eBooks

Internetlinguistik

Ein Lehr- und Arbeitsbuch

0115
2014
978-3-8233-7809-9
978-3-8233-6809-0
Gunter Narr Verlag 
Konstanze Marx
Georg Weidacher

Rasante technologische Entwicklungen, die Zunahme online geführter Kommunikation und deren Auswirkungen auf Sprache prägen eines der aktuellsten und spannendsten Teilgebiete der Linguistik: die Internetlinguistik. Ziel des Lehr- und Arbeitsbuches ist es, umfassend über diesen lebendigen Forschungsbereich zu informieren und zu zeigen, wie sprach- und kommunikationswissenschaftliche Methoden sinnvoll kombiniert werden können, um die Eigenheiten sprachlich-kommunikativen Handelns im Internet zu analysieren. Auf leserfreundliche Weise werden hierzu aktuelle Forschungsergebnisse mit zahlreichen Anwendungsbeispielen und Übungsaufgaben didaktisch aufbereitet. Themenschwerpunkte bilden zum Beispiel folgende Fragen: Gibt es eine "Internetsprache"? Welche lexikalischen, grammatischen und orthografischen Phänomene kennzeichnen die Sprachverwendung im Internet? Inwiefern sind Multimodalität und Hypertextualität typisch für das Internet und wie werden sie durch dessen mediale Spezifika begünstigt? Das Buch ist als Einführung konzipiert und eignet sich gleichermaßen für Seminar und Selbststudium.

<?page no="0"?> Konstanze Marx/ Georg Weidacher Internetlinguistik Ein Lehr- und Arbeitsbuch <?page no="3"?> Konstanze Marx / Georg Weidacher Internetlinguistik Ein Lehr- und Arbeitsbuch <?page no="4"?> Georg Weidacher ist Senior Scientist am Institut für Germanistik, Abteilung für Germanistische Linguistik, der Karl-Franzens-Universität Graz. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Textlinguistik und Textrhetorik, Medienlinguistik, Sprache in der Politik, Sprache und Literatur, Grammatik des Deutschen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 ∙ Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 ∙ D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr-studienbuecher.de E-Mail: info@narr.de Printed in the EU ISSN 0941-8105 ISBN 978-3-8233-6809-0 Konstanze Marx ist Sprach- und Kommunikationswissenschaftlerin an der Technischen Universität Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in textproduktiven und textverarbeitenden Prozessen in Interaktion mit Emotionen im Kontext neuer Medien. Im Vordergrund stehen hierbei Konfliktgenerierung und Beziehungsetablierung innerhalb virtueller sozialer Netzwerke. <?page no="5"?> Inhalt Inhalt 0. Zu diesem Buch........................................................................... 9 1. Methoden der Internetlinguistik ................................................ 15 1.1 Das Internet als Datenpool.....................................................................15 1.2 Aber wem gehören die Daten? ...............................................................16 1.3 Das Zitat als eine annehmbare Lösung ..................................................18 1.3.1 So zitiert man sprachliche Beispiele ...........................................18 1.3.2 So zitiert man wissenschaftliche Publikationen ..........................24 1.4 Onlinedaten erheben - Durchaus eine Herausforderung .......................25 1.4.1 WWW = Korpus? .......................................................................25 1.4.2 DIY: Eine Datensammlung selbst generieren ..............................30 1.4.3 Klick ins Feld: Einfach einmal nachfragen? ................................34 1.4.4 Log-File-Analyse - Einfach mitschneiden? ..................................36 1.4.5 Offline-Umwege zu Online-Daten ...............................................37 1.5 In der Bibliographie soll es dann so aussehen .......................................38 1.5.1 Die Online-Publikation im Literaturverzeichnis..........................38 1.5.2 Quellenverzeichnis für Beispielbelege ........................................43 2. Medientheorie des Internets ...................................................... 47 2.1 Unsere Welt ist online............................................................................47 2.2 Was ist ein Medium? ..............................................................................48 2.2.1 Einer, der polarisiert: McLuhans Medienbegriff ........................48 2.2.2 Wozu sind sie eigentlich da - die Medien? .................................49 2.2.3 Verbreitung! Kommunikation! Speicherung! ..............................50 2.2.4 Von Kanälen, Sinnesmodalitäten und Codes: Elemente (technischer) Medien und Mediendefinition ...............52 2.2.5 Primäre, sekundäre und tertiäre Medien ....................................54 2.2.6 Ist das Medium die Botschaft? ....................................................55 2.2.7 Von konventionalisierten kommunikativen Handlungen: Kommunikationsformen..............................................................58 2.2.8 So funktioniert es generell: Mediale Kommunikation - ein allgemeines Modell ...............................................................60 2.3 Ist das Internet nun ein Medium? ..........................................................64 2.3.1 Das Internet als Netzwerk ...........................................................64 2.3.2 Web 2.0 und Social Media ..........................................................66 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! ............................................................71 2.4.1 Mehr noch: Das Internet ist ein Hybridmedium .........................73 2.4.2 Von „designed spaces“ und Kommunikationsplattformen ......................................................82 2.4.3 Das Netz: Alles ist möglich - oder doch nicht? Constraints und Affordances .......................................................83 2.4.4 Von konventionalisierten kommunikativen Handlungen online......................................................................85 2.4.5 So funktioniert es im Netz: Ein spezifisches Kommunikationsmodell ....................................87 <?page no="6"?> Inhalt 6 3. Sprache im Internet................................................................... 91 3.1 Weder Sondersprache noch Stil ............................................................ 91 3.2 WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke................... 94 3.2.1 Abgeguckt: Indikatoren für Adaptionsprozesse.......................... 95 3.2.2 Mitgespielt: Indikatoren für sprachliche Sensibilität und Reflexion ........................................................................... 103 3.2.3 Losgetextet: Indikatoren für Oraliteralität ............................... 107 3.3 Netzbedingte Dynamik: Neue Bedeutung für Altbekanntes ................ 113 3.3.1 Ein Freund, ein guter Freund? ................................................. 114 3.3.2 Gefällt mir ist mehr als ein Ausdruck für Gefallen................... 118 4. Pragma-Internetlinguistik................................................................ 127 4.1 Ins Netz versetzt: Grundpfeiler der Pragmatik.................................... 127 4.2 Sprachhandlungsphänomene online ................................................... 130 4.2.1 Chat-Kommunikation aus pragmatischer Perspektive.............. 133 4.2.2 Performativität in MUDs .......................................................... 135 4.2.3 Virtuell wird zu real - (sprachlich) Freunde finden................. 138 4.3 Spurensuche in der Postingflut ........................................................... 142 4.3.1. Verschlüsseltes Gemeintes, verschlüsseltes Relevantes ............ 142 4.3.2 Gricesche Maximen als Dekodierungshilfe............................... 144 4.3.3 Emotionale Chiffren: E-Implikaturen ....................................... 146 4.4 Das Netz als Kontextkonstituente ....................................................... 152 4.4.1 Nah und fern, privat öffentlich und alles parallel: Der mediale Kontext und die Äußerungssituation ................... 153 4.4.2 Ich kenne dich und ich kenne dich nicht: Zur Beziehung zwischen den Kommunikationsteilnehmern .............................................................................. 159 4.4.3 Kognitionsinhärente Merkmale oder: Wie das Internet unser Denken prägt....................................... 161 4.5 Beispielanalysen: Pragmatische Regeln im Spiegel des Web 2.0 ........ 162 4.5.1 Kennenlernprozesse: Jonglieren mit On-/ Offline-Schemata .............................................................. 162 4.5.2 Ein Gedankenexperiment zur Facebook-Generation ................ 166 4.5.3 Anonym und nichts zu befürchten - Zur aktiven Missachtung von kommunikativen Regeln im Netz ..................................................................................... 169 4.5.4 Profilraub - Zur ufschädigenden Beachtung von kommunikativen Regeln .......................................................... 171 5. Textlinguistik und das Internet.................................................177 5.1 Eine neue Textlinguistik für das Internet? .......................................... 177 5.2 Was ist ein Text überhaupt? ............................................................... 178 5.3 Texte im Internet ................................................................................ 183 5.3.1 Verlinkt: Hypertextualität ........................................................ 183 5.3.2 Vermischt: Multimodalität ....................................................... 188 r <?page no="7"?> 7 Inhalt 5.3.3 Verflüssigt: Fluidity .................................................................. 191 5.3.4 Verteilt: Dialogizität................................................................. 193 5.4 Kommunikationsformen und Textsorten im Internet ......................... 197 5.4.1 Der „Tatort“ nicht mehr nur im TV - Websites zu traditionellen Medienangeboten .......................... 201 5.4.2 BIG Fans - Fanseiten in Sozialen Netzwerken ......................... 204 5.4.3 „Bin krank - Grippe“ - Entschuldigungs-E-Mails ..................... 207 5.4.4. Das virtuelle Tagebuch: Verschiedene Blogs............................ 210 Bibliographie............................................................................................... 215 Quellenverzeichnis...................................................................................... 231 Register ....................................................................................................... 235 <?page no="9"?> Zu diesem Buch Zu diesem Buch Eines ist wohl sicher: Ohne das Internet hätte dieses Buch nicht entstehen können. Das liegt zum einen daran, dass das Internet die Arbeit an diesem Buch praktisch erst ermöglicht hat. Schließlich sind Berlin und Graz geographisch nicht so günstig gelegen, dass regelmäßige Arbeitsbesprechungen in der einen oder der anderen Stadt eine Option gewesen wären. Das gemeinsame Projekt wuchs und gedieh also parallel in zwei verschiedenen Ländern in Büros etwa zwölf Zug- und zwei Flugstunden voneinander entfernt. Dabei ermöglichten uns die Kommunikationsfunktionen, die uns das WWW - insbesondere das Web 2.0 - bietet, sowohl den Zugriff auf unsere Daten als auch die Illusion, uns über das Manuskript verständigen zu können als säßen wir in einem Büro. Zum anderen liegt es daran, dass es ohne das Internet keine Internetlinguistik gäbe, sondern schlicht Linguistik. Dazu jedoch haben Sie schon eine Menge Lehrbücher gelesen. Das Wissen, das Sie aus diesen Büchern haben, wird Ihnen bei der Lektüre dieses Buches helfen, denn wir setzen linguistische Grundkenntnisse voraus. Dieses Buch ist also keine Einführung in die Linguistik, es richtet sich an Studierende, die auf sprachwissenschaftliches Basiswissen zurückgreifen können und Freude daran haben, dieses auf aktuelle sprachliche Phänomene im Internet anzuwenden. Dennoch werden wir nicht komplett auf Ausführungen zum theoretischen Hintergrundwissen verzichten, diese sind im Buch grau unterlegt und mit einem Häkchensymbol markiert (siehe auch die Symbolerklärungen am Ende dieser Einleitung). Für Lehrende soll es als Inspiration für Seminarkonzeptionen dienen, mit den einzelnen Kapiteln gibt es eine Struktur für Unterrichtseinheiten vor. Zahlreiche Übungsaufgaben dienen sowohl dem Selbststudium (weil sie im Folgetext diskutiert werden) oder können Anregung für das Seminargespräch sein. Wir setzen voraus, dass die grundlegenden Funktionsweisen von Webanwendungen wie E-Mail, Sozialen-Netzwerkseiten oder Blogs bekannt sind. Aber was ist das eigentlich, Internetlinguistik? Was unterscheidet diese junge, moderne Disziplin von der Allgemeinen Linguistik, was von der Medienlinguistik? Womit beschäftigt sie sich und welche Forschungsfragen werden hier gestellt? Beginnen wir doch an dieser Stelle gleich mit einer ersten kleinen Aufgabe: Geben Sie das Lexem Internetlinguistik einfach einmal in eine Internetsuchmaschine ein oder lassen Sie es uns anders formulieren: Googeln Sie es! In dieser Aufforderung steckt bereits ein Beispiel dafür, was im allgemeinen Verständnis mit Internetlinguistik assoziiert wird: Die Untersuchung einer sogenannten „Internetsprache“, googeln als eingedeutschtes Verb wäre entsprechend typisch dafür. In Kapitel 3 lüften wir allerdings ein offenes Geheimnis, wenn wir zeigen, dass es gar nicht die Internetsprache (oder auch netspeak oder Internetslang) gibt. Es gibt sie ebensowenig wie eine Mediensprache. Nun, haben Sie gegoogelt? Wie sieht das Ergebnis aus? Sicherlich wurde Ihnen die Ankündigung zu diesem Buch angezeigt. Sie sind auch auf eine Tagung in Budapest gestoßen, in deren Rahmen wir einen gleichnamigen Workshop angeboten haben. Vielleicht finden Sie auch einen Hinweis auf ein Zur Entstehung Zum Leser Zum Gegenstand <?page no="10"?> Zu diesem Buch 10 Seminar, das in diesem Wintersemester an der TU Berlin stattfindet und von dessen Diskussionen dieses Buch hier profitiert. An dieser Stelle also schon der herzliche Dank an alle engagierten Seminarteilnehmer_innen. Und wenn wir gerade dabei sind: Das wird hier das einzige Gendergap bleiben, das wir verwenden. Dieses Buch ist auf Lesefreundlichkeit angelegt, wann immer das generische Maskulinum auftaucht, sind selbstverständlich alle anderen Geschlechter mitgemeint. Aber zurück zu Ihrer Suche: Eventuell sind Sie auf die „Gesellschaft für Interlinguistik e.V.“ gestoßen, ein Verein, der sich die Förderung von Plansprachen zur Aufgabe gemacht hat. Dieses Suchergebnis zeigt nur, dass selbst Google auf Nebenschauplätze ausweichen muss. Eine untergeordnete Rolle für uns spielt übrigens, wie sich die Forschungsdisziplin Linguistik im Internet präsentiert (vgl. dazu bitte Cölfen/ Cölfen/ Schmitz 1997). Stattdessen steht die Sprachverwendung im Internet im Mittelpunkt dieses Lehr- und Arbeitsbuches. Internet verwenden wir hier so wie in der einschlägigen Forschungsliteratur (siehe Runkehl/ Schlobinski/ Siever 1998: 3) üblich, sehr weit, und meinen damit alle durch das Internet verfügbaren Internetdienste (E-Mail, WWW u. a.). Die Termini Web, WWW oder Netz verwenden wir demzufolge ebenfalls synonym. Als Aufgabe der Internetlinguistik betrachten wir die Untersuchung der Sprachverwendung in Abhängigkeit von der spezifischen Online-Umgebung. Welche wechselseitigen Einflüsse können wir feststellen? Wie gestaltet sich die Kommunikation über die verschiedenen Internetdienste? Was ist charakteristisch wofür? Wie müssen wir die bereits existierenden linguistischen Ansätze anpassen oder erweitern, um den neuen Kommunikationsraum theoretisch adäquat beschreiben zu können? Wir befinden uns damit mitten in der Angewandten Linguistik und können folgerichtig nicht nur genuin sprachwissenschaftlich vorgehen, sondern greifen sinnvollerweise sowohl methodisch als auch theoretisch auf Nachbardisziplinen wie die Kommunikations- und Medienwissenschaft, die Psychologie und die Soziologie zurück. Damit werden die Bausteine, die in der modernen Linguistik verwendet werden, in einer anderen Umgebung neu zusammengesetzt und mit weiteren Bausteinen interdisziplinär ergänzt, um ein modernes und stabiles Gebäude zu errichten. Die Internetlinguistik beschäftigt sich mit der Sprachverwendung im Internet und damit mit einem spezifischen kommunikativen Kontext, dessen Charakteristika in alle Analysen einfließen. Bei der Internetlinguistik handelt es sich um eine Schnittstellendisziplin, die - wie für die Angewandte Linguistik typisch - neben linguistischen Zugängen, kommunikations- und medienwissenschaftliche Methoden kombiniert und durchaus auch sozio- und psychologische Fragestellungen motiviert. Es ist unser Anliegen, eine Anleitung dafür vorzulegen, wie die isolierte Beobachtung sprachlicher Phänomene im Internet überwunden werden kann. Die Sprachverwendung im Internet ist nicht nur ein auf allen sprachwissenschaftlichen Beschreibungsebenen hochinteressanter Forschungsgegenstand, sondern auch über den Tellerrand der Linguistik hinaus. <?page no="11"?> 11 Zu diesem Buch Das haben viele andere vor uns bemerkt. Seit etwa 15 Jahren gibt es eine rege sprachwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Themen wie Sprache und Kommunikation im Netz (Runkehl/ Schlobinski/ Siever 1998, Siever/ Schlobinski/ Runkehl 2005, Haase et al. 1997, Baron 2008a,b), Netzsprache (Crystal 2 2006, 2011, Rosenbaum 1996), Mündlichkeit/ Schriftlichkeit (Dürscheid 2002, 2003, Storrer 2001a,b, Thaler 2003), Chat-Kommunikation (Beißwenger 2002, 2007, 2009, 2010a,b, 2013a,b, in press), syntaktischen Innovationen (Albert 2011, 2013), Bedeutungswandel (Dürscheid/ Brommer 2013) oder den Charakteristika von Hypertexten (Storrer 2004, Jakobs/ Lehnen 2005, Beißwenger/ Storrer 2010, Jakobs 2011). Androutsopoulos (2003a,b) hat sich mit soziolinguistischen Aspekten auseinandergesetzt, Thimm (2000) hat eine Sammlung von Texten zur Sozialität im Netz veröffentlicht. Döring ( 2 2003) definiert eine Sozialpsychologie des Internets als Forschungsgegenstand. Jakobs/ Lehnen (2006, Jakobs 2013) befassen sich mit Fragen der Usability. Bei Dang-Anh/ Einspänner/ Thimm (2013), Siever (2001, 2006) oder Moraldo (2009) finden wir Untersuchungen zu spezifischen Kommunikationsformen wie Twitter. Es gibt Forschung zu Diskursen im Netz (Frass/ Meier/ Pentzold 2013, Thurlow/ Mroczek 2011), zur Online-Liebe (Döring 2002, 2003, Ze’ev 2004, Marx 2012a,b) und sprachlichen Online-Gewalt (Fawzi 2009a,b, Gradinger 2010, Katzer/ Fetchenhauer/ Belschak 2009, Marx 2012a, 2013a,b, Schwarz-Friesel 2013), zur digitalen (Un-)Ordnung (Runkehl 2013), zum Online-Verhalten der verschiedenen Generationen (Feufel/ Stahl/ Lee 2013, Ziefle/ Jakobs 2013), zu Politikerauftritten im Netz (Weidacher 2007), zu kreativen Versuchen, Filter zu umgehen (Eliaz/ Rozinger 2013), zu Identitätskonstruktionen (Gallery 2000, Götzke 2002, Döring 2000b, Thimm/ Ehmer 2000), zur Theologie der Social Media (Ernst/ Costanza 2012) oder zu ins Internet verlegten sozialen Ritualen, wie z. B. die Trauer (Jakobs/ Ziefle 2010). Ein ganzes DFG-Forschungsnetzwerk, Empirikom, wurde gegründet, um empirische Methoden in der sprach- und kommunikationswissenschaftlichen Internetforschung zu diskutieren (Beißwenger 2012). Wir könnten diese Aufzählung noch einige Seiten fortführen, die Publikationen zu allen nur vorstellbaren Facetten des Internets sind schier unüberblickbar. Das Internet erscheint wie eine Inspirationsquelle, die in absehbarer Zeit nicht versiegt. Wer von dieser Quelle trinken möchte, stellt schnell fest, dass das gar nicht so einfach ist, weil sie stark sprudelt und einen (Daten- oder auch Informations-)Strom speist, der Wellen schlägt, auf denen das Surfen durchaus eine Herausforderung darstellt. Wir haben uns mitreißen lassen von dieser Fülle an hochinteressanten Themen und Forschungsergebnissen. Um noch ein wenig im Bild zu bleiben: Es hat uns harte Ruderarbeit gekostet, schließlich am Ufer der Internetlinguistik anlegen zu können und zwar mit mehr Gepäck als zum Zeitpunkt unseres Aufbruchs. Einiges wurde zu Treibgut und das bedauern wir. Die Dinge aber, die wir retten konnten, weil sie oben schwammen oder wir schnell genug zugegriffen haben, haben wir sorgfältig aufbereitet. Dazu mussten wir sie manchmal auch miteinander verbinden, um sie wiederherstellen zu können. Ihren Eigentümern danken wir. Es gab natürlich auch Dinge, die wir ersetzen mussten oder die komplett neu hinzukamen, weil sich während unseres Surfabenteuers die Notwendigkeit dazu ergab. Nun ist dieses Abenteuer vorerst bestanden und Sie halten mit diesem Buch unsere kompakte Reisedokumentation in den Händen. Natürlich müssen wir uns auch fragen (lassen), warum wir die Dokumentation <?page no="12"?> Zu diesem Buch 12 im Zeitalter des Internets überhaupt noch in eine Buchform gebracht haben. Ganz einfach, wir wollten anderen die Strapazen unserer Reise ersparen, sie sollen einen Aktiv-Urlaub antreten können - angeleitet von einem handlichen Reiseführer. Zudem, da geben wir uns konservativ, sind wir Anhänger des guten alten Leseprozesses. Wir glauben, dass er Wunder bewirken kann, die auch positive Effekte auf alle prozeduralen Fähigkeiten unseres Gehirns haben. Im Umkehrschluss beobachteten wir im Selbstversuch und auch bei unseren Studierenden negative Auswirkungen auf die Gedächtnisleistungen oder die Konzentrationsfähigkeit beim staccatohaften Suchen nach Stichworten, wie es für die Onlinerezeption üblich ist siehe dazu auch den sehr anschaulichen Erklärungsversuch von Nicholas Carr (2010a,b) oder Manfred Spitzers erhobenen Zeigefinger in Buchform (2012). Jedes der folgenden Kapitel ist mit drei Leitfragen überschrieben, die die jeweilige Thematik des Kapitels aufgreifen. Am Ende eines jeden Kapitels finden Sie den „Speicherinhalt“, der einer Zusammenfassung der wesentlichen Punkte entspricht, und zusätzliche Übungsfragen. Aus didaktischen Gründen wird der Text innerhalb der Kapitel mehrfach von Aufgaben oder gerahmten Informationen unterbrochen. Eine Erläuterung der Symbole finden Sie hier, aber auch auf unserem Lesezeichen, das Sie bei der Lektüre des Buches begleiten kann. Die einzelnen Kapitel dieses Buches bauen zwar aufeinander auf, bilden aber jedes für sich so geschlossene Einheiten, dass sie in selbst gewählter Reihenfolge gelesen werden können. Aufgabe, für die die Lösung im Anschlusstext gegeben wird. Für den optimalen Lerneffekt empfehlen wir dringend im Leseprozess innezuhalten und die Lösung für diese Aufgabe zunächst selbst herauszufinden. Fertigen Sie dazu Stichpunkte an. Denkanregung. Für diese Aufgaben geben wir keine Lösung vor, sie dienen als Anregung für die gründliche und auch kreative Reflexion und können sehr gut im Anschluss an die Rezeption eines Kapitels gelöst werden. Sie sollen zu einem tieferen Verständnis der diskutierten Themen beitragen. Formulierungsvorschlag. Im Kapitel 1 werden Vorschläge dazu unterbreitet, wie Textbausteine formuliert werden können, die für internetlinguistische studentische Arbeiten obligatorisch sind. Zusatzinformation. Diese Kästen enthalten Informationen, die uns im entsprechenden Zusammenhang als interessant erschienen und Inspiration zum Weiterdenken sein können. Theoretisches Hintergrundwissen. Die Informationen in den grauen Kästen mit dem Häkchen beziehen sich auf linguistisches Vorwissen, das Zur Handhabung , <?page no="13"?> 13 Zu diesem Buch Ihnen in den Grundkursen Ihres Studiums vermittelt wurde. Es soll vorkommen, dass dieses im Laufe des Studiums wieder verdrängt wird, die grauen Boxen helfen Ihnen bei der Rekapitulation. Der Haken weist Sie auch auf Definitionen von zentralen Begrifflichkeiten hin. Zitat. Längere wörtliche Zitate sind ebenfalls gerahmt. Weiterführende Literatur. Mit den Leseempfehlungen wollen wir Sie ermuntern, Ihr theoretisches Wissen zu vertiefen und ein Gespür für Kontroversen in der Forschungsdiskussion zu bekommen. In dieser als Lehr- und Arbeitsbuch konzipierten Einführung können wir diese nämlich nicht aufgreifen. Wie in der Linguistik üblich und deshalb nicht noch einmal anhand von Symbolen erläutert, kennzeichnen einem Satz vorangestellte Fragezeichen eine zumeist semantische Markiertheit. Konzeptualisierungen sind mit Kapitälchen hervorgehoben, Großbuchstaben markieren Ergebnisse von Schlussfolgerungsprozessen. Sie werden in diesem Buch eine Vielzahl von authentischen sprachlichen Beispielen finden, zur Kennzeichnung der Quelle im Fließtext haben wir auf Kurzzitate zurückgegriffen, d. h. dass auch die Internetadressen nur verkürzt angegeben wurden. Im Anhang dieses Buches finden Sie ein Quellenverzeichnis für die in der Arbeit verwendeten sprachlichen Belege, sofern sie nicht aus zugangsbeschränkten (privaten) Profilseiten stammen. Diese Quellenangaben sind jeweils der Beispielnummer zugeordnet, unter der sie im Fließtext erscheinen. Aus Datenschutzgründen sind bei Daten aus privaten Profilseiten alle Urheber anonymisiert. Wenn innerhalb von sprachlichen Belegen Klarnamen (Vor- und Zunamen) auftauchten, die nicht veröffentlicht werden dürfen, wurden diese durch XYZ ersetzt. Zur Illustration einiger weniger Annahmen wurden auch Beispiele konstruiert, diese sind dann daran zu erkennen, dass keine Quelle angegeben ist oder in der Quellenangabe darauf verwiesen wird, dass es sich um ein zu Veranschaulichungszwecken modifiziertes Beispiel handelt. Phänomene wie orthographische oder grammatische Fehler oder außergewöhnliche Schreibweisen treten so häufig auf, dass die Leserlichkeit gestört worden wäre, hätten wir sie jedes Mal mit einem [sic! ] gekennzeichnet. Wir danken Tillman Bub, Karin Burger, Bernd Villhauer und Celestina Filbrandt vom Narr-Verlag nicht nur für die vertrauensvolle, äußerst angenehme und vor allem konstruktive Zusammenarbeit, sondern auch für ihre Aufgeschlossenheit, ihre Geduld und Flexibilität. Unsere Studierenden Toivo Glatz, Jonas Nölle, Isabella Knapp, Gerrit Kotzur, Julia Schirnhofer, Carina Stöckler und Alexander Zahrer gaben uns hilfreiche Rückmeldungen und stellten ihre Argusaugen zur Verfügung, ein großes Dankeschön dafür. Unseren beiden wunderbaren Chefs, Monika Schwarz-Friesel und Paul R. Portmann-Tselikas, danken wir ebenso für die moralische und inhaltlich sehr Unser Dank <?page no="14"?> Zu diesem Buch 14 wertvolle Unterstützung wie Thomas Wischnowski und Hildegard Weidacher-Gruber. Unseren Familien und Freunden können wir ohnehin gar nicht genug danken. Sie mussten über Monate zwei im kreativen Schreibprozess Befindliche ertragen. Obgleich sich noch Stoff für eine Fortsetzung auf unseren Schreibtischen stapelt, bleibt dieses Weihnachten der Rechner aus. Versprochen. Berlin und Graz, November 2013 Konstanze Marx Georg Weidacher <?page no="15"?> 1. Methoden der Internetlinguistik Lässt sich das WWW als Datenpool für sprachliche Belege nutzen? Welche Datenerhebungsmethoden gibt es? Wie sind Internetquellen zu zitieren und zu bibliographieren? 1.1 Das Internet als Datenpool Das World Wide Web (WWW) ist ein für Sprachwissenschaftler geradezu unerschöpflicher Datenpool, der sich zudem kontinuierlich neu generiert. Wissenschaftliche Fachtexte, journalistische Artikel, Leserkommentare, virtuelle Plaudereien, Zeugnisse sozialer Kontaktpflege, Blogs oder Tweets sind gerade einmal den sprichwörtlichen Mausklick entfernt. Experten und Laien, Jugendliche und Erwachsene, politisch Motivierte, Spaßorientierte, Gelangweilte oder Wütende geben ihr Wissen und/ oder ihre Überzeugungen preis, wollen sich unterhalten oder nutzen das quasi-öffentliche Forum, um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Bevor sich Web 1.0 und Web 2.0 etablierten, mussten spontan produzierte Sprachdaten mit viel Aufwand erhoben und mühsam transkribiert werden. Insbesondere dank zahlreicher Social-Media-Anwendungen (wie Facebook, YouTube, Twitter, Tumblr, Nutzer- und Diskussionsforen etc.) scheinen sich die Zugänglichkeitsbedingungen für Sprachdaten erheblich verbessert zu haben. Selbst E-Mail-Anbieter binden Kommentarfunktionen in ihre Nachrichtenportale ein. Das heißt, dass das Abfragen der E-Mails nicht nur damit verbunden werden kann, auf schnellem Wege neueste Informationen zu erhalten. Nutzer können sich zudem gleich zu den im Nachrichtenportal präsentierten Inhalten äußern und liefern damit jede Menge sprachliches Material.Auf diese Weise werden verschiedene Textsorten, wie Artikel, Nachrichtentexte oder Nutzerkommentare, deren Form und Inhalt für spezifische linguistische Fragestellungen relevant sein kann, relativ unproblematisch und mit wenig Zeitaufwand verfügbar. So scheint es unkompliziert, Zugang zu diesen sprachlichen Daten zu erhalten. Die Anonymität, die sicherlich vielen Nutzern die Hemmungen nimmt und der damit zu verdanken ist, dass die sprachlichen Daten entstehen und „veröffentlicht“ werden, birgt aber auch methodische Nachteile: Erstens ohne technische Hilfsmittel können die Urheber der Texte kaum ermittelt werden, in den meisten Fällen geben sich die „Kommentatoren“ Pseudonyme (vgl. dazu auch den Abschnitt zu Nicknames). Zweitens kann die Situation, in der der Text entstanden ist, nicht kontrolliert werden, so dass keine Aussagen darüber getroffen werden können, ob es sich beispielsweise um eine spontan produzierte Äußerung <?page no="16"?> 1. Methoden der Internetlinguistik 16 handelt oder ob der Verfasser des Kommentars seinen Text vorformuliert hat bevor er ihn „veröffentlichte“. Eine dritte Schwierigkeit ergibt sich mit der Frage, inwieweit andere (und das schließt (Sprach-)Wissenschaftler ein) überhaupt berechtigt sind, diese Daten für ihre Zwecke zu nutzen. 1.2 Aber wem gehören die Daten? Im Umgang mit den Daten aus dem WWW drängt sich die Auffassung geradezu auf, dass die Daten, die hier veröffentlicht werden, jedem und jeder gehören. Sie sind zugänglich, ihre Urheber haben sie „veröffentlicht“ und damit einem Publikum zur Verfügung gestellt. Keine anderen Merkmale aber treffen auf Informationen zu, die in Büchern veröffentlicht worden sind. Sie sind ebenfalls frei lesbar, ihre Vervielfältigung und Weiterverwendung ist jedoch gesetzlich geregelt. Dennoch entspricht es nicht der seriösen Forschungspraxis, Daten aus einem Buch schlicht zu übernehmen, ohne das zu kennzeichnen und auf den Autor zu verweisen. Die wenigsten wissen jedoch, dass auch für die Verwendung von Daten aus dem WWW eindeutige und verbindliche juristische Vorgaben zu beachten sind. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass „veröffentlichte“ Daten dem Urheber gehören und damit unter das Urheberrecht 1 fallen. In vielen Fällen sind also die Daten, die im Internet kursieren, gesetzlich bis 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers geschützt. Auch bei kleineren, einfachen Texten ist im Zweifel von einer sogenannten Schöpfungshöhe auszugehen, d. h. dass das „Werk“ - und darunter fallen dann auch internetbasierte (Kommunika tions)beiträge - als geschützt gilt. Bei der Schöpfungshöhe handelt es sich um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der „persönlich geistigen Schöpfung“ i.S.d. § 2 Abs. 1 UrhG. Geschützt sind Werke, weil es sich entweder um eine persönlich geistige Schöpfung handelt, ein Sprachwerk, ein Musikwerk oder eine schützenswerte Darstellung. Wenn nun aber das Urheberrecht gilt, bedeutet das, dass wir die Daten, die sich uns wie auf einem „goldenen Tablett“ präsentieren, gar nicht oder nur mit Einverständniserklärung des Urhebers für unsere Forschung verwenden dürfen? Sollten wir tatsächlich eine Vervielfältigung anstreben, ist vorher das Einverständnis des Urhebers einzuholen, wobei hier ein Fax mit Unterschrift der E-Mail vorzuziehen ist. 1 Christina Bankhardt hat auf der Eröffnungstagung des DFG-Netzwerks „empirikom. Empirische Erforschung internetbasierter Kommunikation“ am 16.02.2011 in Dortmund gesetzliche Grundlagen zum Urheberrecht und zur Einwilligungserklärung vorgestellt. Wir danken dafür, dass sie uns ihre Materialien zur Verfügung gestellt hat. Das Urheberrecht räumt dem Schöpfer geistigen Eigentums ein Ausschließlichkeitsrecht an seinen eigenen kreativen Leistungen ein. - <?page no="17"?> 17 1.2 Aber wem gehören die Daten? Eine Einverständniserklärung sollte vor der Daten-Erhebung schriftlich fixiert werden und folgende Informationen beinhalten: Angaben über den Träger und Leiter des Forschungsvorhabens; Angaben zum Forschungszweck; Angaben zur Methode der Datenerhebung; Angaben zur weiteren Verwendung der Daten und der involvierten Personen; Zeitpunkt, zu dem die personenbezogenen Daten gelöscht werden; Erklärung über Freiwilligkeit und Möglichkeit zum Widerruf; explizite Einwilligungsformulierung; Ort, Datum und Unterschriften. (siehe Bankhardt 2010) Aber: Wie können wir eine Einverständniserklärung von jemandem einholen, der sich a) nicht zu erkennen gibt, weil er ein Pseudonym (Nickname) benutzt und der b) auf keinem (technologischen) Weg kontaktiert werden kann? Für viele ist es die fehlende Antwort auf diese Frage, die sie dazu verführt, sich der Daten einfach anzunehmen, sie ohne explizite Erlaubnis zu verwenden und weiterzuverarbeiten. Dieses Vorgehen ist vor allem deswegen so verbreitet, weil eine Kontrolle, was mit den Daten nach ihrer „Veröffentlichung“ im WWW geschieht, geradezu unmöglich ist. Zudem sind WWW-Daten weitaus leichter zugänglich als Daten, die in gedruckten Büchern veröffentlicht sind. Während hier der Erwerb oder zumindest das Aufsuchen einer Bibliothek (oder sogar eine Fernleihe, die mehrere Wochen in Anspruch nehmen kann) vonnöten ist, gibt es beim Zugang zu elektronischen Daten oftmals nicht einmal mehr die Barriere der Nutzerregistrierung. In Form und Inhalt weichen WWW-Daten oftmals von klassischen, herkömmlichen Texten ab, von Texten beispielsweise, die als Romane oder wissenschaftliche Werke veröffentlicht werden. Autoren legitimieren sich hierbei im Idealfall durch eine besondere Kompetenz (Expertenwissen, Kreativität, Schreibstil etc.), die wiederum Rezipienten davon abhalten sollte, gedankliches Eigentum schlicht zu kopieren. Im WWW - besonders aber beim Surfen im Web 2.0 - entsteht möglicherweise gar kein Bewusstsein dafür, dass es sich hier um schützenswerte Werke handelt, selbst bei Beiträgen in Kommentarforen. Inhalt und Form scheinen oftmals keinen besonderen „Wert“ zu indizieren. Heißt das nun, dass wir gesetzeswidrig handeln wenn wir sprachliche Daten für linguistische Analysen aus dem WWW kopieren um sie unter spezifischen Fragestellungen zu untersuchen? Nein, denn es ist a) generell nicht ausgeschlossen, eine Einwilligungserklärung für Daten einzuholen. So gibt es z. B. im Chat die Möglichkeit, bei Nutzern direkt während des virtuellen Gesprächs anzufragen. Ebenso kann eine Erlaubnis stellvertretend bei Administratoren von Chat-Räumen oder Foren erfragt werden. Deren Kontaktdaten sind jeweils im Impressum der entsprechenden Seite aufgelistet. Dass über diesen „Umweg“ Kontakt zu den Nutzern aufgebaut werden kann, ist nicht zu erwarten, da sich die Betreiber von Chat-Seiten etc. dazu verpflichten, Daten von Nutzern vertraulich zu behandeln. Da aber sprachliche Belege für wissenschaftliche Zwecke als Zitate gelten, ist es b) nicht gesetzeswidrig sie zu kopieren, wenn sie als Zitate ausgewiesen werden. <?page no="18"?> 1. Methoden der Internetlinguistik 18 Aufgabe 1-1 Formulieren Sie ein Anschreiben an einen Administrator eines von Ihnen selbst gewählten Chat-Angebots (z. B. Chatcity, Knuddels, Weblin etc.) und bitten Sie darum, Daten von Nutzern für Ihre wissenschaftliche Untersuchung verwenden zu dürfen. 1.3 Das Zitat als eine annehmbare Lösung Wenn wir uns im Rahmen einer wissenschaftlichen Publikation mit sprachlichem Material inhaltlich auseinandersetzen, sind wir berechtigt, in unseren Veröffentlichungen darauf zu verweisen und es auch zu zitieren. Zulässig ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck des Zitats, sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist. Zulässig ist dies insbesondere, wenn 1. einzelne Werke nach der Veröffentlichung in ein selbständiges wissenschaftliches Werk zur Erläuterung des Inhalts aufgenommen werden, 2. Stellen eines Werkes nach der Veröffentlichung in einem selbständigen Sprachwerk angeführt werden. (§ 51 UrhG) Als Zitate kommen Inhalte von Webangeboten in Frage, die verschiedene Bereiche abdecken. Eine reine Zitatsammlung (ein Korpus, siehe Punkt 1.4.1) gilt allerdings nicht als Zitat. 1.3.1 So zitiert man sprachliche Beispiele Die Quellenangabe für Beispielbelege enthält den Namen des Angebots (Forum, Chat etc.) und das Datum der Veröffentlichung. Optional ist die Uhrzeit der Veröffentlichung, deren Relevanz abhängig von der linguistischen Fragestellung ist. Auf Grund ihrer Länge können URLs sperrig wirken und den Lesefluss beeinträchtigen. Es ist deshalb ratsam, nur den Namen des Angebots in das Kurzzitat aufzunehmen (1-1) und der wissenschaftlichen Arbeit ein Verzeichnis beizufügen, dass die vollständigen URLs enthält, etwa nach dem Literaturverzeichnis (siehe dazu 1.5.2). Auf diese Vorgehensweise ist zu Beginn einer Arbeit (z. B. in der Einleitung) hinzuweisen. Formulierungsvorschlag: In der vorliegenden Arbeit werden Internetquellen für sprachliche Belege in Kurzform angegeben, um den Lesefluss nicht zu beeinträchtigen. Die vollständigen URLs wurden auf einer Liste zusammengefasst, die sich im Anhang befindet. Je nach Fragestellung kann es notwendig sein, sowohl sprachliche Belege aus Offline-Quellen als auch aus Online-Quellen anzugeben. Insbesondere wenn Der URL (Uniform Resource Locator) wird umgangssprachlich auch als: Internet- oder Webadresse bezeichnet. <?page no="19"?> 19 1.3 Das Zitat als eine annehmbare Lösung in diesem Zusammenhang Print- und Rundfunkmedien, die sowohl offline als auch online zugänglich sind, als Quellen herangezogen werden, sind die Kurzverweise auf Online-Medien-Quellen konsequent durch die Angabe der Top-Level-Domain, wie .de in (1-2) zu kennzeichnen. Leser können so ohne aufwendiges Suchen im Anhang bereits im Fließtext erschließen, ob der entsprechende Beleg der Online- oder Offline-Quelle entnommen worden ist. Die Angabe der Uhrzeit der Veröffentlichung ist ein weiterer Hinweis dafür, dass es sich um eine Online-Quelle handelt (siehe dazu auch den Abschnitt zu Datum und Uhrzeit). (1-1) Hallo...die von "neulich" war ich. Ich hatte auch bei Leifheit angerufen und mir den Werbespot auf der dortigen Seite angesehen.Meine Spinne war eindeutig defekt. Die Umgetauschte allerdings auch und die Dritte funzt einwandfrei. (Ursula1, hefkoch, 2013-08-14, 8: 49) (1-2) Wie bei allen großen Galaxien sitzt auch im Zentrum der Milchstraße ein supermassives Schwarzes Loch. Das Viermillionenfache der Masse unserer Sonne bringt es auf die Waagschale. Das Monstrum verschlingt Gas aus seiner Umgebung und liegt praktisch in unmittelbarer Nachbarschaft zu uns. (rk, zeit.de, 2013-08-14, 19: 00) E-Mails und Beiträge aus Sozialen-Netzwerk- oder Blog-Seiten werden nach demselben Muster zitiert, lediglich der Name des Angebots muss dann durch „E-Mail“, „Twitter“, „Facebook“ o. ä. ersetzt werden. Entscheidet man sich dafür, Benutzernamen zu anonymisieren (siehe dazu die Erläuterung im unmittelbar folgenden Absatz), werden in der URL-Liste im Anhang einer wissenschaftlichen Arbeit nicht die vollständigen Internetadressen angegeben. Diese würden Rückschlüsse auf die Urheberschaft (eine Privatperson) zulassen, so erscheinen z. B. bei Personen, die ihr Facebook-Profil unter ihrem Klarnamen angelegt haben, diese Klarnamen mit dem Zusatz „? fref=ts“ in der URL. Derartige Angaben sollten aus Datenschutzgründen nicht aufgenommen, sondern durch den Hinweis „privates Profil“ ersetzt werden. Es kann durchaus vorkommen, dass sich der Urheber eines Beitrags nicht eruieren lässt. In solchen Fällen kann ein [anon] für anonym eingesetzt werden. Es ist aber auch möglich, im Methodenteil der Arbeit eine alternative Vorgehensweise zu beschreiben, etwa, dass Belege, für die sich kein Urheber ermitteln ließ, durch ein spezifisches Kürzel gekennzeichnet sind (vgl. dazu auch den Abschnitt zu Nicknames). Geben Nutzer auf Plattformen, die für die (Netz-)Öffentlichkeit bestimmt sind (z. B. Blog-Seiten), Klarnamen oder zumindest Namen an, die bürgerliche Namen sein könnten, dürfen diese zitiert werden. Das gilt auch für Firmennamen (siehe 1-3 und 1-4). (1-3) Ich möchte mich bei allen Menschen herzlich bedanken, die mir, in welcher Form auch immer, Sympathien und... http: / / fb.me/ SzPg640Y (Gustl Mollath @mollath, Twitter, 2013-08-13, 13: 34) Klarnamen C <?page no="20"?> 1. Methoden der Internetlinguistik 20 (1-4) Kennt ihr noch unsere Aktive-Sorten? Wir stellen unsere #Retro Sorten im Blog vor und schwelgen in Erinnerungen : -) http: / / bit.ly/ RetroSorten (RIT- TER SPORT @RITTER_SPORT_DE, Twitter, 2013-08-09, 4: 57) Auch auf Sozialen-Netzwerk-Seiten geben Nutzer im Regelfall ihren realen Namen an. Sind die Daten, die Sie zitieren wollen, öffentlich, dürfen diese Klarnamen zitiert werden. Öffentlich sind Seiten von Personen des öffentlichen Lebens (Politiker, Schauspieler, Musiker, weitere bekannte Persönlichkeiten) oder Firmen, die das Soziale Netzwerk zu Werbezwecken nutzen, siehe Beispiel (1-5). (1-5) Lieber spät als nie....mein neues Profilfoto! Okay für Euch? (Matthias Schweighöfer, Facebook, 2013-10-23) Öffentlich sind Soziale-Netzwerk-Seiten auch, wenn Privatpersonen eine Abonnieren-Schaltfläche in ihr Profil integrieren und somit ihre Beiträge für eine potenzielle Öffentlichkeit freigeben. Sie dürfen ebenfalls kenntlich gemacht werden (siehe Beispiel 1-6), Kosten und Nutzen sind jedoch abzuwägen (siehe auch den folgenden Abschnitt zu Nicknames). (1-6) Ja, ja... es hätte so schön sein können, aber ich musste heute morgen als ich aufgewacht bin feststellen, dass mein Leben "Gott sei Dank" weitergeht. (Yvonne Balke, Facebook, 2013-06-29) Wenn Sie sich nicht sicher sind, ob es sich um eine öffentlich zugängliche Seite handelt oder gar als Freund (z. B. bei Facebook) gelistet sind und deshalb Zugriff auf die sprachlichen Daten haben, empfehlen wir, den Profilurheber unkenntlich zu machen und Namen durch Kürzel zu ersetzen (siehe auch den folgenden Abschnitt zu Nicknames). Gleichfalls ist das Bild unkenntlich zu machen oder gar nicht zu „zitieren“ (vgl. § 22 KunstUrhG), es sei denn, es ist Gegenstand einer theoretischen Betrachtung. Anderenfalls gilt das Kopieren als unerlaubtes Verfielfältigen. Es kann jedoch nur in den Fällen, in denen dem Verfasser einer Arbeit eine Person bekannt ist, mit Sicherheit bestimmt werden, ob diese Person, identisch mit der Person ist, die auf dem Foto abgebildet ist und die das Foto hochgeladen hat oder ob alle Personen, die auf einem Foto zu sehen sind, der Veröffentlichung bei Facebook (und anderen Sozialen Netzwerken) zugestimmt haben. In engem Zusammenhang damit steht auch die Frage, wie mit Bildschirmfotos (screenshots) zu verfahren ist, die zur Veranschaulichung in eine schriftliche Arbeit integriert werden sollen. Prüfen Sie bei Bildschirmfotos von privaten Sozialen-Netzwerk-Seiten, ob Ihre Fragestellung ein Bildschirmfoto wirklich notwendig macht. Genügt es beispielsweise nicht auch, die sprachlichen Belege abzutippen und als Beispiel in die Arbeit einzufügen? Falls nicht, sind Fotos und Klarnamen durch schwarze Balken (o. ä.) un- Bildschirmfotos <?page no="21"?> 21 1.3 Das Zitat als eine annehmbare Lösung kenntlich zu machen. Geben Sie in jedem Fall eine Quelle nach dem Muster eines Kurzverweises an. Bildschirmfotos, die allein sprachliche Beispiele belegen, sind keine Abbildungen im ursprünglichen Sinn und bedürfen deshalb auch keiner für Abbildungen üblichen Beschriftung in der Form „Abb. XX: …“. Alle anderen Bidlschirmfotos (um z.  Text-Bild-Relationen o. ä. aufzuzeigen) sind wie Abbildungen zu behandeln. Das heißt, dass bei öffentlich zugänglichen Seiten die gesamte URL anzugeben ist, bei beschränkt zugänglichen Seiten ein Kurzverweis, wie z. B. „privates Profil“. Sie mögen nun einwenden, dass das Zitieren von Facebook-Daten unproblematischer nicht sein kann, erteilen doch alle Nutzer mit der Registrierung bei Facebook „eine nicht-exklusive, übertragbare, unterlizenzierbare, gebührenfreie, weltweite Lizenz zur Nutzung jeglicher IP-Inhalte, die […] auf oder im Zusammenhang mit Facebook [gepostet werden] (‚IP- Lizenz‘)“ (vgl. Facebook 2013: Nutzungsbedingungen). Das heißt, dass Daten zwar nicht verändert werden dürfen, ansonsten aber der Nutzung (auch durch Dritte) zugestimmt wird. Abgesehen davon, dass vielen Nutzern diese Tatsache gar nicht bewusst ist, sollte das Vorgehen von Facebook auch aus wissenschaftsethischen Gründen nicht unterstützt und schon gar nicht kopiert werden. Wie ist beim Zitieren mit sogenannten Nicknames zu verfahren? Nicknames sind Pseudonyme, die von Nutzern verwendet werden, um eine gewisse Anonymität zu wahren, wenn sie im WWW aktiv werden. Sie waren insbesondere im Web 1.0 von Bedeutung, werden jedoch nach wie vor benutzt, z. B. in Foren, Microblogging-Seiten oder Sozialen Netzwerken. Nicknames dienen aber auch der Generierung einer Online-Identität. Das bedeutet, dass Nutzer durchaus intentional konsequent unter ein- und demselben Nickname online agieren. Seitdem sich das Web 2.0 etabliert hat, ist es oftmals mit nur geringem Aufwand (und entsprechendem Interesse) möglich, Online- Identitäten, die durch spezifische Nicknames repräsentiert sind, eine Offline- Identität zuzordnen. Unter einem Nickname getätigte Äußerungen können somit unter Umständen sehr schnell auf eine Person im wirklichen Leben zurückfallen und gerade bei kompromittierenden Beiträgen reale Konsequenzen (gefährdete Reputation, strafrechtliche Folgen etc.) nach sich ziehen. Damit werden datenschutzrechtliche Überlegungen zumindest motiviert. Wenn wir als Sprachwissenschaftler also vor der Frage stehen, inwieweit ein Beitrag inklusive Nickname zitiert werden kann, sollten wir Kosten und Nutzen sorgfältig abwägen. Aufgabe 1-2 Überlegen Sie, welche Informationen über Nicknames transportiert werden können und inwieweit diese für sprachwissenschaftliche Fragestellungen relevant sein könnten. IP in IP-Lizenz steht für „Intellectual Property“ und ist nicht mit IP in der im Sprachgebrauch üblichen IP-Adresse (= Internet Protocol) zu verwechseln. Nicknames <?page no="22"?> 1. Methoden der Internetlinguistik 22 Unter Kosten fallen hier die eventuellen Nachteile, die für den Urheber eines Internetbeitrags entstehen können, wenn ihr Nickname genannt und allzu leicht einer Offline-Identität zugeordnet werden kann. Unter Nutzen fassen wir den erwarteten wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. Es ist beispielsweise unumgänglich, Nicknames zu zitieren, wenn sie selbst Gegenstand einer Untersuchung sind, beispielsweise im Hinblick auf ihre Semantik, Informationsdichte, Perspektivierung und in Relation zu den Inhalten der veröffentlichten Beiträge in einer entsprechenden kommunikativen Umgebung. So könnte untersucht werden, inwieweit der Fokus auf spezifische Charakteristika eines Nutzers gelenkt wird, wenn er Nicknames wie longlegs oder blueeyes verwendet und in welcher Online-Umgebung das als angemessen akzeptiert wird. Gibt es zum Beispiel einen Unterschied, ob ein solcher Nickname in einem Flirtchat oder in einem politischen Kommentarbereich benutzt wird und welche Auswirkungen auf die Wahrnehmung und Akzeptanz des Beitragsinhalts könnte die Verwendung in der einen oder anderen Umgebung haben? Eine andere Fragestellung könnte z. B. Diskriminierungsstrategien in Kommentarbereichen thematisieren. Informationen, die zusätzlich zu den sprachlichen Äußerungen über den Nickname kodiert werden, könnten für die Analyse relevant sein. Wählt ein Nutzer etwa einen Nickname wie H.e.s.s. oder rotesocke veranlasst das zu Mutmaßungen hinsichtlich seiner politischen Gesinnung und sollte bei der Analyse seiner Beiträge berücksichtigt werden. Zusammengefasst sollten die folgenden Überlegungen in den Entscheidungsfindungsprozess (Nickname zitieren oder anonymisieren) einbezogen werden: • Ist die Nennung der Nicknames relevant für die Forschungsfrage? • In welcher (möglicherweise für die Person, die im Web unter dem Namen agiert, kompromittierenden) Umgebung taucht der Nickname auf? • Wie leicht ist es, anhand des Nicknames Rückschlüsse auf die reale Identität einer Person zu ziehen? Diese Fragen sollten Sie sich natürlich sowieso stellen, bevor Sie Klarnamen in Ihre Arbeit integrieren. Sollten Sie sich im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit dafür entscheiden, Klarnamen oder Nicknames zu anonymisieren, sollte dies im gesamten Dokument konsequent geschehen. Für eine bessere Übersichtlichkeit können Klarnamen und Nicknames in der Datensammlung mit Zahlen oder Buchstabenkombinationen indiziert werden. Dabei ist darauf zu achten, dass ein- und derselbe Urheber auch ein- und dasselbe Kürzel erhält. Besonders von Belang ist diese Vorgehensweise bei Fragestellungen, die beispielsweise dialogische Prozesse thematisieren. Eine Liste, auf der Nickname und Kürzel einander zugeordnet dargestellt sind, muss dem Verfasser einer wissenschaftlichen Arbeit selbstverständlich vorliegen. Bei der Anonymisierung von Klarnamen ist ebenso zu verfahren. Wichtig könnten auch die genauen zeitlichen Angaben sein, um die Diskursdynamik zu bestimmen. Wird beispielsweise sofort geantwortet oder erst am nächsten Tag? Wie reagieren andere auf den Beitrag und wie antwortet derjenige, der die Diskussion begonnen hat? Datum des eingestellten Bei- Datum und Uhrzeit <?page no="23"?> 23 1.3 Das Zitat als eine annehmbare Lösung trags und Uhrzeit (sofern nachvollziehbar und abhängig von der spezifischen linguistischen Fragestellung) sollten also in das Kurzzitat (und auch die vollständige Quellenangabe im der Arbeit beigefügten Verzeichnis) übernommen werden. Die Reihenfolge der Angaben kann selbstständig festgelegt werden, sollte aber in der gesamten Arbeit einheitlich bleiben. Wir erachten eine Reihenfolge wie: Index für den Nutzernamen oder Nickname, Name des Portals, Datum, Uhrzeit (wenn eruierbar) als sinnvoll, siehe (1-7). (1-7) […] Der Lehrer hat sich in ein paar Kursen schnell etwas Halbwissen angeeignet und das gibt er so weiter wie er es versteht. Der Lehrer tut, was er kann. Das Bildungssystem ist in Deutschland einfach total hinterher. Schiller, Borchert ok das lernt ein Lehrer einmal und es reicht bis er pensioniert wird. Aber dass man Informatik-Themen jedes Jahr wieder auffrischen muss das wird bestimmt nicht bezahlt. (firstlady, joomla, 2011-06-20,18: 45) Demographische Informationen, wie Geburtsjahr oder Geschlecht, die Nicknames oftmals enthalten, können zwar in eine korpusergänzende Legende aufgenommen werden, sie sind jedoch keine verlässliche Grundlage für eine Daten-Auswertung im Hinblick auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen. Aufgabe 1-3 Welche demographischen Angaben assoziieren Sie mit den folgenden Nicknames? Notieren Sie Ihre Überlegungen. (a) susi03041980; (b) grauerwolf; (c) ABI06; (d) manager; (e) warsteiner, (f) Maggi0478 Insbesondere beim Zitieren von sprachlichen Belegen von der Sozialen- Netzwerk-Seite Facebook stellt sich oftmals die Frage, inwiefern auch die Reaktionen auf einen Beitrag (die Anzahl der Personen, die „gefällt mir“ angeklickt oder den Beitrag geteilt haben) mit dokumentiert werden müssen. Hier raten wir, die Relevanz dieser Angaben im Hinblick auf die sprachwissenschaftliche Fragestellung zu prüfen. In Fällen, in denen diese Angaben dokumentiert werden sollen, empfiehlt es sich, einen Screenshot zu integrieren. Ebenso gut kann die Angabe in einer kleineren Schrifttype unter dem sprachlichen Beleg notiert werden, siehe (1-8). (1-8) Dass die Backstreet Boys ma in GZSZ auftreten würden, davon haben sie sicher zu Beginn ihrer Karriere nie zu träumen gewagt... 3 Personen gefällt das. (ffz, Facebook, 2013-08-01) <?page no="24"?> 1. Methoden der Internetlinguistik 24 1.3.2 So zitiert man wissenschaftliche Publikationen Für das Zitieren von wissenschaftlichen Publikationen, die im WWW veröffentlicht sind, gilt die etablierte Kurzform „Zitatbeginn ... Zitatende“ (Autor/ en Publikationsjahr: Seitenzahl/ en). Bei PDF-Dokumenten ist das sehr gut zu bewerkstelligen. HTML-Dokumente hingegen enthalten keine Seitenzahlen. Stattdessen definieren manche Seitenbetreiber sogenannte Sprungmarker (auch Anker, Links). Diese können auch dem Rezipienten Ihrer Arbeit als Orientierung dienen und sollten anstelle der Seitenzahlen in die Kurzform eingefügt werden, Beispiel (1-9). (1-9) „Kookkurrenzen oder auch Kollokationen sind Gruppen von Wörtern, die häufiger zusammen auftreten, als dass es rein zufällig sein könnte.“ (Bubenhofer 2011: Kookkurrenzen) Sind keine Anker vorhanden, wird in der Kurzform im Fließtext auf eine spezifizierende Angabe verzichtet, Beispiel (1-10). (1-10) „Das tut Schrift ja immer: persönliche (face-to-face) Kommunikation einfrieren und unabhängig von Raum und Zeit ermöglichen. Schrift, zumal Handschrift, ist aber immer auch Bild.“ (Schmitz 2003) In der Bibliographie sähe der Eintrag dann so aus: Schmitz, U. (2003): Sommer liegt in der Luft. Text-Bild-Lektüre im Deutschunterricht. linse. http: / / www.linse.uni-due.de/ publikationenliste/ articles/ sommer-liegt-in-der-luft-text-bild-lektuere-im-deutschunterricht.html Allerdings ist dieser Artikel 2004 unter dem Titel „Bildung für Bilder. Text- Bild-Lektüre im Deutschunterricht“ in dem von J. Hartmut und P. Josting herausgegebenen Sammelband „Ästhetik -Medien - Deutschunterricht. Jutta Wermke zum 60. Geburtstag gewidmet“ im Münchener kopead-Verlag erschienen. Deshalb kann in diesem Fall der zitierte Textausschnitt entsprechend präziser der Druckfassung entnommen und gemäß den üblichen Regeln zitiert werden: Schmitz, U. (2004): Bildung für Bilder. Text-Bild-Lektüre im Deutschunterricht. In: Hartmut, J./ Josting, P. (Hrsg.) (2004): Ästhetik - Medien - Deutschunterricht. Jutta Wermke zum 60. Geburtstag gewidmet. München: kopaed, 219-232. Generell gilt: Lässt sich der Autor einer Online-Publikation (oder auch der Betreiber einer Internetseite) nicht ermitteln, ist diese Publikation als wissenschaftliche Quelle nicht zitierfähig. Fehlende Jahresangaben oder Seitenzahlen sollten durch Vermerke wie o. J. (ohne Jahr) oder o. A. (ohne Angabe) - auch in der Bibliographie - vermerkt werden. Publikationen jedoch, für die sich diese Angaben nicht ermitteln lassen, sind genauestens auf ihre Ziterfähigkeit aber auch auf ihre Relevanz zu prüfen. <?page no="25"?> 25 1.4 Onlinedaten erheben - Durchaus eine Herausforderung 1.4 Onlinedaten erheben - Durchaus eine Herausforderung Angesichts der Fülle an Daten, die sekündlich im WWW generiert werden, mag es paradox erscheinen, dass die Datenerhebung eine wirkliche Herausforderung darstellt. Diese besteht darin, die benötigten und für die aktuelle Forschungsfrage relevanten Daten zu finden, sie müssen dabei reliabel und reproduzierbar sein und einen systematischen Bezug zur Sprachwirklichkeit haben (vgl. Bickel 2006). Im folgenden Abschnitt werden verschiedene Wege der Datenerhebung, wie Korpusgenerierung, Einsatz von Fragebögen, Flyern oder Keyloggern, auf ihre Anwendbarkeit für die Internetlinguistik geprüft. 1.4.1 WWW = Korpus? Korpora, die natürlichsprachliche Daten enthalten, ermöglichen eine Beobachtung authentischen Sprachverhaltens. Hierbei kann es sich um Sprachmaterial handeln, dass mündlich entsteht und verschriftlicht wird (private oder öffentliche Gespräche) oder das bereits schriftlich fixiert vorliegt (Zeitungsartikel, Webtexte). Ein Korpus zu erstellen, ist eine sehr aufwändige Arbeit, die das zeitliche und finanzielle Budget innerhalb von Forschungsprojekten durchaus übersteigen kann. Führt man sich die Anforderungen, die ein Korpus erfüllen muss, vor Augen, könnte man zu dem Schluss gelangen, dass sich die Erstellung eines umfangreichen Daten-Korpus gar nicht in den Rahmen einer Hausarbeit einpassen ließe. Korpora sind umfangreiche Sammlungen gesprochener und geschriebener Texte, die mit Blick auf spezifische Erkenntnisinteressen oder Anwendungsszenarien zusammengestellt wurden, um möglichst alle charakteristischen Eigenschaften des betreffenden Sprachausschnittes abzubilden; in einer Größenordnung von meist mehreren Millionen Textwörtern vorliegen; normalerweise elektronisch verfügbar und maschinenlesbar sind; in der Regel nur sinnvoll unter Einsatz von Computern, typischerweise mittels statistischer Verfahren, untersucht und analysiert werden können. (Paprotté 2002: 366) Es gibt eine Reihe von Korpora, die diese Kriterien erfüllen und dankenswerter Weise (teilweise gegen eine kleine Gebühr) online zugänglich sind. Dazu zählen die vielfältigen Korpora mündlicher und schriftlicher Sprache des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim (www.ids.mannheim.de), das Wortschatzportal der Universität Leipzig (http: / / wortschatz.uni-leipzig.de), das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache (http: / / www.dwds.de) der berlin-brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, das Korpus TIGER (zusammengestellt aus Beiträgen der Frankfurter Rundschau) oder das Korpus LIMAS (zusammengestellt aus politischen, belletristischen, populärwissenschaftlichen und Texten der Boulevardpresse der 1970er Jahre). <?page no="26"?> 1. Methoden der Internetlinguistik 26 Auch Texte, die online erschienen sind, sind inzwischen in Korpora erfasst worden. Das Korpus deWac ist beispielsweise Teil eines Projektes, das unter dem Namen WaCky von Linguisten und Fachinformatikern initiiert wurde. Es wurde über Suchanfragen aus Webseiten der de-Domäne zusammengestellt und enthält 1,7 Milliarden Wörter, die nach Wortarten erfasst und gekennzeichnet (POS-tagged) sowie lemmatisiert (ver-stichwort-et) wurden. Das Korpus kann nach einer Anmeldung per E-Mail auf den eigenen Rechner geladen werden. Auch für andere Sprachen sind nach diesem Muster Korpora generiert worden. Mini-Glossar Korpuslinguistik annotieren: zusätzlich zu den sprachlichen Daten innerhalb einer Datenbank werden sprachwissenschaftlich relevante Daten gespeichert, z. B. Wortarten (‚tagging‘) oder die syntaktische Struktur bei komplexen Äußerungen (‚parsing‘). Das ist ein mühsamer manueller Vorgang, der deshalb häufig von automatischen Verfahren übernommen wird. Diese sind wiederum sehr fehleranfällig, so dass eine manuelle Nachbearbeitung notwendig ist. lemmatisieren: die einem Lexem zugehörige unflektierte Grundform wird notiert, z. B. für das Lexem ging das Lemma gehen oder für Räume das Lemma Raum. Konkordanz: Liste von Kotexten für ein Schlüssel-Lexem Bruchpilot in: „Die Bilanz von Bruchpilot Wowereit“ (n-tv.de, 2013-03- 19); „Streicht dem Bruchpiloten Wowereit die Pension“ (berlinerkurier.de, 2012-07-21); „Bruchpilot Wowereit tauft den A380“ (bz.de, 2012-05-22); „Die Nähe zur Partei wurde der Zeitung jedoch spätestens mit dem Grounding der Swissair und ihrer [sic! ] freisinnigen Bruchpiloten zum Verhängnis“ (zeit.de, 2010-04-08) Kollokation: Ausdruck aus mehreren Wörtern mit (statistisch) starkem Zusammenhalt auf Nummer sicher gehen in: „Die Flughafenplaner wollen auf Nummer sicher gehen: Die endgültige Entscheidung für den Termin werde der Aufsichtsrat nun voraussichtlich erst im August fällen, erklärte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit als Chef des Kontrollgremiums.“ (spiegel.de, 2012-06-22) Part-of-speech-Tagging (POS-tagging): regelbasiertes Etikettieren von Token im Korpus mit entsprechenden Wortarten In/ PRÄP Berlin/ N sprach/ VFIN man/ PRONINDEF über/ PRÄP den/ ART Rücktritt/ N von/ PRÄP Klaus/ EIGENN Wowereit/ EIGENN 2 . Token: Anzahl der Wörter in einem Korpus. Über die Anzahl der Token wird die Korpusgröße bestimmt. 2 Die Notation für Wortarten wird hier zum Zwecke der Veranschaulichung stark vereinfacht. <?page no="27"?> 27 1.4 Onlinedaten erheben - Durchaus eine Herausforderung Von 1 Anfang 2 an 3 war 4 der 5 massive 6 politische 7 Einfluss 8 von 9 Wowereit 10 und 11 Platzeck 12 das 13 Todesurteil 14 für 15 das 16 Bauprojekt 17 an 18 Berlins 19 Stadtrand 20 . Type: Anzahl der verschiedenen Wörter in einem Korpus. Über die Anzahl der Types wird die Vokabelgröße bestimmt. Von 1 Anfang 2 an 3 war 4 der 5 massive 6 politische 7 Einfluss 8 von Wowereit 9 und 10 Platzeck 11 das 12 Todesurteil 13 für 14 das Bauprojekt 15 an Berlins 16 Stadtrand 17 . Auf der Seite mediensprache.net (Menüpunkt: Analyse) gibt es frei verfügbare Beispielsammlungen etwa zu SMS-Mitteilungen, Nicknames oder auch zu Inflektiven aus Micky-Maus-Magazinen. Das Dortmunder Chat-Korpus ist die bislang umfangreichste und wichtigste Datensammlung für internetvermittelte Kommunikation. Es umfasst 478 Chat-Mitschnitte (140.240 Nutzerbeiträge bzw. 1,06 Millionen Token) aus den sozialen Handlungsbereichen Freizeit, Bildung, Beratung und Medien. Es ist kostenfrei und sowohl für linguistische Untersuchungen als auch für sprachdidaktische Zwecke hervorragend geeignet. Es besteht die Möglichkeit, mit Hilfe eines Java-basierten Suchwerkzeuges gezielt nach der Verwendung von Emoticons, Ausdrücken in Asterisken oder Adressierungen, die mit einem @ eingeleitet werden, zu suchen. Die Beiträge sind ebenfalls grob nach inhaltlichen (und technologischen) Kriterien annotiert: Äußerungsbeiträge werden von Zuschreibungsbeiträgen und Systemmeldungen unterschieden. Bei Äußerungsbeiträgen handelt es sich um Eingaben in das Texteingabefeld, wie z. B.: Hallo ruebennase, wieso langweilst du dich? . In Zuschreibungsbeiträgen referieren Chatter zumeist in der 3. Person auf sich selbst oder das Chat-Geschehen, indem sie die Eingabe durch ein Codesegment so modifizieren, dass ein Platzhalter für den Teilnehmernamen entsteht, der dann durch das System eingesetzt wird, wie z. B. ruebennase langweilt sich immer noch... . Systemmeldungen machen technische Funktionen, wie einloggen, ausloggen etc., sichtbar, sie werden vom Server erzeugt, wie z. B. rübennase betritt den Raum. (vgl. zum gesamten Abschnitt Beißwenger 2013a). Ausgewählte Korpora im Überblick IDS Mannheim: http: / / www.ids-mannheim.de/ kl/ projekte/ korpora/ archiv.html, http: / / agd.ids-mannheim.de/ korpus_index.shtml TIGER: http: / / www.ims.uni-stuttgart.de/ projekte/ TIGER/ TIGERCorpus/ LIMAS: http: / / korpora.zim.uni-duisburg-essen.de/ Limas/ mediensprache: https: / / www.mediensprache.net/ de/ medienanalyse/ corpora/ deWac: http: / / wacky.sslmit.unibo.it/ doku.php? id=corpora Dortmunder Chatkorpus: <?page no="28"?> 1. Methoden der Internetlinguistik 28 http: / / www.chatkorpus.tu-dortmund.de/ Aufgabe 1-4 Welche Schwierigkeiten können sich bei der Arbeit mit bereits bestehenden Korpora ergeben? Mit bestehenden, annotierten Korpora zu arbeiten, birgt durchaus Nachteile, insbesondere wenn man die Linguistik als Wissenschaft auffasst, die „regelmäßige Beziehungen zwischen sprachlichen Formen und kommunikativen Funktionen beschreiben will“ (Consten 2014). So können bei der Annotation nicht nur formale Zuordnungsfehler entstehen. Wenn es den Personen, die annotieren, nicht gelingt, eine Äußerung ohne eigene Interpretation, in eine vorgegebene Maske einzupassen, kann das Datenmaterial gar verfälscht werden. Die Interpretation wiederum ist ein natürlicher mit dem Verstehen von Text verbundener Prozess (vgl. Consten 2014 ) und auch Kapitel 4.3.1 . Unter anderem darin liegt die Ursache, dass sich selbst aufwändig generierten und annotierten Korpora keine Antworten auf spezifische Fragen, wie „die Funktion syntaktischer Satzmodi als Marker für Sprechakttypen, die informationsstrukturierende Wirkung von Wortstellungsvariationen, die semantischlogisch kaum beschreibbare Bedeutung mancher Modalpartikeln [oder] der referenzsemantische Effekt von Definitheit“ (Consten 2014) entnehmen lassen. Auch intentionale Normabweichungen lassen sich z. B. nur schwer von Fehlern abgrenzen. Unmöglich ist es zudem, vom Nicht-Vorkommen eines Phänomens im Korpus auf ein generelles Nicht-Vorkommen im Sprachgebrauch zu schließen (Schlobinski 2011: 133 f.). Unabhängig davon, ob man nun explorativ vorgehen oder einer Hypothese nachgehen möchte, ist es also durchaus ratsam, selbst Daten zu erheben und zu einem Korpus zusammenzustellen. Nicht zuletzt aus forschungspraktischen Erwägungen (Kosten- und Ressourcenersparnis) drängt sich die Frage auf, inwieweit nicht auch das gesamte WWW als Korpus genutzt und entsprechend ausgewertet werden kann. Das World Wide Web verfügt über eine unüberschaubare Datenmenge, die frei verfügbar und leicht zugänglich ist. Zudem entfällt ein mühsames Transkribieren, weil sie bereits in schriftlicher Form vorliegen. Theoretisch kann das WWW also für alle möglichen sprachwissenschaftlichen Forschungsfragen genutzt werden. Die Texte sind jedoch zumeist in Dokumente eingebettet, die weitere Kodierungen aufweisen (Menüführungen, Werbung, sog. Boilerplates usw.), vgl. Schulte im Walde/ Zinsmeister (2006). Zudem sind oftmals keine Meta-Informationen verfügbar. Wer ist beispielsweise der Autor eines Textes? Wie sind seine Sprachkompetenzen einzuschätzen? Zu berücksichtigen ist auch, welche Sprache im Web vorherrschend ist und ob das Web überhaupt repräsentativ ist für den Sprachgebrauch, den man untersuchen möchte. Damit einher geht die Frage nach den Textsorten, die im Web vorkommen (siehe auch Kapitel 5.4, vgl. auch Bubenhofer 2011). Auch die rechtlichen Grundlagen erschweren die Anwendung des WWW als Korpus. Exploratives Vorgehen dient dem Abstecken eines Forschungsfeldes und soll zu Hypothesen führen. Boilerplates sind gleichbleibende (Text-)Elemente. <?page no="29"?> 29 1.4 Onlinedaten erheben - Durchaus eine Herausforderung Aufgabe 1-5 Geben Sie in drei Suchmaschinen Ihrer Wahl das Stichwort Persuasion ein. Welche Ergebnisse erhalten Sie? Problematisch ist zudem, dass die Suchmaschinen nicht die Funktionalitäten aufweisen, die für sprachwissenschaftliche Zwecke vonnöten sind. Die Defizite im Hinblick auf die Abfragesprache, die Annotationen, die Repräsentativität der erfassten Webseiten und Intransparenz beim Indizieren und Ranking werden bei Bubenhofer (2011) erläutert und werden hier zusammengefasst wiedergegeben: • „beschränkte Abfragesprache: Es ist […] nicht möglich, mit Auslassungszeichen zu arbeiten, also „reguläre Ausdrücke“ zu verwenden. Normalerweise beherrscht eine Abfragesprache (z. B. in Datenbanken) spezielle Zeichen wie *, + oder ? , um einen oder mehrere Buchstaben offen zu lassen. Möchte man z. B. alle Flexionsformen und Komposita des Wortes ‚Hund‘ finden, kann man nicht einfach ‚Hund*‘ eingeben und findet dann auch ‚Hundegebell‘ oder ‚Hunde‘.“ • Fehlende Annotationen: „die indizierten Webseiten [sind] nicht linguistisch annotiert. Man kann also nicht einfach so nach Präpositionalphrasen oder nach Adjektiv-Nomen-Konstruktionen suchen. • Repräsentativität der erfassten Webseiten: „[…] eine Suchmaschine [kann] mit ihrem Webcrawler nicht alle verfügbaren Webseiten erfassen. Es bleibt ein sog. ‚deep web‘ […], das aus Webseiten besteht, die von Suchmaschinen aus technischen Gründen nicht gefunden werden können. Dazu gehören z. B. viele Datenbanken […] geschützte oder schlicht nicht verlinkte Seiten. Das […] ‚deep web‘ soll 500 Mal grösser sein [als das für Suchmaschinen sichtbare Web]. Zudem ist es möglich, dass ein Suchmaschinenbetreiber gewisse Seiten absichtlich sperrt, oder dass er aus politischen Gründen dazu gezwungen wird. [Die] Menge der indizierten Seiten [verändert sich] ständig. Möchte man z. B. Trefferzahlen vergleichen, muss das möglichst zum gleichen Zeitpunkt geschehen, da sich ansonsten die Grundgesamtheit der indizierten Dokumente bereits wieder verändert hat.“ • Intransparenz im Hinblick auf das Indizieren und Ranking: „Suchmaschinen [legen nicht offen], nach welchen Kriterien die Webseiten genau indiziert werden und wie das Ranking funktioniert.“ (Bubenhofer 2011: Probleme) Aufgabe 1-6 Für welche Art von sprachwissenschaftlichen Forschungsfragen eignet sich die Recherche im WWW? Formulieren Sie drei Hypothesen. Linguistische Forschungsbereiche, in denen die Suche im WWW gewinnbringend eingesetzt werden kann, sind z. B. die Lexikographie, Semantik, Syntax, <?page no="30"?> 1. Methoden der Internetlinguistik 30 Maschinelle Übersetzung (vgl. Volk 2002, gelistet bei Bubenhofer 2011: Anwendungen) oder Varietätenlinguistik (Bickel 2006). Es kann demnach aufschlussreich sein, im WWW zu prüfen, ob spezifische Lexeme oder Phrasen in verschiedenen deutschsprachigen Domänen (.at vs. .ch vs. .de, vgl. Bickel 2006) vorkommen oder auch in welchen Kollokationen. Es lassen sich auch Aussagen über die Bedeutung von Mehrwortsequenzen ableiten. Quantitative Auswertungen von Daten im WWW sind deshalb nicht sinnvoll, weil die Grundgesamtheit der im WWW existierenden Dokumente nicht bestimmt werden kann. Wenn statistische Aussagen denn unbedingt gewünscht sind, sollte ein Korpus erstellt werden, das aus aus dem WWW geladenen Seiten besteht, und den Vorteil hat, dass ihre Anzahl und die Anzahl spezifischer fokussierter Phänomene genau angegeben werden können (vgl. Korpusintitiative WaCky). Wichtig ist aber, dass bei allen Aussagen über die Korpusdaten deutlich gemacht wird, dass sie nur auf die Daten innerhalb des Korpus zutreffen und nicht allgemeingültig sind. 1.4.2 DIY: Eine Datensammlung selbst generieren Aufgabe 1-7 Sie haben die Aufgabe, aktuelle Konzeptualisierungen von WISSEN- SCHAFTSBETRUG am Beispiel von Metaphern zu untersuchen. Erstellen Sie ein Korpus, auf dessen Grundlage Sie Aussagen über die Verwendung von Metaphern mit Bezug auf Plagiatsaffairen in der Internet- Berichterstattung im Zeitraum Februar 2011 bis März 2013 machen können. Beschreiben Sie Ihre Vorüberlegungen. Wie gehen Sie bei der Korpuserstellung vor, wie bereiten Sie Ihre Daten für die Auswertung auf? Wie könnte man nun beim Anlegen einer Datensammlung vorgehen? Eine altmodische aber doch bewährte Methode, Daten aus dem WWW zusammenzustellen, ist das copy- und paste-Verfahren. Es verlangt schlicht keinerlei informatisches Vorwissen. Hierbei werden die Daten auf der entsprechenden Internetseite markiert, kopiert und in ein Word-Dokument integriert. Der Vorteil an diesem Verfahren ist, dass die Daten unproblematisch in verschiedenen Formaten abgespeichert werden können. Für manche Konkordanzprogramme ist beispielsweise die Umwandlung in txt-Dateien nötig. Dabei sollten immer auch die Quelle, von der die Daten stammen, das Datum der Veröffentlichung, das Datum der letzten Aktualisierung der Seite (wenn eruierbar) und das Zugriffsdatum notiert werden. Am unkompliziertesten lassen sich all diese Angaben in einem Bildschirmfoto zusammenfassen, das zusätzlich immer mit abgespeichert werden sollte. Ein Konkordanzprogramm ist dabei behilflich, spezifische Wörter und deren unmittelbaren Kontext herauszufiltern. Es ermöglicht außerdem die Erstellung von Wortlisten und einfache statistische Rechnungen. Es gibt eine Reihe derartiger Programme/ Werkzeuge, die auch im WWW zur Verfügung stehen, als Beispiele seien hier antconc, Glossanet, NotaBene, Conc 1.8 für Macintosh oder KWiCFinder genannt. Eine ausführliche Beschreibung zur Anwendung von antconc gibt Bubenhofer unter: KWiC: Key word in context (Schlüssel- Lexem in einem spezifischen Kontext) <?page no="31"?> 31 1.4 Onlinedaten erheben - Durchaus eine Herausforderung www.bubenhofer.com/ korpuslinguistik/ kurs/ index.php? id=eigenes_AntConc.html. Das Abspeichern kompletter Webseiten (mit dem Browser Firefox z. B. spielend leicht zu bewerkstelligen, indem beispielsweise einfach über die geläufige Tasten-Kombination Strg + S unter Dateityp „Webseite, komplett“ gewählt wird) ist eine sinnvolle Ergänzung, wenn die Architektur der Seite für Text-Bildrelationsanalysen nachvollziehbar bleiben soll. Je nach angestrebter Korpus-Größe und Fragestellung ist für die Datensammlung ein längerer Zeitraum zu veranschlagen. Es ist deshalb wichtig, den Aufbau systematisch anzugehen. Das heißt, dass Worddokumente oder auch Bilddateien mit einem nachvollziehbaren Dateinamen versehen und in einer rekonstruierbaren Ordnerstruktur abgespeichert werden sollten. Auch die Ordner sollten Namen erhalten, deren Sinn sich auch nach Monaten noch erschließt. Als Bestandteile für Dokumentnamen eignen sich ein Kürzel für die Quelle des Belegs, das Erscheinungsdatum, ein Verweis auf die Textsorte und/ oder ein inhaltlicher Hinweis. Angewendet auf die obige Aufgabe wäre es z. B. möglich, das Online- Medien-Spektrum darüber abzudecken, dass Beiträge aus Boulevardzeitungen (bild.de) mit Beiträgen aus Tages- (sueddeutsche.de, faz.net) oder Wochenzeitungen (spiegel.de, zeit.de) verglichen werden. Ebenso können politisch eher links gerichtete (z. B. taz.de), eher konsverative (welt.de) und in etwa neutrale Online-Publikationen (berliner-zeitung.de) ausgewählt werden. Es liegt nahe, unter den Stichwörtern „Karl Theodor zu Guttenberg“, „Silvana Koch-Mehrin“, „Annette Schavan“ oder „Plagiat“, „Plagiatsaffaire“ usw. nach Artikeln zu suchen, die im Zeitraum Februar 2011 bis März 2013 erschienen sind, diese sind entsprechend abzuspeichern. Dazu könnten Ordner angelegt werden, die nach den Online-Medien benannt sind. Je nachdem, wieviele Texte gefunden werden, können Unterordner angelegt werden, für die verschiedene Ordnungen vorstellbar sind, z. B. Textsorten (Reportage, Nachricht, Kommentar, Leitartikel, Glosse) oder auch Erscheinungsmonate. Im vorliegenden Fall wäre es auch denkbar, Ordner anzulegen, die entsprechend der Phasen der Aberkennung des Doktortitels bezeichnet sind, beispielsweise: Beginn der öffentlichen Debatte, Prüfverfahren, Aberkennung, Rücktritt. Abhängig von der Länge der Texte ist zu entscheiden, ob ein Textdokument pro Beitrag angelegt werden kann. Es ist nicht sonderlich zweckmäßig, eine Reihe von längeren Artikeln in einem Word-Dokument abzuspeichern. Nutzerkommentare sind nicht nur viel kürzer, oftmals referieren Nutzer innerhalb der Kommentarbereiche aufeinander, so dass es hier günstig erscheint, mehrere Nutzerkommentare in einem Textdokument zusammenzufassen. Es hat sich bewährt, bereits in den Dokumentennamen auch Nummerierungen aufzunehmen. Der achte Leitartikel (art) in der Sammlung, der beispielsweise in der Berliner Zeitung (bz) am 11.2.2013 erschienen ist und die Nachfolge des Bildungsministerposten zum Thema hat, könnte den Dokumentennamen 8_bz_11.2.13_art_wanka erhalten und würde im Ordner ‚Rücktritt‘ abgelegt. <?page no="32"?