Im Netz der Texte
Bausteine zu einer Stoff- und Motivgeschichte der englischen Lyrik
1211
2013
978-3-8233-7821-1
978-3-8233-6821-2
Gunter Narr Verlag
Hans-Werner Ludwig
In dieser Studie geht es um Intertextualität in einem weiten, umfassenden Sinn. Die fünf Kapitel des Buches behandeln anhand ausgewählter Beispiele aus der englisch-amerikanischen Lyrik die Rezeption von Ovids Metamorphosen, Reflexe der Hohelied-Exegese, das Taglied, das Lerchenmotiv und das Rosenmotiv. Ausgehend von Schlüsseltexten verschiedener Autoren des 20. Jahrhunderts (u.a. Ezra Pound, Gertrude Stein, T. S. Eliot, Geoffrey Hill, Philip Larkin, Seamus Heaney) gilt es, im Geflecht von Text-Prätext-Beziehungen Motivkonstanten und Kontinuitäten literarischer Gestaltung durch die Geschichte der englischen Lyrik bis ins Mittelalter zurückzuverfolgen. Komplexe Traditionsbezüge solcher Art gelten zum einen für Autoren und ihre Werke, zum anderen bestimmt das 'kulturelle Wissen' von Rezipienten die Tiefe und Trennschärfe ihrer Interpretation. >>Any poem is an interpoem, and any reading is an inter-reading<<(Harold Bloom).
Im Netz der Texte Bausteine zu einer Stoff- und Motivgeschichte der englischen Lyrik Hans-Werner Ludwig Im Netz der Texte Hans-Werner Ludwig Im Netz der Texte Bausteine zu einer Stoff- und Motivgeschichte der englischen Lyrik Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISBN 978-3-8233-6821-2 5 Inhalt Einführung ....................................................................................................... 7 1. “ … all the world shall never / Be able for too quench my name” - Ovid als Bezugsrahmen und Fluchtpunkt in der englischen Lyrik ........................................................................... 15 1.1 Einstieg: Geoffrey Hill, “Ovid in the Third Reich” .................... 15 1.2 Ovid in England ............................................................................. 19 1.3 Zwei Beispiele aus der elisabethanischen Zeit (Spenser, Shakespeare) .................................................................. 21 1.4 Englische Ovid-Übersetzungen im Vergleich ............................ 30 1.5 Philomela ......................................................................................... 49 1.6 Schwache Bindung: Seamus Heaney, “Hercules and Antaeus” ................................................................ 69 2. Veni coronaberis und hortus conclusus - Reflexe der Hohelied-Exegese in der englischen Lyrik ....................... 77 2.1 Einstieg: Geoffrey Hill, “Veni coronaberis” ................................ 77 2.2 Die Quelle ........................................................................................ 83 2.3 Die Auslegungstradition der Kirche und die englische Marienlyrik ..................................................................................... 86 2.4 Hortus .............................................................................................. 95 2.5 Descriptio pulchritudinis ............................................................. 109 2.6 Beschreibungslied und Blason: Shakespeare und Spenser ............................................................ 112 3. “O cruel day, accusour of the ioie” - das Taglied in der englischen Lyrik .................................................... 125 3.1 Einstieg: Philip Larkin, “Aubade” .............................................. 125 3.2 Die Tradition des Taglieds .......................................................... 131 3.3 Das Taglied in der englischsprachigen Lyrik ........................... 135 3.4 Beispiele aus der Lyrik des 20. Jahrhunderts ............................ 144 6 4. “An Exalting of Larks”- Das Lerchenmotiv in der englischen Lyrik ........................................ 155 4.1 Einstieg: Lerchenlied und Lerchenflug in der technischen Welt .............................................................. 155 4.2 Zum Bedeutungsspektrum von (Sky)lark ................................. 157 4.3 Percy Bysshe Shelley, “To a Skylark” ......................................... 173 4.4 Gerard Manley Hopkins ............................................................. 185 4.5 Ted Hughes, “Skylarks” ............................................................... 193 4.6 Shelley - Hopkins - Hughes: Intertextuelle Beziehungen ......................................................... 201 5. “Goe, lovely rose ...” - Das Rosenmotiv in der englischen Lyrik ........................................... 205 5.1 Einstieg: “The rose is obsolete” .................................................. 205 5.2 Das Rosenmotiv seit der Antike ................................................. 212 5.3 Das Bildfeld Rose innerhalb des Courtly Game of Love .......... 222 5.4 Shakespeares Sonette ................................................................... 229 5.5 William Blake ............................................................................... 231 5.6 William Butler Yeats .................................................................... 239 Literaturverzeichnis .................................................................................... 251 Texte .............................................................................................................. 267 7 Einführung “Any poem is an inter-poem, and any reading of a poem is an interreading. A poem is not writing, but rewriting, and though a strong poem is a fresh start, such a start is a starting-again.” (Harold Bloom 1 ) Eine beliebte Formel für literaturwissenschaftliche Abhandlungen, von Seminar- und Magisterarbeiten bis hin zu renommierten Studien, lautet „Tradition und Innovation im Werk von … “ oder ähnlich. Anderswo finden sich Kontrastbegriffe wie Kontinuität und Wandel, Invarianz und Varianz oder auch Produktive Rezeption für daselbe oder ein ähnliches Grundverhältnis. Die formelhafte Kopplung solcher Begriffe spiegelt das Bewußtsein, daß das Neue, Originelle im Werk eines Autors nicht einfach für sich selbst steht, gewissermaßen ‚vom Himmel gefallen‘ ist oder „selig … in ihm selbst“ scheint, 2 sondern wie sein Autor in vielfacher Weise in Bezüge biographischer, ästhetischer, gattungsmäßiger, d.h. im weitesten Sinne literaturgeschichtlicher Art eingebunden ist. Spätestens seit der Romantik steht Originalität als Ausweis des Künstlertums hoch im Kurs, wobei leicht in Vergessenheit gerät, daß zuvor die Kunst sich über Jahrhunderte am Prinzip Nachahmung (imitatio) orientiert hat. Das Begriffspaar ‚Tradition und Innovation‘ verweist aber auch auf die korrespondierende Grundtätigkeit des Geisteswissenschaftlers, seinen Untersuchungsgegenstand, z.B. ein Drama, einen Roman oder ein Gedicht oder auch das gesamte Werk eines Autors im Lichte der jeweiligen ‚literarischen Reihe‘ - anderer Werke desselben Autors oder anderer Autoren, einer Gattung oder einer ganzen Epoche - zu betrachten, wie eng oder wie weit auch immer der jeweilige Referenzrahmen gewählt sein mag. Verschiedene Richtungen der Literaturwissenschaft - z.B. Einflußforschung, Wirkungsforschung, Rezeptionsforschung - haben sich mit je unterschiedlicher Akzentsetzung dem Verhältnis von Autor, Werk und Leser in synchroner bzw. in diachroner Hinsicht gewidmet. Gemeinsam ist allen die Aufgabe der werkimmanenten Perspektive, die Einsicht, daß das 1 Harold Bloom, Poetry and Repression (New Haven: Yale, 1976), 3. 2 Eduard Mörike, „Auf eine Lampe“. 8 literarische Werk nicht im luftleeren Raum entstanden ist und entsprechend in je unterschiedlichen Leserhorizonten rezipiert wird, folglich seine geschichtliche Dimension nicht von ihm zu lösen ist. Daß diese Einsicht in die Geschichtlichkeit von Literatur selbst historisch ist und an Epochenschwellen prominent hervortritt, belegen eindrücklich Ezra Pounds und T.S. Eliots programmatische Schriften. 3 Nach der von den Modernisten beklagten Stagnation des Viktorianischen Zeitalters unternimmt Pound unter dem Signum einer Erneuerung der Literatur - “Make it New” - eine Bestandssicherung vorbildlicher Autoren und Literatur über alle Zeiten und Kontinente hinweg. T.S. Eliots klassisch gewordener Essay “Tradition and the Individual Talent” stellt das einzelne Werk in Bezug zur gesamten literarischen Tradition: No poet, no artist of any art, has his complete meaning alone. His significance, his appreciation is the appreciation of his relation to the dead poets and artists. You cannot value him alone; you must set him, for contrast and comparison, among the dead. I mean this as a principle of aesthetic, not merely historical, criticism. The necessity that he shall conform, that he shall cohere, is not onesided; what happens when a new work of art is created is something that happens simultaneously to all the works of art which preceded it. The existing monuments form an ideal order among themselves, which is modified by the introduction of the new (the really new) work of art among them. The existing order is complete before the new work arrives; for order to persist after the supervention of novelty, the whole existing order must be, if ever so slightly, altered; and so the relations, proportions, values of each work of art toward the whole are readjusted; and this is conformity between the old and the new. Whoever has approved this idea of order, of the form of European, of English literature, will not find it preposterous that the past should be altered by the present as much as the present is directed by the past. 4 3 Hans-Werner Ludwig, „Tradition und Innovation in der Literaturtheorie des Modernismus: Pound, Eliot und die Imagisten“, Englische und amerikanische Literaturtheorie: Studien zu ihrer historischen Entwicklung, ed. Rüdiger Ahrens und Erwin Wolff (Heidelberg: Winter, 1979), 2, 312-343. 4 T.S. Eliot, “Tradition and the Individual Talent” [1919], The Sacred Wood (London: Methuen, 1920; vielfach repr.), 49f. 9 Nur auf den ersten Blick provokant erscheint hier die Pointierung, daß spätere Werke Auswirkungen auf frühere haben. Dies gilt insoweit, als sich vom Blickpunkt des neuen Kunstwerks die Sicht auf alle früheren verändert, sich Beziehungen und Bewertungen verschieben. Damit ist im Prinzip schon der Schritt von der produktionsästhetischen zur rezeptionsästhetischen Perspektive, oder, beide verbindend, zum Konzept der Intertextualität vollzogen, der theoretisch erst Jahrzehnte später eingeholt worden ist. Unbeschadet ihrer historischen Situierung existieren im Bewußtsein des Rezipienten - und auch der Neues schaffende Dichter ist insoweit Rezipient früherer Werke - alle Werke simultan - mit Ezra Pound, auf den T.S. Eliot sich stützt: “All ages are contemporaneous.” 5 Die folgenden Kapitel machen in methodischer Hinsicht Anleihen bei traditionellen Forschungsparadigmen: der Komparatistik, der Toposforschung, der Einflußforschung, Wirkungsforschung oder Rezeptionsforschung; insgesamt wird der hier gewählte Ansatz jedoch am besten durch das Konzept der Intertextualität 6 beschrieben, allerdings verstanden in einem weiten, umfassenden Sinn. Julia Kristevas in den sechziger Jahren im Anschluß an Bachtin und Starobinski entwickeltes Konzept der Intertextualität ist, ausgehend von unter- 5 Ezra Pound, The Spirit of Romance [1910] (London: Dent, o.J.), “Praefatio ad lectorem electum”, VI; vielfach repr.; u.a. introd. Richard Sieburth, New York: New Directions, 2005. 6 Renate Lachmann, „Ebenen des Intertextualitätsbegriffs“, Das Gespräch, Poetik & Hermeneutik XI, ed. K.-H. Stierle und R. Warning (München: Fink,1984), 133-138; Manfred Pfister, „Konzepte der Intertextualität“, Intertextualität: Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien, ed. Ulrich Broich und Manfred Pfister (Tübingen: Niemeyer, 1985), 1-30; Renate Lachmann, Gedächtnis und Literatur: Intertextualität in der russischen Moderne (Frankfurt: Suhrkamp, 1990); Renate Lachmann, “Mnemonic and Intertextual Aspects of Literature”, Cultural Memory Studies, ed. Astrid Erll und Ansgar Nünning (Berlin: deGruyter, 2008), 301-310, bes. 304-306; Schamma Schahadat, „Intertextualität: Lektüre - Text - Intertext“, Einführung in die Literaturwissenschaft, ed. M. Pechlivanos et al. (Stuttgart, 1995), 366-377; Renate Lachmann, Schamma Schahadat, „Intertextualität“, Literaturwissenschaft: Ein Grundkurs, ed. H. Brackert und J. Stückrath (Reinbek, 1995), 677-685; Renate Lachmann, „Intertextualität“, Fischer Lexikon Literatur, ed. U. Ricklefs (Frankfurt/ M.,1996), 2, 794-809; „Intertextualität“, Gedächtnis und Erinnerung, ein interdisziplinäres Lexikon, ed. N. Pethes und J. Ruchatz (Reinbek 2001) 286-288; Wörterbuch der Ästhetik, ed. Achim Trebeß, (Stuttgart, 2006), s.v. ‚Dialogizität‘, 82f. und ‚Intertextualität‘, 185f. 10 schiedlichen theoretischen Grundpositionen, 7 in verschiedene Richtungen weiterentwickelt worden, wobei Renate Lachmanns Differenzierung in eine texttheoretische, eine textanalytische und eine literaturkritisch-kulturologische Richtung hilfreich ist. 8 Mit dem Konzept der Intertextualität rücken sowohl produktionsals auch rezeptionstheoretische Aspekte der Literatur in den Hintergrund zugunsten von Text-Text-Beziehungen. Mit Lachmann bilden die Texte ein Kontinuum, einen ‚Gedächtnisraum‘: „Das Schreiben ist Gedächtnishandlung und Neuinterpretation der (Buch)Kultur ineins.“ 9 Entsprechend besteht die Aufgabe des Literaturwissenschaftlers darin, „die Arbeit der Assimilation, Transposition und Transformation fremder Textzeichen in einem gegebenen Text zu beschreiben“. 10 Texte können in unterschiedlicher Weise auf die jeweiligen Prätexte reagieren, wobei Lachmann die drei Modelle der Partizipation, der Abwehr (‚Tropik‘) und der Transformation unterscheidet: Partizipation ist das im Schreiben sich vollziehende dialogische Teilhaben an den Texten der Kultur und schließt im Wiederholen und Erinnern der vergangenen Texte ein Konzept ihrer Nachahmung ein. Abwehr oder ‚Tropik‘ im Sinne des ‚Tropus‘-Begriffs von Harold Bloom ist ein Wegwenden des Vorläufertextes, der sich als Kampf gegen die sich in den eigenen Text notwendig einschreibenden fremden Texte, als Versuch der Überbietung und Löschung der Spuren des Vorläufertextes manifestiert. Transformation dagegen ist als eine über Distanz, Souveränität und zugleich usurpierende Gesten sich vollziehende Aneignung des fremden Textes zu verstehen, die diesen verbirgt, verschleiert, mit ihm spielt und durch komplizierte Verfahren unkenntlich macht. 11 Oder sehr anschaulich auf eine Formel gebracht: Partizipation als „Weiterschreiben und Wiederschreiben“, Tropik als „Widerschreiben“, Transformation als „Umschreiben“. 12 7 Einen Überblick gibt u.a. Graham Allen, Intertextuality (London: Routledge, 2000, 2 2011). 8 Lachmann, Gedächtnis und Literatur; „Intertextualität“, Fischer Lexikon Literatur, ed. U. Ricklefs, 2, 803. 9 Lachmann, Gedächtnis und Literatur, 36. 10 Lachmann, „Intertextualität“, 798. 11 Ibid., 805. 12 Lachmann, Gedächtnis und Literatur, 38. 11 Über allgemeine Konzepte wie Allusion oder Zitat, Imitation oder Parodie und andere hinaus hat die Intertextualitäts-Forschung differenziertere Kategorien eingeführt, um „Grade der Intensität des intertextuellen Bezugs“ zu skalieren 13 und Formen und Verfahrensweisen der Markierung solcher intertextuellen Bezügen zu beschreiben. 14 In den folgenden Kapiteln geht es jedoch weniger um solche Kategorisierungen als darum, das Netz literarischer Bezüge weit zu spannen. 15 Im Zentrum steht der textanalytische Bezug. Es geht - analog zum Konzept der ‚Doppelkodierung‘ 16 als einem zentralen Theorem der Intertextualitätstheorie - um eine doppelte Perspektive: Zum einen steht der jeweilige - präsente - Text im Mittelpunkt, der in sich selbst bedeutsam ist und als solcher die Aufmerksamkeit des Interpreten fordert; zum anderen geht es um das Kontinuum von - absenten - Referenztexten, mit denen der jeweilige manifeste Text in Wechselbeziehung steht. Indem anhand ausgewählter Beispiele der Kontinuität bestimmter Motive, Themen und Stoffe nachgegangen wird, wird zugleich deutlich, wie Textinterpretation - im Sinne von Michael Riffaterres ‚zweiter Lektüre‘ 17 - vor möglicherweise voreiliger Eindeutigkeit bewahrt wird, jedoch an Tiefendimension gewinnt. Anders gewendet mit Werner von Koppenfels’ Einleitung in seine einschlägige Aufsatzsammlung: 13 Ulrich Broich und Manfred Pfister, eds. Intertextualität: Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien (Tübingen: Niemeyer, 1985). Manfred Pfister hat die folgenden qualitativen Gesichtspunkte vorgeschlagen: Referentialität, Kommunikativität, Autoreflexivität, Strukturalität, Selektivität, Dialogizität. Dazu kommen an quantitativen Kriterien Dichte und Häufigkeit sowie Zahl und Streubreite intertextueller Bezüge. (Manfred Pfister, „Konzepte der Intertextualität“, Intertextualität, 1-30.) 14 Ulrich Broich, „Formen der Markierung von Intertextualität“, Intertextualität, 31-47. 15 “ … creative reception is held to include the wide spectrum from translation to allusion, or from re-telling to cover reference, and involves generic questions as well as issues of narration and subjectivity, storyline, characters and motifs, names and topographies.” (Sabine Coelsch-Foisner, “Metamorphoses of Ovid’s Metamorphoses in English Poetry”, Ovid’s Metamorphoses in English Poetry, ed. Sabine Coelsch- Foisner und Wolfgang Görtschacher [Heidelberg: Winter, 2009]. VI.) 16 Lachmann, „Intertextualität“, Fischer Lexikon Literatur, 2, 800-802. 17 Michael Riffaterre, “La syllepse intertextuelle”, Poétique 40 (1979), 476-501; “Syllepsis”, Critical Inquiry 6 (1980), 625-638; “Intertextual Representation: on Mimesis as Interpretive Discourse”, Critical Inquiry 11 (1984), 141-162; “Compulsory Reader Response: The Intertextual Drive”, Michael Worton und Judith Still, eds., Intertextuality: Theories and Practices (Manchester: Manchester U.P., 1990), 56-78. 12 Das Erkenntnisinteresse war zunächst auf jenes Mehr an Bedeutung gerichtet, das Texten meiner Stammphilologie, der Anglistik, zuzuwachsen schien, sobald man sie in historisch und generisch verbürgte Zusammenhänge mit der Literatur des übrigen Europa (primär des klassischen und romanischen Bereichs, der weithin für England Vorbildcharakter besaß) stellte. 18 Die Aufnahme von Elementen der dichterischen Tradition im imaginierten Dialog zwischen Autoren und Lesern über die Zeiten hinweg bildet ein komplexes Beziehungsgeflecht, das häufig weit über die Eins-zu-eins- Beziehung von Text und Prätext hinausgeht. Bildung, Leseerfahrung, der kulturelle Austausch innerhalb einer Gesellschaft befördern insgesamt das literarische ‚Wissen‘ einer Epoche, tragen zum ‚kulturellen Gedächtnis‘ bei. Solche komplexen, weitläufigen Bezüge theoretisch zu erfassen, war das Ziel des Konzepts ‚literarische Reminiszenz‘. Hier ist der Rückgriff auf die frühe programmatische Darstellung Gunter E. Grimms hilfreich, um die Spannweite dieses Ansatzes anzudeuten: Der Begriff der Reminiszenz umfaßt bewußtes und unbewußtes Erinnern des Textproduzenten und des Rezipienten; er kann im Rahmen einer Produktionsästhetik ebenso sinnvoll verwendet werden wie für eine rezeptionstheoretisch orientierte Konkretisationsanalyse (oder die psychologische Analyse eines Rezeptionsaktes). Am evidentesten ließe sich eine Theorie literarischer Reminiszenz am Sonderfall des produktiv rezipierenden Autors erstellen. Es wären dann etwa zu unterscheiden: 1. Reminiszenzen im Makro-Bereich: a) semantisch, b) formal. Auf der semantischen Ebene liegen die thematischen (Probleme, Ideen), die handlungsbezogenen (Ereignisse, Handlungsverläufe) und die zeit- und raumspezifischen Reminiszenzen; auf der formalen die strukturellen erzähltechnischen und gattungsmäßigen Reminiszenzen. 2. Bei den Reminiszenzen im Mikro-Bereich wäre zu differenzieren auf der semantischen Ebene zwischen figuralen, motivlichen und dinglichen Reminiszenzen; auf der formalen etwa zwischen syntaktischen, lexischen, graphemischen Reminiszenzen [ … ] 18 Werner von Koppenfels, Bild und Metamorphose: Paradigmen einer europäischen Komparatistik (Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft: 1991), 1. 13 Im rezeptionsbezogenen Kontext meint der Reminiszenzbegriff die durch einzelne Signale im Leser hervorgerufene Erinnerung an textinterne und textexterne Bedeutungen, wobei die externen naturgemäß variabler als die internen sind. Die rezeptionsspezifische Reminiszenz unterscheidet sich von textuell überprüfbaren erzähltechnischen Mitteln durch ihre Abhängigkeit von der Kompetenz des jeweiligen Lesers. Konkret: ein vom Autor intendierter oder nicht intendierter, jedenfalls im Text nachweisbarer Rückverweis spielt für die Konkretisation nur dann eine Rolle, wenn der Leser ihn als solchen apperzipiert hat. Vom Autor gestaltete Erlebnisse versteht der Leser nur in dem Maße, als er sich ähnlicher erinnert entweder aus dem Bereich eigener realer Erfahrung oder aus dem Bereich literarischer Erfahrung. 19 Der Impuls für dieses Buch verdankt sich nicht zuletzt der akademischen Lehre. Wenn beispielsweise Hörer der Vorlesung „Geschichte der Elisabethanischen Lyrik“ erstaunt waren, als ihnen als Referenzliteratur - gewissermaßen als unverzichtbare desk copies - für viele der behandelten Texte einerseits die englische Bibel, am besten eine Version vor der Authorized Version wie die Geneva Bible, sowie die Vulgata, andererseits Ovids Metamorphosen empfohlen wurden - heutzutage beide nur mit wenigen Mausklicks aus dem Netz abrufbar, so zeigt dies, daß ein solcher Bezug auf klassisches Bildungsgut wie dieses als wichtige Voraussetzung für das Verständnis und die Interpretation Elisabethanischer Texte heute nicht mehr fraglos vorausgesetzt werden kann. Hier mag diese Studie Anregungen zur persönlichen Lektüre geben. Die fünf Kapitel folgen einem einheitlichen Aufbau. Jedes Kapitel beginnt mit einem Problemaufriß anhand eines Beispiels aus der englischen bzw. amerikanischen Lyrik des 20. Jahrhunderts. Im jeweils zweiten Abschnitt folgt ein Grundlagenteil in systematischer oder historischer Hinsicht. Darauf folgen ausgewählte repäsentative Fallstudien zu einzelnen Autoren. Hier steht die einläßliche Analyse und Interpretation des einzelnen Textes und seine genaue historische Situierung im Mittelpunkt. Für den Literatur- 19 Gunter Grimm, Rezeptionsgeschichte (München: Fink, 1977), 65ff.; vgl. Metzler Literatur-Lexikon, ed. G. und I. Schweikle (Stuttgart, 1984), s.v. ‚Reminiszenz‘; Gero von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur (Stuttgart, 7 1989), 763; in jüngerer Zeit Maria Lühken, „Zur Theorie der literarischen Reminiszenz“, Christianorum Maro et Flaccus: Zur Vergil- und Horazrezeption des Prudentius, Phil. Diss. Göttingen, 2001 (Göttingen: Vandenhoeck, 2002). 14 wissenschaftler gehört zur Geschichte der Texte untrennbar die Geschichte ihrer Auslegung und wissenschaftlichen Bearbeitung. Deshalb wird gerade auch dem Dialog mit repräsentativen Beiträgen der Forschungsliteratur in diesen Kapiteln Raum gegeben. Es versteht sich, daß angesichts der Fülle des Materials ein Thema oder Motiv durch die Geschichte der englischen Lyrik nur anhand ausgewählter Beispiele dargestellt werden kann. 15 1. “ … all the world shall never / Be able for too quench my name” - Ovid als Bezugsrahmen und Fluchtpunkt in der englischen Lyrik 1.1 Einstieg: Geoffrey Hill, “Ovid in the Third Reich” In seinen frühen Gedichten reflektiert Geoffrey Hill über Geschichte und Lyrik, über markante Ereignisse in der Geschichte Englands, aber auch über das Dritte Reich und die Weise, wie jeder Mensch, also auch der Dichter selbst, in diese Geschehnisse impliziert ist. 1 Das an erster Stelle in der Sammlung King Log abgedruckte Gedicht setzt schon mit dem Titel “Ovid in the Third Reich” eine Spannung zwischen dem römischen Dichter um die Zeitenwende und dem 20. Jahrhundert, aber auch zwischen Literatur und Leben: Ovid in the Third Reich non peccat, quaecumque potest peccasse negare, solaque famosam culpa professa facit. (Amores, III, xiv) I love my work and my children. God Is distant, difficult. Things happen. Too near the ancient troughs of blood Innocence is no earthly weapon. I have learned one thing: not to look down So much upon the damned. They, in their sphere, Harmonize strangely with the divine Love. I, in mine, celebrate the love-choir. Dem Gedichttext vorangestellt ist ein Zitat aus Ovids Liebeselegien (Amores), das Hill anläßlich eines BBC-Interviews 2 selbst so übersetzt hat: “She who can deny her sin has not sinned; and the only crime is to confess one’s fault.” 3 1 Geoffrey Hill, King Log (1968). 2 “Geoffrey Hill in Conversation with Ian Gillham”, Poetry UK, BBC World Service, 24.12.1978. 3 „Nicht fehlt die, die zu leugnen vermag, daß sie wirklich gefehlt hat, 16 Ovids 14. Elegie des 3. Buchs der Amores ist das vorletzte Stück der Sammlung; es folgt noch das kurze Schlußgedicht, in dem Ovid sich als Dichter von Elegien verabschiedet - offenbar als Quintessenz der Gedankenbewegung des dritten Buches, die das Ende der Beziehung des Sprechers zu Corinna signalisiert. Verkürzt auf den Punkt gebracht, ist die ironische Botschaft der 14. Elegie: ‚Geh fremd, wenn Du mußt, aber ich will davon nichts wissen. Lebe Deine Leidenschaft im Geheimen aus, aber sei in der Öffentlichkeit diskret. Und solltest Du erwischt werden, dann streite alles ab. Denn dann hast Du nicht gesündigt.‘ Hills Gedicht hat die Form der Selbstaussprache eines nicht näher bezeichneten Sprechers. Die erste Strophe enthält den Problemaufriß, die Diagnose: Die markanten Staccato-Sätze der ersten beiden Verse beschreiben gewissermaßen die bürgerliche Alltagssituation dieses Sprechers - “I love my work and my children” - angesichts einer diffusen Bedrohung - “things happen” - oder doch einer solchen, von der man möglicherweise mehr weiß, über die man jedoch besser nicht spricht. Dabei ist der Mensch offenbar auf sich selbst geworfen und hat keine Weisung oder Hilfe von einer göttlichen Instanz zu erwarten - “God is distant, difficult”. In Vers 3 erscheint die Bedrohung aus Vers 2 einerseits konkretisiert, andererseits verhüllend umschrieben als “ancient troughs of blood”, wobei “ancient” dem aktuellen Tötungsgeschehen eine mythologisch-rituelle Dimension zu verleihen scheint: ein unheimliches Geschehen heute, das in seinen Wurzeln bis in die Tiefen der menschlichen Existenz, in die Frühzeit der Menschheitsentwicklung hineinreicht. Und der Sprecher kommt zur Einsicht, daß er sich nicht heraushalten kann, daß er sich nicht darauf berufen kann, unschuldig zu sein. Die zweite Strophe enthält, korrespondierend zum Problemaufriß der ersten, nunmehr die Antwort auf die in der ersten beschriebenen Situation. Offenbar besteht das Programm des Sprechers in der Ausblendung der Realität - “not to look down / So much on the damned” - und Anpassung. Die Selbstberuhigung des Sprechers erfolgt in sprachlicher Überhöhung auf der Ebene der Literatur, in der Feier einer an Dantes Paradiso gemahnenden idealen Welt. Daß das Gedicht die Vernichtungsmaschine des Dritten Reichs thematisiert, angesichts derer jeder wissende Mensch mitschuldig werden muß, ergibt sich Nur die gestandene Schuld bringt sie um Achtung und Ruhm.“ (Publius Ovidius Naso, Liebesgedichte / Amores, lat. und dt. von Walter Marg und Richard Harder [Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft, 4 1976]). 17 eher indirekt aus dem Hinweis im Titel, aus dem Innuendo des ominösen “things happen” sowie der Periphrase “the ancient troughs of blood”. Daß der gewählte literarische Ausweg in Strophe 2 letztlich nicht trägt, mag der Leser schon ahnen, es wird ihm vollends klar, wenn er den Text an Ovids 14. Elegie des 3. Buches mißt. Der Kontrast ist fast unerträglich groß: dort die Liebeselegie, in der das Scheitern einer Liebesbeziehung durch Literarisierung, eine gesucht leichte Diktion und ein etabliertes Genre, bewältigt wird, hier die nur in Andeutungen aussprechbare grausige Realität, angesichts derer die literarische Lösung armselig erscheinen muß. Im Blick auf die Schuldfrage hat Hill im Interview mit John Haffenden die Verlockung des ‚Averroismus‘ beschrieben, die er überwinden mußte: Averroism was the doctrine of monopsychism, that is, that there is only one single Intellect, or ‘intellective’ soul for the whole of humanity, and it seemed to me at first sight a most comforting doctrine - the idea that all kinds of personal guilt, a burden of culpability for all eternity, might be absorbed and absolved in that one ‘Intellect’ - but afterwards I felt it was not a doctrine to be embraced at all; it seemed to be the archetype of the totalitarian state. And so I reacted very violently against it, but for a time I had felt the attraction very strongly. The attraction of what I came to see as its specious comfort and also of its coldness is captured in that metaphor, which - if I can say so - manages to be quite beautiful while at the same time being an image of a beautiful coldness and desolation. What at first seemed comforting ended up being desolate, rather like one of those beautiful but terrifying fairy stories where one enters a palace which is either totally empty or full of sleeping people, a dead sleep which is lit by blazing torches, never replenished yet never extinguished. 4 Von Hills “September Song” 5 , in dem der Dichter im Kontrast zu einer anmutigen Herbstlandschaft eine Elegie auf ein Naziopfer schreibt, die, literarisch elegant durch das Kunstmittel der Parenthese parallelisiert, im 4 John Haffenden, “Geoffrey Hill”, Viewpoints: Poets in Conversation (London: Faber, 1981), 76-99. 5 Hans-Werner Ludwig, „Geoffrey Hill: ‘September Song’ (1968)“, Elke Platz-Waury, ed., Moderne englische Lyrik: Interpretation und Dokumentation (Heidelberg: Quelle & Meyer, 1978), 108-122; Christopher Ricks, The Force of Poetry (Oxford: Clarendon P., 1984), 285-318, 319-355. 18 Tiefsten den Dichter selbst betrifft - “(I have made / an elegy for myself it / is true)” - führt eine gedankliche Linie über “Ovid in the Third Reich” zu der Gedichtfolge “Funeral Music”, und hier besonders zu Nr. 4, in der im Sinne des Interview-Zitats der Monopychismus des Averroes verworfen wird zugunsten einer auszuhaltenden Individiualität, damit auch Schuld, weil nur unter dieser Bedingung Geschichte gegeben sein kann. In “Ovid in the Third Reich” ist Ovids 14. Elegie weit mehr als ein Bildungsfetzen aus dem Karteikasten eines poeta doctus, sie ist der Prüfstein, die ironische Folie, anhand deren das Thema Schuld und Verdrängung von Schuld im Dritten Reich und darüber hinaus bearbeitet werden kann. Das Beispiel ist zugleich ein erster Indikator für die Präsenz Ovids in der englischen Lyrik des 20. Jahrhunderts, zumindest bei akademisch gebildeten Lyrikern wie Geoffrey Hill und Charles Tomlinson, zuvor schon Ezra Pound, T.S. Eliot und John Crowe Ransom, in der letzten Jahrhunderthälfte auch Ted Hughes, Seamus Heaney und Derek Mahon, die nicht nur über die klassische griechisch-lateinische Literatur frei verfügen, sondern ebenso über die neuzeitliche europäische Literaturtradition. Dieser kreativen Verflechtung von klassisch-antiken Mustern mit neuzeitlichen literarischen Problemstellungen geht dieses Kapitel anhand der Ovid- Rezeption nach. Im zweiten Abschnitt folgt deshalb zunächst ein Überblick über die Ovid- Rezeption in der englischen Lyrik. Zwei klassische Fälle aus der Elisabethanischen Zeit (Edmund Spenser, William Shakespeare) werden im dritten Abschnitt diskutiert. Der vierte Abschnitt behandelt anhand eines Ausschnitts aus dem sechsten Buch der Metamorphosen, der Geschichte von Philomela, Procne und Tereus, englische Ovid-Übersetzungen im Vergleich. Dies dient zugleich der Vorbereitung des fünften Abschnitts, in dem englischsprachige Versionen des Philomela-Mythos im Mittelpunkt stehen. Im Kontrast zu den offenkundigen Ovid-Bezügen dieses Abschnitts stehen im sechsten Abschnitt - gewissermaßen als Gegenprüfung - zwei Gedichte Seamus Heaneys, in denen antike Mythologie mit irischen Gegenwartsproblemen verschränkt ist, der direkte Ovid-Bezug allenfalls schwach ausgeprägt ist. 19 1.2 Ovid in England In einer Zeit, da humanistische Bildung nicht mehr fraglos vorausgesetzt werden kann, ist es nicht unnütz, sich daran zu erinnern, daß Stoffe wie Daedalus und Icarus, Philemon und Baucis, Jason und Medea, Orpheus und Euridike, Venus und Adonis, Apollo und Daphne, Pygmalion, Narcissus, Hercules, Ganymed oder Niobe und viele andere durch Ovids Metamorphosen weit verbreitet worden sind. Dabei ist Ovid selbst schon ein Glied in der Rezeptionskette antiker Stoffe, denn wer die Ursprünge und Quellen solcher antiken Mythen aufsuchen will, deren Spuren im Einzelfall schon bei Homer oder Hesiod oder den griechischen Tragikern belegt sind, wird schon in der Literatur der Antike vor Ovid fündig. Der Stoff um Philomela, Procne und Tereus zum Beispiel ist offenbar in einer böotisch-ionischen und in einer attischen Fassung bekannt gewesen; er hat seinen Niederschlag schon in der Odyssee, aber auch bei Hesiod, Sappho, Sophocles (Tereus) und Aischylos gefunden. 6 Gleichwohl kann Ovids Einfluß als Vermittler, als Brücke zwischen Antike einerseits, Mittelalter und Neuzeit andererseits gar nicht überschätzt werden. Mit Hans Blumenberg, der das „Wunder des Ineinander von Rezeption und Konstruktion“ der Metamorphosen rühmt: „Die europäische Phantasie ist ein weitgehend auf Ovid zentriertes Beziehungsgeflecht.“ 7 Schon ein oberflächlicher Blick in den Index eines Standardwerks wie Ernst Robert Curtius’ Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter unter dem Stichwort ‚Ovid‘ läßt dessen Einfluß erahnen. Wichtig wird die Ovid- Rezeption gegen Ende des 11. Jahrhunderts. 8 Im Mittelalter gehört Ovid zum Kanon der Schulautoren. 9 Im Rahmen der mittelalterlichen christlichen Allegorese wird Ovid ‚moralisiert‘. 10 In der volkssprachlichen Literatur Frankreichs und - unter deren Einfluß - Englands vermitteln Heldenepen und Ritterromane „die Geschichten von Troja, Theben, Rom aber auch Werke von Ovid“. 11 Der Rosenroman weist eine große Anzahl von Ovidbezügen auf. 6 Alle Angaben nach Der kleine Pauly: Lexikon der Antike, s.v. ‚Philomele‘, ‚Tereus‘. 7 Hans Blumenberg, Arbeit am Mythos (Frankfurt: Suhrkamp, 1979), 383. 8 Ein konziser Überblick über das Fortwirken Ovids in Literatur, bildender Kunst und Musik findet sich, nach Werkgruppen geordnet, in Michael von Albrecht, Ovid: Eine Einführung (Stuttgart: Reclam, 2003), 279-295. 9 Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter (Bern: Francke, 1 1948, vielfach nachgedruckt, 4 1963), 58f; 265ff. 10 Curtius, 211f. 11 Curtius, 388. 20 Ein Schlaglicht auf die Hochschätzung Ovids wirft auch eine Stelle aus Dantes Inferno (Divina Commedia): hier begegnen dem Dichter unter der Führung Virgils die antiken Dichter Homer, Horaz, Ovid und Lucan: Lo buon maestro cominciò a dire: Mira colui con quella spada in mano, che vien dinanzi ai tre sì come sire: quelli è Omero poeta sovrano; l'altro è Orazio satiro che vene; Ovidio è 'l terzo, e l'ultimo Lucano. 12 Bekannte mythologische Handbücher, beispielsweise Boccaccios Genealogia deorum gentilium (ca. 1350-1375), beruhen weitgehend auf Ovid. Auffällig ist der Ovid-Einfluß im Werk Chaucers, vermittelt vor allem über französische Quellen. 13 Dies gilt besonders für The Book of the Duchess, The House of Fame, The Legend of Good Women, Troilus and Criseide und einzelne Geschichten der Canterbury Tales. 14 William Caxton bringt 1480 den Ovide moralisé Pierre Bersuires (Berchorius) in Übersetzung heraus. 15 Für die Shakespeare-Zeit wird Arthur Goldings Übersetzung der Metamorphosen bestimmend. 16 Bis zum Augustan Age hat jede Zeit ihre Ovid-Über- 12 La Divina Commedia, Inferno IV,85-90. „Der gute Meister gab mir gleich Bescheid: / Schau diesen, der das Schwert in Händen trägt, / den andern drei’n als wie der Herr voran, / das ist Homer, der königliche Dichter. / Der andre, der satirische Horaz, / Ovid der dritte und Lucan der letzte.“ (übers. Karl Vossler). 13 Für Chaucer war Ovid “the classical poet to whom throughout his life he was most deeply indebted.” (F.N. Robinson, Introduction to The Book of the Duchess, The Complete Works of Geoffrey Chaucer [Oxford: OUP, 2 1966]). 14 Vgl. Lynn King Morris, Chaucer Source and Analogue Criticism: A Cross-Referenced Guide (New York: Garland, 1985); Helen Coolper, “Chaucer and Ovid”, Ovid Renewed, ed. Charles Martindale (Cambridge: CUP, 1988),71-81. 15 Diana Rumrich, ed., The Middle English Text of Caxton’s Ovid, Book I [ … ] with a parallel text of the Ovide moralisé en prose (Heidelberg: Winter, 2011). 16 Shakespeare’s Ovid, Being Arthur Golding’s Translation of the Metamorphoses, ed. W.H.D. Rouse (1904; repr London, 1961). Ovid’s Metamorphoses: The Arthur Golding Translation 1567, ed. John Frederick Nims (Philadelphia: Paul Dry Books, 2000); Ovid’s Metamorphoses, trans. Arthur Golding, ed. Madeleine Forey, Penguin Classics (London: Penguin, 2002, new. ed. 2006). Vgl. Stuart Gillespie and Robert Cummings, “A Bibliography of Ovidian Translations and Imitations in English”, Translations and Literature 13.2 (2004), 207ff. 21 setzung: die von George Sandys (1626) 17 für die spätere Renaissance, das von Samuel Garth herausgegebene Gemeinschaftswerk von Dryden, Pope und anderen (1717) für das Augustan Age. 18 Im Klassizismus und der Romantik schwindet das Interesse an Ovid; es wird wieder belebt in der ausgehenden Viktorianischen Zeit (Swinburne u.a.). Im Modernismus sorgen vor allem Ezra Pound und in dessen Gefolge T.S. Eliot für eine gesteigerte Aufmerksamkeit für Ovid. Ovid erscheint vielfach in Pounds Listen von innovativen Autoren (“donative authors”), wobei für ihn die römischen Autoren vor den griechischen rangieren. 19 In jüngerer Zeit halten Arbeiten wie die von Charles Tomlinson 20 aber auch Gemeinschaftswerke zeitgenössischer Dichter 21 Ovid lebendig. 1.3 Zwei Beispiele aus der elisabethanischen Zeit (Spenser, Shakespeare) 1.3.1 “ … all things steadfastnes doe hate”: Edmund Spensers Two Cantos of Mutabilitie Im Umkreis von Edmund Spensers The Faerie Queene finden sich - möglicherweise als Spensers letztes Werk - die sogenannten Mutabilitie Cantos, 22 in denen Ovids Einfluß 23 unübersehbar ist. Der Aufstand der Titanin Mutabilitie gegen die Götter findet Höhepunkt und Auflösung in dem von Jupiter anberaumten Streitgespräch “on Arlo Hill”, bei dem Dame Nature 17 George Sandys, Ovid’s Metamorphosis: Englished, Mythologized, and Represented in Figures, ed. Karl H. Hulley and Stanley T. Vandersall (Lincoln: Nebrasca U.P., 1970); George Sandys, Ovid’s Metamorphosis, online edition, URL: http: / / etext.virginia.edu/ latin/ ovid/ sandys/ 6.htm. 18 Ovid's Metamorphoses in Fifteen Books, Transl. by the Most Eminent Hands [Dryden, Addison, Garth, Mainwaring, Congreve, Rowe, Pope, Gay, Eusden, Croxall and others], ed. Samuel Garth (London, 1717). 19 Z.B. in How to Read: Literary Essays of Ezra Pound, ed. T. S. Eliot (London: Faber, 1 1954, repr.), 27, 38, 240; Selected Prose, 288, 294. Hans-Werner Ludwig, „Tradition und Innovation in der Literaturtheorie des Modernismus”, 2, 312-343. 20 Charles Tomlinson, ed., The Oxford Book of Verse in English Translation (Oxford: OUP, 1980). 21 Michael Hofman und James Lasdun, eds. After Ovid: New Metamorphoses (London: Faber, 1994). 22 Edmund Spenser’s Poetry, ed. Hugh MacLean und Anne Lake Prescott, Norton Critical Edition, 3rd. ed. (New York: Norton, 1993), 461-490. 23 Syrithe Pugh, Spenser and Ovid (Aldershot: Ashgate, 2005), 246-277. 22 die Richterin ist. Der Sprecher leitet das Gedicht ein, indem er das Stichwort ‘change’ programmatisch an den Anfang stellt: What man that sees the ever-whirling wheele Of Change, the which all mortall things doth sway, But that thereby doth find, and plainly feele, How Mutabilitie in them doth play Her cruell sports, to many mens decay? Which that to all may better yet appeare, I will rehearse that whylome I heard say, How she at first her selfe began to reare, Gainst all the Gods, and th’empire sought from them to beare. (Mut.VI,1) Mutabilitie übernimmt in ihrem Plädoyer für ihre Vorherrschaft die von Ovid im XV. Buch der Metamorphosen unter dem Namen des Pythagoras dargestellte Argumentation. Sie beschreibt den Wandel in Erde (Jahreszeiten), Wasser, Luft und Feuer und läßt zur Bekräftigung den Festzug der Jahreszeiten, der Monate, Tag und Nacht, der Stunden, Leben und Tod auftreten. Dies ist ihr Fazit: Lo, mighty mother, now be judge and say, Whether in all thy creatures more or lesse Change doth not raign and beare the greatest sway: For, who sees not, that Time on all doth pray? But Times do change and move continually. So nothing here long standeth in one stay: Wherefore, this lower world who can deny But to be subject still to Mutabilitie? (Mut. VII, 47) Gegen die Einrede Jupiters führt Mutabilitie das starke Argument ins Feld, daß die Götter selbst dem Wandel und damit ihr unterworfen seien - Jupiter ist der Sage nach auf Kreta oder in Theben geboren. Das Urteil Dame Natures ist bemerkenswert, als es einerseits das Prinzip des Wandels bestätigt, andererseits darin jedoch eine Veränderung zur Perfektion erkennt: I well consider all that ye have sayd, And find that all things steadfastnes doe hate 23 And changéd be: yet being rightly wayd They are not changéd from their first estate; But by their change their being doe dilate: And turning to themselves at length againe, Doe worke their owne perfection so by fate: Then over them Change doth not rule and raigne: But they raigne over change, and doe their states maintaine. (Mut. VII,58) Zusammen mit den beiden Cantos sind zwei weitere Strophen überliefert, in denen der Sprecher das vorgetragene Argument, spezifisch die Trauer über die Vergänglichkeit, durch den Verweis auf das christliche Konzept der Ewigkeit überhöht. Selbst wenn man die Wendung ins Christliche als eine nicht wirklich zum Text gehörende Zutat betrachtet, zeigt sich hier doch im Vergleich zum programmatischen Anfang, dem schicksalhaft und unausweichlich scheinenden “the ever-whirling wheele / Of Change, the which all mortall things doth sway”, wie weit sich die gedankliche Bewegung von der ursprünglichen Position entfernt hat. Das Thema ‚mutability‘ gilt als Signum einer Umbruchszeit. Spenser hat zwar Figur und Thema bei Chaucer vorgefunden, sie jedoch anders entwickelt. Zu seinen Vorlagen zählt neben Ovids Metamorphosen vor allem das fünfte Buch von Lukrez’ De Natura Rerum. Wenige Stellen aus dem fünfzehnten Buch der Metamorphosen belegen, wie nahe Mutabilitie entlang der bei Ovid vorgezeichneten Struktur argumentiert. And sith on open sea the wynds doo blow my sayles apace, In all the world there is not that that standeth at a stay. Things eb and flow, and every shape is made too passe away. The tyme itself continually is fleeting like a brooke. For neyther brooke nor lyghtsomme tyme can tarrye still. But looke As every wave dryves other foorth, and that that commes behynd Bothe thrusteth and is thrust itself: Even so the tymes by kynd Doo fly and follow bothe at once, and evermore renew. For that that was before is left, and streyght there dooth ensew Anoother that was never erst. (Ovid, Met. XV, 196-205, trans. A. Golding,) 24 24 Shakespeare’s Ovid Being Arthur Golding’s Translation of the Metamorphoses, Ed. W.H.D. Rouse, (London, 1961). Vgl. auch Ovid, Metamorphoses, trans. A.D. Mel- 24 Wandel, ‚flux‘, erscheint hier in klassischer Weise im Bild des fließenden Wassers. Auf diese summarische Passage folgt ein längerer Abschnitt, in dem dieses Prinzip im einzelnen exemplifiziert wird: nacheinander am Wechsel von Tag und Nacht, den vier Jahreszeiten, den menschlichen Körpern, 25 den Elementen Feuer, Wasser, Erde, Luft und ihrer Verwandlung ineineinander. Die Zeit als alles verschlingende Kraft unterstellt alles dem Signum der Sterblichkeit: Thou tyme, the eater up of things, and age of spyghtfull teene, Destroy all things. And when that long continuance hath them bit, You leysurely by lingring death consume them every whit. (Ovid, Met. XV,234-236, trans. A. Golding) 26 Von dieser Position aus gewinnt die Pythagoras zugeschriebene Lehre von der Seelenwanderung und der permanenten Verwandlung der Dinge der Schöpfung ineinander ihre besondere Eindringlichkeit: No kind of thing keepes ay his shape and hew. For nature loving ever chaunge repayres one shape a new Uppon another, neyther dooth there perrish aught (trust mee) In all the world, but altring takes new shape. For that which wee Doo terme by name of being borne, is for too gin too bee Another thing than that it was: And likewise for too dye, Too cease too bee the thing it was. And though that varyably Things passe perchaunce from place too place: yit all from whence they came Returning, doo unperrisshed continew still the same. But as for in one shape, bee sure that nothing long can last. (Ovid, Met. XV,252-260, trans. A. Golding) 27 ville, introd. E.J. Kenney, The World’s Classics (Oxford: OUP, 1987); Ovid, Metamorphosen, lat./ dt. übers. Michael von Albrecht (Stuttgart: Reclam, 1994). 25 Hier ist auch das in der Antike weit verbreitete Schemas der “four ages” angesiedelt. Das Thema der Weltalter findet sich in den Metamorphosen in Buch I, direkt im Anschluß an die Schöpfungsgeschichte, das der Lebensalter in Buch XV, 215-237. 26 „tempus edax rerum, tuque, invidiosa vetustas, omnia destruitis vitiataque dentibus aevi paulatim lenta consumitis omnia morte! “(Met. XV,234-236). 27 „‘Nec species sua cuique manet, rerumque novatrix ex aliis alias reparat natura figuras: nec perit in toto quicquam, mihi credite, mundo, 25 Ovids Metamorphosen sind die wichtigste Fundgrube für die Mythen des klassischen Altertums, die als lebendiges Bildungsgut die zeitgenössische Dichtung durchziehen. In den Mutabilitie Cantos montiert Spenser in seiner Ausgestaltung von Arlo Hill, dem nahe seinem eigenen Gut Kilkolman in Irland liegenden Austragungsort für die Disputation, Elemente der irischen Folklore mit der Geschichte von Diana und Actaeon (Metamorphosen, Buch III), 28 bzw. mit der des Faunus, der in römischer Zeit - so besonders bei Horaz und in Ovids Fasti - mit Pan gleichgesetzt worden ist. Für die Spenser-Forschung ist bis heute die komplexe Beziehung der Mutabilitie Cantos zu den vorausgehenden Büchern der Faerie Queene ein Diskussionspunkt. Damit verbunden ist die Frage nach der Struktur der Mutabilitie Cantos wie der gesamten Faerie Queene. Vielfach gelten die Mutabilitie Cantos als ‘Spenser’s last words’. Fragment oder vollendetes Werk? Sind die Mutabilitie Cantos entsprechend der Titelseite in Matthew Lownes Erstedition von 1609 der Anfang eines weiteren Buchs der Faerie Queene, in dem gegenüber der Dominanz des Themas change nun das Gegenmodell constancie im Mittelpunkt steht? In diesem Zusammenhang ist auch das Urteil Dame Natures im Disput zwischen Mutabilitie und Jove, das die Dialektik von change auf der einen, permanence, order oder perfection auf der anderen Seite offenhält, von Bedeutung. 29 Neben dieser ‚metaphysischen‘ Deutung von Spensers Werk hat in den letzten Jahrzehnten die ‚politische‘ Deutung an Gewicht gewonnen: Spensers Beitrag zur Diskussion um die Legitimierung von Herrschaft, zugleich seine Kritik an Elisabeths Irland-Politik. Um eine neuere Arbeit zu zitieren: Syrithe Pugh arbeitet in Spenser and Ovid gegensed variat faciemque novat, nascique vocatur incipere esse aliud, quam quod fuit ante, morique desinere illud idem. cum sint huc forsitan illa, haec translata illuc, summa tamen omnia constant. ‘Nil equidem durare diu sub imagine eadem crediderim“ (Met. XV,252-260). 28 Mutabilitie Cantos, VI, 36ff., bes. VI, 42ff; vgl. Ovid, Met. III, 138ff. 29 Northrop Frye, “The Structure of Imagery in The Faerie Queene”, Fables of Identity: Studies in Poetic Mythology (New York: Harcourt, Brace, 1963), 68-87; Gordon Teskey, Allegory and Violence (Ithaca: Cornell U.P., 1996); J. B. Lethbridge, “Spenser’s Last Days: Ireland, Career, Mutability, Allegory”, Edmund Spenser: New and Renewed Directions, ed. J.B. Lethbridge (Madison: Fairleigh Dickinson U.P., 2006), 302-336; Celebrating Mutabilitie: Essays on Edmund Spenser’s Mutabilitie Cantos, ed. Jane Grogan (Manchester: Manchester U.P., 2010). 26 über dem von der Forschung traditionell akzentuierten Virgil-Bezug im Gesamtwerk Edmund Spensers die Tendenz des Autors heraus, mit Hilfe ‚subversiv‘ eingesetzter Ovid-Bezüge den ‚Augustus‘-Kult der Tudors satirisch zu unterlaufen: Through Mutabilitie and Faunus, Spenser explores and satirizes the hubris and absolutism of the imperial concept of monarchy and indirectly advises Elizabeth to remain humble before Providence, considering her rule only temporary and as service to God. Mutabilitie and Faunus, then, are both in part figures of the satirical poet, whose voice is independent of political power, and who holds hmself answerable, as Mutabilitie to Nature, only to God. They embody the spirit of the Metamorphoses not only because she represents Change and he recalls Ovidian satyrs and voyeurs, but more importantly because they are the vehicles of Spenser’s truly Ovidian sceptical analysis of absolute power and its manipulation of myth for ideological purposes. 30 1.3.2 “Tempus edax rerum” - Shakespeare: “Time, the Devourer” und “an endless monument” Die Verbildlichung des Wandels im Bild des strömenden Wassers, aber auch das Thema der Lebensalter des Menschen von Geburt bis Tod, wie sie sich im 15. Buch von Ovids Metamorphosen finden, haben ein direktes Echo in Shakespeares Sonett 60: “Like as the waves make towards the pebbled shore”. … ut unda inpellitur unda urgeturque prior veniente urgetque priorem, tempora sic fugiunt pariter pariterque sequuntur et nova sunt semper; nam quod fuit ante, relictum est, fitque, quod haut fuerat, momentaque cuncta novantur (Ovid, Met. XV, 181-185) Like as the waves make towards the pebbled shore, So do our minutes hasten to their end; Each changing place with that which goes before, In sequent toil all forwards do contend. Nativity, once in the main of light, Crawls to maturity, wherewith being crown'd, 30 Syrithe Pugh, Spenser and Ovid (Aldershot: Ashgate, 2005), 273. 27 Crooked elipses 'gainst his glory fight, And Time that gave doth now his gift confound. Time doth transfix the flourish set on youth And delves the parallels in beauty's brow, Feeds on the rarities of nature's truth, And nothing stands but for his scythe to mow: And yet to times in hope my verse shall stand, Praising thy worth, despite his cruel hand. (Shakespeare, Sonnets 60) Anders als bei Ovid, wo das Moment der alles verschlingenden Zeit im Sinne der Lehre des Pythagoras im Weltprinzip des ewigen Wandels aufgehoben erscheint, akzentuiert Shakespeare hier die verstreichende Zeit als Lebensende. Das zweite Quartett bezieht deshalb in Aufnahme eines weit verbreiteten Topos 31 den Gedanken der verstreichenden Zeit auf die Lebensalter des Menschen, von “nativity” über “maturity” bis zu Alter und Tod. “Time” erscheint im dritten Quartett als der Sensenmann, wird identisch mit dem Tod. Das Couplet setzt gegen diese Bilanz des Lebens als Verfall und Verlust den Preis des Geliebten im dichterischen Wort. 32 Die in diesem Sonett enggeführten Grundideen, das Thema ‚verstreichende Zeit‘ und das Thema ‚Verewigung durch Dichtung‘, beides Stränge, die sich gleichermaßen auf Ovids Metamorphosen, besonders auf Kapitel 15 und den Epilog, beziehen lassen, werden anderswo in Shakespeares Sonetten breit entfaltet. In der ersten in sich geschlossenen Gruppe der sogenannten Procreation Sonnets (1-18/ 19) ist die Antwort auf das Thema der Vergänglichkeit des menschlichen Lebens - aufgerufen im Jahreszeitenschema, in 31 Das Schema der fünf oder vier, später auch sieben, Weltalter und seine Parallelisierung mit den ages of man findet sich bereits bei Hesiod und wird in vielfacher Variation in Antike wie Christentum (u.a. Augustinus) tradiert; es ist ebenso verbreitet in der neueren englischsprachigen Poesie, von Anne Bradstreet (“Of the Four Ages of Man”) bis zu William Butler Yeats (“The Four Ages of Man”). Eine klassisch gewordene Version der seven ages of man” findet sich in Jacques’ Rede “All the world’s a stage” aus Shakespeare’s As You Like It (II.7,139-166). 32 Eine Analyse dieses Sonetts und eine Diskussion von Stefan Georges und Paul Celans Übersetzungen unter dem Gesichtspunkt der Intertextualität bietet Werner v. Koppenfels, „Intertextualität und Sprachwechsel: Die literarische Übersetzung“, Intertextualität, ed. Broich/ Pfister, 137-157, wieder abgedruckt in Bild und Metamorphose: Paradigmen einer europäischen Komparatistik (Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft., 1991), 317-327. 28 “Time’s scythe” aus Sonett 12 oder in “Make war against this bloody tyrant Time” aus Sonett 16 - die Aufforderung an den Adressaten, sich durch Nachkommenschaft ein Leben über den Tod hinaus zu sichern, zugleich spielt auch hier schon die Verewigung durch das Dichterwort besonders in den letzten Sonetten dieser Gruppe (15,17,18) eine gewichtige Rolle. Ovids „tempus edax rerum“ bildet sodann die trotzige Anrede des Sprechers an die alles verschlingende Zeit in Sonett 19, das gewissermaßen die Summe der vorausgegangenen Argumentation darstellt: Devouring Time, blunt thou the Lion's paws, And make the earth devour her own sweet brood; Pluck the keen teeth from the fierce Tiger's jaws, And burn the long-lived Phoenix in her blood; Make glad and sorry seasons as thou fleet'st, And do whate'er thou wilt, swift-footed Time, To the wide world and all her fading sweets; But I forbid thee one most heinous crime: O, carve not with thy hours my love's fair brow, Nor draw no lines there with thine antique pen; Him in thy course untainted do allow For beauty's pattern to succeeding men. Yet, do thy worst, old Time: despite thy wrong, My love shall in my verse ever live young. Das Thema wird in den Sonetten 63 und 64 wieder aufgegriffen. Ovid beschließt die Metamorphosen mit einem Epilog, in dem er selbstbewußt den Ewigkeitswert seiner Dichtung gegen die Begrenztheit des eigenen Lebens setzt: Now have I brought a woork too end which neither Joves feerce wrath, Nor swoord, nor fyre, nor freating age with all the force it hath Are able too abolish quyght. Let comme that fatall howre Which (saving of this brittle flesh) hath over mee no powre, And at his pleasure make an end of myne uncerteyne tyme. Yit shall the better part of mee assured bee too clyme Aloft above the starry skye. And all the world shall never Be able for too quench my name. For looke how farre so ever The Romane Empyre by the ryght of conquest shall extend, So farre shall all folke reade this woork. And tyme without all end 29 (If Poets as by prophesie about the truth may ame) My lyfe shall everlastingly bee lengthened still by fame. (Ovid, Met. XV, trans. A. Golding, 984ff.) 33 So wie Edmund Spenser im Epithalamion nach dem Durchgang durch die Stunden des Hochzeitstages am Ende die Zeitenthobenheit des Kunstwerks beschwört 34 - Song made in lieu of many ornaments, With which my love should duly have bene dect, Which cutting off through hasty accidents, Ye would not stay your dew time to expect, But promist both to recompens, Be unto her a goodly Ornament, And for short time an endlesse moniment. (Edmund Spenser, Epithalamion, 426-433) - so setzt Shakespeare in Sonett 55 zu einer fulminanten Selbstvergewisserung des sprechenden Dichter-Ichs an - ein topisch gewordener Gedanke, in dem Ovid unüberhörbar ist: Not marble, nor the gilded monuments Of Princes shall outlive this powerful rhyme, But you shall shine more bright in these contents Than unswept stone, besmear'd with sluttish time. When wasteful war shall statues overturn, And broils root out the work of masonry, Nor Mars his sword, nor war's quick fire shall burn The living record of your memory. 'Gainst death, and all-oblivious enmity Shall you pace forth, your praise shall still find room, Even in the eyes of all posterity That wear this world out to the ending doom. 33 Zum Topos „Dichtung als Verewigung“ vgl. Curtius, 469ff., 477ff. 34 Wolfgang Clemen, „Spenser’s Epithalamion: Zum Problem künstlerischer Wertmaßstäbe“, Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse 8 (1964), 1-52; A. Kent Hieatt, Short Time’s Endless Monument: The Symbolism of the Numbers in Edmund Spenser’s Epithalamion (New York, 1960; repr. Port Washington: Kennikat P., 1972). 30 So till the judgment that yourself arise, You live in this, and dwell in lovers' eyes. (Shakespeare, Sonnets 55) Wie selbstgewiß der Sprecher hier formuliert, läßt sich am besten im Kontrast zu Sonett 65 erkennen, in dem die Angst vor der Vergänglichkeit überwiegt und nur im Schlußcouplet die Möglichkeit des Überdauerns “in black ink” als Wunder gedacht wird: Since brass, nor stone, nor earth, nor boundless sea, But sad mortality o'ersways their power, How with this rage shall beauty hold a plea, Whose action is no stronger than a flower? O how shall summer's honey breath hold out, Against the wrackful siege of batt'ring days, When rocks impregnable are not so stout, Nor gates of steel so strong but Time decays ? O fearful meditation, where alack, Shall Time's best jewel from Time's chest lie hid? Or what strong hand can hold his swift foot back, Or who his spoil of beauty can forbid? O none, unless this miracle have might, That in black ink my love may still shine bright. (Shakespeare, Sonnets 65) 1.4 Englische Ovid-Übersetzungen im Vergleich Es ist instruktiv, verschiedene Ovid-Übersetzungen synoptisch zu lesen und die jeweils zeitgebundenen Vorgehensweisen der Übersetzer zu analysieren. Dies geschieht hier ausschnittweise anhand einer markanten Passage des Philomela/ Procne-Tereus -Mythos, wie er sich im sechsten Buch der Metamorphosen findet. 35 Dies ist zugleich die Textgrundlage für den folgenden Abschnitt zu Philomela in der englischen Lyrik. Charles Tomlinson faßt die Geschichte so zusammen: Any summary of the tale makes it sound merely ghastly. Here is mine: Tereus goes to Athens to fetch Philomela to visit her sister Procne (his 35 Ovid, Met. VI, 424-674. 31 wife) in Thrace. Already in Athens he is beginning to lust after Philomela. On the way back he rapes her, cuts out her tongue and imprisons her in a hunting lodge. When the truth of the matter gets to Procne, she frees Philomela and then cannibalizes Tereus’ son Itys, serving him up to his father, after which Philomela appears drenched in gore and hurls Itys’ severed head at him. This comes at a point when the two women have worked themselves up to a pitch of hysteria. Tereus is also a hysteric - earlier in the poem he succeeds in making himself cry at his own rhetoric where he’s persuading Philomela’s father how badly Procne wants to see her sister. The hurling of the severed head marks a climax of hysteria in a poem which itself refuses to be hysterical. [ … ] 36 Als Tereus schließlich versteht, was geschehen ist, gerät er in Rage, verfolgt die beiden Frauen mit gezogenem Schwert; sie entgehen dem sicheren Tode durch Verwandlung in Vögel: nach der attischen Fassung des Mythos Procne in die Nachtigall, Philomela in die Schwalbe - bei römischen Autoren und in ihrem Gefolge bei den meisten neuzeitlichen Autoren umgekehrt, also Procne in die Schwalbe und Philomela in die Nachtigall. Ovid verzichtet auf eine genaue namentliche Zuordnung. Die folgenden Textausschnitte enthalten jeweils den zweiten Höhepunkt der Geschichte: die Rachehandlung von Procnes Tötung des Itys über das Gastmahl für Tereus und die schreckliche Erkenntnis dessen, was geschehen ist, bis hin zur Verwandlung der drei Protagonisten, dem Ende der bei Ovid überlieferten Geschichte. 