Streitkultur im Parlament
Linguistische Analyse der Zwischenrufe im österreichischen Nationalrat
0123
2013
978-3-8233-7791-7
978-3-8233-6791-8
Gunter Narr Verlag
Dr. Maria Stopfner
Zwischenrufe aus dem Plenum gehören zum Standardrepertoire parlamentarischer Kommunikation. Nicht
selten finden die schillerndsten Einwürfe auch den Weg in die Medien und zeichnen dort ein bisweilen zweifelhaftes Bild parlamentarischer Streitkultur. Doch woran entzünden sich die Wortwechsel im Parlament? Die Analyse der Zwischenrufe der österreichischen Parlamentarierinnen und Parlamentarier weist auf einen groben Regiefehler im politischen Schaustück des Nationalrats hin: Denn inszeniert wird weniger sachliche parlamentarische Diskussion als vielmehr ein von gegen seitigem Misstrauen getragener Beziehungsstreit.
<?page no="0"?> Maria Stopfner Streitkultur im Parlament Linguistische Analyse der Zwischenrufe im österreichischen Nationalrat <?page no="1"?> Streitkultur im Parlament <?page no="2"?> Tübinger Beiträge zur Linguistik herausgegeben von Gunter Narr 541 <?page no="3"?> Streitkultur im Parlament Linguistische Analyse der Zwischenrufe im österreichischen Nationalrat Maria Stopfner <?page no="4"?> Maria Stopfner: Institut für Sprachen und Literaturen der Universität Innsbruck Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Diese Publikation wurde mit finanzieller Unterstützung aus den Fördermitteln des Bundeskanzleramtes, des Vizerektorats für Forschung der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, des Amts der Tiroler Landesregierung Abteilung Kultur sowie aus dem Sonderbudget der Aktion Swarovski 2012 des Vizerektorats für Forschung der Leopold-Franzens- Universität Innsbruck gedruckt. © 2013 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Druck: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISSN 0564-7959 ISBN 978-3-8233-6791-8 <?page no="5"?> Für Mario und meine Eltern <?page no="7"?> 7 Inhalt 1 Einleitung ..................................................................................................9 2 Forschungsstand zum Zwischenruf im Parlament...........................17 3 Material ....................................................................................................26 4 Der außersprachliche Kontext .............................................................30 4.1 Die Geschichte des österreichischen Parlamentarismus.............31 4.2 Die österreichische Parteienlandschaft .........................................36 4.2.1 SPÖ - Die Sozialdemokratische Partei Österreichs .....................38 4.2.2 ÖVP - Die Österreichische Volkspartei ........................................40 4.2.3 FPÖ - Die Freiheitliche Partei Österreichs und BZÖ - Bündnis Zukunft Österreich ..............................................41 4.2.4 Grüne - Die Grüne Alternative......................................................43 4.3 Das Parlament als Bühne des politischen Geschehens ...............44 4.3.1 Struktur des österreichischen Parlaments heute .........................45 4.3.2 Der Einfluss der Medien als Kritiker der Bühnenperformance ........................................................................47 4.3.3 Die Rolle der Abgeordneten im Parlament ..................................50 5 Methodik .................................................................................................58 5.1 Das Gespräch als Text .....................................................................59 5.2 Wörter und Begriffe im politischen Sprachgebrauch..................70 5.3 Sprachliches Handeln in der Politik ..............................................78 6 Makrostruktur der Debatten im Nationalrat.....................................96 6.1 Kommunikative Reglementierung im Parlament .......................96 6.2 Der Beziehungsaspekt der Zwischenrufe ...................................106 6.3 Das Verhältnis von männlichen und weiblichen Abgeordneten.................................................................................112 6.4 Alter und Status im Nationalrat ..................................................117 7 Mesostrukturebene der Zwischenrufe .............................................121 7.1 Themenpräferenzen der einzelnen Parteien ..............................127 7.2 Themenpräferenzen von Männern und Frauen ........................130 <?page no="8"?> 8 8 Mikrostrukturebene der Zwischenrufe............................................132 8.1 Metakommunikative Zwischenrufe ............................................138 8.2 Personenbezogene Zwischenrufe ................................................150 9 Semantik der Rede-Zwischenruf-Sequenzen .................................161 9.1 Ellipsen ............................................................................................161 9.2 Metasprachliche Elemente ............................................................165 9.3 Referenz auf Personen...................................................................174 9.4 Kommunikative Brisanz - Politisches Handeln mit und durch Wörter ..................................................................................186 9.4.1 Kommunikative Brisanz durch Wörter ......................................191 9.4.2 Kommunikative Brisanz durch Auf- und Abwertung .............203 10 Debatten in der Politik als öffentliche Streitgespräche ................226 10.1 Beziehungskonflikte im Nationalrat ...........................................226 10.2 Handlungsmuster der Rede-Zwischenruf-Sequenzen .............244 10.3 Rede-Zwischenruf-Sequenzen als Sprechakt-Muster ...............254 10.3.1 Sprechakte in Redebeiträgen mit Zwischenruf..........................259 10.3.2 Sprechakte in Zwischenrufen.......................................................261 10.3.3 Sprechakte in Redebeiträgen als Reaktion auf Zwischenrufe ..................................................................................267 10.3.4 Sprechakte in weiteren Gesprächsschritten ...............................270 11 Gesamtbild der Streitkultur im Parlament - „Keine Schule für höhere Töchter“...................................................273 12 Zusammenfassung ...............................................................................298 13 Abbildungen .........................................................................................308 13.1 Diagramme .....................................................................................308 13.2 Tabellen ...........................................................................................308 14 Literatur..................................................................................................310 14.1 Quellen ............................................................................................310 14.2 Forschungsliteratur .......................................................................310 <?page no="9"?> 9 1 Einleitung Zwischenrufe aus dem Plenum gehören zum Standardrepertoire parlamentarischer Kommunikation. 1 Nicht selten finden dabei die schillerndsten Einwürfe der österreichischen Abgeordneten auch den Weg in die Medien und zeichnen dort ein bisweilen zweifelhaftes Bild parlamentarischer Streitkultur: So etwa im Mai 2009, als der SPÖ-Abgeordnete Christian Faul als Reaktion auf die wiederholten Zwischenrufe des Abgeordneten Gerald Grosz vom BZÖ ihm das Sternzeichen Krokodil zusprach: „Sie sind für mich im Sternzeichen ein Krokodil: eine große „Papp’n“ und ein kleines Hirn“ 2 ; oder auch im September 2011, als eine Sondersitzung des Nationalrats aufgrund der heftigen Auseinandersetzungen zwischen Rednerpult und Plenum kurzzeitig unterbrochen werden musste, nachdem der BZÖ-Abgeordnete Peter Westenthaler die grüne Parteiobfrau Eva Glawischnig-Piesczek unter anderem wiederholt als Schoßkätzchen 3 bezeichnet hatte. Mit den parlamentarischen Reden haben die Zwischenrufe gemein, dass auch sie Teil des Schauspiels sind, das der Öffentlichkeit im Plenarsaal geboten wird. Schauspiel insofern, als die politischen Entscheidungen im Grunde schon getroffen sind, noch bevor der Nationalratspräsident/ die Nationalratspräsidentin die Sitzung überhaupt eröffnet. 4 In den öffentlichen Debatten geht es eigentlich nur mehr darum, die österreichische Bevölkerung vom Standpunkt der jeweiligen Partei und den dazugehörigen Argumenten in Kenntnis zu setzen. 5 Dennoch wird durch die Geschäftsordnung im Parlament und das Verhalten der Politiker/ Politikerinnen im Plenum der Eindruck erweckt, die Beschlüsse im Nationalrat würden über die „Auseinandersetzung von Meinung und Gegenmeinung“ 6 erwirkt, bei der die besseren Argumente schlussendlich die Oberhand gewinnen und den politischen Gegner/ die politische Gegnerin zum Einlenken zwingen. 7 Die stereotypen Erwartungen, die auch seitens der Bevölkerung an die parlamentarischen Debatten gestellt werden, können 1 Vgl. Kipke 1995, 109. 2 Parlamentsdirektion 2009, 261. 3 Parlamentsdirektion 2010, 25. 4 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 49. 5 Vgl. Kipke 1995, 109. 6 Kipke 1995, 109. 7 Vgl. Kipke 1995, 109. <?page no="10"?> 10 diese jedoch oft nicht erfüllen. Dazu die österreichische Nationalratspräsidentin Barbara Prammer: „Das Bild, das wir vermitteln, ist nicht günstig. Die Wähler empfinden den Verlauf der Sitzungen oft als unangenehm. Dabei ist der Umgangston besser geworden, da hatten wir schon ganz andere Phasen. Den Menschen sind generell ruhige, gesittete Diskussionen am liebsten, das merke ich anhand der Anrufe und Mails, die wir während der Plenarsitzungen erhalten.” 8 Die eigentlichen Adressaten/ Adressatinnen der parlamentarischen Inszenierung scheinen die Streitkultur im Nationalrat nicht zu goutieren. Dabei ginge es den Parteien in den öffentlichen Debatten gerade darum, die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen. Öffentlich-politisches Sprechen ist laut Dieckmann immer Sprechen in persuasiver Funktion, 9 indem der Politiker/ die Politikerin gewisse Wahrnehmungen zu verstärken und andere zu verhindern sucht. In einer modernen Demokratie sind politische Strategien daher untrennbar mit den jeweiligen Kommunikationsstrategien verbunden: 10 „Wer eine Politik entwirft, muss auch ihre Kommunikation miteinbeziehen.“ 11 Oder wie Grünert es ausdrückt: „Immer muss geredet/ geschrieben werden, wenn politisch gehandelt wird, gehandelt werden soll.“ 12 Die persuasiven Bemühungen der politischen Sprecher/ Sprecherinnen können jedoch nur dann von Erfolg gekrönt sein, wenn die Wähler/ Wählerinnen dem Gesagten glauben. Ob dem Gesagten Glauben geschenkt wird, hängt nach Heringer davon ab, ob es der Bevölkerung evident und durch Argumente abgesichert erscheint 13 oder „ob es einfach dem entspricht, was allgemein geglaubt wird, oder im Fall von Versprechungen, ob es auch eintrifft.“ 14 Glaubwürdigkeit ist dabei immer auch an die Person des Sprechers/ der Sprecherin, in diesem Fall an die Person des Politikers/ der Politikerin gebunden. 15 Politische Glaubwürdigkeit ist jedoch im Zeitalter der Massenmedien, in dem der politische Sprecher/ die politische Sprecherin Millionen von potentiellen Wählern/ Wählerinnen zugleich erreichen kann, nicht einfach zu gewinnen bzw. zu erhalten. Oberreuter spricht in diesem 8 News 50/ 2009, 18. 9 Vgl. Dieckmann 1981, 138. 10 Vgl. Hombach 1991, 34. 11 Radunski, zit. in: Hombach 1991, 34. 12 Grünert 1984, 29. 13 Vgl. Heringer 1990, 179. 14 Heringer 1990, 179. 15 Vgl. Heringer 1990, 179. <?page no="11"?> 11 Zusammenhang von der „schizophrenen Persönlichkeit“ 16 des Politikers/ der Politikerin, der/ die die zwei Ebenen der Politik, „die Ebene politischer Entscheidung und Durchsetzung sowie die Ebene öffentlicher Begründung und Vermittlung“ 17 , zugleich bedienen muss. Für Sarcinelli stehen diese Ebenen nicht „in einem Verhältnis wie Realität und Abbild“ 18 , sondern sind - ganz im Gegenteil - in der politischen Praxis nur schwer vereinbar, da „die Gesetzmäßigkeiten, die politische Problemlösungs- und Entscheidungsprozesse bestimmen, in der Regel andere sind als die Gesetzmäßigkeiten, die eine möglichst öffentlichkeitswirksame Darstellung und Vermittlung von Politik garantieren.“ 19 Zum Messgrad des Erfolgs in der Öffentlichkeit wird dabei immer mehr das mediale Echo, das der Politiker/ die Politikerin auf sich beziehen kann: „Wer ist in aller Munde, wer beherrscht die Diskussion bei Themen, die für relevant gehalten oder es durch die Diskussion auch erst werden, an wem kommt man nicht vorbei, wenn man etwas zu einem bestimmten Thema sagen will, an wem lassen einen die Journalisten nicht vorbei? Es geht also darum, wer möglichst große Stücke der knappen Ressource Aufmerksamkeit erbeuten kann.“ 20 Daher versuchen die politischen Akteure/ Akteurinnen ihre Redebeiträge so zu gestalten, dass sie möglichst vielen Nachrichtenwerten entsprechen. 21 Kürze, Anschaulichkeit, Witz und Aggressivität sind laut Meißner die Schlagworte, nach denen die Protagonisten/ Protagonistinnen im Buhlen um mediale Aufmerksamkeit ihre Äußerungen ausrichten. 22 Anstelle der Darlegung des Für und Wider tritt damit die politische Performance im Sinne der adversativen Positionierung der einzelnen Akteure/ Akteurinnen, 23 steigt dadurch doch die Wahrscheinlichkeit, in den Medien zitiert zu werden. 24 Eine Entwicklung, die sich, so Burkhardt, auch an den Debatten im Parlament ablesen lässt: 16 Oberreuter, zit. in: Sarcinelli 1990b, 47. 17 Sarcinelli 1990b, 47. 18 Sarcinelli 1990b, 47. 19 Sarcinelli 1990b, 47. 20 Kuhn 1991, 103f. 21 Vgl. Meißner 2001, 115. 22 Vgl. Meißner 2001, 116. 23 Vgl. Shenhav 2008, 227. 24 Vgl. Meißner 2001, 116. <?page no="12"?> 12 „Verzerrte Darstellung gegnerischer Positionen und polemische Verunglimpfungen anderer bei gleichzeitiger Überhöhung eigener Konzepte und Personen werden zu Ritualen mehr oder weniger inszenierter Parlamentsdebatten.“ 25 Burkhardt sieht den negativen Einfluss medialer Inszenierung vor allem in der Entwicklung des Zwischenrufs, der seiner Meinung nach als „dialogisches Mittel parlamentarischer Kommunikation“ 26 unter dem Einfluss der Medien „in ein häufig gerade antidialogisches Instrument pervertiert worden“ 27 sei. Die Abgeordneten selbst stehen Zwischenrufen weniger kritisch gegenüber, werden geistreiche Einwürfe doch als eine willkommene Abwechslung wahrgenommen, die als Salz und Pfeffer einer Debatte sehr wohl argumentative Aspekte beinhalten kann. 28 Bei der Bewertung des Nutzens und des Werts von Rückmeldungen aus dem Plenum darf nämlich die spezifische Redesituation im Nationalrat nicht vergessen werden, die sich laut dem ehemaligen Chef der Austria Presse Agentur Josef Nowak wie folgt darstellt: „Die Abgeordneten sitzen stundenlang im Saal, die Zeitung haben sie bald ausgelesen. Der Klubobmann lässt sie nicht ans Rednerpult. Im Visier dauernd die andere Seite, der politische Gegner. Den ganzen Tag müssen sie einander ansehen. Am Nachmittag gehen sie auf ein oder zwei Bier und dann passiert’s. Es kracht.“ 29 Konfliktsituationen gehören in der Politik zum Alltag: Ein Politiker/ eine Politikerin wird stets versuchen, sich selbst und die eigene Partei möglichst ansprechend darzustellen, während der politische Gegner/ die politische Gegnerin möglichst abschreckend präsentiert wird. 30 In den Debatten prallen die unterschiedlichen Sichtweisen frontal aufeinander. Für Sarcinelli ist der Widerstreit der Parteien im Parlament jedoch nicht negativ, sondern sogar als ein konstitutives demokratisches Prinzip, 31 indem das Ziel der parlamentarischen Abläufe nicht die Harmonisierung der widerstrebenden Interessen ist, sondern der geregelte Streitaustrag auf Basis eines gemeinsamen Minimalkonsenses. 32 Nach Schank komme es im 25 Burkhardt 1993, 158. 26 Burkhardt 1993, 158. 27 Burkhardt 1993, 158. 28 Vgl. http: / / members. Vienna / WIP / Interview % 201 %20antworten%20text.htm [21.09.2009]. 29 Nowak, zit. in: Aubauer 2001, 15. 30 Vgl. Kipke 1995, 109. 31 Vgl. Sarcinelli 1990b, 29. 32 Vgl. Sarcinelli 1990b, 35. <?page no="13"?> 13 Leben wie auch in der Politik schlussendlich nur darauf an, welche Dimensionen der Konflikt annimmt. 33 Während vereinzelte Zwischenrufe nun großteils kein Problem darstellen und eher zur Auflockerung beitragen, sieht Shenav jedoch das kommunikative Gleichgewicht im Parlament dort gestört, wo eine Rede wiederholt durch Zwischenrufe unterbrochen wird. 34 Die vorliegende Arbeit versucht nun mit drei verschiedenen linguistischen Methoden der Streitkultur im österreichischen Nationalrat im Umfeld der Zwischenrufe auf den Grund zu gehen. Untersucht werden soll in einem ersten Schritt, inwieweit bestimmte Themen und Situationen Einfluss auf die Häufigkeit der Zwischenrufe haben. In einem zweiten Schritt wird nach bestimmten Reizwörtern gesucht, die nach traditioneller Lehrmeinung über die Sprache in der Politik beinahe reflexartig Reaktionen aus dem Plenum notwendig machen. Zuletzt werden mittels linguistischer Gesprächsanalyse typische Muster in den Wortwechseln zwischen Redner/ Rednerin und Zwischenrufer/ Zwischenruferin nachskizziert. Zu Beginn der Arbeit steht jedoch die Beschreibung des Forschungsstands in Hinblick auf parlamentarische Zwischenrufe (Kapitel 2). Daraufhin werden die stenographischen Protokolle als Materialgrundlage der Analyse (Kapitel 3) näher in Augenschein genommen. In einem weiteren Kapitel (Kapitel 4) wird der außersprachliche Kontext, in den die Debatten notwendigerweise eingebettet sind, im Detail dargestellt: Dies beginnt mit der Beschreibung des österreichischen Parlaments und seiner Parteien, indem zunächst auf die Geschichte des österreichischen Parlamentarismus eingegangen wird (Abschnitt 4.1); hier sollen auch die Vorgänge rund um die Nationalratswahl 2006 beleuchtet werden, die die Ausgangsbasis für die Regierungsbzw. Nationalratskonstellation lieferten, wie sie sich für die Analyse darstellen. Nach dem geschichtlichen Abriss folgt die Charakterisierung der österreichischen Parteienlandschaft (Abschnitt 4.2), d.h., es werden die fünf Parlamentsparteien SPÖ (Abschnitt 4.2.1), ÖVP (Abschnitt 4.2.2), FPÖ und BZÖ (Abschnitt 4.2.3) sowie Grüne (Abschnitt 4.2.4) vorgestellt. Ein weiterer Abschnitt innerhalb der Erläuterungen zum außersprachlichen Kontext gilt der Charakterisierung des Parlaments als Bühne des politischen Geschehens (Abschnitt 4.3): Hier werden einerseits die Strukturen des österreichischen Parlaments im Jahr 2007 beschrieben (Abschnitt 4.3.1), aber auch der Einfluss der Medien als Kritiker der Bühnenperformance hinterfragt (Abschnitt 4.3.2); zuletzt 33 Vgl. Schank 1987, 18. 34 Vgl. Shenhav 2008, 224. <?page no="14"?> 14 wird nochmals die Person des/ der Abgeordneten und dessen/ deren Rolle im Parlament hinterfragt (Abschnitt 4.3.3). Bevor die eigentliche linguistische Analyse im Hauptteil der Arbeit beginnt, werden die theoretischen Grundlagen einer eingehenderen Betrachtung unterzogen (Kapitel 5): Dabei werden zunächst die Möglichkeiten thematischer Analysen (Abschnitt 5.1) erörtert, wobei die Methoden der Textlinguistik um die sozialwissenschaftlichen Methoden der Inhaltsanalyse ergänzt werden; im Anschluss daran (Abschnitt 5.2) wird auf die Bedeutung der Begriffe und Wörter im Sprachgebrauch der Politik eingegangen und der wechselseitige Wert semantischer Analysen in Zusammenhang mit Redeunterbrechungen beschrieben; das Methodenkapitel wird abgeschlossen mit einem gesprächslinguistischen Blick auf politische Kommunikation (Abschnitt 5.3), wobei nach der allgemeinen Beschreibung sprachlichen Handelns vor allem auf typische Sprechhandlungsmuster eingegangen werden soll. Der analytische Teil der Arbeit folgt im Aufbau den drei dargestellten linguistischen Methoden. Begonnen wird mit der Beschreibung der Themenstrukturen, in die die Einwürfe gebettet sind. Hier wird unterschieden in die Makrostrukturebene der Debatten im Nationalrat (Kapitel 6), in die Mesostrukturebene der Rede-Zwischenruf-Abfolgen (Kapitel 7) sowie in die Mikrostrukturebene der einzelnen Prädikationen (Kapitel 8). Auf Makrostrukturebene wird zunächst die Grobstruktur der Nationalratsdebatten betrachtet, die durch die Geschäftsordnung des Parlaments einer starken kommunikativen Reglementierung unterworfen sind (Abschnitt 6.1). Im Anschluss daran wird ein erster Blick auf die Beziehung der einzelnen Parteien, wie sie in den Rede-Zwischenruf-Abfolgen zum Ausdruck kommt, geworfen (Abschnitt 6.2). Diesem Gedanken folgend wird auch das Verhältnis zwischen den einzelnen Abgeordneten, speziell zwischen weiblichen und männlichen Nationalratsmitgliedern (Abschnitt 6.3) sowie der Einfluss von Alter und Status in Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit von Unterbrechungen (Abschnitt 6.4) genauer betrachtet. Die Analyse auf der Mesostrukturebene (Kapitel 7) verfolgt daraufhin, auf welche Themenkategorien in den Rede-Zwischenruf-sequenzen besonders häufig verwiesen wird. Dabei wird genauer differenziert in jene Themenstrukturen, die von einzelnen Parteien (Abschnitt 7.1) bzw. von männlichen oder weiblichen Abgeordneten (Abschnitt 7.2) präferiert werden. Auf unterster Ebene der Analyse, d.h. auf Mikrostrukturniveau, wird auf spezifische Prädikationsmuster eingegangen (Kapitel 8), wobei metakommunikative (Abschnitt 8.1) und personenbezogene Zwischenrufe (Abschnitt 8.2) gesondert betrachtet werden. Zweiter Stützpfeiler der Analyse ist die Untersuchung der Rede- Zwischenruf-Sequenzen unter semantischem Aspekt (Kapitel 9). In einem <?page no="15"?> 15 ersten Schritt wird kurz auf Ellipsen als hervorstechendstes Merkmal der Einwürfe eingegangen (Abschnitt 9.1). Daraufhin wird ein detaillierterer Blick auf jene Unterbrechungen geworfen, in denen einerseits sprachreflexiv auf die kommunikativen Vorgänge im Parlament reflektiert wird (Abschnitt 9.2) und andererseits Personen ins Fadenkreuz der Kritik geraten (Abschnitt 9.3). Ein weiterer Abschnitt ist dem in der Sprache-in-der- Politik-Forschung geläufigen Bild des Streits um Wörter gewidmet (Abschnitt 9.4), wobei sich die kommunikative Brisanz zum einen aus der Wortwahl (Abschnitt 9.4.1), zum anderen aus der Auf- und Abwertung des politischen Gegners/ der politischen Gegnerin und seiner/ ihrer Position bzw. seiner/ ihrer Ziele ergeben kann (Abschnitt 9.4.2). In einem dritten und letzten Analyseschritt wird auf den dialogischen Wechsel zwischen Rede und Zwischenruf eingegangen (Kapitel 10). Ausgangspunkt ist das heikle parteipolitische Beziehungsgewebe, das durch die parlamentarische Auseinandersetzung oft arg in Mitleidenschaft gezogen wird. Zwischenrufe können daher gesprächslinguistisch als (korrektive) Reaktion auf die vom Redner/ von der Rednerin intendierten Gesichtsverletzungen interpretiert werden. (Abschnitt 10.1) Es folgt der Versuch einer Grobstruktur für die Rede-Zwischenruf-Sequenzen (Abschnitt 10.2), verfeinert um die Beschreibung der einzelnen Sprechakte (Abschnitt 10.3), die zusammen ein Muster aus Aktion und Reaktion bilden (Abschnitt 10.3.1 bis Abschnitt 10.3.4). In der Synthese (Kapitel 11) werden die Ergebnisse der einzelnen Analysestränge zusammengefasst, um ein Verdikt über die Streitkultur im Umfeld der Zwischenrufe aussprechen zu können. Zuletzt noch einige Anmerkungen zu formalen Aspekten der Arbeit. Die quantitativen Ergebnisse der empirischen Analyse werden graphisch aufbereitet und in Form von Tabellen und Diagrammen in die Arbeit eingebaut. Die für die jeweilige Abbildung zugrundeliegende Grundgesamtheit (N) wird im Anschluss an den Beschriftungstext in Klammern ausgewiesen, z. B. „Zwischenrufe pro Tagesordnungspunkt und durchschnittliche Zwischenrufanzahl alle fünf Minuten (N = 1271 Zwischenrufe)“. Tabellen und Diagramme werden zusätzlich ergänzt um ein Lesebeispiel, in dem die jeweilige Darstellung beispielhaft interpretiert wird, z.B. „Lesebeispiel: Der Tagesordnungspunkt ‚Bericht Eurofighter-Ausschuss‘ enthält insgesamt 327 Zwischenrufe. Bei einer Dauer von drei Stunden und fünfzig Minuten sind das durchschnittlich sieben Zwischenrufe alle fünf Minuten.“ Die für die Arbeit ausgewählten Zitate aus den stenographischen Protokollen werden in der Fußnote über die Sitzungsnummer ausgewiesen, z.B. „14. Sitzung“ für das stenographische Protokoll der 14. Sitzung des Nationalrates der XXIII. Gesetzgebungsperiode am 7. März 2007. Genaue- <?page no="16"?> 16 re bibliographische Hinweise zu den Primärquellen finden sich im Quellenverzeichnis. In den angeführten Debattenausschnitten sind nur direkte Aussagen der Parlamentarier/ Parlamentarierinnen kursiv gesetzt, während Anmerkungen der Stenographen/ Stenographinnen zu Gunsten der besseren Lesbarkeit nicht weiter markiert sind. Bei der Formulierung wurde auf konsequentes Splitting (z.B. Politiker/ Politikerinnen) geachtet. <?page no="17"?> 17 2 Forschungsstand zum Zwischenruf im Parlament Beschäftigten sich zunächst vor allem Journalisten/ Journalistinnen und Politologen/ Politologinnen mit Sprache in der Politik, so regte sich laut Girnth 1 ab den späten 50er Jahren auch in der Sprachwissenschaft Interesse für diesen Forschungsbereich. 2 Lag das Hauptaugenmerk zunächst auf Lexik, Stilistik und Rhetorik, 3 rückte in den 70er-Jahren unter dem Einfluss der kommunikativ-pragmatischen Wende das sprachliche Handeln in der Politik ins Zentrum des Interesses. 4 Ausgehend von der Prämisse, dass Sprache nur im Kontext gebraucht wird und daher vornehmlich als Text gesehen werden muss, gewann daraufhin der Text bzw. der Diskurs anstelle des einzelnen Wortes zunehmend an Bedeutung. 5 Ziel dieser Analysen ist das Erkennen bestimmter Sprechhandlungsmuster in der Politik, die immer in Zusammenhang mit der konkreten politisch-gesellschaftlichen Situation gesehen werden. 6 So nahmen etwa Wodak et al. die Waldheim-Affäre zum Anlass, antisemitische Sprechhandlungsmuster in Politik und Medien diskursanalytisch zu beleuchten. 7 Die Definition des linguistischen Forschungsinteresses über äußere Aspekte ist laut Burkhardt typisch für sprachkritische Arbeiten, die vor allem bei historisch bedeutsamen gesellschaftspolitischen Anlässen ansetzen. 8 Burkhardt identifiziert fünf Schübe, die sich an geschichtlich bedeutsamen Eckpfeilern orientieren und das Interesse an der Untersuchung der Sprache in der Politik wieder neu anheizten: das Ende des Zweiten Weltkriegs, der Kalte Krieg, die Revolten der 68er-Generation, die Rüstungsdiskussion in den 80er-Jahren und seit den 90er-Jahren die Sprache des wiedervereinigten Deutschland, Migrationsdiskurse und die Sprache des politischen Skandals. 9 Mittlerweile ist die Menge an Beiträgen zur Sprache in der Politik oder, wie Burkhardt den Forschungsbe- 1 Vgl. Girnth 2002, 13. 2 Für einen generellen Überblick über die Geschichte der sprachwissenschaftlichen Beschäftigung mit Sprache in der Politik siehe Girnth 2002. 3 Vgl. Girnth 2002, 13. 4 Vgl. Bachem 1979, 18. 5 Vgl. Girnth 2002, 10. 6 Vgl. Girnth 2002, 10. 7 Vgl. Wodak et al. 1990. 8 Vgl. Burkhardt 2003, 10f. 9 Vgl. Burkhardt 2003, 10f. <?page no="18"?> 18 reich bezeichnet, zur „Politolinguistik“ 10 fast unüberschaubar geworden: So ermittelten Diekmannshenke und Zorbach im Jahr 2001 etwa 1500 Titel zum Thema: 11 Diese reichen von Sprachstrategien und Dialogblockaden über die politische Semantik bis zur Mehrfachadressierung und Political Correctness. Trotz steigenden Interesses an der politischen Sprache wurde dem Zwischenruf im Parlament von linguistischer Seite bisher nur wenig Beachtung geschenkt. 12 Dies, obwohl der Zwischenruf als schillerndste Ausformung parlamentarischer Sprache durchaus publizistischen Wert besitzt, wie die Menge an Zeitungsartikeln und humoristischen Sammlungen zum Thema beweist: Während eine österreichische Anekdoten- Sammlung aus dem Jahr 1976 den Zwischenruf bis ins englische Parlament von 1780 zurückverfolgt, 13 wirbt eine neuere Sammlung von Redebeiträgen und Zwischenrufen aus dem Jahr 2003 mit einem „großen Schimpfwort-Index“ 14 . Auch Gertrude Aubauer, ehemalige ORF-Redakteurin für Innenpolitik und selbst Abgeordnete im Nationalrat, brachte 2001 eine Zitatensammlung heraus, 15 in der sie „nur das Außergewöhnliche“ 16 berichten möchte und versichert, in ihrem „Reality-Buch“ 17 die „ungeschminkte Wahrheit“ 18 zu bieten. Den genannten Sammlungen geht es natürlich weniger um objektive Durchdringung als vielmehr um kurzweilige Unterhaltung. Dem trockenen politischen Alltag sollen humoristische Facetten abgerungen werden: das Parlament als Polit-Kabarett. Dadurch entsteht der Eindruck, der parlamentarische Alltag sei angefüllt mit Witz und Verve, kaum beherrscht durch den ordnenden Eingriff des Nationalratspräsidenten/ der Nationalratspräsidentin. Demgegenüber stellt Kipke in seinem Beitrag zum Zwischenruf trocken fest: „Tatsächlich sind ordnungsstörende, die Rüge des Präsidenten herausfordernde Bemerkungen die Ausnahme, und sie sind in ihrer großen Mehrzahl auch nicht geistreich-humorvoll. Ebenso wenig kann man Zwischenrufe pauschal als besondere Würze der Plenardebatten, als das ‚Salz in der Suppe‘ […] ausmachen; dafür reicht das Niveau und die intellektuelle 10 Burkhardt 1996, 75. 11 Vgl. Diekmannshenke/ Zorbach 2001, 401ff. 12 Vgl. Burkhardt 2004, 34. 13 Vgl. Hoyau 1976. 14 Kuhn 2003, Titelseite. 15 Vgl. Aubauer 2001. 16 Aubauer 2001, 13. 17 Aubauer 2001, 13. 18 Aubauer 2001, 13. <?page no="19"?> 19 Qualität der zugerufenen Beiträge vielfach (um nicht zu sagen: in der Regel) nicht aus.“ 19 Auch Lydia Harder von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung konstatiert den Niedergang des Zwischenrufs und gedenkt mit einem weinenden Auge der Glanzzeit der parlamentarischen Einwürfe im deutschen Bundestag: „Die Rabauken haben den Plenarsaal geräumt, einen Schimpfbolzen wie Wehner sucht man heute vergeblich. Für das rhetorische Maschinengewehr Oskar Lafontaine rückte eine 25 Jahre alte Studentin nach, von der man nur hoffen kann, dass sie interessantere Dinge einwerfen wird, als ihre Twitter-Kurzprosa vermuten lässt.“ 20 Von sprachwissenschaftlicher Seite sind besonders die Arbeiten von Armin Burkhardt zu nennen, der sich den Zwischenrufen bzw. Zwischenfragen im deutschen Bundestag in mehreren Aufsätzen 21 und schließlich einer kompletten Monographie 22 widmet. In seiner Typologie parlamentarischer Zwischenrufe nähert sich Burkhardt dem Phänomen neben seiner syntaktischen Kategorisierung vor allem auf Basis der Sprechakte an. 23 Für die vorliegende Arbeit besonders hervorzuheben ist die Untersuchung der Präsuppositionen und Reizwörter in den Redeunterbrechungen, 24 die Burkhardt als „Typologie der ‚Provokationen‘“ 25 bezeichnet. In einem historischen Vergleich, der von der Paulskirche über die DDR bis zum heutigen deutschen Bundestag reicht, konstatiert Burkhardt schließlich einen von ihm sprachkritisch gewerteten Wandel vom Zustimmung und Ablehnung zeugenden Zwischenruf hin zum störenden Redebeitrag. 26 Burkhardt selbst stellt neben seine Beiträge zum Thema noch jene von Kühn und Buri. Kühn beschäftigt sich vor allem mit der Adressierung von Zwischenrufen und attestiert eine mehrfachadressierte Sprachhandlung, deren vornehmliche Funktionen das Bloßstellen, Blamieren, Sich-Herausstellen und Loben sind. 27 Buri analysiert in seiner argumentationsanalytischen Studie die dialogischen Sequenzen innerhalb der Ple- 19 Kipke 1995, 108. 20 Harder 2010, n.p. 21 Vgl. Burkhardt 2005, 2003, 1996, 1995, 1993, 1992. 22 Vgl. Burkhardt 2004. 23 Vgl. Burkhardt 2004, 166ff. 24 Vgl. Burkhardt 2004, 287ff. 25 Burkhardt 2004, 287. 26 Vgl. Burkhardt 1995, 80. 27 Vgl. Kühn 1995, 165ff. <?page no="20"?> 20 narkommunikation im Parlament, bei denen explizit oder implizit auf Vorgängeräußerungen eingegangen wird. 28 Der Schlagabtausch dient hauptsächlich der „Profilierung und Imagearbeit im Punkteboxen mit dem politischen Gegner“ 29 und wird zumeist ausgelöst durch die Äußerungen des Redners/ der Rednerin oder die politische Gesamtkonstellation. 30 Buri sieht in den Zwischenrufen ein Spiel aus Hieb und Gegenhieb, „bei dem selten die Klärung von Sachfragen, oftmals aber die Intention, das eigene Gesicht zu wahren und den Gegner nach Möglichkeit bloßzustellen, im Vordergrund steht.“ 31 Während Buri zwischen kommentierenden und argumentierenden Zwischenrufen unterscheidet, 32 geht Sternberger neben der Kategorisierung in kollektive, individuell polemische Zwischenrufe sowie Spott-Rufe vor allem auch näher auf die Funktion von Beifall und Gelächter eingeht. 33 Ein weiterer Kategorisierungsversuch stammt von Kipke, der in seinem Aufsatz „Der Zwischenruf - ein Instrument politisch-parlamentarischer Kommunikation? “ 34 grob zwischen politischen und unpolitischen Zwischenrufen unterscheidet: Will der Zwischenrufer/ die Zwischenruferin den politischen Gegner/ die politische Gegnerin persönlich angreifen, störend beeinflussen oder sich einfach unterhaltsame Abwechslung verschaffen, so gilt der Zwischenruf als unpolitisch; hat der Zwischenruf einen thematischen Bezug bzw. dient er der Stützung der eigenen Position so ist er politisch. 35 Der politische Zwischenruf stellt für Kipke jedoch den Normalfall dar und gehört so zum „Verhaltensrepertoire der Parteien im Konfliktmuster von regierungstragender Mehrheit und Opposition.“ 36 Interessant für die vorliegende Arbeit ist die Ansicht Kipkes, unpolitische Zwischenrufe seien zurückzuführen „auf schwere Angriffe eines Redners“ 37 und seien daher Ausdruck von „Zorn, Aggression und Ohnmacht gegenüber einer Attacke, der man sich mangels Rederecht nicht anders zu erwehren weiß.“ 38 Kipke beleuchtet Zwischenrufe zudem aus ethnomethodologischer Perspektive, indem er sie als Mittel für Neulinge 28 Vgl. Buri, zit. in: Burkhardt 2004, 72. 29 Buri, zit. in: Burkhardt 2004, 72. 30 Vgl. Buri, zit. in: Burkhardt 2004, 72. 31 Buri, zit. in: Burkhardt 2004, 75. 32 Vgl. Buri, zit. in: Burkhardt 2004, 73. 33 Vgl. Sternberger 1991, 76ff. 34 Kipke 1995. 35 Vgl. Kipke 1995, 110. 36 Kipke 1995, 110. 37 Kipke 1995, 110. 38 Kipke 1995, 110. <?page no="21"?> 21 im parlamentarischen Zirkus sieht, sich in der Manege des Parlaments Gehör zu verschaffen: „Man kann so seine Meinung ganz ungefragt kundtun, sich als politisch kompetent, geistreich und schlagfertig erweisen - womöglich mit dem besonderen Erfolg, den Redner bzw. die ‚Gegenseite‘ zu einer Reaktion provoziert zu haben -, kurzum: sich gegenüber der eigenen Fraktionselite als politisch versierter Kopf und damit für zukünftige Arbeiten zu empfehlen.“ 39 Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist auch der Beitrag von Sebaldt, der Zwischenrufe unter anderem unter dem Gesichtspunkt der Ausgrenzung politischer Randgruppen betrachtet. 40 Sebaldt sieht im Zwischenruf den Vorteil, dass er im Gegensatz zur Rede am Pult nicht vorbereitet werden muss, sondern „situativ und spontan mit gleichwohl guter Wirkung“ 41 eingesetzt werden kann. Sebaldt versucht in seinem Beitrag nicht, Zwischenrufe zu kategorisieren; ihm geht es vielmehr um die Motivation hinter dem Zwischenruf, die er vor allem in der Rolle des Abgeordneten/ der Abgeordneten und seiner/ ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Partei bzw. zu einer Gruppe innerhalb des Plenums findet. 42 Der Autor kommt dabei wieder zu dem von Kipke bereits formulierten Schluss, dass ausgrenzende Reaktionen, wie etwa Zwischenrufe, zumeist als Antwort auf einen Stimulus in der Rede zu sehen sind. 43 Auf ähnliche Weise charakterisiert Hitzler in der Zeitschrift zu Parlamentsfragen den Zwischenruf als ein „antiritualistisches Ritual“ 44 , ohne das „der Parlamentarier auf der großen Bühne seiner politischen Existenz, bei der Plenarversammlung, qua organisatorischen Strukturierungszwängen statt zum Reden bestellt, weitgehend zum Schweigen verurteilt“ 45 wäre. Seine kurzer Beitrag zum Zwischenruf soll jedoch „eher Einsichten in und Ansichten über politisches Handeln“ 46 auf den Zwischenruf wiedergeben, als dass er den Zwischenruf „in seiner materialen Fülle systematisch auffächern und strukturell“ 47 beschreiben will. 39 Kipke 1995, 111. 40 Vgl. Sebaldt 1995, 113ff. 41 Sebaldt 1995, 138. 42 Vgl. Sebaldt 1995, 138. 43 Vgl. Sebaldt 1995, 123. 44 Hitzler 1990, 620. 45 Hitzler 1990, 621. 46 Hitzler 1990, 619. 47 Hitzler 1990, 619. <?page no="22"?> 22 Auch außerhalb des deutschen Sprachraums finden sich einige Sammelband- und Zeitschriftenbeiträge zum Thema, die deutliche Unterschiede in der parlamentarischen Streitkultur verschiedener Länder erkennen lassen: So vergleicht Steiner unter dem Titel „ja wäme so lang redt, dänn chamä scho mal gähne“ 48 die Gepflogenheiten im Züricher Kantonsrat mit dem deutschen Bundestag und stößt hier auf eine schier unglaubliche Zurückhaltung der Schweizer Parlamentsmitglieder: In der von ihr beobachteten Sitzung im Kantonsrat findet sich nur ein Zwischenruf! 49 Eine ähnliche Zurückhaltung der Abgeordneten stellt Bruteig 50 im Rahmen einer generellen Beschreibung des parlamentarischen Diskurses im tschechischen Parlament fest: „There are almost no interruptions when MPs make their speeches, with the exception of time-related remarks from the Chair and occasional applause which may cause only a short disruption.“ 51 Im Gegensatz dazu werden die Redner/ Rednerinnen im mexikanischen Parlament in aller Regelmäßigkeit unterbrochen. 52 Carbó kommt in ihrem Beitrag daher zum Schluss, dass Zwischenrufe als Teil des polemischen Diskurses im mexikanischen Parlament bewusst inszeniert werden: „[…] Mexican legislators have to conduct their verbal actions in a way that they act a polemical discourse, as a typical trait of a correct performance of the parliamentary function.“ 53 Die Idee der politischen Inszenierung findet sich auch bei Shenav, indem er in seinem Beitrag in Hinblick auf die Debatten im israelischen Parlament zwischen „showing“ und „telling“ unterscheidet: 54 Das Plenum diene hier als „arena of showing“ 55 , der Politiker/ die Politikerin sei der Schauspieler/ die Schauspielerinnen. 56 Einen sehr konkreten Zugang zur „Schaubühne” des Parlaments wählt Ilie, indem sie die Zwischenrufe im britischen House of Commons mit Dialogmustern im Theater vergleicht. 57 Van der Valk versucht hingegen auf etwa dreißig Seiten Zwischenrufe im französischen Parlament formal syntaktisch, semantisch als auch diskursanalytisch zu charakterisieren. 58 Sie kommt dabei zum Schluss, dass 48 Steiner 2006. 49 Vgl. Steiner 2006, 289. 50 Bruteig 2010. 51 Bruteig 2010, 285. 52 Vgl. Carbó 1992, 37. 53 Carbó 1992, 37. 54 Vgl. Shenav 2008, 223ff. 55 Shenav 2008, 226. 56 Vgl. Shenav 2008, 226. 57 Vgl. Ilie 2005, 415ff. 58 Vgl. van der Valk 2000. <?page no="23"?> 23 konservative Parteien weit häufiger und um vieles aggressiver unterbrechend einwirken als weiter links stehende Parteien. 59 Bevitori wiederum nähert sich den Zwischenrufen im britischen und italienischen Parlament mit Hilfe der systemisch-funktionalen Linguistik, die es ihr ermöglicht, Zwischenrufe als interaktive Muster in Bezug zum sozialen Kontext zu setzen. 60 Im Umfeld sozialwissenschaftlicher Ansätze bewegt sich hingegen Cartier, die sich kritisch mit dem politikwissenschaftlichen Konzept des Discourse Quality Index auseinandersetzt, indem sie den Zwischenrufen bzw. Zwischenfragen abseits der störenden Unterbrechung durchaus auch eine konstruktive Funktion beimisst. 61 Einen völlig anderen Ansatz wählt Zima, die in mehreren Beiträgen mit Koautoren 62 und zuletzt in ihrer Dissertation 63 die Zwischenrufe im österreichischen Nationalrat als Ressource zur Untersuchung intersubjektiver Konstruktionen nutzt. Zima et al. stützen sich bei ihrer Analyse auf das kognitiv-funktionale Modell dialogischer Syntax 64 „and zoom in on the wide array of types of formal relations established between a plenary speaker’s discourse and ICs [interruptive comments] […], while paying special attention to conveyed pragmatic meanings and interpersonal aims and effects.“ 65 Daneben entstanden in Deutschland wie auch in Österreich mehrere Staatsexamens- und Magisterarbeiten bzw. Diplomarbeiten und Dissertationen zum Thema. Fetzer-Wolf nimmt in ihrer Staatsexamensarbeit eine handlungstheoretische Klassifizierung von Zwischenrufen vor. 66 Neukirchner versucht in ihrer Magisterarbeit eine gesprächsanalytische Beschreibung und ordnet dem Zwischenruf unterschiedliche Funktionen zu. 67 Ebenfalls auf gesprächsanalytischen Spuren untersucht Föcker in ihrer Staatsexamensarbeit die Sprechaktsemantik (Zwischenrufe als responsive Akte in einem zweigliedrigen Zugsequenzschema) und ordnet die Zwischenrufe verschiedenen Sprechakttypen zu. 68 Ketolainens Magis- 59 Vgl. van der Valk 2000, 126. 60 Vgl. Bevitori 2004, 88. 61 Vgl. Cartier 2010, 113ff. 62 Vgl. Zima/ Brône/ Feyaerts 2010 sowie Zima et al. 2009. 63 Vgl. Zima 2011. 64 Vgl. Zima/ Brône/ Feyaerts 2010, 149. 65 Zima/ Brône/ Feyaerts 2010, 149. 66 Vgl. Fetzer-Wolf, zit. in: Burkhardt 2004, 54ff. 67 Vgl. Neukirchner, zit. in: Burkhardt 2004, 58. 68 Vgl. Neukirchner, zit. in: Burkhardt 2004, 60. <?page no="24"?> 24 terarbeit hingegen analysiert auf breiter empirischer Basis über tausend Zwischenrufe nach ihrer thematischen Ausrichtung. 69 In Österreich beschäftigt sich zunächst die Diplomarbeit von Möller mit den Zwischenrufen im Parlament. 70 Die Arbeit untersucht nicht allein die Zwischenrufe und deren Auslöser, sondern daneben die Gesprächssequenzen, die sich daraus ableiten; Möller nennt diese „Zwischenrufsequenzen“ 71 . Basierend auf den Parlamentsprotokollen versucht er eine Kategorisierung der Zwischenrufe, die die Gewichtung, die durch die auf sie folgende Gesprächssequenz gegeben ist, mit einbezieht. Das Resultat der Arbeit ist eine Sammlung von Gemeinsamkeiten innerhalb der Zwischenrufsequenzen, wobei Möller zwischen Mikro- und Makroverfahren unterscheidet. Besonders hervorzuheben ist, dass Möller sich nicht nur auf die stenographischen Notizen stützt, sondern als zusätzliches Korpuselement transkribierte Tonbandaufzeichnungen heranzieht, mit deren Hilfe er auch Gesprächspausen mit in die Analyse aufnehmen kann. Enttäuschend nach der genauen Analyse der Makroverfahren stellt sich jedoch die Quintessenz der Kategorisierung dar, die im Ganzen nur zwei Unterscheidungen trifft, indem zwischen kritischen und solidarisierenden Zwischenrufen unterschieden wird. 72 Ebenfalls aus Österreich stammt die Dissertation von Kolesarova zum „Sprechverhalten eines Abgeordneten in Regierung und in Opposition“ 73 , in der jeweils eine Rede vor und eine Rede nach Regierungsantritt von drei prominenten Abgeordneten in Hinblick auf die verwendeten Sprechakte und Schlagwörter hin untersucht werden. Die Zwischenrufe im Parlament werden in dieser Arbeit zwar kurz erwähnt, spielen aber bei der Analyse selbst keine Rolle. Auch die Dissertation von Gamperl mit dem plakativen und richtungsweisenden Titel „Sprache + Politik = Gewalt? “ 74 beschäftigt sich mit dem kommunikativen Verhalten der österreichischen Nationalratsmitglieder, indem der Gehalt an aggressiver Sprache untersucht wird. Obwohl Gamperl in der Analyse selbst Zwischenrufe nicht thematisiert, wird ihnen in der Zusammenfassung der Arbeit viel Platz gewidmet, indem sie deren herausragende Rolle in der parlamentarischen Diskussion insbesondere in Hinblick auf ihr Untersuchungsthema konstatiert. 75 69 Vgl. Ketolainen, zit. in: Burkhardt 2004, 64ff. 70 Vgl. Möller 1998. 71 Möller 1998, 4. 72 Vgl. Möller 1998, 56f. 73 Vgl. Kolesarova 2008. 74 Vgl. Gamperl 2007. 75 Vgl. Gamperl 2007, 287. <?page no="25"?> 25 Die vorliegende Arbeit hat nun nicht zum Ziel, die Zwischenrufe im österreichischen Nationalrat selbst zu kategorisieren - dieser Aufgabe haben sich bereits mehrere Autorinnen und Autoren ausführlich gewidmet, allen voran Armin Burkhardt. Die Analyse sieht sich vielmehr als Ergänzung zu den bestehenden Arbeiten, indem der Frage nachgegangen werden soll, woran sich die Zwischenrufe im österreichischen Parlament entzünden. Mit anderen Worten geht es weniger um die Charakterisierung der Einwürfe als um deren Einbettung in den Kontext der Debatte. <?page no="26"?> 26 3 Material Als Textmaterial der Untersuchung dienen die stenographischen Protokolle des Nationalrats, die die sprachlichen und zum Teil nicht-sprachlichen Beiträge während der parlamentarischen Debatten archivieren und die im Internet auf der Internetseite des Parlaments als pdf- oder html- Datei abrufbar sind. Die relevante Grundgesamtheit stellen die stenographischen Protokolle des Nationalrats des Jahres 2007 (XXIII. Gesetzgebungsperiode) dar. Aus den 35 Sitzungen wurde mittels eines Software- Programms (www.randomizer.org) eine Zufallsstichprobe von fünf Sitzungen gezogen: die 14., 15., 20., 28. und 34. Sitzung. Da die 15. und 34. Sitzung aufgrund der Kürze des Protokolls keine Zwischenrufe enthalten, wurden sie aus der Analyse ausgenommen. Die vorliegende Arbeit basiert daher auf der 14. Sitzung am 7. März 2007, der 20. Sitzung am 24. April 2007 und der 28. Sitzung am 5. Juli 2007. Es wurden insgesamt 685 Protokollseiten durchgesehen und darin 1271 Zwischenrufe gefunden, die daraufhin zusammen mit der Rede-Zwischenrufsequenz, in die sie textuell eingebettet sind, einzeln analysiert wurden. Dabei ist für die sprachwissenschaftliche Untersuchung eines klar herauszustreichen: Die Protokolle der Stenographen/ Stenographinnen im österreichischen Parlament sind keine linguistischen Transkripte. Vorrangiges Ziel der Abschriften ist es, die Beiträge der Volksvertreter/ Volksvertreterinnen für die Öffentlichkeit möglichst lesbar zugänglich zu machen und für die Zukunft zu dokumentieren. Wie Kuhn es in seiner Diplomarbeit Der Sprachwandel im österreichischen Nationalrat von 1919 bis zur Gegenwart: Eine Quellenkritik als Grundlage sprachwissenschaftlicher Untersuchungen 1 , in der er - ähnlich wie Olschewski für Deutschland 2 - genauer auf den Vorgang der Verschriftlichung österreichischer Debatten eingeht, gekürzt ausdrückt, sind sie das Ergebnis eines Vorgangs, bei dem „eine mündliche Äußerungsform in eine schriftliche umgewandelt wird.“ 3 Die Verschriftlichung gesprochener Sprache stellt generell eine Herausforderung dar. 4 Sprachwissenschaftliche Transkripte können erheblich voneinander abweichen, je nachdem, welches Forschungsinteresse die Untersuchung leitet, z.B. ob es reicht, den Inhalt wiederzugeben oder ob 1 Kuhn 1996. 2 Vgl. Olschewski 2000, 336ff. 3 Kuhn 1996, 7. 4 Vgl. Bucholtz 2007, 785f. <?page no="27"?> 27 auch sprachliche Strukturen festgehalten werden sollen. 5 Auch der Sprachwissenschaftler/ die Sprachwissenschaftlerin selbst greift, bewusst oder unbewusst, interpretierend in das Transkript ein: 6 So werden manche Details auf bestimmte Weise festgehalten, andere vielleicht nicht; phonologische Phänomene können orthographisch verschieden umgesetzt werden; zuletzt können bestimmte Passagen auch unterschiedlich übersetzt werden. Jede dieser Abweichungen kann signifikante analytische Konsequenzen zeigen. Dennoch ist es, so Bucholtz, einerseits nicht möglich und andererseits methodologisch nicht sinnvoll, die verschiedenen Transkriptionsweisen zu vereinheitlichen. 7 Notwendig sei allein, dass sich der Forscher/ die Forscherin der Beweggründe hinter der Entscheidung für eine bestimmte Transkription und der möglichen Folgen dieser Entscheidung bewusst ist. 8 Im Folgenden soll daher beschrieben werden, welche Veränderungen bei der Erstellung der stenographischen Protokolle vorgenommen werden, um den Wert der Protokolle für die linguistische Analyse der Zwischenrufe beurteilen zu können. Die Debatte wird zunächst vom Stenographendienst akustisch aufgezeichnet. Schreibkräfte wandeln daraufhin die akustischen Aufzeichnungen in ein „wortgetreues Typoskript“ 9 um. Hier werden bereits die ersten Entscheidungen getroffen, indem Satzzeichen gesetzt werden. 10 Die gewählte Interpunktion entscheidet nicht nur darüber, was generell als Satz zu gelten hat, sondern sie kennzeichnet ebenso wie die Absatztrennung jene Textteile, die relativ selbstständig und abgeschlossen erscheinen. 11 In diesem ersten Schritt wird auch bereits entschieden, ob dialektale Elemente aufgenommen werden oder ob deiktische Ausdrücke desambiguiert werden. 12 Füllpartikel wie a, ah, äh usw. werden aus dem Protokoll entfernt, ebenso „infolge von Stottern oder Versprechen verstümmelte Wortformen“ 13 . Zudem wird mangelnde grammatische Kongruenz bereinigt. 14 Nachdem die Schreibkräfte die Reden vollständig aufgenommen haben, wird das Typoskript den Stenographen/ Stenographinnen übergeben, die jeweils zu zweit für zehn Minuten im Plenarsaal selbst Aufzeich- 5 Vgl. Bucholtz 2007, 786. 6 Vgl. Bucholtz 2007, 786. 7 Vgl. Bucholtz 2007, 785. 8 Vgl. Bucholtz 2007, 785f. 9 Kuhn 1996, 7. 10 Vgl. Kuhn 1996, 7. 11 Vgl. Brinker 1992, 23. 12 Vgl. Kuhn 1996, 7. 13 Kuhn 1996, 11. 14 Vgl. Kuhn 1996, 11. <?page no="28"?> 28 nungen gemacht haben, um Zwischenrufe wie auch andere, nicht über das Aufnahmegerät erfasste Beiträge der Abgeordneten im Protokoll zu ergänzen. Die Verteilung der analysierten Zwischenrufe auf die verschiedenen Abgeordneten im Plenum lässt dabei auf Basis des Sitzungsplans vom 16. Jänner 2007 15 erkennen, dass die Stenographen/ Stenographinnen nicht nur die Zwischenrufe aus den ersten Bankreihen festhalten sondern auch die Zwischenrufe aus den hinteren Reihen erfassen. Dennoch ist die Anzahl der Zwischenrufe aus den hintersten Sitzreihen im Vergleich zu den vorderen Rängen deutlich geringer. Ob dies darauf zurückzuführen ist, dass die Abgeordneten in den hinteren Reihen weniger dazwischenrufen, oder darauf, dass die Stenographen/ Stenographinnen die Zwischenrufe aus den letzten Reihen nur schwer identifizieren können, kann in dieser Arbeit nicht entschieden werden. Des Weiteren wird deutlich, dass Zwischenrufe nicht nur auf die im Plenum sitzenden Abgeordneten beschränkt sind, sondern auch von der Regierungsbank eingeworfen werden. Im Rahmen der quantitativen Auszählung dieser Arbeit wird jedoch nicht weiter in Kanzler/ Kanzlerinnen, Minister/ Ministerinnen, Staatssekretäre/ Staatssekretärinnen und Abgeordnete in den Bänken unterschieden. Die Stenographen/ Stenographinnen ergänzen die Typoskripte nicht nur um die Zwischenrufe und andere non-verbale Elemente sondern sie setzen auch Satzzeichen und korrigieren die Rechtschreibung sowie Grammatik und Stil. 16 Das fertig überarbeitete Protokoll wird daraufhin den jeweiligen Abgeordneten übergeben, die an eigenen Redestellen noch stilistische Veränderungen vornehmen können. 17 Das von den Abgeordneten abgesegnete Schriftstück wird ein letztes Mal von den Stenographen/ Stenographinnen durchgesehen und wird daraufhin der Österreichischen Staatsdruckerei übergeben, die für den Umbruch sorgt, wonach der provisorische Vordruck noch einmal dem Stenographendienst zur letzten Korrektur vorgelegt wird. 18 Daraufhin wird das Protokoll der Staatsdruckerei zurückgesandt, die es in einer Auflage von 500 Exemplaren pro Sitzung druckt. 19 Kuhn stellt ans Ende seiner Diplomarbeit einen Überblick über die häufigsten Veränderungen in den stenographischen Protokollen, die auch für diese Arbeit relevant sind: Bei den Veränderungen im Lexikon schlägt 15 http: / / www.hans-raedler.at/ parlament/ nr_sitzplan.gif [15.08.2010] 16 Vgl. Kuhn 1996, 8. 17 Vgl. Parlamentsdirektion 2009, 43. 18 Vgl. Kuhn 1996, 8. 19 Vgl. Kuhn 1996, 8. <?page no="29"?> 29 vor allem das Weglassen von Partikeln, Pronomen und Konjunktionen stark zu Buche; 20 Änderungen im Text finden sich vor allem bei textkommentierenden sprachlichen Mitteln, indem metakommunikative Ausdrücke und Einleitungen selten ins Protokoll aufgenommen werden; 21 auch Mittel zur Wiederaufnahme, wie etwa Demonstrativpronomen, Lokaladverbien usw., werden im stenographischen Protokoll zumeist durch andere Formen ersetzt, um Verhältnisse zu klären und so Ambiguitäten zu verhindern. 22 „Infolgedessen erscheinen Redepassagen im ‚Stenographischen Protokoll’ öfter glatt und ohne kommunikative Nuance, während sie im Original redesteuernde und dialogische Elemente enthalten.“ 23 Dies gilt vor allem im Umfeld von Zwischenrufen, die, so Möller, durch die Veränderungen im Protokoll „monologisiert“ 24 werden. Es muss sich daher von sprachwissenschaftlicher Seite die Frage gestellt werden, inwieweit die stenographischen Protokolle überhaupt als Quelle für die linguistische Untersuchung sinnvoll herangezogen werden können. Indem Zwischenrufe jedoch weder über die Aufnahmegeräte im Nationalrat noch über eigene Transkripte von der Galerie des Plenarsaals aus vollständig erfasst werden können, sind die Aufzeichnungen der anwesenden Stenographen/ Stenographinnen für die vorliegende Arbeit die einzig sinnvolle Quelle und werden daher mit aller Vorsicht und den hier dargestellten Vorbehalten zur Analyse herangezogen. Dazu Jackendoff: „My own position is that each source of evidence is valuable for certain purposes, that each much [sic must] be used with care, and that we need all the tools we can get.” 25 20 Vgl. Kuhn 1996, 74. 21 Vgl. Kuhn 1996, 75. 22 Vgl. Kuhn 1996, 75f. 23 Kuhn 1996, 76. 24 Kuhn 1996, 76. 25 Jackendoff 2007, 255. <?page no="30"?> 30 4 Der außersprachliche Kontext Soll die Sprache des Parlaments, genauer die Sprache der parlamentarischen Debatte, situationsgerecht beschrieben werden, muss zunächst der politische Kontext geklärt werden. Die linguistische Analyse von Sprache in der Politik kann sich nicht allein auf das Sprachmaterial beschränken, denn wenn „der politische Zweck des Sprechens nicht berücksichtigt wird, bleibt die Handlungsdimension der politischen Sprache ausgespart.“ 1 Ein heikles Unterfangen, können doch selbst bei guter Kenntnis des gesellschaftspolitischen und des situativ-sozialen Kontextes nur bedingt Schlüsse gezogen werden, können die getroffenen Interpretationen nicht mit letzter Sicherheit als wahr behauptet werden. 2 Van Dijk äußert sich in diesem Zusammenhang besonders kritisch: Er bezweifelt die naive Annahme eines direkten Konnexes zwischen Kontext und Sprachhandlung, da unter identen Bedingungen idente Äußerungen erwartet werden müssten. 3 Unsere Alltagserfahrung zeigt jedoch, dass Sprecher/ Sprecherinnen in vergleichbaren Situationen völlig unterschiedliche Wege gehen können und sich für individuelle kommunikative Varianten entscheiden. Um Sprachhandlungen kontextuell zu situieren, müssen diese, so van Dijk, in direkten, expliziten Bezug zu den im Moment der Sprachhandlung relevanten außersprachlichen Bereichen gesetzt werden. 4 Kontext ist folglich mit Volmert der „gemeinsame Wahrnehmungsraum“ 5 , den die Interaktionsteilnehmer/ Interaktionsteilnehmerinnen im Gespräch jeweils geltend machen: „Thus, it is not ‘objective’ gender, class, ethnicity or power that control the production or comprehension of text and talk, but whether and how participants interpret, represent and make use of such ‘external’ constraints, and especially how they do so in situated interaction.“ 6 Die Gesprächspartner/ Gesprächspartnerinnen müssen sich der kontextuellen Rahmung bewusst sein, damit sie in den sprachlichen Handlungen 1 Bergsdorf 1991, 21. 2 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 51. 3 Vgl. van Dijk 2006b, 162. 4 Vgl. van Dijk 2006b, 162. 5 Volmert 1989, 35. 6 van Dijk 2006b, 163. <?page no="31"?> 31 schlagend werden kann. 7 So lässt sich auch erklären, warum Interaktionsteilnehmer/ Interaktionsteilnehmerinnen mitunter die Situation unterschiedlich einschätzen und sich unter den gegebenen, d.h. als relevant erachteten, Umständen falsch verhalten. 8 In Hinblick auf sprachwissenschaftliche Untersuchungen schlägt van Dijk vor, sich auf einige wenige Kategorien zu beschränken. 9 Auch wenn die vorliegende Arbeit hier dem Rat van Dijks folgt und für die linguistische Analyse der Zwischenrufe nur Parteienzugehörigkeit, Geschlecht und Alter als relevante Parameter heranzieht, soll in den nun folgenden Abschnitten ein kurzer Einblick in den österreichischen Parlamentarismus - seine Geschichte, seine Parteien und seine institutionellen Abläufe - gegeben werden. 4.1 Die Geschichte des österreichischen Parlamentarismus Obwohl das österreichische Parlament als zentrales Organ des politischen Systems heute als gesichert gilt und unumstritten scheint, blickt es doch auf eine bewegte Geschichte zurück. 10 Der österreichische Parlamentarismus entwickelte sich bis 1918 im europäischen Vergleich nur langsam; überhaupt kann bis 1918 nur eingeschränkt von einem österreichischen Parlament gesprochen werden, da die durch die bürgerliche Revolution 1848 erzwungenen Zugeständnisse weitgehend wieder zurückgenommen wurden. 11 Das Ende des Ersten Weltkriegs stellt eine weitere Zäsur in der politischen Entwicklung Österreichs dar, das nun auf die deutschsprachigen Gebiete begrenzt wurde: 12 Zwischen 1918 und 1920 wurde das Land von den beiden Großparteien, Sozialdemokratische Arbeiterpartei und Christlich-soziale Partei, gemeinsam regiert, die 1920 das Bundes-Verfassungsgesetz beschlossen, das eine parlamentarische Regierungsform festlegte. 13 Die Bundesregierung war fortan das politische Zentrum und das Parlament war der Ort, „an dem parteibeauftragte Volksvertreter ihre anderswo getroffen Entscheidungen deponieren“ 14 konnten. Dennoch war, so Nick und Pelinka, die 1. Repu- 7 Vgl. van Dijk 2004, 350. 8 Vgl. Volmert 1989, 35. 9 Vgl. van Dijk 2006b, 171. 10 Vgl. Gerlich/ Müller 1988, 53. 11 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 15. 12 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 16. 13 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 16. 14 Nick/ Pelinka 1996, 43. <?page no="32"?> 32 blik gezeichnet vom Konflikt: 15 Die Sozialdemokraten/ Sozialdemokratinnen wurden zunehmend von parlamentarischen Entscheidungen ausgenommen, indem sich die Christlich-soziale Partei mit kleinen rechtsgerichteten Koalitionspartnern die Mehrheit sicherte. Diese Bürgerblock- Regierungen gaben sich in Folge immer stärker antiparlamentarisch. 1929 wurde zusammen mit der sozialdemokratischen Opposition die Verfassung geändert und dem Präsidenten als Gegengewicht zum Parlament mehr Kompetenzen verliehen. Im Frühjahr 1933 schaltete Bundeskanzler Dollfuß den Nationalrat mit Polizeigewalt aus und regierte von nun an mit Notverordnungen. Im Februar 1934 löste ein bewaffneter Zwischenfall den Bürgerkrieg zwischen Sozialdemokratie und Regierung aus, der alsbald von der Regierung zur ihren Gunsten beendet wurde, woraufhin sowohl die Sozialdemokratische Arbeiterpartei als auch die Freien Gewerkschaften verboten wurden. Am 1. Mai 1934 wurde die republikanisch-demokratische Verfassung von der Verfassung eines autoritären Ständestaats abgelöst: Der neue Ständestaat wurde gestützt von der katholischen Kirche, den offiziell aufgelösten Christlich-Sozialen, vom antiparlamentarischen Verband der Heimwehren und außenpolitisch von Italien. Er musste sich jedoch gegen die illegale Opposition zur Wehr setzen, die sowohl aus der linken als auch aus der nationalsozialistischen Ecke stammte. Der nationalsozialistische Putschversuch im Juli 1934 endete schließlich mit der Ermordung Dollfuß. Sein Nachfolger Kurt Schuschnigg beschloss 1936 eine Annäherung an Nazi-Deutschland. Am 11. März 1938 kam es zum Anschluss. 16 Bis 1945 war Österreich Teil des Großdeutschen Reiches und jeder Österreicher/ jede Österreicherin war deutscher Bürger/ deutsche Bürgerin. 17 Nick und Pelinka deuten darauf hin, dass die Auflösung des österreichischen Staates dabei auf weniger Widerstand stieß als andernorts: 18 „Gegen den Nationalsozialismus bildete sich ein breit gefächerter politischer Widerstand. Dennoch nahm dieser Widerstand niemals die Ausmaße der Résistance in Ländern wie Frankreich oder Norwegen, Polen oder Jugoslawien an. Die Ursache dafür war das noch immer relativ schwache Österreichbewusstsein, war die für viele ÖsterreicherInnen selbstverständliche Einordnung in das Großdeutsche Reich.“ 19 15 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 16f. 16 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 16f. 17 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 17. 18 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 17. 19 Nick/ Pelinka 1996, 17. <?page no="33"?> 33 Bereits vor Ende des Zweiten Weltkriegs entstand in den Gebieten Ostösterreichs eine provisorische Staatsregierung, deren Mitglieder aus der Österreichischen Volkspartei, der Sozialistischen Partei Österreichs sowie der Kommunistischen Partei Österreichs stammten. Die Regierung erklärte im April 1945 die Unabhängigkeit und die Verfassung der 1. Republik wurde wieder in Kraft gesetzt. Im November desselben Jahres fanden die ersten Wahlen statt, aus denen die Österreichische Volkspartei als Sieger und die Kommunistische Partei als Verlierer hervorgingen. 20 Der zu Beginn der Republik stehende und von den Alliierten geforderte antinazistische Grundkonsens wurde daraufhin langsam durch eine antikommunistische Grundhaltung ergänzt: Die Kommunistische Partei wurde zunehmend an den Rand gedrängt, zog 1947 ihren letzten Minister aus der Regierung zurück und wurde so zur formellen Opposition. 21 Die ehemaligen NSDAP-Mitglieder erhielten hingegen 1949 das Wahlrecht zurück und wurden sowohl von ÖVP und SPÖ als auch vom neu gegründeten Verband der Unabhängigen (VdU) umworben. 22 Die 2. Republik wurde im Gegensatz zur 1. Republik bestimmt durch den Konsens zwischen den Großparteien, der sich im Bestand der Großen Koalition äußerte. 23 Dies wurde begünstigt durch das sich entwickelnde Gleichgewicht zwischen den Parteien, indem die sozialistische Partei nicht mehr nur in Wien sondern auch in den Bundesländern breite Unterstützung fand. 24 Die neue Einheit der beiden Großparteien wurde von der sich entwickelnden Sozialpartnerschaft, die von den großen Wirtschaftsverbänden getragen wurde, noch weiter gestützt. 25 Auch nach dem Ende der Großen Koalition 1966 gaben sich die Abgeordneten im Nationalrat stark konsensorientiert: 26 „Zur Zeit der Großen Koalition war grundsätzlich zwischen den beiden Großparteien abgesprochen, dass im Nationalrat nur einvernehmlich vorgegangen werden darf. Doch auch in den ersten zwei Jahrzehnten danach war das Muster der Einvernehmlichkeit nach wie vor vorherrschend.“ 27 20 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 17f. 21 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 20. 22 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 19. 23 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 18. 24 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 18. 25 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 18. 26 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 44. 27 Nick/ Pelinka 1996, 45. <?page no="34"?> 34 1986 gelang es zum ersten Mal einer Partei, die nicht aus traditionellen Lagern hervorgegangen war, ins Parlament einzuziehen. 28 Die Grüne Alternative, nunmehr die Grünen, konnte vor allem vom Rückgang der Stimmen für ÖVP und SPÖ profitieren. Profitieren konnte auch die FPÖ, von der sich 1993 das Liberale Forum abspaltete. Seither ging, so Nick und Pelinka, der Trend in Richtung Dekonzentration des Parteiensystems weiter. 29 Zudem veränderte sich durch den Einzug der Grünen und der Freiheitlichen im österreichischen Parlament das Verhalten der Großparteien, sodass auch bei ihnen das Gewicht wieder mehr auf der parlamentarischen Kontroverse lag. 30 Die Nationalratswahl 1999 läutete schließlich das vorläufige Ende der Großen Koalition aus SPÖ und ÖVP ein: Die Österreichische Volkspartei, die als drittstärkste Partei hinter den Freiheitlichen aus den Wahlen im Oktober hervorgegangen war, ging mit der FPÖ eine Regierungskoalition ein, die trotz nationaler wie auch internationaler Proteste am 4. Februar 2000 angelobt wurde 31 und - abgesehen von der Spaltung der Freiheitlichen Partei in FPÖ und BZÖ (siehe dazu Abschnitt 4.2.3) - bis 2006 bestehen blieb. Die Nationalratswahl 2006 kam wiederum einem politischen Wendepunkt gleich. Die 15,4 Prozentpunkte Stimmenzuwachs bei der vorangegangenen Nationalratswahl 2002 verdankte die ÖVP großteils dem temporären Zuspruch der Wechselwähler/ Wechselwählerinnen und Erstwähler/ Erstwählerinnen, die sich zuvor von der gespalteten FPÖ abgewandt hatten, 32 „womit die ÖVP eine - im Vergleich zur SPÖ - sehr heterogen mobile und nur wenig gebundene Wählerschaft aufwies.“ 33 In Folge der Pensionsreform 2003 konnte die SPÖ gerade diese Wählerschaft wieder auf ihre Seite ziehen und vor allem auf Landesebene Erfolge feiern, während die Grünen nur durchschnittliche Ergebnisse erzielte, die FPÖ mit Ausnahme von Kärnten sogar massive Verluste hinnehmen musste. Der Erfolgszug der SPÖ setzte sich bei der Bundespräsidentenwahl 2005 fort, wo sich der sozialdemokratische Kandidat durchsetzen konnte. 34 Anfang des Jahres 2006 begann sich die öffentliche Meinung aber in Folge des Bankenskandals rund um die der SPÖ nahestehende Gewerkschaftsbank BAWAG wieder mehr in Richtung ÖVP zu drehen. Dies we- 28 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 20. 29 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 20. 30 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 46. 31 Vgl. Filzmaier 2003, 3ff. 32 Vgl. Plasser/ Ulram 2007, 20. 33 Plasser/ Ulram 2007, 21. 34 Vgl. Plasser/ Ulram 2007, 21. <?page no="35"?> 35 niger, weil die ÖVP an Vertrauen gewinnen konnte, sondern vielmehr, weil die SPÖ ihren Vertrauensbonus durch die Bankenaffäre zunehmend verlor. In Folge konzentrierte die ÖVP ihre politische Argumentation auf den BAWAG-Skandal und unterließ es vollständig, eigenen Inhalt zu generieren und ihre Führungsmannschaft zu modifizieren, wodurch den Erwartungen der Wählerschaft nicht begegnet wurde. 35 Die Grünen fixierten sich auf das Bildungsthema und vermieden es, auch eingedenk der negativen Erfahrungen bei den vorhergehenden Nationalratswahlen, einen Führungswechsel zu fordern. Die FPÖ konzentrierte sich auf die Ausländerfrage und EU-Kritik und griff sowohl ÖVP als auch BZÖ frontal an. 36 Zur Jahresmitte, gleichzeitig mit dem Beginn des Intensivwahlkampfs brachten zwei medial stark beachtete Themen die Stimmungslandschaft wieder in Bewegung: Zum einen die Abwahl der amtierenden Leitung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ORF und deren Ablöse durch eine Regenbogenkoalition aus rot-grün-blau-orangen Stiftungsräten; zum anderen die Diskussion um den im Bereich der Altenbetreuung herrschenden Pflegenotstand, die dem Wahlkampf vor allem durch den Skandal um die slowakische Pflegerin im Umfeld des schwarzen Bundeskanzlers einen entscheidend Spin gab: 37 „Die ÖVP wurde von beiden Ereignissen offensichtlich überrascht und geriet in die Defensive, während die sozialdemokratische Negativkampagne Rückenwind erhielt. Vor allem aber verlagerte sich die politische Themenlandschaft in Richtung sozialer Problemstellungen […].“ 38 Parallel dazu wurde auch die Ausländerfrage zentrales Thema, obwohl sich sowohl SPÖ als auch ÖVP weitgehend zurückhielten. Das Ergebnis war die fundamentale Oppositionsstellung der FPÖ gegenüber den restlichen Parteien. 39 Gegen Ende des Wahlkampfes spitzte sich auch die BA- WAG-Affäre wieder zu, indem die SPÖ und leitende Köpfe in der Partei mit Parteispenden seitens der BAWAG in Verbindung gebracht wurden. Parallel dazu begann sich auch die ÖVP in den Skandal zu verstricken, indem auch in ihrem Umfeld leitende Persönlichkeiten im Dunstkreis der BAWAG-Debatte auftauchten: 40 35 Vgl. Plasser/ Ulram 2007, 21f. 36 Vgl. Plasser/ Ulram 2007, 24. 37 Vgl. Plasser/ Ulram 2007, 24f. 38 Plasser/ Ulram 2007, 25. 39 Vgl. Plasser/ Ulram 2007, 25f. 40 Vgl. Plasser/ Ulram 2007, 26. <?page no="36"?> 36 „In Summe verbreitete sich in der Wählerschaft der Eindruck, dass beide Parteien in den Skandal verwickelt seien, was der Kritik der ÖVP in dieser Causa zu einem Gutteil den Boden entzog bzw. Wasser auf die Mühlen der populistischen Kritik speziell (aber nicht nur) der FPÖ an der ‚politischen Klasse‘ in ihrer Gesamtheit lenkte.“ 41 Insgesamt blieb das Interesse am Wahlkampf seitens der Wählerschaft jedoch begrenzt. 42 Bezeichnend war die große Zahl an unentschlossenen Wählern/ Wählerinnen, die sich aufgrund der geringen Bindung an eine bestimmte Partei bis zum Schluss nicht festlegen wollten oder konnten, was wiederum Einfluss und Bedeutung spezifischer Ereignisse und medial transportierter Stimmung vor allem in der Endphase des Wahlkampfes stark an Einfluss gewinnen ließ. 43 2006 überwogen also die themenorientierten Wähler/ Wählerinnen, 44 die sich vor allem um Wohlstandssicherung, soziales und ökologisches Engagement sowie Law-and-Order gruppierten. 45 Am Ende des Wahltages verlor die amtierende schwarz-orange Regierung die Mehrheit, wobei die ÖVP von allen Parteien die meisten Stimmen einbüßte. Im Gegensatz dazu gingen die Grünen und besonders die populistischen Parteien (BZÖ, FPÖ, Liste Martin) gestärkt aus der Wahl hervor. Auch die SPÖ musste Verluste hinnehmen, doch blieb sie mit rund 1 Prozent der gültigen Stimmen noch vor der Volkspartei und stellte damit in der neuen Großen Koalition mit Alfred Gusenbauer den Bundeskanzler. 46 Nach dieser überblicksartigen Einführung in die Geschichte des österreichischen Parlamentarismus - unter spezieller Berücksichtigung der Nationalratswahl 2006, die die Basis für die Parteienkonstellation im Nationalrat lieferte, wie sie für die vorliegende Untersuchung von Bedeutung ist - sollen im folgenden Abschnitt die im Nationalrat vertretenen Bundesparteien kurz vorgestellt werden. 4.2 Die österreichische Parteienlandschaft Die österreichischen Parteien reichen mit Ausnahme der Grünen mehr als hundert Jahre zurück und waren vor und nach dem Ersten Weltkrieg 41 Plasser/ Ulram 2007, 26. 42 Vgl. Plasser/ Ulram 2007, 29. 43 Vgl. Plasser/ Ulram 2007, 30. 44 Vgl. Plasser/ Ulram/ Seeber 2007, 191. 45 Vgl. Hofinger/ Ogris/ Salfinger 2007, 207f. 46 Vgl. Plasser/ Ulram 2007, 19f. <?page no="37"?> 37 Weltanschauungsund/ oder Klassenparteien, indem sie sich auf bestimmte Wählerschichten beschränkten. 47 In den Parteiprogrammen kam die Fraktionierung dadurch zum Ausdruck, dass sich die SPÖ als Arbeiterpartei auf das marxistische Gedankengut berief, während sich die Christlich-soziale Partei auf die (aktiven) Katholiken/ Katholikinnen stützte. 48 Nach dem Ende der Habsburger Monarchie ging die parteipolitische Entwicklung jedoch hin zu Massenparteien: 49 Obwohl in den Parteiprogrammen immer noch unterschiedliche politische Ziele zu finden sind, wenden sich die heutigen Parteien prinzipiell an jeden Österreicher/ an jede Österreicherin: 50 „Aus den Weltanschauungs- und Klassenparteien der 1. Republik sind typische Volksparteien geworden, deren unterschiedliche Identität zwar sichtbar ist, deren Abgrenzungen in Grundsatzwie in konkreten Sachfragen aber oft schwer erkennbar sind.“ 51 Trotzdem positionieren sich die Parteien, so Nick und Pelinka, im Grunde noch immer entlang zweier althergebrachter Konfliktlinien: 52 eine wohlfahrtsstaatliche Konfliktlinie (Rechts-Links-Achse), der sich vor allem die Sozialdemokratische Partei verpflichtet fühlt, und eine konfessionelle Konfliktlinie (katholisch vs. säkular), die vor allem zum Verständnis der Christlich-Sozialen gehörte. 53 So werden laut Plasser und Seeber trotz zunehmender Säkularisierung und Wählermobilität auch heutzutage Wahlen entscheidend davon beeinflusst, ob sich die Wähler/ Wählerinnen eher dem Kirchenverein oder der Gewerkschaft zugehörig fühlen. 54 Erst mit Ende der 1980er-Jahre tauchte ein neuer Reibebaum in der politischen Auseinandersetzung auf, der sich parallel zu den sich mehrenden ökologischen Problemen und der wachsenden Skepsis gegenüber der traditionellen kapitalistisch ausgerichteten Politik entwickelte: Gleichzeitig mit anderen westeuropäischen Ländern trat eine grün-alternative Bewegung auf den Plan, die sich zu einer relativ erfolgreichen politischen Partei formierte. 55 47 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 81. 48 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 80f. 49 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 65. 50 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 81. 51 Nick/ Pelinka 1996, 81. 52 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 65f. 53 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 65f. 54 Vgl. Plasser/ Seeber 2007, 277. 55 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 66. <?page no="38"?> 38 Das Ende der großen Koalition an der Wende zum 20. Jahrhundert brachte eine Verschärfung des politischen Wettstreits mit sich und grub tiefe Gräben zwischen den schwarz-blauen Regierungsanhängern/ Regierungsanhängerinnen und der rot-grünen Opposition, was wiederum zur Folge hatte, dass sich die bisher rückläufigen Parteibindungen wieder neu bildeten und stärkten. 56 Gleichzeitig blieb die Wählerschaft jedoch stark heterogen, wodurch sich die österreichischen Parteien mit einem „unberechenbaren Wählermarkt“ konfrontiert sehen. 57 Dennoch: „Neben Gender, Generation, Bildung, Konfession, Gewerkschaftsbindung und Beruf zählt die ideologische Position der Wähler - ihre Selbstpositionierung am Links-Rechts-Kontinuum - zu einem trennscharfen Prädikator der Wahlentscheidungen.“ 58 Finanziert werden die österreichischen Parteien im Übrigen vom Staat, daneben erhalten die Parteien auch Gelder aus den öffentlichen Haushalten der Bundesländer. Nicht zu unterschätzen ist auch der Beitrag der Parteimitglieder und die Bedeutung der Parteisteuern, die an die eigene Gruppierung gezahlt werden müssen. Zudem werden die Parteien auch durch die verschiedenen Wirtschaftsverbände finanziert, etwa durch die Industriellenvereinigung oder den Gewerkschaftsbund. 59 In den folgenden Abschnitten werden nun die einzelnen österreichischen Parlamentsparteien genauer vorgestellt. 4.2.1 SPÖ - Die Sozialdemokratische Partei Österreichs Die SPÖ entstand aus der Arbeiterbewegung während der industriellen Revolution und wurde am Parteitag in Hainfeld 1888/ 89 durch den Zusammenschluss verschiedener ideologischer Strömungen unter der Leitung Viktor Adlers gegründet. 60 Obwohl das Parteiprogramm von Hainfeld dem Parlamentarismus noch skeptisch gegenüber stand, war „die Sozialdemokratie von Anfang an sehr stark vom Parlamentarismus geprägt.“ 61 Nach Ende der Monarchie 1918 bildete sie zusammen mit den bürgerlichen Parteien eine Koalition, die jedoch bereits zwei Jahre später wieder auseinanderbrach. Die Sozialdemokratische Partei war fortan bis zur Auflösung des Parlaments 1933 in der Opposition und versuchte, 56 Vgl. Plasser/ Seeber 2007, 262. 57 Vgl. Mair/ Müller/ Plasser, zit. in: Plasser/ Seeber 2007, 263. 58 Plasser/ Seeber 2007, 274. 59 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 76f. 60 Vgl. Maderthaner, zit. in: Ucakar 2006, 322. 61 Ucakar 2006, 323. <?page no="39"?> 39 gegen austrofaschistische Tendenzen aufzutreten. 1934 kam es zum Bürgerkrieg, die Arbeiterbewegung wurde zerschlagen und die Partei verboten. Dennoch arbeitete man als „Revolutionäre Sozialisten“ illegal weiter, ein Widerstand, der auch während des Nationalsozialismus aufrecht blieb. 62 Das Ende des Zweiten Weltkriegs brachte den Neuanfang unter dem Namen „Sozialistische Partei Österreichs“ und vereinte radikalere mit eher gemäßigten Positionen. 63 Nach der Allparteienregierung 1945 ging die SPÖ 1947 eine große Koalition mit der ÖVP ein. Nachdem die Partei 1966 eine herbe Niederlage erlitten hatte, ging sie in die Opposition und unterzog sich einer personellen wie auch programmlichen Erneuerung. 64 Unter dem neuen Parteivorsitzenden Bruno Kreisky wurde eine Reihe von Reformen initiiert, 65 die 1970 zunächst in eine Minderheitsregierung mündeten, die 1971 zur Alleinregierung ausgebaut wurde. 66 „Diese absolute Mehrheit ermöglichte die Reformpolitik der 1970er Jahre, die von der SPÖ als ‚Österreichischer Weg‘ bezeichnet wird.“ 67 1983 verlor man jedoch die absolute Mehrheit und ging eine Koalition mit der FPÖ ein, deren Führung jedoch 1986 gestürzt wurde. Die vorzeitige Nationalratswahl brachte die Wiederaufnahme der großen Koalition, die bis 1999 hielt. Während der darauf folgenden schwarz-blauen Regierung blieb die SPÖ in der Opposition. Erst 2006 war es den Sozialdemokraten/ Sozialdemokratinnen wieder möglich, an die Regierung zu kommen. 68 Das Gesicht der SPÖ wird, so Ucakar, traditionellerweise von folgenden Schlagwörtern gekennzeichnet: Arbeiterbewegung, sozialdemokratische Subkultur, Austromarxismus, Parlamentarismus, Parteiendemokratie und Pragmatismus. 69 Das Bekenntnis zur Arbeiterklasse blieb von Anfang an ein konstituierendes Merkmal, das seinen Ausdruck in bestimmten Symbolen und Verhaltensweisen (Anrede Genosse, Gruß Freundschaft, allgemeines Duzen usw.) findet. 70 Die Politik der SPÖ war lange Zeit geprägt durch ihre staatstragende Funktion, was wiederum ihre viel kritisierte oppositionelle Leistung erklärt. Dennoch gelang es, so Ucakar, die 62 Vgl. Ucakar 2006, 323f. 63 Vgl. Ucakar 2006, 324. 64 Vgl. Ucakar 2006, 324f. 65 Vgl. Ucakar 2006, 333. 66 Vgl. Ucakar 2006, 325 67 Ucakar 2006, 325. 68 Vgl. Ucakar 2006, 325. 69 Vgl. Ucakar 2006, 326. 70 Vgl. Ucakar 2006, 326. <?page no="40"?> 40 Anforderungen der heutigen Zeit in neue Programme zu fassen, die etwa auch ein grundsätzliches Bekenntnis zur Marktwirtschaft umfassen. 71 4.2.2 ÖVP - Die Österreichische Volkspartei Um sich explizit von ihrer Vorgängerpartei, der Christlich-Sozialen Partei, abzugrenzen, sieht die ÖVP ihre Wurzeln im Gegensatz zur SPÖ im Jahr 1945. Anders als die Vorgängerin bekennt sich die ÖVP zur parlamentarischen Demokratie und zur österreichischen Nation und verzichtet auf die religiöse Titulierung im Parteinamen. Dennoch blieben die Wählerschichten die gleichen, ebenso die kirchliche Ausrichtung. 72 Durch ihre starke Basis (Bauern und Gewerbetreibende, katholisches Milieu) und die Stigmatisierung des Gegners (SPÖ als kommunistische Partei) war die ÖVP lange Zeit unangefochtene Regierungspartei. 73 Als jedoch die Basis zu bröckeln begann und sich strukturelle Schwächen zeigten, blieb der ÖVP nur die Rolle als Juniorpartner in einer Großen Koalition. Erst 1999 wurde sie mit Hilfe der FPÖ wieder handlungstragende Regierungspartei, die als nach dem Wahlergebnis dritte Partei den Kanzler stellte. 74 Die Wiederholung der schwarz-blauen Koalition mit einer geschwächten FPÖ stärkte die Position der ÖVP noch weiter und sie konnte die Regierung eindeutig dominieren. 75 „Die stärksten Bastionen der ÖVP liegen aber traditionell auf der Länderebene,“ 76 d.h., die ÖVP nimmt vor allem auf kommunaler Ebene eine dominierende Stellung ein. 77 Ideologisch versuchte sich die ÖVP lange Zeit als Alternative zur „marxistischen“ SPÖ zu positionieren, doch konnten dadurch kaum neue Wähler/ Wählerinnen gewonnen werden. In den 1980er Jahren begann man daher, die Gegenposition inhaltlich zu konkretisieren: Dies äußerte sich vor allem in einer neoliberalen Wirtschaftspolitik, die mit einer konservativen Moral im gesellschaftspolitischen Bereich gekoppelt wurde - eine Mischung, die als Neokonservatismus bezeichnet wird. 78 Die ÖVP war immer eine bürgerliche Sammlungspartei, die die unterschiedlichsten ideologischen Strömungen (Konservatismus, Liberalismus, Katholische Soziallehre) und Berufsgruppen in sich vereinte, was eine 71 Vgl. Ucakar 2006, 335ff. 72 Vgl. Müller 2006, 341. 73 Vgl. Müller 2006, 360. 74 Vgl. Müller 2006, 360. 75 Vgl. Müller 2006, 360. 76 Müller 2006, 360. 77 Vgl. Müller 2006, 360. 78 Vgl. Müller 2006, 356f. <?page no="41"?> 41 breite Wählerschaft nach sich zog. 79 Zusammengehalten wird dieses Bündel an verschiedenen Strömungen durch starke Führungspersönlichkeiten und eine grundsätzlich pragmatische Einstellung, die die einzelnen Positionen neben- und miteinander bestehen lässt. 80 4.2.3 FPÖ - Die Freiheitliche Partei Österreichs und BZÖ - Bündnis Zukunft Österreich Die Freiheitliche Partei Österreichs, die Pelinka als rechtspopulistische Traditionspartei charakterisiert, 81 ging 1956 aus dem Verband der Unabhängigen (VdU) hervor und entwickelte sich, so Luther, über eine Reihe parteipolitischer Schübe: 82 In den Jahren nach der Gründung zeigte die FPÖ durch ihre Konzentrierung auf den äußersten nationalen Rand programmatische Schwächen, die sich sowohl auf die Wahlerfolge als auch auf die politische Beteiligung auswirkten. Mit ihrem Parteiobmann Friedrich Peter manövrierte sich die FPÖ in den 1960er-Jahren durch programmatische sowie personelle Veränderungen aus der Isolation heraus und unterstütze 1970/ 71 die rote Minderheitsregierung. 83 Es folgte eine Phase politischer Anerkennung, die sich jedoch nicht in Wahlerfolgen niederschlug. Auch die Regierungsbeteiligung als Juniorpartner der SPÖ verschlechterte die Lage der organisatorisch wie auch politisch schwachen FPÖ. Dies führte am Parteitag 1986 zur Kampfabstimmung, aus der Jörg Haider erfolgreich hervorging. Der Bundeskanzler reagierte daraufhin mit Neuwahlen und die FPÖ begann ihren Aufstieg als populistische Oppositionspartei. Den Höhepunkt der Entwicklung bildete die Nationalratswahl 1999, als die FPÖ fast 27 Prozent der Wählerstimmen für sich gewinnen konnte und daraufhin als zweitstärkste Partei eine Koalition mit der ÖVP einging. 84 Die populistische Partei, die vom Großteil der anderen Parteien als nicht koalitionsfähig angesehen wurde, war jedoch auf die ÖVP angewiesen - ein Ungleichgewicht, das sich, so Luther, gepaart mit Schwierigkeiten innerhalb der Partei nicht auflösen ließ. 85 Am 4. April 2005 wurde schließlich überraschend als Antwort auf die sinkenden Umfragewerte das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) aus der Taufe gehoben, wodurch 79 Vgl. Müller 2006, 341f. 80 Vgl. Müller 2006, 341f. 81 Vgl. Pelinka 2002, 288. 82 Vgl. Luther 2006, 364f. 83 Vgl. Luther 2006, 364. 84 Vgl. Luther 2006, 365. 85 Vgl. Luther 2006, 365. <?page no="42"?> 42 die FPÖ mit einem Schlag ihrer Regierungsmannschaft, einem Großteil der Abgeordneten und einiger Landesorganisationen verlustig ging. 86 Dennoch konnte das neugegründete BZÖ außerhalb Kärntens, wo sich Jörg Haider als Landesvater nachhaltig positionieren konnte, kaum Fuß fassen, während die FPÖ unter dem neuen Parteiobmann Heinz-Christian Strache zunehmend Erfolge feierte. 87 Organisatorisch ist das BZÖ keine Partei, sondern ein Bündnis, wodurch sich eine größere Handlungsfreiheit der einzelnen Mitglieder ergibt. 88 Gepaart ist dies - wie auch schon in der FPÖ - mit der starken Rolle von Einzelpersonen. So konnte Jörg Haider bereits in der FPÖ durch zuvor intern nicht weiter besprochene öffentliche Auftritte die Politik der Partei weitgehend allein bestimmen. 89 Ideologisch begann die FPÖ als „dem Deutschtum verpflichtete, dem Parteienfilz widerstrebende und daher politisch marginalisierte“ 90 Außenseiterpartei. Der Deutschnationalismus wurde zu Gunsten eines österreichischen Nationalismus aufgegeben, der Proporz der Großparteien blieb jedoch als ideologische Hauptzielscheibe erhalten. 91 Obwohl die FPÖ ganz klar durch „interne autoritäre, auf einen charismatischen Führer hin ausgerichtete Strukturen und einen wie immer gearteten populistischen und bestimmte Gruppen ausgrenzenden Diskurs“ 92 gekennzeichnet ist, lässt sie sich, so Minkenberg, programmatisch weniger genau bestimmen als andere autoritär-populistische Rechtsparteien. 93 Ein Großteil der freiheitlichen Wähler/ Wählerinnen und entscheidet sich denn auch nicht aus ideologischen Gründen für die Partei, sondern wird vielmehr von der Protestorientierung der Partei oder der Persönlichkeit des Bundesparteiobmanns angezogen. 94 Dasselbe galt lange Zeit für das orange Bündnis Zukunft Österreich, dessen Bündnispositionen in vielen Punkten dem FPÖ-Programm gleichen. 95 Mit dem Tod Jörg Haiders im Jahr 2008 und unter neuer Führung gewannen jedoch liberale Ideen innerhalb des BZÖ wieder an Boden. Dennoch blieb die Partei dem Gründungsvater stark verpflichtet, wie der folgende Ausschnitt aus dem orangen Bündnisprogramm beweist: 86 Vgl. Luther 2006, 365. 87 Vgl. Plasser/ Ulram 2007, 21. 88 Vgl. Luther 2006, 368. 89 Vgl. Luther 2006, 369. 90 Luther 2006, 376. 91 Vgl. Luther 2006, 376. 92 Minkenberg 2011, 118f. 93 Vgl. Minkenberg 2011, 118f. 94 Vgl. Luther 2006, 377. 95 Vgl. Luther 2006, 380. <?page no="43"?> 43 „Im Jahr 2005 wurde von Dr. Jörg Haider das ‚Bündnis Zukunft Österreich‘ mit dem Ziel gegründet, Österreich aus der rot-schwarzen Geiselhaft zu befreien, verkrustete Strukturen aufzubrechen und zu überwinden, um aus Österreich eine modernes, gerechtes, demokratischeres Land mit einer freien Gesellschaft und selbstbestimmten Bürgern zu machen. Diesem Ziel ist und bleibt das BZÖ verpflichtet.“ 96 4.2.4 Grüne - Die Grüne Alternative Die Wiege der Grünen findet sich schon in den 1970er-Jahren, als Gruppen aus verschiedenen Bereichen begannen, gegen das starre System aus etablierten politischen Akteuren/ Akteurinnen und Institutionen anzuarbeiten. 97 Diese neu formierten Initiativen und Gruppen waren einerseits Ausdruck tiefgreifender Veränderungen innerhalb der Gesellschaft, andererseits intensivierten und beschleunigten sie gleichzeitig diese Veränderungen. Die neuen Ideen waren mit den traditionellen Parteien-Schemata nicht oder nur kaum zu fassen, da sie sich unter anderem gegen grenzenloses Wachstum stellten und eine postmaterialistische Einstellung propagierten. Zunächst beschränkten sich die Einzelinitiativen auf den kommunalen Bereich, doch in größeren Städten kam es zur Zusammenarbeit und man schloss sich zu Plattformen zusammen, um so bei anstehenden kommunalen und regionalen Wahlen eine reelle Chance zu haben. 98 Die Anfänge einer bundesweiten grünen Partei sind, so Dachs, in Zusammenhang mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie zu sehen, wo mit dem Bündnis das Ziel verfolgt wurde, bei den Nationalratswahlen im Jahr 1983 zu kandidieren. 99 Programmatisch hielt man sich zunächst notgedrungen kurz und stellte die Beziehung Bürger/ Bürgerin und Staat sowie Mensch und Umwelt in den Mittelpunkt. Interne Streitereien der zumeist aus bekannten Personen zusammengewürfelten, schwach organisierten Gruppierung ließen jedoch den Wahlerfolg weit hinter den Erwartungen zurückbleiben. 100 Nach einer Phase des Rückzugs versuchte man einen Neuanfang in Zusammenhang mit dem geplanten Wasserkraftwerk Hainburg. Die neue Dynamik nutzte man unter anderem für die Kandidatur Freda Meissner-Blaus bei den Präsidentschaftswahlen 96 Bucher 2010, 6. 97 Vgl. Dachs 2006, 389. 98 Vgl. Dachs 2006, 389. 99 Vgl. Dachs 2006, 390. 100 Vgl. Dachs 2006, 390. <?page no="44"?> 44 und konnte hier auch mehr als fünf Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang für sich gewinnen: 101 „Die von den Demoskopen erhobenen Sympathiewerte waren so hoch wie nie zuvor, und man wollte nun darangehen, dieses Potenzial bei der kommenden Nationalratswahl endlich in Wählerstimmen und Mandate umzusetzen.“ 102 Zu diesem Zweck mussten sich jedoch die stark heterogenen Gruppen in einem Bündnis zusammenfinden. Anfang Juli 1986 wurde ein Grundsatzvertrag beschlossen und die „Die Grüne Alternative (Grüne)“ gegründet, die daraufhin mit acht Mandaten ins Parlament einzog. 103 Ideologisch mussten sich die Grünen erst definieren: Begannen sie zunächst als Umwelt- und Ökologiepartei, so wurde das Programm über die Jahre stetig erweitert, sodass nunmehr zu den meisten politischen Fragestellungen entsprechende Lösungsansätze vorliegen - was wiederum die Verhandlung mit anderen Parteien ermöglicht: 104 „Der Schritt von der ursprünglichen ‚Protest-‘ zur potenziellen ‚Veränderungs-Partei‘ scheint also gelungen.“ 105 4.3 Das Parlament als Bühne des politischen Geschehens Das österreichische Parlament hat laut Verfassung grundsätzlich drei Funktionen: Gesetzgebung, Kontrolle der Regierung und Mitwirkung bei der Einsetzung der Regierung. 106 Daneben ist das Parlament auch „Tribüne für das politische Geschehen.“ 107 Dazu einleitend der SPD-Abgeordnete des deutschen Bundesrats Peter Conradi: „Ich finde es immer lustig, wenn ein Journalist schreibt, hier würden nur Fensterreden gehalten. Dies ist genau die Funktion des Plenums! Der Plenarsaal ist das Fenster des Parlaments zur Öffentlichkeit.“ 108 In den folgenden Abschnitten werden die institutionellen Abläufe innerhalb des österreichischen Parlaments nachgezeichnet sowie die Bedeutung der Medien im parlamentarischen Prozess verdeutlicht, um daraus 101 Vgl. Dachs 2006, 391f. 102 Dachs 2006, 392. 103 Vgl. Dachs 2006, 392. 104 Vgl. Dachs 2006, 400. 105 Dachs 2006, 400. 106 Vgl. Gerlich/ Müller 1988, 48. 107 Gerlich/ Müller 1988, 48. 108 Conradi, zit. in: Kühn 1995, 167. <?page no="45"?