Linguistische Theorien
1120
2013
978-3-8233-7847-1
978-3-8233-6847-2
Gunter Narr Verlag
Hilke Elsen
Dieser Band präsentiert einen Überblick über die unterschiedlichen Richtungen in der Theoriebildung der Linguistik, ihre zentralen Vertreter/innen sowie über Anwendungsmöglichkeiten und Umsetzungen. Er beschreibt die geschichtliche Entwicklung und Einbettung sowie die Wechselbeziehungen zwischen den Schulen bis hin zu aktuellen Strömungen wie der Konstruktionsgrammatik, um Einsichten in grundlegende Konzepte, Kernannahmen und Arbeitsweisen in ihrem Entstehungszusammenhang zu vermitteln. Dabei finden neben Grammatikmodellen auch Sprachwandelkonzepte und zeichentheoretische Ansätze Berücksichtigung. Der Schwerpunkt liegt auf Theorien, die für die germanistische Linguistik von Bedeutung sind. Unterstützt wird die Darstellung durch Übungen, die in die jeweilige Denk- und Arbeitsweise einführen. Literaturhinweise im Anschluss an die Kapitel bieten die Möglichkeit zur Vertiefung. Der Band versteht sich als Lehrwerk bzw. Begleitlektüre zu Seminaren im Hauptstudium und ist daher in 14 Kapitel gegliedert, die sich jeweils als Grundlage für eine Unterrichtseinheit eignen.
Hilke Elsen Linguistische Theorien Hilke Elsen Linguistische Theorien PD Dr. Hilke Elsen lehrt germanistische Linguistik und Psycholinguistik mit den Schwerpunkten Wortbildung und Lexikologie an der LMU München. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 ∙ Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 ∙ D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr-studienbuecher.de E-Mail: info@narr.de Printed in the EU ISSN 0941-8105 ISBN 978-3-8233-6847-2 Inhalt Verwendete Abkürzungen und Symbole ......................................... 9 Vorwort...................................................................................... 11 0 Einführung ......................................................................... 13 1 Anfänge .............................................................................. 15 1.1 Indien - Sanskrit - Panini .................................................................... 15 1.2 Ägypten und arabische Länder ............................................................. 16 1.3 Griechenland....................................................................................... 17 1.4 Römisches Reich ................................................................................. 21 1.5 Mittelalter........................................................................................... 21 1.6 16. -18. Jahrhundert ........................................................................... 22 1.6.1 Sprachreflexion ......................................................................................................22 1.6.2 Sprachbeschreibung...............................................................................................23 1.7 19. Jahrhundert .................................................................................. 25 1.7.1 Sprachreflexion ......................................................................................................25 1.7.2 Sprachbeschreibung - historisch-vergleichende Grammatik..............................26 2 Stammbaumtheorie und Junggrammatiker........................... 31 2.1 Die historisch-vergleichende Methode .................................................. 31 2.2 Die Junggrammatiker .......................................................................... 36 2.2.1 Prinzipien der Sprachgeschichte...........................................................................37 3 Europäischer Strukturalismus.............................................. 43 3.1 Begründer des Strukturalismus ............................................................. 43 3.2 Was ist Strukturalismus? ...................................................................... 43 3.3 Ferdinand de Saussure ......................................................................... 44 3.3.1 Langue und Parole .................................................................................................45 3.3.2 Diachronie und Synchronie...................................................................................45 3.3.3 Äußere und innere Sprachwissenschaft ...............................................................47 3.3.4 Syntagmatische und assoziative (paradigmatische) Relationen.........................47 3.3.5 Das sprachliche Zeichen - Signifiant und Signifié.................................................47 3.4 Strukturalismus als Beginn der modernen Sprachwissenschaft................ 49 3.5 Die Prager Schule ................................................................................ 50 3.6 Weitere strukturalistische Strömungen in Europa .................................. 54 6 Inhalt 4 Amerikanischer Strukturalismus .......................................... 57 4.1 Das gesellschaftspolitische Fundament.................................................. 57 4.2 Sprache im Zeichen des Behaviorismus ................................................. 58 4.3 Distributionalismus ............................................................................. 61 4.4 Charakteristika der deskriptiven Linguistik ........................................... 66 5 Sprachliche Relativität ........................................................ 71 5.1 Sprache, Denken und Kultur................................................................. 71 5.2 Sprachliche Relativität......................................................................... 73 5.3 Sprachliche Relativität ist nicht Determinismus..................................... 75 5.4 Farben ................................................................................................ 77 5.5 Aktuelle Anwendungen........................................................................ 81 5.5.1 Metaphern und Manipulation............................................................................... 81 5.5.2 Feministische Sprachkritik.................................................................................... 82 6 Wort und Lexikon................................................................ 87 6.1 Das sprachliche Zeichen....................................................................... 87 6.2 Semantik............................................................................................. 88 6.3 Zeichenmodelle................................................................................... 88 6.4 Wortfelder .......................................................................................... 90 6.5 Sinnrelationen..................................................................................... 93 6.6 Merkmalssemantik .............................................................................. 95 6.7 Probleme und Grenzen ........................................................................ 98 7 Das Prototypenmodell ....................................................... 101 7.1 Traditionelle Kategorisierung ............................................................. 101 7.2 Prototypen ........................................................................................ 102 7.3 Unscharfe Grenzen ............................................................................ 104 7.4 Stereotypen....................................................................................... 106 7.5 Familienähnlichkeiten ....................................................................... 107 7.6 Basisausdrücke .................................................................................. 108 7.7 Probleme und Grenzen ...................................................................... 108 8 Die generative Grammatik ................................................. 115 8.1 Kleinste bedeutungsunterscheidende Merkmale................................... 115 8.2 Transformationen .............................................................................. 115 8.3 Regeln und das Generieren von Sätzen ............................................... 117 8.4 Sprachliche Ebenen ........................................................................... 120 8.5 Dominanz der grammatischen Aspekte ............................................... 120 7 Inhalt 8.6 Universalität ..................................................................................... 121 8.7 Wird Sprache erlernt oder ist sie angeboren? ...................................... 121 8.8 Generative Grammatiken ................................................................... 122 8.8.1 Der Beschreibungsapparat.................................................................................. 123 8.8.2 Der theoretische Unterbau ................................................................................. 127 8.9 Die kognitive Wende ......................................................................... 128 8.10 Kritik................................................................................................ 128 9 Syntaxmodelle .................................................................. 133 9.1 Der traditionelle Ansatz ..................................................................... 133 9.1.1 Wortarten ............................................................................................................ 133 9.1.2 Satz und Satzglieder ........................................................................................... 134 9.2 Stellungsfelder .................................................................................. 138 9.3 Dependenz und Valenz ...................................................................... 143 9.3.1 Das Modell von Lucien Tesnière........................................................................ 143 9.3.2 Kritik und Grenzen ............................................................................................. 146 9.4 Optimalitätstheorie............................................................................ 149 9.4.1 Straßenverkehr.................................................................................................... 150 9.4.2 Worttrennung ...................................................................................................... 151 9.4.3 Syntax .................................................................................................................. 153 10 Soziolinguistik - von der Theorie zur Disziplin ................... 157 10.1 Praktische und theoretische Vorläufer ................................................ 157 10.2 Bildungsschicht und sprachlicher Code ............................................... 158 10.3 Empirische Grundlagen sprachlicher Heterogenität ............................. 160 10.3.1 Gesellschaftspolitische Vorbedingungen .......................................................... 160 10.3.2 Feldstudien.......................................................................................................... 161 10.3.3 Konsequenzen für die Methodik von heute ...................................................... 164 10.4 Varietäten ......................................................................................... 166 10.5 Aufgabengebiete................................................................................ 168 11 Sprachwandelkonzepte ..................................................... 171 11.1 Sprachwandel in verschiedenen Ansätzen .......................................... 171 11.2 Natürlichkeitstheorie ......................................................................... 174 11.2.1 Natürliche Phonologie........................................................................................ 174 11.2.2 Natürliche Morphologie ..................................................................................... 176 11.3 Sprachökonomie................................................................................ 179 11.4 Die unsichtbare Hand ........................................................................ 180 8 Inhalt 11.5 Grammatikalisierung ......................................................................... 181 11.6 Gibt es ein Fazit? ............................................................................... 185 12 Funktionale Grammatik ..................................................... 189 12.1 Funktion ist nicht gleich Funktion ...................................................... 189 12.2 Die funktionale Satzperspektive ......................................................... 190 12.3 Modelle ............................................................................................ 194 12.3.1 Functional Grammar.............................................................................................195 12.3.2 Systemic-Functional Grammar ..............................................................................198 12.3.3 Der funktional-typologische Ansatz ...................................................................200 13 Kognitive Ansätze.............................................................. 205 13.1 Kognitive Linguistik........................................................................... 205 13.2 Frame-Semantik ................................................................................ 206 13.3 Idealisierte kognitive Modelle ............................................................ 207 13.4 Kognitive Semantik und Kräftedynamik .............................................. 210 13.5 Kognitive Grammatik......................................................................... 212 13.6 Der Netzwerkgedanke........................................................................ 215 14 Konstruktionsgrammatik ................................................... 221 14.1 Die Anfänge ...................................................................................... 221 14.1.1 Konstruktionen in der Kognitiven Linguistik ....................................................221 14.1.2. Unification Construction Grammar.................................................................222 14.1.3 Cognitive Construction Grammar..........................................................................223 14.1.4 Radical Construction Grammar.............................................................................224 14.2 Gebrauchsbasierte und formal ausgerichtete Ansätze........................... 225 14.3 Grundannahmen der gebrauchsbasierten Modelle................................ 226 14.4 Wie real sind die Konstruktionen? ...................................................... 229 Literatur.................................................................................... 235 Register .................................................................................... 257 Verwendete Abkürzungen und Symbole / / phonologische Transkription [ ] phonetische Transkription { } morphologische Einheiten stehen in geschweiften Klammern [∂] Schwa, unbetontes e wie in Lücke [ ε ] offenes e wie in Bett [œ] offenes ö wie Köpfe [ç] stimmloser palataler Frikativ wie in ich [x] stimmloser velarer Frikativ wie in hoch [χ] stimmloser uvularer Frikativ wie in Dach, [x] und [χ] werden als / x/ zusammengefasst [æ] vorderer, fast offener, ungerundeter Vokal wie in engl. cat , Katze ‘ [ ] velarer Nasal wie in eng ñ palataler Nasal, Schriftzeichen im Spanischen ϸ Thorn , Dorn ‘, bezieht sich auf das stimmlose th wie in engl. thing ,Ding‘ * Asterisk, rekonstruierter oder falscher Ausdruck A Adjektiv A. Akkusativ Adv Adverb AdvP Adverbphrase alemann. alemannisch amerik. amerikanisch AP Adjektivphrase bair. bairisch CG Cognitive Grammar, kognitive Grammatik CL Cognitive Linguistics, Kognitive Linguistik CV-Struktur Konsonant-Vokal-Struktur CxG construction grammar, Konstruktionsgrammatik D. Dativ DET determinator, Artikel dt. deutsch engl. englisch EVAL evaluator, Bewertungsmechanismus (OT) FD force dynamics, Kräftedynamik/ Kraftdynamik FG functional grammar, Funktionale Grammatik frz. französisch FSP funktionale Satzperspektive g. germanisch G. Genitiv GEN generator, Erzeugungsmechanismus (OT) GG generative grammar, generative Grammatik hochdt. hochdeutsch HPSG head-driven phrase structure grammar IC immediate constituent, unmittelbare Konstituente idg. indogermanisch 10 Verwendete Abkürzungen und Symbole KG kognitive Grammatik KL Kognitive Linguistik KxG Konstruktionsgrammatik lat. lateinisch N Nomen N. Nominativ NP nominal phrase, Nominalphrase oberdt. oberdeutsch OT Optimality Theory, Optimalitätstheorie Pl. Plural PP Präpositionalphrase SFG systemic-functional grammar, systemisch-funktionale Grammatik Sg. Singular sp. spanisch STEM Stamm sth. stimmhaft stl. stimmlos TP thematische Progression UG Universal Grammar, Universalgrammatik uridg. urindogermanisch V Verb VP verbal phrase, Verbalphrase Vorwort Der vorliegende Band hat sich einen verständlichen, zusammenhängenden Überblick über die wichtigsten theoretischen Strömungen der Sprachwissenschaft von den Anfängen bis zur Gegenwart zum Ziel gesetzt. Es blieb daher nicht aus, vieles zusa mmenzufassen, zu kürzen und vor allem zu vereinfachen. Auch Lücken waren unvermeidlich, und viele Fragen konnten nur angerissen werden. Letztendlich geht es darum, mit diesem Leitfaden ein Verständnis für die verschiedenen Strömungen, ihre Gegenpositionen und die schöpferische Kraft der kritischen Auseinandersetzung zu vermitteln, die die Bereitschaft zu Veränderung voraussetzt. Auf das generische Maskulinum wurde bewusst verzichtet. Wie im Kapitel 5.5.2 ausgeführt zeigen alle Experimente, dass es sich auf die mentale Repräsentation von Frauen negativ auswirkt und zu Assoziationen mit dem männlichen Geschlecht führt. Bei Studenten und Autoren denken wir hauptsächlich an männliche Vertreter. Die Frauen bleiben unsichtbar, auch mental. Bei diesem Band haben mir wieder Kolleg/ innen zuverlässig geholfen. Ich möchte mich darum ganz herzlich und ausdrücklich bedanken bei Sascha Michel für seine Anmerkungen zu Kapitel 8, bei Alexander Lasch und Alexander Ziem, deren kritischkonstruktive Kommentare die beiden letzten Kapitel verbessern halfen, bei Ute Hofmann für die Durchsicht des kompletten Manuskripts und die wertvollen Anregungen für die Endfassung, bei Bau + Plan GmbH und Hans J. Hanke für alles, was mit Technik und Computer zu tun hat, und beim Narr Verlag für die zuverlässige und konstruktive Zusammenarbeit, vor allem bei Tillmann Bub und Karin Burger. Oberschneitbach, im Oktober 2013 Hilke Elsen 0 Einführung Diese Einführung ist in mehrfacher Hinsicht keine allgemeine Einführung in die Theorie der Sprachwissenschaft. Deswegen soll gleich zu Beginn auf die Grenzen hingewiesen sein. Erstens ist sie vom Ansatz her geschichtlich ausgelegt. Sie konzentriert sich auf die Meilensteine und auf Zusammenhänge und versucht, einen Überblick über die Entwicklung zu geben. Als Ergänzung zu den frühen Auseinandersetzungen mit Sprache seien Darstellungen speziell zur Sprachphilosophie empfohlen. Zweitens ist sie am deutschsprachigen Raum und an der deutschen Grammatik orientiert. Das heißt, aus Sicht der Nachbarwissenschaften mag es andere Schwerpunkte geben. Drittens stehen die nicht-generativen Strömungen im Mittelpunkt. Da es zahlreiche sehr gute Einführungen und Überblicksdarstellungen zu generativen Modellen gibt, wurde hier bewusst gekürzt. Schon früh hat sich der Mensch mit dem Thema Sprache auseinandergesetzt. Die Sprachbetrachtung erfolgte zunächst intuitiv, religiös und dann gesellschaftlichpolitisch motiviert. Wie in vielen anderen Kulturen war sie auch bei uns zunächst darauf bedacht, die Sprache und damit den Menschen als gottgegeben zu bestimmen. Die Auseinandersetzung mit Sprache stellte immer zugleich ein ideologisches Instrumentarium dar, um die jeweiligen heiligen Schriften in den Rang des Absoluten zu erheben. Erst spät reifte sie zu einer Wissenschaft. Entsprechend fielen die Betrachtungen anfangs instinktiv-philosophisch aus, dann praktisch-didaktisch und erst zuletzt wissenschaftlich-exakt und deskriptiv ausgerichtet. Die Suche nach Gründen, warum Sprache so ist, wie sie ist, und den Zusammenhängen mit neurologischen Fakten ist schließlich eine ganz moderne Entwicklung, und sie ist noch lange nicht abgeschlossen. Täuschen wir uns nicht, die Debatten in der Linguistik waren nie und sind auch heute nicht durchweg sachlich, neutral und unvoreingenommen, aber wahrscheinlich gilt das für jede Wissenschaft. Die Linguistik kann nur das leisten, was die historische Entwicklung an Möglichkeiten bietet. Auch die sprachwissenschaftliche Theorie ist stets nur ein Kind der Zeit. Sie ist immer auch Antwort auf die Vordenker und gep rägt vom Wissensstand, vor allem dem Nichtwissen zum jeweiligen Augenblick und von den politischen Strömungen. Deswegen ist sie ideologisch und wissenschaftlich beeinflusst und nicht frei. Jede Epoche hat ihr eigenes Denken und ihre eigene Auffassung von Sprache. Und so, wie sich der Mensch davon löste, dass Sprache, wie der Mensch selbst, gottgegeben und damit absolut ist, so gelangte er in das Chaos von Nichtwissen, aus dem wir uns seit Jahrhunderten heraus zuarbeiten versuchen und eine Theorie nach der anderen aufstellen, um dahinterzukommen, was nun genau Sprache ist und wie sie funktioniert. Jedes Zeitalter wirkte auf die Linguistik ein, allerdings prägten zusätzlich auch Fragestellungen und Forschungsinteressen unsere Wissenschaft. Denn je nachdem, ob philosophische Überlegungen im Mittelpunkt standen, Betrachtungen zu Semantik und Kategorisierungen oder die bloße grammatische Beschreibung, ergaben sich andere Lösungen und andere Theorien. Das führte zu vielen verschiedenen Möglichkeiten der sprachlichen Beschreibung und zu ständig neuen Definitionen. Sprache war u.a. 14 0 Einführung ein Organismus, der sich nach biologischen Gesetzmäßigkeiten verändert (Schleicher) ein strukturiertes System von Zeichen (de Saussure bzw. Strukturalismus) biologisches Verhalten, bei dem Lautketten, die an bestimmte Bedeutungen gekoppelt sind, Reaktionen auslösen (Bloomfield, Behaviorismus) eine Menge von Sätzen (Chomsky) ein Werkzeug (Bühler) ein Repertoire an Mitteln (set of resources), aus dem sich die Sprachteilnehmer/ innen bedienen, wenn sie ihre Gedanken symbolisieren und diese Symbole miteinander austauschen (Taylor) und ganz aktuell ein Netzwerk von Konstruktionen, von Form-Bedeutungspaaren. Die Aufgaben der Linguistik und damit die Auffassung von Grammatik und von Regeln wechselten. Regeln sind für viele Algorithmen und gleichzeitig Vorschriften, die bedingungslos einzuhalten sind, für andere Regularitäten oder aber lediglich Tendenzen. Es ist daher zwingend, dass sich die Beschreibungen, die Erklärungen und mithin die Theorien grundlegend unterscheiden. Darum sei ausdrücklich betont: Es gibt nicht die linguistische Theorie, die recht hat, sondern immer nur die, die uns am meisten zusagt. In den Übungsaufgaben werden exemplarisch Aufgaben bzw. Fragen bearbeitet, die die Leser/ innen zunächst für sich beantworten und dann mit dem direkt folgenden Lösungsvorschlag vergleichen können. Sie dienen weniger der Abfrage von Wissen als der Veranschaulichung von Entwicklungen und der Einübung von Methoden und Vorgehensweisen. So soll das Besprochene wiederholt und/ oder auch praktisch angewendet werden. Solche Abschnitte warnen vor möglichen Missverständnissen, geben Diskussionshilfen und weisen darauf hin, wenn die heutige Forschung ein Thema anders au ffasst. Bei den Literaturangaben sind zunächst wichtige klassische Werke aufgeführt für diejenigen, die sich an den Originaltexten versuchen wollen. Es folgen weiterführende Publikationen, die als Einstieg dienen können, sich intensiver mit dem Thema zu befassen. Wichtige Begriffe und Namen sind beim ersten Mal fettgedruckt. 1 Anfänge 1.1 Indien - Sanskrit - Panini Die wahrscheinlich älteste ausführliche Grammatik der Welt von Panini markiert den Beginn der Sprachwissenschaft. Sie beschrieb das klassische Sanskrit in knapp 4000 Regeln und zusätzlichen Komplementen. Panini behandelte Semantik (Bedeutungslehre) / Etymologie (heute Lehre von der Herkunft, Entwicklung und Verwandtschaft der Wörter), Phonetik/ Phonologie, Morphologie (Flexion und Wortbildung) und Syntax und griff dabei auch auf Vorarbeiten verschiedener anderer Gelehrter zurück. Wann genau Panini lebte ist nicht bekannt, meist wird ca. 500 v. Chr. angegeben. Sein eigentliches Ziel war die exakte Beschreibung der Sprache. Sanskrit ist eine V ariante des Altindischen und damit den indogermanischen Sprachen zuzuordnen. Es war die klassische Gelehrten- und Literatursprache. Panini wollte deswegen nicht nur Wortschatz und Grammatik, sondern auch die Aussprache für die Nachwelt korrekt und möglichst detailliert festhalten. Die religiösen Schriften waren zuvor wohl schon seit mehr als 1000 Jahren v. Chr. in der Veda versammelt und wurden zunächst nur mündlich überliefert. Diese ursprüngliche Sprachform des Altindischen hieß daher Vedisch. Sie entwickelte sich zum eigentlichen Sanskrit. Sanskrit wurde und wird heute noch auch mündlich in religiösen Ritualen genutzt und gilt nach wie vor als heilig. Begriffe im Deutschen, die anfänglich aus dem Altindischen bzw. Sanskrit stammen, sind beispielsweise Arier, Aschram, Dschungel, Guru, Ingwer, Kajal, Moschus, Swastika, Yoga oder Yogi. Vor allem Paninis morphologische Analysen prägten das neuzeitliche strukturalistische Denken sowie unsere Terminologie, vgl. Dvandva (Kopulativkompositum, vgl. schwarzweiß), Bahuvrihi (Possessivkompositum, vgl. Rotkehlchen) oder das phonologische Phänomen des Sandhi, das sich auf systematische phonologische Veränderungen bezieht, die durch das Zusammentreffen von Wörtern bedingt sind wie englisch a pear ,eine Birne‘ vs. an apple ,ein Apfel‘ . Er benutzte Konzepte, wenn auch nicht die Begriffe, wie Phonem, Morphem, Affix, Nullmorphem und Wurzel. Er interessierte sich für etymologische Erklärungen als Ergänzung zur Grammatik. Er trennte zwischen Lautsystem und Schrift, zwischen Phonetik und Phonologie, zwischen Vokal und Konsonant. Er ordnete die Konsonanten nach Artikulationsort und -art. Er entwickelte ein Ablautschema, das später auch die Beschreibung des Deutschen beeinflusste. Die altindische Grammatik kannte vier Wortarten, Verben, Nomen, Präfixe bzw. Präverben und die nicht veränderbaren Wörter, oft als Partikeln bezeichnet. Panini nutzte formale Regeln für die Sprachbeschreibung und verfügte über einen bilateralen Zeichenbegriff, der aus Form und Bedeutung bestand. Paninis Sprachb eschreibung war analytisch-formalistisch und trug generative Züge, wenn komplexe Formen bzw. ta tsächlich realisierte Äußerungen von ursprünglichen, zugrundeliegenden Formen abgeleitet wurden, statt sie in Listen aufzuführen. Ableitungen erfolgten über Operati onen bzw. Regeln, es gab Einschränkungs-, Substitutions- und Expansionsregeln, auch kontextsensitive. Äußerungen konnten in komplexere Äußerungen integriert erscheinen. Klammern bestimmten komplexe Elemente als Teil komplexerer Elemente und damit auch den Anwendungsbereich von Operationen. Die Regelanordnung konnte intrinsisch oder extrinsisch (außerhalb des Regelsystems angelegt) sein. Ausnahmen zu den Regeln waren möglich. Bis auf den letzten Punkt erinnert das alles sehr stark 16 1 Anfänge an die Grundannahmen von Chomskys generativen Grammatiken. Panini verließ letztendlich aber nie die Ebene der Sprachbeschreibung, denn das war wie eingangs erwähnt sein explizites Ziel. Zwar wurde Paninis Grammatik in Europa erst im 19. Jahrhundert einem größeren wissenschaftlichen Publikum bekannt. Seine Gedanken konnten aber durch Saussure, der sich ausführlich mit dem Sanskrit beschäftigt hatte, die moderne strukturalistische Linguistik maßgeblich mit formen (vgl. Cardona 2000a, b) und später Einfluss auf die generative Grammatik nehmen (Kiparsky 1995). Panini gilt als einer der größten Wissenschaftler der Welt. In seinem Werk finden wir viele Konzepte, die wir eigentlich mit der modernen Sprachwissenscha ft verbinden, in einer ursprünglichen Form oder zumindest angedacht. Seine Arbeiten wirkten sich nicht nur auf das Verständnis von Grammatik aus, sondern auch auf die Math ematik und auf die heutigen Computersprachen. 1.2 Ägypten und arabische Länder Im alten Ägypten gab es wohl bereits grammatische und lexikalische Übungen um 1200 v. Chr. sowie sprachvergleichende Texte mit Übersetzungen von älteren Varia nten des Ägyptischen. Um 1700 v. Chr. entstand ein Handbuch mit Wortlisten zu ei nzelnen Vokabelbereichen wie Pflanzen, Tieren oder ägyptischen Städten. Sprachkontakte sind u.a. mit semitischen Sprachen und dann auch mit dem Griechischen anzunehmen. Das führte zu einem bewussteren Umgang mit dem Ägyptischen und der Vorstellung, die eigene sei die bessere Sprache. Einige ägyptische Kinder lernten Griechisch als Fremdsprache unter König Psamtik I (665-610 v. Chr.) (Borghouts 2000). Später verdrängte zunächst Griechisch, dann Arabisch das Ägyptische. Im Zusammenhang mit der Entstehung und der Verbreitung des Koran entwickelte sich um 630 v. Chr. ein islamischer Staat, der schnell und weit expandierte, die arab ische Sprache in viele Nachbarkulturen brachte und dadurch zu ausgedehnten meh rsprachigen Gebieten führte. Wie auch bei den Griechen und den alten Ägyptern galt die eigene Sprache allen anderen als überlegen, diese hingegen als nicht wichtig genug, um den Gegenstand wissenschaftlicher Überlegungen zu bilden. Allerdings b edeutete die Sprachvielfalt eine Gefahr für das (Hoch)Arabische des Koran, das gegen den „Verfall“ verteidigt werden musste. Wieder waren die Gründe, sich mit der Sprache zu befassen, religiös motiviert. Als erste arabische Grammatik gilt al-Kitāb , das Buch ‘ von Sībawaih mit Kapiteln zu Phonetik, Morphologie und Syntax. Es entstand in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts n. Chr. und beschreibt sehr ausführlich das Altarabische. Hier finden sich auch Informationen zu Wortarten, zu Wortbedeutung und zu Unterschieden zwischen poetischer und gesprochener Sprache. Da die arabische Schrift nur die Konsonanten wiedergibt, war die Gefahr von semantischen Problemen größer als bei Alphabetschriften, und das war vor allem für die Lektüre des Koran unerwünscht. Die arabische Grammatik entwickelte daher zusätzliche Voka lzeichen, um vor allem auch bei Nichtmuttersprachler/ innen Polysemien und Missverständnisse auf ein Minimum zu reduzieren. Ab dem 8. Jhd. wurden umfangreiche Wörterbücher und weitere Grammatiken verfasst, auch unter dem Einfluss des Gri echischen und des Latein. Philosophische und logische Betrachtungen dürften mit auf griechisches Gedankengut zurückzuführen sein, das auf die islamische Kultur einwirkte. 17 1.3 Griechenland Die arabischen Gelehrten kannten drei Wortarten, Nomen, Verb und Partikel, und beschäftigten sich auch mit der Struktur der Wörter, mit Wurzeln und Affixen . Sie trennten zwischen Lauten und Buchstaben. Die B eschreibung der Laute war wichtig, um zukünftigen Generationen die Aussprache des Korans und damit des klassischen Arabisch zu erhalten. Insofern trug die Beschäftigung mit der Sprache auch sprac hpflegerische Züge (Berésin 1980, Levin 2000). Für das 9. Jahrhundert werden dann zwei Richtungen angesetzt. Die Schule von Kufa bei Baghdad bemühte sich mehr um philologische Probleme bei der Interpretation von poetischen Texten, während die Schule von Basra am Persischen Golf mit ihrem wichtigsten Vertreter Sībawaih als Ziel eine geschlossene und systematische Grammatik hatte (Brekle 1985: 76). Grammatik war beschreibend-erklärend, einen übergeordneten theoretischen Hintergrund gab es noch nicht (Owens 1993). Allerdings besteht noch heute eine enge Verknüpfung zwischen dem korrekten Beherrschen der arabischen Sprache, wie sie der Koran vorgibt, und dem „reinen“, natürl ichen logisch-philosophischen Denken innerhalb der islamisch-arabischen Tradition. Wahre Logik entspringt der „natürlich vernünftigen Verwendung der [arabischen] Sprache von selbst“ (Brekle 1985: 86). Logik ist nur und ausschließlich durch die Offenbarung des Koran gegeben, das Beherrschen des Hocharabischen ist dazu Voraussetzung, und die korrekte und unmissverständliche Konservierung des Textkorpus war und ist noch essentieller als in Indien oder Griechenland . Die Rolle der Sprachwissenschaft entwickelte deswegen in den arabischen Ländern neben der wissenschaftlichen eine ausgeprägte ideologische Dimension. Durch die Monopolstellung der Bildungssprache Latein waren im Mittelalter Griechischkenntnisse und mit ihnen das Wissen um die griechische Kultur und Philosophie weitgehend verloren gegangen. Die Araber brachten im Zuge ihrer Expansion sbewegungen ihr Wissen und ihre Kultur nach Südeuropa, und so wurden im 12. Jahrhundert die Schriften Aristoteles zu Physik und Metaphysik aus dem Arabischen rückübersetzt und verhalfen den Themen Grammatik und Logik in Europa zu mehr wissenschaftlichem Gewicht. 1.3 Griechenland Das antike Griechenland ist die Wiege der abendländischen Grammatikschreibung wie auch der Sprachphilosophie, Logik und Rhetorik. Allerdings wurde Sprache nicht an sich thematisiert, sondern immer im Zusammenhang mit erkenntnistheoretischen Überlegungen. Die geschichtlichen Eckpfeiler sind 8., 7. Jhd. v. Chr.: Dichtung (Homer, Hesiod) 7.-4. Jhd. v. Chr.: Vorsokratiker, Sophisten 428/ 7-348/ 7 v. Chr.: Platon 4. Jhd. v. Chr.-2. Jht n. Chr.: Stoiker 3., 2. Jhd. v. Chr.: alexandrinische Grammatik um 170/ 160-90 v. Chr.: Dionysius Thrax. Unberührt von den Arbeiten indischer Wissenschaftler und ohne uns bekannte Vorläufer entwickelten die Griechen ihr eigenes Konzept von Grammatik. Zwar kannten sie Indien, interessierten sich aber nicht für das dortige philosophisch -kulturelle Gedankengut. Die früheste Auseinandersetzung mit der Sprache erfolgte rein auf philosophischer Basis, indem sie sich mit dem Verhältnis von Sprache, Denken und Wirk- 18 1 Anfänge lichkeit beschäftigten (vgl. Schmitter 2000, Beresin 1980). Dabei bildete die Sprache selbst nicht den Gegenstand der Untersuchungen, sondern spielte bei anderen, grundsätzlichen Themen mit wie der Entstehung des Menschen, der Suche nach der Wahrheit oder der Frage, ob die Naturerscheinungen unabhängig von den Benennungen existieren. Die Griechen verstanden zunächst den Menschen und auch die Sprache als gottgegeben. Ein sprachlicher Ausdruck beruhte daher nicht auf Konvention, er wu rde direkt vom Gegenstand bestimmt und war deswegen naturgegeben richtig. Daher führte der Weg zur Erkenntnis des wahren Seins der Dinge über die Wörter. Allerdings hatten die Griechen damals nicht unseren heutigen Wortbegriff, sondern gingen mehr von Namen bzw. Benennungen der Dinge aus. Es wurde zunächst auch nicht zwischen der Vorstellung und dem Namen für ein Ding getrennt, sie galten als Ei nheit. Die frühe Dichtung im 8. und 7. Jhd. v. Chr. weist bereits verschiedene Elemente der Sprachreflexion auf, sie war aber weniger wissenschaftlich als mystisch. Die Vorsokratiker im 7. bis 4. Jhd. v. Chr. dachten kritischer und rationaler. Sie nahmen an, dass Benennungen bereits eine Erkenntnisleistung darstellen und tren nten zwischen Vorstellung und Namen. Benennungen bildeten dabei den Gegenstand ab, waren also nicht beliebig (Heraklit, Parmenides, 500 v. Chr.). Später dann galten auch diese Beziehungen nicht mehr, wenn Benennungen als auf den Gebrauch beruhend, ohne Abbildfunktion, gesehen wurden (Demokrit, * 460 v. Chr.). Die Sophisten beschäftigten sich weiterhin mit dem Verhältnis zwischen Namen und Dingen bzw. mit dem zwischen Sprache, Denken und Wirklichkeit, aber auch mit dem Wahrheitsgehalt von Benennungen und entwickelten die Rhetorik. Sprache war Ausdruck des Denkens, insofern stand auch die Bedeutung der Wörter zur Diskussion. Sie stellten Fragen zum Ursprung der Sprache, die für sie nicht gottgegeben, sondern vom Menschen erfunden war. Prodikos (5./ 4. Jhd. vor Chr.) konzentrierte sich auf die methodische Unterscheidung von Wörtern durch Synonymendifferenzierungen und schuf damit erste systematische semantische Analysen. Protagoras (ca. 485-415 v. Chr.) betrachtete auch grammatische Aspekte, er unterschied als erster drei Genera und beschrieb die vier Modi des griechischen Verbs. Auch Platon (ca. 428/ 427-348/ 347 v. Chr.) war auf der Suche nach der Wahrheit. Er suchte sie ebenfalls zunächst in den Wörtern. Er sah die Namen als Werkzeug des Benennens mit kommunikativ-didaktischer Funktion und wurde so zum Vorreiter des Organonmodells (Kap. 6.3), da er auch die Kommunikation als Rahmen und damit Sender/ innen und Empfänger/ innen in seine Überlegungen einbezog. In seinem Dialog Kratylos ging es um die Wahrheit und um die Richtigkeit der Namen, ob sie nämlich auf natürliche Weise richtig sind. Dazu musste der „wahre“ Sinn eines Wortes in der Ursprungsform gesucht werden - étymos , wahr ‘ , -logía , Wissen ‘ - es entstand die Etymologie als Wissen des Wahren, die Suche nach der ursprünglichen, also „richtigen“ Form. Im Dialog gelingt das nicht durchgängig überzeugend. Eine Beziehung zwischen Lautung und Sache lässt sich nicht herstellen. Platon gelangte zu einem dreiteiligen zeichentheoretischen Modell, wie wir es später bei Ogden/ Richards (1923) wieder finden. Die Verbindung zwischen dem Inhalt und dem Gegenstand war naturgegeben. Aber die Beziehung zwischen Vorstellung und Namen musste konventionell festgelegt sein, was Saussures Zeichenmodell und der Arbitrarität der Beziehung zwischen Form und Inhalt entspricht. Platon stellte damit die naturgegebene Richtigkeit des Namens und auch das Erkennen der Wahrheit mithilfe der Sprache infrage. Er trennte Betrachtungen zur Wahrheit von der Wortbedeutung, allerdings nicht in klaren Worten, da die Namen nun nicht mehr zur Erkenntnis 19 1.3 Griechenland der Dinge herangezogen werden konnten. Vor dem Benennen und unabhängig davon musste es ja bereits das Erkennen der Dinge rein über die Vernunft gegeben haben. Platons Schüler Aristoteles (384-322 v. Chr.) arbeitete Platons Ideen weiter aus. Wörter bildeten die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten als Bestandteile eines Satzes. Dabei unterschied Aristoteles vier Wortarten: Nomen, Verb, Artikel und Konjunktion/ Präposition (Arens 2000). Ein Satz war der Ausdruck eines vollständigen Gedankens. Aristoteles trennte zwischen Form, Inhalt und Gegenstand, wobei er aber ausdrücklich die lautliche der schriftlichen Darstellung gegenüberstellte. Wor tform und Inhalt konstituieren das sprachliche Zeichen. Die Bedeutung eines Namens ergab sich für ihn aus dem jeweiligen Zusammenhang und beruhte auf Übereinkunft. Die Beziehung zwischen dem Wort und der Bedeutung wurde historisch überliefert, während die Ideen zu den Dingen bei allen gleich und damit naturgegeben waren. Zur Beziehung zwischen Form und Gegenstand äußerte er sich nicht (Weidemann 1991: 181). Aristoteles beschäftigte sich u.a. mit Rhetorik und den Prinzipien der Logik. Davon ausgehend trennte er wie vorher schon Platon den Satz bzw. das Wortgefüge (lógos , Aussage ‘ , , Rede ‘, , Wortgefüge ‘ ) im Sinne der Logik in zwei Teile, in Gegenstände und Aussagen dazu. Damit führte er Platons Begriff des Satzes bzw. der Aussage fort. Ónoma (Nomen (im Nominativ)/ Name/ Wort/ Subjekt) und rhēma (Aussage/ Zeitwort/ grammatisches Verb/ Verbgruppe/ Prädikat) entsprechen heute Subjekt und Prädikat - der Ausgangspunkt der Syntax. Für Aristoteles konnte ein Name für sich allein nicht falsch sein, sondern erst, wenn etwas hinzugefügt wurde, also erst im Satz bzw. in einer Aussage. Die Frage nach der Richtigkeit des Namens stellt sich also gar nicht erst. Insgesamt ergab sich auch bei Aristoteles die Beschäftigung mit Sprache wieder nur im Zusammenhang mit anderen Themen und bildete keinen Untersuchungsgegenstand per se. Das philosophische System der Stoiker, 4. Jhd. v. Chr. bis 2. Jhd n. Chr., gründete sich auf Logik, Physik und Ethik. Sie stellten so ethisch-moralische Urteile auf eine wissenschaftliche Basis. Die Beurteilung von richtig und falsch geschieht über die Sprache. Sie war für die Stoiker ein natürliches Mittel, Gedanken und Gefühle ausz udrücken. Damit kamen der Grammatik und der Systematisierung der nominalen und verbalen Formen eine wichtige Rolle zu. Auch die Stoiker trennten zwischen Form, Bedeutung und Gegenstand. Sie kannten die Grundlagen der Phonetik. Sie klassifizierten die Wörter nach fünf Wortarten: Nomen, Namen, Verben, nicht deklinierbare Konjunktionen und deklinierbare Artikel. Sie benutzten den Begriff Kasus für Nomen und führten die Etymologie als analytisch-semantisches Verfahren, Wörter zu interpretieren, weiter. Sätze im Sinne von Äußerungen wiesen eine sprachliche und eine gedankliche Struktur auf, dies war getrennt zu betrachten. Alexander der Große, ein Schüler Aristoteles, hatte in kurzer Zeit viele Länder erobert einschließlich Ägypten und Persischem Reich. Damit konnte sich das Griechische als Regierungssprache schnell verbreiten. Alexander gründete 331 v. Chr. Alexandria an der Westspitze des Nildeltas als griechische Hauptstadt Ägyptens, und hier entwickelte sich bald ein kultureller und wissenschaftlicher Gegenpol zu Athen. Zwei unterschiedliche Grundpositionen zur Darstellung von Sprache bestimmten die damalige Diskussion, die mit den Stoikern begonnen hatte - und deren Existenz im Übrigen nicht hundertprozentig gesichert ist. Bei den formalistischen Analogisten in Alexandrien stand das Sprachsystem im Vordergrund, das für die Regelmäßigkeiten de r Grammatik verantwortlich ist. Sie sahen Harmonie und Symmetrie in der Sprache wie auch in der Natur und wandten sich gegen abweichende Formen in der Flexion . Analogie galt als wichtiges Prinzip der Grammatik. Die philosophisch ausgerichteten 20 1 Anfänge Anomalisten in Griechenland beriefen sich auf den Sprachgebrauch, der zu Unregelmäßigkeiten und Ausnahmen von der Norm führt. Platon und die Stoiker orientierten sich an der Theorie und suchten nach der Wahrheit und dem Ursprung der Dinge etc. Die Gelehrten in Alexandria waren hingegen keine Philosophen, sondern Philologen und praktisch ausgerichtet, denn sie lehrten u.a. Griechisch als Fremdsprache und benötigten für den Unterricht Grammatiken und mithin normative Vo rgaben. Als wichtigste Vertreter gelten Aristophanes (257-180 v. Chr.), Aristarchos (216-144 v. Chr.) und Dionysius Thrax (um 170/ 160-90 v. Chr.). Die alexandrinische Schule, 3. und 2. Jhd. v. Chr., wollte in erster Linie die Texte großer Autoren bewahren und damit auch die (bessere) griechische Sprache. Sie befanden sich im fremdsprachlichen Gebiet. Ihre Arbeiten gingen bei der Beurteilung der Literatur daher nicht rein beschreibend vor, sondern normativ mit moralischen Akzenten. Sie trennten zwischen Lauten und Buchstaben und präzisierten den Wort- und Satzbegriff, ohne aber zunächst näher auf die Grammatik einzugehen. Aus dem Bedürfnis heraus, die griechische Sprache für die Nachwelt korrekt festzuhalten, eine Basis für den Erwerb des Griechischen zu schaffen und um das Verständnis griechischer Literatur bei den Nachbarvölkern sicherzustellen, entstand um 100 v. Chr. das erste umfassende systematische Werk zur griechischen Grammatik auf der Grundlage der Texte verschiedener Dichter und Prosa-Schriftsteller, die Tékhnē grammatik´ē. Sie wird meist Dionysios Thrax zugeschrieben, einem Schüler von Aristarchos und von ihm stark beeinflusst. Die Urheberschaft gilt als umstritten. Ziel der Schrift war die Verbesserung des Umgangs mit poetischen und Prosatexten und das korrekte V orlesen. Sie beinhaltete aber auch kritische Überlegungen dazu, was einen guten und was einen schlechten Text ausmacht. Überhaupt stellte die Beschäftigung mit Texten, ihr Erhalt, ihre Kritik, eine der wichtigsten Aufgaben der alexandrinischen Philologen dar. Darum standen neben den Wortarten und der Morphologie, hier vor allem die Grundlagen der Flexionsparadigmen, grammatische Regularitäten insgesamt und auch die Phonologie für die richtige Aussprache im Mittelpunkt sowie Etymologie und Interpunktion. Thrax bestimmte acht Wortarten, Nomen (dazu auch Adjektiv), Verb, Partizip, Artikel, Pronomen, Präposition, Adverb und Konjunktion, und verschiedene grammatische Kategorien wie Tempus, Kasus und Numerus. Syntax wurde erst später von Apollonius Dyscolus (ca. 100 n. Chr.) näher beschrieben anhand von Beziehungen, die heute unter Rektion und Kongruenz bekannt sind (Seuren 2001: 39). Sein Werk ist das erste ganz erhaltene zur griechischen Grammatik, das überdies auch als solche intendiert war. Neben den wechselnden Positionen zum Zusammenhang von Sprache, Denken und Wirklichkeit entwickelte sich allmählich ein System bei der Analyse von Wörtern. Sie wurden einerseits als sprachliches Zeichen mit den Aspekten Form, Inhalt und Bezug auf den Gegenstand betrachtet, andererseits aber auch als Teil der Rede, also unter grammatischen Gesichtspunkten. Noch stand die Wortartenklassifikation im Vordergrund, Syntax in unserem Sinne gab es lange nicht. Damit verbunden entwickelten sich Logik und Rhetorik. Die Entwicklung entfernte sich immer mehr von einem gottgegebenen Verständnis von Sprache hin zu einem distanzierteren und kritischeren Umgang. Das Studium der Sprache mit dem Ziel, den Sprachunterricht zu verbessern, etablierte sich und bildete einen zweiten Schwerpunkt neben den lang schon anda uernden weltanschaulichen Diskussionen. Langsam trennten sich philosophische Betrachtungen und Sprachanalysen, die aber noch keinen eigenständigen Unters u- 21 1.5 Mittelalter chungsgegenstand bildeten (vgl. Berésin 1980, Blank 2000, Schmitter 2000, Seuren 2001). 1.4 Römisches Reich Der Grieche Krates (200-150 v. Chr.) brachte 169/ 8 v. Chr. die griechische Grammatik nach Rom und initiierte so eine intensive Auseinandersetzung mit sprachlichen Strukturen, die viele Jahrhunderte lang andauerte. Die Konzepte und Begriffe wurden auf das Lateinische übertragen und angepasst. Ein herausragender römischer Gelehrter war Marcus Terentius Varro (116-27 v. Chr.). Er unterschied als erster zwischen Flexion und Derivation, setzte sich ausführlich mit etymologischen Fragen auseinander, berücksichtigte auch eine logisch geprägte Syntax, übertrug mathematische analogische Formeln auf die Sprache und legte damit die Grundlagen des lateinischen Deklinations- und Konjugationssystems. Insgesamt schuf er das wahrscheinlich größte Werk zur lateinischen Grammatik und etablierte gleichzeitig die ars grammatica als eigene Wissenschaft mit den Abteilungen Lautlehre, Formenlehre und Stilistik. Seine Schriften sind jedoch nur zum Teil erhalten. Aelius Donatus (4. Jhd.) schrieb eine ausführliche Grammatik, ars maior, und eine didaktisch gekürzte Version dazu, die nur aus Morphologie bestand, ars minor. Sie diente vielen Schülergenerationen im Grammatikunterricht als Grundlage und lieferte die Termini und Kategorien, wie wir sie noch heute kennen. Priscianus Caesariensis (6. Jhd.) verfasste die wohl umfassendste noch erhaltene Grammatik des Lateinischen, die auch Abschnitte zu Orth ographie, Prosodie und Syntax beinhaltet. Sie galt jahrhundertelang als Standardwerk der Gelehrten und als Aufbauwerk zur ars minor. Rhetorik und Grammatik spielten in Rom eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung, unabdingbar für das korrekte Beherrschen der Sprache und der Dichtung und wichtig für viele Berufszweige. Im Gegensatz zum griechischen elitären Einzelunterricht war das römische Schulsystem eine öffentliche Einrichtung und stand vielen Sch ülern offen. So ließen sich zahlreiche Röm er und vor allem auch die Nachbarvölker erreichen, die die Grundlagen römischer Kultur und Sprache schon im Kindesalter veri nnerlichten. Schulsystem und Inhalte verbreiteten sich nicht nur im damaligen Römischen Reich, sondern auch später im mittelalterlichen Europa und wurden zum Ausgangspunkt für die moderne Grammatikschreibung (vgl. Murphy 2000). Donatus und Priscianus etablierten und systematisierten das Modell der Paradigmen, das Flexionsformen eines Musters auflistet. Insgesamt schufen diese Grammatiker die Basis für die spätere wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Lateinischen (vgl. Taylor 1991, 2000, Jungen/ Lohnstein 2007). 1.5 Mittelalter Im mittelalterlichen Europa stellte Latein die wichtigste Fremdsprache dar, bedingt durch die politische und ökonomische Ausdehnung des Römischen Reiches. Darüber hinaus formierte sie sich immer mehr zur Sprache der Gebildeten und zur Publikationssprache. Die in den alten Texten verwendeten und in den traditionellen Grammatiken beschriebenen Sprachformen und die tatsächlich in Rom und Umgebung g esprochene Variante entwickelten sich allerdings auseinander. 22 1 Anfänge Nach wie vor sind zwei grundlegende Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Sprache zu unterscheiden, theoretische, sprachphilosophische Überlegungen einerseits und praktisch angelegte Betrachtungen von Einzelsprachen andererseits, vor allem eben Latein. Die Grammatikschreibung blieb zunächst unverändert, denn Donatus und Priscianus bildeten jahrhundertelang die Basis für den Unterricht. Allerding kam der Grammatik eine zentrale Rolle im Bildungssystem zu, bedeutete sie doch die Grundlage für das Studium anderer Disziplinen und für das Textverständnis. Ab dem 10. Jahrhundert wurde Aristoteles langsam wiederentdeckt und mit ihm die Logik. In Abkehr zur Schulgrammatik und der formalen Betrachtung von Sprache orientierten sich Reflexionen über (die lateinische) Sprache im Mittelalter semantisch und universalistisch: Die Modisten gingen davon aus, dass die Wahrnehmung der Wirklichkeit bei allen Menschen gleich ist . Die Sprache spiegelt die Wirklichkeit auf bestimmte Art und Weisen (lat. modi) wider. Die Modi des Seins entsprechen denen der Gedanken und denen der Bezeichnungen. Die Eigenschaften eines Dinges finden sich in den Gedanken und Wörtern wieder. Die Modisten bestimmten Wörter über Merkmale und Funktionen, nicht anhand der Form, ebenso die Wortarten und andere grammatische Kategorien wie Numerus, Kasus und Tempus. Die Weisen des Bedeutens, des Ausdrucks (modi significandi) führen zu einer logisch-semantisch geprägten Grundlage der Grammatik. Auch die inhaltlichen und grammatischen Prinzipien sind bei allen Sprachen gleich. Entsprechend arbeiteten die Modisten an einem universa lgrammatischen Konzept. Die philosophischen Grundgedanken des Mittelalters beruhten auf der Scholastik (11.-14. Jhd.), einer am Schulbetrieb (lat. scholasticus ,zur Schule gehörend‘) orientierten Richtung mit klaren, formstrengen, wissenschaftlichen Begriffen, Vorgehensweisen und Argumentationen. Glaube und Tradition bildeten die Basis für philosophische Betrachtungen. Die Scholastiker waren theoretisch-logisch ausgerichtet und stark durch aristotelisches Gedankengut beeinflusst. Im Zeitalter der Renaissance von 1350 bis zum 16. Jahrhundert erfolgte eine „Wiedergeburt“ der Werte der Antike und eine Loslösung aus der „Dunkelheit“ des Mittelalters, in dem die lateinische Sprache immer mehr verfiel, die antike Einheit des Mittelmeerraums von den arabischen Völkern zerstört wurde und die Völkerwa nderung ebenfalls zu politischen und kulturellen Veränderungen führte. Die Kirche als Alleininstanz geistiger Gewalt verlor zusehends an Macht . Traditionelle Formen in Kunst und Literatur wurden nun wieder aufgenommen und weiterentwickelt. Daher rührte auch das starke Interesse an den Schriften der griechischen Philosophen, die vor dem 10. Jahrhundert kaum wahrgenommen worden waren. Wie im alten Gri echenland galten die Würde des Menschen und die Entfaltung der Persönlichkeit als hohe Werte. Der Renaissance-Humanismus forderte die Pflege der griechischen und lateinischen Kultur und Sprache als Antwort auf die politischen Umbrüche in Europa. 1.6 16. -18. Jahrhundert 1.6.1 Sprachreflexion Zum Beginn der Aufklärung gegen Ende des 17. Jahrhunderts begannen die Menschen, sich der Vernunft als Instanz für Erkenntnisprozesse zuzuwenden (Rationali smus). Die Naturwissenschaften gewannen an Gewicht und verdrängten mehr und mehr christlich überlieferte autoritätsbezogene Werte. Naturgesetze wirkten u nab- 23 1.6 16. -18. Jahrhundert hängig von Konfession und Konvention und führten zu Freiheit und Unabhängigkeit des Einzelnen. Mit den Modisten hatte eine auf den Prinzipien der Logik begründete Auseinandersetzung mit Grammatik begonnen, die von der reinen Strukturbeschreibung fort zu semantischen Aspekten führte. So ließ sich ein Nomen nicht mehr aufgrund der Kasusendungen bestimmen, sondern aufgrund seiner Auswirkungen auf Falschheit und Richtigkeit der Aussage bzw. aufgrund der Bedeutung. In Frankreich etablierte sich der Rationalismus mit René Descartes (1596-1650, „ego cogito, ergo sum“) - nicht durch Sinneswahrnehmungen, sondern nur durch rationales Denken gelangen wir zur Erkenntnis. Die Sprache ist Zeichen der Intentionalität, durch die wir uns vom Tier unterscheiden (Coseriu 2003: 184). Descartes arbeitete an der Idee einer Universalsprache, die methodischer und klarer als die existierenden Sprachen das Denken erleichtern würde und mit der sich alle Menschen verständigen könnten. Sie sollte leicht zu lernen sein, keine Unregelmäßigkeiten aufweisen und über eine einfache Grammatik verfügen. In Weiterführung einer logisch begründeten Grammatik entstand die Idee, dass sie eben deswegen universal sei und allen Sprachen zugrunde liegt. Alle Menschen nehmen die Wirklichkeit einheitlich wahr. Gegenstände und Vorstellungen von den Gegenständen sind für alle die gleichen. Grammatische Strukturen sind in den Sprachen prinzipiell ebenfalls gleich, nur die Wörter sind jeweils anders. Denken geschieht unabhängig von Sprache. In diesem Sinne beschrieb die Grammatik von Port-Royal (bei Paris) 1660 die logischen Grundlagen „aller“ Sprachen, es handelte sich im Wesentlichen um Lateinisch, auch Griechisch, Italienisch, Französisch und Hebräisch. Die Grammatik beschäftigte sich mit Wortarten, Syntax und Semantik. Hier finden wir eine Unterscheidung von Substantiv und Adjektiv, von konnotativer und denotativer Bedeutung und, aufbauend auf Erkenntnissen von Franciscus Sanctius (1523-1600), Anklänge an Tiefen- und Oberflächenstrukturen, und zwar einer allgemeinen semantischgedanklichen Ebene und einer formalen der jeweiligen Sprache (Gardt 1999: 210). Damit die Grammatik für alle Sprachen gelten konnte, wurden Wörter und Beziehungen über Bedeutung und Funktion bestimmt. Sie waren universell gültig. Im Gegensatz zu abstrakten Grammatiken mit theoretisch-systematischem Tenor und als Gegenposition zum Rationalismus nahmen in England Francis Bacon (1561- 1626) und John Locke (1632-1704) an, dass unser Wissen viel auf sinnlicher Empfindung beruht, nicht allein auf Vernunft oder angeborenen Ideen. Die Empiristen billigen der Erfahrung viel Raum zu. Hypothesen sollten daher durch Experimente überprüft werden. Ausgangspunkt aller Betrachtung ist die Beobachtung, das heißt Daten . Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) führte Bacons und Lockes Idee, Sprache könne das Denken beeinflussen, weiter aus. Für ihn dient die Sprache nicht nur der Kommunikation, sondern sie strukturiert und beeinflusst unser Denken. E rkenntnis und Denken hängen von der Sprache ab (Gardt 1999: 233f.). Rationalistisch-universalistisches Gedankengut finden wir später bei Noam Chomskys generativer Transformationsgrammatik wieder, der sich ja auch gegen empirisch ausgerichtete Kollegen wie Leonard Bloomfield wandte. 1.6.2 Sprachbeschreibung Die Beschreibungen einzelner Sprachen waren nicht theoretisch-philosophisch, sondern praktisch orientiert. Im 12. Jahrhundert basierte der Grammatikunterricht auf Donatus und Priscianus und einigen Erweiterungen und Kommentaren und befasste 24 1 Anfänge sich mit dem Lateinischen, weniger mit dem Griechischen. Noch war Latein auch Publikationssprache. Die Beschäftigung mit dem Deutschen (vgl. Rössing-Hager 2000) zeigte sich im 15. und 16. Jhd. zunächst nur in Form von Hilfsmitteln für den Unte rricht. Erste deutsch-lateinische Wörterbücher entstanden, Zusammenstellungen deutscher Flexionsparadigmen, aber alles nur, um die Vermittlung des Lateinischen zu erleichtern, seiner Aussprache, Orthographie und Grammatik. Latein blieb auch Gegenstand der Sprachreflexion. Die Grundlagen der lateinischen Grammatik wurden aber mehr und mehr für die Beschreibung des Deutschen verwendet, während gleic hzeitig das Deutsche auch der Vermittlung des Lateinischen diente. Neben den erst einmal nur illustrativen deutschen Flexionsparadigmen kam es nun zu Richtlinien für gutes Deutsch und damit zu Vorschlägen zu Syntax, Aussprache und Überlegungen im Rahmen von Etymologie bzw. Wortforschung. 1534 beschrieb Valentin Ickelsamer (um 1500-1540) relativ systematisch Etymologie, Orthographie, Lautung, Morphologie und Syntax des Deutschen, bezog sich dabei aber noch stark auf das Lateinische. Eine Synonymensammlung erschien 1550 von Jacob Schöpper. Er stellte die Ausdrücke aus verschiedenen Regionen des deutschsprachigen Gebiets zusammen. Die ersten vollständigen Grammatiken des Deutschen wurden im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts auf Latein publiziert (Laurentius Albertus 1573, Albert Ölinger 1573/ 74, Johannes Clajus 1578). Sie richteten sich noch nach dem lateinischen Grammatiksystem aus, insofern musste sich das Deutsche am Lateinischen messen lassen und war notgedrungen weniger „gut“. Diese Grammatiken behandelten neben Flexion und Syntax auch Wortbildung, Etymologie und Orthographie. Im 16. und 17. Jahrhundert fand die deutsche Sprache mehr und mehr Würdigung. Martin Luther (1483-1546) hatte die Bibel ins Deutsche übersetzt und der „Volks“sprache zu einem ganz neuen Stellenwert verholfen, da sie sich als tauglich für die Übersetzung der heiligen Schrift erwies. Sie konnte nun gezielt Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen werden. Justus Georg Schottelius (1612-1676) schrieb 1663 eine sprachpflegerische, normative Grammatik des Deutschen und b ehandelte dabei Wortbildung, Flexion und Syntax (Wortstellung und Kongruenz) sowie Sprachtheorie, Poetik und Rechtschreibung. Johann Christoph Gottsched (1700- 1766) veröffentlichte ab 1748 verschiedene Schriften, in denen er Wortstellung, O rthographie, Etymologie (Wortforschung, Derivation und Flexion, Wortarten), Syntax und Prosodie behandelte. 1754 erschien Carl Friedrich Aichingers (1717-1782) Sprachlehre, deren systematischer Syntaxteil drei Satztypen ansetzt, die auf Reihenfolgebeziehungen von Subjekt, Verb und Objekt beruhen. Johann Christoph Adelung (1732-1806) publizierte ausführliche Arbeiten zu Grammatik und Lexikographie und konzipierte einen verbindlichen Standard, das Hochdeutsche. Die meisten späteren Schulgrammatiken orientieren sich an seinem Werk. In Abkehr zur latein ischen Grammatik setzte Adelung beispielsweise nur vier Kasus für das Deutsche an und zehn Wortarten. 1.6.2.1 Wortarten Die Einteilung der Wörter in Klassen hat eine wechselhafte Geschichte. Formale, inhaltliche und syntaktische Kriterien wurden in unterschiedlichen Gewichtungen bei der Bestimmung der Wortarten herangezogen, was auch immer die Verhältnisse der Bezugssprache widerspiegelte. Platon teilte den Satz in Onoma (Nomen/ Subjekt) und Rhema (Verb/ Prädikat). Das sind nicht Wortklassen, sondern Satzteile. Die Unter- 25 1.7 19. Jahrhundert scheidung war somit zunächst eine syntaktische bzw. logische, da es Syntax noch nicht gab. Aristoteles tat es ihm gleich, gruppierte die Wörter darüber hinaus formal und inhaltlich in Nomen, Verben und die Verbindungswörter, die „nichts bez eichnen“, also Konjunktionen und Artikel. Die Stoiker hatten zunächst vier, dann fünf Wortklassen: Nomen, Namen, Verb, nicht deklinierbare Konjunktion, deklinierbarer Artikel. Danach setzten Dionysius Thrax und Apollonius Dyscolus acht Wortklassen an: Nomen (dazu auch Adjektiv), Verb, Partizip, Artikel, Pronomen, Präpos ition, Adverb, Konjunktion. Die lateinische Grammatik übernahm zunächst diese acht Wortklassen von den Griechen, allerdings ersetzte sie die Artikel durch Interjektionen: Nomen, Verb, Partizip, Pronomen, Präposition, Adverb, Konjunktion, Interjektion. Varro unterschied nur vier Wortklassen aufgrund von Flexion: Nomen, Verb, Partizip, Adverb. Da die Grammatik von Port-Royal allgemeingültig sein sollte, bestimmte sie die Wortarten semantisch (Nomen, Pronomen, Artikel, Partizip, Präposition, Adverb, Verb, Konjunktion, Interjektion). Gottsched hatte dann neun Wortarten (Artikel, Nomen, Pronomen, Verben, Partizipien, Adverbien, Präpositionen, Konjunktionen und Interjektionen). Noch immer bildete das Adjektiv keine eigene Wortart im Gegensatz zum Partizip. Adelung löst sich davon und bezog sich mit seinen zehn Wortarten auf die aktuelle Situation des Deutschen. Er ging wie Gottsched semantisch vor und bestimmte so „Redeteile“. Adelung setzte Wörter für selbständige Substanzen (Hauptwort, Substantiv) an, für Eigenschaften (Eigenschaftswort, Adjektiv) oder für das Verhältnis zwischen zwei selbstständigen Dingen (Präposition). So gewann er die zehn Wortarten Substantiv, Adverb, Präposition, Konjunktion, Verb, Adjektiv, Artikel, Zahlwort, Pronomen und Interjektion. Er verzichtete als erster auf das Partizip und bestimmte das Adjektiv als eigene Kategorie. Mittlerweile wurde allerdings das Zahlwort aufgegeben und stattdessen die Partikel entdeckt. Vergleiche zwischen verschiedenen Grammatiken zeigen, dass die Unterteilung in Wortarten auch heute noch nicht endgültig entschieden ist. 1.7 19. Jahrhundert 1.7.1 Sprachreflexion Eine universalistisch angehauchte, aber doch eher relativistische Position vertrat Wilhelm von Humboldt (1767-1835). Zwar gab es für ihn allgemeine, übereinzelsprachliche Gesetze des Denkens, die grammatischen Phänomenen entsprechen. Gleichzeitig aber konstituiert das Denken die Sprache (Gardt 1999: 235ff.). Da die jeweiligen Sprachteilnehmer/ innen je anders denken, ergeben sich auch verschiedene Weltanschauungen, die sich jeweils anders in den Sprachen spiegeln, unterschiedliche Sprachen, auch hinsichtlich des mentalen Systems, und unterschiedlich ausgebildete Konzepte. Sprachfreies, objektives Denken wiederum gibt es nicht (vgl. sprachliche Relativität, sprachlicher Determinismus, Kapitel 5). Humboldt ging von der Vorstellung von Sprache als Organ bzw. einem systematischen Ganzen aus. Da er zahlreiche Sprachen kannte, arbeitete er sprachvergleichend und darüber hinaus sprachhistorisch. In diesem Zusammenhang entstand die Überzeugung, die in Ansätzen auch bei Locke und Leibniz zu finden war, dass Sprachen 26 1 Anfänge sich verändern können, dass somit nicht jede für sich statisch, sondern Wandelprozessen unterworfen ist. Dabei sind aber die verschiedenen Stadien einer Sprache nicht gleich gut. Sprachen, die Wörter ohne Flexion verwenden, befinden sich in einem ursprünglicheren Stadium, sie sind auch kognitiv einfacher. Wenn sie Endungen en twickeln, erlaubt dies, mehr und komplexere Gedanken auszudrücken. Humboldt stellte in Anlehnung an Schlegel vier Sprachtypen zusammen, wobei die europäischen als flektierende Sprachen die „vollkommensten“ waren, gefolgt von den agglutinierenden (Turksprachen), den inkorporierenden („einverleibenden“, Indianersprachen) und den isolierenden als „unvollkommenstem“ Typ (Chinesisch). Damit arbeitete er mit am Konzept der Sprachtypologie aufgrund morphologischer Kriterien und bereitete die historisch-vergleichende Grammatik vor. 1.7.2 Sprachbeschreibung - historisch-vergleichende Grammatik Missionare verbreiteten das Christentum zusammen mit der lateinischen Sprache und der westlichen Kultur. Sie versuchten sich auch an der Beschreibung fremder Sprachen, die sich aber nicht alle mit den griechisch-lateinischen Grammatikkonzepten erfassen ließen, so dass die Grammatikkenntnisse erweitert werd en mussten. Zusätzlich wurden auch mehr europäische Sprachen beschrieben, was dann zu ersten Überlegungen zur Sprachverwandtschaft führte. Im 18. Jahrhundert begründeten Jacob und Wilhelm Grimm die Germanistik als akademisches Fach. 1808 markiert einen Meilenstein in der Geschichte der deutschen Sprachwissenschaft. Bis dahin war kaum etwas über das Altindische bekannt gewesen. Als Sprac hursprung galt meist das Hebräische. Überhaupt wurde Etymologie bisher eher spekulativ betrieben. Im 16. Jahrhundert verfassten Missionare erste Briefe mit Hinweisen zum Sanskrit und zur Ähnlichkeit zwischen dem Altindischen, Griechischen und Latein. Einige größere Beschreibungen gingen verloren und wurden viel später erst wiederentdeckt. Dann kamen Vermutungen über die Verwandtschaft mit den europäischen Sprachen auf, z.B. von Sir William Jones (1746-1794). Das Interesse hielt sich aber lange Zeit in Grenzen. In Paris, Rom und London gab es Schriften zu Grammatik und Wortschatz, und bedingt durch die koloniale Expansion Englands entstand eine Auseinandersetzung mit dem Sanskrit in Indien selbst, die aber nicht rein wi ssenschaftlich war, da sie sich an den politischen Bedürfnissen der britischen Krone orientierte. Insgesamt hatten sich in Europa Informationen zum Altindischen nur sehr schleppend verbreiten können. 1808 nun veröffentlichte Friedrich Schlegel (1772- 1829) sein Werk über das Sanskrit und die Verwandtschaft mit dem Griechischen, Lateinischen und Persischen und verhalf ihm zu dem wissenschaftlichen Rang, den es heute noch innehat. Er stützte damit die Vermutungen zu den Zusammenhängen zwischen den europäischen Sprachen und stellte ein analytisches System für ihre Beschreibung vor. Aufbauend auf Beobachtungen seines Bruders unterschied August Wilhelm Schlegel (1767-1845) die drei Sprachtypen isolierend, agglutinierend und flektierend und trennte letztere in analytische und synthetische Sprachen. 1816 verglich Franz Bopp (1791-1867) das Konjugationssystem des Sanskrit u.a. mit dem des Griechischen, Lateinischen, Persischen, Slavischen und den germanischen Sprachen. Es folgten Abhandlungen zur gesamten Grammatik, die dann auch weitere europäische Sprachen einbezogen. Er begründete dadurch die Vergleichende Grammatik und prägte außerdem den Begriff der indogermanischen (idg.) Sprachen, der außerhalb des deutschen Sprachraumes später mit indoeuropäisch wiedergegeben 27 1.7 19. Jahrhundert wurde. Bopp stellte als erster systematisch die Formen der wichtigsten idg. Sprachen nach damaligem Kenntnisstand zusammen. 1818 erarbeitete der Däne Rasmus K. Rask (1787-1832) grammatische und lautliche Übereinstimmungen zu den nordischen Sprachen, vor allem dem Isländischen, und berücksichtigte auch andere europäische Sprachen. Insbesondere lautliche Parallelen führten zu einer genealogischen Basis der germanischen Sprachen. So entstand die Vorstellung, eine Sprache könne sich wie ein Organismus entwickeln und stelle das Ergebnis einer evolutionären Entwicklung dar. Diese Entwicklung wollte Jacob Grimm (1785-1863) für die germanischen Sprachen, vor allem das Deutsche, untersuchen. Aufbauend auf dem Gedanken einer idg. Sprachfamilie sowie auf den Daten zu den nordischen Sprachen verglich er die ihm bekannten Sprachen, um Entwic klungen bis zum aktuellen Stand des Deutschen nachzuzeichnen und Zusammenhänge und Parallelen zu suchen. Er behandelte nicht nur allgemeine grammatische Probleme, er konzentrierte sich auch auf die Lautsysteme und entdeckte aufbauend auf Arbeiten von Rask die beiden Lautverschiebungen, zwei systematische Veränderungen in den Konsonantensystemen. Dabei übernahm das Gotische eine wichtige Rolle. Die Erste Lautverschiebung (Germanische Lautverschiebung, Grimm’s Law, Grimmsches Gesetz) führte zu einer systemhaften Veränderung der Verschlusslaute (Plosive) des Indogermanischen. Jacob Grimm rekonstruierte Entsprechungen, vgl.: idg. stimmhafte Plosive b, d, g - germanische stimmlose Plosive p, t, k, vgl. lat. ager, dt. Acker idg. behauchte sth. Plosive bh, dh, gh - g. stimmhafte Plosive b, d, g, vgl. idg. *ghostis, dt. Gast idg. stimmlose Plosive p, t, k - g. stimmlose Frikative f, ϸ , χ, vgl. lat. pater, tres, canis, dt. Vater, engl. three, dt. Hund. Das ϸ ist das stimmlose „th“ im Englischen wie in thorn , Dorn ‘ , daher wird das Schriftzeichen auch thorn genannt, das χ klingt wie unser „ch“ in Dach. Diese Entwicklung trat nur in den germanischen Sprachen auf, die sich so von den übrigen Sprachen der indogermanischen Sprachfamilie abheben. Eindeutige Beispiele lassen sich nicht für alle Entsprechungen finden, weil sich der Lautstand der Sprachen weiterentwickelt hat. Die Zweite Lautverschiebung (hochdeutsche Lautverschiebung) betraf wieder in erster Linie die Plosive und fand in unterschiedlichem Maße im Hochdeutschen statt. Dieser Begriff ist geographisch zu verstehen und umfasst die mittel- und oberdeutschen Dialekte des Deutschen. Der niederdeutsche Sprachraum sowie die restlichen germanischen Sprachen waren nicht betroffen. Durch die Zweite Lautverschiebung hebt sich das Althochdeutsche von allen anderen germanischen Sprachen und auch vom Niederdeutschen ab. g. b, d, g - p (bairisch, alemannisch), t (oberdt.), k (bair.), vgl. engl. day, dt. Tag g. p, t, k - nach Vokal ff, zz, hh (je hochdeutsch), vgl. engl. open, to eat, dt. offen, essen - im Anlaut, nach Konsonant, als Doppelkonsonant pf (oberdt.), tz (hochdt.), kch (bair., alem.), vgl. engl. apple, to, dt. Apfel, zu. Jacob Grimm sah in der älteren Sprachform des Althochdeutschen den besseren Z ustand der Sprache. Um sie der Nachwelt zu erhalten, verfasste er nicht nur ausführli- 28 1 Anfänge che Schriften zur Grammatik des Deutschen und seinen Vorstufen, u.a. die vierbändige Deutsche Grammatik, sondern auch, zusammen mit seinem Bruder Wilhelm, die ersten Bände des noch heute hoch angesehenen deutschen Wörterbuches mit vielen Belegen noch aus dem 15. Jahrhundert und sprachpflegerischer Kritik an Fremdwörtern. Jacob Grimm wollte Grammatik und Wortschatz der deutschen Sprache als Ergebnis eines evolutionären Prozesses beschreiben (Collinge 2001: 1213), aber er suchte nicht nach dem Ursprung der Sprache oder einem gemeinsamen sprachlichen Ausgangspunkt der Sprachen Europas, er rekonstruierte nicht, sondern befasste sich mit dem ihm vorliegenden Datenmaterial. Aber die sprachgeschichtliche Perspektive war ihm für seine gleichzeitig vergleichend angelegten Arbeiten sehr wichtig. Viele unserer heutigen sprachwissenschaftlichen Konzepte und Termini gehen auf Jacob Grimm zurück, beispielsweise die Erste und die Zweite Lautverschiebung, Ablaut, Umlaut in der aktuellen Definition, Rückumlaut, Brechung sowie starke und schwache Flexion. Da mehr und mehr Sprachen anhand immer mehr Sprachmaterial beschrieben wurden, lag es nahe, verwandte Formen und gleichbedeutende Wörter zusammenzustellen und miteinander zu vergleichen. Dabei konnten die Arbeiten immer weiter in die Vergangenheit zurückgehen, so dass sich einerseits Verwandtschaften zwischen Wörtern und Sprachen bemerkbar machten, aber auch der Aufbau der Wörter nach Kern und Endung. Je mehr Daten zur Verfügung standen, desto systematischer traten die Zusammenhänge in Erscheinung. Neben Flexion wurde dann auch die Lautung systematisch betrachtet. Mit den Überlegungen von Jones war Sprachwissenschaft historisch geworden. Die Arbeiten der Schlegels, von Grimm, Bopp und Rask bedeuteten die Grundlagen für eine neue Richtung in der Beschäftigung mit Sprachen, der historisch vergleichenden Sprachwissenschaft. Einige wichtige Werke Platon (? ). Kratylos. Dionysios Thrax (1. Jhd. v. Chr.). Tékhnē grammatik´ē. Marcus Terentius Varro (116-27 v. Chr.). De Lingua Latina. Aelius Donatus (4. Jhd.). Ars grammatica (1. ars minor, 2. ars maior). Priscianus Caesariensis (6. Jhd.). Institutiones Grammaticae. Arnauld, Antoine, Lancelot, Claude 1660. Grammaire générale et raisonée. Paris (Grammatik von Port-Royal). Adelung, Johann Christoph 1781. Deutsche Sprachlehre. Zum Gebrauch der Schulen in den Königlich Preuß. Landen. Berlin. Schlegel, Friedrich 1808. Über die Sprache und Weisheit der Indier. Köln. Bopp, Franz 1816. Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache. Frankfurt/ M. Grimm, Jacob 1819-1837. Deutsche Grammatik. 4 Bde. Göttingen. Grimm, Jacob, Grimm, Wilhelm 1854ff., Deutsches Wörterbuch. Leipzig. 29 1.7 19. Jahrhundert Zum Weiterlesen Zur Entwicklung auch außerhalb Deutschlands vgl. Seuren (2001), Jungen/ Lohnstein (2007). Zur Sprachwissenschaft in Osteuropa vgl. Berésin (1980). Mehr zu sprachphilosophischen Betrachtungen vgl. u.a. Gardt (1999) oder Coseriu (2003), stellvertretend für viele der Sprachphilosophie gewidmete Werke auch jüngeren Datums, vgl. außerdem Collinge (2001). Zur Wortartenproblematik vgl. den Überblick in Knobloch/ Schaeder (2000). 2 Stammbaumtheorie und Junggrammatiker Während bisher die Vorstellung, Sprache sei ein Organismus, noch metaphorischanalogisch gemeint war und sich zunächst auf Flexionssysteme, dann auf regelhafte historische Lautveränderungen bezog, nahm August Schleicher (1821-1868) das etwas wörtlicher. Für ihn gehörte die Sprachwissenschaft zu den Naturwissenschaften. Und weil die Sprache biologisch gesehen wurde, lag es nahe, den Ursprung zu suchen, eine gemeinsame Ursprache. Die Verwandtschaft war aufgrund der vergleichenden Vorarbeiten von Rask, Bopp und Grimm bereits klar. Aber Vorstufen zurückzuberechnen und den Laut- und Formenstand dieser fiktiven Sprache zu rekonstruieren, dies alles auf einem wissenschaftlich-methodischen Fundament, war neu. Aus der Organismusvorstellung ergab sich darüber hinaus auch, die Sprachtypen von Hu mboldt und den Schlegels als evolutionäre Etappen in der Geschichte einer Sprache zu verstehen: Vor dem rekonstruierten Stand war das Idg. einstmals isolierend , dann agglutinierend gewesen. Das Idg. selbst galt als flektierend in Reinform. Dann jedoch griffen die Lautgesetze und führten zu Veränderungen, die gleichzeitig „Verfall“ bedeuteten. In eben diesem Zusammenhang ist auch Schleichers Stammbau mtheorie zu sehen, bei der der Stammbaum wie in der Biologie die Entwicklungsstufen und Verwandtschaftsgrade der indogermanischen Sprachfamilie bildlich wiedergibt. 2.1 Die historisch-vergleichende Methode Wie wird historisch-vergleichend gearbeitet? Grundsätzlich lassen sich Wörter und Phrasen aus verschiedenen Sprachen vergleichen, um Parallelen in der Lautung und in der Flexion zu finden. Den Lautstand anhand von einzelnen Wörtern zu untersuchen, ist aber erst einmal einfacher. Wenn es viele und systematische Parallelen gibt, weist dies auf Verwandtschaft hin. Gegenseitige Einflüsse aufgrund von Sprachkontakt sind dann weniger wahrscheinlich. Wörter können nicht nur inhaltlich, sondern auch aufgrund lautlicher Ähnlichkeiten zusammengestellt werden, auch wieder sprachvergleichend. Zunächst werden die gleichen Begriffe aus verschiedenen Sprachen gesucht und verglichen, das waren zunächst meistens Zahlen, Verwandtschaftsbezeichnungen oder Personalpronomen (Collinge 2001: 1215, vgl. im Folgenden Bynon 2001). Dabei gilt die Annahme, dass Laute bzw. lautliche Eigenschaften, die allen oder den meisten gemeinsam sind, den Lautstand einer früheren gemeinsamen Stufe wiedergeben, in Abb. 1 also -st-. Dann mussten die Regeln, die zu lautlichen Unterschieden führten, erkannt werden. Für jede Gruppe war eine gemeinsame Ausgangsform zu rekonstruieren, aus der die Wörter anhand der Lautregeln abgeleitet werden konnten. Dab ei wurden zunächst die Regeln rückwärts zu der je früheren Form zurückgenommen. Es waren also zunächst diese Lautregeln für die jeweiligen Sprachen zu b estimmen. Führte dann die Rekonstruktion aller Mitglieder einer Gruppe zur gleichen Ausgangsform, waren die Gesetze richtig erkannt. 32 2 Stammbaumtheorie und Junggrammatiker Urform: *esti , er ist ‘ Regeln: e > a -i > ø e > i -i > ø Wörter: asti esti est ist is Sprache: Sanskrit Griechisch Latein Gothisch Englisch Abb. 1: Rekonstruktion von urindogermanisch *esti (nach Bynon 2001: 1226) Abb. 1 gibt die Rekonstruktion von uridg. *esti , er ist ‘ schematisch wieder. Die Formen aus verschiedenen Sprachen liegen vor, die Lautregeln wurden anhand von anderen vergleichenden Studien formuliert. Dass sie in diesem Fall zu einer gemeinsamen Ursprungsform führen, dient mit als Hinweis darauf, dass die Regeln korrekt aufgestellt sind. Es lässt sich kaum erahnen, welche Auswirkungen die Entdeckung einer neuen Sprache wie das Sanskrit auf solch einen rekonstruierten Sprachstand hatte. Viele Hypothesen konnten bestätigt, aber einige auch widerlegt werden. Hinzu kamen neue Zweifelsfälle. Mit jeder neuen Datenlage mussten die Ergebnisse überarbeitet werden. Übungsaufgabe: Wie ermittle ich ein Lautgesetz (1)? Um ein Lautgesetz zu ermitteln, stellen wir Wörter verschiedener Sprachen (Dialekte) mit analoger Lautung und Bedeutung zusammen. Vergleichen Sie zunächst ein lateinisches Paradigma (Flexionsschema) und ein griechisches, als Beispiel dient das Wort für Familie, Geschlecht: Dann nehmen Sie die Entsprechungen im Sanskrit hinzu lateinisch genus, generis, genere, genera, generum etc. griechisch génos, géneos, géneï, génea, genéōn etc. Sanskrit jánas, jánasas, jánasi, jánassu, jánasām etc Lösung: Hier fallen durchaus regelmäßige Ähnlichkeiten auf, aber auch Unterschiede. Das Lateinische hat im Vergleich zum Griechischen mehr r. Sanskrit repräsentiert den ursprünglicheren Lautstand. Dann können wir aus den drei Gruppen schließen, dass ein altes s in den griechischen Formen verloren gegangen ist, wenn es zwischen zwei Vokalen stand, denn am Wortende wie bei génos, géneos blieb es erhalten. Im Lateinischen entspricht es jedoch einem r, wenn es zwischen Vokalen stand, denn schließlich hat generis noch das s am Wortende (vgl. Saussure 1984: 15 mit Anpassung der Schreibung des Sanskrit). Um diese Vermutungen abzusichern, benötigen wir natürlich noch wesentlich mehr Daten. -t > ø 33 2.1 Die historisch-vergleichende Methode Übungsaufgabe: Wie ermittle ich ein Lautgesetz(2)? Nehmen wir nun für ein weiteres Beispiel modernes Material. Vergleichen Sie englisch to sleep, to eat, better, to make, to wake niederländisch slapen, eten, beter, maken, waken niederdeutsch sleepen, eten, beter, maken, waken standarddeutsch schlafen, essen, besser, machen, wachen. Lösung: Hieraus lässt sich zunächst eine Gruppierung vornehmen, die das Englische, Niederländische und Niederdeutsche dem Standarddeutschen gegenüberstellt. Jetzt konzentrieren wir uns auf die Konsonanten, und es kann zusammengefasst werden, dass die erste Gruppe ein p hat, wo das Standarddeutsche ein f hat, einem t entspricht s, einem k ein ch. Zur Vereinfachung ignorieren wir Doppelschreibung. Ebenfalls außer Acht lassen wir die Tatsache, dass die Schrift die Lautung lediglich vertritt. Dies auseinanderzuhalten war ein erhebliches Problem der historisch-vergleichenden Grammatik. Da wir wissen, dass der betroffene Lautstand des Standarddeutschen jünger als der der anderen Sprachen ist, können wir nun die Regel formulieren, dass dem p, t, k im Standarddeutschen f, s, ch entsprechen. Dies ist nun eine vorläufige Hypothese, schließlich gibt es auch: englisch ten, toe, tongue niederländisch Tien, Teen, Tong niederdeutsch teihn, Tohn, Tung standarddeutsch zehn, Zehe, Zunge. Das heißt, die Hypothese ist zu relativieren. Ein Gesetz muss aber für einen Laut generell oder in einer bestimmten Umgebung stets gelten. Entsprechend ist das gesamte Datenmaterial zu überprüfen. Letztendlich bilden diese Überlegungen einen kleinen Schritt bei der Ermittlung der Zweiten Lautverschiebung. Bei der Suche nach Lautgesetzen sind auch die Möglichkeiten von Übernahmen durch Sprachkontakt zu bedenken oder Veränderungen aufgrund von Assimilationen und Analogien, damit sichergestellt ist, dass die lautlichen Unterschiede der betrachteten Wörter auch tatsächlich auf einem Lautgesetz beruhen. Außerdem kann Bedeutung swandel die Zuordnung alter zu neuen Formen erschweren. Weitere Hinweise li efern Dokumente, geschichtliche Belege oder archäologische Zeugnisse, die zu Rekonstruktionen und Lautgesetzen passen müssen. Wenn wir die Zeit des Lautwandels kennen, können wir den relativen Zeitpunkt der Übernahme von Lehnwörtern bestimmen. Ohne Durchführung des Lautwandels wurden sie später, mit Durchführung des Lautwandels früher entlehnt. Lateinisch piper und planta sind im Deutschen Pfeffer und Pflanze, sie haben die Zweite Lautverschiebung mitgemacht und kamen früher ins Deutsche als z.B. positio, predica / Position, Predigt. Aufgrund der Tatsache, dass dies Lehnwörter sind, können sie unsere Hypothesen zum Lautgesetz im Übrigen nicht widerlegen. 34 2 Stammbaumtheorie und Junggrammatiker Übungsaufgabe: Wie funktioniert die Rekonstruktion? Um eine Form zu rekonstruieren, stellen wir als erstes gleiche Lexeme aus verschiedenen Sprachen zusammen. Dann wenden wir die Regeln rückwärts an. Das heißt, wir gehen von der neueren Form aus und nehmen das Ergebnis der Regelanwendung zurück. Nehmen Sie wieder die Wörter für Familie: lateinisch generis (Genitiv Singular von genus) griechisch génous (Genitiv Singular von génos) Sanskrit jánasas (Genitiv Singular von jánas). Sie haben folgende Regeln, die dem Wissenstand von Schleicher entsprechen. Die ersten beiden kennen Sie bereits in einer vorläufigen Fassung. Ein s zwischen Vokalen im Uridg. wurde im Lateinischen zu r. Ein s zwischen Vokalen im Uridg. ging im Griechischen verloren. Ein s zwischen Vokalen im Uridg. blieb im Sanskrit erhalten. Das Sanskrit bewahrte in diesem Fall außerdem den Stand der Vok ale. Wie sah die Form im Idg. aus? Lösung: Sie ersetzen generis durch genesis und génous durch génosus, dann haben sie die Konsonanten. Jetzt nehmen sie die Vokale der Sanskritform und erhalten *ganasas. Dies ist die Form, die Schleicher rekonstruierte (vgl. Bynon 2001: 1227). Voraussetzung für die Rekonstruktion ist natürlich, dass die ererbten Formen regelgeleiteten Lautveränderungen unterworfen waren und dass diese Regeln auch immer griffen. Schleicher fand genügend Beispiele, die sich nach seiner Methode nicht einordnen ließen, er erlaubte auch Ausnahmen, wenn er keine lautlichen Erklärungen fand. Außerdem erkannte er Analogie als wichtiges Prinzip neben dem Wirken der Lautgesetze an. Da die Datenlage zu Schleichers Zeiten noch nicht so dicht war wie 50 Jahre später und weil Schleicher besondere Lautumgebungen, in denen die Gese tze unterschiedlich wirkten, noch nicht spezifizierte, wurden einige für ihn unerklärliche Zusammenhänge als Ausnahmen interpretiert. Erst später gelangen Verner, Graßmann und Brugmann sicherere Rekonstruktionen. Noch der historisch-vergleichenden Grammatik verschrieben, aber bereits sehr naturwissenschaftlich spielt August Schleicher eine Vorreiterrolle für die junggrammatische Schule. Er arbeitete mit streng wirkenden Lautgesetzen, postulierte aber noch nicht explizit die Ausnahmslosigkeit (Bynon 2001: 1227, Einhauser 2001: 1343). Er übernahm den Begriff der Morphologie als Lehre von den Gestalten, Formen und Organisationsprinzipien aus der Biologie. Er klassifizierte die Sprachen anhand morphologischer Kriterien und setzte drei Typen an, die seiner Meinung auch der Sprachentwicklung entsprechen, (einfache) isolierende, etwas komplexere agglutinierende und schließlich flektierende Sprachen. Zu seiner naturwissenschaftlich geprägten biologischen Auffassung gehörte es, dass sich Sprache von sich aus entwickelt, da sie ein eigenes naturbedingtes System darstellt. Sie unterliegt nicht dem Willen der Sprecher/ innen - das forderte natürlich Kritik heraus. Von daher lag es nahe, evolutionsbiologisches Gedanken - 35 2.1 Die historisch-vergleichende Methode gut zu übernehmen und einen genetischen Stammbaum (vgl. Abb. 2) mit einem gemeinsamen Ursprung für die Sprachen Europas anzusetzen und die Ursprache zu ermitteln. Schleicher glaubte nicht an das Sanskrit als Vorläufer der modernen Sprachen. Er rekonstruierte die Ausgangsformen und ordnete sie der indogermanischen Ursprache zu, die sich zunächst weiter aufteilte in eine slawodeutsche und eine ariogräcoitalokeltische Grundsprache, damals bedeutete deutsch auch oft allgemein germanisch. Von ihnen entwickelten sich zu unterschiedlichen Zeiten Zweige fort. Abb. 2: Stammbaum der indogermanischen Sprachen nach August Schleicher (Schleicher 1861: 7) Die ursprüngliche Version des Stammbaumes gilt als überholt, da mittlerweile weitere, auch untergegangene Mitglieder der indogermanischen Sprachfamilie wie das Tocharische entdeckt und die Verwandtschaftsverhältnisse der aktuellen Datenl age angepasst wurden. Außerdem entwickelte Schleichers Schüler Johannes Schmidt (1843-1901) in kritischer Auseinandersetzung die Wellentheorie, vgl. den Ausschnitt aus einem frühen Wellenmodell in Abbildung 3. Abb. 3: Ausschnitt aus einem Wellenmodell Denn Schleichers Modell bietet gegenseitigen Einflüssen der Schwestersprachen keinen Raum, hier hingegen können verschiedene Sprachen Merkmale gemeinsam ha- Keltisch Italisch Griechisch 36 2 Stammbaumtheorie und Junggrammatiker ben. Die Linien in Abbildung 3 heißen auch Isoglossen, sie markieren Grenzverläufe. Schmidt betont allmähliche Veränderungen und auch Überlagerungen, deren Effekte mit der Zeit weniger werden. Wie bei einem Stein, der ins Wasser geworfen wird und der im Zentrum die stärksten Wellen schlägt, die in weiteren Kreisen immer schwächer werden und dann auch mit Wellen von anderen Steinen überlappen, so beei nflussen sich benachbarte Sprachen in angrenzenden Gebieten, im Zentrum kommt es jedoch nicht zu Veränderungen. Beide Konzepte ergänzen sich im Endeffekt gegenseitig. 2.2 Die Junggrammatiker Die Junggrammatiker (Leipziger Schule) verdanken ihren Namen ihren Kritikern, die damit auf das junge Alter der Wissenschaftler anspielten. Sie schlossen sich in den 70er Jahren des neunzehnten Jahrhunderts in Leipzig zusammen, um die Lautgesetze in naturwissenschaftlich-strenger Manier zu erforschen, denn die wissenschaftlichen Arbeiten fielen damals nicht unbedingt sehr konsequent und genau aus. Hier ist z unächst ein Schüler von Schleicher zu nennen, August Leskien (1840-1916), der 1876 von ausnahmslos wirkenden Lautgesetzen sprach. Sie sollten zunächst die bisher eher spekulativen Etymologien abbremsen. Leskien war der Lehrer der nächsten Generation, den eigentlichen Junggrammatikern Wilhelm Braune (1850-1926), Karl Brugmann (1849-1919), Berthold Delbrück (1842-1922), Hermann Osthoff (1847- 1909), Eduard Sievers (1850-1936) und vor allem Hermann Paul (1845-1921). Sie hielten nicht viel von der Rekonstruktion einer Ursprache, sondern favorisierten stattdessen den aktuellen Sprachstand, das Sprechen des Menschen, und wollten nur dokumentierte oder beobachtbare Daten akzeptieren (Positivismus - positive Fakten und Tatsachen statt Spekulationen, Betonung der Einzelfakten). Dies war auch als Kritik an Schleicher gemeint. Die Lautgesetze wirken nach Osthoff und Brugmann mechanisch und ohne Ausnahmen, ähnlich wie physikalische Gesetze. Paul relativierte das später, er fasste den Begriff des Gesetzes mehr als Regelmäßigkeit auf. Ließ sich eine Veränderung im Lautstand nicht durch ein Gesetz erklären, wurde das Wirken von Analogie postuliert. Sie galt als das zweite wichtige Leitprinzip in der damaligen sprachwissenschaftlichen Forschung. Inwiefern die Junggrammatiker tatsächlich ein so völlig neues Forschungsprogramm aufstellten, wie sie von sich behaupteten, ist umstritten. Ihre zwei elementaren Thesen, die Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze und die wichtige Rolle der Analogie, finden sich in schwächerer Form bereits bei Schleicher, deutlicher noch bei Wilhelm Scherer (1841-1886). Daher waren sie auch Leskien bekannt. Wie ihre Vorgänger konzentrierten sich die Junggrammatiker auf die Beschreibung der sprac hlichen Form, auf Lautung und Flexion. Syntax und Wortbildung bearbeiteten sie weniger intensiv. Andere Forderungen ergaben sich aus der Kritik an der älteren Fo rschergeneration, vor allem an Schleicher. Statt alte Sprachzustände zu betrachten , sollte sich die Sprachwissenschaft mehr den Sprecher/ innen und der Gegenwart widmen, zumindest theoretisch, denn auch die junggrammatische Schule war sprachg eschichtlich ausgerichtet. Für die Junggrammatiker ging Sprachwandel vom Individuum aus, sie suchten die Gründe für Veränderungen direkt b eim Sprecher / bei der Sprecherin bzw. beim Sprechen. Damit arbeiteten sie nicht mehr rein deskriptiv, sondern suchten nach Erklärungen. Außerdem differenzierten sie explizit Lautung und Schreibung, die diese nur schlecht repräsentiert. Sprache war nicht a ls Organismus, 37 2.2 Die Junggrammatiker als vom Menschen getrennter Gegenstand zu betrachten, sondern als psychophysische Tätigkeit. Ausgangspunkt für alle Forschungen sollte der aktuelle Sprachstand sein, von da aus konnte die Entwicklung zurückverfolgt werden, wobei aber eine Ursprache nicht das Ziel darstellte, ihre Rekonstruktion war uninteressant. Außerdem lehnten die Junggrammatiker wie auch Scherer die Vorstellung von Sprachverfall ab. Die Unterscheidung von Sprechen und Sprache lieferte dann die Vorlage zu Saussures Parole-Langue-Distinktion. Die Vertreter der junggrammatischen Richtung waren äußerst produktiv. Sie bereiteten die teilweise neu entdeckten Sprachdaten methodisch konsequent auf und stellten neue Zusammenhänge fest, wobei ihre Arbeiten international diskutiert wurden. Sie initiierten Zeitschriften und verfassten zahllose Abhandlungen, Handbücher, Grammatiken und Artikel über alle damals bekannten indogermanischen Sprachen, die sich mit Lautung und Flexion, einige auch mit Syntax beschäftigten. Sie wurden vielfach aufgelegt und werden teils noch heute rezipiert. Leipzig entwickelte sich zu einem international wichtigen Zentrum für die Sprachwissenschaft. Hier studierten vorübergehend dann auch spätere Größen wie Bloomfield, Trubetzkoy, Baudoin de Courtenay, Saussure oder Tesnière. Allerdings arbeitete die junggrammatische Schule noch rein historisch-vergleichend, was den Ansatzpunkt zu Kritik durch einige ihrer ursprünglichen Anhänger, vor allem Courtenay und Saussure, bildete. Weiter wurden ihnen vor allem die Überbetonung des Wirkens der Lautgesetze vorgeworfen sowie die Analogie als einzige Alternative, wann immer ein Lautgesetz nicht als Erklärung einer Veränderung dienen konnte. Andere Einflussmöglichkeiten auf lautlichen Wandel wie Sprachkontakt ignorierten sie gern. Auch ihr Fokus auf formalen Aspekten der Sprache gilt als häufiger Kritikpunkt und damit einhergehend die Vernachlässigung sozialer Aspekte und der Dialekte, was zu starken Vereinfachungen führte. 