1.4.1 Arthur Golding Then Progne chaaft a maine And was not able in hir selfe hir choler to restraine, But blaming Philomela for hir weeping, said these wordes. Thou must not deale in this behalfe with weeping, but with swordes, Or with some thing of greater force than swords. For my part, I Am readie, yea and fully bent all mischiefe for to trie. This pallace will I eyther set on fire, and in the same Bestow the cursed Tereus the worker of our shame: 36 Charles Tomlinson, Poetry and Metamorphosis (Cambridge: CUP, 1983), 17f. 32 Or pull away his tongue: or put out both his eyes: or cut Away those members which have thee to such dishonor put: Or with a thousand woundes expulse that sinfull soule of his. The thing that I doe purpose on, is great what ere it is, I know not what it may be yet. While Progne hereunto Did set hir minde, came Itys in, who taught hir what to doe. She staring on him cruelly, said. Ah, how like thou art Thy wicked father, and without moe wordes a sorrowfull part She purposed, such inward ire was boyling in hir heart. But notwithstanding when hir sonne approched to hir neare, And lovingly had greeted hir by name of mother deare, And with his pretie armes about the necke had hugde hir fest, And flattring wordes with childish toyes in kissing forth had cast: The mothers heart of hirs was then constreyned to relent, Asswaged wholy was the rage to which she erst was bent, And from hir eyes against hir will the teares enforced went. But when she saw how pitie did compell hir heart to yeelde, She turned to hir sisters face from Itys, and behelde Now tone, now tother earnestly and said, why tattles he, And she sittes dumbe bereft of tongue? as well why calles not she Me sister, as this boy doth call me mother? Seest thou not Thou daughter of Pandion what a husband thou hast got? Thou growest wholy out of kinde. To such a husband as Is Tereus, pitie is a sinne. No more delay there was. She dragged Itys after hir as when it happes in Inde A Tyger gets a little Calfe that suckes upon a Hynde, And drags him through the shadie woods. And when that they had found A place within the house far off and far above the ground, Then Progne strake him with a sword now plainly seeing whother He should, and holding up his handes, and crying mother, mother, And flying to hir necke: even where the brest and side doe bounde, And never turnde away hir face. Inough had bene that wound Alone to bring him to his ende. The tother sister slit His throte. And while some life and soule was in his members yit, In gobbits they them rent: whereof were some in Pipkins boyld, And other some on hissing spits against the fire were broyld: And with the gellied bloud of him was all the chamber foyld. 33 To this same banket Progne bade hir husband, knowing nought, Nor nought mistrusting of the harme and lewdnesse she had wrought. And feyning a solemnitie according to the guise Of Athens, at the which there might be none in any wise Besides hir husband and hir selfe, she banisht from the same Hir householde folke and sojourners, and such as guestwise came. King Tereus sitting in the throne of his forefathers, fed And swallowed downe the selfe same flesh that of his bowels bred. And he (so blinded was his heart) fetch Itys hither, sed. No lenger hir most cruell joy dissemble could the Queene, But of hir murther coveting the messenger to beene, She said: the thing thou askest for, thou hast within. About He looked round, and asked where? To put him out of dout, As he was yet demaunding where, and calling for him: out Lept Philomele with scattred haire aflaight like one that fled Had from some fray where slaughter was, and threw the bloudy head Of Itys in his fathers face. And never more was shee Desirous to have had hir speache, that able she might be Hir inward joy with worthie wordes to witnesse franke and free. The tyrant with a hideous noyse away the table shoves, And reeres the fiends from Hell. One while with yauning mouth he proves To perbrake up his meate againe, and cast his bowels out. Another while with wringing handes he weeping goes about. And of his sonne he termes himselfe the wretched grave. Anon With naked sword and furious heart he followeth fierce upon Pandions daughters. He that had bin present would have deemde Their bodies to have hovered up with fethers. As they seemde, So hovered they with wings in deede. Of whome the one away To woodward flies, the other still about the house doth stay. And of their murther from their brestes not yet the token goth, For even still yet are stainde with bloud the fethers of them both. And he through sorrow and desire of vengeance waxing wight, Became a Bird upon whose top a tuft of feathers light In likenesse of a Helmets crest doth trimly stand upright. In stead of his long sword, his bill shootes out a passing space : A Lapwing named is this Bird, all armed seemes his face. 34 1.4.2 George Sandys Sterne Progne broiles; her bosome hardly beares So vast a rage: who chides her sisters teares. No teares, said she, our lost condition needs But steele; or if thou hast what steele exceeds. I, for all horrid practises, am fit: To wrap this roofe in flame, and him in it: His eyes, his tongue, or what did thee inforce, T'extirp; or with a thousand wounds, diuorce His guilty soule. The deede I intend, is great: But what, as yet, I know not. In this heat Came Itys in, and taught her what to doe. Beheld with cruell eyes; Ah, how I view; In thee, said shee, thy father! then intends Her tragick Scene: Rage in her lookes ascends. But when her sonne saluted her, and clung Vnto her neck; mixt kisses, as he hung, With childish blandishments; her, high-wrought blood Began to calme, and rage distracted stood. Teares trickl'd from her eyes by strong constraint. But when she found her resolution faint With too much pittie; her sad sister viewes, And said, while both, her eyes by turnes peruse. Why flatters he? why tonguelesse weepes the other? Why sister calls not she, whom he calls mother? Degenerate! thinke whose daughter; to whom wed: All piety is sinne to Tereus bed. Then Itys trailes: as when by Ganges floods A Tigresse drags a Fawne through silent woods. Retiring to the most sequestred roome: While he, with hands vp-heau'd, fore-sees his doome, Clings to her bosome; mother! mother! cry'd; She stabs him: nor once turn'd her face aside. His throte was cut by Philomela's knife: Although one wound suffic'd to vanquish life. His yet quick lims, ere all his soule could passe, She peece-meale teares. Some boyle in hollow brasse, 35 Some hisse on spits. The pauements blusht with blood. Progne inuites her husband to this food: And faines her Countries Rite; which would afford No seruant, nor companion, but her Lord. Now Tereus, mounted on his Grand-sires throne, With his sonnes carued entrailes stuffes his owne: And bids her (so Soule-blinded! ) call his boy. Progne could not disguise her cruell ioy: In full fruition of her horrid ire, Thou hast, said she, within thee thy desire. He lookes about: asks where. And while againe He asks, and calls: all bloody with the slaine, Forth like a Fury, Philomela flew; And at his face the head of Itys threw. Nor euer more then now desir'd a tongue; T'expresse the ioy of her reuenged wrong. He, with lowd out-cryes, doth the boord repell; And calls the Furies from the depth of hell. Now teares his brest, and striues from thence in vaine To pull th' abhorred food: now weepes amaine. And calls himselfe his sonnes vnhappy tombe. Then drawes his sword; and through the guilty roome Pursues the Sisters; who appeare with wings To cut the ayre: and so they did. One sings In woods; the other neare the house remaines: And on her brest yet beares her murders staines. He, swift with griefe and fury, in that space His person chang'd. Long tufts of feathers grace His shining crowne; his sword a bill became; His face all arm'd: whom we a Lapwing name. 1.4.3 Samuel Croxall (ed. Samuel Garth) In Procnè's breast the rising passions boil, And burst in anger with a mad recoil; Her sister's ill-tim'd grief, with scorn, she blames, Then, in these furious words her rage proclaims. 36 “Tears unavailing but defer our time, The stabbing sword must expiate the crime; Or worse, if wit, on bloody vengeance bent, A weapon more tormenting can invent. O sister! I've prepar'd my stubborn heart, To act some hellish, and unheard-of part; Either the palace to surround with fire, And see the villain in the flames expire; Or, with a knife, dig out his cursed eyes, Or, his false tongue with racking engines seize; Or, cut away the part that injur'd you, And, thro' a thousand wounds, his guilty soul pursue. Tortures enough my passion has design'd, But the variety distracts my mind.” A while, thus wav'ring, stood the furious dame, When Itys fondling to his mother came; From him the cruel fatal hint she took, She view'd him with a stern remorseless look; “Ah ! but too like thy wicked sire,” she said, Forming the direful purpose in her head. At this a sullen grief her voice supprest, While silent passions struggle in her breast. Now, at her lap arriv'd, the flatt'ring boy Salutes his parent with a smiling joy: About her neck his little arms are thrown, And he accosts her in a prattling tone. Then her tempestuous anger was allay'd, And in its full career her vengeance stay'd; While tender thoughts, in spite of passion, rise, And melting tears disarm her threat'ning eyes. But when she found the mother's easy heart, Too fondly swerving from th' intended part; Her injur'd sister's face again she view'd, And, as by turns survey'ing both she stood, "While this fond boy,” she said, "can thus express The moving accents of his fond address; Why stands my sister of her tongue bereft, Forlorn, and sad, in speechless silence left? 37 O Procnè, see the fortune of your house! Such is your fate, when match'd to such a spouse! Conjugal duty, if observ'd to him, Would change from virtue, and become a crime; For all respect to Tereus must debase The noble blood of great Pandion's race.” Straight at these words, with big resentment fill'd, Furious her look, she flew, and seiz'd her child; Like a fell tigress of the savage kind, That drags the tender suckling of the hind Thro' lndia's gloomy groves, where Ganges laves The shady scene, and rolls his streamy waves. Now to a close apartment they were come, Far off retir'd within the spacious dome; When Procnè, on revengeful mischief bent, Home to his heart a piercing poniard sent. Itys, with rueful cries, but all too late, Holds out his hands, and deprecates his fate; Still at his mother's neck he fondly aims, And strives to melt her with endearing names; Yet still the cruel mother perseveres, Nor with concern his bitter anguish hears. This might suffice; but Philomela too Across his throat a shining cutlass drew. Then both, with knives, dissect each quiv'ring part, And carve the butcher'd limbs with cruel art; Which, whelm'd in boiling cauldrons o'er the fire, Or turn'd on spits, in steamy smoke aspire: While the long entries, with their slipp'ry floor, Run down in purple streams of clutted gore. Ask'd by bis wife to this inhuman feast, Tereus unknowingly is made a guest: While she, her plot the better to disguise, Styles it some unknown mystic sacrifice; And such the nature of the hallow'd rite, The wife her husband only could invite, The slaves must all withdraw, and be debarr'd the sight, Tereus, upon a throne of antic state, 38 Loftily rais'd, before the banquet sate, And glutton-like, luxuriously pleas'd, With his own flesh his hungry maw appeas'd, Nay, such a blindness o'er his senses falls, That he for Itys to the table calls. When Procnè, now impatient to disclose The joy that from her full revenge arose, Cries out, in transports of a cruel mind, “Within yourself your Itys you may find.” Still, at this puzzling answer, with surprise, Around the room he sends his curious eyes; And as he still inquir'd, and call'd aloud, Fierce Philomela, all besmear'd with blood, Her hands with murder stain'd, her spreading hair Hanging dishevell'd with a ghastly air, Stept forth, and flung full in the tyrant's face The head of Itys, goary as it was: Nor ever long'd so much to use her tongue, And with a just reproach to vindicate her wrong; The Thracian monarch from the table flings, While with his cries the vaulted parlour rings; His imprecacions echo down to Hell, And rouse the snaky Furies from their Stygian cell. One while he labours to disgorge his breast, And free his stomach from the cursed feast; Then, weeping o'er his lamentable doom, He styles himself his son's sepulchral tomb. Now, with drawn sabre, and impetuous speed, In close pursuit he drives Pandion's breed; Whose nimble feet spring with so swift a force, Across the fields they seem to wing their course. And now, on real wings themselves they raise, And steer their airy flight by diff'rent ways; One to the woodland's shady covert hies, Around the smoky roof the other flies; Whose feathers yet the marks of murder stain, Where stampt upou her breast the crimson spots remain 39 Tereus, through grief, and haste to be reveng'd, Shares the like fate, and to a bird is chang'd: Fix'd on his head the crested plumes appear. Long is his beak, and sharpen'd like a spear; Thus arm'd, his looks his inward mind display, And, to a lapwing turn'd, he fans his way. 1.4.4 Ted Hughes She was out of her mind with anger: 'Tears can't help us, Only the sword Or if it exists Something more pitiless Even than the sword. 'O my sister, nothing now Can soften The death Tereus is going to die. Let me see this palace one flame And Tereus a blazing insect in it, Making it brighter. 'Let me break his jaw. Hang him up By his tongue and saw it through with a broken knife. Then dig his eyes from their holes. Give me the strength, you gods, To twist his hips and shoulders from their sockets And butcher the limbs off his trunk 'Till his soul for very terror scatter Away through a thousand exits. Let me kill him - Oh! However we kill him Our revenge has to be something That will appal heaven and hell And stupefy the earth.' While Procne raved Itys came in - Her demented idea Caught hold of his image. 40 'The double of his father,' she whispered. Silent, her heart ice, She saw what had to be done. Nevertheless as he ran to her Calling to her, his five - year - old arms Pulling at her, to be kissed And to kiss her, and chattering lovingly Through his loving laughter Her heart shrank. Her fury seemed to be holding its breath For that moment As tears bumed her eyes. She felt Her love for this child Softening her ferocious will - and she turned To harden it, staring at her sister's face. Then looked back at Itys And again at her sister, crying: 'He tells me all his love - but she Has no tongue to utter a word of hers. He can call me mother, but she Cannot call me sister. 'This is the man you have married! O daughter of Pandion! You are your father's shame and his despair. To love this monster Tereus, or pity him, You must be a monster. It is monstrous! ' Catching Itys by the arm she gave herself No more time to weaken. Like a tiger on the banks of the Ganges Taking a new - dropped fawn She dragged him into a far cellar Of the palace. He saw what was coming. He tried To clasp her neck screaming: 'Mama, Mama! ' 41 But staring into his face Procne pushed a sword through his chest - Then, though that wound was fatal enough, Slashed his throat. Now the two sisters Ripped the hot little body Into pulsating gobbets. The room was awash with blood As they cooked his remains - some of it Gasping in bronze pots, some weeping on spits. A feast followed. Procne invited One guest only, her husband. She called it a ritual Peculiar to her native land And special for this day, when the wife Served her lord, without attendant or servant. Tereus, ignorant and happy, Lolled on the throne of his ancestors And swallowed, with smiles, All his posterity As Procne served it up. He was so happy He called for his son to join him: 'Where is Itys? Bring him.' Procne Could not restrain herself any longer. This was her moment To see him fall helpless onto the spike In the pit she had dug for him. 'Your son,' she said, 'is here, already. He is here, inside, He could not be closer to you.' Tereus was mystified - He suspected some joke, perhaps Itys Was hiding under his throne. 42 'Itys,' he called again. 'Come out, Show yourself.' The doors banged wide open, Philomela burst into the throne - room, Her hair and gown bloody. She rushed forward, And her dismembering hands, red to the elbows, Jammed into the face of Tereus A crimson, dripping ball, The head of Itys. For moments, his brain Refused to make sense of any of it. But the joy she could not speak Philomela released in a scream. Then it was his turn. His roar tore itself Out of every fibre in his body. He heaved the table aside - Shouting for the Furies To come up out of hell with their snake - heads. He tugged at his rib - cage, As if he might rive himself open To empty out what he had eaten. He staggered about, sobbing That he was the tomb of his boy. Then gripped his sword - hilt and steadied himself As he saw the sisters running. Now his bellow Was as homicidal As it was anguished. He came after them and they Who had been running seemed to be flying. And suddenly they were flying. One swerved On wings into the forest, The other, with the blood still on her breast, Flew up under the eaves of the palace. And Tereus, charging blind In his delirium of grief and vengeance, 43 No longer caring what happened - He too was suddenly flying. On his head and shoulders a crest of feathers, Instead of a sword a long curved beak - Like a warrior transfigured With battle - frenzy dashing into battle. He had become a hoopoe. Philomela Mourned in the forest, a nightingale. Procne Lamented round and round the palace, A swallow. Übersetzungen sind mit Charles Tomlinson durch zwei Momente charakterisiert: die Kunst des Übersetzers und die Zeit, in die die jeweilige Übersetzung hineinwirkt: “Translation requires, then, basically two things - the man and the moment.” 37 Tomlinson, selbst Lyriker und erfahrener Übersetzer aus vielen Sprachen, zudem Herausgeber des Oxford Book of Verse in English Translation, plädiert dafür, den englischen Übersetzungen des 16. Jahrhunderts ihren wichtigen Stellenwert in der Entwicklung des literarischen Idioms und als stilistisches Gegengewicht gegen die die zeitgenössische Literatur dominierende Sprache des elisabethanisch-jakobäischen Dramas einzuräumen. 38 Dies gilt für Arthur Goldings Übersetzung der Metamorphosen, und obwohl Tomlinson letztlich Drydens Ovid-Übersetzung höher wertet, betont er doch Goldings Sprachqualitäten, die ihn in die Nähe von Chaucers Ideal der sprachlichen Präzision, Einfachheit und Klarheit und dessen Verzicht auf effekthascherische Rhetorik rückt. Damit ist seine Rolle für die Elisabethanische Zeit beschrieben: “Golding is a fascinating example of a poet in touch with Chaucer’s simplicity, clarity, and narrative verve.” 39 Goldings Ovid-Übersetzung gehört in eine Reihe mit Übersetzungen griechischer und lateinischer Klassiker aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und des beginnenden 17. Jahrhunderts, beispielsweise Abraham Flemings Virgil-Übersetzungen, Philemon Hollands 37 Tomlinson, Poetry and Metamorphosis, 88; vgl. “Introduction”, The Oxford Book of Verse in English Translation, ed. Charles Tomlinson (Oxford: OUP, 1980), XIII. 38 Charles Tomlinson, Metamorphoses: Poetry and Translation (Manchester: Carcanet, 2003), 2, 5. 39 Tomlinson, Metamorphoses, 10. 44 Livius, Plinius oder Plutarch, George Chapmans Ilias und Odyssee, Christopher Marlowes Übersetzung von Ovids Amores. 40 Übersetzungen klassischer Autoren ins Englische sind wie auch die etwa gleichzeitig entstehenden Bibelübersetzungen wichtige Bausteine im Prozeß der Hochwertung der englischen Sprache als den klassischen Sprachen ebenbürtige Literatursprache. Ezra Pound, dessen emsiges Eintreten für Ovid zu nicht geringem Teil für die Ovid-Renaissance zu Beginn des 20. Jahrhunderts verantwortlich ist, nannte Arthur Goldings Übersetzung der Metamorphosen zusammen mit Gavin Douglas’ Eneados “perhaps the most beautiful books of poetry in the English language”; er ordnet sie hinsichtlich der sprachlichen Qualität ebenfalls nahe bei Chaucer ein und kontrastiert sie mit dem ihm verhaßten Milton. 41 Can we, for our part, know our Ovid until we find him in Golding? Is there one of us so good at his Latin, and so ready in imagination that Golding will not throw upon his mind shades and glamours inherent in the original text which had for all that escaped him? Is any foreign speech ever our own, ever so full of beauty as our lingua materna (whatever lingua materna that may be)? Or is not a new beauty created, an old beauty doubled when the overchange is well done? [ … ] Perhaps all these things are personal matters, and not matter for criticism or discussion. But it is certain that ‘we’ have forgotten our Ovid, ‘we’ being the reading public, the readers of English poetry, have forgotten our Ovid since Golding went out of print. [ … ] I point out that Golding was endeavouring to convey the sense of the original to his readers. He names the thing of his original author, by the name most germane, familiar, homely to his hearers. He is intent on conveying a meaning, and not on bemusing them with a rumble. And I hold that the real poet is sufficiently absorbed in his content to care more for the content than the rumble; and also that Chaucer and Gol- 40 Vgl. hierzu Madeleine Forey, “Introduction”, Ovid’s Metamorphoses: Translated by Arthur Golding (London: Penguin, 2002), XII. 41 Ezra Pound, Selected Prose 1909-1965, ed. William Cookson (London: Faber, 1973), 294; vgl ABC of Reading (1934), 127; detaillierter zu Golding in “Notes on Elizabethan Classicists”, Literary Essays of Ezra Pound, ed. T. S. Eliot (London: Faber, 1954; repr.), 237ff. 45 ding are more likely to find the mot juste [ … ] than were for some centuries their successors, saving the author of Hamlet. 42 Goldings Übersetzung ist “Shakespeare’s Ovid” 43 . In Shakespeares Werken finden sich eine ganze Anzahl von Übernahmen und Anklängen an diesen Text. Berühmt ist Prosperos Rede am Beginn des fünften Aktes des Tempest, an deren Ende er seiner magischen Kräfte entsagt: eine Paraphrase der Rede Medeas aus dem siebten Buch der Metamorphosen mit wörtlichen Übernahmen aus Goldings Text. Madeleine Forey zeigt, wie Golding Ovids Begrifflichkeit und Bildersprache mit Echos der Bibelsprache anreichert, möglicherweise noch immer als Reflex der mittelalterlichen Ovid-Exegese, sicher aber ein Indikator für die Präsenz der englischen Bibelübersetzungen, zumal der Geneva Bible aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, die auch für Shakespeare und viele andere zeitgenössische Autoren maßgeblich war. 44 Goldings Übersetzung versetzt Ovid in die englische Kultur: And Golding does indeed transpose the stories of the Metamorphoses into English culture in a way which provides insights into the relationship between the English Renaissance and Latin sources. [ … ] The process involves, in effect, a reinvention (or rediscovery) of the source author as an English writer. Golding makes a similar statement in his Preface: And now I have him made so well acquainted with our toong As that he may in English verse as in his owne bee soong. (177f.) 45 Dabei wechselt Golding zwischen einem gehobenen Standard-Idiom und Anklängen an Dialektformen des ‘West Country’, die - so Raphael Lyne - 42 Pound, “Notes on Elizabethan Classicists”, 235, 239. 43 Shakespeare’s Ovid: Being Arthur Golding’s Translation of the Metamorphoses, ed. W.H.D. Rouse (1904, repr. 1961). 44 “It is a transformation; classical myth is intertwined with Christian culture, and Ovidian wit is turned into native vitality and English lyricism”. (Forey, ibid., XVff.). 45 Raphael Lyne, “Golding’s Englished Metamorphoses”, Translation and Literature 5 (1996), 183-200 hier 183f. unter Bezug auf Gordon Braden, The Classics and English Renaissance Poetry (New Haven, 1978); Eine interessante Detailstudie zur ‚Einenglischung‘ Ovids durch Golding findet sich auch bei Charles Martindale und Sarah Annes Brown, “A Complementary Response to Anthony Brian Taylor, ‘Arthur Golding and the Elizabethan Progress of Actaeon's Dogs’[Connotations 1.3 (1991), 207-23.]”, Connotations 2.1 (1992), 58-68. 46 die Welt eines country gentleman, “rustic simplicity” 46 suggerieren. Ebenso ersetzt Golding römische Zeitbezüge, setting, Figuren und Ideen, durch englische Äquivalente, wobei der Bezug zur Welt des Christentums unübersehbar ist. Während Goldings Übersetzung in eher ungelenken siebenhebigen Langversen daherkommt, schreibt George Sandys in flexiblen fünfhebig-jambischen Reimpaaren (heroic couplets), die sich inzwischen etabliert hatten. Ein bemerkenswertes Charakteristikum dieser Übersetzung ist - neben allerlei Einleitungsmaterial - Sandys’ fortlaufender Kommentar, der in vielen der überlieferten Drucke jeweils auf die Übersetzung eines der fünfzehn Bücher der Metamorphosen folgt. 47 Laura Boercker 48 zeigt am Beispiel von Tiresias und von Tantalus, wie Sandys in seinem Kommentar die moralische bzw. allegorische Bedeutung, den sensus spiritualis, von Ovids Geschichten herausarbeitet und dabei, wo immer möglich, biblische Parallelen für Ovids Erzählungen aufsucht: Ovids Schöpfungsmythos aus Buch I bezogen auf den biblischen Schöpfungsbericht, die Geschichte von Philemon und Baucis aus Buch VII auf die alttestamentarische Geschichte von Lot, Deucalion und Pyrrha (Buch I) auf den biblischen Noah. In dem der Geschichte von Philomela / Procne - Tereus gewidmeten Abschnitt gibt Sandys zunächst quasi Sacherklärungen (Sandys VI,430), indem er die Namen der drei Grazien nennt: Aglaia, Thalia und Euphrosyne, sodann nach einer kurzen Zusammenfassung der Geschichte das dem Tereus vorgesetzte Mahl mit einer Episode aus der Geschichte des Mederkönigs Astyages und Harpagos parallelisiert, die auf Herodot zurückgeht; danach deutet er das Wesen von Nachtigall und Schwalbe im Horizont des 46 Lyne, 189. 47 Verschiedene Exemplare von Sandys’ Ovid-Übersetzung - z.B. aus der British Library, Harvard oder der Huntingdon Library - sind in Chadwick-Healeys elektronischem Textkorpus EEBO (Early English Books Online) zugänglich, wobei nicht alle Ausgaben den Kommentar enthalten: URL: http: / / eebo.chadwyck.com/ search/ . Für die hier diskutierte Geschichte von Tereus und Philomela / Procne aus dem VI. Buch findet sich beispielsweise in der Ausgabe von 1640 (STC 2 18968 - Huntingdon Library) das sechste Buch auf den Seiten 105-111 (images 71 ff.), der Kommentar zum sechsten Buch auf den Seiten 112-121 (images 75 ff.). 48 Laura Boercker, “George Sandys’s 1632 Ovid Translation and the Renaissance Reader”, Ovid’s Metamorphoses in English Poetry, ed. Sabine Coelsch-Foisner and Wolfgang Görtschacher (Heidelberg: Winter, 2009), 143-156. 47 zeitgenössischen enzyklopädischen Wissens. Sandys diskutiert sodann verschiedene Überlieferungen für den Ort, an dem Tereus den Tod fand und sich begraben ließ; er erklärt Tereus’ Handeln aus dem Nationalcharakter der Thraker: “a furious and barbarous people” und “in their lust no lesse outrageous”. Dies mündet in verallgemeinernde Reflexionen über “over-violent love”: For ouer - uiolent loue is little lesse then madnesse: which emboldens the frantick louer to rush on whatsoeuer is forbidden and horrid: one wicked deed begetting another; who violates first his faith and her honour; and then cuts out her tongue to conceale his offence, with as great an impiety. But flagitious crimes cannot long ly hid. [ … ] Hieran schließt sich die Charakterisierung des ‘lapwing’, in den Tereus verwandelt wird, als abscheuliches Wesen - die moralische Wertung in dieser wie in der zuvor zitierten Passage ist unüberhörbar: The lustfull Tyrant into a Lapwing: in that, with Pausanias, the Lapwing was first discouered vpon that hill, vnder which he lay buried. A filthy foule, delighting in dung, and therein making his nest. His long sharp bill represents the sword of his tyranny, the tuft on his head resembling a Diadem. Kontrastierend dazu werden Nachtigall und Schwalbe und ihre Rolle in ‘poetry and oratory’ gewertet: The Nightingall & Swallow are alluded to Poetry & Oratory: called sisters, because there is in both a similitude of Harmony: the one affecting solitary places; sequestred from the converse of men, but frequented by Gods & Muses; differing in argument, as in affection, from the other: who delights in citties, exercising her eloquence before tribunals, in Senates, and assemblies. Yet as the Nightingall excells the Swallow in sweetnesse, skill, and variety; so doth Poesy Oratory. Charles Tomlinson, der sich mit Pounds Urteil kritisch auseinandersetzt, stellt die von Samuel Garth herausgegebene Übersetzung über Goldings und hebt darin besonders die Leistung Drydens hervor: The harvest of Dryden’s Ovidian efforts was not to appear in one publication until 1717 when Doctor Samuel Garth re-activated the Dryden - Tonson project of a complete Metamorphoses, and called on the young Alexander Pope and more minor poets to contribute to what I believe to 48 be the most splendid Metamorphoses we have, outclassing that book Pound considered the loveliest in the language, Arthur Golding’s version of 1565-7. One third of the poems in what one might call Garth’s Ovid are by Dryden himself. 49 Von Samuel Croxalls Übersetzung der Geschichte von Tereus - Philomela / Procne ist Tomlinson allerdings nicht gerade überzeugt: He [Croxall] is not the best translator in the world for this haunting tale, and there are one or two weak lines. All the same, the general run of the thing has energy, and moments occur when this minor writer takes fire and excels himself. 50 Sarah Annes Brown hält die durchgängige Wahl des rhyming couplet für die Gemeinschafts-Übersetzung für besonders glücklich; sie betont zugleich die “receptivity of its contributors to Ovid’s brand of wit, their alertness to his linguistic play”. 51 Ted Hughes’ Version ausgewählter Geschichten aus den Metamorphosen ist zwischen Übersetzung und Adaption 52 anzusiedeln, worauf schon der Titel Tales from Ovid schließen lassen mag. 53 Hughes schreibt ungereimte Kurzzeilen, rhythmische Prosa, orientiert sich kaum am Zeilenfall des lateinischen Originals, läßt weg oder wird ausführlicher, variiert effektvoll die Stilebene von hohem Stil zu plakativem Gebrauch heutiger Alltagssprache; seine Version wendet sich deshalb nicht nur an eine klassisch gebildete Leserschaft sondern ebenso an ein jüngeres Publikum - Thomas Thielen spricht gele- 49 Tomlinson, Metamorphoses, 85f. 50 Tomlinson, Poetry and Metamorphosis, “1. An English Ovid”, 1-22, hier 17; repr. in Metamorphoses: Poetry and Translation, 101-120. 51 Sarah Annes Brown, The Metamorphosis of Ovid: From Chaucer to Ted Hughes (London: Duckworth, 1999), ch. 7: “Ovid translated: Sir Samuel Garth’s Metamorphoses”, 123-140; hier 127. 52 Lorna Hardwick stellt für die zweite Hälfte des 20. Jahrhundert generell eine Tendenz zur Verwischung der Grenzen zwischen verschiedenen Typen der Übersetzung - ‘scholarly’ versus ‘poetic’ - bzw. kreativer Adaptation fest, so bei Autoren wie Tony Harrison, Seamus Heaney, Ted Hughes und anderen: Lorna Hardwick, Translating Words, Translating Cultures (London: Duckworth, 2000), 11f. 53 Thomas Thielen, Metamorphose als Text - Text als Metamorphose: Ovids Metamorphosen bei Ted Hughes, Diss. Universität Trier, 2002, elektronisch publiziert in OPUS, Universitätsbibliothek Trier: URN: nbn: de: hbz: 385-2428; URL: http: / / ubt.opus.hbz-nrw.de/ volltexte/ 2004/ 242/ . 49 gentlich sogar vom „unbedarften Leser“ (21, 32), das mit der Spielbreite moderner Medienprodukte gerade auch der Populärkultur vertraut ist. Thielen konstatiert eine dreifache Dekonstruktion der Metamorphosen durch Hughes: hinsichtlich der Form, der Narrativik und der Zeitstruktur. Diese und die „aktualisierende Neu-Konnotierung des Ovid-Textes“ in Hinblick auf die Lebenswelt des heutigen Rezipienten läßt Hughes’ Version als postmodernen bzw. poststrukturalistischen Text erscheinen. 54 1.5 Philomela Der Philomela / Procne Tereus-Stoff, wie er seit der Antike über Ovid überliefert worden ist, hat in der abendländischen Literatur überhaupt, so auch in der englischen weite Verbreitung gefunden. Hermann Heuers Zusammenstellung belegt dies eindrucksvoll, auch wenn nicht jeder dort verzeichnete Text zum Nachtigall-Motiv diesen Mythos direkt zitiert oder Nähe zu Ovids Metamorphosen aufweist. 55 So greift beispielsweise Sir Philip Sidney den Philomela-Stoff allgemein, ohne direkten Ovid- Bezug auf: The Nightingale, as soone as Aprill bringeth Unto her rested sense a perfect waking, While late bare earth, proud of new clothing springeth, Sings out her woes, a thorne her song-booke making: And mournfully bewailing, Her throate in tunes expresseth What griefe her breast oppresseth, For Thereus’ force on her chaste will prevailing. O Philomela faire, ô take some gladnesse, That here is juster cause of plaintfull sadnesse: Thine earth now springs, mine fadeth, Thy thorne without, my thorne my heart invadeth. 54 Thielen, 146f., 185. Thielen nimmt Hughes’ Version zum Anlaß, auch den Ovid- Text unter Aspekten postrukturalistischer Textinterpretation neu zu lesen. 55 Hermann Heuer, „Mythos und Melos des Philomela-Motivs im Wandel der englischen und amerikanischen Dichtungsgeschichte“, Wirklichkeit und Dichtung, Fschr. Link, ed. Ulrich Halfmann, Kurt Müller und Klaus Weiss (Berlin: Duncker & Humblot, 1984), 17-42. 50 Alas she hath no other cause of anguish But Thereus’ love, on her by strong hand wrokne, Wherein she suffring all her spirits’ languish, Full womanlike complaines her will was brokne. But I who dayly craving, Cannot have to content me, Have more cause to lament me, Since wanting is more woe then too much having. O Philomela faire, ô take some gladnesse, That here is juster cause of plaintfull sadnesse: Thine earth now springs, mine fadeth: Thy thorne without, my thorne my heart invadeth. 56 Die Klage der Nachtigall in Richard Barnfields “As it fell upon a day” ist vor allem deshalb interessant, weil hier der Klageruf der Nachtigall nahezu so wiedergegeben wird, wie er sich später als Zitat in Eliots The Waste Land findet: hier “Teru, teru”, bei Eliot “Tereu”: As it fell upon a day In the merry month of May, Sitting in a pleasant shade Which a grove of myrtles made, Beasts did leap and birds did sing, Trees did grow and plants did spring; Every thing did banish moan, Save the nightingale alone. She, poor bird, as all forlorn, Lean'd her breast up - till a thorn And there sung the doleful'st ditty, That to hear it was great pity. Fie, fie, fie, now would she cry, Teru, teru, by and by; That to hear her so complain, Scarce I could from tears refrain; For her griefs so lively shown Made me think upon mine own. 56 The Poems of Sir Philip Sidney, ed. William A. Ringler, Jr. (Oxford: OUP, 1962), 137. 51 Ah, thought I, thou mourn'st in vain; None takes pity on thy pain; Senseless trees, they cannot hear thee; Ruthless bears, they will not cheer thee; [ … ] 57 Shakespeare setzt Ovids Metamorphosen - die Geschichte der Philomela ebenso wie die Ovid-Ausgabe selbst als Buch in ihrer materiellen Gestalt - effektvoll in Titus Andronicus in der Dramaturgie der Enthüllung der Schändung Lavinias ein. Im zweiten Akt des Dramas wird Lavinia von Demetrius und Chiron vergewaltigt, es werden ihr die Hände abgehackt und die Zunge herausgeschnitten. Zu Anfang des vierten Aktes identifiziert Lavinia die Schänder mit Hilfe der Ausgabe der Metamorphosen; der Bezug zu Tereus - Philomela wird von Titus Andronicus ausdrücklich hergestellt. Schließlich schreibt sie die Namen der beiden in den Sand. 58 Nach geringerem Interesse im Klassizismus und der Romantik 59 mehren sich die Ovid-Bezüge wieder im 19. und 20. Jahrhundert. Matthew Arnolds “Philomela” 60 ist ein gutes Beispiel für den spätromantisch-viktorianischen Zugriff zum Nachtigallen-Motiv ebenso wie zu dem dahinter liegenden klassischen Mythos. Charakteristisch für das Gedicht ist die Prominenz des Sprechers, der gewissermaßen die persönliche Betroffenheit, die emotionale Aufladung eines Hörerlebnisses zum Ausgangspunkt des poetischen Gestaltungsprozesses nimmt: Hark! ah, the nightingale - The tawny-throated! 57 Richard Barnfield, Poems in Divers Humours, published with The Encomion of Lady Pecunia, (1598), STC 1485, 1-22. 58 William Shakespeare, Titus Andronicus, ed. Jonathan Bate, The Arden Shakespeare, 3rd ser. (London: Routledge, 1995), IV,1.30-78. Vgl. Andrew Hui, “Voice, Writing, and the Ovidian Play of Signs in Titus Andronicus”, Coelsch-Foisner, 129-142. Werner von Koppenfels hat die Philomela-Episode in Ovids Metamorphosen analysiert und ihre Spuren bei Shakespeare und Marlowe verfolgt: Werner von Koppenfels, Bild und Metamorphose: Paradigmen einer europäischen Komparatistik (Darmstadt: Wiss. Buchges., 1991), 63ff. 59 Vgl. Sonja Fielitz, “‘Rediscovering’ Ovid in the Eighteenth Century: James Thomson’s The Seasons”, Coelsch-Foisner, 171-184. 60 The Poetical Works of Matthew Arnold, ed. C.B. Tinker and H.F. Lowry (Oxford: OUP, 1950), 200f. 52 Hark, from that moonlit cedar what a burst! What triumph! hark - what pain! Entsprechend wird das Gedicht auf der Erlebnisebene beschlossen: Listen, Eugenia - How thick the bursts come crowding through the leaves! Again - thou hearest? Eternal passion! Eternal pain! Dabei bedient sich der Autor in beiden Rahmenteilen konventioneller rhetorischer Mittel wie der mehrfach wiederholten imperativischen Anrede an das implizite Du (“hark! ”) und Ausrufen (“what triumph! ” usw.) bis hin zur rhetorischen Schlußformel: “Eternal passion! / Eternal pain! ” Neun Ausrufezeichen in wenigen Versen, insgesamt eine preziöse Diktion, die die Vorurteile der Modernisten gegenüber dem Viktorianismus bestätigen könnte. In dem in zwei Abschnitte ungleicher Länge gegliederten Mittelteil hält der Sprecher Zwiesprache mit der Nachtigall, indem er in einer Batterie rhetorischer Fragen den Philomela-Mythos aufruft und als ‚ewige‘ Ursache (“still” Zl. 6f.; “never” Zl. 9) für den vom Sprecher als schmerzvoll gedeuteten Gesang ausmacht - eine Qual, die ‚niemals heilt‘ (Zl. 9), eine Geschichte, die immer und immer wieder durchlebt wird: Dost thou to-night behold Here, through the moonlight on this English grass, The unfriendly palace in the Thracian wild? Dost thou again peruse With hot cheeks and sear’d eyes The too clear web, and thy dumb sister’s shame? Dost thou once more assay Thy flight, and feel come over thee, Poor fugitive, the feathery change Once more, and once more seem to make resound With love and hate, triumph and agony, Lone Daulis, and the high Cephissian vale? Der klassisch gebildete Autor verfügt wie selbstverständlich über den Philomela-Mythos als Bildungsgut, den er allerdings in der attischen und nicht in der durch Ovid überlieferten Fassung anzitiert. 53 Swinburnes “Itylus” ist ein Rollengedicht, in dem der Kontrast zwischen Nachtigall und Schwalbe thematisiert wird. Während die Schwalbe, die angeredete Schwester der Nachtigall, frohgestimmt den Frühling feiert, kann diese das schreckliche Geschehen um die Tötung des Itys nicht vergessen: O swallow, sister, O fleeting swallow, My heart in me is a molten ember And over my head the waves have met. But thou wouldst tarry or I would follow Could I forget or thou remember, Couldst thou remember and I forget. O sweet stray sister, O shifting swallow, The heart’s division divideth us. Thy heart is light as a leaf of a tree; But mine goes forth among sea - gulfs hollow To the place of the slaying of Itylus, The feast of Daulis, the Thracian sea. O swallow, sister, O rapid swallow, I pray thee sing not a little space. Are not the roofs and the lintels wet? The woven web that was plain to follow, The small slain body, the flowerlike face, Can I remember if thou forget? O sister, sister, thy first - begotten! The hands that cling and the feet that follow, The voice of the child’s blood crying yet, Who hath remembered me? who hath forgotten? Thou hast forgotten, O summer swallow, But the world shall end when I forget. 61 Bezüge zu Ovids Metamorphosen spielen in Ezra Pounds Werk seit den frühen Cantos eine gewichtige Rolle. 62 Hatte Pound schon in den Cantos I 61 Algernon Charles Swinburne, Poems and Ballads, 1st series (1866) Strophen 7-10 (Verse 37-60). The Poems of Algernon Charles Swinburne (London: Chatto & Windus, 1905), I, 54-56. 54 und II die Figur des Sehers Tiresias eingeführt, so setzt er den Philomela- Mythos in Canto IV (1919) ein, zeitlich vor Eliots The Waste Land. 63 Pound parallelisiert Troja und Theben, Pindar und Catull, sodann die Itys- Episode mit der Geschichte des Troubadours Guillem de Cabestanh, des weiteren Actaeon mit Peire Vidal - “the repeat in history”, wie Pound diesen Ansatz später im Brief an seinen Vater (1927) erklärt. And by the curved, carved foot of the couch, claw - foot and lion head, an old man seated Speaking in the low drone … : Ityn! Et ter flebiliter, Ityn, Ityn! And she went toward the window and cast her down, “All the while, the while, swallows crying: Ityn! “It is Cabestan’s heart in the dish.” “It is Cabestan’s heart in the dish? ” “No other taste shall change this.” And she went toward the window, the slim white stone bar Making a double arch; Firm even fingers held to the firm pale stone; Swung for a moment, and the wind out of Rhodez Caught in the full of her sleeve. 62 Ausgewählte Literatur zum wiederbelebten Interesse an Ovid im 20. Jahrhundert: Lancelot P. Wilkinson, Ovid Recalled (Cambridge: CUP, 1955); Gotthard Karl Galinsky, Ovid's Metamorphoses: An Introduction to its Basic Aspects (Los Angeles: U. of California P., 1975); Charles Tomlinson, Poetry and Metamorphosis (Cambridge: CUP, 1983); Charles Martindale, ed., Ovid Renewed (Cambridge: CUP, 1988); Michael Hofman und James Lasdun, eds. After Ovid: New Metamorphoses (London: Faber, 1994); Ted Hughes und Christopher LeBrun, Shakespeare’s Ovid (London: Enitharmon Press,1995); Ted Hughes, Tales from Ovid (London: Faber, 1997); Sarah Annes Brown, The Metamorphoses of Ovid: From Chaucer to Ted Hughes (London: Duckworth, 1999); Theodore Ziolkowski, Ovid and the Moderns (Ithaca: Cornell UP, 2005); Ovid’s Metamorphoses in English Poetry, ed. Sabine Coelsch-Foisner und Wolfgang Görtschacher (Heidelberg: Winter, 2009). 63 Tomlinson, “Ezra Pound: Between Myth and Life”, Poetry and Metamorphosis, 48-71; Anne Tomiche, “Philomela in American Modernist Poetry (T. S. Eliot, Ezra Pound and John Crowe Ransom)”, Coelsch-Foisner, 213-229. 55 the swallows crying: ‘Tis. ‘Tis. ‘ … tis! 64 Ein Echo dieses frühen Cantos findet sich dann wieder in den Pisan Cantos LXXIV, LXXVII, LXXVIII und LXXXII. “Tis … … tis”, onomatopoetisch für das Zwitschern der Schwalben, ist einerseits die Verkürzung des Namens Itys, verweist andererseits aber auch auf das “OY TIS” = ‘nobody’ / ‚niemand‘, unter dem Odysseus in der Kyklopen-Episode bei Polyphem, so bei Pound in Canto LXXIV, auftritt. Gleich dreimal bezieht sich T.S. Eliot in The Waste Land ausdrücklich auf Ovids Version des Philomela-Stoffs im sechsten Buch der Metamorphosen. 65 Zu Beginn von Teil II, “A Game of Chess”, baut Eliot in die Beschreibung des prächtigen Interieurs neben vielen anderen Referenzen auf die literarische Tradition - Middletons Women beware Women, Shakespeares Anthony and Cleopatra, Vergils Aeneis, Miltons Paradise Lost - auch die Vergewaltigungsszene aus den Metamorphosen als Wandgemälde ein - klassisches Bildungsgut als Genrebild fixiert: Above the antique mantel was displayed As though a window gave upon the sylvan scene The change of Philomel, by the barbarous king So rudely forced; yet there the nightingale Filled all the desert with inviolable voice And still she cried, and still the world pursues, ‘Jug Jug’ to dirty ears. And other withered stumps of time Were told upon the walls; staring forms Leaned out, leaning, hushing the room enclosed. Footsteps shuffled on the stair. Under the firelight, under the brush, her hair Spread out in fiery points Glowed into words, then would be savagely still. 66 Die Verwandlung der Philomela in die Nachtigall als Folge der Vergewaltigung und der sich anschließenden Racheaktion wird, knapp zusam- 65 T. S. Eliot, “Notes on the Waste Land”, zu den Versen 99 und 428. Vgl. Stephen Medcalf, “T. S. Eliot’s Metamorphoses: Ovid and The Waste Land”, Ovid Renewed, 233-246. 66 The Waste Land, 97-110. 56 mengefaßt in eineinhalb Versen, gewissermaßen als bekannt vorausgesetzt. Die sich anschließende Deutung weist in verschiedene Richtungen. Mittels der Adversativpartikel “yet” (100) wird das grausige Geschehen (“so rudely forced”) in den Gegensatz zum Gesang der Nachtigall gesetzt, der als “inviolable” charakterisiert wird: die Metamorphose überwindet den Zustand der von Tereus stimm- und sprachlos gemachten Philomela in der “inviolable voice” der Nachtigall. Innerhalb der Text-Architektur des Waste Land ist dies vielleicht schon an dieser Stelle eines von mehreren Indizien für die Überwindbarkeit des als “waste”, prägnant in diesem Textausschnitt als “desert” bezeichneten Zustands. Charles Tomlinson deutet die in die Nachtigall verwandelte sprachlose Philomela poetologisch als „(Sprach)kunst, die nach dem Status von Musik strebt“. 67 Weiter haben die Interpreten immer wieder auf den auffälligen Tempuswechsel in Zeile 102 hingewiesen: “And still she cried, and still the world pursues”. Das als Handlung in der Zeit abgelaufene Ereignis erscheint einerseits im Sinne von Lessings Schrift Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie (1766) im räumlichen Nebeneinander des Wandbildes fixiert - wobei dieses wiederum Gegenstand der literarischen Beschreibung geworden ist, andererseits über das wiederholte “still” mit der Gegenwart parallelisiert: es wird damit als „immer wieder“ oder „noch immer“ ablaufend charakterisiert. Mit Anne Tomiche werden damit Mythos und moderne Welt verbunden. 68 Zugleich aber verweist der rhetorische Kunstgriff der parallelisierenden Wiederholung auf die ‚Dauerstruktur‘, die doppelte - zugleich historische und ahistorische - Struktur des Mythos, wie sie Claude Lévi-Strauss beschreibt: … der Mythos läßt sich durch ein Zeitsystem definieren, das die Eigenschaften der beiden anderen [umkehrbare und nicht umkehrbare Zeit] kombiniert. Ein Mythos bezieht sich immer auf vergangene Ereignisse. „Vor der Erschaffung der Welt“ oder „in ganz frühen Zeiten“ oder jedenfalls „vor langer Zeit“. Aber der dem Mythos beigelegte innere Wert stammt daher, daß diese Ereignisse, die sich ja zu einem bestimmten Zeitpunkt abgespielt haben, gleichzeitig eine Dauerstruktur bilden. Die- 67 Tomlinson, Poetry and Metamorphosis, 23-28. 68 Tomiche, 217-219. 57 se bezieht sich gleichzeitig auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. 69 “Jug jug” (103) steht, wie das OED belegt, onomatopoetisch für den Nachtigallengesang; im Kontext von “to dirty ears” verweist es jedoch auch auf den Sprachgebrauch der Elisabethanischen Zeit für eine Frau zweifelhaften Lebenswandels. 70 Es erscheint zusammen mit dem Zitatfetzen aus der Vergewaltigungsszene, dieses Mal mit dem Namen des Schänders, erneut in Teil III, “The Fire Sermon”, dem Mittelstück des Waste Land, am Ende des ersten längeren Abschnitts, in der Rede des Fischerkönigs, zusammen montiert mit Fragmenten aus Marvells “To His Coy Mistress”, weiterhin einer Reminiszenz an Ovids Diana und Actaeon, einem Art Gassenhauer über Mrs Porter und, unmittelbar zuvor, der Schlußzeile aus Paul Verlaines Gedicht “Parsifal” (1886) und dem damit gesetzten Verweis auf die Gralshandlung in Richard Wagners Parsifal: Twit twit twit Jug jug jug jug jug jug So rudely forc’d. Tereu 71 69 Claude Lévi-Strauss, „Die Struktur der Mythen“, Strukturale Anthropologie, [Anthropologie Structurale (1958)], trans. Hans Naumann, Suhrkamp Taschenbuch 15 (Frankfurt: Suhrkamp, 1971), 230. 70 Eliots Entwurfsfassung macht mit dem handschriftlich neben “dust” eingetragenen “lust” den sexuellen Kontext noch deutlicher. (T. S. Eliot, The Waste Land: a Facsimile and Transcript of the Original Drafts Including the Annotations of Ezra Pound, ed. Valerie Eliot [London: Faber, 1971]). 71 The Waste Land, 203-206. In der Entwurfsfassung findet sich die Passage zweimal in Teil III, “The Fire Sermon”, jeweils leicht textlich variiert; sie schließt den Absatz “Unreal City … Metropole” ein: “Twit twit twit twit twit twit twit Tereu tereu So rudely forc'd. Ter Unreal City, (I have seen and see) [ … ] And perhaps a weekend at the Metropole. Twit twit twit Jug jug jug jug jug jug 58 Das um die Themse zentrierte Londonbild, das hier im dritten Teil von The Waste Land entworfen wird, führt im zweiten längeren Abschnitt in die Tiefen der menschlichen Alltäglichkeit und Banalität, so wie sie Tiresias, nach Eliots Notes der Perspektivträger des Ganzen, sie beobachtet, ehe am Ende des dritten Abschnitts nach dem Gesang der drei ‘Thames daughters’ in der Zitatmontage von Augustins Confessiones und Buddhas Fire Sermon das Thema ‚Läuterung‘ angeschlagen wird. Die direkte Quelle für die Figur des Tiresias ist, wie Eliot selbst angibt, Buch III der Metamorphosen, die Geschichte der zweifachen Geschlechtsumwandlung durch die Begegnung mit den Schlangen, zusätzlich angereichert mit Stoff aus Sophocles’ Oedypus Tyrannos - Tiresias, der blinde Seher von Theben, der die Verwüstung der Stadt als Folge des Inzests zwischen Oedipus und seiner Mutter Jocaste deutet - und weiteren Tragödien. 72 Eliot selbst beschreibt die wichtige Funktion des Tiresias in seinen Notes so: Tiresias, although a mere spectator and not indeed a ‘character’, is yet the most important personage in the poem, uniting all the rest. Just as the one-eyed merchant, seller of currants, melts into the Phoenician Sailor, and the latter is not wholly distinct from Ferdinand Prince of Naples, so all the women are one woman, and the two sexes meet in Tiresias. What Tiresias sees, in fact, is the substance of the poem. Der dritte Bezug auf den Philomela-Stoff findet sich ganz am Ende des Werks, am Schluß des fünften Teils, “What the Thunder said”, in den Schlußworten des Fisher King, in denen sich die Hoffnung auf Regeneration ausdrückt. Unter den vielen übergangslos montierten literarischen Zitaten - eine Stelle aus dem Alten Testament (Jes. 38.1), ein Fetzen eines nursery rhyme, später dann ein Zitat aus Kyds The Spanish Tragedy und Tereu O swallow swallow Ter” (The Waste Land: a Facsimile, p. 31, 43). Vgl. Tricos Lied in John Lylys Drama [Alexander and] Campaspe (1584): “What Bird so sings, yet so dos wayle? / O t’is the Rauish’d Nightingale. / Iug, Iug, Iug, Iug, tereu shee cryes, / And still her woes at Midnight rise.” (V,1). 72 Zur Funktion des Tiresias in Pounds Cantos und in Eliots The Waste Land vgl. auch Michael Thurston, The Underworld in Twentieth-Century Poetry: From Pound and Eliot to Heaney and Walcott (New York: Palgrave Macmillan, 2009). 59 schließlich die mehrfach wiederholten Friedensformel - finden sich drei ausdrücklich als solche gekennzeichnete Textfragmente: Poi s'ascose nel foco che gli affina Quando fiam uti chelidon - O swallow swallow Le Prince d'Aquitaine à la tour abolie These fragments I have shored against my ruins [ … ] (427-430) Wie Eliot selbst in den Notes mitteilt, ist das erste eine Stelle aus Dantes Purgatorio (XXVI,148), das zweite, “Quando fiam uti chelidon” [‚Wann werde ich wie die Schwalbe werden‘], ein Zitat aus dem Pervigilium Veneris, einem lateinischen Gedicht aus dem 2. bis 4. Jahrhundert n. Chr. unklarer Autorschaft, das z.B. in Paters Marius the Epicurean (Bk. I, ch. 6) an prominenter Stelle eine Rolle spielt. Es hat eine Frühlingsfeier zum Gegenstand. Die Schlußverse, auf die es hier ankommt, enthalten eine Dichterklage: der Sprecher setzt seine eigene Sprachlosigkeit in Kontrast zum Gesang der Vögel und besonders der Schwalbe. Im Zusammenhang von Nachtigall und Schwalbe erinnert der Text an den Philomela-Mythos: See how the bullocks rub their flanks with broom! See the ram pursue through the shade the bleating ewe, For lovers’ union is Venus in kind pursuit; And she tells the birds to forget their winter woe. Tomorrow may loveless, may lover tomorrow make love. Now the tall swans with hoarse cries thrash the lake: The girl of Tereus pours from the poplar ring Musical change - sad sister who bewails Her act of darkness with the barbarous king! Tomorrow may loveless, may lover tomorrow make love. She sings, we are silent. When will my spring come? Shall I find my voice when I shall be as the swallow? Silence destroyed the Amyclae: they were dumb. Silent, I lost the muse. Return, Apollo! Tomorrow let loveless, let lover tomorrow make love. 73 73 Übersetzung Allen Tate, Collected Poems 1919-1974 (New York: Farrar, Straus Giroux, 1977), 150-159. Vgl. die deutsche Übersetzung von Ernst Robert Curtius, 60 In dem folgenden “O swallow swallow” leuchten Tennysons “O Swallow, Swallow … ” aus “The Princess” (1847) und zugleich das mehrfach variierte “Swallow, my sister, O sister swallow” aus Swinburnes “Itylus” auf. Das letzte dieser Fragmente entstammt einem Sonett von Gérard de Nerval. “These fragments I have shored against my ruins”, das war für Hugo Friedrich das Stichwort, um die ‚Machart‘ von T.S. Eliots Lyrik, zuvorderst an The Waste Land, als dem Fragmentarismus zugehörig zu charakterisieren. Der Fragmentarismus ist ein Merkmal der modernen Lyrik geblieben. Insbesondere zeigt er sich in einem Verfahren, das der realen Welt Bruchstücke entnimmt, sie in sich selbst wohl vielfältig durcharbeitet, aber doch dafür sorgt, daß ihre Bruchflächen nicht aufeinander passen. In solchen Dichtungen erscheint die reale Welt durchzogen von einem wirren Geäder schwerer Risse - und ist nicht mehr real. [ … ] [Der Fragmentarismus] ist das Gesetz von Eliots Dichtungen. Er bestimmt die Aussagen, die etwa mit einer kurzen Erzählung anfangen, sie abbrechen, in einem inneren Monolog fortfahren, der von einem beziehungslos eingeblendeten Zitat unterbrochen wird, worauf der Fetzen eines Gesprächs zwischen umrißlosen Partnern folgt. Was in einer Versgruppe gesagt wird, zerfällt in der nächsten oder wird vergessen. So ist es auch mit den Bildern und Vorgängen. Sie sind eine Montage aus Bruchstücken heterogener Herkunft, ohne Zuordnung zu einem Ort oder einer Zeit. Vermoderte Stubenmöbel, Gaswerk, Ratten, Autos, Londoner Nebel, trockenes Laub, dann wieder Nymphen, Teiresias, Edelsteine, aber auch ein unrasierter Kaufmann aus Smyrna: das alles geht wirr durcheinander. Neben einem Oberkellner blitzt die Erinnerung an Agamemnon auf; River Plate ist zugleich Sacre Coeur: auch die Kulturräume sind simultan ineinandergeblendet. 74 Bruchstücke wohl, aber nicht beziehungslos oder wirr: aus den Fetzen der Wirklichkeit wie solchen der kulturellen Tradition entsteht durch Montage ein Neues, das eben nicht struktur- und vor allem nicht bedeutungslos ist. „Die Nachtfeier der Venus“, Merkur: Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, 2,1 (1948), 69-71. Curtius, Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter, 403. 74 Hugo Friedrich, Die Struktur der modernen Lyrik (Reinbek: Rowohlt, 1956, erw. Neuausgabe 1967, repr.), 198f. 61 Hier ist Ernst Blochs Bestimmung aus der Vorrede zur Erbschaft dieser Zeit (1935) hilfreich: [ … ] Montage bricht aus dem eingestürzten Zusammenhang und den mancherlei Relativismen der Zeit Teile heraus, um sie zu neuen Figuren zu verbinden. Dieser Vorgang ist oft nur dekorativ, oft aber bereits experimentierend wider Willen oder, wenn gebraucht, wie etwa bei Brecht, mit Willen; es ist ein Vorgang der Unterbrechung und dadurch einer der Überschneidung vordem weit entfernter Partien. Gerade hier ist der Reichtum einer brechenden Zeit groß, einer auffallenden Mischzeit von Abend und Morgen in den zwanziger Jahren. Das reicht von kaum so gewesenen Blick- und Bildverbindungen bis Proust bis Joyce bis Brecht und darüber hinaus, ist eine kaleidoskopische Zeit, eine »Revue«. 75 Umso wichtiger, wenn wie im Fall des Philomela-Mythos oder auch im Fall von Tiresias ein Motiv an signifikanten Stellen wiederholt erscheint; eingefärbt und verändert durch den jeweiligen Kontext ist es imstande, als Indikator für die jeweils erreichte Stufe, wo schon nicht des gedanklichen Fortschritts, so doch des jeweils erreichten Moments gedanklich-emotional ergriffener Wirklichkeit zu dienen. The Waste Land is given coherence not by its form, but by this underlying myth [Jessie L. Westons Version der Gralslegende], to which constant reference can be made, and of which all the varied incidents and the many personages are illustrative. 76 Im Sinne von T.S. Eliots klassischem Aufsatz “Tradition and the Individual Talent” bilden alle Werke der kulturellen Tradition eine ideale Ordnung, sind im Bewußtsein des Rezipienten gleichzeitig, und es bedarf des historical sense, um dieses Erbe für die Gegenwart und für das eigene Werk zu mobilisieren: Tradition is a matter of much wider significance. It cannot be inherited, and if you want it you must obtain it by great labour. It involves, in the first place, the historical sense, which we may call nearly indispensable to anyone who would continue to be a poet beyond his twenty-fifth year; and the historical sense involves a perception, not only of the pastness of the past, but of its presence; the historical sense compels a 75 Ernst Bloch, Erbschaft dieser Zeit [ 1 1935] (Frankfurt: Suhrkamp, 1973), 17, 221-228. 76 Helen Gardner, The Art of T. S. Eliot (London: Faber, 1949 repr.), 43. 62 man to write not merely with his own generation in his bones, but with a feeling that the whole of the literature of Europe from Homer and within it the whole of the literature of his own country has a simultaneous existence and composes a simultaneous order. This historical sense, which is a sense of the timeless as well as of the temporal and of the timeless and of the temporal together, is what makes a writer traditional. And it is at the same time what makes a writer most acutely conscious of his place in time, of his contemporaneity. No poet, no artist of any art, has his complete meaning alone. His significance, his appreciation is the appreciation of his relation to the dead poets and artists. You cannot value him alone; you must set him, for contrast and comparison, among the dead. I mean this as a principle of aesthetic, not merely historical, criticism. 77 Oder noch näher an dem im Waste Land zu beobachtenden dichterischen Verfahren: In art there should be interprenetration and metamorphosis. Even The Golden Bough can be read in two ways: as a collection of entertaining myths, or as of that vanished mind of which our mind is a continuum. 