> 45 letztlich die Rolle des einzelnen Abgeordneten/ der einzelnen Abgeordneten im parlamentarischen Räderwerk abzuleiten. 4.3.1 Struktur des österreichischen Parlaments heute Der Parlamentarismus in der 2. Republik ist gekennzeichnet durch das unechte Zweikammernsystem aus Nationalrat und Bundesrat, indem letzterer nur stark eingeschränkte Kompetenzen hat. 109 So ist die Bundesregierung nur dem Nationalrat Rechenschaft schuldig, nicht aber dem Bundesrat; der Bundesrat kann die Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates, die der Nationalrat grundsätzlich immer vor dem Bundesrat behandelt, nur verzögern; auch in den Augen der Öffentlichkeit liegt die Bedeutung des Bundesrats weit hinter jener des Nationalrates. 110 Während der Bundesrat mit seinen 64 Mitgliedern indirekt durch die Landtage bestellt wird, wird der Nationalrat mit seinen 183 Abgeordneten alle vier Jahre direkt gewählt. Der österreichische Nationalrat ist „sowohl Redeals auch Arbeitsparlament“ 111 und besteht aus einem Plenum und den ihm gleichgestellten Ausschüssen. 112 Die Ausschüsse sind von der Gliederung her eine Kopie der Ressorts im Bundesministerium, mit anderen Worten: jedem Bundesministerium ist ein entsprechender Ausschuss im Parlament zugeordnet. 113 Die einflussreichste Rolle im Parlament übernehmen jedoch nicht die Politiker/ Politikerinnen, sondern die einzelnen Fraktionen. Fraktionen sind parteipolitisch ausgerichtete Klubs, die den parteienstaatlichen Charakter des Parlaments prägen. 114 „Die in Klubs organisierten Fraktionen sind die eigentlichen Schaltstellen des gesamten parlamentarischen Geschehens,“ 115 denn sie entscheiden indirekt darüber, wer in der Präsidialkonferenz sitzt, sie legen die Rednerliste fest, sie bestimmen die Ausschüsse und fällen die Entscheidungen im Plenum, da sie sich bereits im Vorfeld über die Vorgehensweise geeinigt haben. 116 Der Ablauf im Nationalrat und dadurch indirekt auch das Verhalten der Fraktionen werden durch die Präsidialkonferenz einvernehmlich geregelt. 117 Die Präsidialkonferenz besteht aus den drei Nationalratspräsi- 109 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 43f. 110 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 43f. 111 Nick/ Pelinka 1996, 43. 112 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 43. 113 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 44. 114 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 43. 115 Nick/ Pelinka 1996, 46. 116 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 46. 117 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 43. <?page no="46"?> 46 denten/ Nationalratspräsidentinnen und den fünf Vorsitzenden der einzelnen Klubs, den so genannten Obleuten. Ihre Aufgabe ist es, für den reibungslosen Ablauf der Debatten im Plenum zu sorgen und mögliche Geschäftsordnungskonflikte zu lösen. 118 Die Regierung gruppiert sich hingegen um den Bundeskanzler/ die Bundeskanzlerin als Regierungschef/ Regierungschefin. Die besondere Stellung des Kanzlers/ der Kanzlerin kommt jedoch nur dann richtig zur Geltung, wenn es zur Alleinregierung einer Partei kommt; befinden sich die Parteien in einer Koalition, so endet die Macht des Bundeskanzlers/ der Bundeskanzlerin bei der eigenen Partei. 119 Der Kanzler/ die Kanzlerin schlägt nun zu Beginn der Amtsperiode eine auf den parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen gründende Bundesregierung vor, die der Bundespräsident/ die Bundespräsidentin formell ernennt. Zur Bundesregierung gehören der Bundeskanzler/ die Bundeskanzlerin, der Vizekanzler/ die Vizekanzlerin, die Bundesminister/ Bundesministerinnen und Staatssekretäre/ Staatssekretärinnen. Die Bundesminister/ Bundesministerinnen führen ein Ministerium an und sind formell an keine Weisung gebunden, auch wenn die Minister/ Ministerinnen in der Praxis oft den Vorschlägen des Kanzlers/ der Kanzlerin bzw. des Vizekanzlers/ der Vizekanzlerin folgen. Die Aufgabe der Staatssekretäre/ Staatssekretärinnen ist es, den Bundesministern/ Bundesministerinnen in den größeren Ministerien zur Seite zu stehen. 120 Der tiefere Grund für die Bestellung der Staatssekretäre/ Staatssekretärinnen liegt jedoch in den parteipolitischen Verhältnissen, indem hier vor allem das koalitionäre Gleichgewicht gewahrt werden soll: 121 In einer rot-schwarzen Koalition aus SPÖ und ÖVP wird einem roten Bundesminister/ einer roten Bundesministerin stets ein schwarzer Staatssekretär/ eine schwarze Staatssekretärin anbei gestellt und vice versa. In Hinblick auf die parlamentarischen Abläufe bildet die Bundesregierung zusammen den Ministerrat, der über drei Stufen abläuft: 122 Zuerst findet - traditionellerweise am Montag - eine fraktionelle Ministerratsvorbesprechung statt, bei der die Regierungsmitglieder nach Partei getrennt diskutieren. Am Dienstag werden bei der gemeinsamen Ministerratsvorbesprechung die am Montag innerparteilich gefundenen Positionen miteinander verglichen. Besteht Uneinigkeit, so wird der jeweilige 118 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 46. 119 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 58. 120 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 58. 121 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 58. 122 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 58. <?page no="47"?> 47 Punkt von der Tagesordnung des unmittelbar auf die Vorbesprechung folgenden Ministerrats gestrichen. Auf dieser letzten Stufe kann man vom eigentlichen Ministerrat sprechen, der nun nur noch jene Punkte verabschiedet, auf die man sich zuvor einigen konnte. 123 Da der Ministerrat seine Beschlüsse (z.B. Gesetzesvorlagen) formell einstimmig (ohne die Stimmen der Staatssekretäre/ Staatssekretärinnen) beschließt und das Mehrheitsrecht im Ministerrat im Gegensatz zum Nationalrat keine Gültigkeit besitzt, 124 wird in diesem Fall die Position des kleineren Koalitionspartner gestärkt: So kann gegenseitig kontrolliert und auch behindert werden. 125 Gesetzesvorschläge durchlaufen demnach, noch bevor sie zur Entscheidung im Nationalrat gelangen, mehrere vorparlamentarische Instanzen. D.h. auch, dass, bevor das Gesetz zur Abstimmung in den Nationalrat kommt, die Fronten in Verwaltung, Verbänden und Regierung bereits abgeklärt wurden. 126 Diese vorparlamentarische Beratungsphase begründet die relative Einstimmigkeit, mit der Entscheidungen im Parlament zuletzt getroffen werden. 127 Die Meinung, die in einer Plenarrede ausgedrückt wird, ist daher aber auch nicht gleichzusetzen mit der Meinung des Redners/ der Rednerin: „Stoff der Plenarrede eines Arbeitsgruppensprechers ist nun einmal nicht seine persönliche Meinung, sondern die mühsam genug erarbeitete Position seiner Fraktion, und die Regierungserklärung eines Kanzlers ist kein belletristisches Werk, sondern die Redeversion des Koalitionsvertrags.“ 128 4.3.2 Der Einfluss der Medien als Kritiker der Bühnenperformance Die Ausführungen des vorangegangen Abschnitts machen deutlich, dass es bei den Debatten im österreichischen Nationalrat primär nicht darum geht, die Abgeordneten im Plenum zu überzeugen. Erreicht werden soll hingegen das außerparlamentarische Publikum, „in der Hoffnung, dass dies als Motivbaustein für eine künftige Wählerentscheidung zugunsten der eigenen Partei wirksam wird.“ 129 Den Politikern/ Politikerinnen am Podium kommt dabei die Aufgabe zu, den Sachverhalt auf den Standpunkt der eigenen Fraktion reduziert, öffentlich pointiert und zugleich 123 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 59. 124 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 58. 125 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 58. 126 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 49. 127 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 50. 128 Patzelt 1995, 19. 129 Klein 2001, 67. <?page no="48"?> 48 argumentativ gestützt darzulegen. 130 Dieser Reduktionsprozess findet seine Fortsetzung in der politischen Berichterstattung, deren Aufgabe es ist, die Bürger/ Bürgerinnen über die Entscheidungen im Parlament sowie deren Zustandekommen in Kenntnis zu setzen. 131 Für die Darstellung politischer Standpunkte sind die Medien als öffentliche Plattform das Zünglein an der Waage, denn überspitzt formuliert: „Was nicht in den Medien aufscheint, das gibt es nicht! “ 132 D.h., die politische Auseinandersetzung wird, so Gerlich und Müller, weniger über den Wettbewerb der Ideen als über den Kampf um Sendezeit ausgetragen. 133 Um die mediale Aufmerksamkeit zu bekommen, werden politische Ereignisse daher richtig in Szene gesetzt: So verzichten Politiker/ Politikerinnen etwa „auf allzu trockene sachpolitische Aussagen“ 134 und peppen ihre Äußerungen stattdessen mit „ein paar harte[n] Worte[n] über den politischen Gegner“ 135 auf. Da markante Sprüche um vieles medienwirksamer sind und weniger Raum und Zeit beanspruchen, 136 kommt umgekehrt die Darstellung konkreter Ideen und komplexer Sachverhalte zu kurz. Da die Opposition nicht die medialen Vorteile einer Regierungspartei besitzt, muss sie hier umso härter um Beachtung ringen und läuft damit eher Gefahr, populistische Themen sachpolitischen Ausführungen vorzuziehen. 137 Die Vorliebe für sensationsheischende Verkürzungen finden Gerlich und Müller jedoch nicht nur auf Seiten der politischen Akteure/ Akteurinnen: Auch für Journalisten/ Journalistinnen sei es einfacher, „griffige Aussagen“ wiederzugeben, „als komplizierte Themen auf knappem Raum allgemeinverständlich aufzubereiten.“ 138 Die zunehmende Boulevardisierung der Medien, die man verkürzt auch als Sensationsjournalismus bezeichnen könnte, 139 gibt dieser Tendenz noch weiter Vortrieb. 140 Ein entscheidender Faktor in der wechselseitigen Beziehung zwischen Polit- und Medienlandschaft in Österreich ist dabei die Kronen Zeitung, ihres Zeichens die auflagenstärkste Boulevardzeitung in Europas. 141 Indem diese 130 Vgl. Meißner 2001, 107. 131 Vgl. Meißner 2001, 107. 132 Gerlich/ Müller 1988, 102. 133 Vgl. Gerlich/ Müller 1988, 102. 134 Gerlich/ Müller 1988, 103. 135 Gerlich/ Müller 1988, 103. 136 Vgl. Gerlich/ Müller 1988, 102f. 137 Vgl. Gerlich/ Müller 1988, 104. 138 Gerlich/ Müller 1988, 103. 139 Vgl. Esser 1999, 291ff. 140 Vgl. Plasser 1996, 95ff. 141 Vgl. Plasser/ Seeber 2010, 307. <?page no="49"?> 49 maßgeblich die Themensetzung und Positionierung der österreichischen Parteien bestimmt und „öffentliche Stimmungs- und Erwartungslagen redaktionell zuspitzt und mobilisiert“ 142 , sei Österreich laut Plasser und Seeber nicht nur als Mediendemokratie, sondern sogar als „Boulevard- Demokratie“ 143 zu bezeichnen. Die Medien beeinflussen jedoch nicht nur Inhalt und Form politischer Reden, sie verändern auch deren Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Klein weist darauf hin, dass besonders bei heiklen Themen die parlamentarischen Beratungen in der Berichterstattung gerne als „undurchschaubares Dauergezänk ohne Argumente“ 144 dargestellt werden. Gleichzeitig werden markante Aussagen einzelner Politiker/ Politikerinnen in den unterschiedlichen Sendeformaten der verschiedenen Kanäle immer wieder aufgenommen. Die wiederholte Ausstrahlung schmälert jedoch die rhetorische Wirkung bei den Zuschauern/ Zuschauerinnen: „In kürzesten Zeitabständen und auf vielen Kanälen wird das Publikum mit Vorgängen konfrontiert, zu denen jeweils dieselben politischen Akteure dasselbe sagen, was sie kurz zuvor auch schon geäußert haben. Das ist zwar von der Sache her meist geboten - aber bei abwechslungsorientierten Fernsehzuschauern sind Langeweile und Überdruss die Folge.“ 145 Neben dem Einfluss der Medienlogik auf die politische Praxis findet sich aber auch die gegenläufige Bewegung, indem die politische Darstellungsweise Form und Inhalt der Medien beeinflusst: So orientiert sich der moderne Wahlkampf hauptsächlich an der Person einzelner Politiker/ Politikerinnen; 146 die Medien nehmen den Ball auf und fokussieren daraufhin ihrerseits in der Berichterstattung auf die jeweiligen Spitzenkandidaten/ Spitzenkandidatinnen. Die gegenseitige Beeinflussung schaukelt sich hier so weit auf, dass Sachprogramme zu Wahlkampfzeiten schließlich weitgehend hinter Persönlichkeiten verschwinden: 147 „Die Wahlentscheidung für oder gegen eine Partei wird heute weniger auf Grund ihres Sachprogramms als wegen ihres Spitzenkandidaten getroffen.“ 148 Auf diese Weise wird der einzelne Politiker/ die einzelne Politikerin nicht nur zum Träger/ zur Trägerin politischer Botschaften sondern wird selbst zur ausschlaggebenden, d.h. wahlentscheidenden, Botschaft. 142 Plasser/ Seeber 2010, 308. 143 Plasser/ Seeber 2010, 307. 144 Klein 2001, 83. 145 Klein 2001, 83f. 146 Vgl. Lengauer/ Pallaver/ Pig 2007, 104. 147 Vgl. Gerlich/ Müller 1988, 104. 148 Gerlich/ Müller 1988, 104. <?page no="50"?> 50 4.3.3 Die Rolle der Abgeordneten im Parlament Befragt nach ihrer persönlichen Einschätzung der Rede im Parlament wiesen deutsche Bundestagsabgeordnete auf zwei Schwierigkeiten hin: 149 Einerseits stehe man als Plenarredner/ Plenarrednerin im Dienst der Fraktion bzw. eines Ausschusses, sodass die Rede selbst als Auftragskommunikation gesehen werden müsse; andererseits finde man sich als Sprecher/ Sprecherin am Rednerpult im Rampenlicht wider, wodurch „politisches Vorwärtskommen von einer hier und jetzt zu erbringenden Leistung abhängig“ 150 werde. Mit anderen Worten kommt eine Plenarrede vor allem für weniger geübte und prominente Nationalratsabgeordnete einer Prüfungssituation gleich. 151 Zeitdruck und Stresssituation führen hier zu einem bestimmten Rededuktus, der weniger mit der Person als vielmehr mit ihrer Rolle zu tun hat - dazu ein deutscher Parlamentarier: „Und das Komische ist in der Tat: die Leute, die da so unmöglich wirken oder wadlbeißerisch oder auch unheimlich agitatorisch, das sind privat fürchterlich nette Leute. Die verändern sich - anders geht’s nicht. […] Da rutschen Sie schon fast automatisch in die Rolle, und Sie müssen eigentlich einen Zettel daneben hinlegen und da immer lesen können: Ruhe, Gelassenheit, Eigenverantwortung! “ 152 Während die Ausschüsse grundsätzlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit arbeiten, wird über die Plenarsitzungen öffentlich berichtet. 153 Somit ist das Plenum „der bevorzugte Ort“ 154 , an dem die Konflikte zwischen Regierung und Opposition ausgetragen werden. 155 Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit bzw. der Medien ist dabei auf einige wenige Abgeordnete konzentriert, die daraufhin auch nicht ihre eigene Meinung wiedergeben, sondern die Parteilinie vertreten. 156 Verkürzt ließe sich mit Holly sagen, „was ein einzelner Abgeordneter innerhalb formeller Verfahren sagt, ist entweder irrelevant oder aber in der Fraktion abgesprochen.“ 157 Seit den 1990er-Jahren nimmt jedoch laut Nick und Pelinka der Einfluss des Klubzwanges in Österreich ab, was sich im Rückgang der einstimmi- 149 Vgl. Patzelt 1995, 28. 150 Patzelt 1995, 28. 151 Vgl. Patzelt 1995, 28. 152 Zit. in: Patzelt 1995, 29. 153 Vgl. Gerlich/ Müller 1988, 47. 154 Nick/ Pelinka 1996, 45. 155 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 45. 156 Vgl. Gerlich/ Müller 1988, 48. 157 Holly 1990, 119f. <?page no="51"?> 51 gen Gesetzesentscheidungen äußert: 158 Immer wieder scheren einzelne Abgeordnete von der von der Fraktion vorgegebenen Parteilinie aus und richten sich im Plenum gegen die Mehrheit. Trotzdem ist die Fraktionsdisziplin noch immer bestimmend, da im Bundes-Verfassungsgesetz das Verhältniswahlrecht festgeschrieben ist, d.h., es werden Parteien gewählt und weniger Personen. Die meisten Abgeordneten sind also stark von ihrer Partei abhängig, insbesondere von den Fraktionen, die darüber bestimmen, ob ein Abgeordneter/ eine Abgeordnete in den Ausschüssen mitarbeiten oder nur im Plenum seine Meinung abgeben darf. 159 Noch weiter verschärft wird die prekäre Situation der Parlamentarier/ Parlamentarierinnen im Parlament dadurch, dass die meisten Abgeordneten Berufspolitiker/ Berufspolitikerinnen sind: 160 „Der Zustand der Fraktionslosigkeit ist daher eine ständige Drohung gegenüber möglichen fraktionsinternen Dissidenten.“ 161 Die auf so vielfältige Weise abhängige Position des parlamentarischen Sprechers/ der parlamentarischen Sprecherin hat natürlich Auswirkungen auf die kommunikativen Handlungen im Parlament: So bilden innerparteilicher Konsens und überparteilicher Dissens die Schablone, entlang derer parlamentarische Reden im Sinne polarisierter Freund-Feind-Muster ablaufen. 162 Aus diesem Grund werden etwa starke Angriffe auf politische Gegner/ Gegnerinnen weniger belastend empfunden als leicht distanzierende Bemerkungen gegenüber Vertretern/ Vertreterinnen der eigenen Partei. Gleichzeitig werden Äußerungen, die noch nicht mit der Partei abgestimmt wurden, besonders vage gehalten und Themen, die dem Image der Partei schaden könnten, weiträumig umschifft. 163 Sieht man den Abgeordneten/ die Abgeordnete im Licht seiner/ ihrer Rolle im parlamentarischen Gefüge, so ist er/ sie zunächst nicht Vertreter/ Vertreterin der eigenen, individuellen Position, sondern Repräsentant/ Repräsentantin der jeweiligen Partei und/ oder des Staates. 164 D.h., die Rolle des/ der Abgeordneten im Parlament ist weniger situationsals vielmehr organisationsbezogen, indem an die jeweilige Repräsentationsfunktion bestimmte Rollenerwartungen gebunden sind, die das Erscheinungsbild und die Wahrnehmung des Redners/ der Rednerin verein- 158 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 48. 159 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 48. 160 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 48f. 161 Nick/ Pelinka 1996, 48. 162 Vgl. Klein 2001, 72. 163 Vgl. Klein 2001, 72. 164 Vgl. Klein 2001, 71. <?page no="52"?> 52 nahmen. 165 Dies geht so weit, dass selbst, wenn der Sprecher/ die Sprecherin von der offiziellen Parteilinie abweicht, „das heißt, wenn die Spannung zwischen Individualität des Sprechers und Institutionalität der Partei nicht mehr ausbalanciert werden kann (oder soll),“ 166 dies trotzdem immer vor der Normalerwartung wahrgenommen wird, „dass der Repräsentant einer Partei die parteioffizielle Meinung vertritt.“ 167 Die Abhängigkeit des Redners/ der Rednerin von seiner/ ihrer institutionellen Rolle beschränkt sich jedoch nicht auf weniger prominente Abgeordnete: „Ein Vorstandsmitglied einer Fraktion kann kaum ad personam eine Rede halten, ohne dass man ihn sofort fragt, warum es ihm denn nicht gelungen sei, seine eigene Fraktion zu überzeugen. Ein sehr angesehener Abgeordneter drückte dies dahin aus: ‚Je mehr Ämter ich in meiner Partei und in meiner Fraktion habe, desto mehr Hemmungen habe ich, meine Gedanken in einer Debatte auszusprechen.‘“ 168 Der öffentliche Sprecher/ die öffentliche Sprecherin wird demnach mit der Organisation für die er/ sie spricht bzw. mit den Sachverhalten, für die er/ sie steht, vollständig identifiziert. 169 Die Erwartungen der Rezipienten/ Rezipientinnen parlamentarischer Reden gehen schließlich dahin, dass öffentliches Redehandeln „immer eine institutionelle bzw. organisatorische Einbindung aufweist“ 170 , das daraufhin dementsprechend interpretiert und verstanden wird. Für parlamentarische Debatten vor den Augen der über die Medien informierten Öffentlichkeit gilt daher die Geschlossenheit der Fraktion als unumstößliche Prämisse. 171 Die Karriere eines Politikers/ einer Politikerin wird folglich stark von dessen/ deren Fähigkeit bestimmt, in der Öffentlichkeit ein positives Bild von sich und seiner/ ihrer Partei zu zeichnen. Jene Parteimitglieder, die „am geschicktesten den politischen Gegner vor der Öffentlichkeit attackieren und die eigene Politik legitimieren“ 172 , empfehlen sich für weitere Aufgaben und verschaffen sich einen Vorteil gegenüber ihren Mitbewerbern/ Mitbewerberinnen. Denn Grundlage für die Besetzung politischer Führungspositionen sind vielfach nicht sachliche politische Entscheidungen, sondern die Popularität des jeweiligen Anwärters/ der jeweiligen Anwärterin in der 165 Vgl. Klein 2001, 71. 166 Klein 2001, 71. 167 Klein 2001, 71. 168 Schäfer, zit. in: Holly 1990, 120. 169 Vgl. Volmert 1989, 29. 170 Volmert 1989, 29. 171 Vgl. Holly 1990, 120. 172 Kühn 1995, 193. <?page no="53"?> 53 Bevölkerung: 173 „Man kann ohne Übertreibung sagen, dass ein ‚Image‘ von Spitzenpolitikern den politischen Aufstieg und Abstieg bedeuten kann.“ 174 Es reicht daher oft nicht, den sachlichen Rahmen für den Wahlerfolg zu sichern, es wird darüber hinaus erwartet, dass der politische Kandidat/ die politische Kandidatin das ausschlaggebende Argument für die Wahl der eigenen Partei ist: 175 „Durch den Zug zur Personalisierung in der Politik ist jeder führende Politiker heute nicht nur der Feldherr, sondern auch die wichtigste Munition in seiner Truppe. Er ist oft selbst Inhalt der Kampagne, die er entwirft, Planer und Gegenstand zugleich. Der Spitzenpolitiker muss auch Wahllokomotive sein.“ 176 Der politische Sprecher/ die politische Sprecherin muss jedoch neben seiner/ ihrer Funktion als potenzieller Wahlkampflokomotive noch viele weitere Rollen in sich vereinen, etwa Fraktionsvorsitzender/ Fraktionsvorsitzende, Experte/ Expertin, Freund/ Freundin. 177 Mit jeder dieser Rollen übernimmt der politische Sprecher/ die politische Sprecherin bestimmte Verpflichtungen und Verhaltensrichtlinien, die sich auch und besonders über sein/ ihr sprachliches Handeln ausdrücken (z.B. bedingt die Expertenrolle die Verwendung eines gewissen Fachwortschatzes). 178 Parallel zu den institutionellen Aufgaben, denen sich ein Politiker/ eine Politikerin etwa in den Fraktionen, den Ausschüssen und anderen Gremien stellen muss, sieht Holly die vielfältigen Funktionen und damit unmittelbar verbunden die variierenden kommunikativen Aufgaben von Politikern/ Politikerinnen jedoch wiederum vor allem in Zusammenhang mit ihrer Rolle als Bindeglied der Partei: „Besonders die Funktion des Abgeordneten als Transmissionsriemen, gemäß der Repräsentationsidee, sein Doppelleben in Bonn und im Wahlkreis, führt zu zahlreichen kommunikativen Tätigkeiten: Weitergabe von politischen Deutungen von oben nach unten, Übermittlung von Stimmungen und Wünschen der Basis, auch eine Menge Informationen, Anfragen, Bitten, Fürsprachen, Ratsuchen werden von ihm behandelt im Austausch mit Einzelpersonen, Gruppen und Institutionen. Dazu kommen zahllose informelle Kontakte, Sondierungen, Gespräche verschiedener Art, Meinungsbildung und Orientierung, nicht zu vergessen repräsentative Auf- 173 Vgl. Radunski 1980, 16f. 174 Radunski 1980, 16. 175 Vgl. Radunski 1980, 9. 176 Radunski 1980, 9. 177 Vgl. Volmert 1989, 45. 178 Vgl. Volmert 1989, 45. <?page no="54"?> 54 tritte und der permanente Wahlkampf, für den man als Politiker jede öffentlichkeitswirksame Gelegenheit wahrnehmen muss.“ 179 Gleichzeitig muss der Politiker/ die Politikerin, um an politischem Profil zu gewinnen, auf der Bühne des Parlaments seine/ ihre individuelle Marke bewahren, muss er/ sie selbst bleiben: „Like actors on a stage, MPs are expected to enact several roles and thus reveal several aspects of their identities. Unlike actors on a stage, who are expected to suppress their private identity in order to impersonate a specific character, MPs are expected to perform in a double capacity, as institutional representatives, on the one hand, and as private persons, on the other hand, while carrying out their institutional commitments.“ 180 Dadurch, dass der/ die einzelne Abgeordnete immer in Relation zu den Partei- und Fraktionsinteressen und seiner/ ihrer damit in Verbindung stehenden Position innerhalb der Partei gesehen werden muss, dürfen die sprachlichen Handlungen im Plenarsaal nicht nur in Bezug auf den politischen Gegner/ auf die politische Gegnerin interpretiert werden, sondern müssen auch im Licht ihrer Wirkung bei den Parteikollegen/ Parteikolleginnen gesehen werden. 181 Um die Stellung in der Gruppe zu sichern kommt es, so Holly, nicht bloß darauf an, sachlich mitzuarbeiten, es gilt vor allem, das Gruppenklima im Auge zu behalten und den eigenen Absichten entsprechend zu beeinflussen, 182 wozu neben selbstdarstellenden Handlungen auch partnerbestätigende Mittel eingesetzt werden. 183 Diese vielfältigen Rollen muss der Politiker/ die Politikerin nun im Rahmen öffentlicher Kommunikation zum Teil gleichzeitig in sich und seinen/ ihren Aussagen vereinen. Norris spricht hier von kommunikativen Schichten, indem bestimmte sprachliche, aber auch nicht-sprachliche Aktivitäten im Gespräch besonderes Interesse genießen und daher im Vordergrund stehen, während andere im Moment weniger Beachtung finden und daher eher im Hintergrund bleiben: 184 „Instead of viewing social actors as performing one-thing-at-a-time, this framework demonstrates that individuals perform many higher-level actions simultaneously by attending to them to different degrees.” 185 179 Holly 1990, 42f. 180 Ilie 2010, 70. 181 Vgl. Kühn 1995, 193. 182 Vgl. Holly 1990, 236. 183 Vgl. Holly 1990, 236. 184 Vgl. Norris 2006, 402. 185 Norris 2006, 402. <?page no="55"?> 55 Besondere Beachtung muss auch der Rolle und dem sprachlichen Handeln weiblicher Abgeordneter im Parlament geschenkt werden. Die Zusammensetzung des österreichischen Nationalrates unterscheidet sich generell stark von der sozialen Schichtung der Wählerschaft: 186 Die Abgeordneten haben zumeist eine akademische Ausbildung, sind älter und überproportional eher katholisch oder antiklerikal. 187 Auch der Anteil der Frauen im Parlament entspricht nicht der Menge der Wähler/ Wählerinnen, obwohl sich hier die Fronten zu verschieben beginnen. 188 In Österreich finden sich die ersten Parlamentarierinnen nach dem Zweiten Weltkrieg: Nachdem im Jahr 1918 das allgemeine Frauenwahlrecht eingeführt wurde, zogen ein Jahr später, im März 1919 acht Abgeordnete, sieben Sozialdemokratinnen und eine Christlich-soziale, als erste Frauen ins österreichische Parlament ein. 189 Während in den ersten Jahrzehnten von 1945 bis in die 70er-Jahre der Anteil der weiblichen Nationalratsmitglieder stagnierte, stieg die Mitwirkung und Teilnahme von Frauen im Parlament ab Mitte der 70er-Jahre an; seit 2002 ist der Frauenanteil jedoch wieder im Sinken begriffen. 190 Die Einbindung weiblicher Politikerinnen ins parlamentarische Geschehen verlief dabei von Partei zu Partei unterschiedlich: Bis in die 90er-Jahre verzeichnete die SPÖ den höchsten Frauenanteil aller Nationalratsparteien, gefolgt von der ÖVP, während der VdU (Verband der Unabhängigen) sowie seine Folgepartei die FPÖ bis in die 80er-Jahre sich als reine Männerpartei erwiesen. 191 Die Grünen waren im Unterschied dazu die erste Partei, 192 die die Geschlechterparität ins Parlament einführte. 193 Dennoch befinden sich Frauen in Regierung, Parlament und Parteigremien in der Minderheit. 194 Zudem wurde der Zutritt zu den politischen Funktionen „von den Frauen ‚erkämpft‘ und von den Männern ‚gewährt‘“ 195 , worin sich laut Steininger die Machtverhältnisse widerspiegeln. 196 Auch heute noch bestimmen Männer großteils den Lauf der Poli- 186 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 48f. 187 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 48f. 188 Vgl. Nick/ Pelinka 1996, 48f. 189 Vgl. http: / / www.parlinkom.gv.at/ PA/ FRPA/ show.psp? P_INF2=2 [30.04.2010]. 190 Vgl. http: / / www.parlinkom.gv.at/ WW/ NR / STAT/ FRAU/ ENTW/ entwfrauenan teil.shtml [30.04.2010]. Siehe dazu auch Steininger 1998, 275ff. 191 Vgl. Steininger 1998, 275. 192 Vgl. Steininger 1998, 284. 193 Vgl. Steininger 1998, 275. 194 Vgl. Steininger 1998, 275. 195 Steininger 1998, 275. 196 Vgl. Steininger 1998, 275. <?page no="56"?> 56 tik, indem sie die Spielregeln bestimmen, nach denen sich auch Frauen zu richten haben. 197 „Frauen haben es daher schwer in der Politik, und nach wie vor gilt: Je höher die politische Ebene, desto dünner ist die Luft für Frauen,“ 198 vor allem da sie sich nicht nur gegen die männliche Konkurrenz durchsetzen müssen, sondern auch gegen gesellschaftliche Stereotype ankämpfen. Die Wähler/ Wählerinnen haben eine bestimmte Vorstellung davon, welche Eigenschaften einen Politiker bzw. eine Politikerin auszeichnen bzw. wie sich diese zu verhalten haben: 199 „Für Frauen, die in der Politik Karriere machen wollen, liegt die Herausforderung darin, mit den gesellschaftlichen Rollenerwartungen umzugehen.“ 200 Zudem nehmen die Bilder, die sich in der Gesellschaft für den Beruf des Politikers/ der Politikerin herausgebildet haben, weitgehend Anlehnung an männliche Stereotype, die in Bezug auf Frauen als weniger stimmig empfunden werden. 201 Möchten Frauen in der politischen Hierarchie nach oben steigen, so tun sie gut daran, die gesellschaftlichen Vorstellungen, die auch von den Politikern und Politikerinnen selbst mitgetragen werden, zu berücksichtigen, was Frauen wiederum sehr häufig in eine Zwangslage bringt, aus der sie kaum als Gewinnerinnen hervorgehen können: 202 „Geben sich die Frauen kühl, kalkulierend und aggressiv, wie es das politische Geschäft verlangt, riskieren sie Ablehnung als ‚Mannweib‘; empfehlen sie sich mit vermeintlich weiblichen Eigenschaften, gelten sie als ungeeignet für die schweren Herausforderungen der Politik.“ 203 Eine wichtige Rolle bei der Tradierung stereotyper Rollenbilder spielen die Medien, die laut Holtz-Bacha über Politikerinnen grundsätzlich anders berichten als über Politiker: 204 So sind Frauen damit konfrontiert, dass der Fokus der Berichterstattung eher auf ihrem Aussehen und ihrem Privatleben liegt, als auf ihren politischen Anliegen. Fragen nach Frisur, Kleidung, Kinderbetreuung und Haushalt werden den männlichen Kollegen hingegen kaum gestellt. 205 Mit anderen Worten werden an Politikerinnen Kriterien angelegt, die einerseits nichts mit ihrem politischen Stil 197 Vgl. Holtz-Bacha 2009, 3. 198 Holtz-Bacha 2009, 3. 199 Vgl. Holtz-Bacha 2009, 3. 200 Holtz-Bacha 2009, 6. 201 Vgl. Holtz-Bacha 2009, 3. 202 Vgl. Holtz-Bacha 2009, 3. 203 Holtz-Bacha 2009, 3. 204 Vgl. Holtz-Bacha 2009, 4. 205 Vgl. Holtz-Bacha 2009, 4. <?page no="57"?> 57 oder ihren sachpolitischen Anliegen zu tun haben und die andererseits bei ihren männlichen Kollegen keinerlei Rolle spielen. 206 Obwohl es in den letzten Jahren den Anschein hat, als seien Frauen im Vormarsch, bleibt Politik im Grunde eine Männerdomäne: 207 „Manly men, doing manly things, in manly ways.“ 208 206 Vgl. Holtz-Bacha 2009, 4. 207 Vgl. Holtz-Bacha 2009, 3. 208 Holtz-Bacha 2009, 3. <?page no="58"?> 58 5 Methodik Burkhardt sieht als Grund für die linguistische Auseinandersetzung mit dem Sprachgebrauch in der Politik vor allem das sprachkritische und/ oder politische Interesse des jeweiligen Forschers/ der jeweiligen Forscherin: Die Sprache-in-der-Politik-Forschung wird seiner Meinung nach getrieben von dem Wunsch bzw. dem Ehrgeiz, sich in die öffentliche Diskussion einzumischen. 1 Damit begibt sich die Linguistik auf gefährliches Terrain, steht doch der Vorwurf der Parteilichkeit sehr schnell im Raum. Laut Zimmermann entsteht oft der Eindruck, „die Sprachkritiker suchten in der Sprache lediglich die Bestätigung bereits vorhandener kulturpessimistischer Urteile.“ 2 Kritische Betrachtungen der Sprache in der Politik laufen Gefahr, dass subjektive Einstellungen bewusst oder unbewusst Eingang in die sprachwissenschaftliche Untersuchung finden und diese in die eine oder andere (ideologische) Richtung einfärben. Henne und Rehbock fordern daher den Wissenschaftler/ die Wissenschaftlerin auf, bewusst Abstand zu nehmen. 3 Der völligen Neutralität des Sprachwissenschaftlers/ der Sprachwissenschaftlerin steht Fairclough jedoch äußerst kritisch gegenüber, da sie seiner Meinung nach meist nur von eher zweifelhaften Lippenbekenntnissen getragen werde. 4 Weit wichtiger sei es, die eigene politische Orientierung offenzulegen, 5 denn „scientific investigation of social matters is perfectly compatible with committed and ‚opinionated‘ investigators (there are no others! ).“ 6 Dies befreie den Wissenschaftler/ die Wissenschaftlerin jedoch nicht davon, fundiert zu argumentieren und stichhaltige Beweise für seine/ ihre Annahmen zu liefern. 7 Die vorliegende Arbeit versucht nun durch die Synthese verschiedener wissenschaftlicher Ansätze der sprachlichen Vielschichtigkeit des kommunikativen Wechselspiels zwischen Pult und Plenum zu begegnen. 1 Vgl. Burkhardt 1996, 82. 2 Zimmermann 1969, 11. 3 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 53f. 4 Vgl. Fairclough 2001, 4. 5 Wenngleich sowohl bei der Analyse des Materials als auch bei der Interpretation der Ergebnisse mit größtmöglicher Objektivität vorgegangen wurde und daher mit Henne und Rehbock bewusst versucht wurde, Abstand zu wahren, möchte ich mich als Autorin dieser Arbeit - der Forderung Faircloughs entsprechend - an dieser Stelle als eher links der Mitte deklarieren. 6 Fairclough 2001, 4. 7 Vgl. Fairclough 2001, 4. <?page no="59"?> 59 Dazu ist es jedoch nötig, den jeweiligen Forschungsansätzen und deren Vorgehensweise offen gegenüberzustehen und allfällige methodologische Ressentiments zu durchbrechen. Dazu Weninger und Andres: „Is it the case that the various perspectives that are taken toward the study of language, each perspective with its attendant theories, methodologies, terminology, and research agendas, are inherently divergent pathways that have no relevance to one another? Or is it possible that, for any number of reasons, we have become so narrowly and inwardly focused on singular perspectives and approaches that we wind up in a series of little boxes, each box full of people who diligently work away at putting together a small set of the pieces of the language puzzle, but who seldom venture out of the boxes to see how the various pieces might fit together? “ 8 Im Rahmen dieser Untersuchung wird nicht nur die semantische Analyse von Ausdrücken in Zusammenhang mit sprechakttheoretischen und gesprächslinguistischen Fragestellungen gebracht, sondern zudem zur Quantifizierung des qualitativ erfassten Textinhalts auf die empirisch sozialwissenschaftliche Apparatur zurückgegriffen. Ziel dahinter ist es, „eine ebenengerechte Beschreibung der Faktoren, die für politischen Sprachgebrauch charakteristisch sind, vorzunehmen.“ 9 Die folgenden Abschnitte sollen als Ausgangsbasis für die darauffolgende Analyse dienen. 5.1 Das Gespräch als Text Debatten im Parlament, im Speziellen das Verhältnis von parlamentarischer Rede und Zwischenruf, sind ein Paradebeispiel für die dichotome Beziehung aus straffer, monologischer Themenbehandlung, wie sie vor allem mit den Methoden der Textlinguistik erfasst wird, und dem (beinahe) freien Spiel aus Rede und Widerrede einander widerstrebender Sprecherintentionen, die traditionellerweise über die Gesprächsanalyse beschrieben werden. Die vorliegende Arbeit versucht diese Trennung zwischen Textlinguistik und Gesprächsanalyse zu Gunsten einer holistischen Sicht auf den Analysegegenstand aufzulösen. Das erscheint umso naheliegender, da die stenographischen Protokolle selbst den Widerspruch aus Gesprochenem und Verschriftlichtem in sich vereinen. Zudem wird bei der Analyse der Themen das qualitative sprachwissenschaftliche Instru- 8 Weninger/ Andres 2007, 211f. 9 Liedtke 1996a, 8. <?page no="60"?> 60 mentarium um die quantitative Dimension der sozialwissenschaftlichen Inhaltsanalyse erweitert, um aus der großen Menge an Daten generelle Tendenzen ableiten zu können. Der quantitativen Analyse geht dabei stets die qualitative Analyse voraus, indem jede Zuordnung eines bestimmten Themenbereichs zu einer spezifischen Themenkategorie eine qualitative Entscheidung darstellt, die daraufhin zählbar gemacht und quantifizierend weiter verarbeitet wird. 10 Obwohl wir nun normalerweise kein Problem damit haben, spontan zu sagen, was das Thema eines Textes ist, 11 bereitet die Bestimmung des Textthemas allein über linguistische Methoden jedoch Schwierigkeiten. 12 Zentraler Bestandteil neuerer textlinguistischer Ansätze ist es daher, das alltagssprachliche Verständnis von Textthema bzw. der thematischen Struktur von Texten zu systematisieren, 13 wobei gleich zu Beginn vorweggenommen werden muss, dass sowohl eine einheitliche Definition des Begriffs als auch eine allgemein akzeptierte Methode zur Erhebung der Themen eines Textes noch ausstehen. 14 Für Brinker ist das Thema der „Kern des Textinhalts“ 15 , den er wiederum als den auf Personen, Sachverhalte, Ereignisse, Handlungen usw. bezogenen Gedankengang eines Textes definiert. 16 Wie das Thema im Text entwickelt und ausgedrückt wird, hängt von der Situation ab. 17 Die Grundannahme dahinter ist, „dass sich der Textinhalt […] als Ergebnis eines ‚Ableitungsprozesses‘ auffassen lässt, nämlich als Resultat der Entfaltung eines Inhaltskerns (‚Grundinformation‘, Thema im alltagsspezifischen Sinn) nach bestimmten (letztlich wohl kommunikativ gesteuerten) Prinzipien.“ 18 Mit dem Gedanken der Themenentfaltung, wie er bei Brinker zu finden ist, geht laut Hoffmann das Konzept der Fortführung des Themas einher. 19 Hoffmann beruft sich hierbei auf das Thema-Rhema-Konzept der Prager Schule, das durch Daneš auch für die Textlinguistik brauchbar gemacht wurde. 20 Daneš unterscheidet in Hinblick auf die Struktur des 10 Vgl. Früh 2004, 35. 11 Vgl. Linke/ Nussbaumer/ Portmann 2004, 267. 12 Vgl. Linke/ Nussbaumer/ Portmann 2004, 267. 13 Vgl. Lötscher 1986, 4. 14 Vgl. Lötscher 1987, 3. 15 Brinker 1992, 55. 16 Vgl. Brinker 1992, 55. 17 Vgl. Brinker 1992, 60ff. 18 Brinker 1992, 22. 19 Hoffmann, zit. in: Gansel/ Jürgens 2002, 39. 20 Vgl. Daneš 2000, 591ff. <?page no="61"?> 61 Satzes zwischen Thema und Rhema, 21 eine Struktur, die sich, so Weinrich, auch in der Textpartitur erkennen lässt: 22 „Es geht um die thematische Progression eines Textes. [...] Nun kann man im Sinne dieser Lehre die bereits aufgenommene und verstandene Information Thema nennen, und jede neu hinzutretende Information, die der weiterlaufende Text mit sich bringt, fügt sich dem Thema als Rhema hinzu. Thema ist also jeweils die gegebene, Rhema die neu hinzutretende, die innovative Information.“ 23 Das Thema ist nicht nur für schriftliche Texte von Bedeutung, für Gespräche ist die thematische Orientierung, so Brinker und Sager, sogar eine Grundvoraussetzung, um überhaupt von einem Gespräch reden zu können. 24 Neben der Bestimmung des Themas als solches, ist die Beschreibung struktureller thematischer Zusammenhänge innerhalb eines Dialogs jedoch noch schwieriger zu bewerkstelligen. 25 Denn ein Gespräch ist laut de Beaugrande und Dressler kein Einzeltext, sondern muss vielmehr als eine Reihe von Texten aufgefasst werden, die einem bestimmten, interaktiven Plan folgen. 26 Ist die Aufmerksamkeit der Gesprächsteilnehmer/ Gesprächsteilnehmerinnen erst einmal auf ein gemeinsames intentionales Objekt gerichtet, so besitzt ein Gespräch zu einem bestimmten Zeitpunkt jedoch nur ein Thema, das solange Thema bleibt, wie es von den Teilnehmern/ Teilnehmerinnen fokussiert wird. 27 Auf diese Weise kann der Text- oder Gesprächsinhalt in verschiedene thematische Abschnitte gegliedert werden, die dadurch gekennzeichnet sind, „dass die Bedingungen für die Einheitlichkeit eines Themas eingehalten sind, d.h., dass die Aufmerksamkeitsausrichtung (Fokus) der Gesprächsteilnehmer auf einen Gegenstand oder Sachverhalt konstant bleibt.“ 28 Thematische Einheitlichkeit entsteht einerseits durch Themenkontinuität, d.h. durch die ständige Referenz auf ein intentionales, fokussiertes Objekt, andererseits durch die semantische, situativ-pragmatische, logische, ontologische und/ oder kulturell-soziale Kontiguität benachbarter Themen. 29 Je weiter man sich von den Satzgrenzen entfernt, desto größer 21 Vgl. Daneš 2000, 591ff. 22 Vgl. Weinrich 1976, 145ff. 23 Weinrich 1976, 140f. 24 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 11f. 25 Vgl. Fritz 1994, 191. 26 Vgl. de Beaugrande/ Dressler 1981, 125. 27 Vgl. Schank 1981, 23. 28 Brinker/ Sager 2006, 108. 29 Vgl. Schank 1981, 23. <?page no="62"?> 62 wird die Freiheit und umso schwieriger wird es aber auch, Regeln zu erkennen. 30 Die thematische Ausrichtung muss nämlich nicht explizit ausgesprochen werden, solange sie implizit von allen am Gespräch Beteiligten als solche verstanden wird. 31 Die Explizitheit der Formulierung reduziert sich dabei umso mehr, je besser sich die Gesprächsteilnehmer/ Gesprächsteilnehmerinnen kennen und auf ein gemeinsames Hintergrundwissen zurückgreifen können. 32 Für den Sprachwissenschaftler/ die Sprachwissenschaftlerin ist daher das Wissen über die Dialogpartner/ Dialogpartnerinnen und über deren aktuelle Interessen, Probleme und Fragestellungen von besonderer Bedeutung. 33 Vieles muss über das eigene Vorwissen abgeleitet und das potentiell Mitgemeinte darin bewusst inkludieren werden: „Themenerhebung ist, vor allem in sprachlich nicht weiter genormten Alltagstexten, wie eben den meisten Texten der gesprochenen Sprache, nur möglich durch Rekurs auf Alltagswissen.“ 34 Die für ein Gespräch relevanten Themen ergeben sich zunächst aus dem jeweiligen Interesse des Sprechers/ der Sprecherin. 35 Indem er/ sie bestimmte Themen als relevant und wichtig erachtet, gehören sie, so Schank, zu seinen/ ihren „generativen Themen“ 36 . Diese individuell spezifischen Themenrepertoires sind natürlich unter anderem auch von sozialen Situationen abhängig: 37 Dies geht so weit, dass bestimmte Situationen bestimmte Themen bedingen und erwartet wird, dass sich der jeweilige Sprecher/ die jeweilige Sprecherin an diesen Konventionen orientiert. 38 Goffman spricht in diesem Zusammenhang von einem Reservoire an sicheren, nicht-offensiven Themen, die sich für bestimmte Gesprächssituationen eignen: 39 „Wenn jemand die anderen gut kennt, wird er wissen, welche Themen nicht angeschnitten, in was für Situationen die anderen nicht gebracht werden sollten, und so wird es ihm freistehen, beliebige Themen auf allen anderen Gebieten anzuschneiden. Wenn die anderen fremd sind, wird er 30 Vgl. de Beaugrande/ Dressler 1981, 17. 31 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 12. 32 Vgl. Schank 1981, 25. 33 Vgl. Fritz 1994, 193. 34 Schank 1981, 26. 35 Vgl. Schank 1981, 35. 36 Schank 1981, 35. 37 Vgl. Schank 1981, 35. 38 Vgl. Schank 1981, 35. 39 Vgl. Goffman 1986, 22. <?page no="63"?> 63 das Rezept oft umkehren, indem er sich selbst auf spezifische Gebiete beschränkt, von denen er weiß, dass sie sicher sind.“ 40 Das mögliche Themenrepertoire ist jedoch nicht nur personen- und situationsspezifisch sondern auch gruppenspezifisch, da „ein Zusammenhang zwischen den Interessen und Einstellungen, d.h. der sozialen Topik einer Gruppe sowie der Häufigkeit bestimmter Gesprächsthemen deutlich wird.“ 41 Für Schank deutet nun vieles darauf hin, dass im Normalfall wörtlich ausgesprochen wird, was für das Gespräch relevant erscheint. 42 Dies gilt vor allem für strittige oder problematische Themen, die durch explizite Thematisierung ins Bewusstsein gerückt werden. 43 Daraus lässt sich ableiten, dass in konfliktträchtigen Textsorten wie etwa Diskussionen die behandelten Themen generell explizit angesprochen werden. 44 Im Unterschied zu anderen Textsorten weisen Diskussionen an und für sich einen starken Themenbezug auf, indem zu Beginn ein Thema fixiert und bis zum Ende beibehalten wird. 45 In Diskussionen ist es deshalb auch möglich und durchaus üblich, die Einheitlichkeit des Themas einzufordern. 46 Außerdem folgt die Themenverknüpfung bei geregelten Diskussionen im Gegensatz zu ungeregelten Gesprächen, bei denen die Abfolge der Themen vor allem durch Beziehungsaspekte bestimmt wird, zumeist auch logischen bzw. argumentativen Gesichtspunkten. 47 Ecker spricht hier von additiver und hierarchischer Themenverknüpfung, wobei es sich weniger um Themen als um Subthemen handelt. 48 In diesem Zusammenhang unterscheiden Igou und Bless zwischen monologischen und dialogischen Diskussionsformen: 49 In monologischen Diskussionsformen, wie etwa bei öffentlichen politischen Reden baut sich die Themenstruktur argumentativ geordnet auf; 50 dementgegen ist bei dialogisch ausgerichteten Diskussionsformen ein derartiger Themenaufbau kaum möglich. 51 Die inkonsistente Themenbzw. Argumentabfolge führt hier dazu, dass sich der Rezi- 40 Goffman 1986, 22. 41 Schank 1981, 35. 42 Vgl. Schank 1981, 34. 43 Vgl. Schank 1981, 34. 44 Vgl. Schank 1981, 34. 45 Vgl. Schank 1981, 31. 46 Vgl. Schank 1981, 25. 47 Vgl. Schank 1981, 32. 48 Vgl. Ecker, zit. in: Schank 1981, 32. 49 Vgl. Igou/ Bless 2007, 262. 50 Vgl. Igou/ Bless 2007, 262. 51 Vgl. Igou/ Bless 2007, 262. <?page no="64"?> 64 pient/ die Rezipientin auf die neue Information konzentriert, die tendenziell am Ende der Botschaft steht: 52 „As a consequence of this expectation, recipients focus on this part of the communication, which in turn results in recency effects.“ 53 Die Bereitschaft des Gegenübers, dem Spiel zu folgen, ist dabei eine notwendige Voraussetzung: 54 „Conversational participants will infer unexpressed content rather than abandon their assumption that discourse is intended to be coherent, informative, relevant, and cooperative.” 55 Denn es wäre unmöglich sich zu verständigen, müsste man alles, was man meint, auch explizit machen: 56 „Der Explizitheitsthese wirkt also ein Streben nach Vermeidung überflüssiger Explizitheit entgegen.“ 57 Um den gemeinsamen Nenner des Gesprächs nicht aus den Augen zu verlieren, wird ein Dialog laut Sacks und Garfinkel von allen an ihm Teilnehmenden ständig „formuliert“, indem sie ihn beschreiben, erklären, charakterisieren usw. 58 Während des Gesprächs geben sich die Kommunikationspartner/ Kommunikationspartnerinnen somit gegenseitig zu verstehen, wie sie die eigenen Redebeiträge interpretiert wissen wollen. 59 Sachverhaltsdarstellungen dieser Art schaffen, so Spranz-Fogasy, aber auch „interaktive Fakten“ 60 , die nicht nur für den Redner/ die Rednerin eine Verpflichtung darstellen, sondern gleichzeitig auch die Zuhörerschaft dazu zwingen, Stellung zu beziehen: „Beim kommunikativen Sprechhandeln werden Einstellungen des Sprechers und Hörers vorausgesetzt (Annahmen/ Präsuppositionen), es werden Einstellungen des Sprechers zum Ausdruck gebracht (und damit werden sprecherseitige Obligationen eingegangen) und es wird auf Einstellungen des Hörers gezielt (illokutive, perlokutive Effekte hörerseitige Obligationen).“ 61 Eine weitere Möglichkeit, einen Text in Abschnitte zu gliedern, besteht folglich darin, den durch die Intentionalität vorgegebenen Handlungsplan unter der Textoberfläche freizulegen. Eine Segmentierung auf Handlungsebene ergibt daraufhin eine Abfolge von Teilzielen und der auf sie 52 Vgl. Igou/ Bless 2007, 262. 53 Igou/ Bless 2007, 262. 54 Vgl. de Beaugrande/ Dressler 1981, 132. 55 de Beaugrande/ Dressler 1981, 123. 56 Vgl. Schank 1981, 24f. 57 Schank 1981, 25. 58 Vgl. Garfinkel/ Sacks 2004, 405ff. 59 Vgl. Nothdurft 1998, 68. 60 Spranz-Fogasy 1986, 27. 61 Holly 1979, 7. <?page no="65"?> 65 gerichteten Intentionen, „durch die ein gegenwärtig bestehender Zustand in einen kontrafaktischen erstrebten Zielzustand überführt werden soll.“ 62 Ein Gespräch kann demnach einerseits als Handlungsplan mit verschiedenen Teilzielen aufgefasst werden und kommunikativ-pragmatisch auf Ebene der Sprechakte und Gesprächseinheiten beschrieben werden; 63 dies wird im Rahmen dieser Arbeit über die Beschreibung typischer Handlungsmuster im Wechselspiel zwischen Redner/ Rednerin und Zwischenrufer/ Zwischenruferin geleistet (siehe Kapitel 10). Andererseits kann ein Gespräch auch semantisch-thematisch untersucht werden, indem der Gesprächsinhalt aus den in den thematischen Gesprächsabschnitten ausgedrückten Teilinhalten konstruiert wird. 64 Die thematische Analyse beschränkt sich jedoch nicht allein auf die Einwürfe aus dem Plenum, sondern setzt diese in Zusammenhang mit dem jeweiligen Redeabschnitt, auf den sie sich thematisch beziehen. Die Ausweitung des Analyseschwerpunkts auf den unmittelbaren Debattenkontext macht es jedoch notwendig, die Analyseebene zu definieren, auf der die Analyse der Themen sinnvollerweise erfolgen soll. Von Seiten der Grammatik ist grundsätzlich der Satz die zentrale Struktureinheit des Textes. 65 Dementgegen steht die Ellipse als auffälligstes Merkmal gesprochener Sprache, wo gerade vom Rezipienten/ von der Rezipientin erwartet wird, essentielle Satzteile von sich aus herzuleiten und damit den Satz (grammatikalisch) zu vollenden. Ellipsen stehen in direktem Zusammenhang zum Stand des Gesprächs, d.h., was bereits bekannt ist, wird aus sprachökonomischen Gründen nicht noch einmal wiederholt. 66 Die Bereitschaft, eine sprachliche Äußerung als kohäsiven und kohärenten Text aufzufassen und kleinere Ungereimtheiten zu übersehen, ist somit eine Grundvoraussetzung für Kommunikation. 67 Der Satz als Struktureinheit der Textanalyse und als Basis für die Themenzuordnung kann daher nur als Ausgangspunkt dienen. 68 Coseriu bezeichnet die Textlinguistik als Linguistik des Sinns, 69 folglich müssen auch die für den Text als unterste Analyseeinheit definierten Sätze vielmehr über ihren Sinn definiert werden, d.h. mit anderen Worten: über die in ihnen ausgedrückten Propositionen. 62 Schank, zit. in: Brinker/ Sager 2006, 111. 63 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 61. 64 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 61. 65 Vgl. Brinker 1992, 22. 66 Vgl. Schwitalla 1994, 22f. 67 Vgl. de Beaugrande/ Dressler 1981, 129. 68 Vgl. Brinker 1992, 23. 69 Vgl. Coseriu 1994, 67. <?page no="66"?> 66 Der Begriff der Proposition stammt ursprünglich aus der Sprechakttheorie und bezeichnet den Akt des Sprechers/ der Sprecherin, mit dem er/ sie sich auf bestimmte Dinge in der Welt, über die er/ sie etwas aussagt, bezieht. 70 Die Proposition wurde in den 70er- und 80er-Jahren zur Basiseinheit für satzsemantische Textbeschreibungsmodelle, die die Bedeutung von Sätzen nicht mehr „als bloße Summe der Einzelbedeutungen der in ihnen auftretenden Lexeme“ 71 verstanden wissen wollten. 72 Propositionen bestehen „aus einem semantischen Prädikat und einer bestimmten Anzahl von Argumenten, da in Termen von Propositionen sowohl die Inhalte von Einzelsätzen als auch die Verknüpfung und Integration dieser Einzelsätze zu komplexeren Ganzheiten beschrieben werden können.“ 73 Doch ebenso wie der Satz als grammatikalische Struktureinheit ist auch die Proposition als semantische Sinneinheit wiederum nur ein Baustein der Textarchitektur, 74 die erst durch das In-Bezug-Setzen der Einzelteile verständlich wird. Taboada und Mann sehen den Text als Beziehungsnetz von Einzelteilen, in dem jeder Teil eine bestimmte Funktion in Bezug auf andere Textteile zu erfüllen hat. 75 Dabei können nicht nur Nachbarpropositionen miteinander in Relation stehen, auch größere Texteinheiten können semantisch aufeinander bezogen sein. 76 An diesem Punkt setzt van Dijks Modell zur Beschreibung der Propositionsstruktur von komplexen Texten an, 77 mit dem er den Begriff der Makrostruktur in die Textlinguistik einführt. 78 Ein Text besteht nach van Dijk aus mehreren Schichten, indem ein Bündel aus Mikro-Propositionen eine übergeordnete Makro-Proposition definiert, die wiederum selbst Grundlage für die nächsthöhere Makro- Proposition ist. 79 Auf diese Weise entstehen immer größere Texteinheiten, bis schlussendlich die Makrostruktur des Gesamttextes als Text-Bedeutung erreicht ist. 80 Noch oberhalb der Makrostruktur siedelt van Dijk die spezifischen kommunikativen Regeln an, die dem makrostrukturellen 70 Vgl. Gansel/ Jürgens 2002, 40. 71 Heinemann/ Heinemann 2002, 74. 72 Vgl. Heinemann/ Heinemann 2002, 74. 73 Heinemann/ Heinemann 2002, 74. 74 Vgl. Brinker 1992, 26. 75 Vgl. Taboada/ Mann 2006, 425. 76 Vgl. Gansel/ Jürgens 2002, 43. 77 Vgl. Heinemann/ Heinemann 2002, 77. 78 Vgl. van Dijk 1980, 1ff. 79 Vgl. van Dijk 1980, 49. 80 Vgl. van Dijk 1980, V. <?page no="67"?> 67 Inhalt eine grobe Form geben und die er als Superstruktur bezeichnet. 81 Der textanalytische Teil dieser Arbeit fußt auf der hierarchischen Struktur van Dijks und unterscheidet zwischen Makro-, Meso- und Mikrostruktur: Im Rahmen der Analyse der Makrostruktur der parlamentarischen Debatten werden zunächst die kommunikativen Reglementierungen im österreichischen Nationalrat umrissen, die Einfluss auf das Debattenverhalten der Abgeordneten haben. Daraufhin wird näher auf die einzelnen Tagesordnungspunkte eingegangen, die an den ausgewählten Sitzungstagen im Plenum abgearbeitet wurden, indem angenommen wird, dass über die Frequenz der Zwischenrufe jene Sitzungspunkte und Debattentypen herauskristallisiert werden können, die ein hohes Konfliktpotential in sich bergen. Die Untersuchung der Mesostrukturen fokussiert daraufhin auf die Rede-Zwischenruf-Abfolgen und sucht hier nach Textsegmenten mit wiederkehrenden satzübergreifenden Propositionsmustern. Die vorliegende Arbeit definiert Textsegmente mit Brinker 82 als übergeordnete Sinneinheit, die mehrere gleichgerichtete Propositionen satzübergreifend unter einem Teilthema zusammenfasst und fortan vereinfachend als Aussage bezeichnet wird. Zuletzt wird die Mikrostruktur der Rede-Zwischenruf-Abfolgen beschrieben, indem die auf der Mesoebene erhobenen Propositionsmuster in einzelne Prädikationen aufgebrochen werden, mit denen in Hinblick auf das jeweilige Thema „rhematische Informationen angehäuft und systematisch ins Wissen integriert werden.“ 83 Bei der Darstellung der Themen und Subbzw. Teilthemen eines Textes greifen textlinguistische Ansätze häufig auf zusammenfassende Paraphrasen zurück. Um mögliche Zusammenhänge zwischen Redeinhalt und Zwischenruf offenzulegen, müssen die qualitativ erhaltenen Paraphrasen jedoch quantifiziert werden. Die vorliegende Arbeit ergänzt daher das textlinguistische Analyseinventar, das zur qualitativen Beschreibung der Textinhalte herangezogen wird, um die Methoden der empirischen Inhaltsanalyse. Die Inhaltsanalyse findet in vielen verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen Anwendung und wird dort vor allem dazu verwendet, große Datenmengen empirisch untersuchbar zu machen. 84 Im Zentrum des Interesses befinden sich zumeist Schlüsselwörter, die für bestimmte Themeninhalte stehen, die daraufhin auf ihre quantitative und rangmäßige Vertei- 81 Vgl. van Dijk 1980, V. 82 Vgl. Brinker 1992, 26. 83 Hoffmann, zit. in: Gansel/ Jürgens 2002, 39. 84 Vgl. Früh 2004, 14. <?page no="68"?> 68 lung hin analysiert werden. 85 Lasswell, der als Vater der Inhaltsanalyse gilt, 86 geht dabei vom Textmaterial aus und zieht aus ihm die Schlüsselwörter, die daraufhin statistisch ausgezählt und kategorisiert werden. 87 Eine erste Definition von Früh charakterisiert die Inhaltsanalyse dabei als „eine empirische Methode zur systematischen, intersubjektiv nachvollziehbaren Beschreibung inhaltlicher und formaler Merkmale von Mitteilungen.“ 88 Die Annahme dahinter ist, dass bestimmte inhaltsinterne Merkmale auf inhaltsexterne Merkmale schließen lassen, dass Text und Kontext bis zu einem gewissen Grad korrelieren. 89 Im Zentrum steht die Transkription des Inhalts entsprechend den empirischen Daten, d.h., Inhalt soll messbar gemacht werden. 90 Die qualitative Zuordnung von Kategorien, d.h. die Paraphrasierung des Inhalts, ist noch keine Messung und somit auch noch keine Inhaltsanalyse. 91 Der qualitativen Auswertung muss - wie in dieser Arbeit - eine Auszählung der Häufigkeiten folgen: 92 „Indem die Inhaltsanalyse misst, erfasst sie nicht nur unverbundene Mengen von Textmerkmalen, sondern immer empirische Strukturen, die sie als numerische Strukturen abbildet.“ 93 Die Inhaltsanalyse verringert dazu die Komplexität der Texte, indem sie sie entlang analyserelevanter Merkmale kategorisiert. 94 Dieser Informationsverlust wird jedoch nicht als Nachteil angesehen: 95 Die Reduktion der inhaltlichen Komplexität soll die soziale Realität beschreibbar machen und auf die zentralen Strukturen dahinter reduzieren, die als wichtiger erachtet werden als der Einzelfall. 96 Die Inhaltsanalyse ist damit, so Merten, eine Methode, „von Merkmalen eines manifesten Textes auf Merkmale eines nicht manifesten Kontextes [zu] schließen.“ 97 Die Inhaltsanalyse arbeitet folglich vorrangig quantitativ, indem sie den „manifesten Inhalt“ bestimmten Kategorien- und Merkmalssystemen zuordnet, um aus der Menge an jeweiligen Zuteilungen den „latenten Inhalt“, die Motive und Wirkungen dahinter, abzulei- 85 Vgl. Bachem 1979, 40f. 86 Vgl. Merten 1995, 40. 87 Vgl. Grey/ Kaplan/ Lasswell 1968, 113ff. 88 Früh 2004, 25. 89 Vgl. Merten 1995, 23. 90 Vgl. Früh 2004, 20. 91 Vgl. Früh 2004, 34. 92 Vgl. Früh 2004, 35. 93 Früh 2004, 35. 94 Vgl. Früh 2004, 39. 95 Vgl. Früh 2004, 40. 96 Vgl. Rößler 2005, 16f. 97 Merten 1995, 15. <?page no="69"?> 69 ten. 98 An diesem Punkt würde eine Anschlussmöglichkeit zur Diskursanalyse bestehen, deren Ziel es ist, die semantischen Beziehungen zwischen Wörtern und Begriffen, aber auch zwischen ganzen Aussagen und Aussagenkomplexen offenzulegen. 99 Da es in der vorliegenden Arbeit vor allem um die Einbettung der Zwischenrufe in den thematischen Zusammenhang und weniger um die Beschreibung diskursiver Wortnetze geht, ist der quantitative Analyseteil trotzdem eher als empirischinhaltsanalytisch, denn als diskursanalytisch zu betrachten. Anleihen an linguistische Konzepte nimmt die Analyse aber in Hinblick auf die Themenabgrenzung, wo den Spuren textlinguistischer Vorgaben gefolgt wird. Auf diese Weise können die qualitativ definierten Häufigkeiten Indikatoren dafür liefern, auf welche Inhalte bzw. Themen besonders sensibel reagiert wird. Bei der Zuordnung des spezifischen Textinhalts zu größeren Themenkategorien befindet sich der Wissenschaftler/ die Wissenschaftlerin dabei in einer vergleichbaren Lage wie der Hörer/ die Hörerin: Beide Gruppen müssen bei der Interpretation des Textinhalts auf eigene, zum Teil vage Vermutungen zurückgreifen. 100 Zugleich ist die Reaktion des Hörers/ der Hörerin ein unschätzbarer Indikator dafür, was der Sprecher/ die Sprecherin eigentlich meint, da die am Gespräch Teilnehmenden grundsätzlich über mehr Informationen verfügen als der spätere Interpret/ die spätere Interpretin: Durch die Sprechhandlung des reagierenden Hörers/ der reagierenden Hörerin kann erkannt werden, wie diese zunächst aufgefasst wurde, und falls der Sprecher/ die Sprecherin seine/ ihre Aussagen nicht revidiert, sie im Gespräch weiterhin verstanden wird. 101 Zwischenrufe enthalten somit nicht nur Inhalt als Information: Sie geben auch Aufschluss darüber, wie die Aussagen des Redners/ der Rednerin vom Plenum interpretiert werden, d.h., in ihnen wird der Sinn des Redeabschnitts aus Sicht der anwesenden Zuhörer/ Zuhörerinnen deutlich; über metakommunikative Einwürfe zeigen die Nationalratsmitglieder auf den Sitzen zudem an, welche Äußerungen im parlamentarischen Raum erlaubt sind und welche nicht. Zwischenrufe besitzen somit zusätzlichen inhaltsanalytischen Wert: „Wenn ich als Forscher sicher weiß, wie das Publikum auf bestimmte Mitteilungsmerkmale reagiert, dann kann ich diese Merkmale gemäß der Interpretationsweise des Publikums inhaltsanalytisch erfassen. Da sie zuvor 98 Vgl. Schulte 2002, 26f. 99 Vgl. Schulte 2002, 26f. 100 Vgl. Holly 1979, 29. 101 Vgl. Holly 1979, 29f. <?page no="70"?> 70 in ihrer Wirkungspotenz evaluiert wurden, lassen sich nun die inhaltsanalytischen Daten in diesem Wirkungszusammenhang interpretieren. In allen anderen Fällen bleiben solche Wirkungsinterpretationen mehr oder weniger plausible Hypothesen.“ 102 5.2 Wörter und Begriffe im politischen Sprachgebrauch Die Auseinandersetzung mit dem Wortschatz der Politik begann bereits um die Jahrhundertwende und wurde nach Ende des Zweiten Weltkriegs zu einer gesellschaftspolitischen Notwendigkeit, da man sich von den nationalsozialistischen Begrifflichkeiten des Dritten Reichs durch eine kritische Revision des Sprachgebrauchs reinwaschen wollte. 103 Generell stellte der Wortschatz zu Beginn der Sprache-in-der-Politik-Forschung die vorherrschende Stoßrichtung dar, indem politisch relevante Wörter einzeln semantisch untersucht wurden. 104 Hierin lässt sich die Bedeutung erkennen, die den Wörtern, vor allem den Schlagwörtern, beigemessen wurde: Sprache wurde mit Herrschaft auf eine Stufe gestellt und die Herrschaft über die Sprache gleichgestellt mit der Herrschaft über bestimmte Begriffe. 105 Arbeiten zum Thema beschäftigen sich meist mit der „Funktion des Kampfes um die Sprache als Kampf um die gesellschaftlich geltenden Bedeutungen“ 106 und sammeln sich um die Formel „Begriffe besetzen“ 107 , eine Anspielung auf eine Rede von Kurt Biedenkopf, die dieser 1973 auf dem Hamburger Parteitag der CDU als Reaktion auf die Zugewinne der SPD hielt. Die Rede wurde in Folge zu einem Schlüsseltext der Sprache-in-der-Politik-Forschung, beschreibt doch hier der politische Akteur selbst in einem sprachwissenschaftlichen Offenbarungsakt die vor allem wahlpolitische Bedeutung der Begriffe in der Politik: 108 „Was sich heute in unserem Land vollzieht, ist eine Revolution neuer Art. Es ist die Revolution der Gesellschaft durch die Sprache. Die gewaltsame Besetzung der Zitadellen staatlicher Macht ist nicht länger Voraussetzung für eine revolutionäre Umwälzung der staatlichen Ordnung. Revolutionen finden heute auf andere Weise statt. Statt der Gebäude der Regierung werden die Begriffe besetzt, mit denen sie regiert, die Begriffe, mit denen 102 Früh 2004, 46. 103 Vgl. Burkhardt 2003, 10. 104 Vgl. Girnth 2002, 13. 105 Vgl. Girnth 2002, 9f. 106 Thimm 1995, 73. 107 Vgl. Thimm 1995, 73. 108 Vgl. Kopperschmidt 1991, 71. <?page no="71"?> 71 wir unsere staatliche Ordnung, unsere Rechte und Pflichten und unsere Institutionen beschreiben.“ 109 Die Formel selbst entwickelte sich seither in der sprachwissenschaftlichen Beschäftigung mit politischer Semantik zu einer stehenden Wendung. 110 Holly spricht in diesem Zusammenhang kritisch von „Begriffsfetischismus“ 111 , der sich seiner Meinung nach zum Teil dadurch erklären ließe, dass Wörter leichter zu handhaben seien als Texte. 112 Sowohl die Praktische Semantik als auch die Linguistische Kommunikationsanalyse arbeiten hier seit den 70er Jahren an einer Theorie des Gebrauchs sprachlicher Ausdrücke: 113 Es geht darum, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem sich die Bedeutung von Ausdrücken, so wie sie im Alltag gebraucht werden, beschreiben lässt. 114 Denn welche Bedeutungsdimension ein Wort konkret annimmt, hängt nicht allein vom Ausdruck ab, sondern auch davon, wer spricht, für wen und wo gesprochen wird: So stellt sich etwa das Wort Demokratie in seinem staatsrechtlichen Gebrauch semantisch viel komplexer dar als etwa in einem massenmedialen Umfeld, wo für das kommunikative Verständnis großteils eine grobe Konzeptionalisierung ausreicht. 115 Die semantische Analyse der Wörter im Sprachgebrauch der Politik muss sich daher folgenden Fragen stellen: „Was bezweckt die Nennung des Wortes? (Frage nach dem Sprecher). Was bewirkt seine Nennung im aktuellen Sprechakt? (Frage nach dem Hörer).“ 116 Der Sinn eines Lexems ist, so Heusinger, das in einer kommunikativen Handlung im Moment Gemeinte. 117 Die Kenntnis der Zeichen muss mit der Kenntnis um Sachverhalte einhergehen, die den Redeakt im Moment der Realisierung beeinflussen könnten. 118 Kommunikativ kompetente Mitglieder einer Sprachgemeinschaft sind normalerweise befähigt zu sagen, „was ein Sprecher in einer bestimmten Situation mit einer Äußerung entweder gemeint oder getan hat.“ 119 Coseriu unterscheidet hier zwischen dem einzelsprachlichen Kontext, d.h. die Einbettung des im 109 Biedenkopf 1982, 191. 110 Vgl. Klein 1991, 44. 111 Holly 1990, 86. 112 Vgl. Holly 1990, 86. 113 Vgl. Gloning 1994a, 113f. 114 Vgl. Gloning 1994a, 114f. 115 Vgl. Klein 2005, 130. 116 Dieckmann, zit. in: Zimmermann 1969, 16. 117 Vgl. Heusinger 2004, 185. 118 Vgl. Coseriu 1994, 124f. 119 Zillig 1982, 85. <?page no="72"?> 72 Text verwendeten Zeichens in ein Netz an Zeichen derselben Sprache, dem Rede-Kontext, der aus dem bereits Gesagten und Beschriebenen, aber auch aus dem noch Erwartbaren besteht, 120 und schließlich dem „Außer-Rede-Kontext“ 121 , „der durch alle nicht-sprachlichen Umstände konstituiert wird, die von den Sprechern entweder direkt wahrgenommen werden oder ihnen bekannt sind.“ 122 D.h., es sind auch solche Wissensbestände relevant, auf die im Text nicht explizit verwiesen wird, sondern die ausgespart bleiben. 123 In jedem Redeakt wird somit mehr ausgedrückt und verstanden als effektiv gesagt wird. 124 In diesem Zusammenhang wird, so Heusinger, auch deutlich, wie weit Bedeuten und Meinen auseinanderliegen können: 125 „Unser gesamtes Sprechen ist imprägniert mit Annahmen und vorausgesetzten Wahrheiten. Solange wir uns einig sind - und das müssen wir für glatte Kommunikation weitgehend sein - solange fällt uns das nicht auf. Dennoch stecken im Bezug auf Gegenstände und Sachverhalte immer schon Darstellungen und Auffassungen dieser Gegenstände und Sachverhalte. Unsere Sichtweise geht in unser Sprechen ein, ohne dass wir es wollen.“ 126 Ein weiterer wichtiger Unterschied besteht darin, was der Hörer/ die Hörerin unter dem Ausdruck versteht. 127 Der Sprecher/ die Sprecherin kann zwar das Verstehen erleichtern, indem er/ sie klar macht, wie die Äußerung gemeint ist, mit welchen früheren Aussagen sie zusammenhängt, worauf er/ sie referiert, und er/ sie die Verwendung paraphrasiert. 128 Wie und warum etwas verstanden wird, beruht jedoch zu einem Gutteil auf den sozialen Regeln, die allen gemeinsam sind. 129 Später wurde dieser Regelbegriff erweitert und ergänzt, etwa die Basis des Verstehens um das Wissen um die Dialoggeschichte, um thematische Zusammenhänge und um die Fähigkeit, Implikaturen lesen zu können. 130 Der Wortschatz in der Politik lässt sich nun im Unterschied zu anderen Fachsprachen einerseits durch die Heterogenität der möglichen Er- 120 Vgl. Coseriu 1994, 128. 121 Coseriu 1994, 128. 122 Coseriu 1994, 128. 123 Vgl. Coseriu 1994, 129. 124 Vgl. Coseriu 1994, 124. 125 Vgl. Heusinger 2004, 267. 126 Heringer 1990, 48. 127 Vgl. Gloning 1994a, 115. 128 Vgl. Gloning 1994a, 115f. 129 Vgl. Gloning 1994a, 116. 130 Vgl. Gloning 1994a, 116f. <?page no="73"?> 73 scheinungsformen, die Wahlkampfreden ebenso umfasst wie diplomatische Verhandlungen oder die Sprache der Verwaltung, 131 und andererseits durch die Nähe zur Gemeinsprache, indem etwa Elemente des politischen Fachvokabulars für die breite Öffentlichkeit übersetzt werden, nicht eindeutig abgrenzen. 132 Aus diesem Grund wehrt sich Dieckmann gegen Termini wie politische Sprache oder Politolekt, da sie seiner Meinung nach eine Einheitlichkeit suggerieren, die es eigentlich nicht gibt. 133 Der Großteil des Wortschatzes in der Politik sei, so Dieckmann, eben gerade nicht fachsprachlich, da „Wörter jederzeit in den Sog der politischen Auseinandersetzung geraten können, wenn vormals unpolitische Sachverhalte tagespolitisch oder längerfristig politische Bedeutung bekommen.“ 134 Er schlägt stattdessen vor, von „Sprache und Kommunikation in der Politik“ zu sprechen, wodurch Begriffe wie Register oder Stil zwar nicht ausgeschlossen werden, sich jedoch auf einzelne Bereiche der Politik beschränken. Dieckmann 135 erscheint es demnach auch sinnvoll, den Wortschatz der Politik in Teilbereiche zu gliedern, indem der unterschiedliche Sprachgebrauch auch unterschiedliche Formen nach sich zieht: 136 So unterscheidet er zwischen Institutionsvokabular, Ressortvokabular, Ideologievokabular und allgemeinem Interaktionsvokabular. 137 Das Institutionsvokabular ist das eigentlich fachsprachliche Reservoir der Politik, aus dem Bezeichnungen für politische Abläufe, Staats- und Regierungsformen, Institutionen, Ämter und politische Normentexte stammen (z.B. Demokratie, Parlament, Kanzler, Verfassung). 138 Das Ressortvokabular bildet sich hingegen aus dem Wortschatz der einzelnen Ressorts heraus und enthält dadurch einen großen Anteil an fachsprachlichen Termini aus anderen Bereichen. 139 Um die im Ressort festgelegten Beschlüsse, Programme und Stellungnahmen verständlich nach außen kommunizieren zu können, bedient man sich anstelle der schwer greifbaren Fachausdrücke eingängiger Wortbildungen, denen man zugleich bereits einen ideologischen Anstrich gibt (z.B. Stabilisierungspaket, Sparpa- 131 Vgl. Bergsdorf 1978, 62. 132 Vgl. Dieckmann 2005a, 22. 133 Vgl. Dieckmann 2005a, 22. 134 Dieckmann 2005a, 17. 135 Vgl. Dieckmann 2005a, 17. 136 Vgl. Dieckmann 2005a, 17. 137 Vgl. Dieckmann 2005a, 17ff. 138 Vgl. Dieckmann 2005a, 17f. 139 Vgl. Dieckmann 2005a, 18. <?page no="74"?> 74 ket, Null-Defizit). 140 Im allgemeinen Interaktionsvokabular finden sich wiederum all jene Ausdrücke, die zwar nicht auf den politischen Anwendungsbereich beschränkt sind, jedoch sehr häufig dort vorzufinden sind und dadurch zumindest auffallen (z.B. dementieren, Führungsanspruch). Diese Wörter befinden sich mit anderen Worten in einer kommunikativen Halbwelt aus alltagssprachlicher Bedeutung und politischer Färbung. 141 Das Ideologievokabular ist nun laut Dieckmann das eigentliche Feld, auf dem die politischen Akteure/ Akteurinnen ihre sprachlichen Kämpfe austragen. Diese Wörter haben neben ihrer Bezeichnungsfunktion eine stark wertende Seite, 142 wobei positiv wertende und negativ wertende Ausdrücke einander gegenüberstehen. 143 Das Ideologievokabular ist zudem stark ideologiegebunden, was dazu führt, dass ein Sachverhalt durch zwei verschiedene Ausdrücke bezeichnet werden kann („Bezeichnungskonkurrenz“ 144 ) bzw. dass ein Ausdruck zwei verschiedene Deutungen erhalten kann („ideologische Polysemie“ 145 , „Bedeutungskonkurrenz“ 146 ). Aus der Ideologiegebundenheit entwickelten sich im Laufe der Zeit ganze Wortsysteme heraus, in denen sich die jeweilige politische Sichtweise ausdrückt. Der Unterschied zwischen den einzelnen Wortsystemen wird meist von den Politikern/ Politikerinnen selbst thematisiert, indem sie sich gegenseitig die Verwendung eines bestimmten Ausdrucks zu- oder absprechen. 147 Eines der wichtigsten ideologiesprachlichen Instrumente im parteilichen Ringen um die Gunst der Wählerschaft ist dabei das Schlagwort. Schlagwörter reduzieren „das Komplizierte auf das Typische, Überschaubare, Einfach-Gegensätzliche“ 148 , in ihnen werden die politischen Programme auf den Punkt gebracht. 149 Das Schlagwort besticht zudem durch seinen Reizcharakter: 150 „die Diskussion wird entfacht, die Rezipienten fühlen sich geradezu in die Diskussion einbezogen und argumentativ herausgefordert“ 151 . Schlagwörter enthalten meist auch einen Hinweis 140 Vgl. Dieckmann 2005a, 19. 141 Vgl. Dieckmann 2005a, 21. 142 Vgl. Dieckmann 2005a, 19. 143 Vgl. Dieckmann 2005a, 19. 144 Klein 1991, 55. 145 Dieckmann 2005a, 20. 146 Klein 1991, 57. 147 Vgl. Dieckmann 2005a, 20. 148 Dieckmann 1980, 62. 149 Vgl. Dieckmann 1980, 62. 150 Vgl. Diekmannshenke 2002, 147. 151 Diekmannshenke 2002, 147. <?page no="75"?> 75 darauf, wie der bezeichnete Sachverhalten zu werten ist, d.h., ob er zu befürworten oder abzulehnen ist. 152 Schlagwörter rücken damit in die Nähe von Hochwert- und Fahnenwörtern bzw. Anti-Miranda und Stigmawörtern, die durch ihre prävalente positive bzw. negative Wertung im Sprachgebrauch der Politik besonderes Gewicht haben. 153 Hochwertwörter (Miranda) bezeichnen allgemein jene Werte, die einer Gesellschaft besonders am Herzen liegen 154 (z.B. Freiheit, Heimat). Der Bereich der demokratischen Grundwerte und Grundrechte ist hier von besonderer Bedeutung, da darin jene Werte und Rechte definiert werden, die von einem demokratischen Staat gewährleistet werden müssen. 155 Im Gegensatz zu den Hochwertwörtern (Miranda) werden Anti-Miranda in der jeweiligen Gesellschaft generell als negativ empfunden und abgelehnt 156 „und zwar mit jeweils (möglicherweise) großgruppenübergreifend identischer evaluativ-negativer, aber nicht-identischer deskriptiver Bedeutung.“ 157 Von den Anti-Miranda abzugrenzen sind die konkret auf den politischen Gegner/ die politische Gegnerin hin zugeschnittenen negativ besetzten Stigmawörter. 158 Durch die ideologische Polysemie der Wörter in der Politik kann hier das Stigmawort des einen in ideologisch neuer Füllung das Fahnenwort des anderen sein (z.B. Linke). 159 Als Fahnenwörter werden als Gegenstück zum Stigmawort dabei all jene Ausdrücke bezeichnet, die sich eine Partei selbst auf die Fahnen heftet und deren Aufgabe es gerade ist, „als parteisprachliche Wörter aufzufallen“ 160 (z.B. Arbeit für sozialdemokratische Parteien). An ihnen sollen, so Hermanns, sowohl Freund als auch Feind den Standpunkt der Partei deutlich erkennen: 161 „Solche Wörter können in der Tat, wenn man sie ostentativ verwendet, wie eine Fahne wirken, die man hoch hält und ins Feld führt - oder auch wie ein rotes Tuch.“ 162 Auch hier können verschiedene Parteien auf denselben ideologisch polysemen Ausdruck zugreifen, gefolgt von gegenseitigen Beschuldigungen „‚unter falscher Flagge’ zu segeln.“ 163 152 Vgl. Klein 1991, 61. 153 Vgl. Dieckmann 2005a, 19. 154 Vgl. Klein 2005, 132. 155 Vgl. Klein 2005, 133. 156 Vgl. Strauß 1986, 106. 157 Strauß 1986, 104. 158 Vgl. Böke 1996, 39. 159 Vgl. Hermanns 1982, 95. 160 Hermanns 1982, 91. 161 Vgl. Hermanns 1982, 91. 162 Hermanns 1982, 91. 163 Hermanns 1982, 95. <?page no="76"?> 76 Da es im Handlungskontext der Politik vorrangig darum geht, die eigene Sichtweise durchzusetzen, ist natürlich viel daran gelegen, die eigenen Bezeichnungen im Sprachgebrauch zu verankern. Die öffentlichen Diskussionen, mit denen um die begriffliche Vorherrschaft gerungen wird, bezeichnet Keller als „semantische Kämpfe“ 164 . Ziel semantischer Kämpfe ist es, durch das Durchsetzen eines bestimmten Ausdrucks auch die damit verbundene Haltung durchzusetzen. 165 Denn sobald ein gruppenspezifischer Ausdruck vom allgemeinen Sprachgebrauch, vor allem von den Medien, übernommen wird, wird zugleich auch die Position der jeweiligen Partei innerhalb der öffentlichen Diskussion gestärkt: 166 „Wer seine realitätsgeladene Bezeichnung durchsetzt, setzt damit auch seine Sichtweise durch und, wer sie als normal etabliert, der hat natürlich in diesem Sinne auch Wirklichkeit geschaffen.“ 167 Um aus den semantischen Kämpfen siegreich hervorzugehen, müssen jedoch nicht immer völlig neue Bezeichnungen gefunden werden; es genügt auch, einem bestehenden Ausdruck eine der eigenen Position verwandte Bedeutung zu geben. 168 Volmert charakterisiert dies so: „Das Etikettierungshandeln in öffentlicher Rede überformt die semantische Struktur der adaptierten Bezeichnungen, indem es ganz bestimmte Merkmale unterdrückt, andere besonders akzentuiert oder auch neue hinzufügt - je nach der intendierten Zuordnung zu einem neuen Funktionszusammenhang.“ 169 Klein identifiziert insgesamt fünf Vorgehensweisen, mit denen Parteien aktiv in den Sprachgebrauch eingreifen: Begriffsprägung, parteiliches Prädizieren, Umdeuten, Umwerten und das Ausbeuten von Assoziationen. 170 Bei der Begriffsprägung handelt es sich um eine „konzeptionell-konzeptuelle Neuprägung“, 171 indem ein Begriff sowohl ausdrucksals auch inhaltsseitig in Bezug auf einen erst zu benennenden Gegenstand oder Sachverhalt neu eingeführt wird (z.B. soziale Marktwirtschaft, Demokratisierung, Chancengerechtigkeit). 172 Beim parteilichen Prädizieren sollen im Gegensatz dazu nicht neue Sachverhalte benannt werden, sondern es 164 Keller 1977, 24. 165 Vgl. Keller 1977, 28. 166 Vgl. Kienpointner 1983, 202. 167 Heringer 1990, 48. 168 Vgl. Heringer 1990, 48. 169 Volmert 1989, 78. 170 Vgl. Klein 1991, 51. 171 Vgl. Klein 1991, 53. 172 Vgl. Klein 1991, 53ff. <?page no="77"?> 77 sollen vorhandene Sachverhalte oder in der Politik diskutierte Themen so bezeichnet werden, dass sie diejenigen Aspekte hervorheben, die der jeweiligen politischen Sichtweise entsprechen - zumeist in Hinblick auf Zustimmung oder Ablehnung (z.B. Beitritt vs. Anschluss). Durch die unterschiedlichen Sichtweisen der einzelnen Parteien entstehen so Bezeichnungskonkurrenzen. 173 Beim Umdeuten wird gegen eine dem Gegner/ der Gegnerin zugeschriebene vorgegebene deskriptive Bedeutung vorgegangen, indem inhaltlich-deskriptive Bedeutungselemente getilgt und/ oder hinzugefügt werden; 174 oder es wird unabhängig von der Gegenposition versucht, die eigene Deutung eines politisch wichtigen Wortes durchzusetzen. 175 Bei der bewussten Steuerung der Bedeutungselemente eines Begriffs kommt dabei dem Kontext eine besondere Rolle zu; Böke bezeichnet dies als „spezifische Kontexualisierung“ 176 . Während das parteiliche Umdeuten zu deskriptiver Bedeutungskonkurrenz führt - von der zumeist auch Konnotation und Referenz betroffen sind (z.B. Linke) 177 - , kommt es beim Umwerten zur deontischen Bedeutungskonkurrenz. Betroffen sind zumeist unterschiedlich bewertete Selbst- und Fremdbezeichnungen für politische Einstellungen, Systeme und Gruppierungen (z.B. konservativ, liberal, multikulturell), 178 wobei die deontische Bedeutungskomponente entweder zur Lexikon-Bedeutung gehört (z.B. Bande) oder erst in bestimmten Verwendungskontexten entsteht (z.B. Sozialismus). 179 Bei der fünften und letzten von Klein ermittelten Methode der Bedeutungsveränderung, dem bewussten Ausbeuten von Assoziationen, versuchen die politischen Akteure/ Akteurinnen, „die eigene Position mit ‚attraktiven‘ Wörtern assoziativ so eng zu verknüpfen, dass möglichst viel vom konnotativen Glanz dieser Wörter auf die eigene Position fällt“ 180 . Ziel ist es, das positiv bewertete sprachliche Zeichen (z.B. Heimat, Sicherheit) als Fahnenwort der eigenen Partei oder Person zu etablieren. 181 Der Verweis auf denselben positiv konnotierten Ausdruck führt hier klarerweise wiederum zu Konkurrenzsituationen zwischen den Parteien. 182 173 Vgl. Klein 1991, 55. 174 Vgl. Klein 1991, 57. 175 Vgl. Klein, zit. in: Wengeler 2005, 189. 176 Böke 1996, 38. 177 Vgl. Klein 1991, 57. 178 Vgl. Klein, zit. in: Wengeler 2005, 189. 179 Vgl. Klein 1991, 61. 180 Klein 1991, 65. 181 Vgl. Klein, zit. in: Wengeler 2005, 189. 182 Vgl. Klein, zit. in: Wengeler 2005, 189. <?page no="78"?> 78 In Hinblick auf die Verwendung von Wörtern und Begriffen im Sprachgebrauch der Politik befinden sich die Parteien somit in permanentem Wettstreit. Umgelegt auf die Situation im Parlament lässt sich nun annehmen, dass, wann immer ein Redner/ eine Rednerin am Pult aktiv in den Sprachgebrauch eingreift und einen bestimmten Ausdruck für die eigene Position vereinnahmen will, er/ sie durch einen Zwischenruf vom politischen Gegner/ von der politischen Gegnerin daran gehindert werden wird. Im Kern der semantischen Analyse steht dabei eine Abwandlung des von Strauß, Haß und Harras 183 geprägten Begriffs der „brisanten Wörter“, die diese als jenen Wortschatzbereich ansehen, mit dem „verständniserschwerende oder -störende Umstände in unterschiedlichen Ausprägungen verknüpft sind.“ 184 Für die vorliegende Arbeit werden brisante Wörter definiert als Wörter bzw. Wortgruppen, die in Anlehnung an Kleins Kategorienraster strategischer Wortveränderung 185 im Redebeitrag neu geprägt, parteilich prädiziert, umgedeutet oder umgewertet werden und die gleichzeitig in eine Aussage eingebettet sind, auf die im Zwischenruf explizit Bezug genommen wird. Dem Schlagwort, dem ob seines Reizcharakters traditioneller Weise besondere Bedeutung im politischen Kampf um Wörter beigemessen wird, soll dabei besondere Beachtung geschenkt werden. 5.3 Sprachliches Handeln in der Politik Seit der pragmatischen Wende entwickelte sich rund um die Analyse sprachlichen Handelns eine Reihe von Forschungsrichtungen mit zum Teil ähnlichen, zum Teil deutlich unterschiedlichen Ansätzen. 186 Am bekanntesten ist wohl die von Austin 1962 mit seinem Buch How to do things with words 187 begründete Sprechakttheorie, die in Folge von Searle weiter ausformuliert wurde. 188 Die Grundeinheit sprachlicher Kommunikation ist nach Searle der Sprechakt, 189 der sich wiederum aus dem Äußerungsakt, aus dem propositionalen Akt, aus dem illokutionären Akt 190 sowie 183 Strauß/ Haß/ Harras 1989, 9. 184 Strauß/ Haß/ Harras 1989, 9. 185 Vgl. Klein 1991, 51ff. 186 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 9f. 187 Vgl. Austin 1962. 188 Vgl. Searle 1973. 189 Vgl. Searle 1973, 30. 190 Vgl. Searle 1973, 40. <?page no="79"?> 79 aus dem perlokutionären Akt zusammensetzt. 191 Soll jedoch der Hörer/ die Hörerin mit in Betracht gezogen werden, so stößt die Sprechakttheorie an ihre Grenzen, da ihr Hauptaugenmerk den sprachlichen Handlungen des Sprechers/ der Sprecherin gilt. Für Henne und Rehbock muss daher die Sprechakttheorie um den Hörverstehensakt erweitert werden, der sich wiederum in eine Kette von Kommunikationsakten einbetten lässt: 192 „Erst das Gespräch als Ausgangspunkt sprachpragmatischer Forschung garantiert die unverkürzte Darstellung sprachlicher Realität.“ 193 Dennoch stellt die Sprechakttheorie für viele weitere Analyseansätze einen wichtigen Bezugspunkt dar: So etwa für die Diskursanalyse, deren zentrales Ziel es ist, die Form sprachlichen Handelns aus den zugrundeliegenden Zwecken zu erklären. 194 Für die Diskurstheorie sind sprachliche Äußerungen soziale Handlungen, die nur im Gesamtzusammenhang untersucht werden dürfen. 195 Der diskursanalytische Ansatz geht unter anderem zurück auf Arbeiten zur gesprochenen Sprache und die amerikanische Conversational Analysis, die wiederum aus der Ethnomethodologie hervorgegangen ist. 196 Die Ethnomethodologie sieht Durkheims objektive Realität sozialer Fakten als „an ongoing accomplishment of the concerted activities of daily life“ 197 und sucht demzufolge nach den kommunikativen Prinzipien, mit denen soziale Ordnung im sprachlichen Handeln sowohl erzeugt als auch reproduziert wird. 198 Im deutschen Sprachraum wurde der ethnomethodologische Ansatz von der Konversationsbzw. Gesprächsanalyse weiterverfolgt, 199 deren Ziel es ist, die Orientierungsmuster zu erkennen, mit deren Hilfe Sprecher/ Sprecherinnen und Hörer/ Hörerinnen den Handlungs- und Sinngehalt gegenseitig definieren. Sie versucht dabei, die formalen Prinzipien herauszufiltern, die sich im spezifischen, alltäglichen sozialen Interaktionsgeschehen verstecken. 200 Im Vergleich zur Diskursanalyse versteht die Konversationsbzw. Gesprächsanalyse Kommunikation als „Aushandeln“, d.h., Sprecher/ Sprecherin und Hörer/ Hörerin schaffen gemeinsam den Handlungskontext, in dem die soziale und kommunikative Wirklichkeit herge- 191 Vgl. Searle 1973, 42. 192 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 11. 193 Henne/ Rehbock 2001, 11. 194 Vgl. Koch 1999, 23. 195 Vgl. Koch 1999, 23. 196 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 16. 197 Garfinkel 1967, VII. 198 Vgl. Bergmann 1994, 3. 199 Vgl. Koch 1999, 22ff. 200 Vgl. Bergmann 1994, 8. <?page no="80"?> 80 stellt wird. 201 Der fundamentale Unterschied zum soziolinguistischen Ansatz besteht darin, dass die Gesprächslinguistik das kommunikative Ereignis in den Mittelpunkt stellt, während für die Soziolinguistik die sozialen Parameter hinter dem kommunikativen Ereignis ausschlaggebend sind. 202 Die soziolinguistische Kommunikationsanalyse sucht nach den Kommunikationsmöglichkeiten und -störungen zwischen Gruppen und sieht die Gesprächsanalyse als Datenquelle für soziolinguistische Untersuchungen. 203 Die vorliegende Arbeit beruft sich in Methode und Analyseabsicht auf Teilaspekte all dieser Schulen: Der Diskursanalyse entnimmt diese Arbeit die Suche nach den Zwecken hinter den Handlungsmustern, die in einem Geflecht aus innerparlamentarischer Imagearbeit und außerparlamentarischer Gesichtswahrung Goffmanscher Prägung vermutet werden; die Handlungsmuster selbst werden durch das „turn-taking“-Muster der (ethnomethodologischen) Konversationsanalyse 204 vordefiniert und mittels - in weiterem Sinn - sprechakttheoretischer Kategorisierung in gesprächsanalytische Handlungsmuster eingefügt, wobei jedoch erst geklärt werden muss, inwieweit überhaupt legitimerweise von Rede-Zwischenruf-Sequenzen gesprochen werden kann; über die Soziolinguistik lassen sich die Ergebnisse dieser Arbeit schließlich in einen gesamtgesellschaftlichen bzw. parteipolitischen Zusammenhang stellen, um auf diese Weise Aussagen treffen zu können, die über den Tellerrand der spezifischen Gesprächssituation hinausgehen. Die Kategorien, mit denen die Gesprächsanalyse kommunikative Interaktionen zu fassen sucht, unterteilen das Gespräch in seine Makro-, Meso- und Mikroebene: 205 Auf der Makroebene wird das Gespräch in seine einzelnen Phasen aufgebrochen, d.h. in Eröffnung, Mitte, Beendigung und in die Gesprächsränder, in denen Nebenthemen behandelt werden; auf der Mesoebene werden die einzelnen Gesprächsphasen seziert und die einzelnen Gesprächsschritte (Turns), die Sprecherwechsel (Turn- Taking), die Gesprächssequenzen, die Sprechakte bzw. Hörverstehensakte, die Gliederungssignale und das Back-Channel-Behavior freigelegt; auf der Mikroebene werden zuletzt Syntax, Lexik und Prosodie beschrieben. Die vorliegende Untersuchung der Zwischenrufe bewegt sich hauptsächlich auf der Mesoebene des Gesprächs, wobei auch die Mikroebene 201 Vgl. Koch 1999, 23. 202 Vgl. Löffler 1994, 48. 203 Vgl. Löffler 1994, 40ff. 204 Vgl. Sacks/ Schegloff/ Jefferson 1974. 205 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 14. <?page no="81"?> 81 der sprechaktinternen Bausteine von Bedeutung sein wird. 206 Zunächst müssen jedoch die Grundstrukturen der Wechselbeziehung zwischen den Gesprächsteilnehmern/ Gesprächsteilnehmerinnen freigelegt werden, indem nach zentralen Handlungsmustern, typischen Gesprächssequenzen, Dialogverläufen, möglichen Strategien und der Rollenverteilung gefragt wird. 207 Sprachliche Handlungsmuster sind „Formen von standardisierten Handlungsmöglichkeiten, die im konkreten Handeln aktualisiert und realisiert werden.“ 208 Gesprächshandlungen werden definiert als „ein situativ und thematisch bestimmtes kooperatives Handlungsgefüge, das jeweils eine spezifische Station des Gesprächsverlaufs darstellt.“ 209 Die kleinsten kommunikativen Einheiten in Hinblick auf das Handlungsmuster eines Gesprächs sind für Henne und Rehbock jedoch die einzelnen Sprechakte: 210 Sie bestimmen die Modalität des Gesprächs und besitzen je nach Situation unterschiedliche Funktion. 211 Sprechakte sind in Interaktionsschemata eingebettet, in denen bestimmte Stadien durchlaufen werden, die „jeweils mehr oder weniger umfangreich und interaktionell modifiziert realisiert werden“ 212 . Diese Sprechaktfolgen können, so Wunderlich, von einem einzigen Sprecher/ einer einzigen Sprecherin geäußert werden oder sie werden als Sprechaktsequenzen von mehreren Gesprächsteilnehmern/ Gesprächsteilnehmerinnen realisiert. 213 Ein wichtiges Gliederungsmittel des Gesprächs 214 sind daher weiters die Sprecherwechsel, bei denen ein Gesprächsteilnehmer/ eine Gesprächsteilnehmerin zum neuen Sprecher/ zur neuen Sprecherin wird. 215 Der Sprecherwechsel geht entweder glatt, fugenlos, überlappend oder zäsuriert vonstatten. 216 Simul- 206 Eine genauere Analyse der Äußerungsformen der Mikroebene kann im Rahmen dieser Arbeit jedoch nur sehr eingeschränkt geleistet werden, da als Ausgangsmaterial der Untersuchung die von den Parlamentsstenographen/ Parlamentsstenographinnen verschriftlichten Äußerungen der Abgeordneten dienen, die jedoch nicht an die Anforderungen einer linguistischen Transkription gesprochener Sprache heranreichen, die für eine systematische Untersuchung syntaktischer Strukturen sowie prosodischer, gestischer und mimischer Mittel erforderlich wäre. 207 Vgl. Gloning 1994a, 119. 208 Ehlich/ Rehbein 1979, 250. 209 Henne/ Rehbock 2001, 167. 210 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 19. 211 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 19. 212 Vgl. Wunderlich 1976, 29. 213 Vgl. Wunderlich 1976, 29. 214 Vgl. Sacks/ Schegloff/ Jefferson 1974, 700f. 215 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 17. 216 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 187. <?page no="82"?> 82 tanes Sprechen mehrerer Sprecher/ Sprecherinnen ist zeitlich begrenzt, „da die längerfristige Aufrechterhaltung dieses Stadiums sprachlicher Interaktion notwendig einen Zusammenbruch des Gesprächs zur Folge hat.“ 217 Gründe für Art und Häufigkeit der Sprecherwechsel liegen, so Rath, entweder in der Sprechsituation begründet, im sozialen Status der Gesprächsteilnehmer/ Gesprächsteilnehmerinnen oder in der Organisation des Gesprächs selbst. 218 D.h., Aspekte wie Spontaneität, Öffentlichkeitsgrad, Anzahl und Rollenverständnis der Kommunikationspartner/ Kommunikationspartnerinnen sind hier von großer Bedeutung. 