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Grammatikunterricht zwischen Linguistik und Didaktik

DaF/DaZ lernen und lehren im Spannungsfeld von Sprachwissenschaft, empirischer Unterrichtsforschung und Vermittlungskonzepten

0917
2014
978-3-8233-7857-0
978-3-8233-6857-1
Gunter Narr Verlag 
Sabine Dengscherz
Martin Businger
Jaroslava Taraskina

Wie kann die Zusammenschau von linguistischen und didaktischen Perspektiven den DaF/DaZ-Grammatikunterricht und die Sprachlernforschung inspirieren? Renommierte Fachleute sowie junge, innovative Forschende eröffnen Einblicke in eine Linguistik im Zeichen der Lerner/innen-Orientierung. Damit repräsentiert der Sammelband aktuelle Tendenzen zum Grammatiklernen im DaF/DaZ-Unterricht in einem internationalen Kontext.

<?page no="0"?> Grammatikunterricht zwischen Linguistik und Didaktik DaF/ DaZ lernen und lehren im Spannungsfeld von Sprachwissenschaft, empirischer Unterrichtsforschung und Vermittlungskonzepten Sabine Dengscherz / Martin Businger Jaroslava Taraskina (Hrsg.) <?page no="1"?> Grammatikunterricht zwischen Linguistik und Didaktik <?page no="3"?> Sabine Dengscherz / Martin Businger Jaroslava Taraskina (Hrsg.) Grammatikunterricht zwischen Linguistik und Didaktik DaF/ DaZ lernen und lehren im Spannungsfeld von Sprachwissenschaft, empirischer Unterrichtsforschung und Vermittlungskonzepten <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Gestaltung, Satz und Layout: Robert Dengscherz Printed in Germany ISBN 978-3-8233-6857-1 <?page no="5"?> Vorwort Die Beiträge in diesem Sammelband gehen zurück auf die Arbeit in zwei Sektionen an der Internationalen Tagung der Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer ( IDT ) in Bozen (Italien) im Juli/ August 2013 unter dem Motto Deutsch von innen - Deutsch von außen: Sektion B5 »Grammatik in heterogenen Lerngruppen« mit Sabine Dengscherz und Jaroslava Taraskina und Sektion C1 »Von der Grammatik(theorie) zum sprachlichen Handeln« mit Martin Businger und Svitlana Ivanenko. Unser Anliegen ist es, dass sich Lehrende, Forschende und Studierende mit dem vorliegenden Buch über den aktuellen Stand des Grammatiklehrens und -lernens in D a F / D a Z informieren können und sich Anstöße für ihre Unterrichtspraxis geben lassen. Zur Entstehung dieses Bandes war das Engagement vieler Menschen nötig - in erster Linie natürlich dasjenige der Autor/ innen der Beiträge, die oft neben hohen Unterrichtspensen als D a F -Lehrende oder zwischen vielerlei Forschungs-, Lehr- und Familienverpflichtungen mit viel Einsatz an ihren Texten gefeilt haben. Für die äußerst angenehme Zusammenarbeit mit den Beitragenden möchten wir uns daher zuerst bedanken. Im Weiteren danken wir den Organisator/ innen der IDT , hierbei insbesondere dem Tagungsmanager Hannes Hell, der sich auch 40 Grad Fieber nicht von der Erfüllung seiner Pflichten abhalten ließ, sowie den Teilnehmenden der zwei genannten Sektionen, die trotz hochsommerlicher Temperaturen lebhaft vortrugen, Fragen stellten, diskutierten. Vielen Dank auch an unseren Art-Director Robert Dengscherz, der das Design konzipiert, das Buch gesetzt und die Gestaltung der Tabellen und Grafiken in diesem Band übernommen hat. Unser Dank gilt außerdem Mag. Melanie Steindl für das Korrekturlesen des gesamten Buches. Ganz ohne Geld kann geistiger Austausch nicht funktionieren. Wir danken dem Institut für Kommunikation und Marketing IKM der Hochschule Luzern Wirtschaft für einen substanziellen Beitrag an die Druckkosten des Sammelbands. Weiters haben Festabnahmen und Einzelsubskriptionen dafür gesorgt, dass das Buchprojekt auf soliden finanziellen Beinen steht und der Sammelband zu einem leser/ innenfreundlichen Preis auf den Markt kommen kann. Wir danken in diesem Zusammenhang Mag. Gerti Zhao-Heissenberger und dem Referat Kultur und Sprache im Österreichischen Bundesministerium für Bildung und Frauen ( K u S / BMBF ), Dr. Arnulf Knafl und der Österreichischen Austauschdienst durch <?page no="6"?> GmbH ( O e AD ) sowie dem Team des muv6-Mentoring-Programms der Abteilung Gleichstellung und Diversität der Universität Wien und allen anderen Unterstützer/ innen und Subskribent/ innen für das Vertrauen, das sie in unsere Arbeit gesetzt haben. Schließlich danken wir dem Narr-Verlag für die freundliche Aufnahme unseres Buchs in ihr Programm und die konstruktive Zusammenarbeit! Den Leserinnen und Lesern wünschen wir spannende Einsichten in Bezug auf die Grammatik des Deutschen und die Möglichkeiten ihrer Vermittlung. Wien, Luzern und Ulan-Ude, im Juni 2014 Sabine Dengscherz, Martin Businger, Jaroslava Taraskina <?page no="7"?> Inhaltsverzeichnis Sabine Dengscherz, Martin Businger, Jaroslava Taraskina Linguistik - Empirie - Didaktik: Perspektiven auf modernen Grammatikunterricht 9 Teil I: Linguistische Grundlagen aus didaktischer Perspektive Elke Hentschel Grammatikunterricht für Lernende ohne Grammatikkenntnisse 23 Arash Farhidnia Zur Topologie der Nominalphrase: ein Desideratum in didaktischen Grammatiken des Deutschen als Fremdsprache 39 Marion Weerning Die, diese, keine, meine, alle, viele, manche und ähnliche Wörter - Zur Problematik der Wortartenbestimmung 55 Péter Bassola, Viktória Dabóczi, Attila Péteri, Horst Schwinn EuroGr@mm und die Propädeutische Grammatik ProGr@mm - ein kontrastiver Blick auf die Grammatik des Deutschen 71 Teil II: Empirische Studien zu Linguistik im didaktischen Kontext Marjon Tammenga-Helmantel, Iryna Bazhutkina, Sharon Steringa Learning styles and appropriate instruction. A study of the effect of learning styles on learning gains regarding grammar instruction in Dutch foreign language education 93 Ingo Fehrmann Gebrauchsbasierte Bestimmung kommunikativ relevanter Konstruktionen 109 Laura Lahti »Wenn du in Finnland kommen, ich will du zu Kino bringen! « - Wortstellung in mündlichen Leistungen von finnischen DaF-Lernenden 125 <?page no="8"?> Rudolf Iványi Zur Rolle der Klammerkonstruktion bei der auditiven Sprachverarbeitung in Deutsch als Fremdsprache 145 Priscilla Maria Pessutti Nascimento Grammatik induktiv vermitteln: Vor- und Nachteile für Lehrende, Schwierigkeiten und Lösungsansätze 163 Teil III: Didaktische Konzepte auf linguistischer Basis Hermann Funk Übungsformen im fremdsprachlichen Grammatikunterricht 183 Christine Czinglar Was wir aus Altersunterschieden für die Grammatikvermittlung lernen können 199 Erich Huber, Almudena Mallo, Julia Brade Grammatikvermittlung in D a F -Lehrwerken am Beispiel der Konnektoren 217 Silke Mentchen, Annemarie Künzl-Snodgrass Just-in-Time-Grammar: eine Zwischenbilanz 237 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 253 <?page no="9"?> Sabine Dengscherz (Wien), Martin Businger (Luzern), Jaroslava Taraskina (Ulan-Ude) Linguistik - Empirie - Didaktik: Perspektiven auf modernen Grammatikunterricht 1 Ausgangslage Grammatik im D a F / D a Z -Unterricht ist in einem Spannungsfeld zwischen verschiedenen Disziplinen angesiedelt, die alle Einfluss sowohl auf den wissenschaftlichen Diskurs zum Thema als auch auf die praktische Umsetzung im Unterricht nehmen. Der Grammatikunterricht basiert zunächst einmal auf sprachwissenschaftlichen Grundlagen und wurde bzw. wird von verschiedenen linguistischen Trends und Modellen beeinflusst. So haben etwa der Strukturalismus, die Dependenz- und Valenzgrammatik, die Generative Grammatik oder pragmatisch-funktionalistische Ansätze alle auf ihre Weise den Unterricht mitgeprägt. Dieser Einfluss von einzelnen linguistischen Modellen auf die Grammatikvermittlung wird auch in Zukunft zu beobachten sein (vgl. in diesem Band Fehrmann, für den die aktuell viel diskutierte Konstruktionsgrammatik als theoretischer Ausgangspunkt dient). Wie die linguistische Sprachbeschreibung dann für konkrete Unterrichtssituationen aufbereitet wird, hängt von einer Reihe weiterer Einflussfaktoren auf didaktisch-methodischer Ebene, von den Bedürfnissen und Voraussetzungen der Lernenden und von der Persönlichkeit und Expertise der Lehrenden ab. So können etwa bestimmte Vorstellungen über Spracherwerbsprozesse den Unterricht stark beeinflussen. Ebenso spielen unterrichtspragmatische Aspekte - was ist ›machbar‹? - hier eine Rolle. Möchte man also das Grammatiklernen im D a F / D a Z -Unterricht in seiner Komplexität begreifen, ist ein mehrperspektivischer Ansatz nötig. Einen solchen Ansatz möchte der vorliegende Band bieten. Die Beiträger/ innen nähern sich dem Thema aus unterschiedlichen Richtungen, die sich grundsätzlich einer von drei Perspektiven zuordnen lassen: einer linguistischen, einer didaktischen und einer der empirischen Unterrichtsforschung. Zusammengenommen sollen die Beiträge ein vielschichtiges, plastisches Bild davon vermitteln, welche Aspekte beim Grammatiklernen im D a F / D a Z -Unterricht zum Tragen kommen, und Einsichten bieten, die sowohl für den Fachdiskurs als auch für die Unterrichtspraxis bedeutsam sind. Wir möchten damit konstruktive Lösungsvorschläge für das Transferproblem zwischen Sprachwissenschaft und Didaktik (vgl. Eisenberg 2013: 9) anbieten. <?page no="10"?> 10 2 Grammatik und Methodik im D a F / D a Z -Unterricht Setzt man sich methodengeschichtlich mit dem Unterricht für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache auseinander, lässt sich eine Art didaktische Gretchenfrage ausmachen, die implizit oder explizit in jeder Ära wieder neu gestellt wird - nämlich: Wie hältst du’s mit der Grammatik? Diese Frage mag umso virulenter erscheinen, als viele, die sich mit Grammatik im Unterricht beschäftigen, sich auch mit dem ›schlechten Ruf‹ auseinandersetzen müssen, in den der Grammatikunterricht in einigen Kontexten gekommen ist. Grammatik(unterricht) trägt oft das Label »nicht interessant« (Köpcke/ Ziegler, 2011: 3) oder wird mit langweiligem und ineffektivem Regelpauken gleichgesetzt (vgl. Weisgerber, 1982: 112) oder es wird konstatiert, dass »die bisherige Vermittlung in der einen oder anderen Form nicht gelungen ist« (Braun, 2013: 17). Genährt werden diese Probleme durch (die Klischees von? ) Grammatiktests als Disziplinierungsinstrument oder Drohungen nach dem Motto: Wenn ihr nicht brav seid, dann machen wir Grammatik. Der vorliegende Band möchte nicht zuletzt einen Beitrag dazu leisten, dieser ›Diskriminierung von Grammatik‹ entgegenzuwirken und Ansätze zu zeigen, die auf einen linguistisch fundierten Grammatikunterricht abzielen, der für alle Beteiligten relevant, interessant und motivierend sein kann. Im Sinne einer Implementierung und der Interpretation dessen, was als Grammatik im D a F / D a Z -Unterricht sinnvoll umsetzbar ist, lässt sich die Grundfrage »Wie viel Grammatik braucht der Mensch? « (vgl. Helbig 1993) weiter differenzieren: Was für eine Grammatik brauchen die Lernenden? Und wie soll und kann diese Grammatik präsentiert werden? Wie lässt sich im Unterricht damit arbeiten? Wie können Lernende autonom auf linguistische Entdeckungsreisen gehen? 3 Sprache beschreiben: Wenn es eng wird im Schubladenkasten Für die tiefere Auseinandersetzung sollen aber nicht nur Lernende motiviert werden, sondern auch Unterrichtende, die im Sinne lebenslangen Lernens ja auch selbst Lernende sind. Denn auch bei Lehrenden ist Grammatik oft nur mäßig beliebt. Eine Ursache dafür liegt in weit verbreiteten Unsicherheiten in Bezug auf grammatische Kategorien (z.B. Wortarten, Segmente bei der Satzanalyse o.ä.) - die im linguistischen Diskurs ohnehin nicht so einheitlich und eindeutig verwendet werden, wie die Schulgrammatik gerne suggeriert (vgl. Weerning in diesem Band). Die notwendige Vereinfachung im Unterricht führt zuweilen zu einem undifferenzierten Umgang mit Form-Funktions-Mischbegriffen (vgl. Braun 2011: 37), die weder Klarheit in die Sache bringen noch zur Beliebtheit der Grammatik beitragen. Ein weiteres Problem ist die weit verbreitete Annahme, dass analytische Sabine Dengscherz, Martin Businger, Jaroslava Taraskina <?page no="11"?> 11 Sprachbeschreibung auf normativen Grundsätzen beruhen müsse. Das führt nicht selten dazu, dass im Unterricht mit (oft stark vereinfachten) Kategoriensystemen gearbeitet wird, die bei Weitem nicht alle Fragen beantworten, die bei der Analyse von authentischen Texten auftauchen können. Wenn Sprache beschrieben wird, dann wird das aus einer bestimmten Perspektive getan, und dabei werden Entscheidungen getroffen. Mit jeder Entscheidung wird eine Weiche gestellt; der eingeschlagene Weg kann auch Einfluss auf die nächste Entscheidung haben usf. Eine Illustration dafür wären etwa die verschiedenen Kategorisierungsmöglichkeiten von Wortarten (vgl. Weerning in diesem Band). Wird versucht, Sprache in starre ›Schubladenkästen‹ zu pressen, tauchen dabei naturgemäß Probleme auf, z.B. in Form von Elementen, die in keine dieser Schubladen so wirklich passen. Viel wichtiger, als Elemente mehr oder weniger gewaltsam in Kategorien zu pressen, wäre es, Einsicht in die Funktion solcher Kategorien für den Lehr-/ Lernprozess zu fördern und Verständnis für Möglichkeiten und Grenzen zu wecken, die das Arbeiten mit solchen Kategorien bietet. Zugleich zeigt sich in manchen Bereichen auch, wie zu wenig hinterfragte Traditionen der Klassifikation - vgl. Huber/ Mallo/ Brade in diesem Band - sachlich angemesseneren Zugängen im Weg stehen können. Insgesamt wäre es also wichtig und wünschenswert, in der Ausbildung und Fortbildung von Lehrenden auf ein tieferes Verständnis für Ziele und Probleme von Sprachbeschreibung im Bereich der grammatischen Kategorien hinzuarbeiten (vgl. Kilian, 2013: 70). 4 Im Spannungsfeld zwischen Linguistik und Didaktik - Grammatik für verschiedene Zielgruppen Sich mit Grammatik im D a F / D a Z -Unterricht zu beschäftigen, bedeutet nicht zuletzt, die verschiedenen Zielgruppen, denen Grammatikwissen und -Knowhow vermittelt werden sollen, im Auge zu behalten. Denn für jede Zielgruppe hat Grammatik unterschiedliche Funktionen zu erfüllen. Unterscheidungen können entlang verschiedener Linien verlaufen. Einerseits bedeutet Grammatik für Lehrende etwas anderes als Grammatik für Lernende. Lehrende benötigen ein eingehenderes Verständnis sprachlicher Phänomene und Strukturen, die sie vermitteln müssen, als Lernende, deren vornehmliches Ziel in der erfolgreichen Anwendung dieser Phänomene und Strukturen besteht. Weiters können die Anforderungen an Grammatik-Unterricht sehr unterschiedlich sein. Am ›leichtesten‹ hat es der Grammatikunterricht vermutlich im Fremdsprachenunterricht: Hier ist das Bedürfnis von Seiten der Lernenden nach ›Grammatik‹ - zumeist als hilfreiches Regelwerk verstanden - relativ groß. Wissen über grammatische Strukturen wird als nützlich für den Aufbau eines mentalen Perspektiven auf modernen Grammatikunterricht <?page no="12"?> 12 ›Nachschlagewerks‹ verstanden. Die grammatischen Themen sind für die Lernenden dementsprechend weniger auf einer theoretischen als vielmehr auf einer anwendungsorientierten Ebene angesiedelt. Im Zweitsprache-Unterricht ist die Verwertbarkeit grammatischen Wissens hingegen subtiler. Der Spracherwerb verläuft zu einem großen Teil ungesteuert, allerdings kann Grammatikunterricht doch auch eine wertvolle Stütze sein, um komplexere Phänomene zu verstehen, Aha- Erlebnisse zu bereiten und differenziertere Ausdrucksmöglichkeiten zu erlangen. Außerdem könnte die Arbeit mit sprachlichen Zweifelsfällen (vgl. Klein 2003) oder auch der Vergleich mit anderen Sprachen (vgl. in diesem Band die Beiträge von Bassola/ Dabóczi/ Péteri/ Schwinn sowie von Hentschel) oder die Auseinandersetzung mit individuellen Sprachenrepertoires (vgl. Busch 2013) motivierend wirken. Auch die Arbeit mit verschiedenen Registern und ihren grammatischen Besonderheiten ist sowohl für den L1als auch für den D a F / D a Z -Grammatikunterricht bereichernd. In Abhängigkeit von der Zielgruppe kann es auch interessant sein, sich mit dialektaler Grammatik auseinanderzusetzen (für Beispiele vgl. Ziegler/ Lenzhofer-Glantschnig 2013). 5 Zum Aufbau dieses Bandes Der vorliegende Sammelband nähert sich dem Thema D a F / D a Z -Grammatikunterricht aus drei Perspektiven an: einer genuin linguistischen, einer empirischen und einer didaktischen Perspektive. Das folgende Schema soll den dreiteiligen Aufbau visualisieren und den Grammatikunterricht im Spannungsfeld angrenzender Bereiche darstellen: Linguistik Grammatikunterricht Empirie Didaktik Sabine Dengscherz, Martin Businger, Jaroslava Taraskina Schema 1: Perspektiven auf Grammatikunterricht <?page no="13"?> 13 Diesen Perspektiven entsprechen die drei Hauptteile des Bandes. Einen ersten Zugang bieten linguistische Fragestellungen, die sich mit Aspekten der Sprachbeschreibung im Hinblick auf didaktische Umsetzbarkeit beschäftigen: • Welche Art der Sprachbeschreibung hilft welchen Lernenden? (vgl. den Beitrag von Hentschel in diesem Band) • Welche Terminologie ist für welchen Unterricht brauchbar? (vgl. die Beiträge von Farhidnia und Weerning sowie im dritten Teil des Bandes Huber/ Mallo/ Brade) • Wie können sprachvergleichende Ansätze zu einem fundierteren Grammatikunterricht beitragen? (vgl. dazu die Beiträge von Hentschel sowie von Bassola/ Dabóczi/ Péteri/ Schwinn) Die linguistischen Fragenkomplexe beziehen sich also v.a. auf die Informationsauswahl, den Grammatikstoff und seine Abgrenzung. Auch die Diskussion verschiedener Grammatikmodelle und ihre Nutzbarkeit für den Unterricht gehören dazu. Zweitens lässt sich aus der Perspektive empirischer Unterrichtsforschung untersuchen, wie linguistische Inhalte tatsächlich von Lehrenden aufbereitet und von Lernenden aufgenommen werden, wo in der Praxis die Schwierigkeiten dabei liegen und wie theoretische Modelle umgesetzt werden (können). Dabei werden u.a. folgende Aspekte untersucht: • Welche Schwierigkeiten haben Lernende mit der Rezeption und Produktion von bestimmten sprachlichen Strukturen? (vgl. u.a. die Beiträge von Iványi und Lahti) • Wie wirken sich Lernstilunterschiede und Instruktionsweise auf das Grammatiklernen und -lehren aus? (vgl. die Beiträge von Tammenga-Helmantel/ Bazhutkina/ Steringa sowie Nascimento) • Wie können empirische Methoden und Erkenntnisse aus linguistischen Nachbardisziplinen Ergebnisse für den Grammatikunterricht bringen? (vgl. den Beitrag von Fehrmann) Die empirisch gewonnen Ergebnisse erlauben wichtige Rückschlüsse auf das Zusammenspiel von linguistischen und didaktischen Aspekten, die den D a F / D a Z - Unterricht maßgeblich beeinflussen. Drittens schließlich muss aus einer didaktischen Perspektive über die Aufbereitung des Grammatikstoffs diskutiert werden - und über die Rolle, die Grammatik im Unterricht spielen kann und soll. Sowohl methodische Trends als auch verschiedene Spracherwerbsmodelle haben diese Diskussion immer wieder beeinflusst. Im Zentrum standen und stehen folgende Fragen: Perspektiven auf modernen Grammatikunterricht <?page no="14"?> 14 • Welche Bedingungen braucht es, damit Input zum Intake wird? (vgl. u.a. den Beitrag von Funk in diesem Band) • Wann sind Lernende ›bereit‹ für ein sprachliches Phänomen? (zur Debatte um die natürliche Erwerbsreihenfolge vgl. z.B. Diehl et al. 2002 und in diesem Band den Beitrag von Lahti) • Welche Vermittlungsmethoden können sich in welchen Kontexten und für welche Zielgruppen und Lernziele bewähren? (vgl. die Beiträge von Czinglar, Huber/ Mallo/ Brade und Mentchen/ Künzl-Snodgrass in diesem Band) Letztere Frage wurde häufig mit den Schlagworten induktiver vs. deduktiver Unterricht verknüpft (vgl. dazu Nascimento in diesem Band). Trotz der immer wieder laut gewordenen Forderung nach der Arbeit mit (authentischen) Texten finden sich in Grammatiken und Grammatikübungen bis heute nicht selten kontextfreie Einzelsätze zur Veranschaulichung von bestimmten grammatischen Regeln und Phänomenen. Vielleicht hat ja - je nach Lernziel: Kommunikative Kompetenz oder Analysekompetenz - doch beides seine Berechtigung? Insgesamt könnte - und sollte - Grammatikunterricht nicht nur Kompetenzen vermitteln, die es ermöglichen, grammatisch korrekte Sätze in kommunikativen Situationen zu gebrauchen, sondern auch durch Lerntechniken, Lerninstrumente und autonomiefördende Konzepte auf verschiedenen Lernwegen life-long-learning vorbereiten. 6 Die Beiträge Im ersten Teil des Bandes stehen für den D a F / D a Z -Unterricht relevante sprachwissenschaftliche Grundlagen im Zentrum. Elke Hentschel geht in ihrem Beitrag Grammatikunterricht für Lernende ohne Grammatikkenntnisse von der Überzeugung aus, dass auch als schwierig geltende grammatische Konzepte grammatisch nicht geschulten Lernenden erfolgreich vermittelt werden können. Voraussetzung dafür ist es, konsequent die Frage nach der Funktion von grammatischen Kategorien zu stellen. Dies führt die Autorin am Beispiel von Kasus und Genus vor, von zwei Kategorien also, die - da sie Lernenden wie Lehrenden von viel Willkür geprägt erscheinen - typischerweise als schwer lernbar eingestuft werden. Ein hierauf folgender Vergleich von formalen Ausdrucksmitteln im Deutschen mit solchen aus verschiedenen anderen Sprachen der Welt schärft den Blick für Möglichkeiten, die Grammatik des Deutschen zu lehren bzw. zu erwerben. In seinem Beitrag Zur Topologie der Nominalphrase: ein Desideratum in didaktischen Grammatiken des Deutschen als Fremdsprache diskutiert Arash Farhidnia die Notwendigkeit einer ›Phrasengrammatik‹ für den D a F -Unterricht am Beispiel der Sabine Dengscherz, Martin Businger, Jaroslava Taraskina <?page no="15"?> 15 Nominalphrase. Ausgehend von der Beobachtung, dass in den heute zur Verfügung stehenden D a F -Grammatiken der Bereich der Phrasentopologie praktisch unberücksichtigt bleibt, zeigt er die strukturellen Charakteristika und die mögliche Komplexität der Nominalphrasen im Deutschen. Unter didaktischer Perspektive bietet der Autor Konzepte für Übungen an, die fortgeschrittenen Lernenden bei der Rezeption und Produktion solcher Strukturen helfen. Unter dem Titel »Die, diese, keine, meine, alle, viele, manche und ähnliche Wörter - Zur Problematik der Wortartenbestimmung« stellt Marion Weerning die Frage der Klassifizierung von Wörtern, die traditionellerweise der Wortart Artikel zugeordnet werden, zur Diskussion. Ihr Beitrag zeigt, wie komplex die Aufgabe ist, im kontinuierlichen Feld von ›artikelartigen‹, ›adjektivartigen‹ und ›pronomenartigen‹ Wörtern sachlich angemessene und zugleich didaktisch vermittelbare Kategorien abzugrenzen. Die Autorin plädiert dafür, sich bei der Kategorisierung von Wortarten immer klar zu machen, auf welcher sprachlichen Ebene - Pragmatik, Syntax, Morphologie - man argumentiert. Der Internetauftritt ProGr@mm kontrastiv des Projekts EuroGr@mm am Institut für Deutsche Sprache (Mannheim) ist Gegenstand des Beitrags von Péter Bassola, Viktória Dabóczi, Attila Péteri und Horst Schwinn. Nach einem Blick auf die Entstehungsgeschichte stellen die Verfasser/ innen die Einsatzmöglichkeiten von ProGr@mm kontrastiv für eine Reihe unterschiedlicher Zielgruppen dar, darunter neben D a F -Lehrenden und -Lernenden auch die Auslandsgermanistik. Anschließend wird am Beispiel der Wortstellung fassbar gemacht, was den sprachvergleichenden Zugang von ProGr@mm kontrastiv zu Grammatik auszeichnet. Der zweite Teil des Bandes enthält empirische Studien. Er beginnt mit dem Aufbeginnt mit dem Aufsatz von Marjon Tammenga-Helmantel, Iryna Bazhutkina und Sharon Steringa, die unter dem Titel Learning styles and appropriate instruction. A study of the effect of learning styles on learning gains regarding grammar instruction in Dutch foreign language education die Auswirkung verschiedener Instruktionsformen und Lernstile im Grammatikunterricht untersuchen. Das Ziel des Beitrags ist zu zeigen, in welcher Form grammatische Instruktionen (induktive oder deduktive) für verschiedene Lernstile aufbereitet werden können, um das Grammatiklernen effizienter zu gestalten. Die Autorinnen erörtern die Untersuchungsergebnisse und zeigen, welche Faktoren sich positiv auf Lernresultate auswirken. Ingo Fehrmanns Beitrag Gebrauchsbasierte Bestimmung kommunikativ relevanter Konstruktionen verknüpft einen gebrauchsorientierten Ansatz der Sprachbeschreibung mit für D a F -Lernende relevanten kommunikativen Zielen. Grundlage der Studie ist eine korpuslinguistische Erhebung von kausativen Konstruktionen mit dem Verb machen. Für diese Konstruktionen wird ermittelt, welche sprachlichen Elemente bevorzugt miteinander kombiniert werden. Auf diese Weise führt der Autor - unter Bezugnahme auf die in Profile Deutsch beschriebenen Funktionen - ex- Perspektiven auf modernen Grammatikunterricht <?page no="16"?> 16 emplarisch vor, wie in Zukunft eine »empirisch fundierte ›funktionale Grammatik‹« erarbeitet werden kann. Im Beitrag »Wenn du in Finnland kommen, ich will du zu Kino bringen! « - Wortstellung in mündlichen Leistungen von finnischen D a F -Lernenden legt Laura Lahti Ergebnisse ihrer empirischen Studie zu Testleistungen von Gymnasiastinnen und Gymnasiasten in Finnland vor. Sie analysiert die Schwierigkeiten der Lernenden im Bereich der Wortstellung differenziert nach Satztypen. Ihre Ergebnisse setzt die Autorin in Beziehung zu Erwerbsphasenmodellen nach Pienemann (1998) und Diehl et al. (2000). Rudolf Iványi widmet sich in seinem Beitrag Zur Rolle der Klammerkonstruktion bei der auditiven Sprachverarbeitung in Deutsch als Fremdsprache der Untersuchung von Rezeptionsleistungen und Rezeptionsschwierigkeiten von Studierenden am Beispiel komplexer Satzgefüge. Der Autor beleuchtet die Untersuchungsergebnisse einer empirischen Studie zu Fragen der Fähigkeit von ungarischen Deutschlernenden, die Klammerkonstruktion auditiv-rezeptiv wahrzunehmen und sie auch produktiv beim Sprachgebrauch einzusetzen. Es wird gezeigt, welche Verständnisschwierigkeiten im Hörverstehensprozess entstehen und wie man sie beheben kann. Priscilla Nascimento stellt in ihrem Beitrag Grammatik induktiv vermitteln: Vor- und Nachteile für Lehrende, Schwierigkeiten und Lösungsansätze die Ergebnisse einer Umfrage vor, bei der D a F -Lehrende zur induktiven Vermittlung grammatischer Inhalte befragt wurden. Im Beitrag wird deutlich, wie der Grammatikunterricht vom induktiven Verfahren profitieren kann. Zugleich stellt die Autorin auch Aspekte des induktiven Unterrichts dar, die die Lehrenden als schwierig empfanden. Dabei werden u.a. die Rolle der Automatisierung und die diesbezüglichen Erwartungen der Lehrenden kritisch diskutiert. Im dritten Teil dieses Buchs werden didaktische Konzeptionen zur Vermittlung grammatischer Inhalte zur Diskussion gestellt. Hermann Funk diskutiert in seinem Beitrag Übungsformen im fremdsprachlichen Grammatikunterricht, inwiefern bestimmte - exemplarisch beschriebene - Aufgaben oder Übungen einhellig anerkannte Prinzipien wie Orientierung an Lernenden, Lernzielen, Kompetenzen und Output befolgen - oder sie auch nicht befolgen. Dadurch schärft er den Blick dafür, wie die Sinnhaftigkeit von verschiedenen Übungen im Grammatikunterricht analysiert werden kann und wie durch gezielt eingesetzte Aufgaben der Unterricht effektiver und motivierender gestaltet werden könnte. Im Zentrum des Beitrags Was wir aus Altersunterschieden für die Grammatikvermittlung lernen können von Christine Czinglar steht die Problematik des Erwerbs der Verbstellung im Deutschen. Dass das Deutsche scheinbar dem Muster einer Sprache mit Subjekt-Verb-Abfolge entspricht, kann den korrekten Erwerb der Sabine Dengscherz, Martin Businger, Jaroslava Taraskina <?page no="17"?> 17 Verbalklammer und der Verb-End-Stellung im Nebensatz behindern - so eines der Ergebnisse einer Langzeitstudie zum ungesteuerten Erwerb der Verbstellung. Auf der Grundlage der im Beitrag präsentierten Resultate dieser empirischen Studie formuliert die Autorin Vorschläge für die Vermittlung der Verbalklammer im D a F / D a Z -Unterricht. Der Aufsatz Grammatikvermittlung in D a F -Lehrwerken am Beispiel der Konnektoren von Erich Huber, Almudena Mallo und Julia Brade ist denjenigen grammatischen Elementen gewidmet, die zentral für die Verknüpfung von Sätzen und Texten sind - den sog. Konnektoren. Die Verfasser/ innen analysieren die Behandlung von Konnektoren in einer Reihe von D a F -Lehrwerken der Mittelstufe, wobei semantische und syntaktische Klassifikationsversuche gesondert betrachtet werden. Ausgehend davon werden Empfehlungen und Vorschläge zu sinnvollen Übungsformen für zukünftige Lehrwerke formuliert. Silke Mentchen und Annemarie Künzl-Snodgrass stellen in ihrem Aufsatz Just-in-time-Grammar: Eine Zwischenbilanz ein autonomieförde ndes Selbstlernkonzept vor und zeigen, wie sie dieses in ihrer Online-Grammatik umgesetzt haben. Der Beitrag erörtert theoretische und praktische Grundlagen dieses frei im Netz zugänglichen Tools, das die Autorinnen »Just-in-time-Grammar« nennen. Damit ist gemeint, dass Lernende selbst entscheiden, was sie brauchen und was sie wann in welcher Form lernen und üben möchten. Kleine Einstufungstest sollen ihnen dabei helfen, die passenden Übungen zu finden. So soll durch den Einsatz von neuen Medien ›maßgeschneidertes‹ und selbst gesteuertes Grammatiklernen ermöglicht werden. 7 Ausblick Wenn alles schläft und einer spricht, nennt man das Grammatikunterricht. Diese Abwandlung eines Zitats nach Wilhelm Busch entspricht zum Glück nicht mehr der vorherrschenden Unterrichtsrealität. Zugleich gilt: Traditionen - Gewohnheiten, auch ›schlechte Gewohnheiten‹ - erweisen sich als resistent. Durch das unreflektierte Fortschreiben von traditionell etablierten grammatischen Kategorisierungen wird aber den Lernenden kein Dienst erwiesen. Fatal ist es auch, wenn Vorschläge und Forderungen im Hinblick auf die Grammatikvermittlung zurückgewiesen werden mit dem Hinweis: Wir haben es bisher immer anders gemacht. Die von unseren Beiträgerinnen und Beiträgern entwickelten Neuansätze verdienen eine sorgfältige Prüfung - denn sie sind solid begründet und oft durch eigene empirische Forschung gestützt. Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass der vorliegende Sammelband nicht bloß ein Spiegel des Grammatikunterrichts in der Gegenwart sein will, sondern den Anspruch hat, einen Beitrag für den D a F / D a Z -Unterricht der Zukunft zu leisten. Perspektiven auf modernen Grammatikunterricht r <?page no="18"?> 18 Unsere Autorinnen und Autoren legen ihre Schwerpunkte ganz unterschiedlich - sie fokussieren auf die sprachstrukturelle Ebene oder aber auf die Ebene des Sprachhandelns; sie betonen die Rolle der Lehrbuchverfasser/ innen und der Lehrenden in ihrer Funktion als ›Stoff-Strukturierende‹ oder aber nehmen die Lernenden in ihrer Autonomie und Selbstverantwortung in den Blick. Auch kann die zukünftige Umsetzung der hier vorgebrachten Vorschläge und Forderungen gewiss in ganz unterschiedlicher Weise erfolgen. Im Feld der D a F / D a Z -Grammatik sind somit weiterhin kontroverse Diskussionen zu erwarten. Der vorliegende Band bietet Ansatzpunkte dafür. Bibliographische Angaben Börner, Wolfgang / Vogel, Klaus (2002) (Hrsg.): Grammatik und Fremdsprachenerwerb. Tübingen: Narr Braun, Christian (2011): »Grammatik (nicht) verstehen - Knackpunkte des Scheiterns«. In: Köpcke/ Ziegler (Hrsg.): a.a.O., S. 37-49 Braun, Christian (2013): »Zur Konzeptualisierung des Grammatikbegriffs. Ein diachroner Zugang«. In: Köpcke/ Ziegler (Hrsg.): a.a.O., S. 17-34 Busch, Brigitta (2013): Mehrsprachigkeit. Wien: Facultas WUV ( UTB ) Diehl, Erika / Pistorius, Hannelore / Dietl, Annie Fayolle (2002): »Grammatikerwerb im Fremdsprachenunterricht - ein Widerspruch in sich? « In: Börner/ Vogel (Hrsg.): a.a.O., S. 143-163 Diehl, Erika / Christen, Helen / Leuenberger, Sandra / Pelvat, Isabelle / Studer, Thérèse (Hrsg.) (2000): Grammatikunterricht: Alles für der Katz? Untersuchungen zum Zweitsprachenerwerb Deutsch. Tübingen: Niemeyer (=Reihe Germanistische Linguistik 220) Eisenberg, Peter (2013): »Schulgrammatik - Sprache für Schüler, Sprachwissen für Lehrer«. In: Köpcke/ Ziegler (Hrsg.): a.a.O., S. 7-13 Gnutzmann, Claus / Stark, Detlef (Hrsg.) (1982): Grammatikunterricht. Beiträge zu Linguistik und Didaktik. Tübingen: Narr Harden, Theo / Marsh, Cliona (Hrsg.) (1993): Wieviel Grammatik braucht der Mensch? München: Iudicium Helbig, Gerhard (1993): »Wie viel Grammatik braucht der Mensch? «. In: Harden/ Marsh (Hrsg.): a.a.O., S. 19-29 Kilian, Jörg (2013): »Kritische Grammatik, sprachliches Lernen und sprachliche Bildung. Über Sprachreflexion und Sprachkritik im grammatikdidaktischen Sinne«. In: Köpcke/ Ziegler (Hrsg.): a.a.O., S. 61-82 Klein, Wolf Peter (2003): »Sprachliche Zweifelsfälle als linguistischer Gegenstand. Zur Einführung in ein vergessenes Thema der Sprachwissenschaft«. In: Linguistik online 16. (http: / / www.linguistik-online.de/ 16_03/ 1. 6. 2014) Sabine Dengscherz, Martin Businger, Jaroslava Taraskina <?page no="19"?> 19 Köpcke, Klaus-Michael / Ziegler, Arne (Hrsg.) (2013): Schulgrammatik und Sprachunterricht im Wandel. Berlin/ Boston: de Gruyter (=Reihe Germanistische Linguistik 297) Köpcke, Klaus Michael / Ziegler, Arne (Hrsg.) (2011): Grammatik - lehren, lernen, verstehen. Berlin/ Boston: de Gruyter (=Reihe Germanistische Linguistik 293) Köpcke, Klaus-Michael / Ziegler, Arne (2011): »Der, die, das - Wer, wie, was - Wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm«. In: Köpcke/ Ziegler (Hrsg.): a.a.O., S. 3-13 Pienemann, Manfred (1998): Language Processing and Second Language Development. Processability Theory. Amsterdam/ Philadelphia: John Benjamins Publishing Company (=Studies in Bilingualism 15) Weisgerber, Bernhard (1982): »Die Rolle der Grammatik beim Erwerb von Muttersprache und Fremdsprache«. In: Gnutzmann/ Stark (Hrsg.): a.a.O., S. 101-126 Ziegler, Arne / Lenzhofer-Glantschnig, Melanie (2013): »Jugendsprache(n) und Grammatikunterricht. Blinde Flecken auf der Landkarte - Jugendsprachforschung in Österreich als Chance für die Schulgrammatik? «. In: Köpcke/ Ziegler (Hrsg.): a.a.O., S. 287-306 Perspektiven auf modernen Grammatikunterricht <?page no="21"?> Teil I Linguistische Grundlagen aus didaktischer Perspektive <?page no="23"?> Elke Hentschel (Bern) Grammatikunterricht für Lernende ohne Grammatikkenntnisse Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie man grammatische Kategorien wie z.B. Genus, Kasus oder Numerus Lernenden vermitteln kann, die keinerlei theoretische Vorkenntnisse mitbringen und deren Muttersprachen noch dazu möglicherweise auch gar keine solchen Kategorien aufweisen. Es wird vorgeschlagen, zu diesem Zweck den jeweiligen semantischen Kern der betreffenden Funktion herauszuschälen, mit anderen Worten: von der Frage auszugehen, warum es so etwas überhaupt gibt und welche Aufgaben die Kategorie erfüllt. Dabei werden Kasus und Genus in den Mittelpunkt gestellt, da sie anders als Numerus - der auf die eine oder andere Art in der Mehrheit der Sprachen der Welt markiert wird - in vielen Sprachen entweder gar nicht existieren, wie dies etwa bei Genus der Fall ist, oder wie im Fall von Kasus zwar notwendig ausgedrückt werden müssen, aber häufig nicht mit morphologischen Mitteln, sondern auf völlig andere Weise markiert werden. Abschließend wird ein Blick auf die Ausdrucksmittel selbst geworfen, die für die Kennzeichnung grammatischer Kategorien generell zur Verfügung stehen, und aufgezeigt, welche davon das Deutsche verwendet. 1 Das Problem Viele Sprachen kennen weder Tempora noch Kasus, haben kein Genus und weisen auch nur ganz rudimentär Numerus auf. Wenn Lernende mit solchen Muttersprachen, also etwa Menschen aus China oder Thailand, zudem noch nie eine Fremdsprache erworben haben und daher solchen Phänomenen auch noch nie begegnet sind, stellt sich natürlich die Frage, wie man derartige grammatische Kategorien im Deutschen überhaupt vermitteln kann. Wie erklärt man jemandem, der keinerlei grammatische Vorkenntnisse aufweist, was ein Akkusativ ist oder wie man Maskulinum, Femininum und Neutrum unterscheidet - und vor allem auch, wozu das überhaupt gut ist? Aber auch bei Lernenden, deren Muttersprachen grammatische Kategorien dieses Typs kennen, stößt man bei der Erklärung solcher Phänomene insbesondere dann schnell an Grenzen, wenn die Betreffenden bisher weder in ihrer Muttersprache noch in anderen Sprachen Grammatikunterricht hatten. Außerhalb des funktionalen Kerns, der in allen Sprachen gleich, aber dennoch nicht ganz einfach zu erkennen ist, haben grammatische Phänomene oft verschiedene Anwendungsbereiche und weisen recht unterschiedliche konkrete Verwendungsregeln auf. Im <?page no="24"?> 24 Elke Hentschel Mittelpunkt dieses Beitrages stehen daher Überlegungen dazu, wie auch komplexe grammatische Konzepte wie z.B. Kasus mit relativ einfachen Mitteln zugänglich gemacht werden können. Als Ausgangspunkt dient dabei die typische Frage Lernender: »Warum gibt es das überhaupt? Wozu ist es gut? «. Fragen dieser Art sollte man ernst nehmen, denn es muss ja in der Tat einen Grund dafür geben, warum Sprachen seltsame Formen bilden, um so schwer erklärbare Funktionen wie Kasus oder Genus auszudrücken. Wenn man solche Fragen ernst nimmt, führen sie zu kognitiven und typologischen Ansätzen für das Verständnis grammatischer Funktionen, die viel zu selten für den konkreten Sprachunterricht fruchtbar gemacht werden. Denn viel wichtiger als die Form, die jeweils gewählt werden muss, ist natürlich die Funktion, um deretwillen es die Form zu bilden gilt. Wenn das Grundverständnis für die Funktion fehlt, dürfte die Lernbarkeit der Form extrem erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht werden. Wie so etwas auch dann aussehen könnte, wenn die Muttersprache der Lernenden gar nicht über die entsprechende Kategorie verfügt, soll im Folgenden erörtert werden. 1 2 Wozu ist das alles überhaupt gut? Beispiel: Nominale Kategorien Auch wenn nicht gänzlich unumstritten ist, dass alle Sprachen der Welt über nominale Wortarten - prototypisch also über Substantive - verfügen, 2 so dürfte es doch die überwältigende Mehrheit sein, bei der man davon ausgehen kann, dass sie über eine mit den deutschen Substantiven zumindest vergleichbare Kategorie verfügen. Im Unterschied zu Verben, die eine überwältigende Vielzahl der unterschiedlichsten grammatischen Kategorien in den Bereichen Tempus, Modus, Genus Verbi oder Aspekt bilden können, ist der potentielle Kategorienbestand bei Substantiven deutlich eingeschränkter. Abgesehen von der Kategorie Definitheit, die im Deutschen durch Artikel, in anderen Sprachen aber u.U. durch ganz andere Phänomene und dabei auch nicht unbedingt am Substantiv selbst ausgedrückt wird, 3 gibt es drei Kategorien, die prototypisch bei Substantiven auftreten können und dies im Deutschen auch tun: • Kasus • Nominalklasse (im Deutschen: Genus) • Numerus. 1 Für kritische Lektüre und Kommentare zu diesem Text danke ich Thomas Kobel, Sibylle Reichel und Varinia Vogel. 2 Zu den Problemen, die grundsätzlich mit der sprachübergreifenden Definition von Wortarten zusam� menhängen, vgl. ausführlicher z. B. Haspelmath (2012). 3 So wird in Turksprachen Definitheit beim Objekt durch Verwendung einer Akkusativendung ausge� drückt, die andernfalls entfällt (vgl. Lewis 2000: 35 f.); in slawischen Sprachen hingegen kann sie durch die Wahl des perfektiven Aspekts signalisiert werden (vgl. dazu ausführlich Leiss 2013). <?page no="25"?> 25 Grammatikunterricht für Lernende ohne Grammatikkenntnisse Von diesen Kategorien ist Numerus die einzige, die vermutlich in allen Sprachen zumindest an einigen Stellen auf die eine oder andere Art markiert wird (vgl. Corbett 2000). Das Basisverständnis für das Konzept ›Plural‹ muss daher sicher nicht erst hergestellt werden; die Schwierigkeit liegt hier vorwiegend in der Wahl der korrekten Form. Auch hier lohnt sich jedoch ein Blick hinter die Kulissen des scheinbar chaotischen Systems: Bei näherem Hinsehen wird erkennbar, dass das Deutsche auch bei der Wahl der Pluralform keineswegs arbiträr ist, sondern dass der Pluralbildung ein bei Köpcke (1993) als »Schema« charakterisiertes Zuordnungssystem zugrunde liegt, das durchaus vermittelbar ist (vgl. hierzu auch Gaeta 2008). Anders als Numerus, den man als nahezu ubiquitär ansehen kann, ist die Kategorie Genus vermutlich höchstens in der Hälfte der Sprachen der Welt zu finden (vgl. Corbett 2013). Eine solche Kategorie kann folglich durchaus auch grundlegende Verständnisprobleme verursachen - nicht nur deshalb, weil im Deutschen zudem recht komplexe Zuordnungsregeln für Genus vorliegen. Demgegenüber sind Kasusmarkierungen deutlich häufiger: Bei Iggesen (2013) wiesen 161 von insgesamt 261 untersuchten Sprachen solche Markierungen auf. Aber noch etwas Weiteres ist hier wichtig: Wenn es in einer Sprache keine Kasus gibt, müssen ihre Funktionen - anders als bei Genus, auf das man problemlos verzichten kann - ersatzweise mit anderen Mitteln ausgedrückt werden. 4 Daraus kann man schließen, dass die den Kasus zugrundeliegenden kognitiven Strukturen universell sind und ihre Versprachlichung unausweichlich auf die eine oder andere Art erfolgen muss. Im Folgenden sollen die Kategorien Kasus und Genus unter diesen Gesichtspunkten näher betrachtet werden. 2.1 Kasus Die Frage, warum hier oder dort ein Akkusativ oder Dativ steht und wozu das eigentlich gut ist, ist durchaus naheliegend: Kasus werden im Deutschen zwar nicht mehr durchgehend am Substantiv selbst ausgedrückt (vgl. Hentschel/ Weydt 2013: 140 f.), aber sie finden in Artikeln und attributiv gebrauchten Adjektiven ihren Niederschlag und können vor allem die meist ohnehin schon als schwer zu erlernen erlebte Adjektivdeklination zusätzlich erschweren. Das Phänomen erscheint zudem auf den ersten Blick als wenig bis gar nicht regelgeleitet, und auch Grammatiken wie etwa Helbig/ Buscha (2011: 267), die ja sogar für den D a F -Unterricht geschrieben wurden, vertreten die entmutigende Ansicht, es sei »unmöglich, für 4 »In the languages lacking morphological case (e. g. Vietnamese), grammatical relations are expressed by word order and/ or morphologically and prosodically independent function words (in general, prepositions and postpositions), and partly also by morphological devices on the verb.« (Iggesen 2013). <?page no="26"?> 26 Elke Hentschel jeden Kasus eine ›Gesamtbedeutung‹ oder ›Grundfunktion› anzunehmen«, und untermauern dies mit Beispielen wie jemandem helfen vs. jemanden unterstützen oder jemandem/ jemanden kündigen. Auch sonst ist die Ansicht, dass Kasus so etwas wie zufallsgesteuerte Formenbildungen sind, die man eben in bestimmten Kontexten so und nicht anders gebraucht und die man zu diesem Zweck beim Erwerb des Deutschen als Fremdsprache folglich auswendig lernen muss, nach wie vor weit verbreitet. Aber selbstverständlich entwickeln Sprachen keine komplizierten morphologischen Systeme, die mehr oder minder arbiträre Funktionen haben und bestenfalls dabei helfen, die syntaktische Funktion eines Wortes in einem ganz bestimmten Kontext zu erkennen - wobei man aber vorher auswendig gelernt haben muss, welche Form es ist, die in eben diesem Kontext gebraucht wird. Kasus haben eine Grundfunktion, deren Bedeutung in den kognitiven Strukturen des menschlichen Denkens wurzelt. Dabei kann man, wenn man so will, zwei »Sorten« Kasus unterscheiden: die sog. Kernkasus und die eher peripheren, in der Typologie als »oblique Kasus« bezeichneten. Die zentralen Konzepte, um die es dabei geht, werden im Folgenden kurz zusammengefasst. 2.1.1 Kernkasus In einem Satz wie Gabi gähnt liegt außer dem (intransitiven) Verb nur noch ein einziges Argument vor, für das Comrie (1981/ 2006: 110 f.) schon früh eine sprachübergreifende Notation mit »S« vorgeschlagen hatte, wobei das S mnemotechnisch an den Begriff »Subjekt« angelehnt ist. Im Unterschied dazu schlug er vor, bei Sätzen mit zwei Argumenten - sog. transitiven Prädikaten - wie Der Löwe frisst den Großwildjäger »in order to avoid circuity« (ebd.: 111) andere Markierungen zu verwenden, und verwendete dafür die beiden Abkürzungen A (für Agens) und P (für Patiens), mit denen zugleich die protypischen Funktionen dieser Argumente erfasst waren. So ergeben sich folgende Muster: Gabi gähnt. S intransitives Prädikat Der Löwe frisst den Großwildjäger. A transitives Prädikat P Die Unterscheidung zwischen diesen Prädikatstypen und insbesondere zwischen S und A mag auf den ersten Blick unnötig kompliziert und sehr »akademisch« erscheinen; dass sie es nicht ist, zeigt jedoch der Blick auf Sprachen wie das Tschuktschische (eine sibirische Sprache) oder das Dyirbal (eine australische Sprache). In solchen Sprachen wird das S in Sätzen wie Gabi gähnt mit einem anderen Kasus markiert als <?page no="27"?> 27 Grammatikunterricht für Lernende ohne Grammatikkenntnisse das A in Sätzen wie Der Löwe frisst den Großwildjäger. Aber damit nicht genug: Das mit P bezeichnete Argument (hier also: den Großwildjäger) wird in solchen Sprachen mit demselben Kasus gekennzeichnet wie S. Während in Sprachen wie dem Deutschen also S und A mit ein und demselben Kasus markiert werden, während P einen Kasus ganz für sich bekommt, sind es in Sprachen wie Dyirbal S und P, die sich einen Kasus teilen müssen, und A hat dafür einen Kasus für sich alleine. Einen Kasus, der S und A bezeichnet, nennt man Nominativ, den Kasus für P hingegen Akkusativ. Werden hingegen S und P in einem Kasus kombiniert, so spricht man von einem Absolutiv, und den Kasus für A bezeichnet man dann als Ergativ. Auf dieser Grundlage kann man sagen, dass Deutsch eine Akkusativ-, Dyirbal hingegen eine Ergativsprache ist. Neben Akkusativ und Nominativ gehört nur noch ein weiterer Kasus zu den Kernkasus des Deutschen. Ihn braucht man, wenn es nicht nur zwei, sondern drei Argumente gibt, die sich notwendigerweise - das heißt durch die Semantik des Verbs bedingt - mit dem Prädikat verknüpfen. Dies ist der Fall bei Verben vom Typ geben, die auch als ditransitiv bezeichnet werden. Für die beiden Objekte, die nun an der Stelle des bisher einzigen Objektes transitiver Prädikate auftreten, werden abermals neue Bezeichnungen verwendet: G (für engl. goal) bezeichnet den Rezipienten, also den Empfänger der Gabe; T (für engl. theme) bezeichnet den Gegenstand, der überreicht wird: Sie warf dem Pinguin einen Fisch zu. G T Auch hier gibt es nun in den verschiedenen Sprachen unterschiedliche Möglichkeiten zum Ausdruck der Rollen. Wenn für P (also etwa den Großwildjäger aus dem obigen Beispiel) und T (einen Fisch) derselbe Kasus verwendet wird, für G (dem Pinguin) jedoch eine anderer - wie das im Deutschen ja offensichtlich der Fall ist -, spricht man von einem direkten Objekt (T) und einem indirekten Objekt (G) und bezeichnet den Kasus für G als Dativ. 5 Diese Grundfunktionen gälte es also zu vermitteln. Da die grundsätzliche Frage, wer wen gefressen hat oder wem was gegeben wurde, in jeder Sprache beantwortbar sein muss, handelt es sich offensichtlich um universelle Rollen. Prototypische Beispielsätze wie Der Hund beißt den Briefträger oder Der Briefträger gibt dem Hund einen Knochen wären also ideal für die Vermittlung der Funktionen geeignet, die man in solchen Kontexten sofort intuitiv verstehen würde. Zugleich kann man an solchen Beispielen auch zeigen, wie sich durch das schlichte Vertauschen der Kasus, ohne dass sonst etwas im Satz verändert wird, die Rollen von Hund und 5 Wenn hingegen G und P in einem Kasus zusammengefasst und so von T unterschieden werden, spricht man von einem primären und einem sekundären Objekt (vgl. Croft 2009: 152). <?page no="28"?> 28 Elke Hentschel Briefträger so vertauschen lassen, so dass beispielsweise der Briefträger sich rächt und seinerseits den Hund beißt: Den Hund beißt der Briefträger. Auch differenzierte Funktionen, die typischerweise der Dativ übernehmen kann, wie etwa der Ausdruck des Benefizienten oder des Besitzers, sind keineswegs willkürlich oder zufällig, sondern können direkt aus der Grundbedeutung ›Rezipient‹ abgeleitet werden. Da man im Normalfall als Empfänger auch einen Vorteil davon hat, dass man etwas bekommt, ist die Rollentrennung zwischen Rezipient und Benefizient ohnehin nur in Ausnahmefällen klar möglich. Dabei kann, wenn auch seltener, auch der umgekehrte Fall eintreten, dass der Rezipient durch die Gabe einen Schaden davonträgt, wie das etwa bei Er gibt dem Kind eine Ohrfeige der Fall wäre. Man spricht dann statt vom Benefizienten vom Malefizienten. Wichtig ist hier aber nicht die Terminologie, sondern die inhaltliche Verwandtschaft der beiden Konzepte; sie ist normalerweise intuitiv klar erkennbar. Und selbst der im modernen Deutschen nicht mehr sehr häufige, aber bei Körperteilen immer noch regelmäßig gebräuchliche possessive Dativ wie in Ich schau’ dir in die Augen, Kleines - den man leicht daran erkennt, dass er durch ein Possessivpronomen (oder ggf. einen possessiven Genitiv) ersetzbar ist: in deine Augen - findet sich nicht nur im Deutschen, sondern auch in vielen anderen Sprachen. Der Grund, warum Dative in vielen Sprachen Besitz anzeigen können, folgt ebenfalls logisch aus der Grundbedeutung des Kasus: Was ich bekommen habe, geht in meinen Besitz über und gehört folglich nunmehr mir. Derselben Logik folgt das englische to have got, bei dem sich ja die wörtliche Bedeutung ›bekommen haben‹ zu einem schlichten ›haben‹ weiterentwickelt hat. Abermals wird deutlich, dass auch solche scheinbar komplizierten Bedeutungsdifferenzierungen durchaus transparent und verständlich gemacht werden können. 2.1.2 Oblique Kasus Die sog. obliquen 6 Kasus bilden eine sehr viel heterogenere Gruppe, die sich von Sprache zu Sprache stark unterscheiden kann. Das Deutsche kennt nur einen, den Genitiv. Genitive dienen dem Ausdruck der Possessivität und drücken Besitzsowie Teil-von-Relationen aus, falls es für letztere in der Sprache nicht noch einen zusätzlichen Kasus gibt, der dann als Partitiv bezeichnet wird. Dass die beiden Konzepte ›Besitz‹ und ›Teil von‹ häufig zusammengefasst werden, ist nicht weiter verwunderlich, denn sie überschneiden sich oft: so ist z.B. der Schwanz der Eidechse sowohl ein Teil von ihr als auch ihr Eigentum. Da Menschen ein großes Interesse daran haben, wem was gehört, sind Genitive in den Sprachen der Welt alles andere 6 Der Terminus »obliquer Kasus« wird in der traditionellen Grammatikschreibung mit einer anderen Be� deutung verwendet: Er meint dann alle Kasus außer dem Nominativ (vgl. hierzu sowie zum Vorigen ausführlicher Hentschel 2009). <?page no="29"?> 29 Grammatikunterricht für Lernende ohne Grammatikkenntnisse als selten anzutreffen - und die Grundfunktion des Kasus ist entsprechend leicht zu vermitteln. Eine große Gruppe von Kasus, die im Deutschen kein direktes Äquivalent haben, sind solche, die Bewegung oder Verortung im Raum ausdrücken. Kasus dieser Art finden sich in vielen Sprachfamilien, so in der indogermanischen, aber auch beispielsweise den Turksprachen oder den finnougrischen Sprachen. Zu den zentralen Fragen, auf die dieser Typus von Kasus antwortet, gehören die nach dem Woher, dem Wohin und dem Wo; die entsprechenden Kasus werden als Ablativ (woher? ), Allativ oder gelegentlich auch Direktiv (wohin? ) und Lokativ (wo? ) bezeichnet. 7 Die Vorformen des Deutschen verfügten wie ursprünglich alle indogermanischen Sprachen sowohl über einen Ablativ als auch über einen Lokativ, beide sind aber schon früh in der Sprachgeschichte des Deutschen verloren gegangen. In der Folge übernahm der Dativ zusammen mit einer Präposition ihre Aufgaben. Dass das nicht zu seinen eigentlichen Aufgaben gehört, sondern eine sozusagen in Stellvertretung übernommene ist, zeigt sich darin, dass ein reiner Dativ ohne Präposition zwar stets einen Rezipienten bezeichnen (z.B. Ich koche dir jetzt erst einmal einen Kamillentee! ), aber nie eine Orts- oder Herkunftsanzeige (*Die Teekanne steht dem Tisch) ausdrücken kann. Das erleichtert auch bei der Vermittlung die Trennung der Funktionen. Zur Angabe der Richtung steht hingegen der Akkusativ, der diese Funktion auch in allen anderen Sprachen der indogermanischen Sprachfamilie wahrnimmt, die in diesem Bereich noch eine Kasusunterscheidung kennen. Herkunft und Ort werden daher also mit Dativ (aus dem Wald, vom Berg; im Garten, beim Haus), Richtungen hingegen mit Akkusativ (in den Wald, auf den Berg etc.) gekennzeichnet. Abermals sind die Konzepte selbst, die dem Kasusgebrauch in diesen Fällen zugrunde liegen, intuitiv zugänglich, und es gibt auch nur sehr wenige Ausnahmen von diesem Grundprinzip wie die Präposition zu, die trotz ihrer direktiven Bedeutung einen Dativ regiert. Zwei weitere oblique Kasus, die ebenfalls nur indirekte Äquivalente im Deutschen haben, sind der Instrumental und Komitativ, die dem Ausdruck des Mittels (des Instrumentes) bzw. des Begleitumstandes oder der Begleitperson dienen; manchmal dient auch ein und derselbe Kasus beiden Funktionen. Auch der noch im Althochdeutschen vorhandene indogermanische Kasus Instrumental konnte beides ausdrücken: Das Instrument (›mit dem Messer‹), der Begleitumstand (›mit Absicht‹) und die Begleitperson (›mit einem Komplizen‹) wurden von der Form her nicht unterschieden. Auch der Instrumental wird im modernen Deutschen durch einen Dativ mit Präposition ersetzt: mit dem Messer, mit großem Vergnügen, mit einem Komplizen. Mit dem Wissen darum, dass solche kognitiven Grundfunk- 7 Darüber hinaus gibt es weitere lokale Kasus, die etwa die hier beschriebenen Richtungs� bzw. Ortsan� Darüber hinaus gibt es weitere lokale Kasus, die etwa die hier beschriebenen Richtungs� bzw. Ortsan� gaben mit zusätzlichen Informationen wie ›in‹, ›auf‹ oder ›neben‹ verbinden und dann beispielsweise ›aus heraus‹ vs. ›von herab‹ ausdrücken können. Da im Deutschen jedoch nur die Richtung bzw. der Ort ausschlaggebend sind, wird hier nicht näher darauf eingegangen. <?page no="30"?> 30 Elke Hentschel tionen oft durch eine eigene Form ausgedrückt werden, im Deutschen aber durch eine Kombination von Präposition und einem Kasus, der sozusagen nur »zweite Wahl« ist, erscheinen auch solche Fälle oft schon wieder weit weniger willkürlich. 2.2 Genus Anders als bei dem, was durch Kasus kodiert wird und was man in allen Sprachen auf irgendeine Weise ausdrücken können muss, kann man auf die im Genus enthaltene Information sehr gut verzichten: Es gibt zahlreiche Sprachen, die ohne jegliche nominalen Kategorien dieser Art auskommen. Warum es Genus gibt und welche Funktionen es hat, ist daher ungleich schwerer zu vermitteln, als dies bei Kasus der Fall ist. Dennoch ist auch Genus - anders, als das viele Grammatiken und sogar Lehrbücher glauben machen wollen - kein arbiträres und mehr oder minder sinnloses Phänomen, das man »eben auswendig lernen« muss. Genus ist vielmehr eines der Mittel, mit denen manche Sprachen sozusagen Ordnung in die Masse der Dinge oder genauer: der Substantive zu bringen versuchen. Ein anderes solches Mittel wären sog. Klassifikatoren oder - als vermutlich typischste Vertreter der Gattung (vgl. Grinevald 2004: 1016) - Numeralklassifikatoren, wie man sie in vielen Sprachen beispielsweise dann benutzen muss, wenn man eine Anzahl von Dingen benennen möchte. Klassifikatoren sind typischerweise sehr zahlreich, und sie teilen die Dinge etwa nach ihrer Form ein, so dass man in solchen Sprachen sinngemäß so etwas sagt wie ›ein flacher Gegenstand Tisch‹, ›ein langer Gegenstand Kugelschreiber‹, ›ein gebundener Gegenstand Buch‹. Genera sind demgegenüber sehr viel weniger zahlreich, nehmen dafür aber umfassendere Einteilungen vor. Typische Ordnungsprinzipien, die dabei versprachlicht werden, sind beispielsweise die Unterteilung in belebt/ unbelebt oder in vernunftbegabt/ nicht vernunftbegabt (vgl. Corbett 1999: 8-32) - wobei es vermutlich wenig überraschend ist, dass Menschen im Allgemeinen außer sich selbst nur noch Götter oder Geister für vernunftbegabt halten. Unter den Vernunftbegabten oder Belebten kann dann oft noch eine weitere Unterscheidung nach dem natürlichen Geschlecht vorgenommen werden. Für das Verständnis einer Kategorie wie Genus ist es daher von zentraler Bedeutung, dass man zunächst den Bedeutungskern erfasst, der dem Genussystem der jeweiligen Sprache zugrunde liegt. Auch wenn die semantischen Grundlagen von morphologischen oder phonologischen Zuordnungsprinzipien ergänzt oder sogar überlagert werden können und bei Sprachen wie dem Deutschen sogar beide zusätzlichen Kriterien zur Anwendung kommen, kann man mit Sicherheit davon ausgehen, dass es immer einen semantischen Kern gibt (vgl. ebd.: 8). Diesen gilt es sichtbar zu machen. Im Deutschen wird bei erwachsenen Menschen sowie bei geschlechtsreifen Tieren, denen historisch als Zuchttiere oder als jagd- <?page no="31"?> 31 Grammatikunterricht für Lernende ohne Grammatikkenntnisse bares Wild eine besondere Bedeutung zukam, zwischen männlichen und weiblichen Wesen unterschieden, während der noch nicht geschlechtsreife Nachwuchs sowie die gesamte Gattung mit Neutrum bezeichnet werden. Diesem Prinzip folgen beispielsweise: der Mann, die Frau, das Kind (aber: der Mensch); der Hahn, die Henne, das Küken, das Huhn; der Eber, die Sau, das Ferkel, das Schwein. Anhand der Beispiele Mann, Frau, Kind lässt sich das semantische Prinzip sehr gut vermitteln. An solchen Beispielen kann man auch gut illustrieren, welche Vorteile das Genussystem über die »Ordnung der Dinge« hinaus mit sich bringt. Eine kleine Geschichte wie die folgende wird überhaupt nur dadurch verständlich, dass man die Pronomina den gemeinten Personen zuordnen kann; und eben dies wird durch das Genus ermöglicht: Ein Mann und eine Frau begegneten sich nach langer Zeit wieder. Er begrüßte sie freudig, aber sie erkannte ihn nicht. Darüber war er traurig. Durch die Reduktion der Deklinationsklassen, von denen im modernen Deutschen kaum noch etwas zu sehen ist, sind morphologische Zuweisungsprinzipien für Genera verloren gegangen. Eine mögliche Folge hiervon wäre der vollständige Abbau der Kategorie Genus in einer Sprache. Dazu ist es jedoch im Deutschen bekanntlich nicht gekommen, und stattdessen wird das Phänomen weiterhin nutzbar gemacht und dabei nun verstärkt auch als Ordnungsprinzip für Wortfelder eingesetzt. Am Wortfeld für Obst lässt sich das gut zeigen: Mit Ausnahme der Bezeichnungen Apfel und Pfirsich, die alte Obstsorten repräsentieren und aufgrund des häufigen Gebrauchs der Wörter eine ältere Genuszuweisung beibehalten haben, sind sämtliche Früchte feminin. Das wird insbesondere bei neu eingeführten, früher unbekannten Sorten wie die Kiwi, die Kumquat, die Papaya etc. sehr deutlich. Ein anderes Beispiel dafür, wie das Genus beim Verstehen des Gemeinten hilft, sind Motorfahrzeuge: Sie fährt eine BMW und Er fährt einen BMW sagen nicht nur etwas über die gewählte Marke aus, sondern lassen zugleich erkennen, dass es sich in einem Fall um ein Motorrad, im anderen jedoch um ein Auto handelt (zum Genus bei Wortfeldern vgl. ausführlicher Köpcke/ Zubin 2009: 137 f.). Dass der semantische Kern des Genussystems von morphologischen Zuordnungsregeln nicht nur wie in anderen Sprachen ergänzt, sondern sogar überlagert wird, ist demgegenüber eine Schwierigkeit. Das Problem lässt sich jedoch nicht nur an Beispielen wie das Mädchen oder der Säugling (aber, dem semantischen Prinzip folgend: das Baby) gut illustrieren, bei denen die Suffixe -chen und -ling für die Genuszuweisung verantwortlich sind. Solche Beispiele führen dann auch zum sog. Letztgliedprinzip, das sich leicht erklären lässt und das auch intuitiv eingängig ist: Im Zweifelsfall ist der Teil des Wortes ausschlaggebend, der am weitesten rechts steht, ob nun ein Wortbildungsmorphem wie -heit oder ein eigenständiges <?page no="32"?> 32 Elke Hentschel Wort, das Teil eines zusammengesetzten Substantivs ist. 8 Damit sind schon sehr grundlegende Prinzipien der Genuszuweisung erfasst und eine Grundlage für das Verständnis der Regeln gelegt, die auch die Muttersprachler selbst anwenden. Und selbst für das im Hinblick auf die Vermittlung vermutlich schwierigste, vom Umfang der betroffenen Wortschatzanteile her gesehen aber auch kleinste Zuordnungskriterium, die Silbenstruktur (vgl. Köpcke/ Zubin 2009: 136 f.), kann man anhand von prototypischen Beispielen durchaus sichtbar machen, dass auch hier eine regelgesteuerte Genuszuweisung erfolgt. 3 Ausdrucksmittel in verschiedenen Sprachen Dass in allen Sprachen alles gesagt werden kann, was Menschen sich zu sagen haben, kann man als gegeben voraussetzen. Allerdings werden dafür sehr unterschiedliche Mittel eingesetzt, und auch ein Verständnis dafür, welche sprachlichen Mittel zu welchem Zweck zur Verfügung stehen, ist eine gute Voraussetzung für den Erwerb grammatischer Kategorien. Im Folgenden sollen daher nun noch kurz die sprachlichen Mittel zusammenfassend skizziert werden, die grundsätzlich zum Ausdruck grammatischer Relationen zur Verfügung stehen. Im Anschluss daran soll aufgezeigt werden, welche davon im Deutschen genutzt werden. 3. 1 Grundsätzliche Ausdrucksmittel Eines der, wenn man so will, radikalsten Mittel zum Ausdruck grammatischer Kategorien besteht darin, ein Wort von innen heraus zu verändern. Die folgenden Beispiele aus dem Arabischen illustrieren dieses Verfahren gut: jaktubu ›er schreibt‹ juktabu ›es wird geschrieben‹ kutiba ›es wurde geschrieben‹ uktub! ›schreib! ‹ ka: tib ›schreibend‹/ ›Schreiber‹ maktu: b ›geschrieben‹/ ›Brief‹ In solchen Fällen, in denen sozusagen nur das konsonantische Grundgerüst eines Wortes erhalten bleibt, spricht man von einer Binnen- oder Wurzelflexion. Mit etwas weniger tiefgreifenden Veränderungen am Wort, die nicht in seinem Innern, sondern am Ende vorgenommen werden, operieren Sprachen wie das 8 Die einzige Ausnahme von dieser sehr umfassenden Regel bilden Derivationen auf Ge- und -e (gele� gentlich auch ohne -e) wie Gebirge, Gefolge oder Gesetz. <?page no="33"?> 33 Grammatikunterricht für Lernende ohne Grammatikkenntnisse Russische oder das Lateinische. Die folgenden Beispiele illustrieren, wie das im Lateinischen aussieht; angeführt wird dabei jeweils der Nominativ Singular, der Genitiv Singular und der Nominativ Plural des Wortes. dominus, domini/ domini ›der Herr‹ oppidum, oppidi/ oppida ›die Stadt‹ fabula, fabulae/ fabulae ›die Erzählung‹ vir, viri/ viri ›der Mann‹ genus, generis/ genera ›das Geschlecht‹ manus, manūs/ manūs ›die Hand‹ turris, turris/ turres ›der Turm‹ Wie sich deutlich zeigt, gibt es keine alle Nomina umfassende Regel, anhand derer man z.B. einen Nominativ Singular erkennen oder einen Genitiv Singular bilden könnte; die Formen sind sehr uneinheitlich. So kann der Nominativ Singular die Endung -us, -um, -a, -is oder auch gar keine als solche erkennbare Endung tragen, Genitive können auf -i, -ae, -(er)is oder -ūs enden, Plural-Nominative auf -i, -ae, -(er)a, -ūs oder -es. Und als wäre das nicht schon verwirrend genug, kann umgekehrt offenkundig auch ein und dieselbe Endung für ganz verschiedene Zwecke verwendet werden, so etwa -i, -ae oder -ūs für Genitiv Singular wie für Nominativ Plural. Ein solches Durcheinander von Formen und Funktionen - verschiedene Funktionen können durch dieselbe Form, dieselbe Funktion durch verschiedene Formen markiert werden - ist das Erkennungsmerkmal flektierender Sprachen. Wenn die Zuordnung hingegen systematisch erfolgt, wenn eine Funktion stets auch durch dieselbe Form gekennzeichnet wird, spricht man nicht von Flexion, sondern von Agglutination. Dieses in den Sprachen der Welt sehr weit verbreitete Verfahren findet sich beispielsweise im Mongolischen oder im Türkischen. Die folgenden Beispiele aus dem Türkischen zeigen, wie die Kategorie ›Plural‹ völlig unabhängig von der Wortart stets durch dieselbe Endung markiert wird: ev ›Haus‹, evler ›Häuser‹ verir ›er/ sie gibt‹, verirler ›sie geben‹ genç ›jung‹, gençler ›die jungen‹ Dies ist, wenn man so will, die logischste Art der grammatischen Markierung, eine 1: 1-Übereinstimmung von Form und Funktion. 9 Nun gibt es natürlich auch andererseits Sprachen, die über keines dieser Mittel verfügen, da ihre Wörter unveränderlich sind: die sog. isolierenden Sprachen. Zu ihnen gehört das Chinesische: 9 Um Missverständnissen zuvorzukommen: In Reinform findet sich dieses Prinzip so gut wie nie. Zudem zeigen auch agglutinierende Endungen oft in Form der sog. Vokalharmonie eine Angleichung an das Wort, an das sie angefügt werden. So verändert sich die hier als Beispiel angeführte Pluralendung -ler des Türkischen nach hinteren Vokalen zu -lar. Solche Veränderungen bilden die Grundlage für das Entstehen weniger durchsichtiger Formen, wie sie für flektierende Sprachen typisch sind (vgl. hierzu ausführlicher z. B. Lehmann 1995). <?page no="34"?> 34 Elke Hentschel 我 给 他 一 本 书 woˇ gěi tā yì běn shū ich geben er ein Band [Klassifikator] Buch ›Ich gebe ihm ein Buch‹ 他 给 我 一 本 书 tā gěi woˇ yì běn shū er geben ich ein Band [Klassifikator] Buch ›Er gibt mir ein Buch‹ In diesen Sätzen wird der Unterschied zwischen den Rollen der gebenden und der empfangenden Person, wie man sieht, einfach durch die Wortstellung ausgedrückt. Nun ist das natürlich nicht immer so einfach wie hier, und in komplexeren Fällen muss man daher noch weitere Elemente zum Satz hinzufügen, mit denen die Funktion der Wörter im Satz dann eindeutig wird. Sie verschmelzen jedoch nie mit den anderen Wörtern, wie dies Flexions- oder Agglutinationsendungen tun: 10 我 给 他 买 了 一 本 书 woˇ gěi tā maˇi le yì běn shū ich geben er kaufen [Aspektpartikel] ein Band Buch ›ich habe ihm ein Buch gekauft‹ Wie man sehen kann, markiert in diesem Satz nicht etwa die Wortstellung die Rolle des Rezipienten, sondern es bedarf einer zusätzlichen sprachlichen Markierung. Hierfür verwendet wird dasselbe Wort, das im vorigen Beispielsatz als Verb ›geben‹ begegnet ist und das hier nun den Rezipienten markiert. 11 3.2 Ausdrucksmittel im Deutschen Auf der Grundlage solcher Definitionen soll nun näher betrachtet werden, was für einen Sprachtyp das Deutsche darstellt und welche Mittel es eigentlich nutzt - denn sie sind es ja, die es zu vermitteln gilt. Wenn man sich Beispiele wie die folgenden ansieht, stellt man schnell fest, dass das Deutsche offenbar eine ganze Reihe verschiedener Mittel gleichzeitig nutzt. 10 Zusätzlich zu den genannten Sprachtypen werden oft noch polysynthetische Sprachen genannt, die grammatische Zusammenhänge typischerweise sehr vielfältig markieren und bei denen grammati� sche und lexikalische Morpheme besonders stark miteinander verschmelzen. 11 Um was für eine Wortart es sich dabei in diesem Satz handelt, wird unterschiedlich beurteilt; zur Diskussion dieser Frage vgl. Her (2006). <?page no="35"?> 35 Grammatikunterricht für Lernende ohne Grammatikkenntnisse Eines Tages kamst du später als sonst nach Hause. Sie ist aufgestanden. Du hast uns gesagt, du kannst das. Die Katze frisst die Maus. An mehreren Stellen begegnet man hier Vokalveränderungen (kamst vs. kommen, kannst vs. können, frisst vs. fressen), wie sie oben als typisch für wurzelflektierende Sprachen wie das Arabische beschrieben wurden; einmal werden sogar zusätzlich die Konsonanten verändert (aufgestanden vs. aufstehen). Die Formen ist und uns lassen nicht erkennen, was sie mit sein und wir zu tun haben; dafür sind die Endungen -t (in frisst) und -st (z.B. in kannst) offenbar sehr viel systematischer, denn sie markieren die zweite bzw. dritte Person. Dass -t allerdings auch noch andere Funktionen hat, zeigt die Form gesagt. Gewird einmal an den Anfang, einmal sozusagen in die Mitte gesetzt (in aufgestanden); dass es in wieder anderen Fällen ganz weggelassen wird, würde man bei der Berücksichtigung weiterer Beispiele sehen. Zur Unterscheidung des Agens Katze und des Patiens Maus wird die Wortstellung eingesetzt, zur Angabe der Richtung oder eines Vergleichsobjekts werden zusätzliche Elemente (nach, als) verwendet … Kurzum: Das Deutsche scheint alles andere als wählerisch zu sein, was die Verwendung unterschiedlicher Mittel zum Ausdruck grammatischer Funktionen betrifft. Und genau das stellt natürlich auch ein Lehr- und Lernproblem im Bereich D a F dar, mit dem umzugehen nicht immer einfach ist. Dennoch ist es sehr hilfreich, sich die Natur der verwendeten Mittel bewusst zu machen und sie auch bewusst in die Vermittlung wie in die Fehleranalyse mit einzubeziehen. 