mento und -zione bleiben aber die produktivsten Suffixe (auch mit gelehrten Basen). Wie gesehen, treten auch altitalienisch parallel Ableitungen mit unterschiedlichen Suffixen auf, allerdings ohne dass damit notwendigerweise verschiedene Bedeutungen ausgedrückt würden, vgl. parlatore neben parliere; certezza neben certanza; baldezza neben baldanza; vilezza neben vilanza, viltà; orgoglio neben orgogliamento; distruzione neben distruggimento. klat. - ETUM > it. -eto; klat. - ATUS > it. -ato; -ado (nordit., gallorom.) Lokalen Bezug haben Bildungen mit klat. - ETUM (z.B. Anbau, vgl. oliveto, vigneto). Lateinisch - ATUS dient der Bezeichnung von Funktionen, Institutionen etc. und wird in dieser Bedeutung italienisch fortgesetzt, vgl. z.B. consolato, ducato, vescovato. Norditalienisch beeinflusst sind die Bildungen vescovado, contado, die die Sonorisierung des Okklusivs zeigen. Klat. - ISMUS (< griech. -ισμός) > -ismo (latinisierend); -esimo; klat. - ISTA > it. -ista Das griechisch basierte Suffix - ISMUS (-ισμός, mit Bezug auf die griechische Kultur sowie später das Christentum, die größte Verbreitung findet es im Humanismus) ist italienisch zum einen in latinisierender Form (-ismo) sowie volkssprachlich entwickelt erhalten (-esimo) und wird v.a. für die Bildung von Abstrakta herangezogen (deismo, petrarchismo, umanesimo). Die neuitalienisch nur mehr wenig produktive Variante -esimo findet sich dabei auch in frühen Bildungen wie battesimo. Ein Nebeneinander der Bildungen mit -ismo und -esimo ist selten (z.B. umanesimo neben dem deutlich selteneren umanismo). Zur Bezeichnung von nomina agentis steht auf der Basis des Suffixes - ISMUS klat. - ISTA (it. -ista) zur Verfügung (socialista, barista). Wie -ismo tritt -ista mit substantivischen, adjektivischen und verbalen Basen auf (macchinista, realista, apprendista). <?page no="211"?> IV Lexikologie 210 Klat. - TOREM > it. -tore; -dore; klat. - TRIX > it. -trice Interessant im Vergleich zwischen Alt- und Neuitalienisch ist nun auch das deverbale Suffix -tore/ -dore, mit dessen Hilfe das Agens der durch das zugehörige Verb ausgedrückten Handlung bezeichnet wird (‚derjenige, der V‘), s. z.B. tessitore ‚derjenige, der schneidert‘, sapitore, pregatore, veditore, partitore, etc. (als Basis kommen aber prinzipiell auch Substantive in Frage, vgl. trombadore, debitore). Die Bedeutungskomponente der Intentionalität, die typisch neuitalienisch ist, fehlt altitalienisch noch, weshalb sich das Suffix altitalienisch auch mit nicht-agentivischen Verben wie sapere, apprendere, intendere, guadagnare etc. verbindet. Interessant sind weiter die altitalienisch belegten Dubletten, die durch die Parallelität mit Latinismen bedingt sind, vgl. conduttore (< klat. CONDUCTOREM , das Suffix tritt hier an den Stamm des Partizip CONDUCTUM ; die Substantive sind bereits lateinisch belegt), difensore (< klat. DEFENSOREM ) neben seltenerem, aber durchsichtigerem conducitore bzw. difenditore, die aber ebenfalls alt sind (hier tritt das Suffix an den Infinitivstamm: klat. CONDUCERE , ait./ nit. condurre; klat. DEFENDERE ). Dass es sich bei ersteren um direkte Fortsetzer der lateinischen Bildungen handelt, legen die synchron nicht mehr durchsichtigen Lexeme genitore, pistore oder auch tutore nahe. Anders als neuitalienisch ist mit -tore altitalienisch die Bildung von nomina instrumentalis nocht nicht möglich, d.h. der Bezug auf Personen ist immer gegeben (s. dividitore, ambasciatore, imperadore). Die bereits lateinisch erfolgten Femininbildungen (- TRIX > it. -trice) dienen neuitalienisch einerseits der Bezeichnung von Agentes sowie - durch Personifikation motiviert - von Maschinen (direttrice, spettatrice; lavatrice, falciatrice). Volkssprachlich findet sich auch das Suffix -tora, wobei die Bildungen auf weibliche Referenten beschränkt bleiben. Bei attributivem Gebrauch tritt im Altitalienischen allerdings auch die eigentlich maskuline Form -tore/ -dore mit femininen Referenten auf (vgl. z.B. gente traditore). 3.1.2.2 Adjektivbildungen Altitalienisch werden desubstantivische Adjektive am häufigsten mit -oso, -ale, und -ico gebildet (dannoso, angoscioso; artificiale, congetturale; retorico). Klat. - OSUS > it. -oso -oso (< klat. - OSUS ) drückt bei Adjektiven eine besondere Eigenschaft des Referenten aus oder weist auf das Übermaß einer Eigenschaft hin (aquoso, famoso), ist also damit semantisch vergleichsweise offen, wodurch letztlich die altitalienische Gebrauchshäufigkeit bedingt ist. Im Neuitalienischen ist das Suffix ebenfalls produktiv und dient hier auch der Bildung relationaler Adjektive. Klat. - ALIS (Variante - ARIS ) > it. -ale (Variante -are); klat. - ILIS > it. -ile; klat. - ULIS > it. -ule Ebenfalls häufig ist das lateinische Suffix - ALIS (mit der dissimilationsbedingten Variante - ARIS bei Lexemen, deren Stamm auf [l] auslautet), das auch im Neuitalienischen noch produktiv ist, vgl. legale, naturale, popolare etc. Lateinisch ist das <?page no="212"?> 3 Wortbildung 211 Suffix v.a. in christlichen Texten hochfrequent. Aus der Verbindung mit Substantiven der IV Deklination oder Substantiven, deren Stamm auf - I auslautet, ergeben sich in der Folge aufgrund abweichender morphologischer Gliederung die Varianten -uale (vgl. klat. CASUS - vlat. CASUALIS > it. casuale) bzw. -iale (klat. FA - CIES - vlat. FACIALIS > it. facciale). Eine Substantivierung ist häufig zu beobachten, s. z.B. piazzale, bracciale, manovale - gemeinsam ist den Referenten der Objekt- oder instrumentale Charakter. Als substantivisches Suffix ist die Produktivität neuitalienisch aber eingeschränkt. Das gilt dagegen nicht für die Adjektivbildung, v.a. für die Bildung fachsprachlicher Terminologie. Parallel verläuft die Entwicklung für die lateinischen Suffixe - ILIS (klat. GEN - TILIS , PUERILIS , s. auch hier frühe Substantivierungen wie vlat. CAMPANILE ; italienisch v.a. zur Ortsbezeichnung im Zusammenhang mit Tieren, also Ställe etc., canile, fienile) und - ULIS , das heute nicht mehr produktiv ist und nur mehr in den opak gewordenen Bildungen grembiule oder favule ‚Bohnenfeld‘ erhalten ist. Klat. ICUS (< griech. -ικός) > it. -ico Zugehörigkeit drückt das aus dem Griechischen entlehnte klassischlateinische Suffix - ICUS aus (griech. -ικός), das allerdings nicht betont ist und daher reduziert wird (vgl. PERSICA > it. pesca), so dass es nur mehr in alten Bildungen (domenica, lucanica) belegt ist, allerdings neuitalienisch durchaus noch in fachsprachlichen Kontexten (atomico, idrogenico) produktiv ist. Wie schon für andere Wortbildungselemente gesehen, tritt auch -ico in Verbindung mit anderen Suffixen auf (s. -atico, -istico), v.a. mit Substantiven auf -ista. Ergänzend sei hier auch klat. -( AT ) ICUM angeführt, das altitalienisch noch die lateinisch dominante Bedeutung der Zugehörigkeit hat und neuitalienisch noch produktiv ist (s. z.B. Bildungen wie asmatico, assiomatico etc.). Klat. - ĬCIUS / - ĪCIUS > it. -eccio/ -iccio; -izio (latinisierend, Fortsetzung beider Suffixe) Bereits lateinisch sind die Suffixe - ĬCIUS / - ĪCIUS in ihrer Lautung sehr ähnlich und mit Blick auf einen Zusammenfall gefährdet. Während ersteres lateinisch ein denominales Suffix ist, verbindet sich zweiteres v.a. mit dem Partizip Perfekt. Für das Italienische gibt es unterschiedliche Formen: Neben volkssprachlich entwickeltem und v.a. altitalienisch auftretendem -eccio (< - ĬCIUS ) sind weiter das häufigere komplexe Suffix -areccio bzw. -ereccio sowie letztlich -iccio (- ĪCIUS ) zu nennen, das vielfach approximativen Charakter erlangt (rossiccio, s. aber auch capriccio, massiccio). Die latinisierende Variante -izio setzt beide Suffixe fort (s. mangelnde Differenzierung der Vokalquantität) und ist im Neuitalienischen noch eingeschränkt produktiv (v.a. administrative, kirchliche und medizinische Fachsprache). Germ. - HARD > it. -ardo Durch germanischen Einfluss bedingt ist das Suffix -ardo, das zunächst zur Bildung von Eigennamen verwendet wird, im Weiteren aber auch eine Qualität zum Ausdruck bringt: testardo, codardo, vecchiardo. <?page no="213"?