> 1. Methoden der Internetlinguistik 32 Möglicherweise eleganter, aber gleichzeitig auch aufwendiger und an mehr informationstechnologisches Vorwissen geknüpft, ist die Eingabe und Verwaltung der Korpusdaten über eine Datenbank. Die einfachste Möglichkeit einen Import in eine Datenbank vorzubereiten ist die systematische Eingabe der Texte in Felder einer (Excel-)Tabelle. Das soll an einem Beispiel veranschaulicht werden (siehe Tabelle 1-1, angelehnt an das Muster auf www.bubenhofer.com). Text 1 Text 2 Text 3 Quelle www.sueddeutsche.de Datum 16. Februar 2011 Autor/ en Roland Preuß, Tanjev Schultz Überschrift Plagiatsvorwurf gegen Verteidigungsminister/ Guttenberg soll bei Doktorarbeit abgeschrieben haben Untertitel 1 Verteidigungsminister Guttenberg muss sich gegen Vorwürfe wehren, er habe bei seiner Doktorarbeit getäuscht. Nach SZ-Informationen gibt es in seiner Dissertation einige Passagen, die er ohne Angabe von Quellen wörtlich zitiert. Nach den jüngsten Bundeswehrskandalen wird Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg nun neue Kämpfe ausfechten müssen. Untertitel 2 Die Doktorarbeit sei an mehreren Stellen "ein dreistes Plagiat" und "eine Täuschung", sagte der Bremer Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano, der die Parallelen mit anderen Texten bei einer Routineprüfung entdeckt hat. Fischer-Lescano lehrt an der Universität Bremen Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht. […] Zwischentitel „Ungewöhnliche Verkettung von Glücksfällen“ Text Es war offenbar nicht einfach für Karl- Theodor zu Guttenberg, seine Doktorarbeit zu vollenden, das macht er im Vorwort klar. Günstige Momente zur Fertigstellung habe er "durch freiberufliche wie später parlamentarische 'Ablenkung' versäumt". Der CSU-Politiker verweist auf eine Mischung aus "eherner professoraler Geduld" und "sanftem, aber unerbittlichem familiären Druck", der das Projekt doch noch zum Abschluss führte. "Diese Arbeit entspringt einer ungewöhnlichen Verkettung von Glücksfällen." […] <?page no="33"?> 33 1.4 Onlinedaten erheben - Durchaus eine Herausforderung Rubrik Politik Quelle http: / / www.sueddeutsche.de/ politik/ plagiat svorwurf-gegen-verteidigungsministerguttenberg-soll-bei-doktorarbeitabgeschrieben-haben-1.1060774 Tab. 1-1: Vorschlag für eine Systematisierung von Korpustexten in einer Excel- Tabelle Sind die Daten so gespeichert, lassen sie sich am einfachsten über den Datei- Explorer durchsuchen. Je größer die Datensammlung jedoch wird, desto günstiger ist der Import in geeignete relationale Datenbanksysteme, z. B. Access, Filemaker oder Oracle. Das Grundgerüst der Datenbank kann ähnlich strukturiert sein wie die vorbereitete Tabelle. Um einen Datenimport aus der Excel-Tabelle beispielsweise vornehmen zu können, werden oftmals sogenannte CSV-Dateien eingesetzt, die die Angaben in der Tabelle in einen importfähigen Datensatz übersetzen. Zudem müssen beim Einsatz von Datenbanksystemen Ein- und Ausgabemasken sowie Auswerteprogramme, sog. Reports, programmiert werden - eine Aufgabe, die ohne EDV-Kenntnisse schwer zu bewerkstelligen ist. Für Studierende ist erfahrungsgemäß die Angabe einer Mindestgröße für eine Belegsammlung von großer Bedeutung. Mit Schlobinski (2011: 133) könnte man dieser Frage folgendermaßen begegnen: „Gegenüber Aussagen, die allein auf der Grundlage der Introspektion gewonnen wurden und somit eine Einerstichprobe darstellen, ist jede auch noch so schmale Datenbasis ein Gewinn. Auf der anderen Seite sollte man generell vorsichtig sein, wenn aufgrund weniger Belege Aussagen über Sprachen oder gar Sprachfamilien getroffen werden, die von Hunderten, Tausenden oder gar Hunderttausenden gesprochen werden“ (Schlobinksi 2011: 133). Es gibt aber auch Ansichten wie: „Kein Korpus ist groß genug, um die Diversität der Daten im Hinblick auf Parameter wie Medium, Thematik, Stilebene, Genre, Textsorte, soziale, areale, dialektale Varietäten, gesprochene vs. geschriebene Texte etc. repräsentativ abzubilden. Versuche, das Problem durch Erweiterung der Stichprobe zu lösen, vergrößern nur die Diversität der Daten im Hinblick auf die bekannten (und möglicherweise noch unbekannte) Variabilitätsfaktoren und damit die Inhomogenität“ (Köhler 2005: 5). Kurzum: Wir können hier keine konkreten Zahlen nennen, als Faustregel gilt jedoch, dass genügend Daten vorhanden sind, sobald sich ein Muster finden lässt. Für wissenschaftliche Hausarbeiten und studentische Forschungsprojekte sollte der Aufwand dabei einerseits überschaubar bleiben, andererseits muss die Datensammlung genügend Belege aufweisen, um Aussagen treffen zu können. Qualitative (inhaltliche) Aussagen lassen sich manchmal auch schon mit einem vergleichsweise kleinen Korpus treffen. Allerdings darf dabei dann kein Anspruch auf Repräsentativität erhoben werden. Die Ergebnisse der Analyse eines kleinen Korpus treffen eben auf genau dieses Korpus zu. Generell ist zu beachten, dass Themen für korpusbasierte BA- oder MA-Projekte schon mit dem Vorlauf festgelegt werden sollten, der für die Generierung eines Korpus kalkuliert wird. Excel-Tabellen lassen sich unter „speichern unter“ im CSV-Format abspeichern. CSV ist die Abk. für comma separated value, die Werte in der Tabelle werden also in eine Liste übertragen und dadurch importfähig. <?page no="34"?> 1. Methoden der Internetlinguistik 34 Zwar dürfen Korpora nur mit Zustimmung der Datenurheber veröffentlicht werden, sie sollten jedoch für Ihren Prüfer zugänglich sein, entweder auf CD-ROM oder digital in einem geschützten Bereich, für den Sie einzig dem Prüfer Zugang gewähren. 1.4.3 Klick ins Feld: Einfach einmal nachfragen? Online-Umfragen sind ein beliebtes Instrument in der empirischen Sozialforschung. Im folgenden Abschnitt soll diskutiert werden, inwieweit sie auch für sprachwissenschaftliche Datenerhebungen nutzbar sind. Nicht jede sprachwissenschaftliche Fragestellung ist dazu geeignet, über einen Fragebogen geklärt zu werden. Aufgabe 1-8 Überlegen Sie sich eine geeignete sprachwissenschaftliche Fragestellung, über die ein Internet-Fragebogen Aufschluss geben kann. Der Gebrauch von Lexemen in spezifischen sprachlichen Umgebungen (Kotexten), regionale sprachliche Differenzen oder Grammatikalitätsurteile lassen sich gut über (Online-)Fragebögen erfassen. Möchte man aber z. B. wissen, welchen Einfluss Texte mit hohem Emotionspotenzial auf die Rezeption haben, ist es schwierig, Probanden direkt danach zu fragen. Ebenso wenig kann z. B. direkt erfragt werden, wie Menschen beten (vgl. Marx/ Damisch im Druck). Sobald persönliche Einstellungen oder emotionale Einflüsse auf Textproduktion und -rezeption im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stehen, wird die empirische Datenerhebung generell problematisch. Es bedarf einer äußerst geschickten Wahl und Formulierung der Fragen, um sich der Antwort auf solche Forschungsfragen zumindest nähern zu können. In solch diffizilen Fällen, kann der Weg über eine anonyme Online-Befragung möglicherweise fruchtbringend sein. Sogenannte Interviewer-Effekte werden hier (wie auch bei schriftlichen Befragungen, die nicht online durchgeführt werden) auf ein Minimum reduziert. Die Probanden werden nie einer Faceto-Face-Situation ausgesetzt, so dass sie möglicherweise freier agieren, falls sie Antworten bevorzugen, die weder sozialen Normen noch angenommenen Erwartungen entsprechen. Suggestivfragen beherbergen allerdings immer ein Restrisiko für Interviewer-Effekte auch wenn die Fragen schriftlich präsentiert werden. Gegenüber Offline-Befragungen haben Online-Fragebögen den Vorteil, dass sie dank der technologischen Bedingungen schnell auszufüllen und zu versenden sind. Damit kann die Teilnahme an der Befragung in die normalen Abläufe der Bildschirmarbeit integriert werden. Befragungen, die beispielsweise per Post verschickt werden, scheitern oftmals an einer verschwindend geringen Rücklaufquote. Einen Fragebogen aus einem Umschlag zu nehmen, ihn zu lesen, auszufüllen, anschließend wieder in einen Umschlag zu packen, eventuell noch zu frankieren und zum Briefkasten zu tragen, sind Schritte, die Probanden nur ungern auf sich nehmen. Angekündigte Befragungen, die in einem vereinbarten Rahmen durchgeführt werden, weisen zwar eine hö- <?page no="35"?> 35 1.4 Onlinedaten erheben - Durchaus eine Herausforderung here Rücklaufquote auf, weil der Leiter der Befragung den Rücklauf unmittelbar kontrollieren kann, jedoch ergibt sich hier eine Schwierigkeit, die sich auf das Antwortverhalten auswirken kann: Der Proband kann nicht selbst entscheiden, wann er die Fragen bearbeitet. Im Online-Verfahren hingegen bestimmen die Teilnehmer einer Studie den Zeitpunkt, an dem sie die Fragen bearbeiten, selbst. Versuchsleiter hegen an diesem Punkt zu Recht die Hoffnung auf eine höhere Motivation und Kooperationsbereitschaft auf der Seite der Teilnehmer. Ein weiterer Vorteil ist, dass mit geringem Aufwand eine große Anzahl an Personen ungeachtet geographischer Distanzen erreicht werden kann. Das ist z. B. für sprachkontrastive Fragestellungen interessant. Online-Fragebögen können auch mit einer Sprachauswahl-Option ausgestattet werden, so dass der Fragebogen von Sprechern verschiedener Sprachen ausgefüllt werden kann. Vorteilhaft ist auch, dass alle Daten sofort digital vorliegen und in (Statistik-)Programmen weiterverarbeitet werden können. Damit werden Kosten und Zeit gespart. Aufgabe 1-9 Notieren Sie, welche Nachteile die Methode, Daten über Online-Fragebögen zu erheben, mit sich bringt. Die Nachteile von Online-Fragebögen liegen vorwiegend darin, dass nicht kontrolliert werden kann, ob eine Person der Zielgruppe den Fragebogen ausfüllt oder möglicherweise jemand, der die Zielgruppenparameter nicht erfüllt, stellvertretend für eine Person agiert. Es kann ebenso wenig kontrolliert werden, ob nur eine Person den Fragebogen ausfüllt oder die Antworten Ergebnis einer gemeinschaftlichen Beratung im Rahmen einer illustren Partygesellschaft sind. Auch die Zusammensetzung der Stichprobe kann nachteilig sein. So nehmen oftmals Personen teil, die einfach Freude an empirischen Erhebungen haben, oder Personen, die die jeweilige Thematik besonders positiv oder besonders negativ tangiert. Die Menge dieser Personen muss nicht notwendigerweise deckungsgleich mit der Stichprobe sein, die für eine repräsentative Aussage benötigt wird. Diese Gefahr kann dadurch eingegrenzt werden, dass Befragungsbögen per E-Mail verschickt werden. Hierfür müssen einer elektronischen Nachricht an eine statistisch ermittelte Auswahl an Adressaten lediglich Textdateien hinzugefügt werden. Dieses Vorgehen birgt wiederum eine andere Gefahr - die unsichere Rücklaufquote, weil Probanden eine E- Mail mit dem ausgefüllten Fragebogen zurücksenden müssen und dabei möglicherweise auch fürchten, nicht anonym zu bleiben. Eine Zugangsberechtigung zu einer Cloud, in der die ausgefüllten Fragebögen hinterlegt werden können, nähme ihnen zwar diese Angst, ist aber nicht zu empfehlen, weil die Probanden dadurch auch Zugriff auf bereits dort hinterlegte Daten bekämen. Online-Befragungen können auch über interaktive Online-Formulare via Webbrowser bearbeitet werden. Ein Versuch, dabei die Stichprobe zu steuern wäre, per E-Mail eine statistisch ermittelte Auswahl an Adressaten auf den entsprechenden Link zum Fragebogen aufmerksam zu machen. <?page no="36"?> 1. Methoden der Internetlinguistik 36 Mit Hilfe der Internetseite https: / / www.soscisurvey.de/ ist es selbst für Ungeübte sehr einfach, ein solch interaktives Online-Formular zu erstellen. Solange dieses Angebot nicht für kommerzielle Zwecke genutzt wird, ist es kostenlos. Nutzer müssen sich lediglich registrieren und den nutzerfreundlichen Anweisungen folgen. Wir empfehlen, bei der Anmeldung keine private E-Mail-Adresse (yahoo, gmail etc.), sondern die Uni-E-Mail-Adresse anzugeben. Eine zusätzliche Software ist nicht vonnöten, da die Befragung auf dem Server SoSciSurvey läuft. Ein weiterer kostenloser Anbieter ist zoomerang.com. Für größere Studien, in deren Rahmen eine Teilnehmer- und Datenverwaltung und kontinuierliche Rückmeldungen über den Verlauf der Erhebung gewünscht sind, bietet sich das kostenpflichtige Angebot von rogator.de an (vgl. Döring 2 2003: 230). Es ist wichtig, präzise anzugeben, wie lange die Bearbeitung des Fragebogens maximal dauert. Gerade bei zeitaufwändigeren Befragungen können potenzielle Teilnehmer so den Zeitpunkt, zu dem sie die Fragen beantworten, besser festlegen. Gleichzeitig wird so einem Problem vorgebeugt, das im Zusammenhang mit Online-Befragungen häufiger auftritt: der vorzeitige Abbruch und damit die Nicht-Verwertbarkeit der Daten. 1.4.4 Log-File-Analyse - Einfach mitschneiden? Die sogenannte Log-File-Analyse ist eine Methode der Datenerhebung, die in etwa mit der teilnehmenden Beobachtung in Offline-Situationen vergleichbar ist. Auf den Rechnern der teilnehmenden Versuchspersonen werden spezifische Protokollierungsprogramme installiert, die neben den technischen Informationen über den Datenverkehr auch inhaltliche Botschaften aufzeichnen, die im Anschluss ausgewertet werden können. Dieses Vorgehen bietet sich insbesondere für online geführte Gespräche, z. B. in Sozialen Netzwerken (vgl. Gysin im Druck) oder Chat-Räumen (Orthmann 2000), an. Die an der Erhebung teilnehmenden Nutzer wissen, dass die von ihnen generierten Daten aufgezeichnet werden. Beobachterparadoxon: „the aim of linguistic research in the community must be to find out how people talk when they are not being systematically observed; yet we can only obtain this data by systematic observation.“ (Labov 1972: 209) Aufgabe 1-10 Spielt das sogenannte Beobachterparadoxon auch bei Daten eine Rolle, die im oder über das WWW generiert werden? Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie sprachliche Äußerungen immer auch im Hinblick darauf produzieren, dass diese Daten für eine Analyse bestimmt sind. Für den Versuchsleiter ist oftmals im Nachhinein ohne explizites Nachfragen kaum zu rekonstruieren, inwieweit beispielsweise besonders drasti- <?page no="37"?> 37 1.4 Onlinedaten erheben - Durchaus eine Herausforderung sche oder auch besonders milde Äußerungen der Erhebungssituation geschuldet sind. Der Versuchsleiter muss ebenfalls damit leben, dass ihm ein Teil der produzierten Daten generell verborgen bleiben wird, weil die Nutzer von der Möglichkeit Gebrauch machen, die Aufzeichnungsprogramme zu deaktivieren. Wie bei jeder teilnehmenden Beobachtung wird auch hier mit der Hoffnung gearbeitet, dass sich die Versuchsteilnehmer über einen längeren Zeitraum an die Aufnahmesituation gewöhnen und zunehmend natürlich agieren. 1.4.5 Offline-Umwege zu Online-Daten Es gibt sprachwissenschaftliche Fragestellungen, die zwar Online-Phänomene aufgreifen, für deren Untersuchung dennoch auf keinem der oben skizzierten Wege Daten in zufriedenstellender Menge und Qualität online erhoben werden können. Gerade Belege für sehr persönliche, emotionale Kommunikation sind kaum zugänglich, weil sie in geschützten Bereichen des WWW stattfindet oder auch auf Sozialen-Netzwerk-Seiten für Fremde verborgen bleibt. Liegt das Forschungsinteresse in diesem Bereich, gelingt die Datenerhebung oft nur mit Hilfe der Datenurheber, die erreicht und angesprochen werden müssen. Das kann z. B. über einen Flyer geschehen. Dieser sollte die folgenden Fragen beantworten: • Worum geht es? • Wie heißt die Studie? • Welches Ziel hat sie? • Wer führt die Studie durch? • In welchem Zeitraum findet sie statt? • Welche Daten werden erhoben und bleiben sie anonym? • Welche Anforderungen müssen Studienteilnehmer erfüllen? • Wird die Teilnahme vergütet? • Können die Ergebnisse eingesehen werden und wann? Eine ansprechende Gestaltung lässt sich beispielsweise mit Anwendungen wie istudio-Publisher oder dem Microsoft Publisher problemlos vornehmen. Aufgabe 1-11 Sie möchten eine Hausarbeit zum Thema „Das Naddel-Prinzip - Schluss per SMS. Sprachliche Strategien zum Beenden von Beziehungen über Kurzbotschaften“ schreiben. Bei Ihrer Recherche im Internet haben Sie zwar zahlreiche Berichte über das Phänomen gefunden, aber nur einen sprachlichen Beleg, der von Nadja Abdel Farrag stammt: „Ich habe dich gern, aber ich habe es mir noch mal überlegt. Es geht nicht. Ich wünsche dir alles Gute“. Gestalten Sie einen Flyer, um Personen zu finden, die Erfahrungen mit diesem Thema gemacht haben und bereit sind, sprachliche Belege zur Verfügung zu stellen. <?page no="38"?> 1. Methoden der Internetlinguistik 38 1.5 In der Bibliographie soll es dann so aussehen 1.5.1 Die Online-Publikation im Literaturverzeichnis Es gibt diverse Möglichkeiten, ein Literaturverzeichnis zu erstellen. Manche nutzen eine Software wie Citavi, EndNote oder Mendeley. Andere erstellen das Literaturverzeichnis „per Hand“ oftmals erst im Anschluss an den kreativen Schreibprozess. Früher oder später steht jedoch jeder einem Problem gegenüber: In welcher Form sind Internetquellen ins Literaturverzeichnis aufzunehmen? Verwiesen sei auf einen Service, der auf der Internetpräsentation des Projekts „sprache@web“ der Leibniz Universität Hannover und der TU Darmstadt angeboten wird. Die Literatursuche wird hier dadurch aufgewertet, dass beispielsweise bei Sammelbänden nicht nur die bibliographischen Angaben des Gesamtwerks, sondern auch die einzelnen Beiträge aufgelistet und mit kurzen Inhaltbeschreibungen verlinkt werden. Zusätzlich bieten die Betreiber der Seite die Möglichkeit eines BibTex-Exports, mit dem die bibliographische Angabe problemlos in ein Literaturverwaltungsprogramm oder in LaTex übernommen werden kann (vgl. auch researchr.org, bibsonomy.org): www.mediensprache.net/ de/ literatur/ . Zumeist führen die heterogene Beschaffenheit der Quellen und der vermeintliche Mangel an Standards dazu, dass jeder Schreiber individuelle Lösungen für die Aufnahme in das Literaturverzeichnis findet. Runkehl/ Siever (2000: 640) sprechen gar von einem „Ratespiel“ und setzen mit ihrem „Electronic StyleGuide“ Maßstäbe. Ziel dieses Abschnitts ist es, Probleme, die sich beim Zitieren von Internetquellen ergeben können, zu beschreiben und Muster für Einträge ins Literaturverzeichnis vorzuschlagen. Dabei orientieren wir uns im Wesentlichen an den Vorgaben von Jens Runkehl und Torsten Siever und nehmen dort Anpassungen vor, wo es die technologische Entwicklung in der vergangenen Dekade notwendig macht. Aufgabe 1-12 Welche Angaben muss ein bibliographischer Eintrag für Online-Publikationen enthalten? Als obligatorische Bestandteile eines jeden Eintrags in das Literaturverzeichnis einer wissenschaftlichen Arbeit kennen wir bisher • bei Monographien: Autorenname(n), Erscheinungsjahr, Titel der Publikation, Verlagsort und Verlag; • bei Zeitschriftenartikeln: Autorenname(n), Erscheinungsjahr, Titel des Aufsatzes, Titel der Zeitschrift, Jahrgang/ Ausgabennummer, Seitenzahlen; <?page no="39"?> 39 1.5 In der Bibliographie soll es dann so aussehen • bei Sammelbänden: Autorenname(n), Erscheinungsjahr, Titel des Beitrags, Herausgebername(n), Verweis auf Herausgeberschaft (Hrsg./ Hg./ Hgg./ ed./ eds.), Erscheinungsjahr, Titel des Sammelbandes, Verlagsort, Verlag, Seitenzahlen. Diese Angaben müssen um Informationen ergänzt werden, die der Plattform, auf der sie erscheinen, gerecht werden. Bibliographische Einträge sollten im WWW mühelos auffindbar und überprüfbar und so konstituiert sein, dass sie leicht verständlich und dennoch nicht überfrachtet erscheinen (siehe die fünf Prinzipien von Walker/ Taylor 1998, zitiert und kommentiert bei Runkehl/ Siever 3 2001: 44 f.). Seit Oktober 2012 werden Zitierregeln in der DIN-Norm DIN ISO 690 zusammengefasst. Damit wurde die DIN 1505-2, über die bis dato Zitierregeln festgelegt waren, aktualisiert, indem „a) veraltete nationale Zitierregeln […] durch neue internationale Zitierregeln ersetzt [und] b) Angaben zum Zitieren von elektronischen Informationsressourcen [...] hinzugefügt [wurden]“. (http: / / www.beuth.de/ de/ norm-entwurf/ din-iso- 690/ 165487528) Generell kann gesagt werden, dass auf Verweise wie „online verfügbar (unter)“, „Online-Publikation“, „unter“, „im WWW erhältlich“ usw. innerhalb der bibliographischen Angabe verzichtet werden kann, weil allein durch das Aufführen eines URLs augenscheinlich wird, dass der Text online verfügbar ist (oder war). In der einen oder anderen Veröffentlichung kann man analog zu den bibliographischen Einträgen von Zeitschriftenartikeln ein „In“ vor der URL- Angabe lesen. Genaugenommen ist das jedoch unpassend, weil niemand etwas in einer Webseite liest, sondern eher auf. Um hier Verwirrung zu vermeiden, empfehlen wir, bei bibliographischen Angaben von im Netz veröffentlichter Literatur sowohl auf das „In: “ als auch auf das „Auf: “ vor der URL zu verzichten. Online veröffentlichte Zeitschriften, wie linguistik.online, sind aber korrekt mit „In: “ bibliographiert. Wir betrachten nun die Publikationsformen, die uns im Web begegnen, und prüfen jeweils inwieweit die obigen Parameter identifiziert werden können. Blickt man der bitteren forschungspraktischen Wahrheit ins Auge, muss man sich wohl eingestehen, dass viele Studierende den Gang in die Bibliothek als vermeidbar erachten, seitdem oogle dazu übergegangen ist, partielle Scans von Büchern im Web zu veröffentlichen. Oftmals kann man anhand des Inhaltsverzeichnisses abschätzen, ob die Publikation relevant für die eigene Fragestellung ist. Sollte das der Fall sein, empfehlen wir dringend, sich nicht mit der von oogle vorgenommenen Auswahl an Textabschnitten zufriedenzugeben. Nehmen Sie das Buch stattdessen in die Hand, blättern Sie darin und entscheiden Sie selbst, ob es nicht andere/ weitere wichtige Stellen darin gibt, die beachtet und ggfs. auch zitiert werden müssen. Entsprechend verfahren Sie bei der Aufnahme in das Literaturverzeichnis auf die oben ooglebooks G G G <?page no="40"?> 1. Methoden der Internetlinguistik 40 angegebene herkömmliche Weise, denn ein bei ooglebooks gescanntes Buch ist keine Online-Publikation. Inzwischen ist es häufig so, dass wissenschaftliche Qualifikationsarbeiten wie Dissertationen oder Habilitationen eine mit dem Verlag vereinbarte Zeit (meist zwei Jahre) nach der Buchpublikation als Online-Publikation erscheinen oder gar nicht mehr in Buchform publiziert, sondern direkt ins Web gestellt werden. Auch Neuauflagen können in Form von Online-Publikationen erscheinen. Bücher, die Jahre nach ihrem Erscheinen unverändert als E-Book im Web veröffentlicht werden, sollten wie eine herkömmliche Buchpublikation ins Literaturverzeichnis übernommen und um den URL ergänzt werden. Korrigierte und/ oder aktualisierte Neuauflagen von Büchern, die als E-Publikation erscheinen, werden mit einem Hinweis versehen, siehe (1-11). (1-11) Spiegel, C. (2006): STREIT. Eine linguistische Untersuchung verbaler Interaktionen in alltäglichen Zusammenhängen. Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung. http: / / verlag-gespraechsforschung.de/ 2011/ pdf/ streit.pdf, (korrigierte Neuauflage, Erstauflage 1995, Tübingen: Narr). Paradoxerweise hat sich auch der zusätzliche Verweis auf das Datum des letzten Zugriffs als wissenschaftliche Praxis etabliert. Runkehl/ Siever ( 3 2001: 96) zeigen jedoch, dass der Mehrwert eines solchen Datums gering ist und den Zitierenden in eine Rechtfertigungssituation im Sinne von ‚möglicherweise ist die Seite nicht mehr verfügbar, aber als ich die Arbeit verfasst habe, gab es sie noch‘ manövriert. Ein Ausdruck der Veröffentlichung, der ggfs. nachgereicht werden kann, ist viel zweckmäßiger. Wichtig ist es, das Datum der (Erst-)Veröffentlichung und ggfs. das Datum der letzten Überarbeitung/ Aktualisierung anzuführen. Diese Daten sind dann vergleichbar mit dem Erscheinungsjahr und der Neuauflage, die für Offline-Publikationen relevant sind. Das Internet ist dynamisch, weshalb „ein Datum den aktuellen Stand dokumentieren muss, sofern es sich nicht um die erste und damit vorläufig einzige Fassung handelt“ (Runkehl/ Siever 3 2001: 97). „Es ist aber […] wenig sinnvoll, das Download-Datum anzugeben, wenn ein Revisionsdatum eine bestimmte Version dokumentiert. [Es] wird das im Dokument verzeichnete Datum der Erstellung oder - falls bereits modifiziert - das der letzten Änderung angegeben. [Nur! ] [f]alls dies nicht ersichtlich ist, wird das Datum der Sichtung genannt.“ (Runkehl/ Siever 3 2001: 97) Monographien/ E-Books G <?page no="41"?> 41 1.5 In der Bibliographie soll es dann so aussehen Um in der bibliographischen Angabe unterscheiden zu können, ob es sich beim angegebenen Datum um ein Revisionsdatum oder um das Datum des letzten Zugriffs handelt, wird dem Datum entsprechend ein „Rev: “ (für Revision) oder ein „Acc: “ (für Access) vorangestellt. Als Datumsform bietet sich die folgende Variante an: JJJJ-MM-TT (nach DIN 5008 resp. ISO 8601). Diese wird sowohl national und auch international richtig interpretiert. Möchte man eine Versionsnummer einfügen, kann diese mit Vers. indiziert werden (1-12). (1-12) Mustermann, M. (2013): Musterartikel auf einer Musterseite. Musterseitenname. http: / / www.musterseite.de/ muster_muster, Vers. 2, Rev: 2013-01-12. Wird keine Datums- oder Versionsangabe gemacht, ist das Publikationsdatum ausschlaggebend und es ist davon auszugehen, dass an dem entsprechenden Dokument seit der Veröffentlichung keine nachvollziehbaren Veränderungen vorgenommen worden sind, dass es sich also um ein Dokument handelt, dass von der Druckversion nicht abweicht (1-13). (1-13) Runkehl, J./ Schlobinski, P./ Siever, T. (1998): Sprache und Kommunikation im Internet. Überblick und Analysen. Opladen: Westdeutscher Verlag. http: www. mediensprache.net/ archiv/ pubs/ 3-531-13267-9.pdf Dass das Dokument zum Zeitpunkt, an dem die wissenschaftliche Arbeit geschrieben wurde, unter der im bibliographischen Eintrag angegebenen Adresse erreichbar war, ist deshalb evident, weil anderenfalls nicht daraus hätte zitiert werden können. Damit entfällt das Datum des letzten Zugriffs. Wenn es sich eruieren lässt, seit wann die Publikation im WWW zugänglich ist, kann das der bibliographischen Angabe hinzugefügt werden. Ebenso ist mit wissenschaftlichen Aufsätzen zu verfahren, die nach dem Erscheinen in einem Sammelband oder in einer Zeitschrift unverändert als PDF im WWW zur Verfügung gestellt wurden. Das Beifügen eines URLs soll in diesen bibliographischen Angaben lediglich signalisieren, dass der Artikel auch online einsehbar ist (1-14). (1-14) Döring, N./ Pöschl, S. (2006): Images of Men and Women in Mobile Phone Advertisements. A Content Analysis of Advertisements for Mobile Communication Systems in Selected Popular Magazines. Sex Roles. A Journal of Research 5-6, 173-185. http: / / www.nicola-doering.de/ publications/ images-of-men-andwomen-in-mobile-phone-advertisements.pdf Bei der Recherche kann es durchaus vorkommen, dass man auf ein PDF- Dokument stößt, das neben den Autorennamen und dem Titel keinerlei bibliographische Angaben enthält. Das reicht natürlich für den bibliographischen Eintrag nicht aus. Es muss also gründlich recherchiert werden, in welcher Umgebung der Artikel möglicherweise bereits erschienen ist. Die auf diese Weise in Erfahrung gebrachten Angaben werden entsprechend in den Tipp: Wenn keine anderen Daten verfügbar sind, ist es mit Hilfe des Zugriffsdatums möglich, auf http: / / archive. org/ web/ die Version der Seite vom Zugriffstag einzusehen. Aufsätze <?page no="42"?> 1. Methoden der Internetlinguistik 42 bibliographischen Eintrag integriert. Ein naheliegender Schritt ist in diesem Zusammenhang ein Blick in die Publikationslisten des Autors/ der Autoren, die auf persönlichen Webseiten einsehbar sind. Bei wissenschaftlichen Publikationen, die vorab online veröffentlicht werden, ist ein entsprechener Vermerk notwendig, siehe (1-15a). Prüfen Sie jedoch vor Abgabe Ihres Manuskripts, ob die Druckfassung inzwischen erschienen ist. Falls ja, bietet es sich an, sich in der wissenschaftlichen Arbeit auf den gedruckten (vermutlich auch aktualisierten) Aufsatz zu beziehen (1-15b). (1-15a) Storrer, A. (2011): Sprachstil und Sprachvariation in sozialen Netzwerken. studiger.tu-dortmund. Preprint: http: / / www.studiger.tu-dortmund.de/ images/ Zif-Netzwerke-storrer-preprint.pdf (erscheint in: Frank-Job, B./ Mehler, A./ Sutter, T. (Hrsg.) (im Druck): Die Dynamik sozialer und sprachlicher Netzwerke. Konzepte, Methoden und empirische Untersuchungen an Beispielen des WWW. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.) oder (1-15b) Storrer, A. (2013): Sprachstil und Sprachvariation in sozialen Netzwerken. In: Frank-Job, B./ Mehler, A./ Sutter, T. (Hrsg.) (2013): Die Dynamik sozialer und sprachlicher Netzwerke. Konzepte, Methoden und empirische Untersuchungen an Beispielen des WWW. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 329- 364. HTML-Dokumente erscheinen mit Verfassernamen, Erscheinungsjahr, Angabe des Titels und des Seitentitels sowie der URL-Adresse in der Bibliographie. Wenn auf der Seite das Datum angegeben ist, an dem sie erstellt worden ist, ist dieses auf bekannte Weise in den bibliographischen Eintrag aufzunehmen (1-16). Befindet sich jedoch zudem noch das Datum der letzten Aktualisierung auf der Seite, ist dieses in den bibliographischen Eintrag zu integrieren. Auf das Datum der Erstellung wird dann in Klammern mit dem Zusatz „online seit“ hingewiesen (1-17). Wir empfehlen diese Vorgehensweise, weil niemand nachvollziehen kann, ob der zitierte Text bereits Bestandteil der Ursprungsversion der Seite war. Es besteht immer auch die Möglichkeit, dass eben dieser Text im Zuge der Aktualisierung eingefügt worden ist. Zitiert wird zu einem Zeitpunkt X und man kann gerade bei einem dynamischen Medium wie dem Internet nur sichere Aussagen über die Beschaffenheit des Textes an diesem Zeitpunkt X machen. Angaben über den Autor oder die Herausgeber einer Seite sind notfalls dem Impressum zu entnehmen. Kann eine Text-Autor/ Autor-Text-Zuordnung nicht eindeutig erfolgen, sollte erwogen werden, den Text nicht zu zitieren und stattdessen eine verlässlichere Quelle zu suchen. (1-16) Bendel, O. (2012): Siri ist hier. mediensprache. https: / / www.mediensprache. net/ de/ handysprache/ siri/ index.aspx HTML-Dokumente <?page no="43"?> 43 1.5 In der Bibliographie soll es dann so aussehen (1-17) Siever, T. (2009): Chatten: Plaudern im virtuellen Raum. mediensprache. https: / / www.mediensprache.net/ de/ websprache/ chat/ sprache/ index.aspx (online seit 2006-09-18). Auf manchen Webseiten wird ein Vorschlag dazu unterbreitet, wie die elektronische Ressource zu zitieren ist, wie beispielsweise auf www.bubenhofer.com: „Diese elektronische Ressource soll wie folgt zitiert werden: Bubenhofer, Noah (2011): Einführung in die Korpuslinguistik: Praktische Grundlagen und Werkzeuge. Elektronische Ressource: www. bubenhofer. com/ korpuslinguistik/ .“ Solchen Angaben können alle für die oben angegebene Form notwendigen Angaben entnommen werden. Angepasst an das vorliegend vorgeschlagene Format, wäre der bibliographische Eintrag nur minimal zu modifizieren (1- 18): (1-18) Bubenhofer, N. (2011): Einführung in die Korpuslinguistik: Praktische Grundlagen und Werkzeuge. bubenhofer. http: / / www.bubenhofer.com/ korpuslinguistik/ kurs/ (online seit 2006). Texte aus Online-Medien sind mit ihrem auf den Tag genauen Erscheinungsdatum aufzuführen (siehe 1-19). (1-19) Schönert, U. (2007): Pranger für Pauker. Stern.de. http: / / www.stern.de/ digital/ online/ lehrer-im-internet-pranger-fuer-pauker-590635.html (2007- 06-07 erschienen). Allerdings können journalistische und damit auch populärwissenschaftliche Texte, die in Online-Ausgaben von Tages- und Wochenzeitungen erscheinen, keine vollwertigen wissenschaftlichen Quellen sein. Informationen, die hier populärwissenschaftlich aufbereitet werden, sollten in den zugrundeliegenden Studien nachgelesen und von dort zitiert werden. Online-Berichte (journalistische Texte) können vielmehr eine Quelle für sprachliche Belege sein, wenn eine entsprechende Fragestellung für die Forschungsarbeit vorliegt. Somit sind sie wie auch Quellen für alle in der jeweiligen Forschungsarbeit zitierten sprachlichen Beispiele in ein Quellenverzeichnis aufzunehmen, dass zusätzlich zu einer Bibliographie zu erstellen ist. 1.5.2 Quellenverzeichnis für Beispielbelege Blogs, Soziale-Netzwerk-Seiten, Kommentarbereiche, Foren oder E-Mails sind Quellen für sprachliche Beispiele. Wir empfehlen hierfür ein Quellenverzeichnis anzulegen, dessen Ordnungsprinzip darin bestehen kann, die Quellen in der Reihenfolge aufzulisten, in der sie in der wissenschaftlichen Arbeit auftreten, d. h. der erste Eintrag in der Liste stellt die vollständige Quelle des ersten in der wissenschaftlichen Arbeit zitierten Belegs dar, der zweite Eintrag zeigt die vollständige Adresse der Internetseite an, der der zweite in der Arbeit zitierte Beleg entstammt usw. Dabei ist die Beispielnummerierung, die <?page no="44"?> 1. Methoden der Internetlinguistik 44 im Fließtext zugewiesen wurde, zu nennen. In den Eintrag aufzunehmen sind der Name des Web-Angebots, eine Angabe dazu, um welche Textsorte es sich handelt (Forenbeitrag, Statusmeldung, Artikel, Kommentar, Tweet etc.), optional der Name des Urhebers, der URL des Eintrags und eine Datumsangabe, die auch um eine Zeitangabe ergänzt werden kann, wenn diese ermittelbar ist. Die Angabe des Web-Angebots mag manchem redundant erscheinen. Sie ist aber notwendig, weil sie sich nicht immer aus der URL ergibt, wie z. B. beim Webauftritt der Universität Zürich. Der Name des Webangebots würde „Universität Zürich“ lauten, der URL allerdings „http: / / www. uzh.ch/ index.html“. Ein anderes Ordnungsprinzip wäre die Kategorisierung nach spezifischen Quellen. Sind z. B. alle sprachlichen Belege Sozialen Netzwerken entnommen worden, können alle Belege, die aus Facebook stammen, untereinander aufgeführt werden, anschließend alle Belege, die aus Yappy stammen usw. Der Verweis auf die Beispielnummerierung im Fließtext ist hier ebenso obligatorisch. Quellenverzeichnis - Beispiel-Einträge: (1-1) Chefkoch. Forenbeitrag: Ursula1, Haus&Garten. http: / / www. chefkoch.de/ forum/ 2,27,655577/ Probleme-mit-Leifheit- Waeschespinne.html 2013-08-14, 8: 49. (1-2) zeit.de. Artikel: Kayser, Rainer: Ein Magnetfeld füttert das schwarze Loch der Milchstraße. http: / / www.zeit.de/ wissen / 2013-08/ milchstrasse-magnetfeld-schwarzes-loch 2013-08-14, 19: 00. (1-3) Twitter. Tweet: Gustl Mollath @mollath. https: / / Twitter.com/ Mollath 2013-08-13, 13: 34. … (1-7) Joomla! Forenbeitrag: firstlady, Gruppen. Joomla-Anwender. Ar beitsgruppe „Suche verweigerer“. http: / / www.joomplaportal.de/ groups/ arbeitsgruppe-suche-verweigerer-d39-informatiklehrerich-fasse-es-nicht-teil-1.html 2011-06-20, 18: 45. Bei dem Beleg (1-8) handelt es sich um ein privates Facebook-Profil. Die Länge von Internet-Adressen (URLs) überschreitet nicht selten die Zeilenlänge, sodass ein Umbruch notwendig wird. Weil das Einfügen eines Bindestrichs jedoch den URL verfälscht, sollte ein Umbruch nur an „Solltrennstellen“, wie beispielsweise nach einem Slash (/ ), einem Punkt oder einem Bindestrich, die jeweils Bestandteile des URLs sind, erfolgen. Im Fließtext lässt sich ein Umbruch manchmal vermeiden, wenn der Text umgestellt wird oder eine Kurzform der URL (mit Verweis auf die Bibliographie oder das Quellenverzeichnis) eingesetzt wird. Konstanze Marx Allgemeiner Hinweis <?page no="45"?> 45 1.5 In der Bibliographie soll es dann so aussehen Das WWW stellt einen nahezu unerschöpflichen Datenpool für die sprachwissenschaftliche Forschung dar. Die Datengewinnung ist dabei insbesondere für die Korpusgenerierung vergleichsweise einfach zu realisieren und bedarf nicht notwendigerweise spezifischer Informatikkenntnisse. Anwendungen wie antconc erleichtern Geisteswissenschaftlern die Arbeit erheblich. Daten können auch über elektronische Umfragen erhoben werden. Hierbei kann auf das Hilfsmittel SoSciSurvey zurückgegriffen werden. Grundsätzlich können alle Daten, die im Rahmen eines Forschungsprojekts erhoben worden sind, in einer wissenschaftlichen Arbeit zitiert werden. Dabei ist darauf zu achten, dass die Persönlichkeitsrechte der Urheber von Beiträgen gewahrt bleiben. Alle bibliographischen Angaben müssen so gestaltet sein, dass die Internetquelle jederzeit nachprüfbar ist. Korpus: Ein Korpus ist eine Datensammlung, die explorativ oder hypothesengeleitet auf sprachliche Phänomene untersucht werden kann. Diese Datensammlungen werden entweder quantitativ oder - mit dem Anspruch Aussagen über Form-Funktionsbeziehungen in der Sprache machen zu können - qualitativ ausgewertet. Fragebogen: Ein Fragebogen ist ein in den empirischen Sozialwissenschaften verbreitetes Erhebungsinstrument. Die Internet-Linguistik nutzt u. a. Online-Fragebögen, um beispielsweise die Verbreitung spezifischer Lexeme oder Grammatikalitätsurteile zu untersuchen. Log-File-Analyse: Mittels einer Log-File-Analyse kann die Online- Aktivität von Nutzern protokolliert werden. Log-Files können nicht nur statistische, sondern auch inhaltliche Daten enthalten, wie etwa kommunikative Botschaften. Sie sind daher als Erhebungsinstrument für die Internet-Linguistik relevant. Offline-Datenerhebung: Ein Ansatz zur Erhebung von Online-Daten kann auch die Offline-Datenerhebung sein. Sie bietet sich in Fällen an, in denen Beschränkungen jeglicher Art einen Online-Zugang zu Daten unmöglich machen. Ziel der Offline-Datenerhebung ist es, persönlichen Kontakt zu den Probanden aufzubauen und sie zu motivieren, Protokolle ihrer Online-Aktivität zu Forschungszwecken zur Verfügung zu stellen. Übungen 1. In wissenschaftlichen Studien wird der Name von Studienteilnehmern u. a. aus datenschutzrechtlichen Gründen normalerweise nicht erhoben. Warum ist es aber unter Umständen relevant, den Urheber eines im WWW veröffentlichten Textes zu bestimmen? 2. Wie würden Sie vorgehen, wenn Sie verschiedene Gebrauchsweisen des Lexems Opfer in den letzten zwanzig Jahren beschreiben müssten? Evaluieren Sie das WWW hinsichtlich seiner Praktikabilität als Korpus. Welche Vor- und welche Nachteile sehen Sie? Speicherinhalt <?page no="46"?> 1. Methoden der Internetlinguistik 46 3. Rufen Sie die folgenden Seiten auf: 1. georg-re.hm/ pdf/ Haase-et-al.pdf 2. http: / / www.germanistik.uni-hannover.de/ fileadmin/ deutsches_ seminar/ publikationen/ HAL/ hal-3.pdf 3. http: / / www.digitale-soziale-netze.de/ gi-workshop/ gi-workshop 2008-offline/ papers/ Social%20Networks%20-%20das%20World %20Wide%20Web%20zwischen%20Identitaetsentwuerfen%20 und%20Interaktivitaet.pdf Welche bibliographischen Angaben vermissen Sie jeweils? Wie gehen Sie vor, um die fehlenden Informationen zu ermitteln? Lektüre zur Vertiefung Eine umfassende Einführung in das empirische Arbeiten in Linguistik und Sprachlehrforschung geben Albert/ Marx (2010) sowie Schlobinski (1996). Der sozialwissenschaftliche Klassiker über Forschungsmethoden und Evaluation von Bortz/ Döring ( 4 2006) ist auch für Linguisten äußerst hilfreich. Mit dem Electronic Guide zum Publizieren, Bibliographien und Zitieren haben Runkehl/ Siever ( 3 2001) die ersten formalen Vorgaben für die Internetlinguistik formuliert. Eine Einführung in die Korpuslinguistik haben Scherer (2006) und Lemnitzer/ Zinsmeister ( 2 2010) geschrieben. Consten (2014) hält ein überzeugendes Plädoyer dafür, das Erkenntnisinteresse über Form-Funktionszusammenhänge sprachlicher Phänomene und damit die sorgfältige qualitative Auswertung von Daten aller die sprachlichen Prozesse beim Verstehen von Äußerungen und den komplexen Kontext von Äußerungen ignorierenden Korpus-Rechnerei vorzuziehen ist. Androutsopoulos (in press) diskutiert in einem Artikel die Online- Datensammlung im Rahmen soziolinguistischer Forschung. Die Problematik der sozialen Erwünschtheit wird von Stocke (2004) in einem lesenswerten Überblicksartikel thematisiert. Tipps zum Erstellen von Fragebögen und weitere Links finden sich unter www.fragebogen.de. Testergebnisse zu verschiedenen Literaturverwaltungsprogrammen können unter http: / / www.artefakt-sz.net/ allerart/ programmezur-literaturverwaltung-im-test eingesehen werden. Der Initiative OpenAccess (http: / / www.open-access.net/ ) ist es zu verdanken, dass wissenschaftliche Publikationen kostenfrei online eingesehen werden können. <?page no="47"?> 2. Medientheorie des Internets Ist das Internet ein Medium? Was ist ein Hybridmedium? Inwiefern beeinflussen mediale Eigenheiten die Kommunikation und die Kommunikationsformen, die im Internet zu finden sind? 2.1 Unsere Welt ist online Medien üben einen großen, unübersehbaren Einfluss auf unser tägliches Leben aus. Über sie erreichen uns Informationen, die unserer direkten Wahrnehmung nicht zugänglich sind. Sie filtern diese Informationen und geben ihnen zugleich eine bestimmte Form und Gestalt. Auf diese Weise erfolgt eine Vorselektion, die unsere Wahrnehmung der Welt und damit unser Weltbild prägt. Darüber hinaus eröffnen uns Medien neue Möglichkeiten, mit unseren Mitmenschen - und mit weit mehr davon, als wir ansonsten erreichen könnten - zu kommunizieren. Dadurch verändern sie unser soziales Zusammenleben, unsere Gesellschaft. Diese Erfahrung haben wir bzw. unsere Vorfahren unter anderem mit der Erfindung des Buchdrucks oder im letzten Jahrhundert mit der Verbreitung von Radio und Fernsehen, aber auch zuerst der Festnetz- und dann der Mobiltelefonie gemacht: Alle diese Medien haben die Wissens- und Kommunikationskulturen, die gesellschaftlichen Strukturen und sozialen Praxen zum Teil von Grund auf einem unverkennbaren Wandel unterzogen. Gegenwärtig gilt nun das Internet als besonders einflussreich: Es wird zum Beispiel von den einen als eine Chance wahrgenommen, global und auf eine neue Art zu kommunizieren, überkommene soziale und politische Strukturen aufzubrechen, das gesellschaftliche Zusammenleben zu erneuern, Möglichkeiten für Wirtschaftstreibende z. B. in der Vermarktung und im Vertrieb zu eröffnen und nicht zuletzt die Einschränkungen der „alten Medien“ zu überwinden. Andere wiederum befürchten, dass durch das Internet und die damit verbundene Förderung der Globalisierung regionale Besonderheiten gefährdet werden, dass sich als gefährlich betrachtetes Wissen - z. B. über die Konstruktion von Waffen und Sprengkörpern - ungehindert verbreitet, dass Privates nicht mehr privat bleibt oder dass die neue Art zu kommunizieren zum Untergang der jeweils gebrauchten Sprache oder zumindest zu deren „Verschandelung“ durch schlampigen, fehlerhaften Gebrauch führt. Unabhängig davon, ob sich das Internet großen Zuspruchs erfreut oder ob es harsche Kritik erfährt: Es wird immer davon ausgegangen, dass es sich beim Internet um ein „neues Medium“, also ein Medium handelt. Diese Annahme wollen wir hier jedoch nicht einfach so übernehmen. Vielmehr soll in <?page no="48"?> 2. Medientheorie des Internets 48 diesem Kapitel diskutiert werden, inwieweit man im Falle des Internets tatsächlich von einem Medium sprechen kann und was seine medialen Charakteristika sind. 2.2 Was ist ein Medium? Was wir unter einem Medium verstehen, scheint den meisten völlig klar zu sein. Wenn man aber genauer hinsieht, bemerkt man, dass wir im Alltag alles Mögliche als Medium bezeichnen: Das reicht von einzelnen Fernsehsendern wie ARD, ORF etc. über das Medium Radio bis zu Geistersehern und Schamanen. Das, was wir mit dem Alltagsbegriff Medium benennen, sind also sehr heterogene Dinge. Für einen wissenschaftlichen Gebrauch des Terminus in der Medien- und der Internetlinguistik ist das keine befriedigende Situation. Daher werden wir in den folgenden Abschnitten eine genauere Definition dieses für die Internetlinguistik zentralen Begriffs und dabei eine Beschreibung der Rolle von Medien in Kommunikationsprozessen unternehmen. 2.2.1 Einer, der polarisiert: McLuhans Medienbegriff „All media are extensions of some human faculty - psychic or physical.“ (McLuhan/ Fiore 1967: 26) Marshall McLuhan versteht also unter Medien sämtliche Erweiterungen des menschlichen Körpers bzw. der ihm gegebenen Fähigkeiten, seien sie nun geistiger oder körperlicher Natur. Diese Ansicht lässt sich anhand des (McLuhan zufolge) Mediums „Fernrohr“ gut erläutern: Ein Fernrohr ermöglicht es uns, Gegenstände oder Personen zu beobachten, die zu weit entfernt sind, als dass wir sie mit bloßem Auge sehen oder zumindest im ausreichenden Ausmaß erkennen könnten. Mit Hilfe der im Fernrohr verwendeten optischen Technologie wird unsere Sehfähigkeit also erhöht. Daher können wir im Sinne McLuhans von einem Medium sprechen, das eine unserer körperlichen Fähigkeiten, nämlich die der visuellen Wahrnehmung, ausbaut. Es handelt sich somit um eine Extension unseres Körpers, genauer: unserer Augen. Herbert Marshall McLuhan (*1911, †1980) ist ein kanadischer Literaturwissenschaftler und Medientheoretiker. Er ist Begründer einer einflussreichen, wenn auch umstrittenen Medientheorie und prägte unter anderem den Terminus „global village“. Aufgabe 2-1 Überlegen Sie sich weitere Beispiele für Medien im Sinne der zitierten Definition von McLuhan, also weitere Extensionen unserer körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Medien als Extensionen des Körpers <?page no="49"?> 49 2.2 Was ist ein Medium? Wenn man bedenkt, welche Fähigkeiten unser Körper und unser Geist haben, wie oft wir uns aber auch wünschen, wir könnten etwas besser oder hätten größere Befähigungen etwas zu tun, so ist es keineswegs erstaunlich, wie viele Medien - im sehr weiten Verständnis von McLuhan - wir finden können. Der Definition sehr gut entsprechende Beispiele wären unter anderem das Fahrrad, das Auto oder die Eisenbahn, generell alle Fortbewegungsmittel: Sie erhöhen unsere Möglichkeiten, Entfernungen zu überwinden, und sind damit Extensionen unserer Beine, wobei das Flugzeug die Einschränkungen unserer angeborenen Mittel, uns im Raum zu bewegen, noch zusätzlich quasi in einer weiteren Dimension zu überwinden hilft. Genauso ist zum Beispiel ein Hammer auf eine Art eine Extension unserer Hände (Erhöhung der Fähigkeit zu schlagen) und eine Zange ist es auf eine andere Art (Erweiterung der Fähigkeit zu greifen). Kleidung könnte man so als eine Extension unserer Haut und einen Hut als eine unseres Kopfhaars betrachten. Nicht vergessen dürfen wir leider auch Waffen, angefangen mit der Keule, über Wurfspeer, Pfeil und Bogen, Gewehr und Kanone bis hin zu Atombombe und ferngesteuerter Drohne, die alle die Effizienz unserer körperlichen Fähigkeit, zu kämpfen und zu töten, steigern und ihren räumlichen Wirkungsradius erweitern. Ein positiveres Medium wäre hingegen die Buschtrommel, die uns - quasi als Vorläufer des Telefons - dabei half, auch über räumliche Distanzen hinweg zu kommunizieren, die wir alleine mithilfe der menschlichen Stimme nicht zu überwinden vermochten. McLuhans Medienbegriff umfasst demnach auch Dinge, die wir unserem Alltagsverständnis zufolge nicht als Medien bezeichnen würden, da sie nichts mit Informationsübermittlung oder Kommunikation zu tun haben, also Eigenschaften bzw. Funktionen, die wir im Alltag üblicherweise Medien zuschreiben. Allerdings fokussiert McLuhan in seinen Arbeiten doch großteils Medien der Kommunikation oder der Informationsübertragung, wenn er zum Beispiel den Buchdruck oder das Fernsehen als Medien ins Zentrum seiner Analysen rückt. Da auch das Internet der Informationsverarbeitung und der Kommunikation dient, übernehmen wir diese Fokussierung des Begriffs Medium. Das heißt, wir werden nur mehr dann von einem Medium sprechen, wenn es die Extension kognitiver und kommunikativer Fähigkeiten bewirkt. 2.2.2 Wozu sind sie eigentlich da - die Medien? Wie schon der Medienbegriff von McLuhan gezeigt hat, ist ein wesentliches Bestimmungselement von etwas als Medium dessen Funktion. Diese Funktion, die etwas erst zu einem Medium macht, besteht darin, bestimmte menschliche Fähigkeiten zu verbessern, zu erweitern oder überhaupt erst umsetzbar zu machen. Dabei geht es, wenn wir McLuhans Definition nur auf Medien im engeren Sinn einschränken, um Fähigkeiten, die der Verarbeitung und Verbreitung von Informationen sowie der Kommunikation dienen. <?page no="50"?> 2. Medientheorie des Internets 50 Aufgabe 2-2 Überlegen Sie, welche Fähigkeiten des Menschen mithilfe von Medien ausgebaut oder verbessert werden können, damit Informationsverarbeitung und/ oder Kommunikation besser funktionieren. Bedenken Sie dabei, dass es nicht nur um Face-to-Face-Kommunikation gehen muss. Allgemein kann festgestellt werden, dass Medien gerade in Hinblick auf Kommunikation eine Vermittler-Funktion haben. Dieses Bedeutungselement von MEDIUM lässt sich auch etymologisch auf die ursprüngliche Bedeutung des lateinischen Wortes medium zurückführen. Demnach fungiert etwas, das in irgendeiner Form zwischen - räumlich oder zeitlich - getrennten Dingen oder Personen vermittelt, als Medium. Dabei ist das Medium jeweils einerseits das „Mittlere“, also das, was gleichsam zwischen den getrennten Dingen/ Personen steht, was sie verbindet, und andererseits das instrumentalistisch eingesetzte „Mittel“, um eine Verbindung herzustellen (vgl. Habscheid 2000: 127). Beide Bedeutungselemente sind für MEDIUM relevant, da sie der Vermittlungsfunktion von Medien zugrunde liegen. Wenn nun in diesem Sinn von Medien als Vermittlern die Rede ist, denken wir zunächst wohl am ehesten an ein Medium wie das Telefon. Es verbindet räumlich weit voneinander entfernte Personen und ermöglicht diesen eine Ausweitung ihres Kommunikationsradius. Damit handelt es sich beim Telefon um einen typischen Fall eines Mediums im Sinne McLuhans: Es ermöglicht die Extension einer menschlichen Fähigkeit, nämlich der, sich miteinander zu verständigen bzw. zu kommunizieren. Die Vermittlungsfunktion von Medien kann in einem weiten Sinn als grundlegend betrachtet werden. Es ist jedoch notwendig, hier etwas zu differenzieren: Medien - auch Medien im engeren Sinn von Mitteln der Kommunikation - vermitteln zwischen Dingen oder Personen auf durchaus unterschiedliche Weise. So werden nicht nur räumliche Distanzen überwunden, sondern in anderen Fällen auch zeitliche. Oder es geht nicht nur darum, Kommunikation zwischen einzelnen Menschen zu ermöglichen oder zu erleichtern, sondern auch um eine Erweiterung des Adressatenkreises einer kommunikativen Handlung. Dementsprechend lassen sich Medien in drei Klassen einteilen: • Verbreitungsmedien • Kommunikationsmedien • Speichermedien 2.2.3 Verbreitung! Kommunikation! Speicherung! Zu den ersten - allerdings noch nicht technologischen - Verbreitungs- oder auch Übertragungsmedien gehören das Formen eines Trichters mit den Händen, der zur Verstärkung stimmlicher Äußerungen dient, und der Einsatz von Boten. Beide ermöglichen die Überwindung von räumlichen Entfernungen, die einer erfolgreichen Kommunikation entgegenstehen. Da es dabei zunächst nur darum geht, Informationen in eine Richtung, also vom Sender Vermittlungsfunktion von Medien Verbreitungs-/ Übertragungsmedien <?page no="51"?> 51 2.2 Was ist ein Medium? zum Empfänger zu übermitteln, spricht man von Verbreitungs- oder Übertragungsmedien. Moderne und auf einer Technologie basierende Verbreitungsmedien sind zum Beispiel das Megaphon, das Flugblatt/ der Flyer, das Radio und das traditionelle Fernsehen. Wenn man diese Beispiele betrachtet, wird auch klar, dass es bei Verbreitungsmedien nicht nur um die Überwindung von räumlichen Distanzen geht. Vielmehr ist ein wichtiger Aspekt, dass man mit ihnen auch einen größeren Adressatenkreis erreichen kann: Die Informationen werden unter einer größeren Anzahl von Menschen verbreitet. Für Kommunikationsmedien wie Briefverkehr oder Telefon ist dies hingegen kein entscheidender Punkt. In diesen Fällen erfolgt der Austausch von Informationen prototypischerweise zwischen zwei Individuen. Zwar gibt es mittlerweile auch die Möglichkeit von Telefon- oder Videokonferenzen - im Internet zum Beispiel mittels Skype -, an denen durchaus auch eine größere Anzahl von Leuten teilnehmen kann. Dennoch bleibt auch in diesen Fällen die Möglichkeit von Rückmeldungen, also der Wechsel der Rollen von Sender und Empfänger der wesentliche Aspekt. Potenzielle Interaktivität ist daher das definitorische Merkmal von Kommunikationsmedien. Ein anderes Problem, das einer Kommunikationsintention entgegensteht, kann auch sein, dass wir nicht so sehr räumliche, sondern zeitliche Distanzen zu überwinden haben. Wir müssen in solchen Fällen die Informationen für einen späteren Zeitpunkt verfügbar halten, das heißt, wir müssen sie speichern. In früheren Zeiten (und in schriftlosen Kulturen auch heute noch) war die einzige Möglichkeit, sich die Dinge zu merken, über die man sprechen wollte. Für die Speicherung wichtiger, für eine ganze Gruppe bedeutsamer Informationen kristallisierten sich „Spezialisten“ als Mensch-Medien heraus (vgl. Ehlich 1983: 31 f.) Das bekannteste Beispiel dafür sind wohl Druiden, deren berühmtester - wenn auch fiktiver - Vertreter Miraculix aus den Asterix-Comics ist. Die wichtigste Information, über die er verfügte, nämlich das Rezept des Zaubertranks, wurde seit Generationen nur von Druidenmund zu Druidenohr weitergegeben (http: / / www.asterix-fan.de/ wi/ zt/ trank.htm). Er und seine Vorgänger fungierten somit in ihrer - fiktiven - Gesellschaft wie ihre Pendants in der realen Welt als Spezialisten, die für ihre Kultur essentielles Wissen speicherten und es weitergaben. Heutzutage sind wir nicht mehr auf solche Mensch-Medien angewiesen, aber wir benötigen natürlich weiterhin Speichermedien wie zum Beispiel ein gedrucktes Buch (genereller: den Buchdruck oder die Schrift), eine Audiokassette, eine DVD oder eine CD-ROM. Mithilfe dieser Medien speichern wir Informationen und halten sie für spätere Kommunikationssituationen verfügbar. Dabei ist die Dauer der Speicherung zunächst ohne Relevanz: Eine Tafel mit in Stein gemeißelten Hieroglyphen ist genauso ein Speichermedium wie ein Post-it mit der Botschaft: „Milch fehlt“, das auf die Kühlschranktür geklebt und vielleicht schon fünf Minuten später wieder entfernt wird. Zu beachten ist, dass die Klassifizierung einzelner Medien nicht in jedem Fall eindeutig ist. Zum Beispiel ist ein Brief, der Teil eines Briefverkehrs ist, zwar ein Kommunikationsmedium; als solches kann er aber nur fungieren, weil die vermittelte Botschaft in ihm schriftlich fixiert, also gespeichert wurde. Ein Brief ist somit primär aufgrund seiner Funktion ein Kommunikationsmedium. Daneben ist er aber auch ein Speichermedium. Kommunikationsmedien Speichermedien <?page no="52"?> 2. Medientheorie des Internets 52 Zusammenfassend und etwas vereinfachend kann man feststellen, dass • Verbreitungsmedien eine Extension unserer Befähigung zur Signalproduktion bewirken, • Kommunikationsmedien unsere Fähigkeiten zu kommunizieren und • Speichermedien einen Teil unserer kognitiven Fähigkeiten, nämlich unser Gedächtnis erweitern. Das Internet kann, wie wir noch sehen werden, sowohl als Verbreitungsmedium als auch als Kommunikationsmedium als auch als Speichermedium fungieren. 2.2.4 Von Kanälen, Sinnesmodalitäten und Codes: Elemente (technischer) Medien und Mediendefinition Medien - und insbesondere technische Medien - sind komplex. Sie setzen sich aus mehreren Elementen zusammen bzw. weisen unterschiedliche Aspekte auf, die erst als Gesamtheit die Eigenheiten eines Mediums begründen: Elemente eines Mediums Sinnesmodalität: die Sinnesorgane, die bei der Verarbeitung der über das Medium vermittelten Informationen beteiligt sind Kanal: die physikalische Grundlage des Mediums bzw. der von ihm hergestellten Verbindung technischer Apparat und seine Produkte: die dem Medium zugrundeliegende Technologie Medieninstitution: die soziale Institution, die das Medium zur Verfügung stellt Kommunikationsform / mediale Gattung / Textsorte: die vom Medium ermöglichten und im Medium gebräuchlichen kulturellen Praxen der Informationsverbreitung und Kommunikation semiotischer Modus / Code: die im Medium verwendbaren und verwendeten Zeichenressourcen und -systeme Tab. 2-1: Elemente eines technischen Mediums Um seine Vermittlungsfunktion erfüllen zu können, muss ein Medium Signale vermitteln, die von zumindest einem Rezeptionssorgan des Menschen verarbeitet werden können. Es gibt demnach vom Gesichtspunkt der Rezeption aus in Hinblick auf vom Menschen verarbeitbare Signale die folgenden Sinnesmodalitäten: visuell (Sehsinn), auditiv (Hörsinn), olfaktorisch (Geruchsinn), gustatorisch (Geschmackssinn) und taktil (Tastsinn). Das Radio zum Beispiel spricht ausschließlich den Hörsinn an. Dieses Medium und die von ihm vermittelten Botschaften sind daher wesentlich durch die auditive Sinnesmodalität geprägt. Damit Signale überhaupt verarbeitet werden können, müssen sie zunächst das entsprechende Sinnesorgan erreichen. Es muss also eine physikalische Verbindung zwischen dem Produzenten und dem Rezipienten geben, über Sinnesmodalitäten Kanal <?page no="53"?> 53 2.2 Was ist ein Medium? die die Signale vermittelt werden. Diese physikalische Verbindung wird als Kanal bezeichnet. Man unterscheidet entsprechend zum Beispiel optische (d. h. Lichtwellen leitende), akustische (z. B. die Luft als Schallwellen leitendes Element) und haptische (z. B. die Haut, die taktile Reize überträgt) Kanäle. Der mehr oder weniger komplexe technische Apparat, mit dessen Hilfe die Signale vermittelt werden, bildet den Kern jedes (technischen) Mediums. Häufig bezeichnet man auch nur dieses Element alleine als Medium. Ohne die Nutzung eines Kanals, einer Sinnesmodalität etc. kann ein technischer Apparat aber nicht als Medium fungieren. Daher sollten die anderen Elemente auch ihre Berücksichtigung finden, wenn man ein Medium beschreibt. Als Beispiele für solche technischen Apparate und ihre Produkte wären der Buchdruck mit den daran beteiligten Druckmaschinen und den Druckerzeugnissen oder Videokameras mit den damit erzeugten Videos und den Projektionsflächen zu nennen. An den meisten Fällen medialer Kommunikation sind soziale Institutionen beteiligt, die die Vermittlung von Informationen erst ermöglichen. Beispiele für solche Medieninstitutionen sind Verlage, Theater, Museen oder Telefonanbieter. Im Internet wären das Internetprovider, auf einer anderen Ebene aber auch zum Beispiel YouTube, MySpace oder Wikipedia. Im Zuge von Kommunikationsprozessen mittels eines Mediums bilden sich bestimmte Formen der Kommunikation heraus, die einerseits durch die technisch-physikalischen Gegebenheiten des Mediums, andererseits durch das Kommunikationsverhalten der Kommunizierenden geprägt sind. Solche konventionalisierten Formen sind Ausdruck kultureller Praxen der Kommunikation. Man spricht hier von Kommunikationsformen, medialen Gattungen oder Textsorten (siehe dazu Kapitel 5.4). Beispiele dafür sind Tierdokumentationen im Fernsehen, Nachrichtensendungen im Radio, Zeitungskommentare oder Liebesbriefe. Abhängig von den technischen und physikalischen Grundlagen eines Mediums und davon, welche Sinne angesprochen werden, kann zur Formulierung einer medialen Botschaft auf verschiedene semiotische Ressourcen zurückgegriffen werden. Eine solche Zeichenressource bezeichnet man als semiotischen Modus. Es handelt sich hierbei quasi um das Material, aus dem die Zeichen produziert werden, wobei bereits eine bestimmte Konventionalisierung der Nutzung als Zeichenressource gegeben sein muss (vgl. Kress 2010: 84 ff.). Beispiele für semiotische Modi sind Schriftarten, Bilder und die menschliche Sprache. Wenn eine Form der Nutzung eines semiotischen Modus bereits stark konventionalisiert ist, das heißt, wenn Zeichenformen und Zeichenbedeutungen bereits relativ fest miteinander verknüpft sind, liegt ein Code vor (vgl Fraas/ Meier/ Pentzold 2012: 57). Codes sind demzufolge nicht mehr nur Zeichenressourcen, sondern Zeichensysteme wie Einzelsprachen (Deutsch, Englisch etc.), eine Geheimschrift oder Verkehrsschilder. Damit lässt sich zum Beispiel ein Telefongespräch so beschreiben: Botschaften werden von den Gesprächsteilnehmern wechselseitig ausgetauscht. Dabei werden die auditive Sinnesmodalität und der akustische Kanal sowie die menschliche (gesprochene) Sprache als semiotischer Modus und eine bestimmte Sprache als Code verwendet. Eine Telefongesellschaft stellt als Technischer Apparat Medieninstitution Kommunikationsformen, mediale Gattungen, Textsorten Semiotischer Modus, Code <?page no="54"?> 2. Medientheorie des Internets 54 Medieninstitution das Telefon als technischen Apparat für ein Telefongespräch als mediale Gattung zur Verfügung. Aufgabe 2-3 Wenn Sie eine Show wie z. B. „Wetten dass …“ oder - falls Ihnen das lieber ist - eine Folge der Serie „The Big Bang Theory“ anschauen, wie sehen da die einzelnen Medienelemente konkret aus? Welche Sinnesmodalitäten werden genutzt? Welche Kanäle? Etc. Wir haben uns bei der Beschreibung der einzelnen Elemente eines Mediums und bei unseren Beispielen auf technische Medien beschränkt. Außerdem betrachten wir den jeweiligen technischen Apparat als den Kern eines Mediums. Damit verwenden wir in Anlehnung an McLuhan einen technologischen Medienbegriff. M EDIUM kann somit folgendermaßen definiert werden: Medien sind technische Mittel (unterschiedlicher Komplexität), die, indem sie zur Verbreitung und/ oder Speicherung von Informationen und/ oder zur Kommunikation verwendet werden können, eine Extension bestimmter körperlicher und geistiger zur Kommunikation und Kognition notwendiger Fähigkeiten des Menschen bewirken. 2.2.5 Primäre, sekundäre und tertiäre Medien Auch wenn wir uns mit unserer Definition auf technische Medien beschränken, kann noch eine Unterteilung in drei Kategorien (vgl. Kerlen 2003: 13- 14) unternommen werden, wobei Medien der ersten Kategorie jedoch nicht mehr unter unseren Medienbegriff fallen. Primäre Medien sind dadurch charakterisiert, dass sie Kommunikation ohne den Einsatz eines technischen Geräts bzw. ohne technische Unterstützung ermöglichen, also gerade ohne das, was wir in unserer engeren Definition als das zentrale Element eines Mediums ansehen. Dazu zählen Sprache, Mimik und Gestik. Primäre Medien ermöglichen somit nur direkte, unmittelbare Kommunikation im Rahmen von Face-to-Face-Gesprächen. Sekundäre Medien bedürfen hingegen eines technischen Geräts zur Herstellung und Verbreitung ihrer Botschaft. Dazu gehören zum Beispiel das Foto (bzw. der Fotoapparat) oder ein mithilfe von Pinseln und Farben hergestelltes Gemälde. Für beide Arten von Bildern benötigt man ein technisches Gerät zur Produktion, jedoch keines zur Rezeption der über das Medium vermittelten Botschaft. Ein weiteres, wenn auch anders geartetes Beispiel ist das Megaphon. Tertiäre Medien wie das Telefon funktionieren nur, wenn sowohl der Sender als auch der Empfänger über ein technisches Gerät verfügen. Dies ist zum Beispiel auch beim Fernsehen der Fall, für das ein Fernsehsender, aber auch ein Empfangsbzw. Endgerät notwendig sind. Da wir für die Nutzung des Internets sowohl als Produzenten als auch als Rezipienten einen Computer benötigen, ist das Internet ein tertiäres Medium. Primäre Medien Sekundäre Medien Tertiäre Medien <?page no="55"?> 55 2.2 Was ist ein Medium? 2.2.6 Ist das Medium die Botschaft? Bislang haben wir nur die Grundfunktion von Medien besprochen: Medien dienen der Vermittlung von Informationen zwischen Personen über räumliche und zeitliche Distanzen hinweg. Dies gilt, wenn auch auf etwas unterschiedliche Weise, für Verbreitungs-, Speicher- und Kommunikationsmedien und sowohl für sekundäre als auch für tertiäre Medien. Im Zuge dieser Vermittlung von Informationen tun wir als Mediennutzer jedoch noch etwas anderes: Wir wählen die Informationen aus, ordnen und strukturieren sie. Auf diese Weise gestalten wir die Botschaft, die wir vermitteln wollen. Dies ist auch notwendig, damit der Empfänger sie verarbeiten kann. Sonst geht es ihm zum Beispiel wie jemandem, der den Schulaufsatz eines Grundschülers liest, der noch nicht gelernt hat, einen Text zusammenhängend zu strukturieren. In so einem Aufsatz stehen zwar vielleicht viele Informationen, aber nicht unbedingt die relevanten. Außerdem fehlt oft noch die Ordnung, es gibt Sprünge und Lücken in der Erzählung. Eine kohärente Interpretation des Aufsatzes und damit ein Verstehen der Botschaft kann so für den Rezipienten erschwert, in Extremfällen sogar unmöglich werden. In diesem Fall wird das Problem durch die mangelnde Kompetenz des Senders verursacht. Er beherrscht den Umgang mit dem Medium und das Verfassen komplexer Texte noch nicht in ausreichendem Maß. Daran kann man erkennen, dass Medien neben ihrer Hauptfunktion als Informationsvermittler und den damit verbundenen Funktionen des Verbreitens, des Speicherns und der Kommunikation auch noch weitere Funktionen haben: Sie dienen den Produzenten von Texten oder anderen Kommunikaten zur Bearbeitung, Strukturierung und Gestaltung von Informationen (vgl. Kerlen 2003: 14). Der entscheidende Punkt dabei ist aber, dass wir Medien nicht einfach so benützen können, wie wir wollen. Vielmehr beeinflusst ein Medium die Selektion der zu vermittelnden Information, deren Strukturierung und die Gestaltung der Botschaft. Wenn wir uns schon durch langen Gebrauch an den Umgang mit einem Medium gewöhnt haben und vor allem solange keine Probleme auftauchen, bemerken wir diese Wirkung eines Mediums zumeist nicht. Im Grunde sollen wir sie auch nicht bemerken: „Medien wirken wie Fensterscheiben: Sie werden ihrer Aufgabe umso besser gerecht, je durchsichtiger sie bleiben, je unauffälliger sie unterhalb der Schwelle unserer Aufmerksamkeit verharren.“ (Krämer 1998: 74) Kommunikation mittels eines Mediums - so die Annahme - funktioniert demnach im Normalfall so, dass uns dessen Eigenheiten gar nicht bewusst werden. Andererseits fallen auch Laien zumindest bei manchen Medien sehr wohl deren technische und materielle Bedingungen auf (vgl. Schmitz 2004: 28). Dies vor allem dann, wenn uns diese Bedingungen in unseren Möglichkeiten zu kommunizieren einschränken. So ist zum Beispiel die beschreibbare Fläche auf einer Ansichtskarte, bei einer SMS oder bei Twitter sehr knapp bemessen. Daher können mittels dieser vom jeweiligen Medium bestimmten Kommunikationsformen keine längeren Botschaften vermittelt werden - Weitere Funktionen von Medien Einfluss des Mediums auf die Botschaft Schrift <?page no="56"?> 2. Medientheorie des Internets 56 außer man sendet eine ganze Serie von Ansichtskarten bzw. SMS oder verlinkt einen längeren Text mit dem Tweet. Medien ermöglichen also nicht nur Informationsverarbeitung und Kommunikation, sie schränken diese auch wieder ein. Aufgabe 2-4 Überlegen Sie, inwiefern das Medium Radio - und damit ist heutzutage auch das Internetradio gemeint - die vermittelten Botschaften prägt. Wie beeinflusst es die Selektion und Gestaltung der Informationen? Betrachten wir als weiteres Beispiel das Fernsehen: Dieses Medium ermöglicht es, den akustischen und den optischen Kanal zur Informationsvermittlung zu nutzen. Daher kann auf semiotische Modi zurückgegriffen werden, die auf der auditiven und der visuellen Sinnesmodalität beruhen. Mittels des Fernsehens können also Geräusche, Musik und sprachliche Zeichen sowie stehende und - typischerweise - bewegte Bilder gesendet werden. Der Einfluss des Mediums Fernsehen auf die gesendeten Botschaften erstreckt sich jedoch nicht nur darauf, dass es etwas ermöglicht. Vielmehr geht es auch darum, dass das Medium eine bestimmte Art von Botschaften und eine bestimmte Gestaltung nahelegt. So wird in einer Nachrichtensendung wie der „Tagesschau“ oder auf einem Nachrichtensender wie CNN eine Meldung eher gesendet, wenn es dazu effektvolle Bilder gibt. Ist das nicht der Fall, wird entweder versucht, irgendwie passende Bilder aufzutreiben, oder die Meldung wird in die Rubrik „Kurznachrichten“ verbannt und vielleicht nur vor dem Hintergrund eines stehenden Bildes vorgelesen. Dies geschieht natürlich auch eher, wenn die Meldung keine so große Bedeutung hat. Dennoch: Auch das Medium - jedes Medium - wirkt als Filter und gestaltet so die Botschaft mit. Diese Funktion eines Mediums beschränkt sich nicht nur auf seine Filterwirkung, also auf die Selektion von Informationen. Darüber hinaus muss der Sender auf die vom Medium bereitgestellten Möglichkeiten zur Gestaltung bzw. zur Formulierung der Botschaft zurückgreifen. Anders ausgedrückt: Er kann die Angebote nutzen, die ihm das Medium bietet. Beispielsweise kann er in eine SMS Emoticons einbauen oder Links in einen Tweet. Ansonsten ist er bei SMS - im Unterschied zu MMS - aber auf die Nutzung des semiotischen Modus der geschriebenen Sprache angewiesen. Die Gestaltung einer Botschaft hängt also ganz wesentlich vom verwendeten Medium ab: Medien „ermöglichen spezifische Performanzen“ (Schneider 2006: 81). Das heißt, dass ein Medium aufgrund seiner technisch-medialen Eigenschaften die konkrete Durchführung kommunikativer Handlungen ermöglicht, aber eben nur eine Durchführung auf eine spezifische Weise. Zum Beispiel ist eine Performanz im Radio oder bei einem Telefongespräch auf akustische Zeichen angewiesen, im Fernsehen oder beim Video-Skypen kommen hingegen Bilder dazu, im Falle des Fernsehens auch noch schriftliche Texte oder zumindest Elemente, wie z. B. eingeblendete Schlagzeilen in Nachrichtensendungen. Diese schriftlichen Texte sind normalerweise aber sehr kurz, weil längere Texte im Medium Fernsehen nicht adäquat wären. Beispiel Fernsehen Medium und Gestaltung der Botschaft <?page no="57"?> 57 2.2 Was ist ein Medium? Jedes Medium prägt also die vermittelten Performanzen und die in ihm erzeugten Kommunikate wie Fernseh- oder Radiosendungen, Zeitungsartikel, Werbeplakate, SMS, Tweets oder Blogs. Dadurch wird über den Zeichengebrauch auch der Inhalt der Botschaft modifiziert (vgl. Habscheid 2000: 137). Ein im Fernsehen gesendeter Bericht hat deshalb nie den exakt gleichen Inhalt wie ein Bericht im Radio, selbst wenn in beiden das gleiche Ereignis thematisiert wird. Mit McLuhan könnte man also feststellen: „The medium is the message.“ (McLuhan 2003: 19) Natürlich ist diese Formulierung - wie häufig bei McLuhan - überspitzt. Er hat sie auch im Titel seines Buches „The Medium is the Massage“ (Mc- Luhan/ Fiore 1967) umformuliert, aber nur auf den ersten Blick etwas abgeschwächt. Denn auch dort behauptet er: „All media work us over completely. They are so pervasive in their […] consequences that they leave no part of us untouched, unaffected, unaltered. The medium is the massage“ (Mc- Luhan/ Fiore 1967: 26). Es ist möglicherweise nur ein Gerücht, dass Mc- Luhan dabei übrigens einfach den Satzfehler seines Lektors beibehalten hat. Aufgabe 2-5 Überlegen und diskutieren Sie: Auf welche Weise „massiert“, also beeinflusst und verändert das Internet unsere Art zu kommunizieren und unsere moderne Gesellschaft im Sinne McLuhans. Nun mag man die Ansichten McLuhans für übertrieben halten. Die Wirkung eines Mediums auf die Gestalt der Botschaft lässt sich aber nicht leugnen. Medien prägen die Art, wie wir kommunizieren, und sie beeinflussen, was wir kommunizieren. Sie geben uns bis zu einem gewissen Grad und je nach Medium auf unterschiedliche Weise vor, wie wir unsere Kommunikate formulieren, welche semiotischen Modi wir verwenden, welche Inhalte wir vorzugsweise vermitteln oder speichern und wie wir die Informationen ordnen und strukturieren. Zwar sind genau das - neben der grundlegenden Vermittlungsfunktion - die Funktionen von Medien. Man darf aber nicht übersehen, dass Medien sich nicht einfach so benutzen lassen. Vielmehr bestimmen ihre Rahmenbedingungen ganz entscheidend mit, auf welche Weise wir diese Funktionen nutzen können. Diese Rahmenbedingungen können in Anlehnung an Lemke (2002) und Barton/ Lee (2013: 27 ff.) als affordances und constraints bezeichnet werden. Affordances - oder „Ermöglichungen“ - sind sozusagen die positiven Rahmenbedingungen, d. h. das, was ein Medium als Möglichkeiten für die Formulierung und Gestaltung eines Kommunikats anbietet. Constraints dagegen sind die technisch begründeten Einschränkungen durch das Medium. Vor allem letztere erzeugen den „medialen Widerstand“ (vgl. Knape 2000: 62 ff.), den jemand überwinden muss, wenn er mittels eines bestimmten Mediums kommunizieren möchte. Constraints und affordances <?page no="58"?> 2. Medientheorie des Internets 58 So muss zum Beispiel jemand, der eine populärwissenschaftliche Radiosendung über eine neu entdeckte Tierart gestalten möchte, auf genaue Beschreibungen und Vergleiche zurückgreifen, da ihm der optische Kanal nicht für die Präsentation von Abbildungen des Tiers zur Verfügung steht. Allerdings bewirkt in so einem Fall der mediale Widerstand, dass eine optimale Lösung kaum möglich ist. In einem Medium wie dem Fernsehen hingegen wäre der diesbezügliche mediale Widerstand geringer. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass Tierdokumentationen eher im Fernsehen gesendet werden, während Musiksendungen auch und besonders im Radio ihren Sendeplatz finden. Da das Internet, wie wir noch sehen werden (Kapitel 2.4.3), die Möglichkeiten mehrerer Medien in sich vereinigt, ist dort der mediale Widerstand für einen Bericht über eine neu entdeckte Tierart noch geringer. Allerdings ergeben sich hier Constraints im Rahmen des jeweils gewählten Teilmediums (z. B. Internet-TV, Internetradio etc.) bzw. der jeweiligen Kommunikationsform (Website, Soziale-Netzwerk-Seite, Foto-Blog etc.). Diese Rahmenbedingungen, die Constraints und Affordances, haben nicht nur Auswirkungen auf die Gestaltung einzelner Kommunikate. Darüber hinaus sind sie auch die technische Grundlage für die Herausbildung von Formen der Kommunikation in einem Medium. 2.2.7 Von konventionalisierten kommunikativen Handlungen: Kommunikationsformen Wir haben gesehen, wie Medien auf die menschliche Kommunikation einwirken: „Medien schneiden aus der Fülle der kommunikativen Möglichkeiten bestimmte heraus und gestalten sie aus […].“ (Baecker 2005: 177) Zum Beispiel können wir in bestimmten Medien nur den optischen oder den akustischen Kanal und jeweils nur geeignete semiotische Modi verwenden. Dadurch wirken sich die technischen Gegebenheiten eines Mediums auf die Formen unserer kommunikativen Handlungen aus. Man sollte allerdings dabei nicht übersehen, dass nicht alleine das Medium die Herausbildung solcher formaler Strukturen der Kommunikation bestimmt. Die Benützer eines Mediums wählen im Allgemeinen auch aus den jeweiligen Affordances aus, wenn sie kommunizieren, und entwickeln so quasi die Formen mit. Dies können sie jedoch nur im Rahmen der vorgegebenen medialen Bedingungen tun. Wenn solche Formen kommunikativer Handlungen gebräuchlich werden, wenn sie bis zu einem gewissen Grad konventionalisiert werden, spricht man von Kommunikationsformen. Dazu ist anzumerken, dass es auch Kommunikationsformen gibt, die keines technischen Mediums bedürfen. Auch ein Faceto-Face-Gespräch oder eine ohne technische Hilfsmittel gehaltene Rede sind Kommunikationsformen. Kommunikationsformen können also definiert werden als „[…] kommunikative Konstellationen, die über ein Hilfsmittel erst möglich gemacht werden, aber auch [als] solche, die ohne Hilfsmittel auskommen“ (Dürscheid 2005b: 2). Sie sind voneinander mittels folgender wesentlicher Kriterien zu unterscheiden (vgl. dazu Ziegler 2002: 21 und Holly 1996: 11): Der verwendete Zeichentyp ist ein wichtiges Merkmal von Kommunikationsformen. Grundlegend wird hier zwischen verbalen und non-verbalen Kommunikationsformen Die 5 Kriterien von Kommunikationsformen Zeichentyp <?page no="59"?