78 John Crowe Ransoms relativ wenig beachtetes Gedicht “Philomela” (1924 in Chills and Fever) 79 stellt eine Variante des Themas der Auseinandersetzung des Amerikaners mit Europa dar, wie man sie typisch etwa bei Henry James (international theme) oder eben bei T.S. Eliot findet. Das Gedicht führt zu Beginn den Procne, Philomela und Itylus-Stoff ein, disqualifiziert den Mythos aber sogleich in ironischer Distanzierung als “improbable tale” (Zl. 2). Aus dem ornithologischen Befund, daß die Nachtigall zwar Deutschland, Frankreich und England besiedelt hat, es aber nicht bis Nordamerika geschafft hat, leitet der Sprecher die grundlegende Diskrepanz zwischen europäischer (“royal Attic” Zl. 17) und amerikanischer Kultur (“this other Thrace” Zl. 16) ab: 77 T. S. Eliot, “Tradition and the Individual Talent”, [1919] The Sacred Wood, 1920, vielfach nachgedruckt, z.B. in Selected Prose of T. S. Eliot, ed. Frank Kermode, (London: Faber, 1975, repr.), 38. 78 T. S. Eliot über Strawinsky, Le sacre du printemps. T. S. Eliot, “London Letter”, The Dial, 71,4 (October, 1921), 452-455. 79 Vgl. Hermann Heuer, 38f. 63 Not to these shores she came! this other Thrace, Environ barbarous to the royal Attic; How could her delicate dirge run democratic, Delivered in a cloudless boundless public place To an inordinate race? (16-20) Hier drückt sich die ironisch-kritische Distanz zum eigenen Land aus: das barbarische Thrakien, eine Anspielung auf Ovids Verbannung, parallelisiert mit Amerika, dazu “democratic” aus dem Mund eines Südstaaten-Autors als ein durchaus zweifelhaftes Attribut für die amerikanische Verfaßtheit. Die zweite Gedichthälfte belegt diese Diskrepanz durch ein autobiographisches Erlebnis des Sprechers: der Sprecher hört eines Abends bei Oxford die Nachtigall, aber findet keinen Zugang zu ihrem Gesang: Philomela, Philomela, lover of song, I am in despair if we may make us worthy, A bantering breed sophisticated and swarthy; Unto more beautiful, persistently more young, Thy fabulous provinces belong. 80 (36-40) Die “dissonance” (Zl. 25) zwischen dem gebildeten Europa und dem barbarischen, aber demokratischen Amerika wird zugleich in der ironischen Verwendung latinisierter Sprachformen realisiert: die Nachtigall “descanted unto Oxford” (Zl. 7); der Sprecher “pernoctated with the Oxford students once” (Zl. 21), die nächtliche Stunde wird pompös als “There was no more villainous day to unfulfill, / The diurtunity was still” (Zl. 29f.) markiert usw. Samuel H. Woods hat die gedankliche Bewegung des Gedichts in doppelter Hinsicht als poetologisch gedeutet: als durchaus problematische Diagnose des Zustands der zeitgenössischen Lyrik überhaupt wie auch der eigenen Möglichkeiten. 81 Anne Tomiche betont die 80 John Crowe Ransom, Selected Poems (New York: Knopf, 1945), 28f. Dazu der Kommentar von Robert Penn Warren: “Perhaps none of our time is worthy of the provinces of Philomela.” (19. Dezember 1963, Guggenheim Museum). (URL: www2.kenyon.edu/ projects/ English93/ tribute.htm). 81 Samuel H. Woods, Jr. “‘Philomela’: John Crowe Ransom’s Ars Poetica”, College English 27.5 (1966), 408-413; vgl. Michael Hanke, John Crowe Ransoms Lyrik und europäische Dichtungstraditionen (Würzburg: Königshausen und Neumann, 1994), Kap. IV: „‘Philomela’ als poetologisches Gedicht“, 54-65. 64 Text-Qualität des Gedichtes, als Text in seiner Überliefertheit, und sieht die Strategie des Autors darin, der abgewirtschafteten modernen Wirklichkeit die Märchenwelt der Philomela entgegenzusetzen. In Ransom’s poem, on the contrary, Philomela belongs neither to “life” nor to the contemporary world. What is stressed is the fact that Philomela is associated with a world of fiction - the poem opens with the “improbable tale” (1. 2) of Procne, Philomela and Itylus, and it closes with Philomela’s “fairy numbers” (1. 32) and “fabulous provinces” (1. 40). Philomela thus belongs to a world of fairy tales and fables, which is, moreover, presented as a world of words. Indeed, the stress is placed, in the poem, on the fact that such tale, fable and numbers are “recited” (1. 3), “uttered” (1. 14); they “descanted” (1. 7). Philomela is thus a text and, as such, it has a history, it has “travelled” from Rome and Ovid to Germany, France, and England. The textual and improbable world of Philomela is opposed, in Ransom’s poem, to the reality of the poetic subject’s world. [ … ] While Ransom thus uses the reference to Philomela to stress, like Eliot and Pound, how “barbarous” the contemporary world is, he does so, unlike them, by opposing the “fairy” and “fabulous” figure of Philomela to modern reality. 82 Der nordirische Lyriker Derek Mahon hat sich vielfach mit Ovid beschäftigt, als durchaus freier Übersetzer ebenso wie als eigenständiger Lyriker, der sich in der Auseinandersetzung mit Ovids Werk einerseits die Person des antiken Dichters vergegenwärtigt, andererseits Ovid in Lebenssituationen des 20. Jahrhunderts transformiert und damit einen Prozeß wechselseitiger Deutung initiiert. “Ovid in Love” enthält freie Übersetzungen zweier Abschnitte aus Ovids Amores. Im ersten Abschnitt (I,5), der in dieser Hinsicht noch auffälliger als der zweite (II,11) ist, übernimmt Mahon die Sprecherrolle des Originaltextes, die als Ich-Sprecher eine Liebesbegegnung mit Corinna erinnert, allerdings mit dem wichtigen Unterschied, daß Mahons Ich-Sprecher die Geliebte, hier ein namenloses Du, anredet. Der Unterschied wird deutlich im Vergleich zu Christopher Marlowes zu Recht berühmter Übersetzung derselben Stelle. Hier ein kurzer Ausschnitt: 82 Anne Tomiche, “Philomela in American Modernist Poetry (T. S. Eliot, Ezra Pound and John Crowe Ransom)”, Coelsch-Foisner, 218f. 65 ecce, Corinna venit, tunica velata recincta, candida dividua colla tegente coma, qualiter in thalamos famosa Semiramis isse dicitur, et multis Lais amata viris. deripui tunicam; nec multum rara nocebat, pugnabat tunica sed tamen illa tegi; quae cum ita pugnaret, tamquam quae vincere nollet, victa est non aegre proditione sua. (Ovid, Am. 1.5.9-16) Christopher Marlowe: Then came Corinna in a long loose gowne, Her white neck hid with tresses hanging downe: Resembling fayre Semiramis going to bed Or Layis of a thousand wooers sped. I snacht her gowne, being thin, the harme was small, Yet striv’d she to be covered there withall. And striving thus as one that would be cast, Betray’d her selfe, and yelded at the last. 83 Derek Mahon: You entered in a muslin gown, bare - footed, your fine braids undone, a fabled goddess with an air as if in heat yet debonair. Aroused, I grabbed and roughly tore until your gown squirmed on the floor. At first you resisted, but like one who knows resistance is in vain; 84 Die gewählte Sprechsituation wie die Diktion lassen einen Text entstehen, in dem mehr als im Original die männlich-erobernde Perspektive dominiert. Der Autor des 20. Jahrhunderts versetzt sich in die Rolle seines literarischen Vorbilds, tilgt alle historischen Spuren (“Semiramis”, “Lais”) und entgrenzt die bei Ovid geschilderte Situation auf das Zeitlos-Typische: ein 83 Übersetzung Christopher Marlowe. The Oxford Book of Verse in English Translation, 82f. 84 Derek Mahon, “Ovid in Love”, Collected Poems (Oldcastle: Gallery Books, 1999), 79. 66 historisch in den letzten Jahrzehnten vor der Zeitenwende situierter Text aktualisiert für das 20. Jahrhundert. In “Ovid in Tomis” setzt sich die Innensicht wie auch das Oszillieren zwischen verschiedenen Zeitebenen fort. Der Autor versetzt sich in die Rolle ‚Ovids‘, der über weite Strecken des Textes seine Lage im Exil in Tomis am Schwarzen Meer zum Zeitpunkt “Six years now / Since my relegation / To this town / By the late Augustus” reflektiert; allerdings vermischt sich diese Zeitebene mit der Gegenwart des ‘talking head’ des Ovid-Denkmals vor Ort. So erklärt sich, daß der Text mit Realitätsbrocken aus dieser Gegenwart einsetzt, Zeichen der unüberbrückbaren Distanz zwischen dem Damals und dem Heute: What coarse god Was the gearbox in the rain Beside the road? What nereid the unsinkable Coca - Cola Knocking the icy rocks? They stare me out With the chaste gravity And feral pride Of noble savages Set down On an alien shore. (“Ovid in Tomis”, 1-12) In der einschlägigen Literatur zu Ovid ist zu lesen, daß Ovid in den Schriften aus der Verbannung (Tristia, Epistulae ex Ponto) „die Unwirtlichkeit seines Verbannungsorts übertreibt“. 85 Dieser Grundton der Unwirtlichkeit und der Fallhöhe des Exilierten vom eleganten Rom in das barbarische Thrakien bestimmt auch Mahons Text. Vom Blickpunkt der Gegenwart aus greift die Analyse allerdings tiefer: Pan is dead, and already I feel an ancient Unity leave the earth, 85 Michael v. Albrecht, Ovid: Eine Einführung, 27. 67 The bowl avoid my eye As if ashamed Of my failure to keep faith. (It knows that I Have exchanged belief For documentation.) (“Ovid in Tomis”, 113-121) Der Dichter wird zum Dokumentaristen des Prozesses der Demythisierung der Welt. Sein Exil verweist letztlich auf das nihil einer sinnentleerten Welt. 86 In “Galatea”, Mahons Übersetzung der Pygmalion-Geschichte aus den Metamorphosen, folgt der Autor weitgehend dem lateinischen Text, malt hier und da die Szene sparsam aus und schreibt vierhebig-jambische, locker gereimte Verse in einer im Blick auf einen Leser des 20. Jahrhunderts aktualisierten Diktion. 87 Sehr viel weiter gehend ist “Ovid on West 4 th ”, Mahons Version der Philomela/ Procne - Tereus-Episode. 88 Das Gedicht ist Teil der Sequenz “The Hudson Letter”, publiziert 1995, in den New Collected Poems umbenannt in “New York Time”, damit biographisch situiert in der Lebensphase, die Mahon in New York, als “an Irish bohemian” oder “amateur immigrant”, als “an undesirable resident alien on this shore” 89 verbracht hat. Die 18 Sektionen dieser Sammlung sind Zeugnis für Mahons Erfahrung des amerikanischen Großstadtlebens, spiegeln aber auch eine existentielle Ausnahmesituation, in der der ‚Entfremdete‘ über die Welt, besonders aber auch über sich selbst reflektiert. 90 “Ovid on West 4 th ” erzählt die zweite 86 Christopher Moylan deutet Mahons Ovid-Übersetzungen im Sinne von Slavoj Zizek: “In Mahon’s translations, personal experience, as recapitulation of history and imagination, transforms into things. For Mahon metamorphosis represents a displacement of identity from the social to the detritus of material culture: life seen as divested in trash, recycled paper and tyres, old petrol pumps and other abandoned or discarded things disintegrationg and recomposing through time.” (Christopher Moylan, “Ovid and Derek Mahon”, Coelsch-Foisner, 248). 87 Collected Poems, 180f.; vgl. Ovid, Met. X.245-277. 88 Collected Poems, 198f.; vgl. Maryvonne Boisseau, “Mahon and Ovid: Subtext and Hidden Agenda”, Coelsch-Foisner, 231-243. 89 The Hudson Letter, III: “Global Village”, Collected Poems, 190. 90 Jamie McKendrick, “Earth-residence”, TLS, 12. 4. 1996, 25. 68 Hälfte der Ovidischen Fassung des Philomela-Stoffes nach, von dem Augenblick an, da Procne Tereus die Überreste ihres Sohnes Itys vorsetzt. Hier finden sich Signale, die den Text in der aktuellen Lebenssituation des Autors situieren: der Titel ebenso wie der Klammereinschub “(Afternoon now, some silence in the street / till released children dash to bus and wing.)”. Motto und Schlußzeilen liefern explizit Mahons Deutung der Geschichte mit, aber auch die Gestaltung des Binnenteils, der Ovid-Nacherzählung, läßt die subjektive Sicht des Autors durchscheinen, der sich in die Innenwelt seiner Figuren einfühlt. Tereus erscheint als “poor Tereus”; Procne zeigt “wicked glee”; Tereus’ Nachfrage auf Procnes triumphierendes “There he is inside! ” wird als “looking foolish” qualifiziert. Deutlicher wird dies noch bei Philomela in Wendungen, die nahe am Original sind und zugleich den Seelenzustand Philomelas weiter ausmalen: Oh, how she longed then for the use of her tongue! Nothing would have giver her greater pleasure than to whisper a few harsh words to her ravisher; Tereus’ Reaktion auf die grausige Nachricht nimmt breiten Raum ein; hier geht Mahon am weitesten über die literarische Vorlage hinaus: as for the king, he nearly had a seizure to think that he should eat his . . . own son Itys. Howling, he swept aside the candlesticks and called the furies from the depths of Styx - no, howling he overturned the dinner table and called the furies from the hobs of Hell. Unhinged to think this flesh of his own flesh consumed by the viscera where the genes first grew and he his own son’s charnel - house, he drew his sword to open his own digestive tract and pluck the chewed - up gobbets from the mush but turned instead on the two sisters, who fled [ … ] Die Auslassung bewirkt eine Unterbrechung des Textflusses, sie gibt Raum für Emotionalität und signalisiert das Unvorstellbare, das Grauenhafte der Botschaft. Die Ausgestaltung von Tereus’ Reaktion bedient sich der rhetorischen Figur der correctio: in rhetorisch-formaler Hinsicht wird eine Aussage ‚verbessert‘, sie gewinnt - im Sinne der amplificatio - durch die korri- 69 gierte Wiederholung an Gewichtigkeit. 91 Inhaltlich transponiert Mahon damit die Situation von der gehobenen Stilebene des Ovid-Textes auf die Ebene der heutigen Alltagssprache. Der Darstellung von Tereus’ geistigemotionalem Ausnahmezustand (“unhinged … ”) dient auch die Vorstellung, daß Tereus sein Schwert gegen seinen eigenen Körper wenden will, der, wie der Text sagt, zu Itys’ ‚Leichenhaus‘ geworden ist. Das dem Text vorangestellte Zitat aus F. Scott Fitzgeralds Tender is the Night verleiht dem Einmaligen der Philomela-Geschichte Allgemeingültigkeit, zudem verhindert das Motiv ‘struggle for survival’ eine vorschnelle Bewertung des Geschehens als ‘cruelty’. In vergleichbarer Weise dienen die der Erzählung nachgestellten letzten vier Verse dazu, dem Leser einen erhöhten Deutungsaufwand abzuverlangen, indem die auf der Hand liegenden Erklärungsmuster - “male arrogance, ‘rough sex’ or vengeful sisterhood” - zurückgewiesen werden und der Text auf seinen Kunstcharakter zurückbezogen wird: … Never mind the hidden agenda, the sub - text; it’s not really about male arrogance, ‘rough sex’ or vengeful sisterhood, but about art and the encoded mysteries of the human heart. 1.6 Schwache Bindung: Seamus Heaney, “Hercules and Antaeus” An Hermann Heuers Liste der Bearbeitungen des Philomela-Motivs war abzulesen, daß nicht jede Aufnahme des Philomela/ Procne-Tereus-Mythos einen direkten Ovid-Bezug aufweist. Denn, wie gezeigt wurde, ist auch dieser Mythos wie viele andere längst vor Ovid belegt, so daß sich die Überlieferungswege, die natürlich auch einen indirekten Ovid-Bezug haben können, vielfach nicht eindeutig nachvollziehen lassen. Dies gilt vor allem für den Fall, daß eindeutige Textmarkierungen, die auf Referenztexte verweisen, fehlen. 91 Heinrich Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik (Stuttgart: Steiner, 4 2008), § 784: „Die correctio ist die Verbesserung einer eigenen Äußerung, die als unpassend vom Redner selbst erkannt wird oder vom Publikum vielleicht als unpassend angesehen werden könnte.“ Vgl. auch Lausberg, Elemente der literarischen Rhetorik, § 384; Historisches Wörterbuch der Rhetorik, ed. Gert Ueding (Tübingen, Niemeyer: 1994), Bd. II, Sp. 394f. 70 Versuche, in solchen Fällen, eine Art ‚weiches‘ Abhängigkeitsverhältnis zu konstruieren, wie dies beispielsweise Sarah Annes Brown in ihrem Konzept des Ovidianism 92 tut, sind deshalb kritisch zu überdenken. Ovidianism wird hier definiert als “a set of characteristics identifiable in Ovid, in particular the Ovid of the Metamorphoses” (3). Dabei geht Brown von der richtigen Einsicht aus, daß zur Rezeptionsgeschichte Ovids nicht nur die direkte textliche Abhängigkeit eines Autors von Ovid gehört, sondern auch die vielfältigen Beziehungen von Autoren untereinander: The writers of each age go back, not just to Ovid, but to his earlier imitators; therefore each age’s most renowned writers help shape the development of Ovid’s reception for future generations. (5) Wenn nun aber Ovidianism so weit gefaßt wird, daß das Konzept sich von Ovid und seinem Werk löst, dann stellt sich die Frage sowohl nach der begrifflichen Schärfe als auch nach der Erkenntnisleistung: Ovid’s stories are the most easily visible signs of his influence upon later works. Other elements of Ovidianism are more elusive to pin down, yet it is possible to identify a set of characteristics, patterns and procedures, none of which is the exclusive prerogative of Ovid, but which may yet, when taken as a whole, be styled ‘Ovidian’. (7) Sucht man nach der inhaltlichen Füllung des Konzepts, so stößt man auf so diffuse Kategorien wie Ovids Darstellung von Liebe und Sex, seine Weise, Gewalt zu präsentieren, sein “wit” (8f.) oder auch “more abstract preoccupations such as an interest in art’s relationship with reality and in the nature of fiction itself” (10). Im Endergebnis ist Ovidianism damit zum ‘catch-all’-Prinzip erklärt worden, dessen Erkenntniswert durch die nahezu vollständige Lösung von seiner historischen Basis gegen Null geht. Ein Beispiel, in dem der Bezug zu den Metamorphosen schwach ausgebildet ist und das sich deshalb im Kontext dieser Studie zur Gegenprüfung anbietet, bilden Seamus Heaneys Gedichte “Antaeus” und “Hercules and Antaeus”, die Teil I der Sammlung North rahmen. Sie lassen sich auf eine knappe Erwähnung in Ovids Darstellung des Herakles-Stoffes beziehen. Hier läßt Herakles in Selbstreflexion kurz vor seinem selbstgewählten Ende seine Taten an sich vorüberziehen. 92 Sarah Annes Brown, 2-12. 71 Was it for this, that I subdued Busiris, Whose temples he defiled with strangers’ blood? That I uprooted fierce Antaeus from His mother’s nourishment? Faced unafraid Cerberus’ triple heads, the triple heads Of Geryon? That you, my hands, forced down The great bull’s horns, you gave deliverance To Elis, to Parthenius’ high glades, To Stymphalus’ broad waters, and your valour Secured the gold - chased belt of Thermodon And the apples guarded by the unsleeping snake? The centaurs quailed before me, and the boar That wasted Arcady; the Hydra’s gain From loss, with doubled strength, was all in vain. Yes, when I saw the Thracian’s horses fat On human blood and mangers full of flesh, Torn flesh, did I not smash them down and slay Master and steeds together? By these arms Nemea’s giant lion lay destroyed; This neck sustained the sky. Jove’s savage wife Is tired of setting tasks: I’m still untired. 93 Wer sich näher mit der Gestalt des Herakles befaßt, dem wird schnell klar, daß es sich hierbei um eine extrem komplexe Überlieferung handelt, die offensichtlich bis in die mykenische Zeit zurückreicht und ihre Spuren bei Homer, in Hesiods Theogonie, bei den Tragikern, gewissermaßen bei allen antiken Autoren, die etwas auf sich hielten, hinterlassen hat. Ovids Metamorphosen ist hier eine abgeleitete Quelle. Der Riese Antaios, der Sohn der Gaia und Poseidons, ist etwa bei Hyginus und Pausanias belegt. Die Quelle für den Kampf des Herakles mit dem Riesen Antaios, die wohl auch für Ovid maßgeblich war, ist die sogenannte Bibliothek des Apollodor. Antaios, Sohn von Poseidon und Ge, ein libyscher Riese, der alle Fremden zum Ringkampf nötigte und solange unüberwindlich blieb, wie er seine Mutter, die Erde, berührte, die bei jeder Berührung neue Kräfte in ihn strömen ließ. Herakles, von den Hesperiden kommend, hob ihn da- 93 Ovid, Met. IX,186-200, trans. A. D. Melville (Oxford: OUP, 1987), 104f. 72 her beim Kampfe in die Höhe, so daß er die Erde nicht berühren konnte, und zerbrach ihm mit den Fäusten die Rippen bis er tot war. 94 Heaneys textlich aufeinander bezogene Gedichte reflektieren den Mythos aus zwei ganz unterschiedliche Perspektiven. 95 In “Antaeus” die Innensicht des Riesen vor dem Ereignis, im Vollbesitz seiner Kraft, der sein Geheimnis offenbart: Antaeus When I lie on the ground I rise flushed as a rose in the morning. In fights I arrange a fall on the ring To rub myself with sand That is operative As an elixir. I cannot be weaned Off the earth’s long contour, her river-veins. Down here in my cave Girded with root and rock I am cradled in the dark that wombed me And nurtured in every artery Like a small hillock. Let each new hero come Seeking the golden apples and Atlas. He must wrestle with me before he pass Into that realm of fame Among sky-born and royal: He may well throw me and renew my birth But let him not plan, lifting me off the earth, My elevation, my fall. 94 Der kleine Pauly: Lexikon der Antike in fünf Bänden, ed. Konrat Ziegler und Walther Sontheimer (München: Artemis Verlag, 1975), s.v. ‚Antaios‘ (vol. I, sp. 365). 95 Vgl. zum Folgenden Hans-Werner Ludwig, “Antaeus and Dedalus: Myth, Language, and Place in Seamus Heaney’s Poetry”, Regionalität, Nationalität und Internationalität in der zeitgenössischen Lyrik: Erträge des Siebten Blaubeurer Symposions, ed. Lothar Fietz, Paul Hoffmann und Hans-Werner Ludwig (Tübingen: Attempto Verlag, 1992), 381-409. 73 Im Zentrum des Textes steht die Beziehung des Antaeus zur Erde, zu Gaia, seiner Mutter, wobei die Mutter-Kind-Metaphorik die Brücke zwischen dem menschlichen Körper und den Erdformationen schlägt: “weaned”, “river-veins”, “cradled”, “womb”, “nurtured”, “artery”. Herakles erscheint in den letzten beiden Strophen als (noch) namenloser Held, dessen im Mythos vorgezeichnetes Eingreifen Antaeus’ unausweichliches Ende bedeuten wird: “my elevation, my fall.” Das zweite Gedicht “Hercules and Antaeus” - in dieser bezeichnenden Anordnung der beiden Namen - bringt aus einer Außenperspektive zum Zeitpunkt des Kampfes (“now”) die Reflexion auf beide Figuren und die weltgeschichtlichen Folgen ihres Zusammenstoßes. Hercules and Antaeus Sky-born and royal, snake-choker, dung-heaver, his mind big with golden apples, his future hung with trophies, Hercules has the measure of resistance and black powers feeding off the territory. Antaeus, the mould-hugger, is weaned at last: a fall was a renewal but now he is raised up - the challenger’s intelligence is a spur of light, a blue prong graiping him out of his element into a dream of loss and origins - the cradling dark, the river-veins, the secret gullies of his strength, the hatching grounds of cave and souterrain, he has bequeathed it all 74 to elegists. Balor will die and Byrthnoth and Sitting Bull. Hercules lifts his arms in a remorseless V, his triumph unassailed by the powers he has shaken and lifts and banks Antaeus high as a profiled ridge, a sleeping giant, pap for the dispossessed. “Sky-born and royal” verknüpfen als Attribute des Helden ebenso beide Gedichte wie das den entscheidenden Moment markierende “weaned at last”. Antaeus’ Beziehung zur Erde wird aus elegischer Distanz aufgerufen. Entscheidend ist der Kontrast zwischen den beiden Figuren, dem Besiegten, dem ‘underdog’, als “mould-hugger” verächtlich gemacht, und dem Sieger, einer im wörtlichen wie übertragenen Sinn ‚glänzenden‘ Figur von überragender Intelligenz, der entsprechend der Aufzählung seiner Taten, wie sie sich auch bei Ovid findet, von Sieg zu Sieg geeilt ist und nun über Antaeus gnadenlos triumphiert. In weltgeschichtlicher Dimension erweitert Heaney die Bedeutung des einen Ereignisses von Kampf und Niederlage zu allen solchen Ereignissen, wofür im Text Balor, Byrthnoth und Sitting Bull stehen: Balor als Parallelfigur zu Antaeus aus der irischen Mythologie, Byrthnoth - so die Namensform bei Heaney -, unterlegen im Kampf zwischen Angelsachen und Wikingern in der Battle of Maldon, und Sitting Bull, der große Häuptling der Sioux, der zwar die Armee General Custers am Little Bighorn 1876 geschlagen hatte, sich hernach aber ergeben mußte, von den Amerikanern gedemütigt und schließlich 1890 erschossen wurde, wenige Wochen vor dem Massaker an den Indianern bei Wounded Knee. Der Mythos fungiert hier als universale Formel für eine typische Konstellation von Siegern und Besiegten: was im Mythos als ‘vor’ der historischen Zeit sich ereignend berichtet wird, gilt für alle Zeit. Zugleich verkörpern Hercules und Antaeus zwei kontrastierende Existenzprinzipien, die Heaney anderswo als “masculine” und “feminine” identifiziert hat. Und natürlich ist der Text zugleich transparent auf das Verhältnis des imperialistischen England zu seiner Kolonie Irland, das Heaney in vielen anderen Gedichten bearbeitet hat. 75 Heaneys Gedichte nehmen den Herakles-Mythos zum Anlaß und entwickeln daraus einen grundlegenden, universalen Antagonismus von Kräften, der sich in vielen historischen Situationen manifestiert, in letzter Konsequenz ein Modell des Kolonialismus. 96 Der einschlägige Ovid-Text ist hier extrem knapp, bietet nicht mehr als einen Verweis auf die wohlbekannte Episode: „saevoque alimenta parentis Antaeo eripui? “ Das Antaeus charakterisierende „saevus“ [wild, grimmig, schrecklich, gnadenlos, gebraucht von Tieren, Göttern und Menschen] könnte Anknüpfungspunkt für die Schilderung der überlegenen Stärke des Antaeus im ersten Gedicht sein, ebenso wie sich „alimenta parentis“ auf “weaned” und “nurtured” beziehen läßt. Allerdings wären dies äußerst schwache Referenzsignale, die eine sichere Aussage über einen Ovid-Bezug nicht zulassen. Für Heaneys Beschäftigung mit Ovid gibt es im übrigen weitere Belege. In “Exposure” [aus North] findet sich ein - allerdings über Osip Mandelstam vermittelter - Bezug auf Ovids Exil: [ … ] How did I end up like this? I often think of my friends’ Beautiful prismatic counselling And the anvil brains of some who hate me As I sit weighing and weighing My responsible tristia. Zu Michael Hofmans und James Lasduns Sammelband After Ovid hat Heaney Übersetzungen bzw. Nachdichtungen von Orpheus und Euridice (Met. X) und “The Death of Orpheus” (Met. XI) beigesteuert. 97 96 Christian Huck deutet diese Texte, von Heaneys Gedicht “Digging” herkommend, als poetologische Aussage. Christian Huck, Das Paradox der Mytho-poetik: Dichtung und Gemeinschaft in der irischen Literatur - Yeats, Heaney, Boland (Heidelberg: Winter: 2003); hier Kap. 4.2. “Hercules and Antaeus: Mythos und Schrift”, 224-249. 97 Michael Hofman and James Lasdun, eds., After Ovid: New Metamorphoses (London: Faber, 1994), 222-229; vgl. Seamus Heaney, The Midnight Verdict (The Gallery Press: Loughcrew, Oldcastle, 1993, 2000). 76 Am Ende dieses Kapitels hat sich die These bestätigt, daß neben eindeutigen Text-Prätext-Relationen in der kreativen Ovid-Rezeption mit einem weiten Feld indirekter Bezüge zu rechnen ist. ‚Ovid‘ stellt im Sinne des Konzepts der literarischen Reminiszenz eine so beherrschende Größe in der westlichen Kultur dar, daß die verschlungenen Traditionslinien vielfach nicht mehr im einzelnen ausgemacht werden können. Es ist deshalb plausibel, ein weites Bezugsnetz für die Arbeit am Text anzusetzen. Die englisch-amerikanischen Lyriker des zwanzigsten Jahrhunderts, deren Texte Gegenstand dieses Kapitels waren, sind fast alle studierte Literaturwissenschaftler - klassische Philologen oder Anglisten -, häufig Universitätsprofessoren, die noch wie selbstverständlich über klassisch-humanistische Bildungsgüter verfügen. Nicht immer sind ihre Werke einfach zugänglich; in manchen Fällen - so z.B. bei Geoffrey Hill - müssen für ein adäquates Textverständnis nur knapp angedeutete Kontexte eigens rekonstruiert werden. Der Aufwand lohnt sich, zumal sich der Gewinn des Verfahrens der ‚doppelten Lektüre‘ in der Textinterpretation leicht erweist. 77 2. Veni coronaberis und hortus conclusus - Reflexe der Hohelied -Exegese in der englischen Lyrik 2.1 Einstieg: Geoffrey Hill, “Veni coronaberis” Geoffrey Hill hat einem Gedicht aus der Sammlung Tenebrae (1978) den Titel “Veni coronaberis” gegeben; er übersetzt ihn selbst in einem BBC-Interview als “Come and thou shalt be crowned” oder “Come to thy crowning”. 1 Veni Coronaberis A Garland for Helen Waddell The crocus armies from the dead rise up; the realm of love renews the battle it was born to lose, though for a time the snows have fled and old stones blossom in the south with sculpted vine and psaltery and half-effaced adultery the bird-dung dribbling from its mouth; and abstinence crowns all our care with martyr-laurels for this day. Towers and steeples rise away into the towering gulfs of air. 2 Tenebrae, der Titel der Gedichtsammlung, verweist auf den Text des fünften Responsoriums für den Karfreitag („Tenebrae factae sunt“), im weiteren Kontext auf den römisch-katholischen Ritus der (ursprünglich) nächtlichen Gottesdienste - Karmette, Finstermette - an den letzten drei Tagen der Karwoche. Der Ritus wurde teilweise von der anglikanischen und weiteren Kirchen der Reformation übernommen. Unter diesem Titel - und für diesen Anlaß komponiert - finden sich berühmte kirchenmusikalische Kompositionen, z.B. von Josquin des Pres, Orlando di Lasso, Palestrina, Gesualdo, Allegri oder Thomas Tallis. Hill verweist selbst auf solche Kom- 1 “Geoffrey Hill in conversation with Ian Gillham”. 2 Geoffrey Hill, Tenebrae (1978), 39. 78 positionen; ein direkter Einfluß geht jedoch von Paul Celan aus, auf dessen Niemandsrose (1963) Hill sich in “Two Chorale-Prelude” zitierend bezieht. Paul Celans Gedicht „Tenebrae“ erschien 1959 in der Sammlung Sprachgitter. Im Unterschied zu anderen Gedichten der Sammlung Tenebrae, z.B. den Gedichtfolgen “Lachrimae”, “An Apology for the Revival of Christian Architecture in England” oder eben der gleichnamigen Sequenz “Tenebrae” selbst erscheint der christlich-kirchliche Bezug in “Veni coronaberis” eher indirekt, allerdings mit Stichwörtern wie “psaltery”, “adultery”, “abstinence” und “martyr” deutlich markiert. Geoffrey Hills Lyrik wird von vielen seiner Kritiker, auch von seinen Bewunderern, als komplex und vielfach schwer zugänglich empfunden, auch wenn Hill zeit seines Lebens diesen bis heute zu lesenden Vorwurf zu entkräften gesucht hat. Er selbst hat gerade dieses Gedicht in einem Rundfunkinterview aus der Zeit der Publikation von Tenebrae als ‘characteristically accessible’ angesehen 3 . Der Autor, poeta doctus, setzt häufig literarische Kontexte voraus, die er nur selten eigens aufdeckt. In einem frühen Interview nach den Einflüssen der Landschaft seiner Kindheit (‘locality’) gefragt, legt Hill in charakteristischer Weise den Akzent auf die innere Wirklichkeit seiner Lyrik: I have a landscape in my poetry. It is an inner landscape. It is a symbolic landscape. I live [ … ] an inner myth in terms of poetry, possibly, and I certainly find very little contact between the extraneous circumstance and the inner vision. Entsprechend ordnet Hill die Sprache der Wirklichkeit vor: There is a whole range of connotation contained in every word and in every concept, which the poet’s ear, the poet’s intelligence, is sensitized to. The profound art of the poet, I think, is in, if you like, converting abstracts into realized metaphors. The impetus for my own poetry is a metaphoric one. I realize in terms of metaphors rather than in terms of theme or situation. The starting point for my poem is a metaphor, which one seeks the proper context for, which one seeks the only true 3 “Geoffrey Hill in conversation with Ian Gillham”. 79 context for. A metaphor seeks its context. The poem, if you like, is the context for the metaphor. [The metaphor is the germ of the poem.] 4 In der für Hill typischen Kombination von scharf focussiertem Detail und meditativer Gedankenbewegung nimmt das Gedicht seinen Ausgangspunkt von einer konkreten Situation - ein Augenblick im Vorfrühling zwischen Winterschnee und blühenden Krokussen. Die Wahrnehmung der aufbrechenden Vegetation im Frühling, abstrakter formuliert der lebenschöpfenden Natur, “earth’s abundance”, 5 wie sie sich auch in den diesem Gedicht in Tenebrae vorangehenden Gedichten findet, beherrscht den Gedichtanfang, 6 gestaltet diese Situation jedoch nicht aus, sondern wechselt sogleich auf die Deutungsebene. Das beherrschende Bildfeld der ersten Strophe ist ‚Kampf‘ oder ‚Krieg‘ (“army”; “battle”). The crocus armies from the dead rise up … 7 4 “Geoffrey Hill talks to Peter Orr”, The Poet Speaks, VIII (London: British Council) Schallplatte ARGO PLP 1088, LP mono - Transkript der Tonaufnahme. Hans- Werner Ludwig, „Geoffrey Hill, ‘September Song’“, Moderne englische Lyrik: Interpretation und Dokumentation, ed. Elke Platz-Waury, utb 821(Heidelberg: Quelle & Meyer, 1978), 108-122. 5 Hill, “A Preraphaelite Notebook”, Tenebrae, 37. 6 Jeffrey Wainwright, Acceptable Words: Essays on the Poetry of Geoffrey Hill (Manchester: Manchester U.P., 2005), 36. 7 Hill nimmt hier im Selbstzitat einen frühen Text wieder auf, wobei die Naturschilderung verkürzt, dafür die symbolische Bedeutung verstärkt wird: The crocus, narrow-helmeted, Sprung from a dragon’s tooth, renews The battle it was born to lose Though from its face the snows have fled. The earth labours with the dead To bring their buried strength to light. The flower is drawn into the fight. The fever gathers to a head. I see the crocus armies spread Around the sun. I see them fall, With spears broken, by the wall, Though from their face the snows have fled. 80 Der Naturbzw. Jahreszeitenzyklus wird als Kampf zwischen Leben und Tod bzw. Tod und Auferstehung gedeutet, ein Kampf, der nicht zu gewinnen ist, in dem es vielmehr nur einen flüchtigen Moment (“for a time”) der Erfüllung gibt, ein Kampf, der gleichwohl immer wieder gewagt werden muß, um nicht von vornherein dem Tode das Regiment zu überlassen. Wie von vielen Kritikern bemerkt, ist hier das Paradox die adäquate Sprachform: “ … the realm of love renews / the battle it was born to lose”. In einem zweiten Anlauf (Strophe 2: “and … ”) wird nach der Wandelbarkeit und Vergänglichkeit des Naturschönen nun das in Stein gemeißelte Kunstschöne in den Blick genommen (“old stones … with sculpted vine … ”), vielleicht eine Skulptur auf einem Grabstein. Dabei verhindert der geradezu obsessive Reim “psaltery” / “adultery” schon im Ansatz jeden Versuch, sich beruhigt auf den Bereich des Ästhetischen zurückzuziehen. Ähnlich offen bleibt der dritte Anlauf (Str. 3, “and abstinence crowns all our care … ”). Mit “love” (Str. 1), “adultery” (Str. 2) und nun “abstinence” findet sich eine durchgehaltene moralisch-religiöse Ebene im Text. Was Harold Bloom Hills “desperate humanism” 8 nennt, wird mit “martyr-laurel”, der Märtyrerkrone, die zugleich der Dichterlorbeer ist, gekrönt, aber eben wiederum nur für einen Augenblick (“for this day”). Das Gedicht entwickelt ein Netzwerk von Bezügen zwischen bedeutungsgeladenen Begriffen - Stichwörtern, an denen der meditative Prozeß andockt, der die Bewegung des Gedichts ausmacht und der das Gedicht in das Umfeld der Sammlung Tenebrae einbindet. So setzt sich Hill seit seiner ersten Sammlung For the Unfallen und auch in Tenebrae mehrfach mit “martyr(dom)” auseinander. 9 In dem genannten BBC-Programm findet Hill eine Formel für den dichterischen Schaffensakt, der das hier praktizierte Verfahren gut charakterisiert: “one lets the essence of the vocabulary (“I see the crocus armies spread”, Trio Nr. 3, [Juni 1953], 12; vgl. Henry Hart, “Early poems: journeys, meditations and elegies”, Geoffrey Hill: Essays on his Work, ed. Peter Robinson [Milton Keynes, Open University, 1985], 9f.). 8 Harold Bloom, “The Survival of Strong Poetry” (Introduction), Geoffrey Hill, Somewhere is Such a Kingdom: Poems 1952-1971 (Boston, 1975), XIV. 9 Vgl. u.a. “The Martyrdom of St. Sebastian”; “Lachrimae”, 3,5; “Tenebrae”, 7. Vgl. auch Rolf P. Lessenich, „Geoffrey Hills ‘Lachrimae’ im Kontext seines Welt- und Kunstverständnisses“, Tradition und Innovation in der englischen und amerikanischen Lyrik des 20. Jahrhunderts, Fschr. Arno Esch (Tübingen: Niemeyer, 1986), 238, 243ff. 81 blossom and come to light”. Der Leser spürt, wie der Dichter die Schlüsselwörter seines Textes hin- und hergewendet, ihren Bedeutungsnuancen nachgespürt hat. Dabei versagt sich Hill glatten Lösungen, werden in der Sperrigkeit des Paradoxons eher Fragen nach den Bedingungen des Menschseins aufgeworfen als Antworten gegeben. Christopher Ricks sieht in der Bindestrich-Formel “martyr-laurel” eine Art concordia discors, mit den Mitteln der poetischen Sprache und nur in dieser der Wirklichkeit abgerungen - mit F.H. Bradleys Formel - Yet ‘a unity above the discord’ - not obliterating or oblivious of the discord - may, on occasion and by grace, be incarnated by the poet’s hyphen. 10 Hill selbst deutet die in Tenebrae und anderswo spürbare Spannung zwischen dem Streben nach religiöser Erfahrung und unausweichlicher kritischer Distanz an: If critics accuse me of evasiveness or the vice of nostalgia, or say that I seem incapable of grasping true religious experience, I would answer that the grasp of true religious experience is a privilege reserved for very few, and that one is trying to make lyrical poetry out of a much more common situation - the sense of not being able to grasp true religious experience. 11 In “abstinence crowns all our care / with martyr-laurels for this day” findet sich der Bezug zum Titel “Veni coronaberis”, der in der Widmung “a Garland for Helen Waddell” ebenfalls anklingt. Ralph Pordzik hebt für die Gedichte der Sammlung Tenebrae das Moment der Dialogizität hervor: der Autor im Dialog mit anderen Stimmen - genauer in E.M. Knottenbelts Feststellung: Hill “translates and interprets the work of others in respect to himself”. 12 So mag sich, wie E.M. Knottenbelt meint, “half-effaced adul- 10 Christopher Ricks, “Tenebrae and at-one-ment”, Geoffrey Hill: Essays on his Work, ed. Peter Robinson (Milton Keynes, Open U.P., 1985), 85. 11 “Geoffrey Hill”, Viewpoints: Poets in Conversation with John Haffenden (London: Faber, 1981), 89. 12 Ralph Pordzik, Signaturen der Postmoderne - Lyrik als Paradigma postmoderner Literatur: eine Untersuchung ihrer Formen und Funktionen am Beispiel der Dichtung Geoffrey Hills, James Fentons, Fleur Adcocks und Tom Paulins (Essen: Die Blaue Eule, 1996); Elizabeth Mary Knottenbelt, Passionate Intelligence: The Poetry of Geoffrey Hill (Amsterdam: Rodopi, 1990), 252. 82 tery” auf Waddells Peter Abelard beziehen. Ebenso sieht sie eine Parallele zwischen Hills Gedichtanfang und Waddells Einführung zu The Wandering Scholars. 13 Das Hohelied-Zitat, das Hill als Titel dieses Gedichts verwendet, scheint in sich selbst für Geoffrey Hill die sprachliche Formel zu sein, die die meditative Bewegung des Gedichtes zusammenfaßt. Ein mittelbarer Bezug zum Hohenlied liegt nach Meinung der Kritik in der Sequenz “Pentecost Castle” vor, die, wie Hill selbst erklärt hat, 14 Bearbeitungen spanischer Gedichte, u.a. Lope de Vegas darstellt, die sich ihrerseits auf das Hohelied beziehen. 15 Ein indirekter, gleichwohl umfassender inhaltlicher Bezug zum Hohenlied ergibt sich aus dem Verweis auf Helen Waddell. In dem schon genannten Interview aus dem Jahre 1978 erklärt Hill im Blick auf die Widmung an Helen Waddell (1889-1965) seine große Bewunderung für die Autorin des Romans Peter Abelard und der Geschichte der Goliarden, The Wandering Scholars (1927), wie für die Übersetzerin mittellateinischer Lyrik, 16 und spielt auf “certain aspects or mannerisms … of her poetic translations” an. Helen Waddells Medieval Latin Lyrics ist hier unmittelbar einschlägig für die Verwendung des Hohenliedes in der mittelalterlichen lateinischen Dichtung bis zur Vaganten- (Goliarden-) Lyrik des 12. und 13. Jahrhunderts, so z.B. für das berühmte „Iam, dulcis amica, venito“, von dem es sowohl geistliche als auch weltliche Varianten gibt. 17 13 “Compare the opening of Hill’s poem with Waddell’s in the introduction to the Wandering Scholars (London, 1927, p. ix): ‘There is no beginning, this side of the classics to a history of medieval Latin; its roots take hold too firmly on the kingdom of the dead. The scholar’s lyric of the twelfth century seems as new a miracle as the first crocus; but its earth is the leaddrift of centuries of forgotten scholarship. His emotional background is of his own time; his literary background is pagan, and such furniture as his mind contains is classical or pseudo-classical.’” (Anm. 57, ibid., 274). 14 Viewpoints, 91f. 15 Michael Edwards, “Hill’s Imitations”, Geoffrey Hill: Essays on his Work, ed. Peter Robinson (Milton Keynes, Open University, 1985), 166. 16 Helen Waddell, Peter Abelard (1933); Medieval Latin Lyrics (1929); More Latin Lyrics: From Virgil to Milton, ed. Felicitas Corrigan, 1976. 17 Überliefert in den Carmina Cantabrigensia und einer Wiener Handschrift. Waddell, Medieval Latin Lyrics, 144-146. Vgl. dazu Peter Dronke, Medieval Latin and the Rise of European Love-Lyric, 2 vols. (Oxford: Clarendon P., 1965, 2 1968), 271ff. und James I. Wimsatt, “Chaucer and the Canticle of Canticles”, Chaucer the Love Poet, ed. Jerome Mitchell und William Provost (Athens, GA: U. of Georgia P., 1973), 66-90. 83 In den folgenden Abschnitten dieses Kapitels gilt es, zunächst Klarheit über die biblische Vorlage, ihre Textgestalt und ihre Übersetzungen zu gewinnen, sodann geht es um die Auslegungsgeschichte von „veni coronaberis“ und ihre Spiegelung in der englischsprachigen Marienlyrik. Die produktive Aufnahme eines weiteren Motivs aus dem Hohenlied - hortus conclusus - wird im vierten Abschnitt dargestellt. Das die Schönheit der Braut feiernde ‚Beschreibungslied‘ bildet einen weiteren Bezugsrahmen, dessen Reflexe über die mittelalterliche volkssprachliche Lyrik bis zu Shakespeare und Spenser verfolgt werden. 2.2 Die Quelle Die Wendung „veni coronaberis“ findet sich im Hohenlied 4,8, und zwar in der ‚alten‘ Fassung der Vulgata: veni de Libano sponsa veni de Libano veni coronaberis de capite Amana de vertice Sanir et Hermon de cubilibus leonum de montibus pardorum (Hld 4,8). 18 Diese Textfassung ist singulär; die Textstelle lautet in der Fassung der Authorized Version (KJV), die aus dem hebräischen Text (MT) übersetzt ist, dagegen: Come with me from Lebanon, my spouse, with me from Lebanon: look from the top of Amana, from the top of Shenir and Hermon, from the lions’ dens, from the mountains of the leopards. Auch die Nova Vulgata paßt sich dem allgemeinen Konsens hinsichtlich des Verständnisses der Textstelle an. 18 Für das Mittelalter bestimmend ist die ‚alte‘ Fassung der Vulgata, der auf Hieronymus zurückgehende und schließlich 1546 auf dem Tridentinum für verbindlich erklärte Text. Die nova vulgata, erschienen 1979, entstand in der Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils. Wo nichts anderes angegeben, wird nach dem alten Hieronymus-Text zitiert, der bei der Bible Foundation / UB Freiburg und dem Portal www.bibelwissenschaft.de der Deutschen Bibelgesellschaft - Robert Weber / Roger Gryson - leicht zugänglich ist. URL: http: / / www.bibelwissenschaft.de/ online-bibeln/ biblia-sacra-vulgata/ lesen-imbibeltext/ bibelstelle/ Hld 6. Wo sinnvoll, wird das Vulgata-Zitat durch die Fassung der ‘Authorized Version’, der sogenannten ‘King James Version’ (KJV) ergänzt. Stellenangaben aus dem Hohenlied werden als “Hld” abgekürzt. 84 Das - von Luther so genannte - Hohelied (Schir ha-schirim, Canticum canticorum, Song of Songs, Canticles), dessen einzelne Stücke, wie Hld 1,1 suggeriert, bis in die Königszeit, möglicherweise gar bis auf Salomo zurückgehen, das seine kanonisierte Gestalt jedoch redaktionell erst in hellenistischer Zeit (im 3. Jahrhundert v. Chr.) gefunden hat, gilt heute überwiegend als „ein altorientalisches, profan zu deutendes Buch“. 19 Theologiegeschichtlich von großem Interesse ist allerdings der Befund, daß die kirchliche Tradition von Origenes bis in die jüngere Zeit für diese „Sammlung profaner Liebeslieder“ 20 fast ausschließlich allegorische Deutungen zugelassen hat: als Beziehung Gottes zu seinem auserwählten Volk Israel (Rabbi Akiba), als Beziehung von Christus zur Kirche (Hippolytus), zur einzelnen Seele (Origines) und zu Maria (Ambrosius). Der zuletzt genannte Bezug gewann als Brautmystik im Mittelalter besonders durch die berühmt gewordenen 86 Hohelied-Predigten Bernhard von Clairvaux’ Gewicht und war noch bis zu Luther einflußreich. 21 Möglicherweise wurde das Hohelied, wie eine Forschungsrichtung annimmt, von einer Frau verfaßt. Der Text läßt aufgrund seiner Vielschichtigkeit und auch seiner Singularität im Kontext des Bibelkanons vielfältige Deutungen zu. Ein aktuelles Beispiel: In ihrem gemeinsam verfaßten Buch Thinking Biblically 22 treten ‚Exeget‘ André Lacocque und ‚Hermeneutiker‘ Paul Ricoeur in einen fruchtbaren Dialog miteinander ein. André Lacocque betont den ‚subversiven‘ Charakter des Hohenliedes: Seine These ist, daß die Autorin die religiöse Sprache der Prophetie, die traditionell für das Verhältnis Gottes zu seinem auserwählten Volk verwendet wird, auf provokante Weise ‚entmetaphorisiert ‘ (“nonfigurative use”), um dadurch den Eros, die freie Liebe, zu preisen: 19 H.-P. Müller, „Das Hohelied“, H.-P.Müller, O.Kaiser, J.A. Loader, Das Hohelied, Klagelieder, Das Buch Esther, Das Alte Testament Deutsch, 16/ 2 (Göttingen: Vandenhoeck, 4 1992), 8; vgl. auch M. Bauks, K. Koenen, eds., Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet / AT, 2007ff., URL: http: / / www.wibilex.de. 20 Müller, ibid., 11. 21 Zur Auslegungsgeschichte des Hohenliedes seit der frühen Kirche vgl. Friedrich Ohly, Hohelied-Studien (Wiesbaden: Steiner, 1958). 22 André Lacocque und Paul Ricoeur, Thinking Biblically: Exegetical and Hermeneutical Studies (Chicago: U. of Chicago P., 1998), 235-303. 85 We are in a setting of total irreverence. The author ironically uses expressions that had become “sacred” in a Yahwistic context. The Song is not the booklet for a pagan hierogamy. Nor is it an allegory for the use of the straightlaced on the intimate relations between God and Israel (even less, of course, between Christ and the Church). It is an exaltation of eros; it speaks of free love, untamed and even, to a certain degree, clandestine (cf. Song 8: 1-3), between a man and a woman. The language of the author is naturalistic and thus exposed to censorship by “men of the cloth,” and parodylike, as it imitates in a mode of mockery the jargon of the fundamentalists. (262) Der Ausgangspunkt Paul Ricoeurs, der die These vom subversiven Charakter des Textes nicht übernimmt, ist die heute weithin anerkannte ‚erotische‘ Interpretation des Hohenliedes. Sein Ziel ist eine Rezeptionsgeschichte, die “a multiple, flowering history of reading” etabliert. Dazu arbeitet er Textcharakteristika heraus, die eine Pluralität der Interpretationen unter Einschluß allegorischer Deutungen zuläßt. Sein Interesse gilt einer Textlektüre (“intersecting reading”), die das Hohelied in neue intertextuelle Beziehungen zu anderen biblischen Texten, besonders der Schöpfungsgeschichte (Genesis 2) und Stellen aus den prophetischen Büchern setzt. Formgeschichtlich entsprechen die häufig fragmentarischen Stücke dem Typus Beschreibungs- oder Bewunderungslied, Prahllied, Sehnsuchtslied, Selbstschilderung, bzw. Traumschilderung; des weiteren handelt es sich um Rollengedichte oder Dialoge. 23 Der Ton ist häufig volksliedhaft, was sich auch in der für oral poetry typischen Wiederholungen von Motiven, Wendungen und ganzen Abschnitten niederschlägt; allerdings weist die Tendenz zur Bildung größerer kompositorischer Einheiten auch auf größeren Kunstwillen. Die Wendung „Veni, sponsa, de Libano“ erscheint an einer Schlüsselstelle von Dantes Purgatorio, am Anfang von Canto XXX, nachdem Vergil den Pilger verlassen hat und kurz bevor Beatrice erscheint: Quando il settentrïon del primo cielo, che né occaso mai seppe né orto né d’altra nebbia che di colpa velo, 23 Müller, ibid., 7, nach F. Horst, „Formen des althebräischen Liebesliedes“ (1935), Gottes Recht (1961), 176,187. 86 e che faceva lì ciascun accorto di suo dover, come ’l più basso face qual temon gira per venire a porto, fermo s’affisse: la gente verace, venuta prima tra ’l grifone ed esso, al carro volse sé come a sua pace; e un di loro, quasi da ciel messo, „Veni, sponsa, de Libano’ cantando gridò tre volte, e tutti li altri appresso. 24 Es scheint plausibel anzunehmen, daß auch diese Passage und ihre symbolische Bedeutsamkeit an einem Wendepunkt der Divina Commedia bei Hills Gedicht Pate gestanden hat. 2.3 Die Auslegungstradition der Kirche und die englische Marienlyrik Die christliche Umdeutung des Hohelieds auf die Beziehung Christi zu Maria hat sich im Ritus der römisch-katholischen Kirche als auch in ihrer literarischen Wirksamkeit als die wichtigste erwiesen. Die Formel „Veni coronaberis“ findet ihren festen Platz in der Marienliturgie und in marianischen Hymnen und Gedichten, sie wird seit der Theologie des Mittelalters als Aufruf des Bräutigams Christus an Maria verstanden, der diese an seiner Herrschaft teilhaben läßt. Die Krönung Marias zur Himmelskönigin ist Gebet des ‚fünften Geheimnisses des glorreichen Rosenkranzes‘, sie ist Gegenstand berühmter Bilddarstellungen, z.B. des Gnadenbildes in der Basilika Maria Maggiore in Rom. „Maria Königin“ wird von der katholischen Kirche als ‚gebotener Gedenktag‘ eine Woche nach „Mariae Himmelfahrt“, d.h. am 22. August gefeiert. An einem “Song of the Assumption” aus dem 15. Jahrhundert lassen sich die direkten Textbezüge zum Hohenlied besonders gut demonstrieren: 25 24 “Einer von ihnen, wie bestellt vom Himmel, dreimal ‘komm, meine Braut, vom Libanon! ’ sang er den Ruf, den alle wiederholten.” (Dante Aligheri, Die göttliche Komödie, übers. Karl Vossler, Purgatorio, XXX,10-12) 87 Veni Coronaberis Surge mea sponsa, so swete in sy te, 2,10 And se þy sone in sete full shene! Thow shalte a-byde with þy babe so bry te And in my glorye be, & be called a qwene. Thy mamelles, modur, full well I mene, ubera matris 8,1 I hadde to my mete, I my te not mysse. Aboue all creatures, my modur clene, Veni Coronaberis. Cum, clene Crystall, to my cage. Columba mea, I þe calle, 2,10; 2,14; 5,2; 6,9 And se þy sone, in seruage ffor mannus sowie was made þralle. In þy place þat ys princypall I playde pryuely wyth-owte mysse. My herytage, modur, haue þu shall, Veni coronaberis. ffor macula, modur, was neuur in þe, 4,7; 5,2 ffilia syon, þu arte þe flowre! 3,11; 2,1 ffull swetely shalte þu sytte by me, And were a crowne wyth me in towre; And all myn angelles to þyn honowre Shall þe worshyppe in heuen blysse. Thow, blessed body þat bare in bowre, Veni coronaberis. Tota pulcra es to my plesynge, 4,7 My modur, princes of paradys! A watur full swete of þe shall sprynge, 4,15 Thow shalte a eyn my ry tes ryse. The welle of mercy, modur, in þe lyys To brynge þy blessed body to blysse. And all my sayntes shall do þe seruysse, Veni [coronaberis]. Veni, electa mea, to myn an hy e, 6,9f. Holy modur & mayden mylde, 25 Cotton MS. Caligula A. ii, fol.107, fol. 108 ro ; Religious Lyrics of the XVth Century, ed. Carleton Brown (Oxford: OUP, 1939, repr 1967), 65-67. Alle Stellenangaben Canticum canticorum nach dem Text der Vulgata. 88 On sege to sytte me bye, That am þy kynge & þy chylde, Holy modur, with me to bylde, Wyth þy blessed babe þat ys in blysse - That virgyn þat was neuur defylde, Veni [coronaberis]. Vox tua to me was full swete 2,14f. Whene þu me badde, 'babe be stylle'. ffull goodly gone oure lyppes mete, labia 4,3; 4,11; 5,13 Wyth bry te braunches, as blosme on hyll. ffauus distillans þat wente wyth wylle 4,11 Oute of þy lyppes whene we dede kysse. osculetur me osculo oris sui 1,2 Therfore, modure, þys ys my skyll, Veni [coronaberis]. Veni de libano, þu lylye in launche, 4,8 That lappes me louely wyth loulynge songe! Thow shalte a-byde wyth þy blessed braunche That so solemply of þe spronge. Ego, flos campy, þy flowre, was fonge, 2,1 That on Calverye cryede to þe ywysse. Moder, e knowe hyt ys no wronge, Veni [coronaberis]. Pulcra ut luna, þu bere þe lambe, 6,10 As soone þat shyneth moste clere. Veni in ortum meum, þow ty damme, 5,1; 6,11 To smelle my spyces & erbes in fere. My place ys py te for þe plenere, ffull of bry te braunches & blomes of blysse. Cum now, modur, to þy derlynge dere, Veni [coronaberis]. Que est ista so vertuus, 6,10 That is celestyall for oure mekenesse, Aurora consurgens gracyous, 6,10 So benygne a lady of fyne bry tnesse, That ys þe colour of kynde clennesse. Regina celi, þat neuur shall mysse Thus enþeth þys songe of gret swettenesse, Veni coronaberis. 89 Christus, der Bräutigam, spricht Maria in seiner Doppelrolle als “þy kynge & þy chylde” an und macht sie an seiner Seite zur Himmelskönigin, wobei nach Art der Volksfrömmigkeit Marias Erhöhung als Belohnung dafür gesehen wird, daß Maria Jesus geboren und gestillt hat. Die den Text des Hohenliedes durchziehende Erotik, die von der allegorisierenden und typologisierenden offiziellen Lesart der Kirche quasi weginterpretiert wird, erscheint in der Volkssprache als Ausdruck der Volksfrömmigkeit in Gestalt einer sehr menschlichen, innigen Mutter-Kind-Beziehung. Dies kann als Indiz dafür gelten, daß die Übergänge zwischen weltlicher und geistlicher Liebeslyrik durchaus fließend waren. Vox tua to me was full swete Whene þu me badde, 'babe be stylle'. ffull goodly gone oure lyppes mete, Wyth bry te braunches, as blosme on hyll. ffauus distillans þat wente wyth wylle Oute of þy lyppes whene we dede kysse. Der Text zitiert besonders am Strophenanfang lateinische Formeln aus dem Hohenlied und integriert sie in die in der Volkssprache abgefaßte Marienhymne. Solche Sprachmischung - Makkaronik im weiteren Sinne des Begriffs - ist, wie R.L. Greene gezeigt hat, typisch für den carol. 26 Eine modernisierte Fassung dieses Gedichts findet sich bei William Michael Rossetti, dem jüngeren Bruder von Dante Gabriel Rossetti. 27 Ein weiteres Mariengedicht aus dem 15. Jahrhundert zeigt im Vergleich zum vorangehenden die Verwendung stereotyper Formeln dieser in der Volksfrömmigkeit fest verankerten Textsorte. 28 Rarissima in deliciis, carissima, in deliciis 7,7 Iam ueni, coronaberis. 26 Von den 474 carols in Greenes Sammlung enthalten 202 lateinische Wendungen. Vgl. R.T. Davies, “Introduction”, Medieval English Lyrics (London: Faber, 1963, repr. 1987), 39. 27 “A Song Of Great Sweetness From Christ To His Daintiest Dam. Modernised (1898) By William Michael Rossetti”, William Michael Rossetti, Hymns to the Virgin and Christ; Carmina Mariana, 2nd ser., ed. Orby Shipley (London: Burns and Oates, 2 1902), 134-137. 28 Cambridge University Library, MS. Ee. i.12, f.22 v -23 r ; by James Ryman, c. 1492; R.L. Greene, Early English Carols, Nr. 262, S. 65. 90 Come, my dere spowse and lady free; sponsa 4,8-4,12; 5,1 Come to thy Sonne in heven blis, For why next me thy place shal be; Iam veni, coronaberis. Come, my myelde dove, into thy cage, columba 2,10; 2,14; 5,2; 6,9 With joye and blis replete whiche is, For why it is thyne heritage; Iam veni, coronaberis. Moost faire and swete, moost meke and myelde, Come to thy Sonne and King of Blis; Moder and mayden vndefielde, immaculata 4,7; 5,2 Iam veni, [coronaberis.] Thou art alle fayre, my spowse moost dere, And spotte of synne in the noon is; immaculata 4,7; 5,2 Come fro Liban, to me appere; Veni de Libano 4,8 Iam veni, [coronaberis.] Thy stature is assymylate Statura tua assimilata est palmae To a palme tree and thy bristes et ubera tua botris. 7,8 To grapes, spowse inmaculate; Iam veni, coronaberis. Off alle clennes I am the floure, The felde wherof thy pure soule is; 2,1 O virginall floure moost of honoure, Iam veni, coronaberis. Thy blessed body was my bowre; Wherefore my blis thou shallt not mys, And alle seintes shalle the honoure; Iam veni, coronaberis. With thy brestes so pure and clene ubera 1,13; 4,5; 7,4; 7,8f.; 8,1; 8,10 Thou haste me fedde; wherfore, iwis, Of heven blis thou shalt be quene; Iam veni, coronaberis. Die Formel „veni coronaberis“ hat offenbar im Spätmittelalter große Popularität erlangt, so daß sie, den Charakteristika von oral poetry entsprechend, gewissermaßen frei verschiebbar wird und auch als burden in einem carol 91 des 15. Jahrhunderts auftaucht, wobei möglicherweise wiederum der Bezug auf Maria die Brücke darstellt: Ivy, chefe off treis it is; Veni, coronaberis. The most worthye she is in towne - He that seyth other do amysse - And worthy to bere the crowne; Veni, coronaberis. Ivy is soft and mek off spech; Ageynst all bale she is blysse; Well is he that may hyre rech; Veni, coronaberis. Ivy is green with coloure bright; Of all treis best she is; And that I preve well now be right: Veni, coronaberis. Ivy beryth berys black; God graunt vs all his blysse, Fore there shall we nothyng lack; Veni, coronaberis. 29 In diesen auf die Imperativ-Formel „veni coronaberis“ gestellten Mariengedichten ist der Mann der Sprecher: Christus spricht zu Maria. In zwei anonymen Gedichten vom Typ love-complaint aus dem 14. Jahrhundert, die auf den Refrain „quia amore langueo“ gestellt sind (aus Hld. 2,5; 5,8) ist in einem Maria die Sprecherin: Maria spricht in dieser aus der neutestamentlichen Klage Marias unter dem Kreuz abgeleiteten complaint als “mother of god” und “mother of man” als Mutter, Schwester und Frau “man” an, wobei die Wendung aus dem Hohenlied auch in der volkssprachlichen Form “For I am sick of love” erscheint. Die andere Realisation des „quia amore langueo“, die Helen Gardner für die literarisch wertvollere hält, hat Christus zum Spre- 29 Bodleian Library, MS. Eng. poet. e. i, f 54 r; R.L. Greene, The Early English Carols (Oxford: OUP, 1936), Nr. 138, S. 83. Vgl. Medieval English Lyrics, ed. R.T. Davies. (London: Faber, 1 1963, repr. 1987), 228, notes 353. Die symbolische Bedeutung von “ivy” ist äußerst vielschichtig. “Ivy” ist im Gegensatz zu (dem männlichen)“holly” weiblich konnotiert. 92 cher, der als Geliebter der menschlichen Seele auftritt. Aus dem sechzehnstrophigen Gedicht folgen hier die ersten beiden, die den Erzählrahmen bilden, sowie die Strophen 3 und 4, die den Anfang der Rede Christi enthalten. In the vale of restless mind I sought in mountain and in mead, Trusting a true love for to find. Upon an hill then took I heed; A voice I heard - and near I yede - In huge dolour complaining tho: 'See, dear soul, my sides bleed, Quia amore langueo.' Upon this mount I found a tree; Under this tree a man sitting; From head to foot wounded was he, His hearte - blood I saw bleeding; A seemly man to be a king A gracious face to look unto. I asked him how he had paining. He said: 'Quia amore langueo. 'I am true love that false was never: My sister, man's soul, I loved her thus; Because I would on no wise dissever, I left my kingdom glorious; I purveyed her a place full precious; She flit, I followed; I loved her so That I suffered these paines piteous, Quia amore langueo. 'My fair love and rny spouse bright, I saved her fro beating and she hath me bet; I clothed her in grace and heavenly light, This bloody surcote she hath on me set. For longing love I will not let; Sweete strokes be these, lo! I have loved her ever as I het, Quia amore langueo. 30 30 Medieval English Lyrics, ed. R. T. Davies, No. 62, 148-151; vgl. Middle English Lyrics, ed. Maxwell S. Luria und Richard L. Hoffman, Norton Critical Edition (New York: 93 Wendungen aus dem Hohenlied finden sich traditionell in vielen Marienliedern, so z.B. das „tota pulchra“ (Hld. 4,7 et passim) und weitere Wendungen in “The infinite power essenciall”. 31 Richard Crashaw schmilzt in die “Hymn To the Glorious Assumption of Our Blessed Lady” Verse aus Hld. 2,0 und weiteren Stellen ein: Richard Crashaw In the Glorious Assumption of our Blessed Lady The Hymn Hark! she is call'd, the parting houre is come. Take thy Farewell, poor world! heavn must goe home. A peice of heav'nly earth; Purer and brighter Then the chast starres, whose choise lamps come to light her While through the crystall orbes, clearer then they She climbes; and makes a farre more milkey way. She's calld. Hark, how the dear immortall dove 5,2,cf. 2,10; 2,14 Sighes to his sylver mate rise up, my love! 4,7 Rise up, my fair, my spotlesse one! 2,10ff. The winter's past, the rain is gone, The spring is come, the flowrs appear No sweets, but thou, are wanting here. Come away, my love! Come away, my dove! cast off delay, The court of heav'n is come To wait upon thee home; Come come away! The flowrs appear. Or quickly would, wert thou once here. The spring is come, or if it stay, 'Tis to keep time with thy delay. The rain is gone, except so much as we Detain in needfull teares to weep the want of thee. The winter's past. Or if he make lesse hast, W.W. Norton, 1974), No. 196, p. 187-189. The Faber Book of Religious Verse, ed. Helen Gardner (London: Faber, 1972, repr.), No. 20, p. 56-60 und Anmerkungen 345. 