2.2.1 Prinzipien der Sprachgeschichte Hermann Pauls Principien der Sprachgeschichte, erstmals erschienen 1880, gilt vielen als das wichtigste Werk der Junggrammatiker, da dort Programm und Leitmotive ausführlich dargelegt sind. Insgesamt fünf Auflagen erfuhr dieses Werk, in denen Paul auch auf seine Kritiker einging. Im Folgenden wird die 5. Auflage von 1937 zugrunde gelegt. Die Darstellung ist bewusst ausführlich, um zu zeigen, dass die junggrammatische Konzeption vertreten durch Paul wesentlich mehr zu bieten hat als Ausnahmsl osigkeit der Lautgesetze und Analogie. Bereits in seiner Einleitung bestimmte Hermann Paul die Sprachwissenschaft als Kulturwissenschaft, nicht als Naturwissenschaft, weil hier psychische Elemente wirken und der menschliche Geist eine große Rolle spielt. Deswegen nahm auch die Psychologie in diesem Werk eine wichtige Position ein, und er setzte sich mit dem Thema Völkerpsychologie auseinander, zu der er sich allerdings eher ablehnend verhielt. Seiner Meinung nach bildet das Individuum den Ausgangspunkt für Tätigkeiten und Prozesse wie auch für Sprachwandel. Zwar können mehrere das gleiche tun, einen übergreifenden Volksgeist anzusetzen ist aber lediglich eine Abstraktion. Darum gibt es nur eine Individualpsychologie. Die Wissenschaft hat die einzelnen Faktoren zu ermitteln, die in den zu betrachtenden Erscheinungen wirken. Für die Sprac hwissenschaft heißt das, Vorstellungsinhalte in ihrem Verhältnis zu Lautgruppen zu erforschen. Die Sprache stellt dabei einen relativ einfachen Untersuchungsgegenstand dar, weil sprachliche Vorgänge gleichmäßig und jeweils gleich in den verschiedenen 38 2 Stammbaumtheorie und Junggrammatiker Individuen ablaufen. Für Paul waren die Prozesse einfach. Besonderheiten entstehen erst in ihrer unterschiedlichen Kombination. Eine große Rolle spielte für Hermann Paul seine These, Sprachwissenschaft sei gleich Sprachgeschichte. Da nicht bloß Fakten zu konstatieren sind, sondern Zusa mmenhänge, die jeweils einen Endpunkt von einer Entwicklung darstellen, ist eine nicht-geschichtliche Betrachtung unmöglich bzw. unwissenschaftlich. Auch eine vergleichende Betrachtung hat immer ein historisches Moment. Paul kritisierte im folgenden Kapitel, dass es nicht ausreicht, bei einem Sprachvergleich lediglich verschiedene Grammatiken nebeneinander zu stellen, also den Vergleich zu betonen, ohne Verwandtschaft oder Zusammenhänge zu suchen. Darauf aufbauend ging er auf Aufgaben und Ziele seiner Schrift ein. Paul betonte, wie zentral die Äußerungen der Sprechtätigkeit aller Individuen sind. Denn nur auf ihnen beruht Wandel und letz tendlich auch der Sprachusus - das Sprechen einzelner steht dem Durchschnitt, der Abstraktion, von ihm Sprachusus genannt, gegenüber. Äußerst aufschlussreich ist die Beschreibung der Verknüpfungen von Vorstellungen im Individuum, die den aktuellen Netzwerkgedanken vorweg nehmen. Selten genutzte Assoziationen schwächen sich ab, während Wiederholung stärkt. Ähnlichkeiten aufgrund von Klang und/ oder Bedeutung führen zu Assoziationsgruppen. So schließen sich die verschiedenen Kasus eines Nomens zu einer Gruppe zusammen, auch alle Adjektive, alle Ableitungen mit gleichen Suffixen, alle Wörter gleicher Fl exionsweise etc. Assoziationsgruppen überlappen sich und zergliedern sich weiter. Dies erfolgt bei jedem Individuum etwas anders und in steter Veränderung. Das führt zu relativer Stabilität mit gleichzeitiger Dynamik, denn auch im Alter kann sich das Sprachwissen des Einzelnen noch ändern. Gleichzeitig bedeutet das, dass es einer Abstraktion gleichkommt, von der Sprache eines Individuums zu sprechen. Sie bildet keine konkreten Gegenstand, außer, es sind tatsächlich die Vorstellungsgruppen in ihren mehrfach verschlungenen Beziehungen gemeint (Paul 1937: 39). Diese so beschriebenen „psychischen Organismen“ nun sind die Träger des Sprachwandels. Deswegen bilden sie auch den Untersuchungsgegenstand. Der Usus hingegen ergibt sich lediglich indirekt aus ihnen und ist sekundär. Weil das Unbewusste selbst nicht zu beobachten ist, sondern nur die Auswirkungen, also das Sprechen, erlangen die Laute bzw. die Bewegungen der Sprechorgane Relevanz. Die Erkenntnisse, gewonnen an aktuell sprechenden Individuen, können anschließend auf Dokumente, auf Schrift bzw. tote Sprachen übertragen werden. Hier suchte Paul nach artikulatorisch bedingtem Lautwandel und seinen Reflexen in der Schrift, die, wie er mehrfach und in einem eigenen Kapitel betonte, die Lautung sowieso nur ungenügend wiedergibt. Deswegen müssen Rückschlüsse von der eigenen Sprache gut durchdacht sein. Dies meinte er generell bezogen auch auf die verschiedenen grammatischen Ebenen. Es wird klar, dass der Ausgangspunkt jeglicher Sprachforschung der Mens ch als sprechendes Wesen ist. Er ist konkret und beobachtbar, und nur er stellt die Grundlage für geschichtliche Forschungen zur Verfügung. Alles andere sind fehleranfällige Ab straktionen. Paul verwies auf die Relativität unserer grammatischen Kategorien, die die Assoziationsgruppen nur inadäquat wiedergeben und die deswegen auch nicht direkt auf andere Sprachen oder Sprachstufen übertragen werden dürfen. „Selbst wenn man sich im Kreise des Indogermanischen hält, erzeugt die Anwendung der gleichen grammatischen Schablone viele Verkehrtheiten“ (Paul 1937: 31). Wenn nun die Etappen einer Sprache beschrieben sind, also mehrere Zustände, können sie verglichen und die Gründe für Veränderung ermittelt werden. Veränd erung des Usus beruht stets auf der gewöhnlichen Sprechtätigkeit eines Menschen. Die 39 2.2 Die Junggrammatiker Sprechtätigkeit schwankt innerhalb eines Rahmens, unbewusst und nicht zielgeric htet. Veränderungen gehen von solchen Schwankungen des Einzelnen aus. Wenn sie bei mehreren ähnlich verlaufen, können sie zu einem Wandel im Sprachusus führen. Das Verhältnis zwischen Individuum und Usus ist ein wesentlicher Untersuchungsgenstand der Principien. Da Sprache hinsichtlich Lautung und Bedeutung zu betrachten ist, ging Paul zunächst sehr ausführlich auf den Lautwandel ein. Er resultiert aus der Variabilität der Aussprache, wenn eine neue Variante von vielen übernommen und dann zum Usus wird. Ursache sind häufig artikulatorische Vereinfachungen wie bei der Assimilation. Paul definierte dazu den Begriff Gesetz. Er ist nicht wie in der Physik aufzufassen als etwas, was immer wieder eintreten muss, sondern bezieht sich auf Gleichmäßigkeit (Paul 1937: 68). Wieder gehen Veränderungen von Schwankungen aus. Sie müssen bei mehreren Menschen und schließlich bei einer Gruppe erfolgen. Paul besprach gruppendynamische Zwänge und soziolinguistische Faktoren des Sprachwandels und mögliche Bedingungen für die Verbreitung von lautlichen Verä nderungen. Lautwandel beruht auf wiederholtem Lautwechsel. Aber nur, wenn die Folgegeneration die Veränderung übernimmt, haben wir es mit einem Lautwandel zu tun. Wenn der Lautwandel nun konsequent in einem geschichtlichen Abschnitt durchgeführt ist, etwa immer für einen bestimmten Laut oder immer für einen Laut in einer bestimmten Umgebung, können wir von einem Lautgesetz sprechen. Erst später postulierte Hermann Paul die Ausnahmslosigkeit. „Für den Lautwandel allerdings muss man verlangen, dass er überall, wo die gleichen lautlichen Bedingungen vorhanden sind, gleichmäßig eintritt“ (Paul 1937: 203). Da Lautwandel nicht auf morphologische Strukturen Rücksicht nimmt, zerstört er häufig Symmetrien der Flexionssysteme oder erschwert das Erkennen von Wortbildungszusammenhängen, vgl. können/ Kunst, sehen/ Gesicht, tragen/ Getreide, siechen/ Seuche/ Sucht. Kurz, er kann Unregelmäßigkeiten erzeugen. Im Gegensatz dazu existieren beim Bedeutungswandel zwar alte und neue Varianten zunächst nebeneinander, der Verlust des Alten aber ist nicht notwendig. Auch der Bedeutungswandel erklärt sich aus einer gelegentlich anderen, also okkasionellen Verwendung Einzelner heraus, die häufiger und für viele gilt und dann usuell wird. Daneben gibt es auch bewusste terminologische Neuerungen, bei Fachsprachen etwa. Paul trennte u.a. zwischen Verengung, Erweiterung, Übertragung, Verbesserung und Verschlechterung von Bedeutungen. Dem Thema Analogie ist ein eigenes Kapitel gewidmet, sie spielt eine herausragende Rolle in Pauls Konzeption. Ausgangspunkt ist die bereits geschilderte Gruppierung der Vorstellungen. Aber auch Wörter formieren sich zu Gruppen oder zu analogen Proportionen wie Tag : Tages : Tage = Arm : Armes : Arme. Solche Gruppen auf Grundlage formaler und semantischer Gemeinsamkeiten bilden eine Proportionsgleichung. Gibt es viele Möglichkeiten analoger Proportionen, ist die Gleichung stark und zieht weitere Mitglieder an. Die Gleichungen ergeben sich zum Teil als Reprodukti onen geläufiger Wörter. Wenn aber ein Proportionsbegriff frei, das heißt analog zu Wörtern aus der Gleichung geschaffen wird, handelt es sich um eine Analogiebildung. Wenn wir etwa kochen : kochte : gekocht = wohnen : wohnte : gewohnt = decken : deckte : gedeckt kennen und ein neues Wort wie englisch mailen flektieren wollen, tun wir dies anhand der äußerst starken Gruppe der schwachen Verben analogisch: kochen : kochte : gekocht = mailen : mailte : gemailt. Die Analogie ist die Basis für Flexion, Wortbildung und Syntax, für den Spracherwerb überhaupt, da auf Grundlage solcher Muster neue Formen möglich sind. Mehre- 40 2 Stammbaumtheorie und Junggrammatiker re vergleichbar gebaute Sätze oder Wörter schließen sich zu Gruppen zusammen, sie bilden dann ein Muster bzw. eine Vorlage für neue Sätze. Häufige bzw. starke Muster erleichtern dabei das unbewusste Abstrahieren einer Regel (Paul 1937: 111). Hier nahm er konnektionistisch-kognitives Gedankengut vorweg, da dort keine angeborenen Regeln postuliert werden, sondern die grundsätzliche Fähigkeit des menschlichen Gehirns, auf Grundlage von Mustern Regelmäßigkeiten abstrahieren zu können, diese zu generalisieren und auf neues Material anzuwenden, wobei die Frequenz eine große Rolle spielt, die etwa für eine generativ-grammatische Position absolut irrelevant ist. Manche Analogiebildung überschreitet in den Worten Pauls den Usus und wird sogar als falsch aufgefasst. Dann kann das Gleiche wie bei Laut- und Bedeutungswandel geschehen, wenn eine Neuerung erst vereinzelt, dann häufiger auftritt, bis sie schließlich den Sprachusus verändert. So hatten wir früher noch weben : wob : gewoben = heben : hob : gehoben. Aber in Analogie zu leben bzw. überhaupt zu den schwachen Verben sagen wir heute weben : webte : gewebt. Die Analogie schafft Unregelmäßigkeiten ab, jedoch nur, wenn die Sprecher/ innen die unregelmäßige Form gerade nicht wissen, sie nicht mehr kennen oder sie überhaupt zu schwach ist, denn sonst würde sie aus dem Gedächtnis reproduziert werden (wenn die Proportionsbild ung keine Hemmung in der Seele findet, wie es Paul (1937: 114) formuliert, statt von Seele oder Geist würden wir heute von Bewusstsein sprechen, vgl. auch aktuelle Begriffe wie Tokenfrequenz, Kap. 13). Gleichungen mit wenigen Mitgliedern, zudem selten gebraucht, gehen schneller verloren. Die Analogie ergänzt das Wirken der Lautgesetze. Sie diente den Junggrammatikern gern als Allheilmittel, wenn kein passendes Lautgesetz zu finden war. Dies gehört zu den wichtigsten Kritikpunkten an den junggrammatischen Annahmen. Speziell beim analogischen Ausgleich werden Lautveränderungen vorgenommen, um Formensymmetrie oder etymologische Zusammenhänge (wieder) klarzustellen. Im Ahd. hätte es lesen / gileran heißen müssen, da sich Infinitiv und Partizip wegen unterschiedlicher Betonungsverhältnisse anders entwickelten (Vernersches Gesetz). Das r im Partizip wurde aber sehr früh in Analogie zum Infinitiv durch das s ersetzt. Auch heißt es längst nicht mehr vergülden, sondern vergolden zu Gold (Paul 1937: 203f.). Pauls Auffassung vom Satz ist beachtenswert, er definierte nicht syntaktisch. Der Satz benötigt nicht unbedingt ein finites Verb, denn er muss lediglich eine Verbindung von mehreren Vorstellungen symbolisieren. Er besteht dabei aus mindestens zwei Teilen, dem Subjekt und dem Prädikat - das kennen wir ja schon von den alten Griechen (Kap. 1.3, 12.2). Allerdings wurde damals die Trennung der beiden Redeteile nicht konsequent logisch, sondern teilweise willkürlich durchgeführt (Paul 1937: 352). Hermann Paul trennte zwischen einem grammatischen Subjekt und Prädikat und einem psychologischen Subjekt und Prädikat, beides muss sich nicht decken. Sätze wie es blitzt haben ein grammatisches Subjekt, aber kein psychologisches (Paul 1937: 131). In Anlehnung an Steinthal und v. d. Gabelentz ist das psychologische Subjekt das, worauf die Hörer/ innen ihre Aufmerksamkeit richten sollen. Das psychologische Prädikat ist das, was über das Subjekt gedacht werden soll. Dies ist vergleichbar mit dem Thema als Gegenstand der Mitteilung und dem Rhema als dem Neuen, dem, was darüber gesagt wird (Ammann 1928) bzw. dem Prinzip der funktionalen Satzperspektive der Prager Schule, vgl. Kapitel 3.5. Die Wortstellung stellt kein Unterscheidungskriterium von Subjekt und Prädikat dar, weil durchaus auch das psychologische Prädikat als erstes verbalisiert werden kann wie bei Kaufmann ist er oder ist sie blind, meine Liebe? (Paul 1937: 127). Durch den Gesprächszusammenhang 41 2.2 Die Junggrammatiker erschließbare psychologische Subjekte können auf formaler Ebene auch fehlen, sie sind als Vorstellung trotzdem gegeben. In den Principien wird einerseits eine Abkehr von der naturwissenschaftlichen Vorstellung von Sprache deutlich, die eine Entwicklung innerhalb der junggrammatischen Richtung widerspiegelt. Das zeigt sich auch an einem relativierten Gesetzesbegriff. In Abkehr zu Grimms Verbindung von Sprache und Volksseele und auch von Schleichers Vorstellung von „Verfall“ und Entwicklung einer Sprache rücken nun die Sprecher/ innen vor die Sprache als Untersuchungsgegenstand und bilden den Ausgang spunkt der Betrachtungen, die allerdings noch immer und ausschließlich historisch zu sein haben. Pauls Gedanken zu individueller Sprechtätigkeit und Usus, von Sprachzustand und Entwicklung finden wir bei Saussures Dichotomien von Parole und Langue und Synchronie und Diachronie wieder. Anderen Ideen schließlich wie die der vielfach verwebten und unterschiedlich stark strukturierten Assoziationsgruppen begegnen wir Ende des letzten Jahrhunderts in der englischsprachigen Literatur. Was bei Paul die Vorstellungsgruppe war, ist heute das neurologische Netzwerk. Auch die Prager Konzeption der funktionalen Satzperspektive ist bei Hermann Paul bereits angelegt. Seine Unterscheidung in okkasionelle und usuelle Bedeutung und seine Arten des Bedeutungswandels schließlich sind auch heute noch relevant. Einige wichtige Werke Brugmann, Karl, Delbrück, Berthold 1886-1895. Grundriss der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen. 5 Bde. Straßburg. Leskien, August 1871. Handbuch der altbulgarischen (altkirchenslavischen) Sprache. Heidelberg. Osthoff, Hermann, Brugmann, Karl 1878-1910. Morphologische Untersuchungen auf dem Gebiete der indogermanischen Sprachen. 6 Bde. Leipzig. Paul, Hermann 1880. Principien der Sprachgeschichte. Halle. Paul, Hermann 1881. Mittelhochdeutsche Grammatik. Halle. Paul, Hermann 1897. Deutsches Wörterbuch. Halle. Paul, Hermann 1916-1920. Deutsche Grammatik. 5 Bde. Halle. Schleicher, August 1861. Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen. Weimar. Sievers, Eduard 1876. Grundzüge der Lautphysiologie: Zur Einführung in das Studium der indogermanischen Sprachen. Leipzig. Zum Weiterlesen Bartschat (1996), Bynon (2001), Einhauser (2001), Jankowsky (1996), Paul (1937). 3 Europäischer Strukturalismus 3.1 Begründer des Strukturalismus Die Junggrammatiker sahen sich mit zahlreichen Kritikern konfrontiert, unter ihnen auch der Pole Jan Baudouin de Courtenay (1845-1929), der Begründer der Kazaner Schule, der zunächst seine Leipziger Dissertation ganz im Geiste der Junggrammatiker verfasst hatte, dann aber zusehends auf Distanz zu einigen der Grundannahmen ging. Er stand dabei nicht nur mit den Leipziger Wissenschaftlern in Kontakt, sondern später auch mit Otto Jespersen, Ferdinand de Saussure und Hugo Schuchardt, weiteren Kritikern der junggrammatischen Richtung. Baudouin de Courtenay nun beanstandete erstens die Betonung des Individuums als allein verantwortlich für Wandel, da seiner Meinung nach nicht nur psychische, sondern auch soziale und andere sprachexterne Faktoren Einfluss auf Sprachveränderungen nehmen. Denn für Baudouin de Courtenay entstand Sprache nicht in der Seele des Einzelnen, sondern in der Interaktion. Damit war dann das mechanische, automatische Wirken von Lautgesetzen ausgeschlossen, und Dialekten und anderen Varietäten der Sprache kam ein größeres Gewicht innerhalb der Sprachbetrachtung und für den Sprachwandel zu. Baudouin de Courtenay trennte überdies wesentlich deutlicher zwischen den Aspekten Sprache und Rede. Er forderte die Unterscheidung von statischer und dynamischer Sprachbetrachtung sowie die zwischen Laut als beobachtbarer und messbarer Einheit und dem Phonem als Verallgemeinerung. Hierzu gehört weiterhin die Überlegung, dass eine Einheit nicht für sich allein existiert, sondern über seine Position im G esamtsystem zu bestimmen ist. Allerdings war für ihn die Sprachwissenschaft noch immer historisch auszurichten. Ganz ähnlich wie bei Saussure finden wir bei Baudouin de Courtenay viele für den Strukturalismus typische Gedanken. Auch wenn seine Ansichten wenig Beachtung fanden, da sie auf zahlreiche Einzelpublikationen verteilt und weitgehend polnisch oder russisch verfasst waren, trug er mit zur Entwicklung des Strukturali smus bei. Er beeinflusste vor allem die Mitglieder der Prager Schule (vgl. Kap. 3.5). Als eigentlicher Begründer gilt aber der Schweizer Ferdinand de Saussure. 3.2 Was ist Strukturalismus? Bei dem Begriff des Strukturalismus können wir nicht von einer homogenen Theorie ausgehen, sondern eher von strukturalistischen Grundannahmen, die mehr oder w eniger ausgeprägt in Erscheinung treten. Für die Entwicklung dieses Konzepts sind zunächst zwei Faktoren wesentlich. Einerseits war der Gedanke, Sprache sei ein Sy stem, nicht neu. Auch die alten Griechen stellten sich die Sprache nicht als zusa mmenhanglose Sammlung von Wörtern vor. Aber Strukturalismus ist mehr als systematische Sprachbeschreibung. Andererseits waren die sprachwissenschaftlichen Arbeiten bislang stark auf Daten konzentriert, nicht auf Methodik oder gar einer Theorie der Methodik. Beides galt es zu verbessern. Die Etablierung der strukturalistischen Denkweise zeichnen Kohrt/ Kucharczik (2001) schrittweise nach. Im Rahmen der Organismusmetapher war die Systemhaftigkeit von Sprache bereits mehr oder weniger angedeutet worden. Als die historisch - 44 3 Europäischer Strukturalismus vergleichende Sprachwissenschaft nicht mehr nur Flexions- und Lautwandelprozesse zurückverfolgte, sondern hier Regularitäten erkannte und mit der Rekonstruktion des idg. Lautstandes ein System veranschlagte, kam es zu Kritik von Seiten der Jun ggrammatiker, dass dieses System wohl nicht wirklich als existent anzusetzen wäre, sondern als hypothetisch. Dies nahm Schleicher zum Schluss sogar selbst an. Wir haben hier also die beiden Ideen „Systemhaftigkeit“ und „hypothetisch angenommen“ und damit nun ein formalistisches im Gegensatz zu einem realis tischen System. Außerdem beinhaltet die Annahme einer idg. Ursprache indirekt und nicht klar ausgesprochen die Vorstellung, dass es sich um ein einheitliches, homogenes Sprachgebilde handeln würde, was wiederum eine theoretische Verallgemeinerung darstellt. Der nächste Schritt war nun, das mittlerweile als hypothetisch betrachtete Lautsystem des Idg. mithilfe von abstrakten Zeichen, also Symbolen, wiederzugeben, die nichts mit eventuell wirklichen physischen Fakten zu Aussprache etc. gemein hatten, die aber auf eigenständige Einheiten des Systems verwiesen, wie das Schleicher und dann Brugmann gemacht haben. Das bedeutete eine Abstraktionsstufe mehr. Saussure trennte dann in seinem 1879 erschienenen Mémoire sauber und konsequent zwischen Lauten, die lautphysiologisch beschrieben werden konnten, und abstrakten Phon emen. Die Phoneme bestimmte er allein durch vergleichende Analysen. Die zu erha ltenden Einheiten mussten sich voneinander und von anderen Einheiten unterscheiden. Terminologie und Vorgehen wurden schließlich auf aktuell beobachtbare Einzelsprachen übertragen (Kohrt/ Kucharczik 2001: 1730). Konsequenz und striktes Vorgehen gehören mit zu einer strukturalistischen Vorgehensweise, ebenso das Abstrahieren von wahrnehmbaren Tatsachen, die Betonung formaler Aspekte und die Annahme von Systemhaftigkeit mit dem Ergebnis eines abstrakten Systems sowie das Prinzip der Distinktivität (Unterschied, Verschiedensein). Dieses Konzept finden wir auch bei Baudouin de Courtenay, es stammte ursprünglich von Henry Sweet (Kohrt/ Kucharczik 2001: 1728). Es war also keineswegs neu. Das System als strukturiertes Ganzes ist abgeschlossen und gleichzeitig in Einzelkomponenten zerlegbar. Da eine Einheit nicht aus sich heraus, sondern durch die Stellung im bzw. durch seine Funktion für den Gesamtzusammenhang zu b estimmen ist, wird das Ganze mehr als die Summe seiner Teile. Ein solches System par Excellence ist die Sprache. Verschiedene dieser Vorstellungen gab es in der Vergangenheit immer wieder, nicht nur von Baudouin de Courtenay, auch von von der Gabelentz, der zahlreiche Anregungen für den Cours lieferte (Albrecht 2007: 22f.). Sie mussten sich aber zu einem konzeptionellen, kohärenten Gedankengebäude entwickeln. Dazu gehört nicht nur die Zusammenführung von Einzelbeobachtungen zu einem Gesamtsystem und Homogenität der Denkweise, sondern auch eine einheitliche Terminologie. Saussure schuf aus vielen verstreuten Ideen von Humboldt, von den Junggrammatikern und ihren Kritikern eine zusammenhängende Sprachtheorie und begründete so die moderne Linguistik. 3.3 Ferdinand de Saussure Der Schweizer Linguist Ferdinand de Saussure (1857-1913) studierte in Genf, Berlin und Leipzig und beschäftigte sich zunächst mit idg. Sprachen, vor allem aber Sanskrit und verfügte damit über ein solides Grundwissen der historischvergleichenden Sprachwissenschaft. Auf ihn gründet sich die Genfer Schule. Seine 45 3.3 Ferdinand de Saussure Auffassungen von einer strukturalistischen Vorgehensweise in der Sprachwissenschaft beschrieb er ausführlich in seinen Vorlesungen. Eine zusammenhängende Darstellung wurde allerdings erst nach seinem Tod von Charles Bally und Albert Sechehaye ausgearbeitet und als Cours de linguistique générale 1916 veröffentlicht (übersetzt als Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft). Saussure gilt als Begründer der modernen Sprachwissenschaft aufgrund eines Buches, das nicht von ihm selbst geschri eben und auch nicht von ihm autorisiert wurde. Im Nachhinein ist nicht mehr klar, was in diesem Buch tatsächlich von ihm stammt und was von seinen Nachfolgern ergänzt oder verändert wurde. Dieser Problematik müssen wir uns bei der Rezeption des Cours stets bewusst sein. Mehrere Dichotomien (Zweiteilungen, Gabelungen) bilden die Eckpunkte der Saussurschen Sprachtheorie. 3.3.1 Langue und Parole Da die Soziologie den Menschen als Teil der Gesellschaft begriff, überrascht es nicht, dass diese relativ neue wissenschaftliche Disziplin auch Einfluss auf die Sprachwi ssenschaft nahm (dazu kritisch Albrecht 2007: 22). Noch Hermann Paul sah Sprache rein im Individuum verwurzelt, er war stark von den ps ychologischen Strömungen seiner Zeit beeinflusst. Für Saussure jedoch gilt die Langue (Sprache) überindividuell, sie ist gesellschaftlich, also durch Konventionen, bestimmt und existiert als abstraktes, statisches System in den Köpfen der Sprecher/ innen. Diese nehmen darauf Bezug, wenn sie sprechen, also konkrete Sprechereignisse produzieren, die der Parole (Sprechen) zugerechnet werden. Die Parole können wir beobachten, die Langue nicht. Also ist sie theoretisch und mithilfe einer geeigneten Methodik zu erschließen. Im Prinzip arbeitete Saussure mit drei Aspekten von Sprache, um seinen Gegenstandsbereich zu präzisieren. Er bestimmte die menschliche Rede (langage) als Ganzes, als Eigenschaft des Menschen, die sowohl Sprache (langue, das homogene, theoretische, vom Einzelnen unabhängige System) als auch Sprechen (parole, die tatsächlich beobachtbare, individuelle Realisation) umfasst. Die Vorstellung von Sprache als konventionell bestimmtem Zeichensystem findet sich vorher schon bei William D. Whitney (1827-1894). Für Saussure aber bedeutete die Langue den einzigen wichtigen Gegenstand der Sprachwissenschaft und gleichzeitig die Grundlage für seine weiteren Überlegungen. Er interessierte sich dafür, was die Sprecher/ innen wissen, nicht was sie tun. Nur die Langue weist in seinen Augen eine Struktur auf, nur sie ist systemhaft und kann sprachwissenschaftlich analysiert werden. Dass die Sprache ein System darstellt, ist Kerngedanke des Cours wie des Strukturalismus überhaupt. Dazu gehört die Feststellung, dass die einzelnen Elemente in Beziehung zueinander stehen. Diese Beziehungen zu untersuchen ist eine der Hauptaufgaben des Strukturalismus. 3.3.2 Diachronie und Synchronie Die nächste Dichotomie im Cours ist die von Diachronie und Synchronie. Um diese Begriffe zu erklären, führte Saussure das Beispiel eines Pflanzenstiels an, der einmal im Längsschnitt, einmal als Querschnitt betrachtet werden kann. Jedes Mal handelt es sich um den gleichen Gegenstand, nur die Perspektive wechselt und führt zu unterschiedlichen Untersuchungsergebnissen. Der Längsschnitt zeigt die Fasern, wie sie sich von unten nach oben verändern. Der Querschnitt zeigt die Anordnung zueina n- 46 3 Europäischer Strukturalismus der an dieser Stelle, was wir bei der Längsschnittbetrachtung nicht erkennen könnten. Beides sind aber Informationen, die wir für die Gesamtuntersuchung benötigen. Genauso kann auch Sprache einerseits in ihrer Entwicklung, andererseits aber auch als Zustand zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt beschrieben werden. Die diachrone Ebene der Sprachbetrachtung bezieht sich auf die Veränderungen. Sie ist historisch ausgerichtet in Hinblick auf Wandel, weniger bezogen auf Geschichte. Davon zu trennen ist die synchrone Ebene. Sie stellt meist das aktuelle Sprachstadium dar, prinzipiell möglich sind auch Zustände der Vergangenheit. Auf jeden Fall steht dabei ein fiktiver Ausschnitt im Mittelpunkt, fiktiv, weil sich Sprache permanent ändert und nie still steht. Da die Beziehungen zwischen den sprachlichen Zeichen nicht gleichzeitig in ihrem zeitlichen Nacheinander und zueinander betrachtet werden können und die Beziehungen am klarsten innerhalb eines statischen Ausschnitts zu sehen sind, mü ssen diese beiden Aspekte gesondert untersucht werden. Wichtig ist aber, dass Saussure die diachrone Betrachtung nicht ablehnte, im Gegenteil, er widmete ihr mehrere Kapitel. Dort beschäftigt er sich mit verschiedenen Formen des Sprachwandels, mit Sprachkontakt und Dialekten, mit Sprachverbreitung und -differenzierung und den dafür verantwortlichen außersprachlichen Faktoren auf einer theoretischen Ebene. Gerade aber, weil Veränderungen nie das Gesamtsystem betreffen, nur einzelne El emente, sind eben die Entwicklungen dieser Elemente für sich zu sehen. Ein Wandel beginnt in der Parole bei einzelnen Sprecher/ innen. Dann kann er sich ausbreiten. Wird er vom Kollektiv übernommen, gehört er zur Langue. Im Cours finden wir einige Überlegungen, die später bei Grammatikalisierung, N atürlichkeit und Sprachökonomie eine Rolle spielen. So beobachtete Saussure, dass manche Sprachen in Reihenfolgebeziehungen Informationen ausdrücken, wo andere Präpositionen oder Flexionselemente haben (Saussure 1984: 191). Sprachen bewegen sich zwischen den beiden Polen sehr grammatisch wie das Sanskrit oder das Idg. und sehr lexikalisch wie das Chinesische. Eine Sprache kann sich grundsätzlich zwischen diesen Polen in beide Richtungen verändern (Saussure 1984: 183). Damit wird dann der Übergang zwischen der lexikalischen und der syntaktischen Ebene fließend. Er zeigte das auch an Wörtern, die durch Syntagmen ersetzt werden können (betrachten/ in Betracht ziehen). Saussure stellte die traditionelle Trennung zwischen Lexikon und Grammatik, die natürlich seine praktischen Seiten hat, in Frage, da sie nicht den sprachlichen Tatsachen entspricht (ibd.: 187). Für ihn waren die syntagmatischen und assoziativen Beziehungen zwischen den sprachlichen Zeichen wesentlich wichtiger.Im Cours gab es auch Überlegungen zum Motor des Sprachwandels. Hier spielt das Gesetz der geringsten Anstrengung (la loi du moindre effort, ibd.: 204f.) eine große Rolle, das später als Ökonomieprinzip wiederkehrt. Weil die Sprecher/ innen sich möglichst wenig anstrengen wollen, gehen Laute oder ganze Silben verloren, und schwer auszusprechende Laute werden durch leichter auszusprechende Laute ersetzt. Je kürzer und nachlässiger aber die Aussprache gerät, desto mehr Aufmerksamkeit müssen die Hörer/ innen ihr widmen. Das Streben nach geringer Anstrengung auf Seiten der Sprecher/ innen findet also eine Gegenkraft bei den Hörer/ innen, die einen erhöhten Dekodierungsaufwand bei schlechterer Verständlichkeit in Kauf nehmen müssen, aber nicht wollen. Einen der Gründe für Sprachwandel sieht Saussure bei den widerstreitenden Bedürfnissen, die Artikulation und Aufmerksamkeit an die Sprac hbenutzer/ innen stellen. Sowohl synchrone als auch diachrone Sprachuntersuchungen sind nötig, um einen Gesamteindruck von Sprache zu erhalten. Aber es handelt sich um zwei unterschied- 47 3.3 Ferdinand de Saussure liche Perspektiven, die jeweils eine andere Methodik erfordern. Für Saussure stand im Folgenden der synchrone Aspekt der Sprache im Mittelpunkt. Gleichzeitig setzte er sich hiermit am deutlichsten von seinen Vorgängern ab. 3.3.3 Äußere und innere Sprachwissenschaft Eine weitere Einengung des Gegenstandsbereichs erfolgt durch die Gegenüberstellung von innerer und äußerer Sprachwissenschaft, die unterschiedliche methodische Herangehensweisen erfordern. Während Lehnwörter oder Dialekte sowie mögliche außersprachliche Aspekte den äußeren Bereich der Sprache ausmachen, war für Saussure nur das eigentliche Kernsystem, das Innere der Sprache relevant. U m das zu verdeutlichen, kehrte er wieder zu dem Bild einer Pflanze zurück, die auch externen Einflüssen ausgesetzt ist wie Klima oder Bodenbeschaffenheit. Ihre Grundstruktur bleibt aber davon unbeeinflusst. 3.3.4 Syntagmatische und assoziative (paradigmatische) Relationen Die sprachlichen Elemente werden linear geäußert, eines nach dem anderen, wie beispielsweise in einem Satz, vgl. Monster fressen Schafe. Ihre Beziehungen zueinander lassen sich als syntagmatische Relationen darstellen. Veränderungen auf dieser horizontalen Ebene führen zu anderen Sätzen, vgl. Schafe fressen Monster. In diesem Fall haben wir dadurch eine Bedeutungsveränderung bewirkt. Die Einheiten können aber auch einzeln durch ähnliche Zeichen ausgetauscht werden, die zueinander in ein em assoziativen Verhältnis stehen wie Monster, Bestien, Ungeheuer, Ungetüme. Diese Unterscheidung war bereits bei Nikolai Kruszewski, einem Schüler Baudouin de Courtenays, zu finden (Béresin 1980: 200). Die assoziativen Beziehungen erhielten später die Bezeichnung paradigmatisch. Sie waren für Saussure ausschlaggebend. Die beiden Möglichkeiten, wie sprachliche Zeichen zueinander in Beziehung stehen können, bilden die Grundlage für zwei typische strukturalistische Grundoperationen, das Segmentieren einer linearen Abfolge von Einheiten und das Klassifizieren aufgrund von paradigmatischen Relationen. Die Elemente lassen sich synchron nicht aus sich heraus bestimmen, sondern nur durch die Opposition zu allen anderen Elementen im System, einmal bezogen auf ihren Platz in einem Syntagma, einmal durch das Ersetzen ähnlicher Elemente. Austauschbarkeit und Kombinierbarkeit charakterisieren die Einheiten und ihre Stellung im System, ihre Distribution als Gesamtheit der möglichen Umgebungen und Vorkommensmöglichkeiten. Ein Wort wie défaire ist nur analysierbar, weil es auch décoller, déplacer bzw. faire, refaire, contrefaire gibt, dt. etwa abmachen - ablösen, abtrennen - machen, wieder machen, nachma chen. Das gilt nicht nur für Wörter, sondern auch für Morpheme, den kleinsten bedeutungstragenden Einheiten einer Sprache, und grammatisch bestimmte Wortgruppen und größere Phrasen sowie für Laute. Der Oppositionsbegriff ist im Cours wie für den gesamten Strukturalismus überhaupt sehr wichtig. 3.3.5 Das sprachliche Zeichen - Signifiant und Signifié Das sprachliche Zeichen kann ein Morphem sein, ein Wort, ein Syntagma. Wesentlich aber ist, dass es zwei Aspekte vereint, den lautlichen (Signifiant, Signifikant, Bezeichnung, Lautbild) und den gedanklichen (Signifié, Signifikat, Bezeichnetes, Vorstellung, Konzept). Damit ist das sprachliche Zeichen auf der Ebene der Langue bilateral (zwei- 48 3 Europäischer Strukturalismus seitig). Ein Referent kommt erst in der Parole ins Spiel. Dies ist in der Geschichte der Sprachwissenschaft nicht weiter neu und die Ausweitung auf andere Einheiten als die des Wortes finden wir aktuell in der Konstruktionsgrammatik (Kap. 14) wieder. Beide Seiten des sprachlichen Zeichens sind für Saussure aber gleich wichtig und untrennbar verbunden wie die zwei Seiten eines Blattes Papier. Sowohl das Kon zept als auch das Klangbild existieren zunächst einmal in unseren Köpfen, jedoch kann nicht das eine ohne das andere hervorgerufen werden. Zwischen ihnen besteht ein besonderes Verhältnis. Der lautliche Aspekt lässt sich nämlich nicht logisch oder sonstwie von dem gedanklichen ableiten, es gibt keine nachvollziehbare Beziehung, sie ist nicht motiviert, sondern arbiträr (willkürlich im Sinne von unmotiviert). Diesen Begriff verwendete auch schon William D. Whitney (Alter 2001). Allerdings beruht diese Verbindung auf Konvention. Die Sprecher/ innen einer Sprachgemeinschaft haben sich stillschweigend darauf geeinigt, nicht in Form von Diskussionen oder Absti mmungen, sondern indem sie in das Sprachsystem hineingeboren werden und es damit automatisch übernehmen. Der soziale Aspekt der Sprache erhält dadurch ein besonderes Gewicht. Das Zeichen selbst und auch alle Beziehungen zwischen den Zeichen, die das Sprachsystem ergeben, funktionieren nicht aus sich heraus, sondern aufgrund des allgemeinen Konsensus der jeweiligen Sprachgemeinschaft. Das sprachliche Zeichen ist Teil des Gesamtsystems Sprache und gewinnt seine Bedeutung in Abgrenzung von und in Relation zu den anderen Zeichen. Dabei kommt den Begriffen Opposition bzw. Distinktivität ein zentraler Stellenwert für die strukturalistische Analyse zu. Wenn zwei Einheiten keine Unterscheidung hervorrufen, ha ndelt es sich um Varianten einer Einheit. So führt beim deutschen r ein Austauschen mit l zu einem neuen Wort, z.B. in Rauch/ Lauch oder Rand/ Land. Ohne Einfluss aber bleibt es, wenn r nicht als Frikativ wie im Standarddeutschen gesprochen wird, sondern gerollt wie in niederdeutschen oder bairischen Dialekten. Das mögen zwar verschiedene Laute sein, aber im Deutschen sind es lediglich Varianten eines Phonems. Die strenge Unterscheidung zwischen formalen und inhaltlichen Aspekten mit Schwerpunkt auf der Form bedeutet ein weiteres Charakteristikum des Strukturali smus. Ferdinand de Saussure hat die methodisch-theoretischen Grundlagen für die strukturalistische Sprachbetrachtung geschaffen und damit eine neue Ära der Beschäftigung mit Sprache begründet. Er hatte die Arbeitsweise der historisch-vergleichenden Kollegen und der Junggrammatiker kritisiert, da sie seiner Meinung nach keine Methode aufwies und sich zu sehr an einzelnen Entwicklungen orientierte, statt Fragen nach Zusammenhängen zu stellen. Die von Schleicher als sukzessive Entwicklungen interpretierten Lautänderungen könnten genauso unabhängige Fortführungen von idg. Alternanzen gewesen sein. Nicht zuletzt deswegen betonte Saussure so sehr die Systemhaftigkeit, aber auch den gesellschaftlichen Charakter der Sprache. Er selbst sprach in seinem Cours zwar nicht von Struktur im strukturalistischen Sinne, aber für ihn bedeutete Sprache bzw. Langue ein System von Zeichen (Saussure 1984: 33) mit eigener Ordnung (ibd.: 43), basierend auf den Oppositionen seiner Einheiten (ibd.: 149). Was gern übersehen wird, ist, dass er für die Sprachwissenschaft forderte, möglichst viele Sprachsysteme zu untersuchen, um das gemeinsame, das Universelle zu ermitteln (ibd: 44). Saussure arbeitete synchron und deskriptiv, also sprachbeschreibend. Er initiierte die Semiologie als Wissenschaft der Zeichensysteme, zu denen als wichtigstes das Sprachsystem zählt. Der Begriff wurde später durch Semiotik ersetzt, die etwas andere 49 3.4 Strukturalismus als Beginn der modernen Sprachwissenschaft Schwerpunkte setzt und mit Peirce und Morris in Verbindung gebracht wird. Wichtige Termini Saussures sind Langue / Parole, Diachronie / Synchronie, bilateraler Zeichenbegriff, Signifié, Signifiant, Arbitrarität des sprachlichen Zeichens, syntagmatische / assoziative (paradigmatische) Relationen und Opposition. 3.4 Strukturalismus als Beginn der modernen Sprachwissenschaft Kennzeichen für Saussures und für die heutige Auffassung von Strukturalismus ist die Konzentration auf die synchrone Sprachbetrachtung, die aus dem Vorwurf an die Junggrammatiker entstand, die Geschichte viel zu sehr zu betonen, sich zu stark mit Einzelentwicklungen zu beschäftigen und dabei das Sprachsystem aus den Augen zu verlieren. Typisch sind weiterhin die deskriptive Vorgehensweise, die Trennung von Inhalt und Form, die Prinzipien der Opposition und der Distribution , Segmentierung und Klassifizierung sowie die distinktiven Merkmale. Der Strukturalismus wandte sich ab von historisch und empirisch ausgerichteten Betrachtungen einzelner Sprachen. Vielmehr fasste er nun Sprache als eigenständigen Untersuchungsgegenstand auf, den es galt, systematisch theoretisch zu analysieren. Hierfür erwiesen sich aber gewisse Abstraktionen als notwendig. Charakteristisch für Saussure und gleichzeitig Ansatzpunkt für Kritik ist die Konzentration auf die Langue, auf die synchrone Ebene (bei gleichzeitiger Abkoppelung der diachronen) und auf das sprachliche Zeichen. Saussure lieferte die Methodik für eine im Prinzip umfassende Sprachbetrachtung, jedoch ohne die Analyse einzelner Sprachen oder Sprachausprägungen. Seine Nachfolger setzten unterschiedliche Schwerpunkte bei der Kritik und bei den darauf aufbauenden theoretischen und empirischen Ansätzen. So wurde beispielsweise eingewandt, dass die Parole durchaus ebenfalls Systemhaftigkeit aufweist und auch sie einen Gegenstand der Sprachbetrachtung darstellt, was Saussure auch gar nicht ausgeschlossen hat. Die Sprecher/ innen sollten dabei besser mit berücksichtigt werden. Durch die Konzentration auf die Langue und die konsequente Trennung von synchronen und diachronen Aspekten werden jedoch soziale Einflüsse und damit verbundene Veränderungen ausgeklammert. Dies wollte später die Soziolinguistik korrigieren. Zu Sätzen sagte Saussure kaum etwas, und so übersah er die Regularitäten, denen die syntagmatischen Relationen unterliegen. Ein weiterer Kritikpunkt richtete sich damit gegen die Vorstellung der Langue als einem statischen System und gegen die Vernachlässigung der Syntax. Dagegen und gegen das rein deskriptive Vorgehen wandte sich Chomsky mit seiner generativen Transformationsgrammatik (Kap. 8). Die Überbetonung der synchronen Sprachbetrachtung wurde als zu einseitig empfunden. Allerdings klammerte Saussure den geschichtlichen Aspekt von Sprache nicht grundsätzlich aus, er wollte ihn bloß getrennt von der System-Betrachtung wissen. Bei aller Kritik sei auch nicht vergessen, dass nur ein Teil seiner Schriften überhaupt veröffentlicht wurde (Mauro 1984: XVI). Seine Gedanken zum Sprachwandel wurden von seinem Schüler Antoine Meillet aufgegriffen und ausgearbeitet. Dieser prägte den Begriff der Grammatikalisierung, der mittlerweile nicht nur für einen Sprachwandelprozess, sondern für eine ganze Forschungsrichtung steht. Schließlich begründeten Saussures Überlegungen zur Semiologie eine Theorie der Zeichensysteme, die heute unter dem Begriff Semiotik firmiert. Die Diskussion um den Cours führte zu mehreren strukturalistischen Weiterentwicklungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Während Saussure Sprache noch 50 3 Europäischer Strukturalismus als einheitliches, geschlossenes System sah und mit seiner Theorie ein umfassendes Analyseinstrumentarium vorstellte, gab es nachfolgend so viel Kritik und daraus resultierend alternative Weiterentwicklungen, dass bis heute keine Aussicht auf eine einheitliche, alles berücksichtigende Theorie besteht. Unterschiedliche Fragestellu ngen und Untersuchungsschwerpunkte führten unweigerlich zu unterschiedlichen M odellen und Methoden, ohne dass gesagt werden kann, welche von ihnen nun die be ssere ist. Und direkt im Anschluss an Saussure trennten sich die strukturalistischen Weiterentwicklungen in mehrere Schulen. Die unmittelbar auf seinen Ideen gründende Fortentwickelung z.B. war die Genfer Schule mit u.a. Charles Bally (1865-1947) und Albert Sechehaye (1870-1946), den Herausgebern des Cours. Aber es gab noch weitere strukturalistische Strömungen. 3.5 Die Prager Schule Die Prager Schule bezeichnet eine Gruppe von meist tschechischen und russischen Linguisten, die sich 1926 in Prag offiziell zusammenschlossen, um bei der Ausarbeitung der wissenschaftlichen Vorgehensweise in der Linguistik mitzuwirken. Einige der wichtigsten Vertreter waren Nikolai S. Trubetzkoy, Roman Jakobson, Vilém Mathesius, Josef Vacek, František Daneš und Sergej Karcevski. Karl Bühler, ein deutscher Psychologe und Sprachtheoretiker, rechnen ebenfalls viele dazu. Die Prager Linguisten kannten die Arbeiten von Baudouin de Courtenay, der damals in Europa kaum gelesen wurde, studierten teilweise auch in Leipzig, so dass Kontakt mit den jun ggrammatischen Gedanken bestand, und lasen den Cours. Von ihm übernahmen sie die typisch strukturalistischen Vorstellungen, wenn sie sie nicht schon bereits selbst in Anlehnung an Baudouin de Courtenay entwickelt hatten. Das heißt, einzelne Geda nken, die damals entstanden, sind nicht immer einer Strömung oder einer Person g ezielt zuzuordnen. In der gesamten wissenschaftlichen Welt hatte sich nämlich seit Ende des 19. Jahrhunderts verstärkt das Interesse an Gesetzmäßigkeiten und Strukturen entwickelt, an ihrem Aufbau und am Zusammenwirken ihrer Elemente, seien es Elementa rteilchen, Nerven oder Kristalle. Die neuen Betrachtungsweisen und methodische Veränderungen in den Naturwissenschaften wirkten sich auf Nachbarwissenschaften aus und bildeten den Nährboden für die neue strukturelle Linguistik (Berésin 1980: 236). Wie auch Saussure wandten sich die Prager gegen das überwiegend atomistische Vorgehen der Junggrammatiker. Im Gegensatz zu ihnen verglichen sie nicht nur Sprachen, wenn sie verwandt waren, sondern auch, wenn sie strukturelle und funktionale Ähnlichkeiten aufwiesen. Auch die Prager Schule forderte eine Unterscheidung von Sprachgebrauch und Sprachsystem und von synchroner und diachroner Sprachbetrachtung, wies aber jedem gleich viel Bedeutung zu. Sie wollte das Untersuchungsspektrum auf alle Sprachebenen ausdehnen, jeweils stets geschichtliche En twicklungen mit einbeziehen und, dies war nun neu, die Funktion der Sprache für die Sprachbenutzer/ innen genauer betrachten. Die hatte vorher keine Rolle gespielt. So hat ein Phonem, übrigens schon bei Baudouin de Courtenay, die Funktion bzw. die Aufgabe, Morpheme zu unterscheiden. Unter anderem deswegen wird diese Richtung auch als Funktionale Linguistik bezeichnet. Allerdings gab es in Frankreich um André Martinet ebenfalls eine funktional ausgerichtete strukturalistische Sprachwissenschaft, die von den Pragern zu trennen ist. 51 3.5 Die Prager Schule Über die Funktion rücken die Sprachbenutzer/ innen mit in die Betrachtung. Diese Ausweitung des Aufgabenbereichs auf Nichtsprachliches führte zu der noch heute vielfach vertretenen Auffassung, dass Sprache als Verständigungsmittel drei Aufgaben erfüllt. Ein Satz, ein Wort ist gleichzeitig Darstellung (eines Sachverhalts, die eigentliche Information), Ausdruck (zusätzlicher Informationen wie Herkunft, Alter, G eschlecht der Sprecher/ innen) und Appell (Auslösen von Emotionen bei den H örer/ innen). Dies sind die drei Bühlerschen Grundfunktionen. Sie wurden später von Jakobson noch um eine poetisch-ästhetische erweitert. Bühler steuerte auch wichtige Gedanken zur Gestaltwahrnehmung bei. Ganzheiten sind strukturiert und mehr als die Summe ihrer Einzelteile, das knüpft wiederum an Saussures Gedanken zum Sprachsystem an. Da die Prager dem Sprachgebrauch Systemhaftigkeit zuerkannten, forderten sie auch systematische, strukturalistische Studien von geographisch bedingten Sprachausprägungen, den Dialekten. Sie konnten darüber hinaus zahlreiche historisch ausgerichtete Veröffentlichungen vorweisen. Eine weitere Ausweitung erfolgte in Richtung stilistischer Variation, der Literatursprache und der Schriftlichkeit gegenüber Mündlichem, Sprachdidaktik und Sprachplanung. Im Rahmen der Sprachtypol ogie führten sie den Begriff des Sprachbundes aus, da sie Sprachen nicht allein au fgrund von Verwandtschaft in Sprachfamilien gliederten, sondern auch lautliche und grammatische Ähnlichkeiten berücksichtigten. Alles in allem baute die Prager Schule das Aufgabengebiet der damaligen Sprachwissenschaft deutlich aus. Als absolut bahnbrechend aber erwiesen sich ihre Studien zur Phonologie. Mit streng strukturalistischer Methodik bearbeitete Nikolai S. Trubetzkoy (1890- 1938) die ihm vorliegenden Sprachdaten von über 100 Sprachen und entwickelte eine Phonologie, wie wir sie noch heute kennen. Er präzisierte den Phonembegriff , den Baudouin de Courtenay und Saussure schon verwendeten, und bestimmte die Begriffe Phonologie und Phonetik neu in der uns heute vorliegenden Definition. Zusammen mit Jakobson begründete er die Phonologie als Teilgebiet der Linguistik. Dazu galt es zunächst, analog zur Trennung zwischen Sprechakt (Parole) und Sprachgebilde (Langue) sauber zwischen Sprechaktlautlehre (Phonetik) und Sprachgebildelautlehre (Phonologie) zu unterscheiden. Erstere bezieht sich auf Naturerscheinungen und wird anhand naturwissenschaftlicher Methoden untersucht, sie gli edert sich in die akustische, organogenetische und Instrumentalphonetik mit je eigener Methodik, ohne dass Bedeutungsaspekte eine Rolle spielen. Die Phonologie hingegen gehört in den Bereich der Geisteswissenschaft und erfordert die gleiche Forschung sweise wie die Grammatik. Deswegen müssen auch die Phonemsysteme einer Sprache erstellt werden, da ein Phonem ja strukturalistisch gesehen seinen Wert durch den Platz in diesem System erhält. Auch Phoneme haben die drei bühlerschen Grundfunktionen, deswegen sind phonologisch basierte Informationen, die Rückschlüsse auf Alter, Schicht oder Geschlecht geben, ebenfalls in einer Phonologie zu untersuchen, vorausgesetzt, sie sind genormt. Dies gehört heute zur Phonostilistik. Eine andere Funktion ist die Bedeutungsunterscheidung. Das Phonem ist die kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit einer Sprache. Phoneme haben Eigenschaften, sie sind relevant, wenn sie eine distinktive Funktion ausüben wie bei Rauch/ Lauch. Trubetzkoy trennt zwischen freien Varianten eines Phonems, die nach Belieben ausgetauscht werden können. Das gilt im Deutschen beispielsweise für das gerollte Zungenspitzenr, typisch in manchen Dialekten, auch im Spanischen, und dem Zäpfchen-r, wie es für das Standarddeutsche üblich ist. Andere Varianten hingegen hängen von ihrer Lautumgebung ab. Ob wir im Deutschen ein geschriebenes ch wie in ich [ç] oder wie in uch [x] bzw. ach [χ] aussprechen, wird durch den vorausgehenden Vokal gesteu- 52 3 Europäischer Strukturalismus ert. Wir können ich nicht mit dem ch in ach sagen (das wird dann aich). Dies sind kombinatorische Varianten. Sie treten in Abhängigkeit von anderen Lauten auf und sind damit positionsbedingt. Was relevant und was irrelevant ist, welche Merkmale also distinktiv sind, ist in jeder Sprache anders. Damit rückt wieder der Begriff der Opposition in den Mittelpunkt, hier mehr mit dem Schwerpunkt auf Gegensatz. Ein Phonem steht mit allen anderen in Opposition. Ein Austausch ruft ein anderes Wort hervor, dadurch stehen auch die zwei Wörter in Opposition zueinander. Trubetzkoy hat den Oppositionsbegriff ausgefeilt. Er trennt zwischen privativen, graduellen und äquipollenten Oppositionen. Bei der privativen Opposition ist ein Merkmal vorhanden oder nicht. Ein Laut ist entweder stimmhaft oder stimmlos. Bei der graduellen Opposition kommt es zu Abstufungen wie bei den Vokalen, i ist ein geschlossener, e ist ein halbgeschlossener, a ist ein offener Vokal, grob formuliert. Die äquipollente Opposition ist weder privativ noch graduell. Es unterscheiden sich mehrere Merkmale und sie bezieht sich dabei auf logisch gleichberechtigte Einheiten eines Gegensatzpaares wie bei p/ t oder f/ k. Für Trubetzkoy waren weniger die Phoneme als die distinktiven Oppositionen bzw. Merkmale relevant, sie sind es, die die Grundlage eines Lautsystems bilden. Das Inventar der Merkmale steht jeder Sprache zur Verfügung, und jede wählt unterschiedlich daraus aus. Trubetzkoy führte als Bindeglied zwischen Phonologie und Morphologie darüber hinaus die Morphonologie als Lehre der morphologischen Ausnützung der phonologischen Mittel ein, um lautliche Eigenschaften mit morphologischen Auswirkungen beschreiben zu können, wie das beim Umlaut zu beobachten ist, wenn er den Plural markiert, vgl. Vater/ Väter. Von Trubetzkoy stammen auch viele unserer phonologischen Grundbegriffe. Insgesamt waren seine phonologischen Analysen so erschöpfend und so systematisch strukturalistisch, dass sie zum Vorbild für die Arbeit mit den anderen Sprachebenen wurden und die Phonologie zu einer eigenständigen linguistischen Disziplin avancierte. Roman Jakobson (1896-1982) beschäftigte sich ebenfalls mit der Phonologie . Als er im Zweiten Weltkrieg in die Vereinigten Staaten von Amerika flüchten musste, brachte er europäisches Gedankengut mit und entwickelte es dort weiter. Auch er verwendete das Phonem, definierte es aber als Gesamtheit distinktiver Merkmale. Überhaupt spielte bei ihm die Merkmalsanalyse eine große Rolle. Seine Merkmale waren universell und binär, entweder war ein Merkmal gegeben oder nicht, graduelle Oppositionen setzte er nicht an. Wie Trubetzkoy sah Jakobson die distinktiven Merkmale als grundlegende Einheit einer Sprache, nicht das Phonem. Das finden wir später auch in der generativen Phonologie wieder. Jakobson forschte auf vielen linguistischen Gebieten und auch in anderen Wissenschaften. Er übernahm die distinktiven Merkmale in die Grammatik. Seine Arbeiten zur Semantik und Semiotik, zur strukturalistischen Kommunikationstheorie waren inspiriert von Charles Sanders Peirce (1839-1914), dessen Arbeiten er bald nach seiner Ankunft in den U.S.A. kennenlernte. Er setzte sich mit poetischen Texten auseinander, schrieb selbst Gedichte und übertrug strukturalistische Verfahrensweisen auf die Literaturwissenschaft. Daher stammt die Vorstellung, die literarische Sprache habe eine eigene Funktion, nämlich die poetisch-ästhetische. Schon Baudouin de Courtenay hatte sich mit dem Spracherwerb beschäftigt. Jakobson führte dazu ausführlichere Studien durch und schuf mit seinem Kindersprache, Aphasie und Allgemeine Lautgesetze 1941 einen Klassiker der Spracherwerbsliteratur, in dem er Erwerb, Verlust und universelle Verbreitung der Sprachlaute in Beziehung setzte. Seiner Meinung 53 3.5 Die Prager Schule nach sind die Lautsysteme der Welt anhand einiger universeller Prinzipien strukturiert, den allgemeinen Lautgesetzen. Grundlegende Einheit ist nicht der Laut, sondern das distinktive Merkmal. Die Merkmale kontrastieren, dabei sind manche Oppositi onen wie Konsonant vs. Vokal grundlegender als andere, etwa Plosiv vs. Frikativ. Je feiner und differenzierter der Kontrast, desto untergeordneter ist er. Die grundlegenden Oppositionen sind in den Sprachen weiter verbreitet, werden im Spracherwerb früher erlernt und beim Sprachverlust später aufgegeben als die weniger grundlegenden Oppositionen. Letzteres erwies sich später allerdings als falsch. Jakobson gründete im Laufe seines Lebens mehrere sprachwissenschaftliche Gesellschaften in Europa und in den U.S.A. und beeinflusste hier wie dort die Linguistik und andere Wissenschaften maßgeblich. Außerdem bereitete er zusammen mit Morris Halle die generative Phonologie vor. Er war sicher einer der vielseitigsten Strukturalisten, ja Linguisten überhaupt. Vilém Mathesius (1882-1945) arbeitete im Gegensatz zu Trubetzkoy und Jakobson mit Ideen von Gabelentz und Herrmann Paul zur funktionalen Struktur der Sätze. Sie lassen sich seiner Meinung nach aufgrund struktureller Prinzipien wie der Unterteilung in Subjekt, Prädikat, Objekt nicht erschöpfend beschreiben, vielmehr können syntaktische Strukturen auch Bedeutungen ausdrücken - aufgrund der Reihenfolge etwa erkennen wir im Englischen Subjekt und Objekt. Sätze sind vor allem auch in Hinblick auf den Kontext, in dem wir sie äußern, zu betrachten nach dem, was bekannt ist und nach dem, was wir Neues darüber sagen. Das ist aber nicht an strukturelle Eigenschaften gebunden. Mathesius versuchte, die psychologischen und damit schwer fassbaren Faktoren auszuklammern. Seine Arbeiten bildeten die Grundlage für die Theorie der Thema-Rhema-Gliederung des Satzes, der funktionalen Satzperspektive, vgl. Kap. 12.2, die den Satz nach neuer und bekannter Information unterteilt, und trugen damit wesentlich zur Syntaxtheorie bei (vgl. auch Behaghel 1932: 3ff.). Der amerikanische Strukturalist Charles Hockett verwendete dann die Begriffe topic und comment, die sich im Englischen und ähnlichen Sprachen meistens, aber eben nicht immer, mit Subjekt und Prädikat decken (Hockett 1958: 191ff., 201ff.) František Daneš (*1919) betrachtete mehrere Ebenen des Sprachsystems, eine davon war die funktionale Satzperspektive. Außerdem entwickelte er die Theorie von Zentrum und Peripherie. Sie zeichnet sich durch die Annahme aus, dass nicht alle Mitglieder einer Kategorie über gleich viele Eigenschaften verfügen, sondern vom Zentrum fort immer weniger Merkmale aufweisen. Es gibt fließende Grenzen und Übergangsbereiche zu anderen Kategorien. Das sind auch die Grundgedanken des späteren Prototypenmodells (vgl. Kapitel 7). Diese Vorstellung erleichtert eine dynamische Sicht von Kategorien auch diachron gesehen sowie die Beschreibung von Normen. Sie trifft auch die funktionale Satzperspektive, denn Thema und Rhema sind oft miteinander verflochten, ohne dass beides klar voneinander getrennt werden kann (Daneš 1982: 148). Das sprachliche Zeichen steht bei Karl Bühler (1879-1963) im Mittelpunkt. Bühler zählte zwar nicht direkt zum Prager Zirkel, stand ihm aber doch sehr nahe. Wieder werden die Betrachtungen um die Perspektive der Funktion erweitert. Statt wie Saussure das Zeichen als zweiseitige Verbindung von Form und Inhalt zu sehen, war es für Bühler ein Mittel der Kommunikation, daher der Name Organonmodell (organon gr. , Werkzeug ‘ , vgl. ausführlicher Kap. 6.3, auch Kap. 12 zur Funktionalen Grammatik). Das hatte schon Platon erwähnt. Jetzt aber gewannen diese funktionalen Momente in der gesamten Sprachwissenschaft an Gewicht. Wie oben erwähnt übt das sprachliche Zeichen drei Funktionen aus, die durch die Kommunikation zwischen den 54 3 Europäischer Strukturalismus Sprechenden bestimmt sind. Es ist einerseits ein Symbol (Darstellung), es steht für einen Inhalt. Es ist Symptom (Ausdruck), weil es Informationen über den Sender/ die Senderin preisgibt, und es ist Signal (Appell), weil es etwas beim Empfänger/ der Empfängerin auslöst. Das sprachliche Zeichen vereint somit drei inhaltliche Aspekte. Das bloße Referieren auf Gegenstände reicht für die B eschreibung nicht aus, weil die Sprecher/ innen und die Sprechsituation mit erfasst werden müssen. Das Kennzeichen der Prager Schule, Sprache in ihrer Verwendung als funktional bestimmt zu sehen, findet sich somit auf allen Ebenen der Sprache wieder. Sie unte rscheidet sich damit radikal sowohl von Saussure als auch von Glossematik und deskriptiver Linguistik. 3.6 Weitere strukturalistische Strömungen in Europa Hauptvertreter der Glossematik (glossa gr. , Sprache ‘ ), die einen Teil der Kopenhagener Schule ausmacht, war Louis Hjelmslev (1899-1965), daneben auch Hans J. Uldall (1907-1957). Sie orientierten sich stark an Saussure, konzentrierten sich aber noch mehr auf die formalen Aspekte und waren sehr an einer mathematis chstringenten Darstellung der sprachlichen Struktur auf Langue-Ebene interessiert. Die grammatischen Eigenschaften einer Sprache sollten mithilfe von genau definierten Konzepten beschrieben werden, unabhängig von Gebrauch und Funktion. Die Definitionen sollten exakt und universell gültig sein. Die Glossematik arbeitete nicht praktisch, sondern sehr abstrakt mit logischen Formeln und formalen Prämissen, die jeden Satz und jeden Text einer jeden Sprache zu beschreiben hatten. Aber wenn ein Beschreibungsapparat immer umfassender und universeller sein soll, wird er auch abstrakter und vager, kein Wunder also, dass diese Richtung einen eher geringen Einfluss auf die spätere Sprachwissenschaft ausübte. Allerdings bewährten sich Hjelmslevs drei Leitprinzipien aus der Mathematik, nach denen die wissenschaftliche Beschreibung widerspruchsfrei, erschöpfend, also vollständig, und so einfach wie möglich zu sein hatte. Als Hjelmlslevs wichtigstes Werk gilt Omkring Sproteoriens Grundlæggelse (1943, engl. Prolegomena to a Theory of Language, 1953, 1969). Dort schied er zwischen Metasprache als Sprache, die von Sprache handelt, und Objektsprache, eine Trennung, auf die auch heute noch viel Wert gelegt wird. Als anderer international einflussreicher Däne gilt Otto Jespersen (1860-1943), der aber nicht im Rahmen der Glossematik arbeitete, sondern sich mit u.a. theoretischer Syntax beschäftigte. Er begründete außerdem zusammen mit dem Franzosen Paul Passy (1859-1940) die International Phonetic Association. Der Strukturalismus verbreitete sich in ganz Europa. In Russland zählten zu seinen Vertretern u.a. Lev V. Ščerba, Jevgenij D. Polivanov oder Filipp F. Fortunatov. In Großbritannien hatte der Phonetiker Henry Sweet (1845-1912) schon vor dem Cours strukturalistisch gedacht. Später folgten die Phonetiker Daniel Jones und John R. Firth. Akamatsu (2001) spricht von einer eigenen Richtung in Frankreich. André Martinet (1908-1999) entwickelte dort zusammen mit anderen in Paris eine ebenfalls funktional ausgerichtete strukturelle Linguistik, manchmal als Funktionalismus (u.a. Akamatsu 2001) oder als Martinet-Schule (u.a. Albrecht 2007) bezeichnet. Martinet kannte sowohl die Prager als auch die Kopenhagener Vorstellungen und war darüber hinaus zwischenzeitlich in den U.S.A. tätig. Auch Martinet und seine Kollegen sahen Sprache als Mittel zur Kommunikation. Mit der Theorie der zweifachen Gliederung der Kommunikation (double articulation, frz., engl.) wiederum hoben sie 55 3.6 Weitere strukturalistische Strömungen in Europa sich von allen anderen strukturalistischen Strömungen ab. Sprachliche Einheiten weisen bedeutungsunterscheidende und bedeutungstragende Minimaleinheiten auf (Phoneme und Moneme), über die die Sprachbenutzer/ innen bewusst verfügen. Die bedeutungsunterscheidenden Einheiten oder Phoneme sind die kleinsten Einheiten einer Sprache, also nicht wie bei den Pragern die distinktiven Merkmale, die es im Funktionalismus aber durchaus gibt. Die bedeutungstragenden Minimaleinheiten unterscheiden verschiedene Nachrichten. Der Funktionalismus arbeitet demnach auch mit Oppositionen. Um Phoneme, also die bedeutungsunterscheidenden Einheiten einer Sprache, zu erhalten, bauten die Funktionalisten den Kommutationstest, ursprünglich von Hjelmslev, aus. Der Franzose Lucien Tesnière (1893-1954) entwickelte in Auseinandersetzung mit funktional-strukturalistischem Gedankengut später die Valenztheorie (Kap. 9.3). Bisher lag in Europa der Schwerpunkt der linguistischen Betrachtungen oft auf der Lautung, teils auch auf der Formenlehre. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es daneben Wörterbuchprojekte gab (z.B. von Jacob und Wilhelm Grimm, Johann Christoph Adelung, Andreas Schmeller), also die lexikalische Ebene durchaus bearbeitet wurde, sowie zeichentheoretische Betrachtungen (u.a. Ferdinand de Saussure, Karl Bühler) und Arbeiten zur Satzstruktur (z.B. Heymann Steinthal, John Ries, Georg von der Gabelentz, Berthold Delbrück, Herrmann Paul, Jakob Wackernagel, Otto Jespersen, Vilém Mathesius) (vgl. Kap. 6, 9). Außerdem fehlten auch nie philosophische Auseinandersetzungen mit der Sprache zu deren Ursprung oder dem Verhältnis von Sprache, Denken und der Wirklichkeit (z.B. Gottfried Wilhelm Leibniz, John Locke, Johann Gottfried Herder, Wilhelm von Humboldt, August Wilhelm Schlegel). Allerdings ließen sich neue Modelle und Verfahrensweisen gut im Rahmen der Phonologie entwickeln. Einige wichtige Werke Bühler, Karl 1934. Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Jena. Jakobson, Roman 1941. Kindersprache, Aphasie und Allgemeine Lautgesetze. Uppsala. Saussure, Ferdinand de 1916. Cours de linguistique générale. Publié par Charles Bally et Albert Sechehaye. Paris (Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, Berlin). Trubetzkoy, Nikolai S. 1939. Grundzüge der Phonologie. Prag. Zum Weiterlesen Akamatsu (2001), Albrecht (2007), Kohrt/ Kucharczik (2001), Saussure (1984). Eine neue zweisprachige Version des Cours liegt vor mit Wunderli (2013). 4 Amerikanischer Strukturalismus 4.1 Das gesellschaftspolitische Fundament Franz Boas (1858-1942) gilt als Begründer der modernen amerikanischen Ethnologie (was die Amerikaner/ innen mit Anthropologie meinen). In Deutschland geboren, promoviert und überzeugter Antirassist, floh er 1887 vor den antisemitischen Str ömungen in die U.S.A. Vor allem seine Reisen zu den Eskimos und verschiedenen nordamerikanischen Indianerstämmen machten ihn schon damals berühmt. Er verband kulturgeschichtliche mit sprachwissenschaftlichen Fragestellungen und legte größten Wert auf Feldforschung. Ihm gelang es, mit seinen Arbeiten und teils sehr kontrovers diskutierten Thesen das Interesse an der Linguistik in den U.S.A. zu wecken. Boas prägte in mehrfacher Hinsicht die Linguistik. Zunächst einmal gab es gesellschaftspolitischen Bedarf an linguistischen Studien. Das politische und wirtschaftliche Klima förderte die Auseinandersetzung mit den Ureinwohner/ innen Amerikas. Sie waren den meisten fremd, ebenso ihre Sprachen. Natürlich hatte es schon Versuche der Kontaktaufnahme gegeben. Das war aber aufgrund der Komplexität und Andersartigkeit der Sprachen mit viel Frustration verbunden gewesen, denn es hieß, diese „primitiven“ Völker verfügten über eine einfache, „primitive“ Sprache. Aus politischer Sicht galt es allerdings, mehr über die Stämme zu wissen, die im Rahmen der Expansion zunehmend zurückgedrängt wurden, um sich besser mit ihnen auseinandersetzen zu können. Es ist also nicht unbedingt von philanthropischen Beweggründen für die damaligen Studien auszugehen. Missionare hingegen wollten den „degenerierten“ Völkern das Evangelium nahe bringen und die Bibel für sie übersetzen. Und Wissenschaftler sahen sich schließlich mit der großen Aufgabe konfrontiert, viele neue Kulturen kennen zu lernen und das möglichst schnell, denn es bestand die Gefahr, dass einige ausstarben. Kontakt war unumgänglich, Sprachstudien als Grundlage für die Kommunikation unerlässlich. Einerseits erkannte nun Boas die ganz besondere Problematik im Zusammenhang mit den Sprachen der nordamerikanischen Völker, die aus dem mangelnden Schrifttum der dortig en Stämme resultierte. Es lagen keinerlei historische Vergleichsmöglichkeiten vor. Auch zu möglichen Verwandtschaftsverhältnissen war nichts bekannt. Es gab also nur Daten aus dem unmittelbaren Kontakt mit den Sprecher/ innen. Sie bildeten deswegen nicht die gleiche Grundlage für sprachwissenschaftliche Forschung, wie es die Europäer gewohnt waren. Außerdem erübrigte sich eine Diskussion um Langue oder Parole, da es schlicht nichts als die tatsächlichen Redeereignisse gab. Also wollte Boas die bewährten methodischen Ansätze ändern und naturwissenschaftlich-neutrale Verfahren für die Beschreibung der Sprachen erarbeiten. Er sammelte und erstellte Texte in Originalsprache aus verschiedenen Gebieten Nordamerikas und erweiterte dafür das bisher verwendete phonetische Transkriptionssystem. Dabei erhielt er Unterstützung durch muttersprachliche Mitarbeiter. Er fertigte Wortlisten und Grammatiken an und arbeitete dabei analytisch präzise und gleichzeitig beschreibend, ohne immer über Vorinformationen zu den Sprachen zu verfügen. Der Schwerpunkt lag auf der Beschreibung. Diese gewann für eine eigene Richtung innerhalb des amerikanischen Strukturalismus sehr großes Gewicht, die daher auch die Bezeichnung deskriptive Linguistik oder Deskriptivismus erhielt. Sie wurde aufbauend auf Bloomfield von u.a. Harris entwickelt. 58 4 Amerikanischer Strukturalismus Andererseits führten Boas die Kontakte mit vielen verschiedenen Sprachen zu neuen Einsichten in das Zusammenwirken von Sprache, Denken und Kultur. In Europa, aber auch in den U.S.A. wurden gern Sprache, Rasse und Volksseele in wechselseitiger Abhängigkeit betrachtet. Es gab nicht nur bessere und schlechtere Sprachen, auch hochentwickelte und primitive Völker mit entsprechend weniger entwickelten geistigen Fähigkeiten. Franz Boas initiierte eine Wende in der anthropologischen Linguistik, weil er die Sprachen Nordamerikas und die der Eskimos als anders, aber nicht rückständig, sondern gleichwertig einstufte. In den drei Bänden seines Handbook of American Indian Languages stellte er 1911 bis 1938 sehr viel Datenmaterial zusammen. Er zeigte bisher unbekannte Möglichkeiten auf, wie der Zugang zur Welt in der Sprachstruktur kodiert werden konnte. Die in den europäischen Sprachen bekannten grammatischen Kategorien und Formen mussten in ihrer Selbs tverständlichkeit hinterfragt werden, weil sie sich nicht durchgehend in den neuen Daten wiederfanden und weil sie zudem den Zugang zu den Indianer- und Eskimosprachen versperrten. Boas sah sich mit Satzwörtern und dem Problem der Bestimmung von lexikalischen Einheiten in unserem Sinne konfrontiert (Boas 1911: 31f.). Er fand auch neue Kategorien wie belebt/ unbelebt oder die Kategorie Tempus auch mit Nomen verbunden. Sie verortet die Existenz der Referenten dadurch in Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft, was dort für präzise Aussagen genauso nötig ist wie in unseren Sprachen die Unterscheidung von Singular und Plural (Boas 1911: 39). Die Ureinwohner/ innen Nordamerikas versprachlichen Erfahrungen und Vorstellungen anders, was Boas zu der Schlussfolgerung führte, dass die Kultur und die Wahrnehmung der Wirklichkeit die Sprache beeinflussen. Dieses Konzept wurde dann später von Sapir und Whorf ausgearbeitet und als sprachlicher Relativismus bekannt. Der Relativitätstheorie widmet sich das Kapitel 5. In den folgenden Abschnitten werden die deskriptiven Strömungen weiter beschrieben. 4.2 Sprache im Zeichen des Behaviorismus Einer der prominentesten Schüler Boas’, Leonard Bloomfield (1887-1949), hatte in Deutschland Vorlesungen besucht und kannte die Junggrammatiker und die europäische strukturalistische Denkweise. Er widmete sich hauptsächlich der Ausbildung seiner Studenten, und so war Language (1933), eines der berühmtesten Werke der amerikanischen Sprachwissenschaft, als Lehrbuch gedacht. Bloomfield interessierte sich sehr für Psychologie und entwickelte sich unter dem Einfluss von John B. Watson in den 1920er Jahren zu einem überzeugten Vertreter des Behaviorismus (behavior, amerik. Englisch , Verhalten ‘ ). Für Behavioristen besteht menschliches wie tierisches Verhalten aus Reiz-Reaktionsketten. Nur objektiv wahrnehmbare, messbare Fakten zählen. Damit steht das Sprechen im Vordergrund (speech-utterance). Sprache ist die Gesamtheit der Äußerungen, die in einer Sprachgemeinschaft gemacht werden können (Bloomfield 1926). Was an Gedanken oder anderen psychischen Prozessen damit zusammenhängt, entzieht sich unserer Beobachtung. Stattdessen sind die Reaktionen auf Sprache wahrnehmbar, und nur sie dürfen die Grundlage der Sprachanalyse bilden. Bloomfield illustriert das an der mittlerweile berühmten Jack-und-Jill-Szene (vgl. Bloomfield 1933: 22ff.). Jack und Jill laufen die Straße entlang. Jill hat Hunger. Da sieht sie einen Apfel an e inem Baum. Sie macht ein Geräusch mit Kehlkopf, Zunge und Lippen. Jack springt über 59 4.2 Sprache im Zeichen des Behaviorismus den Zaun, klettert auf den Baum, pflückt den Apfel, bringt ihn Jill und gibt ihn ihr in die Hand. Jill isst den Apfel. Als Sprachwissenschaftler/ innen trennen wir zunächst das Sprechen (act of speech) von den anderen Vorgängen. Die Handlungsabfolge besteht damit aus drei Teilen A die praktischen Vorgänge vor dem Sprechen B das Sprechen C die praktischen Vorgänge nach dem Sprechen. Was dem Sprechen vorausgeht ist der Sprecherstimulus, was danach geschieht, ist die Hörerreaktion. Die betrifft auch Jill, denn sie bekommt den Apfel und kann ihn essen. Wäre Jill allein gewesen, hätte sie auch Hunger gehabt und hätte den Apfel ges ehen (Stimulus), sie hätte darauf reagiert, indem im Magen vielleicht Flüssigkeiten abgesondert worden wären und indem sie sich auf den Apfel zubewegt hätte (Reaktion). Genauso wäre es auch einem Tier ergangen. Bloomfield stellt die Handlungen von Tier und Mensch ohne Sprache auf eine Stufe, da beide auf Stimuli reagieren. Die Sprache allerdings ermöglicht es den Menschen, eine komplexe Handlungskette wie über den Zaun zu springen und auf den Baum zu klettern durch einige Mundbewegungen und Lautäußerungen zu ersetzen. Diese bedeuten wiederum für den anderen, der das hört, einen Reiz, auf den er reagiert, indem er genau die Handlungskette ausführt, die die Sprecherin sich erspart hat und die ihr schließlich zu dem Apfel verhilft. Für die Sprachwissenschaft steht der Teil B der oben erwähnten Handlung sabfolge im Mittelpunkt. Er lässt sich weiter zergliedern in B1 Die Sprecherin bewegt ihre Stimmbänder, den Unterkiefer etc. als Reaktion auf den Stimulus (Anblick des Apfels). B2 Die Schallwellen, die aus Jills Mund kommen, setzen sich in der Luft fort. B3 Die Schallwellen in der Luft erreichen Jacks Ohr, das heißt, er hört, was Jill sagt. Das ist damit der Stimulus, der ihn dazu bringt, über den Zaun zu springen und den Apfel zu holen. Der sprachliche Ersatzstimulus steht für den praktischen Stimulus. Stimulus und R eaktion ereignen sich nicht mehr innerhalb eines Organismus, wie es bei den Tieren der Fall wäre, sondern können mithilfe der Sprache über die Schallwellen von einem auf viele andere Organismen übertragen werden. Die Bedeutung einer sprachlichen Äußerung (B) besteht aus den praktischen Vorgängen (A, C), die damit zusammenhängen, also Reiz-Reaktionsmerkmalen bzw. Situationen und den Veränderungen, die sich in den Situationen ergeben. Hier widersprach Bloomfield rigoros anderen Bedeutungsansätzen, die damit Inhalte oder gedankliche Vorstellungen meinten. Damit gehörten aber für ihn auch Überlegungen zum Ursprung der Sprache und zu Wechselwirkungen zwischen Sprache, Denken und Gesellschaft nicht zum Gegenstand sprachwissenschaftlicher Betrachtungen, durchaus aber Themen wie Wandelerscheinungen, Dialekte, Fremdwörter und Sprachvergleich, zu denen er in Language ausführlich Stellung nahm. Bloomfield setzte seine positivistische, an wahrnehmbaren Fakten ausgerichtete Theorie mentalistischen Ansätzen gegenüber. Sprache ist dabei nur eine Möglichkeit des menschlichen Verhaltens. Aufgrund der Abwendung von psychischen Bedeutungsvorstellungen gewinnt die Form der Sprache an Stellenwert, also ihre Struktur auf lautlicher und grammatischer Ebene. 60 4 Amerikanischer Strukturalismus Bloomfield wurde nicht allein von behavioristischen Prinzipien beeinflusst, sondern auch von den Arbeiten eines seiner Lehrer, Boas, und den Problemen bei den Feldforschungen an unbekannten Indianersprachen. So versuchte er sich an Analysemethoden, die ohne Bedeutung bei der Sprachbetrachtung auskommen sollten. Der Schwerpunkt lag auf Beschreibungsverfahren und Terminologie, auf der Verteilung der Einheiten und Merkmale und ihrem Verhältnis zueinander. Auch wenn Bloomfield betonte, die Bedeutung eines Ausdrucks entziehe sich der linguistischen Analyse, nutzte er sie doch, um Phonem und Varianten zu bestimmen. Denn wenn die Substitution (Austausch) eines Lautes durch einen anderen zu einem neuen Wort führt, kontrastieren die beiden, und es sind Phoneme anzusetzen. Wesentlich war dabei aber nicht, die Bedeutung der Wörter zu kennen, sondern zu wissen, dass sie sich in ihren Bedeutungen unterscheiden. Bloomfield verwendete den Begriff der Bedeutung immer wieder, versuchte aber, ein anderes Wort nicht über Bedeutungsunterscheidung im eigentlichen Sinne zu ermittteln, sondern über eine andere Kommunikationsabsicht (Bloomfield 1933: 78). Boas und seine Schüler Sapir und Bloomfield gelten als Vordenker und Begründer des amerikanischen Strukturalismus. Und wie auch in Europa gab es später verschiedene Weiterentwicklungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Eine eher formale, beschreibende Richtung unter Verzicht auf Bedeutung entwickelten u.a. Bernard Bloch, George L. Trager, Zellig S. Harris und Charles Hockett. Ihnen ging es hauptsächlich um Analyseverfahren, vgl. die folgenden Kapitel. Darauf aufbauend schufen Zellig S. Harris und Noam Chomsky die Transformationsgrammatik, der Beginn der generativen Grammatiken, vgl. Kap. 8. In Abkehr von Bloomfield ließen Edward Sapir, sein Schüler Kenneth L. Pike, Eugene Nida und Charles C. Fries ausdrücklich nichtsprachliche Aspekte in die Sprachanalyse mit einfließen. Sie waren didaktisch und praktisch orientiert. Pike z.B. erkannte die mentale Realität sprachlicher Strukturen an. Er führte ausführliche Forschungen zu vielen Sprachen von Ureinwohner/ innen auch außerhalb Amerikas durch. Er forderte, dass Sprache im natürlichen Kontext zu untersuchen ist, was ihn von den generativen Ansätzen trennte. Zu der von Boas und Sapir in den U.S.A. initiierten Relativitätstheorie vgl. Kap. 5. Übungsaufgabe: Bestimmen Sie das Vokalsystem! Stellen Sie sich vor, sie müssten das Lautsystem einer ihnen nicht bekannten Sprache aufstellen. Sie lassen sich von den Muttersprachler/ innen Wörter vorsprechen, die Sie phonetisch transkribieren. Dann müssten Sie noch heraus bekommen, welche der Wörter die gleichen sind, möglicherweise gelingt das mithilfe von Gestik und Mimik. Auf die Bedeutungsangaben können wir verzichten, stattdessen markieren wir das gleiche Wort mit einer Zahl. So sieht nun ein Ausschnitt Ihrer Belegsammlung aus: [´om] 1, [ibn] 2, [bent] 3, [æn] 4, [man] 5, [min] 6, [an] 4, [wæ] 7, [al] 8, [lub] 9, [bint] 3, [´um] 1, [men] 6, [mæn] 5, [æl] 8, [ebn] 2, [lob] 9, [wa] 7. Lösung: Wenn wir die Beispiele nach Vokalen und Wörtern zusammenstellen, erhalten wir drei Gruppen: [´om], [´um] 1 [lub], [lob] 9 61 4.3 Distributionalismus [ibn], [ebn] 2 [bent], [bint] 3 [min], [men] 6 [man], [mæn] 5 [an], [æn] 4 [al], [æl] 8 [wæ], [wa] 7. In diesem Ausschnitt gibt es pro Wort immer zwei Aussprachevarianten. Da die Substitution von [u] durch [o] nicht zu einem neuen Ausdruck führt, handelt es sich um Allophone (Phonemvarianten, der Begriff stammt von Whorf, vgl. Carroll 1956: 32). Das gleiche gilt für [i] und [e] bzw. [a] und [æ]. Damit ergeben sich drei Phoneme, sie werden gewöhnlich als / u, i, a/ dargestellt. Diese Beispiele stammen übrigens aus dem Arabischen. Es hat neben den drei Kurzvokalen außerdem die drei entsprechenden Langvokale und zwei Diphthonge, / aw/ und / ay/ . Ihre Belegsammlung sieht mit Bedeutungsangaben so aus: [´om] ,Mutter‘, [ibn] ,Sohn‘, [bent] ,Mädchen‘, [æn] ,dass‘, [man] ,wer‘, [min] ,von, aus‘, [an] ,dass‘, [wæ] ,und‘ [al] ,der/ die‘, bestimmter Artikel, [lub] ,Verstand, Haupt‘, [bint] ,Mädchen‘, [´um] ,Mutter‘, [men] ,von, aus‘, [mæn] ,wer‘, [æl] ,der/ die‘, bestimmter Artikel, [ebn] ,Sohn‘, [lob] ,Verstand, Haupt‘, [wa] ,und‘. 4.3 Distributionalismus In der Nachfolge verfeinerten die amerikanischen Strukturalisten bestimmte Prozeduren, um Elemente und ihre Relationen zu ermitteln. Linguistik wurde mathematischer. Hier sind vor allem Charles Hockett (1916-2000), ein Schüler Bloomfields, und Zellig S. Harris (1909-1992) zu nennen. Segmentierung, Substitution und Distributionsanalyse sollten klare Kriterien für die Klassifikation der Einheiten bilden. Mithilfe von Segmentierung und Substitution lassen sich die kleinsten Einheiten ermitteln und aufgrund der Distribution, also der Verteilung und der Menge der Umgebungen, zu Klassen zusammenfassen. Jede Klasse ist durch ein eigenes Distributionsprofil bestimmbar. Was für Phoneme gilt, gilt auch für Morpheme und Wörter. Die Einheiten unterscheiden sich einerseits in der Form, andererseits in den jeweiligen Umgebungen, in denen sie verwendet werden können. Dabei korrelieren formale Unterschiede immer mit Distributionsunterschieden. Dies basiert auf der Vorstellung, dass echte Synonyme nicht existieren (Bloomfield 1933: 145). Das heißt, es gibt immer eine jeweils andere Umgebung für Samstag bzw. Sonnabend, für Apfelsine bzw. Orange oder für backte bzw. buk, auch wenn sie nur durch geringe Konnotationsaspekte bzw. Bedeutungsnuancen bedingt ist. Die typische Vorgehensweise bei der Ermittlung von Phonemen ist, zunächst die Phone festzustellen, das geschieht automatisch bei der Transkription, wenn ein Laut durch ein Transkriptionszeichen dargestellt wird. Dann folgen die eigentlichen Anal yseschritte. Wir müssen die Phoneme bestimmen. Hockett (1942) versuchte, konsequent distributionalistisch vorzugehen, auf das Bedeutungskriterium zu verzichten und sich stattdessen rein auf die Distribution zu stützen. Ausgangspunkt ist der Gedanke, dass zwei Phone zu einer Klasse gehören, also zu einem Phonem, wenn sie in gleicher Umgebung vorkommen. Laute mit gleichen Distributionsmerkmalen gehören grundsätzlich einer Klasse an, z.B. der der Konsonanten. Je mehr Kriterien berück- 62 4 Amerikanischer Strukturalismus sichtigt und je mehr Unterschiede in den Umgebungen ermittelt werden, desto feiner wird die Unterteilung, so dass zum Schluss die Klass en der einzelnen Phoneme entstehen. Hockett illustrierte das am Beispiel des Spanischen. Diese Sprache verfügt über die Vokale / i, e, a, o, u/ . Sie unterscheiden sich von den Konsonanten, weil sie die Betonung tragen, das tun die Konsonanten nicht. Innerhalb der Vokale wiederum können wir / i/ und / u/ von den anderen unterscheiden, weil sie sowohl silbisch als auch nicht silbisch auftreten, die restlichen Vokale sind immer silbisch. Das / i/ bildet eine eigene Klasse, ein eigenes Phonem, weil es nicht ohne Betonung nach dem palatalen Nasal ñ, dem mouillerten l (wie capilla , Kapelle ‘ ) und / j/ und vor Vokal erscheinen kann. Auf diese Weise finden wir für jeden Sprachlaut charakteristische Vorkommensmöglichkeiten. Seit Trager/ Bloch (1941) werden übrigens Varianten bzw. noch nicht weiter bestimmte Phone in eckige Klammern gesetzt. Diese in phonetischer Lautschrift mit vielen zusätzlichen Informationen versehene Transkription ist von der phonologischen Transkription zu trennen, die nur die Phoneme einer Sprache berücksichtigt. Sie steht in schrägen Klammern. Die Unterscheidung ist noch heute üblich, vgl. haben / hab∂n/ , [h ā m] oder Tasse / tas∂/ , [t h as∂]. Im Arabischen sind [a] und [æ] Varianten des Phonems / a/ . Es gibt verschiedene Typen der Distribution. Die Distribution ist kontrastiv, wenn sie in gleicher Umgebung zu neuer Bedeutung führt. Die Distribution ist frei, wenn sich die Einheiten in jeder Umgebung miteinander vertauschen lassen, ohne dass dies bedeutungsunterscheidend wäre. Dann handelt es sich um Varianten eines Phonems. Dies wurde bereits am Beispiel der deutschen r-Laute gezeigt. Außerdem gibt es noch die komplementäre Distribution, wenn ein Laut in einer Umgebung auftritt, in der der andere nicht vorkommt. Das ist der Fall bei dem deutschen Ich- Laut und dem Ach-Laut - [ç] nur nach hellen Vokalen und l, n, r, nicht nach dunklen Vokalen, [x] bzw. [χ] nur nach dunklen, nicht nach hellen Vokalen und l, n, r. Da im Deutschen diese Verteilung von der Lautumgebung abhängt, handelt es sich um ein Phonem, das eben positionsbedingt in zwei Varianten erscheint (meist werden [x] und [χ] gar nicht unterschieden). Nur, wenn auch an mindestens einer Stelle der eine den anderen Laut ersetzt und zu einem neuen Wort führt, könnte von zwei Phonemen gesprochen werden. Eine Einschränkung allerdings bezieht sich auf die phonetische Ähnlichkeit der Varianten, die gegeben sein muss, wenn sie zu einem Phonem z usammengefasst werden sollen, da sonst auch [h] (nur am Silbenanfang) und [ ] (nur am Silbenende) als ein Phonem gelten könnten. Die Klassifizierung der Ich- und Ach-Laute im Deutschen bleibt ein kon trovers diskutiertes Thema. Vielfach werden heute zwei Phoneme, / ç/ und / x/ , angesetzt, da erstens beide im Anlaut vorkommen können (Chemie, China vs. Chuzpe, Chutba) und sich zweitens einige wenige Minimalpaare finden lassen (Kuhchen vs. Kuchen, Tauchen vs. tauchen). Die Vertreter/ innen der Ein-Phonem-Lösung weisen solche Beispiele als zu weit hergeholt bzw. nicht eigentlich deutsch zurück. Die zweiten Beispiele hängen zudem von der einheitlichen Ausssprache des chen-Suffixes ab, die positionsunabhängig gilt. Strukturalistisch gesehen aber reichen die ersten Beispiele schon aus, um eine Zwei-Phonem-Lösung zu rechtfertigen. Auf morphologischer Ebene sind die Plurale im Englischen komplementär verteilt. Dabei ist die Distribution von / -s/ , / -z/ und / -∂z/ in cups , Tassen ‘ , hills , Hügel ‘ und roses , Rosen ‘ phonologisch bedingt, denn der Endlaut des Stammes bestimmt den 63 4.3 Distributionalismus Plural. Ob aber / -s/ , / -∂n/ oder 0 (oxen, sheep, Pl.) als Plural gewählt wird, ist morphologisch bedingt, da es vom morphologischen Status des Stammes, einer bestimmten Art der Unregelmäßigkeit, abhängt. Die charakteristische Distribution eines Elementes sollte im Prinzip ganz den Bedeutungsaspekt ersetzen, weil jede Einheit ihr eigenes Distributionsprofil aufweist und dadurch von allen anderen zu unterscheiden war, was sich in der Praxis aber nicht durchsetzen ließ. Jedoch prägte diese Vorstellung den Begriff Distributionalismus für diese Richtung des amerikanischen Strukturalismus. Übungsaufgabe: Ermitteln Sie die Phoneme mithilfe von Segmentation, Substitution, Distribution, Klassifizierung! Stellen Sie sich verschiedene Ausprägungen der Wörter Tasse, Kasse und Gasse vor und konzentrieren Sie sich auf die Anfangslaute [thas∂], [t h as∂], [tas∂], [khas∂], [k h as∂], [kas∂], [gas∂]. Wir finden stark aspirierte Plosive, vgl. [th] und [kh], das kommt eventuell bei energischer Betonung des Wortes vor. Wir haben weniger stark aspirierte Plosive, [k h ], [t h ], dies entspricht der Standardaussprache. Schließlich gibt es unaspirierte stimmlose Plosive [k], [t], wie es bei süddeutschen Sprecher/ innen zu hören ist. Außerdem haben wir einen stimmhaften Plosiv, [g]. Lösung: Segmentation heißt, wir müssen die kleinsten Elemente ermitteln, Kandidaten wären t, k, h. Substitution heißt, wir tauschen die Elemente aus und setzen sie in anderen Äußerungen ein. In [khas∂] lässt sich [kh] durch [k h ], [k], [g] oder auch [r] austauschen. Das weist darauf hin, dass [kh] ein Element ist. Das [k] (in [khas∂]) allein oder das [h] allein lassen sich nicht austauschen: [k h ] statt [k] ergibt *[k h has∂], [t] statt [h] ergibt *[ktas∂], [g] statt [k] ergibt *[ghas∂], [k] statt [h] ergibt *[kkas∂]. Auch das weist wieder darauf hin, dass [kh] nicht zwei, sondern ein Element ist. Auch in anderen Umgebungen sind [th], [t h ], [t] austauschbar, vgl. Ton/ [thon], [t h on], [ton] oder in tut/ [thuth], [t h ut h ], [tut]. Also handelt es sich bei [th] wie auch bei [t h ], [t], [kh], [k h ] und [k] je um ein Segment. Anders wäre es bei Trasse. Da es neben [tras∂] auch [t h as∂]/ Tasse und [ras∂]/ Rasse gibt, handelt es sich bei [tr] um zwei Segmente. [th] und [kh] sind jeweils ein Segment - soweit die Segmentierung. Nun müssen die Elemente in Klassen zusammengefasst werden. Dazu ermitteln wir die Distribution, die Anordnung der Elemente. Wenn sich zwei Elemente in jeder Umgebung austauschen lassen, ohne dass das zu einem anderen Wort führt, sind es Varianten, die eine Klasse bilden. Der erste Laut in [thas∂], [t h as∂] und [tas∂] kommt auch woanders in dieser Variation vor, ohne Unterschiede zu bewirken, vgl. hatte [hath∂], [hat h ∂], [hat∂] und oben in Ton oder tut. Entsprechendes gilt für [khas∂], [k h as∂], [kas∂], [hakh∂], [hak h ∂], [hak∂]. Hingegen bewirkt ein Austausch mit [g] ein neues Wort, vgl. [gas∂]. Es liegt nahe, jeweils [th], [t h ] und [t] bzw. [kh], [k h ] und [k] zusammenzufassen zu einer Klasse, / t/ bzw. / k/ . / r/ und / g/ bilden weitere Klassen. Bei der morphologischen Analyse wird entsprechend verfahren. Erst einmal sind die Äußerungen einer Sprache zu sammeln und zu transkribieren. Dabei ist eine möglichst einfache phonologische Transkription zu bevorzugen (Hockett 1947: 341). 64 4 Amerikanischer Strukturalismus Dann erfolgt die Segmentierung. Teile, die wiederholt mit gleicher Bedeutung erscheinen und die sich nicht in kleinere Teile zerlegen lassen, sind Morphe. Am Ende müssen alle Phoneme einem Morph zugeteilt sein, es darf nichts übrig bleiben. Nun werden die Morphe klassifiziert. Zwei Morphe gehören zu einem Morphem, wenn sie die gleiche Bedeutung haben. Morpheme wiederum sind Klassen von Morphen. So stehen in Kinder, Autos und Wolken -er, -s und -n immer für den Plural und gehören daher zum Pluralmorphem. Die Distribution darf nicht kontrastiv sein. Nichtkontrastiv wäre il- (vor l, illegal, illoyal), im- (vor m, immateriell) und in- (sonst, inaktiv, indirekt), il-, im- und insind Varianten des Negationspräfixes bei Adjektiven {in-}. Würden sie sich an einer Stelle austauschen lassen und eine Bedeutungsveränderung hervorrufen, ergäbe das Morpheme. Außerdem dürfen die Varianten zusammen nicht mehr Umgebungen aufweisen als ein vergleichbarer Ausdruck mit einer einzelnen Variante. Das heißt, ein Wort wie car , Auto ‘ hat mindestens so viele Umgebungen wie wife , Ehefrau ‘ , das im Plural anders ausgesprochen wird als im Singular. Die Umgebungen von / waiv/ (nur vor Plural) und / waif/ (sonst) zusammen dürfen nicht mehr sein als die von car. Übungsaufgabe: Bestimmen Sie die Morpheme in folgenden Wörtern des Suaheli (nach Gleason 1955: 25). Was bedeutet walikupenda? 