> 59 2.2 Was ist ein Medium? Zeichen unterschieden und bei den verbalen wiederum zwischen gesprochener und geschriebener Sprache. Man muss hier allerdings ergänzen, dass sich manche Kommunikationsformen, wie zum Beispiel Fernsehsendungen, gerade durch eine Mischung mehrerer (verbaler und non-verbaler) Zeichentypen - oder semiotischer Modi - auszeichnen. Außerdem muss natürlich bei nonverbalen Zeichen weiter differenziert werden. Schließlich wären hier so unterschiedliche Zeichentypen wie Körpersprach-, Bild- oder Musikzeichen zu nennen. Die Kommunikationsrichtung ist entweder einseitig oder wechselseitig. Die Kommunikation kann also monologisch (Ansprache, Radiosendung etc.) oder dialogisch (Face-to-Face-Gespräch, Telefongespräch etc.) verlaufen. Manche Kommunikationsformen, wie zum Beispiel ein Brief oder eine SMS, gelten zwar als monologisch (vgl. Holly 1996: 12), sie ermöglichen oder fordern aber oft eine Antwort. Solche Kommunikationsformen sind daher nicht so prototypisch monologisch wie eine Fernsehsendung oder ein Zeitungsartikel. Zu beachten ist auch, dass durch eine Kombination zweier Kommunikationsformen eine neue Kommunikationsform entstehen kann. Ein Beispiel wäre eine Phone-in-Sendung, die die monologische Kommunikationsform Radiosendung mit der dialogischen des Telefongesprächs verbindet. Im Internet waren die Websites von Online-Zeitungen zunächst monologische Kommunikationsformen. Mit der Einführung der Möglichkeit, Kommentare zu Artikeln zu posten bzw. auch diese Kommentare wiederum zu kommentieren, hat sich aber auch hier eine komplexe Kommunikationsform mit monologischen und dialogischen Elementen etabliert. Kommunikationsformen unterscheiden sich auch in Hinblick auf die Kapazität des verwendeten Mediums zur Speicherung und Übertragung von Daten. Dies sollte aber nicht nur quantitativ verstanden werden. Vielmehr gehört zur Kapazität auch, welche Art von Daten bzw. Informationen gespeichert oder übertragen wird. Generell kann überhaupt das Medium an sich als Kriterium zur Beschreibung einer Kommunikationsform herangezogen werden. So unterscheiden sich zum Beispiel Brief und E-Mail oder Radio- und Fernsehsendung gerade durch das verwendete Medium. Es werden zuweilen (vgl. z. B. Holly 1996: 10) auch Kommunikationsformen angenommen, die nicht an ein bestimmtes Medium gebunden sind. Hollys Beispiel ist die Kommunikationsform Zeichnung. Zeichnungen können sowohl mit einem Bleistift auf Papier, mit Kreide auf einer Tafel als auch mit einem Zeichenprogramm auf einem Computerbildschirm hergestellt werden. Es ist aber fraglich, ob man dann tatsächlich noch von der jeweils gleichen Kommunikationsform sprechen sollte oder nicht doch besser von Bleistift-, Kreide- und Computerzeichnungen als unterschiedliche, wenn auch verwandte Kommunikationsformen. Auch das Kriterium der Zeitlichkeit erlaubt nicht in jedem Fall eine eindeutige Bestimmung, obwohl die Unterscheidung von synchronen und asynchronen Kommunikationssituationen zunächst klar erscheint: Entweder liegt zeitliche Unmittelbarkeit vor oder nicht. So kann ein Face-to-Face-Gespräch Kommunikationsrichtung Medium Zeitlichkeit <?page no="60"?> 2. Medientheorie des Internets 60 als synchron und ein Briefwechsel als asynchron verlaufend beschrieben werden. Wie sieht es jedoch mit E-Mails aus? An sich sind diese auch asynchrone Kommunikationsformen. Aufgrund der Schnelligkeit der Datenübertragung können sich aber quasi E-Mail-Gespräche entwickeln, wenn beide Kommunikationspartner jeweils rasch antworten. Das Kriterium „synchronasynchron“ ist also in diesem Fall - noch deutlicher zum Beispiel bei WhatsApp - relativ. Das letzte Merkmal betrifft die Anzahl der Kommunikationspartner. Damit können vor allem Kommunikationsformen der Massenkommunikation von solchen unterschieden werden, die eher in einem privaten oder zumindest überschaubaren Rahmen bleiben. Auch hier gibt es aber Mischformen. In einer Talkshow oder bei einem Interview in einem Fernsehmagazin sprechen nur wenige Personen miteinander. Erreicht wird mit der Sendung aber ein Massenpublikum. Ähnlich ist es im Falle einer Diskussion in einem Internet-Forum oder auf einer öffentlichen Facebook-Seite. Aufgabe 2-6 Beschreiben Sie mithilfe dieser fünf Kriterien, Zeichentyp, Kommunikationsrichtung, Medium, Zeitlichkeit und Anzahl der Kommunikationspartner, die Kommunikationsformen „Kinofilm“, „Rede vor einem Publikum“ und „Chat“. Man kann feststellen, dass im Grunde alle Kriterien mehr oder weniger direkt mit dem jeweils verwendeten Medium in Zusammenhang stehen. Wenn auch die Nennung des Mediums als einziges Beschreibungsmerkmal einer Kommunikationsform natürlich nicht ausreicht, so ist daher doch zu erkennen, dass seine Affordances und Constraints maßgeblich an der Herausbildung von Kommunikationsformen beteiligt sind. 2.2.8 So funktioniert es generell: Mediale Kommunikation - ein allgemeines Modell Medien spielen also eine entscheidende Rolle bei der Speicherung und der Verbreitung von Informationen und sie wirken prägend auf die Durchführung kommunikativer Handlungen. Letztendlich hängen alle genannten Funktionen mit ihrer Hauptfunktion zusammen: Kommunikation zu erleichtern oder überhaupt erst zu ermöglichen. Das gilt nicht nur für die Kommunikationsmedien im engeren Sinn, die interaktives kommunikatives Handeln erlauben. Auch die anderen Medien dienen der Kommunikation, wenn diese dort auch - zumindest was das Senden einer Botschaft betrifft - einseitig bleibt. Aus diesem Grund führen wir hier nur ein generelles Modell von Kommunikation an (Abbildung 2-1), das diese verschiedenen Arten von Kommunikation abbildet. Dieses Modell abstrahiert außerdem von den Eigenheiten einzelner Medien, weshalb es im Großen und Ganzen für alle Kommunikationsprozesse mithilfe technischer Medien gültig ist. Ein spezielles Modell für Internet-Kommunikation wird dann in Kapitel 2.4.5 erstellt. Anzahl der Kommunikationspartner <?page no="61"?> 61 2.2 Was ist ein Medium? Das allgemeine Kommunikationsmodell ist angelehnt an das von Strohner (2001: 21), wurde aber in einigen Punkten stark verändert. Wir verwenden zum Beispiel - anders als Strohner - den oben dargestellten technischen Medienbegriff. Deshalb bezieht sich unser Modell nur auf Kommunikation, die mittels eines technischen Mediums vollzogen wird. Abb. 2-1: Modell zur Kommunikation mittels eines technischen Mediums Zur Erläuterung der einzelnen Komponenten des Modells (Abbildung 2-1): Sender und Empfänger sind im einfachsten Fall zwei Personen, die miteinander kommunizieren. Typisch wäre dafür ein Telefongespräch. Es kann aber auch sein, dass keine konkrete Person als Sender identifiziert werden kann, sondern dass es sich um eine Medieninstitution, wie zum Beispiel einen Radio- oder Fernsehsender, handelt. Die Komponente des Empfängers kann auf der anderen Seite auch aus mehr als einer konkreten Person bestehen. Dies Modell medialer Kommunikation Erläuterung des allgemeinen Kommunikationsmodells <?page no="62"?> 2. Medientheorie des Internets 62 ist typischerweise bei Massenmedien, wiederum wie dem Radio oder dem Fernsehen, der Fall. Unser Modell unterscheidet in der Darstellung nicht zwischen Individual- und Massenkommunikation bzw. zwischen den jeweils dafür geeigneten Medien, weil es allgemeine Gültigkeit haben soll. Es abstrahiert des Weiteren von der Unterscheidung zwischen einseitiger und wechselseitiger Kommunikation. Mit dem Modell wird daher sowohl Kommunikation in einem interaktiven Medium dargestellt wie auch in einem, das keine Möglichkeit zur Rückmeldung bietet. Im Falle von Interaktivität sind ja auch nur die Rollen der Kommunizierenden vertauscht: Der Sender der ersten kommunikativen Handlung wird zum Empfänger der Antwort und umgekehrt. Die Struktur des Kommunikationsprozesses an sich verändert sich daher nicht. Das Medium umfasst die darin enthaltenen Komponenten „Sendegerät“, „Empfangsgerät“ und „Kanal“. Es ist das technische Mittel, das zur Kommunikation benützt wird. Um mit Hilfe eines technischen Mediums kommunizieren zu können, benötigt man zunächst ein Sendegerät, mit dem der Sender die Informationen in das Medium eingeben und sie abschicken kann. Beispiele sind ein Telefon oder beim Medium Radio ein komplexer Verbund technischer Geräte wie unter anderem ein Mikrophon und ein Radiowellensender. Für Eingaben in das Internet benötigt man einen PC, ein Netbook, ein Smartphone oder ein ähnliches Gerät. Bei tertiären Medien muss dann auch der Empfänger über ein technisches Gerät verfügen, das das Empfangs- oder Endgerät des Mediums ist, also zum Beispiel ein Fernseh- oder ein Radiogerät oder ebenfalls ein Telefon. Im Falle von sekundären Medien entfällt diese Komponente. Der Informationsträger erreicht dann direkt das entsprechende Sinnesorgan des Empfängers. Der Kanal bildet die Verbindung zwischen Sende- und Empfangsgerät. Über ihn werden die Informationen als Signale geschickt. Bei einem Face-to- Face-Gespräch wäre die Luft der Kanal, in dem sich die Schallwellen ausbreiten. Bei einem Telefongespräch ist der Kanal die Telefonleitung, durch die die elektrischen Impulse gesendet werden (vgl. Nöth 2 2000: 236). Er ist somit eine entscheidende Komponente eines Mediums. Über das Medium wird der Informationsträger vermittelt. Er gehört nicht direkt zum Medium, da er vom Sender gestaltet wird. Da der Sender dabei jedoch die Affordances und Constraints des jeweiligen Mediums berücksichtigen muss, beeinflusst das Medium die Form des Informationsträgers ganz entscheidend. Wenn sich, wie in Kapitel 2.2.7 dargestellt, eine bestimmte Form im Gebrauch des Mediums und in der Ausnutzung seiner Möglichkeiten herauskristallisiert hat, spricht man von einer Kommunikationsform. Auf die mehr oder weniger stark konventionalisierten Gestaltungsvorgaben einer Kommunikationsform kann bzw. muss in der Folge immer wieder zurückgegriffen werden, sobald man auf die entsprechende Art ein Medium nutzen will. So richtet man sich als Sender zum Beispiel nach den Gestaltungsprinzipien der Kommunikationsform „Brief“, wenn man einen Geschäftsbrief versenden will. Ein anderes Beispiel ist die Form eines Tweets, die die Gestalt der Botschaft bis zu einem gewissen Grad vorgibt, wenn man twittert. Zur Gestaltung eines Informationsträgers muss auf einen semiotischen Modus zurückgegriffen werden. Dieser ist eine Zeichenressource, die sowohl Massenmedien sind Medien, mittels derer einseitig verlaufende Massenkommunikation stattfindet, bei der ein großes, anonymes und disperses Publikum öffentlich adressiert wird (vgl. Hartmann 2008: 64). Sendegerät und Empfangsgerät Signale sind die materielle Seite von Zeichen bzw. die Informationsträger. Kanal Informationsträger und Kommunikationsform Semiotischer Modus <?page no="63"?> 63 2.2 Was ist ein Medium? Sender als auch Empfänger bekannt sein muss. Abgesehen davon kann kein beliebiger Modus gewählt werden, weil dieser mit dem jeweiligen Medium kompatibel sein muss. Umgekehrt kann aber auch zum Beispiel kein aus optischen Signalen bestehender Informationsträger über ein akustisches Medium vermittelt werden. Diese wechselseitige Abhängigkeit von semiotischem Modus und Medium soll durch die beiden Doppelpfeile im Modell symbolisiert werden. In der oberen Hälfte des Modells geht es nicht mehr um den reinen Transfer von Signalen. Hier ist dargestellt, wie Sender und Empfänger mithilfe ihres Wissens über den verwendeten semiotischen Modus den Informationsträger mit einer Bedeutung verknüpfen und einen Referenzbezug der Botschaft herstellen. Das heißt, sie beziehen die Botschaft auf den Ausschnitt der „Wirklichkeit“, über den kommuniziert wird. Außerdem kontexualisieren sie die Botschaft: Zum Beispiel wird bei einer Aussage über bevorstehende Wahlen zum Bundestag ein politischer Kontext aufgerufen. Auf diese Weise wird ein Kontextmodell aufgebaut, d. h. ein kognitives Modell des Kontexts der jeweiligen kommunikativen Handlung (vgl. Portmann-Tselikas/ Weidacher 2010). Entscheidend ist dabei, dass Bedeutung, Referenz und Kontextmodell von Sender und Empfänger gemeinsam konstituiert, also aufgebaut werden. Daher zeigen die Pfeile auf dieser Ebene nicht zum Empfänger hin, sondern von diesem weg zu den verschiedenen Komponenten des Inhalts der Botschaft. Der Informationsträger (bzw. das Signal) wird also über das Medium vom Sender zum Empfänger transferiert. An der Konstitution des Inhalts muss hingegen der Empfänger aktiv im Zuge der Rezeption der Botschaft mitarbeiten.Bewusst wird einem die aktive Rolle des Empfängers bei der Sinnkonstitution im Übrigen zumeist nur, wenn es zu Missverständnissen oder zu anderen Problemen in der Kommunikation kommt. Man denke nur an schwierige literarische Texte, deren Interpretationen ganz unterschiedlich sein können, je nachdem, was der jeweilige Empfänger an Vorwissen, Rezeptionsinteresse und Interpretationsarbeit beisteuert. Aufgabe 2-7 Wenden Sie das hier vorgestellte Kommunikationsmodell auf die Nachrichtensendung „Tagesschau“ oder auf „Zeit im Bild“ an. Spezifizieren Sie die einzelnen Komponenten des Modells (z. B.: „Empfangsgerät“ ⇒ „Fernsehgerät“). Miniglossar Medientheorie Medium: technisches Gerät (unterschiedlicher Komplexität), das, indem es zur Verbreitung und/ oder Speicherung von Informationen und/ oder zur Kommunikation verwendet werden kann, eine Extension bestimmter körperlicher und geistiger zur Kommunikation und Kognition notwendiger Fähigkeiten des Menschen bewirkt. Bedeutung, Referenz und Kontextmodell <?page no="64"?> 2. Medientheorie des Internets 64 Kanal: physikalisch-chemische Verbindung zwischen Sende- und Empfangsbzw. Endgerät. Über ihn werden die Informationen als Signale bzw. wird der Informationsträger geschickt. Je nach Kanal bzw. Art des Informationsträgers werden ein oder mehrere Wahrnehmungssinne oder Sinnesmodalitäten angesprochen. Kommunikat/ Informationsträger: materielle Formseite der Botschaft; Träger der Informationen, von denen ausgehend der Empfänger den Sinn einer kommunikativen Handlung konstituiert. Semiotischer Modus: Zeichenressource, d. h. das Material, aus dem die Zeichen produziert werden; Sender und Empfänger müssen über eine ausreichende und sich ausreichend überlappende Kenntnis eines semiotischen Modus bzw. eines darauf basierenden Codes verfügen, um bei der Produktion bzw. Rezeption einer Botschaft darauf kognitiv zurückgreifen zu können. Constraints und Affordances: technische Einschränkungen, die ein Medium der Gestaltung eines Informationsträgers auferlegt, bzw. Möglichkeiten, die es in dieser Hinsicht bietet. Kommunikationsform: mehr oder weniger stark konventionalisierte Formen der Gestaltung kommunikativer Handlungen bzw. von Botschaften; das Aussehen von Kommunikationsformen wird einerseits durch die Constraints und Affordances des jeweiligen Mediums bis zu einem gewissen Grad vorgegeben, andererseits durch den Gebrauch bestimmt, den Kommunizierende von den medialen Möglichkeiten machen. 2.3 Ist das Internet nun ein Medium? Zu definieren, was ein Medium ist, hat sich als schwierig herausgestellt. Wir haben uns für einen technischen Medienbegriff entschieden, weil dieser sich am besten auf das Internet anwenden lässt. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir das Internet von vorneherein einfach als Medium bezeichnen können. Auch, dass man im Alltag vom Internet als einem „neuen Medium“ spricht, ist zwar ein Hinweis auf den medialen Charakter des Internets, ist für eine medien- und kommunikationswissenschaftliche Betrachtung aber nicht ausreichend. Wir werden uns daher in den folgenden Abschnitten mit der Frage beschäftigen: Ist das Internet ein Medium? Und, da wir diese Frage - das wollen wir hier schon verraten - mit ja beantworten: Welche Charakterisktika weist das Medium Internet auf? 2.3.1 Das Internet als Netzwerk Die Bezeichnung „Internet“ ist die Abkürzung für „interconnected net“, d. h. „in sich verbundenes Netz“. In der nicht abgekürzten Form der Bezeichnung wird also gleich doppelt das Phänomen der Vernetzung angesprochen. Damit wird das Grundprinzip des Internets überdeutlich: Es geht um den Aufbau <?page no="65"?> 65 2.3 Ist das Internet nun ein Medium? eines Netzes durch die technische Verbindung von Computern (mittlerweile inklusive Smartphones und anderer Sende- und Empfangsgeräte). Diese Idee der Vernetzung kennzeichnete schon die Anfänge bzw. Vorläufer des Internets. Zu diesen zählen die ersten Computervernetzungen in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren, für die Telefonleitungen genutzt wurden. Dabei ging es zunächst aber nur darum, periphere Terminals, die keine vollwertigen Computer waren, über Datenleitungen mit einem zentralen Großrechner zu verbinden. Damit konnten mehrere User die Rechenkapazität des zentralen Computers zur gleichen Zeit nützen (vgl. Hiebel et al. 1998: 224; Warnke 2011: 27). Der eigentliche Ursprung des Internets liegt allerdings woanders: In den sechziger Jahren, mitten im Kalten Krieg, stellte das Verteidigungsministerium der USA Überlegungen an, dass im Falle eines atomaren Angriffs die Kommunikation zwischen verschiedenen militärisch wichtigen Institutionen zusammenbrechen könnte, wenn die Verbindung zur zentralen Kommandostelle unterbrochen werden würde. Die gesamte Kommandostruktur hätte - so befürchtete man - auf diese Weise mit einem Schlag zerstört werden können. Es wurde daher ein dezentral aufgebautes Netzwerk zur Datenübertragung entwickelt: das ARPANET (vgl. Böhn/ Seidler 2008: 146). Durch diese rhizomartige Vernetzung schien die Aufrechterhaltung von Kommunikation wahrscheinlicher als bei einer zentralistischen Struktur. Dieser und andere Vorläufer des Internets wurden zunächst nur im militärischen oder wissenschaftlichen Bereich verwendet. Dies lag einerseits daran, dass sie nur für einen sehr klar definierten Nutzerkreis gedacht waren, andererseits aber auch daran, dass der Umgang mit diesen Netzwerken, auch wenn sie wie zum Beispiel das USENET öffentlich zugänglich waren, für Laien eher schwierig war. Erst mit der Entwicklung von HTTP (Hypertext Transfer Protocol) für die Übertragung von Daten, des grafikfähigen HTML (Hypertext Markup Language), von Browsern wie Mosaic und des World Wide Web (WWW) begann der eigentliche Siegeszug des Internets (siehe z. B. Runkehl/ Schlobinski/ Siever 1998: 13 ff.). Heutzutage ist das Internet ein beinahe globales Netzwerk, das jedem, der einen Zugang hat, erlaubt, Informationen von einem Computer an einen anderen zu schicken. Der Erfolg des WWW oder Web war so groß, dass es häufig mit dem Internet insgesamt verwechselt wurde. Das WWW ist aber nur ein Teil des Internets. Es ist quasi eine Technologie innerhalb einer Technologie. Allerdings ist es ein ganz zentraler Teil des Internets, in den zum Teil auch ursprünglich andere Bereiche des Internets integriert wurden. Zum Beispiel können auch E-Mails über das Web verarbeitet und gesendet werden. Mit dieser Entwicklung wurde das Internet zu einem Netzwerk, das Computer und damit deren Nutzer verbindet. Dieses Netzwerk erhielt seit ungefähr den ersten Jahren des neuen Jahrtausends eine neue Qualität durch die Entstehung neuer und die Weiterentwicklung alter medialer Möglichkeiten und Kommunikationsformen. Das Schlagwort dafür lautet: Web 2.0. Anfänge Rhizom: Netzwerk ohne hierarchische Ordnung, ohne Punkte, die zentraler sind als andere; ursprünglich: Teil des Sprosssystems verschiedener Pflanzen; zur metaphorischen Verwendung vgl. Deleuze/ Guattari (1977). World Wide Web (WWW) <?page no="66"?> 2. Medientheorie des Internets 66 2.3.2 Web 2.0 und Social Media Der Terminus Web 2.0 wurde erstmals im Oktober 2003 von Eric Knorr in einem Artikel für das IT-Magazin „CIO“ erwähnt. Knorr sagt darin die Entwicklung des Internets zu einer standardisierten Arbeitsplattform voraus, in die man Arbeitsprozesse auslagern kann. Diese Entwicklung betrachtete er als den Beginn des Web 2.0. (vgl. Anastasiadis/ Thimm 2011b: 11). Als eigentlicher Ursprung des Begriffs Web 2.0 wird jedoch häufig der berühmt gewordene, 2005 veröffentlichte Essay „What is Web 2.0: Design Patterns and Business Models for the Next Generation of Software“ von Tim O’Reilly (2007) angesehen. Darin erläutert O’Reilly, was unter Web 2.0 zu verstehen sei. Dieser Aufsatz und die ihm vorangegangene Konferenz waren eine Reaktion auf das Platzen der „dot-com-Blase“, also auf den Zusammenbruch zahlreicher Internet-Unternehmen im Jahr 2001. O’Reilly wollte neue Entwicklungen im Internet aufzeigen, nicht zuletzt, damit die Bereitschaft, in Internet-Firmen zu investieren, wieder gesteigert würde. Web 2.0 ist daher schon im Ansatz kein wirklich neutraler Ausdruck. Er wurde - und wird noch immer - mit stark positiver Konnotation verwendet (vgl. Schmidt 2 2011: 14). Tim O’Reilly (*1954) ist Gründer von O’Reilly Media, (Verlag für Computer-Bücher) und prominentes Mitglied und Vordenker der Technologie- Community. Als Ausgangspunkt wählt O’Reilly die Gegenüberstellung von Elementen oder Phänomenen des Web 1.0 und des Web 2.0. Die wichtigsten - und auch heute noch nachvollziehbaren - Gegensatzpaare sind die folgenden (vgl. O’Reilly 2007: 18): Web 1.0 Web 2.0 Veröffentlichung Partizipation Britannica Online Wikipedia Verzeichnis (Taxonomie) Kategorisierung mittels „tagging“ („folksonomy“) persönliche Websites Bloggen Tab. 2-2: Unterschiede zwischen dem Web 1.0 und dem Web 2.0 (O’Reilly 2007: 18) Grundlegend ist der erste Unterschied: Im Web 1.0 veröffentlichten Institutionen, Firmen oder Personen etwas im Internet, das dann von anderen rezipiert wurde. Im Grunde unterschied sich das nicht allzu sehr von Veröffentlichungen in Zeitungen oder im Fernsehen. Im Web 2.0 hingegen können alle aktiv an den Kommunikationsprozessen teilnehmen. Das Web 2.0 wird daher auch als „Mitmach-Web“ (Huber 2 2010: 16) bezeichnet. Web 2.0 Web 1.0 vs. Web 2.0 Web 2.0 als „Mitmach-Web“ <?page no="67"?> 67 2.3 Ist das Internet nun ein Medium? Sehr schön ist das anhand des zweiten Gegensatzpaares zu erkennen. Britannica Online war - und ist noch immer - die Online-Ausgabe der Encyclopedia Britannica (Abbildung 2-2). Sie wird von professionellen Autoren verfasst, überarbeitet und ins Netz gestellt. Abb. 2-2: Online-Ausgabe der Encyclopedia Britannica (http: / / www.britannica.com/ ) Die Einträge in Wikipedia werden dagegen von „Amateuren“ gestaltet. Potenziell jeder kann dabei mitarbeiten und wird auf der Startseite auch dazu eingeladen: Es ist ein Projekt „[…], zu dem du mit deinem Wissen beitragen kannst.“ (Abbildung 2-3) Außerdem gibt es Links, die zu Anleitungen führen, wie man Artikel anlegt oder überarbeitet. Abb. 2-3: Hauptseite von Wikipedia (http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Wikipedia: Hauptseite) Während im Web 1.0 noch Kategorisierungen in Form von vorgegebenen Taxonomien (systematisch und hierarchisch aufgebauten Klassifierungssystemen) erfolgten, bietet das Web 2.0 zum Teil auch den Usern die Möglichkeit, eigene und anders geartete Kategorisierungen vorzunehmen, sogenannte „folksonomies“ (vgl. O’Reilly 2007: 23). Zum Beispiel kann ein Foto eines jungen Hundes auf der Foto-Sharing- Plattform Flickr mit „Welpe“, aber auch mit „süß“, „zum Knuddeln“ etc. getaggt, also mit einen Schlagwort versehen werden. Wenn dies viele User von Flickr tun, entstehen neue Kategorisierungen, die mehr auf Assoziationen beruhen als auf hierarchischen Ordnungen. So kann sich durch das Taggen mit „süß“ eine Kategorie herausbilden, zu der nicht nur Fotos von jungen Hunden, sondern auch unter anderem von Katzen und anderen Tieren Folksonomies und Tagging <?page no="68"?> 2. Medientheorie des Internets 68 zum Knuddeln, von Kuscheltieren, aber auch von kleinen Kindern oder von von Teenies angehimmelten Sängern oder Schauspielern gehören. Auf diese Weise entsteht eine Folksonomy als Ordnungsmuster - und dies aufgrund der dort vorhandenen Möglichkeiten der Partizipation. Aufgabe 2-8 Suchen Sie auf Tumblr Blogs, die mit „deutsche sprache“ getaggt sind. Was fällt Ihnen einerseits formal und andererseits thematisch auf, wenn Sie die Liste der Blogs mit einem wissenschaftlichen Buch über die deutsche Sprache vergleichen? Die Funktion von Tags zeigt sich besonders deutlich auch auf der Microblogging-Plattform Twitter: Hier kann man eigene Tweets mit einem Tag versehen, um sich an der Diskussion über ein Thema zu beteiligen. Zum Beispiel konnte man seine Tweets mit dem Tag #nrw13 an den Diskurs über die österreichischen Nationalratswahlen im September 2013 anhängen (Bsp. 2- 1). Mittels eines solchen Taggings erhöht man die Chancen, dass ein Tweet von am selben Thema Interessierten gelesen wird, signifikant. (2-1) (Rudi Fußi @rudifussi, Twitter, 2013-09-28) Tagging ist im Übrigen eine der prototypischen Praktiken des Social Web, da hier das webbasierte Informationsmanagement von nicht-professionellen Usern und das Entstehen von kollektiven Wissensordnungen aufgrund individueller Handlungen besonders deutlich wird (vgl. Schmidt 2 2011: 169). Der soziale Aspekt von Tagging oder Wikipedia ist zwar nicht das einzige Kennzeichen des Web 2.0, weshalb man dieses auch nicht mit dem Social Web gleichsetzen sollte. Er zeigt sich aber auch im vierten Gegensatzpaar in der Tabelle: Persönliche Websites sind eine Plattform des jeweiligen Individuums. Natürlich kann man auch einen Blog auf eine solche Seite stellen. Typischer für das Web 2.0 ist es aber, auf einer Blogging-Plattform wie Tumblr zu bloggen. Damit wird man Teil einer sozialen Gemeinschaft, ein Effekt, der noch verstärkt wird, wenn User - vielleicht sogar wechselseitig - Blogs abonnieren und so stets über Änderungen informiert werden. Ähnlich funktioniert das beim Microblogging auf Twitter. Auch hier wird damit - Blogging- Plattformen <?page no="69"?> 69 2.3 Ist das Internet nun ein Medium? noch auf eine andere Weise als durch Tagging - die soziale Komponente deutlich, die für das Web 2.0 essenziell ist. Trotz der Bedeutung dieser sozialen Komponente ist sie jedoch nicht alleine bestimmend für die Definition des Web 2.0. Dieses kennzeichnen insgesamt folgende Merkmale (vgl. zum Folgenden Runkehl 2012: 3 ff.; Ebersbach/ Glaser/ Heigl 2011: 28 ff.): • Einfache Bedienung: Die Nutzung einzelner Dienste verlangt keine besonderen Kompetenzen. Die jeweilige Software ist so einfach zu bedienen, dass praktisch jeder problemlos damit umgehen kann. Die benutzerfreundlichen Oberflächen regen außerdem zur aktiven Nutzung an. • User als Produzent: Die einfache Handhabung ermöglicht es Usern, selbst Inhalte ins Netz zu stellen. Die Rolle des Nutzers wandelt sich vom Informationskonsumenten zum Informationsproduzenten. Das Schlagwort dazu lautet „user-generated content“. Abb. 2-4: Die Teilen-Funktion auf Facebook • Impetus des Teilens: Das Teilen von Informationen ist ein ganz zentraler Punkt im Web 2.0. Texte, Bilder, Informationen jeder Art können und sollen mit anderen geteilt werden. Dies ist zum Beispiel eine wichtige Funktion von Facebook, dem zurzeit bekanntesten Sozialen Netzwerk im Web 2.0. Dort wird das „Teilen“ direkt mit einem eigenen Button angeboten und man kann abgesehen von Fotos (siehe Abbildung 2-4) etc. zum Beispiel auch Tweets teilen, wodurch auch noch eine Verknüpfung verschiedener Plattformen und Dienste möglich ist. Durch dieses „informati- Merkmale des Web 2.0 <?page no="70"?> 2. Medientheorie des Internets 70 on sharing“ werden von Usern produzierte Inhalte weit im Netz verbreitet. • Einbeziehung der kollektiven Intelligenz der Nutzer: Dadurch, dass die Nutzer selbst Inhalte generieren, im Netz veröffentlichen, teilen, kommentieren und gemeinsam bearbeiten, bildet sich ein Informationspool, der unter Einbeziehung der kollektiven Intelligenz der User entsteht. Ein konkretes Beispiel dafür ist die Online-Enzyklopädie Wikipedia. • Kollaboration: Die Tendenz zur Zusammenarbeit und die Einbeziehung der kollektiven Intelligenz der Nutzer sind nicht nur für Wikipedia typisch, sondern auch für die kollaborative Entwicklung von Open-Source- Software. So stellen manche Software-Entwickler früh Beta-Versionen ihrer Programme ins Netz, in der Hoffnung, durch Kommentare und Feedback von Usern Anregungen zur Verbesserung der Software zu erhalten. • Veröffentlichung: Die Kollaboration einander persönlich Unbekannter wird nicht zuletzt dadurch ermöglicht, dass Dienste für öffentliche Kommunikation genutzt werden, deren Vorläufer noch der Individualkommunikation dienten. Ein Beispiel ist Twittern, mit dem man ein potenziell globales Publikum ansprechen kann, während eine SMS an ein bestimmtes Individuum gerichtet ist. Damit einher geht die Vermischung von Privatem und Öffentlichem. Es werden auch Informationen einem breiteren Publikum zugänglich gemacht, die früher dem privaten Bereich vorbehalten waren. • Mobilität des Internets: Vor allem durch die Erweiterung von Handys zu Smartphones, die Erfindung von Tablet-Computern und die Entwicklung von Software für diese Geräte wurde das Internet mobil nutzbar. Dadurch ist eine potenziell ununterbrochene Teilnahme an Kommunikationsprozessen und an sozialen Gemeinschaften im Web 2.0 möglich. Unter Berücksichtigung dieser Eigenschaften kann man das Web 2.0 definieren als: „[W]eb-based platforms that emerged as popular in the first decade of the twenty-first century, and that incorporate user-generated content and social interaction, often alongside or in response to structures or (multimedia) content provided by the sites themselves.“ (Herring 2013: 4) Das Social Web ist ein Teilbereich des Web 2.0. Dieser Begriff umfasst die Bereiche des Webs, bei denen es um die Unterstützung sozialer Interaktionen und den Aufbau und die Festigung sozialer Gemeinschaften über das Internet geht (vgl. Ebersbach/ Glaser/ Heigl 2011: 32 f.). Wichtig ist dabei unter anderem die Idee der Selbstorganisation. Das heißt, dass die Mitglieder einer Gemeinschaft zumindest zu einem Teil selbst und kollaborativ Verhaltensregeln und Normen entwickeln. Dies geschieht zum Beispiel mittels sozialer Rückkopplung in Form von Kommentaren und Bewertungen zu Beiträgen in Diskussionsforen oder durch das Melden als unpassend empfundender Postings auf Facebook-Seiten. Manche sehen das als eine Art Demokratisierung des Internets (vgl. Ebersbach/ Glaser/ Heigl 2011: 36). Social Web Selbstorganisation <?page no="71"?> 71 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass die - zumeist nicht von den Usern gewählten - Administratoren von Foren einige Verhaltensregeln vorgeben und User auch gegebenenfalls auf die Netiquette hinweisen (siehe auch Kapitel 4.5.2) oder sie überhaupt für das Forum sperren. Dennoch können „einfache“ User die Administratoren auf Fehlverhalten hinweisen bzw. Vorschläge für Regeln einbringen. Zuweilen werden auch die von der jeweiligen Plattform vorgegebenen Affordances anders genutzt als ursprünglich vorgesehen. Ein Beispiel dafür ist die Verwendung des „Like“bzw. „Gefällt mir“-Buttons auf Facebook, die nicht immer als positive Bewertung im eigentlichen Sinn zu verstehen ist (vgl. Kapitel 3.3.2 in diesem Buch und Orlitsch 2013). Man kann also zusammenfassen: Das Social Web ist ein wesentlicher Teil des Web 2.0, das wiederum ein Teil des Internets ist. Damit ist allerdings die Frage noch nicht geklärt, was das Internet insgesamt seinem Wesen nach eigentlich ist, ein Medium oder etwas anderes? 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! Wir haben das Internet als Vernetzung von Computern beschrieben. Die Computer fungieren dabei als Eingabe-, Sende- und Empfangsgeräte und sind somit ein Teil des Mediums „Internet“. Sie können aber auch für sich und ohne Vernetzung - also als Stand-alone-PC - in gewisser Weise ein Medium sein. Offensichtlich sind Computer Speichermedien. Auf ihrer Festplatte lassen sich Daten speichern. Daneben sind sie auch Abspielgeräte von Wechseldatenträgern wie CD-ROMs, DVDs und USB-Sticks und damit eine Komponente anderer Medien. Sie sind in dieser Funktion vergleichbar mit Dia- Projektoren, DVD-Playern oder (nicht vernetzten) Spielkonsolen (vgl. Beck 2006: 15). Computer werden auch „Abrufmedien“ (Bleicher 2010: 68) genannt, wenn mit ihnen zum Beispiel ein Artikel einer Online-Ausgabe einer Zeitung abgerufen wird. Wir wollen in diesem Zusammenhang aber nicht vom Computer als Medium sprechen, sondern als Empfangs- oder Endgerät. Als das Medium, über das ein solcher Kommunikationsprozess verläuft, bezeichnen wir das Internet. Dieses kann unter drei Gesichtspunkten betrachtet werden: • das Internet als technische Infrastruktur und technische Plattform; • das Internet als medial konstituierter Kommunikationsraum; • das Internet als Multimedium, Medienkonglomerat oder Hybridmedium. „Das Internet ist trotz aller seiner weiteren Dimensionen ein vor allem technisches Phänomen.“ (Warnke 2011: 12) Es stellt sich zunächst als komplexer technischer Apparat dar, der aus Computern als Eingabe- und Endgeräten und aus Servern sowie aus den Kabel- oder kabellosen Verbindungen als Kanal besteht. Das heißt, das Internet ist eine technische Infrastruktur (vgl. Beck 2006: 19), die das Vermitteln von Informationen ermöglicht und damit eine Extension unserer kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten bewirkt. Es kann somit als Medium im von uns definierten Sinn verstanden werden. Verhaltensregeln, die für den gegenseitigen höflichen Umgang für das Netz formuliert worden sind, fallen unter den Terminus Netiquette. Das Internet als technische Infrastruktur und technische Plattform <?page no="72"?> 2. Medientheorie des Internets 72 Allerdings muss die Vorstellung einer linear funktionierenden Informationsvermittlung, wie sie andere Medien (z. B. Megaphon, Telefon, Radio, Fernsehen etc.) kennzeichnet, für das Medium Internet korrigiert werden. Sicher: Auch im Internet werden zum Teil Informationen linear von einem Sender zu einem Empfänger geschickt. Die technische Infrastruktur des Internets bildet darüber hinaus aber eine Plattform, auf der Informationen gespeichert, verbreitet oder ausgetauscht werden können. Das Internet ist daher als Medium auch eine technische Plattform (vgl. Bleicher 2010: 16). Die gebräuchliche Metapher Datenautobahn ist aus diesem Grund für das Internet nicht wirklich passend. Die technische Plattform Internet ist die Grundlage für einen virtuellen Kommunikationsraum. Man betritt ihn, wenn man - wie es heißt - ins Internet geht. Eine andere räumliche Metapher für das Internet ist die Bezeichnung Cyberspace. Die Vorstellung ist also offenbar die, dass das Internet ein medial konstituierter Raum ist, in dem man mit anderen Informationen austauschen und damit viele verschiedene Dinge tun kann: „Das Internet ist somit ein Medium, in dem sich eine transnationale Kommunikationsgemeinschaft konstituiert, ein Ort, an dem sich Menschen treffen, miteinander reden, Geschäfte abschließen, Dinge herausfinden […]“. (Runkehl/ Schlobinski/ Siever 1998: 27) Das Internet als medial konstituierter Raum hat neben der technischen Grundlage auch eine soziale Komponente. Es handelt sich nicht nur einfach um einen (virtuellen) Raum. Das Internet ist zugleich ein sozialer Raum. Dieser Aspekt wurde insbesondere im Zuge der Entwicklung des Social Web offenkundig. Er ist aber schon im Internet an sich mit seinen Möglichkeiten zur Kommunikation und zum sozialen Austausch - zum Beispiel per E-Mail - angelegt. Wie Runkehl/ Schlobinski/ Siever (1998) feststellten - und das schon zu einer Zeit, in der vom Web 2.0 noch gar nicht die Rede war -, kann man im Internet und mit dem Internet viele Dinge tun. Dies liegt vor allem auch daran, dass das Internet kein „einfaches“ Medium ist. Im Medium Fernsehen kann man unterschiedliche Shows, Spielfilme, Dokumentationen, Nachrichtensendungen etc. zeigen, aber: Es handelt sich immer um Fernsehsendungen, die sich in ihren medialen Eigenschaften nur relativ geringfügig unterscheiden. Die einzige Ausnahme ist hier der Teletext. Im Internet finden wir hingegen ganz unterschiedliche Arten und Formen der Informationsvermittlung im weitesten Sinn: Man kann einen online gestellten wissenschaftlichen Aufsatz lesen, eine Pressekonferenz per Livestream verfolgen, Musik - hoffentlich legal - herunterladen, skypen, chatten, twittern, an einem Diskussionsforum über das neueste Computerspiel teilnehmen, eine E-Mail versenden usw. Das Internet wirkt daher nicht wie ein Medium, sondern wie die technische Verbindung vieler Medien. Man nennt das Internet daher auch ein Multimedium. Weil diese Medien alle gemeinsam das Internet als technische Plattform nützen und dabei stark miteinander verzahnt sind, spricht man auch von Das Internet als medial konstituierter Kommunikationsraum Das Internet als Multimedium, Medienkonglomerat oder Hybridmedium <?page no="73"?> 73 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! einem Medienkonglomerat. So lässt sich zum Beispiel der Link zu einem You- Tube-Video per Twitter versenden oder man kann einen Vlog oder Video- Blog mit seiner Facebook-Seite verlinken. Auf diese Weise verschwimmen die Grenzen zwischen den einzelnen Medien und Kommunikationsformen. Vor allem kann der User zwischen ihnen problemlos wechseln. Er kann sich sozusagen durch das Medienkonglomerat bewegen und dabei die Medien nutzen, die für ihn gerade von Interesse sind oder die ihm die besten Möglichkeiten für die Umsetzung seiner jeweiligen Kommunikationsintention zu sein scheinen. Durch dieses „media merging“ (Schlobinski 2005: 3) kommt es - metaphorisch gesprochen - zu einer Hybridisierung des Mediums Internet. Diese beruht auf der Integration auch von der Art her unterschiedlicher Einzelmedien (vgl. Schlobinski 2006: 30). Das Resultat ist das Hybridmedium Internet. 2.4.1 Mehr noch: Das Internet ist ein Hybridmedium „Das Netz könnte als ein ganzes Bündel von Medien, als Makro- oder Metamedium oder als Mischung verschiedener Medien bezeichnet werden, als Hybridmedium, das […] eine Fülle von Anwendungen, Funktionen und Kommunikationsmodi ermöglicht.“ (Beck 2006: 21) Damit aus dem Internet ein Hybridmedium werden kann, muss es zu - wie Herring (2013: 4) es nennt - „CMCMC“, d. h. „convergent media computermediated communication“ kommen, also zu einer Verschmelzung mehrerer Medien in einem mit dem Computer durchgeführten Kommunikationsprozess. Dieser Ausdruck ist allerdings etwas irreführend, da nicht nur Medienkonvergenz im eigentlichen Sinn vorliegt, sondern eine generelle Konvergenz in Form einer „[…] Verflechtung und Verschmelzung von technischen und kommunikativen Prozessen und Aktivitäten der Medienproduktion bzw. Medienrezeption […]“ (Androutsopoulos 2010: 422). Diese Konvergenz bzw. Hybridisierung findet sich beim Medium Internet auf mehreren Ebenen: Medien: In das Internet sind andere, ältere Medien integriert. Es gibt zum Beispiel Radiosender, die eigene Websites betreiben, wo man live Radio hören oder sich auch einzelne Sendungen als mp3-Files downloaden kann. Ein Beispiel ist der österreichische Kultursender „Ö1“ (http: / / oe1.orf.at). Live im Internet Radio zu hören unterscheidet sich dabei wenig davon, wie die Sendungen des „alten“ Mediums „Radio“ konsumiert wurden. Das Downloaden stellt hingegen eine verstärkte Nutzung der Möglichkeiten des neuen Mediums dar. Das Medium Radio ist so noch stärker in das Hybridmedium Internet integriert. Hybridisierung: Kreuzung verschiedener Gattungen oder Arten bei der Pflanzen- oder Tierzucht. Konvergenz und Hybridisierung Ebenen der Konvergenz im Internet Hybridisierung von Medien <?page no="74"?> 2. Medientheorie des Internets 74 Abb. 2-5: Video-Angebot auf „zeit.de“ (2013-08-29) Ähnlich ist es mit dem Fernsehen oder mit Printmedien wie zum Beispiel der Wochenzeitung „Die Zeit“. In ihrem Web-Auftritt (http: / / www.zeit.de/ index) finden sich einerseits Artikel, die so auch in der Printversion erscheinen oder erscheinen könnten. Nur das Lay-out wird dabei der neuen Medienumgebung angepasst. Andererseits bietet die Website auch Videos an (siehe Abbildung 2-5), womit sie die Affordances des neuen Mediums nützt. Bei allen diesen Beispielen ist eine Konvergenz verschiedener Medien zu erkennen, wie sie für das Internet typisch ist. Diese Form der Hybridisierung kann aber auch so aussehen, dass Internetzeitungen entstehen, von denen es zuvor keine Printversion gab. Das bekannteste Beispiel hierfür ist die „Huffington Post“ (http: / / www.huffingtonpost.com), zu der es auch eine deutschsprachige Ausgabe gibt. Ähnlich ist es mit Formen des Internetfernsehens, wie es unter anderem auf YouTube angeboten wird, wie zum Beispiel der YouTube-Kanal truthloader (http: / / www.youtube.com/ channel/ UCHX5wIWTaClDu6uTKXKItg). Verbreitungs-, Kommunikations- und Speichermedium: Im Internet kommt es nicht nur zu einer Konvergenz verschiedener Medien, sondern auch unterschiedlicher Medientypen, wie wir sie in Kapitel 2.2.3 vorgestellt haben. Aufgabe 2-9 Überlegen Sie, inwiefern das Internet zugleich ein Verbreitungs-, ein Kommunikations- und ein Speichermedium ist. Informationen zur Unterscheidung der drei Medienkategorien finden Sie in Kapitel 2.2.3. Das Internet ist ein Verbreitungsmedium. Öffentliche Institutionen (z. B. eine Stadtverwaltung wie die von Zürich: http: / / www.stadt-zuerich.ch/ portal/ de/ index.html) können aktuelle Informationen auf ihre Website stellen und sie so verbreiten. Politiker oder Parteien können Wahlveranstaltungen über Twitter ankündigen: Hybridisierung von Medienkategorien <?page no="75"?> 75 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! Abb. 2-6: Ankündigung einer Wahlveranstaltung über Twitter Privatpersonen können auch über Facebook zu einer Party einladen - wobei dabei zuweilen die Verbreitungswirkung des Mediums Internet größer ist als von den Einladenden beabsichtigt. Das Internet ist auch und das Social Web ist vor allem ein Kommunikationsmedium. Postings auf Facebook, Videos auf YouTube oder Fotos auf Flickr können kommentiert werden, man kann an Diskussionsforen teilnehmen oder auch persönliche oder an alle „Follower“ gerichtete Nachrichten per Twitter versenden. Nicht zuletzt dienen Webmail, WhatsApp, Skype etc. hauptsächlich oder sogar ausschließlich der direkten Kommunikation. Als Speichermedium gedacht sind Online-Speicher wie Dropbox, Google Drive, Skydrive oder Amazon Cloud Drive. Dort können alle möglichen Dateien gespeichert und in der „Cloud“, also direkt im virtuellen Datenspeicher im Internet bearbeitet werden. Als Speichermedium fungiert das Internet auch in Form von Diensten wie Flickr, Tumblr oder auch Facebook. Es gibt hier auch die Möglichkeit, quasi nur für sich Bilder oder anderes zu speichern. Allerdings ist die Idee hinter diesen Plattformen eher, die Bilder oder andere Informationen auch anderen zugänglich zu machen. Damit entstehen kollektive Speicher im Internet, die ein Teil dessen sind, was vor allem die soziale Komponente des Web 2.0 ausmacht. Es geht hier um den Impetus des Teilens und um Veröffentlichung und darüber hinaus um die Nutzung der kollektiven Intelligenz der User und um Kollaboration. Das Internet als Speichermedium gewinnt so eine ganz neue Qualität. Push- und Pull-Kommunikation: „Das traditionelle ‚Pushmodell‘ der Kommunikation, bei dem eine Botschaft von einem Kommunikator über ein Medium zu einem Empfänger gesendet wird, verändert sich im Internet zur ‚Pullkommunikation‘, bei der Nutzer gezielt ihre Angebote selbst selektieren.“ (Bleicher 2010: 15) Natürlich gibt es auch im Internet noch Push- Kommunikation, beispielsweise per E-Mail oder WhatsApp. Schon bei Twitter aber erhält man die Botschaft erst, wenn man jemandem „folgt“ (Abbildung 2-7), seine Tweets also abonniert hat. Der Empfänger selektiert zumindest vor, von wem er Botschaften erhält. Noch deutlicher wird diese aktive Rolle des Nutzers beim Betrachten und Lesen einer Website: Hier kann er wählen, welche Links er anklickt und welche Teile des Hypertextes er tatsächlich liest (siehe dazu Kapitel 5). Er selektiert also zuerst eine Website, die ihn interessiert, und dann wiederum auf dieser Website, was ihn dort anspricht. Diese Selektionen sind außerdem häufig Resultat einer aktiven Suche des Users. Damit ist die Pull- Komponente bei Kommunikationsprozessen, die über eine Website laufen, sehr stark ausgeprägt. Hybridisierung von Push- und Pull- Kommunikation <?page no="76"?> 2. Medientheorie des Internets 76 Abb. 2-7: Push- und Pull-Kommunikation: Bei Twitter selektiert der Empfänger vor, von wem er Botschaften erhält. (https: / / twitter.com/ following) Die hier beschriebene Freiheit der Selektion wird durch Suchmaschinen wie Google nicht nur gefördert, sondern auch eingeschränkt, da diese über die Relevanz der Treffer mitentscheiden und zum Beispiel mitunter Werbeanzeigen als „beste Treffer“ anführen. Siehe dazu Abbildung 2-8, wo erst der vierte Treffer tatsächlich gesuchte Informationen zum Suchbegriff „Internet“ bietet, während es sich bei den ersten drei um Anzeigen von Internet-Providern handelt. <?page no="77"?> 77 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! Abb. 2-8: Resultat der Google-Suche zum Suchbegriff „Internet“ Individual- und Massenkommunikation: Aufgrund der Bedeutung der Pull-Kommunikation im Medium Internet kann dieses schon einmal nicht als typisches Massenmedium bezeichnet werden. Massenkommunikation verläuft nämlich grundsätzlich einseitig (siehe dazu auch die Definition von Massenmedien in Kapitel 2.2.8). Dabei werden die kommunizierten Informationen durch den Sender vorgegeben und ausgesendet (= Push- Kommunikation), mittels der Präsentation perspektiviert und in ihrer Relevanz bewertet. Im Internet sind diese Selektionen und Relevanzstrukturen hingegen noch nicht so stark im Vorhinein etabliert. Vielmehr entscheiden die User stärker mit, welche Informationen sie rezipieren und welche Relevanz sie diesen Informationen zuschreiben. Über Twitter erreicht man zum Beispiel, wie oben gezeigt, nur Leute, die einem „folgen“. Allerdings kann die Zahl der Follower so groß sein, dass man zumindest in dieser rein quantitativen Sicht von einem Massenmedium sprechen könnte, dies aber nur in Fällen wie zum Beispiel dem des derzeit erfolgreichsten Twitterers Österreichs, des TV-Journalisten Armin Wolf (Abbildung 2-9) mit 95.010 Followern. Auch hier entscheidet aber schlussendlich nicht der Produzent darüber, ob er Massenkommunikation betreibt, sondern die User, die aktiv Twitterer auswählen, denen sie folgen und deren Tweets sie lesen wollen. Außerdem können die Follower auch retweeten, favorisieren und auf einzelne Tweets antworten, was auch nicht zu massenmedialer Kommunikation im eigentlichen Sinn passt. Hybridisierung von Individual- und Massenkommunikation <?page no="78"?> 2. Medientheorie des Internets 78 Abb. 2-9: Twitter-Account von Armin Wolf, österreichischer TV-Journalist Seiten in Sozialen Netzwerken können darüber hinaus auch so eingestellt werden, dass sie nur für „Freunde“ zugänglich sind. Damit sind sie nicht mehr an ein anonymes und disperses Publikum gerichtet (es sei denn der Freundeskreis wird unüberschaubar groß, vgl. dazu auch Kapitel 3.3.1) - es fehlt ihnen ein weiteres Merkmal eines Massenmediums. Dies gilt für offene Seiten von Institutionen, Politikern, Schauspielern usw. nicht, aber dafür können auch auf ihnen von Usern Kommentare gepostet werden. Die Kommunikation auf solchen Facebook-Seiten verläuft demnach wiederum nicht einseitig wie bei Massenmedien. Formen der Individualkommunikation (E-Mail, WhatsApp usw.) entsprechen darüber hinaus überhaupt nicht der Definition für MASSENMEDIUM . Sie sind aber auch ein wichtiger Teil des Internets. Deshalb lässt sich zusammenfassen: Das Internet weist Kommunikationsformen auf, die denen eines Massenmediums ähnlich sind. Insgesamt ist es aber auch auf dieser Ebene ein Hybridmedium, da es sowohl Individualals auch Massenkommunikation (mit Einschränkungen) zulässt. Private und öffentliche Kommunikation: Individualkommunikation ist grundsätzlich personal und kann auch im Internet privat erfolgen, ohne dass sie an eine Öffentlichkeit gerichtet ist und auch ohne dass jemand mithört. Andererseits bietet das Internet auch Möglichkeiten für öffentliche Kommunikation, zum Beispiel über Websites und offene Social-Media-Seiten. Interessant ist aber die Hybridisierung der beiden Arten von Kommunikation, die Haas/ Brosius (2011: 104 ff.) als „ipöK“ - „interpersonal-öffentliche Kommunikation“ - bezeichnen. IpöK findet vor allem in Diskussionsforen, aber auch zum Beispiel auf offenen Facebook-Seiten oder auf Twitter statt. Hier ein Beispiel: eine Frage aus einem Forum zum Computerspiel „GTA 5“ (2-2): Hybridisierung privater und öffentlicher Kommunikation <?page no="79"?> 79 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! (2-2) (Egler/ Dennis, GTAnext, 2013-09-20) Es wird hier eine Frage gestellt, die dann persönlich beantwortet wird. Es handelt sich also um interpersonale Kommunikation, die so auch gänzlich privat stattfinden könnte. Andererseits sind aber sowohl Frage als auch Antwort im Forum für alle sichtbar und damit öffentlich. Die Kommunikationssituation ist daher durch ipöK gekennzeichnet, eine Hybridisierung von privatinterpersonaler und öffentlicher Kommunikation. Semiotische Modi: Im Internet kann auf verschiedene Zeichenressourcen zurückgegriffen werden: Bilder (Fotos, aber auch andere Graphiken), Videos, sprachliche Zeichen (schriftlich oder mündlich), Schriftarten und typographische Mittel, Musik und noch einige andere. Besonders auffällig ist die Verwendung verschiedener Modi in einem Kommunikat. Beispiele wären eine Website, auf der sich (sprachliche) Texte, Fotos, Videos befinden und vielleicht noch anderes, oder ein Tweet, an den ein Foto angehängt ist, oder das Video-Skypen. Bei allen diesen Kommunikationsformen liegt Multimodalität vor, ein wichtiges Merkmal von Kommunikation im Internet (siehe auch Kapitel 5.3.2 ). Sprachen, Varietäten und Stile: Wie wir in Kapitel 3 feststellen, gibt es die Internetsprache nicht. In der virtuellen Welt des Internets werden ganz im Gegenteil alle möglichen Sprachen und von diesen wiederum viele Varietäten (z. B. Dialekte, Soziolekte, Fachsprachen, Jugendsprache etc.) verwendet (siehe Bsp. 2-3) wie es auch bei den nicht-sprachlichen Modi stilistische Variation gibt. Hybridisierung semiotischer Modi Hybridisierung von Sprachen, Varietäten und Stilen <?page no="80"?> 2. Medientheorie des Internets 80 (2-3) (donaukind/ peaches09, krone.at, 2013-11-27) Auffallend ist wiederum, dass - wie im obigen Beispiel (2-3) - in ein und derselben Kommunikationssituation unterschiedliche Varietäten eingesetzt werden (siehe auch Kapitel 3.2.1). Eine Hybridisierung von Sprachen ergibt sich schon, wenn man zum Beispiel mit einer deutschen Version von LinkedIn ein Profil betrachtet, in dem die Angaben in einer anderen Sprache eingetragen sind (2-4): (2-4) (esd, LinkedIn, 2012-12) Darüber hinaus sind auch immer wieder Foren zu finden, in denen in mehreren Sprachen kommuniziert wird, oder Twitterer, die ihre Tweets abhängig von den intendierten Adressaten in verschiedenen Sprachen formulieren, oder es werden auf Flickr oder Instagram (2-5) Kommentare in verschiedenen Sprachen gepostet: (2-5) (berlinstagram, Instagramm, 2013-10-06) <?page no="81"?> 81 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! Sinnesmodalitäten und Kanäle: Eingeschränkt wird die Vielfalt und die Hybridisierung der semiotischen Modi nur durch die technische Einschränkung des Mediums auf bestimmte Sinnesmodalitäten und Kanäle. Nur unser Seh- und unser Hörsinn werden durch entsprechende Signale über das Medium Internet erreicht. Sehr eingeschränkt kann noch der Tastsinn angesprochen werden, wenn zum Beispiel bei einer Szene mit einer Explosion in einem Computerspiel die Maus vibriert. Diese wenigen Sinnesmodalitäten kommen jedoch im Internet zumindest in einigen Bereichen kombiniert vor. Der Kanal, den das Internet nutzt, besteht zunächst aus den Kabel- oder kabellosen Verbindungen zwischen den Computern. Über diese Netzverbindungen werden die Informationen in Form von digitalen Impulsen transportiert. Diese müssen dann im Endgerät aber in optische und akustische Signale „übersetzt“ werden, damit wir den Informationsträger mit unseren Sinnen verarbeiten können. Erst dann können wir auch erkennen, ob der Informationsträger in Hinblick auf die angesprochene Sinnesmodalität und den Kanal hybridisiert ist. Medieninstitutionen: Auch einzelne Medieninstitutionen im Internet sind durch Hybridisierung gekennzeichnet. So ist Google zum Beispiel primär eine Suchmaschine. Darüber hinaus wird aber neben anderen Diensten auch mit GMail ein Webmail-Dienst angeboten oder mit Google Drive ein Online-Speicher. Außerdem gibt es einen Link zu YouTube, sodass dieses Video-Portal integriert ist. Ähnliche Formen der Hybridisierung einer Medieninstitution findet man auch bei Yahoo! , Facebook und Amazon. Aufgabe 2-10 Analysieren Sie die Websites von Yahoo! (http: / / de.yahoo.com/ ) und von amazon.de (http: / / www.amazon.de/ ). Inwiefern kann man bei beiden von hybridisierten Medieninstitutionen sprechen? Aber auch: Worin unterscheiden sich die beiden in Hinblick auf die Hybridisierung? Kommunikationsformen: Kommunikationsformen im Internet weisen ebenfalls Hybridisierung auf. Ein Beispiel wäre die Kommunikationsform „Video- Blog“ oder „Vlog“ (z. B. der des Journalisten Robert Misik auf der Website http: / / derstandard.at/ r5441/ Blogs der Online-Ausgabe der Zeitung „Der Standard“ , bei der die Kommunikationsformen „Video“ und „Blog“ verschmolzen werden. Auf diese Weise entsteht eine neue - hybride - Form. Mit Thurlow/ Lengel/ Tomic (2004: 31) kann man abschließend feststellen: „[T]he internet is not a single communication technology but rather a collection of different technologies for communicating. For this reason, it may be better to think of the internet as a system comprised of many subsystems, and each sub-system has its own genre or type of communication. There is certainly no single way of communicating on the internet.“ Hybridisierung von Sinnesmodalitäten und Kanälen Hybridisierung von Medieninstitutionen Hybridisierung von Kommunikationsformen ) <?page no="82"?> 2. Medientheorie des Internets 82 2.4.2 Von „designed spaces“ und Kommunikationsplattformen Das Internet ist - wie in Kapitel 2.4 erläutert wurde - insgesamt eine technische Plattform, die einen virtuellen Raum zur Kommunikation und zur Speicherung und Verbreitung von Informationen eröffnet. Das Medium Internet bietet dabei die technische Basis für einzelne spezielle Kommunikationsplattformen, die jeweils für bestimmte Formen der Kommunikation oder Informationsverarbeitung genutzt werden können. Auf diese Plattformen kann man verschiedene Arten sprachlicher Mitteilungen, Texte, Bilder, Videos oder Audio-Files stellen. Bekannte Beispiele hierfür sind soziale Netzwerke wie Facebook, MySpace und Sankt Onlein oder Photo-sharing-Sites wie Flickr und Instagram. Es handelt sich bei diesen Plattformen aber nicht um unstrukturierte Räume, die man füllen kann, wie man will. Vielmehr bieten sie „designed spaces“ (Barton/ Lee 2013: 29). Das heißt, die Plattformen geben zum Beispiel bis zu einem gewissen Grad vor, welche semiotischen Modi hauptsächlich genutzt werden sollen oder wie gepostete Texte gestaltet sein können. Der zur Verfügung gestellte Raum weist also ein bestimmtes Design auf, dem man sich als User anpassen muss. Da zu restriktive Vorgaben dieser Art jedoch bei Usern nicht sehr beliebt sind, gibt es zumeist auch Möglichkeiten, das Design etwas individueller zu gestalten. Diese Möglichkeit beschränkt sich im Allgemeinen aber mehr oder weniger auf das Lay-out der persönlichen Seite auf einer dieser Plattformen. Abgesehen von diesen Kommunikationsplattformen, die die Grundlage für ganze Netzwerke zahlloser Seiten individueller User bilden, kann man auch bei einzelnen Websites von Plattformen sprechen. Diese bieten den Usern zwar nicht die Möglichkeit, ein eigenes Profil oder einen Account anzulegen, aber es werden von den Erstellern der Website verschiedene Texte und Bilder auf die Seite gestellt und oft gibt es auch für die Nutzer noch die Möglichkeit, zumindest Kommentare zu posten. Ein Beispiel ist die Website der Science-Fiction-Serie „Perry Rhodan“ (Abbildung 2-10). Hier findet man allgemeine Informationen zur Serie, zu Neuerscheinungen von Heften, Büchern und Hörbüchern oder Blogs der Autoren der Serie. Unter dem Link „Perrypedia“ wird aber auch eine Art Enzyklopädie zur fiktiven Welt der Serie angeboten, die in Form eines Wikis von Fans der Serie erstellt wird. Außerdem gibt es auch ein Diskussionsforum und einen Shop. Die Website fungiert also als eine Plattform für vielfältige Kommunikationsprozesse, die durch das gemeinsame Thema und die Website als technischen und formalen Rahmen zusammengehalten werden. Kommunikationsplattformen als „designed spaces“ <?page no="83"?> 83 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! Abb. 2-10: http: / / www.perry-rhodan.net/ (2013-10-06) 2.4.3 Das Netz: Alles ist möglich - oder doch nicht? Constraints und Affordances Die einzelnen Plattformen und das Internet generell ermöglichen verschiedene Formen von Kommunikation, schränken diese aber, wie wir gesehen haben, auch wieder ein. Es gibt also im Internet wie bei jedem anderen Medium Constraints und Affordances, die auf die Technologie des Mediums zurückzuführen sind. Die wichtigsten Constraints und Affordances des Internets sind die Ermöglichung (eingeschränkten) multimodalen Kommunizierens, von Verlinkungen und damit von Hypertextualität sowie von Interaktivität in der einen oder anderen Form: In vielen Bereichen des Internets kann man auf verschiedene semiotische Modi zurückgreifen, um seine Botschaft zu formulieren. Das Internet ist somit ein Medium, das Multimodalität ermöglicht. Allerdings können nur semiotische Modi verwendet werden, die auf optischen oder akustischen Signalen beruhen. Andere Kanäle sind im Internet - zumindest zurzeit - nicht verfügbar. Insofern ist die Affordance der Multimodalität im Internet in ihrem Ausmaß technisch auch wieder eingeschränkt. Andererseits ist das Internet ideal für die Kombination von schriftlichen Texten und Bildern, aber auch sehr gut geeignet für das Hochladen von Videos oder von Audio-Files. So kann zum Beispiel ein Politiker wie Peer Steinbrück einen Wahlaufruf auf seiner Facebook-Seite in einem kurzen Text schriftlich formulieren, daran aber ein Video mit einer Wahlrede anhängen, in der er sein Anliegen ausführlicher darlegt (Abbildung 2-11). Diese multimodale Gestaltung der Botschaft nützt die Affordances des Internets - und in diesem Fall auch der Kommunikationsplattform Facebook - und ist damit adäquater für eine solche kommunikative Handlung, als es zum Beispiel ein rein schriftlicher, monomodaler Text wäre. (eingeschränkte) Multimodalität <?page no="84"?> 2. Medientheorie des Internets 84 Abb. 2-11: https: / / www.facebook.com/ peersteinbrueck? fref=ts (2013-09-22) Als besonders typisch für Kommunikation mittels elektronischen Medien und insbesondere für Kommunikation im Internet gilt die Möglichkeit, einzelne Elemente miteinander zu verlinken und so Hypertexte zu konstituieren (zur Definition von HYPERTEXT siehe Kapitel 5). Hypertextualität in einem weiteren Sinn gibt und gab es zwar auch schon in „alten Medien“, aber erst in den elektronischen Medien wird die hypertextuelle Verlinkung zu einem zentralen Mittel der Verknüpfung von Texten und Textteilen. Dabei werden nicht nur sprachliche Elemente verlinkt, sondern unter anderem vor allem auch Bilder. Dieses Phänomen der Verlinkung komplexer Zeichen, die unterschiedlichen semiotischen Modi angehören, bezeichnet man in Anlehnung an Lemke (2002) als Hypermodalität (Weidacher 2007: 260). Hypertextualität und Hypermodalität sind zunächst Affordances für Sender und Gestalter von Online-Kommunikaten. Zugleich sind sie die Basis für eine Affordance, die den Rezipienten dieser Kommunikate zur Verfügung steht: Ergodizität. „During the cybertextual process, the user will have effectuated a semiotic sequence, and this selective movement is a work of physical construction that the various concepts of ,reading‘ do not account for. This phenomenon I call ergodic, using a term appropriated from physics that derives from the Greek words ergon and hodos, meaning ,work‘ and ,path‘.“ (Aarseth 1997: 1) Aarseth nennt also das Phänomen ergodisch, dass User, wenn sie mit Hypertexten konfrontiert sind, aktiv entscheiden, welche Links sie anklicken. Auf diese Weise wirken sie nicht mehr nur am Aufbau des Sinns einer Botschaft aktiv mit (siehe Kommunikationsmodell Kapitel 2.2.8), sondern sie konstitutieren auch das Kommunikat, also die materielle Seite der Botschaft, mit. Hypertextualität und Ergodizität <?page no="85"?> 85 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! Erst dadurch, dass sie den Links folgen, stellen sie die Verknüpfung her und machen das verlinkte Element zu einem Teil des (Hyper-)Textes. Offensichtlicher ist das, was Aarseth mit Ergodizität meint, im Falle von Computerspielen wie GTA, Risen oder dem Online-Spiel World of Warcraft: In allen diesen Spielen hat der Spieler einen Avatar, mit dem er sich durch die virtuelle Welt des Spiels bewegt. Erst dadurch aber, dass er durch diese Welt geht, konstituiert er sie für sich. Dabei kann es sein, dass er manche Teile der von den Produzenten programmierten Welt nie betritt. Diese Teile werden dann aber auch nicht Teil des Spiels, wie es der Spieler im Zuge seines Handelns aufbaut. Ähnlich funktioniert es im Falle von Hypertexten, wo der User auch nicht allen Links folgt und somit selektiert, welche Elemente er in den von ihm ergodisch konstituierten Hypertext einbaut. Der Rezipient eines Hypertextes ist also bereits ein aktiver Nutzer des Angebots im Internet. Richtig interaktiv wird er jedoch erst, wenn er zum Beispiel auf online angebotene Texte oder Bilder antwortet, indem er einen Beitrag in einem Forum postet oder ein auf Flickr hochgeladenes Bild kommentiert. Dass dies in vielen Bereichen des Internets möglich und für das Web 2.0 sogar typisch ist, zeigt, dass Interaktivität eine wichtige Affordance dieses Mediums ist. Für einige Bereiche ist Interaktivität sogar essenziell. Chatten und das Versenden von Messages über WhatsApp funktionieren ausschließlich interaktiv. Mit dem Posten von Statusmeldungen auf Facebook, einem Foto auf Instagram, einem Blog auf Tumblr oder einem Tweet lädt man üblicherweise auch zur Interaktivität ein - und ist enttäuscht, wenn andere Interaktivität verweigern und keine oder eine zu geringe Rückmeldung erfolgt: (2-6) (Anatol Stefanowitsch @astefanowitsch, Twitter, 2013-08-24) 2.4.4 Von konventionalisierten kommunikativen Handlungen online Alle genannten Affordances und Constraints sind beteiligt an der Herausbildung von Kommunikationsformen im Internet (siehe dazu auch Kapitel 5.4). Dabei ist zu beachten, dass man zwischen neuen bzw. emergenten und adaptierten Kommunikationsformen unterscheiden muss: Adaptierte Kommunikationsformen sind solche, die Vorläufer in den „alten Medien“ haben und nur an die neue mediale Umgebung angepasst wurden. Dazu gehören zum Beispiel Artikel in Online-Ausgaben von Zeitungen, die im Prinzip den Print-Versionen entsprechen. Hier wird manchmal nur das Lay-out verändert und der Text durch Verlinkungen in eine Hypertextstruktur eingefügt. Interaktivität Adaptierte Kommunikationsformen im Internet <?page no="86"?> 2. Medientheorie des Internets 86 Etwas weiter geht die Adaptierung schon bei Blogs. Als deren Vorläufer wurden ursprünglich Tagebücher in einem weiteren Sinn betrachtet, also speziell auch Reisetagebücher, Schiffslogbücher etc., die nicht nur für den Verfasser selbst geschrieben werden, was ja auch für Online-Blogs gilt. Blogeinträge im Internet, zum Beispiel auf einer Blogging-Plattform wie Tumblr, werden aber anders als die Einträge in den alten Kommunikationsformen angeordnet: Es erscheint im Internet immer der neueste Blog zuerst. Die Anordnung der Einträge bleibt also chronologisch, wird aber umgedreht. Dies ist auch gut begründet, wenn man bedenkt, dass man ein Tagebuch einfach auf der letzten Seite aufschlagen kann, während man im Internet mühsam ganz nach unten scrollen müsste. Es ist daher bei der Kommunikationsform Blog wichtig, dass jeweils der aktuellste Eintrag ganz oben steht. Dasselbe gilt für die Microblogging-Plattform Twitter. Auch hier erscheint immer der neueste Tweet als erster. Allerdings stellt sich die Frage, ob man Tweets überhaupt noch zu den adaptierten Kommunikationsformen im Internet zählen kann. Als ihre Vorbilder können wohl einerseits wieder Tagebücher bzw. schon Internet-Blogs gesehen werden, andererseits, vor allem was die Form betrifft, auch SMS. Dennoch ist Twittern etwas, das sich sehr weit von seinen Vorläufern wegentwickelt hat: Obwohl das auch möglich ist, dient Twitter nicht mehr so sehr dem direkten Austausch von Botschaften zwischen Individuen - hier wäre eher WhatsApp der Nachfolger von SMS im Internet. Twitter wird aber auch nicht einfach als öffentliches Tagebuch genutzt. Vielmehr kommt beides vor, jedoch in einer neuen, von den Affordances und Constraints bestimmten Form. So sind auf Twitter zum Beispiel auch - zumindest für die jeweiligen Follower - öffentliche Diskussionen möglich, was es so in keiner der Vorläufer-Kommunikationsformen gab. Ein Beispiel dafür wäre die folgende Diskussion (2-7) zwischen zwei bekannten österreichischen Zeitungsjournalisten: (2-7) (MichaelFleischhacker @mfleischhacker1 vs. Thomas Mayer @TomMayerEuropa, Twitter, 2013-10-06) <?page no="87"?> 87 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! Bei Tweets geht die Adaptierung also schon so weit, dass man besser von einer neuen oder emergenten Kommunikationsform spricht. Die wahrscheinlich wichtigste emergente Kommunikationsform im Internet ist die Website. Vor allem wenn die Affordances Hypertextualität, Multimodalität und Interaktivität auf einer Website entsprechend genutzt werden, ist diese Form der Kommunikation typisch für das Internet. Anders ausgedrückt sind Websites in ihrer jetzigen Gestalt der formale Ausdruck dessen, was das Internet für bestimmte kommunikative Zwecke, wie zum Beispiel das Verbreiten von Informationen, an Möglichkeiten bietet. Und sie konnten sich in dieser Form nur im Internet herausbilden. 2.4.5 So funktioniert es im Netz: Ein spezifisches Kommunikationsmodell Das in Kapitel 2.2.8 vorgestellte allgemeine Kommunikationsmodell kann nun für die Darstellung von Online-Kommunikation adaptiert werden. Dafür greifen wir auf die in den letzten Kapiteln beschriebenen Eigenschaften des Internets zurück und ersetzen die allgemeinen Bezeichnungen im Modell durch internetspezifische. Da das Internet aber, wie erläutert wurde, ein Hybridmedium ist, das auch unterschiedliche Kommunikationsformen ermöglicht, müssen wir die Darstellung noch weiter spezifizieren. Wir haben dafür die für das Internet zentrale Kommunikationsform der Website gewählt. Zur Erläuterung des Modells (Abbildung 2-12): Die Komponenten Sender und Empfänger sowie der gesamte obere Teil des Modells, der die gemeinsame Sinnkonstitution darstellt, ändern sich gegenüber dem allgemeinen Modell nicht. Dieser Teil eines Kommunikationsprozesses ist im Prinzip nicht vom jeweiligen Medium abhängig. Anstelle von Sendebzw. Empfangsgerät werden die Termini Eingabegerät und Endgerät verwendet, die als Bezeichnungen üblicher sind, wenn es um Kommunikation mittels Computern - damit sind hier auch Tablets und Smartphones gemeint - geht. Diese Bezeichnungen sollen auch verdeutlichen, dass man Informationen eingibt, wenn man das Internet als Medium nutzt, und dass das Endgerät nicht nur ein simples Empfangsgerät ist wie ein Radio. Schließlich kann man mit dem Endgerät Einfluss auf den Informationsträger nehmen, indem man zum Beispiel durch das Anklicken eines Links und das Nicht-Anklicken von anderen Links Elemente auswählt und andere nicht (Ergodizität). Das soll der gepunktete Pfeil unten rechts symbolisieren, der vom Endgerät zum Informationsträger zeigt. Der gestrichelte Pfeil darüber, der in dieselbe Richtung weist, steht hingegen für die Möglichkeit von Rückmeldungen, zum Beispiel in Form von Kommentaren, die man auf manchen Websites posten kann (Interaktivität). Da solche Kommentare Teil der Website werden, indem sie auf dieser zu lesen sind, stellen sie eine Veränderung des Informationsträgers dar. Daher muss dieser Pfeil im Gegensatz zum allgemeinen Kommunikationsmodell hier eingefügt werden. Der Informationsträger selbst wird von den digitalen Impulsen gebildet, die über eine Kabel- oder kabellose Verbindung als Kanal gesendet werden Emergente Kommunikationsformen Emergenz: Herausbildung neuer Formen oder Eigenschaften eines Systems infolge des Zusammenwirkens seiner Elemente. <?page no="88"?> 2. Medientheorie des Internets 88 und die auf dem Bildschirm des Endgeräts als optische (und manchmal zusätzlich akustische) Signale angezeigt werden. Diese Signale erscheinen dort in Gestalt der Kommunikationsform Website. Abb. 2-12: Kommunikationsmodell für das Internet Diese Komponenten stehen im Rahmen des Mediums Internet, wobei im Fall von Websites das WWW als Teil des Hybridmediums bzw. als mediale Plattform anzusehen ist. Im Zuge der Kommunikation mittels einer Website kann schließlich auf die semiotischen Modi Schrift, Bilder, Videos, gesprochene Sprache und Musik - vielleicht auch noch auf andere - zurückgegriffen werden. Georg Weidacher <?page no="89"?> 89 2.4 Ja, das Internet ist ein Medium! Aufgabe 2-11 Adaptieren Sie das Kommunikationsmodell so, dass es a) Twittern bzw. b) Video-Skypen darstellt. Das Internet prägt die Kommunikationsprozesse, die mittels dieses neuen Mediums ablaufen. Dabei sind seine Affordances und Constraints von entscheidender Bedeutung: Da die Technik des Internets zum Beispiel die Verwendung verschiedener semiotischer Modi erlaubt bzw. sogar anregt, gelten multimodale Kommunikate als typisch für Internet-Kommunikation. Auf Basis dieser technischen Möglichkeiten und Einschränkungen sowie der kommunikativen Bedürfnisse und des Nutzungsverhaltens derer, die mittels des Internets kommunizieren, haben sich verschiedene Kommunikationsformen im Internet herausgebildet. Diese Kommunikationsformen befinden sich in einem stetigen Wandel: Einerseits entstehen neue und werden andere obsolet, andererseits verändern sich die Merkmale einzelner Kommunikationsformen. Der Grund dafür ist vor allem, dass sich auch die technischen Möglichkeiten des Internets durch die Entwicklung neuer oder verbesserter Soft- oder Hardware verändern und dass sich in diesem dynamischen Medium neue Nutzungsweisen herausbilden. Internet: technisches Medium, das auf der Vernetzung von Computern beruht. Es ist zugleich eine technische Plattform, ein medial konstituierter Raum und vor allem ein Multibzw. Hybridmedium, das durch Medienkonvergenz gekennzeichnet ist. Web 2.0: beruht auf neueren Entwicklungen im Internet und setzt sich zusammen aus den Bereichen des Internets, die durch die Partizipation der User gekennzeichnet sind („Mitmach-Web“). Social Media: Plattformen und Dienste im Web 2.0, die vor allem zur Herstellung und Aufrechterhaltung sozialer Kontakte genutzt werden, wie zum Beispiel MySpace, Facebook, LinkedIn, Xing oder Twitter. Hybridmedium: Medium, das durch Medienkonvergenz auf mehreren Ebenen gekennzeichnet ist. Die Hybridisierung erfolgt im Internet zum Beispiel dadurch, dass auf verschiedene Medien, Formen von Kommunikation, semiotische Modi etc. - zum Teil sogar im selben Kommunikat - zurückgegriffen werden kann. Kommunikationsplattform: Plattformen im Internet, die zur Verbreitung von Informationen und zur Kommunikation genutzt werden. Sie bieten „designed spaces“, in die man seine Kommunikate hochladen kann, damit andere sie lesen, betrachten und (häufig) kommentieren können. Adaptierte Kommunikationsformen: Kommunikationsformen, die zwar an die Gegebenheiten eines neuen Mediums angepasst wurden, deren Herkunft aus einer anderen medialen Umgebung aber noch erkennbar ist. Beispiele: E-Mail, Online-Zeitungsbericht, Blogs. Die Grenze zu den emergenten Kommunikationsformen ist allerdings fließend. Speicherinhalt <?page no="90"?> 2. Medientheorie des Internets 90 Emergente Kommunikationsformen: Kommunikationsformen, die sich aufgrund der neuen medialen Gegebenheiten in einem Medium - in unserem Fall im Internet - herausgebildet haben. Beispiele: Tweets, Vlogs und Foto-Blogs. Multimodalität: Verwendung verschiedener semiotischer Modi (z. B. Sprache, Bilder, Videos oder Musik) in einem komplexen Kommunikat. Übungen 1. Wenden Sie die 5 Kriterien für Kommunikationsformen (Kapitel 2.2.7) auf Kommunikation mittels WhatsApp und Instagram an. 2. Analysieren Sie die Website der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“ (http: / / derstandard.at/ ). Welche Formen von Medienkonvergenz bzw. Hybridisierung finden Sie? Berücksichtigen Sie möglichst alle in Kapitel 2.4.1 diskutierten Ebenen. 3. Diskutieren Sie, inwiefern Instagram, Amazon und die Website „Geschenke der Hoffnung“ (http: / / www.geschenke-der-hoffnung.org/ ) jeweils Merkmale des Web 2.0 (Kapitel 2.3.2) aufweisen. Lektüre zur Vertiefung McLuhan/ Fiore (1967) präsentiert McLuhans medientheoretische Ideen prägnant und auf eine sehr kreative Weise. Wissenschaftlicher im Stil und umfassender in der Darstellung ist McLuhan (2003). Posner (1985) ist eine ältere, aber grundlegende Arbeit zu einigen Begriffen der Semiotik und Kommunikationstheorie, darunter auch zum Medienbegriff. Spezieller und mehr aus sprachwissenschaftlicher Perspektive und daher sehr lesenswert zu diesem Thema ist Habscheid (2000). Einen Überblick über Medientheorien bietet des Weiteren Weber (2003). Einen alternativen, aber gerade für Sprachwissenschaftler interessanten Medienbegriff vertreten Ehlich (1998) und Schneider (2006). Eine sehr lesbare Mediengeschichte bietet Böhn/ Seidler (2008), ausführlicher zum gleichen Thema: Hiebel et al. (1998). Warnke (2011) beleuchtet vor allem die technische Seite des Internets. Bleicher (2010) ist hingegen eine sehr kompakte Darstellung des Internets aus medienwissenschaftlicher Sicht. Fraas/ Meier/ Pentzold (2012) beschäftigen sich aus kommunikations- und medienwissenschaftlicher Sicht mit Online-Kommunikation. Zum Web 2.0 findet man weitere Infomationen in Schmidt ( 2 2011) und Huber ( 2 2010) und im kompakten Aufsatz von Herring (2013). Sehr gut lesbar und sehr kurz zum selben Thema: Runkehl (2012). Speziell mit den Sozialen Medien beschäftigen sich Huber ( 3 2013) und der Sammelband herausgegeben von Anastasiadis/ Thimm (2011a). Weiterführend zur Analyse multimodaler Kommunikation sind Kress (2010) und van Leeuwen (2005). Zum Begriff der „Kommunikationsformen“ siehe unter anderem die Aufsätze von Dürscheid (2005b) und von Holly (1996). <?page no="91"?> 3. Sprache im Internet Gibt es überhaupt eine Internetsprache? Welche Besonderheiten gibt es auf den verschiedenen linguistischen Beschreibungsebenen? Inwiefern kann Online-Kommunikation Bedeutungen verändern? 