> IV Lexikologie 212 Klat. - ISCUS / germ. - ISK (? ) (Überlagerung) > it. -esco Für it. -esco werden unterschiedliche Quellen diskutiert, so kommen griechischer, germanischer oder in den westlichen Gebieten gar keltischer Einfluss in Frage, zumal einige Bildungen bereits lateinisch sind. Zunächst werden v.a. ethnische Adjektive mit dem Suffix gebildet, in der weiteren Entwicklung wird es jedoch auch frei für andere relationale Bildungen (vgl. tedesco, dantesco, pittoresco). Neuitalienisch haben mit -esco gebildete Adjektive eine tendenziell pejorative Lesart und stehen vielfach in Opposition zu relationalen Adjektiven (vgl. artigianesco, nit. pejorativer als artigianale ‚handwerklich‘). Klat. - IVUS > it. -ivo; -io Klat. - IVUS wird italienisch in allen Bildungstypen fortgesetzt. So erfolgt die Ableitung zum einen auf der Basis des Partizip Perfekt (informativo, distintivo), zum anderen mit dem Stammmorphem (nocivo). Daneben ist auch die deadverbale Bildung möglich (vgl. tardivo). Dabei ist der erstgenannte Typ im Altwie Neutitalienischen dominant und sehr produktiv: amativo, consumativo, luminativo etc. Neben -ivo tritt die volkssprachlich entwickelte Form -io (pendio, restio). Was die Bedeutung anbelangt, wird über das v.a. neuitalienisch dominante -ivo Qualität, Fähigkeit, Effekt etc. angesprochen, die Bildungen sind v.a. fachsprachlich (lassativo, sbalordativo). Wie -ivo bildet komplexeres -orio v.a. deverbale Adjektive mit relationaler Funktion (die Variante -oio ist dagegen wenig produktiv). Klat. - ATUS > it. -ato (Partizip) Partizipien werden vielfach attributiv verwendet, so dass sich der verbale Charakter zunehmend verliert und die Suffixe - ATUS , - ITUS , - UTUS zur Bildung von Adjektiven auch auf nominaler Basis frei werden (barbato, dentato). Dabei kann durch solche Bildungen wie für -oso gesehen eine besondere Eigenschaft eines Referenten hervorgehoben bzw. auf ein Übermaß hingewiesen werden. Klat. - ENSIS > it. -ese; -ense (latinisierend) Italienisch weiter verbreitet ist auch das Suffix -ese (< klat. - ENSIS ), das altitalienisch zur Bildung von Bezeichnungen für die mittelalterlichen Lebensverhältnisse herangezogen wird (borghese, marchese, paese). Neuitalienisch wird das Suffix v.a. zur Bildung ehtnischer Adjektive herangezogen (barese, bolognese, londinese). -ense ist die gelehrte, latinisierende Variante, die deutlich seltener auftritt (statunitense etc.). Ausschließlich deadjektivisch sind neben den Alterationssuffixen lediglich wenige weitere Wortbildungselemente. Dazu zählt z.B. -astro (klat. - ASTRUM ), das approximativen Charakter hat (s. z.B. nerastro). In die Nähe der Augmentativa rückt -occio (< vlat. *- OCEUM ) bzw. norditalienisch beeinflusstes -ozzo (belloccio, brunozzo). Eine Abschwächung der Bedeutung des Basislexems wird schließlich durch das Suffix -ogno (< - ONEUM ) erreicht (amarogno, giallogno), das allerdings <?page no="214"?> 3 Wortbildung 213 neuitalienisch sehr selten ist und am ehesten in der Verbindung mit -olo auftritt (vgl. amargnolo, giallognolo). Klat. - ABILEM / - IBILEM > it. -abile/ -ibile (latinisierend); -evole Für die deverbalen Adjektive sind v.a. solche Suffixe interessant, die auf die Möglichkeit einer Tätigkeit verweisen (aktiv wie passiv), wie z.B. in klat. LAUDABILIS , TERRIBILIS zu sehen. Volkssprachlich entwickeltes -evole (ursprünglich mit Verben der II, III Konjugation) verbindet sich altitalienisch mit Verben aller Konjugationsklassen. Die latinisierende Variante lautet -abile/ -ibile (s. z.B. portabile, temibile). Einige der (bereits lateinisch gebildeten) Adjektive mit -abile/ -ibile sind nicht mehr durchsichtig hinsichtlich ihrer Bildung (visibile ist nur semantisch motiviert, stabile nur morphologisch (zu stare), nubile, passibile, volubile sind opak), dagegen sind die Bildungen mit -evole immer motiviert, was zugleich ein Hinweis auf das Alter der jeweiligen Bildungen ist. Dennoch ist -evole neuitalienisch nicht mehr produktiv, -abile/ -ibile ist hingegen das häufigste Suffix bei deverbalen Adjektiven. Klat. - ANUS > it. -ano; klat. - ANEUS (< - ANUS + - EUS ) > it. -aneo (latinisierend); -agno; klat. - ITANUS (<griech. -ίτης + klat. - ANUS ) > -itano; klat. - E ( N ) SE / - ANUS > it. -igiano; klat. - IANUS (- IU / - ANUS ) > it. -iano Wenngleich italienisch nicht mehr produktiv, ist -ano insofern wichtig, als es mit anderen Suffixen komplexe Suffixe bildet. Mit - ANUS wird lateinisch Zugehörigkeit oder Herkunft ausgedrückt: klat. MUNDUS - MUNDANUS (> it. mondano), klat. R OMA - ROMANUS (> it. romano) etc.; die Adjektivbildungen können auch substantiviert werden (vgl. z.B. cappellano, pievano, fontana, collana). Klat. - ANEUS (s. analog - INEUS ) zeigt die Verbindung aus - ANUS und - EUS und tritt in latinisierenden Bildungen auf (momentaneo etc.). Die volkssprachliche Variante -agno findet sich v.a. in älteren Bildungen, die im Weiteren substantiviert werden (vgl. campagna, montagna; s. aber auch terragno). Suffixkumulation zeigt sich auch in -itano (< klat. - ITANUS aus griech. -ίτης und klat. - ANUS ) sowie -igiano (klat. - E ( N ) SE + - ANUS ), die beide geographischen Bezug haben. In Verbindung mit Eigennamen tritt das komplexe Suffix - IANUS (- IU + - ANUS ) auf, das italienisch in der latinisierenden Form -iano fortgesetzt wird. 3.1.2.3 Verbbildungen Für den Bereich der verbalen Wortbildung kommen zum einen substantivische und adjektivische Basen in Frage, wobei es sich letztlich um dieselben - vielfach lautwandelbedingt ausgefallenen - Suffixe handelt, die an die fraglichen Basislexeme herantreten, weshalb hier eine Zusammenfassung möglich ist. Deadjektivische Verben finden sich lateinisch für alle Konjugationsklassen (s. z.B. AL- BUS - ALBESCERE mit inchoativer Bedeutung), frühromanisch dagegen handelt es sich bei den Neubildungen vielfach um Verben der IV Konjugation (s. aber z.B. assottigliare). Spätere verbale Neubildungen gehören dagegen der I Konjugationsklasse an, in die z.B. auch heute Lehnelemente integriert werden, was wiederum die Dominanz der Konjugationsklasse zeigt. Zu den relevanten lateinischen Suffi- <?page no="215"?> IV Lexikologie 214 xen gehören etwa - IARE (vgl. vlat. ALTIARE > it. alzare, vlat. * ACUTIARE > it. aguzzare), weiter - ICARE , das infolge der Synkope in einigen frühen Bildungen nicht mehr identifizierbar ist (s. vlat. * CASICARE > it. cascare, vgl. daneben auch die deverbalen Bildungen it. rampare => rampicare, sbarbare => sbarbicare). In anderen Derivaten lässt sich zwar das Suffix isolieren, allerdings ist die Durchsichtigkeit verschiedentlich eingeschränkt (s. nevicare zu neve vs. dimenticare zu mente). Klat. - ITARE > it. -itare Neben den genannten Suffixen ist weiter klat. - ITARE interessant, das wiederum auf dem Partizip Perfekt als Basis aufsetzt. Ausgehend von klat. HABERE - HABI- TUS => klat. HABITARE wird - ITARE als Wortbildungselement frei (vgl. klat. AGERE => klat. AGITARE ). Die so gebildeten Verben haben iterativen bzw. frequentativen Charakter. Das Suffix ist v.a. spätlateinisch produktiv, in den romanischen Sprachen sind Neubildungen mit - ITARE dagegen nicht möglich. Klat. - ISSARE > it. -issare; klat. - IZARE / - IDIARE (< griech. -ίζειν) > it. -izzare; klat. - IDIARE > -eggiare; -eare; -ezzare (nordit.); -iare (asüdit.) Griechisch basiert sind die lateinischen Suffixe - ISSARE und - IZARE bzw. - IDIARE (< griech. -ίζειν). Weitere Gräzismen werden seit dem Humanismus immer wieder übernommen und neuitalienisch v.a. zur Bildung fachsprachlicher Terminologie herangezogen. Im Italienischen wird - IZARE als -izzare fortgesetzt, - IDIARE entspricht -eggiare (biancheggiare, costeggiare), das neuitalienisch v.a. in informellen Registern gebraucht wird. Daneben treten die Varianten -ezzare/ -eare (nordit.) sowie -iare (asüdit.). Semantisch kann es jedoch Unterschiede zwischen den mit den unterschiedlichen Varianten gebildeten Lexemen geben, s. z.B. latinizzare ‚ins Lateinische übertragen‘ vs. latineggiare ‚Lateinisch verwenden‘. Auch syntaktisch sind für die einzelnen Bildungen Unterschiede zu berücksichtigen, z.T. semantisch motiviert und damit unabhängig von der jeweiligen Suffixvariante. Während etwa guereggiare transitiv ist, sind biancheggiare oder pavoneggiarsi intransitiv. Die Ableitungen mit -izzare sind wiederum meistens transitiv (polverizzare, terrorizzare). Klat. -( I ) FICARE > it. -(i)ficare (latinisierend) Das lateinische Suffix -( I ) FICARE (vgl. Nomina auf - FEX bzw. Adjektive auf - FICUS als Basis) hat vielfach kausativen Wert, wobei es sich hier lediglich um latinisierende Bildungen handelt (notificare, sanctificare). Entsprechend ist -ificare neuitalienisch zwar produktiv, stilistisch aber hoch markiert; es wird häufig für fachsprachliche Bildungen verwendet. Konversion Bei durch Konversion gebildeten denominalen Verben handelt es sich zumeist um solche der I Konjugation (schon klat. AMARE , it. fogliare, studiare, s. aber auch favorire). Bei Nomina auf -lisi tritt eine Modifikation der auslautenden Silbe des Basislexems ein (vgl. analisi - analizzare), d.h. es handelt sich nicht um eine Suf- 3.1.2. 4 <?page no="216"?> 3 Wortbildung 215 fixbildung mithilfe von -izzare. Verben können auch auf der Basis von Partizipien gebildet werden, dabei haben sie zunächst iterative, frequentative Bedeutung (klat. CANTARE (auf der Basis von CANTATUM zu CANERE ) > it. cantare; vlat. * IECTARE > it. gettare, spätlat. AUSARE > it. osare). 