31 BM Addit. S 20059, fol. 99 rv , “Mary, Queen of Heaven”, Ibid., No. 104, p. 199f.; “The Coronation of the Virgin, I”, Religious Lyrics of the XV Century”, ed. Carleton Brown, No. 38, p. 67ff. 94 His answer is, why she does so. If sommer come not, how can winter goe? Come away, come away. The shrill winds chide, the waters weep thy stay; The fountains murmur; and each loftyest tree Bowes low'st his heavy top, to look for thee. Come away, my love. Come away, my dove &c. She's call'd again. And will she goe? When heavn bidds come, who can say no? Heavn calls her, and she must away. Heavn will not, and she cannot stay. GOE then; goe GLORIOUS . On the golden wings Of the bright youth of heavn, that sings Under so sweet a Burthen. Goe, Since thy dread son will have it so. And while thou goest, our song and we Will, as we may, reach after thee. HAIL , holy Queen of humble hearts! We in thy prayse will have our parts. 32 Elizabeth Clarke demonstriert, wie unterschiedliche Hohelied-Exegesen (Allegoresen) im England des 17. Jahrhunderts programmatisch in den Auseinandersetzungen zwischen radikalen (Nonconformists) und konservativen Vertretern der anglikanischen Kirche eingesetzt worden sind. Im Zentrum steht sowohl das Bild der ‚Braut‘, die - je nach Parteinahme unterschiedlich - für die wahre Kirche steht, und die “mystical marriage”, als auch der “enclosed garden”. Dabei erweisen sich weniger der Bibeltext selbst als seine Auslegungen und Kommentierungen als Bezugsgröße. Die Evidenz postulierter Bezüge zum Hohenlied beispielsweise in Donnes Sonetten 14 (“Batter my Heart”) oder 18 (“Show my, dear Christ, thy spouse”) fällt deshalb bei einer Nachprüfung direkt am Bibeltext eher bescheiden aus, dagegen können zeitgenössische Interpretationen durchaus als Prätexte angenommen werden. 33 32 Version 1652; The Complete Poetry of Richard Crashaw, ed. George Walton Williams (New York: Doubleday, 1970), No. 73, p. 115ff. 33 Elizabeth Clarke, Politics, Religion and the Song of Songs in Seventeenth-Century England (Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2011), 2ff., vgl. bes. 29-36. 95 2.4 Hortus In „Quia amore langueo“ findet sich in Christi Liebeswerben um die Seele auch die Vorstellung des Gartens aus dem Hohenlied (Str. 11): 'My sweete spouse, will we go play? Apples be ripe in my gardene; I shall clothe thee in new array, Thy meat shall be milk, honey, and wine. Now, dear soul, let us go dine, Thy sustenance is in my scrippe, lo! Tarry not now, fair spouse mine, Quia amore langueo. 34 Das Motiv des Gartens und die Aufforderung an die Geliebte, dem Sprecher in den Garten zu folgen, kommt im Hohenlied in mehrfacher variierter Wiederholung vor. Die zitierte Strophe kombiniert verschiedene Stellen aus dem Hohenlied: die Aufforderung an die Geliebte aus 2,10, den schon mehrfach angeführten Vers 4,8, aber auch 5,1: 5,1 veniat dilectus meus in hortum suum et comedat fructum pomorum suorum veni in hortum meum soror mea sponsa messui murram meam cum aromatibus meis comedi favum cum melle meo bibi vinum meum cum lacte meo comedite amici bibite et inebriamini carissimi - 35 und weitere Stellen: 6,1 dilectus meus descendit in hortum suum ad areolam aromatis ut pascatur in hortis et lilia colligat 6,2 ego dilecto meo et dilectus meus mihi qui pascitur inter lilia 36 34 Medieval English Lyrics, ed. R. T. Davies, No. 62, p. 148-151; vgl. Middle English Lyrics, ed. Maxwell S. Luria und Richard L. Hoffman, Norton Critical Edition (New York: W.W. Norton, 1974), No. 196, p. 187-189. The Faber Book of Religious Verse, ed. Helen Gardner (London: Faber, 1972, repr.), No. 20, p. 56-60 und Anmerkungen p. 345. 35 KJV: “I am come into my garden, my sister, my spouse: I have gathered my myrrh with my spice; I have eaten my honeycomb with my honey; I have drunk my wine with my milk: eat, O friends; drink, yea drink abundantly, O beloved.” 36 KJV: “My beloved is gone down into his garden, to the beds of spices, to feed in the gardens, and to gather lilies. / I am my beloved’s, and my beloved is mine: he feedeth among the lilies.” 96 Oder auch: 6,10 descendi ad hortum nucum ut viderem poma convallis ut inspicerem si floruisset vinea et germinassent mala punica 37 Das Motiv des Gartens erscheint zusammen mit dem des Weinbergs vielfältig im Hohenlied: einerseits als „gegenständlicher [Wein]garten“, andererseits als „Metapher für den Leib der Frau“. In letzterer Funktion gilt es als „Spezifikation der archaischen Identifikation der Frau mit Erde und Acker“. 38 Die Kernstelle für die zweite Bedeutung ist Hld. 4,12-15: 4,12 hortus conclusus soror mea sponsa hortus conclusus fons signatus 4,13 emissiones tuae paradisus malorum punicorum cum pomorum fructibus cypri cum nardo 4,14 nardus et crocus fistula et cinnamomum cum universis lignis Libani murra et aloe cum omnibus primis unguentis 4,15 fons hortorum puteus aquarum viventium quae fluunt impetu de Libano 39 Die zur Formel gewordene Wendung „hortus conclusus“ ist nicht nur fester Bestandteil der Prädikationen Marias in der kirchlichen Dogmatik und Liturgie, sie ist darüber hinaus außerordentlich produktiv in Malerei und Literatur geworden. Sie weist zusammen mit „fons signatus“ auf ein Keuschheitsideal, das im katholischen Raum dominant gesetzt wurde, das in seiner Vereinseitigung und Ausschließlichkeit allerdings in Kontrast zum gleichermaßen im Hohenlied an vielen Stellen thematisierten Liebesvollzug steht, so z.B. in unmittelbarem Anschluß an die zitierte Passage. Durchwegs wird die Schönheit der Geliebten in Vergleichen und Metaphern des Exotischen, Erlesenen, Kostbaren gefeiert, entsprechend erlesen erscheinen auch die Attribute des Gartens wie des Weinbergs. 37 KJV; “I went down into the garden of nuts to see the fruits of the valley, and to see whether the vine flourished, and the pomegranates budded.” 38 H.-P. Müller, 15. 39 KJV: “A garden inclosed is my sister, my spouse; a spring shut up, a fountain sealed. Thy plants are an orchard of pomegranates, with pleasant fruits; camphire, with spikenard, / Spikenard and saffron; calamus and cinnamon, with all trees of frankincense; myrrh and aloes, with all the chief spices: / A fountain of gardens, a well of living waters, and streams from Lebanon.” 97 Zum ‚Garten‘ gehört die ‚Quelle‘, damit man von einer Oase, einem paradiesischen Bezirk verschonter Wirklichkeit, sprechen kann. Wieviel davon noch Vergleich ist, wieviel einfach Atmosphärenanzeiger, bleibe dahingestellt: die Geliebte ist ein Paradiesgarten (s. zu 4, 10f.), und die Liebe sucht einen paradiesischen Garten für sich. 40 Robert Alter zeigt in einer faszinierenden Analyse von Hld. 4, wie Attribute der Landschaft und solche der Geliebten ineinander übergehen, wie die Grenzen zwischen Bildhälfte und Sachhälfte fluid werden: What I should like to follow out more closely, however, is the wonderful transformations that the landscape of fragrant mountains and gardens undergoes from line 11 [entsprechend 4,6] to the end of the poem. The first mountain and hill - rarely has a formulaic word-pair been used so suggestively - in line 11 are metaphorical, referring to the body of the beloved or, perhaps, as some have proposed, more specifically to the mons veneris. [ … ] From the body as landscape [ … ] the poem moves to an actual landscape with real rather than figurative promontories. … The last thirteen lines of the poem, as the speaker moves toward the consummation of love intimated in lines 26-29 [entsprechend 4,16- 5,1], reflect much more of an orchestration of the semantic fields of the metaphors: fruit, honey, milk, wine, and, in consonance with the sweet fluidity of this list of edibles, a spring of fresh flowing water and all the conceivable spices that could grow in a well-irrgated garden. 41 Hier liegen Wurzel und Antrieb für die Bilddarstellungen des hortus conclusus seit dem Mittelalter und, wie nicht anders zu erwarten, finden sich solche Attribute gleichfalls in literarischen Darstellungen wieder. Dabei können in der Verknüpfung von üppiger Natur und Liebeserfüllung die deskriptiven Passagen häufig weit über das im Hohenlied Vorgegebene hinaus wuchern. Eine schwankhaft-komische Variante des Paradiesgartens und der Liebeserfüllung aus dem Hohenlied findet sich in der “Merchant’s Tale” aus Chaucers Canterbury Tales. 42 Gegen den guten Rat seiner Freunde hat der 40 H.-P. Müller, a.a.O., 51. 41 Robert Alter, The Art of Biblical Poetry, Kap. VII: “The Garden of Metaphor” (New York: Basic Books, 1985), 185-203; hier 198-201. 42 Vgl. zum Folgenden Geoffrey Chaucer, Die Canterbury-Erzählungen mittelenglisch und deutsch, übers. Fritz Kemmler, mit Erläuterungen von Jörg O. Fichte, 3 vols. 98 alte Ritter Januarius die junge May geheiratet, wobei der Erzähler schon bei der drastischen Schilderung der Hochzeitsnacht keinen Zweifel daran läßt, wie wenig passend diese Beziehung ist. May läßt sich denn auch bald mit dem Diener Damyan ein. Die Geschichte treibt auf ihren Höhepunkt zu im umfriedeten Garten des Januarius, dessen Schönheit per Unsagbarkeitstopos und mit Bezug auf den Rosenroman gerühmt wird: He made a gardyn, walled al with stoon; So fair a gardyn woot I nowher noon. For, out of doute, I verraily suppose That he that wroot the Romance of the Rose Ne koude of it the beautee wel devyse; Ne Priapus ne myghte nat suffise, Though he be god of gardyns, for to telle The beautee of the gardyn and the welle That stood under a laurer alwey greene. (IV, 2030-2037) Die Einladung des liebeskranken und eifersüchtigen, inzwischen aber erblindeten Januarius an May zu einer Liebesbegegnung im Garten - wie der Erzähler sagt, in “olde lewed wordes” (IV,2149) - bedient sich u.a. der hier parodistisch eingesetzten direkten Zitate aus dem Hohenlied: But now to purpos: er that dayes eighte Were passed [of] the month of [Juyn], bifil That Januarie hath caught so greet a will, Thurgh eggyng of his wyf, hym for to pleye In his gardyn, and no wight but they tweye, That in a morwe unto his May seith he: “Rys up, my wyf, my love, my lady free! Hld. 2,10ff. The turtles voys is hert, my dowve sweete; The wynter is goon with alle his reynes weete. Com forth now, with thyne eyen columbyn! Hld. 1,15 How fairer been thy brestes than is wyn! Hld. 4,1ff. The gardyn is enclosed al aboute: Com forth, my white spouse! Out of doute (München: Goldmann, 1989), bes. J. O. Fichtes „Einleitung zur Merchant’s Tale“, 3, 1635-1647. 99 Thou hast me wounded in myn herte, O wyf! No spot of thee ne knew I al my lyf. Hld. 4,7 Com forth, and lat us taken oure disport; I chees thee for my wyf and my confort.” (IV, 2132-2148) Die Geschichte endet damit, daß May mit Januarius’ Hilfe einen Birnbaum ersteigt, wohin sie zuvor Damyan dirigiert hatte. Januarius, der von Pluto seine Sehkraft zurück erlangt, muß mit ansehen, wie sie sich dort mit Damyan vergnügt. Auch hier mag eine Stelle aus dem Hohenlied Pate gestanden haben: 7,7 statura tua adsimilata est palmae et ubera tua botris 7,8 dixi ascendam in palmam adprehendam fructus eius et erunt ubera tua sicut botri vineae et odor oris tui sicut malorum 43 - wobei mit Robert Alter und anderen das Besteigen des Palmbaums als Metapher für den Liebesvollzug zu verstehen ist. 44 Jörg Fichte vermutet in den Schlußversen der “Merchant’s Tale” - Januarius streichelt zärtlich den Bauch seiner Frau (IV, 2413) - einen verhüllten Hinweis auf ihre Schwangerschaft mit einem Kind von Damyan. 45 Diese Deutung erscheint plausibel, zumal im Blick auf einen anderen mittelalterlichen Text, in dem die Personen- und Motiv-Konstellation der “Merchant’s Tale” überdeutlich durchgespielt wird: I have a newe garden I have a newe garden, And newe is begunne: Swich another garden Know I not under sunne. In the middes of my garden Is a peryr set, 43 KJV: “This thy stature is like to a palm tree, and thy breasts to clusters of grapes I said, I will go up to the palm tree, I will take hold of the boughs thereof: now also thy breasts shall be as clusters of the vine, and the smell of thy nose like apples … ” 44 Alter, 195f., 198. 45 Fichte, 3,1647. 100 And it wille non per bern But a per Jenet. The fairest maide of this town Preyed me For to griffen her a grif Of mine pery tree. Whan I hadde hem griffed, Alle at her wille, The win and the ale She dede in fille. And I griffed her Right up in her home: And by that day twenty wowkes It was quik in her womb. That day twelfus month That maide I met: She seid it was a per Robert But non per Jonet! 46 Andrew Marvells Gedicht “The Garden” und seine lateinische Fassung “Hortus”, dessen Deutung bis heute zu höchst kontroversen Stellungnahmen geführt hat, 47 wird ebenfalls häufig in diesem Kontext gesehen, so daß sich die Formel hortus conclusus immer wieder in einschlägigen Inter- 46 Medieval English Lyrics, ed. R.T. Davies, No. 69, p. 158; vgl. No. 143: William Dunbar, “Sweet Rose of Vertue”. 47 Aus der immens angeschwollenen Literatur seien nur wenige Titel genannt: William Empson, Some Versions of Pastoral ([ 1 1935] London, 3 1968), 126-133; Frank Kermode, “The Argument of Marvell’s ‘Garden’,” Essays in Criticism 2 (1952), 225ff.; Stanley Stewart, The Enclosed Garden: The Tradition and the Image in Seventeenth-Century Poetry (Madison: U. of Wisconsin P., 1966); J.B. Leishman, The Art of Marvell’s Poetry (London: Hutchinson, 1966); Harold E. Toliver, Marvell’s Ironic Vision (New Haven: Yale U.P., 1965); Donald M. Friedman, Marvell’s Pastoral Art (London; Routledge, 1970); C.A. Patrides, ed., Approaches to Marvell: The York Tercentenary Lectures (London, 1978); John Klause, The Unfortunate Fall: Theodicy and the Moral Imagination of Andrew Marvell (Hamden, 1983); Frank Kermode and Keith Walker, eds., Andrew Marvell (Oxford, 1990); Annabel Patterson, Andrew Marvell (Plymouth, 1994); Nicholas Murray, Andrew Marvell: World Enough and Time (London: Abacus, 2000). 101 pretationen findet. Allerdings erscheint es angezeigt, diesen Ansatz kritisch zu prüfen. Der Garten ist bei Marvell programmatisch der Rückzugsort von der Geschäftigkeit und Eitelkeit der Welt in eine Existenzform der Ruhe (“repose”) und Einsamkeit (“solitude”), der vita contemplativa: How vainly men themselves amaze To win the palm, the oak, or bays; And their uncessant labours see Crowned from some single herb or tree, Whose short and narrow verged shade Does prudently their toils upbraid; While all flow’rs and all trees do close To weave the garlands of repose. Fair Quiet, have I found thee here, And Innocence thy sister dear! Mistaken long, I sought you then In busy companies of men. Your sacred plants, if here below, Only among the plants will grow. Society is all but rude, To this delicious solitude. (Andrew Marvell, “The Garden”, Str. 1-2) 48 Der Garten ist aber auch der Rückzugsort von der Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau, ein Paradies vor der Erschaffung von Eva: Such was that happy garden-state, While man there walked without a mate: After a place so pure, and sweet, What other help could yet be meet? But ‘twas beyond a mortal’s share To wander solitary there: Two Paradises ‘twere in one To live in Paradise alone. (Str. 8) 48 The Poems of Andrew Marvell, ed. Nigel Smith (Harlow: Longman, rev. ed. 2007), “The Garden” 153-159; “Hortus” 160-162. 102 Die Natur beschenkt den Einsamen mit ihren Früchten; nur Blumen ‚verführen‘ ihn: What wondrous life in this I lead! Ripe apples drop about my head; The luscious clusters of the vine Upon my mouth do crush their wine; The nectarene, and curious peach, Into my hands themselves do reach; Stumbling on melons, as I pass, Insnared with flow’rs, I fall on grass. (Str. 5) Marvells Garten - zugleich Paradiesgarten (Garden of Eden) und locus amoenus ohne irdische Liebe - weist prima vista keine direkten Bezüge zum Hohenlied auf, zumal die Sprechsituation grundlegend anders ist: hier der einsame Sprecher an seinem Rückzugsort, dort der Dialog zweier Liebender in einer Reihe von Hochzeitsliedern. Gleichwohl ist mit einer vielfältigen Mischung von Themen und Bildern zu rechnen, die sich aus christlichen wie antiken Traditionen speisen und eben auch das Hohelied einschließen: Der Paradiesgarten altiranischen Ursprungs als ummauerter Rückzugsort, als der rauhen Natur abgerungener Kulturort, überlagert auch die alttestamentarische Darstellung des Garten Eden, der in den ersten drei Kapiteln des Buches Genesis nur knapp beschrieben ist, und schmückt sie aus. 49 The general correspondence we have noted between the literary myth of a primitive Golden Age and the Christian vision of pre-lapsarian Eden can be documented more precisely with regard to their component elements. The most important of these is probably the figure of the garden, the setting that lies at the heart of the myth, the scene in which takes place the drama of the birth of the mind. The list of classical gardens that represented a place of natural perfection long lost or long sought-after includes the Garden of the Hesperides, the garden of the palace of King Alcinous in Homer’s Odyssey, and others catalogued in Book IV of Paradise Lost and Milton’s purpose in comparing them to Eden is to show how the primal Christian garden surpasses them all in 49 Vgl. u.a. Bernd Janowski und Beate Ego, eds., Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte, (Tübingen: Mohr Siebeck, 2001, repr. 2004), 281ff. 103 beauty, and provides an archetypal model for all subsequent literary and spiritual gardens. The traditional interpretations of Canticles, again, created a store-house of emblems and metaphors which could be applied to real and imaginary gardens; each was to be seen as a version, however inadequate, of the protected and ultimately beautiful locus amoenus in which Christ woos the beloved spirit. And within this large metaphoric identification of the garden of Canticles with the devout spirit there developed the narrower, but widely influential, tradition of the hortus conclusus, the enclosed garden as a symbol of the Virgin, the contemplative retreat wherein was fostered the quest for Spiritual purity and the wisdom lost through Adam’s sin. 50 Im spätantiken Traditionszusammenhang wirkt die Vorstellung einer arcadischen Landschaft, eines locus amoenus, über Jahrhunderte auf die Naturdarstellung - von der Kulisse für die pastorale Dichtung bei Theokrit und Virgil, davon losgelöst in der Ekphrasis bei Petronius über die spätlateinische Lyrik (Tiberianus) bis zu den Rhetoriklehren des Mittelalters. 51 Aus ähnlich verzweigten Quellen speist sich die Parodie auf die Paradiesvorstellungen im Schlaraffenland Sebastian Brants 52 , das seinerseits wiederum in die Tradition der Utopien eingegangen ist. Das Vorgehen der Interpreten hinsichtlich der intertextuellen Bezüge von Marvells “The Garden” zum Hohenlied ist in methodischer Hinsicht aufschlußreich und kann deshalb zur Vertiefung des Ansatzes dieses Buches dienen. Zwei Fallbeispiele beleuchten die Problematik. Für Frank Kermode 53 , dessen ‘no nonsense approach’ mit vielen geistreichen Annahmen von Interpreten aufräumt, spielt das Hohelied hier praktisch keine Rolle. Kermode geht zwar von einem komplexen, vielfach vermittelten Geflecht von Traditionsbezügen aus, betont dabei die Notwendigkeit, die Konventionen des jeweiligen Textgenres zu beachten, anstatt sich auf eine bestimmte philosophische Quelle - hier etwa Plotin - zu 50 Donald M. Friedman, a.a.O., 12. 51 Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, vgl. Kap. 10 „Die Ideallandschaft“, §6 „Der Lustort“: 202ff. 52 Sebastian Brant, Schlaraffenland (1494); vgl. “The Land of Cocaygne” in MS Harley 913 und die bis in die Gegenwart reichende literarische Tradition. 53 Frank Kermode, “The Argument of Marvell’s ‘Garden’”, EiC 2 (1952), 225-241; repr. Seventeenth-Century English Poetry: Modern Essays in Criticism, ed. William R. Keast (New York: OUP, 1962), 290-304. 104 beziehen. Auf diese Weise werden freilich von vornherein andere denkbare Bezüge ausgeschlossen. Der von Kermode gewählte Deutungsansatz für Marvells “The Garden” ist “a genre in a formal refutation of the genre” (294). Der für Marvells Gedicht anzusetzende Genrebezug ist ‘naturalism’, die Vorstellung des “garden of innocent sexuality” (295) in der Tradition der libertinistischen französischen Jouissance Dichtung, für die Saint- Amant (1594-1661) - “La Jouissance” in der Übersetzung von Thomas Stanley -, sodann Randolph, Carew und Lovelace stehen. Die Gegenposition bildet die “poetry of the meditative garden”, die von Saint-Amants “La Solitude” in der Übersetzung von Fairfax und Katharine Phillips hergeleitet wird: The garden, the place of unfallen innocence, is identified with a naturalist glorification of sensuality. The garden which is formally opposed to this one by Marvell is the garden where sense is controlled by reason and the intellect can contemplate not beauty but heavenly beauty. (295) Diese Grundthese bestimmt die Detailanalyse von Marvells Gedicht und führt zu diesem Resümee: This ends the attempt to read “The Garden” as a poem of a definite historical kind and to explore its delicate allusions to a genre of which the “norms” are within limits ascertainable. (304) Anders Stanley Stewart: 54 [ … ] important aspects of poems like Herbert’s “Paradise” and Marvell’s “Garden” are not fully understood until seen in the context of the allegorical tradition of the Song of Songs. (10) In einer Reihe von grundlegenden Kapiteln widmet sich Stewart der Hohelied-Rezeption im England des 16. Jahrhunders - bei Michael Drayton, Henry Ainsworth, William Baldwin, Jude Smith oder William Loe - und des 17. Jahrhunderts, u.a. bei Gervase Markham, Robert Croft, Joseph Hall und Francis Quarles, wobei sich der nicht unerwartete Befund ergibt, daß die allegorisierende Auslegungstradition dominiert, die die Liebe im Hohenlied spiritualisiert. Eine Konvergenz von weltlicher Erotik und devotionaler Literatur zeigt sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts, wenn wie z.B. in Fran- 54 Stanley Stewart, The Enclosed Garden: The Tradition and the Image in Seventeenth- Century Poetry (Madison, WI: U. of Wisconsin P., 1966). 105 cis Quarles’ “Sions Sonets” (1625) devotionale Texte die Sprache weltlicher Liebeslyrik übernehmen (7). Breiten Raum nimmt die Brautmystik und ihre Ikonographie in Textwie Bilddarstellungen ein, wobei über die Prädikationen „hortus conclusus“ und „fons signatus“ die Gartendarstellung ebenfalls spiritualisiert wird, 55 bis hin zur typologischen Entsprechung von Garden of Eden und dem New Jerusalem der Apokalypse bei Thomas Peyton (1629) oder Robert Hill (1604). Dieses breite ideengeschichtliche Umfeld wird, so die These, als “range of associated meanings” (152) mit Gewinn für die Interpretation von Marvells “The Garden” eingesetzt. Es erscheint plausibel, daß Marvell mit der allegorisierenden Auslegungstradition des Hohenlieds über die Hohelied-Versparaphrasen seines Gönners Fairfax vertraut war. Zwar behauptet Stewart kaum je intertextuelle Bezüge im engen Sinne, doch eröffnet ihm die Formel “associated meanings” in methodischer Hinsicht den Spielraum und die Öffnung für ein postuliertes vertieftes Textverständnis: When “The Garden” is read in the context of the Song of Songs, the poem is richer than most recent criticism has allowed, but that richness is seen as the product of a distrinctly seventeenth-century sensibility. (182) In diesem Zusammenhang diskutiert wurde auch Marvells Gedicht “The Nymph Complaining for the Death of her Fawn”. Die Kritik hat sich mit der scheinbar simplen Textoberfläche zum Thema “the feeling of a girl for her pet” 56 nicht zufrieden gegeben und vielfältige allegorische Bezüge politischer bis persönlicher Art dahinter vermutet. Debattiert wurde der Hohelied-Bezug, der vor allem auf diese Passage gestützt wird: I have a garden of my own, But so with roses overgrown, And lilies, that you would it guess To be a little wilderness. And all the springtime of the year It only lovèd to be there. 55 Als wichtige Quellen genannt werden u.a. Henry Hawkins, Partheneia Sacra (1633), Ralph Austen, The Spiritual Use of a Garden (1657), William Prynne, “A Christian Paradise” (1641), The Song of Peter Damian. 56 T.S. Eliot, “Andrew Marvell” [TLS, 31. 3.1921], Selected Prose of T. S. Eliot, ed. Frank Kermode (London: Faber, 1975, repr.), 168. 106 Among the beds of lilies, I Have sought it oft, where it should lie, Yet could not, till itself would rise, Find it, although before mine eyes. For, in the flaxen lilies' shade, It like a bank of lilies laid. Upon the roses it would feed, Until its lips ev'n seem to bleed: And then to me 'twould boldly trip, And print those roses on my lip. But all its chief delight was still On roses thus itself to fill: And its pure virgin limbs to fold In whitest sheets of lilies cold. Had it lived long, it would have been Lilies without, roses within. 57 Die Debatte zeigt einmal mehr, daß, gerade weil von einer weit verbreiteten Kenntnis des Hohenliedes im 17. Jahrhundert auszugehen ist, der Nachweis eindeutiger Prätext-Text-Beziehungen kaum gelingen kann, daß vielmehr mit weit gespannten, diffusen Traditionsbeziehungen zu rechnen ist. Eine vergleichbare Problematik stellt die Diskussion von Thomas Carews Gedicht “A Rapture” dar, dessen ausgreifende Metaphorik in der Donne- Nachfolge eindeutige erotische Phantasien kaum verhüllt. Hier geht es besonders um die ‚Bienen/ Blumenmetaphorik‘ der Verse 55ff. Then, as the empty bee, that lately bore Into the common treasure all her store, Flies 'bout the painted field with nimble wing, Deflow'ring the fresh virgins of the spring, So will I rifle all the sweets that dwell In my delicious paradise, and swell 57 Andrew Marvell, “The Nymph Complaining for the Death of Her Fawn”, ll.71-92; Nigel Smith, ed., The Poems of Andrew Marvell (Harlow: Longman, rev. ed. 2007), 65ff.; vgl. dazu Karina Williamson, “Marvell’s The Nymph Complaining for the Death of Her Fawn: a reply”, MP 51 (1954), 268-271; Daniel Jaeckle, “Marvell’s Dialogized Nymph”, SEL 43.1 (2003), 137-150. Elizabeth Clarke, Politics, Religion and the Song of Songs in Seventeenth-Century England (Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2011), 101- 104. 107 My bag with honey, drawn forth by the power Of fervent kisses from each spicy flower. I'll seize the rose - buds in their perfumed bed, The violet knots, like curious mazes spread O'er all the garden, taste the ripen'd cherry, The warm firm apple, tipped with coral berry : Then will I visit with a wandering kiss The vale of lilies and the bower of bliss, And where the beauteous region both divide Into two milky ways, my lips shall slide Down those smooth alleys, wearing as I go A tract for lovers on the printed snow; Thence climbing o'er the swelling Apennine, Retire into thy grove of eglantine, Where I will all those ravished sweets distil Through Love's alembic, and with chemic skill From the mix'd mass one sovereign balm derive, Then bring that great elixir to thy hive. Dazu Elizabeth Clarke: The garden, it seems, represents the body of the beloved, a fact reinforced by Carew’s designation of parts of her body as physical entities. [ … ] At the start of the poem, Carew’s desire was encrypted in a kind of feminism, comparing the enclosure of the garden, ‘free woman’, with the enclosure of common lands by possessive landowners; within the garden, female deities are supposed to reign, ‘Queens of Love, and Innocence, / Beautie and Nature’. However, as the sexual fantasy becomes more explicit, all pretence of mutuality disappears: the woman becomes the object of invasion and pillage [ … ] However, this garden differs from the Song of Songs in that the key partners in marriage, husband and wife, are words never mentioned here. [ … ] Carew knows that his Elizium is the very opposite of the Biblical garden. In this context, his invocation of the Song of Songs has an ironic resonance that helps to point his message, which is that true in- 108 nocence, as opposed to the masque emblem Honour, is about free sexual enjoyment. 58 Ein direkterer Bezug auf das Hohelied kann da angenommen werden, wo neben der Beschreibung des Gartens auch die Sprechsituation - Einladung eines Sprechers / einer Sprecherin an den/ die Geliebte(n) - vergleichbar ist. Alfred Tennysons “Come into the Garden, Maud”, eine häufig in Anthologien isolierte Sektion aus dem Monodrama Maud (1854), ist ein Beispiel für einen solchen, wenn auch vermittelten Bezug: Das Gedicht repräsentiert eine Stufe im emotionalen Erleben eines emotional destabilierten Ich- Sprechers zwischen Sehnsucht und Wahnsinn, der sich in einer Reihe von Monologen in hysterischer Tonlage selbst ausspricht. Die Zitate und Anklänge an das Hohelied dienen in ironischer Brechung zur Markierung des Abstands zwischen einer klassischen Situation der Liebeserfüllung und einer durchaus problematischen Existenz in der Mitte des 19. Jahrhunderts. 59 Carews “A Rapture” kombiniert die Gartenmetapher mit dem Körperteil- Schema, um das es im nächsten Abschnitt geht, ein Verfahren, das sich, hier beschränkt auf das Gesicht, schon bei Thomas Campion findet. There is a garden in her face, Where roses and white lilies grow, A heavenly paradise is that place, Wherein all pleasant fruits do flow. There cherries grow, which none may buy Till Cherry ripe themselves do cry. Those cherries fairly do enclose Of orient pearl a double row, Which when her lovely laughter shows, they look like rosebuds, filled with snow. Yet them nor peer nor prince can buy, Till Cherry ripe themselves do cry. 58 Clarke, ibid. 99f.; vgl. Paula Johnson, “Carew’s ‘A Rapture’: The Dynamics of Fantasy”, SEL 16.1 (1976),147. 59 Robert Inglesfield, “Tennysons’s ‘Come into the garden, Maud’ and the Song of Solomon”, Victorian Poetry, 37 (1999),121-123. 109 Her eyes like angels watch them still; Her brows like bended bows do stand, Threatening with piercing frowns to kill All that attempt with eye or hand those sacred cherries to come nigh, Till Cherry ripe themselves do cry. 2.5 Descriptio pulchritudinis Das Hohelied hat in der lateinischen weltlichen Liebeslyrik des Mittelalters eine nicht zu unterschätzende Wirkung entfaltet, während in der volkssprachlichen Liebeslyrik durch die vorherrschende allegorische Auslegungstradition direkte Bezüge zum Hohenlied seltener sind. 60 Peter Dronke demonstriert in seiner über die gesamte europäische Literatur ausgreifenden Studie Medieval Latin and the Rise of European Love-Lyric die Konvergenz der Sprache der weltlichen - amour courtois - und der geistlichen Liebesdichtung, zugleich die zunehmende Verfeinerung der Liebeslyrik von den ersten Troubadours ab dem 11. Jahrhundert bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, eine Entwicklung, die für ihn bei Dante („La Donna Gentile“ in Convivio) kulminiert. 61 Unter den lateinischen Texten findet sich der Preis der Frauenschönheit - descriptio pulchritudinis - in Gestalt eines Katalogs oder einer summa, z.B. in „Sidus clarum puellarum“ aus dem 12. Jahrhundert oder auch in „Musa iocosa veni“: Musa iocosa veni, mihi carmina suggere vati Fingere quo possim subsisto qui novitati! Virgo decora nimis, laudabilis et generosa, Quam peramabilis, atque decora sit, et speciosa! Hec fulgore micat, facie prefulget honora, Eius cesaries est certe nigricolora, 60 “While … the writers of secular Latin love lyrics made substantial use of Canticles, the vernacular poets in all Western Europe were more chary of using the sacred love poem, even to the point, one might think, of ignoring it. It is only by the broadest interpretation of Canticles influence that it may be seen as playing an important part in the vernacular tradition.” (James I. Wimsatt, “Chaucer and the Canticle of Canticles”, 83). 61 Peter Dronke, Medieval Latin and the Rise of European Love-Lyric, 2 vols. (Oxford: OUP, 2 1968). 110 Libera frons splendet, multo preclara deco- Lumina sub qua sunt vehementi compta nito- Maxille radiant fulvo splendente colo- Equalis nasus non parvo dignus hono- Carnea labra rubent redolentia semper odo- Sermonisque favus distillat ab illius o- Eius et est sermo solummodo plenus amo- Est et mens eius nullo detempta mero- Prerutilat collum cum gutture candidio- Emicat et pectus thesauro fulgidio- Brachia prefulgent, candoris fulgida flo- Palma, manus, digiti sunt lactis candida mo- Corporis in specie cunctis nitet hec melio- Sed quid dicemus de re laudabilio- Cum nequeat dici de causa nobilio- Que latet absconse casto precincta pudo- Hic asstant coxe cum re peramabilio- Crura quibus subsunt, magno repleta vigo- Que siquidem nullo lassantur victa labo- Cuncta pedes portant, fulgentes absque pedo- Dronke sieht hierin eine frühe Parodie eines rhetorischen Typus, der sich nur wenig später auch in Matthaeus von Vendômes Preis auf Helena wiederfindet, später dann in Hoccleves “La Commendacion de ma Dame” oder sogar in Shakespeares Sonett 130. Wichtig in diesem Zusammenhang ist das volkssprachliche, offenbar auf das 13. Jahrhundert datierte “Blow, northern wynd” aus dem Manuskript Harley 2253, dem Leo Spitzer eine klassisch gewordene Interpretation gewidmet hat. 63 Die Strophen 2-4 arbeiten zuerst das ‚Körperteilschema‘ durch, danach findet sich in Strophe 6 ein weiterer Katalog, in dem nun die inneren, geistig-moralischen Werte mit kostbaren Steinen und Blumen belegt werden, vergleichbar dem Blumenkatalog, wie er sich später z.B. in Spensers Amoretti 64 wiederfindet. 62 Oxford, Laud lat. 25, fol. 3 r , zitiert nach Dronke, ibid., 450f. 63 Leo Spitzer, “Explication de Texte, Applied to Three Great Middle English Poems”, Archivum Linguisticum 3 (1951), 1-22, 137-165. re 62 111 Wiþ lokkes lefliche ant longe, wiþ frount ant face feir to fonde, wiþ murþes monie mote heo monge, þat brid so breme in boure, wiþ lossom eye grete ant gode, wiþ browen blysfol vnder hode. He þat reste him on þe rode þat leflich lyf honoure! Blou, &c. Hire lure lumes liht ase a launterne anyht, hire bleo blykyeþ so bryht, so feyr heo is ant fyn. A suetly suyre heo haþ to holde, wiþ armes, shuldre ase mon wolde ant fyngres feyre forte folde. God wolde hue were myn! Middel heo haþ menskful smal; hire loueliche chere as cristal, þe es, legges, fet, ant al ywraht wes of þe beste. A lussum ledy lasteles þat sweting is ant euer wes; a betere burde neuer nes yheryed wiþ þe heste. Heo is dereworþe in day, graciouse, stout, ant gay, gentil, iolyf so þe iay, worhliche when heo wakeþ. Maiden murgest of mouþ; bi est, bi west, by norþ ant souþ, þer nis fiele ne crouþ þat such murþes makeþ. Heo is coral of godnesse, heo is rubie of ryhtfulnesse, heo is cristal of clannesse, 112 ant baner of bealte; heo is lilie of largesse, heo is paruenke of prouesse, heo is solsecle of suetnesse, ant ledy of lealte. 64 Angesichts der von Dronke nachgezeichneten komplexen Überlieferungslage, die die gesamte europäische Literatur umfaßt, erscheint das Hohelied hier nur als ein Einflußfaktor unter anderen. 2.6 Beschreibungslied und Blason : Shakespeare und Spenser Im Hohenlied findet sich mehrere Stücke vom Typ Beschreibungslied oder Bewunderungslied 65 , in dem der Mann die Gestalt der Frau bewundernd beschreibt. Im populärsten dieser Stücke (Hld. 4,1-7: „Quam pulchra es, amica mea“) folgt die Beschreibung dem Blick ‚von oben nach unten‘: 4,1 Behold, thou art fair, my love; behold, thou art fair; thou hast doves' eyes within thy locks: thy hair is as a flock of goats, that appear from mount Gilead. 4,2 Thy teeth are like a flock of sheep that are even shorn, which came up from the washing; whereof every one bear twins, and none is barren among them. 4,3 Thy lips are like a thread of scarlet, and thy speech is comely: thy temples are like a piece of a pomegranate within thy locks. 4,4 Thy neck is like the tower of David builded for an armoury, whereon there hang a thousand bucklers, all shields of mighty men. 4,5 Thy two breasts are like two young roes that are twins, which feed among the lilies. 4,6 Until the day break, and the shadows flee away, I will get me to the mountain of myrrh, and to the hill of frankincense. 4,7 Thou art all fair, my love; there is no spot in thee. 66 Ein zweites Beschreibungslied für die Tänzerin Sulamith (Hld. 7,1-7) kehrt die Blickrichtung um: 64 The Harley Lyrics: The Middle English Lyrics of MS Harley 2253, ed. G.L. Brook (Manchester, Manchester U.P., 2 1956, 4 1968). 65 H.P. Müller et al., Das Hohelied, Klagelieder, Das Buch Esther,41ff. 66 Text nach der King James Version (KJV). 113 7,1 How beautiful are thy feet with shoes, O prince's daughter! the joints of thy thighs are like jewels, the work of the hands of a cunning workman. 7,2 Thy navel is like a round goblet, which wanteth not liquor: thy belly is like an heap of wheat set about with lilies. 7,3 Thy two breasts are like two young roes that are twins. 7,4 Thy neck is as a tower of ivory; thine eyes like the fishpools in Heshbon, by the gate of Bath - rabbim: thy nose is as the tower of Lebanon which looketh toward Damascus. 7,5 Thine head upon thee is like Carmel, and the hair of thine head like purple; the king is held in the galleries. 7,6 How fair and how pleasant art thou, O love, for delights! 7: 7 This thy stature is like to a palm tree, and thy breasts to clusters of grapes. Ein Beschreibungslied der Frau für den Mann findet sich in Hld. 5,10-16. Beherrschende Strukturelemente dieser Beschreibungslieder sind einerseits in Hinblick auf die globale Textstruktur der Katalog (Körperteilschema), andererseits hinsichtlich der Detailstruktur jeweils der explizite Vergleich, wobei der Vergleich mit kostbaren Gütern oder Gegenständen dem Preis der/ des Geliebten dient. Auffällig ist die stereotype Wiederholung solcher Vergleiche in den verschiedenen Texten und Textfragmenten, aus denen das Hohelied zusammengesetzt ist. Die Bibelwissenschaft weiß, daß dieses Format in der altägyptischen oder der altsumerischen Liebesdichtung vorgeprägt ist. 67 Die blason-Mode des 16. Jahrhunderts verstellt leicht den Blick auf solche frühen Formen des Preises der Schönheit. Dabei ist zu unterscheiden einerseits zwischen dem Preis - oder der Schmähung - einzelner Körperteile, wie dies Clément Marot ursprünglich in seinem Muster-blason bzw. -contreblason vorgegeben hat, andererseits dem Körperschema ‘from top 67 Vgl. Alfred Hermann, Altägyptische Liebesdichtung (Wiesbaden: Harrassowitz, 1959); Michael V. Fox, The Song of Songs and the Ancient Egyptian Love Songs (Madison: U. of Wisconsin P., 1985); Gillis Gerleman, Ruth, Das Hohelied, Biblischer Kommentar 18 (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 1965), 63-72; John B. White, A Study of the Language of Love in the Song of Songs and Ancient Egyptian Poetry,Society of Biblical Literature Dissertation Series 38 (Missoula, MT: Scholars Press, 1978); Othmar Keel, Das Hohelied, Zürcher Bibelkommentar 18 (Zürich: Theologischer Verlag, 1986). 114 to toe’, wie es sich beispielsweise bei Spenser und Shakespeare, in der deutschen Lyrik bei Hoffmannswaldau findet. Marot wendet das Körperschema in seiner Ausgabe in der Anordnung der einzelnen blasons an. 68 An Shakespeares Sonett 130, in dem der Sprecher die Vorzüge der dark lady preist, allerdings in eklatanter Negation des stereotypen höfischpetrarkistischen Schönheitsideals, läßt sich ablesen, wie etabliert das Format ‚Körperkatalog‘ gewesen sein muß, so daß Shakespeare es ironisch brechen und programmatisch abwandeln konnte. My mistress' eyes are nothing like the sun; Coral is far more red than her lips' red; If snow be white, why then her breasts are dun; If hairs be wires, black wires grow on her head. I have seen roses damask'd, red and white, But no such roses see I in her cheeks; And in some perfumes is there more delight Than in the breath that from my mistress reeks. I love to hear her speak, yet well I know That music hath a far more pleasing sound; I grant I never saw a goddess go, My mistress, when she walks, treads on the ground: And yet by heaven I think my love as rare As any she belied with false compare. Shakespeare, Sonnets 130 69 Ein direkter Einfluß des Hohenliedes ist nicht nachzuweisen, dafür sind die möglichen Traditionsbezüge zu komplex. In erster Linie hat die Forschung für Shakespeare jedoch den Bezug zur blason-Mode gesehen. So sieht Helen Vendler Shakespeares mock-blazon als Antwortgedicht auf das Gedicht 68 Als Prototyp gilt Clément Marots „le blason du beau tétin“ (1536). Vgl. Alison Saunders, The Sixteenth-Century Blason Poétique (Bern: Lang, 1981); Nancy J. Vickers, “Members Only”, David Hillman und Carla Mazzio, eds., The body in parts: fantasies of corporality in early modern Europe (London, 1997), 3-22; Albert- Marie Schmidt, ed. Poètes du XVI e Siècle (Paris: Gallimard, 1953, often repr.), 303- 360; Hartmut Böhme, “Erotische Anatomie: Fragmentierung des Körpers als ästhethisches Verfahren in Renaissance und Barock”, Claudia Benthien und Christoph Wulf, eds., Körperteile: Eine kulturelle Anatomie (Reinbek: Rowohlt, 2001), 228- 254. 69 Vgl. Stephen Booth, ed., Shakespeare’s Sonnets (New Haven: Yale U.P., 1977), 454. 115 eines anderen Dichters und macht auf die Nähe zu einem Text aus Thomas Watsons Hekatompathia aufmerksam. 70 Eine mögliche textliche Übernahme diskutiert Noam Flinker 71 : das im modernen Sprachgebrauch negativ konnotierte, in Shakespeares Zeit jedoch neutrale oder gar positive “reeks” - And in some perfumes is there more delight Than in the breath that from my mistress reeks. - als Echo von William Baldwins And the smell that thou shalt of me take, Shall reike fro the nose lyke sent of appuls fyne, (“Christe to his Spouse” LVI) 72 - womit, wenn auch indirekt, eine Verbindung zum Hohenlied (Hld. 7,7-10) gegeben wäre. 73 In Derek Brewers Übersicht über das weibliche Schönheitsideal in der Literatur des Mittelalters und bis zur Renaissance spielt das Hohelied bis auf eine Fußnote keine Rolle, vielmehr fundiert Brewer die “formal description of a person” aus klassisch-(spät-)antiken Quellen. 74 70 Helen Vendler, The Art of Shakespeare’s Sonnets (Cambridge, Mass.: Harvard U.P., 1997), 556-558. Daß Shakespeare mit der Konvention des blason vertraut war, geht auch aus Sonett 106 hervor: When in the Chronicle of wasted time, I see descriptions of the fairest wights, And beauty making beautiful old rhyme, In praise of Ladies dead, and lovely Knights, Then in the blazon of sweet beauty’s best, Of hand, of foot, of lip, of eye, of brow, I see their antique pen would have express’d, Even such beauty as you master now. [ … ] 71 Noam Flinker, The Song of Songs in English Renaissance Literature: Kisses of their Mouths, Studies in Renaissance Literature, vol. 3 (Cambridge: D.S. Brewer, 2000), 55-59. 72 William Baldwin, The Canticles or Balades of Salomon, phraslyke declared in Englysh Metres (1549), plate 44; zugänglich als elektronischer Text bei Early English Books Online: URL: http: / / eeebo.chadwyck.com/ home. 73 Vgl. OED s.v. “reek, v 1 ". 74 Derek Brewer, “The Ideal of Feminine Beauty in Medieval Literature, especially ‘Harley Lyrics’, Chaucer, and some Elizabethans”. MLR 50 (1955), 257-269. 116 In der Wirkungsgeschichte des Hohenlieds in der englischen Renaissance nimmt, wie Noam Flinker gezeigt hat, William Baldwins Übersetzung und Nachdichtung eine bedeutende Rolle ein. Dabei hält sich die Übersetzung nahe an den Bibeltext, während die ‚metrischen‘ Fassungen ganz in der Tradition der allegorisierenden Deutungen des Verhältnisses Christus und Kirche (Braut) stehen. Dies ist Baldwins Version von Hld. 4,1-6, wobei Baldwin zunächst die jeweilige Passage nach der Übersetzung der Great Bible (Coverdale 1540, in der Druckfassung von Edwarde Whitchurche) zitiert und dann seine eigene Übersetzung folgen läßt. Danach folgt seine allegorisierende Fasssung in Versen. The fowerth Chapter. O How fayre art thou, my loue, how fayre art thou, thou hast doues eyes, beside that which lyeth hyd within. Thy heary lockes are like the wull of a flocke of goates that be shorne vpon Mount Gilead: Thy teeth are like shepe of the same bignesse, whiche went vp from the washyng place: where euerye one beareth two twyns, and not one vnfruytfull among them. Thy lyppes are lyke a rose coloured rybonde, thy wordes are louely, thy chekes are like a piece of a Pomgranat within thyne heares. Thy necke is lyke the tower of Dauid builded with costly stones lying out on the sides, wherevpon there hang a thousande shieldes, yea all the weapons of the Gyauntes. Thy two breastes are lyke two twyns of young Roes, which fede among Roses. O that I might go to the mountayne of Myrre, and to the hyl of frankencense: tyll the daye breake and tyll the shadowes be past awaye. [ … ] The fowerth Chapter The Texte. Loe thou art fayer my Loue, thou arte fayer, thou hast doues iyes, besyde the tyer thervpon. Thy heares are flockes of Goates, whiche are shorne from of mount Gileal. Thy lyppes are lyke the red scarled threde, and thy spech is swete. Thy chekes be lyke to an halfe pomegranade, besyde thy fyllet. Thy Necke is lyke to Dauids tower whiche is buylded with his bulwarkes, whervpon hang a thousande shyeldes, the armour of most valiant men. Thy two teates are lyke a gotes two double twinnes, which are fed among lilies, tyl the day breake, and tyll the shadoes passe awaye. 117 The Argument. Whan the perfect Preachers haue declared the humanitie of Christe, in which he made satisfaccion to his father for the sinnes of the whole worlde, he praysying them agayn, for all his gyftes in them, syngeth. Christe to his perfect Spouse. XXIX Loe, thou art fayer, loe thou art fayer my Loue, Doues iyes thou hast, in iudgement simplenes: Besydes thy paste that standes thyne iyes aboue, Thy goodly attyre of fayth and humblenes. Thy heares also, thy truthes moste principal Are lyke a flocke of Goates moste quicke and pure, Which rounded are from of mount Gileal, The Byble boke, an heape of witnes sure. Thy teath also, thyne argumentes most strong Which whiche thou doest all heresies deuour, Are lyke the flocke which shorne cum vp along The washyng place, Gods wurd that doeth them scour. Of whiche eche one in it two twinnes doeth bear, Gods wurd, and truth, and not so muche as one Is voyde thereof: with these teeth thou doest tear Abuses byg, that thynke to rule alone. Thy lyppes, thy speche is lyke the skarlet red, Whiche for the elect, thy sauiour Christ doest preache, Afflicte in fleshe, with bloud his crosse bebled, To faythfull folke a swete and pleasaunt speache. Thy Chekes thy wurkes are louely, fayre and good. Lyke to a broken piece of Pomegranade Whiche spring of faythe by merit of my blood, Besides thy tyre, my wurkes that wyll not fade. Thy necke thy faythe, is lyke to Dauids tower, Whiche buylded is with bulwarkes, whereupon A thousand shyldes of truthe, which men of power In faythe, haue borne, doe hang to fraye the foen. 118 Thy brestes, thy helpe to succour all that nede Alwayes at wurke, are lyke two litle twinnes, The whiche among the faythfull Lillies feede Tyll shadowes passe, and tyll the daye begynnes. 75 Die metrische Fassung folgt dem Strukturschema von Hld. 4,1-6, indem sie nacheinander eyes, hair, teeth, lips, cheeks [entsprechend temples in der KJV], neck, breasts jeweils eine - im Falle von teeth zwei - Strophen widmet. Dabei folgt sogleich auf das Bibelzitat die allegorische Deutung: “doves eyes” stehen für Glaube und Demut, “hairs” für die Bücher der Bibel; “teeth” für die rechtgläubige Verkündigung von Gottes Wort; “lips” für die Predigt über Christi Erlösungswerk, “cheeks” für die Werke des von Christus erlösten gläubigen Menschen, “neck” für den starken Glauben und “breasts” für die Werke der Barmherzigkeit. In Shakespeares Sonett 130 werden eyes, lips, breasts, hairs, cheeks in dieser Reihenfolge abgearbeitet, gefolgt von breath, speech, walk, für die es im Hohenlied eher indirekte Bezüge gibt. 76 Die Forschung zu Edmund Spenser geht von sehr viel direkteren Bezügen zwischen dem Hohenlied und Amoretti und Epithalamion aus, von Noam Flinker “intertextual pressures” 77 genannt. Israel Baroway unternimmt es, to demonstrate that in an ultimate sense Spenser’s ‘Canticum canticorum translated’ is not completely lost, even though its original form seems irrevocably gone. It still lives, though without its name, in a few passages of the Epithalamion, the Amoretti, the Faerie Queene, and Colin Clouts Come Home Again. 78 Auch Spensers Darstellung der Liebe oszilliert zwischen einer weltlichen, u.a. über Marot vermittelten, und einer geistlichen Traditionslinie. Spensers Sonett 67 aus den Amoretti stellt ein Echo des spielerischen ‚Kleiderraubs‘, der ersten Liebesbegegnung von Ovids Sprecher mit Corinna, aus Ovids Amores I.v dar, hier in Christopher Marlowes Übersetzung: 75 Baldwin, Canticles, plates 24-26. 76 Z.B. “smell”: Hld 4,11; “stature”: Hld 7,7. 77 Flinker, 66ff. und die dort genannte Literatur. 78 Israel Baroway, “The Imagery of Spenser and the Song of Songs”, JEGP 33 (1934), 23-45, hier 24. 119 Then came Corinna in a long loose gowne, Her white neck hid with tresses hanging downe: Resembling fayre Semiramis going to bed, Or Layis of a thousand wooers sped. I snacht her gowne: being thin, the harme was small, Yet striv’d she to be covered there withall, And striving thus as one that would be cast, Betray’d her selfe, and yelded at the last. Starke naked as she stood before mine eye, Not one wen in her bodie could I spie, What armes and shoulders did I touch and see, How apt her breasts were to be prest by me? How smooth a belly, under her wast saw I, How large a legge, and what a lustie thigh? To leave the rest, all lik’d me passing well, I cling’d her naked bodie, downe she fell, Judge you the rest, being tirde she bad me kisse. Jove send me more such after-noones as this. 79 Noam Flinkers Interesse liegt darin, Spenser eng mit Cavalcanti und mit Baldwins The Canticles, or Balades of Salomon zu verknüpfen. 80 Spensers Sonett 15 aus Amoretti weist die klarsten Bezüge zum Hohenlied (Hld. 5, 11-16) auf, wobei Flinker die Wendung “siluer shene” in Zeile 12 als wörtliche Parallele zu Baldwin ausweist. Ye tradefull Merchants that with weary toyle, do seeke most pretious things to make your gain: and both the Indias of their treasures spoile, what needeth you to seeke so farre in vaine? 79 Ovid, Amores, I.v,9-26; nach The Oxford Book of Verse in English Translation,82f. Vgl. modernisierte Fassung in Ovid: The Love Poems, trans. A.D. Melville (Oxford: OUP, 1990), 9. Eine einläßliche Analyse dieser Passage aus Ovid, Amores I.v und ihrer Reflexe in der englischen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts (Nashe, Marlowe, Donne) findet sich bei Werner von Koppenfels, Bild und Metamorphose: Paradigmen einer europäischen Komparatistik (Darmstadt: Wiss. Buchges., 1991), 67ff. 80 “ … the Canticles, or Balades of Salomon should be read as a significant precursor to some of the best poetry of the later Renaissance in England” (Flinker, 62, vgl. 69). Baldwin kann ebenfalls für die Spiritualisierung der blason-Tradition in Anspruch genommen werden (Flinker, 77). 120 For loe my loue doth in her selfe containe all this worlds riches that may farre be found, if Saphyres, loe her eies be Saphyres plaine, if Rubies, loe hir lips be Rubies sound: If Pearles, hir teeth be pearles both pure and round; if Yuorie, her forhead yuory weene; if Gold, her locks are finest gold on ground; if siluer, her faire hands are siluer sheene, But that which fairest is, but few behold, her mind adornd with vertues manifold. (Amoretti, Sonnet 15) Eine mit Amoretti 15 eng verwandte Version findet sich in Epithalamion 167-184. Dieser Katalog - eyes, forehead, cheekes, lips, brest, paps, necke, body, [head] - stützt sich in seinen Vergleichen auf Hld. 5,14; 7,4 und 4,4-5: Tell me ye merchants daughters did ye see So fayre a creature in your towne before? So sweet, so louely, and so mild as she, Adornd with beautyes grace and vertues store, Her goodly eyes lyke Saphyres shining bright, Her forehead yuory white, Her cheekes lyke apples which the sun hath rudded, Her lips lyke cherryes charming men to byte, Her brest like to a bowle of creame vncrudded, Her paps lyke lyllies budded, Her snowie necke lyke to a marble towre, And all her body like a pallace fayre, Ascending vppe with many a stately stayre, To honors seat and chasdties sweet bowre. Why stand ye still ye virgins in amaze, Vpon her so to gaze, Whiles ye forget your former lay to sing, To which the woods did answer and your eccho ring. (Epithalamion 167-184) 81 81 Edmund Spenser, Amoretti, Sonett 15; vgl. Sonette 64 sowie 26 und 81; Epithalamion 167-184; vgl. 148-166: Edmund Spenser, The Shorter Poems, ed. Richard A. McCabe (London: Penguin, 1999). 121 Die Bildebene des Blumenkatalogs von Amoretti 64 bezieht sich vor allem auf Hld. 4,10-16 - hortus conclusus und fons signatus und die Ausschmückung des Gartens durch kostbare Pflanzen und Düfte -, wobei Flinker wiederum direktere Bezüge zu Baldwins Hohelied-Übersetzung und die sich anschließende metrische Fassung herstellt: Comming to kisse her lyps, (such grace I found) Me seemd I smelt a gardin of sweet flowres: that dainty odours from them threw around for damzels fit to decke their louers bowres. Her lips did smell lyke vnto Gillyflowers, her ruddy cheekes lyke vnto Roses red: her snowy browes lyke budded Bellamoures, her louely eyes lyke Pincks but newly spred, Her goodly bosome lyke a Strawberry bed, her neck lyke to a bounch of Cullambynes: her brest lyke lillyes, ere theyr leaues be shed, her nipples lyke yong blossomd Iessemynes: Such fragrant flowres doe giue most odorous smell, but her sweet odour did them all excell. Im Vergleich dazu Baldwin “Christe to his Spouse” XXXIII: Howe fayre thy Dugges, thy charitie is my Spouse, My syster swete, more fayre they are than wyne: Thy sauour eke of my gyftes glorious, Do passe all odours, be they neuer so fine. Thy lyppes my Loue the hunney combe are lyke, From whiche my prayse doeth drop al men among: My scriptures eke that are not muche vnlyke Hunney and mylke, doe under lye thy toung. Thy garmentes gay, my merites which thou hast, Do sauour swete, lyke the mount Libanus. My Spouse, thou art an orchard locked fast Of pleasaunt trees, my elect most bounteous. Fast shut thou art, my syster, I thee kepe From all assaultes: thou art a sealed spryng 122 Of waters pure, in truthes moysture so depe, That all may drynke whome grace shal therto bryng. The planted trees and frutes whiche grow in thee, Of Pomegranates are lyke a paradise, Beset about with fruites that pleasaunt bee, Of cumly heygth that spryng in goodly wyse. In thee doeth grow spykenarde and Calamus With saffron, Camphor, and the swete cypres, And all the trees that grow in Libanus: Swete Cynamome, strong Myrrhe and Aloes. With all hote spices aromatical. These are the elect and faythfull that doe dwell In thee my church, in office seueral: Who all through fayth, excedyng swete do smel. And thou my spouse of gardeyns art a wel, Thy dewie fayth doth moysten euery coost: Thou art also a poole the whiche doeth wel Vp lyuely springes, from out the holy goost. With these thy streames whiche calmly take theyr course From Libanus, my wurde that mountayne clere, Thou waterest the gardens fine or course Of all good folke, that in thy waye appere, Vp North wynde vp, vp tribulacion, Cum blast my gardeyn, that I may it trye: Cum Southwynde eke, cum consolacion And cherysh it, least sum part hap to dye. That whyle ye two vpon my churche do blow, The fragrant smell of truth may from her flow. 82 Baldwins Canticles stellen ein bedeutsames Bindeglied zwischen dem Hohenlied und der englischen Lyrik des 16. und 17. Jahrhundert dar. Das gilt, wenn auch im einzelnen eher in Gestalt indirekter Traditionszusammenhänge als für die von Flinker behauptete direkte Intertextualität, für 82 Baldwin, Canticles, plates 28f. 123 Spenser und Sidney, Shakespeare, später für Herbert, Donne, Marvell und Milton. 83 Das Hohelied und seine Exegese bilden ein gutes Beispiel für einen Referenztext, dessen Kenntnis einerseits weithin vorausgesetzt werden kann, dessen Deutung andererseits instabil ist und der deshalb in ganz unterschiedlichen Kontexten auftauchen kann, wobei häufig eindeutige Textmarkierungen fehlen. Umso verwickelter sind die intertextuellen Bezüge und umso interessanter die damit aufgeworfenen textanalytischen Probleme. 83 “Baldwin’s project can be read as framing the poetry of love to be produced by the yet unborn poets of Tudor and Stuart England in the language and sensibility of Canticles. Baldwin’s work reasserts the ancient synchrony found in Sumerian poetry, in the allegorized biblical lyrics, in Cavalcanti and in Dante. Likewise, it intertextually charges later poems such as the Amoretti, Venus and Adonis and Paradise Lost with similar baroque patterns that conflate the holy and the sexual.” (Flinker, 65). 125 3. “O cruel day, accusour of the ioie” - das Taglied in der englischen Lyrik 3.1 Einstieg: Philip Larkin, “Aubade” Aubade I work all day, and get half-drunk at night. Waking at four to soundless dark, I stare. In time the curtain-edges will grow light. Till then I see what's really always there: Unresting death, a whole day nearer now, Making all thought impossible but how And where and when I shall myself die. Arid interrogation: yet the dread Of dying, and being dead, Flashes afresh to hold and horrify. The mind blanks at the glare. Not in remorse - The good not done, the love not given, time Torn off unused - nor wretchedly because An only life can take so long to climb Clear of its wrong beginnings, and may never; But at the total emptiness for ever, The sure extinction that we travel to And shall be lost in always. Not to be here, Not to be anywhere, And soon; nothing more terrible, nothing more true. This is a special way of being afraid No trick dispels. Religion used to try, That vast moth-eaten musical brocade Created to pretend we never die, And specious stuff that says No rational being Can fear a thing it will not feel, not seeing 126 That this is what we fear - no sight, no sound, No touch or taste or smell, nothing to think with, Nothing to love or link with, The anaesthetic from which none come round. And so it stays just on the edge of vision, A small unfocused blur, a standing chill That slows each impulse down to indecision. Most things may never happen: this one will, And realisation of it rages out In furnace-fear when we are caught without People or drink. Courage is no good: It means not scaring others. Being brave Lets no one off the grave. Death is no different whined at than withstood. Slowly light strengthens, and the room takes shape. It stands plain as a wardrobe, what we know, Have always known, know that we can't escape, Yet can't accept. One side will have to go. Meanwhile telephones crouch, getting ready to ring In locked-up offices, and all the uncaring Intricate rented world begins to rouse. The sky is white as clay, with no sun. Work has to be done. Postmen like doctors go from house to house. 