3.1 Weder Sondersprache noch Stil Eine Internetsprache, eine Sprache also, die einzig für die Kommunikation im Internet verwendet wird, gibt es nicht, darüber ist man sich in der Forschung inzwischen weitestgehend einig. Abgesehen von der Auszeichnungssprache HTML (Hypertext Markup Language), die viele Internetseiten strukturiert, aber für den normalen Nutzer nicht unmittelbar sichtbar ist, präsentiert uns „das Internet“ keine Sprache mit eigener Systematik. Sie muss nicht wie eine Fremdsprache erlernt werden. Noch vor etwa zehn Jahren kursierten Bezeichnungen wie Netspeak (Crystal 2 2006) oder Cyberslang (Abel 2 2000), die aber die (sozialen) Unterschiede im Online-Sprachgebrauch ausblendeten (Androutsopoulos 2003a: 3) und eine homogene, für Internetkommunikation typische Sprache suggerierten. Das „Internet“ ist aber kein homogener Kommunikationsraum, sondern gerade als Hybridmedium ein Puzzle aus vielen Versatzstücken, wie z. B. Blogs, Foren, Lexika, Ratgeberseiten, Präsentationen von Firmen, Produkten oder Universitäten; es gibt Seiten, die sich an Kinder, an Jugendliche, an Erwachsene in spezifischen Berufsgruppen oder an Rentner richten; Hobbies, Vorlieben, außergewöhnliche Fähigkeiten oder Lebensumstände, Politik, Wissenschaft - für alles gibt es Angebote im Internet. So thematisch heterogen wie all diese Angebote allein schon sind, so unterscheiden sie sich auch hinsichtlich der verwendeten Sprache. Man kann daher auch nicht von einer Sondersprache ausgehen, die mehr oder weniger ausschließlich im Internet verwendet wird. Im Gegenteil: Wir finden durchaus verschiedene Sprachstile („Art[en] der sprachlichen Gestaltung“, siehe Fleischer/ Michel/ Starke 1993), zum Beispiel den umgangssprachlichen Stil in sozialen Netzwerken, den Wissenschaftsstil in Online- Publikationen, den Beamtenstil auf Behördenseiten, den poetischen Stil auf Gedichtseiten oder den Regionalstil in Kommentarbereichen lokaler Webangebote, aber einen einheitlichen Internet-Stil finden wir nicht. Es gibt außersprachliche Faktoren, die diese Stile motivieren, wie etwa die Herkunft und das Traditionsbewusstsein oder die beruflichen Anforderungen. Das Medium Internet als außersprachlichen Faktor für einen „Internet-Stil“ anzunehmen, wäre zwar möglich. Das könnte aber die Sprachwirklichkeit im Internet nur Gibt es eine „Internetsprache“? Sondersprachen sind von der Standardsprache abweichende Sprachvarianten, die in Sondergruppierungen (Jäger, Bergleute, Gauner) verwendet werden (vgl. Bußmann 2002). <?page no="92"?> 3. Sprache im Internet 92 unzureichend erklären, weil auch andere Faktoren eine Rolle spielen. Die kommunikativen Praxen und der Sprachgebrauch im Internet sind schlicht zu verschieden. Das, was zumeist als „Internetsprache“ bezeichnet wird, findet sich fast ausschließlich in bestimmten Kommunikationsformen wie Foren, Chatumgebungen, Blogs oder Microblogging-Plattformen, dort also, wo Menschen direkt miteinander kommunizieren. Auch hier kann man aber feststellen, dass der Sprachgebrauch keineswegs einheitlich ist. Es hängt sehr von der Art des jeweiligen Forums, aber auch von den individuellen Nutzern ab, wie dort sprachlich formuliert wird. Dasselbe gilt für E-Mails: Internetspezifische Merkmale finden sich kaum in offiziellen bzw. Geschäfts-E-Mails, aber auch nicht in allen privaten E-Mails. Wir können auch deshalb nicht von einer „Internetsprache“ sprechen, weil sich bereits jetzt ein wechselseitiger Austausch mit anderen Domänen der Kommunikation abzeichnet. Das heißt, dass wir angeblich typische internetspezifische Phänomene auch in Bereichen der Offline-Kommunikation und in Offline-Medien wiederfinden, wie Akronyme, die sich eben auch als Wort gut aussprechen lassen, z. B. YOLO (you only live once), LOL (laughing out loud) oder asapst (as soon as possible mit deutschem -st-Suffix) oder Wörter, wie Freund, deren Bedeutung durch ihre Verwendung im Sozialen Netzwerk nicht mehr einfach festzulegen ist. Auch Emoticons verharren nicht in ihrer typischen Online-Umgebung, sondern tauchen in Briefen, auf T-Shirts oder auf Flyern wieder auf. Dennoch gibt es internetspezifische Merkmale. Das sind Merkmale, die durch die besonderen Kommunikationsbedingungen im WWW entstanden sind und die zeigen, wie sich Sprachverwender der veränderten Situation anpassen können. Während Kritiker in diesem Bereich den Beginn des Sprachverfalls verorten und fürchten, dass „das Internet“ die Sprache verhunze, sehen wir hier höchst interessante Phänomene: • neue Wörter, mit denen auf neue Entwicklungen reagiert wird, • Abkürzungen und Kurzschreibweisen, mit denen der notwendigen Kommunikationsgeschwindigkeit Rechnung getragen wird, • Lexeme, die sich durch ihren Gebrauch im WWW in einem Prozess der Bedeutungsveränderung befinden, • hybride Kommunikationsformen zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, was sich auch in der Grammatik spiegelt, • Selbstregulierungstendenzen und • Signale für eine hohe Sensibilität für Sprache und Kreativität bei den Nutzern. Gerade als Linguisten erhalten wir allein durch das WWW Zugang zu sprachlichem Material, das wir anders nur mit sehr viel Aufwand oder gar nicht gewinnen könnten. Es entwickeln sich Kommunikationssituationen, denen man anders gar nicht oder nur eingeschränkt beiwohnen könnte. Menschen tauschen sich aus, reagieren spontan und schnell und entwickeln Routinen, so dass bei uns Forschern der Eindruck entsteht, dass wir hier mit natürlicher Sprache als Untersuchungsgegenstand konfrontiert werden. Das ist eine sehr willkommene Datenlage, auch wenn wir dabei die Produktionssituation nicht Phänomene des Sprachgebrauchs im Internet <?page no="93"?> 93 3.1 Weder Sondersprache noch Stil ausblenden dürfen, in der Beiträge für den interpersonalen Austausch im Web 2.0 entstehen: Personen, die räumlich isoliert voneinander aber im Bewusstsein darüber, dass auch fremde Personen ihren Text/ ihren Gesprächsbeitrag lesen könnten, Sprache produzieren, ohne die unmittelbare oft auch nonverbale Reaktion der Gesprächspartner mit einzubeziehen. Dabei können sie sich ungestört zu Hause vor dem eigenen Rechner befinden. Beiträge werden aber auch mit Hilfe von Smartphones ins Netz gestellt, entstehen also häufig unterwegs, in Gesellschaft von anderen Menschen, in der U-Bahn, auf Konzerten, beim Pilze suchen, aus dem Krankenhaus nach der Geburt des Kindes, aus der Schule, beim Marathon usw. Sie beziehen sich oft auf Offline-Erlebnisse und können dabei sogar Auskopplungen von offline geführten Gesprächen sein. Es zeichnet sich bereits ab, dass es schwierig ist, die Kommmunikationsebenen online vs. offline und damit die Sprache, die auf der einen oder der anderen Ebene verwendet wird, noch voneinander abzugrenzen oder auch eine Entscheidung darüber zu treffen, was zuerst da war und was wodurch beeinflusst wird. So ist z. B. die Frage schwer zu beantworten, ob nicht schon bevor sich das Internet etabliert hat, Zettelchen zwischen Schülern ausgetauscht wurden, die knapp formulierte Mitteilungen oder vielleicht sogar ein grinsendes Gesicht enthielten, wenn uns nicht zufällig ein solcher Zettel in die Hände gespielt wurde, wir sie gar aus unserer eigenen Schulzeit aufbewahrt haben oder wir uns möglicherweise recht gut erinnern können. Abkürzungen, die ebenfalls als typisch für die Sprache im Internet angesehen werden, begegnen uns beispielsweise seit Jahrzehnten im militärischen Bereich. Wie kann man nun also bestimmen, was ein internetspezifisches sprachliches Merkmal ist? Wir begeben uns in diesem Kapitel deshalb auf eine Suche nach Anhaltspunkten: • Wo finden wir in den Daten Hinweise auf neue Kommunikationsbedingungen? • Finden wir diese auf allen linguistischen Beschreibungsebenen? • Welche neuen Wörter sind entstanden und warum ist das linguistisch relevant? • Wo wird durch das WWW eine Bedeutungsveränderung motiviert? • Welche Prozesse laufen beim Verstehen von Wörtern ab, die im Netz anders verwendet werden? Das sind die Fragen, die uns interessant erscheinen. Sie sollen im Folgenden anhand von Beispielen diskutiert werden. Dieses Kapitel ist also nicht als umfassender Überblick über alle sprachlichen Auffälligkeiten im Internet konzipiert. Stattdessen werden einzelne interessante Phänomene herausgegriffen und aus der Perspektive einer spezifischen Sprachbeschreibungsebene (Lexik, Syntax, Semantik …) heraus diskutiert. Ziel ist es, den intensiven Austausch im Seminargespräch oder ein selbständiges Nachdenken vor der Folie dieser Muster anzuregen. Leitfragen auf der Suche nach Hinweisen für internetspezifische sprachliche Merkmale <?page no="94"?> 3. Sprache im Internet 94 3.2 WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke Es ist nicht überraschend, dass die rasante und vielfältige Entwicklung der Internettechnologie dazu beigetragen hat, dass sich zahlreiche neue Termini etabliert haben. Dazu gehören Bezeichnungen für Internetangebote, wie Facebook, Twitter, YouTube, Skype, MySpace, Snapchat, Tumblr, Instagram, Wikipedia usw., Bezeichnungen für (kommunikative) Handlungen im WWW, wie Shitstorm, bloggen, twittern, chatten, googeln, spammen und Lexeme aus den Feldern Technik (internetfähig, Smartphone, Intranet, Browser, Modem, Add-On, App, Netbook, Content-Management-System, Crawler, Cookie, ICQ), Bildung (eLearning, blended learning, Lernplattform), Unterhaltung (Flashmob, Mediathek, Feed, Avatar, eZine, Netiquette), Wirtschaft (Social Media Marketing, eCommerce, Online-Shop, Flatrate, Online-Banking, PayPal), Verwaltung (ELS- TER, Online-Formular), Gesellschaft (digital divide, digital natives, Internet- Generation, Netz-Community, Silversurfer, eHealth) und Politik (E-Government). Sie verdeutlichen, dass das WWW integraler Bestandteil unseres Lebens geworden ist, die „Generation Internet“ operiert selbstverständlich mit diesen Termini. Auch Crystal (2011) fasst die Entwicklung wenig aufgeregt zusammen: „Certainly there are no lexical grounds for saying, as media pundits sometimes do, that Internet vocabulary has been a radical source of language change. All that has happened is that languages have acquired an additional lexical dimension, as they always do when their speakers gain a new domain of knowledge.“ Crystal (2011: 60 f.) Die Veränderungen beschränken sich aber nicht nur darauf, dass neue Wörter in den Sprachgebrauch übernommen werden. Gerade in der zwischenmenschlichen Internet-Kommunikation - an der Schwelle zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, zwischen Symmetrie und Asymmetrie, zwischen Synchronizität und Asynchronizität also - finden sich weitere Muster, die in vielen Publikationen als typisch beschrieben worden sind und hier noch einmal zusammengefasst werden sollen. Wir stützen uns dabei auf einen gekürzten Facebook-Kommentar-Text als Quelle für verschiedene Merkmale: (3-1) A: Ich find die neue Grafik scheusslich. Billig. Plump. Örgs [1].[2] B: Ich auch. [3] Will mich nicht dran [4] gewöhnen. UInd [5] ich erschauder [6] immer, wenn ich den Screen [7] unlocke [8] B: An-Locke [9] […] C: Und kannste [10] nicht zurückdingsen [11]? G: Ich empfehle dir gerne [12] das Xperia Z1 ; -P [13] […] B: GRAD GEMACHT! [14] Mit der Tagesschau End-Morse-Zeichenfolge daa daa did daa did did daa daa […] Wortschatzerweiterungen Weitere sprachliche Phänomene <?page no="95"?> 95 3.2 WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke D: aber es ist soooo [15] hässlich […] D: Da du ehh [16] nicht drum rum [17] kommst und die Performance [18] echt gut ist... Kannste [19] auch gleich Updates [20] [21] […] E: Die Funktionen sind schon toll. Aussehen, naja,[22] Geschmackssache. Und dass endlich Multitasking [23] wirklich funzt [24] [25] ist auch super. […] E: Das aktuell offene Programm kann man mit ios 6 nicht so schließen, es erscheint nicht unten in der Leiste. Du musst aus dem Programm raus [26] (also auf ein anderes) und dann kannste [27] da so schließen. Bei 7 sind alle Programme unten in der Leiste und durch nach oben Wischen kann alles schnell geschlossen werden. […] E: Die "Häufigen Orte" habe ich ausgeschaltet. Das ist mir zu viel Überwachung. Das Ding weiß auf die Minute genau, wie lange ich die letzten 2 Tage gearbeitet habe. F: Das kann ich anhand von Bockwurst- und Red-Bull-Fotos auch tracken [28] […] E: Haste [29] nu [30] 7? F: Nee [31]. Mein Handy zeigt mir nich mal an, dass [32] eine Softwareaktualisierung gibt E: Wenn du jetzt kein early adpoter [33] mehr bist, dann werden wir wirklich alt (jzp, Facebook, 2013-09-20, 21: 55 - 2013-09-21, 12: 07) Aufgabe 3-1 Versuchen Sie zunächst die Phänomene 1-33 mit eigenen Worten zu beschreiben, zu erklären und zu kategorisieren. Was fällt Ihnen jeweils auf? Inwiefern liegen hier Hinweise darauf vor, dass es sich um internetspezifische sprachliche Merkmale handelt? Wir schlagen vor, die oben indizierten Belege drei Gruppen zuzuordnen: 1. Indikatoren für Adaptionsprozesse 2. Indikatoren für sprachliche Sensibilität und Reflexion 3. Indikatoren für Oraliteralität Diese Kategorien werden im Folgenden genauer beschrieben. Dabei gehen wir von den Belegen in (3-1) aus, ziehen aber zur Illustration jeder Kategorie weitere Merkmale und Beispiele heran. Wir weisen darauf hin, dass es sich nicht um sich ausschließende Kategorien handelt. Konstanze Marx 3.2.1 Abgeguckt: Indikatoren für Adaptionsprozesse Unter Adaption wird hier verstanden, dass Lexeme, grammatische Konstruktionen oder andere sprachliche Formen, die für andere Kommunikationsdo- 3 Gruppen sprachlicher Phänomene im Internet Adaptionsprozesse <?page no="96"?> 3. Sprache im Internet 96 mänen typisch sind, in den Bereich der Internetkommunikation übernommen werden. Zu diesen anderen Domänen zählen zum Beispiel die Kommunikation unter Jugendlichen, in verschiedenen Fachbereichen oder in sozialen Gruppen. Dementsprechend werden lexikalische oder grammatische Elemente aus Fachsprachen, Gruppenstilen, Sondersprachen, Jugendsprachen, Soziolekten, Dialekten, aber auch einfach der mündlichen Umgangssprache für jeweils bestimmte Bereiche der Internetkommunikation adaptiert. Darüber hinaus werden auch sprachliche Ausdrücke, die in manchen Kommunikationsformen der Online-Kommunikation international üblich geworden sind, aus Fremdsprachen für die deutschsprachige Kommunikation im Internet übernommen. Wenn man nur grob unterteilt, kann man feststellen, dass diese Adaptionsprozesse hauptsächlich durch zwei Gründe motiviert sind: Erstens werden sprachliche Formen adaptiert, die besonders gut zu den medialen Constraints und Affordances des Internets passen. Ein Beispiel wäre die Verwendung einer verkürzten Ausdrucksweise (Ellipsen [2], Kurzwörter usw.), wie wir sie schon aus Zeitungsannoncen, Telegraphie oder SMS kennen, etwa in der Chat-Kommunikation oder beim Schreiben von Tweets. Auch die Übernahme und der massive Ausbau von Hypertextstrukturen (siehe Kapitel 5.3.1) sind so durch die medialen Eigenheiten des Internets motiviert. Weil vor allem im Web 2.0 häufig dialogische und synchrone Kommunikation möglich ist (z. B. beim Chatten), kommt es aufgrund dieser medialen Eigenheiten des Internets auch zu Adaptionen, die Phänomene und Elemente mündlicher Sprachverwendung in schriftlichen Texten simulieren. So finden sich in unserem Beispiel (3-1) Apokopen, Assimilationen, Elisionen/ Verkürzungen, Zusammenziehungen [10], [19], [27], [29], Endungselisionen [6]. Außerdem werden typographische Mittel als Kompensationsstrategien adaptiert und konventionalisiert, um die medialen Constraints zu umgehen, die einer Wiedergabe mündlicher Rede in den schriftbasierten Kommunikationsformen des Internets entgegenstehen. Beispiele wären die Verwendung von Fettdruck, Majuskelschreibung oder Buchstabeniteration („soooo“ [15]), um Lautstärke oder eine bestimmte Intonation zu signalisieren. Auf diese Phänomene der Oraliteralität gehen wir in Kapitel 3.2.3 anhand des Beispiels (3- 15) noch gesondert ein. Zweitens liegt vielen Adaptionsprozessen ein Bestreben zugrunde, kommunikatives Handeln im Internet an jeweils bestimmte soziale Domänen anzubinden. Zum Beispiel kann durch die Verwendung jugendsprachlicher Elemente, signalisiert werden, dass man im Rahmen einer jugendkulturellen Domäne kommuniziert. Durch die Übernahme soziolektaler oder dialektaler Ausdrucksformen verortet man sich hingegen in sozial oder regional definierten Gruppen und mit einer umgangssprachlichen Ausdrucksweise (z. B. zurückdingsen [11] und funzt [24]) ruft man einen persönlicheren, privateren und von sozialer „Lockerheit“ geprägten Kommunikationskontext auf. Auf diese Weise werden die im Internet getätigten Äußerungen jeweils an eine auch offline existierende Kommunikationsdomäne angebunden. Auch die Übernahme fremdsprachlicher Elemente kann zumindest teilweise so interpretiert werden: Hier geht es unter anderem auch um eine sprachliche Anbindung an eine internationale „Internet-Community“. Speziell Mediale Eigenheiten als Motivation Soziale Anbindung als Motivation <?page no="97"?> 97 3.2 WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke dann, wenn Internet-Fachtermini adaptiert werden, soll darüber hinaus auch noch aufgezeigt werden, dass der Kommunizierende zu den „Internet- Experten“ gehört. Besonders häufig werden gerade mit der letztgenannten Motivation Lexeme aus dem Englischen übernommen, wie in unserem Beispiel die Anglizismen Screen [7], Performance [18], Updates [20], Multitasking [23] oder early adpoter [adopter] [33]. Verben werden nach den Regeln der deutschen Sprache konjugiert - und damit grammatisch angepasst: unlocke [8] oder tracken [28]; Nomen entsprechend dekliniert: Leecher, Follower, Poster oder Lurker. Inhaltlich beziehen sich diese Lexeme vorwiegend auf technologische Entwicklungen, Computeranwendungen oder Handlungen, die im Zusammenhang mit der internetbasierten Kommunikation vollzogen werden. Gerade in Verbindung mit neuen Angeboten im Netz können sogenannte Wortwolken entstehen, ein Beispiel dafür zeigt Abbildung 3-1. Mit Neologismen, die um einen gemeinsamen Wortstamm konstruiert werden, können lexikalische Lücken schnell geschlossen werden. Abb. 3-1: Wortwolke für das Lexem blog Eine lexikalische Lücke entsteht, wenn sich ein Konzept entwickelt hat, für das es noch kein Wort gibt. Konzepte sind Bausteine unserer Kognition, hier wird das Wissen über die Welt gespeichert (Schwarz 3 2008). Es kann vorkommen, dass wir zwar ein Konzept von einem Sachverhalt haben, es aber nicht mit einem Lexem benennen können, z. B. die Bezeichnung für den Ex-Freund vor dem Ex-Freund oder der vergebliche Versuch, sich an einen Traum zu erinnern oder das Pendant für satt , wenn man nicht mehr durstig ist (Schwarz/ Chur 5 2007). Füllung lexikalischer Lücken durch Anglizismen <?page no="98"?> 3. Sprache im Internet 98 Aufgabe 3-2 Welche lexikalischen Lücken haben sich im Zusammenhang mit Twitter ergeben? Wie wurden sie gefüllt? Entwerfen Sie eine Wortwolke. Wie anhand der Wortwolke für das Lexem blog schön zu sehen ist, beruhen viele Neologismen, mit denen lexikalische Lücken gefüllt werden, auf Wortbildungsprozessen. Die Adaption von internetspezifischen Termini erfolgt also auch auf grammatisch-morphologischer Ebene. Auffallend ist dabei, dass aufgrund des Einflusses des Englischen bzw. der Übernahme englischer Elemente Wortbildungsarten häufiger vorkommen, die für das Deutsche ansonsten nicht so typisch sind. Neben Komposition und Derivation finden sich so auch zahlreiche Beispiele für Konversion und Kontamination: • Komposition (Zusammensetzung): Verbindung (mindestens) zweier Wörter, z. B. blog-roll, photo blog und blog-o-sphere bzw. mit einer Verbindung eines englischen Elements mit einem deutschen Element: Blog-o-sphäre (mit dem -oals Fugenmorphem); • Derivation (Ableitung): Wortbildung mithilfe eines Affixes; z. B. das deverbale Substantiv blogg-er und davon ausgehend: Blogg-er-in; auch (early) adopter [33]; • Konversion (Wortartwechsel): ein Lexem wechselt die Wortart, ohne dass sich etwas an seiner Form ändert, wobei im Deutschen allerdings ein Flexionsaffix hinzukommen kann bzw. muss; z. B. engl. blog ⇒ (to) blog, dt. Blog ⇒ bloggen; auch tracken [28] von track • Kontamination (Wortkreuzung): Verschmelzung zweier Wortsegmente zu einem neuen Lexem; z. B. blargon (blog + jargon), blogorhea oder Blogorrhö (Blog + Diarrhö) und vlog (video + blog); blogoholic (aus blog + alcoholic) beruht auch auf Wortbildung durch Kontamination, wobei allerdings -holic aufgrund seiner bereits fortgeschrittenen Grammatikalisierung auch schon als reihenbildendes Suffix (vgl. work-a-holic, sugarholic, choco-holic) betrachtet werden kann. In diesem Fall liegt blogoholic Derivation als Wortbildungsart zugrunde. Abgesehen von den genannten Wortbildungsarten spielen noch zwei andere Arten der Prägung neuer Wörter eine besondere Rolle bei der Adaption sprachlicher Elemente für bestimmte Bereiche der Online-Kommunikation: Akronyme und Inflektive. Abkürzungen und Akronyme: Akronyme setzen sich aus einzelnen Buchstaben, im Allgemeinen den Anfangsbuchstaben zweier oder mehrerer Wörter zusammen. Daher werden sie auch als Initialwörter bezeichnet. Ausgesprochen werden entweder die einzelnen Buchstaben jeder für sich (z. B. afk) oder, wenn dies artikulatorisch möglich ist, die ganze Buchstabenfolge als silbische Einheit (z. B. LOL). Akronyme können flektiert werden, wie z. B. in asapst (as soon as possible -st), das auch im mündlichen Sprachgebrauch (offline) vorkommt. Abkürzungen und Akronyme können als Adaption vor allem aus den Bereichen Technik, Verwaltung, Politik oder Militär, aber auch als Übernahme kommunikativer Praxen, die sich in der Kommunikation per SMS herausge- Füllung lexikalischer Lücken durch Wortbildung Akronyme und Abkürzungen - ; <?page no="99"?> 99 3.2 WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke bildet haben, eingestuft werden. Da sie sehr platzsparend und ökonomisch sind, stellen sie eine geeignete Ausdrucks- oder Schreibweise dar, um die Constraints von Kommunikationsformen wie WhatsApp, Chat oder Twitter zu umgehen. Sie werden aber auch gerne in E-Mails eingesetzt, wenn es um Schnelligkeit beim Schreiben geht, aber auch darum, zu signalisieren, dass man die moderne, dem neuen Medium angepasste Art des Kommunizierens beherrscht. Die Anzahl an Abkürzungen und Akronymen ist daher nahezu unüberschaubar. Eine kleine Auswahl ist in der folgenden Tabelle zusammengefasst. ack acknowledged (Zustimmung) afaik as far as I know (soweit ich weiß) afair as far as I remember (soweit ich mich erinnern kann) afk away from keyboard (nicht am Computer) brb be right back (bin gleich wieder da) btw by the way (nebenbei; ach übrigens) cu(2) see you (too) (Tschüß, bis bald/ auch Tschüß) cyl see you later (bis später! ) eig eigentlich fdp fils de pute = französisch für Hurensohn fyi for your information (zu deiner Information) hdf halt die Fresse hth hope this helps (hoffe, dass das hilft) imho in my humble opinion (said with false modesty) (meiner unmaßgeblichen/ bescheidenen Meinung nach) (aber die Bescheidenheit ist meistens unaufrichtig) imo in my opinion (meiner Meinung nach) iirc if I remember correctly (wenn ich mich recht erinnere) lol laughing out loud (laut am Lachen) mdr mort de rire = französisch für „sich totlachen“ nn noname (du Niemand! ) np no problem (kein Problem) oj obligatory joke (obligatorischer Witz) om(f)g oh my (fucking) god (gottverdammt) omfsm oh mein fliegendes Spaghetti-Monster ot Off-Topic (Thema entspricht nicht dem Thema der Diskussion) plz please (bitte) (auch „pls“ möglich) pmfji pardon me for jumping in (entschuldige, dass ich mich einmische) rofl rolling on the floor laughing (rolle gerade auf dem Boden vor Lachen) rtfm read the fucking manual (lies die scheiß Anleitung) scnr sorry, could not resist (tut mir leid, konnte nicht widerstehen) stfw search the fucking web (such doch selber im Internet) thx thanks (danke) oder auch thy = thank you (ich danke dir) tia thanks in advance (schon im Voraus danke) trz trotzdem vllt vielleicht (auch: vl) <?page no="100"?> 3. Sprache im Internet 100 wb welcome back yolo you only live once (man lebt nur einmal, im Sinne von: carpe diem) zZ zur Zeit Tab. 3-1: Auswahl an Abkürzungen und Akronymen Aufgabe 3-3 Abkürzungen und Akronyme werden einerseits verwendet, um Platz- und Zeitmangel Rechnung zu tragen. Sie bewirken aber auch Sozialisierungsprozesse. Überlegen Sie, inwiefern sich das Verwenden von Abkürzungen und Akronymen auf die Beziehung zwischen Kommunikationspartnern auswirkt. Beziehen Sie das folgende Beispiel in Ihre Überlegungen mit ein. (WASP, diablo3, 2012-07-09, 21: 41) Inflektive sind Adaptionen aus der Comicsprache. Sie werden meist in Asterisken oder spitze Klammern gesetzt und dazu verwendet, para- oder nonverbale Handlungen sprachlich zu simulieren (3-2 bis 3-4). Grammatisch betrachtet handelt es sich um bloße Verbstämme ohne Flexionsendung, die als ein spezieller Typ der Wortart Interjektion klassifiziert werden können (vgl. Duden 8 2009: 599). (3-2) A: […] Dein Geschluchze bei Sanvean hat nur Lisa Gerrards Stimme übertönt B: Ach Klappe! *abwink* (eas, Facebook, 2013-06-18, 17: 45) (3-3) […] oh! *bestaun* (Birgit Mathon @BirgitMathon, Twitter, 2013-10-20, 14: 58) Inflektive <?page no="101"?> 101 3.2 WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke (3-4) (Dannyela TM @DaTraube, Twitter, 2013-06-05, 18: 15) Wie das letzte Beispiel (3-4) zeigt, können Inflektive auch in komplexen Formen auftreten, indem sie quasi aus einer ganzen Phrase gebildet werden: z. B. *gelangweilt mit den Beinen baumel*. Inflektive sind typisch für die Chat- Kommunikation, werden inzwischen aber auch mündlich verwendet, hier zumeist quotativ, was durch eine Veränderung der Stimme oder gestische Anführungszeichen markiert wird. Sie dienen vorrangig dazu, affektivemotionale Informationen zu übermitteln und den kommunikativen Online- Raum um Komponenten der Offline-Kommunikation (Körpersprache, Gestik, Mimik etc.) zu erweitern. Da z. B. bei Facebook der Name des Profilinhabers im Feld Statusmeldung bereits vorgegeben wird, scheint der Bedarf an Inflektiven hier nicht mehr so hoch zu sein. In eben dieser Funktion werden auch Emoticons (im obigen Beispieldiskurs (3-1) dreimal) eingesetzt. Es handelt sich hierbei um Zeichen (zumeist ikonische Gesichter), die verwendet werden, um komplexe emotionale Sachverhalte und Handlungen kompakt und effektiv darzustellen. In Kapitel 4 wird ausführlich auf die Funktion und Bedeutung von Emoticons eingegangen. Als eine Art Zeichensprache kann auch „Leetspeak“ gelten. Das Besondere hier ist, dass Buchstaben komplett durch ähnlich aussehende Zahlen ersetzt werden, z. B. 1337 (Leet auf dem Kopf stehend und rückwärts gelesen). Entwickler von Filter- und Suchprogrammen werden dadurch vor neue Herausforderungen gestellt. Leet fungiert somit als eine Art Geheimsprache, die deutlich schwerer zu entschlüsseln ist. Wir finden besonders bei jugendlichen Nutzern Anleihen aus Leet. Das heißt, dass einzelne Grapheme oder ganze Silben durch Zahlen ersetzt werden, wie z. B. in m8 (mate), w8 (wait) oder n8 (night oder im Dt.: Nacht). Bei den Beispielen handelt es sich um Emoticons Leetspeak <?page no="102"?> 3. Sprache im Internet 102 eher harmlose Lexeme, relevant wird diese Form der Verschleierung auch in Kombination mit Graphemvertauschungen und -ersetzungen vor allem dann, wenn heikle Themen wie Sexualität (pr0n, n0rp für porn, 6E für sexy, newd für nude beispielsweise) oder Drogenkonsum (1ü13 für Tüte oder 0fen [großes O als null]; beides für ‚Marihuana rauchen‘) verhandelt werden. Eine interessante Entwicklung hat zu dem Lexem b00n geführt, das in der Spielersprache abwertend für renintente Neulinge verwendet wird, aber in entsprechenden Chaträumen nicht erwünscht oder sogar verboten ist. Ursprünglich gebrauchte man die Bezeichnung newbie, die dann verkürzt wurde zu newb. Nun ist „ew“ im Englischen in etwa gleichlautend mit [u: ], das ebenfalls als „oo“ graphemisch realisiert werden kann. Das wiederum lässt sich schneller tippen, weshalb newb zu noob wurde. Um Suchfilter umgehen zu können, wurde noob nicht nur zu boon (auch Entwickler von Suchfilterprogrammen lernen schnell). Die beiden oo wurden durch zwei Nullen ersetzt, eine weitere Stolperfalle für Suchfilter einerseits, eine symbolische Anspielung auf ‚eine Null sein/ eine doppelte Null sein‘, die die Bedeutung des Lexems verstärkt, andererseits. Ähnliche Beispiele für graphemische Variationen phonetischer Äquivalente sind mOwl für Maul oder sHiCe für scheiße. In diesen Wortspielen tritt Kreativität zutage, die auf eine sprachliche Sensibilität schließen lässt, der Übergang zu Punkt 3.2.2 ist also fließend. Auf syntaktischer Ebene findet man zum Beispiel das Weglassen eines Pronomens (vor allem der 1. Person) wie in Beispiel (3-5). Dabei handelt es sich um die Adaption einer kommunikativen Praktik, die in bestimmten Textsorten und Kommunikationsformen - unter anderem Kontaktanzeigen, Briefen und SMS - üblich war und zum Teil noch ist. (3-5) (Spotted Uni-viertel Graz, Facebook, 2013-10-24) Als Indikator für Adaption aus Regionalismen kann [31] (aus dem Beispiel 3- 1) angesehen werden, wobei hieran nicht eindeutig zu bestimmen ist, welcher Dialekt vorliegt. Klarer wird es an Beispiel (3-6). Adaption auf syntaktischer Ebene Regionalismen <?page no="103"?> 103 3.2 WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke (3-6) A: verweist auf eine Großmutter, die ihrerseits als Fremdsprachenkorrespondentin ausgebildet, beim Ullsteinverlag bis 1928 wirkte und uns Enkel stets darin bestärkte, uns einer ausgezeichneten Sprache zu bedienen. Dit kann ooch nerven. B: KANN vielleicht wenn man jung ist, wa aber die fähigkeit dazu ist doch ein geschenk! A: Allerdings und ich bin auch fürderhin voll des Dankes, dass man mich frühzeitig lehrte, einen jepflechten Genitiv spazieren führen zu können! B: und DAS verbunden mit deinen unbestreitbaren koch- und back-künsten ist einfach eine unwiderstehliche MÜSCHUNK A: Ick hab noch JANZ andre Sachen druff, dooo! (jzp, Facebook, 2013-10-08, 21: 09-21: 15) Hier wird von A kontrastierend zu einem sehr elaborierten Sprachstil sehr unvermittelt auf das Berlinerische zurückgegriffen. Daraufhin entwickelt sich ein spielerischer Schlagabtausch. An diesem Beispiel, wie an dem Einsatz von Dialekten überhaupt, lassen sich demnach auch Indikatoren für Sensibilität und Reflexion sowie Indikatoren für Oraliteralität nachvollziehen (siehe dazu auch Kapitel 3.2.3). Konstanze Marx und Georg Weidacher 3.2.2 Mitgespielt: Indikatoren für sprachliche Sensibilität und Reflexion Wortspiele sind ein Zeichen für sprachliche Kreativität, aber auch Reflexion. Indem Nutzer z. B. bewusst von Regeln abweichen oder aus bekannten Mustern neue Formen kreieren, versuchen sie nicht nur originell zu sein, sondern auch für eine spezifische (zumeist witzige) Atmosphäre zu sorgen. In Beispiel (3-7) wird etwa das Lexem romantisch, das in Kombination mit gemütlich und Gute Nacht ein Emotionspotenzial hevorrufen würde, das den Nutzern hier möglicherweise unangemessen intim erscheint, durch das Umstellen der Vokale variiert. Dadurch entsteht eine ironische Distanz. Am Ende des kurzen Austauschs wird die Aufmerksamkeit gar weg von der Gute- Nacht-Wünsch-Situation hin zur sprachlichen Ebene gelenkt, indem B bemerkt, dass noch drei Vokalumstellungen innerhalb des Lexems romantisch möglich sind. (3-7) A: gemütlich B: Gute Nacht, Jenz. C: Ramontisch! A: Rimantosch B: 3 gehen noch. (jzp, Facebook, 2013-05-16, 22: 03 - 2013-05-17, 00: 38) Auch in unserem Ausgangsbeispiel finden wir Belege für sprachliche Kreativität, z. B. in Form von Lautmalerei (Örgs [1]) oder als besondere Wortbildungsform (An-Locke [9]). Bei diesem eingedeutschten Anglizismus handelt es sich um eine Modifikation des im vorhergehenden Kommentar verwendeten Lexems [8] unlocke. Durch das Wortspiel in [9] positioniert sich B ironisch und Sprachspiele als Ausdruck sprachlicher Reflexion <?page no="104"?> 3. Sprache im Internet 104 zugleich selbstkritisch dazu, das englische Verb to unlock nach den Regeln der deutschen Grammatik konjugiert zu haben, indem er die Eindeutschung folgendermaßen überspitzt: a) die englische Vorsilbe unwird durch die deutsche homophone Silbe anersetzt, damit verändert sich die Bedeutung von un-; b) es wird ein Trennstrich zwischen an und locke eingefügt; c) beide Segmente werden groß geschrieben, somit entsteht das homophone Nomen Locke, auch -locke erfährt also eine Bedeutungsverände rung. Sprachspiele werden auch auf der grammatischen Ebene betrieben, wie zum Beispiel in den folgenden Tweets, in denen verschiedene Wortbildungsarten kreativ genutzt werden: Sprachspiel mittels (übertriebener) Komposition (3- 8), Sprachspiel mittels Konversion (Adverb bzw. Adkopula egal als Verb) (3- 9) oder Sprachspiel mittels Kontamination (Twitter plus Psychiatrie) (3-10). (3-8) Salonalphaelitejournalistentwitterer (Karin Koller @karinkollerwp, Twitter, 2013-10-19) (3-9) Ich hasse nicht. Ich egale. (Tintenmeer @DasZuhoerOhr, Twitter, 2013-10-10) (3-10) Guutten morgen Twittchiatrie (Isi @Orbit, Twitter, 2013-10-28) Ein Sprachspiel, das auf einer lautlichen - und aus ironischer Sicht auch semantischen - Ähnlichkeit zweier Lexeme (Kopulation und Koalition) beruht, liegt im folgenden Tweet vor, in dem auf die Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl 2013 in Deutschland angespielt wird (3-11): (3-11) (Grumpy Peer @GrumpyPeer1, Twitter, 2013-10-21, 9: 27) Sprachspiele sind jedoch nur eine mögliche Form, die Nutzer wählen, um über Sprache zu reflektieren. Wir finden auch sehr direkte Verweise, wie z. B. die Reaktion von B in (3-12). (3-12) A: Elke, Andrea und all die anderen Körpergerüchehyposensiblen: im Kölner Nahverkehr stürbet Ihr! A: tausendfach B: Ich freu mich sehr über deine herzhafte Verwendung des so unterrepräsentierten Konjunktivs. Sprachspiele auf grammatischer Ebene Lautliche und semantische Sprachspiele Explizite Sprachreflexion <?page no="105"?> 105 3.2 WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke B: Halte aus, Tapferer. A: Der Konjunktiv würde rulen, verwendete man ihn öfterS. […] B: Der Konjunktiv rulte, wenn ... (adk, Facebook, 2013-10-08) In ähnlich direkter Weise werden orthographische Auffälligkeiten thematisiert, obgleich Fehler durchaus auch toleriert, ignoriert oder gar nicht erst bemerkt werden. Das sehen wir auch an den Tippfehlern [5] und [33] oder dem fehlenden Komma [25] - hierauf gibt es keinerlei Reaktion im weiteren Diskursverlauf. In der Forschungsliteratur (Siever 2005a, Dürscheid 2005a u. a.) wurde über die Jahre immer wieder darauf hingewiesen, dass eine normgerechte Schreibung im Netz eher eine untergeordnete Rolle spielt. Wichtiger wäre der spontane, schlagfertige Austausch. Das zeige sich v. a. an der konsequenten Kleinschreibung und einer hohen Fehlertoleranz im Hinblick auf die gesamte Orthographie (inklusive der Zeichensetzung). Gerade darin sehen Kritiker eine Bedrohung für die Sprache durch die Kommunikation im WWW. Tatsächlich kann man gar nicht von einer konsequenten Kleinschreibung sprechen, in der Kommunikation auf Sozialen-Netzwerk-Seiten spielt Kleinschreibung beispielsweise kaum eine Rolle, Kleinschreibung scheint stattdessen immer dann aufzutreten, wenn Nutzer sich an neue technologische Eingabemodalitäten gewöhnen müssen (wie z. B. vor Jahren daran, dass die Nummern auf dem Telefon auch zum Schreiben genutzt werden können). Es gibt zudem Belege dafür, dass Sprache und Sprachnormen nicht nur beachtet, sondern im WWW durchaus auch reflektiert werden. Zwar sind alle Nutzer mit den Produktionsbedingungen im WWW vertraut, weshalb es natürlich eine Menge an Fehlern gibt, die unkommentiert bleiben (wer hat sich nicht schon einmal vertippt? ). Dennoch sind metasprachliche Kommentare im Web 2.0 systematisch wahrnehmbar (Arendt/ Kiesendahl im Druck a: 159). So finden wir Selbstkorrekturen oder Rückmeldungen hinsichtlich der Rechtschreibung, wenn die Verschreiber zu Irritationen führen könnten (3-13). (3-13) A: und? schmeckt's? B: namnam. perverser scheiß! A: probier mal erdnussbutter mit nutella B: andermal, mir is grad nach ner Kacker 29. September um 15: 02 • Gefällt mir B: andermal, mir is grad nach ner Knacker 29. September um 15: 03 • Bearbeitet • Gefällt mir A: wie bitte? ? ? ? A: Du meinst sicher was herhaftes : o) B: Knackwurst 29. September um 15: 03 • Gefällt mir A: also herzhaftes B: ebenD! A: genau mit D (jzp, Facebook, 2013-09-29) <?page no="106"?> 3. Sprache im Internet 106 Der Fehler (Kacker/ Knacker) wird hier sogar zweimal korrigiert: B wählt im laufenden Dialog ein anderes Lexem (Knackwurst) und korrigiert um 15: 03 seinen Rechtschreibfehler im 15: 02 veröffentlichten Kommentar. Auch A vertippt sich (herhaftes) und sendet einen zweiten Kommentar mit Korrektur des Tippfehlers (herzhaftes). Die Kommunikation wird mit ironischem metasprachlichen Verweis beendet, B schreibt eben absichtlich falsch und markiert das mit einem großen D am Ende des Lexems - tatsächlich eine Variante, wie das Lexem häufig mündlich realisiert wird. A nimmt diesen ironischen Verweis noch einmal explizit auf. Beispiel (3-14) zeigt, wie ein Offline-Text an einer Straßenbahnhaltestelle einen metasprachlichen Mini-Diskurs auf Facebook motivieren kann. Dabei werden alle Fehler, die in dem Ankündigungstext auf orthographischer und grammatikalischer Ebene sowie in der Wortwahl gemacht worden sind, kommentiert. (3-14) A: Hat das ein BVG-Kontrolleur geschrieben? [24 Personen gefällt das] B: Linienverkehr ist aber auch hübsch. Ebenso wie Stammstrecke. C: ich kaufe ein "a" , biete 1x linienverkehr . D: haha fantastico! E: Genetivus verschwundibus F: Vom PR-Verantwortlichen nach drei Korrekturdurchgängen freigegeben. E: Obama (ffz, Facebook, 2013-06-19) Konstanze Marx und Georg Weidacher Ein Beispiel für metasprachliche Reflexion auf Facebook <?page no="107"?> 107 3.2 WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke Aufgabe 3-4 Eine Funktion der metasprachlichen Reflexion kann das kritische Verweisen auf orthographisch-grammatikalische Inkompetenz sein. Sprachkritik kann aber auch als Strategie in argumentativen Netz-Diskursen eingesetzt werden. Überlegen Sie, welche kommunikativen Ziele mit dieser Strategie erreicht werden sollen und suchen Sie Beispiele im Kommentarbereich der Kolumne „Der Schwarze Kanal“ von Jan Fleischhauer auf Spiegel Online: http: / / www.spiegel.de/ thema/ spon_fleischhauer/ . 3.2.3 Losgetextet: Indikatoren für Oraliteralität Wer versucht, die Kommunikation im Web 2.0 zu beschreiben, stellt schnell fest, dass Kategorisierungen wie mündlich/ schriftlich, privat/ öffentlich, synchron/ asynchron oder dialogisch/ monologisch in vielen Bereichen kaum noch eindeutig durchgeführt werden können. Vielfach kommt es zu Überlappungen und die Grenzen verschwimmen, wie es für das Hybridmedium Internet auch nicht anders zu erwarten ist. Wir werden im Internet mit sprachlichen Äußerungen konfrontiert, die - obwohl sie verschriftet wurden - Merkmale mündlicher Sprachverwendung aufweisen. Selbst in der einschlägigen Fachliteratur fällt daher eine eindeutige Zuordnung schwer, weshalb Attribute wie „zwittrig“ (Meise-Kuhn 1998), „getipptes Gespräch“ (Storrer 2001a, b), „textbasierte Mündlichkeit“ (December 1993), „verschriftlichte Mündlichkeit“ (Günter/ Wyss 1996) u. ä. gefunden wurden (siehe Thaler 2007 für einen Überblick). Wir sprechen hier von einer Hybridisierung in der Sprachverwendung, die zu Oraliteralität führt. Auch in unserem Eingangsbeispiel (3-1) finden sich solche Phänomene der oraliteralen Sprachverwendung, die durch eine Verschriftlichung an sich mündlicher Ausdrucksweisen gekennzeichnet sind: E: Haste [29] nu [30] 7? F: Nee [31]. Wie lassen sich nun aber diese Phänomene erklären? Als theoretischen Ausgangspunkt wählen wir dafür ein in diesem Zusammenhang häufig zitiertes und diskutiertes Modell, das von Koch/ Oesterreicher (1985) stammt. Sie unterscheiden zwischen Konzeption und Realisierung einer sprachlichen Äußerung. Während die Konzeption oder der Duktus einer Äußerung in der Terminologie von Koch/ Oesterreicher (2008: 199 f.) „gesprochen“ oder „geschrieben“ sein kann, kommt für die Realisierung entweder eine graphische oder eine phonische Ausdrucksform in Betracht. Dabei ist das Verhältnis von phonischer und graphischer Ausdrucksform durch eine strikte Dichotomie gekennzeichnet: Eine Äußerung wird entweder über den akustischphonischen oder über den optisch-graphischen Kanal vermittelt bzw. in diesem realisiert. Die Merkmale „geschrieben“ und „gesprochen“ hingegen stellen Punkte auf einer Skala dar, auf der verschiedene Abstufungen möglich sind (Koch/ Oesterreicher 1985: 17). Schematisch lässt sich diese Unterscheidung von Konzeption und Realisierung - unter Berücksichtigung prototypi- Oraliteralität Zum Modell von Koch/ Oesterreicher <?page no="108"?> 3. Sprache im Internet 108 scher Beispiele für mündliche Kommunikation (= phonisch + gesprochen) und für schriftliche Kommunikation (= graphisch + geschrieben) - so darstellen: Konzeption gesprochen geschrieben Realisierung phonisch vertrautes Face-to-Face- Gespräch (im Vorhinein ausformulierter) Vortrag graphisch abgedrucktes Interview Verwaltungsvorschrift Tab. 3-2: Beispiele für mögliche Kombinationen zwischen der Art der Konzeption und der Art der Realisierung (Koch/ Oesterreicher 1985) Aus diesem Schema ist ablesbar, dass die Ebenen der Konzeption und die der Realisierung prinzipiell voneinander unabhängig sind. Allerdings ist offensichtlich, dass eine phonische Realisierung eine gesprochene Konzeption nahelegt und eine graphische Realisierung eine geschriebene Konzeption. Dies liegt an den Eigenheiten der Kommunikationssituation, in der eine phonische oder eben eine graphische Realisierung einer Äußerung erfolgt. Aufgabe 3-5 Bevor Sie weiterlesen: Überlegen Sie, wie sich Situationen mündlicher Kommunikation von solchen schriftlicher Kommunikation unterscheiden. Und: Welche Auswirkungen haben die Eigenheiten der beiden Typen von Kommunikationssituationen jeweils auf die verwendete Sprache? Prototypische Situationen mündlicher Kommunikation, wie sie bei Face-to- Face-Gesprächen vorliegen, sind durch die Kopräsenz von Sprecher und Hörer geprägt. Diese teilen sich einen gemeinsamen Wahrnehmungsraum (vgl. Ehlich 1983: 28), auf den sie daher direkt Bezug nehmen können. Außerdem ermöglicht ihnen ihre Kopräsenz, abgesehen von der Verwendung sprachlicher Mittel, auch den Einsatz gestischer, mimischer und anderer körpersprachlicher Zeichen. Die Kommunikation in einem Face-to-Face-Gespräch erfolgt also prinzipiell multimodal. Des Weiteren stehen den Kommunizierenden paraverbale Mittel zur Verfügung: Intonation, Lautstärke, Sprechtempo etc. Schriftliche Kommunikation ist hingegen in ihren Mitteln im Vergleich dazu defizitär, weil sie zunächst nicht über dieselben non- und paraverbalen Zeichen verfügen kann. Außerdem liegt bei schriftlicher Kommunikation eine „zerdehnte Kommunikationssituation“ (Ehlich 1983: 32) vor. Das heißt, die Kommunizierenden sind im Allgemeinen nicht kopräsent - eine Ausnahme wäre z. B. das Schreiben von „Briefchen“ oder heute wohl eher SMS während des Schulunterrichts -, weshalb sie über keinen gemeinsamen Wahrnehmungsraum verfügen. Situationen mündlicher vs. schriftlicher Kommunikation <?page no="109"?> 109 3.2 WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke Sie können die Situation daher auch nicht als beiden direkt zugänglichen Bezugsraum heranziehen, was unter anderem die Möglichkeiten interaktiven dialogischen Handelns einschränkt. Außerdem kann dadurch nicht synchron kommuniziert werden. Diese räumliche und zeitliche Distanz ist ein Hauptgrund für die „kommunikative Distanz“ (Koch/ Oesterreicher 2008: 202), die für graphisch realisierte Kommunikation kennzeichnend ist. Darüber hinaus gehört zur kommunikativen Distanz aber auch, dass schriftliche Kommunikation prototypischerweise weniger emotional und unpersönlicher geführt wird. Prototypisch mündliche Kommunikation ist hingegen von „kommunikativer Nähe“ (Koch/ Oesterreicher 2008: 202) geprägt. In der folgenden Tabelle fassen wir die Unterschiede der beiden Arten von Kommunikationssituationen noch einmal zusammen: Mündliche Kommunikation Schriftliche Kommunikation Kopräsenz der Kommunizierenden räumlich-zeitliche Distanz synchron asynchron interaktiv - dialogisch nicht interaktiv - monologisch (tendenziell) persönlich (tendenziell) unpersönlich multimodal monomodal Tab. 3-3: Eigenheiten mündlicher vs. schriftlicher Kommunikation (nach Koch/ Oesterreicher 2008) Diese Unterschiede phonisch bzw. graphisch realisierter Kommunikation wirken sich auf den jeweils typischen gesprochenen bzw. geschriebenen Duktus der Formulierung sprachlicher Äußerungen aus. Konzeptionelle Schriftlichkeit zeichnet sich gegenüber konzeptioneller Mündlichkeit durch folgende grundlegenden Merkmale aus: • Aufgrund der fehlenden Kopräsenz: Einschränkung in der Verwendung sprachlicher Prozeduren des Zeigfelds. • Aufgrund der fehlenden Synchronität und Interaktivität: Einschränkung in der Verwendung sprachlicher Prozeduren des Lenkfelds. • Aufgrund der fehlenden phonischen Realisierung und damit der Nicht- Verfügbarkeit paraverbaler Mittel: Einschränkung in der Verwendung sprachlicher Prozeduren des Malfelds. • Aufgrund der größeren kommunikativen und damit auch persönlichen Distanz: geringere Bereitschaft zur Verwendung umgangssprachlicher (auch dialektaler, soziolektaler etc.) Formulierungen bzw. geringere Akzeptanz derselben. Im funktional-grammatischen Ansatz der sogenannten Funktionalen Pragmatik (vgl. z. B. Ehlich 2007) werden sprachliche Mittel - als „Prozeduren“ bezeichnet - fünf Feldern zugeordnet: Symbolfeld, Zeigfeld, Operationsfeld, Lenkfeld, Malfeld. Erläutert werden diese Felder im folgenden Kasten (siehe dazu Hoffmann 2013: 39 ff.). Auswirkungen der unterschiedlichen Kommunikationssituationen <?page no="110"?> 3. Sprache im Internet 110 Symbolfeld: nennende oder charakterisierende Prozeduren, mit denen Elemente der außersprachlichen Wirklichkeit benannt oder charakterisiert werden (z. B. Frau, Paul, schnell, gern, sagetc.) Zeigfeld: zeigende/ deiktische Prozeduren, mit denen der Sprecher den Hörer im gemeinsamen Wahrnehmungsraum orientiert (z. B. ich, du, wir, hier, da, dort, jetzt, dies etc.) Operationsfeld: operative Prozeduren, mit denen der Hörer bei der Verarbeitung der Äußerung unterstützt wird (z. B. Artikel, Konjunktionen, Subjunktionen, Relativpronomina, anaphorische Personalpronomina (er, sie, es), Pluralendungen etc.) Lenkfeld: lenkende/ expeditive Prozeduren, mit denen der Sprecher den Hörer unmittelbar mental zu lenken versucht (z. B. Interjektionen, wie hmm, na! , oh (alle mit der entsprechenden Intonation), und der Imperativ) Malfeld: malende/ expressive Prozeduren, mit denen der Sprecher Nuancen der Einstufung und Bewertung ausdrückt (z. B. intonatorische Modulation: Hat die Mut! ; Diminutive: (Schätz)-chen etc.) Dass nicht alle Prozeduren in schriftlich geführter Kommunikation auf dieselbe Weise eingesetzt werden können wie in prototypischer mündlicher Kommunikation, ist evident und durch die oben angeführten Unterschiede der beiden Typen von Kommunikationssituationen auch leicht erklärbar. Nun gibt es aber Formen schriftlicher Sprachverwendung, die ein gewisses Maß an Dialogizität aufweisen wie zum Beispiel Briefe. In solchen Kommunikationsformen kann es daher zur Verwendung an sich eher für Mündlichkeit typischer sprachlicher Elemente - etwa von bestimmten Prozeduren des Zeig-, Lenk- oder Malfelds - kommen. Dieses Phänomen ist in einigen Kommunikationsformen im Internet und speziell im Web 2.0 noch wesentlich ausgeprägter, da diese nicht nur dialogischer sind als prototypische schriftliche Texte, sondern weil hier die Kommunikation auch noch - zumindest potenziell - synchron verlaufen kann. „Je stärker die Kommunikation dialogischer und synchroner erfolgt, desto häufiger lassen sich mündliche Aspekte des Sprachgebrauchs in der Internet-Kommunikation feststellen.“ (Runkehl/ Schlobinski/ Siever 1998: 116). Gerade im Web 2.0 spielen schriftliche, aber mehr oder weniger dialogische und synchrone Kommunikationsformen eine große Rolle. Dies gilt unter anderem für Diskussionsforen, Twitter, WhatsApp und natürlich das Chatten. Auch Kommentare zu Postings auf Sozialen-Netzwerk-Seiten, zu Berichten von Online-Zeitungen oder zu YouTube-Videos weisen oft Kennzeichen konzeptioneller Mündlichkeit auf, weil es sich dabei um zumindest teilweise dialogische ipöK (= interpersonal-öffentliche Kommunikation; siehe Kapitel 2.4.1) handelt. Dialogizität in schriftlichen Kommunikationsformen im Web 2.0 <?page no="111"?> 111 3.2 WhatsApp? Flashmob - approacht, m8! Allerlei Fundstücke In allen diesen Kommunikationsformen werden Elemente mündlichen Sprachgebrauchs eingesetzt. Da dies jedoch wegen der Einschränkungen durch die graphische Realisierung nicht immer eins zu eins möglich ist, haben sich zusätzlich Schreibkonventionen herausgebildet, mit denen zum Beispiel intonatorische Muster oder körpersprachliche Zeichen in Schrift abgebildet werden sollen. (3-15) öööhm [1]. ja [2]. klingt zwar jetz [3] komisch [4], is [5] aber so^^ [6] [7] wurd [8] au [9] immer von den spaten [10] gebeeft [11] [12] die bei mir iner [13] schule waren. vor allem von einer person. [14] reden, bringt nix [15], außerdem ises [16] langweilig. Najo [17], hab [18] halt angefangen ihn zu beefen [19] [20] usw. nu [21] lassense [22] mich in ruh [23] un [24] machen den andern [25] fertig, weil der [26] au [27] hinterücks pber die andern gelabert [28] hat^^ [29] <ironie> [30] also merke [31], wenne [32] [33] gebeeft wirst, zurückbeefen un aufe [34] schnauze [35] haun [36] [37] XD [38] </ ironie> [39] <ernsthaft> [40] doch ersma [41] labern [42] [43] [44], vlt bringts [45] was [46], wenn nich [47] die ironie ausprobiern [48] [49]. </ ernsthaft> [50] MfG Alex (Power Bat, Knuddels, 2007-09-12) In diesem Beispieltext, einem Beitrag in einem Diskussionsforum zum Thema Mobbing auf der Plattform knuddels.de, finden sich einige Indikatoren für Oraliteralität: Die fehlende Intonation wird einerseits durch Buchstabeniteration bei öööhm [1] nachgeahmt, andererseits durch eine lexikalische Benennung (in spitzen Klammern) dessen, was in phonischer Realisierung auch intonatorisch angezeigt wird, ersetzt: [30], [39], [40] und [50]. Auf diese Weise können auch Prozeduren des Malfelds schriftlich umgesetzt werden. Emoticons ([6], [29], [38]) stehen hingegen mehr anstelle mimischer Zeichen, die ja aufgrund des fehlenden gemeinsamen Wahrnehmungsraums der Kommunizierenden ansonsten nicht eingesetzt werden könnten. Auch diese konventionalisierten schriftlichen Zeichen können als Prozeduren des Malfelds betrachtet werden, da sie der Nuancierung der Äußerung dienen (siehe dazu auch Kapitel 4.3.3). Prozeduren des Lenkfelds sind öööhm [1], ja [2], Najo [17] und der Imperativ [31]. Außerdem kann man noch die Infinitivkonstruktionen zurückbeefen un aufe schnauze haun [37], doch ersma labern [43] und die ironie ausprobiern [49] als lenkende Prozeduren kategorisieren, weil mit ihnen versucht wird, den Leser unmittelbar mental zu lenken und sie daher quasi imperativisch wirken. Auch diese Prozeduren sind Indizien für Oraliteralität, weil Indikatoren von Oraliteralität: eine Beispielanalyse Prozeduren des Malfelds Prozeduren des Lenkfelds <?page no="112"?> 3. Sprache im Internet 112 synchrone und dialogische Kommunikation für ein unmittelbares Einwirken auf den Rezipienten prädestiniert ist. Prozeduren des Zeigfelds, die eher in einem Face-to-Face-Gespräch üblich sind, weil dort auf Elemente des gemeinsamen Wahrnehmungsraums verbal „gezeigt“ werden kann, finden sich nur wenige in Beispiel 3-15: jetz [3] und - etwas versteckt - wenne [33], in dem ein du enthalten ist. Zwei weitere interessante zeigende Prozeduren werden im folgenden Posting (3-16) verwendet: (3-16) (vjeverica, krone.at, 2013-11-04, 12: 48) Mit dem Demonstrativpronomen die und dem demonstrativen Artikelwort DEM wird verbal auf Personen gezeigt, wobei das Zeigen vor allem bei DEM zugleich (ab-)wertend ist. Bei phonischer Realisierung würden das Zeigen und die Wertung auch durch die Intonation (Prozedur des Malfelds) unterstützt. Die in einem schriftlichen Text nicht einsetzbare Intonation wird hier durch Majuskelschreibung angezeigt - übrigens auch, weil sonst bei graphischer Realisierung eine Unterscheidung zwischen definitem Artikel und demonstrativem Artikelwort nicht möglich wäre. Auch in diesem Beispiel liegt also Oraliteralität vor. Im folgenden Tweet (3-17) kommt noch eine direkte Anrede (Alter) dazu, die eigentlich auch besser in eine Kommunikationssituation mit Kopräsenz der Kommunizierenden passen würde bzw. eine solche Situation quasi simuliert. (3-17) Alter wollen die uns verarschen? ? ? soll das wichtig sein? wie wärs zuerst Stierkampf unterstützung abschaffen? (andreas2568, krone.at, 2013-11-04, 14: 47) Jugendsprachliche Elemente wie Alter, die wiederum für mündliche Kommunikation typischer wären, finden sich auch im Beispiel (3-15): spaten [10], gebeeft [11], gelabert [28] und labern [42], wobei labern wohl nicht rein jugendsprachlich ist, sondern eher zur allgemeinen Umgangssprache gehört. Weitere Merkmale mündlicher Umgangssprache, die hier in einem graphisch realisierten Text emuliert, also nachgeahmt werden (siehe dazu z. B. Siever 2006: 81 f.), sind die folgenden: Apokopen (Lauttilgung am Ende oder im Inneren eines Wortes, vor allem des unbetonten e (Schwa) und des t: jetz [3], is [5], wurd [8], au [9], hab [18], nu [21], ruh [23], un [24], andern [25], au [27], haun [36], ersma [41], nich [47] und ausprobiern [48]. Prozeduren des Zeigfelds Weitere Merkmale mündlicher Umgangssprache Apokopen <?page no="113"?> 113 3.3 Netzbedingte Dynamik: Neue Bedeutung für Altbekanntes Assimilationen (Lautanpassungen, zum Teil zugleich mit Tilgungen, und Morphemverschmelzungen): iner [13], nix [15], ises [16], lassense [22], wenne [32], aufe [34] und bringts [45]. Ellipsen (Auslassungen auf syntaktischer Ebene): klingt zwar jetz komisch [4], vor allem von einer person. [14] und hab halt angefangen ihn zu beefen [20]. Die an sich auch elliptische Konstruktion wenn nich wurde hier aufgrund ihrer starken Konventionalisierung als Konstruktion nicht berücksichtigt. Außerdem ist zwar festzustellen, dass Ellipsen als syntaktische Kürzungen nicht nur in mündlicher Kommunikation, sondern auch in manchen schriftlichen Kommunikationsformen üblich sind. Umgangssprachlich sind auch folgende Phänomene: die Aussprache bzw. Schreibung von nix [15], die Phrase nix bringen, was [46] (anstelle von etwas), die ganze Phrase etwas bringen sowie schnauze [35] und die ganze Phrase aufe schnauze haun. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Beispieltext (3-15) zahlreiche Indikatoren von Oraliteralität aufweist. Er ist damit typisch für den Sprachgebrauch in einigen Kommunikationsformen im Internet. Allerdings möchten wir noch einmal betonen, dass es durchaus auch einen anderen, rein konzeptionell geschriebenen Sprachgebrauch im Internet gibt. Die beschriebenen Indikatoren als Merkmale einer „Internetsprache“ zu bezeichnen, wie es vor allem Sprachkritiker oft tun, wäre daher eine Übergeneralisierung und ist damit abzulehnen. Georg Weidacher 3.3 Netzbedingte Dynamik: Neue Bedeutung für Altbekanntes Spezifische sprachliche Verwendungsweisen im Internet werfen aus bedeutungstheoretischer Perspektive hochinteressante Fragen auf. Wie ist es beispielsweise zu erklären, dass sich bei Lexemen, die im Englischen polysem sind (wie z. B. Hoax) im deutschsprachigen Raum nur eine Bedeutungskomponente [‚Falschmeldung/ Scherz im Internet‘] durchgesetzt hat? Haben die mehrdeutigen Lexeme Reiter, Netzwerk, Forum, Protokoll, Virus, Administrator, Profil oder Konto Bedeutungskomponenten, die sich überschneiden? Sind diese Bedeutungskomponenten ein Erklärungsansatz dafür, dass die Verwendung dieser Lexeme in computertechnologischen Kontexten als adäquat betrachtet wird? Gibt es hinsichtlich einer Bewertung von komplexen Sachverhalten (etwa politische Entscheidungen o. ä.) oder einer zwischenmenschlichen Beziehung Einflüsse auf die Bedeutungsinterpretation? Wir denken hier etwa daran, dass Freundschaftsanfragen bei Facebook nicht wirklich abgelehnt werden können, als Option steht lediglich ein „nicht jetzt“ zur Verfügung, das die Möglichkeit einer späteren Annahme der Freundschaftsanfrage impliziert (vgl. Kapitel 4.2.3). Hat die Tatsache, dass sich online leichter Tabus brechen lassen, Einfluss auf die Bedeutung von Lexemen? So wird etwa das Lexem sterben häufig von Jugendlichen im Sinne einer Aufforderung an andere gebraucht (z. B. Geh sterben! ), übrigens auch offline. Gemeint ist damit nicht notwendigerweise, dass die Adressaten ihrem Leben ein Ende setzen sollen, sondern eher, dass sie Frieden geben, andere in Ruhe lassen sollen. Assimilationen Ellipsen Andere Phänomene <?page no="114"?> 3. Sprache im Internet 114 Nachfolgend greifen wir exemplarisch zwei semantisch interessante Phänomene heraus: 1. die semantische „Karriere“ des Lexems Freund, 2. die referenzielle Vielschichtigkeit der Phrase gefällt mir. Damit die bloße Ebene der Beschreibung überwunden werden kann, wollen wir hier Ansätze aufzeigen, in welchem theoretischen Rahmen diese und vergleichbare Phänomene analysiert werden können. 3.3.1 Ein Freund, ein guter Freund? Seitdem sich Facebook in Deutschland etabliert hat, scheint ein Bedeutungswandel des Lexems Freund initiiert worden zu sein. Das Lexem wurde zunächst unreflektiert aus dem Englischen (friend), wo es auch für Personen verwendet werden kann, mit denen man einfach nur bekannt ist, übernommen. Im deutschsprachigen Raum wird hingegen als Merkmal von ‚Freund‘ im Zusammenhang mit Beziehungsrelationen immer eine besondere Vertrautheit angegeben, die einem Bekannten nicht zukommt. Aufgabe 3-6 Schlagen Sie die Bedeutung von ‚Freund‘ im Duden nach. Welche Bedeutungsvarianten gibt es? Inwiefern ist Freund mehrdeutig und wie lässt sich diese Mehrdeutigkeit mithilfe von Pronomen auflösen? Nun haben Facebook-Nutzer im Durchschnitt 272 Freunde (JIM-Studie 2012). Diese können unmöglich alle im selben Vertrauensverhältnis zum Nutzer stehen. Es ist daher ein Gedankenexperiment wert, die Bedeutung des Lexems Freund, wie es bei Facebook verwendet wird, vor der Folie der beiden bekanntesten Wortbedeutungstheorien zu beschreiben. Wir meinen hier zum einen die Merkmalstheorie und zum anderen die Prototypentheorie. Zur Erinnerung: Vertreter der Merkmalstheorie (z. B. Brekle 1972, Barthes 1974 oder Wiegand/ Wolski 1985) gehen davon aus, dass sich Wortbedeutungen eindeutig anhand von sogenannten semantischen Merkmalen (Seme) beschreiben und über Merkmalsbündel voneinander abgrenzen lassen. Ein Mädchen hat z. B. die Merkmale [+MENSCHLICH, +WEIBLICH, - ERWACHSEN] und ließe sich über das Merkmal +/ - MENSCHLICH von der Bedeutung der weiblichen Ninjago-Legofigur Nya [-MENSCHLICH, +WEIBLICH, -ERWACHSEN) abgrenzen. Aufgabe 3-7 Versuchen Sie anhand der Tabelle 3-4 Merkmale zu finden, mit deren Hilfe sich Freund (bei Facebook) von anderen Bezeichnungen für Personen in zwischenmenschlichen Beziehungen abgrenzen lässt. Was stellen Sie fest? <?page no="115"?> 115 3.3 Netzbedingte Dynamik: Neue Bedeutung für Altbekanntes Merkmale Freund (Facebook) Freund Lebenspartner Bekannter Kumpel Kamerad Partner Genosse Fan Tab. 3-4: Tabelle zur Aufgabe 3-7 Es ist kaum möglich, die Bedeutung von Freund (Facebook) über ein begrenztes Merkmalsinventar so zu beschreiben, dass sie eindeutig von der Bedeutung von Freund, Bekannter, Kumpel, Kamerad oder gar Fan zu unterscheiden ist. Mit Merkmalen wie MENSCHLICHKEIT oder LEBENDIGKEIT kommen wir an diesem Punkt nicht weiter. Es müssen also weitere Merkmale gefunden werden, so z. B. in Hinblick auf Vertrautheit, Art des Kontaktes oder auch auf die meistgenutzte Kommunikationsebene. Ist aber die Bedeutung von Freund (bei Facebook) schon deshalb von Kumpel abgegrenzt, weil das Merkmal +TEIL DES VIRTUELLEN SOZIALEN NETZWERKS zutrifft? Schließt das nicht auch den Kumpel und sogar den Geschäftspartner ein? Und wie kann Vertrautheit angegeben werden, als Merkmal, das entweder vorhanden ist oder nicht? Es wird deutlich, dass es sehr schwierig ist, eine semantische Analyse anhand von binären Merkmalen durchzuführen. Hier böte es sich eher an, einen Grad der Vertrautheit anzusetzen, es bräuchte sogenannte relationale Merkmale: Ein Freund ist vertrauter als ein Bekannter, aber wie vertraut ist ein Freund auf Facebook? Gerade der Freund (bei Facebook) vereint mehrere Merkmale, die ebenso auf Kumpel, Freunde, Geschäftspartner oder Kameraden zutreffen können. Der merkmalstheoretische Ansatz zur Bedeutungsbeschreibung reicht also nicht aus - in diesem wie in vielen Fällen, in denen Konzepte nicht eindeutig als definitorische Merkmalsbündel beschrieben werden können. Dass es unscharfe Kategoriengrenzen gibt, ist keine neue Erkenntnis. <?page no="116"?> 3. Sprache im Internet 116 Die in den 1970er Jahren entwickelte Prototypentheorie (Rosch 1978) versucht der Tatsache Rechnung zu tragen, dass sich viele Bedeutungen nicht strikt von anderen abgrenzen lassen. In Anlehnung an das Wittgensteinsche Prinzip der Familienähnlichkeiten werden in der Prototypentheorie Kategorien als eher vage und nicht klar umgrenzt aufgefasst und beschrieben. So gibt es mehrere ungleich gute Vertreter einer Kategorie, die sich mental mehr oder weniger nah um einen sogenannten Prototypen gruppieren, die also mehr oder weniger repräsentativ für eine Kategorie sind. Die Frage ist nun, wie man den prototypischen Vertreter der Kategorie FREUND beschreiben kann, um dann die Bedeutung von Freund (bei Facebook) in Relation dazu zu bestimmen? Unweigerlich muss man zunächst wieder auf spezifische semantische Merkmale zurückgreifen. Der Vorteil der Prototypentheorie besteht jedoch darin, dass sie nicht den Anspruch hat, Kategorien eindeutig voneinander abzugrenzen, sondern Bedeutungen darüber zu bestimmen, was Kategorienvertreter miteinander verbindet. Es geht also eher darum, gemeinsame Merkmale zu finden und diese dahingehend zu beurteilen, wie typisch sie für eine Kategorie sind. Ein Prototyp ist die mentale Repräsentation eines typischen Mitglieds einer Kategorie. Er muss nicht als tatsächlicher Vertreter dieser Kategorie existieren, sondern ist die Summe der Vertreter einer Kategorie, die die meisten Eigenschaften der betreffenden Klasse vereinen (vgl. u. a. Schwarz/ Chur 5 2007: 53). Aufgabe 3-8 Versuchen Sie analog zu der berühmten Einteilung der „Vogeligkeit“ mit dem Rotkehlchen als prototypischem Vertreter der Kategorie (Abbildung 3-2) Abstufungen hinsichtlich einer „Freundhaftigkeit“ zu skizzieren. Beziehen Sie die folgenden Kategorienvertreter mit ein: Freund (offline), Kumpel, Kamerad, Vertrauter, Gefährte, Partner, Genosse, Lebensgefährte, Fan, Liebhaber, Verbündeter, Schatz. Wo würden Sie den Freund bei Facebook hier platzieren? Erstellen Sie zur Beantwortung dieser Frage eine Online-Fragebogen-Studie. Familienähnlichkeit besagt, dass jedes Mitglied einer Kategorie mindestens eine Eigenschaft mit einem anderen Mitglied der Kategorie teilt (vgl. Wittgenstein 1984: 278) <?page no="117"?> 117 3.3 Netzbedingte Dynamik: Neue Bedeutung für Altbekanntes Abb. 3-2: Abstufungen der Vogeligkeit (Rosch 1975), Abbildung entnommen aus Aitchison (1997: 68) Ein dynamischer Prozess wie der des Bedeutungswandels, den das Lexem Freund gerade zu durchlaufen scheint, kann so jedoch auch nicht abgebildet oder nachvollzogen werden. Die gegenwärtige Bedeutung des Lexems ist eng mit dessen Verwendung auf der Sozialen-Netzwerk-Seite Facebook verknüpft. So existieren momentan offenbar zwei Konzepte von F REUND im Gedächtnis derer, die das Soziale Netzwerk Facebook nutzen. Das eine Konzept umfasst Personen, die Teil der virtuellen Freundesliste sind. Freunde bezeichnet also Personen, die in die Freundesliste auf Facebook aufgenommen worden sind, auf deren Freundesliste man entsprechend auch aufgelistet ist und die dadurch Zugang zur eigenen Aktivität auf Facebook erlangen. Sie können entsprechend Statusmeldungen lesen, Kommentare abgeben oder auch die Gefällt-mir-Funktion nutzen. Das andere Konzept umfasst Personen, die im realen Leben als enge Vertraute gelten, mit denen vertrauliche Themen besprochen werden, die über lange Jahre Teil unseres Lebens sind, deren Auffassung und Meinung das eigene Leben beeinflusst. Auch diese engen Vertrauten aus dem realen Leben können in der virtuellen Freundesliste auftauchen. Es ergeben sich daher über diese Vertreter Schnittmengen: Nur ein Teil der auf der virtuellen Freundesliste befindlichen Freunde gehört zum reellen Freundeskreis. Für beide Konzepte gibt es jedoch nur ein Lexem, nämlich Freund. <?page no="118"?> 3. Sprache im Internet 118 Die semantisch interessante Frage ist nun, wie sich die „Karriere“ des Lexems Freund in Zukunft gestalten wird. Dürscheid/ Brommer (2013: 32) vermuten, dass sich das durch Freund versprachlichte Konzept so wandelt, dass es in Zukunft auch außerhalb von Facebook für Personen verwendet wird, die nicht zum engen Freundeskreis gehören. Möglich ist natürlich auch, dass sich dadurch die Notwendigkeit ergibt, neue Bezeichnungen für enge Vertraute zu finden - wir werden also gerade jetzt Zeugen eines hochspannenden Bedeutungswandelprozesses. Konstanze Marx Aufgabe 3-9 Überlegen Sie, ob die inzwischen nicht mehr ganz so neue Freundeslistenunterteilung in „enge Freunde“ und „Bekannte“ Einfluss auf den oben avisierten Bedeutungswandelprozess nehmen kann. 3.3.2 Gefällt mir ist mehr als ein Ausdruck für Gefallen Der komplexe Ausdruck Gefällt mir (engl. like) wird als Option für eine schnelle Reaktion auf eine Statusmeldung von Facebook zur Verfügung gestellt. Sie steht neben den Optionen „kommentieren“ und „teilen“ zur Verfügung, um sich zu einem veröffentlichten Inhalt zu positionieren. Der Hilfebereich von Facebook sieht hierfür ausschließlich eine Positivbewertung vor. In der konkreten Kommunikationssituation jedoch fällt eines auf: Die Bedeutung von gefällt mir kann nicht allein mit ‚positiv bewerten‘ paraphrasiert werden. Das Bedeutungsspektrum dieses komplexen Ausdrucks ist viel weiter und sehr dynamisch. Interessant hierbei ist, wie die Rezipienten (also die Facebook-Nutzer) den Inhalt von gefällt mir erschließen: Wie gelingt es ihnen, herauszufinden, ‚was‘ gefällt oder auch was ‚gefällt‘ in der jeweiligen Situation eigentlich bedeutet? Schauen wir uns zunächst einmal einige konkrete belegte Kommunikationssituationen an (alle aus privaten Facebookprofilen zitiert), um auszuloten, wie gefällt mir verwendet wird: Situation 1: Ein Facebook-Nutzer (Nutzer 1) teilt einen Link via einen anderen Nutzer (Nutzer 2). Einem dritten Nutzer gefällt das. Situation 2: Nutzer 1 veröffentlicht die Statusmeldung: „Wollte Obama nicht Guantanamo schließen? ...stattdessen wurden die Gefängnisregeln auf Berlin ausgeweitet. ; .))“ Nutzer 2 gefällt das. Situation 3: Nutzer 1 teilt einen Artikel mit dem Titel „Ritalin: Wie die Pharmaindustrie unsere Kinder vorsätzlich zerstört“ und kommentiert: „Unfassbar, wie Kinder ruhiggestellt werden damit sie in unsere Gesellschaft passen und die Pharmaindustrie schön daran verdienen kann ….“. Nutzer 2 gefällt das. Situation 4: Nutzer 1 teilt einen Artikel mit dem Titel „Pussy Riot-Sängerin Tolokonnikowa: Nachrichten aus dem GULag www.faz.net‚ Nadeschda Tolokonnikowa berichtet aus ihrem russischen Straflager. Dort werden Menschen <?page no="119"?> 119 3.3 Netzbedingte Dynamik: Neue Bedeutung für Altbekanntes entrechtet, erniedrigt und zu Tode geschunden....“ und kommentiert: „Russland verfällt der Zarenzeit (Homophobie, GULag, ...) und niemand hätte das vor ein paar Jahren wirklich für möglich gehalten. DAS ist eine Bedrohung für die gesamte Menschheit. Ein Trend der Kreise zieht, weltweit. WELT, mach was! “ Nutzer 2 gefällt das. Situation 5: Ein Vater hat auf Facebook mitgeteilt, dass seine Tochter geboren ist. Daraufhin erhält er zahlreiche Glückwünsche auf seiner Facebook- Seite. Jeden einzelnen Glückwünsch quittiert der Vater mit „gefällt mir“. Situation 6: Nutzer 1 hat ein Foto geteilt, das Spaghetti zeigt, die im ungekochten Zustand durch Würstchenstücke gebohrt und anschließend gekocht wurden und kommentiert: „...musst ich gleich an dich denken hahaha! “ Nutzer 2 gefällt das. Er antwortet: „Hab ick dass auch gemacht? weiß ich gar nicht mehr...“. Das gefällt Nutzer 1. Aufgabe 3-10 Worauf bezieht sich gefällt mir in jeder der hier angegebenen Situationen? Versuchen Sie, eine Paraphrase zu finden und geben Sie an wie Sie zu dieser Deutung gelangt sind. In jedem einzelnen Verstehensprozess (Situation 1-6), müssen die Rezipienten - das sind im konkreten Fall die Profilurheber - Referenz etablieren, d. h. dass sie herausfinden müssen, worauf sich gefällt mir eigentlich genau bezieht. Wir wollen versuchen, diesen Prozess theoretisch nachzuvollziehen und benötigen dafür die folgenden Annahmen: • Bei den sprachlichen Gebilden aus Statusmeldung, Kommentar und aktivierter Gefällt-mir-Option handelt es sich um Texte (siehe auch Kapitel 5.3). • Die Phrase gefällt mir ist elliptisch, sie ist um das Pronomen das verkürzt. • Das Pronomen das wird nicht realisiert und ist deshalb eigentlich eine Nullanapher. • Beim Verstehen von gefällt mir wird das Pronomen das automatisch mitgedacht. • Es spielt daher für die Referenzialisierung eine Rolle und wird deshalb hier als komplex-anaphorisches Pronomen betrachtet, also so, als ob es realisiert werden würde. • Das Pronomen das gibt selbst keine Bedeutung vor, es trägt nur eine Information, die das grammatische Geschlecht (neutrum) betrifft. Eine Anapher ist ein satzübergreifendes Wiederaufnahmephänomen. Anaphorik entsteht dadurch, dass in einem Text ein zweites oder weiteres Mal auf eine Entität (Referent) Bezug genommen wird. Damit wird der Ausdruck, der zum ersten Mal auf den Referenten verweist, zum „Antezedenten“ (der Junge), der ihn wieder aufnehmende Ausdruck zur „Anapher“ (er). Referenz ist die Bezugnahme auf die außersprachliche Welt mittels sprachlicher Ausdrücke (siehe u. a. Schwarz-Friesel/ Consten 2014). <?page no="120"?> 3. Sprache im Internet 120 a) Der Junge starrte unaufhörlich auf sein Smartphone. Er bekam nichts um sich herum mit. Bei Null-Anaphern bleibt die syntaktische Position, die die pronominale Anapher einnehmen würde, unbesetzt. Komplex-Anaphern (dieser Zustand) beziehen sich auf komplexe Referenzstrukturen, also größere Textabschnitte und nicht - wie Anaphern - auf Nominalphrasen (siehe Marx 2011: 9). b) Der Junge starrte unaufhörlich auf sein Smartphone. Er bekam nichts um sich herum mit. Dieser Zustand hielt nun schon seit einer Stunde an. Erst in der konkreten Referenzsituation - z. B. in einer der sechs oben angegebenen Situationen - wird deutlich, worauf sich die Phrase [das] gefällt mir bezieht. Wir wollen nun die kognitiven Schritte nachvollziehen, die diesen Referenzialisierungsprozess ausmachen. Wir fragen uns also: Wie versteht der Rezipient jeweils gefällt mir? In den Verstehensprozess sind nach innen und nach außen gerichtete mentale Schritte involviert. So muss einerseits der Bedeutungsinhalt von etwas gefällt jmd., der im mentalen Lexikon gespeichert ist, aktiviert werden (nach innen gerichteter Prozess). Es muss weiterhin herausgefunden werden, worauf sich [das] gefällt mir in der konkreten (Text-)Welt bezieht (nach außen gerichteter Prozess). Das mentale Lexikon ist ein Teil des Langzeitgedächtnisses, in dem alle Informationen über die Wörter einer Sprache in Form von sogenannten Lexikoneinträgen gespeichert sind. (Schwarz/ Chur 5 2007) Der Bedeutungsinhalt von gefällt mir kann in etwa mit ‚positiv bewerten‘ umschrieben werden, das haben wir bereits festgehalten. Überlegen wir nun einmal, wer oder was als jeweiliger Textreferent für das [gefällt mir] in Frage kommt. Worauf genau bezieht sich also die positive Bewertung in Situation 1? Gefällt es dem dritten Nutzer, dass Nutzer 1 einen Link geteilt hat? Gefällt es dem dritten Nutzer, dass Nutzer 1 diesen Link via Nutzer 2 geteilt hat? Gefällt es dem dritten Nutzer, dass Nutzer 2 ursprünglich diesen Link veröffentlicht hat? Oder bezieht sich das gefällt mir des dritten Nutzers schlicht auf den Inhalt des Beitrags, auf den man stößt, wenn man den Link durch Anklicken aktiviert? Die Antwort finden wir nicht, wenn wir lediglich den Bedeutungsinhalt von gefällt mir aktivieren. In dem Fall wären alle oben erwähnten Referentialisierungsoptionen gleich gut. Stattdessen ist es sinnvoll, auch außersprachliche Überlegungen mit einzubeziehen, diese betreffen zum einen die Kommunikationsplattform und deren Spezifika. Zum anderen spielt auch die kommunikative Absicht des Produzenten (Nutzer 1) eine Rolle. Nutzer 3 versucht diese zu entschlüsseln bevor er darauf reagiert. Textreferenten stehen symbolisch für außersprachliche Objekte und sind in unserem Kopf als geistige Einheiten repräsentiert (Schwarz- Friesel/ Consten im Druck) <?page no="121"?> 121 3.3 Netzbedingte Dynamik: Neue Bedeutung für Altbekanntes Das Soziale Netzwerk dient als Kommunikationsplattform zwischen Personen, die zur jeweiligen Freundesliste gehören. Statusmeldungen beziehen sich auf ein ganzes Themenspektrum, das von privat/ persönlich bis öffentlich/ politisch reichen kann. Statusmeldungen können gleichfalls einfach dadurch erzeugt werden, dass ein Link geteilt wird. Dabei ist der Nutzer, der den Link erzeugt hat (Nutzer 2), technisch voreingestellt, wird also automatisch mit aufgeführt. Die Möglichkeit, den Namen von Nutzer 2 zu entfernen, besteht nur dann, wenn Nutzer 2 und die Quelle für den geteilten Beitrag nicht übereinstimmen. Zudem könnte ein solcher Name-von-Nutzer-2-Entfernen-Vorgang (auch wenn er vergleichsweise wenig Zeit in Anspruch nimmt) zuviel Aufwand oder Umstände bedeuten, z.  . wenn Facebook über das Smartphone aufgerufen wird. Somit wird allein durch die technischen Voraussetzungen die Wahrscheinlichkeit reduziert, dass es Nutzer 1 darum ging, den Fokus seiner Statusmeldung auf Nutzer 2 und nicht auf den geteilten Inhalt zu verlegen. Nutzer 3 lenkt also seine Aufmerksamkeit - wie von Nutzer 1 wohl beabsichtigt - auf den Inhalt des geteilten Links. Seine Reaktion gefällt mir - genauer das Demonstrativpronomen das - bezieht sich also auf den komplexen Sachverhalt, der auf der Seite dargestellt wird, auf die verlinkt wird. Allerdings können wir nicht ausschließen, dass Nutzer 3 mit gefällt mir nicht auch positiv bewerten will, dass Nutzer 1 den Link gefunden und geteilt hat und damit ein positives Feedback abgibt. In Situation 2 und 3 finden wir eine solche Verschiebung der Referenz weg vom dargestellten Sachverhalt. Das liegt in Situation 2 daran, dass das von Nutzer 1 entworfene Szenario klar als Kritik identifiziert werden kann. Nutzer 1 vergleicht die Sicherheitsmaßnahmen, die die Berliner Bürger während des Besuchs des amerikanischen Präsidenten sehr eingeschränkt haben, mit den Zuständen im Gefangenenlager Guantanamo. Zwar wird dieser Vergleich durch Emoticons ironisch gebrochen, aber die Kritik wird dadurch nicht aufgehoben. Nutzer 2 signalisiert mit gefällt mir sowohl, dass er diese Kritik verstanden hat, als auch, dass er damit konform geht. Gefällt mir wird hier nicht eingesetzt, um den beschriebenen Sachverhalt als positiv zu bewerten, sondern um ‚Zustimmung‘ zur Meinung, die Nutzer 1 vertritt, anzuzeigen und sich seiner negativen Auffassung anzuschließen. In Situation 3 teilt Nutzer 1 nicht nur einen Link, sondern kommentiert den im verlinkten Artikel dargestellten Sachverhalt auch. Die gefällt-mir- Reaktion von Nutzer 2 kann sich formal auf den im verlinkten Artikel dargestellten Sachverhalt und auf den Kommentar von Nutzer 1 beziehen. Es ist nun allerdings unwahrscheinlich, dass Nutzer 2 den Sachverhalt positiv bewertet, dass bei Kindern inflationär ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom diagnostiziert wird, um dieses mit dem Medikament Ritalin behandeln und die Kinder ruhigstellen zu können. Die Positivbewertung gilt wohl eher dem Kommentar von Nutzer 1, allerdings kann der komplexe Referent von das [gefällt mir] hier auch nicht mit der Sachverhaltsproposition gleichgesetzt werden. Es wird Nutzer 2 kaum gefallen, dass es ‚unfassbar ist, wie Kinder ruhiggestellt werden damit sie in unsere Gesellschaft passen und die Pharmaindustrie schön daran verdienen kann‘. Vielmehr gefällt es Nutzer 2, dass Nutzer 1, diesen Sachverhalt als „unfassbar“ einstuft. bezieht sich hier also ebenfalls auf eine der Sachverhaltsebene übergeordnete Bewertung, Gefällt mir <?page no="122"?