4 Epilog Die Frage, von der dieser Beitrag ausging, war die nach der Vermittelbarkeit abstrakter grammatischer Konzepte wie Kasus oder Genus an Lernende, die keinerlei theoretische Vorkenntnisse haben, wobei diese Aufgabe im konkreten Fall noch zusätzlich dadurch erschwert werden kann, dass viele Sprachen nicht nur ganz andersartige, sondern möglicherweise auch gar keine den deutschen grammatischen Kategorien entsprechenden Formen aufweisen. Man kann daher mit Sicherheit nicht darauf vertrauen, dass Lernende ein Pendant des jeweiligen Phänomens in ihrer Muttersprache finden und zum Verständnis heranziehen können. Was unter solchen Bedingungen auf den ersten Blick als nahezu unlösbare Aufgabe erscheinen mag, erweist sich indessen als durchaus handhabbar, wenn man die eigentliche Kernbedeutung der in Frage kommenden grammatischen Kategorien in den Mittelpunkt stellt und zunächst ihre grundlegende Funktion vermittelt. Wenn es sich dabei - wie etwa im Fall der Kasus - um Funktionen und Bedeutungen handelt, die zu den von allen Menschen geteilten kognitiven Basiskonzepten gehören und <?page no="36"?> 36 Elke Hentschel daher in allen Sprachen der Welt auf die eine oder andere Weise ausgedrückt werden müssen, können prototypische Beispielsätze eine gute Grundlage bilden, um ein Verständnis dafür zu entwickeln, wozu die Formen jeweils dienen: Schließlich muss man in allen Sprachen ausdrücken können, wer wen beim Boxen besiegt oder wer wen geküsst hat. Aber auch bei anderen, weniger ubiquitären Phänomenen wie z.B. Genus kann eine Besinnung auf den semantischen Kern helfen, die Kategorie fassbar zu machen. Zudem erleichtert ein Überblick über die zusätzlichen Funktionen, die Genus sowohl in semantischer als auch in syntaktischer Hinsicht erfüllen kann, ganz sicher den Zugang zu dieser Kategorie - und damit auch ihren Erwerb. Neben der Existenz einer Kategorie als solcher spielt natürlich beim Erlernen einer Fremdsprache auch die Art und Weise eine Rolle, wie die Kategorie in der jeweiligen Sprache ausgedrückt wird. Das Deutsche zeichnet sich, was die Wahl der Ausdrucksmittel betrifft, durch eine ausgesprochene Vielseitigkeit aus: Binnenflexion steht neben Flexion durch Affixe, die in Einzelfällen auch als agglutinierend angesehen werden können; aber auch lexikalische Mittel oder die Wortstellung finden Verwendung als Mittel für Bedeutungsdifferenzierung. Diese Mischung ist nicht zuletzt eine natürliche Folge des Sprachwandels, in dessen Verlauf mit dem Abbau synthetischer ein gleichzeitiger Ausbau analytischer Ausdrucksmittel einhergeht, 12 wobei zeitweilig dann auch beides nebeneinander besteht. Diese Vielfalt kann auf den ersten Blick sicherlich sehr verwirrend sein. Aber auch hier hilft genaueres Hinsehen: Alle diese Ausdrucksmittel sind grundsätzlich durchaus erklärbar und damit auch vermittelbar. Bibliographische Angaben Booij, G. E / Lehmann, Christian / Mugdan, Joachim (Hrsg.) (2004): Morphologie/ Morphology. Ein internationales Handbuch zur Flexion und Wortbildung / An international Handbook on Inflection and Word-Formation. Berlin/ New-York: de Gruyter Comrie, Bernard (2006): Language universals and linguistic typology: syntax and morphology. Chicago: Univ. of Chicago Press (2 nd ed.; reprint) Corbett, Greville G. (1999): Gender. Cambridge: Cambridge University Press Corbett, Greville G. (2000): Number. Cambridge: Cambridge University Press Corbett, Greville G. (2013): »Number of Genders«. In: Dryer/ Haspelmath (Hrsg.): a. a. O. (http: / / wals.info/ chapter/ 30; letzter Zugriff: 06. 03. 2014) 12 Als »synthetisch« bezeichnet man es, wenn eine grammatische Kategorie - also z. B. ein Kasus oder ein Tempus - am Wort selbst ausgedrückt wird, etwa durch das Anfügen von Flexionsaffixen wie in der Baum - der Baumes oder auch durch Wurzelflexion wie bei kommst - kamst. Analytische For� menbildung liegt demgegenüber dann vor, wenn zusätzliche selbständige Elemente hinzugefügt wurden (bist gekommen). <?page no="37"?> 37 Grammatikunterricht für Lernende ohne Grammatikkenntnisse Croft, William (2009): Typology and Universals. 2 nd ed. Cambridge: Cambrige University Press Dryer, Matthew S. / Haspelmath, Martin (Hrsg.) (2013): The World Atlas of Language Structures Online. Leipzig: Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology. (http: / / wals.info; letzter Zugriff: 06. 03. 2014) Gaeta, Livio (2008): »Die deutsche Pluralbildung zwischen deskriptiver Angemessenheit und Sprachtheorie«. In: ZGL 36/ 2008, S. 74-108 Grinevald, Colette (2004): »Classifiers«. In: Booij/ Lehmann/ Mugdan (Hrsg.): a.a.O., S. 1016-1031 Haspelmath, Martin (2012): »How to compare major word-classes across the world’s languages«. In: UCLA Working Papers in Linguistics, Theories of Everything 17, S. 109-130 Helbig, Gerhard / Buscha, Joachim (2011): Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Berlin/ München: Langenscheidt Hentschel, Elke (2009): »Kasus«. In: Hentschel/ Vogel (Hrsg.): a.a.O. S. 193-207 Hentschel, Elke / Vogel, Petra (Hrsg.) (2009): Handbuch der deutschen Morphologie. Berlin/ New York, de Gruyter Her, One-Soon (2006): »Justifying part-of-speech assignments for Mandarin gei«. In: Lingua 116, S. 1274-1302 Iggesen, Oliver A. (2013): »Number of Cases«. In: Dryer/ Haspelmath (Hrsg.): a.a.O. Chapter 49 (http: / / wals.info/ chapter/ 49; letzter Zugriff: 06. 03. 2014) Köpcke, Klaus-Michael (1993): Schemata in der deutschen Pluralmorphologie. Versuch einer kognitiven Morphologie. Tübingen: Narr Köpcke, Klaus-Michael / Zubin, David A. (2009): »Genus«. In: Hentschel/ Vogel (Hrsg.): a.a.O. S. 132-154 Lehmann, Christian (1995): Thoughts on Grammaticalization. München: Lincom Europe Leiss, Elisabeth (2013): Artikel und Aspekt. Die grammatischen Muster von Definitheit. 2. Aufl. Berlin/ New York: de Gruyter. (= Studia Linguistica Germanica 55) Lewis, Geoffrey L. (2000): Turkish Grammar. 2 nd ed. Oxford: Oxford University Press <?page no="39"?> Arash Farhidnia (Vilnius) Zur Topologie der Nominalphrase: ein Desideratum in didaktischen Grammatiken des Deutschen als Fremdsprache Traditionellerweise bestehen D a F -Grammatiken aus zwei Themenblöcken: einem Block, der der Wortgrammatik gewidmet ist, und einem, der sich mit der Satzgrammatik auseinandersetzt, wobei diese Blöcke aus Progressionsgründen einander oftmals durchdringen. Was jedoch in allen D a F -Grammatiken fehlt, ist eine Komponente, die sich systematisch mit der Kategorie ›Phrase‹ auseinandersetzt, und zwar sowohl hinsichtlich ihres seriell-linearen wie auch ihres hierarchischen Aufbaus. Im folgenden Beitrag sollen anhand der deutschen Nominalphrase als der wohl wichtigsten Phrasenart und ihrer Felderstruktur Vorschläge gemacht werden, wie eine phrasenstrukturelle Komponente unter topologischen Gesichtspunkten als eine dritte Komponente in D a F -Grammatiken integriert werden kann. Es soll aufgezeigt werden, inwiefern eine erweiterte Kenntnis über den linearen Aufbau der Nominalphrase und deren rekursive Erweiterung den Deutschlernenden sowohl bei der Rezeption wie auch bei der Produktion komplizierter Konstruktionen im Deutschen behilflich sein kann. 1 Einleitung Der Aufbau von Phrasen unter linear-topologischen wie vertikal-hierarchischen und dependentiellen Gesichtspunkten wird u.a. in linguistischen Grammatiken (z.B. Engel 2009a; Weinrich 1993; Zifonun/ Hoffmann/ Strecker 1997: 69 ff.) bzw. in Monographien über Syntax (z.B. Eroms 2000; Welke 2007; Engel 2009b) behandelt. Dagegen wird in den didaktischen Grammatiken 1 des Deutschen als Fremdsprache (abgekürzt als › D a F -Grammatiken‹) der Aufbau von Phrasen weitestgehend ausgeschlossen 2 , da sich diese Grammatiken innerhalb der Wortgrammatik 1 Im Folgenden verstehen wir unter didaktischen Grammatiken im Anschluss an Thurmair diejenigen Grammatiken, »die - grob gesagt - eine Beschreibung für das Lehren und Lernen von Sprachen dar� stellen« (2010: 296). Hierunter werden also alle jene Grammatiken subsumiert, die als lehrwerkunab� hängige Publikationen, ob mit oder ohne Übungen, auf dem Markt erschienen sind. Sie unterscheiden sich sowohl hinsichtlich der Elaboriertheit ihrer Termini als auch in der Bemühung um eine Annähe� rung an die Lernersprache (auswahlweise seien hier genannt: Kars/ Häussermann 1992; Hall/ Scheiner 1997; Dreyer/ Schmitt 2000; Reimann 2000; Luscher 2001; Hering/ Matussek/ Perlmann�Balme 2002; Rug/ Tomaszewski 2009; Weerning 2012). Wir verwenden im Folgenden die Termini ›Lerner�‹ und ›DaF� Grammatik‹ synonym zum Terminus ›didaktische Grammatik‹. Zum Begriff ›didaktische Grammatik‹ siehe Thurmair 2010: 300 ff. Vgl. ferner die von Kühn vorgeschlagene Typologie (Kühn 2004: 12). 2 Eine löbliche Ausnahme bilden Kars/ Häussermann (1992: 86 ff.), wobei ihr Fokus hauptsächlich auf der morphosyntaktischen Übereinstimmung innerhalb der Artikel�Adjektiv�Substantiv�Gruppe liegt. Die <?page no="40"?> 40 auf die Wortarten (unter flexionalen Aspekten), innerhalb der Satzgrammatik auf den Bau des Satzes beschränken. Doch ein näherer Blick auf die Rolle, die die Kategorie Phrase im Allgemeinen und die Nominalphrase ( NP) im Besonderen beim Aufbau von Sätzen (und letztlich auch Texten) spielt, und die vielfältigen Gestalten, die sie dabei annehmen kann, lässt den konsequenten Ausschluss des NP - Aufbaus fragwürdig erscheinen. So kann die NP in ihrer (auf der Satzoberfläche) minimal realisierten Gestalt eine einzige Wortform umfassen: NP [Theoretiker] sind NP [Müßiggänger]; sie kann aber auch in ihrer ausgewachsenen, nach rechts und links erweiterten Form theoretisch unendlich ausgedehnt sein. Zu dieser Länge gesellt sich außerdem noch, aufgrund spezifischer phrasenstruktureller und -topologischer Besonderheiten, eine Komplexität, die die Phrase dem Satz als vollkommen ebenbürtig erscheinen lässt. Es ist daher diskutierbar, warum der Nominalphrasenaufbau in den Lernergrammatiken nicht bzw. wenn überhaupt nur an die Schwelle des Bewusstseins gelangt, nämlich wenn es um die Behandlung von Partizipialkonstruktionen oder des Nominalstils geht (z.B. Dreyer/ Schmitt 2000: 240 ff.; Hall/ Scheiner 1997: 164 ff. und 244 ff.), aber auch hier ist von ›Phrasen‹ niemals expressis verbis die Rede. Im folgenden Beitrag soll die Unerlässlichkeit der Behandlung des NP -Aufbaus in D a F -Grammatiken anhand ausgewählter Beispiele vorgestellt und erörtert werden. Es soll dargelegt werden, dass und inwiefern explizite Kenntnisse bzgl. des (topologischen) Aufbaus der NP rezeptions- und produktionsfördernd sein können, wobei den Ausgangspunkt der angestellten Überlegungen fortgeschrittene Deutschlernende bilden sollen, die außerhalb des deutschsprachigen Raums Germanistik studieren, Lernende also, zu deren täglicher Lektüre Texte auf ziemlich hoher Komplexitätsstufe gehören. 2 Warum überhaupt die NP ? Dass die nachstehenden Ausführungen sich ausschließlich auf den Aufbau der NP im Deutschen beschränken und alle anderen Phrasenarten (unter ihnen wären die wichtigsten zweifellos die Adjektiv- und die Präpositionalphrase) unberücksichtigt lassen, begründet sich durch folgende Überlegungen: 3 Grammatik von Weerning macht auf »Nominalgruppen« aufmerksam (Weerning 2012: 32) und sie geht später, im Rahmen der Auseinandersetzung mit Partizipialkonstruktionen (ebd.: 240, 258), auch auf die Rechtserweiterung von Partizipien ein, doch der Fokus der Darstellung liegt nicht eigentlich auf dem Aufbau der NP. 3 Unter einer Phrase (und damit auch unter der NP ) wird im Folgenden, in Übereinstimmung mit Zifo� nun/ Hoffmann/ Strecker (1997: 72) »eine funktional selbständige Wortgruppe aus einem oder mehre� ren Elementen mit einem und nur einem lexikalischen Kopf [verstanden], die kein finites Verb enthält«. (Vgl. auch Hentschel/ Weydt 1994: 307) Somit bildet - und dies ist eine entscheidende Einsicht - jede Wortform im Satz den Kopf bzw. den Kern einer eigenen Phrase (vgl. Duden 2005: 777, der allerdings von »Kern« statt von »Kopf« spricht). Zu den Termini ›Kopf‹ und ›Kern‹ s. Eisenberg 2006: 51ff. Im weite� Arash Farhidnia <?page no="41"?> 41 Die NP stellt neben der Verbalphrase den wichtigsten Phrasentyp dar, einerseits aufgrund der vielfältigen Funktionen, die sie als selbstständiges Satzglied im Satz übernimmt, andererseits aber auch als in andere Phrasen eingebettetes Komplement (Quirk/ Greenbaum/ Leech/ Svartvik 1985: 61): NP , nicht eingebettet: [Der Gipfel] erstrahlt im Licht der untergehenden Sonne. [Subjekt] Politiker aus sieben Ländern besuchten [den Gipfel]. [Akkusativobjekt] [Dem Gipfel] wird große Bedeutung beigemessen. [Dativobjekt] Später wird man sich [des Gipfels] erinnern. [Genitivobjekt] [Eines schönen Tages] ging ich spazieren. [Adverbial] NP , eingebettet in andere Konstituenten: unterhalb [des Gipfels] [Präpositionalkomplement] Höhepunkt [des Gipfels] [Genitivkomplement] [des Gipfels] würdig [Adjektivkomplement] Die NP spielt aber auch deshalb eine wichtige Rolle im Satz, da sie, wie schon bereits angedeutet, in ihrer minimalen Form aus einer einzigen Wortform bestehen, in ihrer entfalteten Form jedoch äußerst komplex sein kann. Quirk/ Greenbaum/ Leech/ Svartvik (1985: 1238) bringen dies lapidar auf den Punkt: »Just as the sentence may be indefinitely complex, so may the noun phrase. This must be so, since sentences themselves can be reshaped so as to come within noun-phrase structure.« Sie machen somit auf zwei wichtige Eigenschaften der NP aufmerksam: auf die Inkorporierbarkeit von Sätzen in eine NP und auf die daraus resultierende, dem Satz vergleichbare Komplexität der NP . Ebenso weist Welke darauf hin, dass »[d]urch die Verschachtelung von Attributen auf der Wortgruppenebene unterhalb der Satzebene […] sehr viel Hierarchie und damit Struktur in den Satz hinein[kommt]«. (Welke 2007: 131) Das besagt, dass eine an sich einfache Superstruktur wie x tut y oder x ist y durch eine komplizierte Substruktur angereichert werden kann, wie dies der folgende Satz aus Thomas Bernhards autobiographischem Roman Der Atem eindrucksvoll beweist: […] der von einem angesehenen Salzburger Internisten einer von diesem nicht näher bezeichneten Merkwürdigkeit wegen zu einer klinischen Untersuchung, möglicherweise zu einem kleineren chirurgischen Eingriff, wie ausdrücklich gesagt worden war, ins Landeskrankenhaus Aufgeforderte verschwindet an einem Samstagnachmittag hinter der Gartenmauer unseres benachbarten Gemüsehändlers. (Bernhard 1980: 7; Hervorhebung nicht im Original) Dennoch ist mit Eroms festzuhalten, dass »die Interpretation, auch der kompleren Verlauf des vorliegenden Beitrags verwenden wir den Terminus ›Kern‹ zur Bezeichnung des Subs� tantivs als referentielles Zentrum der NP. Zur Topologie der Nominalphrase <?page no="42"?> 42 xesten Typen [der Nominalphrase; A.F. ], abgesehen von einem möglicherweise die Grenzen des Gedächtnisses belastenden Ausmaß, so gut wie stets gewährleistet [ist]«, was daran liege, »dass im Gegensatz zum Aufbau verbaler Phrasen und des Gesamtsatzes in der Nominalphrase eine praktisch unveränderbare Anordnung der Teile, die wiederum feste semantische Aufgaben haben, vorliegt.« (Eroms 2000: 247) Dies bedeutet, dass die Auseinandersetzung mit der NP für die Lernenden einerseits hinsichtlich der Wortstellungsregularitäten des Deutschen lohnenswert ist, andererseits aber auch, dass bestimmte Signale, die den Umfang der NP markieren, als solche erkannt werden müssen. 3 Aufbau der NP aus topologischer Sicht Zunächst muss festgehalten werden, dass die NP aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden kann: als ein hierarchisch geordnetes Gefüge von über- und untergeordneten Konstituenten und als die geregelte Reihenfolge von Positionen und Feldern. 4 Beide Sichtweisen sind notwendig, da sie sich ergänzen und verschiedene Einblicke in die Struktur der NP bieten. Im Folgenden wird jedoch ausschließlich die NP -Topologie im Zentrum des Interesses stehen. Die NP besteht, vereinfacht ausgedrückt, aus einer zweiteiligen Klammer und drei Feldern (vgl. Weinrich 1993: 355 ff.; Heringer 2001: 193 ff.; Engel 2009b: 83 ff.). In der linken Klammer ( LK ) befinden sich Determinative aller Art. Diese Elemente können jedoch unter Umständen auf der Oberfläche unsichtbar werden (Ø), da sie nicht immer realisiert werden müssen (vgl. die grausamen Theoretiker vs. Ø grausame Theoretiker). In der rechten Klammer ( RK ) befindet sich das Kernsubstantiv, das referentielle Zentrum der ganzen Phrase, dasjenige Element, von dessen Existenz die NP abhängt. 5 Diese zweiteilige Klammer konstruiert drei Felder, die hier in Analogie zum topologischen Aufbau des Satzes Vor-, Mittel- und Nachfeld ( VF , MF , NF ) benannt werden sollen. Die Wahl dieser Bezeichnungen ist nicht unbegründet; wie Eroms ausführt, »ist die Parallele zwischen Verbal- und Nominalphrase, 4 Engel (2009b: 286 ff.) und Eroms (2000: 247 ff.) betrachten die Nominalphrase unter dependentiellen Gesichtspunkten, die hier aber außen vor bleiben. Zur hierarchischen Betrachtungsweise siehe Haider (1988) und Bhatt (1990). 5 Was die Struktur der NP angeht, so stehen sich spätestens seit Abney (1987, besonders S. 71 ff.) zwei Auffassungen gegenüber. Nach der einen (generativistischen) Auffassung (vertreten z. B. durch Hai� der 1988) bildet die NP das Komplement einer Determinativphrase (DP), sodass es die Determina� tive sind, die den funktionalen Kopf der DP bilden (vgl. Carnie 2007: 198 ff.). Nach der anderen (tra� ditionellen) Sichtweise (vertreten z. B. durch Engel 2009a: 287 und Engel 2009b: 83-84) bildet das Substantiv, mithin ein Autosemantikon, den ›Kopf‹ der NP; eine DP existiert nach dieser Auffassung nicht. In unserem Beitrag streiten wir die Existenz der Determinativphrase keinesfalls ab, orientieren uns jedoch weiterhin an der traditionellen Auffassung, da dies keinen erkennbaren Einfluss auf un� sere Darlegungen hat. Arash Farhidnia <?page no="43"?> 43 die mit der X-bar-Theorie und dem allgemeinen Valenzprinzip Strukturgleichheit zwischen lexikalischen Köpfen unterschiedlicher Art nachweist, auch für den topologischen Bau, in gewissem Maße jedenfalls, aufweisbar.« (Eroms 2000: 137). Determinativ und Kernsubstantiv bilden die Mindestelemente zur Konstituierung einer NP ; durch sie wird die NP als solche überhaupt erst identifizierbar, wobei dem Determinativ insofern eine herausragende Funktion zukommt, als es die linke Grenze der NP markiert und für die Flexion attributiver Adjektive verantwortlich ist (Engel 2009b: 84). Während nun das Vorfeld der NP nur mit ganz bestimmten Elementen (z.B. Fokuspartikeln wie sogar, nicht einmal und der Negationspartikel nicht) besetzt werden kann, können das Mittelfeld und das Nachfeld mit beliebig vielen Elementen (nicht-determinativer Art) besetzt werden. Das folgende Schema (abgewandelt entnommen aus: Weinrich 1993: 356) soll das Augenmerk vor allem auf das Mittelfeld lenken: LK RK VF MF NF ein Mann ein junger Mann sogar ein trotz seiner in letzter Zeit ergrauten Haare Mann aus Wien anscheinend immer noch recht junger Schema 1: NP�Felderstruktur bei ausgedehntem Mittelfeld Das Entscheidende ist nun, dass jedes der im Mittelfeld und Nachfeld vorkommenden Elemente selbst wiederum erweiterbar ist, und zwar dies prinzipiell ad infinitum, sodass in einer NP u.U. mehrere NP s (neben anderen Phrasenarten) vorkommen können (im obigen Schema beispielsweise: seiner in letzter Zeit ergrauten Haare). 4 Unüberschaubarkeit vs. Undurchschaubarkeit der NP Zum einen sind es also rekursive Prozeduren, die die NP rasch unüberschaubar machen können. Zum anderen aber kann die NP auch undurchschaubar werden, wenn die linke Klammer ( LK ) unbesetzt bleibt und somit das linke Grenzsignal »verschwindet«. Dies führt insbesondere dann zu erheblichen satzrezeptorischen Problemen, wenn die » LK -lose« NP hinter Elementen auftaucht, die ein linkes Grenzsignal vortäuschen, es aber nicht sind: Zur Topologie der Nominalphrase <?page no="44"?> 44 (1) Es war Heydrich, der bei der Entwicklung von NP [effektiven, industriellen Abläufen entsprechenden Massenvernichtungsmethoden] maßgebend war. (geringfügig gekürzt aus: Dederichs 2008: 18) (2) seine Theorien hinterfragende Studenten In beiden Beispielen handelt es sich um Gartenpfad-Konstruktionen, Konstruktionen also, in denen eine strukturelle oder lexikalische Ambiguität eine Lesart nahelegt, die im weiteren Verlauf annulliert und durch eine nachträgliche Lesart- Korrektur ersetzt werden muss (vgl. Ziem/ Lasch 2013: 159 ff.). Im Beispiel (1) fehlt das linke Grenzsignal der NP , was zur Folge hat, dass der Leser im ersten Anlauf von effektiven, industriellen Abläufen für eine Konstituente hält, bevor er aufgrund des weiteren Verlaufs des Satzes gezwungen ist, seine Interpretation zu revidieren. Am Beispiel (2) wird die enge Verzahnung von Morphosyntax und Phrasenstruktur besonders gut sichtbar: (2a) NPi [Ø AP [ NPk [seine Theorien] NPk hinterfragende] AP Studenten] NPi (2b) NPi [seine AP [ NPk [Ø Theorien] NPk hinterfragenden] AP Studenten] NPi Die starke Adjektivflexion in (2a) weist seine Theorien als Konstituente aus ( NP k ), woraus folgt, dass die NP Studenten ( NP i ) LK -los ist. Steht aber anstelle des starken Adjektivs das schwache, wie dies (2b) zeigt, so ist Theorien die LK -lose NP ( NP k ) und seine Studenten die die gesamte Konstruktion umklammernde NP ( NP i ). Jedes Mal bezieht sich also das Determinativ seine auf eine andere Konstituente: in (2a) auf Theorien und steht somit innerhalb der Adjektivphrase ( AP ), in (2b) hingegen auf Studenten und befindet sich außerhalb der Adjektivphrase. Die Undurchschaubarkeit (und Mehrdeutigkeit) potenziert sich in ein Vielfaches, wenn die unsichtbare linke NP -Klammer an jeder beliebigen Stelle hinzugedacht werden kann: (3) Sie hat [trotz ihrer ergrauten Haare [anscheinend [immer noch [recht junge Männer] gekannt. In (3) entsteht strukturelle Ambiguität dadurch, dass (zumindest ohne Kontext) nicht klar ist, wo der NP -Beginn (angedeutet durch mehrere öffnende eckige Klammern) anzusetzen ist, was jedes Mal weitreichende Konsequenzen für die Interpretation des Satzes hat. Es muss darauf hingewiesen werden, dass es sich hier keineswegs um bloße morphosyntaktische ›Spiele‹ oder stilistisch ›schlechte‹ Beispiele handelt; vielmehr geht es um eine spezielle Fähigkeit der deutschen Sprache, solche Konstruktionen erzeugen zu können. Außerdem sind komplexe NP s, Gartenpfad-Konstruktionen und die sich daraus ergebenden strukturellen Ambiguitäten aufgrund anhaltender Arash Farhidnia <?page no="45"?> 45 Nominalisierungstendenzen (vgl. Braun 1998: 116 ff.; Polenz 1999: 353 ff.) nicht zu vermeiden, jedenfalls nicht ohne unerwünschte Sinnverschiebungen, etwa dann, wenn man versuchte, sie in entsprechende satzförmige Konstruktionen umzuformulieren. Bei solchen Umformulierungen handelt es sich keineswegs um ›das Gleiche in anderem Gewand‹, mit anderen Worten, es herrscht oft weder stilistisch noch textsortenbezogen Äquivalenz zwischen den nominalen Konstruktionen und deren verbaler Umformulierung (vgl. Fandrych 2011: 50). 5 Vorschläge zur Behandlung der NP -Phrasentopologie in D a F -Grammatiken Die Frage, die sich aus diesen Überlegungen ergibt, ist die folgende: Wie kann Deutschlernenden die Fertigkeit vermittelt werden, mit diesen hochkomplizierten Konstruktionen im Deutschen umzugehen? Der Phrasentopologie wird in den momentan erhältlichen D a F -Grammatiken keine Bedeutung beigemessen, jedenfalls nicht explizit. 6 So bleibt beispielsweise der wichtige Aspekt der rekursiven Erweiterbarkeit jeder Phrase als solche in allen D a F -Grammatiken ausgespart. Im Folgenden sollen nun diejenigen Komponenten, die eine Darstellung phrasentopologischer Aspekte in einer D a F -Grammatik zu berücksichtigen hat, näher erörtert werden. Wenn wir die weiter oben besprochenen Beispiele uns vor Augen halten, so erscheinen die folgenden Komponenten bei der Darstellung der Phrasentopologie als notwendig: • die Nominalklammer und die Morphosyntax innerhalb des NP -Mittelfelds ➞ rezeptiver Aspekt • die NP -Felder und deren rekursive Erweiterung ➞ produktiver Aspekt Während die Erkennung der NP -Grenzen und die genaue Beobachtung morphosyntaktischer Verhältnisse im Mittelfeld der NP in erster Linie rezeptiven Aspekten dienen, müssen die Erklärungen und Übungen gleichzeitig (möglichst) so konzipiert sein, dass sie auch produktive Gesichtspunkte sicherstellen, d.h. den Lernenden die Mittel an die Hand geben, mithilfe derer sie selbständig NP s von welchem Komplexitätsgrad auch immer generieren können (was die Lernergrammatik in der Tat letztlich generativ machen würde). 6 Die (vornehmlich für deutschsprachige Schüler/ innen konzipierte) Grammatik von Heringer, die ver� gleichsweise detailliert auf die topologische Struktur der Nominal�, Adjektiv� und Präpositionalphrase eingeht und die Bedeutung der Wortartflexion und der Kongruenz anhand phrasaler Kategorien zu verdeutlichen sucht (Heringer 1995: 220 ff.), bespricht leider nicht die Komplikationen, die aus der Sig� nalverschleierung der NP entstehen können. Auch die Grammatik von Nieder (1987) handelt Nominal� und Adjektivphrasen nur soweit ab, als dies für ein allererstes Verständnis des phrasalen Aufbaus von Satzgliedern notwendig ist. Zur Topologie der Nominalphrase <?page no="46"?> 46 5.1 Erklärungen zur Bewusstmachung der NP-Topologie Die Explizierung der NP -Struktur in einer D a F -Grammatik ist umso dringender, als sie etwas Selbstverständliches zu sein scheint, sodass eine explizite Behandlung der NP fast wie die Explizierung einer Trivialität erscheint. NP s kommen, dank ihrer variationsreichen Gestalt, in allen denkbaren Formen und Ausdehnungen vor. Da Phrasenstruktur ein phänomenübergreifendes Thema ist, stellt sich außerdem die Frage, an welcher Stelle in der Grammatik die NP behandelt werden sollte. Unser Vorschlag wäre der, die NP -Topologie zum integralen Bestandteil der Wortgrammatik zu machen und sie nicht beispielsweise als einen Block zwischen Wort- und Satzgrammatik zu behandeln. 5.1.1 Die Nominalklammer und die Morphosyntax innerhalb des NP -Mittelfelds Die NP -Topologie muss zur Sprache kommen, sobald das Substantiv als Wortart vorgestellt worden ist, da bereits hier auf die Funktion der Nominalklammer bei der Stiftung einer festen grammatisch-morphosyntaktischen Einheit hingewiesen werden muss, vornehmlich dann, wenn die linke Klammer unbesetzt bleibt. Es kann an dieser Stelle nicht genug betont werden, wie wichtig es ist, die Lernenden darauf aufmerksam zu machen, dass Substantive auf der Satzoberfläche unter bestimmten Umständen ohne jedes Artikelwort erscheinen können. Auch dies scheint trivial, doch kann die nicht besetzte LK für erhebliche Schwierigkeiten bei der Entschlüsselung einer Konstruktion sorgen. Des Weiteren muss die NP -Topologie mindestens ebenso anlässlich der Adjektivbzw. Partizipialflexion und der verschiedenen Rechtsattribuierungen des Substantivs, der Präpositionalattribute und des Relativsatzes, behandelt bzw. in Erinnerung gerufen werden. In keiner D a F -Grammatik wird im Rahmen beispielsweise der Relativsatzbehandlung die NP erwähnt. Dies hat seine Ursache m.E. darin, dass in diesen Grammatiken mit dem Relativsatz typischerweise verbundene syntaktische Transformationen und rektionale Probleme im Vordergrund stehen, nicht so sehr die hinter diesen Phänomenen stehende NP . Das Problem, das sich daraus später ergibt, besteht darin, dass solche Darstellungen kaum das Verständnis für die übergeordnete Struktur (und damit die eigentlichen Bausteine des Satzes) fördern, in die der Relativsatz eingebettet ist. So steht der Relativsatz losgelöst da, gilt als »Neben-« bzw. »Attributsatz«, ohne dass die Lernenden durchschauen würden, dass er sich nicht nur auf ein losgelöstes Element der NP (nämlich deren Kern) bezieht, sondern in eine größere Einheit eingebettet ist. Wie im Satz, so stehen auch innerhalb der NP Elemente miteinander in einer aufeinander fein abgestimmten morphosyntaktischen Beziehung, deren Trag- Arash Farhidnia <?page no="47"?> 47 weite erst dann voll erkannt und abgeschätzt werden kann, wenn die Lernenden für Konstruktionen sensibilisiert werden, in denen das Artikelwort nicht auf der Oberfläche realisiert wird. Welche Konsequenzen dies haben mag, zeigt sich beispielsweise bei der späteren Behandlung der Adjektivflexion: LK RK sichtbare LK: die best-en Tage unsichtbare LK: best-e Tage Schema 2: Adjektivflexion innerhalb der einfachen NP bei besetzter und unbesetzter LK An dieser Stelle ist es wichtig, auf die Lernergrammatik von Kars/ Häussermann (1992: 88-89) hinzuweisen, die auf die Kongruenzverhältnisse innerhalb der (links attribuierten) NP eingeht und - für eine Grundgrammatik erstaunlich elaboriert und für die Gattung Lernergrammatik richtungsweisend - von »Nomengruppen«, »Kern« und »Links-« und »Rechtsattribut« spricht. Diese Grammatik macht die morphosyntaktisch entscheidenden Signale innerhalb der NP visuell sehr gut deutlich, jedoch könnte hier der Aufbau der NP durchaus expliziter und mit größerer Detailschärfe thematisiert werden, beispielsweise hinsichtlich der NP -Felder und deren rekursiver Erweiterung. 5.1.2 Die NP -Felder und deren rekursive Erweiterung Folgende Einsichten sind hier von besonderer Relevanz: zum einen, dass selbst eine einfach NP wie die Tage nicht nur aus einem Artikel und einem Substantiv besteht, sondern dass außerdem mindestens noch zwei Felder existieren, ein Mittel- und ein Nachfeld (vom Vorfeld wird hier abgesehen), die jederzeit besetzt werden können; d.h. es existieren neben einer obligatorischen Nominalklammer auch Felder, die stets da sind, auch ohne dass sie immer besetzt werden. Diese Felder können (dies ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis für Deutschlernende) theoretisch bis ins Unendliche ausgedehnt werden; dies soll anhand des folgenden Schemas demonstriert werden, das auf die rekursive Erweiterung des Nachfelds fokussiert: Zur Topologie der Nominalphrase <?page no="48"?> 48 LK i RK i Mittelfeld i Nachfeld i LK k RK k Mittelfeld k Nachfeld k LK m RK m Mittelfeld m die best-en Tage des kurz-en Lebens seines kürzlich verstorben-en Freundes NP i NP k NP m Schema 3: NP�Felderstruktur und die rekursive Erweiterung des Nachfelds Durch die Genitivreihung gelingt es m.E. am besten, das Prinzip der additiven Rekursivität augenfällig zu machen. Die Kette der Genitive und damit der Erweiterung der einzelnen Felder kann, so die Schlussfolgerung der Lernenden, ad infinitum fortgesetzt werden. Dass die Rekursivität aber nicht nur zu einer Nachfelderweiterung der übergeordneten NP ( NP i ), sondern ebenfalls zu einer Erweiterung von deren Mittelfeld führen kann, wurde weiter oben, im Schema 1, unter Verwendung von erweiterten Partizipialphrasen gezeigt. Allerdings darf an dieser Stelle nicht vergessen werden, dass die Erweiterung der NP nach rechts (z.B. mittels Genitiv-, Präpositionalattributen sowie Attributsätzen) ohne detaillierte Kenntnisse über die Reihenfolge der Attribute im NP -Nachfeld nicht erfolgen kann (zur Serialität im NP -Nachfeld siehe Engel 2009b: 91 ff.; zur Besetzung des NP -Nachfelds siehe den Überblick bei Valentin 1992). 5.2 Übungen zur Förderung rezeptiver und produktiver Fertigkeiten Die zweifellos wichtigste Frage betrifft die Art der Übungen, die dazu geeignet wären, die Lernenden mit dem topologischen Aufbau der NP unter rezeptiven wie auch produktiven Aspekten vertraut zu machen. Hierbei ist es u.E. wichtig, die Lernenden sowohl für den Umfang der übergeordneten NP als auch für die in diese NP eventuell eingebetteten anderen NP s (neben anderen Phrasenarten) zu sensibilisieren. Im Folgenden sollen erste Vorschläge zur Diskussion gestellt werden, die im konkreten (lernergerechten) Unterricht hinsichtlich ihrer praktischen Anwend- Arash Farhidnia <?page no="49"?> 49 barkeit, Verwertbarkeit und didaktischen Modifizierbarkeit erst erprobt werden müssen. Daher gilt alles Folgende unter dem Vorbehalt einer didaktischen Umsetzbarkeit, wobei wir uns ausschließlich auf morphosyntaktische Belange konzentrieren, den Aspekt der Abwechslung und inhaltlichen Lernerfreundlichkeit jedoch außen vor lassen. 5.2.1 Umwandlungsübungen mit und ohne Determinatoren zur Erkennung der LK Dieser Übungstyp soll die Lernenden für NP s mit und ohne Linke Klammer ( LK ) sensibilisieren. Ausgehend von einfachen, jedoch morphosyntaktisch sorgfältig ausgewählten Sätzen und deren Umwandlung in entsprechende NP s, kann eine zunehmende Komplexität erzielt werden. Zur Verstärkung der Sensibilisierung für das Vorhandensein bzw. das Fehlen der LK wären u.E. ›Oppositionspaar-Übungen‹ empfehlenswert: 1 a) S: der Student bejaht den Ausflug ➞ NP : der den Ausflug bejahende Student b) S: Studenten bejahen den Ausflug ➞ NP : den Ausflug bejahende Studenten 2 a) S: die Studenten bejahen die Ausflüge ➞ NP : die die Ausflüge bejahenden Studenten b) S: Studenten bejahen Ausflüge ➞ NP : Ausflüge bejahende Studenten 3 a) S: die Studenten bejahen Ausflüge ➞ NP : die Ausflüge bejahenden Studenten b) S: Studenten bejahen die Ausflüge ➞ NP : die Ausflüge bejahende Studenten Übung (1) könnte dazu dienen, die Klammerhaftigkeit der übergeordneten NP deutlich zu machen. Demgegenüber zielt Übung (2) darauf ab, zu zeigen, dass sowohl die übergeordnete als auch die eingebettete NP ohne LK sein kann. Schließlich soll Übung (3) für das Phänomen der Scheinklammer sensibilisieren. Hier könnte man evt. eine Aufgabe zur Explizierung rektionaler Beziehungen, z.B. mittels Pfeilen oder Indizes, hinzufügen (s.u.). Eine zusätzliche Erschwerung würde darin bestehen, diese Übungen auch in umgekehrter Richtung zu lösen, sodass aus Nominalkonstruktionen Sätze gebildet würden. Hierbei wären Indizierungen, die als Teil der Übung selbst fungieren könnten und die kongruentiellen Beziehungen verdeutlichten, eine wichtige Hilfe: 4 a) NP: seine i die k Theorien k hinterfragenden i Studenten i ➞ S: seine i Studenten i hinterfragen die k Theorien k b) NP: die i seine k Theorien k hinterfragenden i Studenten i ➞ S: die i Studenten i hinterfragen seine k Theorien k 5 a) NP: seine k Theorien k hinterfragende i Studenten i ➞ S: Studenten i hinterfragen seine k Theorien k b) NP: seine i Theorien k hinterfragenden i Studenten i ➞ S: seine i Studenten i hinterfragen Theorien k Zur Topologie der Nominalphrase <?page no="50"?> 50 5.2.2 Rekursive Füllung der Felder durch weitere Phrasen und deren unbesetzte Felder Von einer einfachen Satzstruktur ausgehend (x tut y), kann das Problem der unbesetzten NP -Felder und deren rekursiver Erweiterung mit weiteren NP s (und anderen Phrasenarten) bewusst gemacht werden: S: NPi [die ( ) Studenten ( )] NPi hinterfragten NPk [die ( ) Theorien ( )] NPk . In diesem Satz befinden sich zwei einfache NP s (die Studenten und die Theorien) mit insgesamt vier Feldern (symbolisiert durch runde Klammern). Jedes dieser Felder kann durch andere Phrasen und deren Feldern besetzt werden: die ( ) Studenten ( ) hinterfragten die ( ) Theorien ( ) ( ) interessierten des (ersten) Semesters ( ) ( ) wichtigen der ( ) Satzanalyse ( ) an (schwierigen) Fragen ( ) für eine (weitergehende) aus generativistischer Sicht Auseinandersetzung ( ) Schema 4: Rekursive Füllung von Phrasenfeldern Indem das Kernsubstantiv jeder NP nach links und rechts erweitert, somit das Mittelfeld und das Nachfeld jeder NP besetzt wird, kommt rasch eine komplexe Konstruktion zustande, wobei hier auch die Adjektivphrasen erweitert wurden, damit insgesamt ein sinnvoller Satz entsteht. Der Sinn dieser im Resultat vorgestellten Übung ist letztlich, dass die Lernenden dafür sensibilisiert werden, dass die topologische Binnenstruktur jeder NP noch durch weitere Phrasen und deren unbesetzte Felder ad infinitum angereichert werden kann. Es muss darauf hingewiesen werden, dass dieses Schema zwar stark an eine dependentielle Darstellung der Phrasenstruktur erinnert, jedoch nicht als solche gelten soll. Worum es bei dieser Visualisierung geht, ist, dass jede Erweiterung (hier zusammengefasst durch waagrechte eckige Klammern) selbst wiederum erweitert werden kann, und zwar dank der Tatsache, dass es sich bei den Erweiterungen nicht um Einzelwörter, sondern um erweiterbare Phrasen handelt. Da die Funktion der NP letztlich in nichts anderem als der Referenz auf Gegenstände und Sachverhalte besteht und sie in ihrer rekursiv erweiterten Form Arash Farhidnia <?page no="51"?> 51 der Verdichtung von Information dient, lässt die Übung, wie wir sie hier skizziert haben, funktionale Aspekte weitgehend unberücksichtigt. Auf die Funktionalität wurde nur insofern Rücksicht genommen, als das Resultat der mehrfachen Rekursion kein formalistischer Nonsens-Satz sein sollte, sondern möglichst einer, der in deutschsprachigen Texten durchaus vorkommen kann. 6 Schluss Es wurde der Versuch unternommen, anhand der deutschen Nominalphrase zu zeigen, wie eine phrasenstrukturelle Komponente unter topologischen Gesichtspunkten in eine Lernergrammatik integriert werden kann. Besondere Aufmerksamkeit galt der rekursiven Erweiterbarkeit der NP und denjenigen Fällen, in denen die LK der NP unbesetzt bleibt, da hieraus für die Lernenden z.T. gravierende rezeptive Probleme entstehen können. Die Integration der NP -Struktur in eine Lernergrammatik muss allerdings Hand in Hand gehen mit einer elaborierten, den Lernenden sukzessiv vermittelten Terminologie, da anderenfalls eine Auseinandersetzung mit der Phrasenstruktur nicht sinnvoll stattfinden kann. Erwägenswert wäre aus unserer Sicht auch die Integration einer phrasenstrukturellen Komponente unter hierarchischen Gesichtspunkten, was den nächsten Schritt auf dem Weg zu einem besseren Verständnis des deutschen Satzbzw. Satzgliedbaus bedeuten würde. Bibliographische Angaben Primärquellen Bernhard, Thomas (1980): Der Atem. Eine Entscheidung. Berlin: Volk und Welt Dederichs, Mario R. (2008): Heydrich. Das Gesicht des Bösen. München: Piper Sekundärliteratur Abney, Steven Paul (1987): The English Noun Phrase in its Sentential Aspect. 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Die traditionelle Schulgrammatik 2 setzt für das Deutsche zehn Wortklassen an (Adjektiv, Adverb, Artikel, Interjektion, Konjunktion, Nomen, Numerale, Präposition, Pronomen, Verb), was mehr oder weniger den in der Antike entwickelten Wortartensystemen entspricht. Dass sich daran in 2000 Jahren nichts Wesentliches geändert hat, ist eine »erstaunliche Tatsache« (Rauh 2011: 11), denn diese Wortarteneinteilung ist nicht ganz unproblematisch, was hier anhand der Wortart Artikel gezeigt werden soll. 1 Das Wort, ein Wort Wenn wir uns fragen, in welche der o. g. zehn Wortarten der traditionellen Schulgrammatik die in die Definition ist kontrovers und ein in was ist ein Wort einzuordnen sind, werden wir beide Wörter einhellig und ohne Zögern als Artikel klassifizieren - eine Wortart, die es nicht in jeder Sprache gibt. Was ist eigentlich ein Artikel? Wir können diese Wortart auf verschiedenen Ebenen definieren: • auf der syntaktischen Ebene ist ein Artikel ein Nomenbegleiter, also Teil der Nomengruppe. Er ist im Deutschen immer prä-nominal (steht vor dem Nomen: die Definition, *Definition die); • auf der pragmatischen Ebene ist ein Artikel ein Modifikator: 3 Er qualifiziert oder schränkt das Nomen ein, das er begleitet; • auf der morphologischen Ebene ist im Deutschen ein Artikel ein deklinierbares Wort, das Kasus, Genus und Numerus ausdrückt. 1 Wir wissen alle intuitiv, was ein Wort ist, und verweisen an dieser Stelle nur darauf, dass die Definition dieses Terminus sehr kontrovers ist. 2 So auch im z. Z. gültigen Verzeichnis grammatischer Fachausdrücke laut Vereinbarung der Kultusminis� terkonferenz vom 26.2.82 ( KMK 1982). 3 Ein Modifikator ist eine »Konstituente (Wort, Phrase, Satz), die eine andere Konstituente (den Nukleus einer Konstruktion) spezifiziert, z. B. ein […] Artikel und/ oder ein attributives Adjektiv […]«. (Lewan� dowski 1973: 422). <?page no="56"?> 56 In den meisten Artikelsprachen geht man von nur zwei Subklassen 4 bei den Artikeln aus: dem bestimmten oder definiten und dem unbestimmten oder indefiniten Artikel. Diese beiden Artikel bestimmter bzw. unbestimmter Artikel zu nennen, ist eigentlich sehr irreführend, denn es ist ja nicht der Artikel, der bestimmt bzw. unbestimmt ist, sondern die Nomengruppe, die er begleitet (Granzow-Emden 2013: 209 f.). 5 Damit sind wir auch bei seiner pragmatischen Funktion: Er markiert den Wissensstatus einer Einheit für Hörende bzw. Lesende als bekannt oder unbekannt (Hoffmann 2007b: 294) aus ihrem Text-, Situations- oder Weltwissen heraus. Somit ist er ein grammatischer Operator, 6 der dem »Wissensmanagement zwischen S[prechenden] und H[örenden] dient« (Redder 2011: 130). 2 Und das Wort? Wenn es die Funktion des bestimmten bzw. unbestimmten Artikels ist, Rezipient/ innen zu verstehen zu geben, dass es sich bei dem im Nomen Genannten um eine bekannte bzw. unbekannte Einheit handelt, dann ist das betonte die in Welche Definition? - Die Definition hier kein bestimmter Artikel: Betontes die ist deiktisch, es ist Demonstrativum (analog zu Welche Definition? - Diese Definition). Aber kann es trotzdem noch ein Artikel sein? Die Antwort ist nicht einfach: Entweder gehen wir davon aus, dass es im Deutschen nur zwei Subklassen von Artikeln gibt (eben den bestimmten und den unbestimmten, und dann ist die in unserem Beispiel kein Artikel), oder wir sehen nicht ein, warum die im eben genannten Beispiel kein Artikel sein soll, und sind deshalb der Meinung, dass es im Deutschen mehr als zwei Subklassen von Artikeln gibt. In diesem Fall können wir mit Weinrich (2005: 440) eine erste neue Subklasse von Artikeln einführen: Demonstrativartikel, zu denen wir betontes der, die, das etc., dieser, diese, dieses etc., das veraltete jener, jene, jenes etc. und auch das interrogative welcher? , welche? , welches? etc. zählen können. Aber wenn betontes der, dieser, jener und welcher? keine Artikel sein sollen, was sind sie dann? Statt den Artikelbegriff weiter zu fassen, können wir auch alle Wörter, die sich wie der bestimmte und unbestimmte Artikel verhalten, mit 4 Oft wird als dritte Subklasse noch ein sog. Nullartikel eingeführt, der den Zustand von Artikellosigkeit (Fehlen eines bestimmten oder unbestimmten Artikels vor dem Nomen) umschreibt. 5 Sie müssten eigentlich bestimmender und nicht bestimmender Begleiter/ Artikel heißen (Granzow� Emden 2013: 209 f.). Weinrich (2005: 410) zieht es vor, sie anaphorische und kataphorische Artikel zu nennen. 6 Ehlich (an verschiedenen Orten, z. B. 2009: 93) unterteilt die Ausdrucksmittel, die eine Sprache den Sprechenden bzw. Schreibenden zur Verfügung stellt, in fünf Felder: Lenkfeld, Zeigfeld, Nenn� oder Symbolfeld, Malfeld und operatives Feld, zu dem Ausdrücke und Wörter wie Artikel gerechnet wer� den, die der »Verarbeitung des verbalisierten Wissens im Aufbau der Äußerungsbedeutung« (Hoff� mann 2007a: 7) bei Hörenden bzw. Lesenden dienen. Marion Weerning <?page no="57"?> 57 Helbig/ Buscha (1980: 314) oder Duden (2006: 255) als Artikelwort oder mit Engel (2004: 312) oder Zifonun et al. (1997: 33) als Determinativ bezeichnen; 7 demonstrative Artikelwörter/ Determinative sind dann eine Subklasse dieser Wortart neben bestimmtem und unbestimmtem Artikel und neben weiteren Artikelwörtern/ Determinativen. Die traditionelle Schulgrammatik hingegen begeht einen ganz anderen Weg und spricht von Demonstrativpronomina. Der Terminus Pro-Nomen und seine deutsche Entsprechung Für-Wort lassen vermuten, dass hier ein Wort für etwas steht, aber wofür steht dann die in unserem Beispiel? Und: Was ist überhaupt ein Pronomen? Dazu mehr im nächsten Kapitel. 3 Und das? Es tut sich eine weitere Frage auf: Was ist mit die in Diese Definition? Die akzeptiere ich nicht! ? Hier ist die zwar auch ein grammatischer Operator, aber kein prä-nominaler Nomenbegleiter, sondern Stellvertreter einer Nomengruppe (Die [= Diese Definition] akzeptiere ich nicht! ). Es wird wohl niemand auf den Gedanken kommen, dieses die als Artikel zu bezeichnen, sondern es dürfte Einigkeit darüber herrschen, es als Pronomen 8 zu deklarieren (analog zu Diese Definition […], ich akzeptiere sie [= diese Definition] nicht.). Was ein Pronomen ist, haben wir uns gerade schon gefragt. Für einige wie Helbig/ Buscha (1980: 22 f.) gibt es keine eigene Wortklasse Pronomen: »Pronomina stellen keine Wortklasse im syntaktischen Sinne dar, sondern füllen verschiedene syntaktische Funktionen aus: Sie fungieren teils als Substantive, teils als Adjektive, teils als Artikelwörter.« Für andere gehören Artikel/ Artikelwörter/ Determinative (wie immer wir sie nennen) und Pronomina einer gemeinsamen Wortklasse an, die einen Doppelnamen tragen kann - so gibt es laut Duden (2006: 255) die Wortart »Artikelwörter und Pronomen« 9 -, während andere für zwei verschiedene Wortklassen plädieren: wie Engel (2004: 363) und Eisenberg (2006a: 175), wobei aber der erste Artikel(wörter) weit und Pronomina eng definiert, während der zweite den umgekehrten Weg einschlägt, indem er Artikel(wörter) eng und Pronomina weit definiert. Abgesehen davon, wie viele Wortarten man ansetzt, muss allen, die mit dem Terminus Pronomen zu tun haben, klar sein, was damit gemeint ist. Dass ein Pro- 7 Es sind auch noch andere Namen in Gebrauch wie Determinierer, Determinator oder einfach Nomenbegleiter. 8 Zifonun et al. (2001: 37) ziehen es vor, von Protermen zu sprechen. 9 Boettcher (2013: 75 f.) fände es »sinnvoller«, nur eine Wortart anzusetzen, die er Pronomen nennen würde, was seiner Meinung auch die Etymologie des lateinischen Fachworts rechtfertigt: Pro�No� men stehen nicht nur für ein Nomen (im Sinne von: statt eines Nomens), sondern damit sind »alle Wörter, die etwas für Nomen (bzw. Nomengruppen) tun« gemeint (nämlich Nomen begleiten und ersetzen). Zur Problematik der Wortartenbestimmung <?page no="58"?> 58 nomen zwei Eigenschaften hat - es kann eine Nomengruppe ersetzen 10 und allein (als autonomes Satzglied) im Satz stehen - steht außer Diskussion. Aber kann es noch mehr? Da scheiden sich die Geister (vgl. Graefen 2007: 658). Für die einen wird das Pronomen eng definiert: Bei ihnen heißt es, dass Artikel(wörter) immer nur Nomenbegleiter sind und nicht allein im Satz (also nur zusammen mit einem Nomen) erscheinen, Pronomina dagegen nie Nomenbegleiter sind und im Satz allein stehen können. Das bedeutet, dass es Wörter wie die und diese gibt, die einen »oberflächliche[n] Gleichklang« (Engel 2004: 312) haben und in beiden Kategorien auftreten können. 11 Diese klare Unterscheidung schlägt sich nicht unbedingt in der Terminologie wieder; so unterscheidet u.a. der Duden (2006: 260) explizit demonstratives Artikelwort vs. demonstratives Pronomen, während andere beim traditionellen Terminus Demonstrativpronomen der Schulgrammatik bleiben wie Helbig/ Buscha (1980: 326), für den Demonstrativpronomina jeweils als Untergruppe Teil der beiden Obergruppen »Substantivwörter« (die Nomengruppen ersetzen) und »Artikelwörter« (die Nomina begleiten) sind. Für andere hingegen wird das Pronomen weit und als Obergruppe definiert: Es kann nomengruppenersetzend und nomenbegleitend sein wie bei Eisenberg (2006a: 175). 12 Der Online-Sprachservice Canoonet versucht, das folgendermaßen auf einen Nenner zu bringen: »Die Pronomen sind nur dann Artikelwörter, wenn sie ein Nomen begleiten. Wenn sie alleine stehen, sind sie ›reine‹ Pronomen.« 13 Hier wird ähnlich argumentiert wie bei Hentschel (2010: 286), die von einer »primären« Funktion von Pronomina spricht, die darin liegt, »anstelle von Substantiven oder Nomenphrasen zu stehen«. Die Unterrichtsstrategie, kontroverse Terminologie zu vermeiden und auf einen späteren Punkt im Lernprozess zu verschieben, indem man nur von Demonstrativa (statt von Demonstrativartikeln oder -pronomina), Possessiva, Indefinita usw. spricht, ist sicher didaktisch gesehen sinnvoll, solange sich der Deutschunterricht nicht für eine einheitliche Terminologie entschieden hat. Früher oder später kom- 10 Oft heißt es (wie bei Engel 2004: 363), dass Pronomina Wörter sind, »die Nominalphrasen ersetzen können«. Leider kann auch die Definition des Pronomens als Stellvertreter eines Nomens nicht� linguistisch bewanderten Lernenden irreführend erscheinen, wie Granzow�Emden (2013: 204 f.) anmerkt: Die Personalpronomina ich (wir) / du (ihr) oder das in einer Frage wie Was ist das? substi� tuieren keine Nominalphrase, sondern stehen für Sprecher(gruppe) bzw. Hörer(gruppe) oder et� was Gezeigtes. 11 Dass gleichklingende Wörter verschiedenen Kategorien angehören können, dürfte niemandem pro� blematisch erscheinen: Tanz in Der Tanz war schön. ist ein Nomen, aber in Tanz nicht so viel! ein Verb. 12 Während es für z. B. Helbig/ Buscha die Artikelwörter dieser und jener und die Pronomina dieser und jener gibt, unterstreicht Eisenberg (2006b: 182): »Wir wollen nicht davon sprechen, dass es die Artikel und die Pronomina dieser und jener gibt, sondern dass die Pronomina dieser und jener auch als Artikel verwendet werden können.« - Hoffmann (2011: 44) kritisiert, dass in der Schulgrammatik das Verhält� nis zwischen Kategorie und Subkategorie ungeklärt ist. 13 http: / / www.canoo.net/ services/ OnlineGrammar/ Wort/ Artikel/ Artikelwort/ Liste.html? Menuld=Word610; letzer Zugriff: 15. 3. 2014. Marion Weerning <?page no="59"?> 59 men aber alle Lehrenden oder Lehrwerkschreibenden am Terminus Pronomen nicht mehr vorbei. Wichtig ist, dass sie dann klären, was sie mit dieser »fragwürdigen Kategorie« (Hoffmann 2011: 44) meinen, denn »auch der Grammatikunterricht schuldet den Schülern Erklärungen« (Hoffmann 2011: 51). Sie müssen darauf hinweisen, dass der Terminus kontrovers diskutiert wird - und sich für eine der möglichen Definitionen entscheiden: • für die enge Definition, wenn sie »es als wichtig erachten, dass attributiv gebrauchte [Formen] kein eigenes Satzglied darstellen und zudem teilweise auch andere Formen aufweisen« (Hentschel 2010: 286) wie das Possessivum in Dein Problem? [= unflektierter Nomenbegleiter] - Ja, meins. [= flektierter Nomengruppenersetzer]; • für die weite Definition, wenn sie »gleichbleibende Bedeutungen und die mehrheitlich identischen Formen ins Zentrum stellen« (Hentschel 2010: 286). 4 Kein Wort Wenn ein in Was ist ein Wort? zweifelsohne ein Artikel ist, warum soll ein pränominales kein in Krjlkkkk ist kein Wort nicht auch ein Artikel sein - schließlich hat es das gleiche morphologische und syntaktische Verhalten wie ein? In der Tat sprechen Weinrich (2005: 871) vom Negativ-Artikel, Eisenberg (2006a: 141) vom Negationsartikel und Engel (2004: 331) mit seinem engen Artikelbegriff vom negativen Determinativ. Zifonun et al. (1997: 36) ziehen es vor, kein in die Kategorie der quantitativen Determinative einzuordnen, während es in Grammatiken, die weder die Kategorie der Negativa noch die der Quantitativa eingeführt haben, in der großen heterogenen Klasse der Indefinita steht. - In Anlehnung an die traditionelle Schulgrammatik sprechen Helbig/ Buscha (1980: 226) u.a. vom Indefinitpronomen, auch wenn es »als Artikelwort verwendet« wird. 5 Mein Wort Wenn wir es akzeptieren, kein analog zu ein als Artikel zu klassifizieren, ist der Weg nicht weit, auch die prä-nominalen Possessiva wie ihrem in Wörter einer Sprache nach ihrem Verhalten klassifizieren als Artikel einzuordnen, denn mein, dein, sein etc. haben das gleiche morphologische und syntaktische Verhalten wie ein und kein. Das tun sowohl Eisenberg (2006a: 175) als auch Weinrich (2005: 432) mit ihren Possessivartikeln, während die Grammatiker, die einen engen Artikelbegriff ansetzen, vom possessiven Determinativ sprechen (Engel 2004: 320, Zifonun et al. 1997: 35). Wie die traditionelle Schulgrammatik reden Helbig/ Buscha (1980: 230) u.a. vom Possessivpronomen. Selbst wenn man von einem engen Pronomenbegriff aus- Zur Problematik der Wortartenbestimmung <?page no="60"?> 60 geht (nach Pronomina nur Nomengruppen ersetzen), ist die Wahl dieses Terminus jedoch nachvollziehbar, denn ihrem in Wörter einer Sprache nach ihrem Verhalten klassifizieren referiert auf eine Nomengruppe (Wörter einer Sprache nach ihrem Verhalten [= nach dem Verhalten der Wörter] klassifizieren). 14 In anderen Sprachen wie dem Italienischen werden die Possessiva als Possessivadjektive klassifiziert, da sie sich morphologisch und syntaktisch wie Adjektive verhalten: la mia definizione ›die meine Definition‹ (= wörtliche Übersetzung) analog zu la corretta definizione ›die korrekte Definition‹. In Deutschlehrwerken und -grammatiken aus Ländern mit solchen Ausgangssprachen wird oft der Terminus aus der L1 einfach aufs Deutsche übertragen. Warum sollten Possessiva auch keine Adjektive sein? Schließlich sind sowohl Artikel als auch Adjektive vom pragmatischen Standpunkt her Nomen-Modifikatoren. Damit kommt die nächste Frage auf: Was ist denn eigentlich ein Adjektiv? 6 Kontroverse Wörter Dass kontroverse in kontroverse Definitionen ein Adjektiv ist, dürfte unumstritten sein: Es nennt eine Eigenschaft und ist kein grammatischer Operator. Für die attributiven Adjektive im Deutschen (wir lassen die sog. adverbialen und prädikativen Adjektive aus Platzgründen hier beiseite) kann man folgende syntaktische Merkmale festhalten, die für andere Sprachen nicht unbedingt gelten: • syntaktisch-topologisch gesehen stehen im Deutschen attributive Adjektive normalerweise 15 nach dem Artikel(wort) und vor dem Nomen (die korrekte Definition = Artikel(wort) + attributives Adjektiv + Nomen); 16 • syntaktisch-rektionsmäßig gesehen hängt der Deklinationstyp (schwach oder stark) des Adjektivs davon ab, ob ihm ein Artikel(wort) mit einem Deklinationsmorphem vorangeht: 17 Fall 1: Kein Artikel(wort) vor dem Adjektiv ➞ Das Adjektiv folgt der starken Deklination, d.h. es hat die gleiche Endung, die der bestimmte Artikel in dieser Position hätte, 18 wie in morphologisches Verhalten analog zu das Verhalten; 14 Für Wegener (1995: 103) ist der lexikalische Teil (hier: ihr) Possessivum und das Flexiv (hier: em) Deter� minans. 15 Attributive Adjektive können nur in bestimmten Fällen hinter dem Nomen stehen wie in Urlaub total oder Schrank, antik, zu verkaufen. 16 In vielen Sprachen ist das nicht so, z. B. im Italienischen: la corretta definizione (= Artikel + attributives Adjektiv + Nomen) neben la definizione corretta ( = Artikel + Nomen + attributives Adjektiv). 17 Im Gegensatz zum Deutschen sind Artikel in vielen Sprachen nicht rektionsfähig. 18 Es hat die Standardendungen der starken Deklination mit Ausnahme von Genitiv Maskulinum und Neutrum: Hier haben wir schwaches -en anstelle von starkem -es. Marion Weerning <?page no="61"?> 61 Fall 2: Artikel(wort) ohne Deklinationsendung vor dem Adjektiv ➞ Das Adjektiv folgt der starken Deklination, d.h. es hat die gleiche Endung, die der bestimmte Artikel in dieser Position hätte, wie in ihr morphologisches Verhalten analog zu das Verhalten; Fall 3: Artikel(wort) mit Deklinationsendung vor dem Adjektiv ➞ Das Adjektiv folgt der schwachen Deklination, d.h. es endet in -e oder -en wie in das morphologische Verhalten, eine korrekte Definition, mit einer korrekten Definition. Allein diese zwei Kriterien reichen eigentlich aus, um im Deutschen ein Artikel(wort) von einem Adjektiv so zu unterscheiden, dass es auch Deutschlernenden plausibel erscheint. Wenn wir von einer engen Definition des Pronomens ausgehen (s. Kapitel 3), können wir jetzt abschließend Artikel(wörter), attributive Adjektive und Pronomina folgendermaßen voneinander abgrenzen: Artikel(wort) attributives Adjektiv Pronomen morphologisch deklinierbar pragmatisch modifizierend referierend grammatisch operierend nicht grammatisch operierend grammatisch operierend syntaktisch prä-nominal autonomes Satzglied steht vor Adjektiv und Nomen steht zwischen Artikel(wort) und Nomen seine Flexionsendung determiniert die Flexionsendung eines folgenden Adjektivs seine Flexionsendung wird determiniert von der Flexionsendung eines vorangehenden Artikels Tab. 1: Merkmale von Artikel(wörter)n, attributiven Adjektiven und Pronomina 7 Alle Wörter, viele Wörter Was sind nun prä-nominales alle und prä-nominales viele in alle Definitionen und viele Definitionen? Um entscheiden zu können, ob es Artikel(wörter) oder Adjektive sind, fügen wir ein Adjektiv ein: alle kontroversen Definitionen, viele kontro- Zur Problematik der Wortartenbestimmung <?page no="62"?> 62 verse Definitionen. So können wir feststellen, dass das Adjektiv nach alle schwach dekliniert werden muss, 19 woraus wir wiederum schließen können, dass alle ein Artikel(wort) ist (alle kontroversen Definitionen = Artikel(wort) + attributives Adjektiv + Nomen, analog zu die kontroversen Definitionen), während viele keinerlei Einfluss auf die Adjektivendung des folgenden Adjektivs hat, d.h. es ist kein Artikel(wort) bzw. es ist selbst auch ein Adjektiv (viele kontroverse Definitionen = attributives Adjektiv + attributives Adjektiv + Nomen): Erstes und zweites Adjektiv haben die gleiche Endung. 20 Das bedeutet, dass quantifizierende Modifikatoren sowohl grammatischer Operator (wie alle) als auch nennender Modifikator (wie viele) sein können. 21 Quantifizierendes alle hat seine lexikalische Bedeutung zurückgesteckt und drückt jetzt als »Allquantor« (Zifonun et al. 1997: 1612) eine grammatische Routine aus: Es verweist Hörende bzw. Lesende darauf, dass es sich um die Gesamtheit einer Menge handelt. Dagegen hat quantifizierendes viele seine lexikalische Bedeutung nicht zurückgesteckt und umschreibt die physikalische Eigenschaft 22 »sich um eine relativ große Anzahl handelnd«. Diese Sichtweise ist der traditionellen Schulgrammatik fremd. 8 Noch mehr Wörter Wenn wir deutsche Muttersprachler / innen fragen, ob es manche komische Wörter oder manche komischen Wörter heißen muss, kommen sie wahrscheinlich ins Schleudern, und ein Blick ins Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle (WSZ 2001) lässt ihre Zweifel auch legitim erscheinen. Nach einer Reihe von prä-nominalen Modifikatoren schwankt der Deklinationstyp des nachfolgenden Adjektivs; 23 dazu 19 Starke Deklination nach aller ist veraltet ( WSZ 2001: 54). 20 Laut WSZ (2001: 40) werden zwei aufeinanderfolgende Adjektive parallel gebeugt, »[a]uch wenn das unmittelbar vor dem Substantiv stehende Adjektiv mit dem Substantiv einen Gesamtbegriff […] bil� det […]. […] Die frühere Regel, dass in diesen Fällen beim Dativ Singular das zweite Adjektiv schwach gebeugt werden müsse […], gilt nicht mehr.« 21 »[…] das traditionelle semantische Verfahren erbringt keine brauchbaren Ergebnisse« bei der Einteilung in Wortklassen (Engel 1994: 17), was man z. B. hier bei den quantifizierenden Wörtern sieht: Sie können nicht nur Numerale sein (elf ) oder Substantiv (die Million), sondern auch Artikel(wort) (einer, aller) oder Adjektiv (vieler). 22 »Physical properties« (Rijkhoff 2008: 799) sind für Rijkhoff Ausdruck von »descriptive modifiers«; »dis� course�referential modifiers« dagegen - als zweite Hauptgruppe der ad�nominalen Modifikatoren neben den »descriptive modifiers« - betreffen den Status von Einheiten in der »world of discourse« (Rijkhof 2008: 789). 23 Voeste (1994: 31) liefert eine Liste prä�nominaler Modifikatoren, nach denen der Deklinationstyp des folgenden Adjektivs schwanken kann: ähnlich-, all-, ander-, anderweitig-, angeblich-, beid-, besagt-, bestimmt-, derartig-, diesbezüglich-, divers-, ebensolch-, einig-, einzeln-, entsprechend-, etlich-, etwaig-, etwelch-, eventuell-, ferner-, folgend-, gedacht-, gewiss-, gleich-, häufig-, irgendwelch-, jed-, jeglich-, jedwed-, letzter-, manch-, mehrer-, möglich-, obig-, sämtlich-, selbig-, sogenannt-, solch-, sonstig-, übrig-, ungezählt-, unzählbar-, unzählig-, vereinzelt-, vermeintlich-, verschieden-, verschiedentlich-, viel-, weiter-, welch-, wenig-, wiederholt-, zahllos-, zahlreich-. Diese Liste will nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Marion Weerning <?page no="63"?> 63 gehören ( WSZ 2001: 143, 306, 446, 583, 735, 779) sämtlicher (Singular: immer schwach, Plural: meist schwach), mancher (Singular: immer schwach, Plural: schwach und stark), beide (Plural: meist schwach) und solcher (Singular: meist schwach, Plural: meist schwach). Diese Wörter verhalten sich nur selten wie Adjektive und meist wie Artikel(wörter); noch weniger zuordnungsfähig in die eine oder andere Klasse sind folgender (Singular: meist schwach, aber Plural: meist stark) und irgendwelcher (Singular und Plural sowohl schwach als stark). Auch vieler, weniger, einiger, mehrerer, anderer, gleicher haben ein ambiges Verhalten, allerdings nur im Neutrum Nominativ, Akkusativ und Dativ Singular sowie im Maskulinum Dativ Singular, wo sie, und das auch nur manchmal, die Endung des folgenden Adjektivs determinieren: einige komische Wörter (nie: *einige komischen Wörter), mit gleicher positiver Energie (nie: *mit gleicher positive Energie), aber mit gleichem positivem Resultat neben mit gleichem positiven Resultat. 9 Alle diese oben genannten kontroversen Wörter Alle, manche, viele dienen der Quantifikation, wie auch die Zahlwörter, die in der traditionellen Wortartenlehre eine eigene Wortart bilden. Im Deutschen verhalten sich die ordinalen Numeralia zweifelsohne wie Adjektive (das dritte Wort), aber was ist mit den kardinalen Numeralia von 2 bis 999 999 (drei Wörter)? Sind das etwa auch Artikel(wörter)? Die Antwort hierauf dürfte Deutschlernende nicht weiter interessieren, denn Numeralia beeinflussen den Deklinationstyp des folgenden Adjektivs nie, da sie selbst keine Deklinationsendung haben. Ein Argument, das zudem gegen ihre Klassifizierung als Artikel(wort) sprechen würde, ist, dass sie invariabel 24 sind, wogegen Artikel ja - so heißt es überall - deklinierbar sind. 25 Doch werden sie nicht immer dekliniert: Ein wird im Maskulinum Nominativ Singular sowie im Neutrum Nominativ und Akkusativ Singular nicht dekliniert, egal ob es als unbestimmter Artikel oder als Numerale fungiert. Auch aus anderen Gründen ist ein eigentlich ein recht problematischer Artikel. Er besitzt keinen Plural, und manchmal wird er wie ein Adjektiv benutzt: In der eine und der andere wird die Deklinationsendung von eine vom vorangehenden Artikel bestimmt. Gleiches Verhalten legen ebenfalls beide, folgende u.a. an den Tag (beide Definitionen, die beiden Definitionen, folgende Definitionen, die folgenden Definitionen usw.). Außerdem finden wir unflektiertes viel und manch in singularischen Nomengruppen: Viel ist dann obligatorisch unflektiert (viel Grammatik, nie: *viele Grammatik), während man unflektiertes manch nur sehr selten direkt vor einem Nomen antrifft, aber 24 Dekliniert kommen Numeralia nur in einigen genitivischen Formen vor (Problematik zweier/ hunderter Definitionen). 25 Mehr zur Problematik, ob Determinanten im Deutschen flektierbar und flektiert oder unflektiert sind, bei Ágel (1996). Zur Problematik der Wortartenbestimmung <?page no="64"?> 64 oft, wenn noch ein flektiertes Adjektiv zwischen manch und Nomen steht (manch gute Definition neben manche gute Definition); das gleiche gilt auch für welch und solch. Unflektiertes all und manch (ebenso welch und solch) finden wir auch vor Nomengruppen, die von einem Artikel eingeleitet werden: all meine Definitionen neben alle meine Definitionen (alle meine: beide Artikel werden stark dekliniert), all die(se) Definitionen neben alle die(se) Definitionen (alle diese: beide Artikel werden stark dekliniert), manch eine Definition neben manche Definition, welch/ solch eine Definition neben welche/ solche Definition. Hier haben wir es mit einer Kombination aus zwei Artikeln zu tun. Auch was die Deklinationsendungen im Genitiv Singular Maskulinum und Neutrum angeht, so kann man Unstimmigkeiten feststellen. Während der bestimmte Artikel die starke Deklinationsendung -es (Merkmale des guten Erklärens, *Merkmale den guten Erklärens) und Adjektive die schwache Deklinationsendung -en (Merkmale guten Erklärens statt *Merkmale gutes Erklärens) haben, schwankt sie bei einigen der prä-nominalen Modifikatoren, die wir gerade als Artikel(wörter) eingestuft haben (die Probleme welches Studenten? und die Probleme welchen Deutschlerners? ); allerdings ist »bei (a) dieser und (b) jener sowie (c) bei denjenigen Wörtern, die dem Muster ein, kein, mein folgen,« standardsprachlich nur die s-Form korrekt (Duden 2006: 268). 26 Fassen wir noch einmal zusammen: Ein prototypischer 27 Artikel hat die syntaktischen und morphologischen Eigenschaften A und B: • er hat eine Endung, die die Flexionsendung des folgenden Adjektivs determiniert (A); • seine Flexionsendung im Genitiv Singular Maskulinum und Neutrum ist -es (B). Ein prototypisches Adjektiv hat dagegen die syntaktischen und morphologischen Merkmale C und D: • seine Flexionsendung kann von einem vorangehenden Artikel(wort) determiniert werden (C); • seine Flexionsendung im Genitiv Singular Maskulinum und Neutrum ist -en (D); Die Verhaltensweise E dagegen ist sowohl für Artikel(wörter) als auch für attributive Adjektive untypisch: 26 Für Ágel (1996: 34) ist schwache Deklination die Adjektivdeklination, während die Flexive der starken Deklination Substantivflexive des analytischen Substantivs sind, das die Determination ausgelagert hat; genitivisches -en ist ganz klar adjektivisch (1996: 37). 27 Nach der Prototypentheorie haben »[n]icht alle Elemente einer Wortart […] alle einschlägigen Wortarteigenschaften« (»ein prototypischer Vertreter der Klasse hat möglichst viele Eigenschaften der Kategorie«); diese Theorie lässt auch Einheiten zu, die zwischen den Kategorien stehen (Fuhr� hop 2007: 6 f.). Marion Weerning <?page no="65"?> 65 • das Wort tritt als prä-nominaler Modifikator ohne Flexionsendung auf (E). Stellen wir eine Merkmalsmatrix (s. Tab. 2) auf, um zu sehen, welche der Eigenschaften A bis E eine Reihe potentieller Artikel(wörter) aufweist, dann können wir feststellen, dass nur der 100%ig artikelhaft, 100%ig nicht-adjektivhaft und immer dekliniert ist. Alle anderen sind beides: meist entweder eher artikelhaft oder eher adjektivhaft. Daraus lässt sich schließen, dass es auf der syntaktisch-rektionsmäßigen und morphologischen Ebene keine klaren Grenzen zwischen Artikel(wörter)n und Adjektiven gibt. Eichinger (2011: 99) spricht vom graduierten Übergang vom Artikel zum Adjektiv. Merkmale artikelhaft adjektivhaft A B C D E der + + - - ein(er) + + - - + kein(er) + + - - + mein(er), dein(er) usw. + + - - + betontes der + + - - dies(er) + + - - + jener + + - - welch(er) + + - + + all(er) + + - + jeder + + + + beider + + + + manch(er) + + + + + irgendwelch(er) + + + + sämtlicher + - + + solch(er) + - + + + folgender + - + + betontes ein(er) + - + + + viel(er), wenig(er) (+) - + + + einiger (+) - + + etlicher, mehrerer (+) - + + - Kardinalzahlen ( 2 - 999 999 ) - - - - (+) mehr - - - - + Tab. 2 Einige prä�nominale Modifikatoren und ihre Merkmale Zur Problematik der Wortartenbestimmung <?page no="66"?> 66 Auch auf der pragmatischen Ebene können wir keine klare Grenze ziehen. Nur bestimmter und unbestimmter Artikel sind reine grammatische Operatoren ohne lexikalische Bedeutung. So wie wir in Kapitel 7 behauptet haben, dass quantifizierende Modifikatoren sowohl grammatische Operatoren (wie alle) als auch lexikalische Adjektive (wie viele) sein können, so können auch die textsituierenden Modifikatoren beiden Klassen angehören. Es kann sogar ein und dasselbe Wort einmal Rezipient/ innen orientierend und ein anderes Mal deskriptiv benutzt werden. So kann folgendes in folgendes Kapitel die physikalische Eigenschaft »in einer gegebenen (realen) Anordnung von Kapiteln das nächste Kapitel seiend« ausdrücken und somit deskriptiv sein oder Rezipient/ innen orientieren im Sinne von »das Kapitel, das jetzt in unserem Text kommt, den wir gerade hören bzw. lesen«, beider kann die physikalische Eigenschaft »2« benennen (beide Definitionen sind kontrovers = die 2 Definitionen sind kontrovers) und somit deskriptiv sein oder Hörenden/ Lesenden bei der Wissensverarbeitung helfen (beide Definitionen = die hier und die da), mancher kann »nur vereinzelte, einige« als physikalische Beschreibung meinen oder im Sinne von »hier und da einer« als Orientierung der Rezipient/ innen dienen. Es gibt keine Eins-zu-Eins-Übereinstimmung zwischen Form und Funktion der Modifikatoren. Schauen wir uns schließlich noch die Topologie der prä-nominalen Modifikatoren in der Nomengruppe an. So wie wir von der Satzklammer sprechen und den deutschen Satz in Felder einteilen (Tab. 3a), können wir auch bei der Nomengruppe von Klammerbildung und Feldern sprechen (Tab. 3b, nach Granzow-Emden 2013: 201 u. 207): Vorfeld linke Verbklammer Mittelfeld rechte Verbklammer Nachfeld Warum wird das hier noch kontroverser definiert als das da? Tab. 3a: Serialisierung von Satzkonstituenten Präpositionsfeld linke Nominalklammer nominales Mittelfeld rechte Nominalklammer nominales Nachfeld Pränomenfeld mittleres Attributfeld Nomenfeld nachgestelltes Attributfeld mit allen diesen obengenannten zahlreichen kontroversen Weerning’schen Definitionen hier Tab. 3b: Serialisierung von Konstituenten der Nomengruppe (Granzow�Emdens »Pränomina« entspre� chen unseren artikelhaften, Rezipient/ innen orientierenden, operierenden Modifikatoren und sei� ne »Attribute« unseren adjektivhaften, physikalische Eigenschaften nennenden Modifikatoren) Marion Weerning <?page no="67"?