3.1.2.5 Alteration Die Alteration ist in den romanischen Sprachen weit verbreitet, wobei die meisten Suffixe sowohl denominal wie deadjektisch und schließlich sogar deverbal gebraucht werden. Im Vergleich zu den romanischen Sprachen hat das Klassischlateinische deutlich weniger Suffixe - dies gilt natürlich für das literarische Latein. Für die gesprochenen Sprache ist aber von einer deutlich größeren Variation auszugehen. Einige der Diminutivsuffixe werden aus dem Lateinischen in dieser Funktion übernommen (z.B. -ello, -olo), andere Suffixe wie -accio oder -ino sind nicht genuin alterativ, weitere Suffixe wie -atto, -etto, -otto sind schließlich keltischen oder germanischen Ursprungs. Für - O , - ONIS ist unklar, ob es bereits lateinisch augmentativen Charakter hatte. Was das altitalienische Formeninventar betrifft, so entspricht dies weitgehend dem aus dem Neuitalienischen bekannten (mit Ausnahme der Suffixe -acchio/ -icchio, die in den frühen Texten nicht belegt sind). Mit Blick auch auf die altitalienischen Belege ist natürlich zu berücksichtigen, dass alterati v.a. in der mündlichen Kommunikation auftreten. Die wichtigsten Diminutivsuffixe des Neuitalienischen sind -ello, -etto und v.a. -ino. Einige schon lateinische Bildungen mit - ELLUS verlieren ihre diminutive Bedeutung, so anello, martello, vitello. Da auch -ello selbst seine affektive Bedeutung immer mehr einbüßt, tritt es in neueren Bildungen nur mehr in Verbindung mit anderen Suffixen auf, so mit -er-, -it-, -ic- oder süditalienisch auch -ol- (aquerello, pazzerello, campitello, bastoncello). - ITTUS (> it. -etto) findet sich zunächst bei femininen Hypochoristika, also Koseformen, der Ursprung des Suffixes ist nicht eindeutig geklärt (keltisch, germanisch, griechisch, etruskisch oder gar baskisch). Auch -etto verbindet sich mit anderen Suffixen, v.a. aber mit -ino, wobei beide Abfolgen möglich sind: ragazzinetto, mogliettina. Interessant sind neuitalienisch semantisch nicht mehr durchsichtige, lexikalisierte Bildungen wie forchetta, manette, neretto. Am weitesten verbreitet ist italienisch das Suffix -ino, dessen semantische Entwicklung zum Diminutivum unklar ist (ditino, donnina; bruttino; piovigginare). Denkbar ist, dass die ursprüngliche Bedeutung der Herkunftsbezeichnung als Ähnlichkeit interpretiert worden ist. Diese nicht vollständige Übereinstimmung könnte in der Folge zu einer Inferiorität und so zur Diminution geführt haben. Interessant sind hier auch griechischer (s. -ινος) bzw. westgotischer Einfluss (- EINS ). Auch -ino tritt mit diversen weiteren Infixen/ Suffixen auf, so -ic- (fiumicino, lumicino), -c- (bastoncino), -ol- (magrolino, sassolino), -ucc- (fettuccine), -ell- (centellino, fiorellino). Das häufigste Diminutivsuffix im Lateinischen ist dagegen - ULUS . Gerade die frühen Bildungen mit - ULUS zeigen vielfach Synkope, vgl. vlat. OCLU (< klat. OCU - LUM ), vlat. VECLU (< klat. VETULUM ), und lassen sich semantisch nur selten als diminutiv charakterisieren (zu frühen Suffixbildungen, s. IV 2.1). Das Italienische <?page no="217"?> IV Lexikologie 216 bewahrt aber auch nicht synkopierte Bildungen, in denen die Bedeutung des Suffixes, die teilweise auch pejorativ sein kann, noch nicht gänzlich verblasst ist (bambola, formicola vs. donnola, fragola, lucertola). Synkopierte und nicht synkopierte Formen koexistieren auch bei den verbalen Bildungen: mescolare (Latinismus) vs. mischiare. Aufgrund der Akzentverlagerung im Hiat (vgl. klat. FILÍOLUM > vlat. FILIÓLUM > it. figli(u)olo) ist lateinisch unbetontes - OLUS italienisch betont. Die affektive Komponente ist teilweise noch erhalten, - OLUS dient aber daneben auch zur Bildung ethnischer Adjektive (vgl. z.B. romagnolo) und tritt wie die anderen Alterationssuffixe mit anderen Suffixen auf, nämlich mit -er- (museruola) und -icc- (stradicci(u)ola). Seltener sind nun die Diminutivsuffixe -atto und -otto (möglicherweise in Analogie zu -etto gebildet), die u.a. für die Bezeichnung von Jungtieren verwendet werden (aquilotto). Bei Adjektiven kommt den genannten Suffixen attenuativer Charakter zu, in Verbindung mit Verben sind die Suffixe pejorativ (parlottare). Des Weiteren sind die Serien -acchio, -ecchio etc. sowie latinisierendes -acolo, -ecolo etc. zu nennen, wobei die affektive Bedeutungskomponente schwindet, da die Basen in der Regel ausfallen (s. aber z.B. paesucolo, straducola). Bei den verbalen Neubildungen bleibt dagegen der affektive, hier attenuativ-pejorative Wert erhalten (vgl. rubicchiare, canticchiare). Eine weitere Serie ist mit den Suffixen -accio, -eccio etc. gegeben (nordit. beeinflusst -azzo, -ezzo etc.), wobei auch hier die Bedeutungen stark variieren können (vgl. z.B. malaticcio, belloccio). Mit -uccio (bzw. -uzzo) kann zusätzlich zur Diminution Zärtlichkeit ausgedrückt werden, s. manuccia, viuzza. Für die augmentativen Bildungen ist insbesondere auf das auch neuitalienisch hochproduktive -one zu verweisen, das auf klat. - O , - ONIS zurückgeht. Das Suffix wird ursprünglich zur Bildung von Personenbezeichnungen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu Gruppen oder wegen typischer Verhaltensweisen sowie körperlich auffälliger Merkmale herangezogen, d.h. für metonymische Bezeichnungen, s. z.B. vlat. COMMILITO , COMPANIO , BIBO ‚Säufer‘, NASO ‚Person mit großer/ langer Nase‘; gemeinsam ist den Bildungen ihre jeweils negative Konnotation. Im Weiteren erfolgt eine Bedeutungsveränderung, indem nun das Körperteil selbst bezeichnet wird (s. auch it. nasone ‚ausgeprägte Nase‘). Das Suffix steht nicht nur für desubstantivische (donnona), sondern auch für deadjektivische (facilone) und sogar deadverbale Bildungen (benone) zur Verfügung. Ein zweiter Entwicklungsstrang geht von charakteristischen Handlungen aus, wobei hier wie im Fall von klat. BIBO auch deverbale Bildungen vorliegen s. z.B. buffone, imbroglione, sporcaccione, brontolone, mangione. Interessant ist schließlich auch die Adverbbildung mit -one/ -oni, mit der auf Körperhaltungen Bezug genommen wird ((in) bocconi, ginocchioni, tastoni). Ähnlichkeit, wie bei -ino gesehen, ist nun auch die Basis für die semantische Entwicklung von klat. - ACEUS , das über Inferiorität zu Pejoration führt, vgl. bestiaccia, dentaccio (vs. die frühen Bildungen focaccia, vinaccia). Pejorativen Charakter haben weiter auch klat. - ASTER (s. it. -astro: figliastro, dolciastro) sowie, wie gesehen, -ucolo und -onzolo (mediconzolo; gironzolare). <?page no="218"?> 3 Wortbildung 217 Der Genuswechsel ist altitalienisch prinzipiell selten, Wörter auf -one und -otto (wohl auch -atto) sind in der Regel unabhängig vom Genus des Basislexems maskulin (vgl. catenone, moscone; anitrotto, camiciotto, candelotto, borsotto, aber z.B. pallotta). Durch die Verbindung mit anderen Suffixen ergibt sich eine Veränderung der ursprünglichen Bedeutung des jeweiligen Alterationssuffixes, vgl. z.B. die komplexen Bildungen acquerello, canterellare, campitello, navicella, ragazzinetto, fiumicino, sassolino. 3.2 Komposition Neben der Derivation steht als weiterer Wortbildungsmechanismus die Komposition, also die Wortzusammensetzung zur Verfügung. In der Entwicklung zu den romanischen Sprachen ist wie für die Morphologie zu berücksichtigen, dass sich die Determinationsrichtung, also die Abfolge von Determinans und Determinatum, umkehrt. Morphologisch ist dies etwa sichtbar an der Aufgabe des Kasus und der funktionalen Substitution durch Präpositionalsyntagmen oder an der Entwicklung des definiten, vor dem Nomen stehenden Artikels. In der Nominalkomposition lässt sich häufig bei der lateinischen Abfolge Determinans - Determinatum feststellen, dass das Determinans die Funktion eines genitivischen Attributs übernimmt (spätlateinisch Obliquus, vgl. noch die Relikte im Italienischen aquedotto, lunedì, terremoto). Verschiedentlich findet sich klassischlateinisch auch schon die umgekehrte, also romanische Abfolge der Elemente, vgl. in LOCUS VIRGO - it. foresta vergine, bei dem das Determinans gewissermaßen eine Apposition, also eine Beifügung zum Determinatum darstellt (dieser Typus findet sich vergleichsweise häufig in Toponymen). Italienische Komposita wie ufficio viaggio, ufficio pagamento, treno merci sind den spätlateinischen Bildungen vergleichbar, d.h. das zweite Element determiniert das erste in der syntaktischen Funktion einer Ergänzung. Auch was die Komposita aus Adjektiv und Substantiv betrifft, gibt es Bildungen mit der Abfolge Determinans - Determinatum (bassorilievo, gentiluomo) und Determinatum - Determinans (terraferma), wobei die Determinationsrichtung davon abhängt, ob das Adjektiv oder das Substantiv die Funktion des Determinans übernimmt. Es gilt allerdings auch hier, dass als romanisch solche Bildungen gelten können, die die Abfolge Determinans - Determinatum aufweisen (s. z.B. amor proprio, sangue freddo). Bildungen aus Nomen und Verb, die aus dem Lateinischen übernommen werden (vgl. AGRUM COLIT > AGRICOLA ; AURUM FACIT > AURIFEX ; IUS DICIT > IUDEX ) sind romanisch fast nie durchsichtig (vgl. it. orefice, giudice), was nicht nur an der Determinationsrichtung liegt, sondern natürlich auch an den z.T. bereits lateinisch sichtbaren lautlichen Veränderungen (auch hier sind die Bildungen bereits opak). Den Bildungstyp an sich gibt es im Italienischen auch, hier mit dem verbalen Element an erster Stelle, vgl. asciugamano, apriscatole, accendisigare. Die Verbform ist unklar, es könnte sich um einen alten Imperativ, den Verbstamm oder die 3. Pers. Sg. Ind. Präsens handeln). Für die Komposition von Verb + Nomen sind altitalienisch zwar keine Fälle belegt, allerdings findet sich im 14. Jh. z.B. der <?page no="219"?