1 atanipenda ,er wird mich mögen‘ 15 atanipiga ,er wird mich schlagen‘ 2 atakupenda ,er wird dich mögen‘ 16 atakupiga ,er wird dich schlagen‘ 3 atampenda ,er wird ihn mögen‘ 17 atampiga ,er wird ihn schlagen‘ 4 atatupenda ,er wird uns mögen‘ 18 ananipiga ,er schlägt mich‘ 5 atawapenda ,er wird sie (pl) mögen‘ 19 anakupiga ,er schlägt dich‘ 6 nitakupenda ,ich werde dich mögen‘ 20 anampiga ,er schlägt ihn‘ 7 nitampenda ,ich werde ihn mögen‘ 21 amenipiga ,er hat mich geschlagen ‘ 8 nitawapenda ,ich werde sie (pl) mögen‘ 22 amekupiga ,er hat dich geschlagen ‘ 9 utanipenda ,du wirst mich mögen‘ 23 amempiga ,er hat ihn geschlagen ‘ 10 utampenda ,du wirst ihn mögen‘ 24 alinipiga ,er schlug mich‘ 11 tutampenda ,wir werden ihn mögen‘ 25 alikupiga ,er schlug dich‘ 12 watampenda ,sie werden ihn mögen‘ 26 alimpiga ,er schlug ihn‘ 13 atakusumbua ,er wird dich ärgern ‘ 27 wametulipa ,sie haben uns gezahlt‘ 14 unamsumbua ,du ärgerst ihn‘ 28 tulikulipa ,wir zahlten dich‘ Lösung: Zunächst gehen wir von der Annahme aus, dass diese Aufstellung einer phonologischen Transkription entspricht. Wir stellen die Beispiele mit immer nur minimalen Unterschieden kontrastiv gegenüber: wir suchen Minimalpaare. So erhalten wir die kleinsten Einheiten. Bei einem Minimalpaar unterscheiden sich zwei Ausdrücke an einer Stelle oder aufgrund eines Merkmals. Dies wird meist auf Wörter bezogen, die sich nur durch einen Laut unterscheiden wie Bein/ Pein, kann aber auch für die morphologische Ebene gelten. Das heißt, mithilfe von Oppositionsbildung und Substitution segmentieren wir die Ausdrücke in Morphe. 65 4.3 Distributionalismus Da bei den Beispielen 1-5 alles gleicht bleibt bis auf das Pronomen für das Objekt, dürfte es sich bei ni, ku, m, tu und wa um die Entsprechung zum Objektspronomen handeln. Der Vergleich von 2, 13, 16 ergibt unterschiedliche Verben, die Entsprechungen sind penda, sumbua und piga. Die Beispiele 7, 10, 11 und 12 unterscheiden sich im Subjekt, also dürfte ni die Entsprechung zu ich, u die Entsprechung zu du, tu die Entsprechung zu wir und wa die Entsprechung zu sie (Pl.) sein. Der Unterschied zwischen 19, 22 und 25 ist das Tempus. Somit sind na, me und li Tempusmarkierungen. Da bei den Beispielen 2 und 6 der Unterschied im Subjekt er/ ich besteht, ermitteln wir a als er und ni als ich und so weiter. Außerdem können wir feststellen, dass diese Morpheme im Wort in einer bestimmten Reihenfolge auftreten: Subjekt, Tempus, Objekt, Verb. Das gehört mit zur Distribution einer Einheit. Außerdem gehen wir davon aus, dass alle initialen azu einem Morphem gehören, ebenso alle ni- und u-. Das heißt, in unserem Ausschnitt gibt es keine Probleme mit Morphemvarianten. Weiterhin sind die Morpheme im Suaheli alle gebunden, darum setzen wir Subjektpräfixe, Objektpräfixe und Te mpuspräfixe an. Wir erhalten Subjekt: {a-} ,er‘, {ni-} ,ich‘, {u-} ,du, {tu-} ,wir‘, {wa-} ,sie‘ (pl) Tempus: {ta-} Futur, {na-} Präsens, {li-} Präteritum, {me-} Perfekt Objekt: {m-} ,ihn‘, {ni-} ,mich‘, {ku-} ,dich‘, {tu-} ,uns‘, {wa-} ,sie‘ (pl) Verb: {penda} ,mögen‘, {piga} ,schlagen‘, {sumbua} ,ärgern‘, {lipa} ,zahlen‘. Ob ein Morphem als Subjekt oder Objekt verwendet wird, entscheidet offenbar die Stellung, denn im Suaheli sind ich/ mich und wir/ uns gleich. Die Stellung im Suaheli-Wort gibt auch schon die nötigen Hinweise, die wir für eine Klassifizierung der Morpheme benötigen. Alle letzten Morpheme sind Verben, die ersten geben Subjektpräfixe an. Ohne die Bedeutungsangaben könnten wir die Morpheme zwar segmentieren und in Gruppen ordnen, ob wir jedoch alle Funktionen bestimmen könnten, ist fraglich. Harris (1955) versuchte, rein über eine Verteilungsstatistik Morphemgrenzen zu ermitteln, indem er fragte, welche verschiedenen Laute nach einem bestimmten Laut vorkommen, und das für möglichst viele Äußerungen einer Sprache. Aber mehr als Morphemgrenzen erhält er so nicht. Schließlich muss noch walikupenda übersetzt werden: sie mochten dich. Für die Morphologie entscheidend war aber Hockett (1954), als er die Modelle für die grammatische Beschreibung vorstellte, die in Ansätzen schon bei Bloomfield, Harris, Nida und anderen zu finden sind. Er wollte sie ursprünglich auch für die Syntax verstanden wissen. Außerdem sprach Hockett in diesem Artikel nicht mehr nur von Morphemalternanten, sondern von Allomorphen. Strukturalistische Terminologie und Vorgehensweisen sind in Hockett (1958) dann auf alle sprachlichen Ebenen ausg eweitet. Das schon bei den alten Griechen übliche Wort-und-Paradigmen-Modell (word and paradigm) stellt die verschiedenen Wortformen in übersichtliche Gruppen tabellarisch zusammen, den Paradigmen. Die kleinste Einheit war das Wort. Der Vergleich zwischen den Paradigmen gestatte es, interne Regelmäßigkeiten und Unterschiede aufzudecken. Ein Paradigma repräsentierte ein Muster, ein Wort konnte einem Muster zugeordnet und entsprechend flektiert werden. Das Spanische beispielsweise hat drei Gruppen regelmäßiger Verben. Die Präsensformen von tomar , etw. nehmen ‘ , beber 66 4 Amerikanischer Strukturalismus , trinken ‘ und escribir , schreiben ‘ dienen als Vorbild für die Präsenskonjugation aller regelmäßigen Verben. 1. Sg. tomo bebo escribo 2. Sg. tomas bebes escribes 3. Sg. toma bebe escribe 1. Pl. tomamos bebemos escribimos 2. Pl. tomáis bebéis escribís 3. Pl. toman beben escriben. Die anderen beiden Modelle arbeiten mit dem Morphem als kleinster Einheit. Im Item-und-Anordnungs-Modell (item and arrangement) lassen sich die sprachlichen Äußerungen in den Morphemen und in ihren Anordnungen erfassen. Mit Item sind Morpheme oder Morphemfolgen gemeint, mit der Anordnung die lineare Abfolge, aber auch die hierarchische Struktur. So würden wir dann die spanischen Verbformen angeben als {tom} + {o}, {tom} + {as} oder deutsche und englische Vergangenheitsformen als {cook} + {ed} oder {koch} + {te}. Was aber ist mit nahm/ took? Hockett unternahm nun einen wichtigen Schritt, indem er den Begriff Prozess einführte, den es in anderen Zusammenhängen durchaus schon bei Sapir oder Nida gab. Damit bewegte er sich von der Beschreibung eines Zustandes weg. Im Item-und- Prozess-Modell (item and process) lassen sich sprachliche Äußerungen in den Wurzeln erfassen und in den Prozessen, denen sie unterliegen. Auch die möglichen Repräsentationen eines Prozesses, die sich aus der Umgebung vorhersagen la ssen, gehören zur Beschreibung. Cook ist eine Wurzel. Der Prozess für die Vergangenheitsbildung erfordert das Anhängen von -ed / t/ . Bei take liegt eine Wurzel vor, der Prozess für die Vergangenheitsmarkierung sieht die Ersetzung des Stammvokals / ei/ durch / u/ vor. In beiden Fällen handelt es sich um den gleichen Prozess, der jedoch zu unterschiedlichen Ergebnissen führt. Harris (1946) behandelte syntaktische Verfahren. Die Substitution kennen wir bereits: In einer Umgebung C-D wird ein Ausdruck A durch einen Ausdruck B ausgetauscht. Alle Ausdrücke, die in dieser Umgebung A ersetzen können, sind Elemente einer Substitutionsklasse. Bei den Suaheli-Beispielen wären das in den Äußerungen 1-5 ni, ku, m, tu und wa. Für diese Substitutionsklasse hatten wir die Bezeichnung Subjektpräfix gewählt. 4.4 Charakteristika der deskriptiven Linguistik Ein für den Strukturalismus typischer Gedanke ist, dass die Position einer Einheit im System ihren Wert beeinflusst. Deswegen ist etwa ein Phonem nicht durch physikalische Eigenschaften zu bestimmen, sondern über seine Beziehungen zu den anderen Phonemen im jeweiligen Lautsystem. Anders als der europäische Strukturalismus aber interessierten sich die Amerikaner ausschließlich für die Ebene der Parole. Das hat sich aus den besonderen Arbeitsbedingungen bei der Beschreibung unbekannter Sprachen ergeben sowie durch die aktuelle psychologische Richtung des Behaviorismus, beides ergänzte sich gut. Kennzeichen für die deskriptive Linguistik ist das Ausklammern von Bedeutung. Sie wird ersetzt durch die biosoziale Funktion, die wiederum nur durch ausführliche 67 4.4 Charakteristika der deskriptiven Linguistik Analysen der Sprechsituation ermittelt werden kann. Zwei Äußerungen, die gleich klingen, aber eine unterschiedliche biosoziale Natur besitzen, sind als verschiedene Einheiten zu betrachten (z.B. Hockett 1942), etwa Seite und Saite - hier wird wieder nur das sichtbare Verhalten gewertet, nicht etwa mögliche Vorstellungen, die nur im Kopf existieren und darum nicht beobachtbar sind. Jegliches Mentalistische gilt es zu meiden. Unterschiedliche Wörter sind über Unterschiede in der situativen Auswirkung einer Einheit als gleich oder verschieden von einer anderen zu bestimmen, zumindest theoretisch. Heute gilt aber das Ausklammern der Bedeutung wie überhaupt das Verbot alles Mentalistischen als eines der größten Mankos der deskriptiven Linguistik. Verschiedene operationelle Verfahren zur Ermittlung der Einheiten wurden im Rahmen des Distributionalismus weiter entwickelt und verfeinert, um auf allen sprachlichen Ebenen Anwendung finden zu können. So konnten ausgehend von der phonetischen Ebene bis hin zu Satz und Text auf Grundlage des Segmentierens und Klassifizierens Substitutionsklassen gebildet werden, die nicht nur zu Phonemen und Mophemen führten, sondern auch zu Morphemsequenzen, Wörtern, Wortklassen und Wortgruppen bzw. Phrasen, da in einer Umgebung wie Was hat _ gestern gemacht? Herbert durch der Junge oder der kleine Junge etc. austauschbar ist. Auch die unmittelbaren Konstituenten (immediate constituents, IC) sind typisch für den amerikanischen Strukturalismus. Den Begriff führte Bloomfield in Language in Amerika ein. Ursprünglich jedoch stammt das Konzept von Wilhelm Wundt (1880). Wundt (1900/ 1922: 333) verwendete sogar bereits die Baumstruktur mit den binären Verzweigungen zur Darstellung eines hierarchischen Aufbaus von Sätzen. Die IC-Analyse stellt die syntaktische Struktur eines Satzes bzw. eines komplexen Wortes als Hierarchie von binären Verzweigungen dar: eine komplexe Form lässt sich in zwei unmittelbare Konstituenten zerlegen. Wenn diese wieder komplex sind, ergeben auch sie zwei Teile. Bei der Binarität waren ggf. Ausnahmen zugelassen, etwa im Falle von multiplen und diskontinuerlichen Einheiten (Wells 1947), vgl. Ge-sing-e oder Mann-Frau-Missverhältnis. Der Satz poor John ran away , der arme John lief fort ‘ lässt sich in die unmittelbaren Konstituenten poor John sowie ran away zergliedern, diese wiederum in poor und John und ran und away. Wörter können auf diese Weise in Morpheme gegliedert werden, wobei die Reihenfolge der Schritte Aussagen über die Struktur macht: ungentlemanly , ungebildet, unfein ‘ gliedert sich in un- und gentlemanly, dieses in gentleman und -ly (Bloomfield 1933: 161, 210). Bloomfield verzichtete allerdings noch auf die bildliche Darstellung der Baumstruktur, sie kam erst bei Nida (1946/ 1967: 87) auf. Diese Form der syntaktischen Analyse brach mit traditionellen Vorstellungen von Syntax, die einen Satz als Wortfolge sahen und keine weiteren Einheiten wie Phrasen ansetzten. Die IC-Analyse zusammen mit der Vorstellung von Phrasen als weiteren Einheiten neben Wort und Satz führte zu einer hierarchischen Struktur von Sätzen. Während die Distributionsanalyse die Einheiten lieferte, ergaben sich aus der IC- Analyse die Regeln der Verbindung dieser Einheiten. Beides zusammen führte zu einer neuartigen Auffassung von Syntax. Ein weiterer wichtige Baustein auf dem Weg zur modernen Grammatik stammt von Harris, der 1952 die Idee der grammatischen Transformation zur Verbesserung einiger Schwächen der IC-Analyse entwickelte. Die Transformation verändert die grammatische Form eines Satzes und ermöglicht es, grammatische Äquivalenzen festzustellen, wie sie etwa zwischen einem Aktivsatz und einem Passivsatz vorliegen. Beide kommen in der gleichen Umgebung vor, daher sind sie äquivalent. Satzverglei- 68 4 Amerikanischer Strukturalismus che zeigen, dass Aktiv- und Passivsätze eine regelmäßige Beziehung aufweisen. Zusätzlich zur Struktur wird durch die Transformation nun auch Information zu Beziehungen zwischen regelmäßig verwandten Strukturen dargestellt (vgl. Kap. 8.2). Um gerade bei Flexionsparadigmen homogene Gefüge zu erhalten, hatte Bloomfield die Idee des Nullelements oder auch Nullmorphems aus der Sanskritgrammatik übernommen, z.B. für Plurale ohne äußeres Kennzeichen wie bei sheep : sheep0 ( , Schaf ‘ : , Schafe ‘ ). Nullelemente gewannen an Relevanz, weil die Distributionalisten gleichmäßige Muster bevorzugten. Mit dem Null-Element sieht das Pluralmuster des Englischen wesentlich einheitlicher aus cow : cows duck : ducks horse : horses pig : pigs sheep : sheep0. Schließlich nahm Bloomfield zugrundeliegende Formen im Sinne von theoretischen Basisformen an - underlying forms - bei boyish und old-maidish wäre das boy und old maid. Diese Begrifflichkeiten finden wir später, teils in veränderter Bedeutung, in der generativen Grammatik wieder. Der amerikanische Strukturalismus beruht nur zum Teil auf den Erkenntnissen aus Europa. Bedingt durch einen eigenen Forschungsauftrag löste er sich von vielen Vorstellungen ganz. Andere übernahm und verfeinerte er und baute ein Gefüge von operationellen Verfahren der Sprachanalyse auf, das auf allen sprachlichen Ebenen anwendbar war und das unseren Umgang mit Sprache bis zum heutigen Tag prägt. Mehr oder weniger bewusst ermitteln wir unsere Einheiten mit genau den analytischen Methoden, die der Distributionalismus über Jahre propagierte und vervollkommnete, ganz unabhängig davon, welchem sprachwissenschaftlichen Programm wir uns verschrieben haben. Wir substituieren, segmentieren, klassifizieren. Die Verfahren, die unter Verzicht auf Bedeutung rein über die Distributionsanal yse die Einheiten ermitteln sollten, stellen ein objektives, auf alle Sprachebenen und Sprachen anwendbares Instrumentarium dar. Sie erwiesen sich jedoch oft genug als zu aufwendig, wenig praktikabel und in vielen Fällen unrealistisch. Weitere K ritikpunkte an den amerikanischen Strukturalisten richteten sich gegen die Gleichsetzung von tierischem und menschlichem Verhalten und gegen die Auffassung, Sprache als Reiz-Reaktionskette zu sehen, die Vernachlässigung der Bedeutung (z.B. Nida 1951, 1975) bzw. die Ablehnung alles Mentalistischen, was u.a. zur Gegenposition in den generativen Grammatiken führte, alle wesentlichen grammatischen Informationen seien angeboren und mental real. Besonders der Distributionalismus klammerte Zusammenhänge zwischen Sprache und Gesellschaft aus. Demgegenüber nahmen Edward Sapir oder Kenneth L. Pike, aber auch die später sich etablierende Soziolinguistik explizit nicht-sprachliche Einflüsse auf die Sprache an. Die Arbeiten der amerikanischen Struktu ralisten waren parole- und anwendungsbezogen. Sie boten aber ausreichend Ansatzpunkte für eine Grammatiktheorie, die 69 4.4 Charakteristika der deskriptiven Linguistik dann der berühmteste Schüler Zellig Harris ’, Noam Chomsky, anfänglich gemeinsam mit Harris, auf den Grundlagen des Distributionalismus entwickelte. Einige wichtige Werke Bloomfield, Leonard 1933. Language. New York. Boas, Franz 1911, 1922, 1933-38. Handbook of American Indian Languages. 3 Bde. Washington (vor allem die Einleitung von I). Harris, Zellig S. 1951. Methods in Structural Linguistics. Chicago. Hockett, Charles F. 1958. A Course in Modern Linguistics. New York. Wells, Rulon S. 1947. Immediate constituents. Language 23.81-117. Zum Weiterlesen Bloomfield (1933), Fought (2001); in Bense et al. (1976) sind einige wichtige Artikel des amerikanischen Strukturalismus ins Deutsche übersetzt; zahlreiche Bücher aus dieser Zeit sind frei im Internet zugänglich bei der open library unter archive.org. 5 Das sprachliche Relativitätsprinzip 5.1 Sprache, Denken und Kultur Ein weiterer berühmter Schüler Boas ’ war der aus Pommern stammende Edward Sapir (1884-1939). Er führte die amerikanische Sprachwissenschaft in eine ganz andere Richtung als Bloomfield, denn er hielt nicht viel vom Behaviorismus. Wie sein Lehrer war er außerdem ethnolinguistisch interessiert und verfolgte den Zusammenhang zwischen den sprachlichen Erscheinungen und den Sprachbenutzer/ innen und die Wechselbeziehungen zwischen Sprache und sozialen Faktoren. Für Sapir wie für Boas stand Feldarbeit im Vordergrund. Dementsprechend verband er anthropologische und linguistische Studien. Er nutzte die Methoden der indoeuropäischen historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft, um Verwandtschaften zwischen den amerikanischen Indianersprachen zu untersuchen und um historische und damit prozedurale Erklärungen für ihre Strukturen zu bekommen, die sich in späteren generativen Grammatiken in Form von Regeln wieder finden (Golla 2001). In Sapir (1925) verknüpfte er bereits strukturalistische Aussagen, das heißt die systematische Beschreibung eines Lautsystems, mit historischen Erklärungen, während Sapir (1921) ein Kapitel zur Typologie der Sprachen aufgrund von Form-Bedeutungskorrespondenzen enthielt und auch den Aspekt der Inkorporation, die zu Satzwörtern führt, erfasste. Dieser polysynthetische Sprachtyp ist durch die Eskimosprachen repräsentiert. Eine nicht unwesentliche Leistung Sapirs bestand auf dem Gebiet der Grammatik und der Untersuchung zahlreicher Sprachen. Insofern war er Strukturalist und Typologe. Boas hatte aufgrund seiner ethnologisch-anthropologischen und sprachlichen Studien der Ureinwohner Amerikas Zusammenhänge zwischen Umweltbedingungen, Denken und Sprache erörtert. Diese Gedanken führte Sapir aus. Dabei standen für ihn zunächst der psychologische Aspekt und damit das Individuum im Vordergrund . Bestimmte Umweltbedingungen wirken sich auf den Einzelnen aus, sie können sich aufaddieren zu einem Einfluss auf die Gesellschaft. Sprache wiederum ist beeinflusst von Umwelt und Kultur, von den jeweiligen Interessen, vor allem auf lexikalischer, weniger auf lautlicher und grammatischer Ebene. Unterschiedliche Spezialisierungen eines Lexikons reflektieren Bedarf und Interesse an bestimmten Gegebenheiten der Umwelt. Deswegen hat ein Stamm, der am Meer lebt und sich daraus ernährt, ein elaboriertes Lexikon für Fische, während ein Stamm im Landesinneren mehr Begriffe für Pflanzen kennt. Da die Sprachen aber Veränderungen unterworfen sind, würden wir heute ehemalige Reflexe von Einflüssen auf formale Aspekte von Sprache nicht mehr erkennen. Einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen Umwelt und Sprache sieht Sapir nicht (Sapir 1912). Wenn wir nun viele verschiedene Sprachen vergleichen, fällt auf, dass sich unsere Erfahrungen mit der Umwelt unterschiedlich ausdrücken lassen. Wir können einen Stein, der fällt, als der Stein fällt oder als es steint nach unten beschreiben. Die Bewegung nach unten findet sich entweder als Verb oder als Richtungsangabe versprachlicht. Inspiriert durch Einstein nennt Sapir das die Relativität der Konzepte bzw. Relativität der Form des Denkens (Sapir 1924). Wie schon bei Boas und in Anlehnung an Herder und Humboldt wird Sprache als „guide to social reality“ (Sapir 1929: 209) gesehen. Indes sind Sapirs Überlegungen zum Zusammenhang von Sprache, Denken und Kultur in verschiedenen Arbeiten verstreut 72 5 Das sprachliche Relativitätsprinzip erschienen und nicht präzis ausformuliert. Es handelt sich nicht um einen durchkonstruierten Gedankengang oder gar eine Theorie, denn er entwickelte seine Ansichten über einen längeren Zeitraum hinweg. Davon inspiriert nahm erst Whorf dazu ausführlicher Stellung. Sapirs Schüler Benjamin Lee Whorf (1897-1941) eignete sich als Ingenieur in einer Brandschutzversicherung sein linguistisches Fachwissen zunächst autodidaktisch an. Er führte erst Sprachstudien durch, dann erhielt er Stipendiengelder für eine Forschungsreise nach Mexiko, bevor er bei Sapir studierte. Zwar beschäftigten sich beide mit dem Thema Sprache und Denken, sie haben aber nie zusammen an einer Theorie der sprachlichen Relativität gearbeitet. Nach Forschungsreisen vor allem zu den Hopi war Whorf aufgefallen, dass wir Zeitangaben wie Tag oder Winter durch die Zuweisung von Artikel und Plural wie einzelne getrennte Gegenstände auffassen. Wir können nicht nur tatsächliche, sondern auch Dinge in unserer Vorstellung in die Mehrzahl setzen. Das Hopi weist Plurale jedoch nur tatsächlich zählbaren, voneinander abgrenzbaren Objekten zu. Zeitliche Angaben oder Phasen werden mehr wie Adverbien gebraucht und bilden einen eigenen Satzgliedtyp neben Subjekt oder Objekt. Im Hopi ist der Sommer ist heiß eine Angabe wie Sommer ist die Zeit, wenn es heiß ist. Unsere Verwendung von Tag oder Sommer als Nomen nun bewirkt, dass wir uns ein Objekt vorstellen mit einer bestimmten Ausdehnung, während im Hopi hier das Späterwerden im Mittelpunkt steht. Unser Zeit ist bei den Hopi Dauer. Wir haben einen linearen Begriff, die Hopi einen zyklischen. Diese Vorstellung von Linearität, von objektiven Einheiten von Zeit ist, so Whorf, typisch für das westliche Denken und mag mit verantwortlich sein für Konzepte wie Zeit sparen, Kalender und Uhren oder für unsere besondere Wertschätzung von Zeit, wie sie sich im Vergüten für auf Stunden oder Tagen basierende Leistungen ausdrückt. Wir finden es auch in der Verbflexion wieder, die zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft trennt, während es für die Hopi nur früher oder später gibt, weil sich das auf etwas Erfahrenes oder etwas zu Erwartendes bezieht. Mit ein Grund sind die Umweltbedingungen. Die Hopi leben abgeschieden von anderen Stämmen von der Landwirtschaft unter eher schwierigen klimatischen Bedingungen und auf ertragsarmen Böden. Für sie zählen Regen, die effektive Zusammenarbeit und ein kluger und sparsamer Umgang mit den Ressourcen. Der Naturkreislauf mit seinen immer wiederkehrenden Ereignissen und Überaschungen führt zu einer anderen Zeitauffassung. Sie verfügen durchaus über ein Konzept von Zeit, es ist allerdings nicht das gleiche wie das in den europäischen Sprachen. Entstanden sind die sprachlichen und gesellschaftlichen Normen in gegenseitiger Wechselwirkung. „Which was first: the language patterns or the cultural norms? In main they have grown up together, constantly influencing each other“ (Whorf 1941/ 1956: 156). Weitere Einflüsse der Kultur auf die Sprache sind immer möglich. So schließt Whorf dann, dass Konzepte wie Zeit und Materie abhängen von der Sprache und ihrem Gebrauch unter bestimmten Umweltbedingungen (Whorf 1941). Grammatische Strukturen sind Interpretationen der Erfahrung und interpretieren wiederum die Wahrnehmung. We dissect nature along lines laid down by our native languages. The categories and types that we isolate from the world of phenomena we do not find there because they stare every observer in the face; on the contrary, the world is presented in a kaleidoscopic flux of impressions which has to be organized by our minds - and this means largely by the linguistic systems in our minds. We cut nature up, organize it into con- 73 5.2 Sprachliche Relativität cepts, and ascribe significances as we do, largely because we are parties to an agreement to organize it in this way - an agreement that holds throughout our speech community and is codified in the patterns of language (Whorf 1940a/ 1956: 213). Der Anfang dieser Passage klingt nach einer großen Rolle, die die Sprache bei der Wahrnehmung spielt, das wird in den nächsten Sätzen aber relativiert. Denn d ie Kultur, das soziale Miteinander hinterließen ihre Spuren bei der Entwicklung der Kategorien und damit der Wörter, die uns jetzt wieder bei der Wahrnehmung leiten. Damit kann ein Individuum die Natur nie ganz unvoreingenommen beschreiben, weil die Sprache Interpretationsrichtungen vorgibt. Eine gewisse objektive Distanz mag sich allerdings durch das Erlernen vieler unterschiedlicher Sprachen entwickeln. Dass Beobachter/ innen nur dann zur gleichen Wahrnehmung der Wirklichkeit gelangen, wenn sie über einen ähnlichen sprachlichen Hintergrund verfügen, nennt Whorf das neue Prinzip der Relativität, ein paar Zeilen weiter dann das sprachliche Relativitätsprinzip. Das Hopi klassifiziert Ereignisse wie Wolken und Stürme als Typen von Dauer. Flammen oder Blitze sind zu kurz, um als Nomen zu gelten, sie werden als Verben versprachlicht. Wir verstehen Blitz in es blitzt als Handlung oder Kraft, als Ding oder einen Gegenstand, für die Hopi ist es ein Zustand (ibd.: 214f.). Kategorien wie Verb und Nomen beeinflussen so unsere Wahrnehmung. Whorf behauptete allerdings nie, dass das Denken von der Sprache bestimmt (determiniert) wird. Es ging immer nur um die Vorgabe von Möglichkeiten oder Richtungen, die eine gewisse Freiheit bei der Wahl zulassen. Denn allein schon die Auseinandersetzung mit dem Hopi bewirkte bei den Beobachtern eine Erweiterung der denkbaren Kategorien und die Relativierung der gewohnten Lexik und Grammatik. Die objektive Realität wird durch unterschiedliche sprachliche Formen von Sprache zu Sprache immer etwas anders gegliedert. Die verschiedenen sprachlichen Formen ergeben unterschiedliche Formen des Denkens, das beeinflusst auch das Verhalten. Die Sprecher/ innen sind durch oder in der Sprache jedoch nicht gefangen, da die Auseinandersetzung mit verschiedenen anderen Realitäten die Relativität der eigenen offenbaren hilft. Whorf hat nicht behauptet, die Realität werde willkürlich gegliedert. Diese Aussage stammt aus einer anderen Denkrichtung, und zwar von Bloomfield, der aufgrund dieser angeblichen Willkürlichkeit die Behandlung von Wortbedeutung als Untersuchungsgegenstand der Linguistik ablehnte (Bloomfield 1933: 140). 5.2 Sprachliche Relativität Der Begriff Sapir-Whorf-Hypothese, der von Hoijer (1954) stammt, überinterpretiert die Gedanken, die sich Whorf zu dem Thema gemacht hat. Auch er baute seine Ideen nicht zu einer kohärenten Theorie aus, sondern veröffentlichte seine im Werden b egriffene Position mehr als Grundsatz in verschiedenen Arbeiten. Als Hypothese wurden sie erst später eingestuft (Golla 2001). Eine ausdrückliche Bezugnahme auf Einsteins Relativität finden wir bereits bei Sapir (1924) im Zusammenhang mit der Relativität der Konzepte und des Denkens. Whorf sprach später vom sprachlichen Relativitätsprinzip, nicht von einer Theorie. Whorf wie auch Boas und Sapir versuchten mit dieser Vorstellung einen Ausgangspunkt zu schaffen, um die ihnen fremden Kulturen und Sprachen besser verstehen zu können. Sie wollten die Rolle der Sprache 74 5 Das sprachliche Relativitätsprinzip für eine Kultur und für das Verstehen dieser Kultur präzisieren und keine Theorie aufstellen. In Europa hatten sich verschiedene Denker dem Zusammenhang von Sprache, Denken und Kultur aus sprachphilosophischer Sicht genähert, z.B. Leibniz , Herder oder Humboldt. Letzterer wird auch als Begründer der sprachlichen Relativität gesehen (Lehmann 1998: 46, Werlen 2002: 162). Boas sah sich demgegenüber mit dem Problem der Übersetzbarkeit neuer Sprachen konfrontiert, bei denen er neue Kategorien in der Grammatik fand wie belebt/ unbelebt. Da er ursprünglich Naturwissenschaftler war, wollte er die Beschreibung dieser Sprachen entsprechend systematis ch, analytisch und vor allem vorurteilsfrei angehen. Aber er sah auch die Grenzen, die seine eigene bzw. die üblichen europäischen Sprachen ihm dabei auferlegten. Für Boas unterscheiden sich die Sprachen durch die Ideen, die sie in festen phonetischen Gruppen ausdrücken. Sie wählen dabei aus einer im Prinzip unendlichen Menge von Ideen aus. Würden tatsächlich alle möglichen Konzepte in einer Sprache in einer festen phonetischen Form ausgedrückt, würden unendlich viele phonetische Gruppen benötigt. Damit würde eine Sprache zu schwerfällig und die Kommunikation wäre behindert (vgl. Boas 1911: 24f.). Er führte hier also ganz praktische Gründe an, warum eine Sprache bei einem unendlichen (universellen) Vorrat an Konzepten nicht alle zu Wörtern macht. Daraus folgt zwangsläufig, dass die Entscheidung, welche Kategorien versprachlicht werden, von der Sprachgemeinschaft, ihren Umweltbedi ngungen und ihrer Kultur abhängt und dass eine andere Kultur eine andere Auswahl trifft. So gibt es bei den Eskimos nicht viele Gegenstände zu zählen, also haben sie nur Zahlen bis 10. Wenn sie aber in Kontakt mit einer Sprache mit einem ausgebauten Zahlensystem kommen, können sie dieses problemlos zum Zählen verwenden (Boas 1911: 66). Dafür haben sie aber mehrere Wörter für Schnee , wo für die Europäer/ innen eines genügt. Im Prinzip ist alles denkbar und alles ausdrückbar, es ist aber gar nicht nötig, alles immer ausdrücken zu können. Die Kultur beeinflusst ins ofern die Sprache, als sie unnötige Konzepte ausfiltert. Sie wählt aus einem universellen Inventar an Konzepten die wichtigen aus, die dann versprachlicht werden. Die einzelnen Sprecher/ innen kennen zunächst diese versprachlichten Konzepte. Sie können ihr grammatisches und lexikalisches Repertoire aber ausweiten, falls das nötig sein sollte. Die gedankliche Freiheit sah Boas nie gefährdet. Für Sapir setzte Sprechen nicht unbedingt grundsätzlich Denken voraus, während jedoch Denken ohne Worte nicht möglich ist. Die Sprache ist der einzige Zugang zum Denken, während das Denken wiederum seine Entstehung „einer sich stets verfeinernden Auswertung sprachlichen Materials verdankt“ (Sapir 1921/ 1961: 23). Geschichtlich haben sich Sprache und Denken gegenseitig beeinflusst (Sapir 1921/ 1961: 24). Später wurde er etwas konkreter, denn er meinte, dass die Welt zu einem großen Teil unbewusst durch die Sprachgewohnheiten einer Gruppe aufgebaut wird. Sprachen repräsentieren unterschiedliche soziale Wirklichkeiten, und die Welten, in denen verschiedene Gesellschaften leben, sind tatsächlich unterschiedliche Welten. Wie wir unsere Umwelt wahrnehmen, hängt von den Sprachgewohnheiten unserer G emeinschaft ab, die uns für bestimmte Interpretationen empfänglicher machen als für andere (Sapir 1929: 209f.). Sprache hilft uns und behindert uns gleichzeitig bei der Erkundung unserer Erfahrung (Sapir 1933). Diese Gedanken gelten als Ausgangspunkt des sprachlichen Relativitätsprinzips. Whorf formulierte das neue Prinzip der Relativität aus: „all observers are not led by the same physical evidence to the same picture of the universe, unless their linguistic backgrounds are similar, or can in some way be calibrated“ (Whorf 1940a/ 1956: 214). Mit diesem Artikel richtete er sich an 75 5.3 Sprachliche Relativität ist nicht Determinismus Naturwissenschaftler und Ingenieure, nicht an Sprachwissenschaftler. Insofern lag der Bezug auf Einstein nahe, für den die Beobachtungen des Universums abhängen von der jeweiligen Position der Beobachter/ innen in einem Zeit-Raum-System, die darum keine objektiven, sondern eben nur relative Aussagen treffen können (Werlen 2002: 1). Das Publikum dürfte auch mit für die Wahl verschiedener Metaphern wie kaleidoscopic flux of impressions verantwortlich gewesen sein, die in der späteren Whorf- Rezeption dann wörtlich genommen wurden und zu Fehlinterpretationen führten (Lehmann 1998: 30). 5.3 Sprachliche Relativität ist nicht Determinismus Die Idee der sprachlichen Relativität sah sich schnell massiver Kritik ausgesetzt. Einerseits wurde die These uminterpretiert zu einer deterministischen Variante, die abzulehnen ist. Andererseits wurden andere Wahrnehmungsstufen als bei Whorf di skutiert, um Kritik zu stützen. Schließlich ging es häufig eher darum, generative Grundannahmen prinzipiell zu verteidigen, die mit dem Gedanken der sprachlichen Relativität nicht vereinbar waren. Für die Vertreter/ innen der sprachlichen Relativität ist Sprache mehr als nur ein Kommunikationsmittel. Sie wirkt auch auf unser Denken ein. Allerdings legen Sprachen nicht die Wahrnehmung ihrer Sprecher/ innen fest, sondern beeinflussen und leiten sie, sodass interkulturelle Kommunikation möglich bleibt. Schließlich g elang es Boas, Sapir und Whorf immer, sich mit den verschiedenen Stämmen zu unterhalten. Hoijer bringt zur Illustration das Farbsystem der Navaho, das zwei Wörter für schwarz unterscheidet, dafür aber blau und grün in einer Kategorie zusammenfasst (Hoijer 1954). Trotzdem erkennen Europäer/ innen die unterschiedlichen Schwarztöne, so wie die Navahos auch blau von grün trennen können. Wichtig ist, Determinismus, bei dem geistige Freiheit nicht möglich ist, und Relativismus , der auf eine Beziehung zwischen Sprache und Denken abzielt, zu trennen. Brown/ Lenneberg (1954) führten als Beispiel für Determinismus George Orwells Roman Nineteen Eighty- Four an, in dem der Autor Menschen in einem totalitären Staat beschreibt, die wegen der wenig ausgebauten Sprache Newspeak („Neusprech“), die nur bestimmte Wörter und Formen besitzt, auch nicht differenziert denken und deswegen auch nicht gegen die Unterdrücker aufbegehren können. Das entspricht aber nicht den Gedanken Whorfs. Er sagte, dass die Kultur zu einem Zeitpunkt ein Konzept formte, dass es dazu ein Wort gab, und dass dieses Wort nun wieder auf unser Denken einwirkt. Insofern bestimmt die Sprache unsere Weltsicht mit. Wir unterscheiden uns von anderen Sprachgemeinschaften durch unsere eigene Interpretation der Welt. Aber nur, wenn wir das wollen. Wir können ein Wort wie Walfisch benutzen, obwohl wir genau wissen, dass es sich um ein Säugetier handelt. Die Arbeiten zur sprachlichen Relativität riefen schon bald die Gegenposition um sprachliche Universalien auf den Plan. In der Diskussion wurde die sogenannte Sapir- Whorf-Hypothese zunächst mit sprachlichem Determinismus gleichgesetzt: In recent years the anthropologists Whorf [...] have put forward the view that la nguage is a determinant of perception and thought [...], the semantic character of the form classes fixes the fundamental reality in a language community“ (Brown 1957: 1); „language determining perception (cf. Sapir and Whorf)“ (Kay/ McDaniel 1978). „The structure of anyone’s native language strongly influences or fully determines the world-view he will acquire as he learns the language (Brown 1976: 128). 76 5 Das sprachliche Relativitätsprinzip Whorf hatte jedoch nie von dem vollständig bestimmenden, das heißt determinierenden Charakter der Sprache gesprochen. Hingewiesen sei auf das oben aufgeführte Zitat „or can be ... calibrated“ - das gleiche Bild des Universums kann also auch entstehen, wenn die verschiedenen sprachlichen Hintergründe in Übereinstimmung gebracht werden können. Auch Boas sagte ausdrücklich, dass Sprache allein ein Volk nicht am Voranschreiten im Denken abhalten wird (Boas 1911: 67). Trotzdem wurde diese Interpretation als starke Version der Relativitätstheorie propagiert, widerlegt und damit als Beweis für die Stichhaltigkeit des Universalismus gewertet, möglicherweise bewusst, um die universalistische Position zu stärken (vgl. Werlen 2002: 2, 27f.). Davon zu trennen ist aber die dann als schwache Version bekannt gemachte Variante der Relativität, die einen Einfluss von Sprache auf die Wahrnehmung z ulässt. Für Universalisten gibt es ihn nicht, stattdessen für alle Menschen nur eine gü ltige und damit universelle Sicht der Welt. Da die Sprache keine einflussnehmende Kraft auf das Denken besitzt und keine Rolle im Erkenntnisprozess spielt, dient sie nur als Verständigungsmittel. Diese gegensätzlichen Positionen hatten weitreichende Auswirkungen auf die Grammatiktheorie und auf die Vorstellung von Sprachwandel und Spracherwerb. Whorf wird aber nicht nur fälschlich als Determinist hingestellt. Fearing (1954) betonte, dass er mit der sprachlichen Relativität außerdem auch nicht auf die Perzeption, sondern auf die Begriffsbildung abzielte. Wahrnehmung bzw. perception bezieht sich auf den direkten, unmittelbaren Kontakt mit der Wirklichkeit, während cognition bzw. conceptualization schon Interpretationsspielraum zulässt. Es ist ein die Welt strukturierender Vorgang und bedeutet damit einen nächsten Schritt in der Informationsverarbeitung (Fearing 1954: 61f.). Whorf räumte die Möglichkeit ein, dass es eine vorsprachliche und allen Menschen gemeinsame Wahrnehmung gibt, somit ließ er grundsätzlich Universalien zu. Erst eine Verarbeitungsstufe weiter kommt es zu Einflüssen, und zwar durch Konzepte, auf die die Sprache einwirkt und die sich daher kulturbedingt unterscheiden können. Für das Wissen um die Konzepte ist die Kommunikation mit den Mitmenschen wichtig. Whorf bezog sich mit seinen sprachlichen Einflüssen auf eine fortgeschrittene Ebene der Kognition, auf habitual thoughts bzw. habitual concepts, also auf die Kategorien, die wir normalerweise nutzen im Gegensatz zu möglichen anderen. So haben die indogermanischen Sprachen Konzept und Wort für Traurigkeit, während es auf Tahiti fehlt. Dort gehört Traurigkeit nicht zu den habitual thoughts, sondern ist ein Aspekt von Krankheit, Müdigkeit oder einem Gefühl, das von einem bösen Geist verursacht wird (Levy in Lakoff: 1987). Trotz dieser Klarstellung kam es anschließend zu einer ganzen Reihe an Fehlinterpretationen der Whorf-Hypothese, die sie anhand der Farben, und zwar der Farberkennung und damit der Perzeption, überprüften (Werlen 1989: 163). Für Whorf geschieht die Wahrnehmung bei allen Menschen gleich, aber die Konzeptualisierung des Wahrgenommenen ist sprachspezifisch. Lehmann (1998: 34) führt die Fehlinterpretationen darauf z urück, dass der Begriff Perzeption teils auf die allgemeine, unbewusste Wahrnehmung, teils auf die konzeptionalisierte und damit auch sprachlich geprägte Wa hrnehmung bezogen wurde. Gerade die Arbeiten mit den Farben wollten Universalien auf der Grundstufe der Wahrnehmung (perception) beweisen, dies würde dann Whorfs Annahmen wiederlegen. Ein weiterer Grund für Probleme mit und Kritik an Whorf resultiert schließlich aus einigen der Schlussfolgerungen aus seinen Arbeiten, u.a. dass wechselseitige Einflüsse von Sprache und Denken möglich seien und dass es keine gemeinsame, angeborene Universalgrammatik gebe. Dies ist mit generativen Grundannahmen unvereinbar 77 5.4 Farben und wird darum nicht auf wissenschaftlich fundierter Basis, sondern prinzipiell abgelehnt (vgl. ausführlich Lehmann 1998: 97-124). 5.4 Farben Die ersten Studien von Brown und Lenneberg (vgl. Werlen 1989: 165f.) gingen von der These aus, dass sprachliches und nicht-sprachliches Verhalten korrelieren, wenn Farben benannt bzw. erkannt werden. Zuni-Sprecher/ innen haben keine Farbbezeichnung für orange. Bei der Erkennung von Farben verwechselten sie oft gelb und orange, während das der englischsprachigen Gruppe nicht passierte (Brown/ Lenneberg 1954). Das sprach für einen Einfluss des Lexikons auf die Erkennung von Farben. Mehrere frühe Studien zeigten entsprechende Zusammenhänge (Lehmann 1998: 168). Folgestudien ergaben allerdings keine eindeutigen Ergebnisse (Werlen 1989: 168). Die Farben bildeten auch weiter den primären Untersuchungsgegenstand. Berlin/ Kay (1969) und Kay/ McDaniel (1978) gingen von biologisch basierten semantischen Universalien aus. Zwar haben Sprachen unterschiedliche Farbbezeichnungen, aber alle verfügen über ein universelles grundlegendes Farbkategorisierungssystem („basic color categorization“, Berlin/ Kay 1969). Allen Sprachgemeinschaften stehen die gleichen Tiefenstrukturen zur Verfügung, und sie nehmen die Wirklichkeit gleich wahr. Die Frage ist, ob sich die verschiedenen Farbbezeichnungen auf unsere Wahrnehmung auswirken. Ist die Kategorisierung der Farben willkürlich oder in den verschiedenen Sprachen vergleichbar? Die für den Menschen erkennbaren Farbreize liegen im Bereich von etwa 380 bis 750 Nanometern des elektromagnetischen Spektrums. Diese unterschiedlich langen Lichtwellen bilden ein Kontinuum, das der Mensch als verschiedene Farben wahrnimmt. Damit gliedert der Mensch das Kontinuum - die These sagt willkürlich (Bloomfield 1933: 140). Die der Verarbeitung zugrunde liegenden neurophysiologischen Prozesse sind zwar bei allen Menschen gleich und die physikalischen Eigenschaften des Lichts bilden ein Kontinuum, die Farbwahrnehmung erfolgt jedoch offenbar kategoriell (Kay/ McDaniel 1978: 621). Die Untersuchung von Berlin/ Kay (1969) wollte die Vorstellung widerlegen, das Farbkontinuum sei willkürlich eingeteilt, da viele untersuchte Sprachen auf ein einziges System bei den Farbbezeichnungen hinwiesen und damit gegen eine sprachliche Relativität sprachen. Berlin/ Kay (1969) nahmen als Grundlage ihrer Studie die Grundfarben des Englischen, white, black, red, green, yellow, blue, brown, purple, pink, orange, grey. Diese englischen Farben setzten sie als jeweils gleiche Basiskategorien an. Per Definition besteht ein „basic color term“ aus einem einfachen Wort (grün vs. hellgrün), ist nicht in einem Farbbereich eines anderen enthalten (vs. oliv) und nicht auf eine kleine Gruppe von Referenten zu beziehen wie blond auf Haare. Außerdem soll es auffällig sein, bei Aufzählungen früher erwähnt werden und konstant sein. Lehnwörter und Wörter für Dinge (vgl. dt. türkis, aubergine) wurden ausgeschlossen. Sprachen weisen unterschiedliche so definierte Grundwörter für Farben auf. Berlin/ Kay verglichen dazu 98 Sprachen. Zuerst erfragten sie für 20 Sprachen von den Sprecher/ innen die Grundfarbwörter. Die so gewonnene Farbwortliste wurde anhand der von den Autoren bestimmten Kriterien bearbeitet. Dann sollten die Versuchspersonen die entsprechenden Farben im Fokus, also das beste Blau, das beste Grün, und in den Randbereichen auf einer Palette von 329 Farbkärtchen zeigen (Berlin/ Kay 78 5 Das sprachliche Relativitätsprinzip 1969: 5). Von Sprache zu Sprache gab es Übereinstimmung im fokalen Bereich der Grundfarben, nicht aber bei den Rändern. Keine Sprache hatte mehr als elf solcher Grundfarbwörter, und es schien ein universelles Verteilungsmuster zu geben. Es benutzten nämlich laut dieser Studie alle Sprachen Begriffe für schwarz und weiß. Gab es eine dritte Farbbezeichnung, war dies rot. Gab es eine vierte Farbb ezeichnung, war dies grün oder gelb. Hatte eine Sprache fünf Farbbezeichnungen, waren das dann schwarz, weiß, rot, grün und gelb. Entsprechend folgen blau, dann braun, dann eine von den restlichen Grundfarben. Die Reihenfolge ist laut Berlin/ Kay (1969) evolutionär bedingt. Dies beweist sprachliche Universalien und widerspricht der sprachlichen Relativität, [...] a total universal inventory of exactly eleven basic color categories exists from which the eleven or fewer basic color terms of any given language are always drawn. The eleven basic color categories are white, black, red, green, yellow, blue, brown, purple, pink, orange and grey (Berlin/ Kay 1969: 2). Die universellen Kategorien sind, zufälligerweise (! ), identisch mit den englischen. Aber schon die Übersetzung der Berlin-Kayschen Grundfarbwörter ist schwierig - ist engl. purple im Deutschen purpur oder purpurrot oder ein „intensives Rot“ und wie sieht das aus? Manchmal findet sich auch die Übersetzung lila und violett. Ist aber lila das gleiche wie violett? Ist engl. pink dt. rosa oder pink oder ist das das gleiche? Universelle Kategorien sollten aber leichter erkennbar und damit leicht benennbar sein. In Kay/ McDaniel (1978) gibt es dann auch nur noch sechs grundlegende Farben, white, black, red, green, yellow, blue. Viele Sprachen verfügen allerdings über lediglich eine Kategorie für blau und grün, andere hingegen über eine für gelb und grün. Damit sind auch die eben genannten sechs Grundkategorien als universelle Basis in Frage gestellt (Werlen 2002: 79f.). Außerdem bedeuten die Farbwörter von Sprache zu Sprache nicht unbedingt dasselbe, sondern decken meist unterschiedliche Farbbereiche ab - wie die Wortfeldtheorie zeigte, schränkt ein neues Lexem orange den Referenzbereich von rot und gelb deutlich ein (vgl. auch Kay/ McDaniel 1978). Gelb mit den Nachbarn rot und orange bezieht sich auf einen anderen Farbbreich als gelb mit dem Nachbarn rot. Die Interpretation der Ergebnisse durch Berlin/ Kay (1969) wurde wiederholt als nicht unbedingt objektiv kritisiert. So ist einzuwenden, dass Sprachen mit den Lex emen weiß und schwarz keine Farben benennen, sondern die Eigenschaften hell und dunkel (Hickerson 1971). Ein weiteres Problem ergab sich aus dem Postulat, die erwähnte Reihenfolge sei evolutionär zu begründen. Das hieße, Sprachen mit weniger dieser Farbwörter seien auch (kulturell) weniger weit entwickelt als solche mit mehr Farbwörtern (insofern ist es nur „natürlich“, dass das Englische die maximale Menge der Grundfarbwörter besitzt). Schließlich kranken die meisten der Farbuntersuchungen daran, dass die eigenen Farbkategorien als Ausgangspunkt dienen. Whorf hatte sich in seinen Studien mit den Hopi sehr darum bemüht, den ihm von seiner Sprache vorgegebenen sprachlichen Rahmen aufzugeben, um die fremde Sprache und das fremde Denken möglichst neutral und unvoreingenommen zu betrachten. Für uns sind Farben eigenständige abstrakte Eigenschaften. Manche Kulturen haben hingegen die Farbe der reifen Banane, die Farbe des Wassers, die Farbe des Blutes usw. Das sind konkrete Eigenschaften bestimmter Dinge. Ein Konzept wie das Blau oder das Rot gibt es dann nicht. Whorf warnte ausdrücklich davor, die eigenen Kategorien bzw. Wörter (das wären dann die elf englischen Grundfarbwörter) als Maßstab zu 79 5.4 Farben nehmen. Für den Sprachvergleich muss eine Ebene der Erfahrung der Realität gefu nden werden, die sprachunabhängig ist. To compare ways in which different languages differently , segment ‘ the same situation or experience, it is desirable to be able to analyze or , segment ‘ the experience first in a way independent of any one language or linguistic stock, a way which will be the same for all observers (Whorf 1940b/ 1956: 162). Dafür eignen sich Farbwörter weniger gut, weil Grundwahrnehmung und kategorisierte Wahrnehmung schlecht zu trennen sind und weil unhinterfragt davon ausgegangen wird, dass alle Völker ihre Farbinformationen als Adjektive versprachlichen. So vermisst Lehmann (1998: 183) die Berücksichtigung von Farbverben, -substantiven, -ableitungen und -metaphern. Vielleicht gibt es ja sogar noch weitere Möglichkeiten? Und unabhängig davon maß Whorf Konzepten auf der grammatischen Ebene einen höheren Stellenwert zu als Lexemen. Allerdings wiegen die methodischen Fehler der Studie ungleich schwerer (vgl. im Folgenden Hickerson 1971, Newcomer/ Faris 1971, Durbin 1972, Lehmann 1998: 170ff., zur Kritik am methodischen Vorgehen auch Heider 1972a). Um nur einige zu nennen: Für 20 Sprachen wurden Versuchspersonen befragt, 19 von Seminarteilnehmern. Für die meisten davon stand lediglich ein Proband zur Verfügung. Es bleibt unklar, ob die Probanden, je dreimal befragt, jedesmal von den gleichen Seminarteilnehmern besucht wurden und ob sich Proband und Seminarteilnehmer kannten. Wie gleichmäßig, sorgfältig und professionell das Vorgehen war, ist unbekannt. Gravierender ist jedoch, dass einzelne Versuchspersonen keinesfalls als repräsentativ für eine ganze Sprachgemeinschaft gelten können. Die Informanten wohnten in San Francisco und waren alle zweisprachig, damit also in der amerikanischen Kultur und Denkweise heimisch. Studien von einsprachigen und zweisprachigen Versuchspersonen ergaben aber systematische Unterschiede bei der Farbkategorisierung (Hickerson 1971: 261). In welcher Sprache die Versuchspersonen denken wurde nicht geprüft. Es hätten daher nur einsprachige Sprecher/ innen herangezogen werden dürfen. Über den Erhebungskontext und die Aufnahmesituation ist nichts bekannt. Außerdem fehlen genaue Angaben wie Alter oder Geschlecht der Probanden. Diese 20 Sprachen dienten als Grundlage für die Bestimmung der Farbfoki und für die entsprechende Universalität. Hier darf nochmals erwähnt werden, dass die Probanden für 19 Sprachen Englisch sprachen, und möglicherweise wurden englischbasierte Farbkategorisierungen ermittelt. Für die anderen 78 Sprachen wurde zum Teil stark veraltetes Material aus Büchern (die älteste Quelle stammt aus dem Jahr 1882) oder von Wissenschaftlern verwendet. Aktuelle Publikationen fanden keine Verwendung, obwohl vorhanden (Hickerson 1971: 263). Wieder waren es hauptsächlich Seminarteilnehmer(/ innen? ), die recherchierten. Die untersuchten Sprachen decken bei weitem nicht alle Sprachfamilien ab, sind damit nicht repräsentativ für die Sprachen der Welt und können daher auch nicht eine postulierte Universalität belegen. Die Auswahl der Grundfarbwörter geschah nicht immer nach den gleichen Kriterien. Einige der Sprachen bilden ihre Farbwörter, indem sie Objektnamen, auch entlehnte, reduplizieren. Wenn ein Farbwort aber auf einen Gegenstand zurückgeht, wurde es meist abgelehnt, jedoch nicht immer (vgl. englisch orange). Insgesamt entspricht die Untersuchung unter keinen Umständen den Mindestansprüchen an eine wissenschaftliche Erhebung, sie verstößt gegen alle Gütekriterien wie Repräsentativitität, Objektivität, Reliabilität, Validität (vgl. auch Durbin 1972). 80 5 Das sprachliche Relativitätsprinzip Zudem ist die Interpretation der Ergebnisse offenbar ebenfalls höchst subjektiv. Von den neun Sprachen mit lediglich zwei Farbbezeichnungen stammen sieben aus Neu Guinea. Auch andere Farbwortgruppierungen setzen sich aus Sprachen aus vorwiegend einer Gegend zusammen, damit könnten Verwandtschafts- und Nachbarschaftseinflüsse für die Gruppeneinteilung verantwortlich sein (Durbin 1972: 273). Das Dani hat nicht einfach schwarz und weiß. Eine Folgeuntersuchung zeigte, dass die Dani zwischen hellen und dunklen Farben trennen, für die aber schwarz und weiß nicht die besten Beispiele sind. Außerdem gibt es auch Bezeichnungen für rot, blau und gelb (Heider 1972a: 451). Das heißt, es fehlt grün. Einige Sprachen haben grau, obwohl sie ein Sechs-Kategorien-System aufweisen, bei dem blau fehlt (Durbin 1972: 265). Das Shona hat black, red, green und yellow, aber nicht white und zerstört damit ebenfalls das evolutionäre bzw. universalistische Konstrukt der Autoren, die dieses Problem allerdings mit folgender Behauptung lösen: „Goldberg fails to report a term for WHITE although one undoubtedly exists“ (Berlin/ Kay 1969: 80). Hickerson (1971), Newcomer/ Faris (1971) und Durbin (1972) verweisen auf sachliche, Schreib-, Transkriptions- und Übersetzungsfehler. Gerade diese Fehler führten zu der Vermutung, dass Berlin und Kay das Datenmaterial nicht selbst zusammengestellt ha tten (Durbin 1972: 262). Dass diese Untersuchung trotz gröbster Schwächen nach wie vor als Beleg für die Existenz von Universalien und als Gegenbeweis für die sprachliche Relativität herangezogen wird, gibt zu denken. In kritischen Veröffentlichungen findet sich eine Vermutung wiederholt - die Originalliteratur von Boas, Sapir und Whorf wurde gar nicht gelesen. Die Untersuchung führt an den Grundgedanken der Relativitätstheorie vo rbei, weil sie sich nicht auf die ursprünglichen Texte stützt, sondern auf Folgeinterpretationen, und diese, so manch kritischer Rezensent, bewusst überspitzt formuliert (Determinismus, vgl. oben Werlen 2002: 2, 27f.). Ähnlich vermutet Beat Lehmann „[e]s kann wohl nur als universalistisches Wunschdenken bezeichnet werden, daß die kritischen Rezensionen von Hickerson (1971), Durbin (1972) und anderen weitg ehend ignoriert wurden und Berlin & Kays Schema die Grundlage so vieler unkritischer Nachfolgeforschungen bildete“ (Lehmann 1998: 172). Hier empfiehlt es sich, die Texte selbst einmal zu lesen und sich eine eigene Meinung zu bilden. Später modifizierte die Forschergruppe um Paul Kay ihre experimentellen Vorgehensweisen (z.B. Kay/ McDaniel 1978, Kay/ Kempton 1984) und akzeptierte dann die gemäßigte Form des Relativismus, da sie für Sprecher/ innen verschiedener Sprachen Korrelationen bei Unterschieden auf kognitiver und sprachlicher Ebene fanden (Kay/ Kempton 1984). Die Farbwortdiskussion hat in den Folgestudien tatsächlich zu einem Ergebnis geführt, das den Whorf’schen Grundgedanken aber nicht widerspricht. Whorf sah die Wahrnehmung bei allen Menschen grundsätzlich gleich, „visual perception is basically the same for all normal persons past infancy [...] the facts are essentially the same for all observers“ (Whorf 1940b/ 1956: 163). Unterschiede in Kultur und Umwelt führen nach Whorf zu unterschiedlichen Kategorien, grammatischen und lexikalischen, und damit zu unterschiedlichen Wörtern. Die Sprachen tendieren insgesamt dazu, die sechs Farben schwarz, weiß, rot, gelb, grün und blau zu verwenden, wobei deren Foki universell zu sein scheinen, das dürfte physiologisch bedingt sein (Lehmann 1998: 180). Kulturabhängig kommt es zu Variationen. Je nach Farbe der Erde gibt es bei Wüstenvölkern eine Grundfarbe für braun-rot oder rot-braun. In manchen Sprachen fehlen Grundfarbwörter, während die industriellen Zivilisationen viele Farbwörter verwenden. Sie verfügen über künstliche Gegenstände und damit auch über eine ganz andere Farbauswahl als bei einem Leben in der Wüste oder im Schnee, 81 5.5 Aktuelle Anwendungen wo es dann auch keine Farbkärtchen gibt. Diese bildeten aber die methodische Grundlage der Erhebungen. Diese Zusammenhänge sind aber nicht genetischevolutionär, sondern praktisch-kulturell bedingt. Hier sei auf einen Aspekt hingewiesen, der in der Universaliendebatte auch später eine große Rolle spielt und der von Berlin/ Kay unhinterfragt vorausgesetz wurde: Universalien sind angeboren. Diese Annahme ist eine der Grundpfleiler der Chomsky’schen Lehre. Aber sie ist getrennt zu überprüfen, vor allem, wenn sie auch auf sprachliche, genauer, grammatische Kategorien bezogen wird. Im Rahmen der Farbwortdebatte mag ein Ergebnis sein, dass es semantisch-kognitive Universalien gibt. Sie können aber aus vergleichbaren biologischen und Umweltbedingungen der Menschen resultieren. Die Annahme, dass sprachliche Relativität Universalien ausschließt, ist grundsätzlich in Frage zu stellen. Schließlich darf nicht vergessen werden, dass die Ergebnisse der Farbwortuntersuchungen nur auf den basic color terms basieren, die eine willkürliche Untermenge der Möglichkeiten bilden, Farben zu versprachlichen, und dass die Farben keinen geeigneten Prüfstein für Whorfs Grundannahmen bilden, der eher grammatische Kategorien im Auge hatte. Zusammengefasst stellen wir fest, dass die Sprachen durch ihre grammatischen und lexikalischen Kategorien unterschiedliche Aspekte der Realität betonen. Das hindert die Sprecher/ innen aber nicht generell daran, die gerade nicht versprachlichten Aspekte wahrzunehmen. Das schließt auch nicht das grundsätzliche Vorhandensein von Universalien, auch sprachlicher, aus (alle Sprachen haben Laute, Konsonanten und Vokale, Wörter und komplexe Wörter bzw. Sätze). Eine wichtige generative Grundannahme ist, dass Sprache und Kognition getrennte Systeme bilden, daher darf es auch keine wechselseitigen Einflüsse geben. Die sprachliche Relativität stellt dies in Frage. Für Vetreter/ innen des Universalismus gibt es keine sprachlichen Einflüsse auf das Denken. Das schließt die Möglichkeit einer objektiven, für alle gleichen Sicht der Dinge mit ein. 5.5 Aktuelle Anwendungen Wenn Sprache und Denken zwei voneinander unabhängige Systeme sind, dann kann Sprache das Denken nicht beeinflussen. Angenommen aber, Sprache wirkt auf unser Denken ein, wie es das Relativitätsprinzip annimmt. Das ist dann heikel, wenn wir es nicht hinterfragen oder gar nicht bemerken und es gleichzeitig jemandem schadet. 5.5.1 Metaphern und Manipulation Häufig nützen wir Bilder, um etwas vereinfacht auszudrücken. Solche Metaphern heben Aspekte der Spenderkategorie hervor, während sie andere ausblenden. G eschieht dies systematisch, können die ausgeblendeten Aspekte irgendwann kognitiv wegfallen. Die Sprache des Nationalsozialismus kaschierte auf diese Weise methodisch die Gewaltherrschaft, vor allem gegen die Juden (Endlösung für die Massenermordung). Militär und Politik nutzen gern harmlose Metaphern, um Gewalt und kriegerische Auseinandersetzungen zu bagatellisieren, vgl. Luftschlag, Intervention und Antiterrorkampf statt Krieg und Massaker, innovative Verhörmethoden statt Folter, Vorwärtsverteidigung statt Angriffskrieg oder Kollateralschaden statt Tod von Zivilisten. George Lakoff verfolgte die Whorf’schen Grundannahmen weiter und etablierte in 82 5 Das sprachliche Relativitätsprinzip Auseinandersetzung mit der Chomsky’schen Transformationsgrammatik die Kognitive Linguistik (vgl. Kap. 13). Metaphern spielen in seinen Arbeiten eine große Rolle. 5.5.2 Feministische Sprachkritik Ein Vater und sein Sohn fahren Auto. Sie haben einen Unfall. Der Vater stirbt, der Sohn wird ins Krankenhaus gebracht und für die Operation vorbereitet. Der Doktor kommt und sagt: „diesen Patienten kann ich nicht operieren, es ist mein Sohn! “. Für die alten Ägypter gab es nur eine Sprache: ihre. Für die alten Griechen gab es nur eine Sprache: ihre. Auch den Europäern waren zu Zeiten Grimms die eigenen Sprachen die höher entwickelten, kultivierteren. Und noch während der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert galt den Amerikanern das Englische den Sprachen der Ureinwohner/ innen als überlegen - Boas, Sapir und Whorf lehnten das ganz ausdrücklich ab. Solche ethnozentrischen Ansichten sind heute selbstverständlich überholt. Sprachen werden nicht mehr qualitativ gewertet. Auch dies ist eine Facette der sprachlichen Relativität. Aber zu einem anderen Thema gibt es ähnlich egozentrische Meinungen. Schon Jan Baudouin de Courtenay stellte 1923 bei der Betrachtung zahlreicher Sprachen fest, dass der Derivation der Feminina von den Maskulina die Vorstellung („Weltanschauung“) entspricht, das Männliche sei ursprünglich und das Weibliche abgeleitet, Objekt und Eigentum des Mannes. Die Genusunterscheidungen sexualisieren die Individuen, und „ein sexualisiertes sprachliches denken [muss] auf unsere ganze weltanschauung und stimmung einen unleugbaren einfluss ausüben“ (Baudouin de Courtenay 1984: 254). Das hat Auswirkungen auf Gesetzgebung, Bildungsmöglichkeiten und Status in der religiösen Praxis. Er beschrieb u.a. willkürliche Auslegungen, wenn Frauen bestraft werden, wie es das Gesetz für Verbrecher vorschreibt, die Habilitation ihnen jedoch verweigert wird, da sie nur Universitätsdozenten erlaubt sei. Die feministische Linguistik versucht seit vielen Jahren, eine Gleichbehandlung von Frauen und Männern auf der sprachlichen Ebene durchzusetzen, weil sie davon ausgeht, dass dies zu einer Gleichberechtigung in den Köpfen der Sprachbenutzer/ innen führt. Sie bezieht sich dabei allerdings nicht auf das sprachliche Relativitätsprinzip, sondern setzt es implizit voraus (Werlen 2002: 60f.). Grundgedanke ist, dass, wenn Sprache das Denken beeinflusst, Fehlentwicklungen durch die Sprache korrigiert werden können: Die Wahrnehmung lässt sich durch Änderungen der Sprache verändern. Bezeichnenderweise haben Versuche, an der Sprache tatsächlich etwas zu ändern, zu vehementer Kritik geführt, die nicht immer im Bereich des Wissenschaftlichen verblieb (vgl. auch Khosroshahi 1989, für einen allgemeinen Überblick vgl. Samel 2000). Offenbar wird auch von der Gegenseite eine relativistische Position stillschweigend unterstellt, wenn Gleichbehandlung in der Sprache als Gefahr gesehen wird. Ungleichbehandlung findet auf mehreren Ebenen statt. Bei der Darstellungsweise der Geschlechter in Beispielssätzen etwa gibt es Unterschiede, die angefangen von Schultexten bis hin zu wissenschaftlicher Literatur ein langsames Einschleichen negativer Stereotypen zur Folge haben, wenn etwa Sätze zum Thema Haushalt mit Frauenbezeichnungen, zu technischen Themen mit Männerbezeichnungen gebildet werden. Ein anderes Beispiel ist die Nichtbenennung der Frau und damit Unsichtbarmachung, die dann zu einem geistigen Nichtberücksichtigen und dadurch zu Benach- 83 5.5 Aktuelle Anwendungen teiligung führt. Das anfangs aufgeführte Zitat aus Khosroshahi (1989) beispielsweise ist für viele unverständlich oder unsinnig, weil Doktor nicht für eine Frau stehen kann, obwohl es angeblich als generisches Maskulinum verwendet wird. Vielleicht ist es einigen schon in Schulbüchern aufgefallen, aber die unterschiedliche Darstellung von Männern und Frauen finden wir auch in Beispielsätzen von linguistischen Werken. In solchen Sätzen, die bestimmte grammatische Erscheinungen demonstrieren, kam es vor allem nach dem zweiten Weltkrieg immer stärker zu einer negativen Beschreibung der Frau. Ursula Doleschal führt als Beispiel den Satz an „Die jüngere Tochter ist ein Ausbund von Anmut und Gescheitheit, um den sich die tanzenden Herren förmlich reißen, wenn er in der Gesellschaft erscheint“, mit dem Wustmann 1918 die Übereinstimmung zwischen Pronomen (den, er) und Bezugswort (Ausbund) zeigt. In der Auflage von 1966 wird daraus „Die jüngere Tochter ist ein wa hrer Ausbund an Häßlichkeit, der bei den Herren keine wärmeren Gefühle erwecken kann, wenn er in der Gesellschaft erscheint“ (Doleschal 2002: 58). Mit den Beispielsätzen in Grammatiken und Lehrbüchern, aber früh auch schon in Schulbüchern werden noch heute Ideologien und Stereotypisierungen des Geschlechts gestärkt oder gar erst geschaffen, bei Frauen vor allem die negative Stereotypisierung (sprachlicher Sexismus). Das Deutsche teilt auf der Ebene des Sprachsystems die Nomen in die drei Gruppen Maskulinum, Femininum und Neutrum. Dabei ist Genus eine rein grammatische Kategorie und hat zunächst nichts zu tun mit Sexus, dem natürlichen Geschlecht. In der Geschichte des Deutschen kamen einige Wissenschaftler (m.) darauf, den maskulinen Wörtern Eigenschaften der Männer zuzuordnen und damit Genus und Sexus zu vermengen, wobei das Maskulinum höherwertig war. Genus entspricht heute in einigen Wortschatzbereichen tatsächlich dem Sexus, dem natürlichen Geschlecht, z.B. bei Personen wie Hexe oder Zauberer und bei vielen Tieren, vgl. Erpel, Bulle, Färse, Henne. Aber es gibt auch Ausnahmen, vgl. Vamp, Mädchen oder Tunte. Und bei Personenbezeichnungen wie Lehrer oder Physiker ist die Interpretation frei. Das war nicht immer so. Während Renaissance und Barock üblicherweise für Frauen und Männer je unterschiedliche Formen gebrauchten und damit Klarheit herrschte, wer nun mit Sächsin, Wächterin, Schmidin, Doctrin bzw. Doctor etc. (Doleschal 2002: 43) gemeint war, grenzt die Aufklärung in den Grammatiken das Weibliche mehr und mehr aus. Mit Karl Ferdinand Becker verschob sich 1824 die Bezeichnung des Wortbildungselements -er für Männer auch auf Personen (Doleschal 2002). Jacob Grimm stellte fest, dass das Maskulinum das frühere und bessere Genus ist und daher auch für Frauen verwendet werden kann, denn es entspricht dem natürlichen patriarchalischen System der Weltordnung (Hellinger 1990: 62). Wenn eine Maskulinform auch für weibliche Personen steht, handelt es sich um ein generisches Maskulinum, wie etwa bei der Form der Nächste in den 10 Geboten. Die maskuline Form, hier ausgedrückt über den Artikel der, gilt für eine ganze Klasse, also für alle Nächsten. In diesen Klassen gibt es selbstverständlich männliche und weibliche Vertreter. Ebenso selbstverständlich sind Frauen beim Ausdruck der Nächste oder Lehrer mitgemeint. Ein weiteres Beispiel für das generische Ma skulinum sind Pronomen wie man, niemand oder jemand, zu denen es keine feminine Entsprechung gibt, sie gelten daher automatisch für Männer und Frauen. Das Problem ist aber nun, dass bei Lehrer eine maskuline Form für weibliche Inhalte ohne formale Markierung stehen kann, während sich eine Femininform immer nur auf Frauen bezieht und dass die Selbstverständlichkeit des Mitgemeintseins nicht immer gilt, wie das zehnte Gebot 84 5 Das sprachliche Relativitätsprinzip zeigt. Im neunten und zehnten Gebot wissen die Frauen erst zum Schluss, ob sie angesprochen sind: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau. De facto ist die Verwendung einer maskulinen Form als generisch sehr oft willkürlich. Deswegen forderte die feministische Sprachwissenschaft in den siebziger Jahren die Gleichbehandlung von Frau und Mann auch auf der sprachlichen Ebene. Grundgedanke der feministischen Sprachkritik war, dass der Sprachgebrauch Frauen und Männer nicht gleich behandelt. Es galt daher, das Sprachsystem zu ändern, damit sich der Sprachgebrauch ändert, damit sich das Denken und Agieren ändert. Untersuchungen für das Englische ergaben bereits, dass ein solch reformierter Sprachgebrauch (z.B. die Verwendung von „he or she“ statt „he“) zu einer mentalen Gleichverteilung von Frauen und Männern führt. Sie zeigen damit Effekte im Sinne von Sapir und Whorf auf (Khosroshahi 1989). Dies betrifft nun gerade das generische Maskulinum. Diese Form macht Frauen erstens unsichtbar und fördert zweitens eine negative Interpretation der Femininableitungen. Denn solange das generische Maskulinum für Frauen als besser bewertet wird, klingt die Ableitung (Lehrerin), die die Frauen präsent macht, schlechter. Erst, wenn regelmäßig maskuline und feminine Formen nebeneinander stehen, wird das Image der Ableitung sich verbessern. Solange das generische Maskulinum allein gilt, wird die Aufwertung der Femininformen behindert. Also ist das generische Maskulinum benachteiligend, wenn nicht gar diskriminierend und sollte durch gleichberechtigte Formen ersetzt werden. Es ist festzuhalten, dass das generische Maskulinum und eine Stereotypisierung historisch nicht gegeben waren, sondern sich erst entwickelten, verstärkt seit der Aufklärung und besonders nach dem zweiten Weltkrieg im Zuge der Emanzipationsbewegung. Insofern ist das Argument gegen Alternativbezeichnungen, sie würden unser Sprachsystem verändern, nicht gerechtfertigt, da lediglich neuere Entwicklungen rückgängig gemacht werden. Diese Einsicht verstärkte die Forderung, Frauen eigens zu benennen. Dafür bieten sich verschiedene Möglichkeiten an: die Beidnennung (Studentinnen und Studenten, Lehrer und Lehrerinnen), Beidnennung mit Schrägstrich (die Studenten/ Studentinnen, die Lehrer/ Lehrerinnen), geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen (Studierende, Lehrende/ Lehrkraft) oder das Binnen-I (StudentInnen, LehrerInnen). Solche Formulierungen machen Frauen sprachlich sichtbar und fördern Gleichbehandlung. Mit der Zeit gewöhnen wir uns daran, empfinden auch in-Ableitungen als normal und bewerten sie nicht mehr als schlechter. Allerdings finden sich solche Formen selten umgesetzt. Hauptargument war und ist, dass die meisten Alternativen umständlich sind und dass das generische Maskulinum aus Platzgründen und wegen besserer Praktikabilität vorzuziehen ist. Aber überwiegt dieses Argument tatsächlich den Nutzen der Alternativen zum generischen Maskulinum bzw. sind Frauen bei den Maskulinformen überhaupt mitgemeint? Eine wichtige Frage ist nämlich, wie wir das generische Maskulinum faktisch verstehen. Verschiedene Untersuchungen sind dieser Frage nachgegangen. So sollten Proband/ innen anhand von Texten mit genusvariierenden Personenbezeichnungen unter Zeitdruck entscheiden, welcher Kategorie, m. oder f., die bezeichneten Personen angehören (Irmen/ Köhncke 1996). Oder die Proband/ innen bekamen Texte zu einem Thema mit entweder generischen Maskulina, Beidnennungen oder Neutralformen, und es war der Frauenanteil der im Text genannten Personengruppen zu schä tzen (Braun et al. 1998). In einer anderen Studie wurde nach dem Lieblingssportler oder Lieblingsromanhelden gefragt und gezählt, wie häufig Männer und Frauen als Antwort genannt wurden (Braun et al. 2002). In diesen und weiteren Untersuchungen 85 5.5 Aktuelle Anwendungen (z.B. Klein 1988, 2004, Heise 2000, Stahlberg/ Sczesny 2001, Irmen/ Linner 2005) wird die maskuline Form überwiegend männlich interpretiert. Die Geschlechtsneutralität des generischen Maskulinums ist damit widerlegt, da es eindeutig zu einem geringeren gedanklichen Einbezug von Frauen führt. Bei Alternativen wie Student/ in ergibt sich eine ungefähre Gleichverteilung der mentalen Repräsentationen und bei dem Binnen-I mehr weibliche als männliche Interpretationen. Damit spricht alles für die Beidnennung als gerechte Formulierung, und das generische Maskulinum ist abzulehnen, denn es macht die Frauen sprachlich und kognitiv unsichtbar, auch wenn es kürzer ist. Damit ist aber auch gezeigt, dass die Sprache unsere Wahrnehmung und unser Denken beeinflusst. Das Berufsbild des Physikers kommt für viele Mädchen nicht infrage, weil sie das Wort Physikerin nicht nutzen und weil Physiker Männer sind (vgl. Braun et al. 1998). Diese Ergebnisse sind zugleich gesellschaftspolitisch von Belang. In allen deutschsprachigen Ländern gibt es mittlerweile Vorgaben für öffentliche und gesetzliche Texte zu geschlechtsneutralem bzw. gendergerechtem Sprachgebrauch. Aber es sind auch in anderen Arbeiten noch mehr als bisher Beidnennungen zu favorisieren und möglichst durchgängig zu verwenden. Geschieht dies nicht, so ist zu überlegen, ob hinter dem Gebrauch des generischen Maskulinums, provokativ formuliert, nicht nur sprachliche Ungleichbehandlung, sondern auch Diskriminierung stecken könnte. Einige wichtige Werke Berlin, Brent, Kay, Paul 1969. Basic Color Terms: Their Universality and Evolution. Berkeley/ Los Angeles. Boas, Franz 1911, 1922, 1933-38. Handbook of American Indian Languages. 3 Bde. Washington (vor allem die Einleitung von Band I). Sapir, Edward 4 1963. Selected Writings of Edward Sapir in Language, Culture and Personality. Hg. von David G. Mandelbaum. Berkeley/ Los Angeles. Whorf, Benjamin Lee 1956. Language, Thought, and Reality. Selected Writings of Benjamin Lee Whorf. Hg. von John B. Carroll. Cambridge, Mass. zum Weiterlesen Zahlreiche Bücher aus dieser Zeit sind frei im Internet zugänglich bei der open library unter archive.org. Da die Debatte um sprachliche Universalien teilweise recht heftig und nicht immer wissenschaftlich sauber geführt wurde und da in der Literatur wiederholt Hinweise auf Mängel bei der Übersetzung ins Deutsche zu finden sind, empfiehlt sich die Lektüre der Originalarbeiten, vor allem von Sapir und Whorf, vgl. die Sammelbände Sapir (1963) und Whorf (1956). Zur sprachlichen Relativität auch in Philosophie und in Europa vgl. Werlen (2002). In Deutschland haben sich etwas abseits Leo Weisgerber und Helmut Gipper mit der sprachlichen Relativität auseinandergesetzt, vgl. Lehmann (1998) und Werlen (2002). Zur Debatte um die Farbexperimente vgl. auch Lucy/ Shweder (1979), Kay/ Kempton (1984), ausführlich Lehmann (1998). Aktuelle Studien zu den Farben sind z.B. Roberson/ Davies/ Davidoff (2000) oder Kay/ Berlin/ Maffi/ Merrifield/ Cook (2009). Zur Weiterentwicklung der Relativitätshypothese vgl. z.B. Lucy (1997). 6 Wort und Lexikon 6.1 Das sprachliche Zeichen Im Gegensatz zu grammatischen Fragestellungen wurde die Lexik lange in recht bescheidenem Ausmaße untersucht und wenn, dann eher aus praktischer denn aus theoretischer Perspektive. Trotzdem reichen auch hier die Wurzeln zurück bis zu den alten Griechen, denn die Diskussionen zu Wortarten oder grammatischen Kategorien berührten meist auch inhaltliche Punkte. Manch ein Aspekt moderner Theorien hatte seinen Vorläufer in der Antike. So machte sich bereits Platon im Kratylos Gedanken über die Wörter und kam zu dem Schluss, dass sie wie Werkzeuge benutzt werden, um Dinge zu unterscheiden und Gedanken zu übermitteln. Für ihn war das Verhältnis von inhaltlicher und lautlicher Seite konventioneller Natur. Der Bezug zu den Dingen erfolgt jedoch nur über die Bedeutung (Schmitter 1975, eine Diskussion auch in Ogden/ Richards 1923/ 1989). Seit Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts befassten sich vor allem die Übersetzer und Wörterbuchschreiber mit der Einheit Wort, und zwar eher praktischdidaktisch (vgl. Hausmann 1996, Überblick und zur Zeit davor auch Wiegand 1998), u.a. Amos Comenius (1592-1670), Justus Georg Schottel (1612-1676), Johann Joachim Becher (1635-1682), Kaspar Stieler (1632-1707), Matthias Kramer (1640- 1729), Pierre Richelet (1631-1698), Antoine Furetière (1619-1688), die Académie française, später dann Samuel Johnson (1709-1784), Johann Christoph Adelung (1732-1806), Daniel Sanders (1819-1897), Jacob und Wilhelm Grimm (1786-1859) und einige mehr. Die lexikographischen Aufgaben bestanden darin, Wörter zu sammeln und zu ordnen, sie zu definieren und Angaben zu Gebrauchssituation zu machen. Neben lexikographischen gab es auch lexikologische Arbeiten (vgl. Reichmann 1998). Zunächst richtete die Wort- und Sachforschung ihr Augenmerk auf das Verhältnis zwischen Wörtern und Sachen unter Betonung der formalen Seite und ohne auf kognitive oder kommunikative Gesichtspunkte einzugehen, jedoch stets diachron orientiert. In der klassischen Onomasiologie und Semasiologie dann kam die Wortbedeutung als zwischen Gegenstand und Wort vermittelnde Ebene hinzu. Die Onomasiologie (gr. ónoma , Name ‘ ) geht von den Sachen bzw. Inhalten aus und fragt nach den dazu gehörenden Wörtern, während umgekehrt die Semasiologie (gr. sema , Zeichen ‘ ) von den Wörtern ausgeht und nach ihren Bedeutungen und dann auch nach den Dingen sucht. Solche Arbeiten sehen das Wort zunächst atomistisch, als isolierte Einheit mit nur einer Bedeutung. Neben den historischen rücken langsam dann dialektgeographische Fragen in den Mittelpunkt. Schließlich betrachtete auch die Etymologie Lexeme. Bei den alten Griechen ging es dabei um den Ursprung und um die Suche nach der „Wahrheit“ der Wörter. Das geschah zumeist spekulativ. Somit gab es eine Beschäftigung mit Wortbedeutungen schon sehr lange, bevor sie sich zu einer eigenständigen wissenschaftlichen Disziplin entwickelte. 88 6 Wort und Lexikon 6.2 Semantik Als wichtige Meilensteine in der Geschichte der Bedeutungslehre, der Semantik, gelten die Vorlesungen von Karl Reisig zur Bedeutungslehre des Lateinischen in den 1820er Jahren mit einem neuen Gebiet der Grammatik, das sich nicht mit formalen, sondern inhaltlichen Aspekten der Wörter befasst, und Michel Bréals Essai de sémantique von 1897 (vgl. u.a. Nerlich 1996). Er lieferte der Wissenschaft den Terminus Semantik, der sich aber erst später durchsetzte. Die Betrachtung der Wortbedeutung und ihrer historischen Entwicklung war geprägt von philosophischen (Kant, Humboldt, Locke, Condillac) naturwissenschaftlichen (Darwin) und psychologischen (Steinthal, Wundt) Ideen. Aber während die Wörterbuchschreibung in Europa ein eher praktisches Interesse an semantischen Fragestellungen gehabt hatte, gab es nun vermehrt auch theoretische Arbeiten. Der Fokus lag dabei auf Bedeutungswandel. Hermann Paul schied in seinen Prinzipien der Sprachgeschichte (vgl. Kap. 2.2.1) zwischen usueller und okkasioneller Bedeutung als Ausgangspunkt für Veränderung und stellte verschiedene Typen des Bedeutungswandels vor: Verengung, Erweiterung, Übertragung, Verbesserung und Verschlechterung. Michel Bréal richtete sein Hauptaugenmerk ebenfalls auf die Veränderung der Bedeutung, und auch in England war die Auseinandersetzung mit der Wortbedeutung auf Wandel ausgerichtet. Die Überbetonung der historischen Dimension bei der Untersuchung von Wortbedeutung fand ihr Ende dann mit Saussure. Mit dem Strukturalismus gewannen theoretische Aspekte die Oberhand. Aber noch gibt es keine eigenständige Disziplin, noch wird ein Wort und seine Bedeutung unabhängig von anderen Wörtern betrachtet. 6.3 Zeichenmodelle Saussure initiierte die Semiologie als Wissenschaft der Zeichensysteme und setzte sich in seinem Cours explizit mit Wortbedeutung und dem sprachlichen Zeichen auseinander. Sein Zeichenbegriff war bilateral mit einer Ausdrucks- und einer Inhaltsseite. Er wird zwar heute nach wie vor stark propagiert, sah sich aber schnell deutlicher Kritik ausgesetzt. Ogden/ Richards (1923) lehnten Saussures Trennung von Langue und Parole und vor allem seine Zeichenkonzeption ab und bezogen erstens die außersprachliche Welt mit in ihr Zeichenmodell ein. Zweitens wollten sie Bedeutung und Gegenstand nicht automatisch gleichsetzen. Sie forderten, die Beziehung zwischen Wort und Vorstellung getrennt von der zwischen Vorstellung und Gegenstand zu behandeln. Wörter bedeuten nichts von sich aus, sondern nur durch ihre Verwendung, erst dann stehen sie für etwas, erst dann erhalten sie Bedeutung. Hierfür führten Ogden/ Richards den Begriff referentielle Bedeutung ein und ersetzten die vorher gebräuchlichen Termini Objekt und Gegenstand durch Referent (Ogden/ Richards 1923/ 1989: 9). Zwar haben Wörter auch eine emotive Funktion, sie kann aber zunächst bei der Betrachtung beiseite gelassen werden. Ogden/ Richards illustrierten die drei entscheidenden Aspekte des sprachlichen Zeichens anhand des mittlerweile berühmten semiotischen Dreieck (vgl. Abb. 4). Sie waren in unterschiedlichen Gewichtungen seit der Antike immer wieder in philosophischen Diskussionen zur Sprache gekommen, erscheinen aber nun im Rahmen eines Modells mit klar bestimmten Interrelationen. In diesem Modell ist die Beziehung zwischen Symbol und Gedanken (engl. thought) direkt, das Symbol symbolisiert den Gedanken. Die Beziehung zwischen dem 89 6.3 Zeichenmodelle Gedanken und dem Referenten ist ebenfalls direkt. Der Gedanke referiert bzw. b ezieht sich auf den Referenten. Zwischen Symbol und Referenten hingegen besteht ein indirektes Verhältnis. Die Verbindung läuft von der linken Spitze über die obere Spitze zur rechten Spitze des Dreiecks, also über den Gedanken. Das Symbol steht ledi glich stellvertretend für den Referenten, außer bei lautmalerischen Ausdrücken. Der Bezug zwischen dem Wort und dem Referenten entsteht jedoch erst durch den G ebrauch des Wortes, wenn auf den Gegenstand referiert wird. THOUGHT OR REFERENCE SYMBOL REFERENT Abb. 4: Semiotisches Dreieck, nach Ogden/ Richards (1923/ 1989: 11) Karl Bühler (1934) hatte eine mehrdimensionale Sicht auf Sprache. Im Einklang mit den Grundsätzen der Prager Schule, die die Sprecher/ innen und die Kommunikationssituation mit in die Sprachbetrachtung einbezogen, und unter Berufung auf Platon verstand er Sprache als Mittel der Kommunikation über Inhalte. Auch Ogden/ Richards sahen Wörter im Zusammenhang mit ihrem Gebrauch, dies war aber nicht Bestandteil ihres Modells. Bühlers Organmodell (vgl. Abb. 5), schon 1918 entwickelt, umfasst hingegen die Beziehung zwischen Lautereignis (symbolisiert durch den Kreis) und dem Gegenstand genauso wie die zwischen Lautereignis und Sender sowie Lautereignis und Empfänger. Das Zeichen stellt den Gegenstand dar und übt deswegen eine Darstellungsfunktion aus. So gesehen ist es ein Symbol. Gleichzeitig ist es für den Sender Ausdruck (Symptom, Anzeichen) und für den Empfänger Appell (Signal). Jede dieser drei Relationen sollte gesondert betrachtet werden. Die Zeichenqualität entsteht erst in der Situation, wenn ein Schallereignis alle drei Funktionen erfüllt. Die drei Aufgabenbereiche Darstellung, Ausdruck und Appell gelten schließlich für die menschliche Sprache überhaupt. Mit seinem erweiterten Blick auf das sprachliche Zeichen bzw. auf die Bedeutung im Kommunikationszusammenhang ging Bühler einen anderen Weg als die klassischen Strukturalisten, die gerade all diese zusätzlichen Aspekte aus der Zeichenb etrachtung ausließen und sich mit Sprache unabhängig von Situation und Sprachnutzer/ innen befassten. Für sie war Sprache ein Zeichensystem. Für Bühler war sie viel mehr, sie war Handeln. Bühler trennte zwischen Sprechhandlung und Sprachwerk, das sprachtheoretisch zu untersuchen ist. Seine Arbeiten gelten damit mit als grundlegend für die späteren funktionalen Grammatiken (Kap. 12). 90 6 Wort und Lexikon Abb. 5: Das Organonmodell nach Bühler (1934/ 1965: 28) Noch heute gibt es unterschiedliche Ansichten darüber, was genau die Bedeutung eines sprachlichen Zeichens ist: unsere Vorstellung oder der Referent oder vielleicht, wie bei Bloomfield, nur die Reaktionen der Umwelt (zur Diskussion vgl. u.a. Lyons 1991)? 6.4 Wortfelder In Deutschland waren die Arbeiten zunächst noch sprachgeschichtlich bestimmt. Eine Richtung jedoch widmete sich gezielt dem Bedeutungsaspekt der Sprache, die Sprachinhaltsforschung. Sie ist eng verknüpft mit dem Namen Leo Weisgerber (1899-1985) (vgl. den Überblick in Kaltz 2006). Er hatte bereits in den 1920er Jahren des letzten Jahrhunderts die Überbetonung der lautlich-formalen Aspekte bei der Sprachuntersuchung kritisiert und wollte die inhaltliche Seite in die Grammatik integrieren. Weisgerber nahm in Weiterführung Humboldt’schen Gedankengutes eine enge Veknüpfung von Weltbild und Muttersprache an und vertrat damit eine deterministisch orientierte Auffassung von Relativismus, wegen der er sich scharfer Kritik ausgesetzt sah. Im Rahmen der Sprachinhaltsforschung bilden die Wortfelder einen wesentlichen Schwerpunkt, und im Laufe der 1930er Jahre kam es zu zahlreichen Veröffentlichungen zum Thema Semantik. In der Wortfeldtheorie werden Wörter und ihre Inhalte nicht isoliert betrachtet, sondern als Teile eines Systems, das die Bedeutung mit durch die jeweilige Stellung und die Beziehung zu anderen Wörtern bestimmt. Ein Ausdruck existiert auch nicht in Isolation im Kopf, sondern immer mit seinen bedeutungsmäßigen Verwandten. Das war ein großer Schritt fort von der traditionellen, atomistischen Betrachtungweise des Wortes und seiner Bedeutung. So ein Feld war anfangs noch ein fixes Gefüge. Bald aber wurden ein Feld, seine Ausdehnung und die Anzahl der Teile als in Bewegung begriffen gesehen. Die Wortfeldtheorie fasst Wörter nach ihren B edeutungen zu Gruppen zusammen, so dass eine zusätzliche Ebene zwischen Wort und Wortschatz entsteht. Den Systemgedanken wie auch die gegenseitige Bedingtheit der Teile ken- 91 6.4 Wortfelder nen wir schon von Saussure. Die Vorstellung, Sprache gliedere die Welt, ist relativistisch orientiert. Ipsen hatte wohl als erster 1924 den Feldbegriff verwendet (Trier 1932/ 1973: 96). Aber Trier systematisierte ab 1931 den Feldgedanken und entwickelte daraus eine Theorie. Ipsen (1932/ 1973) verstand ein Bedeutungsfeld als eine Sinneinheit höherer Ordnung. Die einzelnen Teile decken die (Bedeutungs -)Sphäre lückenlos ab. Gleichzeitig gliedern die Bedeutungsfelder alles, was eine Sprache meinen kann, zu einer tragenden Struktur. Ipsen bewegte sich dabei aus der Langue heraus, die nur die Beziehung von Form und Inhalt kennt, weil der Aufbau der Sprache den der Welt mit sich bringt und damit die Ebene der Referenten mit einschließt. Trier (1932/ 1973) sprach von sprachlichen Feldern und griff ebenfalls Saussures Systemgedanken auf. Jede Sprache gliedert die Welt zwar anders, jedoch nicht willkürlich (Trier 1934a/ 1973: 125). Die Beziehung zwischen Wörtern eines Sinnbezirks war für Trier vor allem für den Sprachwandel hilfreich, da sich nie die Bedeutung eines Wortes allein ändert, sondern auch die der Feldnachbarn. Genau wie bei Ipsen deckte bei Trier die Sprache ein Feld komplett ab ohne „Lücken und blinde Flecke für den Sprachgenossen“ (Trier 1934b/ 1973: 146). Aber er stellte sich explizit gegen Saussures strikte Trennung von Diachronie und Synchronie. Die Wortfelder selbst bilden kleinere „Teilganze“ als Ebenen zwischen den Wörtern und dem Wortschatz (Trier 1934b/ 1973: 148). Porzig (1934) ergänzte in kritischer Auseinandersetzung mit Trier die Diskussion um die syntagmische Perspektive mit seinen wesenhaften Bedeutungsbeziehungen, die er ebenfalls diachron betrachtete. Gemeint ist das sich gegenseitig bestimmende Verhältnis zwischen reiten und Pferd, gehen und Füße, bellen und Hund oder blond und Haare. Die Verbindung ist ausschließlich semantisch, nicht etymologisch zu sehen, aber nicht unbedingt eineindeutig, da sich fällen mit Baum verbindet, obwohl auch eine Erle oder eine Kiefer gefällt werden können. Coseriu führte diese Gedanken weiter. Zunächst definierte er den Begriff Wortfeld. „Ein Wortfeld ist in struktureller Hinsicht ein lexikalisches Paradigma, das durch die Aufteilung eines lexikalischen Inhaltskontinuums unter verschiedene in der Sprache als Wörter gegebene Einheiten entsteht, die durch einfache inhaltsu nterscheidende Züge in unmittelbarer Opposition zueinaner stehen“ (Coseriu 1967: 294). Als Beispiel gab er einfache Wortfelder an wie jung, neu, alt oder komplexere, die in sich wieder in Wortfelder zerlegbar sind wie die Tiere, bei denen Rind eine neues Wortfeld eröffnet, vgl. Kuh, Stier, Bulle etc. Bestimmte syntagmatische Relationen nannte er lexikalische Solidaritäten, wenn, ähnlich wie bei Porzig, ein Lexem ein anderes inhaltlich mitbestimmt, gleichzeitig aber bedeutungsunterscheidend wirkt. So ist Baum in fällen und Zahn in beißen enthalten, nicht umgekehrt. Beißen hängt ab von , mit den Zähnen ‘ , fällen können wir Bäume. Pflanzen indes pflücken wir. Hingegen gehören verkaufen, Pferd nicht zu den lexikalischen Solidaritäten, weil kein Inhalt im anderen enthalten ist (Coseriu 1967: 296). Seine Definition ist enger als die von Porzig.Als Beispiel für ein Wortfeld beschrieb Weisgerber (1939/ 1973) in seiner Weiterentwicklung des Trier’schen Ansatzes das Verwandtschaftsfeld, das aus Wörtern wie Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel, Tante, Vetter, Kusine, Neffe, Nichte, Schwager oder Schwägerin besteht. Neben solch einer Flächengliederung kommen auch Reihengliederungen, etwa bei Zensuren, vor. In anderen Fällen wächst die Komplexität, wenn mehrere Gesichtspunkte ineinandergreifen. Bei den Wörtern des Veranlassens 92 6 Wort und Lexikon wie anregen, anfeuern, anspornen, anstacheln, antreiben, bewegen, drängen, einflüstern, nahelegen etc. sind zum Teil unterschiedliche Stärkegrade der Einwirkung bestimmbar, vgl. anregen, aufmuntern vs. anspornen vs. drängen vs. auffordern vs. zwingen. Zu neutralen Formen wie veranlassen treten auch Lexeme mit fachlich-jurisitschen Aspekten wie bei heißen, ersuchen oder mit einer negativ-böswilligen Intention wie bei anstiften, verführen. Insgesamt verbinden sich die verschiedenen Aspekte zu einem mehrdimensionalen Geflecht (vgl. Weisgerber 1939/ 1973: 212f.). Ein Wortfeld bietet gerade hier den Vorteil, mehrere Gliederungsfaktoren zu erlauben. Veränderungen im Wortfeld lassen Rückschlüsse auf einen Wandel der entscheidenden Kriterien zu, bedingt durch kulturellen und wissenschaftlichen Fortschritt und dadurch andere Sichtweisen. So war das Wortfeld Tier im Mittelhochdeutschen anders als heute aufgebaut. Es gab das tier, das laufen konnte und in der Wildnis lebte, den wurm, der kroch, den vogel, der flog, und schließlich den visch, der schwamm. Mit vihe waren die Haustiere gemeint. Zu tier zählten daher nicht die Vögel, die Fische oder die Haustiere, zu wurm jedoch auch Schlangen und Spinnen. Damals waren also praktische Gesichtspunkte und beobachtbare Fakten entscheidend, während heute unser Wissen über genetisch-biologische Beziehungen zu einer anderen Einteilung der Tiere führt (Weisgerber 1939/ 1973: 221f.). Die Untersuchung der Wortfelder hilft, andere Denk- und Einteilungsweisen zu verstehen. Auch die Wortfeldtheorie diskutiert den Zusammenhang zwischen Wörtern und Referenten. Für einige Bereiche wie den der Technik oder der Natur ging Weisgerber von einer grundsätzlichen Deckung zwischen Inhalt und Sachverhalt aus, was dann die Untersuchung der Wortfelder vereinfacht. Die Erforschung schwerer fassbarer Felder aus dem geistigen Bereich ist aus didaktischen Gründen nötig, um die Schulbildung zu verbessern und das Verständnis abstrakter Wörter zu sichern. Insofern hat die Wortfeldarbeit noch heute nicht allein wissenschaftliche, sondern auch praktische Relevanz. Die Vorteile der Wortfeldtheorie bestehen darin, dass sie sich mit dem Verhältnis von Bedeutung und Realität auseinandersetzt und nicht Einzellexeme und Einzelbedeutungen atomistisch betrachtet, sondern innerhalb der Struktur eines Sprachsystems. Als Vorzug ist auch die Tatsache zu werten, dass sie den Zusammenhang zwischen historischem Werden und aktuell gegebenem Sein zu zeigen versucht. Die ersten Arbeiten zur Wortfeldtheorie nahmen noch die völlige, mosaikartige Abdeckung der Realität durch Wörter an. Sie bedachten also nicht lexikalische Lücken oder die Überschneidung von Lexemen oder Feldern, die es aber durchaus gibt (Betz 1954). Im Gegensatz zum Deutschen trennen beispielsweise viele Sprachen zwischen Schnecken mit und ohne Haus (engl. snail, slug, frz. escargot, limace, sp. caracol, babosa). Betz sah die exakten Grenzverläufe eines Feldes oder zwischen Feldern als nicht immer klar bestimmbar und als abhängig vom sozialen und intellektuellen Hintegrund der Sprecher/ innen. Fraglich ist außerdem, ob nur einfache Einzellexeme oder nicht vielmehr auch Wortverbindungen ihren Platz im Wortfeld einnehmen dürfen. Und sicher wird die Systemabhängigkeit der Lexeme und ihrer Bedeutungen überbewertet, da viele Wörter durchaus in Isolation verständlich sind. Ein anderes Problem entsteht durch den Wechsel der Ebenen, wenn einige Arbeiten wie die von Trier nicht zwischen Langue und Parole trennen, andere sich aber bewusst in der Parole bewegen (Betz 1954), während Weiterentwicklungen wie die strukturalistische Semantik dann nur die Langue betrachten. Dadurch fehlt eine gemeinsame Vergleichsgrundlage. Letztendlich mündete die Wortfeldtheorie in der Merkmalsanalyse, sobald die genauen Unterschiede zwischen den Elementen eines Feldes oder beim 93 6.5 Sinnrelationen Sprachwandel präzisiert werden sollten. Zur Begründung von syntagmatischen Bezügen erwies sich neben Kombinationsrestriktionen nämlich auch eine inhaltliche Analyse als nötig. So enthält beißen , mit den Zähnen ‘ oder Pfote , tierisch ‘ (Coseriu 1967), Pferd, Esel und Maultier lassen sich durch , bereitbar ‘ klassifizieren, Haar, Getreide, Gras, Papier und Tuch durch , schneidbar ‘ und Getreide und Gras durch , Pflanze ‘ , , stielig ‘ und , schneidbar ‘ (Baumgärtner 1967: 170). Baumgärtner forderte daher, die Bedeutung in kleinere Einheiten zu zerlegen, wie es schon Hjelmslev im Prolegomena (1969: 46f., Original 1943) vorgeschlagen hatte mit seinen figuræ oder „Inhaltsfiguren“, die semantischen Merkmalen entsprechen. Solche Bedeutungskomponenten könnten einen Zusammenhang zwischen den syntagmatischen Relationen und den paradigmatischen Feldern herstellen. Wie jede neue Theorie musste auch der Wortfeldgedanke abgelehnt, relativiert und neu evaluiert werden, bis sich die tatsächlichen Vorzüge herauskristallisierten. 