> 67 Aber wohin gehört ein Zahlwort (z.B. drei), wenn ich es in mein Beispiel einfügen will? Ist es Rezipient/ innen orientierend (dann wäre es artikelhaft), nennt es eine physikalische Eigenschaft (dann wäre es ein quantifizierendes Adjektiv) oder repräsentiert es eine dritte Wortart (nämlich die des Numerales, das immer einem Artikel(wort) folgen muss)? Eine Google-Suche im Web bestätigt, dass es sowohl die drei obengenannten als auch die obengenannten drei heißen kann. 28 Der Unterschied liegt - abgesehen von der schwierigen Wortartenklassifizierung des Zahlworts - im Skopus. So wie das Artikel(wort) Skopus über die restliche, rechts von ihm stehende Nomengruppe hat, haben das Numerale, das textsituierende Adjektiv, das quantifizierende Adjektiv, das qualifizierende Adjektiv und das klassifizierende Adjektiv Skopus über die jeweils noch rechts von ihnen stehende restliche Nomengruppe: allen diesen [drei [obengenannten [kontroversen [Weerning’schen [Definitionen]]]]] vs. allen diesen [obengenannten [drei [kontroversen [Weerning’schen [Definitionen]]]]]. 29 Im Gegensatz zu physikalische Eigenschaften nennenden Modifikatoren wie vereinzelte müssen operative Modifikatoren wie manche, die, wie wir gesehen haben, dazu tendieren, sich wie ein Artikel zu verhalten, immer links stehen: manche schon genannten kontroversen Definitionen (*schon genannte manche kontroversen Definitionen). Im Falle von deskriptiven Modifikatoren kann dagegen - sofern es ihre Bedeutung erlaubt - eine Umstellung erfolgen: vereinzelte schon genannte kontroverse Definitionen neben schon genannte vereinzelte kontroverse Definitionen. Es scheint, dass Wörter wie manche in einem Grammatikalisierungsprozess ihre lexikalische Bedeutung zurücksetzen, sich dabei von ihrer Adjektivhaftigkeit entfernen und artikelhaft werden, um wie ein Artikel den Wissensstatus einer Einheit für Hörende bzw. Lesende in einer grammatischen Routine zu markieren. 30 10 Fazit Seit Dionysios Thrax’ Wortarteneinteilung sind über 2000 Jahre vergangen, aber auf diese Einteilung bezieht sich heute noch die traditionelle Schulgrammatik. 28 Es ergeben sich 74 900 Treffer für die drei obengenannten, 30 000 Treffer für die obengenannten drei. 29 »[…] the linear organization of modifiers in the noun phrase mirrors the layered organization of the underlying semantic representation« (Rijkhoff 2008: 800). Die Reihenfolge Rezipient/ innen�orientie� rend > textsituierend > quantifizierend > qualifizierend > klassifizierend, bei der links den Skopus über rechts hat, entspricht Rijkhoffs Anordnung (bei ihm: »discourse referential modifier« > »loca� lizing modifier« > »quantifying modifier« > »qualifying modifier« > »classifying modifier«, Rijkhoff 2008: 791). Bei Eichinger dagegen heißt es (1987: 168), dass anaphorische vor quantifizierenden vor referentiellen vor qualifizierenden vor einordnenden Adjektiven stehen. 30 Hoffmann (2007: 28) weist darauf hin, dass es auch in anderen Wortklassen mehr oder weniger grammatikalisierte Elemente gibt, z. B. die sehr grammatikalisierte Präposition von und das weniger grammatikalisierte bezüglich. Zur Problematik der Wortartenbestimmung <?page no="68"?> 68 Dass diese Wortarteneinteilung nicht ganz unproblematisch ist, wusste auch schon um 1500 Erasmus von Rotterdam (1780: 223). Trotzdem finden wir sie auch heute noch wieder, und zwar nicht nur in den Lehrbüchern für Deutsch als Fremdsprache, sondern auch in den Richtlinien der Kultusministerkonferenz (s. Fußnote 2), wobei (so Granzow-Emden 2013: 8 f. ) • Fachausdrücke einfach nicht definiert werden; • irreführende Fachausdrücke benutzt werden; • Fachausdrücke isoliert vermittelt werden; • neuere wissenschaftliche Erkenntnisse einfach ausgeschlossen werden. So hat sich die Schulgrammatik »ein phänomenisolierendes Benennungswissen kultiviert. Es enthält Termini ohne Begriff, ohne Begreifen.« (Hoffmann 2011: 44). Grammatische Termini dienen »als bloße Nomenklatur, als Etiketten für ein unterstelltes, faktisch nicht vorhandenes Vorverständnis« (Hoffmann 2011: 44). Hoffmann (2011: 35) vergleicht die Terminologie, die man bereit hat, um eine Sprache zu beschreiben, mit den Namen, die Sprachen besitzen, um Farben zu benennen: Je differenzierter der Wortschatz einer Sprache ist, desto differenzierter ist auch der Zugang zum Gemeinten. Die undifferenzierten Termini, die uns die »kategorial gefasst[e]« Wortartenlehre (Granzow-Emden 2013: 11) der Schulgrammatik zur Verfügung stellt, um einen Zugang zu den prä-nominalen Modifikatoren zu bekommen, verwischen die Ebenen, auf denen wir ein Phänomen betrachten. Die Schulgrammatik scheint ein Adjektiv pragmatisch zu definieren, wenn sie vom Eigenschaftswort spricht, aber ein Pronomen syntaktisch, wenn sie vom Fürwort spricht, während doch Lernende wissen müssen, auf welcher Ebene sie sich gerade befinden. Immer klar zu unterstreichen, ob wir uns bei unserer Sprachbetrachtung gerade auf der pragmatischen, syntaktischen oder morphologischen Ebene befinden, wäre ein erster wichtiger Schritt, um die Probleme nicht mehr zu verdrängen, die die traditionelle Schulgrammatik in sich birgt. Lehrende und Lehrwerkschreibende können, wenn sie Grammatik erklären, nicht »auf eine gewisse Terminologie« verzichten (Storch 1999: 78) und auch nicht von heute auf morgen die herrschende Grammatikterminologie, die doch bisher auch irgendwie als Verständigungsbasis ausreichte, revolutionieren und eine neue einführen: Das würde die Lernenden noch mehr verunsichern. Was sie aber können und müssen, ist Fachausdrücke begreifen lassen: durch einfache Definitionen und entdeckendes Lernen inklusive Aufdecken von Unterschieden zur Muttersprache und anderen schon erworbenen Fremdsprachen. So kann Lernenden bewusst werden, dass z.B. ein Artikel im Deutschen ganz andere pragmatische, morphologische und syntaktische Verhaltensweisen an den Tag legen kann als dieselbe Kategorie in einer anderen Sprache. Marion Weerning <?page no="69"?> 69 Bibliographische Angaben Ágel, Vilmos (1996): »Finites Substantiv.« In: ZGL 24, S. 16-57 Asbach-Schnitker, Brigitte / Roggenhofer, Johannes (Hrsg.) (1987): Neuere Forschungen zur Wortbildung and Historiographie der Linguistik. Tübingen: Narr Boettcher, Wolfgang (2013): Grammatik verstehen. Das Wort. Tübingen: Niemeyer [Canoonet] Bopp, Stephan et al. (2000-2014): »Liste der gebräuchlichsten Artikelwörter.« http: / / www.canoo.net/ services/ OnlineGrammar/ Wort/ Artikel/ Artikelwort/ Liste. html? MenuId=Word610, 15. 3. 2014 (Canoonet. Deutsche Wörterbücher und Grammatik) [Duden] Duden. Deutsche Grammatik (2006). Mannheim: Dudenverlag Ehlich, Konrad (2009): Sprache und sprachliches Handeln. Band 1. 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Hildesheim/ Zürich/ New York: Olms [ WSZ ] Duden. Richtiges und gutes Deutsch. Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle (2001). Mannheim: Dudenverlag Zifonun, Gisela / Hoffmann, Ludger / Strecker, Bruno (1997): Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. Berlin/ New York: de Gruyter Marion Weerning <?page no="71"?> Péter Bassola (Szeged), Viktória Dabóczi (Siegen), Attila Péteri (Budapest), Horst Schwinn (Mannheim) EuroGr@mm und die Propädeutische Grammatik ProGr@mm - ein kontrastiver Blick auf die Grammatik des Deutschen In diesem Beitrag wird das internationale Forschungsnetzwerk EuroGr@mm 1 und die kontrastive Komponente der Internetplattform ProGr@mm 2 des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim 3 vorgestellt (Kap. 1). In Kap. 2 wird auf die unterschiedlichen universitären und außeruniversitären Zielgruppen eingegangen. Die damit verbundenen Anwendungsmöglichkeiten werden in Kap. 3 gezeigt. Sie stützen sich dabei auf die mit der Lernplattform gewonnenen Erfahrungen aus der eigenen Praxis in der universitären Lehre. Danach wird in Kap. 4 exemplarisch ein zentraler Bereich der Grammatik - die Wortstellung - kontrastiv aus deutsch-ungarischer Perspektive betrachtet. Der Beitrag schließt mit der Zusammenfassung und einer kurzen Weiterführung zur Typologie (Kap. 5). 1 Grammatik am ids diachron Das Institut für Deutsche Sprache in Mannheim ( IDS ) hat sich in den 50 Jahren seit seiner Gründung im Jahr 1964 zur Aufgabe gemacht, die deutsche Sprache in ihrem jeweilig gegenwärtigen Gebrauch und in ihrer neueren Geschichte zu erforschen. In der deutschen Forschungslandschaft ist das IDS die größte außeruniversitäre Einrichtung, die sich der Beschreibung von Sprache widmet. Neben der Grundlagenforschung im Bereich der Sprachwissenschaft werden am Institut auch Projekte durchgeführt, die eine Schnittstelle von wissenschaftlicher Forschung und breiterer sprachinteressierter Öffentlichkeit darstellen. Zu dieser Schnittstelle gehören auch Projekte, die unter didaktischem Gesichtspunkt Rezipient/ innen aus dem Bereich der universitären Lehre ansprechen. Gute Tradition ist es außerdem am IDS , die Projektarbeit breit und auch über Sprachgrenzen hinaus anzulegen und mit Sprachforscher/ innen aus dem Ausland zusammenzuarbeiten. In die umfangreichen kontrastiv angelegten Projekte kann sich in der jüngeren Geschichte des IDS das EuroGr@mm-Projekt einreihen. 1 http: / / www1.ids�mannheim.de/ gra/ projekte/ eurogramm.html 2 http: / / hypermedia.ids�mannheim.de/ call/ public/ gruwi.ansicht 3 http: / / www.ids�mannheim.de <?page no="72"?> 72 1.1 Grammatische Grundlagen des EuroGr@mm-Projekts Das Projekt EuroGr@mm mit seiner Internetpräsenz ProGr@mm kontrastiv steht als ein vorläufiger Endpunkt in einer Reihe sprachwissenschaftlicher Projekte der Grammatikschreibung und -vermittlung am IDS . 1.1.1 Die Grammatik der deutschen Sprache In jahrelanger wissenschaftlicher Arbeit wurde in der Abteilung Grammatik des IDS von einem Forscher/ innen-Team unter der Leitung von Gisela Zifonun die dreibändige Grammatik der deutschen Sprache ( GDS ) erarbeitet. Die GDS war 1997 eine in ihrer Art völlig neu konzipierte wissenschaftliche Grammatik, die die nachfolgende Grammatikschreibung nachhaltig beeinflusst hat. In ihrer Grundausrüstung ist die GDS eine kategoriale Grammatik mit einer funktionalen satzsemantischen Perspektive und dem Anspruch, empirisch der tatsächlichen Sprachwelt - sowohl im geschriebenen als auch in Ansätzen im gesprochenen Standard - gerecht zu werden. »Der theoretische Hintergrund der Grammatik wird bestimmt durch funktionale Grammatik und Pragmatik, Kategorialgrammatik, logische Syntax und Semantik, Valenzgrammatik.« 4 Der immense Umfang (über 2500 Druckseiten) ist der Komplexität des beschriebenen Gegenstandes geschuldet und war schon aus diesem Grund unvermeidbar. Am Ende des letzten Jahrtausends haben sich allerdings auch im Wissenschaftsbereich die medialen Möglichkeiten der Wissensvermittlung geändert, und damit einhergehend hat sich ebenso das Rezipientenverhalten eindeutig daran angepasst. Durch die damals noch als neu bezeichneten Medien war auf einmal einerseits ein größerer Rezipientenkreis erreichbar und das dazu sehr schnell, und andererseits konnten die Inhalte portionsweise angeboten werden, wie sie auch tatsächlich von Interessierten mittlerweile überall im Internet konsumiert werden. Somit war es nur folgerichtig, dass im IDS darüber nachgedacht wurde, grammatische Inhalte zeitgemäß als Hypertext einem breiten Rezipient/ innen- Spektrum anzubieten. Der imaginierte Nutzerkreis reichte von sprachinteressierten Laien bis zu Sprachwissenschaftler/ innen, die sich auf diffizile Grammatikfragen spezialisiert haben. Mit dieser Idee war grammis - das Grammatische Informationssystem geboren. 4 http: / / www1.ids�mannheim.de/ gra/ abgeschlosseneprojekte/ grammar.html Péter Bassola, Viktória Dabóczi, Attila Péteri, Horst Schwinn <?page no="73"?> 73 1.1.2 grammis - das Grammatische Informationssystem Im Jahr 1993 - also zeitlich noch parallel zu den Arbeiten an der Print-Version der Grammatik der deutschen Sprache - begann die Konzeptionsphase für das Grammatische Informationssystem unter der Leitung von Bruno Strecker. Erste Ergebnisse wurden als »Die Grammatik mit der Maus« präsentiert, 1996 lag ein hypertextueller Prototyp, allerdings noch als Offline-Version, vor und schon 1999 war grammis online erreichbar. Nach und nach wurden die Darstellung verbessert und unterstützende Wörterbücher integriert, und wenn wir heute von grammis reden, meinen wir eine multimediale Internetplattform mit mehreren Einzelkomponenten, die auf unterschiedliche Weise interagieren und zusammen eine Einheit bilden. 5 Wesentliche Inhalte aus der Grammatik der deutschen Sprache sind in die Hauptkomponente des Grammatischen Informationssystems, nämlich in die Systematische Grammatik, eingeflossen. Da sich die Zielgruppe vergrößert hat, wurden auch die Inhalte und die Darstellungsformen angepasst. Bei der Systematischen Grammatik handelt es sich nunmehr um eine oberflächenorientierte Konstituentenstrukturgrammatik, basierend auf valenztheoretischen Grundlagen und einer damit einhergehenden Beschreibung der syntaktischen Funktionen der Konstituenten.Aufgrund der besseren Vermittelbarkeit grammatischer Strukturen für linguistische Laien ist der kategorialgrammatische Aspekt damit weitgehend in den Hintergrund getreten. Zum besseren Verständnis der Terminologie wurde ein Glossar grammatischer Ausdrücke hinzugefügt. Ein Grammatisches Wörterbuch erklärt Funktionswörter wie Präpositionen und Konnektoren. Die Wortbildungsfunktion und der Gebrauch von Affixen werden in diesem Wörterbuch beschrieben und neuerdings wurden über 600 Verben aus dem Valenzwörterbuch deutscher Verben 6 mit einer umfassenden Beschreibung des jeweiligen Valenzmusters in das Grammatische Wörterbuch integriert. Als weiteres Hilfsmittel ist die Grammatische Bibliografie Bestandteil von grammis. Sie bietet unterschiedliche Recherchemöglichkeiten in einer Bibliografiedatenbank mit 30.000 bibliografischen Einträgen zur deutschen Grammatik. Mit dem Wörterbuch der Grammatischen Fachbegriffe (Glossar), dem Grammatischen Wörterbuch und der Grammatischen Bibliografie sind die Komponenten beschrieben, die die Hauptkomponente Systematische Grammatik inhaltlich auf vielfältige Weise unterstützen. Weitere Hauptkomponenten in der chronologischen Reihenfolge der Integration in das Grammatische Informationssystem sind die Grammatische Ontologie (die mittlerweile in das Wörterbuch der Grammatischen Fachbegriffe integriert ist), Grammatik in Fragen und Antworten und Ergebnisse der korpusgestützten Forschung zur deutschen Grammatik, die in die Komponente Korpusgrammatik sukzessive einfließen. 5 Siehe dazu: Schneider/ Schwinn (2014). Zum Internetauftritt von grammis: http: / / hypermedia.ids�mannheim.de 6 Schumacher/ Kubczak/ Schmidt/ de Ruiter (2004) EuroGr@mm und ProGr@mm - deutsche Grammatik kontrastiv <?page no="74"?> 74 Mit grammis war ein wichtiger und zeitgemäßer Schritt in die veränderte (wissenschaftliche) Medienlandschaft getan; mit ProGr@mm betrat das Institut für Deutsche Sprache nochmals neue Wege aus der Grundlagenforschung heraus in die Didaktisierung von Forschungsergebnissen. 1.1.3 ProGr@mm - die Propädeutische Grammatik ProGr@mm wurde 2001 ins Leben gerufen als ein Teil eines neuen sprachwissenschaftlichen Netzwerkes: PortaLingua. 7 Im virtuellen Raum versammelten sich hinter diesem Internet-Portal konkrete sprachwissenschaftliche Projekte verschiedener Universitäten und des IDS, 8 die gemeinsam Forschungsergebnisse der Sprachwissenschaft für die universitäre Lehre hypermedial aufarbeiteten und didaktisierten. Im Rahmen des drittmittelfinanzierten Gesamtprojekts wurden Internetprojekte in verschiedenen Bereichen der germanistischen Linguistik entwickelt. Die Summe der anwendungsorientierten Projekte bietet Lehr- und Lernangebote für das sprachwissenschaftliche Grundstudium. Nach dreijähriger Arbeitsphase kam das Gesamtprojekt zum Abschluss. Das dabei entwickelte Internetportal PortaLingua steht heute noch Lernenden und Lehrenden der deutschen Sprache und Sprachwissenschaft mit leicht reduziertem Umfang offen. 9 Wie einige der anderen PortaLingua-Projekte wurde auch ProGr@mm bis heute weiterentwickelt und gepflegt. Es ist äußerlich stark an grammis angelehnt, verwendet die durch grammis bereitgestellten Komponenten Grammatisches Wörterbuch und Grammatische Bibliografie und nutzt eine modifizierte Form der Grammatischen Fachbegriffe als Terminologisches Wörterbuch. Die terminologische Beschreibung in diesem Wörterbuch wurde vereinfacht, veranschaulicht und mit mehr korpusbasierten Beispielen verdeutlicht - dies alles, um dem neuen Nutzerkreis gerecht zu werden. Eine Vereinfachung erfuhr auch die Systematische Grammatik aus dem Grammatischen Informationssystem grammis, die sich als Grammatisches Grundwissen in ProGr@mm wiederfindet. 10 Das Grammatische Grundwissen von ProGr@mm hat im Vergleich zur Systematischen Grammatik von grammis alle kategorialen Aspekte verloren und stellt nun eine valenzbasierte Konstituentengrammatik dar; nicht alle thematischen Einheiten aus grammis wurden übernommen (andere wurden mehr oder weniger stark modifiziert), und es wurden - als ein wesentliches didaktisches Element - vielen Einheiten interaktive Übungen hinzugefügt. 7 Siehe: https: / / www.uni�due.de/ germanistik/ portalingua/ 8 Es handelte sich um Projekte der Universitäten Bielefeld, Chemnitz, Dresden, Erfurt, Essen, Halle, Münster Oldenburg und die IDS�Projekte ProGr@mm und GAIS. 9 Neben dem Internetportal ist 2004 eine synoptische Darstellung der einzelnen Projekte als Print� publikation erschienen. Siehe Schmitz (2004). 10 Zum Internetauftritt von ProGr@mm: http: / / hypermedia.ids�mannheim.de/ programm/ Péter Bassola, Viktória Dabóczi, Attila Péteri, Horst Schwinn <?page no="75"?> 75 Das war der progr@mmatische Stand im Jahre 2005. Im folgenden Jahr gab es konkrete Überlegungen, das Projekt kontrastiv auszubauen. Mit weiteren Drittmitteln konnte 2007 ein internationales Forschungsnetzwerk ins Leben gerufen werden, das sich - in Anlehnung an die schon vorhandene Internetplattform - EuroGr@mm nannte. Die Forschungsergebnisse aus diesem Verbund fügen sich heute als letztes Glied in die Reihe der Grammatikschreibung, die in der Grammatik der deutschen Sprache ihren Ausgangspunkt genommen hat. 1.2 EuroGr@mm und ProGr@mm kontrastiv EuroGr@mm als Forschungsnetzwerk fügt der Internetplattform die neue Komponente Kontrastiv hinzu. D.h. die Komponente ProGr@mm kontrastiv wird zum Online-Publikationsorgan einer internationalen Forschergruppe, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die schon in ProGr@mm vorhandenen grammatischen Inhalte kontrastiv aufzuarbeiten, wobei in allen Bereichen das Deutsche die zu beschreibende und auch die Beschreibungssprache ist. Das Forschungsnetzwerk setzt sich zusammen aus Wissenschaftler/ innen der germanistischen Sprachwissenschaft aus Polen, Frankreich, Ungarn, Italien und Norwegen und dem IDS . 11 Insgesamt besteht - bei unterschiedlicher Landesgruppenstärke - das Gesamtprojekt aus ca. 25 Wissenschaftler/ innen. In der erwähnten Komponente ProGr@mm kontrastiv liegen mittlerweile fünf eigenständige landessprachspezifische Module für die Auslandsgermanistik und für Deutsch als Fremdsprache vor. Grundlage und Ausgangspunkt für die einzelnen Module sind die Struktur und die Inhalte des Grammatischen Grundwissens, die schon in ProGr@mm zur Verfügung stehen. Diese Inhalte werden den jeweiligen landesspezifischen Perspektiven bzw. den unterschiedlichen Nutzerbedürfnissen angepasst und durch kontrastive Übungen ergänzt. 12 Die schon in ProGr@mm vorhandenen thematischen Einheiten wurden durch die Einheit Flexionsmorphologie ergänzt. 13 Außerdem wurde die thematische Einheit Prosodie vollständig überarbeitet. Mittlerweile ist die Projektarbeit mit der kontrastiven Bearbeitung aller Pro- Gr@mm-Einheiten zum Abschluss gekommen. Als letzte gemeinsame Arbeit steht die Publikation von Forschungsergebnissen zur Besetzung des Satzanfangs in den erwähnten Kontrastsprachen aus. 14 11 Das sind in Polen die Universität Wrocław; in Frankreich die Universität Paris (Sorbonne); in Ungarn die Universitäten Budapest und Szeged; in Italien die Universitäten Genova, Napoli, Salerno und Palermo; in Norwegen die Universität Oslo. 12 Zum Internetauftritt von ProGr@mm kontrastiv: http: / / hypermedia.ids�mannheim.de/ call/ public/ gruwi.ansicht? v_typ=o 13 Siehe hierzu auch die Printpublikation: Augustin/ Fabricius�Hansen (Hrsg.) (2012) 14 Vgl.: Dalmas/ Fabricius�Hansen/ Schwinn (Hrsg.) (in Vorbereitung) EuroGr@mm und ProGr@mm - deutsche Grammatik kontrastiv <?page no="76"?> 76 2 Zielgruppen Die interaktive Gestaltung und Vielseitigkeit von ProGr@mm kontrastiv ermöglichen durch ergänzende Materialien und Wörterbücher (Terminologisches und Grammatisches Wörterbuch) sowie Übungen (s. Kap. 1) eine große Breite an unterschiedlichen Zielgruppen, die jeweils unterschiedliche Arbeitsmethoden verfolgen bzw. die Grammatik im Ganzen oder einige Teile verwenden (zu den unterschiedlichen Arbeitsmethoden der einzelnen Gruppen s. Kap. 3). Dabei spielt das Sprachniveau der einzelnen Gruppen von Lernenden eine große Rolle, sodass es zwischen den Ländern (Kooperationspartnern) Unterschiede hinsichtlich der Zielgruppen geben kann. Im Folgenden legen wir den Fokus hauptsächlich auf die Darstellung der Zielgruppen in Ungarn 15 bzw. aus unseren Erfahrungsbereichen. Aufgrund der kontrastiven Darstellung der deutschen Sprache ist ProGr@mm kontrastiv hauptsächlich für die Auslandsgermanistik konzipiert worden. Die größte Zielgruppe geben Studierende der Germanistik sowie Dozent/ innen, die die Grammatik in verschiedenen Kursen verwenden können. Bereits bei dieser Zielgruppe zeigen sich Unterschiede in den verschiedenen Partnerländern: Während die Grammatik in Ungarn bereits im BA -Studium im Rahmen von Kursen verwendet werden kann und wird, 16 berichten die italienischen Kolleginnen über Verwendungen im Kursbereich eher erst im MA -Studium. Dieser Unterschied lässt sich mit unterschiedlichen Sprachniveaus ungarischer und italienischer Studierender der Germanistik zum Zeitpunkt des Studienbeginns erklären. Neben Seminaren und Vorlesungen wird die Grammatik im universitären Bereich individuell als Nachschlagewerk (vor allem das Terminologische Wörterbuch) und zum Selbststudium verwendet. (Siehe dazu ausführlich Kap. 3.) Eine nächste wichtige und große Zielgruppe ist der Bereich ›Deutsch als Fremdsprache‹. Dabei zählen sowohl Lehrende des Deutschen als auch (fortgeschrittene) Deutschlernende zu den Anwender/ innen. ProGr@mm kontrastiv dient im D a F -Unterricht in erster Linie als Nachschlagewerk für die Lehrenden, es kann aber auch (vereinfacht) zu einzelnen Unterrichtseinheiten und zu Übungszwecken verwendet werden. Die letzte ebenfalls breite Zielgruppe kommt aus den Reihen deutscher Muttersprachler/ innen. Folgende Gruppen lassen sich hier unterscheiden: Studierende und Lehrende mit den Fächern Romanistik, Slawistik, Finno-Ugristik und skandinavische Sprachen, die die kontrastiven Grammatiken ›Deutsch-Italienisch‹, 15 Einen Überblick über die Zielgruppen speziell aus ungarischer Sicht bietet Dabóczi (2007: 133 f.) sowie Dabóczi/ Túri (2011: 9 f.). 16 Erfahrungen mit verschiedenen Kursen im BA� und MA�Studium haben wir an der Universität Szeged und an der Eötvös Lóránd Universität Budapest gesammelt (s. dazu Kap. 3). Péter Bassola, Viktória Dabóczi, Attila Péteri, Horst Schwinn <?page no="77"?> 77 ›Deutsch-Französisch‹, ›Deutsch-Polnisch‹, ›Deutsch-Ungarisch‹ und ›Deutsch- Norwegisch‹ im Rahmen von universitären Kursen als Nachschlagewerk oder zum Selbststudium nutzen können. Ferner können sich Lernende und Lehrende der Kontrastsprachen Vergleiche und Übungen zunutze machen. Darüber hinaus müssen an dieser Stelle noch Studierende der Germanistik (mit oder ohne eine der Kontrastsprachen als Zweitfach) erwähnt werden, die aus kontrastiven Vergleichen zur Bewusstmachung der Struktur des Deutschen im Rahmen des sprachwissenschaftlichen Studiums profitieren können (Erfahrungen aus diesem Bereich s. in Kap. 3). Neben Zielgruppen in der universitären oder schulischen Lehre werden mit ProGr@mm kontrastiv auch Forscher/ innen weltweit angesprochen, die das Deutsche unter kontrastiven Aspekten oder eine der Kontrastsprachen erforschen (vgl. Schwinn 2007: 9). Nach dem Überblick über die einzelnen Zielgruppen von ProGr@mm kontrastiv werden im Folgenden die unterschiedlichen Arbeitsmethoden und -möglichkeiten der einzelnen Gruppen dargestellt. 3 Unterschiedliche Arbeitsmethoden der Zielgruppen Die Besonderheiten und Unterschiede von ProGr@mm kontrastiv im Vergleich zu anderen Grammatiken ermöglichen vielseitige und vielfältige Arbeitsmethoden für die einzelnen Zielgruppen. Was unterscheidet ProGr@mm kontrastiv dabei von anderen Angeboten? An erster Stelle muss das Darstellungsmedium Internet erwähnt werden, das zahlreiche Möglichkeiten eröffnet, die herkömmliche gedruckte Grammatiken nicht bieten können: tabellarische Darstellungen und sich bewegende Abbildungen, die Phänomene des Deutschen und der Kontrastsprache auch unabhängig vom Text veranschaulichen können; Links zum Terminologischen Wörterbuch, die während des Lesens unmittelbar zu Erklärungen führen, ohne den Lesefluss zu stören; Tonbeispiele (deutsch und kontrastsprachig) vor allem in der thematischen Einheit ( TE ) ›Prosodie‹; interaktive Übungen mit Lösung und Zugriffsmöglichkeit rund um die Uhr auf der ganzen Welt. Darüber hinaus beschreibt ProGr@mm kontrastiv eine große Breite von Themen (s. die einzelnen TE n) vergleichend, wobei die Erklärungen durch zahlreiche authentische Beispiele begleitet werden. In dieser Hinsicht gilt ProGr@mm als realistische Grammatik, die die aktuell verwendete Sprache (und u.U. sogar auch ihre Variation) darstellt. 17 Wie und inwiefern können die einzelnen Zielgruppen Gebrauch von diesem Angebot machen? 17 Zu den Vorteilen von ProGr@mm kontrastiv s. auch Bianco (2007), Dabóczi (2007) sowie Dabóczi/ Túri (2011). EuroGr@mm und ProGr@mm - deutsche Grammatik kontrastiv <?page no="78"?> 78 3.1 Auslandsgermanistik: Studierende und Lehrende der Germanistik Als besonders geeignet erwies und erweist sich ProGr@mm kontrastiv in der universitären Lehre im Fach Germanistik im Ausland. Diesbezüglich verfügen wir besonders in Ungarn über Erfahrungen. Sowohl im BA als auch im MA -Studium können TE n von ProGr@mm kontrastiv als Basis verschiedener Kurse dienen. Auf beiden Ebenen liegt der Schwerpunkt auf kontrastiv-typologischen Vergleichen 18 in einzelnen Themenbereichen (z.B. Tempus, Flexion, Wortarten), die das Bewusstsein über die Strukturen der deutschen Sprache fördern. Der Fokus liegt in allen Bereichen auf der Fragestellung: Wie funktioniert das Deutsche gegenüber meiner Muttersprache oder ggf. einer anderen Sprache? Dass durch Vergleiche auch die Kenntnisse über die Kontrastsprache (oft die Muttersprache) erweitert werden, ist ein zusätzlicher Gewinn. Dieser Zusatzgewinn kann insbesondere den Lehramtsstudierende auch insofern zugutekommen, als sie die Kenntnisse über die Strukturen und Eigenschaften beider Sprachen später im eigenen Deutschunterricht bewusst und gezielt verwenden können. Im BA -Studium können auf diese Weise Einführungskurse mit einzelnen TE n (z.B. Wortarten 19 oder Morphologie) angeboten werden, während im MA -Studium Vertiefungen (z.B. kontrastive Analyse des Tempussystems) und Analysen quer durch die einzelnen Einheiten (Informationsstruktur, Wortstellung, Wortarten und primäre Komponenten des Satzes) möglich sind. Besonders in Seminaren können gemeinsame Analysen zusätzlich durch Übungen ergänzt werden. Bei Vorlesungen können die Übungen zum Selbststudium und zur Selbstkontrolle des erworbenen Wissens verwendet werden. Über die Kurse hinaus werden die TE n und das Terminologische Wörterbuch von ProGr@mm kontrastiv im gesamten Studium als Nachschlagewerk benutzt. Unsere Erfahrungen mit ProGr@mm kontrastiv in der universitären Lehre in Ungarn basieren neben den Rückmeldungen in einzelnen Kursen auf einer Fragebogenerhebung mit zwei Seminargruppen nach den ersten Einsätzen von ProGr@mm kontrastiv an der Universität Szeged (vgl. Dabóczi/ Túri 2009). Dabei richteten sich die Fragen in erster Linie nach der allgemeinen Verwendbarkeit der einzelnen Teile von ProGr@mm, Vor- und eventuell Nachteilen des Online-Lernens, Häufigkeit der Verwendung und eventuell auftauchenden Problemen. Die Teilnehmer/ innen der Erhebung bewerteten ProGr@mm kontrastiv (deutsch-ungarisch) insgesamt sehr positiv. Die Darstellungen, Tabellen, Übungen und die uneingeschränkte Erreichbarkeit empfanden die Studierenden als sehr 18 Über die Vorteile des kontrastiven Ansatzes im L2�Bereich speziell im Vergleich ›Italienisch�Deutsch‹ s. Bianco (2007: 3 ff.). 19 An der Universität Szeged (Ungarn) wurden mehrere Seminare auf diese Weise angeboten (z. B. ›Wortarten kontrastiv‹ und ›Wortarten im Deutschen und Ungarischen‹ im WS 2007 und SoSe 2008, Seminarleiterin Dabóczi) Péter Bassola, Viktória Dabóczi, Attila Péteri, Horst Schwinn <?page no="79"?> 79 gut. Die meisten berichteten darüber, Einheiten von ProGr@mm auch außerhalb des konkreten Seminars im Studium und zur Anfertigung von Seminararbeiten verwendet zu haben. Lediglich die von den traditionellen Grammatiken etwas abweichende Terminologie (vgl. bereits in Zifonun et al. 1997) verursachte anfangs Schwierigkeiten, die mithilfe des Terminologischen Wörterbuchs und zusätzlicher Erklärungen in den Seminaren jedoch leicht überwunden werden konnten (vgl. Dabóczi/ Túri 2009: 19 ff.). 3.2 Deutsch als Fremdsprache Die sprachvergleichende Methode im Bereich der Grammatik (und darüber hinaus) spielt auch im D a F -Unterricht eine wichtige Rolle (vgl. Bianco 2007), die Bewusstmachung von strukturellen Unterschieden zwischen Muttersprache und Zielsprache (Deutsch) fördert nicht nur die Deutschkenntnisse, sondern kann auch positiv auf den muttersprachlichen Unterricht und sogar auf das Erlernen weiterer Fremdsprachen wirken. Lehrende des Deutschen können auf ProGr@mm kontrastiv allgemein als Nachschlagewerk zurückgreifen, der Einsatz im Unterricht hängt stark vom Sprachniveau und Alter der Lernergruppe ab. Mit Schüler/ innen ab der 7. Klasse kann man bereits stark vereinfachte kleine kontrastive Analysen machen, z. B.: »Was kann der Artikel im Deutschen im Gegensatz zu den ungarischen Artikeln? / Wann flektieren wir Adjektive im Deutschen und wann im Ungarischen? « Oder: »Welche Elemente verwendet das Deutsche statt unserer Kasusendungen an Substantiven? « Bei diesen und ähnlichen Vergleichen im Unterricht sollen abstrakte Termini vermieden werden, der Fokus soll auf das Selbsterkennen an authentischen Beispielen bzw. mithilfe von Tabellen und Darstellungen gelegt werden. Dieses Experimentieren mit Sprachen (vgl. auch die Methode Grammatikwerkstatt von Menzel 5 2012) kann den Grammatikunterricht insgesamt spannend machen, indem das Auswendiglernen durch eigene Schlussfolgerungen ersetzt wird. Einfachere und spielerische Übungen (z. B. Kreuzworträtsel) sowie Tonbeispiele können im Unterricht als Ergänzung bzw. zur Förderung der Aussprache eingesetzt werden. Mit erwachsenen Lernenden besteht die Möglichkeit, kontrastive Analysen auf einem höheren Abstraktionsgrad durchzuführen. Tabellen, Darstellungen, Übungen und Tonbeispiele können auch den Erwachsenenunterricht förderlich ergänzen. Authentische Beispiele tragen sowohl im schulischen als auch im Erwachsenenunterricht dazu bei, die deutsche Sprache in ihrer realistischen Verwendung kennen zu lernen. EuroGr@mm und ProGr@mm - deutsche Grammatik kontrastiv <?page no="80"?> 80 3.3 Germanistikstudium in Deutschland In Kap. 2 haben wir bereits die Anwendungsmöglichkeiten bei Muttersprachler/ innen des Deutschen mit Fächern wie z.B. Romanistik oder Slawistik erwähnt. In diesen Bereichen sind die Arbeitsmethoden in der universitären Lehre ähnlich wie im Germanistikstudium in der Auslandsgermanistik (s. w.o.). Der einzige Unterschied besteht darin, dass in diesen Bereichen eher die Kontrastsprache (Italienisch, Französisch, Polnisch etc.) im Mittelpunkt steht. Diese wird dann durch Vergleiche mit dem Deutschen erforscht. An dieser Stelle möchten wir auf eine wichtige und vielleicht ungewöhnliche Zielgruppe, und zwar auf Studierende der Germanistik in Deutschland, kurz eingehen. Germanistikstudierende in Deutschland sprechen Deutsch i.d.R. als ihre Muttersprache. Aus diesem Grund können sie in strukturlinguistischen Seminaren (z.B. Morphologie und Syntax) oft auf ihre Intuitionen zurückgreifen, während ein bewusstes Strukturwissen trotz schulischem Deutschunterricht fehlt. Dieses kann neben diachronen und diatopischen Vergleichen vor allem durch kurze kontrastive Analysen gefördert werden. Im Mittelpunkt steht die deutsche Sprache, deren Strukturen durch Einblicke in andere Möglichkeiten in anderen Sprachen erklärt werden können. Hier seien einige Beispiele aus Morphologieseminaren 20 an der Universität Siegen erwähnt: In jedem Fall geht es um kurze Beispielanalysen zu einzelnen Phänomenen mithilfe von Beispielen und Tabellen aus ProGr@mm kontrastiv. So haben wir den typologischen Unterschied zwischen flektierenden und agglutinierenden Sprachen bzw. der flektierenden und agglutinierenden Suffigierung durch Vergleiche von deutschen und ungarischen Beispielen veranschaulicht. Ebenfalls konnte das Phänomen »Pro-Drop« im Gegensatz zur obligatorischen Realisierung von Subjektpronomina im Deutschen durch italienische und ungarische Beispiele erklärt werden. Bei der Kasusflexion konnte insbesondere das Polnische zum Vergleich herangezogen werden. Der Hauptgewinn solcher Vergleiche sind dann eigene Überlegungen, die sich in studentischen Diskussionsbeiträgen manifestieren. Da viele Studierende selbst mehrsprachig sind oder ein-zwei Fremdsprachen in der Schule gelernt haben, folgen oft Vergleiche zum Englischen, Spanischen, Französischen und Türkischen. Diese Erfahrungen können später im eigenen Deutschunterricht verwendet werden, wobei Fremdsprachenkenntnisse und die Mehrsprachigkeit der Schüler/ innen geschickt genutzt werden können. Im folgenden Kapitel stellen wir einige konkrete Vergleichsmöglichkeiten zwischen dem Deutschen und Ungarischen dar. 20 Die Proseminare wurden zwischen dem WS 2012/ 13 und dem WS 2013/ 14 gehalten, Seminarleiterin Dabóczi. Péter Bassola, Viktória Dabóczi, Attila Péteri, Horst Schwinn <?page no="81"?> 81 4 Eine der thematischen Einheiten ( TE ): die Wortstellung Für ProGr@mm wurde wegen seinem propädeutischen Charakter der allgemein bekannte Begriff ›Wortstellung‹ als Grundlage gewählt. Auf die entsprechenden, in der Linguistik und in der Grammatikographie etablierten Termini (Topologie, Satzgliedstellung, Wort(ab)folgeregeln) wird jedoch auch verwiesen, um terminologische Deutungsschwierigkeiten zu vermeiden. 4.1 Das Stellungsfeldermodell Im Mittelpunkt der Darstellung liegt das Stellungsfeldermodell: Es ist einerseits für die deutsche Grammatikographie das am meisten verbreitete Modell, auch das bekannteste, und mit seiner Hilfe kann ein spezifisches, von den meisten anderen europäischen Sprachen unterscheidendes typologisches Merkmal der deutschen Topologie veranschaulicht werden, das sog. konzentrische Konstruktionsprinzip (im Gegensatz zum linearen, additiven Prinzip der Topologie der meisten anderen europäischen Sprachen, vgl. Weinrich 1995). Andererseits hat sich das vorliegende Modell in verschiedene Syntaxtheorien integriert, u.a. auch in die beiden für die Germanistik wichtigsten Theorien, in die Generative (vgl. Abraham 2005, Haider 2010) und in die Dependenzgrammatik (vgl. Heringer 1996: 246ff., Eroms 2002). So hat es in der neueren Linguistik einen gewissen theorieneutralen Status erreicht und ist für eine praxisorientierte und sprachvergleichend ausgerichtete Deskription besonders geeignet. 21 Mit Hilfe einer übersichtlichen Tabelle 22 wird veranschaulicht, dass die Teile des deutschen Verbalkomplexes eine feste Stelle in der linearen Abfolge haben und für den Satz eine Klammer bilden. Relativ zu diesen Klammerteilen können sich andere Stellungseinheiten mehr oder weniger frei bewegen. Die Besetzung bzw. Nicht-Besetzung des Vorfeldes bzw. die Stellung des Finitums ist jedoch im Deutschen satztypenabhängig. Zugleich wird auch darauf verwiesen, dass die Satzklammer nicht zwingend nur aus Verbformen bestehen kann (das ist der Grund für die Wahl des Terminus ›Satzklammer‹ statt ›Verbalklammer‹) und dass für die Besetzung der linken und der rechten Klammer unterschiedliche Regularitäten gelten, dass also die Satzklammer keinesfalls symmetrisch ist. Aus den kontrastiven Abschnitten stellt sich schnell heraus, dass die den ganzen Satz einrahmende Verbalklammer eine Eigenart des Deutschen ist (vgl. dazu auch den Beitrag von Iványi in diesem Band). In keiner Kontrastsprache liegt 21 Auch wenn die Existenz der Stellungsfelder in manchen Richtungen der Germanistik bezweifelt wird, so z. B. in der für die französische Germanistik relevanten Abgrenzungstheorie (Faucher 1984, Dalmas/ Vin� ckel 2006), werden die grundlegenden Termini zu den Stellungsfeldern zumindest als Teile eines heuris� tischen Instrumentariums sogar von den Anhängern dieser Theorie benutzt (Vinckel 2006). 22 http: / / hypermedia.ids�mannheim.de/ call/ public/ gruwi.ansicht? v_typ=o&v_id=4356 EuroGr@mm und ProGr@mm - deutsche Grammatik kontrastiv <?page no="82"?> 82 eine in ihrer möglichen Komplexität dem Deutschen vergleichbare Satzklammer vor. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Einklammerung bestimmter Satzteile durch Elemente des Verbalkomplexes den Kontrastsprachen völlig fremd wäre. Trotz des relativ hohen Grades an Didaktisierung findet man in den kontrastiven Beschreibungen auch eine differenzierte Herangehensweise, wobei nicht nur auf die auffälligen Unterschiede, sondern auch auf die weniger leicht beobachtbaren feinen Ähnlichkeiten zwischen dem Deutschen und den Kontrastsprachen verwiesen wird. In allen Kontrastsprachen kann nämlich der Verbalkomplex u.U. mehrteilig sein und auch bestimmte Stellungseinheiten einklammern. Diese »Klammer« befindet sich jedoch in den Kontrastsprachen meistens in der Satzmitte und die Stellungseinheiten, die innerhalb von ihr stehen können, sind grammatisch ziemlich begrenzt. Am meisten ist diese Möglichkeit unter den Kontrastsprachen vielleicht im Französischen ausgebaut, dort spricht man von sog. »konzentrischen Inseln« innerhalb des Satzes, in denen das gleiche Prinzip wie im Deutschen auf einer anderen, mikrostrukturellen Ebene zum Vorschein komme: »In der reihenden Struktur des französischen Standard-Satzmodells wirken diese mikrostrukturellen Klammerformen wie konzentrische Inseln. Ihre Häufigkeit zeigt aber, dass sie ebenso typisch sind wie die additive Grundstruktur. Es äußert sich also hier eine versteckte Verwandtschaft beider Sprachen - versteckt, weil dasselbe Phänomen nicht in beiden Sprachen auf derselben strukturellen Ebene oder in derselben Intensität vertreten sein muss, um dennoch als relevant erkannt zu werden.« 23 Aufmerksame Leser/ innen können also außer den auffälligen Unterschieden zwischen den europäischen Sprachen und außer den spezifischen, eigenartigen Merkmalen des Deutschen auch feine Ähnlichkeiten entdecken. Diese sind genauso wichtig. Während die europäischen Sprachen typologisch sehr unterschiedlich sein können und jede Sprache bestimmte eigene Merkmale aufweist, haben sie sich nicht unabhängig voneinander entwickelt. Die gleichen Prinzipien lassen sich häufig auf unterschiedlichen Ebenen der Sprachstruktur beobachten. 4.2 ›Freiheit‹ vs. ›Gebundenheit‹ der Wortstellung Gleich im einleitenden Abschnitt wird eine weitere, typologisch ausgerichtete Frage nach der Flexibilität bzw. Gebundenheit der Wortstellung sowie nach ihrer Satztypabhängigkeit gestellt. Dabei wird von einem Vergleich mit dem Lateinischen, einer Beispielsprache für die grammatisch ungebundene Wortstellung, ausgegangen. Diese Fragestellung führt zur Beobachtung der inneren Zusammenhänge des 23 ProGr@mm kontrastiv / Aus französischer Sicht / Wortstellung / Kontrastiver Abschnitt »Konzentrische Inseln«: http: / / hypermedia.ids�mannheim.de/ call/ public/ gruwi.ansicht? v_typ=o&v_id=4355 Péter Bassola, Viktória Dabóczi, Attila Péteri, Horst Schwinn <?page no="83"?> 83 Sprachsystems: Man kann leicht erkennen, dass Flexibilität bzw. Gebundenheit der Wortstellung mit dem mehr oder weniger ausgebauten flexionsmorphologischen System der betreffenden Sprachen zusammenhängen. Hier ein Beispiel für die ›freie‹ lateinische und die ›satztypgebundene‹ deutsche Wortstellung: 24 lateinisch deutsch (1) agricola gallinas numerat (1’) der Bauer die Hühner zählt (2) gallinas agricola numerat (2’) die Hühner der Bauer zählt (3) agricola numerat gallinas (3’) der Bauer zählt die Hühner (4) gallinas numerat agricola (4’) die Hühner zählt der Bauer (5) numerat agricola gallinas (5’) zählt der Bauer die Hühner (6) numerat gallinas agricola (6’) zählt die Hühner der Bauer Der lateinisch-deutsche Vergleich, von dem auch in den Kontrastierungen zu den weiteren Kontrastsprachen ausgegangen wird, zeigt, dass im Lateinischen sowohl die Stelle des Verbs als auch die Reihenfolge von Subjekt und Objekt frei variierbar sind und alle möglichen Wortstellungskombinationen satztypunabhängig zulässig sind. Im Deutschen ist die Verbstellung satztypgebunden, während Subjekt und Objekt relativ zueinander in freier Reihenfolge stehen können, mindestens bei eindeutiger Kasusmarkierung. Die Satztypabhängigkeit der Verbstellung liegt unter den Kontrastsprachen nur im Norwegischen vor. Dort ist die Wortstellung jedoch insofern rigider, als das Subjekt wegen fehlender morphologischer Objektmarkierung dem Objekt in jedem Fall vorangehen soll. Die Abfolgen unter (4) und (6) in der obigen Tabelle (norw. teller hønsene bonden bzw. hønsene teller bonden) wären zwar syntaktisch zulässig, aber mit der semantisch unplausiblen Interpretation verbunden, dass der Bauer von den Hühnern gezählt wird. Ferner gehören die modernen europäischen Sprachen nach der klassischen Wortstellungstypologie von Greenberg (1963) mehrheitlich zu den sog. SVO - Sprachen. 25 Unter den hier behandelten Kontrastsprachen bildet gerade das Deutsche eine Ausnahme, dessen typologische Einstufung wegen des Klammerprinzips sehr schwierig ist. 26 Wie weit die SVO -Stellung in einer Sprache variiert werden kann, hängt wiederum in erster Linie vom morphologischen System ab. In den romanischen Spra- 24 vgl.: http: / / hypermedia.ids�mannheim.de/ call/ public/ gruwi.ansicht? v_typ=o&v_id=4414 25 Eine eindeutige SOV �Sprache ist das Türkische. Auch das klassische Latein wird meistens zu den SOV � Sprachen gerechnet (s. dazu unten). Ferner findet man am westlichen Rand des europäischen Areals, auf den britischen Inseln auch einige kleinere VSO �Sprachen (z. B. Irisch, Walisisch). Besondere Schwie� rigkeiten bereitet die Einstufung des Deutschen, des Niederländischen, des Ungarischen und des Griechischen (vgl. WALS ). 26 In der generativen Linguistik wird die Satzklammer als eine besondere Realisierungsform des SOV � Typs behandelt, vgl. Haider (2010). Diese Fragestellung wird jedoch wegen dem zu hohen Abstrak� tionsgrad im ProGr@mm nicht berücksichtigt. EuroGr@mm und ProGr@mm - deutsche Grammatik kontrastiv <?page no="84"?> 84 chen hat sich die nominale Morphologie im Laufe ihrer historischen Entwicklung stark vereinfacht, was eine Verfestigung der SVO -Reihenfolge zur Folge hatte. In den slawischen Sprachen liegt bis heute ein ausgebautes, morphologisch markiertes Kasussystem vor, das eine große Freiheit der Wortstellung ermöglicht. Besonders interessant ist es, dass einige Sprachen diesbezüglich einen typologischen Wandel erlebt haben. Am besten ist das in der lateinischen Sprachgeschichte zu beobachten. Das klassische Latein der Antike war grundsätzlich eine SOV -Sprache, auch wenn gewisse Variationsmöglichkeiten vorhanden waren. In der Spätantike und im frühen Mittelalter wandelte sich jedoch die lateinische Satzstruktur wohl auf Wirkung der sprechlateinischen Strukturen zu einer SVO - Sprache (vgl. Kiesler 2006). Dies wirkte sich auf alle romanischen Sprachen aus, insbesondere jedoch auf das Italienische. Wie in einem kontrastiven Abschnitt von ProGr@mm detailliert dargestellt wird, waren Überreste der SOV -Stellung bei Dante und Boccaccio noch sehr häufig und wirken sich bis heute auf bestimmte italienische Strukturen (besonders in den süditalienischen Dialekten) aus. Dies verursacht wiederum in manchen Fällen gewisse Ähnlichkeiten mit der deutschen Nebensatzwortstellung. 4.3 Die Wortstellung und die anderen Ebenen der Sprache Besonderer Wert wird im ProGr@mm kontrastiv auf die inneren Zusammenhänge des Sprachsystems gelegt. Das reiche Verweissystem in den einzelnen Texten 27 ermöglicht eine schnelle Orientierung innerhalb der einzelnen Einheiten und erleichtert das bessere Erkennen dieser Zusammenhänge. In einigen thematischen Einheiten werden sie auch genauer ausgeführt. Besonderer Wert wird dabei auf die Informationsstruktur sowie auf die Prosodie des Satzes gelegt. Die Informationsstruktur wird mit der aus der IDS -Grammatik bekannten Dichotomie des Hintergrundes und des Vordergrundes beschrieben. 28 Diese Differenzierung scheint besonders unter kontrastivem Aspekt wesentlich zu sein, weil sie zum Sprachvergleich eine allgemeine, funktional fundierte Vergleichsbasis, ein tertium comparationis liefert. Während einerseits sichtbar gemacht wurde, dass die Satzklammer und die Stellungsfelder ein Spezifikum des Deutschen darstellen, kann man ausgehend von der Informationsstrukturierung sehen, dass der Anfang und das Ende des Satzes, auch wenn sie topologisch nicht so klar abgrenzbar sind wie im Deutschen, auch in anderen Sprachen funktionale Ähnlichkeiten aufweisen 27 Man kann an verschiedenen Stellen der Texte mit Hilfe eines Hyperlinks per Mausklick auf eine ande� re Stelle von ProGr@mm oder ProGr@mm kontrastiv umschalten. 28 Eine weitere terminologische Differenzierung wäre nicht angebracht, weil die meisten Termini zur Beschreibung der Informationsstruktur eng an bestimmte linguistische Theorien gebunden sind und durch ihre Anwendung das Prinzip der Theorieneutralität verletzt wäre, andererseits weil sie weit über den Rahmen einer Grammatik hinausgehen. Péter Bassola, Viktória Dabóczi, Attila Péteri, Horst Schwinn <?page no="85"?> 85 können, indem sie für markierte Informationseinheiten zuständig sind. Am besten lässt sich dies am Beispiel des Polnischen sehen, wo die Wortstellung unter den Kontrastsprachen grammatisch am wenigsten gebunden ist. Wenn aber vor einer SVO -Reihenfolge (oder bei Nichtrealisierung des pronominalen Subjektes vor einer VO -Reihenfolge) adverbiale Elemente stehen, sind sie entweder als hintergründig (als Rahmensetzung) oder als vordergründig (als Fokus) zu interpretieren. Dies hängt wiederum davon ab, ob sie Gewichtungsakzent tragen. In diesem linken Feld stehen meistens auch die implizit kontrastierten Informationseinheiten. 29 Das prosodische System wirkt mit der Wortstellung unter den hier untersuchten Sprachen gerade im Deutschen (bzw. teilweise im Norwegischen) am engsten zusammen. Einerseits kann der sog. Gewichtungsakzent den Informationswert einer Stellungseinheit modifizieren, andererseits werden bestimmte Satztypen sowohl mit Hilfe der Wortstellung als auch mit Hilfe von Tonmustern markiert. In den anderen Kontrastsprachen ist das prosodische System von der Wortstellung meistens autonomer, was aber gelegentliche Zusammenhänge nicht ausschließt. Einen Sonderfall bildet unter diesem Aspekt jedoch das Ungarische, das hier deshalb getrennt behandelt wird. 4.4 Die deutsche Wortstellung aus ungarischer Sicht Das Ungarische steht unter den Kontrastsprachen am weitesten vom Deutschen entfernt. Es gehört nicht zur indogermanischen, sondern zur uralischen, darunter zur finnougrischen Sprachfamilie. Sprachtypologisch wird es zu den sog. agglutinierenden Sprachen 30 gerechnet, die meistens einen starken synthetisierenden Charakter und daher eine grammatisch weitgehend ungebundene Wortstellung haben. Das Ungarische hat jedoch seit etwa 2500 Jahren keine unmittelbaren Sprachkontakte mehr zu den verwandten Sprachen und lebt seit dem 9. Jahrhundert im Karpatenbecken, umgeben von flektierenden indogermanischen Sprachen, von denen besonders das Deutsche einen sehr wesentlichen Einfluss auf seine Entwicklung ausübte (vgl. Kiss 2003). 31 So entwickelte sich auch im Ungarischen ein Verbalkomplex, der für die Reihenfolge im Satz grundsätzlich verantwortlich ist. 32 Er bildet aber keine Satzklammer, sondern befindet sich in der Satzmitte und 29 ProGr@mm kontrastiv / Aus polnischer Sicht / Wortstellung und Informationsstruktur / Informations� struktur des Vorfeldes / Kontrastivabsatz: »Linkes Feld und Informationsstruktur«. 30 Im Gegensatz zu den indogermanischen Sprachen, die den flektierenden Sprachtyp repräsen� tieren. 31 Weitere relevante Kontaktsprachen waren slawische Sprachen und das Latein. Sporadische Sprach� kontakte gab es auch zum Französischen, zum Italienischen und in der Neuzeit zum Englischen (vgl. Kiss 2003). 32 Zum ungarischen Verbalkomplex und dessen Relevanz für die Wortstellung vgl. Bassola (2001), zu dem sehr komplexen und keineswegs trivialen Zusammenhang von Wortstellung und Satztypen im Ungarischen vgl. Péteri (2012). Die letzte Frage wurde in ProGr@mm kontrastiv wegen ihrer Komplexi� EuroGr@mm und ProGr@mm - deutsche Grammatik kontrastiv <?page no="86"?> 86 gliedert den Satz in eine präverbale und eine postverbale Satzhälfte. Die Teile des Verbalkomplexes können sich im Satz nicht weit voneinander entfernen. Doch können bestimmte Elemente wie z.B. Partikeln oder Negatoren zwischen seinen Teilen stehen. Auf diese Weise kann er in der Satzmitte auch im Ungarischen sog. »konzentrische Inseln« bilden. Ferner zeichnet sich die ungarische Wortstellung unter den europäischen Sprachen auch dadurch aus, dass sie grammatisch zwar weitgehend ungebunden, doch nicht frei, sondern sehr stark den pragmatischen Funktionen unterworfen ist. Insofern sind auch Wortstellung und Prosodie im Ungarischen besonders eng verbunden. Der Gewichtungsakzent fällt entweder auf das Finitum oder auf die unmittelbar dem Finitum vorangehende Phrase (Fokus). Diese fließt intonatorisch-prosodisch mit dem Finitum meistens zusammen, bildet also mit ihm ein »phonetisches Wort«. Die vor dem Finitum bzw. vor dem Fokus befindliche erste Satzhälfte wird meistens als Topikteil des Satzes interpretiert, weist dementsprechend eine gewisse funktionale Ähnlichkeit mit dem deutschen Vorfeld auf, allerdings mit der Einschränkung, dass im Ungarischen in diesem Feld auch mehrere autonome Phrasen stehen können. 33 Die ungarische Wortstellung wird in ProGr@mm kontrastiv schematisch mit folgender Abbildung dargestellt: 34 erste Satzhälfte Verbalpartikel - zweite Satzhälfte Fokus - verbum finitum - ( VP ) 34 Abb.1: Schematische Abbildung der ungarischen linearen Satzstruktur 35 Ferner wird in der Einheit »Wortstellung und Informationsstruktur« mit anschaulichen Beispielen gezeigt, dass in Bezug auf die Dichotomie »Hintergrund vs. Vordergrund« im Deutschen und im Ungarischen gewisse Analogien bestehen. Dass die Hintergrundinformationen im neutralen Fall sozusagen als Grundlage für die vordergründigen Informationen dienen und deshalb meistens im linken Satzteil platziert sind, während der Vordergrundteil eher ans Satzende strebt, ist wohl eine übereinzelsprachliche, von der mentalen Informationsverarbeitung her motivierte Tendenz der natürlichen Sprachen. Die prototypische Stelle für Hintergrundelemente ist im Deutschen das Vorfeld und der linke Teil des Mittelfeldes. Im Untät und wegen dem zurzeit noch nicht vorhandenen Konsens in der Fachliteratur nicht behandelt. 33 Es gibt im Ungarischen auch besondere Wortstellungstypen, die in der neueren Fachliteratur viel diskutiert werden. Insbesondere kann die Stellung bestimmter Partikeln bzw. Satzadverbien die li� neare Abfolge weiter differenzieren. Auf diese Feinheiten wird aber in ProGr@mm kontrastiv nicht eingegangen. 34 (VP) = Verbalpartikel (falls nicht vor dem verbum finitum) 35 vgl.: http: / / hypermedia.ids�mannheim.de/ call/ public/ gruwi.ansicht? v_typ=o&v_id=4355; Kontrastiv: Grammatische Aspekte der Wortstellung im Ungarischen. Péter Bassola, Viktória Dabóczi, Attila Péteri, Horst Schwinn <?page no="87"?> 87 garischen ist in erster Linie auch die erste Satzhälfte für die Hintergrundelemente bestimmt, der Vordergrundteil fängt mit der Fokusphrase und/ oder mit dem Verbalkomplex an. Ein Unterschied besteht im deutsch-ungarischen Kontrast in der ziemlich freien Beweglichkeit des Gewichtungsakzentes im deutschen Satz und in seiner gebundenen, auf das Verb bzw. auf die vor dem Verb stehende Phrase beschränkte Position im ungarischen Satz. Doch wird in ProGr@mm kontrastiv anhand anschaulicher Korpusbeispiele gezeigt, dass die häufigste Position des Gewichtungsakzentes im Deutschen am Ende des Mittelfeldes ist und daher die akzentuierte Phrase dem rechten Klammerteil, also in der überwiegenden Mehrheit der Fälle dem Vollverb vorangeht. Daraus folgt, dass in einem mit neutraler Intonation ausgesprochenen, unmarkierten Satz der Gewichtungsakzent sowohl im Deutschen als auch im Ungarischen eine bestimmte »Solidarität« zum Vollverb zeigt, indem er meistens auf die ihm vorangehende Phrase fällt. Dies geschieht jedoch im Deutschen eher nahe dem Satzende, im Ungarischen dagegen eher in der Satzmitte. 5 Fazit Im Obigen wurde gezeigt, auf welchen Grundlagen die Lehr- und Übungsgrammatik ProGr@mm kontrastiv aufgebaut ist. Wir haben gesehen, welche Zielgruppen durch das EuroGr@mm-Projekt angesprochen werden und welche Arbeitsmethoden auf den unterschiedlichen Stufen eingesetzt werden können. Die exemplarisch vorgeführte Anwendung eines wichtigen Grammatikbereiches will dazu beitragen, die Bearbeitung weiterer Grammatikphänomene verstehen und mit ihnen umgehen zu können. Diese deutsche Grammatik im Kontrast zu fünf Sprachen zeigt einerseits, wie Sprachen im Vergleich zueinander untersucht werden können, aber zugleich auch, wie mit diesen Vergleichsmethoden Sprachgruppen mit gleichen oder ähnlichen Merkmalen aufgestellt werden können; somit befinden wir uns schon auf dem Gebiet der Typologie. Die thematischen Einheiten Phrasen bzw. Flexionsmorphologie zeigen z.B., dass das Ungarische eine eher synthetische Sprache ist, während das Deutsche und das Norwegische ziemlich starke analytische Merkmale aufweisen. In dieser Hinsicht steht das Polnische dem Ungarischen näher, und das Französische und das Italienische befinden sich etwa zwischen dem Polnischen und dem Deutschen bzw. dem Norwegischen. Das wirkt sich auch auf die Wortstellung aus: je mehr synthetische Merkmale eine Sprache aufweist, desto freier ist ihre Wortstellung; so hat das Ungarische eine relativ freie und das Polnische eine etwas weniger freie Wortstellung, während das Deutsche und das Norwegische eher eine gebundene Wortstellung aufweisen. EuroGr@mm und ProGr@mm - deutsche Grammatik kontrastiv <?page no="88"?> 88 Bibliographische Angaben Abraham, Werner (2005): Deutsche Syntax im Sprachenvergleich. Grundlegung einer typologischen Syntax des Deutschen. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Tübingen: Narr. (=Studien zur deutschen Grammatik 41) Augustin, Hagen / Fabricius-Hansen, Cathrine (Hrsg.) (2012): Flexionsmorphologie des Deutschen im Kontrast. Tübingen: Julius Groos. (=Deutsch im Kontrast 26) Bassola, Péter / Engel, Ulrich / Gaca, Alicja / van de Welde, Marc (Hrsg.) (2001): Wortstellung im Sprachvergleich (deutsch - niederländisch - polnisch - ungarisch). Tübingen: Julius Groos. 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In dieser Interventionsstudie mit Vor- und Nachmessung wurde der Zuwachs an Grammatikkenntnissen gemessen. Zusätzlich wurden ein deduktiver und ein induktiver Ansatz mittels einer Kontrollgruppe miteinander verglichen. Aus der Studie geht hervor, dass die Lernstile der Schüler/ innen und deren Lernerfolg keinen signifikanten Zusammenhang aufweisen, und dass ein solcher Zusammenhang auch zwischen Lernstil, Lernerfolg und Instruktionsform nicht nachgewiesen werden kann. Dies führt zu der Schlussfolgerung, dass Lernstil kein Indiz für (grammatikalischen) Lernerfolg ist, und dass die Ergebnisse aus Lernstiltests nicht als Ausgangspunkt für didaktische Maßnahmen angewendet werden sollten. Keywords: SLA , grammar, instruction, German, learning style, effectiveness Schlüsselbegriffe: Fremdsprachenunterricht, Grammatik, Instruktion, Deutsch, Lernstil, Effektivität 1 Introduction This article considers the applicability of learning style tests for foreign language education and how these tests can support teachers in helping their students achieve better learning results. Our study was restricted in two ways. Firstly, only students and learning styles within the Dutch secondary education system were considered, and the focus was specifically on the HAVO and VWO (i.e. general and <?page no="94"?> 94 pre-university secondary education) upper grades. 1 This is because students in these grades appear to have reached the cognitive maturity required for the complex grammar at hand. 2 Secondly, learning results were measured within the boundaries of foreign language education and grammatical instruction. There is a need, in both Dutch education (Michels 2006; Vermaas and Van der Linden 2007) and the research field of international language acquisition (Andringa 2005; Robinson 1997; Norris and Ortega 2000; Spada and Tomita 2010), for (further) research into learning styles.The idea is that knowledge of learning styles can improve education, if teachers can apply this knowledge in order to bridge the gap between what the teachers offer their students and what their students need, as well as to help students understand and process information. It has been suggested that a better fit between didactic approaches and students’ learning styles will benefit learning results. Michels (2006), for instance, notes that one way of distinguishing between HAVO and VWO students is through students’ learning styles. She claims that, in VWO education, the type represented best is assimilators (in terms of Kolb, Rubin, and MacIntyre 1979; for a clarification, see below), whereas HAVO mainly contains a mix of accommodators and convergers. She consequently recommends the use of matching instruction types. According to Michels, VWO students prefer abstract concepts and reflective observations, whilst HAVO students prefer hands-on experiments and concrete experiences. However, the distribution of learning styles across HAVO and VWO is not supported with data, nor are the didactic suggestions based on it. In their research on HAVO students for the Dutch Secondary Education Board, Vermaas and Van der Linden (2007) also show that schools have high expectations of outcomes of learning styles. In their survey at 50 secondary education schools, HAVO and VWO team managers indicated that teachers do not take their students’ learning styles into account and that the organisation of the school system (the so-called Tweede Fase) does not match the learning styles of HAVO students (Vermaas and Van der Linden 2007, 21). According to these team managers, teachers should be trained with regard to learning styles. Yet, the exact characteristics of the learning style(s) of HAVO students remain obscure, as do the specifics of the didactic approach to be used. The field of international research on second language acquisition also needs more clarity about the influence of learning characteristics, such as learning styles, on the effectiveness of grammatical instruction. Meta studies in this field (Norris and Ortega 2000; Spada and Tomita 2010) show the effectiveness of explicit grammatical instruction, but also note the lack of empirical studies on the role of 1 havo = Hoger algemeen voortgezet onderwijs (higher general secondary education); vwo = voorbe� reidend wetenschappelijk onderwijs (pre�university secondary education). 2 The grammatical structure offered is the subjunctive of reported speech (German: Konjunktiv 1). Dutch teaching materials for German include this grammar only at these educational levels. For more on the choice of grammar, see below. Marjon Tammenga-Helmantel , Iryna Bazhutkina , Sharon Steringa <?page no="95"?> 95 students’ learning styles and the work that needs to be done in this area.The idea is that, when being offered new grammatical structures, learners use their preferred learning style. Insight into these preferred learning styles could help (language) teachers improve their education. New grammar could then be offered in such a way that instruction matches the preferred learning style of the students. Research on students’ learning styles has been conducted since the 1970s. Coffield, Moseley, Hall, and Ecclestone (2004) give an overview of the field in their critical review, categorising the different models and instruments based, among other things, on the notion of the flexibility and development of a student’s learning style. The reliability and validity of the tests and implications for education are also discussed.The conclusion is that research on learning styles is fragmented, that practically every model has its methodological disadvantages and that cooperation between researchers to improve this situation is called for (Coffield et al. 2004: 140). Furthermore, they advise against hasty conclusions with regard to education based on learning style tests; such conclusions would only be justified after experiments with control groups on a larger scale (141). Both general research into learning styles, such as the review by Coffield et al. (2004), and studies on learning styles in foreign language education show different opinions on how information gathered from learning style tests should be used. In many studies, the underlying idea is that learning styles and education should be matched (matching hypothesis). When the teacher knows his or her students’ preferred learning styles and adapts his or her teaching methods, this would yield better learning results and improve students’ motivation (Ellis 1989; Peacock 2001). However, Bailey, Onwuegbuzie and Daley (2000: 119) note that there are hardly any significant data about the relation between learning style and (language) learning results. A similar conclusion was drawn in the meta studies on the effectiveness of grammatical instruction (Norris and Ortega 2000; Spada and Tomita 2010). It is also unclear which teaching style or type of instruction goes best with which learning style (Peacock 2001). Apart from matching by the teacher, there is also the possibility of development on the part of the student with regard to learning styles in the context of education. If the teacher exposes students to different types of instruction, they can learn to adapt to multiple styles of education rather than being restricted to the learning style of their preference. By offering variation, the teacher thus contributes to the development of a ‘broader’ learner (Kolb et al. 1979; Reid 1987) who is capable of adapting to different forms of education that do not necessarily match with his or her own preferences. This adaptability is described in a case study on second language education in Ellis (1989). A further point of interest is the possibility to use the results of a learning style test as an instrument for feedback for the student; by pointing out strengths and weaknesses and additionally offering learning strategies, a student can improve him or herself as a learner (see Wong and Nunan 2011). Learning styles and appropriate instruction <?page no="96"?> 96 Past research on learning styles within the Dutch secondary education system, using instruments developed particularly for this type of participant, is minimal. Picarelli, Slaats, Bouhuijs, and Vermunt (2006) developed a questionnaire on learning styles containing 76 items ( VLS - VO ) for secondary education based on Vermunt’s (2003) VLS - HO . 3 They distinguish between three learning styles (without orientation, reproduction-oriented and meaning-oriented), linking these to a broad model which connects learning styles (including learning conceptions, regulation strategies and processing strategies) to learning environment, with learning environment influencing the development of learning styles. They note that the level at which the environment directly influences a learning style remains unknown (Picarelli et al. 2006: 144).The Dutch students are not divided according to learning style, but instead described as a group based on learning conceptions, learning orientations, and strategies for regulation and processing. The test offers a general picture of the student within the context of secondary education and is deliberately not geared towards a particular subject. Picarelli et al. (2006: 142) do not offer explicit didactic conclusions to their model or any of its possible outcomes regarding learning results. A second instrument for measuring learning styles that is suitable for Dutch secondary education (i.e. for adolescents whose first language is Dutch) was developed by the Flemish Dienst Beroepsopleidingen (from here on: DBO ). The questionnaire is based on Kolb’s dimensions of active experimentation vs. reflective observation and concrete experience vs. abstract conceptualisation. According to this model, learners tend to approach new information (parts of the curriculum, a problem, etc.) in a particular preferred way and this can be described along two axes. The horizontal axis reflects the way learners approach new information: either by doing (active experimentation) or by thinking (reflective observation). Moreover, this information is approached as / linked to either concrete situations or abstract concepts.The y-axis represents the way learners process new information: by applying the information to concrete situations or linking the information to abstract concepts. This leads to the following four learning styles (one for each quadrant), namely assimilators, convergers, divergers and accommodators, as shown in figure 1. Dutch secondary education is familiar with Kolb’s categorization into learning styles. The DBO learning style test consists of 28 items (seven for each learning style). Students select a score on a four-point Likert scale, indicating whether the statement is untrue, partly true, generally true or completely true. Prior to taking the test, students are asked to keep in mind a specific subject or teacher when answering the questions, because the answers depend on context ( DBO 2007: 121). The 3 vls � vo = Vragenlijst Leerstijlen voor het Voortgezet Onderwijs (Questionnaire learning styles for se� condary education); vls � ho = Vragenlijst Leerstijlen voor het Hoger Onderwijs (Questionnaire learning styles for higher education). Marjon Tammenga-Helmantel , Iryna Bazhutkina , Sharon Steringa <?page no="97"?