> 3. Sprache im Internet 122 der durch Nutzer 2 zugestimmt wird, damit übernimmt Nutzer 2 die Negativbewertung von Nutzer 1. In Situation 4 lässt sich gefällt mir der Handlungsaufforderung „WELT, mach was! “ zuordnen und bezieht sich nicht auf den Rest des Kommentars zum geteilten Artikel, den beschriebenen Sachverhalt „Russland verfällt der Zarenzeit (Homophobie, GULag, ...) und niemand hätte das vor ein paar Jahren wirklich für möglich gehalten. DAS ist eine Bedrohung für die gesamte Menschheit. Ein Trend der Kreise zieht, weltweit.“ Nutzer 1 verweist mit einem Link zusätzlich auf einen auf www.faz.net veröffentlichten Artikel über die „Pussy Riot“-Sängerin Tolokonnikowa. Es wird berichtet, dass sie einen offenen Brief aus dem Gefangenenlager geschmuggelt hat, in dem sie die Zustände schildert, denen die Lager-Insassen ausgeliefert sind und bessere Haftbedingungen fordert. In dem Artikel wird aus diesem Brief zitiert, es wird auch berichtet, dass Tolokonnikowa in einen Hungerstreik getreten ist. Teile dieses Artikels kommen also ebenfalls als Bezugsgrößen (Referenten) für das gefällt mir in Frage, so z. B. der Mut der Sängerin, einen offenen Brief zu schreiben, ihn aus dem Lager zu schmuggeln, Forderungen aufzustellen und diese mit einem Hungerstreik durchsetzen zu wollen. Gefällt mir wird hier im Sinne von ‚Anerkennung‘ oder ‚Sympathiebekundung‘ verwendet. Gefällt mir kann sich auch auf den Inhalt der Forderung beziehen und wäre in dem Fall eine ‚Zustimmung‘ zu den konkreten Inhalten der Forderung. In Situation 5 stellt sich nicht die Frage, ob der Vater jeden Glückwunsch, den er zur Geburt seiner Tochter erhält, als positiv empfindet. Bemerkenswert ist eher, dass er mit einer expliziten Positivbewertung reagiert. Die Notwendigkeit, bei ehrlich gemeinten Glückwünschen eine Bewertung zu formulieren, ergibt sich aber eigentlich gar nicht, weil sie so offensichtlich ist. Damit wird sie redundant und unökonomisch. Vielmehr entspricht es der kommunikativen Praxis, sich in solchen Fällen zu bedanken. Eine solche Option bietet Facebook jedoch nicht an. In diesem Beispiel ist zwar klar, worauf sich die Phrase bezieht. Aus dem Wissen, dass der Rezipient aber über Glückwunschsituationen hat, muss er auf eine Umdeutung von gefallen im Sinne von bedanken schließen. Damit tritt die Bewertungskomponente von gefallen zugunsten der kommunikativen Angemessenheit, die durch bedanken erfüllt ist, in den Hintergrund. Auch in Situation 6 muss das gefällt mir, mit dem Nutzer 1 auf die Frage „Hab ick dass auch gemacht? weiß ich gar nicht mehr...“ reagiert, umgedeutet werden, weil sich für das komplex-anaphorische Pronomen das (in gefällt mir) kein sinnvoller Referent finden lässt. Der Verstehensprozess soll hier an einer exemplarischen Generierung eines Textweltmodells nachvollzogen werden. Ein Textweltmodell (TWM) ist eine kognitive Struktur, die Konstellationen von Textreferenten und Relationen zwischen diesen repräsentiert. Dieses mentale Modell entsteht bei jedem Sprachverstehensprozess automatisch und unbewusst und greift auf textinterne und textexterne Informationen zurück. Es fließen hier also das Wissen aus dem Langzeitgedächtnis (top down) und die Informationen, die der Text enthält (bottom up), zusammen. (Schwarz-Friesel/ Consten 2014: Kapitel 4) <?page no="123"?> 123 3.3 Netzbedingte Dynamik: Neue Bedeutung für Altbekanntes Jeder Rezipient erstellt im Rezeptionsprozess ein eigenes Textweltmodell, das sich auch auf Grund der textexternen Informationen, die in dieses Modell einfließen, vom Textweltmodell eines anderen Rezipienten, der denselben Text liest, unterscheiden kann. Wir nehmen hier die Perspektive ein, die ein außenstehender Leser hat. Zum Zeitpunkt der Rezeption des gefällt mir von Nutzer 1 sind folgende Textreferenten im Textweltmodell verfügbar: Nutzer 1 (ich), Nutzer 2 (dich), Spaghetti-und-Würstchen-Gericht (die zwar nicht sprachlich, sondern als Abbildung eingeführt werden, worauf dann aber mit dass (sic! ) Bezug genommen wird). Folgende Relationen zwischen den Textreferenten sind etabliert: Nutzer 1 hat an Nutzer 2 gedacht als er die bizarre Art Würstchen mit Spaghetti zuzubereiten (dass sic! ) auf einem Bild gesehen hat. Nutzer 2 kann sich nicht erinnern, Spaghetti und Würstchen schon einmal auf diese Weise zubereitet zu haben (dass sic! ) und fragt nach. Das gefällt Nutzer 1. Es lässt sich nun nicht zuordnen, worauf sich das gefällt mir bezieht. Es findet sich kein Textreferent für das gefällt mir, er muss also vom Leser aktiv konstruiert werden, d. h. dass die Leerstelle im Textweltmodell gefüllt werden muss. Dabei wird zunächst von der Bedeutung von gefallen ausgegangen und gefragt, was Nutzer 1 noch positiv bewerten könnte? Darauf, dass Nutzer 2 sich und auch Nutzer 1 fragt, ob er auch schon einmal Würstchen und Spaghetti so zubereitet hat; darauf, dass er einräumt, sich nicht erinnern zu können? Das ist eher unwahrscheinlich. Das semantische Wissen über das Lexem gefallen wird nun top down (aus dem Gedächtnis) angereichert um das Wissen, das über die Kommunikationsplattform Facebook gespeichert ist. Dazu gehört, dass es z. B. nur drei Funktionen gibt, mit denen auf eine Statusmeldung reagiert werden kann. Kommentieren und Teilen sind Funktionen, die mehr Aufwand bedeuten als gefällt mir, das mit nur einem Klick aktiviert wird. Eine neutrale Option, wie z.  . eine Lesebestätigung, steht den Nutzern gar nicht zur Verfügung. Genau in dieser Funktion wird gefällt mir jedoch hier benutzt. Das zeigt sich auch daran, dass Nutzer 1 direkt im Anschluss die Frage beantwortet: „Nee, aber das schmeckt dir sicher lieblingswürstchenrezept! ! ! “ Für den komplexen Ausdruck gefällt mir kommen also abhängig vom konkreten Ko- und Kontext die folgenden dynamischen Bedeutungskomponenten in Frage: • Positivbewertung eines Sachverhalts • Ausdruck von Anerkennung • Ausdruck von Zustimmung • Solidarisierungssignal • Negativbewertung eines Sachverhalts • Lesebestätigung • Dank Weitere Bedeutungskomponenten sind vorstellbar. Im Verstehensprozess muss der Rezipient also aktiv rekonstruieren, worauf sich der komplexe Ausdruck genau bezieht. Das ist ein aufwendiger kognitiver Prozess, der durch ökonomische Erwägungen und graduelle Abstufungen hinsichtlich der Relevanz blitzschnell vollzogen wird. <?page no="124"?> 3. Sprache im Internet 124 Abb. 3-3: Textweltmodell Situation 6 zur Auflösung der Phrase [das] gefällt mir von Nutzer 1: In Phase 2 kann die Spezifikation für das gefällt mir nicht aus dem Lexikoneintrag für gefallen gezogen werden, es muss auf das Schema, das im Langzeitgedächtnis (LZG) für Facebook etabliert ist, zurückgegriffen werden, um das gefällt mir im Sinne einer Leseb stätigung interpretieren zu können. Am Beispiel des komplexen Ausdrucks gefällt mir lässt sich so sehr schön zeigen, wie sich eine semantische Fragestellung in den Bereich der Pragmatik ausdehnt. Bedeutung ist weder ein genuin semantisches noch ein genuin pragmatisches Phänomen - eine Beobachtung, der der von Schwarz ( 3 2008) etablierte Ansatz der kognitiven Semantik Rechnung trägt. Konstanze Marx Aufgabe 3-11 Suchen Sie in anderen Kommunikationsplattformen nach ähnlichen Beispielen. e <?page no="125"?> 125 3.3 Netzbedingte Dynamik: Neue Bedeutung für Altbekanntes Eine „Internetsprache“ existiert nicht, auch nicht als Sondersprache. Vielmehr wird der Terminus für sprachliche Phänomene in der Internetkommunikation gebraucht. Dabei ist er irreführend, weil es unterschiedlichste Formen des Sprachgebrauchs im Internet gibt und die mit „Internetsprache“ gemeinten Phänomene nur in bestimmten - wenn auch für das Web 2.0 zentralen - Kommunikationsformen vorkommen. Diese Phänomene sind aufgrund von Adaptionsprozessen, einem kreativen bzw. reflektierenden Umgang mit Sprache sowie der Hybridisierung gesprochensprachlicher und geschriebensprachlicher Elemente (Oraliteralität) entstanden. Sie sind auf der lexikalischen, der grammatischen und der orthographischen Sprachebene zu finden. Des Weiteren zeigt sich an den Beispielen „Freund“ und „Gefällt mir“, dass es durch eine spezielle Verwendung im Internet zu einer Ausdifferenzierung neuer Bedeutungen und Gebrauchsweisen sprachlicher Ausdrücke kommen kann. Adaptionsprozesse: Übernahme sprachlicher Formen aus anderen Kommunikationsdomänen in die Online-Kommunikation und zum Teil Anpassung dieser Formen an die medialen Gegebenheiten im Internet. Akronyme: aus einzelnen Buchstaben gebildete Wörter, die vor allem beim Chatten und Twittern, aber auch in Diskussionsforen oder E-Mails gerne eingesetzt werden (LOL, ROFL, YOLO etc.), weil sie kurz sind und zum Teil auch Zugehörigkeit zur Internet-Community signalisieren. Inflektive: Adaptionen aus der Comicsprache. Es handelt sich dabei um bloße Verbstämme ohne Flexionsendung, die zu den Interjektionen gezählt werden, meist zwischen Asteriske oder spitze Klammern gesetzt werden und die zur sprachlichen Signalisierung para- oder nonverbaler Handlungen dienen (*bestaun*, *gelangweilt mit den Beinen baumel* etc.). Leetspeak: Buchstaben werden durch Zahlen ersetzt (w8 für wait). Sprachreflexion im Internet: metasprachliches Kommentieren des Sprachgebrauchs anderer im Internet Kommunizierender, aber auch implizites Reflektieren von Sprache und Sprachgebrauch durch Sprachspiele. Oraliteralität: Hybridisierung gesprochener und geschriebener Sprache, d. h. in manchen graphisch realisierten Texten im Internet werden Elemente konzeptioneller Mündlichkeit verwendet, unter anderem um kommunikative Nähe zu signalisieren bzw. die jeweilige Äußerung dialogischer und persönlicher wirken zu lassen. Indikatoren dafür sind eine für schriftliche Texte große Anzahl von Prozeduren des Zeig-, des Lenk- und des Malfelds sowie die Verwendung von Formen der mündlichen Umgangssprache wie Apokopen, Assimilationen, Ellipsen oder umgangssprachliche Ausdrücke. Sprachgebrauchswandel im Internet: Veränderung der semantischen Merkmale von Lexemen aufgrund ihrer Verwendung zu bestimmten Zwecken oder in bestimmten Kontexten in der Internet-Kommunikation (Beispiel: Freund). Dies kann den Gebrauch ganzer Phrasen und neben der semantischen auch die pragmatische Ebene betreffen (Beispiel: gefällt mir). Speicherinhalt <?page no="126"?> 3. Sprache im Internet 126 Übungen 1. Überprüfen Sie, welche der folgenden Wörter bereits in den DUDEN aufgenommen worden sind: Flashmob, Shitstorm, googlen, Thread, Face book, twittern, Hoax. 2. Was bedeutet pwnd? Was bedeutet waYne (auch: wayne oder Wayne)? Recherchieren Sie die Entstehungsgeschichte dieser Lexeme. 3. Welche Funktion hat ein „! “ vor einer Phrase? 4. Versuchen Sie die Bedeutung von „#“ im Microblogging zu beschreiben. 5. Analysieren Sie ein Chat-Protokoll (auf einer Chat-Plattform wie Knuddels oder auf Facebook) hinsichtlich der dort verwendeten Indi katoren für Oraliteralität. 6. Welche Funktion hat die folgende Statusmeldung von A, die ein Zitat des Moderators, Ross Antony, darstellt? Ross: Ich hoffe, dass ihr damit leben kann, die punkte dass ihr jetzt von uns bekomm. (ffz, Facebook, 2012-09-06) Lektüre zur Vertiefung Grundlegendes zur Grammatik des Deutschen finden Sie in Duden ( 8 2009). Zur Funktionalen Grammatik ist Hoffmann (2013) zu empfehlen. Lohde (2006) beschreibt die Wortbildungsarten des Deutschen. Hennig (2006) diskutiert die Grammatik der gesprochenen Sprache, deren Merkmale zum Beispiel in Chat-Kommunikation emuliert werden. Als Einführung in die Semantik empfehlen wir Schwarz/ Chur ( 5 2007). Grundlegend für die Jugendsprachforschung sind die Bücher von Androutsopoulos (1998) und Neuland (2008), lesenwert sind ebenfalls Bahlos Forschungsergebnisse (2010, 2012). Androutsopoulos et al. (2006) haben in ihrem Sammelband zu neueren Entwicklungen der Internetkommunikation auch Diskussionsbeiträge dazu zusammengestellt, ob Sprache im Internet im Forschungsfeld Variationslinguistik anzusiedeln ist. Siever (2005a, 2011 und 2012a) widmet sich den Charakteristika von SMS, E-Mail und Chat (ebenso wie übrigens auch Dürscheid 2006) und skizziert den zunehmenden Einfluss von Mündlichkeit auf unsere Sprache. Der Klassiker und damit immer noch sehr lesenswerte Überblick ist nach wie vor Runkehl/ Schlobinski/ Siever (1998). <?page no="127"?> 4. Pragma-Internetlinguistik Welche Sprachhandlungsphänomene kommen im Netz vor? Wie verstehen wir scheinbar irrelevante Postings? Was bedeutet Kontext im Netz? 4.1 Ins Netz versetzt: Grundpfeiler der Pragmatik Wie nehmen wir in bestimmten Situationen Bezug auf die Welt? Wie verstehen wir Gemeintes? Wie reden wir miteinander? Kurzum: Wie gebrauchen wir Sprache in unterschiedlichen Kontexten? Das sind die relevanten Fragen in der pragmalinguistischen Forschung. Ansätze wie die Sprechakttheorie (Austin 2 1975, 1986, Searle 1969, 1971), die Theorie der konversationellen Implikaturen (Grice 1975) und die Konversationsanalyse (Kallmeyer/ Schütze 1976, Deppermann 4 2008, Levinson 3 2000 u. a.) sind bislang zur Klärung dieser Fragen herangezogen worden. Sie bilden die drei Stützpfeiler der linguistischen Pragmatik. Auch in kognitiven Referenztheorien werden soziale und interaktionale Bedingungen berücksichtigt (siehe Schwarz 3 2008: 213 ff. für einen Überblick). Wenn wir die Bedeutung, die in Abhängigkeit von spezifischen Kontexten entsteht, in den Mittelpunkt unseres Interesses stellen, ist die sogenannte Äußerungsbedeutung unser Forschungsgegenstand. Es handelt sich hierbei um die aktuelle, kontextabhängige Bedeutung eines Wortes oder Satzes in Abgrenzung zur wörtlichen, kontextunabhängigen Bedeutung, der Ausdrucksbedeutung. Die Ausdrucksbedeutung eines Wortes entspricht dem mentalen Lexikoneintrag und wird anhand von Merkmalen bestimmt. In einem komplexen Ausdruck, wenn also mehrere Wörter miteinander kombiniert werden, kann sie dem Kompositionalitäts- oder Fregeprinzip zufolge ermittelt werden, indem die Bedeutungen der einzelnen Lexeme unter Berücksichtigung ihrer grammatikalisch festgelegten Relation addiert werden. Die formale Semantik konzentriert sich traditionell auf die Beschreibung der Ausdrucksbedeutung von Lexemen und Sätzen, während die Beschreibung der Äußerungsbedeutung Gegenstand pragmatischer Theorien ist. Kognitiv-semantische Ansätze allerdings berücksichtigen in ihren Untersuchungen alle Bedeutungsbeschreibungsebenen (Schwarz 1992, Schwarz 3 2008, Schwarz/ Chur 5 2007, Fischer 2000 u. a.). Eine dritte Ebene der Bedeutungsbeschreibung bildet der kommunikative Sinn. Es handelt sich hierbei um den intendierten Gesprächszweck einer Äußerung, der im Idealfall vom Hörer erschlossen wird. Machen wir uns diese Unterscheidung an einem Beispiel (4-1) klar: <?page no="128"?> 4. Pragma-Internetlinguistik 128 (4-1) Rücken eingerenkt, Wärmepflaster draufgepappt. Wieder im Spiel. Kontext 1: Sina Trinkwalder (Gründerin des ökosozialen Textilunternehmens Manomama) twittert (Twitter, 2013-03-26, 13: 25, hier leicht modifiziert, um die unterschiedlichen kontextabhängigen Bedeutungen besser veranschaulichen zu können) Kontext 2: 59. Spielminute im Champions League Finale FC Bayern München gegen Borussia Dortmund, Fan kommentiert ein Foul an Arjen Robben (FC Bayern München, Facebook, 2013-03-25) Der Tweet (4-1) lässt sich (auf der Ebene der Ausdrucksbedeutung) folgendermaßen paraphrasieren: Die Wirbelsäule wurden soeben zurück in die richtige Position gebracht und mit einem Verband, der hohe Temperaturen entwickelt, versehen. Die Person mit den Beschwerden ist zurück in einer auf konstitutiven Regeln basierenden Situation. Die Äußerungsbedeutung in Kontext 1 lässt sich in etwa so zusammenfassen: Sina Trinkwalder beschreibt ihre eigene gesundheitliche Situation kurz vor der Abreise nach Berlin, wo sie am Abend in der Sendung von Günther Jauch zu Gast sein wird. Es handelt sich also um den Rücken der Äußerungsproduzentin. Mit Spiel wird zum einen auf den bevorstehenden Medienauftritt, aber auch auf die generelle Fähigkeit, zu arbeiten und zu agieren, referiert. Mit der Äußerung wird also u. a. das Erscheinen am Abend in der Sendung angekündigt. Die Äußerungsbedeutung in Kontext 2 lässt sich in etwa so zusammenfassen: Mit Rücken wird nicht auf den Rücken des Kommentators Bezug genommen, sondern auf den Rücken des FCB-Spielers Arjen Robben. Mit Spiel ist hier konkret das Fußballspiel gemeint, das zum Äußerungszeitpunkt im Gange ist. Da Arjen Robben ein wichtiger Spieler im Verein ist und eine Verletzung und dadurch veranlasste Auswechslung durchaus Auswirkungen auf den Spielverlauf haben könnte, ist der Kommentar für Bayern-Fans eine Entwarnung. Dreiebenenmodell der Bedeutungsbeschreibung Ausdrucksbedeutung: kontextunabhängig, grammatisch determiniert Äußerungsbedeutung: kontextabhängig, kann nicht isoliert verstanden werden Kommunikativer Sinn: Gesprächszweck, der von den Intentionen des Sprechers abhängig ist (siehe Bierwisch 1979, Schwarz/ Chur 5 2007, Schwarz 3 2008) Ausdrucksbedeutungen produzieren und erschließen zu können, ist Teil unserer semantischen Kompetenz. Die situationsangemessene, rezipientenorientierte Produktion und kontextabhängige Rezeption von Äußerungsbedeutungen fällt in den Bereich der pragmatischen Kompetenz. Dank unserer Kommunikativer Sinn: Ankündigung Entwarnung Kommunikativer Sinn: <?page no="129"?> 129 4.1 Ins Netz versetzt: Grundpfeiler der Pragmatik pragmatischen Kompetenz wissen wir, dass wir zwar vor Gericht, nicht aber in einer Prüfungssituation die Aussage verweigern dürfen. Unsere pragmatische Kompetenz bewahrt uns davor, unseren Vorgesetzten unaufgefordert zu duzen, unsere Professorin mit „Hallo Zuckerchen“ anzusprechen, ein Referat mit der Erklärung „geht heut nicht, muss erstmal schlafen, war spät gestern“ abzusagen oder einem Dreijährigen die Relativitätstheorie darzulegen. Ebenso wenig würde jemand in einem Bewerbungsgespräch für eine Stelle im Hauptstadtstudio des Bayrischen Rundfunks erwähnen, dass er bei einem Praktikum in München gemerkt habe, wie schwierig es für ihn wäre, mit gebürtigen Bayern auszukommen. Aufgabe 4-1 Haben Sie beim Lesen bereits die eine oder andere reale Situation in eine Web 2.0-Kommunikationssituation übertragen? Wagen Sie dieses Gedankenexperiment und überlegen Sie, inwiefern besonders offizielle, von Asymmetrie der Kommunikationspartner bestimmte Situationen von Web 2.0-Effekten beeinflusst werden. Wie beurteilen Sie beispielsweise die folgende authentische E-Mail? Gute Nacht Frau Marx, Ich wollte meinen Termin bein Ihnen für den 2.4 um 11: 00 Uhr noch einmal bestätigen und fragen wo der Termin stattfindet. Liebe Grüße und eine erholsame Nacht [Vorname] (dienstliche E-Mail, 2013-03-28, 3: 32) Haben Sie vielleicht sogar selbst schon einmal eine E-Mail an ihren Dozenten/ Ihre Dozentin mit „Hallo“ eröffnet und mit „Liebe Grüße“ beendet? (vgl. dazu auch Kapitel 5.4.3). Unsere pragmatische Kompetenz befähigt uns auch, den kommunikativen Sinn einer Äußerung zu rekonstruieren. Somit können wir leicht aus einer Frage wie „Wolltest Du nicht gerade den Geschirrspüler ausräumen? “ eine Aufforderung herauslesen. Bei einem privaten Skype-Telefonat mit einem Freund, das wir tagsüber führen, beginnen wir nicht am Verstand unseres Gesprächspartners zu zweifeln, wenn er sich plötzlich für das konstruktive Feedback bedankt und verspricht, die Reklamation weiterzuleiten. Vielmehr rekonstruieren wir, dass sein Vorgesetzter den Raum betreten haben muss und uns unser Gesprächspartner zu signalisieren versucht, dass er auflegen und das Gespräch auf einen späteren Zeitpunkt vertagen muss. Das theoretische Instrumentarium derartige Verstehensprozesse zu beschreiben, bieten uns die Sprechakttheorie und die Theorie der konversationellen Implikaturen. <?page no="130"?> 4. Pragma-Internetlinguistik 130 4.2 Sprachhandlungsphänomene online Mit der Erkenntnis, dass man mit Wörtern Dinge tut, tun kann, hat der englische Sprachphilosoph John L. Austin 1955 in einer Vorlesung (veröffentlicht posthum 1962) den Grundstein für die Sprechakttheorie gelegt. Er unterschied zwischen konstativen und performativen Sprechakten. Als konstative Sprechakte wurden die sprachlichen Äußerungen eingestuft, mit denen die Welt schlicht beschrieben wird, wie z. B.: Eine Strecke ist eine von zwei Punkten begrenzte Linie. Als performative Sprechakte hingegen wurden die Sprechakte bezeichnet, mit denen wir die Welt verändern, wie Ich taufe dich auf den Namen Felix oder Ich verurteile Sie zu neun Jahren Haft oder Ich ernenne Sie zum Professor. Es hat sich gezeigt, dass diese strikte Trennung nicht aufrechterhalten werden konnte, da selbst konstative Äußerungen Performativität aufweisen. Wir vollziehen also auch mit konstativen Sprechakten Handlungen, z. B. indem wir etwas behaupten oder etwas feststellen. John Searle (*1932) ist ein berühmter amerikanischer Sprachphilosoph, er lehrt an der Berkely-Universität in Kalifornien, USA. Sein für die Linguistik wichtigstes Werk heißt „Speech Acts: An Essay in the Philosophy of Language.“ Es wurde 1969 veröffentlicht, 1971 kam die deutsche Übersetzung auf den Markt. Als Albertus-Magnus-Professor lehrte John Searle im Mai 2013 an der Universität zu Köln. John Searle, Schüler Austins, hat Austins Ideen weiterentwickelt, indem er die Teilakte eines Sprechaktes neu überdachte und Regeln explizierte, die für das sprachliche Handeln gelten. Wenden wir uns zunächst den vier Teilakten eines Sprechaktes zu: • Äußerungsakt • Propositionaler Akt • Illokutionärer Akt • Perlokutionärer Akt Diese Teilakte laufen simultan ab, wenn sich ein Sprecher äußert. Er produziert eine Abfolge von Phonemen, Morphemen, Wörtern, Sätzen (Äußerungsakt). Im Falle computervermittelter Kommunikation erfolgt der Äußerungsakt meistens nicht mündlich, sondern durch das Eingeben von Buchstabenfolgen über eine Tastatur. Jeder Sprechakt hat eine bestimmte Referenz und Prädikation, einen bestimmten Inhalt (Propositionaler Akt). Über eine Prädikation werden diesen Vertretern oder Elementen Eigenschaften zugesprochen. Unter Referenz wird das Verhältnis zwischen Sprache und Welt, präziser, die sprachliche Bezugnahme auf die Welt oder auf ihre Vertreter, Elemente in der Welt, verstanden. Sprechakt- Komponenten <?page no="131"?> 131 4.2 Sprachhandlungsphänomene online Jeder Sprechakt wird mit einer bestimmten Intention, zu einem bestimmten Zweck, mit einem bestimmten Handlungswert (Illokution) geäußert. Die Perlokution beschreibt die intendierte Wirkung beim Hörer. Verdeutlichen wir uns die Unterscheidung dieser Teilakte an den folgenden Beispielen. (4-2) Robert ist jetzt auch bei Facebook. Ist Robert jetzt auch bei Facebook? Robert ist jetzt auch bei Facebook! Diese drei Sätze zeigen, dass die Proposition gleich bleiben kann, während sich die Äußerung (z. B. die Wortstellung) und die Illokution (Feststellung vs. Frage vs. Ausrufsatz) ändern. Mit einer Aussage oder Feststellung würde der Sprecher beispielsweise dem Hörer signalisieren, dass er sich auf den Wahrheitsgehalt der Aussage verlassen kann. Eine Frage kann signalisieren, dass vom Hörer eine Antwort erwartet wird. Ein Ausruf könnte z. B. als Warnung intendiert sein und entsprechend vorsichtiges Verhalten beim Hörer auslösen. Vorstellbar ist auch, dass es sich hier um eine Aufforderung an den Hörer handelt, doch endlich auch dem Sozialen Netzwerk beizutreten. Es gibt also auch eine ganze Reihe an plausiblen Perlokutionen. Wie der Hörer zu solchen Interpretationen gelangt, wird unter Punkt 4.3 thematisiert. (4-3) Klaus Wowereit schaut ratlos auf den Flughafen. Der regierende Bürgermeister von Berlin schaut ratlos auf den Flughafen. Der Aufsichtsratsvorsitzende des Flughafens Berlin-Brandenburg schaut ratlos auf den Flughafen. Liegt der Äußerungszeitpunkt dieser drei Sätze vor dem 7. Januar 2013 und ist somit sichergestellt, dass es sich bei Klaus Wowereit um die Person handelt, die sowohl das Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin bekleidet als auch das des Vorsitzenden im Aufsichtsrat des Flughafens Berlin- Brandenburg, lässt sich zeigen, dass bei verschiedenen Äußerungen die Illokution und auch die Proposition gleich bleiben können. Ebensogut kann eine Äußerung verschiedene Illokutionen haben. Satz (4- 4) kann geäußert werden, um Überraschung, Anerkennung oder Verwunderung auszudrücken oder um z. B. eine Prognose für eine mögliche Kanditatin für die Präsidentschaftswahl im Jahr 2016 abzugeben - das Hintergrundwissen über den auf Social Media basierenden Wahlkampf des amtierenden Präsidenten Obama vorausgesetzt. (4-4) Hillary Clinton Twittert jetzt! Die Illokution eines Sprechaktes lässt sich anhand von sogenannten illokutionären Indikatoren ermitteln. Performative Verben, Verben also, mit denen der Sprechakt, der gerade ausgeführt wird, explizit benannt wird (wie z. B. versprechen, warnen, gratulieren, taufen …) zählen zu den illokutiven Indikatoren. Auch Satztypen (Deklarativ-, Interrogativ- und Imperativsätze), der Verbmodus (Indikativ, Konjunktiv oder Imperativ), Modalverben (können, dürfen, wollen, sollen, mögen, müssen), Satzadverbien (leider, sicherlich, wahrscheinlich …), Sprechakt- Kategorisierung <?page no="132"?> 4. Pragma-Internetlinguistik 132 Modalpartikeln (eben, halt, vielleicht, wohl …) und Intonation/ Interpunktion sind Verweise auf die Illokution einer Äußerung (siehe auch Meibauer 2 2001). Die unterschiedlichen Illokutionen von Sprechakten bilden die Grundlage für die Unterscheidung von fünf Sprechakttypen. • Repräsentativa (Assertiva) • Direktiva • Kommissiva • Expressiva • Deklarativa Mit einem repräsentativen (auch: assertiven) Sprechakt legt sich der Sprecher auf die Wahrheit/ Falschheit einer Proposition fest. Im Beispiel (4-5) stellt der Sprecher fest, dass mit vertraulichen Daten gehandelt wird und Millionen deutsche Patienten und Ärzte ausgespäht werden. (4-5) Handel mit vertraulichen Daten: Millionen deutsche Patienten und Ärzte werden ausgespäht. (spiegel.de, 2013-08-18, 8: 08) Ein direktiver Sprechakt dient dazu, Hörer (und im Falle internetvermittelter Kommunikation: Leser) zu einer bestimmten Handlung zu veranlassen. Im Beispiel (4-6) bittet eine Mutter um Hilfe bei der Suche nach ihrer Tochter und fordert die Nutzer des Sozialen Netzwerks direkt auf, ein Bild ihrer Tochter zu teilen. (4-6) [VERMISST. Seit März ist meine Tochter, XYZ, verschwunden. Sie wurde noch einmal in XYZ gesehen, als Sie bei einem Mann in einen schwarzen Twingo mit SU-Kennzeichen einstieg.] Bitte helft mir Sie zu finden und teilt das Photo. [Meine Tochter hat blaue Augen und einen Leberfleck auf der linken Wange. Sie ist ca. 1,70 m groß. Ich danke euch, XYZ] (fmt, Facebook, 2013-04-03) Mit einem kommissiven Sprechakt verpflichtet sich der Sprecher, eine bestimmte Handlung selbst zu vollziehen. Typische kommissive Sprechakte sind Versprechen oder Drohungen. In Beispiel (4-7) droht der Verfasser des Beitrags einer Nutzerin des Netzwerks mit dem Tod, wenn sie ihre „Faxen“ [Anschuldigungen] gegenüber Michelle und Naomi nicht unterlässt. (4-7) […] MACH KEINE FAXEN BEI MICHELLE UND NAOMI SONST KANNST DU WAS ERLEBEN DU DRECKIEGES MÄDCHEN ICH SEZT EIN FUß IN DEINER DRECKS SCHULE UND DU BIST TOD ! (Isharegossip, 2011-02-27, 22: 10: 28) Expressive Sprechakte dienen dazu, Gefühle auszudrücken, soziale Kontakte zu etablieren, zu festigen und/ oder aufrechtzuerhalten. In Beispiel (4-8) vermittelt der Verfasser des Beitrags durch die Verwendung der Lexeme entsetzt, erschrocken und wütend einen Eindruck von seinem derzeitigen Gefühlszustand und leitet damit die Evaluierung eines Sachverhalts ein. <?page no="133"?> 133 4.2 Sprachhandlungsphänomene online (4-8) [So, jetzt muss ich euch hier mal vollabern.] Ich bin entsetzt / erschrocken/ wütend ... und das alles gleichzeitig. [aber beginne ich mal von vorne.] (akp, Joomla! , 2011-06-20, 18: 17) Sie sehen aber bereits an Beispiel (4-4), dass ein Sprechakt mehrere Illokutionen haben kann, das wird besonders dann deutlich, wenn eine expressive Komponente hinzukommt, wie z. B. durch die durchgehende Großschreibung in (4-7). Unter Punkt 4.3.3 wird dieser Aspekt noch einmal thematisiert. Deklarative Sprechakte dienen dazu, eine neue Realität zu etablieren, einen neuen Sachverhalt institutioneller Art zu schaffen. Offline handelt es sich hierbei z. B. um taufen, ernennen, kündigen, verurteilen usw. Einige dieser Sprechakte können offenbar inzwischen auch schon online vollzogen werden. Gerade unbedachte Facebook-Statusmeldungen haben beispielsweise bereits zu unmittelbaren Kündigungen geführt, die direkt online mitgeteilt worden sind. So bezieht sich das rekonstruierte Beispiel (4-9) auf eine Meldung auf web.de, derzufolge eine Frau aus Großbritannien auf Facebook über ihren Job und ihren Chef geklagt hatte. Dieser befand sich jedoch in ihrer Freundesliste und antwortete prompt. (4-9) Angestellte: Ich hasse meinen Job und mein Chef ist ein Idiot. Vorgesetzter: Das war dann heute Ihr letzter Arbeitstag. Ab morgen brauchen Sie nicht mehr zu erscheinen, Sie sind gekündigt. Interessant ist es nun, zu überprüfen, welche Bedeutung Performativität, also der Handlungscharakter von sprachlichen Äußerungen, im WWW errreicht. • Welche Rolle spielt die Performativität von Sprache für eine virtuelle Realität und in einer virtuellen Realität? • Inwieweit wirken sich Sprechakte im Web 2.0 auf die reale Welt aus? • Können sprachliche Online-Handlungen beispielsweise als Werkzeuge fungieren, offline Veränderungen zu bewirken? Diese Fragen führen uns als roter Faden durch dieses Kapitel und werden in Beispieldiskussionen zu MUDs, Facebook und auch unter Punkt 4.5, wenn es darum geht, wie Personen im WWW miteinander interagieren, thematisiert. 4.2.1 Chat-Kommunikation aus pragmatischer Perspektive Typischerweise werden in Chat-Umgebungen, sei es in MUDs oder auf Chat- Plattformen nicht-sprachliche Handlungen von Kommunikationsteilnehmern versprachlicht, indem auf die eigene Person in der dritten Person Singular Bezug genommen wird. Performativität entsteht also nicht in erster Linie dadurch, dass verschiedene Illokutionen ausgedrückt werden sollen, sondern deshalb, weil Handlungen, die nicht wirklich durchgeführt werden, sprachlich simuliert werden. Fragen, die in diesem Kapitel thematisiert werden <?page no="134"?> 4. Pragma-Internetlinguistik 134 Aufgabe 4-2 Lesen Sie den folgenen Chat-Ausschnitt aus Knuddels.de (2012-01-13). Welche Handlungsbeschreibungen finden Sie? Überlegen Sie, wie sich die Handlungsbeschreibungen voneinander unterscheiden. Beachten Sie dabei die Kommunikationsebenen Virtualität und Realität. Rachel40: >Aethien: ahaaaa welche denn flames of love 123 freut sich über alle gerade Gekommenen sehr. Weinsberger Kreuz ist todtraurig. Rachel40 wünscht kara312 viel spass im chat Rachel40: och Weinsberger Kreuz Weinsberger Kreuz: lol Kara312: warum todtraurig? >kara312 kann sich gar nicht gegen das liebliche Küssen von nur Marc gibt’s schon wehren…[im Chat durch blaue Schrift hervorgehoben] Rachel40: hallo dornröschen1214 flames of love 123 streicht Weinsberger Kreuz tröstend über die Wange. Rachel40: hallo bärchen327 Weinsberger Kreuz: mir war danach kara312 Weinsberger Kreuz: danke flames of love 123 dornröschen1214: hallo an alle Aethien: kenn mich da nicht so aus….aber auch was zum schlafen, hab ne spritze bekommen und bin echt krank…großes Blutbild etc. kara312: und nu ist es schon wieder besser? flames of love 123: hallo dornröschen1214 Weinsberger Kreuz: iihhhh flames of love 123 net sabbern dornröschen1214 hat gelesen, dass Blumen glücklich machen, und schenkt flames of love 123 Rachel40 sogleich einen Strauß Margariten. Aethien: hallo dornröschen1214 Cherny (1995a), die sprachliche Handlungen in MUDs untersucht hat, unterscheidet fünf Typen von sprachlichen Handlungssimulationen, die hier mit Beispielen aus dem obigen Chat näher erläutert werden: • normale Handlungen (schenkt flames of love 123 Rachel40 sogleich einen Strauß Margariten) • Rückmeldungen (streicht Weinsberger Kreuz tröstend über die Wange) • Scherzhafte Spielerei (kann sich gar nicht gegen das liebliche Küssen von nur Marc gibt’s schon wehren) • Erzählung (hat gelesen, dass Blumen glücklich machen) • Expositionen (freut sich über alle gerade Gekommenen sehr; ist todtraurig) Die ersten drei Typen drücken Handlungen in der virtuellen Realität aus. Dabei wird überwiegend das Tempus Präsens verwendet. Virtanen (2013) sieht hierin eine unmittelbare Verbindung zum von Searle (2001: 106) so bezeichneten „dramatic present“, das bei der Beschreibung von Ereignissen eine nahezu zeitgleiche Konstruktion bewirkt. Übertragen auf die oben unterschiedenen Typen bedeutet das, dass sie in dem Moment, in dem sie auf <?page no="135"?> 135 4.2 Sprachhandlungsphänomene online dem Bildschirm erscheinen, als Handlungen wahrgenommen werden. Natürlich wechseln hier weder Blumen den Besitzer, noch erhält jemand Streicheleinheiten. Die einzige Handlung, die wirklich vorgenommen wird, ist das Eintippen der Handlungsbeschreibungen in den Rechner. Überträgt man aber die Kategorien „Erzählung“ und „Exposition“ von einer MUD-Umgebung auf eine Chat-Umgebung, wird deutlich, dass hier Handlungs- und Emotionsbeschreibungen vorliegen, die der realen (Empfindungs- und Erlebnis-)Welt der Nutzer zuzuordnen sind. Die Performativität dieser Sprechakte muss wiederum darin liegen, dass eine spezifische Illokution und damit verbundene Erwartung (Perlokution) an die Chat-Teilnehmer „enttarnt“ werden kann und soll. Wenn Weinsberger Kreuz hier also seine Traurigkeit thematisiert, müssen die anderen Chat-Teilnehmer die Absicht dahinter, den kommunikativen Sinn der Äußerung rekonstruieren. Das gelingt ihnen, indem sie eine sogenannte konversationelle Implikatur ziehen. Wie dieser Schlussfolgerungsprozess gelingt, wird unter Punkt 4.3 in diesem Kapitel erläutert. Eine Ausprägung der Performativität von sprachlichen Äußerungen liegt also darin, dass Handlungen virtuell simuliert werden können, indem man sie beschreibt. Interessanterweise gibt es inzwischen sogar Ergebnisse aus der Hirnforschung, die belegen, dass der sensorische und motorische Kortex während des Lesens, also in der Generierungsphase des Textweltmodells, mit aktiviert wird (Speer et al. 2009). Das sind die Areale, die Empfindungen/ Berührungen registrieren und Bewegungen/ Muskelaktivität willentlich kontrollieren. Für Performativität von Sprache gibt es also sogar Hinweise in Form von Gehirnscans. 4.2.2 Performativität in MUDs Die Vermutung liegt nun nahe, dass sich die Performativität von sprachlichen Äußerungen in allein durch Deskription produzierten Parallelwelten (MUDs: Multi User Dungeons) nicht von der in belletristischen Buch-Texten unterscheidet. Allerdings bildet die sprichwörtliche Textwelt oder auch ‚verschriftlichte Parallelwelt‘ (nicht zu verwechseln mit der mentalen Ebene des Textweltmodells) einen Rahmen für Interaktionen, die auf sprachlichen Befehlen basieren. Diese Befehle erlauben es dem Nutzer, in der Parallelwelt aktiv zu werden und - abhängig davon, welche Erfahrungsstufe oder wie viel virtuelles Geld man beispielsweise bereit zu zahlen ist - auf sie einzuwirken. Donick (2008) zählt diese Befehle zu den persistenten Handlungen in Abgrenzung zu transistorischen Handlungen. Transistorische Handlungen tragen zwar auch zum Aufbau oder zur Veränderung einer virtuell-mentalen Welt bei, sie sind aber nicht langfristig nachweisbar. Sie werden häufig in Form von Inflektiven in Sternchen gesetzt und sind mit den Handlungsbeschreibungen in anderen Chat-Umgebungen vergleichbar. Als persistente Handlung hingegen gilt die Eingabe eines Befehls, der ganze Handlungsketten auslöst und eine Veränderung der MUD-Umgebung Virtuell-mentale Welten entstehen in Gesprächssituationen und heben sich von dem Geschehen in der MUD-Welt ab. Virtuell-reale Welten sind langfristig nachweisbar, sie konstituieren sich aus den textuellen Beschreibungen der MUD-Komponenten. (Donick 2008) <?page no="136"?> 4. Pragma-Internetlinguistik 136 nach sich zieht. Donick (2008: 30 f.) veranschaulicht diesen Prozess an dem folgenden Beispiel (4-10) aus dem MUD „Silberland“. (4-10) eingegebener Befehl: toete maus Du kaempfst nun gegen eine Maus. [. . . ] Die Maus kitzelt Dich am Bauch. Du kratzt die Maus. Die Maus sticht Dich sehr leicht. [Tod: Lars] Eine Maus hat gerade Thagor umgebracht. Du faellst in ein schwarzes Loch. Ploetzlich wird es daemmrig um Dich herum. Du versuchst etwas zu erkennen. [Beileid: Troxa] oha Du kneifst die Augen zusammen. Zumindest versuchst Du es, denn da Du keinen richtigen Koerper hast, kannst Du auch nichts zusammenkneifen. [. . . ] Der Spieler, der als Charakter Thagor den Befehl toete maus eingibt, durchläuft nun ohne weiteres Zutun die oben angegebene Handlungssequenz, an dessen Ende der Charakter Thagor stirbt - und nicht die Maus. Unter diesen Handlungssequenzen liegen also an den Befehl gekoppelte Algrorithmen, die der Spieler selbst nicht beeinflussen kann. Sie können nur verändert werden, wenn man den Algorithmus kennt und die Möglichkeit und Kompetenz hat, ihn umzuschreiben. Mit einem Befehl (dem Sprechakt toete maus) manövriert ein Spieler seinen Charakter also in eine unsichere Situation. Ein Befehl, der nur ausgelöst werden kann, wenn Regeln einer spezifischen Eingabesyntax befolgt werden, beinhaltet hier also auch eine Komponente der Unsicherheit. Das ist ungewöhnlich, ist doch der direktive Sprechakt Befehl (oder auch Aufforderung) üblicherweise an Regeln geknüpft, die die Ausführung einer definierten Aufgabe verlangen. Damit verbunden ist durchaus auch der Wunsch des Sprechers, die Situation zu kontrollieren. Dass der Hörer (und in diesem Fall das System) eine Anweisung befolgt oder nicht befolgt, ist zwar nicht konstitutiver Bestandteil des Sprechakts. Wir erinnern uns: Die Perlokution beschreibt lediglich die intendierte Wirkung beim Hörer. Somit erschließt sich der Unterschied zwischen einer Offline-Aufforderung, einem Offline-Befehl nicht auf den ersten Blick. Jedoch ist sich der Spieler, der die Regeln des MUDs kennt, darüber im Klaren, dass er durch einen Befehl die Kontrolle über seinen Charakter (temporär) aus der Hand gibt/ geben muss, weil er gar nicht weiß, welche Handlungssequenzen der Befehl auslöst. Das ist aus sprechakttheoretischer Perspektive gerade im Hinblick auf die Regeln, die Searle (1969) für spezifische illokutionäre Akte formuliert hat, interessant. Schauen wir uns also zunächst an, welche Regeln zum Gelingen von Sprechakten beitragen. Dazu kehren wir zurück zur theoretischen Grundlage der Sprechakttheorie. Searle (1969) unterscheidet konstitutive und regulative Regeln. Regulative Regeln regulieren ein bereits bestehendes Verhalten. Gelingensbedin gun gen <?page no="137"?> 137 4.2 Sprachhandlungsphänomene online Darunter fallen z. B. Manieren beim Essen oder im sozialen Miteinander oder die Regeln im Straßenverkehr. Ohne konstitutive Regeln hingegen würde es ein bestimmtes Verhalten gar nicht geben. Ein klassisches Beispiel hierfür sind Spielregeln. Eine Sportart oder ein Kartenspiel könnte ohne konstitutive Regeln nicht gespielt werden. Searle zufolge basiert auch sprachliches Handeln auf konstitutiven Regeln der Form: X gilt als Y im Kontext C. „Die semantische Struktur einer Sprache läßt sich als eine auf Konventionen beruhende Realisierung einer Serie von Gruppen zugrundeliegender konstitutiver Regeln begreifen; Sprechakte sind Akte, für die charakteristisch ist; daß sie dadurch vollzogen werden, daß in Übereinstimmung mit solchen Gruppen konstitutiver Regeln Ausdrücke geäußert werden.“ (Searle 1971: 59) Das bedeutet also, dass zwar die Konventionen, an die eine Äußerung beispielsweise in verschiedenen Sprachen gebunden ist, variieren können, die konstitutiven Regeln aber sprachenübergreifend gültig sind. So ist es unerheblich, ob jemand einen Glückwunsch als Ich gratuliere Dir oder Gefeliciteerd met oder in einer weiteren Sprache realisiert, die konstitutiven Regeln für einen Glückwunsch bleiben gleich. Für die verschiedenen Illokutionen lassen sich also Searle (1969) zufolge diese konstitutiven Regeln festhalten: • Normale Ein- und Ausgabe-Bedingungen beinhalten, dass Sprecher und Hörer überhaupt in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren. Sie verfügen über gemeinsames sprachliches Wissen, sind im vollen Besitz ihrer geistigen Kräfte und handeln aus freien Stücken. Die normalen Ein-und Ausgabe-Bedingungen gelten für jeden illokutionären Akt. • Regel des propositionalen Gehalts Mit der Äußerung muss der Sprecher einen Inhalt ausdrücken, der mit der Illokution vereinbar ist. So muss bei einem Befehl (um bei unserem Beispiel (4-10) zu bleiben) die dem Hörer anbefohlene Handlung in der Zukunft liegen, sie muss einen zukünftigen Akt A des Sprechers prädizieren. Entsprechend erfüllen Sprechakte wie ? Ich befehle oder ? Wowereit: Ich befehle, dass der Flughafen BER im letzten Jahr eröffnet wurde nicht die Regel des propositionalen Gehalts für den illokutionären Akt des Befehlens. • Einleitungsregel Diese Regel bezieht sich auf die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit ein spezifischer illokutionärer Akt eingeleitet werden kann. Einen Befehl kann ein Sprecher beispielsweise nur geben, wenn er sich gegenüber dem Hörer in einer in der sozialen Hierarchie übergeordneten Position befindet. Der Hörer muss in der Lage sein, das vom Sprecher Geforderte umzusetzen und auch der Sprecher muss glauben, dass der Hörer in der Lage ist, das Geforderte umzusetzen. Dabei ist es für den Sprecher und auch für den Hörer nicht offensichtlich, dass der Hörer das Geforderte bei normalem Verlauf der Dinge aus eigenem Antrieb umsetzen würde. <?page no="138"?> 4. Pragma-Internetlinguistik 138 Entsprechend erfüllen Sprechakte wie ? Angestellter zum Vorgesetzten: Lesen Sie sofort die E-Mails! oder ? Ein Feldwebel befiehlt seiner Einheit: Fliegen Sie den Saturn an! oder ? Ein Vorgesetzter befiehlt seinem Mitarbeiter: Schmecken Sie beim Essen nichts! nicht die Einleitungsregel für den illokutionären Akt des Befehlens. • Aufrichtigkeitsregel Mit dieser Regel wird erfasst, wie der Sprecher zum Vollzug bestimmter illokutionärer Akte steht. So muss er, wenn er etwas befiehlt, die Ausführung des zukünftigen Akts auch wirklich wollen. • Wesentliche Regel Mit dieser Regel wird festgelegt, wann mit einer Äußerung ein bestimmter illokutionärer Akt vollzogen wird. So gilt ein Befehl als Versuch, den Hörer dazu zu bringen, dass Geforderte deshalb umzusetzen, weil der Sprecher in einer dem Hörer übergeordneten Position ist. In Seminaren hat sich oftmals gezeigt, dass es Studierenden schwer fällt, die wesentliche Regel für spezifische illokutionäre Regeln zu bestimmen, während die Regel des propositionalen Gehalts und die Einleitungsregeln weniger Schwierigkeiten bereiten. Wir führen daher an dieser Stelle Beispiele für die wesentliche Regel der Illokutionen auffordern, versprechen und beglückwünschen auf: auffordern gilt als Versuch den Hörer dazu zu bringen, etwas zu tun; versprechen gilt als Übernahme einer Verpflichtung, etwas zu tun; beglückwünschen gilt als Ausdruck der Freude und Achtung gegen über dem Hörer. Aufgabe 4-3 Überlegen Sie nun, inwiefern diese Regeln auch auf einen Befehl in einer MUD-Umgebung zutreffen. 4.2.3 Virtuell wird zu real - (sprachlich) Freunde finden Wir haben am oben zitierten Chat-Ausschnitt und an dem Beispiel aus der MUD-Umgebung gesehen, wie sprachliche Beschreibungen virtuelle Handlungen initiieren und Veränderungen in der virtuellen Welt bewirken können. Anhand der Facebook-Freundesliste wollen wir uns nun verdeutlichen, dass sprachliche Handlungen, die online getätigt werden, auch Auswirkungen auf die reale Welt haben können. Lesen Sie bitte einleitend den folgenden Forumsbeitrag (4-11): (4-11) ich habe meinen jetzigen freund auch über Facebook kennengelernt! er hatte mich einfach so hinzugefügt, darauf hatte ich ihn angeschrieben, ob man sich denn kennt und so sind wir dann ins gespräch gekommen... dann halt getroffen und wie‘s dann halt so weitergeht Hihi Soziale Netzwerke - <?page no="139"?> 139 4.2 Sprachhandlungsphänomene online liebe grüße (sharry994, gofeminin, 2011-03-24, 19: 52) Der kleine Erfahrungsbericht von sharry994 ist nur ein Beispiel von vielen, das zeigt, dass Handlungen, die virtuell - im Rahmen einer Sozialen- Netzwerk-Seite - vorgenommen werden, zu Veränderungen im realen sozialen Raum führen können. Es ist nun zu überlegen, inwieweit es sich bei diesen Handlungen, die an vorgegebene Funktionen gebunden sind, um Sprechakte handelt. Zunächst einmal kann ein neuer Freund einer Freundesliste nicht einfach hinzugefügt werden (hier ist die obige Beschreibung (4-11) etwas zu kurz gefasst). Ein Facebook-Nutzer, der seiner Freundesliste eine neue Person hinzufügen will, sendet eine Freundschaftsanfrage. Darüber kann die betreffende Person abhängig von ihren Facebook-Einstellungen z. B. per E-Mail informiert werden, sie kann die Freundschaftsanfrage aber auch auf der Startseite sehen, z. B. kann unter der Rubrik „Freunde finden“ eingesehen werden, wer die Freundschaftsanfrage gestellt hat. Nun bedarf es einer aktiven Annahme dieser Freundschaftsanfrage, der Facebook-Nutzer hat nämlich die Wahl zwischen „Bestätigen“ und „nicht jetzt“. Mit der Bestätigung erhält er als neuer „Freund“ sofort Zugang zur Profilseite des Anfragenden (sofern dieser seine Privatsphäre-Einstellungen so beschränkt hat, dass nur Freunde die Inhalte seiner Seite sehen können, anderenfalls hätte er ohnehin Zugriff) und gehört zum virtuellen Freundeskreis desjenigen, der die Anfrage gestellt hat. Wird eine Anfrage abgelehnt, erhält der Anfragende keine Mitteilung. Wenn er die Seite der Person aufruft, die seine Freundschaftsanfrage abgelehnt hat, kann er allein daran, dass er wieder die Option hat, eine Freundschaftsanfrage zu senden, ablesen, dass die erste Freundschaftsanfrage abgelehnt worden ist. Betrachten wir nun die sprachlichen Komponenten Freundschaftsanfrage versenden und Bestätigen genauer. Beide sprachlichen Wendungen sind sehr verkürzt und lassen sich in etwa mit Ich möchte Dich in meine Freundesliste aufnehmen. Bist Du einverstanden? und Ja, ich möchte in Deine Freundesliste aufgenommen werden paraphrasieren. Dass es sich hierbei um expressive Sprechakte handelt, ist deutlich. Gleichzeitig enthält Freundschaftsanfrage versenden eine direktive Komponente, denn die Frage birgt natürlich die Aufforderung, auch zu antworten. Mit der Antwort Bestätigen werden nicht nur zugrundeliegende Datenstrukturen verändert (die beispielsweise den Zugang zu persönlichen Daten des Anfragenden gewähren), sondern - wenn die Anfrage von einem Fremden kam, wie im Beispiel (4-11) geschildert, auch soziale Beziehungen, wenn auch in einem ersten Schritt nur virtuell. Der Sprechakt Bestätigen enthält also auch eine deklarative Komponente. <?page no="140"?> 4. Pragma-Internetlinguistik 140 Aufgabe 4-4 Nachdem das Web 2.0 seit einigen Jahren etabliert ist, verspüren mehrere Nutzer den Impuls, ihre Freundeslisten aufzuräumen, d. h. Kontakte zu löschen. Diskutieren Sie, unter welchen Bedingungen ein solcher Vorgang auch unter sprechakttheoretischen Aspekten interessant ist. Beziehen Sie das folgende Beispiel, einen Ausschnitt aus dem Forum der Seite chefkoch.de (2011-11-01) in Ihre Überlegungen ein. Zilles (19: 42): Hallo Ihr Lieben! Ringe nun schon so lange damit, in meiner Freundesliste mal aufzuräumen und habe es bisher nur noch nicht gewagt, dies meinen noch gespeicherten Freunden mitzuteilen. Durch diesen Thread habe ich aber Mut bekommen und mir ein Herz gefasst und hoffe auch auf Verständnis von der nun von mir „gelöschten Freunden“. Bin ja nicht aus der Welt und wer mit mir persönlich schnacken will, schreibt mir einfach eine KM! Oder Ihr bekommt von mir ein Lebenszeichen! (Warnung) Hoffentlich trete ich jetzt nicht ins Fettnäpfchen mit meiner Entscheidung! Liebe Grüße Mary Vanillestern (19: 46): Da nimmt sich jemand mächtig wichtig. Miguan (20: 07): „Ich bin hier draußen. K*tz.“ Prima..... Sabine-HH (20: 13): Ähm Zilles, man hätte die ganze Aktion auch stillschweigend durchziehen bzw. den gelöschten Usern vorher mitteilen können, warum man sie löscht. Aber diese öffentliche Ankündigung, dass Du jetzt eine Auswahl getroffen hast, hat einen Beigeschmack, den nicht jeder nachvollziehen kann bzw. Spekulationen über die Intention (s.o.) provoziert. Gruß Sabine Clabauer (20: 13): und wer nie auf der Liste stand, und sich trotzdem sauwohl gefühlt hat, entgeht jetzt einem ruhmreichen Rausschmiss. Schade, DAS hätte ich gern erlebt man kann nicht alles haben seufz Chefkochmampfi (20: 13): Hallo zusammen, es ist schon krass wenn, man sieht wie Freds vor 4 Jahren hier noch abliefen .... und heute zum praktisch gleichen Thema... warum muss gleich scharf geschoßen werden? Und kann die Info nicht einfach akzeptieren? Hubert50 (20: 17): Den Thread hätte man anders formulieren müssen: Mein lieber Freund, Du hast sicher noch nicht gemerkt, dass ich Dich von meiner Freundesliste gestrichen habe. Aber damit Du weißt, dass Du mich mal kannst, habe ich einen Thread in der PE aufgemacht. So, und jetzt weißt Du es. Acedela (20: 30): Ich stand nie auf dieser Freundesliste und bin deshalb jetzt tief gekränkt Forumsdiskussion <?page no="141"?> 141 4.2 Sprachhandlungsphänomene online Zilles (22: 10): Hallo! Da war wohl mein Thread um Verständnis zur Reduzierung meiner Freundesliste ein Tritt ins Fettnäpfchen. Sorry! Das ich Eurer Meinung nach nicht die richtigen Worte gefunden habe. Aber wer mich hier schon seit Jahren kennt, weiss, dass ich niemanden kränken wollte. Freundschaft bedeutet für mich eben nicht nur sehen zu können, wenn jemand nur eingeloggt ist. Vielen Dank, Chefkochmampfi Liebe Grüße Mary Wie oben erwähnt, ist eine explizit abgelehnte Freundschaftsanfrage nicht mit einer Mitteilung an den Anfragenden verbunden. Allerdings darf auch gefragt werden, als wie adäquat jemand, der partout nicht in den virtuellen Freundeskreis der anfragenden Person aufgenommen werden will, eine Option wie „nicht jetzt“ erachtet. Letztlich muss er diese wählen, kann aber damit nicht ausschließen, dass die Anfrage möglicherweise wieder gestellt wird. Er kann also gemäß der ihm angebotenen Option die Anfrage nur „vorläufig“ ablehnen. Weil es aber keine andere (eine endgültige) Möglichkeit gibt, wählt er diese. Uneindeutig dabei bleibt, ob er möglicherweise noch einmal darüber nachdenkt oder ob der Entschluss, keine virtuelle Freundschaft mit der Person eingehen zu wollen, feststeht. Der Anfragende hat aufgrund der erneuten (technischen) Möglichkeit, eine Freundschaftsanfrage zu versenden, eine Schlussfolgerung zu ziehen. Die Meldung „Freundschaftsanfrage versendet“ wurde durch „Freundschaftsanfrage senden“ ersetzt, d. h. die angefragte Person hat die Anfrage gelesen, aber nicht angenommen. Obwohl dem Anfragenden diese Botschaft nicht direkt mitgeteilt wird, kann er die Bedeutung von „Freundschaftsansage senden“ erschließen. Dazu benutzt er u. a. sein Wissen über Freundschaftsanfrageprozesse bei Facebook. Dieses Wissen gehört zum Kontext der Kommunikation. Ein Höflichkeitselement, das die Absage in eine neue Option umwandelt, ist also sprichwörtlich vorprogrammiert. Paraphrasiert würde das also bedeuten, dass der Sprechakt Ich möchte nicht zu Deinem Freundeskreis gehören in Sende mir eine Freundschaftsanfrage umgewandelt wird. Für den Anfragenden ergäbe das keinen Sinn. Ein Schlussfolgerungsprozess führt dann zwar zu dem gleichen Schluss, wie bei der Rezeption eines Satzes wie Ich lehne Deine Freundschaftsanfrage ab, die Gefühle des Anfragenden werden aber mehr geschont. Wir haben es hier mit einem technologisch automatisierten indirekten Sprechakt zu tun. Indirekte Sprechakte vermitteln Bedeutungen, die über das wortwörtlich Gesagte hinausgehen. Während ein direkter Sprechakt eine Übereinstimmung von Form und Funktion aufweist (also der Sprecher sagt das, was er meint), gibt es diese Übereinstimmung bei indirekten Sprechakten nicht (also der Sprecher sagt etwas, meint aber etwas anderes). „Funktion“ bezieht sich hier auf die Illokution des Sprechaktes. Searle (1982) unterscheidet für indirekte Sprechakte zwei Illokutionen: die primäre Illokution (das Gemeinte) und die sekundäre Illokution (das Gesagte). Indirekte Sprechakte <?page no="142"?> 4. Pragma-Internetlinguistik 142 Aufgabe 4-5 Indirekte Sprechakte sind kein Sonderfall der Kommunikation, sie treten sehr häufig auf. Überlegen Sie, wer in welcher Situation und mit welcher Motivation Informationen gern indirekt vermittelt. Betrachten wir dazu als Beispiel die Facebook-Statusmeldung in (4-12). Auf den ersten Blick handelt es sich hier um einen repräsentativen (assertiven) Sprechakt, nämlich die Feststellung, dass sich A und B an einem spezifischen Ort befinden. Wie die Reaktion von C allerdings zeigt, wird diese Feststellung nahezu automatisch umgedeutet. C versteht die Statusmeldung als Aufforderung (oder Einladung), doch auch zu dem angegebenen Ort zu kommen und sich dazu zu gesellen, C arbeitet damit interpretativ den direktiven Sprechakt als primäre Illokution heraus. Die Feststellung ist also (nur) die sekundäre Illokution. (4-12) A ist mit B hier: Kaffee Mitte Gefällt mir_Kommentieren_vor etwa einer Stunde hier: [Ortsname] C: Da kommen wir doch mal hingeradelt vor etwa einer Stunde via Handy_Gefällt mir (dek, Facebook, 2013-05-11 ) 4.3 Spurensuche in der Postingflut Oben beschriebene indirekte Sprechakte sind ein alltägliches Phänomen, wenn Menschen miteinander kommunizieren. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sie auch für das Forschungsgebiet der Internetlinguistik und spezifischer: der Pragma-Internetlinguistik von Belang sind. Im folgenden Abschnitt wollen wir nun darauf eingehen, wie Äußerungen, die vom Produzenten (P) durch eine Art Spiel mit Illokutionen (siehe oben) maskiert wurden, vom Rezipienten (R) demaskiert werden. Das ist schließlich die Aufgabe des Hörers/ Lesers auf seiner Spurensuche zum vollständigen Sinn einer Äußerung. 4.3.1. Verschlüsseltes Gemeintes, verschlüsseltes Relevantes Wie Schwarz-Friesel (2010: 12) schreibt, gehört es zu den „erstaunlichsten Fähigkeiten des menschlichen Geistes, aus einer sprachlichen Äußerung, die […] einen bestimmten Inhalt vermittelt, aber tatsächlich etwas ganz Anderes meint bzw. vermitteln will, dieses tatsächlich Gemeinte blitzschnell und ohne kognitive Anstrengung zu erschließen.“ C schließt hier „blitzschnell“, dass es sich bei der Statusmeldung um eine Aufforderung (oder Einladung) handeln muss. Dieser Schlussfolgerungsprozess lässt sich mit der Theorie der konversationalen (auch: konversationelle) Implikaturen von Grice (1975, 1989) sehr gut beschreiben. Konversationale/ konversationelle Implikaturen (4-12) <?page no="143"?> 143 4.3 Spurensuche in der Postingflut Paul Grice (*1913, †1988) war ein englischer Philosoph, der mit der Unterscheidung zwischen wörtlicher und gemeinter Bedeutung entscheidend zur Ausdifferenzierung semantischer und pragmatischer Theorien beigetragen hat. Während Searle zusätzliche, kontextgebundene Bedeutungen aus der Sicht des Sprechers betrachtet, erklärt Grice den Verstehensprozess und nimmt damit die Perspektive des Hörers ein. Ein weiterer Unterschied zwischen den Ansätzen von Searle und Grice besteht darin, dass Grice zusätzliche Bedeutungen nicht nur auf illokutionärer Ebene erfasst. Über konversationale (auch: pragmatische) Implikaturen lassen sich z. B. auch Bedeutungserweiterungen auf propositionaler Ebene erfassen. „Eine konversationale Implikatur ist ein nicht explizit genannter, aber in einer bestimmten Situation potentiell zu erschließender Sinn der Äußerung.“ Schwarz-Friesel ( 2 2013: 24 mit Bezug auf die Gricesche Theorie) Der Identifikationsprozess für konversationale Implikaturen involviert die folgenden Daten: • die konventionale (also wörtliche) Bedeutung der verwendeten Wörter (im Folgenden „Punkt 1“); • das Kooperationsprinzip und die Konversationsmaximen (im Folgenden „Punkt 2“); • den Ko- und Kontext einer Äußerung (im Folgenden „Punkt 3“); • anderes Hintergrundwissen (im Folgenden „Punkt 4“); • die Annahme, dass alles für das Verständnis der Implikatur Relevante beiden Kommunikationspartnern verfügbar ist (Grice 1975) (im Folgenden „Punkt 5“). Wir werden uns nun die ersten drei Punkte genauer anschauen, Punkt 4 fließt in die Überlegungen zu Punkt 3 ein, Punkt 5 wird in den Ausführungen zu Punkt 2 berücksichtigt. Dass die zusätzliche Bedeutung einer Äußerung nicht rekonstruiert werden kann, wenn die Grundbedeutung/ die Ausdrucksbedeutung nicht erfasst worden ist, setzen wir hier als leicht nachvollziehbar voraus. Schauen wir uns an dieser Stelle den Unterschied zwischen konversationalen und konventionalen Implikaturen an. Konventionale Implikaturen sind an die wörtliche Bedeutung gebunden, sie lassen sich nicht zurücknehmen (oder auch „streichen“ oder annulieren). Bei (4-13) handelt es sich um eine Äußerung der Bundeskanzlerin, Angela Merkel, bei einer gemeinsamen Pressekonferenz anlässlich des Besuchs des amerikanischen Präsidenten, Barack Obama. Innerhalb weniger Minuten löste sie damit eine Flut an Tweets (#Neuland), einen sogenannten shitstorm, aus, die Äußerung avancierte zum Meme-Motiv. Punkt 1: Konventionale Bedeutung Ein Internet-Meme ist die humoristische/ sarkastische Reaktion der Internetgemeinde auf ein (mediales) Ereignis. <?page no="144"?> 4. Pragma-Internetlinguistik 144 (4-13) Das Internet ist für uns alle Neuland. Mögliche Implikaturen aus dieser Äußerung sind. a) Das Internet ist ein rechtsfreier Raum. (siehe Tweet von Regierungssprecher Steffen Seibert: Neuland-Diskussion: Worum es der Kanzlerin geht - Das Internet ist rechtspolitisches Neuland, das spüren wir im polit. Handeln täglich. Steffen Seibert @RegSprecher, Twitter, 2013-06-19, 8: 39) b) Die Überwachungsmaßnahmen durch die amerikanischen Geheimdienste sind gerechtfertigt. c) Das Internet ist für jeden unerforschtes Gebiet. d) Es gibt ein Internet. Dabei lassen sich die Implikaturen d) und e) aus der Bedeutung des Satzes ableiten. Würde man versuchen, diese Bedeutungen zu streichen, entstände ein logischer Widerspruch: ? ? Das Internet ist für uns alle Neuland, aber damit will ich nicht sagen, dass es für jeden unerforschtes Gebiet ist./ ? ? Das Internet ist für uns alle Neuland, aber es gibt gar kein Internet. Die Implikaturen a) und b) hingegen müssen durch einen aktiven Rekonstruktionsprozess erschlossen werden, sie sind streichbar (auch: annulierbar): 4.3.2 Gricesche Maximen als Dekodierungshilfe Wenden wir uns nun der theoretischen Grundlage für den oben benannten und inzwischen bereits mehrfach erwähnten Rekonstruktionsbzw. Schlussfolgerungsprozess zur Identifikation von konversationalen Implikaturen zu, dem Kooperationsprinzip und den Konversationsmaximen. Das Kooperationsprinzip und die Maximen der Quantität, Qualität, Relevanz und Modalität sind nicht normativ zu verstehen, d. h. sie sind keine Regeln, die für die zwischenmenschliche Kommunikation vorgeschrieben sind. Vielmehr erfüllt die Beachtung dieser Maximen die ganz normale Erwartungshaltung in einer Kommunikationssituation. Wenn wir mit jemandem kommunizieren, halten wir uns unwillkürlich daran, weil wir verstanden werden wollen und auch selbst verstehen wollen, wir wollen uns verständigen. Ausnahmefälle sind z. B. Lügen, die nicht als solche enttarnt werden sollen. Jede angenommene Verletzung dieser Maximen deutet darauf hin, dass eine Äußerung uminterpretiert werden muss und die Identifizierung einer konversationalen Implikatur erwünscht ist. Stellt der Rezipient also fest, dass der Produzent einer Äußerung in einem dieser Punkte von den Prinzipien abweicht, geht er davon aus, dass er etwas anderes verstehen soll als ihm expressis verbis vermittelt wurde. Punkt 2 <?page no="145"?> 145 4.3 Spurensuche in der Postingflut Kooperationsprinzip Der Beitrag zur Konversation soll genau so gestaltet sein, wie es an dem Punkt in der Konversation, an dem er erfolgt, erforderlich ist. Was erforderlich ist, wird durch den Zweck oder die Richtung des Gesprächs, das gerade geführt wird, bestimmt. Maximen der Quantität 1. Der Gesprächsbeitrag sollte so informativ sein, wie es der gegenwärtige Konversationszweck verlangt. 2. Der Gesprächsbeitrag sollte nicht informativer sein, als es der gegenwärtige Konversationszweck verlangt. Maximen der Qualität Ein Gesprächsbeitrag sollte wahr sein. 1. Sage nichts, was Du für falsch hältst. 2. Sage nichts, was Du nicht beweisen oder adäquat begründen kannst. Maxime der Relevanz Sei relevant. Maximen der Modalität Drücke Dich klar aus. 1. Vermeide eine obskure (verschleiernde) Ausdrucksweise. 2. Vermeide Doppeldeutigkeit. 3. Fasse Dich kurz, vermeide unnötige Weitschweifigkeit. 4. Erzähle die Dinge in der richtigen Reihenfolge. Kehren wir zurück zu Beispiel (4-12) und vollziehen die einzelnen Schritte, die zur Identifikation der konversationalen Implikatur durch Freund C führen, einmal en détail nach. Statusmeldung von A auf Facebook: „A und B sind hier: Kaffee Mitte“ Schritt 1: Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass A sich unkooperativ verhält oder die Konversationsmaximen verletzen will. Schritt 2: Anscheinend hat A mit der Statusmeldung die Maxime der Relevanz verletzt. Warum sollte es für 318 Freunde einer Freundesliste wichtig sein, wo A sich gerade mit B befindet? Schritt 3: Anscheinend hat A mit der Statusmeldung die Maxime der Quantität verletzt. A macht lediglich eine Aussage (repräsentativer/ assertiver Sprechakt) über den Aufenthaltsort von A und B und sagt damit möglicherweise zu wenig. Schritt 4: Anscheinend hat A mit der Statusmeldung auch die Maxime der Modalität verletzt, denn A formuliert den Zweck der Statusmeldung nicht klar und deutlich. Schritt 5: C und auch einige andere Freunde (auf der Freundesliste) treffen sich gelegentlich im „Kaffee Mitte“. Das Café ist nicht weit von Cs Wohnort entfernt. A weiß, dass C und auch einige andere Freunde (auf der Freundesliste) wissen, <?page no="146"?> 4. Pragma-Internetlinguistik 146 dass das „Kaffee Mitte“ gemeinsamer Treffpunkt ist und dass es vom Wohnort einiger Freunde nicht weit entfernt ist. Schritt 6: C weiß, dass A das weiß. C geht davon aus, dass A das Kooperationsprinzip einhält. Die Statusmeldung wird für C relevant, wenn C davon ausgeht, dass A mehr sagen will als expressis verbis formuliert, nämlich Wer Zeit hat, darf sich zu uns gesellen/ Wir würden Euch gern hier treffen o. ä. Schritt 7: A weiß, dass C und andere Freunde (auf der Freundesliste) diese konversationale Implikatur herausarbeiten können und hindert niemanden daran, indem A beispielsweise die Implikatur durch eine Erweiterung der Statusmeldung wie Das heißt aber nicht, dass Ihr jetzt alle hier aufschlagen sollt streicht. Schritt 8: Also nimmt C an, dass A implikatieren wollte, dass A (und auch B) C (und andere) einladen (direktiver Sprechakt), sich zu ihnen zu gesellen. Aufgabe 4-6 Wie aber interpretiert jemand (J) diese Statusmeldung, der zwar auch auf der Freundesliste von A steht, aber weder wie C in der Nähe des Cafés wohnt , noch oft die Gelegenheit hat, sich mit A offline zu treffen? Gehen wir davon aus, dass J A seit über zwei Jahren nicht gesehen hat. Wie würde J die Statusmeldung interpretieren? 4.3.3 Emotionale Chiffren: E-Implikaturen Für J erscheint die Statusmeldung ebenfalls zunächst irrelevant. Auch in seiner Auffassung scheinen die Maxime der Quantität und der Modalität verletzt. Schließlich kennt er das „Kaffee Mitte“ nicht. J hat jedoch keinen Grund anzunehmen, dass A das Kooperationsprinzip nicht einhält und sieht daher die Relevanz der Statusmeldung darin, dass A J trotz der räumlichen Entfernung und der langen Zeit, die sich beide nicht offline gesehen haben, am Leben teilhaben lassen und den Kontakt aufrecht erhalten will. J interpretiert die assertive Statusmeldung also als expressiven Sprechakt, indem er eine sogenannte E-Implikatur zieht: ICH WILL MICH MIT DIR VERBUNDEN FÜHLEN. Diese wurden von Schwarz-Friesel (2010) in Abgrenzung zu I-Implikaturen (die sich aus der primären Illokution einer Äußerung ergeben) in die sprachwissenschaftliche Forschungsdiskussion eingebracht. E-Implikaturen sind emotionsbasierte Implikaturen, sie beziehen sich auf die emotionale Verfassung des Produzenten. Ein Rezipient zieht eine E-Implikatur um eine gemeinte expressive Bedeutung (die emotionale Einstellung des Produzenten zum Referenzbereich oder zum Hörer) zu erschließen (Schwarz-Friesel 2010: 18 f., Schwarz-Friesel 2 2013: 187 f.). Sprachliche Mittel, die zur Vermittlung emotionaler Bewertungen eingesetzt werden, sind beispielsweise Interjektionen (oh, ach, ih), affektive Adjektive (wütend, todtraurig, glücklich), Nomen (Neid, Glück, Trauer), Adverbien oder <?page no="147"?> 147 4.3 Spurensuche in der Postingflut Verben (lieben, trauern, freuen), Modalpartikel (leider, glücklicherweise) oder spezifische grammatische Konstruktionen, wie Optativsätze und Exklamativsätze (siehe Schwarz-Friesel 2007 und 2 2013). In der internetvermittelten Kommunikation gibt es weitere Indikatoren, die Rückschlüsse auf expressive Bedeutungen erlauben, z. B. Majuskeln in (4- 14) oder Graphemwiederholungen in (4-15), die den auf sprachlicher Ebene realisierten ÄRGER und die WUT auf typographischer Ebene und durch eine verfremdete Orthographie verstärken. Abgesehen davon werden Emotionen - wie oben gezeigt - in Inflektivkonstruktionen oder durch die Referenz auf die metasprachliche Ebene direkt thematisiert. (4-14) KRIEGT EUCH EIN, fühlt ihr euch stark weil ihr über andere IM INTERNET ABLÄSTERT? ? ? ihr seid einfach zu feige einer person ehrlich und direkt gegenüber zu treten! ! Ich kenne ihn nicht und ich kenne euch nicht aber eure intelligenz reicht nicht mal an die eines melonenkerns. (Isharegossip, 2011-03-29, 19: 18: 27) (4-15) ihr stinkt alleeeeeeeeeeeee hahahahahahahah ! ! ! ! (Isharegossip, 2011-03-29, 17: 11: 26) Besonders häufig wird auf Emoticons zurückgegriffen, um expressive Bedeutungen auszudrücken. Emoticons (das Lexem setzt sich zusammen aus emotion und icon; auch: Ideogramme oder Smileys, siehe Rosenbaum 1996) bilden verschiedene Gesichtsausdrücke (; o); : -D; : o( ) oder andere Symbole, wie Herzen (<3) oder Rosen (@>--- ), nach, indem Interpunktionszeichen auf eine spezifische Art und Weise angeordnet werden. Dass Emoticons um 90° gedreht gelesen werden müssen, spielt allenfalls noch in der E-Mail- Kommunikation eine Rolle, weil bestimmte Tastenkombinationen in vielen Umgebungen eine automatische Repräsentation als Piktogramm bewirken. So werden z. B. sogar in einfachen Textprogrammen die Kombination aus ‚: ‘+‘-‘+‘)‘ zu einem lachenden  oder ‚: ‘+‘-‘+‘(‘ zu einem weinenden  . Für Facebook beispielsweise gibt es etwa dreißig verschiedene Tastenkombinationen, um Emoticons als Piktogramme darzustellen (http: / / www. tilo-hensel.de). In der Mehrzahl sind diese den Handlungen oder konkreten Referenten, auf die Bezug genommen werden soll, so ähnlich, dass es Rezipienten in der Regel keine Schwierigkeiten mehr bereitet, ihre Bedeutung zu erfassen. Mit den im ostasiatischen Raum entstandenen Animotikons können gar komplexe Handlungen, wie weinen oder vor Freude hüpfen, dargestellt werden (siehe Trautsch/ Wu 2012: 56). Somit erübrigt sich auch die lang verbreitete Annahme, dass nur, wer die „paraphrastischen Äquivalente“ dieser Zeichenkombinationen beherrscht, an der Internetkommunikation teilhaben könne. Beißwenger (2000: 98) merkt allerdings an, dass sich die Zahl der tatsächlich verwendeten Emoticons auf ungefähr zehn einpendelt. Mit Optativsätzen werden Wünsche ausgedrückt. <?page no="148"?> 4. Pragma-Internetlinguistik 148 Aufgabe 4-7 Welche kommunikative Absicht verbinden Sie mit welchem Emoticon? Erstellen Sie eine Liste. Emoticons können verschiedene für die Bedeutung einer sprachlichen Äußerung relevante Funktionen haben, wie z. B.: Spezifizierung, Hervorhebung, Abschwächung (auch: Relativierung) auf propositionaler aber auch auf emotionaler Ebene. Ziehen wir zur Verdeutlichung einige Beispiele heran. (4-16) Martin hat mir heute eine Blume geschenkt. Da der Produzent der elektronischen Äußerung davon ausgehen kann, dass der Rezipient weiß, wie eine Blume aussieht, scheint er durch das Hinzufügen eines Piktogramms die Maxime der Quantität zu verletzen. P gibt scheinbar ein Zuviel an Informationen. R geht aber von der prinzipiellen Kooperationsbereitschaft von P aus, davon also, dass er das Kooperationsprinzip einhält. Er stellt fest, dass über das Piktogramm, das hier eine Rose zeigt, eine semantische Spezifizierung des Lexems Blume vorgenommen wird (Blume steht in einer übergeordneten semantischen Relation zu Rose, Blume ist also das Hyperonym von Rose, siehe Schwarz-Chur 5 2007). Er aktiviert nun die konzeptuellen Kenntnisse, die er mit dem Lexem Rose verknüpft, insbesondere, dass die Rose als Zeichen, als Symbol für die Liebe fungiert. Dieses Wissen führt ihn dazu, Rückschlüsse über die emotionale Verfassung von P zu ziehen, wenn R weiß, welche Einstellung P zu Martin hat. Abhängig davon, ob P in einer positiven oder negativen Beziehung zu Martin steht, zieht R die E-Implikatur, dass P glücklich (verliebt) oder peinlich berührt bis genervt ist. In jedem Fall wird der spezifischen Art der Blume durch die nachträgliche Spezifizierung über ein aus dem Schriftbild deutlich herausragendes Emoticon eine besondere Bedeutung beigemessen. Es wird zudem ein kleiner Spannungsbogen aufgebaut. Emoticons werden auch benutzt, um bereits versprachlichte Elemente oder Propositionen einer Äußerung schlicht hervorzuheben (4-17) und, wie in (4-18), eine emotionale Verfassung, die hier durch mies schon negativ evaluiert wird, zu bekräftigen. (4-17) Martin hat mir heute eine Rose geschenkt. (4-18) Ich hatte heute einen miesen Tag. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass ökonomische Aspekte beim Einsatz von Emoticons auch vorrangig sein können. So wird in (4-19) die Proposition (sein, am Computer), die ebenso versprachlicht werden könnte, durch ein Emoticon substituiert. Gleichfalls präsentiert sich der Produzent hier als besonders originell. <?page no="149"?> 149 4.3 Spurensuche in der Postingflut (4-19) nachher: Interessanterweise werden Emoticons aber auch eingesetzt, um den Wahrheitsgehalt einer Proposition umzukehren (4-20) oder eine Aussage (4-21) abzuschwächen. Die Äußerung in (4-20) erhält durch den Einsatz eines traurigen Smileys eine sarkastische Komponente. Das Lexem Super-Tag in Verbindung mit einem Ausrufungszeichen löst zunächst eine positive Stimmung beim Rezipienten aus, die durch das Emoticon jäh ins Gegenteil verkehrt wird und damit Produzent und Rezipient auf eine gemeinsame negative Stimmungsebene manövriert. Hätte P beispielsweise geschrieben Ich hatte heute einen schlechten Tag wäre R in der Rezeptionssituation nicht eine emotionale Schleife durchlaufen. Eine emphatische Reaktion wäre sicherlich ebenfalls garantiert gewesen (natürlich immer abhängig davon, in welcher Beziehung P und R stehen), aber der Gefühlsumschwung, der das negative Gefühl nun potenziert, wäre ausgeblieben. (4-20) Das war heute ein Super-Tag! (4-21) Ich warne Dich, wenn Du mir morgen die Legofiguren nicht mitbringst, verlange ich Leihgebühren. Die explizit-performative Warnung (Ich warne Dich) in (4-21) wird durch ein zwinkerndes Smiley graduell zurückgenommen. Wir sprechen hier von „graduell“, weil das nicht heißt, dass P die Rückforderung der Legofiguren zurücknimmt. Die Konsequenz, mit der R zu rechnen hat, wenn er der Aufforderung, die Legofiguren am auf den Äußerungszeitpunkt folgenden Tag zurückzugeben, nicht nachkommt, ist allerdings nicht ganz ernst gemeint. P ist gar nicht in der Position Leihgebühren zu verlangen, die Einleitungsbedingen für die Warnung/ Drohung sind gar nicht erfüllt. Es gibt keine gesetzliche Grundlage und auch keine vertraglichen Vereinbarungen zwischen P und R zur Nutzungsdauer der Legofiguren, durch die in Aussicht gestellte Forderung von Leihgebühren scheint die Maxime der Qualität verletzt. Der zwinkernde Smiley kann hier als Bestätigung dafür gesehen werden, dass P sich sehr wohl darüber bewusst ist. Dennoch besteht eine gewisse Dringlichkeit, die sich daraus ergibt, dass P überhaupt eine Konsequenz versprachlicht hat und damit ein Zuviel an Informationen gibt (scheinbare Verletzung der Maxime der Quantität). Entsprechend können Emoticons in der internetvermittelten Kommunikation also auch in der Funktion von Emotionsregulatoren eingesetzt werden. Sie dienen dazu, schriftlich fixierten Mitteilungen die Schärfe zu nehmen. Diese werden nämlich allein dadurch, dass sie schriftlich fixiert werden, nach wie vor anders wahrgenommen als mündliche Mitteilungen (vgl. zu den Spezifika von Mündlichkeit und Schriftlichkeit Kapitel 3.2.3). Um das bisher Gesagte zum Thema Implikaturen noch einmal zu rekapitulieren, eignet sich ein sarkastischer Sprechakt, der hier analog zu dem von Sarkasmus <?page no="150"?