6.5 Sinnrelationen Anders als in Deutschland standen die Wortfelder in Großbritannien eher im Hintergrund. John Lyons sah, ausgehend von seiner Dissertation 1961, in seiner Introduction to Theoretical Linguistics (1968) die Semantik in der modernen Linguistik vernachlässigt. Sie wurde in den Abhandlungen zu häufig ausgespart, u.a. weil sie nicht objektiv und wissenschaftlich zu erforschen sei und weil Fragen zu Bedeutung weit in andere Wissenschaftsbereiche wie Logik, Philosophie oder Psychologie hineinreichen. Daher gab es bisher keine umfassende Semantiktheorie. Seit Saussure ist es zwar zu einigen Neuerungen gekommen, etwa existieren zwischen Wortbedeutungen syntagmatische und paradigmatische Beziehungen und sie sind in semantischen Feldern organisiert. Dies reichte Lyons jedoch nicht aus, um die lexikalisch-semantische Struktur eines Sprachsystems ausreichend zu beschreiben. Da in der Semantik die Bedeutung (engl. sense , Sinn ‘ ) im Vordergrund steht und nicht die Dinge (reference , Referenz ‘ ), erörterte Lyons zahlreiche Möglichkeiten von sense-relations zwischen den Lexemen wie Bedeutungsähnlichkeit und Bedeutungsgegensatz. Er versuchte, das Verhältnis zwischen den Gliedern eines Feldes und auch zwischen Feldern über die Bedeutungsb eziehungen zu bestimmen. Eine Bedeutung sollte sich dann über ein Geflecht solcher Bedeutungsbeziehungen definieren lassen (Lyons 1968: 443). So erhielt auch hier eine Einheit ihren Wert über ihre Position im System. Lyons schloss nicht aus, dass ein Lexem mehrere Bedeutungen haben kann und betrachtete Wortbedeutung auch weniger im Feldzusammenhang als in Relation zu anderen Wortbedeutungen. Wörter, die gleich aussehen, aber Unterschiedliches bedeuten, sind ambig bzw. mehrdeutig. Entweder hat ein Wort mehrere Bedeutungen (Polysemie), oder es handelt sich um zwei Lexeme (Homonymie). Polysem sind beispielsweise Flügel (des Vogels) und Flügel (des Gebäudes) oder Strom (Gewässer) und Strom (der Zeit). Homonym sind Kiefer (Teil des Schädels) und Kiefer (Baum) oder Bauer (Mensch) und Bauer (Vogelkäfig). Die Unterscheidung erfolgt meist nach etymologischen Kriterien. Bei der Polysemie liegt eine gemeinsame Wurzel vor, bei der Homonymie werden verschiedene angesetzt. Damit ist Polysemie Mehrdeutigkeit eines Wortes, während sich Homonymie auf mehrere Wörter bezieht, die die gleiche Form, aber verschiedene Bedeutungen haben. Trotzdem entpuppt sich die Entscheidung zwischen Polysemie und Homonymie, vor allem in den verschiedenen Wörterbüchern, oft als willkürlich und nicht nachvollziehbar (Lyons 19 68: 406). 94 6 Wort und Lexikon Ein anderes Verhältnis herrscht zwischen den Wörtern Orange und Apfelsine oder Samstag und Sonnabend. Es sind Beispiele für Synonymie, wenn zwei Ausdrücke unterschiedlich aussehen, aber das gleiche bedeuten (Bedeutungsgleichheit). Inwiefern es die tasächlich gibt oder ob nicht immer gewisse stilistische Unterschiede mit ve rsprachlicht werden, diskutierte schon vor ihm Ullmann (1962). Eine weitere Beziehung ist die des Gegensatzes, oft Antonymie(1) genannt. Hier will Lyons feiner differenzieren. Geht es nur um zwei Lexeme, und diese schließen sich aus, liegt Komplementarität (Kontradiktion) vor, etwa bei Ebbe und Flut, tot und lebendig oder weiblich und männlich. Die Bedeutungen sind disjunktiv: Wenn das eine gilt, gilt automatisch das andere nicht. Dazwischen gibt es nichts. Auch steigern ist nicht möglich. Das geht aber bei der Antonymie(2), und hier haben wir entsprechend auch Zwischenstufen, beispielsweise bei schnell/ langsam, heiß/ kalt, schön/ häßlich oder viel/ wenig. Wenn eine Suppe kalt ist, ist sie nicht gleichzeitig auch heiß. Wenn sie nicht heiß ist, ist sie aber deswegen noch lange nicht automatisch kalt. Die Suppe kann auch weder heiß noch kalt sein, nämlich weniger heiß als sonst oder warm. Daneben gibt es Konverse, die sich auf die spiegelbildliche Stellung des Gegenbegriffs beziehen wie bei Arzt/ Patient, Mutter/ Tocher oder kaufen/ verkaufen. Wenn x die Patientin von y ist, ist y die Ärztin von x. Auch die Farben schließen sich gegenseitig aus. Wenn das Auto grün ist, kann es nicht rot sein, aber auch nicht gelb oder blau. Nun haben wir allerdings keine Begriffspaare mehr, sondern mehrere Lexeme (Lyons 1977). Wieder können wir verschiedene Typen unterscheiden. Manche Wörter, die einen Gegensatz bilden, sind ungeordnet wie die Blumenbezeichnungen Rose, Tulpe, Nelke. Andere sind geordnet, zum Beispiel die Wochentage. Dabei unterscheiden wir Skalen, vgl. kochend, heiß, warm, lau, kalt, und die strenger definierten Rangordnungen wie General, Oberst, Hauptmann, Leutnant, Gefreiter, Soldat oder die Schulnoten. Hier gibt es jeweils einen Anfang und ein Ende. Monate, Wochentage und Jahreszeiten hingegen kehren immer wieder. Sie bilden Zyklen. Auch einige Farben können wir zyklisch anordnen wie gelb, orange, rot, lila, blau und grün im Farbkreis, während schwarz, grau und weiß auf einer Skala liegen (zu weiteren Beziehungen vgl. Lyons 1977). Schließlich lassen sich Bedeutungen auch hierarchisch ordnen. Bei den verschiedenen Gegensätzen schließt ein Begriff den anderen aus (Inkompatibilität, Unverträglichkeit). Das ist nicht der Fall, wenn die Bedeutung eines Lexems in der eines anderen enthalten ist (Inklusion), denn dann können wir sagen „x ist ein y“, also „ein Baum ist eine Pflanze“, „eine Erle ist ein Baum“. Solch eine Gliederung bezieht sich auf Ober- und Unterbegriffe. Oberbegriffe haben weniger distinktive Merkmale als ihre Unterbegriffe. Hyponymie heißt auch Unterordnung oder Subordination, Hyperonymie Überordnung. Der Oberbegriff (Hyperonym) zu Pflanze und Tier ist Lebewesen. Pflanze ist ein Unterbegriff (Hyponym) zu Lebewesen. Pflanze wiederum ist der Oberbegriff zu Baum, Strauch und Blume. Ahorn, Birke und Kastanie sind Unterbegriffe zu Baum, es sind Kohyponyme. Sie befinden sich auf einer Hierarchitätsebene und gehören einer Klasse an. Das Problem ist nur, dass wir dabei Homonyme (Tulpenbaum - Liriodendron vs. Tulpen-Magnolie) und Synonyme (Geißfuß, Dreiblatt) nicht auffangen können, ebensowenig unterschiedliche stilistische Markierungen (Wildkraut, Unkraut), dass Expertenwissen und Laienwissen sich nicht unbedingt decken und dass eine erschöpfende Analyse eines gesamten Feldes oft nicht möglich ist. Lyons und vor ihm Ullmann (1951, 1962) hatten sich mit Semantik als eigener Foschungsrichtung auseinandergesetzt. Es folgten weitere Arbeiten von z.B. Leech (1974), Palmer (1976) und Kempson (1977). 95 6.6 Merkmalssemantik 6.6 Merkmalssemantik Während Trier noch kombinatorische Aspekte bei der Untersuchung von Wortfeldern ablehnte, akzeptierte sie Baumgärtner (1967) ausdrücklich. Er wollte die Satzsemantik mit dem Bedeutungsfeld verbinden und die Relation der wesenhaften Bedeutungsbeziehungen ausweiten. Eine Zusammenführung sah er mithilfe der Komponentenanalyse realisierbar. Dies ist das Verfahren, Wortbedeutungen zu zerlegen und die jeweilige Bedeutung anhand der Bedeutungsmerkmale zu bestimmen. Sie sollte auch die bisher vernachlässigten Probleme mit Hyponymie, Polysemie, Metapher und Idiomen lösen, da all diese Varianten eine eigene Komponentenstruktur aufweisen. In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts analysierte die Sprachwissenschaft Bedeutung hauptsächlich analytisch, indem sie Bedeutungsoppositionen aufstellte (Frau vs. Mann, Mädchen vs. Junge) und eine lexikalische Bedeutung aufspaltete in relevante Bedeutungsmerkmale. Insgesamt ging es in den europäischen Arbeiten darum, die kleinsten entscheidenden Bedeutungsmerkmale aufzuzeigen, während in den U.S.A. die Semantik zunächst aus der Linguistik, die mit Grammatik gleichgesetzt wurde, ausgeklammert war und dann nur in Hinblick auf Grammatik wieder einen Stellenwert erhielt. In Amerika hatte die Beschreibung der Phoneme anhand einer begrenzten Menge von als universell verstandenen Merkmalen dazu geführt, auch Inhaltskomponenten bei der Bestimmung von lexikalischen Bedeutungen anzusetzen, die entsprechend ebenfalls universell gültig sein sollten. Die Beschäftigung mit inhaltlichen Aspekten wurde in Amerika anfangs durch behavioristisches Gedankengut gebremst, da u.a. Bloomfield die Bedeutung als schwer greifbar sah und sie deshalb aus der Sprachbetrachtung ausschloss. Die Entwicklung in den U.S.A. ähnelte der in Europa, aber Katz/ Fodor (1963) nahmen in ihrem für die amerikanische Linguistik grundlegenden Werk den europäischen Forschungsstand nicht zur Kenntnis (Wolski 2006: 2242, Lyons 1991: 16, Kastovsky 1980: 2). Zunächst hatten Lounsbury (1956) und Goodenough (1956) schon mit semantischen Merkmalen und der Komponentenstruktur von Bedeutungen gearbeitet und sich einerseits auf Bloomfield, Hockett und Harris, andererseits auch auf Jakobson berufen. Sie übertrugen die Merkmalsanalyse von phonologischen und grammatischen auf semantische Einheiten und verwendeten in Anlehnung an Bloomfield (1933: 162) und Eugene Nida auch den Begriff Semem (als Bedeutung eines Lexems, Goodenough 1956: 208, als Entsprechung zu Morphem und Phonem bei Nida, u.a. 1975: 106). Bei ihren Untersuchungen der Verwandtschaftsbezeichnungen in verschiedenen Sprachen stießen sie auf lexikalische Lücken, die Goodenough (1956: 214) zero lexeme (Nulllexem) nannte, ein typisch strukturalistischer Begriff wie auch schon Nullmorphem. Aber ihre Arbeiten wurden weniger beachtet. Als entscheidend für die Semantik in den U.S.A. gilt Katz/ Fodor (1963). Auf der Suche nach einer alle Sprachen umfassenden semantischen Theorie standen Jerrold J. Katz und Jerry A. Fodor in der Tradition der (transformationell-)generativen Syntax und sahen als eigentliches Problem Sätze, die zwar die gleiche grammatische Struktur besitzen, trotzdem aber nicht das gleiche bedeuten. So ist der Ausdruck The bill is large. ambig (engl. bill , Schnabel ‘ , , Gesetzesvorlage, Rechnung ‘ ). Andererseits gibt es Sätze mit der gleichen grammatischen Struktur, die nicht alle gleichermaßen akzeptabel sind, vgl. 96 6 Wort und Lexikon Die Farbe ist feucht. Die Farbe ist gelb. Die Farbe ist still (schweigt). Muttlersprachler/ innen erkennen zwar, dass der dritte Satz unnormal oder ungewöhnlich ist, jedoch nicht aufgrund ihres grammatischen Wissens. Katz/ Fodor (1963) forderten also eine semantische Theorie, die ambige und regelwidrige Sätze aufdecken kann. Mehrdeutigkeit ist kein Problem eines einzelnen Lexems, sondern eines Lexems in einem Satz, „a semantic theory is a theory of the speaker’s ability to interpret the sentences of his language“ (Katz/ Fodor 1963: 176). Informationen zu Wörtern sind im Rahmen der (transformationell-)generativen Grammatiken im Lexikon enthalten, es listet auch die Wortbedeutung(en) auf. Damit der Inhalt einem Wort in einem bestimmten Satz korrekt zugewiesen werden kann, muss der Eintrag aus grammatischen und semantischen Markierungen und distinguishers, unterscheidenden Merkmalen, bestehen. Katz/ Fodor spalteten die Bedeutungsangabe also in „atomare Konzepte“ auf, um die semantische Struktur eines Eintrags sowie die semantischen Relationen zwischen Einträgen aufzuzeigen. Dabei bezogen sie sich weder auf europäische Vorarbeiten noch auf die von Goodenough (1956) oder Lounsbury (1956). Grammatische Markierungen sind beispielsweise Angaben zu Wortart oder grammatischem Geschlecht. Semantische Markierungen betreffen systematische semantische Relationen zwischen dem Eintrag und anderen Einheiten des Lexikons, während sich die distinguishers auf die speziellen semantischen Eigenschaften beziehen. Bei dem englischen Beispiel bachelor, u.a. , Junggeselle ‘ , , Bachelor, Bakkalaureus ‘ , , junger, männlicher Seehund ‘ , sind Nomen ein grammatischer Marker, (menschlich), (tierisch) und (männlich) semantische Marker und [nicht verheiratet] oder [junger Seehund ohne Weibchen während der Paarungszeit] distinguishers. Diese Informationen bestimmen auch, mit welchen anderen Wörtern ein Lexem in einem Satz kombiniert werden darf. Beispielsweise lässt sich bachelor mit dem distinguisher [nicht verheiratet] nicht mit married/ verheiratet verbinden (*he’s a married bachelor), ohne dass der Satz ungrammatisch wird. Die verschiedenen Angaben ergeben zusammen die Wortbedeutung und gewährleisten die korrekte Interpretation eines Satzes. Coseriu (1970: 107) kritisiert daher, dass es bei Katz/ Fodors (1963) Ansatz nicht um Inhaltsstrukturen geht, sondern um die Struktur von Interpretationen. Die Bedeutung lässt sich seiner Meinung nach aber besser über paradigmatische und syntagmatische Beziehungen zwischen lexikalischen Inhalten analysieren, dabei gibt es sowohl die Dimension der Wortfelder als auch die von verschiedenen Oppositionen. Hieran lässt sich gut die etwas andere Ausrichtung europäischer Arbeiten erkennen. Sie versucht nicht nur, die paradigmatischen und syntagmatischen Aspekte zu verbinden, sondern auch Merkmale und Wortfelder. In der Merkmalssemantik existieren Wortbedeutungen nicht mehr als Ganzes, sondern werden bestimmt durch einzelne Komponenten, den Bedeutungsmerkmalen. Die Lexeme bzw. ihre Bedeutungen stehen zueinander in Opposition, sie weisen je unterschiedliche Bündel an Merkmalen auf. Mann [+ menschlich], [+ männlich], [+ erwachsen] Frau [+ menschlich], [- männlich], [+ erwachsen] Junge [+ menschlich], [+ männlich], [- erwachsen] Mädchen [+ menschlich], [- männlich], [- erwachsen] 97 6.6 Merkmalssemantik Die Vertreter dieser Richtung hatten anfangs hohe Erwartungen. Anhand der Komp onentenanalyse sollte sich das gesamte Lexikon einer Sprache mit einer begrenzten und möglichst überschaubaren Menge an semantischen Merkmalen beschreiben lassen, wie das in der Phonologie auch schon der Fall gewesen war. Diese Merkmale sollten nicht weiter zerlegbar, also atomar, und universell gültig sein, und der strukturelle Zusammenhang zwischen den Bedeutungen sollte präzis angegeben werden (u.a. Baumgärtner 1967). Auf diese Weise lassen sich dann die genauen Unterschiede und Beziehungen zwischen den Bedeutungen der Mitglieder eines Wortfeldes systematisch beschreiben. Verwandter Eltern Vater Mutter Geschwister Bruder Schwester Kind Sohn Tochter Onkel Tante Cousin Cousine Neffe Nichte L EB EWESEN + + + + + + + + + + + + + + + + M ENSCH + + + + + + + + + + + + + + + + VERWANDT + + + + + + + + + + + + + + + + DIREKT VERWANDT (-) + + + + + + + + + + - - - - - GL . G ENE- RATION - - - + + + - - - - - + + - - ÄLTER + + + - - - + + - - MÄNNLICH + - + - + - + - + - + - WEIB LICH - + - + - + - + - + - + M EHRZAHL + + Abb. 6: Merkmalsmatrix für Verwandtschaftsbezeichnungen (nach Bierwisch 1969: 67) Aus der Abb. 6 geht hervor, dass sich beispielsweise Vater und Mutter in der gegenläufigen Gültigkeit der Merkmale [ MÄNNLICH ] und [ WEIBLICH ] unterscheiden, Sohn und Tochter ebenso. Vater/ Mutter unterscheiden sich von Sohn/ Tochter durch [+ ÄLTER ]. Ursprünglich waren in einer Matrix die Felder leer, die für ein Merkmal nicht wichtig waren, später wurde stattdessen die Null eingeführt. So ist für das Lexem Schwester der Bedeutungsaspekt des Älterseins irrelevant, für Kind jedoch nicht. Für die Ansätze im Rahmen der strukturalistischen Semantik sind die Hinwendung zur synchronen Betrachtung, der Systemgedanke, die Untersuchung der Sprache von innen heraus und die Aufspaltung einer (lexikalischen) Bedeutung in notwendige und hinreichende Merkmale wesentlich. Die Bedeutung wird also nicht über den korrekten Gebrauch eines Wortes oder über ein Konzept, über ein mentales Bild definiert. Saussures Auffassung gehörte insofern bereits zu den strukturalistischen Ansätzen, als er Wörter und ihre Bedeutungen als Teil eines Systems und in Opposition zueinander sah. Dies gilt auch für die Wortfeldtheorie, deren frühe Vertreter noch keine Bedeutungsmerkmale verwendeten, und in gewisser Weise für die Sinnrelationen. Strukturalistische Semantik im engeren Sinne ist dann die Merkmals semantik mit der Komponentenanalyse, wobei die Arbeiten von Katz/ Foder (1963) bereits zur generativen Semantik und zur Satzsemantik übergehen, da ihr Modell auf dem dynamischen, nicht mehr statischen Konzept der Grammatik einer Kompetenz (vgl. Kap. 8) aufbaut 98 6 Wort und Lexikon und nicht nur beschreiben, sondern auch erklären will. Strukturalistisch im engeren Sinne ist die Vorstellung, dass sich die Mitglieder einer Kategorie über die Merkmale bestimmen lassen. Merkmale gelten oder gelten nicht, das heißt, sie sind binär. Jede Bedeutung unterscheidet sich von jeder anderen Bedeutung durch ein spezielles Bündel an Merkmalen. Alle Merkmale und Mitglieder sind gleichberechtigt. Sie sind nicht gewichtet und nicht geordnet. Bei der Zuordnung eines Mitglieds gibt es keine Ausnahmen und keine Überschneidungen mit anderen Bedeutungen. Die Grenzen sind klar und eindeutig. Kontext und Situation spielen keine Rolle. So entspricht das auch den schon bei den alten Griechen vorgenommenen Definitionen und wird daher „klassisch“ oder „aristotelisch“ genannt - die Bedeutungsbeschreibung erfolgt über definitorische Merkmale. Die Bedeutung eines Wortes wird analysiert und definiert über die relevanten Kennzeichen. Sie beruhen zunächst auf den wahrnehmbaren Eigenschaften der Gegenstände, die über das Wort zu einer Klasse zusammengefasst sind. Aufgrund dieser Kennzeichen werden die Vertreter zugeordnet. Die Annahme, Bedeutungsmerkmale seien universell, damit unabhängig von Sprache und Kultur, gehört zum amerikanischen Strukturalismus und zur Weiterentwicklung der generativen Semantik. 6.7 Probleme und Grenzen Vorausgesetzt, die drei vorgestellten Richtungen erfahren in der Arbeit mit Wortbedeutungen eine Integration, kann der Inhalt vieler Lexeme und ihr Verhältnis zueinander erfolgreich beschrieben werden. Manch eine Relation wie verschiedene Oppositionen oder hierarchische Beziehungen lassen sich mithilfe der Bedeutungs merkmale näher bestimmen. Andererseits sind auch viele Bedeutungswandelerscheinungen als Veränderungen der Merkmalsbündel zu verstehen. Allerdings bleiben vor allem für die Komponentenanalyse noch Fragen offen. Manche von ihnen sind grundsätzlicher Natur. Wieviel Merkmale sind für die Beschreibung einer Bedeutung nötig? Alle, die es gibt, dürften den Rahmen einer praktikablen Beschreibung sprengen. Woran sollte sich eine Begrenzung orientieren? Wie sollen wir die Merkmale nennen? Es führt nicht zu einem Informationsgewinn, wenn wir Mensch als [+ MENSCHLICH ], Hund als [+ HUNDEARTIG ] oder [+ CANIN ] und Katze als [+ KATZENARTIG ] oder [+ FELIN ] markieren, weil sich dann die zu beschreibenden Lexeme mit denen der Beschreibung decken. Sind die Merkmale Einheiten der Beschreibungsebene oder sind sie auch mental real? Wie werden die stilistischen, emotiv-assoziativen Zusatzbedeutungen dargestellt? Werden die eigentlichen Bedeutungen (Intensionen) oder nicht doch vielmehr die außersprachlichen Objekte beschrieben? Ergeben sich die Merkmale nur über Introspektion oder lassen sie sich auch objektiv messen, etwa mithilfe von Informantenbefragungen? Ist die Bestimmung überhaupt objektiv möglich? Sind Bedeutungsmerkmale universell? In einer über viele Jahre andauernden Suche nach übereinzelsprachlich wirkenden Merkmalen kamen Goddard/ Wierzbicka (2002: 267) zu dem Schluss, dass sprachindividuelle Merkmale 99 6.7 Probleme und Grenzen überwiegen. Sie bestätigten daher die Sapir’sche Annahme, Sprache spiegele Kultur wider. Universelle semantische Merkmale dürften nur einen geringen Anteil bei der Beschreibung der Lexeme ausmachen. Ergibt sich die Bedeutung bzw. die Kategorisierung wirklich über die Merkmale ohne Ausnahmen und ohne Überschneidungen mit anderen Bedeutungen? Eine Ausweitung erfuhr die strukturalistische Semantik einerseits mit den Arbeiten von Katz und Fodor und der generativen Semantik, andererseits in Gestalt der frames (scripts, scenes, die Begriffe variieren). Unsere Erfahrungen lassen uns Wissensrahmen aufbauen, bestimmte Szenen oder immer wiederkehrende Handlungssequenzen wie einkaufen, frühstücken oder der Besuch in einem Restaurant. Die einzelnen Rahmen oder Skripts sind wiederum netzwerkartig verknüpft. Solch ein Rahmen ordnet einem Lexem feste oder auch dynamische situative Wissensbestände zu. Charles J. Fillmore stand ursprünglich in der Tradition der Transformationsgrammatik, die nicht Bedeutung, sondern anfangs Distributionseigenschaften der Lexeme innerhalb von Satzrahmen untersuchte. Er arbeitete also zunächst rein syntaktisch. Damit unzufrieden, erforschte er semantische Rollen von Verben bzw. Valenzstrukturen (vgl. Kap. 9.3, Kasusgrammatik). Aber dieser Ansatz erschien ihm ebenfalls unzureichend, und er erweiterte seine Betrachtungen auf Situationen bzw. Szenen, ohne die die Bedeutungsstruktur von Verben oft nicht verständlich ist. Damit bezog er auch Kultur- und Weltwissen mit in die Erfassung von lexikalischer Bedeutung ein (Frame-Semantik, vgl. Kap. 13.2, zu einem Überblick vgl. u.a. Fillmore 1975, 1977, 1987, 2006). Die Ausdrücke Onomasiologie und Semasiologie bezeichneten ursprünglich wissenschaftliche Richtungen. Heute werden sie als gegenläufige Methoden zur Erforschung von lexikalischen Bedeutungsbeziehungen verstanden. Der Begriff Semasiologie wurde durch Semantik verdrängt. Für das distinktive semantische Merkmal findet sich heute auch Sem. Die Seme, die zusammen die Bedeutung eines sprachlichen Zeichens ausmachen, bilden ein Semem. Beide Termini werden teilweise anders verwendet. Der Begriff Konzept wird unterschiedlich verwendet und oft gar nicht definiert. Es handelt sich nicht einfach um ein mentales Bild, das wir uns von einem G egentand oder einer Gruppe von Gegenständen machen, denn das würde schon bei abstrakten Lexemen nicht funktionieren. Ein Konzept versammelt vielmehr unser gesamtes Wissen zu diesen Gegenständen und Sachverhalten und ist somit zwar mental, aber mehr als nur eine bildliche oder schematische Vorstellung. Die Psychologie definiert Konzept als Kategorisierungsprinzip (Taylor 2003b: 43). Einige wichtige Werke Katz, Jerrold J., Fodor, Jerry A. 1963. The structure of a semantic theory. Language 39.2. 170- 210. Lyons, John 1968. Introduction to Theoretical Linguistics. Cambridge. Ogden, Charles Kay, Richards, Ivor Armstrong 1923. The Meaning of Meaning. London. Trier, Jost 1931. Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes. Die Geschichte eines sprachlichen Feldes. Heidelberg. 100 6 Wort und Lexikon Zum Weiterlesen Im Rahmen der strukturellen Semantik sind für die romanischen Sprachen neben Eugenio Coseriu auch Algirdas J. Greimas (1966), Bernard Pottier (1964) und Horst Geckeler (u.a. 1971) zu nennen. Zu den Problemen der Merkmalsanalyse und möglichen Lösungen vgl. Dupuy-Engelhardt (2002) oder die Arbeiten von Anna Wierzbicka, einen Überblick dazu vermitteln Goddard/ Wierzbicka (2002). Weiterentwicklungen der Wortfelder und Bedeutungsbeziehungen sind Lutzeier (1981, 1985). Mit der Bedeutung von Sätzen beschäftigen sich verschiedene Theorien im Rahmen der Satzsemantik, einen knappen Überblick finden Sie bei Schwarz/ Chur (2007). Die Prototypentheorie bedeutet dann die psychologisch-kognitive Wende (vgl. das nächste Kapitel). g f e 7 Das Prototypenmodell 7.1 Traditionelle Kategorisierung Berlin/ Kay (1969) machten die Beobachtung, dass sich Sprecher/ innen verschiedener Sprachen über den Fokus einer Farbe einig waren, über die Grenzen zwischen den Farben jedoch nicht. Dies ergab den Ausgangspunkt für einen neuen Ansatz in der Psychologie, die Prototypentheorie. Hier geht es zunächst einmal um Kategorien. Eine Kategorie ist eine Gruppe sich ähnelnder Dinge, die wir zusammenfassen, zu der wir ein Konzept, ein mentales Bild mit vielen verschiedenen Informationen entwickeln und die wir meist mit einem Lexem bezeichnen. Kategorien bzw. Konzepte helfen uns, die Reize, die auf unsere Sinne einströmen, leichter zu verwalten, indem sie über die Kategorisierungen strukturiert und geordnet werden. Mit den Konzepten und den mentalen Kategorien beschäftigt sich die Psychologie, während die Linguistik Lexeme und ihre Bedeutungen untersucht. Da Kategorie und Wortbedeutung sehr oft nicht getrennt werden können, greifen hier linguistische und psychologische Fragestellu ngen ineinander. Es lag nahe, psycholinguistische Überlegungen auf die Linguistik, genauer, auf die Analyse der Wortbedeutung zu übertragen. Die Kategorisierung, das heißt die Zusammenstellung von ähnlichen Referenten zu einer Gruppe, erfolgt nach traditioneller Sicht über bestimmte Attribute, die zutreffen oder nicht. So lassen sich die verschiedenen Möglichkeiten, ein p auszusprechen, als Phonem / p/ zusammenfassen, das durch Plosivität, Stimmlosigkeit und Bilabialität gekennzeichnet ist, während die Varianten des b nicht dazugehören, denn statt Stimmlosigkeit gilt hier Stimmhaftigkeit als definierendes Merkmal. / p, t, k/ lassen sich wiederum zu stimmlosen Plosiven zusammenfassen, während / b, d, g/ stimmhafte Plosive sind. Auf diese Weise findet jeder Laut und jede Lautvariante einen Platz im Phonemsystem einer Sprache. Abb. 7: Strukturtyp Phonem - traditionelles Modell der Kategorien Die Wortbedeutung wurde unabhängig von möglichen mentalen Korrelaten betrachtet oder mit einem Bild, einem Konzept gleichgesetzt. Sie ergab sich über die Definition, die sich wiederum aus dem Vorhandensein bestimmter Merkmale ergab (Inten- Y X c a b 102 7 Das Prototypenmodell sion). Alle Referenten bzw. Beispiele (Extension), die diese Merkmale aufweisen, haben entsprechend diese Bedeutung. Ausnahmen oder unklare Fälle gibt es nicht. Damit treffen alle Merkmale entweder zu oder nicht, alle sind gleich wichtig und alle Referenten sind ebenfalls gleich wichtig. Außerdem ist die Bedeutung klar von allen anderen Bedeutungen zu unterscheiden. So ist ein Quadrat nur solange ein Quadrat, wie alle Eigenschaften auch zutreffen. Wenn sich die Menge der Kanten ändert, wenn sich das Verhältnis der Kantenlängen zueinander bzw. die Winkel sich ändern oder wenn die Kanten gekrümmt werden, ist eine geometrische Figur kein Quadrat mehr. Alle Quadrate weisen die gleichen definitorischen Merkmale auf und sind gleich gut. Ein Quadrat unterscheidet sich klar von Kreis, Ellipse, Dreieck, Würfel, Gerade etc. Alle Beispiele a, b, c lassen sich eindeutig der Kategorie X, alle Beispiele d, e, f der Kategorie Y zuordnen (vgl. Abb. 7). Diese Auffassung von Kategorie liegt auch der strukturalistischen Denkweise bei der Bestimmung sprachlicher Einheiten wie Phonemen (vgl. oben) und Morphemen zugrunde. 7.2 Prototypen Der Begriff der Prototypen ist eng verknüpft mit dem Namen Eleanor Rosch (Heider) (*1938), obwohl es viele der Grundgedanken bereits in der Prager Schule gab (vgl. ausführlich Brdar-Szabó/ Brdar 2000). Rosch erarbeitete das Prototypenmodell seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts in mehreren Etappen und veränderte es dabei mehrfach, wobei sie die Befragungs- und Untersuchungsmethoden immer weiter ausdifferenzierte. Ausgehend von den Ergebnissen in Berlin/ Kay (1969), denen zufolge sich die Vertreter/ innen der verschiedenen Sprachen einig waren, welche Gruppe von Farbkärtchen die beste für ein Grundfarbwort in ihrer Sprache sind, definierte Eleanor Rosch Heider (1971) die Fokalfarben bzw. focal colors als „those areas of the color space [...] to be the most exemplary of basic color names in many different languages“ (Heider 1971: 447). Sie schloss daraus, dass Farbwörter offenbar eine gemeinsame Kernbedeutung in den Sprachen haben. Während damit zunächst der Aspekt der Universalität von Wortbedeutungen im Vordergrund stand, gleichzeitig Vorgehensweise und Verwendung des Begriffs Grundfarbwort in Berlin/ Kays Studie stark kritisiert und viele der Ergebnisse nachfolgend angezweifelt wurden, erwies sich jedoch ein überraschender Effekt als korrekt - die Farbkärtchen waren nicht alle gleich gut, wenn beste Beispiele einer Farbe gezeigt werden sollten. Mittlerweile wird das so erklärt, dass das beste Rot das Licht mit derjenigen Wellenlänge ist, die die für die Farbe Rot verantwortlichen Zellen der Netzhaut am stärksten reizt (Taylor 2003a: 12). Heider (= Rosch) wollte dem Status „bestes Beispiel“ nachgehen. Ihr ging es dabei aber nicht um Wörter, die den Ausgangspunkt bei Berlin/ Kay bildeten, sondern um die Kategorien. Offenbar gibt es gute und schlechte Farbtöne. Offenbar finden Vertreter/ innnen verschiedener Sprachen immer die gleichen Gruppen von Farbtönen besonders gut. Die Farben dürften ihrer Meinung nach ein passendes Beispiel für perzeptuellkognitive Einflüsse auf die Entstehung sprachlicher Kategorien sein. Es zeigte sich, dass schon dreijährige amerikanische Kinder in verschiedenen Versuchsanordnungen Kärtchen mit Fokalfarben häufiger und schneller wählten als Nichtfokalfarben, auch ohne Farbwörter zu hören, beispielsweise mit der Aufforderung „zeig’ mir eine Farbe“. Die Fokalfarben sind offenbar auffälliger. Die von Berlin/ Kay (1969) angenommene evolutionäre Reihenfolge der Farben konnte Heider (1971, 1972a, b) nicht bestätigen, aber 103 7.2 Prototypen für die vier Grundfarben rot, gelb, grün und blau scheint es auch über das Englische hinaus Verarbeitungsvorteile zu geben, die jedoch nichts mit den Farbbenennungen zu tun haben (Heider 1972b). Sie führte dann 1973 (Rosch 1973a, b) den Begriff des Prototypen ein und stellte die Hypothese auf, dass der Bereich der Farben wie auch der der geometrischen Formen in nichtarbiträre semantische Kategorien strukturiert ist, die um einen perzeptuell auffälligen natürlichen Prototypen herum entstehen - es gibt ein gutes Rot und verschiedene schlechtere, wie es auch ein gutes Dreieck gibt und verschiedene schlechtere. Natürliche Kategorien haben einen Prototypen als zentrale Tendenz und unterschiedlich gute Beispiele. Der Prototyp wird früher erlernt, schneller identifiziert, besser erinnert und ist bei Aphasien weniger fehleranfällig (Cruse 1990). Diese diese Auffassung von Prototyp als bestem Beispiel entspricht nicht der umgangssprachlichen, die ihn im Sinne von Vorbild oder erste Ausführung einer neuen Maschine vor dem Serienbau versteht. Auch wenn Rosch zunächst nur mit Farben und Formen arbeitete, vermutete sie, dass noch andere Kategorien und auch sprachliche Kategorien eine solche Struktur aufweisen und dass dies Erwerb und Verarbeitung beeinflusst. Daher betrachtete sie außerdem u.a. Fahrzeuge, Vögel, Gemüse und Obst und fand für alle Kategorien die erwartete interne Struktur (Rosch 1973b). Damit differenzierte sie ihr Prototypenmodell weiter. Die Forschung hat bisher Mitglieder einer Kategorie als gleichberechtigt, die Kategorie selbst als intern nicht strukturiert und die Kategoriengrenzen als klar definiert gesehen, obwohl manche Hunde bessere Vertreter der Bedeutung von Hund sind als andere und manche Hunde nicht einer bestimmten Rasse zuzuordnen sind. Es gibt nun nicht nur einen Kernbereich und einen Grenzbereich, wie in Berlin/ Kay (1969) angenommen. Rosch setzte für die Kategorien eine interne Struktur an mit einer Kernbedeutung, die aus den besten Fällen besteht, und weiteren Kategorienmitgliedern mit abnehmender Ähnlichkeit zur Kernbedeutung, also verschiedene Ähnlichkeitsgrade (vgl. Abb. 8). Abb. 8: Strukturtyp Vogel - radiale Struktur einer Kategorie mit dem Prototypen x im Zentrum o q u t w v z y x s 104 7 Das Prototypenmodell Bestimmte Vertreter einer Kategorie dienen als eindeutigster Fall bzw. bestes Beispiel und gleichzeitig als Referenzpunkt, nach dem weitere Vertreter beurteilt werden (Rosch 1975a). Die Kategorienbezeichnungen werden zuerst anhand der auffälligen Eigenschaften der Vertreter erworben, die am ehesten beim Prototypen zu sehen sind. Damit begründete sie die Nähe bzw. Ferne vom Prototypen mithilfe einer Ähnlichkeitsbeziehung und brachte gleichzeitig kognitive und sprachliche Kategorien miteinander in Verbindung. Beste kognitive Beispiele sind enger mit dem Namen der Kategorie verknüpft als schlechte Beispiele. So bestimmte sie die Wortb edeutung extensional, über die Referenten, und gleichzeitig kognitiv, da sie Korrelationen zwischen besten Beispielen und Verarbeitung und Erwerb der Wörter fand. Außerdem setzte sie unterschiedlich wichtige Eigenschaften der Mitglieder einer Kategorie an, die, die Zugehörigkeit zu einer Kategorie bestimmen und die, die über bessere oder schlechtere Mitgliedschaft entscheiden. Beispielsweise sind die Attribute , wild ‘ oder , zahm ‘ für die Definition von Vogel unwichtig. Ihre Untersuchung ergab, dass freil ebende Vögel als zentraler für die Kategorie eingestuft werden. Das Rotkehlchen ist das beste Beispiel eines Vogels, der Adler ist etwas schlechter, der Zaunkönig noch schlechter, dann erst kommt das Küken, dann der Strauß und schließlich die Fledermaus (es handelt sich um eine amerikanische Untersuchung). In Deutschland würde sicher der Spatz den ersten Rang einnehmen. Bei den Shoshoni ist es der Adler (MacLaury 1991). Das heißt, die Typikalitätsurteile sind kulturabhängig. Rosch entfernte sich damit in mehrfacher Hinsicht von der etablierten Forschung, der strukturellen Semantik und der Komponentenanalyse. 7.3 Unscharfe Grenzen Während sich Eleanor Rosch für die interne Struktur der Kategorien interessierte, untersuchte William Labov (1973) (*1927) die Ränder. Er wandte sich dagegen, dass die Sprachwissenschaft die Bedeutung von Wörtern hauptsächlich über Selbstbetrachtung oder durch den Gebrauch in Texten angab und gegen die unhinterfragte Annahme, sprachliche Einheiten seien klar von einander abgrenzbar, gleichwertig und jeweils über eine Gruppe von definierenden Merkmalen zu bestimmen, die auf jedes Mitglied der Kategorie zutreffen müssen. Gemäß dieser Annahme sind Grenzen zwischen Kategorien leicht zu finden, da Merkmale a bis c auf einen Gegenstand zutreffen, der damit in die Kategorie X gehört, während sie auf einen zweiten Gegenstand nicht zutreffen, der daher auch nicht Mitglied dieser Kategorie ist. So effektiv diese Annahmen bei der Beschreibung von Einheiten wie Phonemen und Morphemen auch sein mögen, sie können nicht Sprachwandel und systematische Variation erklären. In Wirklichkeit ist es oft schwer zu sagen, ob ein Gegenstand zu einer bestimmten Kat egorie gehört oder nicht - wenn ein Gefäß so aussieht wie eine Tasse, wir es aber nicht dazu benutzen, um daraus zu trinken, ist es dann trotzdem eine Tasse? Die Vorstellung von klar abgrenzbaren, homogenen Kategorien versperrt die Sicht auf Schwa nkungen der Denotation. Damit ging Labov von der Wortbedeutung aus, die seiner Meinung nach bisher nicht exakt untersucht worden war, und nicht wie Rosch von kognitiven Kategorien. Er betrachtete, wie Wörter konkreten Gegenständen zugeordnet werden. Im Falle von Verwandtschaftsbeziehungen ist es relativ klar, wer Onkel und wer Neffe ist, wann wir es aber mit einem Baum oder einem Busch zu tun haben, schon weniger. Labov wollte sich genau diese Problemzone des Übergangs von einer Kategorie zur anderen näher ansehen. 105 7.3 Unscharfe Grenzen g Dazu untersuchte er Gefäße, die mehr oder weniger Tassen ähneln, also auch Schalen, Gläser, Vasen und Becher, um herauszufinden, was eine Tasse zur Tasse macht. In einer ersten Versuchsreihe fertigte er Zeichnungen von Gefäßen an, die er systematisch veränderte, zunächst in Hinblick auf Form. Er variierte das Verhältnis von Höhe zu Breite, andere Beispiele waren dazu mehr oder weniger konkav, statt rund auch dreieckig oder viereckig, sie hatten einen Stiel oder nicht, sie hatten keinen, einen oder zwei Henkel etc. Die graduellen und gleichzeitig systematischen Abwandlungen waren wichtig, um zu sehen, ob es einen Punkt gab, ab dem ein Gegenstand nicht mehr der einen, sondern der anderen Kategorie zugeordnet wurde. Die Versuchsteilnehmer/ innen sollten die Zeichnungen der Gefäße benennen. In Folgesitzungen wurden darüber hinaus Angaben zum Material gemacht: Glas, Porzellan, Metall oder Papier. Dann sollten sich die Versuchspersonen unterschiedliche Situationen vorstellen, beispielsweise, dass jemand den Gegenstand in der Hand hält, dass jemand mit einem Löffel Zucker einrührt, dass der Behälter mit Kartoffelbrei oder Reis gefüllt ist oder mit einem Blumenstrauß. Einige der Gefäße wurden von den meisten klar und einheitlich benannt, bei anderen kam es zu großen Schwankungen. Die verschiedenen Eigenschaften und Gebrauchssituationen beeinflussten die Ben ennung in unterschiedlichem Maße. Labov fand keine stabilen, klaren Grenzen zwischen den Referenzbereichen von bowl , Schale, Schüssel ‘ , cup , Tasse, Schale ‘ , mug , Krug, Becher ‘ , dish , Schüssel, Schale, Napf ‘ , glass , Glas ‘ , pitcher , Krug (mit Henkel) ‘ etc. Vielmehr ergaben sich verschieden breite und verschieden positionierte Übergangsb ereiche, die sich nicht nur aufgrund der unterschiedlichen Formen, sondern auch je nach Material oder Inhalt anders verhielten. Die Kategorien haben also keine eindeutigen Grenzen, sie haben fuzzy edges. Sie sind unscharf und schwanken überdies in Abhängigkeit von Aussehen, Material und Gebrauchssituation (vgl. Abb. 9). Abb. 9: Strukturtyp Tasse - Kategorien mit unscharfen und überlappenden Grenzen Unterschiedliche Grade der Zugehörigkeit zu einer Kategorie oder Grenzwertigkeit lassen sich sprachlich mit „Heckenwörtern“ (hedges, Lakoff 1972) ausdrücken wie eine Art, grob gesagt, streng genommen, im weitesten Sinne, fast, irgendwie, eigentlich, sogenannt, ein/ e richtige/ r, par excellence, vgl. Sätze wie Burgunder ist eine Art Rot. Burgunder ist zwar ein Rot, aber kein typisches. b d h a f c e 106 7 Das Prototypenmodell Der Wal ist kein richtiger Fisch. Streng genommen ist der Wal kein Fisch. Eigentlich ist der Wal ein Säugetier. Hier wird die strittige Stellung des Wals als Fisch versprachlicht. In Der Spatz ist ein Vogel par excellence. kommt die Zentralität zum Ausdruck. Hingegen klingt Der Strauß ist ein richtiger Vogel. seltsam, weil er nicht als typischer Vogel gelten kann. Das heißt, die fuzzy edges bei der Beurteilung von Gegenständen finden sich auf der Ebene der Sprache wieder. 7.4 Stereotypen Ein dem Prototypen ähnlicher Begriff ist der des Stereotyps. Er stammt von Hilary Putnam (*1926), der ebenfalls von Wortbedeutungen ausging, aber vor einem sprachphilosophischen Hintergrund - ist ein dreibeiniger Tiger ein Tiger? Laut Putnam assoziieren wir ein Wort mit einem Stereotypen. Das heißt, wir stellen uns ein normales Mitglied einer Kategorie mit seinen typischen Merkmalen vor, also eine gelbe Zitrone, keine grüne, auch keine verschrumpelte, obwohl eine grüne oder eine vertrocknete Zitrone durchaus eine Zitrone ist (Putnam 1975a). Auch er sah nämlich Probleme mit dem traditionellen, analytischen Modell der Definition von Wortbedeutungen, in dem nicht normale Mitglieder wie grüne Zitronen oder dreibeinige Tiger keinen Platz finden, sondern eben nur normale Beispiele. Wie schon der Begriff Prototyp ist auch der des Stereotyps nicht der gleiche wie der der Alltagssprache. Dort und auch in der Sozialpsychologie bezeichnet er wiederkehrende Muster oder pauschale, vorgefasste Meinungen über Menschengruppen wie „Italiener essen immer Nudeln“, oft mit ausgrenzender Wirkung. Beide Verwendungen beinhalten aber eine gewisse vereinfachte Vorstellung von den Referenten. Putnams Stereotypen sind konventionelle Vorstellungen, die wir von normalen Vertretern einer Kategorie haben, ohne dass wir die exakte Definition kennen müssen. Wir können uns über Buchen und Ulmen unterhalten, auch wenn sie für uns nicht unterscheidbar sind. Nach traditioneller Auffassung werden Referenten aufgrund einer Definition, nach der bestimmte Eigenschaften zutreffen und die die Bedeutung bestimmen, einem Wort zugeordnet. Das ist im Alltag oft nicht immer möglich, auch gar nicht immer nötig. In unseren Breitengraden müssen wir beispielshalber den Unterschied zwischen Kamel und Dromedar nicht kennen. Die genaue Bestimmung der Extension ist oft nur von Expert/ innen zu leisten. Das heißt, unsere Vorstellung, unser Stereotyp kann unvollständig sein. Wenn zu dieser Vorstellung bestimmte Merkmale des Referenten gehören, heißt das weiterhin auch nicht, dass alle diese Eigenschaften auf alle Vertreter der Kategorie zutreffen müssen, hier ähneln sich Prototyp und Stereotyp. Solch eine Vorstellung muss auch nicht unbedingt richtig sein, Hauptsache, die Kommunikation funktioniert (Putnam 1975b). Während die Bedeutung eines 107 7.5 Familienähnlichkeiten j d Wortes bei einzelnen Sprecher/ innen jeweils ein Stereotyp ist, geschieht die genaue Referenzbestimmung oft durch Expert/ innen, beides ergänzt sich und steht der Sprachgemeinschaft als Gruppe zur Verfügung. Insofern haben Wörter und ihre Bedeutungen eine soziale Dimension. Dies unterscheidet die Stereotypen von den Prototypen. Auch wenn das Normale meist das gleiche ist wie das Typische, sollten die Begriffe getrennt werden, da sie in unterschiedliche Theoriegebäude eingebettet sind. 7.5 Familienähnlichkeiten Der Begriff der Familienähnlichkeit geht auf Ludwig Wittgenstein (1889-1951) zurück. Er forderte dazu auf, die Vorgänge, die wir Spiele nennen, näher zu betrachten (Wittgenstein 1953/ 1984: 277f.) und zeigte, dass Brett-, Karten-, Ball- und Kampfspiele etc. keine Merkmale aufweisen, die allen gemeinsam sind. Bei einem Spiel gibt es manchmal zwei Teilnehmer/ innen, manchmal mehr, andere wie Pa tience können wir allein spielen. Manchmal benötigen wir ein Spielbrett, manchmal Karten, manchmal einen Ball. Nicht immer gibt es Gewinnerinnen und Verli erer, denn auch, wenn ein Kind einen Ball an die Wand wirft, spielt es. Nicht jedes Spiel macht Spaß, nicht jedes erfordert Geschick. „Und das Ergebnis dieser Betrachtung lautet nun: Wir sehen ein kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen. Ähnlichkeiten im Großen und Kleinen“ (Wittgenstein 1953/ 1984: 278) (vgl. Abb. 10). Der Begriff Familienähnlichkeit spielt auf Mitglieder einer Familie an, die sich alle ähneln, aufgrund von Augen- oder Hautfarbe, Körperstatur, Temperament und unterschiedlichen Kombinationen davon, ohne ein Merkmal gemeinsam haben zu müssen. Abb. 10: Strukturtyp Spiel - Kategorie mit Gruppen von Mitgliedern, die sich unterschiedlich stark ähneln, aber nicht alle Merkmale teilen k b a f e a c i g h k 108 7 Das Prototypenmodell Rosch/ Mervis (1975) gingen von einer etwas anderen Auffasssung von Prototypikalität aus als zuvor, weil sie Wittgensteins Idee umsetzten und semantische Kategorien nun als ein Netzwerk von sich überlappenden Merkmalen verstanden. Mitglieder sind prototypischer für eine Kategorie, wenn ihre Familienähnlichkeit zu anderen Mitgliedern größer ist, wenn sie also möglichst viele Eigenschaften mit anderen Mitgliedern teilen (in Abb. 10: d). Je näher ein Mitglied am besten Beispiel ist, desto mehr Eigenschaften haben beide gemeinsam. Gleichzeitig sollten sie über möglichst wenige Merkmale von Vertretern anderer Kategorien verfügen. Idealerweise führt das automatisch dazu, dass sich die Kategorien dann leicht voneinander unterscheiden. Wichtig ist nach wie vor, dass nicht alle Eigenschaften gleich aussagekräftig sind. Für Rosch/ Mervis (1975) gibt es unterschiedliche Gültigkeitsgrade der Merkmale (cue validity). So sind für Hunde , vier Beine ‘ oder , Fell ‘ weniger aussagekräftig, da sie auch auf andere Kategorien zutreffen. Hingegen hat , kann bellen ‘ eine sehr hohe cue validity. Die Merkmale mit der höchsten cue validity treffen für die meisten Mitglieder der Kategorie zu und gleichzeitg nicht für Mitglieder anderer Kategorien. Da nun die einzelnen Mitglieder einer Kategorie nicht alle Eigenschaften teilen, wird der Prototyp nicht mehr als bestes Beispiel verstanden, sondern als Gruppe mehrerer Exemplare oder als abstrakte Repräsentation der Kategorie (Rosch/ Mervis 1975: 575). 7.6 Basisausdrücke Solche Familienähnlichkeiten treten bei übergeordneten Kategorien auf, vgl. Möbel oder Fahrzeug. Sie enthalten Mitglieder wie Stuhl, Bett und Tisch bzw. Auto, Bus und Fahrrad, die sich untereinander nur bedingt ähneln. Stuhl oder Auto sind Ausdrücke der Basisebene (basic level categories). Diese Ebene ist die Grundebene der Abstraktion, aufgrund derer die Gegenstände kategorisiert werden, die möglichst viele gemeinsame Eigenschaften aufweisen, um eine Gruppe zu bilden, während Kategorien der untergeordneten Ebene nicht viel zusätzliche Informationen gegenüber der Basisebene bieten, vgl. Küchenstuhl, Wohnzimmerstuhl, Schreibtischstuhl. Auf der übergeordneten Ebene verfügen die Kategorien über wenige oder kaum gemeinsame Eigenschaften, auf der untergeordneten über unnötig viele. Also gliedern die Kategorien der Basisebene die Welt am effektivsten. Ausdrücke der Basisebene werden schneller gelernt, schneller verarbeitet und sind auch meist kürzer als die der anderen Ebenen (Brown 1965, Rosch/ Mervis 1975, Rosch et al. 1976). Rosch führte damit die hierarchische Dimension der Kategorisierung ein, die kognitiv fundiert ist und sich anhand der Menge gemeinsamer Eigenschaften messen lässt. Rosch et al. (1976: 434f.) sprachen auch das Thema Universalität an. Die Prinzipien der Kategorienorganisation dürften universell sein, nicht aber die Inhalte der Kategorien, die von unterschiedlichen Umwelt- und Lebensbedingungen und unterschiedlichen Überlebensnotwendigkeiten abhängen, wie auch von Boas, Sapir und Whorf vermutet. 7.7 Probleme und Grenzen Die verschiedenen Arbeiten von Rosch, Labov und Putnam konnten zeigen, dass die traditionelle Auffassung und Bestimmung von Kategorien in vielen Fällen unzureichend ist. Das Prototypenmodell erfreute sich schnell großer Beliebtheit und wird auch, zusammen mit dem Konzept der unscharfen Grenzen, aktuell angewendet, um 109 7.7 Probleme und Grenzen Übergangsbereiche und unklare Fälle besser zu fassen. Nichtsdestotrotz gab es Kritik, auf die Rosch bald reagierte. Sie hatte ihr Modell bereits 1978 relativiert (vgl. auch Mervis/ Rosch 1981) und sprach nun nicht mehr von Prototypen, sondern von Graden an Prototypikalität. Einen einzelnen tatsächlichen Prototypen gibt es nicht mehr. Der Ansatz stellt auch weder eine Theorie der Repräsentation noch des Erwerbs von Kategorien dar (Rosch 1978: 40f.). Prototypische Effekte sollten von mentaler Struktur getrennt werden (Lakoff 1987: 43). Sie geben den Aufbau einer Kategorie nicht unmittelbar wieder, sondern sind das Ergebnis von informationsverarbeitenden Strategien, die wir erst untersuchen müssen. Rosch orientierte sich wieder mehr an psychologischen Fragestellungen und konzentrierte sich auf kognitive Verarbeitungsprozesse, wobei sie Wortbedeutungen mit berücksichtigte. Sie ließ prototypische und klassische Kategorienstrukturen zu und stellte der analytischen Konzeption die holistische zur Seite. Während Kleiber (1998) darin eine Aufweichung des Modells sieht, das nicht mehr viel aussagt, hat die Weiterentwicklung für Mangasser-Wahl (2000) den Stellenwert eines allgemeinen kognitiven Prinzips gewonnen. Der Status als Modell oder Theorie, mittlerweile in zahlreichen Ausprägungen weiterentwickelt, oder aber als Prinzip wird allerdings diskutiert. Zudem gibt es noch einige ungelöste Probleme und offene Fragen. Was ist ein Prototyp - ein Bild, ein typischer Vertreter, ein tatsächlicher Referent, eine weitere Kategorie, eine Abstraktion mit den charakteristischen Ei genschaften? Ist der Prototyp für jede/ n gleich? Wonach richten sich die Abstufungen? Ein Konzept kann oft rein aufgrund der charakteristischen Eigenschaften nicht bestimmt werden, das wurde wiederholt am traditionellen Kategorienmodell kritisiert. Die Ähnlichkeitsbeziehung zum Prototypen aber reicht als ordnendes Kriterium allein nicht aus, wie Labovs Tassenexperimente gezeigt haben, da auch funktionale und situative Aspekte bei den Probandenbefragungen eine Rolle spielten (vgl. außerdem Cruse 1990). Statt eines Bündels von Eigenschaften möchte die kognitive Semantik eher von einer ganzheitlichen Auffassung von Konzepten ausgehen, die aber offenbar in Situationszusammenhänge eingebettet sind. Wie kann Polysemie beschrieben werden? Neben Kategorien mit einem Prototypen gibt es auch andere, die mehrere Zentren haben wie Schule als Gebäude oder als Institution oder Flügel u.a. als Teil des Körpers, als Teil eines Flugzeuges oder Hubschraubers, als Anbau eines Gebäudes oder als Musikinstrument. Wir könnten sie uns mit einer Struktur nach dem Prinzip der Familienähnlichkeit vorstellen, insofern hat Rosch dieses Problem bereits gelöst. Wie ist aber Polysemie genau zu verstehen? Bei der Polysemie wird ein Wort mit mehreren Bedeutungen angesetzt, während es sich bei Homonymie um verschiedene Wörter handelt, die gleich aussehen und gleich klingen und die etymologisch nichts miteinander zu tun haben, vgl. Tau für das Schiffseil bzw. für den Niederschlag oder Kiefer für den Baum bzw. den Teil des Schädels. Ein Problem ist nun einerseits die Abgrenzung zwischen Wörtern mit einer vagen, unscharfen oder relativen Bedeutung wie groß oder Tasse und polysemenen Ausdrücken, während sich gleichzeitig nicht immer klar zwischen Polysemie und Homonymie trennen lässt. Für diese linguistischen Konzepte setzt Taylor (2003a: 105) deswegen ebenfalls unklare Grenzen an und jeweils mehr oder weniger gute Beispiele. Für die Polysemie stellt sich andererseits die Frage, wie viele Bedeutungen genau ein Wort aufweist, wann wir es also mit einer neuen Bedeutung und wann lediglich mit 110 7 Das Prototypenmodell einer anderen Interpretation in einem bestimmten Zusammenhang zu tun haben. Inwiefern ist der Teil einer Pflanze, mit dessen Hilfe ein Same fliegen kann, eine eigene Bedeutung von Flügel oder nur eine Gebrauchsvariante? Zum Problem der Polysemie nimmt Kleiber (1998) ausführlich Stellung. Er weist darauf hin, dass der Ausgangspunkt für solch eine Fragestellung ein Wort ist, dass mehrere Bedeutungen haben kann und nicht mehr eine Kategorie, wie ursprünglich von Rosch beabsichtigt (Kleiber 1998: 115). Laien- und Expertenwissen decken sich nicht immer. Für Mathematiker/ innen lassen sich gerade und ungerade Zahlen klar definieren, und wir alle können sie auseinanderhalten. Gleichzeitig zeigen diese Kategorien Prototypeneffekte, denn 3 ist eine bessere ungerade Zahl als 447 und 2, 4 und 1000 sind bessere gerade Zahlen als 106 (Armstrong et al. 1983). Das könnte daran liegen, dass wir den guten Beispielen im täglichen Leben häufiger begegnen und dass sie leichter als gerade oder ungerade erkennbar sind. Das heißt, definieren und verarbeiten führen zu unterschiedlichen Bedeutungsstrukturen. Experten- und Laienwissen existieren nebeneinander und kommen situationsabhängig zur Anwendung, wie es Putnam im Zusammenhang mit seiner Stereotypenidee beschrieben hat (vgl. Taylor 2003a: 72ff.). Die Zahlen sind ein weniger gutes Beispiel für Prototypizität. Damit ist Prototypizität selbst ein prototypisch aufgebautes Konzept (Posner 1986, Geeraerts 1989). Inwiefern sind sprachliche und kognitive Kategorien gleichzusetzen? Dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. Generativ orientierte Ansätze sehen Kognition und Sprache als getrennte Systeme, so dass Sprache ein autonomes Forschungsgebiet bildet. Sprachliche Kategorien bzw. Bedeutungen sind unabhängig von mentalen Strukturen und Prozessen sowie Welt- und Situationswissen zu betrachten. Einer anderen Auffassung zufolge gehören sprachliche und kognitive Kategorien zu zwei Systemen, die interagieren oder eng verwoben sind (Schwarz 2002). Cruse (1990: 400) führt als Beispiel die klare Bedeutungsunterscheidung von tot und lebendig auf. Die Entscheidung, wann ein Mensch noch lebt oder bereits gestorben ist, ist hingegen oft strittig, da keine Einigkeit über die genauen medizinisch-ethischen Kriterien herrscht. Schließlich vertreten u.a. Lakoff (1987) oder Taylor (2003a) die Ansicht, es sei unmöglich, auch gar nicht nötig, sprachliches und nicht-sprachliches Wissen zu trennen. Im Zusammenhang mit der Prototypentheorie erwies sich das Verhältnis zwischen sprachlichen und kognitiven Konzepten in jedem Fall als problematisch, weil beide oft unhinterfragt gleichgesetzt wurden. Mit der Zeit aber entwickelte sich die mentale Repräsentation von Sprache und ihren Einheiten und Strukturen zu einer eigenen Forschungsaufgabe. Es entstand die Kognitive Linguistik (vgl. Kap. 13). Mit Bedeutungen und ihren mentalen Aspekten beschäftigt sich die Kognitive Semantik. Da hier über Introspektion gewonnene Einsichten als unzureichend anges ehen werden, ergibt sich die Notwendigkeit, interdisziplinär zu arbeiten und die Bedeutungen und die Struktur des mentalen Lexikons empirisch-experimentell zu erforschen. Es geht nicht mehr zentral darum, eine Bedeutung strukturell zu beschreiben, sondern die Verarbeitung und die kognitive Repräsentation zu verstehen. Während bisher deskriptive Aspekte im Vordergrund standen, sind nun auch funktionale Faktoren und kognitive Prozesse von Belang. Die Frage, ob Sprache das Denken mitbestimmt, wird immer noch diskutiert. Wir könnten überlegen, ob wir bei Eis ein Konzept mit Mitgliedern mit Familienähnlichkeiten haben oder aber zwei Konzepte, die wir häufig erst bei der 111 7.7 Probleme und Grenzen Übersetzung entdecken, z.B. sp. helado und hielo. Vorher sind wir versucht zu sagen, es ist ein Konzept, weil wir ja auch ein Wort haben, während die Span ier/ innen gar nicht auf die Idee kommen, gefrorenes Wasser mit dem Eis am Stiel gleichzusetzen, weil sie verschiedene Lexeme dafür verwenden und dann wohl auch zwei verschiedene mentale Bilder entwickeln, wobei die Gleichsetzung von mentalem und sprachlichem Konzept ja nach wie vor umstritten ist. Interessant ist auch die Unterscheidung, wieder im Spanischen, zwischen dem äußeren Teil des Ohres, oreja, und dem inneren, oído. Ohrenschmerzen beziehen sich dann nur auf den inneren Teil, dolor de oídos. Das Spanische hat madrugada , früh morgens ‘ und damit wahrscheinlich ein eigenes Konzept für die Zeit zwischen Mitternacht und Tagesanbruch neben nachts und morgens, während wir hier nur zwei Konzepte haben. Das heißt, der Fluss der Zeit wird durch die Wörter in den beiden Sprachen in unterschiedliche Bereiche geteilt. Ein anderes Beispiel sind unsere heutigen Onkel und Tante, die nicht zwischen Verwandten der Mutter- und Vaterseite trennen. In vielen Kulturen bzw. Sprachen ist solch eine Unterscheidung aber gesellschaftlich von Belang und sie gebrauchen für „Mutterbruder“ und „Vaterbruder“ zwei verschiedene Wörter, wie es auch im Deutschen früher üblich war (Oheim vs. Vetter). Haben wir es im Deutschen bei Onkel mit einem Konzept zu tun oder mit mehreren? Damit verbunden, aber nicht identisch ist das Problem, wann ein Wort vage, polysem oder mehrdeutig ist (vgl. oben; Tuggy 1993). Und wer sagt, wann es ein oder aber zwei Konzepte gibt, die Benutzer/ innen der Alltagssprache oder die Expert/ innen aus Psychologie und Linguistik? So setzt beispielsweise Geeraerts (1986) für bird/ Vogel Ambiguität an mit drei lexikalischen Bedeutungen - und drei Konzepten? Merkmalssemantik und Prototypensemantik müssen sich nicht ausschließen, vielmehr ergänzen sie sich (vgl. auch Cruse 1990). Das gilt auch für die verschiedenen Strukturtypen. Manche Kategorien haben eine Struktur wie die von Vogel mit unterschiedlich typischen Mitgliedern und eindeutigen Grenzen, andere wie die von Tasse, andere wie die von Spiel und manche auch klassisch wie die der Phoneme. Klar ist aber, dass letztere nicht die einzige Möglichkeit darstellt. Die Idee der Prototypen entwickelte sich zu einer Alternative bzw. Ergänzung zur herkömmlichen Kategorisierung und zur Komponentenanalyse, weil sie Ausnahmen, unklaren Fällen, mehr oder weniger guten Beispielen und der Flexibilität von Kategorien einen Platz in einem Modell gewährte. Ursprünglich als Beschreibung für die interne Struktur kognitiver Konzepte gedacht, erwies sie sich schnell auch als brauchbarer Ansatz zur Kategorisierung linguistischer Einheiten. Die Idee der Prototypen gilt heute als in ihrer Reichweite zwar umstrittene, dennoch empirisch immer stärker gesicherte Theorie allgemeiner Verarbeitungsprinzipien. Sie übernimmt in vielen linguistischen, psychologischen und mittlerweile auch kognitiv-grammatischen Arbeiten eine tragende Rolle und bildet einen der Grundpfeiler der Kognitiven Linguistik (Kap. 13). Übungsaufgabe: Wie lässt sich das Prototypenmodell für die Beschreibung von linguistischen Kategorien anwenden? Bestimmen Sie die Wortbildungsart von Tischdecke, Riesenärger, ärgerlich, riesig, saublöd, hellgrün, grünlich, Oberspinner, Hausschuh, Spinner, Flickwerk! 112 7 Das Prototypenmodell Lösung: Bei Determinativkompositum (Tischdecke, hellgrün, Hausschuh) und Derivation (ärgerlich, riesig, grünlich, Spinner) handelt es sich um zwei Kategorien, die sprachwissenschaftlich definiert werden. Ein Kompositum besteht aus mindestens zwei lexik alischen Morphemen. Die (explizite) Derivation erfolgt durch Anfügen eines Derivationsaffixes an ein lexikalisches Morphem bzw. einen Stamm. Ein Affix besteht typischerweise aus einer Silbe, ist unbetont und weist wenig Lautmaterial auf, vgl. ver-, be-, ge-, -er. Lexikalische (Grund)morpheme sind grundsätzlich betonbar, sie weisen viel lautliches Material auf und können aus vielen Silben bestehen. Sie sind typischerweise frei, wobei es auch hier wieder Ausnahmen gibt wie sprech-, him-, oder psych(o). Sie können sich mit Affixen verbinden, beispielsweise im Plural stehen. Affixe hingegen sind grundsätzlich gebunden. Wörter wie Riesenärger, saublöd, Oberspinner, Flickwerk passen nicht zur Derivation, weil sie keine Affixe enthalten, und nicht zur Komposition, weil Ober, sau, Riesen und werk keine lexikalische Bedeutung in diesen Wörtern mehr tragen und in gleichbleibend veränderter Bedeutung in Reihe stehen in vielen anderen Bildungen ( Riesenfreude, Riesenzirkus, Riesenarbeit, saugut, saudämlich, sauschwer, Obergauner, Obertrottel, Obermacker, Schuhwerk, Backwerk, Fachwerk). Die Forschung ist geteilter Meinung, wie mit diesen Problemfällen umzugehen ist. Vielfach werden sie als Komposita bezeichnet, jedoch als schlechtere Beispiele im Vergleich zu Tischdecke, hellgrün oder Hundenapf. Aber genau genommen passen sie weder richtig zu Komposition noch zu Derivation. Einheiten wie ober in Oberspinner oder werk in Flickwerk befinden sich zwischen den typischen Zentren der Kategorien Determinativkompositum und Derivation. Sie teilen mit ihnen jeweils einige Merkmale (vgl. Abb. 11). Die Merkmale selbst sind nicht als absolut, sondern als typisch zu verstehen. Morphemtyp Einheit Beispiele Merkmale gebunden feste Position bildet automatisch Reihen verbindet sich mit Affixen lexikalische Bedeutung freies lexikalisches Pendant lautlicher Gehalt akzentuierbar Affix ge-, -e, -en Gebüsch, Dichte, golden + + + - - - - - Präfixoid Suffixoid ober, sau gut, los Oberspinner, Sauglück, Wortgut, sorglos + + + - - + + + - freie lexikal. Morpheme haus, tür, schuh, wort Hausschuh, Türschloss, Wortatlas - - - + + 0 + + Abb. 11: Merkmale von Affixen, Affixoiden und freien lexikalischen Morphemen (nach Elsen 2011b: 75) Sowohl Affixoide als auch Affixe weisen die Merkmale Gebundenheit, Positionsfestigkeit, automatische Reihenbildung, die Unfähigkeit, sich mit Affixen direkt zu verbinden und die fehlende lexikalische Bedeutung auf. Affixoide unterscheiden sich von Affixen durch das freie Pendant und tendenziell mehr Lautgehalt, da sie nie aus einer einzigen schwahaltigen Silbe mit einfacher Silbenstruktur bestehen. Das haben sie wieder mit den 113 7.7 Probleme und Grenzen Lexemen gemeinsam. Sie sind damit lautlich noch nicht reduziert wie viele der bereits etablierten Affixe. Das Kriterium des freien Pendants lässt sich auf Kompositionsglieder nicht anwenden. Schließlich weisen Präfixoidbildungen ein anderes Akzentmuster als Determinativkomposita auf (Ríesenhochzeit ,Hochzeit eines Riesen‘, Riesenhóchzeit ,sehr große Hochzeit). Affixoide verhalten sich wie Affixe, sehen aber wie Wörter aus. Das liegt daran, dass ihr Ursprung meist in der metaphorischen Verwendung eines Determinativkompositums liegt (Mordsangst, saudreckig). Schlussendlich greift die klassische Konzeption der Kategorienbestimmung hier also nicht. Zwei Lösungsmöglichkeiten sind vorstellbar, die beide auf dem Protypenmodell bzw. auf der Konzeption von Zentrum und Peripherie basieren. Wir könnten zwei Kategorien mit unscharfen Grenzen und Überlappungsbereichen ansetzen. Dann gehen wir von einem Übergang vom Zentrum der Komposition zum Zentrum der Derivation aus (schon František Daneš in den 1960er Jahren, vgl. Daneš 1982). Alternativ könnten wir eine dritte Kategorie mit den zwei Prototypen Präfixoid und Suffixoid annehmen. Die drei Kategorien weisen je eigene Merkmalsbündel auf, sind aber auch prototypisch strukturiert. Dabei sind die Merkmale nicht alle gleich wichtig. Dem Lautgehalt wird weniger Relevanz zugemessen als Gebundenheit, Positionsfestigkeit, automatische Reihenbildung, der Fähigkeit, sich mit Affixen direkt zu verbinden oder der lexikalischen Bedeutung. Für eine dritte Kategorie sprechen mindestens zwei Gründe. Erstens weisen die Formen eine recht hohe Produktivität auf. Aktuelle Gebrauchsentwicklungen zeigen, dass in einigen Varietäten wie Umgangs- oder Jugendsprache solche Bildungen immer häufiger und in neuen Formen vorkommen. Zweitens verselbststä ndigt sich das Muster, denn es treten auch gleich rein steigernde Bildungen ohne metaphorische Motivation auf ( endblöd). Die bisher unklaren Fälle verteilen sich nicht gleichmäßig zwischen den Zentren von Komposition und Derivation, sondern formieren sich zu einer eigenen Gruppe (vgl. auch Elsen 2009a, 2011b). Damit befinden wir uns in einem Sprachwandelprozess, bei dem eine neue Wortbildungsart entsteht, wie es ähnlich auch in anderen germanischen Sprachen zu beobachten ist, nicht jedoch in der Romania. Das dürfte mit daran liegen, dass dort die Derivation wesentlich intensiver genutzt wird, dafür deutlich weniger die Komposition. Auf diese Weise füllen die Affixoidbildungen im Deutschen eine morphologische Lücke aus für verstärkende, steigernde Inhalte, meist mit stilistischer oder emotionaler Note im Falle der Präfixoide. Die nominalen Suffixoide bilden Kollektiva. Die adjektivischen Formen sind in ihrer Bedeutung etwas facettenreicher, vgl. (wort)arm ,wenig‘, (magen)freundlich ,angenehm für‘, (geld)technisch ,bezogen auf‘. Die neue Kategorie wäre damit funktional determiniert. Sie erweitert unsere Ausdrucksmöglichkeiten und ergänzt das Derivationssystem. Solche Entwicklungen finden auch bei nichtsprachlichen Referenten statt. Gab es früher neben Hosen nur Strumpfhosen, so entstand mit der (Wieder)Erfindung der Leggings eine neue Kategorie, die weder richtig Hose noch richtig Strumpfhose ist. Einige wichtige Werke Labov, William 1973. The boundaries of words and their meanings. Bailey, Charles- James N., Shuy, Roger W. New Ways of Analyzing Variation in English. Washington. 340- 374. Putnam, Hilary 1975b. The meaning of , meaning ‘ . Putnam, Hilary. Mind, Language and Reality. Philosophical Papers II. Cambridge et al. 215-271. 114 7 Das Prototypenmodell Rosch, Eleanor 1973b. On the internal structure of perceptual and semantic categ ories. Moore, Timothy E. Cognitive Development and the Acquistion of Language. New York/ London. 111-144. Rosch, Eleanor 1978. Principles of categorization. Rosch, Eleanor, Lloyd, Barbara. Cognition and Categorization. Hillsdale. 27- 48. Zum Weiterlesen Aitchison (1987), Kleiber (1998), Tsohatzidis (1990), Taylor (2003a); zu Weiterentwicklungen der Stereotypentheorie und Kritik vgl. den Überblick von Konerding (2006). 8 Die generative Grammatik Zum Ende der deskriptiven Ära war in den U.S.A. Zeit für einen Umschwung. Vor allem der Behaviorismus erntete starke Kritik. Die ersten Computer ließen neue Informationsverarbeitungstechniken erahnen. Die U.S.A. wollten die Vormachtstellung der Wissenschaft ausbauen und stellten umfangreiche Forschungsmittel für neue Universitätsinstitute zur Verfügung. Ziel war aber nicht mehr die Beschreibung der Sprachen, sondern die Erstellung einer sprachwissenschaftlichen Theorie (Lehmann 1981b: 48). Verschiedene Wissenschaftler arbeiteten an der Idee der generativen Grammatik. Für die anstehende Kognitive Wende flossen Weiterentwicklungen und Gegenpositionen zu einigen bisher propagierten Annahmen in der Person von Noam Chomsky zusammen. Chomsky, ein Schüler von Zellig Harris, kam 1928 in Philadelphia auf die Welt, studierte Linguistik, Mathematik und Philosophie, promovierte 1955 an der University of Pennsylvania und lehrt seit 1961 als ordentlicher Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, U .S.A. Er gilt nach wie vor als einer der größten Linguisten aller Zeiten. Seit Anfang der 1950er Jahre baute er seine theoretischen Ansichten Schritt für Schritt aus und entwickelte die wohl meist diskutierte und umstrittenste Theorie, zunächst in der Gestalt der generativen Transformationsgrammatik. Das Modell setzt sich aus mehreren Einzelannahmen zusammen. 8.1 Kleinste bedeutungsunterscheidende Merkmale Roman Jakobson, ursprünglich einer der Hauptvertreter der Prager Schule, prägte auch die US-amerikanische Linguistik. In den Fundamentals of Language (1956) entwickelten er und Morris Halle (*1923) anhand von Phonetik und Phonologie unter Rückgriff auf europäische Arbeiten eine Theorie der distinctive features (distinktive Merkmale), die kleinsten Bausteine einer Sprache, als Grundlage für die Beschreibung sprachlicher Strukturen. Diese ursprünglich strukturalistischen Bausteine übernahm auch Chomsky. 8.2 Transformationen Aus Sicht der deskriptiven Linguistik präsentierte Zellig S. Harris 1952 in Discourse analysis eine formale Analyse der grammatischen Struktur von Texten auf distributioneller Grundlage und ohne Zuhilfenahme semantischer Informationen. Er ging damit über die Einheit Satz hinaus und nahm als Grundlage seiner Distributionsanalyse zusammenhängende Sätze innerhalb einer Situation, sei es von einem oder mehreren Sprecher/ innen geäußert oder als Text geschrieben. Seine minimale Einheit war das Morphem. Harris betrachtete das distributionelle Verhältnis zwischen Morphemen und zwischen Sätzen, nicht jedoch den Inhalt des Textes. Ausdrücke, die in gleicher Umgebung vorkommen, bilden ein Klasse und damit eine höhere Einheit. In den Sätzen Die Bäume verfärben sich hier gegen Mitte Herbst. Die Bäume verfärben sich hier gegen Ende Oktober. 116 8 Die generative Grammatik Der erste Frost kommt ab Mitte Herbst. Wir fangen mit dem Heizen an ab Ende Oktober. sind Mitte Herbst und Ende Oktober äquivalent, weil sie in der gleichen Umgebung vorkommen (Die Bäume verfärben sich hier gegen -). Diese Äquivalenzbeziehung gilt auch für die nächsten beiden Sätze, deswegen sind Der erste Frost kommt und Wir fangen mit dem Heizen an ebenfalls äquivalent (vgl. Harris 1952: 6). So werden sämtliche Teile der Sätze mit allen anderen verglichen. Der nächste Schritt ist die Segmentation. Größere Einheiten lassen sich sukzessive aufbrechen, denn zwischen Satz und Wort gibt es weitere Ebenen, die der Wortgruppen. Dass mehrere Wörter zusammengehören, erkennen wir daran, dass wir sie gemeinsam im Satz verschieben können (Verschiebe-, Umstellprobe, Permutationstest), vgl. die grüne Ente in den Sätzen Die grüne Ente flog gestern schon wieder über unser Haus. Gestern flog die grüne Ente schon wieder über unser Haus. Schon wieder flog gestern die grüne Ente über unser Haus. Ich wusste gar nicht, dass gestern schon wieder die grüne Ente über unser Haus geflogen war. Oder wir können sie bei gleichbleibender Umgebung ersetzen, zum Beispiel durch ein Pronomen (Austausch-, Ersetzungsprobe, Kommutationstest), vgl. Die grüne Ente flog gestern schon wieder über unser Haus. Sie flog gestern schon wieder über unser Haus. Wenn wir solch eine Wortgruppe ermittelt haben, benennen wir sie nach dem wichtigsten Element. Da im obigen Beispiel das Nomen Ente die Form der anderen beiden Wörter bestimmt, heißt die Wortgruppe Nominalphrase (NP). In der Wortgruppe über unser Haus bestimmt die Präposition über den Kasus der beiden anderen Wörter, also heißt solch eine Wortgruppe Präpositionalphrase (PP). Phrasen können auch sehr komplex sein. Ein anderes Beispiel für eine NP wäre Das grüne Tier, das damals aus dem Dschungel entkommen war und den tödlichen Virus in ganz München verbreitete hatte (, flog gestern schon wieder über unser Haus.) Dies war nun zunächst rein deskriptiv-distributionell gedacht. Zwei Elemente gehören zur gleichen Klasse, wenn sie die gleichen Distributionseigenschaften teilen, also in den gleichen Umgebungen erscheinen. Damit gehören die grüne Ente und sie zu einer Kategorie (NP). Allerdings ist solch eine Distributionsklasse nicht grundsätzlich mit einer Wortart oder einer nach ihr benannten Phrase gleichzusetzen, da die Analysemethode auch zu größeren Einheiten führt. Harris bewegte sich mit solchen Verallgemeinerungen weg von Einzelbeispielen hin zu systematischen grammatischen Kennzeichen von Sprache, also hin zu einer allgemeingültigen Sprachtheorie, wie sie dann von Chomsky weiterverfolgt wurde. Wegweisend war außerdem folgende Beobachtung. Manche Ausdrücke treten nur in Abhängigkeit von bestimmten anderen auf, so er und (verfärb-)t oder du und (verfärb-)st. Solche regelmäßigen Beziehungen sind in diesem Ansatz sehr wichtig. Sie bestehen nicht nur zwischen Flexionsformen, sondern auch zwischen größeren Strukturen wie Phrasen oder Sätzen, vgl. 117 8.3 Regeln und das Generieren von Sätzen weil Siggi das Auto fährt - weil das Auto von Siggi gefahren wird weil Ulli die tollen Schuhe kauft - weil die tollen Schuhe von Ulli gekauft werden weil Sebastian den Kuchen backt - weil der Kuchen von Sebastian gebacken wird weil Chris die Gebrauchsanweisung liest - weil die Gebrauchsanweisung von Chris gelesen wird. Statt nun jeweils beide Strukturen aufzulisten, kann auch eine Überführungsregel vom Aktivsatz zum Passivsatz formuliert werden, das verkürzt die Grammatik. Ein wesentlicher methodologischer Begriff ist nämlich die Transformation, die die regelmäßige grammatische Relation zwischen Strukturen ausdrückt, weil Klaus das Buch liest und weil das Buch von Klaus gelesen wird lässt sich zunächst einmal auf die grundlegenden Elemente vereinfachen (weil) Klaus das Buch liest (weil) das Buch (von Klaus) gelesen wird. Die regelmäßige Beziehung zwischen den beiden Ausdrücken kann durch eine Regel, in diesem Fall eben eine Transformation, wiedergeben werden mit Klaus als NP 1 , das Buch als NP 2 , liest als V und gelesen wird als V pass , vgl. NP 1 NP 2 V NP 2 (von NP 1 )V pass . Und damit kommt Bewegung in die Beschreibung. 8.3 Regeln und das Generieren von Sätzen Noam Chomsky diskutierte in Chomsky (1953) Probleme und alternative Formalisierungsmöglichkeiten auf einer abstrakten mathematisch-logischen Ebene. Diese stark formalistische Ausrichtung erwies sich als eines der Hauptcharakteristika seiner Denkweise und bestimmte die Gesamtheit seiner grammatischen Modelle. So haben etwa die Versuche, die syntaktische Struktur ohne Rückgriff auf Semantik und nur aufgrund der Distributionsanalyse zu bestimmen wie u.a. in Harris (1951, 1952) ihre Grenzen, und die IC-Analyse reicht für eine erschöpfende Beschreibung einer Sprache nicht aus. Chomsky (1956) stellte der in der deskriptiven Grammatik üblichen IC- Analyse grammatische Transformationen zur Seite, aufbauend auf den Arbeiten von Harris. Bislang erfolgte die Aufgliederung eines Ausdrucks als schrittweise Zerlegung in je zwei Teile. Chomsky wollte die Menge der Phrasenstrukturen, die bisher durch die Analyse nach unmittelbaren Konstituenten gewonnen wurden, verkleinern, indem er nur noch einen Kernapparat dieser Beschreibungen ansetzte und die restlichen über wiederholte Anwendungen der Transformationen gewann. Er stellte sich eine mathematisch basierte Theorie vor, die mehr leistet, als Sprache zu beschreiben. Vielmehr soll sie auf der Grundlage eines Korpus einer begrenzten Menge von Sätzen eine unbegrenzte Menge neuer Sätze voraussagen mithilfe genereller Gesetze, also mit grammatischen Regeln. Solche Operationen erzeugen immer wieder neue Sätze, sie generieren sie, indem sie Sätzen Strukturen zuweisen. Das liegt dem Begriff der 118 8 Die generative Grammatik generativen Grammatik zugrunde. Sie ist dadurch kein starrer, statischer Beschreibungsapparat mehr. Darüber hinaus hat solch eine Theorie zu erklären, wie Sprecher/ innen neue Sätze bilden und verstehen und wie sie gleichzeitig ungrammatische Äußerungen ausschließen. Das heißt, Chomsky forderte eine Grammatik, die alle möglichen englischen Sätze erzeugt, nicht aber die ungrammatischen. Bisher wurden Sätze mithilfe der IC-Analyse beschrieben (vgl. Abb. 12). der Mann nahm das Buch _____________ ________ __________ NP Verb NP ____________________ VP __________________________________ Satz Abb. 12: Phrasenstruktur über IC-Analyse (nach Chomsky 1956: 117) Diese Zustandsbestimmung wollte er durch Regeln in ein System von Abhängigkeitsbeziehungen überführen, das die Grammatik vereinfacht und Zusammenhänge in Form von Regeln ausdrückt (rewrite rules, Ersetzungsregeln). Solche Regeln sind als Anweisungen zu verstehen, bedeutet dann , rewrite/ ersetze ‘ und x y bedeutet , ersetze x durch y ‘ . Der Bogen drückt , Verknüpfung ‘ aus, er wurde schon bald durch + ersetzt oder fiel ganz fort. Wir können nun zu dem Satz in Abbildung 12 folgenden kleinen Ausschnitt aus der Grammatik des Deutschen zusammenstellen. Satz NP VP VP Verb NP NP der Mann, das Buch Verb nahm Hier ist also zunächst ein Satz durch eine Kombination von NP und VP zu ersetzen, dann die VP durch eine Verbindung von einem Verb mit einer NP etc. Aus diesen Regeln lässt sich der Satz der Mann nahm das Buch ableiten (Derivation). Chomsky verwendete zur Verdeutlichung dieser Phrasenstruktur ein Baumdiagramm (vgl. Abb. 13). S NP VP der Mann Verb NP nahm das Buch Abb. 13: Baumdiagramm, das den Derivationen entspricht (nach Chomsky 1956: 117) Noch wird die Komplexität von Verben nicht deutlich, aber auch morphologische Informationen lassen sich mit solch einer Notation formulieren, vgl. 119 8.3 Regeln und das Generieren von Sätzen walk past walked bzw. gehen Vergangenheit ging take past took bzw. nehmen Vergangenheit nahm Dies sind Beispiele für morphophonemische Regeln, da sie den morphologischen Informationen phonemische zuordnen, die hier orthographisch wiedergegeben sind (ibd.: 120). Die Grammatik kann auch mehrdeutige Sätze disambiguieren wie They are flying planes. Diesem Satz entsprechen zwei verschiedene Phrasenstrukturen. In der Bedeutung , es/ sie sind fliegende Flugzeuge ‘ liegt eine NP flying planes vor (Abb. 14), in der Bedeutung , sie fliegen Flugzeuge ‘ ein komplexes Verb are flying (Abb. 15). S NP VP they Verb NP are flying planes Abb. 14: , Es/ Sie sind fliegende Flugzeuge ‘ (nach Chomsky 1956: 118) S NP VP they Verb NP ar flying planes Abb. 15: , Sie fliegen Flugzeuge ‘ (nach Chomsky 1956: 118) Soweit haben wir es mit einer Phrasenstrukturgrammatik zu tun, die eine wichtige Stellung im Theoriegebäude einnimmt. Neben Phrasenstrukturregeln und morphophonemischen Regeln verwendete Chomsky noch einen dritten Typ. Regelmäßig auftretende Entsprechungen zwischen Strukturen wie Aktiv/ Passiv lassen sich wie erwähnt durch Umformungsregeln repräsentieren, die aus dem Aktiveinen Passiv- 120 8 Die generative Grammatik satz machen. Das vereinfacht noch einmal die Grammatik, die so statt der verschiedenen Phrasenstrukturen der Passivsätze eine Regel ansetzt. Solch eine Regel nannte Chomsky grammatische Transformation. Diese drei Regeltypen werden in einer bestimmten Reihenfolge angewendet, was wieder zur Vereinfachung der Grammatik beiträgt: zunächst die Phrasenstrukturregeln, die mehrmals durchlaufen werden können, dann die Transformationsregeln und zum Schluss die morphophonemischen Regeln. Die Phrasenstruktur- und Transformationsregeln sind jeweils geordnet. Außerdem gibt es obligatorische und fakultative Regeln. Die Passivtransformation ist beispielsweise fakultativ. Entsprechend sind diejenigen Sätze grundlegend, die rein durch obligatorische Regelanwendung entstehen. Die anderen werden von diesen grundlegenden Sätzen abgeleitet. We have, on the one hand, a kernel of basic sentences that are derived from the terminal strings of the phrase-structure grammar by application of only obligatory transformations. We then have a set of derived sentences that are generated by applying optional transformations to the strings underlying kernel sentences (Chomsky 1956: 123). Der Kernbestand der Grammatik umfasst einfache aktivische Aussagesätze, alle anderen werden abgeleitet. Und dies ist dann auch der Sinn und Zweck dieser sogenannten generativen Transformationsgrammatik: alle möglichen Sätze generieren zu können (Chomsky 1957: 48). Die Grammatik listet nicht einfach Strukturen und Einheiten auf, sondern stellt die systematischen Beziehungen zwischen ihnen her. 8.4 Sprachliche Ebenen Für Chomsky (1957) bestand die Aufgabe der Linguistik darin, die grundlegenden Eigenschaften sprachlicher Strukturen zu ermitteln und eine Theorie aufzustellen, die unabhängig von Einzelsprachen funktioniert. Diese Theorie berücksichtigt verschiedene Ebenen wie die phonemische (phonologische), die morphologische und die Phrasenstrukturebene. Sie deckt damit alle grammatischen Bereiche mit einem einheitlichen theoretischen Gerüst ab und gilt nicht speziell nur für Phonologie oder Syntax. Die Ebenen sind autonom und modular, das heißt, sie arbeiten eigenständig und unabhängig von einander. Sie sind außerdem unabhängig von anderen kognitiven Fähigkeiten zu sehen. 8.5 Dominanz der grammatischen Aspekte Eine linguistische Analyse muss in der Lage sein, grammatische von ungrammatischen Sätzen zu trennen. Die Grammatik einer Sprache hat alle grammatischen, nicht aber die ungrammatischen Sätze zu generieren. Deswegen ist eine Forderung an das Modell, zwischen grammatischen und ungrammatischen Strukturen unterscheiden zu können. In einem wesentlichen Punkt nun schlossen sich Chomsky wie auch Harris den Behavioristen an: Für das Modell ist die Bedeutung vollkommen irrelevant. Die Frage, ob ein Satz sinnvoll ist oder nicht, stellt sich nicht. Es geht nur darum, ob ein Satz grammatisch ist oder nicht, das läßt sich aber nicht über die Bedeutung bestimmen, sondern rein über die Struktur. Darum ist ein Beispiel wie Colorless green ideas sleep furiously. , Farblose grüne Ideen schlafen wütend. ‘ 121 8.7 Wird Sprache erlernt oder ist sie angeboren? grammatisch. Zwar würden Sprecher/ innen möglicherweise solche Sätze nicht akzeptabel finden, dies beträfe aber die Ebene der Performanz (bei Saussure Parole), und diese ist nicht Gegenstand der Betrachtung (Chomsky 1965: 11). Sie sind also im Verarbeitungsapparat der Grammatik zugelassen. Anders verhält es sich mit Sätzen wie Furiously sleep ideas green colorless. , Wütend schlafen Ideen grün(e) farblos(e). ‘ Sie sind nicht grammatisch. Und über Grammatikalität muss die Struktur allein entscheiden (ausführlich Chomsky 1957: 92f.). Die Vorstellung, eine Grammatik käme ohne Bedeutung aus, wurde aber bald aufgegeben (Chomsky 1965). 8.6 Universalität Chomsky wollte eine allgemeine Sprachtheorie entwickeln, die auf alle Sprachen anwendbar ist. Einheiten und Strukturen sollten universell gültig sein. Einige Sprachuniversalien sind unumstritten, so hat jede Sprache Vokale und Konsonanten. Aber bereits bei Verb und Nomen, die für die generativen Ansätze universelle Kategorien sind, ist sich die Wissenschaft nicht mehr einig. Es gibt Sprachen, die nicht zwischen Verben und Nomen trennen (vgl. Ágel 2000: 90). Die Annahme der Universalgrammatik (UG) ist grundlegend für alle generativen Ansätze und gleichzeitig Casus Belli Nummer 1. 8.7 Wird Sprache erlernt oder ist sie angeboren? Nachdem es längst nicht mehr darum ging, sprachliche Strukturen zu beschreiben, sondern herauszufinden, wie sie zusammenhängen und wie sie entstehen, gedieh die Sprachtheorie zu einer Theorie über Aufbau und Funktion des menschlichen Geistes. Behavioristen wie Bloomfield und Skinner hatten die Idee der tabula rasa propagiert (lat. , geglättete/ Schreib-Tafel ‘ , , unbeschriebenes Blatt ‘ ) - der Mensch kommt auf die Welt ohne jegliche Vorinformation oder Voreinstellung Sprache gegenüber, und der gesamte Spracherwerb geschieht über Reiz-Reaktionsketten. Alles, was wir über Sprache wissen, ist erlernt. Das, was nur in den Köpfen existiert und nicht empirisch nachprüfbar ist, sollte die Wissenschaft ignorieren. Das Gehirn ist eine black box, in die wir nicht hineinschauen können. Wie auch bei den Tieren wird jegliche Verhaltensweise durch Verstärkung erlernt. Verstärkung ist die Befriedigung physiologischer Bedürfnisse. Das Gehirn antwortet auf Reize automatisch mit Reaktionen. Sind diese erwünscht, können sie gesteigert werden, z.B. mit Futter. Das wirkt als besonders starker Reiz, wenn das Tier vorher eine Weile nichts zu essen bekommen hat. Ist die Reaktion nicht erwünscht, lässt sie sich durch Strafen abtrainieren. Für unser Verhalten sind also lediglich externe Faktoren relevant. Skinner (1957) ging es zwar in erster Linie um Ratten, aber wie alle Behavioristen übertrug er seine Beobachtungen auch auf den Erwerb der Sprache beim Menschen, daher der Titel verbal behavior. Chomskys (1959) Kritik war massiv, allerdings, so die Kritiker/ innen, weitgehend falsch und wenig sachlich und im Ton nicht wissenschaftlich angemessen („warlike tone“ MacCorquodale 1970: 98). Sie richtete sich gegen Methodik und Terminologie und auch gegen die Übertragung tierischer Verhaltensweisen auf Mensch und Sprache. 122 8 Die generative Grammatik Zunächst einmal führte er an, dass es durchaus Verhaltensweisen gibt, die angeboren sind, z.B. bei Vögeln, und dass manche Verhaltensweisen ganz ohne Verstärkung erlernt werden (vgl. Nativismus, Wissen ist angeboren, nicht erlernt). Chomsky (1959: 42) argumentierte weiterhin, dass Kinder eine fremde Sprache schnell, perfekt und ohne Anleitung auf der Straße erwerben und viele neue Sätze bilden können. Auch Erwachsene hören, lesen und verstehen jeden Tag neue Äußerungen und erkennen mühelos Fehler. „These abilities indicate that there must be fundamental processes at work quite independently of , feedback ‘ from the environment“ (Chomsky 1959: 42). Er betonte die bemerkenswerten Fähigkeiten der Kinder, zu generalisieren, Hypothesen zu bilden und Informationen zu verarbeiten, die wahrscheinlich angeboren sind. Für Chomsky war eine Bestätigung aus der Umwelt für den Spracherwerb nicht nötig. Im Gegenteil hielt er genetisch bestimmtes Reifen für wahrscheinlicher. Dies lag zu Anfang der Arbeit (ibd.: 44) noch im Bereich des Spekulativen, im Verlauf des Textes wurde es zunehmend wahrscheinlicher. „It appears that we recognize a new item as a sentence not because it matches some familiar item in any simple way, but because it is generated by the grammar that each individual has somehow and in some form internalized“ (Chomsky 1959: 56). Dass alle Kinder vergleichbare komplexe Grammatiken in erstaunlicher Geschwindigkeit erwerben, lässt darauf schließen, dass sie dazu besonders konzipiert sind. Als vorläufigen Schluss formulierte er, „in principle it may be possible to study the problem of determining what the built-in structure of an information-processing (hypothesis-forming) system must be to enable it to arrive at the grammar of a language from the available data in the available time“ (Chomsky 1959: 58). Zentral für seine weitere Theorie wie für sämtliche generativen Richtungen wurde die Annahme, dass Strukturen und Kategorien wie Nomen oder Verb zu unserer g emeinsamen kognitiven Grundausstattung gehören, damit universell und damit angeboren sind. Die generativen Grammatiken machten es sich seitdem zur Aufgabe, diese Strukturen aufzudecken. Die Suche nach der Universalgrammatik steht noch heute im Mittelpunkt der Arbeiten. Während die Behavioristen den Menschen mit Tieren gleichsetzen, sah Chomsky jedoch im Computer das Modell für das menschliche Gehirn. „The rules of the grammar operate in a mechanical fashion; one may think of them as instructions that might be given to a mindless robot, incapable of exercising any judgement or imagination in their application“ (Chomsky/ Halle 1968: 60). In beiden Fällen sind wichtige Bestandteile des Wissens implementiert bzw. vorgegeben, die Anwendung der Regeln erfolgt automatisch. Stefan Müller (2010) bespricht die zahlreichen Schwachstellen der verschiedenen Positionen und fasst die aktuelle Di skussion zum Nativismus zusammen mit dem Ergebnis, dass sich keines der Argumente halten lässt. 8.8 Generative Grammatiken Das Theoriegebäude wurde in Chomsky (1964, 1965) und Chomsky/ Halle (1968) schon sehr komplex. Zu trennen sind zunächst die grundlegenden Ideen von einer Sprachtheorie und die Formalismen. Beides wird über verschiedene Annahmen miteinander in Zusammenhang gebracht und hängt auch voneinander und von Zielen und Interessenschwerpunkten des Modells ab. Für sich betrachtet kann der formale Apparat als eine Möglichkeit, Sprache zu beschreiben, nach unterschiedlichen Kriterien beurteilt und als mehr oder weniger gut bzw. den Forderungen gegenüber angemes- 123 8.8 Generative Grammatiken Semantik Bedeutungsstrukturen Phonologie sen betrachtet werden. Da er den sehr hohen Ansprüchen Chomskys an eine universell gültige Grammatiktheorie gerecht werden soll, ist er verständlicherweise sehr komplex und abstrakt. Bei den theoretischen Grundlagen aber manifestieren sich in den frühen Arbeiten bereits grundsätzliche Probleme, die bald die Sprachwissenschaft in zwei Lager spalteten. 