219 Dazu Brinker und Sager: „In organisatorisch vorgeplanten oder voll formalisierten Gesprächen - wie sie sich in bestimmten gesellschaftlichen Institutionen ausgebildet haben (etwa in Parlamentsdebatten mit ihren festen Regelungen) - sind andere Typen des Sprecherwechsels zu erwarten als in ungeplanten Familiengesprächen.“ 220 Während sich in weniger institutionalisierten Gesprächen der nächste Sprecher/ die nächste Sprecherin, sofern sich kein anderer/ keine andere zuerst zu Wort gemeldet hat, auch selbst hervortun kann, 221 ist in der normativ geregelten Gesprächssituation der Nationalratsdebatten der nächste Redner/ die nächste Rednerin a priori festgelegt, indem dieser/ diese seinen/ ihren Redebeitrag vorab anmelden muss und daraufhin vom Nationalratspräsidenten/ von der Nationalratspräsidentin ans Pult gerufen wird. Zwischenrufe als Form der Selbstwahl sind über die Geschäftsordnung des österreichischen Parlaments nicht legitimiert und stellen somit im Sinne parlamentarischer Debattenordnung eine widerrechtliche kommunikative Handlung dar. Unterbrechungen sind generell „gesprächsorganisatorisch problematische Stellen“ 222 , da sie die Regeln des Gesprächsverlaufs durchbrechen und der Hörer/ die Hörerin damit „die eherne konversationelle Maxime verletzt: Man lässt die Partner aussprechen (zu Ende sprechen).“ 223 Während sich in Streitgesprächen die Gesprächsteilnehmer/ Gesprächsteilnehmerinnen ständig unterbrechen (und so die Konfliktsituation noch weiter zuspitzen), werden in Alltagssituation Unterbrechungen entweder vermeiden oder mit einer Entschuldi- 217 Henne/ Rehbock 2001, 169f. 218 Vgl. Rath 1979, 41ff. 219 Vgl. Rath 1979, 42. 220 Brinker/ Sager 2006, 68. 221 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 17. 222 Rath 2001, 1220. 223 Rath 2001, 1220. <?page no="83"?> 83 gung eingeleitet. 224 Unterbrechungen können jedoch auch ein Indiz für bevorrechtigte und nicht-bevorrechtigte Gesprächsrollen sein, indem bevorrechtigte Gesprächsteilnehmer/ Gesprächsteilnehmerinnen jederzeit das Rederecht für sich beanspruchen dürfen. 225 Werden Zwischenrufe im Sinne sprachlichen Dominanzverhaltens interpretiert, dann lässt die Anzahl der Zwischenrufe auf bevorrechtigte und nicht-bevorrechtigte Gesprächsrollen im Nationalrat schließen, die im sozialen Status des jeweiligen Parlamentariers/ der jeweiligen Parlamentarierin begründet liegen. Holly sieht Statusunterschiede sogar als entscheidenden Faktor für das Verhalten im Parlament: „Vor allem erweist sich, dass ein einzelner ‚Hinterbänkler‘ an den formell geregelten Funktionen, bei denen Fraktionen und andere Gremien die eigentlichen Handlungseinheiten sind, sprachlich kaum Anteil hat; auch was das informelle Handeln angeht, haben hierbei Parlamentsstars und Fußvolk nur wenig gemein.“ 226 Burkhardt betrachtet Zwischenrufe jedoch nicht als einen Versuch, das Rederecht an sich zu reißen, sondern definiert sie vielmehr als Redebeitrag ohne Rederecht, „d.h. als die verbalen Rückmeldungssignale der Hörer monologischer Texte im Rahmen der gesprochenen Großgruppenkommunikation.“ 227 Die Aktivitäten der Zuhörer/ Zuhörerinnen, d.h. jener, die im Moment nicht das Rederecht besitzen, können mit Henne und Rehbock in Rückkoppellungsverhalten und gesprächsschrittbeanspruchende Sprechakte eingeteilt werden. 228 Die Rückmeldesignale sind die eigentlichen Elemente des gesprächsanalytischen „Back-channel behavior“ 229 und Mittel des Hörers/ der Hörerin, „das Gespräch zu stabilisieren und in seinem Sinne zu akzentuieren.“ 230 Durch Rückmeldungen der Zuhörer/ Zuhörerinnen bringen diese einerseits zum Ausdruck, dass sie den Redner/ die Rednerin bzw. dessen/ deren Aussagen (nicht) verstehen und (nicht) akzeptieren; 231 andererseits kann durch Höreraktivitäten auch Einfluss auf das Gespräch genommen werden. 232 Dies betrifft vor 224 Vgl. Rath 2001, 1220. 225 Vgl. Rath 1979, 42f. 226 Holly 1990, 269. 227 Burkhardt 2005, 92. 228 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 22. 229 Duncan 1974, 162. 230 Henne/ Rehbock 2001, 21. 231 Vgl. Rath 1979, 37. 232 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 171. <?page no="84"?> 84 allem Äußerungen, die den Gesprächsbeitrag des derzeitigen Sprechers/ der derzeitigen Sprecherin kommentieren (z.B. das sehe ich nicht so): 233 „Mit ihnen intendiert der Hörer zwar ebenfalls keinen Sprecherwechsel; sie haben aber eine wichtige gesprächssteuernde Funktion. So kann der Sprecher durch sie gezielt zu bestimmten Äußerungen veranlasst werden, auf die der Hörer nach einem Sprecherwechsel eingehen will.“ 234 Bei länger währenden Einschüben wird laut Henne und Rehbock dabei auch die Gesprächsrolle tangiert, da hier „ein Sprecher einen umfangreichen Gesprächsschritt, etwa eine Erzählung, vorübergehend suspendiert, um Hörerrückfragen oder -kommentare zu beantworten oder gar zu diskutieren.“ 235 Das, was derjenige/ diejenige tut bzw. sagt, solange er/ sie als designierter Sprecher/ designierte Sprecherin an der Reihe ist, wird als Gesprächsschritt bezeichnet. 236 Ein Gesprächsschritt kann sowohl über sprachliche als auch über nicht-sprachliche Kommunikationsmittel erbracht werden. 237 Ein einfacher Gesprächsschritt ist nicht größer als ein vollständiger Satz, ein komplexer Gesprächsschritt kann aber aus mehreren satzwertigen oder auch nicht satzwertigen Elementen, deren Propositionen um einen semantischen Kern gewunden sind, zusammengesetzt sein. 238 Gesprächsschritt und Sprechakt können zusammenfallen, müssen aber nicht. 239 Gesprächsschritte haben mit den Sprechakten gemeinsam, dass sie eine bestimmte kommunikative Funktion signalisieren und dadurch einen bestimmten Handlungstyp darstellen. 240 Gesprächsschritte können, sofern sie bedingt erwartbar sind, als Gesprächssequenzen zu größeren Einheiten zusammengefasst werden. 241 Generell gehen mit jeder sprachlichen Handlung Festlegungen einher, die den Dialogverlauf bestimmen: Jede sprachliche Handlung beeinflusst den Dialogkontext und knüpft ein Festlegungsnetz, das die Teilnehmer/ Teilnehmerinnen berücksichtigen können bzw. müssen, jedoch auch unterschiedlich verstehen können. 242 Die erste Sprechhandlung kann die 233 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 62f. 234 Brinker/ Sager 2006, 62f. 235 Henne/ Rehbock 2001, 264. 236 Vgl. Goffman 1974, 201. 237 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 68. 238 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 71. 239 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 19. 240 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 68. 241 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 18. 242 Vgl. Fritz 1994, 187. <?page no="85"?> 85 Menge an Reaktionsmöglichkeiten insofern einschränken, 243 als mit einem initiierenden Gesprächsschritt eine ganz bestimmte Reaktion des Gegenübers gefordert wird (z.B. Frage-Antwort-Sequenz). 244 Es gibt auch Sequenzen, die durch eine hierarchische Struktur charakterisiert sind und z.B. zur Vorbereitung einer sprachlichen Handlung dienen (z.B. Klärungssequenzen). 245 In vielen Dialogformen findet man auch zyklische Verlaufsstrukturen, indem sich bestimmte Sequenzen wiederholen (z.B. Vorschlag - Kritik - Begründung). 246 Globale Sequenzmuster beschreiben darüber hinaus größere Dialoge, z.B. Beratungsgespräche, Lehr- und Lerngespräche usw. Diese größeren funktionalen Bestandteile sind weniger fest geordnet und bieten eine Reihe von Sequenzalternativen, die jedoch auch zu Missverständnissen führen können. 247 Die Bandbreite an möglichen sozialen Interaktionen spiegelt sich, so Henne und Rehbock, in der Bandbreite der möglichen Gesprächsbereiche wider, die die Mitglieder einer Gesellschaft für unterschiedliche Zwecke nutzen und damit unterschiedliche Ziele verfolgen: 248 „Man kann sagen: In der Handlungsgrammatik einer Gesellschaft sind Gesprächsbereiche als Typisierungen der sprachlichen Interaktionen festgelegt.“ 249 Um die einzelnen Gesprächsbereiche voneinander abzugrenzen, können verschiedene Richtwerte als Maßstab angelegt werden, wie etwa der Öffentlichkeitsgrad bzw. Privatheitsgrad der Gespräche. 250 Folgt man der Typologisierung von Henne und Rehbock, dann werden die einzelnen Gesprächsbereiche durch bestimmte Gesprächstypen repräsentiert. Dabei ist zunächst zu unterscheiden, ob es sich um ein natürliches, fiktives oder um ein inszeniertes Gespräch handelt, ob es sich um Nahkommunikation (face-to-face) oder um Fernkommunikation handelt, ob sich das Gespräch in der Gruppe oder nur zwischen zwei Gesprächspartnern/ Gesprächspartnerinnen (dyadisch) entspinnt; weiters muss der Grad der Öffentlichkeit und das soziale Verhältnis der einzelnen Gesprächsteilnehmer/ Gesprächsteilnehmerinnen betrachtet werden; 251 der Bekanntheitsgrad zwischen den Gesprächspartnern/ Gesprächspartnerinnen, die Handlungsdimension hinter dem Gespräch (narrativ, direktiv, diskursiv), inwieweit 243 Vgl. Fritz 1994, 183. 244 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 74. 245 Vgl. Fritz 1994, 183. 246 Vgl. Fritz 1994, 183. 247 Vgl. Fritz 1994, 184. 248 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 23. 249 Henne/ Rehbock 2001, 23. 250 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 24. 251 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 26. <?page no="86"?> 86 sich die Gesprächsteilnehmer/ Gesprächsteilnehmerinnen auf das Gespräch vorbereiten konnten, die Themenfixiertheit des Gesprächs und das Verhältnis von Kommunikation und nichtsprachlichen Handlungen, all dies konfiguriert einen bestimmten Gesprächstyp. 252 Sprachliches Handeln im Nationalrat und hier genauer der Gesprächstyp der Plenarrede ist in der Typologie von Henne und Rehbock als natürlich zu charakterisieren, er fällt in den Bereich der Nahkommunikation, ist ein Gruppengespräch, öffentlich, gesprächsstrukturell bedingt asymmetrisch, diskursiv, mit einander großteils bekannten Gesprächspartnern/ Gesprächspartnerinnen, speziell vorbereitet, themafixiert und apraktisch, d.h. ohne direkte gesprächsbegleitende Handlungsdirektiven. Bei genauerer Betrachtung ergeben sich jedoch Widersprüche bei der Zuordnung der einzelnen Redecharakteristika: So wird die grundsätzlich monologische und damit asymmetrische Gesprächsstruktur der Reden durch die Zwischenrufe und die sich daraus entspinnenden dialogischen Sequenzen temporär ausgesetzt, d.h., der Rollenwechsel von Sprecher/ Sprecherin und Hörer/ Hörerin ist konträr zur ursprünglichen Charakterisierung bedingt möglich; des Weiteren sprengen Reden im Parlament, obwohl sie in einem ersten Schritt als Nahkommunikation klassifiziert werden können, bei weitem den Rahmen herkömmlicher face-to-face Kommunikation, indem sie primär an die breite Wählerschaft außerhalb des Parlamentsgebäudes gerichtet sind und die Botschaften die eigentlichen Adressaten/ Adressatinnen nur über die Medien erreichen. 253 D.h., es stellen sich für Politiker/ Politikerinnen zwei Adressaten/ Adressatinnen dar: der politische Gegner/ die politische Gegnerin als direkter Adressat/ direkte Adressatin und die Öffentlichkeit als zweiter, ausschlaggebender jedoch passiver Gesprächsteilnehmer. Mit anderen Worten wird politische Kommunikation, sofern sie nicht hinter verschlossenen Türen passiert, für die Öffentlichkeit inszeniert, um sie davon zu überzeugen, dass das Volk politisches Handeln mit beeinflusst, dass bestimmte Gruppen feindlich sind, dass die politische Führung im Sinne des Volkes arbeitet und alle Probleme versiert löst und dass bestimmte Gruppen Verbündete sind. 254 Edelman verwendet dafür den Begriff „Inszenierung“ 255 : Inszenierung geschieht nicht unbewusst, es handelt sich vielmehr um intentional doppelte Adressierungen durch den Sprecher/ die Sprecherin. Dieckmann spricht hier von einem trialogischen Kommu- 252 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 26. 253 Vgl. Volmert 1989, 28. 254 Vgl. Edelman 1976, 98ff. 255 Edelman, zit. in: Holly 1990, 55. <?page no="87"?> 87 nikationsmodell, das auf erster Ebene dialogisch konstituiert ist, doch durch den öffentlichen Raum einen zweiten Adressaten beinhaltet. 256 Es folgt daraus, dass „der direkt Angesprochene der Interaktant auf der ersten Realitätsebene ist, der primär gemeinte Adressat aber der Bürger.“ 257 Um das kommunikative Verhalten der Abgeordneten im Parlament richtig zu verstehen, muss die spezifische Adressatenkonstellation der öffentlichen Debatten sowie das primäre Handlungsziel der Plenarreden - Stärkung der eigenen Position bei gleichzeitiger Schwächung der gegnerischen Position - stets bewusst bleiben. Zimmermann unterscheidet hier zwischen Aufwertungsstrategien, mit denen die eigene Person, die eigene Gruppe oder die eigene Position in ein gutes Licht gerückt werden, 258 und Abwertungsstrategien, mit denen gegnerische Positionen angegriffen werden; 259 obwohl beide Strategien direkt ausgetragen werden, ist der eigentliche Adressat/ die eigentliche Adressatin nicht der politische Gegner/ die politische Gegnerin, sondern der Wähler/ die Wählerin: 260 „Die verbalen politischen Kämpfe sind daher Schaukämpfe.“ 261 Dennoch muss politisch-institutionelles Handeln wie soziales Handeln im Allgemeinen bestimmten, eingespielten Mustern folgen. 262 Ob das Verhalten des politischen Sprechers/ der politischen Sprecherin nun inszeniert ist oder nicht, er/ sie folgt in beiden Fällen - genauso wie der politische Gegenspieler/ die politische Gegenspielerin - bestimmten Konventionen. D.h., auch das „inszenierte” sprachliche Handeln auf der Schaubühne des Parlaments folgt den Spielregeln der gesellschaftlichen Ordnung, da die „gegenseitige Anerkennung von Verhaltensstrategien […] eine wichtige stabilisierende Wirkung für Begegnungen“ 263 hat. Eine Bedingung für soziale Interaktion ist dabei laut Goffman die Aufrechterhaltung des gegenseitigen Images: 264 „Society is organized on the principle that any individual who possesses certain social characteristics has a moral right to expect that others will value and treat him in an appropriate way.“ 265 Für Goffman versuchen Gesprächspartner/ Gesprächs- 256 Vgl. Dieckmann 1981, 265ff. 257 Dieckmann 1981, 267. 258 Vgl. Zimmermann 1969, 18. 259 Vgl. Zimmermann 1969, 19. 260 Vgl. Eroms 1996, 39. 261 Eroms 1996, 39. 262 Vgl. Holly 1990, 74. 263 Goffman 1986, 17. 264 Vgl. Goffman 1986, 17. 265 Goffman 1973, 13. <?page no="88"?> 88 partnerinnen im Akt der Kommunikation stets ihr „face“, zu Deutsch ihr Gesicht, zu wahren. 266 Brown und Levinson nehmen Goffmans Begriff „face“ auf und unterscheiden eine positive und eine negative Ausprägung: Als „negative face” wird der Anspruch auf Eigenständigkeit bezeichnet, „the basic claim to territories, personal preserves, rights to nondistraction - i.e. to freedom of action and freedom from imposition“ 267 ; das „positive face” steht für das Bemühen, vom Gegenüber Anerkennung zu erhalten und entspricht damit Goffmans ursprünglichem Konzept. 268 Gruber erweitert dieses Inventar in Hinblick auf das Sprachhandeln in der Politik noch um das „public positive face“ 269 , das stets positive Image des Politikers/ der Politikerin, das ein rationales, vertrauenswürdiges Bild zeichnet, dem die Öffentlichkeit gerne folgt. 270 Zu Konflikten kommt es immer dann, wenn das Gesicht der Gesprächsteilnehmer/ Gesprächsteilnehmerinnen bedroht wird. In den öffentlichen Debatten ist jedoch „das Selbstdarstellungsverhalten eines Sprechers, sei es im Hinblick auf die eigene Person oder auf die durch ihn vertretene Gruppe, auf lange Strecken als dominierende Intention seines Handelns“ 271 zu sehen. Da ein Politiker/ eine Politikerin stets versuchen wird, das eigene Image zu wahren, während das Image des politischen Gegners/ der politischen Gegnerin vehement angegriffen wird, verstößt er/ sie zwangsläufig gegen die Regeln der Kooperativität, die eine notwendige Voraussetzung für konstruktive kommunikative Interaktion ist: 272 „Kooperativ sein heißt, sich verstehen wollen, sich guten Willen unterstellen, sich ernst nehmen, ein für beide positives Ziel erarbeiten wollen.“ 273 Sprachliche Handlungen, die das Image bedrohen, bezeichnen Brown und Levinson als „face threatening acts“ 274 , die jedoch durch rationales, strategisches Handeln normalerweise weitgehend vermieden werden. 275 Kommt es zu gesichtsbedrohenden Situationen, befinden sich die Betroffenen in einem Zwiespalt, indem sie einerseits das eigene Image ver- 266 Vgl. Goffman 1986, 10ff. 267 Brown/ Levinson 2004, 61. 268 Brown/ Levinson 2004, 61. 269 Gruber 1993, 3. 270 Vgl. Gruber 1993, 3f. 271 Volmert 1989, 39. 272 Vgl. Schank 1987, 31. 273 Schank 1987, 31. 274 Brown/ Levinson 2004, 60. 275 Vgl. Brown/ Levinson 2004, 60ff. <?page no="89"?> 89 teidigen und andererseits den Konflikt beenden wollen. 276 Vor allem, da gesichtswahrendes bzw. gesichtsbedrohendes Verhalten als Indiz für den guten oder schlechten Charakter des Sprechers/ der Sprecherin gehalten wird. 277 Imagewahrung wird mittels verschiedener Techniken betrieben: Es kann der Imagebedrohung einfach aus dem Weg gegangen werden (Vermeidung), ein heikler Einwurf kann berichtigt werden (korrektiver Prozess) oder das eigene Image wird durch eine weitere sprachliche Handlung wiederhergestellt (Ausgleichshandlung). 278 Nur „wenn der Regelverletzer von sich aus keinen Korrektivschritt anbietet; dann kann der von der Verletzung Betroffene oder ein anderer auf die Verletzung aufmerksam machen.“ 279 Mangelnde Rücksichtnahme kann aber sehr wohl auch in der Absicht des Sprechers/ der Sprecherin liegen: „Bisweilen aber verwenden oder unterlassen Interaktanten rituelle Muster mit dem Ziel, Images nicht zu wahren, sondern zu verletzen.“ 280 Goffman bezeichnet den aggressiven Gebrauch der rituellen Muster als „Pluspunkte sammeln“ 281 : Der Sprecher/ die Sprecherin sucht für sich und seine/ ihre Position besonders viele vorteilhafte Fakten und fügt diese ins Gespräch ein; für die anderen stellt er/ sie in der Redesituation derart ungünstige Fakten auf, dass diese sich dagegen kaum erwehren können, sondern nur schwache Entschuldigungen oder andere imagewahrende Züge für sich sprechen lassen können. 282 Korrektive Sequenzen sind dabei laut Goffman jene Stellen im Gespräch, an denen eine Imageverletzung explizit thematisiert und ein Ausgleich angestrebt wird. 283 Am Anfang eines solchen Beziehungskonflikts steht in jedem Fall ein sprachlicher bzw. nicht-sprachlicher Auslöser, bei dem sich einer/ eine der Beteiligten nicht den rituellen Mustern und gesellschaftlichen Normen gemäß verhält und damit das Image eines/ einer oder mehrerer Interaktanten/ Interaktantinnen bedroht oder verletzt. 284 Das fragliche Verhalten wird über eine „Veranlassung“ 285 bzw. „Herausforderung“ 286 in Form eines Vorwurfs, einer Anklage, einer Beschwerde 276 Vgl. Goffman 1986, 10ff. 277 Vgl. Goffman 1986, 90. 278 Vgl. Goffman 1986, 21ff. 279 Holly 1979, 55. 280 Holly 1979, 82. 281 Goffman 1986, 30. 282 Vgl. Goffman 1986, 31. 283 Vgl. Goffman 1986, 24ff. 284 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 92. 285 Holly, zit. in: Brinker/ Sager 2006, 92. 286 Goffman 1986, 26. <?page no="90"?> 90 usw. durch den Gesprächspartner/ die Gesprächspartnerin als Zwischenfall gekennzeichnet und damit die Sequenz offiziell eröffnet. 287 Der zweite Schritt, in dem der/ die Angegriffene sein/ ihr als anstößig markiertes Verhalten erklärt, ist der eigentliche Korrektivschritt, 288 den Goffman als „Angebot“ 289 bezeichnet: „Einem Interaktionsteilnehmer, meistens dem Missetäter, wird die Chance gegeben, die Folgen des Vergehens wieder gut zu machen und die expressive Ordnung wieder herzustellen.“ 290 Den dritten Schritt bildet die positive oder negative Honorierung des Korrektivs, womit die Sequenz, so Brinker und Sager, abgeschlossen wird. 291 Goffman stellt ans Ende der von ihm beschriebenen Ausgleichshandlung jedoch noch den Dank des/ der nun Freigesprochenen, womit das rituelle Gleichgewicht wiederhergestellt wäre. 292 Sieht man Zwischenrufe als ersten, markierenden Schritt einer Korrektivsequenz, so können sie entweder als sinnvolle Ergänzung zur Ausräumung von Missverständnissen dienen oder zur Verschärfung des zugrundeliegenden Beziehungskonflikts führen. Es gibt nämlich mehrere Möglichkeiten, wie Korrektive formuliert werden können, wobei nicht alle Handlungstypen dazu angelegen sind, Konflikte zu reduzieren; Gegenvorwürfe bewirken sogar das genaue Gegenteil. 293 Die sprachlichen Handlungen der Gesprächspartner/ Gesprächspartnerinnen sind dabei offen für Interpretierung: Diese ist jedoch nicht subjektiv beliebig, sondern richtet sich nach „intersubjektiven Regeln/ Mustern/ Konventionen“ 294 . Holly spricht in diesem Zusammenhang von der „Polyfunktionalität sprachlicher Äußerungen“ 295 , indem unterschiedliche Rahmenbedingungen eine völlig unterschiedliche Deutung der (sprachlichen) Handlung nach sich ziehen können: „Für die Bedeutung von Sprachhandlungen heißt dies, dass nicht nur im Hinblick auf mehrere Adressaten (Mehrfachadressierung), sondern auch für nur einen Hörer/ Leser mehr als eine Interpretation relevant ist, und zwar hinsichtlich verschiedener Aspekte und ‚Brennweiten‘ des Verständnisses […].“ 296 287 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 92. 288 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 92f. 289 Goffman 1986, 26. 290 Goffman 1986, 26. 291 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 93. 292 Vgl. Goffman 1986, 28. 293 Vgl. Schwitalla 1987, 102. 294 Holly 1990, 75. 295 Holly 1990, 54. 296 Holly 1990, 55. <?page no="91"?> 91 Burkhardt findet von Sprechaktseite sechs Hauptkategorien parlamentarischer Zwischenrufe: MEMORANDA, AFFIRMATIVA, EROTETIKA, DIREKTIVA, DISSENTIVA und EVALUATIVA. 297 Dazu stößt Burkhardt wiederholt auf Sprechakte, die vor allem Mittel zur Herabsetzung des politischen Gegners/ der politischen Gegnerin sind. Er bezeichnet diese parallel zu Zimmermanns ABWERTEN 298 als ABQUALIFIKATI- ONEN. ABQUALIFIKATIONEN transportieren „deutlich negative Wertungen, die darauf zielen, den politischen Gegner zu desavouieren oder auch zu provozieren.“ 299 Indem der vorliegenden Analyse primär an der Einbettung der Zwischenrufe in eine sequenzielle Abfolge aus Rede und Widerrede gelegen ist, von der zudem anzunehmen ist, dass sie zu einem Großteil aus wechselseitigen Vorwürfen besteht, wurde bei der Analyse der zugrundeliegenden Sprechakte jedoch nicht auf die Sprechhandlungstypologie von Burkhardt 300 zurückgegriffen, sondern Rehbeins Kategorisierung von VORWURF-Sequenzen 301 und Spranz-Fogsays Techniken des WIDERSPECHENS 302 als Vorlage genommen und entsprechend adaptiert. Voraussetzung für die Definition der Rede-Zwischenruf-Abfolgen als Sequenz ist jedoch, „dass der erste Gesprächsschritt den zweiten Gesprächsschritt bedingt, was heißt: dass der zweite Gesprächsschritt dem ersten erwartbar folgt.“ 303 Zwischenrufe sind grundsätzlich reaktiv, d.h., sie sind einem zumeist sprachlichen Anlassfall nachgeordnet. In Zusammenhang mit widersprechenden Äußerungen weist Spranz-Fogasy daraufhin, dass „ohne Einbeziehung der vorangegangenen Äußerung des Gegenübers nicht entschieden werden kann, ob es sich um ‚widersprechen‘ handelt oder um einen anderen Typ von Äußerung.“ 304 Um diesem Aspekt Rechnung zu tragen, setzt die Analyse der Rede-Zwischenruf-Sequenzen mit ihrer Beschreibung vor dem Zwischenruf selbst an, d.h., dass der Beginn der Sequenz vorverschoben wird, indem der zum Zwischenruf führende Schritt zwar nicht vom Sprecher/ der Sprecherin als Sequenzeröffnung mit bindender Reaktion intendiert ist, jedoch vom Zwischenrufer/ der Zwischenrufer dazu gemacht wird. D.h., ein Sprecher/ eine Sprecherin kann eine Äußerung zusammen mit ihrem 297 Vgl. Burkhardt 2005, 93. 298 Vgl. Zimmermann 1969, 19 299 Burkhardt 2005, 93. 300 Vgl. Burkhardt 2004, 308ff. 301 Vgl. Rehbein 1972. 302 Vgl. Spranz-Fogasy 1986. 303 Henne/ Rehbock 2001, 169. 304 Spranz-Fogasy 1986, 19. <?page no="92"?> 92 sequentiellen Kontext einem bestimmten Sequenztyp zuteilen. 305 Der Zwischenruf ist damit der zweite Schritt der Rede-Zwischenruf-Sequenz, während die Bezugsaussage im Redebeitrag den ersten Schritt darstellt. 306 In diesem Zusammenhang stellen Brinker und Sager die Frage, ob die Eingrenzung der Gesprächssequenzen auf konventionalisierte bzw. ritualisierte Schrittpaare nicht zu eng gefasst ist, 307 denn „auch die Folge Vorwurf-Gegenvorwurf erfüllt ja in gewisser Weise die Bedingung der ‚bedingten Erwartbarkeit‘, zumindest im Rahmen eines Streitgesprächs. Für diesen Gesprächstyp ist es keinesfalls ungewöhnlich, dass ein Vorwurf einen Gegenvorwurf nach sich zieht.“ 308 Gegenvorwürfe sind jedoch keine legitime, d.h. durch sequentielle Implikaturen geregelte, Reaktion auf Vorwürfe. Sie sprengen, so Brinker und Sager, die „etablierten interaktiven Verbindlichkeiten“ 309 und verstoßen gegen die „rituelle Ordnung“ 310 des Gesprächs. „Deshalb drohen eine Eskalation des Konflikts oder gar der Gesprächsabbruch.“ 311 Doch auch Schwitalla findet in Streitgesprächen typische Sprechaktmuster: So werden in Beziehungskonflikten gegenseitig Vorwürfe, Beleidigungen, im Extremfall sogar Beschimpfungen gewechselt, in konfliktären Verhandlungen bestimmen Aufforderung und Ablehnung das Bild, in imagegefährdenden Disputen Behauptung und Gegenbehauptung. 312 Für Fritz und Hundsnurscher gehört VORWERFEN zusammen mit PROVOZIE- REN und BELEIDIGEN zur Gruppe der „konflikteröffnenden Sprechakte“ 313 . Kopperschmidt sieht Vorwurfsequenzen im Rahmen parlamentarischer Sprachhandlungen daher als destruktiv an, indem sie seiner Meinung nach im Gegensatz zu konstruktiven Handlungen wie FRAGEN, RECHTFERTIGEN und (NICHT) ZUSTIMMEN nicht dazu dienen, Dissens in Konsens aufzulösen. 314 Wenn nun das Hauptinteresse der argumentativ/ persuasiven Kommunikation darin besteht, einen frei zustande gekommenen Konsens zu erreichen, „dann ist jede Frage, die […] kommunikativ-pragmatisch als Vorwurf […] identifiziert werden muss, […] 305 Vgl. Jefferson 1972, 303f. 306 Vgl. Spranz-Fogasy 1986, 20. 307 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 87. 308 Brinker/ Sager 2006, 87. 309 Brinker/ Sager 2006, 87. 310 Brinker/ Sager 2006, 87. 311 Brinker/ Sager 2006, 87. 312 Vgl. Schwitalla 1987, 109. 313 Fritz/ Hundsnurscher 1975, 87. 314 Vgl. Kopperschmidt 1975, 47. <?page no="93"?> 93 eine Verhinderung einer solchen Kommunikation.“ 315 Dennoch ist, vor allem in Hinblick auf das zuvor beschriebene kommunikative Verhalten im Sinne der Abwertung des Gegners/ der Gegnerin bzw. der eigenen Aufwertung, zu erwarten, dass gerade die von Kopperschmidt kritisierte Vorwurfssequenz im Parlament besonders häufig in Erscheinung tritt. Vorwurfssequenzen entspinnen sich normalerweise zwischen zwei Interaktionspartnern/ Interaktionspartnerinnen, werden diese nun öffentlich ausgetragen, so bekommen sie besonderes Gewicht. 316 Unter dem Begriff VORWERFEN werden zumeist eine Reihe von ähnlichen bzw. verwandten Sprechakten zusammengefasst, wie etwa ANKLAGEN, BE- SCHULDIGEN, KRITISIEREN, VERDÄCHTIGEN usw. 317 Für Fritz und Hundsnurscher finden sich unter dem Deckmantel des VORWERFENS auch Sprechakte, die eigentlich nicht zu den VORWÜRFEN gehören, sondern nur Teilaspekte ihrer Charakterisierung teilen, sozusagen nur eine Vorwurfskomponente enthalten können, wie etwa BEHAUPTUN- GEN. 318 Zu den Eigenschaften des VORWERFENS gehören einerseits Inhalte, die auf vollzogene oder unterlassene Handlungen bzw. Einstellungen hinweisen. 319 Zum anderen drückt derjenige/ diejenige, der/ die einen VORWURF vorbringt, seine/ ihre Missbilligung dieser Handlung bzw. Einstellung aus, wobei hier explizite oder implizite Normen zugrunde liegen können. 320 Gleichzeitig wird damit impliziert, dass es zur fraglichen Handlung oder Einstellung eine bessere Alternative gäbe, die der beschuldigten Person auch offen gestanden wäre. 321 Vorausgesetzt wird dabei, dass der/ die so Beschuldigte das ihm/ ihr Vorgeworfene absichtlich getan hat und dafür auch verantwortlich gemacht werden kann, indem er/ sie die Handlung bzw. Einstellung als solche versteht und diese gegen eine beiderseits akzeptierte Norm verstößt. 322 Auf einen Vorwurf kann so Fritz und Hundsnurscher auf drei Arten reagiert werden: 323 Der Vorwurf kann erstens übergangen werden, indem das Thema gewechselt wird oder einfach nichts dazu gesagt wird; man kann zweitens nur teilweise auf den Vorwurf eingehen, den Inhalt des Vorwurfs lächerlich machen und bagatellisieren, ihn bewusst missverste- 315 Kopperschmidt 1975, 49. 316 Vgl. Fritz/ Hundsnurscher 1975, 89. 317 Vgl. Dieckmann 2005b, 98. 318 Vgl. Fritz/ Hundsnurscher, zit. in: Dieckmann 2005b, 99. 319 Vgl. Dieckmann 2005b, 99. 320 Vgl. Dieckmann 2005b, 99. 321 Vgl. Dieckmann 2005b, 99. 322 Vgl. Fritz/ Hundsnurscher 1975, 84ff. 323 Vgl. Fritz/ Hundsnurscher 1975, 85f. <?page no="94"?> 94 hen oder den Sprecher/ die Sprecherin selbst zum Zielpunkt machen, indem man einen Gegenvorwurf formuliert, die Zuständigkeit abspricht, den Sprecher/ die Sprecherin auflaufen lässt oder ihn/ sie gar einschüchtert; drittens besteht die Möglichkeit, direkt auf den Vorwurf einzugehen. 324 Explizite Reaktionen sind Entschuldigungen und sämtliche Formen des Sich-Verteidigens, wie etwa die Handlung abzustreiten, umzudeuten, die böse Absicht dahinter zu bestreiten, sich auf eine höhere Gewalt oder eine höhere Norm berufen oder die eingeforderte Norm selbst anzugreifen. 325 Nach der Verteidigung des Gegenübers kann der ursprüngliche Angreifer/ die ursprüngliche Angreiferin in einem dritten Gesprächszug zum einen den Vorwurf zurücknehmen, da das Verhalten erfolgreich umgedeutet wurde, die Verantwortung nicht nachgewiesen werden konnte, der Verstoß gegen die Norm oder die Gültigkeit der Norm selbst erfolgreich bestritten wurde, eine andere Norm zur Bewertung des Verhaltens herangezogen werden muss oder einfach, weil sich der/ die Beschuldigte entschuldigt hat. 326 Andererseits kann die Äußerung des Gegenübers auch als Ausrede abqualifiziert werden, es kann auf der Verantwortlichkeit oder auf der Gültigkeit der Norm bestanden sowie die Umdeutung bezweifelt werden. Ist dies der Fall, so ist nun wieder der/ die Beschuldigte am Zug. Auf den Vorwurf der Ausrede kann er/ sie reagieren, indem er/ sie die Relevanz der eigenen Aussage beteuert, zum Ernst mahnt oder den Beleidigten/ die Beleidigte gibt. Als Reaktion auf das Bestehen der Gültigkeit der Norm kann begütigend eingegangen werden, wiederum die Ernsthaftigkeit signalisiert werden, eine Begründung eingefordert werden oder unterstellt werden, der andere Sprecher/ die andere Sprecherin sage das ja nur aus bestimmten Gründen. 327 Ergänzt werden muss bei der Entscheidung für eine bestimmte Reaktion auch die Rolle des Gegenübers, d.h. die Frage, gegen wen der Vorwurf gerichtet ist: „Ist A in der dominierenden Position, so hat der Vorwurf je nach institutionellem Rahmen die Form eines Tadels, einer Rüge, eines Verweises usw., dominiert B, so wird A den Vorwurf in der Regel in der Form eines Protestes, einer Klage usw. vorbringen. Bei symmetrischer Rollenbeziehung 324 Vgl. Fritz/ Hundsnurscher 1975, 85f. 325 Vgl. Fritz/ Hundsnurscher 1975, 90f. 326 Vgl. Fritz/ Hundsnurscher 1975, 93f. 327 Vgl. Fritz/ Hundsnurscher 1975, 94f. <?page no="95"?> 95 tritt der Vorwurf häufig als Warnung, als Ratschlag oder als scherzhafte Übertreibung auf.“ 328 Grundsätzlich stellt sich auch die Frage, wer wem Rechenschaft schuldig ist. Der Beziehungsaspekt, d.h., ob die Vorwurfshandlung als sozial angemessen gesehen wird, muss sehr oft erst geklärt werden, bevor auf den Vorwurf selbst eingegangen werden kann. 329 Von diesen Erwägungen hängt unter anderem auch ab, wie der Vorwurf formuliert wird, so signalisiert die „Schärfe des Vorwurfs […] den Grad der Überzeugung von der Berechtigung des Vorwurfs und der Entschlossenheit […], den Konflikt aufzugreifen […]; entsprechend hoch ist der Prestigeverlust, wenn der Vorwurf zurückgenommen werden muss.“ 330 Daher dienen viele Formulierungen dazu, den Einsatz zu verringern, indem subtilere Ausdrucksweisen einen möglichen Rückzug offen halten. 331 Für welche Zugsequenzen die österreichischen Parlamentarier/ Parlamentarierinnen optieren, wie (un)kooperativ sie vorgehen, soll nun im Anschluss der analytische Teil der Arbeit weisen. 328 Fritz/ Hundsnurscher 1975, 88. 329 Vgl. Fritz/ Hundsnurscher 1975, 88f. 330 Fritz/ Hundsnurscher 1975, 89. 331 Vgl. Fritz/ Hundsnurscher 1975, 89. <?page no="96"?> 96 6 Makrostruktur der Debatten im Nationalrat Folgt man der Definition von Brinker und Sager, so ist ein Gespräch eine Abfolge von Einzeltexten, die eine gemeinsame thematische Orientierung teilen. 1 Eine gemeinsame thematische Orientierung liegt dann vor, wenn die Aufmerksamkeit der Gesprächsteilnehmer/ Gesprächsteilnehmerinnen auf ein gemeinsames intentionales Objekt gelenkt ist. 2 Dazu van Dijk: „A discourse is coherent not only at the local level (e.g., by pairwise connections between sentences) but also at the global level. Notions such as global meaning, global reference, topic, or theme are intimately related, and macrostructures are needed to make these relations explicit.” 3 Die Analyse der Makrostruktur der parlamentarischen Debatten schließt an diese Gedankenstränge an und gibt zunächst einen Überblick über die kommunikativen Reglementierungen im österreichischen Nationalrat, die als Superstruktur den Debattenbeiträgen eine klare Form vorgeben. 4 Dabei wird angenommen, dass eher monologisch ausgerichtete Debattenformen Unterbrechungen begünstigen. Gleichzeitig wird auf den Inhalt der einzelnen Tagesordnungspunkte eingegangen, d.h. auf die Makrostruktur, in die die Rede-Zwischenruf-Abfolgen eingebettet sind. Indem die Zwischenruffrequenz der einzelnen Parlamentsparteien genauer in Augenschein genommen wird, soll gefragt werden, inwieweit Inhalts- und Beziehungsaspekte zusammenspielen, um ein bestimmtes Debattenverhalten hervorzurufen. Zuletzt soll untersucht werden, ob sich in Hinblick auf Geschlecht und Alter Unterschiede im Zwischenrufverhalten erkennen lassen. 6.1 Kommunikative Reglementierung im Parlament Der nächste Verwandte der parlamentarischen Rede ist die Diskussion. Beide Gesprächstypen lassen nur die Behandlung von jeweils einem Thema zu, in den Redebeiträgen selbst werden Teilbzw. Subthemen des Großthemas argumentativ behandelt. 5 Ebenso kann man die Rolle des 1 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 11f. 2 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 11f. 3 van Dijk 1980, 10. 4 Vgl. van Dijk 1980, V. 5 Vgl. Schank 1981, 32. <?page no="97"?> 97 vorsitzführenden Nationalratspräsidenten/ der vorsitzführenden Nationalratspräsidentin mit der eines Diskussionsleiters/ einer Diskussionsleiterin vergleichen. Beiden Rolleninhabern/ Rolleninhaberinnen obliegt die Aufgabe, einerseits darüber zu wachen, dass die einzelnen Sprecher/ Sprecherinnen beim Thema bleiben, andererseits sind sie für die Zuteilung bzw. den Entzug des Rederechts verantwortlich. Doch im Gegensatz zu normalen Diskussionen wird bei Nationalratsdebatten die Entscheidung darüber, was thematisch zulässig ist, und vor allem, wer überhaupt wie lange zum Thema reden darf, nicht allein dem Gutdünken des Diskussionsleiters/ der Diskussionsleiterin überlassen, sondern ist verschriftlicht in der Geschäftsordnung des Parlaments im Vorhinein festgelegt. D.h. mit anderen Worten: Die Superstruktur des Gesprächstyps Nationalratsdebatte ist normativ vorgegeben. Die Reglementierung orientiert sich dabei grundsätzlich an zwei Eckpfeilern: dem freien Rederecht und dem Recht, in einer Debatte gehört zu werden. 6 Um diesen Ansprüchen zu genügen, folgen Sitzungen im Nationalrat einem genauen Schema, das den normativen Vorgaben der Geschäftsordnung folgt. 7 Über die Tagesordnung wird zunächst festgelegt, welche Themen in der jeweiligen Sitzung behandelt werden. Der Redner/ die Rednerin darf in Folge während seines/ ihres Redebeitrags nicht allzu weit von den vorgegebenen Themenbereichen abschweifen, da dies mit dem formelhaften Ruf Zur Sache geahndet wird. Der dritte Verstoß gegen diese kommunikative Regel führt zum Entzug des Rederechts. 8 Was überhaupt in parlamentarischen Debatten als Gegenstand der Verhandlung, d.h. als Grundgedanke der Debatten, gelten kann, ist über die Geschäftsordnung definiert. Es sind dies selbständige Anträge von Abgeordneten, Vorlagen der Bundesregierung, Berichte der Ausschüsse usw., 9 die den Abgeordneten vorab zukommen und die daraufhin im Nationalrat verhandelt werden. 10 Auch wer sich zu einem Thema zunächst zu äußern hat, ist vorab entschieden: „Mithilfe von Rednerlisten, Redezeitbegrenzungen und der grundsätzlichen Rederechtvergabe durch den Parlamentspräsidenten sind die Sprecherwechsel vorab und streng geregelt. Diese Regelung wird in parlamentarischen Debatten in Richtung sachlich-argumentative Auseinandersetzung inszeniert, tatsächlich sind diese Debatten jedoch - öffentlichkeits- 6 Vgl. Shenhav 2008, 225. 7 Vgl. Parlamentsdirektion 2009. 8 Vgl. Parlamentsdirektion 2009, 61. 9 Vgl. Parlamentsdirektion 2009, 29. 10 Vgl. Parlamentsdirektion 2009, 41. <?page no="98"?> 98 adressiert - funktionalisiert auf Parteienproporz oder Provokations- und Neutralisationsschemata, die im Dienste parteipolitischen Werbens oder Legitimierens stehen.“ 11 Die Debatte wird zunächst von einem Vertreter/ einer Vertreterin des Ausschusses begonnen, der für den Verhandlungsgegenstand verantwortlich zeichnet. Dies sind entweder der designierte Berichterstatter/ die designierte Berichterstatterin, der Ausschussobmann/ die Ausschussobfrau oder deren Vertreter/ Vertreterinnen. 12 Meldet sich keine dieser Personen zu Wort, so beginnt die Debatte „durch die Worterteilung an den ersten zum Wort gemeldeten Redner.“ 13 Wortmeldungen können ab Beginn der Sitzung angemeldet werden. Möchte ein Abgeordneter/ eine Abgeordnete zu einem Tagesordnungspunkt etwas sagen, so muss er/ sie sich beim Nationalratspräsidenten/ bei der Nationalratspräsidentin oder einem/ einer seiner/ ihrer Bediensteten mit der Angabe melden, ob er/ sie für oder gegen das Thema argumentieren wird. 14 Die Redner/ Rednerinnen folgen danach einer festgelegten Reihung, die den Anschein einer „natürlichen“ Debatte garantieren soll: 15 „Die gemeldeten Abgeordneten gelangen in der Reihenfolge der Anmeldung zum Worte, wobei der erste ‚Gegen‘-Redner beginnt und sodann zwischen ‚Für‘- und ‚Gegen‘-Rednern abgewechselt wird. Bei gleichzeitiger Anmeldung zweier oder mehrerer ‚Für‘-Redner oder zweier oder mehrerer ‚Gegen‘-Redner bestimmt der Präsident die Reihenfolge, in der sie zum Worte kommen, in der Weise, dass die verschiedenen Standpunkte zu einem Verhandlungsgegenstande gebührend zur Geltung kommen sowie auf Klubstärke und Abwechslung zwischen den Rednern verschiedener Klubs Bedacht genommen wird.“ 16 Der Redner/ die Rednerin muss zudem eine vorab festgesetzte Redezeit einhalten, die unter anderem von der Redezeit der jeweiligen Partei abhängt, d.h., die Redner/ Rednerinnen der einzelnen Klubs teilen sich die Gesamtredezeit untereinander auf. 17 Direkte Repliken auf die Aussagen eines Redners/ einer Rednerin können offiziell nur über tatsächliche Berichtigungen geleistet werden. Diese müssen zunächst die zu berichtigende Behauptung wiedergeben und diese daraufhin dem richtigen Sach- 11 Kühn 1995, 201. 12 Vgl. Parlamentsdirektion 2009, 44. 13 Parlamentsdirektion 2009, 44. 14 Vgl. Parlamentsdirektion 2009, 47. 15 Vgl. Parlamentsdirektion 2009, 47. 16 Parlamentsdirektion 2009, 47. 17 Vgl. Parlamentsdirektion 2009, 46. <?page no="99"?> 99 verhalt gegenüberstellen. Es dürfen jedoch nur jene Personen tatsächlich berichtigen, die auch in der jeweiligen Rede persönlich betroffen waren. Die tatsächliche Berichtigung ist mit zwei Minuten Redezeit sehr kurz gehalten und muss exklusiv zum Sachverhalt Stellung nehmen. Wird dieser thematischen Festlegung nicht Folge geleistet, so wird dem Redner/ der Rednerin das Wort sofort wieder entzogen. 18 Die Debatte im Parlament folgt somit genau festgelegten kommunikativen Pfaden, Abweichungen werden im Extremfall mit Redeentzug sanktioniert. Der gemeinsame Gesprächsgegenstand ist über die Tagesordnung vorgegeben, Redebeiträge zum Thema müssen unter Angabe der argumentativen Ausrichtung vorab angemeldet werden. Ein direkter Wechsel von Rede und Widerrede ist bei herkömmlichen Parlamentsdebatten nur bei Falschaussagen möglich und auch hier stark eingeschränkt. Damit sind sowohl Gesprächsablauf als auch die Gesprächsinhalte im Nationalrat genauestens geregelt. Zwischenrufe ebenso wie Beifall, Lachen oder andere mimische oder gestische Kommentare sind der einzige Weg, aus dem durch die Geschäftsordnung eng geschnürten kommunikativen Korsett auszubrechen. Durch Zwischenrufe wird die stilisierte Kunstform der parlamentarischen Debatte zum effektiven dialogischen Austausch. Oder anders ausgedrückt: Hier treffen konzeptionell schriftliche und konzeptionell mündliche Sprache direkt aufeinander. 19 Zwischenrufe selbst werden aus der Geschäftsordnung zum Nationalrat ausgespart und sind daher im Gegensatz zum deutschen Bundestag nicht gesetzlich legitimiert. Hierzu die Parlamentsdirektion: „Es gibt in Österreich keinen ‚Verhaltenskodex‘ für Parlamentsparteien. In der Geschäftsordnung des Nationalrates und des Bundesrates […] finden Sie Regeln über die Bildung von Klubs, aber nichts ausdrücklich über das Verhalten untereinander bzw. miteinander. Die sogenannten ‚Zwischenrufe‘ sind als aktive Handlung demnach nicht in den Geschäftsordnungen geregelt. Sie sind eine ad hoc-Bemerkung zu einem Debattenbeitrag, die in der Regel von [sic] Sitzplatz aus getätigt werden. Inwieweit diese zugelassen werden (Ruf zur Ordnung) liegt im Ermessen des vorsitzführenden Präsidenten […].“ 20 Doch auch wenn der Zwischenruf durch die Geschäftsordnung nicht weiter explizit als kommunikative Form erlaubt wird, so ist er doch mit ein Grund dafür, warum auch heute noch Stenographen/ Stenographinnen im Plenarsaal die Vorgänge bei den Debatten mitverfolgen, haben 18 Vgl. Parlamentsdirektion 2009, 46. 19 Vgl. Koch/ Österreicher 1994, 587ff. 20 E-Mail Bürgerservice Parlamentsdirektion [23.09.2009]. <?page no="100"?> 100 diese doch explizit die Aufgabe, all jene Debattenbeiträge, die nicht über die Geräte aufgenommen werden können, in das Parlamentsprotokoll einzufügen. 21 Darunter fallen einerseits alle non-verbalen Debattenbeiträge wie Beifall, (ironische) Heiterkeit sowie gegebenenfalls Gestik, andererseits auch alle Zwischenrufe, da diese nicht direkt über die Aufnahmegeräte aufgezeichnet werden. 22 Mit anderen Worten: Der Zwischenruf ist zwar nicht legitimiert, wird aber dennoch als wichtiger kommunikativer Bestandteil der Debatte mit ins Protokoll aufgenommen. Die Politiker/ Politikerinnen selbst sehen den Zwischenruf, so er eine bestimmte geschmackliche Grenze nicht überschreitet und nicht ausschließlich Störfunktion besitzt, durchaus als thematische Bereicherung, vor allem aber als willkommene Auflockerung im starren Gewebe der parlamentarischen Monologe. Hierzu ein österreichischer Parlamentarier: „Grundsätzlich bin ich für Zwischenrufe. Diese sollten jedoch nicht die Redner oder den Redner stören, sondern eher zur Mitteilung von gewünschten Details motivieren. Sie sollten nicht unter die Gürtellinie zielen, wenn sie zusätzlich noch humoristisch sind, erhöht das zweifellos die Aufmerksamkeit im Auditorium.“ 23 Zwischenrufe werden folglich grob ausgedrückt immer dann gesetzt, wenn die von der Geschäftsordnung zum Zuhören verdammten Abgeordneten in der Debatte das Gefühl bekommen, nicht mehr länger schweigen zu können. Mögliche Gründe mögen sein die Dauer der Debatte, die nach Abwechslung streben lässt, die argumentativen Attacken des politischen Gegners/ der politischen Gegnerin, die pariert werden müssen, oder aber das kommunikativ niedere Ziel, den Redner/ die Rednerin aus dem Konzept zu bringen. Grundsätzlich kann die Anzahl von Zwischenrufen jedoch als ein Indikator für die Brisanz des Themas gesehen werden. Dazu wieder ein österreichischer Abgeordneter: „Je nach Situation und ‚Hitze des Gefechtes‘ tritt der eine oder andere Zuhörerkreis in den Vordergrund. Je engagierter, emotioneller oder auch hitziger eine Debatte wird, umso mehr wird es wirklich zu einer Aussprache 21 http: / / www.demokratiewebstatt.at/ 525.html? &no_cache=1&tx_parlamentfaces _pi1[departmentUID]=7 [16.01.2012]. 22 http: / / www.demokratiewebstatt.at/ 525.html? &no_cache=1&tx_parlamentfaces _pi1[departmentUID]=7 [16.01.2012]. 23 http: / / members.vienna/ WIP/ Interview%201%20antworten%20text.htm [21.09.2009]. <?page no="101"?> 101 unter den Abgeordneten, allenfalls mit interessierten Zuhörern. Hierher zählen auch die Zwischenrufe […].“ 24 Die folgende Tabelle (Tabelle 1) gibt einen Überblick über die durchschnittliche Anzahl von Zwischenrufen zu den einzelnen Sitzungspunkten der drei untersuchten Parlamentstage. Die absolute Anzahl von Zwischenrufen wird ergänzt durch eine durchschnittliche Zwischenruffrequenz pro fünf Minuten, um auf diese Weise die Debatten mit ihrer stark variierenden Dauer vergleichbar zu machen. Tabelle 1: Zwischenrufe pro Tagesordnungspunkt und durchschnittliche Zwischenrufanzahl alle fünf Minuten (N = 1271 Zwischenrufe) 24 http: / / members.vienna/ WIP/ Interview%201%20antworten%20text.htm [21.09.2009]. Tagesordnungspunkt Anzahl Zwischenrufe gesamt Dauer (aufgerundet auf 5 min) durchschnittliche Anzahl Zwischenrufe alle 5 Minuten Bericht Eurofighter-Ausschuss 327 03: 50 7 Dringliche Anfrage Zensur der Akten für Eurofighter-Ausschuss 241 02: 30 8 Budgetbegleitgesetz 2007 und Gesundheits- und Ernährungssicherheitsgesetz 159 05: 30 2 Dringlicher Antrag Frauenpolitische Maßnahmen : Wo bleiben sie? 93 02: 30 3 Marktordnungsgesetz, Agrarrechtsgesetz 70 01: 35 4 Gesetzliches Budgetprovisorium 51 01: 30 3 Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des Komatrinkens bei Jugendlichen 35 01: 55 2 kurze Debatte Anfragebeantwortung Ausstieg aus dem Eurofightervertrag 34 00: 45 4 Ökostromgesetz 32 01: 15 2 kurze Debatte Fristsetzungsantrag (Neuwahlen) 28 00: 35 4 Hochschülerinnen- und Hochschülerschaftsgesetz 26 01: 00 2 Fragestunde Frauen, Medien und öffentlicher Dienst 25 01: 00 2 Maßnahmenpaket gegen Internet-Kriminalität 23 01: 10 2 Geschäftsbehandlung Abwesenheit des BM Hahn 21 00: 10 11 Tierschutz- und Tiertransportgesetz 14 01: 35 1 <?page no="102"?> 102 Lesebeispiel: Der Tagesordnungspunkt „Bericht Eurofighter-Ausschuss“ enthält insgesamt 327 Zwischenrufe. Bei einer Dauer von drei Stunden und fünfzig Minuten sind das durchschnittlich sieben Zwischenrufe alle fünf Minuten. Rein quantitativ stammen im Rahmen der vorliegenden Analyse die am hitzigsten diskutierten Themen aus dem Umfeld der Eurofighter-Debatte und dem damit verbundenen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Die Anschaffung des Eurofighter-Kampfjets für das österreichische Bundesheer unter der alten Regierung aus Österreichischer Volkspartei (ÖVP) und Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) war im Dunstkreis von Lobbyismus und Korruption zunehmend ins Zwielicht geraten. Der Untersuchungsausschuss sollte Licht in die Vorgänge bringen, doch verfehlte er sein Ziel aufgrund koalitionärer Verpflichtungen der Sozialdemokraten/ Sozialdemokratinnen, die nun zusammen mit der ÖVP die neue Regierung bildeten. Der Eurofighter-Untersuchungsausschuss war ein zentrales Thema der Opposition, nicht zuletzt aufgrund des enormen Medieninteresses. Werden die Redner/ Rednerinnen durchschnittlich in etwa drei Mal alle fünf Minuten unterbrochen, so sind es bei diesen Sitzungspunkten (Bericht Eurofighter-Ausschuss, Dringliche Anfrage Zensur der Akten für Eurofighter-Ausschuss) zwischen sieben und acht Zwibedingte Entlassung aus dem Strafvollzug 13 00: 50 1 internationaler Eisenbahnverkehr, Koralmbahn, ÖBB-Reform 11 00: 50 1 Einfuhr- und Handelsverbot für Robbenprodukte 11 00: 55 1 Europa-Mittelmeer-Luftverkehrsabkommen 9 00: 25 2 Konsulargebührengesetz 8 00: 40 1 kurze Debatte Anfragebeantwortung Frauenanteil Wiener Philharmonika 8 00: 40 1 Katastrophenfondsgesetz und Hochwasseropferentschädigungs- und Wiederaufbau-Gesetz 8 01: 10 1 Geschäftsbehandlung inhaltlicher Zusammenhang in Debatte zum Marktordnungsgesetz 7 00: 05 7 Amnestie-, Rehabilitierungs- und Entschädigungsgesetz 6 00: 25 1 Kraftfahrgesetz 5 00: 25 1 Einkommenssteuergesetz 4 00: 15 1 Gefahrgutbeförderungsgesetz 1 00: 15 0 Pflanzenschutzmittelgesetz 1 00: 25 0 gesamt 1271 3 Zwischenrufe alle 5 Minuten <?page no="103"?> 103 schenrufe. Um dem Idealtypus einer Diskussion zu entsprechen, muss, so Brinker, jeder Diskutant/ jede Diskutantin gleichberechtigt die Möglichkeit bekommen, mitzudiskutieren, d.h., er/ sie muss zu Wort kommen, jedem Diskutant/ jeder Diskutantin muss die gleiche Redezeit eingeräumt werden und muss „ohne Unterbrechungen ausreden […] dürfen.“ 25 Obwohl die Redner/ Rednerinnen der Eurofighter-Debatten offensichtlich zu Wort kommen und ihnen durch die Geschäftsordnung eine ihrer Fraktion angemessene Redezeit zugesichert wird, ist bei einer Zwischenruffrequenz von mehr als einem Zwischenruf pro Minute kaum die Möglichkeit gegeben, den eigenen Gedanken zu Ende zu führen. Die Sitzungspunkte zum Eurofighter sind daher weit vom Idealtypus gleichberechtigter Diskussion entfernt. Hinter den Debatten rund um den Eurofighter folgen erst mit einigem Abstand die Sitzungspunkte zum Budgetbegleitgesetz, zum Marktordnungsgesetz und zum Budgetprovisorium, die ebenfalls stark kontrovers behandelt wurden, indem durchschnittlich alle zwei Minuten ein Zwischenruf zu hören war. Eine auffällig hohe Zwischenruffrequenz erreichen Anträge zur Geschäftsbehandlung, die generell den Ablauf der Sitzung selbst betreffen. Anträge zur Geschäftsbehandlung müssen nicht schriftlich eingebracht werden, brauchen keine Unterstützung und werden, sofern nicht anders entschieden, auch sofort zur Abstimmung gebracht. 26 Dieser Debattentyp ist somit freier als andere parlamentarische Gesprächsformen. Auffällig im Untersuchungszeitraum ist der Antrag zur Geschäftsbehandlung betreffs der Abwesenheit des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung Johannes Hahn während der Debatte zum Hochschülerschaftsgesetz. Hier erreichen die Zwischenrufe sogar eine höhere Frequenz als bei der Eurofighter-Debatte, finden sich doch in den zehn Minuten der Debatte 21 Zwischenrufe. Aber auch der Antrag zur Geschäftsbehandlung betreffs des inhaltlichen Zusammenhangs eines Redebeitrags im Rahmen der Debatte zum Marktordnungs- und Agrarrechtsgesetz ist geprägt vom Hin und Her der Zwischenrufe. Erklärt werden kann die hohe Zwischenruffrequenz damit, dass hier im Grunde darüber beraten und zudem auch gleich darüber entschieden wird, ob das kommunikative Verhalten eines Redners/ einer Rednerin sanktioniert werden muss oder nicht. Da dies unmittelbar das Rederecht der Abgeordneten betrifft, jedoch von der Geschäftsordnung neben den offiziellen Wortmeldungen zum Thema kein allgemeiner Dialog erlaubt wird, wird über Zwischenrufe direkt mit dem Präsidenten/ der Präsidentin verhandelt, wobei natür- 25 Brinker 1996, 118. 26 Vgl. Parlamentsdirektion 2009, 46. <?page no="104"?> 104 lich das eigene, fraktionsinterne Verhalten genauso vehement verteidigt wird, wie von anderer Seite vehement direkte kommunikative Sanktionen eingefordert werden. Weitere parlamentarische Diskussionsformen umfassen im Übrigen die kurze Debatte sowie dringliche Anträge bzw. dringliche Anfragen. Die kurze Debatte beschränkt sich auf die Behandlung von Fristsetzungsanträgen, von schriftlichen Beantwortungen von Seiten der Regierung sowie auf die Thematisierung der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen und wird - wie der Name schon vermuten lässt - durch kürzere Redezeiten charakterisiert. 27 Mit Ausnahme der kurzen Debatte zum Frauenanteil der Wiener Philharmoniker ist auch diese Debattenform eher störungsanfällig bzw. positiv formuliert: eher dialogisch ausgerichtet. Eine Erklärung auf Makrostrukturebene fußt auf der konfrontativen Gegenüberstellung von oppositioneller Anfrage und deren Beantwortung durch die Regierung, die einen durchaus heftigen Wechsel aus Anklage und Verteidigung sowohl von Redner/ Rednerinnenals auch Zwischenrufer/ Zwischenruferinnen-Seite nach sich zieht. Pro Sitzungstag kann zusätzlich noch ein dringlicher Antrag bzw. eine dringliche Anfrage eingebracht werden, bei der die Antragsteller/ Antragstellerinnen bevorzugt, d.h. länger, zu Wort kommen: 28 „Dem Begründer steht eine Redezeit von 20 Minuten zu. Jedem Redner kommt in der darauf folgenden Debatte eine Redezeit von zehn Minuten und jedem Klub eine Gesamtredezeit von insgesamt 25 Minuten zu.“ 29 Jeder/ Jede Abgeordnete kann schriftliche Anfragen an die Nationalrats präsidenten/ Nationalratspräsidentinnen, die Ausschussobmänner/ Ausschussobfrauen sowie an die Regierung stellen, die daraufhin beantwortet werden müssen. Die Antragsteller/ Antragstellerinnen können bei ausreichender Unterstützung zudem eine mündliche Debatte einfordern, in der der Sachverhalt nochmals im Nationalrat öffentlich behandelt wird und der/ die Befragte verpflichtet ist, Stellung zu nehmen. 30 Der dringliche Antrag bzw. die dringliche Anfrage ist somit ein Mittel der Opposition, ihre Themen in die parlamentarische Diskussion einzubringen und sich mit ihnen (medial wirksam) in Szene zu setzen. Die dringlichen Anträge bzw. Anfragen zählen innerhalb der untersuchten Sitzungstage quantitativ zu den zwischenrufträchtigen Debattenformen. Auch hier kann vorab 27 Vgl. Parlamentsdirektion 2009, 46. 28 Vgl. Parlamentsdirektion 2009, 46. 29 Parlamentsdirektion 2009, 56. 30 Vgl. Parlamentsdirektion 2009, 55f. <?page no="105"?> 105 als Begründung dienen, dass es sich um punktuelle konfrontative kommunikative Ansprüche der Opposition an die Regierung handelt, denen zudem zumeist höchst brisante Themen zugrunde liegen. Daneben können auch sonst innerhalb der Sitzungen kurze mündliche Fragen an die Bundesregierung gestellt werden, die wiederum beantwortet werden müssen. Diese Form der Diskussionsführung findet ihre Ausweitung in den Fragestunden, in denen die Regierungsmitglieder den Fragen der Abgeordneten Rede und Antwort stehen müssen. Die beabsichtigten Fragen sind 48 Stunden vor der jeweiligen Sitzung schriftlich einzubringen und sind wiederum formal stark reglementiert: 31 „Jede Anfrage darf nur eine konkrete Frage enthalten und nicht in mehrere Unterfragen geteilt sein.“ 32 Sowohl die Frage als auch die Antwort sind dabei auf eine bzw. zwei Minuten Redezeit beschränkt. Nach der Beantwortung sind Zusatzfragen zulässig, sofern sie in unmittelbarem thematischen Zusammenhang stehen. 33 Die parlamentarische Gesprächsform der Fragestunde ist ähnlich wie die dringliche Anfrage eine (medienwirksame) Möglichkeit für die Opposition, der Regierung unangenehme Fragen zu stellen und ist somit in starkem Maß auf Konfrontation ausgelegt. 34 Gleichzeitig kommt die Fragestunde aber im Gegensatz zum dringlichen Antrag einem natürlichen Austausch mit (kurzer) Frage und (kurzer) Antwort am nächsten. Da die Fragestellung vorab schriftlich eingebracht werden muss, ähneln die Antworten der Regierungsmitglieder jedoch eher kurzen monologischen Reden als einem dialogischen Spiel aus Frage und Antwort. An den untersuchten Sitzungstagen findet sich eine Fragestunde, initiiert von den Grünen, die vergleichsweise wenig Zwischenrufe enthält. Ein Grund dafür mag sein, dass diese parlamentarische Debattenform im Gegensatz zu anderen Formen der politischen Auseinandersetzung im Nationalrat den direkten Dialog der Kontrahenten/ Kontrahentinnen ermöglicht. Dies geschieht jedoch weniger über die formalisierten Frage- und Antwortsequenzen als vielmehr durch die von der Geschäftsordnung legitimierten Zusatzfragen von Seiten des Plenums. D.h., direkte Repliken können offiziell über Zusatzfragen formuliert werden und müssen nicht durch Zwischenrufe inoffiziell eingeworfen werden. Ein weiterer Grund für die geringere Zwischenruffrequenz mag auch die starke 31 Vgl. Parlamentsdirektion 2009, 57. 32 Parlamentsdirektion 2009, 57. 33 Vgl. Parlamentsdirektion 2009, 57. 34 Vgl. de Ayala 2001, 147. <?page no="106"?> 106 zeitliche Beschränkung der Redebeiträge sein, die damit auch wenig Raum für Unterbrechungen lässt. 35 6.2 Der Beziehungsaspekt der Zwischenrufe Beobachtet man die Sitzungstage genauer und setzt die Zwischenrufe in Relation zur Tageszeit, dann zeigt sich, dass die Anzahl der Zwischenrufe zu Beginn eines Sitzungspunktes am höchsten ist und gegen Ende eines Tagesordnungspunktes bzw. gegen Ende des Sitzungstages hin abzuflauen scheint. Da ansonsten keine tageszeitbedingten Einbrüche in der Zwischenrufaktivität beobachtet werden können, lassen sich die Spitzen bei der Zwischenrufanzahl vor allem auf die thematische Brisanz des Tagesordnungspunktes zurückführen. Sitzungspunkte mit hoher Zwischenrufanzahl und damit großem Konfliktpotential wie die Eurofighter-Debatten (vgl. Tabelle 1) behandeln wenig überraschend jene Themen, die für die einen ein politisches Risiko und für die anderen eine Möglichkeit zur Profilierung darstellen. Diese Beobachtung wird unterstrichen durch die Tatsache, dass eher sachthemenorientierte Sitzungspunkte wie die Änderung des Kraftfahrgesetzes oder das Einfuhrverbot für Robbenprodukte kaum Zwischenrufe hervorrufen. Es sind dies Diskussionspunkte, bei denen keine der im Parlament vertretenen Parteien besonders viele Minus- oder Pluspunkte beim Wähler/ bei der Wählerin machen kann, oder anders formuliert: Es sind Themen, bei denen der Inhaltsaspekt den Beziehungsaspekt klar überwiegt. 36 Zwar geht es auch in Parlamentsdebatten zunächst um Information und argumentative Auslegung, doch besteht die eigentliche Funktion der öffentlichen Rede in der Legitimierung des eigenen Handelns und der Bewahrung eines positiven, d.h. wählbaren, Images nach außen. 37 Die parlamentarischen Debatten sind folglich keine Diskussionen im eigentlichen Sinn, da es nicht darum geht, den Diskussionspartner/ die Diskussionspartnerin von den eigenen Argumenten zu überzeugen. Vielmehr 35 Neben der Fragestunde können Sitzungen auch mit aktuellen Stunden beginnen. „Die Aktuelle Stunde dient einer Aussprache über Themen von allgemeinem aktuellen Interesse aus dem Bereich der Vollziehung des Bundes“ (Parlamentsdirektion 2009, 58). Dabei werden weder Anträge gestellt noch Beschlüsse gefasst, es geht allein um die Darstellung der Themen. Da an den untersuchten Sitzungstagen keine aktuelle Stunde stattfand, wird diese Debattenform in der vorliegenden Arbeit nicht weiter behandelt. 36 Vgl. Watzlawick/ Beavin/ Jackson 1974, 53ff. 37 Vgl. Sarcinelli 1990b, 47. <?page no="107"?> 107 stellen die Plenardebatten ein Fenster zur Öffentlichkeit dar, durch das die eigene Position für die Wähler/ Wählerinnen außerhalb des Sitzungssaales möglichst positiv präsentiert werden soll. Aus diesem Grund stehen im Gegensatz zu normalen Diskussionen im Parlament weniger argumentative Gesichtspunkte als vielmehr Beziehungsaspekte im Zentrum der Gesprächsintentionen der Parlamentarier/ Parlamentarierinnen. Dies gilt zwar besonders für (medial vermittelte) Parlamentsdebatten, doch auch in Alltagsgesprächen kann dieses Phänomen verfolgt werden, indem die einzelnen Gesprächspartner/ Gesprächspartnerinnen darum bemüht sind, ein positives Bild von sich zu zeichnen. Dazu Goffman: „[…] was ein Mensch schützt und verteidigt und worin er seine Gefühle investiert, ist eine Idee von sich selbst; Ideen sind aber nicht verletzbar durch Tatsachen und Dinge, sondern nur durch Kommunikationen.“ 38 Inwieweit die kommunikativen Maßnahmen für ein positives Image der Parteien und Politiker/ Politikerinnen bei den stimmberechtigten Adressaten/ Adressatinnen ausreichen, kann durch die vorliegende Untersuchung nicht beantwortet werden. „Schon der Schluss vom Inhalt auf den Kommunikator, insbesondere auf dessen mögliche oder tatsächliche Intention, ist eine problematische Angelegenheit: Erst recht gilt dies jedoch für den Schluss vom Inhalt auf dessen Wirkung beim (möglichen, wahrscheinlichen, wirklichen) Rezipienten, denn hier ist so gut wie alles ungewiss: Jeder Inhalt hat eine direkte Beziehung zu einem Kommunikator, denn dieser hat ihn erzeugt, formuliert, auf den Weg gebracht etc. Welche Rezipienten jedoch der Inhalt erreicht, ob dieser von ihnen aufgenommen oder gar angenommen wird, kann man vom Inhalt allein her in keinem Fall sagen.“ 39 Auf der Spur des Beziehungsaspektes parlamentarischer Debatten (und Unterbrechungen) setzt die folgende Abbildung (Abbildung 1) in einem ersten Schritt die Größe der Fraktion im Nationalrat in Bezug zur absoluten Zahl der effektiv eingeworfenen Zwischenrufe und in einem zweiten Schritt in Bezug zur potentiellen Menge an Zwischenrufen, sofern man die unterschiedliche Anzahl der Abgeordneten der jeweiligen Parteien auf gleich setzt (d.h. normalisiert) und somit vergleichbar macht. Als Maßstab dient dabei die SPÖ, die als größte Fraktion im Parlament im Jahr 2007 68 Abgeordnete stellt. 38 Goffman 1986, 51. 39 Merten 1995, 29. <?page no="108"?> 108 Abbildung 1: Anzahl Abgeordnete pro Partei im Vergleich zur absoluten und zur normalisierten Anzahl ihrer Zwischenrufe (N 1 = 183 Nationalratsabgeordnete; N 2 = 1271 Zwischenrufe) Lesebeispiel: Das BZÖ stellt im Nationalrat sieben Abgeordnete, die zusammen 172 Zwischenrufe äußern. Die fraktionsstärkste Gruppe stellt die SPÖ mit 68 Abgeordneten, die insgesamt für 175 Zwischenrufe verantwortlich zeichnen. Hätte das BZÖ so viele Abgeordnete im Parlament wie die SPÖ, dann würde das orange Lager auf 1671 Zwischenrufe kommen. Unter Berücksichtigung dessen, dass die ÖVP 2007 zweitstärkste Partei im Nationalrat ist, ist sie jene Partei, die gemäß den absoluten Zahlen am häufigsten zwischenruft. Setzt man die Anzahl der Abgeordneten der einzelnen Parteien auf gleich, d.h., normalisiert man die Menge an möglichen Zwischenrufern/ Zwischenruferinnen, so springt das BZÖ ins Auge, Anzahl Zwischenrufe (normalisiert) 1671 Anzahl Zwischenrufe (normalisiert) 512 Anzahl Zwischenrufe (normalisiert) 609 Anzahl Zwischenrufe (normalisiert) 604 Anzahl Zwischenrufe 172 Anzahl Zwischenrufe 158 Anzahl Zwischenrufe 188 Anzahl Zwischenrufe 586 Anzahl Zwischenrufe 175 Anzahl Abgeordnete 7 Anzahl Abgeordnete 21 Anzahl Abgeordnete 21 Anzahl Abgeordnete 66 Anzahl Abgeordnete 68 0 200 400 600 800 1000 1200 1400 1600 1800 2000 BZÖ FPÖ Grüne ÖVP SPÖ Anzahl Abgeordnete/ Anzahl Zwischenrufe <?page no="109"?> 109 dessen Abgeordnete bei weitem am zwischenruffreudigsten sind. Auch in absoluten Zahlen schaffen es die sieben Vertreter/ Vertreterinnen des BZÖ auf Rang drei der Parteien mit den meisten Zwischenrufen, hinter der ÖVP mit 66 Abgeordneten und den Grünen mit 21 Abgeordneten. Auffällig ist auch das kommunikative Verhalten der SPÖ, die sich als fraktionsstärkste Partei im Nationalrat mit Zwischenrufen stark zurückhält. Nachdem nachgewiesen ist, welche Parteien an den untersuchten Sitzungstagen eher zu Zwischenrufen neigen, wird in der nächsten Abbildung (Abbildung 2) gegenübergestellt, welche Parteien welche gegnerischen Fraktionen am häufigsten unterbrechen, um auf diese Weise typische Konfliktlinien auszuweisen. Abbildung 2: Zwischenrufe der einzelnen Parteien (N = 1271 Zwischenrufe) 40 Lesebeispiel: SPÖ-Abgeordnete äußern 175 Zwischenrufe und unterbrechen damit in 23,4 Prozent der Fälle einen Redner/ eine Rednerin des BZÖ. 40 Die leicht erhöhte Anzahl an Zwischenrufen, die sich bei der Addition der Zwischenrufe der einzelnen Parteien ergibt, ist darauf zurückzuführen, dass ein Zwischenruf im stenographischen Protokoll mehreren Parteien zugewiesen werden kann, z.B. Zwischenrufe bei ÖVP und BZÖ (28. Sitzung, 52). 42,4% 43,7% 26,1% 30,5% 6,3% 32,6% 24,1% 47,3% 8,0% 21,7% 18,6% 7,0% 2,7% 40,3% 17,1% 2,3% 10,1% 8,5% 16,9% 31,4% 4,1% 15,2% 15,4% 4,3% 23,4% 0% 20% 40% 60% 80% 100% BZÖ (172) FPÖ (158) Grüne (188) ÖVP (586) SPÖ (175*) in Prozent der * Zwischenrufe Zwischenrufer/ Zwischenruferin Redner/ Rednerin SPÖ ÖVP Grüne FPÖ BZÖ <?page no="110"?> 110 Geht man die Verteilung der Zwischenrufe der Reihe nach durch, so unterbrechen Sozialdemokraten/ Sozialdemokratinnen am häufigsten die Redner/ Rednerinnen der FPÖ und des BZÖ. Mit anderen Worten verlaufen die SPÖ-Zwischenrufe eher in Richtung rechts, während sie den Koalitionspartner ÖVP weitgehend aussparen. Umgekehrt scheint die ÖVP jedoch keine Scheu zu haben, den Regierungspartner SPÖ in seinen Ausführungen zu unterbrechen. Daher ist die Zurückhaltung der ÖVP in Hinblick auf den alten Koalitionspartner BZÖ umso auffälliger. Bei der Österreichischen Volkspartei lassen sich bei der Verteilung der Zwischenrufe vielmehr die vor der Wahl 2006 bestehenden Allianzen wiedererkennen. Im Gegensatz dazu steht das Verhalten des BZÖ, dessen Zwischenrufe allgemein die nunmehrigen Regierungsparteien treffen. Die FPÖ stößt sich hingegen besonders an der sozialdemokratischen Regierungspartei und zeigt sich in Hinblick auf die ÖVP sogar weniger kritisch als das BZÖ. Das Verhältnis von ÖVP und Grüne scheint von wechselseitigen Einwürfen getragen, unterbrechen schwarze Abgeordnete hauptsächlich grüne Redner/ Rednerinnen und Grüne-Abgeordnete hauptsächlich schwarze Redner/ Rednerin. Ein Ergebnis, das angesichts der Eurofighter- Debatte, bei der die Grünen die Rolle des Anklägers und die ÖVP zusammen mit Vizekanzler und Finanzminister Wilhelm Molterer und Ex- Kanzler Wolfgang Schüssel die Rolle des Angeklagten übernahmen, wenig verwundert. In den Zwischenrufen zeichnet sich demnach ein parteipolitisches Beziehungsnetz ab, das vor allem durch frühere Allianzen und aktuelle Ressentiments gekennzeichnet ist. Der parteipolitische Kontext der sprachlichen Äußerungen hat damit direkten Einfluss auf das kommunikative Verhalten der Sprecher/ Sprecherinnen bzw. Zuhörer/ Zuhörerinnen im Parlament. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Vergleich mit den Untersuchungsergebnissen von Zima, Brône und Feyaerts, die in ihrem Beitrag zu pragmasemantischen Mustern in österreichischen Debatten auch einen kurzen quantitativen Überblick über die parteienspezifischen Unterbrechungen von zwei Sitzungen aus dem Jahr 2005 und dem Jahr 2006 geben. 41 Interessant ist dieser Vergleich deshalb, weil 2005 und 2006 noch andere Beziehungssysteme vorherrschen, indem FPÖ und ÖVP als Regierungsparteien der SPÖ und den Grünen als Opposition gegenüberstehen. 42 Dabei erweist sich die SPÖ als Oppositionspartei vor allem in Hinblick auf die ÖVP um vieles konfliktfreudiger, während die ÖVP 41 Vgl. Zima/ Brône/ Feyaerts 2010, 143ff. 42 Das BZÖ, das vor der analyisierten Debatte im April 2005 gegründet wurde, wurde von Zima, Brône und Feyaerts aus der Analyse ausgenommen. <?page no="111"?> 111 ihrerseits schon damals vornehmlich sozialdemokratische Redner/ Rednerinnen aufs Korn nimmt. 43 Setzt man die Anzahl der Zwischenrufe und die Anzahl der Redeunterbrechungen der Parteien in Relation zu den spezifischen Sitzungspunkten, so fühlt sich die ÖVP vor allem bei der Eurofighter-Diskussion zu Zwischenrufen herausgefordert und führt hier das Ranking mit 209 Zwischenrufen im Vergleich zu den anderen Parteien weitem an. Auffällig ist weiters, dass das Budgetbegleitgesetz sowohl die ÖVP als auch das BZÖ zu Zwischenrufen reizt, was vor allem mit dem Misstrauensantrag des BZÖ an die schwarze Bundesministerin Andrea Kdolsky zu erklären ist. Das Marktordnungs- und Agrarrechtsgesetz zusammen mit dem gesetzlichen Budgetprovisorium sind ein weiterer Quell der Kritik von Seiten der ÖVP, die sich hier vor allem bei Bäuerinnen und Bauern um ihr Image sorgen muss. Die SPÖ hingegen fällt vor allem in Zusammenhang mit der Eurofighter-Debatte als jene Partei auf, die - obwohl sie sich selbst mit Zwischenrufen weitgehend aus der Debatte heraushält - am häufigsten unterbrochen wird. Dies hängt unter anderem mit dem Misstrauensantrag an Verteidigungsminister Norbert Darabos zusammen, mit der von ihm ausverhandelten Eurofighter-Einigung und dem Absprung der SPÖ vom Eurofighter-Untersuchungsausschuss, der natürlich von den beiden anderen ausschusstragenden Parteien, den Grünen und der FPÖ, mit Hohn quittiert wurde. Mit Zwischenrufen hält sich die SPÖ im Rahmen der Eurofighter-Debatte auffällig zurück, vor allem bei der dringlichen Anfrage zur Zensur der Akten, wo die SPÖ-Abgeordneten über zwei Stunden hinweg nur fünf Zwischenrufe äußern. Als interessant erweist sich auch die Debatte zum Maßnahmenpaket gegen Internet- Kriminalität: Hier scheint es so, als ob die dialogische Kommunikation aus Rede und Zwischenruf zwischen den Regierungspartnern ausgetragen wird, indem die ÖVP zwischenruft und die SPÖ-Redner/ Rednerinnen unterbricht. Die Wortwechsel drehen sich hier hauptsächlich um die Zuordnung von Verantwortlichkeiten zwischen rotem Sozialminister und schwarzer Familienministerin, was wieder auf die Relevanz des Images bei der Parlamentskommunikation hindeutet. Die Grünen fallen vor allem bei der von ihnen initiierten dringlichen Anfrage zur Zensur der Akten für den Untersuchungsausschuss durch erhöhte Zwischenrufe und erhöhte Redeunterbrechungen auf, wobei sie jedoch grundsätzlich häufiger unterbrochen werden als selbst unterbrechen. Auch der von den Grünen gestellte dringliche Antrag an die Frauenministerin geht einher mit erhöhten Unterbrechungsraten grüner Red- 43 Vgl. Zima/ Brône/ Feyaerts 2010, 143ff. <?page no="112"?> 112 ner/ Rednerinnen. Die FPÖ drängt sich hauptsächlich bei der Debatte rund um den Bericht des Eurofighter-Ausschusses durch Zwischenrufe in den Vordergrund, wird jedoch genauso oft auch wieder unterbrochen. Vor allem das Maßnahmenpaket gegen das Komatrinken Jugendlicher ist ein von blauen Rednern/ Rednerinnen kontrovers vorgetragenes Thema, werden sie hier doch zwanzig Mal unterbrochen, während die Grünen nur zehn Mal unterbrochen werden und die SPÖ nur vier Mal. Das BZÖ ist hingegen jene Partei, die tendenziell eher zwischenruft als selbst unterbrochen wird. Für den parteipolitischen Beziehungsaspekt interessant ist, dass im Gegensatz zu den anderen Parteien vom BZÖ die Eurofighter- Diskussion weniger kommunikativ konfliktär ausgetragen wird als die Diskussion um das Budget 2007. Während sich das BZÖ währen der Eurofighter-Debatten im Vergleich eher im Hintergrund und somit wohl auch aus der Schusslinie hält, wirft sich die orange Fraktion bei der Budgetdebatte an die vorderste Front und wird bei den Zwischenrufen nur noch von der fraktionsmäßig viel stärkeren ÖVP eingeholt. Ein weiterer strittiger Punkt ist der vom BZÖ eingebrachte Fristsetzungsantrag für vorzeitige Neuwahlen, bei dem das BZÖ durch Zwischenrufe sämtlicher Parteien in seinen Ausführungen immer wieder unterbrochen wird. 6.3 Das Verhältnis von männlichen und weiblichen Abgeordneten Das Thema Frauen und Sprache wurde bereits Anfang des 19. Jahrhunderts mehr oder weniger wissenschaftlich fundiert untersucht: So konstatierte z.B. Jespersen 1922, das weibliche Sprachverhalten charakterisiere sich über den Mangel an Macht und Intelligenz der Frau. 44 Etwa fünfzig Jahre später unterscheidet Lakoff zwischen der weiblichen Sprachvarietät und jener Varietät, mit der auf Frauen Bezug genommen wird - eine Unterscheidung, die in den darauffolgenden Jahren Schule machte: 45 „It will be found that the overall effect of ‚women’s language’ - meaning both language restricted in use to women and language descriptive of women alone - is this: it submerges a woman's personal identity, by denying her the means of expressing herself strongly, on the one hand, and encouraging expressions that suggest triviality in subject-matter and uncertainty about it; and, when a woman is being discussed, by treating her as 44 Vgl. Jespersen, zit. in: Hidalgo Tenorio 2002, 252. 45 Vgl. Lakoff 1973, 48. <?page no="113"?> 113 an object - sexual or otherwise - but never a serious person with individual views.” 46 Das simplifizierende Verständnis einer allgemeingültigen „Frauensprache“ kann laut Hidalgo Tenorio aber der sozialen Heterogenität der untersuchten Gruppe nicht gerecht werden. 47 Dennoch muss zur Erstellung eines Modells von individuellem Sprachverhalten durch Generalisierung auf die zugrundeliegenden Sprachmuster geschlossen werden. Dieses Vorgehen entspricht dem alltäglichen sozio-kulturellen Verhalten der Sprachanwender/ Sprachanwenderinnen: „These stereotypic expectations form a lens through which the target’s unique qualities are interpreted and evaluated. Although individual perceivers can move beyond the cognitive default of the stereotype to a more individuated impression based on the target’s unique characteristics, perceivers typically do so only when they are both willing and able to expend the mental effort […].“ 48 Die Unterscheidung in Zwischenrufer und Zwischenruferinnen, in Redner und Rednerinnen und damit die Charakterisierung typisch männlichen und typisch weiblichen Sprachverhaltens bleibt trotzdem eine heikle Angelegenheit, vor allem da kausale Zusammenhänge kaum gesichert angegeben werden können: Zu groß sind die Unterschiede in der individuellen Entwicklung. 49 Reid, Keerie und Palomares kommen in diesem Zusammenhang auch auf situative Unterschiede im Verhalten zu sprechen „based on a subjective self-definition ‚from self as an individual to self as a group member‘.“ 50 So zeigt sich, dass das typisch weibliche bzw. typisch männliche Gesprächsverhalten sich abhängig von Kontext und Bekanntheitsgrad der Interaktanten/ Interaktantinnen gestaltet. 51 Da davon ausgegangen werden kann, dass die Personenkonstellationen im Parlament weitgehend gleich bleiben, d.h., sich die meisten der Nationalratsmitglieder sehr oft bereits seit mehreren Jahren kennen, so darf das Verhalten der männlichen und der weiblichen Abgeordneten in den untersuchten Sitzungen als weitgehend habitualisiert und der situative Kontext ebenfalls als weitgehend gleichbleibend angesehen werden. Unterschiede im Zwischenrufverhalten der beiden Geschlechter sind daher nun entweder persönlich, thematisch oder aber generell Gender-bedingt. Die 46 Lakoff 1973, 48. 47 Vgl. Hidalgo Tenorio 2002, 252. 48 Ruscher/ Hammer 2006, 222. 49 Vgl. Hannah/ Murachver 2007, 287. 50 Reid/ Keerie/ Palomares, zit. in: Hannah/ Murachver 2007, 287. 51 Vgl. Hannah/ Murachver 2007, 287. <?page no="114"?> 114 folgende Abbildung zäumt das Pferd von hinten auf und vergleicht zunächst die absolute Anzahl der männlichen und weiblichen Zwischenrufe und gleicht dann die Anzahl der weiblichen Abgeordneten der Anzahl der männlichen Abgeordneten an, um so das relative Verhältnis von Zwischenrufern und Zwischenruferinnen unabhängig von der Gruppenstärke normalisiert darstellen zu können (Abbildung 3). Abbildung 3: Anzahl männlicher/ weiblicher Abgeordneter im Vergleich zur absoluten und zur normalisierten Anzahl ihrer Zwischenrufe (N1 = 183 Nationalratsabgeordnete; N2 = 1080 Zwischenrufe) Lesebeispiel: Im Nationalrat 2007 gibt es 57 weibliche Abgeordnete, die zusammen 239 Zwischenrufe äußern, und 126 männliche Abgeordnete, die für 841 Zwischenrufe verantwortlich sind. Wären Frauen genauso zahlreich im Nationalrat vertreten wie Männer, so würden sie auf 528 Zwischenrufe kommen. Interessant in diesem Zusammenhang ist darüber hinaus, ob die Zwischenrufer bzw. Zwischenruferinnen eher dazu bereit sind, das eigene Geschlecht zu unterbrechen, oder ob sie sich generell an den Ansichten des anderen Geschlechts reiben. Die Analyse zeigt, dass tendenziell vor allem das eigene Geschlecht unterbrochen wird. Dabei sind wiederum Frauen generell weniger offensiv als Männer. Während eine weibliche Rednerin in etwa 60 Prozent der Fälle von einer Kollegin und zu etwa 40 Prozent von einem Kollegen unterbrochen wird, werden männliche Redner zu etwa 70 Prozent von Männern und zu etwa 30 Prozent von Anzahl Zwischenrufe (normalisiert) 528 Anzahl Zwischenrufe 239 Anzahl Zwischenrufe 841 Anzahl Abgeordnete 57 Anzahl Abgeordnete 126 0 200 400 600 800 1000 Frauen Männer Anzahl Abgeordnete/ Anzahl Zwischenrufe <?page no="115"?> 115 Frauen in ihren Ausführungen gestört. Frauen scheinen daher tendenziell Männer weniger zu unterbrechen als umgekehrt Männer Frauen. In Hinblick auf thematische Spezifika, die möglicherweise eine höhere Anzahl weiblicher bzw. eine höhere Anzahl männlicher Zwischenrufe verursachen, lässt sich ein erhöhter Zwischenrufanteil weiblicher Abgeordneter bei sogenannten „Frauenthemen“ erkennen: Der dringliche Antrag betreffs frauenpolitischer Maßnahmen, das Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des Komatrinkens bei Jugendlichen, das Maßnahmenpaket gegen Internet-Kriminalität sowie die Fragestunde zu Frauen, Medien und Öffentlichem Dienst werden mehrheitlich durch weibliche Zwischenrufe aus dem Plenum kommentiert. Mehrheitlich von männlichen Abgeordneten kommentiert werden der Eurofighter-Bericht, das Budgetbegleitgesetz, das Marktordnungsgesetz, das gesetzliche Budgetprovisorium und die kurze Debatte zur Anfragebeantwortung des Bundesministers Norbert Darabos in Hinblick auf den Eurofighter-Ausstieg. „Typisch weiblich“ sind demnach Debatten, in denen es explizit um die Rolle der Frau in der Gesellschaft geht, sowie „softe“ Themen rund um Familie und Bildung. „Harte“ Themen, vor allem mit finanziellem Hintergrund wie das Budget oder die Marktordnung, scheinen dagegen im vorliegenden Fall „typisch männlich“ zu sein. Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt Thimm bei ihrer Analyse des männlichen und weiblichen Gesprächsgebarens während Gemeinderatsdebatten. So werden Rednerinnen vor allem bei Ausführungen zu „typisch männlichen“ Themen im Bau- und Finanzbereich die Kompetenz abgesprochen, 52 während ihnen im Sozialbereich „bedeutend seltener die Kompetenz abgesprochen wird: Da traut ‚mann‘ ihnen wohl das notwendige Wissen zu! “ 53 Burkhardt stößt hingegen bei der Untersuchung der Debatten im deutschen Bundestag auf besonders große Unruhe seitens der männlichen Mandatare, wann immer „spezifische Frauenthemen“ auf der Tagesordnung stehen 54 und zitiert hier die damalige Bundestagsvizepräsidentin Annemarie Renger: „Während der Redebeiträge von weiblichen Abgeordneten ist der Grad der Abgelenktheit durch andere Aktivitäten (z.B. Zeitunglesen, Akten durchblättern, Telefonieren, Nebengespräche), insbesondere bei den männlichen Abgeordneten dann höher, wenn sie der Meinung sind, dass es sich um ‚frauenrelevante‘ Fragen handelt.“ 55 52 Vgl. Thimm 1995, 89. 53 Thimm 1995, 89. 54 Vgl. Burkhardt 1992, 296. 55 Renger, zit. in: Burkhardt 1992, 296. <?page no="116"?> 116 Doch Zwischenrufe lassen sich nicht allein durch Gruppendynamik und Themenfixierung erklären. Die Entscheidung, einen Redner/ eine Rednerin zu unterbrechen, ist stets auch eine persönliche und spiegelt damit das individuelle kommunikative Verhalten des/ der jeweiligen Abgeordneten im Parlament wider. Nimmt man die Anzahl der Zwischenrufe als Maßstab, so erhält man folgendes Ranking der Top 20- Zwischenrufer/ Top 20-Zwischenruferinnen während der drei untersuchten Sitzungstage im österreichischen Nationalrat (Tabelle 2). Tabelle 2: Top 20-Zwischenrufer/ Zwischenruferinnen nach Anzahl ihrer Zwischenrufe (N = 1080 Zwischenrufe) Lesebeispiel: Von 1080 Zwischenrufen, die einem/ einer spezifischen Abgeordneten zugeordnet werden können, stammen 108 Zwischenrufe von Peter Westenthaler. Als aktivster Zwischenrufer erweist sich Peter Westenthaler vom BZÖ, auf dessen Konto ein Zehntel der eindeutig zuordenbaren Zwischenrufe an den untersuchten Sitzungstagen geht. Gefolgt wird er von Heinz- Zwischenrufer/ Zwischenruferin Anzahl Zwischenrufe Peter Westenthaler (BZÖ) 108 Heinz-Christian Strache (FPÖ) 92 Ridi Steibl (ÖVP) 63 Maria Theresia Fekter (ÖVP) 51 Walter Murauer (ÖVP) 39 Herbert Scheibner (BZÖ) 38 Fritz Grillitsch (ÖVP) 33 Helmut Kukacka (ÖVP) 31 Karl Öllinger (Grüne) 31 Johann Rädler (ÖVP) 30 Werner Kogler (Grüne) 28 Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) 26 Wilhelm Molterer (ÖVP) 26 Alexander Van der Bellen (Grüne) 26 Günter Stummvoll (ÖVP) 25 Martin Graf (FPÖ) 21 Manfred Haimbuchner (FPÖ) 20 Wolfgang Schüssel (ÖVP) 19 Gertrude Brinek (ÖVP) 17 Rudolf Parnigoni (SPÖ) 17 <?page no="117"?> 117 Christian Strache von der FPÖ mit 92 Zwischenrufen. Dahinter kommt mit Ridi Steibl von der ÖVP die erste Frau mit 63 Zwischenrufen, dicht gefolgt von Maria Fekter ebenfalls ÖVP mit 51 Zwischenrufen. Der erste grüne Abgeordnete kommt auf dem neunten Platz mit 31 Zwischenrufen. Die erste Sozialdemokratin liegt mit 26 Zwischenrufen auf Platz 12. Die weiblichen Vertreterinnen der Regierungsparteien ÖVP und der SPÖ scheinen daher innerhalb ihrer Partei auf personeller Ebene offensiver als ihre männliche Kollegen, die sie auf die hinteren Ränge verweisen. Die weiblichen Mitglieder der Oppositionsparteien befinden sich hingegen nicht einmal unter den Top 20. Insgesamt finden sich unter den ersten zwanzig Zwischenrufern/ Zwischenruferinnen nur vier Frauen. Auf die einzelnen Parteien heruntergebrochen fallen unter die ersten Zwanzig zehn ÖVP-Abgeordnete, jeweils drei Grüne und drei freiheitliche Abgeordnete sowie zwei BZÖ- Abgeordnete auf Toprängen und zwei SPÖ-Abgeordnete auf den hinteren Rängen, worin sich zugleich das grundsätzliche Gruppenverhältnis widerspiegelt (siehe dazu auch Abbildung 1). Die ÖVP als zwischenrufstärkste Partei, die Grünen, die dagegen rufen, die Sozialdemokraten/ Sozialdemokratinnen, die sich weitgehend zurückhalten, sowie das BZÖ und die FPÖ, wo jeweils ein Mann, der Parteiobmann, quasi im Alleingang für die Mehrzahl der Zwischenrufe der Partei verantwortlich zeichnet, was, nebenbei bemerkt, die generelle Parteienstruktur populistischer Bewegungen, die sich meist um eine starke Führungspersönlichkeit gruppieren, beinahe lehrbuchhaft wiedererkennen lässt. 6.4 Alter und Status im Nationalrat Im für diese Analyse geltenden Untersuchungszeitraum (XXIII. Gesetzgebungsperiode) lag das Durchschnittsalter im Nationalrat bei rund fünfzig Jahren, nur fünf Abgeordnete waren damals unter dreißig. 56 Diese kleine Gruppe von jungen Parlamentariern/ Parlamentarierinnen stand hundert altgedienten Volksvertretern/ Volksvertreterinnen gegenüber, die im Alter zwischen fünfzig und sechzig Jahren auf eine lange politische Karriere zurückblicken konnten. 57 Die folgende Abbildung setzt nun die Anzahl von Zwischenrufen und die Anzahl von Unterbrechungen in Re- 56 Vgl. http: / / www.parlament.gv.at / SERV/ STAT/ PERSSTAT/ ALTER/ altersstruk tur _NR_XXIII_20080101.shtml [Stand 26.08.2011] 57 Vgl. http: / / www.parlament.gv.at / SERV/ STAT/ PERSSTAT/ ALTER/ altersstruk tur_NR_XXIII_20080101.shtml [Stand 26.08.2011] <?page no="118"?> 118 lation zum Alter der Abgeordneten als einem Indikator für Status im Nationalrat (Abbildung 4). 58 Abbildung 4: Zwischenrufe und Redeunterbrechungen nach Altersstufen (N1 = 1080 Zwischenrufe; N2 = 1271 Redeunterbrechungen) Lesebeispiel: Abgeordnete über 20 sind für etwa 30 Zwischenrufe verantwortlich und werden etwas häufiger selbst unterbrochen. Setzt man nun die Zahl der Abgeordneten über 20 gleich mit der Abgeordnetenanzahl der Gruppe der über 50-Jährigen, dann würden die über 20-Jährigen zwischen 300 und 400 Zwischenrufe äußern, selbst aber von 700 Zwischenrufen unterbrochen werden. Das Alter einer Person ist mit bestimmten stereotypen Vorstellungen und Rollenerwartungen verbunden 59 und wirkt als Indikator für den gesellschaftlichen Status handlungsorientierend. 60 58 Siehe dazu auch Stopfner 2012. 59 Vgl. Hummert 1990, 182ff. 60 Vgl. Kiesendahl 2011, 42ff. 0 100 200 300 400 500 600 700 über 20 über 30 über 40 über 50 über 60 Anzahl Zwischenrufe / Anzahl Redeunterbrechungen Zwischenrufe Redeunterbrechungen Zwischenrufe (normalisiert) Redeunterbrechungen (normalisiert) <?page no="119"?> 119 „Jeder Mensch lebt in einer Welt sozialer Begegnungen, die ihn in direkten oder indirekten Kontakt mit anderen Leuten bringt. Bei jedem dieser Kontakte versucht er, eine bestimmte Strategie im Verhalten zu verfolgen, ein Muster verbaler und nichtverbaler Handlungen, die seine Beurteilung der Situation und dadurch seine Einschätzung der Teilnehmer, besonders seiner selbst ausdrückt.“ 61 Der Altersgruppe der Fünfzig- und Sechzigjährigen wird in westlichen Gesellschaften dabei der größte Status beigemessen, haben diese doch aufgrund ihrer Position innerhalb beruflicher Hierarchien großen Einfluss auf alle anderen Altersstufen: 62 „The ideology that supports this domination is one that lauds the value of experience, and even of seniority in and of itself, without regard for the actual distribution of specific competences.“ 63 Der Status, den eine Person besitzt, muss dabei in der Interaktion mit anderen immer wieder untermauert werden. 64 Da dies in zivilisierten Gesellschaften über Sprache kommunikativ ausgetragen wird, 65 hat verbale Interaktion immer auch mit Dominanz zu tun: 66 „Thus a dominant person in verbal interaction is generally taken to be one who is perceived by the other participants to assume, rightly or wrongly, a position of higher status and to act on this assumption in preventing others from achieving their interactional goals.“ 67 Umgekehrt sind statusniedere Personen dazu angehalten, gegenüber Statushöheren ein entsprechendes Verhalten an den Tag zu legen. So fand Holly in seiner Analyse des sprachlichen Verhaltens eines deutschen Bundestagsabgeordneten „Formen ritualisierter BESCHEIDENHEIT“ 68 , die den vorsichtigen und zurückhaltenden Stil des Neulings gegenüber erfahreneren Parlamentarierinnen und Parlamentariern charakterisieren. 69 Sprachliches Dominanzverhalten äußert sich jedoch zunächst vor allem auch in den Sprecherwechseln und dem damit ausgedrückten individuel- 61 Goffman 1986, 10. 62 Vgl. Lemke 1995, 137. 63 Lemke 1995, 137. 64 Vgl. Lehner/ Ötsch, zit. in: Kiesendahl 2011, 44. 65 Vgl. van Dijk 1997, 17. 66 Vgl. Watts 1991, 55. 67 Watts 1991, 55. 68 Holly 1990, 237. 69 Vgl. Holly 1990, 237f. <?page no="120"?> 120 len Rederecht. 70 Folglich sind statushöhere Personen eher dazu angetan, andere zu unterbrechen und so die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. 71 Die Bedeutung des Alters in Hinblick auf aktive Zwischenrufe und passive Redeunterbrechungen lässt sich am deutlichsten an den ältesten und den jüngsten Volksvertretern/ Volksvertreterinnen festmachen (siehe Abbildung 4): So bilden die Abgeordneten zwischen zwanzig und dreißig Jahren jene Altersgruppe, die am häufigsten von Zwischenrufen betroffen ist, und gleichzeitig aber auch jene, die sich am wenigsten das Recht herausnimmt, andere zu stören; die Gruppe der über 60-Jährigen ist hingegen die einzige Altersgruppe, die häufiger andere unterbricht als selbst unterbrochen zu werden. Demnach scheinen altgediente Parlamentarier/ Parlamentarierinnen im Gegensatz zu Neulingen weniger Bedenken zu haben, das Gespräch an sich zu reißen. Gleichzeitig ist die Hemmung der Zuhörer/ Zuhörerinnen bei arrivierten Abgeordneten dazwischenzureden viel größer als bei jungen Rednern/ Rednerinnen, die sich das Recht, gehört zu werden, anscheinend erst noch erarbeiten müssen. Die Altvordern scheinen somit gegenüber den Jungparlamentariern/ Jungparlamentarierinnen bevorrechtigt zu sein. Im österreichischen Nationalrat finden sich folglich - ähnlich wie im deutschen Bundestag - neben den formellen Strukturen, die den Mitgliedern im Parlament prinzipielle Gleichheit zusichern, informelle hierarchisch organisierte Strukturen, 72 die „in Form von gängigen Wahrnehmungsformen, Einstellungen, Werten und insbesondere durch - zumeist unbewusste - Spielregeln, die Verhaltensnormen prägen.“ 73 70 Vgl. Müller 1997, 218. 71 Vgl. Kiesendahl 2011, 44. 72 Vgl. Holly 1990, 45. 73 Holly 1990, 45. <?page no="121"?> 121 7 Mesostrukturebene der Zwischenrufe Laut Brinker und Sager können Gespräche in Sub- und Kernthemen aufgebrochen werden, die zusammen eine Hierarchie von über- und untergeordneten thematischen Abschnitten des Gesamttextes bilden. 1 Dabei lassen sich für bestimmte Themen, so Schank, bestimmte Realisierungspunkte im Gespräch voraussagen. 2 Mit andern Worten gibt es textsortenabhängige Abfolgestrategien, die z.B. beim Small Talk von Belanglosem zu spezifischeren, „heißeren“ Themen führen. 