> 4. Pragma-Internetlinguistik 150 Schwarz-Friesel (2010: 22 f.) vorgestellten Rekonstruktionsprozess eines ironischen Sprechakts analysiert und dann auf die Webumgebung übertragen werden soll. Ein Facebook-Nutzer teilt einen Link, der auf einen Artikel mit der Überschrift „Soja gibt es bald nur noch in gentechnisch manipulierter Form“ (erschienen auf www.deutsche-wirtschafts-nachrichten.de) verweist, und kommentiert diesen mit (4-22): (4-22) Supi! Party on - Diversität sucks! (ctp, Facebook, 2013-05-22) und meint damit das Gegenteil: DAS IST NICHT „SUPI“, KEINE „PARTY ON“, „DIVERSITÄT SUCKS“ NICHT. Damit liegt ein scheinbarer Verstoß gegen die Maxime der Qualität vor, der so offensichtlich ist, dass er vom Rezipienten leicht enttarnt werden kann. Der Produzent simuliert also seine Unaufrichtigkeit nur und wählt damit einen eher umständlichen Weg Kritik daran zu üben, dass Gentechnik im brasilianischen Soja-Anbau einen immer größeren Stellenwert einnimmt. Wie ist zu erklären, dass er eine völlig nachvollziehbare Kritik derart verklausuliert noch dazu in einer WWW-Umgebung, in der offene, ja sogar auch rüde (siehe dazu 4.5.3) Umgangsformen nicht ungewöhnlich sind? Der Grund dafür ist auf der Beziehungsebene zu suchen. Dabei geht es hier nicht um die Beziehung zwischen P und denjenigen, die die zunehmende Gentechnik im brasilianischen Soja-Anbau zu verantworten haben. Es geht auch nicht um die Beziehung zwischen P und den Journalisten von www.deutsche -wirtschafts-nachrichten.de, sondern um die Beziehung zwischen P und den Personen, die in Ps Freundesliste eingetragen sind und/ oder Zugriff auf von P geteilte Links haben. Diese Personen ziehen zwei Implikaturen, zum einen, dass mit dem Kommentar K (4-22) tatsächlich Nicht-K (also das ganze Gegenteil von K) gemeint ist, das betrifft die Maxime der Qualität. Damit ist der kommunikative Sinn der Äußerung noch nicht erschlossen. Selbst wenn P das Gemeinte explizit kommentiert hätte DAS IST NICHT „SUPI“, KEINE „PARTY ON“, „DIVERSITÄT SUCKS“ NICHT wäre das ein scheinbarer Verstoß gegen die Maxime der Relevanz, denn - so fragen wir uns bei vielen Statusmeldungen - warum und für wen ist eine solche Statusmeldung zum Zeitpunkt der Beitragsveröffentlichung relevant? Der Kreis potenzieller Rezipienten ist mindestens so groß, wie die Freundesliste. Darunter sind möglicherweise einige, die bereits über einen längeren Zeitraum in der Gen-Soja-Debatte mitdiskutieren. Für sie mag der Beitrag relevant sein. Bei allen anderen würde wiederum ein (zweiter) Implikaturen-Rekonstruktionsprozess ausgelöst. Der kommunikative Sinn des Kommentars lässt sich wie folgt umschreiben WACHT AUF! oder PROTESTIERT EBENFALLS! (jeweils Direktiv) oder ES GIBT EIN ERNSTHAFTES PROBLEM IM SOJA- ANBAU (Assertiv). Dieser kommunikative Sinn enthält sowohl kognitive als auch expressive Informationen. P ruft zum Protest auf, gleichzeitig tut er seine emotionale Einstellung zur Sache qua E-Implikatur (ICH BIN WÜTEND/ BESORGT/ AUFGE- <?page no="151"?> 151 4.3 Spurensuche in der Postingflut Soziale Netzwerke liefern uns unzählige Belege, die Implikaturen-Rekonstruktionsprozesse auf expressiver Ebene nahelegen. Dazu einige Beispiele: (4-23) Ist das ein Wetterchen. (mld, Facebook, 2013-05-05) (4-24) Also ich hätte sie auch gegessen (+ Bild von Erdbeertorte, die heruntergefallen ist) (rgk, Facebook, 2013-05-05) (4-25) Eigentlich wollt ich grad ins Bett…aber kein Problem mein Kind - spielen wir noch ne Runde! (dek, Facebook, 2013-02-13) (4-26) Das Bett ist 1,60m breit, das Kind 1,31m lang. Wenn ich mich ganz klein zusammenrolle, passe ich vllt. in die freien 50cm2 am Fußende? (anja @schreibmamsell, Twitter, 2013-06-20) (4-27) Operation „Schlafzimmerzurückeroberung“: läuft (mld, Facebook, 2013-02-27) (4-28) Impressionen: Das Gegenteil von „Widersetzen“ ist „wieder setzen“. (Reptil @SattesKrokodil, Twitter, 2013-05-24) (4-29) 21: 21 (ctp, Facebook, 2013-03-18) (4-30) Und putzt euch gleich schön die Zähne. Sonst werden die faul und fallen aus. Es gibt zahnlose Beispiele dafür. (Die grüne Fee @MeggSchicksi, Twitter, 2013-05-24) (4-31) Couch liegen, Alf kucken fühl mich grad wie 15 (dek, Facebook, 2011-09-01) Für jeden dieser Beiträge stellt sich die Frage, inwiefern er eigentlich relevant ist. Welchen kommunikativen Sinn hat es beispielsweise in (4-29), die Uhrzeit zu posten? Was wollen die Produzenten in (4-28) und (4-30) mit den Sprachspielen bezwecken? Wieso lässt uns ein anderer Produzent in (4-25) <?page no="152"?> 4. Pragma-Internetlinguistik 152 an einem Zwiegespräch mit seinem Kind teilhaben? Oder warum könnte es in (4-24) für 318 zu einer Freundesliste gehörende Personen/ Facebook- Profile interessant sein, dass eine Erdbeertorte heruntergefallen ist und dass P „sie auch gegessen“ hätte? Hier werden teils überflüssige, weil offensichtliche Informationen vermittelt, es handelt sich jeweils um scheinbare Verstöße gegen die Maxime der Relevanz. Da wir aber annehmen, dass sich jeder einzelne Produzent kooperativ verhält, setzt ein Implikaturen-Rekonstruktionsprozess bei uns Rezipienten ein. Dabei wird deutlich, dass alle Beiträge vor allem einen Zweck erfüllen: Sie dienen dazu den Kontakt zu Freunden (Facebook) und Followern (Twitter) aufrecht zu erhalten. Aus scheinbar irrelevanten Statusmeldungen und Tweets sind also in vielen Fällen E-Implikaturen wie ICH WILL MEINE FREUNDE/ FOLLOWER AN MEINEM ALLTÄGLICHEN LEBEN TEILHABEN LASSEN, ICH DENKE AN SIE, ICH MÖCHTE MICH IHNEN NÄHER FÜHLEN, SIE SOLLEN SICH MIR NÄHER FÜHLEN zu ziehen. Die Produzenten dieser Beiträge nutzen die Plattform des Sozialen Netzwerks, um Gedanken (und auch Gefühle) auf effektive Art und Weise mit einer großen Menge von Personen zu teilen. Diese Menge überschneidet sich oftmals mit der Menge an Personen, die ohnehin spezifisches Hintergrundwissen haben, so z. B. dass P in (4-25) ein kleines Kind hat oder dass P mit seinem Beitrag (4-29) Verhalten in Sozialen Netzwerken persifliert und sich damit auf ein Gespräch bezieht, indem darüber kritisch reflektiert worden ist. Dieses Wissen ist nicht bei allen Rezipienten vorauszusetzen. Es stellt sich nun die Frage, welches Wissen zum Ziehen der E-Implikaturen notwendig ist. Unterscheidet sich dieses Wissen von dem Wissen, dass zum Ziehen der I-Impikaturen notwendig ist? Bislang haben wir das Bedeutungswissen (Punkt 1) und das Wissen über das Kooperationsprinzip und die Konversationsmaximen (Punkt 2) genauer betrachtet. Nach einer Denkanregung wenden wir uns im nächsten Abschnitt (Punkt 3) zu, dem Wissen über Ko- und Kontext, das ebenfalls essentiell für die Rekonstruktion von Bedeutungen ist, die über das wörtlich Gesagte hinausgehen. Aufgabe 4-8 Sie haben nun E-Implikaturen kennengelernt und gesehen, dass sie nicht nur in expressiven Sprechakten vorkommen. Wie beurteilen Sie demnach die theoretische Abgrenzung von Expressiva von allen anderen illokutionären Sprechakttypen? 4.4 Das Netz als Kontextkonstituente In allen Abschnitten dieses Kapitels wurde immer wieder auf die besondere Rolle des Kontextwissens für das Verstehen von Äußerungsbedeutungen verwiesen. Ziel dieses Abschnitts ist es nun, die Faktoren zu bestimmen, die den Kontext für die internetvermittelte Kommunikation bestimmen. In der pragmatischen Fachliteratur (zur Offline-Kommunikation) gibt es enge und weite Kontextdefinitionen. Levinson ( 3 2000: IX) beispielsweise erachtet die Punkt 3 <?page no="153"?> 153 4.4 Das Netz als Kontextkonstituente Parameter Identität, Rolle und Platzierung der Gesprächsteilnehmer, Annahmen darüber, was die Teilnehmer wissen oder voraussetzen, oder die Platzierung einer Äußerung innerhalb einer Sequenz von Redebeiträgen als konstitutiv für eine Bestimmung des Kontexts. Weiterhin als wichtig erachten wir, dass in anderen Ansätzen die unmittelbare sprachliche Umgebung als Kotext klassifiziert und von anderen Kontextfaktoren abgegrenzt wird. Ein für die internetvermittelte Kommunikation überaus wichtiges Kontext- Kriterium ist natürlich das Übertragungsmedium mit seinen spezifischen Eigenschaften und das Wissen darüber. Als Faustregel für kontextrelevante Aspekte bietet sich die Lasswell- Formel an, die urprünglich zur Beschreibung massenmedialer Kommunikation herangezogen wurde: Who says what in which channel to whom with what effect? (Lasswell 1948). Sie sollte um die Aspekte Zeit, Ort und Motivation/ Grund des Gesprächs folgendermaßen erweitert werden: Wer sagt was zu wem, wann, wo, über welchen Kanal und warum? Ausgehend davon, dass das „was“ die zu entschlüsselnde Botschaft, die Äußerung ist, lassen sich aus den weiteren Konstituenten der Formel Parameter ableiten, die den Kontext näher bestimmen: • Kenntnis des Mediums (Kanal) Welcher Kommunikationskanal wird genutzt und wie wirken sich dessen Eigenschaften auf die mögliche Interpretation einer Äußerung aus? (siehe auch Lyons 1977, 1982 und Bußmann 3 2002). • Äußerungssituation (wann, wo) Wann wird etwas gesagt? Wo wird etwas gesagt? • Beziehung zwischen Sprecher und Hörer (wer zu wem, warum) In welcher sozialen Beziehung stehen die Gesprächspartner zueinander? Welchen Status vertreten sie, welche Rollen nehmen sie in der konkreten Gesprächssitutation ein? Welche Vorannahmen können gegenseitig vorausgesetzt werden? Welchen Zweck verfolgt der Sprecher mit der Äußerung? • Kognitionsinhärente Aspekte Inwiefern wird der Verstehensprozess auch von Schemata beeinflusst, die in unserem Gedächtnis gespeichert sind? Schauen wir uns diese Parameter einmal im Hinblick auf die internetvermittelte Kommunikation an. 4.4.1 Nah und fern, privat öffentlich und alles parallel: Der mediale Kontext und die Äußerungssituation Die Informationstechnologie des Internets bietet den Übertragungsweg für die Kommunikationsbeiträge im WWW. Damit ist das Medium bereits festgelegt und eine statische Größe in der Konstellation aller Kontextfaktoren. Lasswell-Formel Allgemeines <?page no="154"?> 4. Pragma-Internetlinguistik 154 Kommunikationsbeiträge werden mit Hilfe eines internetfähigen Endgeräts produziert - unter Benutzung einer Tastatur verschriftlicht, mit Blick auf einen Bildschirm (ungeachtet dessen, ob ein PC, ein Laptop, ein Tablet oder ein Smartphone benutzt werden). Der Rezipient empfängt die Nachrichten ebenfalls an einem internetfähigen Endgerät an einem Bildschirm. Produzent und Rezipient befinden sich also nicht in einer Face-to-Face-Gesprächssituation. Die Kommunikation ist unabhängig von der Schallübertragung, damit können spezifische sprechsprachliche Signale, wie Intonation und Prosodie, nicht übermittelt werden und scheiden als Indikatoren für die Bedeutungserschließung aus. (Video-)phonie wird hier aus der Betrachtung ausgeklammert. Aufgabe 4-9 Das Merkmal der schriftlichen Fixierung in Bezug auf computervermittelte Kommunikation kann zu problematischen Situationen führen. Inwiefern? Begründen Sie Ihre Überlegungen. Es ist nicht obligatorisch für die internetvermittelte Kommunikation, dass sich Produzent und Rezipient in räumlicher Distanz voneinander befinden, da durchaus Situationen vorstellbar sind, in denen beispielsweise Arbeitskollegen, die gemeinsam in einem Großraumbüro tätig sind, das Web 2.0 als Kommunikationsraum nutzen. Analog zur Enträumlichung des Telefons durch Einführung des Mobiltelefons ist dank WLAN auch die Umgebung, in der Web 2.0-Kommunikate produziert und rezipiert werden, nicht mehr gebunden. Noch vor wenigen Jahren war allein dadurch, dass die Möglichkeiten, Zugang zum Internet zu erhalten, limitiert waren, klar, wo und oftmals auch wann der Kommunikationspartner E-Mails abfragen oder an einem Chat teilnehmen konnte. Inzwischen können Ortungsdienste des Smartphones den Aufenthaltsort zum Äußerungszeitpunkt offenlegen, allerdings entscheidet der Produzent, ob und wann er diese aktiviert. Ein Nebeneffekt der technischen Enträumlichung ist, dass Personen zu Beginn ihrer Kommunikation oftmals thematisieren, wo sie sich zum momentanen Zeitpunkt befinden oder den Aufenthaltsort des Kommunikationspartners abfragen. Offenbar birgt diese Information für die Gestaltung und den Verlauf der Kommunikation relevante Aspekte. Ein plötzlicher Abbruch eines Nachrichtenwechsels ist beispielsweise leichter einzuordnen, wenn bekannt ist, dass sich beide Kommunikationspartner jeweils an ihrem Arbeitsplatz oder im Zug befinden. Insofern ist auch das Stichwort der Interaktivität, die bekanntlich jeden zwischenmenschlichen Informationsaustausch kennzeichnet, etwas weiter zu fassen. Während in der mündlichen Offline-Kommunikation die Reaktion auf eine Botschaft im Normalfall unmittelbar erfolgt, ist das für internetvermittelte Kommunikation nicht zwingend so. Diese kann quasi-synchron (zeitgleich, wie z.  . in der Chat-Kommunikation) oder asynchron (zeitversetzt) erfolgen. Per E-Mail versendete Botschaften beispielsweise müssen nicht unmittelbar rezipiert und beantwortet werden, ebenso verhält es sich mit Räumliche Aspekte Interaktivität <?page no="155"?> 155 4.4 Das Netz als Kontextkonstituente persönlichen Nachrichten oder Statusmeldungen, die innerhalb eines Sozialen Netzwerks verschickt werden. Selbst Meldungen, die über WhatsApp oder iMessenger gesendet werden, sind kein Garant für eine synchrone Kommunikation. Abhängig davon, wann und in welcher Situation sich der Empfänger befindet, kann jedoch der synchrone Austausch von Gesprächsbeiträgen auch über diese Kanäle entstehen (selbst bei der E-Mail). Interessant ist, dass sich abhängig von den verschiedenen Übertragungsmodi und Formen auch verschiedene Erwartungshaltungen an Kommunikationsformen herauskristallisieren, die zudem noch durch individuelle Faktoren beeinflusst werden. Aufgabe 4-10 Wann erwarten Sie sofort eine Antwort? Wenn Sie eine SMS schreiben? Wenn Sie über Ihr Soziales Netzwerk kommunizieren? Wenn Sie eine E- Mail schreiben? Anwendungen wie Whatsapp zeigen mittlerweile Nachrichten als „gelesen“ an. Überlegen Sie, wie sich diese Funktion auf die Erwartungshaltung des Produzenten der Nachricht auswirkt. Betrachtet man die Gewohnheiten, die sich im Umgang mit dem WWW etablieren, liegt die Vermutung nahe, dass eine soeben versendete Nachricht auch schnell aus dem Fokus geraten kann und erst dann wieder relevant wird, wenn eine Antwort kommt. Gerade Jugendliche haben sich die Fähigkeit angeeignet, diverse mediale Tätigkeiten parallel auszuführen. Sie hören Musik, chatten, verschicken Botschaften über das Smartphone, recherchieren für die Hausaufgaben, aktualisieren ihren Facebook-Status und verfolgen Videos auf YouTube - alles mehr oder weniger gleichzeitig. Dabei müssen sie in einem ständigen Wechselspiel relevante Informationen suchen und irrelevante Informationen verwerfen, was mit einem erhöhten kognitiven Aufwand verbunden ist (Baron 2008a, 2008b). Denkbar ist, dass dieser nicht ohne weiteres zu leisten ist und sich deshalb die Art und Weise, wie Informationen verarbeitet und gespeichert werden, modifiziert und damit auch eine Umorganisation und veränderte Funktionsweise unseres Gehirns bewirkt (Yus 2008, Salvucci/ Taatgen 2011, Carr 2010a, b, 2013, Spitzer 2012). Es könnte also sein, dass Internetnutzer, die ihre Aufmerksamkeit auf viele verschiedene Stimuli verteilen, um eine große Menge an Informationen gleichzeitig zu verarbeiten, eine Abneigung den Quellen gegenüber entwickeln, die nicht mit einer sofortigen Belohnung aufwarten oder deren Relevanz erst verzögert offenbart wird, wie z. B. in einem Roman (Yus 2011: 12). Ältere Generationen machen sich diesen Wandel bewusst, beobachten Veränderungen an sich selbst, wie es beispielsweise Carr (2010a, b) lebhaft beschreibt. Sie versuchen einerseits Schritt zu halten und andererseits dem Sog des Internets zu widerstehen, weil es in der jüngeren Generation Konzentrationsstörungen, Aufmerksamkeitsdefizite und Verrohung zu beklagen gibt, was mit der neuen Art der Informationsverarbeitung in Verbindung gebracht wird. Einen großen Teil der Internetkommunikation macht also der Umgang mit der Technik aus, das muss mit gedacht werden, wenn man ver- Multitasking <?page no="156"?> 4. Pragma-Internetlinguistik 156 sucht einen Kontext zu bestimmen, der als bedeutungsspezifizierend im Rahmen einer Pragma-Internetlinguistik erachtet wird. Aufgabe 4-11 Tragen Sie die Standpunkte der Kommentartoren zur folgenden Tatort- Statusmeldung in Bezug auf das Multitasking zusammen. Fans von Oliver Mommsen aufgepasst! Am Sonntag chattet er parallel zum „Tatort: Er wird töten“ mit Euch! Seid dabei um 20 Uhr geht‘s los: www.tatort.de 28 Gefällt mir · · Teilen · · 416 Personen gefällt das. A: So Schmeckt Berlin wie kann man denn parallel zum tatort chatten (oder was auch immer) wollen? ! B: […] kannst ja fragen wer der Mörder ist C: […] Das mach ich nur, wenn der Tatort schlecht ist und ich laestern muss. D: […] wenn das wieder ne wiederholung sein sollte geht das doch. E: […]Und wer ermittelt dann? Kapier‘ ich nicht F: eigentlich ne gute Idee, aber ich bin echt zu analog dafür. tatort wird auf dem TV geschaut und daneben habe ich bestimmt keinen Laptop oder pad im Einsatz, um zu chatten. Könnte er ja danach machen, oder wäre das zu old school? G: […] Ach, ich dachte immer Tatort sei live... nehmt mir doch nicht meine Illusionen H: Also irgendwann is ja mal schluss mit dem multitask-gedöns ! Demnächst chattet man in der oper mit dem intendanten/ choreographen nach backstage oder was ? Kann sich eigentlich noch ein mensch auf dieser welt auf eine einzige sache konzentrieren und damit zufrieden sein, sie einfach nur zu geniessen ? ? ? ? I: Parallel zum Tatort chatten eine perfekte Nebenbeschäftigung für konzentrationslose Dauerhandyherumtüddler...wer das macht, ist doof. - Naja, wenn der Tatort aus dem Saarland kommt, dann kann man das evt ruhig machen. Dabei muss man aber auch nicht schauen... J: Immer dieser neumodische Blödsinn. Wenn ich Tatort gucken will, will ich Tatort gucken - und nicht tschätten. K: Genau! ! ! Dislike chatten während man Tatort schauen möchte! Soll das heißen, dass der Tatort an sich nicht interessant genug ist, um sich ihm ganz zu widmen? L: ? ? ? ? ? ok.... dann kann der Streifen ja nicht so toll sein, wenn man nebenher chatten kann M: Hm, nette Idee. Aber ich guck mir den Stedefreund lieber in Ruhe an (Tatort, Facebook, 2013-06-07, 16: 09-16: 45) In der computervermittelten Kommunikation verschränken sich die Ebenen kommunkativer Räume. Zu der strengen und etablierten Dichotomie zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, die bislang für die Offline-Kommunikation Öffentlichkeit vs. Privatheit <?page no="157"?> 157 4.4 Das Netz als Kontextkonstituente relevant war, gesellt sich ein dritter kommunikativer Raum, die Semi- Öffentlichkeit. Die Kontrolle darüber, welche Informationen, in welchem dieser Räume präsentiert wird, ist im WWW nahezu unmöglich. Insbesondere seitdem das Web 2.0 als adäquate Kommunikationsebene akzeptiert worden ist, werden auch private (und sensible) Daten in die virtuelle Welt transportiert. Der Mehrgewinn, gleichzeitig mit mehreren Personen effizient kommunizieren zu können, tritt hinter das Misstrauen in das Medium und die bange Frage zurück: Wer - abgesehen von Geheimdiensten - kann das eigentlich noch alles mitlesen? Gerade in Sozialen Netzwerken ist Privatheit nur über persönliche Nachrichten möglich, Statusmeldungen sind allen „Freunden“ dann zugänglich, wenn man durch entsprechende Privatsphäre-Einstellungen verhindert, dass weitere Personen Zugriff auf das eigene Profil haben. Betrachtet man jedoch die durchschnittliche Anzahl der in Freundeslisten eingetragenen Personen, wird schnell deutlich, dass sich hier eine kleine, eine Semi-Öffentlichkeit, formiert. Hinzu kommt, dass die Anzahl der Facebook-Freunde gerade unter Jugendlichen, die das Web 2.0 als Erweiterung des sozialen Interaktionsraums nutzen, eine maßgebliche Rolle für die Anerkennung innerhalb der Peer-Group spielt. Damit wird also der kommunikative Raum oftmals auch für Personen zugänglich, die gar nicht zum unmittelbaren Freundes- und Bekanntenkreis vom Inhaber eines Profils gehören. Aber nicht nur im Sozialen Netzwerk ist der Adressatenkreis (oder der Kreis der Personen, die Zugang zur eigenen Online-Aktivität haben) unübersichtlich. Auch an einen spezifischen Adressaten gerichtete E-Mails können cc oder bcc an weitere Personen gesendet werden. Je nachdem welchen Inhalt eine solche E-Mail hat, muss diese Verbreitung nicht unbedingt im Interesse des Empfängers sein. Besonders deutlich wird das am Beispiel von Cybermobbing (siehe dazu die Punkte 4.5.3 und 4.5.4). Aufgabe 4-12 Ordnen Sie den Feldern im unten stehenden Schema die folgenden Typen der computervermittelten Kommunikation zu: MUD, Twitter, Facebook, E-Mail, Chat, Blogs, Newsgroups, Kommentare. Fallen Ihnen weitere Typen ein? <?page no="158"?> 4. Pragma-Internetlinguistik 158 Abb. 4-1: Aufgabenfeld für die Aufgabe 4-12 Beim Lösen von Aufgabe 4-12 haben Sie sicherlich festgestellt, dass die Web 2.0-Kommunikation vorwiegend mehrere Kommunikationsteilnehmer involviert (siehe dazu auch Kapitel 2). Daraus ergeben sich Fragen, die das Kommunikationsverhalten der im Web 2.0 Agierenden betreffen. • Sind sie sich darüber bewusst, dass sich ihre Kommunikation an viele richtet? • Hat das Auswirkungen auf ihre Art zu kommunizieren? Verändert sich die Kommunikation insgesamt? • Gibt es noch private Themen? Betrachtet man Statusmeldungen wie (4-32) ist man geneigt, gerade die letzte Frage zu verneinen. Hier wird eine eindeutig private Botschaft als Statusmeldung auf dem Facebook-Profil veröffentlicht, so dass in dem Fall 366 Freunde als potenzielle Leser in Frage kommen. (4-32) A > B Weiß nicht was ich ohne Dich machen würde Gefällt mir_Kommentieren_Freitag um 22: 03 in der Nähe von [Ortsname] B und 32 anderen gefällt das. B: I u Freitag um 22: 20 via Handy_Gefällt mir (5) [A und vier andere] (mld, Facebook, 2013-05-10) Der kommunikative Sinn dieser Äußerung geht also über die Bekundung der gegenseitigen Zuneigung hinaus und bezieht weitere Rezipienten mit ein, die die tiefe emotionale Verbindung, die A und B füreinander fühlen, bezeugen können sollen. A nutzt damit das durch das Soziale Netzwerk zur Verfügung gestellte Forum einer (Semi-)Öffentlichkeit, die er in der Offline-Kommunikation so nur mit erheblichem Aufwand hätte herstellen können. Projiziert man diese Statusmeldung in eine Offline-Ebene, wird deutlich, dass nicht nur <?page no="159"?> 159 4.4 Das Netz als Kontextkonstituente das Publikum mühsam hätte herbeigeführt werden müssen, es hätte auch einer kommunikativen Einbindung, z. B. den Rahmen einer Rede, bedurft. Der Aufregung, die mit dem Sprechen vor einer großen Menge von Personen noch dazu zu einem so persönlichen Thema verbunden ist, entgeht A, indem er seine Äußerung auf die Online-Ebene verlagert. Damit vermeidet er auch die Konfrontation mit möglichen unangenehmen Rückmeldungen, denn online reagieren hier nur die Personen, denen die Statusmeldung „gefällt“. Das „Sprechen“ über Gefühle wird damit leichter. Beispiel (4-33) zeigt, wie bewusst Nutzer mit der durch das Soziale Netzwerk kreierten Öffentlichkeit umgehen. Sie verhandeln hier darüber, wie die Diskussion zu einem nicht-öffentlichkeitstauglichen Thema (der grüne Brief) auf anderen Kanälen weitergeführt werden kann. So schlägt B ein Telefonat vor und C kündigt eine „pn“, eine persönliche Nachricht, an, die nur A und C lesen können. (4-33) A: Der grüne Brief ist da … jetzt wird es ernst. [21 Kommentare] A: ansonsten, ahbt ihr schon eine idee, was ihr machen werdet? ? ? und inka, bin ja da völlig unbedarft. wie machst du das denn mit dem anwalt? ? bist du in einer rechtschutz? ? ? ? welchen hast du denn? ? ? grüße B: Annette....Ruf mich an, hast Post C: Alles nur mit Rechtsschutz! ! Ich Schick dir mal ne pn: ) (att, Facebook, 2013-05-18) 4.4.2 Ich kenne dich und ich kenne dich nicht: Zur Beziehung zwischen den Kommunikationsteilnehmern Es gibt vielgestaltige Konstellationen, wie sich die Beziehung zwischen Produzent und Rezipient im Rahmen einer internetbasierten Kommunikation gestalten kann. • Produzent und Rezipient kennen sich im realen Leben; a. Produzent und Rezipient sind im realen Leben miteinander befreundet; b. Produzent und Rezipient stehen im realen Leben einander relativ neutral gegenüber; c. Produzent und Rezipient können sich im realen Leben nicht leiden; • Produzent und Rezipient kennen sich nur online; a. Produzent und Rezipient sind online miteinander befreundet; b. Produzent und Rezipient stehen einander online relativ neutral gegenüber; c. Produzent und Rezipient können sich online nicht leiden. Sind Produzent und Rezipient im realen Leben miteinander bekannt oder gar befreundet, nutzen sie das Web als Erweiterung ihres gemeinsamen sozialen Raumes. Somit ist die Kommunikation im Web kein exklusiver Weg des Informationsaustausches zwischen den Kommunikationspartnern, sondern wird neben Telefon oder Face-to-Face-Gespräch eingesetzt. Oftmals etablieren sich Vertrautheit <?page no="160"?> 4. Pragma-Internetlinguistik 160 spezifische Routinen zum Gebrauch des einen oder anderen Kommunika tionskanals, die sowohl situationsals auch themenabhängig sein können. Personen, die lange keinen Kontakt zu einer bestimmten Person gehabt haben, wählen gern auch den Weg über das Soziale Netzwerk, um sich wieder ins Gedächtnis zu rufen. Dafür steht ihnen sogar eine Funktion, das „Anstupsen“ zur Verfügung. Auch für den ersten inhaltlichen Austausch nach langer Zeit wird durchaus das Soziale Netzwerk genutzt. Auf diese Weise werden beispielsweise unangenehme Momente, die ein spontaner Anruf nach langer Zeit und womöglich zu einem ungünstigen Zeitpunkt auslösen kann, vermieden. Auch Personen, die in regem Kontakt miteinander stehen, haben gewisse Ordnungsstrategien im Umgang mit realen und virtuellen Kommunikationsebenen. Die einen posten beispielsweise ausschließlich politische Inhalte auf Facebook und organisieren ihren privaten Austausch über E-Mails, den geschützten Nachrichtenbereich eines Sozialen Netzwerks oder eben offline. Andere nutzen das Soziale Netzwerk eher privat, um alle Freunde (oder Bekannten) effizient zu erreichen. Absprachen zu Offline-Treffen werden zwar auf Offline-Medien verlagert. Inhalte, die während dieser Treffen ausgetauscht werden, finden dann keinen Eingang in das Soziale Netzwerk. Die Treffen wiederum werden aber durchaus im Nachgang - beispielsweise mit dem Einstellen eines Fotos - in Erinnerung gehalten. Damit fungiert das Web 2.0 als kommunikatives Begleitinstrument alltäglicher Abläufe und als soziales Gedächtnis. Aufgabe 4-13 Zählen Sie Voraber auch Nachteile computervermittelter Kommunika tion zwischen Personen auf, die einander bekannt sind. Seitdem sich das Web 2.0 etabliert hat, scheint ein vorher unweigerlich mit der internetvermittelten Kommunikation verbundenes Merkmal ein wenig in den Hintergrund zu rücken - die Anonymität. Dieses Merkmal vereint wiederum mehrere Komponenten. Zum einen bezieht es sich darauf, dass Urheber von Kommunikationsbeiträgen nicht zwangsläufig identifiziert werden können, d. h. dass Offline-Identitäten durch die Nutzung von Nicknames verschleiert werden (sollen) (vgl. hierzu Kapitel 1.3.1). Das kann Zurückhaltung und Vorsicht beim Kommunikationspartner auslösen, der die Vertrauenswürdigkeit des virtuellen Gegenübers zunächst bewerten muss. Zum anderen wird Anonymität oft mit Einsamkeit assoziiert, die auch dadurch entstehen kann, dass sich durch die Kommunikation mit permanent „getarnten“ Gesprächspartnern keine Vertrauensbasis aufbauen kann. Es führt zu Verunsicherung und schließlich zum Abbruch des Kontakts, wenn Personen nicht irgendwann ihre Identität preisgeben oder diese zudem noch ständig wechseln, und das betrifft nicht nur den spielerischen Umgang mit Identitäten in Spiel-Umgebungen. Anonymität - - <?page no="161"?> 161 4.4 Das Netz als Kontextkonstituente Aufgabe 4-14 Andererseits ist die sogenannte „Depersonalisierung“ laut Chenault (1998) auch eine Voraussetzung für den besonders persönlichen Austausch. Inwiefern kann man auch dieser Beobachtung zustimmen? 4.4.3 Kognitionsinhärente Merkmale oder: Wie das Internet unser Denken prägt Lesen wir ein Wort, eine Phrase oder einen Satz im WWW, helfen uns auch die sogenannten kognitionsinhärenten Kontextmerkmale im Verstehensprozess. Hierbei handelt es sich um Schemata, die im Langzeitgedächtnis komplexe Szenarien und ihre Konstituenten repräsentieren. Dank der Innovationen auf dem Telekommunikationsmarkt haben Personen eine Vielzahl an Schemata zu neuen Kommunikationsformen etabliert. Typischerweise gehören die folgenden Konstitutenten zum FACEBOOK -Schema: FACEBOOK - PROFIL ANLEGEN , PRIVATSPHÄRE - EINSTELLUNGEN VORNEHMEN , MIT BE- KANNTEN UND FREUNDEN VERNETZEN , STATUSMELDUNGEN FORMULIEREN , PERSÖNLICHE DATEN AKTUALISIEREN , BILDER EINSTELLEN , EINGABEN ÜBER EINE TASTATUR AN EINEM INTERNETFÄHIGEN ENDGERÄT TÄTIGEN , ONLINE SEIN usw. Laut Schwarz (1992: 124) zählen Faktoren dieser Art zu den „permanenten Kontextfaktoren“. Während sich also die unmittelbare Umgebung für eine sprachliche Äußerung ändert, stellen die Wissenseinheiten (Schemata) z. B. zu den verschiedenen Verwendungsweisen des WWW (Kommunikationsraum, Recherplattform, Archiv) eine feste abrufbare Größe im Gedächtnis dar. Diese beeinflussen den Verstehensprozess, was sich am Beispiel (4-34) gut zeigen lässt. A (der Schauspieler Pierre Sanoussi-Bliss) postet am frühen Nachmittag (14: 28) die Statusmeldung „jetzt im kino! “ und verlinkt mit einer Spiegel-Filmkritik zum Film „ reier Fall“. (4-34) B: sehr empfehlenswert, hab ihn bereits zur BERLINALE sehen dürfen. C: kaa Arbeit? A: wieso? ich bin beim drehen. D: danke für den kinotip  C: ich bin so hohl! dachte bist im kino […]. (Pierre Sanoussi-Bliss, Facebook, 2013-05-23) Zwischen C und A gibt es hier ein Missverständnis, das sich in Cs Frage danach, ob A keine Arbeit habe, äußert und im zweiten Kommentar von C ausformuliert wird. Für das Zustandekommen dieses Missverständnisses gibt es mehrere Gründe. Zum einen hat C offenbar das Wissen, das prototypisch an eine Statusmeldung geknüpft ist, aktiviert. Dazu gehört, dass die Person, die eine Statusmeldung veröffentlicht, eine Aussage über sich selbst macht. Motiviert wird diese Aussage durch Fragen (wie z. B: „Was machst Du gerade? “), die bei Facebook bereits im Eingabefeld für den Status platziert sind. Zum anderen enthält die Aussage „jetzt im kino! “ weder ein Subjekt noch ein Prädikat. Es wird in der sprachlichen Äußerung also nicht eindeutig „Schemata stellen komplexe Wissensstrukturen dar, welche die Erfahrungen repräsentieren, die ein Mensch im Laufe seines Lebens macht.“ (Schwarz 3 2008: 116 f.) F <?page no="162"?> 4. Pragma-Internetlinguistik 162 spezifiziert wer oder was im Kino ist oder kommt. Aufgrund seines Wissens über Statusmeldungen ordnet C die Rolle „wer“ A (und damit auch ist), dem Urheber der Statusmeldung, zu. Die anderen Kommunikationsteilnehmer wenden ihr Wissen über verlinkte Statusmeldungen an und weisen der sprachlichen Äußerung die Rolle „was“ (ein Film, der im Kino kommt) zu. 4.5 Beispielanalysen: Pragmatische Regeln im Spiegel des Web 2.0 Ziel dieses Abschnitts ist es, an drei Szenarien nachzuvollziehen, inwieweit das Web 2.0 als erweiterter sozialer Interaktionsraum genutzt wird. Dabei wird deutlich, wie eng die Ebene der Online-Kommunikation mit der Ebene der Offline-Kommunikation verzahnt ist. Unser Augenmerk liegt darauf zu zeigen, welche Einflüsse im Wechselspiel beider Dimensionen wirksam werden. Das bedeutet, dass pragmatische Regeln, die sich über eine lange WWW-freie Zeit für die zwischenmenschliche Kommunikation etabliert haben, genauer unter die Lupe genommen werden müssen. Am Beispiel (romantischer) Kennenlernprozesse (4.5.1) kann gezeigt werden, wie Kommunikationsteilnehmer auf lang bewährte Offline-Strategien zurückgreifen und diese mit Mustern der Online-Kommunikation kombinieren. Ein Gedankenexperiment in (4.5.2) soll zeigen, inwiefern Höflichkeitsnormen durch Spezifika der Online-Kommunikation modifiziert werden könnten. Cybermobbing (4.5.3 und 4.5.4) wiederum ist ein Phänomen, dessen Wirksamkeit vor allem durch die Eigenschaften, die das WWW hat, genährt wird. 4.5.1 Kennenlernprozesse: Jonglieren mit On-/ Offline-Schemata Romantische Kennenlernprozesse in Sozialen Netzwerken offenbaren Schnittstellen, an der die Online- und die Offline-Kommunikationsebenen diffundieren. Sie involvieren sowohl typische Offline-Handlungsschemata als auch Spezifika der Online-Präsenz. Im Folgenden werden Ergebnisse einer qualitativen Analyse authentischen Datenmaterials (aus E-Mails, Chat- Sequenzen, Kontaktbörsen, Blog-Postings und Statusmeldungen) von Marx (2012b) zusammengefasst. 1 Während Online-Kontaktbörsen aufgrund ihrer Struktur wenig Spielraum lassen und nur ein eher standardisiertes aber auch artifizielles Kennenlernen ermöglichen, muss bei einer Kontaktaufnahme in Sozialen Netzwerken der Kommunikationszweck zunächst ausgehandelt werden (4-36). Das ist ein Schritt, der offline (zwar in einem anderen Modus) ebenfalls vollzogen werden muss, in Online-Kontaktbörsen jedoch ist er überflüssig. Hier wird eine hohe Effizienz bei der Partnerwahl angestrebt, denn mit der Registrierung artikulieren bereits alle Nutzer ein gemeinsames (kommunikatives) Ziel: im Idealfall einen Lebenspartner zu finden. Entsprechend sind die Profilmasken, die auszufüllen sind, konstruiert. 1 Es liegen uns nicht für alle in Kapitel 4.5 zitierten sprachlichen Belege vollständige Quellenangaben vor, weil sie teilweise von Privatpersonen dokumentiert und übermittelt worden sind. <?page no="163"?> 163 4.5 Beispielanalysen: Pragmatische Regeln im Spiegel des Web 2.0 Um die Ansprechbarkeit einer Person, die in einem Sozialen Netzwerk registriert ist, zu eruieren, müssen Signale auf verschiedenen Ebenen (Privatsphäre-Einstellungen, Preisgabe persönlicher Informationen, Bildmaterial, Vernetzungsgrad und Netzwerk-Aktivität) entschlüsselt werden. Auf diese Weise erlangt die Kontakt aufnehmende Person allerdings auch Informationen, bevor überhaupt ein Kontakt stattgefunden hat. Diese Informationen stammen nicht wie in Offline-Situationen vollständig aus zweiter Hand (indem Freunde befragt werden). Sie sind von der Person eingestellt, die das Profil im Sozialen Netzwerk eingerichtet hat, und zeigen diese Person in Interaktion mit Personen, die zur Freundesliste zählen. Viele Informationen müssen also nicht - wie in einer Offline-Situation - erfragt werden, sondern können schnell und oft auch sehr unkompliziert im WWW recherchiert werden. Weiterhin stehen der Kontakt aufnehmenden Person anders als in der Offline-Situation technische Funktionen wie das Anstupsen zur Verfügung, über die ein Kontakt initiiert werden kann, ohne das eigene Gesicht, das eigene Ansehen zu gefährden. Das Anstupsen ist zunächst ein rein technologischer Vorgang. Der Angestupste wird auf seiner Facebook-Seite darüber informiert, dass er angestupst wurde. Sollte das Anstupsen über eine ihm fremde Person initiiert worden sein, erhält der Angestupste infolge des Zurückstupsens temporär Einblick in dessen Profilseite und damit eine erste Orientierung. Er kann Pinnwandeinträge einsehen, sich einen Überblick über gemeinsame Bekannte (in der On- und Offline-Welt), über mögliche gemeinsame Interessen verschaffen und prüfen, ob es Überschneidungen bei dem gibt, was „gefällt“. Somit ist der Einstieg in den Kennenlernprozess vereinfacht. In dem hier zur Veranschaulichung herangezogenen Beispiel für einen romantischen Erstkontakt wurde ebenfalls von der Anstupsen-Funktion Gebrauch gemacht und der Angestupste hat „zurückgestupst“. Bis zu diesem Punkt ist die Kontaktaufnahme also geprägt von Online-Funktionen. Beide Kommunikationsteilnehmer hatten also die Möglichkeit, sehr schnell sehr viele Informationen über den anderen zusammenzutragen. Die erste direkte Nachricht an den „Angestupsten“ B zeugt nun aber davon, dass das Tempo extrem gedrosselt wird. Nun ist die Kontaktaufnahme eher von Vorsicht geprägt und ähnelt einem Sich-gegenseitig-Herantasten in einer Offline-Situation, siehe (4-35) und auch die Reaktion von B in (4-36). (4-35) 01. Januar Hallo... ...fremder. Du hast zurück gestupst, daher ist eine persönliche Nachricht erlaubt? Dann wünsche ich Dir erst einmal ein tolles und aufregendes neues Jahr. A. (private Korrespondenz über die Facebook-Nachrichtenfunktion) A nutzt also die Funktion ‚Nachricht senden‘ und kündigt in dieser Nachricht eine persönliche Nachricht an, gibt aber gar keine persönlichen Informationen preis. Stattdessen wird auf einen floskelhaften Neujahrswunsch zurückgegriffen. Der kontaktierte B wird als „Fremder“ tituliert; damit wird ihm etwas Geheimnisvolles zugeschrieben. Allerdings ist davon auszugehen, dass <?page no="164"?> 4. Pragma-Internetlinguistik 164 sich A natürlich über B informiert hat, für ihn ist er kein Fremder mehr, schließlich kennt er zumindest schon sein Facebook-Profil. Vergleicht man nun den Prozess, den beide durchlaufen mit einer Offline- Kennernlernphase (hier dient das Phasenmodell von Pryor/ Merluzzi (1985) dargestellt in Tabelle 4-1 als Vergleichsgrundlage), hat A die Offline-Phasen 2 und 3 partiell durchlaufen. Er hat das Facebook-Profil von B gelesen und - so erfahren wir in einer Nachricht, die hier nicht zitiert wird - Freunde befragt. Nun versucht er jedoch, das Tempo zurückzunehmen und eine ähnliche Ausgangsposition (vergleichbar mit den Offline-Phasen 1 und 2, siehe Tabelle 4-1) für beide Kommunikationspartner zu suggerieren. Der kontaktierte B, der Facebook-Nachrichten sofort über sein Mobiltelefon empfängt, wartet nun einen Tag, bevor er antwortet. Auch hier lässt sich eine Verzögerungstaktik feststellen, die vor allen Dingen dazu dienen kann, den Eindruck zu vermeiden, B würde auf Nachrichten dieser Art warten oder wäre gar darauf angewiesen. (4-36) 02. Januar bonjour aus Paris das wünsche ich dir auch, danke. wie bist du auf mich zum anstupsen gekommen, wenn ich fragen darf? : o) B. (private Korrespondenz über die Facebook-Nachrichtenfunktion) Im Gegensatz dazu versuchen Personen, die sich in Online-Kontaktbörsen kennenlernen, mit verschiedenen Strategien, den Kennenlernprozess zu beschleunigen. Eine dieser Strategien, die wir hier exemplarisch herausgreifen, ist die Strategie der Illusionskreierung. So nehmen Produzenten von Erstkontaktbotschaften z.  . schon in der ersten persönlichen Nachricht Bezug auf eine mögliche gemeinsame Zukunft, um die Distanz zwischen beiden Kommunikationspartnern möglichst rasch abzubauen, so in (4-37): nach ein paar Jahren klapp das dann auch […] oder als Frage in (4-38): […] …ob das gut gehen kann? Zu beobachten ist auch, dass gezielt sprachliche Konstruktionen gewählt werden, die räumliche Nähe implizieren. Mit Lass dir liebe Grüße da in (4-39) deutet der Produzent beispielsweise an, etwas an einem Ort hinterlassen zu können, der beide verbindet und an den der Rezipient zurückkehrt. (4-37) Du bist ja supercool ; -) .. willst Du so viele wie möglich abschrecken ; -)? Schaffst Du mir nicht. Also Dänisch kann ich schonmal und nach ein paar Jahren klapp es dann auch das man wenigstens als Schwede durchkommt ; -). Ghana und sonst auch sehr weltoffen .. ich bin arg neugierig .. Lieben Gruss, (Vorname, Parship, ohne Datum) (4-38) Hallo Unbekannter, ohauerha, noch ein Dickschädel... ob das gut gehen kann? ; ) Ich finde Dein Profil interessant. Ob das vielleicht auf Gegenseitigkeit beruht? Gruß aus Lübeck (Vorname, Parship, ohne Datum) <?page no="165"?> 165 4.5 Beispielanalysen: Pragmatische Regeln im Spiegel des Web 2.0 (4-39) Hi,wirklich süß geschrieben dein Profil. Spricht mich an (smiley).Lass dir liebe Grüße da, S. (Vorname ausgeschrieben) (Kontaktforum nicht rekonstruierbar, 2011-04-08, 22: 56) Einen Überblick über die Kennenlernphasen in Off- und Online-Situationen bietet Tabelle 4-1. Die Offline-Phasen werden hier nach Pryor/ Merluzzi (1985) übernommen. Dabei sind nur die Eckdaten aufgeführt. Es wird deutlich, dass es bei der Kontaktaufnahme in Sozialen Netzwerken sowohl Überschneidungen mit Offline-Phasen als auch mit Kennenlernphasen in Online- Kontaktbörsen gibt. Das Kontaktverhalten in Sozialen Netzwerken ähnelt in den Phasen, in denen es durch Small-Talk beispielsweise zu inhaltlichen Verzögerungen kommt, eher dem Offline-Handlungsablauf. Werden technische Funktionen eingebunden, um spezifische Phasen effizienter zu gestalten, wird die Nähe zu typischem Online-Verhalten deutlich. Offline-Situation Soziales Netzwerk Online-Kontaktbörse 0. Phase Registrierung im Sozialen Netzwerk, Auswahl der veröffentlichten Profilinformationen. 0. Phase Vorbereitung Ausfüllen der Profilinformationen. 1. Phase Gegenseitige Wahrnehmung Er bemerkt sie am Salatbuffet. Sie bemerkt ihn. Beide blicken sich an. 1. Phase Einseitige Wahrnehmung X entdeckt Y in einer Freundesliste und nimmt Einblick in das FB-Profil. 1. Phase Einseitige Wahrnehmung X rezipiert eine Anzahl von Profilen und erachtet ein Profil als ansprechend. 2. Phase Gegenseitige Annäherungsversuche Beide lächeln sich an. Beide versuchen voneinander soviel wie möglich über Freunde herauszufinden. Beide denken sich Wege aus, dem anderen „wie zufällig“ zu begegnen. 2. Phase Einseitige Annäherung Einsatz der technischen Kontaktfunktionen „Anstupsen“ oder „Gefällt mir“. 2. Phase Einseitige Annäherung Kontaktaufnahme mit Informationen über den Absender und zumeist konkret geäußertem Wunsch, sich persönlich zu treffen. 3. Phase Gegenseitiges Kennenlernen Beide werden durch einen gemeinsamen Freund miteinander bekannt gemacht. 3. Phase Akzeptanz der Annäherung/ Kennenlernen Einsatz der technischen Kontaktfunktion „Zurückstupsen“ 3. Phase Einwilligung zum persönlichen Kontakt In Form eines Treffens oder bei großer geographischer Distanz in Form <?page no="166"?> 4. Pragma-Internetlinguistik 166 Beide sagen „Hallo! “ zueinander. Er beginnt mit Small Talk. Beide reden über ihre Interessen und versuchen Gemeinsamkeiten zu finden. Er fragt sie, ob sie Interesse hätte mit ihm auszugehen und bittet sie um ihre Telefonnummer. Austausch über persönliche Belange Small Talk über das Austauschen von Nachrichten eines Telefonats oder Chats. 4. Phase Verabredung eines Rendezvous Sie willigt ein und gibt ihm ihre Telefonnummer. Er ruft sie später an. Er beginnt mit Small Talk am Telefon. Er fragt sie nach einem Rendezvous und trifft entsprechende Vorbereitungen. 4. Phase Aufnahme in die Freundesliste 5. Phase Verabredung eines Treffens Tab. 4-1: Erstkontaktphasen in der Partnerwerbung (online und offline), Marx (2012b 4.5.2 Ein Gedankenexperiment zur Facebook-Generation Betrachtet man das WWW als kommunikative Parallelwelt, erstaunt es nicht, dass kommunikative Phänomene, die offline zu beobachten sind, auch online auftreten. Dazu gehört auch, dass es Nutzer gibt, die sich an kommunikative Regeln halten, und andere, die dagegen verstoßen. Der Unterschied im WWW liegt höchstwahrscheinlich darin, dass die Konsequenzen eines Regelverstoßes für denjenigen, der diesen vollzieht, erträglicher sind als im realen Leben. Im Schutzmantel von Anonymität und Virtualität ist der Gesichtsverlust, den jemand erleidet, der sich rüpelhaft verhält, überschaubar (hierzu wird auch das Konzept der UNSICHTBARKEIT bemüht). Es darf jedoch nicht ausgeblendet werden, dass beide Kommunikationsräume schon allein deshalb in einer Verbindung stehen, weil hier reale Personen ihre Kommunikation ausweiten oder verlagern. Die Offline-Parallelwelt existiert also nicht autonom, was hier geschieht hat auch Auswirkungen auf das reale Leben. Die Pioniere der Internetkommunikation haben diese Gefahr erkannt und sich Konventionen verpflichtet, die sie als Netiquette oder Chatiquette (vgl. Kap. 2.3.2) formuliert haben. Chat- und Forenbetreiber haben die Aufgabe, die Einhaltung dieser Regeln anzumahnen und können Regelverstöße durch Sanktionen wie den Ausschluss auf dem Forum ahnden. Für Soziale Netzwerke gibt es eine solche Kontrollinstanz nicht, die Kommunizierenden sind sich selbst überlassen. Diese Freiheit hat nicht nur : 69f.) <?page no="167"?> 167 4.5 Beispielanalysen: Pragmatische Regeln im Spiegel des Web 2.0 Auswirkungen auf die Kommunikation in Foren und Chats, in denen der Umgangston einerseits rauer wird, gleichzeitig aber auch der Toleranzbereich der Betreiber größer wird, wie Chefkochmampfi im oben ausführlich zitierten Ausschnitt (in Aufgabe 4-4) einer Diskussion metakommunikativ moniert: (4-40) Hallo zusammen, es ist schon krass wenn, man sieht wie Freds vor 4 Jahren hier noch abliefen .... und heute zum praktisch gleichen Thema... warum muss gleich scharf geschoßen werden? Und kann die Info nicht einfach akzeptieren? (Chefkochmampfi, Chefkoch, 2011-11-01, 20: 13) Mehr Freiheit im Netz scheint sich auch auf die Umgangsformen in der Offline- Kommunikation auszuwirken und zu einer Desensibilisierung für soziale Rollen zu führen, was dann im noch harmlosen Beispiel-Fall E-Mails wie in Aufgabe 4-1 zur Folge hat. Wird diese Freiheit auch offline erprobt und nicht mit negativen Rückmeldungen quittiert, pendeln sich neue kommunikative Gesetzmäßigkeiten ein, die - so ist anzunehmen - die Schwelle zu inadäquatem Verhalten senken. Negative Rückmeldungen, wie etwa So geht das aber nicht oder So lasse ich nicht mit mir reden, führen hingegen wenigstens zu Irritationen, wobei „negativ“ hier nicht in die Irre und damit zu der Annahme führen soll, dass die Funktion dieser Rückmeldungen als negativ bewertet wird. Denn inhaltlich negative Rückmeldungen motivieren dazu, sich in der jeweiligen Kommunikationsebene zu positionieren und angemessen zu verhalten. Damit wird die eigene pragmatische Kompetenz um die Fähigkeit erweitert, zwischen On- und Offline-Modalitäten mühelos hin- und herwechseln zu können, anstatt die eine Modalität unkritisch auf die andere zu übertragen. Schwierig wird es, wenn die negativen Rückmeldungen offline ausbleiben, nicht wahrgenommen werden oder als so wirkungslos eingestuft werden, wie eine Rückmeldung auf der Online-Ebene. Dann generiert sich eine Spirale, die durchaus soziale Verrohung herbeiführen kann. Machen wir uns das an einem Beispiel bewusst. Eine Person A (im Alter von 19 Jahren) ist sprichwörtlich mit dem WWW groß geworden, mit 14 hatte sie ihr erstes Smartphone, sie ist vor zwei Jahren von SchülerVZ zu Jappy gewechselt, ungefähr zur selben Zeit ist sie auch Facebook beigetreten, hier hat sie 270 Freunde. Sie hat sich WhatsApp auf ihr Mobiltelefon geladen und kann damit sogar während des Unterrichts mit ihren Freunden Nachrichten austauschen. In den Pausen und auch nach der Schule verbringt sie viel Zeit online. Mit Blick in die aktuellste JIM-Studie (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2012) lässt sich das sogar noch konkretisieren, sie ist täglich im Netz und nutzt diese Zeit, um mit anderen zu kommunizieren, vorwiegend auf Sozialen-Netzwerk-Seiten. Fast 90 % aller Jugendlichen im Alter von 12-19 Jahren messen dem Internet eine hohe Bedeutung in ihrem Alltag bei. Sie sind täglich über ihren eigenen PC oder Laptop online und verbringen 50 % ihrer Online-Zeit mit Kommunikation. Bei 16-19-Jährigen spielt sich Kommunikation zu 90 % auf Sozialen-Netzwerk-Seiten ab. Dabei wird Facebook von fast 90 % der Jugendlichen genutzt. Im Schnitt haben sie hier 270 Freunde. (Vgl. JIM-Studie 2012). Fred ist eine scherzhafte Bezeichnung für Thread und bezeichnet hierarchisch organisierte Beiträge in Foren. <?page no="168"?> 4. Pragma-Internetlinguistik 168 A bewegt sich also wie selbstverständlich in der Online-Welt, hier „trifft“ sie ihre Freunde genauso wie auf dem Schulhof. (Es gibt natürlich auch Online- Bekanntschaften, die sie nicht persönlich kennt.) Gerade wenn A online kommuniziert, knüpft sie häufig an Gespräche an, die vorher auf dem Schulhof nicht beendet werden konnten. Für Außenstehende sind solche Konversationen kryptisch, weil sie den Kontext nicht kennen. „Eingeweihte“ benötigen jedoch keine zusätzlichen Informationen oder Höflichkeitsmarker, weil ja nur ein Gespräch fortgesetzt wird, keines neu begonnen. Kommunikation entwickelt sich so zu einer Endlosschleife, die lediglich durch Schlafphasen unterbrochen wird. Weil oftmals der letzte Konversationsbeitrag schriftlich fixiert in der Facebook-Nachrichtenbox liegt und per Smartphone einsehbar ist, kann die Kommunikation am nächsten Morgen nahtlos weitergeführt werden. Daraus ergeben sich Gewohnheiten, die unwillkürlich auch auf andere Kommunikationssituationen übertragen werden, selbst wenn andere Kommunikationspartner gar nicht das erforderliche inhaltliche Hintergrundwissen haben und auch nicht kontinuierlich an der Konversation teilnehmen. Diese Kommunikationspartner pflegen wiederum ähnliche Konversationen, auch sie vermissen beispielsweise explizite Gesprächseinleitungs- und beendigungsphasen nicht. So verselbstständigen sich die Kommunikationsgewohnheiten. Es entstehen Routinen, in denen für die Offline-Kommunikation typische Formeln (auch: Höflichkeitsfloskeln) ausgeblendet werden, weil der unmittelbare Gesprächspartner gar nicht immer klar definiert ist. Gerade in Sozialen Netzwerken gibt es immer mehrere potenzielle Empfänger für die eingestellten Botschaften (in As Fall mindestens 270, sofern sie nicht in Listen wie „enge Freunde“ oder „Bekannte“ unterteilt sind). Der Sender entscheidet sich auch aus diesem Grund für eine informelle Informationsübertragungsmodalität, weil es gar nicht möglich ist, jeden potenziellen Rezipienten adäquat zu adressieren. Gleichzeitig sind natürlich auch die Reaktionen der Rezipienten nur dann wahrnehmbar, wenn sie artikuliert werden. Wer sich durch einen Beitrag beleidigt fühlt und sich deshalb abwendet, gibt kein für die Online-Kommunikation verwertbares Signal. Rückmeldungen könnten jedoch ein Regulationsinstrument sein, das alle Kommunikationsteilnehmer davor bewahrt, eine informelle Kommunikation mit vielen Personen als Referenz für kommunikatives Verhalten onwie offline zu betrachten. Dazu gehört auch, dass soziale Rollen, die offline deutlich wahrnehmbar sind, nicht ignoriert werden dürfen. Selbst wenn A bereits ihrem Schuldirektor, der selbst auch ein Facebook-Profil hat, eine Freundschaftsanfrage gesendet hat und ihn damit auf eine (virtuelle) Ebene mit ihrer Peergroup projiziert. In der Realität kann sie ihn nicht mit „Hi, was geht? “ begrüßen, (zumal As Anfrage unbeantwortet blieb). Artikuliert der Schuldirektor in der Situation seine Irritation nicht entsprechend, weiß A nicht, dass sie sich inadäquat verhalten hat. Möglicherweise erachtet sie es dann auch nicht als inadäquat, ihren potenziellen Arbeitgeber im Rahmen eines Bewerbungsgespräches entsprechend zu adressieren. Selbst wenn das Gespräch von ihr als positiv wahrgenommen wird und sie objektiv gesehen, fähig wäre, die Stelle auszufüllen, ist eine <?page no="169"?> 169 4.5 Beispielanalysen: Pragmatische Regeln im Spiegel des Web 2.0 Ablehnung aufgrund sozialer Inkompetenz sehr wahrscheinlich - für A sicher eine Überraschung. Zwischen sozialen Rollen zu unterscheiden und die Kommunkationsbeiträge angemessen zu formulieren, scheint gerade den „Digital Natives“ zunehmend schwer zu fallen. Während eine saloppe Begrüßungsformel sich vielleicht noch nicht destruktiv auf die soziale Beziehung zwischen Kommunikationsteilnehmern auswirkt, sondern zunächst lediglich Irritation hervorruft, können Respektlosigkeiten natürlich auch in deutlich negativeren Ausprägungen vorkommen. Es stellt sich dann die Frage, wie groß die Hemmschwelle noch ist, einen Beitrag wie (4-41) nicht auch direkt in der Face-to-Face-Situation zu formulieren. (4-41) warum erwähnt keiner frau XYZ (kp wie sie geschrieben wird) sie ist doch die größte hure der ganzen welt. tut auf jung mit ihren engen shirts, in denen man ihre fetten bacuhrollen sieht diese hässlige hamsterbacke! ! ich hasse sie. XYZ, brauchts in den arsch! (Isharegossip, 2011-04-23, 20: 17: 18) 4.5.3 Anonym und nichts zu befürchten - Zur aktiven Missachtung von kommunikativen Regeln im Netz Äußerungen wie in (4-41) sind im WWW keine Seltenheit, sie gehören in die Kategorie Cybermobbing. Etwa ein Drittel aller Jugendlichen haben hiermit schon Erfahrungen gemacht. Genaue Angaben dazu, inwieweit Erwachsene betroffen sind, gibt es bislang nicht. Im folgenden Abschnitt wird die Problematik skizziert und an zwei unterschiedlichen Beispielen diskutiert. Dabei ist vor allen Dingen die Frage relevant, welchen Beitrag die Linguistik zur Aufklärung und Reduktion von Cybermobbing leisten kann. Gemäß Marx (2013a,b) betrachten wir das Phänomen in verschiedenen Ausprägungen, dem Cybermobbing einerseits und dem virtuellen Rufmord (4.5.4) andererseits. Cybermobbing ist der gezielte Versuch, Personen durch beleidigende und degradierende sprachliche Handlungen zu verletzen und ihre Persönlichkeit zu dekonstruieren. Ist dieser Versuch an Verleumdungen gekoppelt, die für Dritte so glaubwürdig präsentiert werden, dass sie das Opfer nachhaltig kompromittieren, handelt es sich um virtuellen Rufmord (VirtRM). Die Verbalattacken sind jeweils persönlich motiviert, sie richten sich gegen real existierende Personen, die Gründe dafür variieren zwischen Wut, Rache, Eifersucht, Langeweile, Spaß oder sozialem Druck, nicht selten werden Offline-Konflikte auf die Online-Ebene ausgedehnt. Vor dem theoretischen Hintergrund der Höflichkeitstheorie von Brown/ Levinson (1987) handelt es sich beim Cybermobbing um gesichtsbedrohende Akte. Cybermobbing <?page no="170"?> 4. Pragma-Internetlinguistik 170 Brown/ Levinson (1987) unterscheiden gesichtsbedrohende Akte (auch Face threatening Acts, kurz: FTAs), die das positive Gesicht des Hörer bedrohen und gesichtsbedrohende Akte, die das negative Gesicht des Hörers bedrohen. Das Gesicht entspricht in diesem Fall dem „public image“, das sich aus dem Wunsch konstituiert, in der eigenen Handlungsfreiheit nicht beeinträchtigt zu werden (negatives Gesicht) und gleichzeitig anerkannt und sozialisiert zu sein (positives Gesicht). Das negative Gesicht kann durch direktive Sprechakte wie Drohungen, Handlungsanweisungen oder Befehle bedroht werden. Das positive Gesicht ist bedroht, wenn der Sprecher beleidigt, kritisiert oder Höflichkeitsnormen ignoriert. Betroffene leiden stark unter diesen Angriffen. Sie haben Angstzustände, Depressionen, es gibt sogar Opfer, die in den Selbstmord getrieben werden. Sie fühlen sich machtlos, weil sie oftmals nur vermuten können, wer der Urheber der Nachrichten ist, und dessen Beweggründe nicht kennen. Auch ist das Ausmaß der Bedrohung nur schwer einzuschätzen. Eine linguistische Analyse würde nun hier ansetzen. Sie kann nicht verhindern, dass sich das Opfer zutiefst verletzt fühlt, aber sie kann helfen, offen zu legen, warum eine Äußerung so bedrohlich, verletzend oder beängstigend wirkt. Gleichzeitig kann sie aufzeigen, wie überzeugend sie auch für Dritte tatsächlich ist. Gerade Dritte (auch: Virtuelle Zaungäste oder bystander) bilden das für das Gelingen eines Cybermobbingaktes konstitutive Publikum. Ohne sie würde ein gesichtsbedrohender Akt zwar verletzend sein, aber das Opfer nicht bloßstellen. Wenn die Strategien und sprachlichen Mittel, die ein Täter anwendet, „enttarnt“ werden können, gelingt es dem Opfer möglicherweise, die sprachliche Gewalttat für sich einzuordnen und zu relativieren. (4-42) ist ein typischer Eintrag auf der mittlerweile geschlossenen Plattform Isharegossip. Es handelt sich hier um einen Beitrag im Rahmen einer zum Thema „Wie findet ihr dieses Foto? “ geführten Diskussion. Das Foto zeigt ein recht freizügig gekleidetes Mädchen, nicht nachzuvollziehen ist, ob dieses Foto von ihr selbst oder von jemand anderem auf die Seite gestellt worden ist. (4-42) 1sten das und 2 is für mich ne Bitch eine die sich Täglich von verschieden typen ficken lässt ; D (Isharegossip, 2011-04-06, 16: 52: 14) Hier wird mit Hilfe eines repräsentativen Sprechaktes eine Allaussage getroffen, in der man dennoch eine expressive Verbalisierung einer ganz persönlichen Auffassung erkennen kann. Aufgabe 4-15 Überlegen Sie, wie das Opfer hier reagiert. Wie schätzen Sie die Wirkung dieses Beitrags auf Dritte ein? Werden Unbeteiligte vom Wahrheitsgehalt der Äußerung überzeugt? Welche Faktoren beeinflussen die Überzeugungskraft des Beitrags? <?page no="171"?> 171 4.5 Beispielanalysen: Pragmatische Regeln im Spiegel des Web 2.0 Es ist anzunehmen, dass es dem Täter gelingt, das Opfer mit diesem Beitrag zu verletzen. Gelingt es ihm aber auch, Dritte davon zu überzeugen, dass der Inhalt der Äußerung wahr ist? Schließlich ist es sein Ziel, nicht nur das Opfer zu verletzen, sondern auch zu diskreditieren, d. h. dass Dritte motiviert werden sollen, die Auffassung des Täters zu übernehmen. In (4-42) liegen sowohl scheinbare Verstöße gegen die Maxime der Relevanz und Quantität sowie höchstwahrscheinlich der Qualität vor. Der Beitrag enthält für die Diskussionsfrage (s.o.) zu viele und irrelevante Informationen. Der Wahrheitsgehalt insbesondere des zweiten Teils der Aussage darf aufgrund von Wahrscheinlichkeitsannahmen angezweifelt werden. Wie ist nun die Überzeugungskraft einer derartig expressiven Äußerung einzuschätzen? Um Aufschluss darüber zu erhalten, können die Reaktionen der anderen Diskussionsteilnehmer herangezogen werden, vgl. beispielsweise (4-43) und (4-44). (4-43) wer war es denn sonst ? ich meine wer hat grund YXZ sowas anzutuhn ? ausser eine die eifersüchtig ist : cheers: (Isharegossip, 2011-04-07, 16: 44: 07) (4-44) jetzt sag nicht wegen ihren ex freund ? : D (Isharegossip, 2011-04-07, 18: 08: 26) Im weiteren Diskurs wird vorherrschend diskutiert, warum der Beitrag in das Forum gestellt worden ist und vom wem. Der Inhalt des Beitrags ist nicht Gegenstand der Diskusion. Es ist anzunehmen, dass auch die anderen Diskussionsteilnehmer den Inhalt der Nachricht als unwahr einstufen oder die Unwahrheit des Gesagten gar nicht in Frage stellen. Der Täter gebraucht hier Lexik auf niedriger Stilebene (z. B. Bitch, ficken), was die Überzeugungskraft zusätzlich reduziert und dazu führt, dass sich der Täter selbst diskreditiert. Er erreicht damit einen Effekt, der dem von ihm angestrebten nicht entspricht. Das bewirkt zwar nicht, dass das Opfer weniger verletzt ist. Es kann aber die Angst davor minimieren, dass sich andere Personen der Auffassung des Täters anschließen (siehe auch Marx 2012a). 4.5.4 Profilraub - Zur rufschädigenden Beachtung von kommunikativen Regeln An einem Beispiel für Virtuellen Rufmord soll nun gezeigt werden, inwieweit Täter die Möglichkeiten, die ihnen das WWW bietet, ausschöpfen und damit einen erheblichen Einfluss auf die reale Existenz eines Opfers nehmen. Aufgabe 4-16 Schauen Sie sich das Beispiel (4-45) und (4-46) zunächst einmal an. Es handelt sich hier um zwei Einträge in einem Eisenbahn-Forum. Wo sehen Sie hier einen gesichtsbedrohenden Akt? <?page no="172"?> 4. Pragma-Internetlinguistik 172 (4-45) Danke ich werde gleich runterladen dieses schöne Strecke (4-46) Jetzt bei rail-sim.de meine neue Kreation für Railworks zum Download. Ich wurde in Türingen inspiriert. Wer Fragen hat kann mir gerne E-Mail schreiben. Sie können auf den ersten Blick nichts feststellen? Das ist nicht verwunderlich, denn so geht es jedem anderen Rezipienten auch, der diese Einträge liest, wenn er denn auf die Seiten gelangt. Hier liegt gar kein offensichtlicher Verstoß gegen kommunikative Regeln vor, im Gegenteil, wir finden sogar Höflichkeitsformeln (Danke in 4-45). Der Akt des Virtuellen Rufmords liegt nämlich darin, dass hier in einem illegalen Forum ein Profil für das Opfer angelegt worden ist. Foto, Benutzername und bürgerlicher Name des Opfers wurden unverändert aus Facebook übernommen. Sowohl inhaltlich als auch sprachlich hat sich der Täter bemüht, einen möglichst authentischen Eindruck zu erwecken. So bringt er Ereignisse zur Sprache, die tatsächlich in die Erfahrungswelt des Opfers gehören, wie z. B. eine Reise nach Thüringen. Weiterhin versucht er die Sprache des Opfers zu imitieren. Mit der grammatikalisch nicht korrekten Phrase dieses schöne Strecke (4-45) und dem orthographischen Fehler in Türingen (4-46) will er beispielsweise der Tatsache Rechnung tragen, dass das Opfer kein deutscher Muttersprachler ist. Nur ein Experte, der die Fremdsprachkompetenz des Opfers als Vergleichsbasis nutzt, kann einschätzen, wie wahrscheinlich es ist, dass das Opfer, das der deutschen Sprache überdurchschnittlich gut mächtig ist, derartige Fehler macht. Vielleicht wissen auch Personen, die das Opfer persönlich kennen, dass ihm solche Fehler nicht unterlaufen. Für Dritte ist es nahezu unmöglich, solche Profilfälschungen zu erkennen. Fassen wir die Anwendungsbeispiele noch einmal kurz zusammen. An Kennenlernprozessen ließ sich zeigen, dass Handlungsschemata aus On- und Offline-Szenarien effizient eingesetzt werden. In einem Gedankenexperiment zur Höflichkeit wurde die Vermutung formuliert, dass die Web 2.0dominierten informellen Kommunikationsgewohnheiten unwillkürlich auf Offline-Situationen übertragen werden. Bleiben Rückmeldungen zu Regelverstößen aus, verfestigen sich Kommunikationsroutinen, die zu einer Reduktion von Angemessenheit und Höflichkeit führen können. Wie die Spezifika der Online-Kommunikation, z. B. die Anonymität, aktiv in Regelverstöße umgesetzt werden, belegen Beispiele zum Cybermobbing. Linguistische Analysen können hier dazu dienen, die Überzeugungskraft von sprachlichen Gewaltakten zu evaluieren. Fehlen offensichtliche gesichtsbedrohende Akte, wie hier im Fall des Virtuellen Rufmords, werden linguistische Analysen zur Detektivarbeit, die auf das Instrumentarium der sogenannten Forensischen Linguistik zurückgreift. Konstanze Marx Zwischen-Fazit <?page no="173"?> 173 4.5 Beispielanalysen: Pragmatische Regeln im Spiegel des Web 2.0 Die Pragma-Internetlinguistik überträgt die Theorien, die sich bereits zur Beschreibung von Äußerungsbedeutungen und sprachlichen Handlungen offline bewährt haben, auf die Online-Kommunikation. Als wichtigste Aufgabe im Zuge dieser Adaption offenbart sich hierbei die genaue Ausdifferenzierung eines Kontextes, da das Internet nicht nur Kanal oder Plattform, sondern auch Teil der Online-Kommunikation ist und damit ein für den Kontext konstitutiver Faktor. Somit sind alle Kommunikations phänomene, die erst dank der Internettechnologie entstehen können und die sich nicht erklären lassen, ohne dass die mediale/ technologische Entstehungssituation und Kommunikationsumgebung mitgedacht wird, Untersuchungsgegenstand der Pragma-Internetlinguistik. Darunter fällt natürlich das Interesse daran, wie erreichbar Kontextinformationen für die Nutzer sind, mit welchen Strategien auf sie zugriffen wird, aus welchen Quellen sie gezogen werden und in welchem Ausmaß sie im Verste hensprozess notwendig sind. Gerade aus Rezipientensicht ist in dem schnellen Medium WWW kein Raum für unökonomisches Verhalten. Umso interessanter ist, wie die Flut an Informationen anhand von Relevanzindikatoren beherrschbar wird. Sprechakte: sind sprachliche Äußerungen in spezifischen Kommunikations situationen. Sie stellen sprachliche Handlungen dar. Ebenso wie für die linguistische Pragmatik handelt es sich hierbei um einen zentralen Ausdruck für die Pragma-Internetlinguistik. Die von Searle formulierten Gelingensbedingungen für Sprechakte können jedoch nicht problemlos auf die über programmierte Algorithmen laufende Kommunikation in virtuellen Welten übertragen werden. Performativität: bezeichnet den Handlungscharakter einer sprachlichen Äußerung. Eine besonders interessante Facette spiegelt sich in den technischen Funktionen auf Sozialen-Netzwerk-Seiten wider, mit denen komprimiert komplexe kommunikative und soziale Handlungen vollzogen werden können, die auch im realen Leben Wirkung zeigen. Kooperationsprinzip und Konversationsmaximen: beschreiben die Erwartungshaltungen, die jeder zwischenmenschlichen Kommunikation zugrundliegen. Gerade für die Kommunikation im Web 2.0 eröffnet sich in vielen Fällen die Frage nach der Relevanz von Beiträgen. Hierbei müssen emotionale Zusatzbedeutungen in die Überlegungen einbezogen werden. Implikaturen: sind Zusatzbedeutungen, die über das wörtlich Gesagte hinausgehen. Sie können aus dem wörtlich Gesagten abgeleitet werden (konventionale Implikaturen) oder unter Zuhilfenahme von Kontextfaktoren interpretiert werden (konversationale/ konversationelle Implikaturen). Speicherinhalt - - <?page no="174"?> 4. Pragma-Internetlinguistik 174 Übungen 1. Beurteilen Sie den folgenden spotted-Beitrag hinsichtlich seiner Performativität. Nutzen Sie hierfür das Instrumentarium der Sprechakttheorie und berücksichtigen Sie dabei, dass dieser Beitrag auf Facebook öffentlich einsehbar ist. Ende Januar ist IPR ausgefallen. Du kamst, ich stand schon da und sagte Dir, dass der Prof krank ist und es ausfällt. Bis dahin habe ich Dich für einen Schnösel gehalten. Wir haben uns kurz unterhalten und uns gegenseitig angestrahlt. Dein unglaubliches Lächeln und Deine sympathische Art haben mich eines Besseren belehrt. Und da ich vor Prüfungen immer etwas durchdrehe und damals noch an meinem Ex hing (= keine gute Kombination), habe ich Dich und Dein Hallo die Wochen darauf nicht wahrgenommen. Sorry… Ich Blindfisch und ich Taubfisch. Jedenfalls ist Dein Lächeln erst jetzt bei mir angekommen - in den Ferien. So ein Shit. Seitdem denke ich nur noch: WOW! Und zu guter Letzt hat mir ein Vöglein gezwitschert, dass Du vergeben bist. Noch einmal Shit. Was soll’s. Wenn ich wüsste, dass Du Single bist, würde ich etwas unternehmen. Ich weiß noch nicht was, aber mir würde bestimmt was Gutes einfallen. Naja, Shit happens. Aber Du sollst wissen: Dein Lächeln ist der absolute Ober-Wahnsinn! Viel schöner als die Sonne. Und wenn ich Dich das nächste Mal zufällig sehe, dann schenke ich Dir meins. (Spotted: HU Berlin Kommode - Zweigbibliothek Rechtswissenschaft, Facebook, 2013-03-06) 2. Beschreiben Sie den kommunikativen Sinn des folgenden Kommunikationsbeitrags. Auf welche Informationen stützen Sie sich dabei? Guttenberg-Wochen bei Facebook! Einfach eine Meldung aus dem Freundeskreis kopieren und als eigene Meldung veröffentlichen. Bitte aber ohne Quellenangabe! Am Besten gleich diese, dann wird‘s ein Kettenplagiat. Achja, is natürlich von mir... (ctp, Facebook, 2011-02-22) 3. Diskutieren Sie an einem konkreten Beispiel aus dem Freundeskreis, ob es sich um einen indirekten Sprechakt handelt, wenn der Beziehungstatus geändert wurde. 4. Versuchen Sie die Relevanz eines Beitrags mit der Überschrift „Achtung, Achtung, Achselnässe! Promis schwitzen eben auch “ (web, 2013-06-17, 11: 39) zu erklären. <?page no="175"?> 175 4.5 Beispielanalysen: Pragmatische Regeln im Spiegel des Web 2.0 hier als „Cyberpragmatics“ bezeichnet - und als Sammelband von Herring/ Stein/ Virtanen (2013). Eine Reihe von sprach- und kommunikationswissenschaftlichen Publikationen widmet sich einzelnen pragmatisch interessanten Phänomenen, z. B. der Chat-Kommunikation (Beißwenger 2000, 2002, 2007, 2009), der Höflichkeit in studentischen E-Mails (Seifert 2012, Kiesendahl 2011), dem Cybermobbing (Fawzi 2009a, b, Marx 2012a, 2013a, b), der kommunikativen Usability (Jakobs 2013), Informationsfilterprozessen (Runkehl 2013) oder der Web 2.0-Kommunikation unter Jugendlichen (Neumann-Braun/ Autenrieth 2011). Frindte/ Köhler (1999) denken in ihrem medienphilosophischen Buch zur Kommunikation im Internet über die Rolle des Internets bei der Konstruktion von Wirklichkeit nach. Lektüre zur Vertiefung Grundlegende Ausführungen zur Pragmatik sind nachzulesen bei Meibauer ( 2 2001) (der auch Kritik an der Sprechakttheorie übt) und Bublitz ( 2 2009). Liedtke (1995) nimmt Implikaturen-Theorien unter die Lupe, E-Implikaturen sind erstmals von Schwarz-Friesel (2010) beschrieben worden. Veröffentlichungen zur Pragma-Internetlinguistik gibt es bislang nur von Yus (2011) - <?page no="177"?> 5. Textlinguistik und das Internet Was sind Hypertexte? Welche typischen Merkmale kennzeichnen Texte im Internet? Was ist aus textlinguistischer Sicht interessant an Blogs, Tweets, Soziale- Netzwerk-Seiten, Websites, E-Mails etc.? 5.1 Eine neue Textlinguistik für das Internet? Immer wieder hört man die Kritik, vor allem Jugendliche würden nichts mehr lesen und stattdessen nur mehr im Internet surfen. Nun finden sich im Internet in der Tat Kommunikationsformen, in denen das Lesen von Texten keine oder nur eine geringe Rolle spielt: Man kann skypen, Foto-Blogs auf Flickr oder Instagram betrachten, Webradio hören oder sich Videos auf You- Tube oder MyVideo anschauen. Die Kritiker übersehen jedoch, dass in weiten Bereichen des Internets und auch des Web 2.0 dennoch weiterhin schriftliche Texte vorherrschend sind. Sie spielen einerseits schon eine wichtige Rolle durch die Möglichkeit, Fotos oder Videos zu kommentieren, andererseits aber auch in Kommunikationsformen, die wesentlich auf sprachlichtextuellen Kommunikaten beruhen. Auch wenn bildliche Kommunikation aufgrund der Affordances des Mediums Internet an Bedeutung gewonnen hat, kann daher - zumindest teilweise - Entwarnung gegeben werden: Wer im Internet surft, liest dort im Allgemeinen auch viel, und das Schreiben und Veröffentlichen von Texten wird durch Facebook, Twitter, Blogging- Plattformen etc. eher gefördert. Was allerdings abgenommen hat, ist die Länge der Texte, die gelesen werden. Das Internet und der Computer als Endgerät bieten sich für die Lektüre zum Beispiel von Romanen einfach nicht an, da diese unter den technischen Bedingungen mühsam ist. Dies mag sich mit der Verbreitung von E-Book- Readern und Tablets wieder ändern, aber E-Books sind, auch wenn sie über das Internet heruntergeladen werden, keine typischen Internet-Texte. Internet-Texte zeichnen sich, abgesehen von der meistens geringeren Länge, noch durch einige andere Merkmale aus (siehe Kapitel 5.3), die für die Textlinguistik von besonderem Interesse sind. Die traditionelle Textlinguistik entwickelte ihre methodischen und theoretischen Grundlagen anhand von Texten in „alten Medien“. Angesichts neuer Textformen ist sie nun aber gezwungen, ihre Textdefinition zu überdenken und gegebenenfalls zu adaptieren. Andererseits eröffnet sich ihr ein spannendes - und riesiges - Korpus an Texten, die einer textlinguistischen Analyse zugänglich sind. Die Frage, die sich angesichts neuer Kommunikationsformen und Textsorten im Web stellt, ist daher: Brauchen wir eine eigene Brauchen wir eine Internet- Textlinguistik? <?page no="178"?> 5. Textlinguistik und das Internet 178 Internet-Textlinguistik oder kommen wir mit den althergebrachten textlinguistischen Modellen aus (vgl. Ziegler 2004)? In diesem Kapitel werden wir einige aus textlinguistischer Sicht zentrale Aspekte der Internet-Kommunikation betrachten. Der Fokus wird dabei auf den grundlegenden Merkmalen von Internet-Texten und auf für das Internet besonders typischen und wichtigen Kommunikationsformen und Textsorten liegen. Zunächst wird jedoch der dem ganzen Kapitel zugrunde liegende Textbegriff erläutert. 5.2 Was ist ein Text überhaupt? Aufgabe 5-1 Was versteht man im Alltag unter einem Text? Überlegen Sie bzw. diskutieren Sie mit Kommilitonen, was man dem Alltagsverständnis zufolge alles als Text bezeichnet. Recherchieren Sie dazu bei Bedarf auch im Internet. Obwohl wir alle täglich Texte lesen oder schreiben, muss man feststellen: Was einen Text zu einem Text macht, lässt sich nicht so einfach sagen. Auch der Textlinguistik ist trotz zahlreicher Versuche (vgl. die Auflistung in Klemm 2002) noch keine alle zufrieden stellende Definition geglückt. Verschiedene Kriterien wurden dabei immer wieder genannt: • Ein Text besteht aus mehreren zusammenhängenden Sätzen. • Ein Text beruht auf einer Vernetzung von Informationen. • Ein Text ist eine komplexe sprachliche Handlung. • Ein Text ist eine (komplexe) schriftlich festgelegte sprachliche Äußerung. • Etc. Keines dieser hier vage formulierten Kriterien ist jedoch hinreichend für eine Definition von TEXT . Außerdem finden sich immer wieder sprachliche Äußerungen, die wir intuitiv ganz selbstverständlich als Texte bezeichnen würden, die aber das eine oder andere der oben genannten Kritieren nicht oder nur unvollständig erfüllen. Aus diesem Grund scheint es uns am erfolgversprechendsten zu sein, keine exakt durch eindeutige Kriterien abgegrenzte Kategorie TEXT zu definieren, sondern von einem prototypischen Textkonzept auszugehen (zur Prototypentheorie siehe auch Kapitel 3.3.1 und zum prototypischen Textbegriff Sandig 2000). Das Konzept des prototypischen Textes erlaubt es uns zu sagen, dass es typischere und weniger typische Texte gibt, das heißt, Texte, die alle wichtigen Textualitätsmerkmale erfüllen und die damit im Zentrum der Kategorie TEXT stehen, und solche, bei denen dies nicht der Fall ist. Es bleibt aber dennoch die entscheidende Frage: Was sind nun die Merkmale eines prototypischen Textes? Was macht einen prototypischen Text zu einem Text? Beginnen wir mit einer Definition: TEXT als prototypische Kategorie <?page no="179"?> 179 5.2 Was ist ein Text überhaupt? „Ein Text ist eine komplex strukturierte, thematisch wie konzeptuell zusammenhängende sprachliche Einheit, mit der ein Sprecher eine sprachliche Handlung mit erkennbarem kommunikativem Sinn vollzieht.“ (Linke/ Nussbaumer/ Portmann 1994: 245) Aus dieser Definition lassen sich die Textualitätsmerkmale Sprachlichkeit, Kohäsion, Kohärenz, Textfunktion, Textsortenzugehörigkeit, Schriftlichkeit, sprechsituationsüberdauernde Stabilität, Abgeschlossenheit und Monologizität ableiten: Ein Text wird zunächst als etwas Sprachliches bestimmt. Das heißt, für die Formulierung von Texten kann dieser Definition zufolge nur Sprache als semiotischer Modus genutzt werden. Gerade dieses Merkmal prototypischer Texte erscheint jedoch nicht mehr im gleichen Maß gültig, wenn wir an textuelle Kommunikation im Internet denken (siehe Kapitel 5.3.2). Aber auch schon bei modernen gedruckten Zeitschriften ist festzustellen, dass die Artikel immer häufiger als multimodale Konglomerate aus sprachlichen und bildlichen Elementen gestaltet werden. Des Weiteren wird ein Text als eine komplex strukturierte Einheit definiert. Das heißt, dass sich ein prototypischer Text aus mehreren Sätzen zusammensetzt. Damit würde zum Beispiel die leuchtende Aufschrift Ausgang über einer Tür in einem Kinosaal nicht mehr als prototypischer Text zählen. Schließlich besteht sie nicht einmal aus einem vollständigen Satz. Ähnliches gilt für ein Schild im Zoo: Das Füttern der Tiere ist verboten! Dabei handelt es sich zwar um einen Satz, aber eben nur um einen einzigen. Wir könnten aber auch nicht von einem prototypischen Text sprechen, wenn mehrere Sätze zumindest optisch eine Einheit bildeten, sie aber nicht durch textgrammatische Mittel der Kohäsion miteinander verbunden wären. So sind zum Beispiel nicht durch Kohäsionsmittel miteinander verbundene Sätze auf einem Notizzettel, den Sie beispielsweise neben ihrem Telefon liegen haben, kein prototypischer Text. Zwar legt ihre „räumliche Nähe“ auf dem Zettel einen Zusammenhang nahe - wenn dieser auch nicht notwendigerweise gegeben sein muss -, aber dieser Zusammenhang wird zumindest auf der Textoberfläche nicht durch Kohäsionsmittel signalisiert. Es fehlt also die klare textgrammatische Strukturierung, die einen prototypischen Text kennzeichnet. Kohäsion: Textzusammenhang, der an der Textoberfläche durch textgrammatische Mittel, die Kohäsionsmittel, hergestellt bzw. signalisiert wird. Zu den Kohäsionsmitteln zählen Junktoren, wie Konjunktionen, Subjunktionen und Konjunktionaladverbien, die Rekurrenz von Lexemen, Substitution, Pro- Formen, explizite Textverknüpfung und andere. (Konstruiertes) Beispiel: Folgendes [explizite Textverknüpfung] wollen wir berichten: Paul lebt gerne in Griechenland, weil [Subjunktion] dort das Wetter schön ist. In seiner neuen Heimat [Substitution für Griechenland] hat er [Pro-Form für Paul] sich daher [Konjunktionaladverb] sogar ein Haus gekauft. Paul [Rekurrenz] wohnt sehr gerne darin [Pro-Form für Haus]. Sprachlichkeit Kohäsion <?page no="180"?