8.8.1 Der Beschreibungsapparat Da der Beschreibungsapparat nicht nur für das Englis che, sondern für alle Sprachen der Welt gelten soll, muss er eher abstrakt und von der Oberfläche des Englischen weg orientiert werden. Aber als Modell diente zunächst das Englische. Abb. 16: Modell einer generativen Transformationsgrammatik (vgl. Bechert et al. 1970: 165) Die Grammatik weist mehrere Komponenten auf (vgl. Abb. 16). Die Basis der Grammatik besteht aus Konstituentenstrukturregeln, Subkategorisierungsregeln und dem Lexikon. Subkategorisierungsregeln leiten Unterkategorien ab, vgl. N +N, +belebt. Manche Verben wie laufen dürfen nämlich nur mit Nomen, die belebte Ref erent/ innen bezeichnen, kombiniert werden. Im Lexikon sind minimale Einheiten bzw. Syntax Transformationsteil Basis Tiefenstruktur Oberflächenstrukturen Lautstrukturen 124 8 Die generative Grammatik Formative wie Wörter aufgelistet zusammen mit zusätzlichen phonetischen , grammatischen und semantischen Merkmalen, beispielsweise „belebt“ und „männlich“. Die syntaktische Komponente ist zentral und besteht aus einer endlichen Menge an Regeln, die eine unbegrenzte Menge an syntaktischen Satzbeschreibungen erzeugt. Sie liefert für jeden Satz eine (hypothetische) Tiefen- und eine Oberflächenstruktur. Transformationsregeln leiten aus der Tiefenstruktur Oberflächenstrukturen ab, als Besipiel diente die Passivtransformation. Die phonologische Komponente weist der syntaktischen Oberflächenstruktur über entsprechende Regeln eine phonetische Interpretation zu. Die semantische Komponente ist ebenfalls ein Regelsystem, das der syntaktischen Tiefenstruktur eine semantische Interpretation zuordnet. Die syntaktische Komponente ist generativ, da sie Strukturen erzeugt, während die phonologische und die semantische Komponente interpretativ sind, da sie sich auf die syntaktische Komponente beziehen. Die englische Grammatik weist dem Ausdruck we established telegraphic communication , wir führten telegraphische Kommunikation ein ‘ eine syntaktische Oberflächenstruktur und die Kategorie S zu. Sie lässt sich als Baumdiagramm (vgl. Abb. 17) oder mit indizierten Klammern (labeled bracketing) (Abb. 18) darstellen. S NP VP N V NP V A N N V STEM +we+ +establish+ +past+ +tele++graph++ic+ +communicate++ion+ Abb. 17: Baumdiagramm, nach Chomsky/ Halle (1968: 8) 125 8.8 Generative Grammatiken [ S [ NP [ N +we+] N ] NP [ VP [ V [ V +establish+] V +past+] V [ NP [ A [ N +tele+[ STEM +graph+] STEM ] N + ic+] A [ N [ V +communicate+] V +ion+] N ] NP ] VP ] S Abb. 18: Indizierte Klammern, nach Chomsky/ Halle (1968: 8) Beim Baumdiagramm sind die linearen und hierarchischen Eigenschaften des Satzes gut zu erkennen. Die Formative sind Morpheme wie we oder ic. Das Zeichen + bezieht sich auf eine Grenze. A bezieht sich auf ein Adjektiv, STEM auf Stamm. Die Kategorien NP, VP, N, V und A sind universell. Beide Darstellungen geben die ursprüngliche IC-Analyse wieder. Noch sind alle Schritte binär. Die phonologische Komponente ist das Regelsystem, das dieser Oberflächenstruktur eine phonetische Repräsentation zuteilt. Die phonetischen Symbole (ohne Abbildung) sind in diesem Ansatz nichts anderes als Kürzel für die jeweiligen Merkmalsbündel. Konkret verändern readjustment rules die syntaktische Oberflächenstruktur. Sie stellen die Verbindung zur phonologischen Repräsentation her, indem sie im obigen Fall beispiel sweise past durch ed ersetzen. Viele Regeln sind kontextfrei. Es gibt aber auch Vorschriften mit Bedingungen. Eine solche Regel sieht beispielsweise folgendermaßen aus: A B / X___Y. Das bedeutet, dass ein Ausdruck A durch B ersetzt wird in der Umgebung X____Y, wenn also ein Ausdruck X vorausgeht und ein Ausdruck Y folgt. Soweit nun, stark vereinfacht, einige wichtige Aspekte der Chomsky’schen Transformationsgrammatik. Sie unterlagen in der Folge ständigen Änderungen und Reformulierungen. Chomsky und seine Mitarbeiter/ innen stellten wiederholt neue Grammatiken vor mit neuen Komponenten und anderer UG. Übungsaufgabe: Wie könnten ein Baumdiagramm und die indizierte Klammerung für die folgenden Sätze aussehen? Nana weint. Maria kennt die Monster. Lösung: Die Baumdiagramme könnten folgendermaßen aussehen, vgl. Abb. 19 und 20. S NP VP N V S NP VP N V Abb. 19: Baumdiagramme für Sätze wie Nana weint S NP VP NP N V DET N Abb. 20: Baumdiagramm für Sätze wie Maria kennt die Monster 126 8 Die generative Grammatik Im zweiten Satz ist der zweite Teil wieder komplex. Der nächste Gliederungsschritt trennt meist zwischen verbalen Teilen, dem Prädikat, und dem Objekt, also zwischen kennt und die Monster. Wir gliedern diesen Teil also in ein V und in eine NP. Die muss schließlich noch in die und Monster geteilt werden. Für Artikel wird meist DET (Determinator) verwendet. Ob das Baumdiagramm nur gerade oder auch auch schräge Linien hat, ist unwichtig. Die Klammerschreibweise ist in Abb. 21 und 22 zu sehen. [ S [ NP [ N Nana] N ] NP [ VP [ V weint] V ] VP ] S Abb. 21: Indizierte Klammerung für Sätze wie Nana weint [ S [ NP [ N Nana] N ] NP [ VP [ V kennt] V [ NP [ DET die] DET [ N Monster] N ] NP ] VP ] S Abb. 22: Indizierte Klammerung für Sätze wie Nana kennt die Monster Die Beispiele deuten schon Schwierigkeiten wegen der Flexion im Deutschen an, die mehr Regeln erfordert, da einerseits die Elemente innerhalb einer Phrase kongruieren, andererseits Subjekt und Objekte anhand der Flexion unterschieden werden und nicht anhand der Wortstellung. Die Grammatik wurde wie erwähnt zunächst am Englischen entwickelt, das kaum Flexion aufweist und stattdessen eine feste Wortstellung hat. Das Subjekt steht vor dem Prädikat. Bei verschiedenen Kasus, vgl. der, dem, den, des, oder bei freierer Wortstellung wie bei den Affen kennt Maria wird die Grammatik bzw. die Darstellung komplizierter. Übungsaufgabe: Bilden Sie Sätze mit folgenden Phrasenstrukturregeln und Lexikonein trägen! Fakultative Elemente stehen in Klammern. Flexion können Sie vernachlässigen. S → NP VP NP → (DET) (A) N VP → V (NP) (Adv) N → Monster, Frau, Minister, Nana V → erschrecken, interviewen, träumen A → groß, lila Adv → sehr, gern Det → der, die, das, ein Lösung: Sie könnten folgende Sätze bilden Das Monster schlief. Die Frau träumt. (S → NP VP, NP → DET N, VP → V) Das Monster traf den netten Jungen. (S → NP VP, NP → DET N, VP → V NP, NP → DET A N) Nana interviewt das Monster gern. (S → NP VP, NP → N, VP → V NP Adv, NP → DET N). - 127 8.8 Generative Grammatiken 8.8.2 Der theoretische Unterbau In Chomsky (1964, 1965) und Chomsky/ Halle (1968) u.a. stellten die Autoren die Grundlagen ihres Modells vor. Unter Berufung auf Humboldt formulierten sie als Ziel die Erstellung einer Universalgrammatik im Rahmen einer generellen Sprachtheorie, die für alle Sprachen gültig ist. Die Grammatik bestimmt eine unendliche Menge wohlgeformter Sätze und ordnet ihnen eine Strukturbeschreibung zu. Sie führt nicht einfach beschreibende Aussagen und beteiligte Elemente eines bestimmten Ausschnitts aus der Sprache auf. Daher wird sie generativ genannt. Ausnahmen oder Besonderheiten sind vernachlässigbar und unnötig. „It would be a time-consuming but straightforward task to compile a complete list of exceptions“ (Chomsky/ Halle 1968: ix). „Counterexamples to a grammatical rule are of interest only if they lead to the construction of a new grammar of even greater generality or if they show some u nderlying principles is fallacious or misformulated. O therwise, citation of counterexamples is beside the point“ (ibd.: ix). Sie wollten sich also auf die grundlegenden Züge der Sprachstruktur konzentieren. „The goal of the descriptive study of language is the construction of a grammar. We may think of a language as a set of sentences, each with an ideal phonetic form and an associated intrinsic sema ntic interpretation. The grammar of the language is the system of rules that specifies this sound-meaning correspondence“ (ibd.: 3). Hiermit legten sie den Gegenstandsbereich ihrer Untersuchung fest und definierten ihren Begriff von Grammatik als Regelwerk. Im Gegensatz zu anderen soll dieses Modell weiterhin drei, im Übrigen umstrittenen, Ansprüchen genügen, so dass eine Bewertung möglich ist. Es ist beobachtungsadäquat, wenn es die nötigen Strukturen für die beobachtbaren Daten zur Verfügung stellt und korrekt und vollständig erfasst. Es ist beschreibungsadäquat, wenn es außerdem der sprachlichen Intuition der Sprachbenutzer/ innen entspricht und die Kompetenz abbildet. Es ist zusätzlich auch erklärungsadäquat, wenn es erklärt, wie die Strukturen im Spracherwerbsprozess erworben werden, unabhängig von einer Einzelsprache, und damit auch mit den spachlichen Universalien vereinbar ist. Das heißt, es muss zeigen, welche Strukturen wann gewählt werden, damit sie zu den Daten passen. Der Unterschied zwischen bloßer Beschreibung und zusätzlicher Erkl ärung, u.a. von Spracherwerb und Sprachwandel, ist ein wesentlicher Bestandteil der generativen Grammatiken. Darum trennten die Autoren auch zwischen der Sprachform, die die Sprecher/ innen tatsächlich äußern als performance/ Performanz, und dem eigentlichen Sprachwissen, competence/ Kompetenz, als Grundlage der Untersuchungen. Das erinnert an Saussures Parole und Langue, allerdings beruht die Chomsky’sche Kompetenz auf einem anderen Regelsystem. Die Performanz unterliegt verschiedenen sprachlichen und nicht-sprachlichen Einflüssen, die wieder vernachlässigbar sind. Die Kompetenz bedeutet nichts anderes, als dass eine potenziell unendliche Menge von lautlichen Strukturen einer potenziell undendlichen Menge von Bedeutungsstrukturen zugeordnet werden kann. In diesem Ansatz bezieht sich der Begriff Grammatik sowohl auf das Regelsystem, über das alle Sprachbenutzer/ innen verfügen, als auch auf die Theorie, die Linguist/ innen als Hypothese über die Grammatik aufstellen. Weil die Grammatik auf alle Sprachen anwendbar sein soll, muss sie über Eigenschaften verfügen, die für alle gelten, die sprachlichen Universalien. Sie sind einerseits formal und betreffen Strukturen, andererseits wesentlich (substantive), dann betreffen sie die einzelnen Elemente, beispielsweise die Kategorien Nomen, Adjektiv und Verb, oder einen festen Satz phonetischer Merkmale. Diese Merkmale, vgl. 128 8 Die generative Grammatik [+konsonantisch] oder [+nasal], stammen weitgehend noch von Jakobson/ Halle (1956). Phonetische Einheiten wie [p] sind als Kürzel für ein Merkmalsbündel zu verstehen, denn das Modell arbeitet mit dem Merkmal als kleinster Einheit. 8.9 Die kognitive Wende Chomsky sah als Untersuchungsgegenstand nicht mehr, wie vor ihm Behaviorismus und Distributionalismus, Daten oder das beobachtbare Sprachverhalten, sondern das sprachliche Wissen in unseren Köpfen als Grundlage des Sprachverhaltens. Sein Modell und seine Auffassung von Linguistik überhaupt sind daher kognitiv. Die Unterscheidung in Performanz und Kompetenz gilt als genauso grundlegend wie die Sicht auf Sprache, für ihn gleichbedeutend mit Grammatik. Zum zentralen Untersuchungsgegenstand entwickelten sich Regeln, später dann Prinzipien genannt, die allen Sprachen gemeinsam sind und den wesentlichen Teil der Universalgrammatik bilden. Sie werden als mental real angenommen. Die Universalgrammatik ist angeboren . Die Suche nach diesen Regeln beschäftigt noch heute einen Großteil der unterschiedlichsten generativen Richtungen. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts schuf Chomsky mehrere Varianten der generativen Grammatik, die ausnahmslos weltweit rezipiert und diskutiert wurden. Die erste Variante, die frühe Transformationsgrammatik, wurde durch Syntactic Structures (1957) bekannt. Es folgten die Standardtheorie (Chomsky 1965) und die Erweiterte Standardtheorie (Chomsky/ Halle 1965), dann Government & Binding und die Prinzipien-und-Parameter-Theorie (u.a. Chomsky 1981) und das Minimalistische Programm (Chomsky 1995). Seine Arbeiten lieferten Impulse für die gesamte Sprachwissenschaft, die Künstliche Intelligenzforschung und die Computerlinguistik und führten auch zu Gegenströmungen wie Soziolinguistik oder Psycholinguistik. 8.10 Kritik Schon früh meldeten sich Kritiker/ innen zu Wort, u.a. wegen des freizügigen Umgangs mit Annahmen als Tatsachen (was MacCorquodale 1970 bereits für Chomsky 1959 feststellte). Phonetische Einheiten, also Laute, als stellvertretend für ihre Merkmale anzusehen, ist zunächst ein zulässiger theoretischer Schritt, wie wir ihn schon von Roman Jakobson kennen. Es ist aber genau dies, eine theoretische Entscheidung, die, das sei betont, sinnvoll und zielführend ist. Chomsky/ Halle erheben das aber zu einer allgemein gültigen Selbstverständlichkeit. „The reader will recall that the phonetic symbols, in our view, are nothing other than conventional abbreviations for feature complexes. Furthermore, we maintain that in practice this is everyone else’s view too, and has been for many centuries“ (Chomsky/ Halle 1965: 121). Etwas später dann sind diese phonetischen Repräsentationen, also Merkmalsbündel, für die Sprecher/ innen mental real (Chomsky/ Halle 1968: 14). Sowohl die Trennung in Kompetenz und Performanz als auch die Vorstellung, der Sprache liege eine generative Grammatik zugrunde, sind weitere Annahmen, Teile, die zu einem umfassenden Theoriegebäude über die menschliche Sprache gehören. Auch sie erhalten Allgemeingültigkeitsstatus. Linguistic theory is concerned primarily with an ideal speaker-listener, in a completely homogenous speech-community, who knows its language perfectly and is unaffected by 129 8.10 Kritik such grammaticaly irrelevant conditions as memory limitations, distractions, shifts of attention and interest, and errors (random or characteristic) in applying his knowledge of the language in actual perfomance. This seems to me to have been the position of the founders of modern general linguistics, and no cogent reason for modifying it has been offered (Chomsky 1965: 3f.). [...] by a generative grammar I mean simply a system of rules that in some explicit and well-defined way assigns structural descriptions to sentences. Obviously, every speaker of a language has mastered and internalized a generative grammar that expresses his knowledge of his language (ibd.: 8). Das Modell ist beobachtungs-, beschreibungs- und erklärungsadäquat, es ist dies aber nur, weil die unpassenden Beispiele als zur Performanz gehörig ausgeschlossen werden. Die Kompetenz als Gegenstandsbereich führt gerade nur zu „sauberen“ Beispielen. Noch weitere aus der Argumentation heraus mögliche Annahmen entwickeln sich schnell zu gesetzten Fakten. Wie schon in Chomsky (1959) festgestellt erlernen Kinder jede Grammatik erstaunlich schnell und sicher. Die Daten, die den Kindern zur Verfügung stehen, eignen sich wegen „the degenerate quality and narrowly limited extent“ (Chomsky 1965: 58) aber nicht dazu, dass aus ihnen die korrekten Generalisierungen für die Grammatik gezogen werden können, so die Behauptung. It is reasonable to suppose that the principle of the transformational cycle and the principles of organization of grammar that we have formulated in terms of certain n otational conventions are, if correct, a part of universal grammar rather than of the pa rticular grammar of English. Specifically, it is difficult to imagine how such principles could be , learned ‘ or , invented ‘ in some way by each speaker of the language, on the basis of the data available to him. It therefore seems necessary to assume that these principles constitute a part of the schema that serves as a precondition for language acquisition and that determines the general character of what is acquired (Chomsky/ Halle 1968: 43). Die Möglichkeit, dass das Regelsystem erlernt werden kann, wird nicht diskutiert, die Möglichkeit, das ein anderes System den Äußerungen zugrunde liegen könnte, ebenfalls nicht. Überdies verändern sich im Laufe der Arbeit Regeln als Mittel der Beschreibung zu Fakten. „The children’s grammar will contain a given phonological rule which corresponds to a historically attested change and is present in the grammar of their parents“ (Chomsky/ Halle 1968: 251). Hieraus ergeben sich zwei einschneidende Problemkreise. Erstens wurde die kognitive Existenz der Beschreibungsformalismen nie bewiesen, sie wurde zunächst angenommen, dann veränderten sich langsam die Formulierungen und sie war mentale Realität. Zweitens ist die Begründung für die Annahme angeborener und damit universeller Regeln nicht schlüssig. Die Argumentationskette lautet: Die Kinder lernen die Grammatik schnell und zuverlässig. Die Grammatik ist äußerst komplex. Wir können uns nicht vorstellen, dass sie mit der Datenlage, die den Kindern zur Verfügung steht, erlernt werden kann. Also ist sie angeboren. Aber erstens ist die Komplexität, die in den hochkomplizierten Baumdiagrammen sichtbar ist, ein theoretisches Konstrukt, und zweitens gilt es , erst einmal zu beweisen, dass die Kinder diese sprachlichen Strukturen gar nicht lernen können. Jedoch überlässt Chomsky, ein weiterer Kritikpunkt, die Beweislast dem Gegenlager. Dass aber die Kinder aufgrund des (angeblich) ungenügenden Inputs Sprache nicht erlernen können, ist der Hauptpfeiler der psychologischen Grundierung der Theorie. Nur Grammatiken, die zu Regeln und Anwendungsbedingungen passen, sind die Basis für die kindliche Hypothesenbildung. Dazu kommt ein Bewertungsapparat, der die Hyp o- 130 8 Die generative Grammatik thesen mit dem höchsten Wert auswählt. Für Chomsky/ Halle (1968: 331) ist ein realistisches Spracherwerbsmodell aber noch zu komplex, darum wird vorläufig ein idealisiertes Modell verwendet. Damit bildeten Idealisierungen die Grundlage der Chomsky’schen psychologischen Realität, die eigentlich durch zukünftige Forschung hätte verfeinert oder sogar korrigiert werden sollen. In der Nachfolge blieb es jedoch bei diesem Modell, obwohl eine Vielzahl von Forschungsarbeiten erstens eine wesentlich strukturiertere Inputsprache belegte (vgl. u.a. Goldberg 2006a) und zweitens zeigte, dass Kinder aufgrund des Inputs sehr wohl Sprache erwerben konnten. Der formale Apparat allein dürfte in den Augen vieler sicher als besondere Leistung zu würdigen sein, so viele Sprachen wie möglich beschreiben zu können. Dies gilt auch für die verschiedenen Weiterentwicklungen. Schwierig wird es erst, wenn Regeln und Einheiten als mental real hingestellt werden: Sie beschreiben dann nicht nur sprachliche Struktur, sondern verursachen sie. Ein nicht unwesentliches Problem ist darüber hinaus der wenig souveräne Umgang der generativen Vertreter/ innen mit anderen Meinungen (noch heute, vgl. Rostila 2011). Als ein Beispiel sei Housholders (1965) Kritik und ihre Behandlung in Chomsky/ Halle (1965) angeführt. Viele der Argumentationen und Einwände taten die Autoren mit nicht unbedingt wissenschaftlichen Formulierungen ab, ohne sie zu diskutieren, „we have nothing to say about it“ (Chomsky/ Halle 1965: 109), „these particular arbitrary decisions“ (Chomsky/ Halle 1965: 111), „there is little point in discussing them further“ (ibd.: 113), „We therefore omit all further discussion of it“ (ibd.: 114). „We omit completely any discussion of this digression“ (ibd.: 119). Die Ansichten anderer sind „absurd“ (ibd.: 113), „meaningless“ (ibd.: 112) „unintelligible“ (ibd.: 114), „worthless“ (ibd.: 133). Durchaus berechtigte Fragen bleiben unbeantwortet. „To the question how one arrives at the hypothesis (in general linguistic theory) that a certain set of features constitutes the universal phonetic framework for language, we can offer no helpful answer, just as we can offer no suggestion as to how one discovers the proper notion of , transformation ‘ , , morpheme ‘ , etc.“ (ibd.: 137). Dazu kommen hochpolemische Bemerkungen. „By the same logic, he can show that Chomsky overlooks the existence of Elizabethan English [...], and that both of us overlook the existence of elephants“ (ibd.: 134). Somit war eine sinnvolle Diskussion, die Argumente anderer prüft und eigene Schwächen auf dieser Grundlage ausbessert, von Anfang an äußerst schwierig. Vielleicht können wir so verstehen, warum auch weiterhin die Diskussionen zwischen Befürworter/ innen und Gegner/ innen von Chomsky so erbittert und vielfach unwissenschaftlich geführt wurden. Das ist insofern bedauerlich, als die formale Seite der Theorie(n) in ihrem Streben, allen Sprachen dieser Welt gerecht zu werden, hochanspruchsvoll ist, seit den Anfängen mit immer komplexeren Regelwerken ein großen Anteil an der Theoriebildung der Linguistik hatte und somit eine große Rolle für die Geschichte der Sprachwissenschaft spielt. Die Gleichsetzung der Strukturen als mental real jedoch, Hand in Hand geführt mit wenig wissenschaftlichen, polemischen Debatten, beschwor erstens zu viele Kritiker/ innen herauf, die die Theorien in den Grundsätzen ablehnten, und verbaute zweitens noch heute die Möglichkeit, sie mit aktuellen Kenntnissen aus der Biologie oder der Sprachverarbeitung effektiv in Verbindung zu bringen, die längst Chomsky’sche Vorstellungen der mentalen Realität in die Schranken gewiesen haben (u.a. Deacon 1997, Elman et al. 1996, Müller 1996, 2009). Chomskys Denken ist in seiner Gesamtheit erstens anders, wenn auch in vielen Einzelheiten in der Vergangenheit vorgedacht (Vorgaben kamen von vielen Seiten, blie- 131 8.10 Kritik ben aber von Chomsky wiederholt unbenannt, vgl. Seuren 2001), und zweitens radikal. Gerade deswegen scheidet sich die Nachwelt noch heute in Anhän ger/ innen und Gegner/ innen seiner Ansätze. Niemand hat die Wissenschaft so polarisiert wie er. Wahrscheinlich haben weniger die immer wieder veränderten Modelle als vielmehr die Gegenkonzepte in Auseinandersetzung mit seinen oft unbewiesenen Behauptungen, die er zu Fakten stilisierte, der Forschung den größten G ewinn gebracht. Weil die generative Grammatik soziale, kognitiv-biologische und situative Faktoren ausklammerte und Semantik und zunächst auch das Lexikon als peripher und vernachlässigbar verstand, bildeten sich die unterschiedlichsten alternativen Ansätze aus. Die fünf letzten Kapitel dieses Bandes beschäftigen sich näher mit verschiedenen Gegenkonzepten. Die generativen Grammatiken trennen nicht zwischen syntaktischen Funktionen und Kategorien, VP kann sich sowohl auf das Prädikat als auch auf eine verbale Gruppe beziehen, NP auf eine nominale Gruppe, auf ein Objekt oder ein Subjekt. Die syntaktischen Funktionen sind indirekt über hierarchische Beziehungen im Strukturbaum ableitbar. Einige wichtige Werke Chomsky, Noam 1957. Syntactic Structures. The Hague. Chomsky, Noam 1965. Aspects of the Theory of Syntax. Cambridge, Mass. Chomsky, Noam, Halle, Morris 1968. The Sound Pattern of English. New York et al. Zum Weiterlesen Zu den Weiterentwicklungen der g enenerativen Grammatik und verschiedener Komponenten zählen u.a. X-bar-Syntax, Theta-Theorie, Prinzipien-und-Parameter- Theorie, Rektions-und-Bindungstheorie (Government & Binding, Chomsky 1981) oder das Minimalistische Programm (minimalist program, Chomsky 1995). Eine Einführung stammt z.B. von Philippi/ Tewes (2010). In eine etwas andere Richtung weisen die Lexikalische Funktionale Grammatik seit den achtziger Jahren (lexical functional grammar, u.a. Kaplan/ Bresnan 1982, Kaplan 1995, Bresnan 2001), die Generalisierte Phrasenstrukturgrammatik seit Ende der siebziger Jahre (generalized phrase structure grammar, u.a. Gazdar/ Klein/ Pullum/ Sag 1985) oder die head-driven phrase structure grammar (u.a. Pollard/ Sag 1987, 1994). Zu den Weiterentwicklungen im Bereich der generativen Grammatiken vgl. Jungen/ Lohnstein (2007) und Müller (2010), letzterer mit einer breiten Diskussion der zahlreichen Schwachstellen der verschiedenen Positionen, dazu auch Seuren (2001). Hier finden wir außerdem eine Auseinandersetzung mit Chomsky anhand wissenschaftlicher und autobiographischer Quellen mit vielfachen Verweisen auf unwissenschaftlichen Umgang mit Kollegen. Zu Kritik am Modell der generativen Transformationsgrammatik vgl. auch Lehmann (1981b: 61f.). Die meisten Arbeiten Chomskys sind im Übrigen frei im Internet zugänglich. 9 Syntaxmodelle Syntax als wichtigster Teil der Grammatik beschäftigt sich mit dem Satzbau, also damit, wie sich Wörter zu größeren Einheiten regelmäßig zusammenfügen. Grammatik bezeichnet die wissenschaftliche Beschreibung einer Sprache oder aller Sprachen (Universalgrammatik) als Disziplin der Linguistik. Sie kann aber auch als Nachschlagewerk verstanden sein. In der heutigen Wissenschaft wird außerdem unterschieden zwischen präskriptiven Grammatiken, z.B. für den Schulunterricht, die eine bestimmte Norm vorgeben, und den deskriptiven der Theoriebildung, die einen Status beschreiben. Für letztere ergibt sich eine weitere Unterkategorie, wenn sie nicht nur beschreiben, sondern auch erklären wollen (explikative Grammatiken). Eine Grammatik kann auf der Parole aufbauen oder auf der Langue, sie kann rein sprachintern arbeiten oder nicht-sprachliche Faktoren wie die Sprachbenutzer/ innen und die Sprechsituation mit einbeziehen. Diese unterschiedlichen Varianten führen automatisch zu unterschiedlichen Grammatikmodellen, die auch in der Verwendung der Terminologie uneinheitlich vorgehen. Entsprechend stehen uns verschiedene Syntaxmodelle mit stark divergierenden Arbeitsmethoden und Analysevorschlägen zur Verfügung. Und je bessser ein Modell zu einer bestimmten Sprache passt, desto schwieriger lässt es sich auf andere übertragen. Andersherum sind M odelle, die alle Sprachen dieser Welt abdecken (wollen), kompliziert und abstrakt. Entscheidend ist letztendlich, wofür ein Syntaxmodell eingesetzt werden soll - als Analysemittel für den Schulunterricht, als Strukturierungshilfe für das eigene Verständis vom Bau der Sätze, als Gerüst für den Sprachvergleich oder als Teil einer universellen Sprachtheorie. Das heißt, es gibt nicht das Syntaxmodell, sondern nur das, was den eigenen Ansprüchen am nächsten kommt. 9.1 Der traditionelle Ansatz Traditionell ist unsere Grammatik stark beeinflusst von den alten Griechen, denn Paninis Werk zur indischen Grammatik war ohne Einfluss geblieben. Die Römer hatten das meiste zunächst unreflektiert von ihnen übernommen, dann etwas an die lateinische Sprache angeglichen. Für das Deutsche verwenden wir noch viele Konzepte und Termini, die ursprünglich für das Altgriechische entwickelt worden waren (vgl. auch Kap. 1.6.2). Mittlerweile wurde aber z.B. die traditionelle Wortartenlehre dem heutigen Deutsch angepasst und umfasst entsprechend auch Modalpartikel, u.a. 9.1.1 Wortarten Die traditionellen Wortarten des Griechischen können weder auf alle Sprachen übertragen noch einheitlich definiert werden. Stark flektierende Sprachen haben es mit den zentralen Wortarten Nomen, Adjektiv, Verb und Adverb leichter, während kaum flektierende Sprachen wie das Englische andere Definitionskriterien entwickeln müssen. Sprachabhängig sind dies eine jeweils eigene Mischung von semantischen („Substantive versprachlichen Gegenstände und Sachverhalte“), morphologischen („Substantive flektieren nach Numerus und Kasus “) und syntaktischen Eigenschaften („das Substantiv hat meist einen Artikel bei sich“), ergänzt durch orthographische Kennzei- 134 9 Syntaxmodelle chen („Substantive werden groß geschrieben“). Neben den Wortarten lieferte der Strukturalismus weitere syntaktische Einheiten in Form von Phrasen, z.B. Nominal- oder Verbalphrasen. Diese Wortgruppen ließen sich syntaktisch-distributionell ermitteln, während die ersten Wortarten morphologisch bestimmt waren, da es zunächst noch keine Syntax gab und das Griechische eine reichhaltige Flexion aufwies. Die Terminologie ist lateinisch geprägt. Verbflexion heißt auch Konjugation. Die Flexion der nominalen Wortarten, also Substantive, Adjektive etc., heißt auch Deklination. Der Begriff Nomen bezeichnet einerseits Substantive, so auch hier, andererseits alle deklinierbaren Wortarten. Die Grammatiken des Deutschen sind sich nach wie vor nicht einig, was die Ei nteilung in Wortarten anbetrifft. Der wichtigste Schritt bei der Bestimmung ist die Trennung in Flektierbare und nicht Flektierbare. Manche Grammatiken fassen alle unflektierbaren Wörter als Partikeln zusammen. Die genaue Erforschung der Partikeln ist allerdings eine relativ junge Entwicklung. Andererseits wird zwischen lexikalisch (Substantiv, Adjektiv, Adverb, Verb) und grammatisch unterschieden. Für das Deutsche finden wir häufig folgende Wortarten einteilung: Substantiv (Nomen): deklinierbar, genuskonstant, meist mit Artikel, Großschreibung (Raupe, Räuber, Risiko) Adjektiv: deklinierbar, oft steigerbar, kann zwischen Artikel und Nomen stehen (richtig, rutschig, reich) Verb: konjugierbar (rutschen, richten, reichen) Adverb: nicht flektierbar, (bis auf wenige Ausnahmen, vgl. oft, gern) nicht steigerbar, allein Satzglied (gestern, abends, immer) Artikel: deklinierbar, nur mit Nomen (die, der, eine) Pronomen: meist deklinierbar, hat keinen bestimmten Artikel, kann allein Satzglied sein, ersetzt meist eine Nominalphrase (sie, er, ich) Präposition: nicht flektierbar, verlangt Bezugsnomen bzw. NP, bestimmt Kasus des Nomens bzw. der NP, kann nicht allein Satzglied sein (auf, in, an) Konjunktion: nicht flektierbar, platzfest, verbindet Sätze, Wo rtgruppen oder Wörter, kein Satzglied (und, oder, wenn) Interjektion: nicht flektierbar, oft satzwertig, steht außerhalb des Satzrahmens (oje! , au! , ih! ) Grad-, Fokuspartikel: nicht flektierbar, kein Satzglied, hat Bezugswort, hebt es hervor (sogar in sogar Otto war da) Modal-, Abtönungspartikel: nicht flektierbar, kein Satzglied, steht meist im Mittelfeld, drückt Sprechereinstellung aus (bloß in hau bloß ab! ) Steigerungspartikel: nicht flektierbar, kein Satzglied, hat Bezugswort, gibt Intensität an (sehr in das ist sehr schön). Bei dem traditionellen Ansatz werden im ersten Schritt die Wortarten der beteiligten Wörter bestimmt. Aber weder die Bezeichnungen noch die Definitionen sind in den grammatischen Abhandlungen durchgängig einheitlich. 9.1.2 Satz und Satzglieder Unsere traditionelle Satzanalyse bildete sich relativ spät heraus, etwa ab Mitte des 18. und intensiver im 19. Jahrhunderts. Zunächst galt das Interesse den Wortarten, erst dann auch den Satzgliedern und Satztypen. Denn anfangs gab es nur das einzelne Wort. Erst später wurde erkannt, dass es sich mit anderen systematisch zu größeren 135 9.1 Der traditionelle Ansatz Gruppen zusammenschließt. Auch die Vorstellung von Funktionen einzelner Teile im Satz war den Grammatikern nicht von Anfang an bewusst, genausowenig wie formale Unterschiede zwischen den Sätzen bzw. Satztypen. Gerade die formale Bestimmung der Sätze erfolgte erst, als sie nicht mehr als Entsprechung von Gedanken und Einheiten der wörtlichen Rede betrachtet wurden. Es ist erstaunlich, welches Randdasein die Einheit Satz viele Jahrhunderte lang fristete. Immerhin hatten Grimm und Behaghel Sätze aus historischer Perspektive gesehen, Paul und Wundt dann eher psychologisch. Von Bedeutung für das Deutsche aber waren Johann Heyse (1764-1829) und Karl Ferdinand Becker (1775-1849). Den Satz als grammatische Einheit, wie wir ihn heute verstehen, gab es zunächst nicht, damit auch keine Syntax und keine Satzglieder in unserem Sinne. Sätze waren eher Äußerungen, die Gedanken versprachlichten, und sie ließen sich logisch und philosophisch betrachten (vgl. im Folgenden Thümmel 1993). Aristoteles teilte im Rahmen von Rhetorik und Logik und in Fortführung der Gedanken Platons den Satz bzw. das Wortgefüge in zwei Teile, in Gegenstände und Aussagen dazu, die heute Subjekt und Prädikat entsprechen bzw. Thema und Rhema. Syntax, gr. syntaxis, bezeichnete dann bei Dionysios Thrax „Zusammenordnung“ sowohl von Wörtern zu Sätzen als auch von Buchstaben zu Wörtern. Es gab aber keine systematischen syntaktischen Beschreibungen, sondern eine Zweiteilung von Sätzen bzw. Äußerungen auf der einen Seite und verschiedene Wortarten auf der anderen. Erst die Grammatiker von Port-Royal gingen von der Möglichkeit aus, dass das Subjekt und die Information dazu jeweils komplex und auch selbst wieder ein Satz sein können, was dann Karl Ferdinand Becker (1836-1839) systematischer verfolgte. Er arbeitete mit Wortgruppen, die hierarchisch angordnet sind, als Vorläufer der Phrasen und Phrasenstrukturen und gebrauchte den Begriff der Glieder des Satzes, wie vor ihm schon Adelung. Wilhelm Wilmanns (1842-1911) setzte etwas später Satzglieder an, das Prädikat als Verb und das Subjekt als vom Prädikat in Person und Numerus bestimmt. Becker trennte auch zwischen Wortarten und syntaktischen Funktionen, den „Satzverhältnissen“. John Ries arbeitete 1928 mit Substantiv-, Verbal-, Adjektiv- und Adverbialgruppen. Anicius Manlius Severinus Boethius (ca. 480-524) übertrug die Arbeiten Platons und Aristoteles ins Lateinische, um sie möglichst vielen zugänglich zu machen, und schrieb Lehrbücher. In diesem Zusammenhang übersetzte er die Aristotelischen Begriffe von Gegenständen und Aussagen dazu mit subiectum ( , Zugrunde Gelegtes ‘ ) und praedicatum ( , das vom Subjekt Ausgesagte ‘ ). Attribut im Sinne von wesentlichem Merkmal und Objekt als das, worauf sich Handlung oder Betrachtung richten, lieferte die Scholastik (Gallmann/ Sitta 1992: 139f.). Objekt als grammatischer Terminus wurde Ende des 17. Jahrhunderts, der Begriff Subjekt als Träger der Aussage oder Satzgegenstand Mitte des 18. Jahrhunderts und Prädikat als Satzaussage Ende des 18. Jahrhunderts aus der lateinischen Grammatik ins Deutsche entlehnt (Pfeifer 2000). Lange waren Satzglieder formal oder inhaltlich gemischt bestimmt, bis der französische Grammatiker Gabriel Girard zwischen Wortarten und Satzgliedern trennte und sieben Satzglieder aufführte (Subjekt, Prädikat, Akkusativobjekt, Dativbzw. Präpositionalobjekt, Adverbiale, Konjunktion, Interjektion, vgl. Gallmann/ Sitta 1992: 141). Die Unterscheidung in Subordination und Koordination entwickelte sich Anfang des 19. Jahrhunderts. Herling (1823) verwendete die Begriffe selbständiger und unselbstständiger Satz sowie Haupt- und Nebensatz. Becker (1827, 1836-1839) baute darauf auf. Er arbeitete mit fünf Satzgliedern: Subjekt, Prädikat, Objekt, Attribut und Adverbiale, und Nebensätze konnten Satzgliedwert übernehmen. Ein Satz bestand nur aus höchs- 136 9 Syntaxmodelle tens einem Subjekt und einem Prädikat. Becker (1836-1839) gilt als Begründer unserer heutigen Syntax. Er wurde von Friedrich Bauer (1850) überarbeitet, diese Fassung wiederum von Duden, die seit 1935 einen westentlichen Teil der deutschen Grammatik bildet (Hundsnurscher 1993: 226). Die klassischen Satzglieder sind Subjekt, Prädikat, Objekt (Genitiv-, Dativ-, Akkusativ-, Präpositional-), vgl. Das Blümchen (steht auf der Wiese). - Subjekt (Das Blümchen) steht (auf der Wiese). - Prädikat (Rosita bediente sich) der Nagelschere (, um das Blümchen zu schneiden). - Genitivobjekt (Rosita widmet) dem Blümchen (ihr schönstes Gedicht). - Dativobjekt (Wegen des Blümchens betritt Rosita nicht) die Wiese. - Akkusativobjekt (Rosita hängt sehr) an dem Blümchen. - Präpositionalobjekt und Adverbiale (des Ortes/ lokal, der Zeit/ temporal, der Art und Weise/ modal, des Grundes/ kausal), vgl. Dort/ Auf meiner Wiese (steht das Blümchen). - Lokaladverbiale Gestern/ Am selben Tag (blühte es auf). - Temporaladverbiale Wunderschön/ In einzigartiger Weise (leuchtet es). - Modaladverbiale Vor lauter Freude/ Deswegen (pflückt Rosita es nicht). - Kausaladverbiale und außerdem das Attribut als Satzgliedteil, da es nur mit dem Bezugswort zusa mmen ein Satzglied bildet, vgl. (Das) kleine (Blümchen blüht). (Das) kleine, in der Morgensonne leuchtende (Blümchen blüht). Die Grammatiken differenzieren weiter, jedoch nicht einheitlich. Auch Sätze können Satzglied sein, als Subjekt vgl. Dass das Blümchen so schön blüht (, fiel mir gleich schon am frühen Morgen auf). als Akkusativobjekt vgl. Dass das Blümchen so schön blüht (, sah ich gleich schon am frühen Morgen). als Adverbiale des Grundes vgl. (Auch die Vogelwelt jubelte,) weil das Blümchen so schön blüht. und als Attributsatz vgl. (Das Blümchen,) das in der Sonne leuchtete (, gefiel allen sehr). Der Distributionalismus entwickelte Tests, um zusammenhängende Wörter bzw. Konstituenten mit gleicher Distribution zu ermitteln. Solche Tests gehören mittlerweile zum Handwerkszeug einer jeden Linguistin und eines jeden Linguisten. Denn allein die Zweiteilung führt zwar zu unmittelbaren Konstituenten, sie sind aber nicht immer mit einem Satzglied gleichzusetzen. So ergeben sich bei der ersten Teilung eines Satzes eine NP und eine VP im generativen Sinne, vgl. 137 9.1 Der traditionelle Ansatz Der Mann - sah gestern ein kleines Blümchen auf seiner Wiese. ohne dass die VP sah gestern ein kleines Blümchen auf seiner Wiese ein Satzglied wäre, genauso wenig wie die VPs in Der Mann - will morgen schon das Blümchen pflücken. Der Mann - hat es sich fest vorgenommen. Der Mann - hatte vor einem Jahr sogar einen ganzen Strauß gepflückt. Die Abschnitte nach der Mann haben zwar in dem vorliegenden Ausschnitt des Deutschen die gleiche Distribution, müssen aber für die Satzglieder weiter zerlegt werden. Deswegen fassen die meisten Grammatiken außer den generativen den Begriff VP auch wesentlich enger. Zusammengehörige Wörter bilden eine Phrase, wenn sie sich mithilfe syntaktischer Testverfahren als syntaktische Einheiten ermitteln lassen. Danach werden sie nach dem wichtigsten Wort benannt (Nominalphrase bzw. Nominalgruppe, Adjektivphrase/ -gruppe, Adverbialphrase/ -gruppe etc.). Sie sind dann Satzglied, wenn sie sich als Wortgruppe bzw. Phrase verschieben und ersetzen lassen, z.B. durch ein Pronomen im weitesten Sinn wie er, sie, es, so, darin, darauf, da. Außerdem sind sie erfragbar (wer, wen, warum etc.). Dadurch ermitteln wir die Grenzen eines Satzgliedes. Im obigen Beispiel lässt sich die VP durch kein Wort ersetzen oder erfragen, vgl. aber Auch die Vogelwelt jubelte, weil das Blümchen so schön blüht. In diesem Satz erfragt wer das Subjekt die Vogelwelt und warum die Adverbiale des Grundes Warum jubelte die Vogelwelt? - weil das Blümchen so schön blüht. Da der Nebensatz auf das Fragewort antwortet, ist er in seiner Gesamtheit das Satzglied. Und hier ergibt sich für die Satzanalyse ein Zusammenhang von Wortart und Phrase und syntaktischer Funktion. Je nach Funktion im Satz ist eine NP wie die Fledermaus Subjekt (die Fledermaus putzt sich, die Fledermaus ist eine Operette), Objekt (wir fangen die Fledermaus) oder, als Teil der Präpositionalphrase und zusammen mit der Präposition, Adverbiale (wir wollen morgen in die Fledermaus), Präpositionalobjekt (wir warten auf die Fledermaus) oder aber Attribut (die Flügel der Fledermaus). Andersherum können auch Nebensätze Objekt, Subjekt, Attribut oder Adverbiale sein. Der traditionelle Ansatz bestimmt die Satzglieder, das heißt die syntaktischen Funktionen von Wortgruppen im Satz, aber auch die Satztypen. Und auch hier sind weder die Bezeichnungen noch die Definitionen in den grammatischen Abhandlungen einheitlich. Bei der Analyse der Wortarten und der Satzglieder handelt es sich um unterschiedliche Möglichkeiten, Sätze zu betrachten, so, wie wir Autos entweder nach Automarken wie Mercedes, Audi, VW, Opel, Fiat oder Renault sortieren können oder aber nach Limousinen, LKW, Coupés oder Kombis. Einmal bilden einzelne Wörter den Ausgangspunkt, einmal der Satz mit seinen verschiedenen funktionalen Teilen. In einer vollständigen Satzanalyse ergänzt sich beides, darf jedoch nicht verwechselt werden. Hier sind die Termini manchmal tückisch - Adverb ist eine Wortart, Adverbiale eine syntaktische Funktion. Formal sind Wortarten, Phrasen und Satzarten wie Aussagesatz, Imperativsatz und diverse Nebensätze zu bestimmen, und es ist oft schwierig, die genauen Grenzen zu finden. Auf Satzgliedebene erhalten diese Einhei- 138 9 Syntaxmodelle ten dann eine Funktion im Satz zugewiesen. Eine Analyse des Satzes Blümchen blühen dort immer könnte folgendermaßen aussehen, natürlich gibt es verschiedene Darstellungsmöglichkeiten (vgl. Abb. 23 und 24). Lexem im Satz Wortart syntaktische Funktion Blümchen Substantiv Subjekt blühen Verb Prädikat dort Adverb Adverbiale des Ortes immer Adverb Adverbiale der Zeit Abb. 23: Beispiel einer traditionellen Satzanalyse in Tabellenform Satz Blümchen blühen dort immer. Wortart Substantiv Verb Adverb Adverb synt. Funktion Subjekt Prädikat Adv. Ort Adv. Zeit Abb. 24: Beispiel einer traditionellen Satzanalyse mit Angaben unterhalb der Lexeme 9.2 Stellungsfelder Dem übermächtigen Einfluss der griechischen und lateinischen Grammatik ist es wohl zu verdanken, dass die Stellungsfelder des Deutschen so spät entdeckt wurden. Ein Satz lässt sich ja nicht nur hierarchisch, sondern auch linear betrachten. Und die Stellungsfelder sind für das Deutsche besonders wichtig wegen der relativ freien Satzstellung und gleichzeitig wegen der Verbzweitposition des flektierten (finiten) Prädikatsteils im Aussagesatz, vgl. blühten in Vor hunderten von Jahren, als es noch keine Menschen gab, blühten schon viele Blümchen. Damals blühten schon viele Blümchen. Im Garten blühten viele Blümchen. Viele Blümchen blühten im Garten, dort unter der Weide. Besteht das Prädikat aus hatten geblüht, steht hatte immer in zweiter Position, da es nun der flektierte Teil des Prädikates ist, der nicht flektierte (infinite) Teil geblüht wandert ans Ende. Vor hunderten von Jahren, als es noch keine Menschen gab, hatten schon viele Blümchen geblüht. Damals hatten schon viele Blümchen geblüht. Im Garten hatten viele Blümchen geblüht. Viele Blümchen hatten im Garten, dort unter der Weide, geblüht. Die ursprüngliche Idee geht auf Herling (1821, 1823) zurück, der an einer Theorie der Wort- und Satzgliedstellung arbeitete und sich vor allem mit der Struktur komplexer Sätze beschäftigte. Später erschienen zu Stellen im Satz auch Arbeiten von Becker (1829) und Erdmann (1886). Als eigentlicher Wegbereiter aber gilt Erich Drach (1885-1935). 139 9.2 Stellungsfelder Erich Drach schrieb ein posthum 1937 erschienenes schmales Büchlein mit dem Titel Grundgedanken der deutschen Satzlehre für den Schulunterricht, weil er an den Lehrbüchern bemängelte, dass sie sich zu stark auf traditionell-lateinisches Gedankengut stützten (vgl. im Folgenden Drach 1937/ 1963). Die Kenntnis der Grammatik reichte seiner Meinung nicht aus für ein sicheres Beherrschen der Sprache, die für ihn eine Form des sozialen Handelns ist. Denn mindestens genauso wichtig wie die äußere Form ist der Sinn des Gesagten. Er forderte damit einige „Notwendigkeiten“ für den Deutschunterricht, nämlich nicht nur, sich von den Denkweisen der lateinischen Grammatik zu lösen, sondern auch die „Begründung der Satzlehre auf die Beobachtung des lebenswirklichen Sprechdenkens“ (Drach 1937/ 1963: 7). Damit meinte er z.B. die Intonation, die in der Schrift fehlt, beim Sprechen aber wichtige Informati onen mitliefert. Also bedeutete die dritte „Notwendigkeit“, die Schallform des Satzes in die Satzlehre zu integrieren. Er kritisierte bei vielen Beispielsätzen in den Grammatiken Stellungsfehler. Der Satz Im folgenden Frühjahr feierte der Präsident seinen fünfundachtzigsten Geburtstag im Kreise von Kindern und Enkeln ist zwar grammatisch korrekt, kommt aber so im tatsächlichen Sprechen nicht vor, da seinen fünfundachtzigsten Geburtstag als wichtige Information an den Schluss des Satzes gehört und dort betont wird, wie beim lauten Lesen deutlich würde (ibd.: 25). Andere seiner Meinung nach falsche Sätze, die den grammatischen Regeln entsprechen, entstehen bei zu viel Schachtelung und einer stark ausgedehnten Satzklammer. Bisher wurden nun in den Satzlehren des Deutschen die Stellungsmöglichkeiten von Subjekt, Objekten und Prädikat lediglich aufgezählt, was zu einer schw er durchschaubaren und damit wenig nützlichen Grammatik führte. Behaghel (1932) versuchte bereits, die doch sehr freie Wortstellung mithilfe verschiedener Gesetze zu b eschreiben: Das, was geistig zusammengehört, steht auch beieinander, das Unwichtige steht vor dem Wichtigen, ein unterscheidendes Element geht dem unterschiedenen voraus, das kürzere Satzglied steht vor dem längeren. Dazu wirkt auch die Analogie. Diese Gesetze arbeiten unterschiedlich zusammen oder auch gegeneinander und ergeben dann die Freiheit in der deutschen Wortstellung. Drach nutzte hingegen den Begriff des Satzplanes, ein syntaktisches Schema, das die Kombinationsvorgaben für Wörter bei der Verbalisierung der Gedanken liefert, ohne dass sich die Sprecher/ innen der Regeln bewusst zu sein brauchen. Ausgehend vom normalen Hauptsatz unterteilte er ihn in die Bereiche Vorfeld, Mitte (das finite Verb) und Nachfeld. Die Position des finiten Verbs ist zwingend vorgegeben, die der anderen Satzglieder ist frei. Es besteht kein Zusammenhang zwischen Wortfolge und syntaktischer Funktion (Drach 1937/ 1963: 17). Stattdessen richtet sich die Stellung nach dem Mitteilungswert, das Bekannte steht vorn, das Neue oder Wichtige hinten (hierzu auch Behaghel 1932: 3ff.). Mit diesen Überlegungen inspirierte er die Diskussion um die Thema-Rhema-Gliederung (diese Begriffe bereits Ammann 1928, vgl. u.a. Boost 1955, Beneš 1971). So konnte er sich für einen grammatisch korrekten Satz wie Weiß sind die Eier keinen Kontext vorstellen, er war seiner Meinung nach falsch. Wichtig ist, dass das Vorfeld nur ein Satzglied aufweisen darf, während das Nachfeld aus mehreren Satzgliedern bestehen kann. Das Nachfeld ist gegliedert, weil das Wichtigere hinten steht. Die Struktur des Nebensatzes ist gekennzeichnet durch ein einleitendes Element, Konjunktion oder Relativpronomen, das ganz vorn steht, und das Verb, das hinten steht. Beide bilden eine Klammer, sie entspricht einer „Stimmführungslinie“ (Drach 1937/ 1963: 29). Nachgelieferte Informationen außerhalb der Klammer bezeichnet Drach als Nachtrag, vgl. mit Schneeschuhen und Lebensmitteln in Als wir vor 140 9 Syntaxmodelle der Hütte ankamen mit Schneeschuhen und Lebensmitteln, war die Türe verschneit oder und jung in Ich will dich froh machen und jung (Drach 1937/ 1963: 33). Drach bestimmte die festen Positionen der Sätze sowie die Klammern und nutzte als zusätzliche Entscheidungskriterien die Intonationskurven. Die Terminologie hat sich allerdings verändert, die Theorie wurde erweitert (u.a. Erben 1954, 1958, Altmann 1981) und ging in die generative Grammatik (zu einem Überblick vgl. Haftka 1993) und in zahlreiche Grammatiken des Deutschen ein, z.B. die Akademiegrammatik (Heidolph et al. 1984), die IDS-Grammatik (Zifonun et al. 1997), die Duden- Grammatik (Duden 2009) oder Eisenberg (2006). Wir trennen heute zwischen Verberst-, Verbzweit- und Verbletztsätzen. Im Verbzweitsatz (Hauptsatz) haben wir nach wie vor das Vorfeld, es kann von einem Satzglied außer dem Prädikat besetzt werden. Es folgt das klammeröffnende Element bzw. die linke Satzklammer mit dem finiten Verbteil, das Mittelfeld mit theoretisch unendlich vielen Satzgliedern und das klammerschließende Element bzw. die rechte Satzklammer, etwa der infinite Teil des Prädikats oder der Verbzusatz. Dabei sind nur die ersten beiden Positionen immer besetzt. Es schließt sich das Nachfeld an, das ebenfalls nur fakultativ besetzt ist, Beispiele in Abb. 25. Vorfeld Klammeröffn. Mittelfeld Klammerschluss Nachfeld Es blüht . Es hat geblüht . Es könnte jetzt endlich mal blühen so langsam. Karl-Heinibert machte alle Blümchen zunichte . Es hat im Garten geblüht, als die Sonne schien. Im Garten hatte es damals immer geblüht . Karl-Heinibert pflückt jetzt alle Blümchen ab . Abb. 25: Die Stellungsfelder im Verbzweitsatz Wenn es kein klammerschließendes Element gibt, können wir ohne einen Test keine Aussagen über die Besetzung von Mittel- und Nachfeld machen. Darum bilden wir eine zusammengesetzte Zeitform oder eine Konstruktion aus Modal- und Vollverb, um die Grenze zwischen den beiden Feldern zu finden. Ich höre viele Vögel, wenn ich morgens aufstehe. Ich kann viele Vögel hören, wenn ich morgens aufstehe. Im zweiten Satz haben wir nun als klammerschließendes Element (im übergeordneten Satz) hören. So wird deutlich, dass das Objekt viele Vögel im Mittelfeld steht, die Zeitangabe, der Nebesatz wenn ich morgens aufstehe, jedoch im Nachfeld. Im Verbletztsatz („Nebensatz“) ist das klammeröffnende Element die subordinierende Konjunktion, ein Vorfeld gibt es nicht. Das klammerschließende Element ist der finite Prädikatsteil (Abb. 26). Vorfeld Klammeröffnung Mittelfeld Klammerschluss Nachfeld / als es damals dort blühte, im Schatten. / weil es blüht . Abb. 26: Die Stellungsfelder im Verbletztsatz 141 9.2 Stellungsfelder Ein Imperativsatz oder ein Entscheidungsfragesatz als Verberstsätze haben ebenfalls kein Vorfeld, das klammerschließende Element kann fehlen (Abb. 27). Kompliziert wird die Sache bei Schachtelsätzen, denn ein Nebensatz als Satzteil besetzt im ü bergeordneten Satz den gleichen Platz wie ein Pronomen, hat jedoch eine eigene Felderstruktur. Vorfeld Klammeröffnung Mittelfeld Klammerschluss Nachfeld / Hau bloß ab, wenn du sauer bist! / Verzieh dich ! / Würdest du bitte gehen ? / Gehst du ? / Geh ! Abb. 27: Die Stellungsfelder im Verberstsatz Mittlerweile werden vor allem Abweichungen von der typischen Wort- und Satzgliedstellung diskutiert. Stilistisch unauffällig ist beim Verbzweitsatz beispielsweise das Subjekt im Vorfeld. Steht dort ein anderes Satzglied, wird es dadurch hervorg ehoben, deswegen nennen wir das Topikalisierung, vgl. Diese schöne Blumenwiese hat Karl-Heinibert mit dem neuen Rasenmäher komplett zerlegt. Wird ein Satzglied aus dem Mittelfeld heraus in das Nachfeld verschoben, ist das Ausklammerung, vgl. Karl-Heinibert hat diese schöne Blumenwiese komplett zerlegt mit dem neuen Rasenmäher. Stehen Nebensätze im Nachfeld, heißt das Extraposition, vgl. Karl-Heinibert hatte die komplette Blumenwiese zerlegt, als er den neuen Rasenmäher ausprobierte. Auch die unterschiedlichen Positionen innerhalb des Mittelfeldes scheinen unterschiedlich gewichtet zu sein. Da jedoch verschiedene grammatische, stilistische und kommunikative Faktoren ineinandergreifen und mitentscheidend ist, ob ein Element als Pronomen oder komplexe NP realisiert wird, gibt es noch heute keine schlüssigen Anleitungen für z.B. Lernende von Deutsch als Fremdsprache, die mit den Feinheiten der Reihenfolgebeziehungen im Satz oft ihre Schwierigkeiten haben. Bei diesem Thema steht der sprachwissenschaftlichen Forschung noch sehr viel Arbeit bevor. Drachs Beobachtung, dass im Vorfeld nur ein Satzglied stehen darf, führte zu weiteren syntaktischen Tests. Ist eine Gruppe von Wörtern möglicherweise ein Satzglied, so kann sie sich als Ganzes verschieben lassen oder durch ein Wort ersetzt werden, wie bereits erwähnt. Um die Grenzen eines Satzgliedes zu bestimmen, muss es darüber hinaus als Ganzes im Vorfeld stehen können, vgl. die folgenden drei Satzvarianten. Viele Blümchen blühten schon in dem alten Garten, den wir nur aus Büchern kennen. Viele Blümchen blühten schon dort. In dem alten Garten, den wir nur aus Büchern kennen, blühten schon viele Blümchen. Im zweiten Satz wird in dem alten Garten, den wir nur aus Büchern kennen durch dort ersetzt, das deutet auf Satzgliedstatus. Außerdem steht dieser Teil im letzten Satz vor 142 9 Syntaxmodelle blühten. Ein Wort oder eine Wortgruppe muss, wenn sie satzgliedwertig ist, allein das Vorfeld besetzen können. In *Den wir nur aus Büchern kennen, blühten in dem alten Garten schon viele Blümchen. ergibt die Verschiebung des Attributs als Teil der Ortsangabe einen fehlerhaften Satz. In diesem Beispiel ist den wir nur aus Büchern kennen nicht satzgliedwertig. Denn ein Attribut bildet nur zusammen mit dem Bezugswort ein Satzglied. Wenn im Satz Karl-Heinibert war schön blöd, als er die Blumenwiese zerstörte. nicht sicher ist, ob schön ein Satzglied ist, zeigt die Umstellung *Schön war Karl-Heinibert blöd, als er die Blumenwiese zerstörte. dass diese Version falsch ist, schön kann in dieser Funktion als Steigerungspartikel nicht allein im Vorfeld stehen, es ist kein Satzglied (zu der „schwierigen“ Gruppe der Partikeln und den Tests zur Ermittlung vgl. Helbig 1994). Das Modell der Stellungsfelder lässt sich gut mit der traditionellen Satzanalyse kombinieren. Nach der Bestimmung der Wortarten können zusammenhängende Wortgruppen mithilfe der Testverfahren gefunden werden. Dabei orientieren sich die Begriffe NP und PP an der amerikanischen Grammatik und sind auch in dieser Kurzform international gebräuchlich, können aber genausogut als Substantivgruppe und Präpositionalgruppe erscheinen. Den so ermittelten Phrasen bzw. Gruppen teilen wir eine syntaktische Funktion zu. Dann erfolgt die Einteilung in Wortfelder, vgl. Abb. 28. Beispielsatz Blaue Blümchen blühen hinter der Weide . Wortart Adjektiv Substantiv Verb Präposition Artikel Substantiv Phrase NP NP PP synt. Funktion Attribut zu Blümchen Subjekt Prädikat Adverbiale des Ortes Felderbesetzung Vorfeld Klammeröff. Mittelfeld Abb. 28: Beispiel einer Satzanalyse mit der Bestimmung der Wortarten, syntaktischen Funktionen und Felderbesetzung Im traditionellen Ansatz bezieht der Begriff Verbalphrase nicht Objekte oder Adverbialbestimmungen mit ein, außer bei Idiomen, sondern nur Verben und Elemente, die fest zum Verb gehören. Verbalgruppen oder -phrasen sind z.B. habe getan, wollte kommen können, trennte ab , hattest Recht, bin Auto gefahren, hatte Anzeige erstatten wollen, werde ins Gras beißen. Das heißt, die Definition des Begriffs VP hängt stark vom verwendeten Modell ab. Im traditionellen Ansatz erfolgt auch keine initiale Aufteilung eines Satzes in zwei Teile. 143 9.3 Dependenz und Valenz 9.3 Dependenz und Valenz Den Valenz- und Dependenzgrammatiken liegt die Beobachtung zugrunde, dass es zwischen Wörtern Abhängigkeiten gibt, wie es durchaus bereits Apollonius Dyscolus sah und wie es praktisch alle Grammatikmodelle auf die eine oder andere Art auch formulieren, beispielsweise „die Präposition regiert den Kasus des Bezugsnomens“ oder „Subjekt und Prädikat kongruieren in Person und Numerus“. Valenz- und Dependenzgrammatiken entwickelten sich unabhängig von amerikanischen Strömungen in Europa und unterscheiden sich von den traditionellen oder strukturalistischen Konzepten in zwei Punkten. Die Analyse geht erstens einmal vom Verb aus, die anderen Elemente hängen von ihm ab. Dadurch bestimmt das Verb die Satzstruktur. Zweitens sind Objekte und Subjekt gleichberechtigt. Das steht den sonst üblichen Vorstellungen entgegen, die von einer exponierten Stellung des Subjekts ausgehen, die Subjekt und Prädikat als die zwei wichtigsten Teile des Satzes sehen oder die einen Satz grundsätzlich nach Subjekt(sgruppe) und Prädikat(sgruppe) gliedern. Die Begrifflichkeiten finden uneinheitliche Verwendung. Einerseits wird getrennt zwischen Valenz der Verben und Dependenz, allgemeiner auch für andere Abhängigkeitsbeziehungen wie zwischen Nomen und Attribut, andererseits gibt es Valenz auch allgemein verstanden bezogen auf alle Wortarten mit Abhängigkeitsbeziehungen. 9.3.1 Das Modell von Lucien Tesnière Nach einigen wichtigen Vorarbeiten im Mittelalter, später u.a. von Johann Werner Meiner (1723-1789) und Karl Bühler, begründete der Franzose Lucien Tesnière (1893-1954) die moderne Valenztheorie als Teil seiner Dependenzgrammatik. Dadurch avancierte das Thema der Abhängigkeiten der Wörter im Satz zu einer sprachwissenschaftlichen Teiltheorie. Tesnière schrieb seine Grammatik hauptsächlich aus didaktischen Gründen, um nämlich Sprachunterrricht und Übersetzung zu verbessern. Tesnière studierte u.a. in Leipzig. Er kannte einige der Junggrammatiker und Trubetzkoy, stand auch dem Prager Linguistenkreis nahe und damit auch dem Strukturalismus. Die wichtigsten Arbeiten schloss er bereits in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts ab, die Élements de syntaxe structurale erschienen jedoch erst fünf Jahre nach seinem Tod. Da zu dieser Zeit die Fachwelt bereits Chomsky international und unter viel Beifall diskutierte, erhielten die Élements nicht die Anerkennung, die sie eigentlich verdienten (Weber 2001: 1849). Für seine Grammatik legte Tesnière an die 60 verschiedene Sprachen zugrunde, sie ist daher als universell zu sehen. Außerdem war für ihn Syntax autonom und unabhängig von logischen oder psychologischen Gesichtspunkten zu betrachten. Tesnières Grammatik ist ganz im Sinne des Strukturalismus beschreibend. Sie setzt keine Regeln zur Satzerzeugung an und auch keine Phrasen. Grundlegende Einheit für Tesnière ist der Satz (vgl. im Folgenden Tesnière 1959/ 1980). Die Wörter sind durch Konnexionen verbunden, so dass ein Satz wie Alfred spricht aus zwei Wörtern und der besonderen Verbindung zwischen ihnen, eben der Konnexion, und damit aus drei Elementen besteht. Da das Zentrum des Satzes das Verb ist, geht jegliches Regieren zunächst vom Verb aus. Die verschiedenen Ab- 144 9 Syntaxmodelle hängigkeitsbeziehungen ergeben übergeordnete Elemente (Regentien, vgl. spricht) und untergeordnete (Dependentien, vgl. Alfred). Das Regens regiert das Dependens, das Dependens hängt ab vom Regens. Ein Nexus ist eine Konstruktion aus Regens und den Dependentien. Im Satz mein Freund spricht ist Freund abhängig von spricht, während es gleichzeitig mein regiert. Veranschaulicht wird dies durch Stemmata (vgl. Abb. 29). spricht spricht Alfred Freund mein Abb. 29: Stemmata 1 und 2 (Tesnière 1959/ 1980: 28) Wenn ein Regens mehrere Dependentien regiert, wird dieses durch mehrere vom Regens fortführende Konnexionsstriche symbolisiert, vgl. Freund Lied, mein alter und dieses hübsche im Stemma 3 für den Satz Mein alter Freund singt dieses sehr hübsche Lied (Abb. 30). Mehrere Hierarchieebenen (sehr) werden durch weitere Striche verdeutlicht. singt Freund Lied mein alter dieses hübsche sehr Abb. 30: Stemma 3 (Stemma 5 in Tesnière 1959/ 1980: 29) Hier wird optisch die zentrale Stellung des Verbs deutlich sowie die Gleichberechtigung zwischen dem Subjekt Freund und dem Objekt Lied. Das Schaubild zeigt die abstrakte, strukturale Ordung des Satzes. Sie ist unabhängig von der linearen Ordnung der Wörter im Satz, die im Übrigen zweitrangig ist, da es einzig auf die Relationen der Wörter untereinander ankommt. Der Satz Dieses sehr hübsche Lied singt mein alter Freund hat ebenfalls das Stemma 3. Tesnière (1959/ 1980: 62ff.) wandte sich gegen die traditionelle Wortartenklassifikation, weil sie zu stark lateinisch und zu wenig einzelsprachlich ausgerichtet ist. Er klassifizierte in erster Linie semantisch und wollte auch Beziehungen zwischen Wörtern und damit zwischen Sätzen wie frz. un dîner léger/ ein leichtes Mahl und frz. il dîne légèrement/ er isst leicht ausdrücken. Bei beiden hat das Stemma die gleiche Form (vgl. Abb. 31). 145 9.3 Dependenz und Valenz dîner/ Mahl dîne/ isst un/ ein léger/ leicht il/ er légèrement/ leicht Abb. 31: Stemmata 4 und 5 (nach Stemmata 41, 42 in Tesnière 1959/ 1980: 74) Eine vergleichbare Beziehung herrscht auch zwischen Aktiv- und Passivsätzen, lat. filius amat patrem/ der Sohn liebt den Vater und lat. pater amatur a filio/ der Vater wird vom Sohn geliebt. Auch sie haben vergleichbare Stemmata (vgl. Abb. 32). Dies soll außerdem zeigen, dass Subjekt und Objekt gleichberechtigt, in diesem Fall sogar symmetrisch sind. amat/ liebt amatur/ wird geliebt filius/ der Sohn patrem/ den Vater pater/ der Vater a filio/ vom Sohn Abb. 32: Stemmata 6 und 7 (nach Stemmata 85, 86 in Tesnière 1959/ 1980: 97) Die Wörter teilt Tesnière zunächst in leere und volle ein. Volle Wörter haben lexikalischen Gehalt, davon gibt es die vier Arten Substantiv, Adjektiv, Verb und Adverb. Zu den Substantiven zählt er auch die Pronomen. Entsprechend gibt es vier Nexusarten, verbale, substantivische, adjektivische und adverbiale Nexus. Leere Wörter haben grammatischen Gehalt und werden funktional bestimmt. Verbindende Wörter sind Junktoren (koordinierende Konjunktionen), verändernde bzw. überführende Wörter sind Translative (subordinierende Konjunktionen, Präpositionen, Artikel, Relativpronomen, Hilfsverben). Schließlich gibt es die Indizes mit indikativer Funktion, indem sie beispielsweise die Wortart bestimmen wie engl. I und the in I love , ich liebe ‘ , und the love , die Liebe ‘ . Indizes sind Flexionsendungen und Artikel. Die letzten beiden Wortarten werden einerseits als Varianten einer Wortart (ibd.: 83), andererseits als sehr eng verwandte Wortarten beschrieben (ibd.: 84). Leere Wörter haben sich meist aus vollen entwickelt. Ein Satz besteht aus dem Verb, den Aktanten und den Angaben. Substantive übernehmen immer die Funktion von Aktanten . Angaben geben zeitliche, räumliche und andere Umstände an. Es sind immer Adverbien oder Entsprechungen dazu. Die Aktanten werden vom Verb bestimmt. Sie sind quantitativ und qualitativ gebunden. Angaben sind frei und unabhängig vom Verb ergänzbar. Der Satz Alfred steckt seine Nase immer überall hinein hat die Aktanten Alfred und Nase und die Angaben immer und überall hinein. Das Stemma ist in Abb. 33 zu sehen. steckt Alfred Nase immer überall hinein seine Abb. 33: Stemma 8 (Stemma 78 in Tesnière 1959/ 1980: 93) 146 9 Syntaxmodelle Verben haben maximal drei Aktanten (ibd.: 99). Es gibt, grob gesprochen, avalente Verben ohne Aktanten (regnen), monovalente (schlafen, wandern), transitive (schlagen, töten) und trivalente Verben (geben, sagen). Sowohl Verben als auch Substantive, Adjektive und Adverbien haben Dependentien. Aber nur das Verb bestimmt die Menge und Art der Aktanten. Diese Eigenschaft nennt Tesnière Valenz in Anlehnung an das Atommodell. Der Begriff bezieht sich bei ihm nur auf die Wertigkeit (vgl. auch Erben 1958) von Verben. Die Menge und Art der Angaben hingegen ist für die Valenz irrelevant. Insgesamt existieren auch Abhängigkeitsbeziehungen zwischen anderen Wörtern. Zusammen mit der Valenz sind sie Teil seiner Dependenzgrammatik, die den Aufbau der Sätze als ein Abhängigkeitsgefüge beschreibt. Heute gibt es auch die Begriffe der Adjektiv- und der Substantivvalenz (an etwas interessiert sein, das Schreien der Eulen). Übungsaufgabe: Welcher Satz gehört zum folgenden Stemma? sehen Männer Action-Filme gern viele langweilige ziemlich erstaunlich sehr Abb. 34: Stemma 9 Lösung: Es ist der Satz Erstaunlich viele Männer sehen ziemlich gern sehr langweilige Action-Filme. 9.3.2 Kritik und Grenzen Manche Fragen ergeben sich speziell für die Tesnièr’sche Grammatik, manche sind später aufgegriffen worden mit verschiedenen Lösungsmöglichkeiten. Einiges bleibt grundsätzlich problematisch. Zunächst kann die alleinige Vorrangstellung des Verbs, genauer, des Prädikats, im Satzverband hinterfragt werden. Es muss sich doch in den (meisten) flektierenden Sprachen morphologisch nach dem Subjekt richten und nicht nach einem der anderen Mitspieler, wenn auch für Tesnière das Flexiv des Prädikats Teil des Subjekts ist (Tesnière 1959/ 1980: 95). Bei dieser Lösung verläuft die Grenze zwischen Subjekt und Prädikat nicht mehr zwischen Wörtern oder Wortgruppen, sondern zwischen Stamm und Flexiv, das heißt, im Wort. Eine Diskussion zur Sonderrolle des Subjekts gegenüber anderen NPs gibt es beispielsweise von Reis (1982), mit Plädoyer für die Dependenzgrammatik von Ágel (2000). Es handelt sich hier wohl eher um eine grundsätzliche Einstellung der Grammatik gegenüber. Auch in der Dependenzgrammatik werden Wortarten und syntaktische Funktionen gleichgesetzt (Tesnière 1959/ 1980: 18). 147 9.3 Dependenz und Valenz Die Unterscheidung zwischen Aktanten und Angaben gelingt nicht immer so glatt, wie Tesnière sich das vorstellt, wenn er Substantive mit Präpositionen eher zu den Angaben rechnet (Tesnière 1959/ 1980: 116) und Angaben als frei hinzufügbar sieht. Im Deutschen sind zum Beispiel oft das Präpositionalobjekt (an der Mutter hängen , mögen ‘ ) und die sehr ähnlichen Ortsadverbiale (an der Wand hängen) nicht so leicht auseinanderzuhalten. Da aber das Präpositionalobjekt von der Präposition, die Teil des Verbes ist, abhängt (hängen an bedeutet , mögen ‘ ), bei den Adverbialen hingegen Präpositionen frei wählbar sind (unter dem Tisch hängen, an der Wand hängen, zwischen den Pfosten hängen), gehört ein Präpositionalobjekt zu den valenzbestimmten Elementen. Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang besteht bei den freien Dativen im Deutschen in Sätzen wie Lauf mir bloß nicht davon! (dativus ethicus) Der Vater mäht der Nachbarin den Rasen. (dativus commodi) Er wäscht seiner Tochter die Hände. (dativus possessivus) Diese Dative sehen zwar aus wie Objekte, werden aber vom Verb nicht gefordert und haben den Status einer freien Angabe. Eine Unterscheidung zwischen Aktanten und Angaben nur aufgrund der Existenz einer Präposition ist, zumindest für das Deutsche, also nicht haltbar. Die Trennung in Aktanten und Angaben anhand des Wertes +/ - weglassbar wird verkompliziert durch mögliche Aktanten, die nicht immer realisiert sein müssen . Denn auch diese Unterscheidung greift nicht immer, vgl. Alfred singt , Alfred gibt den Armen , Alfred gibt zwei Mark (Tesnière 1959/ 1980: 161). Welche Rolle spielt der Kontext, darf er prinzipiell mögliche, in Einzelfällen aber nicht realisierte Mitspieler bestimmen? Hierzu gibt es Diskussionen in u.a. Welke (1988) oder Helbig/ Schenkel (1991). Heute wird bei den Aktanten (Ergänzungen) meist zwischen obligatorischen, nicht weglassbaren, und fakultativen, weglassbaren getrennt. Das Verb essen ist zweiwertig mit einer obligatorischen und einer fakultativen Ergänzung, vgl. Die Oma isst und Die Oma isst Kuchen. Davon zu trennen sind die freien Angaben. Allerdings hat die Diskussion mittlerweile gezeigt, dass auch Adverbialbestimmungen von Verben gefordert werden können wie die Lokalbestimmung in Claudia wohnt in Obergriesbach. Adverbialbestimmungen sind also nicht grundsätzlich weglassbar, das heißt nicht grundsätzlich frei. So landen wir bei der Bestimmung der Aktanten im Gegensatz zu freien Angaben beim strukturellen Gefordertsein durch das Verb, das ihre Menge und Form vorgibt. Zur Form gehören dann Kasus oder auch ein bestimmtes Präpositionalgefüge. Zur Menge gehört, dass nur eine Akkusativgruppe da sein darf, wenn eine gefordert wird. Freie Angaben sind hingegen zahlenmäßig und inhaltlich nicht begrenzt. Ein Satz kann auch zwei Orts-, eine Zeit- und eine Modalangabe erhalten. So in etwa läuft die gängige Diskussion zur Trennung zwischen freien Angaben und vom Verb geforderten Ergänzungen (ausführlich z.B. Helbig/ Schenkel 1991). Davon unabhängig ist die Frage zu beantworten, welche „eigentlich“ geforderten Ergänzungen nun tatsächlich realisiert sein müssen und wann. Hier scheint jedoch nach wie vor keine einvernehmliche Lösung in Sicht. Eine andere Schwierigkeit ist nämlich die Unterscheidung zwischen konzeptionellen und grammatischen Abhängigkeiten. Soll Valenz also strukturell oder kontextuell bestimmt werden? So benötigt legen drei Mitspieler, eine Nomianalphrase, eine Akkusativphrase und eine Ortsbestimmung: Der Vater legt die Wäsche in den Schrank. Aber im Satz Die Henne legt gibt es nur einen Mitspieler, trotzdem ist der Satz problemlos 148 9 Syntaxmodelle zu verstehen. Ist es wegen des Subjekts Henne klar, dass es sich bei den fehlenden Mitspielern nur um Eier und ins Nest handeln kann, so dass wir sie weglassen können? Handelt es sich überhaupt beide Male um das gleiche Verb? (Vgl. dazu Diskussionen in Helbig/ Schenkel 1991, Ágel 2000). Für einige deutsche Konstruktionen bietet das Tesnièr’sche Modell keine zufriedenstellende Lösung, vgl. Sätze ohne Subjekt wie Mich friert, mit dem auch traditionelle Grammatiken Schwierigkeiten haben. Hier handelt es sich um das grundsätzliche Problem, dass ein universell ausgerichtetes Beschreibungsmodell für alle Sprachen passen soll und nicht gleichzeitig auch alle Strukturen einer Einzelsprache beschreiben kann. Ágel (2000: 90f.) plädiert dafür, Modelle nicht zu verabsolutieren. Sollte es also eher verschiedene einzelsprachliche Valenzgrammatiken geben statt einer universell ausgerichteten? Weitere Diskussionspunkte finden sich in z.B. Welke (1988), Helbig/ Schenkel (1991), Ágel (2000), Dürscheid (2012). Die Valenztheorie, schon in ihrer ursprünglichen Ausprägung von Tesnière, hatte Auswirkungen auf die weitere linguistische Forschung, zum Beispiel auf die Kasustheorie von Fillmore (Fillmore 2003) oder die Rektionstheorie von Chomsky. Im Zusammenhang mit der generativen Transformationsgrammatik entwickelte Fillmore zunächst seine Idee der deep cases, der Tiefenkasus (Fillmore 1968). Ihr zufolge besteht ein Satz aus einem Verb und mehreren Tiefenkasus, die die semantische Valenz von Verben, aber auch Adjektiven und Nomen charakterisieren. Ein Verb bestimmt eine gewisse Auswahl an Tiefenkasus, die den Kasusrahmen bilden. Bei diesen Ti efenkasus handelt es sich gerade nicht um syntaktische Kategorien wie Subjekt oder Objekt, die auf der Oberfläche markiert werden, sondern um semantische Rollen. Fillmores Tiefenkasus sind keine Flexionskategorien. Sie können pro Satz nur einmal auftreten und sind nur teilweise auch obligatorisch zu setzen. Kategorien wie Subjekt oder Objekt hängen von den Tiefenkasus ab. Das Agens ist typischerweise das Subjekt, aber nicht immer (Passiv). Dativ und Objektiv werden häufig als Objekte realisiert. Beide Ebenen sind aber unabhängig von einander zu beschreiben. Fillmore (1968) setzte zunächst sechs Tiefenkasus als syntaktische Relation an: Agens oder Agentiv bezeichnet das handelnde Wesen, eine/ n Verursacher/ in oder Urheber/ in einer Handlung, vgl. Susi (schreibt gern). Ein Agens ist typischerweise belebt. Instrumental bezeichnet ein nicht-belebtes Mittel, das etwas bewirkt, vgl. (Susi schreibt den Brief) mit einem roten Filzstift, der Wind (öffnete die Tür). Dativ bezeichnet das belebte Objekt, das von der Handlung betroffen ist, vgl. (Susi gibt) Johannes (den Brief). Faktitiv bezeichnet den Zustand oder das Objekt als Ergebnis aus dem vom Verb bezeichneten Vorgang bzw. Tätigkeit, vgl. (Susi schreibt schon wieder) einen Brief. Lokativ bezeichnet eine räumliche Größe, eine Richtung, eine Lage des vom Verb angegebenen Zustands oder Vorgangs, vgl. (Susi sitzt) am Schreibtisch. Objektiv ist der Kasus, der am neutralsten ist. Er bezieht sich auf alles, was durch das Nomen repräsentiert wird, dessen Rolle in der Handlung oder Zustand durch das Verb bezeichnet wird, vorzugsweise für Gegenstände, die durch diese Handlung oder den Zustand betroffen sind, vgl. Die Tür (öffnete sich), (Susi öffnete) die Tür. Das englische Verb to kill , töten ‘ benötigt entweder einen Instrumental oder ein Agens, to murder , ermorden ‘ jedoch ein Agens. Für to kill setzte Fillmore den Kasus- 149 9.4 Optimalitätstheorie rahmen +[_D (I)(A)] an, für to murder +[_D(I)A], da das Agens nun obligatorisch ist. Diese Vorschläge verstand Fillmore als vorläufig, sie wurden später abgeändert und erweitert. Aber es kam nie zu einer Einigkeit über die endgültige Menge der Kasus (Fillmore 2003). Die Kasusgrammatik wiederum fand als Theta-Theorie Eingang in die generative Grammatik. Tesnières Arbeiten lieferten trotz diverser kontrovers diskutierter Probleme wichtige Informationen für den Fremdsprachenunterricht sowohl für Grammatiken (z.B. Helbig/ Buscha 2011) als auch für Wörterbücher, die die Valenz als Baustein bei Verbeinträgen aufnehmen. Reflexe finden sich auch in Form von Satzbauplänen beispielsweise in den verschiedenen Auflagen der Dudengrammatik. Zu Weiterentwicklungen vgl. auch Hudson (1993). 9.4 Optimalitätstheorie Anfang der 1990er Jahre entwickelten Allan Prince und Paul Smolensky (1993) und dann McCarthy/ Prince (1995) ein neuartiges phonologisches Modell, das sie Optimality Theory (Optimalitätstheorie, OT) nannten. Die OT gehört zu den generativen Grammatiken, da sie eine Universalgrammatik und angeborene Regeln annimmt und sich auf die Kompetenz der idealen Sprecher/ innen / Hörer/ innen bezieht. Das Modell soll damit auch auf allen formalen Ebenen der Sprache anwendbar sein. Allerdings sind in der OT nicht alle Regeln gleich wichtig und müssen auch nicht immer befolgt werden. Vielmehr gibt es wichtigere und weniger wichtige. Der Regelpool ist angeboren und steht allen Menschen und allen Sprachen zur Vefügung. Also erhebt dieses Modell den Anspruch, universell gültig zu sein. Die Regeln stehen miteinander in Konkurrenz. Bei Regelkonflikten darf gegen die jeweils weniger wichtige Regel verstoßen werden. In jeder Sprache ist die genaue Reihenfolge, welche gegenüber welcher zu befolgen ist, eigens festgelegt. Die Regeln sind also geordnet. Nur heißen sie nun nicht mehr Regeln, sondern Beschränkungen (constraints). Die OT sucht diese Beschränkungen und die Reihenfolgen in den Sprachen, ihre Form der Universalgrammatik. Kandidaten Kandidaten Input GEN Kandidaten EVAL optimaler Output Kandidaten Kandidaten Abb. 35: Grundmodell der OT Das Modell (vgl. Abb. 35) besteht aus einem Input. Er umfasst in der Phonologie die zugrunde liegenden Repräsentationen im Lexikon. Für die Syntax sind das verschiedene Tiefenstrukturen und lexikalische Elemente, über die aber noch kein Konsens herrscht. Dies ist ein wichtiger Kritikpunkt an der OT, da die Auswahl noch willkürlich festgesetzt wird. Als nächstes haben wir einen Generierungsmechanismus (GEN), der die infrage kommenden Kandidaten erzeugt, die verschiedenen Realisierungen des Inputs. Hier geht es meist um ein grammatisches Problem, das theoretisch unterschiedlich gelöst werden kann. Die Kandidaten sind die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten, die auftreten, wenn Beschränkungen in Konflikt geraten. Die Analysen 150 9 Syntaxmodelle verwenden in der Praxis aus Ökonomiegründen für die weitere Bearbeitung eine Auswahl der wichigsten Kandidaten. Denn wenn alle diskutiert und gegeneinander abgewogen werden müssten, würde das den Bewertungsapparat enorm aufblähen. Dies ist ein weiterer ernstzunehmender Kritikpunkt, da die Entscheidung, welche Kandidaten für die EVAL-Etappe verwendet werden sollen, nicht objektiv erfolgt. Der Bewertungsmechanismus (EVAL) besteht aus den geordneten, gewichteten Beschränkungen. Er bewertet die Kandidaten und wählt den besten aus. Das heißt, er überprüft die Kandidaten hinsichtlich ihrer Grammatikalität. Dieser Teil soll nun im Mittelpunkt stehen, denn bei dem Bewertungsmechanismus handelt es sich um den Kernbereich der OT. Da die Beschränkungen geordnet sind, ergibt sich bei genauer Analyse der Situation immer ein Kandidat, der sich am wenigsten zuschulden kommen lässt, der also gegen die jeweils harmloseste Beschränkung verstößt. Er ist der optimale Kandidat. Der optimale Kandidat ist grammatisch, die übrigen sind ungrammatisch. 9.4.1 Straßenverkehr Müller (2000, 2002) demonstriert mit einem Beispiel aus dem Straßenverkehr die Funktionsweise der OT. Wir befinden uns im Auto und kommen an eine Kreuzung, gleichzeitig mit einem anderen Fahrzeug. Wer darf weiterfahren, wer muss stehen bleiben? Grundsätzlich gibt es bei Kreuzungen verschiedene Regelmöglichkeiten. Sie sind festgehalten in der Straßenverkehrsordnung. Am einfachsten ist die Ampellösung, weil klar ist, wer fahren darf. Aber nicht an jeder Kreuzung gibt es Ampeln. Wenn mehrere Autos an einer Kreuzung in verschiedene Richtungen fahren wollen und keine Ampeln haben, regeln andere Vorgaben die Vorfahrt. In etwaigen Zweifelsfällen muss einem Verkehrspolizisten am ehesten gefolgt werden, er darf alle anderen Vorgaben außer Kraft setzen, hierfür verwendet Müller (2002) das Kürzel V-P OL (Verkehrspolizist). Wenn Polizei oder Krankenwagen mit Blaulicht kommen, müssen alle anderen stehen bleiben, das ist damit die zweitwichtigste Vorgabe, Blaulicht-Einsatzhorn: B L -E IN . Die nächstrangierende Regelung kommt von der Ampel, Licht-Zeichen: L-Z EI . Dann, eine nicht ganz so häufige Situation, sind Verkehrszeichen an Fahrzeugen zu befolgen, etwa auf der Autobahn, wenn eine Spur geräumt wird, Verkehrszeichen A: V-Z EI (A). Erst danach ist den fest installierten Schildern Folge zu leisten, Verkehrszeichen B: V-Z EI (B). Etwas weniger wichtig ist die Situation zwischen Straße und Feld- oder Waldweg. Wer auf der Straße fährt, hat Vorfahrt, Straße vor Feldweg: S V F. Und schließlich, wenn keine der bereits erwähnten Situationen vorliegt, greift die Grundregel, die von allen anderen außer Kraft gesetzt werden kann, rechts vor links: R V L. Dies sind nun die Möglichkeiten, nach Wichtigkeit geordnet und die Reihenfolge graphisch durch >> dargestellt: V-Pol>>Bl-Ein>>L-Zei>>V-Zei (A)>>V-Zei(B)>>SvF>>RvL. Die jeweils linke setzt immer die rechts stehenden außer Kraft, denn oft kommen sie miteinander in Konflikt, etwa wenn ein Auto von rechts, das andere von links kommt, aber eine Ampel an der Kreuzung ist, oder wenn unser Ampellicht grün leuchtet, aber ein Polizist in der Kreuzung steht und uns gegenüber die Arme ausbreitet. Die Reihenfolge regelt, welche Anweisung zu befolgen ist. Solche Konfliktsituationen und ihre Lösung stellt die OT in Tabellen, den Tableaus, dar (Abb. 36). In der obersten Zeile sind Regeln mit abnehmender Wichtigkeit von links nach rechts angeordnet, in 151 9.4 Optimalitätstheorie der linken Spalte die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten, die Kanditaten. Für die zuletzt genannte Situation nun zählen einmal der Polizist, V-P OL , und einmal die Ampel, L-Z EI . Und die Rechts-Vor-Links-Lösung haben wir immer im Hinterkopf. Ein Auto rechts (Teilnehmer A) und wir links davon (Teilnehmer/ innen B) stehen vor der Ampel. Wir haben grün, aber der Polizist hebt uns gegenüber die Hand und breitet die Arme aus (Situation S 1 ). Die Lösungsmöglichkeiten in diesem Konflikt sind 1. A hat gegenüber B Vorfahrt. 2. B hat gegenüber A Vorfahrt. 3. Beide fahren gleichzeitig. Andere Lösungsmöglichkeiten, etwa B fährt rückwärts wieder weg oder beide parken etc., werden gar nicht erst in Betracht gezogen. Dass beide gleichzeitig fahren, verstößt gegen alle Regeln. Also wird immer ein Stern für Regelverletzung in die jeweilige Spalte eingetragen. Nun zur Lösung, bei der wir (B) fahren dürfen. Wir kommen aus Sicht des anderen Autos von links, also müssen wir deswegen halten, Sternchen. Die Ampel ist für uns grün, wir dürfen fahren, kein Sternchen. Der Polizist stoppt uns, Sternchen. Wenn A vor B fährt, würde er/ sie bei Rot fahren, also ein Sternchen, sich aber an die Rechts-vor-Links-Regel halten, kein Sternchen. Der Polizist erlaubt die Weiterfahrt, kein Sternchen. „Tödliche“ Regelverstöße, die jede andere Überlegung sofort abbrechen, werden mit dem Ausrufezeichen markiert. Das wäre in unserer Situation der Fall, wenn beide oder wir fahren würden. Insofern ist sofort klar, dass A fahren kann. Denn der Polizist setzt alle anderen Regelungen außer Kraft, er ist der wichtigste. S 1 V-P OL L-Z EI R V L A vor B * B vor A *! * A und B *! * * Abb. 36: Tableau 1 für die Situation S 1 A vor B ist also der optimale Kandidat. Um ihn zu markieren, verwendet OT das Zeichen für die zeigende Hand ( ). Gäbe es den Polizisten nicht, dürfte B fahren, weil gegen die Links-vor-Rechts-Regel zu verstoßen weniger zählt als unsere grüne Ampel. 9.4.2 Worttrennung Auf die Sprache bezogen macht OT einige Grundannahmen: Die Grammatik ist ein System von Beschränkungen. Sie sind verletzbar. Sie sind gewichtet. Es gibt mehrere mögliche Formen. Aber nur diejenige Form ist grammatisch, die diese gewichteten verletzbaren Beschränkungen am wenigsten verletzt. Geilfuß-Wolfgang (2007) bespricht ein Beispiel von Munske (1992). Angenommen, unsere Rechtschreibung gibt uns folgende Beschränkungen zur Worttrennung vor: Gleichschreibung von Morphemen (= M ORPHEM ): Morpheme sollen immer gleich geschrieben werden. Trennung von Geminaten (= T R -G EM ): Graphische Geminaten sollen getrennt werden. 152 9 Syntaxmodelle Übereinstimmung der Ränder (= R ÄNDER ): Die Ränder eines Trennsegments sollen denen von Wörtern entsprechen. Keine Trennung von Di- und Trigraphen (= Z U S -D IGR ): Mehrgraphe sollen nicht getrennt werden (Geilfuß-Wolfgang 2007: 35). Diese Beschränkungen haben unterschiedliche Geltungsbereiche, daher müssen sie nach Wichtigkeit sortiert werden. Die Bestimmung der Rangfolge ist daher der nächste Schritt: Grundlegende Beschränkung für deutsche Orthographie: M ORPHEM ausnahmsloser Geltungsbereich (außer n|g): Z U S -D IGR eingeschränkter Geltungsbereich (nur wenige, z.B. ll, mm, ff, nicht *schsch, *chch): T R -G EM nur eingeschränkter Geltungsbereich (bei|ßen, Li|vree sind möglich): R ÄNDER . Das ergibt die Rangfolge M ORPHEM >> Z U S -D IGR >> T R -G EM , R ÄNDER . Für das Tableau gilt nun, dass wir keine durchgezogene Linie benötigen, wenn zwei B eschränkungen gleich (un)wichtig sind. Unsere Frage betrifft die Trennung von ck. Um ein Wort mit ck zu trennen, gibt es grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten, Zuk|ker, Zuc|ker, Zu|cker. Einige andere, unplausible Möglichkeiten (Z|ucker, Zucke|r, Zuk|cer) ziehen wir erst gar nicht in Erwägung. Die neue Rechtschreibung sieht hier eine Regel vor. „§111: Stehen Buchstabenverbindungen wie ch, sch; ph, rh, sh oder th für einen Konsonanten, so trennt man sie nicht. Dasselbe gilt für ck“ (Geilfuß-Wolfgang 2007: 22). In dem Tableau 2 (Abb. 37) stehen relevante Beschränkungen wieder weiter links. Die Beschränkung links von einer durchgezogenen Linie ist wichtiger als die rechts davon. Inakzeptable Verstöße, die allein für sich einen Kandidaten ausscheiden lassen, heißen „tödlich“ bzw. fatal. Wir erstellen folgendes Tableau ck M ORPHEM Z US -D IGR T R -G EM R ÄNDER k|k c|k |ck Abb. 37: Tableau 2, leer, für die Trennung von ck (nach Geilfuß-Wofgang 2007: 37) Übungsaufgabe: Kennzeichnen Sie die Beschränkungen, gegen die eine Lösung verstößt, mit *, fatale Verstöße mit ! , den Gewinner („optimaler Kandidat“) mit der zeigenden Hand ! Lösung: Die Variante k|k verstößt gegen Z US -D IGR , den sie trennt ck. Sie verstößt gegen M ORPHEM , weil es zu verschiedenen Schreibweisen eines Morphems käme. Dies ist ein schwerwiegender, ein tödlicher bzw. fataler Verstoß, und er bekommt ein Ausrufezeichen. Die Lösung c|k verstößt hingegen gegen das etwas harmlosere Z US -D IGR , das aber fatal wirkt, und gegen R ÄNDER , weil -c kein Rand im Deutschen ist. Die Lösung |ck verstößt gegen die beiden weniger wichtigen T R -G EM , R ÄNDER , da ckkein möglicher Rand des Deutschen ist und laut T R -G EM eine Trennung erfolgen sollte. Da es sich um die harmlosesten Verstöße handelt, ist die letzte Lösung die am wenigsten schlechte bzw. relative beste und damit die optimale Lösung. Sie ist unser Kandidat (vgl. Abb. 38). 153 9.4 Optimalitätstheorie ck M ORPHEM Z US -D IGR T R -G EM R ÄNDER k|k *! * c|k *! * |ck * * Abb. 38: Tableau 2, ausgefüllt, für die Trennung von ck (nach Geilfuß-Wofgang 2007: 37) 9.4.3 Syntax Eine der wichtigsten Regeln für das Deutsche ist, dass der Verbzweitsatz ein Subjekt haben muss (vgl. im Folgenden Businger 2012: 153ff.). Dies gilt z.B. für einige romanische Sprachen nicht. Im Italienischen kann es fehlen, vgl. Ha cantata / Er hat gesungen. Diese Regel kann auch anders formuliert werden, nämlich, dass das Topik, das, worüber gesprochen wird, nicht versprachlicht werden muss. Es handelt sich also um zwei unterschiedliche Beschränkungen. Sätze haben ein Subjekt: S UBJEKT Topiks werden nicht versprachlicht: T OPIK T ILGUNG . Diese beiden Regelungen konkurrieren, und das Deutsche und das Italienische wählen je eine andere Lösung, indem das Deutsche S UBJEKT höher gewichtet und das Italienische T OPIK T ILGUNG . Das ergibt für das Deutsche S UBJEKT >> T OPIK T ILGUNG und das Tableau 3 (Abb. 39): S UBJEKT T OPIK T ILGUNG Er hat gesungen * Hat gesungen *! Abb. 39: Tableau 3 (Businger 2012: 156) Das nächste Beispiel stammt wieder von Müller (2002). Im deutschen Ergänzungsfragesatz muss ein Fragewort ganz vorn stehen, vgl. wer, welcher, wie. Das nennt er die F-R EGEL (Fragesatz-Regel). Es können aber auch Teile der Verbalphrase im Mittelfeld stehen, das wäre die M-R EGEL (Mittelfeld-Regel) (die generativen Ansätzen ordnen bei einer frühen Trennung eines Satzes in NP und VP die Objekte der VP zu). Objekte können natürlich prinzipiell im Mittelfeld stehen. Was aber ist, wenn die beiden Beschränkungen kollidieren, wenn das Fragewort ein Objekt ist? Die F-R EGEL ist die wichtigere von beiden. Wir wissen, dass Objekte auch beispielsweise ins Vor- oder Nachfeld rücken können. Es heißt nicht *Ich frage mich, dass er wem das Buch gegeben hat. Das Tableau sieht wie folgt aus: F-R EGEL M-R EGEL ... wem er das Buch gegeben hat * ... dass er wem das Buch gegeben hat *! Abb. 40: Tableau 4 (nach Müller 2002: 15) 154 9 Syntaxmodelle Was passiert, wenn es in einem Satz zwei Fragewörter gibt? Die F-R EGEL würde beide nach vorn stellen wollen. Das ergäbe aber wieder einen falschen Satz, nämlich *Ich weiß nicht, wem welches Buch er gegeben hat. Jetzt führt Müller (2002) eine weitere Beschränkung ein, die noch wichtiger ist als die anderen beiden, die Vorfeld -Regel (V-R EGEL , Müllers Felder-Begriff ist generativ orientiert und weicht von dem in Kap. 9.2 vorgestellten ab). Sie bezieht sich darauf, dass im Vorfeld nur ein Satzglied stehen darf. Wir erweitern das Tableau V-R EGEL F-R EGEL M-R EGEL ... dass er wem welches Buch gegeben hat *! ... wem er welches Buch gegeben hat * * ... wem welches Buch er gegeben hat *! ** Abb. 41: Tableau 4 (nach Müller 2002: 15) Die doppelten Sternchen deuten an, dass die dritte Lösung die M-R EGEL zweifach verletzt. Die OT ist noch relativ jung, und nicht alle Problembereiche konnten in den verschiedenen Arbeiten ausdiskutiert, geschweige denn behoben werden, obwohl sich schnell viele Wissenschaftler/ innen mit dieser Theorie beschäftigten. Einige Kritikpunkte sind anfangs bereits angesprochen worden. Weitere betreffen die Beschränkungen. Es wird in den Arbeiten zur OT nicht immer klar, woher sie kommen . Inwiefern sind sie natürlich und aus dem Funktionieren der Sprache ableitbar? Zum Beispiel haben alle Sprachen Vokale und Konsonanten. Inwiefern sind sie doch wieder aus der jeweiligen Analysesituation entstanden? Aufgrund der ausgeprägten Flexion, der Satzklammer und der vielen, noch nicht endgültig erfassten Serialisi erungsmöglichkeiten in deutschen Sätzen ist schnell klar, dass der Evaluierungsapparat sehr viele Beschränkungen verwenden und sehr viele Kandidaten ansehen muss, um komplexe Sätze bewerten zu können. Sollen die Bewertungskriterien dann auch noch international gültig sein, erweist sich der OT-Ansatz als Beschreibungsmodell als etwas schwerfällig. Dies kann insgesamt für die universell ausgerichteten Theorien festgestellt werden. Sie geraten schnell zu komplex und unübersichtlich und fangen trotzdem nicht alle Feinheiten des Deutschen auf. Der Punkt, an dem die Darstellung unübersichtlich wird (vgl. die Bilder in Tesnière 1959/ 1980: 233, 235) und den Nutzen übersteigt, ist schnell erreicht. Darum ist für die exakte Beschreibung des Deutschen die traditionelle Methode mit später auf das Deutsche ausgerichteter Spezialisierung immer noch die übersichtlichste Lösung. Als alternative Denkmodelle und als Vorschlag, Sprachstruktur universalistisch aufzufassen, eignen sich hingegen die generativen Grammatiken deutlich besser. Zahlreiche weitere Syntaxbzw. Grammatikmodelle konnten hier nicht vorgestellt werden, beispielsweise die Kategorialgrammatik, die Montague-Grammatik, die role and reference grammar, verschiedene generative Modelle oder den generativen nahestehende Modelle, die teilweise auch mit Gewichtungen arbeiten (vgl. die Überblicksdarstellungen in Lehmann 1981b, Schlobinski 2003, Müller 2010). Zur Kognitiven Linguistik vgl. Kapitel 13, zur Konstruktionsgrammatik Kapitel 14. 155 9.4 Optimalitätstheorie Einige Wichtige Werke Tesnière, Lucien 1959. Élements de syntaxe structurale. Paris. (1980, Grundzüge der strukturalen Syntax. Herausgegeben und übersetzt von Ulrich Engel, Stuttgart). Zum Weiterlesen Eine sehr ausführliche Abhandlung über die Wortarten und andere syntaktische Kategorien stammt von Rauh (2011). Interessante Überlegungen zum Thema Subjekt im Deutschen stellt Reis (1982) an. Eine Überblicksdarstellung über die Stellungsfelder des Deutschen und alle damit zusammenhängenden Besonderheiten bieten Altmann/ Hofmann ( 2 2008). Von Àgel (2000) kommt eine neuere Einführung in die Valenztheorie, daneben gibt es noch Welke (1988), Helbig (1982) und Weber (1997). Dependenzgrammatiken des Deutschen schrieben u.a. Ulrich Engel, Hans- Werner Eroms oder Hans Jürgen Heringer, für einen Überblick vgl. Eroms (1985, 2003). Die Handbücher von Ágel et al. (2003, 2006) beschäftigen sich ausführlich mit den verschiedensten Aspekten von Valenz und Dependenz, in knapper Form dazu auch Weber (2001). Einführungen in die Syntax mit unterschiedlich theoretischer Ausrichtung stammen u.a. von Pittner/ Berman (2013) oder Pafel (2011). Überblicksdarstellungen zu Syntaxbzw. Grammatikmodellen gibt es z.B. von Schlobinski (2003) und Dürscheid (2012), zu den generativen Modellen Jungen/ Lohnstein (2007) und Müller (2010), zu Syntax in der OT Legendre et al. (2001), zu Problemen und Grenzen der OT Müller (2000). 