> IV Lexikologie 218 Nachnahme Vinciguerri, der auf die prinzipielle Produktivität des Wortbildungstyps verweist. Daneben treten lateinisch Bildungen mit dem verbalen Element im Infinitiv auf, s. z.B. MANUMITTERE (> it. manomettere). Die alte Abfolge Objekt - Verb bleibt erhalten in it. mantenere oder manovrare, die „neue“ Linearisierung Verb - Objekt ist durch Verbalsyntagmen wie aver fame repräsentiert. Diese Funktionsverbgefüge sind als Neubildungen sehr produktiv (vgl. weiter fare finta di, fare una passeggiata etc.). Lateinische Bildungen aus Adverb und Verb werden im Italienischen als Simplizia aufgefasst, wie das Beispiel klat. CIRCUMDARE > it. circondare zeigt. Italienische Bildungen dieses Typs zeigen wiederum die Abfolge Verb + Adverb, weshalb letztlich auch keine Verschmelzung mit dem Adverb erfolgen kann, vgl. venire incontro etc. Hier sei auch verwiesen auf Bildungen des Typs vlat. MALIFATIU ‚unglücklich‘ > ‚schlecht‘, ‚böse‘ (vgl. it. malvagio, wahrscheinlich gallorom. vermittelt) oder auch vlat. COMPANIO ‚Gefährte‘ (< CUM PANIS ; Lehnübersetzung nach germ. Vorbild GAHLAIBA ) > it. compagno. Im Italienischen wie in den anderen romanischen Sprachen gibt es weiter Komposita bestehend aus zwei Verben, wobei es sich um fixierte Wendungen handelt. Die Verben stehen jeweils im Imperativ (dormiveglia, saliscendi, intensivierend mit Wiederholung des Verbs fuggi fuggi). Bei den Adjektivkomposita liegen die Abfolgen Adjektiv + Substantiv und Substantiv + Adjektiv vor. Bei erstgenannter Abfolge intensiviert oder präzisiert das Substantiv das Adjektiv wegen einer zugrunde liegenden Ähnlichkeit (grigio perla, rosso fuoco). Auch bei der Abfolge zweier adjektivischer Elemente ist eine solche Relation möglich. Bei umgekehrter Abfolge (Substantiv + Adjektiv) hat das Substantiv die Funktion einer Ergänzung oder eines direkten Objekts (Determinans - Determinatum); die Bildungen sind italienisch jeweils latinisierend: fededegno, nullatenente. Zu dieser Gruppe zählt auch der Typ pettirosso (s. ait. auch collicorto, collilungo), der bereits lateinisch belegt ist ( OVIPARUS ‚eierlegend‘, VINI - VORAX ‚Weinsäufer‘). Bei den Komposita bestehend aus zwei Adjektiven kann das zweite das erste Adjektiv in seiner Bedeutung verstärken (ubriaco fradicio) oder präzisieren (verde chiaro), es fungiert also als Determinans. Es handelt sich hier aber nicht um Komposita im engeren Sinne, sondern eher um typische Syntagmen, in denen ein Element ein vorausgehendes genauer spezifiziert. Da Adverbien Adjektive genauer bestimmen, ist die Bildung entsprechender Komposita nicht verwunderlich. Dabei sind nur Bildungen des Typs Adverb + Adjektiv möglich (andernfalls wäre das Kompositum kein Adjektiv, vgl. chiaroveggente, sempreverde). Hier sind auch die latinisierenden Bildungen altisonante, lungimirante, etc. einzuordnen. Wendungen wie Präpositionalsyntagmen, die als Adjektive fungieren, sind selten (s. z.B. in gamba). Neben Adverbbildungen wie oggidì, oggimai, nottetempo, maisempre, infine sind auch einige vulgärlateinische Neubildungen mit Präpositionen oder Adverbien interessant, s. z.B. vlat. AD + HANC + HORA > it. ancora, HORA > it. ora, vlat. AB + ANTE > it. avanti, vlat. DE + AB + ANTE > it. (d)avanti, vlat. IN + ( AB ) + ANTE > it. in- <?page no="220"?> 4 Lehnelemente 219 nante, vlat. DE + INTRO > it. dentro, vlat. IN + DE + DETRO > it. indietro, vlat. DE + UNDE > it. donde ‚daher‘, vlat. DE + POST > it. dopo, DE + UBI > it. dove. 4 Lehnelemente Neben der Wortbildung und semantischen Entwicklungen wie sie in den angeführten Beispielen bereits angesprochen wurden, sind auch Entlehnungen aus anderen Idiomen für Veränderungen im Wortschatz wichtig, wobei für die Übernahme von Lexemen eine Sprachkontaktsituation zwischen dem (Vulgär-)Lateinischen/ Frühromanischen und den Geberidiomen bestanden haben muss. Die ältesten Lehnelemente in den romanischen Sprachen sind noch zu (vulgär)lateinischer Zeit übernommen worden. Es handelt sich hier also um frühe (Kultur-)Adstratbzw. Sub- und Superstrateinflüsse. Zu diesen frühen Übernahmen zählen Gräzismen (Griechisch ist Sub-, v.a. aber Adstrat), Keltismen (Keltisch ist v.a. für die norditalienischen Varietäten als Substrat zu beschreiben) und Germanismen (zum Vulgärlateinischen ist das Germanische Adstrat, später Superstrat). Dabei handelt es sich nicht nur um Lexeme, sondern verschiedentlich auch Wortbildungselemente, hier v.a. Suffixe, auf die bereits genauer eingegangen wurde (vgl. Kapitel IV 2). 4.1 Gräzismen Zu den griechischen Wörtern gehören etwa ECCLESIA (> it. chiesa), BASILICA (> it. basilica, s. Verdrändung von klat. TEMPLUM ), PARABOLA (> it. parabola, parola), die über die Verbreitung des Christentums ins Lateinische eindringen, daneben weiter * BASTARE , * TROPARE (> it. trovare), PLATTUS (> it. piatto). Abstrakte, vielfach auch religiöse Konzepte werden ins Lateinische übersetzt (z.B. SALVATOR > it. salvatore, CARISTIA > it. carestia). Insbesondere christliche Ehrentitel gehen auf das Griechische zurück: APOSTOLUS , CLERUS , DIACONUS , EPISCOPUS , MARTYR (neben klat. CONFESSOR ), PAPA , PRAESBYTER . Über das Griechische werden letztlich auch hebräische Elemente vermittelt (vgl. ALLELUIA , AMEN , OSANNA , PASCHA , SABAOTH , SABATUM , EUCHARISTIA ). Schon zu klassischlateinischer Zeit werden Elemente wie MACHINA (vgl. it. macina ‚Schleifstein‘), AER , APOTHECA , BAL ( I ) NEUM ‚Badezimmer‘, BRAC ( C ) HIUM , CA- LAMUS ‚Rohr‘, ‚Schilf‘, CAMERA , C ( H ) ALARE , CHARTA , CHORDA , CORONA , GRABATUS ‚Bett‘, ‚Lager‘, GUBERNARE , LAMPAS , MACELLUM , PETRA etc. übernommen. Interessant ist das Nebeneinander von genuin lateinischen Wörtern und Gräzismen, vgl. klat. LAPIS ‚Stein‘ - (v)lat. PIETRA (< griech. πέτρα), klat. FUNIS ‚Seil‘ - (v)lat. C ( H ) ORDA (< griech. χορδή). Eine gewisse Kumulation griechischer Elemente findet sich durch die Siedlungsgeschichte bedingt in Süditalien und Sizilien (v.a. Küstengebiete). Weitere Übernahmen aus dem (byzantinischen) Griechischen insbesondere im Bereich des Seewesens sind argano, arcipelago, avaria, fanale, galea, gomena, molo, panfilo, pilota, sartia, scala, s. auch venez. gondola. Vereinzelt werden auch Elemente aus der Ver- <?page no="221"?> IV Lexikologie 220 waltungs- und Handelssprache übernommen (bisante, aggio, catast(r)o, polizza, rischio, auch bronzo, smeriglio, vernice, ait. codico). Weiter gehen auch Elemente wie ait. romero ‚(Rom-)Pilger‘, it. carestia, schiavo, ait. dispoto sowie saracino auf griechischen Einfluss zurück. Bis heute haben sich Gräzismen aus verschiedenen Wortfeldern erhalten. Neben den klassischlateinischen Suffixen - IA (> it. -ia) und - IO (> it. -io), die aufgrund der Betonungsverhältnisse im Wort und der erfolgenden Palatalisierung nicht mehr isolierbar sind (vgl. z.B. klat. ANGUSTIA > it. angoscia, klat. MINA - CIA > it. minaccia), sind die analogen, aus dem Griechischen übernommenen Suffixe - ÍA und - ÍO aufgrund ihrer Betonung geschützt und die entsprechenden Bildungen analysierbar (vgl. it. allegria, cortesia, brontolio). 