1 Ein Gedicht aus dem Jahr 1977 über das ‚Leben zum Tode‘. Ein Sprecher, alt und einsam in den frühen Morgenstunden nach dem Aufwachen und vor Tagesanbruch, einer Zeit des Übergangs zwischen Nacht und Tag, zu der die Geschäftigkeit des Tages noch nicht eingesetzt hat und nichts die Gedanken des Ich-Sprechers ablenkt, der hier nicht durch literarische Techniken der Distanzierung vom Autor Philip Larkin abgehoben erscheint. Der Tod ist zu fürchten, weil er “total emptiness” und “sure extinction” bedeutet, und weil er damit - so die zweite Strophe - alle An- 1 Philip Larkin, Collected Poems, ed. Anthony Thwaite (London: Marvell Press, 1988), 208f. 127 strengungen des Lebens, auch die kleinen Schritte zum Erfolg zunichte macht. Gegen diese Todesfurcht hilft dem sezierenden Verstand dieses Sprechers nichts, weder die Religion noch auch sonst ein an die Ratio appellierendes Argument. In Strophe 3 häufen sich die Negativpartikel, von der ersten Negation in Zeile 1 bis zum wiederholten “nothing” in Zeile 10. Auch Mut (Strophe 4) hilft nicht gegen die Todesfurcht, die sich immer dann einstellt, wenn jede Art von Ablenkung entfallen ist - “when we are caught / without people or drink”. Der Sprecher bringt seine Überzeugung merkspruchartig auf den Punkt: “Being brave / Lets no one off the grave. / Death is no different whined at than withstood.” Der anbrechende Tag (Strophe 5) vertreibt die düsteren Gedanken nicht. Im Gegenteil: Im Lichte der eben so schonungslos verkündeten Einsicht in die Unausweichlichkeit des Todes nehmen selbst Alltagstätigkeiten bedrohliche Formen an: “Telephones crouch” - wie zum Sprung angesetzt - der Himmel ist “white as clay, with no sun”, und die Briefträger werden mit Ärzten verglichen, die Hausbesuche machen. Ein Gedicht von mehreren, in denen sich Larkins Furcht vor Alter, Krankheit, Leiden und Tod niederschlägt, wie sie auch aus biographischen Zeugnissen abzulesen ist. Die Forschung hat Larkins Nihilismus diskutiert, ihn zuweilen zu Pessimismus oder Skeptizismus abgeschwächt, und seine Ehrlichkeit sich selbst und der Welt gegenüber gelobt, freilich nicht ohne zu sehen, daß, wie in diesem Gedicht, ein illusionsloser Blick einer zynischen Vernunft ins Nichts keine Grundlage für ein beschauliches oder gar glückliches Leben ist. Das Gedicht ist durch zahlreiche gedankliche und formale Parallelen mit vielen anderen Gedichten dieses Autors verknüpft. In seinem frühen Gedicht “Church Going” (1954) hatte Larkin seine ambivalente bis skeptische Haltung der Religion gegenüber noch ironisiert - “Hatless, I take off / My cycle-clips in awkward reverence”, immerhin noch den Traditionsverlust, den Verlust des Wissens um die verborgenen Kräfte selbst noch der zum Aberglauben verkommenen Religion bedauert und letztlich in der Schlußwendung eine gewisse positive Sinngebung darin gefunden, daß Kirche und Kirchhof ein Ort der Kontinuität menschlichen Lebens und Sterbens sind. 128 A serious house on serious earth it is, In whose blent air all our compulsions meet, Are recognized, and robed as destinies. And that much never can be obsolete, Since someone will forever be surprising, A hunger in himself to be more serious, And gravitating with it to this ground, Which, he once heard,was proper to grow wise in, If only that so many dead lie round. “Serious(ness)”, das Schlüsselwort dieser letzten Strophe von “Church Going” als Signum menschlicher Existenz, ist das existentialistische Minimum, mit dem sich der Sprecher zufrieden gibt. Ehrlichkeit, schonungslose Selbstanalyse zeichnet diesen Sprecher aus, aber eben auch noch die Hoffnung auf die Sinnhaftigkeit der Existenz, die in “Aubade” und anderen Texten gründlich abhanden gekommen ist. Das Gedicht “The Building” (1972), der Titel eine euphemische Formulierung, da es sich schnell herausstellt, daß es sich dabei um ein Krankenhaus handelt, reflektiert eine ähnliche existentielle Grundbefindlichkeit in einer Ausnahmesituation des Wartens, quasi im Niemandsland, in unbekanntem Territorium wie in “Church Going” oder in einer ‚Zeitlücke‘ wie in “Aubade”: Reflexionen des Sprechers angesichts der mechanischen Abläufe der Krankenhausmaschinerie, in der der Mensch seine Selbstbestimmung verliert: Humans, caught On ground curiously neutral, homes and names Suddenly in abeyance. Die Diagnose in quasi-religiöser Terminologie als ‚Beichte‘: And all / Here to confess that something has gone wrong, It must be error of a serious sort. Wieder das Wort “serious”: “error of a serious sort” als sprachliche Verhüllung, als understatement für Krankheit, möglicherweise für Krankenhausaufenthalt ohne Rückkehr. Auch hier ist der Schluß illusionslos klar. Das Krankenhaus als hochragendes Gebäude gleichgesetzt mit dem Versuch, “to transcend / The thought of dying”, der zum Scheitern verurteilt ist: 129 … for unless its powers Outbuild cathedrals nothing contravenes The coming dark, though crowds each evening try With wasteful, weak, propitiary flowers. Die Religion ist tot, aber das Krankenhaus, das, metaphorisch gesprochen, größer und mächtiger sein müßte als die Kathedralen (“outbuild cathedrals”) bildet keine Barriere gegen die Sinnlosigkeit; die Blumen der Besucher sind “wasteful und weak”, auch wenn sie die Götter gnädig stimmen sollen (“propitiary”). Viele weitere Beispiele lassen sich anfügen: In “High Windows” (1967) kontrastiert der Sprecher in nahezu obszöner Sprache, die das sprachliche Dekorum kalkuliert durchbricht, das Glücksgefühl eines jungen Paares (“paradise”) mit dem Wissen um die Flüchtigkeit des eigenen Glücksstrebens “forty years ago”. Hier wie in “Church Going” und “The Building” läßt sich religiöse Terminologie offenbar nicht ausrotten, auch wenn sie abgewertet erscheint. Das Ende ist wiederum das Nichts. In “The Old Fools” (1973) fragt sich der Sprecher, warum die Alten nicht gegen ihre Existenz, den Verfall der körperlichen und geistigen Kräfte rebellieren - etwa im Sinne von Dylan Thomas’ Villanelle “Do not go gentle into that good night”. Die Antwort, nach einer erneuten illusionslosen Sachstandsbeschreibung des Identitätsverlustes im Tode - At death, you break up: the bits that were you Start speeding away from each other for ever With no one to see. It’s only oblivion, true: - bleibt vorläufig, weil dies eine Welt ist, die der Sprecher (vorerst) nur von außen sehen kann, aber die Gewißheit bleibt, daß das Schicksal der “old fools” auch bald sein eigenes sein wird: “Well, / We shall find out.” In “Sad Steps” (1968) kontrastiert der Sprecher angesichts der allzu menschlichen Situation eines nächtlichen Toilettengangs, wiederum um vier Uhr morgens, seine eigene physische Hinfälligkeit mit der Großartigkeit des nächtlichen Himmelspanoramas, das aber nichts Menschliches an sich hat - der Mond ist “High, and preposterous, and separate” - und dem Gedanken an “the strength and pain of being young”, ein Zustand, der nicht mehr die seine ist. 130 Larkins debunking spirit - mit Lytton Stracheys Formulierung aus Eminent Victorians - wirft den Sprecher all dieser Texte auf sich selbst zurück: Nihilismus ist keine gemütliche Existenzgrundlage. Am Ende steht Existenzangst, gerade auch in der Zuspitzung als Todesangst, und wie man weiß, hat sich der Autor das Leben damit zunehmend schwer gemacht. Larkins Nihilismus ist heftig debattiert worden. Nur wenige bezeichnende Beispiele dazu: Spiros Doikas deutet die Aussage des Gedichts freudianisch als Todestrieb und damit als Negation des “will-to-live”. 2 In Adam’s Curse: Reflections on Religion and Literature 3 setzt sich Denis Donoghue mit Czeslaw Milosz’ Aufsatz “The Real and the Paradigms” 4 (1979) auseinander, einer Kritik am Europäischen Nihilismus Nietzschescher Provenienz. Milosz hatte sich am Beispiel von “Aubade” entrüstet darüber gezeigt, daß Larkin, indem er die Unausweichlichkeit des Todes betont, das Leben verraten hat, und statt dessen eine ‘poetry of life’ gefordert: “Poetry by its very essence has always been on the side of life”. Donoghue läßt diese Koppelung nicht gelten, sieht in “Aubade” keine philosophische Abhandlung (“not a treatise”), sondern eine Darstellung der Gefühlslage des Sprechers (“a mood”), und obwohl auch er an Zorn und Verzweiflung als der beherrschenden Gestimmtheit des Gedichtes festhält, gewinnt er ihm, genau aus dem “grow light” (Zl. 3), der Rückkehr der Realität des Tages, eine positivere Wertung ab. 5 Ebenso verteidigt er Larkin gegen Seamus Heaneys, wie er meint, ungerechtfertigten Vorwurf der Negativität und des Defätismus. Heaney hatte in einer seiner Oxforder Vorlesungen als Professor of Poetry (1990) am Beispiel von “Aubade” Larkin mit Beckett verglichen und 2 Spiros Doikas, “Eros, Thanatos and the Negation of the Will-to-Live in Larkin's Poetry”, URL: www.translatum.gr/ etexts/ larkineros.htm. 3 Denis Donoghue, Adam’s Curse: Reflections on Religion and Literature (Notre Dame, IN: U. of Notre Dame P., 2001), 111-118. 4 Czeslaw Milosz, “The Real and the Paradigms”, Poetry Australia 72 (1979), 62f. 5 Donoghue sieht dieses Gedicht als Antwort auf William Empsons Gedicht “Courage means Running”, in dem dieser “fear” als notwendige Gründung aller menschlichen Strebungen in der Realität ausweist: “No purpose, view, / Or song but’s weak if without the ballast of fear” (William Empson, The Complete Poems, ed. John Haffenden [London: Allen Lane, 2000], 76f.) Empsons an Bunyans Fearful - besser Christian - exemplifiziertes pseudo-etymologisches “courage means running” - es ist Mut, vor dem Zorn Gottes zu fliehen - steht gegen Larkins “courage is no good: ”, wobei Donoghue das folgende “It means not scaring others” über den Textzusammenhang hinaus positiv werten muß. Genauer zu Empsons Gedicht siehe unten Abschnitt 3.4. 131 Becketts Werk trotz und gerade angesichts einer ungeschönten Sicht auf die Realität in der Qualität des Humors und der Sprachkraft eine transformierende Kraft bescheinigt, die er von aller Dichtung fordert: in order that human beings bring about the most radiant conditions for themselves to inhabit, it is essential that the vision of reality which poetry offers should be transformative, more than just a print-out of the given circumstances of its time and place. … The truly creative writer, by interposing his or her perception and expression, will transfigure the conditions and effect thereby what I have been calling ‘the redress of poetry.’ The world is different after it has been read by a Shakespeare or an Emily Dickinson or a Samuel Beckett because it has been augmented by their reading of it. 6 Es spricht für Larkins Gedicht, daß es eine solche ins Grundsätzliche des Verständnisses von Dichtung gehende Debatte auslösen konnte. Larkins Gedicht trägt den Titel “Aubade”; angezeigt ist deshalb der Rückgriff auf die Gattungstradition des Taglieds (Alba, Aubade). Die darauf folgenden Abschnitte behandeln das Taglied in der englischsprachigen Lyrik anhand von repräsentativen Beispielen vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert. 3.2 Die Tradition des Taglieds Das Taglied hat eine erste Blütezeit in der lateinisch-provençalischen Dichtung des Mittelalters; in der deutschen Dichtung findet es seinen Höhepunkt in der Minnedichtung des 12. Jahrhunderts bei Dietmar von Eist, Heinrich von Morungen, Wolfram von Eschenbach und Walther von der Vogelweide. Es besingt retrospektiv oder dramatisch-inszeniert in monologischer oder dialogischer Form den Augenblick des Tagesanbruchs und den Abschied der Liebenden. 7 Der Liebeserfüllung der Nacht - vielfach bei 6 Donoghue, ibid., 119-123; vgl. Seamus Heaney, “Joy or Night: Last Things in the Poetry of William Butler Yeats and Philip Larkin”, The Redress of Poetry (New York: Farrar, Straus & Giroux, 1995), 159f. 7 Peter Dronke verfolgt die Grundsituation des Taglieds in komparatistischer Perspektive in der europäischen Literatur, aber auch über Europa hinaus in die arabische Dichtung und sogar bis in die chinesische Literatur des 6. Jh. vor Christus. Peter Dronke, Die Lyrik des Mittelalters: Eine Einführung (orig. The Medieval Lyric), trans. Peter Hasler (München: C.H.Beck, 1973; dtv, 1977), 182ff. 132 einem heimlichen Treffen - steht die harte Wirklichkeit des Tages gegenüber: die Liebenden müssen sich zumeist aus Furcht, entdeckt zu werden, trennen. Nacht kontrastiert mit Tag, Dunkelheit mit Licht, Schlaf mit Erwachen. Die Alba beginnt als Frauenmonolog und entwickelt sich zum Dialog; seit dem 12. Jahrhundert findet sich die Figur des Wächters (gaita), der über den Liebenden gewacht hat und nun den Tag ankündigt und zum Abschied mahnt. Die Forschung hat eine Reihe von Motivkonstituenten herausgearbeitet, zu denen im einfachsten Fall der Tagesanbruch (Nacht- Tag-Gegensatz; Sonnenaufgang, Vogellied), die Liebenden (Ritter und Dame), der Wächter und der Weckruf zählen. 8 Die Gattung vermischt sich bald mit anderen, so mit der Liebesklage (planh) oder auch der Pastorelle. Als Sonderform findet sich das geistliche Taglied, in dem die Konstituenten des Taglieds geistlich, z.T. offen allegorisch, umgedeutet werden auf das Verhältnis von Leib und Seele, des Christen zur Welt, des Sünders zu Gott; der Tag als Tod oder Jüngstes Gericht; der Wächter als Engel oder als Tod; der Weckruf als Mahnung zur Umkehr usw. 9 Von Ezra Pound stammt die Übersetzung einer Alba des Provençalen Arnaut Daniel, an der sich die Gattungsmerkmale gewissermaßen in Reinkultur ablesen lassen: Alba When the nightingale to his mate Sings day-long and night late My love and I keep state In bower, In flower, ‘Till the watchman on the tower Cry: ‘Up! Thou rascal, Rise, I see the white Light And the night Flies.’ 10 8 Günther Schweikle, Minnesang, Sammlung Metzler (Stuttgart: Metzler, 2 1995), 137f. 9 André Schnyder, Das geistliche Taglied des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit: Textsammlung, Kommentar und Umrisse einer Gattungsgeschichte (Tübingen: Francke, 2004). 10 The Oxford Book of Verse in English Translation, 438. 133 Nach dem ersten deutschen Taglied von Rang, Dietmar von Eists „Slâfest du, vriedel ziere? “ 11 , bildet Heinrich von Morungens „Owê, sol aber mir iemer mê“ 12 einen Höhepunkt in der Entwicklung der Gattung. 13 Das Lied ist u.a. für seine Lichtmetaphorik berühmt. In der Form des Wechsels beklagen Mann und Frau den Verlust der Nähe des geliebten Gegenübers: Owê, - Sol aber mir iemer mê geliuhten dur die naht noch wîzer danne ein snê ir lîp vil wol geslaht? Der trouc diu ougen mîn. ich wânde, ez solde sîn des liehten mânen schîn. Dô tagte ez. [ … ] Charakteristisch für das Taglied ist schon zu seiner Blütezeit die große Variationsbreite bei gegebener Grundsituation und stereotypem Motivinventar; dies gilt erst recht für spätere Aufnahmen der Gattungstradition in den Nationalliteraturen bis zur Gegenwart, wobei das Spektrum von ernsthaftem Echo bis zur ironischen Brechung und Parodie reicht. Die Forschung hat schon in der mhd. Dichtung einen Anti-Typus ausgemacht, der aus der Perspektive eines einsamen Sprechers den Tagesanbruch als ‚freudloses Erwachen‘ (Miguel Torres Morales) charakterisiert. Ein klassisches Beispiel findet sich bei Reinmar dem Alten. 14 Sô ez íener nâhet deme tage, sôn getár ich niht gevrâgen: ist ez tac? 11 Des Minnesangs Frühling, bearb. Hugo Moser und Helmut Tervooren (Stuttgart: Hirzel, 38 1988), Texte Vol. I, 66. Alle Stellenangaben nach dieser Ausgabe. 12 Ibid., 276f. 13 Texte und nhd. Übersetzungen vgl. “Die Gattung Taglied”, Deutsche Dichtung des Mittelalters, ed. Michael Curschmann und Ingeborg Glier (München: Hanser,1980), I, 656-702. 14 Reinmar der Alte, VIa, Des Minnesangs Frühling, 295-297. Zum Anti-Taglied Reinmars vgl. Ursula Liebertz-Grün, „Ambivalenz, poetologische Selbstreflexion und inszenierte Sexualität: Die Taglieder Reinmars des Alten, Walthers von der Vogelweide und Wolframs von Eschenbach“, Sexualität im Gedicht, ed. Theo Stemmler und Stefan Horlacher (Tübingen: Narr, 2000), 65-81. 134 diz machet mir diu swaere klage, daz mir ze helfe nieman kômen mac. Ich gedénke wol, daz ich es anders pflac hie vor, dô mir diu sorge sô niht ze herzen wac. iemer an dem morgen sô troest mich der vogel sanc. mir enkóme ir helfe an der zît, mir ist béidiu winter und der sumer alze lanc. Ime ist wol, der mac gesagen, daz er sîn liep in senenden sorgen lie. nu muoz aber ich ein anderz klagen: ich gesách ein wîp nâch mir getrûren nie. Swie lange ich was, sô tet si doch daz ie. diu nôt mir underwîlent reht an mîn herze gie. und waere ich ander iemen alse unmaere manigen tac, deme het ich gelâzen den strît. diz ist ein dinc, des ich mich niht getroesten mac. Diu liebe hât ir varnde guot geteilet sô, daz ich den schaden hân. des nam ich mêr in mînen muot, danne ich ze rehte solte hân getân. Und ist ienoch von mir vil unverlân, swie lützel ich der triuwen mich anderhalp entstân. sî was ie mit vröiden und lie mich in den sorgen sîn. alsô vergíe mich diu zît. ez taget mir leider selten nâch dem willen mîn. Diu welt verswîget mîniu leit und saget vil lützel iemer, wer ich bin. ez dunket mich unsaelikeit, daz ich mit triuwen allen mînen sin 135 Bewendet hân, dar es mich dunket vil, und mir der besten einiu des niht gelouben wil. ez wart von unschulden níemàn sô rehte wê. got helfe mir, deich mich bewar, daz ich ûz ir hulden kome niemer mê. 'Ôwê trûren unde klagen, wie sol mir dîn mit vröiden [] werden buoz? mir tuot vil wê, deich dich muoz tragen: du bist ze grôz, doch ich dich tragen muoz. Die swaere wendet nieman, er entuoz, den ich mit triuwen meine, gehôrt ich sînen gruoz, daz er mir nâhe laege, sô zergienge gar mîn nôt. sîn vremeden tuot mir den tôt unde machet mir diu ougen rôt.' Die Tagliedsituation ist hier ins Negative der Minneklage gewendet. 15 Larkins Gedicht ist diesem Typus des Anti-Tagliedes zuzurechnen. Im Lichte der Gattungstradition gewinnt der ohnehin schon deprimierendpessimistische Text eine weitere Tiefendimension, indem hier eine, obschon von der Klage über das Vergangene bestimmte, doch insgesamt positiv gestimmte literarische Tradition, die die Feier der Liebeserfüllung häufig in einer lieblichen Naturszenerie zum Thema hat, aufgerufen und mit ihrem Gegenbild - Einsamkeit, Todesangst, Bedrohung durch die Alltagswelt in einer urbanen Umgebung - kontrastiert wird. 3.3 Das Taglied in der englischsprachigen Lyrik Es ist aus heutiger Sicht bemerkenswert, wie sich das thematisch-motivliche Material der Alba in den europäischen Literaturen verzweigt hat. Schon zur 15 ‚Freudloses Erwachen‘ findet sich bei Reinmar ebenfalls noch in XI,4.1ff. und XXV,3.1ff. Ulrich Müller verfolgt die Motivik bis zu Ovid, Amores I,6 und I,13 zurück: „Amores alba tageliet: Typus und Gegentyp des ‚Tageliedes‘ in der Liebesdichtung der Antike und des Mittelalters“, DvjS 45 (1971), 451-480. 136 Blütezeit weist die Tradition des Taglieds eine große formale und inhaltliche Variationsbreite auf. Unter den 147 Gedichten 16 , die dem berühmten walisischen Dichters Dafydd ap Gwilym, dem “Ovid of Wales”, (ca. 1320-ca.1350/ 70) sicher zugeschrieben werden können, findet sich auch eine Alba, die sich an provençalischen Vorbildern orientiert. Rachel Bromwich hält das Gedicht “ Y Wawr” [“Dawn”] für eine Parodie der europäischen Alba-Tradition. 17 Es weist viele der traditionellen Struktur- und Motivkonstanten auf. Zu Beginn setzt der Mann als Sprecher den Erzählrahmen. Er berichtet von der letzten Liebesnacht, die auf dem Höhepunkt abrupt durch den Tagesanbruch abgebrochen wird. Von Vers 15 an ist das Gedicht dialogisch aufgebaut: die Dame schickt ihren Liebhaber unter Hinweis auf den Tagesanbruch eilig fort: 'Get up,' said the brightly mantled maid, 'This is secret. See there the lively sign! Grievous tears are your kindred! The devil take you; see the day down there.' (15-18) Der Mann versucht zu widersprechen; sein Argument, das Licht sei nicht das des anbrechenden Tages sondern das des Mondes und der ihn umgebenden Sterne, bleibt jedoch erfolglos. Rede und Gegenrede gehen hin und her (19-32), bis die Dame den Mann endgültig fortschickt und ihn ermahnt, sich nicht erwischen zu lassen, was der Mann zusichert. 'Don't make excuse[s], you song-server: A shallow mind will say that pain is far away. While on a journey (as with booty), Venture forth into your day: it's morning! For Christ's sake, get up quietly, And open, there, that heavy door. 16 Gwaith Dafydd ap Gwilym, ed. Thomas Parry (Cardiff: U. of Wales P., 1952, 1963), hier GDG Nr. 129; Swansea Nr. 69; zum aktuellen Forschungsstand zum Kanon der Gedichte Dafydd ap Gwilyms vgl. das Dafydd ap Gwilym.net des Welsh Department der University of Swansea. URL: http: / / www.dafyddapgwilym.net/ index‚eng.php. Übersetzung nach Dafydd ap Gwilym: His Poems, trans. Gwyn Thomas (Cardiff: U. of Wales P., 2001). 17 Rachel Bromwich, Aspects of the Poetry of Dafydd ap Gwilym: Collected Papers (New York: Garland, 1986), 41f. 137 Steps of the two feet are long indeed, The dogs are really frantic: run out to the wood.' (33-40) Am Ende verabreden sich die Liebenden für die nächste Nacht. GIRL : 'Tell me this, you good, hard-working poet, Whether, for God's sake, you will come here [again]? ' DAFYDD : 'I am your nightingale, indeed, my dear, If night will come, [then] I'll come [with her]! ' (45-48) Verfolgt man die mit der Taglied-Tradition gesetzten Motive weiter in der englischen Literatur, so wird man bereits in Chaucers Troilus and Criseyde fündig. Aus einer einzigen Zeile der Quelle, Boccaccios Il Filostrato, hat Chaucer eine dreistrophige Anklage an den anbrechenden Tag gemacht. “O cruel day, accusour of the ioie That nyght and loue han stole and faste i-wryen, Acorsed be thi comyng in-to Troye, ffor euery bore hath oon of thi bryghte yen. Enuyous day, what list the so to spien? What hastow lost, why sekestow this place, Ther god thi light so quenche for his grace? “Allas, what haue thise loueris the agylte, Dispitous day? thyn be the peyne of helle! ffor many a louere hastow slayn and wilte: Thy pourynge in wol nowher lat hem dwelle. What profrestow thi light here forto selle? Go selle it hem that smale selys graue - We wol the nought, vs nedeth no day haue.” And ek the sonne, Titan, gan he chide, And seyde, “O fool, wel may men the dispise, That hast the dawyng al nyght by thi syde, And suffrest hire so soone vp fro the rise, fforto disesen loueris in this wyse. 138 What, holde oure bed ther, thow, and ek thi Morwe, I bidde god, so eue ow bothe sorwe.” 18 Das Motiv der Beschimpfung der Sonne (“o fool … ”) in Strophe 3 begegnet zusammen mit weiteren Textanklängen wieder in John Donnes “The Sunne Rising”. Anklänge an die Tagliedtradition hat die Forschung auch in “The Reeve’s Tale” in Chaucers Canterbury Tales (I,4236-4247) gesehen. 19 Unübersehbar ist dieser Bezug auch in der Abschiedsszene in Shakespeares Romeo and Juliet III,5.1-60: (Capulet's orchard) Enter ROMEO and JULIET above, at the window JULIET Wilt thou be gone? it is not yet near day: It was the nightingale, and not the lark, That pierced the fearful hollow of thine ear; Nightly she sings on yon pomegranate - tree: Believe me, love, it was the nightingale. ROMEO It was the lark, the herald of the morn, No nightingale: look, love, what envious streaks Do lace the severing clouds in yonder east: Night's candles are burnt out, and jocund day Stands tiptoe on the misty mountain tops. I must be gone and live, or stay and die. Der erfolglose Versuch der Liebenden, im Disput über “nightingale” und “lark” die Zeichen des anbrechenden Tages wegzudiskutieren, erinnert wie die Beschreibung des ersten Tageslichts an den Natureingang der mittelalterlichen Lyrik. Peter Dronke gibt einen chinesischen Morgen-Dialog an, in dem sich eine parallele Argumentationsstruktur findet. 20 Die Nachtigall als Herold der Nacht findet sich ebenfalls schon in einer provençalischen 18 Geoffrey Chaucer, Troilus & Criseyde, III, 1450-1470, Text nach: Geoffrey Chaucer, Troilus & Criseyde: A New Edition of ‘The Book of Troilus’, ed. B.A. Windeatt (London: Longmans, 1984), 322f. 19 Robert E. Kaske, “An Aube in The Reeve’s Tale”, ELH 26 (1959) 295-310; vgl. Jörg O. Fichte, „Erläuterungen zu The Reeve’s Tale“, Geoffrey Chaucer, Die Canterbury Erzählungen, übers. Fritz Kemmler, erläutert von Jörg O. Fichte (München: Goldmann, 1989), 3, 1541. 20 Dame: „Der Hahn hat schon gekräht; s’ist heller Tag.“ Liebhaber: „Es war der Hahn nicht der gekräht, es war das Sirren jener grünen Fliegen.“ (Dronke, ibid., 183). 139 Alba. 21 Die Lerche 22 oder das nicht näher charakterisierte „vogellin“ in Dietmars „Slâfest du, vriedel ziere“ verkünden den Tag. Beispiele lassen sich in Fülle finden. Die Übertragung der Gestimmtheit der Liebenden auf den Vogelgesang, Juliets “It is the lark that sings so out of tune”, gehört ebenfalls schon in das Traditionsumfeld der Alba. Die Amme nimmt ganz klassisch die Rolle des Wächters (gaita) ein. 23 John Donnes “Breake of Day” 24 ist wie die Frühformen der Alba ein Frauenmonolog. Breake of Day T’is true, 'tis day, what though it be? O wilt thou therefore rise from me? 21 „Quan lo rossinhols escria ab sa par la nueg e·l dia, yeu suy ab ma bell’ amia jos la flor, tro la gaita de la tor escria: “Drutz, al levar! qu’ieu vey l’alba e·l jorn clar! “ (Dronke, ibid., 189) 22 „Entre moi et mon ami“ (Dronke, ibid., 199f.). 23 Motivliche Parallelen zum Lerchenlied bei Sonnenaufgang finden sich bei Shakespeare in Cymbeline und in Venus and Adonis: Song Hark! hark! the lark at heaven’s gate sings, And Phoebus ‘gins arise His steeds to water at those springs On chalic’d flow’rs that lies; And winking Mary-buds begin To ope their golden eyes. With everything that pretty bin, My lady sweet, arise; Arise, arise! (Cymbeline II,3.19-27) Lo, here the gentle lark, weary of rest, From his moist cabinet mounts up on high, And wakes the morning, from whose silver breast The sun ariseth in his majesty; Who doth the world so gloriously behold That cedar-tops and hills seem burnish’d gold. (Venus and Adonis, 853-858). 24 John Donne, The Elegies and the Songs and Sonnets, ed. H. Gardner (Oxford: Clarendon P., 1965), 35f. 140 Why should we rise, because 'tis light? Did we lie downe, because ‘twas night? Love which in spight of darknesse brought us hether, Should in despight of light keepe us together. Light hath no tongue, but is all eye; If it could speake as well as spie, This were the worst, that it could say, That being well, I faine would stay, And that I lov'd my heart and honor so, That I would not from him, that had them, goe. Must businesse thee from hence remove? Oh, that's the worst disease of love, The poore, the foule, the false, love can Admit, but not the busied man. He which hath businesse, and makes love, doth doe Such wrong, as when a maryed man doth wooe. Die Liebende beklagt den Tagesanbruch und die Trennung vom Geliebten, der seinen Tagesgeschäften nachzugehen hat. Die Liebe ist unabhängig von Tages- (und Nacht-)zeiten. Das ist zugleich die Botschaft von “The Sunne Rising” 25 , das ebenfalls eingangs die Konventionen der Alba aufruft, sie sodann, wie überhaupt typisch für Donnes Dichtung, in origineller Weise mit anderen Traditionselementen verknüpft: The Sunne Rising Busie old foole, unruly Sunne, Why dost thou thus, Through windowes, and through curtaines call on us? Must to thy motions lovers seasons run? Sawcy pedantique wretch, goe chide Late schoole boyes, and sowre prentices, Goe tell Court-huntsmen, that the King will ride, Call countrey ants to Harvest offices; Love, all alike, no season knowes, nor clyme, Nor houres, dayes, months, which are the rags of time. 25 Ibid., 72f. 141 Bereits Herbert Grierson hatte darauf aufmerksam gemacht, daß Donne am Gedichtanfang und an mehreren weiteren Stellen Ovid, Amores I,13, die wichtigste klassische Quelle für die Alba, paraphrasierend zitiert und, des mythologischen Apparats entkleidet, in seinen eigenen Kontext einschmilzt. Der Vergleich von Donnes ‘metaphysical imagery’ mit Ovids Bildsprache ist eindrücklich. Dies ist Ovid, Amores I,13 wiederum in der wichtigen Übersetzung von Christopher Marlowe: Now ore the sea from her old Love comes she That drawes the day from heavens cold axletree. Aurora whither slidest thou? downe again And birdes for Memnon yearely shal be slaine. Now in her tender armes I sweetly bide, If ever, now well lies she by my side. The aire is cold, and sleepe is sweetest now And birdes send forth shrill notes from every bough: Whither runst thou, that men, and women love not? Hold in thy rosy horses that they move not. Ere thou rise, starres teach sea - men where to saile, But when thou commest they of their courses faile. Poore travailers though tierd, rise at thy sight, And souldiours make them ready to the fight. The painefull hinde by thee to field is sent, Slowe Oxen early in the yoake are pent. Thou cousenst boyes of sleepe, and doest betray them To Pedants that with cruell lashes pay them. Thou mak'st the surety of the Lawyer runne, That with one word hath nigh himselfe undone. The Lawyer and the client hate thy view, Both whom thou raisest up to toyle anew. By thy meanes women of their rest are bard, Thou setst their labouring hands to spin and card. All could I beare, but that the wench should rise Who can endure save him with whom none lyes? How oft wisht I, night would not give thee place, Nor morning starres shunne thy uprising face. How oft that either winde would breake thy coach, Or steeds might fall forc'd with thick clouds approach. 142 Whether goest thou hatefull Nimph? Memnon the elfe Receiv'd his cole - black colour from thy selfe. Say that thy love with Caephalus were not knowne, Then thinkest thou thy loose life is not showne? Would Tithon might but talke of thee a while, Not one in heaven should be more base and vile. Thou leavest his bed, because hee's faint through age, And early mountest thy hatefull carriage. But heldst thou in thine armes some Cephalus, Then wouldst thou cry, stay night and runne not thus. Doest punish me, because yeares make him waine? I did not bid thee wed an aged swaine. The Moone sleepes with Endymion every day, Thou art as faire as she, then kisse and play. Jove that thou shoulst not hast but waite his leasure, Made two nights one to finish up his pleasure. I chid no more, she blusht and therefore heard me, Yet lingered not the day, but morning scard me. 26 Sir William Davenants unter dem Titel “Aubade” anthologisiertes kurzes Gedicht “Song” ist praktisch das einzige Gedicht des Dramatikers, das sich einen gewissen Bekanntheitsgrad erhalten hat, vermutlich weil es mehrfach vertont worden ist. Es stellt eine Art poetisches Genrestück dar, das die Ingredienzien der Aubade verarbeitet hat und die textliche Nähe zur ‘School of John Donne’ bzw. zu Ovids Amores nicht verleugnet: Song [Aubade] The Lark now leaves his watry Nest And climbing, shakes his dewy Wings; He takes this Window for the East; And to implore your Light, he Sings, Awake, awake, the Morn will never rise, Till she can dress her Beauty at your Eies. The Merchant bowes unto the Seamans Star, The Ploughman from the Sun his Season takes; 26 Ovid, Amores I,13 in der Übersetzung Christopher Marlowes. The Oxford Book of Verse in English Translation, 83f. 143 But still the Lover wonders what they are, Who look for day before his Mistress wakes. Awake, awake, break through your Vailes of Lawne! Then draw your Curtains, and begin the Dawne. 27 Lerchengesang führt das Tageslicht herauf, das seinerseits mit der Schönheit der Geliebten wetteifert, ein Motiv, das sich bei DuBellay findet. A.M. Gibbs deckt vielfältige Motiventlehnungen Davenants bei Bernart von Ventadorn, Rinieri und Shakespeare auf. Douglas Bush hat auf den Kontrast zur Aubade aus Davenants News from Plymouth hingewiesen, die im ‘mock-heroic style’ mit der Textsorte Aubade spielt: O Thou that sleep'st like Pigg in Straw (News from Plimouth) O Thou that sleep'st like Pigg in Straw, Thou Lady dear, arise; Open (to keep the Sun in awe) Thy pretty pinking eyes: And, having stretcht each Leg and Arme, Put on your cleane white Smock, And then I pray, to keep you warme, A Petticote on Dock. Arise, Arise! Why should you sleep, When you have slept enough ? Long since, French Boyes cry'd Chimney-sweep, And Damsels Kitching-stuffe. The Shops were open'd long before, And youngest Prentice goes To lay at's Mrs. Chamber-doore His Masters shining Shooes. Arise, arise; your Breakfast stayes, Good Water-grewell warme, Or Sugar-sops, which Galen sayes With Mace, will doe no harme. Arise, Arise; when you are up, You'l find more to your cost, 27 1673; Sir William Davenant, The Shorter Poems, and Songs from the Plays and Masques, ed. A. M. Gibbs (Oxford: Clarendon P., 1972), 173. 144 For Mornings draught in Caudle-cup, Good Nutbrown-Ale, and Tost. 28 Die Parodie läßt die Traditionselemente vergröbert und deshalb umso klarer zutage treten. 29 3.4 Beispiele aus der Lyrik des 20. Jahrhunderts Philip Larkins “Aubade” ist beeinflußt von einem gleichnamigen Gedicht William Empsons: Aubade Hours before dawn we were woken by the quake. My house was on a cliff. The thing could take Bookloads off shelves, break bottles in a row. Then the long pause and then the bigger shake. It seemed the best thing to be up and go. And far too large for my feet to step by. I hoped that various buildings were brought low. The heart of standing is you cannot fly. It seemed quite safe till she got up and dressed. The guarded tourist makes the guide the test. Then I said The Garden? Laughing she said No. Taxi for her and for me healthy rest. It seemed the best thing to be up and go. The language problem but you have to try. Some solid ground for lying could she show? The heart of standing is you cannot fly. None of these deaths were her point at all. The thing was that being woken he would bawl And finding her not in earshot he would know. I tried saying Half an Hour to pay this call. It seemed the best thing to be up and go. 28 Ibid., 215. 29 A. M. Gibbs, ibid., 425f.; 444; Douglas Bush, English Literature in the Earlier Seventeenth Century, OHEL, V, 127. 145 I slept, and blank as that I would yet lie. Till you have seen what a threat holds below, The heart of standing is you cannot fly. Tell me again about Europe and her pains, Who's tortured by the drought, who by the rains. Glut me with floods where only the swine can row Who cuts his throat and let him count his gains. It seemed the best thing to be up and go. A bedshift flight to a Far Eastern sky. Only the same war on a stronger toe. The heart of standing is you cannot fly. Tell me more quickly what I lost by this, Or tell me with less drama what they miss Who call no die a god for a good throw, Who say after two aliens had one kiss It seemed the best thing to be up and go. But as to risings, I can tell you why. It is on contradiction that they grow. It seemed the best thing to be up and go. Up was the heartening and the strong reply. The heart of standing is we cannot fly. 30 Empsons Gedicht trägt, wie zahlreiche briefliche Zeugnisse und Kommentarbemerkungen des Autors ausweisen, unmittelbar autobiographische Züge. Es bezieht sich konkret auf ein Erdbeben in Japan im Jahre 1933, früh am Morgen, wie die erste Strophe deutlich anzeigt. Empson hatte 1930 für drei Jahre eine Stelle in Japan angenommen. Auf der Oberfläche geht es im Text um die in vielerlei Hinsicht prekäre Beziehung zu einer Japanerin namens Haru, die Empson mit der Rückkehr nach England wenig später beendet hat, auf einer Tiefenebene reflektiert der Text auf dem Hintergrund des Zwischenfalls von Mukden (Besetzung der Mandschurei durch Japan im September 1931) die verbreitete Furcht vor dem Ausbruch eines Weltkriegs - der chinesisch-japanische Krieg brach schließlich 1937 aus. 30 William Empson, The Complete Poems, ed. John Haffenden (London: Allen Lane, 2000), 69f. “Aubade” wurde zuerst 1937 publiziert und erschien dann in der Sammlung The Gathering Storm (1940). 146 Der Text operiert, wie die Forschung gezeigt hat, mit einer Fülle von literarischen Anspielungen, Ambiguitäten und Wortspielen; die Botschaft des Textes realisiert sich prägnant in der Spannung der beiden nach Art der Villanelle wiederkehrenden Refrainzeilen: “It seemed the best thing to be up and go” und “The heart of standing is we cannot fly”. Der Gegensatz von Aufbruch und Flucht einerseits, Ausharren und Bewegungslosigkeit (‚Unmöglichkeit zu fliegen‘) läßt sich konkret auf die Erdbebensituation, zugleich auf die Beziehung zu Haru beziehen; darüber hinaus erscheint er als Unmöglichkeit, dem Weltkrieg zu entgehen, falls er denn kommen sollte; er ist in letzter Instanz Indikator eines allgemeinen Lebensprinzips, auf das der Mensch in Empsons Worten mit “passive endurance” antwortet. 31 Typisch für die modernistische Lyrik des 20. Jahrhunderts ist hier, daß der Bezug zur Tradition des Taglieds weiter gelockert ist: Anknüpfungspunkt ist die Situation des Tagesanbruchs und eine Liebesbeziehung; das die Liebenden störende Ereignis ist hier das Erdbeben und darüber hinaus eine allgemeine bedrohliche Lage. Empsons virtuoser Umgang mit der poetischen Form und ein ironisch-geistreiches Gedankenspiel überlagern ein Stück weit die mit dem Titel aufgerufenen Traditionsbezüge, die für den Dichter des frühen 20. Jahrhunderts gleichwohl frei verfügbar sind. Die Aubade des amerikanischen Trappistenmönchs, Mystikers und religiösen Dichters Thomas Merton (1915-1968) verknüpft das Landschaftserlebnis mit einem Moment persönlicher Entscheidung. Aubade: Lake Erie When sun, light handed, sows this Indian water With a crop of cockles, The vines arrange their tender shadows In the sweet leafage of an artificial France. Awake, in the frames of windows, innocent children, Loving the blue, sprayed leaves of childish life, Applaud the bearded corn, the bleeding grape, And cry: “Here is the hay - colored sun, our marvelous cousin, Walking in the barley, 31 Vgl. Kommentar zu “Aubade” in The Complete Poems, 318. 147 Turning the harrowed earth to growing bread, And splicing the sweet, wounded vine. Lift up your hitch - hiking heads And no more fear the fever, You fugitives, and sleepers in the fields, Here is the hay - colored sun! ” And when their shining voices, clean as summer, Play, like churchbells over the field, A hundred dusty Luthers rise from the dead, unheeding, Search the horizon for the gap - toothed grin of factories, And grope, in the green wheat, Toward the wood winds of the western freight. 32 Die biographische Situation dieses Gedichts hat William James Knight, der Studienfreund aus den Tagen des gemeinsamen Studiums Mitte der Dreißiger Jahre an der Columbia University, aufgeklärt. Das Gedicht entstand im Sommer 1940 auf einer hitch-hiking tour nach Cleveland: Merton and I were stranded near Geneva, Ohio, not far away from the shores of Lake Erie; we agreed that it was one of our more beautiful spots, so we sat at the edge of the road for a while and soaked in the view. Merton then admitted to having a little money so we went to a nearby restaurant - which turned out to be one of those fancy small - town country clubs, straight out of John O'Hara's Pennsylvania scene. We ate among well - dressed businessmen and their wives and girlfriends, and then went laughing back out into the night, rollicking over the scene. We slept in the fields. The next morning Merton handed me a page from his spiral notebook (he always carried a spiral notebook for comments on books and creative jottings, and a bound notebook for his private journal; insofar as I can determine, he kept the journal, surely the private one, all his life); on the page was the poem, “Aubade: Lake Erie,” which he had written, I assume, once the sun was up. It was minstrel - like, and a memory of France. [ … ] It was nostalgic for childhood, 32 Thomas Merton, In the Dark before the Dawn: New Selected Poems, ed. Lynn R. Szabo (New York: New Directions, 2005). William H. Shannon, Christine M. Bochen und Patrick F. O’Connell, eds., The Thomas Merton Encyclopedia (Maryknoll, NY: Orbis Books, 2002, pb. 2006). Merton verwendet den Titel “Aubade” noch mehrfach: “Aubade - Harlem”; “Aubade: the Annunciation”; “Aubade on a Cloudy Morning”. 148 and suddenly, gratefully, optimistic about the future, as though a very important decision had been made. [ … ] I looked at a very serene Tom Merton; he usually had a devilish, mischievous grin on his face, but now it was calm and serious. “You have decided what to do with your life, haven't you? ” I said. Yes, he had. In a way, the poem was mine, too; I felt I was a part of it. I still feel a part of it. 33 In zwei der weiteren Gedichte dieses Titels ist ein Bezug zur geistlichen Spielart der Aubade gegeben. Insgesamt erscheint allerdings der Traditionsbezug weiter gelockert. “Aubade” meint hier kaum mehr als den Hinweis auf den Tagesanfang. Unter den von Ted Hughes herausgegebenen Juvenilia seiner verstorbenen Frau Sylvia Plath findet sich ebenfalls ein “Aubade” überschriebenes Sonett: April Aubade Worship this world of watercolor mood in glass pagodas hung with veils of green where diamonds jangle hymns within the blood and sap ascends the steeple of the vein. A saintly sparrow jargons madrigals to waken dreamers in the milky dawn, while tulips bow like a college of cardinals before that papal paragon, the sun. Christened in a spindrift of snowdrop stars, where on pink-fluted feet the pigeons pass and jonquils sprout like solomon's metaphors, my love and I go garlanded with grass. Again we are deluded and infer that somehow we are younger than we were. 34 Eine Naturstimmung am frühen Morgen, vor allem auf Licht- und Farbeindrücke gestellt. In dieser aus der Deskription in Gefühlsäquivalente übersetzte Schilderung eines besonders ausgezeichneten Augenblicks liegt das Zentrum des Gedichts. Das Ganze vollzieht sich auf der Grundsituation 33 William James Knight, “The Thomas Merton We Knew,” URL: http: / / www.therealmerton.com/ tommie.html 34 Sylvia Plath, The Collected Poems, ed. Ted Hughes (London: Faber, 1981), 312. 149 der Aubade - Sonnenaufgang, Vogelgesang und die Liebenden - und auch die paradox-sentenzenhafte Wendung des couplet läßt sich als Moment der Erkenntnis hier integrieren. Adrian Henris kunstvolle Villanelle mit dem Titel “Aubade”, ein Monolog des Mannes, beklagt den Verlust der Geliebten; dabei werden sinnliche Eindrücke wie Gedanken des Sprechers aufgerufen, doch setzt sich letztlich die Einsicht des “never” durch: Aubade I mourn for something that was never there Remind myself of times a year ago: The scent of roses in the morning air. In this small room the senses all declare You were with me, my love, and yet I know I mourn for something that was never there. Mist hides the hills, the season is so unfair, Left here I sit and watch the summer go, The scent of roses in the morning air. Bees can't resist the honeysuckle's snare. Frantic as they are, clumsy and far too slow I mourn for something that was never there. Thoughts of your eyes, the morning in your hair, Lost like a leaf against the river's flow, The scent of roses in the morning air. Time will not stop: your careless hand will tear The faded snapshot, all that was left to show. l mourn for something that was never there, The scent of roses in the morning air. (From Penny Arcade, 1980-83) 35 Beispiele für Morgengedichte, die sich - auch ohne expliziten Bezug auf die Tagliedtradition - des Titels “Aubade” bedienen, lassen sich in der amerikanischen Gegenwartslyrik in Fülle finden. Nur wenige Belege müssen genügen. 35 Adrian Henri, Collected Poems (London: Allison & Busby, 1986), 287. 150 Richard Kenney (*1948, amerikanischer Lyriker, u.a. beeinflußt von Gerard Manley Hopkins, William Butler Yeats und Philip Larkin, Professor an der University of Washington) verwandelt die Situation des Aufbruchs an einem Wintermorgen - konkret das Einsteigen in den Pickup und das Anlassen des Motors - in ein imagistisches Gedicht, um ganz am Schluß in der Anrede an die geliebte Frau ein zweites Aubade-Element einzuführen: Aubade Cold snap. Five o'clock. Outside, a heavy frost - dark footprints in the brittle grass; a cat's. Quick coffee, jacket, watch-cap, keys. Stars blaze across the black gap between horizons; pickup somehow strikes its own dim spark - an arc - starts. Inside, familiar metal cab, an icebox full of lightless air, limns green with dash-light. Vinyl seat cracks, cold and brittle; horn ring gleams, and chrome cuts hard across the wrist where the sleeve falls off the glove, as moon-track curves its cool tiara somewhere underneath your sleep this very moment, love - 36 Von Peter Everwine (*1930; amerikanischer Lyriker) stammt das Gedicht “Aubade in Autumn”, das wiederum die Morgensituation mit den Themen Naturreligion und Liebe verschränkt: Aubade in Autumn This morning, from under the floorboards of the room in which I write, 36 Aus: Orrery (Atheneum, 1985); vgl. The Norton Anthology of Poetry, 4 th ed., 1833. 151 Lawrence the handyman is singing the blues in a soft falsetto as he works, the words unclear, though surely one of them is love, lugging its shadow of sadness into song. I don’t want to think about sadness; there’s never a lack of it. I want to sit quietly for a while and listen to my father making a joyful sound unto his mirror as he shaves - slap of razor against the strop, the familiar rasp of his voice singing his favorite hymn, but faint now, coming from so far back in time: Oh, come to the church in the wildwood . . . my father, who had no faith, but loved how the long, ascending syllable of wild echoed from the walls in celebration as the morning opened around him . . . as now it opens around me, the light shifting in the leaf - fall of the pear tree and across the bedraggled back - yard roses that I have been careless of but brighten the air, nevertheless. Who am I, if not one who listens for words to stir from the silences they keep? Love is the ground note; we cannot do without it or the sorrow of its changes. Come to the wildwood, love, Oh, to the wiiildwood as the morning deepens, and from a branch in the cedar tree a small bird quickens his song into the blue reaches of heaven - hey sweetie sweetie hey. 37 37 The New Yorker, 15. Okt. 2007; Peter Everwine, From the Meadow: Selected and New Poems (U. of Pittsburgh P., 2004). 152 Wie so viele Lyriker im anglo-amerikanischen Kulturraum sind auch die letzten beiden studierte Literaturwissenschaftler und Universitätslehrer: sie kennen also die Lyriktradition und setzen sie bewußt in Spannung zur Gegenwart und ihrer ganz eigenen Erfahrung. Alle hier vorgestellten Texte sind Beispiele dafür, daß der - wie stark oder schwach auch im einzelnen ausgeprägte - Traditionsbezug den Texten eine zusätzliche Dimension hinzufügt, die vom Aufruf einer historischen Folie bis hin zum bewußten Anschreiben gegen die Tradition, zur historischen Lyrikkritik reicht. Ein Extrembeispiel dafür ist Peter Rühmkorfs „Tagelied“, das die Taglied-Grundsituation - Tagesanfang und monologische Reflexion über die Liebesbeziehung - festhält, dabei in theatralischer Weise die deutsche Lyrik von Goethe bis Rilke anzitiert und durch kalkulierte Brüche des sprachlichen Dekorum nicht nur ein gesteigertes Formbewußtsein schafft, sondern auf der thematischen Ebene eine Bestandsaufnahme der conditio humana unternimmt. In mancherlei Hinsicht kann deshalb Rühmkorfs „Tagelied“ als Pendant zu Larkins “Aubade” gelten. Tagelied An springt der Sommer - : mitten durch den Reifen, - noch einmal trägt mein Glück - Verweile doch und laß dich auch begreifen, mein Pfauen-Augen-Blick - Es ist das Stundenglas nicht umzukehren und was die Parze spinnt … Das Leben, das wir beide so verehren, es rast - es rinnt. Es traut kein Bürger, segnet uns kein Paster, kein Sozi stimmt mit ein. Es muß, mein Kind, nicht immer gleich das Laster, es kann auch Liebe sein. Denn was sich liebt, das spottet der Erfahrung, und was sich fesselt, gibt sich aus der Hand. Dein Arsch hängt über mir wie eine Offenbarung: gesammelt - und entspannt. Verdammter Morgen, bleiche Abschiedsstunde, wenn uns der Schweiß gefriert. Dein Finger paßt so schön in meine Wunde, faß rein, daß sie sich spürt. 153 Und Biß um Biß sich aneinanderreihend machen der Seele die Gestalt bewußt. Scharf wie Makrelen, Plankton seihend, schlürfen wir uns die Seufzer aus der Brust. Die Nacht ist hin, die Dinge sind so sausend (Ein Kuß noch draufgepappt) Eh uns der schwarze Müllmann 1: 100 000 im Acheron verklappt … Ein Blutsturz, gut, so steigt er, so verstrullt er; Schmerzböen, Tränenschauer, immer hinterher! Das nimmt das Wasser alles auf die leichte Schulter; das trägt die Flut ins Meer -. 38 Es ist klar geworden, daß zwar von einem stabilen Formtypus oder einer literarischen Gattung im engen Sinn heute weniger gesprochen werden kann, daß gleichwohl Thematik und Motivik der Alba überaus lebendig geblieben sind. In vielen Fällen, so auch bei Larkins Gedicht, wird explizit im Titel der Bezug zu dieser Tradition aufgerufen; dies verlangt vom Interpreten ein Interpretationsverfahren, das sowohl die Traditionselemente als auch die signifikanten Abweichungen in Balance halten muß und insofern einen ‚Mehrwert‘ für den Erkenntnisprozeß darstellt. 38 Peter Rühmkorf, Aufwachen und Wiederfinden: Gedichte, Insel-Bücherei Nr. 1288 (Frankfurt: Insel-Verlag, 2007), 39f. Noch eindrucksvoller erscheint die Parallele zwischen Larkins “Aubade” und Rühmkorfs Gedicht „Aufbruch vor Morgen“, das ebenfalls Taglied-Motive umspielt: Peter Rühmkorf, Haltbar bis Ende 1999 (Reinbek: Rowohlt, 1979). 155 4. “An Exalting of Larks” 1 - Das Lerchenmotiv in der englischen Lyrik 4.1 Einstieg: Lerchenlied und Lerchenflug in der technischen Welt “to write poems about skylarks … was both artistically negligible and morally wrong” (Graham Hough). 2 Das Lerchenmotiv gehört zum stereotypen und damit zugleich am meisten abgenutzten Inventar der Lyrik seit dem Mittelalter. Graham Houghs Kritik, geschrieben im Rückblick auf Romantik und Viktorianismus, spiegelt einmal mehr das make it new der Modernisten zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Und doch erscheint das Lerchenmotiv immer wieder in neuen Kontexten. In der Mechanik von Bildhälfte und Sachhälfte in Vergleich und Metapher werden heterogene Welten zusammengespannt. Die traditionell eingespielten, stereotypen Beziehungen von tenor und vehicle werden aufgebrochen und aus dem Kontrast von Natur und technischer Welt entstehen neue, überraschende Einsichten. Der Sprecher im Epilog zu Ted Hughes’ Gaudete deutet die Naturerfahrung Lerchenlied im metaphorischen Bezugsrahmen ‚Elektrizität‘: The lark sizzles in my ear Like a fuse - A prickling fever A flush of the swelling earth - When you touch his grains, who shall stay? Over the lark's crested tongue Under the lark's crested head 1 Der Titel dieses Kapitels ist eine Entlehnung aus James Liptons Buch An Exaltation of Larks or, The Venereal Game, in dem der Autor eine Liste von collective nouns zusammenstellt, konkret “terms of venery”, die im 15. Jahrhundert populär waren und sich in einer Reihe von Manuskripten - z.B. Egerton (1450) - und frühen Drucken - z.B. Dame Juliana Barnes, The Book of St. Albans (1486, nachgedruckt von Wynken de Worde 1496) - finden. Im letzteren findet sich unter der Überschrift “The Compaynys of beestys and fowlys” als 18. Eintrag “An Exaltyng of Larkis”. 2 Graham Hough, The Last Romantics (New York, 1978), 116. 156 A prophecy From the core of the blue peace From the sapphire's flaw From the suns's blinding dust 3 Harry Fainlight hat am 11. Juni 1965 in der Royal Albert Hall, London bei der berühmt-berüchtigten Lyriklesung International Poetry Incarnation der Beat-Poets, an der u.a. Alan Ginsberg, Lawrence Ferlinghetti, Gregory Corso, Adrian Mitchell, aber auch Ernst Jandl teilnahmen, 4 das Gedicht “Lark Song” gelesen, in dem die am Rande eines Flugfeldes unter äußerster Kraftanstrengung auffliegende Lerche mit dem auf seinem Abgasstrom balancierenden Raumschiff kontrastiert wird: A lark’s fistful of blood and feathers Flings its song into the the teeth of the wind And drops back broken. Der (anglo-)walisische Dichter Tom Earley (1911-1998) treibt die metaphorische Identifikation der Lerche mit einem Objekt der technischen Welt noch weiter: Lark Helicopter of the hill, with your vertical takeoff and controlled poise as you climb, you make the mountain shrill with your noise. 5 Das Lerchenmotiv eignet sich wegen der Fülle des Materials einerseits hervorragend als Testfeld für eine Motivstudie wie die hier unternommene, 3 Entsprechend dem Erzählrahmen Verse, die ein Priester aus einem Notizbuch kopiert hat: Ted Hughes, “Epilogue”, Gaudete (London: Faber, 1977), 178f. 4 Vgl. Peter Whiteheads Dokumentarfilm Wholly Communion (Großbritannien, 1965; 33 Min.). 5 Anglo-Welsh Poetry 1480-1980, ed. Raymond Garlick und Roland Mathias (Bridgend: Poetry Wales Press, 1984), 175f. 157 andererseits verlangt gerade diese Materialfülle 6 einen selektiven Zugriff, der sich auf Grundprobleme konzentriert. In diesem Kapitel stehen nach einem Überblick über die Bedeutungsfülle des Lerchenmotivs Texte dreier Autoren im Zentrum (Shelley, Hopkins, Hughes), an denen klassische Ausprägungen und zugleich einschlägige poetische Verfahrensweisen demonstriert werden können. 4.2 Zum Bedeutungsspektrum von (Sky)lark Im Vergleich zur Nachtigall - Philomel - kommt die Lerche in der klassischen Mythologie seltener vor. Der Eintrag zu Lerche in Pauly-Wissowas Realencyclopädie oder im Kleinen Pauly enthält ganz überwiegend zeitgenössische naturwissenschaftliche Fakten; daneben finden sich wenige mythologische oder literarische Referenzen und nur zwei Sprichwortwendungen. 7 In der europäischen Literatur seit dem Mittelalter übernimmt die Lerche zwar immer wieder auch symbolische Bedeutungen, die ursprünglich der Nachtigall zugeschrieben worden sind, ihr ist jedoch auch ein ganz eigenes Symbolfeld zugeordnet, das einerseits vom Flugverhalten der Lerche, andererseits dem Lerchenlied ausgeht. Gerade weil ihr mythologischer Hintergrund weniger festgelegt erscheint, kann das der Lerche zugeschriebene Spektrum an symbolischen Bedeutungen offenbar weiter und variabler sein als das anderer Vögel. Brigitte Level führt in ihrer „ornithomythischen Studie“ 8 als Konnotationen sowohl für Vögel überhaupt als auch für die Lerche u.a. die folgenden auf: Wald, Frühling, Morgen, Pastorale, Liebe, Freiheit, dichterische Inspiration, Hoffnung. Für die Lerche ist ganz besonders die Verbindung des 6 Vgl. auch Priscilla Bawcutt, “The Lark in Chaucer and Some Later Poets”, The Yearbook of English Studies 2 (1972), 5-12. 7 Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, ed. Wilhelm Kroll (Stuttgart, 1925) s.v. ‚Lerche‘: 24, 2082-2085. Der kleine Pauly: Lexikon der Antike, ed. Konrat Ziegler and Walther Sontheimer (München: Druckenmüller, 1964-1975; repr. München: dtv, 1979), s.v. ‚Lerche‘, III, 583. 8 Brigitte Level, Le poète et l'oiseau: Vers une ornithomythie poétique (Paris: Klincksieck, 1975); vgl. Michael Ferber, A Dictionary of Literary Symbols (Cambridge: CUP, 1999; 2 2007), 107f.; Günter Butzer und Joachim Jacob, eds., Metzler Lexikon Literarischer Symbole (Stuttgart: Metzler, 2008), 204f.; Ad de Vries, Dictionary of Symbols and Imagery (Amsterdam, London, 3 1981, repr.), rev. and enl. ed. weitergeführt als Elsevier’s Dictionary of Symbols and Imagery, (Amsterdam, 2004). 158 hochaufsteigenden Fluges mit dem Lerchenlied charakteristisch. 9 Eine ausführliche Auffächerung des Bedeutungsumfangs ‚Lerche‘ findet sich auch bei Ad de Vries. 4.2.1 Tagesanbruch Die Assoziation der Lerche mit dem Morgen ist seit Jahrhunderten fest etabliert: On þe morwe wan it was day & þe lark by-gan to synge, þys messegers come in god aray. (OED: Sir Ferumbras [c. 1380] l.1498) Ähnlich bei Shakespeare: Lo, here the gentle lark, weary of rest, From his moist cabinet mounts up on high And wakes the morning, from whose silver breast The sun ariseth in his majesty; Who doth the world so gloriously behold That cedar-tops and hills seem burnish’d gold. (William Shakespeare, Venus and Adonis) D'Avenant's “Song” beginnt so: The lark now leaves his watry Nest And climbing shakes his dewy Wings; 10 Vollends bei Milton und in James Thomsons Seasons ist die Lerche zu einem stereotypen Requisit der Morgenszenerie geworden: To hear the lark begin his flight, And singing startle the dull night, 9 L'alouette “se fait remarquer par son vol facile et soutenu, s'élevant au plus haut des airs et y faisant entendre son chant sonore à des hauteurs où l'œil peut à peine la distinguer.“ (Charles d'Orbigny, Dictionnaire universel d'Histoire naturelle [Paris, 1868], cf. Level, ibid., 124f.). 10 Weitere einschlägige Fälle z.B.: John Clares Gedichte mit dem Titel “Early Morning” und vergleichbare Stücke, in denen die Lerche als Versatzstück fungiert: “Early Morning” (mehrere Texte dieses Titels), “The Invitation”, “Morning”, “How Beautiful the Morning”, “Mary, a Ballad”, “April”; Collins, “Tomorrow”; Dryden, “To the Pious Memory of the Accomplished Young Lady, Mrs. Anne Killigrew”. 159 From his watch-tower in the skies, Till the dappled dawn doth rise. (John Milton, L’Allegro, 41-44). … Up springs the lark, Shrill-voiced and loud, the messenger of morn; Ere yet the shadows fly, he mounted sings Amid the dawning clouds, and from their haunts Calls up the tuneful nations. (James Thomson, The Seasons, “Spring”) Lerche und Nachtigall markieren in typischer Weise den Gegensatz von Tag und Nacht, so in der Taglied-Tradition, die sich in Shakespeare’s Romeo and Juliet widerspiegelt. 11 Ein späteres Beispiel für die stereotype Verwendung findet sich bei Christina Rossetti: The sunrise wakes the lark to sing, The moonrise wakes the nightingale. Come darkness, moonrise, every thing That is so silent, sweet, and pale: Come, so ye wake the nightingale. (Christina Rossetti, “Bird Raptures”) Allerdings verbindet sich die Vorstellung des Tagesanbruchs nicht selten mit anderen Motiven zu komplexen Bedeutungen. Im Epithalamion bedient sich Edmund Spenser eines ganzen Chors von Vögeln, nicht nur um den Morgen des Hochzeitstags zu schmücken, sondern um zugleich das Liebesthema und das Thema ‚universelle Harmonie und Freude‘ anzuschlagen: Hark how the cheereful birds do chaunt thyr laies And carroll of loves praise. The merry Larke hir mattins sings aloft, The thrush replyes, the Mavis descant playes, The Ouzell shrills, the Ruddock warbles soft. So goodly all agree with sweet consent, To this dayes merriment. (Edmund Spenser, Epithalamion, 78-84). 11 Vgl. Kapitel 3. 160 In Pippa Passes stellt Browning eine ideale Naturszene dar, in der die Lerche wiederum innerhalb eines durch die logisch und zeitlich geordnete Folge ‚Frühling‘ - ‚Morgen‘ - ‚morgens sieben Uhr‘ bestimmten Zeitpunkts als stock element fungiert. Das Darstellungsziel geht auch hier über diese Szenerie hinaus und kulminiert in der Botschaft eines wohlgeordneten Universums: The year's at the spring And day is at the morn; Morning's at seven; The hill-side's dew-pearled; The lark's on the wing; The snail's on the thorn, God's in his heaven - All's right with the world. (Robert Browning, Pippa Passes) 4.2.2 Frühling Die Kombination Lerche und Frühling tritt ähnlich häufig wie die Kombination Lerche und Tagesanbruch auf. Hier wird man besonders in der romantischen und vorromantischen Lyrik fündig. Blakes “Spring” aus den Songs of Innocence ist ein klassisches Beispiel: Sound the flute! Now it's mute; Bird's delight Day and night; Nightingale in the dale, Lark in the sky, Merrily Merrily, to welcome in the year. (William Blake, “Spring”) 12 12 Vgl. weiter William Blake, “The Echoing Green”; John Clare, “Larks and Spring”, “Song”, “The Skylark”; Samuel Taylor Coleridge, “Recollections of Love”; John Keats, “Fancy”; Tennyson, “The Progress of Spring”. 