3 Wie im letzten Kapitel gezeigt wurde, sind die öffentlichen Debatten im Parlament kommunikativ stark reglementiert. Da die Redner/ Rednerinnen in ihrer Themenwahl auf den jeweiligen Tagesordnungspunkt beschränkt sind und durch die Geschäftsordnung darauf festgelegt sind „zur Sache“ zu sprechen, dürfen sich die Abgeordneten auch auf Mesoebene thematisch nicht allzu weit vom Makrothema des jeweiligen Sitzungspunktes entfernen. Die Themen der Mesoebene sind daher notwendigerweise Subthemen des Kernthemas, wodurch der thematische Spielraum soweit einengt wird, dass auf Mesoebene sechs Themenkategorien definiert werden können: Die Abgeordneten können entweder genauer auf die Sachlage eingehen und sachliche Aspekte des Tagesordnungspunktes erörtern; oder sie können über die involvierten Personen, Parteien und Institutionen sprechen, indem sie etwa deren Verantwortlichkeit für die Sache klären bzw. deren Leistungen in der Sache beurteilen; eine weitere thematische Option führt weg auf die metasprachliche bzw. metakommunikative Ebene, indem die kommunikativen Voraussetzungen im Sinne der Geschäftsordnung verhandelt werden bzw. der Stil der jeweiligen Redebzw. Zwischenrufbeiträge selbst thematisiert wird. Die für die Analyse gewählten Themenkategorien der Mesoebene entsprechen damit weitgehend der Einteilung van der Valks, die Zwischenrufe kategorisiert als Opposition gegen den Sprecher/ die Sprecherin selbst, gegen seine/ ihre Aussagen ganz generell, gegen die vorgebrachten Beispiele bzw. Argumente und gegen die Partei, der der Sprecher/ die Sprecherin angehört. 4 Die folgende Abbildung gibt einen Überblick über jene Themenkategorien auf Mesoebene, die in den untersuchten Zwischenrufen behandelt wurden (Abbildung 5). 1 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 110f. 2 Vgl. Schank 1981, 33. 3 Vgl. Schank 1981, 33. 4 Vgl. van der Valk 2000, 117f. <?page no="122"?> 122 Abbildung 5: Themenkategorien in Zwischenrufen (N = 1134 Zwischenrufaussagen) Lesebeispiel: Von insgesamt 1134 Zwischenrufaussagen thematisieren 39,7 Prozent den Redebeitrag. Das Wechselspiel zwischen den Gesprächsbeiträgen verschiedener Kommunikationspartner/ Kommunikationspartnerinnen kann nun insofern als Text definiert werden, als es eine Abfolge von Einzeltexten darstellt, die auf denselben Grundgedanken, d.h., auf dasselbe Thema referieren, auch wenn sie eigene Argumentationslinien verfolgen und das individuelle Wissen in die Themenstruktur mit einflechten. 5 Die Einheitlichkeit des Gesprächs als Text ergibt sich aus der Themenkontinuität und aus dem semantisch-pragmatischen Zusammenspiel der Subthemen, die gemeinsam auf ein Referenzobjekt verweisen. 6 Ein abrupter Themenwechsel ist zwar möglich, aber zumeist ein Indikator dafür, dass etwas im Ge- 5 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 11f. 6 Vgl. Schank 1981, 23. Redebeitrag 39,7% Person 28,5% Partei 11,0% Sachlage 11,4% Geschäftsordnung 7,7% Institution 1,8% <?page no="123"?> 123 spräch falsch gelaufen ist. 7 Betrachtet man die Themenabfolge, die sich aus dem Wechsel von Rede und Zwischenruf ergibt, so erhält man folgendes Bild (Abbildung 6). Abbildung 6: Themenkategorien der Rede und die auf sie folgenden Zwischenrufthemen (N = 941 Zwischenrufaussagen) Lesebeispiel: Redeaussagen zur Sachlage werden insgesamt durch 296 Zwischenrufaussagen unterbrochen. Von diesen 296 Zwischenrufaussagen thematisieren 35,8 Prozent wiederum die Sachlage. Es zeigt sich, dass Zwischenrufe grob der Themenvorgabe des Redners/ der Rednerin folgen. Am stärksten erweist sich die Themenbindung bei Redeaussagen zu Personen, zu Redebeiträgen und zur Geschäftsordnung. Daneben zeigt sich ein klarer Hang der Zwischenrufer/ Zwischenruferinnen, weniger auf die behandelten Sachlagen, Parteien und Institutionen im Redebeitrag einzugehen als vielmehr den Redebeitrag selbst zum Thema zu machen. Damit wird die Thematik des Gesprächs von der Sachauf die Metaebene gehoben. 7 Vgl. Sacks 1995, 566. 43,5% 3,2% 1,1% 2,5% 0,7% 30,4% 2,2% 0,7% 37,1% 43,5% 62,8% 41,5% 40,4% 39,9% 4,8% 4,5% 32,8% 8,6% 11,1% 12,9% 15,2% 25,0% 14,2% 42,9% 11,8% 1,6% 10,9% 4,5% 8,2% 5,6% 35,8% 0% 20% 40% 60% 80% 100% Geschäftsordnung (62) Institution (46) Redebeitrag (156) Partei (183) Person (198) Sachlage (296*) in Prozent der * Zwischenrufe Zwischenrufer/ Zwischenruferin Redner/ Rednerin Geschäftsordnung Institution Redebeitrag Partei Person Sachlage <?page no="124"?> 124 Dialoge im Parlament sind - wie Gespräche ganz allgemein - einerseits fest in einem gemeinsamen Referenzthema verankert, andererseits ist der Gesprächsverlauf selbst ständig im Fluss und kaum vorhersehbar, weil er sich an den momentanen individuellen Gesprächsintentionen der Gesprächspartner/ Gesprächspartnerinnen orientiert. 8 Dies gilt ganz besonders für die Sprache in der Politik. Die Regierungsparteien wollen die gefassten Beschlüsse legitimieren und damit ihre Machtposition stärken, während die Oppositionsparteien die Regierung angreifen, um einen Machtwechsel herbeizuführen. 9 „Die politisch Herrschenden, insbesondere die an der Exekutive beteiligten Mandatsträger, sind naturgemäß darauf bedacht, den erreichten Stand der Machtverwaltung zu verteidigen. Sie werden auftretende Probleme in der Regel herunterspielen. Die von der Machtausübung ausgeschlossenen Parteien werden dagegen versuchen, durch Aufnahme aktueller Strömungen und durch Angriff der regierenden Parteien einen Wechsel herbeizuführen.“ 10 Die einzelnen Interaktionen werden damit, so Kallmeyer und Schmitt, zu „mikropolitischen Auseinandersetzungen“ 11 , in denen um die richtige Handlungsweise und die adäquaten Mittel gestritten wird. Dieckmann betont in diesem Zusammenhang, dass das Verb streiten selbst durchaus positiv konnotiert ist: Indem man über etwas streitet, wird impliziert, dass für die eigene Position Gründe angeführt werden können und man sich in einem argumentativen Wettstreit mit dem Gegenüber befindet. 12 Aber „ist ein Streitender nicht willens, diese Erwartung zu erfüllen, setzt er sich dem Verdacht aus, im Sinne des einwertigen Verbs sich bloß streiten zu wollen.“ 13 Ob Streit nun positiv oder negativ gesehen wird, hängt vielfach davon ab, wofür und wie gestritten wird. Der Streit um soziale Missstände, Gerechtigkeit oder Wahrheit ist ein hehres Ziel, während der Streit um Wörter, so Dieckmann, als kleinliches Gezänk ungern gesehen wird. 14 Thimm weist in diesem Zusammenhang auf das Schlagwort des Parteiengezänks hin, 15 indem der medial inszenierte Konflikt der politischen Parteien „als reiner Schlagabtausch ohne das Ziel einer Konfliktlösung bzw. 8 Vgl. de Beaugrande/ Dressler 1981, 125. 9 Vgl. Ilie 2003, 72. 10 Eroms 1996, 38. 11 Kallmeyer/ Schmitt 1996, 34. 12 Vgl. Dieckmann 2005b, 45. 13 Dieckmann 2005b, 46. 14 Vgl. Dieckmann 2005b, 1. 15 Vgl. Thimm 1995, 72. <?page no="125"?> 125 eines Kompromisses begriffen und entsprechend verurteilt wird.“ 16 Als polemisch sind dabei jene Formen aggressiver Rede zu bezeichnen, die zwischen sachlicher Argumentation und unsachlichen Angriffen schwanken: 17 Polemische Texte stehen, so Dieckmann, zwischen Beschimpfung und sachlicher Diskussion, indem der Redner/ die Rednerin einerseits durch sein/ ihr Schimpfen „die Regeln der sachlichen Auseinandersetzung verletzt“ 18 , während er/ sie andererseits „zumindest den Anschein wahrt, mit Gründen zu streiten.“ 19 Der politische Wettstreit wird im Nationalrat über die einzelnen Pro- und Contra-Reden ausgetragen. Die kommunikativen Normen im Parlament nehmen hier also die politischen Realitäten in die klar geregelte argumentative Abfolge der Geschäftsordnung mit auf. Die Konsequenz daraus ist, dass parlamentarische Gesprächskultur notwendigerweise politische Streitkultur bedeutet. Die einander widersprechenden Ausgangslagen und die damit verbundenen diametral gegensätzlichen Sprecherintentionen werden in den öffentlichen Reden jedoch kaum je in einem endgültigen Konsens aufgelöst. 20 Denn Politiker/ Politikerinnen wollen weniger überzeugen um des Überzeugens willen, als vielmehr politisch erfolgreich sein. 21 Die Themenerweiterung gestaltet sich daher stark konfrontativ, indem weniger die argumentative Auseinandersetzung als vielmehr das Attackieren des politischen Gegners/ der politischen Gegnerin im Vordergrund steht. 22 Die auf Konfrontation ausgerichtete Grundhaltung politischer und speziell parlamentarischer Kommunikation lässt sich auch in den Rede-Zwischenruf-Sequenzen wiederfinden, indem in etwa drei Viertel der Zwischenrufe (N = 941 Zwischenrufaussagen) kritisch auf die Rede einwirken und zwar unabhängig von der argumentativen Ausrichtung des vorhergehenden Redeabschnitts. Differenziert man die Pro- und Contra-Linien in Hinblick auf die darin kritisierten bzw. lobend erwähnten Themenlagen, zeigt sich einerseits nochmals die deutlich negative Tendenz der Zwischenrufe und andererseits der Hang der Zwischenrufer/ Zwischenruferinnen, weniger die thematisierten Sachlagen zu behandeln als den Redner/ die Rednerin und dessen/ deren Redebeitrag zu diffamieren (Tabelle 3). 16 Thimm 1995, 72f. 17 Vgl. Stenzel, zit. in: Dieckmann 2005b, 45. 18 Dieckmann 2005b, 46. 19 Dieckmann 2005b, 46. 20 Vgl. Eroms 1996, 38. 21 Vgl. Klein 2001, 85. 22 Vgl. Kühn 1995, 196. <?page no="126"?> 126 Tabelle 3: Pro- und Contra-Themenkategorien in Zwischenrufen (N = 1134 Zwischenrufaussagen) Lesebeispiel: Von 1134 Zwischenrufaussagen sind 31,7 Prozent kritisch gegenüber dem Redebeitrag. Es scheint, als ob in den Zwischenrufen den Sachlagen im Vergleich zu metasprachlicher bzw. metakommunikativer und personenzentrierter Argumentation wenig Platz eingeräumt würde. Kritische Äußerungen zum Redestil anderer bzw. gegenüber Personen selbst haben jedoch nicht nur das Ziel, Personen zu disqualifizieren, sondern es soll dadurch im Umkehrschluss auch die eigene Person bzw. Position gestärkt werden: „Wer das Böse und Schlechte als böse und schlecht identifiziert und bekämpft, wird dadurch unmittelbar zum Sachwalter des Guten. Dieser Mechanismus funktioniert auch umgekehrt: Der Gegner einer Person, die Themenkategorien in Prozent der Zwischenrufaussagen Kritik am Redebeitrag 31,7% Kritik an der Person 24,2% Kritik an der Partei 8,6% Kritik an der Geschäftsordnung 6,5% Kritik an der Sachlage 6,5% Lob für den Redebeitrag 6,0% Lob für die Sachlage 4,0% Lob für die Person 3,3% neutrale Aussagen zum Redebeitrag 1,9% Lob für die Partei 1,9% neutrale Aussagen zur Person 1,1% Kritik an der Institution 1,0% neutrale Aussagen zur Sachlage 0,9% Lob für die Geschäftsordnung 0,6% neutrale Aussagen zur Geschäftsordnung 0,5% neutrale Aussagen zur Institution 0,4% neutrale Aussagen zur Partei 0,4% Lob für die Institution 0,4% gesamt 100,0% <?page no="127"?> 127 beim Adressaten als vir bonus gilt, wird leicht ohne weiteres Zutun zum vir malus.“ 23 Für den polemischen Streit ist neben dem Sprecher/ der Sprecherin als polemischem Subjekt und dem Gegner/ der Gegnerin als polemischem Objekt, vor allem das Publikum ausschlaggebend, da es als polemische Instanz über die Kontrahenten/ Kontrahentinnen entscheidet. 24 Hauptziel des polemischen Subjekts ist es, das polemische Objekt in den Augen der polemischen Instanz zu diskreditieren und sich so im Umkehrschluss positiv zu präsentieren. 25 Indem die Zwischenrufsequenzen unter dem Deckmantel des argumentativen Streits auf Personen fokussieren und diese zumeist verunglimpfen, zeigen sie Eigenschaften polemischer Argumentation. Löffler weist nun darauf hin, dass das Rollenverständnis der einzelnen Kommunikationspartner/ Kommunikationspartnerinnen das Gesprächsverhalten auf Themenebene stark beeinflusst. 26 Im Folgenden soll daher - ähnlich wie bei der Beschreibung der makrostrukturellen Ebene - genauer untersucht werden, inwieweit die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Partei bzw. das Geschlecht eine Präferenz für bestimmte Mesothemenkategorien erkennen lassen. 7.1 Themenpräferenzen der einzelnen Parteien Bricht man die spezifische Themenwahl auf die einzelnen Parlamentsparteien herab, so beschäftigen sich mit Ausnahme der rechtsstehenden Parteien FPÖ und BZÖ, die hier hinter den anderen Fraktionen im Parlament deutlich zurückbleiben, die Hälfte bzw. beinahe die Hälfte aller Zwischenrufe pro Partei mit der Art und Weise, wie sich die Abgeordneten im Parlament ausdrücken bzw. auszudrücken haben (N = 1128 Zwischenrufaussagen). Demgegenüber ist es gerade die FPÖ (N = 166 Zwischenrufaussagen), die mit 18,1 Prozent ihrer Zwischenrufe beinahe doppelt so häufig wie die anderen Parteien auf Sachlagen referiert. Nur die Grünen (N = 183 Zwischenrufaussagen) haben einen ebenfalls leicht erhöhten Anteil an sachlagenzentrierten Zwischenrufaussagen (13,7 Prozent). Allgemein sind jedoch politische Sachlagen zusammen mit der Geschäftsordung mit jeweils um die 10 Prozent sowie Institutionen mit weniger als 23 Dieckmann 2005b, 48. 24 Vgl. Stenzel, zit. in: Dieckmann 2005b, 33. 25 Vgl. Dieckmann 2005b, 42. 26 Vgl. Löffler 1994, 38f. <?page no="128"?> 128 2 Prozent nur Randthemen der Zwischenrufe. Das zweithäufigste Zwischenruf-Thema hinter Aussagen zu Redebeiträgen sind mit einem Anteil von rund 20 bis 30 Prozent Aussagen zu Personen, d.h., die Zwischenrufe der Parteien sind stark personenzentriert. Während Personen von allen Parteien thematisiert werden, hierbei von BZÖ (N = 174 Zwischenrufaussagen) und ÖVP (N = 465 Zwischenrufaussagen) mit rund 30 Prozent etwas häufiger, sind die Parteien selbst nur für die FPÖ mit 21,7 Prozent etwas häufiger Thema der Zwischenrufe. Die Pro- und Contra-Linien der Parlamentsparteien spiegeln dabei die generell negative Tendenz der Zwischenrufe wider. Ist die Zwischenrufkommunikation per se bereits stark konfrontativ, so sind es besonders FPÖ und BZÖ, die die anderen Parteien in der konfrontativen Ausrichtung ihrer Kommentare noch übertreffen. Mehr als 80 Prozent ihrer Zwischenrufe sind negativ. Auffällig ist besonders die SPÖ (N = 140 Zwischenrufaussagen), die im Vergleich zu den anderen Parteien einen geringeren Anteil (69,3 Prozent) an negativer Kommunikation und dafür mit 23,6 Prozent einen etwas höheren Anteil an positiven Zwischenrufen aufweist, während die restlichen Parlamentsparteien hier nur einen maximalen Anteil von etwa 17 Prozent erreichen. Die Kombination aus Themenzuordnung und Argumentationslinie bestätigt wiederum die negative Ausrichtung der Zwischenrufe sämtlicher Parlamentsparteien, macht jedoch gleichzeitig parteienspezifische Themen- und Argumentationspräferenzen deutlich (Tabelle 4). Aussagen zu politischen Sachlagen sind wiederum bei allen Parteien nur Randthema der Zwischenrufe, wobei das kommunikative Verhalten hier die politische Rollenverteilung nachzeichnet: Während sich die oppositionellen Parteien in etwa 7 bis 15 Prozent der Zwischenrufe kritisch gegenüber Sachlagen positionieren, blicken die Regierungsparteien mit einem Anteil von nicht ganz 3 Prozent wenig kritisch auf die thematisierten Sachlagen. Es zeigt sich auch wiederum die kommunikative Eigenart der SPÖ, die die Art und Weise, wie im Parlament kommuniziert wird, von allen Parteien besonders kritisch kommentiert, dafür hingegen Personen im Vergleich zu den anderen Parteien weitgehend verschont. Die Zwischenrufkommunikation des Koalitionspartners ÖVP konzentriert sich in mehr als der Hälfte der Zwischenrufe auf kritische Aussagen zu den Redebeiträgen oder aber zu Personen, wo sie den höchsten Aussagenanteil aller Parteien erreicht. Die Grünen erreichen einen etwas höheren Wert bei der kritischen Thematisierung der Redebeiträge und einen deutlich niedrigeren in Bezug auf Personenkritik. Die Fraktionen am rechten Rand des Parteienspektrums fallen zunächst nochmals durch ihre tendenziell stark kritische Themenorientierung auf. Während die FPÖ kaum den anderen Parteien in ihrer kritischen Bewertung der parlamentarischen Kommuni- <?page no="129"?> 129 kation folgt, ist sie speziell in Hinblick auf die Parteien selbst in etwa drei Mal so kritisch. Gleiches gilt für die kritische Bewertung der Sachlagen, wo die Freiheitlichen ebenfalls den höchsten Wert erreichen. Das BZÖ ist hingegen jene Partei, die sich am meisten an der Geschäftsordnung stößt, und zusammen mit der SPÖ auch jene, die am häufigsten lobend auf Personen referiert. Tabelle 4: : Pro- und Contra-Themenkategorien in Zwischenrufen nach Partei (N = 1128 Zwischenrufaussagen) Lesebeispiel: Von 140 Zwischenrufaussagen der SPÖ sind 38,6 Prozent kritisch gegenüber dem Redebeitrag und 14,3 Prozent kritisch gegenüber einer Person. Themenkategorien SPÖ ÖVP Grüne FPÖ BZÖ Kritik am Redebeitrag 38,6% 34,6% 35,0% 19,3% 28,2% Kritik an der Person 14,3% 27,3% 20,8% 24,7% 27,0% Kritik an der Partei 7,1% 5,2% 7,7% 21,1% 8,0% Kritik an der Geschäftsordnung 5,7% 6,5% 4,4% 4,2% 10,9% Kritik an der Sachlage 2,9% 2,8% 7,7% 14,5% 9,2% Lob für den Redebeitrag 7,1% 6,9% 6,0% 4,8% 4,6% Lob für die Sachlage 6,4% 4,5% 4,4% 3,0% 1,1% Lob für die Person 5,7% 2,4% 3,8% 1,8% 4,6% neutrale Aussagen zum Redebeitrag 4,3% 2,2% 2,7% 0,6% Lob für die Partei 2,9% 2,4% 1,6% 2,3% neutrale Aussagen zur Person 0,7% 1,1% 1,1% 1,2% 1,1% Kritik an der Institution 0,7% 1,1% 1,1% 1,2% 0,6% neutrale Aussagen zur Sachlage 1,4% 0,9% 1,6% 0,6% Lob für die Geschäftsordnung 1,4% 0,2% 0,5% 0,6% 1,1% neutrale Aussagen zur Geschäftsordnung 0,7% 0,2% 1,1% 0,6% 0,6% neutrale Aussagen zur Institution 0,9% 0,5% neutrale Aussagen zur Partei 0,6% 0,6% 0,6% Lob für die Institution 0,4% 1,2% gesamt 140 Aussagen 465 Aussagen 183 Aussagen 166 Aussagen 174 Aussagen <?page no="130"?> 130 7.2 Themenpräferenzen von Männern und Frauen Die Aufschlüsselung nach geschlechterspezifischen Themenlagen (N = 1080 Zwischenrufaussagen) zeigt, dass Männer in ihren Zwischenrufen (N = 846 Zwischenrufaussagen) das Gewicht eher auf personenzentrierte Zwischenrufe legen, während Frauen sich häufiger an Sachlagen orientieren (N = 234 Zwischenrufaussagen). Auch Zwischenrufe zu Parteien finden sich etwas häufiger bei männlichen Abgeordneten, während weibliche Abgeordnete etwas stärker auf die metakommunikative Ebene referieren. Die überwiegend negative Ausrichtung der Zwischenrufe lässt sich aber sowohl bei männlichen als auch bei weiblichen Abgeordneten finden. Deutlich wird aber, dass Zwischenrufe von Männern um etwa 10 Prozent mehr negative Aussagen transportieren als Zwischenrufe von Frauen, die dafür etwas häufiger positiv argumentieren. Männliche Abgeordnete scheinen demnach bereitwilliger auf negative Äußerungen zurückzugreifen und damit auf expliziten Konfrontationskurs zu gehen als Frauen. Dazu Schwitalla: „In einigen Forschungen über geschlechtsspezifisches sprachliches Handeln wird darauf hingewiesen, dass Frauen mehr als Männer auf den Inhalt und die dialogischen Konsequenzen ihrer Vorredner eingehen […]; dass sie inhaltliche Konfrontationen meiden und weniger aggressiv intervenieren […]; dass sie insgesamt einen eher kooperativen Gesprächsstil pflegen […].“ 27 Der geschlechterspezifische Kommunikationsstil von tendenziell kritischer männlicher und tendenziell lobender weiblicher Themen- und Argumentationspräferenz ist auch in der Kombination von Argumentationslinien und Themenlagen zu erkennen (Tabelle 5). So beleuchten die weiblichen Abgeordneten besonders gern die Gesprächssituation im Nationalrat: Die Kritik an Redebeiträgen ist der Argumentationspunkt, der von Frauen mit einem Anteil von etwa 34 Prozent der Zwischenrufe am häufigsten thematisiert wird. Männliche Abgeordnete kritisieren zwar auch am häufigsten die Parlamentsdebatten selbst, jedoch stehen sie auch Personen vermehrt kritisch gegenüber, was Frauen deutlich weniger häufig tun. Die tendenziell positive Argumentationsweise der weiblichen Abgeordneten schlägt sich vor allem in einer deutlich positiveren Beurteilung der Sachlage nieder, während Männer nur bei lobenden Verweisen auf Personen und auf die Geschäftsordnung die Nase vorn haben. 27 Schwitalla 1987, 105 <?page no="131"?> 131 Tabelle 5: Pro- und Contra-Themenkategorien nach Geschlecht (N = 1080 Zwischenrufaussagen) Lesebeispiel: Von 846 Zwischenrufaussagen von männlichen Abgeordneten sind 31,2 Prozent kritisch gegenüber dem Redebeitrag. Dieses Ergebnis gibt der Annahme Vorschub, dass Frauen konstruktiver am Gelingen kommunikativer Interaktion mitarbeiten als Männer. Dazu Schmidt: „Die Frauen weisen eine ausgeprägtere kommunikative Orientierung auf, die sich darin ausdrückt, dass die Gemeinsamkeit der Themenerarbeitung und die damit verbundene Berücksichtigung und Unterstützung fremder Diskussionsbeiträge besonders betont wird. Bei den Männern treten das gemeinsame Diskutieren und unterstützende kommunikative Verhaltensweisen in den Hintergrund, stattdessen überwiegt die eigene Wissensdarstellung.” 28 28 Schmidt 1988, 161. Themenkategorien Zwischenrufer Zwischenruferinnen Kritik am Redebeitrag 31,2% 33,8% Kritik an der Person 26,4% 16,7% Kritik an der Partei 9,8% 5,6% Kritik an der Sachlage 6,5% 6,0% Kritik an der Geschäftsordnung 5,7% 7,3% Lob für den Redebeitrag 5,4% 6,4% Lob für die Sachlage 2,7% 8,1% Lob für die Person 4,0% 3,4% Lob für die Partei 1,5% 3,8% neutrale Aussagen zum Redebeitrag 1,3% 2,6% neutrale Aussagen zur Person 1,2% 1,3% Kritik an der Institution 1,2% 0,4% neutrale Aussagen zur Sachlage 0,8% 1,3% Lob für die Geschäftsordnung 0,7% 0,4% neutrale Aussagen zur Geschäftsordnung 0,7% neutrale Aussagen zur Institution 2,1% neutrale Aussagen zur Partei 0,5% 0,4% Lob für die Institution 0,4% 0,4% gesamt 846 Aussagen 234 Aussagen <?page no="132"?> 132 8 Mikrostrukturebene der Zwischenrufe In politischen Debatten werden auf der Mikroebene normalerweise Situationen dargestellt und bewertet, grundlegende Prinzipien über Normen und Werte festgemacht und parteipolitische Zielsetzungen umrissen. 1 Diese Liste muss für die vorliegende Analyse außer durch metasprachliche bzw. metakommunikative Kommentare noch ergänzt werden um die Darstellung und Bewertung von Personen, Parteien und Institutionen. Die Analyse der Mikroebene der Rede-Zwischenruf-Sequenzen folgt hier in groben Zügen der Thema-Rhema-Struktur, indem zwar nicht auf Satzebene, aber auf Propositionsebene zwischen dem Thema, „über das etwas ausgesagt wird“ 2 , und Rhema, „was darüber ausgesagt wird“ 3 , unterschieden wird. In der Proposition werden mit anderen Worten rhematische Aussagen, d.h. Prädikationen, in Bezug auf thematische Personen, Gegenstände oder Sachlagen getätigt, d.h., es wird auf sie referiert. 4 Indem die Hörer/ Hörerinnen „dem stilistischen Register folgen oder es wechseln,“ 5 indem sie den Fokus der Rede aufnehmen oder verschieben, indem sie die „implizierte Beziehungsdefinition bestätigen oder umdefinieren,“ 6 indem sie implizite Bedeutungselemente explizit machen oder ergänzen und zuletzt indem sie bestimmte Elemente der Aussage des Redners/ der Rednerin hervorheben oder als unwichtig abwerten, wird deutlich, welche Redeinhalte von den Abgeordneten im Plenum konstruktiv aufgenommen werden und welche als Streitpunkt, ja möglicherweise sogar als Affront aufgefasst werden. 7 So sind folgende zehn Prädikationen in den Reden der Abgeordneten jene, die die meisten Zwischenrufe von Seiten des Plenums ernten und in irgendeine Richtung weiter interpretiert bzw. kommentiert werden (Tabelle 6). Dabei werden Aussagen zu parteipolitischen bzw. persönlichen Verwicklungen in halbbzw. illegale Geschäfte im Dunstkreis der Korruption am wenigsten von Seiten des Plenums, vor allem von Seiten der beschuldigten Partei bzw. Person geduldet. 1 Vgl. Klein 2005, 135. 2 Linke/ Nussbaumer/ Portmann 2004, 268. 3 Linke/ Nussbaumer/ Portmann 2004, 268. 4 Vgl. Holly 1979, 5. 5 Nothdurft 1998, 68. 6 Nothdurft 1998, 68. 7 Vgl. Nothdurft 1998, 68. <?page no="133"?> 133 Tabelle 6: Top 10-Prädikationskategorien in Redebeiträgen mit Zwischenrufreferenz (N = 831 Prädikationen) Lesebeispiel: Von 831 Prädikationen in Redebeiträgen mit Zwischenrufreferenz wird in 4,7 Prozent der Fälle auf Verwicklungen verwiesen. Bei den Aussagen zu parteipolitischen bzw. persönlichen Verwicklungen handelt sich zumeist um Verdachtsmomente, denen die Beweiskraft für echte Anschuldigungen weitgehend fehlt, so etwa im folgenden Redeausschnitt: Abg. Zach [SPÖ]: […] Und jetzt frage ich mich: Wo ist das Geld, das auf der einen Seite eingenommen wird und auf der anderen Seite in wesentlichen Bereiche wie Bildung und Forschung investiert werden sollte? (Abg. Großruck [ÖVP]: Wen vertreten Sie überhaupt? ) 8 Die Häufigkeit der Zwischenrufe muss in diesem Fall natürlich in Zusammenhang mit den Eurofighter-Debatten gesehen werden, die die undurchsichtigen Beschaffungsvorgänge rund um den Kampfjet über mehrere Stunden beleuchten und damit die thematische Ausprägung bereits vorgeben. Ebenso werden unrechtmäßige und illegitime Entscheidungen im Sinne von Gesetzes- und Verfassungskonformität während der Eurofighter-Verhandlungen oft vorgebracht, vor allem in Hinblick auf die Weigerung des Finanzministeriums, Akten ungeschwärzt herauszugeben, 8 14. Sitzung, 33. Prädikationskategorien in Prozent der Prädikationen Verwicklungen 4,7% Unrechtmäßigkeit 4,1% Dimensionierung 4,0% Zuständigkeit 3,4% Relevanz 3,1% gg Bevölkerungsschicht 3,0% Kompetenz 2,8% Unkooperativität 2,8% Einflussnahme 2,4% Absurdität 2,3% Sinnlosigkeit 2,3% <?page no="134"?> 134 bzw. in Verbindung mit der illegitimen Veröffentlichung von Unterlagen des Untersuchungsausschusses auf der Homepage des Ausschussvorsitzenden Peter Pilz. Die Anklagen gehen hier über reine Verdächtigungen hinaus und prädizieren konkrete Sachlagen bzw. Tatbestände, wie im folgenden Beispiel: Vizekanzler Mag. Molterer [ÖVP]: […] Interessant: Das Gericht hat befunden, dass Sie den Tatbestand der Verletzung der abgabenrechtlichen Geheimhaltungspflicht erfüllt haben, da Sie Unterlagen, die dem Ausschuss vertraulich für seine Arbeit zur Verfügung gestellt wurden, auf Ihrer Homepage veröffentlicht haben, Herr Dr. Pilz. (Neuerliche Oh-Rufe bei der ÖVP. - Abg. Dr. Stummvoll: Ungeheuerlich! ) 9 Die Prädikationskategorie Dimensionierung ist im Unterschied zum Vorwurf der Verwicklung bzw. der Unrechtmäßigkeit nicht per se negativ und auf Konfrontation ausgerichtet, sondern thematisiert den Umfang an Konsequenzen, die eine bestimmte Sachlage, sehr oft eine Gesetzesvorlage erwarten lässt. So werden im folgenden Redeausschnitt die Konsequenzen des neuen Hochschülerschaftsgesetzes parabelhaft ausgeführt: Abg. Dr. Grünewald [Grüne]: […] Jetzt nur ein Beispiel, was dieses Gesetz gemacht hat: Stellen Sie sich vor, in neun Bundesländern gibt es Landtagswahlen. Nach den Wahlen kommt jemand zu Ihnen und sagt: Hurra, die Landtage sind gewählt, wir brauchen jetzt keine Nationalratswahl mehr. Die Landtage schicken jetzt nach Stärke ihrer Parteien ihre Abgeordneten in den Nationalrat. (Abg. Dr. Brinek [ÖVP]: Der Vergleich hinkt! ) 10 Auch die Diskussion rund um Zuständigkeiten ist nicht von vornherein negativ, auch wenn die verorteten Verantwortlichkeiten sehr oft mit mangelndem Engagement begründet und mit weiterführenden Handlungsanweisungen verbunden werden. Dazu folgendes Beispiel: Abg. Schalle [BZÖ]: […] Meine sehr geehrten Damen und Herren, seit der letzten Kampagne im Fernsehen zum Thema Klimawandel sind die Menschen in diesem Land besonders hellhörig geworden. An mich wird öfters die Frage herangetragen: Was wird nun geschehen? Leider ist Herr Minister Pröll heute nicht da, dass ich ihn fragen kann! (Abg. Dr. Fekter [ÖVP]: Der Wirtschaftsminister ist hier! ) - Der Herr Wirtschaftsminister ist nicht ganz zuständig dafür. (Abg. Dr. Lichtenecker [Grüne]: Der Wirtschaftsminister hat viel mehr damit zu tun! […]) 11 9 20. Sitzung, 140. 10 14. Sitzung, 58. 11 14. Sitzung, 155. <?page no="135"?> 135 Relevanz ist die erste rein positive Prädikationskategorie, die es unter die Top 10 der mit Zwischenruf belegten Redeprädikationen schafft. Dabei betont der Redner/ die Rednerin die Wichtigkeit der von ihm/ ihr vorgebrachten Sachlage bzw. des von ihm/ ihr gewählten Argumentationsstrangs, so auch im vorliegenden Fall: Abg. Mag. Trunk [SPÖ]: […] Ich erinnere an die Aufregung, die vor vielen Jahren der Gesundheitsminister Ausserwinkler mit seiner Aufklärungskampagne für Kondome und Prävention gegen AIDS erregt hat, und ich muss sagen: Ich halte jede solche Erregung und Aufregung für wichtig, weil Sie einen Beitrag zur Bewusstseinsbildung und zur Auseinandersetzung leistet. (Abg. Dr. Graf [FPÖ]: Aber den Ausserwinkler habt ihr in die Wüste geschickt! Warum habt ihr ihn in die Wüste geschickt! Ihr habt ihn selbst abgesägt! Das ist eine Drohung: das Schicksal von Ausserwinkler! ) 12 Aussagen innerhalb des Redebeitrags, gewisse politische Entscheidungen und Gesetzesvorlagen würden bestimmten Bevölkerungsgruppen zum Nachteil gereichen, sind ein weiterer möglicher Auslöser für Zwischenrufe. In diesen Rede-Zwischenruf-Sequenzen tritt deutlich der nach außen gerichtete Kommunikationsaufbau zu Tage, indem vornehmlich für die Wählerschaft außerhalb des Parlaments argumentiert wird und daher Vorwürfe, man würde bestimmte Bevölkerungsschichten ausschließen, zum Teil heftige Reaktionen auslösen. So stellt sich der grüne Redner im folgenden Beispiel plakativ auf die Seite der Bauern und Bäuerinnen und wirft der Volkspartei vor, sie vernachlässige ihre Stammwählerschaft, was Landwirtschaftsminister Josef Pröll von der ÖVP nicht unkommentiert hinnimmt: Abg. Dr. Pirklhuber [Grüne]: […] Es ist dies eine verfassungsgesetzlich unzureichende Reparatur, die hier vorliegt, leider ein Kniefall der SPÖ vor dem Bauernbund und leider auch Ausdruck des Zynismus der ÖVP, der das Schicksal von Tausenden betroffenen Bäuerinnen und Bauern offensichtlich wirklich gleichgültig ist. (Beifall bei den Grünen. - Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll [ÖVP]: Glatt falsch! ) 13 Kompetenz als positive Zuschreibung einer Person bzw. Partei und demgegenüber der Vorwurf der Unkooperativität ebenfalls in Hinblick auf Personen und Parteien erreichen denselben Anteilswert an Zwischenrufen. Auch der Verdacht der parteien- und personenspezifischen Einflussnahme auf Entscheidungsvorgänge wird tendenziell stärker mit Zwischenrufen kommentiert. Die letzten beiden Ränge der Top 10 der mit 12 20. Sitzung, 63f. 13 28. Sitzung, 215. <?page no="136"?> 136 Zwischenruf quittierten Prädikationen unterbrechen Redner/ Rednerinnen dann, wenn bestimmte Regierungsentscheide und Gesetzesvorlagen als sinnlos oder schlichtweg absurd abqualifiziert werden. In einem zweiten Schritt soll nun beispielhaft untersucht werden, mit welchen inhaltlichen Mitteln die Zwischenrufer/ Zwischenruferinnen auf den Vorwurf der Verwicklung und der Unrechtmäßigkeit sowie auf die Abgrenzung der Dimensionierung einer Sachlage mit Prädikationen reagieren. Auf den Vorwurf der Verwicklung (N = 46 Prädikationen) reagieren die Parteien und Personen im Plenum in 32,6 Prozent der Fälle, indem sie ihrerseits dem Redner/ der Rednerin Verwicklungen vorwerfen, d.h., sie folgen nicht nur der groben Themenkategorie auf Mesoebene, sondern fahren auch auf Mikroebene mit gleichen Geschützen auf. Vorwürfe dieser Art haben den Vorteil, dass sie ohne stichhaltige Beweise auskommen und so auch vom/ von der Verdächtigten dem Ankläger/ der Anklägerin vorgehalten werden können. So reagiert der Zwischenrufer im folgenden Beispiel auf den Vorwurf illegitimer Geldflüsse, indem er der SPÖ selbst vorwirft, entsprechende Zahlungen in Richtung des Wiener Fußballclubs Rapid getätigt zu haben: Abg. Ing. Mag. Kuzdas [SPÖ]: […] Wenn wir jetzt einen Beschaffungswert von 2 Milliarden € unterstellen, dann suchen wir noch immer 90 Millionen. Wir haben erst 10 Millionen gefunden, die irgendwo in Richtung Rumpold und Steininger geflossen sind. (Abg. Prinz [ÖVP]: Und Rapid! ) 14 Mit fast einem Viertel aller Zwischenrufprädikationen (23,9 Prozent) ist der Einwand, die vorgebrachten Anschuldigungen entsprächen nicht der Wahrheit, eine weiteres, häufig verwendetes Mittel, um auf den Vorwurf der persönlichen bzw. parteipolitischen Verwicklung zu reagieren, wie im folgenden Ausschnitt: Abg. Dr. Pilz [Grüne]: […] Trotzdem bleibt die Hauptverantwortung bei der ÖVP. Das Hauptergebnis des Ausschusses ist, dass bekannt geworden ist, wie korruptionsanfällig das militärische Beschaffungswesen ist - und dass es eine Partei gibt, die dieses System um jeden Preis zu decken bereit ist. (Abg. Mag. Kukacka [ÖVP]: Das ist eine Erfindung! Das ist eine Lüge! Sie sind ein Lügner! ) 15 In mehr als der Hälfte aller Zwischenrufe, die als Reaktion auf Anspielungen, eine oder mehrere Personen bzw. eine oder mehrere Parteien seien in illegale Machenschaften verwickelt, erfolgen, wird also entweder 14 28. Sitzung, 90. 15 28. Sitzung, 83. <?page no="137"?> 137 mit dem Umkehrschluss der Verwicklung und damit der Befangenheit des Redners/ der Rednerin selbst oder mit dem Vorwurf der Unwahrheit des Redeinhalts reagiert. Auf den am zweithäufigsten mit Zwischenruf kommentierten Vorwurf der Unrechtmäßigkeit (N = 39 Prädikationen) von politischen Entscheidungen wird 17,9 Prozent der Fälle dadurch geantwortet, dass die ausformulierten Prädikationen nicht der Wahrheit entsprächen, wie im folgenden Fall: Abg. Dr. Jarolim [SPÖ]: Herr Vizekanzler Molterer hat unter Verweis auf eine Publikation von Herrn Professor Mayer vorhin ausgeführt, dass nach Ansicht von Herrn Professor Mayer eine Schwärzung der Daten aus dem Steuerakt rechtmäßig wäre. (Abg. Dr. Fekter [ÖVP]: Ja! Richtig! ) Ich berichtige tatsächlich: Herr Professor Mayer hat ausdrücklich - und daher ist die Information vonseiten der Frau Kollegin Fekter falsch - über Befragung in der letzten Sitzung des Ausschusses darauf hingewiesen, dass das im gegenständlichen Fall nicht so ist (Abg. Dr. Fekter [ÖVP]: Das stimmt ja nicht! ) 16 Eine zweite, häufiger benutzte Möglichkeit ist der Vorwurf mangelnder Informativität und besteht darin, dem Redner/ der Rednerin vorzuwerfen, er/ sie sage nicht die ganze Wahrheit und verschweige wichtige Informationen, in deren Licht die unterstellte Unrechtmäßigkeit sich als rechtmäßig erweist (10,3 Prozent). Dazu folgendes Beispiel: Abg. Dr. Van der Bellen [Grüne]: […] Der überwiegende Teil der Werbungskosten, der Werbeausgaben von Herrn Steininger wurde unkenntlich gemacht. Diese Vorgangsweise ist unzulässig! (Abg. Dr. Fekter [ÖVP]: Lesen Sie die Ziffer 4 vor! ) Verstehen Sie Deutsch, Frau Kollegin Fekter? Vier Worte: „Diese Vorgangsweise ist unzulässig! “ (Beifall bei den Grünen. - Rufe der Empörung bei der ÖVP.) „Unzulässig“ ist ein anderer Ausdruck für rechtswidrig, für „nicht rechtskonform“. Das sind die Worte, die Herr Professor Bernd-Christian Funk in seinem Schlusssatz verwendet. (Abg. Dr. Fekter [ÖVP]: Die Ziffer 4 relativiert das! Und dazu schweigen Sie! ) 17 Auf abgrenzende Interpretationen des Redners/ der Rednerin in Hinblick auf die Dimensionierung einer bestimmte Sachlage (N = 36 Prädikationen) wird zumeist stützend eingewirkt (16,7 Prozent), indem dem Gesagten als der Wahrheit entsprechend beigepflichtet wird, wie in diesem Fall: Vizekanzler Mag. Molterer [ÖVP]: Frau Präsidentin! Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie, die Abgeordneten des Nationalrates haben dem Untersuchungsausschuss einen sehr klaren Auftrag - einen Untersu- 16 20. Sitzung, 143. 17 20. Sitzung, 144. <?page no="138"?> 138 chungsauftrag - gegeben. Diesen Auftrag hat der Untersuchungsausschuss zu erfüllen; nicht mehr, aber auch nicht weniger. Es ist für mich daher ganz klar, dass der Untersuchungsausschuss meine Unterstützung im Rahmen dieses Auftrages hat, aber selbstverständlich auch die Unterstützung des von mir geführten Bundesministeriums für Finanzen. (Ruf bei der ÖVP: So ist es! ) 18 Zweithäufigste Reaktion auf die Dimensionierung einer Sachlage im Redebeitrag ist die Thematisierung eines spezifischen Begriffs innerhalb des Redebeitrags, der als unklar und fragwürdig kritisiert wird (11,1 Prozent). Dabei wird im Zwischenruf in Form einer Frage die Anforderung an den Redner/ die Rednerin gestellt, den fraglichen Begriff genauer darzustellen und damit zu klären. Im folgenden Ausschnitt ist es die ideale Familie, deren genaue Definition vom Zwischenrufer eingefordert wird: Abg. Dipl.-Ing. Klement [FPÖ]: […] Frau Kuntzl, was ist denn eine intakte Familie? […] Also, liebe Frau Kuntzl, eine Homo-Ehe, eine Patchwork- Familie ist nicht das, was eine ideale Familie ist, ist nicht das, was wir Freiheitlichen uns wünschen, was wir in Österreich brauchen. Sicher nicht! (Beifall bei der FPÖ. - Abg. Öllinger [Grüne]: Und was ist Ihre? ) 19 Zusammenfassend kann gesagt werden, dass den Themenvorgaben des Redners/ der Rednerin auf Mikroebene nur zum Teil gefolgt wird. Tendenziell scheint eher der Wechsel auf die metasprachliche bzw. metakommunikative Ebene die typische Reaktion auf parteilich gefärbte Anschuldigungen zu sein. Mit einem Anteil von 39,7 Prozent stellen Aussagen zu Art und Weise der Redebeiträge die häufigste Reaktion dar, gefolgt von Aussagen zu Personen mit 28,5 Prozent (siehe Abbildung 5 in Kapitel 7). Darin spiegelt sich einerseits die vermutete Tendenz zum Sprung von der Sachauf die Metaebene wider, andererseits wird hier der hohe Personalisierungsgrad politischer Kommunikation auch in den Zwischenrufen deutlich. Den Spuren der anteilsmäßig größten Themenkategorien der Mesoebene (Zwischenrufe zu Redebeiträgen, Zwischenrufe zu Personen) soll nun auf Mikrostrukturebene weiter gefolgt werden. 8.1 Metakommunikative Zwischenrufe Divergierende Meinungen und Ansichten können auf unterschiedlich kooperative Art und Weise kommunikativ behandelt werden. Unter „normalen“ Umständen werden Meinungsunterschiede sogar meist als kon- 18 20. Sitzung, 138. 19 28. Sitzung, 161. <?page no="139"?> 139 struktiv und fruchtbar empfunden. 20 Kooperatives Gesprächsverhalten gerät jedoch immer dann ins Hintertreffen, wenn es darum geht, eigene Interessen und Standpunkte gegenüber anderen durchzusetzen. 21 In solchen Momenten wird aus dem kommunikativen Miteinander ein kommunikatives Gegeneinander, 22 indem die Gesprächsteilnehmer/ Gesprächsteilnehmerinnen „eine verschärfte Gangart“ 23 einschlagen: „Derartige Beteiligtenkonzepte erscheinen teilweise relativ explizit, teilweise nur in Andeutungen und implizit in den vorbereitenden oder retrospektiv legitimierenden praktischen Beschreibungen bzw. Erklärungen (den ‚accounts‘ im ethnomethodologischen Sinne). Typische Fundstellen für solche Konzepte sind die Rahmungen von Interaktionsphasen mit ‚harter‘ Modalität, die Beanstandungen von unangemessenem Verhalten des anderen und die Legitimation eigener Handlungen. […].“ 24 Die parlamentarischen Zwischenrufe sind eine Fundgrube für die im obigen Zitat erwähnten ethnomethodologischen Accounts, indem sie in etwa 40 Prozent der Fälle auf die Redebeiträge selbst eingehen und damit die Äußerungen des Redners/ der Rednerin metakommunikativ kommentieren. Eine wichtige Rolle bei metakommunikativen Äußerungen spielt natürlich das gegnerische Zitat als Ausgangspunkt für die Kritik, d.h. die Intertextualität von Rede und Reformulierung. 25 Klein weist daraufhin, dass politische Rede nicht nur zeitlich z.B. in Gesetzgebungsprozesse eingebettet ist, sondern auch textuell: „Was dort als zeitlich ausgedehntes Verfahren charakterisiert wurde, manifestiert sich auf Textebene als intertextuelle Beziehung insbesondere zwischen Redetexten und Vortexten - gerade auch den eigenen - und zu potentiellen Folgetexten.“ 26 So wird im folgenden Beispiel einerseits auf die Aussagen eines Vorredners und andererseits auf ein Interview aus dem Jahr 2006 verwiesen: Abg. Ing. Westenthaler (BZÖ): Frau Präsidentin! Der Herr Abgeordnete der SPÖ Kräuter hat hier unter Bezugnahme auf ein Zeitungszitat behauptet, ich sei im Jahr 2006 bei der Werbeagentur des Herrn Gernot Rumpold beschäftigt gewesen. - Das ist die Unwahrheit! Nur, damit es auch im Protokoll 20 Vgl. Kallmeyer/ Schmitt 1996, 21. 21 Vgl. Kallmeyer/ Schmitt 1996, 21. 22 Vgl. Kallmeyer/ Schmitt 1996, 22. 23 Kallmeyer/ Schmitt 1996, 22. 24 Kallmeyer/ Schmitt 1996, 31. 25 Klein 2001, 69. 26 Klein 2001, 68. <?page no="140"?> 140 steht: Ich war natürlich nicht bei der Werbeagentur von Rumpold beschäftigt. (Abg. Strache [FPÖ]: Das haben aber Sie unter Zitat gesagt, dass Sie finanziert werden vom Unternehmen Rumpold! ) 27 Nach de Beaugrande und Dressler finden sich metakommunikative Kommentare immer dort, wo gegen gesellschaftliche Konventionen verstoßen wird. 28 Dies kann auch das Verhalten der Kommunikationspartner/ Kommunikationspartnerinnen betreffen, etwa mangelnde Aufmerksamkeit, fragwürdige Beweggründe oder mangelnder Stil. 29 Metakommunikative Kommentare zeigen an, dass die Kommunikation „problematisch, krisenhaft geworden ist“ 30 : Missverständnisse tauchen auf, die Gesprächspartner/ Gesprächspartnerinnen reagieren plötzlich verärgert. 31 Dies kann so weit gehen, „dass der Gegenstand, um dessentwillen die kommunikative Beziehung aufgenommen wurde, temporär verlassen wird, um auf der Metaebene die irritierenden Aspekte nachfragend, erläuternd oder wie auch immer beseitigen zu können.“ 32 Schwitalla sieht metakommunikative Elemente daher generell neben der Hinwendung an Dritte als ein typisches Element von Streitgesprächen. 33 Das Verschieben der Themenebene auf die Metaebene im Rahmen alltäglicher Streitsituationen wirkt dabei tendenziell eher verals entschärfend: 34 „Verletzungen, die sich Gesprächspartner durch ihr kommunikatives Verhalten zufügen, gehen fast immer mehr an den Nerv und werden deshalb im Gesprächsverlauf wichtiger als die Tatsache der Uneinigkeit über das sachliche Problem, das der Ausgangspunkt war.“ 35 Indem sich metakommunikative Vorwürfe in der Politik immer auf der Bühne der öffentlichen Meinung abspielen und gleichzeitig oft politisch relevante Wertungen transportieren, wird durch sie noch stärker als in Alltagssituationen die parlamentarische Debatte weiter aufgeheizt. So etwa im folgenden Beispiel: Abg. Mag. Ikrath [ÖVP]: […] Ich sage Ihnen: Ein Glück, dass da die Beamten ihre Pflicht getan haben und das ausgeschwärzt haben, was Dritte dann in ein Verfahren gezogen hätte, mit dem sie nichts zu tun haben. - Das ist unsere 27 20. Sitzung, 163. 28 Vgl. de Beaugrande/ Dressler 1981, 190. 29 Vgl. de Beaugrande/ Dressler 1981, 190. 30 Dieckmann 2005b, 79. 31 Vgl. Dieckmann 2005b, 79. 32 Dieckmann 2005b, 79. 33 Vgl. Schwitalla 1987, 101. 34 Vgl. Dieckmann 2005b, 79f. 35 Dieckmann 2005b, 79. <?page no="141"?> 141 Pflicht! (Beifall bei der ÖVP. - Abg. Dr. Van der Bellen [Grüne]: So wird jedenfalls der Eurofighter-Beschaffungsvorgang nicht aufgeklärt werden! ) Und ich sage Ihnen noch etwas, Herr Professor! (Abg. Dr. Van der Bellen [Grüne]: Sie sind an einer Aufklärung völlig desinteressiert! ) - Hören Sie bitte zu, es kann nur nützlich sein! (Abg. Dr. Van der Bellen [Grüne]: Sie haben mir keine Sekunde zugehört! ) 36 Metakommunikative Äußerungen orientieren sich an einer Norm, die definiert wird als das, was die Mitglieder einer Kommunikationsgemeinschaft in einer gegebenen Situation übereinstimmend als richtig und angemessen beurteilen. 37 Das hierbei ausgedrückte Sprachbewusstsein ist somit ein Ergebnis sprachgemeinschaftlicher Konventionen. 38 Bei der Interpretation metakommunikativer Kommentierungen muss daher stets auf den sprachlichen, geschichtlichen und ideologischen Kontext geachtet werden, 39 da das in Metakommunikation und durch Metasprache gezeigte Sprachbewusstsein aus dem Sprachwissen der jeweiligen Person folgt. Das individuelle Sprachwissen setzt sich zusammen aus dem Wissen um die Kommunikationssituation, die sprachlichen Einheiten und die sprachlichen Gemeinschaften. 40 Dieses Wissen wird von der „Sprachgemeinschaft überliefert bzw. in ihr erarbeitet und gehen immer in die eigenen Erfahrungen, Einstellungen, Wertungen etc. mit ein.“ 41 In diesem Sinne ist das Sprachbewusstsein auch einem ständigen Wandel unterworfen, daher sollte, so Scherfer, vielmehr von einem Sprachbewusstsein als von dem Sprachbewusstsein gesprochen werden, da es sich immer auch um individuelle Auslegungen des überindividuellen Sprachbewusstseins handelt. 42 Das Ideal der Gesprächsform Diskussion, die der parlamentarischen Debatte als Vorlage dient, definiert Holly als „am Thema orientiert, sachlich, rational, argumentativ, fair, freier Zugang, Gleichberechtigung, zeitlich unbehindert, geordneter Verlauf, auf Wahrheit und Richtigkeit zielend.“ 43 Ziel des Idealtyps ist es, das Gegenüber von den eigenen Ansichten zu überzeugen, „was die grundsätzliche Bereitschaft aller Beteiligten voraussetzt, sich überzeugen zu lassen […]. In idealer Hinsicht zielt eine 36 20. Sitzung, 162. 37 Vgl. Dieckmann 2005b, 84. 38 Vgl. Schulte 2002, 66. 39 Vgl. Schulte 2002, 59. 40 Vgl. Schulte 2002, 64f. 41 Schulte 2002, 66. 42 Vgl. Scherfer, zit. in: Schulte 2002, 66f. 43 Holly, zit. in: Brinker 1996, 115. <?page no="142"?> 142 Argumentation also letztlich auf Zustimmung, Einigkeit, Konsens.“ 44 Debatten im Nationalrat stellen jedoch dementgegen nur die Inszenierung idealtypischer Diskussion dar, indem sie die Vorstellung transportieren, der politische Dissens könnte über themenzentrierte Argumentation gelöst werden. Diese Inszenierung fällt besonders dann auf, wenn idealtypische Regeln verletzt werden und diese von den Abgeordneten im Plenum auf den Pranger gestellt werden. 45 Holly, Kühn und Püschel stellen in Folge einen Katalog von Inszenierungsmustern politischer Kommunikation zusammen, denen Politiker/ Politikerinnen in ihren Debattenbeiträgen genügen müssen und auf die in metakommunikativen Äußerungen besonders gerne verwiesen wird. 46 All diese Inszenierungsmuster lassen sich auch in den analysierten Zwischenrufen wiederfinden. So müssen sich Politiker/ Politikerinnen in Hinblick auf Kontakt- und Beziehungsmuster gewählt ausdrücken, müssen sich höflich begegnen, aufmerksam zuhören, fair miteinander umgehen und einander ernst nehmen, dürfen sich nicht arrogant gegenüber Kollegen/ Kolleginnen verhalten und müssen diskussionsbereit bleiben. 47 So werden die Aussagen des grünen Redners Peter Pilz vom Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel im folgenden Debattenausschnitt als Ungeheuerlichkeit abgewiesen: Abg. Dr. Pilz [Grüne]: […] Herr Mag. Molterer, Sie haben in den letzten Tagen und Wochen bewiesen, dass Sie im Interesse Ihrer Partei bereit sind, sich über die österreichische Bundesverfassung hinwegzusetzen. (Abg. Dr. Schüssel [ÖVP]: Na wirklich nicht! Ungeheuer! Das ist eine Zumutung, was Sie hier sagen! […]) 48 Auch in Hinblick auf das Rederecht und den Sprecherwechsel finden sich formelhafte Inszenierungsmuster, indem sich Politiker/ Politikerinnen an die Redezeit zu halten haben und gleichzeitig einander die Möglichkeit geben müssen, die Redezeit wahrzunehmen. 49 Dabei wird an den untersuchten Sitzungstagen vor allem darauf hingewiesen, dass die Redezeit zu Ende geht: 44 Brinker 1996, 127. 45 Vgl. Holly/ Kühn/ Püschel, zit. in: Kühn 1995, 199. 46 Vgl. Holly/ Kühn/ Püschel, zit. in: Kühn 1995, 199ff. 47 Vgl. Holly/ Kühn/ Püschel, zit. in: Kühn 1995, 199ff. 48 20. Sitzung, 137. 49 Vgl. Holly/ Kühn/ Püschel, zit. in: Kühn 1995, 201f. <?page no="143"?> 143 Abg. Dr. Moser [Grüne]: […] Und mein Antrag ist ein Hinweis, in welche Richtung Sie handeln sollten, damit das Gesamtunternehmen ÖBB effizienter wird. - Danke schön. (Ruf bei der ÖVP: Redezeit ist aus! ) 50 Weitere Muster betreffen die Themenentfaltung: 51 So müssen Redner/ Rednerinnen zum Thema sprechen und müssen darin die gegnerischen Themenpunkte wieder aufgreifen; als wichtig erachtete oder aber unangenehme Teilthemen dürfen nicht unter den Tisch fallen; sie müssen neue Themen einbringen und so die Diskussion vorantreiben; . sie müssen das Wesentliche auf den Punkt bringen und bisher unzureichend thematisierte Sachlagen neuerlich aufgreifen. 52 Derlei Themenverfehlungen werden vor allem in Hinblick auf einen möglichen Gesprächsentzug durch den Nationalratspräsidenten/ die Naitonalratspräsidentin gerne in den Zwischenrufen angeprangert, wie auch der folgende Debattenauszug zeigt: Abg. Mag. Kogler [Grüne]: […] Wenn noch mehr Leute wie Herr Missethon in der Parteizentrale Hand anlegen, dann werden wir uns immer weiter annähern. Das ist ja ein netter Zug von Ihnen. Wir werden es gemeinsam von der Steiermark aus betreiben, dass wir das nächste Mal jeweils 20 Prozent der Stimmen haben. Weiter so, ich ermutige Sie auf diesem Weg! (Abg. Dr. Brinek [ÖVP]: Was hat das mit dem Ökostrom zu tun? ) 53 Auch in Hinblick auf ihre Argumentation müssen Politiker/ Politikerinnen bestimmten Regeln genügen: 54 Den Argumenten des Gegners/ der Gegnerin muss gebührend begegnet werden, dies beinhaltet auch, dass gegnerische Ansichten respektiert werden; auch hier darf nichts, d.h. kein Argument, einfach unter den Tisch fallen; die Argumente müssen dabei auf konkreten Fällen fußen und es sollte hart, aber inhaltlich argumentiert werden; bei der Diskussion sollen Daten, Zahlen und Fakten als argumentativer Beweis eingefordert werden; die vom Politiker/ von der Politikerin aufgestellten Thesen müssen diskussionswürdig sein, auf Fragen müssen Antworten und Lösungsvorschläge gefunden werden, d.h., niemand darf eine Antwort schuldig bleiben, die Diskussionsteilnehmer/ Diskussionsteilnehmerinnen müssen daher gut vorbereitet sein; zuletzt darf nicht etwas absichtlich falsch verstanden werden, d.h., das Kooperationsprinzip muss gewahrt bleiben. 55 So muss etwa wie im folgenden Beispiel im 50 28. Sitzung, 191. 51 Vgl. Holly/ Kühn/ Püschel, zit. in: Kühn 1995, 202ff. 52 Vgl. Holly/ Kühn/ Püschel, zit. in: Kühn 1995, 202ff. 53 14. Sitzung, 154. 54 Vgl. Holly/ Kühn/ Püschel, zit. in: Kühn 1995, 206ff. 55 Vgl. Holly/ Kühn/ Püschel, zit. in: Kühn 1995, 206ff. <?page no="144"?> 144 Rahmen der Fragestunde auf eine Frage die entsprechende Antwort folgen: Bundesministerin Bures [SPÖ]: Was mir schon wichtig ist, ist noch anzumerken, das sind keine Maßnahmen, die es in der Vergangenheit schon gegeben hat. Es hat keine Mindestpensionen gegeben, die eine Höhe hatten, die über der Armutsschwelle lag. (Abg. Steibl [ÖVP]: Das ist keine Antwort auf die Frage! ) 56 In (politischen) Diskussionen und Debatten spielen Begriffe wie Rationalität, Sachlichkeit, Gleichberechtigung, Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit 57 eine wichtige Rolle, indem sie, abgesehen von der Norm der Gleichberechtigung, die Griceschen Konversationsmaximen, d.h. die Maxime der Quantität, der Qualität, der Relation und der Art und Weise, schlaglichtartig in sich vereinen. 58 Diese Maximen werden jedoch, so Schank, in Konfliktgesprächen ständig verletzt. 59 Die Zwischenrufe, die die Beiträge der Redner/ Rednerinnen metakommunikativ thematisieren, stoßen sich hierbei, wie die folgende Abbildung zeigt (Abbildung 7). Die von den Zwischenrufen hier besonders häufig reklamierte Maxime der Qualität verpflichtet den Redner/ die Rednerin dazu, die Wahrheit zu sagen, und zwar indem man einerseits nicht etwas behauptet, von dem man glaubt, es sei falsch, und indem man andererseits nicht etwas behauptet, dem es an nötigen Beweisen mangelt. 60 Dazu folgendes Beispiel: Abg. Mayer [SPÖ]: […] Kollege Broukal hat zu Recht darauf hingewiesen, es war die FPÖ, die damals genau das, was wir heute kritisieren und längerfristig wieder ändern wollen, verbockt hat. Diese Erbsünde können Sie nicht ablegen, Herr Kollege Graf! Wenn Sie auch nicht selbst dabei waren, Herr Kollege Graf, es war Ihre FPÖ (Abg. Strache [FPÖ]: Das heutige BZÖ war es! ), dann BZÖ. (Abg. Strache [FPÖ]: Bleiben wir bei der Wahrheit! ) 61 Etwa ein Drittel der Zwischenrufe kreist dabei um den Vorwurf der Lüge im Sinne von Wahrheit und Unwahrheit. Diese Abqualifizierungen lassen jedoch völlig außer Acht, dass der politische Gegner/ die politische Gegnerin im Grunde nur eine andere Meinung vertritt, sie verleugnen, dass es sich um eine rationale Auseinandersetzung handelt, bei der es um per- 56 28. Sitzung, 20. 57 Vgl. Brinker 1996, 118. 58 Vgl. Grice 1975, 45ff. 59 Vgl. Schank 1987, 32. 60 Vgl. Grice 1975, 46. 61 14. Sitzung, 130. <?page no="145"?> 145 sönliche Standpunkte geht, die je nachdem als vorsätzliche Lüge oder Täuschung abqualifiziert werden. 62 Abbildung 7: Eingeforderte Konversationsmaximen in Zwischenrufen zu Redebeiträgen (N = 450 Zwischenrufaussagen) Lesebeispiel: Von 450 metakommunikativen Zwischenrufaussagen thematisieren 60,7 Prozent die Qualität der Redebeiträge. Aus dem ständigen gegenseitigen Vorwurf der Lüge erklärt sich, so Niehr, auch die Unglaubwürdigkeit, mit der Politiker/ Politikerinnen in der Öffentlichkeit gesehen werden. 63 Ein Eindruck, dem man sich auch im folgenden Debattenausschnitt kaum erwehren kann: Abg. Dr. Pilz [Grüne]: […] Trotzdem bleibt die Hauptverantwortung bei der ÖVP. Das Hauptergebnis des Ausschusses ist, dass bekannt geworden ist, wie korruptionsanfällig das militärische Beschaffungswesen ist - und dass es eine Partei gibt, die dieses System um jeden Preis zu decken bereit ist. (Abg. Mag. 62 Vgl. Niehr 2002, 100. 63 Vgl. Niehr 2002, 102. Qualität 60,7% Modalität 28,0% Relation 5,6% andere 3,1% Quantität 2,7% <?page no="146"?> 146 Kukacka [ÖVP]: Das ist eine Erfindung! Das ist eine Lüge! Sie sind ein Lügner! ) 64 Bei politischen Sprachthematisierungen dieser Art geht es weniger darum, den Sprachgebrauch des Kontrahenten/ der Kontrahentin zu kritisieren, als vielmehr um die Durchsetzung von Zielen, die hinter der Sprache stehen. 65 Grund hierfür ist wiederum das Publikum als konstitutive dritte Partei öffentlicher Kommunikation, 66 indem angenommen wird, „dass es im Zweifelsfall erfolgversprechender sein kann, den Gegner beim Publikum wegen seines kommunikativen Verhaltens zu diskreditieren, als in der Sache Recht zu behalten.“ 67 Die Maxime der Art und Weise bzw. Modalität verurteilt mehrdeutiges Sprechen und fordert klare, offene und direkte Formulierungen, 68 „relating not [...] to what is said but, rather, to HOW what is said is to be said” 69 . So kann etwa die Wahl eines bestimmten Wortes als ungeeignet oder unzulässig deklariert werden. 70 Gefährlich in diesem Zusammenhang ist, dass beim kritisierten Sprecher/ bei der kritisierten Sprecherin eine böse Absicht vermutet wird und nicht etwa mangelnde Sprachkompetenz. 71 Im folgenden Beispiel wird dem ÖVP-Redner eine radikalisierte Haltung unterstellt und weniger davon ausgegangen, er habe sich in der Wortwahl vergriffen: Abg. Mag. Ikrath [ÖVP]: […] Ich sage Ihnen: Das mag Ihre Partei tun, das mögen die Freiheitlichen tun: Wir werden uns mit letzter Konsequenz dagegenstellen. (Abg. Dr. Van der Bellen [Grüne]: „Mit letzter Konsequenz“, was heißt das? ) 72 Aber auch ganze Aussagenkomplexe und Argumentationsstränge können im Rahmen der Maxime der Modalität zum Thema werden, wie folgendes Beispiel beweist: Abg. Strache [FPÖ]: […] Es hat dann im August, wie wir wissen, die Hochwasserkatastrophe gegeben, wo es dann eine Reduktion von 24 auf 18 Jets gab. Und es war interessanterweise so, dass die Kosten, die dann in der Öffentlichkeit genannt worden sind, auf einmal für 18 Jets höher waren als für 24! (Abg. Dr. Schüssel 64 28. Sitzung, 83. 65 Vgl. Niehr 2002, 86. 66 Vgl. Dieckmann 2005b, 33f. 67 Dieckmann 2005b, 80. 68 Vgl. Schank 1987, 32. 69 Grice 1975, 46. 70 Vgl. Niehr 2002, 89f. 71 Vgl. Niehr 2002, 90f. 72 20. Sitzung, 162. <?page no="147"?> 147 [ÖVP]: Sie können nicht ohne Finanzierung mit mit Finanzierung vergleichen! ) 73 Ziel der Kritik im letzten Beispiel ist das argumentative Handeln. 74 Dabei sind die eigenen Argumente grundsätzlich schlüssig und klar nachvollziehbar, während die Argumente des Gegners/ der Gegnerin als untaugliche und unglaubwürdige „Alibiargumente“ 75 dargestellt werden, mit einer mutwilligen Täuschungsabsicht dahinter. 76 Die kooperative Alternative wäre hingegen, abzuwarten, worauf das Gegenüber hinauswill und möglicherweise bei Unklarheiten interpretativ mitzuarbeiten. 77 „In Wirklichkeit jedoch streitet man jedoch [sic] weder über die Sache noch über Bezeichnungen für Sachen, man ist auch nicht mehr sachlich. Dazu passt es dann sehr gut, dass man dem politischen Gegner nicht nur seine ‚falschen’ Begriffe sozusagen um die Ohren hauen kann, sondern auch seine ‚unehrlichen’ Argumentationen, mit denen man gleichzeitig eine moralische Dimension ins Spiel bringt. Dies ist sehr viel einfacher und möglicherweise publikumswirksamer als die umstrittenen Details der politischen Sichtweise zu diskutieren.“ 78 Solche Vorwürfe lassen sich, so Niehr, unabhängig vom Thema immer anbringen, ohne dass genauer darauf eingegangen wird, „was denn am jeweiligen Konzept des politischen Gegners als kritikwürdig, unangemessen, falsch oder ‚rhetorisch’ erscheint.“ 79 Als Beispiel hierfür folgender Debattenauszug: Abg. Mag. Weinzinger [Grüne]: […] Die eigentliche Crux - und darum ging es ja - ist: Wer schafft es vom Staatsopernorchester, dann bei den Wiener Philharmonikern aufgenommen zu werden? Und das geht erstaunlicherweise bei den Männern in den meisten Fällen recht reibungslos, bei den Frauen gibt es überraschend immer wieder Probleme. So viel Seriosität in der Debatte sollte man schon haben. (Beifall bei den Grünen.) Was ich ein bisschen merkwürdig finde, sind diese Nebenbemerkungen über den Qualitätsanspruch. (Abg. Dr. Haimbuchner [FPÖ]: Lösungsvorschläge? Nicht Polemik! ) 80 Die Maxime der Modalität betrifft auch das Maß dessen, was legitimerweise in den öffentlichen Debatten im Gegensatz zu privaten Meinungs- 73 28. Sitzung, 41. 74 Vgl. Niehr 2002, 94. 75 Niehr 2002, 95. 76 Vgl. Niehr 2002, 94f. 77 Vgl. Kallmeyer/ Schmitt 1996, 21. 78 Niehr 2002, 97. 79 Niehr 2002, 99. 80 14. Sitzung, 115. <?page no="148"?> 148 verschiedenheiten noch als sagbar und als passend angesehen wird. 81 Beiträge zur Diskussion müssen sachlich, emotionslos und ohne Polemik vorgebracht werden, diskussionsuntypische Muster wie Selbstlob sind unerwünscht. 82 So kritisiert der Zwischenrufer im folgenden Beispiel die unreflektierte Lobeshymne auf den Eurofighter, wie sie von Vertretern/ Vertreterinnen der ÖVP an den untersuchten Sitzungstagen wiederholt in ihren Reden dargeboten wurde: Präsident Dr. Spindelegger [ÖVP]: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Sonnberger. 3 Minuten Redezeit. - Bitte, Sie sind am Wort. (Abg. Dr. Cap [SPÖ] - in Richtung des sich zum Rednerpult begebenden Abg. Dr. Sonnberger [ÖVP] -: Eurofighter - Halleluja, Halleluja! ) 83 Demgegenüber hält die Maxime der Relation, auf die in 5,6 Prozent der Zwischenrufe zu Redebeiträgen verwiesen wird, dazu an, sich auf Relevantes zu beschränken. 84 So zum Beispiel in der folgenden Textpassage, wo die Aussagen des Redners/ der Rednerin als irrelevant abgekanzelt werden: Bundesministerin Bures [SPÖ]: […] Ich weiß zwar, dass das lange gefordert wurde, aber umgesetzt hat es diese neue Bundesregierung. (Ruf bei der ÖVP: Bla, bla, bla! ) 85 Die Maxime der Quantität besagt als letzte Gricesche Maxime, der Sprecher/ die Sprecherin solle informativ sprechen, aber nicht informativer als nötig. 86 In den Zwischenrufen zu dieser Maxime, die in 2,7 Prozent der Einwürfe zum Redebeitrag evoziert wird, wird vor allem das Verschweigen notwendiger Informationen an den Pranger gestellt, wie im folgenden Zwischenruf: Abg. Dr. Van der Bellen [Grüne]: […] „Unzulässig“ ist ein anderer Ausdruck für rechtswidrig, für „nicht rechtskonform“. Das sind die Worte, die Herr Professor Bernd-Christian Funk in seinem Schlusssatz verwendet. (Abg. Dr. Fekter [ÖVP]: Die Ziffer 4 relativiert das! Und dazu schweigen Sie! ) 87 Daneben gibt es auch Zwischenrufe zu Redebeiträgen, die Aussagen zur Lautstärke und zum Rederecht treffen, d.h. zur Norm der Gleichberechtigung, die zwar nicht unter die Griceschen Konversationsmaximen fällt, 81 Vgl. Dieckmann 2005b, 34. 82 Vgl. Holly/ Kühn/ Püschel, zit. in: Kühn 1995, 206ff. 83 28. Sitzung, 80. 84 Vgl. Grice 1975, 46. 85 28. Sitzung, 20. 86 Vgl. Grice 1975, 45. 87 20. Sitzung, 144. <?page no="149"?> 149 dafür jedoch Teil des umrissenen Inszenierungsmusters für politische Diskussionen ist: Abg. Dr. Fekter [ÖVP]: […] Und Dienstnehmerdaten haben mit Sicherheit nichts mit dem Untersuchungsgegenstand zu tun, und daher wurden sie geschwärzt. (Abg. Heinisch-Hosek [SPÖ]: Schreien Sie nicht so! ) 88 Bundesminister Buchinger [SPÖ]: […] Ich nütze aber die Chance dazu, hier im Parlament darauf hinzuweisen, dass tatsächlich die Frage ... (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Wollen Sie dann noch einmal herausgehen? - Ich höre Sie sonst so schlecht, Frau Kollegin. (Abg. Mag. Hakl [ÖVP]: Sind Sie für etwas auch zuständig beim Konsumentenschutz ...? - Abg. Murauer [ÖVP]: Sie haben gesagt, dass Sie in Salzburg auch ...! - Abg. Steibl [ÖVP]: Weil Sie sagen, Sie sind dafür nicht zuständig, und Sie wissen wohl, dass das ein Landesgesetz ist! - Abg. Heinisch-Hosek [SPÖ]: Melden Sie sich doch zu Wort! - Weitere Zwischenrufe. - Präsidentin Mag. Prammer gibt das Glockenzeichen.) 89 Generell wird nur in etwa 15 Prozent der Fälle der korrekte (eigene) Sprachgebrauch thematisiert und zur Norm erhoben, während die negativen Aussagen mit einem Anteil von 80 Prozent bei weitem überwiegen und nur etwa 5 Prozent der Aussagen als neutral gelten können (N = 450 Zwischenrufaussagen). Fokussiert wird demnach auf den unangemessenen fremden Sprachgebrauch. 90 Abweichungen sind dabei böswillige Abweichungen von der Norm, hinter denen niedere Beweggründe stecken. 91 Metakommunikative Sprechakte legitimieren daneben das (eigene) verbalkommunikative Handeln, indem sie die im Moment laufende Sprechhandlung kommentieren. 92 So verweigert im nachstehenden Beispiel der Zwischenrufer die Aufforderung des Redners, den Einwurf offiziell nochmals zu wiederholen, indem er sich auf seine gute (kommunikative) Schule beruft: Abg. Mag. Kogler [Grüne]: […] Herr Kollege, kommen Sie heraus! Bringen Sie Ihren Vierzeiler! Die Präsidentin hat Sie darum gebeten. Sie wollten einen „uncharakterhaften“ Vierzeiler vorbringen. (Abg. Großruck [ÖVP]: Das tue ich nicht, denn ich habe Charakter! ) 93 88 20. Sitzung, 150. 89 14. Sitzung, 180. 90 Vgl. Niehr 2002, 92. 91 Vgl. Niehr 2002, 93. 92 Vgl. Schulte 2002, 59. 93 14. Sitzung, 154. <?page no="150"?> 150 Bevor im nächsten Abschnitt der Fokus auf die Darstellung des Redners/ der Rednerin in den Zwischenrufen gelegt wird, ist mit Brinker in Zusammenhang mit metakommunikativen Einwürfen festzuhalten, „dass die Normen des idealen Diskussionskonzepts in den untersuchten Diskussionen durchaus eine Rolle spielen. Allerdings werden sie in der Regel nur indirekt angesprochen, indem die Diskutanten Verletzungen dieser Normen markieren und so ihre Einhaltung implizit reklamieren (einklagen). Dies geschieht oft nur oberflächlich mit mehr oder weniger floskelhaften und stereotypen Wendungen und ist häufig strategisch motiviert, d.h., es geht den Diskutanten vielfach nicht primär darum, den Normen um ihrer selbst willen Geltung zu verschaffen, sondern mehr darum, die eigenen egoistischen Ziele zu verfolgen (sich selbst durchsetzen, andere in die Pfanne hauen bzw. disqualifizieren, sich profilieren usw.).“ 94 8.2 Personenbezogene Zwischenrufe Profilieren kann sich der Redner/ die Rednerin bzw. seine/ ihre Partei über die positive Charakterisierung des eigenen Verhaltens. 95 Der Gegner/ die Gegnerin bzw. seine/ ihre Partei wird über (indirekte) Vorwürfe und enthüllende Informationen charakterisiert 96 und so dessen positives Image beim Wähler/ bei der Wählerin demontiert. 97 Die zweithäufigste Themengruppe innerhalb der Zwischenrufe sind daher auch Aussagen zu Personen. Ein Viertel aller Zwischenrufaussagen sind dabei, wie bereits bei der Untersuchung der Mesothemenebene der Rede-Zwischenruf- Sequenzen erhoben (siehe Tabelle 3 in Kapitel 7), den Personen gegenüber kritisch. Vorwürfe, die die Integrität des Gegenübers in Zweifel ziehen, gibt es viele und sie treten, so de Beaugrande und Dressler, in unterschiedlichem Gewand auf, etwa indem bestimmte Motive unterstellt werden. 98 Dabei können sich mitunter metakommunikative Kritik und personenzentrierte Angriffe überschneiden: 99 Das Thema selbst bleibt in solchen Fällen meist völlig ausgeblendet, 100 wie im folgenden Beispiel: 94 Brinker 1996, 129. 95 Vgl. Gruber 1993, 3f 96 Vgl. Dieckmann 2005b, 49. 97 Vgl. Gruber 1993, 3f. 98 Vgl. de Beaugrande/ Dressler 1981, 191. 99 Vgl. de Beaugrande/ Dressler 1981, 191. 100 Vgl. Niehr 2002, 98. <?page no="151"?> 151 Abg. Mag. Schatz [Grüne]: […] Tun Sie es jetzt, denn vertrauen auf Ihre Ankündigungen, das tun wirklich nur mehr Narren - und wir Grüne sind sicher keine Narren, und die Studierenden in diesem Land auch nicht! (Abg. Parnigoni [SPÖ]: Tun Sie sich nicht so verbeißen! Bleiben Sie freundlich! Seien Sie nicht so aufgeregt! ) 101 Ein Überblick über die Top 5-Prädikationskategorien der Zwischenrufaussagen zu Personen findet sich in der folgenden Tabelle (Tabelle 7). Tabelle 7: Top 5-Prädikationskategorien in Zwischenrufen zu Personen (N = 323 Prädikationen) Lesebeispiel: Von 323 Prädikationen in Zwischenrufen zu Personen sind 84,8 Prozent kritisch gegenüber einer Person und werfen ihm/ ihr in 13,3 Prozent der Fälle Unkenntnis vor. Die negative Ausprägung der Zwischenrufe ist in Bezug auf Personen noch stärker als bei metakommunikativen Kommentierungen. Am häufigsten findet sich der Vorwurf der Unwissenheit bzw. Unkenntnis des 101 14. Sitzung, 125f. Themenkategorien Prädikationskategorien in Prozent der Prädikationen Unkenntnis 13,3% nicht ernstzunehmen 7,1% unpassend 6,8% Umfaller 5,9% Unrechtmäßigkeit 3,7% Kompetenz 2,2% Kenntnis 1,5% Charakter 1,2% Tätigkeit 1,2% Anwesenheit 0,9% Zuständigkeit 1,5% Themenpositionierung 0,9% Abwesenheit 0,6% Äußeres 0,3% Charakter 0,3% Kritik an der Person (84,8%) Lob für die Person (11,5%) neutrale Aussagen zur Person (3,7%) <?page no="152"?> 152 Redners/ der Rednerin im jeweiligen Sach- und Themengebiet. Dies entspricht wiederum dem Inszenierungsprofil von Holly, Kühn und Püschel, nach dem Politiker/ Politikerinnen speziell in Hinblick auf politische Debatten stets zur Diskussion bereit und gut vorbereitet sein müssen. 102 So wirft die grüne Zwischenruferin im folgenden Beispiel der Rednerin vor, sie habe das Programm nicht gelesen und sich daher augenscheinlich nicht genug mit dem anstehenden Sitzungspunkt befasst: Abg. Heinisch-Hosek [SPÖ]: […] Wären Sie in der Regierung, könnten Sie das umsetzen. In Oberösterreich haben Sie es leider auch nicht gemacht. (Abg. Sburny [Grüne]: Sie haben das Programm nicht gelesen! Sie wissen nicht einmal, was in Ihrem Programm steht! ) 103 Indem sich die Zwischenruferin in diesem Beispiel eine größere Sachkompetenz beimisst, als sie der Rednerin zuschreibt, wird die Norm der Gleichberechtigung verletzt. Normalerweise werden solch gravierende Imageverletzungen vermieden oder in irgendeiner Weise abgeschwächt 104 (siehe dazu auch Abschnitt 10.1). In den untersuchten Zwischenrufen ist dies nie der Fall, ganz im Gegenteil. Neben Redeunterbrechungen an und für sich ist die Diskreditierung des Gegners/ der Gegnerin ein eindeutiges Indiz für forcierte, d.h. auf Aggression und Druck ausgelegte, Gesprächssituationen. 105 Sehr oft wird der Redner/ die Rednerin auch als unpassend empfunden, als jemand, den man nicht ernstnehmen könne, und als politischer Umfaller/ Umfallerin, wie in den folgenden Debattenausschnitten: Bundesministerin Kdolsky [ÖVP]: […] Herr Klubobmann Westenthaler, lassen Sie mich noch etwas Persönliches sagen: Ich werde mich hier nicht einer Diskussion stellen, ob ich kinderlieb bin oder nicht (Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Sollten Sie aber! Sie sind Familienministerin! ) 106 Abg. Mag. Rossmann [Grüne]: […] So aber warten wir immer noch auf die konkreten Inhalte des Doppelbudgets 2007/ 2008. Was wir heute darüber wissen, verheißt nichts Gutes. (Abg. Großruck [ÖVP]: Fangen Sie nicht zu weinen an! ) 107 Präsident Dr. Spindelegger [ÖVP]: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Mag. Gaßner. 4 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. - Bitte, Sie sind am Wort. (Abg. Dr. Haimbuchner [FPÖ] - in Richtung des sich zum Redner- 102 Vgl. Holly/ Kühn/ Püschel, zit. in: Kühn 1995, 206ff. 103 14. Sitzung, 84. 104 Vgl. Brinker 1996, 120. 105 Vgl. Kallmeyer/ Schmitt 1996, 22. 106 20. Sitzung, 70. 107 14. Sitzung, 14. <?page no="153"?> 153 pult begebenden Abg. Mag. Gaßner [SPÖ] -: Tun Ihnen die Knie nicht schon weh vor lauter Umfallen? ) 108 Kritische Aussagen zu Personen sind natürlich nicht auf Zwischenrufe beschränkt, sondern finden sich auch in den Reden. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die mit Personen verbundenen Prädikationen in den Plenarreden, die durch Zwischenruf unterbrochen werden und damit jene Prädikationskategorien in Hinblick auf Personen darstellen, die vom Plenum am wenigsten unkommentiert hingenommen werden (Tabelle 8). Tabelle 8: Top 5-Prädikationskategorien im Redebeitrag zu Personen mit Zwischenrufreferenz (N = 181 Prädikationen) Lesebeispiel: Von 181 Prädikationen in Redeaussagen zu Personen mit Zwischenrufreferenz sind 69,6 Prozent kritisch gegenüber der Person und werfen ihm/ ihr in 11 Prozent der Fälle Verwicklungen vor. Deutlich wird zunächst, dass Kritik an Personen viel häufiger zu Zwischenrufen führt als Lob. Trotzdem bleiben auch lobende Worte nicht 108 28. Sitzung, 221. Themenkategorien Prädikationskategorien in Prozent der Prädikationen Verwicklungen 11,0% Unrechtmäßigkeit 9,4% Unkenntnis 6,1% nicht ernstzunehmen 5,5% Unkooperativität 3,9% Kompetenz 5,0% Entlastung 2,8% Rechtmäßigkeit 2,8% Tätigkeit 2,8% Kenntnis 2,2% Zuständigkeit 1,7% Abwesenheit 0,6% Glaubwürdigkeit 0,6% Verhalten 0,6% Kritik an der Person (69,6%) Lob für die Person (26,5%) neutrale Aussagen zur Person (3,9 %) <?page no="154"?> 154 ohne Reaktion. Diese werden sowohl positiv verstärkt als auch negativ kommentiert, wie die folgenden beiden Beispiele zeigen: Abg. Mag. Trunk [SPÖ]: […] Zweiter Punkt: Zu den Ausführungen des Kollegen Auer: Diese Bundesregierung, und ganz besonders der Bundeskanzler, haben neben einem Kurswechsel auch so etwas wie eine neue politische Kultur des Umgangs in Aussicht gestellt. Herr Kollege Auer, bei aller Wertschätzung - er ist nicht da, aber Sie werden es ihm sagen; wir kennen uns schon lange aus dem Budgetausschuss, und ich denke, da sind gegenseitiger Respekt und Achtung vorhanden -: Es macht wenig Sinn (Abg. Steibl [ÖVP]: Auer macht eine gute Arbeit, einer der Besten! ) 109 Abg. Mag. Stadler [FPÖ]: […] Aber der Herr Wiederwohl schreibt auch ... (Abg. Murauer [ÖVP]: Widerling! ) - Das ist kein Widerling, das ist ein sehr, sehr ernstzunehmender, anständiger Zeuge gewesen! (Abg. Murauer [ÖVP]: Ein Widerling! ) 110 Bei kritischen Aussagen zu Personen sind es Prädikationen, die eine Person mit illegalen Geschäften in Verbindung bringen, die die meisten Zwischenrufe nach sich ziehen, gefolgt vom Vorwurf der Unrechtmäßigkeit gesetzter Handlungen. Dahinter liegt die in den Zwischenrufen am häufigsten thematisierte kritische Zuschreibung von Unkenntnis in wichtigen politischen Belangen. Interessant ist auch der Vorwurf, ein politischer Akteur/ eine politische Akteurin könne nicht ernstgenommen werden, der sehr oft mit zu hoher Emotionalität begründet wird, wie im folgenden Redeausschnitt des Verteidigungsministers Norbert Darabos, in dem dieser seinen Amtsvorgänger Herbert Scheibner vom BZÖ als sehr emotional charakterisiert: Bundesminister Mag. Darabos [SPÖ]: […] Herr Kollege Westenthaler, ich werde versuchen, die Emotion herauszunehmen. Mein Vorvorgänger ist sehr emotional, das verstehe ich, da er dann in der letzten Regierung diese Funktion nicht mehr ausüben durfte, die er so gerne ausgeübt hat. Ich sage in aller Kürze ... (Abg. Scheibner [BZÖ]: Im Gegensatz zu Ihnen! - Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Er hat seinen Wehrdienst abgeleistet - im Gegensatz zu Ihnen! ) 111 Vorwürfe dieser Art werden meistens in weiteren Zwischenrufen als für den parlamentarischen Raum inakzeptabel zurückgewiesen. So auch im folgenden Beispiel, wo Bundesminister Erwin Buchinger ähnlich wie zu- 109 14. Sitzung, 34. 110 28. Sitzung, 64. 111 20. Sitzung, 176. <?page no="155"?> 155 vor Verteidigungsminister Darabos die Zwischenruferin als zu emotional abstempelt: Bundesminister Buchinger [SPÖ]: […] Eine Besonderheit dieser Internet- Kriminalität ist es ja, dass durch die weite Verbreitung des Internets in bereits relativ kurzer Zeit sehr viel an zwar kleinen Geldbeträgen, aber in der Masse an großen Beträgen abgeschöpft werden kann, die nach der derzeitigen Rechtslage, mit Unterlassung, nicht rückwirkend in Form einer Gewinnabschöpfung dieser unlauter erzielten Gewinne dann wieder zurückgenommen werden können. Das wäre etwas, wo Sie Ihre Energien, Ihre Emotionen, Frau Kollegin, für eine gute Initiative sinnvoll bündeln könnten. (Abg. Steibl [ÖVP]: Herr Minister! - Abg. Rädler [ÖVP]: Es ist Frauentag! - Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.) 112 Schank geht nun davon aus, dass jeder Sprecher/ jede Sprecherin ein bevorzugtes Reservoir an Themen besitzt, auf die er/ sie im jeweiligen Gespräch zurückgreift. 113 Die folgenden tabellarischen Aufstellungen symbolisieren den thematischen Fingerabdruck der ersten drei Abgeordneten aus dem Ranking: Peter Westenthaler, damaliger Obmann des BZÖ, FPÖ- Obmann Heinz-Christian Strache und Ridi Steibl, langjährige ÖVP- Nationalratsbgeordnete. Diese drei Nationalratsmitglieder wurden deshalb exemplarisch für die Analyse ausgewählt, weil sie von allen Zuhörern/ Zuhörerinnen im Plenum die Redner/ Rednerinnen an den untersuchten Sitzungstagen am häufigsten unterbrechen, wodurch die quantitative Auswertung auf eine breitere Basis gestellt werden kann. Die folgende Tabelle (Tabelle 9) zeigt zunächst die Themenpräferenz des damaligen BZÖ-Obmanns Peter Westenthaler auf Mesostrukturebene und soll einen Einblick geben, in wieweit sich der orange Frontmann in seinen Einwürfen eher auf die sachliche Ebene bezieht oder eher auf die involvierten Akteure eingeht bzw. auf die metakommunikative Ebene wechselt. Die tabellarische Übersicht zeigt hier bei Peter Westenthaler eine deutliche Präferenz für kritische Aussagen zur Person, die mit 32,2 Prozent fast ein Drittel aller Aussagen in den Zwischenrufen des BZÖ-Obmannes ausmachen. Goffmans Charakterisierung des persönlichen Themenpools als sicher und nicht-offensiv 114 besitzt in Zusammenhang mit parlamentarischen Zwischenrufen in diesem Fall somit wohl keine Gültigkeit. 112 14. Sitzung, 180f. 113 Vgl. Schank 1981, 35. 114 Vgl. Goffman, zit. in: Schank 1981, 35. <?page no="156"?> 156 Tabelle 9: Pro- und Contra-Themenkategorien der Zwischenrufe des Abg. Ing. Peter Westenthaler (N = 121 Zwischenrufaussagen) Lesebeispiel: Von 121 Zwischenrufaussagen des Abgeordneten Peter Westenthaler sind 13,2 Prozent Kritik an der Geschäftsordnung. Die von Peter Westenthaler bevorzugten Prädikationen (N = 121 Zwischenrufprädikationen) bestätigen auch auf der Mikroebene dieses erste Ergebnis: Am häufigsten diffamiert Peter Westenthaler Personen, indem er behauptet, sie seien nicht ernstzunehmen (8,3 Prozent seiner Zwischenrufprädikationen) und daher irrelevant für die politische Diskussion. Sehr häufig geschieht dies durch ironisierende Untergriffe, wie hier: Vizekanzler Mag. Molterer [ÖVP]: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich auf das Budgetbegleitgesetz eingehe, Herr Kolleg Westenthaler, nur einige Sätze zu dem, was Sie hier von sich gegeben haben - denn eine „parlamentarische Rede“ würde ich das qua Definition noch nicht nennen -: Sie überschätzen sich etwas! (Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Oberlehrer auf der Regierungsbank! ) 115 Weitere typische Prädikationsmuster des orangen Bündnisobmanns umfassen Zweifel an den Aussagen des Redners/ der Rednerin (7,4 Prozent seiner Zwischenrufprädikationen), dazu folgender Zwischenruf: 115 20. Sitzung, 48. Themenkategorien in Prozent der Zwischenrufaussagen neutrale Aussagen zur Geschäftsordnung 0,8% Kritik an der Geschäftsordnung 13,2% Lob für die Geschäftsordnung 1,7% Kritik an der Institution 0,8% Kritik am Redebeitrag 21,5% Lob für den Redebeitrag 4,1% neutrale Aussagen zur Partei 0,8% Kritik an der Partei 9,1% Lob für die Partei 2,5% neutrale Aussagen zur Person 1,7% Kritik an der Person 32,2% Lob für die Person 3,3% Kritik an der Sachlage 8,3% gesamt 100,0% <?page no="157"?> 157 Präsident Dr. Spindelegger [ÖVP]: Zur Frage des inhaltlichen Zusammenhanges im Sinne des § 55 der Geschäftsordnung ist dieses ein sehr weiter Zusammenhang, aber er steht in einem gewissen Zusammenhang. (Ironische Heiterkeit beim BZÖ.) Ich habe mich erkundigt und darf sagen: Die bisherige Praxis war die, dass man hier sehr großzügig vorgegangen ist. (Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Können Sie das begründen? ) 116 Daneben finden sich auch Beschwerden in Richtung des Nationalratspräsidenten/ der Nationalratspräsidentin, der Redner/ die Rednerin würde nicht zur Sache sprechen und müsste daher das Rederecht abgeben (5,8 Prozent seiner Zwischenrufprädikationen). Der Vergleich mit dem blauen Parteiobmann Heinz-Christian Strache zeigt nun sowohl deutliche Parallelen als auch Unterschiede (Tabelle 10). Tabelle 10: Pro- und Contra-Themenkategorien der Zwischenrufe des Abg. Heinz-Christian Strache (N = 115 Zwischenrufaussagen) Lesebeispiel: In 2,6 Prozent von 115 Zwischenrufaussagen äußert sich der Abgeordnete Heinz-Christian Strache kritisch zur Geschäftsordnung. 116 28. Sitzung, 236. Themenkategorien in Prozent der Zwischenrufaussagen Kritik an der Geschäftsordnung 2,6% Kritik an der Institution 1,7% Lob für die Institution 1,7% Kritik am Redebeitrag 13,0% Lob für den Redebeitrag 4,3% neutrale Aussagen zur Partei 0,9% Kritik an der Partei 26,1% neutrale Aussagen zur Person 0,9% Kritik an der Person 26,1% Lob für die Person 0,9% neutrale Aussagen zur Sachlage 0,9% Kritik an der Sachlage 17,4% Lob für die Sachlage 3,5% gesamt 100,0% <?page no="158"?> 158 Auch Heinz-Christian Strache zeigt einen deutlichen Hang zu personenspezifischer Diffamierung, doch ebenso häufig sind Parteien Ziel seiner Kritik. Mehr als die Hälfte der Zwischenrufaussagen ist somit darauf ausgerichtet, den politischen Gegner/ die politische Gegnerin, sei es Person oder Partei in den Augen der Wählerschaft zu stigmatisieren. Ein weiteres Drittel der Aussagen in den Zwischenrufen des blauen Parteiobmanns sind kritische Kommentare zu Sachlagen und Redebeiträgen. Die von Strache am häufigsten gewählten Prädikationen auf der Mikrostrukturebene zeichnen hingegen ein etwas anderes Bild (N = 115 Zwischenrufprädikationen). Am häufigsten äußert sich Heinz-Christian Strache, indem er bestimmte politische Sachlagen, vor allem Entscheidungen der Regierung als (finanzielle) Belastung für die Bevölkerung darstellt (7,8 Prozent seiner Zwischenrufprädikationen), wie auch im nachstehenden Debattenausschnitt: Bundesminister Mag. Darabos [SPÖ]: […] Die Abgeordneten, die mit Ihnen im Untersuchungsausschuss gemeinsam gearbeitet haben, haben dafür gesorgt, dass diese Einsparung von 400 Millionen € überhaupt erst möglich geworden ist, denn sie haben Dinge zutage gebracht, die einfach dazu geführt haben, dass Eurofighter überhaupt erst in eine Vertragsverhandlung mit mir eingetreten ist. (Beifall bei der SPÖ. - Abg. Strache [FPÖ]: Das ist ja keine Einsparung! Das sind ja Mehrkosten in Wirklichkeit! ) 117 Doch auch bei ihm finden sich stark offensiv ausgerichtete Zwischenrufe, speziell in Hinblick auf Personen und Parteien. So werden Erstere sehr gerne von ihm als politische Umfaller stigmatisiert (7,0 Prozent seiner Zwischenrufprädikationen), während Zweitere und hier im Speziellen die ÖVP beschuldigt werden, zu wenig für die Sicherheit Österreichs zu unternehmen (6,1 Prozent seiner Zwischenrufprädikationen). Dazu zwei Beispiele: Abg. Dolinschek [BZÖ]: […] Außerdem wäre es so gewesen, dass bei den beabsichtigten 18 Flugzeugen die letzte Rate wahrscheinlich im Jahr 2014 zu zahlen gewesen wäre, und im Jahr 2014 werden sie schon mit dem Nächsten anfangen müssen, wo man wiederum aus dem Heeresbudget etwas hernimmt. (Abg. Strache [FPÖ]: Herr Kollege, was ist mit dem Haider damals passiert? Er wollte die Eurofighter nicht! Er hat ja plakatiert: Eurofighter abbestellen! ) 118 Abg. Dr. Sonnberger [ÖVP]: […] Geschätzte Damen und Herren! Die ÖVP ist immer für die Luftraumüberwachung eingetreten. Auch in Zeiten, in denen es 117 28. Sitzung, 52. 118 28. Sitzung, 86. <?page no="159"?> 159 weniger populär war, stand die ÖVP zur Luftraumüberwachung und zur Sicherheit in diesem Lande. (Beifall bei der ÖVP. […] Abg. Strache [FPÖ]: Die Sicherheit am Boden gefährden Sie! ) 119 Die Abgeordnete der ÖVP Ridi Steibl ist das letzte Nationalratsmitglied, dessen thematische Präferenzen beleuchtet werden sollen (Tabelle 11). Tabelle 11: Pro- und Contra-Themenkategorien der Zwischenrufe der Abg. Ridi Steibl (N = 66 Zwischenrufaussagen) Lesebeispiel: In 15,2 Prozent von 66 Zwischenrufaussagen äußert sich die Abgeordnete Ridi Steibl kritisch zur Geschäftsordnung. Im Gegensatz zu ihren Parlamentskollegen kritisiert Ridi Steibl weniger Personen und Parteien als vielmehr die kommunikativen Abläufe im Parlament, indem sie in beinahe der Hälfte ihrer Aussagen auf der Mesostrukturebene kritisch zu den Redebeiträgen oder zur Geschäftsordnung Stellung nimmt. Erst an dritter Stelle folgen kritische Äußerungen zur Person. Die Analyse der Prädikationskategorien auf Mikrostrukturebene spiegelt die eher auf metakommunikative Kommentare ausgerichtete Haltung der schwarzen Abgeordneten ebenso wider (N = 66 Zwischen- 119 28. Sitzung, 81. Themenkategorien in Prozent der Zwischenrufaussagen Kritik an der Geschäftsordnung 15,2% neutrale Aussagen zur Institution 6,1% neutrale Aussagen zum Redebeitrag 1,5% Kritik am Redebeitrag 33,3% Lob für den Redebeitrag 3,0% neutrale Aussagen zur Partei 1,5% Kritik an der Partei 7,6% Lob für die Partei 4,5% neutrale Aussagen zur Person 3,0% Kritik an der Person 13,6% Lob für die Person 1,5% neutrale Aussagen zur Sachlage 1,5% Kritik an der Sachlage 3,0% Lob für die Sachlage 4,5% gesamt 100,0% <?page no="160"?> 160 rufprädikationen): So gelten der Geschäftsordnung jene Prädikationen, derer sich Ridi Steibl am häufigsten bedient, indem sie fehlende Themenkohärenz und damit formelle Fehler beim Präsidenten/ der Präsidentin einklagt (12,1 Prozent ihrer Zwischenrufprädikationen), wie auch in diesem Fall: Präsidentin Dr. Glawischnig-Piesczek [Grüne]: […] Wer stimmt dem Antrag auf Herbeiziehung des zuständigen Ministers zu? - Das ist die Minderheit und damit abgelehnt. Wir setzen in der Debatte fort. Als erster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Grünewald. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 6 Minuten. - Bitte. (Abg. Steibl [ÖVP]: Das ist kein Geschäftsordnungsantrag, Frau Präsident! Unglaublich! - Weitere heftige Zwischenrufe bei der ÖVP.) 120 Ihr zweitwichtigster Kritikpunkt betrifft weniger den Geschäftsablauf als den Stil des Redebeitrags, indem sie diesen als für den parlamentarischen Raum unpassend ausweist (9,1 Prozent ihrer Zwischenrufprädikationen), wie folgender Ausschnitt beispielhaft zeigt: Abg. Zwerschitz [Grüne]: […] Apropos Hort Familie, das wunderbare Leben in der Familie: Wahrscheinlich ist deswegen die Gewaltrate in der Familie so hoch (Abg. Steibl [ÖVP]: Entschuldigung, haben Sie eine Familie? ), weil Kinder dort sicher die allerbeste Betreuungsmöglichkeit haben. (Beifall bei den Grünen. - Abg. Steibl [ÖVP]: Das ist eine Beschimpfung der Familie! Das ist eine Frechheit! - Weitere Zwischenrufe. - Präsidentin Mag. Prammer gibt das Glockenzeichen.) 121 Welche Themen sich im persönlichen Repertoire eines Sprechers/ einer Sprecherin befinden, ist, so Schank, von verschiedenen sozialen Faktoren abhängig, wie etwa beruflicher Stellung, sozialer Situation usw. 122 Die Daten von drei Sitzungstagen sind jedoch bei weitem nicht ausreichend, um gesicherte Angaben zu den Themen- und Prädikationsmustern der drei Abgeordneten machen zu können. Um dies zu bewerkstelligen bedarf es langfristiger Beobachtung und eines größeren, personenspezifischen Datenpools, der durch die vorliegende Arbeit aber nicht geleistet werden kann. Der Überblick über die Themen- und Prädikationspräferenzen ist daher stets auf die drei Sitzungstage mit ihren spezifischen Tagesordnungspunkten zurückzuführen und kann nur einen kleinen Einblick in die Möglichkeiten der Textanalyse für die Gesprächslinguistik geben. 120 14. Sitzung, 56. 121 14. Sitzung, 94. 122 Vgl. Schank 1981, 35. <?page no="161"?> 161 9 Semantik der Rede-Zwischenruf-Sequenzen In den folgenden Abschnitten werden einzelne Aspekte herausgegriffen, die unter anderem für die Bewertung der Zwischenrufe als (un)konstruktives Element der parlamentarischen Debatte von besonderer Bedeutung sind. Zunächst werden jene Einwürfe in Augenschein genommen, die weniger den thematischen Inhalt als den Redebeitrag selbst zum Ziel haben, da in ihnen die parlamentarischen Reden von Seiten der Abgeordneten selbst sprachreflexiv thematisiert werden. Daraufhin folgt eine genauere Untersuchung all jener Zwischenrufe, die Aussagen zu Personen treffen und damit über Referenz und wertende Attribuierungen Aufschluss über das (un)kooperative Mit- und Gegeneinander der Abgeordneten im Nationalrat geben. Zuletzt soll im Rahmen einer semantischen Untersuchung von Rede und Zwischenruf analysiert werden, welche sprachstrategischen Manipulationen im Sinne des Begriffe-Besetzens direkte Reaktionen im Plenum auslösen. Zu Beginn soll jedoch noch kurz auf die Bedeutung von Leerstellen für die Zwischenruf-Semantik eingegangen werden. 9.1 Ellipsen Augenfälligstes Merkmal der Zwischenrufe ist die verkürzte Sprechweise, die vor allem über Ellipsen realisiert wird. Neben elliptischen „Kurzzurufen“ 1 , die häufig aus Interjektionen bestehen, findet Burkhardt in seiner Monographie zum Zwischenruf im deutschen Bundestag eine Reihe weiterer Formen, unter denen er die „Satzvollender“ 2 bzw. „Satzergänzer“ 3 als besonders typisch ansieht. 4 Er unterscheidet ein-, zwei-, drei- und mehrwortige Ellipsen, „wobei die letzteren vor allem als Subjektund/ oder Verbellipsen erscheinen.“ 5 Grundsätzlich wird in Ellipsen die Satzaussage auf den rhematischen Anteil reduziert, sämtliche thematischen Bezüge müssen vom Rezipienten/ von der Rezipientin über den größeren Text- und Gesprächszusammenhang, in den die Aussage eingebettet ist, 1 Burkhardt 2005, 92. 2 Burkhardt 2005, 92. 3 Burkhardt 2005, 92. 4 Vgl. Burkhardt 2005, 92. 5 Burkhardt 2004, 87. <?page no="162"?> 162 hergeleitet werden: 6 „Hier handelt es sich häufig um ‚Lücken‘, die an anderer Stelle im Text ‚ausgefüllt‘ werden bzw. bereits ausgefüllt worden sind.“ 7 Ellipsen können unterschiedliche Satzsegmente betreffen, solange der Sinn des Satzes bzw. die Intention des Einwurfs aus dem Kontext abgeleitet werden kann: 8 „Nahezu in jedem Ausmaß und in jeder Hinsicht sind jederzeit Verkürzungen möglich: der Sprecher kann z.B. einen Satz einfach an beliebiger Stelle abbrechen, wenn er sieht, dass der Partner bereits verstanden hat. In Interaktionen zwischen Mitgliedern von Kleingruppen ermöglicht das oft hohe Vorwissen über bestimmte Themen weitere Kürzungen und Verknappungen der Sprechweise. Durch Einbeziehung des wahrnehmbaren Situationskontextes kann ebenfalls z.B. bei der Prädikation mit verkürzten Hinweisen kommuniziert werden. Des Weiteren können Einzelinformationen implizit, also z.B. durch Schlüsse und Implikationen mitgeteilt werden, die zu ziehen man dem Teilnehmer überlässt.“ 9 In Dialogen geht es gerade nicht um grammatische Vollständigkeit, ganz im Gegenteil: Wohlgeformt sind dialogische Äußerungen dann, wenn sie situationsadäquat sind und „den Forderungen von Textkohäsion und kohärenz in für die Kommunikationsteilnehmer akzeptabler Weise“ 10 entsprechen. Indem Bekanntes im Gespräch nicht noch einmal wiederholt wird, stehen Ellipsen in direktem Zusammenhang zum Stand der Unterhaltung. 11 Wird gegen dieses Prinzip verstoßen und ein Satz unnötigerweise vollständig ausformuliert, so dient dies meist zur bewussten Akzentuierung. 12 „Dadurch wird der ursprünglich monologisch gedachte Satzbegriff zugleich dialogisch erweitert, denn was in monologischen Texten als unvollständig und daher zumeist als selbständige Äußerung inakzeptabel erscheint, kann in dialogischer Kommunikation, die durch Sprecher-Hörer- Rollenwechsel, zumindest aber durch das Vorhandensein von Rückmeldungsakten gekennzeichnet ist, durchaus als normal und angemessen empfunden werden.“ 13 6 Vgl. Coseriu 1994, 21. 7 Coseriu 1994, 21. 