4.2 Keltismen Das Keltische ist wie gesehen Substrat für den norditalienischen Sprachraum. Einige Elemente sind aber durchaus weiter verbreitet, also vulgärlateinisch vermittelt, vgl. CARRUS , CAMBIARE , * CAMMINUS ‚Weg‘, * PETTIA ‚Stück‘ (s. dazu it. pezzo). Neben den genannten Lexemen geht wohl auch das im Klassischlateinischen weitere Verbreitung findende Suffix - ACUM (> -aco) auf keltischen Einfluss zurück, das allerdings toskanisch/ standarditalienisch nicht produktiv ist. 4.3 Germanismen Das Germanische ist nun insofern interessant, als es einerseits aufgrund früher Handelskontakte der Völker zum (Vulgär-)Lateinischen als Adstrat fungiert und sich andererseits aufgrund späterer Eroberungen im Zuge der Völkerwanderung als Superstrat zum Vulgärlateinischen bzw. Frühromanischen charakterisieren lässt. Während in den Grenzgebieten viele (vulgär)lateinische Wörter in die westgermanischen Sprachen eindringen (s. v.a. Administration), fällt der umgekehrte Einfluss eher gering aus - zumindest bis zum 4. Jh. finden germanische Lexeme keine weiträumige Verbreitung. Auch die Tatsache, dass das Rumänische nur wenige Germanismen hat, verweist auf eine Verbreitung der Elemente erst nach der Aufgabe der Provinz Dakien. Andere Möglichkeiten des sprachlichen Einflusses sind mit dem Handel, der Niederlassung von Germanen im Römischen Reich und der Aufnahme von Germanen ins römische Heer gegeben. Die frühen Lehnelemente gehören vielfach der militärischen Fachsprache an, z.T. auch dem Bereich des Handels. Die fraglichen Lexeme sind vermutlich im 4./ 5. Jh. entlehnt worden, da rumänische Entsprechungen fehlen: * MARKA ‚Grenze‘, ‚Grenzgebiet‘ > it. marca, RAUBA ‚Geraubtes‘, ‚Beute‘ > it. roba (vgl. * RAUBÔN > it. rubare), * ARRÊ - DARE ‚herrichten‘ > it. arredare (got. * RE Þ S ‚Rat‘, ‚Vorrat‘), FLASCO , FLASCA ‚Korbflasche‘ > it. fiascho, * WÎSA ‚Art und Weise‘ > it. guisa, * BLANK ‚weiß‘ (vermutlich zunächst mit Bezug auf Pferdefellfarben übernommen, anschließend für ALBUS ‚glanzlos weiß‘) > it. bianco. Zu den frühen Entlehnungen gehören auch tasso (< TAXO ), martora (< MARTAR ), weiter arpa (< HARPE ), vanga ‚Spaten‘ (< VANGA ), sapone (< SAPO ), brace (< BRASA ) und smarrire (zu MARRJAN ). <?page no="222"?> 4 Lehnelemente 221 Unklar ist der Entlehnungszeitpunkt für andere Elemente, wenngleich unzweifelhaft ist, dass es sich ebenfalls um vergleichsweise frühe Übernahmen handelt: * WARDÔN ‚schauen‘, ‚beobachten‘, ‚bewachen‘ > it. guardare (vgl. auch die Ersetzung von CUSTOS durch * WARDON ), * WERRA ‚Wirren‘ > it. guerra (in der Bedeutung ‚Krieg‘ Ersetzung von BELLUM ), * SIN ‚Richtung‘, ‚Sinn‘, ‚Verstand‘ > it. senno. Die Charakterisierung der Lexeme als langobardisch, gotisch oder fränkisch erweist sich vielfach als schwierig, da auch bei frühen Übernahmen eine weitere Verbreitung erst später eingetreten sein kann. Auch das Kriterium der zweiten Lautverschiebung, die im Gotischen und Fränkischen nicht erfolgt ist, ist nicht immer ausreichend für die Einordnung der Lehnelemente als Langobardismen. Eine Differenzierung zwischen Gotismen und fränkischen Elementen gestaltet sich ebenfalls problematisch, auch wenn das Gotische anders als das Fränkische nicht über ein Kanzleiwesen tradiert wurde (das Langobardische hatte keine Schriftkultur). Für das Fränkische ist schließlich auch eine Vermittlung über das Galloromanische möglich. So könnten z.B. buttare (< * BŌTAN ), greppia (< KRIPJA ), spiare (< * SPAÍHÔN ), sghembo (< * SLIMBS ) und grappa (< KRAPPA ) langobardisch wie fränkisch sein. Wie schon angeführt, zeigt das Langobardische im Gegensatz zum Gotischen die zweite Lautverschiebung, d.h. [t] wird zu [ts] assibiliert (bzw. zu [s] entwickelt), wodurch gerade im Fall von Dubletten verschiedentlich eine Zuweisung zu beiden germanischen Idiomen möglich wird: vgl. it. zaffo (langob.) vs. it. tappo (got.). Typisch für langobardische Elemente ist auch die Ersetzung von - H durch - F - (s. auch anlautendes HL - > FL -, s. z.B. fianco < * HLANKA ). Als Kriterien zur Differenzierung von Gotismen und Langobardismen werden aber v.a. die geographische Distribution der Belege, die romanischen Entsprechungen und ein Vergleich mit den germanischen Sprachen auch unter Berücksichtigung der Bedeutung herangezogen. V.a. Körperteilbezeichnungen werden aus dem Langobarischen übernommen: anca (< HANKA ), schiena (< * SKINA ), fianco (< * HLANKA ), guancia (< * WANKJA ), milza (< MILZI ), spanna (< * SPANNA ), stinco (< * SKINKO ), zizza (< * ZIZZA ); s. aber auch weitere Elemente wie trincare (< TRINKEN ), scherzare (< * SKERZŌN ), smaccare (< * SMAHHAN ), baldo (< BALD ), gramo (< GRAM ). Im Bereich der Fauna sind gazza ‚Elster‘ (< AGALSTRÂ , vgl. auch * AGŌ ) und martora (< * MARÞRA -, möglicherweise bereits in das Vulgärlateinische übernommen), weiter stambecco (< STEINBOC ), taccola ‚Dohle‘ (< TĀHA ), zecca (< * TĪKA -), anzuführen. Für die Flora sei gualdo ‚Wald‘ (< WALD ) genannt, das v.a. in Ortsnamen auftritt. Dem Bereich der staatlichen Organisation und des Rechtswesens können die Elemente gastaldo (< GASTALD ), faida ‚Recht auf Privatrache‘ (< FAIDA ), weiter manigoldo ‚Schurke‘ ‚Henker‘ (< MANA - GOLD , mit Bedeutungsverschlechterung, ursprünglich ‚Vormund‘), sgherro ‚Scherge‘ (ursprünglich ‚Anführer‘; < SKARJA ) zugeordnet werden, für das Militärwesen kann ergänzend fante ‚Fußsoldat‘ angeführt werden. Für den architektonischen Bereich (auch Mobiliar) seien genannt: sala (< SAL ), stamberga ‚schäbige Wohnung‘ (< * STEINBERGA ) sowie scranna ‚Bank‘, ‚Richterstuhl‘ (< SKRANNA ), palco (< PALCO ), balcone (zu BALCO ), panca (< PANK ( A )), scaffale (zu SKAFA ), slitta (< SLITO ), strale ‚Pfeil‘ (< STRAL ), stucco (< STUHHI ), weiter trappola (zu TRAPPA ), zaffo ‚Zapfen‘ (< ZAPFO ), brodo (< BROD -), fazzoletto (< FACIALE ). Auch stärker expressive Lexeme <?page no="223"?> IV Lexikologie 222 wie chiazzare ‚beflecken‘ (zu KLATZA ‚Fleck‘), gruzzo ‚Laune‘ (< GRUZZA ), izza ‚Zorn‘ (< ITS ), russare (< HRŪZZAN ), spaccare (< SPAHHAN ), spruzzare ‚(be)spritzen‘ (< * SPRUZZ ( J ) AN ), tuffare (< TAUFAN ) oder zizza (< ZITZE ) sind langobarischen Ursprungs. Gotisch sind bramare ‚heiß begehren‘ (< BRAMMŌN ), aspo ‚Garnwinde‘ (< HAS - PA ), grappa (< KRAPPA ), randa ‚Rand‘ (< RANDA ), rubare (< RAUBŌN ), astio ‚Groll‘, ‚Hass‘ (< HAIFSTS ), tappo (< TAPPO ), banda (< BANDWŌ ), fiasco (< FLASKUN ), elmo (< HILMS ) und rocca (< * RUKKA ), weiter albergo (< * HARIBERGO ), buttare (< * BŌTAN ), crusca (< * KRŪSKA ), grinta (< * GRIMMITHA ), nastro (< * NASTILŌ ), scarpa (< * SKARPA ), smaltire (< * SMALTJAN ), stalla (< * STALL ), stecca (< * STIKA ), tacco (Rückbildung zu * TAIKKA ), tasca (< TASKA ) etc. Fränkisch sind dagegen bosco (< BUSK oder BOSK ), giardino (< GARDO ), bianco (< BLANK ), franco (< FRANK ), fresco (< FRISK ), dardo (< * DARDO ), galoppare (< * WA - LAHLAUPAN ), tregua (< TRIUWA ), abbandonare (zu BANN ), orgoglio (< ŬRGŌLĪ ), senno (< SINN ). Germanisches W wird italienisch durch [gw] wiedergegeben, so dass sich auf der Grundlage dieses lautlichen Indizes fränkische Lehnelemente gut identifizieren lassen: guarnire (< * WARNJAN ), guardare (< WARDŌN ), guerra (< WER- RA ) und guanto (< WANT ). Wie die wenigen Beispiele zeigen, werden viele Elemente volkssprachlich entwickelt. Daneben werden zahlreiche Orts- und Personennamen v.a. aus dem Langobardischen (vgl. z.B. auch Toponyme auf -engo < - ING ) übernommen. Das Präfix it. miskönnte schließlich auf der Überlagerung aus ahd. MISSI - und klat. MINUS aufsetzen (z.B. misfare). Frühe Bildungen zeigen die Bedeutung ‚schlecht‘, in späteren nimmt das Präfix die Bedeutung ‚nicht‘ an (misconoscere). 4.4 Latinismen Die wichtigeste Gruppe von Lehnelementen sind aber sicher die Latinismen - die romanischen Sprachen haben nicht nur ihren Ursprung im Klassischlateinischen/ Vulgärlateinischen, sondern greifen zu allen Zeiten immer wieder auf das Lateinische zurück, d.h. also bei Vorliegen von Bezeichnungslücken bzw. Ausdrucksmängeln. Verschiedentlich fungieren Latinismen auch als stilistisch gehobene Bezeichnungsvarianten. V.a. ab dem 13. Jh. lassen sich direkte Übernahmen aus lateinischen Texten und ihre Einfügung in italienische Texte zur Verbesserung des Stils feststellen. Die fraglichen Elemente sind typischerweise an das Schriftmedium gebunden und überwiegend fachsprachlicher Natur (z.B. Philosophie, Jurisprudenz, Wissenschaft). Die Latinismen zeigen fast ausschließlich morphologische Adaptionen, d.h. Buchwörter wie spätere Entlehnungen reflektieren weitgehend lateinische Verhältnisse bzw. zeigen eine spezifische, von der volkssprachlichen abweichende Entwicklung. Sie sind entsprechend anhand einer Reihe lautlicher Charakteristika gut identifizierbar. Folgende lautliche Merkmale weisen auf das Vorliegen eines Buchwortes bzw. eines Latinismus hin:  haupttonig Erhalt von vlat. [ɛ] und [ɔ] (keine Diphthongierung in offener Silbe): <?page no="224"?> 4 Lehnelemente 223 klat. IMPĔRIUM > it. impero klat. SPĔCIEM > it. specie klat. MĔTRUM > it. metro klat. FŎRUM > it. foro klat. GLŎRIAM > it. gloria klat. CŎDICEM > it. codice  haupttonig klat. Ĭ , Ŭ > [i], [u], nicht [e], [o], wie auf der Basis des Quantitätenkollapses erwartbar: klat. DĬSCUM > it. disco (vs. volkssprachlich desco) klat. VĬTIUM > it. vizio (vs. volkssprachlich vezzo) klat. IUSTĬTIAM > it. giustizia klat. DŬBIUM > it. dubbio klat. CŬRVUM > it. curvo  [e] statt [i] in Präfixen erhalten (keine vortonige Hebung): klat. DE -, RE - > it. de-, re- (vs. volkssprachlich di-, ri-)  AU erhalten (nicht monophthongiert): klat. LAUDEM > it. laude (vs. volkssprachlich lode)  [e] und [i] in Hiat erhalten (keine Semikonsonantisierung und nachfolgende Palatalisierung des vorausgehenden Konsonanten): klat. - ANEUM / - INEUM > it. -aneo, -ineo (vs. volkssprachlich -agno, -igno)  prävokalisches - DI -, - LI -, - NI -, - RI -, - SI bewahrt (nur Semivokalisierung [i] > [j], keine Palatalisierung): klat. HODIERNUM > it. odierno klat. FILIALEM > it. filiale klat. GENIUM > it. genio klat. PRIMARIUM > it. primario klat. OCCASIONEM > it. occasione  [tʃ] (nicht [ttʃ]) als Ergebnis der Palatalisierung von vlat. [kj] (intervokalische Stellung): klat. EFFICACIAM > it. efficacia klat. AUDACIAM > it. audacia  [tsj] (nicht [tts]) als Ergebnis der Assibilierung von vlat. [tj] (intervokalische Stellung): klat. - ITIA / - ICIUM / - ITIONEM > it. -ízia, -ízio; -zione  Erhalt der Nexus aus Konsonant + L (keine Palatalisierung von - L - > [j]): <?page no="225"?