> 97 DBO learning style test has been validated using tests and retests on 800 students, and includes didactic suggestions for each learning style. Concrete accomodator diverger Active Reflective observation converger assimilitor Abstract Figure 1: Learning styles according to Kolb et al. (1979, 61). Kolb (1984: 77 f.) also indicates the learning preferences for each learning style. These are general descriptions rather than (subject) specific examples. The converger, for instance, is described as a problem solver who makes decisions and likes practical applications of ideas. He or she prefers technical tasks and problems over social or interpersonal matters. Furthermore, this type of learner uses and builds upon knowledge via deductive argumentation, which appears to be the only characteristic that can be directly linked to the deductive approach, one of the main types of instruction in as we know them from (second language) teaching literature (Norris and Ortega 2000; Robinson 1996), viz. the deductive approach. A direct link between learning preferences and didactic approaches can also be found for assimilators, whose strong suit is inductive argumentation (Kolb 1984: 78). The other two learning styles are only generally characterized and are not directly linked to a specific type of instruction or approach by the teacher. Both Kolb (1984) and the DBO (2007) do not mention the distribution of learning styles across the entire population of learners. Several points of interest emerge from the above mentioned. Firstly, there is still insufficient knowledge of learning styles within Dutch secondary education and the distribution of learning styles across the different educational levels. Second, we are in need of studies that show that certain learning styles matched with certain instruction types yield better learning results. These conclusions are found both in general studies on learning styles (Coffield et al. 2004) and in studies on foreign language acquisition (Bailey et al. 2000; Peacock 2001). Didactic suggestions are provided for different learning styles (for instance in DBO 2007), but these suggestions are not based on empirical research. Learning styles and appropriate instruction <?page no="98"?> 98 This article focuses on these two matters more closely through the following questions: (1) How are learning styles distributed within Dutch secondary education? The aim is to find whether certain learning styles appear more or less frequently within the Dutch secondary education system, with an emphasis on upper grade HAVO and VWO students. We gathered data in order to confirm whether learning styles do indeed differ for learners from different educational levels, as assumed in Michels (2006). (2) Are there sufficient grounds for teachers to use information gained from learning style tests to modify the didactic approach of their lessons? To answer this question, the influence of learning style on learning results after (different types of grammatical) instruction was measured. Our experiment was conducted in the field of foreign language acquisition. More precisely, we focused on Dutch secondary education, with upper grade HAVO and VWO students who were learning German. We intended to gain more information on the distribution of learning styles and the relation between learning style and different types of instruction. Our study provided students with inductive instruction, deductive instruction or no instruction on the subjunctive ( SUB ) for reported speech in German. An example of this so-called reported speech is given in (1): (1) Der Mann behauptet er habe nichts gestohlen. The man claims he has_ SUB nothing stolen ‘The man claims that he has stolen nothing’ This relatively complex grammatical structure was chosen because Dutch teaching materials for German as a foreign language do not treat the subjunctive as productive subject matter. Students would probably have encountered such verb forms receptively (in reading texts), but explicit instruction on the grammatical structure is not provided. We therefore expected the existing knowledge of this verb form to be roughly at the same level for all participants, which is fairly low. During the intervention, the rules for this verb form were treated explicitly, either because the teacher explains them (deductive), or because students deduce them from the materials themselves (inductive). In both cases, learners knew that they were working on their grammar. Using a pre-test/ post-test design, learning gains were quantified using two different types of grammatical tests (which required either the receptive or productive use of grammatical knowledge). In all cases, students also took a learning style test together with the pre-test. Marjon Tammenga-Helmantel , Iryna Bazhutkina , Sharon Steringa <?page no="99"?> 99 2 Method This section presents information about the participants (secondary school students), which participated in our study, how their learning styles and language proficiency were measured, and how these results were analysed. 2.1 Participants A total of 219 students from 8 different schools for secondary education in the Netherlands (14 teachers) participated in this study. Students were part of either fourth-year classes at the HAVO level, or fourth or fifth-year classes at the VWO level, with ages ranging from 15-18 years. All participants are native speakers of Dutch. Students with a different first language (L1) or repeaters were removed from the data set. We thus have a relatively homogeneous group of participants, without differences in pre-knowledge and L1 blurring the test results. Teachers were approached via the digital community for German teachers and the network of the teacher training programme at the University of Groningen. All teachers who indicated that they were willing to participate were accepted for the study. Types of instruction and control groups were assigned to classes at random. Tests were taken and grammar was taught during regular class hours for all students in each class. Table 1 shows an overview of the distribution of instruction type per educational level. HAVO VWO total Deductive 55 59 114 Inductive - 63 63 Control group 21 21 42 Total 76 143 219 Table I: Instruction forms per educational level 2.2 Instruments As described earlier, the learning style test by DBO (2007) was used to measure students’ learning styles. This was partly for practical reasons (the test is quick and easy to take) and partly because of its direct applicability within the didactic context. Kolb’s terminology is generally well known in Dutch (secondary) education and is therefore directly ‘legible’ for teachers who want to discuss the results Learning styles and appropriate instruction <?page no="100"?> 100 with their classes after the conclusion of the study. The test can also be applied in a subject-specific way by asking students to focus on the subject at hand (here: German). The learning style test described in Vermunt et al. (2003) does not have these practical advantages, although it does offer a broader view of the student by including learning conceptions and strategies. The results of the grammar instruction were quantified using two instruments that were developed based on Andringa (2005).The first is a grammaticality judgement test, which requires students to determine whether or not a sentence is grammatically correct. It consists of 11 sentences in which the subjunctive is used, mixed with 9 fillers. This grammaticality judgement test ( GJ test) requires the receptive application of grammatical knowledge of the subjunctive for indirect speech. The second test is a writing test in which students are asked to respond to six situations with a minimum of 50 words, using the subjunctive for indirect speech. This is a way to test the extent to which students are capable of productively applying their knowledge of the grammatical structure. Examples of these tests can be found in the appendix; Cronbach alpha for the grammaticality judgement test and the writing test indicating the tests’ overall reliability (internal consistency) are .60 (medium) and .77 (pretty good), respectively. 4 All the subject material was available in writing for the students to work through independently. Teachers were instructed in advance to discuss certain exercises in class, but were asked not to offer additional explanation of the subject matter. This way, the influence of teachers on the results was kept as minimal as possible so that it was the effect of the particular type of instruction used that was measured. A separate package of teaching material was put together for each instruction type (inductive and deductive). Each package started with a class hour of pretesting, in which the grammaticality judgement test, the writing test and the learning style test were taken. The second and third class hours consisted of working through the materials offered in different ways according to instruction forms. In the fourth class hour, the post-tests were taken. These were similar to the GJ and writing tests, yet slightly altered so as not to demotivate students. 5 The package of subject material began in the same way for each type of instruction, with a reading text containing several instances of the subjunctive for reported speech.The deductive approach then proceeded to cover the grammatical rule which in turn had to be practiced in blanks exercises. The inductive version of the package allowed students to gather the grammatical rule from the reading text, after which it was practiced in a similar manner as in the deductive material. Both 4 Values around .70 are considered good for ability tests (Field 2013: 715) 5 We have minimally changed this test, viz. in the nominal domain: Unsere Katze könne vielleicht die Maus finden. vs. Unser Hund könne vielleicht den Einbrecher finden. No changes were made in the verbal domain, since verbs (i. e. subjunctive) are the focus of our research. In this way, the same things could be measured in the pre� and post�test. Marjon Tammenga-Helmantel , Iryna Bazhutkina , Sharon Steringa <?page no="101"?> 101 types of instruction concluded with a guided writing exercise and an exercise in which the grammatical form was revisited in the form of a puzzle. A more detailed description of the materials can be found in Tammenga-Helmantel, Bazhutkina, Hummel, and Steringa (2013). 2.3 Procedure All teachers who had offered to participate in the experiment received a package with general teacher instructions, student materials, teacher materials and lists on which they could register the students’ names, mother tongue, sex, and attendance, and the repeaters for each class. Regular hours were used and the students’ regular teacher administered the tests and packages. Teachers had about three weeks to work through the materials with their classes. Afterwards, all materials and lists were returned to the researchers. Scoring the learning style tests was a matter of counting the number of points for each learning style and subsequently adding the learning style with the highest score as the preferred style in the data set. In case of a tie, the preferred learning style was marked as ‘indefinite’ (12.7% of the participants). Answers to each item on both the GJ test and the writing test were scored as correct (1) or incorrect (0) to reach an overall score of correct items per student. Spelling errors that were not directly related to the tested grammar form were ignored. 2.4 Data analysis Statistical calculations were done using SPSS . Cross table analyses were implemented to determine the distribution of learning styles, using a chi-square test to see if there were any differences between the HAVO and VWO secondary education levels. To map the interaction between learning gain, instruction and learning style, we used a 3-way ANOVA , with type of education ( VWO - HAVO ), learning style (converger, diverger, assimilator, and accommodator) and instruction type (deductive, inductive, control) as independent variables and the resulting gain score (difference between pre and post) as a dependent variable.This model of analysis enabled us to determine whether all students scored better on the post-test than on the pre-test, as well as whether there were differences in the extent to which students scored better with regards to type of education or learning style. Differences would appear in the form of significant interaction effects of type of education and learning style with the results of the tests. Learning styles and appropriate instruction <?page no="102"?> 102 The fact that scores on the post-test were better than those of the pre-test, combined with the significant output of the ANOVA test lead us to conclude that, on average, all students improved their results. By determining the significance of the interactions between independent and dependent variables, we are able to conclude whether these factors have a significant effect on a possible increase in learning gain. The α threshold was set to 0.05. 3 Results and analysis This section provides the research data and our analyses thereof. The focussing of the analysis is on the distribution of learning styles across the educational levels HAVO and VWO , and the relation between learning styles and learning gains. 3.1 Learning styles within HAVO and VWO The contingency table (table 2) shows the distribution of learning styles across HAVO and VWO participants. There is no significant association between learning style and level of education: χ 2 (4) = 7.94, p = 0.094. In other words, the distribution of learning styles across HAVO and VWO students does not differ significantly. Learning style HAVO total VWO total Total accommodator 12 (15,8) 13 (9,1) 25 (11,4) diverger 20 (26,3) 37 (25,9) 57 (26,0) converger 30 (39,5) 67 (46,9) 97 (44,3) assimilator 1 (1,3) 11 (0,7) 12 (5,5) indefinite 13 (17,1) 15 (10,5) 28 (12,8) total 76 143 219 Table II: Number of participants per learning style (percentages between brackets) With regard to the distribution of learning styles, both for different learning levels and in total, convergers are seen to be overrepresented in all classes (44,3%). Divergers also form a large group, at 26,0%. Accommodators and assimilators, on the other hand, constitute only 11,4% and 5,5% of the population, respectively. Marjon Tammenga-Helmantel , Iryna Bazhutkina , Sharon Steringa <?page no="103"?> 103 3.2 Learning styles and learning gain Table 3 shows the learning gains per instruction type and learning style for the GJ test. Learning style inductive deductive control group N accommodator 4,33 (4,76) 2,09 (3,01) 0,50 (2,33) 25 diverger 3,60 (2,23) 0,83 (2,35) 0,83 (3,31) 57 converger 3,41 (3,01) 1,34 (2,54) 0,81 (1,80) 97 assimilator 3,67 (1,52) 3,00 (2,12) -0,50 (2,64) 12 indefinite 2,86 (3,53) 2,77 (2,35) 0,50 (2,14) 28 total 3,49 (2,98) 1,49 (2,61) 0,57 (2,21) 219 Table III: GJ�test: Mean learning gain results per learning style and instruction form (standard deviation between brackets) The ANOVA shows a significant change in learning gain (here: increase in grammatical knowledge) between the pre-test and the post-test: F(1, 195) = 33.766, p < 0.0005, η 2 = 0.148. There is also a significant relation between the increase of grammatical knowledge and type of instruction (F = 7.794, p = 0.01, η 2 = 0.074), which means that the type of instruction given to the participant had a significant influence on learning gain. Pairwise comparisons show deductive instruction to result in higher learning results when compared to the control groups (p = 0.08), yet the results for the deductive approach are significantly lower than those with inductive instruction (p = 0.016), which renders the highest learning gains. No significant effect of learning styles on the increase of grammatical knowledge can be seen, though (p = 0.761); nor are there any significant differences between instruction types for students who have different learning styles (p = 0.616). This implies that a student’s learning style does not affect the increase of grammatical knowledge. Furthermore, a student with a specific learning style cannot be said to benefit most from a specific type of instruction. The results of the writing test, in which grammatical knowledge is used productively, are given in table 4. Learning styles and appropriate instruction <?page no="104"?> 104 Learning style inductive deductive control group N accommodator -0,17 (0,98) 0,09 (0,83) 0,13 (0,64) 25 diverger 0,33 (0,49) 0,08 (0,65) 0,00 (0,63) 57 converger 0,21 (0,75) 0,08 (0,79) 0,00 (1,03) 97 assimilator 1,00 (1,00) 0,00 (0,00) 0,00 (0,82) 12 indefinite 0,29 (1,11) 0,38 (0,65) -0,13 (0,35) 28 total 0,25 (0,78) 0,11 (0,71) 0,00 (0,77) 219 Table IV: Writing test: Mean learning gain results per learning style and instruction form (standard deviation between brackets) Unlike in the case of the GJ test, neither instruction type nor learning style have a significant effect on the difference between the results of the pre-test and those of the post-test. There has not been an increase in productive grammatical knowledge over the course of the lessons (p = 0.107). This lack of learning gain means that the results cannot be used to determine whether learning style influences learning gain. Both the GJ test and the writing test show that in the case of a significant learning gain, a difference in increased knowledge cannot be attributed to a student’s learning style. Furthermore, it is not possible to pinpoint the most suitable type of instruction for each learning style (i.e. the one which gives the best learning results) based on these analyses. 4 Conclusions and discussion The first question raised in this study concerns the distribution of learning styles in Dutch secondary education. Until now, there was no empirical data available on this subject, as far as we know, although claims have been made, such as those made by Michels (2006). In our data upper grade HAVO and VWO classes show a dominance of convergers and relatively few accommodators and assimilators. This is not in line with the assumptions as formulated in Michels (2006), who states that VWO students are mainly assimilators and HAVO students are accommodators and divergers. The supposed difference between the distribution of learning styles across HAVO and VWO seems to be non-existent. This is not to say that HAVO and VWO students are not different, but this difference cannot be expressed in terms of learning styles according to the DBO -test (after Kolb et al. 1979). The conclusion that can be reached regarding the distribution of learning styles across our population is that (1) learning styles, as measured using the DBO instrument (2007), are distributed fairly unequally and (2) the supposed difference in learning style between HAVO and VWO students cannot be confirmed here. Marjon Tammenga-Helmantel , Iryna Bazhutkina , Sharon Steringa <?page no="105"?> 105 With regard to the extent to which these data can be generalised, it is important to note that students took the learning style test with the instruction to keep a specific in subject in mind, which in this case was German. The students’ perceptions of their results and their general opinion of this subject influenced the results for the learning style test. We do not know whether different subjects, either within or outside the field of language education, would give the same outcome. To test this, further research is necessary. The number of participants in this study is a second subject for discussion. As noted in the method section, instruction types were randomly assigned to participating classes. However, during the experiment, a number of the participating teachers withdrew due to the pressure of their curriculum and ensuing time constraints. As a result, the group sizes for the different types of instruction vary, and none of the HAVO groups were instructed using the inductive approach. We further note that the concept of learning style has been used statically here, i.e. at a fixed point in time from a subject-specific perspective.This does not tell us anything about the possible development that students can go through in this area. Insight in learning styles for both teachers and students could very well benefit from the judgements of learning and thus contribute to metacognitive knowledge and the ability to self-regulate learning. The second research question regards the implications of the information about learning styles for education. No significant relations can be found in our study of learning styles, instruction type and learning gain. We therefore cannot conclude that a certain learning style will yield higher learning results, nor can we state that the choice of a specific type of instruction combined with a specific learning style will give the best learning results. The data do not give cause to administer the learning style test as an instrument for prescribing the didactic approach to be used. This study contributes to the gap in research into the relation between learning styles and learning gain (Bailey et al. 2000; Peacock 2001), but offers no basis for straightforward guidelines for language education. Information about learning styles may not directly provide grounds for choosing a certain type of instruction, but other differences between students do seem to play a role, such as a student’s cognitive knowledge and skills and the duration of the intervention. The influence of the student’s cognitive level on the learning results might be as follows. Only cognitively stronger students are able to process or ‘tackle’ the more challenging and less guided inductive approach, where they have to infer the grammar rules themselves. Hence, these students have an advantage over the cognitively weaker students whenever a teacher opts for a less guided didactic approach chosen (here: inductive as opposed to deductive instruction). Erlam (2005; 2012) and Lee and Anderson (2013) confirm the role of both factors (i.e. cognitive level of the students and duration of the intervention) in the acquisition of foreign languages and the acquisition of knowledge and proce- Learning styles and appropriate instruction <?page no="106"?> 106 dures from the exact sciences, respectively. However, Shaffer (1989) shows that the cognitive level of her participants does not influence the success of an inductive approach when learning a number of French and Spanish grammatical constructions. Our study demonstrates the success of students who are cognitively strong, as VWO -students score better when an inductive approach is used (on the GJ test, but not the writing test). Unfortunately, this result cannot be compared to that of HAVO students because the inductive approach was not used in that group. As far as we know, no straightforward results have been published on this topic, and further research is necessary. Our research shows that the differences in students’ learning styles do not justify the use of a specific didactic approach. However, we do see opportunities for teachers to use the information gathered from learning style tests to provide their students with feedback. Teachers who participated in our study also expressed an interest in this information about their students; whether they have used the information and helped their learners to broaden their self-knowledge and achieve better learning results is unclear. However, this application of learning style outcomes for feedback purposes and the effect thereof also deserve further attention. Acknowledgements We thank Marjolijn Verspoor and Cor Suhre for their comments and suggestions on earlier versions of this article. Moreover, we are grateful to the teachers who have participated in our research project. References Andringa, S.J. (2005): Form-focused Instruction and the Development of Second Language Proficiency. Dissertation. University of Groningen Bailey, P. / Onwuegbuzie, A.J. / Daley, Ch.E. (2000): “Using Learning Style to Predict Foreign Language Achievement at the College Level”. In: System 28, p. 115-133 Chapelle, C.A. (ed.) (2012): The Encyclopedia of Applied Linguistics. London: Blackwell Coffield, F. / Moseley, D. / Hall, E. / Ecclestone, K. (2004): Learning Styles and Pedagogy in Post-16 Learning. A Systematic and Critical Review. 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Tilburg: VO -raad Vermunt, J. D. / Bouhuijs, P.A.J. / Picarelli, A. (2003): Vragenlijst Leerstijlen voor het Voortgezet Onderwijs ( VLS - VO ). Maastricht: Universiteit Maastricht, Expertisecentrum Actief Leren Wong, L.L.C. / Nunan, D. (2011): “The Learning Styles and Strategies of Effective Language Learners.” In: System 39, p. 144-163 Learning styles and appropriate instruction <?page no="108"?> 108 Appendix 1. Grammaticality judgement test (selection) Is the sentence grammatically correct? Juist/ Onjuist Voorbeeld: Unserer Tochter hat schöne Kleidung. Onjuist 1. Am liebsten spricht meiner Mutter Englisch. 2. Der Politiker habe gesagt, er sei nicht verantwortlich. 3. Ohne Butter könne man nicht kochen, meint der Koch. 4. Seien wir doch vernünftig! 5. Könnt wir solche Probleme lösen? 6. In der Zeitung stehe Kühe hätten zu wenig Raum. 7. Unsere Katze könne vielleicht die Maus finden. 8. Der Polizist habe keine Menschen gefunden, stand in der Zeitung. 9. Sei es Sommer oder Winter, er trägt immer Lederhosen. 10. Die Verkäuferin hat gesagt, dass meine Größe leider ausverkauft ist. Appendix 2. Writing test (selection) Beantwoord de vragen in het Duits. Gebruik voor elke antwoord tenminste 50 woorden. [Answer the questions in German. Use at least 50 words for each answer.] 1a Stel je voor: je wint een talentenjacht en wordt in een klap wereldberoemd. Wat zou je als eerste doen? Begin je zin met “Wenn ich berühmt wäre, dann …” [Imagine you would win a talent show and you would become famous instantly. What would you do? Start your sentence with “…”] 1b Een vriend vertelt je wat hij zou doen als hij een talentenjacht zou winnen. Vertel je moeder wat hij verteld heeft, gebruik in elk geval het woord “behaupten” (= beweren) [A friend tells you what he would do if he won a talent show. Tell your mother what he told you. Make sure to use the word “behaupten” (= claim)] Marjon Tammenga-Helmantel , Iryna Bazhutkina , Sharon Steringa <?page no="109"?> Ingo Fehrmann (Berlin) Gebrauchsbasierte Bestimmung kommunikativ relevanter Konstruktionen Der Beitrag 1 schlägt eine Brücke von einem gebrauchsbasierten Ansatz der Sprachbeschreibung zu konkreten, für D a F -Lernende relevanten kommunikativen Zielen. Zunächst werden Verwendungen des Verbs machen mit einem objektsprädikativen Adjektiv (z.B. Es macht mich krank) in einem Korpus statistisch ausgewertet und ausgehend von den Ergebnissen einer »Covarying Collexeme Analysis« verschiedenen semantischen Frames zugeordnet. Diese werden dann jeweils auf die kommunikativen Funktionen bezogen, die bereits in »Profile Deutsch« beschrieben sind. 1 Gebrauchsbasierte Sprachbeschreibung Als Lehrperson wird man zumindest von erwachsenen Lernenden häufig mit Fragen zu sprachlichen Normen und Regularitäten konfrontiert, die etwa so lauten: »Kann ich sagen: …« oder: »Geht das? « Auch Wörterbücher und Grammatikübersichten werden mit demselben normativen Erkenntnisinteresse konsultiert, und unausgesprochen stellen sich viele Lernende solche Fragen sicherlich noch wesentlich häufiger. Sie lassen sich subsumieren unter die übergeordnete Frage: »Was ist grammatisch? « bzw. aus Sicht der Sprechenden formuliert: »Was darf ich (nicht) sagen? « Die Antwort wird jedoch sehr häufig eingeschränkt sein: Es kommt ganz wesentlich auf den Interaktionskontext an. An dieser Stelle setzen gebrauchsbasierte Ansätze der Sprachwissenschaft an (vgl. Langacker 2000; Tomasello 2003; Bybee 2013; eine überblicksartige deutschsprachige Einführung bietet z.B. Behrens 2009), deren übergeordnete Fragestellung lautet: »Was ist (in einem gegebenen sprachlichen Kontext) zu erwarten, was ist wahrscheinlich? « Eine solche Frage ist einerseits umfassender als die nach der Grammatikalität, weil sie zusätzlich zu der rein formalen Ebene der Sprachbeschreibung zwei weitere Ebenen der kommunikativen Kompetenz im Sinne von Hymes (1972) mit einschließt: den Einfluss des kommunikativen Kontexts und die Auswahl durch die Sprachverwendenden (vgl. Mukherjee 2002: 79). Andererseits lässt sie sich gut mit korpuslinguistischen Methoden empirisch beantworten, indem der tatsächliche Sprachgebrauch systematisch analysiert wird. Die direkte Relevanz für D a F - Lernende wird deutlich, wenn man diese umfassendere Fragestellung noch einmal 1 Ich danke Hans Boas, Martin Businger und Brigitte Handwerker für kritische Fragen und wertvolle Anregungen. <?page no="110"?> 110 umformuliert und fragt: »Was erwartet mein Kommunikationspartner? « Denn letztlich bedeutet eine hohe kommunikative Kompetenz vor allem, den eigenen sprachlichen Ausdruck möglichst gut an die formalen (natürlich nicht inhaltlichen! ) Erwartungen der jeweiligen Adressat/ innen anpassen zu können (vgl. auch Wray 2002: 109 f. 125 f.). Diese Erwartungen werden im Spracherwerb induktiv durch die sprachliche Erfahrung - technisch gesprochen durch eine distributionelle Analyse des sprachlichen Inputs - geprägt (vgl. Tomasello 2003: 295 ff.; Ellis 2013: 368). Der vorliegende Beitrag basiert auf Zwischenergebnissen aus einem laufenden Dissertationsprojekt und ist einem gebrauchsbasierten Ansatz der Sprachbeschreibung verpflichtet. Im folgenden Abschnitt soll zunächst die Beziehung der hier vorgestellten Herangehensweise zur Sprachdidaktik geklärt werden, bevor im Abschnitt 3 die empirischen Daten präsentiert und diskutiert werden. Abschnitt 4 schlägt den Bogen zurück zur Anwendung im Bereich Deutsch als Fremdsprache. 2 Didaktische vs. empirische Perspektive Wie in vielen gebrauchsbasierten Arbeiten wird in diesem Beitrag Sprache als strukturiertes Inventar von Konstruktionen aufgefasst, die als Form-Bedeutungs- Zuordnungen definiert sind - als »learned pairings of form with semantic or discourse function« (Goldberg 2006: 5; vgl. zu theoretischen Grundlagen der danach benannten Konstruktionsgrammatik auch Goldberg 1995). Nun hängt es aber von der Perspektive ab, ob man von einer Bedeutung bzw. kommunikativen Funktion ausgeht und dieser eine passende Form zuordnet, oder umgekehrt eine Bedeutung einer gegebenen Form. Wenn wir Sprache verwenden, haben wir zunächst eine bestimmte kommunikative Intention, zu der wir eine passende Form suchen. Gleiches gilt natürlich für Lernende, die eine Zielsprache verwenden. In einer kommunikativen oder neo-kommunikativen (Reinfried 2001) Didaktik ist also stets die Bedeutung oder Funktion der Ausgangspunkt - dies ist die didaktische Perspektive, die unter dem Stichwort »Handlungsorientierung« auch der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen einnimmt (vgl. Europarat 2001: 21 ff.). Beobachten kann man jedoch nur die Form, von der ausgehend dann auf eine oder mehrere mögliche Bedeutungen oder Funktionen geschlossen werden kann. Diese entgegengesetzte Perspektive ist also diejenige, die wir alle beim Sprachverstehen einnehmen. Gleichzeitig gehen gebrauchsbasierte Modelle des Spracherwerbs davon aus, dass diese Perspektive allen impliziten Spracherwerbsprozessen zu Grunde liegt. Dies zeigen ausführlich Tomasello (2003) für den Erstspracherwerb sowie N. Ellis (1996; 2003; 2013) für den Zweitspracherwerb: Lernende führen danach, wie bereits oben angedeutet, implizit eine distributionelle Analyse des sprachlichen In- Ingo Fehrmann <?page no="111"?> 111 puts durch und sind dadurch in der Lage, Form-Bedeutungs-Beziehungen zu erkennen und zu abstrahieren. Auf dieselbe Art und Weise lässt sich der Sprachgebrauch auch mit wissenschaftlichem Interesse beobachten, mit dem Unterschied, dass die Methoden der distributionellen Analyse explizit gemacht werden und dadurch Annahmen über den Spracherwerb einerseits und die Sprache als Lerngegenstand andererseits empirisch überprüft werden können. Die hier vorgestellte Studie hat dabei die Untersuchung eines Ausschnitts des Lerngegenstandes, nicht des Lernprozesses zum Ziel. Diese zweite Perspektive ist also die empirische Perspektive. Die wechselseitige Beziehung zwischen beiden Perspektiven ist in Abb. 1 dargestellt. didaktische Perspektive Form Bedeutung/ Funktion empirische Perspektive Abb. 1: Didaktische vs. empirische Perspektive 3 Beispiel: Kausative Konstruktionen mit machen 3.1 Untersuchungsgegenstand Die vorgestellten Daten stammen aus einer ersten Untersuchung eines laufenden Dissertationsprojekts mit dem Arbeitstitel »Gebrauchsbasierte Beschreibung kausativer Konstruktionen mit machen als Basis für die Vermittlung im Rahmen von Deutsch als Fremdsprache«. Mit kausativen Konstruktionen sind einerseits Äußerungen wie die Belege (2) bis (4) aus dem TIGER -Korpus (Brandts et al. 2004) gemeint, die sich der abstrakten Struktur in (1) zuordnen lassen: Eine Form des Verbs machen wird verbunden mit einem Objekt (Y ) - i.d.R. ein nominales Akkusativobjekt, siehe aber weiter unten im Abschnitt 3.3 - und einer Adjektivphrase ( AP ) in objektsprädikativer Funktion. X steht in (1) für ein Element in der Funktion des Subjekts; macht steht stellvertretend für eine beliebige Form des Verbs machen, nicht für eine konkrete Flexionsform. (1) [X macht Y AP ] (2)Es macht mich krank (3)Zwei weitere Faktoren machen die US -Position noch heikler (4)Die unhygienischen Verhältnisse machten dann eine explosionsartige Ausbreitung der Bilharziose zwangsläufig Gebrauchsbasierte Bestimmung kommunikativ relevanter Konstruktionen <?page no="112"?> 112 Möller (2010) und Fehrmann/ Möller (2012) bezeichnen diese Struktur kurz als »machen + Adjektiv« und ordnen dem Verb in diesen Fällen eine eindeutig kausative Verwendung zu. Die Verwandtschaft zur sog. Resultativkonstruktion diskutieren u.a. Handwerker (2006) und Möller (2010: 193 ff.). Diese Struktur ist in verschiedenen Textsorten des Deutschen sehr häufig, auf sie entfallen ca. ein Drittel aller Belege des ohnehin sehr häufigen und vielseitigen Verbs machen (vgl. Fehrmann/ Möller 2012: 12 f.). Durch die Beispiele wird deutlich, dass die in (1) als X, Y und AP bezeichneten Elemente unterschiedlich komplex realisiert werden können. Die parallele, aber nicht so häufige Struktur in (5) mit objektsprädikativer zu- Präpositionalphrase, exemplifiziert durch die Belege (6) und (7), ist ebenfalls Untersuchungsgegenstand des Dissertationsvorhabens, wird im Folgenden aber nicht behandelt. (5) [X macht Y zu NP DAT ] (6) der Dialog macht Zuschauer zu Akteuren (7) Ihre Vielzahl macht sie zu einem kaum vergleichbaren Experimentierfeld 3.2 Vorgehen Die Studie basiert auf der Auswertung des TIGER -Korpus, das Zeitungsartikel aller Gattungen aus der Frankfurter Rundschau enthält (vgl. Brandts et al. 2004). Es ist mit 888 578 Tokens für heutige Verhältnisse relativ klein, ist aber morphosyntaktisch tief annotiert, 2 so dass komplett abstrakte Mustersuchen, beispielsweise nach nominalen Akkusativobjekten, möglich sind. Aus dem TIGER -Korpus stammen auch alle Beispielsätze im vorliegenden Beitrag. Ziel dieser explorativen Untersuchung war zunächst die Identifikation lexikalischer Kollokationen innerhalb einer hypothetischen kausativen Konstruktion [X macht Y AP ], allerdings liefert sie auch Daten für die Diskussion um den Abstraktionsgrad von Konstruktionen (vgl. hierzu Boas 2010; 2011). Im weiteren Verlauf des Dissertationsprojekts werden die hier vorgestellten Ergebnisse anhand eines wesentlich größeren Korpus überprüft. In einem ersten Schritt wurden also alle Vorkommen von Konstruktionen, die eine Form des Verbs machen enthalten, aus dem Korpus extrahiert und nach formalen Mustern kategorisiert (vgl. Tab. 1). 2 Ein Token ist im Korpus eine Zeichenkette zwischen zwei Leerzeichen, i.d.R. also ein Wort. Unter Anno� Ein Token ist im Korpus eine Zeichenkette zwischen zwei Leerzeichen, i.d.R. also ein Wort. Unter Anno� tation versteht man die Anreicherung mit zusätzlichen Informationen, die mit den einzelnen Tokens verknüpft sind - so ist der Wortform Ausbreitung aus Beleg (4) im TIGER�Korpus beispielsweise eine Wortart�Kategorie (»Normales Nomen«) zugeordnet sowie die Information, dass sie Teil einer komple� xeren Nominalphrase in der Funktion eines Akkusativobjekts ist. Ingo Fehrmann <?page no="113"?> 113 Konstruktion Frequenz absolut Frequenz relativ X macht Y 421 47,52% X macht Y AP 362 40,86% X macht Y zu NP DAT 68 7,67% Sonstige 35 3,95% Summe machen 886 100,00% Tab. 1: Verteilung der Konstruktionen mit machen im tiger �Korpus In einem zweiten Schritt wurde dann auf Basis aller Vorkommen von [X macht Y AP ] eine »Covarying Collexeme Analysis« (vgl. Gries/ Stefanwitsch 2004; Stefanowitsch/ Gries 2005) durchgeführt. Diese Methode ist eine Variante der von Stefanowitsch/ Gries (2003) eingeführten sog. Kollostruktionsanalyse (»collostructional analysis«), bei der die gegenseitige Assoziation zweier Elemente innerhalb einer Konstruktion mittels einer statistischen Analyse quantifiziert wird. In diesem Fall ist die Konstruktion [X macht Y AP ], die beiden in Beziehung gesetzten Elemente sind Y (also die Objekt-Phrase) und AP (die objektsprädikative Adjektivphrase). Die lexikalischen Füllungen der Elemente Y und AP werden als »Kollexeme« bezeichnet. Im Beispiel (8) sind also Weg und frei Kollexeme innerhalb der Konstruktion [X macht Y AP ], wobei jeweils ausschließlich die Kernlexeme der Phrasen betrachtet werden; Determinatoren oder etwaige Modifikatoren innerhalb von Y oder AP spielen für die Analyse zunächst keine Rolle. (8) Wir machen den Weg frei Die Stärke der Assoziation zwischen diesen beiden Kollexemen, die »Kollostruktionsstärke« (»collostruction strength«, vgl. Stefanowitsch/ Gries 2003: 219) kann nun mit derjenigen aller anderen Y- AP -Kollexem-Paare, die in dieser Konstruktion [X macht Y AP ] vorkommen, verglichen werden. Auf diese Weise erhält man eine Rangfolge der Lexemverbindungen in dieser Konstruktion, geordnet nach der Kollostruktionsstärke. Einen Ausschnitt aus einer solchen Liste stellt Tab. 2 dar. Diese statistisch ermittelten Daten - also die Ergebnisse der distributionellen Analyse - müssen nun in einem dritten Schritt qualitativ interpretiert werden, indem man jeweils alle Vorkommen desselben Kollexempaars im Hinblick auf die Form-Bedeutungs-Beziehung analysiert. Gebrauchsbasierte Bestimmung kommunikativ relevanter Konstruktionen <?page no="114"?> 114 3.3 Ergebnisse Das eben beschriebene Vorgehen soll nun anhand eines Beispiels detailliert vorgestellt werden. Betrachten wir dazu die Tab. 2, in der die am stärksten miteinander assoziierten Kollexeme in der Konstruktion [X macht Y AP ] aufgeführt sind. AP Y Frequenz AP Frequenz Y beob. AP_Y erw. AP_Y Koll. stärke deutlich SATZ 36 50 30 4,58 25,10 aufmerksam LEER 19 26 13 1,26 12,48 frei Weg 5 5 5 0,06 10,88 stark sich 11 44 10 1,23 8,93 mobil LEER 7 26 6 0,46 6,50 klar SATZ 9 50 8 1,15 6,48 schuldig sich 6 44 6 0,67 5,84 möglich es+ SATZ 8 8 4 0,16 5,31 glücklich alle 2 2 2 0,01 4,89 breit sich 5 44 5 0,56 4,85 abhängig Zustimmung 12 3 3 0,09 4,66 locker Mark 4 2 2 0,02 4,11 bemerkbar sich 6 44 5 0,67 4,11 rückgängig Urteil 7 2 2 0,04 3,56 sichtbar unsichtbare 7 2 2 0,04 3,56 verantwortlich Gruppe 30 3 3 0,23 3,39 schwer es 4 5 2 0,05 3,11 leicht es+SATZ 3 8 2 0,06 2,97 möglich Entwicklung 8 3 2 0,06 2,97 Tab. 2: Am stärksten miteinander assoziierte Kollexeme in Y� und AP�Slot. Die »Kollostruktionsstärke« (Koll.stärke) entspricht dem negativen dekadischen Logarithmus des p� Wertes des Fisher�Yates�Tests. Zum Vergleich: Eine Kollostruktionsstärke > 3 entspricht einem p�Wert < 0,001. Nicht�lexikalische Y�Kategorien: SATZ = Objektsatz; es+SATZ = Objektsatz mit Korrelat�es; LEER: keine Füllung des Y�Slots. Die Berechnung erfolgte mit einem entsprechenden Skript (Gries 2007) für das Statistikprogramm R (R Development Core Team 2011). Die Tabelle enthält in der dritten und vierten Spalte jeweils die Frequenz, mit der die AP bzw. Y-Lexeme insgesamt in der Konstruktion vorkommen; in der mit »beob. AP_Y « betitelten fünften Spalte ist angegeben, wie häufig sie tatsächlich Ingo Fehrmann <?page no="115"?> 115 gemeinsam vorkommen. Die Spalte »erw. AP_Y « zeigt die in Abhängigkeit von der Korpusgröße erwartete Frequenz des gemeinsamen Vorkommens an. Der Vergleich der tatsächlich beobachteten mit der erwarteten Häufigkeit führt nun zu einer Angabe der Zufallswahrscheinlichkeit (berechnet mit dem Fisher-Yates-Test, vgl. Stefanowitsch/ Gries 2003: 218) - bzw. umgekehrt betrachtet zu einem Maß für die gegenseitige Assoziation der beiden Kollexeme, der Kollostruktionsstärke (der negative dekadische Logarithmus des p-Wertes des Fisher-Yates-Tests; vgl. Stefanowitsch/ Gries 2005: 7). Diese ist in der letzten Spalte angegeben. Abgesehen davon, dass Weg und frei aus dem Beispiel (8) tatsächlich stark miteinander assoziiert sind - sie kommen im Korpus ausschließlich gemeinsam in der Konstruktion [X macht Y AP ] vor - fällt in der ersten Zeile der Tab. 2 sofort auf, dass nicht nur lexikalische Kategorien für die Besetzung des Y-Slots dieser Konstruktion eine Rolle spielen: SATZ bezeichnet einen Objektsatz wie in (9); die Belege (10) und (11) weiter unten zeigen beispielhaft, dass mit dass-Sätzen und w-Sätzen verschiedene formale Typen von Nebensätzen möglich sind. (9) Die Straßensperren der Lkw-Fahrer machen darüber hinaus deutlich, zu welcher Fehlentwicklung die Transportpolitik in der EG geführt hat Objektsätze sind nicht nur generell auffällig häufig in der Konstruktion [X macht Y AP ], sondern sie sind offensichtlich auch sehr stark gebunden an bestimmte Adjektivlexeme im AP -Slot, nämlich deutlich und klar. An dieser Stelle gehen die Ergebnisse der Studie bereits über die Identifizierung rein lexikalischer Kollokationen hinaus. Dabei muss betont werden, dass die Entscheidung für die Annahme nicht-lexikalischer Kategorien auf der Datenlage beruht, da anders als bei Nominalphrasen eine eindeutige Identifikation eines Kernlexems problematisch ist. 3 Sieht man sich nun alle Vorkommen der Struktur [X macht (deutlich|klar), SATZ ] im jeweiligen Interaktionskontext an und versucht, eine einheitliche Form- Bedeutungs-Beziehung herzustellen, so lassen sich zwei Varianten erkennen. (10) Er machte deutlich, daß hier auch das »Management« der Regierungsfraktionen versagt habe Die erste Variante, erkennbar anhand von Äußerungen wie (10), lässt sich in etwa so paraphrasieren: ›Eine Person X bekräftigt eine Aussage SATZ ‹. X und SATZ 3 Das trifft nicht nur auf satZ zu, sondern ebenso auf es+ SATZ (die Kombination eines Objektsatzes mit einem Korrelat�es) und LEER . Die Aufnahme von Vorkommen ohne jegliche Objektphrase in die Analy� se (in der Tabelle repräsentiert durch die Kategorie LEER ) ist dadurch gerechtfertigt, dass a priori nur die in Tab. 1 aufgeführten Konstruktionen angenommen wurden. Damit Äußerungen wie (13) und (14) (s. Abschnitt 4) nicht komplett aus der Analyse herausfallen, werden sie so lange auch als Vorkommen von [X macht Y AP] behandelt, bis ausreichende Hinweise für eine alternative Kategorisierung vorlie� gen - siehe dazu die knappe Diskussion in Abschnitt 4. Gebrauchsbasierte Bestimmung kommunikativ relevanter Konstruktionen <?page no="116"?> 116 verweisen in dieser Paraphrase direkt auf die entsprechenden formalen Elemente in der Struktur [X macht (deutlich|klar), SATZ ]. Er machte deutlich leitet in (10) eine indirekte Redewiedergabe ein - dies ist im Korpus häufig zu beobachten und vermutlich darauf zurückzuführen, dass in den Zeitungstexten häufig über öffentliche Debatten berichtet wird. Da aber das Subjekt-Element X nicht immer auf personale Referenten verweist, wird eine zweite Variante nötig, um Belege wie (11) zu erklären. Für diese zweite Variante könnte man als Paraphrase angeben: ›Ein/ e Sprecher/ in S bekräftigt: X ist ein Indiz für den Sachverhalt SATZ ‹. (11) Der Rinderwahn macht deshalb auch deutlich, wie eng das Schicksal von Menschen und Tieren miteinander verknüpft ist Diese Paraphrasen sind natürlich intuitiv und sicherlich diskutabel, daher ist eine systematischere Beschreibung der Bedeutungskomponente wünschenswert, die idealerweise in einem höheren Maße objektivierbar ist. Eine Möglichkeit dazu bietet die sog. Frame-Semantik (vgl. einführend Fillmore/ Baker 2010), die auch bereits von verschiedenen Seiten für die Bedeutungsbeschreibung von Konstruktionen vorgeschlagen worden ist (vgl. z.B. Goldberg 1995: 25 ff. sowie für ein ausführliches Beispiel Boas 2010: 61 ff.). The central idea of Frame Semantics is that word meanings must be described in relation to semantic frames - schematic representations of the conceptual structures and patterns of beliefs, practices, institutions, images, etc. that provide a foundation for meaningful interaction in a given speech community. (Fillmore/ Johnson/ Petruck 2003: 235) Goldberg (1995: 26) verweist auch explizit auf die Schema-Theorie von Bartlett (1932/ 1995) als kognitionspsychologische Grundlage der Frame-Semantik. Die Frame-Semantik geht also davon aus, dass sich die Bedeutung von Wörtern (oder auch Konstruktionen) aus dem mit ihrem Gebrauch verknüpften Erfahrungswissen ergibt. Dieses - nicht-sprachliche - Erfahrungswissen lässt sich in Form von Situations-Schemata darstellen, den »Frames«, die durch bestimmte sprachliche Ausdrücke »evoziert« werden können (vgl. Fillmore/ Johnson/ Petruck 2003: 236). Dabei existiert keine Eins-zu-eins-Beziehung: Ein Ausdruck kann abhängig von unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten durchaus mehrere Frames evozieren (vgl. ebd.), auch kann derselbe Frame von verschiedenen Ausdrücken evoziert werden. Daraus folgt auch, dass Frames nicht zwingend sprachspezifisch sind: Es ist durchaus möglich, dass es in mehreren Sprachen sprachliche Ausdrücke gibt, die auf denselben semantischen Frame verweisen. Daher schlägt auch Boas (2011: 49, Fußnote 11; 2014: 65) vor, die in der Online-Datenbank FrameNet (https: / / framenet.icsi.berkeley.edu/ fndrupal/ ) für englische Verben beschriebenen Frames auch für eine semantische Analyse deutscher Verben zu nutzen. Ingo Fehrmann <?page no="117"?> 117 Ein Beispiel für eine Frame-Beschreibung im FrameNet stellt Abb. 2 dar: Reasoning Communication nc Addressee nc Addressee c Arguer nc Amount_of_information c Content c Communicator nc Degree nc Depictive nc Depictive nc Duration nc Duration nc Frequency nc Group nc Manner nc Manner nc Means nc Means c Medium nc Medium c Message nc Place nc Place nc Result nc Purpose nc Support nc Time nc Time c Topic Abb. 2: »reasoning«�Frame. Darstellung im FrameNet (https: / / framenet.icsi.berkeley.edu/ fndrupal/ FrameGrapher; Abbildung generiert am 21. 1. 2014, verändert) Der »reasoning«-Frame (der rechte Kasten in der Grafik) beschreibt, welche Elemente zu einer schematischen »reasoning«-Situation gehören, frei übersetzt: zum Darlegen einer Argumentationslinie in einer Diskussion. Viele dieser Elemente kennzeichnen generelle Eigenschaften jeder Handlung, z.B. Ort (»Place«), Zeit (»Time«) oder Dauer (»Duration«), sowie Eigenschaften, die für verschiedene Arten von Kommunikationssituationen gelten, z.B. die Adressaten (»Addressee«). Diese eher generellen Frame-Elemente sind daher mit »nc« (für »non-core«) markiert. Interessant sind aber die sogenannten Kernelemente (»c« steht für »core element«): Dies sind nicht nur Elemente, die sich von einem allgemeinen Schema für Kommunikationssituationen (dargestellt durch den »communication«-Frame, linker Kasten) unterscheiden, sondern auch diejenigen, die typischerweise in der Sprache durch ein formales Element realisiert werden - an ihnen lässt sich also am ehesten eine Form-Bedeutungs-Zuordnung ablesen. Für den »reasoning«-Frame werden im FrameNet die folgenden Kernelemente angenommen: • »Arguer« - die Person, die in einer Diskussion eine Position vertritt, und • »Content« - ein Sachverhalt, mit dem der »Arguer« seine Position untermauert. Wenn man sich nun alle Vorkommen der Struktur [X macht (deutlich|klar), SATZ ] Gebrauchsbasierte Bestimmung kommunikativ relevanter Konstruktionen <?page no="118"?> 118 in Bezug auf die kodierte Bedeutung ansieht, kann man feststellen, dass in nahezu allen Fällen das formale Element X auf den »Arguer« verweist und das formale Element SATZ auf den »Content«. Im Gegensatz zu der in der Einleitung zu Abschnitt 3 beschriebenen Annahme scheint das formale Muster [X macht Y AP ] also keinesfalls immer mit einer kausativen Bedeutung verbunden zu sein, jedenfalls nicht ausschließlich. Wenn man nun der Annahme folgt, dass ein Unterschied in der Form typischerweise auch einen Unterschied in der Bedeutung nach sich zieht (vgl. Goldberg 2006: 9), ist es plausibel, für das hier betrachtete Beispiel eine eigene Konstruktion [X macht (deutlich|klar), SATZ ] anzunehmen, die sich von der allgemeinen Konstruktion [X macht Y AP ] nicht nur in der Form (nachgestellter Objektsatz vs. Akkusativobjekt im Mittelfeld) unterscheidet, sondern auch durch ihre nicht-kausative Bedeutung. Ähnliches gilt vermutlich für zwei weitere durch die statistische Analyse als auffällig erkannte Strukturen: [X macht aufmerksam auf |darauf, dass P] ohne Realisierung eines Y-Elements sowie die reflexive Struktur [X macht sich AP] wie in (12); vgl. auch die Tab. 3 im folgenden Abschnitt. (12) Luxemburg hat sich keinesfalls eines Fehlverhaltens schuldig gemacht Diese vorläufigen Ergebnisse werden derzeit im Dissertationsprojekt anhand eines größeren Korpus überprüft. 4 Zurück zu D a F und D a Z : Kommunikative Funktionen Für die Zwecke von Deutsch als Fremdsprache ist es nun nötig, nach der formalen Analyse wieder die in Abschnitt 2 vorgestellte didaktische Perspektive einzunehmen und den umgekehrten Weg zu beschreiten, also den von der Bedeutung bzw. kommunikativen Funktion zur sprachlichen Form. Dieser Weg ist auch angelegt in Profile Deutsch unter dem Link »Funktionale Grammatik« (vgl. Glaboniat et al. 2005). Dort sind alle in Profile Deutsch enthaltenen Grammatikbereiche bestimmten kommunikativen Funktionen zugeordnet, für die sie relevant sind. Unter den Funktionen sind auch solche, die relativ gut einzelnen im FrameNet enthaltenen Frames entsprechen - ein weiteres Indiz dafür, dass die ursprünglich für das Englische ausgearbeiteten Frame-Beschreibungen zumindest teilweise auch für die Beschreibung des Deutschen nutzbar sein können. Tab. 3 ordnet die durch die »Covarying Collexeme Analysis« (vgl. Abschnitt 3.2) ermittelten sprachlichen Strukturen jeweils einer Bedeutungsparaphrase, einem in FrameNet (https: / / framenet.icsi.berkeley.edu/ fndrupal/ ) enthaltenen Frame sowie einer Kategorie aus der »Funktionalen Grammatik« in Profile Deutsch (Glaboniat et al. 2005) zu. Die Seitenzahlen beziehen sich auf das Begleitbuch zur Profile-Deutsch- CD . Ingo Fehrmann <?page no="119"?> 119 Form Bedeutung (Paraphrase) Evozierter Frame (FrameNet) »Funktionale Grammatik« (Profile Deutsch) [X macht deutlich|klar, SATZ ] ›X bekräftigt eine Aussage SATZ ‹ reasoning Aussagen verstärken (S. 230) [X macht aufmerksam auf |darauf, dass P] ›X verhält sich so, dass eine Person oder Instanz Z ein Phänomen P bemerkt‹ cause to perceive [X macht sich AP ] ›X verhält sich so, dass eine Person oder Instanz Z urteilt: X ist AP ‹ judgement Bewerten und vergleichen: beurteilen (S. 230) [X macht N AP ] ›X bewirkt, dass N AP wird‹ causation Kausalität: Folge, Wirkung (S. 226) Tab. 3: Form� und Bedeutungszuordnungen Es zeigt sich, dass sich mindestens drei der statistisch isolierbaren formalen Muster sowohl einem Frame als auch einer Kategorie aus der »Funktionalen Grammatik« zuordnen lassen. Dabei muss noch einmal betont werden, dass jeder Ausdruck durchaus mehrere Frames evozieren kann (vgl. Fillmore/ Johnson/ Petruck 2003: 236), die dargestellten Form-Bedeutungs-Zuordnungen also nicht a priori als ausschließlich verstanden werden können. Insbesondere scheint die Struktur [X macht aufmerksam auf |darauf, dass P] häufig ebenfalls den »reasoning«-Frame zu evozieren, wie das folgende Beispiel (13) zeigt. In Fällen wie (14) ist jedoch eine Interpretation im Sinne der Tabelle wahrscheinlich. (13) Rabin hat in Reden gerne darauf aufmerksam gemacht, daß Friede nicht zwischen Freunden, sondern zwischen Feinden geschlossen wird (14) Als dann unverhofft ein Hubschrauber aufgetaucht sei, habe er mit heftigem Winken auf sich aufmerksam gemacht Trotzdem ist bereits ein Vergleich mit der Liste sprachlicher Elemente möglich, die in Profile Deutsch den jeweiligen Funktionen zugeordnet werden. Dies sind überwiegend einzelne klassische »Funktionswörter« sowie sehr allgemeine grammatische Mittel (z.B. Komparativ oder Linksherausstellung für die Funktion »Aussagen verstärken«; vgl.Glaboniat et al. 2005) - nicht jedoch solche lexikalisch gebundenen Konstruktionen wie die in Tab. 3 angegebenen Strukturen, die andererseits von verschiedenen Seiten in der Didaktik immer wieder gefordert werden (vgl. Handwerker 2008; Feilke 2012: 8). Gebrauchsbasierte Bestimmung kommunikativ relevanter Konstruktionen <?page no="120"?> 120 Diese Strukturen sollen hier v.a. als Beispiel für die Vorgehensweise einer gebrauchsbasierten Untersuchung dienen; ihre direkte Relevanz ist aber natürlich für alle Unterrichtsarrangements gegeben, in denen Lernende die entsprechenden kommunikativen Funktionen benötigen. Das trifft im hier vorgestellten Fall sicherlich für viele studienvorbereitende D a F -Kurse im In- und Ausland zu, aber auch in vielen schulischen Kontexten im Inland, wo es um die Förderung bildungssprachlicher Kompetenzen geht - und zwar sowohl bei mehrsprachigen als auch bei muttersprachlichen Schüler/ innen (vgl. dazu sowie zu einer aktuellen Diskussion des Begriffs »Bildungssprache« Feilke 2012). So lassen sich alle der in Tab. 3 aufgeführten sprachlichen Mittel der von Feilke (2012: 5) beispielhaft diskutierten Texthandlung »Erörtern« zuordnen, über die er schreibt: Das Erörtern als Handlung ist eine bildungssprachliche Funktion […]. Im Deutschen haben sich hierfür spezielle grammatische Konstruktionen, lexikalische Ausdrücke und Textroutinen […] ausgebildet, deren Erwerb für viele Schüler schwierig ist. (Feilke 2012: 5; Hervorhebung im Original) Nach den hier vorgestellten Ergebnissen ist dem hinzuzufügen, dass mindestens zwischen grammatischen Konstruktionen und lexikalischen Ausdrücken keine scharfe Abgrenzung möglich ist. Wenn man nun einerseits die didaktische Perspektive ernst nimmt und andererseits einem gebrauchsbasierten Ansatz der Sprachbeschreibung folgt, kommt man zu einer empirischen Perspektive für die Didaktik: Die Formseite von Konstruktionen (verstanden als Form-Bedeutungs-Beziehungen) lässt sich empirisch bestimmen, die Bedeutungsseite mit Hilfe von semantischen Frames erfassen. Dadurch entsteht eine empirisch fundierte »funktionale Grammatik«, die sprachliche Formen direkt kommunikativen Absichten zuordnet - wie das beispielsweise auch Tomasello (vgl. 2003: 325) in seinem Modell des ungesteuerten Spracherwerbs tut. Eine solche empirisch fundierte »funktionale Grammatik« muss also vor allem gebrauchsbasiert bestimmte, dadurch als kommunikativ relevant erkannte Konstruktionen enthalten. Wie diese erarbeitet und nutzbar gemacht werden können, hat dieser Beitrag beispielhaft gezeigt. Bibliographische Angaben Achard, Michel / Kemmer, Suzanne (Hrsg.) (2004): Language, culture and mind. Stanford, Calif: CSLI Publications Barlow, Michael / Kemmer, Suzanne (Hrsg.) (2000): Usage Based Models of Language. Stanford: CSLI Publications Bartlett, Frederic C. (1932/ 1995): Remembering: A study in experimental psychology. Cambridge [u.a.]: Cambridge Univ. Press Ingo Fehrmann <?page no="121"?> 121 Behrens, Heike (2009): »Konstruktionen im Spracherwerb«. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 37 (3), S. 427-444 Boas,Hans C.(2010): »The syntax-lexicon continuum in Construction Grammar.A case study of English communication verbs«. In: Belgian Journal of Linguistics 24, S. 54-82 Boas, Hans C. 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Press Gebrauchsbasierte Bestimmung kommunikativ relevanter Konstruktionen <?page no="125"?> Laura Lahti (Helsinki) »Wenn du in Finnland kommen, ich will du zu Kino bringen! « - Wortstellung in mündlichen Leistungen von finnischen D a F -Lernenden Im folgenden Beitrag wird die Beherrschung der deutschen Wortstellung in mündlichen Testleistungen finnischer Gymnasiastinnen und Gymnasiasten mit Hilfe der Fehler- und Performanzanalyse untersucht. Es soll gezeigt werden, welche Wortstellungstypen ihnen am meisten Probleme bereiten und was für Ursachen hinter diesen Fehlern stecken können. Darüber hinaus werden die Ergebnisse der vorliegenden Analyse mit den Erwerbsphasen von Pienemann (1998) und von Diehl et al. (2000) verglichen und mit den Kompetenzniveaubewertungen finnischer Deutschlehrender verknüpft. 1 Einleitung Der Erwerb von verschiedenen sprachlichen Strukturen im Fremdsprachenunterricht ist in den vergangenen Jahren oft mit Hilfe schriftlicher Korpora untersucht worden. Beispielsweise haben Diehl und ihre Forschungsgruppe (2000) u.a. den Erwerb der deutschen Satzmodelle, der Verbalflexion und des Kasus-Systems bei französischsprachigen Schüler/ innen in der Schweiz untersucht. Im Rahmen des fehlerannotierten, schriftlichen Lernerkorpus »Falko« an der Humboldt-Universität zu Berlin (Internet 1) sind Phänomene wie Erwerb von Perfekt und Passiv erforscht worden (Bordag/ Sieradz 2012). In Finnland hat u.a. Hyvärinen (2012) die Wortstellung des Nebensatzes in Aufsätzen von finnischen Germanistikstudierenden untersucht. Heutzutage wird aber die mündliche Sprachkompetenz im D a F -Unterricht in Finnland oft betont. Die Schüler/ innen sollten Deutsch nicht nur schreiben, sondern auch sprechen lernen. In diesem Beitrag wird die Beherrschung der Wortstellung der deutschen Sprache im mündlichen Sprachgebrauch finnischer Gymnasiast/ innen untersucht. Mit der Wortstellung ist »nicht die Stellung einzelner Wörter, sondern eher die Abfolge der daraus gebildeten Phrasen, insbesondere Satzglieder« gemeint, wie z.B. Duden (2009: 861) die Wortstellung definiert. Traditionell wird bei der Wortstellung die Stellung des finiten Verbs betont und drei Satzformen werden unterschieden: Sätze mit finitem Verb an zweiter Stelle (Verbzweitsätze, V2-Sätze), an erster Stelle (Verberstsätze, V1-Sätze) und an letzter Stelle (Verbletztsätze, VL -Sätze) (vgl. Duden 2009: 862). <?page no="126"?> 126 Die Wortstellung wird im vorliegenden Beitrag sowohl im Hauptsatz als auch im Nebensatz analysiert. Die Untersuchungsfragen sind: 1) Inwiefern beherrschen die finnischen Schüler/ innen die deutsche Wortstellung? 2) Welche Wortstellungstypen bereiten ihnen besondere Schwierigkeiten und warum? 3) In welchem Verhältnis stehen Fehlertypen und die Erwerbsphasen der Schüler/ innen zueinander? Als Untersuchungsmaterial dienen mündliche Testleistungen von finnischen Gymnasiast/ innen, die auf Video aufgenommen und danach transkribiert worden sind. Die Proband/ innen sind in der ersten Klassenstufe der gymnasialen Oberstufe und im Alter von 15-17 Jahren. Sie lernen Deutsch im langen Lehrgang, d.h. sie besuchten 5-7 Jahre den Deutschunterricht. In diesem Beitrag, der eine Art Pilotstudie für meine Dissertation beschreibt, analysiere ich die Performanz von 20 Schüler/ innen. Sie arbeiten paarweise und das Gespräch eines Paars dauert ca. 15 Minuten. Sie präsentieren einen Monolog und drei Dialoge, in denen verschiedene Themen aus dem Alltagsleben besprochen werden. Zum Untersuchungsmaterial gehören auch Bewertungen von erfahrenen Deutschlehrenden: Fünf finnische Deutschlehrende haben die Testleistungen der Schüler/ innen beurteilt. Die Bewertungsskala stammt direkt aus dem finnischen Lehrplan für die gymnasiale Oberstufe (Lukion opetussuunnitelman perusteet, Opetushallitus 2003) und basiert auf der Skala des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens ( GER 2001; auf Englisch Common European Framework of Reference for Languages, CEFR 2001). Die Skala für die Fähigkeit »Sprechen« hat fünf qualitative Aspekte: die Erledigung der Aufgabe, die Flüssigkeit, die Aussprache, das Wortschatzspektrum und die grammatikalische Korrektheit. Die Lehrenden bewerten jeden qualitativen Aspekt im Hinblick auf die Kompetenzniveaus A1.1 bis C1.1 des finnischen Lehrplans. Zum Schluss geben sie allen Gymnasiast/ innen auch eine holistische Gesamtnote. In diesem Beitrag werden die Ergebnisse der Wortstellungsanalyse auch mit den Kompetenzniveaus verknüpft. Das Ziel der vorliegenden Untersuchung ist nicht, die Erwerbsphasen an sich herauszufinden. Die Erwerbsphasen werden eher in Bezug auf die verschiedenen Kompetenzniveaus analysiert: Welche Strukturen beherrschen die Schüler/ innen, die z.B. auf dem Kompetenzniveau A2.2 eingestuft sind? Darüber hinaus können die Erwerbsphasen eines Individuums nicht untersucht werden, weil das Korpus nicht longitudinal ist. Die Erwerbsphasen können nur so angewendet werden, dass die Leistungen von allen Proband/ innen analysiert werden und die einzelnen Leistungen in eine Reihenfolge gebracht werden. Dies kann mit Hilfe der Lehrer/ innen-Bewertungen erreicht werden. Zuerst wird der theoretische Hintergrund der vorliegenden Untersuchung kurz vorgestellt: Der Begriff gesprochene Lernersprache wird zunächst kurz definiert. Danach werden die Untersuchungsmethoden, Fehleranalyse und Performanzanalyse, Laura Lahti <?page no="127"?> 127 vorgestellt. Darüber hinaus berichte ich über zwei Untersuchungen, in denen der Erwerb der deutschen Wortstellung untersucht worden ist, nämlich die Untersuchungen von Pienemann (1998) und von Diehl et al. (2000). Danach folgt die Wortstellungsanalyse und zum Schluss die Zusammenfassung und Schlussfolgerungen. 2 Forschungsgegenstand: Gesprochene Lernersprache Da mündliche Testleistungen hier als Untersuchungsmaterial dienen, ist der Forschungsgegenstand die gesprochene Lernersprache. Wie Fiehler et al. (2004: 17 f.) und Schwitalla (2006: 19 f.) feststellen, ist es für die Unterscheidung zwischen gesprochener und geschriebener Sprache grundlegend, dass die gesprochene Sprache immer im Kontrast zur geschriebenen Sprache steht und umgekehrt. Vielleicht am einfachsten kann die gesprochene Sprache durch die mediale Realisierungsweise als »Sprachverwendung in der Form von hörbaren Lauten« definiert werden, im Vergleich zum »Produzieren sichtbarer, schriftlicher Zeichen« (Schwitalla 2006: 19). Laut James (1998: 3) ist die Lernersprache einfach die Version Lernender von der Zielsprache. Selinker (1972: 35) prägte den Begriff interlanguage und meint damit ein sprachliches System, das im Output sichtbar wird, wenn Lernende versuchen, sich wie ein Muttersprachler/ innen auszudrücken, aber die Äußerungen (noch) nicht ganz dem zielsprachlichen System entsprechen. Die Form der Sprache, die die Lernenden benutzen, ist also ein Versuch, die Normen der Zielsprache umzusetzen (ebd.). Huneke/ Steinig (2005: 32-33) weisen darauf hin, dass sich die Lernersprache ständig verändert: Es gibt verschiedene Lernphasen vom Anfängerstadium bis zu einem fast muttersprachlichen Niveau. Manchmal können Lernende auf einem Stadium stehen bleiben. Dann spricht man von Fossilisierung. Die Sprachentwicklung in verschiedenen Phasen, die Huneke/ Steinig erwähnen, ist auch die Basis in verschiedenen Untersuchungen, die den Erwerb der Wortstellung untersuchen (z.B. Pienemann 1998; Diehl et al. 2000). In diesem Beitrag wird gesprochene Lernersprache als die Version Lernernder von der deutschen Sprache definiert, die medial durch hörbare Laute realisiert wird (hier in Videoaufnahmen dokumentiert) und die von der Norm der Zielsprache abweicht. 3 Methode In diesem Beitrag wird die gesprochene Lernersprache mit Hilfe der Fehleranalyse und der Performanzanalyse analysiert. Der Fehler wird oft als Abweichung vom Sprachsystem bezeichnet (vgl. Königs 2007: 377 und Kleppin 1997: 133). Ein Kriterium für Fehler kann zum Beispiel die Korrektheit oder die Verständlichkeit sein (vgl. Kleppin 1997: 20 f.). Das wichtigste Kriterium bei meiner Wortstellung in mündlichen Leistungen von finnischen D a F -Lernenden <?page no="128"?> 128 Fehleranalyse ist die Korrektheit. Obwohl es für die Korrektheit oft bestimmte präskriptive Normen gibt, ist es schwierig zu definieren, was als Fehler gilt, besonders in der gesprochenen Sprache. In meiner Untersuchung wird Fehler folgendermaßen definiert: Ein Fehler ist eine Abweichung vom grammatikalischen System der deutschen Sprache. Das grammatikalische System ist nicht direkt das System der geschriebenen Sprache, sondern die Besonderheiten des gesprochenen Deutsch werden auch berücksichtigt (vgl. Lahti 2010: 36). Die Wortstellung der gesprochenen Sprache weicht ab und zu von der Wortstellung der geschriebenen Sprache ab (z.B. V2-Nebensätze mit weil, s. Duden 2009: 1206 ff.; Hyvärinen 2012: 119 f.). Die Fehleranalyse umfasst verschiedene Teilgebiete. In der Forschungsliteratur werden oft folgende Phasen genannt: Fehleridentifizierung, Fehlerbeschreibung, Klassifikation der Fehler, Erklärung der Fehler, Fehlerbewertung und Fehlertherapie (vgl. z.B. Nickel 1973: 11-13 und Ellis/ Barkhuizen 2005: 58-67). Corder (1981: 20 ff.) und James (1998: 5) betonen bei der Fehleranalyse das Erforschen der Unterschiede zwischen der Lernersprache (interlanguage, idiosyncratic dialect) und der Zielsprache. Ellis/ Barkhuizen (2005: 58 ff.) erklären die Phasen folgendermaßen: Die Fehleridentifizierung schließt den Vergleich zwischen der Lernersprache und der Sprache eines Muttersprachlers ein. (Ob der Vergleichsmaßstab die Sprache eines Muttersprachlers sein soll, lässt sich hinterfragen, da Muttersprachler auch Fehler begehen.) Die Beschreibung der Fehler findet in zwei Phasen statt (vgl. Ellis/ Barkhuizen 2005: 60): Zuerst muss man beschreibende Kategorien entwickeln, damit die Fehler bezeichnet werden können, und dann die Frequenz der Fehler in jede Kategorie eintragen. Die Erklärung der Fehler bedeutet nach Ellis/ Barkhuizen (2005: 62), dass man die Ursachen der Fehler aufzeigt. Bezüglich der Fehlerbewertung stellen sie jedoch fest, dass diese eigentlich keine Phase der Fehleranalyse mehr ist, sondern eher ein zusätzliches Verfahren, die Ergebnisse der Fehleranalyse anzuwenden. Es geht dabei um die Bedeutung der Fehler. Die schweren Fehler können dann im Unterricht behandelt werden (Ellis/ Barkhuizen 2005: 67; vgl. Fehlertherapie bei Nickel 1973). Mit Hilfe der Fehleranalyse werden Problemstellen identifiziert und die zwei ersten Untersuchungsfragen beantwortet. Die Fehleranalyse ist jedoch oft kritisiert worden, weil sie nur das vorstellt, was die Lernenden falsch machen, und das ignoriert, was sie richtig machen. Darüber hinaus wird bei einer Fehleranalyse die Tatsache nicht berücksichtigt, dass die Lernenden einige Strukturen der Fremdsprache vermeiden (vgl. Ellis/ Barkhuizen 2005: 70). Wegen dieser Kritik werde ich die Wortstellung und deren Erwerbsreihenfolge zusätzlich mit Hilfe der Performanzanalyse (z.B. Færch/ Haastrup/ Phillipson 1984) untersuchen. Nicht nur fehlerhafte Äußerungen werden vorgestellt, sondern auch einige gut gelungene Strukturen hervorgehoben. Die Performanz ist laut Færch/ Haastrup/ Phillipson (1984: 277) die physisch präsente Manifesta- Laura Lahti <?page no="129"?> 129 tion der Sprache. Mit der Performanzanalyse ist das Beschreiben der Sprache auf Basis der sprachlichen Performanz gemeint. In einer Performanzanalyse wird die Lernersprache betrachtet, und normalerweise werden dabei sowohl fehlerhafte als auch fehlerfreie Äußerungen analysiert (vgl. Færch et al. 1984: 278). Die Fehleranalyse hat jedoch in dem vorliegenden Beitrag mehr Gewicht, da alle fehlerhaften Äußerungen in den Schülerleistungen ausgesucht werden, aber nur einige gut gelungene Äußerungen. Darüber hinaus werden auch Äußerungen behandelt, die in der gesprochenen Sprache akzeptabel sind, aber in der geschriebenen Sprache nicht unbedingt. Die videodokumentierten Testleistungen wurden transkribiert, wonach jede Äußerung in eine Tabelle eingetragen und kategorisiert wurde. Die Analyse wird qualitativ durchgeführt und nur einige richtungweisende quantitative Daten werden gegeben. Die möglichen Fehlerursachen werden kurz besprochen. Darüber hinaus werden meine Ergebnisse mit denen von Diehl et al. (2000) und Pienemann (1998) verglichen. Beide gehen von der Hypothese des kognitiv ausgerichteten Spracherwerbs aus, die besagt, dass »der Erwerb einer Fremdsprache auch unter gesteuerten Bedingungen einer inneren Gesetzmäßigkeit unterliegt und in einer bestimmten Phasenabfolge verläuft« (Diehl 2000: 3). Diese zwei Untersuchungen konzentrieren sich bei der Wortstellung vor allem auf die Verbstellung. Deswegen betone auch ich in meiner Analyse die Verbstellung und achte nicht darauf, in welcher Reihenfolge z.B. die adverbialen Bestimmungen in den Schülerleistungen vorkommen. 