161 Bei Dylan Thomas findet sich die kürzestmögliche Formel dieser Verknüpfung: A springful of larks in a rolling Cloud and the roadside bushes brimming with whistling Blackbirds and the sun of October Summery On the hill's shoulder Here were fond climates and sweet singers suddenly Come in the morning … (Dylan Thomas, “Poem in October”) Bei Walter de la Mare wird der Herbst gerade durch die Abwesenheit der Lerche charakterisiert: There is a wind where the rose was; Cold rain where sweet grass was; And clouds like sheep Stream over the steep Grey skies where the lark was. (Walter de la Mare, “Autumn”) Auch hier läßt sich die Zahl der Beispiele beliebig vermehren. 4.2.3 Pastorale / (ursprüngliche) Natur / Stadt-Land-Gegensatz Lerche und Hänfling sind stereotype Elemente in Ambrose Philips' “Second Pastoral”; sie sind Requisiten in der pastoralen Szenerie in Popes “Windsor Forest” oder in Stephen Ducks Lyrik. Die Lerche ist hier ein Indikator für die Natur in ihrem ursprünglichen Zustand vor dem Sündenfall. Stellvertretend für viele stehe ein Ausschnitt aus der Frühlingsszene in Thomas Grays “Ode on the Pleasure Arising from Vicissitude”: New-born flocks in rustic dance, Frisking ply their feeble feet; Forgetful of their wintry trance The birds their his presence greet: But chief, the skylark warbles high His trembling thrilling ecstasy; 162 And lessening from the dazzled sight, Melts into air and liquid light. 13 Im Roman des 19. Jahrhunderts dient der pastorale Impuls dazu, den Gegensatz von (industrieller) Stadt und (pastoralem) Land zu betonen. Typisch ist die folgende Szenerie eines Sonntagmorgens in Charles Dickens’ Hard Times. Zu Beginn von Buch III, Kap. 6 beschreibt Dickens einen Spaziergang in offener Landschaft am Sonntagvormittag, weit weg von Coketown: Though the green landscape was blotted here and there with heaps of coal, it was green elsewhere, and there were trees to see, and there were larks singing (though it was Sunday), and there were pleasant scents in the air, and all was over-arched by a bright blue sky. In the distance one way, Coketown showed as a black mist; in another distance hills began to rise; in a third, there was a faint change in the light of the horizon where it shone upon the far-off sea. Under their feet, the grass was fresh; beautiful shadows of branches flickered upon it, and speckled it; hedgerows were luxuriant; everything was at peace. Engines at pits’ mouths, and lean old horses that had worn the circle of their daily labour into the ground, were alike quiet; wheels had ceased for a short space to turn; and the great wheel of earth seemed to revolve without the shocks and noises of another time. 14 Hier wie auch schon in den vorausgehenden Kapiteln etabliert Dickens einen scharfen Kontrast zwischen Coketown, der Industriestadt, die als “a blur of soot and smoke” 15 am Horizont erscheint, und der offenen Landschaft des ländlichen England. Üppiges Grün, frisches Gras, angenehme Düfte, die von Hecken durchzogene optisch gegliederte englische Landschaft, all das sind Elemente der pastoralen Landschaft, charakteristisch für “The Green Language”, wie sie Raymond Williams charakterisiert hat. 16 An diesem Sonntagmorgen hat die Arbeitswelt, wenn auch nur für kurze Zeit, der Natur in ihrer ursprünglichen Schönheit Platz gemacht: “ … and there 13 Vgl. John Clare, “A Rhapsody”. 14 Charles Dickens, Hard Times, Book III, Chapter 6. Norton Critical Edition, Ed. George Ford and Sylvère Monod (New York: Norton, 2 1990), 195. 15 Hard Times, Book II, chapter 1 (Ibid., 85). 16 Raymond Williams, The Country and the City (London: Chatto & Windus, 1973; repr. Frogmore: Paladin, 1975), 158; vgl. besonders den Abschnitt zur Pastorale (John Clare, William Wordsworth) 164. 163 were larks singing”. Offensichtlich sind Lerchen hier stereotype Elemente des schönen Sommervormittags, sie werden hier wie auch in anderen Werken 17 zugleich in den Dienst des Stadt-Land-Gegensatzes gestellt. Ein bemerkenswertes Detail stellt der Klammerzusatz “(though it was Sunday)” dar. Die Lerchen singen, ‚arbeiten‘ selbst am Sonntag. Natur kontrastiert mit der Arbeitswelt, deren Werke eben nicht durch Arbeitszeit geregelt sind, eine Welt außerhalb der zeitgenössischen viktorianischen Debatte über den Sonntag. 18 Dickens’ Landschaften sind, wie u.a. Wolfgang Herrlinger gezeigt hat, ‚soziale Landschaften‘, in denen klassische Versatzstücke des Piktoresken mit der Arbeitswelt kontrastieren. Ein vergleichbarer Kontrast zur Arbeitswelt wird mit Hilfe der pastoralen Landschaft aufgebaut: The countryside is consistently described in idyllic terms; it is the oasis of refreshment lying between the muddy brick towns. 19 4.2.4 Himmel / hoch in der Luft / ‚unsichtbar‘ Eine weitere Standard-Ausprägung des Lerchen-Motivs bezieht sich auf den Steigflug der Lerche, der sie immer höher steigen läßt, bis sie dem menschlichen Auge entschwunden ist, gleichwohl noch gehört wird. Bei Coleridge findet sich mehrfach die Aussage, daß die Lerche ‚unsichtbar singt‘: While from the singing lark (that sings unseen The minstrelsy that solitude loves best), (Coleridge, “Fears in Solitude”) 17 “The June weather was delicious. The sky was blue, the larks were soaring high over the green corn, I thought all that countryside more beautiful and peaceful by far than I had ever known it to be yet. Many pleasant pictures of the life that I would lead there [ … ] beguiled my way.” Great Expectations, Ed. Angus Calder (Harmondsworth: Penguin, 1965; often repr.), ch. 58, 482. 18 “According to one convention, the contemporary situation was measured against the image of an ideal or at least idyllic Sunday, usually a beautiful rural Sunday in summer, not associated at all with the problems of the Victorian age.” (Paul Goetsch, “The Sunday in Victorian Literature”, Functions of Literature, Fschr. Erwin Wolff [Tübingen: Niemeyer, 1984], 227-249; bes. 237ff.) 19 Wolfgang Herrlinger, Sentimentalismus und Postsentimentalismus: Studien zum englischen Roman bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts (Tübingen: Niemeyer, 1987), 174ff.; Louis Cazamian, The Social Novel in England, 164. 164 Oft with a patient ear Long-listening to the viewless sky-lark's note (“Reflections on Having Left a Place of Retirement”) No more the Sky Larks less'ning from my sight Shall thrill th'attuned Heartstring with delight. (“An Effusion at Evening” / “Lines on an Autumnal Evening”) Eine vergleichbare Verbindung von ‚Lerche‘ und ‚Höhe‘ findet sich auch in Robert Southeys “Sonnet V” und in “The Traveller’s Return”. T.S. Eliot zitiert eine berühmte Passage aus Dantes Divina Commedia, die, wie er sagt, schon von Walter Savage Landor wegen der Einfachheit des Vergleichs bewundert worden ist. Hier kontrastiert Dante den Lerchengesang im Steigflug mit dem gesanglosen Sinkflug: Quale allodetta che in aere si spazia prima cantando, e poi tace contenta dell' ultima dolcezza che la sazia. [Like the lark which soars in the air, first singing, and then ceases, content with the last sweetness that sates her.] 20 Bei Dante dient das Lerchenbild der Annäherung an das nur im poetischen Bild Sagbare, wobei der Prozeß der Verbildlichung in der Fortsetzung des Textes ausdrücklich markiert wird: „ … tal mi sembiò l'imago de la 'mprenta / de l'etterno piacere“. Ein Echo dazu findet sich bei Christina Rossetti in Versen, die sich ihrerseits auf Shelleys “To a Skylark” beziehen: And still the singing skylark soared And silent sank and soared to sing … (Christina Rossetti, “A Green Cornfield”) 20 T.S. Eliot, “Dante” (1929), Selected Prose of T.S. Eliot, ed. Frank Kermode (London: Faber, 1975), 228f. Eliot zitiert nur die Bildhälfte dieses bekannten Vergleichs (Paradiso, Canto XX, ll. 73-77). Schon W.P. Ker hat betont, daß Dantes Bilder durch ihre größere Unmittelbarkeit häufig den Rahmen der zeitgenössischen poetischen Konventionen sprengen. Vorbilder dafür waren die provençalischen Dichter, hier das Lerchenlied von Bernart de Ventadorn. (W.P. Ker, “Notes on the similes of Dante”, Essays on Medieval Literature [New York: Macmillan, 1905], 43ff.). 165 4.2.5 Glück / Freude / Leben Nur ein kleiner Schritt führt von dieser Motivausprägung zur Assoziation der Lerche mit dem Himmel und dem Kontrast der ‚himmlischen‘ Existenz mit der conditio humana. Wordsworths “To a Sky-Lark” (1805/ 07) ist ein typisches Beispiel: Up with me! up with me into the clouds! For thy song, Lark, is strong … I have walked through wildernesses dreary, And to-day my heart is weary; Had I now the wings of a Faery, Up to thee would I fly. There is madness about thee, and joy divine In that song of thine; Die Assoziation des Lerchenliedes mit Jubel und Freude (“joy”) im Kontrast zu menschlichem (Liebes-)Leid findet sich schon in Bernart de Ventadorns „Lerchenlied“. Hier folgen die ersten beiden Strophen in der Übersetzung Ezra Pounds: When I see the lark a - moving For joy his wings against the sun - light, Who forgets himself and lets himself fall For the sweetness which goes into his heart ; Ai ! what great envy cometh unto me for him whom I see so rejoicing! It marvelleth me that my heart melts not of desiring. Alas! so much did I think I knew Of Love, and so little do I know of it, for I cannot Hold myself from loving Her whom I shall never have anything toward. She hath all my heart from me, and she hath from me all my wit And myself and all that is mine. And when she took it from me she left me naught. Save desiring and a yearning heart. 21 21 Ezra Pound, The Spirit of Romance (London: Dent, 1910), 35f., vgl. Canto CXVII; 166 Von Bernart von Ventadorn beeinflußt ist das Gedicht “Yr Ehedydd” [“Die Lerche”] des walisischen Dichter-Sängers Dafydd ap Gwilym, das zugleich eine starke religiöse Komponente enthält: The powerful prayers of the skylark turn upwards from his house every day, world’s early-riser, agitation of bright song, towards the sky. April’s gatekeeper. Gracious voice, director of rhymes, sweet path, yours is fair labour: making song above hazel groves, tasteful masterpiece of the brown-winged one. You have a mind intent on preaching, dear office, and excellence of language, a strong tune from the fountain of the faith, deep privileges before God. 22 In Wordsworths “A Morning Exercise” wird die Lerche durch die Abwesenheit von Melancholie charakterisiert: Bernart von Ventadorns Lerchenlied beginnt so: Can vei la lauzeta mover De joi las alas contra l rai, Que s'oblid'e s laissa chazer Per la doussor c'al cor li vai, Ai! , tan grans enveya m'en ve De cui qu'eu veya jauzion, Meravilhas ai, car desse Lo cors de dezirer no m fon. [ … ] Vgl. Erich Köhler, „‘Can vei la lauzeta mover’: Überlegungen zum Verhältnis von phonischer Struktur und semantischer Struktur“, Estudis de llengua i literatura catalanes: oferts a R. Aramon i Serra en el seu setantè aniversari (Barcelona: Ed. Catalanes, 1 [1979], [337] - 349); repr. in Peter V. Zima, ed., Semiotics and dialectics: ideology and the text. (Amsterdam: Benjamins, 1981), [445] - 468; auch zugänglich als Sonderdruck aus der Universität Freiburg über den Freiburger Dokumentenserver, URL: http: / / www.freidok. uni-freiburg.de/ volltexte/ 4198. 22 Übersetzung nach Dafydd ap Gwilym-Projekt an der University of Swansea: URL: http: / / www.dafyddapgwilym.net; vgl. Dafydd ap Gwilym: His Poems, trans. Gwyn Thomas (Cardiff: U. of Wales P., 2001), 121. 167 But ne'er could Fancy bend the buoyant Lark To melancholy service - hark, o hark! (Wordsworth, “A Morning Exercise”, 23f.) Die “happy lark” repräsentiert die Fülle des Lebens. Entsprechend bedeutet der Tod, der bei Christina Rossetti als Ausweg aus einem mühevollen Leben erscheint, zugleich den Verlust der sinnlichen Wahrnehmung der vollkommenen Natur, zu der eben auch die hoch aufsteigende Lerche gehört: Life is not sweet. One day it will be sweet To shut our eyes and die: Nor feel the wild flowers blow, nor birds dart by With flitting butterfly, Nor grass grow long above our heads and feet, Nor hear the happy lark that soars sky high, (Christina Rossetti, “Life and Death”) Christina Rossettis Gedicht “Gone forever”, ein memento mori, läßt dagegen auch Rose und Lerche dem Tod unterworfen erscheinen: O happy skylark springing Up to the broad blue sky, Too fearless in thy winging, Too gladsome in thy singing, Thou also soon shalt lie Where no sweet notes are ringing. (Christina Rossetti, “Gone forever”) Merediths Lerchen-Gedichte stellen beide Echos von Shelley dar. Dies ist der Anfang von “To a Skylark”: O skylark! I see thee and call thee joy! Thy wings bear thee up to the breast of the dawn; I see thee no more, but thy song is still The tongue of the heavens to me. (George Meredith, “To a Skylark”, 1-4) Wichtiger ist “The Lark Ascending”, das Ralph Vaughan-Williams als Vorlage für sein Violinkonzert gedient hat. Meredith verbindet eine ganze Reihe traditioneller Teil-Motive zu einem komplexen Argument, das die als “wild”, d.h. “irreflective, unrestrained, rapt” (37f.) charakterisierte Existenzform der Lerche, die sich durch “self-forgetfulness divine” (114) aus- 168 zeichnet, gegen die beschränkte Welt und beschwerte Existenz des Menschen setzt. Hier findet sich eine ähnliche Assoziation des Lerchengesangs mit den Gezeiten wie in Gerard Manley Hopkins’ “The Sea and the Skylark”. Wie bei Hopkins steht auch hier die Lerche für Reinheit, ebenso wie für Ekstase und Lebensfreude, und ebenso wie bei Hopkins wird die Synästhesie als dichterischer Kunstgriff eingesetzt. Eine noch komplexere Beziehung zwischen ‘joy’, ‘nature’, ‘life’ auf der einen Seite und ‘weariness’, ‘war’, ‘death’ auf der anderen wird in Isaac Rosenbergs Gedicht aus dem Ersten Weltkrieg “Returning we hear the larks ascend” entwickelt. Während die beiden ersten Abschnitte des Gedichts die Gefühlslage der Soldaten schildern, die müde vom Schlachtfeld zurückkehren, überrascht der dritte Abschnitt mit einem vollkommenen Gegensatz: But hark! joy - joy - strange joy. Lo! heights of night ringing with unseen larks. Music showering on our upturned list'ning faces. Zwar ist auf der Ebene des Vergleichs die Verbindung zwischen Tod und Lerchenlied nicht aufgehoben: Death could drop from the dark As easily as song (Isaac Rosenberg, “Returning we hear the larks ascend”) - doch steht das Lerchenlied im Zentrum einer Reihe komplexer und ambivalenter Vergleiche. 4.2.6 Dauer/ Ewigkeit / Beständigkeit Das Lerchenlied ist endlos: In pastures April-green, Where the shrill skylark's raptures never cease, (Walter de la Mare, “A Hare”) And larks hang singing, singing, singing (Christina Rossetti, “Summer”) 169 Das letzte Beispiel zeigt schön, wie die rhetorische Figur der geminatio hier (und vielfach) als Formäquivalent für ‚Dauer‘ eingesetzt wird. 23 Die moralische Entsprechung zur Dauer des Lerchenliedes ist ‚Beständigkeit‘: Watchful as a wheeling eagle, Constant as a soaring lark, Should the country need a heroine, She might prove our Joan of Arc. (William Wordsworth, “The Westmoreland Girl”) 24 4.2.7 Hoffnung In der Romantik, z.B. bei Wordsworth, wird der hoch aufstrebende Flug der Lerche mit ‚Hoffnung‘ assoziiert: Gay lark of hope, thy silent song resume! Ye flattering eastern lights, once more the hills illume. (Wordsworth, Descriptive Sketches, 528f.) 25 Während die letzten Beispiele in 4.2.6 durch die Form des Vergleichs Bildhälfte (abstrakt) und Sachhälfte (konkret) noch auseinanderhalten, sind in diesem Beispiel beide in der Form der Genitivmetapher “lark of hope” verbunden. Bei Coleridge steht die abstrakte Qualität ‘hope’ im Focus: And Hope, that soars on sky-lark wing, Carol wild her gladdest song! (Coleridge, “To the Rev. W.J. Hort”, 7f.) 23 Vgl. Ludwig, Arbeitsbuch Lyrikanalyse, 130ff. 24 Ein Vergleich in Wordsworths The Prelude operiert mit der Dimension der (langen) zeitlichen Erstreckung des Lerchenlieds: “and hence this Song, which like a lark, / I have protracted, in the unwearied heavens / Singing … ” (The Prelude, Bk. XIV, 382-384). 25 In ähnlicher Weise sind in Guilt and Sorrow XXXVI, ‘hope’ and ‘lark’ in einer einzigen Zeile zusammengerückt: The while her comrade to her pensive cheer Tempered fit words of hope; and the lark warbled near. 170 4.2.8 Musik / Harmonie Das Lerchenlied gilt ebenso als Inbegriff von Harmonie. Die klassische Formel dafür findet sich bei George Herbert: O let me rise As larks, harmoniously, And sing this day thy victories. (George Herbert, “Easter-wings”). 4.2.9 ‘Wild’ / Freiheit Mit der Natur teilt die Lerche das Attribut ‘wild’ - typisch ausgeprägt wiederum in der Lyrik der Romantik. Zu Beginn von James Hoggs “The Skylark” wird die Lerche als “Bird of the wilderness” apostrophiert: Wild is thy lay and loud, Far in the downy cloud. 26 (James Hogg, “The Skylark”) Das Gedicht versammelt die allermeisten stereotypen Elemente, die sich traditionell mit der Lerche verbinden. Die Lerche “heralds the day”, singt in der Höhe und verbindet in ihrem Flug Himmel und Erde: “Thy lay is in heaven, thy love is on earth.” Wie bei Shelley findet sich auch die Verbindung von ‘soar’ und ‘sing’: “Musical cherub, soar, singing, away! ” - und die Lerche wird “emblem of happiness” genannt. Bei Tennyson: Up leaps the lark, gone wild to welcome her [Spring] (Tennyson, “The Progress of Spring”, 14) In diesen Beispielen oszilliert ‘wild’ zwischen den Bedeutungen ‘uncivilized’ bzw. ‘natural’ und ‘ecstatic’. Die ‚wilde‘, freie, ungezähmte Lerche steht in Opposition zum gefangenen Vogel (im Käfig), der typischerweise wiederum als Lerche oder Nachtigall erscheint, so z.B. in Wordsworths “Liberty” und in Gerard Manley Hopkins’ Sonett mit eben diesem Titel: 27 26 ([James Hogg], The Works of the Ettrick Shepherd: Poems and Ballads ([1865] repr. New York, 1973). 27 Gerard Manley Hopkins, “The Caged Skylark”. Zum Motiv des Vogels im Käfig vgl. King Lear V,3.8f.: “Come let's away to prison. We two alone will sing like birds 171 Who can divine what impulses from God Reach the caged lark, within a town-abode, From his poor inch or two of daisied sod. (William Wordsworth, “Liberty”, 27-29). In Keats’ Sonett “Written on the Day that Mr. Leigh Hunt left Prison” (1815) wird der eingekerkerte Freund hinsichtlich seiner geistigen Freiheit mit der Lerche verglichen: What though, for showing truth to flattered state, Kind Hunt was shut in prison, yet has he, In his immortal spirit, been as free As the sky-searching lark, and as elate. (John Keats, “Written on the Day that Mr. Leigh Hunt left Prison”, 1-4) 4.2.10 ‘Madness’ / Trunkenheit Häufig erscheint die Ekstase der Lerche als Trunkenheit oder ‘madness’, z.B. bei Wordsworth in “To a Sky-Lark”: There is madness about thee, and joy divine und wenig später: Drunken lark! thou wouldst be loth To be such a traveller as I. (William Wordsworth, “To a Sky-Lark”, 12,20f.) In Tennysons Gedicht “The Lark” findet sich das Trunkenheits-Motiv bis in groteske Dimensionen verstärkt. Der Text entlehnt aus der romantischen Lyrik nicht nur dieses Motiv, sondern enthält auch ein Echo von Keats’ “La Belle Dame sans Merci” und übernimmt - möglicherweise ebenfalls von Keats angeregt - die Formelsprache der Volksballade. Die Inkongruenz zwischen der göttlichen Natur der Lerche und ihres Gesangs und der moralischen Kritik des Sprechers an der Trunkenheit der Lerche führt geradewegs ins Bathos: i'th'cage”; oder Miss Flites Vögel in Dickens' Bleak House, eine allegorische Repräsentation der “wards” (Penguin Edition, 875) die “Free at last” sind (ibid., 927); oder die Nachtigall im Käfig in Douglas Jerrolds Melodrama Black-Ey'd Susan. 172 What aileth thee, O bird divine, That thou singest with main and with might? Is thy mad brain drunk with the merry, red wine, At the very break of light? It is not good to drink strong wine Ere the day be well-nigh done; But thou hast drunk of the merry, sweet wine, At the rising of the sun. (Tennyson, “The Lark”) 28 4.2.11 Imagination Von der Trunkenheit der Lerche ist es nur ein kleiner Schritt zur Ekstase der Seele in neuplatonischer Tradition ebenso wie zur Inspiriertheit oder Entrücktheit des romantischen Dichters, wie sie Coleridges “Kubla Khan” gestaltet. Shelleys Lerche repräsentiert, wie noch im Detail zu zeigen ist, die dichterische Imagination, genauer die Natur als dichterische Kraft. Diese Grundvorstellung findet sich auch anderswo in der Dichtung der Romantik, z.B. in William Blakes Milton, wo die Lerche “a mighty angel” (Milton, Bk. II, pl. 36, l. 12) 29 oder “an Angel on the Wing” (Descriptions of the Illustrations to Milton's “L'Allegro” and “Il Penseroso”) genannt wird. Der Augenblick der Regeneration im zweiten Buch von Milton, den Blake in seinem eigenen Garten in Felpham lokalisiert, ist durch das Zusammentreffen zweier starker sinnlicher Eindrücke charakterisiert: dem Geruch wilden Thymians und eben dem Lerchenlied. 30 Die Lerche initiiert zusammen mit Nachtigall, Drossel und anderen Vögeln das Erlösungswerk: 28 “The Lark” [1828], The Poems of Tennyson, ed. Christopher Ricks (London, 1969), 168. 29 Cf. Edith Sitwell, A Poet's Notebook, 106; cf. S. Foster Damon, A Blake Dictionary: The Ideas and Symbols of William Blake (London: Thames and Hudson, 1973) s.v. lark: “The L ARK is the new idea which comes as inspiration in the dawn. Blake depicted him as a naked boy singing in ecstasy as he flies upward into the yet starry sky.” 30 The Poems of William Blake, ed. W. H. Stevenson, Annotated English Poets (London: Longman, 1971), 487. 173 Thou hearest the nightingale begin the song of spring; The lark sitting upon his earthy bed, just as the morn Appears, listens silent; then springing from the waving cornfield loud He leads the choir of day - trill, trill, trill, trill, Mounting upon the wings of light into the great expanse, Re-echoing against the lovely blue & shining heavenly shell. His little throat labours with inspiration; every feather On throat & breast & wings vibrates with the effluence divine. (William Blake, Milton, Bk. II, pl. 32, ll. 28-35) “Just at the place to where the lark mounts is a crystal gate”, Eingang zum ‚ersten Himmel‘ (Milton, bk. II, pl. 35, l. 61). Am Tage des jüngsten Gerichts und der Auferstehung sind Lerche und wilder Thymian Los’ Boten, außer Reichweite Satans (Milton, pl 35), und in pl. 42 zeigt die Lerche die Vollendung der Erlösung an: Immediately the lark mounted with a loud trill from Felpham's vale, And the wild thyme from Wimbledon's green & empurpled hills! And Los & Enitharmon rose over the hills of Surrey. William (Blake, Milton, bk II, pl. 42, ll. 29-31.) 4.3 Percy Bysshe Shelley, “To a Skylark” Im Horizont des skylark-Motivs führt kein Weg an Shelleys Gedicht “To a Skylark” vorbei. Das belegen die vielen Reflexe dieses Gedichts bei späteren Dichtern ebenso wie die weit verzweigte literaturwissenschaftliche Diskussion dieses Schlüsselgedichts der englischen Romantik. Einen guten Zugang zu “To a Skylark” bieten frühe Textfragmente, die sich in Shelleys notebooks finden. Sie gestatten zugleich einen Einblick in den Schaffensprozeß. What art thou blithe spirit For bird thou hardly art That from blue Heaven or near Dost pour from thy full heart Such sweet sounds art Ah, what thou art we know not But what is like to thee From the star flow not 174 Clear to see The silver As from they presence showers rich melody 31 Dieses frühe Fragment enthält in nuce die Strophen 1(Anfang von Teil I), 7 (Anfang von Teil II), sowie Elemente von Strophe 5. Es läßt eine bemerkenswerte Konstanz sowohl des thematischen Materials als auch der künstlerischen Mittel über den gesamten Schaffensprozeß hinweg erkennen. Bedeutsam sind dabei: (1) die Negation der ‚animalischen‘ Qualität der Lerche (“for bird thou hardly art”) - damit unmittelbar verbunden (2) die Frage nach dem Wesen der Lerche (“What art thou blithe spirit”) (3) der Gebrauch der Synästhesie als poetisches Äquivalent für die Wahrnehmung des Dichters (“Clear … to see / The silver / As from they presence showers rich / melody”) (4) das Bildfeld ‚Licht‘ (5) die ‚Fülle‘ des Lerchenliedes (“thy full heart”; “rich melody”) (6) das Verhältnis von Kunst und Natur. Im einzelnen dazu: 4.3.1 Von der ersten Zeile an, von der Anrede oder Anrufung der Lerche als “blithe Spirit” negiert der Sprecher die natürliche Seinsweise der Lerche, ihre ‚animalische‘ Natur (“bird thou never wert”). Festzuhalten ist deshalb, daß entgegen der Meinung mancher Kritiker nicht einmal der erste Teil des Gedichts einfach deskriptiv ist. F.R. Leavis’ harte Kritik an Shelleys “weak grasp upon the actual”, die er an Versen der “Ode to the West Wind” entwickelt und sodann auf “To a Skylark” ausgedehnt hat, 32 31 Transkript Neville Rogers, Shelley at Work: A Critical Inquiry (Oxford, 2 1967), 206f. 32 F.R. Leavis, Revaluation: Tradition and Development in English Poetry (London: Chatto & Windus, 1956), 206. “Shelley, at his best and worst, offers the emotion in itself, unattached, in the void. [ … ] being inspired was, for him too apt to mean surrendering to a kind of hypnotic rote of favourite images, associations and words. 'Inspiration' [ … ] had only poetical habits to fall back on. We have them in their most innocent aspect in those favourite words: radiant, aërial, odorous, daedal, faint, sweet, bright, winged, -inwoven, and the rest of the fondled vocabularly that 175 greift insoweit zu kurz, als Shelley überhaupt nicht die natürlichen Eigenschaften von Lerchenflug und -lied ‚beschreibt‘, sondern ein poetisches Äquivalent für das Lerchen-Erlebnis des Dichters erschafft, das mittels des dichterischen Wortes das Wesen zu erfassen sucht und zugleich das Scheitern dieses Unterfangens gestaltet. Catherine Runcie betont in ihrer vergleichenden Studie von “Shelley’s, Hardy’s and Hughes’s Skylark Poems” zu Recht die Immaterialität von Shelleys Lerche, ihre Qualität als poetisches Symbol und ihre Funktion, “meaning-as-feeling” zu evozieren: This bird is not a bird, and Shelley says so: “Bird thou never wert” (l.2). We have in fact a preposterous bird, an impossible bird and we have to respond - as Yeats would advise -‘irrationally’. [ … ] I would call the skylark … a poetic, that is, a highly developed symbol, firstly because it has no imputed equivalence right in the verbal vehicle; only one part of the similitude exists in the verbal vehicle unlike the skylark of Hopkins’s “The Caged Skylark” where patently both sides of the similitude or comparison are in the verbal vehicle. [ … ] Shelley’s skylark is carefully worked up to be referential with nothing material, nothing possible in reality as we know it. The skylark is not actual. 33 Angela Leighton hebt zu Recht die ‚privative‘ Qualität von Shelleys Darstellung hervor. 34 In “To a Skylark” dehnt Shelley die Möglichkeiten der any reader of Shelley could go on enumerating. They manifest themselves as decidedly deplorable in The Cloud and To a Skylark, which illustrate the dangers of fostering the kind of inspiration that works only when critical intelligence is switched off. These poems may not unfairly described as the products of switching poetry on.” (214f.) 33 Catherine Runcie, “On Figurative Language: A Reading of Shelley’s, Hardy’s and Hughes’s Skylark Poems,” AUMLA, 66 (Nov. 1986), 205-217, hier 206-210. 34 “‘To a Skylark’ seeks to approach the nature of the bird by a succession of likenesses, each giving way to the next. The effect of a rush is not due to a carelessness in composition, but to this self-denying quality of the language, which places the bird always just beyond the reach of what it is like.” (Angela Leighton, Shelley and the sublime: An Interpretation of the Major Poems [Cambridge: CUP, 1984], 117). In Judith Chernaiks Worten ist Shelleys Gedicht, sowohl was die Struktur als was die Bildlichkeit angeht, “a conscious imitation of the pure spontaneity that the bird's song represents”. (Judith Chernaik, The Lyrics of Shelley [London, 1972], 127). 176 Dichtersprache bis an die Grenzen des Unsagbaren. Mit Donald Davie: “For Shelley goes as far as poetry can go, while it uses intelligent language, in cutting the hawsers which tie his fancies to the ground.” 35 Die Negation vom Anfang “Bird thou never wert” wird am Anfang von Teil II wieder aufgenommen in “What thou art we know not” und der folgenden Folge von Vergleichen. Dabei ist die typische Denkfigur entweder der Aufruf irdischer Schönheit und ihre Negation und Übersteigerung - das Wesen der Lerche ist von viel größerer Schönheit, die Lerche ‚übertrifft‘ (“surpass” Zl. 60) alle irdische Schönheit: From rainbow clouds there flow not Drops so bright to see As from thy presence showers a rain of melody. - oder die Evokation bestimmter negativ gewerteter menschlicher Qualitäten, die bei der Lerche nicht gegeben sind (Negation und Antithese): With thy clear keen joyance Languor cannot be: Shadow of annoyance Never came near thee: Thou lovest - but ne'er knew love's sad satiety. Oder: I know not how thy joy we ever should come near. Die Figur des Komparativs beherrscht auch die letzten beiden Strophen: Better than all measures Of delightful sound, Better than all treasures That in books are found, Und: Teach me half the gladness That thy brain must know, 35 Donald Davie, Purity of Diction in English Poetry, pt. II, ch. III: “Shelley's Urbanity” (London: Chatto & Windus, 1952; repr. 1967), 133. 177 4.3.2 Shelleys Bemühen, dem Wesen der Lerche nahe zu kommen, bedient sich eines Analogieverfahrens, zumeist in der Form des Vergleich. Solche Vergleiche bilden die Grundstruktur sowohl der dichterischen Äquivalente für die Emotionen des Sprechers in Teil I - “Like a cloud of fire … ”, “Like an unbodied joy … ”, “Like a star of heaven … ”, “keen as are the arrows … ” - als auch der Aussagen in Teil II: “Like a Poet hidden … ”, “Like a high-born maiden … ”, “Like a glow-worm golden … ”, “Like a rose embowered”. Es ist verständlich, daß F.R. Leavis von seinem Standpunkt aus die allermeisten dieser Vergleiche als unpräzise abtut. Gleichwohl liegt solche Kritik neben der Sache. Shelleys Denken bewegt sich assoziativ. Hier läßt sich W.K. Wimsatts Beobachtung zur Struktur romantischer Naturbildlichkeit fruchtbar machen, wonach “tenor and vehicle … are wrought out of the same material”. In ihrer sinnlichen Qualität entsprechen sie eben nicht dem Modell logisch geordneter Bildlichkeit der Metaphysical Poets, für das beispielsweise Donnes “stiff twin compasses” steht. 36 Folglich, so Wimsatt, stellt die Folge von Vergleichen weniger den Versuch dar, Äquivalente für die Vogelexistenz zu finden als Äquivalente für den Wahrnehmungsakt des Sprechers. 37 4.3.3 Shelleys Verwendung der Synästhesie dient dazu, das Unsichtbare auf der Bildebene in eine Folge von sichtbaren und hörbaren Eindrücken zu transformieren. Richard Harter Fogle sieht Shelleys Synästhesien als Versuch, sinnliche Wahrnehmung auf “a mystical and ecstatic plane of experience” 38 zu heben. Ein besonders anschauliches Beispiel hierfür ist die 36 W.K. Wimsatt, “The Structure of Romantic Nature Imagery”, English Romantic Poets, ed. M.H. Abrams (London: OUP, 2 1975), 25ff., vgl. bes. 30, 32, 35. 37 Richard Cronin, Shelley's poetic thoughts (New York: St. Martin's P., 1981) 21f.: “The function of metaphor is not to compare one object or action with another, but to express the perceiver's apprehension of the object or action. The poet, listening to the bird's song, apprehends it now through one relation, now through another. The poem is an attempt to express, and through expression to discover, the manner in which the poet perceives the bird”. 38 Richard Harter Fogle, The Imagery of Keats and Shelley: A Comparative Study (Chapel Hill: U. of North Carolina P., 1949) 136. Frederick A. Pottle betont in seiner Rezension von Fogles Arbeit die besondere Qualität der Bildlichkeit in Shelleys Gedicht: “Shelley's images express firmly grasped real objects, but the objects grasped tend to be physically tenuous - or, if not tenuous, to be on the verge of becoming invisible, intangible.” (“The Romantic Imagination Revisited”, Yale Review 39 [1949/ 50], 348). 178 viel diskutierte fünfte Strophe. T.S. Eliot hat bekanntlich die mangelnde Präzision der grammatischen Struktur und, daraus resultierend, die Ungenauigkeit der Bedeutung dieser Strophe beklagt: But [in contrast to Crashaw] in “The Skylark” there is no brain work. For the first time perhaps in verse of such eminence, sound exists without sense. 39 William Empson hat gezeigt, daß die scheinbare ‚grammatische Unordnung‘ der Verse in Wirklichkeit “a very proper expression of the doctrine they convey” 40 ist. Die Strophe dient Empson als Musterbeispiel des fünften seiner Seven Types of Ambiguity, der durch eine gelockerte Beziehung zwischen vehicle und tenor gekennzeichnet ist. Die die Strophe beherrschende Bildlichkeit hat allerdings ebenfalls ihre überzeugende Deutung gefunden. 41 Auch hier beherrscht das Prinzip Synästhesie die Struktur: Keen as are the arrows Of that silver sphere, Whose intense lamp narrows In the white dawn clear Until we hardly see - we feel that it is there. Dazu Harold Bloom: The lark is unseen [ … ] but the clear, piercing song of the lark can be heard; as keen to hear as the lines of light are keen (that is, clear and bright) to be viewed. 42 4.3.4 Es fällt sofort ins Auge, wie sehr die ‚Licht‘-Bildlichkeit das gesamte Gedicht und besonders die beiden ersten Teile bestimmt - so z.B. in “cloud of fire”, “golden lightning … clouds are bright'ning”, Str. 5 insgesamt, “drops so bright to see”, sodann auf einer weiteren metaphorischen Ebene “a Poet hidden / In the light of thought”, “a glow-worm golden”, “the twinkling grass”, “crystal stream”. Dieses Bildfeld lokalisiert die 39 T.S. Eliot, “A Note on Richard Crashaw”, For Lancelot Andrewes (London: Faber, 1928; repr.), 96ff. 40 William Empson, Seven Types of Ambiguity (London, 1930), 197ff. 41 Glenn O'Malley, Shelley and Synesthesia (Evanston, Ill.: Northwestern U.P., 1964), 70ff. 42 Harold Bloom, The Visionary Company: A Reading of English Romantic Poetry (London: Faber, 1961), 295. 179 Lerche - “thou scorner of the ground” (100) - als ‚Himmelsbewohnerin‘ (“Heaven, or near it”) und kontrastiert sie mit der Welt der Menschen ‚unten‘, der Welt der Schatten (78), des Kummers (78), der Traurigkeit (80), der Bewußtheit und Zeit-Verhaftetheit des Menschen (“we look before and after”) und der Sehnsucht (87), insgesamt ein neuplatonischer Denkansatz. 4.3.5 Neuplatonisch bestimmt sind die Vorstellungen von ‚Fülle‘ und ‚Freude‘. ‚Fülle‘ 43 rahmt Teil I des Gedichts. Die Lerche ergießt ihr “full heart / In profuse strains of unpremeditated art”. Strophe 6 endet mit dem Bild des von Mondlicht überfluteten Himmels. Das Lerchenlied ist durchwegs auf den Grundton ‚Freude‘ gestimmt: Like an unbodied joy whose race is just begun. (15) All that ever was / Joyous, and clear, and fresh, thy music doth surpass: (59f.) With thy clear keen joyance / Languor cannot be: (76f.) I know not how thy joy we ever should come near. (95) Teach me half the gladness / That thy brain must know, (101f.) Der Vergleich der Lerche, deren habitat “Heaven, or near it” ist, mit “an unbodied joy” läßt sie zu einem ‚natürlichen platonischen Symbol‘ 44 werden, zum Symbol für den Aufwärtsweg der Seele aus der Welt des Vielen in die Welt des Einen, aufwärts zur Welt der Ideen, zur Fülle des Seins. Die Lerche ist deshalb auch mit dem Lenker eines geflügelten Rossegespanns in Platons Phaidros gleichgesetzt worden, mit der Seele, die sich in einem Augenblick göttlichen Wahnsinns angesichts der irdischen Schönheit an die wahre Schönheit wiedererinnert, wieder befiedert wird und schließlich zum Aufstieg befähigt ist. 45 Wie die Seele ist im Kontext dieses neuplatoni- 43 “The poem's central image is of an abundance of joy and song so great that it must overflow and graciously give itself it this effusiveness.” (Bloom, The Visionary Company, 295). 44 James A. Notopoulos, The Platonism of Shelley: A Study of Platonism and the Poetic Mind (Durham, NC: Duke U.P., 1949), 270f. 45 Cf. Stewart C. Wilcox, “The Sources, Symbolism, and Unity of Shelley's Skylark”, SP 46 (1949), 564ff. Plato, Phaedrus, trans. R. Hackforth, The Collected Dialogues of 180 schen Ansatzes auch die Lerche durch den Eros charakterisiert: 46 “Thou lovest - but ne'er knew love's sad satiety”. (80) Der Text operiert mit den Gegensätzen von Himmel und Erde, Licht und Schatten, Freude und Trübsal, Fülle und Mangel; er wird, indem er eine sprachliche Analogie für Lerchenlied und -flug darstellt, selbst zum Symbol für den Fall und Wiederaufstieg der Seele 47 - bei Plotin von der Zerstreutheit und Vielheit zurück zur Einheit des Seins, für den Stufenweg von den schönen Dingen über die schönen Formen (Ideen) schließlich zum Ursprung der Schönheit selbst, zum ‘Ersten Schönen’ und zum Guten, das jenseits des Schönen angesiedelt ist. Die Seele, die mit dem ‚Ein und All‘ wiedervereint ist, ist glücklich: “In this happiness she knows beyond delusion that she is happy; for this is no affirmation of an excited body but of a soul become again what she was in the time of her early joy.” 48 4.3.6 Schließlich geht es um die metapoetische Dimension von Shelleys Skylark-Gedicht. Indem der Text den Gegensatz der grenzenlosen perfekten poetischen Inspiration der Natur - in Gestalt der Lerche als des ‘natural poet’ - und der Begrenztheit des menschlichen Dichters - in Gestalt des Sprechers - gestaltet, ist er auch eine Aussage über die (Wort-) Kunst. Die Lerche singt “like a Poet hidden” und schafft durch ihren Gesang universelle Harmonie (36-40): das Lerchenlied übertrifft das vom Dichter Gemachte: Chorus Hymeneal, Or triumphal chant, Matched with thine would be all But an empty vaunt, A thing wherein we feel there is some hidden want. (66-70) Und: Plato including the letters, ed. Edith Hamilton and Huntingdon Cairns (Princeton, Princeton U.P.) 1961; repr. 1973), 496. 46 Vgl. die ‚vierte Art des Wahnsinns‘ in Platons Phaidros (249d ff.). 47 Plotinus, The Enneads, trans. Stephen MacKenna (London: Faber, rev. ed. 1956), IV.8, 360f. 48 Ibid., IV,3; VI,7, esp. 587f. 181 Better than all measures Of delightful sound, Better than all treasures That in books are found, Thy skill to poet were, thou scorner of the ground! (96-100) Die dichterische Qualität der Lerche wird in die Formel “harmonious madness” (103) gefaßt, wofür Platons Ion Pate gestanden hat, Socrates' Beschreibung des furor poeticus: For a poet is a light and winged thing, and holy, and never able to compose until he has become inspired, and is beside himself, and reason is no longer in him. (Platon, Ion 534b) 49 Selbst noch wenn Aldous Huxley Shelleys Lerche als “bloodless, boneless, a kind of ethereal flying slug” kritisiert, hat er - möglicherweise gegen seine Absicht - ihre Qualität als ‘natural poet’ anerkannt: The lark could’t be allowed to be a mere bird, with blood and feathers and a nest and an appetite for caterpillars. Oh no! That wasn't nearly poetical enough, that was much to coarse. It had to be a disembodied spirit. 50 Sowohl das thematische Material - die Bildlichkeit von Licht, Freude, Fülle - als auch die rhetorische Struktur - Negation, Vergleich, Synästhesie - erzwingen die Interpretation von Shelleys “To a Skylark” auf der Symbolebene: als poetische Gestaltung eines Hauptstücks neuplatonischen Gedankenguts und als Aussage über das Wesen der Kunst. 49 Plato, Ion, trans. Lane Cooper, The Collected Dialogues of Plato Including the Letters, ed. Edith Hamilton and Huntingdon Cairns (Princeton: Princeton U.P., 1961; repr. 1973), 220. Shelley verwendet in einer berühmten Passage aus der Defence of Poetry auch die umgekehrt gerichtete Analogie, indem er den Dichter mit einer Nachtigall vergleicht: “A Poet is a nightingale, who sits in darkness and sings to cheer its own solitude with sweet sounds; his auditors are as men entranced by the melody of an unseed musician, who feel that they are moved and softened, yet know not whence or why.” 50 Aldous Huxley, Point Counter Point (1928), Collected Edition (London: Chatto & Windus, 1947; repr. 1954), 167. Vgl. Lothar Fietz, Menschenbild und Romanstruktur in Aldous Huxleys Ideenromanen, Studien zur Englischen Philologie n.f. 13 (Tübingen: Niemeyer, 1969), 41. 182 4.3.7 Zwei Kontrastbeispiele Um zu sehen, wie weit Shelley die Lerche entstofflicht hat, ist es - gewissermaßen als Bekräftigung des erhobenen Befundes ex negativo - nützlich, einen Blick auf die vielen Lerchen-Gedichte John Clares zu werfen. Dies ist ein typisches Beispiel: Larks and Spring The sunny end of March is nigh And not a cloud is in the sky Along the footpath o'er the farm The school-boy basket on his arm Seeks the birds nest therein to look He takes a stone to cross the brook Made wider by the rainy night And hums the music of delight To see the rabits seek their burrow Or ground lark from the fallow'd furrow Start up and shiver while he sings Then drop as though he'd lost his wings As stunt and heavy as a stone In the brown furrow still and lone And still I love the ground-larks flight Starting up the ploughmans height And more and more unseal his eye When rose leaves pave the eastern sky To see the skylark as he springs Shake mornings moisture from his wings And rise and sing in music proud Small as a bee beneath a cloud 'Til mixing with the vapours dun He's lost in valleys of the sun And singing on in springs delight Some moments e're he comes in sight It drops, and drops from breezy morn To seek its mate amid the corn A happy song the skylark brings And spring's in every note he sings 183 With coppled crown, and speckled breast The pilewort blooms above his nest In rain it seeks the sheltering furrow But sings when sunshine comes tomorrow In every field they mount and sing The songs of Nature and of Spring. 51 Clare arbeitet mit Versatzstücken des Lerchen-Motivs. Seine Lerchen- Gedichte sind deshalb auch weniger Ausdruck direkter Erfahrung als Mischung von Beobachtung und zeitgenössischem ornithologischem Wissen. Sie gehen kaum je über die Ebene der Deskription hinaus, vielmehr sind sie in der stereotypen Wiederholung von Motiven und Wendungen, in der Regelmäßigkeit des Versmaßes und in den klappernden Reimen wenig mehr als poetische Fingerübungen. Bei Thomas Hardy, einem großer Bewunderer Shelleys, findet sich unter den “Poems of Pilgrimage” ein Gedicht mit dem Titel “Shelley’s Skylark”, geschrieben März 1887 ganz in der Nähe von Leghorn, dem Ort, der Shelley 1820 zu seinem Gedicht inspiriert hat. 52 Es ist von einer starken Absetzbewegung von Shelleys Prätext bestimmt. Hardys Gedicht nimmt sich die sterblichen Überreste eines Vogels vor, “[which] inspired a bard to win / Ecstatic heights in thought and rhyme”. Shelley's Skylark Somewhere afield here something lies In Earth's oblivious eyeless trust That moved a poet to prophecies - A pinch of unseen, unguarded dust: The dust of the lark that Shelley heard, And made immortal through times to be; - Though it only lived like another bird, And knew not its immortality. 51 The Later Poems of John Clare, ed. Eric Robinson (Oxford: OUP, 1984), 480f.; vgl. ebenso “The Skylark” (II,950f.); “To a Lark Singing in Winter” (I,441ff); “Early Morning” (II,984ff.) und weitere Naturgedichte. 52 Cf. Stewart C. Wilcox, “Sources”, 561. 184 Lived its meek life; then, one day, fell - A little ball of feather and bone; And how it perished, when piped farewell, And where it wastes, are alike unknown. Maybe it rests in the loam I view, Maybe it throbs in a myrtle's green, Maybe it sleeps in the coming hue Of a grape on the slopes of yon inland scene. Go find it, faeries, go and find That tiny pinch of priceless dust, And bring a casket silver-lined, And framed of gold that gems encrust; And we will lay it safe therein, And consecrate it to endless time; For it inspired a bard to win Ecstatic heights in thought and rhyme. 53 Hardys Anti-Rhetorik vor allem der letzten beiden Strophen, die, anstatt die kleine Vogelleiche zu verklären oder symbolisch zu überhöhen, den Focus auf die Details des Lebens und Sterbens dieses Vögelchens legt, “that tiny pinch of priceless dust”, macht den Abstand zu Shelley mehr als deutlich. Hardy conspicuously avoids Shelley’s lavish tonal strategies, the releasing effects, and any hint of symbol and its metaphysical possibilities. He uses a minimum of literary figure. In fact he literally pulverizes Shelley’s lark by synecdoche (a part for a whole) and keeps to synekdoche. 54 Mit Manfred Beyer: Hardy betreibt “die Demontage des romantischen Übervogels”. 55 53 The Complete Poetical Works of Thomas Hardy, ed. Samuel Hynes (Oxford: Clarendon P., 1982), I, 133. 54 Runcie, “On Figurative Language”, 211. 55 Manfred Beyer, „Vom bewunderten Dichter zum verachteten Monster: Zur Entwicklung des Vogelmotivs in der englischen Lyrik“, Anglia 109 (1991),359-376, hier 370. 185 Ein gleichgerichtetes Verfahren erkennt Paul Goetsch an “The Darkling Thrush”, Hardys Antwort auf Keats’ “Ode to a Nightingale”, das er als Ausdruck spätviktorianischen Skeptizismus wertet. As Hardy’s versions of two Romantic poems show, he assesses flights of the imagination and the search for transcendent visions skeptically. He looks down, rather than up, and takes terrestrial conditions into account. Nevertheless, he remains indebted to the traditional equation of songbird and poet and, for instance, uses avian imagery in the poems dedicated to Shakespeare and Meredith. 56 4.4 Gerard Manley Hopkins Bei Gerard Manley Hopkins finden sich drei einschlägige Gedichte, die sämtlich aus den fruchtbaren Jahren 1876 und 1877 stammen, wobei das erste, “The Woodlark”, nur als Fragment existiert. Zusammen repräsentieren sie drei verschiedene Spielarten des Lerchenmotivs. 57 4.4.1 “The Woodlark” 58 beginnt mit einem onomatopoetischen Äquivalent für das Lerchenlied: Teevo cheevo cheevio chee: O where, where can that be? Weedio-weedio: there again! So tiniy a trickle of song-strain; Der Sprecher versucht, die Heidelerche, “the skylark's cousin”, aufzuspüren, die sich im Blattwerk verbirgt. Wie so häufig, findet sich die Keimzelle des Gedichts in Hopkins’ Notebook (1866): The cuckoo singing one side, on the other from the ground and unseen the wood-lark, as I suppose, most sweetly with a song of which the 56 Vgl. Paul Goetsch, “Thomas Hardy’s Poems on Composition and Inspiration,” Anglia 128 (2010), 446-466. 57 Weitere Stellen für ‘lark’ in Hopkins’ Fragmenten und unvollendeten Gedichten: “Il Mystico”; “Sundry Fragments” xxii, xxviii; “When eyes that cast about in heights of heaven”; “O what a silence is this wilderness! ”. 58 The Poetical Works of Gerard Manley Hopkins, ed. Norman H. MacKenzie (Oxford: OUP, 1990), Nr. 104, S. 131). 186 structure is more definite than the skylark's and gives the link with that of the rest of birds. 59 Der Eintrag enthält sowohl das Motiv der Verborgenheit des Vogels (“unseen”) als auch das der ‘sweetness’ des Lerchenliedes. Obwohl der Erlebnischarakter, die direkte Wahrnehmung, hier ganz offensichtlich ist, greift der Autor dennoch schon hier auf traditionelle Topoi zurück. Ab Zeile 11 übernimmt die Lerche selbst die Sprecherrolle und legt ihr innerstes Wesen offen, wobei dem Dichter gewissermaßen die Funktion zukommt, das Lerchenlied in dichterische Sprache zu übersetzen. Hopkins greift hier auf erprobte Elemente seiner Ideallandschaften zurück: ein schöner Sommertag wie z.B. in “Hurrahing in Harvest”: To-day the sky is two and two With white strokes and strains of the blue. The blue wheat-acre is underneath And the corn is corded and shoulders its sheaf (16-19) Die folgenden Verse setzen das Thema der Fülle und Reife der Natur fort, sie bedienen sich Spielarten des walisischen cynghanedd, in der Ausprägung dieser Form, wie sie Gerard Manley Hopkins verstanden und ins Englische transponiert hat: The ear in milk, lush the sash, And crush-silk poppies aflash, The bood-gush blade-gash Flame-rash rudred Bud shelling or broad-shed Tatter-tangled and dingle-a-danglèd Dandy-hung dainty head. (20-26) Diese Verse, in denen sich sinnliche Wahrnehmung, Farb-, Form- und Oberflächenqualitäten mit Strukturen der Lautwiederholung vermischen, gehören immer noch zum Lerchenlied. Hopkins erschafft einerseits klangsinnliche Entsprechungen für das Lerchenlied, andererseits gestaltet er auf der Metaphernebene ein Bild von Fülle und Ernte: Synästhesie gemischt mit Metaphorik. Der Abschnitt hat eine textliche Parallele in Hopkins’ nur 59 The Journals and Papers of Gerard Manley Hopkins, ed. H. House, 2nd ed. (London: OUP, 1959; repr. 1966), 138. 187 wenig früher entstandenem Gedicht “The Wreck of the Deutschland”, wo eine poetische Annäherung an die Begegnung der Seele mit Gott in der sinnlichen Erfahrung des Zerbeißens einer Schlehenbeere gesucht wird. [ … ] How a lush-kept plush-capped sloe Will, mouthed to flesh-burst, Gush! - flush the man, the being with it, sour or sweet, Brim, in a flash, full! [ … ] (Hopkins, “The Wreck of the Deutschland”, Str. 8) Hopkins greift im Bestreben, das Unsagbare der geistlichen Erfahrung des Erlösungswerks Christi (“the hero of Calvary”), wie überhaupt die sinnliche Qualität und Totalität der Gotteserfahrung sagbar zu machen, auf die alltägliche Erfahrung des Essens einer Schlehenbeere zurück: wie der Saft beim Zerbeißen der Beere plötzlich (“in a flash”) und total den Mund füllt (“brimful”) - eine sprachliche Analogietechnik, die am Schema der ignatianischen Meditation geschult ist. Der gemeinsame Nenner beider Passagen ist die sinnliche Qualität einer den Menschen überwältigenden Erfahrung. Keimzelle dieser Verse sind möglicherweise zwei Zeilen aus Keats’ “Ode to Melancholy” (Str. 3): “[he] whose strenuous tongue / Can burst Joy's grape against his palate fine”, womit sich für “The Woodlark” eine Brücke zur Konzeption des romantischen Dichters ergibt. 60 Der letzte Teil des Lerchenliedes (Zl. 31ff.) beginnt mit einem direkten, unmetaphorischen Ausdruck der Existenz-Freude der Lerche - I am so very, O so very glad That I do think there is not to be had [Anywhere any more joy to be in. Cheevio: ]- um sodann die Leistung des Instinkts (“the cry within”) zu reflektieren, der Antrieb für Lerchenlied und -flug ist: … when the cry within Says Go on then I go on Till the longing is less and the good gone, 60 Vgl. dazu unten 4.6.1. 188 But down drop, if it says Stop. To the all-a-leaf of a treetop. Die letzten Verse, die der Rückkehr der Lerche zu ihrem Nest gewidmet sind, bedienen sich erneut des Stilmittels der (sekundären) Onomatopoiie. So stellt die Wiederholungsfigur, in die die beherrschende Aussage der vorangehenden Verse (“sweet joy”) gekleidet ist, das Klang-Äquivalent für das Lerchenlied dar, das kadenziert und schließlich endet, und faßt zugleich die Botschaft des Textes begrifflich zusammen: To the nest's nook I balance and buoy With a sweet joy of a sweet joy, Sweet, of a sweet, of a sweet joy Of a sweet - a sweet - sweet - joy.' 4.4.2 In “The Sea and the Skylark” 61 setzt Hopkins zwar wieder dieselbe Technik wie in “The Woodlark” ein, das Wesen des Lerchenliedes durch komplexe - direkte und metaphorische - sinnliche Analogien auszusagen, gleichwohl dominiert in diesem Gedicht die theologische Dimension. In den ersten beiden Versen werden zwei ‚ewige‘ Geräusche eingeführt, die den Sprecher physisch und sogar gewaltsam (mit dem durch Enjambement hervorgehobenen “trench” am Versanfang) affizieren: On ear and ear two noises too old to end Trench; … (1-2) Die letzten beiden Verse des ersten Quartetts sind sodann der Mimesis von Meeresrauschen gewidmet, während im zweiten Quartett ein metaphorisches Äquivalent für das Lerchenlied entwickelt wird, das zugleich wieder mit Klangwiederholungen arbeitet. Left hand, off land, I hear the lark ascend, His rash-fresh re-winded new-skeinèd score In crips of curl off wild winch whirl, and pour And pelt music, till none's to spill nor spend. (5-8) Wie anderswo in einer ausführlichen Analyse der textlichen Varianten dieses Sonetts 62 gezeigt wurde, hat Hopkins, wenn man als Grundprämisse 61 Hopkins, Poetical Works, Nr. 118, S. 143. 62 Hans-Werner Ludwig, ‘Barbarous in Beauty’: Studien zum Vers in Gerard Manley Hopkins' Sonetten (München: Fink, 1972), 282ff. 189 eine manieristische Ästhetik annimmt, 63 hier die Ebenen von Klang und Versrhythmus auf der einen Seite, der Bildlichkeit auf der anderen zur perfekten Deckung gebracht. Während man im ersten Quartett noch von (primärer) Onomatopoiie sprechen kann - … the tide that ramps against the shore; With a flood or a fall, low lull-off or all roar (2f.) - dominiert im zweiten bei der Mimesis des Lerchenliedes die Bildebene - die extended metaphor des Abwickelns eines (Klang-)Bandes von einer sich schnell drehenden Spule -, während die Ebenen von Klang und Rhythmus eine verstärkende Funktion haben, wobei in der Transformierung von Klangphänomenen in Bildlichkeit die Synästhesie das beherrschende Gestaltungsmittel ist. 64 Zwei frühe Fragmente aus den Early Diaries 65 zeigen den dichterischen Prozeß der Umsetzung der Klang-Sinn-Qualitäten des Lerchenliedes noch im Experimentalstadium. Schon wenige Verse aus dem ersten Fragment zeigen in ihrer Umständlichkeit, ihrer Rationalität und der Verwendung spätromantischen Wortmaterials, welchen Weg der Dichter bis zum vollkommenen Kunstwerk zurückgelegt hat. When eyes that cast about in heights of heaven To canvass the retirement of the lark (Because the music from his bill forth-driven So takes the sister sense) can find no mark, But many a silver visionary spark Springs in the floating air and the skies swim, - 63 Vgl. Georgio Melchiori, The Tightrope Walkers (New York, 1956), 13-33. 64 Hopkins erklärt die Bildlichkeit in großer Ausführlichkeit in einem Brief an Robert Bridges (1882): “the skein and score are the lark's song which from his height gives the impression [ … ] of something falling to the earth and not vertically quite but tricklingly or wavingly, something as a skein of silk ribbed by having been tightly wound on a narrow card or a notched holder or as twine or fishing-tackle unwinding from a reel or winch or as pearls string on a horsehair: the laps or folds are the notes or short measures and bars of them. The same is called a score in the musical sense of score and this score is 'writ upon a liquid sky trembling to welcome it', only not horizontally. The lark in wild glee races the reel round, paying or dealing out and down the turns of the skein or coil right to the earth floor, the ground, where it lies in a heap, as it were, or rather is all wound off on to another winch, reel, bobbin or spool in Fancy's eye, by the moment the bird touches earth and so is ready for a fresh unwinding at the next flight.” (Letters I,164). 65 Hopkins, Poetical Works, Nr. 50 (S. 68f.) und Nr. 65 (S. 79). 190 Then often the ears in a new fashion hark, Beside them, about the hedges, hearing him: At last the bird is found a flickering shape and slim. Das Sestett des Sonetts enthält schließlich das theologische Argument. Meer und Lerche werden als Symbole für eine Natur gedeutet, die sich noch immer im ursprünglichen, paradiesischen Zustand (“earth's … prime”) befindet, während der Mensch des Sündenfalls nicht nur aus dem Paradies vertrieben ist, sondern vielmehr selbst aktiv durch seine zivilisatorische Tätigkeit Gottes Schöpfung zerstört. Das liber naturae dient als Spiegel für die Verfaßtheit des Menschen: How these two shame this shallow and frail town! How ring right out our sordid turbid time, Being pure! We, life's pride and cared-for crown, Have lost that cheer and charm of earth's past prime: Our make and making break, are breaking, down To man's last dust, drain fast towards man's first slime. “The Sea and the Skylark”, wenn man so will, ein frühes ökologisches Gedicht, reiht sich ein in eine größere Zahl von Texten, die die negativen Auswirkungen der industriellen Revolution kritisch aufs Korn nehmen. 66 4.4.3 Obwohl für Hopkins’ drittes Gedicht dieser Gruppe, “The Caged Skylark” 67 , auch Wordsworths Gedicht “Liberty” 68 (1829) eine gewisse Rolle spielen mag, erschließt es sich am besten über einen kleinen Umweg über William Blakes “The Schoolboy”: 66 Vgl. Hans-Werner Ludwig, „Maschine und Baum: Aufklärung und Gegenaufklärung im England der Industriellen Revolution“, Aufklärung und Gegenaufklärung in der euopäischen Literatur, Philosophie und Politik von der Antike bis zur Gegenwart, ed. Jochen Schmidt (Darmstadt: Wiss. Buchges., 1989), 421-445. 67 Hopkins, Poetical Works, Nr. 122 (S. 144). 68 Who can divine what impulses from God Reach the caged lark, within a town abode, From his poor inch or two of daisied sod? (William Wordsworth, “Liberty”, 27-29; Last Poems: 1821-1850, ed. Jared Curtis [Ithaca: Cornell U.P., 1999], 206). 191 The Schoolboy I love to rise in a summer morn, When the birds sing on every tree; The distant huntsman winds his horn, And the sky-lark sings with me. Oh, what sweet company. But to go to school in a summer morn - O! it drives all joy away! Under a cruel eye outworn, The little ones spend the day, In sighing and dismay. Ah, then at times I drooping sit And spend many an anxious hour; Nor in my book can I take delight, Nor sit in learning's bower, Worn through with the dreary shower. How can the bird, that is born for joy, Sit in a cage and sing? How can a child, when fears annoy, But droop his tender wing, And forget his youthful spring? Obwohl sich “The Schoolboy” in der Sammlung Songs of Innocence findet, steht das Gedicht thematisch auf der Grenze zwischen den Songs of Innocence und den Songs of Experience. Blake kontrastiert hier die freie Welt des Kindes, der Natur, eines Morgens im Frühjahr, in dem die Lerche ihren angestammten traditionellen Platz hat, mit der Welt der Pflicht, der Beschränkungen, der Schule, aus der Figuren wie Priester, Lehrer, Kirchenälteste, ironisch “wise guardians of the poor” 69 genannt, alle Freude ausgetrieben haben. 70 ‚Freude‘ ist der Grundton des Liedes der Heidelerche in Hopkins’ erstem Lerchenlied. 69 William Blake, “Holy Thursday”. 70 Die Wortfrequenzliste für Blakes Songs of Innocence and Songs of Experience zeigt eine bemerkenswert klare Verteilung des semantischen Feldes ‘joy’ / ‘sorrow’ inner- 192 Der Vogel im Käfig, der verstummt ist, wird in Parallele gesetzt zum Kind, das, von den Erwachsenen in Furcht und Schrecken versetzt, seine Ursprünge vergißt (“forgets his youthful spring”) - in Blakes philosophischem System insgesamt eine populäre Mixtur aus neuplatonischem und gnostischem Gedankengut. Hopkins’ Gedicht entwickelt eine Parallele zwischen der in den Körper, “bonehouse”, altenglisch “banhus”, eingekerkerten Seele und der Lerche im Käfig: As a dare-gale skylark scanted in a dull cage Man's mounting spirit in his bone-house, mean house dwells - That bird beyond the remembering his free fells, This in drudgery, day-labouring-out life's age. Diese Parallele wird im zweiten Quartett gründlich durchgearbeitet. Die Botschaft dieses Gedichts liegt jedoch dann im Sestett im grundsätzlichen Unterschied zwischen Vogel und dem menschlichen Geist / Seele. Während das erste Terzett in Hinblick auf den Vogel seine freie Existenz (“own nest, wild nest”) mit seinem Gefängnis kontrastiert, leitet das zweite Terzett im Kontrast dazu aus dem theologischen Hauptstück der Auferstehung für die menschliche Existenz ihre ultimative Freiheit ab. Dies geschieht auf eindrucksvolle Weise durch den Ersatz der Vogel-Bildlichkeit durch das Bild halb der beiden Sammlungen: ‘joy’ und assoziierte Wörter sind ganz eindeutig auf die Songs of Innocence konzentriert. Innocence Experience Summe joy 23 5 28 sweet 22 6 28 happy 13 6 19 green 13 3 16 smile 12 3 15 merry 16 0 16 sing/ song 18 8 26 laugh 14 0 14 gold 6 2 8 little 28 9 37 sorrow 9 1 10 fear 5 10 15 Die Tabelle listet einfache Häufigkeiten ohne Beachtung des jeweiligen Kontextes auf, unterscheidet deshalb auch nicht zwischen positiven und negativen Valeurs. 