> IV Lexikologie 224 klat. CLAMOREM > it. clamore klat. FLORIDUM > it. florido klat. SPLENDOREM > it. splendore  Bewahrung des klassischlateinischen Nexus [ns] (nicht reduziert zu [s]): klat. - ENSEM > it. -ense  Erhalt von intervokalischem [b] (keine Spirantisierung): klat. - ABILEM / - EBILEM > it. -abile, -ebile (vs. volkssprachlich -evole) Interessant sind vor diesem Hintergrund die so genannten Dubletten, also Wörter, die eine volkssprachliche Entwicklung durchlaufen und parallel eine buchwörtliche Entwicklung zeigen, wobei die Lexeme nicht synonym verwendbar sind, sondern einen Bedeutungsunterschied zeigen. Zu diesen zählen etwa die folgenden Fälle: klat. VITIUM > it. vezzo ‚Angewohnheit‘ vs. vizio ‚Laster‘ klat. BESTIAM > it. biscia ‚Natter‘ vs. bestia ‚Tier‘ klat. CAUSAM > it. cosa ‚Sache‘ vs. causa ‚Ursache‘, ‚Klage‘ klat. CIRCULUM > it. cerchio ‚Kreis‘ vs. circolo ‚Klub‘, ‚Zirkel‘ Beispiele für (altitalienisch belegte) Latinismen, zusätzlich zu den in der zitierten Übersicht genannten, sind etwa divino, avarizia, gloria, animale (‚Lebewesen‘), clima, sermo, temo, scorpio, imago, turbo, beatitudo. 4.5 Gallizismen Galloromanische Elemente sind v.a. durch die französische und provenzalische Literatur bedingt und über den norditalienischen Sprachraum (s. franco-veneto) vermittelt. Die Wortfelder, denen die Lexeme entstammen, sind Feudalgesellschaft, Ritterwesen, karolingische Organisation: conte (< afrz. conte), cancelliere (< afrz. chancelier), barone (< afrz. baron), dama (< afrz. dame), etc.; Jagd: astore (< prov. astor), bersaglio (< afrz. bersail), daino (< frz. daim), veltro (< afrz. veltre), baio (< frz./ prov. bai), destriero (< afrz. destrier), ronzino (< afrz. runcin); Musik: cennamella (< afrz. chalemelle), giga (< aprov. giga); aber auch Kleidung, Verkehr, Unterhaltung, s. weiter mangiare (< afrz. mangier), gioia (< frz. joie), pregio (< afrz. pris), palagio (< frz. palais), servigio (< afrz. serviz), sergente (< frz. sergent), periglio (Bildungen auf -glio/ -glia sind typischerweise provenzalischen Ursprungs, s. auch spiraglio, speglio, veglio, vermiglio, artiglio, maglia, coniglio). Auch die Vermittlung von fränkischen Lehnelementen ist hier anzuführen, vgl. giardino (< frz. jardin < * GART , * GARDO ), giallo (< afrz. jalne < klat. GALBINUM ), s. auch ait. cangiare (< frz. changer < klat. CAMBIARE ; it. parallel cambiare). Wie für die lateinischen Elemente, lassen sich auch galloromanische Lehnwörter anhand lautlicher Kriterien charakterisieren:  Palatalisierung von klat. [kl], [gl] zu [ʎʎ] (vs. it. [kkj]): klat. BUTICULAM > it. bottiglia (nfrz. bouteille) <?page no="226"?> 4 Lehnelemente 225 klat. VIGILARE > it. vegliare (nfrz. veiller) klat. - ACULUM > it. -aglio (vs. genuin italienisch -acchio; nfrz. -ail)  Palatalisierung von klat. [ti]/ [si] (vlat. [tj]/ [sj]) > [dʒ] (denkbar auch toskanische Sonderentwicklung; intervokalische Stellung): klat. PALATIUM > ait. palagio (neben it. palazzo; nfrz. palais) klat. MANSIONEM > ait. magione (nfrz. maison) klat. PRE ( HE ) NSIONEM > ait. prigione (nfrz. prison) klat. - ITIA , - A / ITIONEM > it. -igia (neben latinisierendem -izia bzw. volkssprachlichem -ezza; nfrz. -ise, -ice, -esse), -agione/ -igione (neben latinisierendem -azione/ -izione bzw. volkssprachlichem -azzone/ -izzone; nfrz. -ason/ -ison, -ation/ -ition, -asion/ -ision)  Palatalisierung von C / G A : klat. MANDUCARE > it. mangiare (nfrz. manger) klat. GAUDIA > it. gioia (nfrz. joie) fränk. * GART / * GARDO > it. giardino (nfrz. jardin)  [ks] > [ʃʃ] (vs. it. [ss]; intervokalische Stellung): klat. EXIRE > it. uscire (s. auch norditalienischer Einfluss möglich; anlautendes uist durch eine Überlagerung mit uscio bedingt, s. klat. EXEO > it. esco) klat. LAXARE > it. lasciare (vgl. afrz. laissier) klat. COXAM > it. coscia (vgl. afrz. cuisse) klat. MAXILLAM > it. mascella (vgl. afrz. machouere) Der Einfluss der Troubadourlyrik auf den dolce stil novo zeigt sich auch etwa in der Übernahme bzw. der Isolierung der Suffixe -aggio, -iere/ -iera. Okzitanisch bedingt sind weiter -agio, -ore, möglicherweise auch -anza/ -enza oder auch das altitalienisch frequente Lexem sire. Verschiedentlich zeigen die im Italienischen vorliegenden Dubletten eine Beeinflussung eines der Elemente durch das Französische (im Folgenden das jeweils zweitgenannte Lexem): adesso - ora, capire - comprendere, dì - giorno, stanza - camera. 4.6 Iberoromanismen Deutlich geringer fällt der iberoromanische Einfluss aus, der erst im siglo de oro seinen Höhepunkt erreicht; in mittel- und süditalienischen Dialekten ist der Einfluss aufgrund der aragonesischen bzw. spanischen Herrschaft (Vizekönigtum Neapel) zwischen dem 15. und 18. Jh. stärker. Frühe iberoromanische Entlehnungen, die v.a. das Ritterwesen betreffen, sind: signore, crianza, complimento, mozzo sowie einige Wörter auf -iglia (< -illa). 4.7 Arabismen Über das Venezianische und stärker über das Sizilianische sind schließlich auch Arabismen in das Toskanische gelangt. Ein wichtiger Hinweis auf einen Arabis- <?page no="227"?> IV Lexikologie 226 mus ist der agglutinierte Artikel a(l)-, vgl. algebra, alcool, arsenale, albicocca (Arabismen, die über das Spanische vermittelt sind, haben durchgehend den Artikel). Zucchero, cotone, dogana, magazzino dringen über das Sizialianische in das Italienische ein. Die toskanisch belegten Arabismen dürften über Pisa vermittelt sein und ihre Grundlage in den Handelsbeziehungen der Seerepubliken mit islamischen Ländern haben (vgl. fondaco, darsena, materasso). Arabische Lexeme sind für die unterschiedlichsten Bereiche belegt (so für die Wissenschaften, s. z.B. azimut, zenit, auge, algebra, algoritmo, cifra, zero, alambicco, amalgama, alcool, alcali, alchimia, elisir, den Handel, vgl. neben den bereits genannten Lexemen auch tariffa, gabella, zecca, tara, tarsia, intarsio, ricamo, Haushaltswaren, z.B. giara, caraffa, tazza, materasso, Pflanzen, Obst und Gemüse, vgl. arancio, limone, zafferano, carciofo, spinaccio (aus dem Persischen) oder auch Metalle und Substanzen, vgl. ottone, ambra (persischen Ursprungs), talco, canfora, soda). 4.8 Dialektale Einflüsse Für das Toskanische ist neben fremdsprachlichen Lehnelementen auch der dialektale Einfluss von Bedeutung; neben lautlich-morphologischen Einflüssen sei hier auf einige lexikalische Elemente verwiesen, so grezzo, lido, riva (ven.), bresáola (lomb.), darsena (lig.) etc. - die Übernahme insbesondere norditalienischer Wörter kann wohl als Modeerscheinung gelten. Stärker als in Florenz ist der norditalienische Einfluss in Lucca und Pisa; Beispiele sind etwa badile, pala, redina, guida, rugiada, die zumindest im Toskanischen als nicht volkstümlich gelten können. Zum Weiterlesen: Einen allgemeinen gesamtromanischen Überblick bietet A LKIRE / R OSEN (2010, Kap. 11), T AGLIAVINI (1998, Kap. II, IV, V), unter Berücksichtigung auch semantischer Entwicklungen S TEFENELLI (1992), zum Altitalienischen D'A CHILLE (2003, Kap. 5), S CHWEICKARD (2008), Z AMBONI (2000). Zur Wortbildung seien ergänzend empfohlen B ISETTO (2010), D ARDANO (1988), der Sammelband G ROSSMANN / R AINER (2004), Š TICHAUER (2009), S CALISE (1995), B ENINCÀ / P ENELLO (2003), zu den Lehnelementen C ASTELLANI (2000, Kap. 2-4), M ORGANA (1994), A RCA - MONE (1994), C ELLA (2003), C ENTRO DI S TUDIO PER LA D IALETTOLOGIA I TLAIANA (1986), G AMILLSSCHEG (1982), P FISTER (1982; 1986), M OR - LICCHIO (2003). Aufgaben 1) Erläutern Sie ausgehend von scontrare, sconsigliare, sconsolato die Etymologie und Funktion des Präfixes s-! 2) Guisa, ricchezza, freschezza, guardia, elmo, bianco, ricco: Kommentieren Sie die Etymologie dieser Lexeme! Nennen Sie weitere Beispiele!   <?page no="228"?> 4 Lehnelemente 227 3) per ventura un giorno in sul mezzodì: Erläutern sie die Wortgeschichte von giorno und dì und gehen Sie dabei auch auf die Wochentagsbezeichnungen (lunedì etc.) ein! 4) Erläutern Sie den Unterschied zwischen Erbwort und Buchwort anhand selbst gewählter Beispiele! 5) valoroso, dittatore, scrittore, amorevole, fatica, eccellenzia, grandezza, composizione: Nehmen Sie Stellung zu den in den Beispielwörtern vorliegenden Wortbildungstypen und berücksichtigen Sie dabei Entwicklungstendenzen vom Lateinischen bis zum Neuitalienischen! 