8 Vgl. Brinker 1992, 24. 9 Schank 1981, 128. 10 Burkhardt 2004, 86. 11 Vgl. van Dijk 1980, 37. 12 Vgl. Schwitalla 1994, 22f. 13 Burkhardt 2004, 86. <?page no="163"?> 163 Zwischenrufe sind hoch-kondensierte Gesprächsbeiträge, die in einem Minimum an Wörtern ein Maximum an Aussagekraft verpacken: „This is an obvious fact: since there is no opportunity for an ‚acceptable‘ access to a speech-turn, brevity is a prerequisite that they always satisfy.“ 14 Im folgenden Zwischenruf wird die gesamte Aussage des Zwischenrufers im Wort BAWAG verdichtet: Abg. Prähauser [SPÖ]: […] Meine Damen und Herren, einer der wirklich Schuldigen ist heute eigentlich selten genannt worden, der kesseste Finanzminister aller Zeiten - so hat er sich selbst nicht genannt, ein bisschen anders, aber ich darf ihn so bezeichnen -, der diesen Knebelungsvertrag aus finanzieller Sicht zu verantworten hat (Abg. Dr. Schüssel [ÖVP]: Ein sehr guter Minister! ), ein Minister, der zustimmt, einen Vertrag mit 4,48 Prozent Zinsen abzuschließen zu einem Zeitpunkt, wo man unter 3 Prozent in jeder Gemeinde hat finanzieren können. (Abg. Hornek [ÖVP]: Bei der BAWAG? ) Nicht bei der BA- WAG, sondern bei der P.S.K., und dort war Koren zu diesem Zeitpunkt zu Hause. 15 Der Skandal rund um die frühere Gewerkschaftsbank und damit SPÖnahe BAWAG, der die Wahl 2006 mitbeeinflusste, ist natürlich 2007 bei den Parlamentariern/ Parlamentarierinnen und der Regierung noch immer so gut in Erinnerung, dass die Nennung der Bank allein genügt, um sämtliche politische Implikationen abzurufen. BAWAG kann daher vom schwarzen Koalitionspartner unkommentiert in die Debatte geworfen werden, ohne daran zweifeln zu müssen, ob der implizierte Vorwurf ankommt oder nicht. Der Direktheitsgrad ändert sich daher weniger mit der Ausdrucksseite der Aussage als mit dem (außersprachlichen) Wissensstand und der Deduktionskapazität der Rezipienten/ Rezipientinnen. 16 Es liegt folglich in der Verantwortung des Sprechers/ der Sprecherin, die Fähigkeiten des Gegenübers richtig einzuschätzen und seine/ ihre Aussagen dementsprechend mit Information zu füllen. Der relevante Kontext für die Klärung elliptischer Textsegmente ist in Gesprächen nicht nur auf den Textzusammenhang einzugrenzen, sondern umfasst auch das situationsspezifische, außersprachliche Umfeld im Moment der Sprechhandlung. 17 Dazu folgende Rede-Zwischenruf-Sequenz während der Debatte zur Erbschaftssteuer, bei der der Zwischenrufer den Redner auf das eigentliche Thema der Tagesordnung und damit auf seinen Versprecher aufmerksam macht: 14 Carbó 1992, 32. 15 28. Sitzung, 83f. 16 Vgl. Sacks, zit. in: Schank 1981, 128. 17 Vgl. Coseriu 1994, 20. <?page no="164"?> 164 Abg. Steindl [ÖVP]: […] Abschließend vielleicht auch noch einige Worte zur Vermögenssteuer: Herr Staatssekretär! Ich bin gerade mit einem Fall der Vermögenssteuervorschreibung befasst. Im Bundesland Salzburg, in der Stadt Salzburg hat einer meiner Verwandten von seinem Stiefvater eine (Staatssekretär Dr. Matznetter [SPÖ]: Erbschaftssteuer! ) - ja, nicht Vermögenssteuer, sondern Erbschaftssteuer; ich wollte zur Erbschaftssteuererklärung Stellung nehmen - Liegenschaft geschenkt bekommen. 18 Manchmal bleibt als Schlüssel zur Lösung des elliptischen Rätsels nur mehr der Rückgriff auf die Griceschen Grundmaximen, indem „man als Funktion der Äußerung die Bewertung des beschriebenen Verhaltens annimmt, weil für die neutrale Information über den Sachverhalt im gegebenen Zusammenhang keinerlei Relevanz oder Informativität erkennbar ist.“ 19 Als Beispiel dient der folgende Debattenausschnitt: Abg. Mag. Lapp [SPÖ]: […] Allein die Arbeit des Untersuchungsausschusses hat dazu geführt, dass Minister Darabos einen sehr hervorragenden Vergleich für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Österreich erzielen konnte. Ein herzliches Dankeschön dafür! (Beifall bei der SPÖ. - Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Leseübung! ) 20 Der Einwurf kritisiert wohl die Sprechhandlung der Rednerin insofern, als diese ihren Redebeitrag nicht frei gestaltet, sondern ihre Rede vermutlich vom Blatt herunterliest, womit sie gegen die parlamentarische Etikette verstößt. Ein ähnlicher Zwischenruf findet sich interessanterweise auch bei Burkhardts Analyse der Zwischenrufe im deutschen Bundestag, indem eine Rednerin mit dem Zuruf „Lesen Sie mal ein bisschen schneller ab“ 21 aus dem Konzept gebracht werden soll. Laut Burkhardt sind Einwürfe, die unterstellen, die Rede sei nicht selbst geschrieben, typisch für Zwischenrufe während der Ausführungen weiblicher Abgeordneter, 22 denen dadurch die entsprechende Kompetenz abgesprochen wird. 23 In den folgenden Abschnitten wird, um den Faden der thematischen Analyse (siehe dazu Kapitel 8) aufzunehmen und ihn auch semantisch weiterzuspinnen, parallel zum Aufbau der Textanalyse einerseits auf das in metakommunikativen Zwischenrufen ausgedrückte Sprachbewusstsein der Abgeordneten eingegangen und andererseits die Wortwahl jener 18 14. Sitzung, 37. 19 Dieckmann 2005b, 96. 20 28. Sitzung, 87. 21 Burkhardt 1992, 305. 22 Vgl. Burkhardt 1992, 304. 23 Vgl. Burkhardt 1992, 297. <?page no="165"?> 165 Einwürfe genauer betrachtet, in denen Aussagen zu Personen getroffen werden. 9.2 Metasprachliche Elemente Metasprache ist nicht auf die wissenschaftliche Beschäftigung mit Sprache beschränkt, sie ist eine Erscheinung des alltäglichen Sprachhandelns und sichert dort - im Unterschied zur linguistischen Untersuchung meist unbewusst - das gegenseitige Verstehen. 24 Während dies im Alltag zum Ausräumen von Missverständnissen dient, versucht der politische Sprecher/ die politische Sprecherin durch metasprachliche Aussagen Ziele oder Standpunkte zu relativieren, eigene Begriffe zu prägen und das Sprachverhalten des Gegners/ der Gegnerin zu diskreditieren. 25 Sprachthematisierungen im öffentlichen Bereich haben damit zumeist einen praktischen Handlungshintergrund: 26 Sie stellen den Versuch dar, „normierend oder auch lenkend auf den Sprachgebrauch anderer einzuwirken, um Bezeichnungen, die als pejorativ empfunden werden, zu verdrängen bzw. sie durch die eigene Normforderung zu ersetzen.“ 27 Im öffentlich-politischen Sprecherumfeld reagiert man daher höchst sensibel auf den Sprachgebrauch: „Die auch bei linguistischen Laien zunehmende Sensibilisierung für den Umgang mit Sprache in ihrer Eigenschaft als Medium zur Durchsetzung persönlicher, gruppenspezifischer oder öffentlicher Zielsetzungen findet ihren Niederschlag im vermehrten Auftreten sprachlicher Auseinandersetzungen über konkrete Äußerungen bestimmter Sprecher. Auf diese Weise äußern sich sachliche Differenzen sehr oft in Differenzen des Sprachgebrauchs; umgekehrt dienen solche Diskussionen um Bezeichnungen häufig als Mittel der Auseinandersetzung um ihre Inhalte und Bedeutungen.“ 28 Der Kritiker/ die Kritikerin bezieht sich laut Dieckmann dabei auf Normen, d.h. auf Erwartungen, aufgrund derer die Sprachgemeinschaft das kommunikative Verhalten der Mitglieder (mehr oder weniger) übereinstimmend als „richtig/ angemessen“ 29 bzw. „fehlerhaft/ unangemessen“ 30 24 Vgl. Schulte 2002, 57f. 25 Vgl. Schulte 2002, 77f. 26 Vgl. Schulte 2002, 77f. 27 Schulte 2002, 89. 28 Schulte 2002, 77. 29 Dieckmann 2005b, 84. 30 Dieckmann 2005b, 84. <?page no="166"?> 166 beurteilt. 31 Diese normativen Grundlagen werden in Vorwürfe gekleidet, die weniger reflektiert im Sinne grammatischen und pragmatischen Sprachwissens verwendet werden, als dass sie vielmehr direkte Bewertungen im Sinne metasprachlicher Verurteilungen darstellen. 32 Besonders inakzeptable Formulierungen werden im Nationalrat über Ordnungsrufe abgestraft. Mit dem formellen Ruf Zur Ordnung werden Debattenbeiträge immer dann sanktioniert, „wenn jemand, der zur Teilnahme an den Verhandlungen des Nationalrates berechtigt ist, den Anstand oder die Würde des Nationalrates verletzt, beleidigende Äußerungen gebraucht oder Anordnungen des Präsidenten nicht Folge leistet.“ 33 Wiederholte Ordnungsrufe können zum Verlust des Rederechts für die gesamte Sitzung führen 34 und sowohl Aussagen innerhalb einer Rede als auch Zwischenrufe betreffen. Das Verlangen eines Ordnungsrufs ist ein expliziter Hinweis darauf, dass ein bestimmter Ausdruck für den parlamentarischen Raum als unzulässig anzusehen ist. Im folgenden Beispiel wird der juridische Ausdruck vorsätzlicher Verfassungsbruch zum Auslöser für die wiederholte Forderung nach einem Ordnungsruf von Seiten des ÖVP-Parteiobmanns Wolfgang Schüssel: Abg. Dr. Pilz [Grüne]: Für Sie ist unter Bundeskanzler Schüssel - bedauerlicherweise - der ständige und vorsätzliche Verfassungsbruch zu einem ganz normalen Mittel der Politik geworden. (Neuerlicher Beifall bei den Grünen. - Zwischenrufe bei der ÖVP.) Genau an diesem Punkt sind wir. (Abg. Dr. Schüssel [ÖVP]: Frau Präsidentin, „vorsätzlicher Verfassungsbruch“, ist das kein Ordnungsruf? ). 35 Sprachthematisierungen können unterschiedliche Formen annehmen und werden über verbale und para-verbale Marker ausgedrückt. 36 Böke unterscheidet vier Arten expliziter Sprachthematisierung: Remotivierung (Rückführung auf die „eigentliche“ Bedeutung), Distanzierungszeichen (Anführungszeichen usw.), Definition (explizite Bedeutungsdeterminierung) und Aufforderung zur Vermeidung eines Wortes, indem es als unangemessen oder sein Gebrauch als falsch oder missverständlich be- 31 Vgl. Dieckmann 2005b, 84. 32 Vgl. Dieckmann 2005b, 84. 33 Parlamentsdirektion 2009, 61. 34 Vgl. Parlamentsdirektion 2009, 61. 35 20. Sitzung, 134. 36 Vgl. Schulte 2002, 51. <?page no="167"?> 167 zeichnet wird. 37 Wengeler klassifiziert argumentative metasprachliche Äußerungen spezifisch nach verschiedenen Arten der „Berufung“: So kann sich der politische Sprecher/ die politische Sprecherin unter anderem auf Wortverwendungskonventionen berufen (Remotivierung, Etymologie, Wörterbuch usw.) oder auf die referenzielle Funktion der Ausdrücke (Richtigkeit, Vagheit, Einseitigkeit usw.). 38 Um auf eine unkorrekte Wortverwendung und auf fehlerhafte Referenz hinzuweisen, wird die fragliche Formulierung im Zwischenruf meist wiederholt bzw. mittels Pronomen wiederaufgenommen und in Form einer Frage zur weiteren Klärung an den Redner/ die Rednerin zurückgeschickt. Bei diesen Wiederholungen geht es, so Zima, Brône und Feyaerts, auch darum, den Gegenspieler/ die Gegenspieler ideologisch zu verorten: „Apart from seeking to exploit and to reinterpret the meaning of previously uttered expressions, another motivation for MPs to echo each other is to (re)negotiate the meaning of concepts whereby the MPs position themselves and their interlocutors in the ideological frame […].“ 39 Bei den folgenden beiden, exemplarisch ausgewählten Beispielen wird der Redner/ die Rednerin in den Zwischenrufen aufgefordert, die Extension des verwendeten Wortes im Sinne der referentiellen Funktion Wengelers einzugrenzen. In diesen Fällen wird über die verständnissichernde Nachfrage des Zwischenrufers/ der Zwischenruferin die Wortwahl des Redners/ der Rednerin (Verletzungen, Frauenbild) indirekt als zu vage kritisiert, als absichtliche Verschleierung unangenehmer Zusammenhänge bzw. als Deckmantel für fragwürdige politische Einstellungen: Abg. Dipl.-Ing. Klement [FPÖ]: Wenn wir heute die Problemkreise der Jugend ansehen, sehen wir auch eine unglaubliche Zunahme an Kriminalität, sinkende Hemmschwellen; ohne Weiteres ist eine Bereitschaft da, Gleichaltrige, auch Ältere, brutal niederzuschlagen, auf sie einzudreschen. Es gib die Bereitschaft, auch selbst Verletzungen in Kauf zu nehmen, Orientierungslosigkeit, Visionslosigkeit und eine tiefe Sinnkrise. (Abg. Öllinger [Grüne]: Wie ist das mit...? Meinen Sie Schmisse mit „Verletzungen“? ) 40 Abg. Dr. Belakowitsch-Jenewein [FPÖ]: […] Aber ein wichtiges Thema der Frauenpolitik - und das lassen gerade die Grünen gerne unter den Tisch fallen, weil es ihrem heilen Multikulti-Weltbild widerspricht - ist die Zuwanderung. Gerade diese schrankenlose Zuwanderung in den letzten Jahrzehnten hat dazu geführt, dass in Österreich wieder ein Frauenbild Einzug gehalten hat, das wir 37 Vgl. Böke 1996, 47f. 38 Vgl. Wengeler, zit. in: Schulte 2002, 86f. 39 Zima/ Brône/ Feyaerts 2010, 153. 40 28. Sitzung, 162. <?page no="168"?> 168 im 21. Jahrhundert eigentlich nicht mehr brauchen. (Beifall bei der FPÖ. - Abg. Heinisch-Hosek [SPÖ]: Was ist das für eines? ) 41 Mehrfachadressierung ist konstitutiv für die politische Rede 42 und durch die Verwendung vager Ausdrücke werden sehr oft die Probleme, die sich aus der Pluralität der Adressaten/ Adressatinnen ergeben, umschifft. 43 Vagheit ist dann der Fall, „wenn die Bedeutung eines Ausdrucks (langue- Ebene) ein breites Spektrum konkretisierender Vorstellungen (parole- Ebene) eröffnet, die durch die Bedeutung selbst, also auf der langue- Ebene, nicht abgegrenzt sind.“ 44 Durch den kritischen Verweis auf die Vagheit eines Wortes kann der Zwischenrufer/ die Zwischenruferin im Umkehrschluss auch seine/ ihre bessere Kenntnis des Sachverhalts implizieren. Auch der Hinweis auf die Einseitigkeit eines Wortes ist eine Möglichkeit, wie der Gesprächspartner/ die Gesprächspartnerin sein/ ihr besseres Verständnis der Sachlage ausdrücken kann; er/ sie kann den gegnerischen Ausdruck ebenso als verwirrend darstellen, indem er nur die Wahrheit verschleiern würde, oder behaupten, er entspräche nicht der Realität. 45 So verwehren sich etwa im folgenden Beispiel sowohl BZÖ als auch ÖVP dagegen, man wolle den Verteidigungsminister parlamentarisch unter Druck setzen, indem sie den Vorwurf als nicht dem parlamentarischen Verständnis entsprechend und damit als überzogen charakterisieren: Bundesminister Mag. Darabos [SPÖ]: […] Ich werde in den nächsten Wochen darum kämpfen, dass die österreichischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler eine Verbilligung dieses Vertrags auch sichtbar vor Augen geführt bekommen werden, egal, unter welchen Druck Sie mich parlamentarisch setzen wollen, unter welchen Druck mich Eurofighter und EADS setzen möchten. (Abg. Scheibner [BZÖ]: Eine parlamentarische Anfrage ist eine Einschüchterung! - Abg. Mag. Donnerbauer [ÖVP]: Wenn das schon Druck ist! ) Ich habe die Fragen nach bestem Wissen und Gewissen beantwortet, und zwar alle 28, wie sie von Ihnen gestellt worden sind. (Beifall bei der SPÖ. - Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Unglaublich! Eine parlamentarische Anfrage als Druckausübung! ) 46 Die kritisierten Verstöße gegen kommunikative Konventionen müssen nicht zwangsläufig die Extension bzw. Vagheit eines gewählten Aus- 41 14. Sitzung, 98. 42 Vgl. Klein 2001,73. 43 Vgl. Klein 2001, 78. 44 Klein 2001, 78. 45 Vgl. Ingendahl 2002, 117f. 46 20. Sitzung, 178f. <?page no="169"?> 169 drucks betreffen. Mit dem Verweis auf Bedeutungskonventionen können bestimmte Wörter oder Formulierungen, so Ingendahl, auch als (nicht) schön oder (un)sympathisch bezeichnet oder als emotional oder ideologisch aufgeladen charakterisiert werden, 47 wie im folgenden Beispiel: Abg. Broukal [SPÖ]: […] Auf der anderen Seite, Frau Ministerin, ist es natürlich so, dass Sie in Ihrer neuen Funktion auch Möglichkeiten haben, die Sie früher nicht hatten. Der Kaufpreis dafür, mit der Respektlosigkeit umgehen zu müssen, ist also, dass man andererseits auch eine größere Wirksamkeit entfalten kann. Es möge immer so sein, dass Ihnen der Teil Wirksamkeit bedeutender und wichtiger erscheint als der Ärger über die Respektlosigkeit! (Beifall bei SPÖ und ÖVP. - Abg. Neugebauer [ÖVP]: Schön gesagt! ) 48 Der politische Sprecher/ die politische Sprecherin kann ein Wort kritisieren, weil es die Diskussion verhindert oder vom Gegner/ von der Gegnerin bereits vereinnahmt ist, oder aber auch darauf hinweisen, dass ein Wort eben kein wirklichkeitsveränderndes Potential hat. 49 Ein Wort kann auch deshalb aus der Diskussion verbannt werden, weil es unerwünschte Entwicklungen in sich trägt oder diese zur Folge haben könnte. 50 Neben Ingendahl beschreibt auch Wengeler verschiedene Möglichkeiten, wie der politische Sprecher/ die politische Sprecherin die gegnerische Wortverwendung kommentieren kann: 51 Der politische Sprecher/ die politische Sprecherin kann sich darauf berufen, dass Sprache das Bewusstsein und die Handlungen mit beeinflusst (Vermeiden von Wörtern, Tabus, politische Folgen) oder kritisch beleuchten, dass bestimmte Wörter in kommunikativen Kämpfen strategisch verwendet werden (Schlagwörter, Begriffe besetzen); er/ sie kann auch Bezug nehmen auf die emotive Funktion der Ausdrücke (Schimpfwort, Umwertung, Assoziation) oder auf die sozialgeschichtliche Bedeutung von Sprache (Ausdruck und gesellschaftliche Entwicklung). 52 In den untersuchten Zwischenrufen ist die Interpretation der zugrundeliegenden Kritik jedoch vor allem auf kontextuelle Interpretationen angewiesen, da der Zwischenrufer/ die Zwischenruferin selbst die metasprachliche Kritik meist nicht weiter präzisiert, sondern das spezifische Wort bzw. die spezifische Formulierung als solches oder reformuliert zurückgibt, wie auch im folgenden Zwischenruf: 47 Vgl. Ingendahl 2002, 117f. 48 20. Sitzung, 92. 49 Vgl. Ingendahl 2002, 117f. 50 Vgl. Ingendahl 2002, 117f. 51 Vgl. Wengeler, zit. in: Schulte 2002, 86ff. 52 Vgl. Wengeler, zit. in: Schulte 2002, 86ff. <?page no="170"?> 170 Abg. Dr. Kräuter [SPÖ]: […] Bei all diesen Machenschaften, die aufgedeckt werden konnten, kann man trotzdem aus diesem Vertrag nicht aussteigen! - Das ist wirklich das ganz große Problem dieser Entscheidung der vorhergegangenen Bundesregierung! (Abg. Murauer [ÖVP]: ... diese Machenschaften? ) 53 Doch woran erkennt man, ob der Zwischenrufer/ die Zwischenruferin die Wortwahl positiv oder negativ bewertet bzw. nicht nur feststellt? 54 Und wie kann belegt werden, „dass die Bewertung auf der Grundlage einer Norm geschieht, die das Verhalten vorwerfbar macht bzw. als Verdienst erscheinen lässt? “ 55 Hilfestellung bekommt der Sprachwissenschaftler/ die Sprachwissenschaftlerin nur durch die Intonation, die im verschriftlichten Text der stenographischen Protokolle über Interpunktion und andere paraverbale Marker ausgewiesen wird. Im folgenden Beispiel wird der geänderte Modus durch die Kombination aus Frage- und Rufzeichen markiert: Abg. Dr. Eder-Gitschthaler [ÖVP]: […] Es ist heute ein sehr positives Zeichen, dass dieser Antrag hier im Parlament behandelt wird. Unser Umweltminister Josef Pröll ist darüber hinaus auch auf EU-Ebene sehr intensiv bemüht, dieses Handelsverbot auch auf Katzen- und Hundefelle auszuweiten. Dem kann ich mich nur vollinhaltlich anschließen, zumal ich selbst auch „Katzenmutter“ bin. (Ruf: Katzenmutter? ) - Ja! (Abg. Rosenkranz [FPÖ]: Katzenmutter? ! ) 56 Der Ausdruck Katzenmutter wird in der Debatte zum Ausfuhrverbot von Tierfellen offenbar als kritisch empfunden, indem er im Zwischenruf aufgegriffen, damit explizit thematisiert und als fraglich markiert an die Rednerin zurückverwiesen wird. Auf eine weitere Spezifizierung der Kritik wird jedoch verzichtet. Die Rednerin muss selbst wissen, was am Ausdruck im Kontext kritikwürdig ist. Wenn nicht, so wiegt ihr kommunikativer Verstoß gegen die in der Situation geltenden Konventionen als persönliche Unwissenheit bzw. politisch motivierte Absicht umso schwerer, da er nicht allein auf einen momentanen, unabsichtlichen Lapsus zurückzuführen ist. Eine Spielart der durch das Sprachbewusstsein ausgelösten Sprachthematisierung ist neben der expliziten die implizite Spachthematisierung. Während die explizite Sprachthematisierung normalerweise einen Pool an metasprachlichem Vokabular benötigt, zeichnet sich die implizite Sprachthematisierung durch Wortpräferenzen aus. 57 Der spezifische Aus- 53 28. Sitzung, 39f. 54 Vgl. Dieckmann 2005b, 96. 55 Dieckmann 2005b, 96. 56 20. Sitzung, 128. 57 Vgl. Schulte 2002, 72. <?page no="171"?> 171 druck wird dabei nicht explizit als (un)korrekt dargestellt, sondern der alternative Ausdruck des Zwischenrufers/ der Zwischenruferin impliziert dessen/ deren Unzufriedenheit mit der Wortwahl des Redners/ der Rednerin, 58 wie im folgenden Ausschnitt: Abg. Strache [FPÖ]: […] Das war der Beschluss. - Diesen Beschluss, Herr Minister Darabos, haben Sie einfach nicht umgesetzt. Sie haben das Gegenteil gemacht: Sie haben einen Mehrheitsbeschluss des Hohen Hauses (Bundesminister Mag. Darabos [SPÖ]: Einen Entschließungsantrag! ) - ja, einen Entschließungsantrag, einen Mehrheitsbeschluss des Hohen Hauses - einfach negiert, ja konterkariert, ja mit Füßen getreten! 59 Hier wird die Formulierung des Redners Mehrheitsbeschluss des Hohen Hauses, die die Handlungen des Verteidigungsministers Norbert Darabos als gegen das Parlament gerichtet interpretiert, von Darabos selbst im Zwischenruf durch den neutraleren Fachausdruck Entschließungsantrag ersetzt, woraufhin der Redner sowohl den Vorschlag des Zwischenrufers als auch die eigene Formulierung als für ihn gleichbedeutende Ausdrücke wiederholt. Alternative parteienspezifische Wortverwendungen führen jedoch auf lange Sicht zu Bezeichnungskonkurrenz und Polysemie. 60 Dazu folgendes Beispiel: Abg. Dr. Van der Bellen [Grüne]: […] Wenn dort stünde, „außergewöhnliche Belastung“ § 34 Einkommensteuergesetz, schwierige Zahnreparatur, hat Zehntausende von Euro gekostet, wird im Rahmen des Einkommensteuerrechts geltend gemacht - das geht den Untersuchungsausschuss nichts an. Das wird ihn auch nicht wahnsinnig interessieren, auch wenn man vielleicht die Vermutung haben könnte, das kommt vom Zähneknirschen im Rahmen dieser Lobbyismustätigkeit. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten der SPÖ. - Heiterkeit bei der FPÖ. - Abg. Dr. Stummvoll [ÖVP]: „Sehr lustig“! ) Ich muss schon sagen, Herr Vizekanzler Molterer, der Eindruck, den Sie hier erwecken, ist, es obliegt der Willkür der ... (Vizekanzler Mag. Molterer [ÖVP]: Nicht der Willkür! - Abg. Dr. Stummvoll [ÖVP]: Rechtsstaat! ) 61 Der Ausdruck Rechtsstaat ist hier ein Beispiel für den von Dieckmann geprägten Terminus der ideologischen Polysemie, der die Mehrdeutigkeit politischer Begrifflichkeiten subsumiert und als ein Charakteristikum der Sprache in der Politik bezeichnet. 62 Strauß und Zifonun nehmen Dieckmanns Ansatz kritisch auf und ersetzen den Begriff der ideologischen 58 Vgl. Niehr 2002, 89. 59 28. Sitzung, 41. 60 Vgl. Schulte 2002, 72. 61 20. Sitzung, 145f. 62 Vgl. Dieckmann 2005a, 20. <?page no="172"?> 172 Polysemie mit varianten Gebräuchen, insofern diese von den unterschiedlichen politischen Sichtweisen abhängen. 63 Dazu Bachem: „Ideologische Polysemie ist in einer offenen pluralistischen Gesellschaft eine ganz natürliche, unvermeidbare Spracheigenschaft. Politischen Gegnern Sprachmissbrauch und Unredlichkeit vorzuwerfen, wenn sie einen gängigen Begriff ideologisch anders definieren, ist unwissenschaftlich. Wörter bedeuten das, was eine bestimmte Sprechergruppe mit ihnen assoziiert, und unterschiedliche Konzepte zu entwickeln ist ein menschliches Grundrecht.“ 64 Im folgenden Beispiel treffen mit Demokratie und Feminismus gleich zwei ideologisch polyseme Wörter bzw. variante Gebräuche aufeinander: Abg. Mag. Trunk [SPÖ]: […] Was der Frau Kollegin Rosenkranz überhaupt nicht zusteht, das ist, Frau ohne Kind zu diskriminieren. - Das steht Ihnen nicht zu, auch nicht in einer Demokratie! (Neuerlicher Beifall bei der SPÖ. - Abg. Dr. Graf [FPÖ]: Ein wenig mehr Sachlichkeit, weniger Feminismus! ) 65 Dennoch kommen solcherart geprägte Wortpräferenzen, wie sie in den vorigen Beispielen zu finden sind, an den untersuchten Sitzungstagen in den Einwürfen der Abgeordneten nur selten vor. Damit zeigt sich die Zwischenrufkommunikation ihrem Wesen nach viel näher an der Alltagssprache als an einer politisch motivierten Fachsprache. Jung versucht bei seiner Kategorisierung metasprachlicher Äußerungen sowohl formale als auch kontextuelle Aspekte aufzunehmen. Er unterscheidet etwa, ob sich metasprachliche Kommentare auf Bedeutung, Wort, Satz, Textsorte, Varietät oder Stil beziehen, ob sie die Sprachverwendung einzelner Personen, Gruppen oder ganzer Kollektive thematisieren, welche Länge sie aufweisen und welche Adressaten/ Adressatinnen sie ansprechen, d.h., ob die Eigen- oder Fremdgruppe das Publikum darstellt. 66 Die analysierten Zwischenrufe thematisieren nun viel häufiger größere sprachliche Entitäten wie Redeinhalt und Argumentationsstrukturen, als dass sie spezifische Formulierungen aufs Korn nehmen. Im folgenden Beispiel werden sogar ganze Redeabschnitte als Schwachsinn, Unsinn und Hetze kritisiert: Abg. Mag. Ikrath [ÖVP]: […] Die Exekutive ist an den Legalitätsgrundsatz gebunden und ist daher dazu verpflichtet! (Abg. Sburny [Grüne]: Gibt es jetzt ei- 63 Vgl. Strauß/ Zifonun 1985, 229ff. 64 Bachem 1979, 56. 65 20. Sitzung, 63. 66 Vgl. Jung, zit. in: Schulte 2002, 88f. <?page no="173"?> 173 ne Ministerverantwortlichkeit oder eine Beamtenverantwortlichkeit? Entschuldigen Sie, aber das ist ein Schwachsinn, was Sie da sagen! ) Ich sage Ihnen noch etwas - auch daran ist Ihre Fraktion beteiligt -: Wenn wir das Bankgeheimnis, das keinen Durchbrechungstatbestand für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss darstellt - oder? Geben Sie mir da recht? (Abg. Sburny [Grüne]: Das ist ein fürchterlicher Unsinn, was Sie da sagen! Das ist reine Hetze, was Sie betreiben! ) 67 Kritisiert werden demnach nicht nur einzelne Wörter, sondern vor allem auch größere sprachliche Formationen wie Sprechakte und deren Teilaspekte, Sprachverstehen, Konversationsmaximen, Gesprächsschritte, Geltungsweisen von Äußerungen und andere Bezugsgrößen. 68 Hier wird gleichzeitig zumeist der Redner/ die Rednerin selbst zum Ziel der Angriffe. Das Publikum setzt sich dabei sowohl aus der Eigengruppe des Zwischenrufers/ der Zwischenruferin als auch aus der Fremdgruppe des Redners/ der Rednerin zusammen. Nicht zu vergessen ist auch das relevante Publikum auf der Galerie und außerhalb der Parlamentsmauern, die über die Medien von den Vorgängen im Plenarsaal in Kenntnis gesetzt werden, 69 wie im folgenden Beispiel deutlich wird: Abg. Dr. Belakowitsch-Jenewein [FPÖ]: […] Den Damen und Herren der linken Reichshälfte kommen vor lauter Rührung die Tränen! (Zwischenruf der Abg. Heinisch-Hosek.) Ich weiß, ich verstehe das. Sie empfinden das [Kopftuch] als multikulturelle Bereicherung. Für uns ist das ein Symbol der Unterdrückung der Frau. (Beifall und Bravorufe bei der FPÖ.) Ein Symbol der Unterdrückung, das in einem Europa des 21. Jahrhunderts nichts mehr verloren hat. (Abg. Heinisch-Hosek [SPÖ]: Menschenrechtlich schwer bedenklich, was Sie da tun! ) 70 Die freiheitliche Rednerin verweist hier auf zwei Konzepte: Das der Grünen, die das Kopftuch als multikulturelle Bereicherung sehen, und das Konzept der FPÖ, für die das Kopftuch ein Symbol der Unterdrückung ist. Der blauen Rednerin ist aber nicht daran gelegen, das Sprachsystem zu verändern, vielmehr sollen die Denkmuster und Verhaltensweisen der Zeitgenossen beeinflusst werden. 71 Die Zwischenruferin verweist daher in ihrem Einwurf auf die Folgen der freiheitlichen Argumentation, d.h. auf die Umwertung des Begriffs und religiösen Symbols Kopftuch, hin. Menschenrechtlich schwer bedenklich ist dies zu Recht deshalb, weil Wörter das 67 20. Sitzung, 162. 68 Vgl. Schwitalla 1987, 145. 69 Vgl. Schwitalla 1987, 145. 70 14. Sitzung, 98. 71 Vgl. Ingendahl 2002, 118. <?page no="174"?> 174 Bewusstsein prägen und damit Handlungen beeinflussen können, indem die damit Bezeichneten herabgesetzt und so möglicherweise Ressentiments geschürt werden. 72 Ein Politiker/ eine Politikerin argumentiert auch in metasprachlichen Aussagen außersprachlich, indem er/ sie sich auf seine/ ihre eigene Realität beruft. 73 D.h. schlussendlich aber auch, dass Sprachreflexion in der Politik immer im Lichte politischer Zielsetzungen gesehen werden muss. Auch im folgenden Abschnitt fließt Politik in die Wortwahl mit ein, wenn es darum geht, Freund und Feind zu bezeichnen. 9.3 Referenz auf Personen Um Aussagen über Personen treffen zu können, muss zunächst in einem ersten Schritt auf sie referiert werden. Auf Personen kann je nach Situation über Namen und Kennzeichnungen, über (Personal-, Possessiv-, Demonstrativ-, Indefinit-)Pronomina oder Numeralia referiert werden. 74 Daneben können auch Gruppenzuschreibungen zur Identifikation von Personen herangezogen werden. 75 Die Wahl des Ausdrucks, mit dem auf das Gegenüber bzw. auf Dritte Bezug genommen wird, ist ein wichtiges Indiz für die Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern/ Kommunikationspartnerinnen. 76 Schegloff unterscheidet in Referenz im eigentlichen Sinn, die einer linguistischen Form per se innewohnt, und beschreibenden Kategorisierungen: 77 „The key criterion is whether some mention is ‘here being used to do referring,’ or whether it is ‘here being used to do something else’ pertaining to someone who has already been referred to or is about to be. And this goes for category terms as well; they are sometimes used to do referring, sometimes to do describing […], sometimes to do other actions.” 78 Die folgende Abbildung gibt einen Überblick über die verwendeten Referenzmittel in personenzentrierten Zwischenrufen (Abbildung 8). 72 Vgl. Ingendahl 2002, 117. 73 Vgl. Schwitalla 1987, 145. 74 Vgl. Holly 1979, 198. 75 Vgl. Schegloff 2007, 434. 76 Vgl. Holly 1979, 198. 77 Vgl. Schegloff 2007, 435. 78 Schegloff 2007, 436f. <?page no="175"?> 175 Abbildung 8: Personenreferenz in Zwischenrufen zu Personen (N = 349 Referenzmittel) Lesebeispiel: Von 349 Referenzmitteln, die in Zwischenrufen zu Personen gefunden wurden, sind 51,3 Prozent Pronomina. In mehr als der Hälfte aller Zwischenrufe zu Personen (51,3 Prozent) findet sich ein Pronomen als Referenzmittel der Aussage. In 15,5 Prozent der Fälle wird die Person, über die etwas ausgesagt wird, eindeutig mit Namen genannt, in 11,5 Prozent über ihre (politische) Funktion und in 8,0 Prozent über (stigmatisierende) Kategorienzuweisungen. Daneben gibt es aber auch Zwischenrufe, die keinerlei direkte text- oder sprachimmanente Referenzen auf eine bestimmte Person erkennen lassen. 79 In diesen Zwischenrufen wird nur über den kontext- oder den situationsimmanenten Zusammenhang klar, wer in dem Moment gemeint ist, wie im folgenden Beispiel: Abg. Dr. Schüssel […]: […] Nun, Herr Minister, zum Vergleich. (Rufe bei der ÖVP: Wo ist er? Wo ist der Herr Minister? ) - Dann sage ich es halt dem Hohen 79 Vgl. Brinker 1992, 43. Pronomen 51,3% Name 15,5% Ellipse 13,8% Funktionsbezeichnug 11,5% Kategorienbezeichnung 8,0% <?page no="176"?> 176 Haus, ohne dass der Minister anwesend ist, irgendwer wird es ihm schon berichten. (Abg. Mag. Kukacka [ÖVP]: Das ist ja ein Skandal! Das ist ja unglaublich! Bei so einer Debatte! ) 80 Die Personenreferenz wird im vorliegenden Fall über das Wissen um die Konventionen im Parlament gezogen, die die Anwesenheit der Abgeordneten, speziell der Regierungsmitglieder einfordert. Der evozierte Skandal betrifft daher nicht den Redner und seine Aussage, sondern den Bundesminister, der während der Debatte nicht anwesend ist. Ganz ähnlich finden sich auch elliptische Einwürfe, die die Rede in Bezug auf die darin genannte(n) Person(en) zumeist positiv oder negativ ergänzen. An dem folgenden Beispiel wird auch deutlich, wie stark das außersprachliche Wissen wiederum das Textverständnis stützt, indem Peter Westenthaler in seinem Zwischenruf auf die mangelnde parteiinterne Unterstützung der Bundesministerin anspielt: Vizekanzler Mag. Molterer [ÖVP]: […]Es ist interessant, dass Sie Kollegin Kdolsky das Misstrauen aussprechen, aber interessanterweise zeigen alle Umfragen, dass die Österreicherinnen und Österreicher Andrea Kdolsky vertrauen! (Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Bis auf euren Parteitag! ) 81 Referenz im eigentlichen Sinne, so wie Schegloff sie definiert, wird vor allem über Pronomina geleistet. 82 Der Bezug auf sich selbst oder auf den Adressaten/ die Adressatin ist die häufigste Form der Referenz in Gesprächen. 83 Von den Pronomen, die in den analysierten Zwischenrufen verwendet werden (N = 163 Pronomen), kommt dabei das formelle Anredepronomen Sie am häufigsten zur Anwendung (60,3 Prozent), es lassen sich jedoch auch vereinzelt Einwürfe finden, in denen der Zwischenrufer/ die Zwischenruferin eine engere Bekanntschaft mit dem Redner/ der Rednerin erkennen lässt und ihn/ sie daher mit informellem du anspricht (3,9 Prozent). Die Referenz auf die eigene Person bzw. die eigene Gruppe ist mit 7,8 Prozent ebenfalls weniger häufig zu finden. Im Vergleich dazu wird der indirekte Verweis auf Dritte (17,9 Prozent) mehr als doppelt so oft verwendet. Die Pronomina referieren dabei auf Personen, die im Redebeitrag bereits namentlich genannt und damit eindeutig identifiziert wurden, wie im folgenden Beispiel Kollege Pilz, auf den im Zwischenruf über das Pronomen referiert wird: 80 20. Sitzung, 67. 81 20. Sitzung, 48. 82 Vgl. Schegloff 2007, 436. 83 Vgl. Schegloff 2007, 438. <?page no="177"?> 177 Abg. Dr. Pilz [Grüne]: […] Bitte schön, aus formalen Gründen: Kollege Pilz hat Dinge auf seine Homepage gestellt, die vielleicht nicht wortwörtlich dem Protokoll zu entnehmen sind. So hat das Gericht geurteilt. (Oh-Rufe bei der ÖVP. - Abg. Dr. Fekter [ÖVP]: Zurücktreten soll er! ) 84 Auch die Pronomina der direkten Anrede mit du oder Sie werden oft von namentlichen Nennungen begleitet, die die angesprochene Person weiter präzisieren und eindeutig identifizieren, wie in den folgenden Beispielen die Kombination aus informellem du bzw. formellem Sie und Vorbzw. Nachname beispielhaft zeigt: Abg. Dolinschek [BZÖ]: […] Wissen Sie, was auf Grund solcher Aussagen bei der Bevölkerung übrig bleibt, Herr Kollege? Wissen Sie, was da übrig bleibt? - Dass alle Politiker in Österreich korrupt sind und Schmiergelder nehmen. Das bleibt übrig bei solchen Aussagen! Aber Sie müssen sich ja gut auskennen, wenn Sie genau wissen, dass man drei Prozent kassiert! Ja, was soll denn das? Das ist ja ein Wahnsinn! (Abg. Parnigoni [SPÖ]: Sigisbert, du musst große Angst haben, weil du so aufgeregt bist! Sigisbert, leg deinen Steuerakt offen! ) 85 Abg. Dr. Fekter [ÖVP]: […] Professor Mayer hat gemeinsam mit anderen Verfassungsrechtlern eine Publikation verfasst mit dem Titel „Untersuchungsausschüsse und Rechtsstaat“. (Die Rednerin hält ein Exemplar des erwähnten Buches in die Höhe.) Darin ist ganz klar die herrschende Lehrmeinung angeführt, dass nämlich die ersuchte Behörde - und nur diese! - zu prüfen hat, ob sie etwas „herausrücken“ darf oder nicht. (Abg. Dr. Van der Bellen [Grüne]: Kontrolle existiert nicht für Sie! Kontrolle ist ein Fremdwort, Frau Fekter! ) 86 Daneben gibt es auch die Möglichkeit, auf den Redner/ die Rednerin zu referieren, aber als Kommunikationspartner/ Kommunikationspartnerin für den Zwischenruf einen Adressaten/ eine Adressatin aus dem Plenum zu wählen, wie im folgenden Beispiel, in dem die Zwischenruferin Ridi Steibl sich an eine Abgeordnete im Plenum wendet und diese anstelle der Rednerin zur Adressatin ihrer Aussage macht: Abg. Zwerschitz [Grüne]: […] Zum Schluss noch ein Satz: Wir haben als Opposition die Chance (Abg. Steibl [ÖVP]: Wissen Sie nicht, was Familie heißt? ), die Möglichkeit und die Verpflichtung, zu kontrollieren und zu fordern. Ich fordere jetzt von der Regierung, dass sie endlich einmal etwas tut außer Luftblasen ausstoßen. (Beifall bei den Grünen. - Abg. Steibl [ÖVP]: Und Sie schreiben sich einmal eine bessere Rede! ) Präsidentin Prammer [SPÖ]: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Mag. Kuntzl. 5 Minuten Wunschredezeit. - Bitte, Frau Abgeordnete. (Abg. Steibl [ÖVP] - in Richtung der Abg. Zwerschitz 84 20. Sitzung, 146. 85 20. Sitzung, 185. 86 20. Sitzung, 150. <?page no="178"?> 178 -: Ich glaube, die hat Probleme mit der Familie! Ich glaube, die hat keinen Mann, der ihr helfen kann! So viel Blödsinn, was sie da erzählt! - Gegenrufe der Abg. Sburny [Grüne].) 87 Wird auf eine Person referiert, die nicht der Sprecher/ die Sprecherin, der Adressat/ die Adressatin oder eine bereits ins Gespräch eingeführte Person ist, muss der Name genannt werden oder eine andere Form der Beschreibung gewählt werden „by which recipient(s) are figured to know, or know of, that one(s) - with name being preferred to recognitional description, if possible.” 88 Auch in den untersuchten Zwischenrufen lässt sich die Präferenz für Namen gegenüber funktionalen Kategorisierungen erkennen. An den analysierten Sitzungstagen ist es vor allem der Leiter des Untersuchungsausschusses Peter Pilz, der mit Namen immer wieder in die Rede-Zwischenruf-Sequenzen eingeführt wird, wie im folgenden Ausschnitt: Vizekanzler Mag. Molterer [ÖVP]: […] Ob das Steuergeheimnis durchbrochen wird, hat die Behörde bei ihrer Arbeit selbständig zu beurteilen - nicht Sie. Ich zitiere Ihnen dann auch Gutachten, Herr Kollege Pilz, die diese Rechtsauffassung sehr, sehr klar und nachdrücklich unterstützen. Sie nicht, Herr Dr. Pilz, sondern die angefragte Behörde muss diese Entscheidungen treffen. (Abg. Dr. Pilz [Grüne]: Falsch! ) Das sagt - ich zitiere Ihnen das sehr gerne - die Finanzprokuratur in einem an Sie gerichteten Schreiben (Abg. Dr. Fekter [ÖVP]: Richtig! ), und das sagt auch Professor Heinz Mayer, der in einem Gutachten, in der Publikation „Untersuchungsausschüsse und Rechtsstaat“ Folgendes festhält (Abg. Dr. Stummvoll [ÖVP]: Alle Entscheidungen trifft der Pilz! Pilz entscheidet alles! ) 89 Kategorisierungen werden, so Schegloff, vor allem dann zur Referenz herangezogen, wenn die bezeichnete Person nicht beiden Kommunikationspartner/ Kommunikationspartnerinnen gleichermaßen bekannt ist. 90 Referenz über Kategorisierungen wird in den Zwischenrufen hauptsächlich über die politische Funktion der jeweiligen Person realisiert und zwar auch dann, wenn die Person allseits bekannt ist. Die Kategorisierungen sind zumeist jedoch weit davon entfernt, die betreffende Person eindeutig zu identifizieren, da die meisten politischen Funktionen einerseits nicht allein auf eine Person beschränkt sind und andererseits nach Ende der Amtsperiode häufig wechseln. Wer nun mit Minister/ Ministerin, Ausschussvorsitzender/ Ausschussvorsitzende usw. gemeint ist, wird daher zu- 87 14. Sitzung, 94. 88 Schegloff 2007, 438. 89 20. Sitzung, 138f. 90 Vgl. Schegloff 2007, 437f. <?page no="179"?> 179 meist über den Textzusammenhang bzw. den situativen Kontext geklärt. Zur Illustration ein Beispiel: Abg. Dr. Kräuter [SPÖ]: […] Jetzt frage ich Sie: Was ist denn das für eine Allianz: einerseits sollen wir einen Bericht unterstützen, und andererseits wird das schwerste parlamentarische Geschütz in Stellung gebracht? (Abg. Strache [FPÖ]: Weil der Minister [Bundesminister Darabos] Parlamentsbeschlüsse nicht ernst nimmt! ) 91 In diesem Fall ist deshalb klar, dass es sich um Bundesminister Norbert Darabos handelt, weil die Zwischenrufsequenz im Rahmen der Debatte um den Misstrauensantrag gegen den Verteidigungsminister formuliert wurde. Sehr oft sind solcher Art Beziehungen jedoch nur über das Weltwissen zu lösen. So muss man wissen, dass der grüne Abgeordnete Peter Pilz zur Zeit der hier analysierten Zwischenrufe der Vorsitzende des Eurofighter-Untersuchungsausschusses war, um den hier folgenden direkten Angriff auf den Redner richtig zu verstehen: Abg. Dr. Pilz [Grüne]: […] Wie gesagt, das ist der Punkt, um den es geht (Beifall bei den Grünen): dass es einen Minister in der Bundesregierung gibt, der der Meinung ist, dass für ihn die Verfassung nicht gilt. Es liegt am Hohen Haus, damit Schluss zu machen! - Danke. (Beifall bei den Grünen. - Abg. Dr. Stummvoll [ÖVP]: Ein Ausschussobmann [Abg. Dr. Pilz], der verurteilt ist! ) 92 Ob eine Person nun über den Namen genannt wird, über Pronomen wiederaufgenommen bzw. angesprochen oder über Kategorisierungen definiert wird, hängt von der Bezeichnungsabsicht des Zwischenrufers/ der Zwischenruferin ab, da damit sehr oft eine weitere Bedeutungsebene eingezogen wird. 93 So ist für die Rednerin im folgenden Beispiel die Kategorisierung Wilhelm Molterers als Minister mit seiner der Funktion entsprechenden Verantwortlichkeit aufgrund der darin mitschwingenden Kritik wichtiger als seine eindeutige Identifikation etwa über den Namen oder die direkte Anrede: Abg. Mag. Ikrath [ÖVP]: […]Wenn wir - wie Sie das getan haben - die Beamten, die ihre Pflicht tun, nicht schützen ... (Abg. Sburny [Grüne]: Der Minister [Vizekanzler Mag. Molterer] versteckt sich ja hinter den Beamten! ) Es ist nicht so, dass der Beamte das Recht hat zu entscheiden, nein, er hat die Pflicht zu entscheiden! (Zwischenrufe bei den Grünen. - Abg. Sburny [Grüne]: Der Mi- 91 28. Sitzung, 38. 92 20. Sitzung, 183. 93 Vgl. Schegloff 2007, 438. <?page no="180"?> 180 nister [Vizekanzler Mag. Molterer] ist verantwortlich, nicht die Beamten sind verantwortlich! - Zwischenruf des Abg. Mag. Kogler.) 94 Kategorisierungen müssen daher immer auch mit der spezifischen Gesprächssituation in Verbindung gebracht werden, da sie neben der reinen Referenz auch bestimmte Eigenschaften der bezeichneten Person hervorheben. 95 Interessant in diesem Zusammenhang ist auch folgendes Beispiel: Abg. Prähauser: [SPÖ]: […] Meine Damen und Herren, einer der wirklich Schuldigen ist heute eigentlich selten genannt worden, der kesseste Finanzminister aller Zeiten - so hat er sich selbst nicht genannt, ein bisschen anders, aber ich darf ihn so bezeichnen -, der diesen Knebelungsvertrag aus finanzieller Sicht zu verantworten hat (Abg. Dr. Schüssel [ÖVP]: Ein sehr guter Minister! ) 96 Obwohl der Name des betreffenden Finanzministers nie genannt wird, ist sowohl dem Redner als auch dem Zwischenrufer klar, wer gemeint ist. Die Klassifizierung der Person über ihre politische Funktion zusammen mit der Attribuierung im Kontext der Eurofighter-Beschaffung genügen, um Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser für die Kommunikationspartner/ Kommunikationspartnerinnen zu konkretisieren, d.h. mit anderen Worten: „topicor activity-relevant descriptions can be used to do referring.“ 97 Schegloff geht davon aus, dass diese Art des Referierens nur dann angewendet wird, wenn nicht davon ausgegangen werden kann, dass die betreffende Person bekannt ist. Das obige Beispiel geht aber den genau entgegengesetzten Weg: Es handelt sich um eine Person, die sehr wohl vor allem auch im Kontext der Eurofighter dem Plenum bekannt ist. Trotzdem bleibt der Name eine Leerstelle und es liegt am Zuhörer/ an der Zuhörerin die Lücke zu füllen. Indem der Redner bewusst indirekt formuliert, unterstreicht er die Gültigkeit seiner Charakterisierung. Die Zuhörerschaft kann auf die Person schließen, weil auch sie den Betreffenden mit dieser Attribuierung in Verbindung bringt. Sowohl dem Redner als auch dem Zwischenrufer ist hier natürlich nicht allein an der Identifikation der Person gelegen, sondern es geht hauptsächlich um die Wertung der Person. Generell sind Kategorienbezeichnungen also nicht immer rein referenziell ausgelegt, sondern dienen meist auch anderen Zielen. Bei stigmatisierenden Kategorisierungen 94 20. Sitzung, 162. 95 Vgl. Schegloff 2007, 436f. 96 28. Sitzung, 83f. 97 Schegloff 2007, 437f. <?page no="181"?> 181 tritt die referentielle Funktion völlig in den Hintergrund. Einziges Ziel ist hier die Image-Verletzung des Gegenübers bzw. eines/ einer Dritten, 98 wie im folgenden Beispiel, wo der Zwischenrufer die Rednerin Maria Fekter als Advokatin der Scheinheiligkeit bezeichnet: Abg. Dr. Fekter [ÖVP]: […] Wenn er [Abg. Dr. Pilz] einen Funken Anstand hätte, dann würde er den Vorsitz im Untersuchungsausschuss zurücklegen. (Beifall bei ÖVP und BZÖ. - Abg. Mag. Kogler [Grüne]: Die Advokatin der Scheinheiligkeit! ) 99 Mit Zwischenrufen, die stigmatisierende Personenbezeichnungen enthalten, kommen die Rede-Zwischenruf-Sequenzen einem Streitgespräch am nächsten. Schwitalla definiert einen Konflikt bzw. eine Meinungsverschiedenheit dann als Streitgespräch, „wenn zwei oder mehr Menschen gereizt oder wütend miteinander sprechen, wenn sie sich Vorhaltungen machen, wenn sie sich gegenseitig beschimpfen oder anschreien, aber auch schon, wenn bei einem Meinungswechsel Verärgerung über einen Anwesenden ausgedrückt wird und die Absicht, einem andern in seinem Ansehen zu schaden, spürbar wird.“ 100 Ausschlaggebend für die Definition der Rede-Zwischenruf-Sequenzen als Streit-Sequenzen ist jedoch weniger die ausgedrückte Verärgerung der Anwesenden, die zumeist polemische Gründe hat, sondern die kommunikative Absicht, das Gegenüber persönlich anzugreifen und in den Augen anderer zu diffamieren: „Damit rückt als definiens für ‚Streitgespräch‘ - über bloße Differenzen oder Unvereinbarkeiten von Meinungen hinaus - eine bestimmte negative, verletzende Behandlung des Selbstwertgefühls des anderen, des ‚Images‘ wie es Goffman verstanden hatte, in das Zentrum der Definition.“ 101 Politische Stigmatisierungen, die bis zum Schimpfwort gehen können, haben dabei immer auch appellative Funktion, indem die Adressaten/ Adressatinnen zu bestimmten Einstellungen und darauf aufbauend zu bestimmten Handlungen aufgefordert werden. 102 So soll im folgenden Beispiel Norbert Darabos in seiner Funktion als Verteidigungsminister demontiert werden: 98 Vgl. Schwitalla 1987, 107f. 99 20. Sitzung, 150. 100 Schwitalla 1987, 107. 101 Schwitalla 1987, 107. 102 Vgl. Bachem 1979, 67. <?page no="182"?> 182 Bundesminister Mag. Darabos [SPÖ]: […] Wir werden weiters einen Besserungsschein unterschreiben, das heißt 400 Millionen € netto weniger für Österreich, cash auf dem Konto für die Republik Österreich. - Danke. (Beifall bei der SPÖ. - Zwischenrufe bei ÖVP und BZÖ. - Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Der Zerstörer des Bundesheeres soll abtreten! ) 103 Politische Schimpfwörter sind zum Teil schon im sprachlichen Wortschatz vorhanden, werden jedoch auch neu gebildet, von bereits bestehenden Wörtern abgeleitet oder durch Metaphorisierung geschaffen. 104 Ein Beispiel für eine Neubildung ist Zivi-Minister im folgenden Ausschnitt: Peter Westenthaler spielt hier auf die Tatsache an, dass der sozialdemokratische Verteidigungsminister Norbert Darabos anstelle des Wehrdienstes Zivildienst geleistet hat. Bundesminister Mag. Darabos [SPÖ]: Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! (Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Der Zivi-Minister! [Verteidigungsminister Norbert Darabos]) 105 Viele der in den parlamentarischen Zwischenrufen verwendeten Personenbezeichnungen haben auch mit der spezifischen Gesprächssituation zu tun, so etwa im folgenden Beispiel, wo der orange Parteiobmann Peter Westenthaler den Vizekanzler dafür kritisiert, dass er anstelle der Bundesministerin Andrea Kdolsky das Wort ergreift: Vizekanzler Mag. Molterer [ÖVP]: […] ich würde sagen, es wird die Reputation und das Ansehen der Andrea Kdolsky erhöhen. (Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Sie soll sich einmal zu Wort melden! ) Jeder Misstrauensantrag, den Sie stellen, geht für Sie nach hinten los und hilft unserer Andrea Kdolsky in ihrer Arbeit. (Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Sind Sie der Sprachlehrer? ) Danke dafür, dass Sie auch mit diesem Antrag der Arbeit von Andrea Kdolsky wirklichen Rückenwind geben. (Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Rhetoriklehrer ist das! ) Sie hätte es nicht gebraucht, aber wir nehmen es durchaus, so wie wir es verstehen (Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Kann sie selber auch sprechen? Sind Sie der Pressesprecher? ) 106 Wichtig in diesem Zusammenhang ist wiederum das episodische Wissen der Kommunikationspartner/ Kommunikationspartnerinnen bzw. des Sprachwissenschaftlers/ der Sprachwissenschaftlerin. Vor allem in ironisierenden Personenbezeichnungen wird häufig auf Eigenschaften und Gegebenheiten referiert, die nur über die Brücke des außersprachlichen 103 28. Sitzung, 82. 104 Vgl. Bachem 1979, 67. 105 20. Sitzung, 176. 106 20. Sitzung, 50. <?page no="183"?> 183 Wissens mit der vorliegenden Gesprächssituation verbunden werden können, so auch im folgenden Ausschnitt: Abg. Broukal [SPÖ]: […] Also das war Feigheit der Sonderklasse, das war wirklich erstaunlich, dass niemand von diesen vier höchsten Funktionären der Republik bereit war, zu sagen, ja, ich habe in dieser Sitzung den Eurofighter vorgeschlagen, ja, ich bekenne mich dazu. (Abg. Rädler [ÖVP]: Sie sollen nicht von etwas reden, was Sie nicht verstehen, Herr Kommentator der Nation! ) 107 Die Bezeichnung Kommentator der Nation bezieht sich darauf, dass der Redner Josef Broukal lange Zeit als Nachrichtensprecher des öffentlichrechtlichen Fernsehsenders ORF realer Kommentator der Nation war. Die darin ausgedrückte Ironie ist im Übrigen ein weiterer wichtiger Aspekt parlamentarischer Zwischenrufe. Ironische Aussagen finden sich dabei nicht nur in den Zwischenrufen zu Personen, sondern sind allgemein ein typisches Merkmal der parlamentarischen Einwürfe, wie auch Carbó für das mexikanische Parlament feststellt: „With regard to the polemical resources that interruptions employ, there is evidence in our examples of a massive use of irony in all its forms: as a means of capturing attention and control; as a resource that can be disclaimed after being used, when the speaker can argue that he only said what he literally said; or as a meta-message that says ‚This is a pejorative judgement‘ […].“ 108 In den (verschriftlichten) Sitzungsprotokollen finden sich nur selten gestische oder mimische Hinweise, Anführungszeichen oder deutliche Übertreibungen, 109 bestimmte Adverbien wie wirklich usw. 110 als paraverbale bzw. verbale Hilfestellung für das Erkennen ironischer Passagen. Im folgenden Ausschnitt sind es die ergänzenden Anführungs- und Ausrufezeichen der Stenographen/ Stenographinnen, die die ironisierende Haltung des Zwischenrufers im Text verdeutlichen: Abg. Dr. Haimbuchner [FPÖ]: […] Frau Kollegin Fekter, wenn Sie die Verfassung zitieren - Artikel 53 B-VG -, dann zitieren Sie ihn bitte einmal richtig! Dort steht: „Die Gerichte und alle anderen Behörden sind verpflichtet, dem Ersuchen dieser Ausschüsse um Beweiserhebungen Folge zu leisten; alle öffentlichen Ämter haben auf Verlangen ihre Akten vorzulegen.“ Das ist nicht irgendein Wunsch ans Christkind, meine sehr geehrten Damen und Herren, sondern das ist 107 28. Sitzung, 97. 108 Carbó 1992, 33. 109 Vgl. Kreuz/ Link 2002, 128. 110 Vgl. Pexmann/ Olineck 2002, 249f. <?page no="184"?> 184 eine Verpflichtung! (Beifall bei der FPÖ. - Abg. Kainz [ÖVP]: Der „Souverän“! ) 111 Bei der Interpretation einer Aussage als ironisch ist der Sprachwissenschaftler/ die Sprachwissenschaftlerin ebenso wie alle anderen Gesprächsteilnehmer/ Gesprächsteilnehmerinnen auf das eigene Kontextwissen angewiesen. Die spezifische Redekonstellation und Gesprächssituation parlamentarischer Debatten lässt von vornherein erstens erwarten, dass der Redner/ die Rednerin positive Eigenaussagen trifft, und zweitens, dass der politische Gegner/ die politische Gegner diese negativ kommentiert. 112 Verstöße gegen diese Erwartung werden daher als Ironie und als nicht ernstgemeint interpretiert. So auch im folgenden Beispiel, wo der orange Parteiobmann Peter Westenthaler den Redner der SPÖ als echten Tierschützer bezeichnet: Abg. Spindelberger [SPÖ]: […] Ich glaube, dass der von Ihnen eingebrachte Antrag unrealistisch ist, weil es unmöglich ist, sage ich jetzt einmal, innerhalb von zwei Stunden von den Bergbauern mit einem Lkw, mit einem Tiertransporter überhaupt einen Schlachthof zu erreichen. (Demonstrativer Beifall des Abg. Jakob Auer.) Das muss man auch einmal sagen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.) Wie gut der vorliegende Entwurf ist, zeigt ja, dass die EU Grenzen von zwölf Stunden ermöglichen würde, wir aber wirklich nur in Ausnahmefällen genehmigen, dass es achteinhalb Stunden sind. - Die Anträge der Opposition sind da wirklich weit weg von der Realität. (Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Sie sind ein „echter“ Tierschützer, gell? ) 113 Ironische Aussagen schlagen nicht nur eine Kluft zwischen Erwartung und Realität, sie verstoßen gleichzeitig auch gegen die Griceschen Konversationsmaximen. 114 Das Spiel mit den kommunikativen Erwartungen der Rezipienten/ Rezipientinnen kann unterschiedliche Zwecke erfüllen: Einerseits wirken sie witzig 115 und werden in diesem Sinne im Rahmen der parlamentarischen Zwischenrufe von den Abgeordneten im Plenum auch als Auflockerung der Situation geschätzt; Ironie wird, so Pexmann und Olineck, aber auch genutzt, um Kritik in ein für den Adressaten/ die Adressatin akzeptables Kleid zu hüllen: „Irony certainly serves a facesaving function […].“ 116 Gerade in Bezug auf ironisierende Personenbezeichnungen im Parlament trifft diese Annahme aber ganz und gar nicht 111 20. Sitzung, 152f. 112 Vgl. Gruber 1993, 3f. 113 28. Sitzung, 134. 114 Vgl. Pexmann/ Olineck 2002, 249. 115 Vgl. Kreuz/ Link 2002, 130. 116 Pexmann/ Olineck 2002, 250. <?page no="185"?> 185 zu, im Gegenteil: Durch ironisierende Aussagen und Bezeichnungen macht sich der Sprecher/ die Sprecherin im Nationalrat vornehmlich über andere lustig und lässt sie in den Augen Dritter lächerlich erscheinen. Ironische Äußerungen wirken daher nicht nur verharmlosend und witzig, sondern können auch stark imageverletzend sein. Ausschlaggebend für die Interpretation ironischer Aussagen ist daher das gegenseitige Verständnis, der „common ground” der einzelnen Kommunikationspartner/ Kommunikationspartnerinnen. 117 So wird im folgenden Beispiel durch den Einwurf Bussi, Bussi die Rolle des berechtigten Anklägers, in der sich der grüne Redner sieht, verhöhnt und damit dessen Image und Position in der Debatte verletzt: Abg. Öllinger [Grüne]: […] Wenn aber Sie, Herr Klubobmann Westenthaler ... (Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Bussi, Bussi! ) - „Bussi, Bussi“ können Sie sich sparen! 118 Besonders beißend wirken ironisierend-sarkastische Aussagen in Verbindung mit metaphorisierenden Elementen, da sie negative Eigenschaften der ironisierten Person aufgreifen und durch Übertragung der Lächerlichkeit preisgeben. Metaphern sind dadurch gekennzeichnet, dass ein lexikalisches Element aus einem Wortfeld gewählt wird, das nichts mit dem aktuellen Thema gemein hat und das durch das uneigentliche semantische Feld, aus dem es stammt, auch neue Bedeutungsströme ins Gespräch bzw. in den Text einfließen lässt. 119 „Ohne Zweifel liegt in fast allen genannten Fällen tatsächlich eine Ähnlichkeit vor, die die vergleichende Betrachtung zweier Personen oder Personengruppen rechtfertigt. Darum geht es nicht. Die Propaganda geht darüber hinaus, indem sie ein Charakteristikum, das auf beide zutrifft, heraushebt und dann durch die gleiche Benennung unterstellt, dass auch andere, vielleicht alle, übereinstimmen.“ 120 Die wiederholte Verwendung vergleichbarer Wortbilder lässt dabei bestimmte Charakterzüge besonders hervortreten: So zielen mehrere Metaphern, mit denen Bündnisobmann Peter Westenthaler Vizekanzler und Finanzminister Wilhelm Molterer belegt, auf dessen Ernsthaftigkeit und Strenge, im negativen Sinne auf die Besserwisserei des Regierungsvertreters, wie in den folgenden Beispielen: 117 Vgl. Kreuz/ Link 2002, 130. 118 20. Sitzung, 119. 119 Vgl. Cameron 2007, 202. 120 Dieckmann 1964, 154 <?page no="186"?> 186 Vizekanzler Mag. Molterer [ÖVP]: […] Herr Kollege Westenthaler, nur einige Sätze zu dem, was Sie hier von sich gegeben haben - denn eine „parlamentarische Rede“ würde ich das qua Definition noch nicht nennen -: Sie überschätzen sich etwas! (Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Oberlehrer auf der Regierungsbank! ) 121 Vizekanzler Mag. Molterer [ÖVP]: […] Wenn Sie hier hergehen und sagen, Sie reden für alle Kinder (Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: „Pater Willi“! ), dann überschätzen Sie sich nicht nur, sondern Sie haben ein völlig falsches Politikverständnis: Die Kinder haben eine eigene Stimme - sie brauchen Westenthaler nicht. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der SPÖ. - Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Jetzt kommt die Predigt des „Pater Willi“! ) 122 Metaphern sind in allen Sprachen in alltäglicher Verwendung zu finden, indem sie charakterisieren, beschimpfen oder ein humoristisches oder poetisches Ziel verfolgen. 123 Mit einer gelungenen Metapher kann der Sprecher/ die Sprecherin nicht nur die Lacher auf seine Seite ziehen, er/ sie kann sich auch durch die dadurch erwiesene Schlagfertigkeit auf der parlamentarischen Bühne als ernstzunehmender kommunikativer Gegner/ als ernstzunehmende kommunikative Gegnerin profilieren: „Der Beweis dieser Fähigkeit ist oft wichtiger als jede andere eingebrachte Information, so dass ‚Schlagfertigkeit‘ in verbaler Interaktion meist bedeutet, dass der Initiator besser, geschickter ist als diejenigen, die unter seinen Bemerkungen leiden müssen.“ 124 Im letzten nun folgenden Abschnitt soll nach der Sammlung metasprachlicher Elemente und der gegenseitigen Personenreferenz die Bedeutung einzelner Wörter als Auslöser für Zwischenrufe nachverfolgt werden. 9.4 Kommunikative Brisanz - Politisches Handeln mit und durch Wörter Die folgende Analyse versucht die Momente, in denen das politische Vokabular durch den Redner/ die Rednerin bewusst in eine Richtung gelenkt wird, einzufangen und mit den Reaktionen des Plenums in Zusammenhang zu bringen, um dadurch konkrete Aussagen zur Existenz des angenommenen Bezeichnungs- und Bedeutungskampfes in der Politik treffen zu können. Die folgende Tabelle (Tabelle 12) gibt einen Über- 121 20. Sitzung, 48. 122 20. Sitzung, 48. 123 Vgl. Bachem 1979, 50. 124 Goffman 1986, 31. <?page no="187"?> 187 blick über jene wortverändernden Methoden, die einerseits von den Rednern/ Rednerinnen generell im Umfeld der Zwischenrufe verwendet werden, und jenen Methoden, die in den Aussagen zu finden sind, auf die im Zwischenruf explizit Bezug genommen wird. Tabelle 12: Strategische Wortveränderung in Redebeiträgen im Umfeld der Zwischenrufe (N = 3057 Wortveränderungen) im Vergleich zu strategischen Wortveränderungen in Redebeiträgen mit Zwischenrufreferenz (N = 841 Wortveränderungen) Lesebeispiel: Im Umfeld der Zwischenrufe finden sich 3057 Wortveränderungen in Redebeiträgen. In diesen wird in 46,8 Prozent der Fälle ein Wort abgewertet. Von den 3057 Wortveränderungen in Redebeiträgen werden 841 Wortveränderungen explizit im Zwischenruf thematisiert. In diesen explizit thematisierten Wortveränderungen wird in 48,3 Prozent der Fälle ein Wort abgewertet. Damit referieren die Zwischenrufe etwas häufiger auf Abwertungen, als diese anteilsmäßig in den Reden vorkommen. Bei der Analyse wurde dabei die Trennung Kleins 125 in parteiliches Prädizieren als Neudeutung alter Sachverhalte und Umdeuten als deskriptive Veränderung der Wortbedeutung aufgrund der verschwimmenden Grenzen zwischen den beiden Kategorien weiter eingeengt (siehe dazu auch Abschnitt 5.2): In die Kategorie Umdeuten wurden nur jene Fälle eingeordnet, in denen ein bereits parteienspezifisch geprägter Ausdruck (Schlagwort, Hochwertwort, Stigmawort usw.) als brisantes Wort im Zentrum der Redeaussage steht. Parteiliche Prädizierungen finden sich 125 Vgl. Klein 1991. Strategische Wortveränderung im Umfeld der Zwischenrufe mit expliziter Zwischenrufreferenz Abwerten 46,8% 48,3% Aufwerten 27,7% 23,8% parteiliches Prädizieren 22,4% 25,0% Umdeuten 2,9% 2,7% Prägen 0,2% 0,2% gesamt 3057 Wortveränderungen im Redebeitrag 841 Wortveränderungen im Redebeitrag <?page no="188"?> 188 hingegen dann, wenn in der Redner/ die Rednerin in die Bedeutungsstruktur eines Wortes eingreift und für seine/ ihre Zwecke interpretiert. In den Redebeiträgen zeigt sich nun zunächst ein deutlicher Hang zum Negativismus, indem in beinahe der Hälfte aller Aussagen im Umfeld der Zwischenrufe Personen, Parteien, Institutionen, Sachlagen oder Redebeiträge abgewertet und nur in knapp über einem Viertel aufgewertet werden. Die abwertenden Äußerungen der Redner/ Rednerinnen werden dabei vom Plenum tendenziell weniger toleriert als eher positiv orientierte Aussagen. Eine etwas stärkere Zwischenrufreaktion lässt sich auch bei parteilichen Prädizierungen erkennen. Diese liegen in der Häufigkeit ihrer generellen Verwendung etwas hinter der Aufwertung, rufen dafür jedoch öfter Zwischenrufe hervor. Umdeuten und Prägen als weitere Möglichkeiten der strategischen Wortveränderung finden sich in den Redebeiträgen im österreichischen Nationalrat vergleichsweise selten, werden dafür jedoch beinahe immer von einem Zwischenruf gefolgt. Die relative Sparsamkeit, mit der die Redner/ Rednerinnen im Parlament im Umfeld der Zwischenrufe Neologismen verwenden, mag zum Teil auch mit dem Anspruch zu erklären sein, den Prägungen an die Sprachfertigkeit des Redners/ der Rednerin stellen. Beispiele für Wortschöpfungen sind etwa Bodenbomber 126 als alternative Bezeichnung für den Eurofighter oder Paradegegengeschäft 127 als Reihenbildung. Am kreativsten werden die Abgeordneten jedoch immer dann, wenn der politische Gegner/ die politische Gegnerin persönlich oder die jeweilige gegnerische Partei als Ganzes angegriffen werden soll: Hier finden sich neben Zivi-Minister 128 auch ‚fekteröses‘ Verhalten 129 und Bremser-Fraktionen 130 . Eingriffe in die Semantik im Sinne parteilichen Prädizierens geschehen etwa über Paraphrasierungen oder die Beschreibung der Gegenstände, die mit dem Ausdruck aus Sicht des Redners/ der Rednerin normalerweise bezeichnet werden. 131 So werden bei der Debatte um die Freigabe der Akten im Eurofighter-Untersuchungsausschuss die vom Finanzministerium geschwärzten Kontonummern wiederholt mit Dienstnehmerdaten in Verbindung gebracht, die ihrerseits wieder entsprechend semantisch aufgeladen werden. Im Zentrum der Diskussion steht daraufhin nicht mehr die Frage nach der Freigabe von (zweifelhaften) Kontobewegungen, 126 28. Sitzung, 92. 127 20. Sitzung, 160. 128 20. Sitzung, 176. 129 28. Sitzung, 63. 130 14. Sitzung, 85. 131 Vgl. Gloning 1994b, 174f. <?page no="189"?> 189 sondern die Verteidigung der Bürgerrechte im Sinne des Datenschutzes. Zur Verdeutlichung folgender Debattenausschnitt: Abg. Dr. Fekter [ÖVP]: Sie hätten wissen müssen, dass sich hinter den Kontonummern 600, 620 et cetera bis 690 die Dienstnehmerdaten verbergen, nämlich Löhne, Gehälter, Aufwendungen für Abfertigungen, lohnabhängige Abgaben (Abg. Dr. Stummvoll [ÖVP]: Da wollen die Grünen hineinschauen! - Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Schnüffel, schnüffel! ), gehaltsabhängige Sozialabgaben, freiwillige Sozialabgaben, Krankenversicherungsbeiträge et cetera. Und genau das ist geschwärzt! (Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Da soll geschnüffelt werden! ) Und darin wollen Sie schnüffeln: bei Dienstnehmerdaten? ! - Das halte ich für ungeheuerlich! (Beifall bei ÖVP und BZÖ.) 132 Der Sprecher/ die Sprecherin kann aber auch auf Unterschiede eingehen, mit denen bedeutungsähnliche Wörter differenzierbar werden. 133 So versucht der blaue Abgeordnete und Burschenschafter Wolfgang Zanger im folgenden Ausschnitt den Alkoholkonsum in burschenschaftlichen Studentenverbindungen weniger als Trinkritual, sondern vielmehr als Erziehungsmaßnahme zu sehen: Abg. Zanger [FPÖ]: […] und dazu möchte ich Ihnen etwas sagen, was mir einmal ein Elternteil mitgeteilt hat, und zwar hat er wortwörtlich zu mir gesagt, es ist ihm lieber, sein Junge trinkt ein legitimiertes Bier auf der Bude als ein anonymes Cola-Whiskey in der Disco. Und darum geht es nämlich: Mit einem Bier, lieber Herr Öllinger, kann man sich nicht ins Koma saufen. Es gibt auch keine Trinkrituale bei uns [Burschenschaften], sondern bei uns passiert genau das: Der vernünftige Umgang mit Alkohol wird den Jugendlichen dort schon anerzogen. (Beifall bei der FPÖ. - Abg. Öllinger [Grüne]: Drum gibt’s Freibier auf der Bude! ) 134 Doch nicht nur greifbare Gegenstände der außersprachlichen Wirklichkeit können zum Thema parteilichen Prädizierens werden, auch sprachliche Handlungen können vom Redner/ von der Rednerin parteienspezifisch beleuchtet werden. 135 Im folgenden Beispiel wird der gesamte Redebeitrag des Vorredners als nicht ernstnehmbar charakterisiert: Abg. Dipl.-Ing. Klement [FPÖ]: Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Minister! Hohes Haus! Es ist natürlich auch ab und zu erheiternd, was Kollege Grillitsch von sich gibt. Ob er es ganz ernst meint, was er hier sagt - ich glaube es nicht ganz, denn auch der Herr Minister hat sich ja die Hand vor lauter 132 20. Sitzung, 149. 133 Vgl. Gloning 1994b, 174f. 134 28. Sitzung, 158. 135 Vgl. Gloning 1994b, 174f. <?page no="190"?> 190 Lachen schon vor den Mund halten müssen. (Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll [ÖVP]: Überhaupt nicht! ) 136 Im Unterschied zum parteilichen Prädizieren, wo der Redner/ die Rednerin in seinen/ ihren Ausführungen die parteienspezifische Deutung erst vornimmt, wird beim Umdeuten auf Wörter zurückgegriffen, die bereits politisch oder parteilich motiviert sind, mit anderen Worten handelt es sich hier um Miranda (Hochwertwörter) und Anti-Miranda, um Stigmawörter und Fahnenwörter sowie um Schlagwörter und Losungen (Slogans). Die eigentlichen Schlüsselwörter der Sprache in der Politik stehen jedoch in den Redebeiträgen im Umfeld der Zwischenrufe nur selten für sich allein im Zentrum. Dies ist das eigentlich überraschende Ergebnis der Analyse, da anzunehmen war, dass gerade um diese parteilich motivierten Wörter der Kampf entbrennt. Bisweilen werden sie zwar in ihrer Wichtigkeit und Bedeutung noch weiter gestärkt, doch viel häufiger werden sie zur Stützung weniger prestigeträchtiger politischer Diskussionspunkte oder der eigenen Position sowie zur Stigmatisierung des Gegners/ der Gegnerin herangezogen. Sie stehen damit im Rahmen persuasiver Definitionen eher im Dienste der Aufwertung bzw. Abwertung als dass sie selbst als brisantes Wort im Kern der Argumentation stehen. So zielen im folgenden Beispiel sowohl Redner als auch Zwischenrufer weniger auf die Schlag- und Hochwertwörter gelebter Parlamentarismus und Demokratie, als auf den Zeitraum von acht Monaten, der metonymisch für die Arbeit des Eurofighter-Untersuchungsausschusses steht und als brisantes Wort vom Redner aufgewertet und vom Zwischenrufer angegriffen wird: Abg. Mag. Stadler [FPÖ] […] Meine Damen und Herren! Hohes Haus! Das waren acht Monate gelebter Parlamentarismus, wie er in einer normalen westlichen Demokratie Usus ist. (Abg. Rädler [ÖVP]: Acht Monate Selbstdarstellung von Stadler! ) 137 Oberstes Handlungsziel parteilicher Argumentation ist es, beim Adressaten/ bei der Adressatin Zustimmungsbereitschaft zu wecken, alle weiteren Handlungsziele sind diesem obersten Primat untergeordnet. 138 Parteiliche Wertungen sind daher wenig überraschend das hervorstechende und charakteristische Merkmal parlamentarischer Debatten - zumindest im Bereich der Rede-Zwischenruf-Sequenzen -, wobei vor allem abwertende Formulierungen das Bild bestimmen. Der parteilichen Abbzw. 136 28. Sitzung, 218. 137 28. Sitzung, 65. 138 Vgl. Liedtke 1996a, 6. <?page no="191"?> 191 Aufwertung werden alle weiteren Mittel und Instrumente politischer Argumentation, so etwa z.B. die traditionellen politischen „Streitwörter“ vom Hochwertwort bis zum Schlagwort, unterstellt. In der hierarchischen Ordnung politischer Handlungsziele steht die Wertung politischer Sachlagen bzw. politischer Akteure/ Akteurinnen damit noch über dem klassischen Kampf um Wörter. Nach dieser eher breit gehaltenen, generellen Einführung soll nun spezifisch auf jene Wörter eingegangen werden, die als Auslöser für Zwischenrufe aus dem Plenum für kommunikative Brisanz in den Debatten sorgen. 9.4.1 Kommunikative Brisanz durch Wörter Die folgende Abbildung (Abbildung 9) gibt eine Zusammenschau jener Wortkategorien, die vom Redner/ der Rednerin in seinem/ ihrem Beitrag in irgendeiner Weise parteilich modifiziert werden und die gleichzeitig in eine Aussage gebettet sind, auf die im Zwischenruf direkt Bezug genommen wird. Kurz: Hier handelt es sich um die eigentlich brisanten Wörter der Rede und Widerrede. Dabei zeigt sich, dass jene Aussagen den größten Anteil haben, in deren Zentrum eben kein parteilich geladener Ausdruck steht und die zumeist auch nicht auf einen parteilich geladenen Ausdruck referieren, sondern in mehr als der Hälfte der Fälle auf Personen, Parteien und Institutionen Bezug nehmen. In Zusammenhang mit „brisanten“ Pronomina findet sich hier sehr häufig die Unterscheidung in wir/ ich und Sie als sprachliche Differenzierung von In- und Out-Group, wie sie sich auch im folgenden Beispiel finden lässt: Abg. Öllinger [Grüne]: […] Wir sind auch - um es ganz offen zu sagen - mit Ihnen in der Frage der Pille danach, die Sie nicht rezeptfrei verordnen oder freigeben wollen, nicht einer Meinung. Wir sind auch nicht einer Meinung mit Ihnen, Frau Bundesministerin, in der Frage der Adoption von Kindern durch homosexuelle Paare. (Abg. Steibl [ÖVP]: Das macht ja nichts! ) 139 Während die wir/ Sie-Differenzierung vorherrscht, findet sich bisweilen aber auch das unpersönliche man. Holly spricht hier von der Nullvariante eines personalen Referenzausdrucks, indem dieser gerade vermeidet, eine Person bzw. Gruppe direkt anzusprechen. 139 20. Sitzung, 119. <?page no="192"?> 192 Abbildung 9: Wortkategorien in Aussagen mit Zwischenrufreferenz (N = 955 brisante Wörter/ Wortgruppen) Lesebeispiel: Von 955 brisanten Wörter bzw. Wortgruppen in Redeaussagen mit Zwischenrufreferenz steht in 17 Prozent der Fälle ein Fachwort im Zentrum. Man gehört gemeinsam mit anderen Indefinitpronomina zur Gruppe der generalisierenden Pronomina, 140 während Pluralausdrücke wie wir, ihr, Sie (Pl.) eher kollektivierend wirken. 141 So fehlt der ausgesprochen starken Kritik im folgenden Beispiel durch das unpersönliche man die explizite Referenz und damit die nötige Angriffsfläche, um sich direkt angesprochen zu fühlen und damit berechtigt zu sein, sich dagegen zur Wehr zu setzen: Abg. Dr. Aspöck [FPÖ]: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Ich kann eigentlich nahtlos an die Ausführungen meines 140 Vgl. Holly 1979, 200. 141 Vgl. Holly 1979, 201. Pronomen 25,0% Fachwort 17,3% Alltagssprache 17,0% Name 10,6% Schlagwort 7,1% Wortgruppe 4,7% Zahl 4,0% andere Wortkategorie 14,3% <?page no="193"?> 193 Klubobmannes anschließen. Zunächst aber ein kleiner Vorspann: Ich habe mir bei der Vorbereitung dieses Themas - weil ich ja die Argumente, die da zu erwarten waren, eben schon so, wie sie vorgebracht wurden, erwartet habe und diese auch im Antrag gestanden sind - eigentlich schon eine Frage gestellt: Sind wir in unserer Gesellschaft schon so weit, dass man völlig abstruse Gedanken haben muss, um Schickimicki sein zu können? (Ruf bei der ÖVP: Das geht so auch! ) 142 Kollektivierende und generalisierende Pronomina beschränken sich in der Politik jedoch nicht nur auf die Mitglieder einer Partei, sie können auch größere politische Allianzen wie (koalitionäre) Regierung und Opposition oder aber ganz allgemein Gesinnungsgemeinschaften umfassen. 143 Wertungen schreiben diesen Gruppen positive bzw. negative Attribute zu und koppeln sie an die Identifikation der Wir-Gruppe bzw. Feind-Gruppe an, indem der Empfänger/ die Empfängerin über zum Teil stereotype Wertungen hingeführt wird zur Identifikation. 144 Im folgenden Ausschnitt wird sowohl die freiheitliche Wir-Gruppe als auch der freiheitliche Redner als besonders verantwortungsbewusst und verlässlich charakterisiert, während die Regierung als Feindgruppe als nachlässig und untätig dargestellt wird: Abg. Themessl [FPÖ]: […] Das jetzt noch zu unterstützen, wäre eine Todsünde unsererseits, und schon überhaupt eine Todsünde von mir als Wirtschaftssprecher, dieses Budget jetzt fortschreiben zu wollen. Hätten Sie Ihre Aufgaben gemacht, hätten Sie schneller gearbeitet - ich hoffe, dass das in Zukunft der Fall sein wird -, dann wäre das nicht notwendig. (Beifall bei der FPÖ. - Abg. Jakob Auer [ÖVP]: Im Ausschuss schon! Ganz etwas Neues! ) 145 Eine eindeutige Zuordnung der Pronomina zu Personengruppen ist für die Analyse der Rede-Zwischenruf-Sequenzen aufgrund mangelnder Hintergrundinformationen und kontextueller Situierung bisweilen nur schwer möglich. Ein Zusammenhang zwischen Bezeichnung und Bezeichnetem muss daher indirekt aus der Reaktion des Plenums geschlossen werden: Wer auf eine bestimmte diffamierende Aussage reagiert, wird vermutlich auch der/ die sein, der/ die vom Redner/ von der Rednerin angegriffen wurde. So werden die verbalen Attacken im folgenden Redebeitrag in Zusammenhang mit der Eurofighter-Beschaffung allein von Zwischenrufen der ÖVP begleitet, die sich offensichtlich mit dem Sie in der Rede identifiziert: 142 20. Sitzung, 204. 143 Vgl. Zimmermann 1969, 157. 144 Vgl. Zimmermann 1969, 157. 145 14. Sitzung, 18. <?page no="194"?> 194 Abg. Mag. Kogler [Grüne]: […] Sie werden das auch noch im Eurofighter- Ausschuss erleben, wenn wir über die Gegengeschäfte sprechen werden. Dort ist Ihnen das Lachen aber ohnehin schon wieder dreimal vergangen, und Sie werden wieder den Millionen nachplärren, von denen wir nachgewiesen haben, dass Sie sie sich von der Eurofighter GmbH unter dem Hintern wegklauen lassen haben! (Zwischenruf des Abg. Gahr [ÖVP]. - Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.) 146 Wer in den kollektivierenden und generalisierenden Pronomina erfasst ist, ist zudem nicht für alle Zeit festgeschrieben, sondern ändert sich mit den unterschiedlichen politischen Allianzen, wie folgendes Beispiel beweist, in dem das kollektivierende wir auf einen genauen Zeitraum beschränkt ist: Abg. Dolinschek [BZÖ]: […] Sie setzen sich sozusagen an den gedeckten Tisch, den wir von 2000 bis 2006 aufbereitet haben. (Abg. Broukal [SPÖ]: Sie machen das sicher besser! ) 147 Der Regierungswechsel von schwarz-blauen bzw. schwarz-orange zu rotschwarz brachte eine Veränderung bei der wir/ Sie-Gruppe mit sich. Im obigen Beispiel ist das kollektivierende wir eben nicht - wie normalerweise üblich - zu übersetzen mit „wir die Opposition“, sondern mit „wir die alte schwarz-blaue bzw. schwarz-orange Regierung“. Um diese Unterscheidung jedoch überhaupt treffen zu können, muss spezifiziert werden, welches politische wir gemeint ist. Sehr oft findet sich hier in den Reden wie auch in den Zwischenrufen der metonymische Rückgriff auf politische Zeiträume. Das politische wir steht somit immer gerade für jene politische Allianz, die für den jeweiligen Zeitpunkt Gültigkeit besitzt und ist somit wiederum stark an das episodische Wissen der Rezipienten/ Rezipientinnen gebunden. Allgemein stellen Zeit-Metonymien in den analysierten Rede-Zwischenruf-Sequenzen ein wichtiges Instrument zur Gruppendefinition dar. Indem Zeiträume hier für politische Gruppen bzw. (koalitionäre) Bündnisse stehen, werden sie selbst sehr oft zum brisanten Wort der Rede bzw. zum Aufhänger des Zwischenrufs. Eine Kombination aus kollektivierenden, generalisierenden Pronomina und metonymischer Gruppendefinition findet sich im folgenden Beispiel: Bundesministerin Bures [SPÖ]: […] Daher sind Maßnahmen, wie sie in der Vergangenheit da waren, Frauen eher aus dem Erwerbsleben herauszudrängen, genau die, die dann zur Altersarmut führen. Daher muss man schon viel früher ansetzen, damit Frauen im Alter eine Absicherung haben, 146 14. Sitzung, 153. 147 20. Sitzung, 75. <?page no="195"?> 195 wenn wir dafür sorgen, dass es ausreichend Jobs für Frauen gibt und Beruf und Familie vereinbar sind. (Abg. Steibl [ÖVP]: Das macht aber die Wirtschaft! ) 148 Der Hinweis auf die Vergangenheit, in der der falsche Weg in Hinblick auf Frauenpolitik eingeschlagen wurde, ist eine indirekte Kritik der roten Bundesministerin Doris Bures an der alten schwarz-blauen bzw. schwarzorangen Regierung und damit eine Kritik am nunmehrigen Koalitionspartner ÖVP. Das generalisierende man dient dabei als Abtönungselement, indem es eine konkrete Gruppenzuschreibung umgeht und nur eine allgemeine Notwendigkeit umschreibt. Zuletzt mündet die Gruppenzuschreibung in einem pro-aktiven wir, wobei jedoch nicht deutlich wird, ob sich dieses wir auf die SPÖ beschränkt oder den Regierungspartner mit hereinnimmt. Eine Interpretationsmöglichkeit bietet der Zwischenruf: Indem die schwarze Abgeordnete Ridi Steibl auf die positiven Wir-Zuschreibungen mit einem Widerspruch reagiert, fühlt sie sich bzw. ihre Partei nicht in das wir der sozialdemokratischen Rednerin eingeschlossen. Zahlen werden jedoch nicht nur zur Gruppendefinition herangezogen, sie sind auch in Zusammenhang mit politischen Sachlagen verhältnismäßig stark umstritten, da sie den in messbaren Zahlen gegossenen Erfolg bzw. Misserfolg der Regierungspolitik darstellen. Besonders gerne werden, wie im folgenden Beispiel, Geldbeträge als Bemessungsgrundlage herangezogen: Bundesminister Mag. Darabos [SPÖ]: […] Ich sage Ihnen abschließend noch einmal: 400 Millionen € - 6 Milliarden Schilling, um in der alten Währung zu bleiben - weniger Kosten für die Republik Österreich, Geld, das für Sozialausgaben, für Bildungsaufgaben verwendet werden kann. (Abg. Strache [FPÖ]: Das ist ein Taschenspielertrick! ) 149 Fachwörter sind zusammen mit alltagssprachlichen Ausdrücken die zweithäufigste Wortkategorie, die in den Redebeiträgen der Nationalratsabgeordneten als brisantes Wort erkennbar werden, und sind damit häufiger im Zentrum der Rede-Zwischenruf-Sequenzen zu finden als etwa konkrete Namen oder Schlagwörter. Das Fachwort als brisantes Wort stammt dabei sehr häufig aus dem Bereich der parlamentarischen Abläufe und ist somit sehr eng an die spezifische Redesituation im Nationalrat geknüpft, wie im folgenden Redebeitrag die Fragestunde im Nationalrat: Abg. Öllinger [Grüne]: […] Wenn Sie als Vertreter einer Oppositionspartei dem Instrument der Fragestunde nachweinen, wenn Sie dem nachweinen, ei- 148 28. Sitzung, 25. 149 28. Sitzung, 54. <?page no="196"?> 196 nem Instrument, das in seiner derzeitigen Form von jeder Oppositionspartei sinnvollerweise nur angegriffen werden kann, weil es ein Verlautbarungsorgan ist für Minister, wenn Sie offensichtlich noch in den alten Zeiten leben, in denen Sie das produzieren konnten oder selbst machen konnten, ist das Ihre Sache. Aber ein sinnvolles Instrument für den Parlamentarismus, für Opposition ist die Fragestunde in ihrer jetzigen Verfassung mit Sicherheit nicht. (Beifall bei den Grünen. - Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Deswegen kann man sie abwürgen? ! Warum nehmen Sie denn dann teil an der Fragestunde? ) 150 Sehr häufig wird dem sinntragenden brisanten Wort, im Beispiel Fragestunde, ein zweites oder mehrere sinnentleerte Wörter vorangestellt, in diesem Fall Instrument. Pörksen bezeichnet Wörter, „die ein riesiges Feld auf einen Nenner bringen und einen diffusen und inhaltsarmen Universalitätsanspruch erheben“ 151 , als „Plastikwörter“ 152 . Derlei bedeutungsweite Wörter werden auffällig oft parteilich motivierten Schlüsselwörtern vorangestellt (z.B. die Frage der Einkommensschere 153 , der Auftrag zur Landesverteidigung 154 oder der Vorgang der Tilgung 155 ). Mit ihnen wird versucht, „ein riesiges Feld auf einen Nenner [zu] bringen und einen diffusen und inhaltsarmen Universalitätsanspruch [zu] erheben.“ 156 Sie vermitteln kaum Information, sondern sollen einen vertrauten Rahmen herstellen, indem sie eine emotionale Übereinstimmung zwischen Sprecher/ Sprecherin und Hörer/ Hörerin herstellen, die nicht durch rationales Räsonnement getrübt wird. 157 Bedeutungsweite Wörter müssen jedoch nicht, wie im Fall der Plastikwörter, argumentative Winkelzüge sein, sondern können sich einfach aus der Sachlage ergeben, die einen bestimmten Ausdruck fordert bzw. nahelegt. Ein typisches Beispiel dafür ist der Ausdruck Änderung, wie im folgenden Beispiel: Abg. Mag. Schatz [Grüne]: […] Meine Damen und Herren, bitte überlegen Sie, welches Signal gesetzt worden ist mit der Änderung des Hochschülerschaftsgesetzes 2004, davor schon mit der Änderung des Universitätsgesetzes 2002! (Abg. Dr. Brinek [ÖVP]: Da wurde ein richtiges Signal gesetzt! ) 158 150 28. Sitzung, 128. 151 Pörksen 1992, 119. 152 Pörksen 1992, 13. 153 14. Sitzung, 75. 154 28. Sitzung, 47. 155 20. Sitzung, 210. 156 Pörksen 1992, 119. 157 Vgl. Zimmermann 1972, 164. 158 14. Sitzung, 125. <?page no="197"?> 197 In manchen Fällen sind bedeutungsweite Wörter die sachlich einzig richtige Bezeichnung, in anderen Fällen sind sie reine Proformen, die für zuvor spezifizierte bzw. noch zu spezifizierende Sachlagen stehen. Derlei wenig bestimmte und weitgreifende Ausdrücke haben zudem den Vorteil, dass sich der Politiker/ die Politikerin mit ihnen auf nichts Konkretes festlegt. Mit ihnen wird großräumig über einen Kamm geschert, was der eigenen Sichtweise entspricht, ohne Gefahr zu laufen, auf bestimmte Aussagen festgenagelt zu werden. Sehr oft berufen sich Politiker/ Politikerinnen etwa auf gesetzte bzw. geplante Maßnahmen in einem bestimmten Bereich, wie im folgenden Beispiel: Bundesministerin Mag. Bures [SPÖ]: […] Das Problem in den letzten Jahren war, dass es viele Maßnahmen gegeben hat, die eben nicht einen Impuls dazu gegeben haben, Frauen dabei zu unterstützen, Beruf und Familie vereinbaren zu können, sondern es waren eher Maßnahmen, die Frauen vom Arbeitsmarkt gedrängt haben. (Abg. Mag. Wurm [SPÖ]: Genau! ) 159 Zu beachten ist, so Liedtke, dass weit definierte Ausdrücke im Zuge politischer Debatten „ihre Allgemeingültigkeit verlieren und selektiv werden infolge einer semantischen Aufladung und Spezifizierung durch eine Partei oder Gruppierung.“ 160 In Zusammenhang mit Selbstzuschreibungen ist diese Aufladung positiv wertend, in Zusammenhang mit Fremdzuschreibungen wird sie negativ wertend vorsichgehen. 161 Auf Manipulationen wird besonders heftig reagiert, wenn Personen bzw. Parteien diffamiert, gedeutet oder aufgewertet werden, d.h., das Image bzw. Gesicht einer politischen Bewegung direkt bedroht wird. So auch im folgenden Beispiel, wo der grüne Ausschussobmann zur Eurofighter-Untersuchung Peter Pilz die ÖVP als treibende Kraft hinter der Beschaffung des Abfangjägers unter Korruptionsverdacht stellt: Abg. Dr. Pilz [Grüne]: […] Das Hauptergebnis des Ausschusses ist, dass bekannt geworden ist, wie korruptionsanfällig das militärische Beschaffungswesen ist - und dass es eine Partei gibt, die dieses System um jeden Preis zu decken bereit ist. (Abg. Mag. Kukacka [ÖVP]: Das ist eine Erfindung! Das ist eine Lüge! Sie sind ein Lügner! ) Das ist der entscheidende Punkt, um den es auch in Zukunft gehen wird. Die ÖVP weiß, dass die Zahlungsflüsse in Richtung ihrer Kassen zeigen. (Abg. Freund [ÖVP]: Das stimmt überhaupt nicht! - Abg. Mag. Kukacka [ÖVP]: Das ist eine Lüge! ) 162 159 28. Sitzung, 18. 160 Liedtke 1996a, 4. 161 Vgl. Liedtke 1996a, 4. 162 28. Sitzung, 83. <?page no="198"?> 198 Der so in seinem/ die in ihrem Gesicht Bedrohte wird daraufhin versuchen, das rituelle Gleichgewicht wieder herzustellen, indem er/ sie „in einem anderen Zusammenhang als dem der ursprünglichen Missetat den Täter zu einem Eingeständnis zu bewegen“ 163 sucht. „Meist wird der Verletzte aber versuchen, zuerst auf einem Nebenschauplatz zu siegen, und dann durch argumentative Verknüpfung auf sein ursprüngliches Anliegen zurückkommen.“ 164 Etwa versucht der orange Parteiobmann Peter Westenthaler im folgenden Beispiel den frontalen Angriff des grünen Redners Karl Öllinger durch Witz und Ironie ins Leere laufen zu lassen und die Lacher auf seiner Seite zu versammeln: Abg. Öllinger [Grüne]: […]Sie sind in dieser Woche mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit getreten, dass die Regierung und das Parlament endlich etwas arbeiten sollen, daher wird die Sommerpause abgeschafft. - Das ist insofern ein origineller Vorschlag, die Abschaffung der Sommerpause, als sich das BZÖ ganzjährig in geistiger Sommerpause befindet. (Heiterkeit und Beifall bei den Grünen.) Aber sei’s drum, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Besser in der Sommerpause als in geistiger Umnachtung! ) 165 Traditioneller Weise werden Schlagwörter als zentraler Schauplatz politischer Bezeichnungsbzw. Bedeutungskämpfe angesehen. Dazu Klein: „Schlagwörter dienen als Instrumente der politischen Beeinflussung. Mit ihnen wird versucht, Denken, Gefühle und Verhalten zu steuern, soweit sie politisch relevant sind. Sie sind eine Hauptwaffe der politischen Auseinandersetzung. Daher sind sie oft selbst umkämpft. Um in der Kampfmetaphorik zu bleiben: Wer dem Gegner die Waffe entwendet, wer sie ihm stumpf macht, oder wer selbst eine spezielle Abwehrwaffe zur Zerstörung eines gegnerischen Waffentyps entwickelt, hat Vorteile im politischen Kampf. Darum ist politische Auseinandersetzung nicht nur Kampf mit Wörtern, sondern auch oft Kampf um Wörter, meist um Schlagwörter.“ 166 Schlagwörter bieten die Möglichkeit, den Inhalt vollständiger Argumentationsketten in ein einziges Wort zu packen. Sie charakterisieren schlaglichtartig aktuelle Tendenzen, Probleme oder Lösungen und fügen gleichzeitig subjektive Bewertungen ein. 167 Es kann entweder ein Einzelwort oder ein Wortverband sein, der „in stilistisch komprimierter und einpräg- 163 Holly 1979, 164. 164 Holly 1979, 164. 165 20. Sitzung, 127f. 166 Klein, zit. in: Hombach 1991, 38. 167 Vgl. Bachem 1979, 63. <?page no="199"?> 199 samer Form“ 168 das „gemeinsame Bewusstsein oder Wollen, eine bestimmte Tendenz, ein Ziel oder Programm einer Gruppe“ 169 ausdrückt und die eigene Partei in Richtung der gegnerischen abgrenzt. 170 Das Schlagwort „bewegt sich meist auf einer höheren Abstraktionsebene und vereinfacht die Wirklichkeit gemäß den Erfordernissen des kollektiven Handelns, hat die Aufgabe, Anhänger zu werben und zu sammeln oder den Gegner zu bekämpfen und zu diffamieren, ist in seiner appellativen Funktion hörerorientiert und zieht seine Wirkungen vornehmlich aus den angelagerten Gefühlswerten.“ 171 Ein Wort kann jedoch nicht von sich aus zum Schlagwort werden, es wird nur in einer bestimmten Situation zum Schlagwort und verfolgt dort, wo es an die Öffentlichkeit kommt, im Sinne seines Verwenders/ seiner Verwenderin die Meinungsbildung und Meinungsänderung der Rezipienten/ Rezipientinnen. 172 In den untersuchten Rede-Zwischenruf-Sequenzen wird den Schlagwörtern nun weit weniger Aufmerksamkeit geschenkt als zunächst angenommen. Anstelle selbst zum Ziel der Manipulationsaktivitäten des Redners/ der Rednerin zu werden und in Folge auch der Angelpunkt für den Zwischenruf, kommt ihnen eine viel größere Bedeutung bei der Bewertung anderer Ausdrücke zu. Sie sind somit eher Mittel und Instrument als Ziel und Zweck. So findet sich im folgenden Beispiel sehr wohl das vor allem für die FPÖ zentrale Schlagwort Zuwanderung, der Zwischenruf bezieht sich jedoch nicht auf das Schlagwort, sondern auf das als zu vage empfundene Wort Frauenbild im Nebensatz: Abg. Dr. Belakowitsch-Jenewein [FPÖ]: […] Aber ein wichtiges Thema der Frauenpolitik - und das lassen gerade die Grünen gerne unter den Tisch fallen, weil es ihrem heilen Multikulti-Weltbild widerspricht - ist die Zuwanderung. Gerade diese schrankenlose Zuwanderung in den letzten Jahrzehnten hat dazu geführt, dass in Österreich wieder ein Frauenbild Einzug gehalten hat, das wir im 21. Jahrhundert eigentlich nicht mehr brauchen. (Beifall bei der FPÖ. - Abg. Heinisch-Hosek [SPÖ]: Was ist das für eines? ) 173 Weitere typische Beispiele für Schlagwörter sind Demokratisierung oder Solidarität , genauso wie alle Wörter, die die Grundwerte einer Gruppe 168 Dieckmann 1964, 79. 169 Dieckmann 1964, 79. 170 Vgl. Dieckmann 1964, 79. 171 Dieckmann 1964, 79f. 172 Vgl. Dieckmann 1980, 61. 173 14. Sitzung, 98. <?page no="200"?> 200 ausdrücken. Damit kommen sie gesellschaftlichen Hochwertwörtern wie Sicherheit sehr nahe, die gerne auch als politische Fahnenwörter verwendet werden. 174 Eine weitere Möglichkeit der Nutzung von Hochwertwörtern für parteiliche Zwecke besteht darin, ihre Inhalte dem Gegner/ der Gegnerin abzusprechen. Derlei direkte oder indirekte Anspielungen werden meist sofort zurückgewiesen, wie im folgenden Beispiel in Zusammenhang mit dem österreichischen Hochwertwort Neutralität: Abg. Dr. Cap [SPÖ]: […] Aber ich bin trotzdem sehr zufrieden, dass mit 400 Millionen € Einsparung […] und weniger Flugzeugen ein für die österreichischen Steuerzahler, für die österreichische Sicherheit, nämlich wirklich für die Luftraumüberwachung, kluger Weg gefunden wurde […], auch im Einklang mit der österreichischen Neutralität, die in unseren Augen einen großen Wert darstellt. Es wurde versucht, mit diesen Flugzeugen ein wenig um die Neutralität herum in Richtung Bagdad oder wohin auch immer zu fliegen. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) - Ihr Aufheulen bestätigt, dass Sie das immer vorgehabt haben. 175 Dabei liegt es in der Natur der Hochwertwörter, dass sie nie als Stigmawörter verwendet werden können, d.h., immer positiv orientiert sind, von den politischen Gegnern/ Gegnerinnen daher nicht angefochten werden können. 176 So bleibt im folgenden Beispiel dem grünen Zwischenrufer nichts anderes übrig, als die in Hochwertwörter gekleidete Aussage des Redners zu bestätigen: Vizekanzler Mag. Molterer [ÖVP]: […] Ich habe eigentlich erwartet, meine Damen und Herren, dass gerade die Einhaltung der Bürgerrechte die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Fraktionen dieses Hauses genießt. (Abg. Öllinger [Grüne]: Ja! ) 177 Nicht-kooperative Zwischenrufe greifen daher, um auf derlei Aussagen angemessen zu reagieren, auf ein altbewährtes Mittel zurück: Man bekämpft Gleiches mit Gleichem, so wie im folgenden Beispiel: Abg. Dr. Pilz [Grüne]: […] Sie wissen, dass die Causa für die Partei Eurofighter und ÖVP im Großen und Ganzen verloren ist. Herr Vizekanzler, die Frage an Sie ist: Sind Sie in der Lage und bereit, diesen Kurs zu ändern und mit uns und diesem Haus gemeinsam zu versuchen, weiteren Schaden von der Republik Österreich abzuwenden? Es geht nicht um Kleinigkeiten, es geht um 2 Milliarden €! Wir stehen kurz davor, diese 2 Milliarden € aus dem Bundesbudget für ganz 174 Vgl. Klein 2005, 133. 175 28. Sitzung, 60. 176 Vgl. Strauß 1986, 103. 177 20. Sitzung, 138. <?page no="201"?> 201 andere Investitionen in die Zukunft Österreichs zu retten. Wir können 2 Milliarden € retten für Klimaschutz, für Bildungspolitik, für die Finanzierung von Grundsicherung, für all das, das Sie beschwören, aber nicht finanzieren können. (Abg. Dr. Stummvoll [ÖVP]: Sicherheit brauchen wir nicht! ) 178 Auch hier werden die eingesetzten Hochwertwörter selbst nicht thematisiert. Sie sind daher laut Definition der vorliegenden Arbeit nicht als brisant zu kategorisieren, sie tragen aber wesentlich zur Brisanz der umstrittenen Zahl bei. Für Panagl sind die politischen Leit- oder Schlüsselwörter bezeichnend für bestimmte politische Perioden, indem sie durch ihre Frequenz über die jeweiligen Parteigrenzen hinweg einen Einblick in die Geisteshaltung der jeweiligen Epoche bieten. 179 An den untersuchten Sitzungstagen war dies vor allem auch in Folge der Eurofighter-Debatte das Wort Sicherheit, das besonders von den Mitte-rechts-Parteien gern, sei es zur eigenen Profilierung oder zur gegnerischen Stigmatisierung, im Munde geführt wurde und daher auch vom Mitte-links-Gegner zum Thema gemacht werden musste. Als Beispiel hierfür folgender Ausschnitt, in dem der Redner der SPÖ in das allgemeine Loblied auf die Sicherheit mit einstimmt und sich in Folge über eine positive Rückmeldung von Seiten des schwarzen Koalitionspartners freuen darf: Abg. Gaál [SPÖ]: Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Kollege Scheibner, sicher liegt uns die Sicherheit am Herzen, das haben wir in den vergangenen Jahren unserer Zusammenarbeit ja auch bestätigt und bewiesen, und auch in diesem Bereich stehen wir Sozialdemokraten für Kompetenz, Glaubwürdigkeit und Vertrauen; das möchte ich vorausschicken. (Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Wir wären für dich als Minister gewesen! ) […] Die Sozialdemokraten haben immer wieder darauf hingewiesen, dass sich Sicherheitspolitik nicht für Parteipolitik eignet. (Abg. Dr. Mitterlehner [ÖVP]: Sehr positiv! ) 180 Die Anti-Miranda (Wörter mit allgemein evaluativ-negativer Bedeutung) teilen das Los der Hochwert- und Schlagwörter. Auch sie werden in den Rede-Zwischenruf-Sequenzen eher dazu verwendet, den gegnerischen Ausdruck zu bekämpfen, als dass sie selbst bekämpft werden. So geht es im folgenden Beispiel weniger darum, die Arbeitslosigkeit selbst zu thematisieren als vielmehr darum, die letzten Jahre, die metonymisch für die schwarz-blaue bzw. schwarz-orange Koalition stehen, zu diffamieren. Die 178 20. Sitzung, 136. 179 Vgl. Panagl 1998, 21. 180 20. Sitzung, 179. <?page no="202"?> 202 Zwischenrufe nehmen dabei den Gedankengang auf und antworten mit dem Hinweis auf noch ältere Verantwortlichkeiten bzw. mit der Aufwertung der durch den Redner abgewerteten Regierungsallianz der letzten Jahre: Abg. Krainer [SPÖ]: […] Wir hatten in den letzten Jahren steigende Arbeitslosigkeit, Rekordarbeitslosigkeit, wir waren Schlusslicht in Europa, was die öffentlichen Investitionen betrifft. (Abg. Dr. Stummvoll [ÖVP]: 1999 [rotschwarze Koalition], jawohl! - Abg. Neugebauer [ÖVP]: Gut gearbeitet! ) 181 Von den Anti-Miranda abzugrenzen sind die konkret auf den politischen Gegner/ die politische Gegnerin zugeschnittenen negativ besetzten Stigmawörter. 182 Im folgenden Beispiel wird etwa bewusst das naive Bild einer alternativen grünen Bewegung evoziert, die im Rahmen ernstzunehmender Kulturpolitik, wie sie von Seiten des Redners vertreten wird, nur lächerlich erscheinen kann: Abg. Morak [ÖVP]: […] Auf der anderen Seite sage ich aber auch: Was sind die Facts? - Die Facts sind, dass es ein Vorspielen hinter dem Vorhang gibt, dass gelost wird, dass keiner weiß, wer hinter dem Vorhang spielt. Wahr ist auch, dass der Frauenanteil noch beklagenswert niedrig ist, aber auch - und das muss man auch sagen -, dass es sich um eines der weltbesten Orchester handelt. Und einige, die von Musik einiges verstehen, sagen, es ist das beste Orchester der Welt. (Beifall bei der ÖVP.) Meine Damen und Herren, ich weiß, dass zu einer Zeit, als die Grünen noch dachten, dass es sich bei Kulturpolitik um Töpfern, Teppichknüpfen und Batiken handelt (Heiterkeit bei der ÖVP - Abg. Dr. Grünewald [Grüne]: Geh, bitte! ) - na ja, so lange ist das noch nicht her! 183 Die letzte in diesem Abschnitt diskutierte Kategorie betrifft Aussagen, bei denen sich der Zwischenruf nicht an einem spezifischen Ausdruck festmachen lässt bzw. bei denen auch die strategische Bedeutungsveränderung nicht auf ein Wort, sondern auf ein als Phrase ausgedrücktes Konzept ausgedehnt wird. Dies ist zum einen immer dann der Fall, wenn sich der Redner/ die Rednerin auf Aussagen des politischen Gegners/ der politischen Gegnerin bezieht und diese explizit wiederaufnimmt, wie im folgenden Beispiel: Abg. Dr. Haimbuchner [FPÖ]: […] Und dann zu diesem Märchen des Energiebauern. Es ist in Ordnung, wenn Landwirte für die Energieerzeugung herangezogen werden. Überhaupt keine Frage: Überall dort, wo der Bauernstand erhal- 181 14. Sitzung, 18. 182 Vgl. Böke 1996, 39. 183 14. Sitzung, 114. <?page no="203"?> 203 ten werden soll mit allen Mitteln, soll alles recht sein. Da haben Sie auch unsere Unterstützung, das gibt es überhaupt keine Diskussion. Ich habe da aber eine ganz nette Broschüre entdeckt. (Der Redner hält eine Broschüre in die Höhe.) Da ist ja Ihr Kollege, Kollege Schultes, wenn ich das richtig sehe: Unabhängig von Erdöl mit Biotreibstoffen, heißt es hier. (Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll [ÖVP]: Bravo! ) 184 Zum anderen sind brisante Phrasen auch dort zu finden, wo konzentrierte Nominalisierungen wieder in prädikative Strukturen aufgelöst werden, wie im folgenden Textbeispiel: Abg. Ing. Hofer [FPÖ]: […] Es soll dieses Kraftwerk in Simmering gebaut werden, das ist in Ordnung, aber wir glauben, dass es keinen Sinn hat, das Verbrauchen von fossilen Energieträgern zu fördern. (Ruf bei der ÖVP: Tun wir auch nicht! ) 185 Insgesamt ist festzuhalten, dass die kommunikative Brisanz bestimmter Wörter vor allem durch deren vorsätzliche Aufbzw. Abwertung entsteht. Dem Aspekt der Aufbzw. Abwertung soll daher im letzten nun folgenden Abschnitt innerhalb der semantischen Analyse noch einmal Rechnung getragen werden. 9.4.2 Kommunikative Brisanz durch Auf- und Abwertung Ickler kritisiert, in der Politik sei es üblich geworden, „dem politischen Gegner nicht bloß entgegenzuhalten, dass er unrecht habe; man spricht ihm Rationalität ab, erklärt ihn für von Emotionen getrieben, während man selbst natürlich auf der Seite der Vernunft steht.“ 186 Nach van Dijk geht es in politischen Reden darum, sich selbst positiv und den Gegner/ die Gegnerin negativ darzustellen. 187 Diese zugrundeliegende Strategie lässt sich, so van Dijk, auf allen Ebenen der Sprache wiederfinden: 188 Auf der Beziehungsebene; in den Sprechakten; in den semantischen Makrostrukturen, indem „für sie“ negative bzw. „für uns“ positive Themen gewählt werden; in den lokalen Bedeutungsstrukturen, indem entweder mehr oder weniger Details genannt werden, mehr oder weniger explizit, mehr oder weniger generalisierend gesprochen wird; in der Wortwahl, d.h. je nachdem die Verwendung von Stigmawörtern vs. Hochwertwörtern; in der Grammatik, d.h. dem Gebrauch von Nominalisierungen so- 184 28. Sitzung, 228. 185 14. Sitzung, 158. 186 Ickler 1988, 40. 187 Vgl. van Dijk 2006a, 273. 188 Vgl. van Dijk 2006a, 273. <?page no="204"?> 204 wie Aktiv- und Passivformen; in den rhetorischen Figuren, z.B. Hyperbeln, Euphemismen, Metonymien und Metaphern; in der Reihung der Themen; ja sogar in der Aussprache, indem bestimmte Textsegmente oder Wörter lauter und deutlicher gesprochen (bzw. fett oder kursiv geschrieben) werden. 189 Der Sprecher/ die Sprecherin baut jedoch nicht nur einen gewissen Stimmungsgehalt auf, er/ sie bezieht Stellung, indem, so Dieckmann, nicht nur geurteilt, sondern zugleich verurteilt wird. 190 Über Werturteile wird laut Klein auch deutlich, welche Beziehung die Person zum bewerteten Gegenstand hat und welche „persönlichen Empfindungen, Einstellungen, Vorstellungen von positiven oder negativ besetzten Normen“ 191 dem Urteil zugrunde liegen. 192 Der angestrebte Sollwert wird dabei aus Sicht des jeweiligen parteienspezifischen Blickwinkels mit dem Istwert verglichen, wobei negative Aussagen, so Böheim in ihrer Arbeit zur Sprache von Musikkritiken, stets zum Ausdruck bringen, dass der Sollwert nicht erreicht sei, positive Aussagen, dass der Sollwert erreicht oder sogar weit überschritten wurde. 193 Der Zwischenrufer/ die Zwischenruferin zeigt nun in seinem/ ihrem Einwurf zumeist sofort die Gegenposition an und folgt in den verwendeten Mitteln vielfach der Vorlage des Redners/ der Rednerin, wie im folgenden Beispiel, in dem der Zwischenrufer konkret auf die vom Redner evozierten Einsparungen eingeht: Abg. Dr. Cap [SPÖ]: […] Aber ich bin trotzdem sehr zufrieden, dass mit 400 Millionen € Einsparung (Abg. Strache [FPÖ]: Keine Preisreduktion! ) und weniger Flugzeugen ein für die österreichischen Steuerzahler, für die österreichische Sicherheit, nämlich wirklich für die Luftraumüberwachung, kluger Weg gefunden wurde (Abg. Strache [FPÖ]: Das ist ja keine Preisreduktion! Gleiche Qualität und Preisreduktion, das ...! ) 194 Werturteile können durch Einzelwörter, syntaktische Konstruktionen, rhetorische Figuren, Gesten, Stimmführung oder verfremdendes Zitieren ausgedrückt werden, hinzukommen noch alle Spielarten der Ironie, der Satire und der Polemik. 195 Henne und Rehbock kommen auf fünf sprachliche Muster der Bewertung: Prädikation durch wertende Adjektive oder 189 Vgl. van Dijk 2006a, 273. 190 Vgl. Dieckmann 1964, 39. 191 Klein, 1978, 45. 192 Vgl. Klein, 1978, 45. 193 Vgl. Böheim 1987, 39. 194 28. Sitzung, 60. 195 Vgl. Klein 1978, 45. <?page no="205"?> 205 durch wertende Verben, die Verwendung von wertenden Substantiven, Abtönungspartikeln (denn nun, ja auch, immerhin usw.) und Gliederungspartikeln (na ja usw.). 196 Böke ergänzt diese Liste um konträre Attribuierungen im Sinne von echt oder falsch, realistische Diktion (Das ist …) und taktische Transformationen (d.h., ein Wort wird „übersetzt“ in eine anderes). 197 Wengeler weist zudem auf den Nutzen von polaren Ausdrücken hin, 198 die die Bezeichnung des Gegners/ der Gegnerin automatisch zur Gegenposition machen. 199 Semantisch ist, so Heusinger, die Grenze zwischen wertend und wertneutral nicht so ohne weiteres ersichtlich. 200 Um eine erste Unterscheidung zu treffen, wird allgemein das Wort als bewertend wahrgenommen, dessen konnotiertes Sem den lexikalisch-semantischen Platz des Lexems bzw. Semems im Sprachsystem (mit)bestimmt, 201 wobei unterschieden werden muss in Lexeme, „deren eigentliche Funktion das Bewerten ist, z.B. gut, schlecht, nützlich (sog. Wertwörter […]) und [Lexeme], deren Semantik bewertende Elemente lediglich einschließt, z.B. Freund, Feind (sog. konnotierte Wörter […]).“ 202 Daneben gibt es beschreibende Beiwörter, die ihre wertende Funktion erst im Kontext einer damit verbundenen Normvorstellung in Hinblick auf das außersprachliche Bezugsobjekt erhalten. 203 Bewertungen und Werturteile hängen somit immer auch von den gesellschaftlichen Werten ab, die den Wertungen als Vergleichswert zugrunde liegen. 204 Die Grenze zwischen lexematischen Wertwörtern und wertenden Beiwörtern gestaltet sich dabei fließend: 205 „Der semantische Unterschied zwischen ‚gut‘ und ‚intelligent‘ wird dadurch erklärt, dass ‚gut‘ nur ausdrückt, dass ein ‚Sollwert‘ erfüllt ist, während ‚intelligent‘ eine ‚vergleichsbestimmende Hinsicht und eine 196 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 279. 197 Vgl. Böke 1996, 49. 198 Vgl. Wengeler 2005, 190. 199 Vgl. Kuhn 1991, 104. 200 Vgl. Heusinger 2004, 214. 201 Vgl. Heusinger 2004, 214. 202 Heusinger 2004, 215. 203 Vgl. Böheim 1987, 43. 204 Vgl. Böheim 1987, 43. 205 Vgl. Böheim 1987, 43. <?page no="206"?> 206 Ordnung deutlich‘ macht. Anders ausgedrückt: ‚Intelligent‘ ist hinsichtlich der Kriterien, nach denen die Bewertung erfolgt, spezifischer als ‚gut‘.“ 206 Wertungen operieren also nicht nur rein quantitativ auf einer Skala zwischen positiv und negativ, sondern auch qualitativ, indem sie die Bezugsgröße mit der Wertung zugleich charakterisieren. 207 „Dazu kommt, dass viele primär charakterisierende Adjektive in bestimmten Kontexten wertende Funktion haben können […].“ 208 Dies sind Wörter mit einer wertenden Bedeutungskomponente, z.B. besitzt das Adjektiv groß wertende Bedeutung im Sinne eines überdurchschnittlichen Aufwandes, einer überdurchschnittlichen Wirkung oder einer besonderen Fähigkeit. 209 In den Redeaussagen, die mit Zwischenruf sanktioniert werden und die damit einen Hinweis auf die Brisanz der in der Aussage versteckten Auf- oder Abwertung geben, sind Adjektive mit rein wertender Funktion weit weniger häufig zu finden, als zunächst zu erwarten wäre. Ein rein wertendes Adjektiv findet sich etwa in folgendem Beispiel: Abg. Dr. Cap [SPÖ]: […] Weiters: eine viel bessere Kontrolle und Überwachung des Rechnungshofes (Abg. Murauer [ÖVP]: Was der Rechnungshof kontrolliert hat ...! ) 210 Neben gut und seinen Steigerungsformen sowie schlimm und schlecht kommen noch einige Zusammensetzungen bzw. Derivationen wie etwa bestmöglich 211 oder erstklassig 212 zur Anwendung. Wertadjektive sind jedoch keine sinnentleerten Wörter, sie sagen etwas über die Bezugsgröße aus: 213 „Diese Information muss allerdings vom Rezipienten über die Norm, die aus dem Kontext zu erschließen ist, dekodiert werden. Festzuhalten bleibt auch, dass den wertenden Beiwörtern gemeinsam ist, dass sie die Bezugsgröße auf einer Wertskala zwischen einem positiven und einem negativen Pol einordnen.“ 214 Die Normen, die als Maßstab der Wertung dienen, müssen bekannt sein, um Bewertung in Information zu übersetzen. 215 Da die Wertmaßstäbe 206 Böheim 1987, 50. 207 Vgl. Böheim 1987, 50. 208 Böheim 1987, 50f. 209 Vgl. Böheim 1987, 43. 210 28. Sitzung, 60. 211 14. Sitzung, 60. 212 28. Sitzung, 67. 213 Vgl. Böheim 1987, 58. 214 Böheim 1987, 58. 215 Vgl. Hannapel/ Melenk, zit. in: Böheim 1987, 58. <?page no="207"?> 207 zumeist Teil des Alltagswissens sind, ist dies auch großteils ohne gröbere Probleme umzusetzen. Im Bereich der Fachsprachen werden reine Wertadjektive wie gut jedoch für den Laien schwierig zu fassen. Mit anderen Worten, wie eine viel bessere Kontrolle nun wirklich auszusehen hat, muss vom Rezipienten/ der Rezipientin in Hinblick auf das Wissen um die Abläufe im Rechnungshof befüllt werden, ansonsten bleibt die Wertung weitgehend unbestimmt und damit unklar. Auch charakterisierende Adjektive verweisen auf einen Normrahmen, aus dem sie ihre wertende Gültigkeit beziehen. 216 Die Redner/ Rednerinnen ebenso wie die Zwischenrufer/ Zwischenruferinnen beschäftigt dabei wiederholt die Sinnhaftigkeit der debattierten Themen und politischen Entscheidungen, wie in den folgenden Ausschnitten: Abg. Mag. Rossmann [Grüne]: […] Für diese sinnlosen Eurofighter haben wir Geld - Geld, das diese Regierung zur Bewältigung der dringendsten Probleme in diesem Land aufzubringen nicht bereit ist. (Abg. Großruck [ÖVP]: Wer sagt das, dass sie sinnlos sind? ) 217 Abg. Mag. Aubauer [ÖVP]: […] Also, was brauchen wir? - Wir brauchen praktische Kinderbetreuungseinrichtungen, steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuung und - ganz wichtig! - ein partnerschaftliches Betreuungsmodell. (Beifall bei der ÖVP. - Abg. Mag. Wurm [SPÖ]: Nein! Die Männer machen es nicht um so wenig Geld! ) 218 Sinnvoll bzw. sinnlos ebenso wie wichtig bzw. unwichtig stehen an der Grenze von Wertwort und charakterisierendem Beiwort, indem sie neben der quantitativen Wertmessung auch eine qualitative Komponente in sich tragen. Auch Böheim räumt ein, dass die „die Grenzen zwischen primär wertenden Beiwörtern und solchen, die zusätzliche charakterisierende Merkmale in ihrer Semstruktur aufweisen, fließend“ 219 ist. Die in den brisanten Rede-Zwischenruf-Sequenzen verwendeten Adjektive stammen aber meistens gerade aus diesem Grenzgebiet, indem sie sowohl wertende als auch beschreibende Seme sprachlich bzw. von der Sprachgemeinschaft fixiert in sich vereinen. In den folgenden Beispielen finden sich einerseits die Adjektive kreativ und mutig als positive sowie hysterisch als negative Charaktereigenschaft eines/ einer Abgeordneten: 216 Vgl. Böheim 1987, 97. 217 14. Sitzung, 16. 218 14. Sitzung, 86. 219 Böheim 1987, 56. <?page no="208"?> 208 Vizekanzler Mag. Molterer [ÖVP]: […] Ich kenne Sie nicht mehr! Früher waren Sie doch noch kreativ und mutig, wenn es um Reformvorschläge gegangen ist. (Abg. Steibl [ÖVP]: Das ist schon lange her! ) 220 Abg. Mag. Stadler [FPÖ]: […] Die hysterischen Ausfälle und die hysterischen Anfälle der ÖVP-Fraktionschefin im Ausschuss waren ja so legendär, dass man sogar die Ausschusssitzordnung verändern musste (Abg. Dr. Stummvoll [ÖVP]: Ziehen Sie das zurück! ) 221 Wertende Elemente müssen jedoch nicht zwangsläufig in Form von Adjektiven auftreten, auch andere Wortarten wie Verben und Substantive können Wertungen transportieren. Dabei ist die in den Verben und Substantiven enthaltene Wertung entweder wieder sprachstrukturell im Lexem verfestigt oder wird erst und nur in Bezug auf den (pragmatischen) Kontext schlagend. Charakterisierend-wertende Verben drücken in den brisanten Rede-Zwischenruf-Sequenzen zumeist die (mangelnde) Handlungsfähigkeit oder die (unzureichende) Transparenz der politischen Akteure/ Akteurinnen aus, z.B. in den folgenden Ausschnitten die Verben anpacken und als Gegenpol verschleiern: Abg. Dr. Lichtenecker [Grüne]: […] Es wirkt so, als wäre der Klimaschutz eine lästige Aufgabe für diese Regierung, statt dass Sie hergehen und sagen: Wir haben große Herausforderungen und genauso auch große Chancen - und genau die packen wir an. - Danke. (Beifall bei den Grünen. - Ruf bei der ÖVP: Jawohl! ) 222 Abg. Dr. Kräuter [SPÖ] […] Wie sich das Ganze abgespielt hat, ist ganz kurz vor Ende des Untersuchungsausschusses noch bekannt geworden aus einem Papier, wo es heißt: Die wahren Kosten der Gesamtbeschaffung werden vor der Bevölkerung verschleiert! - Das ist der zweite Vorwurf! (Abg. Scheibner [BZÖ]: Wer war das, der dieses Argument gebracht hat? ) 223 Wie aus den Beispielen deutlich hervorgeht, sind wertende Elemente kein isoliertes Einzelphänomen und damit nur selten auf einen einzigen sprachlichen Ausdruck einzuengen. Soll eine politische Sachlage oder Entscheidung, eine Person, Partei oder Institution, ein Redebeitrag oder die Geschäftsordnung bewertet werden, so bedient sich der Redner/ die Rednerin an brisanten Redestellen mehrerer wertender Bausteine, mit denen er/ sie die Wertung intensivieren oder aber auch abschwächen kann. Zu diesem Zweck werden charakterisierende oder rein wertende 220 20. Sitzung, 49f. 221 28. Sitzung, 63. 222 20. Sitzung, 44f. 223 28. Sitzung, 39. <?page no="209"?> 209 Wertwörter auf syntaktischer Ebene von Gradbestimmungen begleitet, die dazu dienen, die Eigenschaft, die durch das übergeordnete Beiwort ausgedrückt wird, zu graduieren und damit differenziertere Wertungen ermöglichen. 224 So etwa im folgenden Beispiel die Gradbestimmung extrem in Kombination mit ungerecht: Abg. Dr. Glawischnig-Piesczek [Grüne]: […] Jetzt versetzen Sie sich einmal in die Situation einer solchen Frau! Sie hat nur gearbeitet, um genau das zu erreichen; ihre männlichen Kollegen verdienen mehr, deutlich mehr! Die männlichen Kollegen haben - wahrscheinlich fast alle - eine Familie und haben auch jemanden zu Hause, der ihnen den Alltag organisiert, die Kinder betreut und die Hausarbeit macht. Ist das nicht extrem ungerecht? (Abg. Scheibner [BZÖ]: ... aber nicht die Realität! ) 225 Böheim identifiziert in diesem Zusammenhang Gradbestimmungen, die den höchsten Grad (absolut, äußerst), sehr hohen Grad (enorm, gewaltig), hohen Grad (sehr, besonders), zu hohen Grad (allzu, zu), gemäßigten Grad (recht, ziemlich), geringeren Grad (minder, wenig) ausdrücken sowie Beiwörter, die eine Annäherung (beinahe, fast) oder eine Einschränkung ausdrücken (bedingt, ein wenig). 226 An brisanten auf- oder abwertenden Redestellen, d.h. an Redestellen, auf die sofort mit einem Zwischenruf reagiert wird, finden sich zwar auch Gradbestimmungen, die die Bedeutung des wertenden Beiworts in höchsten oder sehr hohen Grad steigern, am häufigsten lassen sich jedoch Charakterisierungen mit hohem Grad finden, da diese auch die bevorzugte Gradbestimmung der Redner/ Rednerinnen darstellen, wie im folgenden Beispiel: Abg. Mag. Darmann [BZÖ]: […] Auf jeden Fall war doch sehr befremdend, dass Sie hier zum Rednerpult gehen, nachdem Sie sich zumindest im Ausschuss nicht damit befasst haben. (Abg. Mag. Hauser [FPÖ]: Kommt ja noch! […]) 227 Eine weitere Gruppe von Beiwörtern dient als „affirmative Modalwörter“ 228 dazu, den Aussagen des Redners/ der Rednerin zusätzliches Gewicht zu geben, indem „der Sprecher Nachdruck auf den Wahrheitsgehalt seiner Rede legt und zu erreichen sucht, dass der Hörer ihm glaubt, statt an seinen Worten zu zweifeln.“ 229 So betont der rote Redner im fol- 224 Vgl. Böheim 1987, 162f. 225 14. Sitzung, 71. 226 Vgl. Böheim 1987, 163ff. 227 28. Sitzung, 49. 228 Latour, zit. in: Böheim 1987, 173. 229 Latour, zit. in: Böheim 1987, 173. <?page no="210"?> 210 genden Ausschnitt, die Abgeordneten im Parlament könnten hier nicht nur mitgehen, sondern wirklich mitgehen: Abg. Mag. Gaßner [SPÖ]: […] Meine Damen und Herren, Sie können hier wirklich mitgehen. Wir haben die ländliche Entwicklung neu in Diskussion, und das ist gut so. (Abg. Dolinschek [BZÖ]: Ein Armutszeugnis! ) 230 Modalwörter haben gleichzeitig auch beziehungsanzeigende Funktion, 231 insofern als „man mit ihnen eine Kritik, die man gleichzeitig äußert, abmildern kann.“ 232 Im folgenden Beispiel mindert der rote Redner durch sein vielleicht die Kritik an Ex-Bundeskanzler und nunmehrigen Parteiobmann der ÖVP Wolfgang Schüssel noch weiter ab: Abg. Dr. Kräuter [SPÖ]: […] Also, ein bisschen später klingt das schon anders. Vor einigen Tagen, am 20.4.2007, heißt es: „ÖVP-Klubobmann Wolfgang Schüssel ist für die ‚rückhaltlose Aufklärung‘ der Vorgänge um den Eurofighter- Vertrag.“ Über diese Unterstützung freuen wir uns. Ich hätte ja gehofft, dass Herr Dr. Schüssel vielleicht auch selbst das Wort ergreift (Abg. Dr. Jarolim [SPÖ]: Wir auch! ) 233 Auch wenn in Alltagsgesprächen davon ausgegangen werden kann, dass bei Wertungen die weniger verletzende Formulierung gewählt wird, so sind diese Ausdrucksformen der Höflichkeit in den hier untersuchten brisanten Stellen der Rede logischerweise zumeist nicht Ziel der Zwischenrufe, mit Ausnahme des folgenden Beispiels, in dem die abschwächende sprachliche Variante exklusiv aufs Korn genommen wird: Abg. Mag. Darmann [BZÖ]: […] Und wir vom BZÖ sind - und das, bitte, Terezija Stoisits, für dich als Information - für eine menschenrechtskonforme Überarbeitung der Entlassung in Richtung der Möglichkeit, auch über nicht bedingt entlassbare Häftlinge diverse Kontrollmaßnahmen und Auflagen verhängen zu können. Das heißt, darüber können wir diskutieren. Über den von euch eingebrachten Antrag, so wie er hier vorliegt, werden wir in dieser Form wohl eher nicht diskutieren können. - Danke. (Beifall beim BZÖ. - Abg. Strache [FPÖ]: „Eher nicht“? ) 234 Eine wichtige Rolle bei der Wertung spielen weiters wie in diesem Fall Negationen. Bei der Negation wird die mitenthaltene positive Aussage als Erwartung bzw. Norm ins Zentrum gerückt und daraufhin mit der Reali- 230 28. Sitzung, 222. 231 Vgl. Schwitalla 1987, 122. 232 Sandig, zit. in: Schwitalla 1987, 122. 233 20. Sitzung, 159. 234 20. Sitzung, 202. <?page no="211"?> 211 tät kontrastiert: 235 D.h., verneinte positive Aussagen enthalten einen Hinweis auf Aspekte, die „die der Fall sein sollten, aber ‚nicht‘ der Fall sind.‘“ 236 Zur Verdeutlichung ein Textauszug: Abg. Dr. Jarolim [SPÖ]: Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Herr Bundesminister! Kollege Westenthaler! Also, sehr lichtvoll war es nicht. (Ruf bei der SPÖ: Unwürdig! ) Niveauvolle Beiträge erwartet man sich von Ihnen ohnedies nicht. 237 Nicht nur für Musikkritiken kann mit Böheim zusammenfassend „festgehalten werden, dass durch die Negation einer positiven Aussage der Rezensent die Erwartung hinsichtlich einer Norm (so wie es sein sollte) der Realität (so wie es wirklich ist) gegenüberstellt.“ 238 Aus einem ähnlichen Grund verwenden die Redner/ Rednerinnen in Parlamentsdebatten auch gerne den Konjunktiv und das Modalverb sollen. Auch hier wird anstelle der realen Handlung selbst eine erwünschte Norm in den Mittelpunkt gerückt und der Wirklichkeit wertend gegenübergestellt. Die Reaktionen des Zwischenrufers Heinz-Christian Strache sind in dem nun folgenden Fall gerade deshalb besonders heftig, da der abwertende Redeabschnitt einen direkten Angriff auf seine (zu diesem Zeitpunkt noch junge) Führungsrolle darstellt: Abg. Murauer [ÖVP]: […] Meine Damen und Herren! Herr Strache, Sie hätten sich die Rede von Ihrem parteilosen Vertreter im Untersuchungsausschuss nicht schreiben lassen sollen, sondern hätten selbst daran teilnehmen sollen. Dann hätten Sie mehr gewusst und wären nicht so gehangen an dem, was Stadler Ihnen vorgeschrieben hat. (Beifall und Bravorufe bei der ÖVP.) Dann hätten Sie sich besser ausgekannt (Abg. Strache [FPÖ]: Sie sind ahnungslos, Herr Kollege! ), aber leider ist das in diesem Fall auch nicht so. (Abg. Strache [FPÖ]: Sie sind wirklich ahnungslos! Ein Ahnungsloser, der in der schwarzen Wüste herumgeht! ) 239 Handelte es sich bisher um Lexeme, deren wertende Bedeutung bereits im Sprachsystem angelegt ist, so nehmen wiederum andere Lexeme erst im sprachlichen Handeln eine wertende Bedeutung an. Letztlich muss, so Heusinger, unterschieden werden zwischen Wertungen, die in der Semantik der Wörter selbst liegt, und der pragmatischen Wertung der Bewertungshandlung und des Urteilens, in denen vom Sprecher/ der Sprecherin 235 Vgl. Brinkmann, zit. in: Böheim 1987, 179. 236 Sandig, zit. in: Böheim 1987, 175. 237 28. Sitzung, 79. 238 Böheim 1987, 179. 239 28. Sitzung, 46. <?page no="212"?> 212 Werte zugeschrieben werden. 240 Adjektive, Verben oder Substantive, die nur im Zusammenhang parlamentarischer Rede bzw. allgemein im Kontext der Redegattung (politischer) Diskussion eine wertende Dimension entwickeln, finden sich hauptsächlich zusammen mit den regulativen Normen der Debatten selbst und betreffen die Sachlichkeit und Objektivität der politischen Akteure/ Akteurinnen und deren (vorangegangener) Redebeiträge, etwa wie in den folgenden Beispielen durch die Adjektive zügig und sachlich sowie als negativer Gegenpol emotional. Mit anderen Worten hängt die Bedeutung dieser Adjektive davon ab, „welches außersprachliche Bezugsobjekt sie charakterisieren und welche Normvorstellungen mit diesem Bezugsobjekt verbunden sind.“ 241 Abg. Mag. Stadler [FPÖ]: […] Acht Monate lang Chance, der ÖVP die Rechnung für ihre Taten, die hier drinnen dokumentiert sind, zu präsentieren. Acht Monate lang zügiges Arbeiten. Acht Monate lang sachliches Arbeiten. (Abg. Rädler [ÖVP]: Acht Monate Selbstdarstellung! ) 242 Bundesminister Mag. Darabos [SPÖ]: […] Herr Kollege Westenthaler, ich werde versuchen, die Emotion herauszunehmen. Mein Vorvorgänger ist sehr emotional, das verstehe ich, da er dann in der letzten Regierung diese Funktion nicht mehr ausüben durfte, die er so gerne ausgeübt hat. Ich sage in aller Kürze ... ([…] Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Er hat seinen Wehrdienst abgeleistet - im Gegensatz zu Ihnen! ) 243 Neben expliziten Wertungen kann der Redner/ die Rednerin aber auch durch „spezifische Kontextualisierung“ 244 oder „persuasive Definition“ 245 , wie dies auch genannt wird, einen Gegenstand oder Sachverhalt mit einer wertenden Einstellung belegen. Spezifische Kontextualisierung vereinen wertende und charakterisierende Elemente in sich und konstruieren daraus einen Werterahmen, in dem der spezifische Begriff bzw. dessen Ausdruck aus Sicht der jeweiligen Partei gesehen werden soll. 246 Im folgenden Beispiel ist es das Wort Kopftuch, das zusätzlich zum Kompositum Kopftuchzwang noch als Symbol der Unterdrückung weiter negativ aufgeladen wird: Abg. Dr. Belakowitsch-Jenewein [FPÖ]: […] Ich weiß, Sie sind alle auf diesem Auge blind. Für Sie ist es eine Bereicherung, wenn es aus dem Ausland kommt. 240 Vgl. Heusinger 2004, 221. 241 Böheim 1987, 52f. 242 28. Sitzung, 65. 243 20. Sitzung, 176. 244 Böke 1996, 38. 245 Stevenson, zit. in: Schwitalla 1977, 177. 246 Vgl. Heusinger 2004, 220. <?page no="213"?> 213 Aber ein Beispiel: das Kopftuch, der Kopftuchzwang. (Zwischenruf der Abg. Stadlbauer [SPÖ].) Den Damen und Herren der linken Reichshälfte kommen vor lauter Rührung die Tränen! (Zwischenruf der Abg. Heinisch-Hosek [SPÖ].) Ich weiß, ich verstehe das. Sie empfinden das als multikulturelle Bereicherung. Für uns ist das ein Symbol der Unterdrückung der Frau. (Beifall und Bravorufe bei der FPÖ.) Ein Symbol der Unterdrückung, das in einem Europa des 21. Jahrhunderts nichts mehr verloren hat. (Abg. Heinisch-Hosek [SPÖ]: Menschenrechtlich schwer bedenklich, was Sie da tun! ) 247 Ein Großteil der Zwischenrufe lässt sich auf spezifische Kontextualisierungen in der Rede zurückführen, vor allem auch deshalb, weil sich der Redner/ die Rednerin dabei sehr oft einer Reihe von Wörtern bedient, die innerhalb einer Gesellschaft zu einer gewissen Zeit einen starken, allgemein akzeptierten emotiven Gehalt besitzen. Diese Wörter bieten zugleich auch ein breites Spektrum an möglichen Bedeutungen, was es ermöglicht, sie in das neu zu bewertende Umfeld zu stellen. 248 Dieses neue Umfeld wird diesen Wörtern nicht aufgezwungen, im Gegenteil, sie benötigen einen situativen Kontext, um sich, so Schwitalla in ihrer Bedeutung abzusichern: „Werden von einem sprecher in einer öffentlichen situation wörter wie ‚gerecht’, ‚freiheit’, ‚demokratie’, ‚frieden’ oder ‚pflicht’ gebraucht, so kann man annehmen, dass der sprecher zugleich eine lobende, sympathische einstellung ausdrückt und dass er erwartet, beim hörer dieselbe einstellung zu finden. Aber was sachlich mit diesen wörtern gemeint ist, hängt immer vom verbalen kontext ab, der diese begriffe definiert.“ 249 Der Kontext ist deshalb für die persuasive Definition so wichtig, weil „explizite Definitionsstrategien“ 250 mittels Gleichsetzungsnominativen von der Öffentlichkeit nicht übernommen werden, solange der neu geprägte Begriff nicht auch dementsprechend verwendet wird. 251 „Die beste Art ihn zu gebrauchen, scheint dann die zu sein, dass man ihn in spezifischen, auf die definitorischen Eigenschaften passenden Kontexten verwendet, so dass sein Gebrauch in dem gewünschten Sinn vorgeführt wird.“ 252 Liedtke spricht hier von einer Art Gebrauchsanweisung für den Ausdruck, 253 indem dem Rezipienten/ der Rezipientin durch die wieder- 247 14. Sitzung, 98. 248 Vgl. Schwitalla 1977, 177ff. 249 Schwitalla 1977, 177. 250 Liedtke, zit. in: Böke 1996, 38. 251 Vgl. Liedtke, zit. in: Böke 1996, 38. 252 Liedtke, zit. in: Böke 1996, 38. 253 Vgl. Liedtke, zit. in: Böke 1996, 38. <?page no="214"?> 214 holte Verwendung in bestimmten Kontexten vorgestellt wird, „in welches sprachliche Feld der zur Debatte stehende Ausdruck gehört und wie er korrekt zu gebrauchen ist.“ 254 Ideologische Definitionen solcher Art modifizieren dabei stets auch den Bedeutungsumfang, indem sie ihn erweitern, einschränken, übertragen, schon vorhandene Nebenbedeutungen akzentuieren, neue hinzufügen oder gänzlich verkehren. 255 Auf diese Weise verbinden sich für die politische Gruppierung wichtige Leitvokabeln mit bestimmten Ausdrücken bzw. Ausdruckskomplexen, die dadurch mit negativen oder positiven Assoziationen aufgefüllt und wertend interpretiert werden. 256 Diese „explizierend gebrauchten Wörter“ 257 werden daher auch „Interpretationsvokabeln“ 258 genannt: Durch sie wird versucht, bestimmte Assoziationen aufzubauen und einzuschleifen. 259 Der Zwischenruf ist hier vor allem eine Möglichkeit, den Stimmungsaufbau des Redners/ der Rednerin zu durchkreuzen und damit die Assoziationskette zu durchbrechen, wie im folgenden Fall: Abg. Murauer [ÖVP]: […] Wir ersehen den Auftrag zur Landesverteidigung, und zwar sowohl auf dem Boden als auch in der Luft, aus der Neutralität, aus unserer Verfassung, und deswegen ... (Abg. Strache [FPÖ]: Sie gefährden die Sicherheit auf dem Boden seit Jahren! ) 260 Neutralität und Sicherheit sind Hochwertwörter, d.h. Wörter, die „von solch vertrauenerweckender Ausstrahlung, dass keine politische Gruppe auf sie verzichten möchte“ 261 . Es verwundert daher nicht, dass die Sprache in der Politik einen hohen Anteil an Hochwertausdrücken aufweist, „die in der einen oder anderen Weise einen positiven Wert gesellschaftlichen Zusammenlebens vermitteln. Diese Ausdrücke sind durch ein hohes Maß an Allgemeingültigkeit ausgezeichnet, sie gelten system- und ideologieunabhängig.“ 262 Politische Gruppen verwenden Hochwertwörter wie Neutralität und Sicherheit, um sich ein positives Gesicht zu geben. Durch ihre ideologische Unabhängigkeit werden diese Wörter jedoch von allen Parteien und Richtungen beansprucht, es kommt zu einer Bedeutungskonkurrenz verschie- 254 Liedtke, zit. in: Böke 1996, 38. 255 Vgl. Dieckmann 1964, 123. 256 Vgl. Böke 1996, 38. 257 Böke 1996, 38. 258 Böke 1996, 38. 259 Vgl. Bachem 1979, 80. 260 28. Sitzung, 46. 261 Bachem 1979, 62. 262 Liedtke 2002, 255. <?page no="215"?> 215 dener politisch ausgerichteter Verwendungsweisen. 263 So finden sich im folgenden Redeausschnitt des orangen Parteiobmanns vor allem „soziale“ Hochwertwörter wie Pensionssicherung oder Gleichstellung, die natürlich von Seiten der Sozialdemokratie nicht unwidersprochen von der ersten schwarz-blauen Koalition vereinnahmt werden dürfen: Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: […] Sie haben nichts zustande gebracht. Und auch den Vergleich mit der früheren Koalition nehmen wir gerne auf: im Jahr 2000: Kindergeld, Pensionssicherung, Behindertenmilliarde, Strommarktliberalisierung, Mediengesetze, Hauptverbandsreform, ÖIAG-Gesetz, Versöhnungsfondsgesetz, Gleichstellung Arbeitnehmer und Angestellte. - All das hat die Regierung Schüssel/ Riess-Passer im ersten halben Jahr zustande gebracht! (Abg. Riepl [SPÖ]: Geh bitte! Bis heute nicht! ) 264 Die eigenen Positionen, Entscheidungen, Funktionsträger/ Funktionsträgerinnen usw. werden nun stets positiv bewertet und zur Wir-Gruppe hochstilisiert, indem sie durch bestimmte (leicht erkennbare) Benennungen oder komplexere Aussagen, die der eigenen Gruppe meist größere Dynamik und Uneigennützigkeit bescheinigen, mit allgemein positiven Werten assoziiert werden. 265 Gleichzeitig wird gezielt versucht, die gegnerische Ideologiesprache zu demontieren. Dabei werden sukzessive die gegnerischen Wörter „ins Zwielichtige gerückt“ 266 , die so eine „ironische oder sogar pejorative Bedeutung“ 267 bekommen. Die Zwischenrufe sind ein Mittel, diese Wertumkehr unmittelbar umzusetzen, wie im obigen Beispiel. Aber nicht nur in den Zwischenrufen, auch in den Gegenreden wird versucht, sich gegen die vorgegebene Interpretation zu stemmen. In den folgenden beiden Ausschnitten aus der Eurofighter-Debatte trifft die positive Kontextualisierung der SPÖ auf die negative Interpretation der Opposition und vice versa: Bundesminister Mag. Darabos [SPÖ]: […] Ich sage Ihnen abschließend noch einmal: 400 Millionen € - 6 Milliarden Schilling, um in der alten Währung zu bleiben - weniger Kosten für die Republik Österreich, Geld, das für Sozialausgaben, für Bildungsaufgaben verwendet werden kann. (Abg. Strache [FPÖ]: Das ist ein Taschenspielertrick! ) 268 Abg. Mag. Darmann [BZÖ]: […] Ich möchte die restliche Redezeit dazu nutzen, auf den Vergleich einzugehen, den der Herr Bundesminister als eine Ver- 263 Vgl. Liedtke 2002, 255. 264 28. Sitzung, 125. 265 Vgl. Bachem 1979, 93. 266 Dieckmann 1964, 129. 267 Dieckmann 1964, 129. 268 28. Sitzung, 54. <?page no="216"?> 216 besserung, eine Preisminderung, einen Nutzen für die Republik verkauft. (Abg. Riepl [SPÖ]: Das ist ein guter Vergleich, ein sehr guter Vergleich! ) 269 Die Wörter des Gegners/ der Gegnerin kann man, so Dieckmann 270 , vermeiden oder verschweigen, sie umgedeutet für sich selbst beanspruchen und den anderen absprechen, „man kann sie aber auch aufnehmen und mit geeigneten Mitteln in Frage stellen.“ 271 Im vorigen Beispiel wählt der zweite Redner genauso wie der Zwischenrufer im ersten Beispiel die letzte Möglichkeit und zieht die Argumentation des Bundesministers ins Zwielichtige, indem er sie als unglaubwürdig darstellt. Die in den assoziativen Bildern eingewobenen, ideologisch und in den Parteifarben kolorierten Deutungsmuster beschränken sich jedoch nicht auf einen Redner/ eine Rednerin allein, sie sind vielmehr gruppenbzw. parteienspezifische Denk- und Interpretationsschemata, in deren Zentrum die Aufwertung der eigenen Position und die Abwertung der gegnerischen Position steht: „Die politischen Parteien bestimmen ihre Grundwerte mit den Begriffen Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität. […] Ihren Inhalten haften Gruppenziele und Interessen an, so dass die verschiedenen politischen Parteien und politischen Gruppierungen beispielsweise Demokratie, soziale Marktwirtschaft, Gerechtigkeit nicht übereinstimmend definieren.“ 272 Zwei konkrete Gegenbilder finden sich wieder im Zuge der Eurofighter- Debatten: Abg. Murauer [ÖVP]: […] Meine Damen und Herren, zu einem viel wichtigeren Thema kommend: Ich kann Ihnen heute zweierlei mitteilen, nämlich nicht nur, dass die Österreichische Volkspartei quasi einen Freispruch in diesem Untersuchungsausschuss bekommen hat, sondern auch, dass dieselbe Volkspartei so wie jetzt auch in der Vergangenheit für den Schutz, für die Sicherheit unserer Bürger und unseres Landes gestanden ist, egal, ob die Zeiten angenehm oder unangenehm waren! (Beifall und Bravorufe bei der ÖVP. - Abg. Strache [FPÖ]: Die Sicherheit auf dem Boden gefährden Sie seit Jahren! Die Sicherheit auf dem Boden gefährdet Ihre Partei seit Jahren! Eine Sicherheitsgefährdung macht die ÖVP auf dem Boden! ) 273 Die Redner/ Rednerinnen der ÖVP versuchen ihre Partei mit den Schlag- und Hochwertwörtern Luftraumüberwachung bzw. Sicherheit assoziativ zu 269 28. Sitzung, 50. 270 Vgl. Dieckmann 1964, 129. 271 Dieckmann 1964, 129. 272 Heusinger 2004, 87. 273 28. Sitzung, 46. <?page no="217"?> 217 belegen, um so die eigene Handlungsweise bzw. das Engagement der Partei für den Eurofighter zu legitimieren. Die freiheitlichen Zwischenrufe greifen das Hochwertwort des politischen Gegners auf und verkehren es gegen den Redner/ die Rednerin. Ausschlaggebend für die Wirksamkeit jeglicher Wertung ist die Wahl des richtigen Wortes. 274 Für Lakoff stehen die zwei Lager des Rechts- Links-Kontinuums für zwei völlig unterschiedliche Denkmuster, die auf der Metapher NATION IST FAMILIE gründen: 275 „das konservative Familienmodell mit einer Strenger-Vater-Moral und das progressive Familienmodell mit einer Fürsorgliche-Eltern - Moral“ 276 . D.h., für die Sozialdemokraten/ Sozialdemokratinnen ebenso wie für die Grünen wäre es ideologisch wenig stimmig, wenn sie sich wie die FPÖ auf die Sicherheit des Landes berufen würden. 277 Anstatt daher wie die FPÖ die rhetorischen Mittel der ÖVP aufzugreifen und gegen die gegnerische Partei zu schicken, konstruieren SPÖ und Grüne ein Gegenbild, das der eigenen Gruppensicht bzw. den eigenen Denkmustern vor allem auch in Richtung auf den politischen Gegner/ die politische Gegnerin eher entspricht: So wird die ÖVP ganz im Sinne linker Ideologie wiederholt mit Waffenlobbyismus und Rüstungskonzernen in Verbindung gebracht und als eine Partei dargestellt, die die eigenen Interessen bzw. die Interessen der Wirtschaft über die Interessen des Staates stellt, wie in den folgenden Debattenausschnitten: Abg. Krist [SPÖ]: […] Aufgedeckt, meine Damen und Herren, wurde, dass höchste Beamte mit sensiblen und geheimen Daten sehr locker umgegangen sind. Wir durften höchste Beamte kennenlernen, die keinen Genierer hatten, gemeinsamen Urlaub mit Waffenlobbyisten zu machen, und auch höchste Beamte, die ihre Dienstpflichten grob vernachlässigt haben. (Abg. Hornek [ÖVP]: Das war ein SPÖler, lieber Freund! ) - Ja, ja. 278 Abg. Dr. Pilz [Grüne]: […] Aber warum - und das war die Schlüsselfrage des Ausschusses, die uns von Anfang an begleitet hat! - stellt, von der parlamentarischen Untersuchung zurückblickend bis zu den ersten Entscheidungen, die damalige Kanzlerpartei ÖVP die Interessen eines deutschen Luftfahrt- und Militärkonzerns über die Interessen der Republik Österreich? (Abg. Murauer [ÖVP]: Falsch! - Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.) 279 274 Vgl. Dieckmann 1964, 145. 275 Vgl. Lakoff/ Wehling 2008, 35. 276 Lakoff/ Wehling 2008, 39. 277 Vgl. Heusinger 2004, 89. 278 28. Sitzung, 99. 279 28. Sitzung, 34. <?page no="218"?> 218 Wie kann nun ein unliebsamer Ausdruck vermieden werden? Eines der wichtigsten Instrumente in diesem Zusammenhang ist der Euphemismus. Der Euphemismus hängt von der Intention des Sprechers/ der Sprecherin und der Aufnahme durch den Hörer/ die Hörerin ab und wird, laut Forster, vor allem zur Gesichtswahrung benutzt: 280 „Almost all politicians dislike displeasing almost all groups of people if they can avoid it, and therefore are usually willing to agree on euphemistic terms for them.“ 281 Euphemismen und Tabus sind im politischen Bereich anders als in der Alltagssprache nicht allgemein verinnerlichte Verbote, sondern Ergebnis taktischer Überlegungen bei unbequemen Themen. 282 Euphemismen sind „Wörter, die unliebsame Sachverhalte mit angenehmen Assoziationen versehen,“ 283 indem sie zum Teil auch wichtige, aber negative Eigenschaften ausblenden. 284 So versucht Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel im folgenden Redeausschnitt die Eurofighter als Top-Flieger euphemistisch aufzuwerten, indem er den militärischen Kontext völlig ausblendet: Abg. Dr. Schüssel [ÖVP]: […] Mit Verlaub darf ich jetzt ganz ehrlich sagen: Da 200 Millionen einzusparen und 18 Flieger, Top-Flieger zu bekommen (Rufe bei der ÖVP: Neue! Neue! ) 285 Das Gegenteil von Euphemismen sind Kakophemismen 286 , die umgekehrt positive Aspekte ausnehmen. Dabei bestätigen die Untersuchungen von Gruner, dass grundsätzlich die Regierung eher auf Euphemismen, die Opposition eher auf Kakophemismen zurückgreift. 287 Um auf Euphemismen oder Kakophemismen zu antworten, kann der politische Gegner/ die politische Gegnerin den entsprechenden Ausdruck ändern, indem er/ sie ihn abkürzt, die Buchstaben verändert oder Buchstaben oder ganze Wörter hinzufügt, ihn über Wortspiele lautlich differenziert oder als Euphemismus als solchen kennzeichnet; zuletzt kann er/ sie auch den Ausdruck einfach weglassen und so vermeiden (Nulleuphemismus). 288 Im folgenden Beispiel greift Herbert Scheibner, seines Zeichens Verteidigungsminister der ersten schwarz-blauen Koalition von 2000 bis 2003, den Kako- 280 Vgl. Forster 2005, 196. 281 Hoggart, zit. in: Forster 2005, 197. 282 Vgl. Forster 2005, 197. 283 Bachem 1979, 58. 284 Vgl. Böke 1996, 41. 285 20. Sitzung, 67. 286 Vgl. Gruner 1990, 145. 287 Vgl. Gruner 1990, 146. 288 Vgl. Forster 2005, 204. <?page no="219"?> 219 phemismus seiner Vorredner/ Vorrednerinnen in seinem Debattenbeitrag explizit auf, um ihn in Folge zu demontieren: Abg. Scheibner [BZÖ]: […] Es geht nicht um Kampfbomber. Und wenn Sie schon „Luftüberwachung“ sagen, Herr Minister Darabos: Warum bauen Sie dann, selbst noch aus den schon gebauten Maschinen für Österreich, die Infrarottechnik aus, die dazu dient, dass man auch bei Nebel und in der Nacht mit diesen Flugzeugen etwas sieht? - Das hat nichts mit Kampfbombern zu tun, sondern es ist unsinnig und fahrlässig, so etwas zu machen! (Abg. Strache [FPÖ]: Das ist richtig! Absoluter Schwachsinn! ) 289 Euphemismen ebenso wie Kakophemismen können ihre Funktion jedoch nur solange erfüllen, als die Rezipienten/ Rezipientinnen nicht bereits über persönliche Erfahrungen gegenteilige Konnotierungen abgespeichert haben: 290 „Die eigentliche persuasive Kraft entwickeln Euphemismus und Kakophemismus dort am spürbarsten, wo sie mit einer tendenziell bereits vorhandenen Sprachführerschaft oder einem konkreten, sie bestätigenden Meinungsklima in der Bevölkerung einhergehen.“ 291 Gruner kritisiert in diesem Zusammenhang die „Sprache der unverblümten Abrechnung, des Vor-Verurteilens, der flinken Unterstellung,“ 292 die allzu sehr der „Formelhaftigkeit und holzschnittartigen Konfektion des Stammtisches“ 293 ähnelt. „Wenn man die Rolle der Verwendung einzelner Vokabeln im Verlaufe des strategischen Sprachhandelns analysieren will, dann muss man ihren Beitrag zur Erreichung des Ziels desjenigen Sprechakts untersuchen, dessen Bestandteil sie sind. Der Sachverhalt lässt sich so beschreiben, dass der Sprecher einen Ausdruck benutzt, von dem er denkt, dass er im Sprachgebrauch seiner Adressaten eine bestimmte semantische Repräsentation hat, die mit dem Gesamtziel des Sprechakts verträglich ist.“ 294 Daher ließen sich, laut Gruner, in „Wortwahl und Argumentationsaufbau“ 295 der Politik häufig alltags- und verbalsprachliche Wendungen finden, 296 die primär auf „schnelles Wiedererkennen und Kopfnicken beim 289 28. Sitzung, 70. 290 Vgl. Bachem 1979, 60. 291 Gruner 1990, 177. 292 Gruner 1992, 286. 293 Gruner 1992, 286. 294 Liedtke 1996a, 7. 295 Gruner 1992, 286. 296 Vgl. Gruner 1992, 286. <?page no="220"?> 220 angesprochenen Publikum, auf widerhakenfreie Zustimmung im behaglich eingerichteten, dennoch diffus losen Konsens einer ‚Recht‘, ‚Ordnung‘ und ‚Anstand‘ wahrenden ‚Mehrheit’“ 297 abzielen. So berufen sich die Redner/ Rednerinnen der ÖVP in Zusammenhang mit der Weigerung des Finanzministeriums, die Eurofighter-Akten ungeschwärzt an den Untersuchungsausschuss weiterzugeben, wiederholt auf die Pflicht der Beamten/ Beamtinnen, denen keine andere Wahl bleibe, als die entsprechenden Unterlagen zu zensurieren: Abg. Mag. Ikrath [ÖVP]: […] Ich sage Ihnen noch etwas: Wenn wir - wie Sie das getan haben - die Beamten, die ihre Pflicht tun, nicht schützen ... (Abg. Sburny [Grüne]: Der Minister versteckt sich ja hinter den Beamten! ) Es ist nicht so, dass der Beamte das Recht hat zu entscheiden, nein, er hat die Pflicht zu entscheiden! (Zwischenrufe bei den Grünen. - Abg. Sburny [Grüne]: Der Minister ist verantwortlich, nicht die Beamten sind verantwortlich! […]) 298 Der „holzschnittartigen Konfektion der Stammtische“ entsprechend finden auch besonders Phraseologismen und Metaphern Eingang in die politischen Reden im Parlament. Phraseologismen sind „relativ stabile Wortkombinationen, die in der Kommunikation so und allenfalls in Variationen gebraucht werden […],“ 299 etwa im folgenden Beispiel das gute Recht: Abg. Öllinger [Grüne]: […] Ich halte nach wie vor fest, Herr Präsident: Es ist das gute Recht eines Klubs, die Beiziehung eines Ministers zu verlangen, selbst dann, wenn er verhindert ist. (Abg. Dr. Schüssel [ÖVP]: Nein! ) - Na selbstverständlich! Eine Präsenz in Europa gilt nicht als Verhinderung! Das ist das Erste; das steht auch in der Bundesverfassung. 300 Heusinger erweitert die strukturelle Definition um die Bedeutungsebene und versteht unter Phraseologismen „lexikalisierte feste Wortverbindungen, die ihrer Form nach zumeist Wortgruppen mit wenigstens einem Autosemantikon sind und in deren Verbindung mindestens ein Bestandteil nicht der durch Konvention festgelegten Bedeutung entspricht,“ 301 etwa im folgenden Beispiel das Wort Haus im umgangssprachlichen Phraseologismus von Haus aus wissen: Abg. Dr. Van der Bellen [Grüne]: […] Wollen Sie mir als durchschnittlich begabtem Menschen tatsächlich weismachen, dass irgendjemand im Fi- 297 Gruner 1992, 286. 298 20. Sitzung, 162. 299 Heusinger 2004, 112. 300 14. Sitzung, 118. 301 Heusinger 2004, 113. <?page no="221"?> 221 nanzministerium, irgendjemand von Haus aus weiß, wenn er sieht, Buchungszeile XY, Ziffer sowieso, Betrag das und das (Abg. Dr. Fekter [ÖVP]: Ja sicher! Weil er so ... des Kontos weiß! ) 302 Funktion der Phraseologismen ist es, ein allgemein bekanntes, sogar lexikalisiertes Denkschema vorzugeben und so komplexe Zusammenhänge vereinfachend und konkret darzustellen. 303 Der Politiker/ die Politikerin am Rednerpult beruft sich daher auf vorgeblich allseits anerkannte Fixpunkte, die als unbestritten gelten, indem sie etwa dem gesunden Menschenverstand folgen. 304 Metaphern wirken auf ähnliche Weise, indem sie „direkt die Konzeptualisierung von Alltagsgegenständen [ermöglichen], ohne Rückgriff auf einen wörtlichen Sinn, und dies dadurch, dass sie uns einen metaphorischen Zugang zur Welt erlauben, der anders (d.h. nichtmetaphorisch) nicht in gleicher Weise möglich wäre.“ 305 Metaphern sind also nicht bloß gefällige Wortspielereien, Metaphern haben eine grundlegende Funktion bei der Herausbildung von Alltagsbegriffen: 306 „Unser alltägliches Konzeptsystem, nach dem wir sowohl denken als auch handeln, ist im Kern und grundsätzlich metaphorisch.“ 307 Daher auch die hohe Attraktivität der Metapher für die Politik: „Metaphern machen politische Sachverhalte und Denkmodelle damit zu allgemein anerkannten Tatbeständen und entziehen sie einer diskursiven Analyse, einer rationalen Argumentation.“ 308 Metaphern wirken stark interpretierend, 309 indem sie politische Ereignislagen, Prinzipien und Entscheidungen werten und gewichten. Die Wertung bezieht sich auf Normvorgaben, die die ethischen und moralischen Grundsätze einer Gruppe in sich tragen. 310 Lakoff spricht in diesem Zusammenhang vom „Metaphor System of Morality“ 311 , das den unterschiedlichen politischen Strömungen zugrunde liegt. So ist etwa im folgenden Beispiel nicht von positiv konnotierten Kinderbetreuungseinrichtungen die Rede, sondern von negativ konnotierten Kinderweggebungseinrichtungen: 302 20. Sitzung, 146. 303 Vgl. Drommel/ Wolff 1978, 79. 304 Vgl. Drommel/ Wolff 1978, 79. 305 Liedtke 1996a, 9. 306 Vgl. Liedtke 1996a, 9. 307 Lakoff/ Johnson 2003, 11. 308 Drommel/ Wolff 1978, 77. 309 Vgl. Drommel/ Wolff 1978, 77. 310 Vgl. Drommel/ Wolff 1978, 78. 311 Lakoff 1996, 249. <?page no="222"?> 222 Abg. Zanger [FPÖ]: […] Ich bin der Überzeugung, dass Kinder, die zu Hause aufwachsen, wo die Mutter noch darauf schauen kann (Abg. Mag. Muttonen [SPÖ]: Und der Vater? ) und nicht unbedingt arbeiten gehen muss, wesentlich behüteter aufwachsen, als wenn sie in eine Kinderweggebungseinrichtung abgeschoben werden. (Abg. Binder-Maier [SPÖ]: Mein Gott! - Weitere Zwischenrufe bei SPÖ und Grünen.) 312 Bei konkurrierenden Metaphern hat jene Definition den Vorrang, die als erste das Problem öffentlich umreißt. 313 Werden Metaphern daraufhin häufig wiederholt, so braucht es schlussendlich keinen interpretativen Zwischenschritt des Rezipienten/ der Rezipientin um die eigentliche Bedeutung zu decodieren. 314 „Einmal akzeptiert, wird die metaphorische Auffassung zum begrifflichen Kristallisationspunkt, um den herum die Öffentlichkeit in der Folge passende Informationen organisiert und in dessen Licht sie diese Informationen interpretiert. Auf diese Weise wird eine bestimmte Auffassung verstärkt und scheint sich für diejenigen, deren Einstellungen sie formuliert, immer wieder neu zu bewahrheiten. Sie beginnt, sich selbst zu perpetuieren.“ 315 Die Metapher als Klischee braucht „keinen ihre Interpretation bestimmenden Kontext mehr und behält dennoch die typischen Metaphernfunktionen […].“ 316 Im folgenden Beispiel liegt der Weg dem Bild zugrunde, indem er gemeinsam begonnen, jedoch vom politischen Partner abgeschnitten wurde bzw. von dem der politische Partner abgebogen ist: Abg. Heinisch-Hosek [SPÖ]: […] Warum gilt nicht das, was vorher gegolten hat, jetzt auch für Sie? Der Weg, den wir doch gemeinsam begonnen haben, wurde jetzt von Ihnen abgeschnitten; doch nicht von uns! Seien Sie doch ein bisschen glaubwürdiger! (Beifall bei der SPÖ. - Abg. Sburny [Grüne] : Sie sind schon lange abgebogen! ) 317 Vielfach besteht die Reaktion auf einen positiv oder negativ gewerteten Ausdruck darin, das Wort selbst zu demontieren. Die Metapher gibt hier die zusätzliche Möglichkeit an die Hand, nicht den Begriff oder die Formulierung zu verändern, sondern Einfluss auf das dahinter liegende Bild zu nehmen. In den untersuchten Rede-Zwischenruf-Sequenzen geschieht 312 28. Sitzung, 159. 313 Vgl. Edelman 1980, 44. 314 Vgl. Bachem 1979, 54. 315 Edelman 1976, 153. 316 Bachem 1979, 54. 317 14. Sitzung, 82. <?page no="223"?> 223 dies meist über Remotivierungen, wie auch im folgenden Beispiel, in dem die Schnappswette des grünen Redners von der schwarzen Zwischenruferin wörtlich genommen und dadurch ironisiert wird: Abg. Mag. Weinzinger [Grüne]: […] Immerhin hat unser Klubobmann eine Schnapswette gewonnen, denn Sie schaffen es ja nicht einmal, 40-Prozent- Quoten zu erreichen! (Abg. Steibl [ÖVP]: Ihr habt es mit dem Schnaps! ) 318 Ein weiteres interessantes Beispiel in diesem Zusammenhang ist die internationale politische Metapher der smoking gun, die in den Redebeiträgen auf den Eurofighter-Untersuchungsausschuss umgemünzt und von den Zwischenrufern/ Zwischenruferinnen mehr als bereitwillig ironisch aufgenommen wird. Dazu folgender Ausschnitt: Abg. Dr. Pilz [Grüne]: […] Wir sind oft nach der „rauchenden Pistole“ gefragt worden. Ja, der Untersuchungsausschuss - und das bestätigen die drei Gutachter des Ausschusses - hat die sogenannte „rauchende Pistole“ gefunden. (Abg. Hornek [ÖVP]: Wo? - Abg. Murauer [ÖVP]: Die „rauchende Pistole“ ist in Ihrer Phantasie entstanden! Viel Rauch und kein Feuer! ) Alle Merkmale der Antikorruptionsbestimmungen sind nach Angaben und Bestätigung und genauer Untersuchung der Gutachter erfüllt. (Neuerliche Zwischenrufe bei der ÖVP.) Die Gutachter sagen dem österreichischen Nationalrat, der sie beauftragt hat: Der Rücktritt vom Vertrag ist gerechtfertigt! Alle Voraussetzungen dafür sind erfüllt! Die Vorteile überwiegen bei weitem die Risiken des Ausstiegs! Und es besteht sogar eine verfassungsmäßige Verpflichtung für den Minister! (Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Nicht einmal eine Spritzpistole haben Sie gefunden, geschweige denn einen rauchenden Colt! ) 319 Einzelne Metaphern können auch zu größeren Gruppen gebündelt werden und in einer Art „Supermetapher“ 320 einem bestimmten Bild zuarbeiten. In den untersuchten Rede-Zwischenruf-Sequenzen ist es das Idiom des politischen Umfallers/ der politischen Umfallerin, das vom Redner/ von der Rednerin gerne evoziert, aber auch genauso oft von Zwischenrufen begleitet wird, wie im folgenden Beispiel das (remotivierte) Bild des politischen Kniefalls: Abg. Mag. Gaßner [SPÖ]: […] Lieber Herr Kollege Pirklhuber, von wegen „Kniefall“. Sie waren hier noch nie in einer Regierung. Sie sind aber in einem Bundesland in einer Regierung. In Oberösterreich liegen Sie nur auf den Knien! Dort liegen Sie nur auf den Knien! Ich sage nur Energie AG. (Heiter- 318 14. Sitzung, 80. 319 28. Sitzung, 37. 320 Cameron 2007, 201. <?page no="224"?> 224 keit und Beifall bei SPÖ und ÖVP. - Abg. Dr. Haimbuchner [FPÖ]: Da klatscht auch die ÖVP! ) 321 Die gewählten Metaphern sind ein Indikator für die Annahmen des Sprechers/ der Sprecherin, welche Metaphern beim Publikum am besten die intendierten Resultate erbringen. 322 Allgemein finden sich in den untersuchten brisanten Rede-Zwischenruf-Sequenzen vor allem konventionalisierte oder tote Metaphern. Das Wesen toter Metaphern erklären Billig und MacMillan so: „metaphors can become lexicalized and the lexis is used as if it possesses a literal, rather than metaphorical, meaning.” 323 So etwa, wenn von Seiten der ÖVP wie im folgenden Beispiel in Zusammenhang mit den Ergebnissen des Eurofighter-Ausschusses eine reine Weste für sich beansprucht und plakatiert wird: Abg. Murauer [ÖVP]: […] Wir haben vom Anfang an gesagt: Wir haben eine reine Weste. Die Österreicherinnen und Österreicher können sich in Sachen Sicherheit und Schutz auf uns, die Volkspartei, verlassen. (Anhaltender Beifall und Bravorufe bei der ÖVP. - Abg. Mag. Kogler [Grüne] - in Richtung ÖVP -: Was haben Sie da für einen Waschsalon? Der ist nicht schlecht! ) 324 Die Betonung der reinen Weste der ÖVP ist für Lakoff ein typisches Beispiel für metaphorische Moralvorstellung: „Immorality is commonly conceputalized as dark and morality as light. This is coherent with morality being clean and immorality being dirty.“ 325 Dabei ist, so Lakoff und Johnson, weniger von Bedeutung, ob die Metapher „Wahres oder Falsches impliziert, sondern welche Wahrnehmungen mit ihr verbunden sind, welche Schlussfolgerungen sich aus ihr ableiten lassen und welche Handlungen durch sie sanktioniert werden.“ 326 Metaphern haben somit Orientierungsfunktion. 327 Die Redebeiträge der Politiker/ Politikerinnen im Parlament gestalten sich zumindest im Umfeld der Zwischenrufe in Hinsicht auf metaphorische Neubildungen allgemein sprachlich wenig kreativ und das mit Grund: „Such metaphors invite attention while encapsulating a particular perspective; they thus provide an attractive vehicle for shaping public policy. 321 28. Sitzung, 221. 322 Vgl. Liedtke 1996a, 10. 323 Billig/ MacMillan 2005, 460. 324 28. Sitzung, 48. 325 Lakoff 1996, 263. 326 Lakoff/ Johnson 2003,181f. 327 Vgl. Lakoff/ Johnson 2003, 179. <?page no="225"?> 225 Yet the vividness of their imagery does not guarantee acceptance, and may become problematic if the metaphor is challenged.” 328 Viel eher wird auf bereits etablierte und gesicherte Formulierungen und Bilder zurückgegriffen, wie im folgenden Ausschnitt auf kriegerische Metaphorik: Abg. Dr. Kräuter [SPÖ]: […] Jetzt frage ich Sie: Was ist denn das für eine Allianz: einerseits sollen wir einen Bericht unterstützen, und andererseits wird das schwerste parlamentarische Geschütz in Stellung gebracht? (Abg. Strache [FPÖ]: Weil der Minister Parlamentsbeschlüsse nicht ernst nimmt! ) 329 Es ist demnach weniger wichtig oder auch weniger strittig, neue Metaphern effektvoll in die Rede einzubauen, um so neue Deutungsschemata zu konstituieren, als vielmehr beinahe bedeutungsleere Routineformeln zu verwenden, „in ways that deaden political awareness.” 330 328 Hobbs 2008, 29f. 329 28. Sitzung, 38. 330 Billig/ MacMillan 2005, 459. <?page no="226"?> 226 10 Debatten in der Politik als öffentliche Streitgespräche 10.1 Beziehungskonflikte im Nationalrat In parlamentarischen Reden sind Beziehungskonflikte unvermeidlich, da einander widerstrebende Gruppeninteressen aufeinanderprallen. Politiker/ Politikerinnen sehen Debatten nicht nur als Gelegenheit, die eigenen Positionen und Ziele argumentativ darzulegen, sie verwenden sie vor allem dazu, einen Vorteil gegenüber ihren politischen Mitbewerbern/ Mitbewerberinnen herauszuschlagen. 1 Die implizite oder explizite Bewertung muss dabei, um imageverletzend zu wirken, nicht notgedrungen direkt auf eine Person abzielen. Es genügt auch, Handlungen, die die Person gesetzt hat, zu werten, um diese in ihrem Image zu treffen: „Alle diese Muster haben gemeinsam, dass der Sprecher mit ihnen erstens behauptet, dass der Adressat etwas getan hat, und zweitens behauptet, dass dies schlecht war […].“ 2 Im folgenden Beispiel besteht die imageverletzende Wertung darin, einerseits Schulden anzuhäufen und anderseits keine sinnvollen Maßnahmen zum Schutz des Klimas zu setzen: Abg. Dr. Moser [Grüne]: […] Ich gehe jetzt auf diese Argumentation ein. Argument eins war: Schuldenstand abbauen. - Meine Damen und Herren, lesen Sie genau das Begleitheft, den Budgetbericht, und schauen Sie nach bei der Tabelle 21! Dort sehen Sie, wo der Schuldenstand durch Ihre Regierung in dieser Periode massiv erhöht wird - Stichwort Infrastruktur. Der Herr Vizekanzler und Finanzminister negiert den Schuldenberg, den er uns bis 2010 in der Infrastruktur anhäuft (Beifall bei den Grünen), in der Infrastruktur Straße vor allem, die völlig kontraproduktiv ist zum Aspekt des Klimaschutzes. Ich würde ja gerne mit dem Herrn Vizekanzler und Finanzminister über den Klimaschutz und auch über den Klimaschutzfonds diskutieren, aber er ist nicht mehr hier. (Abg. Grillitsch [ÖVP]: So viel ist noch nie gemacht worden für den Klimaschutz wie jetzt! ) 3 „Ob Konflikte sich entfalten können und dürfen, hängt zunächst von der Einstellung gegenüber Konflikten überhaupt ab.“ 4 Zwischenrufe können sehr wohl auch als ein konstruktives Element der Debatten genutzt wer- 1 Vgl. Jaworski/ Galasi ski 2000, 49. 2 Holly 1979, 56. 3 20. Sitzung, 57. 4 Schank 1987, 30. <?page no="227"?> 227 den, indem etwa dem Redner signalisiert wird, „dass man über bestimmte Dinge so denkt wie er.“ 5 Wie etwa im folgenden Beispiel: Abg. Mag. Kogler [Grüne]: […] So etwas Ähnliches spielt sich im Ausschuss auch dann ab, wenn sich die ÖVP dort - übrigens sehr wortreich - beteiligt. Aber es wird halt nichts nützen. Das Einzige, was wir lernen, ist, dass der Scheinheiligenschein offensichtlich zum neuen Parteiabzeichen der ÖVP avanciert ist, und leider wurden Sie, Herr Vizekanzler, diesem Verdacht und diesem Ruf mit Ihrer Beantwortung heute hier auch gerecht. (Abg. Morak [ÖVP]: Herr Kogler, was machen wir jetzt mit dem Koziol-Gutachten? Gibt es dazu eine Antwort oder nicht? ) Keine Sorge, zum Koziol- Gutachten kommen wir noch! Da müssen wir noch ein paar Klarstellungen vornehmen. Sie haben völlig recht! 6 Bedingung für eine konstruktive Konfliktentfaltung ist jedoch die grundsätzliche Gesprächsbereitschaft der Kommunikationspartner/ Kommunikationspartnerinnen, „d.h. zumindest Reste einer kooperativen Basis, sowie Gesprächsfähigkeit, d.h. Verbalisierungsfähigkeit und Argumentationsfähigkeit.“ 7 Nur so können die auftretenden Unterschiede argumentativ gelöst werden. 8 Fehlt aber die essentielle Kooperativität im Gespräch und werden selbst grundlegende Erwartungen, etwa auch in Hinblick auf die Gesprächsorganisation, nicht mehr erfüllt, so bricht laut Schank das (konstruktive) Gespräch zusammen. 9 D.h., benimmt sich ein Abgeordneter/ eine Abgeordnete im Plenum ständig unkooperativ, so läuft das Gespräch Gefahr zu eskalieren, indem sich, so Schank, die Basisregelverletzungen zu verselbständigen beginnen: 10 „Aus jeder Mücke wird ein Elefant. Unkooperativität erzeugt schließlich selbst ihre Konflikte, ja sie stellt selbst einen jede Interaktion zerstörenden Konfliktherd dar.“ 11 Kommunikation wie auch jede andere Form menschlicher Interaktion kann jedoch ohne Vertrauen und dem Willen zu gegenseitiger Kooperativität nicht erfolgreich sein: 12 „Wenn Basisregeln ständig verletzt werden, dann wird letztlich ein negativer Ausgang der konfliktären Interaktion unvermeidlich, selbst wenn 5 Schwitalla 1987, 138. 6 20. Sitzung, 156. 7 Schank 1987, 30. 8 Vgl. Schank 1987, 30. 9 Vgl. Schank 1987, 34. 10 Vgl. Schank 1987, 49. 11 Schank 1987, 49. 12 Vgl. Schank 1987, 26. <?page no="228"?> 228 weitere Konflikte (im Sinne von Tiefenkonflikten) längst außer Sicht geraten sind.“ 13 Im folgenden Auszug schaukelt sich die Situation zwischen Bundesminister Erwin Buchinger von der SPÖ und der Zwischenruferin Ridi Steibl von der ÖVP so weit auf, dass der Redner am Ende die sachliche Ebene verlässt und die Abgeordnete persönlich angreift: Bundesminister Buchinger [SPÖ]: […] Wenn es darum geht, Gewaltvideos oder Gewaltsendungen, Filme, iPods oder Podcasts, glaube ich, nennt man das, auf Handys oder auf Videos kritisch zu sehen und einzudämmen, dann, Frau Kollegin, sind Sie beim Konsumentenschutzminister an der falschen Adresse! Dafür gibt es eine Spezialnorm im Jugendschutzgesetz, und fürs Jugendschutzgesetz ist in der Grundsatzgesetzgebung im Bund seit 1. März 2007 Frau Bundesministerin Kdolsky zuständig. Ich gebe aber gerne - wenn der direkte Weg schwer ist - diese Bitte an sie weiter, dass sie sich um dieses Anliegen kümmert. In der Vollziehung - Sie werden das als Landesbedienstete wissen (Abg. Steibl [ÖVP]: Aber Sie wissen schon, dass Jugendschutzgesetze Landesgesetze sind? ) - sind die Ämter der Landesregierung und die entsprechenden Landesräte und Landesrätinnen zuständig. (Abg. Steibl [ÖVP]: ... kein gemeinsames Bundes-Jugendschutzgesetz! ) Auch das kann ich dann gerne weitergeben. Aber es wäre eigentlich vernünftiger, wenn Sie den direkten Weg suchen würden, Frau Kollegin. (Abg. Steibl [ÖVP]: Entschuldigung, was soll das? ) Es ist so - ich sage es Ihnen gerne auch noch einmal hier von der Regierungsbank aus -: Jugendschutz als Spezialmaterie geht vor der generellen Materie Konsumentenschutz! (Abg. Steibl [ÖVP]: Sie wollen sich abputzen bei diesem wichtigen Thema? ) Das ist einfach so. Ich war in Salzburg auch zuständig für den Jugendschutz, da habe ich mich dieser Fragen angenommen. (Abg. Steibl [ÖVP]: Also Sie wissen nicht ...! - Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.) Frau Kollegin, Sie sollten das vielleicht einmal bedenken, bevor Sie emotional reagieren, und diese Information annehmen, aufarbeiten und dann vielleicht umsetzen. (Beifall bei der SPÖ.) 14 In einem Beziehungskonflikt, wie er auch im obigen Beispiel zu sehen ist, treten zwei oder mehr Widersacher/ Widersacherinnen in den Ring und machen einander Vorwürfe, die keiner/ keine der beiden auf sich sitzen lassen will. 15 „Stattdessen verteidigen und rechtfertigen sie sich, streiten die Berechtigung des Vorwurfs ab und geben ihn oder einen anderen zurück.“ 16 Denn in der Arena parlamentarischer Debatten ist es häufig 13 Schank 1987, 49. 14 14. Sitzung, 179f. 15 Vgl. Schwitalla 1987, 126. 16 Schwitalla 1987, 126. <?page no="229"?> 229 wichtiger, siegreich aus dem Schlagabtausch herauszugehen, als einen sinnvollen, argumentativen Beitrag zur Diskussion zu leisten. In den aggressiven Rede-Zwischenruf-Sequenzen kann der kommunikative Gewinner/ die kommunikative Gewinnerin nicht nur positive Informationen über sich selbst und negative über den Gegner/ die Gegnerin platzieren, er/ sie schafft es dadurch auch, sich selbst als kommunikativen Tausendsassa zu profilieren. 17 Gelingt es dem Gegner/ der Gegnerin jedoch, dem kommunikativen Angriff Entsprechendes entgegenzuhalten und dem Initiator/ der Initiatorin einen erfolgreichen Gegenstoß zu versetzen, so wird dieser/ diese nicht nur in den Augen der Mithörerschaft herabgesetzt, er/ sie wirkt dadurch auch lächerlich und verliert das Gesicht. 18 So schickt der orange Parteiobmann Peter Westenthaler im folgenden Beispiel den Angriff des grünen Redners Karl Öllinger sofort wieder an den Absender zurück und kann so die Lacher auf seine Seite ziehen: Abg. Öllinger [Grüne]: […] Ich sage Ihnen auch, Herr Abgeordneter Westenthaler, Sie müssen sich entscheiden: Was wollen Sie? Sie sind in dieser Woche mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit getreten, dass die Regierung und das Parlament endlich etwas arbeiten sollen, daher wird die Sommerpause abgeschafft. - Das ist insofern ein origineller Vorschlag, die Abschaffung der Sommerpause, als sich das BZÖ ganzjährig in geistiger Sommerpause befindet. (Heiterkeit und Beifall bei den Grünen.) Aber sei’s drum, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Besser in der Sommerpause als in geistiger Umnachtung! ) 19 Schank beschreibt in diesem Zusammenhang die kommunikative Taktik des „Chickenspiels“ 20 , bei dem jene gewinnen, die eben nicht nachgeben. In diesen Fällen steht der maximale Imagegewinn des/ der Einzelnen über dem maximalen Gewinn des Kollektivs, der durch beiderseitige Kooperativität erreicht werden könnte. 21 Im folgenden Ausschnitt wird die im Rahmen des Chickenspiels geäußerte Herausforderung des Redners, den Einwurf öffentlich zu wiederholen, vom Zwischenrufer nicht angenommen, sondern anderweitig retourniert: Abg. Mag. Kogler [Grüne]: […] Herr Kollege Kopf, hier gilt genau das Gleiche! (Zwischenruf des Abg. Großruck [ÖVP].) - Ich habe eh nicht Sie angeschaut! Das hat nichts mit der Brauerei Grieskirchen zu tun. (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Großruck [ÖVP].) - Herr Kollege, kommen Sie heraus! 17 Vgl. Goffman 1986, 31. 18 Vgl. Goffman 1986, 31f. 19 28. Sitzung, 127f. 20 Schank 1987, 50. 21 Vgl. Schank 1987, 51. <?page no="230"?> 230 Bringen Sie Ihren Vierzeiler! Die Präsidentin hat Sie darum gebeten. Sie wollten einen „uncharakterhaften“ Vierzeiler vorbringen. (Abg. Großruck [ÖVP]: Das tue ich nicht, denn ich habe Charakter! ) 22 Kooperative Strategien, wie etwa Paraphrasen, Wiederholungen, Korrekturen, Nachfragen usw., leisten einen Beitrag zur Verständigung, stehen dem Image des Kommunikationspartners/ der Kommunikationspartnerin positiv gegenüber und verfolgen ein gemeinsames Ziel. 23 Hingegen wirken sich absichtliche Übertreibungen, absichtliches Falschverstehen als unkooperative Strategien negativ auf die gute Verständigung der Kommunikationspartner/ Kommunikationspartnerinnen aus, sie nehmen keinerlei Rücksicht auf das Image des Gegenübers und sind auf den maximalen Gewinn des Einzelnen hin ausgerichtet, mit anderen Worten: auf einen für die Kooperativität negativen Gesprächsausgang. 24 So bleibt die gegenseitige Imageverletzung zwischen den beiden (altgedienten) Parlamentsmitgliedern Herbert Scheibner und Rudolf Parnigoni im folgenden Ausschnitt weitgehend ungelöst: Abg. Scheibner [BZÖ]: […] Genau deshalb haben wir jetzt - ich sage dazu: wirklich ungern! - den Neuwahlantrag und diesen Fristsetzungsantrag eingebracht, weil es ganz einfach nicht sein kann, dass jetzt drei Jahre so weitergewurstelt wird. Besser jetzt rasch Neuwahlen, der Wähler soll Ihnen einen Denkzettel verpassen (Zwischenruf des Abg. Kurt Eder [ÖVP]), eine Neuordnung hier in Österreich - und dann kann wieder gearbeitet werden zum Wohle der Bevölkerung, zum Wohle der Österreicherinnen und Österreicher! (Abg. Parnigoni [SPÖ]: Willst du in Pension gehen? ) - Auf jeden Fall nach dir, lieber Freund. (Beifall beim BZÖ.) 25 „Ein Aspekt des Regelsystems jeder sozialen Gruppe besteht in dem Konsens darüber, wie weit jemand gehen sollte, um sein Image zu wahren.“ 26 Ureigenstes Charakteristikum jeglicher Art öffentlicher politischer Gespräche im weitesten Sinn ist jedoch ihre werbende, d.h. persuasive, Ausrichtung, 27 deren „Gesamtintention darauf abzielt, bei den Adressaten eine Bestätigung oder Veränderung (politisch relevanter) Verhaltensweisen zu bewirken.“ 28 Ein Grundmuster politischer Kommunikation ist es daher, scharf in Freund und Feind zu trennen und damit dem Konsens 22 14. Sitzung, 154. 23 Vgl. Schank 1987, 69. 24 Vgl. Schank 1987, 69. 25 28. Sitzung, 131. 26 Goffman 1986, 14. 27 Vgl. Volmert 1989, 29. 28 Volmert 1989, 29. <?page no="231"?> 231 innerhalb der eigenen Partei und dem Dissens in Hinblick auf den politischen Gegner/ die politische Gegnerin klar den Vorzug zu geben. 29 Im Schauraum der politischen Leistungen werden Imageverletzungen des politischen Gesprächspartners/ der politischen Gesprächspartnerin auf diese Weise bewusst in Kauf genommen, wenn nicht sogar primär intendiert. So etwa im folgenden Beispiel, wo der orange Parteiobmann Peter Westenthaler die schwarze Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky bewusst der Lächerlichkeit preisgibt: Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: […] Die Familienministerin, die freundlicherweise anwesend ist, ist ja auch ungefähr hundert Tage im Amt. Gestern waren Sie ja beim „Standard“-Chat, Frau Ministerin, und da hat Sie ein Leser gefragt: „stimmt es dass sie in der nächsten staffel von ,dancing stars‘ antreten wollen? “ Und Sie haben darauf geantwortet: „Bin heute“ - also gestern - „im Metropol bei einer Benefizveranstaltung ... wo ich die Gräfin Mariza gebe, in Abhängigkeit des Publikumsechos können wir uns über diese Frage zu einem späteren Zeitpunkt unterhalten.“ - Sie haben es offengelassen. (Zwischenrufe der Abg. Steibl [ÖVP] sowie weiterer Abgeordneter der ÖVP.) Mich würde interessieren, Frau Ministerin: War es ein Publikumserfolg? , denn dann hätten wir die Chance, dass Sie vielleicht anheuern beim Metropol, im Theater als Schauspielerin, als Gräfin Mariza, und uns hier erspart bleiben. Das wäre vielleicht eine gute Sache, Frau Ministerin. (Beifall beim BZÖ.) Ich hoffe, es war ein Publikumserfolg, denn Ihre Bilanz in den letzten Wochen und Monaten ist Chaos, Pleiten, Pech und Pannen, eine Familienpolitik, die in die völlig falsche Richtung geht. (Neuerliche Zwischenrufe bei der ÖVP.) 30 In kooperativen Gesprächen sind hingegen beide Seiten darum bemüht, einen kommunikativen Arbeitskonsens herzustellen, der zwar nicht explizit thematisiert wird, aber dafür sorgt, dass zu Gunsten der Einigkeit Kompromisse eingegangen werden, die ansonsten nicht gemacht werden würden. 31 Von den Mitgliedern einer Gesellschaft bzw. einer sozialen Gruppe wird grundsätzlich erwartet, dass sie wissen, wie solcher Art Imagepflege geleistet werden kann. 32 Die Verhaltensregeln, die von der Gesellschaft in diesem Zusammenhang aufgestellt werden, kommen einer Handlungsanweisung gleich, die nicht empfohlen wird, „weil sie angenehm, einfach oder wirkungsvoll ist, sondern weil sie angemessen oder richtig ist.“ 33 Dabei kann auch der ins Fadenkreuz der Kritik geraten, dessen Beschuldigungen in dieser Hinsicht als ungerechtfertigt angesehen 29 Vgl. Klein 2001, 72. 30 20. Sitzung, 32. 31 Vgl. Goffman 1986, 16f. 32 Vgl. Goffman 1986, 18f. 33 Goffman 1986, 55. <?page no="232"?> 232 werden, 34 wie im folgenden Ausschnitt, in dem der Zwischenruf von Seiten des SPÖ-Abgeordneten Rudolf Parnigoni von der Rednerin als unberechtigt und übertrieben gemaßregelt wird: Abg. Mag. Stoisits [Grüne]: Dobar ve er, poštovane dame i gospodo! Sehr geehrter Herr Präsident! (Abg. Dr. Lichtenecker [Grüne]: Dobar dan! ) Ich habe natürlich insgeheim gehofft, dass Frau Ministerin Berger auch zu diesen ersten Lesungen kommen wird, denn es gibt auch noch … (Zwischenruf des Abg. Parnigoni [SPÖ].) - Rudi, ich bin so ruhig, und er ruft irgendwie dazwischen. 35 Das einzelne Individuum ist einerseits verpflichtet, den Verhaltensvorgaben zu folgen, kann andererseits aber auch erwarten, dass andere sich ihm gegenüber ebenfalls diesen Regeln verpflichtet fühlen. 36 Beziehungsarbeit ist somit ein Geben und Nehmen. Regelverletzungen lösen dabei nicht nur negative Gefühle bzw. Unbehagen aus, sie ziehen auch soziale Sanktionen nach sich, 37 die im Parlament durch Ordnungsrufe formal ausgeführt werden. Da der grüne Redner Peter Pilz im folgenden Beispiel Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel ständigen und vorsätzlichen Verfassungsbruch vorwirft, ohne dies in irgendeiner Weise abzuschwächen oder sich dafür zu entschuldigen, fühlt sich der nunmehrige Parteiobmann der ÖVP dazu veranlasst, einen Ordnungsruf von Seiten der Nationalratspräsidentin einzufordern: Abg. Dr. Pilz […]: […] Für Sie ist unter Bundeskanzler Schüssel - bedauerlicherweise - der ständige und vorsätzliche Verfassungsbruch zu einem ganz normalen Mittel der Politik geworden. (Neuerlicher Beifall bei den Grünen. - Zwischenrufe bei der ÖVP.) Genau an diesem Punkt sind wir. (Abg. Dr. Schüssel [ÖVP]: Frau Präsidentin, „vorsätzlicher Verfassungsbruch“, ist das kein Ordnungsruf? ) Und da ist es wichtig (Abg. Dr. Schüssel [ÖVP]: Ist das ein Ordnungsruf oder nicht? ), dass einer der bedeutendsten Verfassungsrechtler dieser Republik, Mayer, feststellt - ich zitiere und bemerke die Nervosität vonseiten der ÖVP; aber im Zuge der Ausschussarbeit wird sich diese berechtigte Nervosität weiter steigern -: „Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen verfassungsrechtlichen Überlegungen, ist im vorliegenden Zusammenhang festzustellen, dass der Steuerakt ,Steininger‘ unter anderem in Form von Kontoblättern vorgelegt wurde. Dabei wurde der überwiegende Teil der Werbeausgaben unkenntlich gemacht. Diese Vorgangsweise ist unzulässig.“ Das stellt Universitätsprofessor Heinz Mayer unmissverständlich fest. (Abg. Dr. Schüssel 34 Vgl. Holly 1979, 61. 35 20. Sitzung, 194. 36 Vgl. Goffman 1986, 56. 37 Vgl. Goffman 1986, 55. <?page no="233"?> 233 [ÖVP]: „Vorsätzlicher Verfassungsbruch“! - Die unterste Liga, tiefer geht es nicht mehr! ) 38 Die konventionalisierten kommunikativen Strategien sind zugleich auch an bestimmte Rollenerwartungen gebunden. Wird gegen diese gegenseitigen Rollenerwartungen verstoßen, entstehen Rollenkonflikte. 39 So wirken etwa verbale Angriffe gegen Parteikollegen/ Parteikolleginnen in parlamentarischen Reden um vieles offensiver, da sie nicht den Rollenerwartungen entsprechen. 40 Die Normen, die hinter den Rollenerwartungen stehen, werden innerhalb der Kommunikationsgemeinschaft relativ übereinstimmend als solche wahrgenommen und der jeweilige Beitrag somit als richtig und angemessen oder als fehlerhaft und unangemessen gewertet: 41 „Dabei wird unterstellt, dass derjenige, der nicht in Übereinstimmung mit einer bestimmten Regel gehandelt hat, dies im günstigsten Fall aufgrund eines Versehens, im schlimmsten Fall aufgrund seines schlechten Charakters getan hat, und dass er, trotz seiner Nicht-Übereinstimmung in diesem Fall, in der Lage ist, regelkonform zu handeln, sich regelkonform hätte verhalten sollen und sich auf jeden Fall jetzt regelkonform verhalten sollte.“ 42 Auf diese Weise wird im vorliegenden Fall der Zwischenruf des Abgeordneten Walter Schopf, der nicht weiter von den Stenographen/ Stenographinnen erfasst wurde, vom Redner als Indiz für seine persönliche Niveaulosigkeit gesehen: Abg. Scheibner [BZÖ]: […] Das alles sind doch Dinge, Herr Minister, die in Ihrem Verantwortungsbereich liegen, womit Sie der Republik Österreich und den Sicherheitsinteressen massiven Schaden zufügen! (Zwischenruf des Abg. Schopf [SPÖ]. - Abg. Faul [SPÖ]: Wir sind geklagt worden! ) Ja, das entspricht Ihrem Niveau, Herr Kollege. Das entspricht Ihrem Niveau! Sie sollten sich nicht hinter Ihrer parteipolitischen Brille verstecken und mit unflätigen Zwischenrufen hier herunterrufen, das zeigt ja, wohin Sie gekommen sind. Eine Regierungspartei, die für die Sicherheit des Landes verantwortlich sein sollte und sich dann hinter unflätigen Zwischenrufen und Herunterrufen versteckt! Sonst wissen Sie nichts mehr! (Beifall beim BZÖ.) 43 38 20. Sitzung, 134. 39 Vgl. Schank 1987, 27. 40 Vgl. Klein 2001, 72. 41 Vgl. Dieckmann 2005b, 84. 42 Goffman 1974, 142. 43 20. Sitzung, 175f. <?page no="234"?> 234 Zu den wichtigsten Techniken der Imagepflege gehören daher Vermeidungsstrategien. 44 Vor allem in Hinblick auf die eigene Partei müssen Politiker/ Politikerinnen Strategien entwickeln, um mögliche Interessensgegensätze zu vermeiden, wobei das Image der Partei bisweilen wichtiger ist als das eigene. 45 Die Konfliktreduzierung setzt zumeist vor dem eigentlichen Konflikt ein, indem versucht wird, ihn gerade zu verhindern. 46 Befindet man sich jedoch bereits in einem kommunikativen Minenfeld, so werden andere Vermeidungspraktiken wie etwa Defensivpartikel eingesetzt. Dies geht so lange, bis in einem günstigen Augenblick auf ein ungefährliches Gesprächsthema übergewechselt werden kann. 47 Ist die Imageverletzung aber schon geschehen, so treten korrektive Prozesse 48 (siehe dazu auch Abschnitt 5.3) in Aktion, die die Aufgabe haben, das gegenseitige kommunikative Gleichgewicht wiederherzustellen: 49 „Die Funktion der korrektiven Tätigkeit besteht darin, die Bedeutung zu ändern, die andernfalls einer Handlung zugesprochen werden könnte, mit dem Ziel, das, was als offensiv angesehen werden könnte, in etwas zu verwandeln, das als akzeptierbar angesehen werden kann.“ 50 In der folgenden Zwischenrufsequenz läuft der Korrektivprozess über mehrere Turns ab und endet mit der Aufnahme der gegnerischen Sichtweise in die eigene Argumentation: Abg. Köfer [SPÖ]: […] Wir haben von Frau Kollegin Stoisits schon gehört, dass es im Jahre 1989 noch einen historischen Tiefstand an Insassen, nämlich in etwa 6 000, gegeben hat und dieser sich ab 2001 dramatisch erhöht hat. Wir können heute - und das haben wir heute auch mehrfach gehört -, mit Stand März 2007, als exakte Zahl 9 093 Menschen, die sich in Österreich in Gefängnissen befinden, registrieren. Der Grund dafür sind einerseits sicherheitspopulistische Parolen und andererseits aber auch der Rückbau des österreichischen Sozialstaates. (Abg. Strache [FPÖ]: Dass wir eine so hohe Häftlingszahl haben, ist eine Rückführung auf populistische Parolen? ! ) - Doch! (Abg. Strache [FPÖ]: Sie erkennen nicht, dass es mehr Verbrechen gibt? Das wollen Sie in Abrede stellen? ) Kollege Strache, das ist einerseits. Und andererseits habe ich aber gesagt, dass der Rückbau des österreichischen Sozialstaates und 44 Vgl. Goffman 1986, 21. 45 Vgl. Bull 2008, 6. 46 Vgl. Schwitalla 1987, 104. 47 Vgl. Goffman 1986, 21. 48 Vgl. Goffman 1986, 24. 49 Vgl. Goffman 1986, 25. 50 Goffman 1974, 156. <?page no="235"?> 235 die mangelnde Integration von Randgruppen ebenfalls ein Grund dafür sein werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPÖ.) 51 Die in einem realen Gespräch auffindbaren Sequenztypen gehen zwar von der von Goffman beschriebenen Grundform aus, werden aber im Einzelfall nicht immer genauso umgesetzt. Mit anderen Worten gibt es mehrere Varianten für korrektive Sequenzen, 52 die zwar dem prototypischen Schema Goffmans nicht Wort für Wort folgen, aber trotzdem als korrektive Sequenzen gelten. So finden sich unterschiedliche Varianten, je nachdem, in welchen Kontext sie gestellt werden oder wie die Partner/ Partnerinnen aufeinander bezogen sind. 53 In solchen Fällen können ganze Schritte entfallen oder umgestellt werden: 54 „so ist z.B. festzustellen, dass in Alltagsgesprächen zwischen Partnern, die einander fremd sind oder sich nur flüchtig kennen, nicht selten der Vorwurfsschritt entfällt, da der Regelverletzer bereits von sich aus einen Korrektivschritt vollzieht.“ 55 Oder der Redner/ die Rednerin bleibt, wie im nächsten Beispiel, den Korrektivschritt schuldig: Abg. Mag. Trunk [SPÖ]: […] Zweiter Punkt: Zu den Ausführungen des Kollegen Auer: Diese Bundesregierung, und ganz besonders der Bundeskanzler, haben neben einem Kurswechsel auch so etwas wie eine neue politische Kultur des Umgangs in Aussicht gestellt. Herr Kollege Auer [ÖVP], bei aller Wertschätzung - er ist nicht da, aber Sie werden es ihm sagen; wir kennen uns schon lange aus dem Budgetausschuss, und ich denke, da sind gegenseitiger Respekt und Achtung vorhanden -: Es macht wenig Sinn (Abg. Steibl [ÖVP]: Auer macht eine gute Arbeit, einer der Besten! ), auch Frau Kollegin der ÖVP, wenn die Abgeordneten der jetzigen Koalitionsparteien den jeweils anderen auf der Regierungsbank Sitzenden, in dem Fall halt Auer gegen Matznetter, diskreditieren und dann noch dazu Abgeordnete der Opposition diffamieren. 56 Auch muss die Veranlassung wie im vorliegenden Fall nicht unbedingt von der Person geäußert werden, deren Image durch den Anlassfall gefährdet wird: „Häufiger noch übernehmen Dritte anstelle des Opfers die Veranlassung.“ 57 Speziell Politiker/ Politikerinnen sehen sich gefordert, nicht nur ihr eigenes Image zu propagieren bzw. zu verteidigen, sondern 51 20. Sitzung, 203. 52 Vgl. Schwitalla 1987, 101. 53 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 97. 54 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 97. 55 Brinker/ Sager 2006, 97. 56 14. Sitzung, 34. 57 Holly 1979, 60. <?page no="236"?> 236 auch das der Partei und das der Parteikollegen/ Parteikolleginnen oder anderer für die Partei wichtiger Personen bzw. Personengruppen. 58 So schlägt sich im folgenden Beispiel die Abgeordnete Anna Höllerer von der Österreichischen Volkspartei bei der Diskussion um artgerechte Tierhaltung auf die Seite der Bauern/ Bäuerinnen, die traditionell eine wichtige Wählerschicht der ÖVP darstellen: Abg. Höllerer [ÖVP]: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Herr Abgeordneter Pirklhuber hat hier eingefordert, dass man bei der Tierhaltung auch die Ethik mit bedenken muss und dass nicht nur die Wirtschaftlichkeit und die Qualitätsfrage im Vordergrund stehen sollen. Ich denke, gerade er müsste wissen, dass die Bäuerinnen und Bauern Österreichs nicht nur von den Tieren, sondern auch mit den Tieren leben, dass sie sehr genau wissen, was sie zu tun haben (Zwischenruf des Abg. Dr. Pirklhuber [Grüne]) 59 Bull weist in diesem Zusammenhang wieder auf Goffman hin, der vom kollektiven Image von Gruppen spricht, das einerseits dafür verantwortlich ist, dass sich die Mitglieder einer Gruppe für das unpassende Verhalten eines ihrer Mitglieder mitschämen, und andererseits, dass das Gesicht der Gruppenmitglieder seitens der gesamten Gruppe verteidigt wird: 60 „Thus, in the context of an interview, politicians might seek to support the face of political colleagues and allies; at the same time, they would not wish to support the face of negatively valued others, such as their political opponents.” 61 Im folgenden Fall springt der Zwischenrufer Rudolf Parnigoni von der SPÖ für den roten Bundeskanzler Alfred Gusenbauer in die Bresche und verteidigt ihn wie auch das eigene diesbezügliche Verhalten gegen die Angriffe der grünen Rednerin Brigid Weinzinger: Abg. Mag. Weinzinger [Grüne]: […] Das Zweite ist die Frage: Was tun Sie jetzt mit der Situation? So sehr ich Klarheit und Fakten schätze: Die Anfragebeantwortung von Kanzler Gusenbauer lässt eine eigene Meinung sehr augenscheinlich vermissen. Es gibt einen einzigen Satz in seiner Anfragebeantwortung, wo er feststellt: Grundsätzlich lehne ich jede Diskriminierung ab. - Na hoffentlich! Wäre noch schöner, wenn das nicht der Fall wäre! Aber darüber hinaus wäre ihm auch nur der Ausdruck des Bedauerns, dass da nicht mehr getan wurde, glaube ich, ganz gut angestanden und hätte ja auch nichts gekostet; könnte man ja sagen. (Abg. Parnigoni [SPÖ]: Seien Sie nicht so streng! ) - Herr Abgeordneter Parnigoni findet Kritik am SP- Kanzler offenbar nicht zulässig - oder ich weiß nicht was. (Abg. Parnigoni 58 Vgl. Bull 2008, 7. 59 28. Sitzung, 136. 60 Vgl. Goffman, zit. in: Bull 2008, 6. 61 Bull 2008, 6. <?page no="237"?> 237 [SPÖ]: Gusenbauer ist ein Kämpfer für Frauenrechte! Er hat ein eigenes Frauenministerium geschaffen! ) Ach, das ist richtig! Ein SP-Kanzler darf nicht kritisiert werden. (Abg. Parnigoni [SPÖ]: Das ist ungerechtfertigt! ) Es tut mir leid, wir sind in der Opposition und werden das weiter tun! Und gerade Frauenfeindlichkeit oder Mängel in der Gleichstellungspolitik werde ich immer sehr vehement kritisieren. 