10 Soziolinguistik - von der Theorie zur Disziplin 10.1 Praktische und theoretische Vorläufer Dass nicht nur die lateinische Sprache, sondern auch das Deutsche einen Wert hat und dass es eine Volkssprache gibt, die zu respektieren ist, war im 16. Jahrhundert noch ein ganz neuer Gedanke. Er verbreitete sich aber dank Luther immer mehr bei uns. Auf der einen Seite wurden dann gesellschaftliche Einflüsse auf Sprache bzw. Sprache als gesellschaftliches Problem häufiger angesprochen, auf der anderen Seite immer wieder auch sprachliche Variation festgestellt. Diese beiden Gesichtspunkte sind grundlegend für die Soziolinguistik, deren gedankliche Wurzeln schon in der Antike zu finden sind, die Etablierung als Forschungsrichtung jedoch jüngeren Datums ist. Der Begriff Soziolinguistik selbst geht auf einen von Haver C. Currie 1949 gehaltenen Vortrag zurück (Lehmann 1981a). Hugo Schuchardt (1842-1927), Hermann Paul und vor allem Georg von der Gabelentz, aber auch Baudouin de Courtenay hatten bereits Variation im Zusammenhang mit soziokulturellen Faktoren und Sprachwandel gesehen. Meillet verstand Sprache ausdrücklich als ein soziales Phänomen und die Linguistik als eine Gesellschaftswissenschaft, deswegen sollte Sprachwandel auf der Basis sozialen Wandels untersucht werden. Er fasste außerdem Variation mit als Quelle für den Sprachwandel auf. In den U.S.A meinte Whitney Anfang des letzten Jahrhunderts, dass Sprache nicht im Individuum, sondern in der Gesellschaft verankert sei. Menschen sprechen, um ihre Gedanken anderen mitzuteilen und gehorchen dabei sozialen Bedürfnis sen (Whitney 1867/ 1884: 404). Soweit waren einige Überlegungen zum Zusammenhang von Sprache und Gesellschaft schon angestellt worden. Die Dialektgeographie in Deutschland arbeitete bereits im 19. Jahrhundert empirisch, dass heißt, Sprecher/ innen wurden befragt, es gab nicht nur die Studien am Schreibtisch. Einer der Ausgangspunkte war die Überprüfung der Lautgesetze gewesen. Aber es galt auch, die Dialekte in ihrer Ausbreitung näher zu untersuchen. Georg Wenker (1852-1911) führte als Erster großangelegte systematische Erhebungen durch. Er verschickte 1876 für seine Arbeit am Deutschen Sprachatlas Fragebögen zunächst in der Gegend um Düsseldorf, um die Trennlinie zwischen dem Niederdeutschen und dem Hochdeutschen festzustellen. Seine ursprünglich 40, dann 42 hochdeutschen „Wenker-Sätze“ (z.B. Er isst die Eier immer ohne Salz und Pfeffer) wurden in den Folgejahren von Lehrer/ innen im ganzen Deutschen Reich auf schriftlicher Basis „übersetzt“ und bildeten die Grundlage der Einteilung der Dialekte anhand lautlicher und morphologischer Kriterien. Genaue Grenzen ließen sich allerdings nicht finden. Und dann stellte er eine weit größere Variation, auch innerhalb der Dialekte, als eigentlich angenommen fest - weder die Sprache noch die Dialekte waren in sich homogen, so wie das die Junggrammatiker gedacht hatten. Wegener (1879) legte ebenfalls großen Wert auf empirische Grundlagen. Er warnte ausdrücklich davor, Schlussfolgerungen zu ziehen, ohne den wirklichen Gebrauch der Formen und Laute zu beobachten. Er sah die Dialekte noch ganz aus historischer Perspektive, erkannte aber bereits die Sprachvariation, die regional, aber auch stil -, schichten- und bildungsbedingt ist, und gab methodologische Hinweise für die Datensammlung. Nun kam es vermehrt zu Untersuchungen von Dialektsprecher/ innen oder wie bei Friedrich Kluge von verschiedenen Berufsgruppen, auch in anderen europäi- 158 10 Soziolinguistik - von der Theorie zur Disziplin schen Ländern, mit verbesserter oder alternativer Methodik und einigen Fortschritten in der Feldforschung. Aber freie Variation wurde wie schon in der Prager Schule nach wie vor als ungeordnet und willkürlich aufgefasst. Die grundlegenden Gedankengänge und gewisse methodische Voraussetzungen, die später in der Soziolinguistik relevant werden sollten, waren also gegeben, hauptsächlich in Europa, nur nicht im Zusammenhang und auch nicht als Theorie. Aber es fehlte ein einheitlicher Erklärungsrahmen für die bisher nur punktuell angesproch enen Beobachtungen und Vermutungen. 10.2 Bildungsschicht und sprachlicher Code In Großbritannien setzte sich Ende der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts Basil Bernstein (1924-2000) mit möglichen Zusammenhängen zwischen sozialer Gruppe und Sprachausprägung auseinander. Denn offenbar sind Mitglieder einer solchen Gruppe anhand „ihrer“ Sprache zu erkennen (vgl. u.a. Bernstein 1971, 1973, 1975). Er konzentrierte sich auf Kinder aus der Arbeiterschicht und der Mittelklasse. Vertreter/ innen der untersten Schichten steht ein weniger ausgefeiltes Sprachsystem zur Verfügung, das ein Versprachlichen komplexer Inhalte verhindert und dadurch eine hemmende Wirkung auf das Sprechen hat. Dabei korrelieren Sprechweisen und soziale Klasse, nicht jedoch Intelligenz (Bernstein 1958, 1960). Außerdem kommt es zu Auswirkungen auf das Verhalten und auf die kognitive Entwicklung. Bernstein trennte zwischen Sprache mit den etablierten Strukturen und Sprechen mit den unterschiedlichen Realisierungsmöglichkeiten, die sozial bestimmt sind. Die unterschiedlichen gesellschaftlichen Strukturen erzeugen unterschiedliche sprachliche Codes, die wiederum auf das weitere sprachliche Planen einwirken. Ein Kind, dem mehrere solcher Codes zur Verfügung stehen, hat mehr Reaktionsmöglichkeiten zur Auswahl. Bernstein ging von zwei Sprachausprägungen aus, die er restringierten und elaborierten Code nannte. Der elaborierte Code ist geprägt von größerer grammatischer und lexikalischer Vielfalt. Er erleichtert es den Sprachnutzer/ innen, Gedanken präzis auszudrücken. Welcher Code gewählt wird hängt von der Sprechsituation, nicht, das betonte Bernstein immer wieder, von der Intelligenz ab. Der restringierte Code wird stark unterstützt durch Intonation, Gestik und den unmittelbaren Gesprächszusammenhang. Er ist konkret, narrativ und beschreibend, während der elaborierte Code analytisch abstrakt ist. Als Beispiel führt Bernstein (2005: 1292) eine Untersuchung mit siebenjährigen Kindern aus beiden Schichten an, die Bilder mit Nahrungsmitteln sortieren sollten. Sie gaben unterschiedliche Gründe für ihre Lösungen an. Die Unterschichtkinder erklärten ihre Sortierung aus der täglichen Erfahrung heraus, beispielsweise „Das essen wir zum Frühstück“ , „das macht Mama“ oder „das mag ich nicht“, während die Mittelschichtkinder meinten „das ist Gemüse“, „sie beinhalten Butter“ oder „sie kommen aus dem Meer“. Auf die Frage, ob andere Begründungen möglich seien, konnten die Mittelschichtkinder auch die B egründungen der Unterschichtkinder liefern. Denn der restringierte Code steht allen Mitgliedern der Gesellschaft zur Verfügung, bestimmten Gruppen jedoch ausschließlich, und genau das war für Bernstein das eigentliche Problem. Die Gruppen, die rein mit dem restringierten Code kommunizieren, sind am ehesten in der unteren Arbeiterklasse zu finden. Sie leben in relativ geschlossenen sozialen Netzwerken, daher kann die Ausdrucksweise implizit bleiben, mit festgefügten Rollen, die wenig sprac hlichen Austausch hervorrufen, und mit einem autoritären Erziehungsstil, der mit we- 159 10.2 Bildungsschicht und sprachlicher Code nig argumentativer, eher befehlsorientierter Redeweise einhergeht, die wieder ohne Erklärungen und Ausführungen auskommt. Dieser Code wird den Ansprüchen des Bildungssystems jedoch nicht gerecht. Die Kinder der Arbeiterklasse profitieren daher nicht in gleichem Maße vom Schulsystem, und es bereitet sie nicht genügend auf die Anforderungen des Erwachsenenlebens vor. Bernstein betonte, dass die beiden Codes gleich gut seien, dass aber die Gesellschaft sie unterschiedlich bewerte. Weil das alleinige Beherrschen des restringieten Codes sehr wahrscheinlich zu Schul - und Sozialisierungsproblemen führt, formulierte Bernstein seine Defizithypothese und forderte entsprechend zusätzliche Bildungsmaßnahmen für die Arbeiterschicht. Von seinen Untersuchungsergebnissen erwartete er sich Verbesserungen in der Erziehungspraxis - Bernstein war Soziologe und suchte nach einer Theorie des sozialen Lernens, für die der Sprache eine Schlüsselposition zukommt (Bernstein 1964). Mit seinen Forschungen zu systematischen Zusammenhängen zwischen Sprache und Gesellschaft gilt er heute als einer der Begründer der Soziolinguistik. Die Defizithypothese wurde etwas später durch Labovs Differenzhypothese abgelöst, die die verschiedenen Sprachausprägungen als gleichwertig, aber funktional unterschiedlich bestimmte. Er zeigte anhand von Gesprächsausschnitten, dass Kinder aus verschiedenen Schichten inhaltlich ebenbürtig, jedoch argumentativ anders vorgingen. Die Debatte um die Defizit- und die Differenz-Hypothese zog weite Kreise, und Bernstein wies die Kritik später zurück. Das Argument, dass in Labovs Ausschnitten die Sprachausprägungen für gleichwertig befunden wurden, konnte seine nun als code theory bezeichnete These nicht entkräften, da er immer die Ausprägungen als gleichwertig angesehen hatte. Vielmehr liegt ein Defizit darin, dass Arbeiterkinder nur ihren einen Code beherrschen, und das wurde von Labov nicht untersucht (u.a. Bernstein 2005). Insofern lief die Kritik an Bernsteins eigentlicher Argumentation vorbei. Auch einen anderen Vorwurf wollte er korrigiert wissen. Sein restringierter Code war häufig mit Dialekt gleichgesetzt worden und dann auch der Dialekt mit defizitäterer Sprache. Bernstein (2005) betont ausdrücklich, dass seine Codes keine Varietäten sind und dass die Code-Theorie nichts mit Dialekt- oder anderen Untersuchungen zu tun hat. Vielmehr ging es ihm immer darum, die Zusammenhänge zwischen Machtstrukturen, sozialer Schicht und Sprache zu zeigen. In Deutschland riefen seine Arbeiten heftige Reaktionen auf sprachwissenschaftlicher und politischer Ebene hervor. Aufgrund der „Bildungsmisere“, nach der zuwenig Schüler/ innen der unteren Schichten Abitur und Hochschulabschlüsse erreichten, finanzierte der deutsche Staat zahllose Weiterbildungsprogramme und investierte in Forschung an den Universitäten. Wenn Kinder aus den Unterschichten wegen ihres restringierten Codes eine Sprachbarriere entwickeln, muss dies mit Zusatzbetreuung schon im Kindergarten ausgeglichen werden. Die Sprachtrainingsprogramme aber hatten eher negative psychologische Konsequenzen, unter anderem auch, weil Grun dlagenforschung fehlte, während gleichzeitg die Sprachbarrierenproblematik zu lange zentraler Gegenstand der deutschsprachigen Soziolinguistik blieb (Löffler 2010). Allerdings haben aber in Deutschland viele Untersuchungen die Schulschwierigkeiten aufgezeigt, die gerade Dialektsprecher/ innen zeigen (vgl. Ammon 2006). 160 10 Soziolinguistik - von der Theorie zur Disziplin 10.3 Empirische Grundlagen sprachlicher Heterogenität Bernstein ist nicht der einzige wichtige Name für die Soziolinguistik. Mindestens genauso bedeutend ist William Labov, ein Schüler Uriel Weinreichs. Im Gegensatz zu Bernstein aber war Labov zwar ursprünglich Chemiker und damit Naturwissenschaftler, vor allem aber Linguist und mit der damaligen Diskussion um Langue/ Kompetenz und Parole/ Performanz vertraut. Seine Arbeiten hatten auch deswegen so viel Erfolg, weil er der weit verbreiteten Unzufriedenheit mit der Chomsky’schen idealen-homogenen Sprachgemeinschaft Alternativen entgegenzustellen versprach. 10.3.1 Gesellschaftspolitische Vorbedingungen In den U.S.A. gab es seit einiger Zeit das anthropologisch-ethnologisch verwurzelte Thema der sprachlichen Relativität. Sie ließ grundsätzlich Einflüsse von nichtsprachlichen Faktoren auf die Sprache zu und erkannte einen Zusammenhang zwischen Sprache und Denken an. Diesen Zusammenhang sah ja auch Bernstein und verband damit die Schlussfolgerung, kognitive Defizite über sprachliche Maßnahmen ausgleichen zu können, praktisch also gezielte Sprachförderung der Unterschichtkinder, um auch die kognitiven Leistungen zu verbessern. Dies alles waren zunächst Thesen, die es zu beweisen galt. Aber überhaupt sprachliche und nicht-sprachliche Zusammenhänge zuzulassen, bedeutete eine wichtige Voraussetzung für die soziolinguistischen Fragestellungen, die bald schon politische Brisanz entwickeln sollten. In den U.S.A. kam es nämlich nach dem zweiten Weltkrieg zu größeren gesellschaftlichen Umschichtungen, als immer mehr Farbige in die Städte drängten, was zu Gettobildung und zu Konflikten führte. Und die, das sahen die Politiker/ innen sehr wohl, schienen auch sprachlich begründet. In Schulen und Behörden kam es zunehmend zu Verständigungsproblemen und Überforderung (Dittmar 1997: 44). Das gesellschaftspolitische Interesse an Sozialforschung, vor allem an der sprachlichen Perspektive, war groß. Soziolinguistische Forschung wurde gefördert in der Hoffnung auf Lösungsmöglichkeiten. In diesem Klima entwickelte Uriel Weinreich seine Ideen zu Mehrsprachigkeit und Sprachkontaktsituationen. Er und dann auch Joshua Fishman erarbeiteten die Grundlagen der Sprachsoziologie. Es entstand eine Stadtsprachenforschung, die die europäischen Dialektforschungen um eine neue Dimension erweiterte, die der sozialen Schicht. Aber wie auch schon zu Whorfs und Sapirs Zeiten galt es, Minderheiten mit eigenen Sprachen zu integrieren. Nicht nur Schichten, auch Volksgruppen treffen in den Städten aufeinander und verstehen sich nicht. Das bedeutete weiteren Bedarf an anthropologisch-ethnologisch ausgerichter Sprachwissenschaft. In dieser Hinsicht beschäftigte sich John Gumperz gezielt mit der Kontaktsituation im Mikrobereich, mit der Kommunikation zwischen verschiedenen Menschen und suchte damit konversationsanalytische Fragestellungen zu beantworten. Daher wird diese Untersuchungsperspektive auch als Mikrosoziolinguistik bezeichent im Gegensatz zur Makrosoziolinguistik mit ihrem Fokus auf größere Gruppen (Trudgill 2004). Aus den gesellschaftspolitischen Problemen heraus entwickelte sich so in den U.S.A. eine Soziolinguistik mit unterschiedlichen Schwerpunkten, Sprachkontakt und Mehrsprachigkeit, Ethnolinguistik und Diskursbzw. Konversationsanalyse. Aber es gab noch einen vierten Fokus. 161 10.3 Empirische Grundlagen sprachlicher Heterogenität 10.3.2 Feldstudien Während Weinreich eher theoretische Fragestellungen beschäftigten, setzte sein Schüler Labov die Ideen in die Praxis um. Wohl wissend, dass die in Europa entwickelten Methoden zur Dialektforschung nicht ausreichten, arbeitete er die Feldforschung weiter aus. Denn ihn beschäftigte die soziale Ungleichheit der Farbigen in den Städten, die auch er sprachlich (u.a.) begründet sah. Er setzte zunächst die soziale Schicht, dann auch die Situation als möglichen einflussnehmenden Faktor auf eine Sprachausprägung an. Um seine Ideen zu überprüfen, waren viele und vor allem reale Daten nötig. Er musste die gängige, aus Europa bekannte Feldforschung dazu entsprechend anpassen und auch einen Bogen zur damals vorherrschenden linguistischen Theorie schlagen. Was seine Vorgänger/ innen aus Strukturalismus und generativer Grammatik anging, hatte er denn auch gleich mehrere Kritikpunkte anzuführen. Zum Einen wandte er sich dagegen, dass sie die sozialen Faktoren gar nicht oder nur am Rande interessierten, aber diesen Vorwurf konnte er schon Paul oder verschiedenen Vertretern der Prager Schule machen. Zum anderen aber wandte er sich gegen die Betrachtung von Langue oder Kompetenz losgelöst von den Sprachbenutzer/ innen, also gegen strukturalistische und generative Grundannahmen, denn das führt dazu, eine Sprechergemeinschaft als homogen, ja idealisiert hinzustellen, was dann genau ein Sprachsystem ergibt, das automatisch allen zur Verfügung steht. Was aber ist mit Variation? Hierher gehört weiterhin Labovs wiederholt vorgetragener Vorbehalt gegen Introspektion, gegen die eigene Sprachintuition als Grundlage der Sprachbetrachtung, was die meisten seiner Vorgänger/ innen, vor allem aber die Vertreter/ innen der generativen Richtungen betrifft. Niemand macht sich die Mühe, den Menschen beim Sprechen tatsächlich zuzuhören. Stattdessen werden eigene und natürlich passende Beispiele angeführt, um die Thesen zu untermauern oder gar zu beweisen. Die Sätze bewerten die jeweiligen Artikelschreiber/ innen als grammatisch oder ungrammatisch, und dies dient als Basis für die Sprachbetrachtung und die Theorie. Labov führte deswegen eine Untersuchung von 150 Beispielssätzen aus generativen Arbeiten mit 60 Versuchspersonen an, die ergab, dass knapp ein Drittel der Beispielssätze anders als von den jeweiligen Autor/ innen bewertet wurden. Da die sogenannte Sprecherintuition der anvisierten Grammatikalität und damit dem propagierten Sprachmodell angepasst wird, erscheint es nur natürlich, dass die generative Grammatik mit eleganten und aufschlussreichen Modellen der Sprachstruktur aufwarten kann (Labov 1972a: 199). Und das Gegenargument überzeugte ihn keinesfalls. A linguist who finds that others disagreee with him about whether or not [a sentence] means the same as [another sentence] will defend his own reactions as , my dialect ‘ , and claim that the theory must account at least for the , facts ‘ of his dialect“ (Labov 1972a: 198). Wer sich aber die Sprachfakten ansieht, wird feststellen, dass weder intuitive Urteile noch die postulierte Homogenität der Sprache der Realität entsprechen. Und genauso erweist sich die Behauptung der generativen Grammatik als unhaltbar, die Sätze der Alltagssprache seien im Wesentlichen ungrammatisch und defektiv. Bei genauer Betrachtung und unter Berücksichtigung von Ellipsenregeln gilt dies für gerade mal 2 % der Äußerungen (Labov 1972a: 203). Er forderte also, Behauptungen und Intuitionen durch die Analyse möglichst vieler und vor allem realer Daten zu ersetzen. 162 10 Soziolinguistik - von der Theorie zur Disziplin Weiterhin stellte er sich gegen die Vorstellung, Regeln greifen oder greifen nicht, da er nicht von Entweder-oder-, sondern von Mehr-oder-weniger-Lösungen ausging. Labovs Kritik richtete sich aber nicht nur gegen intuitiv passende Sätze, sondern auch gegen Texte, Fragebögen und elizitierte oder experimentell erhobene Daten als Grundlage der Sprachbeschreibung, weil sie zu unnatürlichen, durch die Erhebung sart beeinflussten Ergebnissen führen. Als Ergänzung verbesserte er die methodischen Grundlagen, um an spontane, natürliche Daten zu gelangen. Ihm kamen dabei Fortschritte in der Aufnahmetechnik zu Hilfe, die es nun ermöglichten, viele Sprachdaten in verbesserter Qualität aufzunehmen und zu speichern. Labovs Arbeiten galten in den U.S.A. damals als grundlegend für moderne empirische Verfahrensweisen und als Meilenstein der Feldforschung. Ein weiteres Problem sah Labov bei den bisher als frei postulierten Varianten, denn es hatte ja durchaus Sprachwissenschaftler gegeben, die ohne die Unterscheidung von Langue und Parole ausgekommen waren, Paul oder Trubetzkoy zum Beispiel. Sie hatten Sprachvariation erkannt, sie aber als unsystematisch und beliebig verstanden. Hier vermutete Labov aber System. Er glaubte, dass Varianten nicht zufällig bei jeder/ m in jeder Situation auftreten, sondern dass es Gründe dafür geben müsse. Diese Gründe suchte er bei sozialen Faktoren wie Alter, sozialer Schicht oder ethnischer Herkunft. Er wollte über den Einbezug nicht-sprachlicher Variablen Ordnung bei den Varianten finden, die sozialen Variablen erhielten so einen funktionellen Stellenwert. Labov machte es sich in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts zur Aufgabe, systematische Korrelationen zwischen sprachlichen Varianten und sozialen Variablen zu finden. Er untersuchte Sprache im sozialen Kontext, und er wurde fündig. Die Erkenntnis, dass natürliche Daten nötig sind, um Aussagen über Sprache machen zu können, prägte Labovs Herangehensweise nachhaltig. Er hatte dabei aber ein ganz bestimmtes Thema im Auge, und zwar, Sprachwandel nicht aus der historischen Perspektive heraus, sondern im Werden zu verstehen („change in progress“), war doch Sprachwandel in junggrammatischer Tradition auf Lautgesetze oder zumindest Analogie zurückzuführen. So kamen funktionale Gesichtspunkte von Sprache, genauer, von Sprechen in die Diskussion. Wenn Sprache nicht mehr rein immanent, nur als in sich geschlossenes System gesehen wird, öffnet sich dieses System nach außen, nicht-sprachliche Faktoren gewinnen an Gewicht, und es stellt sich die Frage nach einem Zusammenhang, warum welche sprachliche Form wann von wem wie benutzt wird. Aber auch der einzelne Sprecher, die einzelne Sprecherin wird dann wichtig, nicht mehr das theoretische System, das wir alle in den Köpfen haben. Die Vorstellung, soziale Faktoren hätten einen Einfluss auf die Sprachwirklichkeit, war nicht ganz neu. Neu hingegen war die Überzeugung, sprachliche und soziale Faktoren würden korrelieren und in einem systematischen Zusammenhang stehen. Neu war es ebenfalls, soziale Gründe für Sprachwandel anzunehmen. Neu waren darüber hinaus die technischen Möglichkeiten, Tonbandaufnahmen zu machen und wesentlich mehr und zuverlässiger Daten zu erheben und zu speichern. Labov verdankte seinen Erfolg mit dem technischen Fortschritt, wie er selbst betonte. 1961 hatte Labov für seine Magisterarbeit auf der Insel Martha’s Vineyard (Massachusetts, U.S.A.) und 1962 im Rahmen seiner Dissertation in New York Feldstudien durchgeführt, die er 1972 in einem größeren Werk noch einmal veröffentlichte und in einen umfassenden theoretischen Zusammenhang brachte. Auf Martha’s Vineyard wollte er zunächst einmal die Verteilung der Ausssprache der Diphthonge ermitteln, zu der es bereits sprachwissenschaftliche Informationen über frühere Stadien gab. Als 163 10.3 Empirische Grundlagen sprachlicher Heterogenität Ausgangspunkt dienten im Wesentlichen Interviews von 69 Sprecher/ innen, die ungefähr 1 % der Gesamtbevölkerung ausmachten und die zu 3.500 / ai/ - und 1.500 / au/ - Beispielen führten. Eine zentralere Ausssprache der Diphthonge war offenbar mit der Haltung in Verbindung zu bringen, sich mit den Einheimischen zu identifizieren. Da sich die unterschiedlichen Alters- und ethnischen Gruppen mit verschiedenen Anforderungen an ihren nativen Status konfrontiert s ahen, folgte die Zentralisierung der Aussprache nicht linear und nach einer einzelnen Variable, sondern nach ineinandergreifenden Faktoren, die aber insgesamt der Einstellung der Sprecher/ innen ihrem Heimatort gegenüber entsprachen. Die neue Aussprache befand sich auf dem Weg, zu einer Norm zu werden, und diese Entwicklung war sozial begründet. Als weiteres Ergebnis der Studie aber erwies es sich, dass sich die Sprecher/ innen einer zentraleren Aussprache nicht bewusst waren (Labov 1972a: 40). Labov sah selbst einige Unzulänglichkeiten bei den Vorgehensweisen, die er darum in der Folgestudie verbesserte. In New York stand die Verteilung der r-Aussprache im Mittelpunkt, einerseits allein im Auslaut wie in floor engl. , Stockwerk ‘ , andererseits im Auslaut vor Konsonant wie in fourth engl. , vierte/ r ‘ . Labov und seine Mitarbeiter/ innen erkundigten sich bei Angestellten in drei großen Kaufhäusern, in denen Vertreter/ innen von drei verschiedenen sozialen Schichten einkaufen, danach, wo die Frauenschuhe verkauft würden, um die Antwort „viertes Stockwerk“ zu erhalten. Anschließend taten sie so, als ob sie nicht richtig verstanden hätten und wiederholten die Frage, um nun die Antwort mit sorgfältigerer, betonter Aussprache zu bekommen. In der vierten Etage hieß es im Übrigen „Auf welchem Stockwerk befinden wir uns hier? “ So erhielten Labov und seine Mitarbeiter/ innen in einer kurzen und zwanglosen Situation natürliche Daten. Die Untersuchung ging davon aus, dass sich die Angestellten den Aussprachegewohnheiten der Kundschaft anpassen würden. Die Frage war, ob sich die Lautvarianten in der sozialen Schichtung widerspiegeln. Zusätzlich konnte der Faktor zwanglose und betonte Aussprache mit in die Bewertung einfließen - die für uns heute selbstverständliche Erkenntnis, dass ein Mensch nicht nur einen Stil beherrscht, war damals noch neu. Entsprechend sollten sich die Ergebnisse nach sozialen und stilistischen Aspekten betrachten lassen. Die Aussprache mit r erwies sich als moderne Prestige- Variante, die eine neue Identität der New Yorker/ innen ausdrückt bei gleichzeitiger Abgrenzung zu der früheren vokalischen Aussprache der Neuenglandstaaten. Die verschiedenen Gruppierungen empfinden den Wechsel von der früheren vokalischen Prestige-Aussprache zur modernen r-Variante unterschiedlich stark. Deswegen kommt die ursprüngliche vokalische Aussprache beispielsweise mehr bei den älteren Sprecher/ innen vor, die noch am alten Standard festhalten. Ursprünglich kam die vokalische Variante aus Großbritannien. Labov (1972a) feilte zugleich an seinem theoretischen Rahmen, denn was die soziale Ebene angeht, ist es meist ein ganzes Faktorengeflecht, das mit Sprachvariation in Zusammenhang steht und das es aufzulösen gilt. Eine Variable ist soziolinguistisch, wenn sie mit einer nicht-sprachlichen, gesellschaftlich definierten Variable korreliert. Einige sprachliche Merkmale sind regelmäßig innerhalb von Gruppen verteilt, die über Einkommen, Alter oder ethnischen Hintergrund bestimmt werden. Wenn die sozialen Kontexte hierarchisch angeordnet werden können, sind sie geschichtet. Die höher entwickelten soziolinguistischen Variablen sind nicht nur nach sozialen Faktoren verteilt, sondern auch nach stilistischen. Je nachdem, wieviel Aufmerksamkeit nämlich eine Sprecherin, ein Sprecher dem aktuellen Sprechen widmet, ergibt sich auch eine stilistische Schichtung. Dabei betrifft soziale Variation Gruppen, stilistische 164 10 Soziolinguistik - von der Theorie zur Disziplin Variation auch einzelne Sprecher/ innen. So mancher Sprachwandel beginnt bei einer bestimmten sozialen Gruppe, die eine Sprachvariante verwendet. Ihre sozialen Werte werden auf die Variante übertragen. Die Werte verschwinden, wenn die Variante Allgemeingut geworden ist. Aber nicht jede Variation führt zu einem Wandel, und es stellt sich die Frage, warum nicht irgendwann jeder die hoch angesehene Variante spricht. Die Antwort, so Labov, ist einfach, weil das nicht jede/ r will, denn es gibt immer Gruppierungen, die sich bewusst vom höheren Standard abgrenzen, so die Unterschichtangehörigen in Harlem (Labov 1972a: 313). Später wurde das empirische Vorgehen weiter verbessert. Für die Linguistik erwiesen sich Labovs Untersuchungen als wegweisend, weil er versuchte, Sprachdaten möglichst objektiv und möglichst ohne Einflüsse durch die Aufnahmesituation zu erhalten und weil er mit relativ wenig Aufwand relativ viel Material gewann. Und auch seine Forderung, verschiedene Erhebungsarten zu kombinieren, um die jeweiligen Unzulänglichkeiten auzuszugleichen, und anhand von Pilotstudien die wesentlichen Züge der eigentlichen Studie zu bestimmen, gehören mit zu den wichtigen Erkenntnissen. Neben Labov und Bernstein sind weitere zentrale Namen aus dieser Zeit in den U.S.A. Uriel Weinreich, Joshua Fishman, John Gumperz oder Charles A. Ferguson, in Großbritannien Peter Trudgill. Labovs Arbeiten bedeuten in mehrfacher Hinsicht einen Bruch mit der damals aktuellen Linguistik. Er wandte sich gegen die Vorstellung, das Sprachsysem sei homogen, gegen Sprache als ein allen per Intuition zugängliches Sprachsystem, gegen die Ansicht, Sprache rein immanent zu betrachten, gegen sprachinterne Untersuchungen ohne Bezug zu den Sprecher/ innen und der Situation, gegen die Vorstellung, die Sprache des täglichen Lebens sei defizitär und ungrammatisch, die beobachtbaren Variation sei willkürlich. Darum arbeitete er strikt empirisch und musste zwanglsäufig zu anderen Schlussfolgerungen kommen als die damals etablierte Sprachwissenschaft. Ihm ging es aber weniger um eine neue Sprachtheorie als um neue Vorg ehensweisen auch aus Unzufriedenheit mit der Forschungssituation „that linguistics is a game in which each theorist chooses the solution that fits his taste or intuition“ (Labov 1972a: 259). Der Erfolg ist nicht wenig der Opposition zu generativen Grundannahmen und den unzulässigen Idealisierungen geschuldet. Labovs Arbeiten bilden sowohl praktisch als auch theoretisch eine ernstzunehmende Alternative zur Systemlinguistik, zu der er aber in seinen späteren Arbeiten einen Anschluss fand. Soziolinguistische Fragestellungen betreffen heute sowohl den Sprachgebrauch als auch das Sprachsystem. 10.3.3 Konsequenzen für die Methodik von heute Für die Empirie gilt sein Werk ebenfalls als maßgebend. In u.a. Labov (1972b) diskutierte er verschiedene Vorgehensweisen und Techniken der Datenerhebung. Er plädierte für eine Methodenvielfalt, um die jeweiligen Schwächen der einzelnen Verfahren auszugleichen. Denn er erreichte es dadurch, das Beobachterparadoxon zu überwinden, „ THE OBSERVER ’ S PARADOX : To obtain the data most important for linguistic theory, we have to observe how people speak when they are not being observed“ (Labov 1972b: 113). Bei der Datenerhebung beeinflussen die Wissenschaftler/ innen die Situation und erhalten keine natürlichen Daten mehr. Das Beobachten von Verhalten bewirkt eine Verhaltensänderung bei den zu beobachtenden Personen, dadurch werden die Ergebnisse verfälscht und sind nicht mehr repräsentativ. Denn allein die Anwesenheit der Wissenschaftler/ innen kann schon zu anderen Reaktionen 165 10.3 Empirische Grundlagen sprachlicher Heterogenität führen, da die Personen möglicherweise bestimmten Erwartungen entgegen kommen oder eine Verweigerungsposition einnehmen, bei Jugendlichen etwa. Das gilt im hohen Maße für stilistisch oder sozial bestimmte Sprechweisen, die negativ besetzt sind und die dann vermieden werden. Also sind Aufnahmesituationen zu konstruieren, die natürliche, unverfälschte Daten ergeben und durch Ergebnisse aus anderen Erhebungen zu ergänzen sind. Labov erläuterte die Begriffe Validität und Reliabilität, die heute zu den gängigen Gütekriterien einer Datenerhebung gehören. Denn mittlerweile kommt der Qualitätssicherung bei der Arbeit mit empirisch erhobenem Material ein hoher Stellenwert zu. Sie soll Subjektivität und Beeinflussung von Daten ausschließen und gewährleisten, dass eine Korpus nicht bereits so zusammengestellt wird, dass die zu überprüfende These auch belegt werden wird. Dazu gehört beispielsweise, die Versuchspersonen über die Fragestellungen der Untersuchung im Unklaren zu lassen, zumindest vorher. Die Angestellten in den New Yorker Kaufhäusern wussten zum Beispiel gar nicht, dass es um die Aussprache ihrer Antwort forth floor ging, sondern dachten, ihr Gegenüber wolle wirklich wissen, in welchem Stockwerk die Schuhe sind. Also antworteten sie auch ungezwungen. Falsch wäre es gewesen zu sagen „Wie sprechen Sie die Wörter x aus? “. Reliabilität bzw. Verlässlichkeit bezieht sich auf das exakte Messen oder Erfassen. Sie ist gegeben, wenn die Ergebnisse bei einer wiederholten Untersuchung oder bei anderen Texten oder Versuchspersonen gleich bleiben. Die Validität oder Gültigkeit bezieht sich auf das argumentative Gewicht einer wissenschaftlichen Aussage. Sie ist gegeben, wenn eine Studie das misst, was gemessen werden soll. Untersuchungen zur Verteilung des Dialektgebrauchs messen beispielsweise nicht Intelligenz. Bei einem Korpus ist außerdem zu bedenken, ob es repräsentativ ist. Das wird durch eine große Zahl an Versuchspersonen oder Texten erreicht, durch eine entsprechend systematische Zusammenstellung oder durch eine Auswahl nach dem Zufallsprinzip , jeweils aber im geeigneten Umfang. Ansonsten ist die Datenauswahl exemplarisch, was j edoch einen Ausgangspunkt für größere Untersuchungen bilden kann. Schließlich erwähnte Labov die Objektivität, die für alle Untersuchungspersonen die gleiche Situation, den gleichen Fragebogen und die gleichen Beurteilungskriterien erfordert und die natürlich bei der von ihm so stark kritisierten sprachlichen Intuition als Datenlieferant vollkommen ausgeschlossen ist. Diese seine Kritik gipfelte schließlich in der Korpuslinguistik von heute, verstanden als theoretische Disziplin, die für jede auch noch so selbstverständliche Aussage über Sprache ein umfangreiches Belegkorpus fordert und jegliche Intuition strikt ablehnt (vgl. u.a. Lemnitzer/ Zinsmeister 2010, McEnery/ Hardie 2012). Labov konnte einen Zusammenhang zwischen sprachlichen und sozialen Faktoren zeigen, die Relevanz empirischen Materials und auch den Einfluss sozialer Aspekte auf den Sprachwandel. Die Interaktion zwischen Gesellschaft und Sprache war damit klar, ein Ausschluss nicht-sprachlicher Faktoren, eine Konzentration rein auf die Kompetenz unhaltbar. Die Spaltung in theoretische und praktische bzw. angewandte Sprachwissenschaft war nicht zu vermeiden. Und noch heute trennt sich die wissenschaftliche Welt in ein Lager, das mit theoretischen Beispielen am Schreibtisch arbeitet und eines, das empirisch vorgeht und Behauptungen durch möglichst objektiv gewonnene Belege stützen will oder zunächst Daten sammelt und dann erst nach Regularitäten und Korrelationen zwischen sprachlichen und nicht-sprachlichen Größen sucht. Die ursprünglich als neue Vorgehensweise gedachten Vorschläge entwi- 166 10 Soziolinguistik - von der Theorie zur Disziplin ckelten sich zu einem neuen Ansatz. Mittlerweile bilden sie einen eigenen Forschungszweig innerhalb der Linguistik. Den eigentlichen Erfolg schreibt Löffler (2010: 18) dem breiten und interdisziplinär angelegten Gegenstandsbereich zu, der praktisch alles, was mit der Parole zu tun hat, umfasste, sowie der damals dringend erwarteten Alternative zur strukturellen und generativen Linguistik. 10.4 Varietäten Der Zusammenhang zwischen Sprache und Gesellschaft ist einer der Forschungsschwerpunkte der Sozolinguistik. Die gesellschaftliche Position hat Auswirkungen auf die Sprache, die Sprache zeigt eine gesellschaftliche Position an. Dabei wird untersucht, welchen soziokulturellen Status und welche Funktion Sprache besitzt. Hierfür finden wir auch den Begriff Sprachsoziologie. Andererseits ist die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, unterschiedliche Rollen auch sprachlich kommunizieren zu können, also Varianten anzunehmen. Die genaue Erforschung sprachlicher Variabilität, ihre Ausprägung und die verantwortlichen Faktoren zu ermitteln ist ein weiterer Fo rschungsschwerpunkt. Dies geschieht auch aus diachroner Perspektive und bezogen auf Schriftlichkeit und betrifft dadurch die Textlinguistik. Daraus entwickelte sich die Varietätenlinguistik, die sich teils gleichbedeutend mit, teils als Aufgabengebiet der Soziolinguistik versteht. Sprache variiert nach vielen Gesichtspunkten und es gilt, die regulierenden Prinzipien und verantwortlichen Faktoren zu erfassen. Aber genauso wenig, wie die Sprache ein diskretes, homogenes Gebilde ist, sind dies die verschi edenen Varietäten (Erscheinungsformen, Existenzformen, Varianten, Codes, Substandards, Teilsprachen, ...). Die Varietäten einer Sprache lassen sich grob nach Region (diatopisch, Dialekt), sozialer Schicht (diastratisch, Soziolekt) und Situation (diaphasisch, Stil, auch Register) einteilen. Eine weitere Dimension eröffnet die Funktion (Fachsprachen) und das Medium (gesprochen oder geschrieben). Vielfach werden die Dialekte nicht als zur Soziolinguistik gehörig betrachtet, denn die Dialektgeographie hat eine eigene Forschungstradition in Deutschland. Die historische Dimension (diachronisch) wird meist aus dieser Gliederung herausgelassen, weil sie eine Perspektive jeglicher Spachbetrachtung darstellt, auch der systemlinguistischen in Opposition zur varietätenlinguistischen. Die Terminologie ist nicht einheitlich (vgl. Löffer 2010), das beginnt schon bei eigentlich einfachen Begriffen wie Standard. Wenn die Standardsprache nicht als aus Varietäten zusammengesetzt verstanden wird, sondern als der Pol, der den einzelnen Ausprägungen gegenübersteht - beides ist möglich -, muss der Begriff der Standardsprache präzisiert werden. Häufig ist er gleichbedeutend mit Hochsprache. Dies wiederum wird meist als theoretisches System mit Vorbildfunktion verstanden, das in seiner idealen Form nicht vorkommt, nie vorkam und der Langue entspricht. Standard kann aber auch wie Schriftsprache verwendet werden, sie bezieht sich auf die standardisierte Norm. Es bietet sich eine terminologische Trennung in Hochsprache als idealisiertem Konstrukt und Standardsprache als institutionalisierter Norm an. Sie tritt typischerweise schriftlich auf und hat einen hohen Prestigewert, gilt offiziell und vereint alle Varietäten und die Sprecher/ innen und grenzt sie gleichzeitig gegen andere Sprachen ab, sie ist also überregional und multifunktional und wird in den gängigen Grammatiken be- und vorgeschrieben. Ihr Gegenstück findet sie in der Um- 167 10.4 Varietäten gangssprache, die mündlich und in Alltagssituationen auftritt, spontan, nicht verbindlich und auch nicht genormt ist. Sie wird weitgehend von allen verstanden. Mündlichkeit ist mit speziellen Kommunikationsbedingungen verbunden, so teilen sich in der Regel Sprecher/ innen und Hörer/ innen einen gemeinsamen Gespräch srahmen, was dazu führt, dass unmittelbar ersichtliche Informationen nicht mehr versprachlicht werden müssen, was wiederum Ellipsen und Satzfragmente zur Folge hat. Teilweise wird daher für die mündliche Sprache eine eigene Grammatik gefordert mit sogar typischen Wortarten , etwa bestimmten Partikeln oder Interjektionen. Sprecher/ innen stehen in der Regel mindestens diese beiden Varianten zur Verfügung. Aber wie so häufig tun wir uns mit genauen Grenzen zwischen den Varietäten schwer. Nicht ohne Grund lehnte Labov Entweder-oder-Entscheidungen ab. Denn wenn eine Varietät wie die Literatur- oder Zeitungssprache schriftlich vorliegt, steht sie dem Standard nahe, schriftliche SMS wiederum der gesprochenen Sprache, und die Umgangssprache geht vielerorts langsam in den Dialekt über. Die Varietäten des Deutschen lassen sich entlang mehrerer Dimensionen beschreiben. Die historisch am besten untersuchte ist die regionale. Die Dialekte des deutschsprachigen Gebiets unterscheiden sich in Lexik, Grammatik und Lautung, diese wi ederum bestimmt die Grobeinteilung der Dialekträume. Ein wichtiges Kennzeichen ist die zweite Lautverschiebung (vgl. Kap. 1.7.2), die den niederdeutschen Sprachraum ohne und die restlichen Dialekte mit gestaffelter Durchführung ergibt, vgl. niederdeutsch maken, Pund, Appel wie engl. to make, pound, apple. An den niederdeutschen Raum, getrennt durch die sogenannte Benrather Linie, schließt sich das (dialektal zu verstehende) Hochdeutsche an, das sich wiederum in das Mitteldeutsche und das Oberdeutsche teilt. Gewöhnlich spricht ein Mensch nur einen Dialekt, während er zusätzlich aber weitere Varietäten beherrscht. Problematisch ist die Unterscheidung in Dialekt und Sprache: Sie wird meist politisch motiviert getroffen. Denn die Österreicher/ innen sprechen zwar rein sprachwissenschaftlich gesehen bairisch, reagieren aber äußerst zurückhalten d auf diese Bezeichnung, weil sie lieber von der österreichischen Sprache reden. Aufgrund politischer Grenzen erhalten die deutschen Dialekte in Österreich und Schweiz eine eigene Bezeichnung: Österreichisch und Schweizer Hochdeutsch. Für die drei Länder wird jeweils ein eigener Standard angesetzt. Eine andere Dimension ist die soziale, die zu Soziolekten bzw. Gruppensprachen führt. Sie lassen sich entlang der Parameter Alter, Geschlecht, soziale Schicht oder Einkommen oder (Berufs)gruppe näher spezifizieren. Wie der Name schon sagt stehen hier soziale Aspekte im Vordergrund. Die Sprecher/ innen bilden eine Gruppe, die sich anhand nicht-sprachlicher Faktoren bestimmen lässt. So kommt es zu verschiedenen Freizeitgruppen, Soldat/ innen, Gefängnisinsass/ innen, Fußballfans , die altersbedingten Gruppen der Jugendlichen und viele mehr. Oft korrelieren nicht-sprachliche Faktoren mit besonderer Lexik, teilweise aber auch Lautung und Grammatik, wie Labov zeigte. Teilweise treten bestimmte Lexeme oder Wortbildungsarten lediglich gehäuft oder besonders selten auf. Wesentlich ist die Funktion dieser Sprachausprägungen. Sie dienen primär dazu, das Gemeinschaftsgefühl auszudrücken und sich gegen and ere Gruppierungen abzugrenzen. So gesehen haben auch Dialekte oder funktional bedingte Fachsprachen eine soziale Dimension. In Anlehnung an Dialekt wurde der Begriff Soziolekt geschaffen. Das Englische verwendet auch social dialect. Inwiefern auch die Sondersprachen wie die der Gauner/ innen (Rotwelsch) hierzu zählen, ist umstritten. 168 10 Soziolinguistik - von der Theorie zur Disziplin Steht der situative Aspekt im Mittelpunkt, unterscheiden wir Register oder Stile, etwa gehoben oder vulgär. Hierzu kann auch die Differenzierung in schriftliche und gesprochene Sprache gerechnet werden. Ein Kriterium ist dabei die Nähe zwischen den Beteiligten. Stehen sie sich direkt gegenüber wie im normalen Alltagsgespräch (face-to-face) oder sehen sie sich nicht wie am Telefon? Spricht eine Rednerin vor einem Publikum? In welcher sozialen Beziehung stehen sie zueinander, gleichberechtigt oder nicht, wie in der Prüfung? Ist die Situation zwanglos-privat oder öffentlich? Ist sie wechselseitig oder einseitig, dass heißt, antwortet eine Partei nicht wie bei Fernsehen und Radio? Die Aspekte interagieren mit Thema und Medium, gesprochen oder geschrieben. Darum kommt es zu ganz anderen Sprachausprägungen, je nac hdem, ob wir uns am Gartenzaun unterhalten, im Büro der Chefin, am Telefon, ob wir ein Buch lesen, einen Brief schreiben, einen Vortrag hören oder einen Werbespot. Die neuen Medien führen zu neuen Kontaktsituationen und Kommunikationskonstellationen und damit neuen Textsorten wie SMS, E-Mail, Chat etc. (vgl. u.a. Androutsopoulos et al. 2006, Schlobinski/ Siever 2012). Die situative Determinante besteht selbst wiederum aus einem Kriterienbündel. Ein weiteres Analysekriterium ist die Funktion einer Sprachausprägung, hierfür finden wir auch den Begriff Funktiolekt. Sie bestimmt hauptsächlich Fachsprachen. Sie definieren sich über das Fach und über die spezielle, idealerweise klar definierte Terminologie im fachlich determinierten Handlungskontext. Jeder Beruf verfügt über sein eigenes spezielles Vokabular. Da aber auch die Kommunikation zwischen Fachleuten und unterschiedlich geschulten Kolleg/ innen und Laien möglich ist, ergibt das unterschiedliche Grade von Fachlichkeit, das gilt sowohl für die mündliche als auch für die schriftliche Kommunikation, vgl. Arzt-Patientengespräche, wissenschaftliche Abhandlungen, Gebrauchsanweisungen. Die geschriebene Fachsprache ist idealerweise und tendenziell auch tatsächlich neutral, objektiv, sachlich und präzise. Das äußert sich im Nominalstil mit vielen Substantivierungen und komplexen Attributen, die Infinitivkonstruktionen und Nebensätze ersetzen, lange und komplexe Komposita, Wortgruppenlexeme, Passivieru ngen und das Meiden der Agensangabe. Texte sind übersichtlich gestaltet und gut strukturiert. Die Lexik ist klar definiert. Homonymie und Synonymie werden gemieden. Neben den eigentlichen Fachsprachen gelten auch die Sprache der Politik und des öffentlichen Verkehrs als funktional determinierte Varietäten, während Presse- und Werbesprache über ein zu komplexes Aufgabenspektrum verfügen, um rein funktional bestimmt zu werden. Heute steht den Varianten das Sprachsystem einer übergeordneten Einheit gegenüber. Beide Betrachtungsweisen ergänzen sich, um der Vielschichtigkeit von Sprache gerecht werden zu können. Vielleicht ist es in diesem Sinne von Vorteil, die Varianten der Kompetenzebene zuzurechnen, weil sie regelhaft und systematisch strukturiert sind, wie Nabrings (1981) das sieht. 10.5 Aufgabengebiete In der Soziolinguistik geht es nicht mehr allein um Wörter und Sätze, sondern auch um die Menschen, die die Sprache benutzen. Es ist die Untersuchung von Sprache im sozialen Kontext. Sie ist dann nicht mehr als in sich geschlossenes System von Zeichen aufzufassen, sondern als Träger der Kommunikation. Damit wird Sprache, oder 169 10.5 Aufgabengebiete genauer, Sprechen zu einer Form des sozialen Verhaltens. Diese Sichtweise brachte neue Herangehensweisen und neue Perspektiven in die Sprachwissenschaft. Die ursprünglichen Hauptpfeiler Sprachsoziologie mit dem Fokus auf der Sprache als Ganzem, Variationslinguistik, Mehrsprachigkeit und Sprachkontakt, Ethnolinguistik und dann auch Diskursanalyse wurden zunehmend erweitert. Heute umfasst Soziolinguistik die gesamte soziale Dimension von Sprache mit ihren vielfältigen und facettenreichen Interrelationen, die neben Sprachkontaktsituationen auch Multilingualismus, Minderheiten, soziokulturellen Wandel, Sprachnormierung, Sprachplanung und Sprachpolitik, Sprechereinstellungen und internationale Kommunikation betreffen. Die Fragestellungen um Sprache im Gebrauch gaben wichtige Impulse für die Gesprächsforschung, und selbst unsere heutigen gender studies und Deutsch als Zweitsprache wurzeln letztendlich in soziolinguistischen Überlegungen. Bei der Soziolinguistik handelt es sich nicht nur um eine vielschichtige, sondern meist auch interdisziplinär betriebene Disziplin, die eng mit Soziologie, Sozialpsychologie, Anthropologie und Ethnologie etc. zusammenarbeitet. Dies und die Arbeit mit empirischen Daten machen sicher ihren größten Reiz aus. Sprache beeinflusst unser Sein und Tun, wo immer wir sind - und umgekehrt. Diese Einsicht führte zu einer neuen Forschungsdisziplin, aber auch zu neuen Vorg ehensweisen und Methoden im Umgang mit Sprache. Zum soziolinguistischen Programm gehören mittlerweile so viele verschiedene Aspekte, dass hier nur einige aufgeführt werden können. Funktionale Soziolinguistik - Sie betrachtet Sprache im Verhältnis zur Gesellschaft und fragt danach, wie Sprache in den unterschiedlichen sozial bedingten Kontexten gebraucht wird. Diese Richtung ist eng mit dem Namen Michael Halliday verknüpft (Kap. 12.3.2). Er begreift Sprache als ein soziales semiotisches System. Sprachliche Strukturen erklären sich über ihre Funktionen. Sprachsystem und gesellschaftliches System bedingen sich gegenseitig. Sprachpolitik - Sprachnormierung, Sprachplanung oder Sprachlenkung gab es schon im alten Ägypten, als Echnaton im 14. Jhd. v. Chr. die Umgangssprache als Staatssprache einsetzte (Haarmann 2004b). Unsere Geschichte ist geprägt von Phasen, in denen Minderheitensprachen und regionale Varitäten diskriminiert oder verboten oder andere institutionalisiert wurden. Sprachliche Höflichkeit - Was dürfen wir direkt, was lediglich indirekt sagen und gibt es verschiedene Grade an indirektem Sprechen? Was ist in welcher Situation, in welcher Sprache höflich? Wie ist das zu übersetzen, wie wissenschaftlich zu fassen? Diese Fragestellungen gehören auch zum nächsten Punkt, da sie meist Sprecher/ innen einer Sprache betreffen und kulturell bedingt sind. Ethnolinguistik - Ihr geht es um die Zusammenhänge zwischen Kultur und Sprache. Können Sprachen oder Sprachformen Aufschlüsse über Migrationsbewegungen in der Geschichte der Menschheit geben? Sprechen Weiße anders als Farbige? Stil - Hat ein bestimmter sprachlicher Stil eine soziale Bedeutung? Sprachkontakt - Ein wichtiger Untersuchungsschwerpunkt liegt auf den Pidgin- und Kreolsprachen. Pidgin entsteht, wenn sich Vertreter/ innen verschiedener Nationalitäten in einer lokalen Sprache verständigen müssen, die sie nicht oder nur unzureichend beherrschen. Das war zu Kolonialzeiten bei Sklav/ innen unterschiedlicher Herkunft der Fall, als sie nur eine gemeinsame Sprache zur Verfügung hatten, die der Kolonialherren, die die Basis für das jeweilige Pidgin 170 10 Soziolinguistik - von der Theorie zur Disziplin bildet. Dann kommt es zu systematischen Vereinfachungen in Lexik, Grammatik und Aussprache. Manchmal baut die Folgegeneration dazu ein voll funktionierendes Sprachsystem auf, eine Kreolsprache, die im Gegensatz zu Pidgin eine Muttersprache und grammatisch und lexikalisch wesentlich komplexer ist als Pidgin. So entwickeln die Kreols in der Karibik beispielsweise gern zum ursprünglichen englischen you eine Numerusdifferenzierung, und das Personalpronomen der 2. Person bekommt einen Plural (allyuh, Kreol in Trinidad). Kreolsprachen sind beispielsweise Tok Pisin in Neuguinea, Haitianisch, Bahamas Creole English, das Jamaika-Kreolische (Patois) oder das kapverdische Kreol. Die Sprachkontaktforschung befasst sich aber auch mit anderen Situationen, in denen Vertreter/ innen zweier oder mehr Sprachen aufeinander treffen, also Zwei- und Mehrsprachigkeit und damit zusammenhängende Interferenzen, Kontaktvarietäten, die dem Handel dienen oder der Kommunikation mit Untergebenen sowie die Fremdwortübernahme. Welche Rolle spielt eine Sprache in Kontaktsituationen für die Identität ihrer Sprecher/ innen? Welche Auswirkungen hat das auf Verbreitung oder Verlust einer Sprache? Wie und nach welchen Regeln funktioniert Code-Switching, also der Wechsel der Sprache oder der Varietät im Diskurs? Diskursanalyse - Wie gehen wir in Gesprächen miteinander um, wie formt der jeweilige situative Kontext die Sprachstruktur? Schriftlichkeit und Mündlichkeit - Welche Auswirkungen hat die geschriebene Sprache für eine Kultur? Sprachwandel - Im Mittelpunkt stehen die gesellschaftlichen Aspekte des Sprachwandels, die Frage, ob sozialer Wandel und Sprachwandel interagieren und sich gegenseitig bedingen oder ob die gesellschaftliche Veränderungen erst zu Veränderungen des Sprachsystems führen. Die sozialen Faktoren als allein verantwortlich für Sprachwandel zu machen wäre natürlich zu kurz gegriffen. Einige wichtige Werke Labov, William 1972. Sociolinguistic Patterns. Philadelphia. Zum Weiterlesen Eine Einführung in die Thematik liefern Veith (2005), aber auch Dittmar (1997). Einen Überblick über die Entwicklungen im deutschsprachigen Raum gibt Löffler (2010), über die osteuropäischen Wurzeln Haarmann (2004a). Von Nabrings (1981) stammt eine Übersicht über die verschiedenen Varietäten des Deutschen, mit Schwerpunkt auf den Dialekten vgl. Barbour/ Stevenson (1998). Hingewiesen sei außerdem auf die Bände von Ammon et al. (2004, 2005, 2006) und auf die Reihe Key Topics in Sociolinguistics der Cambridge University Press. 11 Sprachwandelkonzepte Sprachwandel ist die Veränderung einer Sprache im Laufe der Zeit. Teilweise stellt er den eigentlichen Gegenstand eines Modells dar, teilweise ist er aber nur ein Aspekt von mehreren, mit dem sich eine allgemeinere Theorie auseinandersetzt. In der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft und dann bei den Junggrammatikern bildete er den Untersuchungsschwerpunkt, wurde dann aber seit Saussure explizit von einer Sprachstandsbetrachtung getrennt, so dass wir danach zwischen diachroner und synchroner Linguistik unterschieden. Das führte schnell zur Überlegenheit der Synchronie. Diachronie galt als untergeordnet. Gleichzeitig wurde die Langue von den Sprecher/ innen isoliert und unabhängig von jeglichen geschichtlichen Aspekten betrachtet. Aber seitdem hatte nicht nur die Soziolinguistik Probleme mit einem idealen, homogenen Sprachsystem. Die damit verbundene Abstrahierung erleichtert zwar die Analyse, entfernt sich aber immer mehr von den sprachlichen Oberflächenfakten. Letzendlich ist jeder synchrone Ausschnitt das Ergebnis einer Entwicklung, die ihren Ausgangspunkt in Variation findet. Eine Trennung in Langue und Parole und Diachronie und Synchronie läuft daher einem Verständnis von Sprachwandel zuwider. Dazu gibt es jedoch unterschiedliche Positionen, je nachdem, ob verursachende Krä fte oder die eigentlichen Entwicklungsverläufe im Mittelpunkt stehen. Die für Sprachwandel relevanten Faktoren stellen sich in den verschiedenen Ansätzen ganz unterschiedlich dar. Vielen reicht eine Beschreibung aus, während andere Erklärungen suchen. Es ist nach wie vor auch nicht klar, ob grammatische und lexikalisch-semantische Veränderungener einheitlich beschreibbar sind. Deswegen unterscheiden sich Konzepte und Modelle teilweise grundlegend, teilweise haben sie viel gemeinsam. Einige der wichtigsten sind Sprache als biologischer Organismus Stammbaumtheorie Wellentheorie Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze und Analogie europäischer Strukturalismus, Prager Schule, Martinets Funktionalismus amerikanischer Strukturalismus frühe generative Grammatiken, spätere Modelle, Optimalitätstheorie Soziolinguistik Natürlichkeitstheorie Sprachökonomie unsichtbare Hand Grammatikalisierung. 11.1 Sprachwandel in verschiedenen Ansätzen In Europa und speziell in Deutschland galt zunächst das Modell von der Sprache als Organismus, dem Schleichers Stammbaumtheorie und Schmidts Wellentheorie folgten (vgl. Kap. 2.1). Der Schwerpunkt des Interesses lag auf Ähnlichkeiten zwischen Sprachen und den früheren Sprachstufen, zu denen es schriftliche Zeugnisse gab. Dann arbeiteten die Junggrammatiker praktisch und systematisch das bisher gesammelte 172 11 Sprachwandelkonzepte Wissen auf, erweiterten es und suchten nach Regeln des Sprachwandels. Sie nahmen das ausnahmslose Wirken der Lautgesetze an (vgl. Kap. 2.2). Diese sind phonetisch begründet und greifen einheitlich für eine gesamte Sprachgemeinschaft. So erklärt sich der Umlaut (ü zu u) durch ein i bzw. j in der Folgesilbe. Die Regel „u wird ü“ galt ausnahmslos immer für diese Umgebungsbedingung. Dabei waren u und ü zuerst Varianten. Erst, als die Umgebung mit dem i verschwand, die ü-Variante aber blieb, galt ü als eigenständig, als neuer Sprachlaut neben u. Ausnahmen erklärten die Junggrammatiker über Lehngutübernahme oder aber über Analogiebildung, die dann zu grammatischem Wandel führt. Mit Analogie ist die Übertragung eines Musters auf ein ähnliches Wort gemeint. Wenn sich beispielsweise zu einem historisch über die Lautumgebung zu erklärenden Plural mit Umlaut und Endung -er (Kalb/ Kälber, Lamm/ Lämmer) auch Wörter gesellen, die die Umlaut-Umgebung nie hatten, für die die Umlautregel also gar nicht gelten konnte, ist das Wirken der Analogie anzusetzen wie bei Buch/ Bücher, Wort/ Wörter. Der Strukturalismus trennte diachrone und synchrone Linguistik und stellte dabei die historische Dimension in den Hintergrund, während gleichzeitig durch die Abspaltung der Parole die Langue als abstrahiertes System in den Mittelpunkt rückte. Hier ging es primär um die Beschreibung. Erklärungen für einen bestimmten Zustand oder Entwicklungen, die zu ihm führten, spielten kaum eine Rolle. Vor allem in A merika wurden explizit nicht-sprachliche Aspekte ausgeklammert, die ja gerade für die Entstehung der Sprachwandelerscheinungen relevant sind, und Veränderungen rein systemimmanent verstanden. Für Hockett (1958) konnten kleine phonetische Veränderungen zu einer Umstrukturierung des Phonemsystems und damit Sprachwandel führen, wenn Allophone zweier Phoneme zu einem Phonem zusammenfallen (merger) oder aus einem Phonem zunächst zwei Allophone, dann zwei Phoneme werden (split). Solche Veränderungen entstanden mehr oder weniger zufällig, teils wurde auch Artikulationserleichterung und damit artikulatorische Vereinfachung angenommen. Hockett sah außerdem das Wirken der Analogie und Fremdgutübernahme, die zu einer Restrukturierung des Lautsystems führen konnten, aber übergeordent war doch das (sprachinterne) Streben nach Symmetrie der Lautsysteme (Hockett 1958: 451). Da die Motivation für Wandel außerhalb der Sprache vermutet wurde, blieb es im amerikanischen Strukturalismus im Wesentlichen bei einer beschreibenden Vorgehensweise (Murray 2006: 2481). Die Prager Schule und auch der Funktionalismus von Martinet hingegen nahmen ausdrücklich Wandel und außersprachliche Faktoren in ihre Arbeiten auf. Für Martinet spielten die Sprachbenutzer/ innen insofern eine große Rolle, als sie trotz Bequemlichkeit und physiologischen Beschränkungen ihre Kommunikationsbedürfnisse befriedigen wollen, das heißt, sie sparen einerseits ein, werden dann aber nicht mehr ganz verstanden. Also müssen sie doch wieder deutlicher sprechen. So kann Wandel entstehen, beispielsweise Assimilationen, der Zusammenfall von Lauten oder auch Gleichlautung verschiedener Wörter, die jedoch verwechselt werden können. Die konfligierenden Bedürfnisse der Sprecher/ innen und Hörer/ innen führen immer wieder zu neuen Lösungen und Änderungen der Sprache. Martinet (1952, 1981) wandte sich explizit gegen das „blinde“ Walten der Lautgesetze und die Bloomfield’sche Behauptung, die Gründe für Sprachwandel seien nicht bekannt. Er trennte außerdem zwischen der Beschreibung von Tendenzen und den dafür verantwortlichen Erklärungen. Lautwandel entsteht durch Variation. Für jeden Sprachlaut gibt es ein Optimum, das beim Sprechen aber selten gewählt wird, meist liegt die Aussprache mehr oder weniger in der Nähe dieses Optimums. Allerdings 173 11.1 Sprachwandel in verschiedenen Ansätzen halten die Laute normalerweise auch gewisse Sicherheitsabstände ein. Wenn aber die übliche Variationsbreite eines Lautes überschritten wird und sich dadurch ein Sicherheitsabstand zu einem anderen Laut zu sehr verkleinert, fallen die Laute zusammen. Wesentlich für den Funktionalismus ist, dass solche Veränderungen im Zusammenhang mit den kommunikativen Bedürfnissen der Sprachteilnehmer/ innen stehen. Eine Veränderung etabliert sich, wenn sie für Sprecher/ innen oder Hörer/ innen einen Vorteil bringt. Die Assimilation etwa macht ein Wort einfacher, das haben bereits mehrere Phonetiker wie Paul Passy, Henry Sweet oder Otto Jespersen vor ihm gesehen. Dieses Prinzip des geringsten Kraftaufwandes nennt Martinet das Ökonomieprinzip (Martinet 1981: 39). Gleichzeitig müssen aber die Wörter unterscheidbar bleiben, sonst ergibt das einen Nachteil für die Hörer/ innen. Wenn ein Laut mit einem anderen zusammenfallen würde und daraufhin viele Wörter nicht mehr unterscheidbar wären, wäre hier ein Wandel unwahrscheinlich. Das heißt, eine Opposition mit hoher funktionaler Leistung wird bestehen bleiben. Diese Leistung ließe sich prinzipiell ermitteln durch eine Wortschatzerhebung, und zwar für verschiedene Sprachzustände, was faktisch aber wohl nicht machbar ist. Kommt es zu einer Änderung, kann ein neuer Laut auf einen seiner Nachbarn drücken und diesen weiterverschieben oder aber dadurch, dass er einen Platz leer mac ht, eine Art Sogwirkung ausüben, so dass der leere Platz wieder besetzt wird (dragchain, push-chain, Martinet 1952: 11). Die Unterscheidung zwischen Sog und Schub ist in der Praxis oft schwierig. Martinet (1981: 120ff.) kam auch auf das Zipf’sche Gesetz zu sprechen, das einen kausalen Zusammenhang zwischen Komplexität einer sprachlichen Einheit und niedrigerer Häufigkeit sieht, das ihm aber zu wenig phon etisch fundiert sagt, was komplex und einfach ist und das den Aspekt der Deutlichkeit vernachlässigt. Es erhielt im theoretischen Gefüge Martinets einen untergeordn eten Platz. Martinet sah durchaus das System der Sprachlaute als Ganzes, denn Sprachen tendieren hier zu Symmetrie. Wenn ein / p/ sich ändert und aspiriert wird, gilt das g ewöhnlich auch für / t/ und / k/ . Andererseits dürfte eine Konstellation wie p t k b d g m n die Integration eines neuen Lautes / η / erleichtern. Hat eine Sprache mehrere solcher Reihen, so verstärken sie sich gegenseitig und wirken dem Wandel einzelner Elemente entgegen. Neben dem Aspekt der Funktion ist also auch der der Struktur relevant. Eine gegenläufige Wirkungsrichtung entsteht durch Trägheit und auch durch artikulatorische und perzeptuelle Asymmetrien, denn das menschliche Ohr kann mehr g eschlossene Vokale wie / i/ , / y/ und / u/ unterscheiden als offene wie / a/ . Insofern sind Systemsymmetrie und physiologische Symmetrie schon gar nicht vereinbar. Und natürlich wirken viele gut ausgeprägte Reihen zwar stabilisierend, sie sind aber nicht sprachökonomisch. Insgesamt arbeiten die verschiedenen Faktoren ausreichend gegeneinander, um stets neue Lösungen zwischen Konfliktsituationen und damit eine langsame, aber stete Veränderung einer Sprache zu bewirken. Schließlich finden bei Martinet aber auch Interferenzen zwischen sprachlichen Ebenen, soziale Gesichtspunkte oder Veränderungen durch Kontakt zwischen Sprachen Erwähnung. In den generativen Grammatiken erfolgt Sprachwandel während des Erstspracherwerbs, wenn eine Regel anders angewendet, ein Parameter anders gesetzt oder, in der 174 11 Sprachwandelkonzepte OT, die Reihenfolge von Beschränkungen verändert wird. Die generative Transformationsgrammatik blieb bei der in den U.S.A. üblichen sprachinternen Betrachtung eines abstrahierten Systems. Sie trennte die sprachlichen Ebenen und sah keine Interaktionen zwischen ihnen oder zwischen Sprache und Sprachbenutzer/ innen. Funktionalität spielte also keine Rolle. Sprachwandel war Grammatikwandel und damit Regelwandel, der innerhalb der Kompetenz stattfindet. Regeln konnten verschwinden, neu dazu kommen, umgeordnet oder vereinfacht werden. Letztendlich lief alles auf die Optimierung der Grammatik hinaus. Denn selbst, wenn eine Regel hinzukam, konnte sie zu einer Umstrukturierung und damit zu der Vereinfachung des Regelsystems führen. Das machen die Kinder, die die Oberflächenstrukturen hören, dazu die einfachste Grammatik konstruieren und diese dann in ihrer Generation etablieren. Da jedoch von dem Beschreibungsapparat auf das zugrunde liegende, eigentliche System nur geschlossen wurde, war die Beweisführung problematisch und die Diskussionen blieben auf einer abstrakten Ebene (Bynon 1981: 108ff., vgl. auch Kiparsky 1982: 16). Zudem herrschte und herrscht auch heute noch keine Einigkeit darüber, wie das zugrunde liegende System auszusehen hat (Murray 2006: 2493). Kiparsky (1982: 3) setzte eine weitere Quelle für den Sprachwandel an: Kinder können aufgrund der laut generativer Grammatik unzureichenden Sprachumgebung ihre Grammatik fehlerhaft aufbauen. Dass die Sprachumgebung so defektiv ist und nicht den nötigen Input für die Kinder liefert, wird heute jedoch nicht mehr angenommen, zumindest außerhalb der generativen Grammatik. In expliziter Gegenposition dazu lenkte die Soziolinguistik ihr Augenmerk auf Performanz und Variation. Sie hielt anfangs eher wenig von funktionalen Aspekten und suchte die Gründe für die Veränderungen im gesellschaftlichen Miteinander. In der Vergangenheit hatten die verschiedenen sprachwissenschaftlichen Schulen nicht unbedingt die Existenz sozialer Faktoren negiert. Aber ihre Rolle beim Sprachwandel wurden entweder als irrelevant (u.a. Bloomfield, Distributionalismus, generative Grammatik) oder lediglich als mitentscheidend (Whitney, Schuchardt, Meillet, Jespersen) gesehen. Labov maß ihnen nun eine zentrale Rolle zu. Sprachwandel beginnt bei den einzelnen Sprecher/ innen zunächst mit Varianten, die sprachlich bedingt sind. Die Gründe für die Verbreitung hingegen sind sozial bestimmt. Und diese Verbreitung stand zunächst im Mittelpunkt der Untersuchungen. Das bedeutete schlussendlich, die Grenze zwischen Langue und Parole bzw. Kompetenz und Performanz und zwischen Diachronie und Synchronie wieder aufzuheben, ein Schluss, zu dem auch andere Sprachwissenschaftler/ innen kamen. 11.2 Natürlichkeitstheorie 11.2.1 Natürliche Phonologie Die Natürlichkeitstheorie hat ihre Wurzeln in der Phonologie, und zwar einerseits bei der Prager Schule, andererseits bei bestimmen Beobachtungen aus dem Erstspracherwerb. Die natürliche Phonologie wurde begründet von David Stampe und Patricia Donegan (u.a. Stampe 1969, 1973/ 1979, Donegan/ Stampe 1979), teilweise wird auch Charles-James N. Bailey (1973) dazu gerechnet. Sie ging aus von der These, „that the living sound patterns of languages, in their evolution over the centuries, are governed by forces implicit in human vocalization and perception“ (Donegan/ Stampe 1979: 175 11.2 Natürlichkeitstheorie 126). Diese impliziten Kräfte manifestieren sich als Prozesse, die systematisch, aber unbewusst ablaufen. Sie sind angeboren, universell und natürlich insofern, als sie sich automatisch aus den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Sprachbenutzer/ innen ergeben. Ihre Universalität ist nicht im Sinne der generativen Universalgrammatik als Teil des Gehirns zu verstehen, sondern entsteht aus der bei allen Menschenen gleichen artikulatorischen und perzeptuellen Grundausstattung (Donegan/ Stampe 2009). Solche Gedanken waren durchaus nicht neu, denn die Rolle phonetischer Faktoren beim Lautwandel, beim Lauterwerb und bei dialektaler Variation wurden seit dem 19 . Jahrhundert immer wieder diskutiert. Patricia Donegan und David Stampe entwickelten aber nun eine Theorie, die die verschiedenen bei der lautlichen Entwicklung relevanten Gesichtspunkte in einen Erklärungszusammenhang bringen sollte. Denn was Strukturalismus und generative Grammatik bisher geleistet hatten, war ihnen zu stark deskriptiv gewesen. Sie stellten sich daher explizit gegen die Ansätze von Bloomfield und Chomsky und suchten Erklärungen für die bisher gemachten Beobachtungen außerhalb des Sprachsystems, eben bei den artikulatorischen und perzeptuellen B edingungen des Sprechens. Wiederholt wurde nämlich festgestellt, dass Kinder ihre ersten Wörter regelmäßig verändern. Beispielsweise fallen bei Konsonantengruppen Konsonanten fort, vgl. Keks [kēk], Mond [mōn], Blatt [bat], Schnee [nē]. Auch fehlen oft unbetonte Silben oder Vokale, vgl. Gesundheit [zunthait], Marmelade [lād∂], telefonieren [tel∂f ī an]. Hintere Konsonanten werden weiter vorne produziert, vgl. keine [tain∂], Kind [tint], gähnt [dent], Frikative werden plosiv produziert, vgl. Zeh [dē], zehn [dēn], Salat [dalāt], Fahrrad [badat], um nur einige zu nennen (Beispiele aus Elsen 1991). Die natürliche Phonologie stellte sich vor, dass solche Vereinfachungen auf natürlichen phonetischen Einschränkungen beruhen, den Prozessen. Solche Einschränkungen überwindet dann der erwachsene Mensch, in jeder Sprache jedoch etwas anders. Deswegen sind die Sprachsysteme alle komplex, aber immer unterschiedlich. Die frühen Arbeiten setzten drei Arten von Prozessen an. Einerseits verbinden prosodische Prozesse Wörter und Phrasen mit einer prosodischen Struktur, mit grundl egenden Intonationsmustern und Rhythmus. Daneben gibt es die beiden segmentalen Prozesstypen der Schwächung und der Stärkung. Zur Schwächung gehören alle Assimilationen (Kette [t ε t ε ], Biene [m ī m∂]), Monophthongisierungen (Bein [mam], wauwau [vava]), Tilgungen (Kleid [gai], Klee [ge]), und Reduktionen wie die von Vollvokalen zu Schwa. Sie erleichtern stets die Aussprache. Zur Stärkung rechneten Donegan/ Stampe (1979) Dissimilationen, Diphthongierungen oder Epenthesen (Lauteinschub, vgl. Töpfchen [dœpiç∂n]). Sie erleichtern teilweise die Aussprache, wenn etwa eine Konsonantengruppe durch einen Vokal geteilt wird und dann die einfachere CV-Struktur entsteht. Teilweise aber führen sie zu einer klareren Aussprache und verbessern die Verständlichkeit. Dressler (1984) hob die konfligierenden Bedürfnisse der Hörer/ innen und Sprecher/ innen hervor: möglichst gute Verständlichkeit auf der einen und möglichst wenig Artikulationsaufwand auf der anderen Seite. Je nach Situation liegen hier die Schwerpunkte anders. In einem formellen Rahmen etwa ist die Aussprache deutlicher als in einer Alltagssituation. Und entsprechend kommen die Prozesstypen in unterschiedlicher Gewichtung zum Zuge. Später setzte die Optimalitätstheorie Beschränkungen für die Phonologie an, die je nach ihrer Sortierung unterschiedlich zum Zuge kommen, ähnlich wie die phonologischen Proz esse in der Natürlichkeit, so dass sich für die Sprachen der Welt unterschiedliche Lautsysteme ergeben. Im Unterschied zu solchen Prozessen, von denen wir die meistem im Laufe des Lebens wieder verlernen, gibt es auch Regeln. Sie müssen extra erworben werden, 176 11 Sprachwandelkonzepte sind synchron nicht phonetisch begründet, und wir können gegen sie verstoßen. Als Beispiel gaben Donegan/ Stampe (1979) den Umlaut im Deutschen an, der heute keine phonetische Motivation mehr hat (vgl. Sand/ Sände, Sande, Wort/ Worte, Wörter, Schule/ schulisch, Schüler). Prozesse übernehmen aufgrund ihrer rein phonetischen Grundlage keine grammatische oder semantische Funktion im Gegensatz zu einigen Regeln. Prozesse wirken ohne Ausnahme, Regeln nicht. Prozesse machen einen Ausdruck natürlicher. Je weniger (natürliche, phonetische) Einschränkungen wirken, desto unnatürlicher wird er. Donegan/ Stampe (1979) stellten zum Schluss ihrer Arbeit die Frage, wie das Konzept der Markiertheit in ihren Ansatz integriert werden könnte, das später eine zentrale Rolle in der Natürlichkeitstheorie übernahm. In den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts hatten Trubetzkoy und Jakobson einen Begriff, der konzeptuell auf Roth (1815: 36ff.) zurückgeht, verwendet, um über asymmetrische Verhältnisse zwischen Lauten zu sprechen. Sie bezogen sich dabei auf den Unterschied zwischen Lauten, bei denen ein Merkmal fehlt, und anderen, bei denen es vorhanden ist wie im Fall von unnasalisierten bzw. nasalierten Vokalen. Sie sind dann unmarkiert oder markiert bzw. merkmallos oder merkmalhaltig. Insofern ging es eher formal um mehr oder weniger Komplexität. Später wurde Markiertheit auch funktional verstanden oder korrelierend mit Normalität. Das Normale war das Unmarkierte. Der Begriff der Markiertheit wurde und wird in den unterschiedlichen theoretischen Ansätzen uneinheitlich gebraucht, denn auch die generative Grammatik aufbauend auf Jakobson verwendet dieses Konzept (zu einem Überblick vgl. Tomić 1989b, Andersen 1989, Haspelmath 2006). Während nun in den U.S.A. die generative Grammatik mehr und mehr Fuß fasste und beinahe schon das alleinige Modell in der Sprachwissenschaft bildete, zog in Europa das Konzept der Natürlichkeit größeres Interesse auf sich. Als führende Vertreter gelten u.a. Wolfgang Ullrich Wurzel, Willi Mayerthaler und Wolfgang Ulrich Dressler. Dressler (1984) verwendete natürlich zunächst im Sinne von , einfach ‘ , dann verband er es mit unmarkiert, wollte dies jedoch getrennt für Universalien und für sprachspezifische Systeme verstanden wissen (Dressler 1989). Und dann kam eine neue Konfliktsituation ins Spiel, die zwischen Phonologie und Morphologie. Die CV-Struktur mag aus Sicht des Lautsystems unmarkiert, da natürlich, da einfach sein. Aus Sicht der Morphologie, die Einheiten mit Bedeutung verwendet und davon ziemlich viele ben ötigt, die aber unterscheidbar sein müssen, ist sie zu kurz. Zu kurze Zeichen werden schwerer verstanden und können zuwenig semantische Kontraste transportieren. Sie sind darum auch nicht optimal und nicht natürlich - aus morphologischer Sicht. Der natürlichen Phonologie stand nun die natürliche Morphologie zur Seite. 11.2.2 Natürliche Morphologie Morphologischem Wandel liegt häufig phonologischer Wandel zugrunde, wenn beispielsweise eine phonetisch motivierte Regel diese Motivation verliert, indem die phonetisch nötige Umgebung verschwindet und sie semantische oder grammatische Funktion übernimmt. Das war beim Umlaut im Deutschen der Fall, der ursprünglich als Lautvariante bei einem i oder j in der Folgesilbe auftrat. Hierbei handelt es sich 177 11.2 Natürlichkeitstheorie um eine Assimilation, also eine Erleichterung der Aussprache. Die Sprecher/ innen und Hörer/ innen gewöhnten sich daran, bestimmte Wörter mit Umlaut auszusprechen. Dann verschwanden die i und j, der Umlaut blieb, war damit also zunächst einmal ein neuer Sprachlaut. Die Endsilbenschwächung oder der -verlust werden durch die Initialbetonung erklärt. Das Indogermanische hatte noch einen freien Wortakzent. Manche Endsilben wurden betont und bestanden entsprechend aus mehr Lautmaterial. Dann wanderte der Akzent auf die erste Silbe eines Wortes, so dass die Endsilben nicht mehr betont und damit auch nicht mehr so sorgfältig ausgesprochen wurden. Das führte zu artikulatorischen Vereinfachungen der Endsilben, den Trägern von Flexionsinformationen. Da in vielen Wörtern die Pluralformen umgelautet waren, die meisten Singularformen aber nicht und die Endungen mehr und mehr schwanden, blieb oft der Umlaut als einziges Unterscheidungsmerkmal für Singular und Plural übrig. Damit war dann der Umlaut morphologisiert, aber die phonologische Natürlichkeit des Umlauts ging verloren. Zusätzlich wirkte Analogie. Im frühen Althochdeutschen gab es bei einigen Wörtern auch im Singular den Umlaut. Er wurde ganz normal durch das i in der Folgesilbe bestimmt (vgl. Wurzel 1980): N. Sg. hano, Pl. hanun G. henin hanōno D. henin hanōn A. hanun hanun. Da im Laufe des Althochdeutschen aber immer mehr Umlaut mit Plural assoziiert wurde, störten diese Formen, nicht umgelautete Vokale ersetzten ihn. Im späteren Althochdeutschen hieß es daher N. Sg. hano, Pl. hanun G. hanin hanōno D. hanin hanōn A. hanun hanun. Das morphologische System war nun sauberer. Dann aber schwächten sich zum Mittelhochdeutschen hin die Vollvokale der Endsilben zu Schwa ab, vgl. N. Sg. hane, Pl. hanen G. hanen hanen D. hanen hanen A. hanen hanen. Jetzt klangen zu viele Formen gleich, sie hatten kaum unterscheidende Wirkung. Und da der Umlaut in anderen Wörtern für den Plural stand, wurde er per Analogie auch auf solche übertragen, die ursprünglich keine umlautbedingende Umgebung in den Pluralformen hatten. Heute lautet deswegen der Plural zu Hahn Hähne. Das ist morphologisch natürlich, da systematisch und klar. Es wird deutlich, wie phonologische und morphologische Faktoren ineinander greifen, genauso wie die Bedürfnisse der Sprachbenutzer/ innen, was wir schon aus dem Funktionalismus kennen. Problematisch ist allerdings der Begriff der Markiert- 178 11 Sprachwandelkonzepte heit im Bereich der Morphologie. Er wurde unterschiedlich definiert und war nicht unbedingt immer operationalisierbar (Lüschützky 2006: 2343). Die Natürlichkeit in der Morphologie wird bestimmt über optimale Versprachlichung von Bedeutungen. Dazu müssen zeichentheoretische Aspekte und Faktoren der Sprachverarbeitung und Speicherung auf Seiten der Sprachbenutzer/ innen mit einbezogen werden. Morphologisch gut bzw. unmarkiert bzw. natürlich ist ein Zeichen, wenn es den Prinzipien der Eindeutigkeit, Uniformität, optimalen Größe, konstruktionellen Ikonizität und Transparenz gehorcht. Mittlerweile hat Markiertheit nichts mehr mit Merkmalhaftigkeit zu tun, auch wenn beides gelegentlich übereinstimmt. Die konstruktionelle Ikonizität fordert, dass ein Zeichen und das, worauf es sich bezieht, ähnlich sein müssen insofern, als mehr Material auch mehr Inhalt bedeutet. Das ist bei vielen Singular- und Pluralformen der Fall, Kind/ Kinder, Oma/ Omas, oder bei den Steigerungen, vgl. schnell/ schneller/ am schnellsten. Solche Formen sind natürlicher als etwa Mädchen/ Mädchen oder viel/ mehr, weil hier kein zusätzliches Lautmaterial den Plural bzw. die Steigerung versprachlicht. Dazwischen liegen die Plurale Hähne und Männer oder Väter. Damit gibt es unterschiedliche Grade der Natürlichkeit. Die Uniformität würde immer den gleichen Plural fordern und Allomorphie vermeiden, also immer eine Form für einen Inhalt. Die Eindeutigkeit richtet sich gegen homonyme Morpheme (schön-er, Kind-er, Schäl-er). Die Transparenz verlangt, dass Grenzen zwischen den Morphemen deutlich werden und dass die Bedeutung des Gesamtausdrucks aus der der Einzelteile ersichtlich wird. Somit ist Haustür morphologisch natürlicher als Steckenpferd, und kochte zu kochen ist natürlicher als war zu sein. Eigentlich müssten solche Prinzipien gewichtet sein, da sie sich teilweise ausschließen, denn je transp arenter, einheitlicher und genauer ein Wort inhaltliche Aspekte versprachlicht, desto länger wird es. Fraglich ist auch, wie lang ein Wort zu sein hat, wenn es morphologisch optimal sein soll. In der morphologischen Natürlichkeit sind die Natürlichkeitskonflikte von entscheidender Bedeutung. Denn wie bereits gezeigt wurde ist das, was morphologisch natürlich ist, oft das Gegenteil von dem, was phonologisch natürlich ist. Wenn beispielsweise Laute assimiliert werden, können Formen an Deutlichkeit verlieren, und auch, wenn ein Laut schwindet und damit eine Flexionsendung verloren geht, wird das Wort zwar phonologisch natürlicher, aber gleichzeitig morphologisch unnnatürlicher. Sprachen wie das Lateinische, die Kasus und Numerus in je eigenen Endungen ausdrücken, haben transparentere, aber längere Wörter, während Sprachen wie das Deutsche, wo beides oft in einer Endung zusammenfällt, kürzere Wörter haben. Sie sind damit phonologisch besser, aber morphologisch schlechter, da weniger transparent. Und für eine isolierende Sprache wären Pluralendungen äußerst unnatürlich. Die natürliche Morphologie unterscheidet zwischen universeller und sprachspezifischer Markiertheit, weil sich die Sprachen unterschiedlich stark nach den einzelnen Prinzipien richten. Deswegen und auch, weil phonologische und morphologische Bedürfnisse nicht gleichzeitig optimierbar sind, ist es schwierig, in der Morphologie universelle Natürlichkeit zu bestimmen. Aber zumindest gibt es Korrelationen, die sich empirisch überprüfen lassen. Wenn etwas natürlich und damit unmarkiert ist, sollte es bevorzugt werden. Dann sollte es auch häufiger in den Sprachen oder in einer Einzelsprache zu finden sein. Es sollte früher von Kindern erlernt werden, hä ufiger Ergebnis von Sprachveränderung und robuster gegen Veränderung sein. Kürzere Singulare als Plurale wären hier geeignete Kandidaten. Eines der Hauptarbeitsgebiete der natürlichen Morphologie liegt in der Bestimmung und Gewichtung der Natürlichkeitsprinzipien. Sie versteht sich nicht als 179 11.3 Sprachökonomie Sprachwandeltheorie, kann damit aber einen Beitrag für die Erklärung von Sprachwandelprozessen und für die Sprachtypologie und Universalienforschung leisten (vgl. auch Dressler 2003). Die Natürlichkeitstheorie sieht im Wesentlichen die Kinder als Initiatoren des Sprachwandels, weil sie markierte grammatische Erscheinungen vermeiden (Wurzel 1997). Neben Phonologie und Morphologie werden Natürlichkeitsaspekte auch für Syntax und Text diskutiert (u.a. Mayerthaler/ Fliedl 1993). In der Semantik richtet sich die Natürlichkeit nach kognitiver Komplexität. Insgesamt ist sie jedoch noch nicht zu einem umfassenden, übergreifenden Theoriegebäude ausgebaut, in dem der Begriff der Natürlichkeit oder der Markiertheit klar definiert und konsistent angewendet würde (zu Kritik vgl. u.a. Keller 1993, Haspelmath 2006). Moderne Fassungen berücksichtigen wesentlich mehr sprachexterne Evidenzen und bergen so durch ihre Interdisziplinarität noch Einiges an Potenzial für die Sprachwandelforschung. 11.3 Sprachökonomie Eng verknüpft mit Natürlichkeit ist die Sprachökonomie. Martinet (u.a. 1952, 1981) verwendete aufbauend auf Arbeiten von Paul Passy, Henry Sweet und Otto Jespersen diesen Begriff im Zusammenhang mit Lautwandel - eine Sprache verfügt nur über so viele Laute und Kombinationen, wie zur Verbalisierung der kommunikativen Bedürfnisse der Sprecher/ innen nötig sind. Das beim Menschen stets wirkende Trägheitsprinzip steht verschiedenen sich ändernden kommunikativen und expressiven B edürfnissen gegenüber, was zu einem immer wieder anderen Gleichgewicht und damit zu Wandel führt. Diese Idee sollte später eine große Rolle in mehreren Sprachwandelkonzepten spielen. Dort gilt dann Sprachökonomie als eine der Ursachen für Sprachveränderungen. Sprachökonomie wird aber auch als ein eigenständiges Konzept aufgefasst. Für Otmar Werner beispielsweise waren Ökonomieprinzipien für Wandel verantwortlich, er setzte sich in seinen Arbeiten vor allem kritisch mit der morphologischen Natürlichkeit auseinander. Während dort nämlich Suppletivformen höchst unnatürlich sind - wenn wir also innerhalb eines Paradigmas Wörter mit unterschiedlichen historischen Wurzeln verwenden wie bei dem Verb sein: bi-n, bi-st vs. war, war-st vs. ge-wesen -, so sind aus Sicht der Sprachökonomie diese Formen in sofern praktisch, als der Wechsel der Wurzel unterschiedliche Kategorien signalisiert und zu einer Art Aufg abenteilung führt, Präsens vs. Präteritum. Bei ganz besonders stark benutzten Verben wie eben sein, die sehr kurz sind, scheinen die Endungen zu wenig differenzierend zu wirken, sie können leicht überhört werden, so dass der Wurzel eine bessere Unterscheidungskraft zukommt. Viel benutzte Formen werden automatisch kürzer. Sie können deswegen als Einheit abgespeichert werden. Das Ökonomische daran ist di e Kürze, die mit inhaltlicher Komplexität einhergeht. Das lohnt sich aber nur, wenn solche Einheiten oft genug Verwendung finden (vgl. auch Tokenfrequenz, Kap. 13). Denn je irregulärer die Form, desto höher ist der Lernaufwand. Häufiges wird kurz, das ist aus Verarbeitungssicht auch praktisch und ökonomisch, da es schnell und automatisch abrufbar ist. Deswegen haben wir unregelmäßige Formen (fahren/ fuhr, laufen/ lief, bin/ war). Zu viele kurze, aber inhaltlich komplexe Einheiten jedoch wären eine Belastung für das Verarbeitungssystem, das sie alle zusammen mit ihren Bedeutungen einzeln lernen und abspeichern müsste. Da ist es schon wirtschaftlicher, für seltenere komplexe Inhalte transparente Formen zu verwenden, die sich jeweils neu 180 11 Sprachwandelkonzepte zusammensetzen lassen. Deswegen haben wie auch reguläre Formen im Sprachsystem, und zwar sehr viele verschiedene (kochen/ kochte, sparen/ sparte, trennen/ trennte). Die Einzelelemente können wir besser verwalten und je nach Bedarf neu kombinieren. Denn Ökonomie bezieht sich bei Otmar Werner auf das Sprachverarbeitungssystem. Starke Komprimierung geht mit mehr Lernaufwand einher. Sie ist sinnvoll bei einer sehr häufig genutzten Einheit, denn hier lohnt sich das Abspeichern. Dem läuft das Bedürfnis nach Differenzierung, also Entkomprimierung zuwider bei selteneren Formen, denn wird eine komprimierte Form seltener, wird sie per Analogie wieder dekomprimiert. Dieses Hin-und-Her gilt für alle sprachlichen Ebenen (Werner 1987, 1989, 1991). Der Ansatz erweitert die Bezugsgröße der Sprachökonomie von Spr echer-Hörerkosten auf das Verarbeitungssystem selbst und auf das Sprachsystem, da auch Häufigkeitsfaktoren einbezogen werden. Lüdtke (1980) stellt das stete Abwechseln von lautlichem Schrumpfen, lexikalischer Anreicherung und Verschmelzung in seinem Kreislauf-Modell zusammen (ausgebaut in Keller 1994). 11.4 Die unsichtbare Hand Rudi Keller geht in seinem Modell der unsichtbaren Hand davon aus, dass Wandel ein Phänomen der dritten Art ist, weder ein Naturphänomen noch von Menschen gemacht, in dem sich das Wirken der „unsichtbaren Hand“ zeigt. Er entsteht durch viele Einzelhandlungen der Sprecher/ innen, die ungewollt und ungeplant sind, zusammengenommen aber neue Strukturen ergeben, so wie bei einem Trampelpfad. Er bildet sich aus, wenn viele Menschen eine Abkürzung zwischen gepflasterten Wegen gehen, ohne Absprache und ohne Intention, einen solchen Pfad herstellen zu wollen. Bei diesem Konzept beginnt Sprachwandel bei den einzelnen Sprecher/ innen und Hörer/ innen, die Inhalte entsprechend ihrer kommunikativen Ziele versprachlichen. Dadurch, dass es zu jedem aktuellen Zustand eine Verbesserung zu geben scheint und eine Optimierung für unterschiedliche Sprechergruppen unterschiedlich gesehen wird, kommt es permanent zu Wandel (Lüdtke 1980). Die Sprachteilnehmer/ innen richten sich dabei nach verschiedenen Maximen, etwa „Rede so, dass du möglichst nicht missverstanden wirst“, „Rede so, wie Du denkst, dass der andere reden würde, wenn er an deiner Statt wäre“, „Rede so, dass du als Gruppenzugehöriger zu erke nnen bist“, „Rede so, dass es Dich nicht unnötige Anstrengung kostet“ und schließlich die Hypermaxime „Rede so, dass Du sozial erfolgreich bist, bei möglichst geringen Kosten“ (Keller 1994: 130, 136, 137, 139, 142). Das führt dann dazu, dass der eine oder die andere ein Wort, das zu einem Missverständnis führen könnte, mehr oder weniger bewusst meidet. Weil den Menschen (einer Sprachgemeinschaft) aber vergleichbare Maximen und verschiedene nicht-sprachliche Bedingungen gemeinsam sind und sie darum wiederholt gleich entscheiden, wirken die eigentlich individuellen Handlungen zusammen und führen zu einem „Invisible-Hand-Prozess“ und möglicherweise zu einem Wandel, der so nicht intendiert war. Keller (1994: 89ff.) gibt zur Illustration ein Beispiel aus dem Straßenverkehr an. Auf einer dicht befahrenen Straße bremst einer der Autofahrer plötzlich ab. Die ihm nachfolgenden Verkehrsteilnehmer/ innen tun es ihm sukzessive gleich, um einen Auffahrunfall zu vermeiden. Jede/ r bremst dabei vorsichtshalber ein bisschen mehr, alle aus dem gleichen Grund. Insgesamt addiert sich das zu einem Stau auf, der von den einzelnen so nicht gewollt und nicht geplant war, aber doch von ihnen verursacht wurde. Keller sieht darin ein Phänomen der dritten Art. „Ein Phänomen der dritten Art ist die kausale Konsequenz 181 11.5 Grammatikalisierung einer Vielzahl inividueller intentionaler Handlungen, die mindestens partiell ähnlichen Intentionen dienen“ (Keller 1994: 92). Dieses Phänomen nennt er Invisible- Hand-Prozess (Keller 1994: 101). Letzendlich kann ein vermiedenes Wort aus dem Sprachsystem verschwinden. Auf diese Weise werden für die Sprachbenutzer/ innen in irgendeiner Weise unpraktische sprachliche Situationen abgeschafft. Da die Maximen aber teilweise konfligieren, kann wie auch bei der Natürlichkeit kein einheitlicher Weg zu einer optimalen Sprache aufgezeigt werden. Und weil in diesem Ansatz keine Sortierung nach natürlich und unnatürlich vorgenommen wird, ist die Auswahl der jeweiligen Lösungsmöglichkeiten weniger leicht nachvollziehbar (zu Kritik vgl. u.a. Ladstätter 2004, Kabatek 2005). Der Invisible-Hand-Ansatz berücksichtigt auch Ökonomieprinzipien, versteht aber als ultimativen Motor für Wandel das Bedürfnis nach sozialem Erfolg - bei so wenig Aufwand wie möglich. 11.5 Grammatikalisierung Grammatikalisierung bezeichnet einerseits den Prozess, durch den sprachliche Einheiten ihre syntaktische Freiheit und ihren lexikalischen Gehalt verlieren und grammatischer werden, andererseits auch das Modell, das solche Vorgänge sprachübergreifend untersucht. Mittlerweile gibt es unterschiedliche Definitionsversuche (vgl. den Überblick in Campbell/ Janda 2001, Diewald 2004). In diesem Modell ist Wandel gerichtet. Er führt weg von lexikalischer hin zu grammatischer Versprachlichung. Er ist damit unidirektional und gleichzeitig auch irreversibel, weil die einzelnen Schritte nicht rückgängig gemacht werden können. Der Aspekt der Unidirektionalität ist allerdings umstritten (u.a. Campbell 2001b). Die sprachlichen Ebenen sind offen für einander, weil Verlust auf der einen Ebene von einer anderen aufgefangen wer den kann. Es gibt bestimmte Grammatikalisierungspfade, die in vielen, auch nicht verwandten Sprachen beobachtet wurden. So entwickeln sich Futurformen häufig aus Bewegungsverben, der unbestimmte Artikel aus dem Zahlwort eins oder der bestimmte Artikel aus dem Demonstrativpronomen. Dadurch erhält die Grammatikalisierung universelles Gewicht. Vielleicht auch deswegen ist sie ein zur Zeit beliebter und stark bearbeiteter Ansatz. Ausgangspunkt für dieses Modell bildete ein Artikel von Antoine Meillet (1912) (1866-1936) zur Entstehung von grammatischen Formen, in dem er der Analogie, die regelhafte Formen hervorbringt, einen zweiten Prozess zur Seite stellte, bei dem aus lexikalischem Material neue grammatische Elemente hervorgehen. Dieser Prozess rührt von unserer steten Benutzung der Sprache her. Meillet nannte ihn grammaticalisation. Denn häufig verwendete Wörter nutzen sich ab und verlieren an Aussagekraft, sie werden automatischer benutzt und ihr Bedeutungsumfang wird immer mehr beeinträchtigt, bis sie keinen konkreten Wert mehr besitzen, sondern nur noch abstrakt sind. Andere verlieren innerhalb einer wiederholten Gruppe an Ausdrücken ebenfalls lexikalische Eigenschaften, während die Positionen oder grammatischen Eigenschaften wie Flexion stabiler werden. Außerdem büßen die Wörter mit der Zeit Lautmaterial ein. Fomaler und inhaltlicher Schwund gehen Hand in Hand, bis das ursprünglich lexikalische Element nur noch grammatische Funktion besitzt. Den Ausgangspunkt sah Meillet bei den Sprachbenutzer/ innen, bei ihrem Bedürfnis, sich adäquat ausdrücken zu wollen. So war die idg. Verneinung ne mit ihren Fortläufern ne im Slawischen, ni im Gotischen oder Sanskrit na zu unscheinbar, zu kurz, wahrscheinlich meist auch nicht betont. Sie konnte eine wichtige negierende oder verweigernde Bot- 182 11 Sprachwandelkonzepte schaft nicht deutlich genug zum Ausdruck bringen. Daher musste sie verstärkt werden. Viele europäische Sprachen ersetzten sie durch „nicht ein“. Das Deutsche ergänzte ,Kleinigkeit‘, vgl. ni io uuiht ,nicht (je) eine Kleinigkeit/ ein Wicht‘, was zu ni + Verb + niht wurde (Nübling et al. 2010: 105), während das Französische sie durch Wörter wie pas ,Schritt‘, point ,Punkt‘ oder mie ,Krume‘ erweiterte. Das geschah zunächst bei den passenden Verben, also bei ich gehe keinen Schritt oder ich esse keine Krume. Statt kein, nicht hieß es in je ne vais pas , ich gehe keinen Schritt ‘ ne pas „kein Schritt“. Dann wurde die Verwendung freier und ne pas bedeutete nur noch Verneinung, das ursprüngliche Nomen pas hatte seinen lexikalischen Gehalt verloren. Später fiel das ne weg, pas trug allein die Verneinung und musste seinerseits verstärkt werden, pas du tout, absolument pas , überhaupt nicht ‘ . Heute ist bereits du tout allein zu hören. Auf diese Weise kommt es zu einer spiralförmigen Entwicklung. Wandel ist zyklisch. Als ein weiteres Beispiel führte Meillet (1912) das lateinische habeo dictum , ich habe gesagt ‘ an, das zunächst mit dem Vollverb den Besitz ausdrückte , Ich besitze etwas, das gesagt wird“, so, wie wir im heutigen Deutsch haben im Sinne von , besitzen ‘ verwenden, etwa in Ich habe viel Geld. Es handelte sich zuerst um eine Wortgruppe, keine grammatische Form. Später aber veränderte sich das Verb . Es wurde zu einem Hilfsverb und die Form zu einer Vergangenheitsangabe für das Perfekt. Dies geschah ganz ähnlich in mehreren Sprachen Europas. Analog dazu führte Meillet die Formen des Futur auf. Das lateinische facere habeo , ich habe zu tun ‘ im Sinne von , ich muss tun ‘ wurde im Französischen zu (je) ferai, Futur. Das wird bei den regelmäßigen Verben noch deutlicher, vgl. aimerai, aimeras oder chanterai, chanteras vs. ai, as ( , (ich) werde lieben ‘ , , (du) wirst lieben ‘ , , (ich) werde singen ‘ , , (du) wirst singen ‘ , , (ich) habe ‘ , , (du) hast) ‘ . Wenn die Formen aber zusammenwachsen und grammatischer werden, schwächen sie sich ab und verlieren gleichzeitig an Gehalt. Sie können Notwendigkeit oder Absicht nicht mehr zum Ausdruck bringen . Um dies zu kompensieren, stellen wir ihnen lexikalische Einheiten zur Seite. Das synthetische Futur ferai büßte mit der Zeit jegliche Expressivität ein, die Endung hatte nichts mehr mit habeo , ich habe ‘ zu tun. Also kam zunächst das ausdrücklichere vais , ich komme ‘ zum Verb hinzu, das auf die nahe Zukunft und damit auch die Absicht verwies, etwas zu tun,. Formen wie je vais faire dienen heute wiederum lediglich als Futurform , ich werde tun ‘ . Die synthetischen Formen entstehen automatisch durch den Gebrauch bzw. das „Abnutzen“ der Sprache. Der Verlust an Expressivität wiederum führt zu einem lexikalischen Ausgleich und dann zu analytischen Formen. Dementsprechend lässt sich der Weg unserer heutigen Hilfs- und Modalverben aus ehemaligen Vollverben in vielen Sprachen erklären. Aber auch eine bestimmte Wortstellung kann morphologische Aussagekraft übernehmen. So kommt im Englischen und Französischen die Erstposition im Satz nur für das Subjekt in Frage. Nachfolgend beschäftigten sich u.a. Henry Hoenigswald (1963/ 1966) und Jerzy Kuryłowicz (1965) mit dem Thema. Darauf aufbauend entwarf Christian Lehmann 1982 in einer größeren Arbeit, die 1995 im Druck erschien und für die er auch Schriften von Talmy Givón (u.a. 1979) berücksichtigte, ein Modell der Grammatikalisierung mit verschiedenen Ebenen und Phasen (vgl. Abb. 42). Für Lehmann liegt der Anfang der Entwicklung im Diskurs , in dem ursprünglich die Wörter frei kombinierbar sind und die Reihenfolge sich nach kommunikativen Bedürfnissen, und zwar der Informationsstruktur, richtet. Dies wurde bereits im Z usammenhang mit der Thema-Rhema-Gliederung angesprochen. 