> 5. Textlinguistik und das Internet 180 Es gibt auch textähnliche Gebilde, die Kohäsionsmittel aufweisen, aber dennoch keine inhaltlich zusammenhängenden Texte sind. Hier werden an der Textoberfläche Zusammenhänge signalisiert, die auf der thematisch-konzeptuellen Ebene nicht gegeben sind: (Konstruiertes) Beispiel eines kohäsiven, aber nicht kohärenten Textes: Paul lebt gerne in Griechenland, obwohl sich die Erde um die Sonne dreht. Deshalb kocht er morgen Suppe. Diese Speise aßen schon die alten Römer. Griechenland ist die Heimat der Griechen. Nun ist Kohäsion nicht das zentrale Merkmal von Textualität. Ein prototypischer Text erfüllt dieses Kriterium jedoch. Wichtiger ist der in der obigen Definition angesprochene thematische und semantisch-konzeptuelle Zusammenhang: die Kohärenz eines Textes. Erst wenn es einem Rezipienten gelingt, auf Basis der im Text vermittelten Informationen einen Gesamtsinn zu (re-)konstruieren, hat er den Text verstanden, und erst dann kann man davon sprechen, dass er tatsächlich einen Text (! ) gelesen hat. Er hat dann ein kognitives Textweltmodell im Kopf (siehe auch Kapitel 3.3.2), in dem die einzelnen im Text behandelten Themen und die aufgerufenen Konzepte miteinander verknüpft sind, sodass sie ein kohärentes Sinnganzes ergeben. Bei der Lektüre zum Beispiel experimenteller oder avantgardistischer literarischer Texte kann der Aufbau eines kohärenten Textmodells schwierig sein. Wenn es unmöglich ist und damit der Text - zumindest für viele Leser - nicht kohärent ist, kann man aus diesem Grund nicht mehr von einem prototypischen Text sprechen. Mit Texten werden, wie die obige Definition feststellt, sprachliche Handlungen mit einem kommunikativen Sinn vollzogen. Texte haben also eine Funktion, die sie in einer gegebenen Kommunikationssituation erfüllen. Schließlich schreiben wir Texte nicht einfach nur so, sondern wir verfolgen kommunikative Ziele damit. Ist eine Textfunktion nicht klar erkennbar oder kann sie nicht zumindest halbwegs sicher erschlossen werden, so handelt es sich wiederum nicht um einen prototypischen Text. Neben den drei genannten Merkmalen prototypischer Texte (Kohäsion, Kohärenz und Textfunktion) ist auch noch die in der Definition nicht angesprochene Textsortenzugehörigkeit zu nennen: Einen prototypischen Text können auch textlinguistische Laien problemlos einer Textsorte zuordnen. Es ist jeweils klar, dass es sich um einen Liebesbrief, ein Mahnschreiben, ein Wahlplakat oder eine Scherz-E-Mail handelt. Ist dies bei einem Text nicht klar, können wir ihn also keiner Textsorte zuordnen, dann ist er kein prototypischer Text. Ein Aspekt der zitierten Definition ist noch interessant, weil hier eine Bezeichnung gewählt wurde, die zu einem prototypischen Text gerade nicht passt: Der Verfasser des Textes wird von Linke/ Nussbaumer/ Portmann als „Sprecher“ bezeichnet. Im Allgemeinen versteht man unter einem Text, noch dazu einem prototypischen Text, aber eine geschriebene sprachliche Äußerung. Schriftlichkeit ist daher auch ein Merkmal eines prototypischen Textes. Kohärenz Textfunktion Textsortenzugehörigkeit Schriftlichkeit <?page no="181"?> 181 5.2 Was ist ein Text überhaupt? Wenn man diesen Punkt genauer betrachtet, stellt man jedoch fest, dass die schriftliche Fixierung vor allem deshalb so ein relevantes Kriterium für Textualität ist, weil Texte generell durch eine „sprechsituationsüberdauernde Stabilität“ (Ehlich 1983: 32) gekennzeichnet sind. Im Gegensatz zu mündlichen Äußerungen, die sofort, nachdem sie ausgesprochen wurden, auch schon vergangen sind, werden Texte, indem sie niedergeschrieben werden, quasi materiell gespeichert. Damit überdauern sie die jeweils aktuelle Situation, in der sie formuliert werden. Wir können daher auch heute noch Romane lesen, die vor hundert Jahren geschrieben wurden, oder Liebesbriefe, die unser Großvater unserer Großmutter noch vor ihrer Heirat geschickt hat. Es geht dabei nicht darum, dass nur der Textinhalt überliefert wird, sondern um die Überlieferung der sprachlichen Oberflächengestalt des Textes. Diese sprachliche Basis eines Textes, das, was niedergeschrieben wurde und was ein Rezipient liest, bezeichnet Stetter (1999: 294) als Textur. Die sprechsituationsüberdauernde Stabilität von Texten wird also durch eine Fixierung der Textur erreicht. Die Stabilität von Texten kann übrigens auch durch eine originalgetreue mündliche Überlieferung - von Epen, Balladen, Sagen etc. - gewährleistet werden. Verschriftlichung ist also zwar in literalen Gesellschaften wie unserer die gebräuchlichste und bewährteste Form der Stabilisierung von Texten über einen größeren Zeitraum hinweg, aber generell nicht die einzig mögliche. Dieses Textualitätskriterium ist der Kern für eine weitere Textdefinition: „TEXTE sind Produkte sprachlichen Handelns, die in ihrer medialen Repräsentation und Gestaltkonstanz darauf angelegt sind, abgelöst von der Entstehungssituation an anderen Orten und zu anderen Zeiten (immer neu) rezipierbar zu sein.“ (Zifonun/ Hoffmann/ Strecker 1997: 249) Der zentrale Punkt in dieser Definition ist für uns die Gestaltkonstanz von Texten, d. h. die Stabilisierung ihrer Textur. Diese ist nämlich in manchen Bereichen des Internets nicht mehr gegeben, wie wir in Kapitel 5.3.3 noch sehen werden. Auch ein anderes, häufig nicht explizit genanntes Merkmal von prototypischen Texten gilt nicht für alle Texte im Internet: die Abgeschlossenheit (siehe Kapitel 5.3.1). Im Allgemeinen kann man bei einem Text sagen, wo er beginnt und wo er endet. Dies kann durch das Lay-out signalisiert werden oder auch durch Formeln wie Es war einmal am Beginn bzw. wie Und so lebten sie glücklich bis an ihr Ende am Schluss eines Märchens. Dadurch wird ein Text als komplexe Einheit abgegrenzt. Er ist in sich geschlossen. Wenn dies, wie zum Beispiel bei einem Romanfragment, nicht der Fall ist, kann man zwar noch von einem Text, aber nicht mehr von einem prototypischen Text sprechen. Das letzte für uns relevante Merkmal prototypischer Texte ist, dass sie grundsätzlich monologisch sind. Sie werden von einem Autor verfasst und von einem Leser rezipiert, der zumindest nicht direkt und zeitnah auf den Text antworten kann. Es fehlt bei textueller Kommunikation also die Möglichkeit zur Interaktivität und Dialogizität, wie sie zum Beispiel in Face-to- Face-Gesprächen gegeben ist. Wie wir schon in Kapitel 2.4.1 gesehen haben, Sprechsituationsüberdauernde Stabilität Abgeschlossenheit Monologizität <?page no="182"?> 5. Textlinguistik und das Internet 182 sieht es im Hybridmedium Internet jedoch anders aus. Hier finden sich sehr wohl Texte, die in der einen oder anderen Form Dialogizität aufweisen (siehe auch Kapitel 5.3.4). Sie sind daher nicht prototypisch im hier dargestellten Sinn, aber gerade aus diesem Grund von besonderem Interesse für die Textlinguistik. Mini-Glossar zu den Merkmalen prototypischer Texte Sprachlichkeit: der Aspekt prototypischer Texte, dass diese nur sprachlich formuliert sind, ohne Verwendung anderer semiotischer Modi (wie z. B. Bilder). Kohäsion: die textgrammatische Verknüpfung einzelner Sätze auf der Oberfläche eines Textes. Kohäsion wirkt transphrastisch, also über einzelne Sätze hinaus. Die wichtigsten Kohäsionsmittel sind: Pronominalisierung, Rekurrenz von Lexemen, Substitution, explizite Textverknüpfung und die verschiedenen Formen der Junktion (Konjunktionen, Subjunktionen und Konjunktionaladverbien). Kohärenz: der inhaltliche Zusammenhang eines Textes, also die Verknüpfung auf semantischer Ebene. Kohärenz entsteht erst im Zuge der Rezeption eines Textes im Kopf des Lesers, der die Einzelinformationen des Textes unter Rückgriff auf eigenes Wissen zu einem komplexen, in sich zusammenhängenden kognitiven Textmodell verbindet. Textfunktion: die sich aus der jeweiligen Kommunikationssituation ergebende und meist in seiner Formulierung und Gestaltung signalisierte Hauptfunktion eines Textes. Einzelne Abschnitte oder Teile eines Textes mögen eine andere Funktion haben, diese unterstützt im Allgemeinen aber die Funktion des Gesamttextes. Textsortenzugehörigkeit: die Zuordnung eines Textes zu einer Textsorte, also einer Kategorie von Texten, die in ihren formalen und funktionalen Merkmalen übereinstimmen. Textsorten sind prototypische Kategorien, weshalb es auch „bessere“ und „schlechtere“ Exemplare einer Kategorie gibt. Schriftlichkeit: der Aspekt prototypischer Texte, dass diese schriftlich verfasst sind, also nicht mündlich und auch nicht unter Verwendung anderer semiotischer Modi. Sprechsituationsüberdauernde Stabilität: die grundlegende Funktion von Texten, dass sie über die aktuelle Kommunikationssituation, in der sie verfasst werden, hinaus erhalten bleiben und sie nicht, wie mündlich getätigte Äußerungen, flüchtig sind. Texte „zerdehnen“ die Kommunikationssituation, indem die sprachliche Oberflächengestalt, die Textur - im prototypischen Fall durch Verschriftlichung - stabilisiert, d. h. fixiert wird. Abgeschlossenheit: das Merkmal prototypischer Texte, dass sie einen durch Grenzsignale erkennbaren Anfang und ein ebenso signalisiertes Ende haben. Prototypische Texte sind aufgrund dieses Merkmals in sich geschlossene und damit klar von anderen Texten abgegrenzte Einheiten. <?page no="183"?> 183 5.3 Texte im Internet Monologizität: die Eigenheit prototypischer Texte, dass sie von einem Autor verfasst werden, und zwar so, dass keine direkte und unmittelbare, also dialogisch-interaktive, Antwort möglich ist und auch prinzipiell keine erwartet wird. 5.3 Texte im Internet Die grundlegenden Konzepte und Begriffe der Textlinguistik, wie sie im letzten Abschnitt vorgestellt wurden, sind für Texte im Internet genauso relevant und daher für die Analyse von Internet-Texten brauchbar. Auch Texte im Internet sind mehr oder weniger kohäsiv und kohärent, haben eine Textfunktion und sind, wenn das auch nicht immer leicht fällt, einer Textsorte zuordenbar. Es lassen sich aber für die textuelle Kommunikation im Internet Besonderheiten feststellen, die einerseits in manchen Fällen eine Anpassung der theoretischen Konzepte, andererseits eine Erweiterung dessen, was als Gegenstand der Textlinguistik betrachtet wird, nötig erscheinen lassen. Im Folgenden werden wir die vier wichtigsten Merkmale von typischen Texten im Internet erläutern: Hypertextualität, Multimodalität, Fluidity und Dialogizität. Anzumerken ist dazu, dass diese Merkmale nicht alle Texte im Internet kennzeichnen und dass nicht alle Merkmale ausschließlich auf textuelle Online-Kommunikation beschränkt sind. Dennoch können sie als prägend für die neuen textbasierten Kommunikationsformen im Internet betrachtet werden. 5.3.1 Verlinkt: Hypertextualität Texte enthalten stets Verweise auf andere Texte. Man nennt dieses Merkmal Intertextualität (vgl. z. B. Beaugrande/ Dressler 1981). Grundsätzlich unterscheiden wir zwei Arten von Intertextualität (siehe dazu auch Habscheid 2009: 33 f.): • Texte verweisen auf andere Texte, die nach dem gleichen Textmuster, also dem gleichen Formulierungsschema, gestaltet sind. Das heißt, jeder Text ist intertextuell über seine Textsortenzugehörigkeit mit allen anderen Texten derselben Textsorte verbunden. Wenn man zum Beispiel eine Einladung zu einer wissenschaftlichen Tagung per E-Mail aussendet, so folgt man bei der Formulierung der E-Mail bis zu einem gewissen Grad einem konventionalisierten Muster, dem auch andere schon gefolgt sind, wenn sie eine ähnliche Kommunikationsaufgabe zu lösen hatten. Damit verweist man implizit auf diese anderen E-Mails bzw. auf die Textsorte insgesamt, zu der sie gehören. • Mittels Zitaten bzw. Zitatangaben kann man eine intertextuelle Verbindung zu anderen Einzeltexten herstellen. So verweist zum Beispiel die obige Angabe „siehe dazu auch Habscheid 2009“ auf das entsprechende Buch. Ähnlich intertextuell funktioniert das wörtliche Zitat der Textdefinition von Linke/ Nussbaumer/ Portmann (1994) in Kapitel 5.2. Brauchen wir eine Internet- Textlinguistik? Die 4 Merkmale von Texten im Internet Intertextualität <?page no="184"?> 5. Textlinguistik und das Internet 184 Eine solche intertextuelle Bezugnahme muss aber nicht immer so explizit erfolgen. Vielmehr gibt es auch die Möglichkeit einer Anspielung auf einen anderen Einzeltext, indem man einzelne sprachliche Elemente aus dem Ursprungstext übernimmt, beispielsweise den Namen Herr Grundeis aus Erich Kästners Roman „Emil und die Detektive“ in Beispiel (5-1): (5-1) (Zenon @kaot50, Twitter, 2013-11-17, 11: 39) Beide Arten von Intertextualität findet man in Offlinewie auch in Online- Texten. Dasselbe gilt für intratextuelle Verknüpfungen durch Kohäsionsmittel, wie sie oben beschrieben wurden. Interessant ist jedoch an Texten im Internet, dass hier die Grenze zwischen intra- und intertextuellen Verweisen nicht mehr in jedem Fall eindeutig zu ziehen ist. Dies liegt vor allem daran, dass Texte im Internet zwar nicht durchwegs, aber typischerweise Hypertextualität aufweisen. Der Ausdruck Hypertext wurde von Ted Nelson bereits 1965 zur Bezeichnung der Vernetzung von Texten und Informationen verwendet (vgl. Bleicher 2010: 21 f.). Die grundlegende Vorstellung von Hypertextualität geht aber schon auf Vannevar Bush zurück. Allerdings konnten dessen Ideen zur Zeit ihrer Veröffentlichung (1945) aus technischen Gründen noch nicht umgesetzt werden. Erst mit der Entwicklung leistungsfähiger Hard- und Software konnte Hypertextualität zur prägenden Eigenschaft von Kommunikaten in den neuen Medien werden. Vannevar Bush (*1890, †1974) war Berater des US-amerikanischen Präsidenten Roosevelt und Koordinator der Forschung im Bereich Waffentechnik während des II. Weltkriegs. Er gilt als Vordenker im Bezug auf das Konzept der Hypertextualität, insbesondere in seinem berühmt gewordenen Aufsatz: „As We May Think“ (Bush 1945). Bush beschreibt darin die Struktur menschlicher Denkprozesse als assoziativ und erdachte das „Memex“, eine Art elektronischen Schreibtisch (! ) mit eingebauter Datenspeicher- und Datenvernetzungsfunktion. Das Memex sollte ebenfalls assoziativ funktionieren und der Unterstützung des menschlichen Denkens und des Gedächtnisses dienen. Bushs Ziel war es, vor allem Forschungsergebnisse effizienter und quasi „menschenfreundlicher“ zu speichern und verfügbar zu machen. (Eine genauere Erläuterung des Memex findet sich in Warnke 2011: 143 ff.) Hypertextualität <?page no="185"?> 185 5.3 Texte im Internet Als die drei zentralen definitorischen Merkmale von Hypertexten nennt Storrer (2000: 227) die folgenden: • Hypertexte sind nicht-linear organisiert. • Hypertexte erlauben die Verwendung mehrerer unterschiedlicher Symbolsysteme (Multimodalität). • Hypertexte sind computerverwaltete Texte. Da das zweite Merkmal, die Multimodalität, zwar ein typisches Merkmal von Texten im Internet ist, aber aus unserer Sicht kein notwendiges oder spezifisches Definitionskriterium für Hypertexte, besprechen wir diesen Punkt gesondert in Kapitel 5.3.2. Für die Definition von Hypertexten ist unserer Ansicht nach hingegen das erste der drei Merkmale besonders relevant: Während herkömmliche Texte so gestaltet sind, dass sie im Idealfall vom Anfang bis zum Ende linear gelesen werden, ermöglichen Hypertexte ein gleichsam assoziatives, wenn auch durch ihre Struktur zum Teil vorgegebenes Springen von einem Textteil zu einem anderen. Auf diese Weise wird eine nicht-lineare Rezeption unterstützt. Die nicht-lineare Struktur von Hypertexten ergibt sich dadurch, dass Texte in Textmodule, sogenannte Knoten, zerlegt werden, die aber durch Verlinkungen, als Kanten bezeichnet, miteinander verbunden sind (Abbildung 5-1). Abb. 5-1: Modell einer Hypertextstruktur Konkrete Hypertexte müssen natürlich nicht so viele Verlinkungen aufweisen, es kann aber auch mehr Knoten und mehr Kanten in einer Hypertextstruktur geben. Es kann auch sein, dass ein Knoten, also ein Modul, eine zentrale Rolle in einer Hypertextstruktur spielt und daher mit allen anderen Knoten verlinkt ist, während die anderen Knoten untereinander keine Verlinkung aufweisen. Entscheidend ist nur, dass es solche Verlinkungen gibt und dass diese eine nicht-lineare Rezeption unterstützen. Anzumerken ist, dass die Verlinkungen intratextuell sein können. Ein Beispiel dafür ist die Website „Was ist Hypertext? “ (Abbildung 5-2), wo zu Beginn des Textes ein Inhaltsverzeichnis als Orientierungshilfe angeboten wird. Die einzelnen Kapitelüberschriften in diesem Verzeichnis sind Hyperlinks, Nicht-Linearität Intratextuelle Verlinkungen <?page no="186"?> 5. Textlinguistik und das Internet 186 sodass man, wenn man auf eine der Überschriften klickt, direkt zum jeweiligen Kapitel und damit zu einem anderen Abschnitt desselben Textes gelangt. Abb. 5-2: Website mit intratextueller Verlinkung (http: / / www.perzept.de/ hypertext/ Was.htm) Die Verlinkungen können aber auch intertextuell sein, wie zum Beispiel in einem Artikel der Internet-Zeitschrift Telepolis (Abbildung 5-3): Hier gelangt man durch Anklicken der Links zum „Greenhouse Gas Bulletin“ bzw. zur Seite der Weltmeteorologie-Organisation. Auf jeden Fall verlässt man über die Verlinkungen den Text, den man ursprünglich gelesen hat. Die hypertextuelle Verlinkung verschiedener Texte bewirkt jedoch, dass diese Texte im Rezeptionsprozess enger miteinander verknüpft werden. Dadurch ist der Unterschied zwischen verlinkten Modulen eines Textes und verschiedenen verlinkten Texten zuweilen nicht mehr so deutlich zu erkennen wie in den beiden angeführten Beispielen. Hypertextualität bewirkt auf diese Weise ein Verschwimmen der Grenze zwischen Intratextualität und Intertextualität. Generell sind die Links mit ihren Benennungen eine Art hypertextuelle Kohäsionsmittel. Sie verbinden Textmodule nicht nur technisch, indem sie den Rezipienten zu einem anderen Textmodul weiterleiten. Ihre Benennung (z. B. Eine Basisdefinition in Abbildung 5-2) ist im Allgemeinen auch ein Hinweis darauf, was den Leser im nächsten Modul erwartet. Sie funktionieren somit ähnlich wie explizite Textverknüpfungen in herkömmlichen linearen Texten. Intertextuelle Verlinkungen <?page no="187"?> 187 5.3 Texte im Internet Abb. 5-3: Website mit intertextueller Verlinkung (http/ / www.heise.de/ tp/ blogs/ 2/ 155288) Hypertextualität ist die Basis für Ergodizität (siehe Kapitel 2.4.3). Das heißt, sie ermöglicht es dem Rezipienten, seinen eigenen Weg durch den Hypertext zu finden, indem er die Links auswählt, die er anklickt. Diese aktive Beteiligung des Rezipienten an der Textkonstitution geht über die entsprechenden Aktivitäten des Lesers eines linearen Textes hinaus: Bei der Lektüre eines linearen Textes ist der Leser auch am Aufbau des Textsinns beteiligt (siehe das Kommunikationsmodell in Kapitel 2.2.8). Bei der Rezeption eines Hypertextes stellt er sich darüber hinaus auch die Textur erst endgültig zusammen. Der Autor eines Hypertextes formuliert natürlich die Textur, gestaltet sie und fügt auch die Verlinkungen ein, aber der Rezipient wählt dann aus, was er liest. Durch diese Selektionsprozesse bestimmt er mit, wie die Textur aussieht, die er dann rezipiert. Aus der Hypertextualität und der Ermöglichung ergodischen Rezipierens ergibt sich auch, dass das Textmerkmal der Abgeschlossenheit für Online- Texte mit hypertextueller Struktur nicht mehr auf dieselbe Weise gilt wie für herkömmliche lineare Texte. Solange Links vorhanden sind, kann der Rezipient potenziell immer weiterlesen. Natürlich überschreitet er dann irgendwann die Grenze des einen Textes und betritt einen anderen. Solche Textgrenzen erscheinen aber durch die Verlinkungen zuweilen recht unscharf. Wann der eine Text abgeschlossen ist und wann der andere beginnt, ist daher nicht mehr so leicht bestimmbar. Zu dieser Reduktion der Abgeschlossenheit trägt außerdem die Aufsplitterung eines Textes in einzelne (verlinkte) Module bei. Dadurch ist nicht immer klar, welcher Knoten noch zum einen Text gehört und welcher schon zum nächsten. Hypertextualität funktioniert im Internet und generell in den elektronischen Medien so gut, weil es dafür die entsprechenden technischen Voraussetzungen gibt. Daher ist es auch berechtigt, das diesbezügliche von Storrer genannte Merkmal zur Definition und Beschreibung von Hypertexten heranzuziehen: Hypertexte sind computerverwaltete Texte. Sobald man mehrere Hypertextualität und Ergodizität Hypertexte als computerverwaltete Texte <?page no="188"?> 5. Textlinguistik und das Internet 188 elektronisch verlinkte Module eines Hypertexts ausdruckt, merkt man, was den Mehrwert eines Hypertexts ausmacht (vgl. Storrer 2000: 229). Die Links sind zwar noch immer erkennbar, aber man kann ihnen nicht mehr einfach durch Anklicken folgen. Eine hypertextuelle Modularisierung eines Textes ist daher nicht mehr so leicht möglich. Dazu sind jedoch zwei einschränkende Bemerkungen nötig: Einerseits gibt es auch Hypertextualität in gedruckten Texten, wenn auch nicht so ausgeprägt. Anderseits finden sich im Internet auch Texte, die keine Hypertexte sind. Hypertextualität findet sich in gedruckten Texten wie zum Beispiel Lexikon- oder Wörterbucheinträgen, wo mittels eines Pfeils oder eines anderen Symbols auf einen anderen Eintrag verwiesen wird. Solche Verweise verwendet auch die Duden-Grammatik: (5-2) Sätze sind weitgehend vom finiten Verb bestimmt bzw. von dem damit gebildeten Prädikat ( ↑ 1309). Die übrigen Bestandteile, die Satzglieder, hängen davon ab ( ↑ 1179). (Duden 8 2009: 763) Die Pfeile und Zahlen in den Klammern verweisen auf die entsprechenden Abschnitte in der Grammatik. Sie stellen somit „Links“ in einem gedruckten Text dar. Die zweite Einschränkung bezieht sich darauf, dass man im Internet auch Texte findet, die keine hypertextuellen Verlinkungen aufweisen - abgesehen davon, dass man sie nur über einen Link erreichen kann. Es handelt sich dabei um herkömmliche Texte, die nur ins elektronische Medium übertragen oder gar eingescannt wurden. Ein Beispiel dafür sind wissenschaftliche Aufsätze, die vom Autor ins Netz gestellt wurden, um sie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen (siehe z. B. die Homepage des Linguisten Utz Maas: http: / / zentrum.virtuos.uni-osnabrueck.de/ utz.maas). Solche Texte werden als „elektronische Texte“ bezeichnet (Wenz 2001: 96). Sie sind aber keine Hypertexte, was zeigt, dass Hypertexte zwar die typischsten und dem Medium adäquatesten Texte im Internet sind, aber nicht die einzigen. 5.3.2 Vermischt: Multimodalität Multimodalität ist das zweite von Storrer (2000) genannte Definitionsmerkmal von Hypertexten. Multimodalität ist jedoch aus unserer Sicht ein eigenständiges Merkmal von Internet-Texten und nicht an Hypertextualität gebunden, weshalb wir diesem Thema ein eigenes Unterkapitel widmen. Wie schon in Kapitel 2.4.1 dargestellt, gehört die Möglichkeit, verschiedene semiotische Modi zu verwenden, zu den Affordances des Hybridmediums Internet. Dies wirkt sich auch auf die Gestaltung von Texten aus: Wir finden im Internet so häufig Kombinationen aus sprachlichen, bildlichen und zum Teil auch anderen semiotischen Elementen, dass diese Form der Multimodalität als typisch für Texte im Internet angesehen werden kann. Gedruckte Hypertexte Elektronische Texte vs. Hypertexte Multimodale Texte im Internet <?page no="189"?> 189 5.3 Texte im Internet Abb. 5-4: Website des deutschen Bundeskanzleramts (Ausschnitt) (http: / / www. bundesregierung.de/ Webs/ Breg/ DE/ Bundesregierung/ Bundeskanzleramt/ _node.html) Als Beispiel kann hier die Website des deutschen Bundeskanzleramts dienen (Abbildung 5-4): Theoretisch wäre es auch möglich, zur Beschreibung dieser Institution einfach einen rein sprachlichen Text zu formulieren. Weit passender für das Internet ist aber die hier gewählte Lösung: Die Informationen werden auf einzelne Module verteilt, und für diese Module werden verschiedene semiotische Modi verwendet. So kann man einen Text über den aktuellen Kanzleramtsminister und seinen Aufgabenbereich lesen. Zur Illustration findet man dazu ein Porträtbild des Ministers. Zusätzlich gibt es einen virtuellen Rundgang durch das Kanzleramt in Form einer Diashow und ein Video über die Geschichte der Kanzlerämter. Auf diese Weise werden die Affordances des Internets genutzt, um Informationen anschaulicher zu präsentieren, als es mit einer rein sprachlichen Beschreibung möglich wäre. Dass multimodale Texte zumindest für bestimmte kommunikative Zwecke geeigneter sind, beruht auf den unterschiedlichen Leistungspotenzialen der verschiedenen Zeichentypen. Bilder zum Beispiel leisten anderes als Sprache. Aufgabe 5-2 Überlegen Sie: Welche unterschiedlichen Eigenschaften von Bildern bzw. Sprache lassen sich feststellen? Welche kommunikativen Funktionen erfüllen Bilder besser als sprachliche Zeichen und umgekehrt? Hier eine kurze Gegenüberstellung von Eigenschaften der beiden semiotischen Modi Bild und Sprache (nach Stöckl 2011: 48 f., gekürzt): Leistungspotenziale von Sprache und Bildern <?page no="190"?> 5. Textlinguistik und das Internet 190 Beschreibungsebene Bild Sprache Semiotik (Zeichensystem) flächige Anordnung lineare Anordnung ikonisch (wahrnehmungsnah) arbiträr (wahrnehmungsfern) Perzeption/ Kognition (Verstehen) simultane Wahrnehmung sukzessive Wahrnehmung schnell langsam (vergleichsweise) gedächtnis- und wirkungsstark gedächtnis- und wirkungsschwach Direkt emotionsverbunden nicht direkt emotionsverbunden Semantik (Bedeutungspotenzial) beschränkter semantischer Spielraum (z. B. keine oder nur eingeschränkte Möglichkeit zur Negation, zur Modalisierung, zur Referenz auf Abstraktes, zur Argumentation und logischen Verbindung von Aussagen) (tendenziell) unbeschränkter semantischer Spielraum Pragmatik (kommunikative Funktionalität) Zeigen merkmalsreicher Objekte Handlungen/ Ereignisse in der Zeit darstellen Anzeigen der Lage von Objekten zueinander im Raum Logische Bezüge (z. B. Kausalität oder Konditionalität) zwischen Elementen erklären Tab. 5-1: Gegenüberstellung von Eigenschaften von Bild und Sprache (vgl. Stöckl 2011: 48 f.) Bilder sind demnach besonders gut geeignet, wenn ein Gegenstand dargestellt werden soll. Denselben Gegenstand verbal zu beschreiben ist schon wesentlich schwieriger: Bilder sagen mehr als 1000 Worte - zumindest, wenn es um Beschreibungen geht. Mit Bildern kann man auch besser emotionalisieren. Sie wirken schneller, direkter und stärker: „Bilder sind direkte Schüsse ins Gehirn“ (Kroeber-Riel 1996: 53). Andererseits ist die Sprache besser geeignet, wenn man etwas erzählen will, oder um logisch zu argumentieren. Sprachlich kann man Negationen einfach ausdrücken oder eine Äußerung modalisieren (z. B. mittels Modalverben, Modaladverbien oder dem Konjunktiv). Aufgrund dieser unterschiedlichen Leistungspotenziale der beiden semiotischen Modi ist es oft vorteilhaft, beide in multimodalen Texten zu kombinieren. Bilder können so zum Beispiel beschreibende Teile einer Erzählung ersetzen oder ergänzen. Im obigen Beispiel (Abbildung 5-4) wird das Porträtfoto des Kanzleramtsministers verwendet, damit der Rezipient weiß, wie er aussieht, und er dadurch vielleicht auch einen direkteren Bezug zu dieser <?page no="191"?> 191 5.3 Texte im Internet Person herstellen kann. Eine verbale Beschreibung wäre hingegen unpassend und könnte nie das leisten, was das Bild vermag. Auch der virtuelle Rundgang durch das Bundeskanzleramt ist wesentlich anschaulicher, als es eine verbale Beschreibung je sein könnte. Bilder dienen daneben auch der Strukturierung von Texten, wie an unserem Beispiel schön zu erkennen ist. Sie sind damit Teil des Textdesigns von Sprache- Bild-Gefügen, die Schmitz (2003: 626) als „Lesebilder im Internet“ bezeichnet. Zusätzlich können Bilder - wie in unserem Beispiel - als Links fungieren. Dabei kommt es zu einer besonders deutlichen Kombination mit der anderen schon beschriebenen Eigenschaft prototypischer Texte im Internet: der Hypertextualität. Die Verbindung von Multimodalität und Hypertextualität nennt man „Hypermodalität“ (Weidacher 2007; Lemke 2002). Erst durch Hypermodalität werden die Affordances des Mediums Internet tatsächlich genutzt. Sie ist daher auch ein wesentliches Merkmal prototypischer Internet-Texte, wenn sie auch nicht bei allen Texten im Internet vorkommt. 5.3.3 Verflüssigt: Fluidity Die sprechsituationsüberdauernde Stabilität von Texturen ist eines der zentralen Definitonsmerkmale von Texten. Bei geschriebenen Texten im Internet ist dieses Kriterium von Textualität im Grunde auch auf dieselbe Weise gegeben. Allerdings gibt es im Internet zwei Phänomene, die die Stabilität verringern: • Texte können zwar recht einfach ins Netz gestellt werden, sie können aber auch ebenso einfach wieder gelöscht werden. • Manche Texte im Internet werden immer wieder überarbeitet. Ihre Textur wird verändert - und das zuweilen von mehreren Autoren. Zum ersten Punkt ist zu sagen, dass das Löschen von Texten zwar an sich tatsächlich recht einfach ist, dass allerdings Texte oder Bilder manchmal vor dem Löschen durch andere User im Internet weiterverbreitet und an anderer Stelle gespeichert werden. In diesem Fall lassen sie sich nur an ihrem ursprünglichen Ort im Netz löschen, aber möglicherweise nicht mehr endgültig aus dem Internet entfernen. Diese ungewollte Stabilität ist jedoch kein Gegenargument zur prinzipiellen Löschbarkeit von Texten im Internet. Diese ist zum Beispiel auf Websites von Online-Zeitungen gut zu erkennen, wo Artikel im Normalfall nicht länger als ca. einen Tag zu finden sind. Auf das Problem, dass vor allem manche Jugendliche gerne - auch erotische oder peinlich-lustige - Fotos von sich machen, um diese elektronisch an Freunde zu schicken, sie aber aufgrund von schlechten Erfahrungen fürchten, dass diese Fotos dann im Internet verbreitet werden könnten, hat Snapchat (www.snapchat.com) reagiert. Über diese Plattform kann man Fotos und Videos austauschen, die aber für den Empfänger nur bis zu zehn Sekunden sichtbar bleiben. Dann verschwinden sie. Die Bilder können auch nicht gespeichert werden. Die befürchtete sprechsituationsüberdauernde Stabilität und dadurch ermöglichte Verbreitung - in diesem Fall von Bildern - wird damit verhindert. Hypermodalität Verringerte Stabilität durch Löschbarkeit <?page no="192"?> 5. Textlinguistik und das Internet 192 Die prinzipielle einfache Löschbarkeit von Texten im Internet ist der eine Aspekt ihrer verringerten Stabilität. Interessanter ist der andere Aspekt: die Fluidity (vgl. Barton/ Lee 2013: 26) oder „Verflüssigung“ von Texten. Abb. 5-5: Versionsgeschichte des Wikipedia-Artikels zu „Doris Lessing“ (Ausschnitt) (http: / / de.wikipedia.org/ w/ index.php? title=Doris_Lessing= history) Fluidity kennzeichnet im Speziellen Texte in sogenannten Wikis, von denen die Online-Enzyklopädie Wikipedia am bekanntesten ist. Wiki bzw. ursprünglich wikiwiki bedeutet schnell auf Hawaiianisch. Der Software-Entwickler Ward Cunningham, der mit den gängigen Textverarbeitungsprogrammen unzufrieden war, wurde 1995 zu dieser Namensgebung angeregt, als er den Shuttlebus vom Flughafen Honolulu zum Strand sah: den Wikiwiki-Bus (vgl. Ebersbach/ Glaser/ Heigl 2011: 41). Wie man in Abbildung 5-5 sehen kann, werden die einzelnen Artikel dieser Online-Enzyklopädie kollaborativ, also von mehreren Autoren (hier z. B. Malki1211, JD Müller etc.), verfasst, wobei sich die Autoren im Allgemeinen nicht kennen (vgl. Herring 2013: 15). Es handelt sich bei Wikipedia daher um eine Plattform, die für das Web 2.0 typisch ist (siehe Kapitel 2.3.2). Entscheidend für die Fluidity solcher Texte ist, dass das kollaborative Arbeiten an einem Eintrag in der Online-Enzyklopädie prinzipiell nie abgeschlossen ist. Wenn wir einen Eintrag wie zum Beispiel den zu Doris Lessing lesen, so haben wir zwar einen temporär stabilisierten Text vor uns. Durch die ständige Überarbeitung ist die Stabilität jedoch nur eine relative. Dadurch, dass des Weiteren die Versionsgeschichte (siehe Abbildung 5-5) für alle Nutzer einsehbar ist, wird die Historie der Textgenese offengelegt und damit die Verflüssigung des Textes verdeutlicht. Fluidity ist kein Merkmal aller Texte im Internet. Sie ist aber Ausdruck der Nutzung einer sehr internetspezifischen Affordance des Mediums. Zugleich ver- Verringerte Stabilität durch Fluidity <?page no="193"?> 193 5.3 Texte im Internet körpern Texte, die auf diese Weise „verflüssigt“ sind, in besonderem Maß, den durch das Internet geförderten Wandel von textueller Kommunikation. 5.3.4 Verteilt: Dialogizität Prototypische Texte sind monologisch. Im Internet gibt es jedoch Texte, für die dieses Prinzip nicht mehr eindeutig gilt. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens die Ermöglichung externer Dialogizität, zweitens die Ermöglichung interner Dialogizität. Unter externer Dialogizität verstehen wir die Möglichkeit, auf einen Text direkt zu antworten, wobei die Antwort vom Text selbst eingefordert wird. Diese Form der Dialogizität, die ursprünglich kennzeichnend für mündliche Gespräche ist, findet man auch schon beim Briefverkehr. Allerdings verläuft der schriftliche Dialog dort stark asynchron, weshalb die Dialogizität zumindest eingeschränkt ist. Im Internet ist externe Dialogizität hingegen bei manchen Kommunikationsformen auch mehr oder weniger synchron möglich, etwa beim Chatten und in Diskussionen in Foren oder auf Twitter (Beispiel 5-3). (5-3) (Twitter, 2013-11-18, 15: 28, 16: 11, 16: 52) Der erste Tweet initialisiert durch seine Aufforderung (Bitte vervollständigen Sie diesen Satz) einen Dialog. Die Antwort kommt dann ca. eine Stunde später, theoretisch wäre aber auch eine sofortige Antwort möglich gewesen. Auf den zweiten Tweet folgt dann eine Reaktion von einem anderen User. Dieser dritte Tweet ist zwar keine Antwort auf eine Frage, aber dennoch Teil des dialogischen Gesprächs, weil es sich um einen reaktiven Gesprächsakt handelt. Diese extern dialogischen Tweets sind für sich jeweils Texte. Wenn ein Rezipient aber das gesamte Twitter-Gespräch auf einmal und als Einheit liest, so wird es für ihn zu einem komplexen Text, der sich aus den einzelnen Externe Dialogizität Interne Dialogizität <?page no="194"?> 5. Textlinguistik und das Internet 194 Tweets zusammensetzt. Dieser komplexe Text weist interne Dialogizität auf. Interne Dialogizität kennzeichnet zum Beispiel Dramen. Auch diese werden als Gesamttext rezipiert, bestehen aber aus den Redebeiträgen der einzelnen Figuren. Allerdings steht hinter diesen Redebeiträgen ein Autor, der Verfasser des Dramas, der die einzelnen Äußerungen den Figuren in den Mund legt. Texte mit interner Dialogizität im Internet, wie das Twitter-Gespräch in Beispiel (5-3), sind hingegen kaum einmal von nur einem Autor verfasst worden. Im Allgemeinen handelt es sich um kollaborativ-dialogisch konstituierte Texte. Auch aus diesem Grund unterscheiden sie sich von prototypischen Texten, die von einem Autor als Texte intendiert sind. Die Teilnehmer am obigen Twitter-Gespräch intendierten hingegen wohl kaum das Gespräch insgesamt als Text. Sie trugen nur durch ihre Tweets dazu bei. Erst nach Beendigung des „Gesprächs“ wird der Gesamttext als kohäsiv und kohärent rezipiert. Ein weiteres Beispiel für externe wie auch interne Dialogizität ist ein Ausschnitt aus der Facebook-Seite des österreichischen Bundeskanzlers Werner Faymann (5-4): (5-4) 25. Mai 2012: Bundeskanzler Werner Faymann Die Schweizer Fahne ist gehisst: Heute um 14 Uhr trifft Bundeskanzler Werner Faymann die Bundespräsidentin der Schweiz, Eveline Widmer-Schlumpf, im Bundeskanzleramt. (t.b.) Heinz Sommer: schön .. was gibts am buffet ..? [1] Wolfgang Ladich: ...na wenigsten ein Staatsakt, wo uns niemand um Geld anbettelt...! ! [2] Gerhard Nakuru: Ein Schlumpftreffen? [3] Christian Knop: Kommt auch Vater Abraham? [4] Helmut Hirtenlehner: Viel Spass und alles Gute ! [5] Pøl Vincænður: Die besprechen, wos am besten hinflüchten sollten, um dem Volkszorn zu entgehen^^ [6] Siegfried Pirker: Na jetzt trifft unser BK Werner mal jemanden aus der besten Demokratie der Erde. ICH HOFFE ER LERNT WAS DABEI UND KANN ES IN ÖSTERREICH UMSET- ZEN! ! [7] Christian Knop: Nur ist Österreich reif für eine direkte Demokratie? Ich glaub nein! ! [8] Ingomar Pesz: ...na ja, ich kenne die Schweiz und ihre Verhältnisse sehr gut. Ob sie aber "die beste Demokratie der Welt ist", davon bin ich nicht überzeugt. Ich möchte hier keine Abstimmungen, die sich gegen Menschengruppen richten, ich möchte auch kei...ne, die die Religionsfreiheit einschränken und ich möchte auch keine, bei denen sich das Volk in bestehende Rechte Einzelner oder Gruppen (Pensionen, Sozialhilfe, Krankenversicherung etc.) nachträglich einmischt. Das alles gibt's in der Schweiz und es klingt immer sehr schön, aber nur dann, wenn man auf die Butterseite fällt; sprich: ein hohes Gehalt einstreifen kann. [9] (Bundeskanzler Werner Faymann, Facebook, 2012-05-25) <?page no="195"?> 195 5.3 Texte im Internet Das „Team Bundeskanzler“ (t.b.) postete auf der Facebook-Seite des österreichischen Bundeskanzlers Werner Faymann die Meldung, dass die Schweizer Präsidentin Widmer-Schlumpf auf Staatsbesuch nach Wien gekommen ist. Diese Meldung ist ein an sich monologischer Text. Allerdings wurde er von etlichen Usern kommentiert. Die geposteten Kommentare sind zum Teil direkte Reaktionen auf den Inhalt dieser Meldung ([1], [2], [5], [6]). Zum Teil sind es aber auch scherzhafte Wortspiele mit dem Namen der Schweizer Präsidentin ([3], [4]). Diese Kommentare sind - mit Ausnahme von [5] - sicher keine Reaktionen, die so vom „Team Bundeskanzler“ intendiert oder gewünscht waren. Als reaktive Äußerungen brechen sie aber dennoch die Monologizität der Meldung auf. Noch interessanter sind in Hinblick auf die Dialogizität aber die Kommentare [7] - [9]. Hier entwickelt sich nämlich ein Dialog zwischen den Usern in Form einer „ipöK“, also einer interpersonal-öffentlichen Kommunikation (siehe Kapitel 2.3.4): [7] ist zwar eine Reaktion auf die ursprüngliche Meldung, [8] und [9] hingegen reagieren auf [7]. Dabei wird in [8] ein Element aus [7] (der besten Demokratie der Erde) implizit mit direkte Demokratie wieder aufgenommen; in [9] das gleiche Element sogar wörtlich wiederholt. Die einzelnen Beiträge sind somit kohäsiv verknüpft, was die (externe) Dialogizität dieser Kommentare auch an der sprachlichen Oberfläche deutlich macht. Wenn man nun im Nachhinein die Meldung und die geposteten Kommentare liest, erfasst man alles zusammen als einen Text. Es ist sicher kein prototypischer Text, weil er nicht als solcher intendiert wurde, nicht von einem Autor oder zumindest Autorenteam als Text konzipiert wurde und weil der ursprüngliche dialogische Charakter der Kommentare weiterhin sehr stark ausgeprägt ist. Trotzdem kann man - zumindest aus Sicht des Rezipienten - von einem Gesamttext sprechen, aber eben einem Text mit interner Dialogizität. Texte im Internet sind natürlich Texte, die auch die Merkmale prototypischer Texte in alten Medien aufweisen. Es handelt sich um mehr oder weniger komplexe Gebilde, die kohärent sind, eine Funktion haben, einer Textsorte zugerechnet werden können usw. Allerdings sind zumindest einige Texte im Internet - und zwar gerade solche, die als besonders typisch für textuelle Internet-Kommunikation gelten - durch Eigenheiten geprägt, die den Kriterien herkömmlicher Textualität widersprechen bzw. die diese Kriterien erweitern. Tabelle 5-2 soll das in Form einer zusammenfassenden Gegenüberstellung noch einmal veranschaulichen: Merkmale prototypischer herkömmlicher Texte Besondere Merkmale von (vielen) Texten im Internet Stabilität Fluidity Abgeschlossenheit Hypertextualität Sprachlichkeit/ Schriftlichkeit Multimodalität Monologizität Dialogizität Tab. 5-2: Gegenüberstellung: Kennzeichen prototypischer Texte vs. entsprechende Eigenheiten von Texten im Internet Zwischen-Fazit <?page no="196"?> 5. Textlinguistik und das Internet 196 Ein typisches Beispiel für einen (komplexen) Text im Internet ist eine politische Facebook-Seite wie die der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (https: / / de-de.facebook.com/ AngelaMerkel): Fluidity ist durch die kollaborative und sich stetig verändernde Gestaltung der Seite gegeben, Hypertextualität durch die Modularisierung und die Verlinkungen, Multimodalität durch den Einsatz der semiotischen Modi Sprache und Bild und Dialogizität durch die Kommentar- und die Gefällt-mir-Funktion. Prototypische Texte im Internet sehen also in einigen Punkten anders aus als ein generell prototypischer Text. Dies bedeutet nun nicht - um unsere Frage vom Beginn des Kapitels zu beantworten -, dass wir eine eigene Internet-Textlinguistik mit völlig neuer Begrifflichkeit brauchen. Schließlich haben wir im Internet auch Texte vor uns, die mehr oder weniger kohäsiv und kohärent sind, die eine Textfunktion haben und die man mehr oder weniger einer Textsorte zuordnen kann. Eine Adaption und Erweiterung des Text- Begriffs ist hingegen angesichts der Entwicklung textueller Kommunikation im Internet wohl unumgänglich, speziell wenn man auch den kreativen Umgang mit Texten und den medialen Möglichkeiten des Internets erfassen will, wie wir sie in Abbildung 5-6 vor uns haben. Abb. 5-6: Zwei durch eine Hand scheinbar verbundene Tweets (( ノ ಠ 益 ಠ) ノ I'M EVIL @PokemaniacoJuan, Twitter, 2013-11-06, 20: 02) <?page no="197"?> 197 5.4 Kommunikationsformen und Textsorten im Internet Aufgabe 5-3 Überlegen bzw. diskutieren Sie: Handelt es sich bei den beiden Tweets in Abbildung 5-6 jeweils um Texte oder insgesamt um einen Gesamttext? Ziehen Sie zur Beantwortung der Frage die erläuterten Merkmale von prototypischen Texten und von Texten im Internet heran. 5.4 Kommunikationsformen und Textsorten im Internet Kommunikationsformen sind „medial bedingte kulturelle Praktiken“ (Holly 2011: 155). Das heißt, sie sind Ausformungen kommunikativer Handlungen, die sich in einer Sprach-, Kommunikations- oder Kulturgemeinschaft herausgebildet haben. Dabei spielen die mediale Basis der jeweiligen Kommunikationsform und der Charakter der Kommunikationssituation die entscheidende Rolle. Allerdings ist auch der kulturelle Aspekt nicht zu unterschätzen: Kommunikationsformen entstehen erst durch die Art und Weise des Gebrauchs, den Kommunizierende von den Möglichkeiten eines Mediums machen (siehe Kapitel 2.2.7). Die wichtigsten Kommunikationsformen im Internet sind Websites, Soziale-Netzwerk-Seiten, Blogs (inkl. Foto-Blogs), Vlogs, Microblogs, E-Mails (bzw. Web-Mails), Instant Messages oder WhatsApp-Messages, Chatrooms (bzw. Chats) und Internet-Telefonie (Skypen). Jede dieser Kommunikationsformen nutzt die eine oder andere Affordance des Mediums Internet. Jede ist aber auch durch dessen Constraints geprägt. Die genannten Kommunikationsformen stellen spezifische Nutzungsweisen des Internets dar. Zugleich sind sie Antworten auf Kommunikationsbedürfnisse: Am Beginn der Entwicklung des Internets stand der Wunsch, Informationen rasch austauschen zu können. Das Internet stellte dafür die technisch-mediale Basis zur Verfügung. Die einzelnen Kommunikationsformen wurden entwickelt, um das Medium auf eine praktikable und effiziente Weise nutzen zu können und um unterschiedliche Kommunikationsbedürfnisse zu bedienen. So sind E-Mails eine Möglichkeit, viel schneller direkt schriftlich miteinander zu kommunizieren, als man es brieflich je könnte. Die Kommunikationsform E-Mail ist somit eine Reaktion auf den Bedarf nach einer Beschleunigung kommunikativer Prozesse. Ein anderes Beispiel sind Websites, die von Firmen ins Netz gestellt werden, damit sich potenzielle Kunden stets über aktuelle Produkte oder die Firma generell informieren können. Natürlich steht hier vor allem auch die Absicht der Firma dahinter, Werbung zu betreiben. Beide Aspekte von Firmen-Websites entsprechen Kommunikationsbedürfnissen einerseits der Firma und andererseits der Kunden. Wenn wir von Firmen-Websites sprechen, sprechen wir allerdings nicht mehr nur von Kommunikationsformen. Websites sind Kommunikationsformen, Firmen-Websites hingegen Textsorten. Der Unterschied besteht darin, dass Websites als Kommunikationsformen nur als bestimmte formale Ausprägungen der Nutzung eines Mediums definiert sind. Firmen-Websites sind als Textsorten hingegen darüber hinaus durch ihre Funktion bestimmt. Außerdem sind bei Textsorten die formalen Eigenschaften im Allgemeinen detaillierter bestimmbar. Kommunikationsformen <?page no="198"?> 5. Textlinguistik und das Internet 198 Was sind nun Textsorten genau? Textsorten sind - wie Kommunikationsformen - Mittel, um bestimmte Kommunikationsprobleme zu lösen. Allerdings handelt es sich dabei um spezifischere Probleme, weshalb auch die Textsorten als Lösungen spezifischer ausgeformt sind. Grunsätzlich lassen sich Textsorten daher, wie folgt, definieren (siehe dazu Devitt 2008: 1 ff.): Textsorten sind typisierte Antworten auf sich wiederholende kommunikative Anlässe bzw. Situationen. Das heißt, Textsorten sind in ihrer Form konventionalisiert worden, weil sie sich bei der Lösung eines Kommunikationsproblems als erfolgreich erwiesen haben und daher auch von anderen, die vor demselben Kommunikationsproblem standen, angewendet wurden. Aufgrund der Konventionalisierung einer Textsorte kann nun auf diese immer wieder zurückgegriffen werden, und wir müssen uns nicht immer wieder aufs Neue überlegen, wie wir das jeweilige Kommunikationsproblem lösen könnten (vgl. auch Schwarz-Friesel/ Consten 2014). Ein Beispiel ist die automatisch verschickte Erinnerungs-E-Mail einer Universitätsbibliothek mit der Mitteilung, dass ein ausgeliehenes Buch bald zurückzugeben ist (Beispiel 5-5). Entscheidend ist dabei nicht, dass diese E-Mail automatisch generiert und verschickt wurde, sondern dass jede Bibliothek ihre Erinnerungs-E-Mails auf zumindest sehr ähnliche Weise formuliert. Zum Beispiel werden die genauen Angaben zum fälligen Buch eingefügt, und das in mehr oder weniger ähnlicher tabellarischer Form. (5-5) (Erinnerungs-E-Mail, UB Graz, 2013-11-18) Wenn Bibliotheken also vor dem Kommunikationsproblem stehen, einen Entlehner an die Rückgabe eines Buches erinnern zu müssen, können sie auf die konventionalisierte Textsorte „Erinnerungs-E-Mail einer Bibliothek“ zurückgreifen, wie man auch an Beispiel (5-6), einem Erinnerungs-E-Mail einer anderen Bibliothek, erkennen kann. Die Formulierung und Gestaltung dieses Textes entspricht zwar nicht in jedem Detail, aber doch von der Grundstruktur und den meisten Merkmalen her der der anderen Erinnerungs-E-Mail. Was ist eine Textsorte? Textsorten als typisierte Antworten auf Kommunikationsanlässe <?page no="199"?> 199 5.4 Kommunikationsformen und Textsorten im Internet (5-6) (Erinnerungs-E-Mail, UB TU Berlin, 2013-04-13) Textsorten sind somit situationsspezifische kommunikative Praxen: Sie haben sich in bestimmten Kommunikationssituationen herausgebildet und erfüllen dort eine spezifische Funktion. Und sie sind in ihrer Form konventionalisiert. Das heißt, dass unter anderem ein bestimmter sprachlicher Stil verwendet wird, wenn nötig, zur Kommunikationsdomäne passende Termini, eine bestimmte Textstruktur und ein mehr oder weniger stark konventionalisiertes Lay-out. Als kommunikative Praxen stellen Textsorten daher formal typisierte kommunikative Handlungen dar. Textsorten werden demzufolge in ihrer Form geprägt durch ihre jeweilige Kommunikationsfunktion, die situativen Parameter (Kontext der Situation), das Medium (Kontext des Mediums), andere vorhandene Textsorten (Kontext der Textsorten) und die gruppenspezifsche Kultur (Kontext der Kultur). In unserem Beispiel (5-5) ist die Kommunikationsfunktion klar: Es handelt sich um eine Mitteilung, die einerseits informiert (Informationsfunktion), zugleich zur Rückgabe des Buches oder zur Verlängerung der Leihfrist auffordert (Appellfunktion). Die situativen Parameter ergeben sich unter anderem aus den an der Kommunikation Beteiligten. Das sind hier der Entlehner als Individuum in der Rolle des Empfängers und die Universitätsbibliothek als Institution in der Rolle des Senders. Zwischen diesen besteht aufgrund der Buchausleihe ein soziales Verhältnis, das den Entlehner verpflichtet, das Buch zurückzugeben, und dass es der Bibliothek erlaubt, den Entlehner daran zu erinnern oder ihn gegebenenfalls auch zu mahnen. Das Internet, über das die E-Mail gesendet wurde, bildet den Kontext des Mediums, wobei hier mit dem Kontext des Mediums auch die gewählte Form der Verwendung des Mediums, also die Kommunikationsform E-Mail, gemeint ist. Beide, Medium und Kommunikationsform, beeinflussen grundlegend die formalen Eigenschaften einer Textsorte. Ebenfalls relevant ist die Vorbildwirkung anderer - meist älterer - Textsorten. So ist bei der zitierten Erinnerungs-E-Mail noch immer das Vorbild eines Erinnerungsschreibens in Form eines Briefes erkennbar. Gerade bei der Herausbildung neuer Textsorten wird, sofern möglich, auf bereits vorhandene zurückgegriffen, auch wenn sie für das neue Medium adaptiert werden Textsorten als situationsspezifische kommunikative Praxen Prägung von Textsorten durch ihre Kontexte Der situative Kontext Der Kontext des Mediums Der Kontext der Textsorten <?page no="200"?> 5. Textlinguistik und das Internet 200 müssen. Das ist einfacher als die Erfindung völlig neuer Formen. Außerdem ist es für uns kognitiv praktisch unmöglich, bereits konventionalisierte Lösungen, wie es die vorhandenen Textsorten sind, nicht zu berücksichtigen. Damit sind Textsorten stets in einen Kontext anderer Textsorten eingebettet. Schließlich prägt auch noch der Kontext der jeweiligen Kultur eine Textsorte. In unserem Beispiel (5-5) wirkt er sich unter anderem dadurch aus, dass die Institution der Leihbibliothek in unserer Kultur existiert. Damit ist das kulturelle Konzept des Ausleihens und Zurückgebens verbunden. Gerade dieses Konzept ist für die Erinnerungs-E-Mail ein ganz entscheidender Aspekt des kulturellen Kontexts, weil einerseits damit die Funktion der Textsorte zusammenhängt, andererseits aber auch die sprachlich-formale Gestaltung. Nur dadurch, dass der Entlehner zur Rückgabe des Buches verpflichtet ist, ist die Bibliothek dazu berechtigt, ihn daran zu erinnern bzw. die Rückgabe zu fordern. Und nur aus diesem Grund kann sie eine solche Forderung mehr oder weniger direkt formulieren, und das in einem Stil, wie er aufgrund kultureller Konventionen hier passend erscheint. Die Prägung von Textsorten durch die verschiedenen Kontexte zeigt sich also auch in ihrer sprachlichen Formulierung und ihrer semiotischen Gestaltung. Texte, die einer Textsorte angehören, weisen daher gemeinsame Merkmale auf, wie etwa die Verwendung bestimmter semiotischer Modi (z. B. Texte mit oder ohne Bilder), eines bestimmten Stils (z. B. formell vs. informell), einer bestimmten Lexik (z. B. fachsprachlich oder nicht), eines bestimmten Lay-outs (z. B. das Lay-out eines Zeitungsberichts mit Titel, Lead und dem Haupttext in Spalten) oder einer bestimmten Art der Textstruktur (z. B. narrativ, deskriptiv oder argumentativ). Dazu kommt, dass Textsorten meistens durch ein Thema oder ein Themengebiet, das besprochen wird, charakterisiert sind. Aufgabe 5-4 1. Analysieren Sie den Beispieltext (5-6): Welche formalen Merkmale sind typisch für die Textsorte „Erinnerungs-E-Mail einer Bibliothek an einen Entlehner“? 2. Überlegen Sie, welche formalen Merkmale für einen Zeitungskommentar (auch in einer Online-Zeitung) kennzeichnend sind. Sie können dazu auch im Internet zum Thema „journalistische Textsorten“ recherchieren. Die formalen Merkmale von Textsorten erleichtern es dem Rezipienten, die Kommunikationsabsicht des Textautors zu erkennen und den Text in einen passenden Kontext einzuordnen. Er kann dabei ebenso auf sein Wissen über Textsorten als kommunikative Praxen zurückgreifen, wie es der Autor des Textes getan hat. Wichtig ist dabei nur, dass alle an einem Kommunikationsprozess Beteiligten die verwendete Textsorte, ihre Funktion und ihre formale Gestalt gleichermaßen kennen. Da sich die sozialen Verhältnisse und damit auch die Kontexte textueller Kommunikation ändern, unterliegen auch die Textsorten einem stetigen Wandel. Textsortenmerkmale verändern sich, ganze Textsorten werden nicht Der Kontext der Kultur Formale Merkmale von Textsorten Wandelbarkeit von Textsorten <?page no="201"?> 201 5.4 Kommunikationsformen und Textsorten im Internet mehr gebraucht (z. B. Glückwunschtelegramme). Dafür entstehen neue kommunikative Praxen und damit neue Textsorten. Diese sind häufig in ihrer Form an alte Textsorten angelehnt, insbesondere wenn sie dieselbe oder zumindest eine ähnliche Funktion haben. Beispiele wären Glückwunsch- Posts auf Facebook oder Glückwunsch-WhatsApp-Mitteilungen, die in manchen Aspekten Glückwunschtelegrammen ähneln. Heutzutage sind es gerade die neuen Medien und insbesondere das Internet, die durch ihre technischen Möglichkeiten die Herausbildung neuer Textsorten gestatten (vgl. Schwarz-Friesel/ Consten 2014). Deren typische Merkmale sind zum Teil erst dabei, sich herauszubilden und konventionalisiert zu werden. Daraus resultiert zum Beispiel die Unsicherheit, wie man eine E-Mail formulieren soll: Wie formell muss der Stil sein? Benötige ich eine Anrede und, falls ja, wie soll diese aussehen: Sehr geehrte Frau XY, Liebe XY oder einfach Hallo? Das hängt natürlich vom situativen Kontext ab, ob die Kommunizierenden z. B. in einem privaten oder offiziellen Verhältnis zueinander stehen. Dennoch: Während es bei Briefen ziemlich klar war, wie ein privater oder ein offizieller Brief auszusehen hatte und welche Anrede verwendet werden musste, scheint das bei E-Mails noch nicht so eindeutig bzw. noch nicht so stark konventionalisiert zu sein. Der Kontext des Hybridmediums Internet, in dem sich die neuen Textsorten entwickeln, verwischt die Grenzen zwischen privat und offiziell offenbar in einigen Handlungsdomänen, und das wirkt sich auch auf die Herausbildung der formalen Merkmale der neuen Textsorten aus (siehe dazu auch Kapitel 4.1, 4.4 und Kapitel 5.4.3). Im Internet haben sich verschiedene neue Kommunikationsformen entwickelt. Schon alleine darum entstehen auch immer neue Textsorten bzw. verändern sich die schon etablierten. Wir können hier natürlich nicht alle neuen Textsorten beschreiben, ja nicht einmal aufzählen. Daher soll anhand von vier Beispielen textueller Kommunikation im Internet die Herausbildung von Textsorten und ihre theoretische Bestimmung exemplarisch besprochen werden. 5.4.1 Der „Tatort“ nicht mehr nur im TV - Websites zu traditionellen Medienangeboten Der deutsche Fernsehsender ARD informiert die Zuschauer mittels einer Website über die Fernsehserie „Tatort“. Die Frage ist allerdings, ob es man bei dieser Website überhaupt von einem Text sprechen kann und, wenn ja, welcher Textsorte er zuzurechnen wäre. Eine Website ist grundsätzlich eine Kommunikationsform, sogar die wichtigste Kommunikationsform im Internet. Sie ist außerdem die typischste Umsetzung des Prinzips der Hypertextualität im Internet. Lehnen (2006: 199) definiert Websites sogar als „im Internet online verfügbare Hypertexte“, was uns aber angesichts anderer Kommunikationsformen, die auch hypertextuelle Verlinkungen aufweisen können (z. B. Tweets, E-Mails, Blogs etc.), als zu verengende Definition erscheint. Richtig ist aber zweifellos, dass Websites beinahe notwendigerweise eine Hypertextstruktur zugrunde liegt. Dies liegt daran, dass eine bildschirmgerechte Darstellung der Inhalte erforderlich ist, die präsentiert und vermittelt Die Kommunikationsform Website <?page no="202"?> 5. Textlinguistik und das Internet 202 werden sollen. Da das Lesen langer Texte am Bildschirm aber eher mühsam ist - und man normalerweise auch nicht so gern lange scrollt -, sollten die Inhalte auf mehrere Module aufgeteilt und die Module durch Links verknüpft werden. Der Leser kann so mittels Anklicken die Informationen aufrufen, die ihn interessieren, und er kann diese leichter rezipieren, weil sie ihm in Form kürzerer Textmodule angeboten werden. Das Prinzip, das dieser Gestaltungsweise zugrunde liegt, nennt man „Detail auf Nachfrage“ bzw. „detail on demand“ (Storrer 2004: 217). Es zeigt sich sehr schön in der Gestaltung der Startseite der ARD-Website zur Fernsehserie „Tatort“ (Beispiel 5-7). Auf dieser Homepage zum „Tatort“ finden sich zunächst abgesehen von den Sendeterminen keine konkreten Informationen. Der Rezipient kann sich diese aber durch Anklicken der Links (Alle Fälle, Vorschau, Die Kommissare usw.) selbst seinen Interessen entsprechend suchen. Dies ist auch im Normalfall die Hauptfunktion der Homepage einer Website: Sie dient als Portal, durch das man die Website betritt, wobei die weiterführenden Wege durch die Links angezeigt werden. (5-7) (Tatort-Website, Das Erste, 2013-11-22) Als Homepage bezeichnet man eigentlich nur die Start- oder Einstiegsseite einer Website. Es hat sich aber mittlerweile auch die ungenaue Verwendungsweise verbreitet, dass man eine gesamte Website Homepage nennt. Durch das Anklicken der meisten Links auf dieser Homepage gelangt der Rezipient zu direkt vom Fernsehsender bereitgestelltem Informationsmaterial. Dieses besteht aus sprachlichen Texten, Bildern und Videos, ist also multimodal aufbereitet. Der Rezipient kann aber auch auf den Link „Forum“ klicken, wenn er eine Online-Diskussion über die Fernsehsendung verfolgen oder an der Diskussion selbst teilnehmen möchte. Dort kann er auch Fragen zur Serie stellen und so zu weiteren Informationen kommen. Er kann aber auch nur den intern dialogischen Text einer Forumsdiskussion lesen. Über Das Prinzip „detail on demand“ Beispielanalyse <?page no="203"?> 203 5.4 Kommunikationsformen und Textsorten im Internet diesen Link findet er also Informationen, die nicht vom Autor der Website zur Verfügung gestellt werden. Man kann damit feststellen, dass die Tatort-Website die in Kapitel 5.3 beschriebenen Merkmale von Texten im Internet aufweist: Sie ist hypertextuell strukturiert, multimodal gestaltet, enthält intern dialogische Module bzw. erlaubt im Forum externe Dialogizität und es findet sich auch Fluidity. Zwar gibt es hier kein Modul, das auf dem Wiki-Prinzip beruht, aber zumindest über den Link „Vorschau“ gelangt man zu einem Modul, das durch eine rasche Veränderung der Inhalte gekennzeichnet ist. Es bleibt aber die Frage, ob man hier überhaupt von einem Text sprechen kann. Die Bedingung wäre, dass diese Website nicht nur die Merkmale von Texten im Internet aufweist, sondern zumindest einige der zentralen Kriterien von Textualität erfüllt. Diese Website behandelt ein Thema, nämlich die Fernsehserie „Tatort“. Alle Textmodule beziehen sich auf dieses Thema und sind inhaltlich miteinander verbunden. Damit liegt Kohärenz vor. Kohäsion ist zunächst gegeben, weil die Textmodule aus in sich kohäsiven Texten bestehen, wie zum Beispiel den Inhaltsbeschreibungen der einzelnen Tatort-Folgen, die man über den Link „Alle Fälle“ findet. Über die Links sind die Module aber auch untereinander kohäsiv vernetzt, zumal die Benennungen der Links als explizite Mittel der Textverknüpfung betrachtet werden können. Des Weiteren ist eine klare Textfunktion erkennbar, und zwar eine Funktion der gesamten Website: Sie soll über die Fernsehserie „Tatort“ informieren und darüber hinaus eine Plattform für an der Serie Interessierte sein. Die anderen Kriterien eines prototypischen Textes (Sprachlichkeit, Schriftlichkeit, Abgeschlossenheit, Monologizität und sprechsituationsüberdauernde Stabilität) werden nicht oder nur zum Teil erfüllt, was aber eben an den Eigenheiten dieses typischen Online-Textes liegt. Die Textsorte, zu der diese Website zu zählen ist, kann man „informative Website (begleitend zu einer Fernsehsendung)“ nennen. Andere, allerdings nicht ganz so komplexe Beispiele für diese Textsorte sind die Website des Schweizer Rundfunks zur Serie „Borgen“ (http: / / www.srf.ch/ sendungen/ borgen), die des ORF zur Sendung „Am Schauplatz“ (http: / / tv.orf.at/ schauplatz/ ) und die zur Zeichentrickserie „Family Guy“ auf ProSiebenMAXX (http: / / www.prosiebenmaxx.at/ tv/ family-guy). Damit ist auch das Kriterium der Textsortenzugehörigkeit erfüllt, und die Kommunikationsform Website, die die medial geprägte Grundlage der Textsorte bildet, in die Benennung inkludiert (wie z. B. auch bei „Liebesbrief“: Kommunikationsform Brief, „Kontaktanzeige“: Kommunikationsform Anzeige oder „Glückwunschtelegramm“: Kommunikationsform Telegramm). Die Website ist also grundsätzlich als Text zu bestimmen. Allerdings handelt es sich um einen komplexen Text, der aus mehreren Teiltexten, nämlich den einzelnen Modulen zusammengesetzt ist. Man spricht auch von einem Textkonglomerat oder einem „Puzzle-Text“ (Püschel 1997). Außerdem kann der Text erst durch ergodisches Handeln (zur Ergodizität siehe Kapitel 2.4.3) des Rezipienten konstituiert werden, was aber prinzipiell kein Widerspruch zur Textualität dieser Website ist. Diese Website ist damit sicher kein prototypischer Text. Wenn man den Textbegriff jedoch den Gegebenheiten im Internet entsprechend adaptiert und erweitert, kann man dieser Website durchaus Textualität zuschreiben. Die Textsortenzugehörigkeit dieser Website Diese Website als „Puzzle-Text“ <?page no="204"?> 5. Textlinguistik und das Internet 204 Aufgabe 5-5 Wenn Sie die Website Ihrer Universität betrachten: Wie würden Sie die Textsorte benennen, zu der sie gehört? Welche Textsorten-Merkmale liegen Ihrer Zuordnung zugrunde. Vergleichen Sie dazu die Website Ihrer Universität mit denen anderer Universitäten und mit denen von Schulen. 5.4.2 BIG Fans - Fanseiten in Sozialen Netzwerken Soziale-Netzwerk-Seiten sind im Prinzip auch Websites - und damit komplexe Textkonglomerate. Sie sind aber Teile eines Sozialen Netzwerks, das auf einer medialen Plattform aufbaut. Dieser Vernetzungsgedanke, der für das Internet generell grundlegend ist (siehe Kapitel 2.3.1), ist hier besonders ausgeprägt und zielt auch nicht so sehr auf eine technische Vernetzung ab - die wird ohnehin vorausgesetzt -, sondern auf eine soziale. Es geht Internet- Usern, die einem solchen Sozialen Netzwerk beitreten, daher weniger um Informationsverbreitung, was die typische Funktion von Websites ist. Vielmehr steht das Ziel im Vordergrund, mit anderen in Kontakt zu treten. Zu diesem Zweck gibt es verschiedene Plattformen, die zum Teil unterschiedliche Zielgruppen ansprechen: LinkedIn und Xing dienen hauptsächlich der Förderung beruflicher und geschäftlicher Kontakte. StudiVZ richtet sich explizit an Studierende. MySpace und Facebook werden eher für eine Vernetzung im Privatleben verwendet, wobei Facebook durch seine rein quantitative Dominanz unter den Plattformen mittlerweile auch schon von Firmen oder Politikern zur Kommunikation mit potenziellen Kunden oder Wählern genutzt wird. Während zum Beispiel auf LinkedIn die einzelnen Seiten einander aufgrund der relativ eingeschränkten Zielgruppe und der spezifischen Zielsetzung als berufliches Netzwerk großteils vor allem in Hinblick auf ihre Funktion ähneln, haben sich auf Facebook unterschiedliche Arten von Seiten herausgebildet. Am häufigsten sind wohl Seiten von Privatpersonen, die sich im Sozialen Netzwerk präsentieren und dort mit anderen über Statusmeldungen, das Posten von Bildern, das Teilen und Kommentieren der Facebook-Einträge von anderen oder mittels der Chat-Möglichkeit kommunizieren wollen. Beispiel (5-8) zeigt aber eine Facebook-Seite, hinter der eine andere Intention steht. Hierbei handelt es sich um eine Seite, die eine Privatperson auf die soziale Plattform Facebook gestellt hat, um einerseits über diese Serie zu informieren, vor allem aber ihrer Begeisterung für die Fernsehserie „The Big Bang Theory“ Ausdruck zu geben, andererseits um mit Gleichgesinnten über die Sendung zu kommunizieren. Soziale-Netzwerk- Seiten <?page no="205"?> 205 5.4 Kommunikationsformen und Textsorten im Internet (5-8) (The Big Bang Theory-Fanseite, Facebook, 2013-11-22) Obwohl das Thema ein ähnliches ist wie bei der Tatort-Website, ist die Intention doch eine ganz andere: Die Tatort-Website wird von einem Fernsehsender betrieben, der damit sein eigenes Produkt bewirbt, die Facebook-Seite hingegen von einer Privatperson, die kein solches Interesse hat. Was ihre Intention ist, wird klar, wenn man auf den auf Facebook-Seiten üblichen Button „Info“ klickt. Dann erscheint Folgendes: (5-9) News, Hintergrundinfos der Schauspieler, Verrücktes und alles was sonst noch zu erzählen ist über TBBT seit 1. Februar 2011. / / Spoiler-frei! [1] Beschreibung Entstanden am 1. Februar 2011. Qualität vor Quantität! Diskussionen und Neuigkeiten über The Big Bang Theory im deutschen TV und alle News von Fans, für Fans. [2] Was ist der Unterschied zwischen TBBTgermany und den anderen TBBT Seiten? - Ich hatte schnell die Angewohnheit im Internet nach Informationen über TBBT zu suchen. Alte so wie Neue. Hintergrundinformationen und Informationen zu verschiedenen Folgen. Irgendwie habe ich mich plötzlich so reingesteigert, dass ich mir dachte, es wäre schön wenn ich das Wissen teilen würde mit anderen die auch verrückt nach der Serie sind. Daher sind die meisten Informationen hier auf der Seite von mir selbst recherchiert und selten kopiert von üblichen TBBT Seiten. [3] Ich versuche eine persönliche Note einzubringen und beizubehalten. Ich frage nicht nach "Klick auf GEFÄLLT MIR wenn ihr XYZ kennt! " oder "TEILE es mit deinen Freunden! " um an mehr Beteiligte hier auf der Seite zu kriegen. Ich denke, wenn ihr es als Empfehlung für eure Freunde sieht, werdet ihr es schon selbst teilen, oder nicht? ; ) [4] Beispielanalyse <?page no="206"?> 5. Textlinguistik und das Internet 206 Ich verbreite das Wort über TBBTgermany an Leute die wirklich daran interessiert sind an einer anderen Form von Informationsaustausch. Dies ist somit eine Fanseite und sie ist inoffiziell. [5] […] Ich freue mich jedenfalls immer über Fans, die der Seite Aufmerksamkeit geben oder mir ein Feedback hinterlassen. Darum habe ich es ja gestartet. Um mit anderen Fans in Kontakt zutreten. [6] (Info-Text auf The Big Bang Theory-Fanseite, Facebook, 2013-11-16) In den Abschnitten [1] und [2] stellt der Urheber dieser Seite gleich klar, wozu er diese Seite unterhält: Er möchte Neuigkeiten über „The Big Bang Theory“ austauschen. Der Auslöser dafür war, dass er aus Begeisterung für die Serie große Mengen an Informationen zum Thema gesammelt hat und diese nun teilen möchte (siehe Abschnitt [3]). Auffällig ist hier der Impetus des Teilens, der für das Social Web insgesamt konstitutiv ist (siehe Kapitel 2.3.2). In Abschnitt [4] spricht er - wenn auch für sich etwas einschränkend - die Vernetzungsfunktion von Facebook-Seiten an, und in [5] und [6] spricht er seine Intention noch einmal explizit aus: Er möchte als Fan mit anderen Fans der Serie in Kontakt treten. Auch dieser Wunsch bezieht sich auf die Vernetzungsfunktion solcher Seiten. Darüber hinaus liefert er uns auch die Bezeichnung der Textsorte, zu der diese Seite zählt: Es handelt sich um eine „Fan-Seite in einem Soziale-Medien-Netzwerk“. Diese Feststellung der Textsortenzugehörigkeit resultiert nicht nur aus den eigenen expliziten Angaben des Seiten-Betreibers, obwohl die „Perspektive der Beteiligten“ (Habscheid 2009: 65) durchaus auch wichtig ist. Die Textsortenzugehörigkeit lässt sich aber wiederum auch ohne die explizite Erklärung über die anhand verschiedener Signale erkennbare Textfunktion, das Textthema und die benutzte Kommunikationsform inklusive deren semiotischer Merkmale erschließen. Die Kontexte der Situation, des Mediums und der Kultur (siehe Kapitel 5.4) sind für den Rezipienten wie für den Textlinguisten dabei eine große Hilfe. Auch der Kontext anderer, aber verwandter Textsorten ist für die Textsortenbestimmung relevant (vgl. die kognitionsinhärenten Merkmale in Kapitel 4.4.3): Die Rezipienten solcher Seiten kennen vermutlich Fan-Websites, Fanzines (Fan- Zeitschriften) oder ähnliche Möglichkeiten, das Fan-Sein zu zeigen und zu artikulieren. Sie können daher auch durch Vergleich auf die Textsorte dieser Sozialen-Netzwerk-Seite schließen. Natürlich kann man so nicht alle Sozialen- Netzwerk-Seiten eindeutig einer klar umgrenzten Kategorie zuordnen. Auch hier gilt wieder das Prinzip der Prototypikalität. Dennoch liefert eine text- und textsortenlinguistische Analyse solcher neuartiger Texte, wie wir sie im Internet finden, interessante Erkenntnisse nicht nur über die jeweilige Textsortenzugehörigkeit eines Textes, sondern auch zum Textsortenbegriff an sich. Aufgabe 5-6 Suchen Sie andere Fanseiten auf Facebook und vergleichen Sie diese mit der in diesem Abschnitt beschriebenen. Achten Sie dabei auch auf die Gestaltung und auf die sprachlichen Formulierungen. Textsortenzugehörigkeit dieser Facebook-Seite <?page no="207"?> 207 5.4 Kommunikationsformen und Textsorten im Internet 5.4.3 „Bin krank - Grippe“ - Entschuldigungs-E-Mails Die Kommunikationsform E-Mail ist heute zum alltäglichen Mittel direkter, zumeist dialogischer, wenn auch vom Prinzip her nicht synchroner Kommunikation geworden. E-Mails haben somit die Funktion von Briefen, sind diesen aber an Übermittlungsgeschwindigkeit weit überlegen. Schon vor Jahren stellte Schmitz (2002: 33) fest, E-Mails kämen bereits in die Jahre. Damit meinte er nicht nur, dass wir uns an den Umgang mit ihnen gewöhnt haben und sie daher gar nicht mehr wirklich neu auf uns wirken. Vielmehr sah er sie schon „auf dem Weg zu sprachlicher Normalität“ (Schmitz 2002: 33). Zu dieser Normalität gehört, dass E-Mails für unterschiedlichste Zwecke eingesetzt werden können und dass sich auch die sprachlichen Merkmale abhängig vom jeweiligen Zweck ausdifferenziert haben. Wenn zum Beispiel eine Geschäfts-E-Mail verfasst wird, ist sie im Allgemeinen in einem eher formellen Stil gehalten, eine private E-Mail unter Jugendlichen hingegen wird eher sprachlich informell sein. Damit sind E-Mails an sich nicht durch eine bestimmte Sprachverwendung gekennzeichnet. Diese ist höchstens etwas mehr an mündlichen Sprachgebrauch angelehnt (vgl. Dürscheid 2006: 105). Allerdings ist auch diese Tendenz nicht sehr stark, wenn eine E-Mail eine offizielle Funktion hat. Wir fragen uns aber, ob man nicht doch bei manchen Textsorten, die auf der Kommunikationsform E-Mail basieren, immer noch Entwicklungen in der Formulierung oder auch Unsicherheiten der Schreiber entdecken kann. Diese würden auf die Herausbildung neuer oder veränderter kommunikativer Praxen hindeuten, die auch zu Veränderungen im Erscheinungsbild der Textsorte führen würden. Als Beispiel betrachten wir die Textsorte Entschuldigungs-E-Mail (zum Folgenden siehe Weidacher 2011); und zwar geht es genauer um E-Mails, die Studierende an Lehrveranstaltungsleiter geschickt haben, um sich für etwas zu entschuldigen. Früher wurden zu diesem Zweck Briefe geschrieben, später wurde der Lehrveranstaltungsleiter angerufen. Heute wird eben meistens die E-Mail verwendet. Die Grundfunktion und die Kommunikationssituation sind prinzipiell aber gleich geblieben: Es geht um eine Entschuldigung in einem relativ offiziellen Rahmen. Der offizielle Charakter hat sich zwar in den letzten Jahrzehnten etwas verändert, weil der Umgang zwischen Studierenden und Lehrveranstaltungsleitern lockerer geworden ist. Dennoch bleibt das Verhältnis ein nicht-privates, was in manchen Entschuldigungs-E-Mails auch an der sprachlichen Formulierung klar erkennbar ist: (5-10) Sehr geehrter Herr Prof. W.! Leider muss ich mich für die heutige Einheit des PS Text und Kompetenz entschuldigen, da ich eine Magen-Darm-Grippe habe. Mit freundlichen Grüßen XY (dienstliche E-Mail, 2006-12-21, 11: 51) Die Kommunikationsform E-Mail Beispielanalyse <?page no="208"?> 5. Textlinguistik und das Internet 208 In Beispiel (5-10) werden eine formelle Anrede und eine formelle Schlussfloskel verwendet. Der Hauptteil des Textes ist kurz und prägnant und durchwegs standardsprachlich formuliert, wobei da anstelle von weil auch noch etwas gehobenerer Stil ist. Im Prinzip könnte so auch ein Entschuldigungsbrief verfasst sein. Von einer größeren Nähe zur Mündlichkeit oder auch nur zu informellerem Sprachgebrauch ist hier nichts zu bemerken. Etwas anders sieht es im nächsten Beispieltext aus: (5-11) Bin krank - Grippe. Möchte Ihnen hiermit noch Frohe Weihnachten und ein Gutes neues Jahr wünschen. Mit freundlichen Grüßen XY (dienstliche E-Mail, 2006-12-14, 08: 22) Hier ist zwar die Schlussfloskel wieder formell, die Anrede fehlt aber gänzlich. Der Haupttext ist extrem kurz und enthält nur die Begründung für die Abwesenheit, nicht jedoch den Entschuldigungsakt selbst. Außerdem ist die Begründung elliptisch, zum Teil stichwortartig. Das würde eher zur Kommunikationsform E-Mail passen, bei der es häufig um Schnelligkeit und damit Kürze in der Formulierung geht. Es passt aber nicht so recht zur Funktion des Textes. Wir haben in diesem Text somit einen „Clash“ verschiedener kommunikativer Praxen vor uns: Die eine hat sich ursprünglich im Rahmen formeller schriftlicher Entschuldigungshandlungen entwickelt, die andere ist typisch für einen raschen Austausch von E-Mails. Diesen „Clash“ erkennt man auch an den im Verhältnis zum Hauptteil außergewöhnlich langen Weihnachtswünschen. Diese passen besser zur Praxis brieflicher Kommunikation als zu dieser ansonsten knapp formulierten E-Mail. Das nächste Beispiel (5-12) zeigt andere Anzeichen einer Informalisierung, die teilweise durch die gesellschaftlichen Veränderungen, teilweise aber auch durch die neuen medial geprägten kommunikativen Praxen verursacht ist. (5-12) Liebe Frau Prof. K.! Ich habe folgendes Problem: Zum dritten Mal in diesem Semester hat mich ein hinterhältiges Bakkterium niedergestreckt und so liege ich mit eitriger Angina und Lungenentzündung im Bett. Jetzt wollte ich Sie fragen, ob es ein Problem wäre, wenn ich morgen fehlen würde, […] Für den Fall, dass ich sonst hinausgeschmissen werde aus dem Modul, komme ich auf alle Fälle morgen. Ansonsten wäre ich wirklich froh uns allen das ersparen zu können … Mit freundlichen Grüßen XY (dienstliche E-Mail, 2007-06-27, 15: 26) Der „Clash“ kommunikativer Praxen <?page no="209"?