193 des Regenbogens und den Hinweis auf Christi Auferstehung, an der der Mensch teil hat: Man's spirit will be flesh-bound when found at best, But uncumberèd: meadow-down is not distressed For a rainbow footing it nor he for his bones risen. Hopkins greift hier eine traditionelle gnostische bzw. neuplatonische Gedankenfigur und die damit einhergehende Lerchen-Bildlichkeit auf und baut sie im Rahmen seiner Theologie um. Dies also sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der drei Gedichte Gerard Manley Hopkins’: Während in “The Woodlark” das Thema der Einheit der Lerche mit der Natur im Vordergrund steht und klang-sinnliche Analogien das dominate Gestaltungsmittel bilden, werden die anderen beiden Gedichte von einem theologischen Argument bestimmt. In beiden Fällen stellt die Sonett-Oktave die materielle Basis für die spätere Argumentation bereit oder setzt bereits eine These, während die Kernaussage jeweils im Sestett folgt. “The Woodlark” bewegt sich weitgehend im natürlichen Umfeld: die Lerche ist Teil der sie umgebenden Natur; das Gedicht, namentlich in der Sprecherrolle der Heidelerche, ist Ausdruck von Fülle und Freude. Das Lerchenmotiv in “The Caged Skylark” funktioniert weitgehend auf einer allegorisch-symbolischen Ebene: die Lerche dient als Symbol für die menschliche Seele innerhalb eines neuplatonischen Grundmusters. “The Sea and the Skylark” nimmt eine mittlere Position ein. Einerseits geht es noch immer um poetische Äquivalente für Lerchenlied und See, andererseits löst das Kernargument der Reinheit der Natur und der Verderbtheit der menschlichen Zivilisation die anfänglichen Gestaltungsprinzipien ab. Alle drei Gedichte zusammen sind zugleich Indikator für die Stabilität des Lerchen-Motivs und die mit ihm verbundene Bildlichkeit und philosophische Tradition. 4.5 Ted Hughes, “Skylarks” Ted Hughes’ Wodwo enthält die Gedichtsequenz “Skylarks”, die ursprünglich aus sieben Abschnitten bestand. 71 71 Für die Ausgabe der Collected Poems (1972) hat Hughes eine achte Sektion angefügt, die allerdings nach überwiegender Ansicht der Kritiker eher zu vernachlässigen ist. Mit Keith Sagar: “the poet has violated the unity of the poem” [durch den 194 Der Anfang von Sektion I setzt den Rahmen, legt gewissermaßen den Realgrund für die gesamte Gedichtsequenz, konstatiert den Beginn des Aufwärtsfluges der Lerche; am Ende der Sequenz ist auch der Lerchenflug zuende. Allerdings erfolgt schon in Vers 2 der Wechsel von der faktischen Aussage zu einem doppelten Vergleich (“like … ”, “as if … ”): The lark begins to go up Like a warning As if the globe were uneasy - (I,1-3) Der Vergleich (“like a warning”) zwingt Unerwartetes zusammen. Das Verhältnis von Bildhälfte und Sachhälfte bleibt jedoch noch ungeklärt, ebenso die Bedeutung des nachgeschobenen ‚als ob‘-Satzes; immerhin wird schon hier eine Beziehung etabliert zwischen oben und unten, der auffliegenden Lerche (Himmel) und der Erde. In den folgenden Zeilen werden in zwei Gruppen zu je drei Aussagen wiederum charakteristisch in der Form des Vergleichs die Charakteristika der Lerche aufgezählt, die sie für ihre Aufgabe zwischen Himmel und Erde befähigen. (1) Barrel-chested for heights, Like an Indian of the high Andes, (2) A whippet head, (3) barbed like a hunting arrow. Die Lerche ist an große Höhen angepaßt wie die Andenbewohner; sie hat einen stromlinienförmigen Kopf wie ein Windhund und ihr Häubchen legt den Vergleich mit einem Pfeil nahe (vgl. Sektionen II und VII). Gleichzeitig wird, markiert durch die Anapher “leaden”, die Lerche dreifach an die Erde gebunden: (1) Leaden / With muscle … (2) And leaden / For ballast … (3) Leaden / Like a bullet … Muskelarbeit ist nötig, um die Schwerkraft zu überwinden; Ballast hält die Lerche auf Kurs “in the rocketing storms of the breath”. Schließlich verweist “like a bullet” nicht nur auf den Sturzflug der Lerche, es markiert Zusatz der achten Sektion]. Keith Sagar, The Art of Ted Hughes (Cambridge: CUP, 2 1978), 93f. 195 zugleich die Nähe von Lerchenflug und -lied zum Tode. Das hier etablierte Koordinatensystem plaziert die Lerche nicht nur zwischen Himmel und Erde, sondern ebenso zwischen Leben und Tod. Auftrieb und Schwerkraft, Leben und Tod, Freude und Schmerz erscheinen ausbalanciert. In Sektion II wird die Bildebene des Vergleichs aus Sektion I (“bullet”) aufgenommen und erweitert. Die Lerche erscheint auf ein einziges Ziel ausgerichtet, sie besitzt ebenfalls den “single-mind-sized skull” von Hughes’ “Thrushes”: “shot through the crested head / With the command, Not die”. Was in Sektion I als Vorausweisung erschien, wird hier gedanklich eingeholt: die Nähe des Lerchenflugs zum Tod wird als “Wille zum Leben” gedeutet. Wie so oft in Hughes Tiergedichten liegt der Bezug zu Schopenhauer nahe. 72 Das Paradox ist die angemessene Ausdrucksform für einen solchen komplexen Gedanken: Im Augenblick höchster Lebensintensität, in dem der instinct of self-preservation ausgeschaltet zu sein scheint, ist die Lerche gleichwohl dem Tode unterworfen. In “Obedient as to death a dead thing” mag man im christlichen Horizont auch das “faithful unto death” aus der Offenbarung (Rev. 2,10) mithören. In einem weiteren Paradox nennt Hughes die Lerche “crueller than owl or eagle”, Raubvögel, deren innerstes Wesen gerade darin besteht zu töten, 73 weil, wie Gifford und Neil formuliert haben, sich die Intensität der Lerche - mit einem viel diskutierten Konzept 72 Vgl. Calvin Bedient, “On Ted Hughes”, CQ 14 (1972), 103-121; repr. Eight Contemporary Poets (London: OUP, 1974). 73 Vgl. Ted Hughes, “Eagle”. In der traditionellen Analogiebildung über die “primaries” steht hier die Sonne für den Adler. The Sun is hunting [ … ] The sun lowers its meat-hook. [ … ] The Sun is looking for fuel With the gaze of a guillotine. Und dann in an Gerard Manley Hopkins geschulter Sprache: The huddle-shawled lightning-faced warrior Stamps his shaggy-trousered dance On an altar of blood. 196 der Tiergedichte Ted Hughes’: “violence” oder “vitality”- gegen sich selbst wendet. 74 Auffällig ist weiter Hughes’ Vorgehensweise in den mittleren Versen dieser Sektion, die die Essenz der Lerchenexistenz auf jeweils ein Wort verkürzen und komprimieren und damit vielleicht im Druckbild nach Art der emblem poetry - z.B. George Herberts “Easter Wings” - mimetisch für das Immer- Kleiner-Werden der auffliegenden Lerche stehen, bis sie nur noch ein winziger Punkt am Himmel ist. Die Folge von “climb / Climb / Sing” ist Hughes’ Version von Shelleys “And singing still dost soar, and soaring ever singest”. Sektion III hat die Qualität des Nicht-Enden-Wollens des Lerchenlieds zum Gegenstand. In den Sektionen III bis VI wird ein Sprecher eingeführt, der seine eigenen Beobachtungen und Emotionen reflektiert. Damit nähert sich die Sprechsituation an die von Shelleys “Skylark” an. Indem die Botschaft des Lerchenlieds - die Tonfolge “Joy! Help! Joy! Help! ” - als Reflexion des Sprechers erscheint, wird die unter dem Stichwort der pathetic fallacy verhandelte Vermenschlichung der Natur vermieden. “Joy”, der erste Teil der Botschaft der Lerche, ist, wie gezeigt wurde, ein klassisches Traditionselement; “help” dagegen signalisiert die Gefahr, in der sich die Lerche in ihrem Flug nach oben befindet. Hier liegt denn auch ein signifikanter Unterschied zu Shelleys “Skylark”: während dort das Lerchenlied als reine Freude charakterisiert ist und das Element der Traurigkeit allein der Menschenwelt zugeschrieben wird, ist bei Hughes die Existenz der Lerche als ambivalent, als von “joy” und “agony” (section VII) gekennzeichnet. 75 Der Sprecher sieht die beiden Töne “joy” und “help” im Lerchenlied so unauflöslich verbunden wie Einatmen und Ausatmen oder Systole und Diastole. Die Sprachgebung “gape” - “gaspings” - “rip” signalisiert wie bei Hopkins die Dimension des Gewaltsamen. I suppose you just gape and let your gaspings Rip in and out through your voicebox. 74 Vgl. Terry Gifford und Robert Neil, Ted Hughes: A Critical Study (London: Faber, 1981), 77. 75 In Basil Bunting's Briggflatts findet sich eine interessante Parallele: Hier wird die Lerche als “Painful lark, labouring to rise! ” (Section I) apostrophiert. (Basil Bunting, Briggflatts und andere Gedichte, Übersetzung und Nachwort Elmar Schenkel [Graz: Droschl, 1990], 10. 197 Vielleicht noch wichtiger für die Tradition des Lerchenmotivs ist in der Darstellung eines periodischen Geschehen der Bezug auf die Wellenbewegung des Meeres - “Like a breaker of ocean milling the shingle” - vermutlich ein weiterer direkter intertextueller Bezug auf Hopkins’ “The Sea and the Skylark”. Sektion IV widmet sich erneut dem Auf und Ab des Lerchenfluges, dann aber wird durch den Vergleich des Lerchenfluges mit den verzweifelten Bewegungen einer ertrinkenden Maus der Lerchenflug eindeutig auf Gefahr gestimmt (wie in Sektionen I und II), wobei sich Sonne und Himmel gegenüber der bedrängten Lage der Lerche als indifferent erweisen. Sektion V ist ebenfalls bestimmt durch die Qualitäten von Gefahr und Dringlichkeit. Der Sprecher stellt sich die ‚peitschenden Federn‘ vor; “its heart must be drumming like a motor” 76 , bis die Lerche in die Sonne hineingewirbelt ist. The lark is evaporating Till my eye's gossamer snaps and my hearing floats back widely to earth. Die aufsteigende Lerche entschwindet dem Auge des Betrachters, sie ‚verdunstet‘, metaphorisch gesprochen, wird eins mit dem Äther, und der dünne ‚(Sicht-)Faden‘, der Lerche und Beobachter verbindet, zerreißt. Ebenso reißt der Hörkontakt ab, dargestellt in Gestalt der Synästhesie eines zur Erde herabsinkenden Bandes, vergleichbar mit Hopkins’ “skein” in “The Sea and the Skylark”. Die zuvor durch Lerchenflug und -lied etablierte Beziehung zwischen Himmel und Erde bricht ab. Sektion VI handelt von der Mittlerrolle der Lerche zwischen Himmel - “a madhouse” - und Erde - “the mad earth”. Das “madness”-Motiv gehört, wie dargestellt, in den traditionellen Umkreis der Lerchen-Bildlichkeit, allerdings hier entscheidend umgedeutet. Was bei Shelley furor poeticus war, erscheint hier als entmenschlichte Äußerung. 76 Der Vergleich des Herzens der Lerche mit einem Motor verkehrt die traditionelle Beziehung von Natur und Zivilisation und kontrastiert damit mit Stephen Spenders Vergleich eines Flugzeugs mit einem Schmetterling (“Landscape near an Aerodrome”). Auch bei Hughes findet sich, wie einleitend gezeigt wurde, eine ‚technische‘ Variante des Lerchenliedes. 198 Heaven is a madhouse With the voices and frenzies of the larks, Squealing and gibbering and cursing Mit Calvin Bedient: The tracks of Hughes's animals now cross the inapprehensible. Metaphysical shock … has broken their minds. Something like a rage of helplessness, of frustrated consequence, seems to set his larks ‘Squealing and gibbering and cursing’ … Hughes's animals have discovered a world that doesn't need them. 77 Auch die Darstellung der Opferrolle der Lerche in Sektion VII, die sich im Flug selbst verzehrt, arbeitet mit Anklängen an Gerard Manley Hopkins, etwa an “That Nature is a Heraclitean Fire … ”. Die zur Erde zurückfallenden Lerchen, ausgebrannt, erschöpft, erreichen gleichwohl einen Zustand der Erfüllung, wie die ihnen zugewiesenen Attribute in den letzten vier Zeilen andeuten: “Weightless”: ihr Kampf gegen die Schwerkraft ist vorüber (Sektion I) “Paid-up”: sie haben ihr Opfer erbracht (Sektionen II and VII) “Alert”: gleichwohl ‚wach‘, bereit sich der Aufgabe ihres Lebens erneut zu stellen “Conscious-perfect”: Übereinstimmung von Akt und Sein als Entsprechung zum Gehorsam der Lerche (Sektion II) Hughes’ Gedicht “The Skylark Came” aus dem Jahr 1979 enthält noch einmal in konzentrierterer Form die Essenz dieser frühen Gedichtsequenz. The skylark came With its effort hooked to the sun, a swinging ladder With its song A labour of its whole body Thatching the sun with bird-joy To keep off the rains of wariness The snows of extinction 77 Bedient, ibid., 109. 199 With its labour Of a useless excess, lifting what can only fall With its crest Which it intends to put on the sun Which it meanwhile wears itself So earth can be crested With its song Erected between dark and dark The lark that lives and dies In the service of its crest. 78 Dies sind die zentralen Vorstellungen dieses Textes, die in gleicher Weise für die frühere Sequenz “Skylarks” gelten: (1) Die Lerche ist Vermittlerin zwischen Himmel und Erde - “a swinging ladder”, festgemacht an der Sonne: eine metaphorische Version des zugrundeliegenden neuplatonischen Denkschemas. (2) “Bird-joy”, die reine Freude der Existenz, ist das Gegenmittel gegen Nihilismus und Tod (“the snows of extinction”), hier ohne expliziten Bezug auf Gefahr und Bedrohung: Hughes’ existentialistische Version Schopenhauerscher Grundideen. (3) “the labour of a useless excess”: die Lerche steht außerhalb des Nexus von Utilität und Zweckrationalität und dient insoweit als kontrastiver Spiegel für die verkehrte Existenz des Menschen: Hughes’ Version von Shelleys “fullness” oder “plenitude”. (4) “With its crest / Which it intends to put on the sun / Which it meanwhile wears itself / So earth can be crested … ”: das Häubchen ist bildlich ein Pfeil, ein ‚Zeiger‘ nach oben, zur Sonne; während der irdischen vorläufigen Existenz (“meanwhile”) ist es ein Element des Ewigen im Zeitlichen. 78 Ted Hughes, Adam and the Sacred Nine, Collected Poems, Ed. Paul Keegan (London: Faber, 2003), 445f. 200 (5) “the lark that lives and dies in the service of its crest”: das Leben und Sterben der Lerche völlig einem einzigen Ziel gewidmet: “single-mind-sized skulls” wie Hughes’ “Thrushes”. Wie bei Shelley dienen bei Hughes Vergleiche und Metaphern zunächst dazu, dichterische Äquivalente für das Wesen der Lerche zu finden; ihre Funktion geht jedoch weit darüber hinaus. Die Bildstruktur verknüpft Menschenwelt und Lerchenexistenz, indem sie Analogien und Kontraste entwickelt. So lassen sich die Aussagen über die Lerche zugleich umwenden zu Aussagen über die Natur des Menschen und ihre Mangelhaftigkeit. Gifford und Neil haben sich Gedanken über die Leistungsfähigkeit - Notwendigkeit wie Grenzen - von Hughes’ “anthropomorphic empathy” in Sektion VII von “Skylarks” gemacht. Die entscheidende Bedingung für den erfolgreichen Einsatz dieses Kunstmittels ist die Gegenwart des menschlichen Sprechers als Beobachter. Der Text erschöpft sich deshalb auch nicht in Naturbeschreibung, ist vielmehr der Versuch, eine dem Menschen fremde und zugleich in ihrer Absolutheit faszinierende Existenzform zu begreifen. “Skylarks” ist in dieser Hinsicht the sustained attempt of the conscious mind to articulate the continuities between the human self and the animal world; and an exploration of the creative-destructive nature of the material reality on which all life is founded. 79 Der Traditionsbezug in Hughes’ Skylark-Gedichten liegt auf der Hand; klar geworden ist aber auch, wie sich Hughes’ philosophische Grundvorstellungen von denen bei Shelley wie bei Hopkins unterscheiden. Zwar lassen sich auch bei Hughes Kontinuitäten neuplatonischen Denkens feststellen, Hughes’ Lerche ist jedoch vor allem charakterisiert durch “the will to live in [its] particular circumstances” 80 . In einer ganzen Reihe späterer Tier-Gedichte erscheint dieses Prinzip der ‚Vitalität‘ zugleich gemischt mit Angst und Bedrohung, ‘joy’ ist mit ‘agony’ gemischt, und ‘madness’ signalisiert die Unzulänglichkeit der Rationalität als Lebensprinzip und als Mittel der Weltdeutung. 79 Gifford und Neil, 79. 80 Bedient,104. 201 4.6 Shelley - Hopkins - Hughes: Intertextuelle Beziehungen 4.6.1 ‘Joy’ Stabilität und Variabilität der intertextuellen Bezüge zwischen den diskutierten Texten von Shelley, Hopkins und Hughes lassen sich besonders eindrücklich an dem Motivkern ‘joy’ demonstrieren. Frank Kermode hat in Romantic Image ‘joy’ als eines der Schlüsselkonzepte identifiziert, die das Bild des Dichters der Romantik ausmachen. Der Künstler (“the artist in isolation”) erfährt sowohl ‘joy’ als auch ‘suffering’ oder ‘pain’ im schöpferischen Akt: To be cut off from life and action … is necessary as a preparation for the ‘vision’. Some difference in the artist gives him access to this - an enormous privilege, involving joy (which acquires an almost technical sense as a necessary concomitant of the full exercise of the mind in the act of imagination). But the power of joy being possible only to a profound 'organic sensibility', a man who experiences it will also suffer exceptionally. 81 Kermode demonstriert den Nexus von ‘joy’ und der Entfremdung des Dichters von der Gesellschaft, den dieser als Preis für die dichterische Vision zu zahlen hat, an Coleridge, Shelley und besonders eindrücklich an Keats’ “Ode to Melancholy”. Melancholie ist hier die notwendige Bedingung für die dichterische Existenz in der Doppelerfahrung der Imagination. ‘Joy’ und ‘sadness’ erscheinen hier als zwei Seiten einer Medaille. She dwells with Beauty - Beauty that must die; And Joy, whose hand is ever at his lips Bidding adieu; and aching Pleasure nigh, Turning to Poison while the bee-mouth sips: Aye, in the very temple of Delight Veiled Melancholy has her sov’reign shrine, Though seen of none save him whose strenuous tongue Can burst Joy's grape against his palate fine; His soul shall taste the sadness of her might, And be among her cloudy trophies hung. (Keats, “Ode to Melancholy”, Str. 3) 81 Kermode, Romantic Image, 6-11. 202 Die Verbindung von Freude und Schmerz ist ein klassisches Motiv in der Kunst der Präraphaeliten; sie findet sich beispielsweise bei Swinburne und James Thompson 82 und ist ein Charakteristikum der ‚schwarzen Romantik‘, wie sie Mario Praz 83 dargestellt hat. Bedeutsam in diesem Kontext ist es allerdings, daß in Hopkins’ Theologie der Schöpfung das Motiv der Freude ohne das des Schmerzes erscheinen kann, während Hughes, obwohl geistesgeschichtlich weiter entfernt von der Romantik und dem Dichterbild der Romantik, die von Kermode als romantisch analysierte Kombination von ‘joy’ und ‘pain’ erneut einführt. 4.6.2 Synästhesie In Shelleys “To a Skylark” und kulminierend in Hopkins’ “The Woodlark” und “The Skylark” tritt die Synästhesie als beherrschendes rhetorisches Kunstmittel hervor. Dies ist zunächst an den Gegenstand gebunden: die Lerche löst sinnliche Wahrnehmungen visueller und auditiver Art aus. Aber die Funktion der Synästhesie erschöpft sich nicht darin, klangsinnliche Äquivalente für Lerchenflug und -lied zu erzeugen, sie dient dazu, das Wesen des dargestellten Objekts zu erfassen, indem eine Ebene sinnlicher Wahrnehmung durch eine andere ersetzt wird oder mehrere miteinander verschmolzen werden. Die Synästhesie ist deshalb ein probates Kunstmittel romantischer Dichtung, sie hat einen besonderen Platz im Symbolismus, dem es um Suggestivität, um die Evokation feinster Wahrnehmungsnuancen oder Gestimmtheiten geht. 84 Die allermeisten lyrischen Texte zum Motivkomplex ‚Lerche‘ seit der Romantik gehen zwar von der Naturbeobachtung aus, verlassen diese Ebene jedoch bald zugunsten einer symbolischen Darstellung. 82 Vgl. z.B. die Darstellung der Nachtigall in Lord Alfred Douglas’ Sonettsequenz A Triad of the Moon; James Thompson, The City of Dreadful Night, Canto XIV; Oscar Wilde, “The New Helen”; “De Profundis”; Vgl. Lothar Hönnighausen, Präraphaeliten und Fin de Siècle (München: Fink, 1971), 156, 333ff. 83 Mario Praz, Liebe, Tod und Teufel: Die Schwarze Romantik [1930] (München, 1963); engl.. The Romantic Agony, trans. A. Davidson (London, 1933; rev. ed. 1951). 84 Vgl. Hönnighausen, 157ff.; Edmund Wilson, Axel’s Castle: A Study in the Imaginative Literature of 1870-1930 ( 1 1931; repr. New York: Scribners, 1959), 9-27; Paul Hoffmann, Symbolismus (München: Fink, 1987). 203 4.6.3 Kontrast und Vergleich Wie Theodor Wolpers gezeigt hat, basiert das Lerchen-Motiv wie andere Vogel-Motive - Nachtigall, Falke, Adler - auf der grundlegenden Beziehung von Beobachter und beobachtetem Vogel, eine Konstellation, in der der Vogelflug - als Symbol von Freiheit und Licht - typischerweise mit der Gebundenheit und Erdverhaftetheit der menschlichen Existenz kontrastiert wird. In Wordsworths “To a Sky-Lark” kontrastiert beispielsweise das Streben des Sprechers, es der in der Höhe singenden Lerche gleichzutun: “Lift me, guide me, high and high”, mit der Niedergeschlagenheit und Müdigkeit des menschlichen Herzens: “and to-day my heart is weary.” 85 Aus dieser Grundbeziehung erklären sich auch die rhetorischen Mittel, die die Beziehung zwischen dem Menschen als Beobachter und Sprecher und dem Vogel als beobachtetes Objekt und als Symbol bestimmen. Das beherrschende rhetorische Kunstmittel ist der Vergleich, wie sich unschwer an Shelleys “To a Skylark” ablesen ließ. Wichtig ist allerdings, daß die Beziehung von Sachhälfte (tenor) und Bildhälfte (vehicle) nicht als Einbahnstraße ausgebildet ist, sondern in beide Richtungen verläuft. In Shelleys “To a Skylark” sucht der Sprecher mittels Vergleichen aus der Menschenwelt die Lerche zu ‚erreichen‘: in dieser Funktion ist die Lerche tenor. Umgekehrt bezieht der Sprecher die Existenzweise der Lerche kontrastiv auf seine eigene defizitäre Existenz: in dieser Funktion ist die Lerche vehicle. Beide Funktionen gehen ineinander über, und ihre Unterscheidung ist kaum mehr als eine akademische Fingerübung. Hier erklären sich auch die unterschiedlichen Attribute für das Lerchenlied in verschiedenen Gedichten: nicht als objektive Beschreibung, sondern als Projektionen der Gestimmtheit des Sprechers: So heißt es beispielsweise in George Herberts “Easter Wings”: “let me rise / As larks harmoniously”, während de la Mares Lerchen als “shrill” charkterisiert sind. Ezra Pound verwendet in Canto 74 den Vergleich “squawky” [„lärmend“], und bei Basil Bunting fand sich die Wendung “painful lark, labouring to rise”. Die Beispiele, die sich leicht vermehren ließen, zeigen einmal mehr, daß die Lerche kaum je nur der beboachtete Vogel ist, so wie die sogenannte Naturlyrik in den seltensten Fällen bloße Deskription ist. In vielen Fällen ist die klare Unterscheidung 85 Theodor Wolpers, „G.M. Hopkins' 'The Windhover' zwischen Tradition und Moderne: Eine struktur- und motivtypologische Interpretation“, Tradition und Innovation in der englischen und amerikanischen Lyrik des 20. Jahrhunderts, Festschrift Arno Esch, ed. Karl Josef Höltgen et al. (Tübingen: Niemeyer, 1986), 15. 204 zwischen Sach- und Bildhälfte zugunsten komplexer symbolischer Beziehungen verwischt oder ganz aufgehoben. 4.6.4 Symbol, Synekdoche, Metonymie Catherine Runcie hat die Symbolbeziehungen in Shelleys, Hardys und Hughes’ Lerchengedichten verglichen und kommt auch zu interessanten Einsichten zu Hopkins’ “The Sea and the Skylark”. 86 In Shelleys “To a Skylark” wird, so Runcie, “meaning-as-feeling” evoziert; in Hardys Skylark- Gedicht ist die Synekdoche das beherrschende literarische Kunstmittel: Die Lerche vergeht zu Staub, gewissermaßen realem Staub, der sodann jedoch durch das Attribut “priceless” die Qualität der Synekdoche annimmt. In Hughes’ “Skylarks” betont Runcie die metonymische Struktur, die die ersten sieben Sektionen beherrscht: “the lark is a material bird in a material universe.” Aber trotz ihrer Materialität verweist die Lerche auf symbolische Bedeutungen: in der Einschätzung des Beobachters/ Sprechers kämpft sie um Kontrolle, verbindet Himmel und Erde, ist eine sich selbst verzehrende Kraft, ist Opfer, ist Ausdruck existentieller ‘angst’, opfert sich selbst usw. Gerade weil die Metonymie ihre materielle Basis festhält 87 , ist sie, so die Autorin, das adäquate Kunstmittel für die Hervorbringung der symbolischen Bedeutungsschichten in Hughes’ Sequenz. Intertextualität funktioniert hier gewissermaßen als eine Art Netz aus miteinander verbundenen ‚Textknoten‘, wobei die Verbindung von einem solchen Knoten zum anderen durchaus nicht direkt und linear sein muß, sondern über verschiedene Zwischenglieder verlaufen kann; auch müssen in späteren Manifestationen nicht alle Elemente eines Symbolkomplexes aktiviert sein. 86 Runcie, “On Figurative Language”, 205-217. 87 Ibid., 215. 205 5. “Goe, lovely rose … ” - Das Rosenmotiv in der englischen Lyrik 5.1 Einstieg: “The rose is obsolete” Seit den Zeiten der griechischen Lyriker Sappho und Alkaios ist das Rosenmotiv in unzähligen Gedichten vertreten. Also stellt sich auch hier das Problem der Konventionalisierung des Rosenmotivs bis hin zur vollständigen Abnutzung. Die Überschrift dieses Abschnitts ist ein Zitat aus einem Gedicht von William Carlos Williams aus der Sammlung Spring and All (1923), in dem der Autor das klassische Rosensymbol mitsamt seiner konventionellen Befrachtung durch ‘love’ für tot erklärt, die Rose dann jedoch sogleich mit der Präzision der Sprache neu erschafft. 1 Ein bekanntes Gedicht aus den Anfängen des Imagismus zeigt modellhaft das Dilemma und den Impuls des make it new (Ezra Pound). Das Gedicht “Sea Rose” eröffnet H.D.s ersten Gedichtband Sea Garden (1916). Rose, harsh rose, marred and with stint of petals, meagre flower, thin, sparse of leaf, more precious than a wet rose single on a stem - you are caught in the drift. Stunted, with small leaf, you are flung on the sand, you are lifted in the crisp sand that drives in the wind. 1 William Carlos Williams, Spring and All (1923), Nr. 7. 206 Can the spice-rose drip such acrid fragrance hardened in a leaf? (H.D., Sea Garden) 2 Im Unterschied zu vielen Texten, in denen die Rose, mit T.E. Hulme gesprochen, als bloße ‚Wortmünze‘ (“counter”) erscheint, dadurch beim Leser zwar konventionelle, aber kaum je vom Autor genau zu kontrollierte Assoziationen auslöst, als Wort deshalb auch Wort bleibt und nicht im Gedicht selbst hervorgerufen wird, ist hier die apostrophierte Rose auffällig individualisiert und detailliert charakterisiert. Dabei bewirkt sogleich die präzisierende Wiederholung in Zl. 1 die Verengung des möglichen Assoziationsspektrums und die Umsteuerung der Lesererwartung: Die Rose erhält das Attribut “harsh” und wird damit sogleich in den Gegensatz zu erwartbaren automatisierten Bedeutungen gesetzt. Überhaupt beherrschen negativ gewertete Attribute die erste Strophe, solche, die die Rose aller konventionellen Valeurs berauben: “harsh”, “marred”, “stint”, “meagre”, “sparse”, später in Str. 3 “stunted”, “with small leaf”; schließlich wird in Str. 4 der Duft dieser Rose als “acrid” gekennzeichnet. In den Zl. 8-13 erscheint die “Sea Rose” als auf den Strand geworfenes, von Wind und Wellen bewegtes passives Objekt. Wichtig ist die innere Kommunikationssituation des Textes, die, wie in so vielen Gedichten H.D.s, so auch hier, von der Dialogsituation bestimmt ist: ein Sprecher/ eine Sprecherin redet ein Gegenüber, hier die “sea rose” an, ohne sich als Person zu identifizieren. Die “sea rose” des Textes entsteht erst in der Apostrophe und durch die Präzision der Sprache. Dabei läßt der Komparativ in der Wertung des Sprechers/ der Sprecherin in Zl. 5 aufhorchen: “more precious / than a wet rose / single on a stem”, ein Vergleich hinsichtlich von Gestalt und Duft, der zugunsten der “sea rose” ausgeht und der in der Frageform in der letzten Strophe auch das letzte Wort des Sprechers/ der Sprecherin ist. Beherrschender Gestaltungszug ist das Paradox: die abgewertete, mit negativen Attributen belegte Rose ist für diesen Sprecher/ diese Sprecherin “more precious” als die in der Lesererwartung fest verankerte wohlriechende Rose. Die Schlußfrage, vielleicht Ausdruck 2 H.D., Selected Poems (New York, Grove P., 1957), 15; zugänglich auch als elektronischer Text URL: http: / / quod.lib.umich.edu/ a/ amverse/ BAD4143.0001.001? view= toc, ebenso: http: / / www.gutenberg.org/ ebooks/ 28665. 207 von Überraschung oder Verwunderung auf seiten des Sprechers/ der Sprecherin, wird zur Andockstelle für den Leser. Das Gedicht ist in seiner Detailschärfe - die Kritik hat für H.D.s Stil das von ihr selbst verwendete Epitheton “crystalline” aufgegriffen - paradigmatisch für die von Ezra Pound nicht zuletzt anhand von H.D.s Gedichten formulierten Grundprinzipien des Imagismus. 3 Andererseits zeigt sich in der Forschungsliteratur, daß Interpreten sich nicht damit zufrieden geben mögen, den Text zu nehmen, ‚wie er ist‘. Offenbar lädt gerade die Sparsamkeit des Textes zur Suche nach Bedeutungen ‚hinter dem Text‘ ein. Obgleich sich das Sprecher-Ich des Gedichtes ausschließlich im Gedichttext selbst konstituiert und Indikatoren für einen Durchgriff auf die Biographie der Autorin nicht auszumachen sind, erliegen immer wieder Kritiker der Versuchung der biographischen Deutung. Ein solcher Fall findet sich beispielsweise bei Helen Carr, die, obwohl sie weiß, daß “Sea Rose” erst während der Zeit des Ersten Weltkriegs geschrieben worden ist, die Attribute der Rose flugs auf Hilda Doolittles Befindlichkeit selbst während der Zeit der Beziehung zu Frances Gregg umbiegt. 4 Susan Stanford Friedman arbeitet einerseits das für H.D.s frühe Gedichte charakteristische Gestaltungsprinzip der impersonality (im Sinne T.S. Eliots) heraus, deutet dann jedoch gerade dieses Verfahren biographisch aus: The meagre sea rose, wild and wind-blown in the sand, is an objective correlative for the poet’s own difference, her flight from Victorian femininity. [ … ] While the poet’s preference for the wild rose represents 3 “A Few Don’ts by an Imagiste”: “Direct treatment of the ‘thing’, whether subjective or objective” - und: “To use absolutely no word that does not contribute to the presentation.” In den Worten T. E. Hulmes, eines anderen der Gründerväter des Imagismus: “It is essential to prove that beauty may be in small, dry things” - oder: “To see things as they really are, and apart from the conventional ways in which you have been trained to see them.” - oder auch: “Each word must be an image seen, not a counter.” Pound: “The artist seeks out the luminous detail and presents it. He does not comment.” (I Gather the Limbs of Osiris, II.) 4 “H.D. wrote that poem [“Sea Rose”] in England during the First World War, but already she often felt marred, meagre, sparse and stunted. Frances, like Pound, brought her fierce joy and great pain.” (Helen Carr, The Verse Revolutionaries: Ezra Pound, H.D. and The Imagists [London: Cape, 2009], 291). 208 H.D.’s alienation from conventional femininity it does not mean a flight from eroticism. 5 Durch solche und ähnliche Deutungsversuche wird nun allerdings der Symbolisierungsprozeß wieder inganggesetzt, den H.D. mit den Kunstmitteln dieses Gedichts gerade zu unterbrechen suchte. “Antipoetry” also in William Carlos Williams Worten 6 , Präsentation statt Repräsentation, das verbindet H.D. mit Ezra Pound, William Carlos Williams und auch Gertrude Stein. Wie das Kunstobjekt ‚Rose‘ nur auf dem Papier entsteht, zeigt in leichtem Ton Charles Tomlinsons Gedicht “A Rose for Janet”. I know this rose is only an ink-and-paper rose but see how it grows and goes on growing beneath your eyes: a rose in flower has had (almost) its vegetable hour whilst my rose of spaces and typography can reappear at will (your will) whenever you repeat this ceremony of the eye from the beginning and thus learn how to resurrect a rose that's instantaneous perennial and perfect now 7 5 Susan Stanford Friedman, Penelope’s Web: Gender, Modernity, H.D.’s Fiction (Cambridge: CUP, 1990), 57f. 6 William Carlos Williams, Einleitung zu Spring and All. 7 Charles Tomlinson, New Complete Poems (Manchester: Carcanet: 2009), 437. Dies ist Charles Tomlinsons eigene Erklärung der Genese des Gedichts: “One day, the 209 Daß auch Tomlinsons spielerische Einführung in die Seinsweise des literarischen Kunstwerks mit Traditionsbezügen operiert, zeigt sich am klarsten in der Übernahme des Topos der Unvergänglichkeit des Kunstwerks gegenüber der Natur, der dem Leser dieser Studien mehrfach begegnet ist. In den Umkreis dieser Überlegungen gehört auch Gertrude Steins berühmt gewordene, zumeist isoliert zitierte Wendung: “[Rose is] a rose is a rose is a rose”. 8 Sie steht ursprünglich an eher unauffälliger Stelle in Steins Gedicht “Sacred Emily” (1913, veröffentlicht 1922 in Geography and Plays), ein Text, dessen Charakteristikum ein exploratives Spiel mit der Sprache, dessen beherrschendes Ausdrucksmittel die klangassoziative, sprachlogisch in Gestalt von Tautologien auftretende, geradezu obsessiv eingesetzte Wiederholung ist. Der folgende Ausschnitt aus dem langen Gedicht diene dazu, die berühmte Zeile in ihrem Umfeld zu situieren und zu demonstrieren, daß das viel beachtete Gestaltungsprinzip dieser Zeile, die Wiederholung, im Kontext des Gedichtes hier Normalität, ja Programm ist. [ … ] What is a winter wedding a winter wedding. Furnish seats. Furnish seats nicely. Please repeat. Please repeat for. Please repeat. This is a name to Anna. Cushions and pears. Reason purses. Reason purses to relay to relay carpets. Marble is thorough fare. Nuts are spittoons. That is a word. That is a word careless. secretary of our English department at the University of Bristol told me she was going to have a child. ‘When your baby arrives,’ I said to her, ‘I will give you a rose’. I don't know where this fanciful idea came from. Well, the baby arrived. When the secretary returned to work, the first thing she said to me was ‘Where's my rose? ’ - ‘Just one moment,’ I replied, ‘I will go and make you a rose.’ And here is the result.” 8 Vgl. zu Gertrude Stein Jennifer Ashton, From Modernism to Postmodernism: Poetry and Theory in the Twentieth Century (Cambridge: CUP, 2005). 210 Paper peaches. Paper peaches are tears. Rest in grapes. Thoroughly needed. Thoroughly needed signs. All but. Relieving relieving. Argonauts. That is plenty. Cunning saxon symbol. Symbol of beauty. Thimble of everything. Cunning clover thimble. Cunning of everything. Cunning of thimble. Cunning cunning. Place in pets. Night town. Night town a glass. Color mahogany. Color mahogany center. Rose is a rose is a rose is a rose. Loveliness extreme. Extra gaiters. Loveliness extreme. Sweetest ice-cream. Page ages page ages page ages. Wiped Wiped wire wire. Sweeter than peaches and pears and cream. Wiped wire wiped wire. Extra extreme. [ … ] In der Gedichtzeile ist “Rose” am Anfang ein Name (name), der durch ein Nomen (noun) substituiert wird. Zur Interpretation der praktisch immer ohne den ursprünglichen Kontext diskutierten Zeile - und vielfach zur Verwirrung - hat Gertrude Stein durch eine Reihe von Äußerungen selbst 211 beigetragen. In ihrem Vortrag “Poetry and Grammar” 9 reflektiert die Autorin anhand ihrer eigenen dichterischen Praxis über die Leistungen der Wortarten in Prosa und Poesie, in der Lyrik besonders über die Kraft des noun als name. Der beherrschende Impuls ist auch hier die Befreiung der Dichtersprache von ihren konventionellen Fesseln. Für Stein wie für die Modernisten überhaupt, hat die Dichtersprache im Laufe der Zeit, besonders im 19. Jahrhundert, die Kraft verloren, mittels des Namens eines Gegenstands den Gegenstand selbst hervorzurufen: So then poetry up to the present time has been a poetry of nouns a poetry of naming something of really naming that thing passionately completely passionately naming that thing by its name. Slowly and particularly during the nineteenth century the English nineteenth century everybody had come to know too well very much too well the name anything had when you called it by its name. That is something that inevitably happened. And what else could they do. They had to go on doing what they did, that is calling anything by its name passionately but if as I say they really knew its name too well could they call it its name simply in that way. Slowly they could not. And then Walt Whitman came. He wanted really wanted to express the thing and not call it by its name. 10 In der Wiedergewinnung dieser Evokationskraft der Dichtersprache liegt folgerichtig die Aufgabe des Dichters: Poetry is concerned with using with abusing, with losing with wanting, with denying with avoiding with adoring with replacing the noun. It is doing that always doing that, doing that and doing nothing but that. Poetry is doing nothing but using losing refusing and pleasing and betraying and caressing nouns. That is what poetry does, that is what poetry has to do no matter what kind of poetry it is. And there are a great many kinds of poetry. 9 Gertrude Stein, “Poetry and Grammar”, Lectures in America (New York: Random House, 1935, repr. als Bacon Paperback, Boston,1957), 209-246; Writings 1932- 1946, ed. Catharine R. Stimpson und Harriet Chessman (New York: The Library of America: 1998), 313ff. 10 Stein, Lectures in America, 240f. 212 When I said. A rose is a rose is a rose is a rose. And then later made that into a ring I made poetry and what did I do I caressed completely caressed and addressed a noun. 11 In diesem Sinne kann Stein denn auch formulieren: “I think in that line the rose is red for the first time in English poetry for a hundred years.” In den weiteren Abschnitten dieses Kapitels folgen auf einen Überblick über das Rosenmotiv seit der Antike Überlegungen zur Konventionalisierung und kunstvollen Variation des Rosenmotivs im Courtly Game of Love der Renaissance, sowie Studien zu Shakespeares Sonetten, William Blake und William Butler Yeats. 5.2 Das Rosenmotiv seit der Antike Die Ansätze einer modernistischen und postmodernistischen Poetik bei Gertrude Stein, Ezra Pound und William Carlos Williams sind Reaktion auf die frühere poetische Tradition. Die Rosengedichte H.D.s und William Carlos Williams, ebenso wie Gertrude Steins Erklärungen zu “Rose is a rose is a rose is a rose” setzen sich von der Rosensymbolik in Gedichten vor allem des 19. Jahrhunderts ab. Schon ein flüchtiger Blick in eines der etablierten Symbollexika gibt Auskunft über die schier unermeßliche Spielbreite des Rosensymbols durch die Kulturen und Epochen. 12 Um diesen Verstehenshorizont geht es in diesem Abschnitt. Die Rosensymbolik ist eng verbunden mit der Geschichte der Rose als Kultur- und Heilpflanze, die über gut vier Jahrtausende seit den alten Kulturen Mesopotamiens, Persiens und Ägyptens einerseits, Chinas andererseits 11 Stein, Lectures in America, 231. 12 Dies sind die bei de Vries genannten Hauptkategorien: (1) “the female generative principle, physical love, spring, youth”; (2) “spiritual love, virtuous beauty”; (3) “intellectual beauty, perfection, sun”; (4) “transcendence of the human spirit, unity”; (5) “inspiration (of love poetry)”; (6) “transitoriness, death, and resurrection”; (7) “vanity”; (8) “victory”; (9) “festal” [used on festive occasions]; (10) “secrecy”; (11) “the Occident (as opposed to the Orient)”; (12) “heraldic”; (13) “psychological”: Freud: female sexual organs; Jung: integration of the conscious and the unconscious; (14) [combinations]. (Ad de Vries, Dictionary of Symbols and Imagery [Amsterdam, London, 3 1981, repr.]; rev. and enl. ed. weitergeführt als Elsevier’s Dictionary of Symbols and Imagery [Amsterdam, 2004]). 213 verfolgt werden kann. Rosenwasser und Rosenöl sind als Heilmittel schon in Persien bekannt. Spätestens mit Hippokrates beginnt die medizinische Literatur, die sich dann im europäischen Mittelalter bei Hildegard von Bingen und dem Hortulus Wahlafried Strabos fortsetzt. Das Rosensymbol ist verknüpft mit den Göttinnen Ischtar (Mesopotamien), Inanna (Sumer) Astarte (Phönizien), Isis (Ägypten), Aphrodite (Griechenland) und Venus (Rom). Bei den Germanen wird die Rose mit Freya / Frigga assoziiert. Die Rose wird vielfach mit Sappho in Verbindung gebracht. 13 Die traditionelle Differenzierung zwischen weißer und roter Rose, in der englischen Geschichte klassisch auf die Häuser York und Lancaster und The War of the Roses bezogen, aber ebenso fester Bestandteil der Liebessymbolik 14 , wird häufig auch auf Aphrodite zurückgeführt: während die weiße Rose der Geburt der jungfräulichen Aphrodite zugeordnet ist (Anacreon) - in der bildlichen Darstellung bekannt spätestens seit Botticellis Gemälde „Die Geburt der Venus“ 15 -, wird die rote als die mit dem Blut des Adonis gefärbte Blume - nach Ovid ‚Windröschen‘ - im Venus und Adonis-Mythos mit der leidenschaftlichen Liebe, genau mit dem Ehebruch der Aphrodite in Verbindung gebracht. 16 13 Z.B. bei Philostratos, epist. 51. (Sappho, ed. Max Treu [München, 3 1963], 106f.). Robert Herrick, “How Roses Came Red”. Bei Elizabeth Barrett Browning findet sich mit “Song of the Rose”die Übersetzung eines Rosengedichtes, das früher fälschlich Sappho zugeschrieben worden ist. 14 A White Rose The red rose whispers of passion, And the white rose breathes of love; O, the red rose is a falcon, And the white rose is a dove. But I send you a cream-white rosebud With a flush on its petal tips; For the love that is purest and sweetest Has a kiss of desire on the lips. (John Boyle O'Reilly; The Oxford Book of English Verse: 1250-1918, New Edition, ed. Arthur Quiller-Couch [Oxford, o.J.], No. 838, p. 1013.) 15 Hesiod, Theogonie, 188ff.; Botticelli, Die Geburt der Venus. 16 … iuris erunt“ dixit. „luctus monimenta manebunt semper, Adoni, mei, repetitaque mortis imago annua plangoris peraget simulamina nostri; at cruor in florem mutabitur. an tibi quondam 214 In der frühen Christenheit wird die weiße Rose zu einem mit Maria assoziierten Symbol der Reinheit, die rote Rose zum Symbol der Passion, assoziiert mit Jesus. Wie andere Symbole und Mythologeme der klassisch antiken Welt ist auch das Rosensymbol dem Prozeß der „Anpassung und Umformung“ 17 durch das Christentum unterworfen, wobei sich über Schulpoesie und Rhetorik auch in christlicher Zeit eine gewisse Bekanntheit von Texten der Antike hält. 18 Schon bei den Kirchenvätern - Cyprian, Basilius, Hieronymus, besonders aber bei Ambrosius - erfolgt die ‚Verpflanzung‘ der Rose in den christlichen Kontext, wobei hier im Zusammenhang mit der mariologischen Umdeutung des Hohenlieds die „rosa pudoris“ im Zusammenhang mit „hortus conclusus“ erscheint. Auch die „Lilie unter Dornen“, die in der Bibelübersetzung Luthers als „Rose unter den Dornen“ wiedergegeben wird und schon mittelalterlich sprichwörtlich geworden ist, 19 wechselt mühelos zwischen dem geistlichen (mariologischen) und dem weltlichen Kontext. Als „rosa mistica“ wird Maria in der Lauretanischen Litanei apostrophiert. 20 In den letzten Gesängen von Dantes femineos artus in olentes vertere mentas, Persephone, licuit: nobis Cinyreius heros invidiae mutatus erit? “ sic fata cruorem nectare odorato sparsit, qui tinctus ab illo intumuit sic, ut fulvo perlucida caeno surgere bulla solet, nec plena longior hora facta mora est, cum flos de sanguine concolor ortus, qualem, quae lento celant sub cortice granum, punica ferre solent; brevis est tamen usus in illo; namque male haerentem et nimia levitate caducum excutiunt idem, qui praestant nomina, venti.' (Ovid, Metamorphosen, X,725-739) 17 Werner Ross, „Rose und Nachtigall: Ein Beitrag zur Metaphorik und Mythologie des Mittelalters“, Romanistische Forschungen 67 (1956), 56-82. 18 Vgl. Anthologia Latina, ed. Franz Bücheler und Alexander Riese, Nachdruck der Ausgabe Leipzig, 1894-1926 (Amsterdam, 1972f.). 19 Hld. 2,2: „Sicut lilium inter spinas“; vgl. Authorized Version: “as the [a] lily among thorns”, Thesaurus proverbiorum medii aevi: Lexikon der Sprichwörter des romanisch-germanischen Mittelalters, hrsg. vom Kuratorium Singer der Schweizerischen Akademie der Geistes und Sozialwissenschaften, begr. v. Samuel Singer (Berlin: de Gruyter, 1995 ff.) s.v. ‚Dorn‘ (Bd. 2, 1996). 20 Vgl. weiter die bei Peter Kesting, Maria - Frouwe: Über den Einfluss der Marienverehrung auf den Minnesang bis Walther von der Vogelweide. (München: Fink, 1965) nachgewiesenen Stellen aus den Analecta hymnica medii aevi (ed. G. M. Dreves und C. Blume, 55 Bde. Leipzig, 1886-1922; repr.), in denen die Rose wechselweise Ma- 215 Paradiso (30.-33. Gesang) erscheint Bernhard von Clairvaux, dessen Predigten mit verantwortlich für den Aufschwung der Marienverehrung im 12. Jahrhundert waren, als Führer Dantes, der ihm die Ordnung der weißen Himmelsrose erklärt, in dessen Mitte die Himmelskönigin Maria sitzt. Ein modernes Echo der Rosensymbolik der Marienlitanei findet sich in T.S. Eliots Ash-Wednesday, das ebenfalls stark von Dante beeinflußt ist: Lady of silences Calm and distressed Torn and most whole Rose of memory Rose of forgetfulness Exhausted and life-giving Worried reposeful The single Rose Is now the Garden Where all loves end [ … ] Grace to the Mother For the Garden Where all love ends. 21 rias Schönheit, ihre Sündlosigkeit, ihre Liebe zu Gott wie auch ihr Martyrium symbolisiert: „Omnes ultra homines dona decoris habens, / Inde rubore rosas, candore hinc lilias vincens“; „formosa plus quam rosa“; „flos florum“; „sine spina rosa“; „ecce rosa, flos amoris, rubet“ (Kesting, 13). Kesting weist die Übertragung von Symbolen des Hohenliedes auf Maria bei Hermann dem Lahmen in der Antiphon „O florens rosa“ und der Sequenz „Ave, praeclara maris stella“ nach (24) und belegt das Schema der Überbietung (Curtius): „Candens plus quam lilium / Vernans plus quam rosa“ (28). Das im deutschen Minnesang bei Heinrich von Morungen und Walther von der Vogelweide geläufige Miteinander von Lilien- und Rosensymbol ist im provençalischen Minnesang nur bei Peire Vidal belegt. Vgl. auch Peter Dronke, Die Lyrik des Mittelalters (München: Beck, 1973; München: dtv. 1977), 210, 212f., 220f. 21 T.S. Eliot, Ash-Wednesday, II, 66-88. Die komplexe Entwicklung dieser Passage läßt sich im Vergleich mit der Erstfassung “Salutation” (Saturday Review of Literature, 1927) erkennen. E.E. Duncan-Jones, “Ash-Wednesday”, T.S. Eliot: A Study of his Writings by Several Hands, ed. Balachandra Rajan (London: Dobson,1947, 3 1971). Beeinflußt von Dante erscheinen ‘Rose’ und ‘Garden’ wieder an zentraler Stelle in T.S. Eliots Four Quartets, besonders in Burnt Norton und am Schluß von Little Gidding. 216 Faszinierend ist das Verhältnis von Minnedichtung und Marienverehrung, wobei eine Linie vom ‚Kranzreichen‘ und ‚Blumenpflücken‘ à la „Heideröslein“ in der Klerikerpoesie des 12. Jahrhunderts in den Rosenroman führt, der seinerseits wiederum christlicher Polemik (u.a. Gerson) ausgesetzt ist. Die Vorstellungen und das Formular der höfischen Minne werden im Umkreis der von Dominikanern und Franziskanern im 13. Jahrhundert angestoßenen Reformbewegung anscheinend mühelos auf die Marien- und Christusminne übertragen. Nicht zuletzt die Ausprägung des Rosenkranz- Gebets durch die Dominikaner ist Ergebnis dieses Prozesses. In Walthers von der Vogelweide Leich wird Maria als „Rose ohne Dornen“ apostrophiert: Nû senfte uns, frouwe, sînen zorn, barmhérzig muoter ûz erkorn, dû frîer rôse sunder dorn, dû sunnevarwiu klâre! 22 Aus dem England des frühen fünfzehnten Jahrhundert stammt der Rose Carol: There is no rose of such virtue As is the rose that bare Jesu; Alleluia. For in this rose contained was Heaven and earth in little space; Res miranda. By that rose we may well see That he is God in persons three, Pari forma. The angels sungen the shepherds to: Gloria in excelsis deo: Gaudeamus. 22 „Nun besänftige für uns, Jungfrau, seinen Zorn, / barmherzige Mutter, auserkoren, / Du edle Rose ohne Dorn, / Du sonnenhafte Reine! “ Walther von der Vogelweide, Werke: Gesamtausgabe, Band 2: Liedlyrik. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch, hg. und übers. Günther Schweikle (Stuttgart: Reclam, 1998), 496f. 217 Leave we all this worldly mirth, And follow we this joyful birth; Transeamus. Alleluia, res miranda, Pares forma, gaudeamus, Transeamus. 23 Die Rose als Symbol für die höfische Dame als unerreichbare Geliebte des Liebenden (A MANZ ) im ersten und als schließlich erreichtes Objekt der Begierde im zweiten Teil steht im Zentrum des Rosenromans (Le roman de la rose), dessen Einfluß auf die Literatur der folgenden drei bis vier Jahrhunderte - in der englischen Literatur z.B. auf Chaucer - nicht zu unterschätzen und dessen Auslegungsgeschichte zwischen sens littéral (Liebesschule) und sens moral ou mystique (Gottesliebe) selbst ein Lehrstück für die Allegorese ist. Die die Forschung lange beschäftigende Frage nach dem Zusammenhang der beiden Teile, des ersten von Guillaume de Lorris (um 1230), des zweiten von Jean [Chopinel]de Meun (ca. 1270), ist im Kontext dieser Untersuchung nur insoweit von Belang, als sich die Wertewelt und damit die Auffassung der Liebe in beiden Teilen deutlich voneinander unterscheidet. Im ersten Teil erscheint die Rose dem träumenden Liebenden, der zugleich der Erzähler ist, im Spiegelbild der Quelle des Narziß in ihrer überwältigenden Schönheit und zugleich Unerreichbarkeit: Unter diesen Knospen wählte ich eine so schöne aus, daß ich im Vergleich mit ihr keine der andern im geringsten schätzte, nachdem ich sie genau betrachtet hatte, denn sie erstrahlt in einer Farbe, die so rot und so prächtig ist, wie N ATUR sie überhaupt machen konnte. Sie hatte vier Paare von Blättern, die N ATUR mit großer Kunst 23 Vgl. Edith Rickert, Ancient English Christmas Carols: 1400-1700 (London: Chatto & Windus,1914), 8, 149: “This is one of thirteen carols found in a Cambridge MS., T.C.C.o. 3, 58, part of which at least is attributed to John Dunstable of Henry VII's Chapel. It is quite uncertain whether he wrote the words as well as the music.” Vgl. Benjamin Britten, A Ceremony of Carols. op.28. 218 aufeinander folgend angebracht hatte; ihr Stil ist gerade wie ein Schilfrohr und auf ihm sitzt die Knospe so, daß sie sich nicht neigt noch herabhängt. Ihr Duft breitet sich ringsum aus: Die Süßigkeit, die davon ausgeht, erfüllt die ganze Umgebung. Und als ich diesen Duft wahrnahm, mochte ich nicht mehr zurückkehren, sondern näherte mich, sie zu ergreifen, falls ich es wagen wurde, die Hand auszustrecken; spitze und stechende Dornen jedoch hielten mich weit entfernt; scharfe und spitze Stacheln, Nesseln und gekrümmte Dornen ließen mich nicht näher treten, denn ich fürchtete, mir wehe zu tun. (1655-1680) 24 Zwar erhält der Liebende gute Ratschläge von B EL A CUEIL (S CHÖNER E MP- FANG ), wie die Hecke, die den Garten einschließt, zu überwinden sei, doch wird er schließlich von D ANGIERS (W IDERSTAND ), M ALE B OUCHE (B ÖSER M UND ), H ONTE (S CHAM ), P EOR (F URCHT ) daran gehindert. Nach Intervention von F RANCISE (E DELMUT ) und P ITIÉ (M ITLEID ) erlangt der Liebende schließlich Zugang zur Rose und durch Vermittlung von V ENUS sogar einen Kuß (3478f.); der erste Teil des Rosenromans endet jedoch damit, daß um die Rosen eine Festung mit Gräben, Mauer und Türmen errichtet wird, die unüberwindlich scheint. Der zweite ungleich längere Teil kehrt erst nach Tausenden von Versen gegen Schluß zum Thema des Anfangs zurück: Venus erstürmt die Burg und erwirkt, daß der Liebende die Rose pflücken darf - wobei (ab 21346) der Akt der Besitznahme durch den Liebenden in der Form der Ich-Erzählung in kaum verhüllter Direktheit berichtet wird. Charakteristisch für das Rosensymbol ist seine frühe Konventionalisierung, die es ermöglicht, es als Topos in stereotypen Situationen zu verwenden. 24 Guillaume de Lorris, Jean de Meun, Der Rosenroman, zweisprachige Ausgabe trans. Karl August Ott, 3 Bde (München: Fink, 1976). Vgl. dazu D. Brüning, Clement Marots Bearbeitung des Rosenromans [1526] (Berlin, 1972). 219 Typisch ist hier die literarische Konvention des Preises der verehrten Frau, ideal verkörpert in Maria, wobei es in spätmittelalterlicher Literatur mühelos möglich ist, von Maria zur weltlichen Idealgeliebten zu wechseln. In dem als Quelle mittelenglischer Lyrik berühmten Harley Manuskript finden sich denn auch mehrere Gedichte, in denen zum Preis der körperlichen Attribute der Geliebten der Rosenvergleich herangezogen wird. Hire rode is ase rose that red is on ris; With lilie-white leres lossum he is; The primerole he passeth, the perwenke of pris, With alisaundre thareto, ache and anis. Cointe ase columbine such hire cunde is, Glad under gore in gro and in gris; He is blosme opon bleo, brightest under bis, With celydoine and sauge, as thou thyself sis. That sight upon that semly, to bliss he is broght; He is solsecle: to sauve is forsoght. 25 Und: Lilie-whit he is: Hire rode so rose on ris, That reveth me my rest; Wimmon war and wis, Of prude he bereth the pris, Burde on of the best. This wommon woneth by west, Brightest under bis; Hevene I tolde all his, That o night were hire guest. 26 Im folgenden Beispiel ist die später blason genannte Form bereits ausgebildet, wird das ‚Körperteilschema‘ schematisch abgearbeitet: 25 [“Her complexion is as a rose that is red on a branch”] - “Ichot a burde in a bour ase beryl so bright”, MS Harley 2253 zitiert nach Middle English Lyrics, ed. Maxwell S. Luria und Richard L. Hoffman. Norton Critical Edition (New York: Norton, 1974; repr.), 21, 24f., 40f.; cf. The Harley Lyrics, ed. G. L. Brook (Manchester: Manchester U.P., 4 1968). 26 [“Her complexion is as a rose on a branch.”] - ibid. 220 Jesu that is most of might, And made man above all thing. Save my true-love, bothe day and night, And kepe her well and in good liking. For she is alwey full curteisse, True and stedfast in every degree, Swete as the rose that groeth on the risse, As true turtill that sittes on a tree. She is the demurest that I can see Whereas I walke by est and weste; No peere she hase in my eye, For of all women I love her beste. Her lippes are like unto cherye, With teethe as white as whales bone; Her browes bente as any can be, With eyes clere as cristal stoune. Her fingers be bothe large and longe, With pappes rounde as any ball; Nothing, methinke, on her is wronge; Her medill is bothe gaunte and small. 27 [ … ] Der Grad der Stereotypisierung des Rosensymbols wie auch die kritische Gegenbewegung läßt sich an Shakespeares Anti-Blason in Sonett 130 ablesen, in dem auch der Rosenvergleich als “false compare”, als bloße literarische Konvention, enthüllt wird. 28 Einen guten Indikator für die Konventionalisierung des Rosen-Motiv stellen die Emblembücher dar. Ein Blick in das Standardwerk von Henkel und Schöne zeigt 24 Einträge zu den Stichwörtern Rose, Rosenstock usw. (z.T. mit Untervarianten). Von diesen umkreisen sechs das Thema ‚Vergänglichkeit‘, vornehmlich im Vergleich von Jugend und Alter im mensch- 27 [“For she is always most courteous, / True and steadfast in every aspect, / Sweet as the rose that grows on the branch, / As true as the turtledove that sits on a tree.”] MS Bodleian 12653 zitiert nach Middle English Lyrics. 28 Dazu ausführlicher in Kapitel 2.5 Descriptio pulchritudinis und besonders 2.6 Beschreibungslied und Blason. 221 lichen Leben sowie im Zusammenhang mit dem ‚carpe diem‘-Motiv. Hierzu lassen sich auch weitere drei Einträge zählen, die die vergängliche Schönheit der Rose mit ihrem unvergänglichen Duft kontrastieren, wie Shakespeare es in Sonett 54 gestaltet hat. Weitere sechs Einträge sind dem Thema ‚Rose und Dornen‘ gewidmet, wobei einerseits das Pflücken der Rose à la Heideröslein, andererseits das Thema ‚ex malo bonum‘ im Zentrum steht. Letzteres wird in drei (vier) Einträgen zum Gegensatzschema überhaupt erweitert: ‚usu diverso‘ oder ‚per opposita‘ sind hier typische Lemmata. Unter dem Lemma ‚defloratio‘ wird die Geschichte von Venus erzählt, die sich an einem Dorn stach, wobei ihr Blut die weiße Rose rot färbte. 29 Rose und Kreuz finden sich auch vereint in einem Symbol. Bekannt geworden ist diese Verbindung in der Lutherrose, dem Siegel Martin Luthers, das dieser ab 1530 führte und das lutherische Kirchen bis heute als Symbol verwenden: ein schwarzes Kreuz auf rotem Herz, dieses auf weißer Rose und jene wiederum auf ‚himmelfarbenem‘ Grund, umrahmt von einem goldenen Ring. 30 Im Zentralsymbol der Rosenkreuzer-Bewegung ist die rote Rose eine enge Verbindung mit dem goldenen Kreuz eingegangen. 31 Die Deutung dieses komplexen Symbols variiert innerhalb der verschiedenen Gruppierungen der Rosenkreuzer und ihrer je unterschiedlich aus Gnostik, Theosophie, Kabbalistik und Hermetismus zusammengesetzten synkretistischen Lehrgebäude; sie enthält als Kern die Idee einer geistigseelischen Läuterung, häufig konzipiert als Stufenweg, bewirkt durch die in der Rose symbolisierten Liebe. Alchemistisches, kabbalistisches und hermetisches Gedankengut sind im Rosenkreuz des Order of the Golden Dawn vereinigt, dem William Butler Yeats angehörte. 29 Emblemata: Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts, ed. Arthur Henkel und Albrecht Schöne. Sonderausgabe (Stuttgart: Metzler, 1978), Sp. 290-305. 30 Luther selbst erklärt dieses Siegel im Brief vom 8. Juli 1530: Martin Luthers Werke, Kritische Gesamtausgabe. Briefwechsel. 18 Bände (Weimar: Böhlau, 1930-1985), V,444. 31 Vgl. Wolfram Frietsch, Die Geheimnisse der Rosenkreuzer (Reinbek, 1999, nachgedr. Baden-Baden, 3 2010); Frances A. Yates, Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes (Stuttgart: Klett-Cotta, 1975, 2 1997); Harald Lamprecht, Neue Rosenkreuzer: Ein Handbuch (Göttingen: Vandenhoeck,2004); H.-J. Ruppert, Der Mythos der Rosenkreuzer (Berlin: Zentralstelle f. Weltanschauungsfragen, 2001). 222 5.3 Das Bildfeld Rose innerhalb des Courtly Game of Love Wenn der vorangegangene Abschnitt das Ziel hatte, die Spielbreite des Rosenmotivs durch die Jahrhunderte und seine Konventionalisierung zu demonstrieren, so geht es in den folgenden Fallstudien an ausgewählten Texten des 16. und 17. Jahrhunderts um das galante Spiel mit den Konventionen u.a. des Rosenmotivs im Rahmen des courtly game of love 32 , einer formalisierten und stilisierten Liebesrhetorik. Bei diesem Texttyp, für den sich leicht eine Vielzahl von Beispielen finden lassen, treten eine eng begrenzte Zahl von Bildmotiven in immer wieder neuer Abwandlung zusammen. Denn - und das zeigt bereits der erste Überblick - die Originalität der dichterischen Aussage liegt nicht in der Wahl des Bildfeldes ‚Rose‘(vehicle) und ‚Liebe‘ (tenor 1) bzw. ‚Vergänglichkeit‘ (tenor 2) als solchem; denn dies wird vielmehr von jedem erfahrenen Leser sogleich als traditionell erkannt und auf die literarische Reihe früherer Rosengedichte bezogen. Das Neue liegt vielmehr in der kunstvollkünstlichen Variation des Bildfeldes und seiner Kombination mit anderen. In der Rezeption solcher Texte verbindet sich das Vergnügen über die Wiederentdeckung des Bekannten mit dem Überraschungseffekt des Neuen, Unerwarteten. Die folgenden Beispiele operieren in unterschiedlicher Verbindung mit den folgenden Motivkomplexen: (1) Die Rose als Liebe / geliebte Frau / als Dingsymbol der Liebesbeziehung / als Liebesbote (2) Die Rose (und andere Blumen) als Sinnbild der Vergänglichkeit: die Blume in ihrer Entwicklung von der Knospe über das volle Erblühen bis zum Verblühen als Bild des Verstreichens der Zeit, zugleich des Altwerdens des Menschen (3) Das Motiv des ‚carpe diem‘ (Horaz, Carm. I, XI.8), die Aufforderung an die Geliebte, dem Verstreichen der Zeit den Liebesgenuß im Hier und Jetzt entgegenzusetzen. 