62 In den untersuchten Rede-Zwischenruf-Sequenzen wird die Sequenz durch eine Aussage im Redebeitrag bzw. durch das Verhalten des Redners/ der Rednerin losgetreten. Zwischenrufe können damit als Veranlassung interpretiert werden, indem der Zwischenrufer/ die Zwischenruferin die Aussagen bzw. das Verhalten des Redners/ der Rednerin als Anlassfall markiert. Der Redner/ die Rednerin reagiert daraufhin über ein positives oder negatives Korrektiv - oder auch nicht. So fehlt in etwa zwei Drittel der analysierten Rede-Zwischenruf-Sequenzen (N = 950 Rede-Zwischenruf-Sequenzen) das Korrektiv des Redners/ der Rednerin, d.h., die Veranlassung des Zwischenrufs findet kein Gehör, da der Redner/ die Rednerin nicht weiter auf den Zwischenruf eingeht. Weigert sich der/ die Beschuldigte, einen Korrektivschritt zu leisten, wie es im Großteil der untersuchten Erstveranlassungen in Rede-Zwischenruf-Sequenzen der Fall ist, so stehen dem Zwischenrufer/ der Zwischenruferin mehrere Möglichkeiten offen, darauf zu reagieren: Er/ sie übergeht den Vorfall und tut so, als sei nichts geschehen; Der Zwischenrufer/ die Zwischenruferin kann die Veranlassung auch wiederholen oder aber er/ sie greift zu anderen Mitteln. 63 Oft werden an den untersuchten Sitzungstagen die Zwischenrufe einfach solange immer wieder eingeworfen, bis der Redner/ die Rednerin in irgendeiner Weise auf sie eingeht, wie im folgenden Beispiel: Abg. Dr. Van der Bellen [Grüne]: […] Lesen Sie Heinz Mayer! (Abg. Dr. Fekter [ÖVP]: Lesen Sie die Ziffer 4 vor! ) Schauen Sie, wenn Sie schon die allgemeinen Ausführungen nicht verstehen, dann wenigstens die zu dem konkreten Fall Steininger. (Zwischenrufe bei der ÖVP. - Abg. Dr. Fekter [ÖVP]: Lesen Sie die Ziffer 4 vor! ) Der überwiegende Teil der Werbungskosten, der Werbeausgaben von Herrn Steininger wurde unkenntlich gemacht. Diese Vorgangsweise ist unzulässig! (Abg. Dr. Fekter [ÖVP]: Lesen Sie die Ziffer 4 vor! ) Verstehen Sie Deutsch, Frau Kollegin Fekter? Vier Worte: „Diese Vorgangsweise ist unzulässig! “ (Beifall bei den Grünen. - Rufe der Empörung bei der ÖVP.) „Unzulässig“ ist ein anderer Ausdruck für rechtswidrig, für „nicht rechtskonform“. Das sind die Worte, die Herr Professor Bernd- Christian Funk in seinem Schlusssatz verwendet. (Abg. Dr. Fekter [ÖVP]: Die 62 14. Sitzung, 115. 63 Vgl. Holly 1979, 163. <?page no="238"?> 238 Ziffer 4 relativiert das! Und dazu schweigen Sie! ) Einen Schlusssatz werden auch Sie noch verstehen, Frau Kollegin Fekter. Ich zitiere aus seinem fünfseitigen Gutachten: „Wie aus den vorstehenden Erwägungen hervorgeht, ist die Vorgangsweise der Finanzverwaltung (Vorlage von Steuerakten mit unkenntlich gemachten Textteilen) in der konkreten Situation nicht rechtskonform.“ Wie nennen Sie das jetzt? 64 In etwa einem Drittel der Fälle geht die Sequenz jedoch über den ersten Zwischenruf hinaus, indem der Redner/ die Rednerin auf den Einwurf eingeht oder ein weiterer Zwischenrufer/ eine weitere Zwischenruferin den Faden aufnimmt. In den Mini-Dialogen ist der kommunikative Wettstreit um das letzte Wort zwischen Redner/ Rednerin und Zwischenrufer/ Zwischenruferin weitgehend unentschieden. D.h., hat die Veranlassung des Zwischenrufs Erfolg und dringt zum Redner/ der Rednerin vor, so liegen die Chancen fifty-fifty, ob der Redner/ die Rednerin oder ein weiterer Zwischenruf die Sequenz schließlich beendet. Dazu jeweils ein Beispiel: Abg. Broukal [SPÖ]: […] es genügt nicht, hier zu sagen: „Ich will Ausschüsse! “, sondern: „Sire, geben Sie Termine! “, müsste ich mit Schiller fast sagen. Endlich, ja bitte! (Abg. Sburny [Grüne]: ... vorgeschlagen! - Weitere Zwischenrufe bei den Grünen.) Frau Sburny, kennen Sie den Mailverkehr? (Abg. Sburny [Grüne]: Ja, natürlich! ) Sie kennen seinen Mailverkehr - gut, das freut mich, ist in Ordnung. Aber dann werden Sie doch sehen, wie es nicht gelingt! (Abg. Sburny [Grüne]: Wir informieren uns wechselseitig, im Gegensatz zur SPÖ! ) Ja, okay, gut. An mir liegt es jedenfalls nicht, mit mir können Sie jeden Tag Termine machen. (Abg. Dr. Dr. Graf [FPÖ]: Aber dann sagen Sie doch, wer blockiert, bitte! ) Okay, aber er gehört jedenfalls auch zu denen, daher braucht er nicht herunterzugehen und zu sagen: Es gibt keine Termine! Ich hätte auch gerne mehr Termine, an mir liegt es nicht. […] 65 Abg. Zwerschitz [Grüne]: […] Im Regierungsprogramm stehen wunderschön irgendwelche hehren Ziele, aber es gibt keine budgetäre Bedeckung! (Abg. Heinisch-Hosek [SPÖ]: 8 Millionen! ) Wir wissen überhaupt noch nicht, wie wir all diese wunderschönen Seifenblasen finanzieren werden. 8 Millionen € sind wunderschön, aber die möchte ich zuerst einmal sehen! (Abg. Stadlbauer [SPÖ]: Das ist ja das Problem, weil Sie es noch nicht gesehen haben! ) 66 64 20. Sitzung, 144. 65 20. Sitzung, 92. 66 14. Sitzung, 92. <?page no="239"?> 239 Die Reaktion des Redners/ der Rednerin kann entweder dazu führen, den Konflikt zu mindern oder aber ihn - wie in der Mehrzahl der Rede-Zwischenruf-Sequenzen - ihn erst richtig anzuheizen. 67 Konfliktmindernd wirken die reinterpretierende Herabsetzung der Relevanz des Vorfalls, 68 Kompromissangebote 69 und der Hinweis darauf, wie sehr man selbst in die Situation verstrickt bzw. von ihr betroffen sei. 70 Ebenso positiv wirken sich Lob und Anerkennung auf die Beziehung aus, indem sie die Normalisierung anbahnen bzw. die gute Beziehung bestätigen. 71 Auch Äußerungen, „aus denen der Angesprochene schließen kann, dass man sich in die Lage des andern versetzen kann,“ 72 wirken beziehungssichernd und konfliktmindernd, wie im folgenden Ausschnitt: Abg. Dolinschek [BZÖ]: […] Auf der anderen Seite muss man natürlich auch Maßnahmen setzen, dass es eine steuerliche Absetzbarkeit für Sozialausgaben gibt. Es ist nur die Frage, in welcher Form. Natürlich auch in Form einer Negativsteuer. Aber vor allem sollen auch jene Menschen, die nicht behindert sind, aber für soziale Zwecke spenden, diese ihre Spende auch steuerlich absetzen können. Dann wäre vielen geholfen. (Abg. Haidlmayr [Grüne] - ein Schriftstück in die Höhe haltend -: Lesen Sie sich das durch! ) Ich weiß, Frau Kollegin Haidlmayr, dass sämtliche Fraktionen hier im Hohen Haus Anträge dahin gehend eingebracht haben, aber ich weiß auch, wie mühsam es ist, in der Regierung mit dem jeweiligen Finanzminister das Ganze zu verhandeln und das auch drüberzubringen. Das ist eben die andere Seite der Medaille. 73 Nimmt der Redner/ die Rednerin den Faden des Zwischenrufs auf und antwortet in derselben Manier wie der Zwischenrufer/ die Zwischenruferin zuvor, so kann dies sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben: „Wie man Konflikte durch den Vollzug desselben Typus eines beziehungsabträglichen Sprechakts eskalieren kann (‚Retourkutschen‘), so auch abbauen.“ 74 Daneben kann immer noch darauf beharrt werden, es hätte keine Imageverletzung gegeben, indem man so tut, als wäre nichts passiert. 75 „Eine wichtigere, weniger spektakuläre Art taktvollen Übersehens ist, wenn jemand offen einen Zwischenfall als ein Ereignis aner- 67 Vgl. Schwitalla 1987, 154. 68 Vgl. Schwitalla 1987, 141. 69 Vgl. Schwitalla 1987, 140. 70 Vgl. Schwitalla 1987, 103. 71 Vgl. Schwitalla 1987, 136. 72 Schwitalla 1987, 103. 73 20. Sitzung, 215. 74 Schwitalla 1987, 154. 75 Vgl. Goffman 1986, 23. <?page no="240"?> 240 kennt, aber nicht als ein Ereignis mit einem bedrohlichen Ausdruck.“ 76 So kehrt die Rednerin der SPÖ Gabriele Heinisch-Hosek im folgenden Beispiel den Vorwurf der Zwischenruferin Brigid Weinzinger ins Gegenteil und führt den Mangel an konkreten Maßnahmen als Pluspunkt des Regierungsabkommens an: Abg. Heinisch-Hosek [SPÖ]: […] Frauen in der Wissenschaft, Karrierechancen erhöhen: Wir werden eine Initiative - „Frauen in der Wissenschaft“ - setzen. Wir werden Programme zur Verbesserung angehen. (Abg. Mag. Brigid Weinzinger [Grüne]: Das ist „ganz“ konkret! ) Seien wir doch froh, dass nicht alles in diesem Regierungsübereinkommen so genau formuliert ist (ironische Heiterkeit bei den Grünen), denn jetzt haben wir doch erst die Möglichkeit, und ich lade genau Sie ein, mitzuhelfen, diese Dinge auch umzusetzen. 77 Am Ende der untersuchten Rede-Zwischenruf-Sequenzen bilden beziehungssichernde Gesprächsschritte jedoch eher die Ausnahme. Dies gilt besonders für den letzten Schritt der Honorierung des Korrektivs durch den Veranlasser/ die Veranlasserin, d.h. den Zwischenrufer/ Zwischenruferin, der in den untersuchen Sequenzen zumeist ausbleibt. Der Honorierungsschritt des Veranlassers/ der Veranlasserin bildet jedoch den Ausgangspunkt für eine gemeinsame Revalorisierung des Vorfalls und hilft, wieder positive Rollenbilder im Gespräch zu etablieren. 78 „Deshalb besteht die zentrale Interaktionssequenz in korrektiven Ritualen aus dem Korrektiv selbst und seiner Honorierung durch einen weiteren Schritt, mit dem der jeweils andere zum Ausdruck bringt, dass er das Korrektiv akzeptiert.“ 79 Indem der Honorierungsschritt durch den Veranlasser/ die Veranlasserin, d.h. durch den Zwischenrufer/ die Zwischenruferin, fehlt bzw. verweigert wird, bleibt eine endgültige Aussöhnung aus. Werden zusätzlich positive Korrektivschritte durch Gegenvorwürfe eingetauscht, so wird der Konflikt noch weiter verschärft, sodass schließlich jeder Schritt der Kommunikationspartner/ Kommunikationspartnerinnen zum Anlassfall wird. Auf diese Weise wird die Dialogsequenz zu einer Abfolge von Veranlassungen, die anstelle eines Korrektivs eine Gegenbeschuldigung vorbringen. 80 Dies geht so weit, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt ein Korrektivschritt für keinen/ keine der Beteiligten mehr in Frage kommt, da da- 76 Goffman 1986, 24. 77 14. Sitzung, 84. 78 Vgl. Schwitalla 1987, 103. 79 Holly 1979, 57. 80 Vgl. Holly 1979, 164. <?page no="241"?> 241 mit ein weiterer Imageverlust einhergehen würde. 81 Das Ergebnis ist dabei, so Holly, in jedem Fall Streit, 82 wie im folgenden Schlagabtausch zwischen Peter Westenthaler und Heinz-Christian Strache: Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: […] Van der Bellen hat Strache schon mit Taschentüchern versorgt -, Herr Kollege Strache, jedem aufrechten Freiheitlichen dreht es den Magen um, wie ihr da im Hohen Haus pausenlos mit den Grünen packelt! (Abg. Strache [FPÖ]: Mister 1 Prozent! ) Das ist doch unglaublich, wie links ihr da schon drüben sitzt! Das ist eigentlich eine Unglaublichkeit, und das lehnen wir auch ab. Aber macht nur so weiter: Allianz SPÖ-Grüne, schau, gebt euch die Hand, tauscht Plätze, ich weiß ja nicht, was ihr alles miteinander macht. (Abg. Strache [FPÖ]: Wurmfortsatz der ÖVP! ) Die Kuschelei Strache-Van der Bellen ist eines der Ergebnisse dieses Ausschusses. 83 Als Streitgespräch wird ein Dialog nach Schwitalla dann definiert, wenn der/ die darin Angesprochene im Zuge des Konflikts sein/ ihr privates oder öffentliches Ansehen gefährdet sieht und sich schließlich gegen diese Imageverletzung wehrt. 84 Die Entwicklung eines Gesprächs hin zu Streit wird jedoch nicht allein von einer Person geleistet: „Ein wichtiges Ergebnis der Konversationsanalyse ist es, dass viele dialogische Aktivitäten nicht als eine Tätigkeit eines Individuums alleine, ähnlich wie der Vollzug eines illokutiven Sprechakts, verstanden werden können, sondern dass es der Mitarbeit der anderen an der Kommunikation Beteiligten bedarf, damit die an der jeweiligen Stelle erforderliche Aufgabe geleistet werden kann.“ 85 Eine Renormalisierung der Beziehung wird ebenfalls kooperativ geleistet, indem man zu verstehen gibt, dass man eigene Positionen aufzugeben bereit ist. 86 Indirekte sprachliche Signale der Wiederherstellung der Perspektiven und der Neudefinition der Beziehung liegen etwa im Akzeptieren der Gründe und der Definitionen des/ der anderen sowie im Fallenlassen umstrittener Präsuppositionen. 87 All diese Formen der Renormalisierung stehen im politischen Wettstreit jedoch nicht zur Debatte, geht es doch primär darum, die eigenen Überzeugungen durchzusetzen und die des Gegners/ der Gegnerin zu überlaufen. Beziehungskonflikte werden 81 Vgl. Holly 1979, 164. 82 Vgl. Holly 1979, 163. 83 28. Sitzung, 77. 84 Vgl. Schwitalla 1987, 108. 85 Schwitalla 1996, 286. 86 Vgl. Schwitalla 1987, 103. 87 Vgl. Schwitalla 1987, 103. <?page no="242"?> 242 zumeist im Sinne des erwähnten „Chickenspiels“ ausgetragen, in denen es stets einen Gewinner/ eine Gewinnerin und einen Verlierer/ eine Verliererin gibt: „‚Siegen‘ kann nur, wer selbst vorhat, unkooperativ zu sein in der Hoffnung, dass der andere kooperativ ist! Der Kooperationswillige zieht den Kürzeren. Der Unkooperative siegt dank der Kooperativität des anderen. Sind beide kooperativ, gibt es einen Kompromiss, jedoch keinen ‚Helden‘ und keinen Toten. Sind beide unkooperativ, gibt es u.U. zwei tote ‚Helden‘“ 88 Hierzu eine längere Passage aus der Eurofighter-Debatte zur Zensur der Akten durch das Finanzministerium, bei der die Auseinandersetzung zwischen der Rednerin der ÖVP Maria Fekter und den verschiedenen Zwischenrufern/ Zwischenruferinnen, speziell dem grünen Parteiobmann Alexander Van der Bellen, ungelöst bleibt: Abg. Dr. Fekter [ÖVP]: […] Darin ist ganz klar die herrschende Lehrmeinung angeführt, dass nämlich die ersuchte Behörde - und nur diese! - zu prüfen hat, ob sie etwas „herausrücken“ darf oder nicht. (Abg. Dr. Van der Bellen [Grüne] Kontrolle existiert nicht für Sie! Kontrolle ist ein Fremdwort, Frau Fekter! ) - Nein, Herr Professor! Allein aufgrund der Verurteilung von Herrn Pilz ist es gut, dass die Verfassung das konkret so vorsieht. (Beifall bei ÖVP und BZÖ. - Abg. Dr. Van der Bellen [Grüne]: Blödsinn! ) Herr Pilz erlaubt sich unter dem Deckmantel der Immunität alles und jedes (Abg. Dr. Van der Bellen [Grüne]: Sie vielleicht nicht? - Zwischenrufe bei der ÖVP), verletzt Gesetze nach der Reihe. Die Beamten können diese Gesetzesverletzung nicht begehen, ohne der Amtshaftung zu unterliegen und schadenersatzpflichtig zu werden. (Abg. Dr. Van der Bellen [Grüne]: Unerträglich ist das! ) Daher schützt diese Bestimmung die Beamten davor, Amtshaftungs- oder Schadenersatzklagen befürchten zu müssen. (Abg. Dr. Van der Bellen [Grüne]: Unsinn! ) Herr Abgeordneter Pilz erlaubt sich unter dem Deckmantel der Immunität alles. (Abg. Dr. Van der Bellen [Grüne]: Sie auch! ) Wenn er einen Funken Anstand hätte, dann würde er den Vorsitz im Untersuchungsausschuss zurücklegen. (Beifall bei ÖVP und BZÖ. - Abg. Mag. Kogler [Grüne]: Die Advokatin der Scheinheiligkeit! - Weitere Zwischenrufe.) Es ist eine Ungeheuerlichkeit - es ist eine Ungeheuerlichkeit! -, dass wir derzeit einen Untersuchungsausschuss-Vorsitzenden haben, der wegen Verletzung von Gesetzen im Zusammenhang mit dem Untersuchungsausschuss rechtlich verurteilt ist (Rufe und Gegenrufe zwischen den Grünen und der ÖVP) - zugegebenermaßen nicht rechtskräftig, aber wenn er Anstand hätte, dann würde er zurücktreten. (Beifall bei der ÖVP. - Abg. Dr. Van der Bellen 88 Schank 1987, 50f. <?page no="243"?> 243 [Grüne]: Ja, „sicher“! ) Es ist ein klassischer Unvereinbarkeitsgrund, dass er derzeit ein Verfahren „am Hals hat“, das beweist, dass er sich nicht an Gesetze hält. (Abg. Dr. Van der Bellen [Grüne]: Sie werden uns nicht vorschreiben, was Anstand ist! ) - Herr Professor, zumindest die Verfassung müsste man einhalten, und die Verfassung besagt in § 53, dass die untersuchte Behörde die Akten zu prüfen hat. (Abg. Dr. Van der Bellen [Grüne]: Eben nicht! ) - Ja natürlich! Ihr habt ja bei Herrn Mayer ein Gutachten bestellt (die Rednerin hält erwähntes Gutachten in die Höhe), und in Ziffer 4 sagt dieser dezidiert - er bleibt bei der vorherrschenden Lehrmeinung: Herr Mayer widerspricht sich ja nicht selbst, er bleibt dabei (Abg. Dr. Van der Bellen [Grüne]: Das ist eine Ehrenbeleidigung! Wiederholen Sie das in der Öffentlichkeit und ...! Feigheit ist das! ) -, eine Ausnahme könnte sein, wenn in Steuerakten Daten sind, die nichts mit dem Untersuchungsgegenstand zu tun haben. Und Dienstnehmerdaten haben mit Sicherheit nichts mit dem Untersuchungsgegenstand zu tun, und daher wurden sie geschwärzt. (Abg. Heinisch-Hosek [SPÖ]: Schreien Sie nicht so! - Zwischenruf des Abg. Öllinger [Grüne].) - Herr Öllinger, Sie kennen sich mit Sicherheit nicht aus, wie das bei uns im Untersuchungsausschuss diskutiert wird. (Beifall bei ÖVP und BZÖ.) Daher ist es rechtens, wenn sich die Beamten des Finanzamtes ansehen, was etwas mit dem Untersuchungsauftrag zu tun hat (Abg. Mag. Kogler [Grüne]: Scheinheilig! Das ist eine Spezialität von ihr! ), das übermitteln sie, und wenn es nichts mit dem Untersuchungsauftrag zu tun hat, dann schwärzen sie es zum Schutz unbeteiligter Dritter. 89 Die Analyse zeigt, dass die Beziehungskonflikte, die a priori zwischen den Parteien bestehen und in den Reden bereits ersten Ausdruck finden, durch die Zwischenruf-Sequenzen meist noch verstärkt werden. Die Rede-Zwischenruf-Sequenzen vermitteln, da auf eine Renormalisierung sowohl von Seiten der Zwischenrufer/ Zwischenruferinnen als auch von Seiten der Redner/ Rednerinnen weitgehend verzichtet wird, beim Betrachter/ bei der Betrachterin parlamentarischer Debatten vielmehr den Eindruck, es würde keine sachliche Diskussion mehr geführt, sondern nur noch gestritten. Auf dieses erste Ergebnis aus Sicht der zugrundeliegenden Beziehungskonflikte folgt nun die Beschreibung der Handlungsmuster in den Rede-Zwischenruf-Sequenzen. 89 20. Sitzung, 150. <?page no="244"?> 244 10.2 Handlungsmuster der Rede-Zwischenruf-Sequenzen In institutionalisierten Gesprächszusammenhängen, wie dies die Debatten im Parlament sind, wird der nächste Redner/ die nächste Rednerin über die Gesprächsleitung benannt. 90 In den untersuchten Rede-Zwischenruf-Sequenzen ist dies immer dann der Fall, wenn der Nationalratspräsident/ die Nationalratspräsidentin den nächsten Redner/ die nächste Rednerin aufruft, die Redezeit festlegt oder anderweitig die Redebeiträge im Nationalrat bespricht. Als Beispiel hierfür folgender Debattenauszug: Präsident Dr. Spindelegger [ÖVP]: […] Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Broukal. - Herr Kollege, Sie sind am Wort. (Abg. Broukal [SPÖ] weist auf Abg. Dr. Graf [FPÖ].) - Oder verzichten Sie darauf? (Abg. Dr. Graf [FPÖ]: Herr Präsident! Ich bin in meiner Wortmeldung unterbrochen worden. Aber ich wollte...! ) Kollege Graf, wollen Sie sich zur Geschäftsbehandlung zu Wort melden? (Abg. Dr. Graf [FPÖ]: Ja! ) - Bitte. 91 Selbstwahl ist nur über den Zwischenschritt der Rednerliste möglich, eine ad hoc-Meldung ist offiziell nur zur Berichtigung von Falschaussagen oder in Form von Aussagen zur Geschäftsordnung möglich, wie im folgenden Textbeispiel: Präsident Dr. Spindelegger [ÖVP]: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Scheibner. 10 Minuten Redezeit. - Bitte, Herr Kollege. (Rufe bei ÖVP und BZÖ: Wo ist der Minister? - Abg. Mag. Mag. Kukacka [ÖVP]: Das ist ein Skandal! - Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Zur Geschäftsordnung! ) Einen Augenblick, Herr Kollege Scheibner. - Es gibt eine Meldung zur Geschäftsordnung: Herr Klubobmann Westenthaler, bitte. 92 In nicht-institutionalisierten Gesprächen kann der neue Sprecher/ die neue Sprecherin auch durch den momentanen Sprecher/ die momentane Sprecherin gewählt werden. 93 Zwar finden sich auch in den untersuchten Rede-Zwischenruf-Abfolgen Beispiele, in denen der jeweilige Redner/ die jeweilige Rednerin einen/ eine Abgeordnete zu einem Redebeitrag auffordert, doch kann der/ die so Angesprochene nicht direkt, sondern nur über den Zwischenschritt einer offiziellen Wortmeldung den Gesprächsschritt übernehmen. So geht die Aufforderung des Redners im folgenden Beispiel ins Leere, da die angesprochene grüne Abgeordnete aufgrund 90 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 18. 91 14. Sitzung, 119. 92 28. Sitzung, 68. 93 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 17. <?page no="245"?> 245 der Geschäftsordnung im Nationalrat gar nicht das Recht hat, sofort das Wort zu ergreifen: Abg. Dr. Maier [ÖVP]: […] Sie sollten eigentlich dagegen ankämpfen, dass in Wien diese Politik gemacht wird, wo die Fahrscheinpreise dermaßen erhöht werden, dass die Senioren mit 9,6 Prozent belastet werden. Das ist die Politik der Wiener Sozialdemokratie, und die Grünen schweigen dazu. (Zwischenruf der Abg. Dr. Gabriela Moser [Grüne].) Sie regen sich auf, dass ich das hier sage. Kommen Sie heraus und bekämpfen Sie das genauso! - Das wäre an sich der Beitrag, den ich von Ihnen erwarten würde.[…] 94 Der häufigste Fall von Selbstwahl, die Zwischenrufe, sind über die Geschäftsordnung hingegen nicht legitimiert. Möchte der jeweilige Sprecher/ die jeweilige Sprecherin das Rederecht nicht abgeben und sich gegen die Gesprächsschrittbeanspruchung der Zwischenrufer/ Zwischenruferinnen behaupten, so kann er/ sie sich wehren, indem er/ sie die Lautstärke erhöht, schneller spricht, deutlicher artikuliert oder die Stimme hebt. 95 Er/ sie kann seinen/ ihren Unwillen auch durch Gestik oder Mimik ausdrücken, kann den Blickkontakt vermeiden oder intensivieren. 96 Diese außersprachlichen Hinweise werden jedoch in den schriftlichen Parlamentsprotokollen nur selten festgehalten. In den Protokollen sind es daher eher bestimmte Äußerungen, die darauf hinweisen, dass der Redner/ die Rednerin das Rederecht nicht aufgeben will, wie im folgenden Fall: Abg. Dr. Grünewald [Grüne]: […] Sie haben so viel gemacht, dass man es den Leuten sagen muss: Die Direktwahl wurde abgeschafft, wie beim Nationalrat, wie ich es gesagt habe, keine Wahl an der Donau-Universität Krems (Zwischenruf der Abg. Dr. Brinek [ÖVP]) - bitte, lassen Sie mich ausreden! -, keine Wahl an Privatuniversitäten, Halbierung der Budgets für die Bundesvertretung, kein gleiches Stimmrecht. 97 All jene, die gerade nicht das Rederecht besitzen - im Plenarsaal sind dies notwendigerweise alle Parlamentsmitglieder, die gerade nicht am Rednerpult stehen, können nun entweder den derzeitigen Sprecher/ die derzeitige Sprecherin gewähren lassen und ihn/ sie ungestört seinen/ ihren Turn bzw. im Fall der Parlamentsdebatten seine/ ihre Rede beenden lassen. Sie können ihn/ sie dabei auch über positive Rückmeldesignale gesprächsorganisatorisch stützen oder ihm/ ihr den Rücken stärken, indem sie sich der vorgeschlagenen Darstellung anschließen und diese als Basis 94 20. Sitzung, 71f. 95 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 193. 96 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 193. 97 14. Sitzung, 58. <?page no="246"?> 246 eigener Äußerungen verwenden. 98 Positive Rückmeldungen durch den Hörer/ die Hörerin über Rezeptionssignale, Verstehensbekundungen, Nachfragen und das Anzeigen von Interesse und emotionaler Beteiligung sind gleichzeitig Indizien für kooperative Gesprächssituationen. 99 Unterstützung erfahren die Redner/ Rednerinnen an den untersuchten Sitzungstagen vor allem über Beifall aus den eigenen Reihen. 100 Hierzu folgendes Beispiel: Abg. Dr. Belakowitsch-Jenewein [FPÖ]: […] Und in Frankreich beispielsweise ist das Kopftuchverbot bereits Realität. Und laut einer Studie des französischen Bildungsministeriums empfinden sogar die Schülerinnen aus Familien mit nordafrikanischem Hintergrund - also muslimische Schülerinnen - das Verbot des islamischen Kopftuches in der Schule als Befreiung. Das ist auch eine Tatsache, die müssen Sie auch zur Kenntnis nehmen! (Beifall bei der FPÖ. […]) 101 Auch inhaltlich ausformulierte, die Rede des eigenen Parteikollegen/ der eigenen Parteikollegin stützende Zwischenrufe finden sich an den untersuchten Sitzungstagen. Hier ein Beispiel, in dem der Redeinhalt durch Wiederaufnahme und thematische Weiterführung vom Zwischenrufer explizit ratifiziert wird: Abg. Scheibner [BZÖ]: […] Ich war sieben Jahre lang in einer Regierungspartei, und wir haben - außer es war etwas unbedingt notwendig und es wirklich nicht anders gegangen ist - Ausschusstermine dann angesetzt, wenn alle Zeit gehabt haben. Wir haben, soweit es gegangen ist, die Fristen für Anträge eingehalten. (Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Es wurde noch nie eine Fragestunde abgewürgt! Sieben Jahre! ) 102 Größtenteils finden sich jedoch konfrontativ ausgerichtete Einwürfe, die als sprachlich-kommunikative Signale des Dissens oder negative Rückmeldesignale bezeichnet werden können. Im Gegensatz zu positiven Rückmeldesignalen wollen diese den Redefluss des Sprechers/ der Sprecherin in neue Bahnen lenken, indem sie die Aussagen des Redners/ der Rednerin anzweifeln und ihn/ sie zur Reformulierung oder zur Rechtfertigung auffordern, etwa im folgenden Beispiel durch den Appell bzw. die Zwischenfrage an den Redner: 98 Vgl. Spranz-Fogasy 1986, 27f. 99 Vgl. Kallmeyer/ Schmitt 1996, 21. 100 Burkhardt (1992, 289) unterscheidet unter dem Sammelbegriff Zwischensignale zwischen non-verbalen Zwischensymptomen und verbalen Zwischenrufen bzw. Zwischenfragen. Da Beifall keinen Zwischenruf im eigentlichen Sinn darstellt, wurde er in der Analyse nicht weiter berücksichtigt. 101 14. Sitzung, 98. 102 28. Sitzung, 130. <?page no="247"?> 247 Abg. Dr. Pilz [Grüne]: […] Abgeordnete Rauch-Kallat und der Generalsekretär der Industriellenvereinigung haben zugegeben, dass Millionen Euro an Firmenspenden für die ÖVP durch die Industriellenvereinigung gewaschen worden sind (Zwischenrufe bei der ÖVP - Abg. Hornek [ÖVP]: Beweisen Sie das! Können Sie das beweisen? ) 103 Eine weitere Gruppe von Rückmeldesignalen weist den Redner/ die Rednerin daraufhin, dass die von ihm/ ihr ausgedrückten Inhalte beim Zuhörer/ bei der Zuhörerin Überraschung auslösen. Dadurch wird der Redeinhalt einerseits als besonders interessant und informativ hervorgehoben, der folgende Einwurf der Abgeordneten Gisela Wurm unterstreicht etwa die Aussage der freiheitlichen Rednerin, Frauenpolitik könne nur als Familienpolitik gesehen werden: Abg. Dr. Belakowitsch-Jenewein [FPÖ]: […] Und genau da gilt es anzusetzen. Frauenpolitik kann nicht isoliert betrachtet werden. Sie kann nur im Rahmen einer Familienpolitik betrachtet werden (Abg. Mag. Wurm [SPÖ]: Ah! ) 104 Indem die Redeinhalte als überraschend ausgewiesen werden, wird andererseits die Aussage selbst aber auch zu einem Indiz für die geänderte Haltung des Redners/ der Rednerin und gleichzeitig ein Beweis seiner/ ihrer Schwäche bzw. dessen/ deren Irrwegen gegenüber der eigenen Überzeugungsstärke bzw. dem eigenen richtigen Weg. Etwa im folgenden Debattenausschnitt, wo der Abgeordnete Josef Broukal die Kehrtwendung der Ministerin in Richtung pädagogischer Hochschulen mit (gespielter) Überraschung zur Kenntnis nimmt: Bundesministerin Kdolsky [ÖVP]: […] Die Punkte, die heute hier diskutiert wurden, das Ausländerwahlrecht, die Briefwahl, e-Voting - Sie wissen, dass es da ja schon eine technische Prüfung der Situation gibt und die Grundlage im geltenden Gesetz schon gegeben ist -, aber auch mehr Rechte für die ÖH werden im Rahmen einer bereits angedachten Novelle gemeinsam besprochen werden. - Es ist heute auch schon andiskutiert worden, dass wir da ja die Einbeziehung der pädagogischen Hochschulen mit besprechen müssen. (Abg. Broukal [SPÖ]: Hört, hört! ) 105 Andererseits können durch überraschte Äußerungen der Zuhörer/ Zuhörerinnen auch weitere Ausführungen notwendig werden, indem impliziert wird, dass Hörer/ Hörerin und Sprecher/ Sprecherin nicht auf dem gleichen Wissensstand aufbauen. Im folgenden Beispiel ist es der Vorwurf der Doppelbödigkeit, der der Klärung bedarf: 103 28. Sitzung, 83. 104 14. Sitzung, 100. 105 14. Sitzung, 134. <?page no="248"?> 248 Abg. Gradauer [FPÖ]: […] Angesichts dieser äußerst besorgniserregenden Entwicklung für die Bevölkerung halte ich es schlichtweg für ein Verbrechen, dass es noch immer Länder gibt, die sich weigern, das Kyoto-Protokoll zu unterschreiben, geschweige denn, wirtschaftlich danach zu handeln. Aber auch die Doppelbödigkeit in der österreichischen Regierung, speziell in der Österreichischen Volkspartei (Abg. Murauer [ÖVP]: Hö! Wieso das? ) 106 Für Burkhardt sind Zwischenrufe „als Hörersignale zu bestimmen, als Rückmeldungen derjenigen, die gerade nicht das Rederecht haben: Sie sind Rückmeldungssignale monologisch gesprochener Texte.“ 107 Die Grenze wird jedoch dort überschritten, wo aktiv in die Diskussion eingegriffen wird. 108 Die Entscheidung, ob es sich beim jeweiligen Zwischenruf um ein simples Rückmeldesignal oder bereits um einen eigenständigen Gesprächsschritt handelt, ist bisweilen schwer zu treffen, „denn die Einschätzung unterbrechender Kurzerwiderungen hängt ab von der Struktur der unterbrochenen Gesprächsschritte […]. Umfangreiche argumentative oder erzählende Gesprächsschritte können sogar durch längere ‚Intermezzi‘ unterbrochen werden, ohne dass ein Wechsel eintritt.“ 109 In kooperativen Gesprächen sind sich die einzelnen Kommunikationspartner/ Kommunikationspartnerinnen stets bewusst, wer eigentlich an der Reihe ist, und entschuldigen sich mitunter sogar für das durch sie verursachte Zwischenspiel. 110 Die untersuchten Rede-Zwischenruf-Sequenzen sind zwar kaum als kooperativ zu charakterisieren, aber es steht aufgrund der Geschäftsordnung im Nationalrat nie außer Frage, wer im Grunde das Rederecht besitzt. Gesprächssequenzen, die die eigentliche Haupthandlung nur unterbrechen, diese aber nicht außer Kraft setzen, werden nach Jefferson als „side sequences“ bezeichnet. 111 Die Sprecher- Hörer-Rollen bleiben etwa dort unangetastet, wo es um die Klärung von Nebenaspekten geht, die den thematischen Hauptstrang nur aufhalten, 112 wie im folgenden Beispiel, in dem Staatssekretär Christoph Matznetter den Redner auf einen Versprecher aufmerksam macht: Abg. Steindl [ÖVP]: […] Abschließend vielleicht auch noch einige Worte zur Vermögenssteuer: Herr Staatssekretär! Ich bin gerade mit einem Fall der Ver- 106 14. Sitzung, 43. 107 Burkhardt 1992, 288. 108 Vgl. Troßmann, zit. in: Burkhardt 1992, 288f. 109 Henne/ Rehbock 2001, 186f. 110 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 187. 111 Vgl. Jefferson 1972, 294. 112 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 264. <?page no="249"?> 249 mögenssteuervorschreibung befasst. Im Bundesland Salzburg, in der Stadt Salzburg hat einer meiner Verwandten von seinem Stiefvater eine (Staatssekretär Dr. Matznetter [SPÖ]: Erbschaftssteuer! ) - ja, nicht Vermögenssteuer, sondern Erbschaftssteuer; ich wollte zur Erbschaftssteuererklärung Stellung nehmen - Liegenschaft geschenkt bekommen. 113 Der Redner/ die Rednerin behält hier auf der Ebene der Haupthandlung das Rederecht, auch wenn er/ sie innerhalb der Seitensequenz sowohl zum Sprecher/ zur Sprecherin als auch zum Hörer/ zur Hörerin wird: 114 „Man wartet ja, vielleicht sogar ungeduldig, auf die Fortsetzung der Erzählung, und auch der Frager fragt und diskutiert als Hörer (der Haupthandlung), mag er auch innerhalb der eingebetteten Sequenz gleichfalls Sprecher und Hörer sein.“ 115 Im folgenden Beispiel wartet etwa der Redner Herbert Scheibner, bis der letzte Zwischenrufer/ die letzte Zwischenruferin ausgesprochen hat: Abg. Scheibner [BZÖ]: […]Deshalb sage ich auch nur: Zustimmung zu diesen Abkommen, sie sind wichtig und richtig! Gerade in diesem Bereich ist Internationalität notwendig und im Interesse Österreichs. Einen letzten Satz nur, weil ich Sie gerade hier habe, Herr Verkehrsminister: Wir haben vorhin ... (Abg. Heinisch-Hosek [SPÖ]: Was heißt „hier habe“? ) Bitte? (Abg. Mag. Grossmann [SPÖ]: „Weil ich Sie hier habe“! - Neuerlicher Zwischenruf der Abg. Heinisch-Hosek [SPÖ].) Na ja, Sie haben ihn auch jetzt hier, seien Sie froh! (Heiterkeit bei der SPÖ.) Also wir haben ihn hier, wenn Ihnen das lieber ist; ist in Ordnung. Nur weil Sie ... (Abg. Neugebauer [ÖVP]: Er ist unser aller Verkehrsminister! ) Unser aller Verkehrsminister, selbstverständlich! Er ist auch der Minister der Opposition. Das haben Sie vielleicht früher anders gesehen, Frau Kollegin. (Abg. Heinisch-Hosek [SPÖ]: Nein! ) Wir sehen das so, zumindest als Staatsbürger, und es ist ja auch verfassungsrechtlich so. Ich kann mit Ihnen jetzt noch eine halbe Stunde lang, wenn Sie wollen, darüber philosophieren - gerne! Ich wollte eigentlich nur eine halbe Minute reden und hier nur einen Satz anbringen, aber wenn Sie mich weiter mit Zwischenrufen provozieren ... (Abg. Heinisch-Hosek [SPÖ]: Ich sage ja gar nichts! ) Jetzt hätte ich mich schon daran gewöhnt, dass Sie mir da ein paar Hölzchen werfen. (Zwischenruf der Abg. Pfeffer [SPÖ].) Frau Abgeordnete Pfeffer, vielleicht noch etwas? (Abg. Pfeffer [SPÖ]: Nein! ) - Nein, gut. 116 113 14. Sitzung, 37. 114 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 264. 115 Henne/ Rehbock 2001, 264. 116 28. Sitzung, 208. <?page no="250"?> 250 Man könnte daher zusammenfassend sagen, kurze Einschübe ohne Reaktion des Redners/ der Rednerin sind Rückmeldesignale, während längere Dialogsequenzen zwischen Redner/ Rednerin und Zwischenrufer/ Zwischenruferin als Seitensequenz charakterisiert werden können. Je länger die Sequenz daraufhin andauert, umso eher läuft der Redner/ die Rednerin Gefahr, seine/ ihre Rolle als vorherrschender Sprecher/ als vorherrschende Sprecherin zu verlieren. Die folgende Abbildung gibt einen Überblick über die typische Länge der Rede-Zwischenruf-Sequenzen gemessen an der Anzahl der Sprecherwechsel (Abbildung 10). Abbildung 10: Anzahl der Sprecherwechsel (N = 950 Rede-Zwischenruf-Sequenzen) Lesebeispiel: Von 950 Rede-Zwischenruf-Sequenzen weisen 66,8 Prozent nur einen Sprecherwechsel auf. Ein Großteil der Zwischenrufe bleibt vom Redner/ von der Rednerin unbeantwortet, indem nur ein Sprecherwechsel (Redner/ Rednerin - Zwischenrufer/ Zwischenruferin) vorliegt. Zwei Drittel der Zwischenrufe sind damit reines Rückmeldeverhalten ohne expliziten Einfluss auf Rederecht und Redeverlauf. Damit unterscheidet sich das Debattenverhalten im österreichischen Nationalrat etwa deutlich vom Verhalten mexikaniein Sprecherwechsel 66,8% zwei Sprecherwechsel 16,2% drei Sprecherwechsel 7,7% vier Sprecherwechsel 3,6% fünf Sprecherwechsel 2,4% sechs Sprecherwechsel 1,6% mehr als sechs Sprecherwechsel 1,8% <?page no="251"?> 251 scher Parlamentarier/ Parlamentarierinnen, deren Zwischenrufe laut Carbó selten unbeantwortet bleiben. 117 In 16,2 Prozent der Fälle folgt dem Zwischenruf jedoch entweder ein weiterer Zwischenruf oder der Redner/ die Rednerin lässt sich zu einem Kommentar herab. Rede-Zwischenruf- Sequenzen mit zwei Sprecherwechseln, in denen der Redner/ die Rednerin kurz auf den Zwischenruf eingeht, können bereits als Seitensequenz charakterisiert werden. In diesen Sequenzen bleibt die Sprecherrolle jedoch ungefährdet, da hier nur ein dem Hauptthemenstrang des Redners/ der Rednerin entsprechender Nebenaspekt geklärt wird. Der Redner/ die Rednerin behält die Herrschaft über das Thema, ohne sich vom Zwischenrufer/ der Zwischenruferin in seinen/ ihren Ausführungen vom intendierten Themenstrang abbringen zu lassen. So sieht die grüne Rednerin Ulrike Lunacek den Zwischenruf im folgenden Beispiel als Teil der eigenen Ausführungen und nicht als eigenständigen Beitrag zum Thema: Abg. Mag. Lunacek [Grüne]: […] Was bedeutet das? - Dass Personen, die zum Beispiel Verwandte in Österreich besuchen wollen - das betrifft vor allem oder sehr stark Personen aus der Türkei, denn 20 Prozent aller in Österreich lebenden Ausländerinnen und Ausländer sind Menschen aus der Türkei -, für den Besuch bei Verwandten in Österreich 60 € zahlen müssen, wenn sie das Visum überhaupt bekommen. Stellen Sie sich einmal vor, wie viel das ist! Stellen Sie sich vor, Sie sind finanziell nicht gut gestellt und haben nicht genügend Geld! (Abg. Scheibner [BZÖ]: Was kostet denn das Flugticket? ) Herr Kollege Scheibner, genau darum geht es! Da sind schon die Verwandten da, die gemeinsam sparen, damit sich die den Besuch leisten können, und dann kostet es noch einen Betrag, den manche nicht einmal in einem Monat verdienen. 118 Bei den zweifachen Sprecherwechseln aus einem Redeturn und zwei Zwischenrufen, die im Vergleich zum Rede-Zwischenruf-Rede-Wechsel viel seltener vorkommen, muss man unterscheiden zwischen aufeinander bezogenen Zwischenrufen, d.h. einer Rede-Zwischenruf-Zwischenruf-Sequenz, wie sie im ersten der beiden folgenden Beispiele zu finden ist, und dem gehäuften Vorkommen von Zwischenrufen bei konfliktreichen Aussagen des Redners/ der Rednerin, wie sie sich im zweiten Textbeispiel zeigen: Abg. Heinisch-Hosek [SPÖ]: […] Da morgen Internationaler Frauentag ist, Kollege Brosz: Bundeskanzler Gusenbauer nimmt das schon sehr ernst. Heute früh fand die Eröffnung einer Ausstellung zum Thema „Gewalt in der Familie“, Gewalt gegen Frauen und Kinder, statt, bei der ich leider Kollegin- 117 Vgl. Carbó 1992, 25. 118 14. Sitzung, 135. <?page no="252"?> 252 nen und Kollegen der Grünen, Kolleginnen und Kollegen der ÖVP und Kolleginnen und Kollegen der übrigen Parlamentsfraktionen vermisst habe. (Abg. Brosz [Grüne]: Welche Uhrzeit? - Abg. Mag. Wurm [SPÖ]: 9 Uhr! ) 119 Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: […] Der Nationalrat wolle beschließen: „Der Bundesminister für Landesverteidigung wird ersucht, beim feierlichen „Fly in“ - also, das nennt sich so, wenn die Flieger kommen - „den ersten beiden gebrauchten Eurofighter-Typhoon die Namen ,Alfred 1‘ und ,Norbert 1‘ zu verleihen und die deutlich sichtbare Anbringung dieser Bezeichnungen auf den Flugzeugen zu veranlassen.“ ***** Ich denke, Sie können hier mitstimmen in Anerkennung der Leistungen von Darabos und Gusenbauer. Eine tolle Sache! (Abg. Strache [FPÖ]: Auf dem ersten Flieger steht schon BZÖ drauf! - Lebhafte Zwischenrufe bei der SPÖ.) 120 Auch van der Valk bemerkt im französischen Parlament gehäufte Zwischenrufe: „Interruptions frequently don’t come alone but in sequences of two or three. Speakers of the majority may so confirm and outdo each other’s statements.“ 121 Zum Teil sind diese Sprechbeiträge aber derart in einander verwoben, dass eine Einteilung in primäre und sekundäre Sprecher/ Sprecherinnen nicht mehr genau entschieden werden kann. Man sollte daher, laut Schwitalla, in solchen Fällen von „kollektivem Sprechen“ 122 reden. 123 D.h., Zwischenrufe, die auf keinen spezifischen Abgeordneten rückführbar sind, sondern nur einer bestimmten Partei zugeordnet werden können, werden als kollektive Gesprächsschrittbeanspruchung und in Folge als ein Sprecherwechsel erfasst. Etwas häufiger finden sich neben den Sequenzen mit zwei Sprecherwechseln auch solche mit drei Sprecherwechseln. Bei dreifachen Sprecherwechseln wird die Antwort des Redners/ der Rednerin auf einen oder mehrere geballte Zwischenrufe von einem weiteren Zwischenruf zumeist in Form einer weiteren Veranlassung wiederaufgenommen. So nimmt Parteiobmann Peter Westenthaler vom BZÖ im folgenden Ausschnitt den Faden des Dialogs über eine weitere Veranlassung nochmals auf: Abg. Krist [SPÖ]: […] Riesensummen wurden in den Sand gesetzt, Riesensummen! Da ist mir ein Verteidigungsminister, der den österreichischen SteuerzahlerInnen 400 Millionen € erspart, allemal lieber. Dazu gratuliere ich recht herzlich, Herr Bundesminister. (Beifall bei der SPÖ. - Anhaltende Zwischenrufe bei der ÖVP.) Liebe Kollegen von der ÖVP, darf ich euch an 119 14. Sitzung, 82. 120 28. Sitzung, 178. 121 van der Valk 2000, 112. 122 Schwitalla 1994, 28. 123 Vgl. Schwitalla 1994, 28. <?page no="253"?> 253 den Ausspruch eures ehemaligen Nationalratspräsidenten Khol erinnern, der immer gesagt hat: Wenn Zwischenrufe, dann erstens vom eigenen Platz aus und zweitens sollten sie intelligent sein. - Eure Zwischenrufe gehören nicht dazu! (Beifall bei der SPÖ. - Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Das setzt eine intelligente Rede voraus! ) 124 Dreifach-Sequenzen finden sich an der Grenze zwischen rollenbeanspruchenden und rein ausführenden Seitensequenzen, da durch die Wiederaufnahme des Turns durch einen Zwischenrufer/ eine Zwischenruferin der Redner/ die Rednerin das letzte Wort einbüßt. Teil dieser Sequenzen sind wiederum gehäufte Zwischenruf-Situationen, die durch die Brisanz der Redeinhalte bedingt werden und damit zwar weniger Dialogcharakter besitzen, dafür aber einen Hinweis auf die Konfliktträchtigkeit des Themas bzw. der Aussagen geben. Dazu folgendes Beispiel: Abg. Dr. Pilz [Grüne]: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister! Ich weiß nicht, wie man sich fühlt, wenn man drei Stunden lang fast durchgehend allein auf der Regierungsbank gesessen ist (Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Er war eh nicht da! ) und zur Kenntnis nehmen muss (Abg. Strache [FPÖ]: Er hat eh eine Pause gemacht! Es ist ihm schlecht geworden! Er ist ja ganz bleich! ), dass sich in der Stunde einer wahrscheinlich bitteren politischen Niederlage niemand von Ihren Kolleginnen und Kollegen dazusetzen will. (Beifall bei den Grünen.) 125 Abfolgen mit vier verschiedenen Gesprächsschritten und Gesprächspartnern/ Gesprächspartnerinnen sind mit zwischen drei und zwei Prozent insgesamt um vieles seltener als die zuvor beschriebenen, kürzeren Sequenzen. Zima, Brône und Feyaerts konstatieren, dass manche Zwischenrufe erfolgreicher darin sind, längere dialogische Abfolgen auszulösen oder andere Reaktionen aus dem Plenum herauszufordern: 126 „The difference, we claim, lies in the activation of resonance effects between turns and interlocutors whose reactive, witty exploitation as a rhetorical strategy, seperates the wheat from the chaff.“ 127 In diesen längeren Sequenzen wird dabei der eigenständige, in sich abgeschlossene Charakter der Rede- Zwischenruf-Sequenzen deutlich, wie im folgenden Beispiel: Abg. Mag. Weinzinger […]: […] Also noch einmal: Dieses Budget 2005/ 2006, das jetzt für mindestens drei, vier, wenn nicht fünf oder sechs Monate fortgeführt wird, ist nichts anderes ... (Abg. Lentsch [ÖVP]: Zwei! ) - Wovon haben wir denn jetzt gelebt - im Jänner und im Februar? Wovon werden 124 28. Sitzung, 100. 125 28. Sitzung, 83. 126 Vgl. Zima/ Brône/ Feyaerts 2010, 148. 127 Zima/ Brône/ Feyaerts 2010, 148. <?page no="254"?> 254 wir im März leben? Und wovon werden wir im April leben? Und wann kommt das Budget durch? - Im Mai! (Abg. Jakob Auer [ÖVP]: Das hat mit dem nichts zu tun! ) - Natürlich hat das etwas damit zu tun! Wir führen das Budget vom Jahre 2005 und 2006 in Zwölftelform weiter. (Abg. Jakob Auer [ÖVP]: Da brauchen wir aber keine Änderung! Da bräuchten wir das Gesetz nicht! - Vizekanzler Mag. Molterer [ÖVP]: Da bräuchten wir das Gesetz nicht! ) Ich weiß es, aber ich kann dem nicht zustimmen, weil wir dem ursprünglichen Budget nicht zugestimmt haben. (Zwischenruf des Abg. Riepl [SPÖ].) 128 Auch wenn der Großteil der hier analysierten Zwischenrufe vom Redner/ von der Rednerin unbeantwortet bleibt, so entspinnen sich dennoch in einem Drittel der Fälle kurze Dialoge zwischen Rednerpult und Abgeordnetenreihen. Zwischenrufe sind zudem immer auch in den größeren Redezusammenhang eingebettet und können somit auch nicht unabhängig von den dem Zwischenruf vorausgehenden Äußerungen situiert werden. Daher soll im letzten Teil der gesprächslinguistischen Betrachtung der Rede-Zwischenruf-Sequenzen auf die einander bedingende Abfolge von Rede und Widerrede genauer eingegangen werden. 10.3 Rede-Zwischenruf-Sequenzen als Sprechakt-Muster Rehbein unterscheidet auf oberster Ebene VORWÜRFE, die sich auf einen Sachverhalt beziehen, jene, die eine Präferenz des Gegenübers verletzen, jene, die einen Täter/ eine Täterin identifizieren, und schließlich jene, in denen ein Kontextvergleich vorgenommen wird. Zu den VORWÜRFEN, in denen ein Sachverhalt als Anlassfall dient, zählen ANSTOß NEHMEN, ANKLAGE ERHEBEN und ZUR REDE STELLEN. Während beim ANKLAGE ERHEBEN ein festes Normgefüge zu Grunde liegt, etwa indem gegen Gesetze verstoßen wird, handelt es sich beim ANSTOß NEHMEN um, so Rehbein, „stillschweigende Normen“ 129 , in denen sich der Redner/ die Rednerin selbst auch zum Vertreter/ zur Vertreterin Dritter macht. Generell sind die Sachverhalte, die zum ANSTOß NEHMEN führen, nicht per se Normbrüche, sondern werden nur als solche interpretiert. ZUR REDE STELLEN ist eine Erweiterung des ANKLAGE ERHEBENS, d.h., es liegt ein konkreter Normbruch vor, 128 14. Sitzung, 26. 129 Rehbein 1972, 298. <?page no="255"?> 255 wobei es hier weniger darum geht, Sanktionen durchzusetzen, als vielmehr den Angeklagten/ die Angeklagte zur Einsicht zu bewegen. 130 Bei VORWÜRFEN, bei denen eine verletzte Präferenz des Gegenübers zugrunde liegt, handelt es sich entweder um VORWÜRFE per se, VOR- HALTUNGEN oder BESCHWERDEN. VORWÜRFE per se setzen voraus, dass der/ die Beschuldigte ebenso wie der Ankläger/ die Anklägerin eine Handlungsalternative kennt, die Letzterer/ Letztere im vorliegenden Fall vorgezogen hätte. Formuliert wird dies etwa über syntaktische Einleitungen wie Du hättest besser … oder Ich wollte doch eigentlich … VOR- HALTUNGEN bringen dementgegen etwas mehr Intensität in den VORWURF, indem eine stärkere Präferenzverletzung vorliegt und auf von beiden Interaktanten/ Interaktantinnen akzeptierte Normen hingewiesen wird, wie etwa bei ERMAHNUNGEN und ERINNERUNGEN. Ein VORWURF bzw. eine VORHALTUNG wird schließlich dann zur BESCHWERDE, wenn eine höhere Entscheidungsinstanz anwesend ist, an die sich der Sprecher/ die Sprecherin wendet. 131 Wird der Täter/ die Täterin im VORWURF identifiziert, so handelt es sich nach Rehbein entweder um BESCHULDIGUNGEN, VERDÄCHTI- GUNGEN, BEZICHTIGUNGEN, ANZEIGEN oder um IN VERLE- GENHEIT BRINGEN. Bei BESCHULDIGUNGEN ist eine engere auch private Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern/ Kommunikationspartnerinnen Voraussetzung, da aus ihnen die Kenntnis des begangenen Normbruchs gezogen wird. VERDÄCHTIGUNGEN sind weniger konkret als BESCHULDIGUNGEN und basieren auf institutionalisierten Erwartungen, die als Dispositiv für den angenommenen Normbruch dienen. Den BEZICHTIGUNGEN liegt dabei eine stärkere Normverletzung zugrunde, sodass auch schwerere Sanktionen seitens öffentlicher Instanzen erwartet werden können. 132 Bei ANZEIGEN wird der Täter/ die Täterin letztlich öffentlich identifiziert und konkret angeklagt, um die mit dem Normbruch verbundenen Sanktionen in Gang zu setzen. Beim IN VERLEGENHEIT BRINGEN kommt eine dritte Instanz hinzu, indem jemand vor anderen als Normverletzter/ Normverletzerin denunziert wird. 133 Der Kontextvergleich des Sachverhalts wird zuletzt über KRITIK ausgeführt, wobei der Ankläger/ die Anklägerin den Beschuldigten/ die Beschuldigte auf den Unterschied zwischen Handlung und Situation auf- 130 Vgl. Rehbein 1972, 298f. 131 Vgl. Rehbein 1972, 301f. 132 Vgl. Rehbein 1972, 303. 133 Vgl. Rehbein 1972, 302ff. <?page no="256"?> 256 merksam macht: 134 „Vorausgesetzt wird eine gewisse ‚pädagogische‘ Beziehung“ 135 , indem vom Beschuldigten/ der Beschuldigten eine Änderung seines/ ihres Verhaltens erwartet wird, ohne dass dieser/ diese unmittelbare Sanktionen fürchten muss. 136 Die Einteilung der Sprechhandlungen bzw. Sprechakte in den Rede- Zwischenruf-Sequenzen hält sich grob an die Einteilung Rehbeins, adaptiert diese jedoch in Hinblick auf positive Ausprägungen und Widerspruchshandlungen. Der Grobraster der Untersuchung unterscheidet zunächst in Sprechhandlungen, denen es darum geht, eine Person als Ursprung eines Sachverhalts bzw. einer Handlung zu identifizieren. Hier finden sich einerseits BESCHULDIGEN und VERDÄCHTIGEN sowie HONORIEREN und PROFILIEREN andererseits, indem hier die Person nicht als Täter/ Täterin, sondern als positives Beispiel aufs Podest gestellt wird. Auch Sprechhandlungen, in deren Zentrum die Darstellung eines Sachverhalts steht, können eine positive oder negative Ausrichtung zeigen. Die Analyse unterscheidet hier in GUTHEIßEN und ANSTOß NEHMEN. Ist weniger ein Sachverhalt oder die Person das Thema, sondern die Handlung selbst, so kann es sich einerseits um LOBEN, andererseits um KRITISIEREN handeln. Als letzte abgeänderte Kategorie findet sich in der Analyse noch das VORWERFEN per se, indem es dem Sprecher/ der Sprecherin vor allem am Vergleich zwischen Handlung und Situation gelegen ist. Die positive Ausprägung des VORWURFS wird dabei in der vorliegenden Arbeit als HERVORHEBEN bezeichnet. Daneben finden sich noch andere Sprechhandlungen wie ABQUALIFIZIE- REN und HOCHQUALIFIZIEREN, denen weniger eine Vorwurfshandlung als Vorbild dient, sondern wo es vielmehr um Diffamierung bzw. in gegenteiliger Ausprägung um Aufwertung geht. Eine Rechtfertigung oder Entschuldigung wird hier nicht erwartet, da sich der/ die so Beschuldigte oder Qualifizierte für bestimmte Charakterzüge oder Eigenschaften schwer rechtfertigen bzw. entschuldigen kann. 137 Zwischenrufe können aber auch weniger Teil eines Vorwurf-Rechtfertigung-Schemas bzw. Ausdruck eines Beziehungskonflikts sein als vielmehr formale Interaktionsstrukturen, die die persönliche Zustimmung oder Ablehnung der Aussagen des momentanen Redners/ der momentanen Rednerin zum Ausdruck bringen sollen. 138 Derlei Zwischenrufe fallen 134 Vgl. Rehbein 1972, 304. 135 Rehbein 1972, 304. 136 Vgl. Rehbein 1972, 304. 137 Vgl. Dieckmann 2005b, 96f. 138 Vgl. van der Valk 2000, 117. <?page no="257"?> 257 eher in den Bereich des WIDERSPRECHENS, den Spranz-Fogasy einteilt in konträre Interventionen, Polarisierungen, Kontrastierungen und konträre Dimensionierungen. 139 Bei konträren Beurteilungen geht es allein darum, dem Redner/ der Rednerin anzuzeigen, dass man in Hinblick auf den gerade dargelegten Sachverhalt anderer Auffassung ist. 140 Bei Polarisierungen wird der Darstellung des umstrittenen Sachverhalts über eine gleichwertige sprachliche Handlung explizit widersprochen. 141 Die Kontrastierung geht darüber hinaus, indem eine Gegendarstellung zum gleichen Sachverhalt formuliert wird: 142 „Dem Gegenüber wird also in konstruktiver nicht nur negierender Weise eine andere Interpretation entgegengesetzt, die seine Darstellung implizit ausschließt.“ 143 Konträre Dimensionierung bedeutet zuletzt, dass der Geltungsumfang der Aussagen des/ der anderen eingegrenzt oder erweitert wird, wobei es laut Spranz- Fogasy hauptsächlich um Mengen- und Größenangaben bzw. um Intensitäten geht. Im Grunde bleibt also bei der konträren Dimensionierung die ursprüngliche Aussage in ihren Grundzügen erhalten, allein ihr Umfang wird verändert. 144 Die Techniken, die dem Sprecher/ der Sprecherin beim WIDERSPRE- CHEN zur Verfügung stehen, sind generell sehr vielfältig. Der Sprecher/ die Sprecherin kann z.B. die Aussagen des Gegenübers dadurch in Frage stellen, dass er/ sie den Gültigkeitsanspruch zurückweist. 145 ‚Gegeneinschätzungen‘ sind laut Spranz-Fogasy eine weitere Möglichkeit, die Aussagen des Gegenübers abzulehnen, indem mit ihnen schlichtweg eine andere Auffassung deutlich gemacht wird. Dies geschieht über zwei sprachliche Formen: entgegensetzende, im Sinne von Das glaube ich nicht, und alternative, im Sinne von Da denke ich anders. 146 Die ‚Gegenbehauptung‘ formuliert in der Struktur x und nicht x noch einmal den strittigen Sachverhalt. 147 In der ‚Alternativbehauptung‘ wird eine inkompatible Interpretation vorgenommen, die die Behauptung des Gegenübers ausschließt. 148 ‚Einschränkungen‘ und ‚Erweiterungen‘ reagieren auf graduel- 139 Vgl. Spranz-Fogasy 1986, 52. 140 Vgl. Spranz-Fogasy 1986, 53. 141 Vgl. Spranz-Fogasy 1986, 56. 142 Vgl. Spranz-Fogasy 1986, 58f. 143 Spranz-Fogasy 1986, 59. 144 Vgl. Spranz-Fogasy 1986, 60. 145 Vgl. Spranz-Fogasy 1986, 35. 146 Vgl. Spranz-Fogasy 1986, 38. 147 Vgl. Spranz-Fogasy 1986, 38. 148 Vgl. Spranz-Fogasy 1986, 40. <?page no="258"?> 258 le Angaben in der Äußerung des/ der anderen und geben diesen eine neue Dimension. 149 Bei der Analyse der Rede-Zwischenruf-Sequenzen musste jedoch sehr früh erkannt werden, dass WIDERSPRECHEN vor allem bei nicht formelhaften, behauptenden Techniken wie ‚Gegenbehauptung‘, ‚Alternativbehauptung‘, ‚Einschränkung‘, ‚Erweiterung‘ usw. häufig gepaart ist mit VORWERFEN. Hierzu ein Beispiel: Bundesminister Mag. Darabos [SPÖ]: […] Die Abgeordneten, die mit Ihnen im Untersuchungsausschuss gemeinsam gearbeitet haben, haben dafür gesorgt, dass diese Einsparung von 400 Millionen € überhaupt erst möglich geworden ist, denn sie haben Dinge zutage gebracht, die einfach dazu geführt haben, dass Eurofighter überhaupt erst in eine Vertragsverhandlung mit mir eingetreten ist. (Beifall bei der SPÖ. - Abg. Strache [FPÖ]: Das ist ja keine Einsparung! Das sind ja Mehrkosten in Wirklichkeit! ) 150 Um eine klare Trennung zwischen VORWERFEN und WIDERSPRE- CHEN zu ziehen, werden daher für die vorliegende Arbeit all jene Äußerungen, die neben einer gegenläufigen Meinung gleichzeitig auch eine Wertung des dargestellten Sachverhalts bzw. der Person in sich tragen, als eine Form des VORWURFS angesehen, während rein argumentative, weitgehend wertfreie Gegendarstellungen als Spielarten des WIDER- SPRUCHS kategorisiert werden. Dazu im Vergleich zum vorigen Beispiel ein Zwischenruf in Form eines WIDERSPRUCHS: Abg. Dr. Belakowitsch-Jenewein [FPÖ]: Aber dann geht es weiter: Das Heimatrecht der Ehewilligen hat im österreichischen Rechtssystem Vorzug, solange es nicht den österreichischen Grundwerten widerspricht. Mindestaltersgrenzen können jedoch umgangen werden. - Das bedeutet im Klartext, dass 14-jährige Mädchen in Österreich zwangsverheiratet werden können. (Abg. Heinisch- Hosek [SPÖ]: Nein! In der Türkei, nicht in Österreich! ) - Nein, in Österreich! Das geht aus dieser Studie klar hervor. 151 Neben den Vorwurf-Rechtfertigung-Sequenzen und den Sprechhandlungen des WIDERSPRECHENS bzw. ZUSTIMMENS werden im Übrigen auch andere, konventionellere Sprechakte wie etwa AUFFORDERN und FRAGEN in den Kategorienraster aufgenommen. Nach der generellen Einführung in die für diese Arbeit gültige Definition der zugrundeliegenden Sprechaktkategorien werden in den nun folgenden Abschnitten die gefundenen Sprechakttypen in Relation zu ihrer 149 Vgl. Spranz-Fogasy 1986, 41f. 150 28. Sitzung, 52. 151 14. Sitzung, 99. <?page no="259"?> 259 Position innerhalb der Gesprächssequenz gesetzt. Um das gegenseitige Handlungsmuster in den Rede-Zwischenrufsequenzen zu beschreiben, gehen hier also Sprechakttheorie und Gesprächslinguistik Hand in Hand. 10.3.1 Sprechakte in Redebeiträgen mit Zwischenruf In den Rede-Zwischenruf-Sequenzen findet sich der Auslöser für den Einwurf, d.h. der erste Schritt der Sequenz, zumeist im Monolog der Rede. Der Zwischenruf kann sich jedoch auch aus der Gesprächssituation ergeben, wie im folgenden Beispiel, wo der Abgeordnete Anton Gaàl in einem heiklen Moment der Debatte das Wort ergreifen muss: Präsident Dr. Spindelegger [ÖVP]: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Gaál. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 4 Minuten. - Bitte, Herr Kollege. (Abg. Mag. Kukacka [ÖVP]- in Richtung des sich zum Rednerpult begebenden Abg. Gaál [SPÖ]-: Toni, du tust mir leid! Du tust mir leid, Toni! - Abg. Dr. Graf [FPÖ]: Kollege Gaál hat das große Los gezogen! ) Abg. Gaál [SPÖ]: Das Mitleid, Herr Kollege Kukacka, wird nicht benötigt. 152 Die nächste Tabelle (Tabelle 13) gibt einen Überblick über die Top 10 der Sprechakte im Redebeitrag, die von einem Zwischenruf gefolgt werden. Dabei findet sich als häufigster unmittelbarer Auslöser für den Zwischenruf eine negative Vorwurfshandlung des Redners/ der Rednerin: Bestimmte Politiker/ Politikerinnen werden hier jedoch weniger direkt BE- SCHULDIGT oder VERDÄCHTIGT, als vielmehr über Sachverhalte kritisiert, indem in 13,6 Prozent der Fälle in der Rede etwas VORGEWOR- FEN wird, d.h., es wird ein kritischer Vergleich zwischen politischer Handlung und gesellschaftspolitischer Ausgangslage gezogen, wie im folgenden Beispiel, wo der VORWURF im Vergleich zwischen den Eigenschaften des Abfangjägers und dem daraus gezogenen Nutzen für Österreich liegt: Abg. Dr. Kräuter [SPÖ]: […] Es ist ja wirklich interessant: Es sagt nämlich der Eurofighter-Konzernsprecher Hoeveler in einem Interview: Das sind Fluggeräte, die Österreich nicht benötigt! Das alles ist eher gedacht für Luft- / Bodenaufgaben! - Zitatende. Das heißt, der erste Vorwurf stimmt: Es wurde ein Flugzeug gekauft, das Österreich nicht benötigt! (Zwischenruf des Abg. Murauer [ÖVP].) 153 152 28. Sitzung, 71. 153 28. Sitzung, 39. <?page no="260"?> 260 Tabelle 13: Top 10-Sprechakte im Redebeitrag mit darauf folgendem Zwischenruf (N = 1276 Sprechakte) Lesebeispiel: Von 1276 Sprechakten im Redebeitrag erfolgt in 13,6 Prozent der Fälle der Zwischenruf nach einem VORWURF des Redners/ der Rednerin. An zweiter Stelle folgt mit 11,2 Prozent Anteil ANSTOß NEHMEN, d.h., es wird kein Vergleich mehr angestellt, sondern der Sachverhalt selbst wird kritisiert. So werden im vorliegenden Ausschnitt die Schwärzungen direkt abgewertet, während im vorangegangenen Beispiel ein Vergleich zwischen Kosten und Nutzen gezogen wurde: Abg. Dr. Pilz [Grüne]: […] Ich habe mich an die Präsidentin des Nationalrates gewandt, und die Frau Präsidentin hat ein Gutachten des Rechts- und Legislativdienstes in Auftrag gegeben. - Herr Mag. Molterer, ich an Ihrer Stelle würde mir dieses Gutachten, das eine sehr klare Position des Parlaments feststellt, sehr zu Herzen nehmen, denn das Parlament, die Juristen des Hauses, stellen unmissverständlich fest, dass keine einzige dieser Schwärzungen eine gesetzliche Basis hat. (Abg. Dr. Fekter [ÖVP]: Aber selbstverständlich, Herr Pilz! Das ist verfassungskonform! ) 154 Dahinter folgt KRITIK an den Handlungen einer Person, d.h., es wird wiederum nicht direkt die Person selbst attackiert. So wird im folgenden Beispiel Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel nicht persönlich angegriffen, sondern nur über seine Äußerungen kritisiert: 154 20. Sitzung, 134. Sprechakt Rede in Prozent der Sprechakte VORWERFEN 13,6% ANSTOß NEHMEN 11,2% KRITISIEREN 10,3% HERVORHEBEN 7,1% DEUTEN 6,7% BESCHULDIGEN 6,7% VERDÄCHTIGEN 6,1% INFORMIEREN 5,3% GUTHEIßEN 4,1% LOBEN 4,0% <?page no="261"?> 261 Abg. Öllinger [Grüne] (fortsetzend): Selbstverständlich. Aber darf ich den Antrag auch erklären? Ich halte fest: Die Vertretung für Herrn Minister Hahn ist den Klubs nicht gemeldet worden, und sie wurde heute auch nicht evoziert, Herr Klubobmann! (Abg. Dr. Schüssel [ÖVP]: Stimmt nicht! ) Sie können hier nicht erklären, da kann ich nichts dafür, es wurde nicht evoziert. (Abg. Dr. Fekter [ÖVP]: Antrag! Antrag! - Weitere Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.) Herr Klubobmann, es wurde nicht evoziert! 155 Aber auch positive Sprechhandlungen finden sich unter den Top 10 der Rede-Handlungen mit darauf folgendem Zwischenruf: etwa auf Rang vier HERVORHEBEN, indem ein positiver Vergleich zwischen Handlung und Situation gezogen wird, auf Rang neun GUTHEIßEN, indem ein bestimmter Sachverhalt gelobt wird, sowie auf Rang zehn das LOB der Handlungen selbst. DEUTEN und INFORMIEREN (Rang fünf und Rang acht) sind hingegen neutrale Sprechhandlungen, die nicht im Rahmen der Vorwurf-Rechtfertigungs-Sequenzen gesehen werden können, sondern als neutrale Behauptungen in Aussageform zum Ausgangspunkt für einen Vorwurf oder einen Widerspruch werden können. Dazu folgende Textbeispiele: Abg. Dr. Fekter [ÖVP]: […] Meine sehr verehrten Damen und Herren! Weil hier von den Schwärzungen die Rede ist: Aufgrund der Unterlagen, die wir haben, darf die Behörde diese Dinge nicht übermitteln! Sie unterliegen dem Amtsgeheimnis und bei einem Steuerakt auch dem Steuergeheimnis und dem Datenschutz (Abg. Dr. Van der Bellen [Grüne]: Nein! ), wenn es unbeteiligte Dritte betrifft, die geschützt werden müssen, und es nicht vom Prüfauftrag umfasst ist. 156 Vizekanzler Mag. Molterer [ÖVP]: […] Jetzt auch ein offenes Wort zur Frage Mineralölsteuer. - Ja, es stimmt, wir haben uns bei der Mineralölsteuer für eine Erhöhung entschieden, und zwar über das Ausmaß hinaus, das wir ursprünglich im Regierungsübereinkommen festgelegt haben. (Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Abzocke ist das! ) Dazu bekennen wir uns, Herr Kollege Westenthaler, und wenn Ihnen dazu nicht mehr einfällt, dann sitzen Sie auf dem richtigen Platz. (Beifall bei der ÖVP.) 157 10.3.2 Sprechakte in Zwischenrufen Die auf den Anlassfall folgenden Zwischenrufe zeigen unterschiedliche Grade an Responsivität. Schwitalla unterscheidet hier in responsiv, d.h., 155 14. Sitzung, 118. 156 20. Sitzung, 149. 157 20. Sitzung, 51. <?page no="262"?> 262 der/ die Antwortende geht auf die Intention und den Inhalt des Zuges ein, teilresponsiv, d.h., der/ die Antwortende geht nur auf einen Aspekt des Inhalts ein, und schließlich non-responsiv, wenn weder auf Inhalt noch auf Intention eingegangen wird. 158 Letzteres ist vor allem dann der Fall, wenn im Zwischenruf plötzlich auf die Metaebene gewechselt wird bzw. wenn ohne direkten Anlass unvermittelt die Person des Redners/ der Rednerin selbst zum Ziel wird, wobei das unverhoffte „Persönlichwerden“, so Kienpointner, dazu verwendet werden kann, um in Diskussionen das Vertreten eines bestimmten Standpunkts zu verhindern. 159 Als Beispiel folgende Debattenauszüge: Abg. Dr. Maier [ÖVP]: […] Lassen Sie mich jetzt auch ein Wort zur Gruppenbesteuerung sagen. Das ist ein Bestandteil des Programms dieser Bundesregierung und auch einer künftigen Steuerreform. Wissen Sie, Sie, aber auch die Sozialdemokratie, haben die Gruppenbesteuerung bekämpft. (Abg. Brosz [Grüne]: Kennen Sie das Wort „Tagesordnung“? ... jetzt abgeschafft! ) 160 Abg. Dr. Pilz [Grüne]: […] Ist das die ganze wirtschaftliche Kompetenz von Dr. Martin Bartenstein, dass er Persilscheine für Luftgeschäfte ausstellt? Kann er nicht mehr? Will er nicht mehr? Oder durfte er nicht mehr? (Abg. Gahr [ÖVP]: Waren Sie auch im Ausschuss? ) 161 Fetzer sieht für den Zwischenrufer/ die Zwischenruferin drei Wege offen, wie er/ sie den Vorwürfen des Redners/ der Rednerin den Wind aus den Segeln nehmen kann: Der Zwischenrufer/ die Zwischenruferin kann sagen, die Behauptung entspreche nicht der Wahrheit, sie sei unpassend oder sie sei unehrlich. 162 Alle drei Formen finden sich in den untersuchten Zwischenrufen, wobei der Wahrheitsanspruch, wie im vorliegenden Beispiel, am häufigsten angezweifelt wurde: Abg. Strache [FPÖ]: […] Das schlimmste Risiko wäre gewesen, dass wir uns an den Vertrag hätten halten müssen, den die ÖVP schlecht für die Steuerzahler ausverhandelt hat. Das wäre das Schlimmste gewesen! Vielleicht hätten Sie sogar mit dieser Klage eine Preisreduktion für die gleiche Qualität - von 18 nicht gebrauchten, sondern neuen Eurofightern - erhalten? (Zwischenruf des Abg. Scheibner [BZÖ]. - Abg. Kößl [ÖVP]: Dass man so ... die Unwahrheit sagen kann! ) 163 158 Vgl. Schwitalla zit. in: Henne/ Rehbock 2001, 206. 159 Vgl. Kienpointner 1996, 28. 160 20. Sitzung, 72. 161 28. Sitzung, 36. 162 Vgl. Fetzer, zit. in: Simon-Vandenbergen 2008, 8. 163 28. Sitzung, 43f. <?page no="263"?> 263 Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Top 10 der in den Zwischenrufen realisierten Sprechakte (Tabelle 14). Tabelle 14: Top 10-Sprechakte in Zwischenrufen (N = 991 Sprechakte) Lesebeispiel: Von 991 Sprechakten in Zwischenrufen wird in 8,4 Prozent der Fälle METASPRACHLICH ANSTOß GENOMMEN. Neben den metasprachlichen Reaktionen, die in der Tabelle als META- SPRACHLICHES ANSTOß NEHMEN nochmals gesondert ausgewiesen werden, finden sich wieder sämtliche Formen des VORWERFENS sowie des WIDERSPRECHENS. ANSTOß NEHMEN in Hinblick auf die Qualität des Redebeitrags selbst zusammen mit ANSTOß NEHMEN in Hinblick auf Sachverhalte bilden jedoch die größte Sprechaktgruppe in den analysierten Zwischenrufen und kommen auf insgesamt etwa 17 Prozent der Sprechakte. Dazu folgende Beispiele sowohl für METASPRACHLI- CHES als auch für GENERELLES ANSTOß NEHMEN: Abg. Dr. Glawischnig-Piesczek [Grüne]: […] Sollte sie mit einer Frau besetzt werden, schicke ich Ihnen mit Freude eine große Kiste Schnaps. Sollte sie mit einem Mann besetzt werden, schicken Sie mir lieber eine Kiste Prosecco, weil ich Schnaps noch nicht trinken darf. Das ist jetzt ironisiert dargestellt, es schildert aber das Problem. Versetzen Sie sich in die Position von Frauen im öffentlichen Dienst, die mit solchen Situationen konfrontiert sind! (Abg. Steibl [ÖVP]: Das ist so inhaltslos ...! ) 164 164 14. Sitzung, 73. Sprechakt Zwischenruf in Prozent der Sprechakte METASPRACHL ANSTOß NEHMEN 8,4% ANSTOß NEHMEN 8,3% KRITISIEREN 8,1% RIDIKÜLISIEREN 6,5% NACHFRAGEN 5,7% BESCHULDIGEN 5,5% EINWENDEN 4,4% ZUSTIMMEN 4,3% ABQUALIFIZIEREN 3,9% BERICHTIGEN 3,6% VORWERFEN 3,6% <?page no="264"?> 264 Abg. Mag. Gaßner [SPÖ]: […] Der Nationalrat wolle beschließen: Der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft wird ersucht, die rechtlichen Möglichkeiten für eine spezifische Rechtsbasis für die Programme zur Entwicklung des ländlichen Raumes auf Grundlage von gemeinschaftlichen Normen zu prüfen. ***** Meine Damen und Herren, Sie können hier wirklich mitgehen. Wir haben die ländliche Entwicklung neu in Diskussion, und das ist gut so. (Abg. Dolinschek [BZÖ]: Ein Armutszeugnis! ) 165 Neben ANSTOß NEHMEN sind KRITISIEREN und RIDIKÜLISIEREN weitere Instrumente des Zwischenrufers/ der Zwischenruferin, auf den Redebeitrag zu reagieren. Dabei laufen die Intentionen des Zwischenrufers/ der Zwischenruferin oft parallel, indem, wie z.B. im folgenden Beispiel, sowohl die Handlung selbst kritisiert wird, als auch mit Hilfe des Verbs die betroffene Partei lächerlich gemacht wird: Abg. Dr. Fekter [ÖVP]: […] Das scheint aber Herr Pilz nicht zu können, und, Herr Professor, von Ihnen hätte ich es erwartet. (Beifall bei der ÖVP. - Abg. Dr. Van der Bellen [Grüne]: Soll ich Buchhaltung studieren? ) Sie hätten wissen müssen, dass sich hinter den Kontonummern 600, 620 et cetera bis 690 die Dienstnehmerdaten verbergen, nämlich Löhne, Gehälter, Aufwendungen für Abfertigungen, lohnabhängige Abgaben (Abg. Dr. Stummvoll [ÖVP]: Da wollen die Grünen hineinschauen! - Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Schnüffel, schnüffel! ), gehaltsabhängige Sozialabgaben, freiwillige Sozialabgaben, Krankenversicherungsbeiträge et cetera. Und genau das ist geschwärzt! (Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Da soll geschnüffelt werden! ) Und darin wollen Sie schnüffeln: bei Dienstnehmerdaten? ! - Das halte ich für ungeheuerlich! (Beifall bei ÖVP und BZÖ.) 166 RIDIKÜLISIEREN gehört nach Rehbein zu den Ausweichmanövern in Vorwurf-Sequenzen, mittels derer der Sprecher/ die Sprecherin das Schema selbst vereiteln kann. 167 Der RIDIKÜLISIERUNG bedienen sich vor allem ÖVP und BZÖ, alle anderen Parteien benutzen diese Form des Lächerlichmachens nur halb so oft. Während das BZÖ dieses aggressive Ausweichmanöver bzw. Angriffsmuster breit gegen Regierung und Grüne richtet, verwendet es die ÖVP fast ausschließlich zur Diffamierung der Hauptkontrahenten/ Hauptkontrahentinnen in Zusammenhang mit der Eurofighter-Beschaffung, die hauptsächlich aus den Reihen der Grünen stammen, wie im folgenden Fall: Abg. Zwerschitz [Grüne]: […] Wollen Sie wirklich, dass Ihre eigene Frauenministerin bei den Landeschefs und bei den Bürgermeistern sagt: Bitte, bitte, könn- 165 28. Sitzung, 222. 166 20. Sitzung, 149. 167 Vgl. Rehbein 1972, 314. <?page no="265"?> 265 ten Sie nicht vielleicht eine Kinderbetreuungseinrichtung machen (Abg. Steibl [ÖVP]: Worum geht es? Es geht um die Einwohner pro Gemeinde! ), denn die würden wir brauchen, aber wir vom Bund haben kein Geld dafür, denn wir kaufen stattdessen lieber irgendwelche Flieger oder sonst irgendeinen Kram? ! (Beifall bei den Grünen. - Abg. Steibl [ÖVP]: Das ist aber eine gescheite Aussage! ) 168 Deutlich wird in diesem Zusammenhang auch die Rolle indirekter Sprechhandlungen, d.h. „Sprechhandlungen, die wörtlich genommen werden können, jedoch eigentlich nicht wörtlich genommen werden sollten (nicht wörtlich intendiert waren).“ 169 Indirektes Sprechen äußert sich im Nichtbefolgen der Griceschen Maxime der Art und Weise und bedient sich der Ironie, Metapher, Hyperbel usw. 170 Ironische Untertöne spielen bei der Interpretation der vorliegenden Sprechhandlung eine wichtige Rolle: So ist im obigen Handlungszusammenhang das geäußerte LOB als intendierte KRITIK aufzufassen und der DANK im folgenden Beispiel nicht wörtlich zu nehmen, sondern im Gegenteil als KRITIK an den anmaßenden Äußerungen der roten Rednerin zu sehen: Abg. Mag. Trunk [SPÖ]: Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Sehr, sehr geschätzte Ministerinnen! Geschätzte Minister! Werte Kollegen und Kolleginnen! In aller Kürze, Frau Kollegin Rosenkranz: Dass Sie eine völlig andere Wertehaltung in der Familienpolitik haben, ist eine Frage der Demokratie. Das steht Ihnen zu (Abg. Rosenkranz [FPÖ]: Danke! - Abg. Strache [FPÖ]: Danke! Großzügig! ), und zwar so, wie es uns zusteht, eine andere zu haben. 171 An dieser Stelle sei erwähnt, dass die untersuchten Rede-Zwischenruf-Sequenzen sehr oft an die Grenze zur Beschimpfung bzw. Beleidigung reichen, die Rehbein als Invektive definiert. Hierbei „liegt keine Assertion vor, die zu ihrer Voraussetzung den Sachverhalt einer Handlung hätte, sondern hier stellt die diskreditierende, bzw. diffamierende Handlung den Inhalt der Sprechhandlung selbst dar.“ 172 Der/ die Beschuldigte muss keine Norm verletzt haben, um beschimpft zu werden, es wird auch keine Folgehandlung von ihm/ ihr erwartet. 173 Erkennbar wird dies in den untersuchten Rede-Zwischenruf-Sequenzen daran, dass zumeist nicht weiter auf die Beleidigung bzw. Beschimpfung eingegangen wird. Invektive haben somit weniger direkte explizite Folgen als vielmehr indirekten Ein- 168 14. Sitzung, 93. 169 Wunderlich 1972, 32. 170 Vgl. Schank 1981, 126. 171 20. Sitzung, 63. 172 Rehbein 1972, 301. 173 Vgl. Dieckmann 2005b, 97. <?page no="266"?> 266 fluss auf den Gesprächsverlauf, indem dieser dadurch deutlich verschärft wird, egal ob die Beleidigung bzw. Beschimpfung vom Redner/ von der Rednerin oder vom Zwischenrufer/ von der Zwischenruferin ausgeht. „Wo ein Gesprächsakt derartige hörerspezifische Wirkungen entfaltet, schafft er unter dem konventionell Möglichen eine Präferenz und determiniert somit die Erwiderung mehr oder weniger stark - im Extremfall automatisierter Reaktionsweisen sogar vollkommen vorhersagbar.“ 174 Im folgenden Ausschnitt folgt auf die offene Attacke des freiheitlichen Redners Manfred Haimbuchner gegen die ÖVP dessen RIDIKÜLISIE- RUNG durch den schwarzen Abgeordneten Helmut Kukacka: Abg. Dr. Haimbuchner [FPÖ]: […] Herr Bundesminister, haben Sie Sorgen, dass sich dahinter Personen verstecken, die mit der ÖVP in Verbindung gebracht werden könnten? Warum weigern Sie sich so vehement, dem Souverän diese Akten zur Kenntnis zu bringen? Ich merke immer wieder: Wenn es bei der ÖVP ein bisschen anstrengender wird - wenn sozusagen die Hälse lauter werden -, weiß ich, dass ich richtig liege, meine Damen und Herren. (Abg. Mag. Kukacka [ÖVP]: Rumpelstilzchen! ) 175 Während BESCHULDIGEN und zuletzt VORWERFEN weitere Handlungstypen des Vorwurf-Rechtfertigungsmusters sind, sind die ebenfalls in den Zwischenrufen auffindbaren Sprechhandlungen des NACHFRA- GENS, EINWENDENS und BERICHTIGENS dem Muster des weitgehend wertfreien, primär argumentativen WIDERSPRECHENS zuzuordnen, indem auf einen (vergessenen) Aspekt des Sachverhalts hingewiesen wird, der diesen eventuell in ein anderes Licht rückt, wie in den folgenden Beispielen: Abg. Dr. Belakowitsch-Jenewein [FPÖ]: […] Wir wollen, dass die Mütter ein eigenes Gehalt bekommen. Wir wollen, dass die Mütter abgesichert sind. (Beifall bei der FPÖ. - Abg. Mag. Wurm [SPÖ]: Was ist mit den Vätern in Ihrem Konzept? ) 176 Abg. Mag. Aubauer [ÖVP]: […] Also, was brauchen wir? - Wir brauchen praktische Kinderbetreuungseinrichtungen, steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuung und - ganz wichtig! - ein partnerschaftliches Betreuungsmodell. (Beifall bei der ÖVP. - Abg. Mag. Wurm [SPÖ]: Nein! Die Männer machen es nicht um so wenig Geld! ) 177 174 Henne/ Rehbock 2001, 203. 175 20. Sitzung, 152. 176 14. Sitzung, 98. 177 14. Sitzung, 86. <?page no="267"?> 267 Abg. Mag. Kuntzl [SPÖ]: […] Was ist denn gemeint mit „intakter Familie“? - Und da ist durchgeblitzt, es sind offensichtlich die berufstätigen Mütter die Schuldigen, die nicht zuhause bleiben und sich entsprechend um die Kinder kümmern. (Abg. Zanger [FPÖ]: Na, na! ) Das ist ganz deutlich bei Ihnen, Herr Kollege Zanger, durchgeblitzt. Sie haben gesagt, es wäre begrüßenswert, dass die Frauen zuhause bleiben und sich um die Kinder kümmern. (Abg. Zanger [FPÖ]: Die, die wollen! ) Sie können das ja später richtigstellen. 178 10.3.3 Sprechakte in Redebeiträgen als Reaktion auf Zwischenrufe Mit dem Zwischenruf aus dem Plenum muss die Sequenz jedoch noch nicht enden, ganz im Gegenteil. Vom Redner/ von der Rednerin wird in irgendeiner Weise eine Reaktion erwartet: „Diese Anforderung wird selbst dann deutlich, wenn der Opponent die Bedeutung seines Beitrags so gering einstuft, dass er auf weitere Bearbeitung verzichtet.“ 179 Der aktuelle Redner/ die aktuelle Rednerin kann nämlich entscheiden, den Widerspruch einfach zu überhören und mit seinem/ ihrem Redebeitrag einfach so weiterzumachen wie bisher. 180 Bei der taktischen Umorientierung reagiert zwar der Redner/ die Rednerin auf den Einwurf, gibt aber gleichzeitig zu verstehen, dass er/ sie, obwohl die Relevanz des Zwischenrufs eingesehen wird, diesen zu Gunsten einer anderen Aktivität nicht weiter behandelt. 181 Hingegen wird bei der Verschiebung der Konflikt einseitig lokal beendet, ohne dass auf eine weitere gemeinsame Definition des Sachverhalts eingegangen wird, so etwa im Redebeitrag der Abgeordneten Andrea Kuntzl im letzten Beispiel des vorigen Abschnitts (Sie können das ja später richtigstellen). 182 Der Sprecher/ die Sprecherin kann den fraglichen Punkt auch in der Schwebe lassen 183 oder das Problem an einen anderen Teilnehmer/ an eine andere Teilnehmerin weiterleiten. 184 Dies kann auch der Zwischenrufer/ die Zwischenruferin selbst sein, wie im folgenden Beispiel: Abg. Mag. Rossmann [Grüne]: […] Ich vermute, die Antwort kann nur die sein: Wenn die Raten für den Eurofighter-Kauf fällig werden - das sind immerhin mehr als 400 Millionen € in diesem Jahr -, dann kann es durchaus sein, dass die Schuldenbremse, die in der Verfassung vorgesehen ist, wirksam und die Zah- 178 28. Sitzung, 160. 179 Spranz-Fogasy 1986, 20. 180 Vgl. Spranz-Fogasy 1986, 71. 181 Vgl. Spranz-Fogasy 1986, 74. 182 Vgl. Spranz-Fogasy 1986, 76. 183 Vgl. Spranz-Fogasy 1986, 78. 184 Vgl. Spranz-Fogasy 1986, 79. <?page no="268"?> 268 lungsfähigkeit der Republik in Frage gestellt wird. (Vizekanzler Mag. Molterer [ÖVP]: Das ist ganz anders, Herr Rossmann! ) - Na, Sie werden uns das ja dann erklären, Herr Vizekanzler. (Vizekanzler Mag. Molterer [ÖVP]: Genau! ) 185 Der Redner/ die Rednerin kann aber auch auf seiner/ ihrer Meinung bzw. Position insistieren 186 oder eine dem Zwischenrufer/ der Zwischenruferin zuwiderlaufende Gegendarstellung bringen. 187 „Wie bei ‚Insistieren‘ geht es dem Sprecher darum, letztlich seine Position gegenüber dem oder den anderen Teilnehmern durchzusetzen.“ 188 Andererseits kann der Redner/ die Rednerin auch einen Kompromiss anbieten 189 oder ganz einfach die Sachverhaltsdarstellung annehmen. 190 In Hinblick auf VORWÜRFE hat der Redner/ die Rednerin generell ähnliche kommunikative Möglichkeiten zur Hand wie beim WIDER- SPRECHEN. Er/ sie kann den VORWURF übergehen, partiell auf ihn eingehen, indem er/ sie ihn lächerlich macht, bagatellisiert, bewusst missversteht, die Zuständigkeit abstreitet oder das Gegenüber auflaufen lässt. Der Redner/ die Rednerin kann auch explizit auf den im Zwischenruf geäußerten VORWURF eingehen, 191 indem er/ sie sich entschuldigt oder verteidigt. 192 In kooperativen Gesprächen geschieht dies über ENT- SCHULDIGUNGEN und RECHTFERTIGUNGEN. Scott und Lyman finden für ENTSCHULDIGUNGEN vier Grundtypen: 193 Man kann die Tat zugeben, aber die Absicht leugnen, damit jemand anderem habe wehtun wollen; 194 man kann auf das eigene Unwissen pochen, d.h., man gibt an, man habe nicht gewusst, dass man mit der Äußerung oder dem Verhalten den/ die andere überhaupt habe verletzen können; 195 man kann das eigene Verhalten auch durch innere Triebe entschuldigen, die zum jeweiligen Zeitpunkt die Oberhand gewonnen hätten; zuletzt kann man die Schuld auch einfach auf andere schieben. 196 185 14. Sitzung, 15. 186 Vgl. Spranz-Fogasy 1986, 81. 187 Vgl. Spranz-Fogasy 1986, 83. 188 Spranz-Fogasy 1986, 83. 189 Vgl. Spranz-Fogasy 1986, 85. 190 Vgl. Spranz-Fogasy 1986, 87. 191 Vgl. Fritz/ Hundsnurscher 1975, 85f. 192 Vgl. Fritz/ Hundsnurscher 1975, 90f. 193 Vgl. Scott/ Lyman, zit. in: Schwitalla 1987, 131. 194 Vgl. Scott/ Lyman, zit. in: Schwitalla 1987, 130. 195 Vgl. Scott/ Lyman, zit. in: Schwitalla 1987, 131. 196 Vgl. Scott/ Lyman, zit. in: Schwitalla 1987, 131. <?page no="269"?> 269 Bei der RECHTFERTIGUNG werden im Gegensatz dazu keine entschuldigenden Gründe vorgebracht, sondern es wird klar gemacht, warum man die negative Einschätzung des Anklägers/ der Anklägerin nicht teilt: 197 „Die Rechtfertigung besteht hier darin, dass der Defendent Gründe dafür angibt, warum in seinen Augen die Handlung vertretbar ist […].“ 198 Nach Scott und Lymann kann der/ die Beschuldigte hierbei den Schaden leugnen, die Unschuld des Opfers in Zweifel ziehen oder ihm/ ihr böse Absichten unterstellen; 199 er/ sie kann die Berechtigung des VORWURFS selbst bestreiten oder die ihm zugrundeliegende Norm. 200 Während es das Ziel der ENTSCHULDIGUNG ist, dass die Geschädigten davon absehen, den/ die Beschuldigte zur Verantwortung zu ziehen, liegt das Ziel der RECHTFERTIGUNG darin, dass die Geschädigten die Gründe für die Handlung akzeptieren und für sich übernehmen. 201 „Mit einer Rechtfertigung übernimmt der Reagent die volle Verantwortung für die verurteilte Handlung, nicht aber deren negative Bewertung. Mit der Entschuldigung verhält es sich genau umgekehrt: Die negative Bewertung der Handlung wird akzeptiert, die volle Verantwortung aber zurückgewiesen.“ 202 Die Vorliebe der Politiker/ Politikerinnen für RECHTFERTIGUNGEN bei gleichzeitiger Scheu vor ENTSCHULDIGUNGEN kann daher kaum verwundern. Harris, Grainger und Mullany weisen darauf hin, dass bei politischen ENTSCHULDIGUNGEN hier immer auch die größere Mithörerschaft mit einbezogen werden muss. Generell versuchen ja Politiker/ Politikerinnen, alle Aussagen, die sie selbst oder ihre Partei in ein schlechtes Licht rücken könnten, zu vermeiden. 203 Öffentliche ENT- SCHULDIGUNGEN werden daher umso unwahrscheinlicher, je prominenter der jeweilige Politiker/ die jeweilige Politikerin ist. 204 Die folgende Tabelle gibt nun einen quantitativen Überblick über die Reaktionen der Redner/ Rednerinnen auf die geäußerten Zwischenrufe (Tabelle 15). 197 Vgl. Rehbein 1972, 310. 198 Rehbein 1972, 310. 199 Vgl. Scott/ Lyman, zit. in: Holly 1979, 64f. 200 Vgl. Scott/ Lyman, zit. in: Holly 1979, 64f. 201 Vgl. Rehbein 1972, 311. 202 Brinker/ Sager 2006, 94. 203 Bull 2000, 224. 204 Vgl. Harris/ Grainger/ Mullany 2006, 720f. <?page no="270"?> 270 Tabelle 15: Top 10-Sprechakte im Redebeitrag als Reaktion auf einen Zwischenruf (N = 382 Sprechakte) Lesebeispiel: Von 382 Sprechakten in Redebeiträgen wird in 10,5 Prozent der Fälle auf den Zwischenruf mit einem VORWURF reagiert. Es zeigt sich, dass der Redner/ die Rednerin auf den Zwischenruf zumeist mit einer neuerlichen Vorwurfshandlung reagiert, d.h., es gibt einen neuerlichen VORWURF, eine neuerliche BESCHULDIGUNG, man NIMMT wiederum ANSTOß oder übt KRITIK. Erst auf Rang fünf der Top 10- Sprechakte im Redebeitrag als Reaktion auf einen Zwischenruf findet sich eine an sich legitime Reaktion auf einen VORWURF, indem sich der Redner/ die Rednerin RECHTFERTIGT. ENTSCHULDIGUNGEN finden sich an den Untersuchungstagen hingegen insgesamt in nur 0,5 Prozent der Fälle. Damit bestätigt sich die angenommene grundsätzliche Abneigung des Politiker/ der Politikerin gegen die ENTSCHULDIGUNG, gibt er/ sie mit ihr doch die Zügel aus der Hand, indem die Berechtigung des VORWURFS und damit die Position des/ der anderen akzeptiert wird. 10.3.4 Sprechakte in weiteren Gesprächsschritten Doch auch nach einer expliziten Reaktion des Redners/ der Rednerin müssen die Rede-Zwischenruf-Sequenzen noch kein Ende gefunden haben: „Der erste Sprecher beantwortet dann die Reaktion seines Partners mit einer (positiven oder negativen) Honorierung. So kann eine Vorwurf-Rechtfertigungs-Sequenz durch einen weiteren Gesprächsschritt, der die Rück- Sprechakt Rede als Reaktion auf Zwischenruf in Prozent der Sprechakte VORWERFEN 10,5% BESCHULDIGEN 9,2% ANSTOß NEHMEN 7,3% KRITISIEREN 7,3% RECHTFERTIGEN 6,5% AUFFORDERN 6,3% RIDIKÜLISIEREN 6,3% VERDÄCHTIGEN 6,0% HERVORHEBEN 5,0% BERICHTIGEN 2,9% <?page no="271"?> 271 nahme des Vorwurfs ausdrückt, verlängert werden. Der (erste) Sprecher kann aber auch auf seinem Vorwurf beharren und durch dieses Insistieren eine oder mehrere Wiederholungen der Sequenz herbeiführen.“ 205 Der Zwischenrufer/ die Zwischenruferin kann also seinen/ ihren VOR- WURF zurücknehmen, weil der Redner/ die Rednerin sein/ ihr Verhalten erfolgreich umgedeutet, seine/ ihre Nicht-Verantwortung nachgewiesen, die Gültigkeit der Norm bestritten oder weil er/ sie sich erfolgreich gerechtfertigt bzw. sich einfach entschuldigt hat; er/ sie kann andererseits die Antwort des Redners/ der Rednerin auch als Ausrede abtun, auf dessen/ deren Verantwortung beharren, die Handlungsdeutung in Zweifel ziehen oder auf der Gültigkeit der Norm bestehen. 206 Ist ein Rede-Zwischenruf-Wechsel einmal begonnen, so wird er vom Zwischenrufer/ von der Zwischenruferin, so das Ergebnis der Analyse, selten entschärft, sondern viel eher noch weiter angeheizt. Der Redner/ die Rednerin hat auf den VORWURF, sich nur herausreden zu wollen, in einem weiteren Zug, so Fritz und Hundsnurscher, nochmals die Möglichkeit, die eigenen Aussagen zu beteuern oder zum Ernst zu mahnen. 207 Wenn weiterhin auf die Norm bestanden wird, kann er/ sie auf den Zwischenrufer/ die Zwischenruferin begütigend einwirken, Ernsthaftigkeit signalisieren, nach Gründen für das Beharren auf der Norm fragen oder dem Zwischenrufer/ der Zwischenruferin Motive unterstellen. 208 Im folgenden Beispiel beendet der Redner das Zwischenspiel, indem er dem Zwischenrufer die nötige Kenntnis als Berechtigung für derlei Vorwürfe abspricht: Abg. Scheibner [BZÖ]: Frau Präsident! - Der Kollege Fichtenbauer holt sich jetzt gerade von der SPÖ die Gratulationen ab für seine Rede. Das ist ja kein Wunder, denn er und seine Fraktion sind ja einer der Geburtshelfer dieser Koalition gewesen. Man hat sich das ja als einzig mögliche Regierungsform für Österreich gewünscht. Also können sich die Österreicherinnen und Österreicher auch bei Ihnen sehr herzlich bedanken dafür, dass wir jetzt diese Regierung haben, eine Regierung, die ... (Abg. Dr. Haimbuchner [FPÖ]: Was hat der Wähler mit Ihnen gemacht? ) - Was hat er mit Ihnen gemacht? Sie kennt er gar nicht (Heiterkeit beim BZÖ) - das ist der Unterschied zwischen Ihnen und mir! (Weitere Zwischenrufe des Abg. Dr. Haimbuchner 205 Brinker/ Sager 2006, 86. 206 Vgl. Fritz/ Hundsnurscher 1975, 93f. 207 Vgl. Fritz/ Hundsnurscher 1975, 94f. 208 Vgl. Fritz/ Hundsnurscher 1975, 94f. <?page no="272"?> 272 [FPÖ].) Kandidieren Sie einmal selber, und dann schauen wir uns an, wie denn das so aussieht. 209 Sprechhandlungsmuster, die über Honorierungsschritte oder Reziprozitätsdemonstrationen den guten Willen der politischen Gesprächspartner/ Gesprächspartnerinnen bezeugen, 210 bilden im Vergleich zu beziehungsgefährdenden Handlungen nur eine Randerscheinung in den parlamentarischen Debatten, obwohl gerade das Eingeständnis persönlicher Verantwortung in Konflikten und die positive Honorierung des anderen dazu angetan wären, das Gleichgewicht in den Beziehungen und die soziale Harmonie wiederherzustellen. 211 209 28. Sitzung, 130. 210 Vgl. Schwitalla 1987, 134. 211 Vgl. Harris/ Grainger/ Mullany 2006, 733. <?page no="273"?> 273 11 Gesamtbild der Streitkultur im Parlament - „Keine Schule für höhere Töchter“ In der Typologie von Henne und Rehbock 1 sind Debatten im Parlament im Bereich der Nahkommunikation angesiedelt und als Gruppengespräch zu charakterisieren, öffentlich und natürlich. Sie sind diskursiv mit einander zum Großteil bekannten Gesprächspartnern/ Gesprächspartnerinnen und gesprächsstrukturell bedingt asymmetrisch. Debatten sind speziell vorbereitet, themafixiert und apraktisch, d.h. ohne direkte gesprächsbegleitende Handlungsdirektiven. Bei eingehenderer Betrachtung ergeben sich jedoch Widersprüche bei der Zuordnung der einzelnen Redecharakteristika: So wird die grundsätzlich monologische und damit asymmetrische Gesprächsstruktur der Reden durch die Zwischenrufe und die sich daraus entspinnenden dialogischen Sequenzen temporär ausgesetzt, d.h., der Rollenwechsel von Sprecher/ Sprecherin und Hörer/ Hörerin ist konträr zur ursprünglichen Charakterisierung bedingt möglich. Zudem sprengen Plenarreden, obwohl sie in einem ersten Schritt als Nahkommunikation klassifiziert werden können, bei weitem den Rahmen herkömmlicher face-to-face Kommunikation, indem sie primär an die breite Wählerschaft außerhalb des Parlamentsgebäudes gerichtet sind, die nur über die Medien erreicht werden kann. 2 Die Debatten folgen zudem einer genau geregelten Choreographie, die in der Geschäftsordnung zum österreichischen Parlament festgeschrieben ist. Über die Tagesordnung wird der Redegegenstand vorab in Form einzelner Sitzungspunkte bestimmt, Redebeiträge müssen angemeldet werden und dürfen vom vorgegebenen Thema nicht abweichen. Eine direkte Replik auf die Aussagen des Redners/ der Rednerin ist nur bei expliziten Falschaussagen bzw. bei Verstößen gegen die Geschäftsordnung möglich. Das freie Spiel aus Rede und Gegenrede ist somit in einen formellen Rahmen gegossen, indem sowohl Gesprächsinhalt als auch Gesprächsverlauf entlang festgelegter Bahnen verlaufen. Abweichungen von den kommunikativen Vorgaben der parlamentarischen Geschäftsordnung werden vom Nationalratspräsidenten/ der Nationalratspräsidentin sanktioniert und können letztlich sogar zum Redeentzug führen. Zwischenrufe sind gemeinsam mit anderen mimischen oder gestischen Beiträgen die einzige Möglichkeit, aus dem festgezurrten kommu- 1 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 26. 2 Vgl. Volmert 1989, 28. <?page no="274"?> 274 nikativen Korsett auszubrechen und gehören, obwohl sie in keinster Weise von der Geschäftsordnung vorgesehen sind, zur Normalität der Reden im Nationalrat. 3 Durch sie wird der behäbig dahinfließende, monologische Strom der Plenarreden durch kurze Dialogsequenzen aufgebrochen und temporär zu einem schnell fließenden Wechsel aus Meinung und Gegenmeinung. Durch die Zwischenrufe wird die stilisierte Kunstform der parlamentarischen Debatte zum echten Austausch aus Rede und Widerrede. Sprachwissenschaftlich werden politische Reden zumeist als Monolog charakterisiert und daher als Text beschrieben. Im Gegensatz dazu werden politische Diskussionen generell als Gespräch verortet und somit beinahe ausschließlich über das Instrumentarium der Gesprächsanalyse erfasst. Doch genauso wie polemische Monologe in der Politik aus Sicht der Gesprächslinguistik immer auf einen relevanten Adressaten/ eine relevante Adressatin zugeschnitten sind und dabei eine parteipolitische Intention verfolgen, so gehorchen auch Gespräche aus Sicht der Textlinguistik einer gemeinsamen thematischen Ausrichtung und können somit als kohärente Folge von Einzeltexten verstanden werden. 4 Werden die sowohl textals auch gesprächslinguistisch erhobenen qualitativen Daten um die quantitative Dimension erweitert, so können empirisch messbare, generelle Tendenzen im individuellen Sprechverhalten der Politiker/ Politikerinnen nachgezeichnet werden. Eingebettet in die Rede-Zwischenruf- Abfolgen finden sich darüber hinaus die über die Semantik erfassten typischen Wörter der Politik, die der politischen Überzeugungsarbeit zu Dienste stehen. Diese bilden den traditionellen Fokus der Beschäftigung mit der Sprache in der Politik. Auf den folgenden Seiten soll versucht werden, die Ergebnisse der drei Einzelanalysen, d.h. die Analyse der Themen, der Gesprächsführung und der Wortverwendung der Rede-Zwischenruf-Abfolgen, zu einem kommunikativen Gewebe zu verflechten, das den Erfolg der Inszenierung parlamentarischer Debatten als idealtypische Diskussion im Umfeld der Zwischenrufe entweder bestätigt oder verwirft. Die parlamentarischen Reden haben entgegen ihrem äußeren Anschein nicht die Aufgabe, den politischen Gegner/ die politische Gegnerin im Plenum durch gut gewählte Argumente vom eigenen Standpunkt zu überzeugen. Da die politischen Entscheidungen bereits vor den Nationalratssitzungen getroffen werden, dienen die Reden der einzelnen Fraktionen im Grunde nur mehr dazu, den fraglichen Sachverhalt in Bezug auf 3 Vgl. Kipke 1995, 109. 4 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 11f. <?page no="275"?