4 Untersuchungen zum Erwerb der deutschen Wortstellung Erika Diehl und ihre Forschungsgruppe haben in Genf in der französischsprachigen Schweiz eine Untersuchung durchgeführt, in der sie den Erwerb der deutschen Grammatik im Fremdsprachenunterricht untersucht haben. Als Untersuchungsmaterial hatten sie insgesamt ungefähr 1800 schriftliche Schüleraufsätze (Diehl et al. 2000: 9). Eine Untersuchungsfrage war, ob sich überindividuelle Erwerbsreihenfolgen ermitteln lassen (Diehl et al. 2000: 4). Das Analysemodell von Diehl und ihrer Forschungsgruppe kann als Performanzanalyse bezeichnet werden, denn sie berücksichtigten sowohl die normkonformen als auch die abweichenden Formen (vgl. Diehl et al. 2000: 132). Diehl et al. (2000: 359) stellten feste Erwerbsphasen in drei der untersuchten Grammatikbereiche fest: bei der Verbstellung, der Verbalflexion und dem Kasuserwerb. In anderen Bereichen war der Erwerb von Grammatikstrukturen individueller. Bei der Verbstellung, d.h. beim Erwerb der topologischen Satzmodelle, war die Reihenfolge folgender Art (Diehl et al. 2000: 110, 364): Wortstellung in mündlichen Leistungen von finnischen D a F -Lernenden <?page no="130"?> 130 I Einfacher Hauptsatz mit S - V -Struktur und koordinierte Hauptsätze mit S - V -Struktur II W-Fragen und Entscheidungsfragen III Distanzstellung (Verbalklammer) IV Nebensatz ( VL ) V Inversion (X-Verb-Subjekt) Auch Manfred Pienemann (1998: 116) stellt eine allgemeine Übersicht über den Erwerb der deutschen Wortstellung vor, die sich auf die Processability Theory stützt. Pienemann (1998: 118 ff.) testet empirisch die Validität dieser Erwerbsphasen und berichtet über eine Fallstudie mit einem australischen Deutschlernenden: Guy fängt mit dem Deutschlernen von null an und seine Lernersprache wird jede zweite Woche ein Jahr lang untersucht. Pienemann untersucht neben der Wortstellung auch einige morphologische Strukturen (u.a. das verbale Präfix ge-). Die Entwicklung von Guys Lernersprache hatte bei der Wortstellung folgende Phasen (Pienemann 1998: 122): Woche 1 7 15 19 --- Wortstellung SVO ADV SEP INV ( V - END ) Von der ersten Woche an benutzt Guy einfache Sätze mit der Struktur SVO (Subjekt-Verb-Objekt), weil diese Struktur von Anfang an auch ein Teil des Inputs war. Mit der Abkürzung ADV ist der Fall gemeint, in dem ein Adverb den Satz beginnt. Die Wortstellung ist dabei aber nicht richtig, z.B. da kinder spielen (Pienemann 2005: 30). Mit der Abkürzung SEP ist die Distanzstellung gemeint, z.B. alle kinder muss die pause machen (ebd.). Die Abkürzung INV steht für Inversion: dann hat sie wieder die knoch gebringt (ebd.). Diese Strukturen kommen in Guys Lernersprache ab den Wochen 7, 15 und 19 vor. Die letzte Phase ist V - END : er sagt, dass er nach hause kommt (ebd.). Die Wortstellung des Nebensatzes ( V - END ) war kein formales Lernobjekt für Guy, und die letzte Phase taucht nicht in der Fallstudie von Guy auf (Pienemann 1998: 122). Diese Erwerbsreihenfolge ist laut Pienemann (2005: 30) auch in anderen Untersuchungen zum Erwerb des Deutschen bestätigt worden (u.a. ZISA -Projekt von Clahsen/ Meisel/ Pienemann 1983, auf dem die Untersuchungen von Pienemann auch basieren). Auch wenn als Methode der vorliegenden Untersuchung hauptsächlich die Fehleranalyse dient, werden meine Ergebnisse mit denen von Pienemann und Diehl verglichen, da diese im Hinblick auf die Reihenfolge der Erwerbsphasen voneinander abweichen: Laut Pienemann (1998) wird die Inversion vor dem Nebensatz gelernt und laut Diehl et al. (2000) umgekehrt (s. Tabelle 1). Auch Diehl et al. (2000: 111) haben die Diskrepanz zwischen ihren Ergebnissen und denen der ZISA -Forscher bemerkt. Laura Lahti <?page no="131"?> 131 Pienemann (1998) Diehl et al. (2000) V-End V Inversion (X-Verb-Subjekt) INV IV Nebensatz (VL) SEP III Distanzstellung (Verbalklammer) ADV II W-Fragen und Entscheidungsfragen SVO I Einfacher Hauptsatz mit S-V-Struktur und koordinierte Hauptsätze mit S-V-Struktur words Tabelle 1: Erwerbsphasen von Pienemann (1998) und von Diehl et al. (2000) im Vergleich 1 Die Realisierungsweise der Sprache, d.h. gesprochen oder geschrieben, kann für die Abfolge der Erwerbsphasen eine Rolle spielen. Pienemann hat Guy interviewt, während das Korpus von Diehl und ihrer Forschungsgruppe schriftlich war. Auch die Muttersprache der Proband/ innen kann einen Einfluss ausüben. Deswegen ist es interessant, in der vorliegenden Untersuchung die Lernersprache finnischer Deutschlernender und ihre Beherrschung der Wortstellung zu analysieren. 5 Analyse Die Probleme in der Wortstellung betreffen meistens den Fragesatz, die Verbalklammer/ die Distanzstellung, die Inversion und den Nebensatz. Ebendiese charakterisieren die Erwerbsphasen in den Untersuchungen von Diehl et al. (2000) und Pienemann (1998), und diese Strukturen werden auch im Folgenden untersucht. 5.1 S - V -Hauptsatz In den Testleistungen kamen viele einfache Hauptsätze mit S - V -Struktur und koordinierte Hauptsätze mit S - V -Struktur vor, welche fast fehlerlos waren. Daraus kann man folgern, dass alle der untersuchten Schüler/ innen schon die erste Erwerbsphase von Diehl et al. (2000) bzw. die SVO -Wortstellung bei Pienemann (1998) erreicht haben. Es gab nur ein paar Probleme beim Bilden der Hauptsätze, 1 Die Tabelle macht weder eine Aussage über die Länge der Phasen noch darüber, ob einzelne Phasen nach Pienemann gleichzeitig mit denen nach Diehl et al. stattfinden. Wortstellung in mündlichen Leistungen von finnischen D a F -Lernenden <?page no="132"?> 132 die aber oft schwer zu interpretieren waren: Im Beispiel 1 kann man nicht wissen, ob es sich überhaupt um einen Wortstellungsfehler oder um lexikalische Interferenz vom Schwedischen handelt (er wegen schwed. är ›ist‹ statt dt. ist): (1) ja da das er ein sehr schön platz (op 52) 2 Bei drei Probandinnen (43, 44 und 51) gab es gar keine Wortstellungsprobleme in den Testleistungen. Sie benutzten und beherrschten sowohl den Fragesatz, die Distanzstellung, die Inversion als auch den Nebensatz in ihren Leistungen. Demnach haben sie die obersten Erwerbsphasen von Diehl et al. (2000), d. h. den Nebensatz und die Inversion, und von Pienemann (1998), d.h. INV und V - END , erreicht. In der vorliegenden Analyse wird aber die Tatsache nicht berücksichtigt, wie oft die Proband/ innen bestimmte Strukturen in ihrem Gespräch benutzen. Natürlich kann es auch sein, dass es mehr Probleme z.B. beim Nebensatz bei solchen Proband/ innen gibt, die auch wagen, diese komplexeren Strukturen öfter zu benutzen. Dies spielt jedoch in der vorliegenden Studie keine große Rolle, weil hier keine quantitative Analyse durchgeführt wird. Die drei Probandinnen (43, 44 und 51) haben verschiedene Strukturen in ihren Testleistungen benutzt (s. Beispiel 2) und die Lehrenden haben auch die Leistungen ziemlich hoch bewertet: Die Bewertungen des Aspekts grammatikalische Korrektheit bei den Probandinnen 43 und 44 liegen durchschnittlich auf den Kompetenzniveaus B1.1 und B1.2, ebenso die holistischen Bewertungen. 3 Bei der Probandin 51 liegen die Bewertungen auf den Niveaus A2.2 und B1.1. Diese drei Probandinnen waren auch laut den Bewertungen die besten Probandinnen. Die Bewertungen der grammatikalischen Korrektheit liegen bei den anderen Probandinnen und Probanden durchschnittlich auf den Niveaus A1.3, A2.1 und A2.2. Neben den Probandinnen 43, 44 und 51 erreichen nur die Probandin 70 und der Proband 71 in einigen Aufgaben das Niveau B1.1. Im Beispiel 2 bietet sich uns eine aus Sicht der Performanzanalyse gut gelungene, aus dem Blickwinkel der Wortstellung fehlerfreie Sprechphase: (2) 001 S1: ähm hallo (�) ääh ich heiße linda (�) und (.) ich habe eine mutter 002 (�) die: (��) zweiundvierzig ist (�) und (.) und einen vater aah der 2 Die Beispiele sind direkt den Transkriptionen des Korpus entnommen. Beim Transkribieren wurde das Transkriptionssystem GAT (vereinfacht) benutzt (s. Anhang). Der Code op N in Klammern weist auf die jeweiligen Proband/ innen hin. In den Beispielen kommen oft neben der Wortstellung andere Proble� me vor (z. B. bei der Deklination in den Nominalgruppen oder bei der Verbkonjugation), die aber nicht korrigiert oder besprochen werden. 3 Die Lehrenden haben beim Bewerten die Kompetenzniveaubeschreibungen und Bewertungskriteri� Die Lehrenden haben beim Bewerten die Kompetenzniveaubeschreibungen und Bewertungskriteri� en des finnischen Lehrplans benutzt (s. Kapitel 1), und die vorliegende Fehleranalyse zur Wortstellung hat die Bewertungen nicht beeinflusst. Das Bewerten und die Fehleranalyse waren zwei voneinander unabhängige Vorgänge. Laura Lahti <?page no="133"?> 133 003 (�) schon fünfundvierzig ist […] 012 und (�) in letzten sommer waren wir (.) in linnanmäki (�) und (�) 013 wenn du: nach finnland kommst können wir auch (�) in die linnanmäki 014 gehen (��) so (.) bis bald (op43) 5.2 Fragesatz Die Schüler/ innen beherrschten den Fragesatz ziemlich gut. Nur drei Probandinnen (46, 49 und 52) hatten Probleme beim Produzieren von Fragesätzen (s. Beispiele 3, 4, 5), die alle Ergänzungsfragen (W-Fragen) waren. Bei Entscheidungsfragen, die mit einem Verb beginnen, gab es im Korpus keine Probleme. (3) 014 S2: [öh wann wir ((lacht)) 015 S1: [((lacht)) 016 S2: <wake up +Eng> ((lacht)) 017 S1: einsteigen (op 46 = S2) (4) äh (3s) ((lachen)) (2s) hm u: nd (��) wann deine (�) familie a ((lachen)) äh im bett (.) stei aufsteige <ei=emmä tiiä +Fin> 4 ((lachen)) ( op 49) (5) öh wenn deine <family +Eng> aufstehen (op 52) Die Probandinnen 46 und 49 wurden von den Lehrenden durchschnittlich auf das Kompetenzniveau A1.3 bewertet, was die grammatikalische Korrektheit angeht. Diese Leistungen waren also auf einem deutlich niedrigeren Niveau als die Leistungen der Probandinnen 43, 44 und 51, die gar keine Probleme bei der Wortstellung hatten. Die Probandin 52 wurde aus Sicht der grammatikalischen Korrektheit meistens auf die Niveaus A2.1 und A2.2 eingestuft, obwohl auch sie einige Probleme bei den Fragesätzen hatte (Beispiel 5). Im deutschen Fragesatz steht das Verb bei W-Fragen an zweiter Stelle und das Subjekt kommt erst nach dem Verb, wenn das Fragewort nicht das Subjekt ist. In den Beispielen 3-5 oben steht das Subjekt irrtümlicherweise an zweiter Stelle, gleich nach dem Fragewort. (Außerdem bereiteten die trennbaren Verben Probleme. Die Proband/ innen haben die trennbaren Verben aufsteigen und aufstehen im Infinitiv benutzt.) Auf die Frage, warum genau diese Struktur, d.h. der Fragesatz, Probleme bereitet, gibt es eine mögliche Erklärung: die Muttersprache Finnisch. Im entsprechenden Fragesatz auf Finnisch, der mit dem Fragewort wann (fi. milloin) beginnt, würde ein finnischer Muttersprachler das Subjekt (oder das Thema, das oft das Subjekt ist) an die zweite Stelle gleich 4 Übers. nein, ich weiß nicht Wortstellung in mündlichen Leistungen von finnischen D a F -Lernenden <?page no="134"?> 134 nach dem Fragewort stellen (vgl. fi. Milloin se tapahtui? 5 VISK , §1682, Internet 2; s. auch Buchholz 2012: 149). 5.3 Distanzstellung Bei der Distanzstellung (oder der verbalen Klammer) gab es schon mehr interessante Fälle. Die verbale Klammer wird am häufigsten durch die flektierte Form des Verbs und eine infinite Verbform gebildet, z.B. bei den zusammengesetzten Tempora, Modalverb-Verbindungen oder beim Verbzusatz (trennbare Verben) (Homberger 2003: 609). Diese Struktur wird auch Satzklammer genannt (z.B. Duden 2009: 862). In Duden (2009: 863) sind folgende Beispiele angeführt: Otto muss schon sehr lange auf den Bus warten oder Auf den Bus hat Otto schon sehr lange gewartet. Bei insgesamt 14 Proband/ innen sind Beispiele für die Distanzstellung aufgefallen. Dabei geht es nicht ausschließlich um fehlerhafte Wortfolgen, sondern auch um Ausklammerungen, die im gesprochenen Deutsch sehr üblich sind. Eindeutige Beispiele für Fehler bei der Klammerbildung gab es nur bei sieben Schüler/ innen (45, 52, 72, 74, 75, 77 und 78), etwa: (6) ja (.) ööh du öh muss(t) nich öh=vergessen deine passport (op 78) (7) wir anfangen jetzt (op 74) Die Gründe, warum diese Fehler vorkommen, können vielerlei sein. Wieder kann die Muttersprache eine Rolle spielen: Wenn das Beispiel 6 ins Finnische übersetzt würde, würde es im finnischen Äquivalent keine Distanzstellung geben, sondern die flektierte Form des Verbs und die infinite Form würden nebeneinander stehen, und das Objekt würde erst nach beiden Verben kommen. Auch Englisch kann einen Einfluss (sowohl bei der Wortstellung als auch lexikalisch) beim Beispiel 6 ausüben (vgl. You must not forget your passport). Des Weiteren bleiben trennbare deutsche Verben bei den Gymnasiast/ innen oft ungetrennt, d.h. der Verbzusatz wird nicht ans Satzende gebracht (Beispiel 7). Bei der Distanzstellung (bzw. der verbalen Klammer) spielen aber auch die Eigenschaften des gesprochenen Deutsch eine Rolle. In der gesprochenen Sprache ist es üblich, einige Elemente im Satz auszuklammern, d.h. Teile eines Satzes werden außerhalb der Satzklammer gestellt (Homberger 2003: 64). Helbig/ Buscha (2001: 476 f. und 2000: 233) sprechen von der Ausrahmung. Sie unterscheiden zwischen der neutralen, bereits grammatikalisierten Ausrahmung (u.a. Satzglieder mit den Adjunktionen wie und als, Nebensätze und Infinitivkonstruktionen) und der stilistisch bedingten Ausrahmung (vor allem präpositionale Gruppen). Auch 5 Übers. *Wann es passierte? Laura Lahti <?page no="135"?> 135 Duden (2009: 887) weist darauf hin, dass Präpositionalphrasen besonders oft ausgeklammert werden. Deswegen können also die meisten Ausklammerungen in den untersuchten Lernerperformanzen auch akzeptiert werden. Die Beispiele 8-11 gehören also nicht zu den Ergebnissen der Fehleranalyse, sondern sie sind ein Teil der Performanzanalyse, da sie den Eigenschaften des gesprochenen Deutsch nach normkonform sind. (8) <vi kan 6 +Schwed> pizza essen in (�) pizzeria (op 72) (9) wann steht (.) sie (.) auf im morgen (op 73) (10) (vi/ wir) kommen zurück (.) öhm=am zweiundzwach=zwanzig uhr (op 74) (11) möchtest du eine reise machen (�) ins: (��) öh (�) stockholm (op 77) Warum die Ausklammerungen bei den Testpersonen so üblich sind, kann auch von der Natur der gesprochenen Sprache abhängen. Das Gesprochene ist oft spontan (im Gegensatz zu geplant, s. z.B. Schwitalla 2006), und der Sprecher will noch zum Schluss etwas ergänzen, was er früher vergessen hat zu sagen. 5.4 Inversion Inversion bereitete zwölf Schüler/ innen Probleme (45, 46, 47, 48, 49, 52, 71, 72, 74, 75, 77 und 78). Mit Inversion ist »die Umstellung des Subjekts von der ersten an die dritte Satzgliedstelle, wenn ein anderes Satzglied an die erste Stelle gesetzt wird, damit der finite Prädikatsteil an der zweiten Satzgliedstelle fest bleiben kann« (Homberger 2003: 238), gemeint. Unter Inversion verstehe ich hier nur die Inversion in Aussagesätzen, nicht in Fragesätzen, da diese als eine eigene Kategorie schon behandelt wurden. Hier sind einige Beispiele für ausgebliebene Inversion: (12) und (�) letzten sommer wir hat (.) öö viel spass macht (op 48) (13) vielleicht du kann (.) deine (�) mutter fragen (op 71) (14) andere sache du kannst (.) ööh ins badenzimmer (.) bringen (op 47) In den Beispielen 12 und 13 steht an der ersten Stelle eine adverbiale Bestimmung (eine temporale oder modale Angabe) und im Beispiel 14 das Objekt. So müsste der finite Prädikatsteil an zweiter Stelle stehen, aber in diesen Beispielen steht das Subjekt an zweiter Stelle. In den folgenden Beispielen 15 und 16 hat ein Nebensatz das Vorfeld des Matrixsatzes besetzt und der finite Prädikatsteil müsste an zweiter Stelle stehen, gleich nach dem Nebensatz. Mehrere Schüler/ innen haben aber das 6 Übers. wir können Wortstellung in mündlichen Leistungen von finnischen D a F -Lernenden <?page no="136"?> 136 Subjekt an die zweite Stelle platziert, wie schon im Titel dieses Beitrags: »Wenn du in Finnland kommen, ich will du zu Kino bringen! «. (15) wenn du nach finnland kommen (��) wir können in sauna gehen (op 46) (16) wenn du nach finnland kommst ich (.) ich zeige dir der kunstmuseum kiasma (op 52) Bei einigen Proband/ innen gab es sowohl normkonforme als auch fehlerhafte Formen bei Inversion. Zum Beispiel beherrschte der Proband 75 die Inversion nach einem Nebensatz, hatte aber Probleme nach einer adverbialen Angabe (Beispiele 17 und 18). (17) wenn du in finnland kommst muss wir in die wald gewandern (op 75) (18) letzten sommer ich (.) hab in die (.) meer (.) geschwimmen (op 75) Als Grund für Inversionsfehler kann wieder die Interferenz der Muttersprache oder des Englischen herangezogen werden. Im Finnischen ist die Inversion möglich, aber nicht obligatorisch (vgl. Vilkuna 1989: 187-191). In der älteren Schriftsprache war die Inversion noch üblich, aber der Gebrauch der Inversion im Finnischen hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts verringert ( VISK , §1376, Internet 3). Darüber hinaus lernen viele finnische Schüler/ innen Englisch als erste Fremdsprache. Im Englischen ist die Inversion ein relativ seltenes Phänomen und sie ist üblicher in geschriebenen Registern als in gesprochenen (Biber et al. 2002: 411). Im Gegensatz dazu könnte man vermuten, dass das Lernen des Schwedischen wiederum das Erlernen des Deutschen vereinfacht und umgekehrt, da es im Schwedischen auch Inversion gibt wie im Deutschen (s. z.B. Beite et al. 1967: 153 f.). Finnische Schüler/ innen lernen Schwedisch als ein obligatorisches Fach in der Schule, da Schwedisch die zweite Landessprache in Finnland ist. Deswegen lernen auch alle unsere Probandinnen und Probanden Schwedisch und haben wahrscheinlich die Inversion auch im Schwedischunterricht behandelt. 5.5 Nebensätze Bei Nebensätzen wurden sowohl normwidrige Formen als auch für die gesprochene Sprache typische Formen im Korpus ausgesucht, die aber möglicherweise in der geschriebenen Sprache für fehlerhaft oder normwidrig angesehen würden. Wegen der Aufgabenstellung haben (fast) alle Probandinnen und Probanden Nebensätze benutzt. In der ersten Aufgabe im Test müssen die Schüler/ innen einen Videoclip machen, in dem sie sich selbst einem deutschen Jungen/ Mädchen vorstellen, der/ das nach Finnland zu Besuch kommt. Ein Punkt der Aufgabenstellung heißt: »Versprich Nico/ Anna etwas, wenn er/ sie nach Finnland kommt.« Die Laura Lahti <?page no="137"?> 137 Anweisungen sind auf Finnisch. U.a. an dieser Stelle haben fast alle Proband/ innen einen Nebensatz formuliert. Laut Helbig/ Buscha (2001: 575 und 2000: 280) steht das finite Verb im (eingeleiteten) Nebensatz gewöhnlich am Ende. In den Performanzen von insgesamt elf Proband/ innen gab es Fehler beim Formulieren von Nebensätzen. Das finite Verb steht nicht am Ende des Satzes, wie man in diesen Beispielen bemerken kann: (19) wenn du kommst nach finnland (.) können wir ins kino gehen (op 50) (20) ich (.) mag wenn sie (���) ööh (3s) ööh (��) ist so cool (op 72) (21) äh ich finde dass wir können skilaufen (op 49) (22) sehr toll zimmer (.) das ich habe bekommt (op 71) Ein möglicher Grund für die Probleme bei den Nebensätzen kann die Struktur der deutschen Sprache selbst sein: Das Verb steht am Ende, was beispielsweise bei anderen in der Schule gelernten Fremdsprachen nicht der Fall ist (und auch nicht beim Finnischen, s. z.B. Buchholz 2012: 153). Laut Hyvärinen (2012: 116) gehört die Verb-Letzt-Wortstellung zu den typischen Schwierigkeiten beim DaF-Lernen. Sie stellt auch fest, dass Deutschlernende diese Struktur schon auf einem ziemlich früheren Kompetenzniveau üben müssen und dass die Wortstellungsregeln in den Deutschlehrbüchern (des kurzen Lehrgangs) der finnischen gymnasialen Oberstufe schon im ersten Kurs systematisch behandelt werden (ebd.). Trotzdem beherrschen Schüler/ innen diese Struktur nicht. Es muss aber berücksichtigt werden, dass auch in den Normen der geschriebenen Sprache andere Formen der Nebensätze möglich sind. Nach den Verben des Sagens und Denkens kann der folgende Äußerungsteil entweder mit einer Subjunktion und der VL -Wortfolge oder mit V2-Stellung ohne Subjunktion gebildet werden (ich weiß, dass du das kannst vs. ich weiß, du kannst das) (Duden 2009: 1204). In meinem Korpus kommen auch diese Formen vor: Die Subjunktion dass fällt in folgenden Beispielen aus und eine Verbzweitkonstruktion wird verwendet: (23) ähm ich finde=es s=war gut (op 50) (24) ich glaube wir müssen mit dem bus gehen (op 51) Bei einigen Proband/ innen war nicht klar, ob die Regel der V2-Stellung beherrscht wurde. Beispielsweise hat der Proband 71 die V2-Konstruktion sowohl in Sätzen ohne Subjunktion als auch in mit einer Subjunktion eingeleiteten Nebensätzen verwendet. Im Beispiel 26 sollte das Verb am Ende stehen. (25) u: nd (.) ich glaube es ist eine (.) eh (.) gut skule (op 71) (26) ich glaube dass (.) eeh (��) du finne (.) eeh (���) magen auch wurst (op 71) Wortstellung in mündlichen Leistungen von finnischen D a F -Lernenden <?page no="138"?> 138 Sowohl Schwitalla (2006: 144 f.) als auch Duden (2009: 1206 ff.) stellen noch einen anderen Fall von V2-Konstruktionen vor, die typisch für die gesprochene Sprache sind, und zwar Sätze, die mit weil, obwohl, während oder wobei eingeleitet werden. Nach diesen Wörtern kann der Satz entweder mit VL - oder V2-Stellung realisiert werden: der hat sicher wieder gesoffen weil sie läuft total deprimiert durch die gegend (Duden 2009: 1207). Auch Hyvärinen (2012: 119 f.) erwähnt, dass weil-Sätze in der gesprochenen Sprache oft ähnlich verwendet werden wie koordinierte V2-denn- Sätze. Beispiele dafür gibt es auch in unserem Korpus: (27) ich magte das besser (�) öhm weil äh die schauspieler war so gut (op 51) (28) öhm das war sehr schön weil ich tanze auch ballet (op 52) Im Korpus kommen auch »gemischte« Strukturen vor. Im Beispiel 29 gibt es zwei weil-Sätze und zwei verschiedene Wortstellungen: (29) ja öh kingkong hat auch mich (.) öh (��) öh (.) mir gefällen ööh weil <AA> es so (gespannt) ist und öh der kingkong ist so groß (op 76) Im Beispiel 30 verwendet der Proband 71 dagegen die V2-Konstruktion sowohl nach der Subjunktion wenn als auch nach der Subjunktion weil: (30) und wenn du kommst öh hier (�) nach finnland (��) öhm können wir zusammen (.) öhm skilaufen gehen weil es gibt jetzt (.) sehr viel schnee (op 71) 6 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen In der Analyse wurden die Beherrschung der Wortstellung im einfachen Hauptsatz (5.1) und im Fragesatz (5.2) sowie der Verbalklammer/ der Distanzstellung (5.3), der Inversion (5.4) und der Wortstellung im Nebensatz (5.5) untersucht. Die zwanzig Gymnasiast/ innen in meinem Korpus beherrschten einfache Hauptsätze mit S-V-Struktur und koordinierte Hauptsätze mit S - V -Struktur gut: Es gab fast keine Probleme beim Formulieren von einfachen Hauptsätzen. Eigentlich hatten nur eine Probandin und ein Proband einige unvollständige Hauptsätze gebildet. Bei drei Probandinnen gab es gar keine Wortstellungsprobleme in den Testleistungen. Sie benutzten und beherrschten sowohl den Fragesatz, die Distanzstellung, die Inversion als auch den Nebensatz in ihren Leistungen. Demnach haben sie die obersten Erwerbsphasen von Diehl et al. (2000), d.h. den Nebensatz und die Inversion, und von Pienemann (1998), d.h. INV und V - END , erreicht. Beim W-Fragesatz hatten nur drei Probandinnen Probleme. Die Wortstellung im einfachen Hauptsatz und im Fragesatz haben die Schüler/ innen demzufolge ganz Laura Lahti <?page no="139"?> 139 gut beherrscht. Mehr Probleme gab es bei anderen Strukturen. Bei der Distanzstellung bzw. der verbalen Klammer hatten sieben Schüler/ innen eindeutige Probleme. Viele Probandinnen und Probanden hatten auch das für die gesprochene Sprache typische Phänomen, die Ausklammerung, benutzt. Inversion bereitete zwölf Schüler/ innen Probleme. Unter Inversion verstand ich hier nur die Inversion in Aussagesätzen, nicht in Fragesätzen, da diese als eine eigene Kategorie schon behandelt wurden. Bei Nebensätzen wurden sowohl normwidrige Formen als auch für die gesprochene Sprache typische Formen im Korpus ausgesucht, die aber möglicherweise in der geschriebenen Sprache für fehlerhaft oder normwidrig angesehen würden. Bei den Leistungen von insgesamt elf Gymnasiast/ innen gab es Fehler beim Formulieren von Nebensätzen. Viele Proband/ innen haben auch die für die gesprochene Sprache typische V2-Stellung in nicht eingeleiteten Nebensätzen nach den Verben des Sagens und Denkens oder aber nach weil benutzt, was akzeptabel ist. Da die Anzahl meiner Probanden relativ gering war, können die Resultate nur als richtungsweisend gelten. Sie deuten aber darauf hin, dass auch bei finnischen Deutschlernenden die Erwerbsreihenfolge der deutschen Wortstellung in gleicher Weise erfolgt, wie sie Diehl et al. (2000) und Pienemann (1998) feststellen konnten: Je höher die (angenommene) Erwerbsstufe, desto mehr Fehler gab es im Korpus bei diesen Strukturen: 1) einfache Hauptsätze oder SVO (2 Probandinnen/ Probanden), 2) Fragesätze (3 Prob.), 3) Distanzstellung oder SEP (7 Prob.), 4) Nebensatz oder V - END (11 Prob.) und 5) Inversion oder INV (12 Prob.). Die Stufen 1-3 folgen auch in meinem Korpus den Reihenfolgen von Diehl et al. und Pienemann. Aus meinem Korpus lässt sich keine eindeutige Entscheidung bezüglich der Diskrepanz zwischen Diehl et al. und Pienemann in den Erwerbsstufen 4 und 5 ableiten, da fast genauso viele Schüler/ innen Probleme beim Nebensatz wie bei der Inversion hatten (11 vs. 12 Proband/ innen). Die Ursachen für diese Probleme können vielerlei sein. Erstens korreliert das Kompetenzniveau der Proband/ innen damit, welche Strukturen sie beherrschen und welche nicht. Die Schüler/ innen haben fünf bis sieben Jahre Deutsch in der Schule gelernt, und die Leistungen wurden von erfahrenen finnischen Deutschlehrenden meistens auf die Kompetenzniveaus A1.3, A2.1, A2.2 und B1.1 eingestuft. Bei einigen Proband/ innen liegen die Bewertungen einiger qualitativer Aspekte sogar auf den Kompetenzniveaus A1.2 oder B1.2/ B2.1. Zwei von den drei Probandinnen, die gar keine Wortstellungsfehler hatten, wurden von fast allen Lehrenden auf die Kompetenzniveaus B1.1 bzw. B1.2 eingestuft, während die dritte entweder auf dem Kompetenzniveau A2.2 oder B1.1 war. Die meisten Proband/ innen haben aber das Niveau B1 nicht erreicht und man kann folglich vermuten, dass sie die obersten Erwerbsphasen von Diehl et al. (2000) oder von Pienemann (1998) noch nicht erreicht haben. Viele Proband/ innen haben Probleme bei der Inversion und beim Nebensatz. Die Schüler/ innen, die Probleme bei W-Fragesätzen hatten, wa- Wortstellung in mündlichen Leistungen von finnischen D a F -Lernenden <?page no="140"?> 140 ren meistens auf das Kompetenzniveau A1.3 eingestuft worden. Obwohl sie noch nicht alles beherrschen, versuchen sie trotzdem Deutsch zu reden und verschiedene Strukturen auszuprobieren. Dies kann zu Fehlern führen. Zweitens kann die Interferenz von anderen Sprachen Fehler verursachen. Diese Ursache erwähnt auch Kleppin (1997: 30-32). Die Muttersprache Finnisch spielt bei vielen Fehlern eine Rolle. Außerdem können die anderen Fremdsprachen, die man in der Schule lernt, die Beherrschung der deutschen Wortstellung beeinflussen. In Finnland sind diese Sprachen meistens Englisch und Schwedisch. Ein dritter möglicher Grund für die Probleme können die Strukturen der deutschen Sprache selbst sein. Zum Beispiel gehört die VL -Wortstellung in eingeleiteten Nebensätzen des Deutschen zu den typischen Schwierigkeiten beim D a F -Lernen (Hyvärinen 2012: 116). Auch Kleppin (1997: 32 f.) zählt den Einfluss von Elementen der Fremdsprache selbst zu den möglichen Fehlerursachen. Kehren wir am Ende noch einmal zum Ausgangspunkt dieser Pilotstudie zurück, und zwar zur mündlichen Sprachkompetenz. In diesem Beitrag ist gezeigt worden, dass die Inversion und Nebensätze den meisten Deutschlernenden in unserem Korpus im mündlichen Sprachgebrauch Probleme bereiten. Daraus lässt sich schließen, dass besonders diese Strukturen, die auch von Diehl et al. und Pienemann als die obersten Erwerbsphasen identifiziert werden, mit Hilfe mündlicher Aufgaben in finnischen Schulen genug geübt werden sollten, um die mündliche Sprachkompetenz der Schüler/ innen zu verbessern. Bibliographische Angaben Bausch, Karl-Richard / Christ, Herbert / Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.) 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(2s) geschätzte Pause in Sekunden ab Pausendauer von ca. 1 Sek. öhm=am auffällige Verschleifungen u: nd Dehnung (gespannt) vermuteter Wortlaut, nicht sicher rekonstruierbar muss(t) nicht mit Sicherheit identifizierbare Laute oder Silben (wir/ vi) mögliche Alternativen, zwischen denen nicht sicher entschieden werden kann öh, äh etc. Verzögerungssignale ((lacht)) Beschreibung des Lachens, Charakterisierung außersprachlicher Handlungen oder Vorgänge [öh wann wir Überlappungen, Simultansprechen [((lacht)) < AA >, < EA > deutlich hörbares Ausatmen/ Einatmen <wake up +Eng> fremdsprachliche Einheiten Wortstellung in mündlichen Leistungen von finnischen D a F -Lernenden <?page no="145"?> Rudolf Iványi (Budapest) Zur Rolle der Klammerkonstruktion bei der auditiven Sprachverarbeitung in Deutsch als Fremdsprache Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der für die deutsche Sprache charakteristischen Klammerkonstruktion vor dem Hintergrund der auditiven Sprachverarbeitung. Nach einer Übersicht über die einzelnen Klammertypen werden die Prozesse der auditiven Sprachverarbeitung beschrieben, wobei die Ebene des Satzverstehens im deutsch-ungarischen Vergleich behandelt wird. Danach werden die verschiedenen Ansichten über die Rolle der Klammerkonstruktion beim Satzverstehen erörtert. Dem Beitrag liegen Ergebnisse einer Pilotstudie zu Verständnisschwierigkeiten bei der Klammerkonstruktion zugrunde. Ziel des Beitrags ist zu zeigen, inwieweit die Klammerstruktur ungarischen Deutschlernenden bei der auditiven Sprachverarbeitung ein Problem bereitet und wie die eventuellen Schwierigkeiten der Lernenden erfasst werden können. Betont werden die Rolle der bewusstmachenden Grammatikarbeit und die Wichtigkeit der Sensibilisierung für die Klammerkonstruktion im D a F -Unterricht. 1 Einleitung »Die Deutschen haben noch eine Art von Klammer, die sie bilden, indem sie ein Verb in zwei Teile spalten und die eine Hälfte an den Anfang eines aufregenden Absatzes stellen und die andere Hälfte an das Ende. Kann sich jemand etwas Verwirrenderes vorstellen? « Mark Twain: Die schreckliche deutsche Sprache Wie auch das obige Zitat von Mark Twain zeigt, hat die deutsche Sprache im Allgemeinen den Ruf, eine schwere Sprache zu sein. In einer Reihe von sogenannten rezeptiven Grammatiken des Deutschen wird u.a. auch die Satzklammer unter den Konstruktionen aufgelistet, die Deutschlernenden Schwierigkeiten bereiten und eine besondere Herausforderung darstellen. Die Klammerkonstruktion ist ein Charakteristikum der deutschen Sprache und wurde in der Fachliteratur schon häufig diskutiert. Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Klammerstruktur stehen unterschiedliche Aspekte im Vordergrund: Die Klammerkonstruktion wird u.a. vor dem Hintergrund der Syntax (z.B. Weinrich 1986, Eroms 1993) und der Wissenschaftssprachenforschung (z.B. Jasny 2001) beschrieben und untersucht. Es finden sich wenige Arbeiten, die an das Thema aus der Sicht der Didaktik und Methodik <?page no="146"?> 146 des Deutschen herangehen (z.B. Döring 2007, Hägi/ Topalović 2010). Die wenigen psycholinguistischen Studien, die sich mit der Rolle der Grammatik bei Verständnisprozessen befassen (z.B. Kaiser/ Peyer 2011), konzentrieren sich fast ausschließlich auf Prozesse beim Lesen und orientieren sich vor allem an Deutsch als Muttersprache. Der vorliegende Beitrag zeigt erste Ergebnisse aus einem umfangreicheren Dissertationsprojekt, das die Rolle der Grammatik bei der fremdsprachlichen Sprachverarbeitung von ungarischen Deutschlernenden vor dem Hintergrund des Hörens untersucht. Ziel des Beitrags ist, die Bedeutung und die Wichtigkeit des Themas für den Fremdsprachenunterricht vor dem Hintergrund der psycholinguistischen Forschung zu erörtern. Weiterhin wird das Ziel angestrebt, die kontroversen Ansichten vorzustellen, ob und inwieweit die Klammerstruktur die auditive Sprachverarbeitung beeinflusst, und es wird versucht, aufgrund dessen einen für den DaF-Unterricht haltbaren eigenen Standpunkt darzulegen. Da die Rolle der Grammatik bei der auditiven Sprachverarbeitung aus fremdsprachendidaktischer Sicht bis jetzt nur wenig untersucht worden ist, kann dieser Beitrag auch Anknüpfungsmöglichkeiten für weitere Forschung bieten. 2 Zum Begriff Klammerkonstruktion Die Klammerkonstruktion ist ein durchgehendes Strukturprinzip des deutschen Satzes (Presch 1977: 12) und bedeutet die Diskontinuität des Prädikats. Das heißt, dass die analytischen Verbformen nicht wie in anderen Sprachen (z.B. im Englischen) gewöhnlich nebeneinander stehen, sondern voneinander durch das sogenannte Mittelfeld getrennt werden, das durch weitere Satzglieder beliebig erweitert werden kann. Weinrich (2007: 35 bzw. 39) spricht von einem klammeröffnenden Vorverb, das Hörer/ innen in eine gewisse Spannung versetzt, und einem klammerschließenden Nachverb, auf das Hörer/ innen warten müssen und das die wesentlichen Bedeutungsmerkmale für das Verständnis des Verbs bringt. Das lässt sich am besten anhand folgenden Modells veranschaulichen: 1 Satzklammer Vorfeld Linke Mittelfeld Rechte Nachfeld (Vorverb) (Nachverb) Peter hat gestern bei seiner Oma […] gelernt, weil … 1. Satzglied +Grammatik weitere Satzglieder +Lexik z.B. Nebensätze, -Lexik (in Anzahl unbegrenzt) -Grammatik Ausklammerung Abb. 1: Feldermodell des deutschen Satzes 1 Eine ähnliche Darstellung findet sich bei Dürscheid (2007: 90) Rudolf Iványi <?page no="147"?> 147 Obwohl in manchen Arbeiten die Ansicht vertreten wird, die Klammerstruktur stelle eine Besonderheit des Deutschen dar, 2 gilt heute als akzeptiert, dass sie aufgrund der grundsätzlichen Zweiteiligkeit des deutschen Prädikats die unmarkierte Struktur im Deutschen ist (vgl. Weinrich 1986, 2007; Thurmair 1991b: 198, Eroms 1993: 18). Die bisher ausführlichste Typologisierung von Klammerkonstruktionen finden wir bei Weinrich (2007: 41 ff.). Er unterscheidet zwischen einfachen Verbklammern, kombinierten Klammern und Adjunktklammern. Die einfachen Verbklammern, die aus einem finiten Vorverb und einem einfachen Nachverb bestehen, unterteilt er auf Lexikalklammern (Klammern, die ein Lexem als Vorverb haben; z.B. gibt … auf ), Grammatikalklammern (Klammern, die mit einem Modalverb oder einem Hilfsverb als Vorverb gebildet sind; z.B. Modalklammer: muss … lernen, Tempusklammer: hat … gefragt, Passivklammer: wird … gemacht) und Kopulaklammern (Klammern, die aus einem Kopulaverb als Vorverb und einem Prädikament als Nachverb bestehen; z.B. wird … blass). Diese verschiedenen einfachen Verbklammern können miteinander kombiniert werden. In diesem Fall spricht Weinrich von kombinierten Klammern (z.B. wird … nachdenken müssen). Die Bezeichnung Adjunktklammer steht für Konstruktionen, bei denen das klammeröffnende Element eine Konjunktion oder ein Relativ-Junktor und das klammerschließende Element ein Verb in Endstellung ist (im Nebensatz). Auch im nominalen Bereich der deutschen Sprache wirkt das Klammerprinzip. Aus einem Artikel(wort) als klammeröffnendem und dem Substantiv als klammerschließendem Element wird die Nominalklammer gebildet, deren Mittelfeld im Gegensatz zu vielen anderen Sprachen im Deutschen beliebig erweitert werden kann. (vgl.Thurmair 1991a: 88). Darüber hinaus kann die Liste der Klammerkonstruktionen mit der Adverbialklammer ergänzt werden, die vor allem für die mündliche Umgangssprache charakteristisch ist (z.B. »Da halte ich nichts von«, vgl. Eroms 1993: 19). Die bisherigen Ausführungen zeigen bereits, dass die Klammerkonstruktion im Deutschen durchaus als unmarkierte grammatische Struktur und als sprachprägend betrachtet werden kann (vgl. Eroms 1993: 18; Weinrich 2007: 33). 3 Prozesse der auditiven Sprachverarbeitung Auditive Sprachverarbeitung 3 ist ein komplexer Prozess, der aus dem Wahrnehmen akustischer Informationen und dem Sprachverstehen besteht. Sprachverstehen ist ein konstruktiver und kontextabhängiger Prozess der auditiven Sprachverarbei- 2 Vgl. z. B. Heringer (2001: 88) bzw. dazu die Kritik von Thurmair (1991b: 174 ff.). 3 Neben dem Begriff »auditive Sprachverarbeitung« findet man in der einschlägigen Fachliteratur wei� tere, synonym gebrauchte Termini wie z. B. »(Sprach�)Perzeption«, »(Sprach�)Rezeption«, »Sprachwahr� nehmung«, »Hörverstehen«. In diesem Beitrag wird der Begriff »auditive Sprachverarbeitung« verwen� det, weil er am besten verdeutlicht, dass es hier um die Verarbeitung (also um das Wahrnehmen und Verstehen mitsamt Teilprozessen) von akustischen Informationen geht. Klammerkonstruktionen in auditiver Sprachverarbeitung <?page no="148"?> 148 tung, wobei die Rezipient/ innen die wahrgenommenen sprachlichen Informationen syntaktisch und semantisch analysieren, die Sprach- und Kontextinformationen gewichten und in ihre individuellen Wissensstrukturen einpassen (vgl. Prestin 1993: 491). Die Prozesse der Sprachverarbeitung können am besten am »hierarchisch-interaktiven Modell der Sprachperzeption« (Gósy 2005: 148) veranschaulicht werden, das die Sprachverarbeitung in zwei größere Teilprozesse (Wahrnehmen und Verstehen) aufteilt, die in weitere Teilprozesse unterteilt werden: Assoziationen (Deutung) Sprachverstehen semantische Analyse syntaktische Analyse Wahrnehmen phonologische Ebene phonetische Ebene akustische Ebene Hören Abb. 2: Das hierarchisch�interaktive Modell der Sprachperzeption nach Gósy (2005: 148) Die Verarbeitung von gesprochener Sprache beginnt mit dem Hören, das die Wahrnehmung und Analyse von akustischen Impulsen umfasst. Auf der ersten, akustischen Ebene des Wahrnehmens wird das Gehörte hinsichtlich der Frequenz, der Intensität und der Dauer analysiert. Aufgrund dieser Analyse kann man z.B. entscheiden, ob man Musik oder Sprache gehört hat. Nach der akustischen Analyse wird das Gehörte phonetisch und phonologisch analysiert. Die dritte Ebene der Sprachverarbeitung ist das Sprachverstehen, wobei das Gehörte syntaktisch und semantisch analysiert wird, woraufhin die Phrasen bzw. Sätze mit Bedeutung gefüllt werden. Auf der Ebene der Assoziationen wird die gehörte und verstandene Information mit dem individuellen Vorwissen verknüpft (vgl. Gósy 2005: 148 ff.). Das hierarchisch-interaktive Modell der Sprachperzeption umfasst also zwei größere Ebenen der Sprachverarbeitung: Wahrnehmen (Hören und Wahrnehmen) und Verstehen (Sprachverstehen und Assoziationen). In Bezug auf den vorliegenden Beitrag ist die Ebene des Sprachverstehens relevant, da hier die syntaktische Komplexität und der syntaktische Aufbau des Satzes analysiert werden. Rudolf Iványi <?page no="149"?> 149 4 Satzverstehen in Deutsch und in Ungarisch Beim Verstehen wird gewöhnlich zwischen Wort-, Satz- und Textverstehen unterschieden. In Bezug auf das Thema der vorliegenden Arbeit ist vor allem das Satzverstehen relevant, das je nach Sprachtyp unterschiedlich abläuft: Bei agglutinierenden Sprachen wie dem Ungarischen wird das Gesagte primär aufgrund der Suffixe und sekundär aufgrund der Satzgliedstellung und der Kongruenz analysiert. Im Deutschen dagegen stützen sich die Rezipient/ innen bei der syntaktischen Analyse primär auf die Satzgliedstellung (Gósy 2005: 176). Bevor wir aber auf die weiteren Unterschiede beim Satzverstehen im Deutschen und im Ungarischen näher eingehen, lohnt es sich, einen kurzen Exkurs über die sprachtypologische Einordnung der beiden Sprachen zu machen: In morphosyntaktischer Hinsicht weist das Ungarische überwiegend synthetische Züge auf und gehört zu den agglutinierenden Sprachen (vgl. dazu auch Bassola et al. in diesem Band), die Kodierung der syntaktischen Relationen erfolgt meistens durch spezielle Suffixe. Analytische Verbformen kommen tendenziell selten vor und die Prädikatsteile stehen unmittelbar nebeneinander. Die meisten morphologischen Marker sind im Kontrast zum Deutschen monofunktional. Für das Ungarische ist eine dominante SOP -Stellung neben der SPO -Stellung 4 charakteristisch (vgl. Brdar- Szabó 2010: 732 ff.). Das Deutsche ist dagegen überwiegend analytisch aufgebaut. Die analytischen Verbformen bilden die Satzklammer, die mit weiteren Satzgliedern erweitert werden kann. Für den deutschen Satzbau ist also die Diskontinuität charakteristisch (vgl. Weinrich 1986, 2007; Thurmair 1991b). In der einschlägigen Fachliteratur herrscht jedoch keine Einigkeit darüber, welchem Sprachtypus das Deutsche angehört. Gewöhnlich wird die SPO -Stellung für die unmarkierte Satzgliedstellung des Deutschen gehalten. 5 In Anlehnung an Weinrich (1986) wird im vorliegenden Beitrag die Ansicht vertreten, dass für das Deutsche die Zweiteiligkeit des Prädikats und somit eine SPOP -Stellung charakteristisch ist. Aus der schon genannten Distanzstellung der linken und rechten Satzklammer resultiert »die für den deutschen Satz so charakteristische Spannung« (Thurmair 1991b: 178), die auch beim Satzverstehen eine wichtige Rolle spielt. Will man einen Satz verstehen, muss man ihn gemäß der zeitlichen Abfolge des Textes sukzessive decodieren. Bei Verb-Erstbzw. Verb-Zweit-Stellung ohne Klammerkonstruktion eröffnet das Verb einen Rahmen, der sukzessive im zeitlichen Nacheinander gefüllt wird (Thurmair 1991b: 182). Bei Sätzen mit Verb-Letzt-Stellung können die Rezipient/ innen die sinnvolle Verbindung der einzelnen Elemente erst am Ende des Satzes gesichert herstellen. Bei einem Satz mit Verb-Erstbzw. Verb-Zweit-Stellung, der 4 Wie auch andere Autor/ innen, spricht Brdar�Szabó (2010) von den Stellungstypen » SOV « bzw. » SVO «. Da Verb (»V«) eine Wortart und somit eine morphologische Kategorie ist, halte ich es für zielführender - wie u. a. auch Weinrich (1986) - die Bezeichnungen » SOP « bzw. » SPO « zu verwenden, wobei »P« für Prädikat steht. 5 Zur Diskussion über die unmarkierte Satzgliedstellung des Deutschen siehe Roelcke (1997). Klammerkonstruktionen in auditiver Sprachverarbeitung <?page no="150"?> 150 eine Klammerkonstruktion enthält, kann das Verstehen erschwert sein, indem die Rezipient/ innen den ersten Verbteil (in seiner formalen Struktur, da die semantische noch nicht feststeht) speichern und im Gedächtnis halten müssen, bis er zusammen mit dem Nachverb seine Bedeutung erhält (Thurmair 1991b: 182). Die Rezipient/ innen bilden mit dem Vernehmen des Vorverbs Hypothesen über das Nachverb, die sukzessive bestätigt bzw. widerlegt werden (Thurmair 1991b: 183 f.). Die Klammerkonstruktion fordert also eine erhöhte Gedächtnisleistung der Rezipient/ innen. Bei der Verarbeitung eines ungarischen Satzes ist diese durch die Klammerkonstruktion bedingte »Spannung« nicht vorhanden, da die Verbformen vorwiegend synthetisch sind und selbst bei analytischen Verbformen die verbalen Elemente unmittelbar nebeneinander stehen. Die Satzbedeutung kann also Schritt für Schritt aufgebaut werden, indem man das Verb, also das für die Bedeutung wichtigste Element (vgl. Thurmair 1991b: 179), im Satz relativ früh erfährt. (1) Ungarisch: A fiú segített az édesanyjának a házimunkában. (›Der Junge hat geholfen seiner Mutter bei der Hausarbeit.‹) Die gewohnte Verarbeitungsstrategie bei ungarischen Sätzen kann nicht eins zu eins auf die Verarbeitung deutscher Sätze übertragen werden, denn Rezipient/ innen erfahren im deutschen Satz zuerst ein verbales Element, das ausschließlich grammatische Informationen enthält. Wird dieser Umstand nicht berücksichtigt, kann der Prozess der Verarbeitung gestört werden. Darüber, wie die möglicherweise erhöhte Gedächtnisleistung bei der Verarbeitung deutscher Sätze zu bewerten ist und inwieweit die Klammerkonstruktion die Sprachverarbeitung beeinflusst, herrscht in der einschlägigen Fachliteratur keine Einigkeit. Im Folgenden sollen die verschiedenen Ansichten über die Rolle bzw. Leistung der Klammerkonstruktion bei der Sprachverarbeitung vorgestellt werden. 5 Rolle der Klammerkonstruktion bei der Sprachverarbeitung Zur Rolle bzw. Leistung der Klammerkonstruktion bei der Sprachverarbeitung lassen sich zusammenfassend zwei Ansichten unterscheiden: In sehr vielen Studien wird - wie Thurmair (1991b: 174) anmerkt, vor allem aus der Sicht des D a F -Unterrichts - die Ansicht vertreten, dass die Klammerstruktur für Rezipient/ innen eine Herausforderung, ein Hindernis darstellt, während anderen Arbeiten zufolge Klammerkonstruktionen durch die Erzeugung einer Spannung zwischen linker und rechter Satzklammer als Stimulus für die Merkfähigkeit wirken (vgl. Krusche 1991: 124). Rudolf Iványi <?page no="151"?> 151 Vor allem in fremdsprachendidaktisch orientierten Studien wird die Ansicht vertreten, dass die Klammerkonstruktion Sprachenlernenden das Verständnis in großem Maße erschwert. Genauso sieht das Sperber (1989) und stellt fest, dass die Klammerkonstruktion im Fremdsprachenunterricht schon auf Grundstufenniveau, quasi von Anfang an präsent ist: Spätestens, nachdem sich der Lerner bewußt mit einem deutschen Satz auseinandergesetzt hat, der ein zweiteiliges Verb und eine Akkusativergänzung enthält, ahnt er, daß ihm die deutsche Sprache auch von der Syntax her einige Steine in den Weg legen wird. Um die deutsche Sprache (sogar auf Grundstufenniveau) einigermaßen zu beherrschen, muß er, zusätzlich zum Wortschatz und zur Morphologie, die wichtigsten Prinzipien des Satzbaus bzw. der Wortstellung assimilieren. Dazu gehört vor allem ein Verständnis für die Klammerstruktur der deutschen Sprache […]. (Sperber 1989: 245) Während D a M -Sprecher/ innen mit dem »Trick der Klammer« (Eichinger 1992: 88) aufwachsen, d.h. von Anfang an auf die diskontinuierliche Struktur konditioniert werden, müssen Lernende im D a F -Unterricht lernen mit der Klammerkonstruktion bewusst umzugehen und »eine entsprechende Subroutine entwickeln, die [sie] gegen die Satzklammer wappnet« (Heringer 2001: 90). Die Distanzstellung des komplexen Prädikats verstößt gegen die grammatische Routine, was bei der Verbalphrase besonders gravierend ist, weil sie »für Sinn und Struktur des ganzen Satzes die entscheidende Rolle spielt« (Heringer 2001: 90). Dadurch scheint die deutsche Sprache »wesentlich mehr Zutrauen in das Kontextgedächtnis ihrer Sprecher [und Hörer] zu setzen als andere Sprachen« (Weinrich 1988: 89), was deshalb bedeutsam ist, weil u.a. das Kurzzeitgedächtnis für das Verstehen von Sätzen und damit auch für die mentalen Prozesse bei der Verarbeitung der Klammerkonstruktionen verantwortlich ist (vgl. Thurmair 1991b: 181). »Unter gedächtnispsychologischem Aspekt ist natürlich die Ausdehnung der Klammer von besonderem Interesse, denn gerade dies macht ja wohl die Hauptschwierigkeit bei Sprachproduktion wie -rezeption aus.« (Thurmair 1991b: 186) Bezogen auf Miller (1956), der für die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses 7 ± 2 ›chunks‹ annimmt, merkt Thurmair (1991b: 183) in Bezug auf die Dehnung der Verbalklammer an, dass zwischen der linken und der rechten Satzklammer nicht mehr als 7 (+2) ›chunks‹ stehen dürften, wenn noch ein Verstehen möglich sein soll. Engel (1994) z.B. sieht aber beim Verstehen nicht primär die Überdehnung der Klammer, sondern die diskontinuierliche Prädikatstruktur als Problem. Es gibt grammatisch korrekte Sätze, die den Rezipienten gleichwohl Verständnisschwierigkeiten bereiten, weniger wegen ihres - meist beträchtlichen - Umfangs als weil ein informativ wichtiges Element, von dem die Interpretation des gesamten Satzes abhängt, erst ganz am Ende erscheint, womit die Speicher- und Verarbeitungsmöglichkeiten der aufnehmenden Person häufig überfordert werden […]. (Engel 1994: 205) Klammerkonstruktionen in auditiver Sprachverarbeitung <?page no="152"?> 152 Genau das Gegenteil behaupten andere Autor/ innen und bewerten die Klammerkonstruktion positiv und erachten die diskontinuierliche Satzstruktur als verständnisfördernd. Zu ihnen gehört z.B. auch Krusche (1991: 124), der in Bezug auf die Klammerkonstruktion feststellt, dass sie dem Gedächtnis eine »Leistung« abfordert und somit die Merkfähigkeit der Rezipient/ innen stimuliert. Ebenfalls für die positive Bewertung der Klammerkonstruktion argumentiert Thurmair (1991b: 199): »Die ›besondere‹ Klammerstruktur des Deutschen kann durchaus auch positiv bewertet werden, insofern sie nämlich ein Spannungsfeld erzeugt, das auch den Hörer/ Leser ›am Text hält‹.« Auch Eroms (1993) vertritt die Ansicht, dass die Klammerkonstruktion die Aufmerksamkeit der Rezipient/ innen fördert. Er argumentiert damit, dass für funktionale Grammatiken der Sinn von diskontinuierlichen Strukturen, vor allem der Klammer, schon lange evident sei: Sobald sprachlich zusammengehörende Teile »zerrissen« sind, steuern sie die Aufmerksamkeit der Rezipienten in erhöhtem Maße. Sie müssen das rechts liegende Kontextfeld nicht nur nach logisch determinierenden, sondern vor allem nach überhaupt passenden Teilen absuchen. (Eroms 1993: 18) Dabei beruft sich Eroms (1993) auf eine frühere Studie von Ronneberger-Sibold (1991), die genau diesen Tatbestand hervorgehoben hat und die Klammerungen für Mittel zur Markierung von Konstituentengrenzen hält, die dem Hörer die Orientierung erleichtern. Ronneberger-Sibold (1991: 232) hält sogar die Ambiguität des klammeröffnenden Gliedes für vorteilhaft, weil so die Erwartungshaltung des Hörers verstärkt werde. Zu den ›Befürworter/ innen‹ der Klammerkonstruktion gehört auch Eichinger (1995), der die Klammer als »verständnisförderndes Spannungselement« (318) betrachtet. Er weist jedoch auf die begrenzt mögliche Dehnbarkeit der Klammer hin, indem er hinzufügt, dass zur Klammerung auch die grammatikalisierte Rücksicht auf die Dehnbarkeit der Klammer gehöre (Eichinger 1995: 311 bzw. 319). Ob die Klammerkonstruktion D a F -Lernenden das Verständnis erleichtert oder erschwert, hängt aber nicht nur von den oben genannten Faktoren wie der grammatischen Komplexität der Klammer oder dem Maß der Distanz zwischen linker und rechter Satzklammer ab, sondern auch davon, wie die Lehrenden bei der Grammatikvermittlung mit der Klammerstruktur umgehen: Bewusstmachende, reflektierte Grammatikarbeit und die Sensibilisierung für die Klammerkonstruktion können Lernenden helfen, mit Klammern rezeptiv effektiv umzugehen. Rudolf Iványi <?page no="153"?> 15 3 6 Empirische Untersuchung Im Weiteren werden Ergebnisse einer Pilotstudie vorgestellt, in der u.a. der Frage nachgegangen wird, ob und inwieweit die Klammerkonstruktion das Sprachverstehen bei Lernenden mit Ungarisch als L1 beeinflusst und wie die eventuellen Probleme in Bezug auf die Verarbeitung der Klammerkonstruktion erfasst werden können. 6.1 Proband/ innen - Testinstrument - Untersuchungsmethode An der Pilotstudie, die 2013 in zwei Schritten durchgeführt wurde, haben 39 Schüler/ innen (14 - 16 Jahre) eines deutschsprachigen Gymnasiums in Ungarn teilgenommen. Bei Gruppe A handelt es sich um 24 Schüler/ innen (13 m; 11 w), bei Gruppe B um 15 (10 m; 5 w). In Gruppe B wurden die Schüler/ innen während der Deutschstunden bewusst für das Phänomen Klammerkonstruktion sensibilisiert. Alle Proband/ innen haben Ungarisch als Muttersprache und verfügen über gute Deutschkenntnisse (Niveau B1+ nach GER ). Das Testinstrument bildeten zwei Hörverstehenstests, die jeweils aus einem Hörtext und einem Verstehenstest bestanden. Beim ersten Hörtext wurde mit zwei inhaltlich gleichen Versionen gearbeitet, wobei der Originaltext ein authentischer Text war und eine Reihe von Klammerkonstruktionen enthielt. Dazu wurde ein klammerfreier Paralleltext gestaltet, in dem jedem Satz mit der zu überprüfenden Klammerstruktur des Originaltextes eine inhaltlich gleiche, aber klammerfrei gestaltete alternative grammatische Struktur entsprach (z.B. Perfekt im Originaltext, Präteritum im Paralleltext). Um das Verständnis bei Vorhandensein einer Klammer mit dem Verständnis von Texten ohne Klammer vergleichen zu können, wurden der Originaltext und der klammerfreie Paralleltext in zwei unterschiedlichen Gruppen von Schüler/ innen eingesetzt (Gruppe K+ und Gruppe K-). Außerdem sollten sich die Schüler/ innen der Gruppe A und B einen zweiten, gemeinsamen Hörtext (Kontrolltext) anhören und den dazu gehörenden Verstehenstest lösen, der Informationen über die allgemeine Verstehenskompetenz der Proband/ innen liefern sollte, damit die Ergebnisse trotz der Unterschiede in den Sprachkenntnissen miteinander verglichen werden können. Beide Verstehenstests beinhalteten 6 Verifikationsaufgaben (Richtig/ Falsch) und 4 Fragen zum Textinhalt. Die Proband/ innen konnten sich die Hörtexte jeweils zweimal anhören; erst nach dem ersten Hören war ihnen erlaubt, die Aufgaben der Verstehenstests zu lesen. Klammerkonstruktionen in auditiver Sprachverarbeitung <?page no="154"?> 154 6.2 Auswertung der Ergebnisse Das folgende Diagramm veranschaulicht, wie die beiden Gruppen bei den einzelnen Verstehenstests abgeschnitten haben. Aufgrund der unterschiedlichen Sprachniveaus von Gruppe A und B können die Leistungen der Gruppen nicht direkt miteinander verglichen werden. Maßgebend sind bei jeder Gruppe die Ergebnisse des Kontrolltests, der als Bezugstest diente und den Vergleich der Ergebnisse von Gruppe K+ und Kermöglichen sollte. 0 20 40 60 80 100 Korrekte Angaben in % K+ Gruppe A K- K+ Gruppe B K- 62 93 62 86 55 79,4 52,9 82,1 HV�Test 1 HV�Test 2 (Kontrolltest) Diagramm 1: Quantitative Gesamtauswertung der Ergebnisse Aus Diagramm 1 lässt sich ersehen, dass Gruppe A bei den Tests insgesamt besser abgeschnitten hat als Gruppe B. Bei Gruppe A ist festzustellen, dass die Gruppe, in der der klammerhaltige Hörtext eingesetzt wurde (Gruppe K+) um 7% besser beim Kontrolltest abgeschnitten hat, während die korrekten Angaben beim Hörverstehenstest 1 in beiden Gruppen (K+ und K-) gleichermaßen bei 62% liegen. In Bezug auf die Klammerkonstruktion lässt sich schließen, dass sie die Sprachverarbeitung negativ beeinflusst und das Verständnis erschwert hat. Betrachtet man die Ergebnisse von Gruppe B, wo die Lernenden für die Klammerstruktur im Unterricht sensibilisiert wurden, sieht man, dass der reflektierte Umgang mit Klammerkonstruktionen Früchte trägt: Gruppe K+ hat um 2,7% schlechter beim Kontrolltest, aber um 2,1% besser bei dem klammerhaltigen Hörverstehenstest abgeschnitten. Nimmt man die Ergebnisse des Kontrolltests als Bezugsergebnisse, kann man sehen, dass sich das Vorhandensein von Klammern beim Hörverstehenstest 1 bei Gruppe A um 5,5% schlechter, bei Gruppe B um 4,9% besser auf das Verstehen auswirkte. Es kann also festgestellt werden, dass sich der reflektierte Umgang mit den und die Bewusstmachung von Klammerkonstruktionen im Unterricht positiv auf das Verstehen auswirken. Rudolf Iványi <?page no="155"?> 155 Diagramm 2 zeigt die Fehlerquote (Gruppe A und B gesamt) bei den Testaufgaben je nach unterschiedlichen Klammertypen. Die Ergebnisse zeigen, dass eine generell negative Auswirkung der Klammerstruktur auf das Satzverstehen nicht haltbar ist. Bei Passivsätzen finden wir sogar bessere Ergebnisse bei der klammerhaltigen Version des Hörtextes als bei der klammerfreien Version. Umso problematischer erwiesen sich aber eine Nominalklammer, die in eine Adjunktklammer inkorporiert ist (Aufgabe 1/ 3) sowie eine Lexikalklammer (Aufgabe 2/ 4). Im Folgenden sollen die oben genannten Strukturen genauer betrachtet werden. 0 20 40 60 80 100 Gesamte Fehlerquote in % K+ K- 10 5 35 65 55 31,6 15 16 50 37 35 26,3 25 26,3 60 79 35 42,1 90 68,4 Aufgabe 1/ 1: GK (Tempusklammer) Aufgabe 1/ 2: GK (Passivklammer) Aufgabe 1/ 3: NK in Adjunktklammer Aufgabe 1/ 4: GK (Passivklammer) Aufgabe 1/ 5: GK (Tempusklammer) Aufgabe 1/ 6: (Kombinierte Kl.) Aufgabe 2/ 1: GK (Tempusklammer) Aufgabe 2/ 2: GK (Tempusklammer) Aufgabe 2/ 3: GK (Passivklammer) Aufgabe 2/ 4: Lexikalklammer Kontrollfragen und die getesteten Klammertypen Diagramm 2: Gesamte Fehlerquote (Gruppe A und B gesamt) bei den getesteten Klammertypen ( NK = Nominalklammer, GK = Grammatikalklammer) Klammerkonstruktionen in auditiver Sprachverarbeitung <?page no="156"?> 156 6.2.1 Passivklammer Betrachtet man Diagramm 2, ist zu beobachten, dass bei den Passivklammern (Aufgabe 1/ 2 und 4 sowie Aufgabe 2/ 3) Gruppe K+ insgesamt besser abgeschnitten hat als Gruppe K-. Der Originaltext enthielt folgende drei Passivsätze: Originaltext Paralleltext Fehlerquote Die Tiere [sind rund 250 Kilometer von der Forschungsstation Dumont d ’Urville entfernt beobachtet worden]. GK(Pass.) Rund 250 Kilometer von der Forschungsstation Dumont d ’Urville entfernt beobachteten die Forscher die Tiere. K+: 35,0% K - : 65,0% Die beiden nun entdeckten neuen Gruppen [wurden in der Gegend bereits vermutet], GK(Pass.) aber nie gesichtet. Die beiden nun entdeckten neuen Gruppen vermutete man bereits in der Gegend, aber man sichtete sie nie. K+: 15,0% K - : 16,0% Die Gesamtzahl der Pinguine in der Antarktis [wird auf etwa 600 000 geschätzt]. GK(Pass.) Die Gesamtzahl der Pinguine in der Antarktis schätzt man auf etwa 600 000. K+: 35,0% K - : 42,1% Grund für die höhere Fehlerquote bei aktivischen (und somit klammerfreien) Sätzen dürfte sein, dass im Ungarischen kein dem Deutschen vergleichbares Passiv existiert. Deshalb wird diesem Phänomen im ungarischen D a F -Unterricht gewöhnlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt, d.h. die Lernenden werden für den Umgang mit Passivsätzen sensibilisiert, was u.a. zu besseren Verständnisleistungen führt. 6.2.2 Nominalklammer in Adjunktklammer Ein deutlicher Problemfall dagegen war eine Nominalklammer, die in eine Adjunktklammer inkorporiert ist. Zur Überprüfung des Satzverstehens mussten die Proband/ innen folgende Aussage hinsichtlich ihrer Richtigkeit beurteilen: Die Region, wo die Wissenschaftler die Pinguine gesichtet haben, wurde bislang nicht erforscht. (R/ F) Rudolf Iványi <?page no="157"?> 157 Originaltext Paralleltext Fehlerquote Die Zahl der Kaiserpinguine, [die bislang in [der von dem Institut erforschten Region] NK gesichtet wurden] AdjK , hat sich mit der Entdeckung verdreifacht, berichteten die Forscher. Zwar sichteten die Forscher schon früher in [der von dem Institut erforschten Region] NK Kaiserpinguine, aber ihre Zahl verdreifachte sich mit der Entdeckung, berichteten die Forscher. K+: 55,0% K - : 31,6% Obwohl die Information zur gestellten Frage selbst in einer Nominalklammer zu finden ist, wird aus den Ergebnissen ersichtlich, dass die Inkorporierung der Nominalklammer in eine Adjunktklammer das Verständnis enorm erschwert. Grund für die schlechtere Verstehensleistung dürfte weiterhin sein, dass beim oben genannten Satz des Originaltextes die Rezipient/ innen das Vorverb der eigentlichen Hauptklammer des Satzes (hat - verdreifacht), sehr spät, erst nach vielen Informationen und einer Parenthese erfährt. Weiters wird die Sprachverarbeitung durch die Tempusklammer gestört: Dadurch, dass das Vorverb, das man ungewöhnlich spät erfährt, ausschließlich grammatische Informationen enthält, wird das Gedächtnis überfordert. Außerdem ist der getestete Satz auch semantisch gesehen komplex, was das Verstehen ebenfalls erschwert. 6.2.3 Lexikalklammer (i. w. S.) Auch der folgende Satz erwies sich beim Verstehen als äußerst problematisch. Dabei geht es im engeren Sinne nicht um eine Lexikalklammer, aber das Vorverb (kommen) scheint so eng mit der Information am Satzende (aus dem Meer) verbunden zu sein, dass hier m.E. von einer Lexikalklammer im weiteren Sinne die Rede sein kann. Originaltext Paralleltext Fehlerquote Pinguine [kommen nur zu ihrer Brutzeit im antarktischen Winter zwischen April und Anfang Dezember aus dem Meer] LK . Aus dem Meer kommen die Pinguine nur zu ihrer Brutzeit im antarktischen Winter zwischen April und Anfang Dezember. K+: 90,0% K - : 68,4% Die zu beantwortende Frage zum Satz lautete: Wann kommen die Pinguine aus dem Meer? Klammerkonstruktionen in auditiver Sprachverarbeitung <?page no="158"?> 158 Als richtige Antworten wurden sowohl »zu ihrer Brutzeit«, wie auch »im antarktischen Winter« und »zwischen April und (Anfang) Dezember« akzeptiert. Dass es sich bei diesem Satz auch um eine Klammer handeln kann, scheint die Fehlerqoute zu bestätigen: Bei Distanzstellung der zwei semantisch eng zusammengehörenden Elemente ist die Fehlerquote mit 90% beträchtlich. Dass die Fehlerquote bei dem Paralleltext ebenfalls ziemlich hoch ist (68,4%), lässt sich auch hier mit der semantischen Komplexität zu erklären. Außerdem muss hinzugefügt werden, dass das Lexem »Brutzeit« auf dem Niveau der Proband/ innen zusätzlich lexikalische Schwierigkeiten bereitet haben dürfte. 7 Fazit und Ausblick Inwieweit die positiven Ansichten über die Klammerstruktur des Deutschen auch für die Außenperspektive, d.h. für den D a F -Unterricht haltbar sind, ist fraglich. Empirische Studien, die die positive Leistung der Klammerkonstruktion vor dem Hintergrund der Rezeption umfassend, eindeutig und glaubwürdig belegen, sind bis heute nicht vorhanden. Auch die vorgestellte Pilotstudie hat ihre Grenzen bzw. zeigt noch künftige Forschungsdesiderate auf: Die vorgestellte Methode kann nur Tendenzen aufzeigen und liefert somit nur quantitative Ergebnisse über das Endprodukt: das Verstehen. Für die weitere Forschung wäre aber notwendig, Einblick in die Prozesse des Sprachverstehens zu bekommen, die bei der auditiven Sprachverarbeitung - wenn überhaupt - nur schwer zugänglich sind. Dank der Pilotstudie wurde aber klar, dass bei der Sprachverarbeitung die syntaktische Konstruktion nur ein Schwierigkeitsfaktor unter anderen ist: Das Verstehen wird u.a. auch durch die semantische Komplexität und die inhaltliche »Dichte« beeinflusst. Trotz teils gegenteiliger Erwartungen wurde ersichtlich, dass die Tatsache, dass eine grammatische Form in der Muttersprache nicht existiert, nicht unbedingt zu schlechten Ergebnissen führen muss. Das zeigte sich vor allem bei den Passivklammern. Beim Verständnis von grammatischen Strukturen ist entscheidend, wie bewusst die Lernenden mit der gegebenen Konstruktion beim rezeptiven Sprachgebrauch umgehen. Die Bewusstmachung bestimmter grammatischer Strukturen ist im Fremdsprachenunterricht nicht zuletzt deshalb von grundlegender Bedeutung. Auf semantischer Ebene kann festgestellt werden, dass sich die Distanz der semantisch zusammengehörenden Elemente auf das Verstehen proportional negativ auswirkt. Für die Sprachproduktion heißt das, dass das von Weinrich (2007: 80) zitierte Prinzip der »Gedächtnisfreundlichkeit« berücksichtigt werden sollte. Die Relevanz des Themas für den D a F -Unterricht ist unbestreitbar. Tatsache ist, dass die D a F -Lernenden aufgrund des strukturellen Aufbaus des Deutschen schon relativ früh, quasi am Anfang ihres Studiums mit der Klammerkonstruktion konfrontiert werden. Ein Blick in die neueren Lehrwerke genügt, um festzustel- Rudolf Iványi <?page no="159"?> 159 len, dass die Klammerkonstruktion bereits im frühen Sprachlernprozess präsent ist. Trennbare Verben, Modalverben, Perfekt, Subjunktionen wie weil, da, als, wenn usw., um nur einige zu nennen, bilden den Kern des Lehrstoffes auf Anfängerniveau. Bei der Rezeption dieser klammerbildenden Strukturen kann die bei der muttersprachlichen (ungarischen) Satzverarbeitung gewöhnte Routine nicht bzw. nur bedingt angewendet werden. Daher ist die Aufgabe der Lehrenden des Faches Deutsch als Fremdsprache, bei den Lernenden eine gewisse Bewusstheit für das Phänomen Klammerkonstruktion zu fördern. Nur wenn die Lernenden für dieses Spezifikum des Deutschen sensibilisiert werden und mit dem Phänomen bewusst umgehen können, sind sie imstande in der Fremdsprache Texte zu rezipieren und mit Hilfe von Texten zu kommunizieren. Lernende sollten Lernstrategien dafür entwickeln, klammeröffnende Bestandteile als Signale für klammerschließende Elemente wahrzunehmen und auf diese Weise wichtige Textualitätsmerkmale zu erfassen (Hägi/ Topalović 2010: 98). Ohne Bewusstmachung und Sensibilisierung für die Klammerstruktur kann die von vielen Autor/ innen schon zitierte »Spannung« im deutschen Satz bei D a F -Lernenden nur zur Verwirrung bei der Sprachverarbeitung führen, keineswegs aber zum besseren Verständnis beitragen. Bibliographische Angaben Boretzky, Norbert / Enninger, Werner / Jeßing, Benedikt / Stolz, Thomas (Hrsg.) 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Hildesheim/ Zürich/ New York: Olms Klammerkonstruktionen in auditiver Sprachverarbeitung <?page no="163"?> Priscilla Maria Pessutti Nascimento (S-o Paulo) Grammatik induktiv vermitteln: Vor- und Nachteile für Lehrende, Schwierigkeiten und Lösungsansätze Gegenstand des vorliegenden Beitrags ist die Auswertung einer Umfrage, bei der Lehrende über die Schwierigkeiten einer induktiven Grammatikvermittlung befragt wurden. Ziel ist es, die Vor- und Nachteile des induktiven Verfahrens bei der Erschließung von Grammatikregeln zu präsentieren und die Schwierigkeiten eines solchen Vorgehens mit denen zu vergleichen, die die Lehrenden mit dem deduktiven Verfahren hatten. Des Weiteren sollen mögliche Lösungen für die aktuellen Probleme aufgezeigt werden. 1 Die Rolle der Grammatik im DaF-Unterricht und ihre Vermittlung Die Grammatikvermittlung besitzt einen unbestreitbaren Stellenwert im Fremdsprachenunterricht. Es geht nicht darum, ob Grammatik behandelt oder durchgenommen werden soll oder nicht, sondern darum, wie Grammatik vermittelt werden kann. Die unterschiedlichen Methoden, 1 die im Laufe der Zeit konzipiert wurden, haben zwar den Stellenwert der Grammatik immer wieder neu bewertet, aber sie ist nach wie vor ein wichtiger Teil der Sprache und des Fremdsprachenunterrichts. Heute wird sie jedoch in ihrer Funktion begriffen und nicht als selbstständiges Ziel. Modernere Konzeptionen schlagen vor, grammatische Strukturen zuerst in einem sinnvollen Kontext einzuführen, was das Verstehen und Anwenden neuer Regeln vereinfachen würde, denn die Lernenden würden nicht abrupt mit abstrakten Strukturen konfrontiert werden, sondern mit Strukturen, die eine konkrete Funktion haben. In diesem Zusammenhang kann Grammatik explizit (über die Regeln wird gesprochen) oder implizit (die Regeln werden ›erworben‹, indem man die Sprache benutzt, ohne dass über Grammatik gesprochen wird) vermittelt werden. In der ›Post-Methoden-Ära‹ (zu den unterschiedlichen Benennungen dieser Phase vgl. Funk 2010: 941 f.) wird Grammatik im Erwachsenenunterricht meistens explizit behandelt, da Erwachsene laut Fischer (2007: 15) kognitive Verfahren bevorzugen und über ein ausgereiftes kognitives System verfügen, das das Verstehen und Behalten grammatischer Regeln ermöglicht. Außerdem entspreche Grammatikunterricht kulturspezifischen Erwartungen dieser Zielgruppe, und unter be- 1 Zu Methoden des Fremdsprachenunterrichts vgl. Neuner/ Hunfeld (1993). <?page no="164"?> 164 stimmten Lernbedingungen könne die explizite Grammatikarbeit erfolgreich sein und den Spracherwerb beschleunigen. Laut Fandrych (2010: 1014) schafft explizite Grammatikvermittlung für Erwachsene im nicht-deutschsprachigen Raum »eine gewisse Sicherheit, denn sie kann orientierend wirken und die Systematizität bestimmter sprachlicher Erscheinungen verdeutlichen«, und sie habe »eine dienende Funktion für den Spracherwerb«. Grammatik wird im D a F -Unterricht meistens explizit vermittelt, aber diese Vermittlung kann deduktiv oder induktiv sein. Die Grammatik wird deduktiv behandelt, wenn man von einer Regel ausgeht bzw. wenn die Regel sofort vom Lehrenden erklärt wird. Beim induktiven Vorgehen hingegen geht man von einem grammatischen Phänomen aus einem Text oder einer Situation aus. Die Lernenden beschäftigen sich mit den Beispielen, finden selbst eine Regelhaftigkeit heraus und formulieren sie mit eigenen Worten. Im Folgenden wird das induktive Verfahren genauer beschrieben und mit dem deduktiven verglichen. 