183 11.5 Grammatikalisierung Ebene Diskurs Syntax Morphologie Morphonologie Verfahren isolierend >analytisch > synthetisch- > synthetisch- > Null agglutinierend flektierend Phase Syntaktisierung Morphologisierung Demorphologisierung Schwund Prozess Grammatikalisierung Abb. 42: Phasen der Grammatikalisierung (nach Lehmann 1995: 13) In dieser Phase sind die Wörter nicht flektiert, die Sprache gehört zum isolierenden Sprachtypus. Durch den Prozess der Syntaktisierung werden einige Positionen fester, einige lexikalische Einheiten erlangen grammatische Funktion, die Konstruktionen sind analytisch. Hierher passt das Beispiel von Meillet mit lat. habere, das sich von Vollverb zum Hilfsverb wandelte und dabei sowohl semantischen Gehalt als auch syntaktische Freiheit verlor, da es sich als Hilfsverb nur noch innerhalb bestimmter Konstruktionen bewegen konnte. Die Verbformen sind in vielen Sprachen überhaupt ein gutes Beispiel für Grammatikalisierungsprozesse. Unsere schwache Vergangenheitsendung -te in kochte, malte geht wohl auf ein ehemals freies Vollverb tun zurück. Dieses Verb war auch semantisch eher frei verwendbar. In einer frühen Stufe des Deutschen half es wahrscheinlich, bei komplizierten Verben die Vergangenheit außerhalb des Verbs und damit verständlich zu markieren, wie etwa heute in ich tat wecken. Allerdings stand dieses tat nach dem Verb. Tun verlor seine eigenständige Bedeutung und wurde immer mehr zum Hilfsverb. Es verlor Lautgehalt, verschmolz mit dem Verb und entwickelte sich so zur Flexionsendung, die dann für alle Verben verwendet werden konnte (Szczepaniak 2011: 112ff.). Heute benutzen wir sie auch für Fremdwörter, vgl. er surfte, sie googelte. Verlust von Bedeutung (Demantisierung), von lautlicher Substanz (Erosion) und von syntaktischer Selbstständigkeit (Dekategorisierung) sind neben der Verwendung einer Form oder Konstruktion in neuen Kontexten (Extension, Kontextgeneralisierung) wichtige Entwicklungen im Rahmen des Grammatikalisierungsprozesses. Als Zukunftsmarkierung verwenden nicht nur das Französische, sondern auch vi ele andere Sprachen gern das Verb kommen oder andere Verben der Bewegung. Im Englischen hieß früher I’m going to buy cattle genauso wie I’m going to the market zunächst, dass ich dabei bin, zu gehen (zum Markt, um Vieh zu kaufen). Es bezog sich zunächst auf eine Bewegung, dann auf eine feste Absicht und hatte dadurch auch etwas Zukünftiges an sich, , ich gehe (sicher) Vieh kaufen ‘ , , ich gehe (sicher) zum Markt ‘ . Nun lassen sich Formen mit Verb wie I’m going to sing, I’m going to leave nur noch als Futurformen verstehen. Für solche Grammatikalisierungen sind zwei Prozesse verantwortlich. Zuerst wird ein Satz wie I’m going to buy cattle immer wieder als Form der Zukunft analysiert, das heißt, die lexikalische Variante wird als grammatische reanalysiert, die dann eine andere Struktur hat, nämlich going to + Vollverb mit going to in Hilfsverbfunktion. Dann werden der grammatisch interpretierten Variante per Analogie weitere zur Seite gestellt. Und hier zeigt sich schließlich die für die Grammatikalisierung typische strukturelle Einschränkung. Denn in dieser Bedeutung lassen sich keine Nomen mehr anfügen, I’m going to town kann nicht Futur sein, sondern nur das wörtliche , Ich gehe zur Stadt ‘ . Gleichzeitig erfolgt eine Bedeutungsminderung. In Sätzen wie I’m going to come, die vorher unmöglich waren, weil sich to go , gehen ‘ und to come , kommen ‘ widersprechen, ist eine lexikalische Lesart unmöglich 184 11 Sprachwandelkonzepte geworden. Reanalyse und Analogie gehören zu den zwei Grundmechanismen, die für Grammatikaliserungsprozesse verantwortlich sind. Sie treten allerdings auch unabhängig davon auf (ausführlich Lehmann 2004). Die Morphologisierung (vgl. Abb. 42) reduziert analytische Konstruktionen auf synthetische, wenn beispielsweise Hilfsverb und Vollverb verschmelzen und aus dem Hilfsverb eine Flexionsendung wird. Das heißt, aus freien grammatischen Einheiten werden Affixe. Die Bauweise verändert sich von agglutinierend zu flektierend, wenn auch einzelne Flexive zusammenfallen. Diese Phase nennt Christian Lehmann Demorphologisierung und bezieht sich auf den Übergang von Morphologie zu Morphonologie. Hierher passt der Umlaut im Deutschen in denjenigen Fällen, in denen der Plural sowohl durch die Endung als auch durch den umgelauteten Vokal des Stammes versprachlicht wird. Vorher steckte der Plural allein in der Endung, und die Formen waren agglutinierend, weil Stamm und Endung je eine klare und vor allem separate Funktion besaßen. Beim Übergang vom agglutinierenden zum flektierenden Sprachbau wird diese Eindeutigkeit zerstört. Danach kann es dann zu Schwund kommen, die Pluralendung ging in manchen Fällen verloren. Auch viele der idg. Kasus gibt es nicht mehr im Deutschen. Und nun setzen Kompensationsstrategien ein. Denn die Inhalte vieler früherer Kasusendungen erscheinen heute in Form von Präpositionalphrasen. Statt des Instrumentals, der das Mittel, mit dem eine Handlung durchgeführt wird, verwenden wir also Umschreibungen mit mit oder durch etwas. Später beschäftigten sich weitere Wissenschaftler/ innen mit Grammatikalisierung und untersuchten dabei viele verschiedene Sprachen, unter ihnen Paul J. Hopper, Elizabeth Closs Traugott, in Deutschland auch Bernd Heine und Kolleg/ innen sowie Martin Haspelmath oder Gabriele Diewald. Christian Lehmanns Modell liegt heute noch den Abhandlungen zur Grammatikalisierung zugrunde, wurde aber nachfolgend diskutiert und ausgebaut (z.B. Szczepaniak 2011). Mittlerweile gilt es als eines der wichtigsten gebrauchsbasierten Gegenentwürfe zu generativen Grammatiken im Bereich der diachronen Linguistik (vgl. u.a. Haspelmath 1999). Dem Prozess der Grammatikalisierung wird die Lexikalisierung gegenüber gestellt. Dabei wachsen Wörter zu einer neuen lexikalischen Einheit zusammen, damit fehlt ein grammatischer Aspekt. So entsteht aus einer Wortgruppe beispielsweise ein Kompositum wie bei Junggeselle, oder bei einem Kompositum entwickelt sich ein Glied zu einem Derivationsmorphem wie bei -lich aus ahd. līch , Körper ‘ (Szczepaniak 2011: 25ff.). Die Gründe für Veränderungen werden auch in diesem Modell bei den Sprachb enutzer/ innen und ihren konfligierenden Bedürfnissen gesehen. Wenn sich eine Form abnutzt und bestimmte Inhalte nicht mehr transportiert, wenn sie bequemlichkeitshalber kürzer geworden ist, aber auch bedeutungsärmer, wird das Defizit eben durch zusätzliches lexikalisches Material ausgedrückt. Oder eine neue Möglichkeit, etwas zu sagen, existiert neben einer älteren, bis diese aufgrund von Prestigeverlust oder U npraktikabilität an Wert verliert (Haspelmath 2002). „Grammatikalisierung ist nichts anderes als das Resultat kommunikativer Problemlösungen, die ungewöhnlich und praktisch zugleich sind“ (Szczepaniak 2011: 30). Wandel entspringt Variation, und die synchrone und die diachrone Perspektive ergänzen sich (Lehmann 2004). Die Grammatikalisierungsforschung kann aufgrund von Daten aus zahlreichen Sprachen und Sprachfamilien mittlerweile anhand vielfach belegter Pfade und Mechanismen einiges zur Rekonstruktion von nicht schriftlich fixierten Vorstufen uns erer heutigen Sprachen beitragen (Szczepaniak 2011: 112). Sie befasst sich allerdings nur mit einem Teilaspekt der Sprachveränderung, nämlich bestimmten Bereichen der 185 11.6 Gibt es ein Fazit? Grammatikwerdung. Deswegen sprechen ihr viele den Status einer eigenständigen Theorie ab und sehen in ihr einen Mechanismus bzw. einen Prozess (zu Kritik vgl. u.a. Campbell 2001b gegenüber Haspelmath 1999, Lehmann 2004). 11.6 Gibt es ein Fazit? Die verschiedenen Ansätze schließen sich nicht unbedingt aus, konzentrieren sich jedoch auf unterschiedliche Etappen oder Aspekte von Sprachwandelerscheinungen. Sprachexterne Gründe für vereinzelte Vorkommen sind beispielsweise phonetisch motiviert, warum es etwa überhaupt zu Assimilationen kommt. Ein Wort mit Assimilation ist natürlicher für den Sprecher/ die Sprecherin, oder besser gesagt, zu assimilieren ist natürlich. Andererseits wandeln wir eine bestimmte Reihenfolge der sprachlichen Zeichen ab, um damit kommunikativ erfolgreicher zu sein. Die neue Reihenfolge, die möglicherweise unnatürlicher ist, sichert uns die Aufmerksamkeit des Gegenübers und drückt eine besondere Betonung des neu plazierten Elementes aus. Ausgangspunkt eines Wandels sind die Sprachbenutzer/ innen, sie machen einmal etwas anders. Das ist eine synchrone Feststellung. Dann machen sie es öfter, und andere mit ihnen. Warum das so ist, hat nichts mehr mit Phonetik oder einer bestimmten Informationsstruktur zu tun. Die Veränderung erfolgt zunächst im Mikrobereich, also bei einzelnen Personen, bevor sie allgemeiner für eine Sprachgemeinschaft gilt. Natürlichkeit und Sprachökonomie könnten für die Erklärung von Tendenzen herangezogen werden. Vor allem die Konfliktsituationen zwischen Sprecher/ innen und Hörerer/ innen und die der unterschiedlichen sprachlichen Ebenen erlangen d abei großes Gewicht, damit auch sprachinterne Faktoren. Der Umlaut im Deutschen, ein ganz bestimmter Fall von Assimilation, wäre wohl nicht zu einem Plural geworden, wenn die vielen Endungen nicht verlorengegangen wären. Überdies müssen kommunikativ-kulturelle Gesichtspunkte bedacht sein wie Höflichkeit oder Prestige (vgl. z.B. Keller 1993). Das führt dann zu den Verbreitungsprozessen, die im Mittelpunkt bei den soziolinguistischen Ansätzen und dem Invisible-Hand-Konzept stehen. Dieses wiederum betrachtet auch den Anfang einer Entwicklung. Die Grammatikalisierung befasst sich nur mit Grammatik, während der Unsichtbare-Hand-Ansatz lexikalische Entwicklungen fokussiert, sie lassen sich jedoch verbinden. Haspelmath (1999) sieht beispielsweise in der Invisible-Hand-Idee eine Möglichkeit, Grammatikalisierungsprozesse zu begründen. Die Handlungsmaxime, mit möglichst wenig Aufwand sozial erfolgreich zu sein, ist darüber hinaus ein Beispiel für Ökonomie, die überdies dazu führt, Markiertheit abzubauen (Bittner 1995). Immer mehr wird deutlich, dass die verschiedenen Konzepte ineinandergreifen und dass auch eine Trennung in sprachinterne und sprachexterne Faktoren schwierig wird. Veränderungen im zugrunde liegenden abstrakten System bleiben davon unberührt - hier sollen auch gar keine individuellen psychologischen oder allgemein soziale oder gar kulturelle Faktoren relevant werden, da es darum geht, Veränderungen des Systems mit Hilfe eines adäquaten Regelapparates zu beschreiben. Und daran arbeiten die verschiedenen Richtungen innerhalb des generativen Rahmens schon längst sehr intensiv. Somit würden Versuche, Sprachwandel zu erklären, denjenigen Ansätzen überlassen, die sich mit sozialen und psychologischen Aspekten des Sprachgebrauchs beschäftigen. Ansonsten werden performanz- und kompetenzorientierte Ansätze unvereinbar. Wäre ein umfassendes Modell möglich, in dem die Aufgabengebiete der einzelnen Ansätze klar positioniert sind, um sie dann sprachübergreifend einzusetzen? Viel- 186 11 Sprachwandelkonzepte leicht sollten wir auch statt von Theorien von Mechanismen und Prozessen sprechen, die gemeinsam, wenn auch nicht gleichzeitig für die Beschreibung und Erklärung herangezogen werden könnten. Zu Beginn steht Variation, die einerseits phonetisch, aber auch kommunikativ begründbar ist und Aufgabengebiet von Natürlichkeit und Ökonomie bildet. Der Prozess der Grammatikalisierung bekäme neben dem Mechanismus der Sprachökonomie etc. einen Platz in einem übergreifenden Sprachwandelmodell. Nach Kellers Maximen, u.a. mit Prestigegewinn zu sprechen, werden manche Formen überbeansprucht und nutzen sich deswegen ab, was einen Grammatikalisierungsprozess auslöst (Haspelmath 2002), was aber genauso zu Lexikalisierung mancher Formen führen kann. In vielen Diskussionen findet sich die Prognostizierbarkeit als ein Maßstab für ein Sprachwandelkonzept. Kann es Sprachwandel nicht vorhersagen, ist es schlecht. Sicher ist der Anspruch, Sprachwandel vorhersagen können, zu hoch gegriffen, weil wir nicht alle Faktoren in ihrem Zusammenspiel verstehen und weil der Mensch selbst in seinem Handeln nicht vorhersagbar ist. Wir können allenfalls Voraussagen zu Wahrscheinlichkeiten und Tendenzen treffen. Zusätzlich sind mehr breit angelegte empirische Erhebungen nötig wie die von Labov, um Spekulationen zu vermeiden, inwiefern beispielsweise Kinder für den Sprachwandel verantwortlich sind, da sie ihre Abweichungen in das System der Erwachsenen hineintragen müssten. Aber die Sprachen der modernen Kulturen sind schriftlich fixiert und Wandel, abgesehen von einzelnen lexikalischen Neuerungen, geschieht nicht von einer Generation zur nächsten, sondern sehr viel langsamer. Außerdem stehen die Vereinfachungsstrategien beim Kind in einem anderen sprachlichen und funktionellen Zusammenhang als die der Erwachsenen, auch wenn sie sich ähneln. Es ist noch offen, inwiefern kindliche und diachrone Veränderung auf eine Stufe zu stellen sind. Kinder werden daher häufig nicht als Initiatoren des Sprachwandels gesehen (Haspelmath 1999, Elsen 2001, Lüdtke 2005). Genauso wenig scheint sicher zu sein, ob lexikalisch-semantische und grammatische Phänomene in ein und demselben Erklärungszusammenhang stehen, was Interaktion aber nicht ausschließen soll. Natürliche Phonologie darf nicht mit natürlicher generativer Phonologie verwechselt werden (vgl. z.B. Hooper 1976). Einige wichtige Werke Dressler, Wolfgang U., Mayerthaler, Willi, Panagl, Oswald, Wurzel, Wolfgang U. 1987. Leitmotifs in Natural Morphology. Amsterdam/ Philadelphia. Hopper, Paul J., Traugott, Elizabeth Closs. 1993/ 2 2003. Grammaticalization. Cambridge. Keller, Rudi 3 2003. Sprachwandel. Tübingen/ Basel. Martinet, André 1981. Sprachökonomie und Lautwandel. Stuttgart. Zum Weiterlesen Überblicksdarstellungen zu Sprachwandel sind u.a. Bynon (1981), McMahon (1994) und für das Deutsche Nübling et al. (2010). Einen biologisch-evolutionär orientierten Ansatz vertritt Lass (1990, 1997), der im Übrigen allen der vorgestellten Ansätze 187 11.6 Gibt es ein Fazit? recht kritisch gegenüber steht. Für ihn ist Sprache ein mehr oder weniger zufälliges Bündel von vielen historischen Zufällen mit überflüssigen Teilen (junk), die neue Funktionen übernehmen können. Er verwendet die Organismus -Metapher, um die Ähnlichkeiten zwischen biologischer und sprachlicher Evolution zu veranschaulichen. Auch Croft (2000) sieht die Parallelen zum Wandel von Organismen und argumentiert evolutionär-darwinistisch. Zum Thema Markiertheit vgl. den Sammelband von Tomić (1989a). Lassettre/ Donegan (1998) und Donegan (2001) diskutieren Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Optimälitätstheorie und natürlicher Phonologie. Außerdem sei auf die drei Bände von Labov (1994, 2000, 2010) verwiesen. Das Thema Grammatikalisierung behandeln u.a. Heine et al. (1991), Hopper/ Traugott (2003), Diewald (1997), Haspelmath (1998, 1999, 2004) und Szczepaniak (2011). Eine Diskussion mit zahlreichen Beiträgen dazu gibt es z.B. in der Zeitschrift Language Sciences 23 von 2001 (Campbell 2001a) und in der Zeitschrift für germanistische Linguistik 32.2 von 2004. Im World Lexicon of Grammaticalization (Heine/ Kuteva 2002) werden viele verschiedene Grammatikalisierungserscheinungen aus den Sprachen dieser Welt vorgestellt. Schließlich sind noch zwei weitere Themen eng mit Sprachwandel verknüpft, und zwar Universalien und Sprachtypologie, also die Fragen danach, was häufig oder immer in den Sprachen der Welt zu finden ist und wie sich die Sprachen anhand grammatischer Kriterien einteilen lassen, vgl. den klassischen Sammelband von Greenberg (1963/ 1966), eine neuere Einführung bietet Moravcsik (2013). 12 Funktionale Grammatik Sätze wie Kann ich nicht sind in strukturalistischen und generativen Ansätzen als falsch, ungrammatisch oder nicht akzeptabel einzustufen. Der Unterschied zwischen Der Hund liebt den Knochen und Den Knochen liebt der Hund ist nicht weiter relevant. Beide sind syntaktisch gesehen gleich, denn sie weisen ein Subjekt, ein Prädikat und ein Objekt auf. Den strukturalistischen und generativen Ansätzen oder auch der Dependenzgrammatik geht es rein um die grammatische Struktur. Unabhängig davon sagen beide Sätze das gleiche aus. Funktionale Grammatiken wollen aber nun die Form aus der Funktion herleiten. Das heißt, die Struktur einer Äußerung ergibt sich aus verschiedenen Verwendungsbedingungen. In der funktionalen Grammatik nimmt der Gebrauch der Sprache einen elementaren Teil innerhalb des Modells ein. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine einheitliche grammatische Richtung, sondern um verschiedene Konzepte mit einer gemeinsamen Grundidee. Welke fasst es so zusammen: Die generative Grammatik versucht, syntaktische Strukturen aus zugrunde liegenden allgemeinen und universellen syntaktischen Prinzipien (also autonom) zu erklären. Die funktionale Grammatik versucht, syntaktische Strukturen aus zugrunde liegenden allgemeinen und universellen Prinzipien der Kommunikation und der Kognition zu erklären (Welke 1992: 11). In den folgenden Kapiteln sind funktionale Grammatiken getrennt von kognitiven (Kap. 13) und konstruktivistischen Ansätzen (Kap. 14) behandelt. 12.1 Funktion ist nicht gleich Funktion Im Rahmen der syntaktischen Beschreibung von Sätzen wurden bereits formale und funktionale Aspekte einander gegenübergestellt. Die Wörter im Satz können wir einmal nach Wortarten beschreiben, einmal aber auch nach ihrer Funktion im Satz. Damit ist die Satzgliedfunktion gemeint, die zu Kategorien wie Subjekt, Prädikat oder Objekt führt. Der Begriff der Funktion ist im Folgenden allerdings allgemeiner zu verstehen. Denn die funktionale Grammatik erweitert die Ebene der Strukturbeschreibung, wie wir sie aus dem Strukturalismus kennen und die Sprache als ein System von Zeichen auffasst, die aus einer Laut-Form-Kombination bestehen, um die Dimension des Gebrauchs. Sie betrachtet die Aufgaben, die Sprachen innerhalb der Kommunikation zufallen. Das heißt, funktionale Grammatik bezieht sich auf Konzepte mit eigenen Schwerpunkten gegenüber generativen, strukturalistischen oder Dependenz-Modellen etc. Im Rahmen der funktionalen Grammatik ist Sprache eine Form des Handelns. Die Kommunikationssituation und damit die Sprecher/ innen und Hörer/ innen spielen dadurch eine tragende Rolle. Der Kontext liefert Informationen, die in der reinen Strukturbeschreibung einer Äußerung nicht zum Ausdruck kämen. Sprachliche und nicht-sprachliche Faktoren interagieren. Damit bildet die Ebene der kommunikativen Funktion einen integralen Teil der Grammatik, sie wird nicht nur als Faktor erwähnt. Das Grundlagenwerk für diese Ansicht ist Bühlers Sprachtheorie von 1934 (vgl. Kap. 3.5, 6.3). Er selbst sah sich von Platons Kratylos inspiriert, in dem dieser bereits Wör- 190 12 Funktionale Grammatik ter als Werkzeuge des Benennens betrachtete. Sein Organonmodell (vgl. Abb. 5) zeigt, wie das sprachliche Zeichen in einem Gefüge zwischen Gegenständen und Sachverhalten, Hörer/ innen und Sprecher/ innen erst seine Bedeutung erhält. Das Dreieck bezieht sich auf die formale Seite eines Ausdrucks. Er steht gleichzeitig in Bezi ehung sowohl zu den Dingen als auch zu Sender/ in und Empfänger/ in. Platon hatte davon nur die Relation zwischen Zeichen und Gegenstand besprochen. Sprache bewirkt aber mehr als eine Zuordnung von Zeichen zu Gegenständen. Sie vermittelt zwischen Hörer/ innen und Sprecher/ innen und baut dabei eine Sprechsituation auf, in der die Sprachteilnehmer/ innen mitwirken. Innerhalb dieses Rahmens hat eine Äußerung eine Darstellungsfunktion, sie ist ein Symbol. Sie hat für den Sender Ausdrucksfunktion (Symptom, Anzeichen) und für die Empfänger/ innen Appellfunktion (Signal). Für Bühler ist Sprechen auch Handeln, er benutzte den Begriff der Sprechhandlung, der später in der Pragmatik bei Austin und Searle weiter präzisiert werden sollte. Er sah ein sprachliches Zeichen nicht losgelöst von der Situation. Deswegen ist die strukturelle Ebene nur ein Untersuchungsaspekt unter mehreren, die zudem in Relation steht zu den sprachlichen Funktionen. Die Ursprünge der funktionalen Grammatik sind bei Bühler und der Prager Schule zu finden. Hierher stammt auch der Begriff der funktionalen Satzperspektive, bei der allerdings Funktion wieder etwas anderes bedeutet (vgl. auch Halliday 1974). Sie beschäftigt sich mit einem der zentralen Arbeitsbereiche der funktionalen Grammatik, der Thema-Rhema-Gliederung. 12.2 Die funktionale Satzperspektive Das Konzept der funktionalen Satzperspektive (FSP) sieht den Satz zergliedert in kleinere Teile, die ihrerseits eine Aufgabe innerhalb des Kommunikationsprozesses erfüllen. Schon Aristoteles hatte Sätze funktional bzw. logisch interpretiert und zwischen Gegenständen und den Aussagen dazu getrennt. Das erscheint dann auch in Boethius’ Übersetzung subiectum, , Zugrunde Gelegtes ‘ , und praedicatum, , das vom Subjekt Ausgesagte ‘ . Die heutigen Begrifflichkeiten gehen auf unterschiedliche Quellen zurück. Mathesius schied zwischen der formalgrammatischen Satzgliederung und der kommunikativen, die er Mitteilungsperspektive oder Satzperspektive nannte. Sie führt zu einer bestimmten Organisation eines Satzes. Firbas erweiterte dann Satzperspektive um den Begriff funktional. Thema und Rhema stammen von Ammann, Thema- Rhema-Gliederung für die FSP wiederum von Karl Boost (Daneš et al. 1974), während in den U.S.A. stattdessen topic/ Topik und comment/ Kommentar verwendet wurde (z.B. Hockett 1958, später dann z.B. Li 1975, Chafe 1975). Firbas (1974) sah als Ausgangspunkt für die moderne Auffassung der funktionalen Satzperspektive ein 1844 erschienenes Werk des Franzosen Henri Weil. Dieser trennte die Bewegung von Ideen, ausgedrückt in der Reihenfolge der Wörter, von der syntaktischen Bewegung, ausgedrückt in den Endungen. Normalerweise steht das grammatische Subjekt am Anfang und bildet den Ausgangspunkt der Mitteilung. Wenn aber das Ziel der Äußerung zuerst versprachlicht wird, drückt das ein besonderes Gefühl aus. Wie vorher schon im antiken Griechenland geschehen gliederten Hermann Paul und Georg von der Gabelentz Sätze grundsätzlich in zwei Teile. Je nach Sichtweise unterscheiden wir das psychologische Subjekt und das psychologische Prädikat, was nicht das gleiche sein muss wie das grammatische Subjekt bzw. Prädikat (vgl. Kap. 2.2.1). Sätze wie es blitzt haben ein grammatisches Subjekt, aber kein psychologisches 191 12.2 Die funktionale Satzperspektive (Paul 1937: 131). Das psychologische Subjekt ist das, worauf die Hörer/ innen ihre Aufmerksamkeit richten sollen. Das psychologische Prädikat ist das, was über das Subjekt gedacht werden soll. Mathesius behandelte in zwei 1929 erschienenen Artikeln (Mathesius 1929a, 1929b = 1971) ebenfalls diese zwei Betrachtungsmöglichkeiten. Er versuchte sie aber nicht psychologisch, sondern linguistisch zu fassen. Abhängig von der Situation ist eine Vorstellung bereits bekannt, sie ist das psychologische Subjekt bzw. Basis oder Ausgangspunkt der Mitteilung. Was neu ist, ist das psychologische Prädikat oder auch der Mitteilungskern. Wie Hermann Paul vor ihm wies Mathesius darauf hin, dass das psychologische Prädikat bzw. Subjekt nicht mit dem grammatischen Präd ikat bzw. Subjekt zusammenfallen müssen. Normalerweise wird zuerst das Thema g enannt, dann folgt der Mitteilungskern. Je nach Situation kann das auch umgekehrt sein. Es gibt verschiedene Gründe, von der normalen, objektiven Abfolge abzuweichen, neben Neuheit bzw. Bekanntheit der Vorstellungen auch emotionale Hervorh ebung oder Kompliziertheit des Ausdrucks. Die Abfolge von Kern und Thema nannte Mathesius die subjektive (Mathesius 1971: 6f.). Mathesius dachte sprachübergreifend. Die Reihenfolge der Wörter ergibt sich in den verschiedenen Sprachen durch Prinzipien, eines davon ist das der funktionalen Satzperspektive, die beispielsweise im Tschechischen dominiert. Bei der unmarkierten, unauffälligen Reihenfolge kommt zunächst das Thema. Bei der umgekehrten Abfolge wird eine Äußerung emotional markiert. Ein anderes Prinzip ist das grammatische, das in Sprachen wie dem Englischen oder Französischen überwiegt. Diese Sprachen weisen eine hohe Übereinstimmung zwischen Subjekt und Thema auf. Als weitere Prinzipien wirken noch Rhythmus, Sprachmelodie und Emphase, die meist, aber nicht durchgängig funktionalen Charakter haben. Denn die Wortstellung ist nicht das einzige mögliche Signal für die Funktionen des Satzes im Kontext, sondern auch die morphologische Markierung und die Intonation. Im Englischen steht meistens das Subjekt vorn und bildet das Thema. Im Deutschen wiederum markiert der Nominativ das Subjekt, das auch woanders plaziert sein kann. Trotzdem steht es in zwei Drittel aller Fälle im Aussagesatz vorn und ist ebenfalls sehr häufig Thema. Ganz anders aber liegt der Fall in Sätzen wie Das Áuto hat in der Garage gestanden. Hier ist das Auto durch den Satzakzent hervorgehoben und bildet trotz Nominativ und trotz Initialstellung deswegen das Rhema. Die Intonation ist neben der Wortstellung ein wichtiger Indikator für die Thema-Rhema-Gliederung. Mathesius wollte eine neue Art der Linguistik schaffen, in der die Aufgaben, die die Sprache zu erfüllen hat, wichtiger werden als die Strukturen selbst und in der erst die Menschen der Sprache einen Sinn geben. Die oberste Funktion ist die der Mitteilung. Ein Ausdrucksmittel ist richtig, wenn es beim geringsten Kraftaufwand eine klare Mitteilung liefert (Mathesius 1971: 16). Auch in der Definition eines Sprachlautes schlägt sich diese funktionale Auffassung von Sprache nieder, denn seine Aufgabe ist es, Bedeutungen zu unterscheiden. Mathesius’ Trennung zwischen dem Satz als Strukturmuster und Teil des Sprac hsystems einerseits und dem Satz als Äußerung als Teil des Kontextes oder des Diskurses war wegweisend. Daher spielten in seiner Satzdefinition auch formale Aspekte eine sekundäre Rolle. 192 12 Funktionale Grammatik Der Satz ist eine mitteilende Aussage, in der der Sprecher aktiv und auf eine Weise, die in formaler Hinsicht den Eindruck der Gebräuchlichkeit und der subjektiven Vollständigkeit hinterläßt, zu einem Sachverhalt oder einer Gruppe von Sachverhalten eine Stellung einnimmt (Mathesius 1971: 5). Mathesius benutzte zunächst die Termini Thema und Kern. Thema als Gegenstand der Mitteilung und Rhema als das Neue, das, was darüber gesagt wird, verwendete bereits Ammann (1928). Aber auch Mathesius definierte sie noch nicht eindeutig. In Daneš (1974a) ist die variierende Bedeutung der beiden Begriffe wiederholt Gegenstand der Diskussion auch als Hindernis für die Theoriebildung (zum Problem der Termini auch Eroms 1986, Bolkestein 1993). Geht es bei der Thema-Rhema- Gliederung nun um bekannte gegenüber neuer Information oder um die gegebene bzw. bereits eingeführte Information und die, die dazu geliefert wird? Das muss nicht unbedingt das Gleiche sein. Firbas (1974) führt als Beispiel auf Ein unbekannter Mann hat ihn nach dem Weg zum Bahnhof gefragt. In diesem Satz ist ein unbekannter Mann das, worüber gesprochen wird. Es ist gleichzeitig aber nicht aus dem Kontext gegebene Information. Oder sind sogar verschiedene Grade der kommunikativen Dynamik anzusetzen? Das bezieht sich darauf, wie stark ein Element die Kommunikation weiterbringt. Das Thema weist die geringste kommunikative Dynamik auf. Für eine Sortierung nach kommunikativer Dynamik würde die Zwei- oder Dreiteilung zugunsten einer diffizileren Zergliederung aufgegeben (Firbas 1974). Für die funktionale Satzperspektive reicht der Satz als Untersuchungsgegenstand nicht aus. Übergeordnete Größe ist der Text oder der Diskurs, in dem Sätze eine Rolle spielen. Daneš (u.a. 1974b) suchte bei der Verteilung der Themen im Textzusammenhang nach einem System, nach einer thematischen Textorganisation. Ein Text entsteht, wenn eine Abfolge von Themen auf bestimmte Weise verkettet ist. Die Verbindung der Themen und die Bezüge untereinander ergeben die thematische Progression (TP). Mit diesen Gedanken leistete Daneš wichtige Vorarbeit für die heutige Textlinguistik. Ein Text kann dann anhand der thematischen Progressionstypen beschrieben werden. Beispielsweise ergibt sich eine lineare thematische Progression, wenn auf einen Satz mit Thema und Rhema ein Satz folgt, bei dem das Rhema zum Thema wird, durch ein neues Rhema ergänzt wird und dies auch für die Folgesätze gilt (vgl. Abb. 43). T 1 R 1 T 2 (= R 1 ) R 2 T 3 (= R 2 ) R 3 Abb. 43: Lineare thematische Progression (Daneš 1974b: 118) Das trifft auf folgenden Textausschnitt zu Einst hatte ein König eine wunderschöne Tochter. Sie wohnte in eine m großen Schloss. Dieses Schloss nun hatte auch einen zauberhaften Garten. Dort aber lebte ein einsamer Frosch. 193 12.2 Die funktionale Satzperspektive Eine kontinuierliche thematische Progression entsteht, wenn bei allen Sätzen das Thema gleich bleibt (vgl. Abb. 44). T 1 R 1 T 1 R 2 T 1 R 3 Abb. 44: Kontinuierliche thematische Progression (Daneš 1974b: 118) Eine solche Progression weist der folgende Textausschnitt auf: Einst hatte ein König eine wunderschöne Tochter. Er lebte zusammen mit seiner Familie in einem großen Schloss. Er hatte auch vier Söhne. Der König beschloss nun eines Tages, seine Familie zu verlassen. Er nahm sein Pferd und ritt davon. Darüber hinaus stellte Daneš einen Dreiebenenansatz vor, in dem bei der Analyse die Ebenen der grammatischen und der semantischen Struktur der Sätze und die der Organisation der Äußerungen geschieden werden. In einem normalen, unauffälligen Satz laufen Subjekt (grammatische Ebene), Agens (semantische Ebene) und Thema (kommunikative Ebene) gleich, vgl. Die Ministerin schreibt ein Buch. Bei dem Folgesatz Dieses Buch wird in den Medien bereits jetzt hoch gelobt. bildet dieses Buch Thema und Subjekt, jedoch nicht Agens, sondern Patiens. Diese Überlegungen richteten sich auch gegen die frühen Arbeiten von Chomsky , die die semantische Ebene gezielt aus der grammatischen Beschreibung ausklammerten. Das Prinzip der drei Ebenen finden wir in modernen Modellen weiter ausgearbeitet. In den U.S.A. entwickelte u.a. Li (1975) die Idee weiter, dass der Bau der Sätze in einigen Fällen eher der Subjekt-Prädikat-Unterscheidung unterliegt wie bei den indogermanischen Sprachen, in anderen hingegen der Topik-Kommentar-Relation wie im Chinesischen. Li stellte einige Merkmale zusammen, anhand derer sich Topik und Subjekt erkennen lassen. Im Unterschied zum Subjekt beispielsweise muss das Topik definit, also etwa von dem bestimmten Artikel begleitet sein. Es muss nicht in einer festen Beziehung zum Verb stehen, weder inhaltlich noch formal, im Gegensatz zum Subjekt, das mit dem Prädikat kongruiert. Die Wahl des Topiks geschieht nämlich unabhängig vom Verb. Die funktionelle Rolle des Topik bleibt für mehrere Sätze gleich, und außerdem steht das Topik stets satzeinleitend (Li 1975: 465). Demnach ist das Subjekt eine grammatische, das Topik hingegen eine diskursbestimmte Größe. Das heißt, es wird versucht, die Begriffe operationalisierbar zu machen, um sie auf Sätze aus möglichst vielen Sprachen auch anwenden zu können. Aufgrund dieser Kriterien ordnete Li (1975) die Sprachen in topikprominente und subjektprominente ein, dazu in solche, die sowohl subjektals auch topikprominent sind und in solche, für die beides nicht gilt. Zusätzlich sah er aus historischer Perspektive einen Zusammenhang insofern, als Subjekte grammatikalisierte Topiks darstellen, sodass die Spra- 194 12 Funktionale Grammatik chen typologisch letztendlich ein Kontinuum bilden, dessen Endpunkte stark topikprominent (Lisu) und stark subjektprominent (Englisch, Französisch) sind. Das Ph ilippinische siedelte er in der Mitte an. Für Li war Topik ein universeller Begriff, der sich in den Sprachen aber auf unterschiedliche Weise manifestiert, teilweise eben in der Form des Subjekts. Chafe (1975) trennte u.a. zwischen dem Status eines Nomens, gegeben zu sein, von dem, Subjekt zu sein, und dem, Topik zu sein. Ein Fazit war, dass sich dieser Status eines Nomens nach dem Sprecherstandpunkt richtet und damit eine kognitivkommunikative Grundlage hat. Chafe konnte allerdings keine sprachübergreifende Bestimmung des Begriffs liefern. Das Problem der uneinheitlichen Definition der Termini besteht noch heute. Noch immer finden wir meist Topik oder Thema für die gegebene oder bekannte Information gegenüber Kommentar oder Rhema für das, was neu ist. Sie werden von den formal-grammatischen Termini Subjekt und Prädikat geschieden und beziehen sich nicht auf die Struktur des Satzes, sondern auf die Informationsstruktur. Generative Arbeiten koppeln häufig die Begriffe mit der Position im Satz. Links bzw. vorn steht die NP, die das Topik bildet, dann folgt der Kommentar (Chomsky 1965: 221). Das liegt u.a. daran, dass Grundlage anfangs meist das Englische war, bei dem das Subjekt in der Regel satzinitial positioniert ist. Noch weiter führen Definitionen, die Topik bzw. gegebene Information mit dem Subjekt gleichsetzen und Prädikat mit dem Informationsteil über das Subjekt, also mit dem Kommentarteil. Die Ansätze ziehen unterschiedliche Bezugssysteme für die Bestimmung von Topik und Kommentar heran, Reihenfolgebeziehungen, Informationsstruktur bzw. psychologische bzw. pragmatische oder kognitionspsychologische Aspekte - wir sprechen von etwas Neuem vor dem Hintergrund des Alten. Dürscheid (2010: 184f.) stellt dann in Anlehnung an Dik (1978) die satzintern bestimmbare Unterscheidung von Topik und Kommentar der satzextern bestimmbaren Thema-Rhema-Gliederung gegenüber. Das Thema ergibt sich aus dem Text- oder Weltwissen, das Topik über die Informationsstruktur im Satz selbst als das, worüber im Satz eine Aussage gemacht wird. Die funktionale Satzperspektive war ein sehr frühes, schon in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickeltes Konzept im Rahmen einer funktionalen Vorstellung von Grammatik. Heute stellt die Thema-Rhema-Struktur als eine der Möglichkeiten, Struktur funktional zu deuten, eines der Hauptarbeitsgebiete bzw. einen Teil innerhalb einer funktionalen Grammatik dar. Vor allem in den 1980er Jahren entstanden die funktionalen Modelle in expliziter Abgrenzung zu Chomsky s Autonomiehypothese, die Syntax sei selbstständig und aus sich heraus zu beschreiben ohne Rückgriff auf Inhalte oder kommunikative Funktionen, sondern aufgrund eines angeborenen, universell gültigen Regelapparates. Davon unabhängig erfreut sich das Thema Informationsstruktur nach wie vor großer Beliebtheit und wird von Wissenschaftler/ innen unterschiedlichster theoretischer Coleur bearbeitet. 12.3 Modelle Die funktionalen Grammatiken unterscheiden sich in Tiefe und Formalis ierungsgrad und sind unterschiedlich stark pragmatisch ausgerichtet. Im Wesentlichen wurden sie im deutschen Sprachraum nie so populär, was möglicherweise an der weniger intensiv ausgearbeiteten formalen Komponente liegen mag. Dik und Halliday strebten praktische Anwendung und Computerimplementierung an. Sie entwickelten mit ihren 195 12.3 Modelle Mitarbeiter/ innen die am stärksten ausgearbeiteten Modelle. Weiterentwicklungen einzelner Gedanken führten zu textlinguistischen, pragmatischen und diskursanalytischen Theorien. Ein nicht unerhebliches Problem besteht nach wie vor in der unei nheitlichen und unklaren Verwendung der Begrifflichkeiten. Eine eigene Linie vertritt Talmy Givón in seinen biologisch-typologisch ausgelegten Arbeiten. Für den deutschen Sprachraum liegt mit der IDS-Grammatik (Zifonun et al. 1997) ein ausführliches, funktional ausgerichtetes mehrbändiges Werk vor, das sprachliche Strukturen als Ausdruck sprachlichen Handelns versteht und immer auch aus der kommunikativen Perspektive beschreibt. So kann sie viele der bisher als ungrammatisch bezeichneten Strukturen bearbeiten. Die folgenden Kapitel beschäftigen sich nun etwas genauer mit drei Ansätzen, und zwar denen von Simon C. Dik (1940-1995), Michael A. K. Halliday (*1925) und Talmy Givón (*1936). 12.3.1 Functional Grammar 1978 erschien Simon C. Diks Functional Grammar (FG) als Gegenentwurf zur generativen Transformationsgrammatik, in der die Rolle von Semantik und Pragmatik ausdrücklich hervorgehoben wurde (vgl. auch Dik 1997a, b, die Zusammenfassung von Dik 1993). Dieses Modell ist sehr detailliert und gilt als eine der ausführlichsten Alternativen zu generativen Ansätzen. Sprache wird hier als ein Werkzeug aufgefasst, das der sozialen Interaktion zwischen den Menschen dient. Damit beschreibt erstens eine Grammatiktheorie die sprachlichen Regeln nicht aus sich selbst heraus , sondern unter Rückgriff auf ihre Funktionen, die sich aus dem Gebrauch der Sprache ergeben. Hier richtet sich Dik explizit gegen die Autonomiehypothese. Zweitens ist solch eine Theorie wiederum Teil einer allgemeineren pragmatischen Theorie der verbalen Interaktion. Grundlage bildet die Vorstellung der Zweckgebundenheit der Sprache. Das führt dazu, dass anders, als in den formalen Ansätzen Chomskyscher Ausprägung üblich, als Ausgangspunkt für dieses Modell nicht die äußere Form, sondern ihre Funktionen dienen. Dik setzte drei funktionale Ebenen an, die semantische, die syntaktische und die pragmatische. Letztere bezieht sich auf die jeweilige Situation. Die semantische Ebene beschäftigt sich mit den Sprecher- und Hörerrollen, beispielsweise Agens, Patiens oder Instrument. Die grammatische Ebene arbeitet mit syntaktischen Funktionen wie Subjekt, Objekt etc. Sie sind aber nicht im herkömmlichen Sinne zu verstehen, sondern geben die Perspektive an. Das Subjekt ist die primäre Perspektive, von der aus die Situation präsentiert wird. Das geschieht unabhängig von der Bedeutungsebene. So ist die Situation in Aktiv- und Passivsätzen jeweils gleich, nur die Blickrichtung wechselt. Das Mädchen küsst den Jungen. Der Junge wird von dem Mädchen geküsst. Im ersten Satz wird der Vorgang aus Sicht des Mädchens berichtet, im zweiten aus der Sicht des Jungen. Die pragmatische Ebene schließlich verwendet Konzepte wie Thema oder Topik, die sich auf die Informationsstruktur beziehen. Ein Ausdruck kann gleichzeitig eine Funktion auf jeder dieser Ebenen übernehmen, so dass es zu einer Gleichschaltung von Subjekt, Agens und Thema kommen kann. 196 12 Funktionale Grammatik Formale Aspekte spielen eine untergeordnete Rolle, denn s yntaktische Strukturen werden von semantischen und pragmatischen Faktoren bestimmt. Für eine funktionale Grammatik ist die Frage ausschlaggebend, warum sprachliche Strukturen so sind, wie sie sind. Das heißt aber nicht, dass alle strukturellen Aspekte funktional erklärbar sein müssen, da auch historische Entwicklungen und konfligierende funktionale Bedürfnisse die strukturelle Beschaffenheit einer Sprache beeinflussen. Die funktionale Sicht führt außerdem dazu, dass Sätze nicht isoliert gesehen werden dürfen, sondern innerhalb eines Text- oder Kommunikationszusammenhangs. Dies wiederum eröffnet die Perspektive auf (verhaltens-)psychologische Aspekte von Sprache. Vor dem Hintergrund dieser verschiedenen funktionalen Faktoren verliert die formale Seite z unehmend an Gewicht, tatsächlich ist die pragmatische Ebene den anderen übergeordnet. Daher rührt auch einer der Kritikpunkte an der FG, sie vernachlässige die eigentlichen strukturellen Eigenschaften der Sprache. Das Modell selbst ist relativ kompliziert. Dürscheid (2010) hat deswegen eine vereinfachte Version entworfen (vgl. Abb. 45). LEXICON PREDICATE-FRAMES TERMS term insertion PREDICATIONS fully specified PREDICATIONS EXPRESSION RULES LINGUISTIC EXPRESSIONS Abb. 45: Modell der Funktionalen Grammatik von Dik nach Dürscheid (2010: 192). Das Modell ist mehr als nur beschreibend, es ist produktiv. Das symbolisieren die Pfeile. Vom Lexikon ausgehend erzeugt es stufenweise Sätze. Im Lexikon werden Prädikatrahmen aufgebaut. Dort gibt es außerdem Terme und unregelmäßige Formen wie gab. Komplexe regelmäßige Formen wie zurückgeben sind nicht im Lexikon enthalten, sondern werden aus elementaren Prädikaten und Termen erstellt. Prädikat ist 197 12.3 Modelle hier im Sinne der Prädikatenlogik zu verstehen. Prädikatrahmen geben Eigens chaften oder Beziehungen an, für das Prädikat J UNGE wären das Eigenschaften wie , menschlich ‘ und , männlich ‘ , außerdem weitere Informationen wie beispielsweise die Form (Junge), Kategorien (Adjektiv, Nomen etc.), Positionsvorgaben oder semantische Rollen. Für Verben ist das vergleichbar mit den Valenzen in der Valenztheorie. So bezeichnet das Verb geben im Satz Der Junge gibt dem Mann das Buch eine Beziehung zwischen den Prädikaten J UNGE , B UCH und M ANN . Ein Prädikat ist gleichzeitig auch ein Prädikatrahmen, weil es als strukturierte Größe aufgefasst wird. Im Prädikatrahmen werden darüber hinaus Selektionseinschränkungen vermerkt, die einen Ausdruck wie das Buch gibt dem Mann den Jungen als ungewöhnlich und damit markiert kennzeichnen. Solche Ausdrücke sind also nicht falsch oder ungrammatisch, sondern erfordern besondere Interpretationsstrategien. Der Prädikatrahmen für GEBEN ist geben V (x 1 : <belebt>) Ag (x 2 ) Go (x 3 : <belebt>) Rec mit Ag für die Agensangabe, Go für das Ziel (goal) und Rec für den Rezipienten (recipient) (vgl. Smirnova/ Mortelmans 2010: 25). Geben ist ein Verb (V), <belebt> bedeutet eine Selektionsbeschränkung insofern, als normalerweise nur belebte Prädikate etwas geben können und auch die Empfänger/ innen belebt sein müssen. Ein Prädikatrahmen kann erweitert werden durch Satelliten. Das bezieht sich auf zusätzliche Informationen wie Orts- oder Zeitangaben etc., sofern sie nicht im Prädikatrahmen schon festgelegt sind wie bei wohnen, das eine Ortsangabe benötigt. Terme wie Junge, Buch oder Mann verweisen auf einen Gegenstand, einen Sachverhalt etc. Sie besetzen die in den Prädikatrahmen spezifizierten Stellen (x 1 , x 2 , x 3 ). Das ergibt eine zugrunde liegende Prädikation. Ihr werden Funktionen auf allen Ebenen zugewiesen (Agens, Subjekt, Thema), auch Angaben zu Sprechhandlungen, so dass sie dann voll spezifiziert ist. Das heißt, nun haben wir die Information, ob es sich um einen Aktiv- oder einen Passivsatz handelt, um eine bestimmte Intonationskurve, ein bestimmtes Tempus. Solch ein Ausdruck ist noch abstrakt. Danach weisen Ausdrucksregeln (expression rules) die tatsächlichen sprachlichen Äußerungen zu. Sie legen u.a. die genaue Reihenfolge der Elemente fest, welche Kasus zu verwenden sind und/ oder welche Präpositionen etc. Dik trennte dabei zwischen Topik und Thema. Topik ist diejenige Information, über die etwas ausgesagt wird, die von der Prädikation abhängt und die daher satzintern zu bestimmen ist. Thema wird hingegen pragmatischsituativ festgelegt. Sätze wie die eingangs aufgeführten bereiten funktionalen Grammatiken keine Probleme. Durch Einbezug der pragmatischen Ebene als integralem Teil des Modells lässt sich Kann ich nicht erklären als formal zwar elliptisch, in einer Redekonstellation mit einem gemeinsamen pragmatisch-situativen Hintergrund der Beteiligten aber als angemessen. Das Thema ist im Kommunikationszusammenhang gegeben und muss auf der formalen Ebene nicht eigens erscheinen. Der Unterschied zwischen Der Hund liebt den Knochen und Den Knochen liebt der Hund betrifft die Informationsstruktur. Er lässt sich darauf zurückführen, dass einmal der Hund das Topik bildet und einmal den Knochen. Die FG ist ein formales Modell, das gleichzeitig praktisch ausgerichtet ist, weil es die Implementierbarkeit als Computerprogramm anstrebt. Es geht von einer Gesamtsituation aus, in der eine Äußerung vorkommt, nicht von einzelnen Teilen wie den Lauten. 198 12 Funktionale Grammatik Es soll nicht nur beschreibungsadäquat sein, sondern auch typologisch, psychologisch und pragmatisch angemessen. Damit setzt sich Dik von Chomskys Postulat der Erklärungsadäquatheit ab und geht über diese hinaus, indem er die Vereinbarkeit seines Modells mit pragmatischen, psychologischen und typologischen Fakten anstrebt. Denn es will allgemeingültige Aussagen treffen, also nicht an eine einzelne Sprache gebunden, sondern universell sein. Die Universalien lassen sich aus den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Sprachbenutzer/ innen erklären, aus der kognitiven, artikulatorischen und perzeptuellen Grundausstattung der Menschen und den Notwendigkeiten der Kommunikation. Darum verwendet die Functional Grammar als Grundlage Realdaten aus der Parole. Kritiker/ innen weisen darauf hin, dass die Ausdrucksseite nicht ausreichend ausgearbeitet wurde und dass eine strikte Trennung von grammatischen und lexikalischen Einheiten nicht der sprachlichen Realität entspricht, wie von der Grammatikalisierungsforschung gezeigt (u.a. Smirnova/ Mortelmans 2010: 44). 12.3.2 Systemic-Functional Grammar Im Gegensatz zur FG ist das Modell von Halliday (1985/ 1994) am Englischen ausgerichtet und explizit textlinguistisch orientiert. Die systemic-functional grammar (SFG) will primär auf Bedürfnisse eingehen, die sich aus der Textanalyse im weitesten Sinne ergeben, damit ist Diskurs gemeint, also auch gesprochene Sprache in Dialogen. Auch sie misst der Beschreibung der Form eine untergeordnete Rolle zu. Sie arbeitet zwar mit Konstituentenstrukturen, diese sind aber nur für größere Komplexe relevant, weil erst sie sich unter Bezugnahme auf ihre Funktion erklären lassen. Der innere Aufbau von Wörtern, damit Phonologie und Morphologie, wird vernachlässigt. Stattdessen finden wir auch hier typische funktionale Grundannahmen. Sprache ist kein System von Zeichen oder eine Liste von Strukturen, zwischen denen systematische, reguläre Beziehungen herrschen, sondern ein System von Bedeutungen, entstanden für und durch den Gebrauch als Mittel zur Interaktion. Sprache dient den kommunikativen Bedürfnissen der Menschen, sie ist eine soziale Größe, daher ist sie nicht arbiträr. Alles an ihr kann dadurch erklärt werden, wie es gebraucht wird. Weil Sprache funktional zu verstehen ist, ist sie ein natürliches System. Deswegen ist auch die Einheit Satz nicht isoliert, sondern nur im jeweiligen kommunikativen Zusammenhang zu betrachten, im Text, in der Situation. Für Halliday besteht die Gra mmatik aus Syntax und Lexikon, in Sprachen mit Flexion auch aus Morphologie. Weil die Sprache als soziales Werkzeug aufgefasst wird, geht die Blickrichtung auch hier wieder von der Gesamtkonstellation des Sprechereignisses aus. Der Kontext, die Situation, die Kultur üben einen direkten Einfluss auf die Sprache aus und bilden somit einen integralen Bestandteil des Modells. Um die Gedanken als Mitteilung auszudrücken, stehen den Sprachbenutzer/ innen verschiedene alternative Möglichkeiten zur Verfügung. So gesehen stellt die Sprache ein Netzwerk von Optionen dar, die aber voneinander abhängen. Steht die Wahl eines zählbaren Nomens bevor, ist zwischen Einzahl und Mehrzahl zu entscheiden. Nimmt der/ die Sprecher/ in die Nominalgruppe im Plural, muss die geeignete Pluralendung an das Nomen angehängt werden. Eventuell ist auch das finite Verb anzupassen. Auf dieses Netzwerk von Möglichkeiten bezieht sich der Begriff systemisch. Das Netzwerk Sprache ist systematisch organisiert, und alle sprachlichen Aspekte stehen miteinander in Beziehung. 199 12.3 Modelle Die Behandlung der Bedeutung im weitesten Sinne macht den eigentlichen Teil des Modells aus. Auch Halliday sieht drei Ebenen der Äußerung: die grammatische, die logische und die psychologische. Entsprechend gibt es drei verschiedene Typen von Rollen wie Subjekt, Agens und Thema. Wie wir bereits gesehen haben, können sie in unterschiedlichen Konstellationen in einem oder mehreren Elementen zusammfallen (vgl. Abb. 46). Die drei Rollen beziehen sich auf drei verschiedene Bedeutungsebenen eines Satzes. Auf der Ebene der Botschaft oder Nachricht (message) gibt es die beiden Teile Thema und Rhema. Auf der des Sich-Austauschens oder der Interaktion zwischen Hörer/ in und Sprecher/ in (exchange) sind das Subjekt und das finite Verb (Finite) anzusetzen. Auf der Ebene der Repräsentation (representation) haben wir semantische Rollen wie Agens oder Ziel und andere inhaltliche Aspekte wie Prozess bei Verben oder Umstand bei Angaben zu Zeit und Raum. A The duke gave my aunt this teapot. Der Fürst gab meiner Tante diese Teekanne. Subjekt Agens Thema B My aunt was given this teapot by the duke. Meiner Tante wurde diese Teekanne vom Fürst gegeben. Subjekt Agens Thema C this teapot the duke gave to my aunt. diese Teekanne der Fürst gab meiner Tante. Thema Subjekt Agens Abb. 46: Verschiedene Kombinationen der Rollen Subjekt, Agens und Thema (nach Halliday 1994: 32f.) Wesentlich für Halliday ist die Frage nach dem Warum. Er interessiert sich für die unterschiedlichen (kommunikativen) Bedeutungen der Äußerungen und die Gründe für die Wahl. Das heißt, auch er will wissen, warum Sprache so ist, wie sie ist. Und auch er verwendet letztendlich den Subjektbegriff nicht wie in der traditi onellen Sprachwissenschaft, sondern funktional. Ein Subjekt lässt sich zwar oft an Äußerlichkeiten wie Kongruenz mit dem Verb oder Nominativ erkennen. Es geht aber darum, dass es zusammen mit dem finiten Verb Mood (Satzmodus) bildet und damit den Teil der Proposition, auf den die Aussage referiert bzw. worauf sich das Verb bezieht. Hier stellt sich unwillkürlich die Frage, warum der Subjektbegriff so definiert werden muss, wenn gleichzeitig sowieso mehrere (andere) Ebenen der Funktion für die An alyse zur Verfügung stehen. Andererseits bestimmt Halliday das Thema über die Position, also formal, nicht pragmatisch, denn es steht im Englischen vorn (Halliday 1994: 37). Halliday trennt ähnlich wie Dik zwischen thematischer Struktur mit Thema und Rhema und der Informationsstruktur mit Gegebenem und Neuem. Den Begriff Topik 200 12 Funktionale Grammatik meidet er allerdings. Das Thema ist der Ausgangspunkt für den Satz aus Sicht der Sprecher/ innen. Das Gegebene ist aus Sicht des/ der Hörer/ in bekannt, weil es bereits erwähnt wurde oder weil es in der Situation oder auch im Weltwissen präsent ist. Die verschiedenen Aspekte von Bedeutungsstrukturen sollen dabei helfen, Texte zu verstehen und gleichzeitig zu klären, wie ein Text bzw. ein Diskurs zu einer bedeutungsvollen, das heißt kommunikativ angemessenen und effektiven Einheit wird. Dabei geht es um kontextuelle Bezüge (Kohärenz) und textinterne Eigenschaften, hauptsächlich die semantischen Zusammenhänge (Kohäsion, vgl. auch Halliday/ Hasan 1976). Auch dieser Ansatz ist anwendungsorientiert und arbeitet mit Realsprachdaten, auch für diesen Ansatz sind die Möglichkeiten der Computerimplementierbarkeit wichtig. Und wie erwähnt kommt auch hier die Beschreibung der formalen Seite der Sprache zu kurz. Ein weiterer Kritikpunkt richtet sich gegen die Überbetonung des Englischen. Allerdings strebte Halliday keine typologisch-universell ausgerichtete Grammatik an, sondern ein Instrument zur Beschreibung und Erklärung englischsprachiger Texte. 12.3.3 Der funktional-typologische Ansatz Talmy Givón (u.a. Givón 1979, 1993, 1995, 2001, 2002, 2009) gehört zu keiner der anderen funktionalen Schulen, sondern vertritt sein eigenes Konzept, das sich im Laufe der Zeit immer mehr in eine biologisch-evolutionäre Richtung verlagert hat. Er ist ein Verfechter des „Nicht-Autonomie-Postulats“ und ein überzeugter Gegner generativen Gedankenguts: Sprache bildet kein autonomes System. Sie kann nur unter Rückgriff auf kommunikative und kognitive Parameter beschrieben oder erklärt we rden. Sprache ist nicht durchgängig arbiträr. Vor allem die grammatischen Regeln sind motiviert. Givón vertritt Prinzipien, wie wir sie aus der Grammatika lisierungstheorie kennen. Struktur entsteht auf der Ebene der Performanz. Die diachrone Beschreibung darf nicht von der synchronen getrennt werden, denn Wandel entsteht durch Variation, weil die Sprachbenutzer/ innen aufgrund unterschiedlicher kommunikativer B edingungen immer wieder andere Möglichkeiten der formalen Verwirklichung ihrer Gedanken wählen. So gesehen entsteht Struktur und damit Grammatik immer wieder neu, und Kategorien sind nicht diskret. Sie müssen aber eine gewisse Konsistenz und Homogenität aufweisen, damit die Kommunikation gewährleistet bleibt. Sprache ist ein biologisches Verarbeitungssystem. Wie bei anderen biologischen Organismen lässt sich die Existenz der Teile durch ihre Funktion erklären, da sie im Laufe des Evolutionsprozesses zu dem geworden sind, was sie sind. Givón (1995) verbindet die Konzepte Markiertheit, Prototypikalität und Informationsstruktur, indem er vom Subjekt im transitiven Satz ausgeht, das im normalen, unmarkierten Fall Agens und Topik ist. Was un/ markiert ist, hängt von der Bezugsgröße ab, die kommunikativ, sozial oder biologisch ausgerichtet sein kann. Markiertheit hat damit funktionale Korrelate und ist immer kontextgebunden. Markiert bedeutet strukturell komplexer, kognitiv komplexer, weniger häufig (im Diskurs, in den Sprachen der Welt) und dadurch auffälliger. Hier arbeitet er Gedanken aus der Natürlichkeitstheorie ein. So sind affirmative Sätze weniger komplex als verneinende, weil die Negation immer als zusätzliche(s) Morphem(e) erscheint. Die erhöhte kognitive Komplexität leitet er ab aus der Tatsache, dass verneinte Sätze später von Kindern geäußert werden und dass sie mit mehr Verarbeitungsaufwand verbunden sind (Givón 1995: 43). Die Kategorien haben deswegen auch typische und weniger typi- 201 12.3 Modelle sche Vertreter. Givón versucht so, strukturelle Aspekte funktional zu begründen, in dem er nicht-sprachliche Motive untersucht, die möglichst auch über Frequenzmessungen oder Experimente überprüfbar sein sollten. Mithilfe der Markiertheit will er außerdem strukturelle Informationen entlang eines Kontinuums von mehr oder weniger markiert anordnen und den graduellen Charakter sprachlicher Einheiten erklären, bezogen auf Kategorienzugehörigkeit und Wandel. Auch Topikalität bzw. kommunikative Wichtigkeit sind relational und graduell und über Bezüge im Text bzw. Diskurs messbar. Für die Bestimmung von Topikalität geht es beispielsweise darum, wie weit ein Element und die Wiederaufnahme voneinander entfernt sind, wieviele Phrasen dazwischen liegen, und wie häufig es wiederaufgenommen wird (Givón 1995: 79). So gesehen kommt in dem Text Einst hatte ein König eine wunderschöne Tochter. Er lebte zusammen mit seiner Familie in einem großen Schloss. Er hatte auch vier Söhne. Der König beschloss nun ein es Tages, seine Familie zu verlassen. Er nahm sein Pferd und ritt davon. Das machte seine Tochter sehr traurig. dem Ausdruck ein König die höchste Topikalität zu, weil er in jedem Satz wiede r aufgenommen wird, teils als Pronomen er oder sein, teils als Nominalphrase der König. Die Wiederaufnahmen sind auch nie weiter als ein Satz voneinander entfernt. Der Ausdruck mit der zweithöchsten Topikalität ist die Tochter, die wörtlich als seine Tochter und indirekt als seiner Familie wieder aufgenommen wird, aber nur dreimal und damit auch in größeren Abständen. Dem theoretischen Teil stehen ausführliche deskriptive Betrachtungen gegenüber. Givón beschreibt die grammatischen Strukturen des Englischen (u.a. Givón 1993, 1995) und versucht, funktionale Gründe für Regularitäten zu finden. Givóns Konzept ist allgemein kognitiv-kommunikativ angelegt, damit es auch Sprachwandel, Universalien, Variation und alle Spracherwerbssituationen erfassen kann. Wenn Kinder ihre erste Sprache in einer natürlichen Umgebung erlernen, b eginnen sie innerhalb des Diskurses und verwenden ihre Wörter in diesem Zusammenhang, um sich mitzuteilen. Sie äußern nicht nur Wörter, sondern auch Sprechhandlungen. Die ersten Sätze sind nach den kommunikativen Bedürfnissen aufgebaut, syntaktische Struktur in unserem Sinne entsteht erst mit der Zeit. Der Übergang vom pragmatischen Modus, bei dem sich u.a. die Reihenfolge der Einheiten im Satz an der Informationsstruktur orientiert, zum syntaktischen Modus ist gleitend. Da Givóns Ansatz biologisch ausgerichtet ist, nimmt er an, dass die Entstehung von Sprache selbst ebenfalls im Diskursrahmen zu sehen ist und sich auf visuell-gestische Zusammenhänge gründet. Aus evolutionärer Perspektive entwickelte sich Sprache, als sich die Menschen auch über Dinge mitteilen wollten, die nicht im gemeinsamen Han dlungsrahmen gegeben waren, also für Jagdpläne beispielsweise. Die Notwendigkeit, über lokal und temporal verlagerte Referent/ innen zu kommunizieren, erforderte mehr als Gesten, die auf Dinge zeigen. Für nicht präsente Gegenstände benötigten die Menschen Wörter. „The rise of the human lexical-phonological code may now be understood as an adaption designed to accomodate the shift from non-displaced to displaced reference in human communication“ (Givón 2009: 34). Ihre Weiterentwicklung sowie grundsätzlich jeder Wandel lässt sich verstehen anhand kognitiver, psycholinguistischer und pragmatischer Prinzipien, die unmittelbar im Gesprächszusammenhang wirken. So können in informeller Rede oder zu Beginn des Spracherwerbs die Beteiligten auf Informationen aus dem Gesprächszusammenhang zurüc kgreifen, sodass die Äußerungen weniger grammatisch sein müssen, während in einem 202 12 Funktionale Grammatik formellen Zusammenhang Sprache sorgfältiger geplant wird und daher nach grammatischen Regeln aufgebaut ist. Kritik richtet sich gegen die etwas vernachlässigte soziale Komponente. Außerdem wird Givón wiederholt vorgeworfen, einige seiner typologischen oder diachronen Aussagen seien zu spekulativ und das Belegmaterial zu dünn (z.B. Kulikov 2004, dort weitere Verweise auf Kritiken). Insgesamt aber kann dieser Ansatz, der von Givón über Jahre hin mit immer mehr auch außersprachlichen Fakten verknüpft wurde, als vielversprechend und nachvollziehbar in die aktuellen Strömungen wie die Konstru ktionsgrammatik integriert werden (vgl. Kap. 14). Der Begriff der funktionalen Grammatik erscheint teilweise sehr weit gefasst bezogen allgemein auf Modelle als Gegenströmung zu den generativen Grammatiken, wenn sie nicht formal orientiert sind und nicht die Autonomiehypothese vertreten, für die also Syntax auch kein eigenständiges, aus sich heraus beschreibbares Modul unabhängig von äußeren Einflüssen darstellt (z.B. Smirnova/ Mortelmans 2010). Teilweise bezieht er sich in einer etwas engeren Auffassung auf Ansätze, in denen die Funktion, der Gebrauch der Sprache einen elementaren Teil innerhalb des Modells einnehmen. Hiervon zu trennen ist Funktionale Grammatik mit groß geschriebenem Adjektiv, die Bezeichnung des Modells des Niederländers Simon C. Dik. Bühlers Vorstellung, Sprache sei Handeln, führte zu einem eigenen Teilgebiet der Linguistik, der Pragmatik. Indem wir sprechen, tun wir auch etwas. Deswegen muss die wörtliche Bedeutung oft von der gemeinten getrennt werden. Um festzustellen, wie wir Sprache verwenden, betrachten wir eine konkrete Sprechsituation. Die Pragmatik vereint unterschiedliche theoretische Richtungen. So werden in der Sprechakttheorie die verschiedenen Sprechakte analysiert wie Befehl, Entschuldigung oder Versprechen, vgl. u.a. Austin (1962) und Searle (1969, 1979). Mithilfe der Konversationsmaximen untersucht Grice (1975), warum und unter welchen Bedingungen sprachliche Kommunikation gelingt. Dabei gehen die Gesprächsteilnehmer/ innen davon aus, dass ihr Gegenüber informativ, klar und eh rlich ist. Wenn er bzw. sie das nicht ist, wird dies trotzdem in eine Aussage hineininterpretiert. So kann beispielsweise eine ironische Äußerung erkannt werden etwa, wenn jemand etwas falsch macht und dies mit „gut gemacht“ kommentiert wird. Einige wichtige Werke Dik, Simon C. 1978. Functional Grammar. Amsterdam. Givón, Talmy 1979. On Understanding Grammar. New York. Halliday, Michael Alexander Kirkwood 1985. An Introduction to Functional Grammar. London. Zum Weiterlesen Martinet arbeitete ebenfalls mit der Größe Satz im Textzusammenhang. Verschiedene französisch- und englischsprachige Aufsätze aus den Jahren 1956 bis 1973 sind 203 12.3 Modelle in Martinet (1975) zusammengestellt. Auch er sieht seine Arbeiten in Opposition zu distributionalistischen und generativen Positionen. Weitere Ansätze, die sich gegen die Autonomiehypothese stellen und sich einer funktionalen Beschreibung und Erklärung von Sprache widmen, stammen von Kuno (1987), von Foley/ van Valin (1984, role and reference grammar) sowie Kaplan und Bresnan (Kaplan/ Bresnan 1982, Kaplan 1995, Bresnan 2001, lexical functional grammar). Diks Mitarbeiter Kees Hengeveld bearbeitete die Funktionale Grammatik als functional discourse grammar weiter und weitete sie auf die Diskursebene aus. Kleinste Einheit ist nicht ein Satz, sondern ein Diskursakt (u.a. Hengeveld/ Mackenzie 2008). Die SFG hat ebenfalls eine Fortentwicklung erfahren (Halliday/ Matthiessen 2004). Ein Beispiel für eine ausführliche Textanalyse anhand des systemisch-funktionalen Ansatzes gibt Eggins (1994). Ein Überblick über verschiedene funktional ausgerichtete Ansätz e mit zahlreichen Literaturangaben stammt von Bolkestein (1993), aktueller ist Smirnova/ Mortelmans (2010). 13 Kognitive Ansätze 13.1 Kognitive Linguistik Wie schon die jüngeren Strömungen der funktionalen Grammatik entstand die Kognitive Linguistik als Gegenpol zu generativen Ansätzen. Auch hier lassen sich verschiedene Richtungen ausmachen, ohne dass es eine einheitliche Theorie oder Bezeic hnung gäbe. Sowohl die funktionalen als auch die kognitiven Ansätze gehen von der Parole und der sprachlichen Oberfläche aus und erklären die grammatischen Strukturen nicht als autonome und modulare Systeme, denn beide suchen nach Erklärungen außerhalb der Sprache. Aber während die funktionalen Grammatiken ihren Schwerpunkt der Untersuchung auf Sprache als Handlung und damit auf pragmatische Aspekte legen und sie situativ begründen, verlagern die kognitiven Ansätze den Ausgangspunkt der Betrachtungen auf die kognitive Grundausstattung des Menschen. Damit verändert sich die Perspektive auf Sprache völlig. Sprache ist symbolisch, sie repräsentiert Gedanken. Grundlage sind Konzepte, die zunächst zur Semantik führen und die eine Verbindung zwischen lexikalischem und grammatischem Wissen schaffen. Jetzt wird nicht gefragt, warum Sprache so ist, wie sie ist, sondern wie wir die Welt aufnehmen und unsere Informationen versprachlichen. Für die Kognitive Linguistik stehen unser Weltwissen, die Sprache als Teil dieses Wissens sowie das Verhältnis zwischen Weltwissen und sprachlichem Wissen im Vordergrund. Da sich die funktionalen und kognitiven Richtungen in vieler Hinsicht ähneln und sich im Prinzip ergänzen, werden sie teilweise unter dem Begriff funktional, teilweise aber auch unter dem Begriff kognitiv zusammengefasst. Allerdings bezeichnen sich die generativen Ansätze ebenfalls als kognitiv, weil sie die Grammatik als mentale, angeborene Fähigkeit des Menschen begreifen. Um hier Verwechslungen zu vermeiden, verwendet dieser Band den Begriff Kognitive Linguistik (KL) oder Kognitive Grammatik (KG) mit groß geschriebenem Adjektiv in Anlehnung an Taylor (2003b) als Gegenströmung zu Chomsky’schen Positionen. Die Bezeichnung Kognitive Grammatik finden wir teilweise allgemein gebraucht wie Kognitive Linguistik. Meist bezieht sie sich aber auf ein konkretes Modell (Langackers Cognitive Grammar, zunächst Space Grammar, vgl. Langacker 1987, 1991). Der Begriff Kognitive Linguistik hingegen steht allgemeiner für eine bestimmte theoretische, interdisziplinär ausgerichtete Grundhaltung. Für die Kognitive Linguistik gilt: Sprache ist nicht angeboren, nicht autonom, nicht modular. Sie wird erworben. Sie ist gebrauchsbedingt und entsteht in der Parole. Es gibt keine Universalgrammatik mit Transformationen. Es gibt keine diskreten Kateg orien wie Nomen oder Verb, und es gibt keine strikte Trennung von Lexikon und Grammatik. Sprachliche Strukturen können nicht unabhängig von der kognitiven Grundausstattung des Menschen verstanden werden (auch nicht unabhängig von situativ-kommunikativen Faktoren, aber hier liegt nicht der Schwerpunkt). Der Untersuchungsgegenstand ist nicht die Sprachstruktur bzw. die Grammatik, sondern Sprache als Weltwissen. 206 13 Kognitive Ansätze Die KL umspannt verschiedene Modelle, eines davon die Kognitive Grammatik. Mit Kognition ist das Wahrnehmen, Verarbeiten und Speichern von Information gemeint, und wie der Name bereits andeutet, fasst die Kognitive Linguistik Sprache als eine von mehreren kognitiven Fähigkeiten auf neben beispielsweise logischem Denken oder Abstraktionsvermögen. Sprachliche Strukturen entstehen aufgrund allgemeiner Verarbeitungsprinzipien und sind damit auch sprachextern erklärbar. Sprache dient hier als Mittel zur Organisation, Verarbeitung und Übermittlung von Wissen. Als die Begründer der Kognitiven Linguistik gelten Charles J. Fillmore (*1929), George Lakoff (*1941), Ronald W. Langacker (*1942) und Leonard Talmy (*1942). Ihre Ansätze werden im Folgenden kurz vorgestellt. 13.2 Frame-Semantik Fillmore (1968) entwickelte in Auseinandersetzung mit der generativen Transformationsgrammatik die Kasusgrammatik und stand damit der Semantik wieder einen tragenden Platz in der Grammatik zu. Zunächst war sein Modell rein syntaktisch ausgerichtet (Fillmore 1987: 29). Die vom Verb festgelegten Begleiter erhielten Rollen wie Agentiv, Instrumental, Objektiv, Dativ, Faktitiv oder Lokativ (vgl. Kap. 9.3). Diese Tiefenkasus wurden nicht morphologisch, sondern inhaltlich bestimmt. Fillmore setzte zunächst sechs Kasus an, die eigentlich universelle Gültigkeit haben sollten, änderte sie bald ab, erweiterte sie und kam dann zu dem Schluss, dass eine begründbare endgültige Liste wohl nicht zu erbringen ist. Der Gedanke der Universalität wurde aufgegeben. Außerdem erschienen ihm größere und komplexere kognitive Strukturen als Beschreibungsbereich für Bedeutung nötig, denn Aufzählungen von semantischen Eigenschaften hatten sich als nicht ausreichend erwiesen (Fillmore 1987). Darum konzentrierte er sich danach auf die Frame-Semantik mit einer unbegrenzten Menge semantischer Rollen-Systeme, die mit individuellen Rahmen (frames) verknüpft werden, so dass auch einige dieser Rahmen nur zu einem einzigen Lexem gehören können (Fillmore 2003). Frames sollten eine Alternative darstellen zur B eschreibung von Konzepten anhand von Merkmalslisten, weil die Wortbedeutung oft mit über Kontextinformationen entsteht, da Gegenstände immer auch innerhalb bestimmter Situationen wahrgenommen werden (Fillmore 1976). Die Rahmen verbinden semantisches Wissen mit Weltwissen. So sind die Begriffe Geld und verkaufen in einer Kultur, in der Waren nur getauscht werden, unverständlich. Andererseits eröffnet das Lexem verkaufen gleich einen größeren Vorstellungskomplex mit Konzepten von Käufer und Verkäuferin, Waren, Geld, einer wechselnden Besitzerrolle sowie bestimmten Verhaltensweisen. Dieses Modell wirkt nun wesentlich komplexer, denn es verlässt die Satzebene. Nicht allein das Verb gibt die offenen Stellen (slots) in solch einem Rahmen vor, sondern auch die Gesprächssituation und die Kultur. Dass heißt, dass die Rahmen nicht mehr rein syntaktisch oder valenzsemantisch motivert sind, durchaus aber Informationen zu den typischen und grammatisch nötigen Mispielern bereitstellen (Fried 2009). Es geht jetzt nicht mehr um die Bedeutung von Sätzen, sondern allgemeiner um die von Wörtern, Phrasen und verschiedenen anderen grammatischen Konstruktionen. Die Rahmen stellen damit konzeptuelle Informationen zur Verfügung, die sich schematisch darstellen lassen. Sie beziehen sich dabei auch auf ganze Situationen oder Handlungsabläufe wie Geburtstagsfeiern, Restaurantbesuche oder das Drehen eines Kinofilms und können schon durch einzelne Lexeme konzeptuell abgerufen 207 13.3 Idealisierte kognitive Modelle werden. Die Bezeichnungen für solche Wissensrahmen variieren, neben frame finden wir auch schema, script oder scenario (Fillmore 1976, 2006). Fillmore erweiterte bereits 1975 seine Vorstellung von Bedeutung um kognitive Aspekte und sah sie von der menschlichen Wahrnehmung beeinflusst. „The Frame idea is this. There are certain schemata or frameworks of concepts or terms which link together as a system, which impose structure or coherence on some aspect of human experience, and which may contain elements which are simultaneously parts of other such frameworks“ (Fillmore 1975: 123). So gibt beispielsweise unser Körper uns ein Bild vor, auf dessen Grundlage Begriffe wie oben, unten, links oder rechts verstanden werden. Die kognitiven und die sprachlichen Informationskomplexe, die zu einer bestimmten Situation gehören, hängen zusammen und können sich gegenseitig aktivieren, auch wenn es zunächst noch viele Leerstellen (slots) gibt. Wenn ein Text mit es war einmal beginnt, erwarten wir beispielsweise im weiteren Verlauf ein Märchen mit bestimmten Handlungsträger/ innen wie Prinzessinnen, Königen und mit Helden, die kämpfen. Den Begriff Frame verwendet Fillmore ganz bewusst als Fortsetzung von caseframes (Kasusrahmen) (vgl. Fillmore 1987). Er weitet die ursprünglich lexikalische Bedeutung eines Lexemens auf große Wissenszusammenhänge aus, die situativ und kulturell bestimmt, aber trotzdem systematisch vernetzt sind. Die Beziehung zwischen Sprache und anderen kognitiven Bereichen ist eng und vor allem kausal zu verstehen, Grundannahmen der KL. 13.3 Idealisierte kognitive Modelle Eines der zentralen Werke der Kognitiven Linguistik ist George Lakoffs 1987 erschienenes Buch Women, Fire, and Dangerous Things. Darin bezieht er sich auf Arbeiten u.a. von Wittgenstein (Familienähnlichkeiten), Rosch (Prototypen), Fillmore (Tiefenstrukturen und Frames), Langacker (Kognitive Grammatik) und auf seine eigenen Veröffentlichungen, zusammen mit Mark Johnson, zu Metapher und Metonymie (u.a. Lakoff/ Johnson 1980). Als die Kognitionswissenschaften als neues Forschungsfeld und mithilfe neuer Technologien auch traditionelle Richtungen immer mehr beeinflussten und neue Antworten auf die alten Fragen versprachen, was Verstand ist und wie Denken funktioniert, wollte Lakoff für die Linguistik einen Anschluss schaffen und den Bogen von philosophischen Auffassungen hin zu psychologisch und kognitiv basierten Vorstellungen spannen. Und wie vielen anderen seiner Zeitgenossen ging es ihm vor allem auch darum, eine Alternative zu generativen Ansätzen und ihrer formalistischen, kompetenzbasierten Ausrichtung zu finden (Lakoff 1987: 462f.). Die Fähigkeit zu kategorisieren bildet die Grundlage für unseren Umgang mit Erfahrungen. Dinge, Töne, Vorgänge, Bewegungen, Eigenschaften, Gefühle, Relationen zwischen Dingen, Konkretes wie Abstraktes werden zu Gruppen zusammengefasst, damit sie leichter und schneller verarbeitet werden können. Das geschieht in der Regel automatisch und unbewusst. Dass dabei unsere Kategorien nicht mehr wie bei Aristoteles als fest begrenzte, klar definierte Größen verstanden werden können, hat Rosch mit ihrem Prototypenansatz gezeigt (vgl. Kap. 7.2). Sie hatte damit die zweitausend Jahre alte traditionelle Sichtweise aus den Angeln gehoben und eine neue Auffassung von Denken ermöglicht. Mindestens genauso wichtig aber war die Er- 208 13 Kognitive Ansätze kennntis, dass Bildung und Struktur der Kategorien unserem Verarbeitungssystem unterworfen sind. Sie sind nicht objektiv, sie spiegeln die Wirklichkeit nicht eins zu eins wider. Hund oder Katze sind Ausdrücke der Basisebene (vgl. Kap. 7.6). Diese Ebene ist die Grundebene der Abstraktion, aufgrund derer die Gegenstände kategorisiert werden, die möglichst viele gemeinsame Eigenschaften aufweisen, um eine Gruppe zu bilden, während Kategorien der untergeordneten Ebene nicht viel e zusätzliche Informationen bieten gegenüber der Basisebene, vgl. Pekinese, Dackel, Terrier. Auf der übergeordneten Ebene verfügen die Kategorien über wenige oder kaum gemeinsame Eigenschaften, auf der untergeordneten über unnötig viele. Also gliedern die Kategorien der Basisebene die Welt am effektivsten, damit wir Dinge und Sachverhalte möglichst schnell verarbeiten können, natürlich aus menschlicher Perspektive. Insekten oder Beutegreifer dürften anders kategorisieren. Ausdrücke der Basisebene werden schneller gelernt, schneller verarbeitet und sind auch durch ihre Form kognitiv besser zugänglich als die der anderen Ebenen. Sie zeigen, dass sich unsere Kategorisierungen nach unserem Körper, unseren Bedürfnissen und unserem Handeln richten. Was am besten als Basis dient, hängt ab von unserer Wahrnehmung, uns erem Gedächtnis, unserer Art des Lernens usw. (Lakoff 1987: 38). Das heißt, die Kategorisierung resultiert aus der Beschaffenheit des Menschen und dessen Interaktion mit seiner Umwelt. Kategorien sind relativ und subjektiv, denn sie entstehen erst durch unsere Sicht der Dinge. Dafür sind die Farbkategorisierungen ein gutes Beispiel. Die Wellenlängen des Lichts gibt es unabhängig von uns Menschen. Aber die Natur unserer Augen, der Rezeptoren, der Neuronen im Gehirn führen zu einer bestimmten Farbwahrnehmung und dann zu einer Kategorisierung, die außerdem von soziokulturellen Bedürfnissen und Gewohnheiten überlagert wird (Lakoff 1987: 198). Der Mensch ist der Ausgangspunkt der Bedeutungsanalysen, die wiederum den Zugang für Sprache, auch für die Grammatik, bilden. Da Sprache eine kognitive Fähigkeit ist, weisen auch die sprachlichen Kategorien Prototypeneffekte auf. Das drückt sich beispielsweise im etwas „weichen“ Konzept der Markiertheit aus, denn etwas ist mehr oder weniger markiert oder mehr oder weniger komplex etc. Das unmarkierte Beispiel entspricht dem typischen Vertreter. So ist das unmarkierte Subjekt auch Agens und Topik (Lakoff 1987: 64). Für Lakoff organisieren wir unser Wissen mithilfe von idealisierten kognitiven Modellen (idealized cognitive models), die u.a. auch Prototypeneffekte ergeben. Ein solches Modell ist das cluster model für das Konzept der Mutter. Dieses Konzept verbindet mehrere Vorstellungen: Eine Mutter gebiert, sie liefert genetisches Material, sie nährt und erzieht, sie ist mit dem Vater verheiratet und die direkte Vorfahrin des Kindes. Das sind im Einzelnen wieder kognitive Modelle. Diese Aspekte können dank moderner Biotechnologie allein oder in unterschiedlicher Kombination realisiert sein und zu Prototypeneffekten führen. Die prototypische Mutter weist alle Merkmale auf. Ein anderes Modell ist das metonymic model. Hier vertritt ein Fall eine Kategorie. Die Mutter, die auch Hausfrau ist, steht für alle Mütter, zumindest aus Sicht der Gesellschaft. Denn für sie sind arbeitende Mütter entsprechend schlechtere Mütter, auch wenn sie alle Merkmale des cluster models aufweisen. Damit fließen sowohl physikalisch-biologisch-faktisches Wissen, Erfahrungswerte als auch soziale Stereotypen und Erwartungshaltungen in der Strukturierung unserer Kategorien zusammen. Sie sind weder abstrakt noch objektiv noch losgelöst von der menschlichen Erfahrungswelt zu verstehen (ibd.: 113). Mithilfe von solchen Modellen versuchen wir, unsere Umwelt besser zu begreifen. Sie müssen jedoch nicht unbedingt den wissenschaftlichen Fakten entsprechen. Viele 209 13.3 Idealisierte kognitive Modelle Menschen ordnen den Wal den Fischen zu, weil er auch so aussieht, genauer, weil er einige Eigenschaften mit den Fischen teilt, die gut zu sehen sind: Er lebt im Wasser und er hat die Form eines Fisches. Eine 7-Tage-Woche gibt es nicht in der Natur, sie dient aber vielen Kulturen als wichtiger Zeitrahmen. Die Zeit ist in ständigem Fluss. Die Woche aber bildet eine Einheit, ein eigenes Ganzes bzw. eine Gestalt und gleichzeitig den Bezugsrahmen für die einzelnen Wochentage. Deswegen sind die Modelle idealisiert insofern, als sie nicht den objektiven Tatsachen entsprechen müssen. Unsere Konzepte ermöglichen uns zu denken, zu lernen und uns auszutauschen. Sie sind intern strukturiert, aber auch relativ zueinander. Die Zusammenhänge können abstrakter Natur sein. Über Ähnlichkeitsbeziehungen beispielsweise wird der Fluss aus Wasser mit dem Fluss der Zeit in Verbindung gebracht. Das heißt, die für uns deutlich wahrnehmbare lokale Veränderung wird auf die temporale Ebene übertragen. Eine andere metaphorische Beziehung besteht zwischen dem Konzept Hitze und dem Konzept Ärger (Hitzkopf, vor Wut kochen, vor Wut explodieren, er spuckt Feuer). Metaphern erleichtern das Denken. Sie helfen, abstrakte Sachverhalte zu erschließen und zu kommunizieren. Vor allem in den Fachsprachen finden wir eher informativ ausgerichtete Metaphern, vgl. der Strom fließt, Stromschlag, Flügel des Flugzeugs, Mutterflugzeug ( , Flugzeugträger ‘ ). Es besteht aber die Gefahr, dass Informationsbereiche ausgeblendet oder andere zu sehr in den Mittelpunkt gerückt werden. So sprechen Wasserbauingenieur/ innen von einem Biberangriff, wenn sich ein Biber in einem Fließgewässer ansiedelt. Dann untergräbt er Ufer und Dämme, erzeugt Hohlräume und gefährdet eventuell die Stabilität des Dammes. Es handelt sich nicht, so wie wir das vielleicht vermuten würden, um einen aktiven, tätlichen Angriff auf einen Menschen, der in Folge verletzt würde. Durch die Metapher erscheint das an sich harmlose Tier gefährlich. Bewusst verschleiernde, manipulative Metaphern finden wir in der Sprache der Politik, vor allem, wenn es um Krieg geht und die Vernichtung von Menschenleben in Verluste, Gegenschlag, Kollateralschaden oder Präventivschlag ganz verschwindet. Damit ist die Metapher dann keine rhetorische Figur mehr, sondern eine kognitive Strategie. Eng verwandt ist die Metonymie. Dabei wird ein Ausdruck für einen in irgendeiner Weise kausal verwandten anderen gebraucht. Häufig finden wir ein Teil-Ganzes- Verhältnis, wenn die Hauptstadt für ein Land oder eine Regierung steht wie bei Berlin hat heute eine wichtige Entscheidung getroffen oder ein krankes Organ für den Patienten (Ärztin zu Krankenpfleger: „Die Niere braucht heute wieder mehr Beruhigungsmittel“). Auch die Metonymie gilt in der Kognitiven Linguistik als Verarbeitungsprozess, die jedoch nicht wie bei der Metapher Bezüge zwischen unterschiedlichen kognitiven Domänen herstellt, sondern innerhalb eines Bereichs bleibt. Neben Metapher und Metonymie gibt es weitere Verknüpfungsmöglichkeiten von Kategorien. Von einer Basiskategorie aus besteht immer auch eine Verbindung zu über- und untergeordneten Kategorien. Unsere Konzepte sind so auf unterschiedliche Weise miteinander vernetzt. Nicht nur Lexeme, auch größere Konstruktionen bilden Kategorien. Sie sind wie Wörter als Form-Bedeutungs-Paarungen zu verstehen, deren Bedeutungsstruktur über kognitive Modelle beschreibbar ist. Das ergibt einen gleitenden Übergang von Lex ikon zu Grammatik. Syntax ist nicht autonom, sondern basiert auf Bedeutung (das umfasst auch pragmatische Aspekte) und damit auf kognitiven M odellen. Lakoff zielt auf eine Theorie ab, in der Form-Bedeutungs-Paare mit unvorhersagbaren Eigenschaften kognitive Realität besitzen (Lakoff 1987: 467) und leitet gleichzeitig die Konstruktionsgrammatik in die Wege. 210 13 Kognitive Ansätze Lakoff sieht als Grundlage unserer Informationsverarbeitung und als Quelle für viele metaphorische Prozesse die Bildschemata (image schemas, vgl. das body image bei Fillmore 1975), bei denen wir die Erfahrungen mit unserem Körper auf andere Eindrücke übertragen. Unsere Wahrnehmung der Welt ist in hohem Maße subjektiv. Was über oder unter bzw. oben und unten ist, vorne und hinten oder innen und außen, hängt von unserer eigenen Position der Wahrnehmung ab. Wir stehen gewöhnlich mit den Füßen auf dem Boden, und die für unsere Wahrnehmung wichtigen Augen und Ohren sind im Kopf, also im Verhältnis zum restlichen Körper oben. Diese lokalvertikal basierte Erfahrung wird auf viele nicht-räumliche Situationen übertragen: Preise, Mieten, Temperaturen gehen hoch oder fallen, der Kurs, die Tonhöhe, die Stimmung steigt oder fällt. Gleichzeitig ist das, was oben ist, wichtig oder gut, vgl. die Erfolgsleiter nach oben klettern, ein hoher Beamter, hoch hinaus wollen. Damit bedienen wir uns eines Oben-Unten-Schemas (up-down schema). Ein anderes Beispiel ist das Behälter-Schema (container schema). Grundlage ist die Vorstellung, dass unser Körper ein Behälter ist. Der Körper wiederum ist in einem größeren Behälter, einem Zimmer beispielsweise. Alles ist entweder in einem Behälter oder außerhalb. Diese abermals räumlich begründete Vorstellung wird auch wieder auf nicht-räumliche Situationen übertragen, vgl. in einer Situation gefangen sein, aus dem Schlaf aufwachen, etwas herausbekommen, sich in etwas einarbeiten (Überblick und Kritik in Tyler/ Takahashi 2011). Prototypen, Basisausdrücke und Metaphern/ Metonymien bilden einige wichtige Themenkomplexe der Kognitiven Linguistik, stehen aber nur bei Lakoff beinah allein im Zentrum der Betrachtungen. 13.4 Kognitive Semantik und Kräftedynamik Der Begriff der Kognitiven Semantik ist eng verbunden mit dem Namen Leonard Talmy, der als ihr wichtigster Begründer und Vertreter gilt. Die Kognitive Semantik beschäftigt sich damit, wie konzeptueller G ehalt sprachlich organisiert wird. Talmys erste Überlegungen galten dem Konzept der Kräftedynamik (FD, force dynamics, auch Kraftdynamik), einer semantischen Kategorie, bei der es um die Interaktion zwischen Entitäten hinsichtlich Kraft bzw. Dynamik geht (Talmy 1988, in Vorträgen bereits früher, vgl. auch Talmy 2000a, b, 2011). Sie fragt danach, wie Kraft ausgeübt oder Widerstand geleistet und überwunden wird. Auf sprachlicher Ebene handelt es sich um Konzepte wie , lassen ‘ , , verhindern ‘ oder , helfen ‘ . Inhalte im Zusammenhang mit Kraft finden wir auch in Form von Präpositionen, Konjunktionen oder Modalausdrücken wiedergegeben. So ist ein Satz wie John geht nicht aus dem Haus bezogen auf die Kräftedynamik neutral, der Satz John kann/ darf/ soll nicht aus dem Haus gehen jedoch nicht, weil offenbar jemand oder etwas John daran hindern will, aus dem Haus zu gehen. Talmy rollt diesen Vorstellungskomplex auf, indem er nach Parallelen in physikalischen und psychologischen Systemen und in Argumentationsverläufen im Diskurs sucht. Damit stellt auch er Sprache in einen übergeordneten kognitiven Rahmen, nimmt als Ausgangspunkt aber ein bestimmtes Konzept, das der Kausativität/ Verursachung, das er dann weiter aufschlüsselt. Kausativität finden wir im Deutschen beispielsweise in fällen „etwas/ jemanden fallend machen“ gegenüber fallen. Ausgedrückt werden kann das über Vokalwechsel wie bei ertränken gegenüber ertrinken, versenken gegenüber versinken oder 211 13.4 Kognitive Semantik und Kräftedynamik rein lexikalisch wie bei töten gegenüber sterben. Wir können es auch mit einem Kausativverb umschreiben, vgl. die Sätze Der Schüler schreibt. Der Lehrer bittet den Schüler zu schreiben. Im Modell der Kräftedynamik wirken vier Unterkonzepte (a) bis (d). Zunächst gibt es zwei Entitäten, die Kräfte ausüben. Eine Entität steht im Vordergrund, der Agonist. Ihr gegenüber steht die zweite, der Antagonist. Sie befindet sich im Hintergrund. Hier bezieht Talmy auch die aus der Gestaltpsychologie bekannte Figur-(Hinter) Grund-Unterscheidung mit ein. Der Agonist übt auf den Antagonisten Druck, Kraft, Zwang aus (a), um etwas zu ändern bzw. eine Bewegung herbeizuführen oder um einen Zustand beizubehalten bzw. einen Ruhezustand zu erwirken (b). Der Antagonist übt Gegendruck aus. Eine/ r von beiden ist die/ der Stärkere (c). Das Ergebnis kann zu einer Handlung bzw. einer Veränderung führen oder zu einem Ruhezustand (d). In dem Satz Der Schuppen bleibt stehen, obwohl der stürmische Wind dagegen bläst. ist der Agonist Schuppen, der auf den Antagonisten, den stürmischen Wind, eine Kraft ausübt, in diesem Fall einen Widerstand (a). Der Agonist ist der stärkere, weil der stürmische Wind eigentlich eine Veränderung bewirken könnte (b), nämlich, dass der Schuppen umkippt. Da dies nicht eintritt (c), bleibt der Zustand des Schuppens bestehen (d). Dieses Kräfteverhältnis finden wir z.B. im obwohl ausgedrückt. In dem Satz Der Ball rollte weiter, weil der Wind blies. ist der Antagonist Wind der stärkere, weil er mit Erfolg eine Bewegung beim Agonisten Ball bewirkt. Dies drückt u.a. die Konjunktion weil aus. In aktivischen Sätzen mit Konjunktionen wie weil oder da dominiert der Antagonist, in Verbindungen mit obwohl oder trotz der Agonist. Übungsaufgabe: Wie lässt sich der folgende Satz im Sinne der vier Unterkonzepte des kräftedynamischen Modells semantisch aufspalten? Der Ball rollte weiter trotz des hohen Grases. Lösung: Der Ball ist der Agonist. Das Gras ist der Antagonist. Der Ball übt eine Kraft gegen das Gras aus (a), er will weiter rollen, also eine Bewegung verursachen (b). Das Gras bildet einen Widerstand gegen die Bewegung des Balls. Der Agonist ist der stärkere (c), weil er den Antagonisten überwindet und es zu einer Zustandsveränderung kommt (d). Die physikalische Kraftausübung kann auf die psychologische Ebene übertra gen werden, vgl. Sie will das Fenster öffnen. In den Konzepten , überreden ‘ , , bitten ‘ oder , nötigen ‘ wirkt ebenfalls eine Kraft. In Fällen wie Sie unterlässt es, das Fenster zu öffnen. Sie strengt sich an, das Fenster zu öffnen. sind Agonist und Antagonist in einer Person vereint in unterschiedlicher Rollenverteilung und Wirkungsrichtung. Ein Teil der Persönlichkeit möchte das Fenster öffnen, der andere nicht. 212 13 Kognitive Ansätze Die soziale Dimension kommt in Sätzen wie Du musst zur Schule gehen zu tragen, wenn der Agonist, das Schulkind, lieber zu Hause bleiben will, während der Antagonist, die Gesellschaft, auf Schulpflicht besteht. Im Verlauf einer Argumentation wird die Kräftedynamik in Formulierungen mit aber, trotzdem, stattdessen oder im Gegenteil sichtbar (engl. but, besides, nevertheless, moreover etc., de Mulder 2007: 301). Talmy ist einer der wichtigsten Vertreter der Kognitiven Semantik. Sie befasst sich mit dynamischen Aspekten von Handlungen und knüpft zunächst an die Fillmore’schen Tiefenkasus an. Die Kräftedynamik ist dabei nur eine Möglichkeit der konzeptuellen Organisation von Sprache. Talmy konzentriert sich vor allem auf grammatische Kategorien der geschlossenen Klassen wie Anzahl, Aspekt oder Modus, auf grundlegende Konzepte wie das der Kausativität, der Zeit, des Raums, nicht jedoch auf offene, lexikalische wie die Farben. Die Kategorien der geschlossenen Systeme sind inhalts- und zahlenmäßig beschränkt und bilden laut Talmy ein universelles Inventar, aus dem sich die einzelnen Sprachen bedienen können. So haben alle Sprachen Singular und Plural, aber nicht alle den Dual (Zweizahl). Und wie bereits ang emerkt lässt sich Kausativität unterschiedlich versprachlichen. Die Konzepte der lexikalischen Formen liefern die Inhalte, während die der geschlossenen Formen diese strukturieren. Das Modell der Kräftedynamik wurde weiterentwickelt und in andere Ansätze integriert, u.a. von Jackendoff (1990, 1996, Vergleich und Überblick de Mulder 2007), und auch von Langacker aufgegriffen. Talmy veranschaulicht die verschiedenen kräftedynamischen Szenarien mit schematischen Schaubildern, für die er allerdings des Öfteren kritisiert wurde. In dem Modell der Kräftedynamik geht es jedoch nicht um eine formal korrekte Beschreibung von Bedeutung, sondern darum, besser zu verstehen, wie wir denken und unsere sprachlichen Strukturen verwenden. Talmy versucht, mit seiner Kräftedynamik generelle konzeptuelle Prinzipien zu ergründen. Sie wird als ein weit verbreitetes Strukturprinzip für Sprache und Denken aufgefasst. Wie auch bei den Bildschemata geht es dabei um schematische Interaktionsmuster. Auf jeden Fall bleibt der Bedeutungsaspekt im Mittelpunkt, während Ronald Langacker dann auch die grammatische Ebene in sein Modell mit aufnahm. 