6) Erläutern Sie die Herkunft und Bedeutungsgeschichte der folgenden Lexeme: cercare, trovare, campare, spogliare, iettare, ardere, cadere, togliere! 7) desnare, damigella, volentieri, cavaliere, pulcella, donzella: Diskutieren Sie anhand dieser Beispiele die Bedeutung innerromanischer Entlehnungen für die Entwicklung des italienischen Lexikons unter Berücksichtigung insbesondere des höfischen Wortschatzes! 8) Anhand welcher lautlicher Entwicklungen lassen sich die folgenden Wörter als Latinismen klassifizieren: grazia, contemplazione, solitario, graziosamente, orazione, riverenzia, disposizione, clemenzia? 9) Saprei, bocca, essere, perché, ucello, capo, infermo, frate: Nehmen Sie ausgehend von den Beispielen Stellung zu den wesentlichen Neuerungen im vulgärlateinischen Wortschatz und berücksichtigen Sie dabei auch Synonyme! 10) niuno vs. nessuno: Leiten Sie die beiden genannten Formen aus dem Lateinischen her und gehen Sie auf die weitere Entwickung zum Neuitalienischen ein! Kommentieren Sie auch die Form persona (s. ait. ‚niemand‘)! <?page no="230"?> Glossar Absolute Konstruktion: besondere Form der Unterordnung, s. hier v.a. Partizipialwie Gerundialkonstruktionen interessant: infinite Verbform (Partizip Perfekt, ait. auch Partizip Präsens, Gerund), mit Subjekt, das aber nicht mit dem des Matrixsatzes korreferent ist, vgl. Arrivato Gianni, la festa si animò. AcI (ablativus cum infinitivo): aus dem Lateinischen bekannte Satzkonstruktion, alt- und z.T. auch noch neuitalienisch noch bei perzeptiven Verben; Subjekt des Infinitivatzes steht im Akkusativ, Prädikat im Infinitv (vgl. nit. Vedo Gianni venire.); Konstruktion romanisch durch finiten Gliedsatz ersetzt Adstrat: sprachliche Beeinflussung eines Idioms durch ein anderes, meist prestigeträchtigeres oder auch benachbartes Idiom v.a. im lexikalischen Bereich (Lehnwörter), s. z.B. im 17./ 18. Jh. Französisch, seit dem 20. Jh. v.a. Englisch; Latein und Griechisch Kulturadstrat, Entlehnungen in allen Jahrhunderten (s. v.a. Latinismen), s. auch Fachwortschatz (z.B. Medizin) Affrizierung: Entstehung von dentalen und palatalen Affrikaten im Rahmen eines Assibilierungsbzw. Palatalisierungsprozesses (s. Assibilierung, Palatalisierung), vgl. z.B. klat. PUTEUM > it. pozzo; klat. PLACET > it. piace Aktionsart: in der Regel lexikalisch-semantisch basierte Klassifikation von Verben auf der Basis der unterschiedlichen Verlaufsweise und Begrenzung des bezeichneten Geschehens bzw. Sachverhalts, s. z.B. durativ (zeitliche Ausdehnung der Situation unbestimmt, aber über längeren Zeitraum anhaltend, z.B. dormire), telisch (Zielgerichtetheit der Handlung, z.B. costruire) Allomorphie: innerparadigmatische Differenzierung der lexikalischen Stämme (lexikalisches Morphem => Stammallomorphie, vgl. z.B. it. amic-o/ -i [amik], [amitʃ]), prinzipiell auch der grammatischen Morpheme (z.B. Pluralkennzeichnung, s. ait. -a, -ora etc.) Allotropie: aufgrund unterschiedlicher Entwicklung (z.B. erbwörtlich vs. buchwörtlich) bedingtes Vorhandensein mehrerer Lexemvarianten, die auf das gleiche Etymon zurückgehen (s. Dublette, auch Polymorphie), z.B. circolo - cerchio, causa - cosa Anaphonie: Hebung eines betonten Vokals (vlat. [e], weniger häufig [o]) vor [ɲɲ], [ʎʎ], wenn aus klat. - NI -, - LI -, s. klat. FAMĬLIAM > ait. fameglia > ait./ nit. famiglia; florentinisch auch vor velarem Nasal [ŋ], s. klat. FŬNGUM > nit. fungo Anaptyxe: vokalischer Einschub zur Vereinfachung der Silbenstruktur (Auflösung von Konsonantennexus), vgl. neuitalienisch häufig bei Adaption von Lehnwörtern, z.B. klat. - ISMUM > it. -esimo, klat. SOCRUM / SOCRAM > it. suocero/ suocera <?page no="231"?> Glossar 230 Aphärese: Ausfall eines unbetonten Anlautvokals oder einer anlautenden Silbe: klat. HISPANIA > it. Spagna, klat. ECCLESIAM > it. chiesa, klat. EPISCOPUM > it. vescovo Apokope: Ausfall eines unbetonten Auslautvokals oder einer auslautenden Silbe (zum Italienischen sehr selten) Apophonie: Ablaut, s. klat. Perfektbildung: FACERE > FECI , HABERE > * HEBUI Aspekt: grammatische Kategorie des Verbs, beschreibt die Ausdehnung eines Ereignisses im Verhältnis zum vom Sprecher betrachteten Zeitraum; dabei grundlegende Differenzierung in perfektiven (Abschluss der Handlung innerhalb des fokussierten Zeitraumes) und imperfektiven Aspekt (punktuelle Betrachtung der Handlung zu einem bestimten Zeitpunkt, keine Aussage über den Abschluss der Handlung möglich); romanisch hauptsächlich für die Vergangenheitstempora (passato remoto/ passato prossimo: perfektiver Aspekt vs. Imperfekt - imperfektiver Aspekt) relevant, für die übrigen Tempora Neutralisierung der Opposition Assibilierung: vgl. Palatalisierung (1. Typ): / i/ Wirkung auf vorausgehenden Konsonanten, zunächst Semikonsonantisierung, Ergebnis dentale Affrikate (s. auch Affrizierung): klat. PUTEUM > vlat. *[potjo] > it. pozzo Assimilation: Übernahme eines oder mehrerer Merkmale eines Lautes durch einen anderen Laut; Differenzierung in Kontaktvs. Fernassimilation (Laute unmittelbar aufeinanderfolgend oder unterschiedlichen Silben zugehörig), progressive vs. regressive Assimilation (Beeinflussung des zweiten durch den ersten Laut oder umgekehrt) und partielle vs. totale Assimilation (Übernahme eines Merkmals ohne Zusammenfall der Laute vs. Übernahme mindestens eines Merkmals mit Zusammenfall der Laute): klat. NOCTEM > it. notte, klat. SAXUM [-ks-] > it. sasso (regressive, totale Assimilation) Betazismus: Entwicklung von [w] über [v] zu [b] (italienisch nur postkonsonantisch: klat. NERVUM > it. nerbo, ait. auch im Wortanlaut, s. z.B. klat. VOCEM > ait. boce) Buchwort: Lexem, das aufgrund primär schriftsprachlicher und/ oder fachsprachlicher Verwendung nur wenige lautliche Entwicklungen zeigt; s. auch Erbwort, Dublette Deaffrizierung: Reduktion einer Affrikate auf den Sibilanten, vgl. z.B. tosk. [tʃ] > [ʃ] (it. bacio [ batʃo] > flor. [ ba ʃo]) Devokalisierung: Entwicklung von [i] > [j] bzw. [u] > [w], bei der in der Regel der erste zweier ursprünglich in einer Hiatposition stehenden hohen Vokale in Verbindung mit einer Silbenreduktion zu einem Semikonsonanten wird (vgl. klat. FILIAM > vlat. [ filja], klat. PLACUI > it. piacqui [ pjakkwi]), s. auch Synärese, Konsonantisierung Diphthong: Folge zweier vokalischer Elemente innerhalb einer Silbe mit einem Unterschied in der Sonorität; Differenzierung in steigende und fallende Diph- <?page no="232"?> Glossar 231 thonge - bei steigenden Diphthongen Anstieg der Sonorität zum zweiten Element (z.B. [jɛ], [wɔ]), bei fallenden Diphthongen Abfall der Sonorität (z.B. [a ], [e ]) Diphthongierung: Dehnung eines Haupttonvokals aufgrund des Akzentdrucks => Brechung; toskanisch spontane, nicht bedingte Diphthongierung (romanische Diphthongierung); betonte Vokale [ɛ] und [ɔ] in offener Silbe: vlat. [ɛ] > it. [jɛ] (klat. PĔDEM > it. piede), vlat. [ɔ] > it. [wɔ] (klat. HŎMO > it. uomo) Dissimilation: Differenzierung zweier ähnlicher oder identischer Laute in einem Wort: klat. BONONIA > it. Bologna, klat. VENENUM > it. veleno etc.; möglich auch Ausfall eines Lautes (totale Dissimilation): klat. HABEBAT > it. avea neben aveva (bei Ausfall ganzer Silbe: Haplologie) Dublette: Existenz von parallelen Entwicklungsergebnissen für ein Etymon, s. z.B. it. veduto - visto, vielfach lexikalisch durch das Nebeneinander von Erb- und Buchwort (auch spätere Latinismen) bedingt, s. circolo - cerchio Enklise: s. Klise Epenthese: Einschub eines Konsonanten oder Vokals (=> Anaptyxe), s. z.B. klat. ANATE > it. anatra, klat. SKELETOS (< griech. σκελετός) > it. scheletro Epithese: Anfügen eines nicht etymologischen Lautes am Wortende (Stützvokal, Paragoge), ait. v.a. -e, auch -ne, vgl. hoe, ène Erbwort: volkssprachlich entwickeltes Lexem; s. auch Buchwort, Dublette Geminierung: Längung eines Konsonanten, z.B. bei Proparoxytona nach Hauptton (klat. FÉMĬNAM > it. fémmina) oder nach finalem Haupttonvokal (s. rafforzamento fonosintattico), vgl. ait. hollo detto (nit. l’ho detto) Haplologie: Reduzierung zweier benachbarter lautähnlicher oder gleicher Silben auf eine (auch satzphonetisch relevant), z.B. klat. CIVITATEM DE ROMA > ait. cittade di Roma > nit. città di Roma Hiat: Aufeinanderfolge zweier Vollvokale, die entsprechend zu zwei Silben gehören, also heterosyllabisch sind, z.B. it. paura [pa u  ra] Homophonie/ Homographie: gleiche Lautung bzw. gleiche Schreibung zweier Morpheme/ Lexeme; bei gleichzeitiger Homophonie und Homographie liegt Homonymie vor (Elemente aufgrund Lautwandel zufällig gleich geworden); Homophonie und Homographie z.B. bei fiera ‚wildes Tier‘ vs. ‚Markt‘ (<fiera>, [ fjɛra]); häufiger gleiche Schreibung ohne gleiche Lautung, vgl. ancora <ancora> [ aŋkora] ‚Anker‘ vs. [aŋ ko  ra] ‚noch‘) Hyperkorrektur: beabsichtigte Korrektur, die auf der Regelhaftigkeit eines Prozesses basiert und fälschlicherweise auf Fälle übertragen wird, in denen dieser Prozess nicht erfolgt ist, s. z.B. der Abbau der i-Prothese vom Altzum Neuitalienischen: klat. STRATAM > ait. istrada > nit. strada (hier i-Prothese) vs. klat. HISTORIAM > ait. istoria > nit. storia (Fehlinterpretation des i-, hier etymologisch) <?page no="233"?