32 Raymond Southall, The Courtly Maker: An Essay on the Poetry of Wyatt and his Contemporaries (Oxford: Blackwell, 1964); Douglas L. Peterson, The English Lyric from Wyatt to Donne: A History of the Plain and Eloquent Styles (Princeton: Princeton U.P., 1967). 223 Erstes Beispiel: Ah see, who so faire thing doest faine to see, In springing flowre the image of thy day; Ah see the Virgin Rose, how sweetly shee Doth first peepe forth with bashfull modestee, That fairer seemes, the lesse ye see her may; Lo see soone after, how more bold and free Her bared bosome she doth broad display; Loe see soone after, how she fades, and falles away. So passeth, in the passing of a day, Of mortal life, the leafe, the bud, the flowre, No more doth flourish after first decay, That earst was sought to decke both bed and bowre, Of many a Ladie, and many a Paramowre: Gather therefore the Rose, whilest yet is prime, For soone comes age, that will her pride deflowre: Gather the Rose of love, whilest yet is time, Whilest loving thou mayst lovèd be with equall crime. (Spenser, The Faerie Queene, Bk II, Canto XII, St. 74f.) Die Entfaltung der Bildstruktur erfolgt in drei Stufen: Die Leitmetapher der ersten Strophe ist “virgin rose” (“rose” ist tenor / Bildempfänger; “virgin” ist vehicle / Bildspender). Die Rose wird mit menschlichen Attributen ausgestattet, ihr wird Jungfräulichkeit, Bescheidenheit zugeschrieben; das volle Erblühtsein der Rose erscheint in der Bildebene als ‚Zurschaustellen des entblößten Busens‘. Zu Beginn der zweiten Strophe wird das Bildfeld der ersten Strophe verallgemeinert: das Verdikt der Vergänglichkeit betrifft Sachhälfte (Natur) und Bildhälfte (Menschenwelt) in gleicher Weise. Bild und Verallgemeinerung stehen zueinander in einem emblematischen Verhältnis: auf die pictura (Darstellung) der ersten Strophe folgt die scriptura (Deutung) zu Beginn der zweiten. Die letzten vier Zeilen der zweiten Strophe stellen über den Realbezug in der ersten Strophenhälfte - Rosen schmücken Bett und Zimmer von Lady und Geliebter - eine Übertragung auf das carpe diem-Motiv her: “Gather therefore the Rose” bzw. “Gather the Rose of love”. Hier ist das Verhältnis 224 von tenor und vehicle gegenüber der ersten Strophe verkehrt: in der Genitivmetapher “the rose of love” ist “love”, also der Bereich des Menschlichen tenor, während “rose” nunmehr vehicle geworden ist. Gleichsinnig wird die Blumenmetapher fortgeführt, wenn das Alter als ‚Defloration des Stolzes‘ erscheint. In diesem Beispiel sind die metaphorischen Bezüge in besonders komplexer Gestalt realisiert, es gewinnt seinen dichterischen Reiz aus der spiegelbildlichen Verkehrung des Verhältnisses von Bildspender und Bildempfänger zwischen den beiden Strophen sowie dem emblematischen Verhältnis zwischen bildlicher Darstellung und deutender Aussage. Im übrigen läßt sich an Shakespeares Twelfth Night ablesen, wie stark die bei Spenser entwickelte Bildstruktur konventionalisiert ist: O RSINO : For women are as roses, whose fair flower Being once display’d, doth fall that very hour. V IOLA : And so they are. Alas, that they are so: To die, even when they to perfection grow. (Shakespeare, Twelfth Night II.4,37-40) Zweites Beispiel: Goe lovely Rose, Tell her that wasts her time and mee, That now shee knowes, When I resemble her to thee, How sweet and fayr shee seems to bee. Tell her that’s young, And shuns to have her graces spide, That hadst thou sprung In deserts where no men abide, Thou must have uncommended dy’d. Small is the worth Of beauty from the light retir’d: Bid her come forth, Suffer her selfe to bee desir’d, And not blush so to be admir’d. 225 Then dye, that shee The common fate of all things rare May read in thee, How small a part of time they share, That are so wondrous sweet and faire. (Edmund Waller, “Song”) Die Rose fungiert als Liebesbote. Die an die Geliebte zu übermittelnde Botschaft ist ein direkter Vergleich zwischen der Geliebten und der Rose, wobei der Vorgang des Vergleichens explizit gemacht wird: “when I resemble her to thee”. Nur die Bildhälfte dieses Vergleiches wird ausgeführt: Die in einer unbewohnten Gegend blühende Rose stirbt ungerühmt (Str. 2). Die nächste Strophe hebt diesen Sachverhalt in unbildlicher Sprache auf die allgemeine Ebene einer Sentenz und knüpft daran - immer noch in direkter, unbildlicher Rede - die Aufforderung an die Geliebte, sich bewundern zu lassen. Hier wird auf indirekte Weise das carpe diem-Motiv eingeführt. Str. 4 überträgt in der Metapher “die” (für ‚verblühen‘) Menschliches auf die Rose, um damit die Blume zum Sinnbild für Vergänglichkeit werden zu lassen. Der Sinn dieses Bildes wird wiederum sogleich in unbildlicher Rede ausgesagt: “the common fate of all things rare.” Auch dieser Text gewinnt seine Wirkung aus der Traditionalität des Bildfeldes. Wie schon in den vorigen Beispielen dient das Rosenbild der Versinnlichung einer abstrakten Botschaft, die deutlich dominiert: Bild als Sinnbild! Drittes Beispiel: Ye blushing Virgins happy are In the chaste Nunn’ry of her brests, For hee’d prophane so chaste a faire, Who ere should call them Cupids nests. Transplanted thus how bright yee grow; How rich a perfume doe yee yeeld? In some close garden, Cowslips so Are sweeter then i’ th’ open field. In those white cloysters live secure From the rude blasts of wanton breath, Each houre more innocent and pure, Till you shall wither into death. 226 Then that which living gave you roome, Your glorious sepulcher shall be, There wants no marble for a tombe, Whose brest hath marble been to me. (Habington, “To Roses in the bosome of Castara”) Castaras Rosen werden als “blushing virgins” personifiziert. Sie werden “in the chaste nunnery of her breast” getragen: die Metapher verweist darauf, daß Castara selbst wie die “virgin roses” keusch ist und der Liebe entsagt hat. Auf diese Korrespondenz zwischen Rosen und Castara läuft die doppelte Metapher hinaus. Diese Parallelität setzt sich auf der Oberfläche der Argumentation fort: In Castaras ‚Nonnenkloster‘ sind die “virgin roses” vor Lüsternheit geschützt (“the rude blasts of wanton breath”), sie bewahren, ja steigern ihre Unschuld und Reinheit bis zum Tode (Vergänglichkeitsmotiv). Im Tode werden Castaras Brüste zum Mausoleum der “virgin roses”, wobei der Text den traditionellen Topos Brüste - Marmor / Alabaster anspielt. Neben diesem auf der Textoberfläche verlaufenden Argument findet sich jedoch ein zweites, die eigentliche Textbotschaft, die auf raffinierte Weise verdeckt verläuft. Während in der ersten Strophe auf der Oberfläche die Metapher “chaste nunnery of her breast” scheinbar positiv gesetzt wird, findet sich im sprachlichen Modus des Irrealis die indirekte Einführung des Liebesmotivs: “who … should call them Cupid’s nests”. Die scheinbar abgewehrte Metapher “cupid’s nests” konkurriert mit der anderen scheinbar anerkannten “chaste nunnery” und zwar so, daß sich im galanten Spiel des indirekten - ironischen - Sprechens die Botschaft desTextes in ihr Gegenteil verkehrt: Kritik an der Keuschheit und Aufforderung zur Liebe. Dies setzt sich in der Blumenmetaphorik der zweiten Strophe fort: Die Frage, wo die Rosen ihren süßesten Duft entfalten, wird zwar formal offen gehalten - indirekt jedoch wird der Duft der im offenen Feld blühenden Schlüsselblumen (“cowslips”) dem der im geschlossenen Garten blühenden Rosen vorgezogen - ein kaum verhüllter Hinweis im Sinne einer ‚niederen Minne‘. Viertes Beispiel: You are a tulip seen to-day, But, dearest, of so short a stay That where you grew scarce man can say. 227 You are a lovely July-flower, Yet one rude wind or ruffling shower Will force you hence, and in an hour. You are a sparkling rose i’ th’ bud, Yet lost ere that chaste flesh and blood Can show where you or grew or stood. [ … ] You are the queen all flowers among; But die you must, fair maid, ere long, As he, the maker of this song. (Robert Herrick, “A Meditation for his Mistress”) In sechs Strophen, von denen hier die ersten drei und die letzte zitiert werden, setzt der Sprecher des Gedichts die Geliebte mit einem schönen, aber vergänglichen Gegenstand gleich, “tulip”, “July-flower”, “rose”, “vine”, “balm”, “violet”, vier Blumen, dazu Weinrebe und Balsam(baum). Das metaphorische Blumenregister - jeweils in der stereotypen Adversativkonstruktion: ‚Schönheit‘ jedoch ‚Vergänglichkeit‘ - wird in der letzten Strophe in der übersteigernden Metapher “queen all flowers among” zusammengefaßt, worauf das Vergänglichkeitsmotiv in unbildlicher Rede und eingeleitet mit der erwarteten Adversativpartikel folgt. In der letzten Zeile, vergleichbar der Schlußzeile in Habingtons Gedicht, bringt sich der Sprecher dieser Meditation selbst ein, indem er sich gleichfalls unter die Vergänglichkeit stellt. Wenn also in dieser Meditation über die Vergänglichkeit das carpe diem-Motiv mitgehört wird, dann nur indirekt über die Einbeziehung des Mannes als Sprecherfigur des Gedichts. Möglich wird dies, weil in der dichterischen Tradition die entsprechende Verbindung der Motiv- und Bildreihen so fest etabliert ist, daß sie bereits durch Anspielung aufgerufen werden kann. Fünftes Beispiel: Gather ye rosebuds while ye may, Old Time is still a-flying: And this same flower that smiles to-day To-morrow will be dying. [ … ] 228 Then be not coy, but use your time, And while ye may, go marry: For having lost but once your prime, You may forever tarry. (Robert Herrick, “To the Virgins, to make much of Time”) Hier sind die Motiv- und Bildreihen wiederum ganz offen verknüpft. Das Vergänglichkeitsmotiv erscheint sowohl in der Personifizierung der Zeit - “Time’s winged chariot” in Andrew Marvells “To His Coy Mistress”, das man hier mithören mag - wie auch in dem traditionellen Bild der heute blühenden, morgen jedoch verblühten Blume. Das carpe diem - “gather ye rosebuds while ye may” in bildlicher Aussage, “be not coy, but use your time” in unbildlich-direkter Formulierung - ist hier entsprechend unverhüllt ausgesprochen. Die Analyse hat gezeigt, daß die Dichter in diesem Bildfeld ‚Menschenwelt‘ und ‚Blumenwelt‘ einander wechselseitig zuordnen können. Der Übergang zwischen Bildhälfte und Sachhälfte kann mühelos und in beiden Richtungen erfolgen, eben weil die Beziehung zwischen den beiden Bereichen so eindeutig etabliert ist. Diese Beziehung kann je nach Beispiel als Vergleichsstruktur, als metaphorisch, allegorisch oder emblematisch gekennzeichnet werden, je nachdem in welchem Maße und in welcher Offenheit der Symbolbezüge die traditionellen Bildfelder dichterisch genutzt werden. Die vorgestellten Beispiele könnten durch viele weitere auch aus anderen Literaturen vermehrt werden; sie mögen genügen, um die Verbreitetheit und stereotype Gefügtheit des Bildfeldes zu demonstrieren. Es ist nicht verwunderlich, daß gerade dieses Bildfeld stark abgenutzt wirkt. Robert Burns’ O my Luve’s like a red, red rose That’s newly sprung in June: O my Luve’s like the melodie That’s sweetly play’d in tune! zitiert das Bildfeld knapp an, um andere Bilder darauf zu häufen. Noch einmal scheint die traditionelle Zuordnung “love” - “rose” möglich, weil sie, durch die Intimität der Dialektsprache geschützt, in volksliedhaftsangbarem Ton auftritt. 229 5.4 Shakespeares Sonette Shakespeare greift das Rosenmotiv in mehreren seiner konventionalisierten Varianten auf und macht es immer wieder, prominent z.B. in seinen Sonetten, für den jeweiligen Argumentationszusammenhang nutzbar. So beginnt schon in Sonett 1 das ‚Prokreations‘-Argument mit einem Rosen-Zitat in der Variante ‚(Un-)vergänglichkeit‘: From fairest creature we desire increase, That thereby beauty’s rose might never die, Das Motiv der Überwindung der Vergänglichkeit durch die Destillation des Rosenparfüms aus den vergänglichen Blüten, das in Sonett 54 zentral ist und in den Sonetten 67, 69, 94 und auch 124 wieder anklingt, wird in den Sonetten 5 und 6 ohne direkte Nennung der Rose präludiert. Das sprichwörtliche “there is no rose without a thorn” 33 erscheint neben Sonett 99 als erstes einer Reihe von commonplace-Argumenten zu Beginn von Sonett 35, mit denen der Fehltritt des Freundes entschuldigt wird: No more be griev’d at that which thou hast done, Roses have thorns, and silver fountains mud, Clouds and eclipses stain both Moon and Sun, And loathsome canker lives in sweetest bud. All men make faults … Das letzte Argument in dieser Reihe - “loathsome canker lives in sweetest bud” taucht wieder auf in den Sonetten 70, 95 und 99, in der prägnantesten Sentenzform in Sonett 70 als “For canker vice the sweetest buds doth love”. Man mag in dieser Zeile die Keimzelle für Blakes “The Sick Rose” sehen. Sonett 54 entfaltet zentral das ebenfalls sprichwörtliche “Beauty without virtue is like a rose without scent”: 0, how much more doth beauty beauteous seem By that sweet ornament which truth doth give! The rose looks fair, but fairer we it deem For that sweet odour, which doth in it live. The canker-blooms have full as deep a dye As the perfumed tincture of the roses, 33 Vgl. z.B. John Ray, A Collection of English Proverbs [1670]. 230 Hang on such thorns, and play as wantonly When summer’s breath their masked buds discloses; But for their virtue only is their show, They live unwoo’d, and unrespected fade; Die to themselves. Sweet roses do not so: Of their sweet deaths are sweetest odours made. And so of you, beauteous and lovely youth, When that shall vade, by verse distills your truth. Hier vollzieht sich die Argumentation zunächst vordergründig einerseits auf einer abstrakten gedanklichen, andererseits auf einer konkreten bildlichen Ebene: Schönheit wird so durch Wahrheit übertroffen, wie das Aussehen der Rose durch ihren Duft übertroffen wird. Dies wird am Unterschied zwischen der Hundsrose (nur schönes Aussehen) und der echten Rose (Schönheit und Duft) verdeutlicht. Der Bildbereich (“canker bloom” vs. “rose”) steht in einem allegorischen Verhältnis zum Sachbereich (Wahrheit und Schönheit). In einer zweiten Bildschicht wird nun jedoch das Rosensinnbild durch die Liebesmetaphorik überlagert: “play as wantonly”, “masked buds discloses”, “virtue”, “unwoo’d” verweisen auf einen höfisch-gesellschaftlichen Rahmen, auf ein galantes Verhältnis: Menschenwelt als vehicle für eine Aussage über die Blumenwelt, die ihrerseits Sinnbild ist für eine abstrakte Wahrheit. In einem dritten Gedanken wird im Rosenbild ein Gleichnis für die Überwindung von Vergänglichkeit vorgestellt: so wie die echte Rose im destillierten Parfüm verewigt ist, so wird der angesprochene schöne Jüngling durch Dichtung der Vergänglichkeit enthoben. Rosenbild und die Beziehung Dichter / Dichtung zu Jüngling sind hier durch die explizite Analogiebildung (“and so of you … ”) verklammert. Textliche Parallelen zum Motiv der ‚Destillation‘ in den Sonetten 5 und 6 sowie in A Midsummer Night’s Dream sind ein Indikator für eine weitgehend konventionalisierte, stereotype Motivverbindung. Thrice-blessed they that master so their blood, To undergo such maiden pilgrimage; But earthlier happy is the rose distill’d, Than that which withering on the virgin thorn Grows, lives, and dies in single blessedness. (Shakespeare, MND I.1,74-78) 231 5.5 William Blake William Blakes Gedicht “The Sick Rose” steht in der Teilsammlung Songs of Experience der Songs of Innocence and of Experience. The Sick Rose O rose, thou art sick: The invisible worm That flies in the night, In the howling storm, Has found out thy bed Of crimson joy; And his dark secret love Does thy life destroy. 34 Der Text, acht kurze Verse, besteht nur aus zwei Sätzen. Der erste Satz enthält in der Form der Anrede eines nicht näher bezeichneten Sprechers an die Rose lediglich die lapidare Feststellung: “O rose, thou art sick”. Der zweite Satz, der den gesamten Rest des Gedichts umfaßt, führt diese Feststellung aus und gibt über die Diagnose hinaus Hinweise zu ihrer Deutung. Eine platte, quasi-realistische Inhaltsparaphrase liefe darauf hinaus, daß eine Raupe die Rosenblüte zerfressen hat. 35 Es liegt auf der Hand, daß diese Paraphrase den Textkern verfehlt, der sich gerade nicht auf der Ebene des Biologischen erschöpft. Vielmehr wirft der Text die Frage nach dem Wesen des “invisible worm” auf, ebenso sind die metaphorische Wendung “bed of crimson joy”, die die vermiedene direkte Benennung ersetzt, wie auch “dark secret love” als Charakterisierung der Beziehung zwischen “worm” und “rose” aufzuklären. Zugleich zeigt sich hierin die Informationsarmut des Textes. Über die Aussage einer prekären, destruktiven Liebesbeziehung zwischen “rose” und “worm” mit tödlichem Ausgang hinaus bietet der Text 34 The Poems of William Blake, ed. W. H. Stevenson, Text David V. Erdman, Longman Annotated Poets (London: Longman, 1971, repr. 1975), 216f. 35 Immerhin könnte sich diese Ansicht auf Blakes bildliche Darstellung berufen. Dies ist Geoffrey Keynes’ Beschreibung der Illustration von Plate 39 der Faksimile- Ausgabe von William Blakes Songs of Innocence and of Experience (1967, repr. London: OUP, 1970): “In the illustration a worm … is entering the heart of the rose and simultaneously the spirit of joy is extruded. … The bush from which the rose has bent down to the ground presents several other details. On the left is a ‘catterpiller’ (always spelt thus by Blake) feeding on a leaf … Further down the stems are two figures in attitudes of despair. … ” 232 kaum Anhaltspunkte für die Deutung. ‚Rose‘ und ‚Wurm‘ bleiben charakteristisch unbestimmt, denn auch die beiden den Wurm charakterisierenden Zeilen “that flies in the night, / in the howling storm” machen die Dinge kaum konkreter. Der Text ist also lediglich explizit hinsichtlich der Art der Liebesbeziehung, er spart jedoch Details aus.Vielmehr springt er an einer zentralen Stelle von der direkten Aussage in die Metapher als Form uneigentlichen Sprechens: “thy bed of crimson joy”. Im übertragenen Sinn zu verstehen ist weiter die Charakterisierung der Beziehung zwischen Rose und Wurm als “love” (Personifikation). Informationsarmut einerseits, uneigentliches Sprechen andererseits führen dazu, daß der Interpret angeregt wird, die Textleere durch eigene Vorstellungen aufzufüllen: der Sprung auf die symbolische Deutungsebene wird vom Text selbst stimuliert. Durchmustert man die einschlägige Literatur zu diesem Gedicht Blakes, das zu den am meisten interpretierten und strapazierten gehört, so findet man ein weites Spektrum von Interpretationen, von denen hier nur ganz wenige typische angeführt werden können. Eine klassische allegorisierende Deutung hat schon früh Geoffrey Keynes gegeben, der den Text ganz offensichtlich als unproblematisch empfunden hat, allerdings schwerpunktmäßig von der mit dem Text untrennbar verbundenen bildlichen Darstellung ausgeht: The symbolism of a red rose for corporeal love and of the worm (or the flesh) for the source of the sickness is plain. … The ‘howling storm’ in which the worm comes is a symbol of materialism. D.G. Gillham repräsentiert einen Ansatz, an dem man exemplarisch sehen kann, wie die Leerstellen des Textes paraphrasierend-psychologisierend aufgefüllt werden, wobei der Interpret seine wuchernde Phantasie kaum im Zaum halten kann: We glimpse very dark realms of the mind in The Sick Rose. The male ‘worm’ and female ‘Rose’, which have ‘Freudian’ significance, give rise in the speaker to the half-hidden feelings of indecency, guilt and fear so easily associated with sexual experiences, especially in the mind of the adolescent, half-fascinated and half-repelled by a subject that has attracted so many prohibitions and superstitions. The worm is ‘invisible’, a hidden, groping and repulsive thing that ‘flies in the night’, choosing to work furtively, partly in shame, perhaps, but also partly in the self- 233 gratification of ‘a dark secret love’ that delights in destruction. He goes intently and persistently to work like a nocturnal predator or some malignant being until he has ‘found out’ his object which he infects. He is associated, also, with the ‘howling storm’, a chaotic and bestial emotional crisis going on about him while he taks his dark flight. 36 Von dieser und weiteren Freudianischen Interpretationen, die den Wurm als Phallus- und die Rose als Vagina-Symbol begreifen, ist es nicht weit zu Positionen, die in dem Gedicht die Thematisierung pervertierter (Selbst-) Liebe (Masturbation) sehen oder den Wurm als Überträger der Pest oder gar als Hinweis auf Syphilis als verbreitetes Übel der Zeit verstehen. 37 Andere Interpreten lesen das Gedicht als christliche Allegorie 38 oder als Blakes Version des antiken Mythos von Amor und Psyche. 39 Ein fruchtbarer Ansatz, der den Vorzug stärker am Text kontrollierbarer, weniger freischwebender Deutungen hat, stützt sich auf den von Blake selbst gesetzten Kontext, den Ort des Gedichts in der Sammlung Songs of Experience (SoE) im Kontrast zu den Songs of Innocence (SoI), die von Blake als “showing the two contrary states of the human soul” einander komplementär zugeordet sind. Wie die meisten Gedichte der beiden Sammlungen - am bekanntesten etwa “The Lamb” und “the Tyger” - hat auch “The Sick Rose” ein Pendant in der Sammlung Songs of Innocence, und zwar das Gedicht “The Blossom”. Während “The Blossom” als Selbstaussprache das Glück erfüllter Liebe in einer pastoralen Landschaft besingt, geht es in “The Sick Rose” in der Anrede eines externen Sprechers an die Rose um das Gegenteil: unerfüllte Liebe bis hin zu Krankheit und Perversion, z.B. durch die herrschende Sozialmoral. In diesem Sinn hat man “The Sick Rose” auch als ein ironisches Echo des galanten Spiels in Matthew Priors “A True Maid” verstanden, in dem die Liebesbeziehung im Dialog zwischen “Rose” und “Dick” gebrochen und reflektiert wird: 36 D.J. Gillham, William Blake (Cambridge: CUP, 1973), 11f. 37 Robert Gleckner, The Piper and The Bard (Detroit: Wayne State U.P., 1959); Stanley Gardner, Blake’s Innocence and Experience Retraced (New York: St. Martin’s P., 1986); E.D. Hirsch, Innocence and Experience (Chicago: U. of Chicago P., 1964; 1975). 38 Nathan Cervo, “Blake’s ‘The Sick Rose’”, Explicator 48,4 (1990), 253f. 39 Kathleen Raine, Blake and Tradition (London: Routledge, 1968), I, 199-203. 234 No, no; for my Virginity When I lose that, says Rose, I’ll dye: Behind the Elmes, last Night, cry’d Dick, Rose, were you not extreamly Sick? 40 Wortfelduntersuchungen mit Hilfe eines Wortformenindex zu Blakes Songs of Innocence and Songs of Experience oder der Konkordanz zu Blakes Gesamtwerk 41 decken ein komplexes Beziehungsgeflecht auf. ‚Blumen‘ kommen 29mal in SoI und 16mal in SoE vor. Die Rose (“rose”; “rose-tree”; “briar”) kommt insgesamt 8mal in SoE, nicht aber in SoI vor. In “My Pretty Rose Tree” geht es wiederum um unerfüllte Liebe, wie der Text direkt sagt, um Eifersucht als Lohn für Treue, also um die Welt der experience. A flower was offered to me, Such a flower as May never bore; But I said, ‘I ‘ve a pretty rose-tree,’ And I passed the sweet flower o’er. Then I went to my pretty rose-tree, To tend her by day and by night; But my rose turned away with jealousy, And her thorns were my only delight. 42 “Night” kommt in beiden Sammlungen nahezu gleich häufig vor (SoI 14; SoE 15) und ist je nachdem positiv oder negativ konnotiert (SoI: z.B. als beschützend, SoE z.B. als bedrohlich). “Sick(ness)” weist mit 7 gegen 3 Vorkommnissen eine Häufung in den SoE auf; “howling” und “storm” kommen je einmal in SoE vor. Wie im vorigen Kapitel dargestellt, kommt “joy(s)” nur fünfmal in SoE, dagegen 23mal in SoI vor. Als Leitbegriff für 40 “To die” ist traditionell eine Anspielung auf den ‚kleinen Tod‘ der sexuellen Vereinigung. Vgl. OED s.v. die 1 7.d: “To experience a sexual orgasm. (Most common as a poetical metaphor in the late 16th and 17th cent.)” - H.L. Anshutz, D.W. Cummings, “Blake’s ‘The Sick Rose’, Explicator 29,4 (1970), No. 32. 41 A Concordance to the Writings of William Blake. Ed. David V. Erdman (Ithaca, NY: Cornell U.P., 1967), 2 vols. 42 S. Foster Damon, A Blake Dictionary (London: Thames & Hudson, 1973), s.v. “rose”: “The ROSE is the traditional symbol of love. When associated with the Lily of Innocence, it is ideal. But in the state of Experience, ‘The modest [originally ‘lustful’ - K 171] Rose puts forth a thorn’ (SoE, ‘The Lilly’), it is sickened by the ‘dark secret love’ of ‘the invisible worm’ (SoE, ‘The Sick Rose’). ‘My Pretty Rose Tree’ (SoE) is the jealous wife.” 235 den Zustand der innocence erscheint es in “The Sick Rose”, also in der Welt der experience zwar aufgerufen, jedoch in der Klang-Sinn-Gleichung des Endreims “joy” - “destroy” als negiert. “Howl(~s; ~ed; ~ing)” kommt, wie die Konkordanz ausweist, im Gesamtwerk Blakes 197mal vor, “howling” allein 116mal; seine Verwendung erscheint stereotyp. “Howling” ist in den prophetischen Schriften nicht einer einzigen Personengruppe zuzuordnen, es findet sich sowohl in der French Revolution beim König, dem Vertreter des ancien régime, und bei Urizen in America und The First Book of Urizen als auch im Kontext des “new-born terror” aus A Song of Liberty, der in America als der jugendliche Revolutionär Orc genauer bestimmt wird. “Howling” signalisiert den apokalyptischen Augenblick, den Blake so häufig in seinen Schriften gestaltet, die Konfrontation der antagonistischen Kräfte, die Ablösung des ancien régime im hoffnungsvollen Beginn der Revolution. Ein typisches Beispiel ist die Abspaltung Urizens von Los, die Aufhebung der Einheit des Seins in antagonistische Kräfte, die zu einer die gesamte Schöpfung durchziehenden “division” führt: Los wept, howling around the dark demon, And cursing his lot; for in anguish Urizen was rent from his side … [ … ] Los wept, obscured with mourning; His bosom earthquaked with sighs; He saw Urizen, deadly black, In his chains bound, and pity began, In anguish dividing and dividing, For pity divides the soul … 43 “Howling” ist aber ebenso mit der Geburt des “new-born terror”, d.h. Orc assoziiert. Und hier tritt in der Selbstaussage Orcs auch die Kombination mit “joy” wieder auf, wie sie in “The Sick Rose” begegnet: … ‘when thou bringest food I howl my joy, and my red eyes seek to behold thy face - In vain! these clouds roll to and fro, and hide thee from my sight.’ 43 Blake, The First Book of Urizen, Pl. 6, ll. 136ff.; Pl.13, ll. 283ff. 236 Silent as despairing love, and strong as jealousy, The hairy shoulders rend the links, free are the wrists of fire; Round the terrific loins he seized the panting struggling womb. It joyed. She put aside her clouds and smiled her first-born smile, As when a black cloud shows its lightnings to the silent deep. Und später in America quasi als Orcs politisches Programm: The terror answered: ‘I am Orc, wreathed round the accursed tree. The times are ended, shadows pass, the morning ‘gins to break. The fiery joy, that Urizen perverted to ten commands What night he led the starry hosts throught the wide wilderness - That stony law I stamp to dust, and scatter religion abroad To the four winds as a torn book, and none shall gather the leaves; But they shall rot on desert sands and consume in bottomless deeps To make the deserts blossom and the deeps shrink to their fountains, And to renew the fiery joy and burst the stony roof; That pale religious lechery, seeking virginity, May find it in a harlot, and in coarse-clad honesty The undefiled, though ravished in her cradle night and morn. For every thing that lives is holy, life delights in life. Because the soul of sweet delight can never be defiled. 44 Blake verwendet solche Leitbegriffe stereotyp, um wieder und wieder dieselben Dualitäten zu umkreisen. Nur wenige weitere Bezüge aus der Schaffensphase Blakes, in die die Songs of Innocence and Songs of Experience fallen, mögen an dieser Stelle genügen. Wenn in “The Sick Rose” zwei Formen der Liebe kontrastiert werden - mit Wolf Mankowitz “the corruptive effects of ‘social’ love upon creative sexuality” 45 , so finden sich dafür viele Belege im Gesamtwerk. In den Songs of Experience stellt das Gedicht “The Clod and the Pebble” zwei Arten der Liebe einander programmatisch gegenüber: ‘Love seeketh not itself to please, Nor for itself hath any care, 44 Blake, America, Pl. 1, ll. 18ff.; Pl. 8, ll. 59ff. 45 Wolf Mankowitz, Politics and Letters (1947), zitiert nach William Blake: Songs of Innocence and Experience: A Casebook, ed. Margaret Bottrall (London: Macmillan, 1970; repr.),128. 237 But for another gives its ease, And builds a Heaven in Hell’s despair.’ So sang a little clod of clay, Trodden with the cattle’s feet; But a pebble of the brook Warbled out these metres meet: ‘Love seeketh only self to please, To bind another to its delight, Joys in another’s loss of ease, And builds a Hell in Heaven’s despite.’ In “The Garden of Love” (SoE) ist der Garten durch den Bau der Kapelle (mit der Inschrift “Thou shalt not” über der Tür) und die Priester pervertiert. Der Bildkontrast Blumen vs. Grabsteine fügt sich nahtlos in den Kontext des Rosengedichts ein: in der Welt der experience werden “joys and desire” durch Dornenruten gebunden, der Welt der ratio, in Blakes Terminologie Urizens, des “father of jealousy”, Herrschaft unterstellt. [ … ] So I turned to the garden of love, That so many sweet flowers bore, And I saw it was filled with graves, And tomb-stones where flowers should be - And priests in black gowns were walking their rounds, And binding with briars my joys and desires. Umgekehrt entwickelt Blake die Geschichte der von Bromion vergewaltigten, und gleichwohl ‚reinen‘ Oothoon zum Angriff gegen Urizen und auf die gesetzlich geregelte Ehe als kirchlich sanktionierte Unterdrückung und verkündet die Gegenvision von Freiheit und freier Liebe: How can I be defiled when I reflect thy image pure? Sweetest the fruit that the worm feeds on, and the soul preyed on by woe, [ … ] 46 und 46 Blake, Visions of the Daughters of Albion, Pl. 3, l. 77f. 238 ‘I cry, Love! Love! Love! Happy, happy love, free as the mountain wind! Can that be love that drinks another as a sponge drinks water, That clouds with jealousy his nights, with weepings all the day, To spin a web of age around him, grey and hoary, dark Till his eyes sicken at the fruit that hangs before his sight? Such is self-love that envies all, a creeping skeleton With lamplike eyes watching around the frozen marriage bed. ‘But silken nets and traps of adamant will Oothoon spread And catch for thee girls of mild silver or of furious gold; I’ll lie beside thee on a bank and view their wanton play In lovely copulation, bliss on bliss with Theotormon, Red as the rosy morning, lustful as the first-born beam, Oothoon shall view his dear delight, nor e’er with jealous cloud Come in the heaven of generous love, nor selfish blightings bring. Diese Vision mündet wiederum in die programmatische Formel: Arise, you little glancing wings, and sing your infant joy! Arise and drink your bliss! For everything that lives is holy. 47 Ein Aphorismus aus The Marriage of Heaven and Hell bringt die in “The Sick Rose” wie auch in den frühen prophetischen Schriften umkreisten Themen- und Begriffsfelder prägnant zusammen: 47 Blake, Visions of the Daughters of Albion Pl. 7, ll. 191-204; Pl. 8, ll. 214f. 239 As the caterpillar chooses the fairest leaves to lay her eggs on, so the priest lays his curse on the fairest joys. 48 Die ‚Parallelstellenmethode‘, das Verfahren, den Bedeutungsgehalt von Blakes Leitbegriffen und -bildern synoptisch aus dem gesamten Umfeld von Blakes frühen Schriften zu erheben, läßt erkennen, wie sich das Denken in Kontrasten, das für die Songs of Innocence and Songs of Experience charakteristisch ist, als beherrschender Gestaltungszug auch durch die frühen prophetischen Schriften zieht, hier verkörpert durch kontrastierende Figurenpaare: Urizen und Los, Urizen und Oothoon. Das Rosensymbol hat in diesem Kontrastschema einen fest umrissenen Ort: die konventionelle Symbolik der Rose als Liebessymbol, ihre positive Valenz, wird einerseits vorausgesetzt und, wie die Sentenz aus The Marriage of Heaven and Hell zeigt, bestätigt, damit andererseits in der Dialektik der “contraries” angegriffen: Without contraries is no progression. Attraction and repulsion, reason and energy, love and hate, are necessary to human existence. From these contraries spring what the religious call good and evil. Good is the passive that obeys reason: Evil is the active springing from energy. Good is Heaven; Evil is Hell. 49 5.6 William Butler Yeats Das Rosensymbol nimmt einen prominenten Platz in William Butler Yeats’ früher Dichtung ein. 50 1893 erscheint der Gedichtband The Rose, der Gedichte zusammenfaßt, die im Umkreis von The Countess Kathleen entstanden sind. Die Gedichtsammlung, in der sich auch so bekannte Texte wie “The Lake Isle of Innisfree”, “The Sorrow of Love”, “When you are old” oder “To Ireland in the Coming Times” finden, enthält vier Rosengedichte: Das erste in der Sammlung ist das wichtigste und steht auch im Mittelpunkt dieser Betrachtungen: “To the Rose upon the Rood of Time”. Drei weitere sind titelmäßig verbunden: “The Rose of the World”, “The Rose of Peace”, “The Rose of Battle”. Später finden sich in der Sammlung The Wind among the Reeds (1899) die Gedichte “The Lover Tells of the Rose in his 48 Blake, The Marriage of Heaven and Hell, Pl. 9, l. 55. 49 Blake, The Marriage of Heaven and Hell, Pl. 3, ll.6ff. 50 Vgl. W.Y. Tindall, “The Symbolism of Yeats”, Accent 5 (1945), 203-218. 240 Heart” und “The Secret Rose”, die in denselben Kontext wie The Rose gehören. “The Secret Rose” ist zugleich der Titel einer Kurzgeschichte. 51 Das Gedicht “The Rose Tree” findet sich in der Sammlung Michael Robartes and the Dancer (1921). Betrachtet man das literarische Umfeld der frühen neunziger Jahre, so wird klar, daß für Yeats das Rosensymbol gewissermaßen in der Luft lag. Es findet sich verbreitet in der spätviktorianischen Lyrik, so z.B. an prominenter Stelle bei Algernon Charles Swinburne, Oscar Wilde, Lionel Johnson, Richard LeGallienne, Ernest Dowson und Arthur Symons. Lothar Hönnighausen 52 hat gezeigt, wie sich hier traditionell religiös-mystische, erotische und okkulte Tendenzen in einem kaum entwirrbaren Komplex spätromantisch-viktorianischer Spiritualität durchdringen. Um nur wenige Beispiele zu geben: Swinburne provoziert das Viktorianische Publikum, indem er moralische und religiöse Normen verletzt. In “Dolores”, einem der skandalträchtigen Gedichte aus Poems and Ballads kombiniert er z.B. christliche, aber auch pagane Formen der Religiosität mit Elementen sadomasochistischer Erotik; so erscheint die zentrale Frauengestalt als Fusion von Maria und femma fatale, ist die rosa mystica zugleich “mystical rose of the mire”. 53 Arthur Symons belegt ebenfalls die Darstellung der femme fatale mit traditionellen rosa-mystica-Bildvorstellungen: Stellae anima clamat She sat before her mirror, and she gazed Deep into eyes that gazed at her again. Oh what sad ghosts her mournful memory raised Ghosts of the days that pass and are in vain. She saw her youth, her youth that passed; she saw The lovers for whose hearts she played and won. She saw her beauty hold the world in awe, Triumphing over all beneath the sun. 51 W.B. Yeats, Stories of Red Hanrahan; The Secret Rose; Rosa Alchemica (1914). 52 Vgl. zum Folgenden Lothar Hönnighausen, Präraphaeliten und Fin de Siècle: Symbolistische Tendenzen in der englischen Spätromantik (München: Fink, 1971), bes. Kapitel 6: „Aspekte der spätromantischen Spiritualität“, 359-363. 53 Hönnighausen hebt die „Inversionen marianischer Attribute“ in Swinburnes Dolores hervor. Ibid., 365. 241 She saw her slain revive, the tombless dead, Dead souls that dwell in mortal bodies yet. She heard the maledictions that they said Before a bar of judgment ever set. These were her lovers; she to them had been The Rosa mystica - rose passion-pale! The poison 'neath the petals slept unseen; For she was beautiful, and man is frail. These all rose up against her in her past; All these she took no thought of; but her pride The mirror vanquished: “Youth is fleeting fast, And I have never tasted love ! ” she cried. 54 Oscar Wilde nennt seine Gedichtsammlung “katholisierender Modegedichte” 55 Rosa Mystica. Bei Richard Le Gallienne findet sich zwar wie bei vielen anderen die Rose einfach als Attribut von Landschaft oder Jahreszeit: Summer came, Rose on rose; Leaf on leaf, Summer goes. Summer came, Song on song; O summer had A golden tongue. Summer goes, Sigh on sigh; Not a rose Sees him die. Das Rosenbild kann jedoch hier wie bei anderen Autoren mühelos von einem zum anderen Kontext wechseln. So identifiziert Le Gallienne in “Flos Aevorum” die idealisierte Geliebte mit einer entstofflichten Rose: 54 Arthur Symons, Lesbia and Other Poems (New York: Dutton, 1920); The Collected Works (London, 1924), Poems III, 205. 55 Hönnighausen, 361. 242 Flos aevorum You must mean more than just this hour, You perfect thing so subtly fair, Simple and complex as a flower, Wrought with such planetary care; How patient the eternal power That wove the marvel of your hair. How long the sunlight and the sea Wove and re-wove this rippling gold To rhythms of eternity; And many a flashing thing grew old, Waiting this miracle to be; And painted marvels manifold, Still with his work unsatisfied, Eager each new effect to try, The solemn artist cast aside, Rainbow and shell and butterfly, As some stern blacksmith scatters wide The sparks that from his anvil fly. How many shells, whorl within whorl, Litter the marges of the sphere With wrack of unregarded pearl, To shape that little thing your ear: Creation, just to make one girl, Hath travailed with exceeding fear. The moonlight of forgotten seas Dwells in your eyes, and on your tongue The honey of a million bees, And all the sorrows of all song: You are the ending of all these, The world grew old to make you young. All time hath traveled to this rose; To the strange making of this face Came agonies of fires and snows; And Death and April, nights and days 243 Unnumbered, unimagined throes, Find in this flower their meeting place. Strange artist, to my aching thought Give answer: all the patient power That to this perfect ending wrought, Shall it mean nothing but an hour? Say not that it is all for nought Time brings Eternity a flower. All the words in all the world Cannot tell you how I love you, All the little stars that shine To make a silver crown above you; “ALL THE WORDS IN ALL THE WORLD” All the flowers cannot weave A garland worthy of your hair, Not a bird in the four winds Can sing of you that is so fair. Only the spheres can sing of you; Some planet in celestial space, Hallowed and lonely in the dawn, Shall sing the poem of your face. 56 William Butler Yeats ist in seinen Anfängen mit spätromantischen / spätviktorianischen Tendenzen dieser Art vertraut; der Einfluß Shelleys 57 und Blakes wie überhaupt der Romantiker, aber ebenso Walter Paters und der Präraphaeliten 58 ist unübersehbar. Eines der Grundbücher des Symbolismus, Villers de L’Isle-Adams Axël, wird für eine ganz Dichtergeneration bestimmend - hier ist gerade auch der Bezug zum Gedankengut der Ro- 56 Richard Le Gallienne, “Flos Aevorum”, The Lonely Dancer, and Other Poems (London: John Lane, 1914). Als elektron. Text zugänglich im Project Gutenberg. URL: http: / / www. gutenberg.org/ files/ 10457/ 10457.txt 57 Willi Erzgräber, „Zur Shelley Rezeption bei Yeats“, Modernisierung und Literatur, Fschr. H.U. Seeber, ed. Walter Göbel (Tübingen: Narr, 2000), 37ff. 58 Yeats beschreibt selbst seine Anfänge als “in all things Pre-Raphaelite”. Vgl. programmatisch zu “poetic influence” in Bezug auf William Butler Yeats: Harold Bloom, Yeats (New York, Oxford: OUP, 1970). 244 senkreuzer bedeutsam. 59 Arthur Symons und William Butler Yeats befruchten einander gegenseitig. William Butler Yeats wurde schon früh mit esoterischem, theosophischem Gedankengut vertraut. 60 1885 wurde von Charles Johnston, George W. Russell und William Butler Yeats die Dublin Hermetic Society als Ableger der Londoner Hermetic Society gegründet. Unter anderen durch Charles Hubert Oldhams Contemporary Club, Charles Johnston und George W. Russell kommt Yeats mit theosophisch-mystisierenden Tendenzen in Berührung. 61 Ab 1886 ist Yeats in Kontakt mit Mme Blavatsky; er schließt sich 1888 ihrer Esoteric Section of the Theosophical Society an. Yeats begreift auch William Blake von seinem eigenen theosophischen Denkgebäude her. 1890 wird Yeats durch MacGregor Mathers, den Autor von The Kabbalah Unveiled (1887), in den Order of the Golden Dawn eingeführt; Yeats wiederum führt Maud Gonne ein, die er 1889 kennengelernt hatte. Denken und Dichtung des jungen Yeats sind also weitgehend von okkultem, theosophischem Gedankengut bestimmt. 62 Davon zeugen viele Gedichte dieser Jahre und auch die in den 1890er Jahren entstandenen und später unter dem Titel The Secret Rose zusammengefaßten Geschichten. 63 Das titelgebende Gedicht “The Secret Rose” (1896, The Savoy, später aufgenommen in The Wind among the Reeds) enthält die für den jungen Yeats typische Mischung aus Okkultismus und Irishness. Dieser zweite Motivstrang leitet sich aus der irischen Tradition her, wie Yeats selbst kommentierend hervorgehoben hat: The Rose is a favourite symbol with the Irish poets. It has given a name to more than one poem, both Gaelic and English, and is used, not merely in 59 Vgl. Edmund Wilson, Axel’s Castle: A Study in the Imaginative Literature of 1870- 1930 (New York: Scribner,1931, repr.). 60 R. F. Foster, William Butler Yeats: A Life (Oxford: OUP, 1997), I, 45ff. 61 R. F. Foster benennt als wichtige Einflußgrößen für die komplexe geistesgeschichtliche Gemengelage den Neuplatonismus, die Kabbala, Swedenborg, Madame Blavatskys Isis Unveiled und A. P. Sinnetts Esoteric Buddhism. (I,45). 62 Yeats hat 1901 zwei Essays über die Rosenkreuzer verfaßt, darunter “The Body of the Father Christian Rosencrux”. 63 The Secret Rose (1897) enthält u.a. die Geschichten “Out of the Rose”, “The Rose of Shadow” und “Rosa Alchemica”. Später werden diese und andere Geschichten neu gruppiert. 245 love poems, but in addresses to Ireland, as in De Vere’s line, “The little black rose shall be red at last”, and in Mangan’s “Dark Rosaleen” … 64 Beispielhaft steht schon das Eingangsgedicht der Sammlung The Rose mit dem Titel “To the Rose upon the Rood of Time” in komplexem Bezug zu den skizzierten Strömungen, die die Weltsicht des jungen Yeats formen. To the Rose upon the Rood of Time Red Rose, proud Rose, sad Rose of all my days! Come near me, while I sing the ancient ways: Cuchulain battling with the bitter tide; The Druid, grey, wood-nurtured, quiet-eyed, Who cast round Fergus dreams, and ruin untold; And thine own sadness, whereof stars, grown old In dancing silver-sandalled on the sea, Sing in their high and lonely melody. Come near, that no more blinded by man's fate, I find under the boughs of love and hate, In all poor foolish things that live a day, Eternal beauty wandering on her way. Come near, come near, come near - Ah, leave me still A little space for the rose-breath to fill! Lest l no more hear common things that crave; The weak worm biding down in its small cave, The field-mouse running by me in the grass, And heavy mortal hopes that toil and pass; But seek alone to hear the strange things said By God to the bright hearts of those long dead, And learn to chaunt a tongue men do not know. Come near; I would, before my time to go, Sing of old Eire and the ancient ways: Red Rose, proud Rose, sad Rose of all my days. 65 64 The Variorum Edition of the Poems of William Butler Yeats, ed. Peter Allt und Russell K. Alspach (New York: Macmillan, 4 1968), 798 f. 65 William Butler Yeats, Collected Poems (London: Macmillan, 1 1933; 2 1950, repr.), 35. 246 Rose und Kreuz (“rood”) sind auf das Zentralsymbol der Rosenkreuzer bezogen, in dem das weibliche Element (Rose) und das männliche Element (Kreuz) in einer ‚mystischen Hochzeit‘ - Johann Valentin Andreaes ‚chymische Hochzeit‘ - verbunden sind. Yeats setzt im Blick auf dieses Gedicht die rote Rose mit ‘intellectual beauty’ ineins. 66 Die Rose symbolisiert aber auch Maud Gonne und über sie Irland, so nach einhelliger Auffassung der Forschung und offenbar auch aufgrund von Selbstaussagen von Maud Gonne. 67 Auffällig an diesem wie auch an den anderen Rosengedichten der Sammlung The Rose ist, daß die Rose zwar aufgerufen, jedoch nicht vergegenständlicht wird, sondern in der Apostrophe lediglich mit den Attributen “red”, “proud” und “sad” belegt wird. Nicht der Gegenstand Rose nimmt das Zentrum des Gedichts ein, sondern die Subjektivität des Ich- Sprechers, der hier programmatische Aussagen zu seiner Dichterexistenz macht. Der Bezug zu “eternal beauty” im Sinne Shelleys ist explizit gesetzt, 68 allerdings in der Weise, daß die Rose im Titel als ‚am Kreuz der Zeit‘ erscheint: “eternal beauty” gibt sich analog zu Christi Opfertod am Kreuz in die Zeitlichkeit hinein. 69 Diese Grundspannung von ewiger, absoluter Schönheit und der vergänglichen, aber konkreten Schönheit irdischer Dinge bestimmt das Gedicht als ganzes. So wird der Gegensatz zwischen dem “Come near” und dem “Ah, leave me still / a little space” nicht aufgelöst. Der Dichter-Sprecher positioniert sich in Strophe 1 durchaus autobiographisch als der Sänger von “old Eire and the ancient ways”, wofür die Bezüge zu Cuchulain, the Druid und Fergus stehen. Während das dichteri- 66 William Butler Yeats, Autobiographies, 253. 67 A. Norman Jeffares, A Commentary on the Collected Poems of William Butler Yeats (London: Macmillan, 1968), 26. In einem persönlichen an Maud Gonne gerichteten Text läßt Yeats Rose und Kreuz wieder auseinandertreten: “He who measured gain and loss / When he gave to thee the Rose / Gave to me alone, the cross.” (“The Rosy Cross Lyrics” [1891; National Library of Ireland 30318], vgl. Foster, I,117; W. B. Yeats, The Early Poetry: Manuscript Materials. ed. George Bornstein (Ithaca: Cornell U.P., 1987, 1994), II, 484.) 68 Richard Ellmann, The Identity of Yeats (London, 1954; 1964, repr.), 66; Erzgräber, „Zur Shelley Rezeption bei Yeats“, 41. 69 Yeats dazu im Jahre 1925: “I am now once more in A Vision busy with that thought, the antitheses of day and night and of moon and of sun. The Rose was part of my second book, The Countess Kathleen and Various Legends and Lyrics, 1892, and I notice upon reading these poems for the first time for several years that the quality symbolised as The Rose differs from the Intellectual Beauty of Shelley and of Spenser in that I have imagined it as suffering with man and not as something pursued and seen from afar.” (Yeats, Variorum Edition, 842). 247 sche Programm in Strophe 1 zum Ziel hat, die alten Mythen unter dem Einfluß von “eternal beauty” ins Überzeitliche, Allgemeine zu transzendieren, verschieben sich in Strophe 2 die Gewichte deutlich zugunsten des Partikulären, Individuellen, damit auch Alltäglichen - “common things that crave”. 70 In diesem Zusammenhang bezieht sich “a little space for the rose-breath to fill” vielleicht eher auf den Duft einer konkreten Rose als auf die idealisierte, aber ungegenständliche Rose der ersten und der letzten Gedichtzeile. Der Bezug zu Maud Gonne ist in einem weiteren Rosengedicht der Sammlung klar: “The Rose of the World” ist ihr gewidmet. Yeats überblendet hier die idealen Frauengestalten der griechischen Antike, Helena (“Helen of Troy”), und der irischen Mythologie, Deirdre (“Usna’s children died”), mit Maud Gonne (“this lovely face”). Wiederum genügt offenbar allein der Hinweis auf das Rosensymbol im Titel, um den Text programmatisch zu situieren. The Rose of the World Who dreamed that beauty passes like a dream? For these red lips, with all their mournful pride, Mournful that no new wonder may betide, Troy passed away in one high funeral gleam, And Usna's children died. We and the labouring world are passing by: Amid men's souls, that waver and give place Like the pale waters in their wintry race, 70 Unter ästhetischen Gesichtspunkten anders gewertet erscheint die Spannung zwischen der Realität und dem Ideal, verkörpert in der idealen Frauengestalt, in “The Lover tells of the Rose in his Heart” aus der Sammlung The Wind among the Reeds (1899): All things uncomely and broken, all things worn out and old, The cry of a child by the roadway, the creak of a lumbering cart, The heavy steps of the ploughman, splashing the wintry mould, Are wronging your image that blossoms a rose in the deeps of my heart. The wrong of unshapely things is a wrong too great to be told; I hunger to build them anew and sit on a green knoll apart, With the earth and the sky and the water, re-made, like a casket of gold For my dreams of your image that blossoms a rose in the deeps of my heart. 248 Under the passing stars, foam of the sky, Lives on this lonely face. Bow down, archangels, in your dim abode: Before you were, or any hearts to beat, Weary and kind one lingered by His seat; He made the world to be a grassy road Before her wandering feet. Die beiden folgenden Gedichte “The Rose of Peace” und “The Rose of Battle” folgen ähnlichen Prinzipien wie “The Rose of of the World”. In “The Rose of Peace” wird die Rose wie in “The Rose of the World” im Titel aufgerufen und erst in der Schlußstrophe in der an Blake orientierten Formel “a rosy peace, / A peace of Heaven with Hell” eingeholt. “The Rose of Battle” bedient sich der Technik der wiederholenden Apostrophe wie in “To the Rose upon the Rood of Time”: “Rose of all Roses, Rose of all the World”. Zwar markiert diese Zeile jeweils den Beginn des ersten und des zweiten Teils des Gedichts, hat darin eine segmentierende, strukturierende Funktion, doch nimmt der Text ansonsten keinen Bezug auf das Rosensymbol. Wenn sich in “The Rose of the World” der Bezug auf die ideale Frauengestalt noch im Pronomen der dritten Person ausdrückte, so findet sich in den letzten beiden Gedichten nun offen die Anrede an ein nicht namentlich genanntes Du, das man wiederum als Maud Gonne verstehen kann. Mit Ausnahme von “To the Rose upon the Rood of Time”, das für Richard Ellmann und andere als Symptom für Yeats’ unentschiedene und unklare dichterische Position zu Beginn der Neunziger Jahre gilt, hat die Kritik diese Gedichte wenig beachtet und die Vagheit und fehlende Präzision der Aussage getadelt. Dies gilt gerade auch für das Rosensymbol. Ein wohlwollender Kritiker wie Lothar Hönnighausen erkennt in solchen und weiteren Charakterzügen von Yeats’ Jugenddichtung das dichterische Programm des Symbolismus. 71 Schon Zeitgenossen und Freunde haben jedoch auf man- 71 „Die kultischen Konnotationen des Rosenmotivs ergeben sich schon mit der Herkunft aus der marianischen rosa mystica-Metapher und der damit teilweise in Verbindung stehenden Rosensymbolik der okkulten Tradition. Ausgesprochen symbolistischen Charakter erhält das Bild der Rose, wenn es in den Gedichten des jungen Yeats und seiner Zeitgenossen, mit der Vorstellung der weiblichen Idealfigur kom- 249 cherlei Vagheiten und Sentimentalitäten kritisch reagiert, und Yeats selbst hat sich später einsichtig gezeigt, so wenn er im Blick auf das letzte Gedicht der Sammlung, “To Ireland in the Coming Times”, in dem sich in der Bezug auf Maud Gonne in der Wendung “the red-rose-bordered hem / Of her” manifestiert, “a passion for the symbolism of the mystical rose which has saddened my friends” einräumt. 72 Insgesamt ist Harold Bloom zuzustimmen, wenn er die Inkohärenz des Rosensymbols bei Yeats kritisiert: This recognition had led him to his symbol of the Rose, about which he made too many and too various prose comments. The two that matter are written thirty years apart, and are equally misleading. In 1895 the poems of The Rose were a solipsistic pathway to “the Eternal Rose of Beauty and of Peace”, but in 1925 the same Rose was a spirit that suffered with man, as opposed to the Intellectual Beauty of Shelley or the Heavenly Beauty of Spenser. As the Rose was also Maud Gonne, Ireland (Dark Rosaleen), a central symbol of the Rosicrucian Order of the Golden Dawn, a sexual emblem, the sun, and much else, it is not a coherent image, and scarcely stimulates coherent discussion; whether in Yeats or most of his scholars. The best suggestion is Ellmann's, that the Rose in the Nineties had the function for Yeats that the Mask fulfilled later, simply the image of desire, the ultimate, daimonic form of what can be created and loved. 73 In diesem Kapitel kam es weniger auf das Was als auf das Wie der Verwendung des Rosensymbols an. Das Courtly Game of Love des 16. und 17. Jahrhunderts setzt feste Konventionen, gewissermaßen feste Spielregeln, voraus, auf deren Basis dann die Autoren ein Spiel der galanten Variation eingeführter Bilder unternehmen können. Entsprechend intakt oder sogar starr gekoppelt ist deshalb hier im Blick auf die zugrundeliegende Metaphernstruktur das Verhältnis von Bildspender und Bildempfänger. An William Blakes “The Sick Rose” war zu beobachten, wie die konventionalisierte Lesererwartung negiert, darin jedoch gerade auch als solche bestätigt wird. Die Rose ist „krank“; das ist eine vom Leser nicht erwartete Aussage, denn Rosen sind gemeinhin edel, schön usw. Blakes Negation biniert, Wesenszüge der spätromantischen Spiritualität zum Ausdruck bringt.“ (Hönnighausen, 367.) 72 Jeffares, Commentary, 46. 73 Bloom, Yeats, 113. 250 traditioneller Werte fungiert somit als ‚Denkanstoß‘, als Entautomatisierung konventioneller Vorstellungen, ohne diese als solche aufzuheben. Bei Yeats ist zu beobachten, wie die Polyvalenz des Rosensymbols zu Unschärfen, Vagheiten bzw. einem suggestiven Stil führt. Das kann positiv als gewollte Subjektivität symbolistischer Dichtung gedeutet werden (Hönnighausen), trägt dem Autor vom normativen Standpunkt einer klassischen Symbolauffassung jedoch zugleich den negativen Vorwurf der Inkohärenz ein (Bloom). In der Leserwahrnehmung ist hier der Dekodierungvorgang potentiell instabil, insoweit eine eindeutige Bedeutungszuweisung mißlingt oder zwischen mehreren möglichen Sinngebungen oszilliert. Die zu beobachtende Polybzw. Ambivalenz des Rosenbildes kann als Lockerung des Verhältnisses von Bildspender und Bildempfänger verstanden werden. Allerdings entspricht dem Signans ‚Rose‘ noch durchwegs ein Signatum, selbst wenn dieses nicht eindeutig sein mag. Es ist also noch ein gutes Stück Weges bis zu Rilkes „reinem Widerspruch“, „niemandes Schlaf unter soviel Lidern“ zu sein, bis zu Celans „Niemandsrose“ und Umberto Ecos „nomina nuda“ (Im Namen der Rose), in denen das Signatum unbestimmt bleibt bzw. in der Negation aufgehoben ist, - oder eben auch Gertrude Steins “(a) rose is a rose is a rose”, in der der ‚Zeichenpfeil‘ auf sich selbst umgebogen, der Verweischarakter des Zeichens gänzlich aufgegeben ist. 251 Literaturverzeichnis I. Ausgaben Anglo-Welsh Poetry 1480-1980. Ed. Raymond Garlick und Roland Mathias. Bridgend: Poetry Wales Press, 1984. Anthologia Latina. Ed. Franz Bücheler und Alexander Riese. Nachdruck der Ausgabe Leipzig, 1894-1926. Amsterdam, 1972f. Arnold, Matthew. The Poetical Works of Matthew Arnold. Ed. C.B. Tinker und H.F. Lowry. Oxford: OUP, 1950. Baldwin, William. The Canticles or Balades of Salomon, phraslyke declared in Englysh Metres [1549]. 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Arnold, Matthew “Philomela” 51 Barnfield, Richard “As it fell upon a day” 50 Blake, William “The Schoolboy” 191 “The Sick Rose” 231 “My Pretty Rose Tree” 234 “The Clod and the Pebble” 236 f . “The Garden of Love” 237 The First Book of Urizen, 235 f . America 236 Visions of the Daughters of Albion 237 f . Burns, Robert “O my Luve’s like a red, red rose” 228 268 Campion, Thomas “There is a Garden in her Face” 108 f . Carew. Thomas “A Rapture” 106 f . Clare, John “Larks and Spring” 182 f . Crashaw, Richard “Hymn To the Glorious Assumption of Our Blessed Lady” 93 f . Dafydd ap Gwilym “Yr Ehedydd” [“The Lark”] 166 “Y Wawr” [“Dawn”] 136 Davenant, Sir William “Song” (“Aubade”) 142 f . “O Thou that sleep'st like Pigg in Straw” 143 f . Donne, John “The Sunne Rising” 138,140 “Breake of Day” 139 f . Earley, Tom “Lark” 156 Eliot, T.S. The Waste Land 55 ff. Ash-Wednesday 215 Empson, William “Aubade” 144 f . Everwine, Peter “Aubade in Autumn” 150 f . Fainlight, Harry “Lark Song” 156 H.D. “Sea Rose” 205 f . Habington, William “To Roses in the Bosome of Castara” 225 f . 269 Hardy, Thomas “Shelley's Skylark” 183 f . Heaney, Seamus “Antaeus” 72 f . “Hercules and Antaeus” 73 f . “Exposure” 75 Henri, Adrian “Aubade” 149 Herrick, Robert “A Meditation for his Mistress” 226 f . “To the Virgins, to make much of Time” 227 f . Hill, Geoffrey “Veni coronaberis” 77 ff. “Ovid in the Third Reich” 15 “September Song” 17 “Funeral Music” 18 Hopkins, Gerard Manley “The Woodlark” 185 f . “The Sea and the Skylark” 188 ff. “The Caged Skylark” 190 ff. Hughes, Ted Gaudete 155 f . “Skylarks” 194 ff. “The Skylark Came” 198 f . Keats, John “Ode to Melancholy” 187, 201 Kenney, Richard “Aubade” 150 Larkin, Philip “Aubade” 125 ff. “Church Going” 127 f . “The Building” 128 f . “High Windows” 129 “The Old Fools” 129 “Sad Steps” 129 270 LeGalienne, Richard “Flos Aevorum” 242 ff. Mahon, Derek “Ovid in Love” 64 f . “Ovid in Tomis” 66 f . “Galatea” 67 “Ovid on West 4th” 67 f . Marvell, Andrew “The Garden” 100 ff. “The Nymph Complaining for the Death of Her Fawn” 105 f . Merton, Thomas “Aubade: Lake Erie” 146 f . “Aubade - Harlem" 147 “Aubade: The Annunciation" 147 “Aubade on a Cloudy Morning" 147 Pervigilium Veneris 59 Plath, Sylvia “April Aubade” 148 Pound, Ezra trans. Bernart von Ventadorn, “Lerchenlied” 165 trans. Arnaut Daniel, “Alba” 132 Cantos I, II,IV 53 ff. Ransom, John Crowe “Philomela” 62 f . Rühmkorf, Peter “Tagelied” 152 f . Shakespeare, William Sonnets 1-19 27 f ., 229 ff. Sonnet 54 229 f . Sonnet 55 29 Sonnet 60 26 f ., Sonnet 65 30 Sonnet 70 229 271 Sonnet 99 229 Sonnet 106 115 fn. 70 Sonnet 130 114 Shelley, Percy Bysshe “To a Skylark” 173 ff Sidney, Sir Philip “The nightingale, as soone as Aprill bringeth” 49 Spenser, Edmund Amoretti, Sonnets 15 119 Amoretti, Sonnets 64 121 Amoretti, Sonnets 67 118 f . Epithalamion” 29,120 The Faerie Queene 223 Two Cantos of Mutabilitie 21 ff. Stein, Gertrude “Sacred Emily” (“Rose is a rose is a rose is a rose”) 209 f . Swinburne, Algernon Charles “Itylus” 53 Symons, Arthur “Stellae Anima Clamat” 240 f . Tennyson, Alfred Lord “Come into the Garden, Maud” 108 Tomlinson, Charles “A Rose for Janet” 208 Waller, Edmund “Song” (“Goe, lovely rose”) 224 f . Wordsworth, William “Liberty” 190 Yeats, William Butler “To the Rose upon the Rood of Time” 245 f . “The Rose of the World” 247 f . “The Rose of Peace” 248 “The Rose of Battle” 248 In dieser Studie geht es um Intertextualität in einem weiten, umfassenden Sinn. Die fünf Kapitel des Buches behandeln anhand ausgewählter Beispiele aus der englisch-amerikanischen Lyrik ● die Rezeption von Ovids Metamorphosen ● Reflexe der Hohelied-Exegese ● das Taglied ● das Lerchenmotiv ● das Rosenmotiv Ausgehend von Schlüsseltexten verschiedener Autoren des 20. Jahrhunderts (u.a. Ezra Pound, Gertrude Stein, T. S. Eliot, Geoffrey Hill, Philip Larkin, Seamus Heaney) gilt es, im Geflecht von Text-Prätext-Beziehungen Motivkonstanten und Kontinuitäten literarischer Gestaltung durch die Geschichte der englischen Lyrik bis ins Mittelalter zurückzuverfolgen. Komplexe Traditionsbezüge solcher Art gelten zum einen für Autoren und ihre Werke, zum anderen bestimmt das ‘kulturelle Wissen’ von Rezipienten die Tiefe und Trennschärfe ihrer Interpretation. “Any poem is an interpoem, and any reading is an inter-reading” (Harold Bloom). .