13.5 Kognitive Grammatik Die Cognitive Grammar wurde seit den 1970er Jahren von Ronald Langacker erarbeitet und in seinem Grundlagenwerk 1987 und 1991 zusammenfassend vorgestellt. Mittlerweile gilt sie als das am weitesten entwickelte Modell der Kognitiven Lingui stik (Smirnova/ Mortelmans 2010: 124). Ursprünglich ging es Langacker darum, sich klar vom damaligen mainstream der generativen Grammatik abzugrenzen. Wie viele andere sah er sich nicht einverstanden mit der abstrakten, formalistischen Auffassung von Sprache, die zudem auf einem angeborenen Regelsystem fußt. Er wollte einen gänzlich neuen Grammatikansatz schaffen, der die sprachliche Organisation über die kognitive Verarbeitung charakterisiert. Bedeutung und Bilder, Symbole und Metaphern (imagery) stellen den Ausgangspunkt seiner Überlegungen dar, nicht Satzmu ster. Aufgrund der Beobachtung, dass vieles an Sprache nicht wörtlich, sondern übertragen zu verstehen ist wie eben bei Metaphern oder idiomatisierten Wendungen und weil dies in formalistischen Ansätzen ausgeklammert wird, sollte sein Grammatikmodell vor allem auch bildliche Sprache angemessen berücksichtigen können. Er wandte 213 13.5 Kognitive Grammatik phonologische Struktur semantische Struktur symbolische Beziehung sich überdies gegen die autonome Stellung der Syntax, die minimale Rolle der Semantik und die Abspaltung der Sprache von anderen kognitiven Fähigkeiten. Zentrale Thesen waren daher (Langacker 1987: 2f.), dass semantische Struktur nicht universell ist, sondern weitgehend sprachspezifisch und über konventionalisierte Bilder und damit Wissensstrukturen entsteht. Grammatik ist grundsätzlich konventionalisierte Symbolisierung semantischer Struktur, wie wir das schon von den Lexemen kennen. Das führt dann dazu, dass Lexikon und Grammatik gleitend ineinander übergehen. Die Kognitive Grammatik war zunächst als konzeptueller Rahmen gedacht und wurde von vielen anderen Arbeiten inspiriert, u.a. von Givón, Fillmore, Lakoff oder Talmy. In Langackers Modell repräsentiert die Beschreibung von Strukturen diese nicht und stellt auch keine mentale Realität dar, sondern trägt lediglich zu unseren Einsichten in die konzeptuellen Zusammenhänge zwischen Kategorien bei. Die Schaubilder, die die Rezeption von Langackers Arbeiten nicht gerade erleichtern, sind also lediglich Hilfsmittel für seine Argumentation. Grundlegend anders ist auch Langackers Definition von Sprache und damit Grammatik. Die Menschen reden, weil sie Konzepte versprachlichen wollen, gleichzeitig verhalten sie sich möglichst situationsangemessen. Ihnen steht viel sprachliches Material zur Verfügung, aus dem sie wählen können. Sie bilden nicht gezielt eine bestimmte grammatische Form. Vielmehr ergibt sich diese aus den momentanen Bedürfnissen und konventionellen Vorgaben: einerseits Einheiten wie Morphemen , Wörtern oder größeren Ausdrücken, anderseits gewohnheitsmäßige Verknüpfungsmuster, die aber nach Belieben mehr oder weniger strikt befolgt werden. Daher spricht Langacker auch nicht von Grammatikalität, sondern von unters chiedlichen Graden der Konventionalität (Langacker 1987: 66). „The grammar of a language is thus a vast inventory of units structured in hierarchies that overlap and intersect on a massive scale“ (Langacker 1987: 73). Die Grammatik spielt eine andere Rolle, als wir das von formalistischen Ansätzen gewöhnt sind. Taylor (2003b) verdeutlicht einen wesentlichen Unterschied zwischen formalistischen Ansätzen und der Kognitiven Grammatik. Hier besteht eine direkte symbolische Verbindung zwischen Laut- und Inhaltsstruktur ohne eine syntaktische Ebene dazwischen (vgl. Abb. 47). Abb. 47: Die drei Aspekte eines sprachlichen Ausdrucks (nach Taylor 2003b: 21) Sprache lässt sich ausschließlich über phonologische und semantische Strukturen und ihr Verhältnis zueinander beschreiben. Es gibt phonologische Einheiten wie Phoneme oder Allophone, semantische Einheiten wie die Inhaltsseite eines Wortes und symb olische Einheiten. Sie sind konventionalisierte Verbindungen von phonologischer und semantischer Struktur, typischerweise Wörter, aber auch Morpheme. Grammatische Strukturen insgesamt und grammatische Muster, also Kombinationsvorschriften, zä hlen ebenfalls dazu. So zentral die syntaktische Ebene in der generativen Grammatik ist, so stark tritt sie hier hinter die Bedeutungsstruktur zurück. Zu den symbolischen Einheiten gehören aber nicht nur Lexeme und grammatische Vorgaben, sondern auch Kategorien wie Nomen und Verben oder Phrasen. Sie haben allerdings einen stark 214 13 Kognitive Ansätze schematischen Inhalt im Vergleich zu lexikalischen Einheiten. So wird eine eigene syntaktische Ebene überflüssig und der Übergang vom Lexikon zur Grammatik gleitend. Unter Rückgriff auf Langacker (1987) verwendet Taylor die Domäne für das kognitive und funktionale Hintergrundwissen, das den Rahmen oder den Kontext für die Konzeptualisierung einer semantischen Einheit bildet, etwa das Verwandtschaftsnetzwerk für , Vater ‘ oder die Woche für , Samstag ‘ . Sie ähnelt Lakoffs idealisiertem kognitivem Modell. Sie kann sich aber auch wie Langackers Domäne allgemeiner auf grundlegende menschliche Erfahrungswerte, beispielsweise Raum, Zeit oder Temperatur beziehen (Ungerer/ Schmid 2006: 193). Generell integriert die Kognitive Linguistik Wissenstrukturen wie Welt-, Kulturwissen, Wissen über konventionalisierte Handlungsrahmen und Kontextwissen in ihre Betrachtung von Bedeutung. Denn der Inhalt eines Wortes ist kein stabiler Informationsblock, sondern ergibt sich je nach Zusammenhang und je nach Domäne bzw. Wissenskonfiguration, innerhalb der ein Konzept verortet ist. So kann Photographie einmal als optische Wiedergabe einer Szene, als Bild auf Papier bzw. als elektronisches Dokument oder vor dem Hintergrund einer bestimmten Technologie platziert sein. In dem Satz Die Photographie ist zerrissen. bildet die Domäne einer Photographie als Bild auf Papier den Hintergrund, während Das ist eine Photographie von mir, als ich zehn Jahre alt war. die Vorstellung einer Photographie als optische Wiedergabe aktiviert. Die Photographie ist unscharf. schließlich wird aufgrund unseres technischen Vorwissens verständlich (Taylor 2003b: 442). Wir haben es hier aber nicht mit verschiedenen Bedeutungen von Photographie zu tun, sondern mit unterschiedlichen Gebrauchsweisen in unterschiedlichen Wissensbereichen, die eng mit der Bedeutung verknüpft und die für das Verständnis einer Einheit notwendig sind, denn es werden nicht immer die gleichen Domänen aktiviert. Symbolische Einheiten können paradigmatisch und syntagmatisch zueinander in Beziehung stehen. Auf der paradigmatischen Ebene haben wir u.a. Metaphern, Metonymien, Über- und Unterbegriffe. Auch syntagmatisch gibt es unterschiedliche Bezüge. Verschiedene Dependenzrelationen oder Argumentstrukturen helfen zwar, Sätze zu strukturieren und die einzelnen Einheiten der Konvention gemäß zu bilden und schließlich zu verknüpfen, ergeben sich aber erst über die Bedeutungsebene. So setzen Präpositionen symbolische Einheiten zueinander in Beziehung, die im Satz en tsprechend genannt werden müssen. Auch ein Verb wie legen erfordert bestimmte Mitspieler auf der inhaltlichen Ebene, was sich im Satzbau und in der Füllung von Kategorien wie Subjekt oder Objekt widerspiegelt. Strukturvorgaben stecken nicht in Regeln, sondern in Schemata, die die Sprachbenutzer/ innen aufgrund ihrer Auseinandersetzung mit vielen sprachlichen Äußerungen entwickeln. Sie lassen sich zwar wie in generativen Ansätzen formell darstellen mit Kategoriesymbolen, Klammern oder Bäumen etc., sind jedoch nicht als verbindliche Vorgaben zu missverstehen. Ein Schema ist z.B. die Verbzweitstellung im deutschen Aussagesatz. Da dieses Schema ausgeprägt häufig zur Anwendung kommt, ist es automatisiert (entrenched) und seit dem Mittelhochdeutschen sehr stabil, während sich die Verbletztstellung etwas später im Frühneuhochdeutschen als starkes Schema 215 13.6 Der Netzwerkgedanke durchsetzt. Ein anderes ebenfalls starkes Schema ist die Partizip-Bildung mit ge-t bei den schwachen Verben. Den starken Verben hingegen liegen mehrere unterschiedlich schwache Schemata zugrunde, vgl. beißen/ biss/ gebissen (reißen, reiten, streichen, schleifen, ...) oder finden/ fand/ gefunden (binden, klingen, singen, trinken, ...). Je stärker ein Schema, desto leichter ist es verfügbar und desto häufiger wird es auch genutzt. Entsprechend könnte im Sinne der Markiertheit formuliert werden, je stärker ein Schema, desto unmarkierter ist es. Denn ganz im Sinne der Natürlichkeit ist der Markiertheitsbegriff nicht absolut zu sehen (vgl. auch Kap. 11.2, 12.3.3). Neue Verben im Deutschen flektieren wie leasen, bluffen oder chillen anhand des ge-t-Schemas und nicht nach der starken Flexion *gelosen, *gebloffen oder *gechullen. Bei Häufigkeitsrelationen ist zu trennen zwischen Type und Token. Gibt es viele verschiedene Verben, die über ge-t abgeleitet werden, handelt es sich um die Typenfrequenz. Sie ist für die Stärkung eines Schemas verantwortlich. Tritt eine Form wie bei tun/ getan jedoch nur bei einem Verb auf, das zwar sehr oft gebraucht wird (T okenfrequenz), entwickelt sich erst gar kein Schema, die flektierte Form ist eine eigene, automatisierte Einheit. Für ein Schema sind aber mindest zwei Vorlagen nötig. Solche Überlegungen, wie wir sprachliche, aber auch nicht-sprachliche Informationen verwalten, sind nun mehr oder weniger theoretisch. Entsprechen sie aber den neuronalen Tatsachen im Gehirn? 13.6 Der Netzwerkgedanke Während sich die verschiedenen Vertreter/ innen der Kognitiven Linguistik ausgehend von Bedeutung und Konzepten der Sprachstruktur näherten, gab es noch eine vollkommen andere Herangehensweise an das kognitive Fundament von Sprache, die aber ohne Weiteres vereinbar auch mit den Kerngedanken der Kognitiven Linguistik war und die später mit ihr in Wechselwirkung trat. Einer der vielen Kritikpunkte an Chomsky bezog sich auf die angebliche Nichterlernbarkeit von Grammatik und die daraus resultierende Behauptung, Sprachregeln seien angeboren (vgl. im Folgenden auch Elsen 2009b). Rumelhart/ McClelland (1986) stellten dies infrage und entwickelten Computermodelle, die in ihrer Architektur an den biologischen Konstellationen im Gehirn angelehnt waren. Sie sollten allein aufgrund von Daten die „Regeln“ aus dem dargebotenen Sprachinput ermitteln und selbstständig anwenden. Es gibt verschiedene Typen der Simulation bzw. unterschiedliche konnektionistische Modelle. Eines davon versucht, über die Funktionsweise künstlicher neuronaler Netze Verhalten zu modellieren in unmittelbarer Anlehnung an die biologischen Netzwerke im Gehirn. Als ein besonders heiß erörteter Themenkreis erwies sich der Erwerb der Flexion der regelmäßigen und unregelmäßigen Verben des Englischen. Beobachtungen von Kindern hatten einen dreistufigen Entwicklungsverlauf verzeichnet. Zunächst verwenden sie nämlich die Vergangenheitsformen der regelmäßigen (cooked/ kochte) und der unregelmäßigen Verben (came/ kam, caught/ fing) richtig. Es schließt sich eine Phase an mit Übergeneralisierungen, das heißt mit regulären Endungen für unregelmäßige Verben (*comed/ kommte, *singed/ singte). Schließlich sind alle Verben korrekt flektiert. Dieser Entwicklungsverlauf wird auch als u-shaped learning bezeichnet. Generative Ansätze sind der Auffassung, dass für reguläre Bildungen ein angeborener Regelapparat zur Verfügung steht, während unregelmäßige Formen auswendig gelernt werden (two-mechanism-approach). In der zweiten Phase verwenden die Kinder 216 13 Kognitive Ansätze diese Regel zu häufig. Da es laut diesem Ansatz für unregelmäßige Verben keine Regeln gibt, werden unregelmäßige Muster auch nicht falsch angewendet, z.B. auf regelmäßige Verben. Die Regelsysteme sind darüberhinaus modular und lassen sich nicht grundlegend von anderen sprachlichen Modulen beeinflussen. Außerdem schließen sich regelgeleitetes und Auswendiglernen gegenseitig aus. Demgegenüber setzt der netzwerkorientierte Ansatz nur einen, und zwar assoziativ arbeitenden Erwerbsmechanismus an, der auch für andere kognitive Fähigkeiten gilt und der sowohl zum Auswendiglernen als auch zu regelhaften Formen führt. Grundlegende These ist, dass eine Einheit aufgrund von Verallgemeinerung einer erkannten Struktur als auch durch Erinnern des Ganzen verwendet werden kann und dass für regelgeleitete Sprache keine angeborenen Regelapparate nötig sind. Die Netzwerke, die den Erwerb der englischen past tense-Formen simulierten, bekamen als Input Paare von Infinitiv- und Vergangenheitsformen präsentiert und sollten dann nach einigen Trainingsrunden auch für unbekannte Wörter die richtige Form bilden. Sie konnten nun in verschiedenen Simulationen erstens aufgrund der ihnen dargebotenen Daten Regularitäten erkennen und anwenden. Das heißt, sie flektierten neue Wörter richtig. Zweitens ließe sich auch manche Unregelmäßigkeit mit dem Verarbeitungsmechanismus erklären. So bilden Kinder im Spracherwerb genauso wie die Computernetzwerke Übergeneralisierungen wie *gehte, aber auch die nach Zwei-Mechanismen-Vorstellung angeblich nicht existenten plötzlichen Zunahmen im Verblexikon (verbal spurt) und Irregularisierungen wie schmecken/ geschmockt. Vergleiche mit kontinuierlich erhobenen Kinderdaten zeigten die gleichen Ergebnisse wie die Computersimulationen (vgl. ausführlich Elsen 1998, 1999). Die Computernetzwerke hatten keine Regeln zur Verfügung, konnten aber trotzdem nach einiger Zeit ihnen neu angebotene Verben regelmäßig flektieren. Sie arbeiteten über assozi atives Lernen. Das heißt erstens, dass für reguläre Bildungen keine angeborene Regeln nötig sind, und zweitens, dass sowohl regelmäßige wie auch unregelmäßige Formen anhand eines einzigen Mechanismus gelernt werden können. Die Parallelen zwischen den Computerergebnissen und den Kinderdaten lassen zudem vermuten, dass dies auch für die wirkliche Spracherwerbssituation anzunehmen ist. Die Computersimulationen gehen von verschiedenen, den generativen Ansätzen widersprechenden Grundannahmen aus. Zunächst arbeiten auch sie parolebzw. gebrauchsbasiert. Weiterhin gibt es keine Tiefenstrukturen. Grammatik entsteht mit der Zeit, das Sprachwissen ist dynamisch und anpassungsfähig, es ändert sich mit zunehmender Auseinandersetzung mit Sprache. Es gibt keine auf einzelne Sprachmodule spezialisierten Verarbeitungsmechanismen, denn sie gelten für alle sprachlichen Bereiche, ob Syntax oder Lexikon, die zudem interagieren. So kann der Erwerb einer bestimmten Menge an Lautmustern ein bestimmtes morphologisches Verhalten bedingen. Die Computerarchitektur ist den biologischen neuronalen Netzen nachempfunden (vgl. u.a. Elman et al. 1996, Elsen 1999, Spitzer 2000, Pulvermüller 2002). Das bedeutet, dass die aufgabenspezifischen Regionen nicht streng voneinander abgegrenzt sind, sondern Übergangsbereiche und Interaktionen aufweisen. Weil Struktur mit der Zeit erst entsteht, entwickeln sich auch spezialisierte Gebiete während der ständigen Informationsverarbeitung. Sie sind nicht von Anfang an gegeben. Wesentlich ist außerdem, dass Information nicht symbolisch aufzufassen ist, sondern in Neuronen und ihren Verbindungen kodiert wird, also als Bündel aktivierter Netzknoten bzw. Neuronen zu sehen ist. Solche Komplexe repräsentieren Einheiten wie Laute oder Wörter etc. Ein weiterer wichtiger Gedanke ist Emergenz: Struktur entsteht als Folge von 217 13.6 Der Netzwerkgedanke Selbstorganisation und Interaktion zwischen Subsystemen, ohne dass vorgefertigte Segmente und Pläne („Regeln“) zur Verfügung stehen müssten. Deswegen kommt es auch zu Übergangserscheinungen zwischen z.B. richtigen und „ falschen“ Produktionen. Kleinere Knotengruppen ziehen sich zu größeren zusammen, die sich verselbs tständigen und als großes Knotenbündel neuen Einheitsstatus erlangen Um dies zu veranschaulichen, führen Lindblom et al. (1983) das Beispiel der Termitenbauten an. Termites construct nests that are structured in terms of pillars and arches and that create a sort of , air-conditioned ‘ environment. The form of these nests appears to arise as a result of a simple local behavioral pattern which is followed by each individual insect: the pillars and arches are formed by deposits of glutinous sand flavored with pheromone. Pheromone is a chemical substance that is used in communication within certain insect species. Animals respond to such stimuli after (tasting or) smelling them. Each termite appears to follow a path of increasing pheromone density and deposit when the density starts to decrease. Suppose the termites begin to build on a fairly flat surface. In the beginning the deposits are randomly distributed. A fa irly uniform distribution of pheromone is produced. Somewhat later local peaks have begun to appear serving as stimuli for further de posits that gradually grow into pillars and walls by iteration of the same basic stimulus-response process. At points where several such peaks come close, stimulus-conditions are particularly likely to generate responses. Deposits made near such maxima of stimulation tend to form arches. As the termites continue their local behavior in this manner, the elaborate structure of the nest gradually emerges (Lindblom, MacNeilage, Studdert-Kennedy 1983: 185 f.). So etwa kann die Entstehung von Ordnung, von strukturierten Formen ohne vorgefe rtigte Pläne oder Regeln verstanden werden. Im Einzelnen erfolgen der Erwerb und die Verarbeitung von Information in zahllosen kleinen Schritten. Dabei fließt der Aktivierungsstrom nicht linear, sondern kaskadenartig durch das System. Nachbareinheiten aktivierter Knoten werden immer teilweise mitaktiviert, sie sind dann beim nächsten Mal leichter verfügbar. Grundaktivierung und Verbindungsstärken zwischen den Knoten steigen mit jeder Anwendung. Die Gruppierungen gewinnen an Festigkeit und Selbstständigkeit. So entstehen aus Lauten Phoneme oder aus Wörtern Wortklassen. Das Knotenbündel wird immer gezielter und sicherer aktiviert. Dadurch sinkt die Fehleranfälligkeit. Eine häufige Aktivation eines Bereichs des Verarbeitungssystems verfestigt neuronale Muster. Im Laufe der Zeit bilden sich dann Neuronenkomplexe, die den Status von selbstständigen Einheiten erlangen. Wird hingegen eine Einheit nicht mehr benutzt, dann schwächen sich die Verbindungen zwischen den Knoten ab. Aktivationswege, die nicht mehr genutzt werden, verblassen und wir vergessen. Auf den Spracherwerb übertragen bedeutet das, dass dem Kind die Sprache der Umgebung, also Oberflächeninformation, ausreicht. Zusätzliche Regeln o.ä. sind nicht nötig. Die Merkmalsknotenkonfigurationen entwickeln sich dann langsam. Das kindliche Gehirn aktiviert zwar zunächst falsche Muster mit, benutzt aber die jeweils richtigen Pfade immer häufiger für den Aktivierungsfluss . Das erklärt Schwanken zwischen „falschen“ und richtigen Formen, langsames Lernen, mehr Fehler bei komplexeren Zieleinheiten und eine eher prototypische als kategoriale Struktur von Einheiten. Denn wenn sich ein Knotenbündel als Repräsentation einer Einheit langsam stabilisiert, entwickelt es einen oft genutzten Zentralbereich und weniger starke Randbereiche. 218 13 Kognitive Ansätze Im Gegensatz zu formalistischen Modellen und in Einklang mit der Kognitiven Linguistik sind Übergangs-, Frequenz- und Prototypeneffekte verständlich, ja erwartbar. Basis für Sprachstruktur ist die Oberfläche, die Parole. Regeln sind als Regularitäten zu verstehen, die mit der Zeit erkannt werden. Ausnahmen sind zugelassen. Sprachverarbeitung geschieht nicht linear, in binären Schritten und mit diskreten Einheiten, wie es eine Verkettung von Symbolen zu komplexen Strukturen nahe legt. Faktoren wie Gebrauchshäufigkeit und Ökonomie gewinnen an Brisanz, denn Informationskomplexe, die häufig genug gebraucht sind, automatisieren sich und benötigen weniger Aktivationsenergie. Künstliche neuronale Netzwerke sind vereinfachte Modelle des Gehirns. Sie können Lernen nicht in der gesamten Komplexität simulieren, sondern immer nur sehr kleine Ausschnitte. Manche Phänomene lassen sich bisher gar nicht nachahmen, so das Lernen anhand eines einzelnen Beispiels. Es ist auch nach wie vor nicht klar, ob Informationen als aktivierte Neuronenmuster zu verstehen sind oder eher als b estimmte Gruppenkonstellationen von aktivierten Bereichen. Als wegweisend aber kristallisierten sich Ergebnisse zu prinzipiellen Funktionsweisen eines informationsverarbeitenden Systems heraus, die sich auf das Gehirn übertragen lassen. Eine der Grundfragen innerhalb der linguistischen Gemeinde seit Chomsky, ob die Grammatikregeln angeboren sind oder nicht, wurde nämlich durch die Arbeiten mit den Netzwerkmodellen bereits beantwortet: Ein neuronales Netzwerk kann Struktur erkennen, verallgemeinern und auf neue Einheiten anwenden rein auf Grundlage d er ihm dargebotenen Inputdaten. Angeborene Regeln entpuppen sich somit als überflüssig und wissenschaftlich unökonomisch. Dies erklärt wohl auch den heftigen Widerstand von generativer Seite gegen Modelle und Ergebnisse (mehr in Garson 2010). Andererseits erweisen sich die Ergebnisse kompatibel mit den Grundideen der Kognitiven Lingui stik, die heute eine sprachliche Einheit als Aktivationsmuster auffasst (Langacker 2007: 424) und eine neurokognitive Komponente entwickelt (Taylor 2007). In den 1970er Jahren war es zu zahlreichen Auseinandersetzungen innerhalb der generativen Richtung zwischen Chomsky-Anhängern und der generativen Semantik gekommen. Einer deren Hauptvertreter, Lakoff, entwickelte sich zu einem überzeugten Gegner der generativen Grammatik. Aber auch Langacker nahm an diesen „linguistic wars“ Teil - und diese Auseinandersetzung mit den generativen Grundannahmen geriet so manchem Kritiker zu polemisch (vgl. auch Taylor 2003b: 31, 2007). Über die Jahre entstand eine interpretativ ausgerichtete Semantik (Langacker 2007). Während die Kognitive Grammatik selbst nicht so stark rezipiert wird, was teils an den vielen Schaubildern, teils an der eigenen Terminologie liegen mag, die etablierte Begriffe neu definiert (Smirnova/ Mortelmans 2010: 124f.), erfreut sich die Kognitive Linguistik insgesamt heute einer breiten Akzeptanz. Sehr viele Sprachwissenschaftler/ innen vertreten mittlerweile kognitiv-linguistische Ansichten und nehmen generell eine Verbindung zwischen Kognition und Sprache ernst. Dennoch wäre es verfehlt, die semantische Basis von Grammatik und die Vorstellung von Regeln als Schemata als grundsätzlich anerkannte Standpunkte anzunehmen, wie Langacker (2007) das tut. Auf lange Sicht möchte die Kognitive Linguistik sprachliche und ps ychologische Perspektiven integrieren, um zu einem einheitlichen und übergreifenden Verständnis von Sprache und der konzeptuellen Struktur zu gelangen (Talmy 2011). Insofern ist sie immer noch auf dem Weg. 219 13.6 Der Netzwerkgedanke Einige wichtige Werke Lakoff, George 1987. Women, Fire, and Dangerous Things. What Categories Reveal about the Mind. Chicago/ London. Lakoff, George, Johnson, Mark 1980/ 2 2003. Metaphors We Live by. Chicago. Zum Weiterlesen Es liegen zahlreiche Einführungen in die Kognitive Grammatik und Kognitive Linguistik vor, u.a. von Taylor (2003b), Ungerer/ Schmid (2006), Evans/ Green (2006), Croft/ Cruse (2007), Wildgen (2008) oder Langacker (2008). Einen wichtigen Überblick gibt die Artikelsammlung von Geeraets/ Cuyckens (2007). Zur Kräftedynamik im Deutschen vgl. Graumann (2008), auch Wildgen (2008). Eine relativ neue Auseinandersetzung mit Metaphern der Politik ist Lakoff/ Wehling (2008). Weitere Namen im Zusammenhang mit der Kognitiven Linguistik sind Gilles Fauconnier (1985 , 1997) und für den Spracherwerb Michael Tomasello (2003). Schließlich sei noch auf die Zeitschriften Cognitive Linguistics und Annual Review of Cognitive Linguistics sowie die Buchreihe Cognitive Linguistics Research (Mouton de Gruyter) und Human Cognitive Processing (John Benjamins) hingewiesen. 14 Konstruktionsgrammatik Ganzheiten stehen im Zentrum der jüngsten theoretischen Richtung der Linguistik, der Konstruktionsgrammatik. Ihre Positionierung relativ zur Kognitiven Linguistik erfolgt nicht einvernehmlich. Teilweise wird letztere als Strömung verstanden, die verschiedene Modelle vereint, eines davon die Kognitive Grammatik, eines die Konstruktionsgrammatik (KxG, construction grammar/ CxG). Diese wird aber auch als der syntaktische Ansatz der Kognitiven Linguistik bezeichnet (Croft/ Cruse 2004: 225). Die Konstruktionsgrammatik ist wieder kein uniformes Modell, sondern bildet eine Gruppe verwandter Ansätze, die sich ursprünglich als Alternative zu generativen Grundannahmen positionierten. Immer mehr aber entwickelt sich die KxG zu einem eigenständigen Konzept, das zwar eng verbunden ist mit der Kognitiven Linguistik und viele ihrer Grundannahmen teilt, wesentlich aber ein übergreifendes Charakteristikum aufweist. Im Zentrum steht die Konstruktion als Form-Bedeutungspaar. Darunter sind beispielsweise Wörter, aber auch größere Einheiten wie Nominalphrasen oder satzwertige Ausdrücke zu verstehen. Innerhalb dieses Ansatzes lassen sich reguläre und irreguläre grammatische Strukturen vereinen, ohne dass Ausnahmen zusätzlich deklariert werden müssten. 14.1 Die Anfänge 14.1.1 Konstruktionen in der Kognitiven Linguistik Lakoff (1987) bemüht sich um eine Alternative zur damaligen Standardgrammatik, den generativen Ansätzen, und geht zunächst von der semantischen Ebene aus. Anders als diese will er außerdem seine Überlegungen nicht auf Introspektion stützen, sondern auf Daten. Wie Langacker auch sieht er grammatische Strukturen nicht durch angeborene Regeln, sondern durch kognitive Modelle motiviert, so dass es zu direkten und regelhaften Bezügen zwischen Form und Bedeutung kommt. Er spricht daher von „grammatical constructions, direct pairings of parameters of form with parameters of meaning“ (Lakoff 1987: 464). Sie sind einerseits holistisch zu verstehen insofern, als sich die Gesamtbedeutung nicht automatisch aus den Bedeutungen der Einzelkomponenten ergibt. Andererseits sind solche Konstruktionen allgemeine Größen wie Morpheme, Lexeme, idiomatische Wendungen etc. ohne grundsätzlichen Unterschied zwischen Wort und Satz. Das führt dann zu einem gleitenden Übergang von Lexikon zu Grammatik. Unter Form versteht Lakoff die phonologische und die syntaktische Ebene, zur Bedeutung gehören auch Gebrauchsaspekte - hier verweist er bereits auf Fillmore/ Kay/ O’Connor (1988), mit denen er zusammen an einer entsprechenden Theorie arbeitet (Lakoff 1987: 465ff.). Ganz ähnlich versteht Langacker die sprachliche Grundeinheit eher allgemein als automatisierte und konventionalisierte Verbindung von Form und Inhalt, die mehr oder weniger komplex sein kann (Langacker 1987: 56ff.). Er nimmt damit die meisten Grundannahmen der KxG vorweg. 222 14 Konstruktionsgrammatik 14.1.2. Unification Construction Grammar Als ein Ausgangspunkt für die Konstruktionsgrammatik gilt neben u.a. Fillmore (1988) eben der Artikel von Fillmore/ Kay/ O’Connor (1988), in dem die Autor/ innen aus Sicht der generativen Grammatik überraschend feststellen, dass die Sprache nicht nur mehr idiomatische Wendungen aufweist, als bisher angenommen, sondern dass dieser Bereich auch produktiver und systematischer ist als gedacht. Da es sich bei Idiomen meist um größere Einheiten als Phrasen im Sinne der generativen Grammatik handelt, ist entsprechend ein grammatisches Modell zu entwickeln, in dem auch sie ihren Platz finden, denn sie sollten aufgrund ihres hohen Aufkommens nicht einfach nur wie Lexeme in Listen erscheinen. Dazu setzen Fillmore et al. (1988) zunächst statt Regeln solche Konstruktionen als grundlegende Einheit der Grammatik an. Eine Konstruktion kann aus mehreren Wörtern bestehen, durchaus aber auch Lexemgröße aufweisen. Sie spezifiziert gleichzeitig lexikalische, semantische und pragmatische Informationen, kurz, eine Konstruktion ist ein Form-Bedeutungspaar. Fillmore et al. (1988) setzen sich damit in mehrfacher Hinsicht von generativen Grundannahmen ab, die idiomatische Wendungen, aber auch pragmatische Aspekte aus der Sprachbetrachtung ausklammern und atomistisch Stuktur aus Einzelelementen und Kombinationsvorschriften aufbauen. Sie können dann aber gerade nicht Einheiten beschreiben, die aus mehreren Wörtern bestehen, bei denen aber die Bedeutung aus der der Einzelteile und den grammatischen Regeln nicht nachvollziehbar ist, vgl. kick the bucket/ ins Gras beißen der Fall. Noch wesentlicher aber ist für Fillmore et al. (1988), dass solche Ausnahmen auch System sowie Bezüge zur Grammatik aufweisen. Deswegen wollen sie ein Kompetenzmodell entwickeln, das idiomatische Wendungen integriert, die eigens erlernt werden müssen und sich nicht durch Detailwissen zur Sprache aufschlüsseln lassen. In der Weiterentwickung von Kay/ Fillmore (1999) behalten sie ihre Richtung bei, idiomatische Wendungen und reguläre syntaktische Strukturen unter einem grammatischen Dach zu vereinen, und bauen dabei ihren formalistischen Beschreibungsapparat aus unter Zuhilfenahme bewährter generativer Terminologie. Sie arbeiten mit Merkmalsbündeln (Attributwerte-Matrizen) und grammatischen Kategorien wie Verb, VP, Subjekt oder Kopf. [cat v] [role head] [lex +] [role filler] [loc +] + [gf subj] Abb. 48: VP-Konstruktion nach Kay/ Fillmore (1999) (Croft/ Cruse 2004: 266) In der Abbildung 48 gibt cat v an, dass der Kopf der Verbphrase VP ein Verb ist. Die obere Klammer innerhalb der Gesamtklammer macht dann Angaben zum Verb, role head bestimmt die erste Konstituente der Verbalphrase als Kopf und lex + als lexikalisch, das heißt, es soll keine größere Einheit sein. Die weiteren Informationen beziehen sich auf Komplemente, wenn es sie gibt. In der VP found her bracelet , fand ihr Armband ‘ ist her bracelet , ihr Armband ‘ ein Komplement. loc + gibt an, dass das 223 14.1 Die Anfänge Komplement (im englischen Satz) nicht aus der VP heraus positioniert werden darf im Gegensatz zu einem Fragewort, beispielsweise in What did he find? , Was fand er? ‘ . Role filler ist eine syntaktische Rolle neben Kopf oder Modifizierer. Gf subj bezieht sich darauf, dass die grammatische Funktion nicht die des Subjekts ist (Croft/ Cruse 2004: 266f.). Es gibt also grundlegende atomistische Merkmale, die sich zu bestimmten Gruppen kombinieren und der Beschreibung einer Konstruktion dienen. Die Verwandtschaft zwischen grammatischen Konstruktionen wird über Vererbung oder eingebettete Strukturen aufgefangen. Eine alternative Analyse im Rahmen des Prinzipien+Parameter-Ansatzes erachten die Autoren für grundsätzlich möglich, allerdings fühlen sie sich vor allem der Tradition der head-driven phrase structure grammar (HPSG) verpflichtet (Kay/ Fillmore 1999: 28). Da Fillmore, Kay und Mitarbeiter/ innen aus der generativen Schule stammen, behalten sie einige der Grundannahmen bei. Dazu gehört beispielsweise der Ausgangspunkt Kompetenz. Sie analysieren nicht Sprache im Gebrauch. Hiermit stellen sie sich allen gebrauchsbasierten Ansätzen inkl. Kognitiver Linguistik gegenüber. So kommt es mit der Arbeit von Fillmore et al. (1988) bereits sehr früh zu einer entscheidenden Zweiteilung innerhalb der KxG. Einerseits gibt es die gebrauchsbasierten Ansätze, die kognitiv orientiert sind und die sprachliche Fakten als mental real und psychologisch überprüfbar, damit aber auch erlernbar ansehen. Andererseits haben wir die formal orientierten Modelle, die nicht vom Gebrauch der Sprache ausgehen, die großen Wert auf Beschreibungsapparate legen, diesen jedoch mehr als nur eine deskriptive Rolle zuerkennen und die jeweils verschiedene generative Grundannahmen beibehalten. Sie stehen in der Tradition der HPSG und könnten auch generativ orientierte Konstruktionsgrammatiken genannt werden. 14.1.3 Cognitive Construction Grammar Adele Goldberg, eine Schülerin Lakoffs, rollt ihre Arbeit von 1995 aus einer anderen Richtung auf. Aus der Tatsache, dass eine etwas veränderte Zusammenstellung der Wörter im Satz schon zu einer anderen Bedeutung führen kann, schließt sie, dass Konstruktionen Bedeutungsträger sind, unabhängig vom Verb und von der Einzelbedeutung der Wörter. Wir können aufgrund von Sätzen wie Er schob das Buch vom Tisch, er pustete das Tuch vom Tisch, er fegte das Glas vom Tisch auch einwertige Verben wie niesen in einem entsprechenden Satzrahmen , hier der caused-motion construction, korrekt dekodieren, vgl. er nieste die Serviette vom Tisch. Vor allem brauchen wir deswegen keine neue Verbbedeutung anzusetzen (Goldberg 1995: 9). Goldberg lehnt also wieder das Prinzip der Kompositionalität als nicht ausreichend ab, nach dem sich die Bedeutung eines Satzes aus den jeweiligen Bedeutungen der Wörter zusammensetzt. Vielmehr liefert auch der syntaktische Rahmen semantische Hinweise. Goldberg konkretisiert dann weiter Lakoffs Vorstellung von Kons truktionen, indem sie vor allem auf diese nicht kompositionelle Seite der Konstruktion eingeht. Bei einer Konstruktion ist immer ein Aspekt, sei er grammatischer (form, F) oder inhaltlicher (semantics, S) Natur, nicht aus anderen Einheiten, aus anderen Konstruktionen abgeleitet („vorhergesagt“). Goldberg definiert daher die Konstruktion folgendermaßen: [...] a distinct construction is defined to exist if one or more of its properties are not strictly predictable from knowledge of other constructions existing in the grammar: C is a CONSTRUCTION iff def C is a form-meaning pair < F i , S i > such that some aspect of F i or 224 14 Konstruktionsgrammatik some aspect of S i is not strictly predictable from C’s component parts or from other previously established constructions (Goldberg 1995: 4). Hier steht sie noch unter dem Einfluss von Fillmore et al. (1988) (Goldberg 2006a: 224). Anders als diese konzentriert sich Goldberg aber dann auf einen kleinen, aber zentralen Bereich der Grammatik mit vielen regelhaften Sätzen, auf Argumentstrukturen und ihre Rolle für die Verbbedeutung. In Goldberg (2006a) stehen Erwerbs- und Verarbeitungsaspekte von Konstruktionen im Mittelpunkt, und in diesem Zusammenhang erweitert sie ihre Definition. „In addition, patterns are stored as constructions even if they are fully predictable as long as they occur with sufficient frequency“ (Goldberg 2006a: 5). Sie arbeitet nun mit sehr vielen empirisch erhobenen Daten und stellt fest, dass grammatische Konstruktionen als Verallgemeinerung von Wörtern in bestimmten Mustern entstehen (Goldberg 2006a: 92). Der Aspekt der Erlernbarkeit von Konstruktionen rückt mehr und mehr in den Vordergrund. Darum diskutiert sie verschiedene Kandidaten für Sprachunivers alien, die sich über Informationsstruktur und verschiedene kognitiv-kommunikative Faktoren erklären lassen und deswegen nicht angeboren sind. 14.1.4 Radical Construction Grammar Dass allgemeine Unzufriedenheit mit den Grundannahmen und Implikationen der generativen Grammatik und dem nicht immer wissenschaftlich korrekten Verhalten verschiedener ihrer Vertreter/ innen herrrschte und herrscht, wurde bereits mehrfach angedeutet. Und so beginnt auch William Croft sein Werk zur Konstruktionsgrammatik 2001 damit, seiner Kritik an Inhalten und Vorgehen auf formalistischer Seite Ausdruck zu verleihen. Er weist die Annahme einer Universalgrammatik auf Grundlage einer einzelnen Sprache - das war meist das Englische gewesen - zurück und versucht, die Ergebnisse seiner sprachtypologischen Arbeit zu integrieren und sprachübergreifende Aussagen zu treffen, basierend auf „empirical variation of grammatical phenomena, across languages and within them“ (Croft 2001: 7). Da nun aber von funktionaler Seite im Wesentlichen ebenfalls eine seriöse Diskussion ausbleibt und er außerdem die Syntax in funktionalen Arbeiten vernachlässigt sieht - als Ausnahme nennt er nur die Kognitive Grammatik Langackers -, entwickelt er über viele Jahre hinweg ein Alternativmodell, das in mehrfacher Hinsicht „radikal“ anders sein soll. Für seinen Ansatz geht er von anderer Methodik aus als die übrigen Syntaxtheorien seit dem Strukturalismus, nämlich wieder distributionalistisch, und ergänzt ihn um die typologische Dimension, da das Modell für alle Sprachen gelten soll. Die Aspekte der formalen Repräsentation grammatischer Struktur setzt er sprachspezifisch an. Grundlegende syntaktische Kategorien wie Nomen, Verb oder Subjekt gibt es im Gegensatz zu dem Modell von Kay und Fillmore nicht, auch keine syntaktischen Relationen, stattdessen jedoch Konstruktionen mit einer bestimmten Architektur. Da ihm die Arbeiten von Langacker, Lakoff, Goldberg, Kay und Fillmore bekannt sind, in denen als kleinster Baustein der Sprache die Konstruktion postuliert wird, nennt er seinen Ansatz in Fortführung dieser Idee und unter Berücksichtigung seiner grundlegenden Neuerungen radical construction grammar. Auch er nimmt ein Kontinuum zwischen Lexikon und Syntax an, und sein Ansatz ist ebenfalls gebrauchsbasiert. Da seine typologischen Studien aber zeigten, dass sich Kategorien und Relationen nicht sprachübergreifend einheitlich bestimmen lassen, setzt er funktionale Kategorien nicht nur sprachspezifisch, sondern auch konstruktionsspezifisch an. Sie sind allein 225 14.2 Gebrauchsbasierte und formal ausgerichtete Ansätze über die jeweilige Konstruktion zu fassen. Dies trennt ihn von den anderen Konstruktionsmodellen, und hier ist sein Ansatz tatsächlich radikal. Damit positioniert er sich gegen Kay/ Fillmores (1999: 1) Versuch, allgemeinsprachliche Zusammenhänge über abstraktere Konstruktionen zu schaffen. Die Möglichkeit sprachübergreifender Gemeinsamkeiten räumt er durchaus ein, sie liegen jedoch auf der semantisch-pragmatischen Ebene und werden über Diskursbedingungen bestimmt. So kann er durchaus typologische Aussagen treffen. Die Existenz einer Universalgrammatik auf formaler Ebene schließt Croft allerdings ausdrücklich aus (Croft 2001: 61). Auch für ihn besteht ein Zusammenhang zwischen Gebrauchshäufigkeit und Speicherung einer grammatischen Struktur. Der Ansatz ist insofern wieder nichtreduktionistisch, als das Ganze, die Konstruktion, mehr ist als die Summe ihrer Teile. Croft steht damit auch einem Zergliedern in Merkmale kritisch gegenüber (Croft 2001: 48). 14.2 Gebrauchsbasierte und formal ausgerichtete Ansätze Die cognitive construction grammar von Lakoff und Goldberg und die radical construction grammar von Croft bilden zusammen mit Langackers Version (u.a. Langacker 2008, 2009a, b) die Gruppe der gebrauchsbasierten Konstruktionsgrammatiken. Sie legen keinen großen Wert auf Formalisierungen. Vor allem aber wollen sie Sprache im Gebrauch analysieren. Damit setzen sie die Grundgedanken der Kognitiven Linguistik fort. Anders sieht es jedoch mit der von Fillmore und Kolleg/ innen begründeten Richtung der Berkeley construction grammar aus, teilweise auch als Construction Grammar mit großen Anfangsbuchstaben oder als unification construction grammar (Goldberg 2006a) bezeichnet. Sie reiht sich in verschiedene formal orientierte Modelle ein, die sich als quasi generativ einordnen lassen (vgl. Evans/ Green 2006: 661, Müller 2010: 59). Diese Ansätze schließen die Existenz von Regeln nicht aus, nutzen ihre Formalismen nicht nur als Beschreibungsmöglichkeit, sondern auch explanativ, und ignorieren außerdem kognitive Aspekte wie F requenzeffekte oder Automatisierung, weil grammatische Struktur aus sich heraus und unbeeinflusst von nichtsprachlichen Faktoren aufgefasst wird. Sie arbeiten mit Merkmalen und sind unifikationsbasiert, weil für sie die Vereinigung dieser Merkmale für die Beschreibung von Strukturen eine große Rolle spielt (Ziem/ Lasch 2013: 48). Daher haben sie dann Schwierigkeiten mit genauen Analysen von lexikalischer Bedeutung, die sich über Merkmalsbündel nicht adäquat wiedergeben lässt (Goldberg 2006a: 216). Die gebrauchsorientierten Richtungen hingegen arbeiten in kognitiv bewährter Manier mit prototypisch basierten Bedeutungen - auch der Konstuktionen. Da die Berkeley Schule aber nicht von autonomen Sprachmodulen ausgeht und keine Transformationen oder Tiefenstrukturen ansetzt, weisen ihnen Ziem/ Lasch (2013) eine Zwischenstellung zu. Von einigen Vertreter/ innen der Konstruktionsgrammatik werden allerdings in gewohnter generativer Weise ausdrücklich Regeln bzw. Parameter und Tiefenstrukturen neben Konstruktionen postuliert (z.B. Booij 2007), zur Abwendung von der psycholinguistischen Realität der Konstruktionen und zur Annahme sprachlicher Un iversalien in der Berkeley Schule vgl. auch Fischer/ Stefanowitsch (2006). Zu den formal ausgerichteten Modellen gehören neben dem aus Berkeley noch die sign-based construction grammar (Michaelis 2009, Sag 2012, Boas/ Sag 2012), die embodied construction grammar (Bergen/ Chang 2005, Feldman/ Dodge/ Bryant 2009) sowie die fluid construction grammar (Steels/ de Beule 2006, Steels 2011, 2012). Diese vier Richtungen zeichnen sich durch abstrakte Formalisierungsversuche aus , sind 226 14 Konstruktionsgrammatik unterschiedlich HPSG-nah und übernehmen einige der generativen Postulate, allerdings nicht in ihrer Gesamtheit, sondern in unterschiedlicher Auswahl. Die letzten beiden streben ausdrücklich eine Implementierbarkeit ihrer Modelle in Computerbzw. Roboterprogrammen an. Es geht also nicht darum, ob sprachliche Struktur lernbar und die Beschreibungen psychologisch real sind, sondern vielmehr darum, auch idiomatisierte Ausdrücke in einem Formalismus zu integrieren (vgl. Ziem/ Lasch 2013). Die formal orientierten Modelle sollen im Folgenden unberücksichtigt bleiben, da sie nicht alle Leitgedanken der Kognitiven Linguistik teilen. 14.3 Grundannahmen der gebrauchsbasierten Modelle Gebrauchsbasierte Ansätze lassen nicht-sprachliche Einflüsse auf die Sprachstruktur zu. Denn die Verwendung einer Äußerung im Kommunikationsrahmen bestimmt die Repräsentation der grammatischen Einheit mit. Die beiden wichtigsten gebrauchsb asierten Faktoren, die grammatische Repräsentationen beeinflussen, sind Häufigkeitseffekte und Bedeutung (Croft/ Cruse 2004: 292). So bleiben uns unregelmäßige Formen gerade deswegen erhalten, weil wir sie so oft benutzen. Selten gebrauchte unregelmäßige Formen verlieren ihren automatisierten Status und werden regelmäßig gebildet (vgl. melken, backen, dingen, glimmen, sieden). Im Folgenden sind die wesentlichen Grundannahmen der gebrauchsbasierten Modelle aufgezählt (vgl. auch Goldberg 2003, Smirnova/ Mortelmans 2010: 132ff.): Die elementarste sprachliche Einheit ist die Konstruktion. Eine Konstruktion ist ein konventionalisiertes Form-Bedeutungs-Paar, ein holistisches Muster. Die formale und die inhaltliche Seite sind untrennbar miteinander verbunden, sie lassen sich nicht aus den Komponenten oder aus and eren Konstruktionen ableiten. Tritt eine Zeichenfolge häufig genug auf, erlangt sie den Status einer neuen Einheit/ Konstruktion. Die Grammatik einer Sprache besteht aus einem strukturierten Netzwerk an Konstruktionen. Der Übergang von Lexikon zu Grammatik ist fließend, es gibt keine autonomen sprachlichen Module. Konstruktionen werden nicht über Regeln voneinander abgeleitet, werden aber meist kombiniert realisiert. Grammatisches Wissen ist nicht angeboren, es wird erlernt. Es gibt keine Ausnahmen oder ungrammatische Strukturen. Organisationsprinzipien sind allgemein kognitiver, nicht speziell sprachlicher Natur. Konstruktionen können unterschiedlich abstrakt und komplex sein, Beispiele sind gebundene Morpheme: Ur-, ver-, -heit, -ig, -st, -er Wörter: groß, krank, sie, Mutter komplexe Wörter: Steckenpferd, Großmutter konventionelle Verbindungen aus mehreren Wörtern, Phraseologismen: gute Nacht! , auf Grund, von uns gehen , sterben ‘ , mit Kind und Kegel, zum Brechen voll, ins Gras beißen , sterben ‘ , j-m einen Bären aufbinden, Reden ist Silber, Schweigen ist Gold 227 14.3 Grundannahmen der gebrauchsbasierten Modelle unterschiedlich auffüllbare Strukturvorgaben: geschweige-denn-Konstruktion, Konstruktionen mit Modalverb, Perfektkonstruktion (hat gesungen, ist gegangen), Ditransitiv-Konstruktion [SUBJ DITRVERB OBJ DAT OBJ AKK ] für Verben wie geben oder schenken. Auch eigentlich zweiwertige Verben können in der Ditransitiv-Konstruktion Verwendung finden, vgl. Sie malt ihm ein Bild. Der Bedeutungsaspekt des Transfers wird analogisch aus Sätzen wie Sie schenkt ihm ein Bild übernommen. Er ist nicht lexikalisch, sondern steckt in der Konstruktion, denn Konstruktionen sind wie bereits erwähnt Bedeutungsträger (Goldberg 1995, Ziem/ Lasch 2013: 24f.). Informationen, die formalistische Modelle als Regeln darstellen, werden wie in der Kognitiven Grammatik schematisch ausgedrückt. Ein Schema ist eine Konstruktion mit mindestens einer Leerstelle, vgl. die Ditransitiv-Konstruktion oder ein teilweise gefüllter idiomatischer Ausdruck wie j-m einen Bären aufbinden, bei dem das Dativobjekt frei ergänzbar ist. Die Konstruktionsgrammatik bietet aber einen Vorteil gegenüber den Regeldarstellungen, weil sie produkt-orientierte Schemata zulässt (vgl. auch Croft/ Cruse 2004: 301f.). Damit sind Schemata gemeint, die sich nicht über Regeln von einer einfachen zu einer komplexeren Form aufbauen lassen, sondern als Ganze eine gewisse lautliche und semantische Kohärenz aufweisen. Solch ein Schema gibt eine abstrahierte Aussage über die komplexen Formen an. Ein Beispiel dafür ist das jugendsprachliche Schema abge-X-t/ n, das morphologisch uneinheitlich gefüllt wird, teils mit Nomen, teils mit Verben, vgl. abgejubelt, abgegessen, abgemackert, abgezopft, alle , alt, unbrauchbar ‘ . Ein anderes Beispiel ist das Schema N/ Adj/ Adv+V+er auf Grundlage von Formen wie Frauenversteher, Rückwärtseinparker oder Kaltduscher, das in der Zeitungssprache aber zu neuen Bildungen führt, für die nicht immer klar ist, ob Rückbildung, Zusammenbildung oder Komposition anzusetzen ist, vgl. Geldeintreiber, Steuerhinterzieher, Jobvermittler (vgl. Elsen 2011a: 175f. ). Konstruktionen können auch „fehlerhafte“ Ausdrücke beschreiben. Beispielsweise kommen neben Sätzen wie Doch Qualität hat ihren Preis auch solche vor wie Das aber bedeutet: Qualität hat seinen Preis und zwar nicht gerade selten (Stefanowitsch 2011). Im letzteren Fall setzt Stefanowitsch (2011) die Konstruktion [NP hat seinen Preis] an, die kognitiv mächtiger ist als [NP hat ihren Preis] und deswegen auch verwendet wird, wenn die zugehörige Nominalphrase Femininum ist. Konstruktionen erscheinen meist in Kombination. Verschiedene Konstruktionen unterschiedlicher Abstraktionsgrade verschachteln sich in einzelnen Sätzen auf immer neue Art und Weise. So vereint das Beispiel What did Liza buy Zach? / Was kaufte Liza Zach? folgende Konstruktionen (Goldberg 2006a: 10): Liza-, buy-, Zach-, what-, do-Konstruktion Ditransitiv-Konstruktion Fragekonstruktion Subjekt-Hilfsverb-Inversion-Konstruktion VP-Konstruktion NP-Konstruktion. Die Konstruktionen sind systematisch miteinander verbunden. Ein Beispiel für einen Ausschnitt aus solch einem Netzwerk stammt von Ziem/ Lasch (2013) zur Konstruktion j-m die Daumen drücken. Die Abbildung 49 zeigt, dass die Konstruktionen formsei- 228 14 Konstruktionsgrammatik Bedeutungsstruktur (semantische, pragmatische, diskursfunktionale Eigenschaften) Formale Struktur (phonologische, morphologische, syntaktische Eigenschaften) symbolische Beziehung tig Eigenschaften teilen. Dabei werden sie immer konkreter, das heißt lexikalisch immer spezifischer. Allerdings bilden sie nur dann einen eigenen Knoten im Netzwerk, wenn sie zumindest teilweise idiosynkratisch sind. Der Ausdruck das Baby drücken erhält keinen Knoten, denn er lässt sich aus den Einzelteilen erschließen und ist gleichzeitg nicht häufig genug, als dass er den Status einer eigenen Konstruktion hätte. Würde aber beispielsweise die Werbung einen Slogan erfinden, den wir ständig hören und als Ganzen speichern, so wie „nicht immer, aber immer öfter (Paulaner)“, darf nach der neueren Definition von Goldberg ein Knoten angesetzt werden. Abb. 49: Ausschnitt aus einem Konstruktionsnetzwerk (Ziem/ Lasch 2013: 97) Was in dem Netzwerk der Übersicht halber noch vernachlässigt ist, sind die Bedeutungsrelationen. In Fortführung von Saussure und Langacker besteht eine Einheit wieder aus den drei Aspekten Form, Bedeutung sowie der symbolischen Beziehung zwischen den beiden. Allerdings sind formale und semantische bzw. Bedeutungsaspekte nun weiter gefasst (vgl. Abb. 50). Abb. 50: Die drei Aspekte einer Konstruktion (in Anlehnung an Croft 2001: 18) Die enge Beziehung zwischen Form und Inhalt, die nicht getrennte sprachliche Ebenen darstellen und nicht pro Einheit eigens über Regeln o.ä. einander zugeordnet werden, ist für die konstruktionsgrammatischen Modelle wesentlich. Die Verbindung von Form und Inhalt ist stattdessen bereits Teil der Konstruktion. Die Grammatik [[NP N OM ][I NTR . V ERB ]] [[NP N OM ][T R . V ERB ][NP A KK ]] [[NP N OM ][weinen] ] [[NP N OM ][lachen]] [[NP N OM ][drücken] [die Daumen]] [S ATZ ] [[NP N OM ][drücken ] [den Preis]] [[NP N OM ][drücken][NP A KK ]] [[NP N OM ][mag][NP A KK ] ] [[NP N OM ][drücken ] [die Schulbank]] 229 14.4 Wie real sind die Konstruktionen? einer Sprache besteht aus einem systematisch strukturierten Netzwerk von Konstruktionen. Eine Einheit bildet einen eigenen Knoten in diesem Netzwerk, sobald sie auf formaler oder semantischer Ebenen idiosynkratisch ist, also eine Eigenheit entwickelt, die sich nicht mehr aus Einzelteilen oder grammatischen Strukturvorgaben ermitteln lässt wie im Falle von jemandem einen Bären aufbinden , jemandem etwas vormachen, etwas Unwahres erzählen ‘ , oder wenn sie verarbeitungstechnisch zu einer eigenen, automatisierten Einheit geworden ist. Wesentlich ist weiter, dass der traditionelle enge und starre Regelbegriff, wie wir ihn aus Strukturalismus und den generativen Grammatiken kennen, durch Schemata ersetzt wird. Sie geben eine Regelhaftigkeit wieder, die tendenziell gilt, aber nicht unbedingt zu 100 % einzuhalten ist. Genau deswegen können nun auch Randphänomene und scheinbare Ausnahmen erfasst werden. Das wiederum vereinfacht das Verständnis von Variation und Wandel. 14.4 Wie real sind die Konstruktionen? Die aktuelle Forschung befasst sich mit verschiedenen Phänomenen des Sprachgebrauchs, mit Sprachwandelerscheinungen, Variation oder bisher schwer einzuordnenden Einheiten wie den Phraseologismen. Aufgrund der Verbindung mit nichtsprachlichen Aspekten und des gleitenden Übergangs zwischen zentralen und peripheren Beispielen können auch traditionell „falsche“ oder ungewöhnliche Äußerungen beschrieben werden (vgl. oben er nieste die Serviette vom Tisch). Vor allem aber im Bereich der Spracherwerbsforschung bietet die KxG eine ernstzunehmende Alternative zum Postulat der angeborenen Universalgrammatik. Daten aus dem Spracherwerb eröffnen die Möglichkeit der psycholinguistischen Fundierung konstruktionsgrammatischer Annahmen. Im Rahmen der Kognitiven Linguistik bedeuten Spracherwerbsstudien eine eigene Motivationsgrundlage, wie bereits angesprochen. Konstruktionsgrammatische Annahmen lassen verschiedene Unregelmäßigkeiten oder „Fehler“ in einem neuen Licht erscheinen oder erklären sie einfacher und ökonomischer, als dies generative Modelle leisten. Außerdem muss die Frage, was nun ein Wort ist, dank des Konzepts der Konstruktion nicht mehr für jede kindersprachliche Äußerung beantwortet werden. Der Input, das heißt, die Sprache der Umgebung ist die Grundlage, auf der Struktur aufgebaut wird. Deswegen können Kinder das nötige sprachliche Wissen aus der an sie gerichteten Sprache gewinnen, so dass im Laufe der Zeit Regularität entsteht, ohne dass angeborene Regeln nötig werden. Kinder hören manche Äußerungen sehr häufig und bilden daraus die Schemata. Sie nutzen allgemeine Lern- und Verarbeitungsmechanismen, Handlungszusammenhänge und pragmatische und semantische Informationen für die Interpretation der Sätze. Übergänge sind gleitend, der Strukturaufbau erfolgt langsam. Ganz im Sinne der Konstruktionsgrammatik übernimmt der Kommunikationsrahmen, der in generativ ausgerichteten Ansätzen ohne funktionale Relevanz bleibt, eine wesentliche Rolle. Über Blicke und Gesten und mehr oder weniger systematische Lautäußerungen können sich das Kind und die Mutter oder andere Bezugspersonen auf Grundlage der gemeinsam ausgerichteten Aufmerksamkeit (joint attention) verständigen (Halliday 1975, Bruner 1987). Es entwickeln sich langsam Routinen. Die ersten Lautäußerungen der Babbelphase gehen in Protowörter über. Während einem dadada im Alter von sechs Monaten noch kein Mitteilungsbedürfnis zugrunde liegt, erscheint später da in Situationen erhöhter Aufmerksamkeit und Interesses und dient 230 14 Konstruktionsgrammatik nun dazu, die Aufmerksamkeit anderer auf sich zu ziehen. Da verbalisiert Zeigen, Aufmerksam-Machen. Es hat zunächst lediglich pragmatische Funktion und keine (zielsprachliche) Semantik. Verschiedene Lautungen und Gesten sind anfangs in wiederkehrenden Handlungszusammenhängen eingebunden (Halliday 1975, Bruner 1987). Sprechen beginnt beim Spiel, im Dialog. Gesten wie Zeigen für , schau! ‘ , Winken als Gruß oder Kopfschütteln als Verweigern etc. können mit Einzellexemen verbunden werden. Insofern ermöglichen sie einen funktionalen Zusammenhang zwischen vorsprachlicher Phase und frühen Wortkombinationen. Kontinuität und Übergänge gehören mit zu den Annahmen der Konstruktionsgrammatik. Ein weiterer Faktor neben dem Kommunikationsrahmen ist die grundsätzliche O ffenheit zwischen den verschiedenen sprachlichen Ebenen als wichtige Grundposition der Konstruktionsgrammatik, weil sie die Möglichkeit von Ausgleichsstrategien eröffnet. Im frühen Spracherwerb muss das Kind einen Kompromiss finden zwischen dem, was es kann, und dem, was es sagen will (vgl. hierzu auch das competition model, u.a. MacWhinney 2004). Der Motor des Spracherwerbs ist die Kommunikationsabsicht, und die erfolgreiche Kommunikation des Kindes mit der Umwelt ist zahlreichen Hindernissen unterworfen, unter anderem eingeschränkten Artikulations- und Verarbeitungsfähigkeiten. In einer Tagebuchstudie mit täglichen Aufzeichnungen eines Kindes bis zum Alter von zwei Jahren und vier Monaten (Elsen 1991, 1999) spricht das Kind in den ersten Zweiwortsätzen kürzere Äußerungen zielsprachenähnlicher aus als längere Formen, während längere Äußerungen größere Abweichungen von der Ziella utung aufweisen. Außerdem erscheinen in den ersten Sätzen zunächst bekannte Wörter. Längere Sätze bzw. Konstruktionen werden erst durch wenig verschiedene, bereits häufig verwendete Wörter gefüllt, bevor die Auswahl variabler wird. Syntagmatische und paradigmatische Variation lösen sich gegenseitig ab, und die Satzlänge wächst in Abhängigkeit von Worthäufigkeit und Wortlänge, Aussprachesorgfalt und morphologischer Komplexität langsam an (ausführlich Elsen 1999). Das spricht dafür, dass die sprachlichen Ebenen zusammenhängen. Sie können nicht isoliert b etrachtet werden. Da der Konstruktionsansatz Frequenzeffekten eine Rolle zubilligt (vgl. u.a. Lieven 2010), richtet sich die Wahl dessen, was nun versprachlicht wird, auch nach der Häufigkeit. Entsprechend zeigte sich, dass viele Verben nur in einer Form von Kindern benutzt werden, und zwar gerade in der häufig gehörten (u.a. Goldberg 2006b, Tomasello 2007). Generalisierungen scheinen genau dann leichter zu sein, wenn der Input anfangs nicht symmetrisch Verben und Konstruktionen verbindet, sondern wenn ein Konstruktionstyp sehr oft mit nur einem Verb auftritt. Wenn nun aufgrund der eingeschränkten Verarbeitungsmöglichkeiten eine Auswahl des zu versprachlichenden Materials getroffen werden muss, können häufig gehörte Äußerungen hier einfacher erscheinen und die Wahl begünstigen, weil sie bereits verfestigt sind. Aber Frequenzvorgaben des Input sind nicht die einzigen Faktoren, die den Erwerb bestimmen. Auch die Komplexität der Zielstruktur spielt eine Rolle und das jeweilige Interesse des Kindes. Insgesamt ist das Ineinandergreifen von kombinierten und schema-basierten Äußerungen noch nicht klar. Bereits die frühen Zweiwortkombinationen in Elsen (1991, 1999) zeigen beides. Einerseits werden verschiedene affektbezogene Äußerungen wie nein, da, bitte oder ei mit benennenden Ausdrücken wie Mama, Papa, Ball oder Teddy verknüpft. Hier könnte ein funktionales Schema angesetzt werden ohne Grundlage von Oberflächenstrukturen (vgl. auch Tomasello 2006), aber in Fortführung der Kombination von Gesten und Wörtern. Einige Äußerungen sind Ausdruck für Schemata wie X + da, Y + weg. Wieder andere bleiben relativ stabil, weil sie auf Sätzen be- 231 14.4 Wie real sind die Konstruktionen? ruhen, die das Kind sehr oft hörte, etwa der Papa oder André weint. Sie werden als Ganzheiten wiedergegeben. Andererseits gibt es aber auch Zweiwortkombinationen wie Ente kaputt (1; 3,10 - im Alter von einem Jahr, drei Monaten, zehn Tagen) , Ei alle (zu leerer Eierschale, 1; 3,15), steh Wauwau (1; 4,4) schick - Topf (1; 4,6). Sie sind in den jeweiligen Kommunikationsrahmen eingebunden. Das Kind kombiniert frei jeweils zwei Wörter, zwischen denen keine strukturelle Beziehung besteht. Wir dürfen also nicht davon ausgehen, dass das Kind über Wortstellungsregeln oder Kategorienbegriffe wie Nomen oder Verb verfügt. Diese frühen Wortkombinationen sind durchaus produktiv und variabel. Es gibt also gleichzeitig analytische und holistische Äußerungen (vgl. auch Kaltenbacher 1990). Die Entwicklung der wo-Frage zeigt ebenfalls eine Mischung aus schematischen und analytischen Versuchen. Vorläufer sind einzelne Wörter mit Frageintonation Mama? , Papa? . Vielen Fragen mit wo liegt die häufig im Versteckspiel gehörte Vorgabe Kuckuck/ hallo, wo bist du zugrunde. Wenn das Kind etwas sucht, bleibt von dieser Frage der am stärksten betonte Endteil übrig, an den das Wort für den gesuchten Gegenstand angehängt wird, etwa bisdu Katze (1,6.1). Dann entwickelt das Kind das Schema wo’s/ wo’s der + X. Systematisch wird die erfragte Person bzw. Gegenstand in dieses Schema eingesetzt (wo’s der (Ele)Fant? 1; 6,11, wo’s der Papa, 1,6,25). Kombinierte Äußerungen (wo Tasche reintun, Mama, 1; 9,5) stehen n eben schematischen, die nun mehr verschiedene Füllungen aufweisen (wo’s der - Spritze, Tennisschläger, Handtuch, 1; 11). Die Komplexität insgesamt steigt. In Goldbergs und den meisten Arbeiten zum Spracherwerb spielt das Verb die zentrale Rolle (zu einem Überblick vgl. Behrens 2009). Meist wird hier die Verbinsel- Hypothese (Tomasello 1992) zugrunde gelegt. In den frühen Mehrwortsätzen benutzen Kinder Verben in nur einer Konstruktion, mit jeweils einem eigenen Strukturaufbau zu einem Zeitpunkt (Croft/ Cruse 2004: 323), beispielsweise eine bestimmte Verbform zunächst nur bei einem Verb. Verb und Konstruktion bilden dann eine Insel. Später formieren sich viele solcher Inseln zu einem Netzwerk. Mittlerweile hat sich aber gezeigt, dass die Verbinsel-Hypothese zu kurz greift, da auch andere Wörter Inseln bilden. Deswegen wird der etwas allgemeiner ausgerichtete Ansatz als wortspezifisches Lernen bezeichnet. Kinder bauen Verteilungsmuster um bestimmt Lexeme auf (Lieven/ Pine/ Baldwin 1997, Pine/ Lieven/ Rowland 1998). Sie nutzen dabei keine Kategorieninformationen, sondern die Lexeme jeweils in einer Konstruktion. Dies ist aufgrund der eingeschränkten Verarbeitungskapazitäten verständlich. Lernen ist lexem- und nicht kategorienbasiert. Und die Kategorien wurden ja auch von Croft als konstruktionsabhängig angesehen. Viele Untersuchungen machen die Beobachtung, dass Kinder mit eingeschränkten Konstruktionstypen beginnen und sie spezifisch für einzelne Verben oder Nomen verwenden. Sie ahmen Äußerungen als Ganze nach, um eine bestimmte Intention zu kommunizieren. Schließlich sammeln sie dann ein ganzes Inventar solcher Konstruktionen. Tomasello (2007: 1100) zufolge fangen Kinder nicht damit an, Wörter zu lernen und sie dann zusammenzusetzen. Aber: Es darf nicht übersehen werden, dass Kinder durchaus Einzellexeme hören, beispielsweise im Zeigespiel oder beim gemeinsamen Anschauen eines Bilderbuchs. Das heißt, das Kind verfügt nicht nur über komplexe Konstruktionen, die es mit der Zeit aufspaltet, sondern führt auch Konstruktionen zusammen - und offenbar zunächst noch relativ frei. Ein größerer Einfluss des Verbs auf die Sätze wird erst für ältere Kinder deutlich. Auch komplexere Sätze bauen sich langsam auf. Dabei meistert das Kind Informationen aus verschiedenen sprachlichen Ebenen zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichem Maße und in unter- 232 14 Konstruktionsgrammatik schiedlicher Kombination. Die Konstruktionsgrammatik stellt eine Grundlage dar für die Beschreibung der langsamen, aber kontinuierlichen Entwicklung (vgl. auch Diessel 2006). Sie muss aber im Zusammenhang mit funktionalen Bedürfnissen und verarbeitungstechnischen Beschränkungen gesehen werden. Während eine funktionale Hypothese annimmt, dass Kinder eine Kombination von semantischen und pragmatischen Faktoren für die Entdeckung von oberflächengrammatischen Mitteln nützen (z.B. Bates/ MacWhinney 1979), gehen konnektionistische Modelle davon aus, dass Kinder distributionelle Analysen durchführen und häufige Muster als Ganzes nachahmen unter geringer Beteiligung von inhaltlicher Verarbeitung. Aufspaltung und Interpretation erfolgen nach und nach. Ein konstru ktionsgrammatischer Ansatz vereinigt beides unter einem Dach. Allerdings ist das Verhältnis zwischen Verbindungen von Konstruktionen und Schemata noch nicht geklärt. Untersuchungen von englischsprachigen Kindern ergaben lexemspezifisches Lernen und eher eingeschränkte Kombinationen, da bestimmte morphologische Formen bevorzugt mit bestimmten Lexemen auftraten (u.a. Pine/ Lieven/ Rowland 1998, Tomasello 2006). Wir können weder alle Schemata noch die genauen Grenzen zwischen frei kombinierten und schemabasierten Äußerungen erkennen (vgl. die Diskussion in Pine et al. 1998). Allerdings lassen sich anhand von Frequenzmessungen und Distributionsanalysen von Spontandaten prinzipiell häufig wiederholte und systematisch abgewandelte Äußerungen ermitteln (Behrens 2009). Aber noch ist der Stellenwert der Schemata bzw. der Konstruktionsbegriff für den Erstspracherwerb unklar: Ist das Schema wirklich die einzige Einstiegsmöglichkeit in den Syntaxerwerb? Vielleicht gehen funktional orientierte, auf kommunikativ-situativen Notwendigkeiten beruhende und schemabasierte Äußerungen Hand in Hand (vgl. auch Givón, Kap. 12)? Gibt es eine pragmatische Strategie und eine schematisch-formale und gleichzeitig ein spielerisches Ausprobieren, was wie am besten zusammengehört und am besten klingt, dies wiederum auf Basis des zuvor Gehörten? Was jetzt ansteht, ist zu klären, inwiefern die Art der Datenerhebung möglicherweise die Ergebnisse beeinflusst und ob nicht gezielte konstruktionsgrammatische Fragestellungen bestimmte Resultate bedingen. Dazu könnte vermehrt auf einen Methodenmix zurückgegriffen werden, der Experimentaldaten, Langzeit- und Tagebuchstudien und Fragebögen kombiniert, weil nicht gleichzeitig innerhalb einer Studie Frequenzaussagen und lückenlose Aufzeichnungen zu leisten sind, vor allem nicht aller sprachlichen Bereiche (vgl. auch Tomasello 2003, Behrens 2009). Die Ergebnisse aus verschiedenen Erhebungsverfahren müssen aber kompatibel sein, falls das Konstruktionsmodell psycholinguistische Plausibiliät besitzen sollte. Gerade weil Häufigkeiten ein großer Stellenwert eingeräumt wird, steht vermehrt auch die Sprache, die das Kind hört und aus der es die Schemata gewinnt, im Mittelpunkt (zu einem Überblick vgl. Lieven 2010). Ein weiteres Desiderat ist, noch genauer die Kombination von Konstruktionen zu klären (Lieven 2009, Behrens 2011). Schließlich ist die Möglichkeit unterschiedlicher Lerntypen in Betracht zu ziehen (vgl. auch Lieven et al. 1992, Elsen 1996, Dabrowska 2000, Schlipphak 2008), denn manche Kinder verwenden mehr Holophrasen als andere - oder handelt es sich doch eher um eine Strategie? Auch die verschiedenen Richtungen der Konstruktionsgrammatik sehen sich Kritik ausgesetzt, vor allem von traditionell generativer Seite, die ungern auf Regeln und angeborene Universalgrammatik verzichtet. Dabei geht es oft genug ums Prinzip und nicht um die Korrektur der Theorie. Ziem/ Lasch (2013: 32f.) registrieren aber doch Annäherungen. 233 14.4 Wie real sind die Konstruktionen? Die Zukunft sieht noch mehr Daten für eine breitere empirische Basis vor. Außerdem dürften Ergebnisse aus der Gehirnforschung die weiteren Überlegungen bereichern, denn neuere Erkenntnissen der neurokognitiven Wissenschaften stellen holistische Sprachverarbeitung, Frequenzeffekte, Ausbildung von Generalisierungen und Schemata auf eine biologische Basis (kurzer Überblick in Elsen 2013, Kap. 7; u.a. Müller 1996, 2009, Müller/ Palmer 2008, Pulvermüller 2002, 2010). Hier brauchen wir dann auch Computersimulationen von kleineren Verarbeitungsaufgaben, um unsere Hypothesen über die zugrunde liegenden informationsverarbeitenden Vorgänge zu überprüfen. Die präzise Erfassung der semantischen Seite von Konstruktionen bedeutet noch ein Problem (zu einem Lösungsvorschlag im Rahmen der Frame- Theorie vgl. Ziem/ Lasch 2013: 110ff., Ziem 2008), ein anderes die Frage, wann genau eine eigentlich komplexe Einheit als automatisiert gelten kann. Schließlich gibt es noch wenig zu klanglich basierten Konstruktionen, Kunstwörtern mit lautsymbolischer Kraft, die in manchen Bereichen des Deutschen systematisch auftreten und die einen fließenden Übergang zu morphologisch komplexen Äußerungen bilden (Elsen 2008). Insofern sind noch zahlreiche Themen offen. Konstruktionen stellen einen nützlichen und kognitiv plausiblen Beschreibungsapparat dar. Noch ist jedoch unsicher, ob sie wirklich die einzige psycholinguistisch reale Strukturmöglichkeit sind. Der Ansatz bietet aber genügend Potenzial, soziolinguistische, funktionale und kognitive Strömungen zu vereinen und sie mit neuronalen Tatsachen in Einklang zu bringen. Einige wichtige Werke Croft, William 2001. Radical Construction Grammar. Syntactic Theory in Typological Perspective. Oxford. Fillmore, Charles J., Kay, Paul, O’Connor, Mary Catherine 1988. Regularity and idiomaticity in grammatical constructions: The case of let alone. Language 64.3. 501-538. Goldberg, Adele E. 1995. A Construction Grammar Approach to Arg ument Structure. Chicago. Zum Weiterlesen Die bislang einzige Einführung in die Konstruktionsgrammatik stammt von Ziem/ Lasch (2013). Darüber hinaus bieten die drei Bände zur Konstruktionsgrammatik aus dem Stauffenburg-Verlag (Fischer/ Stefanowitsch 2006, Stefanowitsch/ Fischer 2008, Lasch/ Ziem 2011) sehr viel aktuelle Informationen. Noch nicht erschienen ist Lasch/ Ziem (im Druck). Zu den formal orientierten Schulen innerhalb der Konstruktionsgrammatik vgl. Müller (2010) und Ziem/ Lasch (2013). Mit dem Sprachwandel aus konstruktionsgrammatischer Sicht, oft in Verbindung mit Geda nken der Grammatikalisierung, beschäftigen sich u.a. Bergs/ Diewald (2008, 2009), Diewald (2009) und Hilpert (2008, 2011, 2013). Eine häufig zitierte Arbeit zum Spracherwerb ist Tomasello (2003), dazu auch die Arbeiten von Lievens und Behrens. Computersimulationen gibt es beispielsweise von Daniel Freudenthal, Julian Pine und Mitarbeiter/ innen, vgl. dazu eine längere Veröffenlichungsliste auf http: / / www.liv.ac.uk/ psychology-health-and-society/ staff/ thiermo-freudenthal/ . Zu erwähnen wären schließlich die Zeitschriften Constructions und Constructions and Frames sowie die Buchreihe Constructional Approaches to Language (John Benjamins). Literatur Admodi, Wladimir 1993. Funktionale Grammatik. Jacobs, Joachim, Stechow, Arnim von, Sternefeld, Wolfgang, Vennemann, Theo. Syntax. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung I. Berlin/ New York. 232-241. Ágel, Vilmos 2000. Valenztheorie. Tübingen. Ágel, Vilmos, Eichinger, Ludwig M., Eroms, Hans Werner, Hellwig, Peter, Heringer, Hans Jürgen, Lobin, Henning 2003, 2006. Dependenz und Valenz. Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung. 2 Bde. Berlin/ New York. Aitchison, Jean 1987. Words in the Mind. An Introduction to the Mental Lexicon. Oxford. 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Register Ablaut 28 Adelung, Johann Christoph 24, 25, 28, 55, 87, 135 Affix 15, 17, 112, 113, 184 Affixoid 112 Agens 148, 193, 195, 197, 199, 200, 208 agglutinierend 26, 31, 34, 183, 184 Agonist 211, 212 Aichinger, Carl Friedrich 24 Aktant 145, 146, 147 Albertus, Laurentius 24 Alexander der Große 19 alexandrinische Grammatik 17 Allophon 61, 172, 213 Ambiguität 93, 95, 96, 111 Ammann, Hermann 40, 139, 190, 192 Analogie 19, 21, 33, 34, 36, 37, 39, 40, 139, 162, 171, 172, 177, 180, 181, 183, 227 Analogisten 19 Anomalisten 20 Antagonist 211, 212 Antonymie 94 Apollonius Dyscolus 20, 25, 143 äquipollente Opposition 52 Arbitrarität 18, 48, 49, 198, 200 Aristarchos 20 Aristophanes 20 Aristoteles 17, 19, 22, 25, 135, 190, 207 Ausklammerung 141 Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze 34, 36, 37, 39, 171, 172 Austin, John 190, 202 Autonomiehypothese 194, 195, 202, 203 Bacon, Francis 23 Bailey, Charles-James N. 113, 174 Bally, Charles 45, 50, 55 basic color category, Grundfarbkategorie 78 basic color term, Grundfarbwort 77, 78, 79, 80, 81, 85, 102 basic color, Grundfarbe 77, 102, 246 basic level, Basisebene 108, 208 Bauer, Friedrich 93, 136 Baumdiagramm 118, 124, 125, 126, 129 Baumgärtner, Klaus 93, 95, 97 Becher, Johann Joachim 87, 105 Becker, Karl Ferdinand 83, 135, 138 Bedeutungswandel 33, 39, 40, 41, 88 Behaghel, Otto 53, 135, 139 Behaviorismus 14, 58, 60, 66, 71, 95, 115, 128 Benrather Linie 167 Beobachterparadoxon 164 Beobachtungsadäquatheit 127 Berlin, Brent 77, 80, 81, 85, 101, 102, 103 Bernstein, Basil 158, 159, 160, 164 Beschreibungsadäquatheit 127, 198 Betz, Werner 92 bilateral 15, 47, 49, 88 Bildschema 210, 212 Bloch, Bernard 60, 62 Bloomfield, Leonard 14, 23, 37, 57, 58, 59, 60, 61, 65, 67, 68, 69, 71, 73, 77, 90, 95, 121, 172, 174, 175 Boas, Franz 57, 58, 60, 69, 71, 73, 74, 75, 76, 80, 82, 85, 108 body image 210 Boethius, Anicus Manlius Severinus 135, 190 Boost, Karl 139, 190 Bopp, Franz 26, 28, 31 Braune, Wilhelm 36 Bréal, Michel 88 Brechung 28 Brown, Roger 75, 77, 108 Brugmann, Karl 34, 36, 41, 44 Bühler, Karl 14, 18, 50, 51, 53, 55, 89, 90, 143, 189, 190, 202 258 Register Chafe, Wallace L. 190, 194 Chomsky, Noam 14, 16, 23, 49, 60, 69, 81, 82, 115, 116, 118, 119, 120, 121, 122, 124, 125, 127, 128, 129, 130, 131, 143, 148, 160, 175, 193, 194, 195, 198, 205, 215, 218 Clajus, Johannes 24 Comenius, Johann Amos 87 Condillac, Étienne Bonnot de 88 Coseriu, Eugenio 23, 29, 91, 93, 96, 100 Courtenay, Jan Baudouin de 37, 43, 44, 47, 50, 51, 52, 82, 157 Croft, William 187, 219, 221, 222, 223, 224, 225, 226, 227, 228, 231 cue validity 108 Currie, Haver C. 157 Daneš, František 50, 53, 113, 190, 192, 193 Dani 80 Darwin, Charles 88 Defizithypothese 159 Dekategorisierung 183 Delbrück, Berthold 36, 41, 55 Demantisierung 183 Demokrit 18 Demorphologisierung 183, 184 Dependens 144, 146 Dependenz 143, 146, 155, 189 Descartes, René 23 deskriptive Linguistik 54, 57, 66, 115 Determinismus 25, 75, 80, 90 Diachronie 28, 36, 37, 38, 41, 45, 46, 49, 50, 53, 87, 88, 90, 91, 166, 171, 172, 174, 184, 186, 200, 202 Dialekt 27, 32, 37, 43, 46, 47, 48, 51, 59, 157, 159, 166, 167, 170 Dialektgeographie 157, 166 diaphasisch 166 diastratisch 166 diatopisch 166 Diewald, Gabriele 181, 184, 187, 233 Differenzhypothese 159 Dik, Simon C. 194, 195, 196, 197, 198, 199, 202, 203 Dionysius Thrax 17, 20, 25, 28, 135 Diskurs 160, 170, 182, 183, 191, 192, 198, 200, 201, 210 Diskursanalyse 169, 170 distinktives Merkmal 49, 52, 55, 94, 115 Distinktivität 44, 48, 49, 51, 52, 55, 94, 99, 115 Distribution 49, 61, 62, 63, 64, 65, 136, 137 Distributionalismus 61, 63, 67, 68, 69, 128, 136, 174, 203, 224 distributionell 115, 232 Distributionsanalyse 61, 67, 68, 115, 117, 232 Donatus, Aelius 21, 22, 23, 28 Donegan, Patricia 174, 175, 176, 187 Drach, Erich 138, 139, 140, 141 drag-chain 173 Dressler, Wolfgang Ulrich 175, 176, 179, 186 Duden, Konrad Alexander Friedrich 136 Echnaton 169 Einstein, Albert 71, 73, 75 elaborierter Code 158 Emergenz 216 Erdmann, Oskar 138 Erosion 183 Etymologie 15, 18, 19, 20, 21, 24, 26, 40, 87, 91, 93, 109 Extension 102, 104, 106, 183 Extraposition 141 Fachsprache 39, 166, 167, 168, 209 Familienähnlichkeit 107, 108, 109, 110, 207 Farbwort 78, 79, 80, 102 Feldforschung 57, 60, 71, 158, 161, 162 Ferguson, Charles A. 164 Fillmore, Charles J. 99, 148, 206, 207, 210, 212, 213, 221, 222, 223, 224, 225, 233 Firbas, Jan 190, 192 259 Register Firth, John R. 54 Fishman, Joshua 160, 164 flektierend 26, 31, 34, 133, 146, 183, 184 Flexion 15, 19, 21, 24, 25, 28, 31, 36, 37, 39, 126, 134, 154, 181, 198, 215 Fodor, Jerry A. 95, 96, 99 Fortunatov, Filipp F. 54 Fragebogen 157, 162, 165, 232 frame 99, 206, 207, 233 freie Variante 51 Frequenzeffekt 225, 230, 233 Fries, Charles C. 60 Funktiolekt 168 funktionale Satzperspektive 9, 40, 41, 53, 190, 191, 192, 194 Furetière, Antoine 87 fuzzy edges 105, 106 Gabelentz, Georg von der 40, 44, 53, 55, 157, 190 generative Grammatik 9, 16, 40, 60, 68, 71, 96, 115, 122, 127, 128, 131, 140, 149, 154, 161, 171, 173, 174, 176, 184, 189, 202, 229 generisches Maskulinum 83, 84, 85 Genfer Schule 44, 50 Genus 83 Gestalt 34, 51, 99, 115, 209 Gestaltpsychologie 211 Gipper, Helmut 85 Girard, Gabriel 135 Givón, Talmy 182, 195, 200, 201, 202, 213, 232 Glossematik 54 Goldberg, Adele 130, 223, 224, 225, 226, 227, 228, 230, 233 Goodenough, Ward H. 95, 96 Gottsched, Johann Christoph 24, 25 graduelle Opposition 52 Grammatikalisierungspfad 181 Graßmann, Hermann Günther 34 Grice, H. Paul 202 Grimm, Jacob 26, 27, 28, 31, 41, 55, 82, 83, 87, 135 Grimm, Wilhelm 26, 28, 55, 87 Grundfarbwort 77, 80, 101, 103 Gumperz, John 160, 164 Gütekriterien 79, 165 Halle, Morris 41, 53, 115, 122, 124, 125, 127, 128, 129, 130, 131 Halliday, Michael Alexander Kirkwood 169, 190, 194, 195, 198, 199, 200, 202, 203, 229 Harris, Zellig S. 57, 60, 61, 65, 66, 67, 69, 95, 115, 116, 117, 120 Haspelmath, Martin 176, 179, 184, 185, 186, 187 hedges 105 Heine, Bernd 184, 187 Heraklit 18 Herder, Johann Gottfried 55, 71, 74 Herling, Simon Heinrich Adolf 135, 138 Hesiod 17 Heyse, Johann 135 historisch-vergleichend 26, 28, 31, 33, 34, 37, 44, 48, 71, 171 Hjelmslev, Louis 54, 55, 93 Hochsprache 24, 166 Hockett, Charles 53, 60, 61, 63, 65, 66, 67, 69, 95, 172, 190 Hoenigswald, Henry 182 Homer 17 Homonymie 93, 94, 109, 168, 178 Hopi 72, 73, 78 Hopper, Paul J. 184, 186, 187 Humboldt, Wilhelm von 25, 31, 44, 55, 71, 74, 88, 90, 127 Hyperonomie 94 Hyponymie 94 IC-Analyse 67, 117, 118, 125 Ickelsamer, Valentin 24 idealisiertes kognitives Modell 208 Idiom 95, 142, 212, 221, 222 imagery 212 Informationsverarbeitung 76, 109, 210, 216, 218, 233 Inklusion 94 Inkompatibilität 94 Inkorporation 71 inkorporierend 26 Instrumental 148, 206 Intension 98, 102 260 Register Invisible-Hand-Prozess 171, 180 Ipsen, Gunther 91 Irregularisierung 216 isolierend 26, 31, 34, 178, 183 Item-und-Anordnungs-Modell 66 Item-und-Prozess-Modell 66 Jackendoff, Ray 212 Jakobson, Roman 50, 51, 52, 53, 55, 95, 115, 128, 176 Jespersen, Otto 43, 54, 55, 173, 174, 179 Johnson, Mark 207, 219 Johnson, Samuel 87 joint attention 229 Jones, Daniel 54 Jones, William 26, 28 Junggrammatiker 31, 34, 36, 37, 40, 41, 43, 44, 48, 49, 50, 58, 143, 157, 162, 171 Kant, Immanuel 88 Karcevski, Sergej 50 Kasus 19, 20, 22, 24, 38, 116, 126, 133, 134, 143, 147, 148, 149, 178, 184, 197, 206 Kasusgrammatik 99, 149, 206 Kategorisierung 13, 77, 99, 101, 108, 111, 208 Katz, Jerrold J. 95, 96, 97, 99 Kausativität 210, 212 Kay, Paul 75, 77, 78, 80, 81, 85, 99, 101, 102, 103, 221, 222, 223, 224, 233 Keller, Rudi 179, 180, 185, 186 Kempson, Ruth M. 94 Kiparsky, Paul 16, 174 klammeröffnendes Element 140 klammerschließendes Element 140, 141 Klassifizieren 47, 49, 62, 63, 65, 68, 93 Kluge, Friedrich 157 Kognition 76, 81, 110, 189, 206, 218 Kohärenz 200, 227 Kohäsion 200 kombinatorische Variante 52 Kommentar 53, 190, 193, 194 Kommutation 55, 116 Kompetenz 97, 127, 128, 129, 149, 160, 161, 165, 174, 223 Komplementarität 62, 94 Komponentenanalyse 95, 97, 98, 104, 111 Konnektionismus 215, 232 konnektionistisch 40 Konnexion 143 Konstituentenstruktur 123 Kontextgeneralisierung 183 Kontradiktion 94 Konverse 94 Konzept 15, 21, 25, 47, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 78, 96, 97, 99, 101, 109, 110, 111, 209, 210, 213, 214 Korpuslinguistik 165 Kräftedynamik 9, 210, 211, 212, 219 Kramer, Matthias 87 Krates 21 Kreol 169, 170 Kruszewski, Nikolai 47 Kunstwort 233 Kuryłowicz, Jerzy 182 Labov, William 104, 105, 108, 109, 113, 159, 160, 161, 162, 163, 164, 165, 167, 170, 174, 186, 187 Lakoff, George 76, 81, 105, 109, 206, 207, 208, 209, 210, 213, 218, 219, 221, 224, 225 Langacker, Ronald W. 205, 206, 207, 212, 213, 214, 218, 219, 221, 224, 225, 228 Langue 41, 45, 46, 47, 48, 49, 51, 54, 57, 88, 91, 92, 127, 133, 160, 161, 162, 166, 171, 172, 174 Lautgesetz 32, 33, 34, 36, 37, 39, 40, 43, 52, 55, 157, 162, 171, 172 Lautsymbolik 233 Lautverschiebung 27, 28, 33, 167 Lautwandel 38, 39, 172, 175, 179, 186 Leech, Geoffrey 94 Lehmann, Christian 182, 184 261 Register Leibniz, Gottfried Wilhelm 23, 25, 55, 74 Lenneberg, Eric H. 75, 77 Leskien, August 36, 41 lexikalische Solidaritäten 91 Lexikalisierung 184, 186 Lexikographie 24, 87 Lexikologie 87 Li, Charle s N. 190, 193, 203 Locke, John 23, 25, 55, 88 Logik 17, 19, 20, 22, 23, 93, 135 Lounsbury, Floyd G. 95, 96 Luther, Martin 24, 157 Lyons, John 90, 93, 94, 95, 99 Markiertheit 176, 178, 179, 185, 187, 200, 208, 215 Martinet, André 50, 54, 172, 173, 179, 186, 202 Mathesius, Vilém 50, 53, 55, 190, 191, 192 Mayerthaler, Willi 176, 179, 186 McCarthy, John 149 McClelland, James L. 215 Meillet, Antoine 49, 157, 174, 181, 182, 183 Meiner, Johann Werner 143, 199 Merkmalsbündel 98, 113, 125, 128, 225 Merkmalsmatrix 97 Metapher 75, 81, 95, 207, 209, 210, 212, 214, 219 Metasprache 54 Metonymie 207, 209, 210, 214 Minimalpaar 62, 64 Mittelfeld 134, 140, 141, 142, 153 Modismus 22, 23 Modularität 120, 202, 205, 216, 226 Morphem 15, 47, 50, 61, 64, 65, 66, 67, 95, 102, 104, 112, 115, 125, 151, 152, 153, 178, 200, 213, 221, 226 Morphologisierung 183, 184 Morphonologie 52, 183, 184 Morris, Charles William 49, 53, 115, 131 Nachfeld 139, 140, 141, 153 Nativismus 122 Natürlichkeit 46, 171, 174, 175, 176, 177, 178, 179, 181, 185, 186, 200, 215 Netzwerkgedanke 14, 38, 41, 215, 216, 218, 226, 227, 228, 229, 231 Nexus 144, 145 Nida, Eugene 60, 65, 66, 67, 68, 95 Nullelement 68 Nullmorphem 15, 68, 95 Oberflächenstruktur 23, 124, 125, 174, 230 Ogden, Charles Kay 18, 87, 88, 89, 99 Ölinger, Albert 24 Onomasiologie 87, 99 Optimalitätstheorie 9, 10, 149, 150, 151, 154, 155, 171, 174, 175 Organonmodell 18, 53, 90, 190 Osthoff, Hermann 36, 41 Palmer, Frank Robert 94 Panini 15, 16, 133 Parmenides 18 Parole 41, 45, 46, 48, 49, 51, 57, 66, 68, 88, 92, 121, 127, 133, 160, 162, 166, 171, 172, 174, 198, 205, 216, 218 Passy, Paul 54, 173, 179 Patiens 193, 195 Paul, Hermann 36, 37, 38, 39, 40, 41, 45, 55, 88, 157, 161, 162, 190, 191 Peirce, Charles Sanders 49, 52 Performanz 121, 127, 128, 129, 160, 174, 200 Permutation 116 Phonem 15, 43, 44, 48, 50, 51, 52, 55, 60, 61, 62, 63, 64, 66, 67, 95, 101, 102, 104, 111, 172, 213, 217 Phonetik 9, 15, 16, 19, 51, 57, 60, 62, 67, 74, 115, 124, 125, 127, 128, 172, 173, 175, 176, 185, 186 Phonologie 9, 15, 20, 51, 52, 53, 55, 62, 63, 64, 95, 97, 115, 120, 124, 125, 149, 174, 175, 176, 262 Register 177, 178, 179, 186, 187, 198, 213, 221 Phrasenstruktur 118, 120 Phrasenstrukturgrammatik 119, 131 Pidgin 169, 170 Pike, Kenneth L. 60, 68 Platon 17, 18, 19, 20, 24, 28, 53, 87, 89, 135, 189 Polivanov, Jevgenij D. 54 Polysemie 16, 93, 95, 109, 111 Port-Royal 23, 25, 28, 135 Porzig, Walter 91 Positivismus 36, 59 Prager Schule 40, 41, 43, 50, 51, 53, 54, 89, 102, 115, 143, 158, 161, 171, 172, 174, 190 Pragmatik 190, 195, 202 Prince, Allan 149 Priscianus Caesariensis 21, 22, 23, 28 privative Opposition 52 Prodikos 18 Proportionsgleichung 39 Protagoras 18 Prototyp 102, 103, 104, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 113, 200, 207, 208, 210, 217, 225 Prototypenmodell 53, 101, 102, 103 Psamtik I 16 push-chain 173 Putnam, Hilary 106, 108, 110, 113 Rask, Rasmus K. 27, 28, 31 Rationalismus 22, 23 Reanalyse 183 Regens 144 Register 166, 168 Reisig, Karl 88 Reiz-Reaktionskette 58, 68, 121 Rekonstruktion 31, 32, 34, 36, 37, 44, 184 Relativität 58, 75, 80, 90 Relativitätstheorie 25, 38, 58, 60, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 80, 81, 82, 85, 160 Reliabilität 79, 165 restringierter Code 158, 159 Rhema 24, 40, 53, 135, 190, 191, 192, 194, 199 Rhetorik 17, 18, 19, 20, 21, 135 Richards, Ivor Armstong 18, 87, 88, 89, 99 Richelet, Pierre 87 Ries, John 55, 135 Rosch, Eleanor 79, 80, 102, 103, 104, 107, 108, 109, 114, 207 Roth, Georg M. 176 Rückumlaut 28 Rumelhart, David E. 215 Sanctius Brocensis, Franciscus 23 Sanders, Daniel 52, 87 Sanskrit 15, 16, 26, 32, 34, 35, 44, 46, 181 Sapir, Edward 58, 60, 66, 68, 71, 72, 73, 74, 75, 80, 82, 84, 85, 108, 160 Sapir-Whorf-Hypothese 73, 75 Satzbauplan 149 Satzglied 134, 135, 136, 137, 139, 140, 141, 142, 154 Saussure, Ferdinand de 14, 16, 18, 32, 37, 41, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 53, 54, 55, 88, 91, 93, 97, 121, 127, 171, 228 Ščerba, Lev V. 54 Schema 210, 214, 215, 218, 227, 229, 230, 231, 232, 233 Scherer, Wilhelm 36 Schlegel, August Wilhelm 26, 28, 31, 55 Schlegel, Friedrich 26, 28, 31 Schleicher, August 14, 31, 34, 35, 36, 41, 44, 48, 171 Schmeller, Andreas 55 Schmidt, Johannes 35, 171 Scholastik 22, 135 Schöpper, Jacob 24 Schottelius, Justus Georg 24, 87 Schriftsprache 166 Schuchardt, Hugo 43, 157, 174 Searle, John 190, 202 Sechehaye, Albert 45, 50, 55 Segmentierung 47, 49, 61, 63, 64, 65, 68, 116 263 Register Sem 99 Semasiologie 87, 99 Semem 95, 99 Semiotik 48, 49, 52 semiotisches Dreieck 88, 89 Sexus 83 Sībawaih 16, 17 Skinner, Burrhus Frederic 121 Smolensky, Paul 149 Sophisten 17, 18 Soziolekt 167 Space Grammar 205 Spracherwerb 16, 20, 39, 52, 64, 68, 76, 81, 102, 103, 121, 122, 127, 128, 129, 149, 158, 159, 174, 175, 178, 179, 186, 201, 205, 215, 216, 217, 218, 219, 221, 224, 226, 229, 230, 231, 232, 233 Sprachkontakt 31, 33, 37, 46, 160, 169 Sprachkontaktforschung 170 sprachliches Zeichen 19, 20, 46, 47, 48, 49, 53, 87, 88, 89, 90, 99, 185, 190 Sprachökonomie 46, 171, 173, 179, 181, 185, 186, 218 Sprachphilosophie 13, 17, 22, 29, 106 Sprachtypologie 26, 51, 71, 179, 187, 194, 198, 202, 224 Sprachwandel 36, 37, 43, 46, 49, 76, 91, 93, 104, 127, 157, 162, 164, 165, 170, 171, 172, 173, 174, 180, 185, 186, 201, 229, 233 Stampe, David 174, 175, 176 Standardsprache 166 Steinthal, Heymann 40, 55, 88 Stemma 144, 145, 146 Stereotypen 106, 110 Stieler, Kaspar 87 Stil 163, 166, 168, 169 Stoiker 17, 19, 25 Strukturalismus 14, 15, 16, 43, 44, 45, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 54, 57, 58, 60, 63, 66, 67, 69, 71, 88, 92, 95, 97, 99, 102, 134, 143, 161, 171, 172, 175, 189, 224, 229 Substitution 15, 60, 61, 63, 64, 66 Sweet, Henry 44, 54, 173, 179 Synchronie 41, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 91, 97, 171, 172, 174, 176, 184, 185, 200 Synonymie 61, 94, 168 Syntaktisierung 183 Tableau 150, 151, 152, 153, 154 tabula rasa 121 Talmy, Leonard 206, 210, 211, 212, 213, 218 Tesnière, Lucien 37, 55, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 154, 155 Textlinguistik 166, 192, 195, 198 Thema-Rhema-Struktur 53, 139, 182, 190, 191, 192, 194 thematische Progression 10, 192, 193 Tiefenkasus 148, 206, 212 Tiefenstruktur 23, 77, 124, 149, 207, 216, 225 Token 40, 179, 215 Tomasello, Michael 219, 230, 231, 232, 233 Topik 53, 153, 190, 193, 194, 195, 197, 199, 200, 208 Topikalisierung 141 Topologie 141 Trager, George L. 60, 62 Transformation 67, 115, 117, 120, 205, 225 transformationell 95, 96 Transformationsgrammatik 23, 49, 60, 82, 99, 115, 120, 123, 125, 128, 131, 148, 174, 195, 206 Transkription 9, 61, 63, 64 Traugott, Elizabeth Closs 186, 187 Trier, Jost 91, 92, 95, 100 Trubetzkoy, Nikolai S. 37, 50, 51, 52, 53, 55, 143, 162, 176 Trudgill, Peter 160, 164 Type 215 Übergeneralisierung 215, 216 Uldall, Hans J. 54 Ullmann, Stephen 94 264 Register Umgangssprache 167, 169 Universalgrammatik 10, 22, 23, 121, 122, 125, 127, 128, 133, 149, 175, 205, 224, 229 Universalien 25, 48, 75, 76, 77, 78, 80, 81, 85, 121, 127, 176, 187, 198, 201, 224 Universalienforschung 179 universell 23, 52, 54, 74, 76, 77, 78, 80, 95, 97, 98, 108, 121, 122, 123, 125, 129, 133, 143, 148, 149, 154, 175, 178, 181, 189, 194, 198, 206, 212, 213 unmittelbare Konstituente 9, 67, 117, 136 Ursprache 31, 35, 36, 37, 44 Vacek, Josef 50 Valenz 55, 143, 146, 147, 148, 149, 155, 197 Validität 79, 165 Varietät 43, 113, 159, 166, 167, 168, 170 Varro 21, 25, 28 Veda 15 Verberstsatz 141 Verbletztsatz 140 Verbzweitsatz 140, 141, 153 Vererbung 223 Völkerpsychologie 37 Vorfeld 139, 140, 141, 142, 154 Vorsokratiker 17, 18 Wackernagel, Jakob 55 Watson, John B. 58 Wegener, Philipp 157 Weil, Henri 190 Weinreich, Uriel 160, 161, 164 Weisgerber, Leo 85, 90, 91, 92 Wellentheorie 35, 171 Wenker, Georg 157 Werner, Otmar 179, 180 wesenhafte Bedeutungsbeziehungen 91, 95 Whitney, William D. 45, 48, 157, 174 Whorf, Benjamin Lee 58, 61, 72, 73, 74, 75, 76, 78, 80, 81, 82, 84, 85, 108, 160 Wilmanns, Wilhelm 135 Wittgenstein, Ludwig 107, 207 Wortart 15, 16, 17, 19, 20, 22, 24, 25, 87, 96, 116, 133, 134, 135, 137, 138, 142, 143, 144, 145, 146, 155, 167, 189 Wortbildung 15, 24, 36, 39 Wortfeld 90, 91, 92, 93, 95, 96, 97, 100, 142 Wortfeldtheorie 78, 90, 92, 97 Wortschatz 15, 26, 28, 90, 91, 100 Wort-und-Paradigmen-Modell 65 Wundt, Wilhelm 67, 88, 135 Wurzel, Wolfgang Ullrich 176, 177, 179, 186 Wustmann, Gustav 83 Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BESTELLEN! Hilke Elsen Neologismen Formen und Funktionen neuer Wörter in verschiedenen Varietäten des Deutschen 2., überarbeitete Auflage 2011 Tübinger Beiträge zur Linguistik 477 202 Seiten, €[D] 48,00/ SFr 67,90 ISBN 978-3-8233-6646-1 Wie und warum bilden wir neue Wörter? Wird das von einzelnen Sprechergruppen und -intentionen mitbedingt? Um diese Fragen zu beantworten, werden die Neologismen aus acht Varietäten des Deutschen, z.B. Werbe-, Zeitungs-, Fachsprachen, hinsichtlich Wortbildungstechnik und Gebrauchsfunktion analysiert. Die verschiedenen Sprachausprägungen unterscheiden sich dabei deutlich in der Wahl der bevorzugten Wortbildungsmöglichkeiten, denn jede Varietät muss einer anderen Aufgabenkonstellation gerecht werden. Die Daten dokumentieren ein breites Spektrum an konventionellen, weniger konventionellen und unkonventionellen Bildungen. Für die 2. Auflage wurde der Text komplett überarbeitet: neben der Aufnahme neuer Literatur wurden vor allem die Wortbildungs- und varietätenübergreifenden Kapitel aktualisiert. 033411 Auslieferung April 2011 4 08.04.11 13: 52 Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG www.francke.de JETZT BES TELLEN! Hilke Elsen Wortschatzanalyse ISBN 978-3-8252-3897-1 Dieser Band präsentiert einen Überblick über die unterschiedlichen Richtungen in der Theoriebildung der Linguistik, ihre zentralen Vertreter/ innen sowie über Anwendungsmöglichkeiten und Umsetzungen. Er beschreibt die geschichtliche Entwicklung und Einbettung sowie die Wechselbeziehungen zwischen den Schulen bis hin zu aktuellen Strömungen wie der Konstruktionsgrammatik, um Einsichten in grundlegende Konzepte, Kernannahmen und Arbeitsweisen in ihrem Entstehungszusammenhang zu vermitteln. Dabei finden neben Grammatikmodellen auch Sprachwandelkonzepte und zeichentheoretische Ansätze Berücksichtigung. Der Schwerpunkt liegt auf Theorien, die für die germanistische Linguistik von Bedeutung sind. Unterstützt wird die Darstellung durch Übungen, die in die jeweilige Denk- und Arbeitsweise einführen. Literaturhinweise im Anschluss an die Kapitel bieten die Möglichkeit zur Vertiefung. Der Band versteht sich als Lehrwerk bzw. Begleitlektüre zu Seminaren im Hauptstudium und ist daher in 14 Kapitel gegliedert, die sich jeweils als Grundlage für eine Unterrichtseinheit eignen.