> Glossar 232 Klise: Anlagerung eines unbetonten grammatischen Morphems an ein betontes Lexem und damit Integration in die Betonungsstruktur des Wortes, im Verbalbereich v.a. unbetonte Pronomina, im Nominalbereich Artikel, Präpositionen; dabei Differenzierung in Proklise und Enklise in Abhängigkeit von Stellung des grammatischen Morphems zum lexikalischen Morphem (vgl. lo dico (proklitisch) vs. dammi (enklitisch)) Konsonantisierung: Entwicklung eines Semikonsonanten zu einem Konsonanten, vgl. klat. IAM > it. già; s. auch Devokalisierung Labialisierung: s. Velarisierung Lehnwort: Lexem, das zumindest mit einer Bedeutung aus einer Kontaktsprache übernommen wird und an das nehmersprachliche System angepasst wird (s. Latinismen, Gräzismen, Germanismen etc.) legge Tobler-Mussafia: Regelhaftigkeit in der altitalienischen Stellung der klitischen Pronomina zum Verb, die nicht satzinitial auftreten (auch nicht bei vorausgehendem Gliedsatz), entsprechend hier enklitisch zum Verb sind; in anderen Kontexten proklitische Stellung des Pronomens Metapher: Bedeutungswandel, der auf einer Ähnlichkeitsbeziehung des zu bezeichnenden Referenten mit einem anderen Referenten beruht, dessen Bezeichnung er übernimmt, z.B. klat. FOLLIS ‚Schlauch‘, ‚Blasebalg‘ > ‚aufgeblasen‘, ‚töricht‘ > it. folle ‚verrückt‘ Metaphonie: Fernassimilationsprozess: auslautendes - I bzw. - U (seltener) bewirkt Hebung oder Diphthongierung des Haupttonvokals (häufig dialektal, besonders südit.), vgl. z.B. altven. povolo ‚popolo‘, mask. sg. (< klat. PŎPŬLUM ) vs. puovoli, mask. pl. (< klat. PŎPŬLI ) Metaplasmus: Übertritt von Elementen aus einer Deklinations- oder Konjugationsklasse in eine andere (meist mit Modellcharakter, s. v.a. vlat., z.B. TRIS - TIS / - E (kons. Deklination) => TRISTUS / - A / - UM ( A -/ O -Deklination) > ait. tristo/ -a) Metathese: Umstellung zweier Laute auf Silben- und Wortebene, s. z.B. klat. SEM- PER > it. sempre (it. selten, romanisch überwiegend bei Liquiden, dabei vielfach Anlagerung an starke Konsonanten) Metonymie: auf einer Kontiguitätsrelation basierender Bedeutungswandel, bei dem die Bezeichnung eines Referenten auf einen mit diesem in einer Näherelation stehenden anderen Referenten übertragen wird, vgl. z.B. klat. CAME - RAM ‚Gewölbe‘ über ‚gewölbtes Zimmer‘ > it. camera ‚Zimmer‘ Monophthongierung: Reduktion eines primären oder sekundären Diphthongs auf einen einfachen Vollvokal, vgl. z.B. klat. AU [a ] > it. [ɔ]; s. auch Remonophthongierung <?page no="234"?> Glossar 233 Palatalisierung: Entwicklung palataler Laute oder dentaler Affrikaten ([ts], [dz], hier eigentlich Assibilierung, allgemein Affrizierung); unterschiedliche Palatalisierungsprozesse: 1. Palatalisierung: / i/ Wirkung auf vorausgehenden Konsonanten: klat. FI - LIAM > it. figlia, klat. VINEAM > it. vigna (Silbenreduktion; kompensatorische Längung des Konsonanten => Geminate) 2. Palatalisierung: C E , I > [tʃ]: klat. CENTUM > it. cento; G E , I > / dʒ/ : klat. GENTEM > it. gente 3. Palatalisierung: Devokalisierung [i] (Auflösung Hiat) und Entwicklung einer palatalen Affrikate: klat. MAIOREM > it. maggiore => immer Palatal als Ergebnis: [tʃ], [dʒ], [ɲ], [ʃ], [ʎ] (intervokalisch immer Geminaten); dabei Entwicklung von [ʃ] sekundär durch Assimilationsprozess (klat. SCIENTIAM : zunächst Palatalisierung C I , dann Assimilation des Sibilanten [stʃ] > [ʃ]) Paragoge: s. Epithese Parahypotaxe: Kombination aus Mechanismen der Koordination/ Beiordnung (Parataxe) und der Subordination/ Unterordnung (Hypotaxe): abhängiger Adverbialsatz geht regierendem Matrixsatz voraus, der mit der koordinierenden Konjunktion e (auch mit sì) eingeleitet wird, vgl. „Com’ei parlava, e Sordello a sé il trasse / dicendo: […]“ (Dante, Commedia, Purg. 8, v. 9, 2, 131.5) Periphrase: analytische Konstruktion bestehend aus einem lexikalischen und einem grammatischen Morphem, bei dem das grammatische Morphem vormals eine stärkere, lexikalische Bedeutung getragen hat (Desemantisierung, s. auch Grammatikalisierung); bei Verbalperiphrasen tritt das lexikalische Morphem in infiniter, das grammatische Morphem in finiter Form auf (s. vlat. CANTARE HABEO , it. star facendo, stare per partire); im Nominalbereich s. Präpositionalsyntagmen (a casa) Polymorphie: Formenvielfalt (s. z.B. altitalienisch das Nebeneinander dreier Verbformen für die 1. Pers. Sg. bei vedere: vedo, veggo, veggio; auch bei palatalisierten und nicht-palatalisierten Formen: vengo vs. vegno etc.), s. auch Allotropie Proklise: s. Klise Pro(s)these: Voranstellung eines nicht etymologisch begründbaren Vokals aus silbenstrukturellen Gründen, in der Regel vor s + Konsonant (s. heute noch per iscritto etc.), altitalienisch immer i-, zum Neuitalienischen abgebaut (vs. frz., span. e-, generalisiert) Remonophthongierung: nach zuvor erfolgter Diphthongierung (s. romanische Diphthongierung) Entwicklung des Ergebnisses wieder zu Monophthong, im Italienischen nach Muta cum liquida (ait. truova > nit. trova) und Palatalen (ait. figluolo > nit. figliolo) Scripta: regionale Schreibsprache im Mittelalter (s. polyzentrischer Ausbau) <?page no="235"?> Glossar 234 Sonorisierung: Stimmhaftwerdung intervokalischer stimmloser Plosive und [s] (bei [z] neues Phonem, klat. nicht existent), auch postvokalisch vor Liquid (flor. nordit. beeinflusst oder westtosk., nicht generalisiert), klat. STRATAM > it. strada, klat. LACUM > it. lago Spirantisierung: Entwicklung von [b] > [v] (mit möglichem Schwund als weiterem Entwicklungsschritt, v.a. in norditalienischen Dialekten; Ausgangspunkt auch [p], s. z.B. klat. RIPAM > it. riva) Substrat: sprachlicher Einfluss der Ursprungssprache eines Territoriums auf dominierende Sprache der Eroberer; nach Phase der Zweisprachigkeit (Adstratsituation) Aufgabe des eigenen Idioms zugunsten der Sprache der Eroberer, z.B. für das Lateinische/ Italienische Etruskisch, Keltisch (nordit. Dialekte); s. auch Adstrat, Superstrat Superstrat: sprachlicher Einfluss einer später in Gebiet einfallenden Bevölkerung auf das dominierende Idiom der in Territorium ansässigen Bevölkerung; nach Phase der Zweisprachigkeit (Adstratsituation) Aufgabe des eigenen Idioms zugunsten der Sprache der ansässigen Bevölkerung, z.B. für das Vulgärlateinische/ Italienische West-/ Ostgotisch, Langobardisch, Fränkisch; s. auch Adstrat, Substrat Suppletion: Paradigma auf der Basis unterschiedlicher Wortstämme, s. z.B. essere (klat. ESSE , STARE ), andare (klat. AMBULARE , VADERE , ait. nocht relevant IRE ); vielfach lexikalisch: cavallo, equino, ippico; maiale, suino; acqua, idrico, etc. Synärese: s. Devokalisierung Synkope: Ausfall eines unbetonten Vokals oder einer unbetonten Silbe im Wortinlaut (s. v.a. vlat.), z.B. klat. CALIDUM > it. caldo, klat. DOMINAM > it. donna Synonymenselektion: v.a. vulgärlateinisch auftretende Reduktion (quasi)synonymer Lexeme, vgl. z.B. klat. PROBARE ‚prüfen‘ (it. provare), klat. TEMPTARE ‚betasten‘, ‚versuchen‘ (it. tentare) vs. klat. EXPERIRI ‚versuchen‘, klat. CONARI ‚etwas zu tun versuchen‘ (ausgefallen) Synthetisierung: Univerbierung einer ursprünglich analytischen Konstruktion, s. z.B. romanisches Futur (hier Resynthetisierung, da klat. synthetisch, vlat. analytisch, rom. erneut synthetisch): vlat. CANTARE HABEO > it. canterò, Adverbbildung mit -mente Velarisierung: v.a. vor (oder nach) labiodentalen oder bilabialen Konsonanten erfolgende Verlagerung der Artikulation eines Vokals zum Velum; im Italienischen velare Vokale immer mit Lippenrundung realisiert, daher auch Bezeichnung als Labialisierung, vgl. klat. DEMANDARE > it. domandare <?page no="236"?> Literatur Aebischer, Paul (1966): „La sonorisation des occlusives intervocaliques en toscane au début du VIIIe siècle d’après le témoignage de quelques documents longobard“, in: Estudis Romànics 8, 245-263. 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Ausführlich dargestellt werden die wichtigsten Entwicklungen auf lautlicher, morphologischer, syntaktischer und lexikologischer Ebene; Beispiele aus Texten des OVI-Korpus dienen der Veranschaulichung und dem besseren Verständnis für die Strukturen des Altitalienischen. Das Studienbuch kann unterrichtsbegleitend im Rahmen von Lehrveranstaltungen zur älteren Sprachstufe ebenso eingesetzt wie für das Selbststudium genutzt werden. Die beigefügten Arbeitsaufgaben bieten die Möglichkeit, das erworbene Wissen zu überprüfen.