2 Induktive Grammatikvermittlung Wie kann man Grammatik induktiv vermitteln? Hier stütze ich mich auf Bimmel et al. (2011: 73 f.) und präsentiere eine Zusammenfassung einer möglichen Unterrichtssequenz bzw. von Unterrichtsphasen, die man verwenden kann, um Grammatik induktiv zu vermitteln: • Zuerst gibt es einen Einstieg / eine Einführung ins Thema (z.B. ›im Sprachkurs‹ ›im Restaurant‹, ›Feste und Bräuche‹), die Motivation für das Thema wecken und Vorwissen aktivieren soll. • Dann kommt eine Präsentation, in der z.B. mit einem Lese- oder Hörtext gearbeitet wird. Die Lernenden hören oder lesen diesen Text und machen Aufgaben zum Textverständnis, d.h. sie sollen diesen Text z.B. global oder selektiv verstehen und konzentrieren sich in dieser Phase nur auf den Inhalt. Die neuen grammatischen Formen, die vorkommen, werden noch nicht analysiert. • Danach gibt es eine Semantisierung: Die Lernenden verstehen die Bedeutung der neuen grammatischen Form(en), ohne sie analysiert zu haben. Das kann von den Lehrenden überprüft werden, indem sie bestimmte Fragen stellen, um festzustellen, ob die Lernenden verstehen, was die Struktur bedeutet (z.B.: die Lernenden stellen fest, dass es sich um die Vergangenheit handelt). In Gruppen mit gemeinsamer L1 kann die Bedeutung der Struktur auch übersetzt werden. • Dann kann es reproduktive Übungen geben, in denen die Lernenden in einem bestimmten Kontext die Form(en) üben, die sie schon verstanden haben, aber die sie noch nicht analysiert haben. Hier können z.B. vorgegebene Fragen und Priscilla Maria Pessutti Nascimento <?page no="165"?> 165 Antworten wiederholt werden, die zum Thema passen. Wenn die Lernenden eine Struktur benutzen, die erst später analysiert wird, spricht man von vorwegnehmendem Gebrauch (vgl. Funk et al. 2014: 43). • Darauf folgt eine Bewusstmachung oder Analyse der Struktur nach dem SOS - Prinzip: Sammeln-Ordnen-Systematisieren (Funk / König 1991: 124). Beispiele werden von den Lernenden aus dem Text gesammelt, geordnet (z.B. in Kategorien) und systematisiert (z.B. in einer Tabelle), die Lernenden erschließen die Regel und formulieren sie mit eigenen Worten (oft in der Muttersprache) für sich selbst. Dabei spielt die Visualisierung der Regel eine wichtige Rolle. • Schließlich werden unterschiedliche Übungen angeboten: zuerst reproduktive, geschlossene Übungen, dann offenere Übungen, und schließlich produktive Übungen und Aufgaben. Laut Funk et al. (2014: 14) bereiten Übungen Aufgaben vor, »indem sie Wortschatz, Aussprache, Strukturen oder einzelne Fertigkeiten gezielt trainieren«. Ihr Ziel ist die richtige Anwendung und »möglichst rasche Verfügbarkeit des Geübten und seine freie Anwendung in Aufgaben« (Funk et al. 2014: 14). Unter Aufgabe versteht man hier sprachliche Aktivitäten, die »einen Sitz im Leben haben, d.h. die auch außerhalb des Unterrichts stattfinden könnten« (Funk et al. 2014: 170). Es gibt also am Ende dieser Sequenz eine Anwendung des Gelernten in einer kommunikativen Situation. Nach dieser Unterrichtssequenz sollen Lernende also eine grammatische Struktur kennen (Form) und sie auch in kommunikativen Situationen anwenden können (Funktion). Die Lehrenden gehen von einem kommunikativen Lernziel aus (was können meine Lernenden am Ende dieser Stunde mit der Sprache machen / wie können sie damit kommunizieren? ) und bereiten die nötigen Schritte vor, um dieses Ziel zu erreichen. Funk et al. (2014: 14) nennen dies das ›Prinzip der Rückwärtsplanung‹. Was sind aber die Vor- und Nachteile des induktiven Verfahrens im Vergleich zum deduktiven? Bimmel et al. (2011: 133) präsentieren einige Merkmale von beiden Verfahren, die hier als Vor- und Nachteile klassifiziert werden (meine Kommentare dazu stehen in Klammern): Vor- und Nachteile des deduktiven Verfahrens: • Vorteile: Einfacheres Verfahren für die Lehrenden (die die Regel ›nur‹ erklären müssen, ohne dass viel Vorbereitung nötig wäre); die Regel ist garantiert richtig; es kostet weniger Zeit. • Nachteile: Die Lernenden vergessen die Regel schneller (wenn diese zu abrupt eingeführt wird, ohne dass die Lernenden wissen, worum es geht, oder weil die präsentierte Regel nicht gut verstanden wurde); die Lernenden bleiben vom ›Herrschaftswissen‹ der Lehrkraft abhängig und spielen eine weniger aktive Rolle (denn sie müssen nur zuhören und versuchen, dem Gedankengang zu folgen). Grammatik induktiv vermitteln <?page no="166"?> 166 Vor- und Nachteile des induktiven Verfahrens: • Vorteile: Die Lernenden vergessen die Regel nicht so leicht (weil selbst Gefundenes besser behalten wird); sie spielen eine aktive Rolle und werden in Entscheidungsprozessen selbstständig. • Nachteile: Es kostet mehr Zeit (da es länger dauert, Lernende Beispiele sammeln und selber die Regel erschließen zu lassen); es ist ein komplizierteres Verfahren für die Lehrenden (die alles sehr gut vorbereiten müssen, damit die Lernenden die Regeln selber erschließen können); die von Lernenden selbst gefundenen Regeln können zunächst falsch sein (was nach dem Eingreifen der Lehrenden Verwirrung oder Frustration erzeugen kann). Seit einiger Zeit wird das induktive Verfahren gegenüber dem traditionellen, deduktiven mehr und mehr bevorzugt. Schlak (2003: 86 f.) weist auf verschiedene Studien und Autoren hin und präsentiert u.a. folgende Vorteile des induktiven Verfahrens: Es verstärkt die Lernerautonomie, kann Ängste vor den Schwierigkeiten der Grammatik abbauen und fördert die Interaktion im Unterricht, weil es sich in Gruppen durchführen lässt. Außerdem werden die Eigenaktivität und Selbstständigkeit der Lernenden gefordert und gefördert und diese haben die Gelegenheit, eine Regel so zu entwickeln, wie sie sie verstehen und benutzen können. Natürlich kann es »eine für jeden Lerner und jede Zielgruppe gleichermaßen geeignete Unterrichtsmethode nicht geben« (Schlak 2003: 82) und das gilt auch für alle anderen Verfahren, die im Unterricht eingesetzt werden können. Funk et al. (2014: 17) halten fest, dass empirische Nachweise dafür fehlen, dass bestimmte Lernziele nur mit bestimmten Methoden erreicht werden können und dass bestimmte Verfahren bei allen Lernenden zu den gleichen Ergebnissen führen, aber sie formulieren didaktisch-methodische Prinzipien, die in einem guten DaF- Unterricht berücksichtigt werden sollen (vgl. dazu auch den Beitrag von Funk in diesem Band). Den meisten der von Funk (2010: 943) beschriebenen Prinzipien wird m.E. im induktiven Verfahren gut Rechnung getragen: Handlungsorientierung, Inhaltsorientierung, Aufgabenorientierung, Individualisierung und Personalisierung, Autonomieförderung, Interaktionsorientierung, Reflexionsförderung, Automatisierung und Mehrsprachigkeit. 2 In einem induktiven Grammatikunterricht wissen die Lernenden, warum sie eine bestimmte Regel lernen, denn diese ist nicht abstrakt, sondern in einen Kontext eingebettet (Inhaltsorientierung) und kann später in einer kommunikativen Situation angewandt werden, d.h. mithilfe dieser Regel werden sie mit der Sprache handeln (Handlungsorientierung). Bei der Regelerschließung interagieren die Lernenden und kommunizieren miteinander (Interaktionsorientierung), um in einer im Unterricht authentischen Situ- 2 Funk (2010: 943) beschreibt im Weiteren die Prinzipien Transparenz und Partizipation, Evaluationskultur und Lehr�/ Lernkultursensibilität. Priscilla Maria Pessutti Nascimento <?page no="167"?> 167 ation (sie wollen eine Regel entdecken) ein Problem zu lösen, wobei sie über die Beispiele und die neue Struktur reflektieren (Reflexionsförderung). Bei diesem Vorgehen lernen sie auch, wie man aus Beispielen Regeln im Allgemeinen erschließen kann - eine Kompetenz, die auch außerhalb des Unterrichts von Nutzen ist (Autonomieförderung). Wenn sie dann die Regel mit eigenen Worten formulieren, personalisieren sie den Inhalt (Individualisierung und Personalisierung). Der Vergleich mit der Muttersprache und mit anderen Sprachen kann bzw. soll auch stattfinden (Mehrsprachigkeitsprinzip). Die nach der Regelerschließung gemachten Übungen dienen der Automatisierung, sind fertigkeitsbasiert und haben Bezug zu den Aufgaben; die im Unterricht ›geübten‹ Situationen haben entweder mit der Lebenswelt der Lernenden zu tun oder können später ›im echten Leben‹ vorkommen (Aufgabenorientierung). Das sind nur einige Beispiele, die uns zeigen, wie die meisten Prinzipien im induktiven Grammatikunterricht eingesetzt werden können und dass sie in vielen Fällen nicht voneinander zu trennen sind. In diesem Kapitel wurde beschrieben, wie man das induktive Verfahren im Unterricht einsetzen kann und was seine Vor- und Nachteile im Vergleich zum deduktiven Verfahren sind. Das induktive Verfahren scheint also geeignet für die Lernenden zu sein. Aber wie finden das die Lehrenden? Welche Schwierigkeiten haben Lehrende mit dem induktiven Verfahren? Im nächsten Kapitel werden die Ergebnisse einer Umfrage unter Lehrenden präsentiert und deren Ergebnisse diskutiert. 3 Ergebnisse einer Umfrage zur induktiven Grammatikvermittlung unter Lehrenden Um zu erfahren, welche Schwierigkeiten die Lehrenden mit dem induktiven Verfahren haben, habe ich eine Umfrage durchgeführt. Ausgangspunkt war ein Seminar zum Thema Grammatik, das ich im Jahr 2011 am Goethe-Institut S-o Paulo für Deutschlehrende gehalten habe, die in Südamerika tätig waren. Da wurden Schwierigkeiten mit der Arbeit mit Grammatik gesammelt, die die Lehrenden im Unterricht hatten, und aus dieser Liste wurde eine Umfrage erstellt. An der Umfrage haben im Jahr 2013 fünfzehn Lehrende aus vier Ländern (Brasilien, Deutschland, Argentinien und Venezuela) teilgenommen. Alle haben früher Grammatik deduktiv unterrichtet bzw. sie haben selber die Regeln erklärt. Sie haben in einem Kurs gelernt, Grammatik induktiv zu vermitteln, und haben dieses Verfahren in Modellklassen ausprobiert. Außerdem haben alle Erwachsene unterrichtet (vor allem auf den Niveaus A1-B1) und waren zur Zeit der Umfrage in Südamerika tätig. Grammatik induktiv vermitteln <?page no="168"?> 168 Die Umfrage umfasste drei Fragen. 3 Die erste Frage lautete: »Welche Schwierigkeiten hatten Sie früher beim Unterrichten / Behandeln / Erklären von Grammatik? «. Es wurden neun Beschreibungen von Schwierigkeiten angegeben, die die Proband/ innen ankreuzen konnten. Sie hatten außerdem die Möglichkeit, andere Schwierigkeiten hinzuzufügen, die nicht in der Umfrage genannt wurden. Die zweite Frage lautete: »Welche Schwierigkeiten haben Sie heute beim Unterrichten / Behandeln / Erklären von Grammatik? « Dazu wurden dieselben Schwierigkeiten genannt, aber nun im Präsens. Bei Frage 1 wurden 64 Einzelantworten angekreuzt, im Durchschnitt 4,26 Schwierigkeiten pro Proband/ in; bei Frage 2 waren es 19 Einzelantworten, im Durchschnitt 1,26 Schwierigkeiten pro Proband/ in. 4 1. (3) (1) Die KT wollten / wollen keine Grammatik lernen. 2.(10) (0) Die KT wollten / wollen alle Regeln bzw. die ganze Regel auf einmal lernen. 5 3. (8) (2) Die KT hatten / haben Schwierigkeiten, die Regeln zu verstehen. 4. (6) (0) Die KT hatten / haben Schwierigkeiten mit den Übungen. 5.(11) (10) Die KT konnten / können die Regeln in anderen Kontexten nicht (immer) richtig anwenden. 6. (6) (0) Die KT konnten / können die Regeln nicht selber erschließen. 6 7. (4) (5) Ich wusste / weiß manchmal nicht, wie ich eine Regel erklären bzw. vereinfachen kann. 8.(11) (1) Ich wusste / weiß nicht, ›wie viel‹ Grammatik ich den KT beibringen sollte. 9. (5) (0) Ich wusste / weiß nicht, welche Übungen meine KT brauchen. In der Grafik sind die Ergebnisse der Umfrage zusammengefasst: Oben in Weiß die Anzahl der Schwierigkeiten, die die Lehrenden beim deduktiven Vorgehen hatten, und unten in Schwarz die Schwierigkeiten, die sie beim induktiven Vorgehen haben. Wie man feststellen kann, kommen einige Schwierigkeiten im induktiven Grammatikunterricht gar nicht mehr vor. 3 Mit der dritten Frage beschäftigen wir uns in Kapitel 4. 4 KT = Kursteilnehmende; in den ersten Klammern befindet sich die Anzahl der Lehrenden, die diese Schwierigkeit bei Frage 1 markiert haben, in den zweiten Klammern die Anzahl der Lehrenden, die diese Schwierigkeit bei Frage 2 markiert haben. 5 Wenn man mit Grammatik induktiv arbeitet, arbeitet man oft mit Teilregeln, die ausreichend für das Erreichen eines kommunikativen Zieles sind; in den meisten modernen Lehrwerken kommen sol� che Teilregeln vor. Meine Interpretation hier ist, dass einige Lehrende, die deduktiv gearbeitet haben, moderne Lehrwerke verwendet und deshalb Teilregeln erklärt haben; die Lernenden wollten dann - auch aufgrund ihrer Lerntradition - dass die Lehrenden die ganze Regel erklären. Mit dem induktiven Verfahren haben die Lernenden das nicht mehr verlangt, vielleicht weil sie festgestellt haben, dass diese Regel in dem Moment ausreicht, da sie aus einem Kontext heraus erschlossen wurde. 6 Bei Schwierigkeit Nr. 6 hat ein Lehrer geschrieben, dass er das vorher (d. h. vor dem Erlernen des induk� tiven Verfahrens) nie versucht hatte, deswegen hat er sie nicht angekreuzt. Das war wahrscheinlich auch bei anderen Lehrenden der Fall. Diejenigen, die diese Schwierigkeit angekreuzt haben, haben vielleicht manchmal versucht, die Lernenden die Regel selber erschließen zu lassen, obwohl sie (eher) deduktiv unterrichtet haben. Priscilla Maria Pessutti Nascimento <?page no="169"?> 169 3 1 100 8 2 6 10 11 10 60 4 5 11 1 50 0 2 4 6 8 10 12 Anzahl der Antworten früher heute Frage 1 Frage 2 Frage 3 Frage 4 Frage 5 Frage 6 Frage 7 Frage 8 Frage 9 Diagramm 1: Übersicht über die Ergebnisse der Umfrage Wie man bei Frage 1 feststellen kann, hatten die Lehrenden früher Schwierigkeiten in unterschiedlichen Bereichen.Zusätzliche Schwierigkeiten wurden nicht genannt, nur die folgenden Kommentare wurden gegeben (mit meinen Anmerkungen kursiv): »Früher glaubte ich, die KT müssen die Grammatik (hier ist wahrscheinlich die Terminologie gemeint) in der Muttersprache lernen, um meine Erklärungen zu verstehen«; »Grammatik wurde als ›Grammatik-Monster‹ erklärt und nicht aus einem Textkontext heraus erschlossen« (hier ist wahrscheinlich gemeint, dass die Lernenden Angst vor der Grammatik hatten oder diese zu schwer fanden); »Ich habe immer gerne Grammatik unterrichtet, da ich mich auf diesem Gebiet sicher fühlte. Ich habe aber dabei die Prinzipien des kommunikativen Unterrichts nicht beachtet« (hier ist entweder das induktive Verfahren bei der Erschließung von Grammatikregeln oder die Präsentation der Grammatik in einem sinnvollen Kontext gemeint); »Besonders das Problem des anderen Kontextes war und ist weiterhin sehr kompliziert« (hier Grammatik induktiv vermitteln <?page no="170"?> 170 bezieht sich der/ die Lehrende wahrscheinlich auf Schwierigkeit Nr. 5: dass die Lernenden die gelernten Regeln in anderen Kontexten nicht immer richtig anwenden). »Allgemein gibt es auch in vielen Kursen zu wenig Zeit, um viel zu üben«. Bei Frage 2 wurden drei ergänzende Kommentare abgegeben. Bei Schwierigkeit Nr. 5 gab es folgende Aussage, die eine Spezifizierung dieser Schwierigkeit vornimmt: »Die KT lernen die Regeln, aber beim Sprechen wenden sie sie nicht an, obwohl sie sie in Übungen richtig benutzen«. Der folgende Kommentar kann - je nach Situation - als eine Erweiterung von Schwierigkeit Nr. 7 oder 8 betrachtet werden: »Manchmal ist es schwer, sich in den KT zu versetzen und festzulegen, welche ›Extrafragen‹ zur Grammatik kommen könnten, und dann könnte es schwierig werden, auf diese ›Überraschung‹ zu reagieren« (hier meint der/ die Lehrer/ in vielleicht, dass er/ sie dann zu viel erklären würde, wenn Lernende eine ›Extrafrage‹ stellen). Der dritte Kommentar lautete: »Besonders in den höheren Niveaus sind die Regeln zu komplex und ich frage mich, wie man sie vereinfachen kann, ohne Wichtiges zu vergessen.« Es ist auch wichtig zu erwähnen, dass niemand unter den Proband/ innen heute, also mit der induktiven Herangehensweise, mehr Schwierigkeiten hat, als früher mit dem deduktiven Verfahren. Die einzige Schwierigkeit, die die Lehrenden jetzt häufiger haben als früher, ist Schwierigkeit Nr. 7: »Ich weiß manchmal nicht, wie ich eine Regel erklären bzw. vereinfachen kann«. Das könnte so interpretiert werden: Früher haben die Lehrenden alles erklärt, bevor sich die Lernenden mit den Beispielen auseinandergesetzt haben. Jetzt, da sie induktiv unterrichten, müssen sie entscheiden, was die Lernenden lernen sollen (d.h. mit welcher Teilregel können die Lernenden das Lernziel erreichen? ) und alles so vorbereiten, dass die Lernenden selber die Regel erschließen können. Diese Entscheidung mussten sie früher nicht treffen und hatten aus diesem Grund keine Schwierigkeiten dabei. Zudem fällt auf, dass zwei Drittel der Lehrenden weiterhin Schwierigkeit Nr. 5 nennen: »Die Lernenden können die Regeln in anderen Kontexten nicht (immer) richtig anwenden«. Darauf komme ich noch zurück. Aus dieser Umfrage kann man die Schlussfolgerung ziehen, dass das Erlernen und Anwenden des induktiven Verfahrens mit Erwachsenen den Lehrenden weniger Schwierigkeiten während des Unterrichts bereitet als das deduktive Verfahren. Es ist wichtig hervorzuheben, dass diese Lehrenden weniger Schwierigkeiten während des Unterrichts haben. Ein ›Nachteil‹ des induktiven Verfahrens ist nämlich, dass alles sehr gut vorbereitet werden muss, damit die Lernenden die Beispiele sammeln und die Regel selber erschließen und formulieren können. In der Vorbereitung brauchen die Lehrenden somit mehr Zeit, vor allem wenn sie dieses Verfahren zum ersten Mal anwenden, und es kann auch sein, dass sie in den ersten Wochen oder Monaten Schwierigkeiten bei der Vorbereitung haben, die sie früher nicht hatten, aber während des Unterrichts haben sie dann weniger Schwierigkeiten. Priscilla Maria Pessutti Nascimento <?page no="171"?> 171 In diesem Kapitel habe ich die Ergebnisse einer Umfrage unter Lehrenden analysiert und mich mit den Schwierigkeiten auseinandergesetzt, die die Lehrenden früher mit dem deduktiven Verfahren hatten und die sie heute mit dem induktiven Verfahren haben. Was wären aber mögliche Lösungen für die Schwierigkeiten, die die Lehrenden immer noch haben? Darauf zielte die dritte Frage der Umfrage, mit der ich mich im nächsten Kapitel beschäftige. 4 Lösungsansätze für die Schwierigkeiten der Lehrenden Die dritte Frage der Umfrage lautete: »Was sind mögliche Ursachen für die Probleme, die Sie noch haben, und Ihrer Meinung nach mögliche Lösungen? « Nicht alle Lehrenden haben sich bei dieser Frage auf jede Schwierigkeit bezogen, die sie angekreuzt hatten. Einige haben allgemeine Lösungen vorgeschlagen oder Kommentare geschrieben, in denen sie versucht haben zu verstehen, warum sie diese Schwierigkeiten noch haben, ohne mögliche Lösungen vorzuschlagen. Im Folgenden werden die Lösungen und Kommentare in Bezug auf jede Schwierigkeit aufgeführt. In Bezug auf Schwierigkeiten Nr. 1 und 5 meint ein Lehrender, dass sein größtes Problem ist, festzulegen, wie viel Ausgangsmaterial die Lernenden wirklich brauchen, um eine grammatikalische Struktur zu verstehen. Häufig bestehe die Gefahr, viel zu viel vorzubereiten und dann die gesamte Vorbereitung auch im Unterricht unterbringen zu wollen. Er schlägt vor, einfach ›auf KT -Niveau zu denken‹, nicht zu viel zu erwarten und nicht zu viel machen zu wollen. Das gehört m.E dazu, wenn man anfängt, Grammatik induktiv zu unterrichten: Darüber nachzudenken, was die Lernenden tatsächlich brauchen, um ein kommunikatives Lernziel zu erreichen, ist also ein bedenkenswerter Vorschlag. In Bezug auf Schwierigkeit Nr. 3 meint eine Lehrerin, dass manche Lernenden die ›neue‹ Lernmethode nicht gewöhnt seien und deswegen mehr Hilfe von der Lehrperson bräuchten. Sowohl die Lernenden als auch die Lehrenden müssen sich an das induktive Verfahren gewöhnen, und das geschieht allmählich. Eine andere Lehrerin meint, dass Namen von Strukturen manchmal sehr abstrakt oder unbekannt seien und schlägt vor, nur die Terminologie zu benutzen, die die Lernenden kennen und »alles so einfach wie möglich zu erklären«. Das ist sehr wichtig, denn die Lernenden müssen keine komplizierte Nomenklatur wissen, um eine Struktur zu verstehen. Im induktiven Verfahren können sie die Regeln mit eigenen Worten formulieren. In Bezug auf Schwierigkeit Nr. 7 meint eine Lehrerin, dass sie mehr Übung beim Regelerklären bräuchte und selber erst die Regel erschließen müsse. Das gehört auch zur Vorbereitung des Unterrichts und ist für Lehrende, die es gewöhnt sind, Grammatik deduktiv zu unterrichten, etwas Neues und manchmal Kompli- Grammatik induktiv vermitteln <?page no="172"?> 172 ziertes. Eine andere Lehrerin meint, sie könne das induktive Verfahren manchmal nicht richtig einsetzen und schlägt Hospitationen bei und von Kolleg/ innen sowie Vor- und Nachbesprechungen vor. Eine dritte Lehrerin meint, dass die Regel im Buch manchmal anders als die Regel sei, die sie den Lernenden »induktiv beibringe«, was sie (die Lehrerin) verunsichern würde. Wenn das Lehrwerk mehr Regeln einführen will, als in dem Moment nötig ist, können Lehrende Schwierigkeiten haben, diese Regeln zu vereinfachen oder die benötigte Regel auszuwählen. Wenn man induktiv arbeitet, muss man sich wirklich fragen, ob es sinnvoll ist, mit allen Details einer Regel zu arbeiten, wenn die Lernenden auch bereits mit einer Teilregel ein kommunikatives Lernziel erreichen können. Ballweg et al. (2013: 37) fordern, dass bei der Vermittlung von neuen Strukturen nur die »Teilbereiche, die zur aktuellen Erwerbssequenz 7 der Lernenden passen und verstehbar sind« präsentiert werden sollen. In Bezug auf Schwierigkeit Nr. 8 meint ein Lehrer, dass er nach seiner Erfahrung Probleme und Schwierigkeiten vorhersieht und versucht, diese zu vermeiden. Vielleicht meint er hier, dass er dann mehr erklärt als nötig, bevor die Lernenden einen bestimmten Fehler machen. Eine andere Lehrerin meint, dass es ihr schwer fällt, den Lernenden im A-Niveau Informationen zur Grammatik ›vorzuenthalten‹, da sie diese in dem Moment noch nicht brauchen, und schlägt vor, bei der Vorbereitung des Unterrichts über die folgenden Fragen nachzudenken: »Was ist das Ziel? Was brauchen die Lernenden dafür? Manchmal ist weniger mehr.« Das ist meiner Ansicht nach eine gute ›Lösung‹ auch für die Schwierigkeiten des ersten Lehrers: An das Lernziel zu denken und sich zu vergewissern, dass in der Präsentation genug und gute Beispiele zu finden sind, anhand deren die Lernenden die Regel erschließen können, die sie im Moment brauchen. Die unterschiedlichen Schwierigkeiten mit dem induktiven Verfahren hängen natürlich von der Persönlichkeit des Lehrenden, seinen Erfahrungen, seinem Hintergrund usw. ab, aber die meisten haben Schwierigkeit Nr. 5 angekreuzt: »Die KT können die Regeln in anderen Kontexten nicht (immer) richtig anwenden.« Im Folgenden werden die Lösungen präsentiert, die die Lehrenden in Bezug auf diese Schwierigkeit vorgeschlagen haben, und von mir kommentiert. Dabei wurden auch ähnliche Ideen zusammengefasst. Da ich leider die Lehrenden nicht im Nachhinein befragen konnte, was sie mit bestimmten Aussagen tatsächlich meinten, schreibe ich hier mögliche Interpretationen für die Aussagen, die nicht eindeutig sind. »Das Lehrwerk würde dem Lehrenden bzw. dem Lernenden enorm helfen, wenn die Übungen aufeinander aufbauen würden.« 7 Zu theoretischen Modellen des Sprachenlernens / Fremdsprachenerwerbshypothesen und Erwerbs� sequenzen vgl. Ballweg et al. (2013: 14 f.). Priscilla Maria Pessutti Nascimento <?page no="173"?> 173 Wenn man Grammatik induktiv unterrichtet, wird die Regel von den Lernenden erschlossen und formuliert, und danach wird geübt. Einige Lehrende denken, dass die Übungen in ihren Lehrwerken keiner Progression folgen, weswegen es ihnen manchmal schwer fällt, die Übungen in einer ›geeigneten‹ Reihenfolge aufzubereiten. Mit Progression ist hier gemeint, dass es eine Sequenz von Übungen gibt: von reproduktiven zu produktiven, von geschlossenen zu offenen, von stark gesteuerten zu weniger gesteuerten. Die ›richtigen‹ Übungen würden dann zur Automatisierung 8 und zur korrekten Produktion führen, was ihrer Meinung nach dazu beitragen könnte, dass die Lernenden die Regel in einem anderen Kontext richtig anwenden. Da der Einfluss des Lehrwerks auf die Unterrichtsgestaltung sehr groß ist, sollten moderne Lehrwerke, die Grammatik induktiv vermitteln wollen, auch entsprechende Schritte und Übungen berücksichtigen bzw. beinhalten. »In jeder Lektion sollte es Übungen 9 geben, die schon gelernte grammatische Strukturen beinhalten, damit diese immer wieder geübt werden.« Hier kann man feststellen, dass einige Lehrende denken, Wiederholungen seien wichtig, um eine Regel zu automatisieren. Wenn man eine Struktur lernt und sie nur an einem Tag mit einem bestimmten Thema benutzt, vergisst man sie und macht später Fehler, wenn man versucht, sie wieder zu benutzen. Dieselbe Struktur in anderen Kontexten zu üben, könnte dann zur Automatisierung führen. Wenn die Lehrenden das als Lösung vorschlagen, kann man davon ausgehen, dass es in ihren Lehrwerken solche Wiederholungen nicht bzw. selten gibt oder dass sie wenig Zeit dafür haben. »Eine neue Struktur sollte auch in anderen schon bekannten Kontexten geübt werden.« Hier ist gemeint, dass eine neue Struktur mit bekannten Themen wiederholt werden sollte. Das zeigt uns wieder, dass die Lehrenden die Auffassung vertreten, dass Wiederholungen der Weg zur Automatisierung und zur korrekten Produktion sind. »Die Phasen vor der Bewusstmachung / Regelerschließung könnten manchmal kürzer sein, damit man mehr Zeit für unterschiedliche Übungen hätte.« Hier sieht man noch einmal, für wie wichtig die Lehrenden die Übungen halten und auch, dass sie vielleicht unter Zeitdruck leiden, denn die meisten haben einen Lehrplan, der befolgt werden muss. Es ist aber sehr interesant zu sehen, dass niemand von 8 Stevener (2003: 36) beschreibt Automatisierung als »einen Prozess sukzessiver Prozeduralisierung de� klarativen Wissens«. Es wird unterschieden zwischen dem Prozess selbst, der Automatisierung, und seinem Ergebnis, den ›Automatismen‹. Laut Stevener wird in neueren Arbeiten ein Kontinuum zwi� schen kontrollierten und automatisierten Prozessen festgestellt, keine Dichotomie mehr. 9 Hier kann es sein, dass die Lehrenden sowohl Übungen als auch Aufgaben meinen (vgl. Kap. 2). Grammatik induktiv vermitteln <?page no="174"?> 174 den Lehrenden vorgeschlagen hat, dass man - manchmal oder immer - Grammatik deduktiv unterrichten sollte, um Zeit zu sparen und schneller zu den Übungen zu gelangen. Anscheinend sind alle davon überzeugt, dass die Regelerschließung sehr wichtig für den Lernprozess ist. Einige würden die Phasen davor verkürzen (aber nicht weglassen) und die Grammatik trotz Zeitmangels induktiv vermitteln. Zu Schwierigkeit Nr. 5 hat ein Lehrender angemerkt: »Die KT lernen die Regeln in einem Kontext, aber wenn sie frei sprechen, machen sie Fehler. Vielleicht brauchen sie mehr Übungen oder Drills«. Eine Lehrerin meinte: »Die KT haben die Regel zwar verstanden, aber noch nicht automatisiert. Dafür müssten im Unterricht mehr produktive Übungen zu den jeweiligen Themen gemacht werden. Auch müssen die KL [Kursleiter/ Kursleiterin] konsequent bei der Fehlerkorrektur sein.« Ein Lehrender hat auch angegeben, er habe früher nicht so viele reproduktive und Automatisierungsübungen gemacht, und eine andere meint, die Lernenden bräuchten mehr Zeit, um zu üben. Das alles zeigt, dass die Lehrenden davon ausgehen, dass Übungen Lernenden helfen können, Regeln in andere Kontexte zu übertragen und auch dort richtig anzuweden. In allen Vorschlägen der Lehrenden in Bezug auf Schwierigkeit Nr. 5 findet man die Begriffe ›Übungen‹, ›üben‹. Des Weiteren sind einige Lehrende der Meinung, dass die Lernenden mehr Kontakt mit der Zielsprache haben sollten. Einige haben Folgendes vorgeschlagen: Online-Übungen, Kontakt mit Muttersprachlern oder anderen Lernenden, Online-Materialien und mehr Hausaufgaben. Die Vorschläge zeigen erneut, wie wichtig Übungen für die Lehrenden sind - und es wird wahrscheinlich auch unter ›Übungen‹ subsummiert, was hier unter ›Aufgaben‹ verstanden wird: Man würde ihrer Meinung nach üben und die Regel automatisieren, indem man mehr Input 10 bekommt und die Sprache anwendet. Ist es aber nur die hohe Anzahl von Übungen und Aufgaben, die zum richtigen Gebrauch führen kann? Auch das Wissen über die Regeln kann zum Sprachenlernen beitragen. Schmidt (2001), zitiert von Fischer (2007: 15), stellt die ›Noticing- Hypothese‹ auf, die besagt, dass Lernen ohne einen gewissen Grad an Bewusstheit (consciousness) unmöglich ist. Ballweg et al. (2013: 74) sprechen auch von Sprachbewusstheit, die nicht mit Grammatikwissen gleichzusetzen ist, »sondern es geht vielmehr um die Aufmerksamkeit, mit der eine oder mehrere Sprachen betrachtet werden«. Sprachbewusstheit (Language Awareness) sei nötig, um eine Sprache differenziert zu verstehen, und Lernende, die ein hohes Bewusstsein für die Erstsprache und die Fremdsprache haben - und diese vergleichen - würden die Zielsprache 10 Unter Input versteht man hier »das sprachliche Material, das Lernende erreicht. Die Sprache von Leh� renden, Mitlernenden sowie Hörspiele, Gesänge und Texte können zum sprachlichen Input werden« (Ballweg et al. 2013: 186). Die Qualität des Inputs sei ausschlaggebend für den Spracherwerb, denn unverständlicher Input würde nicht erkannt, verarbeitet und aufgenommen werden. Neuer Input muss also nur ein wenig über dem aktuellen Sprachstand des Lernenden sein. Der Input, den die Lernenden tatsächlich verarbeiten, wird zum Intake. Mehr dazu vgl. Ballweg et al. (2013: 30 f.) und Gass/ Selinker (2008: 479 f.). Priscilla Maria Pessutti Nascimento <?page no="175"?> 175 schneller lernen. Laut Gnutzmann (2010: 115) handelt es sich bei Language Awareness auch immer um Language Learning Awareness bzw. Sprachlernbewusstheit. Ich gehe davon aus, dass Grammatik induktiv zu vermitteln auch dazu beitragen kann, die Sprach(lern)bewusstheit der Lernenden zu erhöhen, damit sie ihren Lernprozess aktiver mitgestalten und schneller und effektiver lernen können. Niemand weiß genau, was im Gehirn tatsächlich passiert und wie das deklarative Wissen - das Wissen über die Regeln - zum prozeduralen Wissen wird, anhand dessen man Regeln automatisch anwenden kann. Fischer (2007: 15) hält aber fest, dass einige Wissenschaftler/ innen der Meinung sind, dass »explizites Regelwissen durch Übung automatisiert werden kann und den Spracherwerb unterstützt«. Bimmel et al. (2011: 143) stellen auch fest: »Es spricht viel dafür, dass grammatisches Wissen und sprachliches Können zwei getrennt funktionierende Bereiche sind, auch wenn es Wege vom Wissen zum Können und vom Können zum Wissen gibt«. Diese Wege vom Wissen zum Können kann man durch Übungen und Aufgaben schaffen, was für Lernende in Südamerika, die außerhalb des Unterrichts meistens wenig Kontakt mit der deutschen Sprache haben, sehr wichtig ist. Aguado (2012: 7) betont: »Und weil Spracherwerb nur durch Sprachgebrauch erfolgt, sollte das intensive Üben im Unterricht einen deutlich höheren Stellenwert erhalten, als ihm gegenwärtig beigemessen wird«. Ich bin mir dessen bewusst, dass die meisten Lehrenden weniger auf Basis von Spracherwerbstheorien als vielmehr aus der Praxis heraus argumentieren. Mir scheint aber, dass neuere Studien vieles bestätigen, was die Lehrenden glauben und aus der Praxis ›intuitiv‹ wissen. 11 Auch aufgrund dessen kann die Umfrage, die hier präsentiert wurde, eine Tendenz zeigen, obwohl sie quantitativ nicht repräsentativ ist. Außerdem sieht man auch, wie wichtig das Lehrwerk ist: In der Unterrichtsrealität reich die Zeit nicht immer dafür, Übungen selbst zu erstellen. Aber warum können die Lernenden eine neu gelernte Regel nicht immer richtig anwenden? Laut Portmann-Tselikas (2003: 10 f.) kann der Grammatikunterricht den Lernenden viele wichtige Hinweise und Informationen geben, die sie im ungesteuerten Erwerb nicht haben und mit denen sie sprachliche Erscheinungen besser ordnen können. Er vertritt aber die Meinung, dass Automatisierung, die oft im Unterricht angestrebt wird, nicht das Ziel des Grammatikunterrichts sein soll bzw. kann. Er hält fest, dass Wissen über die Sprache bewusst eingesetzt wird, wofür man Aufmerksamkeit und freie Verarbeitungskapazität braucht. Aus diesem Grund würde die Qualität der Performanz von Lernenden fluktuieren. Das könnte erklären, warum die Lernenden, selbst wenn sie eine Regel kennen und schon 11 Krumm (1986: 22) spricht von ›subjektiven Theorien‹: »Mit dem Begriff der subjektiven Theorie wird gerade das Lehrerhandeln häufig in Bezug gesetzt, da der Lehrberuf durch das Fehlen konkreter handlungsleitender Theorien einerseits, durch den Zwang zum Handeln für den Lehrer andererseits charakterisiert ist. Unter den Bedingungen der täglichen Notwendigkeit, pädagogisch handeln zu müssen, bilden Lehrkräfte aus den Beständen ihres common sense und ihrer Alltagserfahrungen ihre eigenen Unterrichtstheorien […]«. Grammatik induktiv vermitteln <?page no="176"?> 176 geübt haben, in anderen Kontexten trotzdem Fehler machen. Stevener (2003: 29) berichtet, dass die meisten Studien seit 1990 im Bereich Aufmerksamkeit davon ausgehen, dass »Lerner ihre Aufmerksamkeit entweder auf die sprachliche Form einer Äußerung oder auf deren Inhalt richten.« Aufgrund dessen können die Lernenden den Monitor nicht immer einsetzen, obwohl sie über das Regelwissen verfügen. Unter Monitor 12 versteht man hier eine interne Überwachungsinstanz, anhand derer Sprecher/ innen fehlerhafte Äußerungen selbst korrigieren. Die Automatisierung und der immer korrekte Gebrauch können sich nicht so schnell einstellen, wie sich viele Lehrende wünschen. Portmann-Tselikas (2003: 19) erinnert uns aber auch daran, dass Aufmerksamkeit verantwortlich für das Zustandekommen von ›sekundären‹ Prozessen der Sprachverarbeitung sei, die zu einer tatsächlichen Automatisierung führen könnten. Die Automatisierung sei keine Frucht des Grammatikunterrichts, aber »dieser stellt Hilfestellungen dafür zur Verfügung. Automatisierung stellt sich primär in der kommunikativen, situierten Sprachpraxis ein, als kumulierter Effekt einer Vielzahl von Lernerfahrungen« (2003: 12 f.). Funk et al. (2014: 103) fügen hinzu, dass »der mündliche Produktionsprozess weitgehend ein automatisierter Abruf von Sprachwissen ist und nur ausnahmsweise ein kognitiv-analytischer Prozess«, und für die Entwicklung von Flüssigkeit bräuchte man auch das Einüben von Chunks, formelhaften Wendungen. Dieselben Autoren halten fest, dass ihre praktische Erfahrung zeigt, dass sich mündliche Kompetenz »nicht als Nebenprodukt der bewusst gemachten Regeln durch das Üben grammatischer Formen einstellt« (Funk et al. 2014: 23). Auch Fandrych (2010: 1012) sagt, dass zumindest für die Produktion auf den ersten Stufen die Förderung von Chunk- und Wortschatzerwerb wichtig ist, weil »das Lernen an Beispielen Voraussetzung für die Beförderung des Grammatikerwerbs ist«. Das alles bedeutet, dass der Grammatikunterricht eine wichtige Rolle spielt, aber für die Automatisierung einer Regel spielen andere Faktoren eine entscheidende Rolle. 13 Außerdem muss der korrekte Gebrauch einer Regel nicht unbedingt Ergebnis der Automatisierung einer Regel sein, sondern kann durch die Einsetzung des Monitors zustande kommen - und eine Voraussetzung hierfür ist, dass die Lernenden die Regel kennen und sie abrufen können. Das kann aber nur stattfinden, wenn die Lernenden die Chance haben, sich zu äußern. Mehr Übungen, Aufgaben und mehr Kontakt mit der Zielsprache, wie dies die Lehrenden vorgeschlagen haben, könnten also dazu beitragen, dass die Lernenden korrekte Äußerungen produzieren bzw. dass sie eine Regel im Laufe der Zeit automatisieren. In diesem Zusammenhang könnte man feststellen, dass die Lehrenden, die an der Umfrage teilgenommen haben, nichts bzw. nicht viel über aktuelle Spracherwerbstheorien wissen, sonst würden sie Schwierigkeit Nr. 5 vielleicht gar nicht als 12 Die Existenz eines Monitors wird laut Stevener (2003: 39) durch die Tatsache belegt, dass Sprecher/ innen »fehlerhafte Äußerungen selbstinitiiert abbrechen und reparieren können«. 13 Zu einem interessanten Modell des Fremdsprachenerwerbs vgl. Gass/ Selinker (2008: 479 f.). Priscilla Maria Pessutti Nascimento <?page no="177"?> 177 Schwierigkeit betrachten. Vielleicht haben einige Lehrende sie in der Umfrage aber markiert, weil sie dastand und sie dieses ›Problem‹ tatsächlich haben. Einige haben diese Schwierigkeit trotzdem nicht angekreuzt, obwohl man sich aus allen oben genannten Gründen schwer vorstellen kann, dass ihre Lernenden die neu gelernten Regeln immer richtig angewandt haben bzw. anwenden. Eine mögliche Interpretation ist, dass diese Lehrenden die Tatsache, dass die Lernenden eine Regel in anderen Kontexten nicht (immer) richtig anwenden, nicht als Schwierigkeit betrachten. Sie wissen, intuitiv oder weil sie über dieses Fachwissen verfügen, dass es länger dauern kann, bis eine Regel automatisiert wird, und sind toleranter Fehlern gegenüber - die zum Lernprozess gehören und wichtige Indizien für den aktuellen Erwerbsstand der Lernenden sein können - vor allem wenn die Kommunikation trotz fehlerhafter Äußerungen nicht beeinträchtigt wird. 14 In diesem Kapitel wurden Hintergründe zu den Schwierigkeiten, die die Lehrenden mit dem induktiven Verfahren haben, erörtert und mögliche Lösungen dazu präsentiert. Im folgenden Kapitel werden einige Schlüsse aus den Ergebnissen dieser Umfrage gezogen. 5 Schlussfolgerungen Aus den obigen Ausführungen ziehe ich folgende Schlüsse: • Lehrende, die im Erwachsenenuntericht mit Grammatik induktiv umgehen, haben im Allgemeinen weniger Schwierigkeiten beim Behandeln von Grammatik im Unterricht als mit dem deduktiven Verfahren. Natürlich kann ein bestimmtes Verfahren nicht für alle Lehrenden und Zielgruppen gelten. In unserem Fall waren die Gruppen relativ homogen, deshalb müsste dieses Verfahren auch mit Lehrenden von heterogenen Gruppen untersucht werden, um zu sehen, ob es da Unterschiede gibt. Außerdem hängt vieles selbstverständlich von manchen anderen Faktoren ab, wie den Lernzielen und den Lerntraditionen. Es ist aber wichtig hervorzuheben, dass für die meisten südamerikanischen Lernenden - und Lehrenden - das induktive Verfahren etwas ganz Neues ist, denn die meisten lernen oder lernten Fremdsprachen ›traditionell‹ (d.h. die Lehrenden erklären selbst die Regel). 15 Das bedeutet, Lernende - und Lehrende - aus unterschiedlichen Kulturen und Lerntraditionen können sich nach und nach an diese ›neue Form‹ gewöhnen, Grammatik zu lernen. 16 14 Mehr zum Thema Fehler in Ballweg et al. (2014: 24 f.) und Kleppin (1998: 50 f.). 15 Dies ergibt sich aus meiner eigenen Erfahrung als brasilianische Lehrende und Lernende und aus ei� nem Gespräch mit den Lehrenden aus anderen Ländern Südamerikas, die das zu Beginn von Kapitel 3 genannte Seminar 2011 bei mir am Goethe�Institut S-o Paulo besucht haben. 16 In einem Artikel, der sich mit dem Thema ›regionale Lehrwerke ‹ beschäftigt, schreibt Seel (1986: 9f ), dass Unterrichtskonzepte, pädagogische Konzepte »in einem Zusammenhang mit gesellschaftlichen Grammatik induktiv vermitteln <?page no="178"?> 178 • Die ›Schwierigkeit‹, die die meisten Lehrenden immer noch haben, ist, dass die Lernenden, selbst wenn ihr Grammatikunterricht induktiv ist, die neu gelernte Struktur in anderen Kontexten nicht (immer) richtig anwenden. Grammatik induktiv zu lernen kann dabei helfen, die Regel zu verstehen, zu behalten und sie in Übungen richtig anzuwenden. Einige Schwierigkeiten werden also laut der Lehrenden überwunden, wenn man Grammatik induktiv behandelt. Das heißt aber nicht, dass die Lernenden damit schon die Regel beherrschen bzw. dass sie immer nur korrekte Äußerungen produzieren. Eine Regel kann aus den oben aufgeführten Gründen nicht beliebig schnell automatisiert und der Monitor kann aus verschiedenen Gründen nicht immer eingesetzt werden. Wenn es diese überzogenen Erwartungen seitens der Lehrenden nicht gibt, lassen sich Frustrationen bei den Lehrenden wie auch bei den Lernenden vermeiden. Da viele Lehrende eine schnelle Regelautomatisierung erwarten, sollte in der Aus- und Fortbildung von Deutschlehrer/ innen auf diese Problematik und auf Modelle des Spracherwerbs, wie das von Gass / Selinker (2008), eingegangen werden. • Für die verschiedenen Schwierigkeiten, die die Lehrenden haben, haben diese unterschiedliche Lösungen vorgeschlagen, die mit aktuellen Studienergebnissen kompatibel sind. Was die am häufigsten angekreuzte Schwierigkeit anbelangt, nämlich dass die Lernenden die gelernte Regel in anderen Kontexten nicht immer richtig anwenden, findet man in allen Vorschlägen der Lehrenden die Begriffe »Übung(en)« oder »üben«. Aus der Theorie und der Praxis weiß man, dass Übungen und Aufgaben eine wichtige Rolle beim Erlernen einer Sprache im schulischen Zusammenhang spielen, vor allem wenn es einen Kontext, viel verstehbaren Input, viel Interaktion und viele Wiederholungen gibt. 17 Da das Lehrwerk einen sehr großen Einfluss auf den Unterricht ausübt, sollte die oben angesprochene Problematik (verstehbarer und sinnvoller Input, Übungsprogression, Aufgaben, Wiederholungen usw.) von den Lehrwerkautoren bei der Erstellung von neuen Materialien und von Lehrenden bei der Wahl eines Lehrwerks berücksichtigt werden. Entwicklungen« stehen, und versucht einige Gründe aufzulisten, warum bestimmte Lehrwerke oder unterrichtliche Verfahren in einigen Ländern nicht ankommen. Es ist aber meines Erachtens möglich, Lernenden aus verschiedenen Kulturen das induktive Verfahren nach und nach beizubringen und ihnen zu erklären, warum es von Vorteil ist, so zu lernen. Nach einer Fallstudie in Japan, wo kommu� nikativer Unterricht trotz der Lerngewohnheiten der Studierenden mit einigen Anpassungen durch� geführt wurde, stellt Boeckmann fest (2006: 8): »Die Determinierung des Verhaltens der Lernenden durch ihre kulturelle Prägung wird also wohl oftmals zu drastisch gesehen.« 17 Laut Fandrych (2010: 1013) ist es unstrittig, »dass der Erfolg der unterrichtlichen Grammatikvermittlung zu einem wesentlichen Teil von der Auswahl der sprachlichen Mittel und der sprachlichen Handlun� gen (des Inputs), der damit verbundenen sprachbezogenen Aufgaben und der Aufmerksamkeits� steuerung (des Intake) abhängt. Lernende müssen […] möglichst intensiv mit für sie relevanten sprachlichen Mitteln konfrontiert werden und mit ihnen rezeptiv wie produktiv arbeiten, möglichst so, dass sie damit kommunikative Ziele verbinden und eine enge Beziehung zwischen Formen und Bedeutungen herstellen«. Priscilla Maria Pessutti Nascimento <?page no="179"?> 179 Ziel dieses Beitrags war es zu zeigen, welche Vor- und Nachteile das induktive Verfahren für Lernende und insbesondere für Lehrende hat, welchen Schwierigkeiten die Lehrenden, die Grammatik induktiv vermitteln, begegnen und welche Lösungen es dafür geben könnte. Ich weiß, dass es ganz unterschiedliche Zielsetzungen, Lernvoraussetzungen und Lernsituationen gibt, bin aber davon überzeugt, dass das induktive Verfahren bei der Erschließung von Grammatikregeln nicht nur für Lernende, sondern auch für Lehrende eine lohnenswerte Erfahrung sein kann. Bibliographische Angaben Aguado, Karin (2012): »Progression, Erwerbssequenzen und Chunks. Zur Lehr- und Lernbarkeit von Grammatik im Fremdsprachenunterricht«. In: AkDaF Rundbrief 64 / 2012. http: / / www.akdaf.ch/ html/ rundbrief/ rbpdfs/ 64_leseprobe.pdf (letzter Zugriff: 01. 04. 2014) Ballweg, Sandra / Drumm, Sandra / Hufeisen, Britta / Klippe, Johanna / Pilypaityte, Lina (2013): Wie lernt man die Fremdsprache Deutsch? 2. Band der Fortbildungsreihe Deutsch lehren lernen. München: Goethe-Institut, Klett-Langenscheidt Bimmel, Peter / Kast, Bernd / Neuner, Gerhard (2011): Deutschunterricht planen neu. Fernstudienprojekt zur Fort- und Weiterbildung im Bereich Germanistik und Deutsch als Fremdsprache. München: Goethe-Institut, Langenscheidt Boeckmann, Klaus-Börge (2009): »Dimensionen von Interkulturalität im Kontext des Fremd- und Zweitsprachenunterrichts«. In: Zeitschrift für interkulturellen Fremdsprachenunterricht, v. 11, n. 3, 2006, S.1-19 Eckert, Johannes (Hrsg.) (2003): Empirische Arbeiten aus der Sprachlehrforschung. 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München: Langenscheidt, Goethe-Institut Gass, Susan M. / Selinker, Larry (2008): Second Language Acquisition. An Introductory Course. Third Edition. New York, London: Routledge Grammatik induktiv vermitteln <?page no="180"?> 180 Gnutzmann, Claus (2010): »Language Awareness«. In: Hallet / Königs (Hrsg.): a.a.O., S. 115-119 Gerighausen, Josef / Seel, Peter C. (Hrsg.) (1986): Methodentransfer oder angepasste Unterrichtsformen? Dokumentation eines Werkstattgesprächs des Goethe-Instituts München. München: iudicium Hallet, Wolfgang / Königs, Frank G. (Hrsg.) (2010): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber: Klett-Kallmayer Kleppin, Karin (1998): Fehler und Fehlerkorrektur. Fernstudieneinheit 19. München: Langenscheidt, Goethe-Institut Krumm, Hans-Jürgen / Fandrych, Christian / Hufeisen, Britta / Riemer, Claudia (Hrsg.): Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. 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Der Beitrag zum Sammelband versteht sich als Grundlegung der im Workshop zur Diskussion gestellten Anregungen. In einer Einleitung soll daher zunächst der aktuelle Stand der Grammatikdidaktik zusammengefasst und ein Blick auf aktuelle lerntheoretische Überlegungen geworfen werden, bevor dann die Frage des Entwicklungstands von Übungs- und Aufgabendesigns angegangen werden soll. 1 Zum aktuellen Stand der Grammatikdidaktik Konsens sollte in Bezug auf den aktuellen Fremdsprachenunterricht sein, dass er aufgabengeleitet bzw. -unterstützt (Long 2012, Müller-Hartmann/ Schocker-v. Ditfurth 2011, Funk 2013), lernzielgeleitet (z.B. Brown 2007), kompetenz- und outputorientiert (Europarat 2002) und in Bezug auf Themen und Texte und Verwendungskontexte lernerzentriert (Königs 2000) ist. Er nutzt vielfältige Sozialformen in und außerhalb von Kursen (Funk et al. 2014) und bezieht Informationsmedien ebenso ein wie die sozialen Medien und andere Potenziale mobilen Lernens - je nach Motivation und Interesse der Lernenden und ihren konkreten Möglichkeiten. In einem so beschriebenen Fremdsprachenunterricht sind sprachliche Strukturen und Regeln eines von vier Lernfeldern neben dem Lernfeld der Arbeit mit für die Lernenden bedeutungsvollem Input, dem Lernfeld Automatisierung von Mustern und Strukturen durch wiederholenden und einübenden Gebrauch und dem Lernfeld der Produktion sinnvoller Äußerungen. Die Theorie der vier Lernfelder (Nation 2001, Nation/ Newton 2009, Funk 2010) ist nützlich, weil sie auf der Grundlage empirischer Daten zur Klärung der Frage beiträgt, wie die Rolle der Grammatik in einem kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht aussehen könnte: Sie hat eine dienende Funktion in Bezug auf die Aufgabe. Sie ist chronologisch im Unterrichtsverlauf nachrangig: Die Beschäftigung mit sprachlichen Regeln und Strukturen folgt idealerweise zwar einer sprachlichen Handlung, in der die Struktur im Kontext verwendet wurde - das Training der Verwendung <?page no="184"?> 184 von regelhaften Strukturen ist aber sowohl nach oder vor ihrer Bewusstmachung als auch ohne eine Phase der Bewusstmachung möglich. Eine feste Abfolge von Lernaktivitäten in den vier Lernfeldern im Sinne einer Progressionsvorschrift zu den Unterrichtsphasen, wie man sie in manchen Lehrwerken und Ausbildungscurricula findet, ist nicht begründbar. Als Zwischenfazit kann man festhalten: Der jeweils sinnvolle Anteil der bewussten Erarbeitung von Regeln und Strukturen in einem konkreten Lernkontext hängt von einer Reihe von Faktoren ab: • Dem Lernziel: Welcher Grad an Korrektheit ist am Ende angestrebt bzw. für alle Beteiligten akzeptabel und mit vertretbarem Aufwand im Rahmen des Gesamtkontextes des Kurses erreichbar? • Welche sprachlichen Formen sind in welcher Verwendungsform (mündl./ schriftl.) zur Bewältigung einer konkreten Zielaufgabe unerlässlich? • Welcher Grad an und Umfang an Bewusstmachung ist für individuelle Lerner/ innen bzw. Lerngruppen überhaupt sinnvoll und leistbar? • Wo liegen die kommunikativen Prioritäten eines Kurses? Welche Rolle spielt dabei das korrekte Schreiben in der Fremdsprache? • Welchen Systematisierungsbedarf bringen Lernende in den Unterricht ein? • Wie gut ist die methodische Ausbildung - sprich die Fähigkeit der Lehrkräfte zu methodischer Flexibilität und pragmatischer Lernzielplanung? ( Je besser die Ausbildung einer Lehrkraft, desto geringer ist der Anteil des Lernfeldes Grammatik in ihrem Unterricht) • Wie ist die kognitive Disposition (Grad der Sprachbewusstheit in vorher gelernten Sprachen) der Lernenden? Dagegen ist bisher nicht belegt, dass die Herkunftssprache der Lernenden in dieser Frage eine besondere Rolle spielen würde oder der Unterrichtsanteil der Konzentration auf formale Korrekturen sozusagen automatisch zu Vermeidung von Fehlern und damit zu einem höheren Grad an Korrektheit führen würde. John Truscott (1996) zitiert eine Reihe eindrucksvoller Belege folgenloser und damit nutzloser formaler schriftlicher Korrekturen und rät etwas polemisch davon völlig ab. Anschaulich haben Erika Diehl et al. (2000) in einer großen Studie in Genfer Schulen zudem demonstriert, dass die Thematisierung und Bewusstmachung einer Grammatikregel keinesfalls garantiert, dass diese hinterher auch angewendet wird. Im Gegenteil: Sie zeigt auf, dass zwischen bewusstmachenden Lehrprozessen und der Verwendung der erarbeiteten Form in einer freien Textproduktion praktisch kein Zusammenhang besteht. Überlegungen dieser Art führen Michael Long (2000) zu einem Konzept focus on form anstatt focus on forms. Mit Ersterem ist gemeint, dass die Lernenden über Zeitpunkt, Form und Umfang grammatisch systematischer Instruktionsanteile selbst entscheiden. Im Konzept des focus on forms Hermann Funk <?page no="185"?> 185 dagegen arbeiten sie vorbereitete »Lernpäckchen« zur Grammatik, bestehend aus Lehr- und Arbeitsbuchübungen, ab. Ebenso schwierig zu bestimmen wie der jeweils optimale Anteil und der Lehrzeitpunkt sprachsystematischer Instruktion ist offensichtlich zu planen, wann Lernende genau Einsichten und Erkenntnisse zu Strukturen und Regeln gewinnen sollen. Sicher und beobachtbar ist allerdings, dass dies nicht zwangsläufig dann stattfindet, wenn es von den Lehrenden erwartet wird. Die Zeitgleichheit von Lehrzeitpunkt und Lernzeitpunkt ist eher unwahrscheinlich. Regelverstehen kann parallel zur Instruktion erfolgen, wahrscheinlich aber eher sukzessiv. Es kann die Folge von Grammatikerklärungen oder Übungen sein, aber auch die Folge eines unbewussten bzw. induzierten Gebrauchs im Unterricht. Dass grammatische Lernprozesse sich etwa nach solchen Unterrichtsverlaufs- Schemata richten würden, wie sie mit dem sog. PPP -Modell (present-practise-produce) in der Ausbildung von Lehrpersonal immer wieder gern als Anleitung für guten Unterricht vorgestellt werden, erscheint angesichts des komplexen Lernvorgangs als eine unzulässige Vereinfachung und teilweise eher beliebige Anordnung: 1. Einführung von Wortschatz und Strukturen im Kontext 2. Bewusstmachung und gelenkte Übung 3. Automatisierung, freies Üben und Transfer Neben der Erkenntnis, dass Lernprozesse weit weniger berechenbar und planbar und viel individueller sind als traditionell in solchen Modellen abgebildet und manchmal wenig mit dem Lehrprozess zu tun haben, hat die Erkenntnis der Unterschiede zwischen Äußerungsgrammatik und Verstehensgrammatik weitreichende Konsequenz für die aktuelle Grammatikdidaktik gehabt. Korrekte mündliche Äußerungen sind demnach keine Umsetzung der Regelkenntnis in gesprochen Sprachen, die Grammatik im Kopf folgt anderen Produktionsregeln als die Produktion schriftlicher Äußerungen: Wenn man eine Fremdsprache flüssig spricht, reproduziert man fertige ›Redeteile‹, inklusive der phonologisch gespeicherten grammatisch richtigen Formen. Man baut in der gesprochenen Sprache nicht Sätze nach grammatischen Regeln auf. Für eine Konzentration auf die Form und die bewusste Wahl von grammatischen Markierungen wäre gar keine Zeit. (List 2002: 128) Grammatische Kompetenz lässt sich nicht dadurch erwerben, dass man grammatische Regeln lernt, anwendet und durch Üben automatisiert. Die systemlinguistischen Regeln sind grundverschieden von den mentalen Regeln, die zu wohlgeformter gesprochener Sprache führen. Es gibt keinen direkten Weg von metasprachlichem grammatischem Regelwissen zu grammatischer Kompetenz. (Tschirner 2001: 112) Übungsformen im fremdsprachlichen Grammatikunterricht <?page no="186"?> 186 In einem Kapitelabschnitt zum Thema »Grammatik als Zeitverschwendung« sammeln Wolfgang und Jürgen Butzkamm (2008: 202 f.) weitere Hinweise für die Nutzlosigkeit von Übungen, die lediglich auf den Austausch zweier grammatischer Formen abzielen. Die Konsequenzen aus dieser wohlbegründeten Erkenntnis können im Kontext dieses Beitrags nicht im Detail verfolgt werden. Die Reichweite bewusstmachender Verfahren wird aber in jedem Fall durch eine solche Feststellung weiter begrenzt: Die Bewusstmachung von Regeln und Strukturen trägt zur Lese- und Schreibkompetenz bei, ihr Beitrag zur Hör- und Sprechkompetenz erscheint demnach mindestens umstritten. Neuere lernpsychologische und neurowissenschaftliche Befunde unterstützen diese Thesen nachdrücklich (Roth 2011). Ein kurzer Blick in aktuelle lernpsychologische Modellierungen erscheint daher angebracht. 2 Lerntheoretische Grundsätze: Was heißt eigentlich »lernen«? Mit dem Behaviorismus und der Pragmatik wurden für die Fremdsprachendidaktik insgesamt jeweils Theorien aus den Bezugswissenschaften wirksam und führten zu neuen didaktisch-methodischen Modellierungen in Bezug auf die Grammatikanteile und Übungsformen in Unterricht und Lehrwerken. Gegenwärtig gibt es im Unterschied zur 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts keine einzelne Theorie mit dem Anspruch, die Gesamtheit menschlichen Lernens mit einem einzelnen theoretischen Modell erklären zu wollen. Zu vielfältig und disparat sind die Erkenntnisse über Lernprozesse. Aktuelle Theorien und Lernmodelle in den Bezugswissenschaften betonen eher die Vielfalt und Individualität menschlicher Lernpotenziale und gehen von einer Parallelität dreier grundlegender Lernfomen aus, die auch aus Sicht der Neurowissenschaften als neuer Bezugswissenschaft der Fremdsprachendidaktik plausibel erscheinen. 1. Lernen bedeutet zum einen verarbeitendes Klassifizieren von Wahrnehmungen, ein ständiges weitgehend automatisiertes Zuordnen bereits gelernter und neu aufgenommener Informationen. Der Konstruktionsprozess geschieht auf der Grundlage lehrgesteuerter Verarbeitungsangebote, also instruktionsgesteuert, ebenso wie durch implizite, inzidentelle und unbewusste Anregungen von außen. 2. Lernen geschieht zum anderen durch den Aufbau muster-assoziativer Verbindungen, zum Beispiel auch durch serielles, imitativ-reproduktives Üben, und ist im neurowissenschaftlichen Sinne Bahnung, die Bildung und mehrfache Aktivierung neuronaler Netze. Hermann Funk <?page no="187"?> 187 3. Lernen geschieht auch ungesteuert und zu großen Teilen unbewusst durch das Entdecken von Regularitäten, u.a. auch durch Versuch und Irrtum (vgl. Pospeschill 2004). Alle drei Prozesse spielen abwechselnd und parallel im Aufbau von Gedächtnisengrammen eine Rolle. Konsistent korrekt verwendete Sprachstrukturen können somit das Ergebnis eines jeden dieser Prozesse bzw. ihres Zusammenspiels sein. Dabei von höheren oder niederen, effektiveren oder weniger erwünschten Lernformen zu sprechen, ist lernpsychologischer Unsinn. Der Anteil unbewusster und impliziter Lernprozesse beim Lernen fremder Sprachen scheint dabei bisher eher unterschätzt (Long 2012 im Vergleich zu DeKeyser 2003). Der Neurowissenschaftler David Eagleman spricht von einem »dualen Prozess«: »Demnach besteht das Gehirn aus zwei parallelen Systemen: einem schnellen automatischen und unbewussten und einem langsamen, kognitiven und bewussten.« (Eagleman 2012: 129). Er geht davon aus, dass die automatischen, unbewussten Prozesse dabei höchst effektiv und das, was wir für das Ergebnis kognitiver Prozesse halten, oft erst »nachgeschobene« Rationalisierungen vorheriger unbewusster Abläufe sind. Wie immer man nun diese neurowissenschaftlich gestützten lerntheoretischen Überlegungen bewertet (Roth 2011): Mündliche Kompetenz, sowohl in ihren Aspekten Korrektheit und sprachliche Flüssigkeit, ist insgesamt das Ergebnis unbewusster Bahnung und nicht bewusster Regelanwendung. Zumindest in diesem Punkt unterscheidet sich der Zweitnicht vom Erstspracherwerb. Der von Michael Lewis begründete Lexical Approach hat dabei auf die Bedeutung der Wörter als Ausgangspunkt der Verarbeitung sprachlicher Strukturen hingewiesen (vgl. Lewis 2008). Sprachtrainingssequenzen mit dem Ziel des regelhaft-korrekten Gebrauchs von Strukturen hätten demnach alle drei Prozesse zu bedienen und zu nutzen. Übungsdesigns und -typen hätten dieser Vielfalt der Lernpotenziale Rechnung zu tragen. Ausgehend von diesen Überlegungen soll daher versucht werden, Übungsformate zu bewerten bzw. zu entwickeln. 3 Auf dem Weg zu einer neuen typologischen Sortierung von Übungen zu sprachlichen Formen und Strukturen In der »Übungstypologie zum kommunikativen Deutschunterricht« (Neuner et al. 1981) wird der erste Versuch unternommen, Übungen nach ihrer Leistung im Hinblick auf ihren Beitrag zur Entwicklung kommunikativer Kompetenz zu ordnen. Das meist verkaufte Werk der Sekundärliteratur zum kommunikativen Deutschunterricht war grundlegend für eine Ausweitung des Übungsbegriffs gegenüber dem jeweils relativ schmalen Angebot an Übungstypen früherer Methodenkonzepte und kreativ in Bezug auf die Entwicklung neuer Übungsformen. Für die Übungsformen im fremdsprachlichen Grammatikunterricht <?page no="188"?> 188 dort sog. »Grammatik-Übersetzung-Methode« wird beispielsweise zu Recht die Dominanz von nur vier Übungstypen konstatiert: 1. Die Anwendung einer Regel, um einen korrekten Satz nach einem Beispiel zu bilden 2. Das Ausfügen von grammatisch motivierten Lücken 3. Das formale Umformen einer grammatischen Struktur in eine andere (Attribut/ Relativsatz o.ä.) 4. Die Übersetzung in die Muttersprache bzw. aus der Muttersprache (vgl. Neuner et al. 1981: 11) Schaut man sich die Übungssammlungen in den Arbeitsbüchern zu den Lehrwerken seit jenen Anfängen des kommunikativen Ansatzes an, so macht man eine erstaunliche Entdeckung: Zwar ist die Vielfalt der Übungstypen und Übungsformen sprunghaft angestiegen, untersucht man aber jene Übungen, die sich explizit mit sprachlichen Strukturen auseinandersetzen, so ist mit Ausnahme der Übersetzung die Dominanz der zitierten Übungstypen bis in die Gegenwart ungebrochen (Funk 2006). Einen großen Anteil am Übungsgeschehen haben nach wie vor Lückenübungen. Zwar wird die Lückenübung oder die Satzbau-Übung nach vorgegebenen Regeln durch allerlei grafische oder sogar medial animierte Hilfen illustriert und begleitet, im Kern bleibt es allerdings dabei, dass der schwierigste Teil des Satzes (seine Ordnung) bzw. des Wortes (der sich regelhaft ändernde Teil) ausgelassen wird und durch die Lernenden ergänzt werden muss. Die folgenden Beispiele könnten ebenso aus einem Lehrbuch der 50er Jahre stammen wie aus einem Arbeitsbuch der 70er Jahre. Ich hätte sie auch in fast jedem aktuellen Arbeitsbuch finden können. Beispiel 1: Ergänzung grammatisch motivierter Lücken Ergänzen Sie die Verben in der richtigen Form: a Was i(sst) du gern zum Frühstück? b Mö ihr einen Kaffee? c Melanie ma keinen Braten. d Ich es sehr oft Schokolade e Mö sie einen Salat mit Schinken und Ei? (Glas-Peters et al 2012: 70) Korrekterweise ist die zitierte Übung auf der »Test«-Seite zu finden, Übungen gleichen Typs finden sich allerdings auch im sog. »Basistraining« des Arbeitsbuches. Trainiert wird bei diesem scheinbar zeitlosen Übungstyp eigentlich nichts. Entweder der Lernende kennt die Formen des Modalverbs und die geforderten Verbendungen oder nicht. Lückenübungen dieses Typs sind per se keine Übungen, Hermann Funk <?page no="189"?> 189 sondern Tests (die allerdings in dieser Form auch in Tests nach den in Abschnitt 1 zitierten aktuellen Prinzipien des Fremdsprachenunterrichts keine Verwendung mehr finden). Beispiel 2: Zuordnung und Konstruktion aus Einzelelementen Wie heißen die Artikel? Bilden Sie neue Wörter. das Obst Kuchen Kartoffel Brötchen Apfel Suppe Schinken der Salat der Obstsalat Wörter von ihren Artikeln zu trennen ist lernpsychologisch besonders unsinnig. Das Zuordnen ist ein reines Ratespiel, zu dem die Lehrpersonen den Lernenden keine Regel geben können. Letzteres gilt auch für den zweiten Teil der Übung, das Bilden von Komposita, bei dem sich besonders die Nicht-Muttersprachler unter den Lehrpersonen ständig fragen müssen, ob das Wort nicht doch existieren könnte und dies letztlich nur durch Nachschlagen herausfinden können. Ein ebenso zeitloser und weit verbreiteter, aber lernpsychologisch fragwürdiger Übungstyp ist das Rekonstruieren von Wörtern oder Sätzen aus Einzelelementen, aus Buchstaben, Morphemen oder Wörtern. Dazu aus dem gleichen Arbeitsbuch auf einem angedeuteten Handy-Display Folgendes: Beispiel 3: Wörter aus einer Buchstabengruppe bilden Korrigieren Sie die SMS . Schreiben Sie die Wörter richtig: BELEI Judith, gehen wir heute MITCHANGTA ins NOKI ? Klaus LOHAL Klaus, ich habe DIELER keine TIZE . Liebe Grüße Judith (Glas-Peters et al 2012: 60) Die grafische Anmutung durch die Handy-Oberfläche soll glauben machen, dass dies eine pragmatisch sinnvolle Übung mit Sitz im Leben ist. Dies ist aber nicht der Fall, die Visualisierung soll lediglich mediale Modernität suggerieren. Eine pragmatisch-aufgabenorientierte Übungsform im Sinne der in Abschnitt 1 zusammengefassten Prinzipien wäre beispielsweise: »Schreiben Sie ihrer Freundin eine Kurznachricht per SMS und fragen Sie, ob sie Lust hat, heute Nachmittag ins Kino zu gehen«. Lernspsychologisch wären solche Konstruktionsübungen nur dann sinnvoll, wenn Wörter und Sätze tatsächlich in ihren einzelnen Teilen gespeichert wären und dann sozusagen bei der Produktion oder Rezeption zusammengesetzt würden. Spätestens seit dem vielfach zitierten Levelt-Modell Ende der 80er Jahre (Levelt 1989) ist aber klar, dass genau dies nicht der Fall ist, dass Wörter, Übungsformen im fremdsprachlichen Grammatikunterricht <?page no="190"?> 190 Wendungen, Syntagmen und Sätze ganzheitlich gespeichert und verarbeitet werden. Was also sollte eine solche Übung zur Kompetenzentwicklung beitragen? Durchforstet man aktuelle Lehrwerke nach pseudo-pragmatischen und lernpsychologisch unsinnigen Übungen dieses Typs ohne wirklichen Kommunikationsbezug, so wird man fast in jedem Kapitel fündig. Etwa bei der weit verbreiteten Aufforderung, Zahlen in Wörtern auszuschreiben (»dreiundzwanzig«). So etwas habe ich zum letzten Mal vor der Einführung des Euro auf einem Papier- Scheck getan. Lernpsychologisch und unterrichtspraktisch höchst fragwürdig sind darüber hinaus alle Übungen, die darauf abzielen, einfache Vorgaben zu komplizieren oder mit einer gleich komplizierten anderen Formulierung auszudrücken. Beliebt in Mittelstufenlehrwerken ist etwa die Umformulierung von mehrgliederigen Attributen in Relativsätze und Attributen und umgekehrt. Beispiel 4: Auswahl der grammatisch korrekten Form aus drei Vorgaben Aus, in oder nach? Kreuzen Sie an: a Monique und Jules leben zusammen aus in nach Berlin. …d Antoine ist im September aus in nach Deutschland gekommen, usw. (Glas-Peters et al 2012: 92) Im letzten Beispiel werden falsche Vorgaben zusammen mit richtigen im gleichen Satzkontext präsentiert. Verwechslungen werden damit wahrscheinlicher und es werden lehrwerk-induzierte Fehler angelegt. Boers und Lindstromberg (2012) haben in ihrer Metastudie zahlreiche Belege u. a. aus Interventionsstudien zusammengetragen, die starke Indizien in Bezug auf die Nutzlosigkeit bzw. sogar Schädlichkeit der vier hier vorgestellten weit verbreiteten Übungstypen enthalten. Warum scheinen sie dennoch so zeitlos populär zu sein? • Sie können auch von Berufsanfängern und unerfahrenen Autor/ innen ohne Problem rasch erstellt werden. • Sie können von Rechnerprogrammen (Übungen per Mausklick, ZARB , Lingofox u.v.a.) automatisiert erstellt werden. • Die Rückmeldung für die Lernenden ist direkt. • Lernerfolg ist als vollständiges und korrektes Ausfüllen der Lücken definiert und damit für Lehrende und Lernende gut messbar und bewertbar. • Sie haben damit eine hohe Augenschein-Validität, d.h. sie vermitteln den Lernenden das subjektive Gefühl, etwas zu können. • Die erwarteten Lerneraktivitäten sind minimal. • Korrektur und Bewertung sind einfach. Hermann Funk <?page no="191"?> 191 Alle Lückenübungen, die nicht auf die Überprüfung von Hör- und Leseverstehen abzielen und somit Testfunktion haben, haben keinerlei pragmatischen Kontext. Boers/ Lindstromberg raten dazu, auf Übungen wie in den genannten Beispielen ganz zu verzichten. Sinnvoll erscheinen dagegen jene auf die sprachlichen Formen fokussierenden Übungen, die mit für Lernende erkennbarem Bezug zu einem kommunikativen Anwendungskontext die drei in Abschnitt 2 genannten Lernformen unterstützen. Dazu nun einige Beispiele. Übungstyp 1: Systematisierungshilfen Übungen, die die Wahrnehmung regelmäßiger Sprachmuster und den Abgleich mit bisher gelernten Formen und damit die Zuordnung und Sortierung der neuen Formen unterstützen. Einige Beispiele von Übungsformulierungen aus aktuellen Lehrmaterialien: • Verben: Ordnen Sie zu und ergänzen Sie den Infinitiv (ebd.: 85) Hier wird die neue Form vorgegeben und soll mit einer bereits bekannten Verbform in Verbindung gebracht werden. • Gründe und Konsequenzen: Was passt zusammen? Es geht um die Einleitung von Konsequenzen mit deshalb. Die Lernenden konzentrieren sich auf die Bedeutung der Form (vgl. Koenig et. al 2012). • Wann ärgerst du dich? Wann freust du dich? Wann streitet ihr euch? Sprecht in der Klasse darüber. Vorgabe: Ich ärgere mich, wenn … Wir streiten uns immer, wenn … (Kopp et al. 2005: 70) • Verkleinerungsformen. Finden Sie andere Beispiele im Text auf S. 64 der Baum - das Bäumchen Die Aufmerksamkeit wird hier auf Strukturmerkmale gerichtet (vgl. Funk et al. 2006). Übungen dieses Typs beziehen in der Regel auch die Bedeutungsleistung bzw. prototypische kommunikative Kontexte in die Bewusstmachung ein. Sie stellen Bezüge zu anderen Themen und bedeutungsähnlichen Strukturen her, nicht aber zu kontrastierenden Strukturen, weil damit eher formale Verwechselungen angelegt würden. Übungstyp 2: Automatisierungshilfen Übungen zur Automatisierung werden in der Fachliteratur in der Regel im Sinne des Automatisierungsbegriffs von Anderson (1992) interpretiert: Zuerst wird die Regel bewusst gemacht, dann wird ihre Verwendung in unterschiedlichen Anwendungsformen und -kontexten bis hin zum Transfer im freien Gebrauch geübt. Aus lernpsychologischer Sicht ist die Bewusstmachung aber keineswegs zwingende Voraussetzung von Gebrauch und Transfer. Bewusstmachung ist in vielen Fällen Übungsformen im fremdsprachlichen Grammatikunterricht <?page no="192"?