> 209 5.4 Kommunikationsformen und Textsorten im Internet Die Schlussfloskel ist wieder formell, die Anrede aber schon informeller. Dazu kommt die ironisch anmutende Formulierung hat mich ein hinterhältiges Bakkterium niedergestreckt und so liege ich mit eitriger Angina und Lungenentzündung im Bett im ersten Absatz des Hauptteils. Der ironische Ton ist möglicherweise als Mittel der Distanzverringerung intendiert. Jedenfalls nimmt er dem Text etwas vom Charakter einer rein formellen Entschuldigung. Eine ähnliche Wirkung haben die Wahl des umgangssprachlichen Lexems hinausgeschmissen und die Verschiebung der Phrase aus dem Modul weg von seiner eigentlichen syntaktischen Position in das Nachfeld des Nebensatzes, also in die Position nach dem finiten Verb werde. Beide sprachlichen Phänomene sind eher kennzeichnend für mündlichen Sprachgebrauch, für informelleres Formulieren und nicht zuletzt für kommunikative Praxen, die sich im Verlauf - allerdings privater - E-Mail-Kommunikation herausgebildet haben. Ähnliches gilt für die sehr informelle Anrede Hallo! im nächsten Beispiel: (5-13) Hallo! Mein Name ist XY und es ist geplant, dass ich morgen (18.6.) ein Referat über Neidhart von Reuental halte und die Proseminararbeit über Walter von der Vogelweide abgebe. Nachdem ich den Aufwand von dieser Doppelbelastung unterschätzt habe, würde ich gerne um ein paar Tage aufschub bitten was die Proseminararbeit betrifft. […] Ich habe versucht sie telefonisch zu erreichen*) , was mir aber nicht gelingen wollte - daher bleibt mir nichts anderes übrig als sie per Mail darüber zu verständigen. Grüße XY *) der anruf erfolgte Sonntag abend am Institut! *ggg* (dienstliche E-Mail, 2007-08-27, 12: 04) Es sind aber nicht nur die informelle Anrede und die knappe Schlussfloskel, die den formellen Charakter des Textes verringern. Vor allem ist die durch *) markierte Anmerkung interessant: der anruf erfolgte Sonntag abend am Institut! *ggg*. Diese als Scherz gemeinte Anmerkung soll wohl der Informalisierung und damit der Verringerung der sozialen Distanz zwischen Sender und Empfänger der Entschuldigungs-E-Mail dienen. Diese Wirkung wird noch durch *ggg*, also die dreimalige Wiederholung der Abkürzung für die Inflektiv-Form grins, verstärkt. Die Verwendung solcher Abkürzungen und Inflektive ist typisch für gewisse kommunikative Praxen in der Online-Kommunikation (siehe Kapitel 3.2). Sie ist aber eine Abweichung vom erwartbaren Muster eines Entschuldigungsschreibens. Die besprochenen Beispiele zeigen, dass es eine gewisse Variation in der Formulierung von Entschuldigungs-E-Mails gibt. Man könnte natürlich sagen, dass dies einfach an der größeren oder geringeren Kommunikationskompetenz der einzelnen Textautoren liegt. Die Variation beruht aber wohl auch auf dem neuen medialen Kontext, in dem sich die Textsorte Entschuldigungs-E-Mail mit allen ihren Merkmalen erst vollständig herausbilden muss. Erschwerend ist dabei, dass sowohl die gesellschaftlichen als auch die kommunikativen Verhältnisse - nicht zuletzt durch das Internet - sehr dynamisch Zur Herausbildung der neuen Textsorte Entschuldigungs-E-Mail <?page no="210"?> 5. Textlinguistik und das Internet 210 geworden sind. Es ist daher damit zu rechnen, dass auch die Entwicklung der Textsorte Entschuldigungs-E-Mail weiterhin im Fluss bleiben wird. Aufgabe 5-7 Diskutieren Sie die in diesem Abschnitt besprochenen Entschuldigungs-E- Mails. Welche ist Ihrer Meinung nach am geschicktesten formuliert? Welche wird am ehesten als adäquate Form einer Entschuldigung akzeptiert? Worauf achten Sie selbst, wenn Sie eine Entschuldigungs-E-Mail schreiben? 5.4.4. Das virtuelle Tagebuch: Verschiedene Blogs Weblogs, kurz Blogs, sind eine weitere Kommunikationsform im Internet. Ihre Bezeichnung beruht auf der Verbindung von Web und Log (engl. für Tagebuch oder Protokoll). Blogs sind also Tagebücher, die im Web geführt werden. Dabei handelt es sich häufig um private Online-Tagebücher, die einfach eine Verlagerung dieser Textsorte in ein anderes Medium darstellen - allerdings mit einem gravierenden Unterschied: Blogs sind im Allgemeinen öffentlich oder zumindest für einen bestimmten Freundeskreis zugänglich. Dieses Faktum ist Ausdruck der Tendenz im Internet und insbesondere in den sozialen Medien, auch Privates einer Öffentlichkeit zu präsentieren (vgl. Kapitel 2.4.1 und 4.4.1). Darüber hinaus findet man aber immer öfter Blogs im Netz, die sich von herkömmlichen Tagebüchern unterscheiden. Noch relativ ähnlich sind zum Beispiel Reise-Blogs. Darin hält der Verfasser Reiseerlebnisse fest, ähnlich wie man es auch schon aus Reisetagebüchern oder Schiffslogbüchern kannte. Allerdings dienen sie nicht mehr dazu, dass jemand seine Reiseerlebnisse für sich aufschreibt, um sie dann vielleicht nach Jahren nachlesen zu können. Vielmehr geht es darum, dass Daheimgebliebene den ins Netz gestellten Reise-Blog lesen und so die Reise praktisch „live“ mitverfolgen können. Eine andere Funktion haben Blogs, die nicht die privaten Erlebnisse des Bloggers thematisieren. Dazu gehören unter anderem Blogs von Politikern, wie der von Peter Pilz, einem Abgeordneten der Grünen zum österreichischen Nationalrat (Beispiel 5-14). (5-14) (Peter Pilz, Networkedblogs, 2013-11-23) Blogs Ein Politiker-Blog <?page no="211"?> 211 5.4 Kommunikationsformen und Textsorten im Internet In diesem Blog, der über seine Facebook-Seite erreichbar und noch mit anderen Plattformen verlinkt ist, diskutiert Pilz aktuelle politische Themen. Der Blog ist somit Teil seiner Internetpräsenz als Politiker und dient der politischen Kommunikation. Seine Funktion unterscheidet sich also deutlich von der eines privaten Tagebuchs. Einen weiteren wichtigen Unterschied zu herkömmlichen Tagebüchern - allerdings einen formalen Unterschied - kann man an diesem Beispiel (5-14) auch erkennen: Bei Blogs steht immer der letzte Eintrag ganz oben bzw. am Beginn des Blogs. Dies erleichtert es dem Leser, auch wirklich den aktuellsten Beitrag zuerst lesen zu können, ohne ihn durch Scrollen suchen zu müssen. Ermöglicht wird diese Anordnung erst durch die Flexibilität des neuen Mediums, in dem man Texte nicht linear schreiben bzw. einfügen muss, sondern etwas, das man später verfasst, voranstellen kann. In Tagebüchern ist das naturgemäß anders, da der Autor dort nicht gut ganz hinten beginnen und sich dann schreibend bis zur ersten Seite des Buches vorarbeiten kann (siehe auch Kapitel 2.4.4). Dieses formale Merkmal gilt auch für das nächste Beispiel (5-15): (5-15) (Startseite, Sprachlog, 2013-11-21) Auf diesem Ausschnitt der Startseite der - im Übrigen für an Sprache Interessierte sehr empfehlenswerten - Website „Sprachlog“ ist leider nicht zu sehen, dass es sich hier eigentlich nicht um den Blog von Frau Kopf handelt, sondern um eine Plattform, auf der mehrere Autoren (z. B. Anatol Stefanowitsch und Susanne Flach) bloggen. Es handelt sich hier also um ein Textkonglomerat, das sich aus Texten mehrerer Autoren zusammensetzt. Aufgrund der Thematik und der Funktion dieser Texte, des eher lockeren Stils (Ein Spoiler vorweg: Sie liegt gut, die deutsche Flexion) sowie der verwendeten Kommunikationsform Blog auf einer öffentlich zugänglichen Plattform kann man hier von der Textsorte „populärwissenschaftlicher Blog“ sprechen. Abschließend ist zu Blogs noch zu sagen, dass diese nicht nur sprachlich formuliert sein müssen. Gerade Reise-Blogs beinhalten häufig auch Fotos oder sogar Videos. Außerdem gibt es noch die eigenen Kommunikationsformen Foto-Blog und Vlog. Ein populärwissenschaftlicher Blog Weitere Formen von Blogs <?page no="212"?> 5. Textlinguistik und das Internet 212 Eine weitere mit dem Blog verwandte Kommunikationsform ist der Microblog. Diese Kommunikationsform bildet die Basis für die soziale Plattform Twitter. Sie ähnelt Blogs, hat aber eine andere formale Ausprägung, die sich aus den Constraints ergibt, denen Tweets unterworfen sind (siehe dazu Übung 3 am Ende dieses Kapitels). Georg Weidacher Texte im Internet weisen auch die Merkmale auf, die Textualität grundsätzlich ausmachen. Allerdings sind viele Texte im Internet - und gerade diejenigen, die wir als typisch für textuelle Online-Kommunikation empfinden - durch Eigenheiten gekennzeichnet, die sie aufgrund der Möglichkeiten des Mediums und der darin entstandenen Kommunikationsformen entwickelt haben. Diese Eigenheiten sind Hypertextualität, Multimodalität, Fluidity und Dialogizität. Diese Merkmale prägen in mehr oder weniger starkem Ausmaß auch die Textsorten, die sich zum Zwecke textueller Kommunikation im Internet herausgebildet haben, wie z. B. „informative Website (begleitend zu einer Fernsehsendung)“, „Fanseite in einem Soziale-Medien-Netzwerk“, „Entschuldigungs-E-Mail“ oder „politischer“ bzw. „populärwissenschaftlicher Blog“. Text: komplexe sprachliche Handlung, die in sich einen semantischen (Kohärenz) und - prototypischerweise - einen textgrammatischen (Kohäsion) Zusammenhang sowie eine erkennbare kommunikative Funktion (Textfunktion) aufweist. Prototypische Texte sind außerdem in sich abgeschlossen, monologisch, sprachlich und schriftlich formuliert und vor allem sind sie durch das Merkmal der „sprechsituationsüberdauernden Stabilität“ ihrer Textur definiert. Textur: materielle Oberflächengestalt eines Textes, d. h. das, was man „vor Augen hat“, wenn man einen Text liest. Textsorte: (prototypisch strukturierte) Kategorie von Texten, die in ihren formalen und funktionalen Merkmalen übereinstimmen. Hypertext: nicht-linear organisierter Text, bestehend aus mehreren durch Links verbundenen Modulen. Prototypische Hypertexte sind zudem computerverwaltet und multimodal. Elektronische Texte: grundsätzlich alle Texte, die elektronisch gespeichert sind, wobei die Bezeichnung hauptsächlich für solche elektronisch gespeicherten Texte verwendet wird, die keine Hypertextualität aufweisen. Multimodale Texte: Texte, zu deren Gestaltung auf verschiedene semiotische Modi zurückgegriffen wurde (z. B. Sprache-Bild-Konglomerate). Hypermodale Texte: (für das Internet typische) Texte, die sowohl hypertextuell strukturiert als auch multimodal gestaltet sind. Externe Dialogizität: Ermöglichung interaktiv-dialogischen Handelns, d. h. die Möglichkeit, auf eine sprachliche Handlung (z. B. eine mündlich geäußerte Aufforderung oder eine in einem Diskussionsforum gestellte Frage) direkt zu antworten, wobei die Antwort von der Handlung, also Speicherinhalt <?page no="213"?> 213 5.4 Kommunikationsformen und Textsorten im Internet der auf eine Reaktion abzielenden Aufforderung bzw. Frage, selbst eingefordert wird. Interne Dialogizität: Eigenschaft von Texten, die sich aus einzelnen dialogischen kommunikativen Handlungen zusammensetzen, aber nachträglich, d. h. nach Beendigung des (schriftlich geführten) Gesprächs als Gesamttext rezipiert werden (z. B. Diskussionen in einem Internet-Forum). Fluidity: Eigenheit von Texten im Internet - speziell in Wikis. Sie können kollaborativ von mehreren Autoren und vor allem ständig bearbeitet und umgeschrieben werden und werden dadurch „verflüssigt“, d. h. sie sind nie endgültig abgeschlossen und fixiert. Übungen 1. Diskutieren Sie, in welchem Ausmaß und in welcher Form Blogs die vier Merkmale prototypischer Texte im Internet (Hypertextualität, Fluidity, Multimodalität und Dialogizität) aufweisen. 2. Beschreiben Sie die Kommunikationsform Wiki anhand des Skyrim- Wikis (http: / / de.elderscrolls.wikia.com/ wiki/ Skyrim). 3. Beschreiben Sie die Textsortenmerkmale von a) Werbetweets oder b) politischen Tweets (z. B. die des deutschen CDU-Politikers Peter Altmaier). 4. Ist ein Diskussionsforum eine Kommunikationsform oder eine Textsorte? Begründen Sie Ihre Meinung. 5. Analysieren Sie die Website von Monsanto Deutschland (http: / / www.monsanto.com/ global/ de/ Pages/ default.aspx). Was fällt Ihnen an dieser Firmen-Website auf? Welche Textfunktion hat sie - vielleicht auch im Unterschied zu anderen Firmen-Websites? Lektüre zur Vertiefung Eine hervorragende und ganz aktuelle Einführung in die Textlinguistik haben Schwarz-Friesel/ Consten (2014) geschrieben. Als außerdem sehr lesenswert empfehlen wir Habscheid (2009). Einen guten Überblick über die einzelnen Themen und Teilbereiche der Textlinguistik bietet der Sammelband herausgegeben von Janich (2008). Um den Textbegriff und die Frage, ob wir einen neuen brauchen, geht es im Sammelband von Fix [u. a.] (2002), wobei insbesondere der darin enthaltene Beitrag von Klemm (2002) zu empfehlen ist, in dem verschiedene Textdefinitionen aufgelistet und kategorisiert werden. Das zurzeit vielleicht spannendste Buch über Textsorten ist Devitt (2004), worin vor allem auch die Einbettung von Textsorten in ihre kulturellen Kontexte erläutert wird. <?page no="214"?> 5. Textlinguistik und das Internet 214 E-Mails sind Thema im Sammelband von Ziegler/ Dürscheid (2002) und bei Kiesendahl (2011). Schmidt (2006) betrachtet Blogs aus kommunikations-soziologischer Sicht, Siever (2012b) die Microblogging-Plattform Twitter aus sprach- und kommunikationswissenschaftlicher Perspektive. Der von Tannen/ Trester (2013) herausgegebene Sammelband enthält Analysen verschiedener kommunikativer Praxen, Kommunikationsformen und Textsorten im Web 2.0. Runkehl (2011) beschäftigt sich mit einer besonderen Kommunikationsform: der (zuweilen schon lästigen) Bannerwerbung im Internet. Kurz und prägnant, mit einer zusätzlichen angewandt-linguistischen Perspektive, erläutert Storrer (2004) Hypertextualität. Das Textdesign von nichtlinearen Texten (off- und online) analysiert ausführlich Schirnhofer (2010). <?page no="215"?> Bibliographie Bibliographie Aarseth, E. J. (1997): Cybertext. Perspectives on Ergodic Literature. Baltimore/ London: The Johns Hopkins University Press. Abel, J. ( 2 2000): Cybersl@ng. Die Sprache des Internet von A-Z. München: Beck. Adamzik, K. (2004): Textlinguistik. Eine einführende Darstellung. Tübingen: Niemeyer. Adamzik, K. (2008): Textsorten und ihre Beschreibung. In: Janich, N. (Hrsg.) (2008): Textlinguistik. 15 Einführungen. Tübingen: Narr, 145-175. Aitchison, J. (1997): Wörter im Kopf. Eine Einführung in das mentale Lexikon. Tübingen: Niemeyer. Albert, G. (2011): Syntaktische Innovationen in neuen Medien. In: Ganswindt, B./ Purschke, C. (Hrsg.) (2011): Perspektiven der Variationslinguistik. Beiträge aus dem Forum Sprachvariation. Hildesheim: Olms, 257-278. Albert, G. (2013): Innovative Schriftlichkeit in digitalen Texten. Berlin: Akademie- Verlag. Albert, R./ Marx, N. (2010): Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachlehrforschung. Tübingen: Narr. Anastasiadis, M./ Thimm, C. (Hrsg.) (2011a): Social Media. Theorie und Praxis digitaler Sozialität. Frankfurt/ Main: Lang. Anastasiadis, M./ Thimm, C. (2011b): Social Media - Wandelprozesse sozialer Kommunikation. In: Anastasiadis, M./ Thimm, C. (Hrsg.) (2011a), 9-19. Androutsopoulos, J. (1998): Deutsche Jugendsprache. Untersuchungen zu ihren Strukturen und Funktionen. Frankfurt/ Main [u. a.]: Lang. Androutsopoulos, J. (2003a): Online-Gemeinschaften und Sprachvariation: Soziolinguistische Perspektiven auf Sprache im Internet. In: Zeitschrift für Germanistische Linguistik 31, 2, 173-197. Androutsopoulos, J. (2003b): „bitte klein und höflich“. Höflichkeit im Internet zwischen Netikette, Chatikette und Gruppennormen. In: Praxis Deutsch 178, 42-46. Androutsopoulos, J. (2006): Introduction: Sociolinguistics and computermediated communication. In: Journal of Sociolinguistics 10, 4, 419-438. Androutsopoulos, J. (2007a): Spaß und Stil im Netz: eine ethnografischtextanalytische Perspektive. In: Klemm, M./ Jakobs, E.-M. (Hrsg.) (2007): Das Vergnügen in und an den Medien. Frankfurt/ Main [u. a.]: Lang, 223-247. Androutsopoulos, J. (2007b): Neue Medien - neue Schriftlichkeit? In: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 1, 7, 72-97. Androutsopoulos, J. (2007c): Style online: Doing hip-hop on the Germanspeaking Web. In: Auer, P. (ed.) (2007): Style and social identities: alternative approaches to linguistic heterogeneity. Berlin/ New York: de Gruyter, 279-317. Androutsopoulos, J. (2007d): Bilingualism in the mass media and on the Internet. In: Heller, M. (ed.) (2007): Bilingualism: a social approach. Hampshire: Palgrave Macmillan, 207-230. Androutsopoulos, J. (2007e): Language choice and code-switching in Germanbased diasporic web forums. In: Danet, B./ Herring, S. (eds.) (2007): The Multilingual Internet. Oxford: Oxford University Press, 340-361. Androutsopoulos, J. (2010): Multimodal - intertextuell - heteroglossisch: Sprach- Gestalten in „Web 2.0“-Umgebungen. In: Deppermann, A./ Linke, A. (Hrsg.) <?page no="216"?> Bibliographie 216 (2010): Sprache intermedial. Stimme und Schrift, Bild und Ton. Berlin/ New York: de Gruyter, 419-445. Androutsopoulos, J. (2011a): From variation to heteroglossia in the study of computer-mediated discourse. In: Thurlow, C./ Mroczek, K. (eds.) (2011): Digital Discourse: Language in the New Media. Oxford: Oxford University Press, 277-298. Androutsopoulos, J. (2011b): Language change and digital media: A review of conceptions and evidence. In: Tore, K./ Coupland, N. (eds.) (2011): Standard languages and language standards in a changing Europe. Oslo: Novus, 145-161. Androutsopoulos, J. (2012): Intermediale Varietätendynamik: Ein explorativer Blick auf die Inszenierung und Aushandlung von ‚Dialekt‘ auf YouTube. In: Sociolinguistica 26, 87-101. Androutsopoulos, J. (2013): Code-switching in computer-mediated communication. In: Herring, S./ Stein, D./ Virtanen, T. (eds.) (2013), 667-694. Androutsopoulos, J. (in press): Online data collection. In: Mallinson, C./ Childs, B./ Herk, G.V. (eds.) (in press): Data Collection in Sociolinguistics: Methods and Applications. London/ New York: Routledge. Androutsopoulos, J./ Beißwenger, M. (2008): Introduction. Data and Methods in Computer-Mediated Discourse Analysis. In: Language@Internet 5. http: / / www. languageatinternet.org/ articles/ 2008/ 1609 Androutsopoulos, J./ Runkehl, J./ Schlobinski, P./ Siever, T. (Hrsg.) (2006): Neuere Entwicklungen in der linguistischen Internetforschung. Hildesheim: Olms. Androutsopoulos, J./ Spreckels, J. (2010): Varietät und Stil: Zwei Integrationsvorschläge. In: Ziegler, E./ Scharloth, J./ Gilles, P. (Hrsg.) (2010): Empirische Evidenzen und theoretische Passungen sprachlicher Variation. Frankfurt/ Main [u. a.]: Lang, 197-214. Arendt, B./ Kiesendahl, J. (im Druck a): Sprachkritische Äußerungen in Kommentarforen - Entwurf des Forschungsfeldes „Kritiklinguistik“. In: Niehr, T./ Bär, J. (Hrsg.) (im Druck): Tagungsband zur Tagung „Einmal Elfenbeinturm und zurück - das schwierige Verhältnis von Sprachwissenschaft und Sprachkritik“ am 1.- 2. Juni 2012 in Aachen. Arendt, B./ Kiesendahl, J. (im Druck b): Sprachkritische Kommentare in der Forenkommunikation. Form, Funktion und Wirkung. In: Bücker, J./ Diedrichsen, E./ Spieß, C. (Hrsg.) (im Druck): Sprachwandel und Sprachkritik. Austin, J. L. (1958): Performative und konstatierende Äußerung. In: Hoffmann, L. (Hrsg.) ( 3 2010), 163-173. Austin, J. L. ( 2 1975): How to do things with words. Cambridge: Harvard University Press. Austin, J. L., (1986): Zur Theorie der Sprechakte. Ditzingen: Reclam. Baecker, D. (2005): Form und Formen der Kommunikation. Frankfurt/ Main: Suhrkamp. Bahlo, N. (2010): uallah und/ oder ich schwöre. Jugendsprachliche expressive Marker auf dem Prüfstand. In: Gesprächsforschung 11, 101-122. Bahlo, N. (2012): Let's talk about sex. Sexualisierte Sprache Jugendlicher als Thema im (Projekt-)Unterricht? In: Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur 12, 1, 48-60. Bankhardt, C. (2010): Die Einwilligungserklärung. Stand Juni 2010. http: / / prowiki.ids-mannheim. de/ bin/ viewfile/ GAIS/ BearbeitungIndex? rev= 1; filename=GAIS-Einwilligung.pdf <?page no="217"?> 217 Bibliographie Baron, N. (2008a): Always on. Language in an Online and Mobile World. Oxford: Oxford University Press. Baron, N. (2008b): Adjusting the Volume: Technology and multitasking in Discourse Control. In: Katz, J. (ed.) (2008): Handbook of Mobile Communication Studies. Cambridge, MA: MIT Press, 177-193. Barthes, R. (1974): Elemente der Semiologie. Frankfurt/ Main: Suhrkamp. Barton, D./ Lee, C. (2013): Language Online. Investigating Digital Texts and Practices. London/ New York: Routledge. Batinic, B./ Puhle, B./ Moser, K. (1999): Der WWW-Fragebogen-Generator (WFG). In: Batinic, B./ Werner, A./ Gräf, L./ Bandilla, W. (Hrsg.) (1999): Online research: Methoden, Anwendungen und Ergebnisse. Göttingen: Hofgrefe Verlag für Psychologie, 93-102. Beck, K. (2006): Computervermittelte Kommunikation im Internet. München: Oldenbourg. Beißwenger, M. (2000): Kommunikation in virtuellen Welten: Sprache, Text und Wirklichkeit. Eine Untersuchung zur Konzeptionalität von Kommunikationsvollzügen und zur textuellen Konstruktion von Welt in synchroner Internetkommunikation, exemplifiziert am Beispiel eines Webchats. Stuttgart: ibidem. Beißwenger, M. (2002): Das Knistern zwischen den Zeilen. Inszenierungspotenziale in der schriftbasierten Chat-Kommunikation. In: dichtung-digital - Magazin zur digitalen Ästhetik 9. http: / / www.dichtung-digital.de/ 2002/ modemfieber/ beisswenger.htm Beißwenger, M. (2007): Sprachhandlungskoordination in der Chat-Kommunikation. Berlin/ New York: de Gruyter. Beißwenger, M. (2009): Multimodale Analyse von Chat-Kommunikation. In: Birkner, K./ Stukenbrock, A. (Hrsg.) (2009): Die Arbeit mit Transkripten in Fortbildung, Lehre und Forschung. Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung, 117- 143. Beißwenger, M. (2010a): Empirische Untersuchungen zur Produktion von Chat- Beiträgen. In: Sutter, T./ Mehler, A. (Hrsg.) (2010): Medienwandel als Wandel von Interaktionsformen. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 47-81. Beißwenger, M. (2010b): Chattern unter die Finger geschaut: Formulieren und Revidieren bei der schriftlichen Verbalisierung in synchroner internetbasierter Kommunikation. In: Ágel, V./ Hennig, M. (Hrsg.) (2010): Nähe und Distanz im Kontext variationslinguistischer Forschung. Berlin/ New York: de Gruyter, 247-294. Beißwenger, M. (2012): Forschungsnotiz: Das Wissenschaftliche Netzwerk „Empirische Erforschung internetbasierter Kommunikation“ (Empirikom). In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 40, 3, 459-461. Beißwenger, M. (2013a): Das Dortmunder Chat-Korpus: ein annotiertes Korpus zur Sprachverwendung und sprachlichen Variation in der deutschsprachigen Chat- Kommunikation. http: / / www.linse.uni-due.de/ tl_files/ PDFs/ Publikationen- Rezensionen/ Chatkorpus_Beisswenger_2013.pdf Beißwenger, M. (2013b): Raumorientierung in der Netzkommunikation. Korpusgestützte Untersuchungen zur lokalen Deixis in Chats. In: Frank-Job, B./ Mehler, A./ Sutter, T. (Hrsg.) (2013): Die Dynamik sozialer und sprachlicher Netzwerke. Konzepte, Methoden und empirische Untersuchungen an Beispielen des WWW. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 207-258. <?page no="218"?> Bibliographie 218 Beißwenger, M. (in press): Space in computer-mediated communication: Corpusbased investigations on the use of local deictics in chats. In: Auer, P./ Hilpert, M./ Stukenbrock, A./ Szmrecsanyi, B. (eds.) (in press): Linguistic Perspectives on Space: Geography, Interaction, and Cognition. Berlin/ New York: de Gruyter, 494-528. Beißwenger, M./ Hoffmann, L./ Storrer, A. (Hrsg.) (2004): Internetbasierte Kommunikation. Themenheft der Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie OBST 68, 2. Beißwenger, M./ Storrer, A. (2010): Kollaborative Hypertextproduktion mit Wiki- Technologie. Beispiele und Erfahrungen im Bereich Schule und Hochschule. In: Jakobs, E.-M./ Lehnen, K./ Schindler, K. (Hrsg.) (2010): Schreiben und Medien. Schule, Hochschule, Beruf. Frankfurt/ Main [u. a.]: Lang, 13-36. Ben-Ze’ev, A. (2004): Love Online. Emotions on the Internet. Cambridge: Cambridge University Press. Bickel, H. (2006): Das Internet als linguistisches Korpus. In: Linguistik online 28, 3, http: / / www.linguistik-online.de/ 28_06/ bickel.pdf Bierwisch, M. (1979): Wörtliche Bedeutung - eine pragmatische Gretchenfrage. In: Grewendorf, G. (Hrsg.) (1979): Sprechakttheorie und Semantik. Frankfurt/ Main: Suhrkamp, 119-148. Bleicher, J. K. (2010): Internet. Konstanz: UVK. Böhn, A./ Seidler, A. (2008): Mediengeschichte. Eine Einführung. Tübingen: Narr. Bortz, J./ Döring, N. ( 4 2006): Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler. Berlin: Springer. Boyd, D. (2007): Why youth (heart) social network sites: The role of networked publics in teenage social life. In: Buckingham, D. (ed.) (2007): Youth, Identity, and Digital Media. Cambridge, MA: MIT Press, 119-142. Brekle, H. (1972): Semantik. Eine Einführung in die sprachwissenschaftliche Bedeutungslehre. München: Fink. Brown, P./ Levinson, S. (1987): Politeness: Some universals in language usage. Cambridge: Cambridge University Press. Bubenhofer, N. (2009): Sprachgebrauchsmuster. Korpuslinguistik als Methode der Diskurs- und Kulturanalyse. Berlin/ New York: de Gruyter. Bubenhofer, N. (2011): Einführung in die Korpuslinguistik: Praktische Grundlagen und Werkzeuge. http: / / www.bubenhofer.com/ korpuslinguistik/ kurs (online seit 2006). Bublitz, W. ( 2 2009): Englische Pragmatik: eine Einführung. Berlin: Schmidt. Bush, V. (1945): As We May Think. The Atlantic. http: / / www.theatlantic.com/ magazine/ archive/ 1945/ 07/ as-we-may-think/ 303881/ (1945-07-01 erschienen). Bußmann, H. ( 3 2002): Lexikon der Sprachwissenschaft. Stuttgart: Kröner. Carr, N. (2010a): The shallows. What the internet is doing to our brains. New York: Norton & Company. Carr, N. (2010b): Wer bin ich, wenn ich online bin ... und was macht mein Gehirn solange? Wie das Internet unser Denken verändert. München: Blessing Verlag. Carr, N. (2013): Surfen im Seichten. Was das Internet mit unserem Hirn anstellt. München: Pantheon Verlag. Chenault, B. (1998): Developing personal and emotional relationsships via computer-mediated communication. In: CMC-Magazine. http: / / www.december. com/ cmc/ mag/ 1998/ may/ chenault.html Cherny, L. (1995a): The Modal Complexity of Speech Events in a Social MUD. In: Electronic Journal of Communication 5, 4. www.cios.org/ EJCPUBLIC/ 005/ 4/ <?page no="219"?> 219 Bibliographie 00546.html Cherny, L. (1995b): Objectifying the Body in the Discourse of an Object-Oriented MUD. In: Stivale, C. (ed.) (1995): Cyberspaces: Pedagogy and Performance on the Electronic Frontier. A special issue of Works and Days 25/ 26, 13, 1&2. http: / / www.hayseed.net/ MOO/ cherny3.html Cölfen, E./ Cölfen, H./ Schmitz, U. (1997): Linguistik im Internet. Das Buch zum Netz mit CD-ROM. Opladen: Westdeutscher Verlag. Consten, M. (2014): Weiche Variablen - Form-Funktions-Beziehungen in Korpusstudien. In: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes: Korpora in der Linguistik - Perspektiven und Positionen zu Daten und Datenerhebung, 1. Crystal, D. ( 2 2006): Language and the Internet. Cambridge: Cambridge University Press. Crystal, D. (2011): Internet Linguistics. London/ New York: Routledge. Dang-Anh, M./ Einspänner, J./ Thimm, C. (2013): Mediatisierung und Medialität in Social Media: Das Diskurssystem „Twitter“. In Marx, K./ Schwarz-Friesel, M. (Hrsg.) (2013), 68-91. December, J. (1993): Characteristics of Oral Culture in Discourse on the Net. University of Pennsylvania, 12th Penn State Conference on Rhetoric and Composition. http: / / www.december.com/ john/ papers/ pscrc93.txt Deleuze, G./ Guattari, F. (1977): Rhizom. Berlin: Merve. Deppermann, A. ( 4 2008): Gespräche analysieren. Eine Einführung. Opladen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Devitt, A. (2004): Writing Genres. Carbondale: Southern Illinois University Press. Digmayer, C./ Jakobs, E.-M. (2013): Innovationsplattformen für Ältere. In: Marx, K./ Schwarz-Friesel, M. (Hrsg.) (2013), 143-165. Donick, M. (2008): „Eine Maus hat gerade Thagor umgebracht.“ Kontext und Sprachhandeln in textbasierten virtuellen Welten. In: WISSENSCHAFT in progress 2, 9-38. Döring, N. (2000): Identität + Internet = Virtuelle Identität? In: Forum Medienethik 2, 36-47. Döring, N. (2002): Studying Online Love and Cyber Romance. In: Batinic, B./ Reips, U.-D./ Bosnjak, M. (Hrsg.) (2002): Online Social Sciences. Seattle: Hogrefe, 333-356. Döring, N. ( 2 2003): Sozialpsychologie des Internets. Göttingen [u. a.]: Hogrefe. Döring, N. (2003): Internet-Liebe: Zur technischen Mediatisierung intimer Kommunikation. In: Höflich, J./ Gebhardt, J. (Hrsg.) (2003): Vermittlungskulturen im Wandel: Brief-Email-SMS. Frankfurt/ Main [u. a.]: Lang, 233-264. Duden ( 8 2009): Die Grammatik. Unentbehrlich für richtiges Deutsch. Mannheim [u. a.]: Dudenverlag. Dürscheid, C. (2002): Einführung in die Schriftlinguistik. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Dürscheid, C. (2003): Medienkommunikation im Kontinuum von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Theoretische und empirische Probleme. In: Zeitschrift für angewandte Linguistik 38, 37-56. Dürscheid, C. (2005a): Normabweichendes Schreiben als Mittel zum Zweck. In: Muttersprache 115, 1, 40-53. Dürscheid, C. (2005b): Medien, Kommunikationsformen, kommunikative Gattungen. In: Linguistik online 22, 1. http: / / www.linguistik-online.de/ 22_05/ duerscheid.html. <?page no="220"?> Bibliographie 220 Dürscheid, C. (2006): Merkmale der E-Mail-Kommunikation. In: Schlobinski, P. (Hrsg.) (2006), 104-117. Dürscheid, C./ Brommer, S. (2013): Ist ein Freund noch ein Freund? Facebook und Sprachwandel. In: Der Deutschunterricht 2, 28-40. Ebersbach, A./ Glaser, M./ Heigl, R. ( 2 2011): Social Web. 2., völlig überarb. Aufl. Konstanz: UVK. Ehlich, K. (1983): Text und sprachliches Handeln. Die Entstehung von Texten aus dem Bedürfnis nach Überlieferung. In: Assmann, J./ Assmann, A./ Hardmeier, C. (Hrsg.) (1983): Schrift und Gedächtnis. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation. München: Wilhelm Fink, 24-43. Ehlich, K. (1998): Medium Sprache. In: Strohner, H./ Sichelschmidt, L./ Hielscher, M. (Hrsg.) (1998): Medium Sprache. Frankfurt/ Main [u. a.]: Lang, 9-21. Ehlich, K. (2007): Sprache und sprachliches Handeln. Bd. 2: Prozeduren des sprachlichen Handelns. Berlin/ New York: de Gruyter. Eisenberg, P. (2011): Das Fremdwort im Deutschen. Berlin/ New York: de Gruyter. Eisend, M. (2002): The Internet as a new medium for the sciences? The effects of Internet use on traditional scientific communication media among social scien tists in Germany. In: Online Information Review 26, 5, 307-317. Eliaz, N./ Rozinger, A. (2013): Einsichten in die Kunst der Filterumgehungen - Eine Feldstudie. In: Marx, K./ Schwarz-Friesel, M. (Hrsg.) (2013), 267-278. Ellison, N./ Boyd, D. (2013): Sociality Through Social Network Sites. In: Dutton, W. (ed.) (2013): The Oxford Handbook of Internet Studies. Oxford: Oxford University Press, 151-172. Ernst, C./ Constanza, C. (Hrsg.) (2012): Personen im Web 2.0: Kommunikationswissenschaftliche, ethische und anthropologische Zugänge zu einer Theologie der So ci al Media. Göttingen: Edition Ruprecht. Fawzi, N. (2009a): Cyber-Mobbing. Ursachen und Auswirkungen von Mobbing im Internet. Baden-Baden: Nomos. Fawzi, N. (2009b): „Und jeder bekommt es mit…” Cyber-Mobbing - die Veränderungen gegenüber traditionellem Mobbing. In: Blickpunkt 8, 1-10. Feufel, M./ Stahl, F./ Lee, S. (2013): Was Hänschen nicht googelt, findet Hans nimmermehr? Onlinesuche im Vergleich der Generationen. In: Marx, K./ Schwarz-Friesel, M. (Hrsg.) (2013), 166-185. Fischer, K. (2000): From Cognitive Semantics to lexical Pragmatics: The functional Polysemy of Discourse Partciles. Berlin/ New York: de Gruyter. Fleischer, W./ Michel, G./ Starke, G. (1993): Stilistik der deutschen Gegenwartssprache. Frankfurt/ Main [u. a.]: Lang. Fraas, C./ Meier, S./ Pentzold, C. (2012): Online-Kommunikation. Grundlagen, Praxisfelder und Methoden. München: Oldenbourg. Frindte, W./ Köhler, T. (Hrsg.) (1999): Kommunikation im Internet. Frankfurt/ Main [u. a.]: Lang. Fix, T. (2010): Generation @ im Chat. München: KoPäd. Fix, U./ Adamzik, K./ Antos, G./ Klemm, M. (Hrsg.) (2002): Brauchen wir einen neuen Textbegriff? Antworten auf eine Preisfrage. Frankfurt/ Main [u. a.]: Lang. Gallery, H. (2000): „bin ich - klick ich“ - Variable Anonymität im Chat. In: Thimm, C. (Hrsg.) (2000): Soziales im Netz. Opladen: Westdeutscher Verlag, 71-88. - <?page no="221"?> 221 Bibliographie Gabriel, K./ Ide, K./ Ostbus, D./ Polzin-Haumann,C. ( 2 2000): Romanistik im Internet. Eine praktische Einführung in die Nutzung der neuen Medien im Rahmen der romanistischen Linguistik. Bonn: Romanistischer Verlag. Geier, M. (1998): Orientierung Linguistik. Was sie kann, was sie will. Hamburg: Rowohlts Enzyklopädie. Glück, H. ( 2 2000): Metzler-Lexikon Sprache. Stuttgart/ Weimar: Metzler. Gödert, W./ Oßwald, A./ Rösch, H./ Sleegers, P. (2000): Evit@. Evaluation elektronischer Informationsmittel. In: Bibliothek 24, 1, 63-87. Götzke, R. (2002): Identität und Internet. Der virtuelle Raum als Labor für Ich- Konstruktionen. Technische Universität Berlin. Diplomarbeit. Gradinger, P. (2010): Cyberbullying: Mobbing mit neuen Medien. Universität Wien. Dissertationsschrift. Grice, P. (1975): Logic and conversation. In: Cole, P./ Morgan, L. (eds.) (1975): Syntax and Semantics: Speech acts, Vol 3. New York: Academic Press, 41-58. Grice, P. (1980): Logik und Gesprächsanalyse. In: Kußmaul, P. (Hrsg.) (1980): Sprechakttheorie. Wiesbaden: Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion, 109-126. Grice, P. (1989): Logic and Conversation. In: Grice, P. (ed.): Studies in the Way of Words. Cambridge: Harvard University Press, 22-40. Günther, U./ Wyss, E. (1996): E-Mail-Briefe - eine neue Textsorte zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. In: Hess-Lüttich, E./ Holly, W./ Ulrich, P. (Hrsg.) (1996): Textstrukturen im Medienwandel. Frankfurt/ Main [u. a.]: Lang, 61-86. Gysin, D. (im Druck): ALTER marias bild im svz hat schon style : -D - öffentliche und nicht-öffentliche Kommunikation Jugendlicher in sozialen Netzwerken. In: Kotthof, H./ Mertzluff, C. (Hrsg.) (im Druck): Jugendsprachen: Stilisierungen, Identitäten, mediale Ressourcen. Frankfurt/ Main [u. a.]: Lang. Haas, A./ Brosius, H.-B. (2011): Interpersonal-öffentliche Kommunikation in Diskussionsforen: Strukturelle Äquivalenz zur Alltagskommunikation? In: Wolling, J./ Will, A./ Schumann, C. (Hrsg.): Medieninnovationen. Konstanz: UVK, 103-119. Haase, M./ Huber, M./ Krumeich, A./ Rehm, G. (1997): Internetkommunikation und Sprachwandel. In: Weingarten, R. (Hrsg.) (1997): Sprachwandel durch Computer. Opladen: Westdeutscher Verlag, 51-85. Habscheid, S., (2000): ‚Medium‘ in der Pragmatik. Eine kritische Bestandsaufnahme. In: Deutsche Sprache 28, 126-143. Habscheid, S. (2009): Text und Diskurs. Paderborn: Fink. Hartmann, F. (2008): Medien und Kommunikation. Wien: facultas. Hennig, M. (2006): Grammatik der gesprochenen Sprache in Theorie und Praxis. Kassel: Kassel University Press. Herring, S. (1993): Men’s Language: A study of the discourse of LINGUIST List. Proceedings of the International Congress of Linguists 3, 347-350. Herring, S. (2013): Discourse in Web 2.0: Familiar, Reconfigured, and Emergent. In: Tannen, D./ Trester, A. M. (eds.) (2013): Discourse 2.0: Language and New Media. Washington, DC: Georgetown University Press, 1-25. Herring, S.C./ Stein, D./ Virtanen, T. (eds.) (2013): Pragmatics of Computer- Mediated Communication. Berlin/ New York: de Gruyter. Heyer, G./ Wolff, C. (Hrsg.) (1998): Linguistik und neue Medien. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag. <?page no="222"?> Bibliographie 222 Hiebel, H. H./ Hiebler, H./ Kogler, K./ Walitsch, H. (1998): Die Medien. Logik - Leistung - Geschichte. München: Fink. Hinrichs, G. (1998): Gesprächsanalyse Chatten. In: Networx Nr. 2, http: / / www. websprache.uni-hannover.de/ networx/ Hirschauer, M. (2011): Das Internet verändert unsere Sprache - Eine sprachwissenschaftliche Untersuchung des Weges von „ist“ und „ein/ den“ unter dem Einfluss von internetbasierter Kommunikation. München: Grin. Hoffmann, L. (Hrsg.) ( 3 2010): Sprachwissenschaft. Ein Reader. Berlin/ New York: de Gruyter. Hoffmann, L. (2013): Deutsche Grammatik. Grundlagen für Lehrerausbildung, Schule, Deutsch als Zweitsprache und Deutsch als Fremdsprache. Berlin: Schmidt. Holly, W. (1996): Alte und neue Medien. Zur inneren Logik der Mediengeschichte. In: Rüschoff, B./ Schmitz, U. (Hrsg.) (1996): Kommunikation und Lernen mit alten und neuen Medien. Beiträge zum Rahmenthema „Schlagwort Kommunikationsgesellschaft“ der 26. Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik GAL e. V. Frankfurt/ Main: Lang, 9-16. Holly, W. (2011): Medien, Kommunikationsformen, Textsortenfamilien. In: Habscheid, S. (Hrsg.) (2011): Textsorten, Handlungsmuster, Oberflächen. Linguistische Typologien der Kommunikation. Berlin/ New York: de Gruyter, 144-163. Huber, M. ( 2 2010): Kommunikation im Web 2.0. Twitter, Facebook & Co. Konstanz: UVK. Huber, M. ( 3 2013): Kommunikation und Social Media. Konstanz: UVK. Jakobs, E.-M. (2010): Des Nutzers Lust und Frust. Kommunikative Usability hypermedialer Systeme. In: SDV. Sprache und Datenverarbeitung 1, 7-19. Jakobs, E.-M. (2011): Hypertextuelle Kommunikate. In: Moraldo, S. (Hrsg.) (2011), Band 2, 57-79. Jakobs, E.-M. (2013): Kommunikative Usability. In: Marx, K./ Schwarz-Friesel, M. (Hrsg.) (2013), 119-142. Jakobs, E.-M./ Lehnen, K. (2005): Hypertext - Klassifikation und Evaluation. In: Siever, T./ Schlobinski, P./ Runkehl, J. (Hrsg.) (2005), 159-184. Jakobs, E.-M./ Lehnen, K. (2006): Linguistische Konzepte und Methoden der kommunikativ orientierten Usability-Forschung. In: Blühdorn, H./ Breindl, E./ Waßner, U. (Hrsg.) (2006): Text - Verstehen. Grammatik und darüber hinaus. Jahrbuch 2005. Institut für Deutsche Sprache: Mannheim, 390-393. Jakobs, E.-M./ Ziefle, M. (2010): eBody - Interaktive Services des Bestattens und Gedenkens. In: Groß, D./ Grande, J. (Hrsg.) (2010): Objekt Leiche: Technisierung, Ökonomisierung und Inszenierung toter Körper. Die Aneignung des menschlichen Leichnams. Frankfurt: Campus, 453-476. Janich, N. (Hrsg.) (2008): Textlinguistik. 15 Einführungen. Tübingen: Narr. Kallmeyer W./ Schütze F. (1976): Konversationsanalyse. In: Studium Linguistik 1, 1-28. Kallmeyer, W./ Zifonun, G. (Hrsg.) (2007): Sprachkorpora - Datenmengen und Erkenntnisfortschritt. Berlin/ New York: de Gruyter (= IDS Jahrbuch 2006). Katzer, C./ Fetchenhauer, D./ Belschak, F. (2009): Cyberbullying in Internet- Chatrooms - Wer sind die Täter? Ein Vergleich von Bullying in Internet- Chatrooms mit Bullying in der Schule aus der Täterperspektive. In: Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und pädagogische Psychologie 41, 1, 33-44. Kerlen, D. (2003): Einführung in die Medienkunde. Stuttgart: Reclam. <?page no="223"?> 223 Bibliographie Kiesendahl, J. (2011): Status und Kommunikation. Ein Vergleich von Sprechhandlungen in universitären E-Mails und Sprechstundengesprächen. Berlin: Schmidt. Klemm, M. (2002): Ausgangspunkte: Jedem sein Textbegriff? Textdefinitionen im Vergleich. In: Fix, U./ Adamzik, K./ Antos, G./ Klemm, M. (Hrsg.) (2002), 17- 29. Klotz, P./ Portmann-Tselikas, P. R./ Weidacher, G. (Hrsg.) (2010): Kontexte und Texte. Soziokulturelle Konstellationen literalen Handelns. Tübingen: Narr. Knape, J. (2000): Was ist Rhetorik? Stuttgart: Reclam. Koch, P./ Oesterreicher, W. (1985): Sprache der Nähe - Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte. In: Romanistisches Jahrbuch, 36, 15-43. Koch, P./ Oesterreicher, W. (2008): Mündlichkeit und Schriftlichkeit von Texten. In: Janich, N. (Hrsg.) (2008), 199-215. Köhler, R. (2005): Korpuslinguistik. Zu wissenschaftstheoretischen Grundlagen und methodologischen Perspektiven. In: LDV-Forum 20/ 2, 1-16. http: / / www. jlcl.org/ 2005_Heft2/ Reinhard_Koehler.pdf Krämer, S. (1998): Das Medium als Spur und Apparat. In: Krämer, S. (Hrsg.) (1998): Medien, Computer, Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien. Frankfurt/ Main: Suhrkamp, 73-94. Kress, G. (2010): Multimodality. A social semiotic approach to contemporary communication. London/ New York: Routledge. Kroeber-Riel, W. (1996): Bildkommunikation. Imagerystrategien für die Werbung. München: Vahlen. Labov, W. (1972): Das Studium der Sprache im sozialen Kontext. In: Klein, W./ Wunderlich, D. (Hrsg.) ( 3 1989): Aspekte der Soziolinguistik. Frankfurt/ Main: Athenäum, 111-194. Lasswell, H. (1948): The Structure and Function of Communication in Society. In: Bryson, L. (ed.) (1948): The Communication of Ideas. A Series of Addresses. New York: Harper, 32-51. Leeuwen, T. van (2005): Introducing Social Semiotics. London/ New York: Routledge. Lehnen, K. (2006): Hypertext - kommunikative Anforderungen am Beispiel von Websites. In: Schlobinski, P. (Hrsg.) (2006), 197-209. Lemke, J. L. (2002): Travels in Hypermodality. In: visual communication 1,3, 299- 325. Lemnitzer, L./ Zinsmeister, H. ( 2 2010): Korpuslinguistik. Tübingen: Narr. Levinson, S. ( 3 2000): Pragmatik. Neu übersetzt von Martina Wiese. Tübingen: Niemeyer. Liedtke, F. (1995): Das Gesagte und das Nicht-Gesagte: Zur Definition von Implikaturen. In: Liedtke, F. (Hrsg.) (1995): Implikaturen: Grammatische und pragmatische Analysen. Tübingen: Niemeyer, 19-46. Linke, A./ Nussbaumer, M./ Portmann, P. R. ( 2 1994): Studienbuch Linguistik. Tübingen: Niemeyer. Lyons, J. (1977): Semantics, Volumes 1 and 2. Cambridge: Cambridge University Press. Lyons, J. (1982): Semantik. München: Beck. Lohde, M. (2006): Wortbildung des modernen Deutschen. Ein Lehr- und Übungsbuch. Tübingen: Narr. <?page no="224"?> Bibliographie 224 Marx, K. (2011): Die Verarbeitung von Komplex-Anaphern. Neurolinguistische Untersuchungen zur kognitiven Textverstehenstheorie. Berlin: TU-Verlag. Marx, K. (2012a): „Wer ich bin? Dein schlimmster Albtraum, Baby! “ Cybermobbing - Ein Thema für den Deutschunterricht. In: Der Deutschunterricht 6, 77- 81. Marx, K. (2012b): „XYZ hat dich angestupst.“ - Romantische Erstkontakte bei Facebook - Ein Schnittstellenphänomen? Ernst, C./ Constanza, C. (Hrsg.) (2012), 48-72. Marx, K. (2012c): „Ich finde Dein Profil interessant“ - Warum virtuelle Erstkontakte auch für Linguisten interessant sind. In: Bedijs, K./ Heyder, K. (Hrsg.) (2012): Sprache und Personen im Web 2.0. Münster: LIT-Verlag, 95-109. Marx, K. (2013a): Virtueller Rufmord offene Fragen aus linguistischer Perspektive. In: Marx, K./ Schwarz-Friesel, M. (Hrsg.) (2013), 237-266. Marx, K. (2013b): Denn sie wissen nicht, was sie da reden? Diskriminierung im Cybermobbing-Diskurs als Impuls für eine sprachkritische Diskussion. In: Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur 2, 103-122. Marx, K./ Damisch, S. (im Druck): „Wenn Du aber betest, ...“ - Das Gespräch mit Gott - Eine empirische Studie. In: Greule, A./ Kucharska-Dreiß, E. (Hrsg.) (im Druck): Theolinguistica. Insingen: Bauer & Raspe. Marx, K./ Schwarz-Friesel, M. (Hrsg.) (2013): Sprache und Kommunikation im technischen Zeitalter. Wieviel Internet (v)erträgt unsere Gesellschaft? Berlin/ New York: de Gruyter. McLuhan, M. (2003): Understanding Media. The Extensions of Man. Critical Edition, ed. by W. T. Gordon. Berkeley, CA: Gingko Press. McLuhan, M./ Fiore, Q. (1967): The Medium is the Massage. An Inventory of Effects. Produced by Jerome Agel. San Francisco: Hardwired. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2012): JIM-Studie 2012. Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12bis 19-Jähriger. Stuttgart. http: / / www.mpfs.de/ fileadmin/ JIM-pdf12 / JIM2012_Endversion.pdf Meibauer, J. ( 2 2001): Pragmatik. Eine Einführung. Tübingen: Stauffenburg. Meise-Kuhn, K. (1998): Zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Sprachliche und konversationelle Verfahren in der Computerkommunikation. In: Brock, A./ Hartung, M. (Hrsg.) (1998): Neuere Entwicklungen in der Gesprächsforschung. Tübingen: Narr, 213-235. Moraldo, S. (2009): Twitter: Kommunikationsplattform zwischen Nachricht ndienst, Small Talk und SMS. In: Moraldo, S. (Hrsg.) (2009): Band 1, 245-281. Moraldo, S. (Hrsg.) (2011): Neue Sprach- und Kommunikationsformen im World WideWeb. Band 1 und 2. Medialität, Hypertext, digitale Literatur. Roma: Aracne. Müller, C./ Siever, T. (2011): Neue Medien und Wortschatzarbeit. In: Informationen zur Deutschdidaktik 1, 42‒53. Neuland, E. (2008): Jugendsprache. Eine Einführung. Tübingen: Francke. Neumann-Braun, K./ Autenrieth, U. (Hrsg.) (2011): Freundschaft und Gemeinschaft im Social Web. Baden-Baden: Nomos. Nöth, W. ( 2 2000): Handbuch der Semiotik. Stuttgart: Metzler. O’Reilly, T. (2007): What is Web 2.0: Design Patterns and Business Media for the Next Generation Software. In: MPRA Papers, 4578. http/ / mpra.ub.unimuenchen.de/ 4578/ e - <?page no="225"?> 225 Bibliographie Orlitsch, N. (2013): Ich share mi. Sprachlich-kommunikative Aspekte deutschsprachiger Facebook Status Updates aus linguistischer Sicht. Saarbrücken: AV Akademikerverlag. Orthmann, C. (2000): Analysing the Communication in Chat Rooms - Problems of Data Collection. In: Forum Quantitative Sozialforschung, 1,3, Art. 36. http: / / www.qualitative-research.net/ fqs-texte/ 3-00/ 3-00orthmann-e.htm Paprotté, W. (2002): Korpuslinguistik. In: Müller, H. (Hrsg.) (2002): Arbeitsbuch Linguistik. Paderborn: Schöningh, 364-381. Perkuhn, R./ Keibel, H./ Kupietz, M. (2012): Korpuslinguistik. Paderborn: Fink. Portmann-Tselikas, P. R./ Weidacher, G. (2010): Nicht nur zur Begrifflichkeit. Kontexte, Kommunikation und Kompetenzen. In: Klotz, P./ Portmann-Tselikas, P. R./ Weidacher, G. (Hrsg.) (2010): Kontexte und Texte. Soziokulturelle Konstellationen literalen Handelns. Tübingen: Narr. Posner, R. (1985): Nonverbale Zeichen in öffentlicher Kommunikation. Zu Geschichte und Gebrauch der Begriffe „verbal“ und „nonverbal“, „Interaktion“ und „Kommunikation“, „Publikum“ und „Öffentlichkeit“, „Medium“, „Massenmedium“ und „multimedial“. In: Zeitschrift für Semiotik 7,3, 235-271. Pryor, J./ Merluzzi, T. (1985): The role of expertise in processing social interaction scripts. In: Journal of Experimental Psychology 21, 362-379. Püschel, U. (1997): „Puzzle-Texte“ - Bemerkungen zum Textbegriff. In: Antos, G./ Tietz, H. (Hrsg.): Die Zukunft der Textlinguistik: Traditionen, Transformationen, Trends. Tübingen: Niemeyer, 27-41. Rosch, E. (1975): Cognitive representations of semantic categories. In: Journal of Experimental Psychology. General 104, 192-233. Rosch, E. (1978): Principles of Categorization. In: Rosch, E./ Lloyd, B. (eds.) (1978): Cognition and categorization. Hillsdale: Erlbaum, 27-48. Rosch, E. (1988): Coherences and Categorization: A historical view. In: Kessel, F. (ed.) (1988): The development of language and language researchers: Essays in honor of Roger Brown. Hillsdale: Erlbaum, 373-392. Rösch, H. (2000): Internetportal, Unternehmensportal, Wissenschaftsportal. Typologie und Funktionalität der wichtigsten Portalkonzeptionen. In: Knorz, G./ Kuhlen, R. (Hrsg.) (2000): Informationskompetenz - Basiskompetenz in der Informationsgesellschaft. Konstanz: UVK, 245-264. Rosenbaum, O. (1996): chat-Slang. Lexikon der Internetsprache: über 3000 Begriffe verstehen und anwenden. München: Hanser. Rothstein, B. (2011): Wissenschaftliches Arbeiten für Linguisten. Tübingen: Narr. Runkehl, J. (2000): Literatur im Netz und Netzliteratur. In: Der Deutschunterricht 1, 33-44. Runkehl, J. (2005): Text-Bild-Konstellationen. In: Siever, T./ Schlobinski, P./ Runkehl, J. (Hrsg.) (2005), 202-218. Runkehl, J. (2011): www.werbesprache.net. Sprachliche und kommunikative Strukturen von Bannerwerbung im Internet. Frankfurt/ Main[u. a.]: Lang. Runkehl, J. (2012): Vom Web 1.0 zum Web 2.0. In: Der Deutschunterricht 6, 2‒9. Runkehl, J. (2013): Die Ordnung digitaler Unordnung. In: Marx, K./ Schwarz- Friesel, M. (Hrsg.) (2013), 53‒67. Runkehl, J./ Janich, N. (2006): Werbesprache im Internet. In: Schlobinski, P. (Hrsg.) (2006), 299-316. Runkehl, J./ Schlobinski, P./ Siever, T. (1998). Sprache und Kommunikation im Internet. Überblick und Analysen. Opladen: Westdeutscher Verlag. <?page no="226"?> Bibliographie 226 Runkehl, J./ Schlobinski, P./ Siever, T. (2000): Teilkommentierter Webguide. In: Der Deutschunterricht 1, 66-74. Runkehl, J./ Siever, T. (2000): Digitale Wissenschaft. Internet wird zitierfähig. In: Forschung & Lehre 12, 640-641. Runkehl, J./ Siever, T. ( 3 2001): Das Zitat im Internet. Ein Electronic Style Guide zum Publizieren, Bibliografieren und Zitieren. Hannover: Revonnah Verlag. http: / / www.mediensprache.net/ archiv/ pubs/ 3-927715-83-2_online-version.pdf Runkehl, J./ Siever, T. (2010): Zitieren und Belegen. In: Gasteiner, M./ Haber, P. (Hrsg.) (2010): Digitale Arbeitstechniken für die Geistes- und Kulturwissenschaften. Stuttgart: Böhlau, 131-142. Salvucci, D./ Taatgen, N. (2011): The multitasking mind. Oxford: Oxford University Press. Sandig, B. ( 2 2006): Textstilistik des Deutschen. 2., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. Berlin/ New York: de Gruyter. Scherer, C. (2006): Korpuslinguistik. Heidelberg: Winter. Schirnhofer, M. (2010): Textdesign von nicht-linearen Texten in der massenmedialen Kommunikation. Vorläufer, Erscheinungsformen und Wirkungen - Textfunktion zwischen Information und Appellation. Frankfurt/ Main: Lang. Schlobinski, P. (1996): Empirische Sprachwissenschaft. Opladen: Westdeutscher Verlag. Schlobinski, P. (2005): Editorial: Sprache und internetbasierte Kommunikation - Voraussetzungen und Perspektiven. In: Siever, T./ Schlobinski, P./ Runkehl, J. (Hrsg.) (2005), 1-14. Schlobinski, P. (Hrsg.) (2006): Von »hdl« bis »cul8r«. Sprache und Kommunikation in den neuen Medien. Mannheim [u. a.]: Dudenverlag Schlobinski, P. (2011): Skript Grundfragen der Sprachwissenschaft. http: / / www. linguistic-corner.uni-hannover.de/ fileadmin/ deutsches_seminat/ Schlobi169. pdf Schlobinski, P. (2012): Der Mythos von der Cybersprache - und seine sprachpuristischen Folgen. In: Anderwald, L. (Hrsg.) (2012): Sprachmythen - Fiktion oder Wirklichkeit. Frankfurt/ Main [u. a.]: Lang, 185‒197. Schlobinski, P./ Siever, T. (2000): Kommunikationspraxen im Internet. In: Der Deutschunterricht 1, 54-65. Schlobinski, P./ Siever, T. (Hrsg.) (2012): Sprache und Kommunikation im Web 2.0. (= Der Deutschunterricht 6). Schneider, J. (2006): Gibt es nichtmediale Kommunikation? In: Zeitschrift für Angewandte Linguistik 44, 71-90. Schmidt, J. (2006): Weblogs. Eine kommunikationssoziologische Studie. Konstanz: UVK. Schmidt, J. (2011): Das neue Netz. Merkmale, Praktiken und Folgen des Web 2.0. Konstanz: UVK. Schmitz, U. (2002): E-Mails kommen in die Jahre. Telefonbriefe auf dem Weg zu sprachlicher Normalität. In: Ziegler, A./ Dürscheid, C. (Hrsg.): Kommunikationsform E-Mail. Tübingen: Stauffenburg, 33-56. Schmitz, U. (2003): Lesebilder im Internet. Neue Koalitionen und Metamorphosen zwischen Text und Bild. In: Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XIII, 3, 605-628. Schmitz, U. (2004): Sprache in modernen Medien. Einführung in Tatsachen und Theorien, Themen und Thesen. Berlin: Schmidt. <?page no="227"?> 227 Bibliographie Schulte im Walde, S./ Zinsmeister, H. (2006): Introduction to Corpus Resources, Annotation and Access. Foundational Course At the 18th European Summer School on Logic, Language and Information (ESSLLI 2006), Málaga, Spanien, http: / / www.coli.uni-saarland.de/ ~schulte/ Teaching/ ESSLLI-06/ reader-ssiwzinsmeister.pdf Schwarz, M. (1992): Kognitive Semantiktheorie und neuropsychologische Realität. Repräsentationale und prozedurale Aspekte der semantischen Kompetenz. Tübingen: Niemeyer. Schwarz, M. ( 3 2008): Einführung in die Kognitive Linguistik. Tübingen: Francke. Schwarz, M./ Chur, J. ( 5 2007): Semantik. Ein Arbeitsbuch. Tübingen: Narr. Schwarz-Friesel, M. (2009): Ironie als indirekter expressiver Sprechakt: Zur Funktion emotionsbasierter Implikaturen bei kognitiver Simulation. In: Bachmann- Stein, A./ Merten, S./ Roth, C. (Hrsg.) (2009): Perspektiven auf Wort, Satz und Text. Semantisierungsprozesse auf unterschiedlichen Ebenen des Sprachsystems. Festschrift für Inge Pohl. Trier: Wissenschaftlicher Verlag, 223-232. Schwarz-Friesel, M. (2010): Expressive Bedeutung und E-Implikaturen - Zur Relevanz konzeptueller Bewertungen bei indirekten Sprechakten: Das Streichbarkeitskriterium und seine kognitive Realität. In: Rudnitzky, W. (Hg.), 2010. Kultura kak tekst (Kultur als Text). Moskau: SGT, 12-27. Schwarz-Friesel, M. ( 2 2013): Sprache und Emotion. Tübingen/ Basel: Francke. Schwarz-Friesel, M. (2013): „Juden sind zum Töten da“ (studivz.net, 2008). Hass via Internet - Zugänglichkeit und Verbreitung von Antisemitismen im World Wide Web. In: Marx, K./ Schwarz-Friesel, M. (Hrsg.) (2013), 213-236. Schwarz-Friesel, M./ Consten, M. (2014): Einführung in die Textlinguistik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Searle, J. (1969): Speech acts: An essay in the philosophy of language. Cambridge: Cambridge University Press. Searle, J. (1971): Sprechakte. Ein sprachphilosophischer Essay. Frankfurt/ Main: Suhrkamp. Searle, J. (1982): Indirekte Sprechakte. In: Searle, J. (1982): Ausdruck und Bedeutung. Frankfurt/ Main: Suhrkamp, 17-50. Searle, J. (1989): How performatives work. In: Linguistics and Philosophy 12, 535-558. Searle, J. (2001): Rationality in Action. Cambridge, MA: MIT Press. Seifert, J. (2012): Nähe und Distanz in studentischen E-Mails. In: Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur 8, 1-25. Siever, T. (2005a): Von MfG bis cu l8er. Sprachliche und kommunikative Aspekte von Chat, E-Mail und SMS. In: Der Sprachdienst 5-6, 137-147. Siever, T. (2005b): Internetwerbung: Alter Wein in neuen Schläuchen? . In: Siever, T./ Schlobinski, P./ Runkehl, J. (Hrsg.) (2005), 219-241. Siever, T. (2006): Sprachökonomie in den Neuen Medien. In: Schlobinski, P. (Hrsg.) (2006), 71-88. Siever, T. (2011): Texte i. d. Enge. Sprachökonomische Reduktion in stark raumbegrenzten Textsorten. Frankfurt/ Main [u. a.]: Lang. Siever, T. (2012a): Die Zukunft gehört der gesprochenen Sprache. In: Lackner, E. (Hrsg.) (2012): Neue Medien in Kultur und Wirtschaft. Innsbruck: Studien Verlag, 63‒65. Siever, T. (2012b): Zwischen Blog und SMS: Das Microblog Twitter.com aus sprachlich-kommunikativer Perspektive. In: Siever, T./ Schlobinski, P. (Hrsg.) <?page no="228"?> Bibliographie 228 (2012): Entwicklungen im Web 2.0. Ergebnisse des III. Workshops zur linguistischen Internetforschung. Frankfurt/ Main [u. a.]: Lang, 73-96. Siever, T. (2013): Zugänglichkeitsaspekte zur Kommunikation im technischen Zeitalter. In: Marx, K./ Schwarz-Friesel, M. (Hrsg.) (2013), 7‒25. Siever, T./ Runkehl, J. (2002). Werbekommunikation im Internet. In: Der Deutschunterricht 2, 36-50. Siever, T./ Schlobinski, P. (Hrsg.) (2013): Microblogs global. Eine internationale Studie zu Twitter & Co. aus der Perspektive von zehn Sprachen und elf Ländern. Frankfurt/ Main [u. a.]: Lang. Siever, T./ Schlobinski, P./ Runkehl, J. (Hrsg.) (2005): Websprache.net. Sprache und Kommunikation im Internet. Berlin/ New York: de Gruyter. Speer, N./ Reynolds, J./ Swallow, K./ Zacks, J. (2009): Reading Stories activates neural representations of visual and motor experiences. In: Psychological Science 20, 8, 989-999. Sperber, D./ Wilson, D. (1986a): Relevance: Communication and Cognition. Cambridge, MA: Blackwell. Spitzer, M. (2012): Digitale Demenz. München: Droemer. Stetter, C. (1999): Schrift und Sprache. Frankfurt/ Main: Suhrkamp. Stocke, V. (2004): Entstehungsbedingungen von Antwortverzerrungen durch soziale Erwünschtheit. In: Zeitschrift für Soziologie 33, 4, 303-320. Stöckl, H. (2011): Sprache-Bild-Texte lesen. Bausteine zur Methodik einer Grundkompetenz. In: Diekmannshenke, H./ Klemm, M./ Stöckl, H. (Hrsg.) (2011): Bildlinguistik. Theorien - Methoden - Fallbeispiele. Berlin: Schmidt, 45- 70. Storrer, A. (2000): Was ist „hyper“ am Hypertext? In: Kallmeyer, W. (Hrsg.) (2000): Sprache und neue Medien. Berlin/ New York: de Gruyter, 222-249. Storrer, A. (2001a): Getippte Gespräche oder dialogische Texte? Zur kommunikationstheoretischen Einordnung der Chat-Kommunikation. In: Lehr, A./ Kammerer, M./ Konerding, K.-P./ Storrer, A./ Thimm, C./ Wolski, W. (Hrsg.) (2001): Sprache im Alltag. Beiträge zu neuen Perspektiven der Linguistik. Berlin/ New York: de Gruyter, 439-466. Storrer, A. (2001b): Sprachliche Besonderheiten getippter Gespräche. Sprecherwechsel und sprachliches Zeigen in der Chat-Kommunikation. In: Beißwenger, M. (Hrsg.) (2001): Chat-Kommunikation. Sprache, Interaktion, Sozialität und Identität in synchroner computervermittelter Kommunikation. Stuttgart: ibidem, 3-24. Storrer, A. (2004): Hypertext und Texttechnologie. In: Knapp, K./ Antos, G./ Becker-Mrotzek, M./ Deppermann, A./ Göpferich, S./ Grabowski, J./ Klemm, M./ Villiger, C. (Hrsg.) (2004): Angewandte Linguistik. Tübingen: Francke, 207- 228. Strohner, H. (2001): Kommunikation. Kognitive Grundlagen und praktische Anwendungen. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Tannen, D./ Trester, A. M. (eds.) (2013): Discourse 2.0. Language and New Media. Washington, DC: Georgetown University Press. Thaler, V. (2003): Chat-Kommunikation im Spannungsfeld zwischen Oralität und Literalität. Berlin: Verlag für Wissenschaft und Forschung. Thaler, V. (2005): Zur Problematik der Synchronizität computervermittelter Kommunikation. In: Zeitschrift für Angewandte Linguistik 43, 76-98. <?page no="229"?> 229 Bibliographie Thaler, V. (2007): Mündlichkeit, Schriftlichkeit, Synchronizität. Eine Analyse alter und neuer Konzepte zur Klassifizierung neuer Kommunikationsformen. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 35, 146-181. Thimm, C., (Hrsg.) (2000): Soziales im Netz. Sprache, Beziehungen und Kommunikationskulturen im Internet. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Thimm, C./ Ehmer, H. (2000): „Wie im richtigen Leben”: Soziale Identität und sprachliche Kommunikation in einer Newsgroup. In: Thimm, C. (Hrsg.) (2000), 226-246. Thompson, C. (2008): Brave new world of digital intimacy. In: The New York Times, September 5, Magazine. Thurlow, C./ Lengel, L./ Tomic, A. (2004): Computer Mediated Communication. Social Interaction and the Internet. Los Angeles: Sage. Thurlow, C./ Mroczek, K. (eds.) (2011): Digital Discourse: Language in the New Media. Oxford: Oxford University Press. Trautsch, C./ Wu, Y. (2012): Die Als-ob-Struktur von Emotikons im WWW und in anderen Medien. In: Bildtheoretische Ansätze in der Semiotik (Themenheft zu IMAGE 16), 47-60. Virtanen, T. (2013): Performativity in computer-mediated communication. In: Herring, S./ Stein, D./ Virtanen, T. (eds.) (2013), 269-290. Volk, M. (2002): Using the Web as Corpus for Linguistic Research. In: Pajusalu, R./ Hennoste, T. (eds.) (2002): Tähendusepüüdja. Catcher of the Meaning. A Festschrift for Professor Haldur Õim. Tartu: Publications of the Department of General Linguistics 3. Wagner, G./ Schlese, M. (1997): Medienspezifische Arten des Sachbezugs: Referenz in computergestützten Kommunikationssystemen. In: Zeitschrift für Semiotik 19,3, 245-260. Walker, J./ Taylor, T. (1998): The Columbia guide to online style. New York: Columbia University Press. Warnke, M. (2011): Theorien des Internet zur Einführung. Hamburg: Junius. Weber, S. (Hrsg.) (2003): Theorien der Medien. Von der Kulturkritik bis zum Konstruktivismus. Konstanz: UVK. Weidacher, G. (2007): Politik der Hypermodalität. In: Roth, K. S./ Spitzmüller, J. (Hrsg.) (2007): Textdesign und Textwirkung in der massenmedialen Kommunikation. Konstanz: UVK, 247-266. Weidacher, G. (2011): Entschuldigungsmails: Konventionalisierung und Variation in der Umsetzung eines Textmusters. In: Luginbühl, M./ Perrin, D. (Hrsg.) (2011): Muster und Variation. Medienlinguistische Perspektiven auf Textproduktion und Text. Bern [u. a.]: Lang, 51-80. Weingarten, R. (1997): Sprachwandel durch Computer. In: Weingarten, R. (Hrsg.) (1997): Sprachwandel durch Computer. Opladen: Westdeutscher Verlag, 7-22. Weingarten, R. (2001): Voraussetzungen und Formen technisch realisierter Kommunikation. In: Antos, G./ Brinker, K./ Heinemann, W./ Sager, S. (Hrsg.) (2001): Handbuch Text- und Gesprächslinguistik. Berlin/ New York: de Gruyter, 1141-1148. Wenz, K. (2001): Zeichen lesen: Hypertext revisited. In: Hess-Lüttich, E. W. B. (Hrsg.) (2001): Medien, Texte und Maschinen. Angewandte Mediensemiotik. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 91-103. <?page no="230"?> Bibliographie 230 Wiegand, H./ Wolski, W. (1980): Lexikalische Semantik. In: Althaus, H./ Henne, H./ Wiegand, W. (Hrsg.) (1980): Lexikon der germanistischen Linguistik. Tübingen: Niemeyer, 199-211. Wittgenstein, L. (1984): Philosophische Untersuchungen. In: Wittgenstein, L.: Tractatus logico-philosophicus. Tagebücher 1914-1916. Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/ Main: Suhrkamp, 225-577. Yus, F. (2008): Alterations of relevance in cyber-media. In: Universitas Psychologica 7, 3, 623-636. Yus, F. (2011): Cyberpragmatics: internet-mediated communication in context. Amsterdam: Benjamins. Ziefle, M./ Jakobs, E.-M. (2013): Techniknutzung, Technikwahrnehmung und Alter. In: Marx, K./ Schwarz-Friesel, M. (Hrsg.) (2013), 95-118. Ziegler, A. (2002): E-Mail - Textsorte oder Kommunikationsform? Eine textlinguistische Annäherung. In: Ziegler, A./ Dürscheid, C. (Hrsg.) (2002): Kommunikationsform E-Mail. Tübingen: Stauffenburg, 9-32. Ziegler, A. (2004): Textstrukturen internetbasierter Kommunikation. Brauchen wir eine Medientextlinguistik? In: Beißwenger, M./ Hoffmann, L./ Storrer, A. (Hrsg.) (2004), 159-173. Ziegler, A./ Dürscheid, C. (Hrsg.) (2002): Kommunikationsform E-Mail. Tübingen: Stauffenburg. Zifonun, G./ Hoffmann, L./ Strecker, B./ Ballweg, J./ Brauße, U./ Breindl, E./ Engel, U./ Frosch, H./ Hoberg, U./ Vorderwülbecke, K. (1997): Grammatik der deutschen Sprache. Berlin/ New York: de Gruyter. <?page no="231"?> Quellenverzeichnis Quellenverzeichnis Kapitel 1 Bei Beleg (1-8) handelt es sich um eine private Facebook-Statusmeldung, die Beispiele (1-9) bis (1-19) sind bibliographischer Natur und dienen der Veranschaulichung methodischer Hinweise. (1-1) hefkoch. Forenbeitrag: Ursula1, Haus&Garten. http: / / www.chefkoch. de/ forum/ 2,27,655577/ Probleme-mit-Leifheit-Waeschespinne.html 2013-08-14, 8: 49. (1-2) eit.de. Artikel: Kayser, Rainer: Ein Magnetfeld füttert das schwarze Loch der Milchstraße. http: / / www.zeit.de/ wissen/ 2013-08/ milchstrasse-magnetfeld-schwarzes-loch 2013-08-14, 19: 00. (1-3) Twitter. Tweet: Gustl Mollath @mollath. https: / / twitter.com/ mollath 2013-08-13, 13: 34. (1-4) Twitter. Tweet: RITTER SPORT @RITTER_SPORT_DE. https: / / twitter. com/ RITTER_SPORT_DE 2013-08-09, 4: 57. (1-5) Facebook. Statusmeldung: Matthias Schweighöfer. https: / / www. facebook.com/ matthias.schweighoefer? fref=ts 2013-10-23. (1-6) Facebook. Statusmeldung: Yvonne Balke. https: / / www.facebook.com/ solotwin? fref=ts 2013-06-09. (1-7) Joomla! Forenbeitrag: firstlady, Gruppen. Joomla-Anwender. Arbeits gruppe „Suche verweigerer“. Ht p : / / www.joomlaportal.de/ groups/ arbeitsgruppe-suche-verweigerer-d39-informatiklehrer-ich-fasse-es-nicht teil-1.html 2011-06-20, 18: 45. Kapitel 2 (2-1) Twitter. Tweet: Rudi Fußi @rudifussi. https: / / twitter.com/ rudifussi 2013-09-08, 23: 39. (2-2) GTAnext. Forenbeiträge: Egler, Dennis. http: / / www.gtanext.de/ community/ index.php? page=Thread&postID=377 2013-09-20, 23: 28-2013-09-21, 00: 01. (2-3) Krone.at, Kommentare, donaukind, peaches09. http: / / www.krone.at/ Oesterreich/ Jaeger_erschiesst_aus_Versehen_3_Kuehe_des_Ortschefs- Wildschwein_verfehlt-Story-384323 2013-11-27, 12: 58, 13: 01. (2-4) LinkedIn. Profileintrag: Esmeralda Lara. http: / / www.linkedin.com/ profile/ view? id=154721537&authType=name&authToken=0f0P&trk =prof-connections-name. t - C Z <?page no="232"?> Quellenverzeichnis 232 (2-5) Instagram. Foto-Kommentare. berlinstagram. http: / / instagram.com/ # berlinstagram 2013-10-06. (2-6) Twitter. Tweet: Anatol Stefanowitsch @atesfanowitsch. https: / / twitter. com/ astefanowitsch. 2013-08-24, 21: 23. (2-7) Twitter. Tweets: MichaelFleischhacker @mfleischhacker1, Thomas Mayer @TomMayerEuropa. https: / / twitter.com/ mfleischhacker1 und https: / / twitter.com/ TomMayerEuropa. 2013-10-06. 17: 36 - 17: 25. Kapitel 3 Bei den Belegen (3-1), (3-2), (3-6), (3-7), (3-12)-(3-14) handelt es sich um private Facebook-Statusmeldungen. (3-3) Twitter. Tweet: Birgit Mathon @BirgitMathon. https: / / twitter.com/ BirgitMathon 2013-10-20, 14: 58. (3-4) Twitter. Tweet: Dannyela TM @DaTraube. https: / / twitter.com/ DaTraube 2013-06-05, 18: 15. (3-5) Facebook. Statusmeldung: Spotted Uni-viertel Graz. https: / / www. facebook.com/ SpottedUniViertelGraz? fref=ts 2013-10-24. (3-8) Twitter. Tweet: Karin Koller @karinkollerwp. https: / / twitter.com/ karinkollerwp 2013-10-19, 13: 12. (3-9) Twitter. Tweet: Tintenmeer @DasZuhoerOhr. https: / / twitter.com/ DasZuhoerOhr 2013-10-10, 23: 20. (3-10) Twitter. Tweet: Isi @Orbit. https: / / twitter.com/ Orbit_ 2013-10-28. 10: 27. (3-11) Twitter. Tweet: Grumpy Peer @GrumpyPeer1. https: / / twitter.com / GrumpyPeer1 2013-10-21, 9: 27. (3-15) Knuddels. Forum Mobbing in der Klasse II: Power Bat. http: / / forum. knuddels.de/ ubbthreads.php? ubb=showflat&Number=1278448 2007-09-12, 19: 49. (3-16) Krone.at. Kommentar: vjeverica. http: / / www.krone.at/ Oesterreich/ Kritik_von_allen_Seiten_an_Team-Stronach-Mandatar-Nach_skurrilem_ Sager-Story-381521 2013-11-04, 12: 48. (3-17) Krone.at. Kommentar: andreas2568. http: / / www.krone.at/ Welt/ EU_ will_Verbrauch_von_Plastiksackerln_eindaemmen-Gefahr_fuer_Umwelt- Story-381505 2013-11-04, 14: 47. Aufgabe (3-3) Diablo3.Forum: WASP. http: / / diablo3.ingame.de/ forum/ die- <?page no="233"?> 233 Quellenverzeichnis anfaengerhilfe-1786/ verstehe-die-abkuerzungen-nicht-1748193/ 2012-07-09, 21: 41. Kapitel 4 Die Beispiele (4-1)-(4-7), (4-9), (4-16)-(4-21) sind rekonstruiert. Bei den Belegen (4-12), (4-22)-(4-25), (4-27), (4-29), (4-31)-(4-33) handelt es sich um private Facebook-Statusmeldungen. Die Belege (4-35)-(4-39), (4-45) und (4-46) sind uns von den Urhebern direkt zur Verfügung gestellt worden. (4-8) Joomla! Forenbeitrag: aruttkamp. Gruppen. Joomla-Anwender. Arbeitsgruppe „Suche verweigerer“. http: / / www.joomlaportal.de/ groups/ arbeitsgruppe-suche-verweigerer-d39-informatiklehrer-ich-fasse-es-nichtteil-1.html 2011-06-20, 18: 17. (4-10) Beispiel aus der Literatur (Donick 2008: 30 f.) (4-11) GoFeminin. Forum: sharry994. http: / / forum.gofeminin.de/ forum/ f97 / __f849_f97-Facebook-Liebe.html 2011-03-24, 19: 52. (4-14) IShareGossip, inzwischen geschlossene Seite, 2011-03-29, 19: 18: 27. (4-15) IShareGossip, inzwischen geschlossene Seite, 2011-03-29, 17: 11: 26. (4-26) Twitter. Tweet: anja @schreibmamsell. https: / / twitter.com/ Schreibmamsell 2013-06-20. (4-28) Twitter. Tweet: Reptil @SattesKrokodil. https: / / twitter.com/ SattesKrokodil 2013-05-04. (4-30) Twitter. Tweet: Die grüne Fee @MeggSchicksi. https: / / twitter.com/ MeggSchicksi 2013-05-24. (4-34) Facebook. Statusmeldung: Pierre Sanoussi-Bliss. https: / / www. facebook.com/ pages/ Pierre-Sanoussi-Bliss/ 117414029991? fref=ts 2013-05-23. (4-40) Chefkoch. Forum: Chefkochmampfi. http: / / www.chefkoch.de/ forum/ 2,22,590222/ In-der-Freundesliste-aufraeumen.html 2011-11-01, 20: 13. (4-41) IShareGossip, inzwischen geschlossene Seite, 2011-04-23, 20: 17: 18. (4-42) IShareGossip, inzwischen geschlossene Seite, 2011-04-06, 16: 52: 14. (4-43) IShareGossip, inzwischen geschlossene Seite, 2011-04-07, 16: 44: 07. (4-44) IShareGossip, inzwischen geschlossene Seite, 2011-04-07, 18: 08: 26. Kapitel 5 Bei den Belegen (5-10)-(5-13) handelt es sich um anonymisierte dienstliche E-Mails. (5-1) Twitter. Tweet: Zenon @kaot50, https: / / twitter.com/ kaot50 2013-11-17, 11: 39. <?page no="234"?> Quellenverzeichnis 234 (5-3) Twitter. Tweets: Bruce Twarze TM @4zido, Dubslav von Stechlin @Antistruktur, locke @drache1811, https: / / twitter.com/ 4zido 2013-11-18, 15: 28, 16: 11, 16: 52. (5-4) Facebook. Statusmeldungen: Bundeskanzler Werner Faymann. https: / / www.facebook.com/ bundeskanzlerfaymann? fref=ts 2012-05-25. (5-5) Erinnerungs-E-Mail, UB Graz, 2013-11-18. (5-6) Erinnerungs-E-Mail, UB TU Berlin, 2013-04-13. (5-7) Website zur Fernsehserie „Tatort“. http: / / www.daserste.de/ unterhaltung/ krimi/ tatort/ index.html 2013-11-22. (5-8) Facebook. Fanseite zur TV-Serie „The Big Bang Theory“. https: / / www.facebook.com/ TBBTgermany 2013-11-22. (5-9) Facebook. Info-Text auf der Fanseite zur TV-Serie „The Big Bang Theory“ (Ausschnitt). https: / / www.facebook.com/ TBBTgermany/ info 2013-11-16. (5-14) Networkedblogs. Blog von Peter Pilz. http: / / networkedblogs.com / RlrVh 2013-11-23. (5-15) Sprachlog. Startseite. http: / / www.sprachlog.de/ 2013-11-21. <?page no="235"?> Register Register Abkürzung 92 f., 98 ff., 209 Adaptionsprozesse 95 ff., 125 Affordances 57 f., 60, 62, 64, 83 ff., 96, 188 f., 191, 197 Akronym 92, 98 ff., 125 Anglizismen 97 Anonymität 15, 21, 160, 166, 169 ff. Assimiliation 96, 113, 125 Bibliographieren 24, 38 ff. Code 52 f. Constraints 57 f., 60, 62, 64, 83 ff., 89, 96, 99, 197, 212 Dialogizität 110, 181 f., 193 ff., 212 f. Dreiebenenmodell 128 E-Implikatur 146 ff. Ellipse 96, 113, 125 Emoticon 101, 111, 121, 147 ff. Ergodizität 84 f., 87, 127, 203 Fluidity 191 ff., 213 Flyer 37, 92 Folksonomy 67 f. Fragebogen 34 f., 45, Gelingensbedingungen 136 ff., 173 Hybridmedium 73 f., 78, 88 f., 91, 107, 182, 188, 201 Hypermodalität 84, 191, 212 Hypertextualität 85 f., 89, 100, 189 ff., 219 Indirekte Sprechakte 141 f. Inflektiv 100 f., 125, 147, 209 ipöK 78 f., 195 Kanal 52 f., 56, 58, 62, 68, 71, 81, 87 Kognitionsinhärente Merkmale 153, 161 f. Kohäsion 179 f., 182, 186, 203 Kohärenz 180, 182, 203 Kollokation 24, 26, 30 Kommunikationsform 53, 58 ff., 62, 64, 81, 85 ff., 89 f., 92, 110, 155, 161, 183, 197 ff. Kommunikationsmedium 51 f., 74 Kommunikationsmodell 61 ff., 87 f. Kommunikationsrichtung 59 Konkordanz 26, 30 Konversationsmaximen 144 ff., 173 Korpus 18, 23, 25 ff., 45 Kurzzitat 18, 23 Lasswell-Formel 153 Leetspeak 101 f, 125 Log-File-Analyse 36 f, 45 Massenkommunikation 60, 62, 77 f. Massenmedium 77 f. Medienkonglomerat 72 f. Medium 48 ff., 71 ff. Meme 143 f Modus, semiotischer 54 f., 62 f, 64 Monologizität 181 f, 183, 195 Multimodalität 79, 90, 108, 179, 185, 188 ff. Multitasking 155 Netiquette 71, 166 Oraliteralität 95, 103, 107, 111, 125 Performativität 133, 135, 173 Primäre Medien 54 Privatheit 70, 78, 94, 107, 121, 153, 157, 163, Prototypentheorie 114 ff., 178 f. Prozeduren 109 ff., 125 <?page no="236"?> Register 236 Push- und Pull-Kommunikation 75, 77 Qualitativ 33, 44 Quantitativ 30, 44 Regionalismen 102 Sekundäre Medien 54 Signal 52, 62, 81, 88 Sinnesmodalitäten 52 f., 56, 64, 81 Social Web 68, 70 f., 75 Sondersprache 91, 125 Speichermedium 51, 74 f. Sprachkritik 107, 113 Sprachreflexion 95, 103, 125 Sprachspiele 103 f., 152 Sprechakt 130 ff., 170, 173 Stabilität, sprechsituationsüberdauernde 179 ff., 191, 212 Tagging 26, 66 Tertiäre Medien 54 f., 62 Texte, elektronische 188, 212 Textsorte 177, 180, 182 f., 195, 197 ff. Textur 181 f., 187, 191, 212 Textweltmodell 122 ff., 135, 180 Token 26 Type 27 Verbreitungsmedium 50 f., 74 Web 2.0 65 ff., 93, 96, 105 ff. Wortschatzerweiterungen 94 WWW 15, 65 Zeichentyp 58 ff. Zeitlichkeit 59 f. <?page no="237"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.narr.de · E-Mail: info@narr.de Kommunikation hat und braucht Kontextualisierung, Texte als Makrozeichen verweisen auf ihre Kontexte. Die moderne kognitive Textlinguistik und die linguistische Diskursanalyse setzen diese Erkenntnis häufig in ihren Arbeiten voraus, ohne sie systematisch zu explizieren. So bleiben die Begriffe „Kontext“ und „Kontextualisierung“ notorisch vage; sie fehlen im theoretischen Fundament textwissenschaftlicher Analysen. Der vorliegende Sammelband versucht, diesen Mangel anzusprechen und ihm in Form theoretischer und praktisch-analy tischer Beiträge, z.B. zu literalen Praktiken in verschiedenen soziokulturellen, medialen und literarischen Kontexten, entgegenzutreten. Peter Klotz Paul R. Portmann-Tselikas Georg Weidacher (Hrsg.) Kontexte und Texte Soziokulturelle Konstellationen literalen Handelns Europäische Studien zur Textlinguistik, Band 8 2010, 346 Seiten, €[D] 58,00/ SFr 90,90 ISBN 978-3-8233-6490-0 060010 Auslieferung Juli 2010.indd 11 21.07.10 16: 02 <?page no="238"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BESTELLEN! Esther Strätz Sprachverwendung in der Chat-Kommunikation Eine diachrone Untersuchung französischsprachiger Logfiles aus dem Internet Relay Chat ScriptOralia, Band 137 2011, 207 Seiten, geb. €[D] 68.00/ SFr 96.90 ISBN 978-3-8233-6611-9 Die Untersuchung widmet sich der Sprachverwendung in der Chat-Kommunikation aus einer diachronen Perspektive. Ausgangspunkt ist dabei die Frage, ob die Sprachverwendung innerhalb der Kommunikationsform Chat in einem Zeitraum von fünf Jahren signifikante Veränderungen erfahren hat. Zu diesem Zweck werden in den Jahren 2003 und 2008 erhobene, der Diskursart ‚phatischer Chat‘ zuzuweisende Sprachdaten in Form französischsprachiger Logfiles aus dem Internet Relay Chat (IRC) auf den Beschreibungsebenen von Orthographie, Syntax, Lexikon, Phonie und Graphie sowie hinsichtlich semiotischer Sonderformen linguistisch ausgewertet und einander in diachroner Perspektive gegenübergestellt. 111810 Auslieferung Dezember 2010.indd 12 02.12.10 17: 28 <?page no="239"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BESTELLEN! Claudia Meindl Methodik für Linguisten Eine Einführung in Statistik und Versuchsplanung narr studienbücher 2011, 302 Seiten €[D] 22,90/ SFr 32,90 ISBN 978-3-8233-6627-0 Wie erhebt man linguistische Daten und wertet sie professionell aus? Mit der Umstellung auf Bachelor und Master haben viele Universitäten Lehrveranstaltungen zur Methodik in die Module ihrer Studiengänge aufgenommen. Das Studienbuch gibt dazu passend eine anwendungsorientierte Einführung in die Versuchsplanung und in die beschreibende und erklärende Statistik. Neben Tipps aus der Praxis werden auch die Grundlagen methodischen Arbeitens wie die Erkenntnis-, Mess- und Wahrscheinlichkeitstheorie vermittelt. Mathematikkenntnisse werden nicht vorausgesetzt. Die Autorin erklärt den Umgang mit Formeln, führt aber auch in die gängigen Statistikprogramme (SPSS und R) ein. Durch anschauliche Beispiele und Übungsaufgaben ist das Lehrbuch auch zum Selbststudium geeignet. Zielgruppen: Studenten der Linguistik und der angrenzenden Disziplinen, Lehrende im Bereich Methodenlehre. 077211 Auslieferung August 2011.indd 4 16.08.11 14: 57 <?page no="240"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! Hilke Elsen Linguistische Theorien narr studienbücher 2014, 264 Seiten, €[D] 22,99 / SFr 31,90 ISBN 978-3-8233-6847-2 DieserBandpräsentierteinenÜberblicküberdieunterschiedlichen Richtungen in der Theoriebildung der Linguistik, ihre zentralen Vertreter/ innen sowie über Anwendungsmöglichkeiten und Umsetzungen. Er beschreibt die geschichtliche Entwicklung und Einbettung sowie die Wechselbeziehungen zwischen den Schulen bis hin zu aktuellen Strömungen wie der Konstruktionsgrammatik, um Einsichten in grundlegende Konzepte, Kernannahmen und Arbeitsweisen in ihrem Entstehungszusammenhang zu vermitteln. Dabei zepte und zeichentheoretische Ansätze Berücksichtigung. Der Schwerpunkt liegt auf Theorien, die für die germanistische Linguistik von Bedeutung sind. Unterstützt wird die Darstellung durch Übungen, die in die jeweilige Denk- und Arbeitsweise einführen. Literaturhinweise im Anschluss an die Kapitel bieten die Möglichkeit zur Vertiefung. Der Band versteht sich als Lehrwerk bzw. Begleitlektüre zu Seminaren im Hauptstudium und ist daher in 14 Kapitel richtseinheit eignen. <?page no="241"?> Rasante technologische Entwicklungen, die Zunahme online geführter Kommunikation und deren Auswirkungen auf Sprache kreieren einen dynamischen Datenpool für eines der spannendsten Teilgebiete der modernen Sprachwissenschaft: die Internetlinguistik. Ziel dieses Lehr- und Arbeitsbuches ist es, umfassend über diesen lebendigen Forschungsbereich zu informieren und zu zeigen, wie sprach- und kommunikationswissenschaftliche Methoden sinnvoll kombiniert werden können, um die Eigenheiten sprachlich-kommunikativen Handelns im Internet zu analysieren. Auf leserfreundliche Weise werden aktuelle Forschungsergebnisse mit zahlreichen Anwendungsbeispielen und Übungen didaktisch aufbereitet. Das Buch ist als Einführung konzipiert und eignet sich gleichermaßen für die Seminargestaltung und das Selbststudium.