> 275 die eigene Partei öffentlich pointiert und durch Argumente gestützt nochmals darzulegen, in der Hoffnung, die medial vermittelte Öffentlichkeit von der eigenen Meinung zu überzeugen und damit wünschenswerte Handlungsdispositionen für die politische Zukunft der eigenen Partei zu schaffen. 5 Kurz gesagt: „Der Plenarsaal ist das Fenster des Parlaments zur Öffentlichkeit.“ 6 Die Ansichten des einzelnen Redners/ der einzelnen Rednerin sind dabei nicht wirklich von Belang, wichtig ist die parteienspezifische Darstellungsleistung vor den kritischen Augen der Medien und der potentiellen Wählerschaft. Die normativ vorgegebenen Abläufe im Parlament, denen die politische Diskussion als Vorlage dient, sind demnach reine Inszenierung, entlang derer die parteipolitischen Interessen, vor allem aber auch das parteipolitische Image nach außen getragen werden. Es nimmt daher kaum Wunder, dass gerade jene Debattenpunkte vehement durch Zwischenrufe unterbrochen und gestört werden, bei denen eine oder mehrere Parteien Gefahr laufen, besonders viele Minuspunkte beim Wähler/ bei der Wählerin zu kassieren. So erreichen bei einer durchschnittlichen Zwischenruffrequenz von drei Einwürfen alle fünf Minuten die Debatten zur Eurofighter-Beschaffung eine Zwischenrufdichte von mehr als einem Zwischenruf pro Minute, sodass hier kaum noch von einem gleichberechtigten und geregelten Debattenverlauf gesprochen werden kann. Diese Beobachtung wird unterstrichen durch die Tatsache, dass eher Sachthemen-orientierte Sitzungspunkte wie die Änderung des Kraftfahrgesetzes oder das Einfuhrverbot für Robbenprodukte kaum Zwischenrufe herausfordern. Es sind dies Diskussionspunkte, bei denen keine der im Parlament vertretenen Parteien ihr Image in den Augen der Öffentlichkeit direkt gefährden oder absichern kann. Anders formuliert sind es Themen, bei denen der Inhaltsaspekt im Vergleich zum Beziehungsaspekt überwiegt. 7 Unabhängig vom Thema der Debatte können auch bestimmte normativ durch die Geschäftsordnung vorgegebene parlamentarische Debattenformen die Abgeordneten im Saal zu mehr Zwischenrufen reizen. Es sind dies einerseits Aussagen zur Geschäftsordnung, die das Rederecht des/ der Einzelnen direkt betreffen, andererseits sind es parlamentarische Diskussionsformen, in denen in Form von dringlichen Anträgen, Anfragen oder kurzen Debatten punktuell konfrontative kommunikative Ansprüche der Opposition an die Regierung explizit, d.h. öffentlich, zum Ausdruck gebracht werden und denen zudem meist höchst brisante Themen 5 Vgl. Meißner 2001, 107. 6 Conradi, zit. in: Kühn 1995, 167. 7 Vgl. Watzlawick/ Beavin/ Jackson 1974, 53ff. <?page no="276"?> 276 zugrunde liegen. Im Gegensatz dazu ist die Fragestunde, die abseits der formalisierten Fragen und vorbereiteten Antworten durch die offiziell erlaubten Zusatzfragen einem natürlichen Dialog noch am ehesten entspricht, jene Debattenform, die am wenigsten durch Zwischenrufe gestört wird. Je weniger also die normativen Vorgaben der Geschäftsordnung den natürlichen Meinungsaustausch erlauben, umso stärker wird er über Zwischenrufe erzwungen. Je mehr die jeweilige Debattenform direkte Repliken erlaubt und damit den kommunikativen Bedürfnissen der Diskutanten/ Diskutantinnen entgegenkommt, umso eher wird das Ende des Redebeitrags abgewartet, bevor man legitimerweise auf das Gesagte eingeht. Wirft man einen Blick auf das spezifische Verhalten der einzelnen Parteien im Nationalrat 2007, so ist in Folge der Debatten zur Eurofighter- Beschaffung die ÖVP jene Partei, die gemessen an absoluten Zahlen am häufigsten die Redner/ Rednerinnen am Pult unterbricht. Während die grüne Fraktion mit Zwischenrufen quantitativ dagegenhält, zieht sich die SPÖ aus dem Geschehen weitgehend zurück und dies obwohl sie speziell vom schwarzen Koalitionspartner in ihren eigenen Ausführungen immer wieder unterbrochen wird. Bei nüchterner Betrachtung lassen sich auf Basis der Redeunterbrechungen und Zwischenrufe viel eher alte Allianzen zwischen ÖVP und BZÖ erkennen, als dass die heile Welt der großen rotschwarzen Koalition nachgezeichnet würde. So werden orange Redner/ Rednerinnen von der Volkspartei kaum durch Kommentare aus dem Plenum gestört. Umgekehrt scheint das BZÖ jedoch kaum Beißhemmungen gegenüber dem alten Koalitionspartner zu zeigen, sondern wetzt sich als Oppositionspartei in gleichem Maße wie die Freiheitlichen an den aktuellen rot-schwarzen Regierungsverhältnissen 2007. Obwohl die FPÖ viel Bedacht darauf nimmt, sich vom BZÖ und den früheren Parteikollegen/ Parteikolleginnen mit harten Worten abzugrenzen, überwiegen generell die blau-orangen Gemeinsamkeiten: Beide finden in der Regierung ihren Hauptgegner, in beiden Parteien ist der jeweilige Parteiobmann federführend, indem sowohl Peter Westenthaler (BZÖ) als auch Heinz-Christian Strache (FPÖ) im Alleingang für einen Großteil der Zwischenrufe der eigenen Fraktion verantwortlich zeichnen - was wiederum der generellen Struktur populistischer Parteien mit einem starken Führer an der Spitze entspricht. Dabei sind es gerade die sieben Abgeordneten des BZÖ, die, wenn man die unterschiedliche Fraktionsstärke normalisiert, die mit Abstand höchste Zwischenrufdichte erreichen. Rückt man weniger die Parteienmitgliedschaft sondern vielmehr die Geschlechterzugehörigkeit in den Mittelpunkt des Interesses, so zeigen sich die weiblichen Abgeordneten tendenziell kooperativer als ihre männlichen Kollegen. Männliche Nationalratsmitglieder unterbrechen die Red- <?page no="277"?> 277 ner/ Rednerinnen um etwa ein Drittel häufiger als ihre weiblichen Kolleginnen und zeigen zudem viel weniger Scheu nicht nur beim eigenen, sondern auch beim anderen Geschlecht dazwischenzureden. Gleichzeitig sind männliche Abgeordnete viel eher bereit zu kritisieren und personenzentriert zu argumentieren als weibliche Abgeordnete, die häufiger stützend auf die Rede einwirken und sich eher an Sachlagen und dem Stil der Reden orientieren. Daneben zeichnen die Themen, die jeweils mehr Zwischenruferinnen bzw. mehr Zwischenrufer auf den Plan rufen, ein stereotypes Geschlechterbild nach, indem weiche Themen wie Bildung und Familie eher von Frauen aktiv über Zwischenrufe kommentiert werden, während harte Themen wie Budget und Marktordnung eher in Männerhand bleiben. Doch auch Alter und Status haben Einfluss auf die Bereitschaft mit Zwischenrufen in den parlamentarischen Dialog einzugreifen: „Interruptions have […] been defined as a means of gaining the speaking turn and of achieving high influence ranking, particularly in small conversational groups […]. In this sense, they function as status markers.“ 8 Dabei zeigen ältere Parlamentarier/ Parlamentarierinnen weit weniger Hemmung, den Redner/ die Rednerin zu unterbrechen, als etwa Neulinge im Nationalrat, die dafür selbst sehr häufig zum Opfer kritischer Einwände werden. Bevorrechtigte und nicht-bevorrechtige Gesprächsrollen im Parlament scheinen somit mit dem Alter der Parlamentsmitglieder einherzugehen. Da sich der Inhalt der Redebeiträge im Nationalrat stets an die durch die Tagesordnung festgelegten Themenvorgaben halten muss, orientieren sich die Redner/ Rednerinnen in ihren Ausführungen entweder an der Darstellung der Sachlage oder an der Charakterisierung der involvierten Personen, Parteien und Institutionen. Daneben kann auch über die kommunikativen Voraussetzungen im Sinne der Geschäftsordnung debattiert werden bzw. der Stil der Redebzw. Zwischenrufbeiträge diskutiert werden. Auf der Mesostrukturebene beschränkt sich die Argumentationspraxis im Nationalrat folglich auf einige wenige Themenkategorien, die weitgehend der Referenzebene des jeweiligen Debattenbeitrags entsprechen. In den Redepassagen, in denen sich ein Abgeordneter/ eine Abgeordnete aus dem Plenum zu einer Reaktion, d.h. einem Zwischenruf gezwungen fühlt, finden sich vor allem kritische Aussagen zu vorangegangen Redebeiträgen, zu Parteien und Sachlagen und nicht - wie zu erwar- 8 Hannah/ Murachver 2007, 275. <?page no="278"?> 278 ten wäre - direkte negative Aussagen zu Personen oder Institutionen. Durch die negativen Vorwurfshandlungen in den betreffenden Redepassagen werden bestimmte Personen oder Parteien weniger direkt BE- SCHULDIGT oder VERDÄCHTIGT, als dass sie über den Vergleich von Ist- und Soll-Zustand (VORWERFEN), über die Beschreibung negativer gesellschaftspolitischer Verhältnisse (ANSTOß NEHMEN) und falsch gesetzter Handlungen (KRITISIEREN) in einen unvorteilhaften Rahmen gesetzt werden. Das Herausstreichen positiver Aspekte ist hingegen kaum Anlass für Zwischenrufe. Eine Ausnahme bilden hier lobende Worte zur eigenen Partei oder zu parteipolitischen Allianzen, die zu ähnlich häufigen wie auch heftigen Reaktionen des Plenums führen wie per se auf Konflikt ausgerichtete kritische Bemerkungen des Redners/ der Rednerin. Mit anderen Worten wird allzu offensichtliche parteienspezifische Wahlwerbung genauso wenig toleriert wie die generelle Kritik am Gegner/ an der Gegnerin. Am bedrohlichsten werden von den Betroffenen im Plenum jedoch Redepassagen empfunden, in denen der Redner/ die Rednerin auf parteipolitische oder persönliche Verwicklungen in halb- oder illegale Geschäfte im Dunstkreis der Korruption eingeht. Während es sich hier zumeist um reine Verdachtsmomente handelt, denen die Beweiskraft für echte Anschuldigungen weitgehend fehlt, werden unrechtmäßige und illegitime Entscheidungen im Sinne von Gesetzes- und Verfassungskonformität auf Basis konkreter Sach- und Tatbestände kritisiert. Anschuldigungen dieser Art bilden die zweitgrößte, als potentiell bedrohlich wahrgenommene Themengruppe in den Redebeiträgen. Hinter dem Verweis auf falsche politische Entscheidungen werden aber auch solche Redeaussagen unterbrochen, die Konsequenzen und Folgen bestimmter Sachlagen bzw. Gesetzesentwürfe in einen neuen Kontext stellen bzw. deren Grenzen neu, d.h. den eigenen Intentionen entsprechend, ausloten. Wird die Analyse der Rede-Zwischenruf-Sequenzen auf die Wortebene heruntergebrochen, so lässt sich die Brisanz der vom Redner/ von der Rednerin verwendeten Formulierungen, d.h. ihre Konfliktträchtigkeit in Hinblick auf die einzelnen politischen Akteure/ Akteurinnen, indirekt aus der Reaktion des Plenums ablesen. 9 Als für Parlamentsdebatten brisant können Wörter bzw. Wortverwendungen dann charakterisiert werden, wenn sie im Redebeitrag neu geprägt, parteilich prädiziert, umgedeutet oder umgewertet werden und gleichzeitig in eine Aussage gebettet sind, auf die im Zwischenruf explizit Bezug genommen wird. Dabei stellt sich heraus, dass bereits geprägte politische Ausdrücke wie etwa Schlagwör- 9 Vgl. Früh 2004, 46. <?page no="279"?> 279 ter, die traditionellerweise als Konfliktherd politischer Kommunikation angesehen werden, nur selten explizites Ziel der Zwischenrufe sind. Die Brisanz einer Formulierung ergibt sich vielmehr aus ihrer spezifischen Kontextualisierung im Sinne des Wertens und parteilichen Prädizierens, in denen das gesamte Repertoire an Schlag-, Hochwert-, Fahnen- und Stigmawörtern zur Anwendung kommt. Oberstes Handlungsziel politischer Argumentation ist es, bei relevanten Gruppen Zustimmungsbereitschaft zu wecken, 10 alle weiteren Handlungsziele sind diesem obersten Primat untergeordnet. In der hierarchischen Ordnung politischer Handlungsziele steht die Wertung politischer Sachlagen bzw. Akteure/ Akteurinnen damit noch über dem klassischen Kampf um Wörter. Die parteilich vorgeprägten Begrifflichkeiten dienen daher vor allem der Stützung wenig prestigeträchtiger politischer Themenlagen oder der eigenen Position sowie zur Stigmatisierung des Gegners/ der Gegnerin und werden selbst nur selten zum Zankapfel. Sie stehen im Rahmen persuasiver Definitionen eher im Dienste der Aufwertung bzw. Abwertung, als dass sie sich selbst als brisantes Wort im Kern der Argumentation wiederfinden. Dennoch darf die Wirkung politisch geprägter Begriffe nicht unterschätzt werden, bilden sie doch den kognitiven Raster für die Einordnung politischer Zusammenhänge. 11 Im Bereich der brisanten Rede-Zwischenruf-Sequenzen stellen parteiliche Wertungen das hervorstechende und charakteristische Merkmal parlamentarischer Debatten dar, wobei vor allem abwertende Formulierungen die Argumentation bestimmen. Hierbei spielen rein wertende Adjektive eine weit geringere Rolle als zunächst anzunehmen wäre. Die Adjektive, die in den brisanten Rede-Zwischenruf-Sequenzen verwendeten werden, stammen zumeist aus dem Grenzgebiet zwischen Wertung und Charakterisierung, indem sie sowohl wertende als auch beschreibende Seme sprachlich bzw. von der Sprachgemeinschaft fixiert in sich vereinen und damit auf einen Normrahmen verweisen, aus dem sie ihre wertende Gültigkeit beziehen (z.B. emotional 12 ). Wertende Elemente müssen auch nicht zwangsläufig in Form von Adjektiven eingebracht werden, auch andere Wortarten wie Verben und Substantive können Wertungen transportieren, die nun entweder wieder sprachstrukturell im Lexem verfestigt sind oder erst und nur in Bezug auf den (pragmatischen) Kontext schlagend werden (z.B. anpacken 13 , verschleiern 14 ). Zudem sind wer- 10 Vgl. Lübbe, zit. in: Liedtke 1996a, 3. 11 Vgl. Holly 1990, 86. 12 20. Sitzung, 176. 13 20. Sitzung, 45. <?page no="280"?> 280 tende Elemente kein isoliertes Einzelphänomen und nur selten auf einen einzigen sprachlichen Ausdruck einzuengen. Soll eine politische Sachlage oder Entscheidung, eine Person, Partei oder Institution, ein Redebeitrag oder die Geschäftsordnung bewertet werden, so bedient sich der Redner/ die Rednerin an brisanten Redestellen mehrerer wertender Bausteine, mit denen die Wertung intensiviert oder aber abgeschwächt werden kann (z.B. Ich hätte ja gehofft, dass Herr Dr. Schüssel vielleicht auch selbst das Wort ergreift 15 ). Eine wichtige Rolle bei der Wertung spielen auch Negationen, durch die die in ihnen mitenthaltene, positive Aussage als Erwartung bzw. Norm ins Zentrum gerückt und daraufhin mit der Realität kontrastiert wird. 16 Aus einem ähnlichen Grund findet sich häufig der Konjunktiv, der anstelle der realen Handlung eine erwünschte Norm in den Mittelpunkt rückt und der Wirklichkeit wertend gegenüberstellt. Doch selbst hier müssen die Normen, die als Maßstab der Wertung dienen, bekannt sein um die enthaltene Bewertung in Information zu übersetzen. 17 Letztlich muss also unterschieden werden in die Wertungen, die in der Semantik der Wörter selbst liegen, und der pragmatischen Wertung der Bewertungshandlung und des Urteilens, in denen vom Sprecher/ von der Sprecherin Werte zugeschrieben werden und vom Hörer/ von der Hörerin als solche erkannt werden. 18 Neben expliziten Wertungen greifen die parlamentarischen Redner/ Rednerinnen an brisanten Redestellen jedoch vor allem auf „spezifische Kontextualisierungen“ 19 zurück. Hierbei wird ein Gegenstand bzw. Sachverhalt oder eine Person bzw. Gruppe mit einer wertenden Einstellung belegt, indem der damit verbundene Ausdruck in einen positiven oder negativen Kontext gestellt wird. Spezifische Kontextualisierungen vereinen wertende und charakterisierende Elemente in sich und konstruieren daraus einen Werterahmen, in dem der spezifische Redegegenstand bzw. dessen Ausdruck aus Sicht der jeweiligen Partei gesehen werden soll. Ein Großteil der Zwischenrufe reagiert auf spezifische Kontextualisierungen im Redebeitrag vor allem auch deshalb, weil sich der Redner/ die Rednerin hier einer Reihe von Wörtern bedient, die innerhalb einer Gesellschaft zu einer gewissen Zeit einen starken, allgemein akzeptierten emotiven Gehalt besitzen (z.B. Wir ersehen den Auftrag zur Landesverteidigung, und 14 28. Sitzung, 39. 15 20. Sitzung, 159. 16 Vgl. Brinkmann, zit. in: Böheim 1987, 179. 17 Vgl. Hannapel/ Melenk, zit. in: Böheim 1987, 58. 18 Vgl. Heusinger 2004, 221. 19 Böke 1996, 38. <?page no="281"?> 281 zwar sowohl auf dem Boden als auch in der Luft, aus der Neutralität, aus unserer Verfassung. 20 ). Durch die Aneinanderreihung dieser stark wertenden Elemente entsteht ein Wertungsschub, der von der gegnerischen Seite im Plenum zumeist nicht ohne weiteres hingenommen wird. Gleichzeitig wird von den Rednern/ Rednerinnen auch gezielt versucht, die gegnerischen Konzeptualisierung, d.h. deren Interpretationsmuster zu demontieren. Die in den assoziativen Bildern eingewobenen, ideologisch gefärbten Deutungsrichtungen beschränken sich hier nicht auf einzelne Politiker/ Politikerinnen, sie stellen vielmehr gruppenbzw. parteienspezifische Denk- und Interpretationsschemata dar, in deren tiefstem Grunde die Aufwertung der eigenen (ideologischen) Position und die Abwertung der gegnerischen Position steht. Die hier zur Verwendung kommenden Hochwert-, Fahnenbzw. Stigmawörter müssen nicht unbedingt auf den Säulen der Demokratie bauen, sondern umreißen allgemein jene Werte, die einer Gesellschaft oder einer bestimmten Gruppe besonders wichtig sind. So etwa das Wort Sicherheit, das an den untersuchten Sitzungstagen vor allem von den Mitte-rechts-Parteien gern, sei es zur eigenen Profilierung oder zur gegnerischen Stigmatisierung, im Munde geführt wurde. Ausschlaggebend für die Wirksamkeit jeglicher Wertung ist dabei die Wahl des passenden Wortes: 21 So wäre es für die Mitte-links- Parteien SPÖ und Grüne ideologisch wenig stimmig, ihren Fokus ebenso wie die konservativen Parteien ÖVP, FPÖ und BZÖ auf die Sicherheit des Landes zu legen. Strategische Wirksamkeit erlangen Formeln und Stereotype nämlich nur dann, wenn an und mit ihnen ideologische Grundpositionen wiedererkennbar werden. 22 Im Zentrum der Auseinandersetzung steht jedoch weniger ein parteilich geladener Ausdruck, sondern vielmehr eine Person, Partei oder Institution, die entsprechend der Position des Redners/ der Rednerin in ein gutes oder schlechtes Licht gerückt wird. Damit kreisen die wertenden Wortgefechte jedoch vielfach um Pronomen, deren eindeutige Zuordnung als textimmanenter Platzhalter zu bestimmten Personengruppen aufgrund mangelnder Hintergrundinformationen und kontextueller Situierung zum Teil stark erschwert wird. Ein Zusammenhang zwischen Bezeichnung und Bezeichnetem kann bisweilen nur indirekt aus der Reaktion des Plenums geschlossen werden. Wer in den kollektivierenden und generalisierenden Pronomen erfasst ist, ist zudem nicht für alle Zeit festgeschrieben, sondern ändert sich zusammen mit den Wahlperioden eben- 20 28. Sitzung, 46. 21 Vgl. Dieckmann 1964, 145. 22 Vgl. Heusinger 2004, 89. <?page no="282"?> 282 so wie mit den unterschiedlichen politischen Allianzen. So brachte der Regierungswechsel von schwarz-blau bzw. schwarz-orange zu rotschwarz auch eine Veränderung der wir/ Sie - Gruppe mit sich. Das kollektivierende wir und Sie seitens der Regierungsparteien ist damit nicht automatisch mit „wir, die Regierung“ und „Sie, die Opposition“ zu verstehen, sondern ist von Fall zu Fall verschieden etwa auch mit „wir/ Sie, die alte schwarz-blaue bzw. schwarz-orange Regierung“ bzw. „wir/ Sie die Mitte-links Parteien“ zu übersetzen, wobei die Spezifizierung zumeist über den Rückgriff auf politische Zeiträume gelöst wird (z.B. Sie [rotschwarze Regierung] setzen sich sozusagen an den gedeckten Tisch, den wir von 2000 bis 2006 [schwarz-blaue/ -orange-Regierung] aufbereitet haben 23 ). Wir und Sie in der Politik stehen somit immer für jene politische Allianz, die zu einem genannten Zeitpunkt gerade Gültigkeit besitzt, wodurch das richtige Verständnis politischer Bezüge vom episodischen Wissen der Rezipienten/ Rezipientinnen abhängig wird. Fachwörter, hauptsächlich aus dem Bereich der parlamentarischen Abläufe, sind zusammen mit bedeutungsweiten alltagssprachlichen Ausdrücken hinter den Pronomina die zweithäufigste Wortkategorie, die in den Redebeiträgen der Nationalratsabgeordneten als brisantes Wort erkennbar werden. Mit bedeutungsweiten Ausdrücken haben Fachwörter gemein, dass sie in manchen Fällen die einzig richtige sachliche Bezeichnung für einen Sachverhalt sind, in anderen Fällen aber nur reine Worthülsen, die für zuvor spezifizierte bzw. noch zu spezifizierende Sachlagen stehen oder als Plastikwörter in ihrer „vieldeutigen Allgemeinheit“ 24 mehrheitsfähige Zustimmung erzeugen sollen. 25 Sehr oft wird einem sinntragenden brisanten Wort ein zweites oder mehrere sinnentleerte Wörter vorangestellt (z.B. der Auftrag zur Landesverteidigung 26 ). Inhaltsleere Wörter dieser Art vermitteln selbst kaum Information, sondern sollen einerseits einen vertrauten semantischen Rahmen schaffen, andererseits kann der Redner/ die Rednerin mit ihnen auch versuchen, allzu konkreten Aussagen aus dem Weg zu gehen. Schnelles Wiedererkennen und rasche widerspruchsfreie Zustimmung sind grundsätzlich Leitlinien für die Wortwahl und Argumentation in der Politik. 27 Deshalb finden sich auch häufig alltagssprachliche Wendungen, Metaphern und Phraseologismen, die der holzschnittartigen Konfektion 23 20. Sitzung, 75. 24 Pörksen 1992, 120. 25 Vgl. Pörksen 1992, 120. 26 28. Sitzung, 47. 27 Vgl. Gruner 1992, 286. <?page no="283"?> 283 des Stammtisches entsprechen. 28 Ihre Funktion ist es, ein allgemein bekanntes, sogar lexikalisiertes Denkschema vorzugeben und so komplexe Zusammenhänge vereinfachend und logisch darzustellen (z.B. Wieso kommen Sie nicht zu uns ins Boot? 29 ). Der Politiker/ die Politikerin am Rednerpult beruft sich mit ihnen auf allseits anerkannte Fixpunkte, die sich aus dem gesunden Menschenverstand heraus erklären. 30 Die verwendeten politischen Idiome gehen dabei auf Nummer sicher, d.h., es finden sich vor allem konventionalisierte oder tote Metaphern, die auf bereits etablierte und gesicherte Formulierungen und Bilder zurückgreifen. Anstatt neue und kreative Metaphern effektvoll in die Rede einzubauen und damit auch in der Sprache zu verankern, werden beinahe bedeutungsleere Routineformeln verwendet und dies, so Billig und MacMillian, „in ways that deaden political awareness.“ 31 Der in den Pro- und Contra-Reden formell ausgetragene polemische Streit wird nun in den Rede-Zwischenruf-Sequenzen zur direkten Auseinandersetzung, indem der Zwischenrufer/ die Zwischenruferin auf die Aussagen des Redners/ der Rednerin unmittelbar eingeht. In den untersuchten Gesprächssequenzen finden sich einerseits positive Rückmeldesignale aus dem Plenum, die die Rede des/ der Abgeordneten am Rednerpult kooperativ stützen und motivierend vorantreiben (z.B. Gut so, genau! 32 ). Andererseits finden sich auch konfrontativ ausgerichtete Einwürfe, die als sprachlich-kommunikative Signale des Dissens oder negative Rückmeldesignale bezeichnet werden können und im Gegensatz zu positiven Rückmeldesignalen den Redefluss des Sprechers/ der Sprecherin in neue Bahnen lenken wollen, indem sie dessen/ deren Aussagen anzweifeln und zur Reformulierung oder Rechtfertigung auffordern (z.B. Beweisen Sie das! 33 ). Die Entscheidung, ob es sich beim jeweiligen Zwischenruf nun um ein einfaches Rückmeldesignal oder bereits um einen eigenständigen Gesprächsschritt handelt, ist bisweilen schwer zu treffen. Gesprächssequenzen, die die eigentliche Haupthandlung nur unterbrechen, diese aber nicht außer Kraft setzen, werden nach Jefferson als „side sequences“ bezeichnet. 34 In kooperativen Gesprächen sind sich die Kommunikationspartner/ Kommunikationspartnerinnen stets bewusst, wer eigentlich an 28 Vgl. Heusinger 2004, 112. 29 14. Sitzung, 82. 30 Vgl. Drommel/ Wolff 1978, 79. 31 Billig/ MacMillan 2005, 459. 32 20. Sitzung, 149. 33 28. Sitzung, 83. 34 Vgl. Jefferson 1972, 294. <?page no="284"?> 284 der Reihe ist. 35 Auch wenn die untersuchten Rede-Zwischenruf-Sequenzen kaum als kooperativ zu charakterisieren sind, steht aufgrund der Geschäftsordnung im Nationalrat doch nie außer Frage, wer das Rederecht besitzt. Man könnte daher zusammenfassend sagen, kurze Einschübe ohne Reaktion des Redners/ der Rednerin sind Rückmeldesignale, während längere Dialogsequenzen zwischen Redner/ Rednerin und Zwischenrufer/ Zwischenruferin als „side sequence“ charakterisiert werden können. Ein Großteil der Zwischenrufe bleibt jedoch vom Redner/ der Rednerin unbeantwortet, indem nur ein Sprecherwechsel (Redner/ Rednerin - Zwischenrufer/ Zwischenruferin) vorliegt. Zwei Drittel der Zwischenrufe sind damit reines Rückmeldeverhalten ohne expliziten Einfluss auf Rederecht und Redeverlauf. In einer Gesellschaft besteht grundsätzlich Einigkeit darüber, wieweit jemand gehen darf, um das eigene Image zu wahren. 36 Politische Kommunikation zielt jedoch genau darauf ab, möglichst viele Pluspunkte für sich zu verbuchen und gleichzeitig möglichst viele Minuspunkte für den Gegner/ die Gegnerin anzusammeln. Mit anderen Worten ist dem Politiker/ der Politikerin nicht nur daran gelegen, die eigenen Standpunkte und Ziele argumentativ darzustellen, sondern es geht ihm/ ihr vor allem auch darum, einen Vorteil gegenüber dem politischen Konkurrenten/ der politischen Konkurrentin herauszuschlagen. 37 Auf der Bühne politischer Leistungsdarstellung werden Imageverletzungen daher nicht nur in Kauf genommen, sondern zum Teil auch bewusst intendiert. In den Rede-Zwischenruf-Sequenzen treffen die einander widerstrebenden Intentionen direkt aufeinander. Keiner/ Keine will die Kritik des/ der anderen auf sich sitzen lassen, wobei es bisweilen wichtiger erscheint, siegreich aus dem kommunikativen Schlagabtausch herauszutreten als einen sinnvollen Beitrag zur Debatte zu leisten. Die grundsätzlich auf Konflikt ausgerichtete Grundhaltung parlamentarischer Kommunikation, sei es in den Redebeiträgen selbst oder in den Zwischenrufen, verstößt somit zwangsläufig gegen die Regeln der Kooperativität, die sich im Zentrum konstruktiver Kommunikation findet. 38 Zu Beginn eines Beziehungskonflikts steht ein sprachlicher oder auch nicht-sprachlicher Auslöser, bei dem sich einer/ eine der Beteiligten nicht den rituellen Mustern und gesellschaftlichen Normen gemäß verhält und damit das Image eines/ einer oder mehrerer Betroffener bedroht oder ver- 35 Vgl. Henne/ Rehbock 2001, 187. 36 Vgl. Goffman 1986, 14. 37 Vgl. Jaworski/ Galasi ski 2000, 49. 38 Vgl. Schank 1987, 31. <?page no="285"?> 285 letzt. 39 Das fragliche Verhalten des Redners/ der Rednerin wird daraufhin über eine „Veranlassung“ 40 in Form eines Vorwurfs, einer Anklage, einer Beschwerde usw. im Zwischenruf als Zwischenfall gekennzeichnet und damit die Sequenz offiziell eröffnet. 41 Die Veranlassung muss jedoch nicht zwangsläufig von der Person geäußert werden, deren Image bedroht wird. Vor allem Politiker/ Politikerinnen sehen sich gefordert, nicht nur das eigene Image zu schützen, sondern auch das der Partei und der Parteikollegen und -kolleginnen oder anderer für die Partei wichtiger Personen bzw. Personengruppen. 42 Es stellt sich hier auch die Frage, ob die Eingrenzung der Gesprächssequenzen auf konventionalisierte bzw. ritualisierte Schrittpaare nicht zu eng gefasst ist. 43 So sind Gegenvorwürfe keine legitime, d.h. durch sequentielle Implikaturen geregelte, Reaktion auf Vorwürfe. Sie sprengen, so Brinker und Sager, die „etablierten interaktiven Verbindlichkeiten“ 44 und verstoßen gegen die „rituelle Ordnung“ 45 des Gesprächs. Dennoch sind sie für die analysierten Rede-Zwischenruf-Abfolgen bedingt erwartbar, da im Zentrum von Streitgesprächen stets gegenseitige Vorwürfe stehen. Die von Goffman prototypisch beschriebenen Korrektivsequenzen sind somit in der realen Gesprächssituation der parlamentarischen Auseinandersetzung kaum je in ihrer ursprünglichen Form zu finden. Doch auch wenn einzelne korrektive Schritte abgewandelt werden oder auch ganz fehlen, so können die Rede-Zwischenruf-Sequenzen zumindest in ihren Ansätzen als korrektive Sequenzen bezeichnet werden. 46 Die auf den Anlassfall folgenden Veranlassungen in Form der Zwischenrufe zeigen dabei unterschiedliche Grade an Responsivität. Schwitalla unterscheidet hier in responsiv, d.h. der Antwortende geht auf die Intention und den Inhalt des Zuges ein, teilresponsiv, d.h. der Antwortende geht nur auf einen Aspekt des Inhalts ein, und schließlich nonresponsiv, wenn weder auf Inhalt noch auf Intention eingegangen wird. 47 Obwohl sich die Zwischenrufer/ Zwischenruferinnen in ihren Einschüben grob an die thematische Vorgabe der Rede halten, zeigt sich doch deutlich, dass den Sachlagen in Zwischenrufen im Vergleich zu personen- 39 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 92. 40 Brinker/ Sager 2006, 92. 41 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 92. 42 Vgl. Bull 2008, 7. 43 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 87. 44 Brinker/ Sager 2006, 87. 45 Brinker/ Sager 2006, 87. 46 Vgl. Schwitalla 1987, 101. 47 Vgl. Schwitalla, zit. in: Henne/ Rehbock 2001, 206. <?page no="286"?> 286 zentrierten Einwürfen vergleichsweise wenig Platz eingeräumt wird. Gleichzeitig sind die Kommentare des Plenums stark konfrontativ, d.h. bringen viel öfter kritische Bemerkungen an, als dass sie positiv oder zumindest neutral auf die Aussagen der Redners/ der Rednerin eingehen. Mit anderen Worten geht es dem Zwischenrufer/ der Zwischenruferin weniger darum, die in den Redebeiträgen thematisierten Standpunkte sachlich neutral zu beleuchten, als vielmehr den Redner/ die Rednerin selbst bzw. seinen/ ihren Redebeitrag anzugreifen und in den Augen der medial vermittelten Öffentlichkeit anzuschwärzen. Letzteres ist vor allem dann der Fall, wenn im Zwischenruf plötzlich auf die Metaebene gewechselt wird bzw. wenn ohne direkten Anlass unvermittelt die Person des Redners/ der Rednerin selbst zum Ziel wird. ANSTOß NEHMEN in Hinblick auf die Qualität des Redebeitrags selbst zusammen mit AN- STOß NEHMEN an generellen Sachverhalten bilden demnach auch die größte Sprechaktgruppe in den analysierten Zwischenrufen, dahinter folgen KRITISIEREN und RIDIKÜLISIEREN. Auch auf der Wortebene werden der parteilichen (Ab-/ Auf-)Wertung alle Mittel und Instrumente politischer Argumentation vom Phraseologismus zur Metapher, vom Hochwertwort zum Schlagwort anheimgestellt. Der große Unterschied zwischen privaten Meinungsverschiedenheiten und polemischen Streit im Parlament ist dabei der öffentliche Rahmen, indem die Öffentlichkeit schlussendlich über Recht und Unrecht entscheidet. 48 Der Zwischenrufer/ die Zwischenruferin zeigt in seinem Einwurf zumeist sofort die Gegenposition zum Redner/ zur Rednerin an. Als Reaktion auf den kommunikativ am schwersten wiegenden Vorwurf der Verwicklung in halblegale oder illegale Geschäfte wird dabei gern Gleiches mit Gleichem vergolten, indem dem Redner/ der Rednerin ebenfalls zwielichtige Verwicklungen angedichtet werden oder ihm schlichtweg unterstellt wird, die Unwahrheit zu sagen. Derlei Vorwürfe, wie dem Plenum Lügen aufzutischen oder zumindest wichtige Aspekte absichtlich zu verschweigen, werden auch gern aus dem Hut gezogen, wenn der Redner/ die Rednerin die Unrechtmäßigkeit politischer Entscheidungen anprangert. In den verwendeten sprachlichen Mitteln folgt der Zwischenrufer/ die Zwischenruferin oft der Vorlage des Redners/ der Rednerin, d.h., brüstet sich eine Partei mit ihrem Eintritt für die Sicherheit des Landes, so beschuldigt sie die Gegenpartei, die Sicherheit des Landes zu gefährden. Das Wiederaufnehmen bestimmter Begrifflichkeiten in den Zwischenrufen wird vor allem auch dadurch notwendig, da es in der Natur bestimmter Wörter liegt, nie als Stigmawörter verwendet werden zu können, da ihre positiven seman- 48 Vgl. Dieckmann 2005b, 80. <?page no="287"?> 287 tischen Züge unveränderbar sind. Damit können derlei Ausdrücke auch nicht angefochten werden. 49 Diese werden so zum politischen Totschlagargument, etwa indem militärische Aufrüstung mit der Sicherheit des Landes legitimiert wird. Im Vergleich dazu ist die politische Metapher um vieles angreifbarer, indem sie dem Zwischenrufer/ der Zwischenruferin die Möglichkeit an die Hand gibt, etwa über Remotivierungen auch Einfluss auf das der Metapher zugrundeliegende Bild zu nehmen und damit die Aussagen des Redners/ der Rednerin ins Lächerliche zu ziehen, wie im folgenden Beispiel: Abg. Murauer [ÖVP]: […] Wir haben vom Anfang an gesagt: Wir haben eine reine Weste. Die Österreicherinnen und Österreicher können sich in Sachen Sicherheit und Schutz auf uns, die Volkspartei, verlassen. (Anhaltender Beifall und Bravorufe bei der ÖVP. - Abg. Mag. Kogler [Grüne] - in Richtung ÖVP -: Was haben Sie da für einen Waschsalon? Der ist nicht schlecht! ) 50 Generell besteht die Reaktion auf einen positiv oder negativ gewerteten Ausdruck vielfach darin, das Wort oder die Formulierung selbst zu thematisieren. Der Wechsel auf die metakommunikative bzw. metasprachliche Ebene scheint die typische Reaktion auf Anschuldigungen bzw. Vereinnahmungen einer spezifischen Sachlage durch parteilich gefärbte Interpretationen zu sein. Während der korrekte (eigene) Sprachgebrauch nur in etwa 15 Prozent der Fälle thematisiert und zur Norm erhoben wird, überwiegen die negativen Aussagen mit einem Anteil von 80 Prozent bei weitem (N = 450 Prädikationen). Fokussiert wird demnach auf den unangemessenen fremden Sprachgebrauch, 51 wodurch jedoch gleichzeitig das (eigene) verbalkommunikative Handeln legitimiert wird. 52 Bei politischen Sprachthematisierungen geht es jedoch im Grunde weniger darum, den Sprachgebrauch des Kontrahenten/ der Kontrahentin zu kritisieren, als vielmehr die eigenen Ziele durchzusetzen, die hinter den sprachlichen Formulierungen stecken. 53 Gleichzeitig wird mit metakommunikativen bzw. metasprachlichen Angriffen auch der Redner/ die Rednerin selbst ins Spiel gebracht, da er/ sie für sein/ ihr gutes oder schlechtes kommunikatives Verhalten verantwortlich gemacht wird. Kommunikativ fragwürdig ist, dass dem kritisierten Sprecher/ der kritisierten Sprecherin weniger mangelnde Sprach- 49 Vgl. Strauss 1986, 103. 50 28. Sitzung, 48. 51 Vgl. Niehr 2002, 92. 52 Vgl. Schulte 2002, 59. 53 Vgl. Niehr 2002, 86. <?page no="288"?> 288 kompetenz als vielmehr eine böse Absicht unterstellt wird. 54 Abweichungen sind folglich böswillige Verletzungen der Norm, hinter denen sich niedere Beweggründe verbergen. 55 Zur Verdeutlichung folgender Debattenausschnitt: Abg. Mag. Ikrath [ÖVP]: […] Ich sage Ihnen noch etwas - auch daran ist Ihre Fraktion beteiligt -: Wenn wir das Bankgeheimnis, das keinen Durchbrechungstatbestand für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss darstellt - oder? Geben Sie mir da recht? (Abg. Sburny [Grüne]: Das ist ein fürchterlicher Unsinn, was Sie da sagen! Das ist reine Hetze, was Sie betreiben! ) 56 Ausschlaggebend ist bei alldem das Publikum als konstitutive dritte Partei öffentlicher Kommunikation, 57 indem metakommunikative Aussagen auf eine Norm anspielen, die definiert wird als das, was die Mitglieder einer Kommunikationsgemeinschaft in einer gegebenen Situation übereinstimmend als richtig und angemessen beurteilen. 58 Debatten im Nationalrat stellen die Inszenierung idealtypischer Diskussion dar, indem sie die Vorstellung transportieren, der politische Dissens werde während der Debatte über themenzentrierte Argumentation gelöst. In (politischen) Diskussionen und Debatten spielen nun Begriffe wie Rationalität, Sachlichkeit, Gleichberechtigung, Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit eine wichtige Rolle, 59 die - abgesehen von der Norm der Gleichberechtigung - die Griceschen Konversationsmaximen, d.h. die Maxime der Quantität, der Qualität, der Relation und der Art und Weise, schlaglichtartig widerspiegeln. Hierbei stoßen sich die Zwischenrufe, die die Beiträge der Redner/ Rednerinnen metakommunikativ thematisieren, ganz besonders an der Maxime der Qualität und der Maxime der Art und Weise bzw. Modalität. Die von den Zwischenrufen besonders häufig reklamierte Maxime der Qualität verpflichtet den Redner/ die Rednerin dazu, bei der Wahrheit zu bleiben (z.B. Bleiben wir bei der Wahrheit! 60 , Das ist eine Lüge! 61 ). Etwa ein Drittel der Zwischenrufe kreist nun genau um diesen Vorwurf der Lüge im Sinne von Wahrheit und Unwahrheit (N = 450 Prädikationen). Derlei Abqualifizierungen lassen jedoch völlig außer Acht, dass der politische Gegner/ die politische Gegnerin im Grunde nur eine andere 54 Vgl. Niehr 2002, 90f. 55 Vgl. Niehr 2002, 93. 56 20. Sitzung, 162. 57 Vgl. Dieckmann 2005b, 33f. 58 Vgl. Dieckmann 2005b, 84. 59 Vgl. Brinker 1996, 118. 60 14. Sitzung, 130. 61 28. Sitzung, 83. <?page no="289"?> 289 Meinung vertritt, und verleugnen, dass es sich um eine rationale Auseinandersetzung handelt, bei der es um persönliche Standpunkte geht. 62 Durch den ständigen gegenseitigen Vorwurf der Lüge wird jedoch von den Parlamentariern/ Parlamentarierinnen unbewusst dem weit verbreiteten Stereotyp der Unglaubwürdigkeit politischer Akteure/ Akteurinnen zugearbeitet. Dazu Heringer: „Welches sind denn die Fakten, die uns hier beeinflussen? Oder anders gefragt: Wie verliert jemand seine Glaubwürdigkeit, die wir ihm erst mal als Vorschuss zubilligen? Nun, eine Art, seine Glaubwürdigkeit zu verlieren, ist wohlbekannt. Es ist die entdeckte Lüge. Schon das Sprichwort sagt ja: wer einmal lügt, den glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.“ 63 Für Schwitalla sind metakommunikative Elemente, wie sie in den analysierten Zwischenrufen zu finden sind, ein typischer Indikator für Streitgespräche. 64 In metakommunikativen Äußerungen wird dann, wenn die Kommunikation problematisch wird, der eigentliche Gesprächsgegenstand temporär ausgesetzt, um auf der Metaebene gegenseitige Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. 65 Beinahe die Hälfte aller Zwischenrufe beschäftigt sich mit dem Redebeitrag an sich, d.h. mit der Art und Weise, wie das Thema vom jeweiligen Redner/ der jeweiligen Rednerin vorgebracht wird. Politische Sachlagen sind ebenso wie die Geschäftsordnung oder Institutionen für die einzelnen politischen Parteien mit Ausnahme der Grünen und der Freiheitlichen nur Randthemen der kommentierenden Einwürfe. Auffällig ist das kommunikative Verhalten der SPÖ, die die Art und Weise, wie im Parlament kommuniziert wird, von allen Parteien besonders kritisch kommentiert. Generell scheint es so, als ob es im politischen Wettstreit bisweilen wichtiger ist, das kommunikative Verhalten des Gegners/ der Gegnerin beim Publikum anzuschwärzen als in der Sache selbst zu punkten. 66 Dies betrifft auch das Maß dessen, was legitimerweise in der Öffentlichkeit im Gegensatz zu privaten Meinungsverschiedenheiten noch als sagbar und im Rahmen parlamentarischer Debatten als passend angesehen wird. 67 Vorwürfe dieser Art stellen in den untersuchten Zwischenrufen den zweithäufigsten Kritikpunkt hinter dem Vorwurf der Lüge dar. 62 Vgl. Niehr 2002, 100. 63 Heringer 1990, 181f. 64 Vgl. Schwitalla 1987, 101. 65 Vgl. Dieckmann 2005b, 79. 66 Vgl. Dieckmann 2005b, 80. 67 Vgl. Dieckmann 2005b, 34. <?page no="290"?> 290 Generell kritisieren die analysierten Zwischenrufe viel häufiger größere sprachliche Entitäten wie Redeinhalt und Argumentationsstrukturen, als dass sie spezifische Formulierungen aufs Korn nehmen. Soll jedoch auf eine unkorrekte Wortverwendung oder fehlerhafte Referenz hingewiesen werden, so werden die fraglichen Formulierungen oft in Form einer Frage über Wortwiederholung dem Redner/ der Rednerin wieder mit der Aufforderung zurückgespielt, den verwendeten Ausdruck weiter zu erklären bzw. seine Extension im Sinne der referentiellen Funktion einzugrenzen (z.B. „Mit letzter Konsequenz“, was heißt das? 68 ). Durch den indirekten Verweis auf die Vagheit eines Wortes kann der Zwischenrufer/ die Zwischenruferin im Umkehrschluss zugleich seine/ ihre bessere Kenntnis des Sachverhalts implizieren. 69 Die kritisierten Verstöße gegen kommunikative Konventionen betreffen jedoch nicht allein die Extension bzw. Vagheit eines gewählten Ausdrucks. Der Verweis auf Bedeutungskonventionen kann bestimmte Wörter oder Formulierungen auch als (nicht) schön oder (un)sympathisch bezeichnen oder als emotional oder ideologisch aufgeladen charakterisieren. 70 Die Interpretation der zugrundeliegenden Kritik ist hier oft auf kontextuelle Interpretationen angewiesen, da der Zwischenrufer/ die Zwischenruferin selbst die metasprachliche Kritik meist nicht weiter präzisiert, sondern das spezifische Wort bzw. die spezifische Formulierung als solches oder reformuliert zurückgibt. Auf eine weitere Spezifizierung der Kritik wird weitgehend verzichtet, wie im folgenden Beispiel: Abg. Dr. Eder-Gitschthaler [ÖVP]: […] Es ist heute ein sehr positives Zeichen, dass dieser Antrag hier im Parlament behandelt wird. Unser Umweltminister Josef Pröll ist darüber hinaus auch auf EU-Ebene sehr intensiv bemüht, dieses Handelsverbot auch auf Katzen- und Hundefelle auszuweiten. Dem kann ich mich nur vollinhaltlich anschließen, zumal ich selbst auch „Katzenmutter“ bin. (Ruf: Katzenmutter? ) - Ja! (Abg. Rosenkranz [FPÖ]: Katzenmutter? ! ) 71 Grundsätzlich sind Verkürzungen jeglicher Art für die untersuchten Zwischenrufe mehr als typisch. In ihnen wird die Satzaussage auf den rhematischen Anteil reduziert, sämtliche thematischen Bezüge müssen vom Rezipienten/ der Rezipientin über den größeren Text- und Gesprächszusammenhang, in den die Aussage eingebettet ist, hergeleitet werden: 68 20. Sitzung, 162. 69 Vgl. Ingendahl 2002, 117f. 70 Vgl. Ingendahl 2002, 117f. 71 20. Sitzung, 128. <?page no="291"?> 291 „Another result of Usage-Based Linguistics has been recognition that linguistic structure is simpler than the analysis of highly self-conscious, isolated sentence-level examples would suggest. In spontaneous interactive discourse, speakers deliver spoken messages in collaboration with the interlocutor. But most of the time these messages do not have the form of complex structured sentences that is often attributed to them.” 72 Die verkürzte Sprechweise und damit die Unvollständigkeit des Zwischenruftextes zwingt den Rezipienten/ die Rezipientin dazu, die fehlenden Teile gedanklich entweder aus dem vorhergehenden Satz zu ergänzen oder völlig selbständig einzufügen. Diese kognitive Leistung geschieht zumeist unbewusst, stellt aber für den Sprachwissenschaftler/ die Sprachwissenschaftlerin vor allem bei der Analyse realer Gesprächssituationen ein Problem dar, da der relevante Kontext für die Klärung elliptischer Textsegmente sich nicht nur aus dem Textzusammenhang ergibt, sondern auch das situationsspezifische, außersprachliche Umfeld im Moment der Sprechhandlung mit einbeziehen kann. 73 Hier zeigt sich, dass sich face-to-face Kommunikation nicht auf die Zweidimensionalität geschriebener Texte beschränken lässt, sondern den Bezug um die dritte Dimension erweitert, indem auch auf räumliche Zusammenhänge verwiesen werden kann. Mit anderen Worten: Man muss dabei sein, um die Bezüge richtig zu verstehen. Doch nicht nur situative Bezüge lassen unbequemen Interpretationsspielraum, der Verweis auf das gegenseitige episodische Wissen erschwert das Verständnis des Sinnzusammenhangs speziell für Außenstehende noch weiter. Viele der Bezüge werden erst verständlich, wenn sowohl sprachtranszendentes Wissen um Person und Standpunkte des Redners/ der Rednerin als auch kontext-immanente Einschätzungen der Gesprächssituation in Relation gesetzt werden, wie im folgenden Beispiel, wo zum Verständnis des Zwischenrufs ein Interview mit der Kronenzeitung bekannt sein muss, in dem die Mutter des damaligen Bundeskanzlers Alfred Gusenbauer behauptete, ihr Sohn habe bereits in der Sandkiste gewusst, er wolle Kanzler werden. Abg. Dr. Pilz [Grüne]: […] Das hat Dr. Alfred Gusenbauer am 13. März 2003 erklärt und gefordert: einen Untersuchungsausschuss zur Untersuchung von Wahlkampflügen! Nie war dieser Vorschlag so berechtigt wie heute. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten der FPÖ.) Nie war es so klar, dass es wichtig ist, zu untersuchen, warum aus der SPÖ innerhalb kürzester Zeit eine Partei geworden ist, die bis zu dreimal pro Tag umfällt! (Präsidentin Mag. 72 Hopper 2007, 243. 73 Vgl. Coseriu 1994, 20. <?page no="292"?> 292 Prammer [SPÖ] gibt das Glockenzeichen. - Abg. Ing. Westenthaler [BZÖ]: Gib mir meine Sandkiste zurück! ) 74 Profilieren kann sich der einzelne Redner/ die einzelne Rednerin bzw. seine/ ihre Partei nun über die positive Charakterisierung des eigenen Verhaltens, während der Gegner/ die Gegnerin bzw. seine/ ihre Partei über (indirekte) Vorwürfe und enthüllende Informationen charakterisiert wird, „die den Kontrahenten in schlechtem Licht erscheinen lassen.“ 75 Auch innerhalb der Zwischenrufe stellen Aussagen zu Personen die zweithäufigste Themengruppe dar. Vorwürfe, die die Integrität des Gegenübers in Zweifel ziehen, gibt es viele und sie treten in unterschiedlichem Gewand auf, etwa indem bestimmte Motive unterstellt werden. 76 Dabei können mitunter metakommunikative Kommentare und personenzentrierte Angriffe ineinandergreifen, 77 indem die Persönlichkeit und der Charakter des Redners/ der Rednerin als Ursache für kommunikatives Fehlverhalten herangezogen werden. 78 In jedem dieser Fälle wird das Thema vollständig ausgeblendet und dafür die Person selbst zum Ziel der Angriffe (z.B. Das [Aussagen der Rednerin] ist eine Beschimpfung der Familie! Das ist eine Frechheit! 79 ). Am schwersten wiegt hier der Vorwurf der Unwissenheit bzw. Unkenntnis des Redners/ der Rednerin im jeweiligen Sach- und Themengebiet. Sehr oft wird der Redner/ die Rednerin selbst auch als unpassend empfunden, als jemand, den man nicht ernstnehmen könne, und als politischer Umfaller/ politische Umfallerin. Erwähnt sei auch, dass die untersuchten Rede-Zwischenruf-Sequenzen bisweilen hart an die Grenze zur Beschimpfung bzw. zum Invektiv reichen, indem die diffamierende Handlung im Vordergrund steht. 80 Der/ die Beschuldigte muss keine Norm verletzt haben, um beschimpft zu werden. Es wird auch keine Folgehandlung von ihm/ ihr erwartet. 81 Erkennbar wird dies in den untersuchten Rede-Zwischenruf-Sequenzen auch daran, dass zumeist nicht weiter auf die Beleidigung bzw. Beschimpfung eingegangen wird. Invektive haben somit weniger direkte explizite Folgen als vielmehr indirekten Einfluss auf den Gesprächsverlauf, indem dieser dadurch deutlich ver- 74 28. Sitzung, 37. 75 Vgl. Gruber, zit. in: Dieckmann 2005b, 49 76 Vgl. de Beaugrande/ Dressler 1981, 191. 77 Vgl. de Beaugrande/ Dressler 1981, 191. 78 Vgl. de Beaugrande/ Dressler 1981, 191. 79 14. Sitzung, 94. 80 Vgl. Rehbein 1972, 301. 81 Vgl. Dieckmann 2005b, 97. <?page no="293"?> 293 schärft wird, egal ob die Beleidigung nun vom Redner/ der Rednerin oder vom Zwischenrufer/ der Zwischenruferin ausgeht, wie man im folgenden Debattenausschnitt erkennen kann: Abg. Dr. Fekter [ÖVP]: […] Herr Abgeordneter Pilz erlaubt sich unter dem Deckmantel der Immunität alles. (Abg. Dr. Van der Bellen [Grüne]: Sie auch! ) Wenn er einen Funken Anstand hätte, dann würde er den Vorsitz im Untersuchungsausschuss zurücklegen. (Beifall bei ÖVP und BZÖ. - Abg. Mag. Kogler [Grüne]: Die Advokatin der Scheinheiligkeit! - Weitere Zwischenrufe.) Es ist eine Ungeheuerlichkeit - es ist eine Ungeheuerlichkeit! -, dass wir derzeit einen Untersuchungsausschuss-Vorsitzenden haben, der wegen Verletzung von Gesetzen im Zusammenhang mit dem Untersuchungsausschuss rechtlich verurteilt ist (Rufe und Gegenrufe zwischen den Grünen und der ÖVP) 82 Viele der in den parlamentarischen Zwischenrufen verwendeten diffamierenden Personenbezeichnungen haben zusätzlich auch etwas mit der spezifischen Gesprächssituation zu tun. Vor allem in ironisierenden Personenbezeichnungen wird häufig auf Eigenschaften und Gegebenheiten referiert, die nur über die Brücke des außersprachlichen Wissens mit der vorliegenden Gesprächssituation verbunden werden können (z.B. Zivi- Minister 83 für Verteidigungsminister Norbert Darabos, Oberlehrer auf der Regierungsbank! 84 für Vizekanzler und Finanzminister Wilhelm Molterer). Durch ironisierende Aussagen und Bezeichnungen macht sich der Sprecher/ die Sprecherin über Personen lustig, lässt sie in den Augen Dritter lächerlich erscheinen. Ironische Äußerungen sind daher nicht nur verharmlosend und witzig, sondern können auch stark imageverletzend sein. In Zusammenhang mit der Ridikülisierung des Gegners/ der Gegnerin soll auch ganz generell auf die Rolle indirekter Sprechhandlungen, d.h. auf „Sprechhandlungen, die wörtlich genommen werden können, jedoch eigentlich nicht wörtlich genommen werden sollten (nicht wörtlich intendiert waren)“ 85 , in den Reden wie auch in den Zwischenrufen hingewiesen werden. Ironische Untertöne spielen bei der Interpretation der vorliegenden Sprechhandlung eine wichtige Rolle, indem sie etwa geäußertes Lob in intendierte Kritik verkehren können. Bei der Interpretation einer Aussage als ironisch ist der Sprachwissenschaftler/ die Sprachwissenschaftlerin weitgehend auf das eigene Kontextwissen angewiesen, denn nur selten finden sich in den schriftlichen Protokollen gestische oder mi- 82 20. Sitzung, 150. 83 20. Sitzung, 176. 84 20. Sitzung, 48. 85 Wunderlich 1972, 32. <?page no="294"?> 294 mische Hinweise, Anführungszeichen oder deutliche Übertreibungen. 86 Ausschlaggebend für die Deutung ironischer Aussagen ist daher der „common ground” der Kommunikationspartner/ Kommunikationspartnerinnen und im Fall des Sprachwissenschaftlers/ der Sprachwissenschaftlerin das Verständnis um die Beziehungsverhältnisse zwischen den einzelnen politischen Lagern. 87 In etwa zwei Drittel der Rede-Zwischenruf-Sequenzen (N = 950 Rede- Zwischenruf-Sequenzen) geht der Redner/ die Rednerin nun nicht auf den Zwischenruf ein, d.h., die Veranlassung des Zwischenrufs findet kein Gehör. In etwa einem Drittel der Fälle geht die Sequenz aber über den ersten Zwischenruf hinaus, indem der Redner/ die Rednerin auf den Einwurf reagiert oder ein weiterer Zwischenrufer/ eine weitere Zwischenruferin den Faden aufnimmt. Die Reaktion des Redners/ der Rednerin kann entweder konfliktmindernd wirken oder aber die Auseinandersetzung noch weiter zuspitzen. Der Redner/ die Rednerin antwortet auf den Zwischenruf zumeist mit einer neuerlichen Vorwurfshandlung, d.h., es gibt einen neuerlichen VORWURF, eine neuerliche BESCHULDIGUNG, man NIMMT wiederum ANSTOß oder übt KRITIK. Erst auf Rang vier der Top 10-Sprechakte im Redebeitrag als Reaktion auf einen Zwischenruf findet sich eine an sich legitime Reaktion auf einen VORWURF, indem sich der Redner/ die Rednerin RECHTFERTIGT. ENTSCHULDI- GUNGEN finden sich hingegen selten. Die Vorliebe der Politiker/ Politikerinnen für die RECHTFERTIGUNG liegt darin begründet, dass hier der Anspruch erhoben wird, dass das Gegenüber die eigenen Gründe und die eigene Sichtweise akzeptiert. ENTSCHULDIGUNGEN geben hingegen die Zügel aus der Hand, indem die Berechtigung des VOR- WURFS und damit die Position des/ der Anderen anerkannt wird. Zudem wird jegliche Verantwortung abgegeben, wodurch die eigene Position im politischen Kräftespiel an Gewicht verliert. Rede-Zwischenruf-Sequenzen mit zwei Sprecherwechseln, in denen der Redner/ die Rednerin kurz auf den Zwischenruf eingeht, können bereits als Seitensequenz charakterisiert werden. Die Sprecherrolle bleibt hier weitgehend ungefährdet, da ein dem Hauptthemenstrang des Redners/ der Rednerin entsprechender Nebenaspekt geklärt wird. Der Redner/ die Rednerin behält die Herrschaft über das Thema, ohne sich vom Zwischenrufer/ von der Zwischenruferin in den eigenen Ausführungen vom intendierten Themenstrang abbringen zu lassen. Etwas häufiger finden sich neben den Sequenzen mit zwei Sprecherwechseln auch solche 86 Vgl. Kreuz/ Link 2002, 128. 87 Vgl. Kreuz/ Link 2002, 130. <?page no="295"?> 295 mit drei Sprecherwechseln. Bei dreifachen Sprecherwechseln wird die Antwort des Redners/ der Rednerin auf einen oder mehrere geballte Zwischenrufe von einem weiteren Zwischenruf zumeist in Form einer weiteren Veranlassung wiederaufgenommen. Diese Sequenzen finden sich an der Grenze zwischen rollenbeanspruchenden und rein ausführenden Seitensequenzen, da durch die Wiederaufnahme des Turns durch einen Zwischenrufer/ eine Zwischenruferin der Redner/ die Rednerin das letzte Wort einbüßt. Abfolgen mit vier verschiedenen Gesprächsschritten sind mit zwischen drei und zwei Prozent insgesamt um vieles seltener als die zuvor beschriebenen, kürzeren Sequenzen, in ihnen wird jedoch der eigenständige, in sich bedingende und abgeschlossene Charakter der Rede- Zwischenruf-Sequenzen deutlich, indem der Redner/ die Rednerin kurzfristig seine/ ihre Sprecherrolle aussetzt und auf die Äußerungen des Plenums eingeht. In den Mini-Dialogen der Rede-Zwischenruf-Sequenzen ist der kommunikative Wettstreit um das letzte Wort zwischen Redner/ Rednerin und Zwischenrufer/ Zwischenruferin weitgehend unentschieden. D.h., hat die Veranlassung des Zwischenrufs Erfolg und dringt zum Redner/ zur Rednerin vor, so liegen die Chancen etwa gleich, ob der Redners/ die Rednerin oder der Zwischenrufer/ die Zwischenruferin die Sequenz beschließt. Generell bilden beziehungssichernde Gesprächsschritte am Ende der untersuchten Rede-Zwischenruf-Sequenzen jedoch die Ausnahme. Dies gilt ganz besonders für den letzten Schritt der Honorierung des Korrektivs durch den Veranlasser/ die Veranlasserin, der in den untersuchten Sequenzen zumeist ausbleibt. Dieser letzte Honorierungsschritt ist jedoch Ausgangspunkt für eine gemeinsame Revalorisierung des Vorfalls und hilft wieder positive Rollenbilder im Gespräch zu etablieren. 88 Indem der Honorierungsschritt durch den Zwischenrufer/ die Zwischenruferin fehlt bzw. verweigert wird, bleibt eine endgültige Aussöhnung aus. Werden zusätzlich noch positive Korrektivschritte durch Gegenvorwürfe eingetauscht, so wird der Konflikt noch weiter verschärft, sodass schließlich jeder Schritt der Kommunikationspartner/ Kommunikationspartnerinnen zum Anlassfall wird. Auf diese Weise wird die Dialogsequenz zu einer Abfolge von Veranlassungen, die anstelle eines Korrektivs eine Gegenbeschuldigung vorbringen. Dies geht so weit, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt ein einfacher Korrektivschritt für keinen/ keine der Gesprächspartner/ Gesprächspartnerinnen mehr in Frage kommt, da damit ein weiterer Imageverlust einhergehen würde. 89 Konstruktive Kommunikation 88 Vgl. Schwitalla 1987, 103. 89 Vgl. Holly 1979, 164. <?page no="296"?> 296 und Konfliktentfaltung wie auch jede andere Form menschlicher Interaktion kann aber nur gelingen, wenn die grundsätzliche Gesprächsbereitschaft der politischen Gegner/ Gegnerinnen, d.h. zumindest Reste einer kooperativen Basis, erhalten bleibt: Nur so können die politischen Unterschiede argumentativ gelöst werden. 90 Die grundsätzliche Bereitschaft der Parteien zu kooperativem Verhalten ist jedoch nicht direkt einzusehen, sondern nur indirekt über ihren Einfluss auf das Gespräch abzuleiten. 91 Die Analyse der Rede-Zwischenruf-Sequenzen zeigt, dass Sprechhandlungsmuster, die den guten Willen der politischen Akteure/ Akteurinnen bezeugen, im Vergleich zu beziehungsgefährdenden Handlungen nur eine Randerscheinung darstellen. Die Beziehungskonflikte, die a priori zwischen den Parteien bestehen und in den Reden bereits ersten Ausdruck finden, werden durch die Zwischenruf-Sequenzen noch verstärkt und vermitteln, da auf eine Renormalisierung sowohl von Seiten der Zwischenrufer/ Zwischenruferinnen als auch von Seiten der Redner/ Rednerinnen weitgehend verzichtet wird, beim Betrachten parlamentarischer Debatten den Eindruck, es würde nur mehr gestritten - mit schwerwiegenden Folgen: „Es gibt unüberschaubar viele Wege, seine Glaubwürdigkeit zu verlieren, aber nur einen Weg, sie zurückgewinnen: sich an die kommunikativen Maximen halten.“ 92 In konfliktären Gesprächen, wie sie die Rede-Zwischenruf-Sequenzen im Parlament darstellen, werden alle Kommunikationsmaximen laufend verletzt. 93 Dabei ist Glaubwürdigkeit vor allem im politischen Kontext, indem bestimmte Sachlagen und Zusammenhänge vom Wähler/ der Wählerin nicht mehr verifiziert werden können, ausschlaggebend. 94 „Most of our knowledge is gleaned not from direct experience but through communication, which is an iterative process that affects our way of thinking and creates new content through social representations […].” 95 Streit an sich ist für eine Demokratie jedoch zunächst nicht negativ zu sehen. Die im Parlament gelebte Demokratie hat entgegen den allgemeinen Erwartungen nicht zum Ziel, die widerstrebenden Interessen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu nivellieren, denn die einander widersprechenden Ausgangslagen und die damit verbundenen diametral gegenüberstehenden Sprecherintentionen können kaum in einem endgülti- 90 Vgl. Schank 1987, 30. 91 Vgl. van Dijk 2006b, 164. 92 Heringer 1990, 190. 93 Vgl. Schank 1987, 32. 94 Vgl. Heringer 1990, 179f. 95 Glynn/ Huge 2007, 34. <?page no="297"?> 297 gen Konsens aufgelöst werden. 96 Demokratie ist daher, so Sarcinelli, Streitkultur entlang eines geregelten Ablaufs mit einer „gemeinsam akzeptierten minimalen Konsensbasis.“ 97 Diesem Bild folgt auch der szenische Aufbau im Parlament, wie er in der Geschäftsordnung festgelegt ist. Die Inszenierung des sprachlichen Handelns im Parlament und die Ritualisierung im Handlungsablauf mindern jedoch den „Grad der Verpflichtung“ 98 und damit auch den Eindruck der „Ernsthaftigkeit der Aussagen.“ 99 Benehmen sich die politischen Gegner/ die politischen Gegnerinnen nun noch ständig unkooperativ, so wirkt die politische Diskussion wie Streit, da Imageverletzungen zulasten sachlicher Auseinandersetzung plötzlich im Vordergrund stehen. Auf diese Weise wird nicht mehr über etwas gestritten und damit impliziert, dass man sich in einem argumentativen Wettstreit mit dem Gegenüber befindet, 100 sondern es wird nur mehr um des Streitens willen gestritten. 101 Die inszenierte Debatte im Parlament zeigt sich in Folge weniger als sachliche Diskussion gleichberechtigter Partner/ Partnerinnen getragen von gegenseitigem Respekt, sondern vielmehr als ein kleinliches und bisweilen bewusst unkonkretes Gezänk einander zutiefst verfeindeter Parteien gezeichnet von persönlichen und parteispezifischen Ränkespielen und gegenseitigem Misstrauen. Die Normvorgaben der Geschäftsordnung, die auf dem freien, kooperativen und gleichberechtigten Meinungsaustausch fußen, scheinen angesichts der kommunikativen Praxis im Nationalrat somit überholt, indem die Abgeordneten ihren eigenen Bezugsrahmen festsetzen. Denn Kontext, so van Dijk, „should not be defined in terms of some kind of social situation in which discourse takes place, but rather as a mental representation, or model, constructed by the speech participants of or about such a situation.“ 102 Dazu Ewald Stadler von der FPÖ: „Mir sind Ordnungsrufe völlig egal. Ein guter Parlamentarier ist nicht kuschelweich, das Hohe Haus keine Schule für höhere Töchter. Und ehrlich: Viele beherrschen auch nicht jene sprachlichen Feinheiten, die an so einer Schule gelernt werden.“ 103 96 Vgl. Eroms 1996, 38. 97 Sarcinelli 1990a, 11. 98 Volmert 1989, 29. 99 Volmert 1989, 29. 100 Vgl. Dieckmann 2005b, 45. 101 Vgl. Dieckmann 2005b, 1. 102 van Dijk 2004, 349. 103 Duffek 2009, 16f. <?page no="298"?> 298 12 Zusammenfassung Konstitutives Prinzip der Demokratie ist nicht die Nivellierung bestehender Differenzen innerhalb der Gesellschaft, sondern der geregelte Streitaustrag der einander widerstrebenden Interessen. 1 Auf Basis der Rede- Zwischenruf-Sequenzen im Nationalrat geht die vorliegende Arbeit der Frage nach, wie es um die Streitkultur im österreichischen Parlament bestellt ist. Die Beschäftigung mit Sprache in der Politik reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück, wobei sich das sprachwissenschaftliche Interesse erst Ende der 50er-Jahre zu entwickeln begann: 2 Konzentrierte sich die Linguistik zunächst noch auf Lexik, Stilistik und Rhetorik der Politiker/ Politikerinnen, wurde das Forschungsfeld in den 70er-Jahren stark ausgeweitet. 3 Mittlerweile reichen die wissenschaftlichen Beiträge von der Analyse von Sprachstrategien und Dialogblockaden über die Erfassung schwerer bzw. brisanter Wörter bis zur Charakterisierung politischer Semantik und zur Untersuchung von Einzelphänomenen wie der Mehrfachadressierung oder der Political Correctness. 4 Parlamentarische Zwischenrufe wurden hingegen bisher von Seiten der Sprachwissenschaft nur vereinzelt und hier vor allem von Burkhardt erfasst (Kapitel 2), was angesichts des großen journalistischen wie auch populärwissenschaftlichen Interesses am (launigen) Polit-Kommentar erstaunt. Die vorliegende Untersuchung basiert auf den Daten von drei Sitzungstagen im österreichischen Nationalrat: der 14. Sitzung am 7. März 2007, der 20. Sitzung am 24. April 2007 und der 28. Sitzung am 5. Juli 2007. Es wurden insgesamt 685 Protokollseiten durchgesehen und darin 1271 Zwischenrufe gefunden, die daraufhin zusammen mit ihrer kontextuellen Einbettung einzeln analysiert wurden. Da Zwischenrufe im Gegensatz zu Plenarreden von den Aufnahmegeräten im Nationalrat nicht ausreichend erfasst werden, ist die vorliegende Analyse auf die Auswertung der stenographischen Protokolle angewiesen (Kapitel 3). In den stenographischen Protokollen werden die sprachlichen und nicht-sprachlichen Debattenbeiträge dokumentiert und unter anderem auf der Internetseite des Parlaments veröffentlicht. Die Protokolle der Parlamentsste- 1 Vgl. Schütte 1996, 104. 2 Vgl. Girnth 2002, 13. 3 Vgl. Bachem 1979, 18. 4 Vgl. Diekmannshenke 2001, 1ff sowie Diekmannshenke/ Zorbach 2001, 401ff <?page no="299"?> 299 nographen/ Parlamentsstenographinnen sind jedoch keine linguistischen Transkripte: Es handelt sich um mehrmals überarbeitete Texte, die die Beiträge der Volksvertreter/ Volksvertreterinnen für die Öffentlichkeit möglichst lesbar zugänglich machen und für die Zukunft dokumentieren, was ihren Wert für die linguistische Analyse zwar nicht mindert, aber vor allem in Hinblick auf gesprächsanalytische Aussagen klar einschränkt. Ausschlaggebend für die Interpretation der Kommunikationskultur im österreichischen Parlament ist die Situierung der Debatten im historisch gewachsenen politischen Umfeld, in das sie notwendigerweise eingebunden sind (Kapitel 4). Das österreichische Parlament, das sich im europäischen Vergleich erst spät zu entwickeln begann, blickt auf eine bewegte Vergangenheit zurück (Abschnitt 4.1). Doch nicht nur die Geschichte des österreichischen Parlamentarismus, auch die österreichische Parteienlandschaft (Abschnitt 4.2), im Speziellen Werdegang und politische Positionierung der Parteien (Abschnitt 4.2.1 bis Abschnitt 4.2.4) haben Einfluss auf die Kommunikationskultur im Plenum. Das Parlament als Bühne politischen Geschehens (Abschnitt 4.3) folgt zudem spezifischen Spielregeln (Abschnitt 4.3.1), die zum Teil von den Medien als Gatekeeper politischer Inszenierung vorgegeben werden (Abschnitt 4.3.2). Doch auch der/ die einzelne Abgeordnete kann durch sein/ ihr individuelles Verhalten Einfluss auf die Debatten im Parlament nehmen (Abschnitt 4.3.3) und ist somit mitverantwortlich für die Streitkultur im Nationalrat. In Hinblick auf die theoretischen Grundlagen der Analyse (Kapitel 5) müssen zunächst die verhandelten politischen Themen systematisch erfasst werden (Abschnitt 5.1). Die vorliegende Untersuchung greift hier auf die Möglichkeiten der Textlinguistik zurück, erweitert diese jedoch um das Inventar der sozialwissenschaftlichen Inhaltsanalyse. Um generelle Aussagen zu den thematischen Zusammenhängen zwischen Redeinhalt und Zwischenruf treffen zu können, werden die qualitativ erhobenen Paraphrasen der Textbzw. Themenanalyse mit Hilfe sozialwissenschaftlicher Methoden quantifiziert und damit messbar gemacht. Der Text als Sinneinheit konzentriert sich dabei nicht allein auf die im Text realisierten Themen, sondern nimmt im Sinne der Gesprächslinguistik all jene Aspekte mit herein, die der Sprecher/ die Sprecherin mitmeinen könnte. 5 Sinn ist damit alles, worauf sich die Gesprächspartner/ Gesprächspartnerinnen beziehen können. 6 Dabei wirft sich jedoch die Frage auf, inwieweit ein Dialog überhaupt als einheitlicher Text definiert werden kann. Brinker 5 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 130f. 6 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 131. <?page no="300"?> 300 und Sager sehen Gespräche als „eine begrenzte Folge von sprachlichen Äußerungen, die dialogisch ausgerichtet ist und eine thematische Orientierung aufweist.“ 7 Ein Gespräch kann folglich als eine Reihe von Einzeltexten aufgefasst werden, die einem bestimmten, interaktiven Plan folgen und die durch die Intentionen der einzelnen Gesprächsteilnehmer/ Gesprächsteilnehmerinnen ihre Form erhalten. 8 Wie und welche Themen einander folgen, ist von Textsorte zu Textsorte bzw. von Gesprächstyp zu Gesprächstyp verschieden. Es lässt sich aber eine Hierarchie von Subthemen und Kernthemen erkennen, die zusammen als System von über- und untergeordneten thematischen Abschnitten des Gesprächs den Gesamttext bilden. 9 Da die am Gespräch Teilnehmenden grundsätzlich über mehr Informationen verfügen als der Sprachwissenschaftler/ die Sprachwissenschaftlerin, sind die Reaktionen der Hörer/ Hörerinnen ein unschätzbarer Indikator dafür, was der Sprecher/ die Sprecherin meint bzw. intendiert. Aus den Sprechhandlungen der reagierenden Hörer/ Hörerinnen lässt sich ableiten, wie die Aussagen des Redners/ der Rednerin im Moment aufgefasst werden und, falls der Sprecher/ die Sprecherin die eigenen Aussagen nicht revidiert, sie im Gespräch weiterhin verstanden werden. 10 Neben der Textlinguistik liefert die Semantik einen weiteren wichtigen Blickwinkel, aus dem die Rede-Zwischenruf-Sequenzen betrachtet werden können (Abschnitt 5.2). Da im Rahmen der politischen Auseinandersetzung auch unpolitische Sachverhalte und deren Ausdrücke sowohl kurzals auch langfristig an Relevanz für die Politik gewinnen können, ist der politische Wortschatz grundsätzlich als offen zu betrachten. Die charakteristischen Begriffe und Wörter der Politik fließen dabei als Leitvokabeln bzw. Schlüsselwörter in die Kommunikation ein und werden - so die traditionelle Auffassung in der Sprache-in-der-Politik-Forschung - vom Politiker/ von der Politikerin bewusst in eine der Parteilinie entsprechenden Richtung gelenkt. Die vorliegende Analyse nimmt diesen Gedanken auf und versucht den Einfluss von politischen Reizwörtern in den Wortwechseln zwischen Redner/ Rednerin und Zwischenrufer/ Zwischenruferin nachzuweisen. Zuletzt soll auch der Handlungsaspekt der Zwischenrufe erörtert werden (Abschnitt 5.3). Bei der Analyse sprachlichen Handelns müssen zunächst die Grundstrukturen der Kommunikationsformen beschrieben 7 Brinker/ Sager 2006, 11. 8 Vgl. de Beaugrande/ Dressler 1981, 125. 9 Vgl. Brinker/ Sager 2006, 110f. 10 Vgl. Holly 1979, 29f. <?page no="301"?> 301 werden, d.h., es geht um typische Gesprächssequenzen und deren Funktion, zentrale Handlungsmuster, Referenz und Inhalt, typische Handlungszusammenhänge, Dialogverläufe, mögliche Strategien und die Rollenverteilung im Gespräch. 11 Für den Sprechakt ergeben sich aus der Mehrfachadressierung politisch-institutionellen Sprechens selbst bereits mehrere Sprechhandlungen, je nachdem für welche Ohren das Gesagte bestimmt ist, wobei unterschiedliche Rahmenbedingungen eine völlig unterschiedliche Deutung der (sprachlichen) Handlung nachsichziehen können: Politisch-institutionelles Handeln muss daher wie soziales Handeln im Allgemeinen immer in Zusammenhang mit sozial eingespielten Mustern gesehen werden, die befolgt, verändert oder von denen abgewichen werden kann. 12 Der Politiker/ die Politikerinnen hat hier stets zwei Adressaten/ Adressatinnen im Kopf, den politische Gegner/ die politische Gegnerin als direkten Adressaten/ als direkte Adressatin und die Öffentlichkeit als ausschlaggebenden, wenn auch passiven Gesprächsteilnehmer. Politische Kommunikation wird daher, sofern sie nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit passiert, für die breite Masse inszeniert, um sie davon zu überzeugen, dass das Volk politisches Handeln mit beeinflusst, dass bestimmte Gruppen feindlich sind, dass die politische Führung (nicht) im Sinne des Volkes arbeitet und Probleme (nicht) löst und dass bestimmte Gruppen Verbündete sind. 13 Vornehmliches Ziel vieler Sprechakte politischen Sprachhandelns ist es daher, die eigene Position zu profilieren und die gegnerische zu schwächen. Ein Politiker/ eine Politikerin wird immer versuchen, das eigene Image zu wahren, während das Image des politischen Gegners/ der politischen Gegnerin vehement angegriffen wird. Damit verstößt politische Kommunikation gegen die Regeln harmonischer, auf Konsens ausgerichteter Interaktion, was wiederum zu Konflikten führt, indem die Betroffenen das eigene Image verteidigen und das gegnerische ihrerseits angreifen. 14 Das typische Sprechhandlungsmuster der Abgeordneten im Parlament entspricht diesen Handlungszielen, wobei Vorwurfshandlungen das Bild klar dominieren. Der Sprecher/ die Sprecherin kann seinem/ ihrem Gegenüber entweder vorwerfen, bestimmte Handlungen (nicht) gesetzt zu haben oder aber bestimmte Einstellungen (nicht) zu besitzen. 15 Die Zwischenrufe können 11 Vgl. Gloning 1994a, 119. 12 Vgl. Holly 1990, 74. 13 Vgl. Edelman 1976, 98ff. 14 Vgl. Goffman 1986, 17. 15 Vgl. Fritz/ Hundsnurscher 1975, 84. <?page no="302"?> 302 daraufhin als Teile eines Korrektivprozesses angesehen werden, indem versucht wird, das rituelle Gleichgewicht wiederherzustellen. 16 Die Analyse der Rede-Zwischenruf-Abfolgen fußt somit auf drei Analyseschritten: In einem ersten Schritt werden mit Hilfe des textanalytischen Instrumentariums jene Themen und Sachlagen erhoben, die besonders kritisch debattiert und vom Plenum mit Einwürfen kommentiert werden. In einem zweiten Schritt wird die Wirkung parteilich motivierter Reizwörter gemessen, um die nach traditioneller Lehrmeinung ein semantischer Wettstreit in der Politik geführt wird. In einem dritten und letzten Schritt wird nach spezifischen Gesprächsmustern in den kurzen Wortwechseln zwischen Pult und Plenum gesucht. Die zugrundeliegende Methode bringt nicht nur die semantische Untersuchung von Ausdrücken in Zusammenhang mit sprechakttheoretischen und gesprächslinguistischen Fragestellungen, sondern greift bei der textlinguistischen Interpretation der Themen zusätzlich noch auf das empirisch-sozialwissenschaftliche Instrumentarium zurück. Ziel ist die Ebenen-gerechte Darstellung jener Faktoren, die für Rede-Zwischenruf-Sequenzen im österreichischen Parlament charakteristisch sind. 17 Die Analyse der Rede-Zwischenruf-Sequenzen im Hauptteil der vorliegenden Arbeit beginnt nun mit der Beschreibung der Makrostruktur der Sitzungen im österreichischen Nationalrat (Kapitel 6), die durch die Geschäftsordnung sowohl in Hinblick auf Redegegenstand als auch Debattenverlauf genauestens geregelt ist (Abschnitt 6.1). Zwischenrufe ebenso wie Beifall, Lachen oder andere mimische oder gestische Kommentare sind der einzige Weg, aus dem eng geschnürten Korsett der stilisierten Plenardebatten auszubrechen. So werden auch jene Diskussionsstrukturen, die einen direkten Dialog zwischen den einzelnen Parteien ermöglichen, weit weniger durch Zwischenrufe gestört als strenger geregelte, eher auf den politischen Monolog hin ausgerichtete Debattenformen. Sitzungspunkte mit hoher Zwischenrufanzahl und damit großem Konfliktpotential behandeln daneben wenig überraschend jene Themen, die für die einen ein politisches Risiko und für die anderen eine Möglichkeit zur Profilierung darstellen bzw. bei denen der Inhaltsaspekt den Beziehungsaspekt klar überwiegt (Abschnitt 6.2). Wer wen unterbricht ist jedoch nicht nur vom jeweiligen politischen Lager abhängig, auch Geschlecht (Abschnitt 6.3) und Alter (Abschnitt 6.4) der Nationalratsmitglieder beeinflussen das Debattenverhalten. Dabei bewahrheiten sich auch für den österreichischen Nationalrat die stereotypen Geschlechterrollen, 16 Vgl. Goffman 1986, 24f. 17 Vgl. Liedtke 1996a, 8. <?page no="303"?> 303 indem Männer und Frauen um jeweils typisch männliche bzw. typisch weibliche Themen kreisen. Gleichzeitig stehen sich klar auf Kooperation und Harmonie ausgerichtetes weibliches Kommunikationsverhalten und auf offene Konfrontation hin ausgelegtes männliches Gesprächsverhalten gegenüber. Auf Mesostrukturebene (Kapitel 7) wird genauer auf das thematische Zusammenspiel von Rede und Zwischenruf eingegangen. Die gemeinsame Themenorientierung erfährt hier durch die thematische Festlegung auf spezifische Tagesordnungspunkte eine wesentliche Einschränkung: Da die Redner/ Rednerinnen in ihrer Themenwahl darauf festgelegt sind „zur Sache“ zu sprechen, orientieren sich die Subthemen des jeweiligen Hauptthemas entweder an der Darstellung der Sachlage, an der Charakterisierung der involvierten Personen, Parteien und Institutionen oder metakommunikativ am Stil der Debatte. Obwohl Zwischenrufe der groben Themenvorgabe des Redebeitrags folgen, tendieren sie eher dazu, den Redner/ die Rednerin selbst bzw. dessen/ deren Debattenstil in ein schlechtes Licht zu rücken, als dass sie auf die Diskussionspunkte selbst eingehen. Auch hier ist das Verhalten der einzelnen Parlamentsparteien unterschiedlich (Abschnitt 7.1), wobei die Analyse des parteienspezifischen Zwischenrufverhaltens alte Allianzen und weniger neue Koalitionen erkennen lässt. Die Analyse des geschlechterspezifischen Kommunikationsverhaltens auf Mesoebene (Abschnitt 7.2) bestätigt wiederum das tendenziell eher auf persönliche Konfrontation hin ausgelegte männliche Debattenverhalten im Vergleich zum eher auf Sachlagen bezogenen, kooperativen weiblichen Verhalten. Die Analyse der Mikrostruktur der Rede-Zwischenruf-Sequenzen (Kapitel 8) bricht die generalisierten Themenkategorien der Mesoebene auf spezifischere Prädikationen herunter. Dabei stellt sich heraus, dass die Kritik des Redners/ der Rednerin an parteipolitischen bzw. persönlichen Verwicklungen in halbbzw. illegale Geschäfte, an aus seiner/ ihrer Sicht unrechtmäßigen und illegitimen Entscheidungen und die Neudefinition des Umfangs bzw. der Konsequenzen einer bestimmten Sachlage von Seiten des Plenums, vor allem von Seiten der beschuldigten Partei bzw. Person am wenigsten geduldet werden. Die Reaktionen der Zwischenrufer/ Zwischenruferinnen fokussieren dabei einerseits auf die Art und Weise des Redebeitrags selbst (Abschnitt 8.1), wo sie zumeist die Befolgung der Griceschen Konversationsmaximen einklagen. Zumeist betrifft die in den Zwischenrufen geäußerte Kritik die Maxime der Qualität und Modalität, indem das Gesagte entweder als unwahr oder als unpassend disqualifiziert wird. Neben metakommunikativen Kommentaren finden sich auch häufig direkte Angriffe auf die Person des Redners/ der Rednerin (Abschnitt 8.2), indem ihm/ ihr hauptsächlich Unkenntnis vorgewor- <?page no="304"?> 304 fen wird oder indem er/ sie in den Augen der Zuhörer/ Zuhörerinnen lächerlich gemacht bzw. als für den parlamentarischen Raum unpassend dargestellt wird. Zweiter Stützpfeiler der Untersuchung ist die Analyse der Semantik der Rede-Zwischenruf-Sequenzen (Kapitel 9), die noch unterhalb der Themenanalyse angesiedelt ist. Augenfälligstes Merkmal der Zwischenrufe ist zunächst jedoch die verkürzte Sprechweise, die vor allem über Ellipsen realisiert wird (Abschnitt 9.1). In Ellipsen wird die Satzaussage auf den rhematischen Anteil reduziert, sämtliche thematischen Bezüge müssen über den größeren Text- und Gesprächszusammenhang hergeleitet werden. Generell hängt damit der Direktheitsgrad der Zwischenrufe vor allem vom (außersprachlichen) Wissensstand und der Deduktionskapazität des Rezipienten/ der Rezipientin ab. Die semantische Analyse konzentriert sich im Anschluss daran auf drei spezifische Aspekte der Rede-Zwischenruf-Sequenzen: auf metasprachliche Zwischenrufe (Abschnitt 9.2), auf Personenbezeichnungen (Abschnitt 9.3) und auf kommunikativ brisante Wörter (Abschnitt 9.4). Die in den Zwischenrufen ausgedrückten Sprachthematisierungen werden entweder über metasprachliche Kommentare explizit ausgedrückt oder implizit mittels Wortpräferenzen angedeutet, in denen der Zwischenrufer/ die Zwischenruferin den vom Redner/ von der Rednerin verwendeten Ausdruck nicht offen als unkorrekt bezeichnet, sondern durch die Verwendung eines alternativen Ausdrucks auf die falsche Wortverwendung im Redebeitrag hinweist. Generell wird die metasprachliche Kritik in den Zwischenrufen nur selten explizit ausformuliert. Vielfach wird der betreffende Ausdruck durch bloße Intonation als fraglich markiert und an den Redner/ die Rednerin direkt zurückverwiesen. Dieser/ diese muss ebenso wie der Sprachwissenschaftler/ die Sprachwissenschaftlerin daraufhin selbst wissen, was am fraglichen Wort kritikwürdig ist. Als Ausgangspunkt für die Kritik dienen die Normen und Erwartungen, mit denen die Mitglieder einer Kommunikationsgemeinschaft das kommunikative Verhalten in den als politische Diskussion inszenierten Nationalratsdebatten als richtig und angemessen bzw. als falsch und unangemessen bewerten. 18 Ein weiterer, für die Beschreibung der Streitkultur im Parlament wichtiger Aspekt innerhalb der Zwischenrufe betrifft Personenbezeichnungen (Abschnitt 9.3). Um Aussagen zu Personen treffen zu können, muss zunächst auf diese referiert werden. In der Hälfte aller Zwischenrufe zu Personen findet sich ein Pronomen als Referenzmittel der Aussage. Nur 18 Vgl. Dieckmann 2005b, 84. <?page no="305"?> 305 in einem Sechstel der Fälle wird die Person, über die etwas ausgesagt wird, eindeutig mit Namen genannt, in jeweils etwa zehn Prozent über ihre (politische) Funktion bzw. über zumeist stigmatisierende Kategorienzuweisungen, wobei hier die Verwendung von (ironisierenden) Metaphern besonders ins Auge sticht. Bei der Untersuchung des politischen Streits um Wörter wird zuletzt unterschieden zwischen der kommunikativen Brisanz spezifischer Ausdrücke (Abschnitt 9.4.1) und der kommunikativen Brisanz von Werturteilen (Abschnitt 9.4.2). Als brisant gelten Wörter für die vorliegende Arbeit dann, wenn an sie parteienspezifische Bedeutungsdimensionen angelegt werden und sie daraufhin ins Kreuzfeuer der Wortgefechte geraten. Oberstes Handlungsziel parteilicher Argumentation ist es, beim Wähler/ bei der Wählerin Zustimmungsbereitschaft zu wecken. Alle weiteren Handlungsziele sind diesem obersten Primat untergeordnet. Die Analyse brisanter Gesprächsstellen zeigt, dass in der hierarchischen Ordnung politischer Handlungsziele die Wertung politischer Akteure/ Akteurinnen noch über dem klassischen Kampf um Wörter steht. In den meisten Zwischenrufen kreist die Auseinandersetzung nämlich nicht um einen parteilich geladenen Ausdruck, auch nicht um ein Pronomen, das auf einen parteilich geladenen Ausdruck referiert. In mehr als der Hälfte der Fälle tobt der kommunikative Kampf um die Wertung von Personen, Parteien und Institutionen. Politische Schlüsselwörter sind hier selten explizites Ziel der parteienspezifischen Interpretationen der Redner/ Rednerinnen bzw. Angelpunkt für Zwischenrufe; ihnen kommt stattdessen eine viel größere Bedeutung bei der Bewertung anderer Ausdrücke zu. Sie sind somit eher Mittel und Instrument spezifischer Kontextualisierung als Ziel und Zweck politischer Sprachmanipulation. In einem dritten Analyseschritt nach der Identifizierung thematischer Konfliktherde und der Beschreibung des Wortschatzes und der Wortverwendung werden die Rede-Zwischenruf-Sequenzen als Dialog zwischen Redner/ Rednerin und Plenum beschrieben (Kapitel 10). Ausgangspunkt der gesprächsanalytischen Beschreibung der Zwischenrufe ist das kritische Beziehungsmuster zwischen den einzelnen Parteien bzw. Politikern/ Politikerinnen (Abschnitt 10.1). Die grundsätzlich auf Konflikt ausgerichtete Grundhaltung parlamentarischer Kommunikation, wo es primär darum geht, die eigene Position zu stärken und das Image des Gegners/ der Gegnerin zu schwächen, verstößt zwangsläufig gegen die Regeln der Kooperativität, die laut Goffman im Herzen konstruktiver Interaktion steht. 19 Dabei zeigt die Analyse der Grobstruktur der Rede-Zwischenruf- 19 Vgl. Goffman 1986, 17. <?page no="306"?> 306 Sequenzen (Abschnitt 10.2), dass zwei Drittel der Sequenzen nicht über den ersten Sprecherwechsel hinausgehen. Ein Großteil der Zwischenrufe kann damit als reines Rückmeldeverhalten zumeist im Sinne eines Dissensmarkers charakterisiert werden. In etwa einem Drittel der Fälle reagiert jedoch der Redner/ die Rednerin auf den Einwurf, wobei die darauffolgende Sequenz als Seitensequenz definiert werden kann, bei der die Sprecherrolle weitgehend unangetastet bleibt. Die Sprecherbzw. Rednerrolle wird erst dort gefährdet, wo der Redner/ die Rednerin die Herrschaft über das Thema verliert, indem er/ sie sich vom Zwischenrufer/ der Zwischenruferin vom intendierten Argumentationsstrang kurzzeitig abbringen lässt. Abfolgen mit mehr als zwei Sprecherwechseln finden sich an der Grenze zwischen diesen rollenbeanspruchenden und rein ausführenden Seitensequenzen, da sich durch die Wiederaufnahme des Turns durch einen Zwischenrufer/ eine Zwischenruferin ein kurzer Dialog entspinnt, der aufgrund seines eigenständigen, in sich bedingenden und abgeschlossenen Gesprächscharakters die bevorrechtigte Rolle des jeweiligen Redners/ der jeweiligen Rednerin kurzfristig außer Kraft setzt. Nach der Beschreibung der Grobstruktur der Rede-Zwischenruf-Sequenzen werden die einzelnen Gesprächsschritte noch aufgebrochen, um die darin enthaltenen Sprechakte freizulegen (Abschnitt 10.3). Das Muster der Zwiegespräche folgt hier großteils der Struktur von Vorwurfssequenzen, die jedoch selten der prototypischen Vorlage von Goffman entsprechen: Auf einen Vorwurf folgt nur selten eine Rechtfertigung und fast nie eine Entschuldigung, sondern in den meisten Fällen ein Gegenvorwurf, der die kommunikative Situation noch weiter zuspitzt (Abschnitt 10.3.1 bis Abschnitt 10.3.4). Debatten im Nationalrat stellen die Inszenierung idealtypischer Diskussion dar, indem sie die Vorstellung transportieren, der politische Dissens könnte über themenzentrierte Argumentation gelöst werden - eine Inszenierung, die besonders dann auffällt, wenn idealtypische Regeln verletzt werden und diese von den Abgeordneten im Plenum auf den Pranger gestellt werden. 20 Führt man die einzelnen Analysestränge der Untersuchung zusammen und gestaltet daraus ein durchgehendes Bild der parlamentarischen Auseinandersetzung im Umfeld von Zwischenrufen (Kapitel 11), so zeigt sich ein grober Regiefehler im politischen Schaustück: Denn inszeniert wird weniger sachliche parlamentarische Diskussion als vielmehr ein von gegenseitigem Misstrauen getragener Beziehungsstreit. Die Politik büßt so die ihr zukommende Orientierungs- und Zielfin- 20 Vgl. Kühn 1995, 199. <?page no="307"?> 307 dungsfunktion 21 und damit auch ihre Glaubwürdigkeit ein. Je mehr die Wähler/ Wählerinnen jedoch ihr Vertrauen in die Politik verlieren, desto weniger sind sie bereit, persönliche Leistungseinschnitte zu verzeihen. 22 Auf diese Weise werden auf lange Sicht die Legitimitätsgrundlagen des politischen Systems in Frage gestellt, 23 denn „Demokratie […] ergibt sich nicht naturwüchsig, niemand wird als Demokrat geboren. Jede Generation muss neu daran gewöhnt werden und entsprechende Erfahrungen - auch im Kleinen - sammeln.“ 24 21 Vgl. Walter/ Lühmann 2010, n.p. 22 Vgl. Decker 2000, 36f. 23 Vgl. Decker 2000, 36f. 24 Himmelmann, zit. in: Walter/ Lühmann 2010, n.p. <?page no="308"?> 308 13 Abbildungen 13.1 Diagramme Abbildung 1: Anzahl Abgeordnete pro Partei im Vergleich zur absoluten und zur normalisierten Anzahl ihrer Zwischenrufe (N 1 = 183 Nationalratsabgeordnete; N 2 = 1271 Zwischenrufe) ................................................ 108 Abbildung 2: Zwischenrufe der einzelnen Parteien (N = 1271 Zwischenrufe) ......................................................... 109 Abbildung 3: Anzahl männlicher/ weiblicher Abgeordneter im Vergleich zur absoluten und zur normalisierten Anzahl ihrer Zwischenrufe (N1 = 183 Nationalratsabgeordnete; N2 = 1080 Zwischenrufe) ........................ 114 Abbildung 4: Zwischenrufe und Redeunterbrechungen nach Altersstufen (N1 = 1080 Zwischenrufe; N2 = 1271 Redeunterbrechungen) .......................................... 118 Abbildung 5: Themenkategorien in Zwischenrufen (N = 1134 Zwischenrufaussagen) ........................................... 122 Abbildung 6: Themenkategorien der Rede und die auf sie folgenden Zwischenrufthemen (N = 941 Zwischenrufaussagen) ..................................................................... 123 Abbildung 7: Eingeforderte Konversationsmaximen in Zwischenrufen zu Redebeiträgen (N = 450 Zwischenrufaussagen) ..................................................................... 145 Abbildung 8: Personenreferenz in Zwischenrufen zu Personen (N = 349 Referenzmittel)................................................. 175 Abbildung 9: Wortkategorien in Aussagen mit Zwischenrufreferenz (N = 955 brisante Wörter/ Wortgruppen) ..... 192 Abbildung 10: Anzahl der Sprecherwechsel (N = 950 Rede- Zwischenruf-Sequenzen) ................................................ 250 13.2 Tabellen Tabelle 1: Zwischenrufe pro Tagesordnungspunkt und durchschnittliche Zwischenrufanzahl alle fünf Minuten (N = 1271 Zwischenrufe) ........................ 101 <?page no="309"?> 309 Tabelle 2: Top 20-Zwischenrufer/ Zwischenruferinnen nach Anzahl ihrer Zwischenrufe (N = 1080 Zwischenrufe) ................................................................................... 116 Tabelle 3: Pro- und Contra-Themenkategorien in Zwischenrufen (N = 1134 Zwischenrufaussagen)........................ 126 Tabelle 4: : Pro- und Contra-Themenkategorien in Zwischenrufen nach Partei (N = 1128 Zwischenrufaussagen) .......................................................................... 129 Tabelle 5: Pro- und Contra-Themenkategorien nach Geschlecht (N = 1080 Zwischenrufaussagen) .................................. 131 Tabelle 6: Top 10-Prädikationskategorien in Redebeiträgen mit Zwischenrufreferenz (N = 831 Prädikationen) ............ 133 Tabelle 7: Top 5-Prädikationskategorien in Zwischenrufen zu Personen (N = 323 Prädikationen)................................. 151 Tabelle 8: Top 5-Prädikationskategorien im Redebeitrag zu Personen mit Zwischenrufreferenz (N = 181 Prädikationen).................................................. 153 Tabelle 9: Pro- und Contra-Themenkategorien der Zwischenrufe des Abg. Ing. Peter Westenthaler (N = 121 Zwischenrufaussagen) .................................... 156 Tabelle 10: Pro- und Contra-Themenkategorien der Zwischenrufe des Abg. Heinz-Christian Strache (N = 115 Zwischenrufaussagen) .................................... 157 Tabelle 11: Pro- und Contra-Themenkategorien der Zwischenrufe der Abg. Ridi Steibl (N = 66 Zwischenrufaussagen) .......................................................................... 159 Tabelle 12: Strategische Wortveränderung in Redebeiträgen im Umfeld der Zwischenrufe (N = 3057 Wortveränderungen) im Vergleich zu strategischen Wortveränderungen in Redebeiträgen mit Zwischenrufreferenz (N = 841 Wortveränderungen) .................. 187 Tabelle 13: Top 10-Sprechakte im Redebeitrag mit darauf folgendem Zwischenruf (N = 1276 Sprechakte) .......... 260 Tabelle 14: Top 10-Sprechakte in Zwischenrufen (N = 991 Sprechakte) ....................................................... 263 Tabelle 15: Top 10-Sprechakte im Redebeitrag als Reaktion auf einen Zwischenruf (N = 382 Sprechakte) ..................... 270 <?page no="310"?> 310 14 Literatur 14.1 Quellen Parlamentsdirektion. 2007. Stenographisches Protokoll. 14. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich. XXIII. Gesetzgebungsperiode. Mittwoch, 7. März 2007. http: / / www.parlinkom.gv.at / PG/ STP/ NR/ NRSITZ/ XXIII.shtml, abgerufen am 5. Juni 2008. Parlamentsdirektion. 2007. Stenographisches Protokoll. 15. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich. XXIII. Gesetzgebungsperiode Mittwoch, 7. März 2007. http: / / www.parlinkom.gv.at / PG/ STP/ NR/ NRSITZ/ XXIII.shtml, abgerufen am 5. Juni 2008. Parlamentsdirektion. 2007. Stenographisches Protokoll. 20. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich. XXIII. Gesetzgebungsperiode Dienstag, 24. April 2007. http: / / www.parlinkom.gv.at / PG/ STP/ NR/ NRSITZ/ XXIII.shtml, abgerufen am 5. Juni 2008. Parlamentsdirektion. 2007. Stenographisches Protokoll. 28. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich. XXIII. Gesetzgebungsperiode Donnerstag, 5. Juli 2007. http: / / www.parlinkom.gv.at / PG/ STP/ NR/ NRSITZ/ XXIII.shtml, abgerufen am 5. Juni 2008. Parlamentsdirektion. 2007. Stenographisches Protokoll. 34. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich. XXIII. 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