> 192 unnötig, in manchen Fällen sogar hinderlich. Der Gebrauch von Partikeln, aber auch beispielsweise des Konjunktivs II auf den Stufen A1 und A2, der korrekte Gebrauch von Wechselpräpositionen auf der Stufe A1 sind auf diese Weise sicher nicht zu erreichen (Diehl et al. 2000). Eine Vielzahl von Routineformeln werden auf allen Niveaus ohnehin ohne strukturelle Analyse und Bewusstmachung eingeführt - von »Guten Morgen«, über »Ich hätte gern …« bis »Das tut mir aber leid«. Auf der Grundlage der hier vorgestellten Überlegungen schlage ich vor, diesen Bereich in den Lehrwerken wesentlich zu erweitern. Die folgenden Übungsbeispiele zielen in diesem Sinne auf einen flüssigen Gebrauch einer Struktur ab, bevor sie bewusst gemacht wird. Bewusstmachung und Erklärung von Regeln erfolgt bei Bedarf und Nützlichkeit nach dem Gebrauch. Wird der Konjunktiv etwa in Höflichkeitswendungen gebraucht, so ist es nicht besonders nützlich, das gesamte Paradigma zu erläutern. Die Folge wäre eher, dass die Wendungen eher gemieden würden. Lernenden in der ersten Deutschstunde zu erklären, dass sich in »Guten Tag« ein Akkusativ verbirgt, wäre ebenfalls nicht besonders sinnvoll in Bezug auf deren Kompetenzentwicklung. Diese Reihenfolge hat einige Konsequenzen auf den Unterrichtsverlauf und auf die Übungsform. Beispiel 1: Serieller mündlicher Gebrauch ohne Regelwiederholung Auch fortgeschrittene Lernende beginnen Sätze oft so: Gestern ich war … statt: Gestern war ich … obwohl ihnen die Regel zur Verbstellung durchaus bekannt ist. Dies gilt für eine ganze Reihe weiterer Strukturen, die auf A1 bereits bewusst gemacht werden. In diesem Fall bringt die nochmalige Regelerklärung nichts. Durch eine mündliche Verwendung in hoher Frequenz kann allerdings versucht werden, diese Struktur als auditives Muster zu verankern, z.B. so: Beginnen Sie einen Satz zehnmal hintereinander mit der Zeitangabe: »Gestern war ich …« und bitten Sie (Ballwurf o. ä.) dann einen Lernenden, den Satz zu ergänzen. Wiederholen Sie das Vorgehen mit der nächsten Zeitangabe. Wiederholung der ganzen Übungen einige Stunden später. Der Satzanfang wird auf diese Weise als ganze Einheit gespeichert und nicht als Ergebnis bewusster Prozesse der Anwendung einer Regel. Beispiel 2: Serieller mündlicher Gebrauch ohne Regelerarbeitung Statt formaler Varianten mit beliebigen und wechselnden Inhalten zu üben, enthalten kommunikationsorientierte Grammatikübungen inhaltliche Varianten mit vorgegebenen Strukturmustern. Der Korrekturaufwand wird auf diese Weise minimiert. Der Aufgabenbezug ist durch das Thema »Gute Ausreden finden« gegeben. Die Struktur wird nicht vorher eingeführt als 3. Person Singular des Hilfsverbs »sein«. Sie wird durch den wiederholten Gebrauch verstanden. Die regelhafte Kontextualisierung erfolgt erst später auf dem Niveau A1. Hermann Funk <?page no="193"?> 193 Abb. 1: Genial 1 2002: 70 Beispiel 3: Serieller mündlicher Gebrauch vor Regelerarbeitung Der gleichen Progression wird bei dem folgenden Beispiel gefolgt. Hier folgt die Phase der Regelerkennung allerdings direkt nach dem mündlichen Gebrauch. Zunächst soll eine für die Lernenden neue Struktur ohne Erklärung seriell wiederholend gebraucht werden. Der kommunikative Kontext »Sich verabreden« ist den Lernenden dabei bekannt. Nach der Übung, in der die Struktur vielfach verwendet wurde, kann sie dann in einer Fokus-auf-Form-Phase auf ihre Regelhaftigkeit untersucht werden. Abb. 2: studio d A2 2006: 50 Übungsformen im fremdsprachlichen Grammatikunterricht <?page no="194"?> 194 Dass gerade in Bezug auf die Wiederholung spielerischen Vorgaben eine wichtige Rolle zukommen kann, ist offensichtlich (Funk et al. 2014). Die Entwicklung von weiteren Übungsformen und -varianten zu beiden Lernbereichen und deren empirische Erprobung ist ein Forschungsdesiderat. Für den dritten der genannten Lernbereiche (ungesteuertes und inzidentelles Entdecken von Regularitäten) lassen sich logischerweise keine direkten Übungsformen benennen. Sicher ist, dass die Bereitstellung möglichst reichhaltiger Lernumgebungen, wie sie durch unterrichtliche Interaktionsszenarien und mediengestützte Lernumwelten mit reichhaltigem Input möglich sind, die Wahrscheinlichkeit des Erkennens von Regeln und Erwerbens von Wörtern erhöhen. Für Unterrichtspraxis und Weiterbildung kann die folgende Checkliste helfen, die Effektivität des Übungsgeschehens zu sprachlichen Formen zu untersuchen. Sieben Kriterien zur Analyse des Übungsgeschehens im Unterricht 1. Aufgabenorientierung: Zu welcher kommunikativen Aufgabe trägt die Übung bei? Ist dieser Kontext für die Lernenden erkennbar? 2. Übungsziel: Welche Ziele/ Kompetenzen werden angestrebt? Korrektheit? Flüssigkeit? Textkompetenz? 3. Übungsgegenstand: Was wird genau geübt? Welche Komponenten der Sprache (Wortschatz, Grammatikstruktur, Phonetik, Textproduktion)? Welche Fertigkeiten werden dabei gefördert (Hören, Sprechen, Lesen, Schreiben)? 4. Progression/ Sequenz: Worauf baut die Übung auf und was kommt danach? 5. Übungsintensität/ Wiederholungsrate: Wie oft wird etwas wiederholt? 6. Interaktions- und Sozialformen: Wie wird geübt? Wie viele Lernende sind gleichzeitig beteiligt? Wer übt mit wem? 7. Übungssteuerung und -kontrolle: Wer steuert den Ablauf und macht Vorgaben? Wer kontrolliert in welcher Form das Ergebnis? 4 Fazit und Ausblick In diesem Beitrag wurde versucht, das Training regelhafter Sprachverwendung und die Bewusstmachung von Regeln und Strukturen im Kontext eines an aktuellen methodisch-didaktischen Prinzipien und Standards und lernpsychologischen Erkenntnissen orientierten Fremdsprachenunterrichts zu exemplifizieren. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, wie sich das Übungsgeschehen an diesen Anforderungen qualitativ weiterenwickeln muss, also die Frage nach lernpsychologisch plausiblen Übungsfolgen. An dieser Stelle wird auch deutlich, dass es nach wie vor an einer Lehrwerkwirkungsforschung nicht nur in Bezug auf den Verlauf von Automatisierungsprozessen weitgehend fehlt. Die zum Schluss aufgelisteten sieben Kriterien können sowohl als Leitlinie einer praxisorientierten Lehrwerkanalyse Hermann Funk <?page no="195"?> 195 als auch als Beobachtungskriterien im Rahmen von Projekten zur Lehrwerkwirkungsforschung in der Beobachtung des Übungsgeschehens eingesetzt werden. Die beiden in diesem Aufsatz beschriebenen Übungstypen sollten als Anregung verstanden werden, Automatisierungsübungen nicht reflexartig behavioristischen Modellen der Vergangenheit zuzuordnen, sondern im Sinne der Aktionsforschung weitere Formen solcher Übungen zu entwickeln und zu erproben. Bibliographische Angaben Ahrenholz, Bernt / Oomen-Welke, Ingelore (Hrsg.) (2013): Deutsch als Fremdsprache. Deutschunterricht in Theorie und Paxis ( DTP ), Bd. 10. Baltmannsweiler: Schneider-Verl. Hohengehren Anderson, John R. (1992): Automaticity and the ACT theory, in: American Journal of Psychology 105. 165-180 Barkowski, Hans / Faistauer, Renate (Hrsg.) (2002): … in Sachen Deutsch als Fremdsprache. 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Da hier auch das Alter bei Erwerbsbeginn eine Rolle spielt, vergleiche ich im Folgenden zwei Lernerinnen mit Erstsprache Russisch, die jeweils vor und nach der Pubertät mit dem ungesteuerten Erwerb des Deutschen als Zweitsprache begonnen haben. Die jüngere Lernerin erwirbt die deutsche Verbstellung deutlich schneller als die ältere. In diesem Beitrag werde ich das Erfolgsgeheimnis der jüngeren Lernerin näher ergründen und die Ergebnisse für den D a F / D a Z -Unterricht produktiv machen. 1 Einleitung Die Frage, in welchem Alter sich eine Zweitsprache noch so gut und schnell lernen lässt wie eine Erstsprache - oder Muttersprache - wird in der Spracherwerbsforschung sehr breit und kontrovers diskutiert. Die meisten Studien beschäftigen sich jedoch mit dem Erwerb des Englischen. Zum Deutschen als Zweitsprache gibt es bislang nur wenige empirische Untersuchungen. Außerdem fehlen Längsschnittstudien, die den Erwerbsverlauf im Detail dokumentieren und einen eingehenden Vergleich zwischen Proband/ innen unterschiedlichen Alters zulassen. Im vorliegenden Artikel vergleiche ich den ungesteuerten Zweitspracherwerb von zwei Lernerinnen, die als Erstsprache Russisch sprechen und unter sehr gut vergleichbaren Bedingungen Deutsch lernen. Die beiden unterscheiden sich hauptsächlich im Erwerbsalter: Sie haben jeweils vor (mit 8 Jahren) und nach der Pubertät (mit 14 Jahren) mit dem Deutscherwerb begonnen. Als Lerngegenstand wurde die Verbstellung untersucht. Die Erwerbsaufgabe besteht darin zu erkennen, dass das Deutsche eine SOV -Sprache mit V2- Eigenschaft ist. Diese Eigenschaft der deutschen Verbstellung lässt sich gut mit dem topologischen Satzmodell beschreiben (z.B. DUDEN 2006, Wöllstein 2010): Die beiden Verbpositionen im Deutschen, rund um die sich die anderen 1 Mein Dank gilt Martin Businger für sein präzises Feedback zum vorliegenden Artikel, Christine Dimroth und Rudi de Cillia für ihre Unterstützung bei der Durchführung der empirischen Studie und dem Pub� likum der von Martin Businger und Svitlana Ivanenko geleiteten Sektion C1 Von der Grammatik(theorie) zum sprachlichen Handeln bei der Internationalen Deutschlehrertagung in Bozen 2013 für die angereg� te Diskussion. <?page no="200"?> 200 Konstituenten relativ frei anordnen lassen, bilden die Satzklammer. In der linken Satzklammer ( LSK ) steht im Hauptsatz das finite Verb (Verb-Zweit, V2), wie in den Beispielen (1-4), und im Nebensatz der einbettende Konnektor, wie in (5) die Subjunktion dass. Das Vorfeld muss im deklarativen Hauptsatz besetzt sein (V2), in Entscheidungsfragen bleibt es frei (V1), ebenso wie im Nebensatz. In der rechten Satzklammer ( RSK ) steht im Hauptsatz das infinite Verb bzw. der infinite Verbteil wie in den Beispielen (2-4) und im Nebensatz auch das finite Verb (Verb-End, VE ) wie im Beispiel (5): Vorfeld LSK Mittelfeld RSK Nachfeld (1) Sie liest heute eine Geschichte -- -- . (2) Sie liest uns heute die Geschichte vor, von der ich dir erzählt habe. (3) Heute liest sie eine Geschichte vor -- . (4) Die Geschichte hat sie gestern nicht vorgelesen -- . (5) -dass sie die Geschichte vorgelesen hat -- . Tabelle 1: Satztypen im topologischen Modell Das Deutsche weist also eine Asymmetrie in der Verbstellung im Haupt- und im Nebensatz auf, die nicht leicht zu entdecken ist, da das Deutsche über viele SVO -Abfolgen wie in (1) verfügt. Ungefähr die Hälfte aller Sätze in geschriebener und gesprochener Sprache im Deutschen weisen SVO -Stellung auf (vgl. Hinrichs/ Kübler 2006). Für Lernende, die bereits eine SVO -Sprache beherrschen (z.B. Englisch, Französisch oder Russisch) ist es daher besonders schwer, diese Eigenschaften des Deutschen zu erkennen. Für sie liegt es zunächst nahe, die SVO - Eigenschaft auf das Deutsche zu übertragen (Transfer). Dies mag es ihnen am Anfang erleichtern, korrekte Sätze zu produzieren, erschwert es ihnen jedoch, die korrekte Verbstellung des Deutschen zu erwerben. Für den D a F / D a Z -Unterricht wurde daher bereits mehrfach moniert, dass Lernende bereits viel früher auf die SOV -Eigenschaft des Deutschen hingewiesen werden müssen (Haberzettl 2006, Dimroth 2009, Winkler 2011). Die SOV -Eigenschaft des Deutschen wird sichtbar in Hauptsätzen, in denen die rechte Satzklammer besetzt ist, d.h. mit Hilfs- und Modalverben in der LSK und einem Infinitiv oder Partizip in der RSK wie in (4) oder mit dem abtrennbaren Teil eines Partikelverbs wie vor in der RSK bei vorlesen in (2/ 3), und natürlich in Christine Czinglar <?page no="201"?> 201 Nebensätzen mit VE -Stellung des Finitums wie (5). Die V2-Eigenschaft ist an SVO -Abfolgen nicht eindeutig abzulesen (die gibt es in SVO -Sprachen auch), sie wird erst an der so genannten Subjekt-Verb-Inversion deutlich: Wenn ein Adverb im Vorfeld steht, wie in (3), muss das Subjekt hinter dem Finitum stehen, damit die V2-Eigenschaft erhalten bleibt. Bei SVO -Sprachen wie dem Englischen bleibt die SVO -Stellung in diesem Fall erhalten: Today, she reads a story. Der Erwerb der V2-Eigenschaft kann daher nur in so genannten Inversionskontexten untersucht werden, d.h. in Sätzen wie (3 / 4), in denen zielsprachlich eine Subjekt-Verb-Inversion erwartet wird (vgl. Haberzettl 2005). Der Vergleich verschiedener Fallstudien in Czinglar (2014) zeigt, dass das Alter bei Erwerbsbeginn für den Erwerb von Verbstellungsmustern im Deutschen eine große Rolle spielt: Kinder, die mit dem Deutscherwerb bis zum Alter von ungefähr vier Jahren beginnen, erwerben die Verbstellung ganz ähnlich wie einsprachig aufwachsende Kinder Deutsch als Erstsprache. Die Erwerbsreihenfolge im Erstspracherwerb deckt sich weitgehend mit der im frühen Zweitspracherwerb (z.B. Thoma/ Tracy 2006, Rothweiler 2006, Meisel 2007, Tracy 2008): Zuerst werden Verbpartikeln und infinite Verben in der rechten Satzklammer produziert, was eine zielsprachliche OV - Abfolge (oder XV -Abfolge z.B. mit Adverbien) nach sich zieht. Wenn finite Verben produziert werden, stehen sie meistens korrekt an zweiter Stelle (V2), also in der linken Satzklammer. Der Nebensatz wird am Schluss erworben, wobei das finite Verb von Anfang an in der zielsprachlichen Verb-End-Stellung ( VE ) steht. Erwachsene Lernende zeigen eine andere Erwerbsreihenfolge (vgl. Clahsen et al. 1983, Ahrenholz 2008): Sie beginnen mit SVO -Strukturen und stellen dann Adverbien vor den SVO -Komplex, ohne die Subjekt-Verb-Inversion durchzuführen, was zu V3-Abfolgen führt, wie sie in SVO -Sprachen üblich sind. Erst dann erwerben sie die (rechte) Satzklammer ( OV/ XV ), die Inversion (V2) und am Schluss die VE -Stellung im Nebensatz. Neben V3-Abfolgen im Hauptsatz sind SVO -Abfolgen im Nebensatz ein weiteres Symptom der initialen SVO - Hypothese von älteren Lernenden. Viele Erwachsene, die Deutsch ungesteuert erworben haben, beherrschen die Inversion und die Verb-End-Stellung im Nebensatz nicht vollständig, da ihre Lernervarietäten bereits vorher fossiliert sind (vgl. Klein/ Dimroth 2003). Zum ungesteuerten Zweitspracherwerb von Kindern und Jugendlichen ab fünf Jahren gibt es nicht viele longitudinale Untersuchungen. Wir finden jedoch im Großen und Ganzen dieselbe Reihenfolge wie beim erwachsenen D a Z -Erwerb (z.B. Müller 1998, Haberzettl 2005, Czinglar 2014). Für den gesteuerten D a F -Erwerb in der Schule fanden Diehl et al. (2000) einen leicht abweichenden Verlauf, da die Inversion in ihrem Sample erst nach der VE -Stellung erworben wurde. Das heißt jedoch nicht, dass es zwischen Volksschulkindern, Jugendlichen und Erwachsenen keine Unterschiede beim Erwerb der Verbstellung gibt. In Abschnitt 2 zeige ich, dass die Unterschiede nicht im Verlauf, sondern in der Erwerbsge- Was wir aus Altersunterschieden für die Grammatikvermittlung lernen können <?page no="202"?> 202 schwindigkeit liegen. In Abschnitt 3 ergründe ich das Geheimnis der jüngeren und schnelleren Lernerin noch etwas genauer, um diese Einsichten für den D a F / D a Z - Unterricht produktiv zu machen. Die Erkenntnisse werden in Abschnitt 4 nochmals zusammengefasst. 2 Grammatikerwerb vor und nach der Pubertät In diesem Abschnitt stelle ich kurz die wichtigsten Ergebnisse einer Langzeitstudie zum ungesteuerten Erwerb der Verbstellung von zwei gut vergleichbaren Lernerinnen vor, die ausführlich in Czinglar (2014) beschrieben werden. 2 Die beiden Lernerinnen sind Halbschwestern, die gemeinsam mit ihrer Mutter (einer Akademikerin) in St. Petersburg aufwachsen. Beide absolvieren in St. Petersburg nur je 8 Stunden D a F -Unterricht und werden nach ihrer Ankunft in Köln sofort in eine Regelschule eingeschult, d.h. sie haben keinen anderen Deutschinput als andere Kinder in Deutschland auch. Zusätzlich besuchen sie einmal die Woche Russischunterricht. Der Hauptunterschied zwischen den beiden ist ihr Alter bei Erwerbsbeginn: Die jüngere Lernerin Nastja ( NAS ) war bei ihrer Ankunft in Deutschland acht Jahre und sieben Monate (8; 7) alt und ihre ältere Schwester Dascha ( DAS ) vierzehn Jahre und zwei Monate (14; 2). Mit dem Altersunterschied gehen weitere Unterschiede einher: So besucht Nastja eine Grundschule und Dascha ein Gymnasium. Es ist denkbar, dass der einfachere sprachliche Input in der Grundschule der jüngeren Lernerin einen leichteren Einstieg in den Spracherwerb ermöglicht. Ihrer älteren Schwester ist darüber hinaus bewusst, dass sie nach eineinhalb Jahren wieder nach Russland zurückgehen werden. Sie pflegt ihre Freundschaften in St.Petersburg weiter und ist in Köln nicht so kontaktfreudig wie ihre jüngere Schwester. Außerdem spricht sie bereits Englisch und hat damit ein erstes Kommunikationsmittel zur Verfügung. Diese z.T. altersbedingten Unterschiede haben vermutlich einen Einfluss auf die Motivation der beiden, Deutsch zu lernen (Pagonis 2009), und führen auch dazu, dass die jüngere Lernerin insgesamt auch mehr deutschsprachigen Input bekommt. Trotz dieser altersspezifischen Unterschiede ist die Vergleichbarkeit der beiden Lernerinnen hoch. Ihr Spracherwerb wurde eineinhalb Jahre lang parallel in wöchentlichen einstündigen Aufnahmen von spontanen Interaktionen mit muttersprachlichen Gesprächspartner/ innen dokumentiert. Die Ergebnisse können also exemplarisch für den Grammatikerwerb vor und nach der Pubertät herangezogen werden. Die Pubertät ist eine Altersgrenze, die als relativ robust gilt und in verschiedenen empirischen Studien zum Altersfaktor ermittelt wurde (Hyltenstam/ Abrahamsson 2003, Pagonis 2009, Czinglar 2014). 2 Das D a Z � AF �Korpus wurde im Rahmen eines DFG �Projekts unter der Leitung von Ursula Stephany und Christine Dimroth erhoben und bearbeitet, siehe z. B. Dimroth (2007). Christine Czinglar <?page no="203"?> 203 Die longitudinale Fallstudie vergleicht den Erwerb der Verbstellung über die ersten eineinhalb Jahre hinweg. Die beiden Lernerinnen erwerben die Verbstellung in der Reihenfolge, wie sie für den späten Zweitspracherwerb typisch ist (siehe Abschnitt 1): Sie produzieren zuerst SVO -Abfolgen wie (6a), dann V3-Sätze mit vorangestellten Adverbien wie heute in (6b). Dann erwerben sie die Satzklammer, zunächst mit fehlerhafter OV -Stellung wie in (6c), aber bald geht das Objekt dem infiniten Verb(teil) voraus wie in (6d), und dasselbe gilt für das Adverb hier in (6e): (6) a. * DAS : oh Nastja liebt diese. ( KM 02, DAS -05.cha) 3 b. * NAS : aber heute ich geht nicht. ( KM 02, NAS -05.cha) c. * NAS : meine musiklehrerin kann aeh sprechen russisch. ( KM 02, NAS -05.cha) d. * DAS : und ich muss diese heft lehrerin geben. ( KM 03, DAS -09.cha) e. * DAS : aber sie kann hier kommen. ( KM 03, DAS -10.cha) Damit enden die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Lernerinnen: Beide produzieren zu Beginn V3-Abfolgen wie in (6b), aber die jüngere gibt diese bis zum achten Kontaktmonat ( KM ) auf und verwendet fast ausschließlich zielsprachliche V2-Sätze wie (7a). Die ältere gibt V3-Abfolgen bis zum Ende des Untersuchungszeitraums nicht auf, erreicht nur im 16. KM eine Korrektheitsrate von 90%, diese fällt danach jedoch wieder ab. Das heißt, sie erwirbt die V2-Eigenschaft in 18 Kontaktmonaten nicht stabil. Beim Erwerb der VE -Stellung im Nebensatz ist der Unterschied zwischen den beiden Lernerinnen noch größer: Während die jüngere Nastja den Erwerb der VE -Stellung bereits im 9. KM abgeschlossen hat und über 90% korrekte VE -Nebensätze wie (7c) produziert, sind bei Dascha noch viele SVO - oder V2- Abfolgen wie (7b) im Nebensatz zu finden. Sie erwirbt die VE - Stellung im Untersuchungszeitraum nicht annähernd: (7) a. * NAS : jetzt müssn wir spielen. ( KM 05, NAS -17.cha) b. * DAS : und wann man hat diese prüfungen gut gemacht, (dann geht man zum universität.) ( KM 12, DAS -42.cha) c. * NAS : und als sie mir diese maske gezeigt hat, (dann letztes mal hat Mama gesagt). ( KM 09, NAS -31.cha) Die beiden Lernerinnen unterscheiden sich also nicht im Erwerbsverlauf, aber sehr wohl in der Erwerbsgeschwindigkeit. Wie Tabelle 2 zeigt, gibt die jüngere Nastja nicht zielsprachliche Strukturen bzw. ihre initiale SVO -Hypothese viel schneller auf als ihre ältere Schwester: 3 KM steht für Kontaktmonat und die cha�Datei gibt die Aufnahme an, die im CHAT �Format des CHILDES � Systems transkribiert wurde (MacWhinney 2000). Die Beispiele wurden zur besseren Lesbarkeit von allen CHAT �Codes, abgesehen von den Symbolen für Pausen (#) und phonologische Fragmente (&), bereinigt. Was wir aus Altersunterschieden für die Grammatikvermittlung lernen können <?page no="204"?> 204 NAS / 8 Jahre DAS / 14 Jahre zu 90% erworben im zu 90% erworben im 1. OV/ XV im HS 4. Kontaktmonat 4./ 5. Kontaktmonat 2. V2 im HS 8. Kontaktmonat (16. Kontaktmonat) 3. VE im NS 9. Kontaktmonat nicht vollständig Tabelle 2: Die Ergebnisse im Überblick Interessant ist dabei jedoch, dass die jüngere Lernerin nicht überall schneller ist als die ältere: Die Satzklammer ( OV/ XV -Stellung) erwerben beide Lernerinnen noch gleich schnell, bei der V2-Stellung ist Nastja einen Schritt voraus und bei der Verb-End-Stellung zieht sie endgültig davon. Dieses Muster soll im folgenden Abschnitt genauer beleuchtet werden. 3 Was können wir von der jüngeren Lernerin für den D a F / D a Z -Unterricht lernen? In diesem Abschnitt möchte ich die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Lernerinnen näher beleuchten, um herauszufinden, was wir von der jüngeren Lernerin für den D a F / D a Z -Unterricht lernen können. 3.1 Lexikalische Diversität in der rechten Satzklammer im Hauptsatz Die beiden Lernerinnen unterscheiden sich nicht nur beim Erwerb der Verbstellung, sondern auch beim Erwerb des Verblexikons (vgl. Czinglar 2014): So verwendet die jüngere Lernerin NAS von Anfang an mehr verschiedene Verben, sowohl in Tokens (sie spricht generell mehr) als auch in Types. (Verschiedene Formen desselben Verbs wie geht, gehe und gegangen werden als ein Type oder Verblemma gezählt.) Für die Berechnung der Types (Lemmata) und der Type-Token-Ratio ( TTR ) wurde die Anzahl der Verbtokens bei beiden Lernerinnen konstant gehalten (d.h. das jeweils längere Transkript wurde am Ende abgeschnitten): Probandin V-Tokens V-Types Verb TTR DAS / 14 4936 146 0,030 NAS / 8 4936 261 0,053 Tabelle 3: Type�Token�Ratio bei gleicher Tokenanzahl Christine Czinglar <?page no="205"?> 205 Interessant ist aber, dass die jüngere Lernerin nicht in allen Positionen mehr verschiedene Verben verwendet. Wie in Abs. 2 gezeigt, erwerben beide Lernerinnen die Satzklammer (also die OV/ XV -Stellung) gleich schnell, innerhalb von vier bis fünf Kontaktmonaten. Die Verbposition in der rechten Satzklammer ( RSK ) involviert zielsprachlich im Hauptsatz nur infinite Verben ( INF , d.h. Partizipien und Infinitive), während die linke Satzklammer ( LSK ) zielsprachlich nur finite Verben involviert ( FIN , d.h. die Verben sind je nach Person, Numerus und Tempus konjugiert). Damit die Tokenzahl ungefähr vergleichbar bleibt, wurden hier für LSK/ FIN nur Inversionskontexte ausgewertet. Vergleichen wir die rechte und die linke Satzklammer im Hauptsatz, sehen wir, dass beide Lernerinnen mehr verschiedene Verbtypes in der rechten als in der linken Satzklammer verwenden: Probandin Verb-Position V-Tokens V-Types Verb TTR DAS / 14 RSK / INF : OV / XV im HS 526 83 0,158 LSK / FIN : V2 im HS 553 64 0,116 NAS / 8 RSK / INF : OV / XV im HS 546 149 0,273 LSK / FIN : V2 im HS 512 87 0,170 Tabelle 4: Type�Token�Ratio und Verbpositionen Trotzdem ergibt sich in Tabelle 4 aufgrund des generell größeren Verblexikons der jüngeren Schwester noch ein großer Unterschied bei der TTR in der RSK : 0,158 bei DAS vs. 0,273 bei NAS . Zieht man jedoch nur die frühen Aufnahmen bis zum 4. KM heran, sieht die TTR der beiden Lernerinnen in der rechten Satzklammer sehr ähnlich aus: In OV/ XV -Kontexten hat DAS / 14 eine TTR von 0,252 (34 Types zu 135 Tokens) und NAS / 8 hat eine TTR von 0,288 (51 Types zu 177 Tokens). Global gesehen hat die jüngere Lernerin eine höhere Diversität im Verblexikon und erwirbt auch die Verbstellung schneller. Lokal gesehen ist die Diversität der Verben in der RSK bis zum 4. KM bei beiden Lernerinnen ähnlich, und sie erwerben die OV/ XV -Stellung ähnlich schnell. Dies legt nahe, dass es einen Zusammenhang zwischen der Diversität des Verblexikons und der Erwerbsgeschwindigkeit bei der Verbstellung gibt. Dementsprechend wäre es sinnvoll, im D a F / D a Z -Unterricht von Anfang an gezielt das Verblexikon auszubauen. Gerade zu Beginn des Spracherwerbs können D a F / D a Z -Lehrende neue Vollverben zuerst als Infinitive bzw. Partizipien einführen, denn diese müssen zunächst nur in diesen zwei Formen gespeichert werden. Wie Dimroth (2009) und Winkler (2011) vorschlagen, kann dies durch die häu- Was wir aus Altersunterschieden für die Grammatikvermittlung lernen können <?page no="206"?> 206 fige Verwendung von Modal- und Hilfsverbkonstruktionen, durch elliptische Antworten auf Fragen (Was hast du gestern gemacht? Meinen Onkel besucht.) oder durch Verbalphrasen kombiniert mit sein (Mein Hobby ist Briefmarken sammeln. Melange trinken ist typisch für Wien.) geschehen. Diese Vorgangsweise ist mit einer möglichst frühen Einführung der ( S ) OV -Struktur des Deutschen im Sprachunterricht und in Lehrwerken, wie sie von Haberzettl (2006), Dimroth (2009) und Winkler (2011) eingefordert wird, sehr gut kompatibel. Wie Winkler (2011) in ihrer Interventionsstudie mit D a F -Lernenden (L1 Italienisch) zeigt, ist eine frühe Verwendung von vielen OV -Strukturen im Anfängerunterricht möglich und führt auch dazu, dass die Lernenden die OV -Eigenschaft des Deutschen schneller beherrschen. 3.2 Hilfsverben und V2-Stellung im Hauptsatz Verwendet man, wie im vorigen Abschnitt vorgeschlagen, lexikalische Vollverben zunächst hauptsächlich als Infinitive und Partizipien, so ergibt sich daraus ein weiterer Vorteil für den Erwerb der Verbstellung: So werden hauptsächlich grammatische Verben (Hilfsverben, Modalverben und die Kopula sein) in der linken Satzklammer, also in der finiten Position, verwendet. In Anlehnung an empirische Studien zu Lernervarietäten bezeichnet Dimroth (2009) Hilfsverben als »Steigbügel« für den V2-Erwerb (bzw. den Inversionserwerb) im Deutschen (siehe auch Jordens 2005). Gerade bei älteren Lernenden, die häufig Schwierigkeiten mit dem Erwerb der V2- Stellung haben, unterstützt der Gebrauch von Auxiliaren (Hilfsverben) den Erwerb der V2-Stellung und kann auch bei bereits fossilierten Lernervarietäten noch Veränderungen herbeiführen. Im D a Z - AF -Korpus verwendet die jüngere Lernerin Nastja Hilfsverben früher und häufiger als ihre ältere Schwester. Die Abbildung 1 zeigt alle deklarativen Hauptsätze mit zielsprachlicher V2-Stellung (1726 bei DAS / 14 und 2334 bei NAS / 8) und den Anteil an Auxiliaren in diesen Sätzen: 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 02 03 04 05 06 08 09 11 12 14 16 17 Kontaktmonat (KM) DAS/ 14 NAS/ 8 Auxiliar-Rate in deklarativen Hauptsätzen Deklarative Hauptsätze (in%) Abb. 1: Anteil der Hilfsverben an finiten Verben (ohne Kopula) in deklarativen Hauptsätzen Christine Czinglar <?page no="207"?> 207 Die Auxiliar-Rate ist bei Nastja nicht nur insgesamt um fast 5% höher (16,98% bei DAS / 14 vs. 21,21% bei NAS / 8), sie verwendet bereits zwei Monate vor Dascha Hilfsverben in über 20% der deklarativen Hauptsätze. Eine weitere Hilfestellung für den Erwerb der V2-Stellung könnte die Verwendung der Kopula sein darstellen. Die Prädikationsstruktur mit der Kopula sein involviert bei Nomen zwei Nominative und ist auch aufgrund ihrer Semantik weitgehend symmetrisch: Man kann entweder X ist Y oder Y ist X sagen. Aufgrund dieser Eigenschaft und weil manchmal nicht leicht zu entscheiden ist, welches Element das Subjekt und welches das Prädikat ist, wurden Kopulasätze für den Erwerb der V2-Eigenschaft nicht herangezogen. Aufgrund ihrer symmetrischen Struktur könnten jedoch gerade Kopulasätze einen guten Einstieg für den Inversionserwerb darstellen. (8) V2 = Subjekt-Kopula-Prädikat a. die strasse ist hellgrün. KM 02 DAS -07.cha b. wir waren in in Russland. KM 03 NAS -08.cha (9) V2 = Prädikat-Kopula-Subjekt (Inversion) a. in &le in diese wohnung sind # drei zimmer. KM 03 DAS -09.cha b. und da sind noch die die # beine. KM 05 NAS -19.cha (10) V3 = fehlende Inversion mit Kopula (*) a. und dann meine nase war kaputt. KM 04 DAS -13.cha b. und für die menschen # es ist so so. KM 04 NAS -13.cha Und tatsächlich verwendet die jüngere Lernerin die Inversion zwischen Subjekt und Verb mit der Kopula zu Beginn des Erwerbs viel häufiger korrekt als mit lexikalischen Verben. Wie in Abbildung 2 ersichtlich gilt dies für die ältere Lernerin nicht, ihre Korrektheitsrate bei der Inversion mit der Kopula gleicht der mit anderen Verben: 4 4 Häufig vorkommende Kombinationen wie das ist/ ist das und da ist/ ist da wurden als potentielle Chunks von der Analyse ausgeschlossen. Was wir aus Altersunterschieden für die Grammatikvermittlung lernen können <?page no="208"?> 208 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 02 03 04 05 06 08 09 11 12 14 16 17 Kontaktmonat (KM) DAS/ 14 NAS/ 8 Korrekte Inversion mit Kopula Inversionskontexte (in%) 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 02 03 04 05 06 08 09 11 12 14 16 17 Kontaktmonat (KM) DAS/ 14 NAS/ 8 Korrekte Inversion mit anderen Verben Inversionskontexte (in%) Abb. 2: Korrektheit der Inversion mit Kopula und anderen Verben Die jüngere Lernerin verwendet also früher und häufiger Hilfsverben und sie nutzt die Kopula als Einstieg für die Inversion bzw. den Erwerb der V2-Eigenschaft. Dies können wir im D a F / D a Z -Unterricht nutzen, indem wir die Lernenden bereits früh mit Hilfsverben konfrontieren, was auch dem Erwerb der Satzklammer zuträglich ist. Eine häufige Verwendung von periphrastischen Konstruktionen mit grammatischen Verben ist für die Lernenden nicht so schwer zu meistern, da das Inventar mit elf grammatischen Verben sehr begrenzt ist: sein, haben, können, wol- Christine Czinglar <?page no="209"?> 209 len, müssen, sollen, werden, dürfen, mögen, möchten und brauchen. Die unregelmäßige Konjugation dieser Verben muss zwar auswendig gelernt werden, aber einerseits ist ihre Anzahl überschaubar und andererseits gehören sie neben einigen lexikalischen Vollverben wie gehen, kommen, machen, sagen und wissen zu den am häufigsten verwendeten Verben im Deutschen. Darüber hinaus wäre es bei der Unterrichtsgestaltung und Lehrbuchkonzeption sinnvoll, die Subjekt-Verb-Inversion mit der Kopula bereits früh einzuführen, sie später mit Hilfsverben auszubauen und erst am Schluss die Inversion mit Vollverben zu verwenden. 3.3 Konnektoren und VE -Stellung im Nebensatz Die Erwerbsaufgabe bei der deutschen Verbstellung besteht darin, zu erkennen, dass das Deutsche eine SOV -Sprache mit V2-Eigenschaft ist. Die SOV -Eigenschaft im Deutschen zeigt sich besonders deutlich im Nebensatz, wo das finite Verb am Satzende in der rechten Satzklammer steht, während die linke Satzklammer durch nebensatzeinleitende Konnektoren besetzt ist, siehe (5) und (7c). Wie in Abschnitt 2 erwähnt wird der Abstand zwischen den beiden Lernerinnen beim Erwerb der Verbstellung immer größer und ist bei der VE -Stellung im Nebensatz am größten. Neben zielsprachlichen Nebensätzen produziert die ältere Lernerin bis zum Ende des Untersuchungszeitraums nicht-zielsprachliche Abfolgen wie (7b). Abgesehen von der VE -Stellung des finiten Verbs, die ja erst erworben werden muss, gibt es unter den häufig vorkommenden nebensatzeinleitenden Konnektoren einige eindeutige Nebensatz-Einleiter, d.h. Konnektoren, die ausschließlich mit VE -Stellung im Nebensatz vorkommen: dass, wenn und ob. Konnektoren wie weil kommen im Nebensatz sowohl mit V2als auch mit VE -Stellung vor, und Interrogativpronomen wie wo oder wann kommen zwar im Nebensatz ausschließlich mit VE -Stellung vor, treten jedoch am Beginn von W-Fragen mit V2-Stellung auf. Relativpronomen stehen im Nebensatz fast immer mit VE-Stellung, gleichlautende Demonstrativpronomen können jedoch im Hauptsatz im Vorfeld stehen. Sehen wir uns für beide Lernerinnen ungefähr die ersten 100 Nebensätze an ( DAS produziert bis zur 17. Kontaktwoche 92, NAS bis zur 15. Kontaktwoche 104 erste Nebensätze): Was wir aus Altersunterschieden für die Grammatikvermittlung lernen können <?page no="210"?> 210 NAS/ 8: Die ersten NS-Einleiter W�Wörter 27% dass 14% Relativ� pronomen 10% diverse 1% wenn 37% V2�NS ohne Einleiter 11% DAS/ 14: Die ersten NS-Einleiter V2�NS ohne Einleiter 41% W�Wörter 34% wann (=wenn, als) 13% Relativpronomen 5% diverse 2% wenn 2% weil 2% dass 1% Abb. 3: Konnektoren in den ersten ungefähr 100 Nebensätzen Bei der jüngeren Lernerin Nastja kommt der größte Anteil mit 37% auf den Konnektor wenn und immerhin 14% auf dass, d.h. in der Hälfte der Nebensätze verwendet sie einen eindeutigen VE -Marker (wenn auch noch nicht unbedingt mit korrekter VE -Stellung): (11) a. * NAS : (aber Dascha hatte gesagt,) dass sie muss das fotografieren so. ( KM 04, NAS -13.cha) b. * NAS : und wenn ich # finger wegmache, (# er muss er macht nochmal so vorwärts dieses aeh aeh kopf ). ( KM 04, NAS -13.cha) Diese eindeutigen VE -Marker machen bei Dascha jedoch nur 3% der ersten 92 Nebensätze aus. Der größte Anteil (41%) besteht bei ihr aus uneingeleiteten V2-Nebensätzen, die zielsprachlich unter Verben wie sagen und glauben eingebettet sind: (12) a. * DAS : meine mutter sagt, das ist prinzess. ( KM 02, DAS -07.cha) b. * DAS : ich glaube, nicht jede müss diese gekaufen, (…). ( KM 02, DAS -07.cha) Christine Czinglar <?page no="211"?> 211 Bei Nastja machen diese zwischen Haupt- und Nebensatz oszillierenden Strukturen nur 12% aller Nebensatzkontexte aus. Sätze wie (12) werden im Russischen ganz parallel gebildet, allerdings ist im Gegensatz zum Deutschen die häufigste Abfolge im russischen Nebensatz SVO (Bailyn 2012). Durch die häufige Verwendung der Struktur (12) übt Dascha den Transfer von SVO -Abfolgen aus dem russischen in den deutschen Nebensatz geradezu ein. Daher ist die frühe Verwendung von Sätzen wie (12) für den Erwerb der VE -Stellung kontraproduktiv, auch wenn sie im Deutschen zielsprachlich sind. Außerdem verwendet Dascha in 13% ihrer ersten Nebensätze (und auch später sehr häufig) den Konnektor wann statt dem eindeutigen Nebensatz-Marker wenn/ als wie in (7b). Dies entspricht der Verwendungsweise von kogda ›wann‹ im Russischen, das sowohl ein Interrogativpronomen als auch einen konditionalen und temporalen Konnektor darstellt. Sehen wir uns nun alle Nebensätze im Korpus an, in denen zielsprachlich das Verb an letzter Stelle steht ( VE- Kontexte). Potentielle Chunks, 5 V2-Nebensätze wie (12) und weil-Sätze mit V2-Stellung werden hier nicht berücksichtigt. Als eindeutige VE -Konnektoren kommen in VE -Kontexten ( DAS 276, NAS 504) hauptsächlich dass und wenn vor, in geringerem Ausmaß ob und bei Nastja auch als und je einmal bis und obwohl. Die jüngere Lernerin hat also eine etwas höhere lexikalische Diversität bei den eindeutigen VE -Konnektoren. Konnektoren, die sowohl mit V2als auch mit VE -Stellung vorkommen, sind weil, Fragepronomen (wann, wo, wie), Relativbzw. D-Pronomen (der, die, das, wo) und Konnektoren wie damit und seitdem, die auch als Konjunktionaladverbien im Vorfeld eines Hauptsatzes stehen können. 6 Tabelle 5 zeigt, dass der Anteil an eindeutigen VE -Konnektoren bei der jüngeren Lernerin um mehr als 13% höher ist: Konnektoren DAS / 14 in % NAS / 8 in % eindeutig VE 117 42,39% 278 55,16% ambig V2+ VE 159 57,61% 226 44,84% VE -Kontexte total 276 504 Tabelle 5: Anteil der eindeutigen VE�Konnektoren 5 Ein Chunk ist eine formelhafte Sequenz, die als Ganzes mit ihrer Bedeutung im Langzeitgedächtnis gespeichert wird. 6 Man könnte argumentieren, dass auch dass ein ambiger Konnektor ist: Er ist gleichlautend mit dem Demonstrativ�Pronomen das, das sehr häufig als Subjekt oder Akkusativ�Objekt im Vorfeld eines Hauptsatzes steht, und mit dem Relativpronomen das, das meistens mit VE �Stellung im Nebensatz steht. Relativpronomen wurden aus diesem Grund als ambige Formen eingestuft. Andererseits ist dass der prototypische nebensatzeinleitende Konnektor und er kommt nach wenn am zweithäufigs� ten vor ( DAS 86, NAS 93). Die Verbstellung in dass�Nebensätzen ist zwar oft inkorrekt wie in (11a), aber auf dieselbe Art wie in wenn�Nebensätzen, nämlich mit dass� SVO �Stellung. Insgesamt finden wir nur dreimal dass�V Stellung, und zwar nur bei Nastja, wie in i.: i. * NAS : oh nee, Pascal, mama sagt, dass darf dass darf nicht klavier spielen. ( KM 03, NAS �09.cha) Ich gehe daher davon aus, dass das Wort dass von den Lernerinnen früh als nebensatzeinleitender Konnektor erkannt und nicht mit anderen homonymen Formen verwechselt wird. Was wir aus Altersunterschieden für die Grammatikvermittlung lernen können <?page no="212"?> 212 Dass die ältere Lernerin tatsächlich die Hauptsatzwortstellung auf den Nebensatz überträgt, zeigt sich auch in ihrer Verwendung von Chunks im Nebensatz. Chunks können im Zweitspracherwerb eine positive Funktion haben, da sie die Flüssigkeit und Natürlichkeit der Rede erhöhen (Aguado 2002). Wird jedoch eine nicht-zielsprachliche Struktur als Chunk memorisiert und immer wieder verwendet, können sie auch eine negative Funktion haben (Long 2003). Häufig vorkommende potentielle Chunks wurden für die Analyse des Verbstellungserwerbs im Hauptsatz ausgeschlossen: ich weiß nicht, es gibt/ gibt es, das ist/ ist das, was ist das, wie heißt das. Fairerweise wurden diese Sequenzen auch ausgeschlossen, wenn die Lernerinnen sie im Nebensatz verwenden: (13) a. * DAS : weiss nicht, wie heisst das in deutsch. ( KM 04, DAS -13.cha) b. * NAS : ich hatte # vergessen, was ist das. ( KM 04, NAS -13.cha) Mit diesen Verbstellungs-Chunks im Nebensatz üben die Lernerinnen immer wieder die nicht zielsprachliche V2-Stellung im Nebensatz ein. Abbildung 4 zeigt, dass die ältere Lernerin DAS vor allem am Anfang deutlich häufiger solche V2- Chunks in Nebensätzen produziert als die jüngere: 60 50 40 30 20 10 0 02 03 04 05 06 08 09 11 12 14 16 17 Kontaktmonat (KM) DAS/ 14 NAS/ 8 Chunk-Rate im Nebensatz Anteil an allen Nebensätzen (in%) Abb. 4: Anteil an V2�Chunks im Nebensatz Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die jüngere Lernerin Nastja am Anfang weniger uneingeleitete V2-Nebensätze und weniger Chunks mit V2-Stellung im Nebensatz produziert. Außerdem verwendet sie früher und häufiger eindeutige VE -Konnektoren als ihre ältere Schwester. Für den D a F / D a Z -Unterricht bedeutet dies, dass vor allem am Anfang uneingeleitete V2-Nebensätze wie (12) im Input vermieden werden sollen, da sie die Lernenden auf eine falsche Spur bringen. Der Christine Czinglar <?page no="213"?> 213 Bildung von V2-Chunks im Nebensatz wie (13) sollte im D a F / D a Z -Unterricht durch korrektives Feedback entgegengewirkt werden. Und vor allem sollte im Unterricht am Beginn des Nebensatzerwerbs ein Fokus auf die eindeutigen VE - Konnektoren dass und wenn (und später: ob, als, obwohl, nachdem, bevor, bis …) gelegt werden. 4 Fazit für die D a F / D a Z -Praxis Wenn wir die jüngere und erfolgreichere Lernerin als Vorbild heranziehen, können wir aus ihrem sprachlichen Verhalten folgende Konsequenzen für den D a F / D a Z - Unterricht ziehen: Um den Erwerb der Satzklammer ( OV/ XV ) zu unterstützen, ist es sinnvoll, gezielt das Verblexikon auszubauen und OV/ XV -Strukturen so früh wie möglich einzuführen (siehe auch Haberzettl 2006, Dimroth 2009, Winkler 2011). Für den Erwerb der Inversion im Hauptsatz (V2-Eigenschaft) ist die frühe und häufige Verwendung von Hilfs- und Modalverben sinnvoll und mit der frühen Verwendung von OV/ XV -Strukturen sehr gut kompatibel (siehe auch Dimroth 2009). Außerdem könnte die Kopula im D a F / D a Z -Unterricht verstärkt als Einstieg in die Inversion genutzt werden. Der Erwerb der Verb-End-Stellung im Nebensatz lässt sich durch die häufige Verwendung von eindeutigen Konnektoren wie dass, wenn, ob, als, obwohl, nachdem, bevor, bis unterstützen. Darüber hinaus ist es sinnvoll, Lernende über die verschiedenen Eigenschaften von ambigen Konnektoren wie weil, seitdem, damit, Frage- und Relativpronomen genau zu informieren. Dies setzt selbstverständlich voraus, dass D a F / D a Z -Lehrende ein deskriptives Wissen über die Grammatik des Deutschen haben - und nicht nur muttersprachliches Wissen (siehe auch Hopp et al. 2010). Lehrkräfte sollten bewusst vermeiden, im Unterrichtsinput uneingeleitete V2-Nebensätze unter Verben wie sagen, glauben oder meinen zu verwenden, sowohl in den Lehrbüchern als auch im gesprochenen Input - auch wenn diese möglicherweise für Lernende zunächst einfach zu verstehen und produzieren sind. Außerdem sollten sie mit korrektivem Feedback gegen die Bildung von SVO -Chunks im Nebensatz vorgehen, also nicht explizit auf den Fehler hinweisen, sondern den Satz in der korrekten Form nochmals wiederholen. Eventuell können sie die Lernenden unter vier Augen auch auf solche nicht zielsprachlichen Chunks aufmerksam machen. Aus der Perspektive des ungesteuerten Zweitspracherwerbs erscheint es also sinnvoll, dass sprachliche Strukturen, die im ungesteuerten Erwerb eine unterstützende Funktion haben, auch im gesteuerten Spracherwerb bzw. im Sprachunterricht eine besondere Beachtung finden. Studien zeigen, dass die Verarbeitung von vorstrukturiertem Input den Spracherwerb unterstützen kann (VanPatten 2002, Winkler 2011). Allerdings ist mir bewusst, dass es viele andere Anforderungen an den Sprachunterricht gibt, die auch beachtet werden müssen: So soll der Unterricht Was wir aus Altersunterschieden für die Grammatikvermittlung lernen können <?page no="214"?> 214 einen möglichst authentischen Input anbieten, der die Sprache, die auch außerhalb des Unterrichts gesprochen wird, widerspiegelt (Faistauer 2005). Auf keinen Fall möchte ich hier vorschlagen, Lernenden dauerhaft einen vereinfachten Input anzubieten. Der Input sollte angepasst auf die Sprachstufe so divers und komplex wie möglich sein und selbstverständlich authentische Texte beinhalten. Gerade zu Beginn des Erwerbs sollte der Input trotzdem nach den vorgeschlagenen Kriterien leicht modifiziert werden, sodass er den Lernenden ausreichend Gegenevidenz zur SVO -Hypothese liefert. Speziell im Anfänger/ innen-Unterricht müssen sich Lehrende wie Lehrwerksautor/ innen notgedrungen für gewisse Vereinfachungen entscheiden: Hier möchte ich dafür plädieren, dass diese Entscheidungen auf der Basis der Forschung zum ungesteuerten Zweitspracherwerb passieren. Bibliographische Angaben Aguado, Karin (2002): »Formelhafte Sequenzen und ihre Funktionen für den L2- Erwerb«. Zeitschrift für Angewandte Linguistik ( Z f AL ) 37, S. 27-49 Ahrenholz, Bernt (2008): »Zum Erwerb zentraler Wortstellungsmuster«. In: Ahrenholz/ Rost-Roth/ Klein/ Bredel (Hrsg.): a.a. O., S. 165-177 Ahrenholz, Bernt / Rost-Roth, Martina / Klein, Wolfgang / Bredel, Ursula (Hrsg.) (2008): Empirische Forschung und Theoriebildung. Beiträge aus der Soziolinguistik, Gesprochene-Sprache- und Zweitspracherwerbsforschung. Festschrift für Nor- Festschrift für Norbert Dittmar. Frankfurt a. M.: Lang Ahrenholz, Bernt (Hrsg.) (2006): Kinder mit Migrationshintergrund. Spracherwerb und Fördermöglichkeiten. 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In: Wegener (Hrsg.): a.a.O., S. 89-116 Was wir aus Altersunterschieden für die Grammatikvermittlung lernen können <?page no="216"?> 216 Pagonis, Giulio (2009): Kritische Periode oder altersspezifischer Antrieb. Was erklärt den Altersfaktor im Zweitspracherwerb? Eine empirische Fallstudie zum ungesteuerten Zweitspracherwerb des Deutschen durch russische Lerner unterschiedlichen Alters. Frankfurt a. M.: Lang Rothweiler, Monika (2006): »The acquisition of V2 and subordinate clauses in early successive acquisition of German«. In: Lleó (Hrsg.): a.a.O., S. 91-113 Suominen, Mickael / Arppe, Antti / Airola, Anu / Heinämäki, Orvokki / Miestamo, Matti / Määttä, Urho / Niemi, Jussi / Pitkänen, Kari K. / Sinnemäki, Kaius (Hrsg.) (2006): A Man of Measure: Festschrift in Honour of Fred Karlsson on his 60th Birthday. Turku: The Linguistic Association of Finland, Special Supplement to SKY Journal of Linguistics 19 Thoma, Dieter / Tracy, Rosemarie (2006): »Deutsch als frühe Zweitsprache: zweite Erstsprache? «. In: Ahrenholz (Hrsg.): a.a.O., S. 58-79 Tracy, Rosemarie (2008): Wie Kinder Sprachen lernen. Und wie wir sie dabei unterstützen können. Tübingen: Francke VanPatten, Bill (2002): »Processing Instruction: An Update«. In: Language Learning 52 (4), S. 755-803 Wegener, Heide (Hrsg.) (1998): Eine zweite Sprache lernen: empirische Untersuchungen zum Zweitspracherwerb. Tübingen: Narr Winkler, Steffi (2011): »Progressionsfolgen im D a F -Unterricht. Eine Interventionsstudie zur Vermittlung der deutschen ( S ) OV -Wortstellung«. In: Hahn/ Roelcke (Hrsg.): a.a.O., S. 193-207 Wöllstein, Angelika (2010): Topologisches Satzmodell. Heidelberg: Universitätsverlag Winter Christine Czinglar <?page no="217"?> Erich Huber, Almudena Mallo, Julia Brade (Vitoria-Gasteiz, Spanien) Grammatikvermittlung in D a F -Lehrwerken am Beispiel der Konnektoren In diesem Beitrag werden, ausgehend von einer Bestandsaufnahme der Behandlung der Konnektoren in den gängigsten Mittelstufen-Lehrwerken für D a F, Vorschläge unterbreitet, wie Semantik und syntaktische Gebrauchsbedingungen der Konnektoren besser dargestellt, vermittelt und erworben werden können. 1 Einleitung Im Jahr 2003 erschien der erste Halbband des Handbuchs der Konnektoren ( H d K ), der sich mit den syntaktischen Aspekten der Konnexion beschäftigt. In der Einleitung empfiehlt sich der Band u.a. explizit den »Lehrenden des Deutschen als Muttersprache und/ oder als Fremdsprache« ( H d K 2003: XVI). Diese hier angesprochene Zielgruppe wartet jedoch immer noch vergeblich auf Spuren der Anwendung der im H d K dargestellten Erkenntnisse in den D a F -Lehrwerken 1 . Dass Lehrwerkautor/ innen - als Vermittler zwischen Grammatikographen und Lehrenden - im H d K nicht explizit als Zielgruppe erwähnt sind, ist allerdings auch ein Hinweis darauf, dass von Seiten der theoretischen Linguistik die Relevanz der D a F -Lehrwerke und umgekehrt von Seiten der Lehrwerkautor/ innen jene der Grammatiktheorie unterschätzt wird. Diese gegenseitige Geringschätzung könnte mit dafür verantwortlich sein, dass die Schlussfolgerung, zu der Faistauer für die methodische Konzeption der Lehrwerke kommt, u.E. auch hinsichtlich der Rezeption der theoretischen Linguistik gültig ist: Die Wirklichkeit des Unterrichtens hält nicht immer Schritt mit dem Stand der Reflexion und den wissenschaftlichen Erkenntnissen. Auch der Lehrwerkmarkt ist ein trauriges Beispiel für einen Weg zurück in alte methodisch längst überwunden geglaubte Konzepte (Faistauer 2005: 10). Denn in Wirklichkeit sind D a F -Lehrende wohl kaum in der Lage, das H d K ohne vorausgehende Adaptierung bzw. Vereinfachung im Unterricht so umzusetzen, dass ihre Lernenden davon profitieren könnten. Dafür ist der hohe Abstraktionsgrad des Werkes verantwortlich, der seine Lektüre zu keinem leichten Unterfan- 1 Die Didaktisierung der Konnexion im Deutschen für spanischsprachige Lernende ist Gegenstand ei� nes Forschungsprojektes, das die Autor/ innen dieses Beitrags an der Universität des Baskenlandes betreiben; unter dem Titel »Estudio de la conexión en lengua alemana para su aplicación didáctica para hispano�parlantes« ( EHU 12/ 25). <?page no="218"?> 218 gen macht, und die Komplexität des vorgeschlagenen syntaktischen Modells, das wiederum den D a F -Lernenden (und -Lehrenden) nicht zuzumuten ist. 2 Einen guten Ansatz stellt die als Nachschlagewerk konzipierte Online-Version des H d K dar: grammis (Das grammatische Informationssystem des Instituts für deutsche Sprache; vgl. dazu auch Bassola et al. in diesem Band). Aber auch dabei handelt es sich um keine leicht zugängliche handbuchartige Darstellung aus D a F -Perspektive, wie sie vonnöten wäre. In diesem Beitrag soll eine Bestandsaufnahme der Behandlung der Konnektoren 3 in den gängigen Mittelstufen-Lehrwerken für D a F (siehe Bibliografie) 4 durchgeführt werden, um Vorschläge zu unterbreiten, wie Semantik und syntaktische Gebrauchsbedingungen der Konnektoren besser dargestellt, vermittelt und schließlich erworben werden können. 2 Semantische Klassifizierung der Konnektoren Die semantischen Klassen werden mit deutschen oder lateinischen Fachtermini bezeichnet. Die am häufigsten vorkommenden Unterkategorien, die auf der traditionellen Einteilung temporal, kausal und modal beruhen, sind folgende: adversativ / alternativ, final, kausal, komparativ, konditional, konsekutiv, konzessiv, instrumental/ modal und temporal. Üblicherweise werden diese traditionellen lateinischen Begriffe verwendet, aber immer häufiger werden sie eingedeutscht. Demzufolge erscheinen oft die Termini Gegensatz für adversativ/ alternativ, Absicht/ Zweck für final, Grund für kausal, Vergleich für komparativ, Bedingung für konditional, Folge für konsekutiv, Einschränkung/ Gegengrund für konzessiv, Mittel/ Instrument/ Werkzeug/ Art und Weise für instrumental/ modal und Zeit für temporal. Beide terminologischen Alternativen haben nach Granzow-Emden (2013: 298), in Bezug auf Adverbialien, Vorteile für ihre Anwender/ innen: Die deutschen Begriffe würden einen schnelleren Zugang zum Lerngegenstand schaffen, während die lateinischen deutlicher den metasprachlichen Gebrauch anzeigten, indem sie sich vom alltagssprachlichen Gebrauch abheben würden. Das betrifft unserer Meinung nach jedoch nur deutschsprachige Muttersprach- 2 Dass der zweite Halbband, der die semantische Klassifizierung der Konnektoren zum Thema hat und dessen Publikation noch für das Jahr 2014 angekündigt ist, laut Verlag rund 1200 Seiten umfasst, lässt diesbezüglich auch keine einfache Rezeption erwarten. Siehe: http: / / www.degruyter.com/ view/ product/ 246873 (letzter Zugriff: 13. 04. 2014). 3 In Anlehnung an das HdK verstehen wir unter Konnektoren »unflektierte Einheiten, deren Bedeutung eine spezifische zweistellige Relation mit propositionalen Argumenten ist, wobei die Ausdrücke für diese Argumente Satzstrukturen sein können« (Breindl 2004: 427). 4 In diesem Beitrag kann aufgrund der Fülle des analysierten Materials nur exemplarisch vorgegangen sowie auf Tendenzen verwiesen werden. Eine detaillierte Darstellung muss an anderer Stelle stattfin� den. Außerdem möchten wir betonen, dass sich die Analyse nur auf die Konnektoren bezieht und nicht als Gesamtbewertung der Lehrwerke verstanden werden sollte. Erich Huber, Almudena Mallo, Julia Brade <?page no="219"?> 219 ler/ innen. Demgegenüber stehen Muttersprachler/ innen anderer Sprachen, insbes. romanischer Sprachen, für die die Termini lateinischer Herkunft vertrauter sind. Nicht in jedem Lehrwerk ist obige vollständige Klassifizierung zu finden, aber in den meisten werden zumindest vier dieser Klassen behandelt. 5 Wie Granzow- Emden (2013: 298) sind wir ebenfalls der Meinung, dass die Frage, wie viele semantische Klassen genau notwendig sind, nicht hinreichend beantwortet werden kann, »weil die Welt und die Ausdrucksbedürfnisse zu vielfältig sind, um sie in vier, zehn oder zwanzig Kategorien unterzubringen«. Welche und wie viele Klassen in den untersuchten Lehrwerken vertreten sind, lässt sich anhand der folgenden Tabelle ersehen: Lehrwerke adversativ final kausal komparativ konditional konsekutiv konzessiv modal/ instr. temporal Aspekte B2 - x x x - - - x x Aspekte C1 - x x - x x x x x Auf neuen Wegen x x x x x - - x x em neu B2 x x x x x x x x em neu C1 x - - x x x x - - Erkundungen B2 - - x - x x x - x Erkundungen C1 x x x - x x x x x Mittelpunkt neu B2 x x x x x x x x x Mittelpunkt neu C1 x x x - x x x x x studio d B2 - x - x x x x x x Ziel B2 x x x x x x x x x Ziel C1 x - x - x x x - x Die komparativen und adversativen Konnektoren werden in den Mittelstufen- Lehrwerken am wenigsten häufig behandelt. Die ausführlichste Beschreibung betrifft die temporalen Konnektoren, die anhand verschiedener zusätzlicher Parameter analysiert werden. So werden z.B. Zeitpunkt, Dauer und Frequenz in Auf neuen Wegen 6 als Kriterien für die folgende Unterteilung herangezogen: 5 In einigen Lehrwerken werden im Kursbuch nur einige wenige semantische Gruppen behandelt und erst im »Grammatik�Teil« erscheint eine vollständige Klassifizierung (so z. B. in Aspekte). 6 Da Lehrwerke unter dem Titel bekannt sind und nicht unter den Autor/ innennamen, werden hier bei Grammatikvermittlung in D a F -Lehrwerken am Beispiel der Konnektoren <?page no="220"?> 220 Subjunktoren Zeitpunkt: wenn, als, nachdem, bevor Zeitdauer: während, solange Frequenz: immer wenn Adverbien Zeitpunkt: morgens/ mittags, früher, vorher, plötzlich, dann, kürzlich, neulich Frequenz: wieder, einmal, (zweimal …), oft, selten, immer, freitags, stündlich/ täglich In Aspekte 2 werden die Kriterien der Gleich-, Vor- und Nachzeitigkeit hinzugefügt, wodurch eine noch präzisere Beschreibung entsteht: Wann? Gleichzeitigkeit A gleichzeitig mit B wenn, als während Vorzeitigkeit A vor B mit Zeitenwechsel nachdem Nachzeitigkeit A nach B bevor Seit wann? Zeitraum vom Anfang der Handlung seit, seitdem Wie lange? Bis wann Zeitraum bis zum Ende der Handlung bis Prinzipiell ist eine ausführliche semantische Klassifizierung nicht negativ zu bewerten, viele Konnektoren lassen sich allerdings dennoch schwer einteilen, weshalb sie in den meisten Lehrwerken von der Klassifizierung ausgeschlossen bleiben, als »weitere Konnektoren« oder einfach nur als »Konnektoren« bezeichnet werden (wie in Aspekte C1). Manchmal werden für einzelne Konnektoren eigene Klassen eingeführt (in Auf neuen Wegen werden je-desto-Strukturen proportional genannt, in Aspekte C1 spricht man auch von Nebensätzen mit wie) oder es wird zu formalen Kategorien gegriffen wie weiterführende Nebensätze (was, weshalb, weswegen, wo(r) +Präp.) (in Aspekte C1) oder indirekte Fragesätze (W-Fragen, Ja-/ Nein-Fragen) (in Ziel B2/ 1, Mittelpunkt neu B2.2, Aspekte B2). Außerdem lassen sich einige Klassen schwer voneinander trennen, wie z.B. die kausale und die konsekutive, bei denen sowohl in den theoretischen Erklärungen als auch in den praktischen Übungen Wert auf die Unterscheidung zwischen Grund und Folge gelegt wird. Dabei stellen wir in Frage, ob es tatsächlich einen Beitrag zum Quellenangaben die Lehrwerktitel verwendet. Arbeitsbuch wird mit AB und Kursbuch mit KB abgekürzt. Erich Huber, Almudena Mallo, Julia Brade <?page no="221"?> 221 Grammatikvermittlung in D a F -Lehrwerken am Beispiel der Konnektoren Erwerb der entsprechenden Konnektoren leistet, wenn z.B. in einer Übung festgestellt werden muss, ob bestimmte Konnektoren wie deshalb oder demzufolge kausal oder konsekutiv sind, weil u.E. trotz des großen Aufwands die Bedeutung der betreffenden Wörter nicht klarer wird, sondern die Unterscheidung zwischen diesen beiden Klassen eher noch zusätzlich Verwirrung stiftet. 7 Bei den zweiteiligen Konnektoren wird in der Regel von einer syntaktischen Klassifizierung als eigene Gruppe ausgegangen, wobei entweder auf die semantische Zuordnung verzichtet wird oder versucht wird, sie an die der einteiligen Konnektoren anzupassen, bzw. wenn dies nicht gelingt, neue Klassen einzuführen (z.B. in Aspekte B2: Aufzählung: sowohl … als auch; nicht nur …, sondern auch, negative Aufzählung: weder … noch, Vergleich: je … desto, Alternative: entweder … oder, Einschränkung/ Gegensatz: zwar …, aber; einerseits …, andererseits). Es erscheint unsinnig, dass man in diesem Fall die in denselben Lehrwerken vorzufindende semantische Klassifizierung gebraucht, weil fast für jeden zweiteiligen Konnektor eine eigene Klasse gefunden werden muss. Welchen Sinn sollte es haben, dass Lernende zu jedem Wort noch ein Fachwort dazulernen müssen? Die semantische Einteilung ist fast das einzige Mittel, das in den analysierten Lehrwerken zur Erklärung der Bedeutung bzw. auch von Unterschieden zwischen bedeutungsverwandten Konnektoren verwendet wird, abgesehen von vereinzelten guten, aber leider unsystematischen Anmerkungen. 8 Das reicht hingegen u.E. für das komplette Verständnis nicht, denn nicht alle Lernenden können mit der Klassifizierung umgehen: Für die semantischen Gebrauchsbedingungen ist Wissen über die Bedeutung semantischer Relationen wie kausal, konzessiv, adversativ, final (wahlweise: Ursache, Einräumung, Gegensatz, Zweck) gefragt, doch reicht dies nicht zur Differenzierung von Feldnachbarn wie aber, allein, allerdings, dagegen, dennoch, doch, freilich, jedoch, nur, obwohl, während, die hier exemplarisch für das Feld ‚Gegensatzrelation‘ stehen. Pragmatische Beschränkungen wie spezielle gesprächsrhetorische, textsortenspezifische und stilistische Eigenschaften kommen hinzu (Breindl 2004: 428). Eine semantische Klassifizierung sollte jedenfalls nur ein Mittel zum Zweck sein und nicht selbst das Ziel. Es sollten auch andere Mittel der Bedeutungserklärung genutzt werden, wie die Übersetzung in die Muttersprache der Lernenden (vgl. Ziel B2/ 2). Da normalerweise Lehrwerke nicht für Lernden derselben Muttersprache konzipiert sind, könnten die Verlage entweder Glossare als Zusatzmaterial 7 Deshalb plädieren wir in Anlehnung an Engel (2004) dafür, dass konsekutive Beziehungen nur durch den Subjunktor sodass/ so … dass ausgedrückt werden können und nicht durch Adverbkonnektoren wie deshalb usw., die nur als kausal eingestuft werden sollten. 8 Effizienter wäre es, diese Anmerkungen in einem zweisprachigen Konnektoren�Glossar zu integrieren oder eine offene Liste in den Anhang aufzunehmen, die neben der Bedeutungsklärung und Beispiel� sätzen auch Angaben zu Häufigkeit, Register, Stil und Textsorte sowie eine Spalte für die Übersetzung in die Muttersprache bereitstellt. <?page no="222"?> 222 Erich Huber, Almudena Mallo, Julia Brade anbieten oder Tabellen in den Lehrwerken integrieren, in die die Lernenden die entsprechenden Übersetzungen eintragen können. Ein weiteres Problem bei der semantischen Klassifizierung ist, dass Angaben zu Häufigkeits-, Register-, Stil- und textsortenspezifischen Unterschieden fehlen: obwohl vs. obgleich, respektive vs. beziehungsweise, also vs. folglich, es sei denn vs. außer, weil vs. da usf. Das Fehlen von sehr wichtigen Wörtern wie allerdings lässt sich v.a. dadurch erklären, dass sich nicht alle Wörter in eine einzige Klasse einordnen lassen, denn sie teilen semantische Merkmale von verschiedenen Gruppen. In diesem Fall spricht man nicht nur von einer adversativen Bedeutung, sondern auch von einer konzessiven. Wegen dieser Zwischenstellung vermeidet man seine Klassifizierung und Behandlung in den didaktischen Werken, was wiederum zeigt, dass die traditionelle Einteilung die semantische Vielfältigkeit der Konnektoren nicht umschließen kann. Noch schwieriger zu beantworten ist die Frage, warum im selben Lehrwerk der umfangreichen Klassifizierung der Konnektoren die Beschränkung auf lediglich vier Adverbialien-Typen gegenübersteht: temporal, kausal, modal und lokal. 9 Adverbkonnektoren und Subjunktorsätze (mit Ausnahme der Ergänzungssätze) sind schließlich Adverbialien, weshalb die Anzahl der semantischen Klassen übereinstimmen müsste, besonders weil in der Regel Konnektoren und Präpositionen für Umformungsübungen gegenübergestellt werden. 3 Die syntaktischen Gebrauchsbedingungen der Konnektoren Im Gegensatz zur u.E. übertrieben detaillierten semantischen Klassifizierung der Konnektoren scheint es eine gewisse Scheu vor einer klaren und terminologisch fixierten syntaktischen Klassifizierung zu geben. Das führt wiederum zu einer unzulänglichen Erklärung der syntaktischen Gebrauchsbedingungen der Konnektoren, d.h. deren möglicher Positionen im Satz und der damit verbundenen Bedeutungsnuancen bzw. der von den Konnektoren bewirkten Position des finiten Verbs. Dabei steht uns spätestens seit dem Erscheinen des ersten Bandes des H d K 2003 eine umfassende und umfassend begründete Klassifizierung zur Verfügung: 1 Nichtkonnektintegrierbare (konjunktionale) Konnektoren 1.1 Subjunktoren 1.2 Postponierer 1.3 Verbzweitsatz-Einbetter 9 Zur Problematik der in allen hier untersuchten Lehrwerken vorgefundenen tekamolo�Formel für die Reihenfolge der Adverbialien im Mittelfeld siehe Huber 2009. <?page no="223"?> 223 Grammatikvermittlung in D a F -Lehrwerken am Beispiel der Konnektoren 1.4 Konjunktoren 2 Konnektintegrierbare (adverbiale) Konnektoren 2.1 Nicht positionsbeschränkte Adverbkonnektoren 2.2 Nicht nacherstfähige Adverbkonnektoren 2.3 Nicht vorfeldfähige Adverbkonnektoren 3 Einzelgänger Zumindest für den DaF -Unterricht ist diese Differenzierung allerdings zu komplex und die Termini sind unzumutbar. Eine konsequente Unterscheidung zwischen Konjunktoren (in den Lehrwerken auch bezeichnet als Konjunktionen bzw. Hauptsatzkonnektoren), Subjunktoren (Subjunktionen, Nebensatzkonnektoren) und Adverbkonnektoren (Konjunktionaladverbien,Verbindungsadverbien) mit zusätzlichen Anmerkungen bei bestimmten Konnektoren, die derer bedürfen (z.B.: »kann nicht im Vorfeld stehen«) sollte für diese Zwecke ausreichen, wobei wir vorschlagen, die Termini Konjunktor, Subjunktor und Adverbkonnektor zu verwenden und das Wort Konjunktion zu vermeiden, weil es traditionell als Sammelbegriff für Konjunktoren und Subjunktoren gebraucht wird und deshalb zu Missverständnissen führen kann. Die folgenden Definitionen übernehmen wir von Granzow- Emden (2013) bzw. Métrich/ Faucher (2009): Konjunktoren »sind Einheiten, die ›nur‹ verbinden und nichts an der Satzstruktur verändern« (Granzow-Emden 2013: 86) bzw. (ein Konjunktor ist ein) »nichtvorfeldfähiger Konnektor, der die Nullposition besetzen kann und zumeist auch besetzt«. (Métrich/ Faucher 2009: XVI ) Subjunktoren »bewirken eine Verbletztstellung und signalisieren damit eine Abhängigkeit« von einem anderen Satz. (Granzow-Emden 2013: 86). Bei Métrich/ Faucher (2009: XIX ) werden diese einfach als »subordinierende Konjunktionen« bezeichnet, womit sich für sie eine nähere Definition anscheinend erübrigt. Adverbien können »als eigenständige Satzglieder […] unterschiedlichste Inhalte transportieren und nicht nur im Vorfeld, sondern auch im Mittel- oder Nachfeld erscheinen« (Granzow-Emden 2013: 104 f.). Zu den Adverbkonnektoren können auch die Pronominaladverbien gerechnet werden. Anstatt weitere syntaktische Subklassen wie Postponierer und Verbzweitsatz- Einbetter sowie diverse positionsbeschränkte Adverbkonnektoren einzuführen, kann es je nach Niveau genügen, bei den betroffenen Konnektoren die syntaktische Besonderheit zu vermerken, z.B. bei aber (auf Nullposition wie Konjunktoren), kausalem nämlich (nicht vorfeldfähig). 10 10 Postponierer (sodass, zumal, weshalb, wodurch etc.) können zu den Subjunktoren gezählt werden; mit dem jeweiligen Zusatz, dass die durch sie eingeleiteten Verbletztsätze nur nach dem Hauptsatz stehen können. Etwas schwieriger zu erklären sind die Verbzweitsatz-Einbetter (vorausgesetzt, angenommen etc.), weil sie zwar einen Satz mit Hauptsatzstruktur einleiten, dieser jedoch wiederum in einen weiteren Hauptsatz eingebettet ist: Vorausgesetzt, er will den Job überhaupt, kann er morgen beginnen. <?page no="224"?> 224 Erich Huber, Almudena Mallo, Julia Brade Ausgezeichnet eignen sich die kausalen/ konsekutiven Konnektoren für die Einführung eines Modells der syntaktischen Klassen, weil es von jeder syntaktischen Klasse zumindest einen wichtigen Vertreter gibt: denn, nämlich, deshalb, weil, da und wegen, wenn man Präpositionen zum Vergleich in eine Tabelle mitaufnehmen will. So wird das beispielsweise in Mittelpunkt neu B1.1 (S.17) gemacht, mit der Sequenz: Sprache im Mittelpunkt: Gründe im Haupt- und im Nebensatz 1. Lesen Sie folgende Sätze aus der Mail in 1a und markieren Sie jeweils den Satz bzw. Satzteil, in dem der Grund steht. 2. Schreiben Sie die Sätze in 2a in die Tabelle. 3. Markieren Sie in den Sätzen in 2b die Konnektoren und die konjugierten Verben und ergänzen Sie die Regeln. Zweiteilige Konnektoren werden sinnvollerweise in allen Lehrwerken als eigene Konnektorklasse behandelt, weil sie syntaktisch (und semantisch) zu zwei verschiedenen Klassen gehören können und somit doppelt zugeordnet werden müssten. Bereits im Anfängerunterricht sollte, sobald die Stellung des Verbs im deutschen Satz zur Sprache kommt, ein einheitliches Satzmodell, das auf dem Feldermodell mit der entsprechenden Terminologie (Vorfeld, Mittelfeld, Nachfeld) basiert, eingeführt werden und als Modell für die syntaktischen Beschreibungen auf allen Niveaus zur Verfügung stehen. 11 Dabei ist es wichtig, dass die verschiedenen Positionen - etwa der Adverbkonnektoren - im Satz nicht als willkürlich oder beliebig dargestellt werden, sondern ihre textgrammatische Funktion verdeutlicht wird, anstatt zu behaupten, dass »im Deutschen die Wortstellung im Satz bis auf die Position des Verbs relativ frei« (Aspekte 2, S. 11) sei, um trotzdem im Anschluss gleich einige zu beachtende Faustregeln festzulegen (Dativ-Ergänzung vor Akkusativ-Ergänzung, tekamolo zur Abfolge der Adverbialien im Mittelfeld nach semantischen Gesichtspunkten usw.). Während sich auch in den D a F -Lehrwerken die Termini Mittelfeld und Nachfeld (sofern letzteres überhaupt im Lehrwerk behandelt wird) durchgesetzt haben, wird das Vorfeld jedoch meist als Position 1 bezeichnet; vermutlich, weil man in der traditionellen und auch noch in den neueren Grammatiken übereinstimmend von der Zweitstellung/ Position 2 des finiten Verbs im Hauptsatz spricht - bzw. eben im Verbzweitsatz nach neuerer Terminologie 12 -, sowie von der Nullposition/ Nullstelle/ Position Null der Konjunktoren und es zwischen Null und Zwei logischerweise eine Eins geben muss. Weiter als bis zwei zählt allerdings nur em neu, wo im Mittel- 11 Wie Breindl (2004: 448) dagegen feststellt, »verzichten fast alle [Übungs]grammatiken auf das topolo� gische Feldermodell und verhindern so griffige Generalisierungen«. 12 Z. B. Granzow�Emden (2013: 98): »Die traditionelle Grammatik spricht hier von Nebensätzen - ein Ter� minus, der zusammen mit dem Terminus Hauptsatz ein unglückliches Paar bildet. Die Termini rufen falsche Assoziationen hervor, wie z. B. dass der Nebensatz das weniger Wichtige enthalten könnte. Mit der Unterscheidung von Verbzweit�, letzt� und �erstsätzen werden hingegen wesentliche Unter� schiede des Satzbaus, die auch funktional bedeutsam sind, strukturell beschrieben.« <?page no="225"?> 225 Grammatikvermittlung in D a F -Lehrwerken am Beispiel der Konnektoren feld auch noch »Position 3, 4…« (z.B. Hauptkurs B2: 53) angeführt sind. Dafür gibt es in em neu wiederum keine Nullposition. Wie problematisch diese übertriebene Durchnummerierung der Satzgliedpositionen sein kann, erweist sich in der Übung 2 der Lektion 6 im Arbeitsbuch (Hauptkurs: 74), wo Sätze in eine vorgegebene Satzbauplan-Tabelle eingetragen werden sollen, in der die Hauptsatzstruktur auch für Nebensätze gelten soll, womit Position 2 plötzlich nicht mehr für das finite Verb reserviert ist: Hauptsatz Konnektor Position 1 Position 2 Position 3, 4 Endposition Kathrin Schmoll besucht einen Lehrgang, denn sie will beruflich weiterkommen. Sie besucht einen Lehrgang, weil sie beruflich weiterkommen will. Position 1 impliziert andererseits im Gegensatz zu Vorfeld die wichtige Regel, dass auf dieser Position nur ein einziges Satzglied stehen darf. Dabei sind die beiden Begriffe nicht unbedingt Synonyme, z.B. wenn es in Erkundungen B2 (S.119) heißt: »Bei Ja-Nein-Frage steht Verb auf Position 1! « Denn das Verb steht hier nicht im Vorfeld; vielmehr hat die Ja-Nein-Frage - wie auch der Verbletztsatz - ganz einfach kein Vorfeld, weshalb sie mit dem Verb beginnt. Wie man an diesem Beispiel sieht, können ein bestimmtes Modell und eine bestimmte Terminologie unterschiedliche Regeln nach sich ziehen. Noch problematischer und auch erstaunlicher als die terminologische Unklarheit ist die Tatsache, dass in den Lehrwerken die Funktion des Vorfelds (als Konnexionsfeld) gar nicht oder falsch erklärt wird. Wie in Ziel C1/ 1 (S. 81): Auf einer Grammatikseite zur »Stelle vor dem Verb« wird unterschieden zwischen »normalen Wortstellungsvarianten (ohne besondere Betonung)« mit Subjekt oder einer Zeitangabe im Vorfeld und »Wortstellungsvarianten mit besonderer Betonung« mit »unbestimmtem Objekt« bzw. dem »nominale[n] Teil einer Nomen-Verb-Verbindung« im Vorfeld. Die kontextlosen Beispielsätze klingen fast absurd: »Neue Schuhe kaufe ich mir morgen« (Das Beispiel »Ich kaufe mir morgen neue Schuhe« stand für die »normale« Besetzung mit dem Subjekt). Da sonst nicht erklärt wird, welche Funktion das Vorfeld hat (unabhängig davon, ob es betont ist oder nicht), scheint die Hauptfunktion eben jene der Hervorhebung zu sein. Dies wird mit Hörübungen (S. 77 und AB S. 110) - »In welchen Sätzen wird der Satzteil vor dem Verb besonders betont? « - noch verstärkt. Einerseits wird also das unbetonte Vorfeld als »normal« bezeichnet, andererseits sollen die Lernenden aber auf die betonten Vorfelder achten bzw. solche sogar produzieren. <?page no="226"?> 226 Erich Huber, Almudena Mallo, Julia Brade In studio d (B2/ 1: 68) muss diese falsche Regel sogar zur besseren Einprägung von den Lernenden ergänzt werden (Ergänzungen in eckigen Klammern): »Wenn ein [Satzglied] betont werden soll, steht es oft auf [Position 1].« In Wirklichkeit ist es nämlich genau umgekehrt: Unter kommunikativen Gesichtspunkten stehen in der unmarkierten Rede im Vorfeld gewöhnlich die Teile des Satzes, die Hintergrundinformation darstellen. Das ist dann eine bekannte bzw. im Vortext oder dem direkt vorangehenden Satz eingeführte Information. ( H d K , S. 69) Mit folgendem einfachen Modell in Anlehnung an Granzow-Emden lassen sich auch komplexe Satzstrukturen visualisieren: Vorfeld Verbfeld 1 Mittelfeld Verbfeld 2 Nachfeld Subjunktor Mittelfeld Verbfeld Nachfeld Des Weiteren wird die Hintergrundbzw. Konnexionsfunktion von Vorfeld und Verb 1 einerseits und Subjunktor andererseits ersichtlich; und schließlich auch die meist vernachlässigte Tatsache, dass Verbletztsätze zwar wie Verbzweitsätze über ein Nachfeld verfügen können, jedoch kein Vorfeld besitzen. Während bei Konjunktoren und Subjunktoren die terminologische Unterscheidung bereits die syntaktischen Gebrauchsbedingungen mitliefert, weil sie ja per Definition jeweils nur eine einzige Position im Satz einnehmen können, muss für die Adverbkonnektoren ein anschauliches Modell zur Verfügung gestellt werden. Vage Angaben wie in Auf neuen Wegen (S.39): »Sehr variable Position, je nachdem, ob sie sich eher auf ein einzelnes Wort oder z.B. den ganzen Satz beziehen« helfen den Lernenden kaum. Das darauf folgende Schema enthält noch dazu ein unkommentiertes Beispiel für adversative Adverbkonnektoren in (nicht benannter bzw. erklärter) Nacherstposition mit einem Infinitiv in Erstposition (Sie wollen Kinder, heiraten aber/ jedoch/ hingegen/ dagegen wollen sie nicht.) Kontraproduktiv ist es auch, wenn (z.B. in Erkundungen B2) alle Beispielsätze in einer nach semantischen Klassen geordneten Liste durchwegs mit dem Adverbkonnektor im Vorfeld beginnen. Auch wenn es hier explizit nur um die Bedeutung und nicht um die Position geht, so wird doch implizit vermittelt, dass dies die einzige »normale« Position ist. Im D a F -Unterricht empfehlen wir spätestens ab B2 die Unterscheidung zwischen Extraposition und Nullposition (Konjunktoren). Im H d K wird dies nicht gemacht, weshalb einerseits die Klassifizierung und Definition der Konjunktoren von <?page no="227"?> 227 Grammatikvermittlung in D a F -Lehrwerken am Beispiel der Konnektoren der Tradition abweicht 13 - vgl. die mnemotechnische ADUSO -Formel für »aber - denn/ doch - und - sondern - oder« - und andererseits beispielsweise der syntaktische (und semantische) Unterschied zwischen Sätzen wie Allerdings: Ich würde es nicht überall herumerzählen und Aber ich würde es nicht überall herumerzählen nicht erklärt werden kann. Deshalb folgen wir hier Métrich/ Faucher: Extraposition: Position vor dem Satz, von diesem durch ein Komma oder einen Doppelpunkt - in gesprochener Sprache einer Pause oder einem Intonationsbruch entsprechend - getrennt. […] Nullposition: Position vor dem Satz, also vor dem Vorfeld (in Sätzen mit Verbzweit) oder vor dem Verberst (in Sätzen ohne Vorfeld), durch kein Satzzeichen (bzw. Pause oder Intonationsbruch) vom Satz getrennt. Die Nullposition ist für Konjunktionen typisch. (Métrich/ Faucher 2009: XVII ) Während die Vorerstposition als »Fokuspartikelposition« für Konnektoren irrelevant und deshalb auch in Lehrwerken vernachlässigt werden kann, ist die Nacherstposition vor allem bei den adversativen Adverbkonnektoren unbedingt zu erwähnen. Aber einzig in Mittelpunkt neu B2/ 2 (AB: 94) ist diese Position zumindest als syntaktische Besonderheit erwähnt und erklärt: »Wenn der Gegensatz besonders betont werden soll, können aber/ jedoch/ dagegen zusammen mit dem Element im 2. Satz, das betont werden soll, auf Position 1 stehen.« Allerdings wird auch hier diese Position nicht (z.B. als Nacherstposition) benannt. Zusammenfassend schlagen wir daher das Schema auf der folgenden Seite für die möglichen Positionen von Adverbkonnektoren vor, ergänzt mit einigen Anmerkungen. Und wir schließen uns der Ansicht von Eva Breindl (2004: 447) an, wobei ihre Feststellung leider auch noch zehn Jahre nach ihrer Formulierung gültig und auf die D a F -Lehrwerke übertragbar ist: Insbesondere in der Beschreibung der Stellungseigenschaften sind die untersuchten Grammatiken defizitär. Hier wäre eine systematische Darstellung, die Koordination, Subordination und Position von Adverbien in ein einheitliches auch grafisch visualisiertes topologisches Feldermodell bringt, wünschenswert. 13 Im Glossar in Métrich/ Faucher (2009), das dem Buch vorangestellt ist, wird der Terminus Konjunktion mit zwei Konnektoren und einem Beispielsatz illustriert: Aber/ Denn es war zu spät. Im HdK ist aber als nicht vorfeldfähiger Adverbkonnektor klassifiziert und denn als Einzelgänger. <?page no="228"?> 228 Erich Huber, Almudena Mallo, Julia Brade Vor dem Satz Vorfeld Verb 1 Mittelfeld Verb 2 Nachfeld Extraposition Nullposition Vorerstp. Erstposition Nacherstp. Mittelfeld Allerdings würde ich es nicht überall herumerzählen. Ich würde es allerdings nicht überall herumerzählen. Ich allerdings würde es nicht überall herumerzählen. Allerdings: Ich würde es nicht überall herumerzählen. Er ist immerhin dein Vater! Immerhin ist er älter als du! Immerhin 50 Euro brachte er zusammen. 50 Euro immerhin brachte er zusammen. Immerhin: Sie wollen Veränderung! Aber ich würde es nicht überall herumerzählen. • Am häufigsten stehen Adverbkonnektoren im Vorfeld (Erstposition) bzw. im Mittelfeld. • Adversative Konnektoren (aber, allerdings, jedoch, dagegen, hingegen) stehen auch relativ oft in Nacherstposition. • Auf Vorerstposition (und Nacherstposition) stehen sog. Fokuspartikeln bzw. fokussierende Konnektoren, die das Element in Erstposition hervorheben. • Auf Nullposition stehen ausschließlich Konjunktoren (und, denn, doch, sondern, oder) und der Adverbkonnektor aber. • Nach der Extraposition kommt in der gesprochenen Sprache eine deutlich wahrnehmbare Pause, die schriftlich durch ein Komma bzw. besser durch einen Dop� pelpunkt gekennzeichnet wird. • Die Extraposition ist charakteristisch für die gesprochene Umgangssprache und wird daher in der geschriebenen Sprache selten verwendet. <?page no="229"?> 229 Grammatikvermittlung in D a F -Lehrwerken am Beispiel der Konnektoren 4 Sprachdidaktische Überlegungen zu Übungen und Aufgaben In den untersuchten Lehrwerken 14 lässt sich das gesamte Spektrum an Übungsformen vorfinden: gemäß der im grammatikdidaktischen Diskurs anerkannten Stufung von Grammatikübungen von der Erstbegegnung bis zur freien Anwendung stehen zu Beginn kognitivierende Aufgaben mit selbstständiger Regelherleitung nach dem Prinzip S-O-S 15 (ausgenommen das Lehrwerk Erkundungen, in dem die Erklärungen und Regeln im separaten Grammatikteil komplett präsentiert werden). Nach den Kognitivierungsaufgaben folgen meist reproduktive und strukturbetonte Aufgaben (Umformen, Umstellen, Sätze mit Konnektoren bilden / verbinden, Zuordnen, Ergänzen) sowie produktive Schreib- und Sprechaufgaben. Allerdings lässt sich zwischen reproduktiven und produktiven Aufgaben tendenziell kein ausgewogenes Verhältnis feststellen: reproduktive Übungen liegen klar in der Überzahl. Und innerhalb dieser eher formfokussierenden Aufgaben treten Umformungsübungen am häufigsten auf. Das Problematische an diesen Übungen sind die meist fehlenden Erklärungen bzw. die fehlenden kommunikativen Anlässe zur Umformung oder Umstellung. Ein Grund für die Häufigkeit könnte die Notwendigkeit für Prüfungsvorbereitungen sein, da viele Institutionen das Format Umformung (z.B. Nominalisierungen) in Mittelstufe-Prüfungen verwenden. 16 Ebenso wahrscheinlich ist, dass einfach das übernommen wird, was schon immer geübt wurde. Zudem sind diese klassischen Übungsformen sowohl leicht zu erstellen als auch leicht zu korrigieren. Unverständlich bleibt dennoch, warum nicht mehr produktive Aufgaben (bzw. reproduktive, aber in denen die Lernenden mental herausgefordert werden) in den Lehrwerken erscheinen; zumal es ein Einfaches wäre, bspw. an die formfokussierenden Konnexionsübungen auf die Realität der Lernenden bezogene Aufgabenstellungen anzuschließen, wie es gemäß unserer Analyse jedoch nur sehr wenige Lehrwerke tun. Positive Beispiele befinden sich u.a. in Ziel B2 (merkwürdigerweise jedoch nicht C1) mit einfachen, aber für ein langfristiges Behalten wichtigen Zusätzen und Aufgabenstellungen, wie z.B. zu je … desto: »Formulieren Sie mit den Ausdrücken Beispiele aus Ihrer eigenen Erfahrung« (Ziel B2/ 2, AB : 103). Eine andere Möglichkeit wäre, formfokussierende Aufgaben so zu konstruieren, dass den Lernenden bewusste Entscheidungen oder Problemlösungen abverlangt 14 Für die methodisch�didaktische Analyse haben wir uns v. a. an den Kriterien und Prinzipien für Gram� matikübungen von Raabe (2003) orientiert. 15 Sammeln - Ordnen - Systematisieren (vgl. Funk/ Koenig 1991: 124), bzw. auch: Lokalisieren, Kategori� sieren und Regel ergänzen. 16 Auch Kieweg (2009: 184) konstatiert: »Zahlreiche Übungen in den Lehrwerken sind eher den Testauf� gaben als den Lernaufgaben zuzuordnen«, was wiederum einen negativen Backwash�Effekt bewir� ken kann (vgl. Demmig 2010: 22 f.). <?page no="230"?> 230 Erich Huber, Almudena Mallo, Julia Brade werden, im Sinne einer besseren Verankerung im Gehirn. Ein gelungenes Beispiel kommt in studio d B2/ 1 (S. 94) vor: Welcher Konnektor passt? Verbinden Sie die Sätze wie im Beispiel und diskutieren Sie. Bsp.: Ich arbeite viel. Ich bin glücklich. ➞ Trotzdem bin ich glücklich. oder: Deshalb bin ich glücklich. In zwei Sprechblasen folgt: a) Ich finde »trotzdem« besser. Das bedeutet, dass meine Arbeit mir nicht die gute Laune nehmen kann. b) Aber »deshalb« passt auch. Das heißt dann, dass mich meine Arbeit glücklich macht. Neben dem tendenziell eher mechanischen Üben fällt in den reproduktiven Übungen zudem die klare Tendenz auf, dass das Übungsangebot vorrangig aus isolierten, teilweise sogar entkontextualisierten Sätzen besteht. Dies ist im Falle der Exklusivität beim Üben aller grammatischen Phänomene problematisch, besonders fraglich 17 allerdings beim Üben der Konnexion. Auffallend sind bspw. die ausschließlich isolierten Sätze ohne Themenzusammenhang untereinander im Grammatikteil in Erkundungen, die auch kaum Bezug zum Lektionsthema haben. In anderen Lehrwerken lässt sich zumindest ein Bemühen feststellen hin zu mehr Kontextualisierung. Wichtig wären aber zudem Übungsformen, in denen größere Kontextualisierungen z.B. in Form von Dialogen geschaffen werden. Außerdem könnte man die Lernenden nach strukturbetonten Übungen mit isolierten Sätzen auffordern, zu diesen einen Kontext zu konstruieren (sowohl mündlich als auch schriftlich), bspw. einen Dialog zu erstellen, in dem der Übungssatz enthalten ist. Ein weiterer Übungstyp, der nur sehr vereinzelt in Lehrwerken auftaucht, obwohl er einfach zu konstruieren wäre sowie mental herausfordert, ist die Fehleranalyse und -korrektur, wie z.B. in der B2-Prüfung des Goethe Instituts. Statt in isolierten Sätzen (studio d B2/ 1; Ziel B2/ 1) könnte man typische Konnexionsfehler in einem Text (z.B. in einem Brief wie in em neu B2/ 1: 46) oder noch handlungsorientierter in Texten von Lernenden analysieren und verbessern lassen. Nicht ein einziges Mal taucht bei der Lehrwerkanalyse zur Konnexion das »Entwerfen von Übungen für andere« auf, obwohl dies ebenfalls ein hervorragendes kognitivierendes Übungsformat ist. Damit im Zusammenhang stehen die sparsamen Übungen in Partner- oder Gruppenarbeit. Einige wenige Übungen lassen sich in em neu B2, Aspekte C1, Mittelpunkt B2/ 2, studio d B2, Auf neuen Wegen und Ziel B2 finden. Ein gutes und einfach zu konstruierendes Beispiel bietet Aspekte C1 ( KB : S. 31): Nach der Regelergänzung zu »weiterführenden Nebensätzen« mit wo(r)… sowie weshalb/ weswegen gibt Person A einen Hauptsatz vor (z.B. Ich 17 Oder sogar kontraproduktiv, da Konnektoren nicht nur Satzverknüpfer, sondern auch Textverknüpfer sind. <?page no="231"?> 231 Grammatikvermittlung in D a F -Lehrwerken am Beispiel der Konnektoren arbeite jetzt in einer anderen Abteilung, …), den Person B vervollständigen soll ( … worüber ich mich sehr freue.). Danach wird getauscht. Neben dem Ungleichgewicht zwischen reproduktiven und produktiven Übungen fällt auch ein unausgewogenes Verhältnis innerhalb der Fertigkeiten auf, wobei Sprech- und vor allem Hörübungen klar unterrepräsentiert sind. Relativ viele Hörübungen zu Konnektoren gibt es noch in Ziel, nur ganz wenige in Aspekte und studio d B2; in den restlichen Lehrwerken werden überhaupt keine angeboten. Und in Erkundungen wird selbst auf Sprechübungen verzichtet. Übungen zum Hör-Seh-Verstehen gibt es gar keine, wobei sich Filme doch besonders anböten wegen des durch Bild und Ton per se vorhandenen Kontextes. Innerhalb der Hörübungen kommen häufig Hör-/ Nachsprech-Übungen zur Aussprache und Betonung der Konnektoren vor. Hier ist auffallend, dass die unterschiedliche Betonung kaum thematisiert wird und die Sätze zudem unzureichend kontextualisiert werden (v.a. isolierte Sätze, keine Dialoge). So auch in den wenigen »klassischen Hörübungen«: Es wurde nur eine gefunden, in der die »Betonung durch Wortstellung« (im Sinne von Hervorhebung) thematisiert wird (Ziel B2/ 1, AB : 123, zu aber, dagegen, jedoch). Aber auch hier fehlt jegliche Angabe, wann, wo und weshalb betont werden muss und ob bzw. was die Stellung der Adverbkonnektoren damit zu tun hat. In der folgenden Übung zu den verschiedenen Bedeutungen von allerdings sollen die Sätze zwar angehört werden; jedoch wird die Bedeutungsänderung durch die unterschiedliche Betonung weder in der Übung selbst noch in den vorherigen thematisiert: Hören und lesen Sie die Sätze. Was bedeutet allerdings im Kontext der Sätze? Ordnen Sie zu. a) aber b) tatsächlich, wirklich / Da hast du recht. 1 [ ] Mir ist allerdings nicht ganz klar, wie das passieren konnte. 2 [ ] Interessant als Ergebnis dieser Studie ist, dass die Jugendlichen allerdings in ihrer Mehrheit wissen, wie gute Ernährung aussehen sollte. (Beispiele 3-7 folgen) Ziel C1/ 2, AB: 96, Hervorhebung der Betonung durch die Autor/ innen Die Übung ist durchaus sinnvoll. Allerdings sollte darauf hingewiesen werden, worauf die Lernenden achten müssen, z.B. durch den Zusatz: »Markieren Sie den Wortakzent in allerdings« und der anschließenden Regelherleitung, nach der klar würde, dass allerdings mit affirmativer Bedeutung immer auf der letzten Silbe betont wird und mit adversativer Bedeutung in der Regel auf der ersten Silbe (in Extraposition oder Vorfeld vereinzelt auch auf der letzten). Meist trägt das adversative allerdings jedoch nicht den Satzakzent, wie Beispiel 1 zeigt, sodass der Wortakzent von allerdings kaum herauszuhören ist. <?page no="232"?> 232 Erich Huber, Almudena Mallo, Julia Brade Auffallend ist in allen Hörübungen, dass sie ausschließlich isolierte Sätze benutzen. Die Kontextualisierungsmöglichkeiten, die Hörtexte in sich bergen, z.B. in Form von Dialogen oder anderen authentischen längeren Textsorten, werden nicht genutzt. Eine gute offene Sprechübung wird z.B. in Auf neuen Wegen (S. 27) angeboten: Nach einer Umfrage über deutsche Jugendliche soll mit Hilfe vorgegebener Redemittel (z.B. dagegen/ hingegen; doch; während; jedoch) über die Ursachen für die unterschiedliche Wertung deutscher Jugendlicher und der Lernenden diskutiert werden. Obwohl es eine klassische und einfach zu konstruierende Übung ist, bleibt es bei dieser einen Sprechübung im ganzen Buch. Durch eine ähnliche Dürftigkeit zeichnen sich Mittelpunkt neu und em neu aus. studio d B2 und v.a. Ziel bieten eine etwas breitere Palette an. Schreib- und Übungen zum Leseverständnis (bzw. beides kombiniert) kommen zwar insgesamt häufiger vor, jedoch gibt es nur wenige qualitativ gute, d.h. handlungsorientierte, kontextualisierte Übungen mit authentischen oder glaubwürdig konstruierten Texten. In einer gelungenen (geschlossenen) Einsetzübung in Aspekte 2 (AB: 36) sollen in einer E-Mail an eine Freundin vorgegebene Konnektoren in Lücken eingesetzt werden. Die Übung besticht zum einen durch das interessante Thema (Entwicklung von Teamgeist durch Teambuilding-Events), zum anderen ist es ein kohärenter und glaubwürdig konstruierter Text mit Konnektoren aus verschiedenen semantischen Klassen. Für anwendungsorientierte halboffene Schreibübungen gibt es kaum Belege; ein klassisches Beispiel taucht in em neu B2/ 2 (S. 123) auf. Nach der Thematisierung der Konnektoren innerhalb des Themas Stressbewältigung sollen mit vorgegebenen Satzanfängen Sätze gebildet werden: »Ich esse (manchmal/ nie) Fastfood, obwohl …«; »Anstatt mir eine Pause zu gönnen, …«. Dieses Übungsformat könnte tatsächlich häufiger eingesetzt werden. Offene Schreibaufgaben zu Konnektoren (längere Stellungnahmen, Tagebucheinträge, Geschichten schreiben etc.) sind zwar relativ zahlreich, aber wie bereits erwähnt oft ohne die nötigen Hilfestellungen und Erklärungen. Einen guten Ansatz bieten die kleinen Regelkästen zu bestimmten Konnektoren im Arbeitsbuch von Mittelpunkt neu. Statt jedoch vereinzelt und nur einer bestimmten Aufgabe zugeordnet, wären sie u.E. besser in Form einer systematischen Übersicht im Anhang des Lehrwerks angesiedelt. In den entsprechenden Aufgaben könnte jederzeit darauf verwiesen werden und die Lernenden hätten einen schnellen Zugriff. 5 Schlussfolgerungen Granzow-Emden (2013: 16) meint, dass im Gegensatz zum muttersprachlichen Deutschunterricht »in der D a Z - und D a F -Didaktik […] die Freiheit [besteht], schlüssigere Darstellungen der Grammatik hinzuzuziehen oder zu entwickeln«. <?page no="233"?> 233 Grammatikvermittlung in D a F -Lehrwerken am Beispiel der Konnektoren Wir können nach unserer Untersuchung der Konnektoren in Lehrwerken nur zum Teil zustimmen. Es mag zwar stimmen, dass D a F -Lehrwerkautor/ innen sich stärker an den Lernenden als Endabnehmer/ innen orientieren, was jedoch - wie wir am Bsp. der Konnektoren gesehen haben - nicht automatisch heißen muss, dass die Darstellung tatsächlich so schlüssig ist, dass sie zum Erwerb beiträgt. Als Alternative zur übertrieben ausführlichen semantischen Klassifizierung schlagen wir vor, den Lehrwerken entweder ein zweisprachiges Konnektoren- Glossar beizulegen oder eine offene Tabelle in den Anhang aufzunehmen, die neben der Bedeutungsklärung und Beispielsätzen auch Angaben zu Häufigkeit, Register, Stil und Textsorte enthält. Für die Vermittlung der syntaktischen Gebrauchsbedingungen wäre in erster Linie eine terminologische Einigung der diversen Modelle auf die Begriffe Konjunktoren, Subjunktoren und Adverbkonnektoren wünschenswert. In der Folge sollten diesen drei Konnektorenklassen ebenso klare Stellungsregeln zugeordnet werden. In Bezug auf das Aufgabenangebot lassen sich durchaus positive methodischdidaktische Ansätze feststellen, die allerdings konsequenter umgesetzt werden müssten. Allgemein fehlt es den Übungen an Kontextualisierung sowie Handlungsorientierung; anstelle der überwiegend strukturbetonten Übungen mit isolierten Sätzen sollten häufiger kommunikative Übungen eingesetzt werden, die auf längeren authentischen Texten basieren. Die unterrepräsentierte gesprochene Sprache sollte sich in mehr Hör-/ Sehsowie Sprechübungen widerspiegeln. Bibliographische Angaben D a F -Lehrwerke Aspekte 2 - Lehrbuch 2 (B2), von Koithan, Ute et al., Berlin: Langenscheidt, 2008 Aspekte 2 - Arbeitsbuch 2 (B2), von Koithan, Ute et al., Berlin: Langenscheidt, 2008 Aspekte 3 - Lehrbuch 3 (C1), von Koithan, Ute et al., Berlin: Langenscheidt, 2010 Aspekte 3 - Arbeitsbuch 3 (C1), von Koithan, Ute et al., Berlin: Langenscheidt, 2010 Auf neuen Wegen. Deutsch als Fremdsprache für die Mittelstufe und Oberstufe, von Willkop, Eva-Maria et al., Ismaning: Hueber, 2003 em neu Hauptkurs (B2/ 1) Kursbuch + Arbeitsbuch. 2., aktualisierte Auflage, von Perlmann-Balme, Michaela et al., Ismaning: Hueber, 2007 em neu Hauptkurs (B2/ 2) Kursbuch + Arbeitsbuch. 2., aktualisierte Auflage, von Perlmann-Balme, Michaela et al., Ismaning: Hueber, 2007 em neu Abschlusskurs (C1/ 1) Kursbuch + Arbeitsbuch, von Perlmann-Balme, Michaela et al., Ismaning: Hueber, 2008 <?page no="234"?> 234 Erich Huber, Almudena Mallo, Julia Brade em neu Abschlusskurs (C1/ 2) Kursbuch + Arbeitsbuch, von Perlmann-Balme, Michaela et al., Ismaning: Hueber, 2008 Erkundungen B2 - integriertes Kurs- und Arbeitsbuch, von Buscha, Anne et al., Leipzig: Schubert, 2012 Erkundungen C1 - integriertes Kurs- und Arbeitsbuch, von Buscha, Anne et al., Leipzig: Schubert, 2013 Mittelpunkt neu B2/ 1 - Lehr- und Arbeitsbuch, von Sander, Ilse et al., Stuttgart: Klett, 2012 Mittelpunkt neu B2/ 2 - Lehr- und Arbeitsbuch, von Sander, Ilse et al., Stuttgart: Klett, 2012 Mittelpunkt neu C1 -Lehrbuch, von Sander, Ilse et al., Stuttgart: Klett, 2013 Mittelpunkt neu C1 - Arbeitsbuch, von Sander, Ilse et al., Stuttgart: Klett, 2013 studio d B2/ 1 - Kurs- und Übungsbuch, von Kuhn, Christina et al. Berlin: Cornelsen, 2010 studio d B2/ 2 - Kurs- und Übungsbuch, von Kuhn, Christina et al. Berlin: Cornelsen, 2011 Ziel B2/ 1 - Kursbuch, von Dallapiazza, Rosa-Maria et al., Ismaning: Hueber, 2008 Ziel B2/ 1 - Arbeitsbuch, von Dallapiazza, Rosa-Maria et al., Ismaning: Hueber, 2008 Ziel B2/ 2 - Kursbuch, von Dallapiazza, Rosa-Maria et al., Ismaning: Hueber, 2009 Ziel B2/ 2 - Arbeitsbuch, von Dallapiazza, Rosa-Maria et al., Ismaning: Hueber, 2009 Ziel C1/ 1 - Kursbuch, von Dallapiazza, Rosa-Maria et al., Ismaning: Hueber, 2010 Ziel C1/ 1 - Arbeitsbuch, von Dallapiazza, Rosa-Maria et al., Ismaning: Hueber, 2010 Ziel C1/ 2 - Kursbuch, von Dallapiazza, Rosa-Maria et al., Ismaning: Hueber, 2011 Ziel C1/ 2 - Arbeitsbuch, von Dallapiazza, Rosa-Maria et al., Ismaning: Hueber, 2011 Sekundärliteratur Barkowski, Hans / Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.) (2010): Fachlexikon Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Tübingen/ Basel: A. Francke ( UTB ) Bausch, Karl-Richard / Christ, Herbert / Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.) (2003): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Vierte, vollständig neu bearbeitete Auflage. Tübingen: Francke Brade, Julia / Huber, Erich / Mallo, Almudena (2013): »Nämlich, zwar, allerdings … Sobre la dificultad de encontrar las equivalencias españolas de ciertos conectores alemanes«. In: Contreras / Labarta / Giménez (Hrsg.): a.a.O., S. 118-129 Breindl, Eva (2004): »Konnektoren in Übungsgrammatiken«. In: Kühn (Hrsg.): a.a.O., S. 426-458 Contreras, Josefa / Labarta, María / Giménez, Ana (Hrsg.) (2013): Performanz in Deutsch als Fremd- und Fachsprache, Linguistik und Kulturwissenschaften, Madrid: Hueber Demmig, Silvia (2010): »Backwash-Effekt«. In: Barkowski/ Krumm (Hrsg.): a.a.O., S. 22 f. <?page no="235"?> 235 Grammatikvermittlung in D a F -Lehrwerken am Beispiel der Konnektoren Di Meola, Claudio / Gaeta, Livio / Hornung, Antonie / Rega, Lorenza (Hrsg.) (2009): Perspektiven Drei. Akten der 3. Tagung Deutsche Sprachwissenschaft in Italien (Rom, 14.-16.2.2008). Frankfurt/ Main u.a.: Lang (=Deutsche Sprachwissenschaft international) Engel, Ulrich (2004): Deutsche Grammatik. Neubearbeitung. München: Iudicium. Faistauer, Renate (2005): »Methoden, Prinzipien, Trends? - Anmerkungen zu einigen methodischen Grundsätzen für den Unterricht von Deutsch als Fremdsprache«. In: ÖD a F -Mitteilungen, Sonderheft (August 2005), S. 8-17 Funk, Hermann / Koenig, Michael (1991): Grammatik lehren und lernen. Fernstudieneinheit 1. Berlin, München: Langenscheidt Grammis online: http: / / hypermedia.ids-mannheim.de (letzter Zugriff: 13. 04. 2014) Granzow-Emden, Matthias (2013): Deutsche Grammatik verstehen und unterrichten. Eine Einführung. Tübingen: Narr Francke Hallet, Wolfgang / Königs, Frank G. (Hrsg.) (2010): Handbuch Fremdsprachendidaktik, Seelze-Velber: Klett/ Kallmeyer Huber, Erich (2009): »Vom Text zum Teekamel oder: das Scheitern der angewandten Linguistik bei der Erklärung der deutschen Mittelfeld-Struktur«. In: Di Meola/ Gaeta/ Hornung/ Rega (Hrsg.): a.a.O., S.91-102 Huber, Erich (2013): »Von der Konnexion im Text und dem Text ohne Konnexion. Authentische Sprache in Übungsgrammatiken und Grammatikübungen«. In: Contreras/ Labarta/ Giménez (Hrsg.): a.a.O., S. 143-154 Kieweg, Werner (2010): »Übungsformen«. In: Hallet/ Königs (Hrsg.): a.a.O., S. 182-186 Kühn, Peter (Hrsg.) (2004): Übungsgrammatiken Deutsch als Fremdsprache. Linguistische Analysen und didaktische Konzepte. Regensburg: F a D a F Métrich, René / Faucher, Eugène (2009): Wörterbuch deutscher Partikeln. Unter Berücksichtigung ihrer französischen Äquivalente. Berlin: de Gruyter Pasch, Renate / Brauße, Ursula / Breindl, Eva / Waßner, Ulrich Hermann (2003): Handbuch der deutschen Konnektoren. Berlin: de Gruyter Raabe, Horst (2003): »Grammatikübungen«. In: Bausch/ Christ/ Krumm (Hrsg.): a.a.O., S. 283-287 <?page no="237"?> Silke Mentchen, Annemarie Künzl-Snodgrass (Cambridge) Just-in-Time-Grammar: eine Zwischenbilanz Die hier beschriebene Online-Übungsgrammatik für Deutsch als Fremdsprache 1 ist frei zugänglich und richtet sich vor allem an Studierende auf dem Niveau B1. Sie kann aber auch von motivierten Studierenden auf einem niedrigeren Niveau genutzt werden - oder von Studierenden auf einem höheren Niveau (B2 und C1), die ihre Grammatikkenntnisse auffrischen möchten. Die erste Phase der Programmentwicklung ist abgeschlossen. In einer zweiten Phase werden die technischen Möglichkeiten erweitert und das Programm an Tablets und Smart Phones angepasst. Außerdem werden sechs neue Einheiten gestaltet. 1 Unsere theoretischen Voraussetzungen Studierenden in Großbritannien stehen in ihrem ersten Jahr an der Universität ca. 100 Stunden Sprachunterricht weniger zur Verfügung als in der Oberstufe der Schule (vgl. Klapper 2006: 158). Deshalb ist es sehr wichtig, dass sie genug Autonomie entwickeln, um durch selbstbestimmtes Lernen ihre Sprachkompetenzen weiter zu entwickeln. In unserer Erfahrung als DaF-Lehrende hat sich gezeigt, dass Studierende mit sehr unterschiedlichen Kenntnissen an die Universität kommen. Heterogenität ergibt sich nicht zuletzt durch die Vielfalt der Schulformen in GB und die unterschiedlichen Anforderungen, die für das A-Level von den britischen Examination Boards gestellt werden. Das macht einen echten Vergleich in der Praxis nicht so leicht möglich, 2 obwohl die für die Zulassung an der Universität nötige Qualifikation, das so genannte A-Level, ein solch vergleichbares Niveau suggeriert, indem es auf dem Papier allen Studienanfänger/ innen das Sprachniveau (B2) zertifiziert. Den Studierenden, die dies wünschen oder brauchen, sollten deshalb möglichst viele Gelegenheiten geboten werden, die Grundgrammatik des Deutschen zu üben. Dabei wollten wir gleich mehrere pädagogische Fliegen mit einer Klappe schlagen: Einerseits möchten wir den Studierenden vermitteln, wie sie lernen können, sich selbst zu helfen (Prinzip der Lernerautonomie). Autonomie, im Sinne von Klapper (2006: 159) »requires students to be self reflective and to evaluate the effectiveness of what they are doing«. 1 Wir danken dem Team im Cambridge University Language Centre, insbesondere der damaligen Di� rektorin Anny King, den Developern Dr. Christoph Zähner und Jan Wong sowie dem Designer John Wilcox für konstruktive Kritik und Beratung seit den Anfängen des Projekts im Jahr 2005. Hinweise zum Herunterladen des Programms sind in der Bibliographie. 2 Aus ähnlichen Überlegungen entstand auch unser erstes gemeinsames Projekt, das Übungsbuch Up� grade Your German. <?page no="238"?> 238 Silke Mentchen, Annemarie Künzl-Snodgrass Andererseits sollten die Übungen unterschiedliche Lernertypen ansprechen. Außerdem sollten nicht einfach nur Grammatikübungen, die man genauso gut auf dem Papier machen könnte, in das elektronische Medium übertragen werden. Basierend auf unserer langjährigen Erfahrung als Lehrende, Prüferinnen und Produzentinnen von Lehrmaterial im DaF-Bereich haben wir einen Ansatz entwickelt, bei dem wir durch Kombination und Variation möglichst viele verschiedene Lernende ansprechen möchten. Bei der Konzeption denken wir zunächst immer an die eigenen Studierenden vor Ort, mittlerweile aber wird das Programm von vielen Lernenden weltweit benutzt, da es online frei zugänglich ist. In den folgenden Abschnitten möchten wir zunächst unseren pädagogischen Ansatz kurz erläutern und dann erklären, welche Konsequenzen dieser Ansatz für die Konzeption des Programms hatte. In Abschnitt 2 erklären wir, wie sich beide Ansätze in der Praxis auf das Design der einzelnen Einheiten des Programms ausgewirkt haben. In Abschnitt 3 werden wir kurz die technischen Bedingungen für das Programm darlegen, um dann die theoretischen Überlegungen anhand der Beschreibung einer exemplarischen Einheit zu illustrieren. 1.1 Pädagogische Überlegungen John Higgins (1985) entwirft im Prinzip das »Just-in-Time«-Konzept, das uns vor Augen schwebt. Im Gegensatz zum Computer »as knower of the answer«, 3 den Higgins als »magister« identifiziert, soll der Computer eher wie der »pedagogue« funktionieren: The pedagogue is a Greek slave. […] When the young master snaps his fingers, he comes forward to give information, answer questions, or perhaps, if that is what the young master wants, to conduct an argument or give a test. He may be expert, but his expertise only emerges on demand: he is a walking library. (Higgins 1985: 4) Ein weiterer wichtiger Ausgangspunkt waren rein pragmatische Überlegungen: Wir brauchten ein zusätzliches Instrument, durch das Studierende Grammatikkenntnisse auffrischen oder erwerben könnten. In diesem Sinne ist Just-in-Time- Grammar als Teil eines Kurses konzipiert: Das Programm sollte eine Erweiterung und Konsolidierung des Unterrichts ermöglichen, wobei die interaktive Arbeit am Computer auch die Motivation steigern sollte: »allowing the computer what it does best in a way that is likely to prove more motivating than if the same drills and exercises were performed in class« (Klapper 2006: 183). Dabei sollte eine Kombination von verschiedenen pädagogischen Ansätzen möglichst vielen Studierenden mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht 3 Terminologie übernommen aus Warschauer (1996) <?page no="239"?> 239 Just-in-Time-Grammar: eine Zwischenbilanz werden. Richard Felder (1995) bietet eine gute Übersicht über verschiedene Lernertypen. An den extremen Enden findet man Sensors und Intuitors: 4 Sensors lieben Fakten, Informationen und Tatsachen, sie mögen Details, lernen bevorzugt auswendig und lernen Regeln. Intuitors mögen Prinzipien, Konzepte und Theorien. Sie haben keine Geduld fürs Detail, mögen Ausnahmen, hassen Wiederholung und Auswendiglernen. Sie sind auffassungsschnell, aber machen Fehler. Sensors sind langsamer, aber machen weniger Fehler. Selbstredend gibt es dazwischen viele Abstufungen. In unserem Programm versuchen wir Erklärungsansätze zu variieren, um so verschiedenen Lernertypen gerecht zu werden (Sensors bevorzugen etwa die deduktive Methode, Intuitors die induktive). Wir möchten durch das Programm ausdrücklich auch ein wenig mehr Freiraum in den Klassen schaffen: Lernende können ein bestimmtes grammatisches Thema selbstständig wiederholen, ohne den Fortschritt der Gesamtgruppe zu verlangsamen. Felder (1995: 23) erinnert mit einiger Berechtigung daran, dass man möglichst alle Studierenden erreichen sollte: »Effective instruction reaches out to all students, not just those with one particular learning style.« Wir haben dementsprechend versucht, sowohl Global Learners als auch Sequential Learners anzusprechen (vgl. Felder 1995: 25). Für die globalen Lerner bietet das Programm Querverweise und eine fortlaufende Geschichte. Innerhalb dieses Rahmens finden sich außerdem viele kleine Stationen, die sequentielle Lernende ansprechen sollten. Die Benutzer/ innen können die Übungssequenzen ihrem eigenen Lernstil entsprechend (zu einem gewissen Maße) selber wählen. Übungen können übersprungen oder abgebrochen werden. So gewährt das Programm Autonomie: die Lerneden bestimmen das Tempo, welche Übungen gemacht und ob Übungen wiederholt werden sollen. Das Programm ist auch in einem weiteren Sinne interaktiv: indem es erlaubt, dass Lernende zwischen den einzelnen Einheiten hin- und herschalten und »aktiv« Hilfe innerhalb des Programms suchen können. 5 So sollen Studierende optimal in ihrer Entwicklung unterstützt werden, denn: »Students will only acquire a given structure when they are developmentally ready […] [not in a] uniformly progressive sequence.« (vgl. Klapper 2006: 417). Von den sieben »discovery or learner-centred approaches« bei der Entwicklung von Übungen, die Klapper als die Methoden beschreibt, die induktives Lernen ermöglichen und die kritische Auseinandersetzung mit Problemen fördern (Klapper, 2006: 411-414), werden sechs in unserem Programm benutzt: Sorting; Identifying special grammar points; Matching; Comparing formulations between L1 und FL ; Correcting; Solving problems. Sehr wichtig ist der Trainingsaspekt. In diesem Zusammenhang bietet Davies (2012, Abschnitt 3.9) ein gutes Plädoyer für den sinnvollen Einsatz von Drill exercises: Davies zitiert Phil Turk (2005: 3): 4 Die Terminologie basiert auf Myers & Myers (1980) 5 Für die hier verwendeten Definitionen von »autonom« und »interaktiv« siehe Tschirner (1999), Roesler (2000), Hess (2006a und 2006b). <?page no="240"?> 240 Silke Mentchen, Annemarie Künzl-Snodgrass Why is it that footballers and other sportspersons do press-ups and other exercises to train their muscles and reactions, but which are not part of the game […] yet every language students’ practice has to be ›authentic‹? Can’t we just flex our brains and whatever else to get AVOIR or whatever right, out of context for a few moments? In unserem Programm werden solche Drill exercises abwechselnd mit Übersetzungsübungen und kommunikativen Übungen eingesetzt. Unseren Ansatz könnte man wohl als Form-focused Instruction 6 (FonF) bezeichnen, wobei die Focused on Form-Erklärungen auf Verlangen abgerufen werden können. Die Lernenden legen die Navigation durch das Programm selbst fest. Wir benutzen induktive Erklärungen und stellen grammatische Informationen schrittweise bereit (phased development). Betrachtet man die PPP -Methode (presentation, practice, production), so diagnostiziert Klapper (2006: 115) berechtigterweise, dass das dritte P, die Produktion, häufig zu kurz kommt. Dies ist sicherlich auch bei Just-in-Time-Grammar der Fall, allerdings ist das Programm als Ergänzung zu einem Unterricht zu sehen, in dem Produktion gefragt ist und gefördert wird - und nicht als Ersatz für einen solchen Unterricht. Um sprachlich zu handeln, um eigene Strukturen generieren zu können, brauchen Studierende ein solides grammatisches Konzept. Der Unterricht sollte den Studierenden ermöglichen, »generative« zu sein, im Sinne von »to enable students to generate new language based on acquired structures and commands« (Klapper 2006: 402). Für Studierende an Hochschulen ist die Methode des Consciousness Raising unserer Erfahrung nach sehr effektiv. Im Idealfall kann so aus Input Intake werden, d.h. man sollte Lernende auf die Strukturen und ihre Funktionen aufmerksam machen, um eine Verankerung dieser Strukturen zu ermöglichen. 7 1.2 Pädagogik und Computer Assisted Language Learning ( CALL ) 8 Aus den oben erwähnten theoretischen Überlegungen ergaben sich einige Parameter für das Design des Programms: 1. Die Studierenden sollen die Relevanz der einzelnen Übungen für ihren persönlichen Lernfortschritt erkennen können. Deshalb hat das Programm zwei diagnostische Einheiten. 6 Für eine Übersicht zur Methodologie im Fremdsprachenunterricht siehe Klapper (2006: Kapitel 4). 7 Für eine ausführlichere Diskussion zu diesen Punkten siehe Klapper (2006: Kapitel 2.7 und 15). 8 Für eine gute Übersicht zur IT�Terminologie beim Fremdsprachenunterricht siehe Hewer (2012: Mo� dule 1.4) und für eine gute Übersicht zu der Entwicklung von CALL siehe Mike Levy (1997: besonders Kapitel 2). <?page no="241"?> 241 Just-in-Time-Grammar: eine Zwischenbilanz 2. Die Studierenden sollen eigenständig durch das Programm navigieren können. Deshalb ist das Programm nicht-linear aufgebaut. Die einzelnen Einheiten können unabhängig und in jeder Reihenfolge durchgearbeitet werden. Aufgaben können auch abgebrochen, übersprungen, oder auf einer Learning Map vermerkt und damit für später reserviert werden. 3. Die Verbindungen zwischen den einzelnen grammatischen Inhalten sollen klar erkennbar sein. Deshalb hat das Programm einen Index, der durch verschiedene Funktionen Verbindungen sichtbar machen kann. 4. Studierende sollen das Programm selbstständig benutzen können. Dies hatte die Entscheidung zur Folge, alle Erklärungen auf Englisch zu liefern, und für (fast) alle Übungen eine Übersetzung ins Englische auf Verlangen bereitzustellen. 5. Fehler oder Nicht-Wissen sollen als Teil des Lernprozesses gesehen werden. Deshalb besteht das Feedback nicht nur aus Richtig/ Falsch, sondern ist informativ und gestaffelt. 9 6. Tests sollen den Benutzer/ innen ermöglichen, den Inhalt einer Einheit zu konsolidieren. Umgekehrt können die Tests helfen, herauszufinden, ob man die jeweilige Einheit überhaupt machen möchte. Laut Warschauer (1999) sollte ein integrativer Einsatz von Computer Assisted Language Learning ( CALL ) immer versuchen, etwas zu leisten, was ein Buch nicht leisten kann. Unserer Ansicht nach können folgende Funktionen von Justin-Time-Grammar besser von einem CALL -Programm als von einer gedruckten Übungsgrammatik bereitgestellt werden: 10 • Diagnose von Problembereichen • Die Versorgung mit sofortigem Feedback • Formatives Feedback • Weitere Hinweise auf Verlangen • Animation von grammatischen Inhalten • Visualisierung von grammatischen Verbindungen • Einsatz von Audiodateien • Übersetzungen auf Verlangen • Individuelle Navigation 9 Klapper nennt dies formative: Die Lernenden können Hinweise einholen und mit deren Hilfe an einer korrekten Antwort arbeiten. Klapper (2006: 183) nennt dies auch scaffolded learning. Clues und Hin� weise sind dann besonders nützlich, wenn sie Lernenden ermöglichen, Verknüpfungen herzustellen. Vgl. dazu auch Hewer (2012): »Language Learning has a lot to do with establishing links of various kinds. Clues can help students to make links and it is important that they do so.« 10 Für eine weitere Übersicht über effektive Aufgaben im CALL Bereich siehe Tschirner (2007: 3); für eine Darstellung dieser Punkte anhand einer Beispiel�Einheit aus dem Programm siehe Abschnitt 4 in diesem Artikel. <?page no="242"?> 242 Damit ist die Mehrheit der Direktiven für »good practice« nach JICS 11 erfüllt. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist Effizienz (vgl. Hess 2006b: 320): Genau wie bei ihrem alltäglichen Umgang mit dem Internet kommt es den Benutzer/ innen darauf an, dass Aufgaben effizient gelöst werden können. Die Sprachlernmethoden werden rationalisiert, indem relevante Übungen identifiziert und zu einem gegebenen Zeitpunkt überflüssige Informationen übersprungen werden können. Genau aus diesem Grund erhielt das Programm seinen Namen: »Just-in-time- Grammar«. Wir sind der Ansicht, dass mit fortschreitendem routinierten Einsatz von Computern im Lernprozess (innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers) der Zustand erreichbar ist, den Bax (2003: 23) »normalization« nennt: Die Technologie ist unsichtbar geworden. Durch die Möglichkeit, Just-in-Time-Grammar nun auch auf Tablets und Smart Phones zu nutzen, hoffen wir, eine volle Integration der Technologie in den Lernprozess weiter vorantreiben zu können. (Für eine genauere Erläuterung der Spezifikationen siehe Abschnitt 3 in diesem Artikel. 12 ) 2 Wie das Programm aufgebaut ist und warum In allen Übungen werden Strukturen auch durch Wiederholung geübt. So werden oft Beispielsätze in leicht abgewandelter Form als Übungssätze benutzt. Die Aneignung von neuem Vokabular wird indirekt dadurch erleichtert, dass die Benutzer/ innen immer die Möglichkeit haben, eine Übersetzung (ins Englische) abzurufen. Bei der Auswahl der Beispiel- und Übungssätze haben wir darauf geachtet, nützliches Vokabular einzusetzen. 2.1 Diagnose Das Prinzip der Diagnose von Problembereichen war uns sehr wichtig. Studierende sollten erstens motiviert werden Grammatik zu wiederholen. Zweitens sollte ihnen bewusst gemacht werden, wann und wo sie grammatische Informationen brauchen (z.B. um gezielt nachschlagen zu können). Im Programm gibt es drei verschiedene Einsatzstellen für Diagnose: a) Einen fortlaufenden Text, in dem grammatische Veränderungen vorgenommen werden, um die Konsequenzen deutlich zu machen. Klickt man z.B. auf ein Subjekt im Singular, verwandelt es sich in ein Plural-Subjekt. Die hiermit ver- 11 http: / / .jisc.ac.uk/ whatwedo/ programmes/ elearningpedagogy, siehe JICS zu E�learning Pedagogy 12 Für eine gute Übersicht zu dem Thema »Highly interactive 3D Computer Games und Spracherwerb« siehe Abschnitt 2.1. in Berns et al 2013, und für Möglichkeiten, wie man Grammatikunterricht (hier den Einsatz der Wechselpräpositionen im Deutschen) in einem selbst entworfenen Game vermitteln kann, siehe Abschnitt 3 (ebd). Silke Mentchen, Annemarie Künzl-Snodgrass <?page no="243"?> 243 bundenen Veränderungen werden farblich markiert: Verbform, Reflexiv- und Personalpronomen. Studierende müssen in einem zweiten Schritt selber Veränderungen vornehmen (variiert werden: Genus, Numerus und Verb-Valenz). b) Bei zehn Sätzen, die vom Englischen ins Deutsche übersetzt sind, sollen ähnliche Modifikationen vorgenommen werden. Hier werden neben den oben erwähnten Formen weitere Transformationen durchgeführt: z.B. Aktiv - Passiv, Artikelwörter, Präpositionen. Bei all diesen Transformationen wollen wir das Grundprinzip des Programms (und jeder Grammatik) demonstrieren: alle Bereiche sind miteinander verbunden. In der Praxis und in authentischen studentischen Lernsituationen bedeutet das, dass man beim Umschreiben eines Textes auf alle Konsequenzen achten muss. Abgesehen von den visuellen Stimuli, die man empfängt, wenn sich ein Text vor den Augen verändert, kann das Programm noch andere Dinge leisten, die ein Buch nicht liefern könnte: Zur Verständnishilfe oder für weitere Informationen können Stellen »aktiviert« werden: Ein Hilfe-Symbol wird an die betreffende Stelle gezogen und in einem Fenster erscheint ein Hinweis, z.B. »Verb + Dativ«. Die Lernenden können nun entweder entscheiden, ob dieser Hinweis die gewünschte Erklärung bringt, oder ob sie diese Einheit durch einen Mausklick auf ihrer individuellen Learning Map verzeichnen möchten (siehe unten). Man kann Übungen sozusagen in einen virtuellen Einkaufskorb legen und für später vormerken. c) Bei den meisten Einheiten gibt es entweder am Ende oder zwischendurch Tests. Es steht den Benutzer/ innen frei, ob sie diese am Anfang oder am Ende oder mehrmals machen. Da die Navigation nicht vorgegeben ist, können sich die Lernenden frei durch das Programm klicken und die Tests als Diagnoseinstrument einsetzen. Unsicherheiten im Test sollten dazu motivieren, eine Einheit genauer durchzuarbeiten. 2.2 Verlinkung und Hilfe auf Verlangen Benutzer/ innen haben nun entweder in ihrem individuellen Einkaufswagen die Einheiten gesammelt, die sie durcharbeiten wollen - oder sie wissen von Anfang an, dass sie z.B. die Pronomen wiederholen wollen. Innerhalb einer Einheit eröffnen sich weitere Möglichkeiten, Verbindungen zwischen grammatischen Themen herzustellen: In der Einheit zu Possessivpronomen gibt es z.B. eine Verbindung zu der Einheit zu Adjektiven und Artikelwörtern (auf Verlangen kann man eine Tabelle mit den unbestimmten Artikeln und ihren Endungen ansehen). Ein anderes Beispiel: Bei der Einheit zum Passiv kann man Übungen zum Partizip Perfekt aus der Einheit zu den Zeitformen durcharbeiten. Bei vielen einzufüllenden Lücken kann man außerdem Hilfe in Form von grammatischen Erklärungen abrufen, sich vom Programm ein paar Buchstaben der Just-in-Time-Grammar: eine Zwischenbilanz <?page no="244"?> 244 Lösung vorgeben lassen oder Übersetzungen ins Englische abrufen (damit eine Übung nicht an unbekannten Vokabeln scheitert). 2.3 Feedback und Learning Map Richtige Antworten werden entweder farblich markiert und/ oder erhalten einen Haken für »richtig«. Die korrekte Bearbeitung einer Übung führt auch dazu, dass der nächste Schritt im Programm erscheint. Damit Studierende nicht an einer bestimmten Stelle stecken bleiben, können sie im Bedarfsfall korrekte Antworten abrufen oder durch das Klicken auf »Next« zum nächsten Screen fortschreiten. Die Learning Map dient dazu, die Lernenden daran zu erinnern, welche Einheiten sie bereits bearbeitet und welche sie sich vorgemerkt haben. Da das Programm individuell herunter geladen wird, sind die Maps individuell benutzbar. 2.4 Tests Durch das Testen von soeben Erlerntem werden Studierende motiviert: sie fühlen sich entweder positiv bestätigt, wenn der Test erfolgreich war, oder sie erkennen, dass sie Teile der Einheit noch einmal bearbeiten müssen. Wir haben allerdings darauf verzichtet, eine bestimmte Progression durch das Programm verzeichnen zu lassen. Dies hätte gegen das nicht-lineare modulare Prinzip des Programms verstoßen. 3 Zur konkreten Umsetzung des Programms Das Programm verwendet ein einfaches standardisiertes Navigationssystem, das gewährleisten soll, dass die Software leicht zu bedienen ist und die Lernanstrengung dem Inhalt der Software und nicht der Bewältigung technischer Schwierigkeiten gilt. Die Gestaltung der Software eignet sich sowohl für ein längeres, intensives und systematisches Arbeiten in linearer Abfolge als auch für direkten Zugriff auf spezielle Themen. Die interaktiven Elemente sind leicht zu bedienen, bieten aber doch genügend - auch visuelle - Variationen, um das Arbeiten mit dem Programm attraktiv zu gestalten und ein Ermüden zu vermeiden. Der »Just-in-time«-Charakter der Software verlangt, dass die Lernenden unter den unterschiedlichsten Bedingungen auf die Software zugreifen können, sei es im Klassenzimmer, zu Hause oder auch unterwegs auf mobilen Geräten. Die Software läuft auf einer Vielzahl unterschiedlicher Geräte und Systeme (Windows, OSX , iPad usw.) und ist kompatibel mit unterschiedlichen Web-Browsern (Firefox, IE , Chrome). Mit den modernen webbasierten Entwicklungswerkzeugen lassen sich auch Silke Mentchen, Annemarie Künzl-Snodgrass <?page no="245"?> 245 für ein solch weites Spektrum anspruchsvolle Programme schreiben, die reich an Interaktionen und mit entsprechenden audio-visuellen Elementen versehen sind. 13 Da der Einsatz des Systems über einen längeren Zeitraum geplant ist und vor allem die Erwartung besteht, die Software leicht modifizieren oder gar mit weiteren Modulen ergänzen zu können, wurde die »Just-in-Time-Grammar« als eine auf HTML 5 und Javascript (jQuery) basierende Web-Applikation konzipiert. Dies wiederum erleichtert sowohl die nachträgliche Fehlerbehebung als auch etwaige Erweiterungen mit neuen oder modifizierten Inhalten. Theoretisch sind so auch die Endbenutzer/ innen imstande, eigene Modifikationen und Korrekturen an der Software vorzunehmen und sie so an ihre Bedürfnisse anzupassen. Allerdings sollte man dabei bedenken, dass eine so modifizierte Software aus urheberrechtlichen Gründen nicht an Dritte weitergegeben werden darf. Damit die Software möglichst einfach verbreitet werden kann, ist sie so implementiert, dass nur minimale Systemvoraussetzungen erfüllt sein müssen. Das Programm kann problemlos auf jedem Web-Server installiert werden, auf den dann die Endnutzer/ innen über einen einfachen Weblink zugreifen können. Da die Software nicht Datenbank-basiert ist und kein »Server-side Scripting« verwendet, kann sie aber von Endnutzer/ innen auch direkt auf dem Computer installiert werden. Somit ist auch eine Verwendung ohne Internetzugang möglich. 3.1 Auswahl der Grammatikthemen für das Programm (Phase I) Wir haben für die erste Phase des Projekts jene Grammatikbereiche aus der deutschen Grundgrammatik ausgewählt, die unseren Unterrichtserfahrungen nach bei englischsprachigen Deutschlernenden die meisten Fehler sowohl bei der Sprachproduktion als auch beim Verständnis verursachen. Das sind die Bereiche Verbkonjugation, Pronomen, Adjektivendungen, nominalisierte Adjektive, schwache Maskulina, und Verben mit Dativobjekt. 3.2 Wahrnehmen und Lernen Die Referenz-Grammatik, mit der die Lernenden an unserer Institution arbeiten (vgl. Durrell, 2011: 367 ff.), präsentiert die Verben mit Dativobjekt als - in Unterkategorien eingeteilte - Liste von Verben. 14 Der Versuch, Lernenden die Wahrneh- 13 Das Vermeiden von Drag�und�Drop�Aktivitäten ist im Wesentlichen die einzige Einschränkung, die das Programm im Vergleich zu seiner früheren Inkarnation, als kompiliertes Flash Programm, erfahren hat. 14 Whittle et al. (2011: 45-48) gehen nach einem vergleichbaren Muster vor; Fehringer (2013: 17 - 18) und Durrell et al (Essential Grammar 2011: 124) ähnlich, aber rudimentärer; während Russ (2012: 310) und Gschoßmann�Hendershot/ Feuerle (2010: 42 - 43) nur sehr kurze Listen von Verben mit Dativobjekt geben, die einfach gelernt werden müssen. Just-in-Time-Grammar: eine Zwischenbilanz <?page no="246"?> 246 mung grammatischer Strukturen durch visuelle Markierungen zu erleichtern, ist nichts Neues. Er basiert auf dem Prinzip, dass man nur lernt (›lernen‹ sowohl im Sinne von ›verstehen‹ als auch ›anwenden können‹), was man auch wahrnimmt. Wahrnehmung ist ein unabdingbarer Teil des Lernprozesses. 15 Wie bereits erwähnt, bietet ein interaktives E-Learning-Programm in dieser Hinsicht neue Möglichkeiten und innovative Hilfe beim Spracherwerb. Es kann den Wahrnehmungsprozess u.a. durch visuelle Präsentation und Erklärung grammatischer Strukturen anhand verschiedener und sich schnell verändernder visueller Stimuli unterstützen, grammatische Strukturen und deren »Vernetzung« durch Mausklick sichtbar machen, unmittelbar Feedback geben und sofortige Hilfsfunktionen bei Übungen bieten. 3.3 Ein Beispiel für eine Einheit: Verben mit Dativobjekt Am Beispiel der Einheit »Verben mit Dativobjekt« soll das Programm im Folgenden anhand ausgewählter Beispiele demonstriert werden. 16 Das Lernziel der Einheit ist, dass die Lernenden wahrnehmen, dass sich die Verben mit Dativobjekt im Deutschen in drei Kategorien einteilen lassen, dass es hier Ausnahmen gibt, dass sich die syntaktischen Strukturen beim Gebrauch dieser Verben im Deutschen von denen in der englischen Übersetzung grundsätzlich unterscheiden, und schließlich, dass Lernende bei Erkennung und Gebrauch dieser Verben sicherer werden und sie grammatisch korrekt anwenden lernen. Die Einheit hat 22 Screens, von diesen sind fünf Learning Screens mit expliziten Erklärungen ohne interaktive Elemente (vergleichbar mit Buchseiten), 15 sind Practice Screens mit interaktiven Übungen und zwei bestehen aus einer Kombination von Practice und Learning Screens. 17 Im Sinne der von uns angestrebten Autonomie können die Lernenden auf dem ersten Screen autonom entscheiden, ob sie sich linear durch das Programm von der Einführung bis zum abschließenden Test durchklicken, ob sie gleich zu den Übungen gehen oder sofort ausprobieren wollen, wie weit sie mit dem Abschlusstest kommen. Die Einführung besteht aus zwei Screens, gefolgt von dem sog. Gateway Screen, dem Dreh- und Angelpunkt der gesamten Einheit. Zu diesem Gateway Screen können die Lernenden jederzeit zurückkehren. Die Lernenden entscheiden also bei jedem Schritt, wie weit sie gehen bzw. wie viele Übungen sie machen wollen. 15 Klapper (2006: 403): Input-noticing-intake steht am Anfang des in Schritten ablaufenden Lernprozes� ses. 16 Am besten wäre es, wenn der vorliegende Text gelesen werden könnte, während das Programm auf einem Computer läuft. Da das nicht immer möglich sein wird, müssen im Folgenden einige deskrip� tive Erklärungen gegeben werden. 17 Für eine ausführliche Beschreibung dieser Einheit und des Schreibprozesses: Künzl�Snodgrass/ Ment� chen (2008); auch in Künzl�Snodgrass/ Mentchen (2012). Silke Mentchen, Annemarie Künzl-Snodgrass <?page no="247"?> 247 3.3.1 Die Einführung Die Einführung besteht aus zwei aufeinander folgenden Screens mit einem Text, der sechs Konstruktionen mit Verben mit Dativobjekt enthält. Die Verben und die dazu gehörigen Dativobjekte müssen von den Lernenden aus der Menüleiste in Lücken im Text gezogen werden. Hilfestellung bieten sowohl eine auf Klick abrufbare Übersetzung als auch eine Audioversion des Textes, in der die richtigen Antworten zu hören sind. Auf dem nächsten Screen müssen die Lernenden die zu den Verben gehörigen Dativobjekte im Text durch Anklicken identifizieren. In einem ersten Schritt wird das Verb angeklickt, das sofort - auch im Text - als visueller Stimulus eine bestimmte Farbe annimmt und fett gedruckt erscheint; dann werden durch Mausklick die Elemente identifiziert, welche das zu diesem Verb gehörende Dativobjekt bilden (Artikel, Adjektive etc.). Das Feedback erfolgt unmittelbar: richtig identifizierte Elemente erscheinen in der Farbe des zu ihnen gehörigen Verbs. Als Hilfe steht unter dem Verb auf der Menüleiste eine Zahl, die sich auf die Anzahl der Elemente des jeweiligen Dativobjekts bezieht. Mit jedem richtig angeklickten Wort springt die Zahl auf die jeweils niedrigere um, also von 3 auf 2 auf 1, bis Null erreicht ist. Am Ende der Übung steht dann also Text, in dem sowohl die Verben mit Dativ als auch die mit ihnen verbundenen Dativobjekte klar und in der jeweiligen Farbe markiert sind. Es ist offensichtlich, dass sich beide Aufgaben in der Einführung auch mit dem Durchprobieren aller Möglichkeiten lösen lassen (Trial and Error), aber wir sind der Ansicht, dass auch dadurch ein Wahrnehmungs- und damit ein Lernprozess stattfindet: Die Lernenden erfahren, dass und wie Verben mit Dativobjekt in einer Textstruktur erscheinen, dass Dativobjekte aus mehr als nur einem Wort bestehen können und wie diese Objekte im Einzelnen aufgebaut sein können. Insgesamt geht es ja nicht (nur) darum, bereits vorhandenes Wissen zu testen, sondern grammatikalisches Wissen auch zu ergänzen und zu erweitern. Im Sinne unseres Ansatzes bei der Auswahl der Übungstypen bietet diese Einheit (wie alle anderen Einheiten des Programms) eine Kombination verschiedener Übungen: Es gibt u.a. Sortier-, Einsetz- und Zuordnungsübungen, geführte Übersetzungsübungen und Screens mit z.T. induktiv geführter Vorgehensweise zur Erklärung einer grammatischen Struktur. Das Lernziel ist es, die Lernenden für die Wahrnehmung der drei Kategorien und deren Merkmale zu sensibilisieren und den Lernprozess durch gezielte Übungen zu unterstützen. Bei jeder Übung gibt es Hilfsfunktionen und Feedback, das entweder sofort richtig/ falsch anzeigt oder gestaffelt ist. 3.3.2 Übungsformen und Navigation Eine lange amorphe Liste von Verben mit Dativobjekt lässt sich in drei Unterkategorien einteilen (Durrell 2011: 367-369): Verben mit bestimmten Vorsilben, Verben, Just-in-Time-Grammar: eine Zwischenbilanz <?page no="248"?> 248 die mit englischen Verben mit Dativ korrespondieren (Dativ markiert durch to, z.B to listen to, zuhören); und häufige andere Verben, wie z.B. folgen oder helfen. In Justin-Time-Grammar erscheinen diese Kategorien visualisiert als drei Karteikästen, in die die Lernenden eine Anzahl von Verben mit Dativ sortieren müssen. Dadurch wird die Aufmerksamkeit auf die drei Kategorien gelenkt und vor allem auf das, was sie unterscheidet; z.B. sind die relevanten Vorsilben der Beispielsverben in der ersten Kategorie im Karteikasten links farbig markiert (vgl. Abb 1). Abb. 1: Sortierübung zu Verben mit Dativ Die Lernenden klicken zunächst auf die Startkarte, auf der ein Verb erscheint, und dann auf den Karteikasten, in den dieses Verb gehört. Positives oder negatives Feedback folgt unmittelbar, indem das Verb entweder im Karteikasten bleibt oder zurückspringt. Zusätzlich wird eine Übersetzung des Verbs angezeigt. Auch diese Übung können Lernende nach dem Prinzip trial and error erfolgreich durchführen; dabei wird durch die Tätigkeit des Sortierens ein Wahrnehmungs- und Lernprozess in Gang gesetzt und das Gelernte durch Wiederholung gefestigt. Vom Gateway Screen ausgehend können die Lernenden jederzeit entscheiden, welche und wie viele Übungen zu den drei Kategorien sie machen wollen, und in welcher Reihenfolge. Man kann jederzeit zum Gateway Screen zurückkehren. Silke Mentchen, Annemarie Künzl-Snodgrass <?page no="249"?> 249 3.3.3 Beispiel für einen Übungstyp: Verben mit Präfixen Durch die Sortierübung wird auf einen Teaching Screen vorbereitet, der erklärt, dass es Ausnahmen von der Regel gibt: Verben mit den Dativ signalisierenden Vorsilben, die aber trotzdem kein Dativ-, sondern ein Akkusativobjekt nach sich ziehen. Nach einer Konsolidierungsübung, bei der die Vorsilben bei-, wider- und entgegenverschiedenen Verben zugeordnet werden müssen, müssen die Lernenden bei einer weiteren Übung demonstrieren, dass sie verstanden haben, dass die betreffenden Vorsilben bei Verben nicht immer ein Dativobjekt als Komplement signalisieren. Hilfe wird nicht nur durch die Übersetzungen der Übungssätze gegeben, sondern auch durch eine abrufbare Liste mit den Ausnahmen. Abb. 2: Verben mit Vorsilben Als Abschluss folgt eine relativ anspruchsvolle Einsetzübung, bei der sowohl die passenden Verben als auch die dazu gehörigen Dativobjekte in einen Text eingefügt werden müssen. Hilfe wird (wie bei der vorhergehenden Übung) gegeben durch eine sofort abrufbare Liste der für die Übung notwendigen Verben, durch die vorgegebene Übersetzung des Textes und durch - für jede Lücke individuell abrufbare - Hinweise: Wenn die Lernenden in eine Lücke klicken, erscheint (in einer türkisfarbenen Box in der Mitte des Screens) im Sinne des gestaffelten Feedbacks ein Hinweis auf die grammatische Funktion des jeweilig erforderlichen Wortes. Just-in-Time-Grammar: eine Zwischenbilanz <?page no="250"?> 250 3.3.4 Der Abschlusstest für die Einheit »Verben mit Dativobjekt« Die Beispiele stellen nur eine Auswahl der Übungen dar. Die Lernenden haben grundsätzlich bei der ganzen Einheit die Option, auch die Übungen zu den anderen zwei Kategorien (»Verbs corresponding to English verbs with to« und »Common Verbs«) entweder ganz oder selektiv durchzuarbeiten. Auch der dreiteilige Abschlusstestest ist optional: Die Aufgabe im ersten Teil ist es, in einer Reihe von relativ anspruchsvollen deutschen Sätzen die Verben mit Dativ und die dazu gehörigen Dativobjekte zu identifizieren, eine Aufgabe, die sich auf die Übung in der Einleitung bezieht und somit neben der Testfunktion auch eine konsolidierende Funktion hat. Motivierend wirkt eine eingebaute Count down-Funktion: 0/ 16: d.h., es müssen im ganzen 16 Wörter richtig identifiziert werden. Im zweiten Teil des Tests müssen die Verben (in der Infinitivform) und die dazu gehörigen Dativobjekte in der grammatisch korrekten Form produziert werden (eine engliche Übersetzung ist jeweils angegeben). Der letzte Teil des Tests ist »das täglich Brot« Fremdsprachenlernender: Sätze in der Fremdsprache nach Fehlern durchsuchen und sie korrigieren. Hier sind es Fehler, die mit den Verben mit Dativ und Dativobjekten zu tun haben. Als Hilfestellung kann man sich die Fehler anzeigen lassen oder eine englische Übersetzung der Beispielsätze abrufen. Mit diesem Test ist die Einheit »Verben mit Dativobjekt« abgeschlossen. 4 Ausblick: Grammatikthemen für die Phase II »Verben mit Dativobjekt« ist eine von sieben Einheiten im Menü von Just-in- Time-Grammar. Nach Schätzungen unseres technischen Teams bietet das Programm in seiner derzeitigen Gestaltung (Phase I) ca. 80 Stunden Übungszeit. Der bisherige Erfolg des Programms und das positive Feedback von unseren Studierenden hat nicht nur zu einer Überarbeitung der ersten Version geführt, sondern auch zur Arbeit an Phase II. Wir sind momentan mit der Entwicklung folgender Bereiche aus der fortgeschrittenen deutschen Grammatik beschäftigt: Zeitformen, Wortstellung, Passiv, Präpositionen, Konjunktiv I + II. Die Parameter, die wir uns für die Entwicklung der Phase I gesetzt haben, sind für Phase II im Wesentlichen die gleichen geblieben. Die Überarbeitung von Phase I läuft relativ zeitgleich mit der Entwicklung von Phase II ab, was die Gestaltung eines einheitlichen Designs und die inhaltliche Konsistenz für das gesamte Programm begünstigt. Am Ende werden wir ein großes Paket Deutsche Grammatik online anbieten können, dessen Inhalt von Deutschlernenden weltweit ganz nach Belieben ausgepackt und genutzt werden kann. Silke Mentchen, Annemarie Künzl-Snodgrass <?page no="251"?> 251 Das Programm kann kostenlos aus dem Internet heruntergeladen werden: http: / / www.langcen.cam.ac.uk/ jtg/ jtg_ge.html Benutzername: grammar, Passwort: humboldt Bibliographische Angaben Bausch, Karl-Richard / Christ, Herbert / Königs, Frank G. / Krumm, Hans- Jürgen (Hrsg.) (1999): Die Erforschung von Lehr- und Lernmaterialien im Kontext des Lernens und Lehrens fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 19. Frühjahrstagung zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr Bax, Stephen (2003): » CALL - Past, Present, Future«. In: System 31, S. 13-28 Berns, Anke / Dodero, Juan Manuel / Palomo-Duarte, Manuel / Valero-Franco, Concepción (2013): »Using a 3D Online Game to Assess Students’ Foreign Lan- (2013): »Using a 3D Online Game to Assess Students’ Foreign Language Acquisition and Communicative Competence«. In: Hernández/ Ley/ Klamma/ Harrer (Hgg): a.a.O., S. 19-31 Davies, Graham (Hrsg.) 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In: Summer 2005 edition of Language World, der newsletter von ALL: www.all-languages.org.uk Warschauer, Mark (1996): »Computer Assisted Language Learning: an Introduction«. In: Fotos (Hrsg.): a.a.O. S. 3-20. Whittle, Ruth / Klapper, John / Glöckel, Katharina / Dodd, Bill / Eckhard- Black, Christine (2011): Modern German Grammar. London and New York: Routledge Silke Mentchen, Annemarie Künzl-Snodgrass <?page no="253"?> Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Péter Bassola: Universität Szeged, Lehrstuhl für Germanistische Linguistik Schwerpunkte: Deutsche Sprachgeschichte (v.a. Syntax und Wortstellung), Kontrastive Untersuchungen (v.a. Ungarisch-Deutsch), Lexikologie und syntaktische Lexikographie, Soziolinguistik, Kontaktlinguistik, Deutsche Grammatik und Methodik des Grammatikunterrichts www2.arts.u-szeged.hu/ german/ bassola@lit.u-szeged.hu Iryna Bazhutkina: Universität Groningen ( RUG ): Philologische Fakultät Schwerpunkte: Fremdsprachenausbildung, Methodik und Didaktik des DaF www.rug.nl/ staff/ i.a.menke-bazhutkina/ i.a.menke-bazhutkina@rug.nl Julia Brade: DAAD -Lektorin an der Universität des Baskenlandes ( UPV / EHU ) (Vitoria-Gasteiz): Institut für Anglistik, Germanistik und Übersetzung/ Dolmetschen Schwerpunkte: Methodik / Didaktik des FSU , Fremdsprachenerwerb, Sprachlernberatung juliabrade@hotmail.com Martin Businger: Hochschule Luzern Wirtschaft, Institut für Kommunikation und Marketing ( IKM )/ HSLU Sprachenzentrum Schwerpunkte: Grammatik des Deutschen, D a F , Korpuslinguistik www.hslu.ch/ hochschule-luzern/ h-ueber-uns/ h-person.htm? id_person=1151655 &id_teilschule=25650&row=91 martin.businger@hslu.ch Christine Czinglar: Universität Wien, Institut für Sprachwissenschaft Schwerpunkte: Zweitspracherwerb, D a Z , D a F , Grammatik des Deutschen homepage.univie.ac.at/ christine.czinglar/ christine.czinglar@univie.ac.at Viktória Dabóczi: Universität Siegen, Germanistik - Sprachwissenschaft Schwerpunkte: Wortbegriff und Wortarten, Grammatikographie www.uni-siegen.de/ phil/ germanistik/ mitarbeiter/ daboczi_viktoria daboczi@germanistik.uni-siegen.de <?page no="254"?> 254 Sabine Dengscherz: Universität Wien, Zentrum für Translationswissenschaft und Institut für Germanistik: D a F / D a Z Schwerpunkte: Mehrsprachigkeit, Sprachvergleich, Linguistische und didaktische Grammatik D a F / D a Z Professionelles Schreiben in mehreren Sprachen: prosims.univie.ac.at www.dengscherz.at sabine.dengscherz@univie.ac.at Arash Farhidnia: Universität Vilnius, Lehrstuhl für Deutsche Philologie Schwerpunkte: Syntax des Deutschen, Lernergrammatikforschung, Zweisprachige Lexikographie a.farhidnia@googlemail.com Ingo Fehrmann: Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für deutsche Sprache und Linguistik Schwerpunkte: Linguistische Grundlagen für die D a F -Vermittlung, Konstruktionsgrammatik, Lernersprachenanalyse https: / / www.linguistik.hu-berlin.de/ daf/ mitarbeiter/ fehrmann/ index.php ingo.fehrmann@hu-berlin.de Hermann Funk: Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Auslandsgermanistik/ Deutsch als Fremd- und Zweitsprache Schwerpunkte: Allgemeine Didaktik und Methodik, Lehrmaterialforschung und -entwicklung, Berufsbezogener Fremdsprachenunterricht www.uni-jena.de/ funk.html hermann.funk@uni-jena.de Elke Hentschel: Universität Bern, Institut für Germanistik Schwerpunkte: Grammatik des Deutschen, Partikelforschung, Sprachvergleich, D a F www.elke-hentschel.ch jasam@germ.unibe.ch Erich Huber: Universität des Baskenlandes ( UPV / EHU) Universidad del País Vasco / Euskal Herriko Unibertsitatea (Vitoria-Gasteiz), Institut für Anglistik, Germanistik und Übersetzung und Dolmetschen Schwerpunkte: Grammatik (bes. Syntax) im D a F -Unterricht, D a F -Methodik, Deutsche Dialekte www.ehu.es/ es/ web/ fiati erich.huber@ehu.es Verzeichnis der Autorinnen und Autoren <?page no="255"?> 255 Rudolf Iványi: Eötvös-Loránd-Universität (ELTE) Budapest - Doktorandenprogramm, Angewandte Linguistik - PhD-Student; Österreichische Schule Budapest Schwerpunkte: Psycholinguistik (insbesondere Sprachverarbeitung), Grammatik und Grammatikvermittlung im DaF-Unterricht, Sprachbewusstsein und Sprachbewusstheit www.osbp.hu ivanyi@osbp.hu Annemarie Künzl-Snodgrass: Cambridge University, Department of German and Dutch Schwerpunkte: Anfängerunterricht, Übersetzung, CALL www.mml.cam.ac.uk/ german/ staff/ amk27/ amk27@cam.ac.uk Laura Lahti: Universität Helsinki, Institut für moderne Sprachen Schwerpunkte: D a F , mündliche Sprachkompetenz, Bewertung der Sprachfertigkeiten tuhat.halvi.helsinki.fi/ portal/ en/ person/ laelahti laura.lahti@helsinki.fi Almudena Mallo Dorado: Universität des Baskenlandes ( UPV / EHU) Universidad del País Vasco / Euskal Herriko Unibertsitatea (Vitoria-Gasteiz), Institut für Anglistik, Germanistik und Übersetzung und Dolmetschen Schwerpunkte: kontrastive Linguistik (Spanisch-Deutsch), Grammatik (bes. Syntax) im D a F Unterricht www.ehu.es/ es/ web/ fiati almudena.mallo@ehu.es Silke Mentchen: Cambridge University, Department of German and Dutch Schwerpunkte: Didaktisierung, Anfängerunterricht, CALL www.mml.cam.ac.uk/ german/ staff/ scm30/ scm30@cam.ac.uk Priscilla Nascimento: Goethe-Institut S-o Paulo, Brasilien Schwerpunkte: D a F (Unterricht und Forschung), Aus- und Fortbildung, Mitarbeit in der Bildungskooperation Deutsch www.goethe.de/ ins/ br/ sap/ uun/ mit/ sdl/ deindex.htm priscilla.nascimento@saopaulo.goethe.org Verzeichnis der Autorinnen und Autoren <?page no="256"?> 256 Attila Péteri: Eötvös-Loránd-Universität ( ELTE ) Budapest, Germanistisches Institut Schwerpunkte: Syntax der deutschen Gegenwartssprache, kontrastive Linguistik, Modalpartikelforschung, Satzmodusforschung eltesyntax.freeweb.hu peteria@t-online.hu Horst Schwinn: Institut für deutsche Sprache, Mannheim: Abteilung Grammatik Schwerpunkte: Deutsche Grammatik, Zeichentheorie, Sprachkritik www1.ids-mannheim.de/ gra/ personal/ schwinn.html schwinn@ids-mannheim.de Sharon Steringa: Noorderpoort MBO , Winschoten Schwerpunkte: Methodik und Didaktik des Fremdsprachenunterrichts, Englisch als Fremdsprache sharonsteringa@gmail.com Marjon Tammenga-Helmantel: Universität Groningen ( RUG ), Fakultät der sozialen Wissenschaften/ Lehrerausbildung Schwerpunkte: Fremdsprachenausbildung, Methodik und Didaktik des Fremdsprachenunterrichts, D a F www.rug.nl/ staff/ m.a.tammenga-helmantel/ m.a.tammenga-helmantel@rug.nl Jaroslava Taraskina: Staatliche Universität der Republik Burjatien (Russland), Institut für Philologie und Massenkommunikationen Schwerpunkte: Fremdsprachenausbildung, Methodik und Didaktik des D a F www.ifmk.bsu.ru jarat@mail.ru Marion Weerning: Universität Palermo, Institut für Humanwissenschaften Schwerpunkte: D a F , kontrastive Grammatik und Phonologie Deutsch-Italienisch portale.unipa.it/ persone/ docenti/ w/ marion.weerning/ marion.weerning@unipa.it Verzeichnis der Autorinnen und Autoren <?page no="257"?> Wie kann die Zusammenschau von linguistischen und didaktischen Perspektiven den DaF/ DaZ-Grammatikunterricht und die Sprachlernforschung inspirieren? Renommierte Fachleute sowie junge, innovative Forschende eröffnen Einblicke in eine Linguistik im Zeichen der Lerner/ innen-Orientierung. Damit repräsentiert der Sammelband aktuelle Tendenzen zum Grammatiklernen im DaF/ DaZ-Unterricht in einem internationalen Kontext.